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German Pages 321 [323] Year 2011
Beiträge zur historischen Theologie Herausgegeben von
Albrecht Beutel 163
Christian Volkmar Witt
Protestanten Das Werden eines Integrationsbegriffs in der Frühen Neuzeit
Mohr Siebeck
Christian Volkmar Witt, geboren 1980; Studium der evangelischen Theologie, der Geschichte und der Erziehungswissenschaften 2001–2006 in Wuppertal; 2008–2010 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kirchengeschichte, Schwerpunkt Reformation und Neuzeit, in Bonn; 2010 Promotion in Wuppertal; ab 2010 Referendar für das Lehramt der Sekundarstufen I und II bei der Bezirksregierung Köln.
Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT. e-ISBN PDF 978-3-16-151746-4 ISBN 978-3-16-150951-3 ISSN 0340-6741 (Beiträge zur historischen Theologie) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abruf bar. © 2011 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und straf bar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfi lmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen aus der Bembo-Antiqua gesetzt, auf alterungsbeständiges Werkdruck papier gedruckt und von der Großbuchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.
Für Yvonne und Clara
Vorwort Die vorliegende Studie wurde von der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/ Bethel im Sommersemester 2010 als Inauguraldissertation im Fach Kirchengeschichte angenommen. Für den Druck wurde sie nur geringfügig überarbeitet. Prof. Dr. Martin Ohst hat die Entstehung dieser Arbeit kontinuierlich unterstützt und begleitet. Für seine vorbildliche Betreuung und besonders für die Freiräume, die er mir ließ, danke ich ihm ganz herzlich. Für seine Begleitung und Unterstützung bin ich auch Prof. Dr. Hellmut Zschoch sehr dankbar. Meinen Dank schulde ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Universitätsbibliothek Wuppertal, der Hochschul- und Landeskirchenbibliothek Wuppertal und der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel für ihre Kooperationsbereitschaft und Flexibilität. Die fruchtbare Arbeit mit den Beständen der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel wurde ermöglicht durch Stipendien der Dr. Günther Findel-Stiftung und der Rolf und Ursula Schneider-Stiftung, denen ich ebenfalls meinen Dank aussprechen möchte. Prof. Dr. Inge Mager, Prof. Dr. Ute Mennecke, Prof. Dr. Hans-Martin Kirn, Prof. Dr. Claus-Dieter Osthövener, Prof. Dr. Dr. Johannes Wallmann und Dr. Christopher Voigt-Goy haben sich um die Entstehung der vorliegenden Studie verdient gemacht. Für ihre Mühe und die zahlreichen Ratschläge danke ich ihnen sehr. Für die Korrekturen möchte ich Maren Bienert, Christian Gebauer, Eike Postler und Dr. Christopher Voigt-Goy meinen Dank aussprechen. Prof. Dr. Albrecht Beutel danke ich für die Aufnahme der Arbeit in diese Reihe, dem Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT für den Druckkostenzuschuss. Ganz besonders zu Dank verpfl ichtet bin ich Yvonne Sibom, die es mir in der Zeit der Entstehung dieser Arbeit nie an Ermutigung und Unterstützung hat fehlen lassen. Ihr und unserer Tochter Clara ist diese Arbeit gewidmet. Mönchengladbach, April 2011
Christian Volkmar Witt
Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VII
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Stand der begriffsgeschichtlichen Forschung . . . . . . . . . . . . 2. Aufgabenstellung und Auf bau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . .
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I. Integration durch Bekenntnisverwandtschaft: Die Terminologie der Reformierten bis 1648. . . . . . . . . .
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1. Zacharias Ursinus als Wegbereiter . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Kritisch-methodologische Vorüberlegungen . . . . . . . . . . 1.2. Zuspitzung einer prekären Situation . . . . . . . . . . . . . . 1.3. Ursins Christliche Erinnerung Vom CONCORDIBVCH . . . . . . 2. Anwendung des integrativen Potentials. . . . . . . . . . . . . . . 2.1. David Pareus’ Irenicum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Die territorial übergreifende Ausstrahlungskraft der Gedanken und der damit verbundenen Terminologie Ursins: Wilhelm Zeppers Christlich Bedencken/ Vorschlag und Rath und Christoph Pezels Wahrhaffter Bericht . . . . . . . . . . . . 3. Etablierung und Verselbstständigung . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Etablierung durch Pareus-Rezeption: Christian Beckmanns Ausführliche Behauptung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Neue Qualitäten durch Verselbstständigung: Die EXEGESIS Logica & Theologica AUGUSTANAE CONFESSIONIS Heinrich Altings und Johann Crocius’ COMMENTARIUS De AUGUSTANAE CONFESSIONIS SOCIETATE . . . . . . . .
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X
Inhaltsverzeichnis
II. Verweigerung durch Verharren: Die lutherische Terminologie bis 1648 . . . . . . . . . . . . . 1. Absage an Pareus’ Irenicum . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Johann Georg Sigwarts Kurtzer Extract/ Oder Summarischer Außzug aus seiner ADMONITIO CHRISTIANA . . . . . . 1.2. Das IRENICUM VERE CHRISTIANUM Leonhard Hutters 2. Verschärfung durch terminologische Zuspitzung und Steigerung der Polemik . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Matthias Hoe von Hoeneggs Nothwendige Vertheidigung . . 2.2. Hoes Vnvermeidentliche Rettung als nochmalige Steigerung 2.3. Keine Konfessionsverwandtschaft für Ketzer: Abraham Calovs CRITICUS SACER . . . . . . . . . . .
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III. Verhärtete Fronten trotz reichsrechtlicher Zäsur: Die Terminologie auf Seiten der lutherischen Orthodoxie und des Reformiertentums seit 1648 . . . . . . . . . . . . . .
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1. Das Instrumentum Pacis Osnabrugensis als reichsrechtlicher Wendepunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Inhaltlich-terminologische Beharrlichkeit auf Seiten der lutherischen Spätorthodoxie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Terminologische Konsequenz durch Interpretation des IPO: Abraham Calovs HISTORIA SYNCRETISTICA . . . . . . . . . 2.2. Die DEFENSIO ASSERTIONIS CONSTANTIS Johann Botsacks 2.3. Bekannte Argumente, bekannte Zuspitzung: Johann Conrad Dannhauers Reformirtes Salve und der Widerholte(r) Beweis Antonius Reisers . . . . . . . . . . . . . 3. Terminologische Konstanz bei inhaltlicher Akzentverschiebung: die reformierte Publizistik in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts . . . 3.1. Samuel Strimesius’ Theologischer Unterricht und seine Vertheidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Johann Crocius als gesamtprotestantischer Apologet: seine Christliche Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3. Absage an die Bekenntnisschriften im Dienste der Vereinigung: Christoph Barthuts Unmaßgeblicher Vorschlag . . . . . . . . . .
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XI
Inhaltsverzeichnis
IV. Integrative Begriffl ichkeit als nicht nur terminologiegeschichtlicher Dammbruch im Luthertum der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . 1. Streben nach Versöhnung auf der Basis der Lehre von den Fundamentalartikeln in der Tradition Georg Calixts . . . . . . . 1.1. Präludium: Der Streit um das Religionsgespräch von Kassel (1661) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Heinrich Martin Eckards Weniges/ kurtzes und wolmeinendliches Bedencken, seine Terminologie und ihre Gegner . . . . 1.3. Der CONSENSUS REPETITUS FIDEI VERE LUTHERANAE Abraham Calovs und seine Beantwortung durch Friedrich Ulrich Calixts DEMONSTRATIO LIQVIDISSIMA . . . . . . 1.4. Das irenische Programm Friedrich Ulrich Calixts in seiner VIA AD PACEM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5. Der bedingte Einfluss Georg Calixts außerhalb des Kreises seiner direkten Schüler: Samuel Pufendorf und sein JUS FECIALE DIVINUM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Überwindung des innerevangelischen Grabens und deren Ermöglichung in der Sicht lutherischer Pietisten . . . . . . . . . 2.1. Die Begriffl ichkeit Philipp Jakob Speners . . . . . . . . . . 2.2. Die innerevangelische Spaltung als gotteslästerlicher Mangel: Gottfried Arnold und seine Unpartheyische Kirchen= und Ketzer=Historie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1. Unparteilichkeit durch Erleuchtung als Voraussetzung 2.2.2. Arnolds Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3. Zu Arnolds Gewährsmännern: Der Commentarius historicus et apologeticus de Lutheranismo Veit Ludwig von Seckendorffs und Friedrich Seylers Anabaptista Larvatus. . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4. Arnolds Terminologie vor dem Hintergrund seines Bildes des 16. Jahrhunderts. . . . . . . . . . .
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V. Abschließende Betrachtungen: Zum Werden eines Integrationsbegriffs . . . . . . . . . . . . .
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Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiterführende Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
301 305
Einleitung 1. Stand der begriffsgeschichtlichen Forschung »Die Begriffe und deren sprachliche Geschichte zu untersuchen gehört so sehr zur Minimalbedingung, um Geschichte zu erkennen, wie deren Definition, es mit menschlicher Gesellschaft zu tun zu haben.«1
Gemeinhin bezeichnet man im gegenwärtigen Sprachgebrauch als Protestanten die Glieder »all jene[r] christlichen Kirchen, Gruppen und Bewegungen, die aus der Reformation des 16. Jahrhunderts hervorgegangen sind und sich selbst als Erben des reformatorischen Protests verstehen« 2 . Es handelt sich also um eine Sammelbezeichnung für eine ganz bestimmte, sich durch ihre positive Pluralität auszeichnende Ausformung des Christentums, seines Selbstverständnisses und seiner Lebens- bzw. Frömmigkeitspraxis, deren historische Wurzeln im endgültigen Auseinanderbrechen der abendländischen Kirche in der Frühen Neuzeit zu suchen sind 3. Die damit ohnehin schon vor Augen stehende integrative Weite des Begriffs lässt sich jedoch noch überbieten: Unter dem Terminus Protestanten bzw. protestantisch werden dann »die lehr- und verfassungsmäßig unterschiedlich ausgeformten lutherischen und reformierten Kirchentümer wie auch kleinere Kirchen- und Gemeindeverbände, die durch Abspaltungen aus diesen hervorgegangen sind, darüber hinaus aber auch solche Gemeinschaften, die aus Seitenbewegungen der Reformation (Täufertum, Antitrinitarismus) stammen, und kirchliche Formationen, die schon vor der Reformation bestanden, durch diese aber neu gestaltet wurden (Waldenser, Böhmische Brüder)«
zusammengefasst4. Demnach lassen sich nicht nur die Glieder derjenigen frühneuzeitlichen Kirchenbildungen, die ihre Entstehung reformatorischen Impul1 Reinhart Koselleck, Begriffsgeschichten. Studien zur Semantik und Pragmatik der politischen und sozialen Sprache, Frankfurt a. M. 2006, S. 9. 2 Friedrich Wilhelm Graf, Der Protestantismus. Geschichte und Gegenwart (Beck’sche Reihe), München 2006, S. 7. 3 Auf eine theologiegeschichtlich-systematische Diskussion des Protestantismusbegriffs muss an dieser Stelle verzichtet werden. Verwiesen sei in diesem Zusammenhang aber exemplarisch auf die gehaltvollen Beiträge in Arnulf von Scheliha, Markus Schröder (Hgg.), Das protestantische Prinzip. Historische und systematische Studien zum Protestantismusbegriff, Stuttgart u. a. 1998. 4 Martin Ohst, Art. Protestantismus, Evangelisches Staatslexikon, Neuausgabe heraus-
2
Einleitung
sen verdanken, Protestanten nennen, sondern auch die Angehörigen (spät-)mittelalterlicher Separationen von der Papstkirche, die ihrerseits mit der Reformation in einem konstruktiven Verhältnis stehen. Dieser terminologische Rahmen um all diejenigen, die sich nicht ohne historisch-theologische Berechtigung bis heute als Protestanten bezeichnen oder eben als solche bezeichnet werden, ist nun allerdings in seiner Frühzeit keineswegs von der nur schwer zu überblickenden Weite, die ihm heute eignet, wie die begriffshistorische Forschung zu jener Bezeichnung belegt. So nimmt sich Wilhelm Maurer vor, den Terminus Protestantismus »in seinen geschichtlichen Nuancierungen« zu entwickeln, und kommt dabei auf seine historischen Wurzeln zu sprechen: »Seinem geschichtlichen Ursprung nach [. . .] entstammt der Begriff Protestantismus dem Sprachgebrauch des Reichsrechtes« 5. Der reichsrechtliche Terminus protestatio meine eine »öffentliche, feierliche und verbindliche Erklärung«, die bereits im Mittelalter einen »negative[n] Nebensinn« herausgebildet habe: »Das öffentliche Zeugnis richtet sich gegen jemanden« 6 . Dieser Form der Rechtsverwahrung, der mit der impliziten Berufung »auf ein höheres, älteres Recht, das man sich nicht nehmen lassen, das man nicht gefährdet wissen« wolle, durchaus auch ein »positives Moment« innewohne, habe man sich nicht selten auf Reichstagen bedient; daher sei die Protestation der die Reformation billigenden Stände auf dem Reichstag zu Speyer am 19./20. April 1529 gegen die Außerkraftsetzung des Reichstagsabschieds von 1526 per se erst einmal »nichts Besonderes«7. Ihre historische Bedeutung beziehe sie jedoch aus ihrem »Anlaß, geschichtliche[n] Zusammenhang und [dem] Inhalt der Handlung« 8 . gegeben von Werner Heun, Martin Honecker u. a., Stuttgart 2006, Sp. 1862–1870, hier: Sp. 1862. 5 Wilhelm Maurer, Protestantismus, in: ders., Kirche und Geschichte. Gesammelte Aufsätze Bd. II: Beiträge zu Grundsatzfragen und zur Frömmigkeitsgeschichte, herausgegeben von Ernst-Wilhelm Kohls und Gerhard Müller, Göttingen 1970, S. 103–119, hier: S. 103. Dieser Aufsatz Maurers erschien erstmals in Heinrich Fries (Hg.), Handbuch Theologischer Grundbegriffe Bd. II, München 1963, Sp. 372–387. Mir liegt die erstgenannte Veröffentlichung vor. 6 A.a.O., S. 103 f. 7 A.a.O., S. 104. 8 Ebd. Zur historischen Kontextualisierung des Reichstags von 1529, zu den dortigen Vorgängen und zu deren Hintergründen vgl. die nach wie vor klassischen Rang behauptenden Darstellungen von Julius Ney [ders., Die Protestation der evangelischen Stände auf dem Reichstage zu Speier 1529 (Schriften für das deutsche Volk herausgegeben vom Verein für Reformationsgeschichte), Halle a. S. 1890] und Johannes Kühn [ders., Die Geschichte des Speyrer Reichstags 1529 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte Nr. 146), Leipzig 1929]. Überblicksartig, aber nicht minder fundiert informieren auch Karl Müller, Kirchengeschichte Bd. II/1 (Grundriss der Theologischen Wissenschaften Vierter Teil, Zweiter Band), Tübingen Neudruck 1922, S. 335–369, Heinrich Bornkamm, Die Geburtsstunde des Protestantismus: die Protestation von Speyer (1529), in: ders., Das Jahrhundert der Reformation. Gestalten und Kräfte, Göttingen 21966, S. 112–125 und Armin Kohnle, Reichstag und Reformation. Kaiserliche und ständische Religionspolitik von den Anfängen
1. Stand der begriffsgeschichtlichen Forschung
3
Dabei spiele im Hinblick auf die historische und politische Tragweite der protestatio von 1529 sowie bezüglich der aus ihr resultierenden und in ihrer Folgewirkung schwerlich zu überschätzenden terminologischen Dynamik genau das Charakteristikum eine entscheidende Rolle, das sie letztlich von allen vorher und auch nachher vorgebrachten protestationes unterscheide: das sie begründende und ihr innewohnende Miteinander von »rechtlich-politischen« und »religiösen« Aspekten9. Aber nicht die mit der protestatio einhergehende Verwahrung angesichts der brisanten politischen Lage, die sich für die protestierenden Stände aus der Auf hebung des einstimmig beschlossenen Reichstagsabschieds von 1526 ergeben musste, sondern die »religiöse Begründung« habe »der Protestation von Speyer ihr eigentümlich fortdauerndes Gewicht« gegeben10. Dementsprechend betont Maurer, durch Anwendung des Rechtsmittels der protestatio hätten sich die betreffenden Reichsstände so »für die von ihren Theologen gepredigte Wahrheit« eingesetzt, »daß sie im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten politischen Widerstand leisten« konnten11. Die »hinter der politischen Beschwernis stehende Gewissensnot«12 sei letztlich Zeugnis der von den protestierenden weltlichen Obrigkeiten empfundenen »persönliche[n] Verantwortung des einzelnen Christen«, die jedwede Fügung unter einen Mehrheitsbeschluss, wie er 1529 zuungunsten der Reformation getroffen worden war, verbiete, sofern seine Befolgung »Ungehorsam gegen Gott bedeuten würde«13. Die Gruppe der Stände, die sich der jungen reformatorischen Bewegung angeschlossen hatten und daher die Protestation von Speyer unterzeichneten, sei dabei keineswegs ein im Hinblick auf sein theologisches Profi l homogener Block gewesen; schließlich hätten sich auch »oberdeutsche(n) Städte(n) wie Straßburg und Ulm«, ja sogar das »zwinglianisch beeinflusste(n) St. Gallen«14,
der Causa Lutheri bis zum Nürnberger Religionsfrieden (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte Bd. 72), Gütersloh 2001, S. 365–375. Der Text der Protestation vom 19. April ist greif bar in DRTA, Jüngere Reihe Bd. 7,2, bearbeitet von Johannes Kühn, Göttingen 21963, S. 1260–1265. Die erweiterte Protestation vom 20. April fi ndet sich a.a.O., S. 1273–1288. 9 Maurer, Protestantismus, S. 104. 10 Ebd. So hebt auch Martin Heckel die besondere Bedeutung der Protestation von Speyer hervor, indem er mit Blick auf ihren reichsrechtlichen Rang bilanzierend erklärt: »So ist der Protest von 1529 nicht ein konventioneller Verfahrensakt der Reichshandlungen gewesen, sondern hat den Beginn der endgültigen Spaltung in der Reichsreligionsverfassung markiert« [ders., Die reichsrechtliche Bedeutung der Bekenntnisse, in: Martin Brecht, Reinhard Schwarz (Hgg.), Bekenntnis und Einheit der Kirche. Studien zum Konkordienbuch im Auftrag der Sektion Kirchengeschichte der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie, Stuttgart 1980, S. 57–88, hier: S. 62]. 11 Maurer, Protestantismus, S. 105. 12 A.a.O., S. 104. 13 A.a.O., S. 105. 14 A.a.O., S. 106.
4
Einleitung
das »eigentlich nicht mehr zum Reichsstädtecorpus« gehörte15, jener Rechtsverwahrung angeschlossen. Maurer geht in diesem Zusammenhang sogar soweit zu behaupten, »der Begriff ›protestantisch‹« habe »die Gegensätze im evangelischen Lager immer zu umspannen versucht«16 – eine Behauptung, die es im Folgenden zu überprüfen gilt. Die von Maurer durchgeführte Identifi kation der Speyrer protestatio von 1529 als Wurzel der Bezeichnung Protestanten lasse sich nun zwar schon bei Johannes Sleidanus, dem »erste[n] protestantische[n] Reformationshistoriker«, finden, doch sei jener Terminus zuvor in erster Linie als Fremdbezeichnung zu finden: So seien bis 1546/47 die im Schmalkaldischen Bund zusammengeschlossenen Stände »von Außenstehenden als ›Protestierende Stände‹ bezeichnet« worden17. Gerade »im kurialen Sprachgebrauch wird der Name ›Protestantes‹ [. . .] zu einer allgemeinen Ketzerbezeichnung«, während Sleidanus selbst ihn letztlich »ausdrücklich auf die Zeit bis zum Ausbruch des Schmalkaldischen Krieges und damit auf eine begrenzte politische Lage« beschränke18 . Von einer Verwendung jenes Begriffs als Selbstbezeichnung kann nach Maurer daher in den ersten Jahrzehnten nach dem Reichstag von 1529 nicht gesprochen werden. Zu einer solchen sei er anfänglich eben nicht im Heiligen Römischen Reich, sondern in Westeuropa geworden: In England habe die terminologiegeschichtlich bedeutsame Entwicklung 1553 ihren Anfang genommen, wie Maurer unter Nennung mehrerer Quellen ausführt, und von dort im 17. Jahrhundert ihren Weg nach Frankreich gefunden19. Beim selbstbezeichnenden Gebrauch durch die anglikanische Staatskirche aber sei es nicht geblieben: »Zwar rechnet man Puritaner und schottische Presbyterianer zunächst nicht zu den Protestanten, weil sie die Kirche von England verurteilen«, doch Lutheraner und Reformierte habe man durchaus schon unter der Bezeichnung Protestants zusammengefasst 20. Schließlich aber habe man diese Benennung in England »nach anfänglichem Zögern auch auf die Dissenters« angewandt21. Nun habe sich der Terminus Protestanten schließlich auch im Reich zu einer Selbstbezeichnung der der Reformation anhängenden Stände entwickelt, doch 15 Georg Schmidt, Art. Protestation von Speyer, TRE 27 (1997), S. 580–582, hier: S. 580 f. 16 Maurer, Protestantismus, S. 106. 17 A.a.O., S. 107. 18 A.a.O., S. 108. 19 A.a.O., S. 108–110. 20 A.a.O., S. 109. 21 A.a.O., S. 115. S. zu dieser Entwicklung auch a.a.O., S. 110: Dass man im frühneuzeitlichen England jenen Terminus nicht nur in der anglikanischen Staatskirche als Selbstbezeichnung genutzt, sondern ihn im 17. Jahrhundert auch auf die puritanischen Dissenters angewendet habe, sei letztlich »ein Zeichen, daß der antirömische Gegensatz schroffer ist als der innerenglische, daß also die Bezeichnung ›Protestanten‹ alle nichtrömischen Kirchen umfassen soll«. Zur Entschränkung des Begriffs Protestant in England vgl. auch a.a.O., S. 109 f.
1. Stand der begriffsgeschichtlichen Forschung
5
beschränken sich Maurers Beobachtungen diesbezüglich auf das Luthertum des 17. Jahrhunderts22 . Er erklärt in diesem Kontext: »In der Spätorthodoxie, etwa bei Calov, kommt der Name Protestanten für Lutheraner häufiger vor« 23. Bei diesem dürftigen Ergebnis belässt es Maurer dann auch, was die Verwendung des Begriffs Protestanten als Selbstbezeichnung bzw. die dieser Nutzung vorausgehenden terminologischen Geneseprozesse auf dem Boden des Reiches im 17. Jahrhundert angeht 24. Diese Etappe der Begriffsgeschichte bzw. diese Entwicklungsstufe des hier im Mittelpunkt stehenden Terminus auf dem Boden des Reiches bildet freilich nicht den Schlusspunkt der Untersuchungen Maurers. Vielmehr führt er im Anschluss an seine genannte, die Terminologie Abraham Calovs betreffende Beobachtung aus, er vermöge jene Bezeichnung »als Sammelbegriff für verschiedene Gruppen von Romgegnern [. . .] nicht nachzuweisen. In dieser umfassenden Weise hat ihn – abgesehen von England – nicht schon das Zeitalter der Gegenreformation, sondern erst die Auf klärung verwendet« 25. Die mit Blick auf die heutige Begriffsnutzung entscheidende Stufe der Geschichte des Terminus Protestanten, nämlich seine beginnende Entschränkung und seinen daraus resultierenden integrativen Gebrauch, verortet Maurer somit für den deutschen Sprachgebrauch im 18. Jahrhundert, während er die Wurzel des Integrationsbegriffs nach England verlegt 26 . »Seinem historischen Ursprung nach entstammt der Begriff des P[rotestantismus] dem Sprachgebrauch des Reichsrechtes, das die Möglichkeit der protestatio kannte [. . .]. Als Geburtsstunde des P[rotestantismus] gilt die feierliche Protestation von sechs Fürsten und vierzehn süddeutschen Städten auf dem zweiten Reichstag zu Speyer 1529«,
attestiert auch Gottfried Hornig 27. Beginne die Karriere des Terminus Protestanten auch als Fremdbezeichnung, so sei er »im Laufe der geschichtlichen Entwicklung zunächst in Westeuropa (England und Frankreich), dann aber auch in Deutschland zu einer positiv verstandenen Selbstbezeichnung der Anhänger des 22
A.a.O., S. 110. Ebd. 24 Zwar werden Maurers Ausführungen im Hinblick auf das 18., 19. und 20. Jahrhundert für das deutsche Sprachgebiet wieder ausführlicher, doch bezieht er sich dabei auf die Entstehung und Entwicklung der Abstraktion »Protestantismus« und belässt es auch hier bei schlaglichtartigen Hinweisen auf einige wenige Quellen; vgl. dazu a.a.O., S. 110–114. 25 A.a.O., S. 110. 26 Vgl. o. Anm. 21. 27 Gottfried Hornig, Art. Protestantismus, HWPh 7 (1989), Sp. 1529–1536, hier: Sp. 1529. Hornig führt in Übereinstimmung mit Maurer weiter aus: »Der Protest der Anhänger der Reformation war nicht gegen die röm.-kath. Kirche und ihre Lehre gerichtet, sondern es war ein rechtlicher Protest dagegen, daß der einstimmig gefaßte Reichstagsabschied von 1526 gebrochen wurde. Es war ein religiöser Gewissensprotest dagegen, daß man sich in Glaubensfragen dem Mehrheitswillen einer politischen Körperschaft unterwerfen und so den eigenen evangelischen Glauben verleugnen sollte« (ebd.). 23
6
Einleitung
evangelischen Glaubens geworden« 28 . Der Frage, wann und in welchen Kontexten es zu dieser Art des Begriffsgebrauchs gekommen ist, wendet sich Hornig nicht zu. Was aber jene Grundzüge der Begriffsentwicklung betrifft, stimmt er folglich mit Maurers Beobachtungen im Wesentlichen überein, wird dann jedoch bezüglich terminologischer Genese- und Abstraktionsprozesse präziser, indem er herausstellt, im 17. Jahrhundert hätten sich »aus der Bezeichnung ›Protestanten‹ [. . .] die Begriffe ›protestantische Religion‹, ›protestantische Kirche‹ und schließlich ›P[rotestantismus]‹ gebildet« 29. Quellen für diesen Befund nennt Hornig indes nicht 30. Nicht zuletzt auf die genannten Arbeiten Maurers und Hornigs stützen sich schließlich die begriffsgeschichtlichen Beobachtungen Hermann Fischers, der jene zwei Untersuchungen treffend als »Vorarbeiten« klassifi ziert 31. Im Anschluss an sie führt nun auch Fischer in bekannter Weise den Terminus Protestantismus »auf die kirchenpolitische Konfl iktsituation auf dem zweiten Reichstag zu Speyer 1529« zurück, die letztlich ursächlich war für das vorgebrachte Rechtsmittel der Protestation. Dabei habe sich die Protestation von Speyer der Inanspruchnahme und positiven Bezeugung eines »höhere[n] Recht[s]« gegen die »Übermächtigung des Gewissens in Glaubensfragen«, welcher sich die protestierenden Stände durch jenen Mehrheitsbeschluss ausgesetzt sahen, zu verdanken 32 . Wie Maurer verortet auch Fischer die Anfänge der selbstbezeichnend-integrativen Verwendung des Begriffs Protestantes bzw. protestants »für die nichtrömischen christlichen Gemeinschaften« im England des 16. Jahrhunderts und führt weiter aus, jener Terminus scheine als Selbstbezeichnung »im Ursprungsland der Reformation [. . .] zunächst eine vergleichsweise untergeordnete Rolle gespielt zu haben«33. Als mutmaßliche Begründung für diese zögerliche Rezeption auf dem Boden des Reiches führt er an, die genannte Bezeichnung habe »den innerprotestantischen Differenzen zwischen Lutheranern und Reformierten zu wenig Rechnung« getragen. »Erst mit der Auf klärung ändert sich das 28
Ebd. Ebd. Dabei seien »Substantivbildung und der Begriff« Protestantismus »relativ späte Erscheinungen, die dann in einem Prozeß der Rückübertragung von vielen Autoren auf die Glaubenshaltung und Glaubensüberzeugung aller aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen, Konfessionen und religiösen Gemeinschaften angewandt werden« (ebd.). Mit Blick auf die Häufigkeit der Nutzung jener Abstraktion sei dabei »seit der Auf klärung und Auf klärungstheologie, die mit der Hinwendung zur Schlichtheit biblischer Lehrweise auch eine Abschwächung der innerprotestantischen Lehrdifferenzen zwischen Lutheranern und Reformierten zur Folge hatte«, eine Steigerung festzustellen (a.a.O., Sp. 1530). 30 Wesentlich detaillierter werden seine terminologiegeschichtlichen Untersuchungen ab dem 18. Jahrhundert; s. dazu a.a.O., Sp. 1530–1535. 31 Hermann Fischer, Art. Protestantismus I. Begriff und Wesen, TRE 27 (1997), S. 542–551, hier: S. 542. 32 Ebd. 33 A.a.O., S. 543. 29
1. Stand der begriffsgeschichtlichen Forschung
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Bild«34. Weniger vorsichtig formuliert: »In Deutschland wird der Ausdruck ›Protestanten‹ aber zunächst nicht als Eigenbezeichnung rezipiert. Dazu kommt es erst relativ spät, etwa seit 1700«35. Von den Beobachtungen Maurers zum Begriffsgebrauch Calovs, die auf eine Verwendung der Selbstbezeichnung Protestanten in der lutherischen Orthodoxie hindeuten, nimmt Fischer somit keine Notiz. Vielmehr vermutet er das Aufkommen speziell dieser terminologischen Entwicklungsstufe erst im Zeitalter der Auf klärung – also genau in dem Zeitraum, in dem Maurer die Anfänge der integrativen Nutzung des Begriffs Protestanten ansiedelt. Im Hinblick auf den terminologischen Rezeptionsprozess im Reich durch die auf die Reformation zurückgehenden Kirchentümer im 17. Jahrhundert, also bezüglich der Entwicklung des hier im Mittelpunkt stehenden Terminus zur Selbstbezeichnung im deutschen Sprachraum, schließt sich Johannes Wallmann der These Fischers im Wesentlichen an: »Auf ev. Seite wurde er [der Begriff Protestanten/Protestantes, C. W.] [. . .] nicht rezipiert, weil er den als fundamental empfundenen Gegensatz zw. luth. und ref. Konfession nivellierte«. Anders als Fischer und Maurer aber, der sich auf die Untersuchung Calovs beschränkte, erblickt Wallmann dabei in der »Schule G. Calixts in Helmstedt« eine Ausnahme36 . Mit der Auffassung, in England habe sich der Terminus Protestant zuerst zur Selbstbezeichnung entwickelt, die dann wiederum eben »von England her« ihren Weg ins Reich gefunden und dort »seit ca. 1700 das bis dahin nur sporadisch (z. B. von Ph. J. Spener) gebrauchte Wort ›Protestierende‹« verdrängt habe37, befi ndet sich Wallmann dann, was die groben rezeptionsgeschichtlichen Abläufe angeht, zwar wieder in Übereinstimmung mit den bereits genannten Ausführungen Fischers. Er klammert jedoch den integrativen Charakter, den der Begriff nach Maurer und Fischer eben in England empfangen habe, aus seinen begriffsgeschichtlichen Beobachtungen aus38 . Über jene Auto34 Ebd. Die Entwicklung der Abstraktion Protestantismus verortet Fischer wie vor ihm Maurer im 18. Jahrhundert (ebd.). 35 A.a.O., S. 542. Für die Zeit ab 1700 werden dann auch Fischers begriffsgeschichtliche Beobachtungen wieder ausführlicher (vgl. a.a.O., S. 543–550), wobei er sie zunehmend hinter seine Ausführungen zum »Wesen des Protestantismus« (a.a.O., S. 544–549) und zur »Protestantische[n] Identität« (a.a.O., S. 549 f.) zurücktreten lässt. 36 Johannes Wallmann, Art. Protestantismus I. Kirchengeschichtlich 1. Deutschland und Europa, RGG 4 6 (2003), Sp. 1727–1733, hier: Sp. 1728. Bezüglich der Herkunft des Begriffs erklärt Wallmann im Konsens mit Maurer, Hornig und Fischer: »Hist. leitet sich der Begriff P[rotestantismus] her von der ›Protestation‹, mit der auf dem Reichstag von Speyer 1529 eine Minderheit ev. Fürsten und Städte gegen einen Mehrheitsbeschluß des Reichstages Rechtverwahrung einlegte« (a.a.O., Sp. 1727), sei dann aber vorerst nicht als Selbst-, sondern als Fremdbezeichnung gebräuchlich gewesen (a.a.O., Sp. 1728). 37 A.a.O., Sp. 1728. 38 Ebd. Dagegen weist Wallmann – wie vor ihm schon Maurer – in seinem begriffsgeschichtlichen Beitrag von 1988 darauf hin, dass anfänglich im Gegensatz zum Reich »in England im endenden 16. Jh., verstärkt im 17. Jh., der Begriff ›protestant‹ positiv aufgenommen und dem römischen Katholizismus und dem Puritanismus entgegengesetzt« worden sei.
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ren hinausgehend stellt er schließlich fest, die dann einsetzende »schnelle Rezeption als Selbstbez. der Evangelischen« sei »durch das Zurücktreten des luth.ref. Gegensatzes im Pietismus« begünstigt worden. »Einen entscheidenden Schritt zur Aufnahme des Begriffs« im Reich habe, wie Wallmann im Anschluss an Fischer attestiert, dann schließlich die Auf klärung gebracht 39. Es ist damit unverkennbar: Gerade was die Entwicklungsstufen der Termini Protestierende, Protestantes und später Protestanten von der Fremd- zur Selbstbezeichnung und von dort schließlich zum Integrationsbegriff angeht, gehen die wissenschaftlichen Haltungen zur Chronologie und Begründung der entsprechenden Rezeptionsprozesse nicht unwesentlich auseinander. Dass diesbezüglich disparate Meinungen attestiert werden müssen, ist zweifelsohne auf die schon von Fischer benannte Tatsache zurückzuführen, dass die »Anfänge der Rezeptionsgeschichte [. . .] noch im dunkeln« liegen40. Mit seinem differenzierten Blick auf die Frühgeschichte jener Bezeichnung und den daraus resultierenden quellenfundierten terminologiehistorischen Neubewertungen schafft nun Siegfried Bräuer dieser Disparität in wichtigen Teilen Abhilfe41. Er konstatiert treffend: »In Lexikaartikeln wird teilweise angegeben, der Begriff ›Protestanten‹ und seine Vorform ›Protestierende‹ seien zunächst nicht als Selbst-, sondern als Fremdbezeichnung rezipiert worden«42 . Ursächlich für diese Einschätzung seien wahrscheinlich nicht zuletzt bestimmte Äußerungen Luthers aus der ersten Hälfte der 1540er Jahre, in denen der Reformator jenen Terminus klar als Fremdbezeichnung ausweist, sowie die Tatsache, »daß sich seit Ende der dreißiger Jahre die Begriffe ›protestantes‹ [. . .] und ›Protestierende‹ bzw. ›protestierende Stände‹ im offi ziellen Schriftverkehr der altgläubigen kirchSpäterhin aber, nämlich erst »[n]ach der englischen Revolution«, sei der Begriff dann »auch auf die Dissenters ausgedehnt« worden (ders., Art. Protestantismus, Staatslexikon Recht Wirtschaft Gesellschaft 4, herausgegeben von der Görres-Gesellschaft, Freiburg u. a. 71988, Sp. 600–604, hier: Sp. 601). 39 Wallmann, Art. Protestantismus (RGG), Sp. 1728. Von der Auf klärung an werden seine Ausführungen wieder ausführlicher – ein ja bereits bekanntes Phänomen in der hier in den Blick genommen Begriffshistoriographie (vgl. a.a.O., Sp. 1728–1731). Mit jenen Bemerkungen aus dem Jahr 2003 übereinstimmend, erklärt Wallmann bereits in seinem 15 Jahre älteren Protestantismusartikel: »Die schnelle und breite Rezeption als Selbstbezeichnung der Evangelischen wurde begünstigt durch das Zurücktreten des konfessionellen Gegensatzes zwischen luth. und ref., zunächst in der Frömmigkeitsbewegung des Pietismus, dann v. a. in der dt. Auf klärung des 18. Jh.« [ders., Art. Protestantismus (Staatslexikon), Sp. 601]. 40 Fischer, Art. Protestantismus, S. 543. 41 Siegfried Bräuer, Protestierende – Protestanten. Zu den Anfängen eines geschichtlichen Grundbegriffs im 16. Jahrhundert, in: Erich Donnert (Hg.), Europa in der Frühen Neuzeit. Festschrift für Günter Mühlpfort Bd. 6: Mittel-, Nord- und Osteuropa, Köln u. a. 2002, S. 91–113. Ich möchte Herrn Prof. Dr. Siegfried Bräuer an dieser Stelle dafür danken, dass er mich auf seinen begriffsgeschichtlichen Beitrag aufmerksam gemacht hat. 42 A.a.O., S. 98.
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lichen und weltlichen Autoritäten in zunehmendem Maße etabliert« hätten43. Nun begegnet Bräuer aber jener offenbar in der betreffenden begriffsgeschichtlichen Forschung fest etablierten These mit dem Verweis auf ausgewählte Aktenstücke, die aus dem direkten zeitlichen Umfeld der Protestation von Speyer und aus der Hand sich ihr anschließender Stände stammen. Sie beweisen, dass der Begriff protestierende Stände bereits 1529 als Selbstbezeichnung Verwendung fand44. Doch dabei lässt Bräuer es nicht bewenden: »In der Folgezeit fi ndet sich ›die protestierenden Stände‹ oder die Kurzform ›die Protestierenden‹ [. . .] vorwiegend im Schriftverkehr der oberdeutschen Städte«; in den »frühen Abschiede[n] des Schmalkaldischen Bundes« im Laufe der 1530er Jahre kommt die erstgenannte Formel ebenfalls mehrfach als Selbstbezeichnung zum Einsatz 45. Während des Schmalkaldischen Krieges habe sich der Begriff Protestierende bzw. die Formel protestierende Stände dann aus »der Verwaltungsebene und [dem] Schriftverkehr« gelöst und Eingang in den gemeingesellschaftlichen Sprachgebrauch gefunden. So lässt sich beispielsweise in Liedtiteln und Predigtkontexten der Kriegszeit die genannte Formel als Eigenbezeichnung nachweisen, wie Bräuer quellenfundiert belegt 46 . Wie Maurer spricht nun auch er Johannes Sleidanus eine besondere Rolle in diesem Zusammenhang zu. Was Erstgenannter zur Bedeutung der terminologiegeschichtlich relevanten Äußerungen Sleidans jedoch nur andeutungsweise vermerkt, bringt Bräuer konsequent und deutlich zur Geltung. Er vermutet in der entsprechenden Passage der De Statu Religionis et Reipublicae [. . .] Commentarii Sleidans von 1555 nicht weniger als den Ursprung der These, die Bezeichnung Protestanten leite sich direkt von der Speyrer Protestation her47. Jener Terminus sei in dem genannten »Auftragswerk des Schmalkaldischen Bundes« auf die »protestierenden Stände und ihre Aktionen bezogen, angefangen mit dem Speyrer Reichstag 1529, über den Augsburger Reichstag 1530 und dem (sic!) Schmalkaldischen Bund, bis zum Schmalkaldischen Krieg«. Doch mit dieser Feststellung allein werde man dem begriffshistorischen Einfluss, der von jenem berühmtem Werk ausgegangen ist, nicht gerecht: »Mit seinem Erfolgsbuch hat Sleidan selbst auf jeden Fall zur Verbreitung des Begriffs wesentlich beigetragen«, ist sich Bräuer sicher48 . Zur Begründung seiner Meinung weist er auf die zahlreichen Neuauflagen hin, die die De Statu Religionis et Reipublicae [. . .] Com-
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Ebd. A.a.O., S. 99. A.a.O., S. 100. A.a.O., S. 101. A.a.O., S. 92. A.a.O., S. 102.
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mentarii noch im 16. Jahrhundert erleben durften49, sowie auf ihre unterschiedlichen Übersetzungen 50. Die von Sleidans Werk und gerade seinen Übersetzungen ausgehende Multiplikation der Bezeichnung protestantes beschränke sich aber eben nicht nur auf den deutschen Sprachraum: Neben der lateinischen Originalfassung »sorgten vor allem die beiden französischen Übersetzungen von Straßburg 1558 und von Genf 1574 sowie die englische Übersetzung des John Daus von 1560« für eine Verbreitung jenes Begriffs. Festzuhalten sei dabei, dass die »Übersetzer im 16. Jahrhundert [. . .] die von Sleidanus vorgegebene Begriffsebene (protestantes für protestierende Stände) nicht verlassen« und zudem seine Passage zur Herkunft des Terminus zuverlässig übersetzt hätten 51. Wenn damit auch die von allen bisher genannten Wissenschaftlern außer Bräuer explizit vertretene These, Protestanten sei zuerst in Westeuropa oder genauer: in England zur Selbstbezeichnung geworden, nicht als widerlegt gelten kann, so müssen doch entscheidende und Bräuers intensivem Quellenstudium zu verdankende Neubewertungen der rezeptionsgeschichtlichen Abläufe stattfi nden: Zum einen lässt sich – weit früher als von Maurer, Fischer und Wallmann behauptet – im deutschen Sprachraum eine selbstbezeichnende Verwendung belegen. Sodann darf nicht mit einer einseitigen, von Westeuropa ausgehenden Beeinflussung der im Reich gebräuchlichen Terminologie gerechnet werden; vielmehr ist nicht zuletzt wegen der Übersetzungen des Werkes Sleidans ins Englische und Französische und seiner damit einhergehenden Verbreitung mindestens von einer wechselseitigen Beeinflussung der Begriffl ichkeit und ihrer Rezeption auszugehen 52 . Den Grund für die Verbreitung und Zähigkeit der den beiden unerlässlichen Neubewertungen entgegengesetzten Haltungen in der deutschsprachigen begriffsgeschichtlichen Forschung vermutet Bräuer nicht zu Unrecht darin, dass die »Suche nach frühen Spuren von ›Protestanten‹ in deutschen Quellen [. . .] sicher nicht unwesentlich durch die erwähnte allgemeine Auffassung, der Begriff sei zunächst in Westeuropa üblich gewesen, behindert worden« sei 53. Unabhängig von Bräuers Befunden, doch in Übereinstimmung mit ihnen konstatiert auch Martin Ohst, Sleidans De Statu Religionis et Reipublicae [. . .] Commentarii hätten »auch außerhalb des Reiches (Frankreich, England) weite 49 »Allein 1555 wurden vier Ausgaben veröffentlicht, im darauffolgenden Menschenalter nicht weniger als 80« (ebd.). 50 A.a.O., S. 102–104. 51 A.a.O., S. 104. 52 Der Einseitigkeit des Rezeptionsprozesses, die sich aus der verbreiteten These zwangsläufig ergibt, der Begriff Protestanten sei zuerst in Westeuropa als Selbstbezeichnung üblich geworden und in dieser Deutung von dort zurück ins Reich gelangt, hält Bräuer entgegen: »Für eine Art Rückexport von ›protestans/protestants‹ aus England oder Frankreich gibt es bislang keine Anhaltspunkte in den Quellen« (a.a.O., S. 106). 53 Ebd.
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Verbreitung« gefunden und »dort zur Rezeption des Begriffs« Protestanten beigetragen 54. Auch in der Feststellung, jener Terminus sei schon deutlich früher, als von Maurer, Fischer und Wallmann vermutet, auf dem Boden des Heiligen Römischen Reiches zur Selbstbezeichnung der sich zur Reformation haltenden Stände geworden, befi ndet sich Ohst im Konsens mit Bräuer. Denn wie dieser stellt Erstgenannter heraus, schon in den »offi ziellen Dokumenten des Schmalkaldischen Bundes wurde der Terminus ›protestantes/Protestierende (Reichsstände)‹ nun bisweilen als Selbstbezeichnung verwandt. Johannes Sleidanus, der offi zielle Geschichtsschreiber des Bundes, verwandte ihn mit Vorzug [. . .]« 55.
Doch Ohst nimmt nun die Rezeption und die mit ihr einhergehende Entwicklung des Begriffs bzw. seiner Nutzung weiträumiger in den Blick als Bräuer, der sich im Wesentlichen auf das 16. Jahrhundert beschränkt. Diese Weiträumigkeit begründend und zugleich einleitend, macht er klar, dass Sleidan den Begriff zwar vorzugsweise verwende, »ohne ihn allerdings auf die Reformierten auszuweiten« 56 . Damit steht eine in ihrer begriffshistorischen Bedeutung schwerlich zu überschätzende Beobachtung vor Augen: Wenn die Bezeichnung Protestanten in ihren unterschiedlichen Spielarten im Reich auch schon früh zur Selbstbezeichnung geworden ist, wie Ohst und Bräuer belegen, so wird sie doch vorerst selbstbezeichnend-exklusiv durch die Schmalkaldischen Bundesgenossen angewandt 57. Die sich dann besonders in der zweiten Hälfte des Reformationsjahrhunderts verfestigende »religionspolitische Blockbildung« zwischen den beiden reformatorischen Lagern, also den lutherischen und reformierten Ständen im Reich, habe schließlich Integrationsbemühungen zum Ausgleich der innerevangelischen Differenzen ins Werk gesetzt. Neben der vorwiegend von reformierten 54 Ohst, Art. Protestantismus, Sp. 1865. Das nimmt nicht Wunder, sind Sleidans De Statu Religionis et Reipublicae [. . .] Commentarii doch »zu den berühmtesten Geschichtswerken des 16. Jahrhunderts« zu zählen [Matthias Pohlig, Zwischen Gelehrsamkeit und konfessioneller Identitätsstiftung. Lutherische Kirchen- und Universalgeschichtsschreibung 1546– 1617 (Spätmittelalter und Reformation Neue Reihe 37), Tübingen 2007, S. 162; zur Einordnung des Werkes Sleidans in die frühe lutherische Historiographie und seine Eigenart s. a. a.O., S. 161–167]. 55 Ohst, Art. Protestantismus, Sp. 1865. 56 Ebd. 57 Diese Feststellung wird auch durch Bräuers Quellenbefunde bestätigt. Er streicht zwar heraus, dass es gerade im Schriftverkehr der oberdeutschen Städte schon früh zur selbstbezeichnenden Verwendung des Terminus Protestanten bzw. Protestierende gekommen ist (vgl. o. Anm. 43). Da sich jedoch die oberdeutschen Theologen mit der Unterzeichnung der Wittenberger Konkordie im Jahre 1536 »der von Wittenberg ausgehenden Bewegung enger anschlossen« und sich letztlich wie der ganze Schmalkaldische Bund auf den Boden der CA und ihrer Apologie stellten (Ohst, Art. Protestantismus, Sp. 1864 f.), muss auch bei dem Gebrauch jenes Begriffs durch die Oberdeutschen eben als Selbstbezeichnung spätestens seit Mitte der 1530er Jahre von einer exklusiven Verwendung gesprochen werden.
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Autoren im Reich getragenen Irenik habe man sich vor allem »[i]m England Elisabeths I. und Jakobs I.« dafür eingesetzt, »bekenntnisverschiedene politische Kräfte als ›Protestanten‹ zu gemeinsamem politischem Agieren gegen die Mächte der Gegenreformation zu motivieren«. So sei »›protestant‹ zur außenpolitischen Leitmaxime« Englands im Kampf gegen Spanien geworden 58 . In der sich aus dem Selbstverständnis Englands in diesem Konfl ikt »als Sachwalter gesamtprotestantischer Interessen« ergebenden »religiös-politischen Doppelkonnotation« habe jene Bezeichnung in der »religiös zerklüfteten englischen Gesellschaft« schließlich wirkungsvoll ihr Integrationspotential entfaltet 59. Diese in England beginnende Nutzung von Protestanten als Integrationsbegriff eben durch Protestanten sei dann auch nicht ohne Auswirkungen auf die »politische(n) Schriftstellerei hugenottischer Exilanten« geblieben, die ihrerseits wieder »auf ein breites Bündnis gegen das Frankreich Ludwigs XIV. hinarbeiteten« 60. Im Reich hingegen »verwendeten Dokumente des Westfälischen Friedens gelegentlich ›Protestantes‹ als Oberbegriff für die [. . .] lutherischen und reformierten Reichsstände«. Diese Nutzung des Terminus Protestanten als Integrationsbegriff, wie sie in England längst in erster Linie auf politischer, im Instrumentum Pacis Osnabrugense von 1648 auf reichsrechtlicher Ebene vorlag, habe jedoch »kirchlich und theologisch zunächst« auf Seiten der evangelischen Reichsstände »kein positives Echo« gefunden. Erst mit dem allmählichen Aufweichen der Lehrunterschiede zwischen Lutheranern und Reformierten im späten 17. Jahrhundert, vor allem mit dem auf kommenden Pietismus, verändere sich das Bild. Als schließlich Gottfried Arnold in seiner »›Unparteiischen Kirchen- und Ketzerhistorie‹ [. . .] die konfessionellen Unterscheidungslehren radikal« relativiere, gelange er zu einer integrativen Begriffsdeutung und -verwendung, zumindest »für die Einheit der reformatorischen Bewegung vor deren Zerbrechen« 61. Die von Ohst angesprochene terminologiegeschichtliche Zäsur, welche der Westfälische Friedensschluss von 1648 bzw. das Osnabrücker Friedensinstrument darstellt, kommt nun besonders in den begriffshistorischen Untersuchungen Friedrich Wilhelm Grafs zur Geltung: »Bis 1648 sind in der theologischen und reichsrechtlichen Literatur nur die Angehörigen der lutherischen 58
Ohst, Art. Protestantismus, Sp. 1865. A.a.O., Sp. 1865 f. Die Meinung, die Bezeichnung protestants/protestantes entwickele sich auf protestantischer Seite in England zum Integrationsbegriff, mit dessen Hilfe die innerevangelischen Differenzen terminologisch überbrückt werden sollen, vertreten auch Maurer und Fischer. 60 Ohst, Art. Protestantismus, Sp. 1866. 61 Ebd. Mit der Auf klärung, mit der der Pietismus in all seinen Ausformungen in seinem Desinteresse »an innerevangelischen Konfessionsunterschieden« konvergiere, komme es dann zu einer erheblichen quantitativen Steigerung des integrativen Begriffsgebrauchs (a.a.O., Sp. 1866 f.). Es nimmt nach dem bisher Beobachteten nicht Wunder, dass auch Ohsts terminologiegeschichtliche Untersuchungen ab dem 18. Jahrhundert an Ausführlichkeit zunehmen (s. a.a.O., Sp. 1866–1870). 59
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Konfessionspartei als Protestanten bezeichnet worden« 62 ; seit dem Westfälischen Frieden »wurde der Begriff nun auf die ›Calvinischen‹ ausgedehnt« 63. Zuvor habe sich der »primär von Katholiken gebrauchte Rechtsterminus ›Protestantes‹ allmählich zu einer Selbstbezeichnung« entwickelt 64. Die Rezeption des Begriffs in seinen unterschiedlichen Ausformungen durch »evangelische Juristen und Theologen« als Selbstbezeichnung habe sich aber im Reich sehr zögerlich gestaltet, da er die als fundamental empfundenen Lehrunterschiede zwischen den lutherischen und reformierten Kirchentümern zu nivellieren drohte65. Anders verhalte es sich in Westeuropa, also in England, Frankreich und den Niederlanden, »wo man seit Mitte des 16. Jahrhunderts von ›protestantisme‹ (als Nebenform zu ›la religion protestante‹), ›Protestant‹ und ›protestans‹ sprach, um den Gegensatz gegen die ›Papisten‹ [. . .] zu betonen« 66 . Wer auf dem Boden des Reiches schließlich »im späten 17. und 18. Jahrhundert von den Protestanten gesprochen hat, hat gerade jenes Gemeinsame bezeichnen wollen, das Reformierte und Lutheraner im Gegensatz zur römischkatholischen Konfessionspartei miteinander verbindet«. Dieser integrative Sprachgebrauch folge wiederum »mit großer Wahrscheinlichkeit einem englischen Vorbild«, meint auch Graf67.
2. Aufgabenstellung und Auf bau der Arbeit In der Tat erklärt bereits Sleidan, dessen rezeptionshistorische Bedeutung sowohl Maurer als auch Bräuer und Ohst herausstellen, mit Blick auf die Protestation von Speyer: »Et haec quidem est origo nominis protestantium« 68 . Diese Meinung hat sich, wie der bisherige Forschungsüberblick beweist, bis heute durchgehalten. Sie ist unter den genannten terminologiegeschichtlichen Beiträ62 Friedrich Wilhelm Graf, Einleitung – Protestantische Freiheit, in: ders., Klaus Tanner (Hgg.), Protestantische Identität heute, Gütersloh 1992, S. 13–23, hier: S. 13. 63 Ders., Der Protestantismus, S. 66: Im Einklang mit seiner jüngeren und soeben angeführten Feststellung (s. o. Anm. 62) führt Graf aus, dass bis 1648 »nur die ›Lutherischen‹ als ›Protestantes‹ bezeichnet worden« seien. 64 Graf, Der Protestantismus, S. 66. 65 A.a.O., S. 13. 66 Ebd. Auch Graf vertritt im Hinblick auf die Begriffsrezeption durch die Evangelischen im Reich die Meinung, erst mit der Auf klärung komme es zu einer quantitativen Steigerung der Begriffsnutzung (vgl. dazu a.a.O., S. 14 f., 66 f.). 67 Graf, Einleitung – Protestantische Freiheit, S. 13: »In der englischen staatsrechtlichen und philosophisch-theologischen Diskussion des 16. und 17. Jahrhunderts begegnet ›Protestants‹ als Selbstbezeichnung aller nichtrömischen christlichen Glaubensgemeinschaften« (ebd.). 68 Johannes Sleidanus, DE STATV RELIGIONIS ET REIPVBLICAE CAROLO QVINTO CAESARE COMMENTARII PARS I, EDITIO NOVA DELINEATA A IO. GOTTLOB BOEHMIO, Osnabrück 1968 (Reprographischer Nachdruck der Ausgabe 1785–1786), LIBER VI, S. 376.
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gen Konsens69. Der frühe Gebrauch des Begriffs Protestantes bzw. Protestierende als Fremdbezeichnung für diejenigen Reichsstände, die sich der Reformation angeschlossen hatten, kann ebenfalls als gesichert gelten70. Es ist nun aber vor allem das Verdienst Bräuers und Ohsts, anhand ausgewählter Quellen belegt zu haben, dass jener Terminus schon deutlich früher seine Karriere als Selbstbezeichnung begonnen hat, als man bisher gemeinhin meinte. Die Untersuchungen beider Autoren weisen diesbezüglich nicht nur übereinstimmend auf die Dokumente des Schmalkaldischen Bundes hin, sondern unterstreichen – wie schon Maurer – die besondere Rolle, die mit Blick auf die selbstbezeichnende Rezeption des Begriffs Sleidan als Geschichtsschreiber des Bundes gespielt hat 71. Doch damit ist letztlich noch etwas anderes gesagt: Zwar ist der Terminus Protestantes bzw. protestierende Stände oder kurz: Protestierende schon im nächsten zeitlichen Umfeld des Speyrer Reichstags auf dem Boden des Heiligen Römischen Reiches zur Selbstbezeichnung der oberdeutschen Städte, wie Bräuer beweist, und vor allem der Schmalkaldischen Bundesgenossen geworden, doch benennt der Begriff eben im Zuge dieses selbstbezeichnenden Gebrauchs nur eine bestimmte Gruppe reformatorischer Prägung, nämlich die Verwandten der Augsburgischen Konfession. Spätestens seit 1536, seit dem Zustandekommen der Wittenberger Konkordie und der daraus resultierenden bekenntnismäßigen Angleichung der oberdeutschen und der Wittenberger Reformation im Hinblick auf die Abendmahlslehre, stehen alle am Schmalkaldischen Bund beteiligten Stände fest auf dem Boden der Confessio Augustana als des lutherischen Grundbekenntnisses: »[. . .] als Bekenntnisgrundlage des militärisch-politischen Bündnisses der Protestanten, des Schmalkaldischen Bundes, bildete sie [die CA, C. W.] den transterritorialen theologischen Maßstab dessen, was als ›evangelische Lehre‹ zu gelten hatte. Infolge der Auslegung ihrer Abendmahlslehre in der Wittenberger Konkordie bildete die CA sogar eine Brücke ins oberdeutsche Lager« 72 . 69 Auch Bräuer (ders., Protestierende – Protestanten, S. 92–94, 110 f.), Ohst (ders., Art. Protestantismus, Sp. 1864) und Graf (ders., Der Protestantismus, S. 12 f.) schließen sich der Meinung Sleidans zur Herkunft des Begriffs an. 70 Ohst ist ebenfalls der Meinung, die 1529 protestierenden Stände »wurden von den Altgläubigen mit dem Spottnamen ›protestantes/Protestierende‹ belegt, der in der Folgezeit zunächst zur gelegentlichen politisch-juristischen Fremdbezeichnung wurde« (ders., Art. Protestantismus, Sp. 1864). Damit schließt er sich letztlich Maurer, Fischer (ders., Art. Protestantismus, S. 542) und Graf an. 71 Schon vor Maurer hat Sleidan in diesem begriffsgeschichtlichen Kontext Beachtung gefunden. Bereits Julius Böhmer [ders., Protestari und protestatio, protestierende Obrigkeiten und protestantische Christen. Zur Würdigung von Sinn und Auswirkung der Protestation(en) des Speierer Reichstags von 1529, in: Archiv für Reformationsgeschichte. Texte und Untersuchungen 31 (1934), S. 1–22, hier: S. 4] hat die De Statu Religionis et Reipublicae [. . .] Commentarii des Schleideners in den Blick genommen und sich mit jener Passage befasst, die Sleidan der Herkunft der hier im Mittelpunkt stehenden Bezeichnung widmet. 72 Thomas Kaufmann, Das Bekenntnis im Luthertum des konfessionellen Zeitalters, ZThK 105 (2008), S. 281–314, hier: S. 283 f.; Karl Müller führt aus, die Grundlage des
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Wenn sich die Schmalkaldener selbst als protestantes oder Protestierende bezeichnen, handelt es sich somit um einen exklusiven Begriffsgebrauch. Damit steht die Differenz zwischen dieser ursprünglichen selbstbezeichnend-exklusiven Verwendung im deutschen Sprachraum und der heutigen integrativen klar vor Augen. Die entscheidende, diese Differenz ausgleichende Entwicklung habe nun nach Meinung derjenigen zuvor angeführten terminologiegeschichtlichen Untersuchungen, die sich überhaupt mit der Entstehung der integrativen Dimension des Begriffs auseinandersetzen, im englischen Sprachgebrauch ihren Ort 73. Erst im späten 17. bzw. im 18. Jahrhundert, als die Betonung der Lehrunterschiede zwischen Reformierten und Lutheranern im Zuge von Pietismus und Auf klärung zunehmend an Bedeutung eingebüßt habe, habe der Terminus Protestantes bzw. Protestierende und später Protestanten eben als Integrationsbegriff Verwendung im Reich gefunden. Schmalkaldischen Bundes »waren von Anfang an die Stände gewesen, die die Augsburgische Konfession übergeben hatten. [. . .] Auch die oberländischen Städte hatten sie nacheinander anerkannt, schon um den Gefahren zu entgehen, mit denen sie als angebliche Zwinglianer vom Kammergericht bedroht waren. Aber damit hatten sie noch nicht die ganze Abendmahlslehre Luthers angenommen«. Schließlich sei es jedoch mit der Wittenberger Konkordie von 1536 gelungen, »die beiden Parteien [. . .] nicht nur unter Augsburgischer Konfession und Apologie, sondern auch unter einer von Melanchthon entworfenen Abendmahlsformel zu vereinigen«. Damit seien die meisten oberdeutschen Städte »der Gemeinschaft der Wittenberger Reformation unter der Fahne von Augsburgischer Konfession und Apologie« beigetreten: »Die Wittenberger Konkordie wurde so die Brücke, auf der Südwestdeutschland zum Luthertum hinübergeführt wurde« (ders., Kirchengeschichte Bd. II/1, S. 402 f.). Zwar gelangt nun Walther Köhler [ders., Zwingli und Luther. Ihr Streit über das Abendmahl nach seinen politischen und religiösen Beziehungen Bd. II: Vom Beginn der Marburger Verhandlungen 1529 bis zum Abschluß der Wittenberger Konkordie von 1536, herausgegeben von Ernst Kohlmeyer und Heinrich Bornkamm (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte Bd. 7), Gütersloh 1953, S. 432–455] inhaltlich letzten Endes zum gleichen Ergebnis, doch beurteilt er den Einigungsprozess, der schließlich in der Unterzeichnung der Wittenberger Konkordie gipfeln sollte, wesentlich differenzierter und stellt die theologisch nicht unproblematische Zweideutigkeit in der zustimmungsfähigen Abendmahlsformel heraus, mit der der Lehrkonsens letztlich erkauft wurde . Heinrich Bornkamm teilt, die Problematisierung Köhlers nicht in ihrem vollen Gewicht aufgreifend, dessen und Müllers Meinung, wenn er unter besonderer Betonung der Rolle Martin Bucers schreibt: »Am 29. Mai 1536 wurde die von Melanchthon entworfene Formel unterschrieben, die als Wittenberger Konkordie dem Abendmahlsstreit in Deutschland im wesentlichen ein Ende machte« (ders., Martin Bucer, der dritte deutsche Reformator, in: ders., Das Jahrhundert der Reformation, S. 88–112, hier: S. 101). Und weiter: »Daß Luther [mit der Wittenberger Konkordie, C. W.] die süddeutsche Reformationsbewegung wiedergewann, hat er nahezu allein Bucer zu danken« (a.a.O., S. 103). Zur Bedeutung der CA als Grundlage des Schmalkaldischen Bundes s. auch Ernst Koch, Bedeutungswandlungen der Confessio Augustana zwischen 1530 und 1580, in: ders., Auf bruch und Weg. Studien zur lutherischen Bekenntnisbildung im 16. Jahrhundert (Arbeiten zur Theologie Heft 68), Stuttgart 1983, S. 20–33, hier: S. 20–23. 73 Diese These vertreten, wie gezeigt werden konnte, übereinstimmend Maurer, Fischer, Ohst und Graf. Einzig Bräuer steht ihr kritisch gegenüber, wenn er sie auch nicht direkt widerlegt (s. dazu ders., Protestierende – Protestanten, S. 105 f.).
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Bei den Autoren, die diese Haltung zur Entwicklungs- und Rezeptionsgeschichte jenes Begriffs in seinen variierenden Ausformungen vertreten, ist nun jedoch eines auffällig: Quellen, die aus dem Heiligen Römischen Reich des späten 16. und vor allem des 17. Jahrhunderts stammen und damit die These durch negativen Befund bestätigen könnten, der für unsere heutige Begriffsnutzung so bedeutende integrative Charakter sei in England entstanden und erst mit Pietismus und Auf klärung im deutschen Sprachraum gebräuchlich geworden, werden nicht genannt 74. Vielmehr lässt sich allgemein feststellen, dass die Beobachtungen der erwähnten begriffshistorischen Beiträge besonders zur Frühgeschichte der Bezeichnung im 16. oder dann erst wieder zu ihrer Rezeption im 18. Jahrhundert quellenfundiert und dementsprechend ausführlich ausfallen, was aber von dem Zeitraum dazwischen eben nicht gelten kann. Diese lückenhafte Darstellung der Begriffsgeschichte beginnt nun nicht erst mit Maurers Aufsatz, der zumindest die Begriffsnutzung Abraham Calovs kurz in den Blick nimmt, sondern hat Tradition: Schon Ferdinand Kattenbusch stellt zwar in Bezug auf die Wurzel und die früheste Rezeption der Benennung Protestierende bzw. Protestantes heraus: »Der Protestantismus hat seinen Namen von der ›Protestation‹, welche die meisten der auf dem zweiten Reichstag zu Speyer vertretenen evangelischen Stände [. . .] wider den Beschluß der katholischen Majorität einlegten«, wobei jene Bezeichnung anfänglich nicht von den »Fürsten etc. selbst, die den Protest erhoben hatten«, gebraucht worden sei, sondern von ihren Gegnern75. Nach 1529 sei sie »bald in einen allgemeineren, wenn auch, so weit ich sehe, nicht häufigen Sprachgebrauch« übergegangen und »[a]ußerhalb Deutschlands [. . .] mehr als in Deutschland üblich« gewesen76 . Weitergehende terminologiehistorische Informationen beispielsweise zu der Frage, wann jener Begriff zur Selbstbezeichnung geworden ist, bietet Kattenbusch indes in seinem immerhin 47 Druckseiten umfassenden Artikel nicht. Es lässt sich nun schon bezüglich eben jener von Kattenbusch noch völlig unberührten Frage nach der Einführung des selbstbezeichnenden Begriffsgebrauchs attestieren, dass die darauf seit Maurer und sicher nicht immer unabhängig von ihm gegebene Antwort letztlich wegen der zunehmenden Quantität der analysierten Quellen und der Qualität ihrer Auswertung revidiert werden musste, wie die Untersuchungen Bräuers zeigen. Mit ihrer Klärung jener Frage nach dem Beginn der selbstbezeichnenden Begriffsnutzung im Reich konnte ein in seiner Bedeutung für die Geschichte des Terminus Protestanten bedeu74 Zwar kommen Maurer auf Calov und Wallmann auf die Schule Georg Calixts zu sprechen, doch beziehen sie ihre diesbezüglichen Beobachtungen explizit auf die Rezeption des hier im Mittelpunkt stehenden Begriffs als Selbstbezeichnung, ohne seine integrative Dimension in den Blick zu nehmen. 75 Ferdinand Kattenbusch, Art. Protestantismus, RE3 16 (1905), S. 135–182, hier: S. 136. 76 Ebd.
2. Aufgabenstellung und Aufbau der Arbeit
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tender Beitrag geleistet werden. Seit den Ausführungen Kattenbuschs und Maurers hat sich somit das begriffshistorische Bild mehr und mehr vervollständigt. Dennoch bleibt es unscharf, wie alle besprochenen Untersuchungen ausweisen, wenn man ihre nicht selten divergierenden Thesen zu einem geschlossenen terminologiegeschichtlichen Ergebnis zusammenzuziehen versucht 77. Eine nach wie vor bestehende und in ihrer Qualität schwerlich zu überschätzende Lücke ergibt sich dabei ohne Frage aus der bereits erwähnten Tatsache, dass aus dem Heiligen Römischen Reich stammende Quellen aus mehr als einem Jahrhundert bisher keine begriffsgeschichtlich interessierte Beachtung gefunden haben. Die vorliegende Arbeit möchte nun genau diesem Mangel durch die letztlich dafür unerlässliche »Erweiterung der Quellenbasis«78 abhelfen. Sie möchte durch Untersuchung von (kontrovers-)theologischen Quellen aus dem späten 16. und dem gesamten 17. Jahrhundert der Frage nachgehen, ob und vor allem wie die Begriffe Protestantes und Protestierende in dem genannten Zeitraum im deutschen Sprachraum verwendet worden sind. Das Hauptaugenmerk soll dabei der Entstehung und Rezeption der integrativen Nutzung jener Bezeichnungen gelten, ist doch die damit zusammenhängende »Erweiterung des Bedeutungsgehaltes [. . .] für die weitere Geschichte des Begriffs in Deutschland von grundlegender Bedeutung«79 – insbesondere für das Verständnis des heutigen Sprachgebrauchs 80. Dass jene so notwendige Erweiterung der Quellenbasis gleichzeitig eine Einschränkung derselben allein schon aus methodischen Gründen nach sich ziehen muss, versteht sich von selbst. So wird im Folgenden der westeuropäische Kontext, dessen Bedeutung für die Entwicklung des hier im Mittelpunkt des Interesses stehenden Terminus die bereits vorgestellte Forschungsliteratur unzweideutig hervorhebt, ausgeblendet. Stattdessen rückt vorwiegend 77 Neben Fischer (s. Anm. 40) weist auch Graf auf diese Lückenhaftigkeit hin, wenn er von einer »erst zum Teil erforschten Geschichte« spricht (ders., Einleitung – Protestantische Freiheit, S. 13). Bräuer ist sich des unbefriedigenden Stands der terminologiehistorischen Forschung ebenfalls bewusst (ders., Protestierende – Protestanten, S. 112). 78 Bräuer, Protestierende – Protestanten, S. 112. 79 Graf, Einleitung – Protestantische Freiheit, S. 13. 80 Zwar liegt der Schwerpunkt der sich anschließenden Quellenanalysen auf jenen Termini, der Entfaltung ihrer integrativen Kraft und den Ermöglichungsgründen dafür; es soll aber an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, dass eine ähnliche Untersuchung auch für den anderen bedeutenden Integrationsbegriff zur Benennung der reformatorischen Kirchentümer möglich wäre, nämlich für »Evangelici« bzw. »Evangelische«. Allein, eine adäquate Untersuchung beider integrativen Bezeichnungen ist schlechterdings in diesem Rahmen nicht zu bewältigen. So kann die Verwendung letztgenannter Integrationsbegriffe nur am Rande verfolgt werden: Zwar bieten die nachfolgenden Seiten auch terminologiehistorische Erkenntnisse zum Gebrauch von »Evangelici« und »Evangelische«, doch bedauerlicherweise können diese Einsichten nicht mit demselben Aufwand systematisiert werden wie die zur Nutzung von Protestantes oder Protestierende. Dafür wäre eine gesonderte Arbeit mit ganz eigener Quellenauswahl nötig. In aller Kürze und – wie zu zeigen sein wird – zu pauschal informiert zur Geschichte jener Termini Heinrich de Wall, Art. Evangelisch, RGG4 2 (1999), Sp. 1709 f.
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Einleitung
aus dem deutschsprachigen Heiligen Römischen Reich stammende und bisher terminologiehistorisch unbeachtet gebliebene (kontrovers-)theologische Literatur lutherischer und reformierter Provenienz in den Blick und wird im Kontext der Geschichte und damit der Entwicklung des Begriffs Protestanten, seiner genannten Vorformen und ihrer Variationen ausgewertet 81. Ihren Anfang nimmt die Untersuchung bei der sogenannten Pfälzischen Irenik und der von ihr beeinflussten reformierten Publizistik des ausgehenden 16. und der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts mit dem ihr eigenen schöpferischen Umgang mit überkommener Begriffl ichkeit (I.). Darauf hin nimmt sie die reagierende und terminologisch konservative lutherisch-orthodoxe Literatur in den Blick (II.). Nach dem Westfälischen Frieden, der auch begriffsgeschichtlich eine Zäsur darstellt, rückt dann wieder die (kontrovers-)theologische Publizistik beider genannten Lager in den Mittelpunkt der Betrachtung. Scheinbar folgt dabei die Terminologie, die beiden Seiten nachgewiesen werden kann, den bereits aus den Dekaden vor 1648 bekannten Mustern (III.). Völlig anders jedoch verhält es sich mit demjenigen Flügel des Reichsluthertums, der um Ausgleich bzw. Verständigung zwischen beiden Konfessionskirchentümern bemüht ist: Argumentative Impulse der reformierten Irenik aufnehmend und konstruktiv weiterentwickelnd, ja theologiegeschichtlich neue Wege beschreitend, wird schließlich auch die entsprechende Begriffl ichkeit rezipiert und programmatisch verwendet (IV.). Den Abschluss der Arbeit bildet eine Zusammenfassung der Untersuchung; dabei werden die erarbeiteten Ergebnisse noch einmal rekapituliert und (begriffs-)historisch kontextualisiert, bevor ein kurzer Ausblick gewagt wird (V.).
81 Bräuer weist bezüglich der auch von ihm geforderten Ausweitung der Quellenbasis bereits darauf hin, dass »Werke der Kontroverstheologen in deutscher Sprache wie die polemische Literatur insgesamt stärker beachtet werden« müssen (ders., Protestierende – Protestanten, S. 112), will man die bisher geschriebene Geschichte des genannten Begriffs sinnvoll ergänzen oder gar begründet neu schreiben. Das hier aus methodischen Gründen schon angeklungene Gegenüber von »westeuropäischem Kontext« und »Heilige[m] Römischen Reich« bedarf bezüglich der folgenden Quellenauswahl der Erläuterung: Selbstverständlich ist klar, dass zum deutschsprachigen Reich bis 1648 offi ziell beispielsweise noch die deutschsprachige Schweiz gehört. Wenn jedoch im Zuge dieser Untersuchung vom »Reich« die Rede ist, ist damit das im späten 16. Jahrhundert dem politischen Zugriff des Kaisers noch nicht entzogene deutschsprachige mitteleuropäische Territorium gemeint, also grob das Gebiet, dessen Grenzen schließlich 1648 festgelegt werden. Deshalb rücken aus der Schweiz stammende Werke trotz der rechtlich-territorialen Gegebenheiten vor dem Zustandekommen des Westfälischen Friedens nicht in den Mittelpunkt der Untersuchung, sondern fi nden nur Erwähnung, weil und sofern sie nachweislich Einfluss auf die Terminologie der im Anschluss vorgestellten (kontrovers-)theologischen Publizistik genommen haben.
I. Integration durch Bekenntnisverwandtschaft: Die Terminologie der Reformierten bis 1648 1. Zacharias Ursinus als Wegbereiter 1.1. Kritisch-methodologische Vorüberlegungen Das Hauptaugenmerk der sich anschließenden Untersuchungen (kontrovers-) theologischer Quellen des späten 16. und vor allem des 17. Jahrhunderts soll sich – wie einleitend bereits herausgestellt worden ist – auf die Entstehung und Rezeption der Bezeichnung Protestantes/Protestierende in ihrem integrativen Sinn richten. Diese Arbeit geht somit der Frage nach, wann und in welchen Diskussionskontexten sich jene Termini im deutschsprachigen Raum zu Integrationsbegriffen entwickelt haben, wann und in welchen Zusammenhängen sie eben nicht mehr nur als bloße Selbstbezeichnungen fungierten, sondern explizit zu Sammelbegriffen wurden, mittels derer die Zusammengehörigkeit bzw. Verwandtschaft bestimmter Ausformungen reformatorischen Kirchentums behauptet werden konnte und sollte. Diese Aufgabenstellung fordert nun Überlegungen, wann und wo es überhaupt methodisch sinnvoll ist, nach dem Werden eines Integrationsbegriffs zu suchen. So ist es auf der Suche nach der Wurzel der integrativen Deutung und Nutzung der genannten Bezeichnungen nur zweckmäßig, Diskussionskontexte zu untersuchen, die in irgendeiner Weise verschiedene evangelische Konfessionskirchentümer betreffen. Damit ist ein erstes Kriterium benannt, obgleich es selbstverständlich noch nicht ausreicht. Denn in jenen Kontexten muss sodann zumindest einem bestimmten Teil der Beteiligten ein Bewusstsein für eine (höhere) Einheit jener Konfessionskirchentümer zu eigen sein, da sonst die Motivation, den hier im Mittelpunkt stehenden Terminus in seinen eingangs angeführten Varianten nicht nur als Selbstbezeichnung, sondern integrativ zu nutzen, nicht gegeben ist. Zudem müssen es, um ein drittes Auswahlkriterium anzuführen, Diskussionskontexte vor einem Hintergrund sein, der es erfordert, jenes Einheitsbewusstsein bzw. Zusammengehörigkeitsgefühl zu kommunizieren, ihm öffentlichkeitswirksam Ausdruck zu verleihen, da sich ansonsten eine integrative Begriffsnutzung in den entsprechenden Quellen schlicht nicht nachweisen ließe. Es geht also um Situationen, in denen die angenommene Zusammengehörigkeit, ja die Ver-
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I. Integration durch Bekenntnisverwandtschaft
wandtschaft evangelischer Kirchentümer in Frage gestellt worden ist oder – anders formuliert – aus irgendeinem Grund von theologischer Seite die Notwendigkeit bestanden hat, sie zu betonen. 1.2. Zuspitzung einer prekären Situation Diesen drei Kriterien folgend, lässt sich nun auch die Entscheidung rechtfertigen, die Suche nach den Ursprüngen der integrativen Begriffsinterpretation und des daraus resultierenden Gebrauchs bei der sog. Pfälzischen Irenik beginnen zu lassen. Schließlich nimmt sie ihren Anfang zu einer Zeit, in der es zumindest einem Teil der sich auf die Reformation zurückführenden Kirchen aus gewichtigen Gründen notwendig schien, die verwandtschaftliche Zusammengehörigkeit und die daraus abzuleitende Geschlossenheit der evangelischen Kirchentümer zu propagieren. Gerade mit der Einführung der Reformation calvinistischer Prägung in der Kurpfalz zu Beginn der 1560er Jahre durch Kurfürst Friedrich III. wird der mit dem Augsburger Religionsfrieden gewährleistete reichsrechtliche Schutz des Territoriums massiv in Frage gestellt1. Schließlich galt der Friedensschluss von 1555 formell allein »des heil. Reichs Stende[n] der alten Religion anhengig« und denen, »so der Augspürgischen Confession verwandt« sind; »[d]och sollen allen andere, so obgemelten bede Religionen nit anhängig, in diesem Frieden nit gemeint, sondern genzlich ausgeschlossen« sein 2 . Nun lässt der Text des Religionsfriedens jedoch völlig offen, welche Fassung der Confessio Augustana (CA) in Geltung stehen, ob also die Invariata oder die einst selbst von Calvin akzeptierte und unterschriebene Variata 3 die reichsrechtlich maßgebliche Be1 Eine ausführliche Darstellung des calvinistischen Reformationswerks in der Pfalz, seiner Vorgeschichte und Probleme besonders in der Oberpfalz bietet August Kluckhohn, Friedrich der Fromme, Kurfürst von der Pfalz: der Schützer der reformierten Kirche 1559– 1576, Nördlingen 1879, S. 107–185. Älter und wesentlich komprimierter als diese Schilderung der Ereignisse in Kluckhohns Biographie Friedrichs III. ist Franz Xaver Remling, Das Reformationswerk in der Pfalz. Eine Schrift für die Heimat samt einem Umrisse der neuen pfälzischen Kirchengeschichte, Speyer a. Rhein 1929 (Unveränderter Nachdruck der Ausgabe von 1846), S. 153–164. Deutlich objektiver als die zwei genannten Darstellungen sind Wilhelm Holtmann, Die Pfälzische Irenik im Zeitalter der Gegenreformation, Göttingen 1960 (Masch.), S. 30–92 und Volker Press, Die »Zweite Reformation« in der Kurpfalz, in: Heinz Schilling (Hg.), Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland – Das Problem der »Zweiten Reformation« in Deutschland (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte Bd. 195), Gütersloh 1986, S. 104–129. 2 Diese Auszüge aus dem Text des Religionsfriedens werden zitiert nach: Der Augsburger Religionsfriede vom 25. September 1555. Kritische Ausgabe des Textes mit den Entwürfen und der königlichen Deklaration, bearbeitet von Karl Brandi, Göttingen 21927, S. 37–39. 3 Zur Entstehungs- und Frühgeschichte der Variata, zu ihrer durchaus gegebenen Geltung unter den Mitgliedern des Schmalkaldischen Bundes und zu ihrem Verhältnis zur Invariata s. Wilhelm Maurer, Confessio Augustana Variata, in: ders., Kirche und Geschichte, S. 213–266. Teilweise in kritischer Auseinandersetzung mit Maurer informiert überblicksartig über die (Rezeptions-)Geschichte der Variata Wolf-Dieter Hauschild, Die Geltung
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kenntnisversion darstellen sollte4. Aufgrund jener Dissimulation blieb aber letztlich auch die Frage unbeantwortet, wer als Angehöriger des Augsburger Bekenntnisses gelten konnte und wer nicht 5. der Confessio Augustana im deutschen Protestantismus zwischen 1530 und 1980 (aus lutherischer Sicht), ZThK 104 (2007), S. 172–206, hier: S. 180–192. Vgl. zu den verschiedenen Versionen der CA auch Jan Rohls, Die Confessio Augustana in den reformierten Kirchen Deutschlands, a.a.O., S. 207–245, hier: S. 207–213. Eine aufschlussreiche Studie zur reichsrechtlichen Stellung der Frage nach der maßgeblichen Bekenntnisfassung liefert Martin Heckel, Reichsrecht und »Zweite Reformation«: Theologisch-juristische Probleme der reformierten Konfessionalisierung, in: Heinz Schilling (Hg.), Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland, S. 11–43. 4 »Nach dem Wortlaut blieb unentschieden: Die Frage, welche Fassung der Augsburger Konfession (invariata, variata, ihre Lehrfortbildungen?) maßgeblich war und wer über deren Inhalt, Auslegung, Anhängerschaft (Sektenverbot! Calvinismus!) entschied« [Martin Heckel, Augsburger Religionsfriede 1555, in: ders., Staat und Kirche nach den Lehren der evangelischen Juristen Deutschlands in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ( Jus Ecclesiasticum Bd. 6), München 1968, S. 212]. So auch Hauschild, Die Geltung der Confessio Augustana, S. 177: »Der Religionsfriede machte [. . .] keinerlei Aussage darüber, welche Fassung der CA (diejenige von 1530 oder diejenige von 1540) für diese Defi nition [der Augsburger Konfessionsverwandtschaft, C. W.] maßgeblich wäre [. . .]. So bestimmte eine folgenreiche Äquivokation des Begriffs ›Augsburgische Konfession‹ die weitere Verfassungsgeschichte«. Zwar sprachen sich 1555 altgläubige Reichsstände dafür aus, die Invariata als geltende Fassung festzulegen, doch stießen ihre entsprechenden Bemühungen bei den der CA angehörenden Ständen auf strikte Ablehnung [s. dazu Axel Gotthard, Der Augsburger Religionsfrieden (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte Bd. 148), Münster 2004, S. 123– 125 und Walter Hollweg, Der Augsburger Reichstag von 1566 und seine Bedeutung für die Entstehung der Reformierten Kirche und ihres Bekenntnisses (Beiträge zur Geschichte und Lehre der Reformierten Kirche Bd. 17), Neukirchen-Vluyn 1964, S. 85–87]. Zur nicht zuletzt wegen der Dissimulation mit Blick auf die Frage nach der in Geltung stehenden Version der CA durchaus unterschiedlich ausfallenden Aufnahme des Augsburger Religionsfriedens in den einzelnen reformatorischen Lagern s. Thomas Kaufmann, Protestantische Reaktionen auf den Augsburger Religionsfrieden von 1555, in: ders., Konfession und Kultur. Lutherischer Protestantismus in der zweiten Hälfte des Reformationsjahrhunderts (Spätmittelalter und Reformation Neue Reihe 29), Tübingen 2006, S. 364–409, bes. 364–376, 382– 392. 5 Nun geht Gotthard davon aus, »in beiden oberen Kurien« sei es »von Anfang an unstrittig« gewesen, dass »der Religionsfrieden nicht jede beliebige Weltanschauung, sondern lediglich und genau römisch-katholische und lutherische Frömmigkeit schützen dürfe«; die von den Altgläubigen angestrebte Festlegung auf eine bestimmte Bekenntnisfassung aber sei von den Evangelischen u. a. deshalb abgelehnt worden, um dem Gegner nicht die Deutungshoheit über die eigenen Glaubensgrundlagen zu überlassen und um ihm so die Möglichkeit zu nehmen, das eigene Lager weiter zu spalten (ders., Der Augsburger Religionsfrieden, S. 123–125). Gerhard Müller stimmt dabei mit der Haltung Gotthards überein, wenn er meint, nicht die Reformierten, sondern ausschließlich die lutherischen Reichsstände seien »durch den Augsburger Religionsfrieden von 1555 rechtlich anerkannt worden« (ders., Bündnis und Bekenntnis. Zum Verhältnis von Glaube und Politik im deutschen Luthertum des 16. Jahrhunderts, in: Martin Brecht, Reinhard Schwarz (Hgg.), Studien zum Konkordienbuch, S. 23–43, hier: S. 36). Hollweg hingegen stellt die Frage, ob durch die von den der Reformation anhängenden Ständen abgelehnte Festlegung die »Einbeziehung der Calvinisten beabsichtigt gewesen sei oder nicht«; die Antwort muss nach Hollweg eindeutig ausfallen: »Sie war beabsichtigt«, nicht zuletzt wegen der politischen Rücksichten Philipps von Hessen und der schwerlich zu
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Nun macht dabei schon Friedrichs III. Zustimmung zum Frankfurter Rezess von 1558 mit seiner von Melanchthon stammenden vermittelnd-abgeschwächten Abendmahlsformel deutlich, dass der Kurfürst schon vor seinem offenen Bekenntnis zur reformierten Lehre nicht gerade als Verfechter einer streng lutherisch formulierten Abendmahlslehre gelten konnte, wie sie die CA invariata vertrat 6 . Noch augenfälliger wird Friedrichs Haltung zur Invariata auf dem Naumburger Fürstentag im Jahre 1561: Dort unterschrieb er zwar die 1531 gedruckte Fassung des Augsburger Bekenntnisses; doch in der beigefügten und ebenfalls die Unterschrift Friedrichs III. tragenden Präfation wurde Melanchthons Überarbeitung jener Bekenntnisschrift von 1540, die Variata mit ihrer auch für die Schweizer Reformierten konsensfähigen Abendmahlsformel7, ausdrücklich »als authentische Interpretation der CA bestätigt und die überbietenden Autorität, die Philipp Melanchthon, der Schöpfer der konsensfähigen Abendmahlsformel der Variata, dessen Lehre »im Stammland der Reformation, in Sachsen selbst, [. . .] bekenntnismäßige Geltung hatte«, im Luthertum genossen habe (ders., Der Augsburger Reichstag von 1566, S. 87 f.). Der erstgenannte Grund scheint dabei weit plausibler als die Betonung der Autorität Melanchthons, obgleich Hollweg damit einen entscheidenden Hinweis auf die Qualität der Geltung der Variata liefert: Sie hatte als Teil des Corpus doctrinae Philippicum in Kursachsen den Rang eines offi ziellen Bekenntnisses. Auch Rohls hält dafür, man habe 1555 evangelischerseits »bewusst darauf verzichtet, sich auf eine bestimmte Version der CA festzulegen. Den evangelischen Fürsten konnte letztlich nicht daran gelegen sein, den Protestantismus durch den Streit um die richtige Auslegung der CA zu schwächen. Mit der Augsburgischen Konfession ist im Augsburger Religionsfrieden somit die CA allgemein gemeint, und das heißt unter Einschluß ihrer verschiedenen Versionen« (ders., Die Confessio Augustana, S. 211). Folglich ist auch er der Meinung, die lutherischen Stände hätten eine mögliche Inanspruchnahme der CA variata durch die Reformierten bewusst in Kauf genommen. Noch heute sorgen die formelhaft dissimulierenden Bestimmungen von 1555 also für unterschiedliche Interpretationen des Vertragstextes bzw. der hinter ihm stehenden Absichten. Welches Konfl iktpotential die Ausführungen des Religionsfriedens für das (religions-)politische Handeln und dessen juristische Legitimation schon im 16. und 17. Jahrhundert barg, verdeutlicht eindrucksvoll Heckel, Staat und Kirche (zum Umgang lutherischer Juristen mit der Frage, ob die Reformierten unter den Schutz des Friedensschlusses fallen oder nicht, s. a.a.O., S. 64–67). Vgl. exemplarisch auch die Studien von Axel Gotthard, Der Religionsfrieden und das politische System des Reiches, in: Heinz Schilling, Heribert Smolinsky (Hgg.), Der Augsburger Religionsfrieden 1555 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte Bd. 206), Gütersloh 2007, S. 43–57 und von Christoph Strohm, Konfessionsspezifi sche Zugänge zum Augsburger Religionsfrieden bei lutherischen, reformierten und katholischen Juristen, in: a.a.O., S. 127–156. 6 Vgl. dazu Hollweg, Der Augsburger Reichstag von 1566, S. 95 und Rohls, Die Confessio Augustana, S. 214. 7 Zum lateinischen Text des 10. Artikels der CA variata s. Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, herausgegeben im Gedenkjahr der Augsburgischen Konfession 1930, Göttingen 21955 (im Folgenden: BSLK), S. 65 und LIBRI PHILIPPI MELANCHTHONIS IN QUIBUS DOGMATA AC SYMBOLA DOCTRINAE ECCLESIAE LUTHERANAE EXPOSUIT, in: PHILIPPI MELANCHTHONIS OPERA QUAE SUPERSUNT OMNIA , herausgegeben von Heinrich Ernst Bindseil ( CORPUS REFORMATORUM
Bd. XXVI), New York u. a. 1963 (Nachdruck der Ausgabe Braunschweig 1858), Sp. 357 (der gesamte Text der Variata ist abgedruckt a.a.O., Sp. 349–416, wobei gerade die Liste der Un-
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Abendmahlslehre Melanchthons so anerkannt« 8 . Auch nach seiner öffentlichen Hinwendung zum evangelischen Glauben reformierter Façon im Jahre 1563 terschriften verdeutlicht, welche Geltung sie unter den Mitgliedern des Schmalkaldischen Bundes genoss; s. dazu a.a.O., Sp. 416). Eine deutsche Übersetzung liegt vor in CONFESSIO AUGUSTANA VARIATA . Das Protestantische Einheitsbekenntnis von 1540, übersetzt von Wilhelm Neuser, herausgegeben von Richard Ziegert, Speyer 21993 (zu Artikel 10 vgl. a.a.O., S. 18). Vgl. zur von Melanchthon 1540 vorgenommenen Abänderung des Abendmahlsartikels auch Leif Grane, Die Confessio Augustana. Einführung in die Hauptgedanken der lutherischen Reformation (UTB 1400), Göttingen 62006, S. 93. Dabei weist Wilhelm Neuser darauf hin, dass schon die erste greif bare deutsche Übersetzung des lateinischen Abendmahlsartikels von 1530, also die Übertragung der Abendmahlslehre der Invariata im Gegensatz zum lateinischen Original ganz und gar unmelanchthonisch ausfalle. Er attestiert daher einen theologischen Gegensatz zwischen der ersten deutschen und der lateinischen Fassung des 10. Artikels der Invariata [ders., Die Abendmahlslehre Melanchthons in ihrer geschichtlichen Entwicklung (1519–1530) (Beiträge zur Geschichte und Lehre der Reformierten Kirche Bd. 26), Neukirchen-Vluyn 1968, S. 447– 473]. Maurer hingegen spricht bezüglich der Differenzen zwischen lateinischem Original und deutscher Übersetzung von 1530 davon, es sei lediglich »ein Spannungsbogen, nicht ein wirklicher Gegensatz, der das Verhältnis der beiden Fassungen bestimmt« [ders., Zum geschichtlichen Verständnis der Abendmahlsartikel in der Confessio Augustana, in: Richard Nürnberger (Hg.), Festschrift für Gerhard Ritter zu seinem 60. Geburtstag, Tübingen 1950, S. 161–209, hier: S. 166]. Damit treten die noch bis in die jüngste Vergangenheit vorherrschenden Differenzen zwischen reformierter und lutherischer Deutung der Abendmahlslehre schon der CA invariata deutlich vor Augen. 8 Rohls, Die Confessio Augustana, S. 213. Vgl. dazu auch Holtmann, Die Pfälzische Irenik, S. 33–35 und Hollweg, Der Augsburger Reichstag von 1566, S. 96 f. Über die Vorgänge auf dem Naumburger Fürstentag und die bedeutende Rolle, die der Pfälzische Kurfürst dort für den Verlauf der Ereignisse spielte, informieren ausführlich Robert Calinich, Der Naumburger Fürstentag 1561. Ein Beitrag zur Geschichte des Luthertums und des Melanchthonismus aus den Quellen des Königlichen Hauptstaatsarchivs zu Dresden, Gotha 1870 (zur in Naumburg unterschriebenen Version der CA und zur Präfation, in der die versammelten Stände erklären, auch an der Variata als authentischer Fortentwicklung der Invariata unbedingt festhalten zu wollen, s. a.a.O., S. 163–177) und Kluckhohn, Friedrich der Fromme, S. 83–101. In Bezug auf die Präfation bzw. deren Unterzeichnung merkt Theodor Kolde jedoch an: »Nun unterschrieben zwar fast alle anwesenden Fürsten bzw. ihre Räte die fragliche Präfation, aber unter dem Einfluß ihrer Theologen zogen sie nach und nach ihre Unterschrift zurück und traten mit Ausnahme des Pfälzischen Kurfürsten, der dann, völlig isoliert, durch Einführung des Heidelberger Katechismus sich dem Calvinismus anschloß, den Ausführungen des sächsischen Herzogs bei«, der als strenger Lutheraner auf dem Fürstentag »vergeblich eine Namhaftmachung der gegen die Augustana (von 1530) entstandenen Irrtümer verlangte, sich absonderte und bei der ursprünglichen Augustana und [. . .] den Schmalkaldischen Artikeln beharren wollte« (ders., Die Augsburgische Konfession II. Geschichte des Augsburger Bekenntnisses, in: Die symbolischen Bücher der evangelisch-lutherischen Kirche, deutsch und lateinisch. Mit den sächsischen Visitations-Artikeln, einem Verzeichnis abweichender Lesarten, historischen Einleitungen und ausführlichen Registern. Besorgt von Johann Tobias Müller. Mit einer neuen historischen Einleitung von D. Theodor Kolde, Gütersloh 10 1907, S. XXI–XXX, hier: S. XXVIII). Zur Begründung, warum es in Naumburg mit der Unterzeichnung der genannten Präfation zu einer Annahme auch der Variata kam, führt Ernst Koch an: Eine Ablehnung der Variata »war schon deshalb nicht möglich, weil sie durch das sog. Corpus doctrinae Philippi-
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hielt Friedrich an seinem Bekenntnis eben zur CA variata unvermindert fest9. Doch als das Reformiertentum 1563 mit der Veröffentlichung des Heidelberger Katechismus und der Pfälzischen Kirchenordnung für jedermann sichtbar in einem der mächtigsten und politisch wichtigsten Territorien des Reiches Einzug hält, mit den genannten zwei Werken der Übertritt Friedrichs III. zur Schweizer Ausformung reformatorischen Christen- und Kirchentumsverständnisses10 und die damit einhergehende reformierte Konfessionalisierung der Pfalz gleichsam offi ziell sind, wird die reichsrechtliche Lage brisant für den Kurfürsten, der sich zwar ungebrochen zur CA bekannt hat, aber eben zur Variata als der Fassung des Bekenntnisses, die mit ihrer Abendmahlsformel auch für einen Vertreter der reformierten Lehre durchaus annehmbar war. Dabei sind es nun cum von 1560 Lehrgrundlage im albertinischen Sachsen geworden war und es auch in Pommern 1561 wurde« (ders., Bedeutungswandlungen der Confessio Augustana, S. 30). 9 Dies belegt u. a. sein Schreiben vom 14.IX.1563, in dem er unter Berufung auf den Naumburger Fürstentag und seine dort geleistete Unterschrift seine unverbrüchliche Zugehörigkeit zur CA und die vollkommene Übereinstimmung der von ihm eingeführten Kirchenordnung und des Heidelberger Katechismus mit jener Bekenntnisschrift herausstellt; s. dazu Heinrich Heppe, Geschichte des deutschen Protestantismus in den Jahren 1555–1581 Bd. 2: Die Geschichte des deutschen Protestantismus von 1563–1574 enthaltend, Marburg 1853, Beilage III, S. 13 f. Heppe bietet auch das dem angeführten Brief Friedrichs III. vorausgehende Sammelschreiben des Pfalzgrafen Wolfgang von Zweibrücken, des Markgrafen Karl von Baden und des Herzogs Christoph von Württemberg vom 4. Mai desselben Jahres (a.a.O., Beilage II, S. 5–11), in dem die genannten drei Fürsten ihrer Sorge wegen der calvinistischen Umtriebe des Kurfürsten Ausdruck verleihen und ihn auffordern, er solle sich »von dem gottlichen wortt, von der rechten wahren Apostolischen kirchen und denn Christlichen Stenden Augspurgischer Confession nicht absondern« (a.a.O., Beilage II, S. 10). 10 Mit sicherlich verkürzenden Formulierungen wie Reformiertentum, Reformierte, Calvinisten, Calvinismus etc. soll nun keineswegs die vor allem theologische Homogenität u. a. des Genfer Calvinismus und des deutschen Reformiertentums mit seinen nicht zu verkennenden melanchthonischen Wurzeln sowie seiner Beeinflussung durch die Theologie Zwinglis über dessen Schüler Bullinger behauptet werden. Auch sollen die lehrmäßigen Eigenheiten der Reformierten auf dem Boden des Heiligen Römischen Reiches mittels jener Bezeichnungen nicht negiert bzw. nivelliert werden, d. h. sie stehen nicht im Dienste der Behauptung, es handele sich bei den unterschiedlichen Realisationsformen der reformierten Konfessionalisierung im Reich um einen gleichsam monolithischen Bekenntnisblock. Vielmehr sind jene formelhaften Ausdrücke der hier gebotenen Kürze und Prägnanz der Darstellung geschuldet. Wie hoch neben der Lehre Calvins und Melanchthons »der Einfluss Bullingers auf die pfälzische Kirche«, d. h. eben auch auf den Inhalt des Heidelberger Katechismus zu veranschlagen ist, verdeutlicht prägnant Andreas Mühling, Der Heidelberger Katechismus im 16. Jahrhundert. Entstehung, Zielsetzung, Rezeption, Monatshefte für Evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes 58 (2009), S. 1–11 (zum angeführten Zitat s. a.a.O., S. 6). Für den Hinweis auf seinen Aufsatz möchte ich an dieser Stelle Herrn Prof. Dr. Andreas Mühling herzlich danken. Zu den verschiedenen Eigenheiten des Reformiertentums im Heiligen Römischen Reich vgl. exemplarisch auch J. F. Gerhard Goeters, Genesis, Formen und Hauptthemen des reformierten Bekenntnisses in Deutschland. Eine Übersicht, in: Heinz Schilling (Hg.), Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland, S. 44–59.
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nicht allein die im Zuge der anbrechenden Gegenreformation an Selbstbewusstsein gewinnenden Altgläubigen, die die Augsburger Konfessionsverwandtschaft des Pfälzers und damit seinen durch den Religionsfrieden reichsrechtlich gewährleisteten Schutz in Zweifel ziehen, sondern auch und gerade die sich allein als legitime Konfessionsverwandte verstehenden Lutheraner, denen mit der reformierten Konfessionalisierung der Kurpfalz die massive Expansionskraft des Calvinismus bedrohlich vor Augen stand. Mit dem Augsburger Reichstag von 1566 erreichen schließlich die Bemühungen sowohl von altgläubiger als auch von lutherischer Seite, dem Pfälzer Kurfürsten wegen seiner Konversion seine Augsburger Konfessionsverwandtschaft abzusprechen, einen ersten kritischen Höhepunkt11. So nutzte Kaiser Maximilian II., der einen Ausschluss Friedrichs III. aus dem Religionsfrieden anstrebte12 , die sich mit dem Reichstag bietende Gelegenheit u. a. zur Erörterung der schwierigen Frage, inwiefern oder ob der Kurfürst nach seiner Hinwendung zum Reformiertentum überhaupt noch als der Augsburgischen Konfession zugehöriger Stand gelten könne13. Schützenhilfe bekamen der altgläubige Kaiser und seine juristischen wie theologischen Berater, die teilweise vom Heiligen Stuhl entsandt worden waren und in dessen Auftrag die Verhandlungen entsprechend zu beeinflussen suchten14, von einflussreichen lutherischen Reichsständen, an deren Spitze Herzog Christoph von Württemberg und Pfalzgraf Wolfgang von Zweibrücken standen15. 11 Grundlegend für die historische Kontextualisierung des Reichstags von 1566 und seinen Verlauf ist noch immer die bereits genannte Monographie Walter Hollwegs (s. Anm. 4). Die Vorgänge des Augsburger Reichstags rekonstruiert mit besonderem Augenmerk auf den Konfl ikt zwischen Maximilian II. und Friedrich III., in dessen Verlauf der Reichstag ohne Frage einen Höhepunkt markiert, auch Andreas Edel, Der Kaiser und Kurpfalz. Eine Studie zu den Grundelementen politischen Handelns bei Maximilian II. (1564–1576) (Schriftenreihe der historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften Bd. 58), Göttingen 1997, S. 190–249. 12 Schon im Vorfeld »wurde [. . .] bald offensichtlich, daß die eigentliche Stoßrichtung des Kaisers für den kommenden Reichstag die grundsätzliche Frage sein würde, ob die reformierte Kirchenpolitik der Kurpfalz überhaupt zulässig sei« (Edel, Der Kaiser und Kurpfalz, S. 191). Vgl. zur feindlichen Einstellung gegenüber dem Pfälzer Kurfürsten und zu den entsprechenden Reichstagsvorbereitungen des Kaisers auch Hollweg, Der Augsburger Reichstag von 1566, S. 107–114. 13 Dabei verfolgte der Kaiser auf Anraten des Kurfürsten von Mainz eine defensive Strategie, die es »fatalerweise allein den Evangelischen überließ, diese strittige Frage [ob Friedrich III. noch als Augsburger Konfessionsverwandter gelten könne, C. W.] zu klären – diametral entgegengesetzt also zum Verfahren des Kaisers, der bislang keinen Zweifel daran gelassen hatte, daß die Pfälzer Kirchenpolitik der Augsburger Konfession widerspreche« (Edel, Der Kaiser und Kurpfalz, S. 193). 14 Zu den Vorbereitungen speziell der Kurie auf den Reichstag und zu ihren Gesandten vgl. Hollweg, Der Augsburger Reichstag von 1566, S. 127–136. 15 Zur Rolle Christophs von Württemberg und Wolfgangs von Zweibrücken besonders im Zuge der Beratungen der evangelischen Stände auf dem Reichstag s. Edel, Der Kaiser und Kurpfalz, S. 213–218.
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Doch die Bestrebungen des Kaisers, Kurpfalz aus dem Frieden von 1555 auszuschließen und damit endlich Gelegenheit zur »Ausrottung des reformierten Bekenntnisses« dort zu bekommen16 , scheiterten nicht nur am geschickten Verhalten Friedrichs III.17, sondern vor allem am Einlenken der lutherischen Fürsten, das letztlich der Initiative Kursachsens zu verdanken war18 . So demonstrierten die lutherischen Reichsstände auf dem Reichstag von 1566 vor Kaiser und Reich schließlich doch noch ihre Geschlossenheit mit dem reformierten Kurpfälzer, dessen Bekenntnis zum Calvinismus durch die Veröffentlichung des Heidelberger Katechismus und der Pfälzischen Kirchenordnung 1563 nicht hätte deutlicher ausfallen können, indem sie ihn zwar förmlich, aber eben nicht uneingeschränkt als Angehörigen der CA anerkannten19. 16 A.a.O., S. 222. Zur entsprechenden konfessionsübergreifenden Initiative Maximilians II. s. a.a.O., S. 221–225 und Hollweg, Der Augsburger Reichstag von 1566, S. 329–349. 17 Heckel führt aus, Friedrich III. habe sich dem »heiklen Geschäft [. . .] mit jener Mischung aus Spitzfi ndigkeit und bauernschlauer Simplizität unterzogen, wie sie die Situation gebot«, und bietet damit eine durchaus treffende Charakterisierung des Verhaltens des Kurfürsten (ders., Reichsrecht und »Zweite Reformation«, S. 20). Zur vor den versammelten Ständen gehaltenen und berühmt gewordenen Rede Friedrichs III. mit seinem Bekenntnis zur CA s. Edel, Der Kaiser und Kurpfalz, S. 223–225 und Hollweg, Der Augsburger Reichstag von 1566, S. 341–344. 18 Edel, Der Kaiser und Kurpfalz, S. 226–229; über den Einfluss, den Melanchthons Schwiegersohn Kaspar Peucer auf die kursächsische Linie hatte, und über die daraus resultierende Schwenkung in der Haltung des Kurfürsten August informiert Hollweg, Der Augsburger Reichstag von 1566, S. 355–368. Dass gerade Kursachsen einen folgenschweren Ausschluss Friedrichs III. aus dem Augsburger Religionsfrieden durch die evangelischen Stände verhindert, ist letztlich dem bis in die Mitte der 1570er Jahre hinein unter den einflussreichen Räten und Theologen herrschenden Philippismus zu verdanken, der nicht zuletzt wegen seiner zunehmenden theologischen Verwandtschaft mit dem Pfälzischen Reformiertentum eine zu harte Haltung gegenüber Friedrich III. und seiner maßgeblich von Melanchthonschülern mitgestalteten und -getragenen theologischen Position nicht zuließ. Zum kursächsischen Philippismus, seiner Katastrophe und den daraus folgenden konfessionellen und politischen Konsequenzen im Kurfürstentum s. Ernst Koch, Der kursächsische Philippismus und seine Krise in den 1560er und 1570er Jahren, in: Heinz Schilling (Hg.), Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland, S. 60–77 sowie Karlheinz Blaschke, Religion und Politik in Kursachsen 1586–1591, in: a.a.O., S. 79–97. Wegen seiner breiten Quellenbasis und der daraus resultierenden Differenziertheit seines Urteils ist dazu immer noch lesenswert Otto Ritschl, Dogmengeschichte des Protestantismus Bd. IV: Orthodoxie und Synkretismus in der altprotestantischen Theologie (Schluss). Das orthodoxe Luthertum im Gegensatz zu der reformierten Theologie und in der Auseinandersetzung mit dem Synkretismus, Göttingen 1927, S. 33–70. 19 So bekundeten die lutherischen Reichsstände gegenüber dem Kaiser zwar ihre Anerkennung der Konfessionsverwandtschaft Friedrichs III., erklärten aber auch, der Pfälzer Kurfürst weiche mit der von ihm vertretenen Abendmahlslehre eindeutig von der CA ab. Für die endgültige Ausräumung dieses Dissenses unter den Augsburger Konfessionsverwandten werde man selbst jedoch zu einem späteren Zeitpunkt sorgen (s. dazu Edel, Der Kaiser und Kurpfalz, S. 230 und Hollweg, Der Augsburger Reichstag von 1566, S. 369 f.). Seit 1566 also behandelte man reichsrechtlich »die Calvinistenfrage als weiteren Fall eines unausgetragenen innerkirchlichen Lehrkonfl ikts [. . .], diesmal im innerprotestantischen Rahmen. Dem Kaiser und Reichstag gegenüber wurde die Zugehörigkeit des Pfälzer Kur-
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Damit war juristisch mit Blick auf den reichsrechtlich gebotenen Umgang mit dem Reformiertentum eine zukunftsweisende Grundsatzentscheidung gefallen: Die Juristen im Dienste lutherischer Territorialherren »spaltete[n] einfach das Bekenntnis [die CA, C. W.] auf in einen theologischen und einen juristischen Bekenntnisbegriff. ›Sensu theologico‹ gehörten zur C. A. nur die Lutheraner, ›sensu politico‹ nahm man auch die Reformierten dazu [. . .]. So konnten sich die evangelischen Juristen die ungewisse und unerfreuliche Auseinandersetzung mit den Theologen schlichtweg sparen: Der reichsrechtliche Schutz der evangelischen Gesamtpartei blieb ungefährdet durch die inneren orthodoxen Schulen-Streitigkeiten um Abendmahl und Prädestination« 20.
Damit ist schon angesprochen, dass sich der Sachverhalt seit 1566 gerade für lutherische Theologen keineswegs so »einfach« gestaltete wie für ihre Kollegen aus der Jurisprudenz21. Denn der alte Zankapfel, der Streit um die Abendmahlsfrage zwischen Lutheranern und Reformierten und die damit zusammenhängende Frage, welche Fassung der CA nun die eigentlich maßgebliche sein sollte, war auch 1566 trotz der Anerkennung der Konfessionsverwandtschaft Friedrichs III. nicht aus der Welt geschafft worden. Auf dem Reichstag hatte man fürsten zur Augsburgischen Konfession von den protestantischen Reichsständen nicht förmlich aufgekündigt oder bestritten [. . .]. Die Reformierten blieben deshalb – als förmliche ›Augsburger Konfessionisten‹ – in den Religionsfrieden von 1555 einbezogen« (Heckel, Reichsrecht und »Zweite Reformation«, S. 22 f.). Zur Begründung der Entscheidung der lutherischen Stände, Friedrich III. nicht aus dem Religionsfrieden von 1555 auszuschließen, lässt sich anführen: »Theologisch und juristisch konnten die Evangelischen den katholischen Reichsmajoritäten keinesfalls die maßgebliche Definition der evangelischen Augsburgischen Konfession überlassen! Die Sinndeutung und Reichweite der evangelischen Bekenntnisschriften, Bekenntnisrelevanz, Bekenntniswahrung konnte nur von den Evangelischen entschieden werden, wenn nicht das ganze bikonfessionelle Koexistenzsystem in seinen Grundlagen und Einzelverbürgungen zusammenbrechen sollte« (a.a.O., S. 21 f.). Dementsprechend wurde mit jener Anerkennung Friedrichs III. durch die lutherischen Stände »zugleich [. . .] als prinzipielle juristische Forderung formuliert: Über die Auslegung und die Mitgliedschaft des evangelischen Bekenntnisses habe allein der evangelische Teil im innerevangelischen Konsensbildungsprozess zu entscheiden, ohne dem Urteil und der Mitsprache der fremden Konfession unterworfen zu sein« [ders., Deutschland im konfessionellen Zeitalter (Deutsche Geschichte Bd. 5), Göttingen 22001, S. 77; vgl. dazu auch ders., Reichsrecht und »Zweite Reformation«, S. 23]. Zudem waren sich die lutherischen Fürsten der fatalen Konsequenzen durchaus bewusst, die ein Ausschluss der Reformierten aus dem Religionsfrieden eben für diese in ganz Europa haben konnte (vgl. Edel, Der Kaiser und Kurpfalz, S. 230 sowie Hollweg, Der Augsburger Reichstag von 1566, S. 369 f.). 20 Heckel, Deutschland im konfessionellen Zeitalter, S. 80 f. Zur sich daraus ergebenden ambivalenten Haltung lutherischer Juristen zur Frage der Konfessionsverwandtschaft der Calvinisten vgl. auch ders., Staat und Kirche, S. 64 f. 21 Dementsprechend führt Heckel aus, »der Streit um die Fassung der CA [. . .] – invariata oder variata? – als selbstständiges juristisches Problem der Text- und Sinnauslegung des Reichsrechts« sei zwar »wesenlos und irrelevant« geworden. Aber »er blieb [. . .] als theologisches Problem den Anhängern der CA aufgeben« [ders., Die reichsrechtliche Bedeutung der Bekenntnisse, in: Martin Brecht, Reinhard Schwarz (Hgg.), Studien zum Konkordienbuch, S. 77]. Zum dahinter stehenden »Wesenscharakter des Bekenntnisses« s. ebd.
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dem Kaiser zwar eine baldige Beilegung des theologischen Konfl ikts, der eben auch eine reichsrechtlich-politische Dimension hatte, versprochen, doch eine endgültige Lösung des Streits blieb auch nach Abschluss des Reichstages aus22 . Durch die innerlutherischen Einigungsbemühungen, die in der Veröffentlichung des Konkordienbuches 1580 gipfelten 23, wurde er sogar nachhaltig ver22 »Ein für die kaiserliche Religionspolitik wichtiges Ergebnis des Reichstages von 1566 war die Zusage der Evangelischen, sich mit Friedrich III. in absehbarer Zeit auf einem innerevangelischen Konvent über die theologischen Streitpunkte zu vergleichen« (Edel, Der Kaiser und Kurpfalz, S. 246). Im September 1566 kam es daher zu einer Versammlung der Räte evangelischer Reichsstände in Erfurt, »um sich über die Modalitäten des geplanten Konvents abzustimmen« (a.a.O., S. 248). Doch schon in Erfurt brachen Streitigkeiten um die Frage aus, ob die Räte der Kurpfalz wegen des Bekenntnisses ihres Landesherrn überhaupt an der Versammlung teilnehmen durften oder nicht; deshalb und wegen der mangelhaften Beschickung der Erfurter Konferenz einigte man sich auf eine Vertagung der Räteversammlung. Allein die geplante neuerliche Zusammenkunft kam nicht mehr zustande (a.a.O., S. 247– 249). Damit waren die 1566 in Aussicht gestellten innerevangelischen Einigungsbemühungen gescheitert, und zwar an genau dem problembehafteten Thema, das schon auf dem Reichstag jenes Jahres den Gang der Verhandlungen bestimmt hatte und dort nur mit viel Mühe zu einer glimpfl ichen, aber eben nicht endgültigen Lösung gelangte, nämlich an der Bekenntnishaltung der Kurpfalz und ihrer Legitimität angesichts der Bestimmungen von 1555. Vgl. zur Rätekonferenz in Erfurt, zu den dahinter stehenden Motiven der die Versammlung beschickenden Stände und zum Scheitern der Einigungsbemühungen auch Hollweg, Der Augsburger Reichstag von 1566, S. 391–397. 23 Eine Einbettung der vor allem von Jakob Andreä vorangetriebenen lutherischen Einigungsbemühungen in den auch nach 1566 nicht nachlassenden Konfl ikt um den Bekenntnisstand der Kurpfalz und in die damit zusammenhängenden Entwicklungen auf politischer, theologischer und reichsrechtlicher Ebene unter besonderer Berücksichtigung der Reaktion Johann Kasimirs, eines Sohnes Friedrichs III., unternimmt Hans Leube, Kalvinismus und Luthertum im Zeitalter der Orthodoxie Bd. I: Der Kampf um die Herrschaft im protestantischen Deutschland, Leipzig 1928, S. 16–32. Interessant ist dabei auch, wie sich der vor allem zwischen lutherischen und reformierten Theologen ausgetragene Konfl ikt um bestimmte theologische Lehren literarisch u. a. in den Entwürfen bestimmter Geschichtsbilder, die historische Deutung der Reformation und ihrer Folgen betreffend, niederschlägt (s. dazu a.a.O., S. 34–38). Über die Vorgeschichte, die im Konkordienbuch ihren Abschluss fi ndenden Bemühungen um die lehrmäßige Einigung des Luthertums und die Nachwirkungen des Konkordienwerkes bzw. die Reaktionen darauf informieren Heppe, Geschichte des deutschen Protestantismus Bd. 4: Die Geschichte des deutschen Protestantismus von 1577–1581 mit Fortsetzung bis zum Jahre 1583 enthaltend, Marburg 1859, S. 198–399 und Müller, Kirchengeschichte Bd. II/2 (Grundriss der Theologischen Wissenschaften Vierter Teil, Zweiter Band), Tübingen 31923, S. 80–111. Zur Einordnung des Konkordienbuches in die lutherische Bekenntnisbildung überhaupt ist nach wie vor höchst lesenswert ders., Die Symbole des Luthertums, in: Preußische Jahrbücher Bd. 63, Heft 2 (1889), S. 121–148. In erster Linie der Vorgeschichte des Konkordienbuches widmet sich Wolf-Dieter Hauschild, Corpus Doctrinae und Bekenntnisschriften. Zur Vorgeschichte des Konkordienbuches, in: Martin Brecht, Reinhard Schwarz (Hgg.), Studien zum Konkordienbuch, S. 235–252. Zum Einfluss des Konkordienbuches auf die primär theologische lutherische Traditionsbildung s. Friederike Nüssel, Das Konkordienbuch und die Genese einer lutherischen Tradition, in: Peter Gemeinhardt, Bernd Oberdorfer (Hgg.), Gebundene Freiheit? Bekenntnisbildung und theologische Lehre im Luthertum (Die Lutherische Kirche – Geschichte und Gestalten 25),
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schärft, erklärt doch die Konkordienformel in ihrem Selbstverständnis als »Gründliche, [Allgemeine], lautere, richtige und endliche Wiederholung und Erklärung etlicher Artikel Augsburgischer Confession« 24 mehrfach ausdrücklich die Invariata zur allein maßgeblichen Fassung der CA 25 und fordert damit von allen, die sich legitimerweise als Konfessionsverwandte bezeichnen und sich somit unter den Schutz des Religionsfriedens stellen wollten, die uneingeschränkte Anerkennung jener Bekenntnisversion. Doch dies war den Reformierten in der Pfalz, wollten sie sich theologisch treu bleiben, wegen ihres calvinistischen, von der Invariata abweichenden Abendmahlsverständnisses schlicht nicht möglich, weshalb sie ihre reichsrechtliche Sicherung erneut bedroht sehen mussten. Durch das lutherische Konkordienwerk erreicht somit die problematische Situation des Reformiertentums in der Pfalz eine neue, mit Blick auf die möglichen juristischen und politischen Konsequenzen bedrohliche Qualität, der es zu begegnen galt 26 . Gütersloh 2008, S. 62–83. Den Schwerpunkt seiner Darstellung nicht so sehr auf den historischen Kontext, sondern auf den Lehrgehalt der Konkordienformel legt Reinhold Seeberg, Lehrbuch der Dogmengeschichte Bd. IV/2: Die Fortbildung der reformatorischen Lehre und die gegenreformatorische Lehre, Darmstadt 41954, S. 530–550. Eine überblicksartige Diskussion der zur Konkordienformel erschienen kirchen- und theologiegeschichtlichen Literatur bietet Irene Dingel, Concordia controversa. Die öffentlichen Diskussionen um das lutherische Konkordienwerk am Ende des 16. Jahrhunderts (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte Bd. 63), Gütersloh 1996, S. 20–25. 24 Schon das Titelblatt enthält diese Formulierung (s. BSLK, S. 735). 25 »[. . .], so bekennen wir uns auch zu derselben ersten ungeänderten [. . .] Augsburgischen Confession, nicht derwegen, daß sie von unsern Theologis gestellt, sondern weil sie aus Gottes Wort genommen und darinnen fest und wohl gegründet ist, allermaßen wie sie Anno etc. 30. in Schriften vorfasset und dem Kaiser Carol V. [. . .] als ein allgemein Bekenntnus [. . .] zu Augsburg übergeben, als dieser Zeit unserm Symbolo« (BSLK, S. 835; s. beispielsweise auch a.a.O., S. 740 f., 745, 750 f., 761, 768, 830). Vgl. dazu Seeberg, Lehrbuch der Dogmengeschichte Bd. IV/2, S. 536 und Leube, Kalvinismus und Luthertum, S. 18. Damit ist jedoch nicht gesagt, dass es sich bei der Konkordienformel um ein strikt gegen die Lehre Melanchthons gerichtetes Werk handelt. Vielmehr ist die »Konkordienformel [. . .] inhaltlich das Zeugnis eines Luthertums, das durch die Schule des Philippismus gegangen ist«, wie Leube unter Verweis auf ihre Lehrinhalte bemerkt (a.a.O., S. 19). 26 Verschärft wurde die Situation des Pfälzer Reformiertentums noch durch die konfessionelle Haltung des Kurfürsten Ludwig VI., des Sohnes und seit 1576 Nachfolgers Friedrichs III., der 1579 die Konkordienformel unterzeichnete (zu Ludwig VI. und sein Verhältnis zum Konkordienwerk vgl. Dingel, Concordia controversa, S. 103 f., 109 f.). Nach Ludwigs Verwerfung der reformierten Kirchenordnung seines Vorgängers und der damit einhergehenden lutherischen Reaktion in der Kurpfalz flüchteten sich die vormals unter Friedrich III. zu Einfluss gelangten reformierten Gelehrten zum Bruder des Kurfürsten, Johann Kasimir, in das neubegründete Herzogtum Pfalz-Lautern. Erst nach dem Tode Ludwigs VI. im Jahre 1583 und dem Regierungsantritt des überzeugt reformierten Johann Kasimir, der als Vormund des späteren Kurfürsten Friedrich IV. die Herrschaft inne hatte und als entschiedener Gegner des lutherischen Konkordienwerkes gelten muss (vgl. zu Johann Kasimirs Ablehnung des Konkordienwerkes und seinen dagegen eingeleiteten Maßnahmen Leube, Kalvinismus und Luthertum, S. 22–26 und Dingel, Concordia controversa, S. 104–129), entspannte sich die Lage für die Anhänger des durch Friedrich III. zur Durchsetzung gelangten Reformiertentums in der Kurpfalz wieder [s. zu den angerissenen historischen Vorgängen in aller
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Die kontrovers geführte Debatte um die reichsrechtliche Stellung des Calvinismus ist nun ein nicht unbedeutendes Motiv der publizistischen Tätigkeit reformierter Autoren, die man weithin als Pfälzische Irenik zu bezeichnen pflegt; sie nimmt nicht zuletzt vor dem Hintergrund jener Kontroverse ihren Anfang. Dabei nötigt gerade die für weite Teile des Luthertums geltende Festlegung auf die Invariata als einzig maßgebliche Fassung der CA durch die Konkordienformel die Theologen auf Seiten der Pfälzer Reformierten zu publizistischer Betätigung, weshalb die Entscheidung für die Pfälzische Irenik als Ausgangspunkt der Untersuchungen durch das dritte eingangs angeführte Kriterium gerechtfertigt wird. Doch auch die beiden anderen aufgestellten Kriterien werden erfüllt: Wie die der genannten Irenik zuzuordnenden Werke ausweisen, besteht in der Tat auf pfälzischer, d. h. auf reformierter Seite ein gewisses Zusammengehörigkeitsgefühl mit den Lutheranern. Schließlich werden die calvinistischen Theologen der Pfalz nicht müde, ihre Zugehörigkeit zum Augsburger Bekenntnis herauszustellen und nachzuweisen, wie noch zu zeigen sein wird. Daraus ergibt sich das erste Kriterium (s. o. S. 19), dass nämlich die Irenik und die Reaktionen auf sie einen Diskussionskontext formieren, an dem beide großen evangelischen Konfessionskirchentümer beteiligt bzw. von dem sowohl Lutheraner als auch Reformierte betroffen sind. 1.3. Ursins Christliche Erinnerung Vom CONCORDIBVCH »Nichts lieblichers noch heilsamers ist auff dieser Welt zufi nden/ denn einhelligkeit in rechter erkantniß des einigen wahren Gottes und rechtem Gottesdienst/ vnnd darauß entspringender lieb und freundtschafft unter den Menschen. [. . .] Herwiderumb auch ist nichts feindtseligers noch schädlichers/ denn die zwitracht vnd spaltung vber der Religion vnd GlaubensSachen«,
erklärt der zum Reformiertentum übergetretene Melanchthonschüler Zacharias Ursinus27 zu Beginn seiner Christliche[n] Erinnerung Vom CONCORDIBVCH 28 , die bereits im Jahr nach der Veröffentlichung des Konkordienwerkes in Kürze auch Gustav Adolf Benrath, Art. Pfalz I. Historisch, TRE 26 (1996), S. 323–334, hier: S. 326]. 27 Zu Ursins (1534–1583) frühem Werdegang und seiner Hinwendung zum Reformiertentum s. Erdmann K. Sturm, Der junge Zacharias Ursin. Sein Weg vom Philippismus zum Calvinismus (1534–1562) (Beiträge zur Geschichte und Lehre der Reformierten Kirche Bd. 33), Neukirchen-Vluyn 1972 und überblicksartig Wilhelm Neuser, Dogma und Bekenntnis in der Reformation: Von Zwingli und Calvin bis zur Synode von Westminster, in: Carl Andresen, Adolf Martin Ritter (Hgg.), Handbuch der Dogmen- und Theologiegeschichte Bd. 2: Die Lehrentwicklung im Rahmen der Konfessionalität, Göttingen 21998, S. 165–352, hier: S. 286–288. Über Leben und Werk Ursins informiert Harm Klueting, Art. Ursinus, Zacharias (1534–1583), TRE 34 (2002), S. 445–450. 28 Zacharias Ursinus, Christliche Erinnerung Vom CONCORDIBVCH So newlich durch etliche Theologen gestelt/ Vnd im Namen etlicher Augspurgischer Confession verwandten Stände publicirt/ Der Theologen und Kirchendiener in der Fürstlichen Pfaltz bey
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Neustadt a. d. Hardt gedruckt wurde, wohin sich die meisten reformierten Theologen nach der lutherischen Reaktion in Heidelberg unter Kurfürst Ludwig IV. zurückgezogen hatten 29. Aus der Uneinigkeit in Glaubensfragen seien, »[w]ie dann die erfahrung gibt«, »je und all weg/ die ärgsten feindschafften/ Krieg/ verfolgungen und zerstörungen/ vnd alles vnglück geflossen/ damit das armselig menschlich geschlecht/ vnd sonderlich die Gemein Gottes/ zum höchsten bedrengt und geängstiget worden ist« 30. So merkt Ursin im Hinblick auf den Zweck seines Werkes an: »Vnd zwar es erweiset sich in der that/ daß den Irrthumen vnnd falscher Lehr mit stillschweigen zu sehen/ nicht der rechte Weg sey zu Einigkeit der Kirchen vnd heilung der Gewissen/ sonder daß not sey/ den mangel vnd dessen rechte verbesserung zuzeigen«31. Dementsprechend legt er den Finger direkt in die vermeintliche Wunde: »Dann so sehr vns billich erfrewen solte/ Christlicher Fürsten vnd Herrschafften geneigter und Gottselliger will/ die Kirchen zuberuhigen/ So sehr betrübt vns etlicher Theologen vngebürliche Handlung/ welche diß löbliche vnnd heilige Fürnemen missbrauchen/ vnd weit zu einem anderen ziel dann es gemeint wirdt/ wenden vnd verkeren/ Nemlich zu bestettigung ihres Ansehens vnnd Bäpstlichen Herrschung vber die Kirchen Christi/ in dem sie die Christlichen Regenten bereden/ das sey der rechte Weg zur Einigkeit/ Wann alle Obrigkeiten vnd Vnderthanen/ Lehrer und Zuhörer/ ihren Satzungen vnderschrieben vnd beypfl ichteten/ vnd wer denen nicht wolt beyfall thun/ denselben als ein Ketzer vnnd Fegopffer/ verdampten/ verbannten vnnd verfolgten/ vnd also sich vnderstehen/ ihre vnder sich selbst gemachte Losung/ vnder dem scheinbaren namen der Concordi vnnd einhelligen vergleichung vnnd bekendtnis aller rechtgleubigen Kirchen/ der Welt auffzudringen/ dadurch aber viel mehr dann zuuor/ die Rhein. Auß dem Latein verteutscht/ Vnd an etlichen orten weiter außgeführt, Neustadt a. d. Hardt (Mattheus Harnisch) 1581, S. 3. Der Titel des lateinischen Originals lautet: DE LIBRO CONCORDIAE quem vocant, A quibusdam Theologis, nomine quorundam Ordinum Augustanae Confessionis, edito, ADMONITIO Christiana: Scripta a Theologis et Ministris Ecclesiarum in ditione Illustrißimi Principis IOHANNIS CASIMIRI Palatini ad Rhenum Bauariae Ducis, etc., Neustadt a. d. Hardt (Mattheus Harnisch) 1581. Zur Verfasserschaft Ursins s. Holtmann, Die Pfälzische Irenik, S. 149 und Dingel, Concordia controversa, S. 141; zur genauen Kontextualisierung dieser »wohl gründlichsten und fundiertesten Gegenschrift zur Konkordienformel« vgl. Holtmann, Die Pfälzische Irenik, S. 127–150 (das Zitat stammt von a.a.O., S. 149). Eine inhaltich selbstverständlich von bestimmten Darstellungsprämissen geleitete Zusammenfassung des Inhalts bieten neben den folgenden Seiten dieser Arbeit auch Dingel, Concordia controversa, S. 141–148 und Holtmann, Die Pfälzische Irenik, S. 150–179. 29 Vgl. dazu neben den knappen Ausführungen in Anm. 26 die ausführliche Darstellung von Volker Press, Calvinismus und Territorialstaat. Regierung und Zentralbehörden der Kurpfalz 1559–1619 (Kieler Historische Studien Bd. 7), Stuttgart 1970, S. 267–321 und Gustav Adolf Benrath, Reformierte Kirchengeschichtsschreibung an der Universität Heidelberg im 16. und 17. Jahrhundert (Veröffentlichungen des Vereins für pfälzische Kirchengeschichte Bd. 9), Speyer 1966, S. 9–11 sowie ders., Art. Pfalz, S. 326. 30 Ursin, Christliche Erinnerung Vom CONCORDIBVCH, S. 3. 31 A.a.O., S. 13.
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Kirchen getrennet/ die gewissen beschweret/ die Warheit vertunckelt/ die schwachen geergert/ die feinde in ihrem wüten vnd tyrannisiren gescherfft vnd gestercket werden« 32 .
Damit steht Ursins Bild vom lutherischen Konkordienwerk in schwerlich zu überbietender Deutlichkeit vor Augen: Es ist letztlich nicht mehr und nicht weniger als der Missbrauch der ursprünglich guten Absichten der weltlichen Obrigkeiten durch eigensinnige, streitsüchtige Theologen zur Durchsetzung ihrer selbsterdachten Lehren und somit zur Befriedigung ihres Machthungers. Dass dadurch die schädliche Trennung der Kirchen als das schlimmste für Ursin vorstellbare Übel mit all seinen genannten wenig erfreulichen Konsequenzen nicht behoben, sondern vielmehr noch gesteigert und gleichsam zementiert wird, bedarf kaum noch der besonderen Erläuterung. So sei »Gott [. . .] vnser zeuge/ daß wir hiemit nichts anders suchen noch meinen/ denn die Ehre Christi/ das Heil gemeiner Kirchen vnd gemeines Vaterlands/ vnd aller darinnen Augspurgischer Confession zugethanen/ Hohes vnnd nidern Stands/ Ehr/ glimpff/ zeitliche vnnd ewige wolfart/ [. . .] Auff daß nicht so vielen betrübten Christen das trübsal geheuffet werde/ die unschuldigen verdamt vnnd vntergedruckt/ mit beider teil gefahr vnnd vnglück/ durch schein und mißbrauch ihres löblichen vnd ehrlichen Namens/ auß eingeben vnnd anstifftung eines oder weniger Theologen/ mit fürgewenter Concordi vnnd vergleichung/ auß welcher viel ein grössere vnnd schedlichere trennung vnnd zurüttung aller Kirchen vnnd Regimenten erfolgen würde/ dann zuuor ge gewesen« 33.
Die Wohlfahrt aller »Augspurgischer Confession zugethanen/ Hohes vnnd nidern Stands«, der Ursins Christliche Erinnerung Vom CONCORDIBVCH dienen soll, meint nun nicht nur die damit ohnehin angesprochenen Lutheraner, denen das vorliegende Werk die Augen für das mit dem Konkordienbuch über sie kommende Übel öffnen soll, sondern ausdrücklich auch die Pfälzer Reformierten. Denn die von ihnen vertretene Lehre stimme grundsätzlich mit dem Augsburger Bekenntnis überein, »so nur dieselbe recht vnd also verstanden wird/ daß sie mit der Schrifft vnd ihr selbst nicht streite«34. Damit ist die Frage nach der einzig legitimen Fassung der CA gestellt, wobei Ursins Antwort wenig überraschend ausfällt: Die Änderungen an der Augsburger Konfession, die Melanchthon in der Variata von 1540 vorgenommen hatte, seien »geschehen bey leben/ mit wissen vnd verwilligung Lutheri. Ist derwegen ein grosse frechheit der jenigen/ die vber den frommen ehrlichen Mann Philippum Melanchthon dürffen schreien/ er hab dieselben heimlich vnd betrüglich beigeschoben/ vnd glauben die zu viel/ die da wehnen/ es hab ein einiger Mann/ die gemeine so vieler Kirchen Confession/ in jedermanns henden vnd angesicht/ aus eignem fürnemen vnd vermessenheit/ wider aller seiner mitverwandten willen vnnd gutheissung/ können verendern 32 33 34
A.a.O., S. 13 f. A.a.O., S. 15. A.a.O., S. 191. Vgl. dazu auch a.a.O., S. 23, 239 f.
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vnnd verfelschen. Es zeuget viel ein anders/ die vielfaltig vnd offentlich in gemein geschehene/ dieser endrungen bewilligung vnnd bestettigung«,
und zwar nicht allein »von Philippo/ sonder von allen Augspurgischer Confession verwandten«35. Diese vormalige Anerkennung der Variata durch die Augsburger Konfessionsverwandten verdanke sich dabei nicht zuletzt den schwierigen Umständen, in denen einst die Invariata entstanden sei, und den daraus resultierenden Mängeln jener Bekenntnisversion: Sie sei nämlich 1530 »geschrieben und vbergeben worden/ inn grosser furcht damals fürstehender gefahr/ in welche die Protestirenden/ bey Keiser vnd Fürsten gesetzt wurden/ durch der Papisten häßliche verleumdungen/ blutdürstigen rath vnd hetzung. Darumb hat man sich in der Confessionformul befl issen/ den grewel vnd Abgötterey deß Papstums/ in denen Articuln/ dauon man zur selben zeit etwas zuschreiben für gut vnd noth angesehen/ auffs kürtzest vnnd leisest/ so möglich war/ anzurüren. Daher ist vieler Artickel/ die verhasset waren/ kein meldung geschehen/ vnd allein die ding widersprochen/ darob Keis. Maiestet nicht so hart hielt [. . .]« 36 .
Somit hält Ursin eine adäquate, also gleichsam historisch-kritische Interpretation der Lehraussagen der Invariata für unerlässlich, lassen sich in ihr doch eben wegen ihres durchaus problematischen Genesekontextes auch Inhalte fi nden, mit denen »nicht alle reformirte/ rechtglaubige Kirchen zufrieden« seien 37. Die Hauptkonfl iktpunkte, die durch das bloß wörtliche Verständnis der Aussagen der CA invariata nicht aus der Welt geschafft werden können, beziehen sich dabei auf die Lehre »von der Person vnnd dem Abendmal Christi«38 . Gerade mit Blick auf die altgläubig anmutende Abendmahlslehre nun »ist sich auch nicht zuwundern/ daß inn dem erstlich vbergebnen Exemplar/ dieser flecken ist blieben kleben. Denn es war zur selben zeit den Protestirenden gefehrlich/ diese Sach zu regen/ vber welcher sie wußten daß Keiser Carol hefftig hielte [. . .]. So 35 A.a.O., S. 269 f. Bei der Aufzählung der Gelegenheiten, zu denen die CA variata als statthafte Verbesserung der Invariata allgemein gebilligt worden sei, nennt Ursin selbstverständlich auch den Frankfurter Rezess und den Naumburger Fürstentag (a.a.O., S. 270 f.). 36 Ursin, Christliche Erinnerung Vom CONCORDIBVCH, S. 228 f.; in der lateinischen Fassung der Christliche[n] Erinnerung Vom CONCORDIBVCH wird an dieser Stelle der Terminus Protestantes nicht verwendet; s. dazu DE LIBRO CONCORDIAE [. . .] ADMONITIO Christiana, S. 145: 1530 die CA »scripta & exhibita est in maximo metu praesentium periculorum, quae creabant profitentibus Euangelium, apud Imperatorem & alios Principes, aduersarii Papistae, atrocibus calumniis, cruentis consiliis & incitationibus. [. . .]«. 37 Ursin, Christliche Erinnerung Vom CONCORDIBVCH, S. 218; vgl. dazu auch a.a.O., S. 234 f. »Reformirte Kirchen« ist dabei Ursins Integrationsbezeichnung zur Benennung der Gesamtheit der lutherischen und reformierten Kirchentümer (s. dazu exemplarisch auch a. a.O., S. 11, 215, 221, 232, 235, 307, 421, 617, 620, 629, 633, 681, 726, 730, 741, 749). Daneben kann er auch von »Euangelischen Kirchen« oder schlicht »Euangelischen« sprechen, wenn es ihm darum geht, der Geschlossenheit von Reformierten und Lutheranern terminologisch Ausdruck zu verleihen (vgl. dazu beispielsweise a.a.O., S. 232, 415, 422, 525, 619, 648, 731, 746, 748, 753, 763, 804 f.). 38 A.a.O., S. 241. Vgl. dazu auch a.a.O., S. 648.
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I. Integration durch Bekenntnisverwandtschaft
haben wir auch zuuor vrsach gemeldet/ warum es billicher vnd redlicher sey/ rund zu bekennen/ daß zur selben zeit/ die Papistischen irrthume viel linder seind angegriffen worden/ als sie wol werth gewesen weren/ denn vber sölchem ding streitten«,
zumal selbst lutherische Theologen zugäben, »daß durch die enderungen/ die Confession nicht verbösert/ sonder verbessert sey. Wie stimmen sie denn mit einander/ vnd mit sich selbst/ weil sie das für ein verfelschung schelten/ das sie anderßwo als ein billiche vnd nützliche verbesserung loben?«39 Die besonders in Artikel 10 der Invariata vor Augen stehenden Mängel der 1530 auf dem Reichstag zu Augsburg übergebenen Bekenntnisfassung sind nach Ursin also der Situation geschuldet, in die sich die »Protestirenden« damals gestellt sahen: Wegen der Verleumdungen und Intrigen der Altgläubigen mussten sie damit rechnen, den Unwillen des Kaisers auf sich zu ziehen, und standen daher unter erheblichem Druck. Diesem Rechtfertigungsdruck, dem der Verfasser des Bekenntnisses und die sich zur CA bekennenden Stände 1530 ausgesetzt waren, müsse auch Jahrzehnte später noch Rechnung getragen werden, indem man eben die Invariata inhaltlich mit Vorsicht genieße. Vor diesem Hintergrund sei es nun kaum verwunderlich, dass Melanchthon die CA späterhin überarbeitet und seine überarbeitete Version allgemein Anerkennung gefunden habe. Im Kontext der Schilderung der schwierigen Situation, in der sich die Augsburger Konfessionsverwandten 1530 wiederfanden, verwendet Ursin den Begriff »Protestirende«, ohne jedoch eindeutige Hinweise beizugeben, wie er den Terminus genau gedeutet wissen möchte. Aufschlussreicher ist diesbezüglich die Lektüre einer anderen Passage der Christliche[n] Erinnerung Vom CONCORDIBVCH : Ursin stellt sich, nachdem er mehrfach auf die Mängel der CA invariata, vor allem ihrer Abendmahlslehre, hingewiesen hat, die Frage, warum ausgerechnet diese Fassung des Bekenntnisses Eingang in das Konkordienbuch gefunden hat und nicht etwa die von Melanchthon 1540 verbesserte Version. Die Antwort stehe dabei nach Meinung des reformierten Gelehrten klar vor Augen: »Ohne zweiuel aus keiner andern [Ursache, C. W.]/ denn die sie [die Schöpfer des Konkordienbuches, C. W.] selbst bekennen/ daß sie wol entfi nden/ sie können aus den andern [also späteren Fassungen der CA, C. W.] nichts auff bringen/ das wider uns sey/ vnnd vermeinen/ sie wollen aus dem ersten etwas herfür kratzen. Damit aber bekennen sie/ daß die erfolgten Exemplar auff vnser seiten stehen. Diß nemen wir von jnen für bekannt an«40.
39 A.a.O., S. 269. Auch bei dieser Passage lässt sich die Bezeichnung Protestantes in der DE LIBRO CONCORDIAE [. . .] ADMONITIO Christiana nicht fi nden: »Neque est mirandum, in
exemplari Confeßionis Imperatori exhibito hunc naevum haesisse. Metuebatur Caroli offensio, quem dixisse, ex ipsis Confeßionis autoribus audiuimus [. . .]« (a.a.O., S. 170). 40 Ursin, Christliche Erinnerung Vom CONCORDIBVCH, S. 266 f.
1. Zacharias Ursinus als Wegbereiter
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Mit dieser von Ursin entlarvten Taktik zur Bekämpfung der Reformierten stellt sich den Protagonisten des Konkordienwerkes letztlich gerade gegenüber den Altgläubigen ein gewichtiges Problem, denn »sie müssen je sagen/ es sey einerley Lehr/ im ersten vnd in den andern Exemplarien/ oder nicht einerley. Stimmen sie zusammen inn der Lehr/ so ist vns deren keins zuwider/ ob schon die wort etwas vngleich seind. Sagen sie denn/ daß in einem die Lehr recht/ inn den andern geendert vnnd verfelscht sey/ so mögen sie zusehen/ was sie den Päpstischen wollen antworten/ welche den Protestirenden Stenden werden schuld geben/ daß sie zwo Confession für eine beygeschoben/ ein anders bekennt vnnd ein anders haben lassen ausgehen«41.
Die in diesem Vorwurf der Altgläubigen liegende reichsrechtliche Gefahr für alle evangelischen Kirchen im Reich leuchtet dem Leser unzweifelhaft ein. Doch nicht nur den Papisten gegenüber werden sich die Schöpfer und Verfechter des Konkordienwerkes rechtfertigen müssen, sollten sie an ihrer Auswahl festhalten; sie werden auch gezwungen sein zu überlegen, »was sie antworten wollen allen Augspurgischer Confession verwandten/ welche sie damit bey den Päpstischen in spot setzen/ vnnd/ weil sie bißher/ alle Exemplarien für eine Confession gehalten/ entweder solches vnuerstands/ daß sie nicht haben können vnterscheiden/ was eine oder zwo Confession weren/ biß diese Theologen kämen [gemeint sind die hinter dem Konkordienwerk stehenden Gelehrten, C. W.] vnd lehrten sie es/ oder aber/ mit vns gemeiner/ falscher Lehr sie beschuldigen« 42 .
Inhaltlich werden in den soeben zitierten Zeilen also diejenigen, die durch die Festlegung der Konkordienformel bzw. des Konkordienbuches auf die CA in41
A.a.O., S. 267. Ebd. In der lateinischen Version der Christliche[n] Erinnerung Vom CONCORDIBVCH ist dies die einzige Passage, in der der hier im Mittelpunkt der Untersuchung stehende Begriff auftaucht. So heißt es in der DE LIBRO CONCORDIAE [. . .] ADMONITIO Christiana: »Sin editiones differre sententiis dicunt, sicut in praefatione suspectas eas dissensionis faciunt, viderint ipsi, quid respondeant Pontificiis, qui fraudis accusabunt Ordines Imperii Protestantes, vt qui geminam Confeßionem pro vna obtruserint, aliud sint confeßi, aliud ediderint: Quid item respondeant omnibus Augustanae Confeßionis sociis, quibus hanc litem cum aduersariis creant, & quos omnes hactenus omnes editiones amplexos tamquam vnam, aut stultitiae non discernentis eandem & diuersam Confeßionem, aut falsae doctrinae, illis nobiscum communis, insimulant« (a.a.O., S. 169 f.). Auch hier lässt sich – wie in der deutschen Fassung des Werkes – eine inhaltliche Gleichsetzung der »Ordines Imperii Protestantes« mit den »Augustanae Confeßionis sociis« attestieren. Mehr gibt die DE LIBRO CONCORDIAE [. . .] ADMONITIO Christiana jedoch mit Blick auf Ursins Terminologie nicht her, da er, wie gesagt, die Bezeichnung Protestantes, soweit ich sehe, nur dieses eine Mal gebraucht. Aus diesem Grund liegt das Hauptaugenmerk der Untersuchung auch auf der deutschen Übersetzung. Möchte Ursin in der lateinischen Werksfassung Lutheraner und Reformierte unter einem Begriff sammeln, behilft er sich, im Wesentlichen analog zur deutschen Übersetzung (s. Anm. 37), mit Wendungen wie »Ecclesiae reformatae« (s. exemplarisch a.a.O., S. 148, 336 f., 343, 399, 406), »Ecclesiae Euangelicae« (s. z. B. a.a.O., S. 17) oder »Ecclesiae Germanicae« (vgl. u. a. a.a.O., S. 396, 406, 410. Von den »Ecclesiis Germanicis« kann Ursin dann auch die »Ecclesias Helveticas« terminologisch unterscheiden; s. dazu exemplarisch a.a.O., S. 404). 42
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I. Integration durch Bekenntnisverwandtschaft
variata dem Spott und den reichsrechtlich bedrohlichen Angriffen der Altgläubigen ausgesetzt werden, einmal als »Protestirende(n) Stende(n)«, dann als der »Augspurgische[n] Confession verwandte(n)« bezeichnet. Diese Gleichsetzung wird an Deutlichkeit noch einmal überboten, vergleicht man eine bestimmte Marginalglosse mit dem Text, dessen Inhalt sie prägnant wiedergeben soll. Die Marginalglosse lautet: »Die Protestirenden beruffen sich allein auff die Schrifft«, während es im Text heißt, die »Augspurgischer Confession verwandte[n] Stende« hätten gegen die Altgläubigen stets vorgebracht, »sich auff keine Väter/ Concilien/ oder menschliche Decret/ Satzung oder ansehen/ sonder allein auff Gottes Wort/ in Glaubens sachen gründen« zu wollen43. Behält man diese Identifi kation von »Protestirenden« und »Augspurgischer Confession verwandte[n] Stende[n]« im Auge, muss man sich nur noch klarmachen, dass eines der Hauptanliegen Ursins in dem Nachweis besteht, dass auch die Reformierten in der Kurpfalz als legitime Angehörige des Augsburger Bekenntnisses anzusehen sind. So wundert es den Leser der Christliche[n] Erinnerung Vom CONCORDIBVCH keineswegs, wenn ihr Autor denjenigen, die hinter dem Konkordienwerk stehen, jedes Recht abspricht, die Pfälzer »zuverdammen/ vnd aus der Christlichen Kirchen und Confessionsverwandschafft/ als Ketzer außzuschließen«44, zumal die in der CA variata als der einzig legitimen Version des Bekenntnisses formulierte Abendmahlslehre mit der von den pfälzischen Theologen vertretenen übereinstimme, während die Ubiquitätslehre der Konkordienformel dem 10. Artikel der Augsburger Konfession schlicht widerspreche45. Ursin führt also den Terminus Protestierende an keiner Stelle seines Werkes explizit als Integrationsbegriff ins Feld, um auf diese Art und Weise die Geschlossenheit von Reformierten und Lutheranern auch terminologisch zu unterstreichen; dazu bedient er sich anderer Formulierungen46 . Dennoch würde man Ursin letztlich Unrecht tun, bliebe man bei dieser Deutung seiner Terminologie stehen. Denn er ist ja um kaum etwas mehr bemüht als um den Beweis bzw. die Betonung der Augsburger Konfessionsverwandtschaft der Reformierten. Trägt man dieser unleugbaren Tatsache Rechnung, kommt man nicht umhin, Ursin einen kreativen Umgang mit der überkommenen Begriffl ichkeit zu attestieren: Für ihn sind die Angehörigen des Augsburger Bekenntnisses, das letztlich nur eine statthafte Fassung hat, nämlich die Variata, Protestierende. Nun wird er jedoch nicht müde, die Konfessionsverwandtschaft des Pfälzer Refor43 Ursin, Christliche Erinnerung Vom CONCORDIBVCH, S. 350. In der DE LIBRO CONCORDIAE [. . .] ADMONITIO Christiana entfällt die zitierte Marginalglosse, weshalb
jene Identifi kation in der lateinischen Textfassung schlicht nicht möglich ist (vgl. a.a.O., S. 214). 44 Ursin, Christliche Erinnerung Vom CONCORDIBVCH, S. 423. 45 A.a.O., S. 522. 46 Vgl. dazu Anm. 37.
1. Zacharias Ursinus als Wegbereiter
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miertentums herauszustellen, was konsequenterweise auch die Reformierten letztlich zu Protestierenden macht, woraus sich dann zwangsläufig ein integratives Begriffsverständnis Ursins ergibt. In diesem gedanklichen Dreischritt des reformierten Gelehrten steht nun nicht mehr und nicht weniger vor Augen als der Ermöglichungsgrund einer integrativen Terminologie. Ursin bezeichnet an anderer Stelle die Vertreter des Konkordienbuches und die Pfälzer als »brüder«47, die besser daran täten, gegen den gemeinsamen Feind, nämlich die Papisten, zusammenzustehen, anstatt sich untereinander wegen »Spans inn der Lehr« zu streiten, wobei er auch nicht vergisst anzumerken, dass die Pfälzer »die Christliche Brüderschafft vnd einigkeit der Kirchen/ gegen jhnen [die Altgläubigen, C. W.] zuhalten/ alle zeit vhrbietig gewesen« seien, was man leider von den lutherischen Brüdern nicht behaupten könne48 . Dabei geben gerade sie mit der in der Konkordienformel vertretenen Ubiquitätslehre dem papistischen Feind Gelegenheit, »die reformirten Kirchen zubeschuldigen/ daß sie von jrer alten Confession [der CA, C. W.] auff newe vnchristliche lehr gefallen seien«49. Anders formuliert: Die Konkordienformel widerstreite der »form der lehr [. . .]/ zu welcher alle Aug. Confessionsverwandte Stende/ vnd reformirte Euangelische kirchen sich bekent« 50. Dass zu diesen »Confessionsverwandte[n] Stende[n]« für Ursin ohne Frage auch die Pfälzer Reformierten gehören, befähigt ihn zu der Aussage, dass die Lutheraner »mit samt vns/ Aug. Confession verwandt seind/ [. . .] wegen der wahren wesentlichen gemeinschafft deß leibs Christi/ welche sie mit uns/ vermög der Confession/ bekennen« 51. Was aber die Beilegung des Streits zwischen den evangelischen Kirchen angeht, so schlägt der reformierte Theologe vor: »Diß ist der erste vnnd nechste weg zur Concordi vnd einigkeit der Kirchen/ daß ein rechtmessige/ gemeine/ freye/ offentliche Synodus, das ist/ versamlung Gotsgelehrter vnd redlicher leut/ gehalten werde/ darinne man sich ordenlich/ freundlich/ fleissig/ vnnd in Gottes furcht gegen einander erkläre/ mit einander vnterrede/ beider theil gründe vnd Beweiß examinire/ gegen einander/ vnnd gegen der Schrifft halte/ vnnd was man mit einander dem Wort Gottes gemeß befunden hat/ als denn mit eintrechtigem hertzen vnnd mund/ verstand vnd worten/ one alle verdeckung vnd missverstand/ den Christlichen gemeinen fürtrage« 52 .
Zu dieser Synode, von der Ursin sich Verständigung über die theologischen Lehrdifferenzen und Herstellung der brüderlichen Einigkeit verspricht, sollen »[b]eide Parteyen zu gleichem recht« zugelassen werden 53, wobei sich der Teil47 48 49 50 51 52 53
Ursin, Christliche Erinnerung Vom CONCORDIBVCH, S. 626. A.a.O., S. 627. A.a.O., S. 726. A.a.O., S. 731. A.a.O., S. 747. A.a.O., S. 759. A.a.O., S. 763, Marginalglosse.
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I. Integration durch Bekenntnisverwandtschaft
nehmerkreis nicht allein auf die »Teutschen/ oder Augspurgischer Confession verwandten« beschränken, sondern vielmehr Vertreter »aller Euangelischen Kirchen«, also sowohl mehrheitlich lutherischer als auch reformierter Kirchen des Auslands umfassen solle54. Die Dringlichkeit einer Verständigung sei durch die Veröffentlichung des Konkordienbuches noch erhöht worden, denn durch die in der Konkordienformel mit der Ubiquität Christi begründete Lehre von »der mündlichen vnnd Gottlosen niessung deß fleisches Christi« werde »der Schaaffstal Christi mit einer so schedlichen trennung zurissen vnd zustrewet/ vnd den Wölfen zuverwüsten vnd zufressen fürgeworffen« 55, ja »die Christliche Lehr mit so viel vngehewren gedichten zurüttet vnd verfelschet/ vnd Augspurgischer Confession verwandte Kirchen den Widersachern zu spot gesetzt« 56 . Doch der Spott der Altgläubigen ist nicht Ursins einzige Sorge, habe durch die Veröffentlichung der Konkordienformel doch »der Religionsfriede/ den Gott vnserm gemeinen vaterland bißher/ [. . .] gnediglich hat verlihen/ einen mercklichen stoß bekomen. Denn in gemeltem frieden diejenigen begrieffen werden/ welche den rechten mit der Schrift vnd vhralten reinen Christenheit stimmenden verstand der Aug. Confession behalten. Dieser verstand aber ist/ daß in rechtem brauch deß Abendmals vns dieselbe wahrhaftige vnd wesentliche gemeinschaft/ deß wahren natürlichen/ für vns am Creutz gegebenen fleisches vnd bluts Christi/ widerfahre [. . .]« 57.
Deutlich ist damit Ursins Absage an die in der Konkordienformel vertretene Ubiquitätslehre, denn unter den Schutz des Friedensschlusses von 1555 fallen, folgt man dem Wortlaut der Christliche[n] Erinnerung Vom CONCORDIBVCH, ausschließlich diejenigen, welche eben »den rechten mit der Schrift vnd vhralten reinen Christenheit stimmenden verstand der Aug. Confession behalten«. Und dieser rechte Verstand, daran kann für Ursin kein Zweifel bestehen, hat nirgendwo anders seinen Niederschlag gefunden als in der von Melanchthon überarbeiteten Bekenntnisfassung von 1540. Somit kehrt der reformierte Theologe den Spieß letztlich kurzerhand um: Nicht die Pfälzer Reformierten stehen seiner Meinung nach in der Gefahr, aus dem Religionsfrieden ausgeschlossen zu werden, denn sie vertreten die, misst man sie an dem Wortlaut der Schrift und der Lehre der Alten Kirche, einzig statthafte Abendmahlslehre. Vielmehr ist Ursin um die Erweckung des Eindrucks bemüht, die mit der Ubiquitätslehre stattfi ndende Verfälschung der Abendmahlslehre gefährde den reichsrechtlichen Schutz genau der Partei, die 54
A.a.O., S. 763. A.a.O., S. 810 f. Im Hintergrund steht Joh 10, 7–14. 56 Ursin, Christliche Erinnerung Vom CONCORDIBVCH, S. 811. An anderer Stelle fällt Ursins Kritik am Konkordienwerk und der in der Konkordienformel fi xierten Ubiquitätslehre nicht weniger scharf und eindeutig aus (s. exemplarisch a.a.O., S. 17–19). 57 A.a.O., S. 746 f. 55
2. Anwendung des integrativen Potentials
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sich seiner bisher so trügerisch sicher gewesen sei, nämlich des sich dem Konkordienwerk anschließenden Luthertums.
2. Anwendung des integrativen Potentials 2.1. David Pareus’ Irenicum Wie vor ihm schon Ursin, erklärt auch dessen wohl berühmtester Schüler, David Pareus, in seinem 1614 im Druck erschienenen Irenicum eine rechtmäßige Synode zum einzig gangbaren Weg hin zur christlichen Eintracht 58 . Für eine solche Zusammenkunft sei es höchste Zeit; schließlich tobe der Streit, der einst »inter duos primae notae Theologos, Evangelij vindices, Papatus profl igatores, MARTINUM LUTHERUM in Saxonia, & HULDRICHUM ZWINGLIUM in 58 David Pareus, Irenicum sive DE UNIONE ET SYNODO EVANGELICORUM CONCILIANDA LIBER VOTIVUS Paci Ecclesiae & desiderijs pacificorum dicatus [. . .], Heidelberg
( Jonas Rose) 1614, S. 65: »Ad Christianam [. . .] concordiam sanciendam via erit una & proxima, SYNODUS legitima«. Einen inhaltlichen Überblick neben den sich anschließenden Untersuchungen und eine Einordnung des Werkes in die Irenik im Allgemeinen bieten Holtmann, Die Pfälzische Irenik, S. 238–260 und Gustav Adolf Benrath, Irenik und Zweite Reformation, in: Heinz Schilling (Hg.), Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland, S. 349–358. In kritischer Absicht und der daraus resultierenden skeptischen Haltung gegenüber den Friedensbemühungen von Pareus äußert sich Leube, Kalvinismus und Luthertum, S. 59–73. In Auseinandersetzung nicht zuletzt mit den gegenüber dem Irenicum kritisch-distanzierten Ausführungen Leubes widmet Günter Brinkmann seinem Friedenshelden Pareus gleich eine ganze Monographie: ders., Die Irenik des David Pareus. Frieden und Einheit in ihrer Relevanz zur Wahrheitsfrage (Studia Irenica XIV), Hildesheim 1972. Als einer der wichtigsten akademischen Lehrer des im Dienst der Kurpfalz stehenden Theologieprofessors Pareus (1548–1622) muss Ursin gelten; vgl. zur Biographie und zum literarischen Werk überblicksartig Gustav Adolf Benrath, David Pareus, in: Schlesische Lebensbilder Bd. 5: Schlesier des 15. bis 20. Jahrhunderts, herausgegeben von Helmut Neubach und Ludwig Petry, Würzburg 1968, S. 13–23 und Karl Friedrich Ulrichs, Art. Pareus, David, BBKL 6 (1993), Sp. 1532–1536. Welche Bedeutung Ursins in seiner DE LIBRO CONCORDIAE [. . .] ADMONITIO Christiana geäußerte Gedanken bezüglich einer Synode zur Beilegung der innerevangelischen Lehrstreitigkeiten für Pareus’ Irenicum haben, verdeutlicht nicht zuletzt die Tatsache, dass Pareus bei den Überlegungen zu den Bedingungen und zur Ausrichtung jener Synode breite Passagen der DE LIBRO CONCORDIAE [. . .] ADMONITIO Christiana seines Lehrers wörtlich zitiert (s. Pareus’ zwar als Zitat kenntlich gemachten, aber zudem eigenständig durch entsprechende Überschriften inhaltlich gegliederten Ausführungen in ders., Irenicum, S. 35– 63. Er übernimmt sie wortgetreu von Ursin, DE LIBRO CONCORDIAE [. . .] ADMONITIO Christiana, S. 419–441 und gibt das Werk seines Lehrers auch als Quelle an; vgl. dazu Pareus, Irenicum, S. 63). Somit hat Holtmann, Die Pfälzische Irenik, S. 244, Anm. 1, dem die Übernahme jener Partien der DE LIBRO CONCORDIAE [. . .] ADMONITIO Christiana durch Pareus ebenfalls aufgefallen ist, gegenüber Leube, Kalvinismus und Luthertum, S. 63–65 recht, denn Leube geht irrtümlich davon aus, die Überlegungen des Irenicum[s] zu den Bedingungen und zur Gestalt einer gesamtevangelischen Synode gingen auf Pareus selbst zurück.
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I. Integration durch Bekenntnisverwandtschaft
Helvetia« ausgebrochen sei 59, mittlerweile seit 90 Jahren, weshalb der Zweck einer Synode nur darin bestehen könne, das die evangelischen Kirchen beunruhigende unheilvolle Schisma ein für allemal zu beenden, die Streitigkeiten endlich beizulegen, um geschlossen dem Hochmut und der Tyrannei der römischen Papstkirche entgegentreten zu können. Sollten aber die Lutheraner sich gegen dieses Ziel stellen, ja die Synode dazu missbrauchen, ihre Ubiquitätslehre und den mündlichen Verzehr des Fleisches Christi beim Abendmahl zu behaupten und die orthodoxe Gegenlehre der Reformierten zu verdammen und zu unterdrücken, habe eine Zusammenkunft überhaupt keinen Sinn, im Gegenteil: Sie würde letztlich den bereits tobenden Streit anfachen, die bestehenden Gräben noch vertiefen, ist sich Pareus sicher60. Damit sind – aus der Sicht des reformierten Gelehrten – die zwei in ihrer Bedeutung schwerlich zu überschätzenden Stacheln im Fleisch der evangelischen Kirchen benannt: die Lehre von der leiblichen Präsenz Christi in den Abendmahlselementen und, damit aufs Engste verbunden, die Ubiquitätslehre. Seit dem Marburger Religionsgespräch herrsche jedoch weitestgehende lehrmäßige Einigkeit zwischen Reformierten und Lutheranern: 1529 sei man in friedlichem Gespräch über das Heilige Abendmahl und andere vermeintlich strittige Lehren zu einem frommen Konsens in allen Punkten gelangt, auch bezüglich der Abendmahlsfeier. Lediglich in der Frage nach der leiblichen Gegenwart von Blut und Fleisch Christi in den Abendmahlselementen sei dabei keine Einigkeit erzielt worden61. Dementsprechend sei die Behauptung, Reformierte und Lutheraner kämen in keinem einzigen Glaubensartikel überein, das verleumderische Werk streitsüchtiger Vertreter der letztgenannten Partei, denn 59
Pareus, Irenicum, S. 3. A.a.O., S. 13 f.: »Scopum colloquii nemo arbitror ambigit hunc esse oportere, ut infelix schisma, quod annos pene LXXXX. Ecclesias Evangelicas perturbat, tandem sopiatur, tollatur: Evangelici omnes omissis rixis & contentionibus, ex Apostoli praecepto, idem loquamur: omnes una mente & sententia coagmentati in fide, adversus Romani Antichristi monarchicum fastum atque tyrannidem consilia viresque unanimes conjungamus. [. . .] Si vero pars adversa, hoc scopo neglecto, id modo intendit, agitque, ut opiniones suas de Ubiquitate carnis Christi, orali eius manducatione in S. Coena, similesque alias, uti hactenus fecit, mordicus tueatur: contra Orthodoxam doctrinam & Ecclesias nostras consueto praejudicio damnet, premat, opprimatque: mea quidem sententia, nullo fructu, sed praesentaneo incommodo, gravioreque vulnerum exulceratione instituetur collocutio, tutiusque fuerit, tam periculosa molestia supersedere, quam infelici conatu malum deterius reddere«. 61 A.a.O., S. 192: Die theologischen Streitigkeiten zwischen Luther und Zwingli hätten bis 1529 angehalten, »quando Marpurgi conventu Theologorum utriusque partis instituto, post aliquot dierum placidam de Sacra Coena, deque aliis doctrinae capitibus in quibus dissentire putabantur, disceptationem, pius per omnia consensus sancitus fuit, etiam de Eucharistia; una quaestione excepta, de qua conveniri non potuit: Vtrum verum corpus & sanguis Christi in pane & vino Eucharistiae adsint corporaliter?«; die Hervorhebungen stammen von Pareus. Sollten sie im Folgenden vom Verfasser dieser Arbeit und nicht vom Autor der betreffenden Quelle stammen, wird gesondert darauf hingewiesen. Zum Marburger Religionsgespräch und der dort erzielten Einigung s. auch a.a.O., S. 82, 95 f. 60
2. Anwendung des integrativen Potentials
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in Wahrheit habe es unter den Evangelischen vom Beginn ihrer Spaltung an keinen anderen Streitpunkt gegeben als den um das Abendmahl. Und Gegenstand dieses Streits sei mitnichten die gesamte Abendmahlslehre gewesen, sondern allein ein Lehrstück, das zum Heil nicht notwendig sei, weil es nach Luthers eigener Meinung Frommen und Gottlosen gemein sei, nämlich von der Gegenwart des Leibes Christi im Brot und seines Verzehrs, welchen die Lutheraner den Gläubigen und den Ungläubigen zusprächen 62 . Der Grund des letztlich so schädlichen Dissenses ist folglich in aller nötigen Schärfe benannt; »[d]issenionis hujus graves hactenus poenas fuit Ecclesia Evangelica, & luitura est graviores, si distracta manserit«, warnt daher der Schüler Ursins 63. In den als für den Glauben und die Seligkeit fundamental anzusehenden Lehrpunkten hingegen herrsche spätestens seit 1529 vollkommene Übereinstimmung64. »Sed jam pridem (clamant [scil. die streitsüchtigen lutherischen Theologen, C. W.]) ab hoc consensu [gemeint ist der 1529 zu Marburg erlangte, C. W.] recessum fuit« 65. Der darin liegende Vorwurf gegen die Reformierten müsse jedoch schlicht als unberechtigt zurückgewiesen werden. Frage man sich nämlich, wann jene Abweichung stattgefunden habe und wer dafür verantwortlich zeichne, könne man nicht ernsthaft in Zweifel ziehen, dass die Schweizer Kirchen, »cum quibus Orthodoxae omnes concordant, de consensu Marpurgico in hunc usque diem transversum verbum non mutaverunt« 66 . Schon Luther habe zu Lebzeiten bezeugt, das Problem mit den Schweizern bzw. eben mit den Reformierten bestehe letztlich allein darin, dass sie »praesentiam realem corporis Christi in pane credere non vellent« 67 ; und obgleich nun nach dem Tode Luthers und Melanchthons von einigen wegen ihrer Lehre furchtsam gewordenen Lu62 A.a.O., S. 69: »Verissime enim jam inde a schismatis huius exortu non fuit controversia Evangelicis, nisi de S. Coena: nec de eius doctrina tota, sed tantum de una eius parte, eaque ad salutem non necessaria: quippe ex ipsius LUTHERI sententia piis & impiis communi: videlicet, de corporali praesentia in pane & orali manducatione corporis Christi, quam fidelibus & infidelibus communem esse volunt«. 63 A.a.O., S. 90. 64 Ebd.: »Habemus divina gratia, consensum in fundamento fidei & salutis: dissentimus in uno saltem dogmate, eoque scholastico & humano magis, quam Theologico & divino, de corporis Domini Servatoris nostri Jesu Christi orali manducatione ad salutem non necessaria«. Zu der von Pareus proklamierten Übereinstimmung in den sog. Fundamentalartikeln vgl. auch a.a.O., S. 149–190; hier zählt er all die Artikel erläuternd auf, in denen sich die Evangelischen nach seinem Dafürhalten unzweifelhaft in lehrmäßiger Kongruenz befi nden und zugleich von der Lehre der Papstkirche abweichen (interessant sind dabei besonders seine Ausführungen zum Abendmahl; s. dazu a.a.O., S. 180 f.). Zum Beweis der 1529 erzielten Lehrübereinstimmung führt Pareus die Konsensformeln des Marburger Religionsgesprächs an (a.a.O., S. 92–95) und erkärt im Anschluss: »Ex hac consensus formula perspicuum est, quod supra dixi, convenisse tunc Evangelicos in omnibus: In uno saltem scrupulo concordare non potuisse An corpus Christi sit in pane corporaliter: qui exinde numine irato Ecclesias divexavit« (a.a.O., S. 95 f.). 65 A.a.O., S. 192. 66 Ebd. 67 A.a.O., S. 192 f.
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theranern die Ubiquitätslehre erfunden worden sei, »tamen controversia de praesentia Christi corporali in pane semper mansit praecipua. Propter hanc enim altera subsidiaria excogitata fuit« 68 . Pareus geht mit seiner Offensive gegen die Lehre von der Allenthalbenheit sogar noch weiter: »Atqui utrique, maxime posteriori Lutheranorum sententiae de ubiquitate, tanquam monstroso dogmati, Jesuita & Papistae omnes, non minus quam Helvetij & Orthodoxi alij semper contra dixerunt, hodieque contradicunt« 69. So gesteht der reformierte Theologe ein, es seien eigentlich dann doch zwei strittige Lehrpunkte, die mit ihrem schwerlich zu überschätzenden Konfl iktpotential der Einheit der Evangelischen im Wege stünden70 : »una Marpurgica, de corpore Christi latente in pane Eucharistiae. Altera de ejusdem Ubiquitate. Affi rmant Lutherani, negant Orthodoxi utramque«71. Wegen beider sei zwar zwischen den Theologen in Gesprächen und Schriften viel gestritten worden, doch zu einem Vergleich sei es bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht gekommen, weshalb Pareus sich in seiner Forderung nach einer von beiden evangelischen Parteien zu beschickenden Synode bestärkt sieht: »Conveniens ergo fuerit, tandem aliquando legitimae Evangelicorum Synodi desuper audire judicium atque sententiam«72 . Dabei sei er sich sehr wohl der Tatsache bewusst, dass hinsichtlich des Abendmahls auch noch andere Lehrpunkte unter Lutheranern und Reformierten umstritten seien als die beiden genannten. So ständen bestimmte Fragen noch immer zur Diskussion, wie beispielsweise: »Num corpus Christi edatur ore corporeo, an sola fide? Num Christus edatur etiam ab impijs: an a solis fidelibus? Num verba domini: Hoc est corpus meum: intelligenda sint synechdochice, pro: In hoc pane est corpus meum? an vero metonymice, pro: Hic panis est Sacramentum sive sacrum signum corporis mei?«73
Aber letztlich müsse trotzdem festgehalten werden: »Verum has omnes a duabus prioribus pendere, nemo est qui non intelligat«74. Bei all den Streitereien, die jene zwei Lehren provoziert hätten, gelte es dennoch, im Auge zu behalten, dass daraus keine innerevangelischen Konfl ikte entstanden seien, die das Fundament und das Wesentliche des allgemeinen Glaubens direkt beträfen, deren Unkenntnis an sich schon zur Verdammung führe. Vielmehr hätten jene theologischen Kontroversen ihren Ort allein im Diskurs der Theologen – und nicht etwa in der Frage nach der Seligkeit des einzelnen Individuums75. Dementsprechend erklärt Pareus, sein Programm ein68 69 70 71 72 73 74 75
A.a.O., S. 193. Ebd. Ebd.: »Sint igitur sane jam duae Evangelicorum controversiae [. . .]«. Ebd. Ebd. Ebd. A.a.O., S. 194. A.a.O., S. 196: »Nec ulla tamen [. . .] ex earum est genere, quae fundamentum & sum-
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drücklich unterstreichend, den altgläubigen Spöttern zur Warnung und den Evangelischen zur irenischen Ermutigung, die Papisten sollten doch Zankereien der Evangelischen zusammentragen, so viele sie könnten und wollten, sie fänden doch keinen Streitpunkt mehr als die genannten, welche schließlich alle aus jenem seit 1529 offenbaren und unbeigelegten Dissens erwachsen seien76 . Wenn man sich dabei das Unheil und die unzähligen Übel vor Augen führe, welche nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch gegenwärtig aus den genannten Streitereien der Theologen herrührten und die auch für die Zukunft düstere Aussichten eröffneten – sollte man sie nicht endlich aus der Welt schaffen? Es könnten doch nur unvernünftige, verhärtete Gemüter sein, »qui ad pacis consilia nihil illis moveantur«77. Das nicht enden wollende Gezänk unter den Evangelischen habe die Stoßkraft des Evangeliums gebremst, seiner Entfaltung nicht weniger im Wege gestanden als die furchtbare Abgötterei auf Seiten der Altgläubigen78 . Durch den schändlichen Hader sei die brüderliche Liebe mit Füßen getreten, der innere Friede zerstört, unmäßige Streitsucht geschürt worden, seien aller Stände Gemüter zerrissen und verbittert, heilsame Ratschläge ausgeschlagen und die ohnehin äußerst bedrängte Kirche daheim und draußen den Feinden preisgegeben worden79. An konkreten Beispielen für die furchtbaren Übel lässt es Pareus nicht fehlen: So habe die mutwillige Verleumdung der Reformierten als Sakramentierer durch blutdürstige Theologen nicht nur, aber vor allem in Frankreich die Papisten zu schrecklichen Gräueltaten gegen »reformatae doctrinae sanctissimos Confessores«, zu denen auch Frauen und Kinder zu zählen seien, angestachelt. Wegen des unsäglichen Streits hätten sich die Evangelischen zudem die höchste Verachtung und den Spott der Papisten zugezogen80. Das mit den eigenen Lehrkonfl ikten befasste und somit abgelenkte evangelische Lager müsse sich daher ernsthaft fragen, welches Bild es nach außen abgäbe, worin die Anhänger der Papstkirche somit ihre Hoffnung setzten, mahnt Pareus, bevor er mit aller gebotenen Unerbittlichkeit selbst die Antwort auf jene Frage gibt: Der Papst und seine Getreuen hofften, dass – wenngleich ihre eigene Kraft zur Überwindung der Evangelischen nicht ausreiche – die mam fidei Catholicae directe concernunt, & quarum ignoratio est damnabilis per se: sed omnes ad id genus pertinent, quo conclusiones Theologicae [. . .] non tam singulis salvandis, quam Theologis perficiendis necessariae continentur«. 76 Ebd.: »Verum enimvero congerant, cumulent lites nostras Papistae, quantum volunt & valent: non reperient nisi has commemoratas, quae omnes ex una Marpurgica ortum traxerunt«. 77 A.a.O., S. 74. 78 A.a.O., S. 74 f. 79 A.a.O., S. 75: »[. . .] hinc vero Evangelicorum tum peccata alia, tum fatales rixae atque confl ictus, quibus charitas fraterna proculcata, pax intestina conturbata, Erinnys furialis attracta, animi omnium Ordinum dissociati & exulcerati, consilia salutaria dissipata, affl ictissima denique Ecclesia domi forisque prodita hostibus«. 80 A.a.O., S. 75 f.
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Erben der Reformation sich durch ihre Uneinigkeit und ihr Gezänk untereinander kurzerhand selbst aufrieben81. Nun stehe völlig außer Frage, wer hinter der aus ihrer Uneinigkeit resultierenden Tragödie der Evangelischen stecke: niemand Geringeres als der listige, betrügerische Antichrist 82 . Dabei bediene er sich vor allem der nicht minder listigen Jesuiten, die geschickt Lutheraner und Reformierte gegeneinander aufhetzten; da aber jedwede Gegenwehr ausbleibe und man den Antichrist sein zerstörerisches Spiel treiben lasse, mache man sich letztlich zu seinen willfährigen Sklaven83. Die Streitenden müssten sich folglich die unangenehme Frage gefallen lassen, ob man fortfahren wolle, sich gegenseitig zu bekämpfen, so den Lauf des Evangeliums zu behindern und sich damit unter dem Gelächter der Ausländischen und dem Beifall der Feinde zu Handlangern des Antichrist zu machen84. Wenn nicht, dann müsse endlich Schluss sein mit all dem sowohl lächerlichen als auch schändlichen und letzten Endes gefährlichen Streiten, mit der darin wurzelnden Uneinigkeit, mit all dem Eifern und Schimpfen der Theologen. Wie einst die Meinungsverschiedenheiten der Väter der Kirche ausgeräumt worden seien, wie die Altgläubigen stets zu Ehren ihres Papstes ihre Dissense beigelegt hätten, ja wie selbst die Lutheraner wegen der gebotenen Liebe Einigkeit demonstrierten, so müssten sich – wie auf der Ebene der evangelischen Stände längst geschehen – auch die Theologen endlich untereinander vergleichen85. Doch bedauernswerterweise gebe es noch immer Vorbehalte gegen einen Ausgleich auch auf theologischer Ebene, wobei das Problem jedoch klar auf Seiten der lutherischen Theologen liege, von denen Pareus mit spürbarem Entsetzen feststellen muss, sie riefen gegenwärtig ohne Scham die Ihrigen dazu auf, eher mit den Papisten, den Hauptfeinden des Evangeliums, gegen die Reformierten zusammenzugehen als mit den Reformierten gegen die Papisten, ja den 81 A.a.O., S. 76: »Quid vero tandem de nobis augurantur, id est, in quas sese erigunt spes Papistae? Nempe ob mutuas dissensiones & pugnas implacabiles futurum brevi, ut si Papae & Papistarum potentia ad nos debellandos non sit satis, ipsi tamen mutuis concidamus vulneribus, nosque mutuo evertamus«. 82 »Nonne vero tandem animadvertimus, astu & fraude Antichristi discordiam nostram mirabiliter, & vix sensibilibus modis foveri?« (a.a.O., S. 77). 83 Ebd. 84 »Et nos diutius in viscera nostra saevire, Phalarismos exercere, cursum Evangelij remorari, scandala infi rmis, extraneis ponere, risum, plausum hostibus concitare, Babylonem aedificare, vulnus bestiae sanare, thronum Antichristi stabilire, dextram eius in nostra capita armare discordia nostra pergemus?« (a.a.O., S. 76 f.). 85 A.a.O., S. 90. Zur von Pareus’ beeindruckender Quellenkenntnis zeugenden Darlegung der Lehrdissense innerhalb der Papstkirche vgl. a.a.O., S. 197–241. Zu den Lutheranern bemerkt Pareus: »Dissident profecto in plurimis«, nämlich nicht nur in bestimmten Zeremonien, sondern auch in einigen nicht unbedeutenden Lehrpunkten, u. a. in der Lehre vom freien Willen, von der Prädestination und der Ursache der Gnadenwahl, von der Allenthalbenheit und von der Ursache der leiblichen Präsenz Christi im Abendmahl (a.a.O., S. 81).
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Anhängern der Papstkirche mehr zu trauen als den sogenannten Calvinisten86 . Gerade durch das Argument, man stehe den Altgläubigen lehrmäßig näher als den Reformierten, werde die ganze Schande der Lutheraner deutlich, denn schließlich gebe es nichts schändlicheres als die lehrmäßige Verwandtschaft mit dem Antichrist 87. Dabei stimme die reformierte Lehre nicht nur mit der Heiligen Schrift, sondern auch mit den Vätern der Kirche überein; stellen sich nun aber die Lutheraner mit den Papisten gegen die Lehre der Reformierten, »in manifesto errore consentiunt« 88 . Daher sollten die lutherischen Theologen um der Wahrheit willen und unter Beschwichtigung ihrer Affekte doch endlich einsehen, dass unter den Evangelischen in viel mehr Lehrpunkten Einigkeit bestehe als zwischen Lutheranern und Altgläubigen, weshalb die Lutheraner nicht mit den Getreuen des Antichrist den Schulterschluss suchen sollten, sondern mit denen, denen sie in der Lehre näher seien, nämlich mit den reformierten Kirchen89. Selbst Luther habe zu Lebzeiten kein unnötiges Öl ins Feuer gegossen, »quia in reipsa [scil. im Fundament des Glaubens, C. W.] vidit consensum esse: Scholasticas verborum rixas non oportere concordiam turbare rectissime statuens« 90. Zudem habe Calvin beispielsweise seine Prädestinationslehre und seine Lehre vom freien Willen neben der Heiligen Schrift und den Werken Augustins in besonderer Weise Luther und Melanchthon zu verdanken91. Vor diesem Hintergrund könne man sich über die Vorbehalte der Schüler Luthers gegen eine Vereinigung mit den geistigen Erben Calvins und über ihre Verdammung der reformierten Lehre nur wundern und müsse sich ernsthaft fragen, ob diese Ablehnung nicht vielmehr ein Zeichen der Unbeständigkeit und Unwissenheit der Lutheraner sei als des Irrtums der Reformierten92 .
86 A.a.O., S. 136: Die lutherischen Theologen scheuten nicht davor zurück, ihren Anhängern offen zu raten, »ut potius cum Papistis, capitalibus Evangelij hostibus, contra reformatas Ecclesias, quam cum his adversus Papistas syncretismum faciendum, familiariter conversandum, societatem colendam, plusque Papistis, quam Calvinistis, quos vocare solent, fidendum esse«. 87 A.a.O., S. 138. 88 A.a.O., S. 141. 89 A.a.O., S. 148 f.: »[. . .] in multo pluribus doctrinae Christianae capitibus Evangelicos invicem consentire: & sic ex eodem suo principio, quod, quibus magis affines sunt doctrina Lutherani, iis magis associare se debeant, ad syncretismum non cum Papistis Antichristianis, sed cum ecclesiis reformatis ineundum sese teneri«. In ähnlicher Weise argumentiert Pareus an anderer Stelle mit folgendem Syllogismus: »Quibus magis affi nes doctrina sunt Lutherani, iis magis fidere & conversari debent. Magis vero affi nes doctrina sunt Orthodoxis, quos Calvinianos vocant, quam Papistis Antichristianis. Magis igitur fidere & conversari debent Lutherani Orthodoxis Calvinianis, quam Papistis Antichristianis« (a.a.O., S. 190). 90 A.a.O., S. 119. 91 Ebd. 92 »Ipsosne inconstantiae vel ignorantiae, an nos erroris ea res arguere poterit?« (a.a.O., S. 120).
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Wie absurd letztlich die ablehnende Haltung nicht weniger lutherischer Theologen gegenüber den Reformierten sei, könne auch ein Blick in das Augsburger Bekenntnis bezeugen, wie er nach Pareus’ Dafürhalten auf der von ihm geforderten Synode zum Zwecke der Beilegung der Lehrstreitigkeiten zwischen beiden evangelischen Schwesterkonfessionen stattfi nden sollte. Dabei werde sich nämlich nicht nur schnell heraustellen, in welchen Artikeln nun eigentlich Konsens zwischen ihnen bestehe und in welchen nicht; auch werde man reformierterseits bei dieser Gelegenheit keine Bedenken haben nachzuweisen, dass die Lutheraner mit ihrer gegenwärtig vertretenen Lehre von deutlich mehr Artikeln der CA abwichen als die Reformierten93. So hält der reformierte Ireniker dem von den vermeintlichen Schülern Luthers oftmals vorgebrachten Vorwurf, die Calvinisten würden die CA verwerfen und verdammen, entgegen: »Non damnamus, neque reijcimus confessionem Augustanam, quantumvis ei praeferamus confessionem Apostolicam. Omnes Conf. Augustanae articulos, diserte probamus, excepto decimo, unde dissidium Evangelicorum ortum est: Cuius nec literam, nec sententiam Lutherani ipsi retinent. Dicit enim articulus ille, substantiale corpus & sanguinem Christi realiter adesse SUB SPECIE panis & vini, vnter gestalt Brots vnd Weins« 94.
Da nun selbst die lutherische Partei daran nicht ernsthaft glaube, weil eine solche Lehre zwangsläufig die von den Papisten verfochtene Transsubstantiation nach sich ziehe, sei es schlicht eine Schande, dass wegen eines so unhaltbaren Artikels die Einheit der evangelischen Kirchen einst zerissen worden und noch immer zerissen sei95. Zwar seien die Reformierten von der CA abgewichen, weil sie den Wortlaut des zehnten Artikels nicht annehmen können; doch auch die Lutheraner müssten sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie von der CA abgewichen seien – und zwar noch viel weiter als ihr reformiertes Gegenüber, zumal sie nicht nur die Ubiquitätslehre, die in der CA nach Pareus freilich ohne Rückhalt ist, eingeführt, sondern auch mehrere andere Artikel kurzerhand abgeändert hätten96 . Dementsprechend sei er, Pareus, sich nicht sicher, ob er die Meinung, die Reformierten wichen mit der von ihnen vertretenen Lehre von allen Artikeln des Augsburger Bekenntnisses ab, »ridiculam magis an malitiosam criminationem« nennen solle97. Auf der inhaltlich-theologischen Ebene bleibt jedoch der in Diensten der Kurpfalz stehende Theologe nicht stehen, wenn es ihm darum geht, die faktisch gegebene Augsburger Konfessionsverwandtschaft der Reformierten, die seiner Meinung nach der Konfessionsverwandtschaft der Lutheraner sogar quantitativ und damit auch qualitativ überlegen ist, zu belegen. Vielmehr bedient er sich 93 94 95 96 97
A.a.O., S. 16 f. A.a.O., S. 273. A.a.O., S. 274. A.a.O., S. 274 f. A.a.O., S. 275.
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auch historischer Argumentationsgänge. Er streicht grundlegend heraus, dass sowohl 1529 als auch 1536 mit der Wittenberger Konkordie »omnimodam concordiam inter partes dissidentes initam fuisse«; einzig in der Frage »An corpus Christi corporaliter sit in pane Coena Dominica?« habe keine Einigung erlangt werden können98 . »Qui enim veritatis & pacis studiosi, & tantarum rerum paulo aequiores aestimatores esse volunt: facile agnoscunt, inter omnes Evangelicas Ecclesias de fundamento salutis consensum esse semperque fuisse« 99. Von dieser Übereinstimmung in den für das Seelenheil maßgeblichen, somit fundamentalen Glaubenslehren ausgehend, nimmt nun auch Pareus’ scharfe Ablehnung des lutherischen Vorwurfs, die Reformierten wichen mit der von ihnen vertretenen Lehre von der CA ab, nicht Wunder. In direkter Umkehrung jenes Vorwurfs hält der reformierte Ireniker den lutherischen Theologen entgegen, sie wichen vor allem mit ihrer nicht haltbaren Ubiquitätslehre weit mehr von den Worten des von den vermeintlichen Schülern Luthers im Gegenüber zur Heiligen Schrift vollkommen überbewerteten Augsburger Bekenntnisses ab als die Reformierten mit ihrer Abendmahlslehre100 ; soweit das bereits bekannte Argumentationsmuster. Nun seien »orthodoxae Germanorum Ecclesiae«, wie Pareus die Reformierten in den Grenzen des Heiligen Römischen Reiches nennt, niemals von der CA abgewichen, solange sie »secundum Scripturam divinarum mentem« verstanden werde – »praesertim quae sunt in Electorali Palatinatu«: Schließlich habe dereinst Kurfürst Friedrich III. auf dem Naumburger Fürstentag 1561 »cum alijs Evangelicae professionis Principibus atque ordinibus« die CA eigenhändig unterschrieben und seine Kirche letztlich gemäß dem Urteil Melanchthons, »quem Augustanae Confessionis authorem fuisse constat«, reformiert101. Noch in seinem Testament habe sich der Kurfürst beständig zur CA bekannt; wie er seien auch die reformierten Kirchen der kurfürstlichen Pfalz, desgleichen von Zweibrücken, Anhalt und Hessen, »quas adversarij ut Calvinianas traducunt«, beständig dem Augsburger Bekenntnis gefolgt102 . Dabei handelt es sich für Pareus freilich nicht bloß um das zu ihren Gunsten entworfene und unablässig verfochtene Selbstbild der Reformierten, das keinerlei Bestätigung durch das lutherische Gegenüber erfahren hat, ganz im Ge98 A.a.O., S. 286. Vgl. zur Wittenberger Konkordie, die Pareus irrtümlich auf das Jahr 1537 datiert, auch a.a.O., S. 292. 99 A.a.O., S. 285. Die hier bei Pareus vor Augen stehende Lehre von den Fundamentalartikeln ist im untersuchten Werk seines Lehrers Ursin schon präformiert worden. Denn nach Ursin sind ja nur ganz bestimmte Lehrpunkte unter den Evangelischen strittig, wobei jedoch die beiderseitige Konfessionsverwandtschaft gewahrt bleibt. 100 A.a.O., S. 288 f. Wie Ursin geht auch Pareus davon aus, die CA sei 1530 aus Rücksicht auf die Empfi ndlichkeiten der Altgläubigen bewusst vorsichtig und somit in einigen Punkten »non satis dilucide« formuliert worden (a.a.O., S. 291). 101 A.a.O., S. 292 f. 102 A.a.O., S. 293.
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genteil: Auf dem Augsburger Reichstag von 1566 sei Friedrich III. nämlich öffentlich anerkannt worden als »socius Augustanae Confessionis« – als Verwandter derjenigen Bekenntnisschrift also, welche einst von Calvin selbst unterzeichnet worden sei103. Die 1566 vor Kaiser und Reich geschehene Anerkennung der Konfessionsverwandtschaft des Pfälzer Kurfürsten bezeuge dabei selbst die altgläubige Partei, deren Interesse ja eigentlich darin bestehe, den Streit zwischen den Evangelischen anzufachen, den Zwist zu erhalten und die durch ihr Gezänk Geschwächten ohne großen Aufwand zu unterdrücken – »interim res Antichristi stabiliant [scil. die Altgläubigen, C. W.] [. . .]. Sic enim author Autonomiae scriptor Papisticus: Anno 66. inquit, Augustae in comitiis obtentum tandem fuit, ut illi, qui Calviniani vocantur, ab Imperatoria Maiestate, & a Statibus Protestantibus pro sociis Confessionis agniti, & pace Religionis comprehensi fuerint«104.
Für diesen in seiner Bedeutung schwerlich zu überschätzenden Schritt habe es, wie auch der altgläubige Autor der Autonomia bezeuge, handfeste Gründe gegeben: »Ibidem. Postquam Protestantes (anno praedicto 66. Augustae) rectius informati fuissent, condemnatione Calvinistarum supersederunt, eosque in societatem admiserunt, primum, ut ab omnibus 103
Ebd. A.a.O., S. 297. Der »author Autonomiae scriptor Papisticus« ist der altgläubige Jurist und Sekretär des Reichshofrates Andreas Erstenberger (Lebensdaten ungesichert), der auf dem Reichstag von 1566 als Protokollführer tätig war und damit als Zeuge für die Geschehnisse jenes Jahres besondere Autorität für sich beanspruchen kann, mit seiner Schrift: DE AVTONOMIA . Das ist von Freystellung mehrerley Religion vnd Glauben/ Was vnnd wie mancherley die sey/ Was auch derhalben biß daher im Reich Teutscher Nation fürgangen/ vnd ob dieselbig von der Christlichen Obrigkeit möge bewilligt vnd gesattet werden. Durch weilend den Edlen vnd Hochgelehrten Herrn FRANCISCVM BVRGKARDVM, beyder Rechten Doctorn/ Churfürstlichen Cölnischen gehaimen Rath vnd Cantzlern/ Zu dienst vnd bericht allen liebhabern der wahren Christlichen Ainigkeit vnd Fridens mit fleiß zusammen getragen. Zuuor in drey Thail/ Jetzt zum andernmal mit fleiß/ vnd umb besser gelegenheit willen in ein Buch zusamen Gedruckt, München (Adam Berg) 21593 (die erste Aufl age erschien 1586). Zur wahren Identität des Verfassers s. Hollweg, Der Augsburger Reichstag von 1566, S. 282 mit Anm. 147 (Hollweg gibt Erstenberger auf der genannten Seite seiner Monographie fälschlicherweise den Vornamen Franz; dass es sich dabei aber um ein Versehen handelt, belegt der entsprechende Registereintrag a.a.O., S. 415). Zur inhaltlichen Ausrichtung der Autonomia vgl. Martin Heckel, Autonomia und Pacis Compositio. Der Augsburger Religionsfriede in der Deutung der Gegenreformation, in: ders., Gesammelte Schriften: Staat, Kirche, Recht, Geschichte Bd. 1 ( Jus Ecclesiasticum Bd. 38), herausgegeben von Klaus Schlaich, Tübingen 1989, S. 1–82, hier: S. 2–7. Es muss an dieser Stelle leider offen bleiben, ob Pareus die wahre Verfasserschaft bekannt gewesen ist, da er die Namen Erstenberger oder Burkhard nirgends verwendet. Ebenso ungeklärt bleibt daher auch, ob der Heidelberger Reformierte gerade Erstenbergers Autonomia als Beleg für seine Sicht der Vorgänge von 1566 nutzt, weil sie in ihrer Eigenschaft als altgläubige Quelle dem eigenen Standpunkt noch einmal zu besonderer Plausibilität verhilft, oder eben im Bewusstsein der hohen Qualität, die Erstenberger mit seiner Darstellung der Ereignisse nicht nur als Altgläubigem, sondern vor allem als Protokollführer auf jenem Reichstag zukommt. 104
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conjunctim Papatui tanto fortius resisti posset: Deinde, ne Catholicis ansa praeberetur ex eodem fundamento, quo nunc Calvinistae damnarentur, deinceps & ipsos tanquam haereticos, Papam recognoscentes damnandi & excludendi. Hactenus author Autonomiae«105.
Beide der Autonomia des altgläubigen Juristen Erstenberger entnommenen und von Pareus ins Lateinische übertragenen Zitate sind nun mit Blick auf ihre Terminologie in zweierlei Hinsicht interessant: Zum einen verwendet Pareus im Zuge seiner Zitation den Begriff Protestantes bzw. die Formulierung a Statibus Protestantibus, obgleich beide bei Erstenberger nicht vorkommen; Pareus ergänzt sie folglich kurzerhand106 . Sodann legt ihre folglich an dieser Stelle von Pareus und eben nicht von Erstenberger stammende Nutzung im Gegenüber zu den »Calviniani« eine exklusive, ausschließlich auf die lutherischen Stände bezogene Deutung nahe, die aber zugleich eine Gleichsetzung der Protestanten mit den Augsburger Konfessionsverwandten impliziert107. Doch diese exklusive Begriffsnutzung wird von Pareus nicht konsequent durchgehalten. So kann der Heidelberger Theologe auch erklären, in ihrer Autonomia würden die Papisten selbst zugeben, »anno 1566. in comitiis Augustanis Protestantes utriusque partis inter se convenisse, & Calvinistas, quos vocant [scil. die Papisten, C. W.], pro sociis Confessionis a Caesarea Maiestate & Ordinibus reliquis agnitos, paceque religionis comprehensos esse«108 . Er spricht also 105
Pareus, Irenicum, S. 297 f. Vgl. zum ersten von Pareus angeführten Zitat Erstenberger, DE AVTONOMIA , fol. 119v, wo der altgläubige Jurist weder die kaiserliche Majestät noch die protestantischen Stände erwähnt, sondern schlicht erklärt, die Calvinisten hätten 1566 die »Confessionisten beredet/ ob sie gleich inn ainem Articul deß Sacraments deß Altars mit ihnen nicht allerdings vbereinstimmeten/ so bekenneten sie sich doch inn allen andern Articuln zu der Augspurgischen Confession vnnd derselben Apologia, [. . .] vnd also erhalten/ daß sie für Confessionisten seind auffgenommen/ vnnd deß Religionfridens thailhafftig worden«. Auch im zweiten von Pareus der Schrift des Juristen entlehnten Zitat spricht Erstenberger nicht von Protestanten, sondern von »Confessions Verwandten«: Durch die publizistisch geschickt fl ankierte Agitation der Reformierten auf dem Reichstag seien »die Confessions Verwandten [. . .] wol informirt vnnd dahin gebracht worden/ daß sie von ihrer condemnation abgestanden/ vnnd die Zwinglische vnnd Caluinische [. . .] als für schwachglaubige/ welche [. . .] leichtlich könden vnderricht vnnd gewunnen werden/ passiren lassen/ damit nemblich dem Bapsthumb durch sie bayde sametlich/ desto statdlicher könde begegnet werden. Danebens auch von den Catholischen nicht vrsach genommen/ auß eben dem grund vnnd vrsachen/ darauß jetzo die Caluinischen verdampt wurden/ hernacher auch sie (die nunmehr dem Caluinismo auch nicht mehr weit/ vnnd sich desselben schwerlich erwehren künden) gleichßfals zuuerdammen vnnd außzuschliessen« (s. a.a.O., fol. 118v). 107 Vgl. zur klar exklusiven Terminologie exemplarisch auch Pareus, Irenicum, S. 298, 302. 307–309, 314. 108 A.a.O., S. 304. Es sei mit Blick auf diese für den Heidelberger Theologen so wichtige inhaltliche Essenz der Schrift Erstenbergers nur am Rande erwähnt, dass der altgläubige Jurist, der nicht zuletzt wegen seiner Rolle, die er in Augsburg 1566 gespielt hat, als Gewährsmann besonderen Wert besitzt, den Terminus Protestierende in seinem Werk, das von Pareus auch an dieser Stelle gleichsam als Plausibilisierungsinstanz angeführt wird, zwar sehr wohl verwendet. Er setzt ihn jedoch mit den »Confessionisten« oder »Confessions Verwandten« gleich (s. exemplarisch ders., DE AVTONOMIA , fol. 7v, 318v–319r), als welche ihm in106
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explizit von der Einigung der Protestanten beider Parteien untereinander. An anderer Stelle führt er – die Vereinigung des zerstrittenen reformatorischen Lagers einfordernd – bezüglich der Sorge einiger lutherischer Theologen, der Kaiser werde auf die auf den Reichstagen von den Lutheranern vorgebrachten Gravamina abschlägig oder überhaupt nicht mehr reagieren, weil und sofern man sich mit den Calvinisten eingelassen habe, aus, die kaiserliche Majestät werde gar nicht anders können, als den »Protestantibus« sehr viel schneller auf ihre Beschwernisse zu antworten, »si omnes conjunctos stare, quam si religione dissidentes, factionibus discordes inter se viderit. Ex unione enim maior Imperii tranquillitas, quam ex discordia, exspectanda esset«109. Auf das lutherischen Obrigkeiten von ihren Theologen eingeflüsterte Argument gegen eine Vereinung mit den Reformierten, dadurch werde der eigene Kultus verunreinigt und der Zorn Gottes provoziert, entgegnet der Verfasser des Irenicum, es sei vielmehr Gottes Befehl, »ut fideles in fide & charitate invicem coniuncti vivant, & adversus regnum Antichristi vota, consilia, studiaque coniungant«110. Folglich sei es völlig abwegig, »ut Protestantes sese conjungentes, verum Dei cultum cum Idololatria coniunxisse ulla ratione [. . .] possint«111. Hinter all den Vorwürfen und Vorbehalten gegen die Reformierten steckt natürlich der vor allem von lutherischen Theologen gehegte Häresieverdacht gegen die Reformierten; dessen ist sich auch Pareus bewusst. Eine bloße Leugnung reicht dabei freilich nicht aus, jenen Verdacht zu entkräften. Entsprechend stützt sich der reformierte Gelehrte auf seine These, es herrsche in den fundamentalen Glaubensartikeln112 zwischen Lutheranern und Reformierten vollkommener Konsens113. Von den Schwenckfeldern, den Wiedertäufern und den Arianern aber gelte, dass sie im Fundament weder mit den »Protestantibus Statibus & Ecclesiis utriusvis partis« noch untereinander einig seien114. Diese Argumentation mit der ihr eigenen klar integrativen Terminologie ist geschickt gewählt: Sie betont auf der einen Seite unzweideutig die Differenz der eigenen Partei zu den genannten Ketzereien, ohne dabei auf der anderen Seite die für haltlich ausschließlich die Lutheraner gelten (vgl. u. a. a.a.O., fol. 26v, 118v, 119r, 134r, 225r– 226r, 229v, 262v, 318v–319r, 323v–324r, 341v) und die er scharf von den Calvinisten unterscheidet (vgl. beispielsweise a.a.O., fol. 47r, 118r–119v, 139v, 184v, 225r–226r, 262v, 330r, 341v, 413r). Somit verfährt Pareus in der zitierten Passage seines Werkes terminologisch durchaus originell. 109 Pareus, Irenicum, S. 303. 110 A.a.O., S. 318. 111 A.a.O., S. 320 f. 112 Zu Pareus’ sich hauptsächlich an Augustin anlehnender Unterscheidung, welche Artikel überhaupt als fundamental gelten können und welche nicht, vgl. a.a.O., S. 333–337. 113 A.a.O., S. 338. 114 A.a.O., S. 339: Aus dem zuvor Gesagten folge, »haereses praedictas in fundamento [. . .] neque cum Protestantibus Statibus & Ecclesiis utriusvis partis, neque mutuo secum consentire«. Die »zuvor genannten Ketzereien« sind die »Schwencfeldiani(s) [. . .], Anabaptisti(s) & Ariani(s)« (a.a.O., S. 337).
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Pareus unleugbare Geschlossenheit der Protestanten aufzugeben. Wegen ihrer Übereinstimmung in den für die Seligkeit unentbehrlichen Glaubenssätzen hätten die »Ordines Protestantes« zwar sehr gute Gründe, sich sowohl von den genannten Häresien als auch von der römischen Papstkirche abzusondern, hingegen aber eben keinerlei Grund, sich voneinander zu trennen115. Neben der bereits nachgewiesenen, exklusiv auf die Lutheraner bezogenen Verwendung des Terminus Protestantes im Zusammenhang der der Autonomia entnommenen Zitate steht bei Pareus somit eine integrative Begriffsnutzung, die ihren Sinn und Zweck gerade darin hat, die Gemeinschaft von Lutheranern und Reformierten zu betonen bzw. terminologisch zu unterstreichen. Dabei besteht für Pareus gar keine Notwendigkeit, die Identifi kation von Protestanten und Augsburger Konfessionsangehörigen zugunsten einer integrativen Entschränkung aufzugeben, im Gegenteil: Schließlich steht für ihn die Augsburger Konfessionsverwandtschaft des Reichsreformiertentums vollkommen außer Frage. Nicht nur Calvin habe einst die CA unterzeichnet und ihr damit seine Anerkennung bezeugt; auch Friedrich III. habe sein Leben lang unbeirrbar an jener Bekenntnisschrift festgehalten, wie auch andere reformierte Reichsterritorien nie gegen sie gelehrt oder gehandelt hätten. 1566 sei es schließlich auf Reichstagsebene zur allgemeinen Bestätigung der Konfessionsverwandtschaft des Pfälzer Kurfürsten und damit seiner reformierten Lehre auch und gerade durch die lutherischen Stände gekommen – auf einer Ebene also, die an Öffentlichkeit und politischer Bedeutung im Rahmen der Reichsverfassung ihres Gleichen sucht. So greift Pareus letztlich die von Ursin in seiner Christliche[n] Erinnerung Vom CONCORDIBVCH schöpferisch gelegten Spuren auf und bringt ihr integratives Potential begriffl ich zur Entfaltung, indem er – eben wie sein Lehrer – die Protestantes mit den »sociis Confessionis« gleichsetzt und zugleich alle Mühe darauf verwendet, die Reformierten als Angehörige der CA auszuweisen. Doch im Unterschied zu Ursin und über diesen terminologisch hinauswachsend, bringt er diesen Interpretationshintergrund konsequent in Anschlag, weil und sofern er das jenem Begriff innewohnende integrative Potential ausschöpft und somit den Terminus Protestantes sowohl auf die Reformierten als auch auf die Lutheraner direkt anwendet, um deren (Bekenntnis-)Gemeinschaft auch terminologisch zu unterstreichen. Doch unterliegt diese Begriffsentschränkung bei Pareus zugleich bestimmten Grenzen: Zwar fallen die Reformierten unter die Protestanten, aber nur sofern sie als Augsburger Konfessionsverwandte gelten können. Genau darin liegt nun letztlich auch der Grund, warum der Heidelberger Theologe terminologisch zwischen Protestanten und »Helvetiis« oder »Gal115 A.a.O., S. 339: »Denique perspicuum est, Ordines Protestantes a praedictis haeresibus, atque etiam a Papatu & Antichristianismo Romano, secedendi gravissimas, ab invicem vero sese separandi causas nullas omnino haberet«.
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I. Integration durch Bekenntnisverwandtschaft
liae Ecclesiis« differenziert116 . So wird ihm also jene Bezeichnung zu einem zweiten Integrationsbegriff, dessen Ermöglichungsgrund aber in erster Linie gleichsam bekenntnishistorischen Charakter hat, woraus ihm dann zugleich wieder eine bestimmte auch reichsrechtliche Begrenzung, nämlich auf die lutherischen und reformierten Verwandten der CA, erwächst. Der wesentlich häufiger vorkommende Terminus Evangelici hingegen verdankt seine integrative Kraft bei Pareus doch eher theologisch-inhaltlichen Argumenten und unterliegt daher derartigen Beschränkungen nicht117. Auffällig ist dabei, dass Pareus, ebenfalls im Unterschied zu Ursin, die Diskussion der seiner Argumentation zugrunde liegenden Version des Augsburger Bekenntnisses völlig ausklammert. Stärker noch als sein Lehrer, der einer inhaltlichen Argumentation klar den Vorzug gegeben hat, wenn es darum ging, die Konfessionsangehörigkeit der Reformierten zu beweisen, argumentiert Pareus historisch, ohne sich jedoch auf eine wie auch immer geartete Apologie der Variata einzulassen; vielmehr scheint er die Apologie und mit ihr jedwede Versionsdiskussion gezielt zu meiden – sicher nicht zuletzt, um seinen inhaltlichen und historischen Argumenten für die Bekenntnisverwandtschaft der Reformierten nicht dadurch die Schlagkraft zu nehmen, dass er seinen lutherischen Gegnern durch die Frage nach der einzig statthaften Variante der CA ein auch in seinen reichsrechtlichen Konsequenzen schwerlich zu überschätzendes Einfallstor bietet. Nun ist der vermeintliche Ireniker Pareus118 freilich nicht so naiv zu glauben, die streitenden evangelischen Parteien hätten nur auf seinen friedensstiftenden 116 Zur begriffl ichen Unterscheidung von Protestanten und »Helvetiis« sowie »Galliae Ecclesiis« s. a.a.O., S. 307–309. 117 S. zum Integrationsbegriff »Evangelici« bzw. »Ecclesiae Evangelicae« neben den bereits angeführten Zitaten und dem Werkstitel beispielsweise auch a.a.O., S. 4, 8, 11, 13, 16, 30, 32, 63, 78, 81 f., 89 f., 149–191, 193; zur Anwendung jener Termini auch auf ausländische Kirchentümer, die nicht oder nicht mehr auf dem Boden der CA stehen, sondern ihre ganz eigenen Bekenntnisse hervorgebracht haben, s. exemplarisch a.a.O., S. 83, 85, 96. Schon Ursin konnte im Zusammenhang der Beschickung der von ihm eingeforderten Synode erklären, es sei wegen der innerevangelischen Spaltungen »für allem von nöthen/ daß nicht allein der Teutschen/ oder Augspurgischer Confession verwandten/ sonder aller Euangelischen Kirchen/ als nemlich/ der Eidgenossischen/ Frantzösischen/ Niderlendischen/ Englischen/ Schottischen/ Schwedischen/ Dänischen/ Polonischen/ Hungerischen/ Behmischen/ gesandte beruffen vnd zugelassen werden« (ders., Christliche Erinnerung Vom CONCORDIBVCH, S. 763). Auch bei ihm handelt es sich folglich bei »Euangelische Kirchen« bzw. »Euangelische« um einen Sammelbegriff, der sich bekenntnisunabhängig auf alle sich der Reformation verdankenden Konfessionskirchentümer anwenden lässt (s. dazu o. Anm. 37). 118 Mit Blick auf das von ihm vorgeschlagene Kolloquium zwischen Reformierten und Lutheranern zur Beilegegung der zwischen beiden Parteien schwelenden Streitigkeiten erklärt nun Pareus zum Beispiel: »Si vero pars adversa, hoc scopo [die Friedenstiftung, C. W.] neglecto, id modo intendit, agitque, ut opiniones suas de Ubiquitate carnis Christi, orali eius manducatione in S. Coena, similesque alias, uti hactenus fecit, mordicus tueatur: contra Orthodoxam doctrinam & Ecclesias nostras consueto praejudicio damnet, premat, opprimat-
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Ruf gewartet, um den zwischen ihnen tobenden Konfl ikt endlich auf einer großen und von allen Beteiligten beschickten Versammlung beizulegen, wie sie vor Pareus ja schon Ursin gefordert hat. Vielmehr ist Erstgenannter Realist genug, auch die berechtigte Frage, was denn zu tun sei, falls eine solche gesamtevangelische Synode in nächster Zeit nicht zustande kommen sollte, in seinem Irenicum nicht auszuklammern und sich ihrer Beantwortung zu stellen. Sollte die friedensstiftende Synode vorerst ausbleiben, so sei das noch lange kein Grund, an der Aussöhnung der Kirchen zu verzweifeln, erklärt Pareus119. Bis dereinst eine Versammlung zustande komme, müssten sich beide evangelischen Lager nach Kräften bemühen, sich gegenseitig der apostolischen Weisung und christlichen Mäßigung angemessen zu dulden, bis einst die entsprechend einheitliche Gesinnung gegeben werde. Inzwischen gelte es, sich geschlossen und unter Auf bietung aller Kräfte gegen den gemeinsamen Feind, den Antichrist, zu stellen120. Die beschworene Toleranz könne nur deshalb verwirklicht werque«, so wäre das Kolloquium vollkommen umsonst, denn es stiftete keinen Frieden, sondern vergrößerte nur den Streit (Pareus, Irenicum, S. 14). Auch an anderer Stelle bezeichnet der Heidelberger Theologe die Anhänger der eigenen Formation reformatorischen Konfessionskirchentums als »Orthodoxi« gerade im Gegenüber zu den Lutheranern (vgl. dazu beispielsweise a.a.O., S. 190, 192 f., 292 f.), deren »opinioni UBIQUITATE atque convitiis consuetis« reformierte Theologen »legitime contradicebant« (a.a.O., S. 312). Der Ireniker Pareus redet also der kritischen Haltung Leubes (ders., Kalvinismus und Luthertum, S. 59–63, 65, 68–70) gegenüber der Aufrichtigkeit seines Friedensprogramms selbst das Wort. Der von Holtmann gegen Leube erhobene Vorwurf, dieser deute Pareus »falsch«, eben weil er »in dem Pfälzer zu sehr den Streittheologen« sehe (Holtmann, Die Pfälzische Irenik, S. 240 m. Anm. 1), bedarf allein schon aufgrund der obigen Zitate der Überprüfung. Vollends revidiert werden müssen die polemischen Äußerungen Brinkmanns: Seine Beobachtung, das Urteil, Pareus sei »unter die großen Ireniker zu zählen«, werde u. a. von Leube »in starken Zweifel gezogen« (Brinkmann, Die Irenik, S. 8), trifft zwar noch zu. Klar überzogen ist es hingegen, Leube vorzuwerfen, seine ablehnende Beurteilung des Irenicum, ja des Friedensprogramms Pareus’ überhaupt, entspringe seiner »eigenen Tendenziösität«, der »konfessionalistische[n] Brille«, mit der Leube Pareus betrachte und »die aufgrund ihrer Voreingenommenheit die Specifica der Irenik gar nicht in den Blick bekommen kann. Sie kann in ihrer Abqualifi kation als Apriori nur zur Abqualifi kation des eigenen Urteils und seines objektiven Wertes führen – nicht aber zu der des Irenicums, was sie de facto bezwecken will« (a.a.O., S. 107). Ob nun nicht vielleicht Leube in seiner Bewertung des Pareus (s. beispielsweise Leube, Kalvinismus und Luthertum, S. 68: »In der Tat hat auch Pareus, der selbst an dem rastlosen Vorwärtsdringen reformierten Glaubens freudigen Anteil genommen hatte, kein Irenicum geschrieben, das aus der Liebe an dem konfessionellen Frieden und der Aussöhnung hervorgegangen ist. Im Hochgefühl des Sieges spricht man nicht vom Frieden noch vom Ausgleich. Sein Werk ist genau besehen nichts anderes als eine Werbeschrift für den kalvinischen Glauben [. . .].«) schärfer gesehen hat als Brinkmann, eben weil Leube wegen seiner »Brille« nicht vor bloßer Bewunderung des ja zu weiten Teilen keineswegs originellen Unionsprogramms des Reformierten geblendet wurde, mag jeder Leser des Irenicum für sich entscheiden. Die soeben angeführten Passagen dieses Werkes legen es jedenfalls nahe. 119 Pareus, Irenicum, S. 66: »An de Ecclesiarum conciliatione & pace desperandum aut cessandum? Minime«. 120 Ebd.: Sollte eine Versammlung in absehbarer Zeit nicht abgehalten werden können, »faciamus interim, quod possumus, imo quod debemus, Apostoli jussu, & in eo, ad quod ut-
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den, weil eben die Evangelischen beider Seiten im Fundament des allgemeinen und seligmachenden Glaubens, also in den Hauptstücken der christlichen Lehre, die jedem gläubigen Individuum zur Erlangung des ewigen Heils nötig seien und ohne die niemand selig werden könne, vollkommen übereinstimmten121. Pareus zögert nicht, ein Beispiel für die von ihm eingeforderte Toleranz zu nennen. Auf den von den Lutheranern vorgebrachten Einwand gegen eine Vereinigung mit den Reformierten, man könne schlechterdings mit denen nicht zusammengehen, die der Augsburgischen Konfession verwandte Prediger des Landes verwiesen, entgegnet der reformierte Ireniker, es sei schlicht falsch, ja eine gleich lächerliche wie bösartige Beschuldigung, dass ein Angehöriger des Augsburger Bekenntnisses, zu dem sich die Reformierten nach dem Verständnis der Heiligen Schrift stets bekannt hätten, von denselben jemals verfolgt oder nicht geduldet worden sei122 . Vielmehr habe man in der Kurpfalz diejenigen, »qui inter nos opinionem UBIQUITATIS, & oralis manducationis carnis Christi (quam isti titulo Augustanae Confeßionis populariter quidem, sed non vere insigniunt) adhuc sequuntur«, nicht unterdrückt oder bedrängt, sondern »Christiana patientia« toleriert123. Die Entlassung einiger lutherischer Prediger aus Kurpfälzischen Diensten vor drei Jahrzehnten habe nichts mit ihrer Konfessionsverwandtschaft zu tun gehabt, sondern sei lediglich eine völlig legitime Reaktion auf ihre Streitsucht und ihr daraus resultierendes ungebührliches, den Anordnungen der Obrigkeit zuwiderlaufendes Verhalten gewesen124. Die gelebte Toleranz bis zum Zeitpunkt des Zustandekommens einer allen Streitigkeiten ein für allemal ein Ende setzenden Synode ist also, daran besteht für Pareus nicht der geringste Zweifel, durchaus möglich, wie das Beispiel der Kurpfalz belege. Daher bleibe nur noch, auf lutherischer Seite dem leuchtenden Beispiel der Reformierten zu folgen, denn, so mahnt der Heidelberger Theologe, diejenigen, die anders handelten, werden einst vor Gott als Verletzer der Liebe und Störer des Friedens Rechenschaft ablegen müssen125. rinque divina gratia pervenimus, eadem incedamus regula, itidemque simus affecti, h. e. Christiana moderatione invicem toleremus, donec perfecte unum sentire nobis detur. [. . .] Et nos igitur pio SYNCRETISMO adversus communem hostem ANTICHRISTUM studia, consiliaque conjugamus, donec plenam illa concordia bonis omnibus desideratissimam obtinere queamus«. 121 A.a.O., S. 67: »Principio Evangelici omnes utriusque partis in fidei Catholicae & salvificae fundamento, h. e. in ijs doctrinae Christianae capitibus, quae universis & singulis fidelibus ad salutem aeternam in Christo consequendam scitu credituque sunt necessaria, & absque quorum fide nemo servabitur, revera consentiunt«. 122 A.a.O., S. 311: »Nescio stulta haec sit ratio, an malitiosa criminatio. Quemquam ea causa, quod Augustanae Confessioni sit addictus (cui & nosmet juxta sacras literas intellectae addictos profitemur) a nostris vel ejectum, vel non toleratum hactenus esse, prorsus falsa querela est«. 123 Ebd. 124 A.a.O., S. 312. 125 A.a.O., S. 68: »Qui secus fecerint, violatae charitatis & turbatae pacis Deo rationes reddent«.
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2.2. Die territorial übergreifende Ausstrahlungskraft der Gedanken und der damit verbundenen Terminologie Ursins: Wilhelm Zeppers Christlich Bedencken/ Vorschlag und Rath und Christoph Pezels Wahrhaffter Bericht Der Vorschlag Ursins, die zwischen Reformierten und Lutheranern schwelenden Streitigkeiten durch eine von beiden Seiten zu beschickende Synode auszuräumen, fi ndet auch außerhalb der Pfalz in anderen reformierten Reichsterritorien Zustimmung. Als prominentes Beispiel für die Attraktivität der in der Christliche[n] Erinnerung Vom CONCORDIBVCH mitgeteilten Ideen zur Beilegung des innerevangelischen Lehrkonfl ikts muss dabei das 1594, also noch vor Pareus’ Irenicum erschienene Christlich Bedencken/ Vorschlag und Rath126 des in Herborn tätigen Wilhelm Zepper gelten. Auch für diesen reformierten TheoBekanntlich hat Pareus’ Irenicum eine deutsche Übersetzung erfahren mit dem Titel: IRENICVM Oder Friedemacher/ Wie die Evangelischen Christlich zuvereinigen/ vnd zu einem Synodo, oder allgemeinen Versamblung gelangen mögen/ Dem lieben Kirchen Frieden zu Förderung/ vnd allen Friedliebenden zu Gefallen geschrieben Durch Herrn DAVID PAREVM der heyligen Schrifft Doctor. Vnd nun auß dem Latein ins Teutsch gebracht/ Durch Herrn GWINANDVM ZONSIVM Pfarrherrn vnd Inspectorn zu Bretta. Sampt einer Vorrede/ vnd newen Erinnerungen an den Christlichen Leser, Frankfurt a. M. ( Jona Rose) 1615. Zonsius’ deutsche Version bestätigt den terminologischen Befund nun voll und ganz: Zu den angeführten Belegstellen für Pareus’ integrative Begriffsverwendung in ders., Irenicum, S. 304 und 339 s. im Friedemacher S. 366 und 399 f.; zur exklusiven Anwendung des Begriffs ausschließlich auf die lutherischen Stände im Rahmen der von Pareus vorgenommenen Erweiterungen der Autonomia-Zitate s. im Friedemacher S. 359. Dass Zonsius Pareus’ Gleichsetzung von Augsburger Konfessionsverwandten und Protestanten beibehält, belegt die Tatsache, dass er bei seiner Übertragung des Irenicum des Öfteren »Protestantes« mit »Confessions Verwandten« oder »Stände Augspurgischer Confession« wiedergibt (s. dazu exemplarisch im Friedemacher S. 360 und 375 zu S. 297 und 314 im Irenicum). Auch die terminologische Abgrenzung der Protestanten von den Schweizern sowie den Hugenotten und die daraus resultierende nur begrenzte Begriffsentschränkung (vgl. Friedemacher, S. 369 und 371) bleibt im Zuge von Zonsius’ Übersetzung erhalten, genauso wie die konsequent integrative Verwendung von »Evangelische« (a.a.O., S. 5, 8, 12, 15, 18, 21, 25–27, 32, 34, 36, 73, 83, 87, 91–95, 105 f., 145, 156, 165, 167–205, 219, 221, 230, 344, 348 f., 351. 359, 364, 369 u. ö.) als Sammelbegriff für alle aus der Reformation hervorgegangenen Konfessionskirchentümer unabhängig von ihrer Haltung zur CA, folglich eben explizit auch der ausländischen (s. z. B. a.a.O., S. 92, 94, 106, 145). Die in Pareus, Irenicum, S. 35–63 zitierten Passagen aus Ursin, DE LIBRO CONCORDIAE [. . .] ADMONITIO Christiana, S. 419–441 fi nden sich im Friedemacher auf S. 39–78 (S. 78 ist fälschlicherweise als S. 68 ausgewiesen!). Zonsius wiederum übernimmt sie weitestgehend wörtlich aus Ursin, Christliche Erinnerung Vom CONCORDIBVCH, S. 760–787, behält dabei die von Pareus vorgenommene inhaltliche Gliederung durch Zwischenüberschriften bei und nennt wie dieser auch seine Quelle (Friedemacher, S. 78). Er macht jedoch die von Ursin übernommenen Ausführungen nicht mehr als Zitat kenntlich. 126 Wilhelm Zepper, Christlich Bedencken/ Vorschlag und Rath/ Durch waserly mittel und wege dem hochbetrübten zustand der Kirchen Gottes/ wegen der unchristlichen/ ergerlichen spaltungen/ lästerns/ verketzerns und verdammens zwischen den Euangelischen Kirchen und Lehrern: auch derenthalben besorglichen/ ja ungezweifelten straffen Gottes/ und undergang der Euangelischen Stände/ vermittelst göttlicher gnaden/ bey zeiten vorzukomen und abzuhelffen seyn möge. Mit der alten Christlichen Kirchen/ Keyser und Lehrer exempeln/ und darneben gehaltenen newen gemeinen Constitutionen im heiligen Rö-
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logen steht in Anknüpfung an die Ausführungen Ursins außer Frage, dass beide Parteien in den wichtigsten Glaubensgrundsätzen durchweg einig seien: »Diese hochergerliche/ weitaußsehende vnd verbitterliche trennung aber der Euangelischen Kirchen/ ist vm so vil damehr zu beklagen vnd zu erbarmen/ dieweil sie beyderseits in den hauptpuncten der lehr göttliches worts/ vnd in dem fundament des glaubens vnd der seligkeit fast einig sind/ vnd mit gesampter hand wider die alten von der Kirchen Gottes verdamte jrthumb vnd ketzereyen/ auch wider ihre heutiges tages gemeine feinde/ die Papisten/ in allen stücken der lehre einmütig kempfen vnd streiten«127.
»Der streit aber zwischen beyden theilen verhelt sich fürnemlich vber dreyen hauptpuncten«128 : Gestritten werde nämlich über die Ubiquität und die leibliche Gegenwart von Leib und Blut Christi in den Abendmahlselementen Brot und Wein129. Damit identifiziert Zepper genau die Lehren als eigentliche Zankäpfel, die nach ihm auch Pareus als solche herausstellen sollte. Doch im Gegensatz zum Verfasser des Irenicum und auch zu dessen Lehrer Ursin, der im Zuge seiner Diskussion der Bekenntnisversion ebenfalls die divergierenden Abendmahlslehren als die entscheidenden Konfl iktherde herausgestellt hat, kennt der Herborner Theologe noch einen dritten Streitpunkt: »Endlich und fürs dritte/ verhelt sich der streit zwischen beyden theilen der Euangelischen in der lehre/ von der ewigen gnadenwahl Gottes/ ob dieselbe nicht particular oder besonder/ sondern universal vnd allgemein aller menschen durch die banck sey«130. Somit benennt auch Zeppers Christlich Bedencken/ Vorschlag und Rath in aller gebotenen Deutlichkeit das Konfl iktpotential zwischen Lutheranern und Reformierten und die daraus resultierenden Lehrdissense. Doch müssten diese, weil und sofern sie immer wieder offenen Streit verursachen, um des eigenen Überlebens willen und zum Wohle des Reiches unbedingt ausgeräumt werden: Schließlich sei es nur noch eine Frage der Zeit, bis die beiden großen Feinde der rechtgläubigen Christenheit, nämlich »der Türck und Papst«131, die letzten zerstrittenen und durch die ständigen Zankereien entkräfteten Reste der evangelimischen Reich/ zusamt besonderen Abschieden/ Handlungen und Edicten der Protestirenden Ständen befestiget und bewehret, Herborn (Christoff Rabe) 1594. Über Leben und Werk Zeppers (1550–1607), seit 1594 Prediger und Theologieprofessor in Herborn, seiner Vaterstadt, 1604 und 1605 zum Rektor der dortigen Hohen Schule gewählt, informiert in aller Kürze Friedrich Wilhelm Cuno, Art. Zepper: Wilhelm, ADB 45 (1900), S. 85–87. 127 A.a.O., S. 7. Zepper zögert nun nicht, all die Lehrpunkte zu nennen, in denen völlige Lehrkongruenz zwischen beiden evangelischen Kirchentümern bestehe (vgl. dazu a.a.O., S. 7–18). Vielsagend im Hinblick auf Zeppers irenischen Standpunkt ist die Tatsache, dass er als Quellen für die Herausstellung der Gemeinsamkeiten u. a. sowohl die Confessio Helvetica und Calvins Institutio einerseits als auch das Konkordienbuch anderseits gleichzeitig angeben kann (vgl. a.a.O., S. 8–18). 128 A.a.O., S. 18. 129 A.a.O., S. 18–32. 130 A.a.O., S. 33. 131 A.a.O., S. 77.
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schen Kirchen ein für allemal vernichten werden132 . Besonders das Papsttum ist Zepper dabei ein Dorn im Auge: »Daß nun die Euangelischen/ so sich vom Papstthumb abgesöndert haben/ widerumb vnter einander getrent/ vnd mit schrecklicher verbitterung/ anfeinden/ schmehen vnd verdammen zusamen wachsen/ dessen missbraucht sich gegen sie wider der Papst/ samt seinem anhang [. . .], zu seinem vortheil/ mit seiner vbel herbrachten Tyranney/ hochheit vnnd gewalt je länger je weiter fortzusetzen/ Teutschland desto mehr zu erschöpfen vnd außzusaugen/ auch mit mord/ blutvergiessen/ krieg vnd verfolgungen zu erfüllen«133.
Das einzig geeignete Mittel zur endgültigen Beilegung des Streites sei eben jene Synode, auf der für diese gewichtige Aufgabe qualifizierte134 und nur nach Maßgabe der Heiligen Schrift urteilende Männer beider Kirchen die strittigen Punkte diskutieren und letztlich klären sollen135. Nun sei diese Idee einer schlichtenden Synode, die »nach dem wort Gottes also angestelt und beschaffen« sei und daher nach Zepper Anspruch darauf hat, eine »rechtmessige/ Christliche/ freye und gemeine« Synode genannt zu werden136 , keineswegs neu: »Es sind [. . .] in der Kirchen GOttes die Concilia, als ein heylsames mittel vnd weg/ die in der lehr entstandene vneinigkeiten bey vnd hinzulegen/ alweg gebraucht/ vnd an die hand genommen worden. Derowegen dann auch vile heutiges tags von beyden seyten/ eben disen weg/ vnd ein rechtmessiges Concilium, oder zusamenkunft vnd gesprech/ der gegenwertigen vbrigen mißverstände halben/ zwischen den Euangelischen vorgeschlagen/ vnd darzu gerathen haben« 137.
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A.a.O., S. 77–80. A.a.O., S. 79. 134 Gerade die Frage, »was zu einer solchen gemeinen verhör für leute gezogen und gebraucht werden«, ist für Zepper von großer Bedeutung: »Nemlich nit gelt oder ehrgeitzige/ nicht zancksüchtige/ vnd fridhässige/ welche es gewohnet sind/ vnd herbracht haben/ ire einmal gefaßte meinungen vber halß und haupt [. . .] zu verteidigen/ oder sonsten ergerliches lebens leute: sondern solche/ beyde geistliches und weltliches standes/ die ein gemein gut zeugnus haben/ daß sie mit lehr vnd geschickligkeit/ gotsfurcht/ verstand und bescheidenheit vor andern gezieret und begabet sind«, die dann auf der Synode »nach der richtschnur heiliger Schrifft/ vnd der articul des algemeinen Christlichen Glaubens/ vnd also nach der gleichfömigkeit des Glaubens disputiren/ vrtheilen vnd erkennen« sollen, wie man am ehesten zu einem Ausgleich gelangen könne (a.a.O., S. 195). Dieser Kriterienkatalog Zeppers weist nicht zufällig auffallende Parallelen zu Ursin auf (vgl. dazu Ursin, DE LIBRO CONCORDIAE [. . .] ADMONITIO Christiana, S. 420–424 und ders., Christliche Erinnerung Vom CONCORDIBVCH, S. 762–768). Zur offenbaren Abhängigkeit bestimmter Gedankengänge des Christlich Bedencken[s]/ Vorschlag[s] und Rath[s] Zeppers von Ursins DE LIBRO CONCORDIAE [. . .] ADMONITIO Christiana s. auch Holtmann, Die Pfälzische Irenik, S. 233, Anm. 8a. Andeutungsweise informiert darüber auch ders., Art. Irenik, TRE 16 (1987), S. 268–273, hier: S. 269. 135 Zepper, Christlich Bedencken/ Vorschlag und Rath, S. 45–51, 191–195. 136 A.a.O., S. 46. 137 A.a.O., S. 45 f.; dass es sich hierbei um eine Anspielung auf Ursins Christliche Erinnerung Vom CONCORDIBVCH handelt, kann wohl kaum in Zweifel gezogen werden. 133
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Auch sei eine solche Zusammenkunft »keinem theil vnter den Euangelischen entgegen oder zuwider«138 . Denn an gutem Willen zu einer alle strittigen Lehrpunkte ein für allemal aus der Welt schaffenden Synode mangele es auf beiden Seiten nicht, zumal die Geschichte beweise, dass die »vergleichungen und handlungen der Protestirenden/ [. . .] durchaus zum friden gerichtet« seien139. Daher betrachtet er eine Vielzahl von Ereignissen wie Reichstagsabschiede, Fürstentage, Kolloquien bzw. Religionsgespräche und fürstliche Schreiben140, mittels derer er zu beweisen sucht, dass es von offi zieller Seite nie zu einer willentlichen gegenseitigen Verdammung und einer daraus resultierenden, nicht wieder rückgängig zu machenden Spaltung zwischen Reformierten und Lutheranern gekommen sei. Vielmehr seien alle angeführten historischen Begebenheiten Zeugnisse für den Wunsch und das unermüdliche Bestreben der weltlichen Obrigkeit und der Mehrzahl ihrer Theologen, zur Abwehr heimtückischer Anschläge der Altgläubigen unverbrüchlich zusammenzustehen141. Nun verdient dabei die Tatsache Beachtung, dass Zepper im Zuge der Schilderungen, die sein neuntes Kapitel umfasst, den Begriff Protestierende in einer im Vergleich zu den vorherigen und nachfolgenden Kapiteln seines Werkes unerwarteten Quantität verwendet: Fällt jener Terminus ansonsten kaum142 , verwendet der Autor ihn in besagtem Kapitel ständig 143. Von zentraler Bedeutung ist in diesem Kontext, was nach den bisherigen Untersuchungen der Werke Ursins und Pareus’ nicht überrascht, die dauernde Erwähnung der CA, die auch im Christlich Bedencken/ Vorschlag und Rath zur Haupturkunde der Verbundenheit erhoben wird144. So wird der Herborner Theologe nicht müde zu betonen, 138
Zepper, Christlich Bedencken/ Vorschlag und Rath, S. 46. A.a.O., S. 94. Im neunten Kapitel seines Christlich Bedencken[s]/ Vorschlag[s] und Rath[s] unternimmt Zepper nun den Versuch, genau dies nachzuweisen (vgl. dazu a.a.O., S. 94– 137). 140 So bezieht sich Zepper auf die Abschiede der Reichstage zu Speyer 1529, Nürnberg 1532, Augsburg 1541, 1555 und 1566 sowie Worms 1557 (a.a.O., S. 94–96, 101 f., 105–111, 128 f.), auf die Fürstentreffen zu Schmalkalden 1530, Schweinfurt 1532, Naumburg 1561 (a.a.O., S. 98 f., 102, 104, 118 f.), auf die Theologenzusammenkünfte bzw. Religionsgespräche von Marburg 1529 und Wittenberg 1536 (a.a.O., S. 111 f.) sowie auf bestimmte Mandate und Edikte des Landgrafen Philipp von Hessen von 1559, der Herzöge Heinrich und Wilhelm von Braunschweig von 1562, des Kurfürsten August von Sachsen von 1566, seines Sohnes und Nachfolgers, Kurfürst Christian, von 1588 (a.a.O., S. 119–127). 141 Vgl. Zeppers Ausführungen zu den einzelnen von ihm angeführten Stationen der brüderlichen Zweisamkeit, die dem Streben nach gegenseitigen Zusammenhalt auf je eigene Weise Ausdruck verleihen (s. dazu die o. unter Anm. 140 genannten Passagen). 142 Er fi ndet sich vorher nur bei Zepper, Christlich Bedencken/ Vorschlag und Rath, S. 50, während er im Anschluss an das neunte Kapitel nur noch auf den Seiten 171 und 228 f. auftaucht (über die Bedeutung dieser Stellen für die Begriffsinterpretation Zeppers wird noch zu sprechen sein). 143 A.a.O., S. 94–97, 99–104, 118, 127–129, 138. 144 Das historische Ereignis, dem Zepper in diesem Kapitel die meisten Druckseiten widmet, ist der Reichstag von Augsburg aus dem Jahr 1566, dessen Darstellung bereits etwa sechs Seiten füllt; vgl. dazu a.a.O., S. 105–111. 139
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dass die Reformierten, vor allem in der Pfalz, in den 1555 geschlossenen Religionsfrieden einbezogen werden müssten, da sie genauso wie die lutherischen Stände als Angehörige der CA anzusehen seien, denen der Schutz jenes Friedensschlusses reichsrechtlich zustehe; Zweifel daran seien leicht auszuräumen, werde doch gerade auf dem Reichstag zu Augsburg 1566 die Zugehörigkeit der Pfälzer zu den Augsburger Konfessionsverwandten von lutherischer Seite bestätigt und somit offi ziell anerkannt145. Es ergibt sich folglich ein schon aus Pareus’ Irenicum bekanntes Bild: Vor allem im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme der CA durch die Reformierten, d. h. vor dem Hintergrund des Argumentationsstrangs, auch die Kurpfalz falle trotz ihrer Abweichungen von der Lehre der übrigen protestantischen Reichsstände eben wegen ihrer 1566 anerkannten Zugehörigkeit zu den Augsburger Konfessionsangehörigen unter den Schutz des Religionsfriedens von 1555, kommt es zum Gebrauch des Terminus Protestanten bzw. eben Protestierende. Nun stellt sich noch die Frage nach der Verwendung und der aus ihr resultierenden Deutung jenes Begriffs durch Zepper und damit nach der Qualität seiner Terminologie. Dabei lässt sich zwar in den meisten Fällen, in denen der Herborner Ireniker146 von Protestierenden spricht, keine eindeutige Begriffsinterpretation des Autors herausarbeiten; dafür mangelt es aber den wenigen diesbezüglich ertragreichen Passagen nicht an Eindeutigkeit. So schreibt Zepper am 145
A.a.O., S. 95 f., 105–111. Angemerkt sei an dieser Stelle, dass Zepper die Notwendigkeit seines Buches zwar gut irenisch begründet, nämlich mit der drohenden Gefahr, die den »Kirchen Gottes«, d. h. den »von dem Papsthum abgesönderten Religionsverwandten« von Seiten des Papsttums und seiner gewaltbereiten Handlanger drohe (a.a.O., S. 3). Denn in dem »angefochtenen und betrangten zustand der wahren Kirchen Gottes« (a.a.O., S. 2 f.) sei die endgültige Niederlage der »Euangelischen/ so [. . .] auch in dem fundament der rechten lehr des Glaubens und der seligkeit miteinander einig sind« nicht mehr abzuwenden, wenn man fortfahre, »einander zum heftigsten/ schändlichsten/ und gantz vnchristlicher weise [zu] lästern/ schmähen/ außhippen/ verketzern und verdammen« (a.a.O., S. 4). Doch entbehrt auch das Christlich Bedencken/ Vorschlag und Rath nicht eines gewissen Quantums an Polemik gegen die in ihrer vermeintlichen Streitsucht und Aggressivität verharrenden lutherischen Theologen, z. B. wenn Zepper diejenigen Reformierten, die entweder wegen ihrer Person oder ihrer Lehre attackiert werden, auffordert, ihre uneinsichtigen Gegner »mit gedult und sanftmut [zu] vberwinden«, satt jene »narren« durch Gegenwehr zu provozieren und sie so in ihrer Zanksucht und Halsstarrigkeit auch noch zu bestärken (a.a.O., S. 221). Daher mahnt der Ireniker: »Derhalben wenn gleich der eine theil [scil. die Lutheraner, C. W.] die brüderliche liebe vns [den Reformierten, C. W.] auff kündiget/ keinen friden annemen oder halten wil/ sondern mit schmehen/ lestern/ boltern/ wüten/ und verdammen ohn auff hören fortfehret: so sollen wir doch auff der andern seiten gedult/ verträgligkeit und sanftmut uns nicht vergehen lassen. Trunckenen/ zornigen vnd wütenden leuten pfleget man auß der wege zu gehen vnd zu weichen/ biß die dünste/ so das hirn verwirret/ sich gesetzt oder außgezogen sind/ die cholera oder giftige gall vergangen/ und der mensch wider zu sich selbst komen ist« (a.a.O., S. 221 f.). Nicht minder polemisch sind die sich anschließenden Seiten (vgl. a.a.O., 222–224). Es gehört nicht viel Fantasie dazu sich vorzustellen, wie derartige Zeilen auf einen sich für orthodox haltenden und im Kampf für die christliche Wahrheit wissenden Lutheraner gewirkt haben müssen. 146
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I. Integration durch Bekenntnisverwandtschaft
Ende seines neunten Kapitels, dessen Intention ja nicht in Zweifel gezogen werden kann, bilanzierend: »Dise einstheils gemeine Reichs Constitutionen, anderstheils besondere vergleichungen vnd vereinigungen der Protestirenden Ständen aber/ gleich wie sie den obangeregten satzungen und vereinigungen der alten Christlichen Keyser/ vnd angehenden Kirchen/ gantz gemeß vnd ehnlich sind: also sind sie auch noch vngezweifelt der richtigste nechste weg und mittel/ dadurch die Kirchen vnd gantz Teutschland/ in ein fridfertig/ rühig vnd vertrewlich wesen gestelt und gesetzt werden möchten«147.
Zepper kann also Ereignisse wie den Naumburger Fürstentag oder den Augsburger Reichstag von 1566 sowie die dortigen Vorgänge als »besondere vergleichungen und vereinigungen der Protestirenden Ständen« bezeichnen, was letztlich nur eine Interpretationsoption zulässt: Er nutzt den Begriff – wie vor ihm schon Ursin und späterhin in aller Deutlichkeit Pareus – integrativ und bezeichnet damit die Gesamtheit sowohl der reformierten als auch der lutherischen Reichsstände, und zwar vor dem Hintergrund ihrer Augsburger Konfessionsverwandtschaft. In dieselbe Deutungsrichtung weist auch die These Zeppers, es sei ein Zeichen ihrer gerechtfertigten vorsichtigen Aufmerksamkeit und zu ihrem eigenen Heil geschehen, dass »dieselbige Protestirenden zeitlich gemerckt/ daß die Papisten damit vmgehen/ damit sie selbst vnter einander getrennet/ und von einander abgesondert werden möchten/ damit entweder ein theil das ander vnter sich selbst auffreiben/ oder sie/ die Papisten/ mit einem jeden theil/ dem einen vor/ dem andern nach/ desto eher fertig werden möchten«148 .
Die Spaltung zwischen Reformierten und Lutheranern kann der Herborner Gelehrte demnach als Trennung der Protestanten untereinander identifi zieren, was an seiner integrativen Deutung jenes Begriffs keinen Zweifel erlaubt. Gleichsam flankiert wird diese Beobachtung durch folgende Tatsache: Auch Zeppers eigentlicher Integrationsbegriff, mit dem er die Gesamtheit von Lutheranern und Reformierten umschreibt, ist »Euangelische«149. Nun ist es ihm jedoch auch möglich, beide Termini, also »Euangelische« und »Protestirende«, in ein und derselben Formulierung als Wechselbegriffe zu verwenden und somit gleichzusetzen, was folgende Beispiele verdeutlichen: So kann er durchaus von »Protestirende oder Euangelische«150, den »Protestirenden Euangelischen Chur: und Fürsten«151 und von »Euangelischen Protestirenden Ständen«152 handeln. 147 148 149
A.a.O., S. 138. A.a.O., S. 228. A.a.O., S. 4–7, 19, 33, 42, 46, 52, 70–74, 79 f., 92 f., 139 f., 147, 151–155, 232, 253 f.
u. ö. 150 151 152
A.a.O., S. 96. A.a.O., S. 128. A.a.O., S. 138; vgl. auch a.a.O., S. 127.
2. Anwendung des integrativen Potentials
61
Diese Gleichsetzung unterstreicht Zeppers klar integrative Begriffsverwendung. Doch erfährt diese inklusive Nutzung letztlich eine entscheidende Einschränkung, denn die Anwendung von Protestierende als Integrationsbegriff beschränkt sich auf die evangelischen Reichsstände. Deutlich wird dies durch die Unterscheidung zwischen den Protestanten und den Anhängern ausländischer reformierter Kirchen. Zepper differenziert terminologisch sehr genau zwischen »den Euangelischen Kirchen in Franckreich« und »den Protestirenden Euangelischen Chur: und Fürsten«153, deren Theologen154 sich auf dem Reichstag zu Worms 1557 für eine Unterstützung der wiederum für die Sache der Hugenotten werbenden französischen Theologen stark gemacht hätten155. Auch die Reformierten in der Schweiz sind begriffl ich von den Protestierenden geschieden, was sich an Zeppers Ausführungen zum Schmalkaldischen Krieg erkennen lässt: 1546 hätten nämlich die »Protestirende/ oder Schmalkaldische Stände in disem Teutschen Krieg an die Euangelische Schweitzer« ein Hilfegesuch gerichtet156 . Es lässt sich damit also festhalten, dass der Herborner Ireniker mit dem Begriff Protestanten oder – wie er im Christlich Bedencken/ Vorschlag und Rath auftaucht – Protestierende auf die gleiche Art und Weise umgeht wie vor ihm Ursin, an dessen Ideen zu einer alle innerprotestantischen Streitigkeiten schlichtenden Synode er ja anknüpft: Mit jenem Terminus bezeichnet Zepper die lutherischen und reformierten Reichsstände eben in ihrer Eigenschaft als Augsburger Konfessionsangehörige. Gerade deshalb kann aber eben nur von einer bedingt integrativen Nutzung gesprochen werden. Denn die Glieder reformierter Kirchentümer, die nicht zum dem direkten Zugriff des Kaisers offenstehenden Reichsterritorium gehören und daher eben nicht als direkte Verwandte der CA gelten können und – unausgesprochen – wegen reichsrechtlicher Notwendigkeiten auch nicht gelten müssen, nennt er zwar Evangelische, keineswegs aber Protestierende157. Bis nun jene so wünschenswerte und für das Wohl der wahren Kirchen Gottes wie des gesamten Reiches höchst notwendige Synode stattfi nden kann, mahnt Zepper eindringlich zu Mäßigung und gegenseitiger Toleranz: »Wil darmit auch zum beschluß alle Christen/ samt und sonders/ fürnemlich aber vnd in sonderheit alle gotselige vnd Christliebende Lehrer in Kirchen vnd Schulen/ vmb der erhen GOttes/ vmb der wunden Jesu Christi/ vnd des thewren bluts willen/ so darauß vmb vnsert willen vergossen worden/ auch vmb ihrer selbst/ vnd vnserer nachkömlin153
A.a.O., S. 128. Die fürstlichen Theologen werden in der nebenstehenden Marginalglosse als »Protestirende Theologen« bezeichnet; vgl. a.a.O., S. 129. 155 Ebd. 156 A.a.O., S. 100. 157 Zwar gehört die Schweiz noch bis 1648 nominell zum Reichsgebiet, doch Zeppers Umgang mit dem Terminus Protestierende, den er eben auf die Schweizer nicht anwendet, trägt letztlich diesbezüglich nur den realpolitischen Verhältnissen des späten 16. Jahrhunderts Rechnung. 154
62
I. Integration durch Bekenntnisverwandtschaft
gen ewiges heyls/ zu deme vmb der gantzen Kirchen Gottes in allen Nationen der welt/ vnd also auch vmb vnsers gemeinen vatterlands/ Teutscher Nation erhaltung/ wolfahrt vnd auffnemens willen/ ermahnet vnd gebeten haben/ daß sie/ so viel an ihnen ist/ die sectirische verhasste parteyliche zunamen fl iehen vnd meyden: von dem schelten/ schänden/ lästern/ paßquillen/ schmehkarten/ verketzern vnd verdammen abstehen: [. . .] als diener des Euangelij vnd fridens sich erzeigen/ der liebe vnd vnvberwindlichen einigkeit sich befleissigen/ durch die liebe einander vertragen/ vnd Gott für einander beyderseits anruffen/ daß er in denen noch vbrigen vngleichen meynungen/ einen rechten weg zu fernerer vnd endlichen vergleichung gnediglich zeigen vnd weisen wölle«158 .
Wenige Jahre vor Zeppers Christlich Bedencken/ Vorschlag und Rath erscheint eine Schrift, die sich ebenfalls intensiv mit den zwischen Reformierten und Lutheranern schwelenden theologischen und reichsrechtlichen Streitigkeiten befasst. Die Rede ist von dem 1591 in Bremen erschienenen Wahrhaffte[n] Bericht Christoph Pezels159. Die Frontstellung dieses Werkes lässt sich zusammenfassend wie 158
Zepper, Christlich Bedencken/ Vorschlag und Rath, S. 207 f. Christoph Pezel, Wahrhaffter Bericht Von den vorbesserten Exemplarn Augsp. Confession: Vnd Warümb es eigentlich zuthun sey inn dem Streit vom Heiligen Nachtmal. Vnnd daß Philippo Melanchthoni vngütlich zugelegt werde/ als solte er nach D. Luthers Tode erst eine newe Lehr vom Abentmal eingefüret haben. Zu Gründlicher Widerlegung Der genanthen letzten Bekendtnus vnd Testaments/ D. Nicolai Selnecceri. Vnd zu Christlicher Warnung guthertziger Leuth/ Damit sie im Grund erkennen mögen/ daß solcher D. Selneckers widerholten letzten Bekentnus gar nicht zugetrawen sey/ vnd daß die jenigen sich gentzlich werden betrogen fi nden/ die von dem Testament Jesu Christi/ vnd desselben rechtem/ wahrhafftem/ vnd tröstlichem Verstandt/ auff das nichtige vnnd betrigliche Selneckerische Testament sich abfüren lassen/ alß welches anders nicht ist/ dann eine Vorwirrung der heilsamen Lehr vom Heiligen Abentmal/ vnnd ein solches Gemenge/ das durchaus zweiffelhafftig vnd vngewiß ist/ darinnen Jha zugleich Nein/ vnd Nein zugleich Jha heissen mus, Bremen (Bernhard Peters) 1591. Zu Christoph Pezel (1539–1604), einen wie Ursin ursprünglich melanchthonisch geprägten Theologen, der nach seiner Hinwendung zum Reformiertentum dann maßgeblich an der Einführung der reformierten Lehre in Bremen beteiligt war, wo er seit 1584 als Superintendent wirkte, s. Erich Wenneker, Art. Pezel, Christoph, BBKL 7 (1994), Sp. 403– 408. Ausführlicher informiert über Pezels theologischen Werdegang und sein Wirken besonders in Bremen Jürgen Moltmann, Christoph Pezel (1539–1604) und der Calvinismus in Bremen (Hospitium Ecclesiae. Forschungen zur bremischen Kirchengeschichte Bd. 2), Bremen 1958. Zu Pezels Hinwendung zum Reformiertentum vgl. auch Neuser, Dogma und Bekenntnis, in: Andresen, Ritter (Hgg.), Handbuch der Dogmen- und Theologiegeschichte Bd. 2, S. 292–296. Pezel reagiert mit seinem Werk auf: Nikolaus Selnecker, Vom Heiligen Abendmal des HERRN/ was es sey/ vnnd was darin ausgetheilet vnd genommen werde/ sampt etlichen fürnemen einreden/ vnd antwort darauff. Widerholete kurtze vnd letzte Bekentnis vnnd Testament, Notopyrgi ad Menium 1591. Es handelt sich dabei um eine gegenüber den Reformierten höchst polemische Apologie der lutherischen Abendmahlslehre, wie sie die von Selnecker ja mitverfasste Konkordienformel vertritt. Da Selnecker den im Kontext dieser Arbeit im Mittelpunkt stehenden Begriff nicht verwendet, verbietet sich bedauernswerterweise eine ausführlichere inhaltliche Darstellung jener Schrift. Hingewiesen sei dennoch auf die Mühe, die der lutherische Theologe in die Beweisführung investiert, dass Melanchthon mit seiner Abendmahlslehre nie und nimmer vom Standpunkt Luthers abgewichen sei (s. a. a.O., fol. H IIv–K IIv); interessant ist dabei, dass Selnecker die Überarbeitung der CA von 1540 schlicht unerwähnt lässt (a.a.O., fol. K r). 159
2. Anwendung des integrativen Potentials
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folgt beschreiben: Pezel möchte nicht nur, aber u. a. den lutherischen Vorwurf entkräften, die Reformierten würden – ihrer vermeintlichen Hinterlist gemäß – versuchen, sich der CA zu bemächtigen, um bloß in den Genuss des Religionsfriedens zu gelangen160. Im Hintergrund steht auch an dieser Stelle letzten Endes die scharf geführte Kontroverse, welche Fassung der CA nun eigentlich in Geltung stehe. Das Votum Pezels als eines reformierten Gelehrten überrascht nicht: Es könne kein Zweifel daran bestehen, dass die Variata von 1540 die maßgebliche Fassung des reichsrechtlich seit 1555 so bedeutsamen Bekenntnisses sei. Schließlich stimme sie inhaltlich vollkommen mit der Wittenberger Konkordie überein161, welches Argument für den reformierten Standpunkt selbstverständlich deshalb besonders attraktiv ist, weil Luther selbst den Inhalt der Konkordie von 1536 mitverantwortet hat. Zudem hätten »die Euangelischen Chur unnd Fürsten« die Variata seit ihrer Entstehung bei jedwedem Religionsgespräch oder anderen öffentlichen Ereignissen stets zu ihrer Grundlage erhoben162 . Der eingangs erwähnte Vorwurf der Lutheraner sei demnach nicht nur unberechtigt, sondern er werde bei genauerer Betrachtung der historischen Vorgänge seiner Bösartigkeit überführt: Schließlich seien zum einen die oberdeutschen Städte, die noch 1530 in Augsburg aufgrund ihrer berechtigten Vorbehalte gegen die von Melanchthon in der CA invariata vertretenen theologischen Standpunkte, besonders bezüglich des Abendmahls, gezwungen gewesen seien, ihr eigenes Bekenntnis zu übergeben, bereits 1532 auf dem Konvent zu Schweinfurt und später durch die Wittenberger Konkordie als Verwandte der CA anerkannt worden163. Diesen bedeutsamen Vorgang kann nun Pezel auch anders formulieren, indem er mit Blick auf jenen Schweinfurter Konvent schreibt: Im Jahre 1532 seien »die Oberlendischen Stedte/ in die Gemeinschaft der Protestirenden Stende/ vnnd den domals von Keyserlicher Mayestet zugelassenen Friedstand mit begriffen vnnd eingeschlossen« worden164, obgleich man sie lange unter »die genanthen Zwinglianer« gezählt habe165. Sodann sprächen die Vorgänge auf dem Augsburger Reichstag von 1566 eindeutig gegen jene lutherische Anschuldigung: »Inmassen auch Churfürst Friederich Pfaltzgraffe/ [. . .] sich erboten hat/ die Lehr/ so in seiner Lande Kirchen geführet würde/ auß der H. Biblien/ und Augsp. Confession (der er zu Franckfurt Anno 58. und uff dem Fürstentag zu Naumburg Anno 61. vnderschrie160
Pezel, Wahrhaffter Bericht Von den vorbesserten Exemplarn Augsp. Confession,
S. 8 f. 161
A.a.O., S. 22. A.a.O., S. 23. 163 A.a.O., S. 8. 164 A.a.O., S. 16. 165 A.a.O., S. 17. Auf dem Reichstag zu Augsburg 1530 seien die Oberdeutschen nicht zuletzt »umb des vorhasten Nahmens/ der Zwinglianer willen [. . .] eine eigene Confession zuubergeben gedrungen worden« (a.a.O., S. 8). 162
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I. Integration durch Bekenntnisverwandtschaft
ben hette) richtig vnd gründlich darzuthun/ vnd der Göttlichen Wahrheit gemeß zuerweisen/ vnd die anderen Protestirenden Chur vnnd Fürsten/ desselben gesuchte außschliessung [aus dem Kreis der Augsburger Konfessionsverwandten, C. W.] [. . .] gar nicht bewilligen noch zulassen wollen«166 .
Die Argumentationsstrategie Pezels ist klar: Die Geschichte selbst beweise, dass sowohl die als Zwinglianer verschrienen Oberdeutschen als auch der reformierte Lehren vertretende Kurfürst Friedrich dereinst als Angehörige der CA anerkannt worden seien. Die obigen zwei Zitate aus dem Wahrhaffte[n] Bericht verdienen zudem hinsichtlich des Kontexts dieser Arbeit Beachtung: Der reformierte Theologe betont, die Oberdeutschen Städte seien durch ihre Anerkennung als Augsburger Konfessionsangehörige »in die Gemeinschaft der Protestirenden Stende« aufgenommen worden. Auch sei Friedrich III. von den »anderen Protestirenden Chur vnnd Fürsten« 1566 nicht aus jener, sich durch die Verwandtschaft zur CA auszeichnenden Gemeinschaft ausgeschlossen worden. Damit steht dem Leser ohne Frage jene integrative Begriffsnutzung vor Augen, die in der reformierten Irenik Ursins ihre Wurzeln hat. Die Vertreter reformierter Lehren auf dem Reichsgebiet gehören eben wegen ihrer anerkannten Verwandtschaft zum Augsburger Bekenntnis in den Kreis der protestantischen Stände, sie sind gerade deshalb selbst Protestanten. In genau diese Deutungsrichtung weist auch eine andere Passage, die eine vielsagende Gleichsetzung beinhaltet: Die »Euangelischen Chur vnnd Fürsten«167 hätten schon »vom tag zu Hagenaw168 an (dahin das erste Colloquium zwischen den Papisten vnd Protestirenden angestellet gewesen)« aufgehört, sich auf die 1530 übergebene Version der CA zu berufen. Vielmehr hätten sie schon damals auf die im Druck vorhandenen und bereits von Melanchthon überarbeiteten Exemplare des Bekenntnisses zurückgegriffen169. Pezels Integrationsbegriff Evangelische ist in obigem Zitat nicht konsequent weiterbenutzt worden, sondern durch Protestierende ersetzt worden: In Hagenau habe das erste Religionsgespräch der Protestanten mit den Altgläubigen stattgefunden, und schon seit damals hätten die Evangelischen aufgehört, sich auf die Urfassung der CA zu berufen. Es handelt sich also, das legt zumindest die soeben zitierte Ausführung des Autors des Wahrhaffte[n] Bericht[s] nahe, um Wechselbegriffe. Die Termini sind aufgrund ihrer inhaltlichen Füllung gegeneinander austauschbar. Da
166
A.a.O., S. 9. A.a.O., S. 23. Auch Pezels eigentlicher Integrationsbegriff ist »Euangelische«, und zwar in verschiedenen Variationen; vgl. dazu a.a.O., S. 5, 10, 15, 18, 20, 22–24, 79, 80, 95, 98 u. ö. 168 Das Religionsgespräch von Hagenau fi ndet im Jahr 1540 statt; vgl. zur historischen Einordnung Irene Dingel, Art. Religionsgespräche IV. Altgläubig – protestantisch und innerprotestantisch, TRE 28 (1997), S. 654–681, hier: S. 658–660. 169 Pezel, Wahrhaffter Bericht Von den vorbesserten Exemplarn Augsp. Confession, S. 23. 167
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nun Evangelische ohne Zweifel integrativ genutzt wird170, durchaus aber durch Protestierende ersetzt werden kann, muss faktisch auch letztgenannter Begriff für Pezel integrativen Charakter haben, was bereits herausgearbeitet werden konnte. Völlig kongruent sind beide Termini jedoch keineswegs: Der Integrationsbegriff Evangelische ist bei Pezel nachweislich deutlich weiter gefasst als Protestierende. Während der Bremer Theologe von den »Euangelische[n] Stedte[n] in Schweitz«171 oder von »Euangelischen Stenden [. . .] in oder ausser Deutschland«172 sprechen kann, lässt sich eine derartige inhaltliche Weite des integrativen Charakters des Begriffs Protestierende im Wahrhaffte[n] Bericht nicht nachweisen. Er kommt zwar als Integrationsbegriff zur Anwendung, doch eben nur im Hinblick auf die der CA anhängenden Reichsstände. Der Haltung, die reformierten Kirchen auf dem Boden des Reiches müssten zweifelsohne als Augsburger Konfessionsverwandte gelten, verleiht Pezel nun durch die Anmerkung besondere Legitimität, dass, nachdem mit der Wittenberger Konkordie der Lehrkonsens hergestellt worden sei, »Bucerus und Caluinus (die zu Straßburg in höchster einigkeit beysammen gelebt haben) für fürnehme Lehrer Augsp. Confession verwant vnd zugethan/ sind gehalten/ vnd vff die Reichstäge vnnd Colloquia der Protestierende Stende/ wider die Bepstischen« geschickt worden173. Was nun seine Zustimmung zur in der CA variata vertretenen Lehre betrifft, so »hat Caluinus auch hernachmals [. . .] kein Bedencken gehabt/ seinen Consens mit der Augsp. Confession zubekennen/ welche er zuuor auch in Teutschland subscribiret, wie dieselbige von Philippo erkleret ist«174. Vollends deutlich wird nun jene Pezel zugeschriebene integrative Terminologie durch ein kleines, nur bei genauer Betrachtung auffallendes Detail: Auf dem Kolloquium zu Regensburg 1541 sei zwischen »den Papisten [. . .]/ und den Protestirenden/ [. . .] so viel den Artikel vom Abentmal anlanget/ der fürnembste Streit von der Transubstantiation« gewesen175. Auf der Basis des 10. Artikels der Invariata, denn in Bezug auf jene schändliche Lehre sei »in der aller ersten Augsp. Confess. den Papisten nachgegeben« worden, hätten nun die Altgläubigen versucht »vff dem Reichstag zu Regensburg Anno 41. diese Transubstantiation den vnsern gerne wider« aufzudringen, was aber natürlich zum Scheitern verurteilt gewesen sei176 . Vollzieht man diesen scheinbar banalen Gedanken170 171
Vgl. dazu Anm. 167. Pezel, Wahrhaffter Bericht Von den vorbesserten Exemplarn Augsp. Confession,
S. 95. 172 A.a.O., S. 79. Pezel erwähnt in diesem Zusammenhang »Pfaltz/ Anhalt/ Holstein/ Hessen/ vnd die Kirchen in Engellandt/ Franckreich/ Schottlandt/ Dennemarck/ Niederlandt« (ebd.). 173 A.a.O., S. 8. 174 Ebd. 175 A.a.O., S. 18. 176 Ebd.
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I. Integration durch Bekenntnisverwandtschaft
gang unter Berücksichtigung der Terminologie nach, wird der Befund, Pezel gebrauche den Begriff Protestierende integrativ, bestätigt. Die Altgläubigen hätten den Versuch unternommen, auf dem Boden der Invariata den Protestierenden die Transsubstantiationslehre aufzudringen – so weit, so gut. Nun sind die genannten Protestierenden für den Reformierten Pezel aber eben »die unsrigen«. Durch diese Verwendung des Possessivs der 1. Person Plural unterstreicht der Bremer Theologe unmissverständlich, welcher Partei er sich zugehörig weiß: Er als Anhänger keineswegs der lutherischen, sondern der reformierten Lehre und damit als Verwandter der CA fühlt sich als einer der genannten Protestierenden, ist ein Protestant. Mit dem Wahrhaffte[n] Bericht liegt somit eine Quelle vor, die die Begriffsdeutung aufweist, die letztlich auf Ursin und seinen schöpferischen Umgang mit dem an dieser Stelle zentralen Terminus zurückgeht, und die auf den bisherigen Untersuchungen fußende These voll und ganz bestätigt. Es ist, wie auch Pezels Werk beweist, das Streben der Reformierten auf dem Gebiet des Reiches, den Beweis zu erbringen, als legitime Verwandte der CA den Schutz des Religionsfriedens rechtlich unanfechtbar zu genießen, das den entscheidenden Impuls für die schöpferisch-kreative, dem eigenen Ziel dienliche Handhabung überkommener Terminologie liefert und dabei zum Hintergrund für die Entstehung einer – zunächst noch begrenzten – Entschränkung jener Terminologie wird.
3. Etablierung und Verselbstständigung 3.1. Etablierung durch Pareus-Rezeption: Christian Beckmanns Ausführliche Behauptung Es lässt sich folglich nach der Untersuchung der bis hierher in den Blick genommenen Quellen festhalten: Ursins schöpferische Interpretation überkommener Begriffl ichkeit, also seine sich zwar vordergründig in gewohnten Bahnen bewegende Identifi kation von Protestanten bzw. Protestierenden und Augsburger Konfessionsverwandten, jedoch bei gleichzeitiger Inanspruchnahme der Konfessionsverwandtschaft eben auch für die reformierten Reichsstände, konstituiert bereits im späten 16. Jahrhundert durch ihre über die Grenzen der Kurpfalz hinausgehende Rezeption177 den Hintergrund, vor dem sich eine klar integra177 Nicht zuletzt die schon früh etablierten und Ende des 16. Jahrhunderts bereits bewährten Kommunikationsnetzwerke gerade in der Tradition Calvins stehender Theologen machen eine Rezeption der schriftlich fi xierten Gedanken Ursins und der mit ihnen verbundenen Begriffl ichkeit durch Pezel, der ja wie Ursin ein Schüler Melanchthons war, der sich dem Calvinismus zugewandt hat, und Zepper mehr als wahrscheinlich. Zieht man dann noch die inhaltlichen und eben terminologischen Parallelen zwischen ihren angeführten Werken und der Christliche[n] Erinnerung Vom CONCORDIBVCH bzw. der DE LIBRO CON-
3. Etablierung und Verselbstständigung
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tive, nämlich Lutheraner und Reformierte bezeichnende Terminologie in der reformierten kontroverstheologischen Literatur etabliert. Es ist nun in erster Linie das Irenicum des Ursinschülers David Pareus, das sich – wie vor ihm das Werk seines Lehrers – unter reformierten Kontroverstheologen höchster Beliebtheit erfreut und entsprechend auch außerhalb der Kurpfalz rezipiert wird, wie exemplarisch die Ausführliche[n] Behauptung Christian Beckmanns belegt178 . Sie bietet eine im Vergleich zu den bisher analysierten Quellen nicht gekannte quantitative Dimension der Nutzung des Begriffs Protestierende. Allein im Titel der Schrift taucht der hier im Mittelpunkt stehende Terminus dreimal auf, freilich ohne bereits eine unzweifelhafte Interpretation der Begriffsdeutung Beckmanns zuzulassen. Betrachtet man nun die zahlreichen Passagen des Werkes, in denen die Ausdrücke Protestierende Stände oder eben Protestierende Verwendung fi nden179, und vergleicht die aus ihrer Nutzung zu erschließende Deutung, so bleibt einem nur die Feststellung, dass von Eindeutigkeit der Begriffsinterpretation des Autors schlicht nicht die Rede sein kann. Vielmehr stehen – wie zuvor bei Pareus – zwei terminologische Deutungsoptionen unvermittelt nebeneinander. CORDIAE [. . .] ADMONITIO Christiana hinzu, kann eine gewisse Abhängigkeit beider nicht
in der Kurpfalz wirkenden Gelehrten von den genannten Schriften Ursins nicht ernsthaft in Zweifel gezogen werden. 178 Christian Beckmann, Ausführliche Behauptung der verbesserten Augspurgischen Confession vnd etlicher dazu gehörigen materien/ Das ist: Gründliche Beweise/ daß die verbesserte Augspurg. Confession niemals bey lebzeiten Herrn D. Martini Lutheri/ auch nit etliche jahre nach seinem sehligen abscheide den Euangelischen Protestierenden Ständen sey verdächtig gewesen: sondern das sie viel mehr so wol von D. Mart. Luth. selbst/ als auch allen Protestierenden Ständen vnd dero Theologis/ keinen ausgenommen zu derselben zeit sey beliebet vnd gebilliget worden: Dann auch/ Das Johannes Calvinus beydes von D. Mart. Luth. vnd von allen Protestirenden Theologis/ wie auch von Fürsten und Ständen für ein gliedmas der Augsp. Confession sey gehalten: die von ihme also genanten Calvinisten auch im Religionsfried seind begriffen/ vnd von samtlichen Ständen für glaubensgenossen erkant worden: Fürnemlich aus theils Lutherischen/ theils Bäpstlichen Scribenten trewlich in zweyen Schreiben zusammen gezogen, ohne Ortsangabe 1621. Zu Christian Beckmann (1580–1648), 1616–1625 Rektor der Schule im oberpfälzischen Amberg, 1627 als Superintendent nach Zerbst berufen, wo er auch als Pastor und Professor am dortigen Gymnasium tätig war, s. Johann Gottlob Wilhelm Dunkel, Art. Becmann (Christian), Historisch-kritische Nachrichten von verstorbenen Gelehrten und deren Schriften Bd. 3, Teil 3 (1759), Eintrag 2523. 179 Neben dem Titelblatt, auf dem sich bereits eine nicht einheitliche Schreibweise feststellen lässt, vgl. a.a.O., S. 4, 7, 25, 29, 34, 36, 40, 49, 53 f., 56, 60, 65, 75 f., 79, 83, 87, 102, 105, 113, 118 f., 123 f., 127 f., 130, 132 f., 136, 141 f., 144. Damit liegt in dem diese Arbeit bisher konstituierenden Kontext zum ersten Mal ein Werk vor, bei dem die Quantität der Nutzung des Begriffs Protesti[e]rende bzw. der Formulierung Protesti[e]rende Stände der Häufigkeit des Vorkommens des Terminus Euangelische, der auch Beckmanns eigentlicher Integrationsbegriff ist, sehr nahe kommt. Er gebraucht den letztgenannten Begriff a.a.O., S. 4–7, 11, 19, 40 f., 53, 60, 64, 73, 76, 79, 81, 83, 96, 101–103, 111, 125 f., 137 f., 145, 147, 162–167, 171 u. ö.
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Bei genauerer Betrachtung des Werktitels bleiben dabei im Hinblick auf den Inhalt der Ausführliche[n] Behauptung keine Fragen offen: Beckmanns Apologie der Variata geht es letztendlich um den aus gegnerischen, nämlich lutherischen und altgläubigen Quellen180 geschöpften Beweis, dass die von Melanchthon 1540 überarbeitete Version der CA von jeher Anerkennung im Kreise sowohl der lutherischen als auch der papistischen Stände und Theologen gefunden habe. Beckmann fragt sich also, warum »den heutiges tages so viel geschreyes gemachet werde von der vhralten vnverenderten Augsp. Confession, vnd warumb ihrer viel von der verbesserten nicht hören mögen/ sondern dieselbe offentlich verwerffen?«181 Dabei seien eben diese Verwerfungen gerade durch die sich auf Luther berufenden Theologen vollkommen unberechtigt, habe sich doch der große Wittenberger Reformator nie abfällig über Melanchthons Überarbeitung geäußert182 . Schließlich habe Melanchthon die CA nicht aus eigenem Mutwillen geändert, nur um seine gewachsenen theologischen Einsichten gleichsam an Luther vorbei an die Öffentlichkeit zu bringen, sondern seine Überarbeitung habe »mit vorwissen vnd belieben D. Lutheri vnd der Protestirenden Stände«183 stattgefunden. Ohnehin habe Luther von Anfang an gerade mit den Oberdeutschen einen Ausgleich in der Abendmahlsfrage befördert und sei letztlich mit ihnen in dieser theologischen Streitfrage völlig übereingekommen. Um nun aber diese unverbrüchliche Übereinkunft in der Abendmahlsfrage, der auf politischer Ebene durch Bündnisse wie den Schmalkaldischen Bund Ausdruck verliehen worden sei, auch nach außen hin sichtbar zu machen, ihr also offi ziellen, ja bekenntnismäßigen Rang zu verschaffen, sei eine Überarbeitung des 10. Artikels der CA beschlossen worden184. Beckmann erklärt dazu: »Weil den Protestirenden Ständen/ sampt und sonders/ an fester haltung der einmal getroffenen concordi mit den Oberländischen Städten viel gelegen gewesen/ vnd aber bald darauf diese ansehnliche zusammenkunfft zu revidirung der Augsp. confession angestellet worden/ so ist genugsam zuschliessen/ das solche zusammnenkunfft fürnemlich wegen des zehenden Artickels gedachter confession müste angestellet gewesen sein/ damit derselbe laut vnd inhalt der getroffenen concordi mit beyderseits Theologen contento also möchte abgefasset werden/ damit sie ins künfftige samptlich sich zu einer confession bekennen/ vnd für einen Mann stehen möchten. [. . .] Vnd das diesem allem also [ergänze: ist, C. W.]/ ist auch genugsam auß der gleichstimmigkeit des 10. Artikels der verbesserten Confession mit dem ersten und andern Punct in der getroffenen concordi abzunehmen/ denn fast einerley worte an beyden orten gebrauchet werden«185. 180
A.a.O., S. 3. A.a.O., S. 8. 182 A.a.O., S. 36. 183 A.a.O., S. 40. An anderer Stelle betont die Ausführliche Behauptung bei fast identischem Wortlaut, Melanchthon habe die CA »mit vorbewust vnd beliebung Herrn D. Lutheri vnd der Protestirenden Stände [. . .] gebessert« (a.a.O., S. 75). Vgl. zu Luthers positiver Aufnahme der Variata auch S. 48–50. 184 A.a.O., S. 27–35. 185 A.a.O., S. 34 f. 181
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Die Überarbeitung der CA sei somit dem »begehr der Protestirenden Fürsten und Stände« geschuldet186 . Dazu hätten sich diese auch allzeit bekannt, indem »die Protestirende Stände und deroselben Theologi auf unterschiedenen colloquiis in großer anzahl dieselbe [nämlich die Variata, C. W.] einmütig vnd stattlich verfochten haben«187. Ebenfalls als Bekenntnis zur Variata und der damit fest geschlossenen Verbindung zu den Oberdeutschen wertet Beckmann indirekt auch die Tatsache, dass »die Protestirenden Stände nach der anno 1536. getroffenen concordi die Oberländische Städte auß dem Religions frieden nimmer wollten außschliessen lassen«188 . Die angeführten Zitate lassen nun eine Deutung der Begriffsnutzung Beckmanns zu, die alles andere als integrativ ist. Er unterscheidet terminologisch zwischen den »Protestirenden Ständen«, die für ihn mit den weltlichen und geistlichen Anhängern Luthers gleichzusetzen sind, und den Oberdeutschen. Diese Differenzierung hebt er auch nach Zustandekommen der Wittenberger Konkordie und deren bekenntnismäßiger Manifestation in der Überarbeitung der CA – Beckmann würde in diesem Kontext wohl eher von Verbesserung sprechen – nicht etwa auf durch inhaltliche Ausweitung jenes Terminus, durch integrative Zusammenfassung beider genannten Parteien also, wodurch er der 1536 erzielten Einigkeit auch terminologisch Ausdruck verleihen würde. Vielmehr behält er seine begriffl iche Differenzierung bei189. Es stellt sich dem Leser nun die Frage, warum der Verfasser der Ausführliche[n] Behauptung so viel Wert auf die Schilderung des Zustandekommens der unverrückbar feststehenden Geschlossenheit zwischen Protestanten oder Lutheranern einerseits und Oberdeutschen andererseits legt. Es leuchtet unmittelbar ein, ruft man sich den Kontext ins Gedächtnis, in den die Ausführliche Behauptung einzuordnen ist, dass der Erweis jener Einigkeit wohl kaum sein Hauptanliegen sein kann, auch wenn man diesen Verdacht wegen der intensiven Behandlung jenes Themas im ersten Moment durchaus hegen könnte. Doch die ausführliche Darstellung der Genese der Einigung der Lutheraner mit den theologischen Vertretern der oberdeutschen Städte und der daraus erwachsenen auch politischen Konsequenzen ist bei Betrachtung der Argumentationslinie Beckmanns gleichsam das Fundament für die Behauptung, »daß Herrn Calvini Lehr und confession keine newe vnd von der Oberländischen Städte confession abgesonderte/ sondern das es eben dieselbe und keine andere gewesen sey; 186
A.a.O., S. 48. A.a.O., S. 65. 188 A.a.O., S. 123. 189 Nochmals deutlich wird dies a.a.O., S. 133: »Nicht alleine aber haben die Protestirende Fürsten vnd Stände von den Oberländischen kirchen [. . .] also sentiret/ sondern die Protestirende Theologi selbst auch alle mit einander haben so woll bey Lutheri leben als hernacher sie agnosciret [. . .]/ da sie auf den Reichstagen vor vnd vor neben den Oberländischen kirchen Theologis für einen Mann gestanden/ welches sie sonst verhoffentlich nicht wurden gethan haben«. 187
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I. Integration durch Bekenntnisverwandtschaft
Dann Calvinus sich zu derselben stäts bekant/ ist auch von genanten communen für ihren glaubens genossen jerderzeit gehalten worden [. . .]. Nun ist bekannt/ das anno 32. vnd sonderlich anno 36. mehrgedachte Oberländische vnd Schweitzerische Städte mit den Wittembergischen Theologis in allen punkten Christlicher Religion sich zu grunde verglichen«190.
Damit führt Beckmann den aufmerksamen Leser seiner nicht ungeschickt angeordneten Begründung auf eine Argumentationsebene, deren Anlass durchaus wieder in die kirchengeschichtlichen Zusammenhänge bzw. die tobenden Kontroversen seiner Zeit einzuordnen ist: Wenn sich nämlich die lutherischen ganz und gar mit den oberdeutschen Theologen vor allem bezüglich der Abendmahlskontroverse verglichen und diesem theologischen Ausgleich durch die von den Protestierenden Ständen gebilligte Konkordie von 1536 und die von Martin Luther selbst befürwortete, dem Lehrgehalt jener Konkordie entsprechende Neubearbeitung der CA Ausdruck verliehen haben, gleichzeitig aber – Beckmanns Argumentation folgend – Calvin in jedem Punkt mit der Theologie der Oberdeutschen übereinstimmt, bedeutet das nicht weniger als die Behauptung der Lehrkongruenz zwischen Calvin und Luther bzw. ihrer beiderseitigen Anhängerschaft, die eben in der Variata mit ihrem 10. Artikel ihre unverrückbare Manifestation erfahren habe. Aber auch jetzt bleibt der Autor seiner Terminologie treu: Eine Entschränkung aufgrund der vollkommenen Lehrübereinstimmung fi ndet nicht statt, wie sich an der Ausführung, »die also genanten Calvinisten« seien »mit vnd neben den Oberländischen kirchen nach vnterschreibung der vorbesserten und Repetirten Augspurg. Confession/ für deroselben verwandte gliedmassen/ dazu des Religionsfrieden fähige vnd demselben incorporirte membra von gesamten Protestirenden Fürsten vnd Ständen/ und also von hohen vnd niedern standes personen [. . .] gehalten worden«191,
erkennen lässt192 . Es bleibt somit dabei: Beckmann scheint sich einer Ausweitung des Begriffs Protestierende auch auf die eigene Partei zu enthalten, obwohl er als Reformierter genauso wie die bereits genannten und untersuchten Theologen seiner konfessionellen Richtung die These vertritt, auch die Reformierten hätten als Angehörige des Augsburger Bekenntnisses, das gar nicht anders als in der Fassung der Variata ernsthaft Anspruch auf Geltung erheben könne, das unbestreitbare Recht, in den Religionsfrieden von 1555 einbezogen zu werden. Mit der 190
A.a.O., S. 122. A.a.O., S. 144. 192 Dass Beckmann diesbezüglich bei seiner nichtintegrativen Begriffsnutzung bleibt, stellen auch die Passagen a.a.O., S. 105 und 133 vor Augen. Beide befassen sich mit der Anerkennung Calvins und seiner theologischen Standpunkte durch die »Protestirenden Theologis« (S. 105) bzw. selbst durch die Flacianer und »alle andere[n] Protestirende[n] Theologi/ so woll bey Lutheri leben/ als hernach etliche jahre nach seinem tode« (S. 133). 191
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Ausführliche[n] Behauptung liegt also eine Schrift vor, die zwar des irenischen, sich in der Forderung nach gegenseitiger brüderlicher Anerkennung und Einberufung einer alle Streitigkeiten behebenden Synode äußernden Charakters entbehrt. Dennoch greift sie Argumente und Gedankengänge auf, die für die reformierte Literatur jener Zeit keineswegs untypisch sind, gerade in Bezug auf die Inanspruchnahme der CA durch und für die Reformierten. Zudem gibt es Parallelen zwischen Beckmanns Ausführliche[r] Behauptung und dem Irenicum des David Pareus. Wie bei dem Heidelberger Ireniker, so ist es auch Teil von Beckmanns Argumentationsstrategie, sich bei der Schilderung der ihm für seine Argumentation wichtig erscheinenden Ereignisse u. a. auf Quellen mit altgläubiger Verfasserschaft zu berufen, um seiner Darstellung besondere Plausibilität zu verleihen. Und wie Pareus stützt er sich gerade bei der Beschreibung der Vorgänge auf dem Reichstag zu Augsburg 1566, der auch in seiner Argumentation eine zentrale Rolle spielt, auf die Autonomia Erstenbergers193. All dies weist bereits darauf hin, dass eine bestimmte Abhängigkeit der Schrift Beckmanns von dem berühmten Irenicum Pareus’ besteht. Um so mehr überrascht es, dass die Ausführliche Behauptung sich trotz des Diskussionskontextes, dem sie inhaltlich und nicht zuletzt wegen jener auffälligen Parallelen zu einem der bedeutendsten Werke der Pfälzischen Irenik zuzuordnen ist, in Bezug auf die herausgestellte Begriffsnutzung auf den ersten Blick nicht in die bisher der genaueren Betrachtung unterzogenen Werke einreihen lässt. Untersucht man jedoch gerade die Ausführungen Beckmanns zum Reichstag von 1566194, der in seiner Bedeutung für den Bestand und die Ausbreitung des Reformiertentums auf dem Boden des Heiligen Römischen Reiches schwerlich überschätzt werden kann, macht man nach dem vorher zur Terminologie Gesagten eine bemerkenswerte Entdeckung: Der eigentliche Grund des Reichstags seien die Agitationen einiger Reichsfürsten und der Papisten unter Führung des päpstlichen Gesandten, Kardinal Commendone, »damit der Churfürst aus der Pfalz Fridericus/ als der des Calvinismi halben suspect gemachet war/ aus der zahl der Augspurg. confessions verwanten vnd also folgents aus dem Religions frieden möchte ausgeschlossen werden«195. Doch dazu sei es bekanntlich nicht gekommen: Damals hätten »die Confessionisten die also genandte Calvinisten [. . .] pasieren [lassen]/ [. . .] sie aufgenommen/ und des Religions193 Zur Berufung Beckmanns auf Erstenbergers Autonomia vgl. a.a.O., S. 11, 22, 129, 138– 140, 143. Im Hinblick auf seine Anführung Erstenbergers als Gewährsmann für die Vorgänge auf dem Reichstag von 1566 sind vor allem a.a.O., S. 138–140 und 143 von Belang. Freilich nennt Beckmann statt des Namens Erstenbergers dessen Pseudonym, unter dem der römisch-katholische Jurist seine Autonomia veröffentlicht hat (vgl. dazu u. Anm. 204). 194 Die nicht geringe Bedeutung, die Beckmann dem Augsburger Reichstag von 1566 beimisst, zeigt sich schon an der die Ausführungen rund um das reichspolitische Ereignis einleitenden Formulierung: »Einen denckwirdigen paß allein muß ich hie einführen/ was aufm Reichstag anno 1566 sich begeben« (a.a.O., S. 127). 195 Ebd.
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friedens theilhaftig gemacht«196 . Zudem sei »dem obersten patrono vnd Großvatter aller Calvinisten dem Churfürsten aus der Pfaltz das directorium vnter ihnen als Protestirenden Ständen vbergeben/ ihme das jus proponendi und concludendi in ihrem mittel anvertrawet« worden197. Unverkennbar wird Friedrich III. von der Pfalz, dessen standhafte Weigerung, von seinem Heidelberger Katechismus abzurücken, 1566 Geschichte geschrieben hat, hier von Beckmann zu den protestierenden Reichsständen gezählt, die ihn selbst in ihre Mitte, ja an ihre Spitze befördert hätten. Vor diesem Hintergrund ist nun auch eine andere Stelle terminologisch aufschlussreich: Maximilian II. sei auf jenem Reichstag zum Zwecke des Ausschlusses Friedrichs III. aus dem Religionsfrieden so weit gegangen, dass er »wegen des beschuldigten Pfaltzgraffen die anderen Protestirenden Fürsten zusammen erfordert/ ihnen die sache proponiren lassen/ vnd resolution deswegen einzubringen anbefohlen« habe198 . Dieses Zitat ist im Hinblick auf die hier zur Geltung kommende Terminologie bedeutsam, wenn man das vorherige zu seinem Verständnis heranzieht: Die Rede ist von den »anderen Protestirenden Fürsten«; eine solche Formulierung macht jedoch, möchte man sie als Beleg für eine integrative Begriffsnutzung anführen, nur dann Sinn, wenn man unterstellt, der Verfasser halte eben den »beschuldigten Pfaltzgraffen« für einen der protestierenden Fürsten. Und dass er genau das tut, kann nach Lektüre ausgewählter Partien des vorliegenden Werkes nicht in Frage gestellt werden199. Neben der bereits herausgearbeiteten exklusiven Nutzung des Terminus Protestierende zur Benennung der Lutheraner stellt sich hier folglich eine zweite, davon zu unterscheidende Deutungsoption der Begriffsnutzung Beckmanns ein, nämlich eine integrative, die sich letztlich inhaltlich von der der anderen reformierten Schriften, die bisher im Mittelpunkt der Betrachtung gestanden haben, nicht unterscheidet. Dass eben auch diese integrative Deutung in der Ausführliche[n] Behauptung Beckmanns wenn auch selten zu fi nden ist, lässt sich noch durch eine andere Tatsache beweisen: Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass bestimmte auf eine Abhängigkeit hinweisende Parallelen zwischen Beckmanns Ausführliche[r] Behauptung und dem älteren Irenicum des Heidelberger Theologen Pareus existieren 200. Eine dieser Parallelen ist – wie gesagt – der Rückgriff auf die aus altgläubiger Feder stammende Autonomia im Zuge der Darstellung der Ereignisse, die sich auf dem Reichstag von 1566 zugetragen haben. Dieses Indiz reicht zum Beweis jener genannten Abhängigkeit freilich nicht aus. Stellt man nun aber fest, dass sich Beckmann auf eine genau der Passagen beruft, die auch schon 196 197 198 199 200
A.a.O., S. 141. Ebd. A.a.O., S. 127. Vgl. dazu o. Anm. 196 f.! S. dazu o. S. 71 f.
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Pareus für seine Argumentation in Anschlag gebracht hat, und zudem bei der Erwähnung dieser Passage terminologisch genauso verfährt wie der Pfälzische Ireniker, ist eine Abhängigkeit kaum noch von der Hand zu weisen. Schon bei Pareus war zu beobachten, wie er fol. 119v der Autonomia Erstenbergers zitiert und dabei den Eindruck entstehen lässt, als spreche der altgläubige Jurist wörtlich von Protestanten oder Protestierenden 201. Bei der Überprüfung des Zitats stellte sich jedoch heraus, dass Erstenberger jenen Begriff mitnichten gebraucht. Pareus hat ihn völlig eigenmächtig in das der Autonomia entnommene Zitat eingebracht 202 . Und genau dies lässt sich nun auch bei Beckmann beobachten, und zwar an ein und demselben Beispiel: Auch er führt zur Untermauerung seiner Argumente Erstenberger als Gewährsmann an, auch er rekurriert auf das genannte Blatt der Autonomia 203, wobei er im Gegensatz zu Pareus nicht vorgibt, wörtlich zu zitieren, sondern vielmehr eine inhaltliche Zusammenfassung der Ausführungen Erstenbergers bietet. Beckmann schreibt: »So attestiret auch Franciscus Burchhardus204 / daß auff selbtigem Reichstage der Pfaltzgraff als oberster patronus der Calvinisten durch bewilligung der anderen Protestirenden Fürsten vnd Stände das directorium erhalten/ vnd also die Calvinisten für confessionisten seind erkandt/ vnd in den Religionsfrieden aufgenommen worden« 205.
Die Formulierung »andere(n) Protestirende(n) Fürsten und Stände« hat Beckmann dabei genauso wenig wie Pareus der Autonomia entlehnt, sondern ihn eigenständig hinzugesetzt. Demnach handelt es sich auch hierbei um eine Stelle, mittels derer sich die Begriffsdeutung Beckmanns ermitteln lässt, da er sie nicht aus der von ihm angegebenen Quelle bezogen haben kann. Die Beurteilung jener Begriffsdeutung lässt dabei keinen Zweifel zu: Erneut kann die obige Wendung nur dann inhaltliche Kohärenz für sich beanspruchen, wenn der Verfasser Friedrich III. zu den »Protestirenden Fürsten und Stände[n]« zählt; andernfalls macht die Verwendung des Wortes »anderen« schlicht keinen Sinn. Damit liegt auch in diesem Falle eine Belegstelle für die integrative Begriffsnutzung Beckmanns vor 206 , zumal es inhaltlich wieder, wie schon bei jener für die Deutung 201
Vgl. dazu Pareus, Irenicum, S. 297 f. S. dazu o. S. 48 f. mit Anm. 106. 203 Beckmann gibt zwar keine Paginierung an, aber der Wortlaut der Passage lässt keinen Zweifel daran zu, dass auch er sich auf fol. 119 der Autonomia stützt; s. Beckmann, Ausführliche Behauptung, S. 143. Die übrigen Rückgriffe auf Erstenbergers Autonomia machen aber aufgrund der angegebenen Foliozahlen deutlich, dass Beckmann eine andere Aufl age jener altgläubigen Schrift vorgelegen haben muss als Pareus, der sich ja auf die 2. Aufl. der Autonomia stützt. Vgl. dazu z. B. Beckmann, Ausführliche Behauptung, S. 138–140. 204 Es handelt sich bei diesem Namen um das Pseudonym, unter dem Erstenberger seine Autonomia veröffentlicht hat (s. dazu o. Anm. 193). 205 Beckmann, Ausführliche Behauptung, S. 143. 206 Einen entscheidenden Unterschied zwischen Beckmanns Ausführliche[r] Behauptung und Pareus’ Irenicum markiert dabei die Tatsache, dass die erwähnte Einfügung des Heidelberger Theologen auf einen exklusiven Begriffsgebrauch schließen ließ, während sich Beck202
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der Terminologie Beckmanns unverzichtbaren Passage207, um die Übertragung des Direktoriums der Protestanten an den reformierten Kurfürsten geht. Damit ergibt sich bei Betrachtung der vorliegenden Schrift Beckmanns und der in ihr zutage getretenen Verwendung der für diese Untersuchung zentralen Begriffl ichkeit ein ambivalentes Bild, wie es zuvor schon Pareus’ Irenicum bietet, zu dem die Ausführliche Behauptung ja auffallende Parallelen aufweist, welche aufgrund ihrer Qualität eine direkte Abhängigkeit sehr wahrscheinlich machen: Beckmann verwendet den Terminus Protestierende in seinen unterschiedlichen Variationen nicht nur im Vergleich zu den bereits untersuchten Werken aus reformierten Federn auffallend häufig, er erlaubt aufgrund der Verwendungskontexte auch zwei verschiedene Interpretationen seines Begriffsgebrauchs. Zum einen nutzt er jenen Terminus auf hergebrachte Weise, nämlich zur Bezeichnung der lutherischen Reichsstände und Theologen. Sodann ist er aber auch fähig, den terminologisch schöpferischen Impuls der mit ihm konfessionsverwandten Ireniker aufzugreifen und den genannten Begriff integrativ zu verwenden. Diese nachgewiesene Art der Nutzung ist dabei denselben Beschränkungen unterworfen, wie die der zuvor untersuchten Werke: Beckmann kann den Begriff zwar integrativ verwenden, doch nur zur Bezeichnung der Lutheraner auf der einen, der reformierten Reichsstände, genauer eben der Kurpfalz, auf der anderen Seite. Dabei ist auch bei ihm die seiner Auffassung nach unbestreitbar legitime Anerkennung Friedrichs III. als Angehöriger der CA auf dem Reichstag zu Augsburg 1566 der entscheidende historische Kontext, bei dessen Schilderung es zu einer Verwendungsweise jenes Terminus kommt, die inhaltlich eine integrative, dabei freilich vor reichsrechtlichem Hintergrund auch auf die Stände des Reiches begrenzte Deutung zwingend erfordert. Auffällig ist nun, dass die erstgenannte Nutzungs- und Deutungsoption unzweifelhaft die häufigere ist, weshalb sich die zweite schlechterdings nicht als Regelfall bezeichnen lässt. Dennoch: Der aus der reformierten Irenik stammende kreative Umgang mit althergebrachter Terminologie fi ndet auch bei Beckmann seinen Niederschlag, der diesen Impuls zwar selten, aber eben nichtsdestoweniger aufnimmt, und zwar wiederum in engstem Zusammenhang mit der Inanspruchnahme der CA durch und für die Reformierten bzw. mit dem Beweis, dass auch die Reformierten aufgrund der Ereignisse von 1566 einen reichsrechtlich nicht anfechtbaren Anspruch auf den Schutz des Augsburger Religionsfriedens haben. Und unter diesem reichsrechtlichen Schutz werden die Reformierten des Heiligen Römischen Reiches, daran besteht für Beckmann kein Zweifel, manns Ergänzung durch Hinzusetzung des Wortes »anderen« und die von ihm explizit ausgeführte Deutung der Ereignisse auf dem Reichstag von 1566 nur integrativ interpretieren lässt. 207 S. o. Anm. 196 f.
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»auch ins künfftige mit der hülffe Gottes woll bleiben [. . .]/ so lange sie nicht von gedachter vorbesserten vnd nachmals repetirten Augspurg. confession/ wie auch von der mit Herrn Luthero getroffenen concordi/ als auff welche bekandtnüssen vnd vergleichungen der Religionsfriede gerichtet/ nicht abweichen noch abtreten werden« 208 .
3.2. Neue Qualitäten durch Verselbstständigung: Die EXEGESIS Logica & Theologica AUGUSTANAE CONFESSIONIS Heinrich Altings und Johann Crocius’ COMMENTARIUS De AUGUSTANAE CONFESSIONIS SOCIETATE
Eine theologische Auseinandersetzung mit der CA vom Standpunkt reformierter Lehre aus mit dem Ziel, deren völlige Übereinstimmung mit den Inhalten der Bekenntnisschrift zu beweisen, bietet nun der mit dem Pfälzischen Hof emigrierte Theologe Heinrich Alting in seiner EXEGESIS Logica & Theologica AUGUSTANAE CONFESSIONIS , die posthum 1647 in Amsterdam erschien 209. Bereits im dem Werk vorangestellten Widmungsbrief verweist Alting auf die vergangenen Zeiten, in denen »infelix illud Religionis schisma, inter Protestantes Imperii Germanici« um sich gegriffen habe210. Ja, »[v]erum singulari Dei [. . .] clementia [. . .] & laudabili quoque Principum Protestantium moderatione ac prudentia factum est, ut Societas Euangelicorum non divulsa hactenus, sed adversus omnem vim appertam & occultas machinationes incolumis steterit« 211. So spricht Alting den Widmungsempfänger, Landgraf Wilhelm von Hessen, an und lobt: »[. . .] summa cura in id incumbis, ut coalescente ante omnia Principum Protestantium concordia, stabili aliquando pace Germania reflorescere queat« 212 . Schon diese drei direkt zu Anfang der Schrift zu fi ndenden Zitate weisen den Leser in unleugbarer Eindeutigkeit auf die Verwendung und damit 208 Beckmann, Ausführliche Behauptung, S. 144. Interessant ist an dieser Stelle die Meinung Beckmanns, der Augsburger Religionsfriede beziehe sich mit seinen dissimulierenden Formulierungen auf die Variata. Wenn nun auch diese These in der von ihr suggerierten Eindeutigkeit des Vertragstextes letztlich nicht haltbar ist, so lässt sich doch festhalten, dass Beckmann um die dem Text eigene Dissimulation in Bezug auf die Augsburger Konfessionsverwandtschaft weiß und sich somit für die seiner Argumentation angemessene Interpretation des Friedensdokuments entscheidet. 209 Heinrich Alting, EXEGESIS Logica & Theologica AUGUSTANAE CONFESSIONIS : cum Appendice Problematica; Num Ecclesiae Reformatae in Germania pro Sociis Augustanae Confeßionis agnoscendae & habendae sint? Accessit Syllabus Controversiarum Quae Reformatis hodie intercedunt cum Lutheranis, Amsterdam ( Johannes Janssonius) 1647. Heinrich Alting (1583–1644), seit 1608 Lehrer des späteren Kurfürsten Friedrich V., ab 1613 Theologieprofessor in Heidelberg, wich nach der Einnahme und Plünderung Heidelbergs 1622 nach Holland, wohin sich nach seiner politischen Katastrophe auch Friedrich V. geflüchtet hatte. Über Leben und Werk Altings informiert Friedrich Wilhelm Bautz, Art. Alting, Heinrich, BBKL 1 ( 21990), Sp. 132. 210 Alting, EXEGESIS Logica & Theologica AUGUSTANAE CONFESSIONIS, Epistola dedicatoria, unpag., S. 1, meine Zählung. 211 A.a.O., Epistola dedicatoria, S. 2. Diese Aussage Altings ist letztlich nur haltbar, wenn man unterstellt, er spreche dabei von der politischen Geschlossenheit der Evangelischen. 212 A.a.O., Epistola dedicatoria, S. 8.
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die Interpretation des Begriffs Protestantes durch Alting: Der Pfälzer Reformierte deutet ihn integrativ. Zu genau demselben Befund führt auch die Lektüre folgender Passage des Widmungsbriefes: »Hoc potissimum temporis articulo, quo de ineunda Pace Universali, praesertim autem Germanicae Nationi reddenda stabiliendaque serio deliberatur; cujus sane non exiguum momentum in pace Religionis, & Principum Protestantium indissolubili inter se unione consistere omnes rerum periti intelligunt« 213.
Nun ist es aber gar nicht nötig, sich Altings Begriffsinterpretation durch inhaltliche Analyse bestimmter Ausführungen zu erschließen, denn er gibt dem Leser selbst Auskunft darüber, wie er jenen Terminus gebraucht bzw. warum er ihn auch auf die Glieder der Ausformung reformatorischen Kirchentums, dem er sich selbst zutiefst zugehörig weiß, anwendet. Seiner theologisch-dogmatischen Auseinandersetzung mit der CA 214, durch die er die unanfechtbare Kongruenz des Bekenntnisses mit der reformierten Lehre zu beweisen sucht und der er eine »DISPUTATIO HARMONICA, Confeßionum AUGUSTANAE, PALATINAE, & HELVETICAE Orthodoxum Consensum« vorschaltet 215 , lässt er eine »Appendix problematica« folgen 216 , in deren Verlauf er bestimmte, meist durch ungerechtfertigte Vorwürfe der Lutheraner zustande gekommene Zweifel an der Augsburger Konfessionsverwandtschaft der Reformierten durch Beseitigung aller Missverständnisse ausräumen möchte. Dabei kommt er eben auch klärend auf die von ihm angewendete Terminologie zu sprechen, die er, wie leicht zu erkennen ist, als allgemein gebräuchlich darzustellen bestrebt ist: »Ecclesiae Reformatae« würden die genannt, die sich einst von der Papstkirche gelöst und dabei Ritus und Lehre gemäß der Regel des göttlichen Wortes, wie es in den Heiligen Schriften überliefert ist, reformiert und die um sich greifende Lehre von der leiblichen Gegenwart und dem mündlichen Verzehr Christi beim Abendmahl nicht weniger als andere Irrlehren, abergläubische Riten und Missbräuche der Papstkirche verworfen und zurückgewiesen hätten 217. Dieselben Kirchen seien »Ecclesiae [. . .] Euangelicae«, weil sie das ewige Evangelium mit als erste in ihr Herz geschlossen hätten – das ewige 213
A.a.O., Epistola dedicatoria, S. 5. A.a.O., S. 5–114. 215 A.a.O., S. 11–28. Die »DISPUTATIO HARMONICA« fi ndet sich direkt im Anschluss an den Widmungsbrief und wurde gemeinsam mit diesem wegen der fehlenden Seitenzahlen von mir selbst durchgängig paginiert. 216 A.a.O., S. 114–128. 217 Dies ist zweifelsohne eine wohlbedachte Spitze auch gegen das Luthertum bzw. seine Abendmahlslehre. So schreibt Alting über die Lutheraner: »[. . .] non modo in Doctrina de Coena, sed in plurimis quoque aliis articulis, contra Scripturarum, atque ipsius etiam Lutheri authoritatem, schismatis fovendi causa, ab Orthodoxis discedunt: qui propterea PseudoLutherani potius, quam Lutherani dici merentur« (a.a.O., S. 137). Die an Pareus erinnernde Identifi kation der Reformierten mit den »Orthodoxis« rundet die jener Aussage innewohnende Polemik gleichsam ab. 214
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Evangelium, das der Antichrist durch ständige Verdunkelungen zu unterdrücken gewünscht habe und das er, als es zurück ans Licht geführt worden sei, gewagt habe, als Neugeburt zu verleumden – und weil sie es bis hierher rein und unverdorben durch die Gnade des einen Gottes verkündet und verbreitet hätten. »Denique etiam Ecclesiae Protestantium appellantur: quia Magistratus earum una protestati sunt adversus iniquissimum decretum Comitiorum Spirensium Anno Christi 1529. quo proscribebantur, quicunque de Coena Domini secus, quam Ecclesia Romana sentirent ac docerent. Has Ecclesias adversarii Lutherani odiosis Zwinglianorum, Sacramentariorum & Calvinianorum nominibus traducunt & exagitant« 218 .
Mit diesen Ausführungen bietet Alting ohne Frage ein terminologiegeschichtlich bedeutendes Dokument dar, gewährt es doch einen Blick auf eine zeitgenössische Begriffsdefi nition: Zum ersten Mal im Kontext dieser Untersuchung legt ein Autor in Form einer Begriffserklärung, die dem Leser geradezu das herrschende reformierte Selbstverständnis in komprimierter Form vor Augen stellt, indirekt Rechenschaft ab über die selbst gewählte Begriffl ichkeit zur Bezeichnung der eigenen Konfession. Der in pfälzischen Diensten stehende reformierte Theologe Alting erklärt selbst, woher die Bezeichnung »Ecclesiae Protestantium« stammt und führt sie völlig zutreffend auf die Protestation von Speyer von 1529 zurück. Die Betonung, dass die Protestation aber zugleich als öffentliche Stellungnahme für eine von der altgläubigen abweichenden Abendmahlslehre zu werten sei, ist wohl der polemischen Haltung des aus der Pfalz geflohenen Reformierten nicht zuletzt gegenüber seinen lutherischen Kontrahenten geschuldet. Denn zieht man diese im Hinblick auf die Deutung der reichsrechtlichen Ereignisse von 1529 doch verwundernde Aussage mit der Begründung zusammen, warum die reformierten Kirchen überhaupt »Ecclesiae Reformatae« genannt werden, und erinnert sich dabei der wohlgesetzten Spitze gegen die als altgläubig entlarvte Abendmahlslehre lutherischer Theologen, muss auch jene durch die Protestation zum Ausdruck gebrachte Ablehnung der 218 A.a.O., S. 114 f. Die terminologischen Erläuterungen Altings lauten im Original insgesamt: »Ecclesiae Reformatae vocantur, quae secessione facta a Papatu Romano, doctrinam ac ritus sacros reformarunt, juxta normam Verbi divini in scriptis Propheticis & Apostolicis: nec minus erroneam opinionem, de corporali Christi praesentia & orali manducatione in Sacramento Coenae, quam alios errores, superstitiones, & abusus Papatus Romani, rejecerunt & repudiarunt. Eaedem Ecclesiae dici solent Euangelicae: quia Euangelium aeternum, Apoc.14. V.6. quod Antichristus perpetuis tenebris oppressum cupivit, in lucem vero reductum ceu novum & heri natum criminari ausus fuit, inter primos amplexae sunt; & hucusque integrum ac incorruptum singulari Dei gratia praeconiaverunt & propagarunt. Denique etiam Ecclesiae Protestantium appellantur: quia Magistratus earum una protestati sunt adversus iniquissimum decretum Comitiorum Spirensium Anno Christi 1529. quo proscribebantur, quicunque de Coena Domini secus, quam Ecclesia Romana sentirent ac docerent. Has Ecclesias adversarii Lutherani odiosis Zwinglianorum, Sacramentariorum & Calvinianorum nominibus traducunt & exagitant« (a.a.O., S. 114). Die Hervorhebungen durch Kursivschrift erfolgten durch Alting.
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altgläubigen Lehre vom Abendmahl letztlich auch und gerade als antilutherische Polemik verstanden werden. Schließlich spricht Alting den Lutheranern seiner Zeit damit – denkt man seine Aussagen konsequent weiter – das Recht ab, sich überhaupt noch als Protestantes bezeichnen zu dürfen. Nichtsdestotrotz macht Alting durch seine eigene Begriffsdefinition deutlich, wie er jenen Terminus deutet: Die reformierten Reichsstände sind letztlich ebenso Protestantes wie – zumindest 1529 noch – die lutherischen. Dass er dabei den jedoch nur bedingt integrativen, aus der Pfälzischen Irenik stammenden Gebrauch zugrunde legt, beweist folgende Formulierung: In Worms sei es 1557 zu einer »intercessio Theologorum Protestantium pro Gallis captivis religionis« gekommen, »qua Confessionis Gallicanae cum sua, id est, Augustana consensum diserte commendant & praedicant« 219. Alting unterscheidet folglich nicht nur terminologisch zwischen Protestanten und den Anhängern ausländischer reformierter Kirchen, sondern er unterstreicht auch, dass die CA das protestantische Bekenntnis ist. Damit steht die bereits bekannte und in Ursins Christliche]r] Erinnerung Vom CONCORDIBVCH erstmals in integrativer Absicht schöpferisch etablierte Identifi zierung der Protestanten mit den Augsburger Konfessionsverwandten vor Augen. Bezüglich der Augsburger Konfessionsverwandtschaft führt Alting nun grundsätzlich und streng systematisch aus, die Richtschnur des Konsenses, der die Gemeinschaft des Augsburger Bekenntnisses ausmache, eben weil diese nichts anderes sei als die wechselseitige Übereinstimmung in den für das Heil unabdingbaren und in den Artikeln der CA enthaltenen Lehrpunkten, sei der Maßstab der Wahrheit selbst, nämlich die Heilige Schrift; diejenigen, die – dieser Richtschnur folgend – mit dem Augsburger Bekenntnis übereinstimmten, stimmten in der Wahrheit überein, diejenigen aber, die in ihrer Ablehnung der in der CA vertretenen Lehre übereinstimmten, stimmten, weil und sofern ja das Augsburger Bekenntins die Heilige Schrift zur Richtschnur habe, im Irrtum überein. Der Gegenstand jenes Konsenses sei dabei die zum Heil notwendige, also fundamentale Lehre, wohingegen der Gehorsam gegenüber den Adiaphora freigestellt sei. Ein beliebiger Dissens, auch in den weniger wichtigen Lehren, habe somit nicht das Potential, das Band christlicher Gemeinschaft zu zerstören 220. Wenig überraschend schließt Alting, der offenbar – wie einst Pareus – le219
A.a.O., S. 125. S. dazu auch a.a.O., S. 122. A.a.O., S. 116. »Societas Augustanae Confeßionis est mutuus consensus in eadem formula doctrinae Christianae, ad salutem necessariae, & Articulis Confessionis comprehensae. Hujus primo norma, tum etiam subjectum spectanda sunt. Norma consensus ea est, quae est regula veritatis ipsius: enim: Scriptura Prophetica & Apostolica V. & N. T. Juxta hanc normam, qui cum Augustana Confessione consentiunt, in veritate consentiunt: qui contra eam consentiunt, consentiunt in errore. Subjectum consensus est doctrina necessaria ad salutem, ac fundamentalis. Adiaphora sunt liberae observationis. Nec quilibet dissensus, etiam in dogmatibus minus principalibus, rumpit vinculum Christianae Societatis«. Es sei an dieser Stelle auf die Rahmung der zitierten Passage hingewiesen, die eine Gleichsetzung der »Societas Augusta220
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diglich an einem Konsens in den für das Seelenheil unabdingbaren Fundamentalartikeln interessiert ist, daran an: »Ita explicatis terminis Problematis, asseveremus, Reformatas per Germaniam Ecclesias pro Augustanae Confeßionis sociis agnoscendas & habendas esse« 221. Denn die »Ecclesiae Reformatae per Germaniam« hätten ihre Übereinstimmung in den Fundamentalartikeln mit der CA öffentlich bezeugt und bewiesen: »Ergo Ecclasiae Reformatae per Germaniam pro Sociis Augustanae Confessionis merito agnoscendae & habendae sunt« 222 . Die damit angedeutete, eben nicht vollkommene Übereinstimmung – sie bezog sich schließlich nur auf die fundamentalen, also für das Seelenheil notwendigen Artikel – gehe zurück auf zwei seit 1529 unverglichene Lehrpunkte, nämlich »de corporali praesentia Christi in, cum, sub pane & vino: & de manducatione infidelium. In reliquis, etiam ante natam Augustanam Confessionem, consensus constitutus fuit Colloquio Marpurgensi« 223 : Dass die reformierten Reichsstände vollkommen legitim als Verwandte der CA anzusehen seien 224, beweise nicht nur die Tatsache, dass die Theologen der reformierten Kirchen bei öffentlichen Kolloquien die Lehre, wie sie das Augsburger Bekenntnis vertritt, gemeinsam mit den lutherischen Gelehrten verteidigt hätten, sondern auch, dass ihre weltlichen Obrigkeiten in die Gemeinschaft der Augsburger Konfessionsverwandten aufgenommen und als solche auch bestätigt worden seien: »Ergo Ecclesiae Reformatae pro sociis Augustanae Confessionis merito habentur« 225. Es gelte also zusammenfassend festzuhalten: »Ecnae Confeßionis« und der »Christianae Societatis« impliziert. Zieht man die defi nitorischen Ausführungen (besonders die Passage »Juxta hanc normam [scil. Scriptura Prophetica & Apostolica V. & N. T., C. W.], qui cum Augustana Confessione consentiunt, in veritate consentiunt: qui contra eam consentiunt, consentiunt in errore.«) mit der in Anm. 217 zitierten Passage zusammen, wird deutlich, wie Alting dem lutherischen Gegenüber letztlich die Augsburger Konfessionsangehörigkeit absprechen will – zumindest solange die Lutheraner an ihren sie von den Orthodoxen, also den Reformierten trennenden Irrlehren festhalten. 221 Ebd. 222 A.a.O., S. 117. Es sei hier der gesamte zur Beweisführung konstruierte Syllogismus Altings angeführt: »Quae Ecclesiae de omnibus articulis doctrinalibus, uno, eoque non toto, nec fundamentali excepto, idem sentiunt cum Augustana Confessione: & Consensum suum publice testificati sunt & approbarunt; eae pro sociis Augustanae Confessionis merito agnoscendae & habendae sunt. Atqui Ecclesiae Reformatae per Germaniam, de omnibus articulis doctrinalibus, uno, eoque non toto, nec fundamentali excepto, idem sentiunt cum Augustana Confessione & consensum suum publice testificati sunt & approbarunt. Ergo Ecclasiae Reformatae per Germaniam pro Sociis Augustanae Confessionis merito agnoscendae & habendae sunt« (ebd.). 223 A.a.O., S. 120. 224 Mehr zwischen den Zeilen bezieht Alting dabei auch zu der Frage, welche Version der CA nun die eigentlich maßgebliche sei und die Zustimmung der Reformierten auf sich ziehe, Stellung, wenn er beispielsweise erklärt, »[n]on minus repetitas & emendatas editiones, quam primam pro genuina Confessione Augustana agnoscendas & admittendas esse« (a.a.O., S. 116). 225 A.a.O., S. 123. Auch hier bedient sich Alting eines Syllogismus, der die Konfessionsverwandtschaft der Reformierten allerdings nun nicht mehr theologisch untermauern soll
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clesiae Reformatae testatae sunt, & approbarunt consensum suum cum Ecclesiis & Doctoribus Augustanae Confessionis, diversis locis & temporibus«, z. B. in Marburg 1529 und mit der Wittenberger Konkordie von 1536226 . Dass die Lutheraner genau dies den Reformierten wegen der ihnen – natürlich zu unrecht – unterstellten Lehrabweichung vom Augsburger Bekenntnis bestritten, obwohl diese offi ziell als Angehörige der CA zum Beispiel 1566 anerkannt worden seien, und die vermeintlichen Anhänger Luthers bei anderen tatsächlichen Abweichlern wie den Flacianern, Synergisten oder Adiaphoristen keinerlei Schwierigkeiten hätten, diese als Angehörige der CA anzuerkennen, führe die lutherischen Vorwürfe endgültig ad absurdum 227. Zumal eben nicht die Reformierten mit ihrer Lehre, sondern vielmehr die Lutheraner selbst der Einigkeit der Kirche Christi im Wege ständen, wie schon der Wortlaut genau jener Bekenntnisschrift bezeuge, auf die sie sich mit Vorliebe beriefen und deren Inanspruchnahme durch und für die Reformierten sie so beständig bekämpften: »Quod ipsa confessio docet Articulo VII. ubi sic ait: Ad veram unitatem Ecclesiae satis est consentire de doctrina Euangelii, & administratione Sacramentorum, scilicet secundum institutionem Christi« 228 . Würden also die lutherischen Theologen die Sakramente, primär das Abendmahl, »secundum institutionem Christi« verwalten, wie es die Reformierten nach Meinung Altings selbstverständlich tun, stünde der Einheit der Kirche nichts mehr im Wege. Im Vergleich zu den Werken seiner akademischen Vorgänger in der Kurpfalz weht in der EXEGESIS Logica & Theologica AUGUSTANAE CONFESSIONIS Altings ein doch unverkennbar anderer Wind. Von den irenischen Leitgedanken Ursins oder Pareus’ ist bei ihm nichts mehr zu spüren; das vorliegende Werk des gezwungenermaßen in Amsterdam lebenden Theologen, der den Gesamtverlauf des Zeitalters des Dreißigjährigen Krieges mit dem kurzen Glanz, den es der Kurpfalz bescherte, und den umso fataleren Folgen, die daraus dem einst so einflussreichen Reichsterritorium erwuchsen, miterlebt hat, erhebt nicht den Anspruch, die irenischen Traditionen der reformierten pfälzischen Theologie fortzusetzen. Es ist im Gegenteil eine höchst polemische Schrift, die dabei aber unerschütterlich den Grundgedanken der großen Heidelberger Ireniker vertritt, den diese einst mit Ursin beginnend entwickelt haben – man möchte von (vgl. o. Anm. 222), sondern einer eher historischen Argumentation folgt: »Quarum Ecclesiarum tum Theologi publicis colloquiis defenderunt doctrinam Augustanae Confess. una cum Doctoribus Lutheranis: tum Magistratus recepti sunt in societatem Augustanae Confessionis atque etiam confi rmati in ea: illae Ecclesiae pro sociis Augustanae Confess. merito habentur. Atqui Ecclesiarum Reformatarum tum Theologi publicis colloquiis defenderunt doctrinam Augustanae Confessionis una cum Doctoribus Lutheranis: tum Magistratus recepti sunt in societatem Augustanae Confessionis, atque etiam in ea confi rmati. Ergo Ecclesiae Reformatae pro sociis Augustanae Confessionis merito habentur« (a.a.O., S. 122 f.). 226 A.a.O., S. 121. 227 A.a.O., S. 117 f. 228 A.a.O., S. 116.
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Alting aus fast sagen: zwar in weiser Voraussicht, aber letztlich lange ohne den erhofften Erfolg. Die historischen Ereignisse – wie der Reichstag von 1566 – seien Beweise für die ursprünglich nie, und wenn, dann nur von streitsüchtigen Uneinsichtigen in Frage gestellte Augsburger Konfessionsverwandtschaft der reformierten Reichsstände, die sich nicht nur historisch, sondern durchweg auch theologisch begründen lasse. Dabei sei eben ihre Konfessionsverwandtschaft der unleugbare Grund dafür, dass der Schutz des Religionsfriedens von 1555 auch den Reformierten im Reich gelte. Dies ist – genau wie in den bisher betrachteten Quellen – der reichsrechtliche Hintergrund, vor dem Alting den Terminus Protestantes bedingt integrativ verwendet, nämlich zur Bezeichnung sowohl der lutherischen wie der reformierten, folglich aller sich der CA angehörig wissenden Reichstände in ihrer Gesamtheit. Die reformierten Kirchen außerhalb der Grenzen des Heiligen Römischen Reiches nimmt er demnach nicht in den Blick, wenn er von Protestantes spricht. Auf zweierlei Weise hebt sich die EXEGESIS Logica & Theologica AUGUSTANAE CONFESSIONIS dabei in ihrer terminologiehistorischen Qualität von den zuvor analysierten Werken, denen ja die gleiche Begriffsdeutung nachgewiesen werden konnte, ab: Zum einen liefert Alting selbst dem Leser eine sein Begriffverständnis gleichsam defi nierende Begründung, warum er den Terminus Protestantes auch selbstbezeichnend auf die reformierten Kirchen des Reiches anwendet. Sodann bringt er diese Defi nition, die letztlich Teil des Dreischritts reformierte, evangelische und protestantische Kirchen ist, und damit jenen Begriff in polemischer Absicht in Stellung, indem er unmissverständlich deutlich macht, dass im Grunde bei gegenwärtigem Stand der theologischen Diskussion ausschließlich die Reformierten das Recht haben, sich Protestanten zu nennen. Negativ formuliert: Aufgrund ihrer Lehrinhalte besonders in Bezug auf das Abendmahl und die Ubiquität dürften sich die Lutheraner eigentlich nicht mehr als Protestanten verstehen. Tun sie es doch, so handelt es sich dabei eher um eine Anmaßung als um eine rechtmäßige Selbstbezeichnung. Diese Spitze ist zwar in aller Deutlichkeit gegeben, wird aber von Alting doch nicht zu jeder sich bietenden Gelegenheit in Anschlag gebracht, sondern tritt nur an ausgewählten, dann aber für den aufmerksamen lutherischen Leser jener Tage umso schmerzhafteren Stellen seiner vorliegenden Schrift ans Licht. Es ist nun bereits aufgezeigt worden, dass den Bestrebungen der Reformierten, den Nachweis für die eigene Konfessionsverwandtschaft und damit für den ihnen reichsrechtlich zustehenden Schutz des Religionsfriedens zu erbringen, nicht nur in der Kurpfalz bzw. von den in ihren Diensten stehenden Theologen, sondern auch in anderen reformierten Reichsterritorien durch die Veröffentlichung bestimmter Schriften Ausdruck verliehen wurde. Man erinnere sich dabei an Zepper in Herborn und Pezel in Bremen. So leistete auch Johann Crocius von Kassel aus jenen Bestrebungen Vorschub. Wie Alting, so nahm auch
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Crocius 1647 die Gelegenheit wahr, ein Werk zu veröffentlichen, das sich der Inanspruchnahme der CA für die reformierte Sache widmet. Diese massive Schrift wurde unter dem Titel COMMENTARIUS De AUGUSTANAE CONFESSIONIS SOCIETATE in Kassel gedruckt 229. Wäre der Inhalt neu oder im Vergleich zu den bereits der Analyse unterzogenen Quellen originell, bedürfte er einer eingehenderen Untersuchung bzw. einer ausführlicheren Darstellung. Doch Crocius ist in seiner Argumentation keineswegs schöpferisch: In großer Ausführlichkeit referiert und reflektiert auch er die einzelnen einschlägigen historischen Stationen, die seiner Meinung nach als Belege dafür dienen können, dass die Reformierten schon seit jeher auch von den Lutheranern als rechtmäßige Verwandte des Augsburger Bekenntnisses anerkannt worden seien 230. Schon diese Anerkennung bezeuge, dass die reformierten Reichsstände Anspruch auf den Schutz des Augsburger Religionsfriedens hätten. Doch selbstverständlich bleibt auch Crocius dabei nicht stehen: Penibel nennt er, sich ständig wiederholend, alle ihm zu Gedächtnis gekommenen Gelegenheiten, zu denen sich reformierte Theologen selbst zur CA bekannt hätten. Kurz: Der COMMENTARIUS De AUGUSTANAE CONFESSIONIS SOCIETATE ist das bisher bei weitem ausführlichste Werk, das im Rahmen dieser terminologiegeschichtlichen Untersuchung in den Blick genommen worden ist, ohne dabei inhaltlich-argumentativ sonderlich kreativ zu wirken. Doch man tut Johann Crocius Unrecht, wollte man behaupten, sein Werk lohne die Lektüre nur, um bei den vorherigen Autoren seiner Konfession gemachte Beobachtungen zu wiederholen und damit bereits erzielte Ergebnisse auch in diesem Falle als stichhaltig zu erweisen. Auf den ersten Blick ergibt sich, ergründet man den hier im Mittelpunkt des Interesses stehenden Begriffsge-
229 Johann Crocius, Protestantium paci sacer COMMENTARIUS De AUGUSTANAE CONFESSIONIS SOCIETATE , Quo demonstratur, Reformatos Ordines & coetus NEC EA VNQVAM EXCLVSOS, CAVSA RITE COGNITA, CONSENTIENTIBVS Protestantium reli-
quorum suffragiis, Nec leges, opiniones & ceremonias a Regiomontano ministerio praescriptas recipere sub exclusionis periculo teneri, Solutis complurium theologorum politicorumque argumentis, Ex IMPERATORUM, REGUM, PRINCIPUM, aliorum dictis, factis, Itemque Comitiorum Imperii, principalium Conventuum, Synodorum, Colloquiorum Actis, Protocolis, aliis historiae secularis & ecclesiasticae monumentis, In Serenissimi Electoris Brandeburgici, Dn. Johannis Sigismundi, nunc coelitis, causa primum consignatus, dein varie auctus & bono tandem publico in lucem editus, Kassel ( Jakobus Gentschius) 1647. Crocius (1590–1659) wirkt ab 1612 als Hofprediger des Landgrafen Moritz zu Kassel, wird 1633 zum Rektor der dort neugegründeten Universität bestimmt und übernimmt schließlich 1653 das Rektorat der Marburger Universität [s. zu seiner Biographie Carl Mirbt, Art. Crocius, Johann, RE3 4 (1898), S. 331–333 und Friedrich Wilhelm Bautz, Art. Crocius, Johann, BBKL 1 ( 21990), Sp. 1162 f.]. 230 Exemplarisch sei hier auf Crocius’ Darstellung der Vorgänge auf dem Augsburger Reichstag von 1566 verwiesen, auf dem Friedrich III. auch von den lutherischen Reichsständen als Augsburger Konfessionsverwandter anerkannt worden sei (vgl. dazu Crocius, COMMENTARIUS De AUGUSTANAE CONFESSIONIS SOCIETATE , S. 181–203).
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brauch Crocius’, ein gewohntes Bild, das in der Tat die bislang erarbeiteten Befunde voll und ganz bestätigt 231: Schon in der Widmung seiner Schrift verleiht er der Hoffnung Ausdruck, sein Werk möge dazu dienen, »pacem concordiamque Protestantium ecclesiarum« herzustellen 232 . Schließlich würden gegenwärtig die unbedachten Rufe streitsüchtiger Zeitgenossen immer lauter: »Hoc ipso audias tempore, qui clament, Reformatos a Statibus A. C. ubique exclusos fuisse: Audias, qui insolentem Ordinum Augustanae confessionis & Reformatorum oppositionem ingerant« 233. Genau dem müsse nun entgegengearbeitet werden. Denn eines stehe unverrückbar fest: »Protestantium in Germania confessio est Augustana« 234. Dass nun auch die reformierten Reichsstände wegen des großen diesbezüglichen Engagements der Kurpfalz als Angehörige der CA zu gelten haben, beweise nicht zuletzt die Tatsache, dass Kurfürst Friedrich III. auf dem Naumburger Fürstentag 1561 zusammen mit anderen Kurfürsten und Fürsten das Augsburger Bekenntnis mit eigener Hand unterzeichnet habe, was ihm die Anerkennung als Augsburger Konfessionsverwandter durch Kaiser Ferdinand I. persönlich eingebracht habe, der ihm seine Kurfürstenwürde deswegen allerdings nicht abgesprochen habe235. Und nicht nur Friedrich III. habe als reformierter Reichsfürst die CA mit eigener Hand unterschrieben und damit einerseits seiner Anerkennung des Bekenntnisses einen kaum noch zu steigernden Ausdruck verliehen, anderseits von höchster Instanz Anerkennung als Augsburger Konfessionsangehöriger erfahren, sondern »receperunt pridem [nämlich die CA, C. W.], recipiuntque lubenter Electores, Principes, Comites, Civitates, Ecclesiae. Recepit Fridericus Palatinus Septemvir. Non solum recepit, sed & propria subscripsit manu Naumburgi. Receperunt Johannes Casimirus, Fridericus IV. Fridericus V. Johannes, plures alii Palatini comites. Receperunt Septemviri & Marchiones Brandeburgici, [. . .] Mauritius & Guilielmus Hassiae Landgravii receperunt« 236 .
231 Aufgrund der hohen Quantität der Begriffsverwendung (vgl. exemplarisch a.a.O., S. 5, 35, 44, 47, 49, 55, 63, 66 f., 69 f., 72, 74, 76, 83, 90, 116, 138, 143 f., 146, 155, 157 f., 160, 164, 188 f., 198–203, 207 f., 272, 480 f., 483, 500, 517, 520, 554, 599) wird sich die Analyse auf die wenigen, wirklich aussagekräftigen Stellen des COMMENTARIUS De AUGUSTANAE CONFESSIONIS SOCIETATE beschränken. 232 A.a.O., Dedicatio, unpag., S. 10, meine Zählung. Die Widmung ist an Friedrich Wilhelm von Brandenburg gerichtet. 233 A.a.O., Dedicatio, S. 7. 234 A.a.O., S. 599. 235 A.a.O., S. 62 f.: »Fridericus Palatinus Septemvir anno sexagesimo primo cum caeteris Electoribus & Principibus confessioni propria manu subscripsisset Naumburgi, eamque Ferdinando Imperatori obtulisset, hic eum non excludit, ob doctrinae nostrae professionem, Electoratu, quem ipso regnante adiverat, non movet, sed confessionis Augustanae socium agnoscit«. 236 A.a.O., S. 534. Crocius weiß noch weitere Reichsstände aufzuzählen, die unlängst die CA als ihr Bekenntnis anerkannt hätten (ebd.).
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Nun stellt sich in diesem Zusammenhang natürlich auch für Crocius die Frage, ob die Invariata oder die 1540 durch Melanchthons Überarbeitung zustande gekommene Variata mit ihren für den gesamten Diskurs entscheidenden Änderungen des das Abendmahl betreffenden 10. Artikels die maßgebliche Fassung des protestantischen Grundbekenntnisses »in Germania« sei. Sein Votum für die Variata überrascht nicht, zumal doch das Augsburger Bekenntnis eine mehrfache Revision erfahren habe, wobei gerade die Editionen der CA von 1540 und 1542 »utraque Witebergae superstite & sciente D. Luthero« ins Werk gesetzt worden seien 237. Zudem sei von den 1558 in Frankfurt versammelten Fürsten auch in der Abendmahlsfrage eine vermittelnde, gleichsam versöhnliche Haltung beschlossen worden, wie »in recessu Protestantium Francofurtensi« 238 deutlich werde. Abgerundet wird auch die Argumentation des Kasseler Theologen durch die Berufung auf eine altgläubige Quelle, die beweise, dass die Reformierten 1566 als Angehörige der CA anerkannt worden seien. Diese als Beleg herangezogene Schrift für die durchaus begründbare reformierte These, durch die lutherische Sanktionierung der Augsburger Konfessionsverwandtschaft Friedrichs III. sei zugleich das Reformiertentum im Reich als der CA verwandt anerkannt worden, ist schon mehrfach genannt worden und scheint sich unter einigen der reformierten Autoren, die jene These in ihren Werken vertreten, als Plausibilisierungsinstanz einer gewissen Beliebtheit erfreut zu haben: Es handelt sich erneut um Erstenbergers Autonomia 239, auf die sich ja bereits Beckmann und vor allem Pareus stützten 240. Somit lässt sich festhalten, dass Johann Crocius den Terminus Protestantes integrativ verwendet, wobei sich seine Begriffsdeutung letztlich auf eben den Dreischritt gründet, der seit Ursin in der reformierten Literatur, die sich mit der Inanspruchnahme der CA für die Reformierten im Reich befasst, gebräuchlich ist: Als Protestanten werden die Augsburger Konfessionsverwandten bezeichnet; nun wird der Nachweis erbracht, dass auch die Reformierten als Angehörige der CA zu gelten haben – was auch die Gegner aus dem lutherischen Lager nicht widerlegen könnten, so sehr sie sich auch abmühten 241. Genau diesem 237
A.a.O., S. 30 f. A.a.O., S. 483; zum Frankfurter Rezess vgl. auch a.a.O., S. 240 f. 239 A.a.O., S. 196 f.; auch a.a.O., S. 672 f. beruft sich Crocius auf Erstenberger, den er freilich nur unter seinem Pseudonym nennt. Bei der Zitation kommt es im COMMENTARIUS De AUGUSTANAE CONFESSIONIS SOCIETATE übrigens nicht zu den Hinzusetzungen, die sich sowohl bei Pareus als auch bei Beckmann beobachten ließen. Die von den beiden letztgenannten Autoren gleichermaßen angeführte Stelle der Autonomia wird von Crocius nicht zitiert. 240 Vgl. zu Erstenbergers Inanspruchnahme durch Beckmann S. 71–73 in dieser Arbeit, zu Pareus S. 48 f. 241 Crocius, COMMENTARIUS De AUGUSTANAE CONFESSIONIS SOCIETATE , S. 169: »Legant, perlegant, relegant [die lutherischen Gegner, C. W.], quicunque volent, totum Recessum [gemeint ist der Text des Augsburger Religionsfriedens, C. W.]; argumentum nullum 238
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Selbstverständnis der Reformierten wird terminologisch schließlich dadurch Ausdruck verliehen, dass auch sie sich aufgrund der historisch-reichsrechtlichen Beweislage als Protestantes betiteln. Fragt man sich nun, woher der Kasseler Gelehrte seine Terminologie bezieht, so lässt sich die begründete Vermutung anstellen, dass sie im Wesentlichen durch Pareus geprägt worden ist. Crocius nahm den berühmten Pfälzischen Ireniker zur Kenntnis und rezipierte ihn, was nicht nur sein eigener Eintrag im Register belegt 242 , sondern auch die zahlreichen Passagen bestätigen, in denen sich Crocius auf Pareus und seine Werke, vor allem das Irenicum, bezieht 243. Zwar lässt sich aufgrund der entsprechenden Bezugstellen keine direkte, mittels bestimmter Zitate belegbare Abhängigkeit von der Terminologie Pareus’ feststellen, doch dass Crocius das Irenicum gelesen hat, ist unleugbar, so dass eine Beeinflussung seiner integrativen Begriffsdeutung durch die des pfälzischen Theologen als sehr wahrscheinlich gelten kann. Johann Crocius weicht also in seinem COMMENTARIUS De AUGUSTANAE CONFESSIONIS SOCIETATE von der bisher herausgearbeiteten, in der reformierten Literatur nachweisbaren Terminologie auf den ersten Blick nicht ab, wie schon der umfangreiche Titel des Werkes nahelegt. Zwar ist die Quantität eine andere, nämlich eine unverkennbar höhere als in den zuvor untersuchten Quellen – Protestantes ist nicht mehr eine mehr ausnahmsweise auftretende und quantitativ hinter den eigentlichen Integrationsbegriff »Evangelici« 244 zurücktretende Bezeichnung; vielmehr wird ihre Verwendung zur Regel 245 –, doch die Begriffsdeutung scheint im Wesentlichen kongruent mit der im bereits analysierten reformierten Schrifttum herausgestellten zu sein. Es ist jedoch eingangs angedeutet worden, dass man dem Werk Crocius’ Unrecht tut, sofern man meint, die Lektüre seines COMMENTARIUS De AUGUSTANAE CONFESSIONIS SOCIETATE diene letzten Endes lediglich der Bestätigung schon erzielter terminologiegeschichtlicher Ergebnisse. Von großer Bedeutung ist dabei für das Verständnis seiner Begriffsinterpretation die Aussage: »Protestantium in Germania confessio est Augustana«. Die CA, hier unausgesprochen in der von Melanchthon überarbeiteten und 1540 veröffentlichten Fassung, wird also von Crocius als das protestantische Bekenntnis – man ist reperient, quo constet, nostros Caesaris & Ordinum judicio accenseri non adhaerentibus Augustanae, qua magistratibus nostris in Germania recepta publice proponi, in ecclesiis ubique admitti, in academiis & scholis ordinarie explicari, a doctoribus contra sophistas fortiter asseri, denique ad ea diligenter duci juventutem, illi ignorare nequeunt, qui rerum nostrarum statu proprius inspexerunt«. 242 A.a.O., Index rerum ac verborum, S. 31, meine Zählung. 243 A.a.O., S. 480, 494, 496, 544 f., 586 f., 599, 616, 675, 691. 244 A.a.O., S. 25, 43 f., 59, 67, 69, 86, 102, 195 f., 263, 313, 479 u. ö. 245 S. dazu o Anm. 231. Der Begriff »Evangelici« wird also in unterschiedlichen Varianten von Crocius zwar verwendet, aber bei weitem nicht so häufi g wie die Bezeichnung Protestantes in ihren differenten Spielarten.
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versucht zu sagen: schlechthin – identifi ziert. Daraus ergibt sich für ihn unweigerlich die Tatsache, dass auch die reformierten Reichsstände Protestantes sind, denn es geht ihm genau um den Nachweis, dass auch sie den historisch-rechtlich erwiesenermaßen vollkommen legitimen Anspruch erheben, dem Augsburger Bekenntnis verwandte Stände zu sein, und zwar im Hinblick auf das lutherische Selbstverständnis ohne Qualitätsunterschied. Der Versuch, diesen Nachweis zu erbringen und gleichzeitig in erster Linie für das lutherische Gegenüber plausibel zu machen, wird seit der Pfälzischen Irenik unternommen und hat diese schließlich überlebt. Nun widmet sich Crocius, auch das ist nicht neu, natürlich auch den reformierten Kirchen, die außerhalb des Reichsgebietes bestehen, also u. a. den evangelischen Kirchentümern in England, Frankreich, der Schweiz und Polen. Just im Zuge dieser Beschäftigung geschieht begriffsgeschichtlich Bemerkenswertes: Wirft man einen Blick in den Index rerum ac verborum und überblickt die Eintragungen unter dem Lemma Protestantes, entdeckt man die nach den bisherigen Beobachtungen gleichermaßen überraschende wie aufschlussreiche Formulierung »Protestantes in Gallia propter oralis manducationis negationem patiuntur persecutionem« 246 . Diese Formulierung meint, schlägt man eine der Seiten, auf die verwiesen wird, auf, die »Hugonotti« 247. Auf die genannte Registerformulierung folgt diese Wendung: »[Protestantes in Gallia] agnoscuntur a Germanis membra Ecclesiae« 248 . Liest man den Inhalt der ausgewiesenen Seiten, so bemerkt man, dass Crocius mit jener steilen Formulierung die schriftliche Parteinahme bestimmter, auch lutherischer Reichsfürsten für die verfolgten Hugenotten durch zwei an die französischen Könige Franz I. und Heinrich II. in den Jahren 1541 und 1557 gerichtete Schreiben meint 249. Es ist deutlich, ohne den gesamten Registereintrag anzuführen, was hier terminologisch geschieht: War die Bezeichnung Protestantes bzw. – in deutschsprachigen Werken – Protestierende bislang ausschließlich auf die lutherischen und reformierten Reichsstände bezogen und daher letztlich vor reichsrechtlichem Hintergrund nur bedingt integrativ, so fi ndet in Crocius’ COMMENTARIUS De AUGUSTANAE CONFESSIONIS SOCIETATE von 1647 eine bedeutsame Weiterentwicklung statt. Er ist in der Lage, die Reichsgrenzen durch seine Begrifflichkeit zu überschreiten und auch die Reformierten als Protestantes zu deklarieren, die keineswegs als Reichsstände gelten können, sondern schlicht von Calvin geprägten Kirchentümern angehören, die unverkennbar außerhalb der Grenzen des Heiligen Römischen Reiches liegen.
246 Crocius, COMMENTARIUS De AUGUSTANAE CONFESSIONIS SOCIETATE , Index rerum ac verborum, S. 33. 247 A.a.O., S. 82. 248 A.a.O., Index rerum ac verborum, S. 33. 249 A.a.O., S. 86 f.
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Diese beachtliche terminologische Entschränkung lässt sich nun aber nicht nur am Beispiel der Hugenotten nachvollziehen. Denn neben den »Protestantes in Gallia« vermerkt der Index rerum ac verborum auch »Protestantes in Polonia« 250. Die Lektüre der Passagen, auf die Crocius an dieser Stelle verweist, lässt schnell erkennen, dass es sich bei den »Protestantes in Polonia« um die »ordines Evangelici in Polonia« 251 handelt. Da nun »Evangelici« ohne Zweifel auch bei Crocius ein integrativ gebrauchter Terminus ist252 , wird die schon bei den Hugenotten festgestellte Entschränkung auch in diesem Fall evident. Diese Ausweitung des Integrationsbegriffs Protestantes auch auf Glieder evangelischer Kirchentümer außerhalb der Reichsgrenzen ist, vergleicht man sie mit der zuvor herausgearbeiteten und in der reformierten Literatur offenbar üblichen Begriffsdeutung, keineswegs selbstverständlich. Es stellt sich daher die Frage, wie Johann Crocius zu einer solchen Entschränkung seiner Terminologie und somit zu dieser neuen Qualität der Begriffsdeutung kommt. Ruft man sich nun jene für seine terminologische Interpretation fundamental wichtige Aussage, »Protestantium in Germania confessio est Augustana«, ins Gedächtnis, fallen die Worte »in Germania« besonders ins Auge. Die CA ist folglich das Bekenntnis der Protestanten im Reich, weshalb in Bezug auf sie die bedingt integrative Auslegung der Bezeichnung Protestantes, wie sie aus der Pfälzischen Irenik stammt, in Geltung bleibt. Die reformierten Reichsstände sind eben wegen ihrer Zugehörigkeit zu den Verwandten der CA Protestanten. Natürlich haben die reformierten Kirchen außerhalb des Reiches auch ihre, und zwar je eigenen Bekenntnisse: »Reformati in Gallia Gallicam, in Bohemia Bohemicam, in Scotia Scoticam, in Helvetia Helveticam recipiunt confessionem, sicut nos in Germania recipimus Augustanam. Non recipiunt illi, non nos recipimus pugnantes cum Augustana« 253. Damit steht der zentrale Ermöglichungsgrund für Crocius’ Begriffsentschränkung vor Augen: Die für ihn als Glied des Reformiertentums im Reich hinsichtlich des in erster Linie historischen und rechtlichen, letztlich unausgesprochen aber auch theologischen Selbstverständnisses seiner Kirche grundlegende Bekenntnisschrift ist die CA. Zwar stützen sich die reformierten Kirchen jenseits der Reichsgrenzen wiederum auf ihre eigenen Bekenntnisschriften, doch widerstreiten diese der CA als dem ältesten protestantischen Bekenntnis nicht im Geringsten. Dem Augsburger Bekenntnis inhaltlich zuwiderlaufende Bekenntnisschriften würden weder von den Reformierten im Reich, noch von ihren Glaubensgeschwistern in anderen Territorien anerkannt.
250 251 252 253
A.a.O., Index rerum ac verborum, S. 33. A.a.O., S. 479. Vgl. dazu die o. unter Anm. 244 angeführten Belegstellen. Crocius, COMMENTARIUS De AUGUSTANAE CONFESSIONIS SOCIETATE , S. 566.
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Der Kasseler Theologe stellt, um die inhaltlich-theologische Übereinstimmung ausländischer Bekenntnisse mit der CA zu beweisen, Aussagen verschiedener reformierter Bekenntnisschriften zu bestimmten theologischen Zentralthemen zusammen und überlässt es dem Leser, sie auf ihre wenn schon nicht immer im Wortlaut, so doch stets substantiell gegebene Kongruenz hin zu überprüfen 254. Dabei führt er, sich streng an die in der CA vorgegebene Reihenfolge haltend, den gesamten Wortlaut des Augsburger Bekenntnisses zu seinen dogmatisch eminenten Themen gewidmeten Artikeln an und stellt ihnen die entsprechenden Ausführungen sowohl der »Helvetica confessio«, als auch der »Gallica confessio«, der »Bohemica confessio«, der »Anglica confessio«, der »Scotica confessio« und der »Belgica confessio« zur Seite, ohne freilich genauere Angaben über die entsprechenden Fassungen der einzelnen ausländischen Bekenntnisschriften zu machen. Die von Crocius getroffene thematische Auswahl kann tatsächlich als Beweis der völligen inhaltlichen Übereinstimmung des Grundbekenntnisses der Protestanten im Reich mit den ausländischen Partikularbekenntnisschriften dienen, fi ndet sich doch nicht ein einziger Widerspruch. Auch das unter Lutheranern und Reformierten seit jeher höchst umstrittene Thema »De Coena Dominica« umgeht Crocius nicht; allerdings lässt das von ihm angeführte Zitat des 10. Artikels der CA keinen Zweifel daran, dass er seiner Zusammenstellung die Invariata zugrunde legt: »Artic. X. De coena Domini docent, quod corpus & sanguis Christi vere adsint & distribuantur vescentibus in coena Domini, & improbant secus docentes« 255. Dabei verkennt der reformierte Theologe keineswegs die so folgenreichen Differenzen zwischen der Abendmahlslehre der Invariata und der von Calvin entscheidend geprägten, wie sie die von Crocius angeführten reformierten Bekenntnisse bieten. Um dennoch an seinem Hauptanliegen, nämlich dem Nachweis der positiv gegebenen inhaltlichen und damit lehrmäßigen Kongruenz der reformierten Bekenntnisschriften mit der CA als von ihm ja so indentifi zierten Grundbekenntnis des Protestantismus im Reich festhalten zu können, greift er auf ein Argument zurück, das – wie der gesamte Argumentationsduktus seiner Schrift – wohl kaum als originell gelten kann. So erklärt Crocius kurzerhand, es gebe zwar einen unverkennbaren Dissens; aber: »Hunc dissensum non esse de fundamento fidei & salutis aeternae, similiter affi rmare ausim coram aequo judice; idque nostrates fere agnoscunt & palam profitentur« 256 . Denn was die für das Seelenheil wichtigen und somit fundamentalen Lehren angehe, so bestehe seit dem Marburger Religionsgespräch von 1529 »in omnibus articulis [. . .] consensus« 257. Wenn man also den 10. Artikel der Invariata auf seine drei eigentlich 254
A.a.O., S. 335–396. A.a.O., S. 362. 256 A.a.O., S. 368. 257 A.a.O., S. 263. Von diesem 1529 erzielten Lehrkonsens ausgenommen sei natürlich die mündliche Nießung des Leibes und Blutes Christi (ebd.; vgl. dazu auch a.a.O., S. 91). 255
3. Etablierung und Verselbstständigung
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wichtigen, also grundlegenden Aussagen reduziere, nämlich: »1. vere adesse corpus & sanguinem Christi in coena. 2. Distribui vescentibus. 3. Improbari secus docentes«, könne man problemlos feststellen, dass keine reformierte Bekenntnisschrift im Widerspruch zur CA stehe258 . Somit lässt sich zusammenfassen, dass Johann Crocius die aus der Kurpfalz des letzten Drittels des 16. Jahrhunderts stammende und in der reformierten Literatur rund um die Inanspruchnahme der CA durchaus übliche Terminologie aufnimmt: Die sich dem Augsburger Bekenntnis zugehörig Wissenden im Reich bezeichnet er als Protestanten. Die darin liegende Einschränkung des integrativen Charakters der Bezeichnung Protestantes, nämlich durch ihren Bezug auf die lutherischen und reformierten Reichsstände, wird jedoch von Crocius aufgehoben. Er ist in der Lage, auch evangelische Kirchentümer außerhalb des Reiches als protestantisch zu identifi zieren. Diese bedeutsame Entschränkung lässt sich nun werkimmanent erklären: Der Bezug aller Protestanten auf die CA bleibt dabei auch für den Kasseler Theologen konstitutiv. Diesem Bezug wird dadurch, dass man sich jenseits der Reichsgrenzen je eigene Bekenntnisse geschaffen hat, kein Abbruch getan, solange die in ihnen vertretenen theologischen und für den Glauben sowie das Heil fundamentalen Aussagen mit denen der CA übereinstimmen. Es geht dem Autor des COMMENTARIUS De AUGUSTANAE CONFESSIONIS SOCIETATE also bei der Deutung seines Integrationsbegriffs Protestantes um die Kongruenz bestimmter theologisch-dogmatischer, als fundamental identifizierter Lehraussagen, die ihren bekenntnismäßigen Niederschlag auch in der CA – selbstverständlich variata – gefunden haben; wer diese Inhalte vertritt, und sei es in einer anderen Bekenntnisschrift, ist Protestant, denn nicht die CA als formales Schriftstück, sondern die in ihr vertretenen theologisch-dogmatischen Fundamentalwahrheiten sind letztlich, folgt man Crocius’ Argumentation, das protestantische Grundbekenntnis. Anders formuliert: Er versteht die Augsburger Konfessionsverwandtschaft nicht als durch das Bekenntnis zu einem formalen Dokument konstituiert; vielmehr besteht für ihn die Verwandtschaft eben im Bekenntnis zu den in dem Dokument getroffenen theologischen Aussagen. So gelangt der Reformierte Crocius unter Beibehaltung der zentralen Stellung des Augsburger Bekenntnisses für die Interpretation seiner Terminologie zu einer bisher nicht gekannten Qualität der Begriffsdeutung, die auf dem Weg hin zu unserer heutigen Nutzung des Protestantismusbegriffs eine in ihrer Bedeutung schwerlich zu überschätzende Entwicklungsstufe darstellt. Dabei bleibt der politisch-rechtliche Hintergrund, vor dem dereinst Ursin durch seinen schöpferischen Umgang mit dem hier im Mittelpunkt stehenden Terminus den Grundstein für die integrative Deutung der Bezeichnung Protestanten gelegt hat, 258
A.a.O., S. 368 f.
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I. Integration durch Bekenntnisverwandtschaft
durchaus erhalten, denn die Beweisführung Crocius’ im Hinblick auf die ausnahmslose Übereinstimmung ausländischer Bekenntnisschriften mit den auch in der CA zu fi ndenden Fundamentalartikeln hat letztlich den Zweck, die reformierten Kirchentümer in Europa gleichsam auf einer Metaebene gerade gegenüber der lutherischen Kontroverstheologie als Augsburger Konfessionsverwandte auszuweisen. Und eben wegen dieser Bekenntniszugehörigkeit gehören sie, anders als noch bei Pareus, auch terminologisch in die protestantische Phalanx gegen den altgläubigen Gegner – genau diesem Sachverhalt verleiht Crocius in seinem 1647 erschienenen Werk Ausdruck. Als die Werke Altings und Crocius’ mit ihren voneinander zwar zu unterscheidenden, aber eben gleichermaßen neuen terminologiehistorischen Qualitäten 1647 veröffentlicht werden, sind die Verhandlungen um einen den blutigen Waffengang der europäischen Mächte verschiedener Konfession beendenden Friedensschluss in vollem Gange. Zwar schien das Bestreben der pfälzischen, ja der reichsreformierten vermeintlichen Irenik überhaupt, die CA als Bekenntnis herauszustellen, auf dessen Boden auch die Reformierten im Reich stünden und daher reichsrechtlich ebenso wie die Lutheraner den Schutz des Friedens von 1555 genössen, auch mit dem Ziel, die brüderliche Geschlossenheit zwischen Lutheranern und Reformierten gegen den gemeinsamen Feind in Rom zu betonen und herbeizuführen, mit der Katastrophe des Winterkönigs und der Bündnispolitik einiger lutherischer Reichsfürsten, man denke an Kursachsen 259, endgültig gescheitert zu sein. Doch boten die Verhandlungen, die um eine Beendigung des Dreißigjährigen Krieges geführt wurden, endlich die Gelegenheit, jenes Streben reichsrechtlich Realität werden zu lassen. Nicht zuletzt darin wird der Beweggrund für Altings und Crocius’ Engagement und die mit ihm zur Geltung gebrachten, schon bei Ursin zu fi ndenden und nun mit aller gebotenen Vehemenz erneut verfochtenen Grundgedanken zu suchen sein.
259
S. dazu u. Kap. II, Anm. 64.
II. Verweigerung durch Verharren: Die lutherische Terminologie bis 1648 1. Absage an Pareus’ Irenicum 1.1. Johann Georg Sigwarts Kurtzer Extract/ Oder Summarischer Außzug aus seiner ADMONITIO CHRISTIANA Seit dem Beginn der 1580er Jahre und der offiziellen Festlegung weiter Teile des Luthertums auf die CA invariata durch die Konkordienformel erhöht sich der Druck auf das Reformiertentum des Heiligen Römischen Reiches: Hatte man sich bisher mit der schlichten Berufung auf die Variata beholfen, so ergibt sich auf Seiten der von Melanchthon, späterhin aber mehr noch von Calvin geprägten Theologen nun die reichsrechtliche Notwendigkeit, die eigene Ausformung reformatorischer Theologie und Kirchenbildung als dem Augsburger Bekenntnis verwandt herauszustellen, soll der Schutz des eigenen Konfessionskirchentums durch den Friedensschluss von 1555 gewährleistet und damit der Bestand des Calvinismus im Reich überhaupt gesichert werden. Dieses Streben, sich theologisch wie historisch als Verwandte der seit 1555 für den interkonfessionellen Frieden im Reich maßgeblichen Bekenntnisschrift zu erweisen und damit in den reichsrechtlich unanfechtbaren Genuss des Religionsfriedens zu gelangen, bildet dabei den Ermöglichungsgrund für die Entwicklung des Terminus Protestantes bzw. Protestierende von der reinen Selbstbezeichnung zum Integrationsbegriff: In überkommener terminologischer Tradition bezeichnen die reformierten Theologen zwar die Augsburger Konfessionsangehörigen als Protestantes oder Protestierende; doch ihre Bemühungen gelten dabei dem Nachweis, dass sie wie die Lutheraner als legitime Verwandte der CA anzusehen seien. Diesem Anspruch verleihen sie konsequenterweise dadurch Aus- und Nachdruck, dass sie sich selbst mit jenen Termini belegen und so bewusst eine Begriffsentschränkung herbeiführen. Indem folglich die reformierten Theologen eben wegen ihres Selbstverständnisses als Augsburger Konfessionsverwandte jenen Begriff auch auf die Glieder der eigenen konfessionellen Ausprägung von Theologie und Kirche anwenden, um die Gesamtheit und besonders die Geschlossenheit aller Anhänger der CA auch terminologisch zu unterstreichen, integrieren sie die zwei großen im Reich existierenden evangelischen Kirchentypen unter der Bezeichnung Protestanten.
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II. Verweigerung durch Verharren: Die lutherische Terminologie bis 1648
War es bis zur Veröffentlichung des Irenicum die Rezeption der Christliche[n] Erinnerung Vom CONCORDIBVCH Ursins, die die integrative Kraft jener Bezeichnung eben durch ihre inklusive Verwendung zur Entfaltung brachte, so löst schließlich das Werk des Ursin-Schülers Pareus die Christliche Erinnerung Vom CONCORDIBVCH ab: Nun wird die Aufnahme und Weiterentwicklung der Gedanken des Irenicum zur Konfessionsverwandtschaft auch der Reformierten gleichsam zum Motor des integrativen Begriffsgebrauchs1. Dabei blieben freilich die reformierten Bemühungen, die eigene konfessionelle Richtung als der CA verwandt und damit unter dem Schutz des Religionsfriedens stehend zu erweisen, auf lutherischer Seite nicht unbeantwortet, wie besonders eindrücklich erneut Pareus’ Irenicum bzw. dessen Rezeption vor Augen führt. Denn es erfreute sich keineswegs nur unter reformierten Theologen eines beachtlichen Bekanntheitsgrades: Auch auf lutherischer Seite sorgte es für gedankliche und literarische Bewegung. So publiziert der Tübinger Theologe Johann Georg Sigwart 1618 einen Kurtze[n] Extract/ Oder Summarische[n] Außzug 2 aus seiner 1616 erschienen ADMONITIO CHRISTIANA 3. Dem erstgenannten Werk stellt er im Rahmen der Vorrede zu seinen kritischen Ausführungen zu Pareus’ interkonfessionellem Friedensprojekt unmissverständlich seine Grundhaltung gegenüber den reformierten Gelehrten überhaupt heraus und macht damit unter der Hand klar,
1 Dass eine Beeinflussung der angeführten Schriften Beckmanns und Crocius’ durch Pareus’ Irenicum stattgefunden hat, konnte anhand der untersuchten Textpartien nachgewiesen werden; dass nun auch die Gedanken der EXEGESIS Logica & Theologica AUGUSTANAE CONFESSIONIS des wie Pareus in pfälzischen Diensten stehenden Alting in einer gewissen Abhängigkeit vom Irenicum standen, kann nicht ernsthaft in Zweifel gezogen werden, da Alting jenes Werk seines Zeitgenossen und Kollegen an der Heidelberger theologischen Fakultät mit Sicherheit kannte. Somit hat Leube nicht übertrieben, wenn er behauptet: »Es handelt sich in [lies: bei, C. W.] diesem Werke des Pareus [. . .] um eines der wichtigsten von allen, die in der Unionsliteratur der Orthodoxie anzutreffen sind« (ders., Kalvinismus und Luthertum, S. 63). 2 Johann Georg Sigwart, Kurtzer Extract/ Oder Summarischer Außzug Deren Admonition=Schrift/ so im 1616. Jahr zu Tübingen/ auff David Parei/ der Heiligen Schrifft Doctoris vnd Professoris zu Heydelberg/ Irenicum, in Truck verfertiget worden. In welchem auch auff solch verteutschte Irenicum, (der Friedenmacher genant) geantworttet vnd gründtlich angezeigt würdt: Warumb/ zwischen den genanten Lutherischen vnd Calvinischen/ noch der Zeit/ kein Vereinigung in Religions=Puncten gemacht werden könne. Dem Christlichen/ guthertzigen/ vnd der Wahrheit liebhabenden Leser zum besten/ verfaßt, Tübingen ( Johann Alexander Cellius) 1618. Johann Georg Sigwart (1554–1618) war seit 1587 Stadtpfarrer in Tübingen und Professor an der dortigen Universität. Einen Überblick über Leben und Wirken bietet Paul Tschackert, Art. Sigwart, Johann Georg, ADB 34 (1892), S. 305 f. 3 Sigwart, ADMONITIO CHRISTIANA, De Irenico sive Libro Votivo: Quem David Pareus, Theologiae Doctor & Professor Acad. Heidelbergensis, Senior, de Vnione, Synodo et Syncretismo, inter Evangelicos, hoc est, Lutheranos & Calvinianos, constituendo, superiore Anno 1614. evulgavit, Tübingen ( Johann Alexander Cellius) 1616.
1. Absage an Pareus’ Irenicum
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unter welchen Bedingungen er sich, wenn überhaupt, zu einem offenen Dialog mit den Verfechtern calvinischer Theologie bereit erklären würde: »Wiewol man nun Christlicher Meinung immer verhofft/ es solten die Calvinische Lehrer/ auff soviel in der Christentheit vnerhörte/ vnd auß ihren eigenen Schrifften entdeckte Grewel/ endtlich einmal in sich selber gehen/ vnd wa [lies: wo, C. W.] nicht forderst Gott zu Ehren/ vnd seiner werthen Christenheit zum besten: jedoch allein vmb ihrer selbs willen (weil sie ja immer für Friedliebende Leut gehalten werden wöllen) ihr Vnrecht behertzigen und erkennen. Nach dem sich aber innerhalb vermelter kurtzer zeit [nämlich seit Veröffentlichung seiner ADMONITIO CHRISTIANA, C. W.]/ wider alles versehen/ bey dem Gegentheil leider das widerige befunden« 4.
Sigwart erwartet von den reformierten Gelehrten folglich nicht weniger als deren Eingeständnis, mit ihrer von Calvin entscheidend beeinflussten Theologie im Gegensatz zu den geistigen Erben Luthers fehlgegangen zu sein. Doch er muss attestieren, dass genau dieses Eingeständnis der Irrenden zu ihrem eigenen Schaden bis in seine Gegenwart ausgeblieben sei: Die Reformierten zeigen sich unbelehrbar wie eh und je. »In betrachtung/ das durch GOttes Gnade (deßen wir in vnserm Gewissen versichert vnnd uberzeugt seind) wir auff vnserm Theil wider die Calvinische Lehrer ein gute rechtmässige/ wohlbefügte/ vnd (da mans allein ohne Vorurtheil wohl behertzigen will) ein richtige Sach haben« 5,
nimmt es nicht Wunder, dass genau dieser Grundhaltung Sigwarts auch die von ihm gebrauchte Terminologie entspricht. Im Kurtze[n] Extract/ Oder Summarische[n] Außzug stößt man nun in der Tat schon zu Anfang auf den Terminus »Protestirende(n) Stände(n)«. Es heißt dort, auf dem Reichstag von 1530 hätten die die CA übergebenden Stände ganz bewusst »im zehenden Articul ihrer Confession der Zwinglianer Irrthumb vom H. Abendmal offentlich verworffen. Deßwegen die Zwinglianer ein eigene Confession verfaßt/ vnd zum Gezeugnus/ daß sies diß Orts mit den Protestirenden Ständen keins wegs halten/ dieselbige offentlich vbergeben haben« 6 .
Während die bereits untersuchte reformierte Literatur intensiv versucht hat, die Übergabe eines eigenen Bekenntnisses durch die Oberdeutschen wegen der nicht tragbaren Abendmahlsformulierung der Invariata als notwendig und den daraus entstehenden Graben zwischen ihnen und den übrigen, sich zum 10. Artikel der Invariata bekennenden Ständen spätestens seit 1536 als zugeschüttet zu erweisen, stößt Sigwart genau in die gegenteilige Richtung – auch terminologisch. Er macht durch seine Formulierung unmissverständlich klar, dass die
4 Ders., Kurtzer Extract/ Oder Summarischer Außzug, Vorrede, unpag., S. 1 f., meine Zählung. 5 A.a.O., Vorrede, S. 3 f. 6 A.a.O., S. 5.
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II. Verweigerung durch Verharren: Die lutherische Terminologie bis 1648
sich zur Invariata und der in ihr vertretenen Abendmahlslehre bekennenden Stände die »Protestirenden Stände(n)« sind und niemand anders. Wenig später fasst der Tübinger Gelehrte die Bemühungen der Reformierten um die Herstellung der brüderlichen Geschlossenheit mit den Lutheranern und ihren Erfolg mit folgenden Worten zusammen: Im Laufe der Zeit sei »der Riß wegen des Gegentheils vermehrter Irrthumben grösser/ vnd beedertheilen Gemüter vmb so viel desto mehr von einander abalienirt worden. Daher es auch kommen/ ob wol die Calvinische/ so wol im Jar Christi/ 1529. zu Marpurg/ als auch hernach im Jar 1530. 1531. 1532. 1536. 1545. 1561. 1563. 1566. 1577. 1586. etc. jedesmals von den Protestirenden Ständen begehret/ daß sie sich Christlich vnd Brüderlich/ mit ihnen einlassen/ vnd dieselbige für Geistliche Glieder und Brüder in Christo erkennen wölten; daß jedoch solches ihnen/ (so lang sie bey ihren Irrthumben verbleiben) jedesmals gut rund abgeschlagen vnd verwaigert worden« 7.
Es fällt sofort auf, dass Sigwart kurzerhand all die historischen Stationen, d. h. vor allem Reichstage und Religionsgespräche, aufgreift, die auch von Ursin und Pareus sowie, oftmals in Anlehnung an beide, von den anderen angeführten reformierten Autoren immer wieder als Begebenheiten dargestellt worden sind, an denen die Anerkennung der Reformierten als Angehörige der CA bzw. der Schulterschluss zwischen ihnen und den Lutheranern offen zu Tage getreten sei. Doch offenbar deutet der lutherische Theologe die Ereignisse, die sich zu den Begebenheiten jener Jahre zugetragen haben, anders, nämlich erneut genau gegenteilig: Die brüderliche Geschlossenheit sei den »Calvinische[n]« zu jeder Gelegenheit eben wegen ihrer theologischen »Irrthumben« von den Anhängern der CA invariata, eben »den Protestirenden Ständen«, verwehrt worden. Von einer Anerkennung der Reformierten als Augsburger Konfessionsverwandte kann folglich nach Sigwart keine Rede sein. Die von den Reformierten, allen voran von Pareus angestrebte brüderliche Gemeinschaft auf der Basis einer vermeintlichen Übereinstimmung in einer irgendwie gearteten Menge theologischer Fundamentallehren bezeichnet er dabei mittels historischer Argumente letzen Endes als unaufrichtig: »Wann aber ja wir Lutherischen mit den Calvinischen im Fundament des Glaubens (wie D. Pareus gern die gantze Welt bereden wolte) ex professo und wahrhafftig einig seind: Wolan/ so zeige er der Christenheit vrsach an/ warumb doch seine Vorfahren/ die vor 80. und mehr Jahren/ solchen Stritt angefangen/ bey dem Reichstag zu Augspurg/ Anno 1530. von den protestirenden Ständen in der Religion sich abgesöndert/ ein eigene Confession vbergeben/ vnd hiemit so wol die Feind als Freund/ deren dazumal noch zarten Kirchen des Evangelii/ mit solchem so schädlichem Riß verärgert haben« 8 .
7 8
A.a.O., S. 8 f. A.a.O., S. 271.
1. Absage an Pareus’ Irenicum
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Der »Riß« zwischen Lutheranern und Reformierten, die Sigwart integrativ als »Kirchen des Evangelii« qualifi zieren kann, sei demnach nicht, wie das reformierte Schrifttum jener Zeit gerne mehr oder weniger offen behauptete, durch das Konkordienwerk der Lutheraner verursacht worden, sondern bereits 1530 durch Zwinglis Fidei ratio und die Übergabe der Confessio Tetrapolitana durch einige oberdeutsche Städte. Diese Absonderung der geistigen »Vorfahren« Pareus’ von den »protestirenden Ständen«, die Sigwart hier direkt mit den Unterzeichnern der CA invariata identifi ziert, sei bis in die Gegenwart unüberwunden. Und dass Pareus auf die Übergabe der Tetrapolitana 1530 im Zuge seines vermeintlich irenischen Unterfangens auch noch gesondert hinweise 9, gereiche ihm nicht gerade zur Ehre, denn damit stehe er vor einer für ihn höchst unerfreulichen Alternative: »Haben nun seines theils Theologi selbiger zeiten solches [scil. ihre fundamentale Übereinstimmung mit den Verfechtern der Invariata, C. W.] noch nicht gewußt/ so ist es von ihnen zureden mehr dann schimpffl ich/ vnd verschimpfft sie D. Pareus selbs vnter dem Boden/ wie er dann allbereit in seinem Friedenmacher darauff sticht. Haben sies dann gewußt/ daß sie im Fundament des Glaubens mit vnserm Theil (wie Pareus jetzo fürgibt) allerdings einig/ so ist die Sach vmb so viel desto ärger bey ihnen. Vnd mag Pareus jetzt vnter diesen zweyen erwöhlen/ welches er jhme gefällig zuseyn vermeinen würdt/ wir wöllens jhme gern gönnen«10.
So führt er mit Blick auf den von Pareus behaupteten Fundamentalkonsens weiter aus: »Were zwar hoch zu wünschen/ daß die Calvinisten sich mit vns vber [. . .] Fundamental stucken nit zweyeten. Wie fein aber der gegentheil mit vns hierüber einig sey/ dz will man dem Christlichen guthertzigen vnd der warheit liebhabenden Leser [. . .] zuurtheilen heimgestelt haben«11. Sigwart streicht seine scharfe Kritik noch deutlicher heraus, wenn er erklärt: »Wann aber ja beede theil (die Lutherischen vnd Calvinischen) darumb im Fundament einig seind/ [. . .] weil sie samentlich bekennen/ Gott sey gerecht/ gut/ barmhertzig/ etc. so muß Pareus nicht weniger auch alle diese vngläubige Völcker/ als/ Heyden/ Türcken vnd Juden/ bevorab die Ketzer vnd Rottengeister/ [. . .] am allermeisten heut zu tag die Papisten/ Schwenckfelder/ Widertäuffer/ etc. in seinen Geistlichen Orden/ Freund= vnd Bruderschafft auffnehmen«12 .
9 In der Tat macht Pareus prominent darauf aufmerksam, »ut quatuor Imperii Civitates, Argentina, Constantia, Memminga, Landavia, in comitiis Augustanis, Anno 1530. fidem suam de mysterio S. Coenae propria Confessione Imperatori explicare cogerentur« (ders., Irenicum, S. 289 f.). Entscheidend ist nun aber seine Begründung für diesen Schritt der Oberdeutschen: »Non ideo quidem, ut ab aliis Imperii Ordinibus Evangelicis secessionem facerent, aut se separarent [. . .] sed ut doctrinam suam de S. Coena, deque capitibus aliis, in quibus a Papatu dissidebant, aliquanto apertius, quam confessio Principum faciebat, declararent« (a.a.O., S. 290; s. dazu auch a.a.O., S. 307 f.). 10 Sigwart, Kurtzer Extract/ Oder Summarischer Außzug, S. 271. 11 A.a.O., S. 264 f. 12 A.a.O., S. 266.
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Denn schließlich hätten auch diese dem wahren Glauben fraglos Fernstehenden nie ernsthaft oder öffentlich geleugnet, »daß GOtt gerecht/ gut/ barmhertzig/ Allmächtig/ vnd ein Feind der Sünden sey«13. Die Behauptung, man stimme in bestimmten als fundamental identifi zierten Aussagen über Gott überein, was die daraus resultierende gegenseitige brüderliche Verbundenheit sattsam unterstreiche, ist für den Tübinger Lutheraner allein schon wegen des nicht zu verschleiernden übermäßigen Abstraktionsgrades solcher Aussagen obsolet: »Dessen dißmalen geschwigen/ das solch vermeint Fundament von dem Gegentheil so lang vnd breit gelegt würdt/ das nicht allein die genandte Evangelische/ sondern auch schier alle Secten vnd Ketzereyen/ als Widertaüffer/ Schwenckfelder/ Nestorianer/ Eutychianer/ Papisten/ etc. sich dabey wol behelffen. Ja auch theils die Juden/ Türcken vnd Heiden selbigen vnderschreiben/ vnd mit den Calvinisten ein Geistliche Brüderschafft eingehen könten«14.
Eine mit einem Konsens in wie auch immer näher zu bestimmenden Fundamentalartikeln begründete Brüderlichkeit zwischen Reformierten und den Anhängern Luthers sei folglich zu unscharf, zu teuer erkauft, denn alle die Rechtgläubigen von den Heiden und Ketzern scheidenden Lehrgehalte müssten um den Preis der Einigkeit aufgegeben werden. Es ist damit von nicht zu verkennender Deutlichkeit: Für Sigwart gibt es nur eine Partei, die rechtmäßig den Anspruch erheben kann, als orthodox zu gelten: »Dann man besehe vnd erwege alle vnd jede Articul/ vber welche beede Theil sich miteinander zweyen/ so würd sichs im Grund befi nden/ das ja wir zu vnserm Theil nichts anders suchen/ verthaidigen vnd (so viel an vns ist) handhaben/ dann damit vnserm getrewen GOtt einig vnd allein sein Göttliche vnermeßliche Ehr gegeben/ sein heiliger Name geprisen/ vnd sein unendliche Majestät und Herrligkeit auff keinerley Weise verringert/ sondern in allem groß geachtet vnnd gehalten werde«15.
Zur Verteidigung des rechten Glaubens verbiete sich schlicht eine Verbrüderung mit dem reformierten Widerpart. Denn es seien »vnerhörte/ als auch vnleidenliche Grewel/ so hinder der Calvinischen Lehr stecken«16 . In seinem gegen das Irenicum gerichteten Kurtze[n] Extract/ Oder Summarische[n] Außzug will Sigwart somit von einer Konfessionsverwandtschaft und der daraus resultierenden Geschlossenheit des Luthertums mit den Reformierten im Reich nichts wissen. Die unüberwundene Trennung der evangelischen Kirchen habe ihre Wurzeln nicht etwa in den innerlutherischen Einigungsbemühungen des letzten Drittels des 16. Jahrhunderts; vielmehr sei die Ursache für jenes Ärgernis 13 14 15 16
Ebd. A.a.O., S. 339. A.a.O., Vorrede, S. 4. A.a.O., Vorrede, S. 9.
1. Absage an Pareus’ Irenicum
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in der Heterodoxie des Reformiertentums zu suchen, die sich zum Beispiel in der Ablehnung der in der Invariata vertretenen Abendmahlslehre durch die sich auf Zwingli und später Calvin berufenden Lehrer manifestiere, die bereits 1530 öffentlichkeitswirksam ihren Anfang nehme. Mittels seiner vorliegenden Schrift nun seien »[d]eß Gegentheils Lehrpuncten [. . .] an das helle Mittagliecht gebracht/ vnd können nit wider zuruck gezogen/ oder gelaugnet werden«17, seien die Reformierten also ihrer Irrlehre ein für allemal überführt worden. Die Rechtgläubigen, d. h. die Anhänger der Invariata, bezeichnet der Tübinger Theologe dabei als Protestierende, die wiederum, was an seiner Begriffsinterpretation keinen Zweifel zulässt, mit den Lutheranern gleichgesetzt werden. Rein formal besteht nunmehr zwischen der Terminologie Sigwarts und Pareus’ die Übereinstimmung, dass sie beide den Ausdruck Protestantes bzw. Protestierende zur Bezeichnung der Augsburger Konfessionsverwandten nutzen. Von entscheidender Bedeutung ist nun aber, zu welcher Fassung der CA man sich bekennen muss: Während Ursin und mit ihm die meisten anderen Autoren seiner konfessionellen Richtung offen oder stillschweigend die Variata zur für die gesamte reichsrechtliche Diskussion maßgeblichen Fassung erheben und so jenen Ausdruck, wenn auch durch seine reichsrechtliche Bedingtheit mit Einschränkungen, aber dennoch integrativ nutzen, ergibt sich bei Sigwart ein völlig anderes Bild. Für ihn steht außer Frage, dass allein die Invariata legitimen Anspruch auf Geltung erheben kann. Da sich aber die Reformierten nicht zur Invariata bekennen wollen, besteht für ihn weder die Gelegenheit, geschweige denn die Notwendigkeit, jene Begriffe integrativ zu gebrauchen. »Demnach nun der Christliche guthertzige Leser bißdahero nach notthurfft berichtet worden/ welch vnbeweglichen Grund vnd genugsame Vrsachen sich bey vnserm theil befi nden/ vmb deren willen selbiger Gewissens halben noch der Zeit kein Geistlichen Frieden oder Christliche Einigkeit in Glaubens sachen mit dem Gegentheil machen oder eingehen könne: vnd dann ferners ebenmässig [. . .] verstendigt worden/ wie nichtig vnd krafftloß deß Gegentheils vermeinte Vrsachen seyen/ mit welcher er selbige zuerhalten sich eussert vnderstanden«18 .
Doch auch Sigwart stellt heraus, »daß vns nichts liebers/ angenemmers vnd erwünschters widerfahren köndte/ dann das baide theil in der wahren seeligmachenden Religion ein Christliche Einigkeit treffen möchten«19. Dementsprechend habe man lutherischerseits »trewlich/ außführlich/ richtig/ hell/ klar vnd deutlich« darauf hingewiesen, dass es »an rechtmässigen Christlichen vnd Gott wolgefälligen [. . .] Mitteln« zur Herstellung jener so wünschenswerten Einigkeit sicher nicht mangele20. Solange aber die Calvinisten ihre Irrlehren nicht eingeständen, sondern die vollkommen berechtigten Anklagen aufrich17 18 19 20
A.a.O., Vorrede, S. 18. A.a.O., S. 323. A.a.O., S. 324. Ebd.
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II. Verweigerung durch Verharren: Die lutherische Terminologie bis 1648
tiger Verteidiger des wahren Glaubens auf »vnverschampte/ vnchristliche vnd von Biederleuten vnerhörte« Weise leugneten 21, wie »dieses aller Ketzer Gebrauch [sei]/ daß sie ihre Irrthumb nicht gern gestehen wöllen/ sondern mit denselbigen/ so lang sie immer können/ zuruck halten« 22 , könne – das steht für Sigwart außer Frage – an einen wie auch immer gearteten Ausgleich nicht ernsthaft gedacht werden. Jener terminologische Befund wird nun durch die von Sigwart in Anschlag gebrachte Begriffl ichkeit seiner ADMONITIO CHRISTIANA, der der zwei Jahre jüngere Kurtze(r) Extract/ Oder Summarische(r) Außzug entnommen wurde, bestätigt. Von dem aus reformierter Sicht versöhnlichen Ton des Pareus’ fi ndet sich keine Spur, im Gegenteil: Sigwart lässt kein argumentatives Mittel ungenutzt, das Irenicum und seine Vorschläge zur Herstellung einer evangelischen Einheitsfront gegen den von Rom aus regierenden Feind ihrer Unaufrichtigkeit zu überführen, wobei die Argumentation, die in aller Ausführlichkeit dargelegt wird, letztlich in ihren bestimmenden Zügen schon aus dem Kurtze[n] Extract/ Oder Summarische[n] Außzug bekannt ist, wenn auch in komprimierter Form, weshalb es müßig ist, sie an dieser Stelle erneut zu rekapitulieren. Konzentriert man sich somit auf die terminologiehistorische Untersuchung, ergibt sich das allein schon aufgrund des aufgezeigten Verhältnisses, in dem die beiden Werke Sigwarts zueinander stehen, erwartete und zur bekannten Argumentationsstrategie des Tübinger Gelehrten passende Bild. So führt Sigwart gegen Pareus an: »Ulricus Zuinglius (cujus doctrinam etiamnum hodie tenent Calviniani) Confessionem Principum Evangelicorum, qui Protestantes appellabantur, non modo non duxit recipiendam, sed insuper ad Imperatorem Carolum V. peculiarem scripsit, in qua nostrae partis Doctrinam de Coena Domini, Art. 10. comprehensam, hostiliter atque ex professo, & corde & calamo impugnavit« 23.
Da nun die Reformierten um Pareus der Lehre Zwinglis anhängen, dieser aber die Abendmahlslehre der Invariata strikt abgelehnt, ja bekämpft habe, kann nach Auffassung Sigwarts an einen Schulterschluss mit den offensichtlich theologisch fehlgeleiteten Erben des Schweizers nicht gedacht werden. Dabei nennt er die CA invariata »Confessio(nem)« derjenigen »Principum Evangelicorum«, die nun wiederum konkretisierend »Protestantes appellabantur«. Damit ist klar, dass die Reformierten für den lutherischen Verfasser jener Zeilen mitnichten zu denen unter den Evangelischen gehören können, die Protestantes genannt wurden und selbstverständlich noch in seiner Gegenwart genannt werden. Auch die übrigen Passagen, in denen jene Bezeichnung in irgendeiner Variation zur Verwendung kommt, bestätigen, dass für Sigwart schon rein program21 22 23
A.a.O., S. 328. A.a.O., S. 343. Sigwart, ADMONITIO CHRISTIANA , S. 690.
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matisch kein integrativer Gebrauch jenes Terminus in Frage kommt 24. Die von den Reformierten verfochtenen Irrlehren 25 disqualifizieren sie als Verwandte des Augsburger Bekenntnisses in seiner für den überzeugten Verfechter des durch das Konkordienwerk geeinigten Luthertums einzig legitimen Fassung. Da nun jedoch einzig und allein die Anhänger der Invariata als Protestanten gelten können, steht eine terminologische Entschränkung zur Einbeziehung der Erben Zwinglis und Calvins für Sigwart schlicht nicht zur Debatte. 1.2. Das IRENICUM VERE CHRISTIANUM Leonhard Hutters Doch Johann Georg Sigwart ist nicht der einzige prominente lutherische Theologe, der gegen Pareus und sein Irenicum Stellung bezieht; auch von der Universität zu Wittenberg wird Kritik an den Ausgleichbemühungen des Reformierten laut. So erscheint im selben Jahr wie Sigwarts ADMONITIO CHRISTIANA das IRENICUM VERE CHRISTIANUM des an jener traditionsträchtigen Hochschule tätigen Leonhard Hutter 26 . Wie nun bisher immer, so lässt sich anhand der Untersuchung der vom Verfasser in Anschlag gebrachten Begriffsdeutung und der daraus resultierenden Nutzung ohne weiteres auch das inhaltliche Programm der vorliegenden Schrift herausstellen. Doch das IRENICUM VERE CHRISTIANUM Hutters ist nun begriffsgeschichtlich aus einem bestimmten Grund besonders interessant. Es sei an dieser Stelle vorweggenommen, dass der Wittenberger Theologieprofessor mit seiner bereits dem Titel seiner Schrift zu entnehmenden Frontstellung wie sein Tübinger Kollege Sigwart keine Anstalten macht, den Terminus Protestantes integrativ zu nutzen. Um dem gemeinreformierten Einwand gegen den 10. Artikel der Invariata, er sei letztlich doch nur Zeugnis der lutherischen Fortführung der papistischen Transsubstantiationslehre, zu begegnen, führt Hutter in aller Entschlossenheit aus: 24 Es handelt sich hierbei, soweit ich sehe, um a.a.O., S. 46, 247, 707. Sigwarts Integrationsbegriff lautet hingegen »Evangelici«; so kann er von »dissidentes Evangelicorum, id est Lutheranorum & Calvinianorum« sprechen (a.a.O., S. 27); vgl. dazu neben dem Werktitel auch a.a.O., S. 41, 83, 97 f., 142, 187, 223, 268 u. ö. 25 S. zu den Lehrunterschieden zwischen Lutheranern und Reformierten beispielsweise a.a.O., S. 116–127. 26 Leonhard Hutter, IRENICUM VERE CHRISTIANUM : Sive DE SYNODO ET UNIONE EVANGELICORUM NON-FUCATA CONCILIANDA , Tractatus Theologicus, Irenici D. Davidis Parei Consilia callida, lubrica, insidiosa, quibus Ecclesiae Dei, Pacem non Evangelicam, sed Samaritanam; Concordiam non Orthodoxam, sed Ariminensem & haereticam, nimium quantum persuadere satagit; ὥσερ καλὰ όδας (quod ajunt) persequens, examinans, refellens, Wittenberg (Paul Helwig) 1616. Leonhard Hutter (1563–1616) wirkte ab 1596 als Professor der theologischen Fakultät in Wittenberg, wobei ihn seine Schriften als überzeugten Verfechter und Interpreten der Konkordienformel ausweisen (s. dazu u. Anm. 47). In aller Kürze informiert über ihn Walter Sparn, Art. Hütter (Hutterus), Leonhart, RGG 4 8 (2000), Sp. 1967 f.; ausführlicher ist die Darstellung von Johannes Kunze, Art. Hutter, Leonhard, RE3 8 (1900), S. 497–500.
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»Et si nihil aliud, illud certe Confessionem nostram ab omni suspicione Papismi plane liberaret, quod Anno 1537. cum Augustana Confessio (in qua phrasis haec, Sub Specie panis & vini, habetur) Schmalcaldiae revisioni accuratiori subjiceretur, ea tamen nihil quicquam mutata aut correcta, imo omni mutatione aut emendatione superior judicata, & a praecipuis Ecclesiis Protestantium subscripta fuit, cum expresso anathemate Transsubstantiationis Pontificiae« 27.
Die unberechtigterweise der Beschuldigung, sie vertrete die altgläubige Lehre von der Transsubstantiation, ausgesetzte CA – selbstverständlich invariata – ist aus Hutters Sicht »nostra Confessio«, die »a praecipuis Ecclesiis Protestantium subscripta fuit«. Trotz ihrer Abweichung von der in der Invariata vertretenen Abendmahlslehre sei es bereits 1531 »in conventu Principum & Civitatum Schmalcaldiae« dazu gekommen, dass »Helvetii, & quatuor illae civitates a Protestantibus Ordinibus in societatem foederis [des Schmalkaldischen Bundes, C. W.] recipi flagitabant« 28 . Dieser Forderung hätten die Protestantischen Stände jedoch nur unter der Bedingung nachkommen wollen, dass die Schweizer und Oberdeutschen von ihrer Abendmahlslehre ließen 29. »Sed quid hoc ad praesentem quaestionem, An Electores & Principes protestantes, tum cum Helvetiis sive Zwinglianis aliis foedus sive Unionem aut pacem inierunt? Hoc probandum est Pareo: quo non probato, aerem rursus inanibus fabulis & figmentis verberat« 30, erklärt Hutter. Denn die Konsequenzen eines Zusammenschlusses mit den Erben Calvins können, davon ist der Wittenberger Gelehrte überzeugt, für die Vertreter des rechten Glaubens, für die Anhänger Luthers also, nur negativ ausfallen: »Quod si ergo Protestantes sese conjungerent cum Calvinianis in fundamento errantibus: certe de ipsorum impietate participarent, Idololatriam (aequivoce loquendo) committerent, &, ut Scriptura loquitur, scortarentur contra DOMINUM & verbum ejus« 31. Hutter identifi ziert somit unter Ablehnung jeglichen Zusammenschlusses mit den Reformierten ausschließlich diejenigen, die sich zur Abendmahlslehre »nostrae Confessionis«, also der CA invariata bekennen, als Protestantes. Ein in27 Hutter, IRENICUM VERE CHRISTIANUM, S. 374. Hutters enges Verhältnis zur CA äußerte sich auch in seinem Arbeitsalltag als Professor der Theologie: »Zu Leonhard Hutters scheinbar beliebtesten Aufgaben als Theologieprofessor gehörte das Halten von Disputationsreihen zur Confessio Augustana. Bereits in Jena hatte er im Jahre 1596 eine solche Reihe veranstaltet, und aus seiner Wittenberger Zeit sind welche von 1597–98 und 1601 bekannt. Alle beiden Wittenberger Reihen wurden mehrfach und lange nach Hutters Tod gedruckt« (Kenneth G. Appold, Orthodoxie als Konsensbildung. Das theologische Disputationswesen an der Universität Wittenberg zwischen 1570 und 1710, Tübingen 2004, S. 215; zu den einzelnen Disputationen, ihren Themen und Hutters Argumentationsgängen s. a.a.O., S. 216– 223). 28 Hutter, IRENICUM VERE CHRISTIANUM, S. 407. 29 Ebd. 30 A.a.O., S. 441. 31 A.a.O., S. 454.
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tegrativer Begriffsgebrauch kommt für ihn folglich schlicht nicht in Frage, da es von reformierter Seite nie zu einer Anerkennung der einzig wahren Lehre vom Abendmahl, nämlich der in der Invariata fi xierten 32 , und daher auch niemals zu einem Bündnisschluss oder zu einer Union der »Electores & Principes protestantes« mit den Reformierten gekommen sei. Solange die Calvinisten an ihren Irrlehren festhielten, dürfe es auch gar nicht zu einem wie auch immer auszugestaltenden Schulterschluss beider Kirchentümer kommen, denn dieser würde letztlich nur das Verderben der Lutheraner bzw. eben der Protestanten nach sich ziehen: Sie würden sich von den fatalen Irrtümern der Reformierten gleichsam anstecken lassen 33 und sich somit »contra DOMINUM & verbum ejus« versündigen 34. Nun greift Hutter bei seiner ausführlichen Widerlegung des Heidelberger Reformierten auch die in dessen Irenicum zu fi ndenden Passagen auf, mittels derer sich Pareus’ integrative Begriffsnutzung nachweisen lässt. Dabei kommt der Wittenberger Professor nicht irgendwie auf sie zu sprechen, sondern er zitiert sie, und zwar in der Regel wörtlich. Die beiden von Hutter zuverlässig zitierten Belegstellen für Pareus’ bedingt integrative Terminologie35 belegen eindrücklich, dass es sich bei der im IRENICUM VERE CHRISTIANUM vorkommenden und konsequent durchgehaltenen exklusiven Weise der Nutzung der Bezeichnung Protestantes keineswegs um eine bloße Gewohnheit Hutters handelt, die er eben aufgrund ihrer Selbstverständlichkeit unbewusst – z. B. im Zuge der inhaltlichen Auseinandersetzung mit bestimmten Schlüsselstellen des Werkes seines literarischen und theologischen Gegners – gegen eine andere eintauschen und damit auch die entsprechende Deutung auswechseln kann, was wiederum zu einer inkonsequenten Terminologie führen würde, wie sie beispielsweise bei Beckmann und auch bei Pareus selbst nachweisbar ist. Hutters gegen Letztgenannten und sein Irenicum vorgebrachte Begriffl ichkeit ist viel32 Zur Abweichung der Reformierten von der Abendmahlslehre der Invariata und den daraus erwachsenden und für Hutter schlechthin fatalen Folgen für die gesamte Theologie der Calvinisten s. a.a.O., S. 80–112. Mit seiner Meinung, Uneinigkeit bestehe letztlich doch nur in der Frage nach der physischen Präsenz Christi in den Abendmahlselementen, »Pareus rursus pervertit Statum Controversiae« (a.a.O., S. 94, Marginalglosse). 33 Die Vorstellung, dass ketzerische Irrlehren ansteckend sind, ist fester Bestandteil bereits der altkirchlichen und vor allem mittelalterlichen Ketzertypologie und wird an dieser Stelle von Hutter offensichtlich dankbar aufgenommen, um sich gegen den von Pareus geforderten Schulterschluss der Evangelischen auszusprechen. Zur mittelalterlichen Ketzertypologie und ihren Wurzeln s. Herbert Grundmann, Der Typus des Ketzers in mittelalterlicher Anschauung, in: ders., Ausgewählte Aufsätze Teil 1: Religiöse Bewegungen (Schriften der MGH Bd. 25,1), Stuttgart 1976, S. 313–327. 34 Dass Hutter die Bezeichnung »Protestantes« nicht integrativ verwendet und, führt man sich seinen Standpunkt vor Augen, auch gar nicht integrativ gebrauchen kann und will, bestätigen auch die anderen Stellen im IRENICUM VERE CHRISTIANUM, an denen Hutter mit dem hier im Mittelpunkt stehenden Terminus umgeht; vgl. dazu a.a.O., S. 35, 45, 60, 408, 434 f., 439 f. 35 Gemeint sind Pareus, Irenicum, S. 304 u. 339.
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mehr Ausdruck seines argumentativen Programms, denn die wörtlichen Zitate Pareus’ bleiben ohne Konsequenzen für seine eigene Begriffsdeutung: Er greift die inklusive Interpretation des Heidelberger Irenikers nicht auf, sondern arbeitet bei dessen Widerlegung entweder mit anderen Termini 36 oder behält seine eigene exklusive Deutung des Begriffs Protestantes strikt bei. So zitiert er Pareus mit den Worten: »Denique Ordines Protestantes a praedictis haeresibus, atque etiam a Papatu & Antichristianismo Romano, secedendi gravissimas, ab invicem vero sese separandi causas nullas omnino habere« 37. Darauf entgegnet Hutter kurzerhand: »Tandem falsum esse, Ordines Protestantes vereque Evangelicos, nullas habere causas, sese a Calvinianorum Confessione separandi«38 . Benutzt Pareus die Formulierung »Ordines Protestantes« unleugbar zur Bezeichnung sowohl der lutherischen als auch der reformierten Reichsstände, die trotz der altgläubigen Agitation keinen Grund hätten, sich voneinander zu trennen, behält der Wittenberger Theologe die Wendung »Ordines Protestantes« zwar bei. Er ergänzt sie aber in polemischer Absicht um die Wörter »vereque Evangelicos« 39, lässt dafür in seiner Entgegnung den für das Verständnis Pareus’ bedeutenden Ausdruck »ab invicem« weg und erklärt, verkehrt man seine negative Aussage ins Positive, es gebe sehr wohl Gründe für die protestantischen Stände, sich von den Calvinisten zu separieren, denn: »Calviniani errant directe in fundamento fidei & salutis«40. Somit erklärt Hutter Lutheraner und Reformierte zu nicht weniger als »[in] toto fundamento dissidentes Religiones«41, deren von Pareus empfohlener Zusammenschluss, gerade weil sie »in fundamento revera non conveniunt«42 , den Worten Christi und der Apostel schlicht zuwider sei43. Es ist unverkennbar: Geradezu trotzig und ohne Zweifel bewusst in direktem Gegensatz zu seinem attackierten Gegenüber behält Leon36 Vgl. dazu Hutter, IRENICUM VERE CHRISTIANUM, S. 426, wo er auf Pareus, Irenicum, S. 304 zu sprechen kommt. 37 Hutter, IRENICUM VERE CHRISTIANUM, S. 471. Das Zitat stammt aus Pareus, Irenicum, S. 339; abweichend von Hutters Zitation heißt es dort: »Denique perspicuum est, Ordines Protestantes [. . .]«. Ausgenommen der Auslassung zweier den Sinn nicht verändernder Wörter direkt zu Beginn zitiert Hutter somit zuverlässig. 38 Hutter, IRENICUM VERE CHRISTIANUM, S. 476. 39 Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass auch Hutter in der Regel das Wort »Evangelici« verwendet, wenn er integrativ von Lutheranern und Reformierten sprechen möchte; vgl. dazu exemplarisch a.a.O., S 8, 17, 41, 79, 87, 89 f., 96, 212, 237. Nun steht für ihn jedoch offenbar außer Frage, dass die Protestanten und damit die Lutheraner die »wahren Evangelischen« sind, wie die angeführte Formulierung belegt; diese – wenn auch nur gelegentliche – qualitative Unterscheidung unter den »Evangelici« ist eine besondere Spitze Hutters gegen Pareus, der jene Bezeichnung ja ebenfalls als Integrationsbegriff gebraucht (s. o. Kap. I, Anm. 117). 40 Hutter, IRENICUM VERE CHRISTIANUM, S. 81, Marginalglosse. 41 A.a.O., S. 61. 42 A.a.O., S. 67. Vgl. zur Ablehnung der von Pareus behaupteten Übereinstimmung von Reformierten und Lutheranern in den Fundamentalartikeln christlicher Lehre durch Hutter auch a.a.O., S. 71–79. 43 A.a.O., S. 62 f.
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hard Hutter seine Terminologie bei, mit der er die inhaltliche Programmatik seiner Schrift prägnant unterstreicht. Da nun Hutter im Gegensatz zu seinem Tübinger Kollegen Sigwart das reformierte Irenicum zu weiten Teilen wenn auch nicht immer wort-, so doch in der Regel sinngetreu zitiert, kommt er natürlich auch auf die von Pareus bei der Schilderung der Vorgänge von 1566 herangezogene Plausibilisierungsinstanz, nämlich Erstenbergers Autonomia zu sprechen. Es überrascht den Leser in diesem Zusammenhang nicht, dass Hutter Pareus’ zur terminologischen Untermauerung seiner eigenen Argumentation vorgenommenen Zitaterweiterungen nicht mitträgt, sondern, wie gewohnt, mit seiner eigenen bereits bekannten Terminologie aufwartet44. Zudem liest der lutherische Gelehrte aus den schon von Pareus angeführten Ausführungen der Autonomia genau das Gegenteil von dem heraus, was der Pfälzische Theologe mit ihnen zu beweisen sucht, nämlich in erster Linie, dass Kurfürst Friedrich III. als Angehöriger der CA von den übrigen protestantischen Reichsständen anerkannt worden sei. Dies bezeuge Erstenbergers Werk selbstverständlich ganz und gar nicht, sondern: »Id vero intendit Autor Autonomiae, quod & nos largimur esse verissimum, Principes atque Ordines Confessioni Augustanae addictos, in comitijs illis inter reliqua ostendisse, Se nolle vel Palatinum, vel alios in Religione dissentientes, ob Religionis diversitatem, & secessionem ab Augustana Confessione, in discrimen ullum vel vitae vel fortunarum conjici«45.
Es bleibt demnach für Hutter trotz der Ereignisse zu Augsburg 1566 unverrückbar dabei, dass die Reformierten vor allem mit ihrer Lehre vom Abendmahl von der CA abgewichen seien. Dies hätten schon die lutherischen Reichsstände auf jenem Reichstag selbst bezeugt, indem sie Kaiser Maximilian II. auf seine Anfrage, ob sie Friedrich III. noch als Angehörigen der CA anerkennen könnten, erwiderten, »Electoris [. . .] Religionem cum Augustana Confessione NON consentire«46 . Somit entspreche die Behauptung Pareus’, es habe 1566 eine Anerkennung der Pfälzer Reformierten als legitimer Verwandter des Augsburger Bekenntnisses stattgefunden, nicht der Wahrheit. Vielmehr, folgt man den soeben angeführten Worten Hutters, sei es gleichsam ein großherziger Akt des Mitleids der wahren Konfessionsangehörigen gewesen, und zwar nicht nur mit der bedrohten Pfalz, sondern mit allen von der wahren Konfession Abweichenden, dass man auf lutherischer Seite Kurfürst Friedrich nicht aus dem Religionsfrieden ausgeschlossen habe. Und da es sich nun einmal für Hutter bei den geistigen Erben Zwinglis und Calvins nicht um Verwandte des Augsburger Bekenntnisses handelt, da ihre Konfessionsverwandtschaft entgegen der Argumentation Pareus’ nie von luthe44 45 46
A.a.O., S. 410 f., 413–415, 426–430. A.a.O., S. 414 f. A.a.O., S. 411.
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rischer Seite anerkannt worden sei, auch 1566 nicht, der Wittenberger Gelehrte den Terminus Protestanten jedoch zur Benennung eben der Konfessionsangehörigen verwendet, kommt für ihn – wie auch für Sigwart – eine Anwendung jenes Begriffs auf die Reformierten schlicht nicht in Frage47.
47 Bekanntlich wendet sich Hutter an anderer prominenter Stelle speziell dem Konkordienwerk zu, genauer: der Verteidigung der Konkordienformel. Das Werk, das er diesem Zweck widmet, trägt den Titel: ders., CONCORDIA CONCORS. De ORIGINE ET PROGRESSU FORMULAE CONCORDIAE ECCLESIARUM CONFESSIONIS AUGUSTANAE , Liber Unus: IN QUO EIUS
ORΘΟΔΟΧΙΑ, SCRIPTURAE SACRAE, OECUMENICIS SYMBOLIS, TOTI ANTIQUITATI PURIORI, ET PRIMAE ILLI, MINIMEQUE VARIATAE CONFES sioni Augustanae, ex asse
consona: Modus item agendi, in eo conscribendo, suffragiis muniendo, & tandem promulgando observatus, legitimus, & in Ecclesia CHRISTI hactenus usitatus fuisse, Christiano lectori evidenter & perspicue demonstratur: & RODOLPHI HOSPINIANI Tigurini Helvetii convitia, mendacia, & manifesta crimina falsi deteguntur ac solide refutantur: EX ACTIS PUBLICIS: RECESSIBUS, ETIAM ALIQUOT CONVENTUUM ET COLLOQUIORUM : Scriptis item & Rescriptis; Censuris & Judiciis Illustrissimorum Electorum, Principum, Comitum, Rerumpub. Ecclesiarum Scholarum, &c. PRO ORTHODOXIS ECCLESIIS: JUSSU ET AUTORITATE SERENISSIMORUM ELECTORUM SAXONIAE: CHRISTIANI II. augustissimae recordationis Principis: & JOHANNIS GEORGII, &c. Cum approbatione Theologorum Lipsensium, Witebergensium, & Würtenbergensium editus, Wittenberg (Wolfgang Meissner u. a.) 1614. Bei der polemisch-apologetischen Zielsetzung dieser ausführlich kommentierten Quellensammlung, die ja bereits der Titel preisgibt, nimmt es nicht Wunder, dass Hutter auch in seiner CONCORDIA CONCORS nichts ferner liegt als eine integrative Verwendung des im Zentrum dieser Untersuchung stehenden Begriffs. So grenzt er terminologisch Protestantes von Zwinglianis bzw. Sacramentariis ab (s. a.a.O., fol. 51v). Hutters CONCORDIA CONCORS richtet sich, wie ebenfalls schon ihrem Titel zu entnehmen ist, gegen den Zürcher Theologen Rudolf Hospinian, der seinem nicht minder scharfen Angriff auf die Konkordienformel den Titel gibt: ders., CONCORDIA DISCORS: DE ORIGINE ET PROGRESSV FORMVLAE CONCORDIAE BERGENSIS LIBER VNVS: IN QVO EIVS ERRORES ET FALSA DOgmata, sacrae Scripturae, orthodoxis Symbolis, toti An-
tiquitati puriori, & ipsi etiam Augustanae Confeßioni repugnantia: Antilogiae item seu Contradictiones, Condemnationes iniustae, et modus agendi in Ecclesia Christi hactenus inusitatus, quem in consribendo, suffragijs muniendo et promulgando hoc CONCORDIAE LIBRO Patres Bergenses Auctores eius sequuti sunt, Christiano Lectori demonstrantur & ob oculos ponuntur: Ex Actis tum publicis, tum priuatis, Recessibus item aliquot Conuentuum, Scriptis quoque & Rescriptis, Censuris & Iudicijs Illustrissimorum Principum, Ecclesiarum, Scholarum, &c. PRO ORTHODOXIS ECCLESIIS : AD Illustrißimum & Generosißimum Principem ac Dominum DN. OTTONEM Landgrauium Haßiae, &c., Zürich ( Johannes Wolf ) 1607. Auch der Schweizer Reformierte Hospinian wendet den Terminus Protestantes exklusiv auf die lutherischen Reichsstände an, von denen er die »Helueticas Ecclesias« bzw. »Euangelicos, seu reformatas Ecclesias« begriffl ich geschieden wissen will (vgl. dazu exemplarisch a.a.O., fol. 24r).
2. Verschärfung durch terminologische Zuspitzung und Steigerung der Polemik
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2. Verschärfung durch terminologische Zuspitzung und Steigerung der Polemik 2.1. Matthias Hoe von Hoeneggs Nothwendige Vertheidigung In den innerevangelischen Streit, welche Fassung des Augsburger Bekenntnisses nun eigentlich die reichsrechtlich maßgebliche ist, schaltet sich auf lutherischer Seite auch der kursächsische Oberhofprediger Matthias Hoe von Hoenegg ein. Dem Heiligen Stuhl in Rom waren die scharf geführte Auseinandersetzung zwischen Lutheranern und Reformierten um die CA und die sich daraus ergebenden Chancen zur reichsrechtlich wirksamen Bekämpfung des in der Reformation abgefallenen Ketzertums nicht entgangen. Auch gegen die sich daraus ergebenden altgläubigen, vor allem jesuitischen Bemühungen, die Evangelischen des Abfalls von der CA zu überführen und sie daher der schlichtenden Bestimmungen des Religionsfriedens für unwürdig zu erklären, wendet sich nun Hoes 1628 gedruckte Nothwendige Vertheidigung48 . Sie begegnet nun zwar auf den ersten Blick hauptsächlich den von Jesuiten vorgetragenen Angriffen gegen den reichrechtlich seit 1555 gewährleisteten Schutz der lutherischen Reichsstände, wie es ja auch ihr Titel suggeriert; doch dass sie sich nicht minder engagiert auch gegen die reformierte Inanspruchnahme der CA auf terminologisch höchst konsequente und zugleich auf ganz eigne Art und Weise richtet, ist nach ihrer Lektüre nicht in Abrede zu stellen. Hoe stellt seiner Apologie der Invariata eine komprimierte Darstellung des
48 Mathias Hoe von Hoenegg, Nothwendige Vertheidigung/ Des heiligen Römischen Reichs Evangelischer Chur=Fürsten vnd Stände AugApffels. Nemlich der wahren/ reinen/ vngeänderten/ Käyser Carln dem fünfften Höchstlöblichster Gedächtniß/ Anno 1530. vbergebenen Augspurgischen Confession, vnd des auff dieselbe gerichteten hochverpoenten ReligionFrieds. Mit gründlicher Außführung/ Daß weder Höchst/ Hoch/ und Wolermelte Chur=Fürsten/ vnd Stände/ noch deroselben trewe Theologen in einem einigen Articul von gedachter wahrer Augspurgischen Confession abgewichen/ dahero auch des heilsamen ReligionFriedens sich nicht verlustig gemachet haben. Auff sonderbaren gnädigsten Befelch/ Des Durchlauchtigsten Fürsten vnd Herrn/ Herrn Johann Georgens/ Hertzogen zu Sachsen/ Gülich/ Cleve vnd Berg/ des Heiligen Römischen Reichs Ertzmarschallens vnd ChurFürstens/ Landgraffens in Düringen/ Marggraffens zu Meissen/ Burggraffens zu Magdeburg/ Graffens zu der Marck vnd Ravensburg/ Herrens zum Ravenstein/ etc. Verfasset/ Vnd zur Ableinung der Jesuitischen hin vnd wider außgesprengten Lästerungen und Beschmitzungen in Druck gegeben, Leipzig (Zacharias Schürer u. a.) 1628. Von 1613 bis zu seinem Tode im Jahre 1645, also fast während des gesamten Dreißigjährigen Krieges, wirkte Matthias Hoe von Hoenegg (1580–1645) als auch politisch einflussreicher Oberhofprediger am Hof Kursachsens, wo er der erste Träger dieses Titels war. Unüberholt ist zu seiner Biographie Franz Dibelius, Art. Höe von Höenegg, Matthias, RE3 8 (1900), S. 172–176. S. zur vor allem aus ausgewählten Predigten rekonstruierten Tätigkeit Hoes in seiner Rolle als kursächsischer Oberhofprediger auch Wolfgang Sommer, Die lutherischen Hofprediger in Dresden. Grundzüge ihrer Geschichte und Verkündigung im Kurfürstentum Sachsen, Stuttgart 2006, S. 137–166.
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»Anfang[s] vnd Fortgang[s] deß Evangelischen Reformation Werckes«49 voran, in deren Verlauf er wenig überraschend auch auf den Speyrer Reichstag von 1529 zu sprechen kommt: »Auff dem Reichstag zu Speyer muste [. . .] die Lehr Lutheri auch sehr leyden: Vnd ergieng ein Abschied/ welcher der Evangelischen Lehr hefftig zu wider war«; daher hätten die der neuen Lehre anhängenden Stände »darwider protestiren müssen/ dahero auch die Evangelische den Namen der Protestanten oder Protestirenden bekommen«50. Es sei an dieser Stelle hervorgehoben, dass Hoe als erster aller bisher untersuchten Autoren ausdrücklich von Protestanten spricht, während in allen anderen deutschsprachigen Werken ausschließlich von Protestierenden die Rede war. Die Evangelischen sind demnach seit 1529 begriffl ich mit den Protestanten gleichzusetzen; es handelt sich für Hoe offenbar um Wechselbegriffe. Das muss den Leser nach den bisher erzielten Ergebnissen verwundern: In jeder bisher untersuchten Quelle, in der die Bezeichnung »Evangelische« bzw. »Evangelici« in ihren mannigfachen Spielarten nachgewiesen werden konnte, handelte es sich bei jenem Terminus um einen, wenn nicht sogar – bei den angeführten Schriften Sigwarts und Hutters – um den Integrationsbegriff 51. Nun galt aber bisher für diese zwei fest auf dem theologischen Boden des lutherischen Konkordienwerkes stehenden Autoren, dass sie, wie die Inhalte ihrer vornehmlich gegen Pareus gerichteten Werke und die dort verwendete Terminologie zeigen, den Terminus Protestantes oder Protestierende keinesfalls integrativ gedeutet haben wollten und letztlich eben aufgrund ihrer Argumentationsstrategie auch gar nicht integrativ gebrauchen konnten. Das dem Eifer Hutters und Sigwarts gegen die von den Reformierten erhobenen Ansprüche auf die Augsburger Konfessionsverwandtschaft in nichts nachstehende Engagement Hoes kann jedoch nicht ernsthaft in Frage gestellt werden, wie noch zu sehen sein wird. Es stellt sich folglich die Frage, wie Hoe Protestanten und Evangelische gleichsetzen kann. Die Antwort ist denkbar einfach: Er nutzt letztgenannte Bezeichnung schlicht nicht integrativ, ja, er verwendet überhaupt keinen Integrationsbegriff. Jene Gleichsetzung ist dem lutherisch-orthodoxen und damit anticalvinistischen Theologen folglich nur deshalb möglich, weil er – darin Sigwart und Hutter folgend – die Bezeichnung Protestanten konsequent ausschließlich auf die lutherischen Reichsstände anwendet und zugleich das Wort Evangelische exklusiv für genau jene Stände in Beschlag nimmt. Um sich klarzumachen, dass es sich so bei Hoe verhält, ist auch in diesem Fall eine eingehende Betrachtung der Passagen der Nothwendige[n] Vertheidigung un49 A.a.O., S. 1, Marginalglosse; der Überblick über die Reformationsgeschichte bis 1530 umfasst die Seiten 1–23. 50 A.a.O., S. 13. 51 Eine Ausnahme bildet auf reformierter Seite nur Hospinians CONCORDIA DISCORS (s. dazu Anm. 47).
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erlässlich, die sich mit den differierenden Fassungen der CA und ihrem rechtlichen Geltungsanspruch befassen: »Daß der ReligionsFried/ so viel vns Evangelische betrifft/ auff die Lehr der Augspurgischen Confession gegründet sey/ sind auff gewisse Weise unnd Maß gerne geständig. Denn so wol Anno 1555. als 1566. andere Religionen außgesetzet vnd außgeschlossen worden. Vnd wiewol im Religionsfried weder das Wörtlein vnverändert/ noch veränderter Augspurgischer Confession zu befi nden/ so ist doch der sämptlichen Reichsstände Meynung nicht anders gewesen/ als daß die Anno 1530. Kayser Carl dem Fünfften vbergebene Confession, dadurch solle verstanden werden« 52 .
Die Evangelischen stehen also deshalb unter der Protektion des Friedensschlusses von 1555, weil dieser den Angehörigen der CA gilt, und zwar der CA invariata. Damit ist umgekehrt klar, wem der reichsrechtliche Schutz nach Hoe eben nicht gilt: u. a. denjenigen, die sich auf die Variata berufen und daher auch nicht Evangelische genannt werden können. Hoe erklärt, weite Teile seiner Ausführungen zusammenfassend, geradezu emphatisch, die Lutheraner »bezeugen für Gott/ vnd der gantzen werthen Christenheit/ daß vnsere Evangelische Chur=Fürsten/ vnd andere Stände/ keiner andern Augspurgischen Confession zugethan seyen/ so wol als wir Evangelische Theologen/ sampt vnd sonders/ dann allein der vngeänderten [. . .]/ die auch allein vom Keyser/ Chur= vnd Fürsten/ wie auch den gesampten Stenden des Reichs/ bey Auffrichtung des ReligionFriedens/ ist gemeynet worden. Darvon begehren wir nicht ein Härlein breit abzuweichen/ sondern bis in den Todt fest vnd vnverruckt zu verbleiben« 53.
Das Bekenntnis, an dem die Evangelischen bis zum bitteren Ende festhalten wollen, weil und sofern auf ihm ihr reichsrechtlicher Schutz ruht, ist somit die Invariata. Der exklusive Charakter, den Hoe der Bezeichnung Evangelische verleiht, ist damit an Deutlichkeit kaum zu überbieten. Was nun die von den Reformierten ins Feld geführte Variata angeht, könne kein Zweifel daran bestehen, »daß die Evangelischen Chur= und Fürsten/ so wol die andern protestirenden Stände des Reichs/ die veränderte Confession niemaln beliebet/ viel weniger von der zu Augspurg vbergebenen abgewichen/ sondern vielmehr beständig darbey geblieben seyen«54. Die Geschichte und vor allem die Lehre der Evangelischen beweise, dass man »nicht nur von den Jüden vnd Arrianern/ sondern auch [. . .] von den Sacramentirern vnd Calvinisten zu jeder Zeit sich absondern wollen/ vnd wircklich abgesondert« habe55. Nun werde natürlich von beiden Feinden des rechten Glaubens der Vorwurf erhoben, auch die Lutheraner seien, wie das Konkordienbuch hinreichend be52 53 54 55
Hoe von Hoenegg, Nothwendige Vertheidigung, S. 342. A.a.O., S. 357. A.a.O., S. 353 f. A.a.O., S. 398.
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weise, von der CA abgewichen und damit des 1555 gewährten Schutzes verlustig gegangen. Doch das sei bloße Verleumdung; vergleiche man nämlich die Lehre der Invariata mit der des Konkordienbuches, »so wird sich befi nden/ daß gantz kein Vnterscheid seye/ vnd also von den Jesuiten vnd ihrem Anhang/ so wol als von den Calvinisten/ vns zur Vngebühr zugemessen werde/ als ob wir im Concordienbuch eine newe Lehr eingeführet hetten. Das ist nicht geschehen: Was D. Luther vor vnnd nach der vbergebenen Confession gelehret/ darbey sind wir geblieben/ vnd bleiben noch vnverruckt darbey« 56 .
Vielmehr beweise die Verurteilung der Ubiquitätslehre sowohl durch die Papisten als auch durch die Calvinisten die große Gemeinsamkeit beider: Sie vertreten gleichermaßen dem wahren Glauben diametral entgegen gesetzte Irrlehren 57. Hoe gebraucht nun den Terminus Protestanten zwar nur selten 58 und greift stattdessen lieber auf den Begriff Evangelische zurück 59, doch das macht den Dresdner Oberhofprediger eben nicht zum großen Versöhnungstheologen lutherischer Fasson. Denn er unterscheidet sich darin von Hutter und Sigwart, dass er Evangelische nicht integrativ deutet, sondern mit Protestanten gleichsetzt, wobei er dieses Wort genauso exklusiv zur Bezeichnung allein der Lutheraner gebraucht wie die Verfasser der untersuchten Angriffe auf Pareus’ vermeintliches Friedenswerk. Durch die bewusste einschränkende Umdeutung des verbreiteten Integrationsbegriffs Evangelische, durch die Verweigerung der Verwendung eines Integrationsbegriff überhaupt ist zweifelsohne eine schwerlich zu überbietende Qualität terminologischer Polemik erreicht 60. Für das Verständnis seiner Terminologie ist erneut die Haltung des Autors bezüglich der unterschiedlichen Versionen der CA von Bedeutung: Das Bekenntnis, auf das sich im Unterschied zu allen anderen vermeintlichen Christen die Orthodoxen, also die Lutheraner, Protestanten oder Evangelischen beziehen, ist die CA invariata. Die Variata, die dagegen die Reformierten zur allein gültigen Fassung der Bekenntnisschrift erheben wollten, sei nun zwar in ihrer Existenz nicht zu leugnen: Die Invariata ist nun einmal 1540 überarbeitet worden, das ist historische Tatsache. Doch diese »Veränderung der Augspurgischen Confession« sei eben »nicht mit wissen/ Willen oder auff Befehlch vnd Anordnung/ viel weniger mit genehmhaltung« der evangelischen, d. h. der protestantischen Stände 56
A.a.O., S. 422. A.a.O., S. 423 f. 58 Beide Stellen der Nothwendige[n] Vertheidigung, an denen er Verwendung fi ndet, sind zitiert worden. 59 Vgl. außer den bereits genannten Passagen exemplarisch a.a.O., S. 20, 270 f., 313, 346, 359, 370 f., 382, 393, 447, 469 f. 60 Diese Schärfe der innerevangelischen Polemik ist nun freilich auch der reformierten Partei nicht fremd; man denke nur an die von Hospinian in seiner CONCORDIA DISCORS in Anschlag gebrachte Begriffl ichkeit (vgl. dazu o. Anm. 47). 57
2. Verschärfung durch terminologische Zuspitzung und Steigerung der Polemik
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geschehen, »sondern allein aus blossem eigenem gutbedüncken Philippi Melanchthonis« 61, was ihr letztlich jeden Anspruch auf offizielle Geltung raube. 2.2. Hoes Vnvermeidentliche Rettung als nochmalige Steigerung Ganz der Auseinandersetzung mit den Reformierten ist die Vnvermeidentliche Rettung Hoes aus dem Jahr 1635 gewidmet 62 . Diese Schrift des in Diensten Kursachsens stehenden Theologen ist, wie der Titel belegt, eine an Polemik kaum zu überbietende Reaktion auf das aus reformierter Feder stammende und anonym verfasste ORACULUM DODONAEUM 63. Sowohl Hoes Vnvermeidentliche Rettung als auch das ORACULUM DODONAEUM, das die erstgenannte Schrift provoziert hat, sind in einen, wie die beiden Werktitel ausweisen, höchst interessanten und seit Anfang der 1630er Jahre offen ausgetragenen Diskussionskontext einzuordnen, nämlich ob es für den lutherischen Kurfürsten von Sachsen in Anbetracht eines möglichen Friedensschlusses mit dem Kaiser statthaft sei, zum Schutze der Calvinisten die Waffen zu ergreifen und damit den Frieden mit den Kaiserlichen in unabsehbare Zukunft zu verlegen, oder eben nicht. Allein diese literarische Auseinandersetzung, die weit mehr Werke hervorgebracht hat als lediglich die zwei erwähnten, ist zu komplex, als dass sie im Rahmen dieser terminologiegeschichtlichen Untersuchung erschöpfend bearbeitet werden könnte. Den Auslöser der gesamten Kontroverse stellt jedoch ein auf Anfrage des sächsischen Kurfürsten erstelltes Gutachten Hoes dar, in dem er sich äußerst kritisch zur militärischen Unterstützung reformierter Reichsstände äußert 64. 61
Hoe von Hoenegg, Nothwendige Vertheidigung, S. 344. Ders., Vnvermeidentliche Rettung Churfürstl. Durchl. zu Sachsen gethaner Gewissens=Frag/ vnd darauff erfolgter Antwort/ Ob die Evangelischen/ dem Calvinismo zum besten/ die Waffen ergreiffen/ vnd in omnem eventum, allein/ vmb des Calvinismi willen/ den hochnöthigen Frieden/ im H. Röm. Reich außschlagen/ hingegen mit den blutigen Waffen fortfahren können/ vnd sollen/ Wider eine gifftige Lästerschrifft/ eines vngenanten Calvinischen Tockmausers/ die vnter dem Titul/ Oraculum Dodonaeum &c. im vergangenen Herbst außgesprenget worden, Leipzig (Thomas Schürer u. a.) 1635. 63 ORACULUM DODONAEUM NON JOPHONIS ARTE, SED veritatis Magisterio resolutum: Oder/ Eine vnlängst auff Churfürstlicher Durchl. zu Sachsen/ wie vorgegeben wird/ beschehene Frag/ vnder Herrn D. Hoe Namen gestellte/ vnd gleich als auß dem Munde deß Herrn angegebene Antwort/ jetziges Kriegswesen im Römischen Reich betreffend. Auß dem Zeugnüß der offenbaren Warheit erläutert/ vnd allen/ der Augspurgischen Confession von Hertzen zugethanen Christen/ zur Nachrichtung an Tag gegeben, Frankfurt a. M. ( Johann Friderich Weiß) 1634. Der Titel nimmt Bezug auf das in der Antike überregional bekannte Orakel von Dodona in Epirus, das zu den berühmtesten Orakeln der helenischen Welt gehörte [vgl. zum Orakel in aller Kürze Fritz Graf, Art. Dodona, Dodone (Δωδώνη ) III. Orakel, DNP 3 (1997), Sp. 724–726]. 64 Sowohl die Anfrage des Kurfürsten als auch Hoes Gutachten sind im ORACULUM DODONAEUM, S. 4–13 abgedruckt. Schon in den Anfangsjahren des Dreißigjährigen Krieges hatte sich Hoe, bei dem sich 62
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II. Verweigerung durch Verharren: Die lutherische Terminologie bis 1648
Begriffsgeschichtlich ist die Vnvermeidentliche Rettung der Analyse wert, da sie einen weiteren einprägsamen Beleg für die Terminologie Hoes darstellt, die zwar schon aus seiner Nothwendige[n] Vertheidigung bekannt ist, nun jedoch in eine nochmals gesteigerte Schärfe der antireformierten Polemik eingebunden wird und so von dieser eindrucksvoll Zeugnis ablegt. Es sind die üblichen Argumentationszusammenhänge, deren Lektüre der terminologischen Interpretation dienlich ist. Auf die Fragestellung, wie »es aber vmb die Religion stehe/ »wie bei kaum einem zweiten lutherischen Theologen der gesellschaftliche und politische Einfluß konfessioneller Theologie verdichtet« [Thomas Kaufmann, Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede. Kirchengeschichtliche Studien zur lutherischen Konfessionskultur (Beiträge zur historischen Theologie Bd. 104), Tübingen 1998, S. 37], zur Erhaltung des Augsburger Religionsfriedens offen für einen Friedensschluss mit den Altgläubigen und den endgültigen Bruch mit den Calvinisten ausgesprochen. Nun darf zwar Hoes Einfluss auf die politisch-militärischen Entscheidungen des kursächsischen Hofes vor allem während des Böhmischen Aufstandes nicht überschätzt werden [s. dazu vor allem Frank Müller, Kursachsen und der Böhmische Aufstand 1618–1622 (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte Bd. 23), Münster 1997, S. 120–127 und Kaufmann, Dreißigjähriger Krieg, S. 38 m. Anm. 105]. Doch seiner strikt ablehnenden Haltung gegenüber dem Calvinismus entsprechend wusste er das militärische Eingreifen seines Herrn Johann Georg auf Seiten des Kaisers gegen den reformierten pfälzischen Kurfürsten Friedrich V., der sich zum König von Böhmen aufgeschwungen hatte und wegen seiner kurzen Herrschaft als »Winterkönig« in die Geschichte einging, nachträglich positiv zu würdigen (s. dazu Sommer, Die lutherischen Hofprediger, S. 151–156). Dass Hoe Anfang der 1630er Jahre zeitweise »von der Notwendigkeit einer innerprotestantischen Annäherung als einer politischen Überlebensfrage überzeugt werden« konnte (Kaufmann, Dreißigjähriger Krieg, S. 43 f.), ist wohl eher mit der »existentiellen religiösen und politischen Bedrängnis des Protestantismus um 1630« (a.a.O., S. 44) verbunden als mit einem Umdenken des lutherischen Oberhofpredigers, das in seiner Qualität die bewährten Fundamente seines konfessionellen Selbstbewusstseins und des daraus resultierenden konfessionspolitischen Standpunktes nachhaltig umgestoßen hätte. Unter dem Eindruck der mit dem Restitutionsedikt von 1629 unzweifelhaft einhergehenden Rekatholisierungsbestrebungen des Kaisers »ging Kursachsen von seinem kaisertreuen Kurs ab, freilich ohne das eigentliche politische Ziel, nämlich die Wiederherstellung der Reichsverfassung bzw. des dezidiert als politischen Frieden (pax politica) bejahten [. . .] Augsburger Religionsfrieden (sic!) aus dem Blick zu verlieren« (a.a.O., S. 25; zu den bündnispolitischen Umschwüngen in der kursächsischen Politik während des Krieges s. a.a.O., 24 f.). Dass Hoe aber seine anticalvinistische Einstellung zumindest nicht dauerhaft abgelegt hat, belegt neben ihrem Inhalt nicht zuletzt auch die Begriffl ichkeit, auf die Hoe in seiner Vnvermeidentliche[n] Rettung zurückgreift und die mit Blick auf seine Haltung gegenüber den Reformierten von einer beachtlichen Konsequenz zeugt. Sommers Feststellung, in seiner anlässlich des kaiserlichen Restitutionsediktes und seiner auch für lutherische Gebiete fatalen Auswirkungen 1630 in der Schlosskirche zu Dresden gehaltenen Predigt rufe Hoe auf zum Schulterschluss »aller Evangelischen«, wie Sommer selbst formuliert (Sommer, Die lutherischen Hofprediger, S. 159), ist angesichts des terminologischen Befundes, wie er aus der Nothwendige[n] Vertheidigung und der Vnvermeidentliche[n] Rettung erhobenen werden muss, äußerst fraglich. Zudem spricht Hoe auch in der betreffenden Predigt, wie Sommer zitiert, von den »›hochbedrengten/ waaren/ Evangelischen Kirchen‹« (ders., Die lutherischen Hofprediger, S. 158) – es ist also kaum denkbar, dass er in seiner Predigt von 1630, die zeitlich ja genau zwischen beide im Rahmen dieser Arbeit untersuchten Werke einzuordnen ist, auch die Reformierten zu den Evangelischen rechnet.
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vnd ob der Reformirten oder Calvinischen Religion/ das Recht/ vnd Beneficium des ReligionFriedens zustehe/ vnd gebühre«, weiß Hoe natürlich nur eine Antwort zu geben: Bei genauer Untersuchung der historischen Ereignisse »wird es sich befi nden/ daß die damals genandte Sacramentirer vnd Zwinglianer keinen Platz darbey gehabt haben. Denn es wird nicht dreyerley/ sondern nur zweyerley Religionen gedacht vnd erwehnet [. . .]. Eine die Augspurgische Confession/ vnd derselben Lehr/ Religion vnd Glauben [. . .]: Die andere/ die alte/ oder Catholische Religion« 65. »Was ist noch klärer vnd heller/ als daß die Calvinische/ vnd alle andere Lehr/ außgenommen der Augspurgischen Confession/ vnd der Catholischen/ in diesem ReligionFrieden gäntzlich außgeschlossen seye? [. . .] So wahr/ als die Reformirte oder Calvinische Religion/ die dritte/ vnd gar eine sonderliche Religion ist/ gestalt sie sich von vns abgesondert/ so wol mit der Lehr/ als mit den Ceremonien/ so wahr ist sie/ vermög des Buchstabens/ gäntzlich außgeschlossen [. . .]. Das ist die Warheit/ sie sey so bitter/ als sie seyn kann« 66 .
Nun könne man auf reformierter Seite das Argument anführen, dass Kurfürst Friedrich III. 1566 als Verwandter der CA anerkannt worden sei; doch die »Wahrheit ists/ daß die Evangelische Chur=Fürsten vnd Stände/ Anno 1566. gegen die Keyserl. Mayt. klärlich gesetzet: Den Artikul des heiligen Nachtmals/ können sie nicht erkennen/ daß Ihre Churfürstl. Gn. mit der Augspurgischen Confession gleichförmig halte« 67. Aus diesem Votum der lutherischen, d. h. für Hoe der evangelischen Stände ergebe sich für die damaligen und gegenwärtigen Anhänger der einst in der Kurpfalz entstandenen Lehre: »Wer das gläubet vom H. Abendmal/ was im Heidelbergischen Catechismo zu gläuben fürgesetzt wird/ der helts nicht gleichförmig mit der Augspurgischen Confession« 68 . So könne es nur eine den historischen Fakten angemessene Deutung der Ereignisse, wie sie sich auf dem Reichstag von 1566 zugetragen haben, geben: »Die vnverneinliche Warheit ists/ daß auff vielbesagtem Reichstage/ [. . .] in dem öffentlichen ReichsAbschied/ die Außschliessung der Calvinischen Religion/ aus dem ReligionFrieden geschehen seye« – eben weil sie mitnichten als der Augsburgischen Konfession entsprechend gelten könne 69. Es ist somit in erster Linie sein Bekenntnis zur reformierten Abendmahlslehre, weswegen der Pfälzische Kurfürst des reichsrechtlichen Schutzes, wie ihn der Friedenschluss von 1555 gewährt, verlustig gegangen sei. Doch damit nicht genug der Polemik gegen jene von Calvin geprägte Lehre, denn für Hoe steht grundsätzlich fest:
65
Hoe von Hoenegg, Vnvermeidentliche Rettung, S. 52. A.a.O., S. 53. 67 A.a.O., S. 54. Was nun die Ereignisse auf dem Reichstag von 1566 angeht, so sind auch Hoe die entsprechenden Schilderungen Erstenbergers in seiner Autonomia bekannt (vgl. dazu a.a.O., S. 236). 68 A.a.O., S. 54. 69 A.a.O., S. 55. 66
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II. Verweigerung durch Verharren: Die lutherische Terminologie bis 1648
»Im heiligen Abendmal seyn wir Lutheraner/ auch weit besser/ vnd grösser/ dann die Calvinisten. Dann was haben sie für ein Abendmal? Anders nichts als Brodt vnd Wein/ ohne die wahre Gegenwart des wesentlichen Leibs vnd Bluts Jesu Christi/ welcher Leib vnd Blut des HErrn/ so weit von dem gesegneten Brodt vnd Wein abwesend seyn/ als der oberste Himmel abwesend ist/ von der vntersten Erden« 70.
Daher gehe es bei den Abendmahlsfeiern in reformierten Kirchen oftmals »so gar liederlich vnd ärgerlich« zu, »als es jrgend bey einer gemeinen Mahlzeit zugehen kan. Vnd wann wir Evangelische in der Kirchen feine Ceremonien gebrauchen/ bey denen keine Sünden seyn/ aus denen wir auch keinen zur Seligkeit nutzenden Gottesdienst machen/ so wissen sie nicht/ wie sie sich genugsam darwider aufflegen vnd auffleinen sollen/ vnterstehen sich ihre Ceremonien vns auffzudringen/ vnnd dieselbe für nötige Stück des Christenthumbs außzugeben« 71.
Weil nun aber die Reformierten sich weigerten, die einzig wahre Abendmahlslehre, wie sie in der CA invariata vor aller Augen stehe, anzunehmen, könne kein ernsthafter Zweifel daran bestehen, »daß die Calvinische Religion/ nicht ist die alte Catholische/ auch nicht der Augspurgischen Confession Verwandten/ sondern eine gantz absonderliche«, die keinen Anspruch auf den den Angehörigen der CA geltenden Schutz des Religionsfriedens erheben könne72 , solange sie in ihrer Halsstarrigkeit befangen bleibe: »Wann sie [die Reformierten, C. W.] heute den Tag in den Religion= vnd ProfanFrieden/ namentlich/ vnd als dritte Parthey/ eingenommen würden/ weder ich/ noch einiger Evangelischer Theologus, solte vnd würde einen Buchstaben darwider reden vnd schreiben/ wenn sie sich nur nicht vnter dem praetext einlügen wolten/ als ob sie so wol der wahren Augspurgischen Confession zugethan weren/ als wir Lutheraner/ welches eine so vnverschämbte gewissenslose Vnwahrheit ist/ daß sich die Sonne darüber verferben möchte« 73.
Nach alldem kann Hoe, gleichsam die Konsequenz aus seiner Argumentation ziehend, zusammenfassen: »Ergo haben wir die allein seligmachende reine Lehr/ die freilich abgesondert ist/ von der irrigen Lehr der Calvinisten/ Papisten/ Wiedertäuffer/ [. . .] vnd anderer verdammlichen Sectirer vnd Ketzer« 74. Die einzig legitimen Augsburger Konfessionsverwandten sind somit die Evangelischen, von denen er die Reformierten, eben »weil notori vnd kundbar/ daß die Calvinisten in so vberaus vielen vnd hochwichtigen Puncten jrren/ vnd die aller erschrecklichsten Irrthumb auffs hefftigste vertheidigen«75, auch terminologisch klar geschieden wissen möchte. Damit steht außer Frage, wen er als 70 71 72 73 74 75
A.a.O., S. 43. A.a.O., S. 281. A.a.O., S. 56. A.a.O., S. 47. A.a.O., S. 62. A.a.O., S. 314.
2. Verschärfung durch terminologische Zuspitzung und Steigerung der Polemik
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»Evangelische« bezeichnet, zumal er dabei auch auf die erste Person Plural zurückgreifen kann, wenn er von ihnen spricht: Er gebraucht jene Bezeichnung streng exklusiv für die Lutheraner 76 . Auf die in der lutherischen Literatur durchaus übliche exklusive Verwendung des Begriffs Protestanten, die auch in der Nothwendige[n] Vertheidigung nachgewiesen werden konnte, kann Hoe daher selbst in primär historisch-rechtlich argumentierenden Kontexten unter inhaltlicher und terminologischer Verschärfung seiner damit zum Ausdruck gebrachten ablehnenden Haltung gegenüber der reformierten Partei getrost verzichten, was in seiner Vnvermeidentliche[n] Rettung auch der Fall ist 77. So führt der Dresdner Oberhofprediger – seiner dargestellten Linie treu – in Bezug auf die von den Reformierten so beständig eingeforderte Vereinigung zwischen beiden aus der Reformation hervorgegangenen Konfessionskirchentümern und den daraus resultierenden auch militärischen Verpfl ichtungen der Lutheraner gegenüber den Reformierten aus: »Von Hertzen wünschten wir eine rechte Fundamental vergleichung vnd Vereinigung/ vnd wolten es mit vnserm Blut gern helfen befördern/ wenn nur die Calvinisten selb nicht so starcke Riegel mit jhrer Hartneckigkeit vnd Halßstarrigkeit darfür machen theten«78 . Doch so lange sie nicht von ihren Irrlehren Abstand nehmen, »wie anfänglichen Zwingel zu Marpurg gütlich von allen Irrthumen biß auff den einen abtrat [angespielt wird selbstverständlich auf seine Abendmahlslehre, C. W.]/ so lang kan keine gäntzliche Vergleichung getroffen werden/ daß man sie für vnsere Glaubensgenossen halten vnd erkennen köndte« 79.
Die Vnvermeidentliche Rettung stellt, wie eingangs erwähnt, die Reaktion Hoes auf das anonym verfasste, aber aufgrund seines Inhalts unzweifelhaft aus reformierter Feder stammende ORACULUM DODONAEUM dar. Daher sei an dieser Stelle ein Blick auf die dort zu fi ndende Terminologie erlaubt, denn diese könnte wiederum Rückschlüsse auf die von Hoe genutzte Begriffl ichkeit ermöglichen. Nach der komprimierten Betrachtung der Inhalte und Argumente der Vnvermeidentliche[n] Rettung, mit denen der lutherische Theologe dem ORACULUM DODONAEUM in aller Schärfe begegnet, ist es nun nicht schwer, dessen Standpunkt zu erschließen. So wurden Hoes aufgezeigte Ausführungen beispielsweise durch folgende Formulierung hervorgerufen: »Das aber ist vnwidersprechlich wahr vnd am Tag/ daß die Reformierte nicht allein so wol/ als die Lutherische im Religionsfrieden bißhero gewesen/ vnd desselben im Römischen Reich/ vnnd als Stände deß Reichs/ würcklich genossen: Sondern auch/ ob 76 Neben den bereits angeführten Stellen verdeutlichen dies u. a. auch a.a.O., S. 63, 68 f., 144–146, 206, 221, 236, 342 und besonders 350. 77 Soweit ich sehe, kommt der Terminus Protestanten in von Hoe eigenständig formulierten Passagen, also außerhalb oftmals schwer zu durchschauender Zitationskomplexe (vgl. beispielsweise a.a.O., S. 97, 99) nicht ein einziges Mal vor. 78 A.a.O., S. 314. 79 Ebd.
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II. Verweigerung durch Verharren: Die lutherische Terminologie bis 1648
schon derselben Außschliessung von den Papisten/ oder etlichen wenigen andern Friedhässigen/ durch vnbilligen Hassz/ oder zänckischer Theologen Anreitzung/ [. . .] gesucht worden/ daß doch von den vbrigen Reichsständen in solche Außschliessung der Reformierten niemals gewilliget/ ja derselben vielmehr dapffer widersprochen/ vnd die reformierte Stände nicht per tolerantiam, wie fälschlich außgegeben wird/ sondern/ als vngezweiffelte/ gehorsame/ der Augspurgischen Confession verwandte Stände des Reichs/ [. . .] gehalten/ [. . .] worden/ wie Reichs unnd weltkündig ist« 80.
Hoes Standpunkt zu diesem Thema ist nun hinreichend bekannt. Wie nun die Haltungen des ORACULUM DODONAEUM und der Vnvermeidentliche[n] Rettung einander diametral entgegengesetzt sind, so ist es auch die Terminologie beider Werke: Nutzt das erstgenannte Werk die Bezeichnung »Evangelische« klar integrativ81, so fällt Hoes Verwendung genau gegenteilig aus, nämlich exklusiv, also zur Benennung ausschließlich der Lutheraner. Es lässt sich hier somit letztlich dasselbe Phänomen feststellen, das auch schon bei Hutter und Sigwart beobachtet werden konnte, deren angeführte Werke ja ebenfalls als Reaktionen auf eine reformierte Schrift anzusehen sind. Während die reformierte Seite alles tut, um ihre Augsburger Konfessionsverwandtschaft historisch, rechtlich und theologisch mit dem Ziel zu erweisen, den eigenen reichsrechtlichen Schutz durch den Religionsfrieden von 1555 sicherzustellen, ist man auf Seiten des unverrückbar auf dem Konkordienwerk fußenden Luthertums nachdrücklich bemüht, genau jener Inanspruchnahme der CA durch die Reformierten ein für allemal das Wasser abzugraben. Beide Programme fi nden in der jeweils verwendeten Terminologie ihren Niederschlag: Der integrativen Begriffsnutzung der Reformierten begegnet man auf lutherischer Seite mit dem exklusiven Gebrauch genau desselben Wortes. So ist dann auch Hoes Terminologie vor dem Hintergrund divergierender, besser: entgegengesetzter Programmatik erklärbar 82 . Im Vergleich zu den übrigen untersuchten lutherischen Autoren ist Hoe in terminologischer Hinsicht aber dadurch originell, dass er schlicht keinen Integrationsbegriff in Anschlag bringt; vielmehr entkleidet er den selbst von seinen Konfessionsver80
ORACULUM DODONAEUM, S. 22. Dass die Bezeichnung »Evangelische« sowohl Lutheraner als auch Reformierte meint, beweisen die entsprechenden Belegstellen; vgl. dazu a.a.O., S. 3, 14, 18 f., 44, 47. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass das ORACULUM DODONAEUM den Begriff Protestierende durchaus verwendet, aber interessanterweise keineswegs integrativ, sondern ausschließlich zur Bezeichnung der lutherischen Reichsstände (s. exemplarisch a.a.O., S. 34, 36). 82 Wie die anderen untersuchten lutherischen Autoren lässt sich auch Hoe in seinem Begriffsgebrauch nicht durch die Kenntnis einschlägiger reformierter Schriften und Theologen, die dieselbe Terminologie integrativ verwenden, beirren; es muss im Gegenteil davon ausgegangen werden, dass ihn deren Integrationsbegriffe in der von ihm in Anschlag gebrachten exklusiven Deutung derselben Bezeichnungen nur bestärkt hat. So kannte Hoe nicht nur Pareus’ Irenicum (vgl. a.a.O., S. 299, 303), sondern auch Ursins DE LIBRO CONCORDIAE [. . .] ADMONITIO Christiana (vgl. a.a.O., S. 286, 297). Zudem sind ihm auch Johann Crocius (a.a.O., S. 22) und Pezel (a.a.O., S. 172) bekannt, deren im Rahmen dieser Arbeit in den Blick genommenen Schriften jedoch von Hoe nicht genannt werden. 81
2. Verschärfung durch terminologische Zuspitzung und Steigerung der Polemik
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wandten als Sammelbezeichnung für Reformierte und Lutheraner gebrauchten Terminus »Evangelische« seines integrativen Charakters und nutzt ihn im Gegensatz zu Sigwart und Hutter als exklusiv-lutherische Selbstbezeichnung. Damit ist, wie gesagt, in den zwei analysierten Schriften des Dresdner Oberhofpredigers eine bisher kaum gekannte Qualität der in bestimmten Optionen der Begriffsverwendung geäußerten Polemik erreicht. 2.3. Keine Konfessionsverwandtschaft für Ketzer: Abraham Calovs CRITICUS SACER Wie Sigwart, Hutter und Hoe, so reiht sich auch Abraham Calov noch Mitte des 17. Jahrhunderts in die orthodox-lutherische Phalanx ein, die den Reformierten jedes Recht auf die Behauptung, sie seien der CA ebenso verwandt wie die Lutheraner, vehement und unbeirrbar abspricht. Die reformierten Argumente und Thesen, denen Calov in seinem in erster Linie gegen Johann Crocius gerichteten CRITICUS SACER 83 entschlossen begegnet, sind letztlich die, die 83 Abraham Calov, CRITICUS SACER , vel Commentarii apodictico-elenchtici super AUGUSTANAM CONFESSIONEM Ecclesiarum Evangelicarum novissimi temporis Symbo-
lum vere Augustum ΠΡΟΘΥΡΟΝ, In quo invariata pariter & variata Confessio ita edisseritur, ut plurimis Pontificiorum & Calvinianorum contrariis scriptis ex ipso fundamento satisfiat: nec non de Scriptura Sacra, Qua fontes, qua versiones celebratissimas, adversus Papisequarum recentiorum, & aliorum plurium insidiosas machinationes cumprimis diligenter agitur, simulque ultra Octingenta Scripturae loca aut illustrantur aut vindicantur: Subjuncta διηγήσει de Conciliis, Praeviaque consideratione Pacis, & Syncretismi cum Calvinianis, & consensus eorundem cum Aug. Confess. adversus Joh. Crocium, Leipzig (Timotheus Ritzsch u. a.) 1646. Abraham Calov (1612–1686) war Professor in Königsberg und Danzig, bevor er 1650 nach Wittenberg berufen wurde, und zwar bewusst als profi lierter Gegner Calixts und seiner Theologie. Ab 1652 wirkte er zudem als Generalsuperintendent. Zu seinem Leben ist lesenswert Johannes Wallmann, Art. Calov, Abraham (1612–1686), TRE 7 (1981), S. 563–568. Nach wie vor lohnt zudem ein Blick in Johannes Wilhelm Kunze, Art. Calovius (Kalau), Abraham, RE3 3 (1897), S. 648–654. Eine Übersicht über Leben und Werk Calovs bietet auch Volker Jung, Das Ganze der Heiligen Schrift; Hermeneutik und Schriftauslegung bei Abraham Calov, Stuttgart 1999, S. 4–9. Vor allem stellt die Monographie Jungs Calov nicht primär als Streittheologen, sondern als Exegeten und theologischen Denker vor und widmet sich damit einer Seite Calovs, die in den meisten Darstellungen nur allzu oft in den Hintergrund treten musste. Ein ganz eigenes, zwar beachtenswertes, nicht selten aber ungerechtes Bild Calovs zeichnet August Tholuck, Der Geist der lutherischen Theologen Wittenbergs im Verlaufe des 17. Jahrhunderts, theilweise nach handschriftlichen Quellen, Hamburg u. a. 1852, S. 185–211, der seine Charakterisierung des nimmermüden Streiters gegen Calixt und seine Schüler, gegen Calvinismus und Papsttum in folgende Worte münden lässt: »Gemüthlose Zähigkeit bei innerlich kochender Leidenschaftlichkeit erscheint als Grundzug dieses theologischen Charakters; weder auf der Kanzel, noch in vertraulichen Briefen, noch in den theologischen Schriften ein Lebenshauch christlicher, selten auch nur menschlicher Wärme. Die Menschen erscheinen ihm wie Zahlen, und unter den dogmatischen Problemen bewegt er sich wie unter Rechenexempeln« [a.a.O., S. 207; inwiefern Tholucks negatives Calov-Bild Teil ist seiner nicht minder vernichtenden Deutung der gesamten 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts und sich damit einpasst in seine historische Rationalismus-Konzeption, verdeutlichen
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seit Ursin und Pareus im Reformiertentum gebräuchlich sind, geht es doch um die Inanspruchnahme des Augsburger Bekenntnisses für und durch die geistigen Erben Calvins. Daher ist auch Calovs jener Inanspruchnahme selbstverständlich diametral entgegengesetzte Argumentation in ihren Hauptlinien wenig originell, d. h. sie stützt sich in ihren Grundzügen auf die schon von den bereits genannten lutherischen Theologen gegen die Reformierten und ihr reichsrechtlich durchaus streitbares Bestreben ins Feld geführten Motive. Mit dem Ziel, jedweder Berufung der Reformierten auf die CA ein für allemal ihre argumentative Grundlage und damit ihre Plausibilität zu entziehen, wendet er sich auf jeder nur denkbaren Ebene, sei es theologisch-dogmatisch, historisch oder rechtlich, gegen den reformierten Anspruch, vollkommen legitim als konfessionsverwandt gelten zu können. Dabei widmet Calov allein fast 230 Druckseiten seiner historisch-rechtlichen Auseinandersetzung mit den beiden Fassungen der CA, die im Brennpunkt der Debatte stehen, und ist dabei, was den Leser nicht überrascht, eifrig bemüht, der Variata das von den Reformierten ihr zugeschriebene Prädikat der Rechtmäßigkeit abzusprechen84. So beginnt er sein Werk mit der ausführlichen Schilderung der Entstehungsgeschichte, Übergabe und zeitlichen Nahwirkung der Invariata 85. Schon in diesem Kontext fällt der Begriff Protestantes in unterschiedlichen Varianten ständig 86 . Gemein ist all den Passagen, in denen Calov den genannten Terminus gebraucht, dass sie die Protestanten mit den Vorgängen von 1530, speziell der Übergabe der Invariata auf dem Augsburger Reichstag, in engste Verbindung bringen, weshalb schon zu erahnen ist, in welche Deutungsrichtung Calovs Terminologie geht. So erklärt er gleichsam resümierend, es könne kein Zweifel daran bestehen, »Status Protestant. qui exhibuere [auf dem Reichstag von 1530, C. W.] hanc Confessionem eandem ceu Symbolum fidei suae & sententiis & verbis ipsis, quibus proposita fuit – wenn auch unter differierenden Darstellungsprämissen – Hans-Martin Kirn, Umkämpfter Glaube – umkämpfte Geschichte: August Tholuck als Kirchenhistoriker, PuN 27 (2001), S. 118–146 und Thomas Kaufmann, Tholucks Sicht auf den Rationalismus und seine »Vorgeschichte«, ZThK 99 (2002), S. 45–75]. Eine in ihrer Deutung gegenteilige, nämlich von Bewunderung für den Mann, »der zum ersten Male seit dem Ableben der Reformatoren wieder an die alte Größe und Bedeutung der Wittenberger Universität anknüpfte«, zeugende Darstellung Calovs geradezu als tragische Figur bietet Hans Leube (vgl. dazu ders., Kalvinismus und Luthertum, S. 322–350; das angeführte Zitat fi ndet sich a.a.O., S. 323). Eine differenzierte Einordung Calovs in die Theologiegeschichte liegt auch vor mit Kenneth G. Appold, Abraham Calov als Vater der lutherischen Spätorthodoxie, in: Ernst Koch, Johannes Wallmann (Hgg.), Ernst Salomon Cyprian (1673–1745) zwischen Orthodoxie, Pietismus und Frühauf klärung (Vorträge des Internationalen Kolloquiums vom 14. bis 16. September 1995 in der Forschungs- und Landesbibliothek Gotha), Gotha 1996, S. 49– 58. 84 Calov, CRITICUS SACER , S. 2–228. 85 A.a.O., S. 5–79. 86 Vgl. exemplarisch a.a.O., S. 5, 18, 22, 24 f., 28, 30–35, 38, 40, 53, 71, 77.
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in originali, & authentico intemeratam, ac prorsus invariatam voluisse; quod itidem de B. Luthero praecipuo Confessionis hujus auctore dicimus« 87.
Die Invariata, zu deren vornehmsten Autor Calov kurzerhand Luther selbst erklärt, wird demnach als »Symbolum fidei« der Protestanten identifi ziert. »Qui ergo excusari posset illa variatio [scil. die 1540 geschehene, C. W.] non tantum praeter, sed & contra mentem & voluntatem Protest. & B. Lutheri suscepta?« 88 Denn die Variata entbehre aus folgenden Gründen jedweder Bedeutung bzw. Geltung für die protestantischen Stände: »Quandoquidem Confessio illa [gemeint ist die Variata, C. W.] neque a Theologis Protestantium conjuncto studio, & ex mandato Principum conscripta sit, neque ab ipsis Statibus Protestantibus approbata, & subscripta, neque Augustae in Comitiis illis celebribus Carolo V. exhibita, neque porro ut Symbolum & Confessio fidei publice ab Ecclesiis orthodoxis recepta, neque a Pontificiis jussu Imperatoris« 89.
Dieser Katalog schwerwiegender und ihrer Legitimität jedwede Grundlage entziehender Mängel der CA in ihrer 1540 durch Melanchthons Überarbeitung zustande gekommenen Fassung ist nach Calov ursächlich für die Tatsache, dass eben nur die Invariata Anspruch auf Autorität erheben könne, die – wendet man die soeben zitierte Aussage Calovs positiv – letztlich sehr wohl als Bekenntnis öffentlich von den Recht- und selbst den Altgläubigen anerkannt worden sei. Dass die Invariata die exklusive Identifi kationsurkunde der Protestanten sei, könne man schon am Schweinfurter Konvent 1532 erkennen, wo beschlossen worden sei, »ut Protestantes intra terminos August. Confess. sese continerent, nec quicquam commune haberent cum Zvinglianis, & Anabaptistis, nisi illi ab errore suo desisterent«90. Diese Formulierung macht einsichtig, dass Calov die CA invariata nicht nur zur grundlegenden Glaubensurkunde der Protestanten, die er dadurch mit den lutherischen Reichsständen gleichsetzt, erklärt, sondern auch zu dem Dokument, zu dem sich die Orthodoxen bekennen, von welchem aber ausgemachte Ketzer mit ihren Lehrirrtümern fernzuhalten sind, also die Wiedertäufer und – darin liegt die eigentliche Spitze des 1646 erschienen CRITICUS SACER - die Anhänger Zwinglis, die zwar zum Zeitpunkt des Konvents und nach dem Ausbrechen des Abendmahlsstreits durchaus unter den Lutheranern nicht selten als Sakramentierer und Ketzer verschrien waren. Doch scheint der Verdacht nicht unberechtigt, dass der lutherische Theologe die obige an Schärfe kaum noch zu überbietende qualitative Gleichsetzung von Reformierten und Wiedertäufern bei der Schilderung von Ereignissen, die mehr als hundert Jahre zurücklagen,
87 88 89 90
A.a.O., S. 98. Ebd. A.a.O., S. 99. A.a.O., S. 121.
118
II. Verweigerung durch Verharren: Die lutherische Terminologie bis 1648
nicht ganz unabsichtlich, sondern gezielt in polemischer Tendenz noch Mitte des 17. Jahrhunderts verwendet. Dass die Variata von den protestantischen, d. h. lutherischen Ständen nicht umgehend bekämpft worden sei, sondern sich auch unter den Lutheranern einer gewissen Beliebtheit erfreut habe, liege nun nicht daran, dass man auf der Basis ihrer Abendmahlslehre eine brüderliche Vereinigung mit den Reformierten hätte erzielen können. Vielmehr habe man ihre Eignung geschätzt, als herausfordernde Diskussionsgrundlage für die Kolloquien mit den Altgläubigen zu dienen. Die von Melanchthon vorgenommen Änderungen habe man also aus pragmatischen Gründen hingenommen: »Ergo mutatio A. C. facta est publico Protestantium consensu« 91. Diese Zustimmung zur »mutatio A. C.« sei aber eben nur wegen der obigen Zweckbestimmung der Variata erfolgt; darüber hinaus aber habe die überarbeitete Version des Bekenntnisses keinerlei Funktion und Bedeutung. »Quae sane intelligebant Protestantes, non ob Zvinglianorum receptionem in communionem fidei, sed ob disputationem cum Pontifi ciis peculiari quodam Philippi consilio variata«92 . Es handelt sich somit – folgt man dem interessanten Gedankengang Calovs – bei der Variata gar nicht um eine Überarbeitung, die ihrerseits wieder Anspruch auf bekenntnismäßigen Rang erheben kann, im Gegenteil: Das einzige Dokument, das für die Protestanten den Rang ihres Bekenntnisses einnehme, sei die CA in der Form, in der sie 1530 als offizielle Bekenntnisschrift dem Kaiser übergeben worden ist. Ihre inhaltliche Veränderung sei nur geschehen, um die Auseinandersetzung mit dem altgläubigen Gegner auf den nahenden Religionsgesprächen dadurch offensiver zu gestalten, dass man in aller Deutlichkeit die eigene Lehrgrundlage zur Darstellung bringe93, keineswegs aber in irenischer Absicht im Hinblick auf einen Zusammenschluss mit den indirekt als vermeintliche Ketzer identifi zierten Reformierten. Als sich aber gerade dieser irenische Charakter der Variata entfaltet habe und den protestantischen Ständen diese mit der Überarbeitung der Invariata von Seiten der Lutheraner keineswegs beabsichtigte Fehlentwicklung bewusst geworden sei, habe man nur wenige Jahre nach Melanchthons Veränderung des ursprünglichen Bekenntnistextes, besonders des 10. Artikels, diesen wieder restituiert. Zudem habe man dem Kaiser schriftlich garantiert, nun unver91
A.a.O., S. 205. A.a.O., S. 206. 93 Die Meinung, die Variata sei in erster Linie aus dem Bedürfnis der Mitglieder des Schmalkaldischen Bundes entstanden, die eigene theologische Position, die Lehrgrundlage des Bundes im Zuge der kommenden Religionsgespräche mit den Altgläubigen im Gegenüber zu diesen in aller Schärfe herauszustellen – schärfer noch, als es auf der Basis der Invariata möglich war – vertritt auch Maurer, wie seine Darstellung der Entstehungsgeschichte und der Übergabe der Variata deutlich macht (vgl. ders., Confessio Augustana Variata, in: ders., Kirche und Geschichte, S. 215–223, 252–266). Calovs Deutung ist also nicht nur Resultat seiner anticalvinistischen Polemik, in die sie jedoch geschickt eingeflochten wird, sondern ihr muss aufgrund der historischen Fakten durchaus Plausibilität zugesprochen werden. 92
2. Verschärfung durch terminologische Zuspitzung und Steigerung der Polemik
119
brüchlich an der 1530 übergebenen Fassung des Augsburger Bekenntnisses festzuhalten94. Inhaltlich wie terminologisch sorgt somit auch Calov Mitte der 1640er Jahre, genauer: ein Jahr nach dem Beginn der Verhandlungen95, die zwei Jahre später zum Friedenschluss von Münster und Osnabrück führen sollten, für klare Verhältnisse: Die einzige Gruppe innerhalb des Reiches, die sich mit Recht auf die Augsburger Konfession beruft, sind die Protestantes. Sie ist ihr ureigenstes Bekenntnis. Dabei steht für den profi lierten Lutheraner völlig außer Frage, welche der zur Debatte stehenden Fassungen die maßgebliche und theologisch einzig statthafte ist: die auf dem Augsburger Reichstag 1530 offiziell verlesene und Kaiser Karl V. übergebene CA invariata. Ausschließlich auf sie berufen sich die protestantischen Stände, die Calov offenkundig mit den lutherischen gleichsetzt. Die auf die Irrlehren Zwinglis und Calvins zurückgehenden vermeintlichen Ketzer mögen sich zwar auf die Variata berufen, doch das macht sie für den lutherischen Gelehrten noch längst nicht zu Konfessionsverwandten. Denn die Variata habe letztlich gar keinen bekenntnismäßigen Rang; den könne eben nur die Invariata mit der in ihr vertretenen Abendmahlslehre beanspruchen. Und solange die Reformierten diese nicht bedingungslos akzeptierten, ihre Irrlehre aufgäben und damit die CA von 1530 zu ihrer Bekenntnisschrift erklärten, könne es keinen wie auch immer gearteten politischen und erst recht keinen theologischen Zusammenschluss zwischen Lutheranern, Protestanten also, und Reformierten bzw. Ketzern geben. Infolge dieser hier freilich nur in aller gebotenen Kürze dargestellten Argumentation bleibt Calov mit seiner Terminologie auf den Wegen, die das lutherische Schrifttum im Zuge des innerevangelischen Diskurses um die Inanspruchnahme der CA durch und für die Reformierten seit jeher beschritten hat: Er denkt überhaupt nicht daran, den begriffl ich schöpferischen Impuls der reformierten Seite aufzugreifen und die Bezeichnung Protestantes96 auch auf die Anhänger calvinistischer Theologie zumindest im Reich anzuwenden; schließlich muss sich Calov – wie vor ihm schon Sigwart, Hutter und Hoe – darüber im Klaren gewesen sein, dass auf terminologischer Ebene höchstwahrscheinlich 94
Calov, CRITICUS SACER , S. 207–208. Die eigentlichen Friedensverhandlungen begannen 1645 [vgl. Thomas Kaufmann, Art. Westfälischer Friede, TRE 35 (2003), S. 679–686, hier: S. 679]. Zu den Schauplätzen, den beteiligten Gesandten und den den Beginn des Friedenskongresses begleitenden Ereignissen s. Fritz Dickmann, Der Westfälische Frieden, herausgegeben von Konrad Repgen, Münster 71998, S. 189–215. Eine kritische Würdigung erfährt Dickmanns Klassiker übrigens bei Martin Heckel, Zur Historiographie des Westfälischen Friedens. Die Bedeutung des Werkes von Fritz Dickmann für die deutsche Verfassungs- und Kirchenrechtsgeschichte, in: ders., Gesammelte Schriften Bd. 1, S. 484–500. 96 Der Begriff ist neben den bereits genannten Stellen u. a. auch in Calov, CRITICUS SACER , S. 80–82, 92, 97, 106, 114, 136, 138, 146 f., 182, 185–187, 189, 198, 208–211, 227, 229, 231 f., 842 f. zu fi nden. Auch Calovs Integrationsbegriff ist »Evangelici«; vgl. dazu exemplarisch a.a.O., S. 2, 36, 40, 77, 80, 185–187, 216, 224, 226. 95
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II. Verweigerung durch Verharren: Die lutherische Terminologie bis 1648
nichts dem Programm seines CRITICUS SACER , d. h. dem Nachweis ausschließlich der eigenen Konfessionsverwandtschaft unter strikter Ablehnung jedweden reformierten Anspruchs auf die Zugehörigkeit zur CA, abträglicher sein kann, als jenen Begriff integrativ einzusetzen.
III. Verhärtete Fronten trotz reichsrechtlicher Zäsur: Die Terminologie auf Seiten der lutherischen Orthodoxie und des Reformiertentums seit 1648 1. Das Instrumentum Pacis Osnabrugensis als reichsrechtlicher Wendepunkt Der Frontverlauf zwischen beiden Ausformungen reformatorischer Theologie ist damit klar: Die geistig-theologischen Anhänger Calvins auf dem Boden des Heiligen Römischen Reiches, die gerade in der ersten Generation meist noch eine melanchthonische Färbung aufweisen und dem Reichsreformiertentum dieses Prägemal auf Dauer hinterlassen sollten, setzen sich intensiv dafür ein, als legitime Verwandte des Augsburger Bekenntnisses sowohl historisch-rechtlich als auch theologisch anerkannt zu werden und damit der Gefahr eines Ausschlusses aus dem Religionsfrieden von 1555 zu entgehen. Das fest auf der Konkordienformel mit ihrem klaren Bekenntnis zur Invariata fußende Luthertum hingegen sperrt sich mit aller Konsequenz gegen jene reformierten Bemühungen: An eine Anerkennung der Calvinisten als Verwandte der CA ist für Theologen wie Sigwart, Hutter, Hoe und Calov schlicht nicht zu denken. In ihrer diesbezüglichen Argumentation schöpfen sie, wie die Gegenseite, aus historisch-rechtlichen und theologischen Begründungen. Doch die orthodoxen Lutheraner gelangen dabei zum genau gegenteiligen Ergebnis: Die von den Reformierten eingeforderte Akzeptanz der nach ihrem Dafürhalten bei Betrachtung der Tatsachen nicht ernsthaft in Frage zu stellenden Legitimität ihrer Konfessionsverwandtschaft sei letztlich, wie die historisch-rechtliche und theologische Sachlage unzweifelhaft beweise, nichts weiter als blanke Anmaßung. Entsprechend verweigern die Verfechter dieses Standpunktes in der innerevangelischen Kontroverse regelrecht jedwede Entschränkung ihrer traditionellen Selbstbezeichnung. Der von Ursin einst begründete und später vor allem durch Pareus in der reformierten kontroverstheologischen Literatur gebräuchlich gewordene schöpferische Umgang mit dem Begriff Protestantes bzw. Protestierende1 hat auf lutherischer Seite keine Aufnahme gefunden, ganz im Gegen1 Seit Ursin verleihen die Reformierten ihrem Streben nach Anerkennung ihrer Augsburger Konfessionsverwandtschaft terminologisch dadurch Ausdruck, dass sie die Bezeichnungen Protestantes oder Protestierende, mit der sie – wie die Lutheraner auch – die Augsburger
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III. Verhärtete Fronten trotz reichsrechtlicher Zäsur
teil: Trotz und gerade wegen der integrativen Nutzung jener Bezeichnung auf Seiten der Calvinisten bleibt man im orthodoxen Luthertum unbeirrbar bei der überkommenen, strikt exklusiven Anwendung der genannten Termini ausschließlich auf die eigene Partei. Denn wegen der konsequenten Ablehnung der als illegitim und anmaßend gebrandmarkten Inanspruchnahme der CA durch und für die Reformierten steht unverrückbar fest: Anspruch auf die Bezeichnung Protestanten haben nur die rechtmäßigen Augsburger Konfessionsverwandten, weshalb eben für die angeführten Vertreter der lutherischen Orthodoxie eine Ausweitung jenes Begriffs auf die Reformierten nicht in Frage kommt. Die ohnehin gegebene Schärfe des im Zuge dieser Debatte angeschlagenen Tons nimmt dabei auf beiden Seiten bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts trotz der nur geringfügig modifi zierten Argumente unverkennbar zu. Zwar ist die lutherische Polemik ohne Zweifel von Anfang an die auffälligere, weil offenere, während die reformierten Angriffe auf das Gegenüber unter dem Deckmantel der Irenik geschickt verborgen, nichtsdestotrotz aber von ihren Adressaten entlarvt und entsprechend beantwortet werden. Doch mit zunehmender Hitze des Streits, die sich für die lutherische Seite besonders eindrücklich an den qualitativen Steigerungen der Polemik in den Werken Hoes und später Calovs festmachen lässt, kommt auch der irenische Charakter der reformierten Diskussionsführung zu Fall: Fehlte schon bei Beckmann vom auf den ersten Blick versöhnlichen Ton beispielsweise eines Pareus jede Spur, so wird in der EXEGESIS Logica & Theologica AUGUSTANAE CONFESSIONIS Altings schließlich eine Stufe der Polemik erreicht, die der bei den lutherischen Kontroverstheologen in nichts mehr nachsteht 2 . Die Gelegenheit, die offi zielle Anerkennung als Angehörige der CA zu erlangen und damit dem bedrohlichen rechtlichen Schwebezustand, der seit 1555 herrschte, zu entkommen, bietet sich nun, wie auch den reformierten Theologen Alting und Johann Crocius ohne Zweifel klar gewesen ist, im Zuge der seit 1645 stattfi ndenden Friedensverhandlungen in Münster und Osnabrück. In deren Verlauf gelingt es den reformierten Reichsständen mit Unterstützung Schwedens endlich, auf reichsrechtlich-offi zieller Ebene als Angehörige der CA akzeptiert zu werden – zumindest nach ihrer Lesart des Vertragstextes – und damit ein Ziel zu erreichen, in dessen Dienst sie seit annähernd 70 Jahren ihre integrative Terminologie gestellt haben. Konfessionsverwandten belegen, auch auf sich selbst anwenden und folglich integrativ nutzen, wenn jedoch auch meist ausschließlich vor reichsrechtlichem Hintergrund. Die einzige Ausnahme bildet, wie herausgearbeitet werden konnte, der Kasseler Theologe Johann Crocius, der aufgrund ihrer inhaltlich-theologischen Übereinstimmung mit der CA auch die Reformierten anderer Reiche als Protestanten bezeichnen kann und damit die von Ursin stammende Beschränkung des Begriffs auf die reformierten und lutherischen Reichsstände auf hebt. 2 Vgl. o. S. 77 f., 80 f.!
1. Das Instrumentum Pacis Osnabrugensis als reichsrechtlicher Wendepunkt
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So wird 1648 im Instrumentum Pacis Osnabrugensis, Artikel VII, § 1 schließlich bestimmt, dass die im Religionsfrieden von 1555 festgeschriebenen Rechte für die katholischen ebenso wie für die der CA angehörenden Stände gelten sollen. Dabei werden sie ausdrücklich auch denen zugesprochen, »qui inter illos reformati vocantur« 3. Natürlich lässt, wie Fritz Dickmann völlig zu Recht anmerkt, diese Formulierung einen gewissen Interpretationsspielraum4, doch kann letztlich daran kein Zweifel bestehen, dass die Deutung, damit würden die reformierten Stände »reichsrechtlich als CA-Angehörige defi niert« 5, durchaus Plausibilität beanspruchen kann. Dieser Defi nition entspricht dann auch die im Text des Friedensschlusses unmittelbar folgende integrative Nutzung des Begriffs protestantes. Denn in Artikel VII, § 1 heißt es weiter, dass die »controversiae religionis, quae inter modo dictos protestantes vertuntur, hactenus non fuerunt compositae, sed ulteriori compositioni reservatae sunt, adeoque illi duas partes constituant« 6 . Terminologiegeschichtlich bedeutsam ist die Tatsache, dass die schon bei Ursin zu findende integrative Deutung der Bezeichnung Protestanten sich hier vor dem Hintergrund der Augsburger Konfessionsverwandtschaft zum ersten Mal in einem reichsrechtlichen Dokument niederschlägt, und zwar in genau der Deutungsvariante, die die reformierte Theologie entwickelt hat, um ihre Realisationsgestalt reformatorischer Lehre als der CA theologisch-inhaltlich durchaus entsprechend herauszustellen. Dies geschah mit dem Ziel, den aus der Augsburger 3 Instrumentum Pacis Osnabrugensis (IPO), Art. VII, § 1, in: Acta Pacis Westphalicae, Serie III, Abt. B: Verhandlungsakten, Bd. 1/1: Die Friedensverträge mit Frankreich und Schweden. Urkunden, bearbeitet von Antje Oschmann, Münster 1998, S. 129. Das IPO umfasst insgesamt a.a.O., S. 95–170. 4 Die interpretationsbedürftige Formulierung lautet: »Unanimi quoque Caesareae maiestatis omniumque ordinum Imperii consensu placuit, ut quicquid iuris aut beneficii cum omnes aliae constitutiones Imperii tum pax religionis et publica haec transactio in eaque decisio gravaminum caeteris catholicis et Augustanae confessioni addictis statibus et subditis tribuunt, id etiam iis, qui inter illos reformati vocantur, competere debeat salvis tamen semper statuum, qui protestantes nuncupantur, inter se et cum subditis suis conventis pactis, privilegiis, reversalibus et dispositionibus aliis, quibus de religione eiusque exercitio et inde dependentibus cuiusque loci statibus et subditis hucusque provisum est, salva itidem cuiusque conscientiae libertate« (IPO, Art. VII, § 1, S. 129; die Hervorhebung durch Kursivschrift erfolgte durch den Verfasser dieser Arbeit). Fritz Dickmann erklärt dazu: »Was der Friede den Ständen allgemein, sowohl katholischer wie Augsburgischer Konfession, zubilligte, hieß es da, solle auch denen zustehen, ›die unter jenen Reformierte genannt werden‹. Dieses ›inter illos‹ ließ sich nach Belieben auf die zuerst genannten Stände allgemein oder auf die zuletzt genannten Stände Augsburgischer Konfession beziehen. Nahm man das zweite an, so waren die Reformierten ausdrücklich zur Confessio Augustana gezählt, entschied man sich aber für das erste, so blieb die Frage offen, es lag dann zwar keine Anerkennung, aber auch keine Verneinung dieser Zugehörigkeit vor. Die Reformierten hatten ›inter hos‹ gefordert, was die Frage zu ihren Gunsten entschieden hätte; was jetzt vorlag, war ein Kompromiß, die jeder Partei die ihr genehme Auslegung erlaubte (IPO VII § 1)« (ders., Der Westfälische Frieden, S. 464 f.). 5 Hauschild, Die Geltung der Confessio Augustana, S. 178 f. 6 IPO, Art. VII, § 1, S. 129.
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III. Verhärtete Fronten trotz reichsrechtlicher Zäsur
Konfessionsverwandtschaft der Reformierten resultierenden Schutz ihres Konfessionskirchentums durch die Bestimmungen von 1555 auch terminologisch zu unterstreichen. Damit hat aber auch genau die Begriffsdeutung bzw. -verwendung in das IPO Einzug gehalten, die das gegen jenes Bestreben der Reformierten gerichtete lutherische Schrifttum stets vermieden und argumentativ auf Schärfste bekämpft hat. Doch nun war zwar »reichsrechtlich einerseits die konfessionelle Binnendifferenzierung des Protestantismus konstatiert«7 ; andererseits aber ließ der gewählte Wortlaut die Interpretation zu, »die Geltung der CA [sei] auch für die reformierten Stände sanktioniert« 8 . Genau Letzteres jedoch war man ja auf lutherischer Seite in den vorangehenden Jahrzehnten bemüht gewesen zu verhindern, nicht zuletzt wegen der als unüberwindbar empfundenen Lehrstreitigkeiten – man denke nur an Abraham Calovs rhetorisch scharfe Verurteilung der Reformierten als Ketzer durch ihre Gleichsetzung mit den Wiedertäufern. Die von den reformierten Theologen von Ursin übernommene und weithin genutzte integrative Terminologie im Hinblick auf den Begriff Protestanten hatte sich demnach letzten Endes in den Dokumenten des Friedensschlusses von 1648 durchgesetzt, während die von den Lutheranern ins Feld geführte eigentlich ursprüngliche Begriffsdeutung nun reichsrechtlich keinen Rückhalt mehr zu haben schien. Aber die im IPO angeführte Formulierung ist – wie gesagt – keineswegs von unbestreitbarer Eindeutigkeit. Positiv gewendet: Sie lässt gerade im Hinblick auf die Frage, ob die Reformierten nun reichsrechtlich als Augsburger Konfessionsverwandte anerkannt werden oder eben nicht, einen gewissen Interpretationsspielraum, der bestens geeignet erscheint, die bereits vor 1648 geführte Debatte am Leben zu erhalten.
2. Inhaltlich-terminologische Beharrlichkeit auf Seiten der lutherischen Spätorthodoxie 2.1. Terminologische Konsequenz durch Interpretation des IPO: Abraham Calovs HISTORIA SYNCRETISTICA Es gilt somit herauszufi nden, wie sich dieser unbestreitbare Sachverhalt der mangelnden Eindeutigkeit des IPO nun auf die aus der Feder orthodox-lutherischer und reformierter Theologen stammende Literatur auswirkte, die nach 1648 entstand. In den Blick rückt dabei erneut Abraham Calov, der als Protagonist des lutherisch-orthodoxen Lagers in seinem CRITICUS SACER von 1646 die Refor7 8
Hauschild, Die Geltung der Confessio Augustana, S. 179. Ebd.
2. Inhaltlich-terminologische Beharrlichkeit auf Seiten der lutherischen Spätorthodoxie
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mierten noch als Ketzer identifiziert hat und der fast 40 Jahre später in seiner HISTORIA SYNCRETISTICA9 auch auf das IPO zu sprechen kommt. Er erklärt: »Als nun in dem Anno 1648. durch Gottes sonderbahre Gnade zu Oßnabrug auffgerichteten Instrumento pacis, die Reformirten es dahin gebracht/ daß sie mit in den Religions=Frieden auffgenommen/ und es beliebet worden/ daß/ was für Recht und Wolthaten/ [. . .] andern (Römisch=) Catholischen/ und Augspurgischer Confession zugethanen/ Ständen und Unterthanen zueignen/ solches auch denen/ so unter ihnen Reformirte genennet werden/ wie die Worte §. VII. lauten/ zustehen solle: [. . .] sind etliche erfunden/ die solches an ihrer Seiten dahin deuten wollen/ als wären die Reformirten in die Gemeinschafft der ungeänderten Augspurgischen Confession dadurch mit auffgenommen«10.
Demnach ist Calov die dem Vertragstext eigene Deutungsbedürftigkeit nicht nur aufgefallen; er weist explizit auf sie hin11. Doch seine Formulierung lässt schon erahnen, wie sich der Sachverhalt, dass Artikel VII des IPO tatsächlich als Anerkennung der Reformierten als Augsburger Konfessionsverwandte gedeutet werden konnte, in seinen Augen darstellt: Eine derartige Interpretation des Vertragstextes ist ein glattes Missverständnis. »Da doch weder in denen Friedens=Tractaten davon gehandelt/ noch in Instrumento pacis etwas enthalten/ ob die Calvinische Lehre mit der Augspurgischen Confession übereinstimme/ vielweniger solches erörtert/ oder decidiret ist«, zudem die Frage, ob die Reformierten als Angehörige der CA anzuerkennen sind, überhaupt nicht Thema der damaligen Verhandlungen gewesen sei und es sich dabei letztlich um »eine Theologische Frage«, nicht aber um eine politische handle, könne von einer solchen Anerkennung und der damit einhergehenden reichsrechtlichen Sanktionierung calvinistischen Lehrguts durch das IPO keine Rede sein. Das beweise schon die Tatsache, dass die reformierten Stände nicht bedingungslos in den Religionsfrieden eingeschlossen worden seien wie die Augsburger Konfessionsangehörigen: »Wie denn auch ein gewiß Ziel und Maaß/ in dieser Miteinschliessung in den Religions=Frieden/ [. . .] gesetzet/ daß zwar einerley Recht und Wolthaten des Religion=Friedens/ den Reformirten zugeeignet/ doch allezeit mit Vorbehalt der jenigen Stände/ so Protestirende genennet werden«12 .
Dass die Reformierten folglich unter Vorbehalt der Protestanten in den Religionsfrieden miteinbezogen worden seien, heißt für Calov noch längst nicht, dass 9 Abraham Calov, HISTORIA SYNCRETISTICA , Das ist: Christliches wolgegründetes Bedencken über den Lieben Kirchen=Frieden und Christliche Einigkeit In der heilsamen Lehre der Himmlischen Wahrheit/ In Dreyen Büchern verfasset, o. O. 21685. Die erste Aufl age erschien 1682. 10 A.a.O., S. 53 f. 11 Zum Wortlaut des Vertragstextes s. o. Anm. 4. 12 Calov, HISTORIA SYNCRETISTICA , S. 54.
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III. Verhärtete Fronten trotz reichsrechtlicher Zäsur
sie sich nun als legitime Verwandte der CA verstehen dürfen. Dieses Recht stehe, darin bleibt der lutherische Theologe sich treu, nur denen zu, die die Invariata voll und ganz als ihr Bekenntnis akzeptieren, also den Protestanten, d. h. den lutherischen Ständen. Nun stellt Calov heraus, dass das Bestreben der Anhänger Zwinglis und Calvins, als Verwandte der CA anerkannt zu werden und damit Gemeinschaft mit den Lutheranern zu erlangen, bis in die Geburtsstunde der CA zurückreiche und damit eine gewisse Tradition habe. Denn schon 1530 habe jene verstohlene, gegenüber den Lutheranern unaufrichtige Ambition ihren Anfang mit den dahingehenden Anstrengungen der Reformierten genommen, »daß die protestirenden Theologen sie mit in ihre Gemein= und Brüderschafft annehmen/ und zur Unterschreibung der Augspurgischen Confession gestatten möchten«13. Aber damit seien sie schon damals kläglich gescheitert: »Also blieb es dabey/ die Zwinglianer wurden nicht in die Gemeinschafft der Protestirenden auffgenommen/ sondern in der Augspurgischen Confession [. . .]/ in X. Artickel außdrücklich verworffen/ welcher [. . .] auch also allezeit ungeändert blieben ist im deutschen Exemplar«14. Doch die calvinistischen Anstrengungen seien dadurch nicht etwa gemindert worden, im Gegenteil: Bereits 1531 sei es zu einem erneuten Anlauf bezüglich der »Aufnehmung der Zwinglianer in die brüderliche Gemeinschafft der Protestirenden« gekommen, aber auch diesmal sei dem Streben der Reformierten ebenso wenig Erfolg beschieden gewesen wie später, als sie sich bemühten, in den Schmalkaldischen Bund aufgenommen zu werden, und »ihnen dasselbige/ weil sie nicht richtig vom H. Abendmahl sich erklären wolten/ abgeschlagen« worden sei15. Der Grund für das wiederholte Scheitern der reformierten Annäherungsversuche an die Protestierenden liege auf der Hand, denn »die öffentlichen Schrifften gebens«, dass die geistigen Väter der Reformierten »in vielen Artickeln des Glaubens mit unserm Luthero gar nicht einig gewesen/ und ob schon Zwingel im Colloquio zu Marpurg Anno 29. seine meisten Irrthümer derer er überführet wurde/ widerruffen/ ists doch gewiß/ er habe nicht alles geändert/ sondern es seyn noch viel Irrthümer von den vorigen überblieben/ so wol bey ihm selbst als seinem Anhang. Auch in Calvini Schrifften und anderer Lehrer seines gleichen haben unsere Theologi nicht wenig noch schlechte und geringe Fehler angemercket«16 .
Dabei hätten die geistigen Erben Zwinglis und Calvins »so viel und grosse Irrthüme gehäufft/ die Schrifft so schändlich verdrehet/ ja so greuliche Gottes= Lästerungen außgeschüttet/ daß der Streit vom heiligen Abendmahl fast drüber 13 14 15 16
A.a.O., S. 7. A.a.O., S. 8. A.a.O., S. 10. A.a.O., S. 41 f.
2. Inhaltlich-terminologische Beharrlichkeit auf Seiten der lutherischen Spätorthodoxie
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vergessen worden«17. Daher halte man auf lutherischer Seite dafür, ein Vergleich beider Parteien, »so man sonst Syncretismum nennet«, wie ihn die Reformierten anstrebten bzw. dessen Notwendigkeit sie ohne Unterlass propagierten, bei dem aber »jedwede Parthey ihre Meynungen bey und vor sich behält/ gegen andere aber sich stellet/ als halte sie es mit ihnen/ sey weder GOtt angenehm/ noch den Kirchen heilsam und ersprießlich«18 . So nehme es nicht Wunder, dass »die Sacramentirer und Calvinisten« aus jedweder Gemeinschaft ausgeschlossen worden seien, denn »der Sacramentirische Schwarm/ als eine schädliche Ketzerey nicht könte oder solte gelitten werden«19. Deshalb seien schon 1555 »außdrücklich vom gantzen Römischen Reiche alle so den zweyen Religionen der Römisch=Catholischen und Augspurgischen Confession nicht zugethan/ und sonderlich auch die Zwinglianer und Calvinisten/ aus dem Religions=Frieden außgeschlossen« worden 20. »So wolte man auch die Reformirten/ auff dem öffentlichen Reichs=Tag zu Augspurg Anno 1566. nicht in den Religions=Frieden auffnehmen/ noch für Augspurgischen Confession=Verwandte erkennen; denn ob man wol Churfürst und Pfaltzgraff Friedrichen und andere Reformirte Fürsten nicht in Gefahr wegen der Religion bringen wolte/ sondern sie des gemeinen Friedens mit liesse geniessen/ so konten doch die Reformirten keines weges in die Gemeinschafft des Religion=Friedens gestattet werden«,
eben weil schon damals die lutherischen Stände gegenüber Kaiser Maximilian II. eingeräumt hätten, »daß hochgedachten Pfältzischen Chur=Fürstens Religion [. . .] nicht mit der Augspurgischen Confession übereinstimme« 21. Folglich kann Calov gleichsam bilanzierend zusammenfassen: »Ob aber schon so offt und vielfältig den Reformirten die Brüderschafft und geistliche Gemeinschafft von den Unsrigen abgeschlagen/ auch gewaltig dargethan/ daß wir sie nicht mit Christlichen guten Gewissen eingehen können/ darzu durch öffentliche Kirchen=Bücher/ sonderlich durch das Christliche Concordien=Buch/ dem unsere gantze Lutherische Kirche einhellig beypfl ichtet/ die Calvinische Lehr öffentlich verdammet/ und die Calvinisten von unser geistlichen Gemeinschafft klärlich außgeschlossen seyn/ haben sie doch nicht nachgelassen/ immerdar/ auch sonderlich wiederümb im jetzigen Seculo ümb die Brüderschafft sich zu bewerben« 22 .
Es gehört nicht viel dazu sich vorzustellen, dass gerade die eingangs angeführte, vermeintlich mutwillige Auslegung des siebten Artikels des IPO durch die Reformierten einem Mann wie Calov als klarer Beweis dafür gelten muss. Es ist deutlich: Der nach wie vor unverrückbar auf dem theologischen Fundament des Konkordienbuches stehende lutherische Theologe weicht von seiner 17 18 19 20 21 22
A.a.O., S. 42. Ebd. A.a.O., S. 17. Ebd. A.a.O., S. 21. A.a.O., S. 47.
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III. Verhärtete Fronten trotz reichsrechtlicher Zäsur
schon 1646 dargelegten Haltung gegenüber den Reformierten kein Stück ab. Sie sind und bleiben für ihn eben wegen der von ihnen vertretenen Lehre Ketzer, mit denen die Rechtgläubigen, die ihre Orthodoxie »durch das Christliche Concordien=Buch« unter Beweis gestellt hätten, keine Gemeinschaft eingehen wollen und dürfen. Dementsprechend sei auch die Behauptung, das IPO erkläre die ketzerischen Erben Calvins zu Augsburger Konfessionsverwandten, schlicht falsch. Die wahren Angehörigen der CA identifiziert Calov terminologisch als Protestanten, deren Gemeinschaft die Reformierten zwar beständig gesucht hätten, mit diesem Unterfangen aber ebenso beständig gescheitert seien. Somit lässt sich Calov durch die integrative Begriffsnutzung, wie sie sich auf reichsrechtlicher Ebene im IPO niederschlägt, keineswegs beirren: Protestanten sind die Angehörigen und Verfechter der Invariata, also einzig und allein die sich zum Konkordienbuch bekennenden Lutheraner 23. Denn »bey dem Urtheil von der Verdammlichkeit der Calvinischen Religion/ nach dem Concordien=Buch/ [ist] die Lutherische Kirche einhellig verblieben: Denn ob schon in etlichen Oertern dasselbe nicht als ein Kirchen=Buch und Scriptum Symbolicum eingeführet/ so ist doch von keiner Lutherischen Gemein/ oder auffrichtigen Lutheranern/ die Lehr des Christlichen Concordien=Buchs in Zweifel gezogen«
worden 24. Nur auf dessen Basis ist eine Vereinigung mit den vermeintlichen Ketzern für Calov überhaupt vorstellbar: »Es ist endlich zum Friedens=Mittel das Christliche Concordien=Buch fürgeschlagen/ wenn solches angenommen würde/ so würde bald Friede und Einigkeit getroffen werden«25. Solange diese Annahme aber nicht stattgefunden habe, sei die von den Reformierten seit jeher angestrebte Geschlossenheit nicht möglich; daher kommt für Calov eine integrative Nutzung der Bezeichnung Protestierende auch nach 1648 kaum in Frage. Damit bleibt er mit seiner HISTORIA SYNCRETISTICA terminologisch konsequent in den Spuren des Schrifttums aus der Hand lutherischer Theologen, das er dereinst selbst durch seinen CRITICUS SACER mitgestaltet hat. Die aufgezeigte strikt exklusive Terminologie kommt dabei offenbar ganz gezielt in Auseinandersetzung mit dem als ketzerisch ausgemachten Gegenüber zum Einsatz: Calov nennt in seiner HISTORIA SYNCRETISTICA das Irenicum Pareus’ und führt auch die wichtigsten Gegenschriften an, die der reformierte Theologe provoziert hat 26 . Aus diesem Grund ist anzunehmen, dass er die dort verwendete Begriffl ichkeit zur Kenntnis genommen hat und sich – aus seiner Sicht natürlich aus guten theologischen Gründen – vollkommen bewusst gegen die 23 Vgl. zu Calovs Begriffsdeutung u. a. auch a.a.O., S. 1, 9, 11, 16, 109, 144 f.; sein Integrationsbegriff bleibt, wie schon 1646, »Evangelische« (vgl. dazu exemplarisch a.a.O., S. 49, 146, 604). 24 A.a.O., S. 32. 25 A.a.O., S. 43. 26 A.a.O., S. 49. Calov erwähnt zudem Hutter und Sigwart mit ihren im Zuge dieser Arbeit analysierten Werken (ebd.).
2. Inhaltlich-terminologische Beharrlichkeit auf Seiten der lutherischen Spätorthodoxie
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Begriffsdeutung der ausgemachten Ketzer entscheidet, wie es lutherische Gelehrte ja seit jeher getan haben 27. So stellt die HISTORIA SYNCRETISTICA Calovs nicht nur ein eindrucksvolles Beispiel für die aus der mangelnden Eindeutigkeit des IPO erwachsenden Konsequenzen hinsichtlich der Deutung des Vertragstextes dar, sondern macht deutlich, wie sich ihr Autor wiederum – wie schon knapp vier Jahrzehnte vor ihrem Erscheinen – in einen bestimmten Traditionskontext hineinstellt, der letztlich genau von denen konstituiert wird, die sich als Verteidiger des rechten Glaubens gegen das Reformiertentum verstanden haben und, nicht nur im Falle Calovs, auch nach dem Westfälischen Friedensschluss noch immer verstehen. 2.2. Die DEFENSIO ASSERTIONIS CONSTANTIS Johann Botsacks Auch Johann Botsack lässt sich nun in jenen Kreis lutherischer Theologen einreihen, der sich, fest auf dem Boden des Konkordienbuches stehend, die Verteidigung der in der CA invariata gleichsam Schrift gewordenen Orthodoxie auf die Fahnen geschrieben hat, und dem sich auch Calov offenbar zutiefst zugehörig weiß. In seiner gegen Johann Crocius’ COMMENTARIUS De AUGUSTANAE CONFESSIONIS SOCIETATE gerichteten und 1651 veröffentlichten DEFENSIO ASSERTIONIS CONSTANTIS 28 spricht er der Variata jedwede Daseinsberechtigung als legitime Bekenntnisschrift ab; zur Begründung führt er an: »Id vero simpliciter reponimus, nunquam datam fuisse potestatem Philippo emendandi confessionem, jam Carolo V. exhibitam« 29. Daher stehe unverrückbar fest: »Mutata confessio nunquam a Protestantibus approbata fuit«, zumal auch »Lutherus nunquam approbavit confessionem variatam«30. Da die Variata wegen des ihr eigenen Mangels an Approbation eine völlig illegitime Fassung des Augsburger Bekenntnisses darstelle, disqualifi zierten sich 27 Es sei dabei darauf hingewiesen, dass neben den gegen Pareus gerichteten Schriften Hutters und Sigwarts Hoes Unvermeidentliche Rettung ebenso genannt wird (a.a.O., S. 58) wie Calovs CRITICUS SACER (a.a.O., S. 53). 28 Johann Botsack, DEFENSIO ASSERTIONIS CONSTANTIS, Qua Demonstratum est, Reformatos Calvinianos genuinae illius & non variatae Confess. August. Socios non esse, adversus D. Johannem Crocium, Leipzig (Timotheus Ritzsch) 1651. Botsack (1600–1674) war seit 1630 Rektor am Gymnasium zu Danzig, wo er auch als Pfarrer wirkte. Er war mit Calov persönlich bekannt. S. zu seiner Biographie Julius August Wagenmann, Art. Botsack, Johann, ADB 3 (1876), S. 200 f. Dass die DEFENSIO ASSERTIONIS CONSTANTIS in erster Linie eine Gegenschrift zu Crocius’ COMMENTARIUS De AUGUSTANAE CONFESSIONIS SOCIETATE darstellt, wird zwar von Botsack nicht explizit erwähnt, aber die Bezüge Botsacks auf den ausgemachten Opponenten belegen es eindeutig. Dabei sei exemplarisch verwiesen auf Botsack, DEFENSIO ASSERTIONIS CONSTANTIS , S. 1, 5, 6 f., 9, 11, 14 f., 17, 21 f., 24 f. 29 A.a.O., S. 21. 30 A.a.O., S. 23 f.
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die Reformierten als Konfessionsverwandte durch ihren Bezug auf sie letztlich selbst, denn: »Variata confessio nunquam recepta [est] a Protestantibus« 31. Der Grund dafür sei eben in ihrer theologischen Ausrichtung zu suchen: »Qvoties in Comitiis Imperii doctrina Zvinglii rejecta est, toties mutata Philippi confessio ceu latibulum erroris illius Zvingliani rejecta est. At id factum est in omnibus fere Principum, Statuumqve Protestantium diaetis«32 . Der Rang der Invariata als einzig maßgeblicher Fassung des reichsrechtlich so bedeutenden Bekenntnisses komme in der Konkordienformel zum Ausdruck: »In Formula Concordiae eadem Confessio Augustana non variata repetita est, adversus omnes corruptelas Calvinisticas [. . .]. Ergo Calviniani non sunt socii Aug. Confessionis verae, & non variatae, quippe quorum corruptelae cum Aug. Confessione pugnantes, in Formula Concordiae sunt rejectae a Principibus, & Statibus Imperii« 33.
Die Behauptung der Reformierten, sie seien rechtmäßige Angehörige der CA, ist für Botsack noch aus einem anderen Grund eine schiere Anmaßung: »Illi nequeunt Aug. Confessionis socii esse, quorum Confessionem Caesar Augustae noluit recipere, rejecit, & in imperio non ferendam esse decrevit, quique ad nullos de Religione tractatus sunt adsciti« 34. Die 1530 erfolgte Ablehnung des ihren Separatismus vor aller Augen stellenden Bekenntnisses bei gleichzeitiger Annahme der CA durch die höchste Autorität im Reich unterstreiche somit nach Botsack die Absurdität jener von reformierter Seite aufgestellten Behauptung, weshalb er feststellt, »Zvinglianos non solum in publicis anno 1530. Augustae comitiis rejectos esse; verum etiam hanc illorum rejectionem a possessorum Augustanae Confessionis & libertate ac pace eidem Aug. Confessioni data a capite Imperii in subsequentibus comitiis Imperii semper continuatam ac corroboratam fuisse« 35.
Damit ist für Botsack die Frage nach der Einbeziehung der Reformierten in den Augsburger Religionsfrieden schlechthin beantwortet: »Quorum doctrina in pace religionis expresse, & clara denominatione exclusa est, illi nequeunt esse socii Augustanae Confessionis: Atqui Calvinianorum doctrina in pace religionis expresse, & clara denominatione (duarum Religionum, quibus solum, & pure data libertas) exclusa. E[rgo] Reformati Calviniani nequeunt esse socii Augustanae Confessionis« 36 .
Es nimmt nicht Wunder, dass der lutherische Theologe den Reformierten ihre Konfessionsverwandtschaft schließlich auch durch das Argument abspricht, eine wie auch immer geartete Anerkennung der Reformierten oder eine Verbrüde31 32 33 34 35 36
A.a.O., S. 292, Marginalglosse. A.a.O., S. 292. A.a.O., S. 143. A.a.O., S. 87. A.a.O., S. 88. A.a.O., S. 92.
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rung mit ihnen durch die der CA invariata anhängenden Stände habe es schlicht nie gegeben, weder 1530 noch späterhin 37 : »Schwinfurti 1532. Zvingliani pro errantibus sunt habiti«38 ; auch im Jahre 1537 »Schmalcaldiae Protestantes Principes, se a Sacramentariis disjunxerunt«39. Schließlich »anno 1541. in Comitiis Ratisbonensibus Protestantes publice declararunt, sibi nullam cum Sacramentariis, & Zvinglianis fore doctrinae societatem«40. Dasselbe Bild ergibt sich für Botsack auch bei historischer Betrachtung der Fürstentage zu Frankfurt 41 und in Naumburg, zu welchem es heißt: »In magna Principum diaeta anno 1561. Naumburgi habita, Status protestantes declararunt, nullam sibi cum Sacramentariis, & Zvinglianis societatem doctrinae esse«42 , sowie des Reichstags zu Augsburg im Jahre 1566 43. Der breite Lehrdissens, der letztlich eine Vereinigung der protestantischen Stände, der rechtgläubigen Lutheraner also, mit den Anhängern Zwinglis und Calvins für Botsack undenkbar macht, manifestiere sich nun nicht nur in den Abendmahlsstreitigkeiten, die man mit den Reformierten wegen ihrer ketzerischen, von der Invariata abweichenden Lehre zu führen gezwungen war und noch immer sei44. Vielmehr weist der lutherische Gelehrte en detail Artikel für Artikel der CA die vermeintlich unleugbare Diskrepanz zwischen der reformierten Lehre und der in der Invariata Wort gewordenen Orthodoxie nach45. Die Unüberbrückbarkeit des Grabens zwischen den Reformierten, ihren Ahnvätern und Gelehrten einerseits, der CA invariata und ihren Verfechtern andererseits, deren Rechtgläubigkeit sich schon in ihrem Hochhalten der Fahne der Invariata manifestiere, sei letztlich auch den ausgemachten Sakramentierern stets bewusst gewesen, weshalb »nolunt Reformati subscribere Aug. Confessioni, nec volunt ut symbolum amplecti«46 . Hinzu komme, dass die »Reformati rejiciunt Formulam Concordiae, Augustanae Confessionis repetitionem« 47. Wegen dieser Ablehnung der CA durch die Reformierten kann Botsack nur schlussfolgern: »Si soli Lutherani hactenus in possessione verae libertatis Religi37 Dazu bemerkt Botsack auf stilistisch bereits bekannte Weise: »Quicunque ab Electoribus, & Statibus ab Anno 1530. ad hoc usque tempus nunquam agniti sunt fratres, & socii Aug. Confessionis, ii nunc sunt fratres, & saepius commemoratae invariatae Aug. Confessionis socii. Atqui Zvingliani & Calviniani Doctores, nunquam agniti sunt fratres, & socii ab Electoribus, & Principibus. E[rgo] Calviniani non sunt fratres, & socii invariatae Confessionis« (a.a.O., S. 100). 38 A.a.O., S. 109. 39 A.a.O., S. 116. 40 A.a.O., S. 118. 41 A.a.O., S. 122: »In Conventu Electorum Francofurtensi, anno 1558. separarunt se Status August. Confessionis a Zvinglianis«. 42 A.a.O., S. 126. 43 Zum Augsburger Reichstag von 1566 vgl. a.a.O., S. 324–340. 44 Vgl. dazu exemplarisch a.a.O., S. 158–164, 487–492, 560 f. 45 A.a.O., S. 365–543. 46 A.a.O., S. 181. 47 A.a.O., S. 183.
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onis in Aug. Confessione contentae fuerunt, eamque possederunt & retinuerunt, sequitur Calvinianos non fuisse in illa possessione. Atqui verum est prius. Ergo & posterius«48 . Es ergibt sich somit, fasst man Botsacks Ausführungen zusammen, ein gewohntes Bild: Konsequent spricht er im Zuge seiner DEFENSIO ASSERTIONIS CONSTANTIS den Reformierten jede Berechtigung ab, sich als Verwandte des Augsburger Bekenntnisses auszugeben. Allein die historische Tatsache, dass sich die Protestanten wegen der in ihrer Qualität und Quantität schwerlich zu überbietenden Lehrdissense nie, auch nicht 1566, auf die von den Sakramentierern beständig angestrebte Verbrüderung eingelassen hätten, reiche letztlich schon zum Erweis der Berechtigung jener von Botsack vertretenen und im konkordistischen Luthertum offenbar verbreiteten Haltung aus. Doch dabei bleibt er nicht stehen: Auch die Berufung der Reformierten auf die Variata entlarvt er als taktisches, aber letztlich im Hinblick auf ihre Anerkennung als Augsburger Konfessionsverwandte aussichtsloses Manöver. Die auf Melanchthon zurückgehende Überarbeitung, die den Lehrdissens zwischen Lutheranern und Reformierten deutlich geringer erscheinen lasse, als er de facto sei, sei nämlich nie von den protestantischen, d. h. für Botsack lutherischen Ständen als legitime Fassung der CA anerkannt und rezipiert worden. Martin Luther selbst habe ihr eben wegen ihrer Verfälschung der orthodoxen Lehre die Approbation versagt. Daher bleibe es dabei: Die für den ganzen Diskurs um die Anerkennung der Anhänger Zwinglis und Calvins als Angehörige der CA einzig maßgebliche Bekenntnisfassung sei und bleibe die Invariata, zu deren rechtgläubiger Lehre sich die Lutheraner stets bekannt hätten und die nicht zuletzt durch das Konkordienwerk die ihr gebührende Würdigung unter den Rechtgläubigen erfahren habe. Es ist aufgrund der ausgewählten Zitate bereits deutlich und keineswegs überraschend, wie Botsack vor diesem Hintergrund mit der hier im Mittelpunkt stehenden Terminologie umgeht: Er reiht sich mit seiner DEFENSIO ASSERTIONIS CONSTANTIS in die Linie lutherischer Theologen ein, denen aus theologischen wie historischen Gründen nichts ferner liegt als die Herstellung einer gleichsam brüderlichen Geschlossenheit mit den Reformierten ausgerechnet auf der Basis der CA. Denn auch für ihn ist unleugbar: »Qui non est Lutheranus, is non est Aug. Confessioni addictus. Sive: Soli Lutherani sunt August. Confessionis socii, quo sensu evidentissima est sequela: Soli Lutherani sunt Aug. Confessionis socii. Calviniani non sunt Lutherani. Igitur Calviniani non sunt socii Augustanae Confessionis«49.
Da er nun aber, wie die Analyse seiner sich mehrmals derartiger Syllogismen bedienenden Argumentation klar erwiesen hat, die lutherischen Stände mit den
48 49
A.a.O., S. 226. A.a.O., S. 251 f.
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Protestanten gleichsetzt 50, diese aber eben aufgrund ihrer unbestreitbaren Verwandtschaft zur einzig orthodoxen Fassung des Augsburger Bekenntnisses, zur Invariata, terminologisch scharf von den Reformierten trennt, ist eine integrative Begriffsnutzung, wie sie von reformierter Seite genau zur Begründung und Untermauerung der gegenteiligen Argumentation ins Spiel gebracht worden ist 51, schlicht nicht denkbar, auch wenn Art. VII des IPO, den Botsack durchaus zur Kenntnis genommen hat 52 , auf die integrative Nutzungsvariante rekurriert. Nun habe man sich zwar auf reformierter Seite trotz allem beständig bemüht, die brüderliche Geschlossenheit mit den Lutheranern herbeizuführen, wofür gerade das Irenicum Pareus’ Zeugnis ablege53. Doch gerade dieses Bestreben verrate schon, wie es um die Geschlossenheit beider Konfessionen bestellt sei, denn: »Qui ambit alterius fraternitatem, is nondum est ejus frater (Major probatur: si enim quis esset frater, cur peteret fraternitatem? quod quis inter homines habet, id non petit). Atqui Calviniani ambiunt Lutheranorum fraternitatem. E[rgo] non sunt Lutheranorum fratres: & per consequens, unde de Aug. Confessione glorientur, non habent« 54.
2.3. Bekannte Argumente, bekannte Zuspitzung: Johann Conrad Dannhauers Reformirtes Salve und der Widerholte(r) Beweis Antonius Reisers Zu den lutherischen Theologen, die den Reformierten ihr Recht auf die Augsburger Konfessionsverwandtschaft auch und gerade nach dem Friedensschluss von 1648 massiv bestreiten, gehören auch Johann Conrad Dannhauer und Antonius Reiser. 50 Zum exklusiven Begriffsgebrauch ausschließlich zur Benennung der Lutheraner vgl. neben den angeführten Passagen exemplarisch auch a.a.O., S. 81, 91, 101, 119, 125, 220, 293 f., 491 f., 581. 51 Der für die reformierte Seite typische integrative Umgang mit dem Terminus Protestanten ist Botsack aus Crocius’ COMMENTARIUS De AUGUSTANAE CONFESSIONIS SOCIETATE ohne Zweifel bekannt. Der lutherische Theologe führt dem COMMENTARIUS De AUGUSTANAE CONFESSIONIS SOCIETATE entnommene Zitate aus Kontexten an, in denen sein reformiertes Gegenüber jenen Begriff auf die ihm eigene Weise gebraucht. So rekurriert Botsack, DEFENSIO ASSERTIONIS CONSTANTIS, S. 5–7 beispielsweise auf Crocius, COMMENTARIUS De AUGUSTANAE CONFESSIONIS SOCIETATE , S. 520. 52 Als Beleg dafür ist die Praefatio seiner DEFENSIO ASSERTIONIS CONSTANTIS heranzuziehen, in der er darauf aufmerksam macht, dass die »Calviniani, qvi Reformatorum titulum sibi sumunt, sub nomine & titulo sociorum Augustanae Confessionis delitescere sategerunt« (a.a.O., Praefatio, fol. 3v), um sich der Privilegien zu versichern, die der Religionsfrieden von 1555 den Angehörigen der CA gewähre. Dazu hätten sie auch die Friedensverhandlungen zu Osnabrück genutzt, wie Art. VII des IPO klar belege (vgl. a.a.O., Praefatio, fol. 3v–6r). 53 A.a.O., S. 205 f., 277; genannt werden in diesem Kontext auch Sigwart und Hutter als Opponenten des Pfälzischen Irenikers (a.a.O., S. 206). Erwähnung fi ndet zudem Pezels Wahrhaffter Bericht (a.a.O., S. 283, 346). 54 A.a.O., S. 201.
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Erstgenannter veröffentlicht 1658 sein Reformirtes Salve55, das auch auf den Friedensschluss zu Osnabrück Bezug nimmt, in dem zwar »die Reformirte Religion [. . .] als die dritte deß Teutschen Religionsfrieden fähige/ Religion benennet« werde56 . Dieser Frieden aber sei ein rein äußerlicher, politischer57, weshalb auch für Dannhauer von einer religiös-theologischen Verbrüderung mit den Reformierten nach 1648 nicht die Rede sein kann. Dabei seien auch die »Auctores vnd Confessores Formulae Concordiae [. . .] so gar nicht dawider/ daß sie höher vnd grössers nichts wünschen möchten/ als das neben dem äusserlichen vnd weltlichen Frieden vnd Einigkeit ein rechtschaffene beständige Concordia, in denen noch streitigen hochwichtigen Religions=Puncten vnnd Articuln vnsers Christlichen Glaubens/ könte getroffen/ fortgepfl antzet vnd erhalten werden. Mann gebe vns einen rechtformirten Frieden/ so werden sich bald auch friedfertige Theologi fi nden die mit eyfer vnd ernst/ ohne bittern Haß vnd allzustrenger streitmachender Widersetzligkeit cooperirn« 58 .
Ein solcher »rechtformirte[r]« und damit auch für die Anhänger der Konkordienformel annehmbarer Frieden zeichne sich dadurch aus, dass er »ohne sinceration vnd simulation, ohne sophisterey vnd tückmeüserey/ ohne Küpperey vnd Spitzbübereyn/ ohne Augendunst vnd welsche Kunst/ Fuchsschwantz vnd Veitsdantz/ ohne künsteln vnd küntzeln/ ohne tück vnd andere böse stück« auskomme59. Aber solange ein Streit zwischen Lutheranern und Reformierten tobe, der eben »nicht ein eitel Schulgefächte nur allein bestehend in den Puncten von der wesentlichen Gegenwart deß Leibes Christi im Sacrament und deß Abendmahls vnd der mündlichen Niesung« sei, »sondern in vnd durch den gantzen in dem Apostolischen Glauben zusammen gezogenen Catechismum sich ausbreite« und so für eine »grosse Klufft« zwischen Reformierten und Lutheranern sorge60, ist für den fest auf dem Boden der Konkordienformel stehen55 Johann Conrad Dannhauer, Reformirtes Salve vnd Frieden=Gruß/ Auff die Prob gestellt/ vnd mit einem Trewhertzigen Christ=Evangelischen Wider=Gruß beschencket vnd beantwortet, Straßburg ( Josias Städel) 1658. Seit 1633 wirkte Dannhauer (1603–1666) als Professor für Theologie in Straßburg und als Prediger am dortigen Münster. Ab 1658 war er zudem Straßburger Kirchenpräsident. Über den Lehrer Speners und sein vielfältiges Wirken in Straßburg informieren Johannes Wallmann, Die Eigenart der Straßburger lutherischen Orthodoxie im 17. Jahrhundert. Apokalyptisches Endzeitbewusstsein und konfessionelle Polemik bei Johann Conrad Dannhauer, in: ders., Theologie und Frömmigkeit im Zeitalter des Barock. Gesammelte Aufsätze, Tübingen 1995, S. 87–104 und Wilhelm Horning, Der Strassburger Universitäts-Professor, Münsterprediger und Präsident des Kirchenkonvents Dr. Johann Conrad Dannhauer, geschildert nach unbenützten Druckschriften und Manuskripten aus dem 17. Jahrhundert, Straßburg 1883. 56 A.a.O., S. 884. 57 A.a.O., S. 889. 58 A.a.O., S. 113. 59 A.a.O., S. 87. 60 A.a.O., S. 398.
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den61 Straßburger Theologen an einen solchen Frieden selbstverständlich nicht zu denken. Es kann daher nicht verwundern, dass Dannhauer von einer Augsburger Konfessionsverwandtschaft der Reformierten nichts wissen möchte: »Wir vnsers Orts verstehen durch die Augspurgische Confession [. . .] nicht den blossen Namensdeckel/ auff welche Weiß sich auch die Papisten Catholisch nennen/ sondern die Chur= vnd Fürstliche/ nicht die hernach [. . .] veränderte/ nicht die von jener [. . .] abgesonderte [. . .] verschraubte [. . .]«,
sondern die »rechte/ erste/ vnveränderte/ vngestrigelte/ etc. deren prototypus vnd [. . .] Ertzbild für Kayser Carol V. zu Augspurg in ihrer Lauterkeit vnnd Unschuld erschienen« ist 62 . Damit ist seine Haltung gegenüber der Variata klar. Bleibt noch zu fragen, wie er terminologisch das »Wir« fasst, mit dem er das soeben angeführte Zitat eröffnet. Dass es sich bei Dannhauers Reformirte[m] Salve um ein Werk handelt, in dem sein Verfasser historisch-rechtlichen Argumentationsstrukturen das Prae vor theologisch-dogmatischen Erörterungen gibt, kann nicht in Zweifel gezogen werden. Weil zudem dem Straßburger Lutheraner offenbar nichts ferner liegt, als die Betonung der Notwendigkeit brüderlicher Geschlossenheit zwischen den seiner Meinung nach wahren Anhängern der CA und ihrem reformierten Gegenüber, erwartet man zwar den Gebrauch der Bezeichnung Protestierende oder Protestanten, aber keineswegs im integrativen Sinn. Doch man sucht jene Begriffe im Reformirte[n] Salve allermeist vergeblich63. Der Grund dafür liegt in einer bestimmten Variante der Begriffl ichkeit, die schon in Hoes Nothwendige[r] Vertheidigung und der Vnvermeidentliche[n] Rettung begegnet ist. Wie der Sächsische Oberhofprediger, so nutzt auch der Straßburger Theologe den Terminus »Evangelische«, aber eben keineswegs als Integrationsbegriff. So erklärt Dannhauer im Hinblick auf die Herstellung der Einigkeit zwischen Lutheranern und Reformierten völlig realistisch: »So schwer ein vngeheur groß Camelthier duch ein Nadelöhr durchzutreiben fallet/ [. . .] so schwer/ ja vnmüglich/ man mühe sich so viel als man immer wolle/ ist es auch daß ein Irrglaubiger (deren unter zwey contradictorien vnnd widerwärtigen Religionen, nothwendig einer seyn muß/ entweder der Lutherisch-Evangelische oder der Reformirte) ohne eine starcke mutation, ohne Abthuung vnd Veränderung deß vorigen Sinnes/ zu recht vnd zu beständiger redlicher Friedens=Affection gebracht werden« 64.
61
Vgl. dazu seine Ausführungen a.a.O., S. 135, 155, 805. A.a.O., S. 569 f. 63 Er kommt, wenn ich recht sehe, nur zweimal vor, und zwar in einem Zitat (vgl. a.a.O., S. 25) und in der dem Werk vorangestellten und nicht paginierten Widmung (a.a.O., Widmung, unpag., S. 5, meine Zählung). Beide Stellen lassen zudem keinen eindeutigen Rückschluss auf Dannhauers Begriffsdeutung zu. 64 A.a.O., S. 592 f. 62
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Dieser Begriffsnutzung entsprechend bemerkt er zur seiner Meinung nach durchaus positiven Entwicklung in der Kurpfalz unter Ludwig IV., dem Nachfolger Friedrichs III., jener habe »die vngeänderte Augspurgische Confession in der Chur Pfaltz mit dero Vnderthanen sehnlichem Wunsch vnd Freuden der Evangelischen Stände/ restituiert« 65. Zwar verwendet Dannhauer jenen Begriff nicht oft; zudem ist er in seiner exklusiven Nutzung auch nicht konsequent 66 . Doch das ändert letztlich nichts an der Tatsache, dass der Verfasser des Reformirte[n] Salve die Bezeichnung »Evangelische« in den meisten Fällen ausschließlich zur Benennung der Lutheraner gebraucht. Damit ist ein zweiter exklusiver Identifi kationsbegriff – zum Beispiel Protestierende – wie schon in Hoes Vnvermeidentliche[r] Rettung schlicht überflüssig. Es lässt sich also der schon im Rahmen der Untersuchung jenes Werks des Sächsischen Oberhofpredigers herausgearbeitete Befund auch im Falle Dannhauers festhalten: Zum Zweck der terminologischen Abgrenzung von den Reformierten kommt es in der Regel zur Nutzung nur eines Exklusivbegriffs zur Bezeichnung der Orthodoxen, d. h. der Lutheraner67. Diese terminologische Analogie zu den untersuchten Werken Hoes ist dabei offenbar nicht zufällig, denn Dannhauer bezieht sich in seiner vorliegenden Schrift mehrfach positiv auf die Vnvermeidentliche Rettung des in kursächsischen Diensten stehenden Theologen68 . Überhaupt machen die zahlreichen Bezüge sowohl auf reformierte als auch auf lutherische Autoren, die der Straßburger Gelehrte in seinem Reformirte[n] Salve anführt, deutlich, dass er sich ohne Zweifel bewusst in genau den Diskussionskontext einordnet, dessen bisher untersuchter Verlauf letztlich auch den Hintergrund für die hier im Mittelpunkt der Betrachtung stehenden terminologischen Analysen bildet 69. 65
A.a.O., S. 563. Der Begriff taucht außerhalb der umfassenden Zitationskomplexe und damit in Dannhauers eigenen Formulierungen neben den genannten Stellen nur noch a.a.O., S. 151, 745, 780, 869 auf, wobei er jenen Terminus a.a.O., S. 151 und 780 eindeutig integrativ verwendet. 67 Die einzige Ausnahme bildet bisher Hoes Nothwendige Vertheidigung. 68 Dannhauer, Reformirtes Salve, S. 13 (Marginalglosse) und 83 (Marginalglosse); zudem wird Hoe mehrmals namentlich erwähnt (vgl. a.a.O., S. 619, 702, 770, 772). 69 Der reformierte Autor, der mit seinem bereits untersuchten Werk von Dannhauer am häufigsten kritisch genannt wird, ist David Pareus mit seinem Irenicum [vgl. exemplarisch a. a.O., S. 53 f. (Marginalglosse), 59 (Marginalglosse), 69, 70 (Marginalglosse), 83 (Marginalglosse), 399, 420–422, 424, 438 (auch Marginalglosse), 568, 596, 717 f., 734 f., 858]. Entsprechend häufi g lassen sich natürlich auch die beiden zu jenem Werk Pareus’ verfassten Gegenschriften Hutters und Sigwarts nachweisen [zu Hutters IRENICUM VERE CHRISTIANUM s. a.a.O., S. 112 (Marginalglosse), 236, 399, 559, 570, 580, 596, 736, 837; zu Sigwarts ADMONITIO CHRISTIANA vgl. a.a.O., S. 83 (Marginalglosse), 236, 399, 559, 596, 691, 736]. Für die reformierte Partei und damit gegen den eigenen Standpunkt angeführt wird auch Johann Crocius mit seinem COMMENTARIUS De AUGUSTANAE CONFESSIONIS SOCIETATE [vgl. a.a.O., S. 23 (Marginalglosse), 26 (Marginalglosse), 48 (Marginalglosse), 571, 576 f., 580, 715; namentlich wird Crocius zudem a.a.O., S. 805 von Dannhauer genannt]. 66
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1680 schließlich erscheint Reisers gegen den reformierten Theologen Christian Pauli, seines Zeichens Prediger der reformierten Gemeinde in Altona, gerichteter Widerholter Beweis 70. Wie schon Hoe in seinen angeführten Werken und Dannhauer vor ihm, so verzichtet auch Reiser auf die Nutzung der Bezeichnung Protestierende oder Protestanten. Das verwundert nach den bisherigen Untersuchungen nicht, betrachtet man den Inhalt des Widerholte[n] Beweis[es] und die ihm eigene Argumentationsstruktur. Reiser geht alle 21 Artikel der CA invariata durch, führt Paulis Aussagen zu jedem Artikel an und zeigt dann anhand theologischer Argumente auf, warum von einer Übereinstimmung der reformierten Lehre auch nur mit irgendeinem Artikel des Augsburger Bekenntnisses in seiner einzig legitimen Fassung mitnichten die Rede sein könne. Vielmehr scheinen Reiser die Unterschiede zwischen der reformierten und der orthodoxen, d. h. für ihn: der lutherischen Lehre dermaßen eklatant, dass auch nach seinem Dafürhalten an nichts weniger gedacht werden kann als an eine Lehrkongruenz beider aus der Reformation hervorgegangenen Kirchentümer 71. Dass man nun im Widerholte[n] Beweis den Terminus Protestanten oder eine seiner schon bekannten Variationen vergeblich sucht, hat seine Ursache in dem terminologischen Phänomen, das schon für die untersuchten Werke der eingangs erwähnten Kontroverstheologen charakteristisch war. Denn wie Hoe und Dannhauer gebraucht Reiser zwar den Begriff »Evangelische«, er deutet ihn aber keineswegs integrativ. So erklärt er beispielsweise, über die ständigen Bemühungen der Reformierten, ihre Übereinstimmung mit der CA zu erweisen, habe man sich »bey denen Evangelischen Lutheranern nicht wenig verwundert/ vornemlich und insonderheit darum/ daß die Calvinisch=Reformirte unter dem Deckmantel diser Confession sich verbergen wollen/ von welcher sich doch ihre Vorfahren/ als dieselbe/ zu Augsburg/ auf offentlichem Reichstag übergeben worden/ abgesondert/ und mit einem besonderen Glaubens Bekantnus euff gezogen kommen/ welches gewis nicht geschehen were/ wann sie davor gehalten/ daß ihre Meinung mit derselben überein käme/ und sie sich mit gutem Gewissen zu derselben bekennen konten« 72 .
70 Antonius Reiser, Widerholter Beweis/ Daß die Calvinisch=Reformierte sich der Augsburgischen Confession nicht anmassen können/ so lang sie ihre bißher geführte irrige LehrSätze hartnäckig verthädigen/ wieder Christianum Pauli, der Zeit Calvinisch= Reformierten Prediger zu Altona [. . .]/ Welchem beygefüget ist ein Anhang/ was von der Reformierten Lehrer auß frembder in teutsche Sprache übersetzten Schrifften eigentlich zuhalten sey, Hamburg (Gottfried Schultz) 1680. Reiser war wie Spener ein Schüler Dannhauers und wirkte seit 1678 als Hauptpastor von St. Jacobi in Hamburg. S. zu Leben und Werk Reisers Ludwig Keller, Art. Reiser, Anton, ADB 28 (1889), S. 119–121. 71 Besondere Beachtung verdient dabei auch nach Reiser der 10. Artikel der CA invariata, dem er die meisten Seiten seines Widerholte[n] Beweis[es] widmet (vgl. dazu a.a.O., S. 180– 232). 72 A.a.O., Vorbereitung An den Wahrheit liebenden Leser, unpag., S. 2, meine Zählung.
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III. Verhärtete Fronten trotz reichsrechtlicher Zäsur
Nun sei, frage man sich nach der Ursache jener reformierten Bestrebungen, aufschlussreich, was »man schon längst auff Evangelischer seiten angemercket/ daß sich die Zwinglianer mit ihrem Anhang nicht sonderlich umb die Augsburgische Confession bekümmert/ biß dieselbe durch GOttes Gnad und Schickung dem ReichsFrieden mit allen den jenigen ist einverleibet worden/ so dieselbe mit Mund und Hertzen angenommen« 73.
So habe man sich sogar schließlich »zum theil auff Reformierter Seiten [. . .] so weit verlauffen/ daß man sich nicht gescheuet vorzugeben/ die Lutherische Lehrer selbst wären von ihrer Vorfahren Lehr/ so in der Augsburgischen Confession enthalten/ abgewichen/ hingegen aber weren sie/ die Reformierte/ eigentlich die Rechtmässige Besitzer/ gleich denen Stieff kindern/ welche anfangs daß Väterliche Testament verwerffen/ und doch hernach die natürliche Erben davon verstossen wollen/ als wann es dieselbige nicht angienge« 74.
Dabei nehme sich Reiser des Werkes Paulis an, da man auf reformierter Seite unverschämterweise habe verlauten lassen, »man wurde von Evangelischer Seiten nichts dawider auff bringen können«75. Reisers Identifi kation der evangelischen mit der lutherischen Partei ist bereits jetzt deutlich und wird vom Verfasser des Widerholte[n] Beweis[es] auch konsequent durchgehalten76 . Wie schon in Hoes Vnvermeidentliche[r] Rettung und im Reformirte[n] Salve Dannhauers77 taucht der Terminus Protestanten bzw. Protestierende selbst zur exklusiven Bezeichnung der Lutheraner auch bei Reiser offenbar deshalb nicht auf, weil ausschließlich die Orthodoxen, d. h. eben die Lutheraner mit der Benennung »Evangelische« belegt werden, was einen zweiten exklusiv auf sie angewandten Terminus schlicht überflüssig macht. »Man hat zwar vermeinet/ und in Gedancken gestanden/ nach deme vor dreissig und mehr Jahren auch die Reformierte Religion mit in den Reichsfrieden kommen/ es wurden sich forthin deroselben Vorsteher nicht mehr sonderlich umb solch unser Glaubens Bekäntnüß bekümmern/ sondern der mit grosser Mühe erlangten Freyheit vor sich gebrauchen«, 73
A.a.O., Vorbereitung An den Wahrheit liebenden Leser, S. 3. Ebd. 75 A.a.O., Vorbereitung An den Wahrheit liebenden Leser, S. 4. 76 Vgl. dazu die besonders markanten Formulierungen a.a.O., S. 14, 28, 56, 107, 136, 140, 162, 197, 248, 259. 77 Dannhauers Reformirtes Salve ist Reiser bekannt, denn es wird mit Titel erwähnt und erfreut sich offenbar der besonderen Wertschätzung des Hamburger Theologen, schreibt er doch: Bei der Widerlegung der von Pauli vorgetragenen Thesen hätte »[i]nsonderheit [. . .] dienlich seyn können/ das Reformirte Salve und Friedens=Gruß vor zwanzig Jahren mit einem Christ=Evangelischen Wiedergruß von dem Weiland Hochberühmten und durch vielfältige Streit=Schrifften umb die Lutherische Wahrheit wolverdienten Straßburgischen Theologo Hn. Doctor Danhauern beschencket/ als worauff/ so viel mir bekannt/ bißher vom Gegentheil nichts herauskommen/ wie es dann wohl mehr geschehen/ daß man zwar frisch herausgefordert/ aber hernach auff erfolgte Erscheinung bald zurück gewichen/ davon die Exempel bezeugen« (a.a.O., Vorbereitung An den Wahrheit liebenden Leser, S. 5 f.). 74
3. Terminologische Konstanz bei inhaltlicher Akzentverschiebung
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blickt Reiser zurück78 . »Aber es haben sich auch nach dieser Zeit Unterschiedliche gefunden/ welche dieses Werck aufs neue eiffrig/ ja wol eiffriger/ als vormahln nie/ zutreiben sich haben belieben lassen«79.
3. Terminologische Konstanz bei inhaltlicher Akzentverschiebung: die reformierte Publizistik in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts 3.1. Samuel Strimesius’ Theologischer Unterricht und seine Vertheidigung Zu denjenigen Reformierten, über die Reisers soeben angeführte Schrift klagt, sie ließen unverschämterweise trotz des 1648 endlich erlangten reichsrechtlichen Schutzes nicht nach, Anspruch auf das eigentlich allein den Lutheranern zustehende Augsburger Bekenntnis zu erheben80, gehört der in Frankfurt an der Oder tätige Samuel Strimesius. 78
A.a.O., Vorbereitung An den Wahrheit liebenden Leser, S. 3 f. A.a.O., Vorbereitung An den Wahrheit liebenden Leser, S. 4. 80 In erster Linie richtet sich Reisers Widerholter Beweis, wie dessen Titel ausweist, gegen Christian Pauli, den Prediger der reformierten Gemeinde in Altona. Pauli (1625–1696) war seit 1671 Oberhofprediger Herzog Christians zu Brieg in Schlesien; dieser ernannte ihn auch zum Generalsuperintendenten. Ab 1675 sieht man Pauli dann in Altona. Über seine Biographie informiert in aller Kürze der Art. PAULI (Christian), in: Christian Gottlieb Jöcher, Allgemeines Gelehrten=Lexicon 3 (1751), Sp. 1309. Pauli hatte 1679 seine Anleitung [der vollständige Titel lautet: Anleitung. Wie die Der Reformirten Religion Zugethane/ Sich der Confession, welche Fürsten und Stände A. 1530. Käyser Carolo V. zu Augspurg übergeben haben/ sich nicht begeben dörffen: Sondern solche ohne Verletzung ihres Gewissens in allen Articuln annehmen können, Bremen (Hermann Brauer) 1679] veröffentlicht. Dass sich Reisers ein Jahr jüngerer Widerholter Beweis explizit als Gegenschrift zu Paulis Anleitung versteht, ist erstgenanntem Werk selbst zu entnehmen (vgl. dazu Reiser, Widerholter Beweis, Vorbereitung An den Wahrheit liebenden Leser, S. 1). Die Anleitung stützt sich nun in dem Bestreben, die Reformierten als legitime Verwandte der CA zu erweisen, nicht auf historisch-rechtliche, sondern auf theologisch-dogmatische Zusammenhänge bzw. Argumentationsgänge. So gibt Pauli zu jedem einzelnen Artikel des Augsburger Bekenntnisses die auf reformierter Seite diesbezüglich vertretene Lehre wieder, weist deren Schriftmäßigkeit und ihre Kongruenz mit der Lehre der orthodoxa antiquitas anhand zahlreicher Bibelperikopen und einzelner Passagen, die er bestimmten Kirchenväterschriften entnommen hat, nach und führt abschließend diejenigen Meinungen an, die mit der sich im reformierten Lehrgebäude widerspiegelnden Rechtgläubigkeit nicht übereinstimmen. Exemplarisch sei dabei auf seine Ausführungen zum Abendmahl (Pauli, Anleitung, S. 137–179) hingewiesen. Er bedient sich besonders in diesem Zusammenhang derartig vieler dissimulierender Formeln, dass der Nachweis, die von ihm vertretene Lehre widerspreche der CA invariata, in der Tat schwer fällt. Bei genauerem Hinsehen wird jedoch schnell deutlich, dass Pauli keineswegs, wie der Titel seiner Schrift ja vermuten lässt, die Kongruenz zwischen reformierter Abendmahlslehre und Invariata behauptet bzw. sich bemüht, diese nachzuweisen. Die von ihm bei aller Dissimulation ins Feld geführten Formulierungen belegen vielmehr unweigerlich, dass er sich im Zuge des reformierten Orthodoxienachweises auf die in der Variata fi xierte Abendmahlslehre beruft (vgl. vor allem a.a.O., S. 137–152) und den Inhalt des 10. Artikels der Invariata verwirft (s. dazu besonders a.a.O., S. 172–179). 79
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III. Verhärtete Fronten trotz reichsrechtlicher Zäsur
In seinem Theologische[n] Unterricht 81 ruft Strimesius auf, dem zwischen den lutherischen und reformierten Kirchentümern tobenden und »bittere[n] und unmenschliche[n]/ dem Gesetz Gottes und dem Evangelio Christi/ ja allen und jeden Theilen dieser beyden/ schnurstracks zuwiderlauffende[n] Haß« ein für alle Mal Einhalt zu gebieten82 : »Es höre auff die übele und fast in die Natur und Religion der Menschen selbst verwandelte Gewohnheit/ anderen zu fluchen/ und das verhaßte Auslegen und Auffrücken derjenigen Lehrpuncten/ so den Grund des Glaubens nicht umbstossen« 83. Denn eines tritt nach Strimesius, der sich damit in bester reformierter Tradition bewegt 84, bei genauerer Betrachtung klar zu Tage: Der nicht enden wollende Streit zwischen beiden Konfessionskirchentümern drehe sich doch letztlich nur um »Neben=Lehren/ so der Christen Kirchen Frieden keines weges stöhren/ und nicht des Zwiespalts/ sondern der Verträgligkeit Materie seyn solten« 85. In den »Fundamental und Grundlehren«, die »die heil. Göttl. Schrifft allein/ alle und jede [. . .] völlig in sich« halte und die zudem in der Bibel »so klar und deutlich ausgedrucket und beschrieben« seien, »daß sie einem jedweden/ der sie nur mit gehörigem Fleiß durchsuchet/ gantz klar vor Augen liegen« 86 , stimme man hingegen ausnahmslos überein. Dabei sei von entscheidender Wichtigkeit, dass ausschließlich die Heilige Schrift mit den in ihr zu fi ndenden theologischen Aussagen Richtschnur des orthodoxen Glaubens sein könne und dürfe, nicht aber Bekenntnisschriften 87. Diese hätten zwar historisch durchaus ihren schwerlich zu überbietenden Wert, der zum Beispiel in ihrem »besonderen wider die Raserey der Ketzer gefaßten Eyfer« bestehe 88 . Doch »seynd sie [. . .] indessen nimmer von so grosser Auctorität und Wichtigkeit zu schätzen/ daß sie nicht allesambt an dem Probierstein Göttlicher Schrifft auf die Probe gestellet werden« könnten und müssten, wobei In Paulis Schrift nun kommen weder der Terminus Protestierende noch eine seiner möglichen Varianten vor; es gibt nur eine Ausnahme, die jedoch keine fundierte Aussage über seine Begriffsdeutung und die daraus erwachsene Nutzung zulässt (vgl. dazu a.a.O., Zuschrift, unpag., S. 7, meine Zählung). 81 Samuel Strimesius, Theologischer Unterricht vom Christlichen Kirchen=Frieden/ Welchen Vorreds=weise einem Büchlein des Seel. Hn. Conradi Bergii (Themata Theologica genannt) zuerst in Lateinischer Sprache vorangesetzet/ und nun/ auff Begehren/ aus dem Lateinischen ins Deutsche verdolmetschet Samuel Strimesius, Frankfurt a. O. (Christoph Zeitler) 1687. Strimesius (1648–1730) war seit 1674 Professor der Philosophie in Frankfurt a. O., ab 1679 Pfarrer an der dortigen Nikolaikirche und a. o. Professor der Theologie, schließlich seit 1696 o. Professor an der theologischen Fakultät [s. dazu in aller Kürze Christopher Spehr, Art. Strimesius, Samuel, RGG 4 7 (2004), Sp. 1779]. Über die Eigenart seiner Irenik informiert Otto Ritschl, Dogmengeschichte des Protestantismus Bd. IV, S. 468 f. 82 Strimesius, Theologischer Unterricht, S. 74. 83 A.a.O., S. 75. 84 Man denke nur an Pareus; s. dazu beispielsweise o. S. 42 f., 47, 50 f. 85 Strimesius, Theologischer Unterricht, S. 60. 86 A.a.O., S. 16. 87 A.a.O., S. 4 f. 88 A.a.O., S. 6.
3. Terminologische Konstanz bei inhaltlicher Akzentverschiebung
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sie »der Menschen Gewissen/ so GOtt und seinem heil. Wort/ eintzig und allein verbunden seynd/ unterwürffig bleiben sollten« 89. Aber genau in der Gewichtung von Heiliger Schrift einerseits und Bekenntnisschriften andererseits liege das Problem: Letztgenannte wurden und werden eben nicht, wie es eigentlich sein sollte, »denen Gewissen der Menschen zu examiniren überlassen/ sondern selbe zu beherschen vorgelegt; nicht vor Menschliche Auslegunge Heil. Schrifft/ sondern vor Göttliche Eingebunge selbst/ so bloß und allein mit menschlichen Worten ausgedrucket seyn/ gehalten und dannhero mehr als unchristliche Verfluchunge wider alle dissentirende/ (wann selbe gleich im übrigen/ allen und jeden Bejahungen und Verneinungen Heil. Göttlicher Schrifft von gantzem Hertzen Beyfall geben) ausgespihen« 90.
Mittels der Bekenntnisschriften habe man die »Zahl der Fundamental=Articuln/ (derer Autor doch bloß und allein GOtt seyn kann) [. . .] durch spitzige Folgereyen weit ausgedehnet/ und ohne Ziel oder Maaß vergrössert/ Auch alles und jedes in Theologicis also Fundamental gehalten und ausgeschrien wird/ daß es das Fundament oder Grund der Seeligkeit/ [. . .] selbst ausmache« 91.
Die Stoßrichtung dieser Ausführungen zum vollkommen überschätzten Wert der Bekenntnisschriften und der in ihnen zum Ausdruck gebrachten Lehrinhalte ist klar: Ohne es explizit zu schreiben, prangert der reformierte Theologe den u. a. durch beständiges Pochen auf das eigene, im Konkordienbuch zusammengefasste corpus doctrinae zum Ausdruck gebrachten Unwillen der Lutheraner an, sich auf den von den Reformierten seit jeher verfochtenen Lehrkonsens auf der Basis bestimmter Fundamentalartikel einzulassen. Gegen die Praxis der Lutheraner, jede Abweichung von ihren Bekenntnisschriften zu verketzern, vertritt Strimesius nachdrücklich die Auffassung, es sei eben »niemand vor einen Ketzer zu halten/ der in einer Glaubenssache allen und jeden Redens=Arthen der H. Schrifft beypfl ichtet/ ausser dieser aber weder etwas zu bejahen/ noch etwas zu verneinen/ sich unterfänget/ Sondern ihm einbildet/ daß er sich aller Menschlichen Redens=Arthen und Grentzworte in Glaubenssachen enthalten müsse/ hierzu veranlasset durch eine heilige Furcht/ damit er nicht etwan von Geistlichen Dingen unmannierlich oder ungebürlich reden möge. Im Gegentheil/ mag derselbe mit allen Recht einer Spaltung beschuldiget werden/ der einen solchen Menschen von ihm und seinem Gottesdienst/ als einen Ketzer/ abzusondern gefl issen wäre« 92 .
Denn nur die ausnahmslos in der Bibel zu fi ndenden Fundamentallehren seien »zur Seeligkeit/ zum Glauben und zur Kirchen=Gemeinschafft« notwendig 93, wobei man – unausgesprochen natürlich auf reformierter Seite – außerhalb je89 90 91 92 93
Ebd. A.a.O., S. 6 f. A.a.O., S. 7. A.a.O., S. 30 f. A.a.O., S. 53.
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III. Verhärtete Fronten trotz reichsrechtlicher Zäsur
ner »keine zur Seligkeit/ folgends zum Glauben und Christlicher Gemeinschafft nöthige Lehr=Puncten gefunden« habe 94. Strimesius geht es folglich im Unterschied zu seinen geistigen Vorgängern95 nicht darum, die Reformierten als Angehörige der CA zu erweisen bzw. das Augsburger Bekenntnis als Beleg für die Orthodoxie der reformierten Lehre heranzuziehen, im Gegenteil: Das entscheidende Kriterium für die Rechtgläubigkeit eines einzelnen wie seiner Konfession ist nicht die Übereinstimmung mit den Lehraussagen irgendwelcher Bekenntnisschriften, sondern mit den nur in der Heiligen Schrift unmissverständlich zu lesenden Fundamentalartikeln. Daher sei es »höchstschändlich/ auch nichts von Christl. Theologie bey sich führet/ wenn man den von seiner Gemeinschaft absondern/ und selbiger unwerth achten wollte/ der mit allen/ beydes zum Glauben und zur Seeligkeit nöthigen Puncten versehen/ in der genauesten Gemeinschaft mit GOtt/ Christo/ und allen Heiligen/ beydes der triumphirenden und streitenden Kirchen lebet« 96 .
Die Kirche, die einen fest auf dem Boden der biblischen Fundamentallehren stehenden Gläubigen wegen gewisser Dissonanzen bezüglich der Nebenlehren ausschließt, »tritt gewiß genug in die Fußstapfen des Antichrists/ und machet 94 A.a.O., S. 55. Die Qualität der Polemik Strimesius’ wird erst klar, wenn man sich die Vorrede der Konkordienformel vor Augen führt. Dort heißt es: »Dann wir, abermals schließlich und endlich zu wiederholen, durch dieses Concordienwerk nichts neues zu machen noch von der einmal von unsern gottseligen Vorfahren und uns erkannten und bekannten göttlichen Wahrheit, wie die in prophetischer und apostolischer Schrift gegründet und in den dreien Symbolis, auch der Augsburgischen Confession, Anno etc. 30. Kaiser Carolo dem V. [. . .] übergeben, der darauf erfolgten Apologia, in den Schmalkaldischen Artikeln und dem großen und kleinen Catechismo des hocherleuchten Mannes D. Lutheri ferner begriffen ist, gar nicht, weder in rebus noch phrasibus, abzuweichen, sondern vielmehr durch die Gnade des Heiligen Geistes einmütiglich dabei zu vorharren und zu bleiben [. . .] entschlossen und gemein sein« (BSLK, S. 760 f.). Damit ist der implizite Vorwurf Strimesius’ an seine lutherischen Gegner deutlich: Auch sie haben sich einst zur Heiligen Schrift bekannt und dabei öffentlich erklärt, allein in ihr sei die göttliche Wahrheit begründet. Die vom Reformierten Strimesius dem Luthertum unterstellte und scharf verurteilte Aufwertung der Bekenntnisschriften widerspreche folglich den von der Gegenpartei selbst aufgestellten Grundsätzen. So offenbarten die vermeintlichen geistigen Erben Luthers ihren Abfall von der einst selbst als richtig erkannten christlichen Wahrheit, deren Unterordnung unter Menschenwerk auch nach dem Zeugnis der Konkordienformel nicht statthaft sei. Zur von Strimesius angeprangerten Aufwertung der Bekenntnisschriften durch die lutherische (Spät-)Orthodoxie, die im frühen 18. Jahrhundert sogar in die Behauptung der göttlichen Inspiriertheit der Bekenntnisschriften münden sollte, vgl. auch Johannes Wallmann, Die Rolle der Bekenntnisschriften im älteren Luthertum, in: ders., Theologie und Frömmigkeit, S. 46–60, hier: S. 56–60. Eine Zusammenfassung der Streitigkeiten um die göttliche Inspiriertheit der Bekenntnisschriften bietet der Art. Symbolische Bücher, in: Johann Heinrich Zedler, Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschaften und Künste 41 (1744), Sp. 639–683, hier: Sp. 646–654. 95 Von den hier untersuchten reformierten Autoren nennt er beispielsweise Johann Crocius (vgl. Strimesius, Theologischer Unterricht, Widmung, unpag., S. 9, meine Zählung). 96 A.a.O., S. 53.
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sich des Antichristlichen Glaubens mehr als zu sehr verdächtig«, betont der Reformierte 97, sicherlich nicht ohne ein konkretes Bild mindestens einer derartig verkommenen Kirche vor Augen zu haben. Nun sind es nach Strimesius vornehmlich zwei Mittel, die der Herstellung des längst überfälligen Friedens zwischen den Erben Luthers und Calvins dienen können, nämlich erstens »die Einfalt des Glaubens/ die nach dem Exempel der Apostel und der ersten/ auch zugleich besten Christen/ auf die blosse Göttliche Schrift gegründet und gebauet wird«; hinzu tritt zweitens die »von Christo und denen Aposteln mehrmahlen wiederholete/ sehr nützliche und geistlich=kluge Unterscheidung zwischen denen Fundamental= oder Grund= Lehren/ und denen andern Neben=Lehren« 98 . Sich auf diese Mittel besinnend, habe es immer wieder Persönlichkeiten gegeben, die ihr ganzes Bestreben darauf ausgerichtet hätten, »daß sie zum wenigsten die zwey Theile der Protestirenden/ verstehe die Lutheraner und Reformirten/ durch das Band geistlicher Liebe und Brüderlicher Verträglichkeit zusammen verbinden möchten/ weil sie gäntzlich davorgehalten/ daß dieser beyden Secten differente Meinungen nicht capital wären/ noch keine derselben den Grund des Glaubens umstiessen und auf heben« 99.
Besonders von reformierter Seite habe man sich bemüht, »mit den allerkräfftigsten aus Gottes Wort und denen Kirchen=Historien hervorgesuchten Motiven und Bewegungs=Gründen« auf den »Fundamental=Consens besagter Protestanten« hinzuarbeiten100. »Denn weil beyde Theile der Protestanten [. . .] sich an der Schrift/ als dem eintzigen Grund des Glaubens begnügen lassen« und »[a]lle Fundamental=Puncten [. . .] allesamt fest und beständig beybehalten« hätten und daher im Grunde ihre »differente Meinungen in etlichen Theologischen Lehr=Puncten gar leichtlich mit den Fundamental=Puncten sich vergleichen lassen«101, habe das von Strimesius vorgestellte und von den Reformierten seit jeher verfochtene Friedensprogramm durchaus Aussicht auf Erfolg: »Was solte wohl mehr hindern/ daß wir nicht den wahren und auffrichtigen Kirchen Frieden im Christl. Glauben (zu dergleichen ausser Christi und der Apostel Gebothe/ die Sache selbst uns verbindet) mit grosser Begierde eingehen/ durch allerley Zeichen Geistl. Brüderschafft und Liebe selben erweisen/ erhalten und auf die späten Nachkommen fortpfl antzen möchten?«102
Dabei sei es im Zuge der reformierten Bemühungen selbstverständlich nie dazu gekommen, dass die Verfechter der brüderlichen Geschlossenheit zwischen bei97
Ebd. A.a.O., S. 50–52. 99 A.a.O., S. 9. 100 A.a.O., S. 11. 101 A.a.O., S. 75 f. 102 A.a.O., S. 76 f. 98
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den Kirchen »einen Frieden mit hindansetzung der Wahrheit« begehrt hätten und damit dann an »das andere Theil der Protestanten/ so etwas herber und zum Frieden ungeneigter ist« herangetreten seien103. Nicht die vermeintliche Unaufrichtigkeit der reformierten Friedensstifter habe dem kirchlichen Schulterschluss der Evangelischen104 im Wege gestanden, sondern »einiger übelgearteten Theologen blinder und hitziger Geist/ ihre eigene/ vom Grund des Glaubens weit genug abgelegene Lehpuncten (sic!) nechst einer Gottlosen und gantz ungerechten Verfluchung aller Dissentirenden/ zu verthädigen/ wie auch der schändliche Muthwill/ unschuldige Meinunge und deroselben Autoren zu schelten/ zu verlästern und zu verdammen/ und also die Gemüther auffs ärgste gegen einander zu verbittern. Dieser Männer verdammte Gewohnheit und böse Sitten/ nachdem sie viele ihrer Zuhörer verdorben und verführet haben/ hat es endlich dahin gebracht/ daß der schreckliche Zwiespalt/ welcher noch heut zu Tage in der Protestirenden Kirchen dauret und anhält/ weit und breit umb sich gegriffen und den gantzen Acker Gottes auffs erbärmlichste und übelste besudelt und verheeret hat«105.
Ganz in den Bahnen der bisher untersuchten reformierten Autoren suggeriert somit auch Strimesius mittels der integrativen Nutzung der Bezeichnung Protestierende die von reformierter Seite beständig angestrebte Geschlossenheit von Lutheranern und den Anhängern der vornehmlich durch Calvin geprägten Realisationsform evangelischen Christentums106 . Dabei löst er, genau wie Johann Crocius vor ihm, den er namentlich nennt107, jenen Terminus aus seinem ursprünglich territorial begrenzten Kontext heraus und entschränkt ihn mittels der Lehre von den Fundamentalartikeln. Unter Aufgabe des reichsrechtlichen 103
A.a.O., S. 79. Auch diese Bezeichnung verwendet Strimesius integrativ; s. dazu exemplarisch a.a.O., S. 11, 39, 80 f. 105 A.a.O., S. 82 f. Unmittelbar zuvor wird übrigens »eines Calovii Hefftigkeit« erwähnt (a.a.O., S. 82), woraus sich erschließen lässt, wen Strimesius bei seinem angeführten Zitat im Auge hat, nämlich das sich der scharfen Polemik gegen die Reformierten bedienende und auch im Zuge dieser Arbeit an einigen Beispielen in den Blick genommene orthodoxe Luthertum. 106 Zu seiner integrativen Verwendung der Bezeichnung »Protestirende« vgl. neben den bereits angeführten Passagen auch a.a.O., S. 17, 78, 84 und Widmung, S. 7. 107 Vgl. Anm. 95. Von Konrad Bergius [1592–1642, seit 1624 Professor der Theologie in Frankfurt a. O. und zugleich Religionslehrer des Kurprinzen Friedrich Wilhelm, ab 1629 dann in Bremen als Pfarrer und Lehrer am Gymnasium; s. zu Bergius Friedrich Wilhelm Bautz, Art. Bergius, Konrad, BBKL 1 (1990), Sp. 518 f.], dessen Themata Theologica Strimesius seinen Theologische[n] Unterricht ursprünglich auf Latein vorangestellt hat, übernimmt er seine Begriffsdeutung nicht, da sich der Terminus Protestantes im genannten Werk Bergius’ nicht nachweisen lässt; vgl. dazu Konrad Bergius, Themata Theologica de praecipuis locis doctrinae sacrae, Secundum ordinem fere symboli apostolici, Ad usum exercitiorum scholasticorum proposita In illustri Gymnasio Bremensi, Bremen (Berthold de Villiers) 1639. Die lateinische Originalfassung des Theologische[n] Unterricht[s] war mir leider nicht zugänglich und konnte daher nicht untersucht werden. Nach den bisherigen Ergebnissen, besonders bei Ursin, Pareus und Sigwart, ist es jedoch höchst unwahrscheinlich, dass die Begriffsdeutung in der lateinischen Fassung eine andere ist als in der deutschen. 104
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Zusammenhangs, in dem sich einst die integrative Begriffsverwendung entwickelte und schließlich auf reformierter Seite etablierte, also unter Aufgabe der Inanspruchnahme der CA durch die Anhänger Calvins zum Erweis ihrer Konfessionsverwandtschaft, die noch bei Johann Crocius den unaufgebbaren Hintergrund für seine Entschränkung über die Reichsgrenzen hinaus bildete, kann er jedoch, ohne in seiner Begriffsinterpretation inkonsequent zu werden, von »Französischen Protestirenden« sprechen108 . Somit bildet im Hinblick auf seine integrative Terminologie der fehlende Bezug auf die CA den entscheidenden Unterschied Strimesius’ zu seinen reformierten Vorgängern – eben auch zu Crocius, der seine Argumentation zwar auch auf der Lehre von den Fundamentalartikeln aufruhen ließ, diese aber mit den theologisch-dogmatischen Aussagen der CA in engste Verbindung brachte. Vielmehr fi ndet im Vergleich zu den zuvor in den Blick genommenen Quellen im Theologische[n] Unterricht eine regelrechte Abwertung jedweder Bekenntnisschrift, damit auch des bisher sowohl für die Argumentation der Reformierten als natürlich auch der Lutheraner eine Schlüsselrolle spielenden Augsburger Bekenntnisses, statt. Alle Bekenntnisschriften sind Menschenwerk und müssen daher in ihrer Bedeutung für die Identifi zierung von Rechtgläubigkeit klar hinter der Heiligen Schrift als göttlichem Wort zurückstehen. Alle Lehraussagen, die ihrerseits wieder Anspruch auf Orthodoxie erheben, müssen sich an der Bibel verifi zieren lassen. Das bedeutet nach Strimesius aber auch, dass umgekehrt die Heilige Schrift ausnahmslos diejenigen Lehren bereits für jeden verständlich enthält, die als fundamental zu qualifi zieren sind und auf deren Basis der höchstnötige Frieden zwischen der lutherischen und der reformierten Partikularkirche aufzurichten ist. Nun steht es für den Frankfurter Theologen außer Frage, dass im Grunde doch beide evangelischen Kirchentümer in jenen Fundamentallehren übereinstimmen, auch wenn im Laufe der Geschichte gerade von lutherischer Seite alles unternommen worden sei, diese Tatsache möglichst wirksam zu verschleiern und damit die Versöhnung der Protestanten zu verhindern. So ist es bei Strimesius letztlich gerade nicht die vermeintliche Übereinstimmung beider Konfessionskirchentümer in der Anerkennung der in der CA vertretenen Lehrgehalte, die ihn zu einer integrativen Begriffsnutzung bewegt. Genau dies war ja seit Ursin der Hintergrund, vor dem sich auf Seiten reformierter Theologen die Bezeichnung Protestanten in ihren verschiedenen Spielarten als Integrationsbegriff entwickelt und fest etabliert hat. Von der schon von Pareus prominent verfochtenen Lehre von den Fundamentalartikeln ausgehend, erhebt er nicht das Augsburger Bekenntnis zum Maß der Rechtgläubigkeit. Dies war, wie die bis hierhin analysierten Schriften ausweisen, höchst problematisch, da zwar beide Parteien formal von der CA, aber eben von zwei in wichtigen Punkten voneinander abweichenden Fassungen ausgingen. 108
Strimesius, Theologischer Unterricht, S. 77.
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Vielleicht im Bewusstsein genau dieser den Konfl ikt zwischen Reformierten und Lutheranern seit jeher wie ein roter Faden durchziehenden Problematik vollzieht Strimesius auch in Bezug auf die heutige Begriffsdeutung in ihrer ganzen Weite einen entscheidenden Schritt: Er löst seine Terminologie von der Bekenntnisebene und überträgt sie, freilich von einer ganz bestimmten, gerade für das Luthertum nicht unproblematischen Haltung ausgehend, auf die Übereinstimmung des Glaubens mit dem Grunddokument des Christentums schlechthin, mit der Bibel, in die niemand geringeres als Gott selbst die zentralen Lehrgehalte eingetragen habe. Wer den in der Heiligen Schrift unmissverständlich zum Ausdruck gebrachten Grund- oder Fundamentallehren zustimme, müsse, unabhängig davon, was er ansonsten für seinen Glauben für konstitutiv erachtet, als orthodox gelten. Wer jene Fundamentallehren, »die/ als solche/ vom heil. Geist selber gezeichnet seyn/ sie mögen den Glauben/ oder das Leben anbetreffen/ sie mögen Verjahungs= oder Verneinungsweise in H. Schrifft ausgedrucket stehen«109, aus tiefstem Herzen als Grundfesten seines Glaubens annimmt, ist rechtgläubig, ist evangelisch, ist Protestant. Er gehört zur Gruppe der Protestanten, eben weil und sofern »deren beyde Theile [. . .] sich an der Schrift/ als dem eintzigen Grund des Glaubens/ gern begnügen lassen«110. Somit besteht für Strimesius kein Zweifel, dass »man von keinem Frommen und Gottesfürchtigen Christen (derer beydes in Reformirter u. Lutherischer Religion nicht wenige mögen gefunden werden) dergleichen zu argwohnen hat/ daß er nehmlich seinem eigenen Gewissen zuwider seyn/ und in die schreckliche Sünde der Verdammung seiner selbst gantz desperater weise lauffen werde«,
indem er die in der Bibel zu fi ndenden Grundlehren wahrhaft christlichen Glaubens verneine oder dem Menschenwort unterordne111. Daher gelte: Wer treuen Herzens zu den von Gott selbst in der Heiligen Schrift aufgestellten Fundamentallehren stehe, aber dennoch aufgrund seiner eigenen Unzulänglichkeit aus jenen bestimmte – sicher auch in den Bekenntnisschriften zu fi ndende – Partikular- oder Nebenlehren ableite und deren Annahme zum Erweis der Rechtgläubigkeit als unerlässlich erkläre, der sei »nicht unseres Hasses/ sondern unsers Mitleydens werth zu achten/ nicht gehässiger Weise [. . .] zu traduciren/ zu verleumbden und von unserer Gemeinschafft wegzutreiben/ sondern [. . .] gütig zu unterrichten/ und mit aller Langmuth und Gedult zu vertragen«112 . Denn was »die Protestanten/ das ist/ die Reformirten und Lutheraner betrifft«, habe die Herstellung des Kirchenfriedens unter endgültiger und un109 110 111 112
A.a.O., S. 75. Ebd. A.a.O., S. 71 f. A.a.O., S. 73.
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umkehrbarer Beilegung der letztlich fruchtlosen Lehrstreitigkeiten absolute Priorität113. Es war selbstverständlich nur eine Frage der Zeit, bis Strimesius’ Theologischer Unterricht - ein Werk, das wegen seiner Grundhaltung keineswegs als unanfechtbar gelten kann, besonders mit Blick auf die wie auch immer zu umreißenden Fundamentallehren als Schlüssel zum Kirchenfrieden – eine Gegenschrift provozierte. Auf eine solche sieht sich Strimesius dann auch gezwungen zu antworten, weshalb er 1689 gegen einen anonymen Angreifer seine Vertheidigung114 veröffentlicht. Seinem schon bekannten Ziel, nämlich der Herstellung des Kirchenfriedens zwischen den Protestanten, verpfl ichtet, erinnert Strimesius an die historische Tatsache, dass dereinst »die Evangelische oder Protestirende/ so wol Lutherische/ als Reformirte/ einhellig wieder das Pabstthumb und dessen Anhang/ so gar dem Inhalt nach/ aus der Kirchen=Väter Schrifften selbst/ beständig gelehret und vertheidiget haben«115. Diese ursprüngliche Geschlossenheit der protestantischen Kirchentümer habe auch in der von Strimesius vertretenen Lehre vom Rang der Bekenntnisschriften bestanden: »Inzwischen und weil Anonymus vlelleicht (sic!) auch meinen wahren Thesin, daß nemlich die Symbolische Bücher und Decreta Conciliorum Oecumenicorum nach der Regel und Richtschnur des göttlichen Worts mögen und müssen examiniret werden/ [. . .] ausschreyhen dürffte/ so wil nötig seyn/ seiner Verketzerung vorzukommen/ und allhie/ doch mit wenigem/ auszuweisen/ wie so wohl die Orthodoxi Ecclesiae Patres, als auch aufrichtige Theologi der Protestirenden Christlichen Kirchen/ beydes Lutherischer und Reformirter Seiten/ eben dieses gelehret/ und die Ersteren wieder die Arianer und andere Ketzer/ die Letzteren aber wieder die Päbstler beständig verthädiget haben«116 .
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A.a.O., S. 75. Samuelis Strimesii, V. D. M. wie auch Theologiae und Philos. Professoris Publici Vertheidigung Seines Theologischen Unterrichts Vom Christlichen Kirchen=Frieden/ wider eines ANONYMI Hierbey von Wort zu Wort angefügte Einnerung über denselben, Frankfurt a. O. (Christoph Zeitler) 1689. Die konfessionelle Identität des Anonymus lässt sich, da dessen Gegenschrift von Strimesius glücklicherweise mit abgedruckt wird, annäherungsweise erschließen; so legt die auf Seite 43 der Vertheidigung zitierte Passage nahe, dass es sich bei jenem nicht um einen Altgläubigen handelt. Ob er aber nun Lutheraner oder Reformierter ist, kann auch nach Lektüre der von Strimesius angeführten Zitate nicht einwandfrei geklärt werden, obgleich die Schärfe und der argumentative Auf bau des Protests gegen den Theologischen Unterricht nach den bisherigen Untersuchungen eher für einen Lutheraner sprechen (vgl. besonders die Zitate bei Strimesius, Vertheidigung, S. 117 und 150). Strimesius selbst begründet die Notwendigkeit seiner Vertheidigung a.a.O., Widmung, fol. 4v–5r. 115 A.a.O., S. 5. 116 A.a.O., S. 25 f. Die Vermutung, dass es sich bei Strimesius Gegner um einen Lutheraner handelt, wird nicht zuletzt dadurch gestützt, dass der reformierte Theologe es nicht bei der Aussage belässt, seine Lehre sei auch von den »Theologi der Protestirenden Christlichen Kirchen« verfochten worden, sondern seinen Integrationsbegriff erklärend auflöst und damit 114
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III. Verhärtete Fronten trotz reichsrechtlicher Zäsur
Doch nicht nur seine Haltung gegenüber den dem göttlichen Wort der Heiligen Schrift strikt unterzuordnenden Bekenntnisschriften attackiert sein anonymer Kontrahent, sondern auch die von Strimesius in seinem Theologische[n] Unterricht angeführten Mittel zur längst überfälligen Beilegung der Auseinandersetzung zwischen den lutherischen und den reformierten Konfessionskirchentümern. Diesem Angriff entgegnet der Frankfurter Theologe scharf: »So siehet ja ein jedweder/ der nicht die Augen seines Verstandes muhtwilliger weise zuhält/ wie nicht allein kein besseres/ sondern auch kein anders zum ersten Mittel des Christlichen Kirchen=Friedens/ in specie des Kirchen=Friedens zwischen denen Protestirenden Evangelischen/ könne vorgeschlagen werden/ als die Einfalt des Glaubens bloß und allein auff Heil. Schrifft gegründet«117.
Zweierlei ist unverkennbar: Zum einen denkt Strimesius in seiner Vertheidigung gar nicht daran, seinem schon zwei Jahre früher vertretenen und heftig angegriffenen Programm zur Herstellung des Friedens zwischen den Protestanten den Abschied zu geben, im Gegenteil: Unverbrüchlich hält er an seinen Meinungen und Thesen fest und verteidigt sie standhaft gegen die nicht grundsätzlich unbegründeten Einwürfe seines anonymen Gegners. Diese Standhaftigkeit fi ndet ihren Niederschlag – zum anderen – in der konsequenten Beibehaltung seiner terminologischen Linie. Wie schon in seinem Theologische[n] Unterricht verwendet er die Bezeichnungen Protestierende und Evangelische als vollkommen deckungsgleiche Integrationsbegriffe, deren Gebrauch jedoch einen entscheidenden Unterschied aufweist: Während Strimesius in seiner integrativen Nutzung des Terminus Evangelische nachweislich beizeiten von den Formulierungen seines anonymen Gegenübers abhängig ist118 , der jenen Begriff ebenfalls integrativ deutet119, taucht der Begriff Protestierende in der anonym gegen den Theologische[n] Unterricht verfassten Schrift nicht auf. Eine wie auch immer näher zu umreißende terminologische Abhängigkeit Strimesius’ von seinem Opponenten in seinem Umgang mit letztgenannter Bezeichnung lässt sich somit nicht erkennen120. Er übernimmt in seiner Vertheidigung genau die Begriffsdeutung, die für sein irenisches Programm in seinem Theologische[n] Unterricht charakteristisch gewesen ist, ohne auf die von seinem explizit betont, auch die Lutheraner selbst hätten einst gegen die Altgläubigen seine Haltung zu den Bekenntnisschriften vertreten. 117 A.a.O., S. 44. 118 Vgl. zum Beispiel a.a.O., S. 53 f., 61 f. Natürlich nutzt Strimesius auch unabhängig von seinem anonymen Gegner den Begriff Evangelische integrativ; s. dazu u. a. a.a.O., S. 45, 83, 89, 128. 119 Vgl. exemplarisch a.a.O., S. 43, 58, 71. 120 Dass der anonyme Verfasser der Gegenschrift die integrative Deutung des Terminus Protestierende nach Lektüre des Theologische[n] Unterricht[s] nicht übernimmt, ja den Gebrauch jener Bezeichnung überhaupt vermeidet und stattdessen den in beiden Konfessionskirchentümern meist üblichen Integrationsbegriff, nämlich Evangelische, gebraucht, kann ebenfalls als Indiz für eine lutherische Provenienz des gegen Strimesius gerichteten Werkes gelten.
3. Terminologische Konstanz bei inhaltlicher Akzentverschiebung
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Gegner in Anschlag gebrachten Argumente gegen seine Vorstellungen zum Kirchenfrieden Rücksicht zu nehmen. Losgelöst von dem für die Entstehung der integrativen Nutzung der Benennung Protestanten bzw. Protestierende konstitutiven Zusammenhang, nämlich der Inanspruchnahme der CA durch und für die Reformierten, behält er die im Reformiertentum des Heiligen Römischen Reiches seit der Pfälzischen Irenik gebräuchliche Begriffsdeutung also bei. Der Identifi kationspunkt derjenigen Kirchen, deren Glieder als Protestanten zu bezeichnen sind, ist bei ihm nicht mehr – wie noch bei Ursin, Pareus, Johann Crocius und den übrigen untersuchten reformierten Autoren – die Übereinstimmung mit dem bzw. die Zustimmung zum Augsburger Bekenntnis. Vielmehr erhebt er zu eben jenem Identifi kationspunkt, an eine bei Ursin präformierte und seit Pareus in der reichsreformierten theologischen Publizistik ihren festen Platz behauptende Argumentationstradition anknüpfend, die Übereinstimmung mit bzw. die Zustimmung zu den von Gott selbst aufgestellten Fundamentallehren, die nirgendwo anders zu fi nden sind als in der Heiligen Schrift als dem geschriebener Buchstabe gewordenen Wort Gottes. 3.2. Johann Crocius als gesamtprotestantischer Apologet: seine Christliche Prüfung Es ist der durch seinen COMMENTARIUS De AUGUSTANAE CONFESSIONIS SOCIETATE bereits bekannte und auch von Strimesius genannte Johann Crocius, der sich schon 1653 gleichsam zum literarischen Verteidiger der Protestanten gegen die altgläubige Polemik aufschwingt. Allein zu diesem Zwecke schreibt er seine Christliche Prüfung121. Gegen den Vorwurf der Altgläubigen steht für den reformierten Theologen fest: »Die Protestirenden/ wieder welche die ins Land außgebreitete Schrifft gestellet ist/ haben sich bißher keiner Grieffen gebraucht/ auch das Volck von Erkantnüß der wahren Kirchen weder durch ihre Rede noch Schrifften abzuführen vnterstanden/ müssen deßhalben davor halten/ die Bedencker [von altgläubiger Seite, C. W.] seyen auff diese schmitzliche Zumessung gefallen/ weil sie nach ihren Leisten andere Leute gern messen vnd richten«122 .
121 Johann Crocius, Christliche Prüfung Deren Papistischen/ Vber etliche angegebene Grieffe der Protestirenden/ welche/ der Papisten vngleichen Vermeinens/ durch ihre Rede vnd Schrifften das Volck von Erkäntnüß der wahren Kirchen abführen sollen/ zu Cölln in offenen Truck außgesprengten Bedencken/ Neben einfältiger Erzehlung Etlicher Grieffe der Papisten/ welche durch ihre Schrifften vnd Reden Hohe vnd Niedrige im Christlichen Volck von Erkandtnüß vnd Bekandtnüß der Göttlichen Wahrheit vnd Rechtglaubigen Kirchen abzuwenden sich bemühen/ Allen rechtschaffenen Liebhabern der Göttlichen Wahrheit vnd ewigen Seligkeit zu besonderm Dienst in den Truck gegeben, Kassel (Salomon Schadewitz) 1653. 122 A.a.O., S. 3.
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III. Verhärtete Fronten trotz reichsrechtlicher Zäsur
Nun nimmt Crocius mit der ständig wiederkehrenden Bezeichnung Protestierende einen Begriff auf, der auch in den altgläubigen Vorwürfen, die er gefl issentlich mit abdruckt, immer wieder genannt wird123. Es kann daher kein Zweifel daran bestehen, dass der Reformierte seine Formulierungen in terminologischer Abhängigkeit von seinem altgläubigen Gegenüber bildet. Dennoch ist Crocius’ Christliche Prüfung für die im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten und noch zu leistenden Untersuchungen von Bedeutung. Die altgläubige Polemik richtet sich – wie gesagt – gegen die Protestierenden. Mit dieser Benennung könnten, betrachtet man den Wortlaut der gegen sie vorgebrachten Vorwürfe124, theoretisch auch ausschließlich die Lutheraner gemeint sein, was Crocius dann, wie bereits das eingangs angeführte Zitat deutlich macht, zum Apologeten des von papistischer Seite angegriffenen Luthertums machen würde. Doch das ist selbstverständlich nicht der Fall, denn Crocius’ integrative Begriffsnutzung, die in seinem sechs Jahre älteren COMMENTARIUS De AUGUSTANAE CONFESSIONIS SOCIETATE sogar eine bedeutende inhaltliche Entschränkung erfahren hat, ist bekannt. Vielmehr nutzt der reformierte Gelehrte die Gelegenheit, die sich ihm in der von altgläubiger Seite angeführten Terminologie bietet, indem er diese aufgreift und mit seiner eigenen, nicht überraschenden Deutung unterlegt. So wird von den Altgläubigen unter anderem der Vorwurf erhoben, »daß die Protestirenden mit allem Fleiß die Kirche mit Dunckelheit zu vberziehen suchen«125, worauf Crocius seine Entgegnung wie folgt einleitet: »Das ist nicht unser Grieff/ sondern dieser Bedencker vnziembliche Zumessung. Wir suchen nicht mit allem fleiß die Kirche mit Dunckelheit zu vberziehen«126 . Ein anderes Mal »ziehen die Bedencker hoch an/ wie die Protestirenden sich bemühen den Glantz der Römischen Kirchen zu verdunckeln [. . .]. Den Glantz/ welchen die Römische Kirche in den ersten vhralten Zeiten durch Bekehrung der Heyden erlangt bemühen sich die vnserigen keines weges zu verdunckeln: so mißgönten wir ihro auch nicht/ wann sie in den newen Zeiten einen solchen Glantz durch rechtschaffene Bekehrung der Heyden zum wahren vnverfälschten Christentumb erlangt hätte«127.
Wenn die altgläubigen Polemiker beklagen, »wie die Protestirenden ein grosses Wesen von dem jenigen Stand der Kirchen machen/ in welchem entweder kein Papst gewesen/ weil noch keine newe Wahl nach des vorigen Leben geschehen/ oder 123 124
Vgl. beispielsweise a.a.O., S. 3, 5, 14, 23, 27, 35, 53 f., 61. S. dazu die in der vorherigen Anmerkung aufgelisteten Stellen der Christliche[n] Prü-
fung. 125 A.a.O., S. 5; die in den Zitaten zu fi ndenden Hervorhebungen sind von Crocius übernommen, der damit stets die der altgläubigen Schrift, gegen die er sich wendet, entlehnten Formulierungen kennzeichnet. Allerdings erfolgt sie bei Crocius durch Fett-, nicht – wie hier – durch Kursivdruck. 126 Ebd. 127 A.a.O., S. 35.
3. Terminologische Konstanz bei inhaltlicher Akzentverschiebung
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der wahre Bapst/ von wegen entstandener Trennung vnd Streitigkeiten/ nicht von allen die sich zum Römischen Stul bekanten war angenommen worden«,
bemerkt Crocius: »Ich erinnere mich zwar eben keines grossen Wesens/ das die vnserigen hierüber gemacht haben solten: Daß sie es aber auff begebende Vorfallenheit anziehen/ dessen seynd sie in vngutem nicht zu verdencken«128 . Das terminologische Vorgehen des Reformierten ist deutlich: Er unterstreicht sein Begriffsverständnis nicht durch die eigenständige entsprechende Verwendung des Terminus Protestierende, sondern bedient sich einer rhetorisch geschickten Methode, indem er in den angeführten Entgegnungen kurzerhand die (Possessiv-)Pronomina der ersten Person Plural verwendet129. Die Protestierenden, das sind »die unserigen«, das sind »wir«. Damit behält er die schon aus seinem COMMENTARIUS De AUGUSTANAE CONFESSIONIS SOCIETATE geläufige Begriffsinterpretation und den daraus resultierenden Gebrauch durchaus bei, wenn auch auf subtilere Art und Weise durch geschickte Nutzung einer ihm von altgläubiger Seite gebotenen Gelegenheit. So kann er letztlich auf die wegen der vermeintlichen Verunglimpfung katholischer Lehren durch die Protestanten vorgebrachten Beschwerden antworten: »Thun das die Protestirenden in gemein? Das gilt beweisens. Wollten diese Bedencker solches beweisen/ so werden sie Arbeit finden. Ich fi nde nicht/ daß die Protestirenden solches in gemein tun« 130. Da nun aber Johann Crocius auch sich und mit ihm die Reformierten überhaupt als Protestanten versteht, betätigt er sich hier nicht als wortgewaltiger Verteidiger der im Hinblick auf die Einsicht in ihr geschwisterliches Verhältnis zu den Reformierten renitent-uneinsichtigen lutherischen Schwesterkirche. Vielmehr macht er sich zum Apologeten der Gemeinschaft beider evangelischen Kirchentümer gegen den auf reformierter Seite seit jeher ausgemachten gemeinsamen Feind; dieses Selbstverständnis fi ndet auf terminologischer Ebene seine Entsprechung in der integrativen Deutung der Bezeichnung Protestierende und der daraus erwachsenen Nutzung der Pronomina der ersten Person Plural. Nun könnte man Johann Crocius natürlich vorwerfen, er nutze den Begriff Protestierende in seiner Christliche[n] Prüfung exklusiv, d. h. ausschließlich zur Bezeichnung der Reformierten. Diese Deutung seiner Begriffsnutzung entbehrt jedoch nach der Lektüre der bisher untersuchten reformierten Quellen und den erarbeiteten Befunden jedweder Grundlage. Wesentlich wahrscheinlicher ist, dass Crocius seine schon im COMMENTARIUS De AUGUSTANAE CONFESSIONIS SOCIETATE auftauchende Interpretation beibehält. Die exklusive Terminologie war und ist eine Eigenart des Luthertums, hervorgehend aus dem Anspruch, allein die rechtgläubigen und somit legitimen Verwandten der CA in 128 129 130
A.a.O., S. 61. So verfährt er auch a.a.O., S. 53. A.a.O., S. 54 f.
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III. Verhärtete Fronten trotz reichsrechtlicher Zäsur
ihrer einzig maßgeblichen Fassung zu sein. Nur so ist erklärbar, warum das orthodoxe Luthertum – zumindest nach der Analyse der bis hierhin in den Blick genommenen kontroverstheologischen Schriften – auch nach 1648 unbeirrt fortfährt, jenen Terminus exklusiv zu gebrauchen. Für die Reformierten dagegen besteht gar kein Anlass, gerade nach 1648 den Begriff ausschließlich auf sich anzuwenden, im Gegenteil: Sie würden die reichsrechtlich durch das IPO einmal legitimierte integrative Begriffl ichkeit in Frage stellen und damit nur dazu beitragen, ihre Deutung des Wortlauts des IPO weiterhin zur Diskussion zu stellen, in den sich ihre Augsburger Konfessionsverwandtschaft durchaus hineinlesen, durch den sich jedoch die eigene Bekenntniszugehörigkeit der Reformierten keineswegs unumstößlich feststellen ließ131. Dadurch aber würde doch letztlich nur dem Bestreben der lutherischen Theologen Vorschub geleistet werden, die sich auch nach 1648 massiv gegen die aus dem Vertragstext herausgelesene Zugehörigkeit der Calvinisten zu den Verwandten der CA in Stellung bringen – dem Bestreben nämlich, den Anhängern reformierter Theologie jedwede Verwandtschaft zur vom Luthertum eben ausschließlich für sich selbst reklamierten CA abzusprechen. Die integrative Terminologie hingegen muss nach reformiertem Verständnis doch gerade als Beleg ihrer Augsburger Konfessionsverwandtschaft aufgefasst werden. Nur so lässt sich die Genese des Integrationsbegriffs Protestantes bzw. Protestierende oder Protestanten im Reichsreformiertentum seit Ursin überhaupt begründen. Die Zugehörigkeit der Lutheraner zur CA hingegen steht seit 1555 reichsrechtlich außer Frage. Ihnen nun auf mehr oder weniger subtile Art und Weise die Konfessionsverwandtschaft durch eine nur auf die Reformierten bezogene Anwendung jener Bezeichnung abzusprechen, wäre – und das ist einem auf diesem Feld so erfahrenen Mann wie Johann Crocius zweifelsohne klar gewesen – taktisch höchst ungeschickt gewesen: Eine von reformierter Seite in exklusiver Absicht in Anschlag gebrachte Terminologie musste eine schwere Provokation der lutherischen Partei und so ein weiteres Anfachen der seit dem späten 16. Jahrhundert tobenden und möglicherweise in ihrem Ausgang für die Anhänger Calvins nicht nur auf reichsrechtlicher Ebene fatalen Kontroverse um ihre Konfessionsverwandtschaft bedeuten. Anders formuliert: Die exklusive Begriffsverwendung durch die Reformierten hätte nicht gerade zur Beilegung der durch den interpretationsbedürftigen Wortlaut des IPO ohnehin nur unbefriedigend beendeten und, wie die bisher untersuchten lutherischen Schriften beweisen, noch immer aktuellen Diskussion um die Legitimität der reformierten Verwandtschaft zur CA beigetragen. Dies konnte nicht im Interesse des Reformiertentums liegen, denn so hätte man letztlich das 1648 mühsam Erreichte nur wieder gefährdet – mit allen daraus erwachsenden und zu befürchtenden reichsrechtlichen und politischen, aber auch theologischen Konsequenzen. 131
S. dazu o. Anm. 4.
3. Terminologische Konstanz bei inhaltlicher Akzentverschiebung
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3.3. Absage an die Bekenntnisschriften im Dienste der Vereinigung: Christoph Barthuts Unmaßgeblicher Vorschlag In ihrer Bedeutung schwerlich zu überschätzende Auswirkungen nicht nur für das Reich, sondern seiner Meinung nach gleich für den ganzen Erdkreis misst Christoph Barthut in seinem Unmaßgebliche[n] Vorschlag132 der »Vereinigung der Evangelischen Protestanten«133 bei. Diese schon in der Heiligen Schrift durch die Mahnung zu gelebter Nächstenliebe zur Pfl icht gemachte Vereinigung beider Parteien habe nämlich eben wegen ihrer Vorbildfunktion den unüberbietbaren Nutzen, dass »die wahren Gläubigen außm Babsthum auch noch hinzu treten werden/ [. . .] daß die Juden [. . .] Türcken und Heyden in der ganzen Welt sich zu JEsu Christo bekehren und ein Hirt und eine Heerde werden soll/ (welches alles Schrifftmäßig ist)«134. Nun könne es aber keineswegs um eine durch Kompromisse erwirkte Vereinigung auf Augenhöhe gehen; denn Barthut selbst habe es unternommen »zu unterforschen/ welche Religion unter den Evangelischen Protestanten bey der Vereinigung bestehen wird«, und im Zuge dieser Nachforschungen sei er zu dem Ergebnis gelangt, »daß die Reformirte Kirche/ welche mit grossen Wundern GOTTES aufgerichtet und mit solch Blutvergiessen bestätiget/ ja recht von neuen die erste Martyr Kirche bey und nach den Apostel Zeiten repraesentiret die wahre Kirche sey«135. Daher könne ihm auch niemand ernsthaft verdenken, dass er »zu dieser in Lehr und Leben Reformirte Kirche getreten sey sintemahln ihre Lehre mit dem Evangelio« und entsprechend »mit Lutheri Lehre« übereinstimme, weshalb einzig die Reformierten legitimer Weise »vor Lutheri Nachfolger zu halten seyn«136 . 132 Christoph Barthut, Unmaßgeblicher Vorschlag zur Vereinigung der Evangelischen Protestanten/ Entworffen von einigen Liebhabern der Einigkeit der Evangelischen Christen Wobey beygefüget wird 1. Erstlichen einige Lehr Punckten des Seel. Mannes GOttes Martini Lutheri 2. Wie hiernach auch die Reformirte Kirche recht übereinstimmig gelehret/ und also wie sie gelehret in einem wahren Christenthum ausgeübet haben und noch also lehren 3. Und welcher gestalt sie damahls des Babstuhms Irrthümer so wol mit der Heil. Schrifft als ihren eigenen Patribus und Concilien Schlüssen erwiesen haben. Ohngeachtet aller hierauß besorgender Gefahr/ Verfolgungen/ ja wo nicht leiblicher doch geistlicher Tödtung mit der Lästerzungen in den Druck gegeben, Amsterdam (Benedikt Bahnsen) 1689. Christoph Barthut (gest. 1693), zeitweise tätig als kurfürstlicher Amtmann in Labiau/ Preußen, konvertierte 1677 in Berlin vom Luthertum zum reformierten Bekenntnis [über ihn informiert in aller Kürze der Art. BARTHUT (Christoph), in: Jöcher, Allgemeines Gelehrten=Lexicon 1 (1750), Sp. 828 f.]. 133 Barthut, Unmaßgeblicher Vorschlag, Einleitung, Abschnitt 35. Die Einleitung wurde von Barthut nicht paginiert, sondern in Abschnitte eingeteilt; erst den Hauptteil seines Unmaßgebliche[n] Vorschlag[s] hat er mit Seitenzahlen versehen. 134 Ebd. 135 Ebd. 136 Ebd.
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III. Verhärtete Fronten trotz reichsrechtlicher Zäsur
Dieser der Apologie seiner Konversion vom Luthertum zur reformierten Kirche137 als der rechtmäßigen Nachfolgerin der reinen Urkirche eigene und vor allem dienliche Verweis auf die Übereinstimmung reformierter Theologie mit der Lehre Luthers138 ist letztlich auch dem Profi l seiner Gegner geschuldet: den »natürliche[n] fleischlich gesinnte[n] weltliche[n] Lutherische[n] Prediger[n]/ welchen ich eintzig und allein die dürre Warheit für Augen gestellet«, die aber ihr »stoltzer Hochmuth [. . .] geblendet« habe139. Diese »von den wahren Nachfolgern JEsu CHristi seiner heiligen Aposteln und Lutheri abgesonderte/ natürliche/ fleischliche und weltlich gesinnte Lehrer und Prediger« hätten eben wegen ihres Hochmuts und ihrer Streitsucht schlicht keine Lust, »mit denen Reformirten Evangelischen Gemeine Einigkeit zu machen«140 ; vielmehr hätten sie ihre Befriedigung darin gesucht, Barthut »nach Bäbstischer Art und Weise/ [. . .] einen Ketzer und Schwermer« zu schelten, ihn anzuklagen und zu verdammen141. »[ J]a wann es in ihrer Macht gestanden/ so wäre schon wider mich die Execution nach ihren Willen geschehen seyn«142 . Die Behauptung der Lehrübereinstimmung zwischen den Reformierten auf der einen, der Heiligen Schrift und Luther auf der anderen Seite korrespondiert somit letztlich – darin liegt ihre taktische Begründung – mit dem Vorwurf an Barthuts Gegner, eben von jenen Quellen orthodoxen Glaubens abzuweichen. So seien nun »unterschiedene wahre Nachfolger JEsu Christi seiner heiligen Aposteln und Lutheri mit mir zusammen getreten«, um für die »Vereinigung bey den Evangelischen Protestanten« einzutreten143. Allein die Namen seiner reformierten Mitstreiter müsse er verschweigen, »weil sie die besorgende Verfolgungen noch nicht ertragen möchten«; anders verhalte es sich da schon mit Barthuts Person selbst: »[I]ch aber/ weiln ich so viel heiliger Martyrer noch in der letzt mit so vielen Blutvergiessen erstiffteten Reformirten Kirche vor mir 137
S. o. Anm. 132. Es ist schon aus dem Titel der Schrift Barthuts ersichtlich und durch sein Dasein als Konvertit, als ehemaliger Lutheraner und das sich daraus für ihn ergebende irenische Programm bedingt, dass er bei der schlichten Behauptung nicht stehen bleibt, die Lehre der Reformierten und die Lehre Luthers seien letztlich vollkommen kongruent. So verwendet er den weitaus größten Teil seines Unmaßgebliche[n] Vorschlag[s] darauf, die vollkommene Lehrübereinstimmung zwischen dem genannten Reformator als dem Werkzeug Gottes (Barthut, Unmaßgeblicher Vorschlag, S. 5), dem »theuren Held« (a.a.O., S. 16), und den Reformierten herauszustellen, indem er u. a. zu bestimmten explizit reformierten Lehraussagen ausgewählte Zitate aus Werken Luthers anführt, aus denen in der Tat mal mit mehr, mal mit weniger Mühe ein Konsens zwischen der Lehre der geistigen Erben Calvins und derjenigen, wie sie der Wittenberger Reformator vertrat, herausgelesen werden kann (s. dazu exemplarisch a.a.O., S. 1–39). 139 A.a.O., Einleitung, Abschnitt 28. 140 Ebd. 141 A.a.O., Einleitung, Abschnitt 29. 142 Ebd. 143 A.a.O., Einleitung, Abschnitt 36. Man beachte die parallele Formulierung bei der Identifi zierung sowohl seiner Gegenspieler als auch seiner Mitstreiter (s. dazu o. Anm. 140). 138
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habe/ schätze mich vor eine hohe Ehre würdig zu werden und unter dieser heiligen Martyrer Anzahl zu seyn«144. In diesem Bewusstsein, sich nur allzu bereitwillig dem göttlichen Willen auch unter Inkaufnahme des eigenen Martyriums zu beugen, geht nun der Reformierte Barthut seinerseits in die Offensive: Er werde jenen Hetzpredigern und Streittheologen »auff die Wolle greiffe[n] und die Wölffe entblösse[n]/ welche sich im Schaafs Kleidern verstecket haben«, indem er ihnen »gesetzte Lehr-Puncten aus des Seel. Mannes GOttes Seel. Lutheri Schrifften« mit dem Ziel vorlege herauszustellen, »ob sie seine [scil. Luthers, C. W.] nachfolger seyn dieweiln sie sich nach seinem Nahmen nennen«145. Doch mit dieser negativen Beweisführung nicht genug: Positiv werde er belegen, dass eben nicht jene vermeintlichen Lutheraner, sondern vielmehr die »mit so vielen Blutvergiessen gestiffteten Reformirten Kirchen [. . .] vor die wahre Nachfolger Lutheri zu aestimiren seynd«146 . Und so warnt Barthut seine pseudo-lutherischen Gegner davor, in ihrer Hartnäckigkeit zu verharren, die aus ihrem völlig unberechtigten Selbstverständnis erwachse, die eigentlich rechtgläubige und somit die sich im Recht befi ndende Partei zu sein. Denn »weiln jene so hartnackicht seyn/ und sich zur Vereinigung nicht submittiren wollen; So wird die hohe Obrigkeit [. . .] sie hierzu zwingen müssen/ oder frey geben/ daß ein jeder/ der die Warheit erkennt/ sich von ihnen ungehindert absondern und zu der Reformirten Gemeine/ die dann auch die zum Theil verfallene Kirche auff beste Form und Weise renoviren werden/ sich zu begeben«147.
Selbstverständlich hofft Barthut mit seinem Unmaßgebliche[n] Vorschlag nicht nur bei den Laien auf Einsicht in die Tatsache, dass allein das Reformiertentum Anspruch darauf erheben könne, die Wahrheit zu vertreten, wie sie Evangelium, Urkirche und Luther überliefern. Auch und gerade von der Obrigkeit erhofft er sich, sie werde sich einsichtig zeigen, »was zu ihrer ewigen und zeitlichen Wolfarth nutz= und dienstlichen seyn/ und sich nicht weiter von den falschen Lutheranern verleuten lassen/ die da die Jahrhero die Lehre der Reformirten Kirchen für ein Calvinisches Seelen Gifft mit Unwarheit von den Cantzeln ausgeschrien und die Lutherische Evangeische (sic!) Gemeine bißhero abgeschrecket haben/ daß sie ihre Schrifften und Lehre nicht einstes unterforschen mögen noch wollen/ sondern sie geneidet und gehasset und sich selbst der Seelen nach verderbet haben«148 . 144 Barthut, Unmaßgeblicher Vorschlag, Einleitung, Abschnitt 36. Entsprechend theatralisch führt Barthut weiter aus, er achte »den grausamsten Tod nur für eine freudige translocation aus der Zeit in die Ewigkeit und viel tausendmahl leichter zu seyn/ als auff dem Bette zusterben/ doch stelle ich alles in GOttes Willen/ welcher gestalt/ wie/ wo und wann GOtt mich aus dieser bösen Welt ausslösen und mich in die ewige Freude versetzen wird« (ebd.). 145 A.a.O., Einleitung, Abschnitt 37. 146 A.a.O., Einleitung, Abschnitt 38. 147 A.a.O., Einleitung, Abschnitt 39. 148 A.a.O., Einleitung, Abschnitt 40.
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III. Verhärtete Fronten trotz reichsrechtlicher Zäsur
Dabei zögert er nicht, den vorhersehbaren Widerspruch seiner theologischen Gegner zu antizipieren, um ihnen frühzeitig den Wind aus den Segeln zu nehmen: Sie werden gegen sein Programm zum Erweis der Übereinstimmung reformierter Lehre mit der Theologie Luthers kurzerhand einwenden, dass sie die von Barthut angeführten theologischen Aussagen des Wittenberger Reformators schon allein deshalb »nicht anzunehmen schuldig seyn«, weil und sofern Luther sie »vor der Augspurgischen Confeßion biß 1530. geschrieben hat«149. Doch diesen Einwand kann der ehemalige Lutheraner freilich nicht gelten lassen; schließlich seien »dieselbe [die von ihm zitierten Lehraussagen Luthers, C. W.] mit der heiligen Schrifft übereinstimmig [. . .]/ darzu die Lutherische Evangelische Kirche diese seine Lehre nach/ seinem Tode noch behalten«, weshalb die vermeintlich lutherischen Streittheologen »dieselbe nicht widersprechen noch verwerffen« könnten150. Damit aber noch nicht genug der Ausschaltung der CA invariata als Maßstab für die Lehrpunkte, welche nun als rechtgläubig zu gelten haben und somit als Diskussionsgrundlage dienen können und welche eben nicht: Zwar sei es unleugbar, dass dereinst auch der Kurfürst von Brandenburg, der Landgraf von Hessen und der Fürst von Anhalt die CA unterschrieben hätten; »nach dem aber dero hochlobliche Nachkommende Herschafften von GOTT dem Vater durch JESUM CHRISTUM/ GOTT dem SOHNE in Erleuchtung GOTTES des Heiligen GEISTES ein grösser Licht erlanget/ so haben sie sich nicht geschämet die Confessiones ihren hohen Vorfahren zuändern und zubekehren«151.
Diesem Beispiel gottgefälligen Handelns gelte es nun zu folgen: »Also und gleicher Gestalt ist uns keine Schande umbzukehren/ wann wir der Irrthümer in solcher Confession überführet/ sondern vielmehr eine grosse Gnade von GOTT und eine Frende [lies: Freude, C. W.] im Himmel/ wann wir uns von dem Irrwege auff den rechten Weg zu JESU CHRISTO uns bekehren. Laß die fi nstere Welt darüber spotten/ wie sie wolle«152 .
Eine Bekenntnisschrift wie die CA könne also nur so lange Anspruch auf Geltung erheben, bis sich ihre Lehrinhalte eben als Irrtümer erwiesen, ein Festhalten an ihnen sich damit als Irrweg herausstelle. Der einzig gültige Maßstab für die Orthodoxie bestimmter theologischer Lehren sei und bleibe die Heilige Schrift, an der sich konsequenter Weise auch Bekenntnisschriften messen lassen müssten. Diesen Standpunkt vertretend, kommt für Barthut eine Debatte über die Rechtgläubigkeit der Reformierten auf der Basis der Lehre, wie sie das Augsburger Bekenntnis vertritt, überhaupt nicht in Frage. Auch als Messlatte für die
149 150 151 152
A.a.O., Einleitung, Abschnitt 41. Ebd. A.a.O., Einleitung, Abschnitt 42. Ebd.
3. Terminologische Konstanz bei inhaltlicher Akzentverschiebung
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Beurteilung der Orthodoxie der Lehraussagen Luthers fällt die CA somit schlicht aus. Diese radikale Abwertung nicht nur der Invariata, sondern, wie die soeben angeführten Zitate des Unmaßgebliche[n] Vorschlag[s] deutlich machen, jedweder Bekenntnisschrift, die stark an die argumentative Grundlinie in Strimesius’ Theologische[m] Unterricht und an seine Vertheidigung erinnert, zögert Barthut dann auch nicht, in seinem Programm zur »Vereinigung des Luthertum mit denen Reformirten«153 umzusetzen, wie an seiner Abhandlung der Frage nach der einzig statthaften theologischen Deutung der Abendmahlsfeier deutlich wird. Denn dabei kommt er auf den sich zwischen Lutheranern und Reformierten wegen seiner unterschiedlichen bekenntnismäßigen Fixierung hartnäckig haltenden Konfl ikt, welche Natur Christi beim Abendmahl wo ist, überhaupt nicht zu sprechen. Entsprechend erwähnt er die in den verschiedenen Bekenntnisschriften verfochtenen divergierenden Lehren nicht mit einem Wort. Stattdessen erklärt er kurzerhand, beide Parteien müssten »einerley Lehren (sic!) von diesem heiligen Abendmahl/ daß es zu keinem andern Zweck und Ende eingesetzet; als erstlich: 1. Uns Krafft Christi Leibes und Blutes/ in der Liebe zu verbinden [. . .]. 2. Zweytens nach der Ermahnung des Apostels Pauli des Herrn Christi Tod verkündigen/ das ist/ von unserm elenden Fall in dem ewigen Tod/ daraus wir durch Christi Tod erlöset sind. 3. Drittens wann wir von GOttes des Vaters grossen Liebe/ daß er seinen Sohn der Welt zu seiner Erlösung gegeben/ und GOtt der Sohn uns von Sünden/ Tode/ Teufel/ Hölle und Welt erlöset/ und GOtt der heilige Geist uns zu Erden seines Reichs versiegelt/ genugsame Erkäntnis erlanget/ und darzu gewürdiget seyn/ sollen wir GOtt loben und preisen in einem innerlichen Priesterlichen Schmuck/ in Heiligkeit und Gerechtigkeit/ immerfort einhergehen/ damit wir allemahl so offt es geschiehet/ würdige Gäste und Gottes Tischgenossen seyn und bleiben mögen«154.
Barthut steuert mit seinem Unmaßgebliche[n] Vorschlag folglich nicht das Seine zu dem alten Streit um die Lehre von der Präsenz Jesu Christi im Abendmahl bzw. in den Abendmahlselementen bei, weshalb er sich auch nicht zum Apologeten der einen oder der anderen Bekenntnisschrift oder -fassung aufschwingt. Seiner Linie treu, nimmt er auf die entsprechenden Lehrfi xierungen, wie sie in den einzelnen Bekenntnisschriften vorliegen, überhaupt keinen Bezug. Es sei vielmehr der Zweck des Abendmahls entscheidend, also der Grund, warum dereinst die Abendmahlsfeier für die Christen eingesetzt worden sei. Hier und nur hier müsse und vor allem könne Einigkeit zwischen den Protestanten herrschen. »Und darum muß alles disputiren Streiten und Zancken gänzlichen verbothen werden/ hat jemand Gaben und Erkäntnüß von GOtt erlanget/ der dancke dafür GOtt und er153 A.a.O., S. 1. Dadurch, dass Barthut hier von der »Vereinigung des Luthertum mit denen Reformirten« spricht, ist letztlich unzweideutig klar, wen er im Auge hat, wenn er ansonsten auf Formulierungen wie »Vereinigung der Evangelischen Protestanten« o. ä. zurückgreift (vgl. dazu Anm. 132 f., 143). 154 Barthut, Unmaßgeblicher Vorschlag, S. 18 f.
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III. Verhärtete Fronten trotz reichsrechtlicher Zäsur
hebe sich darmit nicht durch die Zancksucht/ sondern unterweise seinen Bruder mit sanfftmüthigen Liebes=Geiste«155.
Nun ist Barthut zwar, wie er ja selbst in seinem Unmaßgebliche[n] Vorschlag erklärt156 , aufgrund eigener Willensentscheidung zum Anhänger calvinisch geprägter Theologie oder – anders formuliert – zum Reformierten geworden, aber der seine theologische Neigung offenbarende Entschluss zur Konversion hält ihn im Dienste seines irenischen Programms mit seiner klar integrativen Verwendung des Begriffs Protestanten nicht davon ab, auch das selbst gewählte, das eigene konfessionelle Lager mit Kritik zu bedenken. So führt er aus: »Weiln dann unter beyden Partheyen der Evangelischen Protestanten die Lehre von den Geboten GOttes einerley/ nur daß unter ihnen wenig Ausübungen solcher Geboten zu fi nden seyn«, müsste im Zuge der Herstellung der innerprotestantischen Einheit »uff die praxin getrungen werden/ den Christus JEsus will nicht Hörer/ sondern Thäter seines Wortes haben«157. Dabei vergisst Barthut selbstverständlich nicht, an das Doppelgebot der Liebe zu erinnern, welches Jesus selbst als »das grösste und fürnehmste Gebot im Gesetz« identifi ziert, muss jedoch im Anschluss an seine vorherigen Ausführungen feststellen, über »dieses vollkommene Gebot« seien sich »beyde protestirende Evangelischen in der Lehre zwar einig [. . .]; Es fehlet aber ietzo nur an den Wercken der Liebe/ welcher solcher Lehre uffn Fuß folgen müssen«158 . Und so spricht der Autor des Unmaßgebliche[n] Vorschlag[s] - der Grundlinie seiner scharfen Kritik auch am Umgang mit den Bekenntnisschriften unbeirrbar folgend – denjenigen, die sich um die Lehre bemühen, dabei aber die von Jesus Christus persönlich geforderte Praxis vergessen, das Urteil: »Also auch einer oder der ander von denen Vereinigten Evangelischen über einige Articulos in der Augspurgischen Confession oder im Synodo zu Dordrecht gemachet/ unzeitig eiffern/ und Zanck und Spaltungen in dieser Vereinigung anrichten wolten/ dieselbe sollen vor Rottirer I. Cor. 11. V. 17. gehalten und aus der vereinigten Gemeine ausgestossen werden«159.
155 A.a.O., S. 23. Nichtsdestotrotz kann Barthut eben als Reformierter aus Überzeugung ausführen, wer »nur in Seel und Leib bestehet/ weiln der Geist des GOttes nicht in ihm würcket/ gehöret nicht zu diesem grossen Mahl des HErren«, ja, er empfange, wenn er sich dennoch »zu diesem grossen Mahl des HErren hinzu tränget [. . .] den Fluch und nicht den Segen/ und darum solten die Prediger solche Leute vielmehr abmahnen und sie erstlich und vorhero zu der Nachfolge Christi zur Wieder=Gebuhrt anweisen« (a.a.O., S. 21 f.). So offenbart sich im Hinblick auf seine Abendmahlslehre damit – was nicht überrascht – der Verfechter eines reformierten Standpunktes (s. dazu auch a.a.O., S. 19 f.). 156 S. dazu o. S. 153. 157 Barthut, Unmaßgeblicher Vorschlag, S. 36. Die Formulierung, Jesus wolle »nicht Hörer/ sondern Thäter seines Wortes«, entlehnt Barthut Jak 1,22. 158 Barthut, Unmaßgeblicher Vorschlag, S. 37. 159 A.a.O., S. 38.
IV. Integrative Begriffl ichkeit als nicht nur terminologiegeschichtlicher Dammbruch im Luthertum der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts 1. Streben nach Versöhnung auf der Basis der Lehre von den Fundamentalartikeln in der Tradition Georg Calixts 1.1. Präludium: Der Streit um das Religionsgespräch von Kassel (1661) Es ergibt sich somit bei Betrachtung (kontrovers-)theologischer Werke lutherisch-orthodoxer Provenienz, die nach dem Friedensschluss von Münster und Osnabrück entstanden sind, ein bekanntes Bild: Von den Beschlüssen des IPO und der dort zum Einsatz gebrachten Terminologie vollkommen unbeeindruckt, vielmehr von der Ausweitung der Friedensbestimmungen auch auf die Reformierten durch eine nach dem Vertragstext zumindest mögliche Anerkennung derselben als Augsburger Konfessionsverwandte provoziert, lässt man auf lutherischer Seite nicht nach, den Anhängern Calvins jedwede Zugehörigkeit zum Kreis der wahren CA-Verwandten, den allein die eigene konfessionelle Partei konstituiert, vehement abzusprechen. Dieser inhaltlichen Kontinuität folgt mit einer gewissen Zwangsläufigkeit auch eine terminologische: Trotz und wegen der Formulierungen des siebten Artikels des Osnabrücker Friedensinstruments hält das orthodoxe Luthertum an seiner strikt exklusiven Begrifflichkeit mit aller Konsequenz fest. Nicht ganz so schematisch-gradlinig verlaufen die Kontinuitäten auf Seiten des reformierten Gegenübers: Zwar wird auch hier an der schon vor 1648 fest etablierten Begriffsverwendung, nämlich der integrativen, unbeirrbar festgehalten, doch lässt sich auf der inhaltlichen Ebene eine bedeutende Akzentverschiebung attestieren. Das »heiße Eisen« der eigenen Augsburger Konfessionsverwandtschaft, die durch den dissimulierenden Wortlaut des IPO keineswegs zweifelsfrei und damit unanfechtbar festgestellt wurde, wird, wie die untersuchten Werke reformierter Autoren belegen, nicht mehr angefasst. Ja, wenn man sich überhaupt darauf einlässt1, im Zuge der eigenen Beweisführung auch auf Bekenntnisschriften zu sprechen kommt und somit indirekt zur im Luther1 Johann Crocius hatte bekanntlich jedwede Nennung irgendeines Bekenntnisses in seiner Christliche[n] Prüfung gefl issentlich vermieden, ohne seine integrative Begriffsverwendung jedoch aufzugeben.
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IV. Integrative Begrifflichkeit als nicht nur terminologischer Dammbruch
tum konsequent durchgehaltenen Argumentation Stellung bezieht, dann im Vergleich zu den vor 1648 entstandenen Schriften unter völlig neuen Vorzeichen. Die Bemühungen um den Nachweis der CA-Verwandtschaft der eigenen Seite verstummen restlos. Von einem Plädoyer im Dienste des Erweises der eigenen Zugehörigkeit zum Kreis der Bekenner der CA oder von einer Stellungnahme in der Diskussion um die legitime Fassung des Augsburger Bekenntnisses fi ndet sich keine Spur mehr. Im Gegenteil: Die Bekenntnisschriften und mit ihnen natürlich vor allem die CA werden einer strikten Abwertung unterzogen. Nicht mehr sie, sondern allein die Heilige Schrift Alten und Neuen Bundes dürfe als Richtschnur zur Bewertung der Orthodoxie herangezogen werden. Es sei an dieser Stelle noch einmal an die Worte Samuel Strimesius’ erinnert: »So siehet ja ein jedweder/ der nicht die Augen seines Verstandes muhtwilliger weise zuhält/ wie nicht allein kein besseres/ sondern auch kein anders zum ersten Mittel des Christlichen Kirchen=Friedens/ in specie des Kirchen=Friedens zwischen denen Protestirenden Evangelischen/ könne vorgeschlagen werden/ als die Einfalt des Glaubens bloß und allein auff Heil. Schrifft gegründet« 2 .
Mit dieser expliziten Aufwertung der Bibel korrespondiert jene Abwertung der Bekenntnisschriften oder – anders formuliert – ihre Ausschaltung als maßgebende Instanz zum Erweis der eigenen Rechtgläubigkeit, zur Bewertung von Orthodoxie überhaupt. Unübersehbar ist die darin liegende Kritik an denjenigen, deren Argumentation nicht zuletzt auf den Bekenntnisschriften ruht, in erster Linie eben auf der CA, deren rechtmäßige Fassung durch das Konkordienbuch herausgestellt und fi xiert worden ist, nämlich an den Lutheranern, weil und sofern sie unbeirrbar an ihrer althergebrachten Polemik gegen die Augsburger Konfessionsverwandtschaft der Reformierten festhalten. Mit der beibehaltenen integrativen Nutzung der Termini Protestantes, Protestanten oder Protestierende wird in den reformierten Quellen zwar an der vermeintlich irenischen Grundstimmung festgehalten. Vor 1648 waren es aber noch zwei einander flankierende Argumentationsstränge, mittels derer reformierte Theologen kontinuierlich auf eine Annäherung zwischen der eigenen und der lutherischen Partei hinarbeiteten: Zum einen wurde man nicht zuletzt aus reichsrechtlichen Gründen nicht müde, die eigene Ausformung reformatorischer Theologie als dem Augsburger Bekenntnis konform herauszustellen. Doch diese Argumentationsschiene bedurfte – sodann – eben zur eigenen Plausibilisierung einer entscheidenden Ergänzung. Die Verwandtschaft der Reformierten zur CA konnte, sollte der vermeintlich irenische Aspekt nicht verloren gehen und den Lutheranern wiederum ihre Zugehörigkeit zu den Konfessionsverwandten nicht abgesprochen werden, nur behauptet werden unter der Vor2
Strimesius, Vertheidigung, S. 44.
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aussetzung einer theologischen Verwandtschaft beider Parteien überhaupt. Dazu bediente man sich nun reformierterseits der Argumentation, es bestehe in bestimmten biblisch legitimierbaren und als fundamental anzusehenden Glaubenslehren ohnehin Konsens zwischen den geistigen Erben Calvins und den Verfechtern lutherischer Theologie. Und genau diese letztgenannte Argumentationslinie bildet nun auch nach dem Westfälischen Friedensschluss das inhaltliche Fundament für die integrative Terminologie auf Seiten des Reichsreformiertentums, wohingegen der erstgenannte Argumentationsstrang keine Verwendung mehr fi ndet. Über die Gründe der Reformierten für die angeführte Akzentverschiebung im Rahmen ihrer Argumentation kann, da die untersuchten Quellen diesbezüglich schweigen, nur spekuliert werden. Festhalten lässt sich jedoch folgendes: Seit 1648 stehen auch sie unter dem Schutz des einst 1555 zwischen Lutheranern und Altgläubigen geschlossenen Religionsfriedens. Daran lässt der Wortlaut des IPO keinen Zweifel. Anders verhält es sich bei genauerem Hinsehen aber mit der Frage, ob das Osnabrücker Friedensinstrument die Anhänger primär calvinisch geprägter Theologie nun zu Augsburger Konfessionsverwandten erklärt oder nicht 3. Der betreffende Wortlaut des Friedensschlusses lässt sich nun durchaus zugunsten der Anerkennung der Reformierten als CA-Verwandte deuten, wofür nicht zuletzt die im Text des IPO verwendete, eindeutig integrative Terminologie spräche. War die integrative Nutzung des Begriffs Protestierende bzw. Protestantes seit Ursin genau vor dem Hintergrund der Inanspruchnahme der CA durch und für die Reformierten entstanden und zum Einsatz gekommen, hatte sie letztlich überhaupt den Zweck, die Geschlossenheit zwischen Lutheranern und Reformierten terminologisch vor dem Hintergrund der gemeinsamen Konfessionsverwandtschaft zu unterstreichen, so geht sie schließlich vor genau diesem Funktions- und Deutehintergrund durch den Text des IPO in das Reichsrecht ein, wenn man jenen zugunsten der Reformierten auslegen möchte. In diesem Falle hätten diese ihr Ziel, nämlich ihre Anerkennung als Angehörige der CA und ihre daraus resultierende Einbeziehung in den Religionsfrieden, erreicht. Machte Artikel VII des IPO somit die bis dahin von den Lutheranern immer wieder verfochtene Behauptung unmöglich, kein Reichsdokument belege den Genuss des Schutzes des Religionsfriedens durch die Reformierten, so erhob die dem Text eigene Dissimulation das Problem ihrer Augsburger Konfessionsverwandtschaft immerhin zu einer Frage der Interpretation: Es gab mit dem IPO zwar ein reichsrechtlich in Geltung stehendes Dokument, das von den Reformierten durchaus gegen die lutherische Polemik als Beweis ihrer Konfessionsverwandtschaft herangezogen werden konnte, aber eben diesbezüglich keineswegs zwangsläufig in ihrem Sinne gedeutet werden musste. Von einem Ende 3
S. zur diesbezüglich dissimulierenden Formulierung des IPO o. S. 123 f. m. Anm. 4.
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IV. Integrative Begrifflichkeit als nicht nur terminologischer Dammbruch
des Ringens um die Anerkennung der Reformierten als der CA verwandt, als dem Kreis ihrer Bekenner somit zugehörig, kann also auch nach dem Westfälischen Frieden keine Rede sein. Die ihre Werke nach 1648 publizierenden Reformierten waren sich zweifelsohne der Schwierigkeit bewusst, welche die Dissimulation des IPO für sie barg: Konnten sie einerseits ihr genanntes Ziel als erreicht betrachten, mussten sie anderseits damit umgehen, dass ihnen – bei entsprechender Interpretation des Vertragstextes – ihre Verwandtschaft zur CA bestritten werden konnte und von lutherischer Seite unter Nutzung der dafür einschlägigen Terminologie weiterhin massiv bestritten wurde, zumal das Friedensdokument auch darüber keine Klarheit schafft, welche Fassung der CA überhaupt Anspruch auf reichsrechtliche Geltung erheben kann. In diesem Bewusstsein um ihre nach wie vor problematische, heiß umkämpfte Situation geben die Verfasser der Quellen reformierter Provenienz die seit Ursin konstitutive Bindung der integrativen Begriffsnutzung an die Inanspruchnahme der CA für und durch die reformierten Reichsstände auf. Jene aus der Pfälzischen Irenik stammende integrative Nutzungsweise wird aus ihrem ursprünglichen (Entstehungs-)Kontext herausgelöst, man könnte auch sagen: Sie verselbstständigt sich. Damit wird jener einst konstitutive Zusammenhang zwar aufgegeben, aber die einmal schöpferisch etablierte und schließlich sogar ins Reichsrecht eingegangene Terminologie wird beibehalten. War die CA – natürlich invariata – noch das von den Lutheranern selbst vorgegebene Identifi kationsmerkmal der Protestanten, so ist das Selbstverständnis der Reformierten als Protestanten über den Deutungsweg der Augsburger Konfessionsverwandtschaft seit der Mitte des 17. Jahrhunderts bereits so stark, dass sie den Begriff von der CA als ursprünglichem Identifi kationsdokument lösen und gleichsam neue protestantische Identifi kationspunkte bestimmen können. Genau dies ist bei Strimesius und Barthut der Fall gewesen, die alle Glieder derjenigen Kirchentümer Protestierende nennen können, die sich in Übereinstimmung nicht mit irgendeiner Fassung des Augsburger Bekenntnisses, sondern mit den von Gott in der Bibel aufgestellten Fundamentallehren wissen. Mit dieser Loslösung der Terminologie von der CA ist ein entscheidender Schritt getan weg von der anfänglich höchst exklusiven hin zur heutigen, also umfassend integrativen Begriffsinterpretation. Macht man sich dies klar, leuchtet auch ein, warum das fest auf dem Boden des Konkordienbuches und damit der Invariata stehende orthodoxe Luthertum auch nach 1648 unverbrüchlich an seiner exklusiven Terminologie festhält, warum die betreffenden Autoren fortfahren, sich und eben nur sich als Protestierende bzw. Protestantes zu bezeichnen. Je stärker das Selbstverständnis der Reformierten als Protestanten wird, das sich eben über ihre aus lutherisch-orthodoxer Sicht vermeintliche Konfessionsverwandtschaft entwickelt hat, desto mehr sehen sich Theologen wie Calov und Botsack, Dannhauer und Reiser gezwun-
1. Streben nach Versöhnung auf der Basis der Lehre von den Fundamentalartikeln
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gen, ihr Bekenntnis vor seiner durch die reformierte Inanspruchnahme drohenden Verwässerung zu bewahren. Es nimmt daher auch nicht Wunder, dass sie trotz oder gerade wegen der integrativen Begriffl ichkeit auf reichsrechtlicher Ebene seit 1648 an ihrer althergebrachten exklusiven Nutzung festhalten, um nun ihrerseits wieder ihrer eigenen, gegen die Reformierten als ausgemachte Ketzer gerichteten Interpretation des VII. Artikels des IPO auch terminologisch Ausdruck zu verleihen: Es gibt ihrer Meinung nach nur ein Kirchentum, das sich legitim als konfessionsverwandt verstehen darf, nämlich das dem Konkordienbuch verpfl ichtete lutherische, das sich fest entschlossen zeigt, standhaft die evangelische Wahrheit, wie sie in der Invariata ihren Niederschlag gefunden hat, vor allen Verwässerungen und Ehrminderungen zu bewahren. Ein anonymer Autor unterteilt nun rückblickend vier Phasen der Friedensbemühungen: Begonnen hätten die Friedliebenden sowohl auf Seiten der Lutherischen als auch der Reformierten dereinst damit, dass »durch kräfftige schrifftliche Vorstellung der Meynungen die Partheyen möchten gewunnen/ und auff eine oder andere Seite gäntzlich geleitet werden. Also hofften die Lutherischen zugewinnen die Reformirten/ und auff ihre Meynung sie zu bringen. Anderseits hoffeten ein gleiches auch die Reformirten/ und vermeyneten/ es solten die Lutherischen anderer Meynung werden/ und sich nicht beschwehren zu ihnen zutreiten«4.
»Als man gesehen/ daß wenig fruchtbarliches könte durch die Streit=Schrifften außgerichtet werden/ haben sich die Reunions-Freunde dahin bedacht/ daß das beste und zur Sach dienlichste wäre/ wann durch freye Concilia und Brüderliche Synodos die Strittigkeiten beygeleget würden« 5. Nachdem auch diesen Versuchen kein Erfolg beschieden war, »haben sich die Friedfertigen dahin befl issen/ zu zeigen/ daß kein wesentlicher Unterschied nicht seye zwischen beyden Religionen/ und haben best=möglichst dargethan/ daß sie/ die Evagelischen Kirchen/ beyderseits in dem Fundament überein kommen/ und nur in etlichen Schulstreits=Puncten/ die das Hauptwesen in keinen Weg nicht betreffen/ unterschieden seyen« 6 . In diese dritte Gruppe der Friedensstifter sind folglich auch Strimesius und Barthut einzuordnen7. 4 G. T. H., Neuer unparhteyischer Reunions= Oder Vereinigungs=Vortrag/ In welchem vorgestellt wird/ Wie beyde Evangelische Kirchen wieder bequemlich könten in den Meynungen selbsten vereiniget werden/ ohne das je eine der andern viel nachzugeben gehalten würde seyn. Sampt angehenckter doppelter/ Erstlich an beyde Kirchen insgemein/ und dann an beyder Kirchen Theologos ins besonders/ gestellter ernsthaffter Vorstellung aller Ublen/ so auß der unseligen Trennung/ der Kirchen GOttes/ enstehen. Allen Christlichen Regenten/ Theologis, Lehrern und Predigern/ auch Christlich gesinnten Fried=liebenden Evangelischen zur Prüfung und reiffer Uberlegung auffgetragen, o. O. 1687, S. 20. 5 A.a.O., S. 21. In diese Phase der Friedensbemühungen gehören, wie ihre untersuchten Werke belegen, Ursin, Zepper und nach ihnen vor allem Pareus. 6 A.a.O., S. 22 f. 7 Die Zanksucht besonders der Theologen beider Kirchen habe auch diesen Ansatz zunichte gemacht (a.a.O., S. 23 f.). »Ware also vonnöthen/ daß dieses wichtige Geschäfft noch
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Die Lehre von den Fundamentalartikeln, auf der Strimesius’ und Barthuts Programme eines Kirchenfriedens ruhen, ist nun nicht ausschließlich auf reformierter Seite in irenischer Absicht verfochten worden. Auch im Luthertum des 17. Jahrhunderts sind Tendenzen zur Herstellung einer Gemeinschaft zwischen Lutheranern und Reformierten auf der Basis bestimmter Fundamentallehren, in denen eine unanfechtbare Übereinkunft beider Konfessionskirchentümer bestehe, auszumachen 8 . Diese vermittelnde Tendenz innerhalb des Luthertums auff ein andere Weiß vorgenommen würde/ welches auch geschehen/ in deme die Reformirten den Lutheranern die tolerantz angebotten/ deß Unterscheids unangesehen/ der unter ihnen beyden möchte seyn: da hat man nicht ermanglet beyzubringen/ daß die Papisten selbsten/ obwohlen sie unterschiedliche Meynungen unter ihnen hegen/ einander dannoch wissen Brüderlich zu vertragen; warumb solten die Evangelischen nicht ein gleiches thun können/ und sich für Brüder erkennen/ ob schon die eine oder andere Religions=Streitigkeit unter ihnen entstanden?« (a.a.O., S. 25). Dieser letztgenannten Phase weiß sich selbstverständlich auch der Verfasser des Neue[n] unparhteyische[n] Reunions= Oder Vereinigungs=Votrag[s] zugehörig. Denn dass es sich bei »G. T. H.« um das Pseudonym eines reformierten Autoren handelt, kann nach der Lektüre beispielsweise der Passagen a.a.O., S. 8 f., 23–26, 31, 40 f., 44, 56 f., 82 f., 212 kaum in Zweifel gezogen werden. Es sei aber an dieser Stelle die Bemerkung erlaubt, dass sich natürlich nicht alle aus reformierter Feder stammenden Werke, auch nicht der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, einem irenischen Zweck verpfl ichtet fühlen, im Gegenteil: So stellt zum Beispiel der wie Strimesius in Brandenburgischen Diensten stehende reformierte Theologe Elias Grebenitz [1628– 1689, Professor der Theologie in Frankfurt a. O.; vgl. zu ihm den Art. Grebenitz (Elias), in: Zedler, Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschaften und Künste 11 (1735), Sp. 755 und den Art. GREBENITZ , auch Grebnitz (Elias), in: Jöcher, Allgemeines Gelehrten=Lexicon 1 (1750), Sp. 1152] unverholen fest: »Weil denn in denen Catechismus=Artickeln die Apostolische oder Reformirte und die heutiges Tages genante Lutherische Kirche uneins sind: Derowegen wird von jedermann ohn Unterscheid des Standes/ Geschlechts/ Ammts und dergleichen erfordert/ und kann es auch jedermann gar wohl [. . .] wissen: (1.) Ob die Lutherische Kirche irrig/ und die Reformirte rechtgläubig sey? (2.) Wann dann die Lutherische Kirche irrig/ ob es auch so viel zu bedeuten habe/ daß es nöthig ist/ sich von der Lutherischen zu der Reformirten Kirchen zu begeben?« [ders., Unterricht Von Der Reformirten Und Lutherischen Kirchen, Frankfurt a. O. ( Jeremias Schrey) 21680, S. 5]. Dementsprechend widmet Grebenitz, der die irenische Haltung seines Zeitgenossen und Kollegen an der Frankfurter theologischen Fakultät Strimesius alles andere als teilt, allein der Tatsache, dass es »wegen der vielen gefährlichen Irrthümer der Lutherischen Kirchen nöthig sey/ sich von derselben zu der Reformirten Kirchen zu begeben« (a.a.O., S. 216), nicht weniger als den gesamten zweiten Teil seines Unterricht[s] (vgl. a.a.O., S. 216–251). Damit steht Grebenitz im Hinblick auf die Qualität seiner Polemik Männern wie Calov, den er übrigens namentlich erwähnt (a.a.O., S. 14), oder Dannhauer in nichts nach. Beide genannten reformierten Werke weisen den Terminus Protestierende bzw. Protestanten nicht auf. Der Integrationsbegriff beider lautet »Evangelische«, den der sich G. T. H. nennende Verfasser häufig (s. exemplarisch ders., Neuer unparhteyischer Reunions= Oder Vereinigungs=Votrag, S. 14, 16, 19, 22, 25, 27, 38, 99, 195, 197, 236, 246), Grebenitz hingegen seiner Intention entsprechend nur ein einziges Mal gebraucht (ders., Unterricht, S. 220). 8 Sind bisher Vertreter des orthodoxen, fest auf dem Boden des Konkordienwerkes stehenden Luthertums in den Blick genommen worden, so ist nun der Punkt erreicht, an dem Protagonisten des breit gefächerten gemäßigten, auf Vermittlung zwischen beiden evangelischen Kirchen bedachten Flügels des Luthertums in den Mittelpunkt der Betrachtung rücken.
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ist aufs Engste mit der Person und dem Werk des Helmstedter Theologen Georg Calixt verbunden9. 9 Nun war Georg Calixt (1586–1656) zwar durchaus bemüht, den (Lehr-)Konfl ikt zwischen Lutheranern und Reformierten zu entschärfen, da auch er einen Fundamentalkonsens zwischen beiden Parteien ausmachen zu können glaubte, wie besonders die Folgende seiner Schriften belegt: ders., JUDICIUM GEORGII CALIXTI, SS. THEOLOGIAE DOCTORIS ET PROFFESORIS CELEBERRIMI. In ACADEMIA JULIA De CONTROVERSIIS THEOLOGICIS , Quae inter LUTHERANOS ET REFORMATOS AGITANTUR. Et de MUTUA partium FRATERNITATE atque tolerantia, propter CONSENSUM IN FUNDAMENTIS, Frankfurt a. M. ( Johann Friedrich Weiß) 1650, besonders S. 55 f. [die deutsche Übersetzung erschien unter dem Titel: Gutachten Dn. GEORGII CALIXTI, Der H. Schrifft Doctorn zu Helmstatt/ Vber: Die Geistliche Strittigkeiten/ so zwischen den Lutheranern vnd Reformierten schweben. Vnd dann: Von gemeiner Bruderschafft vnd Beträglichkeit der Partheyen/ wegen Einhelligkeit in dem Fundament. Sie ist zu fi nden in dem folgendermaßen betitelten Sammelwerk: Zweyer fürnehmen Theologen/ D. Georgii Calixti, Eines Lutheraners/ Vnd Godofredi Hottonis, eines Reformierten/ Gutachten Vber Die heutige Strittigkeiten zwischen ihnen: Wie solche abzulegen/ vnd Bruderschafft oder Vertäglichkeit zu stifften wehre, Frankfurt a. M. ( Johann Friedrich Weiß) 1650, S. 7–64]. Das dem innerevangelischen Ausgleich gewidmete JUDICIUM Georg Calixts erschien acht Jahre später erneut unter verändertem Titel: ders., DE TOLERANTIA REFORMATO-
RUM CIRCA QAESTIONES INTER IPSOS ET AUGUSTANAM CONFESSIONEM PROFESSOS CONTROVERSAS CONSULTATIO, herausgegeben von seinem Sohn Friedrich Ulrich
Calixt, Helmstedt ( Johan-Georg Taeger) 1658. Auffällig ist dabei, dass die Abschnittszählungen von JUDICIUM und CONSULTATIO voneinander abweichen, was in erster Linie daran liegt, dass die von F. U. Calixt herausgegebene CONSULTATIO bestimmte längere Abschnitte des JUDICIUM in zwei gesondert nummerierte Abschnitte aufspaltet: So entstehen die Abschnitte 55 und 56 der CONSULTATIO durch Teilung des 53. Abschnitts des JUDICIUM. Ebenso verhält es sich mit CONSULTATIO, Abschnitte 31 und 32; sie entstehen aus der Spaltung des 30. Abschnitts des JUDICIUM. Doch auch der umgekehrte Fall ist feststellbar: JUDICIUM, Abschnitte 27 und 28 werden in der jüngeren CONSULTATIO zu Abschnitt 29 zusammengefasst, zu dem auch der erste Teil des 29. Abschnitts des JUDICIUM gehört. Der zweite Teil von JUDICIUM, Abschnitt 29 bildet dann wiederum gesondert CONSULTATIO, Abschnitt 30. Es ist mir trotz der in den genannten Werken zum Ausdruck kommenden versöhnlichen Haltung Calixts gegenüber den Reformierten nicht gelungen, ihm eine eigenständige, etwa auf der von ihm eingeforderten, zwischen beiden Konfessionen zu übenden Toleranz basierende und somit explizit integrative Nutzung des hier im Mittelpunkt der Untersuchung stehenden Begriffs nachzuweisen, da er in den genannten Werken schlicht nicht vorkommt. Zwar kann G. Calixt den Terminus Protestantes durchaus verwenden, doch auch dann lässt sich ein von Zitationskomplexen losgelöster, also faktisch eigenständiger integrativer Gebrauch nicht attestieren [vgl. z. B. ders., EPITOMES THEOLOGIAE MORALIS Pars Prima, vna cvm DIGRESSIONE DE ARTE NOVA , Ad omnes Germaniae academias Romano pontifici deditas et svbditas, Inprimis Coloniensem. Cujus Digressionis ergo, haec Epitomes pars seorsim nunc editur, Helmstedt (Henning Müller) 1634, S. 264, 279, 447]. An dieser Stelle bezeuge ich Fr. Prof. Dr. Inge Mager meinen herzlichen Dank für ihre freundliche Unterstützung bei der terminologiehistorischen Untersuchung der Werke Calixts! Die ausführlichste biographisch orientierte Darstellung Georg Calixts stellt noch immer Ernst Ludwig Theodor Henke, Georg Calixtus und seine Zeit, 2 Bde., Halle 1853–1860 dar. Zur Einordnung von Leben und Werk Calixts in die Streitigkeiten um den ihm vorgeworfenen Synkretismus s. auch Henke, Neuere Kirchengeschichte Bd. II: Geschichte der getrennten Kirchen bis zur Mitte des XVIII. Jahrhunderts. Nachgelassene Vorlesungen für
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In ihrer ganzen Konsequenz und in ihrem auch terminologischen Folgenreichtum kommt Calixts irenische, aus seiner Forderung nach Toleranz gegenüber den Reformierten erwachsende Haltung erst in seinen und durch seine Schüler zum Tragen, die die Universität zu Rinteln gleichsam zu einer Hochburg calixtinisch-irenischen Gedankenguts machen. So nimmt es nicht Wunder, dass stellvertretend für das Luthertum zwei Theologen der Universität Rinteln an dem 1661 von Landgraf Wilhelm VI. von Hessen einberufenen Religionsgespräch von Kassel teilnehmen10. den Druck bearbeitet und herausgegeben von Wilhelm Gaß, Halle 1878, S. 321–350. Eine lesenswerte (theologie-)historische Aufarbeitung der synkretistischen Streitigkeiten und der schwerlich zu überschätzenden Rolle, die Calixt mit seiner Lehre von den Fundamentalartikeln in jenen und für jene Auseinandersetzungen gespielt hat, bietet zudem Ritschl, Dogmengeschichte des Protestantismus Bd. IV, S. 363–472. Neben den genannten Klassikern empfiehlt sich zu Leben und Werk des Helmstedter Theologen ein Blick in die prägnante Darstellung von Inge Mager, Georg Calixt, in: Martin Greschat (Hg.), Gestalten der Kirchengeschichte Bd. 7: Orthodoxie und Pietismus, Stuttgart u. a. 21994, S. 137–148. Das Unionsprogramm Calixts hat nun über die Konfessionsgrenzen hinweg Beachtung gefunden, was vor allem die entsprechenden Studien Christoph Böttigheimers eindrücklich vor Augen stellen [ders., Das Unionskonzept des Helmstedter Irenikers Georg Calixt (1586–1656), in: Harm Klueting (Hg.), Irenik und Antikonfessionalismus im 17. und 18. Jahrhundert (Hildesheimer Forschungen Bd. 2), Hildesheim u. a. 2003, S. 55–70; ausführlicher ders., Zwischen Polemik und Irenik. Die Theologie der einen Kirche bei Georg Calixt (Studien zur systematischen Theologie und Ethik Bd. 7), Münster 1996]. Eine differenzierte Bewertung des irenischen Programms Calixts und seiner Aufnahme auf altgläubiger und lutherisch-orthodoxer Seite fi ndet sich bei Johannes Wallmann, Union, Reunion, Toleranz. Georg Calixts Einigungsbestrebungen und ihre Rezeption in der katholischen und protestantischen Theologie des 17. Jahrhunderts, in: Heinz Duchhardt, Gerhard May (Hgg.), Union – Konversion – Toleranz. Dimensionen der Annäherung zwischen den christlichen Konfessionen im 17. und 18. Jahrhundert (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz Beiheft 50), Mainz 2000, S. 21–37 [Wallmanns Studie setzt sich vor allem kritisch auseinander mit Hermann Schüssler, Georg Calixt. Theologie und Kirchenpolitik. Eine Studie zur Ökumenizität des Luthertums (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz Bd. 25), Wiesbaden 1961]. 10 Neben den Calixtschülern Peter Musäus und Johann Henichius nehmen von reformierter Seite die Marburger Theologen Sebastian Curtius und Johannes Heinius teil. Zum Kasseler Religionsgespräch, seinen Ursachen und Auswirkungen s. Henke, Neuere Kirchengeschichte Bd. II, S. 335–338 und Leube, Kalvinismus und Luthertum, S. 305–350. Zur theologischen und historischen Kontextualisierung des Religionsgesprächs vgl. neben Ritschl, Dogmengeschichte des Protestantismus Bd. IV, S. 458–463 auch Johannes Wallmann, Zwischen Reformation und Humanismus. Eigenart und Wirkungen Helmstedter Theologie unter Berücksichtigung Georg Calixts, in: ders., Theologie und Frömmigkeit, S. 61–86. Dort heißt es mit Blick auf die Bewertung des unter Beteiligung von Reformierten und Lutheranern veranstalteten Kolloquiums: »Calixts Ziel, die Wiedervereinigung der gespaltenen Christenheit, blieb in utopischer Ferne. Aber auf dem Weg zu diesem Ziel gab es eine Station, die zu erreichen die Helmstedter Theologie nicht Unbeträchtliches geleistet hat: die Toleranz, die gegenseitige Duldung und Anerkennung der anderen Konfessionsmitglieder als christliche Brüder. Auf dem Kasseler Religionsgespräch von 1661 [. . .] ist es erstmals gelungen, zwischen lutherischer und reformierter Kirche wechselseitige Toleranz, den sogenannten Kirchenfrieden zu vereinbaren« (a.a.O., S. 79). Diese Einschätzung teilt Otto Ritschl, wenn er von dem Kasseler Kolloquium spricht, »auf dem zum ersten Male in Deutschland ein
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»Die Absicht dieser Unterredung war, daß man eine Einigkeit zwischen den Evangelischen und Reformirten stifften wolte, daher solten sich beyde Partheyen gegen einander erklären; worinnen sie einstimmig wären oder von einander abwiechen: die Beschaffenheit einer jeden Streit=Frage recht untersuchen und prüfen, ob sie den Grund des Glaubens betreffe; oder nicht. Könnten sie sich nicht in allem vergleichen, so solte doch nur ein brüderlicher Friede und Einigkeit und mutua tolerantia, daß ein Theil den andern dultete, gestiftet werden«,
fasst nahezu 60 Jahre später Johann Georg Walch in seiner Einleitung in die Religions=Streitigkeiten das Ziel des Kasseler Kolloquiums zusammen11. Tatsächlich kommen die gemäßigt-lutherischen und reformierten Teilnehmer in den meisten besprochenen Punkten zu einem Konsens12 , wozu Walch mit unverkennbar kritischem Unterton anmerkt: vorbehaltsfreies friedliches Abkommen zwischen Lutheranern und Reformierten getroffen worden war« (ders., Dogmengeschichte des Protestantismus Bd. IV, S. 460). »So aber hat sich in Kassel das rein praktische Ideal einer gegenseitigen Toleranz durchgesetzt, das die deutschen Reformierten schon längst vertreten und das sich nun auch die heterodoxen Lutheraner von der Helmstädter Richtung in Rinteln offen angeeignet hatten« (ebd.). 11 Johann Georg Walch, Historische und Theologische Einleitung in die Religions= Streitigkeiten Der Evangelisch=Lutherischen Kirchen, Von der Reformation an bis auf ietzige Zeiten, Theil 1, Jena ( Johann Meyer) 1730, S. 286. Die zitierte Passage stellt noch einmal ein eindrückliches Beispiel der auf lutherischer Seite noch im 18. Jahrhundert gebräuchlichen und in der Orthodoxie geprägten Terminologie dar. 12 A.a.O., S. 287–293. Dies bezeugt auch die von den teilnehmenden Theologen und Räten herausgegebene Brevis Relatio Colloquii Authoritate Serenißimi Celsißimique Principis ac Domini, Domini WILHELMI Hassiae Landgravij, Principis Hersfeldiae, Comitis Cattimeliboci, Deciae, Ziegenhainae, Niddae & Schaumburgi & c. Principis ac Domini nostri clementissimi, Inter Theologos quosdam Marpurgenses & Rintelenses, Celsitudinis suae mandato convocatos, Cassellis die 1. Julii & aliquot seqq. habiti. Una cum concluso eorundem Theologorum, Kassel (Salomon Schadewitz) 1661. Strittig blieben die Lehren vom Abendmahl, von der Prädestination, von der Person Christi und von der Taufe; zu diesen vier Lehrkomplexen, in denen auch durch das Gespräch keine Einigung erlangt werden konnte, vgl. a.a.O., S. 9–11, 17. Dazu merkt Wallmann an: »Das Kasseler Gespräch [. . .] zeigt übrigens, wie unberechtigt der orthodoxe Vorwurf war, Calixt habe eine ›Religionsmengerei‹ und einen ›Mischmasch von allerley Religionen‹ betrieben. Die innerprotestantischen Lehrgegensätze wurden keineswegs aus der Welt geräumt. [. . .] Die Helmstedter Schule hat also den Prozeß der Konfessionsbildung keineswegs gestoppt, sondern eher vorangetrieben. Doch man endete in Kassel nicht mehr bei dem ›ihr habt einen anderen Geist‹, sondern stellte Einigkeit im Fundament des Heilsglaubens fest, konnte in den strittigen Punkten keinen Grund zur gegenseitigen Verketzerung mehr sehen und vereinbarte untereinander brüderliche Duldung« (ders., Zwischen Reformation und Humansimus, in: ders., Theologie und Frömmigkeit, S. 79). Man beachte die Akzentverschiebung in Hans Leubes Beurteilung des Religionsgesprächs: Letztlich sei das Gespräch von Kassel zu Ende gegangen, ohne dass wesentliche Erfolge oder Fortschritte erzielt worden seien; »[d]enn wenn die Anerkennung, daß kein Fundamentalunterschied zwischen den beiden evangelischen Konfessionen besteht, nicht zur Beseitigung der konfessionellen Schranken und zur Gründung einer evangelischen Kirche führte, dann war in Wirklichkeit wenig gewonnen. Die Worte, die über die im Grund bestehende Einigkeit und die gegenseitige Duldung und Anerkennung [. . .] gesprochen wurden, blieben eben nur Worte, die durch die tatsächlich bestehende Trennung in ihrer Wirkung sehr abgeschwächt wurden. Die Beschlüsse zeigen, daß auf dem Kasseler Religionsge-
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»Nachdem man auf solche Weise vermeynt, man käme in den Stücken, die den Grund des Glaubens und der Seeligkeit betreffen, überein, so hat man sich beyderseits dahin vergliechen, es solte kein Theil den andern wegen der ausgesetzten streitigen Puncten durchziehen, schmähen, oder verdammen; sondern einander hertzlich und brüderlich lieben und sich dahin disponiren lassen, einander vor wahre Gliedmaßen der Kirchen, Glaubens=Genoßen und Mit=Erben des ewigen Lebens zu halten«13.
Doch es konnte natürlich nicht lange dauern, bis ein Religionsgespräch mit derartig positivem Ergebnis, das zudem unmittelbar nach dem Abschluss des Kolloquiums in der Brevis Relatio Colloquii14 der Öffentlichkeit bekannt gemacht wurde, den Unwillen vor allem orthodoxer Lutheraner auf sich zog, der sich dann auch literarisch niederschlagen musste. Den Anfang machte die theologische Fakultät Wittenberg und eröffnete damit eine umfassende literarische Kontroverse, die zu vielen Schriften und Gegenschriften Anlass bot15. Dabei sei im Rahmen dieser terminologiegeschichtlichen Untersuchung nur exemplarisch darauf hingewiesen, dass sich die an dem Religionsgespräch beteiligenden Theologen und Räte in der von Calov wiedergegebenen deutschen Übersetzung ihrer Brevis Relatio Colloquii des Begriffs »Evangelische« bedienen und ihn integrativ verwenden16 . Dieser Verwendung von »Evangelische« als Integrationsbegriff begegnen wiederum die Wittenberger Theologen in ihrer Succincta Epicrisis folgendermaßen: »Evangelicorum nomen falso sibi arrogant, qui Zwinglii & Calivini partes seqvuntur; qui ab Augustana Confessione, verum & aeternum Evangelium complectente, ejusque Professoribus, cum illa Anno MDXXX. invictissimo Imperatori Carolo V. in Comitiis Imperii exhiberetur, peculiari Professione Fidei se separarunt, ac tum in aliis conventispräch die beiden evangelischen Konfessionen einander nicht näher gekommen sind« (ders., Kalvinismus und Luthertum, S. 316). 13 Walch, Einleitung in die Religions=Streitigkeiten, S. 293. 14 S. o. Anm. 12. 15 Vgl. zu der durch das Kasseler Religionsgespräch ausgelösten Kontroverse und dem in ihrem Zusammenhang herausgebrachten Schrifttum Walch, Einleitung in die Religions= Streitigkeiten, S. 294–304. Auch Calovs HISTORIA SYNCRETISTICA befasst sich in ihrem sechsten Kapitel, das die Überschrift »Von dem Rintelischen Syncretismo« trägt (a.a.O., S. 609), mit den durch jenes Kolloquium losgetretenen Streitigkeiten besonders zwischen orthodoxen und in der Tradition Calixts stehenden lutherischen Theologen, wobei die einschlägigen Gutachten beider Seiten mit abgedruckt werden (s. a.a.O., S. 611–855). 16 Vgl. dazu Kurtzer Bericht Von dem COLLOQUIO, So auff Anordnung Des Durchleuchtigsten/ Hochgebohrnen Fürsten und Herren/ Herrn Wilhelmi/ Land=Graffen zu Hessen/ Fürsten zu Herßfeld/ Graffen zu Catzenelenbogen/ Dietz/ Ziegenhain/ Nidda/ und Schaumburg etc. Unsers Gnädigsten Fürsten und Herren/ Zwischen Etlichen Theologen von Marpurg und Rinteln/ Die auff Seiner Fürstl. Durchleuchtigkeit Befehl zusammen beruffen worden/ zu Cassel am 1. Julii/ und etlichen andern nachfolgenden Tagen gehalten/ Nebst dem Schluß derselben Theologen, Kassel (Salomon Schadewitz) 1661, in: Calov, HISTORIA SYNCRETISTICA , S. 634–647; zur genannten Begriffsnutzung s. S. 635 f. Dieser integrative Begriffsgebrauch in der deutschen Übersetzung stimmt mit dem des lateinischen Originals überein; vgl. dazu Brevis Relatio Colloquii, S. 3–5.
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bus, & Colloquiis, tum etiam Comitiis Imperii nequicquam Augustanae Confessionis Societatem affectarunt, adeoque ob dissensum in quibusdam articulis fidei constanter ab eadem exclusi, nec unquam a sinceris Augustanae Confessionis invariatae Professoribus pro sociis ejusdem habiti sunt. [. . .] Ideoque non possunt communi Evangelicorum nomine, juxta cum Augustanae Confessionis Doctoribus Calviniani, quos ita discretionis causa appellamus, comprehendi«17.
Es ergibt sich terminologisch somit ein gewohntes Bild, das dennoch eine genauere Betrachtung wert ist. Von orthodox-lutherischer Seite wird hier schließlich eine Begriffl ichkeit verwendet, die zwar schon aus den Werken Hoes, 17 De SYNCRETISMO RINTELIO-MARPURGENSIUM FACULTATIS THEOLOGICAE WITEBERGENSIS SUCCINCTA EPICRISIS, S. 2. Zählt man die enthaltenen Vorworte mit, ist die SUCCINCTA EPICRISIS mit eigener Paginierung als fünfte und letzte Schrift enthalten in: EPICRISIS FACULTATIS THEOLOGICAE IN ACADEMIA ELECTORALI WITTEBERGENSI DE COLLOQUIO CASSELLANO RINTELIO-MARPURGENSIUM Anno MDCLXI.
Mense Julio instituto, & Syncretismo ibidem sancito, Superiori anno cum Collegiis Facultatum Theologicarum, & Ministeriorum Ecclesiasticorum in Germania, & extra eandem fraterne communicata, & ab iisdem approbata, nunc primum ob causas, in praefatione adductas, luci publicae exposita, Wittenberg (Tobias Mevius u. a.) 1663. Calov, HISTORIA SYNCRETISTICA , S. 611–731 bietet eine vollständige Übersetzung der EPICRISIS FACULTATIS THEOLOGICAE unter dem Titel: Der Theologischen Facultät bey der Chur=Fürstlichen Sächsischen Universität Wittenberg Bedencken/ Uber dem Casselischen Colloquio, so zwischen denen Rintelischen und Marpurgischen Theologen/ im Jahr Christi 1661. im Heu-Monath angestellet/ Wie auch über dem Syncretismo, der daselbsten auffgerichtet worden. Welches im Jahr 1662. etlichen Collegiis unterschiedener Theologischen Facultäten und Ministerien in und ausser Teutsch=Land/ brüderlich zugeschicket/ und von denselben approbiret ist. Das Werk erschien in Wittenberg (Tobias Mevius u. a.) 1663; Calov verschweigt Erscheinungsort und -jahr der Übersetzung. In dieser von Calov in seiner HISTORIA SYNCRETISTICA abgedruckten deutschen Übersetzung der EPICRISIS FACULTATIS THEOLOGICAE ist selbstverständlich – neben der bereits angeführten Übertragung der Brevis Relatio Colloquii ins Deutsche (s. o. Anm. 611) – auch die Übersetzung der SUCCINCTA EPICRISIS enthalten, und zwar als fünfte und letzte Schrift, da die Reihenfolge des lateinischen Originals beibehalten wurde; die SUCCINCTA EPICRISIS wiederum trägt den deutschen Titel: Kurtzes Bedencken Der Theologischen Facultät zu Wittenberg/ Uber Dem Casselischen Syncretismo der Rintelischen und Marpurgischen Theologen (Calov, HISTORIA SYNCRETISTICA , S. 648–731). Dort lautet die Übersetzung der zitierten lateinischen Passage: »Fälschlich aber massen sich den Nahmen der Evangelischen an die Zwinglianer und Calvinisten/ welche von der Augspurgischen Confession/ darin das wahre und ewige Evangelium begriffen/ und von deroselben Bekenner/ als sie im Jahr 1530. dem unüberwindlichsten Kayser Carolo V. auffm öffentlichen Reichs Tage übergeben würde/ durch eine besondere Confession sich getrennet/ und folgendes so wol in andern Conventen oder Versamlungen und öffentlichen Colloquiis/ wie auch in unterschiedenen Reichs=Tägen vergebens in Gemeinschafft der Augspurgischen Confession auffgenommen zu werden gesuchet/ auch also wegen ihrer Mißhelligkeit in etlichen Glaubens= Artickeln/ von der Augspurgischen Confessions=Gemeinschaft außgeschlossen/ geschweige/ daß sie jemahls vor deroselben Verwandten von rechten reinen Bekennern der ungeänderten Augspurgischen Confession/ im Geistlichen Gericht/ oder so viel die Kirchen=Lehrer betrifft/ solten erkennet worden seyn. [. . .] Darümb können sich die Calvinisten/ so wir Unterscheids halben also nennen/ keines weges unter dem Nahmen der Evangelischen/ nebens der Augsburgischen Confession zugethanen Lehrern/ begriffen werden« (Calov, HISTORIA SYNCRETISTICA , S. 649).
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Dannhauers und Reisers bekannt ist, aber hier zum ersten Mal mit einer expliziten Erklärung versehen wird: Den Reformierten sei die Bezeichnung und damit das Attribut »Evangelisch(e)« abzusprechen, weil ihre Lehre mit der der Invariata nicht zu vereinbaren sei. Die Invariata ist demnach nicht weniger als die Messlatte zur Feststellung der Evangelizität, weshalb sich auch nur diejenigen als »evangelisch« respektive »Evangelische« bezeichnen könnten, die dem Augsburger Bekenntnis, mit dem in Form der Invariata nun nicht weniger als das »verum & aeternum Evangelium« vorliege, in seiner unveränderten Fassung inhaltlich ohne Abstriche zustimmten. Während nun diese Deutung in der lutherischen Kontroversliteratur eine jahrzehntelange Tradition aufweist – anders ist der exklusive Gebrauch jener Bezeichnung in den Schriften der bereits genannten lutherischen Theologen wohl nicht zu begründen –, wird sie nun als bemerkenswertes Zeugnis lutherisch-orthodoxen Selbstverständnisses und der Stellung der Invariata unmissverständlich von offi zieller Seite dem Gegenüber vor Augen gestellt. Auf der Gegenseite wird die ohnehin sowohl in der lutherischen als auch in der reformierten Literatur oftmals belegte Integrationskraft des Terminus Evangelische bzw. Evangelici von den Beteiligten des aus ihrer Sicht höchst erfolgreichen Kasseler Religionsgesprächs im Vergleich zu den bis hierhin analysierten Quellen noch einmal dadurch in besonderem Maße herausgestrichen, dass sie in einem Dokument zum Einsatz kommt, das von lutherischen, wenn auch gemäßigten, und reformierten Theologen gemeinsam erarbeitet und unterzeichnet wurde. Damit ist selbstverständlich nicht gesagt, dass dies in der Brevis Relatio Colloquii zum ersten Mal überhaupt der Fall ist. Aber es bleibt festzuhalten, dass in keiner der untersuchten Schriften der integrative Charakter des Begriffs einem derartigen Zusammengehörigkeitsgefühl von Gliedern beider Konfessionskirchentümer und dem daraus resultierenden praktischen Zusammenwirken Ausdruck verliehen hat. 1.2. Heinrich Martin Eckards Weniges/ kurtzes und wolmeinendliches Bedencken, seine Terminologie und ihre Gegner Nun habe man aber trotz der gleichermaßen entschlossenen und berechtigten Gegenwehr des orthodoxen Luthertums feststellen müssen, »daß die Theologen zu Rinteln das Werck noch weiter forttreiben und noch andere Kirchen auf ihre Seite bringen wolten, auch D. Heinrich Martinus Eccardus, Professor zu Rinteln [. . .], den Casselischen Syncretismum zu vertheidigen, sich unterstanden«, empört sich Walch18 . In der Tat veröffentlicht der ebenfalls an der Universität Rinteln tätige Calixt-Schüler Heinrich Martin Eckard schon 1662 sein im Hin-
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Walch, Einleitung in die Religions=Streitigkeiten, S. 295.
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blick auf die Vorgänge von Kassel apologetisches Weniges/ kurtzes und wolmeinendliches Bedencken19. Die Angriffe der lutherischen Kritiker auf das Verhalten der Rintelschen Theologen pariert Eckard mit einem Gegenangriff; denn aus ihrem untragbaren Verhalten sei klar ersichtlich, »wie unChristlich und unverantwortlich die jenigen handeln/ welche nicht allein zu Christlichem Fried und Einigkeit weder Lust haben noch Gedancken drauff wenden/ sondern auch überdas dieselbe/ welche nach ihrem Gewissen ohne Abbruch der Warheit unvorgreifl iche Mittel und Wege fürschlagen/ schmehen/ verketzern und verdammen/ ja wenn etliche von Fried und Einigkeit nur sagen hören/ so erzittern sie alsbald dafür/ und machen davon so ein groß Geschrey und Lerm/ gleich als wolt Himmel und Erde einfallen. Solche Zeloten und hitzige Leute werdens an jenem Tage gewiß schwer zuverantworten haben/ und wird ihnen gar nicht helffen/ daß sie in dieser Welt ins gemein für hochgelahrte Leute sind gehalten worden/ auch ihnen selbst grosse Wissenschafft und Geschickligkeit/ ja wol gar eine infallibilität und daß sie nicht irren könten/ eingebildet« 20.
Eckard kann die u. a. aus Wittenberg verlautende Kritik am Kasseler Religionsgespräch als unchristlich abqualifi zieren, da er in dem Streben nach Auf hebung der Spaltung zwischen den zerstrittenen Kirchentümern nicht weniger als den Willen Gottes erkennt: So »haben die Christen hohe Ursach/ ist auch Gottes ernster Wille und Befehl/ daß sie/ sonderlich die es Amts halben zuthun schuldig/ und so viel Wissenschafft und Verstand haben/ daß sie es thun können auff Mittel und Wege gedencken/ wie diß grosse Unheil gestillet/ und die höchstschädliche ärgerliche Trennungen auffgehoben werden mögen« 21.
Für ihn besteht dementsprechend »kein Zweiffel/ daß nicht allein Spaltungen und Trennungen in der Christlichen Kirche anrichten/ sondern auch Anlaß und Ursach dazu geben/ daß solche continuiret und fort gepfl antzet/ ja nach und nach vermehret und erweitert werden/ eine überauß grosse Sünde sey. Denn dadurch wird [. . .] die Christliche Liebe und Einigkeit/ welche den 19 Heinrich Martin Eckard, Weniges/ kurtzes und wolmeinendliches Bedencken über Das Theologische Gespräch/ welches vor anderthalb Jahren zu Cassel gehalten worden/ darneben auch zuförderst von den Trennungen der Christlichen Kirchen/ und wie etwa solchen fürzukommen und abzuhelffen/ gehandelt wird Dem Gemeinen Mann zur Nach= und Unterricht hervorgegeben erstlich, Rinteln (Peter Lucius) 1662. Eckard (1615–1669) erwarb 1644 in Helmstedt die Magisterwürde und wurde, 1645 noch zum Professor für Mathematik und Philosophie an die Universität Rinteln berufen, ebendort – nach seiner Promotion zum Doktor der Theologie unter Georg Calixt in Helmstedt – ab 1650 Professor der Theologie. 1665 ging er nach Alfeld/Leine, wo er bis zu seinem Tode als Pfarrer und Generalsuperintendent wirkte. Über sein Leben und Werk informiert der Artikel Eckard (Heinrich Martin), in: Jöcher, Allgemeines Gelehrten=Lexicon. Fortsetzungen und Ergänzungen von Johann Christoph Adelung 2 (1787), Sp. 821 f. 20 Eckard, Weniges/ kurtzes und wolmeinendliches Bedencken, S. 7 f. 21 A.a.O., S. 7.
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Christen in Gottes Wort/ nicht weniger als der Glaube an Gottes Verheissungen bey Verlust ihrer Seeligkeit hart eingebunden und gebotten/ gantz aufgehoben und in Haß und Feindschafft verwandelt. [. . .] Hingegen wenn die Christen einander nicht lieben/ welches denn geschicht/ wenn Trennungen unter ihnen sind/ so verliehren sie auch die Eygenschafft eines wahren Christen/ und alle die in solchem unverantwortlichen Haß und Feindschafft leben/ sind für keine Jünger Christi und wahre Gliedmassen der Christlichen Kirchen zu halten« 22 .
Damit identifi ziert Eckard letztlich jedwede Kritik und Verurteilung dessen, was seine Kollegen und auch die anwesenden reformierten Theologen in Kassel 1661 taten und ernsthaft bestrebt waren zu erreichen, als Sünde, die den sie begehenden Sünder aus der Gemeinschaft der wahren Kirche Christi herauskatapultiert – eine schärfere Kritik am Verhalten der Wittenberger Lutheraner ist auf theologischer Ebene wohl kaum denkbar. Dem Willen Gottes entsprechend zu handeln, bedeute nun freilich nicht, um jeden Preis eine irgendwie geartete Einigkeit bei Aufgabe des eigenen Profi ls und Selbstbewusstseins herzustellen; im Gegenteil: Eckard unterstreicht, »daß man auff hiesiger Vniversität zu Rinteln durch obgedachtes Theologisches Gespräch zu Cassel der unveränderten Augspurgischen Confession im geringsten keinen Abbruch gethan/ noch etwas wider der Evangelischen Luth. Theologen einhelligen Consens und Meinung begangen und zugelasssen« 23. Weil nun aber »auch der zeitliche Friede ohne diesen Kirchen=Frieden keinen Beystand hat«, sei die Einberufung des Kasseler Kolloquiums durch Wilhelm VI. »höchlich zu rühmen« 24. Dabei habe man gehofft, »nechst Göttliche[r] Verleihung/ durch moderation und Sanfftmuht/ welche Gottes Wort gemeß ist/ bey den Reformirten mehr außzurichten/ als mancher hitziger Mensch mit seinem verketzern. Denn wir tragen groß Bedencken solche Irrthümer/ ob sie schon nicht gering sind/ welche auff keinem Concilio jemals verdammet worden/ als Ketzerey zuerklären« 25.
Denn trotz der nicht zu leugnenden und keinesfalls geringen Irrtümer, die auf reformierter Seite beständen, »irreten die Reformirten nicht in fundamento, das ist/ die Irrthümer/ welchen sie noch zugethan/ hüben den Christlichen Glauben/ dadurch man seelig werden muß/ nicht auff/ und weren nicht also beschaffen/ daß man ihnen deßwegen alle Christliche Liebe versagen und sie als Ketzer zur Hellen zuweisen«
müsse26 . Somit erklärt der Schüler Calixts im Namen der theologischen Fakultät der Universität Rinteln: 22
A.a.O., S. 5 f. A.a.O., S. 4. 24 A.a.O., S. 15 f. 25 A.a.O., S. 17. Hier ist Eckards Abhängigkeit von Georg Calixt und seinem ihm eigenen Traditionalismus gleichsam mit Händen greif bar. 26 Ebd. 23
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»Ob es nun wol bey dieser Streitigkeit im H. Abendmahl/ welche Anno 1529. im Marpurgischen Colloquio allein übrig war/ nicht geblieben/ sondern derselben nach der Zeit auch in andern Artickel noch mehr gefolget/ so sind dennoch die dazu gekommene Irrthüme ingesampt/ welche den Reformirten beygemessen werden/ nach unserer Theologen einhelligen Meinung/ niemals dafür gehalten worden/ daß selbige den Christlichen Glauben auff heben solten/ und die dabey erzogene Christen schlechter Dinge nicht selig werden könten: Ja es unterstehen sich auch nicht einmal die Papisten/ denen Reformirten, so auß Unwissenheit und nicht vorsetzlich irren/ die Seeligkeit abzusprechen« 27.
Gerade im Gegenüber zur ihre christliche Pfl icht zum Frieden vergessenden altgläubigen Partei sei es »höchstnöthig/ daß man an protestirender Seite/ als welcher die Christliche Reformation der Kirchen durch sonderbahre Göttliche Verleihung nicht übel gelungen/ umb die Christliche Einigkeit sich eusserst bemühe/ absonderlich weil unter ihr stracks im Anfang der Reformation durchs Teuffels List eine Zwispalt entstanden/ und/ leider! noch wäret/ welches den Evangelischen Lutherischen und Reformirten Kirchen nicht ein geringer Schandfleck ist/ und dem Widerpart die Reformation zu Lästern Anlaß und Gelegenheit giebet« 28 .
Eben wegen der durch die Machenschaften des Teufels schon früh entstandenen Spaltung der »protestirende[n] Seite«, die dem gemeinsamen Feind, nämlich der Papstkirche, nur Anlass zu Spott und Hohn gebe, hätten »die Protestirende hohe Ursach [. . .]/ zu erst und für allen Dingen solchen Mackel abzuwischen/ und dadurch den Lästerern das Maul zustopffen/ ja dieselben durch ihre gute Exempel zu dergleichen Friedens=Gedancken zubewegen«29. Damit macht es Eckard den aus der Reformation hervorgegangenen Kirchentümern, d. h. »den Evangelischen Lutherischen und Reformirten Kirchen« zur Pfl icht, das unsägliche Teufelswerk der Trennung zu beseitigen, dadurch dem Spott der Altgläubigen durch vorbildliches Verhalten ein Ende zu setzen und dabei nicht weniger zu tun als den Willen Gottes. Nur so könne eine Restitution des Urzustandes der evangelischen Kirchen erreicht werden, in dem man dereinst in Eintracht und Brüderlichkeit dem göttlichen Willen gemäß durch göttliche Fügung »die Christliche Reformation der Kirchen« so wirkungsvoll ins Werk gesetzt habe. Diese ursprüngliche, aber traurigerweise in Eckards Gegenwart nicht mehr bestehende und daher dringend wieder herzustellende »Christliche Einigkeit« wird von ihm nicht nur literarisch, durch den bloßen Wortlaut des Texts herausgestellt und angemahnt, sondern auch terminologisch: Nicht ohne Grund verwendet der gemäßigte, fest auf dem Boden der Theologie seines Lehrers Georg Calixt stehende und auf Vermittlung bedachte lutherische Theologe den bisher auf lutherischer Seite ausnahmslos exklusiv zur Selbstbezeichnung ver27 28 29
A.a.O., S. 24. A.a.O., S. 9. Ebd.
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wendeten Begriff »Protestirende« ausgerechnet in der obigen Passage seines Wenige[n]/ kurtze[n] und wolmeinendliche[n] Bedencken[s] integrativ. Die Bedeutung dieses integrativen Gebrauchs wird dabei nicht zuletzt dadurch untermauert, dass jener Terminus sonst nirgendwo in der vorliegenden Schrift Eckards auftaucht; als er jedoch Pfl icht und Ziel der lutherischen und reformierten Konfessionskirchentümer formuliert, greift Eckard, der sich mit seiner gesamten Fakultät offen zur CA invariata bekennt, auf den einst auf reformierter Seite geprägten Integrationsbegriff »Protestirende« zurück und nutzt ihn gleichsam als terminologischen Verstärker seiner irenischen Programmatik. Wie alle bisher untersuchten Schriften, deren Verfasser sich einem irenischen Ziel verpfl ichtet fühlten, so hat auch das im Wenige[n]/ kurtze[n] und wolmeinendliche[n] Bedencken zum Ausdruck kommende irenische Bestreben Eckards, wie die angeführten Zitate anschaulich machen, eine höchst polemische Seite. Diejenigen nun, gegen deren von Eckard als unchristlich und sündhaft disqualifi ziertes Verhalten sich die Polemik des in Rinteln tätigen Theologen richtet, haben sich dann auch prompt angesprochen gefühlt und ihrerseits mit entsprechenden Entgegnungen nicht lange auf sich warten lassen: So richtet sich Jakob Tentzel mit der Wittenberger theologischen Fakultät im Rücken mit seinem Kurtze[n] Bericht Von Dem Kirchen=Frieden30 gezielt gegen Eckards soeben untersuchtes Werk. Dabei kommt Tentzel auch auf die zitierte Passage des Wenige[n]/ kurtze[n] und wolmeinendliche[n] Bedencken[s] zu sprechen, in der der Terminus Protestierende integrativ verwendet wird, indem er sie und mit ihr Eckards Integrationsbegriff zitiert. Bei einem bloßen Zitat jener Passage bleibt es aber freilich nicht; vielmehr ist sie in Tentzles Augen auch terminologisch so brisant, dass er sich zur Korrektur gezwungen sieht. Grundsätzlich stellt er fest: »Nun ist unter uns niemand der da leugne/ daß man Ursach habe ümb die Christliche Einigkeit sich eusserst zu bemühen/ und dadurch den Lästerern das Maul zu stopffen: Daß aber solte hier bewiesen werden/ daß die tolerantz falscher Lehrer das Mittel sey/ dadurch Christliche Einigkeit zu erlangen/ welches doch keines weges aus diesem Grunde folget. Zu dem so kan nicht gebilliget werden/ daß in demselben das Bedencken von der Reformation so wohl der Reformirten als der Lutherischen ohne Unterscheid saget/ daß dieselbe durch sonderbahre göttliche Verleihung nicht übel gelungen sey« 31. 30 Jakob Tentzel, Kurtzer Bericht Von Dem Kirchen=Frieden der Lutherischen mit den Calvinischen Irrthümern und derselben fürsetzlichen Verthädigern/ Denen Einfältigen zu Nutz gestellet Und Mit approbation der Hochlöblichen Theologischen Facultät zu Wittenberg zum Druck gegeben, Wittenberg (Michael Wendt) 1663. Tentzel (1630–1685) wirkte nach seiner Promotion zum Doktor der Theologie als Superintendent in Arnstadt, während er ihm angetragene theologische Professuren in Wittenberg, Königsberg und Jena ausschlug [vgl. dazu den Art. TENTZEL ( Jacobus), in: Jöcher, Allgemeines Gelehrten=Lexicon 4 (1751), Sp. 1056 f.]. 31 Tentzel, Kurtzer Bericht Von Dem Kirchen=Frieden, S. 19.
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Ganz im Gegenteil: Die seelenverderbenden Irrtümer der Calvinisten und die durch ihr Verschulden eingetretene Spaltung der Kirche »rühren keines weges von Gotte her« 32 . Nun wird es auch terminologisch interessant: Denn mit Blick auf Eckards Begriffl ichkeit erklärt Tentzel, es sei nicht tragbar, »daß denen Reformirten so wohl als den Lutherischen Kirchen der Titel Evangelisch/ gegeben wird«; vielmehr sei erstgenannten diese Bezeichnung wegen ihrer sehr wohl die Grundfesten des christlichen Glaubens berührenden Irrtümer konsequent abzusprechen 33. Für ihn steht unverrückbar fest: Nur eine Partei verdiene das Prädikat »evangelisch«, nämlich die »wahren Evangelischen Lutherischen Kirchen«34. Auf Eckards integrative Nutzung von Protestierende kommt Tentzel hingegen nicht kritisch zu sprechen, obgleich er sie durchaus zur Kenntnis genommen hat, wie der letzte Teil seiner die entsprechende Stelle des Wenige[n]/ kurtze[n] und wolmeinendliche[n] Bedencken[s] betreffenden Äußerung klar macht. Überhaupt verwendet er jenen Terminus in seinem Kurtze[n] Bericht Von Dem Kirchen=Frieden nicht ein einziges Mal. Diese Tatsache kann verschiedene Gründe haben: Möglicherweise überwiegt für ihn die Bedeutung des Prädikats »evangelisch« und des damit verbundenen Selbstverständnisses, weshalb es ihm wichtiger erscheint, genau in dieser terminologischen Beziehung für klare Verhältnisse zu sorgen, als sich mit der integrativen Interpretation der Bezeichnung Protestierende auseinanderzusetzen. Vielleicht ist er sich aber auch der seit 1648 herrschenden Problematik der Begriffsdeutung bewusst, die ohne Zweifel auch noch einmal dadurch verstärkt und verdeutlicht wird, dass nun schon sich zur Invariata bekennende und durchaus profi lierte Lutheraner beginnen, jenes Wort als Sammelbezeichnung für sich und die Reformierten zu verwenden, weshalb er den Gebrauch jenes doch immer schwerer zu fassenden Terminus konsequent vermeidet und sich auf eine andere Selbstbezeichnung kapriziert, die gerade theologisch nicht minder aussagekräftig ist. Was nun auch immer Tentzels Motiv für die Vermeidung des Begriffs Protestierende bzw. Protestanten oder doch zumindest der kritischen Auseinandersetzung mit Eckards integrativer Nutzung dieses Terminus war, eines steht fest: Der Standpunkt, den er gegenüber den Reformierten vertritt und mit dem er im orthodoxen Luthertum bei weitem nicht allein steht, macht einem Mann wie Tentzel den integrativen Begriffsgebrauch unmöglich, was letztlich auch die Analyse der anderen aus orthodox-lutherischer Feder stammenden Quellen gezeigt hat 35. 32
A.a.O., S. 20. Ebd. 34 Ebd. 35 Tentzels Gegenschrift gegen Eckards Weniges/ kurtzes und wolmeinendliches Bedencken lässt dieser wiederum nicht unbeantwortet, sondern verfasst eine Schrift mit folgendem Titel: Abgenöthigte kurze/ aber doch gründliche Verthädigung Seines Bedenckens So über 33
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Dass man dem Augsburger Bekenntnis auf Seiten der Rintelner Theologen während des Religionsgesprächs zu Kassel und durch dasselbe keinen Abbruch getan habe und sich damit letztlich im Lehrkonsens mit allen lutherischen Theologen wisse, dass man in den Fundamentalartikeln jedoch mit den Reformierten einig sei und die Lehrpunkte, die nach wie vor strittig blieben, eben nicht als fundamental anzusehen seien, »solches alles hat weder Lutherus, weder Philippus, so damahls noch rechtschaffen gewesen/ noch Brentius, weder die gantze Theologische Facultät zu Wittenberg; weder das Concordien=Buch; weder die Theologen zu Leipzig/ noch einiger anderer warhafftiger Lutherischer Theologus jemals eingeräumet biß auff diese Stunde. Es haben es die Hochlöblichen Evangelischen Stände weder zu Augspurg/ da sie die Confession übergeben/ weder zu Schmalkalden/ noch zu Naumburg/ noch auff dem Reichstage zu Regensburg/ und andern Reichstägen/ noch auff dem Convent zu Leipzig/ noch in dem Oßnabrück= und Münsterischen Friedens=Schluß eingeräumet«,
führt nun Christian Chemnitz in seinem ebenfalls gegen Eckards Weniges/ kurtzes und wolmeinendliches Bedencken gerichteten Vertheidigte[n] Grund des Glaubens aus36 . Und weiter heißt es, Luther selbst habe »beständig biß in seinen Todt/ der Zwinglianer Lehr verworffen/ und sind solche niemals vor Brüder angenommen worden« 37. Daher sei es historische Tatsache, dass »von Anfang der Reformation her/ denen Zwinglianern/ Calvinisten oder Reformirten« die Übereinstimmung in den für den christlichen Glauben fundamentalen Lehren, d. h. »im Grunde des Das Theologische Gespräch/ welches vor zwey Jahren zu Cassel gehalten worden/ den einfältigen Christen zur Nach= und Unterricht im verwichenen Jahr hervorgegeben und anjetzo wiederholet/ Wider einen Wittenbergischen ungleichen Bericht/ Welchen Doct. Jacobus Tentzel Superintendens zu Greüssen gestellet/ und die Theologische Facultet zu Wittenberg approbiret hat/ Vom Kirchen=Frieden Zwischen den Evangelischen Lutherischen und Reformirten, Rinteln (Peter Lucius) 1663. Zwar zitiert Eckard darin die terminologiegeschichtlich bedeutende Passage auf S. 9 seines Wenige[n]/ kurtze[n] und wolmeinendliche[n] Bedencken[s], in der er den Begriff Protestierende integrativ verwendet (vgl. ders., Abgenöthigte kurze/ aber doch gründliche Verthädigung, S. 23 f.), doch taucht jener Terminus außerhalb dieses Zitats nicht mehr auf. 36 Christian Chemnitz, Vertheidigter Grund des Glaubens und der Seligkeit/ Oder Bericht und Antwort/ Auff Henrici Martini Eccarti, Theologiae Doctoris und Professoris zu Rinteln/ Weniges/ kurtzes und wohlmeinentliches Bedencken/ über das Theologische Gespräch/ Anno M.DC.LXI. zu Cassel gehalten. Darinnen erwiesen und dargethan: Daß der Calvinisten Lehre neben demselbigen nicht bestehen/ noch zwischen der Lutheraner und ihrer Lehre/ unverletzt der Göttlichen Warheit/ ein Religions=Syncretismus geschlossen werden könne: Auch was zu dessen Behauptung angeführet/ beantwortet wird; Auff sonderbaren Fürstlichen Gnädigsten Befehl/ Zur wahren Nachricht und Vertheidigung der Seligmachenden/ in Gottes Wort gegründeten/ und in denen Libris Symbolicis wiederholeten/ reinen Lehre/ Verfertiget, Jena ( Johann Nisius) 1664. Nach seiner Tätigkeit als Rektor der Stadtschule zu Jena wirkte Christian Chemnitz (1615–1666) dort als Pfarrer und Professor der Theologie, ab 1654 schließlich auch als Superintendent [s. zu ihm den Art. CHEMNITIUS (Christian), in: Jöcher, Allgemeines Gelehrten=Lexicon 1 (1750), Sp. 1861 f.]. 37 Chemnitz, Vertheidigter Grund des Glaubens, S. 35.
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seligmachenden Glaubens/ und der Seligkeit/ mit denen Lutheranern/ in der Lehre«, niemals zugestanden worden sei; vielmehr habe man sie von orthodoxer, also lutherischer Seite beständig ermahnt, »[d]aß sie ihre Irrthüme Gott zu Ehren ablegen/ die Wahrheit der Schrifft annhemen/ und also eine rechte/ wahre beständige Einigkeit mit uns treffen solten«38 . So ist zur Abgrenzung von den Reformierten, »dafür Gott ewig Danck sey/ Anno 1580. heraus kommen das Christliche Concordien Buch/ in welchem alle Calvinisterey von denen Lutheranern frey öffentlich verworffen worden«39. Dementsprechend attestiere auch das IPO: »Daß die Protestierenden nunmehr in zweyen Theilen bestehen/ und daß solche zwey Theil der Protestirenden in der Lehre nicht einig/ sondern die Streitigkeiten zwischen Ihnen zu zukünfftiger Vergleichung ausgesetzet weren; Und aber solch Werck/ nemlich die Vergleichung der beyden Protestirenden Theile/ die gantze Evangelische Lutherische Lehre und Kirche angehet/ so hat biß anhero kein einziger Theologus [. . .] sich unterstanden«,
sich einer deratig wichtigen und letztlich »die Seeligmachende Wahrheit/ Libros Symbolicos, und der gantzen Lutherischen Christenheit Ruhe/ Heil und Wolfarth« betreffenden Aufgabe im Bewusstsein ihrer schwerlich zu überbietenden Bedeutung im Alleingang, ohne auch nur die geringste vorherige Abstimmung mit seinen Kollegen, anzunehmen40. Die damit an die Adresse der Rintelner Theologen wegen ihres nach Chemnitz nicht tragbaren Verhaltens gerichtete Kritik ist unverkennbar. Ebenso unverkennbar ist aber auch, dass mit seinem Vertheidigte[n] Grund des Glaubens im Kontext dieser Untersuchung das erste kontroverstheologische Werk vorliegt, das nicht nur durch bloße Nennung des IPO auf dasselbe Bezug nimmt. Vielmehr gibt es den Wortlaut des Friedensdokuments direkt wieder, wenn auch nicht wörtlich, sondern übersetzt und eher sinngemäß zusammengefasst, aber – und das ist entscheidend – unter Beibehaltung der dort integrativ gebrauchten Terminologie. Zur Verteidigung der orthodoxen Angriffe auf die Geschehnisse von 1661, die der Calixt-Schüler Eckard in seinem Wenige[n]/ kurtze[n] und wolmeinendliche[n] Bedencken mit bekanntlich scharfer Polemik bedenkt 41, stellt Chemnitz nachdrücklich heraus, dass man nur dem Friedensschluss von 1648 und damit dem geltenden Reichsrecht gemäß handle, wenn man die nun einmal bestehenden Differenzen zwischen Reformierten und Lutheranern betone 38
A.a.O., S. 41. A.a.O., S. 37. 40 A.a.O., S. 7. Mit seinen Hervorhebungen macht Chemnitz hier deutlich, dass sich bei der von ihm angeführten Formulierung um sinngemäße Entlehnungen aus dem Text des IPO handelt. 41 Eckards bei der Untersuchung seines Wenige[n]/ kurtze[n] und wolmeinendliche[n] Bedencken[s] herausgestellte Polemik gegen die Kritiker des Kasseler Kolloquiums wird wiederum von Chemnitz getadelt (vgl. dazu exemplarisch Chemnitz, Vertheidigter Grund des Glaubens, S. 11). 39
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und sich klar gegen Aktionen Einzelner ausspreche, die ohne Abstimmung mit der breiten Mehrheit lutherischer Theologen und Reichsstände und unter Verkennung der damit verbundenen Verantwortung für das Wohl »der gantzen Lutherischen Christenheit« durchgeführt würden. Mit einer solchen Gegenwehr, wie sie von rechtgläubiger Seite gegen das Kasseler Religionsgespräch vorgetragen worden sei, sei »nichts wider den Friedens=Schluss geschehen: Denn es stehet ja klar darinnen: Daß zwey Partes Protestantium seyen/ in § 7. darinnen von Auffnehmung der Reformirten in den Religion=Frieden gehandelt wird; welche in der Religion nicht einig: Sondern ihre Streitigkeiten zu zukünfftiger Vergleichung ausgesetzet worden«42 .
Im Anschluss an diese Formulierung gibt Chemnitz die entsprechenden Passagen des IPO, Artikel VII, § 1 auf Latein wieder und übersetzt sie dann ins Deutsche; dabei behält er als gewissenhaft arbeitender Autor auch die integrative Nutzung des Begriffs Protestantes durchgängig bei43. Dabei ist für Chemnitz nicht der entscheidende Punkt, dass der seiner Meinung nach vollkommen berechtigte Protest der Orthodoxen gegen die Vorgänge in Kassel dem Text des IPO, Artikel VII widerspreche, sondern das Religionsgespräch in seiner Durchführung als Vereinigungsvorhaben an sich: »Denn soll eine Einigkeit getroffen werden/ so muß sie ja von allen beyderseits Höchstlöblichen des H. R. Reichs Ständen fürgenommen werden/ und nicht etwa von einem Stande des Reiches alleine/ der entweder für sich/ oder durch einen und andern Theil darzu veranlasset seine Reformirte und Lutherische Theologos zusammen kommen lasse/ und auff eine und andere Masse von ihnen einen Schluß machen lasse/ der hernach für eine gemeine Regel der Lutherischen Religion solle angesehen werden. Was alle angehet/ soll auch von allen beobachtet werden; Sonst gehet es nicht«44.
Der genannte Einspruch gegen die illegitimen Annäherungsversuche der Rintelner an die Falschgläubigen sei daher »dem Religion=Frieden/ darinnen die Lutheraner auch noch viel länger gewesen/ als die Calvinisten/ und auch dem Instrumento Pacis [. . .] alles Dinges conform und gemäß«45. Es sei noch einmal wiederholt: Chemnitz’ Vertheidigter Grund des Glaubens ist die erste zur terminologischen Analyse herangezogene Quelle, die die im Hinblick auf die hier zu untersuchende Begriffl ichkeit bedeutsamen Passagen des IPO wörtlich zitiert und sinngemäß zusammenfassend übersetzt. Im Zuge dieser gewissenhaften Wiedergabe von Artikel VII, § 1 des IPO behält Chemnitz zudem die integrative Nutzung der Bezeichnung Protestantes bzw. Protestierende 42 A.a.O., S. 70; die Hervorhebungen dienen auch an dieser Stelle der Kenntlichmachung einer entlehnten Formulierung. 43 A.a.O., S. 70 f.; bis auf einige orthographische Abweichungen stimmt Chemnitz’ Zitat des Vertragstextes mit der im Rahmen dieser Arbeit herangezogenen Edition des IPO überein (s. zur genutzten Edition des IPO o. Kap. III, Anm. 3). 44 Chemnitz, Vertheidigter Grund des Glaubens, S. 71 f. 45 A.a.O., S. 71.
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bei. Er ist sich also über die Begriffsdeutung, die auf reichsrechtlicher Ebene 1648 Einzug gehalten hat, im Klaren. Daher ist es interessant zu sehen, wie er in den von ihm selbst formulierten Teilen seiner Schrift mit jener Bezeichnung umgeht. So führt er aus, 1529 hätten die der Reformation zugetanen Stände »wider den Reichs=Abschied eine öffentliche [. . .] Protestation eingewendet/ dahero sie auch die Protestirenden genennet worden«46 . Mit ihrer denkwürdigen Protestation hätten sich die sich damals ihr anschließenden Stände nicht zuletzt gegen die von den »Papisten« drohende Gefahr zur Wehr gesetzt, »daß sie [eben die Papisten, C. W.] die Zwinglianer unverhöret/ ihres Gefallens/ in die Acht thun/ und [wegen ihrer Abendmahlslehre, C. W.] verfolgen möchten«; denn dadurch, dass sie die Reformierten der altgläubigen Willkür preisgäben, »würden die Protestirende Stände [. . .] den Papisten das Schwerdt wieder sich selbst in die Hände geben«47. Als dann ein Jahr später auf dem Augsburger Reichstag die CA dem Kaiser übergeben werden sollte, hätten die Reformierten alles daran gesetzt, »daß nehmlich die Lutherschen Theologen der Protestierenden Stände/ die Zwinglianer in ihre Gesellschafft und Brüderschafft nehmen wolten/ also/ daß sie auch zu gemeiner Unterschreibung der Augspurgischen Confession, so dem Keyser von den Protestirenden übergeben werden solte/ mit zugelassen/ und angenommen werden möchten«,
was den Reformierten natürlich glücklicherweise dank der Unnachgiebigkeit der Lutheraner nicht gelungen sei48 . Trotz dieses Rückschlags hätten die Reformierten nicht nachgelassen, die »Protestirenden Lutherischen Theologen« zu umwerben, aber auf orthodoxer Seite sei man standhaft geblieben: 1531 seien »auff der zu Schmalkalden angestellten Zusammenkunfft der Protestirenden Fürsten und Städte/ die Zwinglianer zu einigem Bündnüß nicht zugelassen worden«, da sie sich nicht der lutherischen und einzig statthaften Abendmahlslehre anschließen wollten49. In Chemnitz’ Vertheidigte[m] Grund des Glaubens begegnet somit ein weiteres Beispiel für die exklusive, einzig und allein auf die Anhänger der CA invariata, also die Lutheraner angewendete Nutzung des Terminus Protestierende. Aufgrund der von Chemnitz vertretenen Haltung gegenüber dem Kasseler Kolloquium und der dortigen Vereinigung oder doch mindestens Verständigung mit den Reformierten ist das wenig überraschend. Dennoch ist das vorliegende Werk geradezu paradigmatisch im Hinblick auf die von orthodox-lutherischer Seite gebrauchte Terminologie: Trotz des Wortlautes des IPO hält der fest zur Invariata und zum Konkordienbuch stehende Chemnitz wie auch Calov oder 46 47 48 49
A.a.O., S. 26. Ebd. A.a.O., S. 29. A.a.O., S. 31.
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Botsack an der althergebrachten Verwendung von Protestierende allein als exklusive Selbstbezeichnung fest. In keiner der bisher untersuchten lutherischen Quellen ist jedoch der damit verbundene, terminologisch zum Ausdruck gebrachte Trotz so deutlich spür- und fassbar wie im Vertheidigte[n] Grund des Glaubens. Schließlich zitiert Chemnitz den Artikel VII des IPO zuverlässig unter konsequenter Beibehaltung der dort zu findenden integrativen Nutzung jener Benennung. Doch das bleibt ohne irgendeine Auswirkung auf seine eigene Begriffsdeutung. Es wirkt geradezu stur, wie er die auf lutherisch-orthodoxer Seite übliche Interpretation und den aus ihr resultierenden Gebrauch der Bezeichnung Protestierende vollkommen unbeeindruckt von irgendwelchen von ihm sogar zitierten Deutungswandlungen auf reichsrechtlicher Ebene beibehält. Dass er sich nun auch von Eckards integrativer Begriffsverwendung nicht beeinflussen lässt, obgleich er wie Tentzel auch den entsprechenden Abschnitt des Wenige[n]/ kurtze[n] und wolmeinendliche[n] Bedencken[s] nicht minder gewissenhaft als das IPO zitiert 50 und kommentiert 51, kann nicht mehr verwundern. Wie Tentzel vor ihm, so nutzt auch Chemnitz jenen Terminus in Zusammenhang mit der Kommentierung der Pfl icht- und Zielvorgabe des Rintelner Theologen erst gar nicht, sondern belässt es bei der korrigierenden Anmerkung, dass er in der Spaltung der beiden Konfessionen keinen Schandfleck für die lutherischen Kirchen erblicken könne; denn »wir sind nicht Schuld an dem Zwiespalt/ sondern die Reformirten/ welche von uns abgetreten« 52 . Auch mit seiner strikt exklusiv als Selbstbezeichnung gebrauchten Terminologie stellt sich Chemnitz in einen Traditionskontext, dem er sich offenbar zutiefst zugehörig weiß. Denn es kommt sicherlich nicht von ungefähr, dass er sich in seiner gegen die Verbrüderung mit den Reformierten gerichteten Argumentation mehrfach auf im Rahmen dieser Arbeit schon begegnete Kontroverstheologen beruft, die sich bereits Jahrzehnte vor ihm dem standhaften Kampf gegen die Annäherungsversuche der vermeintlichen Sakramentierer verpfl ichtet fühlten, nämlich auf Leonhard Hutter und vor allem Johann Georg Sigwart, deren in den Blick genommene Werke und den Diskussionskontext, dem sie sich verdankten, er offenbar gut kannte und in seiner Argumentation rezipierte53. Im Unterschied zu den beiden genannten Autoren ist Chemnitz jedoch 50
A.a.O., S. 102 f. A.a.O., S. 109 f. 52 A.a.O., S. 110. Chemnitz spielt damit auf den Streit zwischen Karlstadt und Luther an, an dem allein erstgenannter die Schuld trage und mit dem letztlich der ganze Konfl ikt seinen Anfang genommen habe (a.a.O., S. 18–23). 53 Wichtig ist eben, dass er sie nicht nur namentlich erwähnt, sondern ihre im Zuge dieser Untersuchung bereits analysierten Werke nennt und beizeiten aus ihnen zitiert, wenn auch nicht die Passagen, in denen Hutter und Sigwart den Begriff Protestantes bzw. Protestierende exklusiv verwenden (zu Hutter s. beispielsweise a.a.O., S. 5; Sigwart kommt mit seiner ADMONITIO CHRISTIANA u. a. a.a.O., S 4, 15, 54, 62 vor). Auch der Theologe, gegen den 51
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der Gruppe lutherischer Kontroverstheologen zuzuordnen, die auf den Gebrauch eines Integrationsbegriffs überhaupt verzichten 54. Dieser Verzicht ist symptomatisch für einen Mann, der sein Werk u. a. mit den Worten schließt: »Aus welchen allen denn nun schließlich erscheinet/ daß wir der Reformirten ihre Irrthüme für verdammlich und dem Grunde des seligmachenden Glaubens/ und der Seligkeit zuwider lauffende/ und wie die Vorrede des ConcordienBuchs redet/ Seelengefährlich erkennen« 55 – pointierter kann man wohl seinen Gegenstandpunkt zur stark von Calixt beeinflussten Haltung Eckards nicht ausdrücken. Entsprechend führt Chemnitz aus: »Wir erbieten uns auch mit jederman unter dem Religion=Friede/ in gutem Friede/ Christlicher Liebe und Gebet zu leben. Aber den Syncretismum können wir nicht eingehen. Denn er ist wider GOTT/ und unrecht«56 . Wie Christian Chemnitz, so verzichtet auch Johann Christoph Seld auf den Gebrauch eines Integrationsbegriffs. In seiner 1664 veröffentlichten Wohlgemeinte[n] Entdeckung57 attackiert er Eckard und seine an der theologischen FaHutter und Sigwart ihre Schriften verfassten, ist für Chemnitz kein Unbekannter; vielmehr war ihm auch der Inhalt von Pareus’ Irenicum bekannt, denn auch darauf nimmt er mehrmals Bezug, wobei er durchaus dem Irenicum entnommene Zitate anführen kann (vgl. exemplarisch a.a.O., S. 15, 126, 153, 159). 54 Auch die Bezeichnung Evangelische nutzt Chemnitz exklusiv; so spricht er des Öfteren von »Evangelischen Lutherischen« (s. z. B. a.a.O., S. 7, 11, 61, 68, 113, 130) oder »Lutherischen Evangelischen« (vgl. a.a.O., S. 9). Der exklusive Gebrauch jenes Terminus’ wird noch deutlicher a.a.O., S. 50, 71, 241 (an letztgenannter Stelle beispielsweise ordnet er das Konkordienbuch klar den Evangelischen zu). Eine Ausnahme bildet aber a.a.O., S. 14, wo eine integrative Deutung nicht in Abrede gestellt werden kann, auch wenn mit dieser Passage die einzige Stelle vorliegt, an der im Vertheidigte[n] Grund des Glaubens ein Integrationsbegriff auftaucht. 55 A.a.O., S. 275. 56 Ebd. 57 Johann Christoph Seld, Wohlgemeinte Entdeckung des Syncretistischen Abgotts und Greüels oder der Hochschädlichen Religions=Vermischung/ So im verwichenen 1661. Jahr zween Rinthelische und zween Marpurgische Theologi in die H. Stätte der Evangelischen Kirchen zu setzen/ sich unterstanden/ bestehend Theils in Anführung und Uberführung der Mängel/ so sich bey derer Collocutoren Zweck/ Personen und andern Umbständen ereignen/ Theils in Widerlegung des erdichteten und eingebildeten Fundamental-Consens oder Ubereinstimmung in den Grund=Articuln des Glaubens/ Theils in Behäuptung der Conviction oder AusDisputirung derer Reformirten/ als eines Schrifftmäßigen und wohlbewährten Mittels/ die Religions=Strittigkeiten/ zu enden/ Auf Fürstl. gnädigsten Befehl verfertiget, Altenburg ( Johann Bernhard Bauerfi nck) 1664. Seld (1612–1676) schlug mehrfach Angebote theologischer Professuren u. a. nach Dänemark und Wittenberg aus, bevor er seine Tätigkeit als Generalsuperintendent in Coburg und Professor am dortigen Gymnasium aufnahm [über sein Leben und Werk informieren in aller Kürze der Art. SELD ( Jo. Christoph), in: Jöcher, Allgemeines Gelehrten=Lexicon 4 (1751), Sp. 488 f. und etwas ausführlicher Thilo Krieg, Das geehrte und gelehrte Coburg. Ein lebensgeschichtliches Nachschlagebuch Bd. 1, Coburg 1927, S. 71–73]. Die Argumente Selds, mit denen er sich gegen das Kasseler Religionsgespräch bzw. dessen Teilnehmer und Verteidiger wendet, sind im Vergleich zu Tentzel und Chemnitz zwar ausführlicher dargelegt, aber inhaltlich, erinnert man sich an die Argumentationsstruktur der
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kultät der Universität Rinteln tätigen Kollegen wegen ihrer Haltung gegenüber den Reformierten scharf und hält ihnen vor, dass sie trotz ihres jedweder Rechtgläubigkeit spottenden Verhaltens »doch für gut Lutherisch wollten gehalten seyn/ auch ihre fetten praebenden, Salarien und intraden davon haben/ daß sie die Evangelische Lutherische Lehre fortpflantzen/ und sowohl wieder andere irrende/ als wieder die Reformirten verfechten sollten« 58 . Denn die Meinung, es bestehe auch nur irgendeine Übereinstimmung zwischen Lutheranern und Reformierten, und die daraus letztlich resultierenden Ergebnisse des Kasseler Kolloquiums kann Seld nicht gutheißen; vielmehr bemüht er sich, »wider die Rinthelischen und Marpurgischen Syncretisten zu erweisen/ theils aus ihren eignen Lehrpuncten und Bekentnüssen/ theils durch unwiedertreibliche argumenta, daß zwischen Evangelischen Lutherischen/ und denen Reformirten oder Calvinischen/ kein wahrhafftiger Consens oder Zusammenstimmung sey/ weder im Grund des seligmachenden Glaubens/ noch im Grund der Christlichen Religion, wie dieselbe in Symbolis und Libris Symbolicis verfasset und fürgetragen ist« 59.
Dabei stellt er die von den Teilnehmern des Kasseler Religionsgesprächs in ihrer Brevis Relatio Colloquii angeführte Argumentation mit dem ihr innewohnenden Toleranzgedanken in eine für jeden orthodoxen Lutheraner höchst verdächtige Tradition: »Auff der gleichen Tolerantz haben die Reformirten zu allen Zeiten gedrungen/ absonderlich die Pfältzischen in ihrer Admonition (derer Werckmeister Zacharias Ursinus ein verbitterter Calvinist gewesen) von dem Concordien-Buch [. . .]. Aus dem vorangezogenen Buch der Pfältzischen Reformirten hat eben dieselbe Tolerantz seinem Gebrauch nach geborget der Heidelbergische Paraeus/ des Ursini discipul und Nachfolger/ in seinem Irenico, welcher der gedachten Tolerantz auff den Thron zu helffen/ und die Lutheraner dahin zubereden/ in seinem Irenico acht gantze Capitel damit zugebracht« 60. bisher untersuchten lutherisch-orthodoxen Quellen, meist wenig originell. Daher beschränkt sich die Analyse der Wohlgemeinte[n] Entdeckung noch mehr als die vorherigen Untersuchungen auf das in diesem Kontext Wesentliche. 58 Seld, Wohlgemeinte Entdeckung, S. 259. 59 A.a.O., S. 40. In der Tat verwendet Seld – vor allem von der Invariata und der Konkordienformel ausgehend – viel Mühe darauf, in umfangreichen zweispaltigen Lehrvergleichen jede Möglichkeit einer Lehrübereinstimmung auszuschließen (vgl. dazu beispielsweise a.a.O., 100–110, 125–135, 157–176, 194–213). 60 A.a.O., S. 31 f. Seld erklärt mit Blick auf den von den Teilnehmern des Kasseler Kolloquiums vertretenen Toleranzgedanken: »Wann die Casselischen Collocutores den Zweck oder die Endursache ihres angestellten Gesprächs bald in desselben Anfang zu erkennen geben wollen/ benennen sie die Tolerantz oder Verträglichkeit/ nemblich/ ›es sei solches von ihrer Hohen LandFürstlicher Obrigkeit gnädig angeordnet worden/ daß/ wofern die Strittigkeiten auff beyder Seiten nicht gäntzlich verglichen und beygeleget werden köndten/ doch eine Brüderliche Einigkeit und Vertäglichkeit beschlossen und auffgerichtet würde‹« (a.a.O., S. 30). Er bezieht sich damit offenbar auf: Brevis Relatio Colloquii, S. 3–7 bzw. Kurtzer Bericht Von dem Colloquio, in: Calov, Historia Syncretistica, S. 635–637. Er über-
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Diese von Seld vorgenommene Verortung des von den Rintelner und Marburger Theologen vorgetragenen Toleranzgedankens ist nicht nur aufschlussreich im Hinblick auf die von orthodox-lutherischer Seite den genannten Werken und Gedanken Ursins und Pareus’ zu recht beigemessene Bedeutung für die gesamte Diskussion um die Herstellung brüderlicher Einigkeit zwischen Lutheranern und Reformierten. Vielmehr unterstreicht sie auch, in welcher Tradition der innerevangelischen Kontorverse sich Seld selbst sieht: So wie sich dereinst Hutter und Sigwart gegen die verstohlene Toleranzargumentation Pareus’ gestellt hätten61, so widersetzt sich nun Seld den Erben dieser urreformierten und damit für keinen Rechtgläubigen tragbaren Argumente. Entsprechend steht für ihn fest: Diejenigen Obrigkeiten, die den zu Kassel erzielten Vergleich in ihren Territorien zur »Richtschnur der Religion« machten, handelten »wider die ungeänderte Augspurgische Confession, so Anno 1530. dem Keyser Carolo V. von Evangelischen Chur=Fürsten und Ständen übergeben [. . .]. Welche Confession allerdings zu unterscheiden ist von der geänderten Confession, so zehen Jahr hernach den Zwinglianern/ Synergisten/ Majoristen/ Antinomern und andern Sectirern zu Gefallen/ verstümmelt/ verfälschet/ und also geschmiedet worden/ daß auch die Calvinisten so wol als andere Sectirer sich damit behelffen können. Denn in dem Religions=Vergleich werden viel schädliche/ grobe/ den Grund der Christlichen Religion darnieder reissende Irrthum/ für nicht verdammlich gehalten/ deren Antitheses in der ungeänderten Augspurgischen Confession mit klaren Worten ausgedrücket seyn« 62 .
Dabei macht auch Seld deutlich, dass das Bestreben vor allem der Reformierten, mit den Lutherischen zum Schulterschluss zu gelangen, eine lange Tradition habe und eben nicht erst mit freundlicher Unterstützung einiger fehlgeleiteter Lutheraner 1661 zum Ausdruck gekommen sei. »Dann als dazumal von Evangelischen Churfürsten und Ständen auff dem grossen Reichs=Tag die Augspurgische Confeßion übergeben werden solte/ hat man eine Schrifft ausgestreuet/ in welcher gerathen und hefftig begehret worden/ daß die Protestirenden Stände die Zwinglianer in ihre Gemeinschafften oder Brüderschafft auffnehmen/ und zur allgemeinen subscription der Augspurgischen Confeßion zugelassen werden möchten/ Es seyn aber dieselbe zu solcher subscription nicht gelassen/ sondern von der Vereinigung und Brüderschafft / umb welche sie angehalten/ ausgeschlossen worden« 63.
setzt bzw. zitiert die soeben genannten Seiten der Brevis Relatio Colloquii bzw. des Kurtze[n] Bericht[s] Von dem Colloquio nicht wörtlich, auch wenn er die wiedergegebenen Ausführungen als Entlehnung kenntlich macht. Es handelt sich vielmehr um eine vollkommen zutreffende Zusammenfassung der entsprechenden Passagen der zwei genannten Schriften aus der Feder der Kolloquiumsteilnehmer. 61 Seld, Wohlgemeinte Entdeckung, S. 31; er erwähnt sowohl Hutters IRENICUM VERE CHRISTIANUM als auch Sigwarts ADMONITIO CHRISTIANA. 62 A.a.O., S. 254. 63 A.a.O., S. 3.
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Damit ist klar, wie Seld den Begriff Protestirende verwendet, nämlich streng exklusiv, was nach seiner Positionierung in der Kontroverse um das Kasseler Religionsgespräch, welche aus den angeführten Passagen seiner Wohlgemeinte[n] Entdeckung und der daraus ersichtlichen Selbstverortung des Lutheraners unter strikter Ablehnung der Variata mehr als deutlich wird, nicht verwundert. Ebenso wenig überrascht es, dass er, wie eingangs erwähnt und darin Chemnitz folgend, gar keinen Integrationsbegriff in Anschlag bringt, denn auch die Bezeichnung Evangelische nutzt er als Selbstbezeichnung für das nicht durch den vermeintlichen Synkretismus der Rintelner Calixt-Schüler verwaschene, sondern nach wie vor fest auf dem Boden des durch die Konkordienformel erläuterten Invariata stehende Luthertum64. 1.3. Der CONSENSUS REPETITUS FIDEI VERE LUTHERANAE Abraham Calovs und seine Beantwortung durch Friedrich Ulrich Calixts DEMONSTRATIO LIQVIDISSIMA
In die Debatte um die Vorgänge, die mit dem Religionsgespräch zwischen den Rintelner Theologen und den Marburger Reformierten zusammenhängen, und ihre Statthaftigkeit schaltet sich nun auch ein Gelehrter ein, der nicht nur als einer der prominentesten Protagonisten der lutherischen Orthodoxie mindestens der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, sondern auch als herausragender Widersacher der von Georg Calixt begründeten und von seinen Schülern vertretenen irenischen Bewegung innerhalb des Luthertums gelten muss – ein Mann, der in eben dieser Eigenschaft bereits Erwähnung gefunden hat: Abraham Calov65. Er zeichnet als Verfasser für eine Schrift verantwortlich, die ihrem Titel nach nicht weniger darstellt als den CONSENSUS REPETITUS FIDEI VERE LUTHERANAE 66 . 64
Vgl. exemplarisch a.a.O., S. 3 f., 7, 23, 99, 200. Seine schon im Hinblick auf die dort verwendete Terminologie untersuchte HISTORIA SYNCRETISTICA - das antisynkretistische opus magnum dieses prominenten Vertreters der lutherischen Orthodoxie – verdeutlicht stellvertretend für sein gesamtes gegen Calixt und seine Anhänger gerichtetes Schrifttum gleichermaßen Calovs Engagement und Selbstverortung. Vgl. dazu exemplarisch ders., Historia Syncretistica, S. 561–731. Walch stellt, die Rolle Calovs in der Auseinandersetzung mit Calixt und seinen Schülern eindrücklich unterstreichend, heraus, jener sei unter denen, die sich dem Helmstedter Ireniker und seinen Anhängern widersetzten, »der vornehmste« gewesen (Walch, Einleitung in die Religions= Streitigkeiten, S. 219 f.). 66 Abraham Calov, CONSENSUS REPETITUS FIDEI VERE LUTHERANAE In illis Doctrinae capitibus, quae Contra puram, & invariatam Augustanam Confessionem, aliosque libros symbolicos, in Formula Concordiae comprehensos, scriptis publicis impugnant D. GEORGIUS CALIXTUS, Professor Helmstadiensis, ejusdemque complices. In gratiam eorum, qui distantiam D. CALIXTI, RINTELENSIUM, & aliorum Novatorum a fide Lutherana in Synopsi intueri discupiunt, ob praesentem Ecclesiae necessitatem, seorsim editus, Wittenberg ( Johann Borckard) 1666. Eine inhaltliche Zusammenfassung und die genaueren Veröffentlichungszusammenhänge 65
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Dort erklärt Calov, der Synkretismus habe nicht etwa mit dem Tod seines Schöpfers Calixt sein im Grunde längst überfälliges Ende gefunden, sondern sei zu neuem Leben erwacht »in Rintelensibus, qui exequuti infeliciter sunt, quod in votis & consiliis erat Magistro suo defuncto, inita pactione cum Marpurgensibus Calvinianis« 67. So warnt der orthodoxe Lutheraner vor den Folgen des Kasseler Kolloquiums, welches er erst am Anfang einer möglichen, ja sehr wahrscheinlichen und fatalen Entwicklung sieht: Denn es könne kein Zweifel daran bestehen, »Sycretismum, quem cum Calvinianis iniere Rintelenses, cum Papistis pariter intendere, ac promotum velle: Siquidem ex asse cum Calixto, qui eundem enixe intendebat, consulebat, ac provehere optabat, faciant« 68 . »Abhorrebunt, confido in Domino, piae mentes a Secta novella, ejusque molitionibus, ubi consensum hunc repetitum in timore Domini legerint, multi tacite fatebuntur, se non credidisse, tantam intercedere distantiam Augustanae Confessioni, cum exegesi ejusdem, in Formula Concordiae tradita, & erroribus Novatorum, plerique detestabuntur infestam Sectam, cui ob schema concordiae Ecclesiasticae non adversi omnino erant« 69,
stellt Calov schließlich in Bezug auf den Zweck seines vorliegenden Werkes heraus. Diesem in kaum zu überbietender Klarheit formulierten und gegen den ausgemachten calixtinischen Synkretismus, die Reformierten sowie schließlich auch die Altgläubigen gerichteten Zweck des CONSENSUS REPETITUS FIDEI VERE LUTHERANAE entspricht nun auch die von Calov verwendete Terminologie. Ja, seine mittels der obigen Zitate herausgestellte und nach der Lektüre der in erster Auflage 16 Jahre später erschienen HISTORIA SYNCRETISTICA nicht überraschende Haltung erlaubt letztlich nur eine streng exklusive Begrifflichkeit. So führt Calov – seinem damit verbundenen Selbstbewusstsein Ausdruck verleihend – aus, die christliche evangelische oder lutherische Kirche allein sei die wahre Kirche Gottes, »in qua Evangelium recte docetur, & recte administrantur Sacramenta«70. Die begriffl iche Identifi kation der christlichen evangelischen Kirche mit der lutherischen steht damit klar vor Augen.
bietet Walch, Einleitung in die Religions=Streitigkeiten, S. 304–339. Daher erfolgt an dieser Stelle eine pragmatische Beschränkung auf das für den hier vorliegenden Rahmen Nötigste. 67 Calov, CONSENSUS REPETITUS FIDEI VERE LUTHERANAE , Praefatio, unpag., S. 1, meine Zählung. 68 A.a.O., Praefatio, S. 2. 69 A.a.O., Praefatio, S. 4. 70 A.a.O., S. 1: »Profitemur & docemus, Eccles. Christ. Evang. seu Lutheranam, cui postremis hisce temporib. ex maxima Dei clementia, fideli opera, summa pietate praediti & praestantissimi herois, D. Martini Lutheri, e tenebris horrendis & plusquam Cimmeriis, quibus sub Papatu oppressa fuerat, puritas verbi divini affulsit, veram esse Dei Ecclesiam, in qua Evangelium recte docetur, & recte administrantur Sacramenta«.
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In der lutherischen Kirche sieht der orthodox-lutherische Theologe folglich die einzige Vertreterin der reinen evangelischen Lehre, weshalb er die Fronstellung seiner Schrift nochmals unterstreicht: »Rejicimus eos, qui docent, apud Pontificios & Calvinianos, etiam Doctores, non obstantibus foedis illis erroribus, quos contra doctrinam Evangelicam defendunt, fundamenta salutis, quatenus in articulis fidei ab intellectu apprehendendis sita sunt, integra superesse, eosdemque fore cives regni coelestis, & esse Christi membra, veraeque Ecclesiae concorpores & cohaeredes« 71.
Damit ist der Lehre von den Fundamentalartikeln, die letztlich die Grundlage der Annäherung zwischen den Rintelner Calixtschülern und den Reformierten bildete, in an Deutlichkeit schwerlich zu überbietender Weise eine strikte Absage erteilt. Calovs konsequent exklusive Nutzung des Adjektivs »Evangelica«72 ist somit auch in seinem CONSENSUS REPETITUS FIDEI VERE LUTHERANAE keineswegs gewohnheitsmäßig-unbewusst gewählt; seine Terminologie ist vielmehr ostentativ gewählter Ausdruck seines kontroverstheologischen Programms, das eine integrative Nutzung der Bezeichnung »evangelisch« schlicht nicht zulässt, wie schon die wenigen angeführten Zitate mit der in ihnen vor Augen stehenden Positionierung ihres Autors herausstreichen. »Die Vertheidigung des Calixti und seiner Principien wider die in consensu repetito angebrachte Beschuldigungen wurde vornemlich von dessen Sohn Friedrich Ulrich Calixto übernommen«73, der 1667 seine gegen Calov gerichtete DEMONSTRATIO LIQVIDISSIMA herausgibt 74. Darin stellt er die Vorwürfe, die Calov beim inhaltlichen Durchgang durch bestimmte Artikel der Inva71
A.a.O., S. 2. Vgl. zu seiner exklusiven Terminologie auch a.a.O., S. 78, 105. Den Terminus Protestantes verwendet Calov in seinem CONSENSUS REPETITUS FIDEI VERE LUTHERANAE dabei nicht. Noch im selben Jahr wie der CONSENSUS REPETITUS FIDEI VERE LUTHERANAE erscheint seine von Calov selbst angefertigte und veröffentlichte Übersetzung unter dem Titel: Wiederholter CONSENS Des wahren Lutherischen Glaubens in denen Lehr=Puncten/ welche Wieder die reine und unveränderte Augspurgische Confeßion/ und andre in dem Christlichem Concordien=Buch begrieffene Glaubens Bekäntnüß/ in öffentlichen Schriften angefochten D. GEORGIUS CALIXTUS, Professor zu Helmstäd/ und die ihm hierinnen anhangen: Umb derer willen/ welche den Unterscheid und die distanz D. Calixti, der Rinteler/ und anderer Neulinge von den wahren Lutherischen Glauben/ in einem kurtzen Außzuge/ sehen und erkennen wollen/ Aus erheischender itziger Nothdurft der Kirchen absonderlich ausgefertiget, Wittenberg ( Johann Borckard) 1666. Darin wird die im lateinischen Original verwendete strikt exklusive Begriffl ichkeit konsequent übernommen; vgl. dazu a.a.O., S. 1, 3, 101, 138. Auch in der deutschen Übersetzung taucht dagegen der Terminus Protestierende oder eine seiner Varianten nicht auf. 73 Walch, Einleitung in die Religions=Streitigkeiten, S. 339. 74 Friedrich Ulrich Calixt, DEMONSTRATIO LIQVIDISSIMA Quod CONSENSVS REPETITVS FIDEI VERE LVTHERANAE Qvem ABRAHAMVS CALOVIVS S. Theol. D. & Prof. ac Superint. Eccles. Witteberg. Superiore anno in vulgus sparsit Nec CONSENSVS fidei vere Lutheranae censeri mereatur Nec VERO fidei vere Lutheranae CONSENSVI DD. GEORGIVS CALIXTVS & CONRADVS HORNEIVS contraria docuerint. DEFENDENDAE INNOCEN72
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riata gegen die Rechtgläubigkeit Georg Calixts erhoben hatte75, zur Diskussion, indem er den CONSENSUS REPETITUS FIDEI VERE LUTHERANAE abdruckt und Punkt für Punkt bzw. Vorwurf für Vorwurf ausführlich widerlegt – selbstverständlich mit dem Ziel, die Orthodoxie seines Vaters anhand von dessen vollkommener Übereinstimmung mit dem Grundbekenntnis des Luthertums zu erweisen und zugleich den vermeintlichen CONSENSUS REPETITUS FIDEI VERE LUTHERANAE als Sammelsurium bestimmter Privatmeinungen seines Verfassers herauszustellen, das mitnichten Anspruch darauf erheben könne, wiederholter Konsens aller lutherischen Kirchen zu sein76 . Im Rahmen seiner DEMONSTRATIO LIQVIDISSIMA nutzt Friedrich Ulrich Calixt nun mehrfach den Begriff Protestantes in seinen verschiedenen Kasus. Die Verwendung dieses Terminus war in Calovs CONSENSUS REPETITUS FIDEI VERE LUTHERANAE nicht nachweisbar. Calixt greift auf obige Terminologie also in völliger Unabhängigkeit von der Schrift zurück, gegen die er sich mit seiner DEMONSTRATIO LIQVIDISSIMA explizit wendet. Eine integrative Nutzung jenes Begriffs ist dabei jedoch nicht nachweisbar 77. Von einer Anwendung der Bezeichnung Protestantes als Integrationsbegriff, wie sie für den CalixtSchüler und Apologeten des Kasseler Kolloquiums Eckard nachgewiesen werden konnte, fi ndet sich demnach bei Friedrich Ulrich Calixt, der nach dem Tod seines Vaters zum wichtigsten Verfechter und Verteidiger der theologischen Standpunkte Georg Calixts gegen die heftigen Angriffe der lutherischen OrTIAE & Calumniae retundendae AVTORITATE PVBLICA Conscripta, Helmstedt (Henning
Müller) 1667. Friedrich Ulrich Calixt, der 1622 geborene Sohn Georg Calixts, entwickelte sich schon in frühen Jahren zum überzeugten Anhänger und noch zu Lebzeiten seines Vaters zum engagierten Verteidiger der Theologie desselben. Nach Reisen durch weite Teile Mittel- und Westeuropas nahm er 1650 seine Tätigkeit als Professor der Theologie in Helmstedt auf und wurde 1652 durch Georg Calixt zum Doktor der Theologie promoviert. 1664 wurde er zudem zum Konsistorialrat in Wolfenbüttel ernannt und erhielt 1684 die Würde des Abtes von Königslutter, die bereits sein 1656 verstorbener Vater innehatte. Friedrich Ulrich selbst verstarb 1701. Einen komprimierten Überblick über die Biographie und das literarische Schaffen Friedrich Ulrich Calixts bietet Wilhelm Gaß, Art. Calixt, Friedrich Ulrich, ADB 3 (1876), S. 704–706. Zu seiner Involvierung in die Synkretistischen Streitigkeiten und sein Engagement gegen den CONSENSUS REPETITUS FIDEI VERE LUTHERANAE s. Henke, Neuere Kirchengeschichte Bd. II, S. 343–347. 75 Calov, CONSENSUS REPETITUS FIDEI VERE LUTHERANAE , S. 1–117. 76 F. U. Calixt, DEMONSTRATIO LIQVIDISSIMA , S. 1–371. 77 S. dazu a.a.O., Praefatio, S. 18–20 sowie im Hauptteil des Werkes a.a.O., S. 8, 19, 187, 264. Lassen die soeben genannten Passagen keine eindeutige Beantwortung der Frage, wie Calixt den Terminus Protestantes in seiner DEMONSTRATIO LIQVIDISSIMA deutet, zu, so liefert im Hinblick auf Calixts exklusive Begriffsnutzung zur Bezeichnung ausschließlich der Lutheraner, ihrer Kirchentümer und Akademien doch letztlich nur a.a.O., S. 6 einen entsprechenden Hinweis. Dort spricht er davon, dass die »Calviniani« nach entsprechenden Verbesserungen ihres Kirchenwesens »nihil habebunt causae, quare aliam velint quaerere Ecclesiam, cui nomen dent, quam eam, in qua nati sunt & enutriti: non enim tunc haberi poterit pro Ecclesia Calvinianorum talis, qualis antea erat, sed respondebit alicui Ecclesiae Protestantium, quae novum ubiquitatis dogma non admisit« (ebd.).
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thodoxie avanciert, in der angerissenen literarischen Auseinandersetzung mit Abraham Calov nichts78 . 1.4. Das irenische Programm Friedrich Ulrich Calixts in seiner VIA AD PACEM Nicht mehr primär der Apologie der Person seines Vaters gewidmet, sondern vielmehr als späte Frucht seiner theologischen Ansätze zur Herstellung einer Kirchenunion anzusehen ist Friedrich Ulrich Calixts umfassende VIA AD PACEM 79. Dieses Werk stellt, seinem Titel programmatisch folgend, eine Kompilation von mehreren der Aussöhnung von Reformierten und Lutheranern gewidmeten Schriften und Dokumenten dar. So enthält die VIA AD PACEM beispielsweise Melanchthons Beschreibung des Marburger Religionsgesprächs von 1529, die Wittenberger Konkordie von 1536, das von den teilnehmenden Theologen angefertigte Protokoll des Leipziger Kolloquiums von 1631 auf Deutsch und Latein, das aus dem Jahr 1634 stammende und anlässlich des zwei Jahre zuvor abgehaltenen Reichskonvents zu Frankfurt erlassene Dekret der evangelischen Stände, einen von dem schwedischen Theologen Johannes Matthiae 1656 verfassten Brief an König Karl X. Gustav von Schweden, das im selben Jahr abgefasste Gutachten der gallo-belgischen Synode zum Friedensprogramm des Johannes Duraeus 80, den 1639 ge78 Der heftige literarische Streit zwischen Calov und Friedrich Ulrich Calixt fi ndet 1667 natürlich nicht sein Ende. Vielmehr zieht er sich noch über die folgenden Jahre hin und sinkt dabei bisweilen von der polemisch-theologischen auf die persönlich beleidigende Ebene herab. Ein weiteres eindrückliches Beispiel der von Georg Calixts Sohn verfochtenen Apologie der Person seines Vaters und des von ihr vertretenen irenischen Programms gegen den in seinem Engagement gegen den »Synkretismus« ebenfalls nicht nachlassenden Calov ist auch: Friedrich Ulrich Calixt, PIETATIS OFFICIVM QVOD OPTIME MERITO PARENTI SVO D. GEORGIO CALIXTO THEOLOGO CELEBERRIMO Praestitit Ejusdem Filius D. FRIDERICVS VLRICVS CALIXTVS PII VIRI INNOCENTIAM a novis D. ABRAHAMI CALOVII INJVRIIS Portentoso PROGRAMMATE pridem vulgatis juste VINDICANS. Accesit Viri cujusdam, in scriptis Paternis probe versati PLENIOR REPRAESENTATIO Consilii ejusdem de STVDIO CONCORDIAE ECCLESIASTICAE , Helmstedt (Heinrich David Müller) 1675. Den Terminus Protestantes sucht man dabei auch in dieser Schrift Friedrich Ulrich Calixts und den darin von ihm angeführten Zitaten seines Vaters zur angestrebten Kirchenunion vergeblich. Zu den im Zuge der Auseinandersetzung zwischen Friedrich Ulrich Calixt und Abraham Calov gewechselten Schriften und zu deren jeweiligen Veranlassungen s. Walch, Einleitung in die Religions=Streitigkeiten, S. 339–362. 79 Friedrich Ulrich Calixt, VIA AD PACEM INTER PROTESTANTES Praeliminariter RESTAVRANDAM. Strata per COLLOQUIA SOLENNIA atque alia PACIFICORVM SCRIPTA IRENICA Qvae CALIXTINA comitatur EPICRISIS, Helmstedt (Georg-Wolfgang Hamm) 1700. 80 Es ist hier nicht der Ort, auf das Unionsprogramm des gebürtigen Schotten John Durie (1596–1680) adäquat einzugehen. Über das irenische Programm Duries und seine Rezeption informiert aber Leube, Kalvinismus und Luthertum, S. 204–256. Monographisch aufgearbeitet ist ein bedeutender Teil der Unionsbemühungen Duries in Karl Brauer, Die Unions-
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troffenen Vergleich zwischen Duraeus und Georg Calixt und die aus der Feder des Gerhard Titius stammende Schrift De Concordia Ecclesiastica, die Friedrich Ulrich Calixt bereits 1675 herausgegeben hatte 81. Alle Quellen werden von ihm mit kurzen entweder einleitenden oder nachgestellten Kommentierungen versehen, so dass – neben der zweiundzwanzigseitigen und dem Werk vorangestellten Dedicatio82 natürlich – der Inhalt der VIA AD PACEM in seinem Wortlaut und Gehalt zumindest partiell auch auf ihn selbst zurückzuführen ist.
tätigkeit John Duries unter dem Protektorat Cromwells: ein Beitrag zur Kirchengeschichte des siebzehnten Jahrhunderts, Marburg 1907. Zur Biographie des Schotten vgl. in aller Kürze C. H. W. van den Berg, Art. Durie, John (1596–1680), TRE 9 (1982), S. 242–245 und Martin Schmidt, Art. Durie (Duraeus, Dury), John, NDB 4 (1959), S. 201 f. 81 Zum Marburger Religionsgespräch s. Friedrich Ulrich Calixt, VIA AD PACEM, S. 1–11, zur Wittenberger Konkordie a.a.O., S. 12–15, zum Leipziger Kolloquium a.a.O., S. 16–70, zum Dekret der evangelischen Stände a.a.O., S. 71–77, zum genannten Brief an den schwedischen König a.a.O., S. 77–86, zum Gutachten von 1656 a.a.O., S. 87–91, zum 1639 getroffenen Vergleich a.a.O., S. 96–100 und zu Gerhard Titius’ DE CONCORDIA ECCLESIASTICA Procul noxio Syncretismo, Samaritanismo, Babelismo seu religionum mixtura, indifferentismo, &c. Reducenda CONSILII PLENIOR REPRAESENTATIO A viro quodam in scriptis Calixtinis probe versato boni publici ergo Consignata a.a.O., S. 100–155. Die letztgenannte Schrift, in der sich der Terminus »Protestantes« nicht fi nden lässt, wurde von F. U. Calixt bereits im Rahmen seines PIETATIS OFFICIVM , S. 53–112 veröffentlicht (vgl. dazu o. Anm. 78). Desweiteren beinhaltet die VIA AD PACEM den Katalog irenischer Schriften des Timannus Gesselius (a.a.O., S. 92–95), des anglikanischen Presbyters Thomas Smith EN ΩTIKON SIVE DE CAVSIS REMEDIISQVE Dissidiorum, Quae orbem Christianum hodie affligunt, Exercitatio THEOLOGICA (a.a.O., S. 157–187) und des Genfer Theologen Benedict Pictetus DE CONSENSU, AC DISSENSV Inter Reformatos, & Augustanae Confessionis Fratres, DISSERTATIO (a.a.O., S. 191–263). Das genannte Werk von Smith ist Teil seiner 1686 in London erschienenen Miscellanea: In quibus continentur Praemonitio ad Lectorem de infantum Communione apud Graecos. Defensio libri de Graecae Ecclesiae statu contra objectiones Authoris Historiae Criticae, super fide & ritibus Orientalium. Brevis & succincta narratio de vita, studiis, gestis, & Martyrio D. Cyrilli Lucarii, Patriarchae Constantinopolitani. Commentatio de Hymnis Matutino & Vespertino Graecorum. Exceritatio Theologica de causis remediisque dissidiorum, quae orbem Christianum hodie affigunt; Benedict Pictet veröffentlichte seine De Consensu, Ac Dissensv [. . .] Dissertatio 1697 in Amsterdam (F. U. Calixt verschweigt die Erscheinungsorte und -jahre beider Schriften). Es sei hier wegen der gebotenen territorialen wie thematischen Begrenzung dieser Arbeit nur am Rande darauf hingewiesen, dass der Terminus Protestantes bei Smith nicht vorkommt. Pictet hingegen verwendet ihn mehrmals, und zwar als Integrationsbegriff (vgl. dazu u. a. ders., DE CONSENSU, AC DISSENSV [. . .] DISSERTATIO, in: Friedrich Ulrich Calixt, VIA AD PACEM, S. 193, 199, 239, 246, 251). Interessant ist der entscheidende Unterschied zwischen der Terminologie des Genfer Reformierten und der seiner Konfessionsbrüder im Reich: Wie schon der Titel der Schrift verrät, sind die Reformierten für Pictet keine Augsburger Konfessionsangehörigen. »Augustanae Confessionis Fratres« sind für ihn ausschließlich die »Lutherani«, weshalb er beide Bezeichnungen als Wechselbegriffe im Gegenüber zu den Reformierten verwenden kann (zu der Bezeichnung »Lutherani« s. a.a.O., S. 203, 207, 221, 232, 241, 245 f.; die erstgenannte Wendung oder ihre Abkürzung »Augustani« zur Benennung der Lutheraner fi ndet sich a.a.O., S. 195, 199 f., 203 f.). 82 Die Widmung ist unpag., daher im Folgenden meine Zählung.
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Es reicht nun schon ein Blick auf den Titel der Spätschrift des Sohnes Georg Calixts aus, um über die dort von ihrem Autor zur Anwendung gebrachte Terminologie Aufschluss zu erhalten. Dieser Blick genügt auch, um festzustellen, dass er letztlich in seinem literarischen Gesamtwerk mit dem Terminus Protestantes nicht konsequent umgeht: Konnte ihm 1667 zwar die Begriffsnutzung, aber eben keine integrative nachgewiesen werden, so verhält es sich nun anders. Dabei belegt allein schon die Auswahl der von ihm in seiner VIA AD PACEM wiedergegebenen Quellen, dass es sich keineswegs um ein Friedensprogramm zur Aussöhnung zwischen den geistigen Erben Georg Calixts und der lutherischen Orthodoxie handelt, was einen exklusiven Begriffsgebrauch nach sich ziehen würde. Die vorliegende Schrift ist nicht Zeugnis einer im Alter eingetretenen Streitmüdigkeit, die Resultat beispielsweise der jahrelangen scharfen Auseinandersetzung mit Calov sein könnte, ganz im Gegenteil: Bis an sein Ende erweist sich Friedrich Ulrich als loyaler und unermüdlicher Verfechter der Theologie und des mit dieser aufs Engste verbundenen Unionsprogramms seines Vaters, weshalb es ihm eben um die Aussöhnung zwischen Lutheranern und Reformierten geht. Darauf lässt, wie gesagt, schon der Titel in Verbindung mit der von Friedrich Ulrich Calixt kompilierten Quellenauswahl schließen. Doch auch der auf den Autor selbst zurückgehende Text des Werkes mit der in ihm in Anschlag gebrachten Terminologie belegt jene Feststellung. So schreibt Friedrich Ulrich Calixt zur Einleitung seiner Quellensammlung und zugleich als Hinführung auf das Marburger Religionsgespräch: »De natis inter PROTESTANTES dissidiis, eorundemque iteratis vicibus tentata Conciliatione historiae exordium, ab antiquis, Caesareae Caroli V Majestati oblatam Augustanam Confessionem anticipantibus temporibus deductionem, ipsa temporum rerumque in his gestarum series postulat« 83.
Die sich an dieses Zitat anschließenden Ausführungen zur (Vor-)Geschichte des Marburger Kolloquiums von 1529 machen dann mehr als deutlich, wer mit den untereinander geschiedenen Protestantes gemeint ist, nämlich die Anhänger Luthers und Zwinglis 84. Noch anschaulicher wird die fraglos integrative Begriffsnutzung im Zuge der VIA AD PACEM in der ihr angeschlossenen AD VIAM PACIS CALIXTINA EPICRISIS 85. Mit Blick auf die beizeiten zu schroffe Abendmahlslehre Calvins 83
Friedrich Ulrich Calixt, VIA AD PACEM, S. 1. Belege für die integrative Deutung der Bezeichnung Protestantes fi nden sich auch a.a.O., Dedicatio, S. 7, 10 f., 16 f. sowie im Hauptteil S. 16 f., 44, 71, 92, 96 f., 186. Daneben nutzt F. U. Calixt in seiner VIA AD PACEM auch den Terminus Evangelici integrativ (a.a.O., Dedicatio, S. 13). 85 Die der VIA AD PACEM angeschlossene AD VIAM PACIS CALIXTINA EPICRISIS hat ihr Autor mit eigener Seitenzählung versehen. Ihren Inhalt bzw. ihren Zweck fasst Walch folgendermaßen völlig zutreffend zusammen: »In der beygefügten epicrisi will Calixtus zeigen, 84
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erklärt Friedrich Ulrich Calixt zum Beispiel: »Ecce quam facilis futura sit Schismatis de Protestantium Ecclesiis remotio, dummodo Reformati exclusa & rejecta horridiori Calvini sententia, ad ejusdem saniorem & orthoxam (sic!) verborum Institutionis explicationem sese applicuerint« 86 . Dementsprechend ist er der Auffassung, die Vereinigung der Protestanten untereinander sei weit weniger schwer herbeizuführen als die Vereingung der Protestanten mit den Anhängern des Papsttums 87. Eines der Grundübel und damit eine der Hauptursachen für die aus schier endlosen Zankereien resultierende unsägliche Trennung zwischen Reformierten und Lutheranern sieht der Autor des vorliegenden Werkes nunmehr in der schädlichen Aufrechterhaltung der Unterscheidung bzw. unterschiedlichen Gewichtung von CA invariata und variata, weshalb er beklagt: »O infelix dicrimen, per quod in extremum discrimen res Protestantium actae sunt & praecipitatae! O ter quaterque infelix discrimen, per quod nato inter Protestantes Schismati jacta strataque sunt fundamenta!« 88 Ganz in der Tradition seines Vaters stehend, kann es für Friedrich Ulrich Calixt selbstverständlich keinen Zweifel daran geben, »quod natus inter Protestantes circa aliqua Religionis capita dissensus, nullum Christianae fidei articulum attingat: sive ut cautius mercemur, quod dissensus iste, non proxime, immediate & directe ulllum tangat fundamentalem articulum« 89. Daran unbeirrbar festhaltend, ermahnt er beide protestantischen Parteien eindringlich: »Controversiae, quibus inter se colliduntur Protestantes, quamvis ita tractari debeant, ne charitatis obliviscamur, & odia nimis alioquin acerba exasperemus, nec hostes habeamus, quos Deus amicos habet & fi lios, in suscipiendo tamen de illis vel subeundo colloquio caveri vix poterit, quin excidant quandoque duriuscula, quibus pars altera vulneretur vel pungendo laedatur« 90.
Ausgehend von der Meinung, in den die Grundfesten des christlichen Glaubens berührenden Lehrpunkten, in den Fundamentalartikeln also, herrsche doch im Grunde Einigkeit zwischen den Anhängern Luthers und Zwinglis bzw. Caldie Papisten und Reformirten wären keine Ketzer, wären auch von unsern Vorfahren dafür nicht gehalten worden und ob sie wohl wichtige Irrthümer hätten, so giengen sie doch den Grund des Glaubens nicht an« (ders., Einleitung in die Religions=Streitigkeiten, S. 363). 86 Friedrich Ulrich Calixt, AD VIAM PACIS CALIXTINA EPICRISIS, Praefatio, S. 13. 87 »Minus perplexam, seu minori cum difficultate conjunctam esse ajo, Protestantium inter semet, quam horum cum Pontificiis conciliationem« (a.a.O., S. 270). 88 A.a.O., S. 312. Zur Variata als einer zentralen Ursache für das innerprotestantische Schisma und ihre damit einhergehende Negativbewertung durch F. U. Calixt s. auch a.a.O., S. 132. Dass aber jeder Streit um die beiden Bekenntnisfassungen unter seinen Zeitgenossen vollkommen überflüssig ist, beweist für ihn schon die Geschichte beider Kirchentümer: Schließlich habe man bereits 1566 auf dem Reichstag zu Augsburg den reformierten Kurfürsten Friedrich III. von höchster lutherischer Seite als der Gemeinschaft der Augsburger Konfessionsverwandten zugehörig akzeptiert (vgl. dazu a.a.O., S. 301–303). 89 A.a.O., S. 354. 90 A.a.O., S. 363.
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vins, fordert Friedrich Ulrich Calixt somit beide evangelischen Konfessionskirchentümer auf, sich brüderlich gegeneinander zu verhalten, wie es auch dem Willen Gottes entspreche. Dabei verkennt er nicht, dass es durchaus Kontroversen zwischen beiden Parteien gibt, die zwar aufgrund ihrer Wichtigkeit geführt werden müssten und somit ihrer Berechtigung nicht entbehrten, die aber nicht den Grund des Glaubens tangierten und folglich gegenseitig nicht zu Hass und Feindschaft führen dürften. Vor diesem Hintergrund, der unver-kennbar das Prägemal der theologisch untermauerten Unionsbestrebungen Georg Calixts trägt, nutzt dessen Sohn wie schon vor ihm der Calixt-Schüler Eckard den Begriff Protestantes integrativ, indem er unter ihm sowohl Reformierte als auch die Angehörigen der eigenen Konfession sammelt, und transportiert gleichsam in diesem Gebrauch als Integrationsbegriff die zentralen Gehalte seines Vereinigungsprogramms91. Es entbehrt freilich nicht einer gewissen Wahrscheinlichkeit, dass Friedrich Ulrich Calixt, dem eine integrative Begriffl ichkeit in seiner DEMONSTRATIO LIQVIDISSIMA noch nicht nachgewiesen werden konnte 92 , die seiner VIA AD PACEM eigene Verwendung von Protestantes eben als Integrationsbegriff dem Genfer Theologen Benedict Pictet entlehnt, dessen 1697 erschienene DE CONSENSU, AC DISSENSV [. . .] DISSERTATIO er ja abdruckt93. Dies würde bedeuten, Friedrich Ulrich Calixt adaptiere in seiner VIA AD PACEM eine aus dem westeuropäischen Ausland auf ihn gekommene terminologische Variante, um sie für sein theologisches Programm fruchtbar zu machen. Allein zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der VIA AD PACEM ist der begriffsgeschichtlich bedeutsame Durchbruch in den Reihen des auf Ausgleich zwischen Lutheranern und Reformierten bedachten Luthertums, weil und sofern es seine Ausgleichsbemühungen auf der Lehre von den Fundamentalartikeln aufruhen lässt, keine Seltenheit mehr, wie die sich anschließenden Untersuchungen zeigen werden. Dabei ist es eben nicht minder wahrscheinlich, dass Friedrich Ulrich Calixt die folgenden Werke prominenter lutherischer Vermittlungstheologen gekannt, ja vielleicht sogar im Zuge der Entwicklung seines irenischen Programms rezipiert und sich mit ihren fundamentaltheologischen Gedanken- und Argumentationsgängen auch ihre Terminologie zueigen gemacht hat94. 91 Auffällig ist die Häufigkeit, mit der F. U. Calixt den Integrationsbegriff Protestantes in seiner AD VIAM PACIS CALIXTINA EPICRISIS verwendet; s. neben den bereits zitierten Passagen u. a. auch a.a.O., S. 11, 14, 33 f., 37 f., 43, 67, 119, 123, 125, 131, 134, 146 f., 149, 162, 170 f., 173, 175, 178, 182, 185, 187 f., 194, 203, 205, 207, 256 f., 261, 269, 294, 304, 308, 314 f., 318, 327, 336, 338, 349 f., 353, 357, 369, 371 f. 92 S. o. S. 187 mit Anm. 77. 93 S. dazu o. Anm. 81. 94 Die Wahrscheinlichkeit, dass Friedrich Ulrich Calixt die im Folgenden zu untersuchenden Werke lutherischer Provenienz gekannt hat, wird zum einen durch sein akademisches Lehramt und seine Auseinandersetzung mit den Gegnern nicht nur des theologischen Programms seines Vaters, sondern jedweder Unionsbestrebungen – man denke nur an Calov – erhöht. Anders formuliert: Der Sohn Georg Calixts kannte seine Gegner und wird auch
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1.5. Der bedingte Einfluss Georg Calixts außerhalb des Kreises seiner direkten Schüler: Samuel Pufendorf und sein JUS FECIALE DIVINUM Es ist deutlich: Das gemäßigte, auf Vermittlung zwischen den reformatorischen Konfessionskirchentümern bedachte Luthertum lehnt sich in seiner Argumentation, die ja ihre Zweckbestimmung im Erreichen dieses Ausgleichs hat, an die traditionsreiche Lehre von den Fundamentalartikeln an, die einen ihrer zweifelsohne prominentesten und wirkungsreichsten Vertreter in Georg Calixt hatte. Der Kreis derjenigen, die sich auf der Basis genau jener Lehre um eine Verständigung zwischen den zerstrittenen protestantischen Konfessionskirchentümern auf dem Boden des Heiligen Römischen Reiches bemühen, gehört auch eine Persönlichkeit, die sich ihre schwerlich zu überschätzenden Meriten primär nicht auf dem Gebiet der Theologie, sondern der Jurisprudenz erworben hat: Samuel Pufendorf. Auch er schaltet sich mittels seines JUS FECIALE DIVINUM Ende des 17. Jahrhunderts in die Debatte um die Möglichkeit, Notwendigkeit und Statthaftigkeit einer Union zwischen den geistigen Erben der Schweizer und der Wittenberger Reformation ein95. Dort schlägt er eine »conciliatio tolerantiae mixta« vor, die nach seinem Dafürhalten den einzigen zur Zeit gangbaren Weg hin zur Beilegung des Streits zwischen beiden Parteien darstellt – ein Weg, der nach seine Verbündeten gekannt haben. Zum anderen stützt die Weltläufigkeit eines Mannes wie F. U. Calixt die These, dass er von den angesprochenen Schriften und ihren Verfassern wusste (s. dazu die o. in Anm. 74 angeführte Literatur zu seiner Biographie). 95 Samuel Pufendorf, JUS FECIALE DIVINUM Sive DE CONSENSU ET DISSENSU PROTESTANTIUM EXERCITATIO POSTHUMA , Lübeck 1695. Diese erst nach dem Ableben ihres berühmten Autors veröffentlichte Schrift hat Aufnahme in die Gesammelten Werke Pufendorfs gefunden: ders., Jus feciale divinum, herausgegeben von Detlef Döring (Samuel Pufendorf, Gesammelte Werke, herausgegeben von Wilhelm Schmidt-Biggemann, Bd. 9), Berlin 2004. Ich stütze mich bei der Untersuchung auf die genannte Originalausgabe. Bei der Zitation wird aber neben der Seitenzahl der Originalausgabe in Klammern auch der Paragraph genannt, dem das Zitat entstammt, was das Auffi nden der zitierten Passagen in der von Döring herausgegeben Ausgabe bei abweichender Seitenzahl erleichtert. Einen Überblick über Inhalt und zeitgenössische Rezeption des JUS FECIALE DIVINUM sowie eine Einordnung des Werkes in das auch theologisch motivierte Schaffen Pufendorfs (1632–1694) bietet die von Detlef Döring stammende ausführliche Einleitung der von ihm veranstalteten und soeben genannten Ausgabe (s. o.). Prägnante Darstellungen des theologischen Programms Pufendorfs, wie es der berühmte Jurist, Rechtsphilosoph, Historiograph und bekanntlich erste Professor für Naturrecht in seinem JUS FECIALE DIVINUM niedergelegt hat, bieten auch Ritschl, Dogmengeschichte des Protestantismus Bd. IV, S. 464–468 und Irene Dingel, Recht und Konfession bei Samuel von Pufendorf, in: Joachim Mehlhausen (Hg.), Recht – Macht – Gerechtigkeit (Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie 14), Gütersloh 1998, S. 516–540. Über Pufendorf als theologischen Schriftsteller unter Berücksichtigung des JUS FECIALE DIVINUM informiert Döring, Pufendorf-Studien. Beiträge zur Biographie Samuel von Pufendorfs und zu seiner Entwicklung als Historiker und theologischer Schriftsteller (Historische Forschungen 49), Berlin 1992, S. 55–142. Zur Biographie Pufendorfs s. Horst Denzer, Art. Pufendorf, Samuel von (1632–1694), TRE 28 (1997), S. 3–6.
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Pufendorf nur über die klare Defi nition derjenigen Glaubensartikel führen kann, die zum Heil unbedingt notwenig sind, die also als fundamental zu gelten haben; in allen anderen Artikeln, und seien sie auch noch so umstritten, müsse man hingegen Toleranz walten lassen96 . Entsprechend vertritt er die – von ihm selbstverständlich für allgemein anerkannt erklärte – Haltung, dass nicht jede irrige Meinung verdammlich sei bzw. die Seeligkeit gefährde, sondern nur diejenige, die den Grund des seligmachenden Glaubens umstoße 97. Daher sei nun die vornehmlichste Frage, welche Lehrartikel das Fundament des Glaubens berührten und welche nicht; das müsse vor allen anderen Fragen geklärt werden, wenn sich die Bemühungen um eine Vereinigung der Streitenden lohnen sollten98 . Denn wie das Streben nach Herstellung des Kirchenfriedens mit denjenigen, die hinsichtlich des Fundaments des Glaubens irrten, vergeblich sei, solang diese ihren Irrtum hartnäckig verteidigten, so widerspreche es der den Gläubigen zur Pfl icht gemachten christlichen Liebe, diejenigen von der Gemeinschaft und Bruderschaft auszuschließen, die bezüglich des Glaubensfundaments nicht irrten und nur in unschädlichen Lehrpunkten eine abweichende Meinung verträten99. Pufendorf aber folgt nun diesem Gebot christlicher Liebe und nimmt dazu die Identifi zierung der Fundamentalartikel in Angriff. Das diesem Unterfangen gewachsene Mittel überlässt er dabei keineswegs der Fantasie seines Lesers: Nach Pufendorfs Dafürhalten könne es der Abstellung der Streitigkeiten nur zuträglich sein, wenn sich jemand die Mühe machte, diejenigen Lehrpunkte, in denen zwischen beiden Parteien Einigkeit bestehe, in ein vollständiges, unverstümmeltes »Systema Theologiae« zu bringen und diesem dann, auf gleichbleibenden Prinzipien basierend, von Anfang bis Ende eine angemessene, festgefügte Ordnung zu geben. Denn diejenigen 96 Pufendorf, JUS FECIALE DIVINUM, S. 28 f. (§ 7): »Unde mea sententia in praesens nil aliud superesse videtur, quam ut proponatur conciliatio tolerantiae mixta. Eam nos ita concipimus, ut ante omnia utrinque circa solidum, ac sufficiens seu adaequatum fidei fundamentum conveniatur, seu ut illi fidei articuli liquido defi niantur, qui ad salutem ita necessarii sunt, ut neque ignorari, neque negari, neque detorqueri, aut in diversum sensum trahi debeant. Circa reliqua autem dogmata, quae extra id fundamentum fidei cadunt, & circa quae admissus error fundamentum fidei ne indirecte quidem subvertit, tolerantia adhibeatur, eamque ob causam nemo a communione particularis Ecclesiae excludatur, aut seipsum separet, sibique peculiarem coetum formet«. 97 »Id autem apud omnes, puto, in confesso est, non quamvis erroneam opinionem esse exitiabilem, & cum periculo salutis conjunctam, sed eam tantum, quae fundamentum fidei salvificae evertit« [a.a.O., S. 86 (§ 15)]. 98 A.a.O., S. 87 (§ 15): »[. . .] jam palmaria quaestio in eo vertitur, quaenam quaestiones fundamentum fidei tangant, quaenam extra illud cadant? Id enim ante omnia prius defi niendum fuerit, si circa conciliandos ejusmodi dissidentes operae pretium fieri debeat«. 99 Ebd.: »Nam uti cum iis, qui circa fundamentum fidei errant, quamdiu eum errorem mordicus defendunt, frustra de pace Ecclesiastica agitur: ita si quorum sententia circa fidei fundamentum recte se habeat, ac dissensio tantum circa quaestiones innoxias supersit, eos hanc ob causam a communione, ac fraternitate excludere, caritati Christianis tantopere commendatae quam maxime repugnat«.
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Kirchen, deren Lehren in ein solches System gebracht werden könnten, könnten zu einer »Ecclesia particularis« vereinigt werden, wenn sie nur von den Affekten abließen, die den Christen unangemessen seien100. Die Frage, wer diejenigen sind, deren Lehren zwecks Vereinigung ihrer Anhänger in einem solchen »Systema Theologiae« zusammengeführt werden können und sollen, lässt der Verfasser des JUS FECIALE DIVINUM selbstverständlich nicht offen: »Faciamus igitur periculum, utrum ejusmodi Systema Theologiae concinnari possit, in quod duae Protestantium partes, quae vulgo Lutheranorum, & Reformatorum vocabulo veniunt, consentire queant«101. Von der Erarbeitung verspricht sich Pufendorf herauszufi nden, ob beide Parteien im Fundament des Glaubens bzw. in den Fundamentalartikeln übereinkommen oder nicht, was die meisten Lutheraner bisher verneint, die Reformierten dagegen bejaht hätten102 , was letztlich auch die bisher gesichteten und der Analyse unterzogenen Quellen bestätigen. Pufendorf spricht dabei fraglos vollkommen bewusst von den »meisten Lutheranern«; denn die bemerkenswerten Ausnahmen auf lutherischer Seite bilden zwar jene Gelehrten, die – wie vor ihnen schon Pareus – die Gemeinsamkeit beider Kirchentümer in den für den Glauben fundamentalen Lehren behauptet haben und zu denen er selbst zu rechnen ist, doch gegenüber den Vertretern des orthodoxen Luthertums sind sie eindeutig in der Minderheit. Sich über die Mehrheitsmeinung unter den lutherischen Theologen offenbar durchaus im Klaren, entwirft Pufendorf somit zur Beantwortung der Frage, ob eine Übereinstimmung von Reformierten und Lutheranern, also ein Konsens der Protestanten in den zentralen theologischen Lehrpunkten, reines Hirngespinst oder doch unleugbare Tatsache sei, sein »Systema Theologiae«103. Das Ergebnis der Ausführungen des Lutheraners überrascht nicht; so erklärt er selbstbewusst, es könne kein Zweifel bestehen, wenn alle Protestanten in sein 100 »[. . .] judicaverim plurimum ad abolendam controversiarum segetem facturum, si quis ea dogmata, circa quae utrinque convenitur, in plenum, nec hiulcum aut mutilum Systema Theologiae ex iisdem principiis probe concatenata serie a capite ad calcem extruere conetur. Quorum enim dogmata in ejusmodi Systema redigi possint, iis, quo minus in unam Ecclesiam particularem coalescere queant, quid obstet nihil video, modo indignos Christianis affectus eliminare velint« [a.a.O., S. 88 (§ 15)]. 101 A.a.O., S. 90 (§ 16). 102 Ebd.: »Ex quo pendere videtur decisio pamariae quaestionis; utrum isti in fundamento fidei, seu fundamentalibus Articulis conveniant, an minus. Id quod hactenus plerique Lutherani negarunt, Reformati contra affi rmarunt«. 103 Eine ausführliche Darstellung und Erläuterung des Systems muss an dieser Stelle leider ausfallen und der eigenen lohnenden Lektüre anheim gestellt bleiben; s. zum »Systema Theologiae« a.a.O., S. 91–210 (§§ 17–59). Für seinen Entwurf nimmt Pufendorf in Anspruch, »contineri arbitramur omnes fidei Articulos ad salutem necessarios, ita ut nullus eorum negari, aut in dubium vocari queat, quin tota fidei catena abrumpatur, corpusque doctrinae Christianae mancum reddatur. Putamus etiam isthoc Systema ita esse perspicuum, ut abs quovis totus ejusdem contextus facile comprehendi & memoria teneri queat, simul ratio Articulorum, eorumque inter se connexio cuivis adpareat« [a.a.O., S. 210 f. (§ 60)].
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System einwilligen wollten, wogegen sich keine Einwände ausmachen ließen, würden viele Streitpunkte von allein hinfällig und der Weg zu Frieden und Einigkeit würde erheblich erleichtert104. Dem möglichen Vorwurf, den man gegen sein System vorbringen könnte, nämlich dass es wichtige, zwischen Reformierten und Lutheranern höchst umstrittene Punkte kurzerhand ausklammere, begegnet Pufendorf, man solle das von ihm entworfene System nicht für verstümmelt halten, da die Lehren von der Gnade und von der Prädestination ausgelassen worden seien; dies sei schließlich nur deshalb geschehen, weil ein System entworfen werden sollte, dem beide Seiten der Protestanten leicht zustimmen könnten105. Zwar hätte sich die lutherische Haltung zu Gnade und Prädestination in jenes System problemlos einarbeiten lassen, doch die Lehrmeinung der Reformierten sei damit schlechterdings unvereinbar106 . Aus diesem Grund scheint es dem Autor des JUS FECIALE DIVINUM ratsamer, die genannten Lehrpunkte erst einmal zu übergehen, bis die streitenden Parteien durch eine freundschaftliche Erörterung allmählich zur Einigkeit geführt werden könnten; denn wenn man die Konsequenzen jener Lehren nicht auf andere Fundamentalartikel ausweite, so scheine es, könne man von ihnen abstrahieren und sich in den übrigen Punkten somit durchweg vergleichen107 – was nach Pufendorf ja durch sein eigenes System belegt wird. Es geht Pufendorf jedoch nicht um eine Harmonisierung um jeden Preis, gleichsam unter Verschweigung der zwischen beiden Kirchentümern umstrittenen, d. h. der eigentlich brisanten Themenkomplexe theologischer Lehrgehalte. »Superest ut de controversiis, quae inter duos magnos Protestantium coetus agitantur, nonnihil moneamus«, erklärt der Rechtsgelehrte108 . In diesem Zusammenhang ist es ihm wichtig, die Aufrichtigkeit seines Unterfangens zu unterstreichen, wobei er sich in einer Deutlichkeit zur lutherischen Kirche bekennt, die ansonsten im JUS FECIALE DIVINUM nur selten zu fi nden ist: Was er vorbringe, solle weder ihm noch der Kirche, in der er geboren und erzogen 104 A.a.O., S. 211 (§ 60): »Nec dubium est, quin si universi Protestantes in id [scil. sein ›Systema Theologiae‹, C. W.] consentire velint, quod quare fieri non possit, ego nullam idoneam rationem dispicio, multae controversiae ultro collapsurae, ac via ad concordiam, & unionem non parum inde promovenda sit«. 105 »Non autem ideo isthoc Systema mutilum est habendum, quod quaestiones de Gratia & Praedestinatione data opera sicco, quod dicitur, pede transierimus. Cujus rei causa fuit, quod tale Systema invenire cordi nobis fuit, in quod utraque Protestantium pars facile consentire posset« (ebd.). 106 Ebd. 107 A.a.O., S. 212 (§ 60): »Unde satius visum, ea dogmata tantisper seponere, num per amicam disceptationem dissidentes circa ea successu temporis ad unionem reduci possint. Quorum consequentia nisi ad alios fidei Articulos fundamentales porrigerentur, ab iis plane videbatur abstrahi posse, et iisdem velut in sequestrum missis circa reliqua concordia sanciri«. 108 A.a.O., S. 215 (§ 61).
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worden sei und bei deren Lehre er bis zu seinem Tode bleiben wolle, zum Vorurteil gereichen; doch trage er keinen Hass gegen die reformierte Kirche in sich, der schließlich drei der Fürsten angehört hätten, in deren Diensten er gestanden habe109. Er habe zudem »multorum ex eadem Religione amicitia, gratiaque & beneficiis« genießen dürfen, weshalb sein Vorhaben einzig und allein von der Liebe zur Wahrheit und zur allgemeinen Wohlfahrt herrühre110 – und nicht etwa von dem Betreben, dem Reformiertentum in irgendeiner Weise zu schaden. Der Wahrheit und dem Gemeinwohl verpfl ichtet, referiert er sehr kurz die Geschichte der Trennung der Protestanten und den daraus resultierenden Schaden für die Reformation, der in erster Linie in der Hemmung ihrer Wirkung und dem Spott der Altgläubigen bestehe111, und stellt – seine eigene inhaltliche Schwerpunktsetzung gleichsam rechtfertigend – heraus: Wer Frieden schaffen wolle, habe als erstes Gesetz zu beachten, dass das Geschehene vergessen werden müsse112 . Dann wendet er sich explizit den herrschenden, gleichsam innerprotestantischen Kontroversen zu und benennt vier Konfl iktthemen: Gestritten werde »circa personam Christi, & Sacramentum Coenae« sowie bezüglich der »quaestiones de Praedestinatione & Gratia«113, wobei schon angedeutet wurde, dass sich für Pufendorf die Streitigkeiten »circa Praedestinationem & Gratiam« nahezu durch das ganze System erstrecken, seine Gestalt beeinflussen und gerade deshalb als so wichtig erscheinen114. So könne er selbst nicht absehen, wie man auf Eintracht und Einigkeit unter den lutherischen und reformierten Kirchen hoffen dürfe, solange die letztgenannte Partei an ihren Lehrirrtümern festhalte und die daraus resultierenden Irrlehren auch noch zu zur Seeligkeit unabdingbaren Lehren erhebe, führt er, seinem Postulat der Wahrheitspfl icht und der sich daraus zwangsläufig ergebenden Aufrichtigkeit folgend, aus115. Es steht dabei außer Frage: Pufendorf ist ein genauso aufrichtiger Vermittler zwi109 »Unde istis, quae a me proponuntur, nec mihi praejudicare volo, nec Ecclesiae, in qua natus, educatusque fui, & in cujus doctrina ad mortem usque persistere decrevi. Neque tamen odio aliquo feror in Reformatam Ecclesiam, cui addictis tribus Serenissimis S. Romani Imperii Electoribus [. . .] Dominis gavisus sum longe clementissimis« (ebd.). Pufendorf nennt sie namentlich: Karl Ludwig von der Pfalz, Friedrich Wilhelm von Brandenburg und dessen Sohn, Friedrich III. von Brandenburg (ebd.). 110 A.a.O., S. 215 f. (§ 61): »Sed quicquid heic conor, unice e studio in veritatem, & bonum publicum proficiscitur«. 111 A.a.O., S. 216–220 (§ 61). 112 A.a.O., S. 220 (§ 61): »Quae utraque nec excusare, nec arguere placet, cum concordiae operantibus prima lex sit, ante acta oblivioni tradere«. 113 Ebd. (§ 62). 114 A.a.O., S. 234 (§ 64): »Ast quae circa Praedestinationem et Gratiam agitantur controversiae, per totum fere Systema Theologiae diffunduntur, idque alterant, eoque majoris momenti videntur«. 115 »Id igitur nullo modo dispicere possum, qua ratione ulla concordia, & unio inter Lutheranas & Reformatas Ecclesias sperari possit, quamdiu hae dogmati de absoluto decreto, ejusque consectariis ita mordicus inhaerent, idque utique inter expresse credanda ferre, et
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schen beiden Konfessionen wie überzeugter Lutheraner. Eine tatsächliche Vereinigung der Protestanten ist für ihn letztlich nur denkbar, wenn die Reformierten von ihren Irrtümern in den benannten zwei Lehrartikeln lassen. Denn es sind schließlich ihre Gnaden- und Prädestinationslehre, die sich in das »Systema Theologicae«, welches er entwickelt hat, um die Übereinstimmung von Lutheranern und Reformierten in den für den christlichen Glauben fundamentalen Artikeln zu erweisen, nicht fügen können und wollen116 . »Atque haec quidem praecipuae sunt controversiae, quae inter Evangelicos mutuo agitantur: quibus componendis si idonea ratio iniri posset, reliqua dissimulare, aut corrigere, in proclivi foret«, betont Pufendorf dementsprechend noch einmal die Bedeutung der herausgestellten Streitpunkte117. Sich über die Grenzen seines irenischen Unternehmens durchaus im Klaren, führt er schließlich gleich mahnend wie ermutigend aus, er wolle es dabei belassen, das Fundament des Glaubens und die Beschaffenheit der zwischen den Protestanten herrschenden Streitigkeiten vorzustellen; ob die genannten Parteien nun in das entworfene System einwilligen wollten und dabei ihren Hader aus der Welt schaffen könnten, wenn man auf beiden Seiten von Hochmut, Hartnäckigkeit, Verachtung anderer und dem den Christen unwürdigen Hass absehe, überlasse er dem Urteil frommer, rechtschaffener und in der Bibel kundiger Personen118 . Nicht minder realistisch ist seine abschließende Einschätzung, dass der Konfl ikt zwischen beiden protestantischen Parteien nicht plötzlich, gleichsam von heute auf morgen aus der Welt zu schaffen sei, »sed a tempore medicinam esse expectandam, cujus tractus multum ad conciliandos invicem animos facere potest«; in der Zwischenzeit sei es der Aussöhnung der streitenden Parteien sicher nicht abträglich, wenn nicht nur die protestantischen Fürsten ungeachtet der innerprotestantischen Lehrkonfl ikte ihre gemeinsamen Interessen gegen die Papisten, also gegen die gemeinsamen Feinde, verteidigten, sondern auch die Theologen beider Seiten den gemeinsamen Gegner unverdrossen bekämpften119. primo loco inter Articulos, salutis nostrae aeconomiam explicantes, constituunt« [a.a.O., S. 242 f. (§ 67)]. 116 Damit ist auch Pufendorfs JUS FECIALE DIVINUM ein eindrückliches Beispiel dafür, dass letztlich alle Irenik, geht sie von überzeugten Verfechtern der anderen Konfession aus, immer auch eine nicht zu verkennende polemische Seite für Adressaten hat, die den eigenen konfessionellen Standpunkt nicht minder überzeugt verfechten und für unaufgebbar halten. 117 A.a.O., S. 256 f. (§ 69): 118 A.a.O., S. 264 (§ 69): »Sed nobis sufficit, fundamentum fidei, & indolem controversiarum, inter Protestantes agitatarum, pro captu ingenii delineasse. Num partes in designatum Systema consentire, ac super controversiis bona fide transigere possint, si ambitio, pervicacia, contemtus aliorum, odium Christiana professione indignum, & praeconceptae opiniones tollantur aut compescantur, piorum, cordatorum, ac Sacrae Scripturae periritorum judicio permitto«. 119 »Interim id quam maxime ad rem faciet, si non solum Protestantes Principes haut obstantibus istis controversiis communem causam contra Pontificios, aeque utrisque infensos, tueantur, sed etiam utriusque partis Theologi communem hostem impigre impugnent« [a.a.O., S. 387 (§ 94)].
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Wenn sich dann bei Letztgenannten noch die ein gewisses Maß an Einsicht erfordernde Praxis durchsetze, im Zuge ihrer Streitigkeiten »placide ac modeste« vorzugehen, somit gleichzeitig von »inhumanis odiis, cavillationibus, calumniis, damnationibus« Abstand zu nehmen, so stehe ernsthaft zu hoffen, »Spiritum Pacis exulceratos animos paulatim sanaturum, ut abdicatis erroneis, aut inanibus in solidam fidei unitatem conspirent«120. Soweit Pufendorf in seinem JUS FECIALE DIVINUM. Nun ist er zweifellos nicht als Calixt-Schüler im eigentlichen Sinne zu verstehen; er steht dem theologischen Gesamtwerk Georg Calixts keineswegs so nahe und fühlt sich ihm wohl nicht in dem Grade verpfl ichtet wie Eckard oder Friedrich Ulrich Calixt. Dennoch zeigt der gebotene Aufriss seines posthum veröffentlichten Werkes, dass mit der Lehre von den Fundamentalartikeln ein integraler Bestandteil Calixt’scher Vermittlungstheologie in sein Denken Einzug gehalten hat, den er nicht vermittelt, sondern von Calixt direkt übernommen hat – selbstverständlich nicht, ohne ihn seinem eigenen Programm entsprechend zu modifi zieren. Diese Tatsache der Anlehnung an Calixt lässt sich an seinem JUS FECIALE DIVINUM sogar beweisen: Im siebten Paragraphen des Werkes, der die Überschrift »De Conciliatione diversarum opinionum« trägt121 und in dem Pufendorf sich grundlegend mit der Übereinstimmung in den für den Glauben fundamentalen Lehren als Ausgangspunkt für die »invicem fraternam caritatem«122 befasst, wird sicher nicht zufällig gerade auf Georg Calixt verwiesen123. Und so macht sich der Jurist und überzeugte Lutheraner Pufendorf vor dem Hintergrund der Lehre von den Fundamentalartikeln, ausgehend von einer vermittlungstheologischen Grundhaltung also, die er mit den bereits untersuchten Calixt-Schülern gemein und nachweislich nicht zuletzt eben Georg Calixt selbst entlehnt hat, eine integrative Nutzung des Begriffs Protestantes zu eigen124. 120
A.a.O., S. 387 f. (§ 94). A.a.O., S. 25 f., Marginalglosse; der siebte Paragraph umfasst a.a.O., S. 25–30. 122 A.a.O., S. 30 (§ 7). 123 Ebd.; Pufendorf verweist auf Georg Calixt, In Epistolas Sancti Apostoli Pauli ad Corinthios priorem et posteriorem Expositio litteralis, Helmstedt (Henning Müller) 1665, S. 23–28, wo sich Calixt in Auseinandersetzung mit Paulus mit der Gestalt der Fundamentalartikel befasst (s. dazu auch Pufendorf, Jus feciale divinum, herausgegeben von Detlef Döring, S. 133, Anm. 31). Es kann zudem als gesichert gelten, dass Pufendorf Calixts DE TOLERANTIA (s. o. Anm. 9) besessen und rezipiert hat, was ebenfalls für eine sicher nicht zu überschätzende, aber dennoch gegebene Beeinflussung des Erstgenannten durch das Ausgleichsprogramm des Letzteren spricht, zumindest mit Blick auf seine Ausführungen zu den Fundamentalartikeln (vgl. dazu Pufendorf, Jus feciale divinum, herausgegeben von Detlef Döring, Einleitung, S. XXXIV f.), obgleich Pufendorf dem irenischen Programm Calixts keineswegs unkritisch gegenüber stand (zur kritischen Haltung Pufendorfs s. a.a.O., Einleitung, S. XLVI und Döring, Pufendorf-Studien, S. 123–125). Überhaupt scheint Pufendorf über die um Calixt und seine Friedensbemühungen geführten Auseinandersetzungen im Bilde gewesen zu sein (s. dazu Döring, Pufendorf-Studien, S. 123 und 74 m. Anm. 205). 124 Neben den bereits angeführten Passagen s. in vergleichbarer Eindeutigkeit beispielsweise auch Pufendorf, JUS FECIALE DIVINUM, S. 84, 95, 218. Der Begriff kommt zudem 121
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Beide protestantischen Parteien, also Lutheraner und Reformierte, sind in den den Grund des christlichen Glaubens berührenden Lehrpunkten einig; um dies zu beweisen, entwirft Pufendorf sein »Systema Theologiae«. Er kommt aber nicht umhin, bestimmte Konfl iktthemen aus seinem System auszuklammern, um es eben für beide Parteien annehmbar zu machen. Die strittigen Lehren betreffen die Person Christi, damit eng zusammenhängend das Abendmahl sowie – und das scheinen Pufendorf die gravierenderen Problemfelder zu sein – die göttliche Gnade und, wiederum damit eng verbunden, die Prädestination. Problematisch ist dabei für den lutherischen Juristen keineswegs die Haltung seiner Geburtskonfession zu den beiden letztgenannten Hauptstreitpunkten, sondern die der Reformierten. So bleibt nach Pufendorf nur zu hoffen, dass die Anhänger Zwinglis und Calvins ihre Irrtümer dereinst einsehen. Sollte dies geschehen, so stelle die Beseitigung der verbleibenden Konfl iktherde kein ernsthaftes Problem mehr dar. Wie letztlich bei allen vermeintlich irenischen Werken, die im Zuge dieser Arbeit Beachtung gefunden haben, man denke nur an Pareus’ Irenicum, so macht auch dieses mit Pufendorfs JUS FECIALE DIVINUM vorliegende Beispiel das Dilemma eines jeden interkonfessionellen Ausgleichsversuchs deutlich: Auf der einen Seite soll zwar der Bemühung um Frieden und Vereinigung das Wort geredet werden, und zwar mit der größtmöglichen Aufrichtigkeit. Andererseits aber kann und darf nicht der Eindruck der Selbstaufgabe entstehen; schließlich spricht bzw. schreibt auch der theologische Ireniker – bei Pareus, Barthut und Pufendorf wird dies besonders eindrücklich offenbar; es gilt aber beispielsweise auch für Eckard125 – immer als überzeugtes Glied seiner eigenen Konfession, als Streiter für das Recht der eigenen Partei. Und genau darin liegt letztlich der Grund für das Scheitern der bisher vorgestellten irenischen Programme oder Vorstöße. Denn das anderskonfessionelle Gegenüber, dem die Annäherung gilt, liest verständlicherweise genau jene die Überzeugung des Friedenswilligen vom Standpunkt der eigenen konfessionellen Seite verratenden Passagen mit besonderer Aufmerksamkeit und empfi ndet sie – auch das ist nicht schwer nachzuvollziehen – meist nicht ganz zu Un– wenn auch bei weitem nicht so eindeutig zu interpretieren, so doch als Bezeichnung des Gegenpols zu den Altgläubigen – vor u. a. a.a.O., S. 18, 37–39, 48–53, 56–58, 60, 63–70, 72 f., 77 f., 80, 82. Ein Jahr nach dem Erscheinen des JUS FECIALE DIVINUM wird anonym eine deutsche Übersetzung unter folgendem Titel veröffentlicht: Herrn Samuel Frey=Herrn von Pufendorf/ Heiliges Religions=Recht/ Darinnen angezeiget wird/ in welchen Lehr=Puncten die Protestanten einig sind oder nicht. Nach Seinem seel. Absterben heraus gegeben und nunmehr aus dem Lateinischen ins Teutsche übersetzet, Frankfurt a. O. ( Johann Völcker) 1696. Der aus der lateinischen Ausgabe erhobene terminologiegeschichtliche Befund lässt sich bei Betrachtung der gewissenhaften deutschen Übersetzung nur bestätigen. So wird die Bezeichnung Protestanten/Protestierende auch im Heilige[n] Religions=Recht integrativ gebraucht; vgl. dazu exemplarisch neben dem Titel die terminologisch unzweideutigen Passagen a.a.O., S. 95, 101, 107, 247, 251, 255, 301, 310, 464. 125 S. dazu o. S. 172 f.!
2. Die Überwindung des innerevangelischen Grabens und deren Ermöglichung
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recht als Provokation und Beweis der Unaufrichtigkeit des jeweiligen irenischen Werkes. Bis es jedoch zur Einsicht der Reformierten in die von ihnen vertretenen Lehrirrtümer komme, sollten sich die Theologen beider protestantischen Kirchentümer versöhnlich gegeneinander verhalten, von Haß, übertriebenem Eifer und gegenseitigem Verbannen Abstand nehmen und sich geschlossen dem gemeinsamen Feind entgegenstellen, nämlich der Papstkirche. Denn die von den Altgläubigen ausgehende Gefahr scheint dem Autor des JUS FECIALE DIVINUM offenbar für alle Protestanten gleich groß zu sein, weshalb nicht nur die lutherischen und reformierten Fürsten, sondern auch ihre Theologen verpfl ichtet seien, den Kampf in einer gemeinsamen Front gegen die römisch-katholische Kirche aufzunehmen.
2. Die Überwindung des innerevangelischen Grabens und deren Ermöglichung in der Sicht lutherischer Pietisten 2.1. Die Begrifflichkeit Philipp Jakob Speners Das Programm Georg Calixts, auf der Basis der Lehre von den Fundamentalartikeln den Ausgleich zwischen den streitenden Parteien herbeizuführen, hat also den dem Konkordienbuch ablehnend gegenüberstehenden lutherischen Ireniker überlebt. Dabei hat es seine unübersehbaren Spuren nicht nur in den untersuchten Werken seiner direkten Nachkommen und Schüler hinterlassen: Auch Pufendorfs Unionsprogramm rekurriert, wenn auch nicht primär, auf jenes Programm Calixts zur Beilegung des Konfl ikts zwischen Reformierten und Lutheranern. Hatte Calixt selbst trotz seiner irenischen Bemühungen den Begriff Protestantes noch nicht integrativ verwendet126 , verhält es sich bei den Rezipienten seiner Lehre von den Fundamentalartikeln anders: Sie bringen jenen Terminus zur begriffl ichen Flankierung ihrer auf Ausgleich bedachten Haltung explizit integrativ in Stellung, wie es unter den reformierten Irenikern bereits seit Ursin üblich war. Man zeichnete jedoch ein sträfl ich verkürztes Bild der um Streitbeilegung bemühten Kreise des Luthertums der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, belie126 Zwar wird in einer älteren niederländischen Studie das Gegenteil behauptet (s. J. Lindeboom, OORSPRONG EN GESCHIEDENIS VAN DEN NAAM PROTESTANT, Mededeelingen der Koninklijke Nederlandsche Akademie von Wetenschappen, afd. letterkunde, Nieuwe reeks, deel 3, No. 2, Amsterdam 1940, S. 47–77, hier: S. 67), doch fand diese Behauptung bei ihrer Überprüfung in den von Georg Calixt stammenden Werken keinen Rückhalt (vgl. dazu o. Anm. 9). Dafür, dass er mich nicht nur auf jene Studie aufmerksam gemacht, sondern mir zudem sein Exemplar überlassen hat, möchte ich Herrn Dr. Werner Kundert meinen Dank aussprechen.
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ße man es bei der Erwähnung Georg Calixts bzw. bei der Analyse von terminologiehistorisch ertragreichen und in ihren Programmen in unterschiedlichen Qualitäten auf Calixt rekurrierenden Schriften. Denn nicht nur jener und die Rezipienten seiner Lehre von den Fundamentalartikeln stellen sich in den Dienst der Friedensstiftung zwischen Reformierten und Lutheranern: Auch dem Pietismus ist ein Eintreten für eine Bereinigung der zwischen beiden protestantischen Lagern schwelenden Konfl ikte nicht abzusprechen. Nun ist gerade der lutherische Pietismus in seinem Werden untrennbar mit dem Namen eines Theologen verbunden, der jetzt in den Mittelpunkt des Interesses gerückt werden soll: Philipp Jakob Spener127. Überschaut man nun das umfangreiche Werk Speners, so fällt auf, dass er den Terminus Protestantes bzw. Protestierende nicht häufig nutzt, ganz im Gegenteil: Nur vereinzelt und in verschiedenen seiner Schriften greift er auf jene Begriffl ichkeit zurück. Dennoch lohnt die Analyse, obgleich es eben wegen der Verstreutheit der genannten Termini in Speners Fall nicht ausreicht, nur eine seiner Schriften in den Blick zu nehmen, möchte man Aufschluss über seine Begriffsdeutung und die daraus resultierende Nutzung erlangen. So lässt sich festhalten, dass Spener derartige pauschalisierend-klassifi zierende Begriffe keineswegs schätzt, wenn er ausführt: »Was die so genante sectirische pietisten anlanget/ erkenne ich des teufels bosheit/ und darneben göttliche verhängnus/ daß der name pietist einmal aufgekommen/ unter welchen nachmal/ um unschuldigen unrecht zu thun/ viele/ sonderlich von den feinden der gottseligkeit/ gezogen werden/ einige auch sich selbs darunter verborgen haben 127 Die Biographie Speners (1635–1705) bis 1675 fi ndet ihre bis heute maßgebliche Darstellung in Johannes Wallmann, Philipp Jakob Spener und die Anfänge des Pietismus (Beiträge zur Historischen Theologie 42), Tübingen 21986. Einen Überblick über das Leben und Wirken Speners bieten Martin Brecht, Philipp Jakob Spener, sein Programm und dessen Auswirkungen, in: ders., Klaus Deppermann u. a. (Hgg.), Geschichte des Pietismus Bd. 1: Der Pietismus vom siebzehnten bis zum frühen achtzehnten Jahrhundert, herausgegeben von Martin Brecht, Göttingen 1993, S. 281–389 und Wallmann, Philipp Jakob Spener, in: Greschat (Hg.), Gestalten der Kirchengeschichte Bd. 7, S. 205–223. Aus der Vielzahl der Spener gewidmeten Arbeiten Wallmanns sei an dieser Stelle auf zwei verwiesen, die sich in erster Linie der Biographie bzw. bestimmten Lebensabschnitten Speners widmen: Wallmann, Philipp Jakob Spener in Berlin 1691–1705, in: ders., Theologie und Frömmigkeit, S. 295–324 und ders., Philipp Jakob Spener, der Vater des Neuprotestantismus, in: ders., Pietismus-Studien. Gesammelte Aufsätze II, Tübingen 2008, S. 132–145. In letztgenannter Studie wird der »Spenersche Pietismus« als »der Wegbereiter auch der deutschen theologischen Auf klärung« bezeichnet (a.a.O., S. 145); das durchaus ambivalente Verhältnis Speners zur Auf klärung beleuchtet differenzierter Albrecht Beutel, Spener und die Auf klärung, in: ders., Reflektierte Religion. Beiträge zur Geschichte des Protestantismus, Tübingen 2007, S. 101–124 und – kürzer – ders., Philipp Jakob Spener (1635–1705) und Johann Joachim Spalding (1714– 1804), in: Friedrich Wilhelm Graf (Hg.), Klassiker der Theologie Bd. 2: Von Richard Simon bis Karl Rahner, München 2005, S. 37–57. Ein in seinen großen Linien bisher unüberholtes Bild der Theologie Speners zeichnet Emanuel Hirsch, Geschichte der neuern evangelischen Theologie im Zusammenhang mit den allgemeinen Bewegungen des europäischen Denkens Bd. 2 (Gesammelte Werke 6), neu herausgegeben und eingeleitet von Albrecht Beutel, Waltrop 2000, S. 91–155.
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mögen/ die derjenigen art nicht sind/ als diejenige waren/ denen erstmal der name gegeben worden/ und vor die ich allezeit geredet und geschrieben habe/ auch mich noch nicht davon abziehen lassen kan. Wie ich dann keinen unter solchen erkenne/ oder denselbigen vertheidige/ als der in allen stücken und glaubens=puncten bey der lehre unserer gesamten Evangelischen kirchen verharret. Wer aber davon abweichet/ gehet mich nicht an«128 .
Dass die wegen ihres verallgemeinernden Charakters problematische Bezeichnung »Pietisten« überhaupt aufgekommen ist, verdanke sich also der Bosheit des Teufels. Dennoch bekenne er, Spener, sich zu denjenigen, die dereinst von den »feinden der gottseligkeit«, ihren theologischen Gegnern, mit jenem Namen belegt worden seien, weil und sofern sie an der »lehre unserer gesamten Evangelischen kirchen« festhielten – doch das treffe leider nicht auf alle als Pietisten Bezeichneten zu. Wäre Speners Gedankengang hier zu Ende, wäre er zwar bezüglich der Entstehung klassifi zierender Kollektivbegriffe als Fremdbezeichnung durchaus aufschlussreich. Doch der lutherische Theologe erklärt direkt im Anschluss an die soeben zitierte Passage: »Ich gebe das exempel aus dem sechzehenden seculo, da der name der protestirenden aufgekommen/ unter welchen nachmal die Papisten auch andere secten gerechnet/ die Evangelische aber/ denen erst der name gegeben/ sich mit gutem grund darüber beschweren konten«129.
Spener nutzt somit zur Konkretion seiner Bemerkungen zur Bezeichnung »Pietisten« das Beispiel des Begriffs Protestierende: Auch er habe seine Karriere als gegnerische Fremdbezeichnung begonnen, auch er habe ursprünglich nur eine bestimmte Gruppe gemeint, nämlich die Evangelischen, und habe dann – sehr 128 Philipp Jakob Spener, Letzte Theologische Bedencken und andere Brieffl iche Antworten 1711 Nebst einer Vorrede von Carl Hildebrand von Canstein, Teil 3, eingeleitet von Dietrich Blaufuß und Peter Schicketanz (Philipp Jakob Spener, Schriften, herausgegeben von Erich Beyreuther, Bd. XV, Teilband 2 Korrespondenz), Hildesheim u. a. 1987 (Nachdruck der Ausgabe Halle 1711), S. 428 f.; die wiedergegebenen Worte Speners stammen aus einem Brief vom 15. Dezember 1701. Für seine Hilfe bei der Arbeit mit den Werken Speners möchte ich an dieser Stelle Herrn Prof. Dr. Dr. Johannes Wallmann herzlich danken. 129 A.a.O., S. 429. Diese terminologiegeschichtliche Parallele führt Spener auch an anderer Stelle an: »Was die so genante pietisten anlangt/ thut mir nichts mehr leid/ als daß aus göttlichem verhängnus/ aber des satans list/ es dahin gekommen/ daß der name/ der erst/ obwol zum spott/ leuten/ an dero lehr und leben mit grund niemand nichts straffen können/ und ich derer unschuld in mehreren schriften stattlich dargethan zu haben getraue/ beygeleget worden/ nunmehr von einigen selbs genommen oder von andern ihnen gegeben worden/ die zum theil auch öffentlich unserer religion nicht sind/ zum theil von unserer lehr und gemeinde abtreten und in vielerley unordnungen verfallen sollen. Welches aber so wenig/ wie mir als auch andern/ die vor deme mit solchem namen beleget worden/ nachtheilig seyn solle/ als vor diesem denjenigen/ die zuerst protestanten genennet worden/ zum praejudiz gedeutet werden können/ daß auch andere secten [. . .] darunter gezogen werden« (a. a.O., S. 677 f.; das Schreiben, das diese Passage enthält, ist vom 16. Februar 1702).
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zum Unwillen der zu Anfang so Bezeichneten – eine unerfreuliche Verallgemeinerung erfahren. Das wirft mit Blick auf Speners Begriffsdeutung die Frage auf, wen er mit »Evangelische« oder – im Fall der Bezeichnung »Pietisten« – mit den Bekennern der »lehre unserer gesamten Evangelischen kirchen« meint. Auch darüber gibt er selbst Auskunft: Auf den 14. Juli 1694 datiert ein Brief, den Spener an »eine person/ welche die reformirte kirche verlassen/ und zu der Evangelischen Lutherischen treten wollen«130, richtet. Darin verleiht er seiner Freude Ausdruck, »daß er [scil. Gott, C. W.] durch seinen guten Geist in ihr [der in der Briefüberschrift genannten Person, bei der es sich um eine Frau handelt, C. W.] mehr und mehr eine zuneigung zu unsrer Evangelischen kirchen gewircket/ daß sie auch kein bedencken träget/ sich nach fernern göttlichen führung zu derselben völlig zu verfügen/ da ich sie freylich versichern kan/ daß bei unsrer lehr/ gegen der Reformirten gerechnet/ ein mehrer und festerer trost sich fi ndet/ sonderlich wo wir jener harte lehre von der blossen gnaden=wahl/ die allen trost allzu sehr schwächet/ recht einsehen: so denn daß wir mit mehr einfalt/ also auch mit mehrer sicherheit/ dem wort GOttes/ ohne der vernunft vielen platz zu lassen/ glauben/ und ihn damit desto mehr ehren«131.
Es kann somit nicht in Zweifel gezogen werden, wie Spener die Bezeichnung »Evangelische« gedeutet wissen möchte: Allein die Glieder der »Evangelischen Lutherischen« Kirche versieht er mit jenem Namen, zu denen er auch sich selbst zählt, wie die wiederholte Verwendung des Possessivpronomens der ersten Person Plural belegt132 . Außer Frage steht also, dass Spener den Terminus »Evangelische« nicht integrativ nutzt, sondern ihn gerade im Gegenüber zu den Reformierten nur für seine eigene Konfession, nämlich das Luthertum, in Beschlag nimmt. Nach den Ergebnissen der bis hierhin vorgenommenen Quellenanalysen könnte die begriffsgeschichtliche Untersuchung der Schriften Speners hier ihren Abschluss fi nden. Schließlich war der Befund in einem solchen Fall immer eindeutig: Wurde die Benennung »Evangelische« nicht auf Lutheraner und Reformierte, also nicht integrativ angewendet, erschien auch die Bezeichnung Protestantes bzw. Protestierende oder Protestanten, wenn sie denn überhaupt noch vorkam, nicht als Integrationsbegriff. Doch dieses Ergebnis lassen die bereits zitierten Passagen aus diversen Schreiben der Korrespondenz Speners noch nicht zu. Betrachtet man jenes Zitat genauer, in dem dessen Autor seine Beobachtungen zur Entstehung und Geschichte des Wortes »Pietisten« durch das Exempel Protestierende terminologiehistorisch flankiert, lässt sich nur attestieren, dass Speners 130
A.a.O., S. 558. A.a.O., S. 558 f. 132 Diesen Befund bestätigt an anderer Stelle auch Speners Rede vom besorgniserregenden Zustand »unserer armen Evangelischen kirchen« (a.a.O., S. 475, entnommen einem Brief vom 27. Mai 1699), worauf hin er von »uns« und »wir« gerade im Gegenüber zu den »Reformirten« spricht (a.a.O., S. 476). 131
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Feststellungen den begriffsgeschichtlichen Fakten entsprechen: In der Tat hat ja der Name Protestantes bzw. Protestierende als Fremdbezeichnung seinen Anfang genommen, mit der ursprünglich ausschließlich lutherische Reichsstände, die Spener exklusiv »Evangelische« nennt, belegt wurden, bevor er sich zur Selbstbezeichnung jener Stände entwickelte133. Nicht nur, aber auch die aus seinem an die vom Reformierten- zum Luthertum übergetretene Konvertitin gerichteten Brief entnommenen Ausführungen zeugen nun vom konfessionellen Selbstverständnis Speners: Er tritt nicht weniger als Pufendorf als überzeugter Lutheraner auf, der um die Vorzüge seiner Ausprägung reformatorischen Kirchentums gerade im Gegensatz zu den Reformierten sehr genau weiß. Das heißt aber noch lange nicht, dass er sich nicht auch konstruktiv mit der Vereinigung beider Konfessionskirchentümer bzw. deren Möglichkeit befasst hätte: »Weiln dann ein gleicher haß des Römischen Babels gegen und uns und die Reformirte gehet/ indem zu Rom schlechterdings fest stehet/ alles wider unter den so genanten gehorsam der kirchen zu bringen/ daher wir in einerley gefahr stecken/ aufs wenigste wir vor den Reformirten nicht mehr/ als ein geringes beneficium ordinis haben möchten/ ist abermal wol gethan/ wo sich die den beyden kirchen zugethane potentaten und regenten zu gemeinschaftlicher abtreibung der gemeinen gefahr zusammen thun/ und niemand anzugreiffen/ aber auf den fall gemeinen angrifs zusammen zu stehen/ und sich unter einander zu vertheidigen/ verbinden«134.
Was dabei Vorschläge zur praktischen Ausgestaltung eines derartigen »weltliche[n] bündnüsse[s]« angeht, hält Spener sich wegen seiner mangelnden Kompetenz vornehm zurück135. Mehr weiß er jedoch zu einer anderen Ebene des Zusammenschlusses zu sagen, die für ihn zweifelsohne die wichtigere ist und zu der er sich gerade als Theologe verpfl ichtet sieht: »Wo aber neben solchen weltlichen bündnüssen auch die vereinigung der beyder kirchen selbs [. . .] intendiret wird/ ists ein geschäft/ da christliche Theologi auch einigen theil an solchen consiliis zu nehmen haben«136 . Eine derartige Vereinigung von Reformierten und Lutheranern dürfe nun freilich nicht aus den falschen Motiven heraus angestrebt werden, 133 S. o. S. 203 f. m. Anm. 129. Unschärfer werden Speners terminologiegeschichtliche Beobachtungen erst mit Blick auf die Entschränkung des Begriffs Protestantes/Protestierende, da er zwar darauf hinweist, dass jener schließlich von altgläubiger Seite auch auf andere »secten« angewendet wurde; von seiner Umformung zum Integrationsbegriff durch die um den Schulterschluss zwischen Lutheranern und Reformierten bemühten Theologen reformierter Konfession weiß er hingegen nichts zu sagen. 134 Spener, Letzte Theologische Bedencken, Teil 3, S. 476. Die folgenden Zitate fi nden sich in dem schon angeführten Brief Speners vom 27. Mai 1699 (vgl. o. Anm. 132). 135 Zurückhaltend führt er dazu an: »Wie aber solches/ was weltliche bündnüssen anlangt/ am besten/ nachtrücklichsten und klügsten anzustellen seye/ komt mir nicht zu zu urtheilen/ sondern denenjenigen/ welchen GOtt solche gaben/ die weisheit der weltlichen geschäften und erfahrung gegeben hat« (a.a.O., S. 476 f.). 136 A.a.O., S. 477.
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erhoffe man sich dauerhaften Erfolg, weshalb er ermahnt, dass es zwar gewiss sei, »daß wo eine völlige vereinigung der beyden kirchen durch GOttes gnade getroffen werden könte/ solches ein überaus grosses momentum haben würde zu so viel genauerer zusammensetzung und abschreckung der feindlichen gewalt/ daher auch zur hoffnung/ dem gegentheil gewachsen zu seyn. Nur daß jemand zweiflen möchte/ ob man sich viel göttlichen segen darvon zu versprechen hätte/ da die geistliche vereinigung allein aus dem motivo weltlicher sicherheit und rettung geschehe«137.
Ohne nun aber in eine wie auch immer geartete, theologisch motivierte, vermeintlich irenische Euphorie zu verfallen, schreibt Spener in einer seinen Sinn, seine Sensibilität für die konfessionspolitische Realität verratenden Nüchternheit weiter: »Indessen ob ich wol eine solche vereinigung/ dadurch wir völlig zur gemeinschaft einer einigen kirchen gelangen möchten/ ein solches theures gut achtete/ daß wo es damit zu erwerben wäre/ keiner sein blut darzu zu theuer schätzen solte/ sie auch nicht so schlechterdings unmüglich halte/ wie mit der Römischen kirche sie unmüglich ist/ sondern glaube/ daß durch GOttes gnade/ wo die sache recht angegriffen würde/ solche endlich erhalten werden könte: So halte doch neben allem dem davor/ daß in gegenwärtigem zustand und bewandnüs der gemüther sie so viel als unmüglich seye/ und besorglich alles dahin abzielende annoch vergebens vorgenommen werde/ ja ich fürchte/ wo man das werck in gegenwärtigem zustand mit ernst anzugreiffen sich unterstehen würde/ es leicht einen gantz widrigen effect gewinnen und aus itzigen zwey partheyen wol gar 3. oder 4. werden dörften/ nachdem die gemüther der meisten so prediger als zuhörer noch also bewandt/ daß die liebe zu der warheit und reinen lehr noch mit allzu vielem fleischlichen eifer vermischet ist/ der aller gründlichen einigkeit allerdings entgegen stehet/ und nicht platz lässet«138 .
Zur Herstellung der Einigkeit beider Konfessionskirchentümer gehöre daher »eine lange vorbereitung/ daß man in beyden partheyen mehrere zeit sich hauptsächlich lasse angelegen seyn/ zuförderst die den beyden noch gemeine grund=articul der christlichen lehre also den leuten vorzustellen und einzutrucken/ daß dero erkantnus durch den heiligen Geist lebendig in die hertzen komme/ und sich mit den früchten eines heiligen wandels zeige«139.
Damit steht nicht nur vor Augen, unter welchen Bedingungen Spener eine Vereinigung von Lutheranern und Reformierten durchaus für möglich hält; er gibt sich hier vielmehr auch als Verfechter derjenigen theologischen Fundierung zu erkennen, die die Einigungsbemühungen sowohl auf reformierter als auch auf lutherischer Seite seit jeher begleitete, nämlich als Verfechter der Leh137 Ebd. Man ist versucht, in diese Äußerung Speners seine Kritik an irenischen Unterfangen wie dem des Pareus hineinzulesen. Es scheint dabei nicht nur, aber besonders wegen des konfessionellen Selbstbewusstseins des überzeugten Lutheraners durchaus angebracht, jener Versuchung nicht zu widerstehen. 138 Ebd. 139 Ebd.
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re von den zur Seligkeit unabdingbaren Fundamentalartikeln, in denen die geistigen Erben Luthers und Calvins doch letztlich schon längst einig seien. Entsprechend kann der lutherische Gelehrte an anderer Stelle erklären, er halte eben nicht dafür, »daß wie die vereinigung mit der Römischen kirchen bloß unmöglich ist/ als von dero wir auch in dem principio des glaubens unterschieden sind/ dergleichen auch von den Reformirten zu sagen seye/ sondern wie wir mit denselben darinnen übereinkommen/ daß beyde bekennen/ das die heil. schrifft aus ihr selbs erklärt vor die einige regel des glaubens angenommen werden müste/ so ist noch eine müglichkeit/ wo die sache recht angegriffen würde/ daß in dem segen GOttes/ nachdem wir doch in den meisten grundlehren einstimmig sind/ alles noch zu einer christlichen vereinigung gelangen könne: so auch noch zu seiner zeit zu geschehen die hoffnung nicht fallen lasse. [. . .] Indessen ist die sache gar zu behutsam zu tractiren/ damit man an statt des bessern die sache nicht vielmehr ärger mache«140.
Mit Philipp Jakob Spener steht somit ein theologischer Autor vor Augen, der zwar einerseits den Begriff »Evangelische« ausschließlich zur Benennung der eigenen Konfession, nämlich der lutherischen nutzt; allein diese Tatsache lässt eine integrative Verwendung des Terminus Protestierende bzw. Protestanten oder Protestantes nach dem bisherigen Quellenbefund äußerst unwahrscheinlich erscheinen. Auf der anderen Seite ist Spener trotz jener exklusiven Begriffl ichkeit ein Vertreter derjenigen Richtung innerhalb des Reichsluthertums der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, die einer Vereinigung von Lutheranern und Reformierten nicht vorbehaltlos zustimmt141, aber sie eben doch für möglich und – 140
A.a.O., S. 714. Der Brief, dem diese Passage entnommen ist, stammt vom 8. Dezember
1693. 141 Auf Speners Selbstwahrnehmung und -darstellung als überzeugter Lutheraner ist bereits hingewiesen worden; für entsprechend konsequent ist daher seine folgende Ausführung aus dem bereits mehrmals angeführten Schreiben vom 27. Mai 1699 zu halten: Im Zuge der Bemühung um die Vereinigung der beiden streitenden Parteien »man zwar auch der unter uns beyderseits streitigen articul nicht nöthig hat zu schweigen/ sondern wir schuldig sind/ unsre warheit unsern leuten aus GOttes wort auch gründlich beyzubringen/ und zu zeigen/ wie sie GOtt vor solche reinere warheit mit hertzen/ mund und leben desto mehr zu dancken haben: Hingegen auch sie dahin zu gewehnen/ daß sie diejenige/ welche solche von uns erkante warheit noch nicht zu erkennen vermöchten/ lernen solcher ursach wegen nicht zu hassen oder einen abscheu vor ihnen zu haben/ sondern in erbarmender liebe gedult mit ihnen zu tragen/ auch GOtt/ der sie zu fernerer erkantnus bringe/ vor sie anzuruffen« (a.a.O., S. 477). Mit dieser Aussage, in der die eigene Konfession bewusst im Gegenüber zur anderen, in diesem Fall zur reformierten als die überlegene dargestellt wird, reiht sich auch Spener ein in die Reihe der bis hierhin untersuchten vermeintlichen Ireniker beider Lager, auf deren Dilemma bereits aufmerksam gemacht wurde (s. o. S. 200 f.). Speners keineswegs euphorisch-irenische, sondern durchaus reflektiert-kritische Haltung gegenüber den Reformierten charakterisiert Martin Brecht mit folgenden Worten: »Speners Haltung lief weithin auf ein Nebeneinander und noch kaum auf ein wirkliches Miteinander hinaus. Von einer Vereinigungsbegeisterung oder von wirklicher christlicher Bruderschaft ist nichts zu spüren« (ders., Pietismus und Irenik, in: Klueting (Hg.), Irenik und Antikonfessionalismus, S. 211–222, hier: S. 220). Die Stellung Speners zu den Reformierten charak-
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auf lange Sicht gesehen – für realisierbar hält. Theologischer Ausgangspunkt ist für diese versöhnliche Haltung seit jeher die Lehre von den Fundamentalartikeln, zu deren Verfechtern nun auch Spener zu rechnen ist, wie er die Leser seiner Briefe wissen lässt. Und tatsächlich entspricht seine Verwendung der Bezeichnung Protestantes genau der letztgenannten Eigenart des bekennenden Lutheraners: So verfasst Spener einen seiner lateinischen Korrespondenz zuzuordnenden und auf den 23. Dezember 1686 datierten Brief »De unionis negotio Reformatae cum nostra Ecclesia, quod sit arduum, Christianis dignum, non aeque impossibile ac cum Romana, nihilominus difficillimum, & respectu temporis suspectum, quibus cautelis tractandum & quomodo«142 . Grundsätzlich hält Spener fest: »Christiani omnes ad pacem & unitatis studium a Salvatore suo vocati, nullam occasionem scientes omittere debent, qua luxata restitui, discerpta redintegrari queant, nec in hoc pericula vereri, quae res hujus seculi spectant«143. Dementsprechend widmet er sich nun auch selbst der Friedensstiftung zwischen den unterschiedlichen Konfessionskirchentümern. Während er auch hier eine Vereinigung der römischen Papstkirche »cum nostris« für unmöglich hält, schätzt er die Chancen mit Blick auf die Reformierten deutlich besser ein, denn »plerique errores Reformatorum tantum Doctoribus eorum inhaerent, non etiam maximae auditorum parti, quae tamen in Ecclesia numerum constituit talem, ad quem Doctorum numerus exiguam proportionem habet«144. So müsse man zugestehen, »excepto unico articulo de praesentia reali corporis & sanguinis Christi in S. Coena, qui Reformatis religionis suae studiosis omnibus notus, adeoque ille error universalis est, reliquos omnes universaliter a membris Ecclesiae non esse receptos, imo plerosque plane ignorari«145. Die Frage der Realpräsenz Jesu Christi im Abendmahl hält Spener somit »prae omnibus aliis« für »fundamentum dissensus nostri«146 . So kann Spener an anderer Stelle zwar grundsätzlich ausführen: »Tres sunt potissimae Controversiae inter Evangelicos & Reformatos: Prima, de Coena Domini, quae Causam Schismati praebet: Secunda, de Persona Christi, quae ex prima nata est: Tertia, de Decreto Electionis & Reprobationis, quae novissima ex studio partium supervenit«147.
terisieren treffend auch Hirsch, Geschichte der neuern evangelischen Theologie Bd. 2, S. 133–138 und Beutel, Spener und die Auf klärung, S. 110–112. 142 Philipp Jakob Spener, Consilia et Iudicia Theologica Latina, Opus posthumum Ex eiusdem Litteris 1709, Partes 1–2, eingeleitet von Dietrich Blaufuß (Philipp Jakob Spener, Schriften, herausgegeben von Erich Beyreuther, Bd. XVI, Teilband 1 Korrespondenz), Hildesheim u. a. 1989 (Nachdruck der Ausgabe Frankfurt a. M. 1709), S. 101. 143 A.a.O., S. 102. 144 Ebd. 145 Ebd.; das gelte besonders für »articulum de absoluto decreto«: diesbezüglich »auditorum maxima pars serio nobiscum sentit«, ist sich Spener sicher (ebd.). 146 Ebd. 147 A.a.O., S. 105.
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Mit Blick auf die Hierarchie dieser drei geradezu klassischen Streitpunkte zwischen beiden Lagern erklärt er aber unzweideutig: »Prima et primaria est Controversia de Coena Domini. Nam ea non tantum schisma produxit, sed etiam nunc quoque ita fovet, ut multi inter Evangelicos, alias licet admodum pacifici, etsi non putent Reformatos ob hunc dissensum esse condemnandos, negent tamen, cum iis qui profiteantur carnem & sanguinem Christi tantum hinc abesse, quantum Coelum a Terra, se posse de eodem Eucharistiae pane comedere, & de eodem calice bibere, dum ipsi ex fide sua communionem corporis & sanguinis Domini ibi fieri sentiant, quam illi negent«148 .
Die beiden letzten Zitate sind dabei in zweierlei Hinsicht beachtenswert. Zum einen bestätigen sie den terminologischen Befund, der sich schon bei der Untersuchung der deutschsprachigen Korrespondenz des lutherischen Theologen erheben ließ: Spener verwendet den Terminus »Evangelici« bzw. »Evangelische« strikt exklusiv und bezeichnet damit einzig und allein die eigene Konfession. Sodann stammen jene Zitate jedoch aus einem Schreiben, das bezeichnenderweise den Titel trägt: Tentamen Expositionis Irenicae trium potissimarum inter Protestantes Controversiarum149. Ist in der ersten dem Tentamen entnommenen Passage von »potissimae Controversiae inter Evangelicos & Reformatos« die Rede und nennt auch die zweite »Evangelicos« im Gegenüber zu den »Reformatos«, so fasst der Titel gleichsam beide soeben terminologisch noch scharf voneinander geschiedenen Parteien unter der Bezeichnung Protestantes zusammen. Und das ist kein Einzelfall: Durchblättert man die lateinische Korrespondenz Speners, so fallen zwei weitere Schriften des Lutheraners ins Auge, die jenes begriffsgeschichtlich bedeutsame Ergebnis bestätigen: sein Judicium disquisitionis de consensu & dissensu Protestantium150 und sein Brief De unione Protestantium vom 12. September 1698151. Gerade der letztgenannte Brief macht den Befund vollends unzweifelhaft, denn dort kann Spener erst von der Einheit der Kirchen sprechen, die Pufendorf in seinem JUS FECIALE DIVINUM »commune Protestantium nomen complectitur«152 , die dann später jedoch von Spener als die Kirchen bezeichnet werden, »quas Lutheranas & Reformatas vocare amant«153. Nun ist Philipp Jakob Spener bereits in seinen auf Deutsch abgefassten Briefen als explizit lutherischer Theologe begegnet, der die Herstellung der Einheit von Lutheranern und Reformierten zwar für seine Gegenwart, aber eben we148
A.a.O., S. 107. A.a.O., S. 105. 150 A.a.O., S. 98–100. 151 A.a.O., S. 100 f. 152 A.a.O., S. 100. Damit liegt auch der Hinweis vor, dass Spener zumindest bei der Formulierung des Brieftitels in seiner Begriffl ichkeit von Pufendorf beeinflusst wurde, dessen integrative Terminologie ja bereits Gegenstand dieser Untersuchung gewesen ist und mit dem Spener in seiner Berliner Zeit persönlich verkehrte. 153 A.a.O., S. 101. 149
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gen der Übereinstimmung beider Lager in bestimmten Fundamentalartikeln bzw. -lehren keineswegs für gänzlich unmöglich hält. Auch in dieser Beziehung ist die argumentativ-strukturelle Analogie seiner lateinischen Korrespondenz zu seiner deutschsprachigen unverkennbar, wenn er beispielsweise behauptet: »Cum Reformatis in principio convenimus, quod nempe sit Scriptura Sacra nullius hominis interpretationi authenticae obnoxia, sed ex se ipsa Spiritus S. ope explicanda: Unde ex communi hoc principio nos ad unitatem reduci non est impossibile«154. Und im Anschluss an seine Darstellung und Bewertung der drei »potissimarum inter Protestantes Controversiarum« im Zuge des bereits genannten Tentamen erklärt er abschließend: »Cum ergo ex his appareat tantum metaphysicas quasdam vel phrases vel sententias, aut ad summum controversias pauculas, Theologicas quidem, sed tamen neque ad salutarem fidem, neque ad Praxin pietatis pertinentes, & agitari alioquin inter ejusdem Ecclesiae membra solitis pares, perfecto consensui obstare«155.
Wenn sich auch die Herstellung der nach Spener ja durchaus wünschenswerten Einheit zum gegenwärtigen Zeitpunkt schlechterdings nicht umsetzen lasse, so sei nichtsdestotrotz »nihil his temporibus Ecclesiae magis necessarium«, als eine »Virtualis Reunio, sive simplex tolerantia Ecclesiastica«156 . Trotz seiner irenischen Grundhaltung tritt Philipp Jakob Spener dem Leser seiner soeben in den Blick genommenen Schriften als überzeugter Lutheraner, ja als Theologe entgegen, der um die Behauptung seiner Orthodoxie ernstlich und nicht nur aus taktischen Motiven bemüht ist. Genau diesem Selbstverständnis bzw. diesem Bestreben ist dann auch die entscheidende Beschränkung des friedfertigen Tons geschuldet, die sich eben auch bei Spener vernehmen lässt157. Wie bei keinem anderen untersuchten Autor schlägt sich das Dilemma, in dem Speners irenisches Programm steckt, auch terminologisch nieder: Als bekennendes Glied der lutherischen Kirche, das sich vom Wahrheitsanspruch seiner Konfession im Gegenüber zu den Reformierten überzeugt zeigt, nutzt er den Terminus »Evangelische« bzw. deren lateinische Form konsequent exklusiv zur Bezeichnung allein der Lutheraner; hier reiht sich Spener auf terminologischer Ebene in die Phalanx jener lutherischer Theologen ein, die ihre Abneigung gegen die reformierten Annäherungsversuche, ja gegen das Reformiertentum überhaupt u. a. dadurch bekannten, dass sie überhaupt keinen Integrationsbe154
A.a.O., S. 102. Diese Äußerung stammt wieder aus dem Brief vom 23. Dezember
1686. 155
A.a.O., S. 109. A.a.O., S. 110. 157 S. dazu o. Anm. 141. Dazu heißt es bei Beutel, Spener und die Auf klärung, S. 110 f.: »Den eigenen Bekenntnisstand hielt er [scil. Spener, C. W.] für den einzig wahren und duldete keinen Zweifel an seiner lutherischen Rechtgläubigkeit«, weshalb er von den Gliedern der eigenen Konfession gegenüber den Reformierten »eine Praxis der das Leiden an dem Irrtum des anderen einschließenden Liebe« gefordert habe. 156
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griff in Anschlag brachten158 . Sodann gibt sich Spener aber in schwerlich zu überbietender Eindeutigkeit als Verfechter der Lehre zu erkennen, die von der Übereinstimmung von Lutheranern und Reformierten in den für das Heil unabdingbaren Fundamentalartikeln christlicher Glaubenslehre ausgeht. Und mit den reformierten wie lutherischen Vertretern dieser Lehre nutzt Spener gleichsam als ihre begriffl iche Flankierung die Bezeichnung Protestantes oder eben Protestierende bzw. Protestanten integrativ. So schaffen sich also – im Bilde gesprochen – die beiden in Speners Brust schlagenden Herzen auch terminologisch Raum. Und noch ein weiterer Aspekt ist bei Spener neu und höchst bemerkenswert: Zur Hierarchisierung der drei von ihm identifi zierten Streitpunkte zwischen Lutheranern und Reformierten hatte er ausgeführt: »Prima et primaria est Controversia de Coena Domini. Nam ea non tantum schisma produxit, sed etiam nunc quoque ita fovet, ut multi inter Evangelicos, alias licet admodum pacifici, etsi non putent Reformatos ob hunc dissensum esse condemnandos, negent tamen, cum iis qui profiteantur carnem & sanguinem Christi tantum hinc abesse, quantum Coelum a Terra, se posse de eodem Eucharistiae pane comedere, & de eodem calice bibere, dum ipsi ex fide sua communionem corporis & sanguinis Domini ibi fieri sentiant, quam illi negent«159.
Was mit diesen Worten Speners vor Augen steht, ist, erinnert man sich an die gängigen Argumentationsschemata der bis hierhin untersuchten Autoren beider Konfessionen, nicht weniger als eine theologiegeschichtlich völlig neue Formation, ja argumentativ eine regelrechte Zäsur. Es ist zwar vor allem die Abendmahlslehre, in welcher Spener – wie vor ihm nahezu alle untersuchten lutherischen Autoren – den Kern der Kontroversen lokalisiert, doch zeigt er hier eine ganz neue Wahrnehmung des Problems: Dieses besteht für ihn darin, ob und wie die zwei protestantischen Lager einander im gelebten liturgischen Vollzug akzeptieren können! Die Frage nach der Rechtgläubigkeit, nach richtig oder falsch, ja nach der Wahrheit ist beim lutherischen Pietisten Spener eben offenbar nicht mehr gleichzusetzen mit der Frage nach der je konstitutiven Bekenntnisschrift. Diese bis zu diesem Punkt in der (kontrovers-)theologischen Literatur beider reformatorischen Konfessionskirchentümer zum argumentationsstrategischen Inventar gehörende Gleichsetzung, mittels derer die Frage nach der Orthodoxie des anderskonfessionellen Gegenübers bejaht, meist jedoch verneint werden konnte, wird bei Spener suspendiert zugunsten der Problematisierung der Differenzen verschiedener Bewusstseinsausformungen. Er nimmt nicht mehr durch das Anlegen der Messlatte, die die Bekenntnisschriften bildeten – vor allem die CA –, Wahrheit oder Unwahrheit, Orthodoxie oder Heterodoxie wahr, sondern stattdessen verschiedene, die Beurteilung des anders158 Man denke nur an die strikt exklusive Begriffl ichkeit Dannhauers, der ja als der wichtigste theologische Lehrer Speners in Straßburg gelten muss (vgl. o. S. 135 f.). 159 Spener, Consilia et Iudicia, S. 107.
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konfessionellen Gegenübers konstituierende und steuernde Wahrnehmungsformationen160. Nichtsdestotrotz sind Spener noch jene konfessionellen Skrupel zu eigen, wie sie seine Selbstwahrnehmung als Lutheraner, als von dem Wahrheitsanspruch der Lehre der eigenen Ausformung reformatorischen Konfessionskirchentums überzeugter Theologe zwangsläufig hervorruft und entsprechend das irenische Programm modifi ziert. 2.2. Die innerevangelische Spaltung als gotteslästerlicher Mangel: Gottfried Arnold und seine Unpartheyische Kirchen= und Ketzer=Historie 2.2.1. Unparteilichkeit durch Erleuchtung als Voraussetzung Das wird nun bei Gottfried Arnold anders, und zwar nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass er als radikaler lutherischer Pietist die herausgestellte Neuformierung theologischen Bewusstseins, wie sie sich bei Spener feststellen ließ, aneignet und vor allem weiterentwickelt: Arnold deutet den gesamten Verlauf der Kirchengeschichte, indem er historische Phänomene in bisher unbekannter Qualität unter dem Einfluss bestimmter Bewusstseins- bzw. Wahrnehmungsformationen darstellt – eine neue Wahrnehmungsweise, die bereits bei Spener ihre erste Gestalt fand. Diese schon bei Spener festzustellende und durch Arnold zu einer neuen Qualität gelangte theologiehistorisch bedeutsame Verschiebung ist dabei aufs Engste verbunden mit der Terminologie der Unpartheyische[n] Kirchen= und Ketzer=Historie161. Um sich das klarzumachen, muss der 160 Diese Beobachtung stützt auf eigene Weise das Urteil Hirschs, Spener habe gelernt, »daß religiöse Fragen niemals durch theologische Erörterungen ihrer Lösung zugeführt werden. Die begriffl iche Reflexion ist im Religiösen immer mitbedingt durch tieferes, in Herz und Gemüt sich vollziehendes geistiges Werden. Wo das aussetzt, muß die Verstandesarbeit der Reflexion unfruchtbar bleiben. Darin steckt die Einsicht, die über die Grenzen des Aufklärungszeitalters hinweg an die Schwelle des achtzehnten zum neunzehnten Jahrhundert führt« (ders., Geschichte der neuern evangelischen Theologie Bd. 2, S. 138). 161 Gottfried Arnold, Unpartheyische Kirchen= und Ketzer=Historie, Vom Anfang des Neuen Testaments Biß auf das Jahr Christi 1688, 2 Bde., Hildesheim 1967 (Reprografi scher Nachdruck der Ausgabe Frankfurt a. M. 21729). Das Werk wird im Zuge dieser Arbeit in den Anmerkungen mit UKKH abgekürzt; die Vorreden und Beschlüsse, denen im Folgenden die Zitate entnommen werden, werden unter Angabe des jeweiligen Bandes der UKKH (lateinische Ziffer), der entsprechenden Abkürzungen (Vorr. oder Beschl.), des Bandes bzw. Teiles der UKKH, dem die einzelnen Vorreden und Beschlüsse zuzuordnen sind, und ihrer entsprechenden Abschnitte (arabische Ziffer) zitiert. Mit Blick auf die bewegte Biographie Arnolds (1666–1714) ist immer noch folgende Monographie aufgrund ihrer Genauigkeit und des daraus resultierenden Umfangs maßgebend: Franz Dibelius, Gottfried Arnold. Sein Leben und seine Bedeutung für Kirche und Theologie, Berlin 1873. Überblicksartig informieren über Leben und Werk Arnolds u. a. Friedrich Wilhelm Kantzenbach, Gottfried Arnold, in: Greschat (Hg.), Gestalten der Kirchengeschichte Bd. 7, S. 261–275 und Johannes Wallmann, Der Pietismus (Die Kirche in ihrer Geschichte. Ein Handbuch, Bd. 4, L fg. O,1), Göttingen 1990, S. O 89 – O 95. Ein sehr kritisches, aber der Kenntnisnahme wertes Arnoldbild zeichnet Albrecht Ritschl, Ge-
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hermeneutische Hintergrund seiner Terminologie ausführlicher erhellt werden, als es bei den zuvor analysierten Quellen nötig war, denn Arnolds Begriffl ichkeit ist nur zu verstehen vor dem komplexen Bild, das er vom 16. Jahrhundert entwirft. Und diese Tatsache wirkt sich notwendig auch auf den methodischen Zugriff aus. So macht Arnold schon in der Einleitung seiner Unpartheyische[n] Kirchen= und Ketzer=Historie unmissverständlich klar, dass es ihm im Zuge seines schriftstellerischen Wirkens um nicht weniger geht als die Einnahme eines überparteilichen Standpunktes: Weil »in diesen büchern, vermöge des titels, die untersuchung der historischen warheit ohne partheylichkeit [. . .] geschehen müssen; dieses aber nicht von allen und jeden nach gebühr gedeutet und aufgenommen werden möchte«162 , sieht sich Arnold gezwungen, dem Leser zu verdeutlichen, was er in Bezug auf seine Untersuchungen mit unparteiischem Vorgehen meint. Eine unparteiische Darstellung der Kirchengeschichte verlange nämlich nicht nur eine Berücksichtigung der »ausser der äusserlichen gemeinschaft [des Christentums, C. W.] stehenden nationen, als der Juden, Heyden, Türcken [. . .]: so weit sie nemlich die kirchengeschichte [. . .] nach zeiten, personen, orten und dergleichen erläutern«163, sondern auch die Einnahme eines neutralen Standpunktes mit Blick auf die verschiedenen sichtbaren innerweltlichen christlichen Vergemeinschaftungsformen. Doch genau dies sei bisher ausgeblieben, weshalb Arnold beklagt: »Und gleichwohl ist es bißher meist eben so in der Kirchenhistorie ergangen, daß man ohne erkäntniß sein selbst nur etwa dem Pabst und andere, so man sich zu gegnern erwehlt, scheußlich ausgemahlt« und damit die Geschichte verfälscht habe, wie »die gemeinen compendia und andere particulier=schriften« ausweisen, in welchen »jeder seine eigene vermeinte religion biß in den himmel erhebt [. . .]: schichte des Pietismus Bd. 2: Der Pietismus in der lutherischen Kirche des 17. und 18. Jahrhunderts, Erste Abteilung, Bonn 1884, S. 294–321. Arnolds Unpartheyische Kirchen= und Ketzer=Historie ist allein schon quantitativ ein beeindruckendes Werk: Es besteht aus vier Teilen, die sich ihrerseits wieder in Jahrhunderte gliedern; jedes Jahrhundert setzt sich aus mehreren Kapiteln zusammen. Dabei umfasst der erste Teil die ersten fünfzehn Jahrhunderte, während sich die nächsten zwei mit dem 16. und 17. Jahrhundert beschäftigen. Der vierte Teil schließlich ist ein umfangreicher Quellenanhang. Bei der dieser Arbeit zugrunde liegenden zweiten Aufl age der Unpartheyische[n] Kirchen= und Ketzer=Historie von 1729 bilden die ersten beiden Teile den ersten, die Teile 3 und 4 den zweiten Band. Diesem sind die 1703, also nach der Erstausgabe der Unpartheyische[n] Kirchen= und Ketzer=Historie von 1699/1700 erschienen und ebenfalls von Arnold verfassten »Supplementa, Illustrationes und Emendationes zur Verbesserung der Kirchen=Historie« angehängt (vgl. dazu auch Martin Schmidt, Art. Arnold, Gottfried, TRE 4 (1979), S. 136–140, hier: S. 139; Dibelius, Gottfried Arnold, S. 240). Zu den verschiedenen Ausgaben der Unpartheyische[n] Kirchen= und Ketzer=Historie vgl. Andreas Urs Sommer, Geschichte und Praxis bei Gottfried Arnold, ZRGG 54,3 (2002), S. 210–243, hier: S. 210, Anm. 1 und Dibelius, Gottfried Arnold, S. 240 f. 162 UKKH I, Vorr. zum 1. Band, 1. 163 A.a.O., 12.
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hingegen [. . .] man aller andern worte und wercke ohn unterscheid biß in die hölle hinunter verdammt«164. Derartig einseitige und folglich falsche Darstellungen seien nun verantwortlich dafür, dass ganze Generationen davon überzeugt worden seien, die jeweils eigene religiöse Gemeinschaft vertrete allein und ausschließlich die Wahrheit165. Letztlich bilde sich also jede Partei in ihrer Selbstherrlichkeit ein, im Besitz der »alleinigen reinigkeit, warheit und weißheit«166 zu sein; daher dürfe man sich dann auch nicht wundern, wenn die einzelnen Lager stets gegeneinander agitierten und in nicht enden wollendem Streit verharrten. »Vor diesem gräulichen übel [gemeint ist die einseitige Parteinahme, C. W.] habe ich mich ernstlich gehütet in diesen oft schweren und mißlichen untersuchungen der so sehr verdunckelten und verfälschten Kirchenhistorien«167, erklärt dagegen Arnold, denn keine der sichtbaren Gemeinschaften habe das Recht, sich im Besitz der Wahrheit zu wähnen: Die wahre Kirche sei vielmehr unsichtbar und »durch die ganze welt unter allen völckern und gemeinden verstecket, und zerstreuet«168 . Da also die Kirche, die für sich beanspruchen kann, die einzig wahre zu sein, schlechterdings nach außen nicht zu erkennen ist und ihre Glieder überall auf der Welt leben, fühlt sich Arnold bei seiner Darstellung zur Unparteilichkeit verpfl ichtet. Aus dieser Verpfl ichtung resultieren die Abstellung aller seiner natürlichen Sympathien für »eine gewisse seite oder parthey«169 und damit auch sein Umgang mit denjenigen, die »man sonst als feinde beschrieben«170 hat. Was somit seine Untersuchung der Kirchengeschichte anbelangt, versichert er, an jeder Gemeinschaft ohne Ausnahme nur das Negative negativ, das Positive jedoch konsequent positiv darzustellen171. Bei dieser Aussage stellt sich die Frage, welchen Maßstab Arnold bei seiner also durchaus wertenden Schilderung angesetzt hat. Die Antwort gibt er selbst: die Urgemeinde. Er stellt fest, dass die meisten, »so sich der ersten reinigkeit rühmen, dennoch wider alle verbesserung einwenden, es sey weder nöthig noch möglich, der ersten kirche zu folgen«172 ; noch deutlicher wird Arnold in diesem Zusammenhang, wenn er mit Blick auf die Urgemeinde von »der ersten unfehlbar reinen gemeinde«173 spricht, der es unbedingt zu folgen gelte174, weil sie in »der alten unschuld und warheit«175 gelebt habe. Diese sei die Gemeinschaft 164 165 166 167 168 169 170 171 172 173 174 175
A.a.O., 22. A.a.O., 23. A.a.O., 24. A.a.O., 25. Ebd. A.a.O., 28. A.a.O., 26. A.a.O., 29. A.a.O., 20. A.a.O., 21. Ebd. A.a.O., 6.
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»wahrer Christen«176 gewesen, bis sie unter der Herrschaft Konstantins des Großen vollends dem Verfall preisgegeben worden sei177. Das Bild, das Arnold von der Urgemeinde entwirft, ist somit ein idealisiertes, an dem er alle existierenden sichtbaren Ausformungen christlicher Vergemeinschaftung misst. Dabei hält er sich nach eigener Aussage streng an »die richtschnur des geoffenbarten wortes«178 . In Bezug auf die Geschichte der Kirche bekümmert es ihn, dass seit Beginn des Verfalls »gemeiniglich nicht einmal zwey oder drey in Christo Jesu warhafftig und gründlich eins, oder wie die allererste apostolische gemeine, ein herz und eine seele gewesen«179 seien. Vielmehr habe sich die im Verfall begriffene Kirche »in so viel tausend stücke gleichsam oder partheyen und secten vom anfang her zerrissen und zertrennet«180, woraus das ganze Elend der »sogenannten Christenheit« entstanden sei181. Nun sei es im Zuge des Verfalls und zugleich als Manifestation desselben dazu gekommen, dass diejenigen, welche gleich der Urgemeinde untereinander und mit Jesus Christus als ihrem alleinigen Haupt wahrhaft einig gewesen seien, vom einflussreichen, verfallenen Rest verketzert worden seien182 . Diese Verketzerten, die die »unsichtbare rechte heilige gemeine Christi«183 bildeten, welche »von anfang des Evangelii und der Apostel zeiten her eine jungfrau und braut Christi«184 darstelle, sind demnach für Arnold die einzig legitimen Nachfolger der Urkirche. Aus diesem Grund hält es Arnold für unverantwortlich, »der historischen warheit damit noch mehrern schaden [. . .] zuzufügen, daß ich nemlich nur eine einige gewisse parthey aus allen religionen in der welt erwehlete, selbige allein vor unschuldig und der ersten apostolischen gemeine gleich oder ähnlich ausgäbe«185. Nun könnte man Arnold aufgrund seines Unparteilichkeitspostulats den Vorwurf machen, er denke und schreibe in keiner Weise unparteiisch, sondern wechsle lediglich die Fronten, indem er sich von den großen Konfessionskirchen, besonders seiner eigenen, der lutherischen, ab- und den Ketzern zuwen176 A.a.O., 8: Arnold bezieht sich an dieser Stelle direkt auf sein 1696 in erster Aufl age erschienenes und damit der Unpartheyische[n] Kirchen= und Ketzer=Historie vorangegangenes Werk »Die Erste Liebe der Gemeinen Jesu Christi, Das ist, Wahre Abbildung der Ersten Christen, nach Ihrem Lebendigen Glauben und Heiligen Leben«. Hierzu informiert ausführlich Jürgen Büchsel, Gottfried Arnold. Sein Verständnis von Kirche und Wiedergeburt, Witten/Ruhr 1970, S. 31–75; zum vollständigen Titel des Werkes vgl. a.a.O., S. 205. 177 UKKH I, Vorr. zum 1. Band, 31. 178 A.a.O., 25. 179 UKKH I, Beschl. zum 2. Teil, 2. Die Formulierung entnimmt der Biblizist Arnold Act 4,32. 180 UKKH I, Beschl. zum 2. Teil, 2. 181 Ebd. 182 Ebd. 183 Ebd. Zur von Arnold zum Ideal erhobenen Lebensweise und Einstellung der Urgemeinde vgl. auch UKKH II, Beschl. zum 4. Teil, 10 f. 184 UKKH I, Vorr. zum 1. Band, 31. 185 UKKH I, Vorr. zum 1. Band, 18.
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de, also diese zu den wahren Christen und jene zu den eigentlichen Ketzern mache186 . Zwar ist deutlich geworden, dass gerade die Individuen, welche der Urkirche in ihrer Einigkeit und Reinheit nachgefolgt und seit dem 4. Jahrhundert als Ketzer diffamiert worden sind, für Arnold die einzig wahre, schlechterdings aber auf institutioneller Ebene nicht erfahrbare, also unsichtbare Kirche konstituieren187. Doch der unparteiische Verfasser bleibt bei diesem Urteil eben nicht stehen, denn er konstatiert, auch die Personen und Gemeinden, »die auch über der warheit von der welt wol verworffen worden«, seien wie die Großkirchen ebenfalls nur allzu oft »von der lauteren warheit, wie sie in Christo allein wesentlich ist, mercklich abgewichen«188 . Arnolds Diagnose lautet daher in diesem Zusammenhang: »[. . .] durch dergleichen partheylichkeit, sectirische absonderung, selbstgefälligkeit u. eigene erhebung« sei selbst den »gutwilligsten gemüther[n] und bestscheinenden gemeinen [. . .] das von Gott verliehene gute nach und nach augenscheinlich verlohren« gegangen189. Somit habe sich wegen »dieser bitteren wurtzel der eigenen liebe und ehre [. . .] der gantze baum des irrthums und falschen Christenthums in so viel hundert äste, zweige und früchte der kätzereyen, spaltungen, secten und hauffen durch die ganze welt ausgebreitet«190. Und eben diese Eigenliebe als Wurzel allen Übels habe nicht nur die »offenbarlich=bösen und gantz verwerffl ichen grossen kirch=gemeinen, deren greuel auch ein vernünfftig= kluger sehen kann«, in den Verfall getrieben191: Noch schlimmer als bei diesen 186 Dieser Vorwurf wurde Arnold in der Tat nicht nur von seinen ihn und seine Unpartheyische Kirchen= und Ketzer=Historie scharf kritisierenden Zeitgenossen gemacht [vgl. dazu Dibelius, Gottfried Arnold, S. 117–122; Sommer, Geschichte und Praxis, S. 214–216; Kai Bremer, Umorientierung in der Kirchengeschichtsschreibung um 1700, in: Silvia Heudecker, Dirk Niefanger, Jörg Wesche (Hgg.), Kulturelle Orientierung um 1700. Traditionen, Programme, konzeptionelle Vielfalt (Frühe Neuzeit 93), Tübingen 2004, S. 165–182, hier: S. 169–172]: Noch Ferdinand Christian Baur behauptet: »Hatte er [scil. Arnold, C. W.] Recht, seine Ketzergeschichte insofern eine unparteiische zu nennen, als er das gewöhnliche Vorurtheil gegen die Ketzer nicht theilen und nicht voraus mit den Orthodoxen Partei gegen sie nehmen wollte, so wurde dagegen seine unparteiische Ketzergeschichte eine nicht minder parteiische dadurch, daß er es sich voraus zum Grundsatz machte, den Orthodoxen gegenüber sich auf die Seite der Ketzer zu stellen, und bei ihnen ebenso viel Gutes und Rühmliches zu fi nden, als die Orthodoxen Verwerfl iches an ihnen sahen« [ders., Die Epochen der kirchlichen Geschichtsschreibung, Darmstadt 1962 (Reprografi scher Nachdruck der Ausgabe Tübingen 1852), S. 98]. Aufgrund dieser Haltung ist es Baur möglich, Arnold die »Rolle eines allgemeinen Ketzerpatronats« zuzusprechen (a.a.O., S. 101). Auch Dibelius teilt diese Meinung (ders., Gottfried Arnold, S. 113 f.). 187 Arnolds Ketzerbegriff untersucht Kai Bremer und kommt dabei zu dem Ergebnis, dass Arnold dabei keineswegs originell war: Schon Christian Thomasius habe die Ketzermacher als eigentliche Ketzer identifi ziert; Arnold übernehme also den von Thomasius geprägten juristischen Ketzerbegriff (Bremer, Umorientierung, S. 179–182). 188 UKKH I, Beschl. zum 2. Teil, 3. 189 A.a.O., 4. 190 A.a.O., 6. 191 Ebd.
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gehe es bei denen zu, »welche, unter einigem schein der warheit oder gottseligkeit, dannoch Christum um haß und hadders willen in eigener erhebung disputiren, verkätzern, und in verwerffung des allgemeinen unpartheyischen meisters geprediget haben«192 . Verfallen sind demnach nicht nur die großen Konfessionskirchen, sondern auch die anfänglich gut gemeinten, schließlich aber durch das Übel der Eigenliebe ebenfalls korrumpierten Abspaltungen von jenen, weil und sofern sie ihrerseits wieder als Gemeinschaften in Erscheinung treten. Denn »das äussere ausgehen aus dem verfallenen schutthauffen des ruinirten tempels« mache »mit nichten stracks einen wahren Jünger Christi« aus193, sondern vielmehr die Resistenz gegen die verderbliche Eigenliebe. Diese Resistenz, die der Urgemeinde zumindest anfangs noch zu eigen gewesen sei, sei bedauerlicherweise oftmals nur den Begründern bzw. Urhebern der Abspaltungen von den Konfessionskirchen gegeben. Ihre Nachfolger dagegen verfielen nur allzu leicht der verderblichen Eigenliebe, wichen also vom Vorbild der ersten, unverdorbenen Christenheit ab und machten damit die durchaus guten Ansätze ihrer geistigen Vorläufer zunichte194. Von einer einseitigen pauschalen Parteinahme Arnolds für die von den Großkirchen verketzerten Subjekte und Gemeinschaften kann somit nicht die Rede sein, denn folgt man Arnolds Ausführungen aufmerksam, so ist seine Haltung den Verketzerten und ihren Gemeinschaftsbildungen gegenüber doch differenzierter: Die Eigenliebe mache schließlich spätestens von der zweiten Generation an auch vor diesen nicht halt und bringe sie letztlich vom rechten Weg ab, wodurch sie genauso dem Verfall preisgegeben werden wie jede andere sichtbare 192
Ebd. UKKH II, Beschl. zum 4. Teil, 15. 194 A.a.O., 18: »Dann obgleich die ersten stiffter und vorfahren solcher geringeren kirchgemeinen als zeugen der warheit in ihrem theil treu und besser dann ihre verfolger und ankläger gewesen: so ist doch denen nachkommen eben das begegnet, was der gantzen christlichen kirche selbst bald nach der Apostel tod wiederfahren, daß sie nehmlich mit der zeit laulich, sicher, eigensinnig, sectirisch, hochmüthig und selbstgefällig worden. Welche gebrechen viel in öffentlichen schrifften auch an denen Wiedertäuffern, Remonstranten, Labadisten, Quackern und dergleichen secten bestraffet haben, und annoch an neueren partheyen bemercken«. Auffällig ist an der soeben zitierten Passage, dass Arnold den Verfall hier nicht mit der Regierung Konstantins des Großen einsetzen lässt (wie in UKKH I, Vorr. zum 1. Teil, 31), sondern »bald nach der Apostel tod«. Diese Vorverlegung des Einsetzens des Verfalls wird auch in der Forschung diskutiert: Während Büchsel annimmt, Arnolds Haltung habe sich im Laufe seiner Arbeit an der Unpartheyische[n] Kirchen= und Ketzer=Historie unter dem stärker werdenden Einfluss der Mystik auf ihn radikalisiert (Büchsel, Kirche und Wiedergeburt, S. 87–90; 110–112), geht Katharina Greschat davon aus, Arnold sei in seiner Auffassung bei der Abfassung sowohl der betreffenden Vorrede als auch des Beschlusses durchweg konsequent geblieben [dies., Gottfried Arnolds ›Unparteiische Kirchen- und Ketzerhistorie‹ von 1699/1700 im Kontext seiner spiritualistischen Kirchenkritik, ZKG Bd. 116 (2005), Heft 1, S. 46–62, hier: S. 54 f., bes. Anm. 64, 67 und 76]. 193
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Gemeinschaft195. Aus der Wurzel der Eigenliebe erwächst – zusammenfassend gesagt – auch bei den von den Großkirchen verketzerten Bewegungen die Neigung, den eigenen Standpunkt absolut zu setzen, andere Meinungen also gering zu schätzen oder gar zu verketzern und letzten Endes dem eigenen Absolutheitsanspruch dadurch Ausdruck zu verleihen, dass man sich in Lehre und Ritus von anderen Gemeinschaften abgrenzt, also selbst eine sichtbare Partei wird. Kommt es soweit, stehen die aus anfänglich guten Ab- und Einsichten begründeten »geringeren kirch=gemeinen«196 den großen Konfessionskirchen mit Blick auf die Qualität des Verfalls in nichts mehr nach. Deshalb gelangt Arnold zu dem Fazit, »die wahre kirche Christi« müsse »unter allen partheyen, völckern und sprachen unsichtbar, verborgen, unterdrückt und in der wüsten seyn«, habe stets aus »wenigen verachteten auswürffl ingen bestanden« und sei als »unsichtbare gemein« auch nicht »an äusseren formen, ceremonien, satzungen, arten, zeiten und anderen umständen« erkennbar197. Nun wird auch deutlich, dass Arnold sein Unparteilichkeitspostulat nicht ausnutzt, um schlicht für jede Person und Gemeinschaft, sofern sie von den Großkirchen verstoßen worden sind, Partei zu ergreifen, sondern auch mit Blick auf die Gemeinschaftsbildungen der Ketzer sein kritisches Auge durchaus konsequent beibehält, folglich unparteiisch, oder besser überparteilich urteilt. Da nämlich die wahre Kirche als unsichtbare Gemeinschaft ihre Glieder unter den Angehörigen aller Konfessionen bzw. Parteien hat, bleibt Arnold, wenn er die Geschichte der Kirche vollständig darstellen will, also auch unter Berücksichtung derjenigen, die nicht zur Mehrheit der Verfallenen gehören und deren Gemeinschaft nach außen nicht erkennbar ist, letztlich nichts anderes übrig, als einen Standpunkt über den sichtbaren Konfessionskirchen und Gemeinschaften zu beziehen, somit gleichsam das historische Geschehen überkonfessionell, ja überparteilich zu bewerten198 . Mit seinem Standpunkt jenseits aller Bekenntnisse und äußerlichen Manifestationen vermeintlich kirchlicher Gemeinschaften weiß sich Arnold in bester Tradition; schließlich ist es niemand geringeres als Jesus Christus, der vom unparteiischen Verfasser der Unpartheyische[n] Kirchen= und Ketzer=Historie als 195 Diese strukturanalytische Haltung hat übrigens noch im 20. Jahrhundert in Karl Holl einen prominenten Vertreter. Denn er erklärt gegen Max Weber und Ernst Troeltsch: »Umgekehrt sind bei den ›Sekten‹, sobald sie Werbearbeit treiben, und auch ohne dies, sobald sie ins zweite Geschlecht kommen, d. h. sobald es solche gibt, die in sie hineingeboren werden, ganz dieselben Schwierigkeiten hervorgetreten wie bei den ›Kirchen‹« [ders., Der Neubau der Sittlichkeit, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte Bd. I: Luther, Tübingen 61932, S. 155–287, hier: S. 243, Anm. 2 (das Zitat fi ndet sich a.a.O., S. 245!)]. 196 UKKH II, Beschl. zum 4. Teil, 18. 197 A.a.O., 13. 198 Vgl. zur Identifi kation der Unparteilichkeit mit Überparteilichkeit auch Hirsch, Geschichte der neuern evangelischen Theologie Bd. 2, S. 263 f.; Bremer, Umorientierung, S. 166–168.
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»unpartheyische[r] meister(s)«199 bezeichnet wird. Dadurch, dass Arnold seine eigene Überparteilichkeit mit der Haltung Jesu identifi ziert, verleiht er seiner Darstellung der historischen Ereignisse und zugleich seinem Urteil über sie eine schlechterdings nicht mehr steigerbare Legitimität und Plausibilität: Die Bezeichnung »›unparteiisch‹ wird zum Christusprädikat«200. Er nimmt also für sich in Bezug auf die durchaus beurteilenden bzw. wertenden Inhalte seines Werkes keinen geringeren Standpunkt in Anspruch als den, welchen Jesus selbst beziehen würde. Nachdem er der Überparteilichkeit diese christologische Wendung gegeben hat, kann Arnold aus tiefster Überzeugung von sich sagen, er bekenne »doch frey dasjenige, was Gott selber weiß, daß es in mir also stehe, ja er selbst durch seinen heiligen Geist in Christo Jesu gewürcket hat. Nemlich, daß sich mein gewissen so gar nicht in einiger secte menschlicher lehr=art oder meynung [. . .] befriedigen könne [. . .]. Hingegen, daß ich allein in dem Herrn Jesu Christo und dessen eigener lauterer lehre alles mit einander suche, fi nde und geniesse, so ferne er sich in seinem worte offenbahret [. . .]: welches denn auch die brüderliche liebe zu allen seinen wahren gliedern, und die gemeine zu allen menschen gründet und unterhält. [. . .] Dieser theure grund, nemlich die unpartheyische liebe und friedensbegierde gegen iedermann« 201
habe ihn letztlich bewogen, seine Sicht der historischen Abläufe und Fakten so darzulegen, wie er es in seiner Unpartheyische[n] Kirchen= und Ketzer=Historie getan hat. Jene »unpartheyische liebe« gegenüber allen Menschen, der sich Arnold verschreibt, ist dabei für diesen das »größte gebot unsers Schöpffers« 202 . Schließlich erklärt er: »Ja es war mir von Gott in meinem gewissen die nothwendigkeit ein=vor allemal aufgelegt«, der Wahrheit ohne Rücksicht auf »ansehen der person, menschenfurcht und dergleichen vorurtheilen« nachzukommen 203. Diese Rechfertigung seiner unparteiischen Haltung macht deut199
UKKH I, Beschl. zum 2. Teil, 6.
200
Hermann Dörries, Geist und Geschichte bei Gottfried Arnold, Göttingen 1963,
S. 18. 201 202
UKKH II, Vorr. zum 2. Band, 4 f. UKKH I, Vorr. zum 1. Band, 25. Es handelt sich bei Arnold demnach nicht um ir-
gendeinen undefi nierten, gleichsam leeren Liebesbegriff, den er anführt, um sein Eintreten für eine überparteiliche Beurteilung der Kirchengeschichte zu rechtfertigen. Er entschuldigt seine kritische Haltung den bekenntnisgebundenen Kirchen, ja allen sichtbaren Gemeinschaftsbildungen auf dem Boden des Christentums gegenüber und seine Neubewertung bzw. oftmalige Parteinahme für die Verketzerten nicht damit, er sei einer nicht fassbaren, allgemeinen Menschenliebe gefolgt. Seine Auffassung von Liebe ist doch ernster und damit keineswegs nur vorgeschoben: Mit einer unparteiischen Darstellung der Kirchengeschichte sieht er sich das höchste Gebot Gottes erfüllen; und dies ist ihm ein zutiefst aufrichtiges Bedürfnis, denn seine Überparteilichkeit hat ihr Vorbild in Jesus Christus selbst, der seinerseits als »unpartheyischer meister« Gottes höchstes Gebot erfüllt hat. Will Arnold somit seinem Herrn nachfolgen, sein Gebot erfüllen, ist er zu einer in der von Gott gebotenen Liebe wurzelnden und somit unparteiischen Darlegung der geschichtlichen Ereignisse verpfl ichtet; anders wird er dem von Gott selbst an ihn gestellten Anspruch nicht gerecht. 203 A.a.O., 27.
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lich, dass er sie tatsächlich als eine ihm von Gott gestellte Aufgabe begreift. Und dies ist ihm nur aufgrund seines Selbstverständnisses möglich: Gott selbst hat ihm die Wahrheit offenbart 204, Gott selbst hat »durch seinen heiligen Geist in Christo Jesu« in ihm gewirkt, sodass Arnold nun befähigt ist, die Wahrheit zu erkennen und sich wie Jesus selbst unparteiisch zu verhalten 205. Er war zu seiner unparteiischen Darstellung daher letztlich nur fähig, weil Gott ihn durch seinen Heiligen Geist erleuchtet hat 206 . Fehlt jedoch diese Erleuchtung, nimmt sich also ein Unerleuchteter der Kirchengeschichte an, so zieht dies ausschließlich Negatives nach sich und es entstehen ausnahmslos Darstellungen, welche das Verderben der Christenheit nur noch steigern, weil ihnen die aus der Liebe geborene Unparteilichkeit fehlt und sie dadurch den Streit der Parteien, damit die den Verderb manifestierende Aufspaltung der Christenheit befördern 207. Da Arnold aber das Licht »des H. Geistes« 208 nicht versagt bleibt, gelingt es ihm mit seiner Beurteilung der Geschichte, den rechtschaffenen, gutwilligen Leser den allgemeinen, durch die Eigenliebe hervorgerufenen Verfall und zugleich die »schlangenlist, die intriguen des herrschsüchtigen Lucifers, die viehische grobheit des natürlichen menschen« 209 erkennen zu lassen. Sobald sich der Mensch auf seine eigenen Fähigkeiten oder gar auf die »tücke der eigenen vernunfft« 210 verlässt, bleibt ihm die Wahrheit verschlossen. Will er aber zur einzig wahren, also unparteiischen Sicht der Dinge gelangen, bedarf er der erleuchtenden Eingebung Gottes. Diese aber ist nur zu erlangen, wenn das Individuum seine eigene Verderbnis und die seiner Mitmenschen erkennt, und genau dazu will Arnold mit seinem Werk befähigen 211. Aus diesem Grund kann der Verfasser der Unpartheyische[n] Kirchen= und Ketzer=Historie seinen Lesern nur wünschen, »daß Gott alle und jede gemüther also reinigen, verändern und heiligen wolle, damit der geist der weißheit und der erkäntniß, des raths und gewissen verstandes in ihnen wohnen, lehren, 204
A.a.O., 5.
205
UKKH II, Vorr. zum 2. Band, 4. UKKH I, Vorr. zum 1. Band, 35.
206
207 A.a.O., 36: »Ja eben aus dem mangel dieses einigen lichts [also der Erleuchtung durch den Heiligen Geist, C. W.] entstehen in den gemeinen erzehlungen so viel erschreckliche unwarheiten, irrthümer, böser argwohn, falsche urtheile, verdammungen der unschuldigen, erhebungen der unwürdigen; weil allda gemeiniglich ein blinder von der farbe, und ein verkehrter eitler weltmensch oder heuchler [. . .] von Gottes und dessen handlungen, worten und willen raisoniren will«. Zur Steigerung, ja gleichsam Fortpfl anzung des Verderbens vgl. a.a.O., 34. 208 A.a.O., 35. 209 A.a.O., 37. 210 Ebd. 211 Ebd.: »Rechtschaffene gemüther hingegen werden gerne sehen, wo entweder an anderen, oder durch andere an ihnen selbst der alte schade des verderbten menschlichen hertzens [. . .] entdecket wird. Denn wer sich allezeit freuet, wo ihm einige besserung an die hand gegeben wird, der nimmt auch alle warnungen durch exempel an, weil die eröffnung des geheimnisses der boßheit den grund zu aller besserung legen muß«.
2. Die Überwindung des innerevangelischen Grabens und deren Ermöglichung
221
züchtigen, regieren und führen könne« 212 . Denn nur so könne der Wahrheit, welche schon der Urgemeinde zu eigen war, wieder zum Durchbruch verholfen und der allgemeine Irrtum, in dem alle Menschen, »sie mögen in dieser oder jener kirche gebohren und nach dem buchstaben informiret seyn, von natur stecken«, ein für allemal beseitigt werden 213. Dass sich der unparteiische Verfasser natürlich schon längst im Besitz der von Gott gegebenen Erkenntnis der Wahrheit befi ndet, versteht sich freilich für Arnold von selbst und ist letztlich nur konsequent gedacht 214. Durch gottgegebene Erleuchtung zur Erkenntnis gelangt, muss er dem in unzählige Richtungen bzw. Parteien aufgespaltenen, also jedweder Einigkeit und Liebe verlustig gegangenen Christentum steten Verfall attestieren. Diejenigen Christen nun, die sich mit Recht als legitime Nachfolger der in Eintracht und Liebe lebenden Urgemeinde verstehen dürfen und eben deshalb von den verfallenen Parteien verketzert werden, bilden zwar die einzig wahre Kirche; doch diese wahre Kirche manifestiert sich nicht in Äußerlichkeiten wie Bekenntnissen oder bestimmten Riten, sondern ist als Individuation schlicht unsichtbar. Aus dieser Haltung zieht Arnold nun die Konsequenzen: »So bleibet demnach [. . .] dieses der beste vortheil, daß unser gemüth von allem, was Christum zertheilen, oder nur stückweise anpreisen und vortragen, oder auch an sich und seine lehre allein binden will, ernstlich fl iehe«, um allein Christus nachzufolgen 215. Der wahre, durch Erleuchtung zur Erkenntnis des Verderbens gelangte Christ muss sich also von den sichtbaren Gemeinschaften, welche sich ausnahmslos alle im »fallstrick« 216 des Satans, nämlich in der Eigenliebe, verfangen haben, zurückziehen, muss ihren Absolutheitsansprüchen widerstehen, denn die Wahrheit ist allein bei Jesus Christus zu fi nden: Nur bei ihm kann das Glied der wahren Kirche unter der Führung des Heiligen Geistes die Wahrheit mit den »geistlichen sinnen seiner seelen schmecken, hören, sehen und geniessen« 217. Es gilt, Christus allein, dem unparteiischen Meister, zu folgen, denn nur er kennt 212
A.a.O., 42. Ebd. 214 Allein aus diesem Selbstverständnis Arnolds heraus ist nachzuvollziehen, warum er von einem Kritiker seines Werkes »genugsame proben seiner wahrhaftigen erleuchtung und daher rührenden erkäntniß Gottes und einsicht in die geheimnisse und wunder desselben« verlangt (a.a.O., 15). Stillschweigend und doch spürbar steht hinter dieser Nachweisforderung Arnolds die Auffassung, ein Erleuchteter könne an seiner Darstellung der historischen Fakten gar nichts kritikwürdiges fi nden; wer ihn also ob seiner Sicht der Dinge angreift, weist sich sofort als unerleuchtet und damit parteiisch aus. Derjenige nämlich, der die Erleuchtung empfangen hat, nimmt an dem überparteilichen Standpunkt des Autors keinen Anstoß, denn er ist sich im Klaren darüber, dass jener nichts anderes tut, als Jesus selbst, dem unparteiischen Meister, nachzufolgen und damit Gottes höchstes Gebot wie er zu erfüllen. 215 UKKH I, Beschl. zum 2. Teil, 5. 216 Ebd. 217 A.a.O., 7. 213
222
IV. Integrative Begrifflichkeit als nicht nur terminologischer Dammbruch
und weist den Weg zu Gott 218 . Separation von den verdorbenen sichtbaren, sich im Besitz der Wahrheit glaubenden und die Christenheit spaltenden Parteien ist also letztlich heilsnotwendig, denn sie bedeutet nichts anderes als konsequente Christusnachfolge219. Aus diesem Grund entschließt sich Arnold, für seine Leser geradezu vorbildlich, sich ein für allemal von der Wissenschaft und Schriftstellerei zurückzuziehen 220. Alle, die seinem Plädoyer folgen und wie er »den gemeinen weg nicht mehr mitlauffen können«, sich daher von der Welt absondern und »ihrem Heyland in der stille folgen und anhangen«, bilden die Gruppe der »stillen im lande« 221 ; und eben diese Stillen im Lande konstituieren letztlich die wahre, unsichtbare Kirche Christi, der sich Arnold aus tiefster Überzeugung zugehörig weiß. Bei all dem lebt Arnold in der Gewissheit, dass der jüngste Tag und damit die Zeit nahe ist, in der »sich auch würcklich alle scheidung und trennung nacheinander verlieren, alle menschen=namen und partheyen verschwinden«, in der Gott also die ursprüngliche Einigkeit und damit die Liebe, in welcher schon die Urchristen lebten, wiederherstellt 222 . Im Eschaton wird somit durch die Wiederherstellung der Unparteilichkeit die Allversöhnung erneut Realität, also dem die Christenheit auseinander treibenden, aus der Eigenliebe resultierenden Verfall von Gott ein Ende gesetzt. Demnach ist nach Arnold die Stellung, die der unparteiische Verfasser und mit ihm die anderen Stillen im Lande nach ihrer gottgegebenen Erleuchtung einnehmen, also ihre durch den überparteilichen Standpunkt gekennzeichnete Existenz, die innerweltliche Vorwegnahme jenes Zustandes, in den die Heilsgeschichte nach dem jüngsten Gericht münden wird 223. 218
A.a.O., 6. Arnold geht noch weiter, denn mit der Separation einher geht die Absage an alles Äußerliche. Das natürliche Wesen muss »durch leidenden gehorsam entkräfftet und getödtet werden«, denn alle Kraft, alle Konzentration ist einzig und allein dem »bau des inwendigen tempels« zu widmen ( UKKH II, Beschl. zum 4. Teil, 2). Wer gottgefällig leben und damit Christi teilhaftig werden will, ist gezwungen, »aus[zu]gehen und sich ab[zu]sondern, und nichts unreines mehr an[zu]rühren« (a.a.O., 14). 220 A.a.O., 2: »Diesem nach sey hiemit dieser historie und dem buchstäblichen wissen, lehren und schreiben von mir ein endliches valet gegeben! Was nicht von Gott selber mir auferlegt wird, auch unmittelbar und allein zum dienst des Geistes gehöret, müsse von mir weiterhin unberühret bleiben!« 221 A.a.O., 20. 222 A.a.O., 9. 223 Gottfried Arnolds folglich schon in den einzelnen Vorworten und Beschlüssen der Unpartheyische[n] Kirchen= und Ketzer=Historie zum Ausdruck kommendes Geschichts- bzw. Weltbild, sein damit verbundenes Selbstverständnis und letztlich die Konsequenzen, die er daraus zieht, kurz gesagt, sein bis zum Aufruf zur Separation konsequent durchgehaltener mystischer Spiritualismus bleibt aber eben nicht nur theoretisch reflektiertes Programm seiner Darstellung der Kirchengeschichte unter den erwähnten Voraussetzungen. Man würde Arnold mit der Unterstellung Unrecht tun, seine Ernsthaftigkeit bzw. Aufrichtigkeit reiche nicht über die von ihm verfassten Seiten hinaus. Vielmehr muss man anerkennen, dass er versucht hat, seine auf den vorhergehenden Seiten dargelegte Haltung tatsächlich ohne Mo219
2. Die Überwindung des innerevangelischen Grabens und deren Ermöglichung
223
2.2.2. Arnolds Terminologie 224 Vor diesem Hintergrund, der der Unpartheyische[n] Kirchen= und Ketzer=Historie nicht zuletzt aufgrund der zum Ausdruck gebrachten Selbstwahrnehmung ihres Verfassers einen schwerlich zu übersehenden kontroverstheologisch-poledifi kation zu leben – zumindest eine Zeit lang: Man denke beispielsweise nur an die Niederlegung seiner Professur in Gießen 1698 und seine von ihm selbst schriftlich niedergelegte Begründung dieses Aufsehen erregenden Schritts, an sein sich daran anschließendes Leben in Quedlinburg und die ihm aus seiner separatistischen Haltung immer wieder erwachsenden Konfl ikte mit Kirche und Obrigkeit. Folglich ist es seine eigene Biographie, die die Ernsthaftigkeit seiner aus dem Verfall gezogenen Konsequenzen jedem Kritiker deutlich macht: Man kann zu den Äußerungen Arnolds, die hier ins Zentrum der Betrachtung gerückt worden sind, inhaltlich stehen, wie man möchte; den Vorwurf der praktischen Inkonsequenz oder gar der Heuchelei wird man Gottfried Arnold nicht machen können. Und das unterstreicht nachhaltig die Authentizität der Persönlichkeit des in der Erwartung der Endzeit lebenden radikalen Pietisten Gottfried Arnold. Zu den Jahren 1698 bis 1702, in denen Arnold seinen radikalpietistischen Separatismus am stärksten auslebt und die erst mit seiner Hochzeit und der damit verbundenen Übernahme eines kirchlichen Amtes enden, vgl. Dibelius, Gottfried Arnold, S. 77–160. Eine aufschlussreiche Darstellung der Gießener Jahre Arnolds liefert auch Hans Schneider, Gottfried Arnold in Gießen, in: Dietrich Blaufuß, Friedrich Niewöhner (Hgg.), Gottfried Arnold (1666–1714). Mit einer Bibliographie der Arnold-Literatur ab 1714 (Wolfenbütteler Forschungen 61), Wiesbaden 1995, S. 267–299. Schneider setzt sich hier auch mit der in der Forschung umstrittenen Abfassungszeit der Unpartheyische[n] Kirchen= und Ketzer=Historie auseinander (a.a.O., S. 291–297). Für Erich Seeberg markieren sowohl die Niederlegung der Professur in Gießen als auch die Heirat zwei von insgesamt drei Brüchen in der Biographie Arnolds [ders., Gottfried Arnold. Die Wissenschaft und die Mystik seiner Zeit. Studien zur Historiographie und zur Mystik, Darmstadt 1964 (Reprografi scher Nachdruck der Ausgabe Meerane in Sachsen 1923), S. 1–11]. Die auf Seeberg folgende und in Auseinandersetzung mit ihm entstandene Forschung ist dagegen bemüht, Arnolds Biographie als eine geschlossene, ungebrochene zu sehen, und betont daher die seinem Lebenslauf innewohnende Stringenz, wobei die von Seeberg attestierten Brüche zu Recht lediglich als Modifi kationen der im Grunde konsequent durchgehaltenen Lebenshaltung Arnolds verstanden werden (vgl. dazu Büchsel, Kirche und Wiedergeburt, S. 18–22; 195–204). Wie sehr Arnolds mystischer Spiritualismus, also sein Selbstbewusstsein, erleuchtet zu sein und daher die wahre unsichtbare von der falschen sichtbaren Kirche unterscheiden zu können, seine daraus erwachsene Ablehnung alles Äußerlichen, die konsequenterweise in der Weltflucht bzw. Separation gipfelt, welche für ihn die einzige Möglichkeit darstellt, sich ganz auf den Bau des inneren Tempels und letztlich auf die Vereinigung mit Christus zu konzentrieren, und schließlich seine Endzeiterwartung ihn als Vertreter des radikalen Pietismus ausweisen, verdeutlicht besonders prägnant Emanuel Hirsch. Er unternimmt es, sowohl die typischen Eigenheiten des radikalen Pietismus herauszuarbeiten als auch Arnold und sein Werk in diese Strömung einzuordnen (ders., Geschichte der neuern evangelischen Theologie Bd. 2, S. 255–274). Vgl. zu den Eigenheiten des radikalen Pietismus und zu Arnolds Einordnung in denselben auch Hans Schneider, Der radikale Pietismus im 17. Jahrhundert, in: Brecht, Deppermann u. a. (Hgg.), Geschichte des Pietismus Bd. 1, S. 391–437, hier: S. 391– 398; 410–416. 224 Die Zitation der in diesem Zusammenhang einschlägigen Stellen im zweiten Teil des ersten Bandes der Unpartheyische[n] Kirchen= und Ketzer=Historie erfolgt unter Angabe des entsprechenden Buches (arabische Ziffer), des Kapitels (lateinische Ziffer) und des Paragraphen (arabische Ziffer).
224
IV. Integrative Begrifflichkeit als nicht nur terminologischer Dammbruch
mischen Charakter verleiht, entfaltet Arnold nun auch sein Bild des 16. Jahrhunderts. Dabei kommt er als gewissenhaft arbeitender Historiker selbstverständlich auch auf den Reichstag zu Speyer 1529 zu sprechen, auf dem »Churfürst Johannes mit einigen andern Reichsfürsten wider solche decreta offentlich protestireten, [. . .] und deßwegen nachgehends Protestanten hiessen« 225 – kurz und bündig zeigt Arnold somit die Wurzel der Bezeichnung Protestanten auf. Bei dieser gleichsam am Rande auftauchenden Erwähnung des im Reichsrecht verankerten Akts der Protestation, die ohne jedwede Erläuterung der rechtlich-politischen und religiösen Bedeutung desselben erfolgt, wird dem Leser schnell einsichtig, dass Arnold dem Vorgang in der Gesamtkonzeption seiner Darstellung keine besondere Bedeutung beimisst. Vielmehr scheint er die Ereignisse auf dem Speyrer Reichstag nur der historischen Vollständigkeit halber anzuführen. Dieser Verdacht erhärtet sich bei Betrachtung der Formulierung, mit der er seine Ausführungen in Bezug auf die zwischen 1521 und 1529 stattfi ndenden Reichstage einleitet: »Nur daß noch dieses zu melden ist: [. . .]« 226 . Die historisch wie reichsrechtlich doch so bedeutende Entwicklung, die vor allem auf reichspolitischer Ebene zwischen dem Erlass des Wormser Edikts von 1521, dessen faktischer Suspendierung auf dem 1526 abgehaltenen Reichstag zu Speyer und schließlich der 1529 erfolgenden Auf hebung des Abschieds von 1526 ihren Lauf nimmt, wird hier von Arnold inhaltlich darauf reduziert, dass das »scharffe edict [von Worms, C. W.] wider Lutherum und seine anhänger« und die daraus resultierenden »harte[n] schlüsse wider Lutherum« 1529 »wieder hervor gesucht« worden seien, wodurch die zwischenzeitlich eingeräumte »freyheit zu Speyer« von 1526 außer Kraft gesetzt worden sei 227. Diese Verkürzung der Ereignisse ist zwar historisch letztlich nicht falsch, doch die darin zum Ausdruck kommende Oberfl ächlichkeit unterstreicht die Vermutung, Arnold setze im Zuge seiner Schilderung der Ereignisse seinen Schwerpunkt nicht auf die Geschichte der Reichstage; vielmehr hat er offensichtlich andere Darstellungsprioritäten, was auch die bereits untersuchten Ausführungen der Vorreden und Beschlüsse nahe legen. Den in ihnen dargelegten Vorgaben und Grundlinien konsequent folgend, zeichnet Arnold sein Reformationsbild, zu dem die Reformierten und ihre Ursprünge konstitutiv dazugehören. Ihnen widmet er dann auch ein eigenes Kapitel 228 . Arnold beschreibt darin nach einer kurzen, lobenden Passage über die Böhmischen Brüder 229 die von Zwingli in der Schweiz durchgeführte Reformation: Dieser sei zur selben Zeit wie Luther »wider den Pabst aufgestanden«
225 226 227 228 229
16, V, 13. Ebd. Ebd. 16, XXXI; das Kapitel trägt den Namen: »Von denen so genannten Reformirten«. A.a.O., 1–4.
2. Die Überwindung des innerevangelischen Grabens und deren Ermöglichung
225
und darin mit dem Wittenberger Reformator einig gewesen 230. Die Einigkeit habe sich nicht nur darin geäußert, dass sowohl Zwingli als auch Luther »von denen Papisten als ein gemeiner feind angesehen« worden seien, sondern auch darin, dass sie ihr Werk gegenseitig anerkannt und sogar überschwänglich gelobt hätten 231. Nach Arnold ist die brüderliche Einigkeit der beiden großen Reformatoren und ihrer Anhänger folglich nicht nur von außen, nämlich durch die Feindschaft der Altgläubigen, erzwungen worden und damit von rein pragmatischer Natur, sondern durchaus intrinsisch, d. h. durch gegenseitige Wertschätzung und Liebe motiviert gewesen. Doch bei dieser aufrichtig empfundenen und damit einigenden Liebe sei es eben nicht geblieben, denn »des satans list und betrug« 232 habe diese gelebte Brüderlichkeit nur allzu schnell zunichte gemacht. Als Auslöser der schon bald die Gemeinschaft sprengenden Streitigkeiten identifi ziert Arnold die vom Satan gesäte Eigenliebe: Sie ist der Grund für die schnell auf kommenden Lehrkonfl ikte, die sich im Wesentlichen an der Frage nach der Realpräsenz Christi beim Abendmahl entzünden, welche das Problem der Ubiquität der menschlichen Natur Christi hervortreibt 233. Zwar beginnen diese Konfl ikte nur langsam und werden anfangs noch unter Wahrung der gegenseitigen Wertschätzung ausgetragen 234. Angeheizt durch die zutiefst egoistische Ruhmsucht der beiden Hauptpersonen, nämlich Luthers und Zwinglis, sei die anfänglich respektvolle Sanftheit jedoch bald fahren gelassen worden: Beide Reformatoren hätten sich aufgrund ihres hitzigen Temperaments, also »aus menschlicher schwachheit«, den Rang streitig gemacht, indem jeder für sich in Anspruch genommen habe, der sowohl mit Blick auf den Beginn seines Wirkens als auch in Bezug auf die daraus resultierende Hierarchie unter ihnen der erste und damit wichtigste Führer der Reformation zu sein 235. Die Folgen der durch die individuellen Eitelkeiten Luthers, Zwinglis und auch Calvins236 verschärften Lehrkonfl ikte seien nun in einem solchen Maße »aemulation, mißgunst, und verbitterung gegen einander« gewesen, dass man sich kurzerhand gegenseitig »verkleinert, verkätzert, ja mit gewalt ausgetrieben, unterdrucket und verfolget« habe, bedauert Arnold 237. Ihren Ausdruck fi nde diese auf Hass und Neid beruhende und daher Gott mitnichten zur Ehre gereichende, sondern vielmehr auf Kosten der Botschaft Jesu Christi ausgetragene
230
A.a.O., 5. Ebd. 232 A.a.O., 13. 233 A.a.O., 6; 8 f.; 12 f. 234 A.a.O., 6. 235 A.a.O., 7. 236 Dass Calvin in seiner Heftigkeit und Streitsucht den beiden anderen Reformatoren in nichts nachgestanden habe, wird deutlich a.a.O., 9; 31. 237 A.a.O., 19. 231
226
IV. Integrative Begrifflichkeit als nicht nur terminologischer Dammbruch
Spaltung 238 unter anderem in den zahlreichen Beschimpfungen, mit denen vor allem Luthers Anhängerschaft die Reformierten diskreditiert habe239. Das Ergebnis der sich aus den menschlichen Schwächen der Protagonisten ergebenden und sich in den verschiedenen Lehrmeinungen niederschlagenden Auf hebung der brüderlichen Liebe und damit der Einigkeit unter denen, die sich anfangs noch geschlossen gegen das Papsttum mit all seinen verdorbenen Auswüchsen erhoben haben, sei eine Spaltung, deren Revision bis in die Gegenwart Arnolds nicht gelungen sei 240. Zwar habe es gerade auf reformierter Seite mehrfach Versuche gegeben, die einigende Liebe zwischen den zerstrittenen Parteien wiederaufzurichten 241, doch als endlich durch Martin Bucers Vermittlung 1536 ein Kompromiss in der Abendmahlsfrage zustande gekommen sei, hätten wiederum »die Schweizerischen mit der declaration desselben [scil. Bucers, C. W.] nicht zu frieden seyn wollen« 242 . Es haben demnach beide Seiten das Ihrige dazu getan, dass »die trennung immer vermehret worden« ist 243. So beschließt Arnold seine Ausführungen zu den gescheiterten Vermittlungsversuchen bzw. den vergeblichen Aussöhnungsbemühungen zwischen den Reformierten und den Anhängern Luthers mit dem spürbar enttäuschten Fazit, dass »also alle vor und nach selbigen zeiten versuchte vergleiche zwischen den Protestanten bis dato fehl geschlagen haben« 244. Diese klar integrative Terminologie lässt sich schon zu Anfang des vorliegenden Kapitels der Unpartheyische[n] Kirchen= und Ketzer=Historie nachweisen, wenn Arnold in den ersten Paragraphen, die sich anerkennend mit den Böhmischen Brüdern beschäftigen, der Verwunderung der Böhmen ob der trennenden Streitigkeiten zwischen Reformierten und Lutheranern mit folgenden Worten Ausdruck verleiht: »Es ist aber hierbey merckwürdig, daß diese gute leute nicht wenig stutzig worden, als sie die grosse spaltung derer Protestanten vernommen« 245. Gemeint ist natürlich die Spaltung zwischen den Anhängern Zwinglis bzw. später Calvins und denen, die in ihrer Haltung Luther gefolgt sind. Arnold spricht nur wenige Zeilen zuvor von Gesandtschaften, welche die böhmischen Gemeinden noch nach dem Tode Luthers »an die Teutschen protestirenden gemeinden geschickt« haben sollen 246 . Die Rede von speziell deut238
A.a.O., 12; 18. A.a.O., 19–21. So führt Arnold beispielsweise entrüstet an: »Diese [die Reformierten, C. W.] haben bey jenen [den Lutheranern, C. W.] Antichristen, ja Türcken und Heyden heissen müssen, daß der Calvinische drache mit dem mahometischen greuel schwanger gehe, und mit denen Türcken einig sei. [. . .] So hat man auch alle ihre dinge dem satan schlechter dinges zugeschrieben« (a.a.O., 21). 240 A.a.O., 18. 241 A.a.O., 37. 242 A.a.O., 38. 243 A.a.O., 39. 244 Ebd. 245 A.a.O., 4. 246 A.a.O., 3. 239
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227
schen protestantischen Gemeinden leuchtet aber nur ein, wenn der Verfasser der Unpartheyische[n] Kirchen= und Ketzer=Historie davon ausgeht, dass es auch noch Protestanten gibt, die außerhalb des Reichsgebietes leben, unter anderem in der Schweiz247, wo sowohl Zwingli als auch Calvin gewirkt haben. Somit lässt sich auch bei der hier vorliegenden Abgrenzung deutscher, d. h. im Reich lebender Protestanten von schweizerischen eine Begriffsnutzung attestieren, die Lutheraner und Reformierte unter einem Stichwort sammeln will, nämlich unter der Bezeichnung Protestanten. Der altgläubigen Seite seien natürlich die Streitigkeiten zwischen der reformierten und der lutherischen Partei nicht entgangen, im Gegenteil: »Sie haben sonderlich auf die grosse bitterkeit, schelt= und droh=worte, gewalt und unrecht genau achtung gegeben, welche die Protestanten selbst gegen einander verübt«, und die Auseinandersetzungen und die damit einhergehenden Schmähungen mit großer Genugtuung beobachtet 248 . So ist es Arnold in diesem Zusammenhang auch möglich, ganz allgemein vom »Schade aus der Protestanten uneinigkeit« 249 zu sprechen. Der Spott und die Zufriedenheit der altgläubigen Partei über den zerrütteten Zustand der beiden sich auf die großen Protagonisten der Reformation berufenden Fraktionen ist folglich dem Verfasser zufolge eine negative Konsequenz der »Trennung der Protestanten« 250. Die beiden letztgenannten Zitate sind jedoch nicht dem fortlaufenden Text des Kapitels »Von denen so genannten Reformirten« entnommen, sondern gehören zu den den Inhalt der entsprechenden Paragraphen angebenden bzw. die einzelnen Kapitel gliedernden Marginalglossen, die im gesamten Verlauf der Unpartheyische[n] Kirchen= und Ketzer=Historie zu fi nden sind. Dass Arnold seine integrative Deutung des Begriffs Protestanten also nicht nur in seiner Darstellung der historischen Ereignisse unzweideutig in Anschlag bringt, sondern auch im Zuge der Gliederung seiner Ausführungen nutzt, unterstreicht die Selbstverständlichkeit, die er im Umgang mit jenem Integrationsbegriff zeigt. Arnolds integrative Interpretation und die daraus erwachsende Nutzung der Benennung Protestanten in der Unpartheyische[n] Kirchen= und Ketzer=Historie beschränkt sich aber nicht nur auf das in erster Linie den Reformierten gewidmete Kapitel. Zwar lässt sich im gesamten 16. Buch der Unpartheyische[n] Kirchen= und Ketzer=Historie keine derartig konsequente und häufig anzutreffende Nutzung jenes Ausdrucks als Oberbegriff für Reformierte und Lutheraner fest247 Diese Feststellung geht davon aus, dass Arnold bei jener Formulierung die Reichsgrenzen vor Augen hat, wie sie zu seinen Lebzeiten in Geltung standen, denn schließlich ist die bis 1648 nominell zum Reich gehörende Schweiz erst im Zuge der Bestimmungen des Westfälischen Friedens aus dem Reichsverband herausgelöst worden; vgl. dazu in aller Kürze Ernst Walter Zeeden, Hegemonialkriege und Glaubenskämpfe 1556–1648 (Propyläen Geschichte Europas Bd. 2), Berlin 1999 (Nachdruck der 2. Aufl age Berlin 1980), S. 330. 248 16, XXXI, 17. 249 A.a.O., 16. 250 A.a.O., 18.
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IV. Integrative Begrifflichkeit als nicht nur terminologischer Dammbruch
stellen wie im genannten XXXI. Kapitel. Arnold streut jedoch, wenn auch eher beiläufig, Formulierungen ein, die als Nachweise für die integrative Deutung dienen können. Eine solche eingestreut anmutende Formulierung lässt sich beispielsweise in dem Kapitel mit dem Titel »Von denen hindernüssen der reformation, insonderheit denen verfolgungen und abfällen« fi nden 251. Darin schildert Arnold unter anderem die Verfolgungen, welche die Kritiker des Papsttums auf Initiative desselben zu erleiden hatten 252 . So erklärt er: »Vor allen dingen ist zu wissen, daß, nachdem die Protestanten sich in zwei partheyen, nemlich Lutheri und Zwinglii oder Calvini getheilet, gleichwohl wegen ihres wider den Pabst einstimmigen zeugnüsses alle beyde von diesen [den Papisten, C. W.] verfolget worden sind« 253.
Dieser Satz ist mit Blick auf die hier angewendete Deutung der Terminologie an Deutlichkeit nicht mehr zu überbieten: Nach Arnold waren die Protestanten ursprünglich eine aufgrund ihres gemeinsamen Protests gegen den Papst geschlossene Gemeinschaft, die sich erst im Nachhinein in Reformierte und Lutheraner aufgespalten hat. Diese Spaltung resultiere daraus, dass »es unter denen Protestanten an der einigkeit gemangelt, und die aemulation, mißgunst, verleumdungen, verkätzerungen und dergleichen gehindert, daß sie ihre consilia auch nicht einmahl äusserlich vereinigen, geschweige sich in eine krafft des glaubens und der liebe gegen die gemeinen feinde verbinden können« 254,
erklärt Arnold enttäuscht. Hier macht er ein für allemal klar, woran die einstmals vorhandene Einigkeit der Protestanten letztlich gescheitert ist; zugleich verdeutlicht er, warum für ihn eine Auf hebung der Trennung, und sei es nur rein äußerlich, schlechterdings nicht in Sicht ist. Protestanten ist eine gleichsam als Oberbegriff für die Anhänger Luthers einerseits, die Zwinglis und später Calvins andererseits fungierende Bezeichnung, die in besonderer Weise die Zusammengehörigkeit beider Seiten intendiert, zugleich aber das Bedauern Arnolds über die aus menschlicher Schwäche geschehene Aufspaltung der ehemals auf brüderlicher Liebe basierenden Gemeinschaft spürbar macht. Doch die bisher festgehaltenen Beobachtungen verkürzen das Bild, das sich nach der Lektüre der Unpartheyische[n] Kirchen= und Ketzer=Historie von Arnolds Terminologie zeichnen lässt. Denn was die Häufigkeit der Nutzung des Begriffs Protestanten angeht, so gibt es im Zuge der Darstellung des 16. Jahrhunderts ein weiteres Kapitel, welches sich mit jenem den Reformierten gewidmeten messen lassen kann. Gemeint ist das Kapitel, in dem sich Arnold mit der Vorgeschichte, dem Verlauf und den Konsequenzen des Schmalkaldischen 251 252 253 254
16, VIII. A.a.O., 5 f. A.a.O., 6. A.a.O., 37.
2. Die Überwindung des innerevangelischen Grabens und deren Ermöglichung
229
Kriegs beschäftigt 255. Dort wird eindrücklich geschildert, wie schon lange vor Beginn der militärischen Auseinandersetzung das Misstrauen zwischen den Protestanten auf der einen und den Altgläubigen auf der anderen Seite dermaßen geschürt worden sei, dass selbst Luther, der sich anfangs noch gegen jedwede Gewalt unter den Gegnern und damit entschieden gegen den Krieg ausgesprochen habe, nach und nach von seinem friedfertigen Standpunkt abgerückt sei 256 . Dieses Abrücken Luthers von seiner den Krieg ablehnenden und verurteilenden Haltung manifestiert sich nach Arnold darin, dass nicht nur der Wittenberger Reformator, sondern mit ihm auch andere einflussreiche Wittenberger Theologen den politischen Führern der Protestanten »zum krieg riethen« 257 und dabei sogar das Verteidigungsrecht biblisch begründet haben 258 . Das angesprochene Misstrauen zwischen Protestanten und Altgläubigen und die Befürwortung eines Verteidigungskrieges hätten nun erstgenannte Partei veranlasst, sich militärisch zu organisieren. Daher sei es nach erfolgreichen Vorverhandlungen schließlich zur Gründung des Schmalkaldischen Bundes im Jahre 1531 gekommen 259 ; aus der vermeintlichen Notwendigkeit heraus, sich gegen den militärisch überlegenen Kaiser im Ernstfall verteidigen zu können, habe man in Schmalkalden beschlossen, »einander mit gewaffneter hand zu schützen« 260. Trotz mehrerer Verhandlungen mit den Vertretern der kaiserlichen Seite und der wiederholten Bekundung des von den Osmanen bedrängten Kaisers selbst, keinen Krieg mit den Schmalkaldischen Bundesgenossen zu wollen, hätten diese es für nötig befunden, ihr Verteidigungsbündnis 1535 sogar noch auszuweiten und um weitere zehn Jahre zu verlängern 261. Zwar sei es in den folgenden Jahren nicht zur bewaffneten Auseinandersetzung zwischen dem Bund und dem Kaiser gekommen, doch hätten vor allem die Theologen beider Seiten in dieser Zeit das Ihrige dazugetan, die feindselige Stimmung wach zu halten und anzuheizen 262 . Natürlich hätten sich die Altgläubigen von jenem Bündnisschluss bedroht gefühlt, weshalb sie sich letztlich 1538 ihrerseits in einem »Catholischen gegenbund« zusammengeschlossen hätten, in welchem nun »der Pabst und die Clerisey das feuer weidlich auff blasen halffen« 263. Von diesem Zusammenschluss der Anhänger Roms seien dann wiederum die Schmalkaldener derartig aufge-
255 256 257 258 259 260 261 262 263
16, III; das Kapitel ist mit »Von dem Schmalkaldischen kriege« überschrieben. A.a.O., 1–5. A.a.O., 5. A.a.O., 6: Die Wittenberger Theologen »rathen [. . .] zur defension aus Rom. XIII«. A.a.O., 8. Ebd. A.a.O., 9. Ebd. A.a.O., 11.
230
IV. Integrative Begrifflichkeit als nicht nur terminologischer Dammbruch
schreckt worden, dass sie sich noch im selben Jahr erneut verstärkten 264. Hinzu seien die gegen die ohnehin schon gereizten Altgläubigen gerichteten unsäglichen Provokationen der protestantischen Theologen gekommen, durch die jedwede Anstrengung zur Entspannung des Verhältnisses im Keim erstickt worden sei, beklagt Arnold 265. So sei es aufgrund dieser Spirale von Misstrauen und Provokation zwangsläufig zum Waffengang gekommen: 1546 habe der Krieg begonnen, der von Anfang an für die Protestanten nachteilig verlaufen sei; und Arnold zögert nicht, die Gründe für den aus der Perspektive des Schmalkaldischen Bundes widrigen Kriegsverlauf zu benennen. Es sei nämlich mitnichten die militärische Überlegenheit des Kaisers gewesen, die dem Erfolg des Bundes im Weg gestanden habe. Vielmehr habe der Grund für die nicht enden wollende Reihe der Misserfolge in der Konstitution des Bundes und seiner Angehörigen selbst gelegen. Denn kaum habe der Krieg begonnen, seien die ersten Bundesgenossen aus Furcht vor den zu erwartenden Konsequenzen im Falle einer Niederlage aus dem Bund ausgetreten 266 . Andere hätten sogar die Fronten gewechselt und seien zum Kaiser übergelaufen 267. Diejenigen schließlich, die sich zu dem Bundesschluss bekannten, seien unfähig gewesen, sich auf eine einheitliche Taktik bzw. auf ein gemeinsames Vorgehen zu verständigen, sodass sich die Kaiserlichen in aller Ruhe auf die bevorstehenden Schlachten vorbereiten konnten 268 . Diese selbstverantworteten Ursachen für die Schwäche des Bundes seien wirksam ergänzt worden durch die listige Diplomatie des Kaisers, aufgrund welcher es dem Bündnis der Altgläubigen gelungen sei, »einen nach dem anderen von den alliirten abzuziehen, und das divide & imperabis fleißig zu practiciren« 269. Als sich schließlich die oberdeutschen Städte dem Kaiser ergaben und Herzog Moritz auf der Seite Karls V. in das Kampfgeschehen eingriff, sei die Niederlage der Schmalkaldener unabwendbar gewesen 270. Das für den Bund so fatale Ende des Krieges, das den »zustand der Protestanten [. . .] in so grosse gefahr gesetzet« 271 habe, ist für Arnold also nicht das Resultat einer erdrückenden militärischen und taktischen Überlegenheit des Gegners; die Schuld ist eher bei den Anhängern des Bundes selbst zu suchen, die in erster Linie stets auf den eigenen Vorteil, keineswegs aber auf den des Bündnisses bedacht gewesen sind. Das Grundübel ist demnach auch hier laut Arnold klar die verderbliche Eigenliebe. Sie allein und die aus ihr erwachsenden Schwächen der Menschen seien 264
Ebd. Ebd.; Arnold führt hier beispielsweise von Amsdorf an, der eine die römische Kirche mit ihrer Hierarchie verspottende Münze habe prägen lassen. 266 A.a.O., 12. 267 Ebd. 268 Ebd. 269 A.a.O., 13. 270 Ebd. 271 A.a.O., 21. 265
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letztlich für die harten materiellen Konsequenzen der Niederlage und das Elend, welches der Krieg nicht zuletzt unter der Zivilbevölkerung verursacht habe, verantwortlich zu machen, ist sich der Verfasser der Unpartheyische[n] Kirchen= und Ketzer=Historie sicher 272 . Wendet man sich nun dem verhältnismäßig häufigen Auftreten des Begriffs Protestanten in dem hier im Mittelpunkt stehenden Kapitel zu und ruft sich dabei ins Gedächtnis, dass Arnold ihn zuvor als integrative Bezeichnung für Lutheraner und Reformierte verwendet hat, gerät der aufmerksame Leser zunächst aufgrund der historischen Fakten ins Stocken: Schließlich bezeichnet Arnold in diesem Kapitel über den Schmalkaldischen Krieg die Angehörigen des Schmalkaldischen Bundes als Protestanten, und das obwohl explizit reformierte Stände dem Bund nicht angehörten 273. Hier liegt jedoch kein Versehen oder gar historischer Irrtum Arnolds vor, denn er ist sich der Tatsache, dass der Bund aus Verwandten der Augsburger Konfession bestand, durchaus bewusst, wie seine eigenen Worte zeigen 274. Er erklärt sogar mit Blick auf die Niederlage der Schmalkaldener: »Also daß diejenigen, so man wegen des Zwinglianismi aus dem bunde ausgeschlossen hatte, es noch vor ihren vortheil rechneten, daß sie nicht gleichen ausgang erfahren durfften« 275. Arnold bezeichnet demnach die Schmalkaldener Bundesgenossen, also die Augsburger Konfessionsverwandten, als Protestanten, wobei er explizit klarmacht, dass die Anhänger Zwinglis aus jenem Bündnis ausgeschlossen worden sind. Somit liegt hier eine andere Deutung des Terminus Protestanten vor als die zuvor herausgearbeitete: Der Autor der Unpartheyische[n] Kirchen= und Ketzer= Historie nutzt ihn in diesem Kapitel eben nicht als Integrationsbegriff zur Bezeichnung von Lutheranern und Reformierten, sondern zur Benennung lediglich der Angehörigen der Augsburger Konfession im Gegenüber zu den Reformierten, also der Lutheraner, eben weil und sofern sie die CA zum Grundbekenntnis des Schmalkaldischen Bundes erhoben haben. In den Kontext der mit dem Schmalkaldischen Krieg begonnenen militärischen Auseinandersetzung zwischen dem Kaiser auf der einen und einigen protestantischen Reichsständen auf der anderen Seite gehört für Arnold selbstverständlich auch der Augsburger Religionsfrieden von 1555. Dieser Friedens-
272
A.a.O., 21–23. Vgl. zu den Mitgliedern, dem theologischen Fundament und der politischen Ausrichtung des Bundes Gabriele Haug-Moritz, Georg Schmidt, Art. Schmalkaldischer Bund, TRE 30 (1999), S. 221–228. 274 16, III, 9. Arnold zählt im Zuge der Nennung der Bundesangehörigen historisch korrekt auch oberdeutsche Städte auf (a.a.O., 8), doch er tut dies zweifelsohne in dem Wissen, dass auch diese nach der sich in der Wittenberger Konkordie niederschlagenden Einigung von 1536 auf dem Boden der CA standen. 275 16, III, 13. 273
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schluss bildet gleichsam den Abschluss des bewaffneten Konfl ikts und wird von Arnold im IV. Kapitel des 16. Buches behandelt 276 . Dieses Kapitel schildert, zusammenfassend gesagt, den Krieg Moritz’ von Sachsen an der Seite des Kaisers gegen Kurfürst Johann Friedrich, beschreibt den Sinneswandel des am Ende des Schmalkaldischen Krieges vom Kaiser mit der Kurwürde bedachten Albertiners und geht somit auf den Kampf Moritz’ gegen seinen ehemaligen Verbündeten, also gegen Karl V., ein 277. Beachtet man mit Blick auf diese Inhalte den Titel dieses Kapitels278 , so wird offensichtlich, mit welcher Deutung der Begriff Protestanten in dem hier im Zentrum der Betrachtung stehenden Zusammenhang belegt wird: Er benennt auch hier Angehörige der CA. Schließlich widmet er das Kapitel nach dem Wortlaut der Überschrift den Kriegen »der Protestanten gegen den Kayser und untereinander« und beschreibt dann einmal die Auseinandersetzungen Moritz’ von Sachsen mit seinem ernestinischen Vetter. Sodann erläutert Arnold den Waffengang Moritz’ mit dem Kaiser. Mit den Kriegen der Protestanten untereinander meint er somit den sich unter Albertinern und Ernestinern, also unter Augsburger Konfessionsverwandten abspielenden Kampf im Zuge des Schmalkaldischen Krieges. Wenn er vom Krieg der Protestanten gegen den Kaiser spricht, hat er im Wesentlichen die Auseinandersetzung des konfessionell auf dem Boden der CA stehenden Kurfürsten Moritz von Sachsen mit Karl V. und die damit zusammenhängenden militärischen Entwicklungen im Blick. Dass Arnold den Terminus Protestanten auch in diesem Kapitel als Bezeichnung der Augsburger Konfessionsverwandten verwendet, machen besonders seine Ausführungen bezüglich des Augsburger Religionsfriedens deutlich. Anfang 1555 habe nicht der Kaiser selbst, sondern sein Bruder Ferdinand einen Reichstag nach Augsburg einberufen 279. Auf diesem Reichstag habe man einen Vergleich zwischen den Altgläubigen und den »Augspurgischen Confessions= verwandten« zu Stande bringen wollen; doch das Konfl iktpotential sei in Bezug auf die einzelnen zur Diskussion gestellten Themen sehr groß gewesen 280. So habe es beispielsweise um die Forderung der »Protestanten«, »auch denen Bischöffen und anderen geistlichen personen« solle der Übertritt »zur Augspurgischen confession« offen stehen, scharfe Auseinandersetzungen gegeben 281. Doch trotz aller Schwierigkeiten sei es letztlich doch gelungen, Frieden zu schließen. Zu diesem Friedenschluss »verbunden sich die Papisten gegen die Protestanten, und diese gegen jene« 282 . 276 16, IV; das Kapitel trägt die Überschrift: »Von denen übrigen kriegen der Protestanten gegen den Kayser und untereinander, wie auch von denen religions=frieden«. 277 A.a.O., 1–11. 278 Vgl. o. Anm. 276. 279 16, IV, 12. 280 Ebd. 281 Ebd. 282 Ebd.
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Aufgrund dieses Religionsfriedens »bekamen nun die Augspurgischen Confessions=verwandten ziemliche sicherheit und äusserliche ruhe nach so vielen ausgestandenen und langen troublen« 283. Doch diese Ruhe sei nur den Angehörigen der CA zugute gekommen, »da die Lutheraner die so genannten Calvinischen von diesem religions=frieden gäntzlich ausschlossen«, beklagt der überparteilich urteilende Autor bei dem Nachweis, wie verderblich der Augsburger Religionsfrieden doch eigentlich gewesen sei 284. Der Friede zwischen den Anhängern Roms und den Angehörigen der CA ist also unter Ausschluss der Reformierten zustande gekommen. Dass sich somit im Friedenschluss von 1555 »die Papisten gegen die Protestanten, und diese gegen jene« verbunden, die »Lutheraner die so genannten Calvinischen« aber vom Frieden ausgeschlossen hätten, lässt keinen anderen Schluss zu, als dass Arnold an dieser Stelle die Augsburger Konfessionsverwandten mit den Protestanten und diese wiederum mit den Lutheranern identifiziert. 2.2.3. Zu Arnolds Gewährsmännern: Der Commentarius historicus et apologeticus de Lutheranismo Veit Ludwig von Seckendorffs und Friedrich Seylers Anabaptista Larvatus Einer der Hauptgewährsmänner Arnolds für seine Darstellung des Schmalkaldischen Krieges ist, wie die Fußnoten des III. Kapitels ausweisen 285, Veit Ludwig von Seckendorff mit seinem Commentarius historicus et apologeticus de Lutheranismo286 . Daher bietet sich auch mit Blick auf die von Arnold in jenem Kontext angewendete Deutung des Begriffs Protestanten eine Untersuchung jenes vom 283
A.a.O., 13. Ebd. 285 Vgl. u. a. die Fußnoten zu 16, III, 1–4; 8–11; 13 f.; 19; 21. 286 Die sich anschließenden Untersuchungen stützen sich auf folgende Ausgabe: Veit Ludwig von Seckendorf, Commentarius historicus et apologeticus de Lutheranismo, Sive de Reformatione religionis ductu D. Martini Lutheri in magna Germaniae parte aliisque regionibus, et speciatim in Saxonia recepta et stabilita: in quo ex Ludovici Maimburgii Jesuitae Historia Lutheranismi anno MDCLXXX Parisiis Gallice edita libri tres ab anno 1517 ad annum 1546 Latine versi exhibentur, corriguntur, et ex Manuscriptis aliisque rarioribus libris plurimis supplentur; Simul et aliorum quorundam Scriptorum errores aut calumniae examinantur. Auspiciis Serenissimi et Potentissimi Electoris et Serenissimorum Ducum Saxoniae, eo fi ne ut ad veram et exactiorem notitiam rei gestae, et ad depulsionem calumniarum, ex fide dignis monumentis, denuo via pateat: Pro honore DEI, et pace Ecclesiae, justaque defensione pietatis et virtutis, a Majoribus in negotio Reformationis ostensae. Adjectis indicibus necessariis et locupletissimis, Leipzig ( Johann Friederich Gleditschius) 21694. Das Werk wird im Folgenden unter Angabe des Buches (lat. Ziffer) und der Seitenzahl zitiert. Die Zitation von Stichwörtern bzw. Formulierungen, die in den drei Registern des Commentarius zu fi nden sind, erfolgt unter Angabe des entsprechenden Registers (Index I, II oder III). Der studierte Jurist und Historiker Seckendorff (1626–1692), ein Sympathisant Speners, wirkte ab 1664 als Kanzler verschiedener Herzöge, bevor er 1691 Kanzler der Universität Halle wurde. Über Leben und Werk Seckendorffs informiert überblicksartig Dietrich Blaufuß, Art. Seckendorff, Veit Ludwig von (1626–1692), TRE 30 (1999), S. 719–727. 284
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Verfasser der Unpartheyische[n] Kirchen= und Ketzer=Historie häufig zu Rate gezogenen Werkes Seckendorffs an 287. Hilfreich ist in diesem Zusammenhang ein Blick in die Register des Commentarius historicus et apologeticus de Lutheranismo. Geht man die Stichworte durch, die Seckendorff dort unter dem Lemma Protestantes anführt, so stößt man auf zwei in Bezug auf Seckendorffs Interpretation dieses Begriffs aufschlussreiche Formulierungen, nämlich einmal auf »societatem Zuinglianorum recusant« 288 und zum anderen auf »ibidem Zuinglianos in foedus recipere nolunt« 289. Die Protestanten haben somit die Gemeinschaft mit den Zwinglianern abgelehnt und diese nicht in den Bund aufnehmen wollen. Damit ist jetzt schon eindeutig, dass Seckendorff die Bezeichnung Protestanten nicht als Oberbegriff für Lutheraner und Reformierte, also keineswegs integrativ nutzt, denn offensichtlich gehören für ihn die Anhänger Zwinglis schlicht nicht dazu. Macht man nun die Gegenprobe und untersucht im Register den Terminus »Zuingliani«, fällt einem eine unter diesem Begriff zu fi ndende Formulierung ins Auge, die den obigen Befund bestätigt, denn dort ist »eorum societas recusatur ab Aug. conf. sociis« zu lesen 290. Aufschlussreich ist diese Ausführung in zweierlei Hinsicht: Einmal gibt Seckendorff dort nahezu dieselben Textstellen an wie unter den bereits untersuchten zwei Stichworten des Registerbegriffs Protestantes. Sodann wird deutlich, wen er als Protestanten bezeichnet, nämlich die Angehörigen der CA. Da nach Seckendorff also die Protestanten die Gemeinschaft mit den Zwinglianern verweigerten und er im Register unter »Zuingliani« zugleich erklärt, es seien die Augsburger Konfessionsverwandten gewesen, welche jene Gemeinschaft mit den Zwinglianern abgelehnt hätten, identifi ziert er die Angehörigen der CA mit den Protestanten. Ansonsten wäre es dem Verfasser des Commentarius historicus et apologeticus de Lutheranismo schlechterdings nicht möglich gewesen, unter beiden in diesem Zusammenhang herausgestellten Schlagwörtern in seinen Registern auf dieselben Textstellen zu verweisen. Bleibt noch, diese Textstellen, auf die Seckendorff verweist, auf ihren genauen Inhalt und jene Identifi kation von Verwandten des Augsburger Bekenntnisses mit den Protestanten hin zu prüfen. Bereits 1531 sei im Zuge der Verhandlungen um den Schmalkaldener Bundesschluss die Frage aufgekommen, wie man sich zu Zwingli und denjenigen, welche seiner Lehre folgen, zu stellen 287 Wie der Bibliothekskatalog Arnolds ausweist, hat dieser Seckendorffs Commentarius historicus et apologeticus de Lutheranismo besessen. Vgl. dazu Catalogus bibliothecae b. Godofredi Arnoldi, in: Blaufuß, Niewöhner (Hgg.), Gottfried Arnold (1666–1714), S. 337–410, hier: S. 340. Informativ zur Auffi ndung und Auswertung des Katalogs ist Reinhard Breymayer, Der wiederentdeckte Katalog zur Bibliothek Gottfried Arnolds, in: a.a.O., S. 55– 143. 288 Seckendorff, Commentarius historicus et apologeticus de Lutheranismo, Index II. 289 Ebd. 290 A.a.O., Index I.
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habe. Seckendorff merkt im Anschluss daran an, wie heftig einige der den Schmalkaldischen Bund konstituierenden Großen des Reiches, beispielsweise der Markgraf von Brandenburg und der Kurfürst von Sachsen, die Reformierten zurückgewiesen hätten 291. 1532 habe dann in Schweinfurt ein Konvent der Protestanten stattgefunden 292 . Dort seien Kriterien für die Aufnahme in den Schmalkaldischen Bund festgelegt worden: Zum einen habe man verlangt, dass die Aufzunehmenden das Augsburger Bekenntnis annahmen; zum anderen sei die Reinheit von der zwinglianischen Lehre als Voraussetzung für die Aufnahme in den Bund festgesetzt worden 293. Im Zuge dieses Konvents zu Schweinfurt sei es auch zu Vermittlungsversuchen zwischen den Schmalkaldenern und den Gefolgsleuten des Kaisers gekommen 294. Bei den Vermittlungsgesprächen sei es nicht nur wegen der Wahl Ferdinands, also des Bruders Karls V., zum König zu Schwierigkeiten gekommen, sondern eben auch wegen des Verhältnisses der Schmalkaldener Bundesgenossen zu den Zwinglianern 295. So hätten die kaiserlichen Verhandlungsführer die Angehörigen des Bundes gedrängt, sich von den Zwinglianern und den Wiedertäufern klar und deutlich zu distanzieren 296 . Die Schmalkaldener ihrerseits hätten darauf hin zugesagt, weder für den Schutz der Zwinglianer noch für den der Wiedertäufer einzutreten, solange sie nicht von ihren Irrtümern abrückten 297. Folglich bestätigen die von Seckendorff in den Registern unter den Lemmata Protestantes und »Zuingliani« genannten und in diesem Zusammenhang wichtigen Passagen seines Commentarius historicus et apologeticus de Lutheranismo den schon bei der Untersuchung bzw. dem Vergleich der obigen Registerstellen erarbeiteten Befund: Protestanten sind für ihn ausschließlich Angehörige des Schmalkaldischen Bundes und damit Angehörige der CA. Ja, er merkt sogar an, dass die Annahme des Augsburger Bekenntnisses und die Unbeflecktheit von der Lehre Zwinglis feste Kriterien für die Aufnahme in den Bund gewesen seien. Die Gemeinschaft mit den Reformierten wird dabei von den Protestanten nicht nur scharf zurückgewiesen, sondern die Anhänger Zwinglis werden im Zuge der Verhandlungen mit den Altgläubigen sogar genauso ablehnend behandelt wie die Wiedertäufer. Nicht zuletzt deshalb ist an eine integrative Nutzung des Terminus Protestantes für Seckendorff nicht zu denken. 291
A.a.O., III, S. 2. A.a.O., III, S. 20. An dieser Stelle verwendet Seckendorff den Begriff Protestantes. 293 Ebd.: »Requirebatur ante omnia, ut recipiendi Augustanae confessioni adstipularentur, & a Zvingliano dogmate puri essent«. 294 A.a.O., III, S. 21, li. 295 Ebd. 296 Ebd.: »Circa religionem praeter alia id potissimum difficultatem habebat, quod intercessores urgebant, ut foederati causam a Zuinglianis & Anabaptistis separarent [. . .]«. 297 Ebd.: »Foederati autem promittebant, se nec Zuinglianis nec Anabaptistis patrocinaturos esse, nisi ab erroribus discederent [. . .]«. 292
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IV. Integrative Begrifflichkeit als nicht nur terminologischer Dammbruch
Letztlich bleibt somit festzuhalten, dass Arnold, der sich bei seiner Darstellung des Schmalkaldischen Krieges in erheblichem Maße auf die entsprechenden Ausführungen in Seckendorffs vorliegendem Werk stützt, jenen Begriff genauso verwendet wie sein Gewährsmann, nämlich zur Bezeichnung der Augsburger Konfessionsverwandten oder – anders formuliert – der Lutheraner, was nicht nur mit Blick auf die inhaltliche Darstellung auf eine Abhängigkeit der Unpartheyische[n] Kirchen= und Ketzer=Historie vom Commentarius historicus et apologeticus de Lutheranismo schließen lässt, sondern eben auch in terminologischer Hinsicht. Schwieriger zu beantworten ist dabei die Frage nach der Herkunft der integrativen Begriffsnutzung Arnolds. Im 16. Paragraphen des XXXI. Kapitels der Unpartheyische[n] Kirchen= und Ketzer=Historie stößt man auf ein Zitat, welches einem Werk entstammt, das nicht nur älter ist als die Schrift Arnolds, sondern auch zur Beantwortung jener Frage herangezogen werden kann. Das Zitat lautet: »›Ach wie gar sind die zungen der Protestirenden zertheilet, und gleich den bauleuten in Babel! wie bläset man doch die lästerposaunen Seba! wie ist die braut Christi, die weyland wie Jerusalem eine stadt war, schön zusammen gefügt, nunmehr zu einer Thamar worden, und hat durch manchen Perez einen schädlichen riß erlitten! Gehets nicht der religion, wie weyland der tochter Plutarchi, welche, weil sie nicht allen ihren freyern konte zu theil werden, endlich von selbigen in stücken zerrissen worden?‹« 298
Arnold zitiert hier, wie die entsprechende Fußnote ausweist299, die Praefatio der Schrift Anabaptista Larvatus des Baseler Predigers Friederich Seyler 300.
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16, XXXI, 16. Ebd., Fußnote h). 300 Der vollständige Titel des Werkes lautet: Friedrich Seyler, Anabaptista Larvatus Das ist Verstellter Wieder=Täuffer. Entdeckt beydes In einem Historischen Entwurff aller uns bekandter Wieder=täufferen Ursprungs, seltsamer Meynungen, und hin und wieder erweckter Unruhen. Wie auch Einer Dogmatischen Widerlegung aller derselben, und ihro so wohl gänzlich, als auch guten theils anverwandter Irrthumen der Socianeren, Papisten, Arminianeren, etlich Lutheraneren, Cartesianeren etc., Basel ( Johann-Rudolph Genath) 1680. Im Zedler befi ndet sich ein kurzer Artikel zur Person und zum Werk Seylers, aus dem hervorgeht, dass jener ein in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts lebender Prediger in Basel war [Art. Seiler oder Seyler, (Friedrich) in: Zedler, Grosses vollständiges UniversalLexicon Aller Wissenschaften und Künste 36 (1743), Sp. 1535]. Seylers Anabaptista Larvatus taucht in Arnolds Bibliothekskatalog übrigens im Gegensatz zum Commentarius historicus et apologeticus de Lutheranismo Seckendorffs nicht auf (vgl. o. Anm. 287). 299
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Der von Arnold gewissenhaft zitierte Seyler 301 bietet dem Leser in der Einleitung seines Werkes eine Übersicht der teilweise diametral entgegengesetzten Lehrmeinungen innerhalb der Papstkirche302 und erklärt darauf hin: »Den Kinderen der Finsternuß, sollen wir Evangelischen, fürnemlich aber Reformierten, diese Klugheit ablehrnen, und uns der Einträchtigkeit [. . .] umb so viel mehr befleissen; [. . .] eyngedenck dessen, daß ein Reich oder Kirchen, so mit sich selber uneins ist, nicht lang bestehen könne« 303.
Es ist demnach Pfl icht für alle aus der Reformation hervorgegangenen Konfessionen, also für alle »Evangelischen«, von denen die Reformierten nur einen Teil stellen, sich um Einigkeit zu bemühen. Seyler macht es den Reformationskirchen zur Aufgabe, aus den Lehrstreitigkeiten der Altgläubigen und ihrem Umgang damit zu lernen, denn letztlich gereiche es der Erhaltung des Erbes der Reformatoren zum Vorteil, wenn sich ihre Anhänger in Geschlossenheit üben. Dabei ist sich der Baseler Reformierte darüber im Klaren, dass eine Kirche ohne jedwede Streitigkeit »mehr zu wünschen, als aber zu hoffen« ist 304. Seyler hält also realistischerweise Lehrkonfl ikte innerhalb einer Kirche für möglich, mahnt aber gleichzeitig an, dass sich diese Konfl ikte nur um »blosse Ceremonien oder Mittel=ding« drehen dürften, keinesfalls jedoch um die Wahrheit des Evangeliums305. Was nun diese Wahrheit angeht, so gilt es, »umb blosser Einigkeit willen, nicht eines Haars=breit [zu] weichen« 306 . Die nicht zur Disposition stehende Basis der Geschlossenheit der Evangelischen ist also nicht mehr und nicht weniger als die Wahrheit des Evangeliums, während Fragen des Kultus und der Adiaphora durchaus diskutabel sind. Doch Seyler weiß genau, wie weit die Erben der Reformation von dieser auf der Wahrheit beruhenden Einigkeit entfernt sind, weshalb er die immer wieder auftretenden und seiner Meinung nach völlig überflüssigen Spaltungen unter ihnen beklagt 307. In diesem Kontext taucht dann auch die von Arnold zitierte Passage auf, in welcher der Baseler 301 Die von Arnold zitierte Textstelle lautet im Original: »Ach wie gar sind die Zungen der Protestierenden zertheilt, und gleich den Baw=leuthen in Babel! Wie blaset man doch die Läster=Posaunen Seba? Wie ist die Braut Christi, die weyland wie Jerusalem eine Stadt war, schön zusammen gefügt, nunmehr eine Thamar worden, und hat durch einen manchen Perez einen schädlichen Riß erlitten! Gehets nicht der Religion, wie weyland der Tochter Plutarchi, welche, weilen sie nicht allen ihren Freyeren konnte zu theil werden, endlich von selbigen in Stucken zerissen worden?« (Anabaptista Larvatus, Praefatio, unpag., S. 12, meine Zählung). Der Vergleich des Originals mit dem Zitat Arnolds zeigt, dass der Verfasser der Unpartheyische[n] Kirchen= und Ketzer=Historie Seyler bis auf ein paar Abweichungen in der Interpunktion und Orthographie gewissenhaft zitiert hat. 302 Seyler, Anabaptista Larvatus, Praefatio, S. 1–5. 303 A.a.O., S. 5. 304 A.a.O., S. 6. 305 A.a.O., S. 7. 306 Ebd. 307 A.a.O., S. 10 f.
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IV. Integrative Begrifflichkeit als nicht nur terminologischer Dammbruch
unter Verwendung biblischer und klassisch-antiker Bezüge die Zerrissenheit der Protestanten anprangert 308 . Seyler gebraucht den Begriff Protestierende folglich im Zusammenhang mit der Uneinigkeit der sich auf die Reformation berufenden Kirchen. Dass er dabei in erster Linie Reformierte und Teile der Lutheraner im Auge hat, macht seine Aufzählung all derjenigen aus der Reformation hervorgehenden Abspaltungen und Strömungen deutlich, die er für höchst schädlich hält 309. Somit dient Seyler die Bezeichnung Protestierende als Oberbegriff für die sich auf Zwingli bzw. Calvin und Luther berufenden Großkirchen. Wie Arnold nach ihm verwendet folglich auch der Baseler Prediger jenen Terminus integrativ. Nun lässt sich mit jener einzelnen Fußnote310 beweisen, dass der ehemalige Giessener Professor auf ein Werk zurückgegriffen hat, welches knapp zwanzig Jahre früher als seine Unpartheyische Kirchen= und Ketzer=Historie die Bezeichnung Protestanten oder genauer: Protestierende integrativ versteht und entsprechend verwendet. Doch dass es sich eben nur um eine vereinzelte Fußnote handelt, die schiere Quantität also, erhöht nicht gerade die Wahrscheinlichkeit, Arnolds integrative Terminologie verdanke sich allein dem Werk Seylers – einem Werk, das dem westeuropäischen reformierten Kontext entstammt. Flankiert wird diese These nicht zuletzt durch die materiale Begriffl ichkeit: Während Seyler von Protestierenden spricht, handelt Arnold außerhalb des angeführten Zitats von Protestanten. 2.2.4. Arnolds Terminologie vor dem Kintergrund seines Bildes des 16. Jahrhunderts Es steht damit vor Augen: In seiner Unpartheyische[n] Kirchen= und Ketzer=Historie bringt Gottfried Arnold zwei Deutungsoptionen des Begriffs Protestanten in Anschlag: Einmal nutzt er den Terminus zur Benennung der Lutheraner und der Reformierten, also klar integrativ; sodann ist es ihm aber auch möglich, allein die lutherische Partei, weil und sofern sie sich auf das Augsburger Bekenntnis stützt, mit jener Bezeichnung zu belegen. Es stellt sich also die Frage, ob beide Deutungsoptionen unvermittelt nebeneinander stehen, gleichsam als Resultat der terminologischen Inkonsequenz Arnolds, oder eben nicht. Zur Klärung dieser Frage ist ein Blick auf das Bild, das Arnold in seinem vorliegenden Werk nicht nur von der Reformation, sondern vom 16. Jahrhundert insgesamt entwirft, nicht nur hilfreich, sondern unabdingbar. Dass die durch die Reformation Luthers in Gang gesetzte »religionsveränderung«311 in ihrer Bedeutung und Tragweite ein besonderes Ereignis gewesen ist, wird für Arnold allein schon durch die zahlreichen »prophezeihungen und an308
Vgl. dazu o. Anm. 301. Seyler, Anabaptista Larvatus, Praefatio, S. 19 f. 310 S. o. Anm. 299. 311 16, XXIII, 1. Zur Zitation der in diesem Abschnitt angeführten Passagen des zweiten Teil des ersten Bandes der Unpartheyische[n] Kirchen= und Ketzer=Historie vgl. o. Anm. 224. 309
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dere vorboten« deutlich, welche die Begebenheiten um diese epochale Wende angekündigt haben sollen 312 . Und in der Tat sei die Reformation zeitlich in einem Jahrhundert beheimatet, in das »aus denen vorhergehenden seculis nicht nur alle greuel, irrthümer und mißbräuche des Pabstthums, so wol im regiment als lehr und leben [. . .] herüber gebracht, sondern auch mit sehr vielen andern vermehret worden«, beschreibt Arnold allgemein die Situation zu Beginn des 16. Jahrhunderts313. Gegen den in allen Bereichen des kirchlichen Wirkens desolaten und von der Papstkirche allein verschuldeten Zustand sei es nun auf dem Reichstag zu Worms 1521 in Form der »100 gravamina Teutscher nation« zu breitem Protest der weltlichen Reichsstände gekommen 314. Doch diesen habe der verdorbene und intrigante Klerus erfolgreich hintertrieben, wodurch jedoch das Verlangen nach Abstellung der Missstände und somit nach Besserung der Lage nur noch gesteigert worden sei 315. Zwar seien wiederholt einzelne Personen gegen die vom Papsttum verantworteten und gezielt vermehrten Übel aufgestanden, aber der listige, heuchlerische Klerus habe es immer wieder verstanden, jedwede Reformbestrebung scheitern zu lassen 316 . Auf diese Art und Weise habe es die jeden Protest gegen ihr Vorgehen und ihren Zustand erfolgreich erstickende römische Kirche nur dahin gebracht, die Sehnsucht der aufrichtigen und frommen Menschen nach Umbruch und Besserung ins Unermessliche wachsen zu lassen 317. So lässt sich also nach Arnold der Hintergrund beschreiben, vor dem nun die Reformatoren Luther und Zwingli die Bühne der Weltgeschichte betreten. Doch noch bevor Martin Luther mit seiner Kritik am Ablasswesen sein großes Werk in Gang gesetzt habe318 , sei bereits Zwingli in der Schweiz gegen das Papsttum wirksam in die Offensive gegangen 319. Natürlich sei es verwerfl ich, darüber zu streiten, welcher der beiden Reformatoren in Bezug auf den Beginn seiner Wirksamkeit der chronologisch erste gewesen sei, denn schließlich bedürfe »dieses göttliche werck [die Reformation, C. W.] von menschen keinen ruhm«; vielmehr müsse es »aufrichtigen gemüthern gleich viel« sein, »durch welches werckzeug Gott am ersten ausgebrochen sey«320. Dies sei den zwei Prot312 16, XXIII, 1. Zu den einzelnen Prophezeiungen und Vorahnungen auch auf Seiten der Reformierten vgl. u. a. a.a.O., 2–5. 313 16, V, 2. Die Verdorbenheit des Welt- und Mönchsklerus schildert Arnold eindrücklich a.a.O., 2–6. 314 A.a.O., 6. 315 Ebd. 316 Ebd. Arnold beschließt seine Ausführungen mit folgendem vernichtenden Fazit: »In summa, das schlangen= und otter=gezüchte wuste sich allezeit nach dem winde zu richten, und überall vorzubauen, daß man ihnen nicht leichtlich beykommen konnte« (ebd.). 317 A.a.O., 7. 318 A.a.O., 8. 319 A.a.O., 9. Zu Zwinglis Wirken in der Schweiz vgl. auch 16, XXXI, 5. 320 16, V, 9.
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agonisten auch durchaus klar gewesen, denn Luther und Zwingli seien anfangs »ganz einig gewesen«321. Was jedoch die öffentliche Wirksamkeit angehe, so müsse man Luther dann doch den Vorzug geben, denn erst auf seine Initiative hin seien viele andere »auffgemuntert und angefrischet« worden 322 . Dass aber sowohl Luther als auch Zwingli zu ihrem Wirken von Gott selbst berufen worden sind, ist Arnold in diesem Zusammenhang selbstverständlich besonders wichtig: Beide Männer sind für ihn gleichermaßen Werkzeuge Gottes323. Nach dieser Betonung der Gleichrangigkeit beider Männer mit Blick auf ihre göttliche Berufung wendet sich der Autor der Unpartheyische[n] Kirchen= und Ketzer=Historie dem Verlauf der lutherischen Reformation zu: Der durch den Geist Gottes erleuchtete Luther habe sich schrittweise von der dem heiligen Stuhl unterstehenden Kirche getrennt 324. Seine Kritik sei anfänglich auf das Ablasswesen beschränkt geblieben; keineswegs habe er direkt zu Beginn des Loslösungsprozesses die Autorität des Papstes in Zweifel gezogen 325. Erst als ihm aufgegangen sei, dass er für seinen Protest vom Papst weder Verständnis noch Unterstützung zu erwarten habe, sei Luther der unvermeidliche Bruch mit Rom zunehmend bewusst geworden 326 . Geradezu beiläufig und höchst komprimiert referiert Arnold nun die einschlägigen Ereignisse zwischen dem Thesenanschlag von 1517 und der Protestation von Speyer 1529327, bevor er sich wieder dem Wittenberger Reformator im Speziellen zuwendet. »Anfänglich fi ndet man ein vortreffl ich bildnüß eines evangelischen wahren Christen und Lehrers an ihm in den ersten jahren und nach dem ersten grund der christlichen lehre, darinn er voller krafft gewesen, und wahrhafftig von Gott mächtiglich regieret und gebrauchet worden«, lobt Arnold 328 . Für ihn steht fest, dass es Gott selbst gewesen ist, der Luther die Erkenntnis des Evangeliums geschenkt und damit die christliche Glaubenswahrheit offenbart hat, denn diese Einsichten könne ein Mensch aus eigener Kraft unmöglich erlangen 329. Die Erleuchtung Luthers und die damit einhergehende Erkenntnis hätten ihren Ausdruck nicht zuletzt im anfänglich tadellosen Lebenswandel des Reformators gefunden 330. Demütig, bescheiden, aufrichtig und offenherzig sei er durch sein
321 322 323 324 325 326 327 328 329 330
Ebd. A.a.O., 11. Ebd. Ebd. A.a.O., 12. Ebd. A.a.O., 12 f. A.a.O., 17. Ebd. A.a.O., 18.
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Leben gegangen, während er Großes für die und an den Frommen gewirkt habe331. Wie diese Wirkung der Lichtgestalt Luther aussah, macht Arnold ebenfalls unmissverständlich klar: Jener habe, gestützt auf das geschriebene Wort Gottes, »die feinde angegriffen, die verderbnüß gezeiget, bestrafft und gebessert, und den anfang des Christenthums gelehret«332 . Dabei habe zwischen ihm und Zwingli ein Band der Liebe bestanden, welches nicht unerheblich zur Attraktivität und zur Ausbreitung der Reformation beigetragen habe333. Tatsächlich seien die Reformatoren und ihre Anhänger anfangs noch einträchtig auf die Kernstücke einer positiven Veränderung der von der Papstkirche verschuldeten katastrophalen Situation der Christenheit aus gewesen, nämlich auf Buße und Besserung im Leben 334. Wie einschneidend und bedrohlich der mit der Reformation eintretende Umbruch für die römische Kirche gewesen ist, wird für Arnold nicht zuletzt an der Wahrnehmung und Reaktion der Altgläubigen deutlich: »Als nun im anfang dem Reiche des Päbstischen Anti=Christs durch diese reformation würcklich grosser abbruch geschahe, setzte sich dieser freylich mit desto grösserer furie dagegen«335. So sei die junge, von Gott selbst ins Werk gesetzte Reformation nicht nur den üblen Verleumdungen des altgläubigen Klerus ausgesetzt gewesen 336 , sondern man habe sogar um das Leben ihrer Protagonisten fürchten müssen 337. Aus der Einsicht heraus, den Anhängern der Reformatoren oder diesen selbst argumentativ schlicht nicht gewachsen zu sein, habe sich der Klerus schließlich des »weltlichen fleischlichen arm[s]« bedienen müssen, somit »die Regenten zum blutvergiessen« aufgehetzt und zahlreiche blutige Verfolgungen initiiert 338 . Kurz gesagt, die Reformation bzw. ihre Anhänger seien dem Zorn und den daraus resultierenden blutigen Repressalien der Papstkirche ausgesetzt gewesen. Arnolds Gedankengang ist demnach klar: Der seit dem 4. Jahrhundert der Kirchengeschichte zu attestierende Verfall wird unter der Herrschaft der Papstkirche qualitativ und quantitativ gesteigert, bis er schließlich in dem katastrophalen Zustand der Christenheit im 16. Jahrhundert kulminiert. Die von Welt- und Mönchsklerus zum eigenen Vorteil erhaltene und noch vermehrte Verdorbenheit der Kirche nimmt dermaßen überhand, dass der Wunsch nach Veränderung bzw. Besserung weite Teile der Gesellschaft, nicht zuletzt eben 331
A.a.O., 18–20. 16, VI, 1. 333 Ebd. 334 A.a.O., 1 f. 335 16, VIII, 1. 336 A.a.O., 2. 337 A.a.O., 3: »Wie offt Luthero selber mit gifft und andern mord=mitteln nachgestellt worden, ist aus seinen schrifften bekannt«. 338 A.a.O., 5. 332
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IV. Integrative Begrifflichkeit als nicht nur terminologischer Dammbruch
auch die weltliche Obrigkeit, ergreift. Es gelingt der römischen Kirche jedoch immer wieder, jedwede von aufrichtigen und frommen Personen unternommenen Verbesserungsanstrengung im Keim zu ersticken. Das ändert sich erst mit dem durch Vorahnungen und Prophezeiungen angekündigten Auftreten der Reformatoren Luther und Zwingli: Sie und ihre Anhänger erheben sich geschlossen gegen die päpstliche Tyrannei und ihre Missbräuche. Besonders durch die öffentliche Wirksamkeit des tadellos lebenden und gottesfürchtig handelnden Martin Luther erreicht die Reformation ein breites Publikum. Luther klagt unerschrocken die herrschenden Missstände an, deckt sie dadurch auf und ist bemüht, sie abzustellen; Kernpunkte des reformatorischen Neuansatzes zum Abstellen des Verfalls bilden dabei Buße und Erneuerung im Leben, zwei Faktoren also, die von der dem Papst unterstehenden Kirche sträfl ich vernachlässigt, wenn nicht sogar absichtlich hintertrieben worden sind. Mit dem Auftreten Luthers ist anfänglich für die unter der Knute der Papstkirche Leidenden die Hoffnung verbunden, den aus dem Jahrhunderte währenden Verfall resultierenden Missständen werde ein für allemal ein Ende gesetzt. Dass der Augustiner-Eremit tatsächlich über das Potential verfügt hat, die christliche Kirche wieder in ihren unbefleckten Urzustand zu überführen, steht für Arnold außer Frage, denn er betont wiederholt, dass Luther um die Reinheit und Liebe der Urgemeinde weiß und in ihrem Sinne lehrt 339. Überhaupt ist Luthers Wissen, »den anfang des Christenthums« 340 betreffend, nur ein Faktor, mit dem Arnold im Zuge seiner Darstellung der ersten Jahre der Reformation den Leser auf die in den Vorreden der Unpartheyische[n] Kirchen= und Ketzer=Historie zum Ideal erhobene Urgemeinde hinweist. Ein weiteres und wesentlich stärkeres Moment bildet die anfänglich von Lutheranern und Reformierten gelebte Liebe. Arnold wird nicht müde zu erwähnen, wie stark zu Beginn das Band der Liebe zwischen beiden großen Reformatoren und ihren Gefolgsleuten gewesen sein muss. Er erklärt daher unter anderem explizit: »Nun ist wahr, daß gleich in den ersten jahren der reformation, eine große bewegung und veränderung der hertzen in unzehlichen menschen, so wohl in Sachsen und andern orten, als in der Schweitz, da Zwinglius gelehret hat, vorgegangen, indem freylich bey vielen noch die erste liebe war« 341.
Unvermeidlich wird der Leser bei dieser Formulierung an die von Arnold so hoch gepriesene Liebe erinnert, in welcher die ersten Christen ihre Existenz in Reinheit und Einigkeit führten, an ein Motiv also, das schon im Zuge der Vorreden als ein stoffgestaltendes erschienen ist. 339 340 341
den.
Vgl. u. a. 16, V, 17 und VI, 1. 16, VI, 1. Ebd. Für diese Formulierung hat mit großer Wahrscheinlichkeit Apk 2,4 Pate gestan-
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Die »erste liebe«, welche die Anhänger Luthers und Zwinglis verbunden habe, habe zu einer derartigen Einigkeit geführt, dass Arnold sie folgendermaßen beschreiben kann: »Denn dazumal stunden noch alle, Lutherus, Zwinglius und die übrigen vor einen mann gegen den Pabst« 342 . Diese durch Liebe und daraus resultierender Einigkeit konstituierten Parallelen zwischen der Urgemeinde und den Strömungen zu Beginn der Reformation sind dabei nicht zufällig: Arnold konstruiert offenbar bewusst ein Bild, welches die ersten Jahre der Reformation mit dem unbefleckten Zustand der ersten Christen vergleichbar macht. Nun wird auch Arnolds hohe Meinung von den Anfängen des Reformationszeitalters deutlich: Luther und Zwingli bieten der Papstkirche eben nicht nur die Stirn, indem sie die herrschenden Missstände aufdecken und abzustellen versuchen. Sie gebieten vielmehr dem seit mehr als einem Jahrtausend um sich greifenden Verfall Einhalt, indem sie in Bezug auf Liebe und Einigkeit den von Arnold zum Vorbild erhobenen Zustand des Urchristentums wiederherstellen, wenn auch nur kurzzeitig, wie noch zu zeigen sein wird. Doch damit nicht genug: Der Autor der Unpartheyische[n] Kirchen= und Ketzer=Historie fügt dieser bewusst konstruierten Parallelität von Urgemeinde und »Urreformation« noch einen weiteren Faktor hinzu: In seinen Vorreden hat Arnold den Zustand der Verfolgung bzw. des Leidens zu einem unverzichtbaren Prädikat wahren Christentums erhoben. Es geschieht daher nicht zufällig, dass er die frühen Jahre der Reformation mit ihren Protagonisten ebenfalls mit diesem Gütesiegel versieht, indem er schildert, unter welch blutigen und vom Papsttum eingefädelten Nachstellungen die Anhänger Luthers und Zwinglis haben leiden müssen. Arnold erklärt in den untersuchten Passagen der Vorreden und Beschlüsse das Leben unter Verfolgung gleichsam zum Kennzeichen wahren Christseins und betont dabei, dass die Verfolgten gerade wegen ihrer der Urgemeinde nachempfundenen Liebe und Einigkeit den Zorn der verdorbenen Mehrheit auf sich gezogen hätten. Dieses Bild der Beziehung des wahren, reinen christlichen Lebens und des dem Verfall erlegenen großen Rests wendet er nun konsequent auf das Verhältnis der jungen Reformation zur römischen Kirche an: Er schildert die Verfolgungen, die sowohl Lutheraner als auch Reformierte auf Initiative des altgläubigen Klerus zu erdulden hatten 343, und unterstreicht, dass die liebende Einigkeit der beiden Reformatoren und ihrer Gefolgschaft auch von den Handlangern des Heiligen Stuhls wahrgenommen wurde344. Es bleibt somit festzuhalten, dass die mit dem Auftreten und der Wirksamkeit Luthers und Zwinglis einsetzende 342 16, VI, 1. Ein ähnliches Bild verwendet Arnold in 16, XXXI, 5: »Gestalt in selbigen ersten zeiten bey gemeiner sache und gefahr alle damalige zeugen der warheit wider das Pabstthum als den dritten mann sich vereinigen müssen [. . .]«. 343 16, VIII, 6 f. 344 16, XXXI, 5: Arnold führt aus, Reformierte und Lutheraner seien »von denen Papisten als ein gemeiner feind angesehen worden«.
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IV. Integrative Begrifflichkeit als nicht nur terminologischer Dammbruch
epochale Wende, welche die Reformation darstellt, für Arnold mehr ist als der bloße Bruch mit der tyrannischen, verdorbenen Papstkirche. Das die reformatorischen Protagonisten und ihre Anhängerschaft unter der Verfolgung durch ihren gemeinsamen Feind anfänglich auszeichnende Attribut der aus aufrichtiger Liebe erwachsenden Einigkeit ist für ihn nicht mehr und nicht weniger als der Ansatz der Wiederaufrichtung der Urgemeinde und ihrer Lebensweise. Luther und Zwingli stellen demnach zu Beginn der Reformation jenen Zustand wieder her, den Arnold in den Vorreden seines Werkes zu dem Ideal christlichen Lebens und Glaubens schlechthin erklärt hat. Der die Kirchengeschichte seit der Zeit Konstantins beherrschenden Verdorbenheit scheint durch die junge Reformation endgültig Einhalt geboten zu werden. Doch der Schein trügt, denn schon sehr bald nach Beginn der Reformation enden die Verfolgungen, und der Verfall hält erneut Einzug. Das Ende der gegen die Reformatoren und ihre Anhänger gerichteten Nachstellungen durch die Papstkirche markiert dabei für Arnold einen entscheidenden Wendepunkt: Noch einmal macht er unmissverständlich klar, »daß bey solchen trübsalen in denen verfolgten von allen partheyen nicht allein viel böses unterdrucket, und sie warhafftig gedemüthiget und bewähret worden, sondern auch viel mehr licht und krafft als bey andern sich geäussert habe« 345. Es ist demnach gerade das durch die Verfolgungssituation und die damit zusammenhängenden Härten verursachte Leid, das die Christen aller Parteien in ihrem demütigen Glauben stärkt und sich bewähren lässt. Arnold unterstreicht mit dieser Ausführung erneut seine schon bekannte Auffassung vom Leid unter Verfolgung: Es ist schlichtweg Kennzeichen und Beförderung christlichen Glaubens. Doch so sehr er von der positiven Wirkung des Verfolgtseins und Leidens auf den christlichen Glauben überzeugt ist, so vernichtend fällt sein Urteil bei der Bewertung der Situation aus, die sich einstellt, wenn Verfolgungen und Leid ein Ende fi nden: »Wiewol man unter die haupt=verhinderungen der besserung zuerst setzen solte die guten tage und sichern zeiten, durch welche auch gantze gemeinen am meisten wiederum zurücke und in sicherheit und kaltsinnigkeit gefallen sind«346 . Kaum hat das dem Glauben zu seiner Stärkung und Bewährung verhelfende Leid ein Ende, ist jede unter Entbehrung und Härte, ja unter Einsatz des eigenen Lebens erzielte Besserung dahin. Dieser Rückfall in die Verdorbenheit, die vor den den Glauben festigenden Verfolgungen und den durchlittenen, der Demut jedoch zu ihrer Bewährung verhelfenden Härten geherrscht hat, ist demnach ein besorgniserregender Prozess, den Arnold bei den der Botschaft der Reformation folgenden Gemeinden beobachten muss347. Die durch das Ende der Verfolgungen und des damit verbundenen Leids eingeleitete fatale Entwicklung hat nun schwerwiegende Folgen in Bezug auf die 345 346 347
16, VIII, 6. A.a.O., 1. Ebd.
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Charakterzüge der Protagonisten der Reformation, besonders auf Luthers. Der bei der Schilderung der ersten Reformationsjahre gleichsam als Bild des idealen Christen dargestellte Wittenberger Reformator vollzieht nach Arnold im Laufe der Zeit eine äußerst bedenkliche Wandlung, die durch seine ihm von Geburt an eigenen Wesensarten noch unterstützt wird. Zu Luthers anfänglich tadellosem Auftreten bzw. Verhalten bemerkt der Autor der Unpartheyische[n] Kirchen= und Ketzer=Historie, gerade »diese rechtschaffene übungen und kämpffe [die Luther zu Beginn seines Wirkens durchzustehen hatte, C. W.] unterhielten damals sein hertz in der demuth, und druckten die angebohrne hoffart, wie sie sich bei allen nach der wurtzel fi ndet, fein nieder« 348 . Doch kaum hätten die von Luther durchlittenen innerlichen wie äußerlichen Auseinandersetzungen, zu denen auch die Verfolgungen zählen, ein Ende gefunden, da sei ein Persönlichkeitsmerkmal an ihm zum Vorschein gekommen, welches das strahlende Bild des Reformators mit seiner über jedwede Kritik erhabenen Lebensweise getrübt habe, nämlich seine »hefftigkeit«349. Diese sei der Grund für all seine übertrieben kämpferischen und damit rücksichtslosen Äußerungen und Verhaltensweisen gewesen, die völlig zu Recht die Kritik seiner Zeitgenossen auf sich gezogen hätten 350. Selbst wenn seine überzogen heftigen Aussprüche und Schriften oftmals auch nur Reaktionen auf die Provokationen seiner Widersacher gewesen seien, sei Luther sich doch letztlich dieser Schattenseite seines Wesens durchaus bewusst gewesen 351. Gerade was das von Luther verfasste Schrifttum angeht, so seien Resultate seiner Heftigkeit bzw. der damit verbundenen »freyheit im reden und schreiben« solche Passagen daraus, »von denen zu wünschen wäre, daß sie wären ausgelassen worden«, beklagt Arnold 352 . Luthers nur allzu bald »durchbrechendes hitziges temperament, das sich an nichts leicht binden ließ, und gerne die anderen unter sich brachte oder nach sich zog«353, sei nun einhergegangen mit einem Wandel in seiner Lebensweise, der alles andere als lobenswert sei: So habe der Reformator vollkommen überstürzt geheiratet und damit seine ursprünglich mit Recht ablehnende Haltung gegenüber der Ehe diskreditiert 354. Die übereilte Entscheidung, Katharina von Bora, übrigens eine Frau mit schlechten Charaktereigenschaften 355 , zu heiraten, spreche eben nicht nur für Luthers Inkonsequenz, sondern habe auch den Gegnern der Reformation ausreichend Anlass gegeben, über den in seiner Lebens-
348
16, V, 18. A.a.O., 27. 350 Ebd. 351 Ebd. Mit Blick auf Luthers Heftigkeit weiß Arnold zahlreiche Beispiele anzuführen; vgl. dazu u. a. a.a.O., 28. 352 A.a.O., 29. 353 A.a.O., 23. 354 A.a.O., 30; vgl. auch 16, XIV, 26. 355 16, V, 30. 349
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führung vermeintlich so unangreif baren ehemaligen Mönch zu spotten und somit das Anliegen der Reformation in Misskredit zu bringen 356 . Aber nicht nur Luther gerät wegen seines zu unbedachtem Handeln verleitenden Temperaments in die Kritik: Auch Zwingli und Calvin wird eine Heftigkeit bescheinigt, die der des von Wittenberg aus wirkenden Reformators in nichts nachgestanden habe. So sei Zwingli »von natur auch eines hitzigen temperaments gewesen« 357 ; und desgleichen wird Calvin von Arnold »ein sehr hefftiger sinn« attestiert 358 . Noch weniger Sympathie als Luther, Zwingli und Calvin, die wegen ihrer unüberlegten Heftigkeit scharf getadelt werden, erfährt bei Arnold Melanchthon. Der vom Humanismus geprägte Reformator und Weggefährte Luthers sei nichts weiter als ein spitzfi ndiger Vernunftmensch gewesen 359, dessen »übermäßige und recht verderbliche neigung zu den heydnischen schrifften, und der Aristotelischen philosophie« kompromisslos zu verurteilen sei 360. Denn die Liebe zur heidnischen Literatur und zur Stimme der eigenen Vernunft habe ihn mehr an die Natur bzw. an Innerweltliches glauben lassen als an die »Göttlichen und übernatürlichen würckungen des Geistes Gottes«361. Dabei habe schon Luther in seinen Schriften Melanchthons »furchtsamkeit und unglauben« bezeugt 362 . Doch damit nicht genug: Melanchthon sei nicht nur spitzfi ndig, furchtsam, vernunfthörig und ungläubig gewesen, sondern, nicht zuletzt in seinem Verhältnis zu Luther, auch falsch und intrigant 363. Die charakterlichen Schwächen bzw. negativen Eigenschaften der genannten zentralen Persönlichkeiten des Reformationszeitalters haben für Arnold natürlich Konsequenzen, die er nicht zögert zu benennen: Ihre Heftigkeit, ihr zu unbedachtem Vorgehen verleitendes Temperament und ihr Hang zum Innerweltlichen hätten nichts weiter als Streit provoziert, der seinerseits »die gemüther von der einfalt und lauterkeit des glaubens und der liebe auf zancksucht, aemu356 16, XIV, 26. Dass Arnold die Eheschließung Luthers angreift, rührt aus seiner Kritik an den Motiven für das Gutheißen der Ehe: Der in seinen Vorreden und Beschlüssen zur bedingungslosen Separation von der verfallenen Welt aufrufende radikale Pietist erklärt, man habe doch den Ehestand nur deshalb gutgeheißen, »da man, seine fleischeslüste desto besser zu bedecken, ihm alle heiligkeit alleine zugeschrieben, ungeacht man sonst fast keine heiligkeit im leben zugegeben, viel weniger erlangen wollen« (ebd.). 357 16, XXXI, 7. 358 A.a.O., 31. 359 16, XXVIII, 1. Eine Untersuchung zu Arnolds Melanchthonbild bietet Johannes Wallmann, Das Melanchthonbild im kirchlichen und im radikalen Pietismus, in: Udo Sträter (Hg.), Melanchthonbild und Melanchthonrezeption in der Lutherischen Orthodoxie und im Pietismus. Referate des dritten Wittenberger Symposiums zur Erforschung der Lutherischen Orthodoxie (Wittenberg, 6.–8. Dezember 1996) (Themata Leucoreana), Lutherstadt Wittenberg 1999, S. 11–24, hier: S. 16–22. 360 16, XXVIII, 2. 361 Ebd. 362 Ebd. 363 A.a.O., 3.
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lation, haß und schelten verleitet« habe364. Diese wiederum seien nämlich »der grösseste und schwerste strick [. . .], wodurch der Satan die angesehensten männer jederzeit zu fällen, und untüchtig zu machen gesuchet«365. Dass dabei das Abklingen der Verfolgungen ursächlich für das Hervortreten der Charakterschwächen bedeutender reformatorischer Persönlichkeiten ist, steht für Arnold natürlich völlig außer Frage: »In summa es lehret [. . .] auch die erfahrung, daß es um die leute, sonderlich lehrer, nie besser stehe, als wenn sie unter creutz und verfolgung stecken [. . .]. Denn da hat das hertz [. . .] nichts worauf es sich verlassen könne, und muß fein in der noth allein zu Gott lauffen [. . .]«366 . Enden aber »creutz und verfolgung«, wende sich das Herz von Gott ab und verfalle der Eigenliebe und dem damit verbundenen Hochmut, diagnostiziert der Verfasser der Unpartheyische[n] Kirchen= und Ketzer=Historie enttäuscht 367. Somit ergibt sich ein geschlossenes Bild: Die Reformation hat anfangs die einigende Liebe der Urgemeinde restituiert, wobei ihr das Leid unter den wütenden Verfolgungen durch das Papsttum und seine Handlanger nur hilfreich gewesen ist. Denn schließlich zeichnet den Glauben stärkendes, Demut bewährendes und dabei alle negativen Eigenschaften niederhaltendes Leiden den innerweltlichen Zustand wahren christlichen Glaubens aus. Als aber die Verfolgungen und mit ihnen das das Leben regelrecht segnende Leiden ihr Ende fi nden, ist auch mit der durch die Reformation ins Werk gesetzten Besserung Schluss. Während die Gemeinden gleichsam in die präreformatorische Verdorbenheit zurücksinken, geben große Gestalten wie Luther, Zwingli, Calvin oder Melanchthon ihren charakterlichen Schwächen nach, kommen vom bereits eingeschlagenen rechten Weg wieder ab und verfallen in gotteslästerliche Streitigkeiten. Ihre so zum Vorschein kommende und in Eigenliebe und Ehrgeiz wurzelnde Streitsucht ist dabei für Arnold nichts anderes als das Hauptkampfmittel des Satans gegen den rechten Glauben und daher die »gröste[. . .] pest unter den Gelehrten«368 . Die die Reformation heimsuchende und nicht zuletzt von ihren Protagonisten ausgehende Streitsucht bleibt auch mit Blick auf die einigende Liebe unter den Anhängern Luthers und Zwinglis nicht ohne verheerende Folgen: »An statt, daß man beyderseits einander, weil man nicht anders überzeuget war, in der so theuer von dem höchsten meister befohlenen liebe hätte tragen und dem Herrn überlassen sollen, verdammte und verfluchte einer den andern«369. Anstatt also in Liebe, »die durch das feuer der trübsal treffl ich gefeget und unter364 365 366 367 368 369
16, V, 26. 16, XXVIII, 5. 16, V, 20. Ebd. A.a.O., 26. 16, XXXI, 11.
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halten wurde« 370, und Einigkeit zu verbleiben, wie es Jesus Christus gewollt hätte, verfallen Lutheraner und Reformierte in übelste Zwietracht. Wieder betont Arnold, die Hauptursache für dieses schändliche Verhalten hänge aufs Engste mit dem Ende des unter den Verfolgungen erfahrenen Leids zusammen, und zieht nun auch den direkten Vergleich mit der Urgemeinde, indem er erklärt, »bald nach ereigneter ruhe und sicherheit« habe auch die füreinander empfundene Liebe ihr Ende gefunden, und zwar »nicht anders, als es in der ersten kirchen etwa zugegangen ist«371. Die sich an das Ende der Nachstellungen umgehend anschließende und sich in der Streitsucht manifestierende Verdorbenheit, die auch die Anhänger der Reformation heimsucht, verrate sich unter anderem durch die ausbrechenden Streitigkeiten zwischen Luther, Zwingli und ihren Gefolgsleuten, welcher der beiden Reformatoren bezüglich seines Wirkens nun chronologisch und damit hierarchisch der erste gewesen sei 372 . In diesem Zusammenhang werde besonders deutlich, wie »auff beyden seiten viel menschliches und partheyliches, ich will nicht sagen ruhmrediges« mit hinein gespielt habe373. Diese schädlichen Einflüsse hätten schließlich zu »schmähen, verdammen, verkätzern, grimm und eyffer« geführt, welche allesamt dem »heilsamen vortrag von dem wahren evangelio und dessen krafft« diametral entgegengesetzt seien 374. »Und so gieng es nun wol recht Babylonisch und verwirret zu«, da sowohl Reformierte als auch Lutheraner die sie einst verbindende Liebe weit hinter sich gelassen hätten und mehr damit beschäftigt gewesen seien, einander zu bekämpfen und zu vertreiben, als die »liebe gegen Gott und menschen« zu leben und zu lehren 375. Neben der die Verdorbenheit und menschliche Schwäche Lu370
16, VI, 1. Ebd. 372 16, V, 9; vgl. auch XXXI, 7: »Dazu [zu den Lehrstreitigkeiten, C. W.] kam die unselige aemulation zwischen Zwinglio und Luthero, da aus menschlicher schwachheit man einander den ruhm disputiren wollte, wer am ersten zu reformiren angefangen hätte«. 373 16, V, 9. 374 16, VIII, 9. 375 Ebd. Die Ausmaße, die die gegenseitige Bekämpfung und Vertreibung laut Arnold angenommen haben, schildert dieser eindrücklich im Zuge der Darstellung der zum Teil sogar gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Lutheranern und Kryptocalvinisten (16, XXXII). Es sei hier nur am Rande auf die Vielseitigkeit der Babel-Metaphorik Arnolds hingewiesen: Verdankt sich die auf Unordnung und Verwirrung anspielende Metapher des angeführten Zitats dem berühmten Turmbau in Gen 11, so kann Arnold in seiner Unpartheyische[n] Kirchen= und Ketzer=Historie auch auf das Babylonbild aus Deuterojesaja rekurrieren, wenn er den zu gottgefälligem Leben Bereiten ermahnt, er solle vom verdorbenen Rest, der ihn umgibt, »ausgehen und sich absondern, und nichts unreines mehr anrühren« ( UKKH II, Beschl. zum 4. Teil, 14; s. o. Anm. 219; der zitierte Wortlaut lehnt sich an Jes 52,11 an), wobei für Arnold das negativ konnotierte Babylon aus Jes 14 an dieser Stelle mit Sicherheit mitschwingt. Schließlich sind Arnolds Metaphorik auch die entsprechenden Motive der Apokalypse des Johannes eine willkommene Quelle, aus der sich die vernichtende Kritik auch und gerade am eigenen Konfessionskirchentum speist, das dem radikalen lutherischen Pietisten 371
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thers und Zwinglis verratenden Frage, wer denn nun der erste Reformator gewesen sei, habe man auch Lehrstreitigkeiten ausgefochten, wobei man sich besonders über dem Problem der Realpräsenz Christi beim Abendmahl unsäglich überworfen habe376 . Dem Abendmahlsstreit komme insofern besondere Bedeutung zu, als er den Auslöser für die bedauernswerte Bildung zweier getrennter Kirchen darstelle377. Durch ihn seien Liebe und Einigkeit zwischen Reformierten und Lutheranern zur unverhohlenen Schadenfreude der Altgläubigen endgültig zunichte gemacht worden, meint Arnold 378 . Die Restitution der reinen, wahrhaft christlichen Lebensweise des Urchristentums in unparteiischer Brüderlichkeit im Zuge der Reformation währt folglich nicht lange: Zwar erhielt das von den Anhängern Luthers und Zwinglis gemeinsam durchzustehende Leid die Liebe, doch bedauerlicherweise nur so lange, wie es andauerte. Denn kaum enden die Verfolgungen, wird die einigende Liebe fahrengelassen und durch Eigenliebe abgelöst: Von nun an bestimmen Streitsucht und Missgunst das Verhältnis der beiden Reformatoren und ihrer Gefolgsleute. Dabei betont Arnold, dass besonders mit Blick auf den zwischen Luther und Zwingli tobenden Streit um die Vorrangstellung ein entscheidendes Symptom des Verfalls festzustellen ist: die Parteilichkeit. Damit wird, ruft man sich die entsprechenden in den Vorreden und Beschlüssen zu fi ndenden Ausführungen ins Gedächtnis, klar, von welch negativer Tragweite diese Entwicklung in Arnolds Geschichtsbild ist: Bedeutete der auf liebender Einigkeit beruhende Zusammenhalt der Reformatoren und ihrer Anhänger, der von Jesus Christus selbst gelebten unparteiischen Liebe nachzufolgen, so müssen deren Aufgabe und die Rückkehr der Parteilichkeit konsequent als Abkehr vom Willen des Herrn aufgefasst werden. Diese Abkehr von der unparteiischen Liebe des Erlösers ist für Arnold das Werk des Satans zur Zerstörung des göttlichen Werkes, welches die frühe Reformation darstellt: »Dergestalt hat der satan gleich anfangs alles gute verdorben, und den zweck Gottes, welcher durch die einigkeit erhalten werden können, gänzlich verkehret« 379. Nur in Eintracht, die ihrerseits wieder auf Liebe und Aufrichtigkeit basiert, wäre demnach der gottgewollte Zweck der Reformation zu erfüllen gewesen, eben Babel ist, was sich in »Babels Grab=Lied« in schwerlich zu überbietender Weise äußert (zum Text des Liedes s. Gottfried Arnold. In Auswahl herausgegeben von Erich Seeberg, München 1934, S. 276–278). Diese Vielschichtigkeit gilt es zu bedenken, wenn Arnold von Babylon oder Babel spricht bzw. die entsprechenden Metaphern zur Anwendung bringt. Denn letztlich schwingen wohl alle genannten Motive mit – wenn auch in variierenden Quantitäten. 376 16, XXXI, 6 f. 377 A.a.O., 18: »Gestalt es leider stracks nach dem angehenden streit über dem abendmahl geschehen ist, daß sich Zwinglii parthey von der andern [scil. der Partei Luthers, C. W.] immer mehr getrennet, und hernach iedwede eine eigene so genannte gemeinde oder kirche formiret gehabt«. 378 Ebd. 379 Ebd.
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nämlich die Wiederaufrichtung des wahren, unverfälschten christlichen Glaubens und Lebens, wie sie schon in der Urgemeinde aufzufi nden waren. Wie jedoch die frühe Reformation nach Arnold ihr historisches Vorbild in der zum Ideal erhobenen Urgemeinde hat, so folgt ebenso die spätere in ihrer Entwicklung tragischerweise dem Beispiel der Urchristen: Mit dem Ende der Verfolgungen und des durch sie verursachten Leids reißt die von Jesus Christus vorgelebte unparteiische Liebe ab, wie es schon in der Alten Kirche des 4. Jahrhunderts der Fall war 380. Der Verfasser der Unpartheyische[n] Kirchen= und Ketzer=Historie ist sich bei all dem im Klaren darüber, wie zerstörerisch und letztlich effi zient die Eigenliebe und die auf sie zurückzuführende Streitsucht gewirkt haben: Dass das liebende Zusammengehörigkeitsgefühl von Lutheranern und Reformierten jemals wiederhergestellt wird, stehe »biß dato bey noch währender kaltsinnigkeit in der lebendigen nachfolge Jesu Christi nicht zu hoffen« 381. Die für den Erfolg der Reformation so fatale und folgenreiche Spaltung von Reformierten und Lutheranern bildet nunmehr genau den Themenkomplex, in dem Arnolds integrative Deutung des Protestantismusbegriffs zu stehen kommt. Ja, es macht geradezu den Eindruck, als verwende er den Terminus Protestanten integrativ, um die Entzweiung Luthers und seiner Anhänger von Zwingli und seiner Gefolgschaft bedauernd hervorzuheben und gleichzeitig zu kritisieren. Diese Kritik erfolgt manchmal unterschwellig 382 , manchmal offen und dementsprechend scharf 383. Doch unabhängig davon bleibt festzuhalten, dass Arnold jenen Begriff fast ausschließlich in den Kontexten als Integrationsbegriff gebraucht, in denen er auf die für ihn schändliche Trennung der Protestanten, also der Lutheraner und Reformierten, zu sprechen kommt. Wegen des Streits um die Realpräsenz Christi beim Abendmahl wird die Spaltung der Protestanten insofern qualitativ verstärkt, als sie sich institutionell manifestiert und festigt: Sowohl Lutheraner als auch Reformierte bilden »eine eigene so genannte gemeinde oder kirche«384. Diese aus der Entzweiung von Lutheranern und Reformierten hervorgegangenen Kirchen haben nun Bekenntnisschriften hervorgebracht, deren Entstehung, Verehrung und Verwendung Arnold eben als entscheidenden Schritt hin zur Institutionalisierung scharf tadelt. Dabei wendet er sich in erster Linie den Lutheranern zu und klärt darüber auf, dass man zu Lebzeiten des großen Wittenberger Reformators sowohl die CA als auch die Schmalkaldischen Artikel und die Katechismen nicht anders verstanden habe denn als »vorstellung und bekäntnüß derjenigen lehren und concepte, welche dazumahl die lehrer und 380 381 382 383 384
16, VI, 1. 16, XXXI, 18. Vgl. beispielsweise 16, VIII, 6; XVII, 13. Vgl. u. a. a.a.O., 37; XXXI, 16–18 (siehe auch die Marginalglossen!). 16, XXXI, 18.
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anführer der Lutherischen gemeinen geführet und für wahr gehalten« hätten 385. Von übertriebener Verehrung der Bekenntnisschriften und mit ihnen verbundenem Gewissenszwang ist folglich anfangs nichts zu spüren; sie sind vielmehr nicht mehr und nicht weniger als authentische Glaubenszeugnisse. Somit seien sie »anfänglich unter die andern gemeinen schrifften ohne unterscheid und erhebung« gezählt worden 386 . Doch nur allzu bald habe man begonnen, von dieser nach Arnold einzig zulässigen Sicht und Behandlungsweise der Bekenntnisschriften abzuweichen: Diese seien nicht nur »canonicos oder eine regel und richtschnur der lehre« genannt, sondern gar als göttlich inspiriert ausgegeben worden 387. Man sei nicht einmal davor zurückgeschreckt, die Bekenntnisschriften der Heiligen Schrift gleichzusetzen 388 . So habe man die Aufmerksamkeit der Menschen allmählich von der Bibel abgezogen und auf jene Schriften gelenkt, sodass es selbst »bey sterbenden vor genugsam gehalten« worden sei, »wenn sie diß oder jenes symbolum nach dem buchstaben hergesagt« hätten, egal, ob sie den Inhalt verstanden und ihm zugestimmt hätten oder nicht 389. Mit diesem unangemessenen Verständnis der Bekenntnisschriften sei ein Gewissenszwang einhergegangen, der jeder Beschreibung spotte. Man habe beispielsweise Pfarrer gezwungen, die Bekenntnisschriften durch Unterschrift anzuerkennen; hätten die zur Unterschrift Gezwungenen ihre Zustimmung verweigert, hätten sie damit rechnen müssen, ihre Stelle zu verlieren bzw. erst gar keine Stelle zu bekommen und damit ihre Existenz zu gefährden 390. Durch diese schändliche Erpressung habe man also die Zustimmung des kirchlichen Personals sichergestellt, weshalb dem Autor der Unpartheyische[n] Kirchen= und Ketzer=Historie nur zu bedauern bleibt, durch die unangemessene Verehrung der von Menschen geschaffenen Bekenntnisschriften sei »bey denen unwissenden und schwachen nichts anders als verwirrung und gewissensnoth« entstanden 391. Dabei sei zu bemerken, dass kaum jemand, einerlei ob Laie oder studierter Theologe, wirklich begriffen habe, was die Bekenntnisschriften inhaltlich bzw. theologisch aussagen 392 . Aufgrund der angeführten Kritikpunkte fällt es Arnold natürlich leicht, das Verhältnis der meisten Menschen zu den Bekenntnisschriften mit dem sprichwörtlichen Köhlerglauben der Altgläubigen zu vergleichen 393. Letztlich gipfelt seine Kritik in der Aussage, man habe die Ehre Gottes geschmälert und beleidigt, da man »der menschen worte und sat385 386 387 388 389 390 391 392 393
16, XVIII, 1. A.a.O., 2. A.a.O., 3. A.a.O., 4. Ebd. A.a.O., 5. Ebd. A.a.O., 9. A.a.O., 6.
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zungen vor göttlich und unbetrüglich gehalten, und die gewissen auf solche sich zu gründen gezwungen« habe394. Hinzu kommt noch ein anderer für Arnolds Darstellung des Reformationszeitalters bedeutender Makel der Bekenntnisschriften: Sie sind Zeugnisse der wachsenden Trennung von Lutheranern und Reformierten. Da die Bekenntnisfi xierung bei den Anhängern Luthers unter Ausschluss der und zur Abgrenzung unter anderem von den Reformierten verläuft und umgekehrt, beide Vergemeinschaftungsformen also der eigenen Institutionalisierung Vorschub leisten, wird die Spaltung zwischen beiden Parteien durch die Entstehung der Bekenntnisschriften nur noch vermehrt 395. Aufschlussreich mit Blick auf Arnolds Deutung des Begriffs Protestanten in diesem Kontext sind nun seine Erläuterungen zu den einzelnen Bekenntnisschriften. So merkt er in Bezug auf die CA folgendes an: »Endlich publicirte er [der Kaiser, C. W.] ein decret, das denen Protestirenden in vielen stücken zuwider war, daß sie sonderlich wider den letzten punct protestireten, als ob nehmlich ihre confesion [die CA, C. W.] aus dem worte Gottes genugsam widerleget wäre«396 . Als Protestanten bezeichnet Arnold in diesem Zusammenhang also unzweifelhaft die Augsburger Konfessionsverwandten. Auch Arnolds Anmerkungen zur Apologie der CA, die Melanchthon nur angefertigt habe, um »die Schweitzer den Protestanten zu freunden zu machen« 397, und zu den Schmalkaldischen Artikeln, die Luther auf »dem convent der Protestirenden Stände zu Schmalkalden [. . .] gemacht« habe398 , lassen nur auf jene Interpretation des Terminus Protestanten schließen. Der Themenkomplex, in dem die integrative Interpretation der Bezeichnung Protestanten zum Einsatz kommt, ist also die für die Reformation so schicksalhafte Spaltung von Reformierten und Lutheranern. Arnold, der die aus der höchst schädlichen Eigenliebe resultierende Trennung der Protestanten dafür mitverantwortlich macht, dass der reformatorischen Forderung nach aufrichtiger Buße und Besserung im Leben letztlich doch nicht dauerhaft Gehör geschenkt worden ist, macht sich selbst zum kompromisslosen Kritiker dieser Entwicklung. Die integrative Deutung jenes Begriffs stellt dabei eine von Arnold offensichtlich gern in Anspruch genommene Möglichkeit dar, seiner Kritik, aber auch seinem aufrichtigen Bedauern ob der Entzweiung der Reformatoren und ihrer geistigen Erben Ausdruck zu verleihen. Denn der Terminus Protestanten taucht, wie die entsprechenden zitierten Passagen belegen, in erster Linie an 394
A.a.O., 10. A.a.O., 17: Im Zuge der Erläuterung der Konkordienformel betont Arnold, dass diese Bekenntnisschrift bei den Reformierten jede Hoffnung auf eine Vereinigung mit den Lutheranern im Keim erstickt habe. Zur Vermehrung der Trennung von Lutheranern und Reformierten durch die Bekenntnisschriften vgl. auch 16, XXXI, 39. 396 16, XVIII, 12. 397 A.a.O., 13. 398 A.a.O., 15. 395
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genau den Stellen der Unpartheyische[n] Kirchen= und Ketzer=Historie als Sammelbezeichnung für Lutheraner und Reformierte auf, die sich rügend und gleichzeitig bedauernd damit auseinandersetzen, dass und warum die einstmals auf brüderlicher Liebe beruhende Einigkeit zwischen beiden Parteien zerbrochen ist und seitdem schlechterdings nicht mehr besteht. So gelingt es Arnold so auf subtile Art und Weise, den Verfall beider Gruppen noch schärfer herauszuarbeiten, als er es textimmanent ohnehin schon tut: Schließlich lässt er aufgrund seiner integrativen Interpretation und der sich daraus ergebenden Begriffsnutzung keinen Zweifel daran, dass er, der als unparteiischer Verfasser die Dinge aufgrund seiner gottgegebenen Erleuchtung »richtig« beurteilen kann, um die ursprüngliche Liebe und Geschlossenheit der Protestanten weiß. Er ist sich auch der Tatsache bewusst, dass diese aus brüderlicher Liebe resultierende Geschlossenheit für die zu kurze Zeit ihres Bestehens dem Verfall Einhalt gebietet und das ideale Christentum restituiert. Als jedoch die unparteiische Liebe endet und von der unchristlichen Eigenliebe abgelöst wird, die wiederum Missgunst, Streitsucht und Parteilichkeit weckt, wird die Reformation in den Strudel der Verdorbenheit hineingerissen, der die Kirchengeschichte seit der Zeit Konstantins des Großen beherrscht. Doch offenbar fehlt, wie Arnold mittels der Passagen, die jene integrative Interpretation zulassen, immer wieder deutlich macht, den Gliedern der zwei aus der Trennung hervorgegangenen Kirchen diese Einsicht mindestens bis in die Gegenwart Arnolds, was ihre fehlende Erleuchtung und ihren mangelhaften Willen zur aufrichtigen Nachfolge des unparteiischen Meisters Jesus Christus nur noch unterstreicht. Dabei ist gleichermaßen auffällig wie für Arnold charakteristisch, dass er keinerlei Gespür für die theologisch begründbare Berechtigung der Trennung zwischen Reformierten und Lutheranern hat, wie sie mit dem Streit Zwinglis und Luthers um das Abendmahlsverständnis ihren Anfang nimmt. Er ignoriert schlicht die für das adäquate Verständnis der Lehrkonfl ikte zwischen beiden reformatorischen Lagern unabdingbare Gleichsetzung von Wahrheit und je eigener theologischer Lehre durch die Protagonisten des Streites und reduziert seine Begründung für das Auseinanderbrechen beider Parteien auf die charakterlichen Schwächen der an der Kontroverse Beteiligten. Namhaft macht er bekanntlich die Eigenliebe und die aus ihr resultierende Heftigkeit, die die anfangs dominante brüderliche Liebe unwiederbringlich zerstörten und so Zank und Streit über die reformatorische Bewegung brachten, kurz: den Verfall einleiteten. Es ist deutlich: Arnold psychologisiert und moralisiert, auch mit Blick auf die Bekenntnisschriften und ihre Entstehung. Auch sie verdanken sich nicht dem theologisch legitimen Verlangen nach lehrmäßiger Klarstellung, sondern nur der Selbst- und Streitsucht der Gelehrten. Entsprechend spielt für Arnolds Darstellung des Reformationszeitalters die an und mit den Bekenntnisschriften erörterte Wahrheitsfrage wenn überhaupt, dann eine kompromisslos negativ zu beurteilende Rolle. Wie Spener vor ihm erhebt Arnold die Mentalitätsdiffe-
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IV. Integrative Begrifflichkeit als nicht nur terminologischer Dammbruch
renzen statt der Wahrheitsdifferenzen zum entscheidenden Problem bezüglich des Konfl ikts zwischen Lutheranern und Reformierten. Doch über Spener hinausgehend, wird bei Arnold »das geschichtliche Verstehen und geschichtliche Verknüpfen in der Kirchen- und Ketzerhistorie ganz ins Psychologische und Moralische abgebogen« 399. Und genau für dieses Abbiegen ins Psychologische und Moralische bildet die schon bei Spener festzustellende Wahrnehmungsverschiebung den Ermöglichungsgrund400. Bei der Schilderung und Bewertung der historischen Ereignisse und Entwicklungen, die sich nach dem Auseinanderbrechen der ursprünglich geschlossenen reformatorischen Bewegung ereignen, verwendet Arnold zwar weiterhin den Begriff Protestanten, doch in einer anderen Deutungsvariante: Er verwendet jene Bezeichnung eben nicht mehr integrativ und somit keineswegs mehr als Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit implizierenden Sammelbegriff für die Reformatoren und ihre Gefolgschaft. Sie wird vielmehr nur noch zur Benennung der Angehörigen des Augsburger Bekenntnisses gerade im Gegenüber zu den Reformierten, also auf die Lutheraner angewendet. Anders formuliert: Für die Darstellung der Zeit seit dem Verfall der so hoffnungsvoll begonnenen Reformation, der sich vor allem in der durch das Übel der Eigenliebe hervorgerufenen Spaltung der reformatorischen Bewegung manifestiert, muss Arnolds Interpretation und die daraus resultierende Verwendung des hier im Mittelpunkt stehenden Terminus wesentlich enger interpretiert werden, da die Reformierten nun gerade nicht mehr als Protestanten bezeichnet werden. Mit Gottfried Arnolds Unpartheyische[r] Kirchen= und Ketzer=Historie liegt somit ein Werk von besonderer terminologiehistorischer Qualität bzw. Bedeutung vor, denn Arnold ist der erste theologische Schriftsteller, bei dem, sofern denn beide Deutungsoptionen in seinem Werk vorkommen, exklusive und integrative Begriffsnutzung nicht unvermittelt nebeneinander stehen, wie es bei Pareus und Beckmann der Fall war, im Gegenteil: Der prominente Vertreter eines radikalen lutherischen Pietismus arbeitet mit seiner Terminologie, er ope399 Hirsch, Geschichte der neuern evangelischen Theologie Bd. 2, S. 271. Das äußert sich nach Hirsch nun »nach zwei Seiten hin. Einmal, die von ihm stark betonte Pfl icht des Geschichtsschreibers, erste Veranlassung, Ursachen und Absichten einer geschichtlichen Aktion sichtbar zu machen und von da aus ihren Fort- und Ausgang sowie ihre geschichtliche Verknüpfung zu verdeutlichen, erfüllt Arnold so, daß er Charakter und Motive der an der Aktion hauptbeteiligten Personen herausarbeitet. Dabei kommt es ihm nicht etwa auf die diese Personen leitenden Ideen an, sondern auf die ihr Handeln begleitende und es nach ihm wesentlich erklärende private Lebensführung. [. . .] Sodann, da das eigentlich Religiöse oft nicht greif bar ist, so muß bei der Schilderung und Beurteilung der Personen meist das nackt Moralische den Entscheidungsgrund dafür hergeben, ob wir in einer bestimmten Persönlichkeit ein gläubiges frommes Herz oder einen kirchlich maskierten eigensüchtigen und gottlosen Weltmenschen zu erkennen haben. Das heißt, in der praktischen Handhabung des geschichtlichen Urteils befolgt Arnold den Grundsatz, daß die wahre Gottseligkeit einzig und allein in der Moral zu fi nden ist« (a.a.O., S. 271 f.). 400 S. dazu o. S. 211 f.!
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riert im Zuge seines der Unpartheyische[n] Kirchen= und Ketzer=Historie zugrunde liegenden Programms bewusst mit beiden Nutzungsmöglichkeiten. Sicher, der sich selbst zum unparteiischen401 Erleuchteten erklärende Autor einer kirchenhistorischen Darstellung, die dem Protestantismus, der anfänglich in der Nachfolge Jesu Christi die Unparteilichkeit und einigende Liebe der Urgemeinde restituiert habe402 , bescheinigen muss, späterhin »dem Röm. Antichrist«403 in Praxis und Lehre zunehmend, schließlich sogar zum Verwechseln ähnlich geworden zu sein, erfährt »das laudatur ab his, culpatur ab illis in seltener Weise und im rechten Maß, wenngleich die Beifallsbezeugungen seiner Freunde von den Anathema der Feinde weit übertönt und übertroffen wurden«404. Doch bei all der in Teilen gewiss berechtigten Kritik, die sich Arnold wegen seiner in der Unpartheyische[n] Kirchen= und Ketzer=Historie, dieser »erste[n], vollständige[n] Darstellung der Kirchengeschichte aus dem Geist des spiritualistischen Radikalpietismus«405, dargelegten Selbstwahrnehmung und der daraus von ihm entwickelten Sicht der Kirchengeschichte zugezogen hat, kann man ihm eins jedenfalls nicht vorhalten: unaufrichtige Inkonsequenz. Im Zuge seiner beeindruckenden, umfassenden Darstellung des 16. Jahrhunderts bleibt der radikale lutherische Pietist seinen in den Vorreden und Beschlüssen dargelegten mystisch-spiritualistischen Grundsätzen treu. Auf diesem Programm unbeirrt auf bauend, entwirft er ein beeindruckendes, detailreiches Bild des Reformationszeitalters und seiner Folgen, in das er – in seiner Programmatik nicht minder konsequent – seine Verwendung der Bezeichnung Protestanten einpasst. Er greift ihm bekannte begriffsgeschichtliche Phänomene auf und bringt sie dann im Kontext seiner originellen Deutung neuartig zur Anwendung, die sich nicht zuletzt jener neuen theologiegeschichtlichen Formation verdankt, die bei und mit Spener ihren Anfang nimmt. Mit der programma401 Im Zuge seiner Darstellung der Kirchengeschichte betont Arnold immer wieder seine und die für den Leser zum Verständnis seiner Schilderung unabdingbare Unparteilichkeit; vgl. dazu u. a. 16, V, 21; XXI, 4; XXXI, 6. 402 Ein weiteres Beispiel für die Wiederaufrichtung der Lebensweise des Urchristentums durch die frühe Reformation sei übrigens auch die gottesdienstliche Praxis, meint Arnold. Er erklärt deshalb: »Hiebey [bei den Gottesdiensten, C. W.] gieng es nun im anfang fast, wie in den ersten Christlichen Gemeinen unter den verfolgungen. Nemlich es war im anfang der reformation den leuten einerley, ob sie in den kirchen, oder in privat=häusern, oder auf dem felde und sonst ihre zusammenkünffte hielten, dabey auch nicht allezeit auf die ordination eines gewissen Predigers gesehen worden« (16, XI, 13). 403 16, XXI, 30. 404 Dibelius, Gottfried Arnold, S. 124. Zur durch die Unpartheyische Kirchen= und Ketzer=Historie entfesselten Entrüstung sowie zu den positiven Reaktionen vgl. a.a.O., S. 117–124. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang auch das Verzeichnis der Gegenschriften zu Arnolds Werk (a.a.O., S. 226–228). 405 Albrecht Beutel, Art. Unpartheyische Kirchen= und Ketzer=Historie, vom Anfang des Neuen Testaments biß auf das Jahr Christi 1688, Gottfried Arnold; EA Ffm 1699/1700, in: Michael Eckert, Eilert Herms u. a. (Hgg.), Lexikon der theologischen Werke, Stuttgart 2003, S. 768 f., hier: S. 768.
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tischen Einpassung beider Optionen der Begriffsverwendung, die beide eine gleichermaßen stattliche Tradition in der (kontrovers-)theologischen Literatur des späten 16. und des gesamten 17. Jahrhunderts aufweisen, die Arnold mindestens in Teilen bekannt war406 , steht ein begriffsgeschichtliches Phänomen vor Augen, das bis in unsere Gegenwart an Besonderheit nichts verloren hat.
406 Folgt man dem Katalog seiner Bibliothek, so ergibt sich, dass Arnold nicht nur Seckendorffs Commentarius historicus et apologeticus de Lutheranismo besessen hat (s. o. Anm. 287), sondern mit Pufendorfs JUS FECIALE DIVINUM [vgl. dazu Catalogus bibliothecae b. Godofredi Arnoldi, in: Blaufuß, Niewöhner (Hgg.), Gottfried Arnold (1666–1714), S. 397] auch ein Werk, das in hoher Quantität und unzweideutiger Qualität die Lutheraner und Reformierte bezeichnende Deutung des Begriffs Protestantes in Anschlag bringt.
V. Abschließende Betrachtungen: Zum Werden eines Integrationsbegriffs Anhand der Analyse (kontrovers-)theologischer Quellen, die ihrerseits wieder ganz bestimmten Diskussionskontexten zuzuordnen sind, konnten knapp 120 Jahre Begriffsgeschichte, genauer: konnte ein bestimmter Teil der Geschichte des Begriffs Protestierende bzw. Protestanten oder seiner lateinischen Form, nämlich Protestantes, nachgezeichnet werden1. Sicher hätten dabei noch andere Werke auch außerhalb der untersuchten Diskussionskontexte in den Blick genommen werden können, in denen sich jener Terminus hätte fi nden lassen. Allein: Es war und ist dieser Arbeit nicht darum zu tun, das bloße Vorkommen jenes Begriffs in seinen unterschiedlichen sprachlichen Varianten und Deutungsoptionen nachzuweisen. Damit wäre begriffsgeschichtlich wenig gewonnen. Denn schließlich führt die Begriffsgeschichte »über eine Systematisierung oder Addition historischer Quellenbelege hinaus. Sie führt vielmehr interpretierend heran an die in den Begriffen sich niederschlagende Erfahrung, und sie schlüsselt, soweit möglich, die in den Begriffen enthaltenen theoretischen Ansprüche auf« 2 . Daher ging und geht es der vorliegenden Untersuchung um die Konstruktion des Terminus hin zum Integrationsbegriff, hin zu seiner Entschränkung also, die es möglich machte, ihn seiner ursprünglichen exklusiv nur die Anhänger 1 Legt man Reinhard Kosellecks Defi nition von »Begriff« zugrunde, handelt es sich bei Protestierende bzw. Protestanten oder Protestantes in der Tat um Begriffe: »Ein Begriff haftet zwar am Wort, ist aber zugleich mehr als das Wort. Ein Wort wird [. . .] zum Begriff, wenn die Fülle eines politisch-sozialen Bedeutungszusammenhanges, in dem – und für den – ein Wort gebraucht wird, insgesamt in das eine Wort eingeht. [. . .] Begriffe sind also Konzentrate vieler Bedeutungsgehalte. Wortbedeutung und das Bedeutete können getrennt gedacht werden. Im Begriff fallen Bedeutung und Bedeutetes insofern zusammen, als die Mannigfaltigkeit geschichtlicher Wirklichkeit in die Mehrdeutigkeit eines Wortes so eingeht, daß sie nur in dem einen Wort ihren Sinn erhält, begriffen wird. Ein Wort enthält Bedeutungsmöglichkeiten, der Begriff vereinigt in sich Bedeutungsfülle. Ein Begriff kann also klar, muß aber vieldeutig sein. Er bündelt die Vielfalt geschichtlicher Erfahrung und eine Summe von theoretischen und praktischen Sachbezügen in einem Zusammenhang, der als solcher nur durch den Begriff gegeben ist und wirklich erfahrbar wird. Überspitzt formuliert: Wortbedeutungen können durch Defi nitionen exakt bestimmt werden, Begriffe können nur interpretiert werden« [ders., Einleitung, in: ders., Otto Brunner u. a. (Hgg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch sozialen Sprache in Deutschland Bd. 1, Stuttgart 1972, S. XIII–XXVII, hier: S. XXII f.]. 2 A.a.O., S. XIX.
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V. Abschließende Betrachtungen: Zum Werden eines Integrationsbegriffs
des Schmalkaldischen Bundes, späterhin schlicht die Lutheraner bezeichnenden Deutung zu entkleiden und ihn auch auf die Reformierten des Heiligen Römischen Reiches anzuwenden. Die Bindung der Konstruktion an ganz bestimmte Debatten, an ganz bestimmte Diskussionskontexte soll auch im Folgenden noch einmal mittels Analyse ausgewählter Quellen veranschaulicht bzw. präzisiert werden. Das Wort »exklusiv« ist dabei freilich nicht ganz unproblematisch, denn das Verhältnis von exklusiv und integrativ ist letztlich – wie die frühe Geschichte des hier im Mittelpunkt stehenden Begriffs zeigt – doch dialektischer Natur: Schon 1536 mit dem Zustandekommen der Wittenberger Konkordie entfaltet der Terminus Protestantes bzw. Protestierende seine integrative Kraft, indem er als Sammelbezeichnung für die Mitglieder des Schmalkaldischen Bundes theologisch keineswegs homogene Ansätze unter sich sammelt, die sich dann wiederum mittels durch Kompromisse erkaufter Rückbindung an die Invariata von anderen Ausformungen reformatorischer Theologie abgrenzen, also die exklusive Kraft jenes Begriffs aktivieren. Der frühe exklusive Begriff trägt somit schon eine integrative Note mit Blick auf die terminologische Vereinigung unterschiedlicher theologischer Ansätze in sich – so dass sich Exklusion und Integration von Anfang an gegenseitig bedingen 3. Somit ist das Adjektiv »exklusiv« nur sinnvoll im Kontext des Gegenübers von Reformierten und Lutheranern: Letztere reklamierten jene Termini lange ausschließlich als Eigenbezeichnung, verliehen ihnen somit bewusst eine Exklusivität, auf deren Verteidigung sie viel Mühe verwanden. Der entscheidende Impuls zur Entschränkung, zur Auf hebung jener Exklusivität innerhalb des reformatorischen Lagers entstammt eben nicht der lutherischen Partei, sondern wurde gleichsam von außen an sie heran getragen: Die sich zum in bestimmten Lehrpunkten melanchthonisch modifi zierten Reformiertentum zwinglischer und calvinischer Prägung bekennende und daher durch die Konkordienformel mit ihrer Festlegung auf die Invariata reichsrechtlich und politisch schwer unter Druck geratene Kurpfalz war der territoriale Ursprung jenes Impulses. Es waren die in pfälzischen Diensten stehenden reformierten Theologen, die – mit Ursin im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts beginnend – die Ausweitung der Deutung von Protestantes bzw. Protestierende im reformatorischen Lager einleiteten, den genannten Begriffen also eine weitere, eine neue Interpretationsoption verliehen. Dazu knüpften sie an die überkommene Deutung der genannten Termini an: Als Protestantes oder Protestierende bezeichneten auch sie die Angehörigen der CA. Doch dabei konnten und wollten nun die reformierten Theologen nicht stehen bleiben, denn schließlich drohte ihnen und ihrem Reichsterritorium der 3 So stellt auch Thomas Kaufmann die »integrative Rolle des Augsburger Bekenntnisses« als »Brücke ins oberdeutsche Lager« heraus (ders., Das Bekenntnis im Luthertum, S. 284).
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Ausschluss aus dem Augsburger Religionsfrieden, der bekanntlich neben den Altgläubigen nur den Augsburger Konfessionsverwandten galt. Dieses Damoklesschwertes suchten sie sich dadurch zu entledigen, dass sie die Augsburger Konfessionsverwandtschaft auch ihrer Ausformung reformatorischer Theologie nachwiesen. Und genau darin ist der Impuls zur entschränkenden Umformung überkommener Begriffl ichkeit zu suchen. Die reformierten Gelehrten der Pfalz flankierten ihre Selbstbehauptung als legitime Angehörige der CA, ihre reichsrechtlichen Ansprüche also, auch und gerade terminologisch, wozu sie schöpferisch tätig wurden: Die traditionelle Füllung des Begriffs Protestierende bzw. Protestantes aufnehmend, belegten sie auch sich mit jenen Bezeichnungen, um ihrer Augsburger Konfessionsverwandtschaft auf terminologischer Ebene plakativen Ausdruck zu verleihen und so ihren Anspruch auf den Schutz durch den Friedensschluss von 1555 zu unterstreichen, ohne dabei den lutherischen Ständen, denen gegenüber man sich klar in der Minderheit sah, ihren ja nur schwerlich zu bestreitenden Anspruch auf die CA abzusprechen4. Dabei ist die bewusste Anknüpfung der Reformierten an die hergebrachte Deutung von Protestierenden oder Protestantes als Augsburger Konfessionsverwandte unabdingbar für die initiierte Weiterentwicklung jener Termini und vor allem die Wahrnehmung der aufgezeigten Entwicklung: »Nur auf dem Hintergrund semantisch und pragmatisch repetitiver Strukturen lassen sich Innovation und geschichtlicher Wandel in Semantik und Pragmatik denken, wahrnehmen und messen«5. Damit schufen sie zur Erreichung ihres reichsrechtlich-politischen Ziels eine neue terminologische Qualität, die zwar »in der jeweils vorgegebenen Sprache virtuell angelegt« war6 – man denke an die erwähnte integrative Kraft des Begriffs Protestierende/Protestantes als Selbstbezeichnung der Mitglieder des Schmalkaldischen Bundes gerade nach 1536 –, ihre (begriffs-)historisch schwerlich zu überschätzende Wirkung aber erst durch das schöpferische Wirken reformierter Theologen entfaltete. Das damit zusammenhängende taktisch geschickte Vorgehen blieb nun keineswegs ein pfälzisches Spezifi kum, sondern fand schnell theologisch gebildete Nachahmer in anderen reformierten Reichsterritorien, die sich demselben Rechtfertigungsdruck ausgesetzt sahen wie die Kurpfalz7. 4 Es sei hier nur am Rande auf die vor dem angeführten historischen Hintergrund bemerkenswerte Tatsache hingewiesen, dass die »Evangelische Kirche der Pfalz« noch heute als einzige deutsche Landeskirche offi ziell den Namenszusatz »Protestantische Landeskirche« trägt. 5 Koselleck, Begriffsgeschichten, S. 60. 6 A.a.O., S. 23. 7 »In religionsrechtlicher Hinsicht kann in Bezug auf das Alte Reich als unverbrüchliche Gewissheit gelten, dass dem im Augsburger Religionsfrieden approbierten Augsburgischen Bekenntnis die entscheidende Funktion der formalen und inhaltlichen Defi nition dessen zukam, was als ›wahre Lehre‹ im Sinne des rechtlich tolerierten evangelischen Konfessionsstandes zu gelten hatte. Ungeachtet der mannigfach diskutierten Kanonizität der Textvarianten der Confessio Augustana, die von altgläubiger Seite frühzeitig hochgespielt wurden
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V. Abschließende Betrachtungen: Zum Werden eines Integrationsbegriffs
Ermöglicht wurde den Anhängern calvinischer Theologie auf dem Boden des Reiches, soweit es sich dem Einfluss des Kaisers noch nicht entzogen hatte, ihre Inanspruchnahme der CA durch den Wortlaut des Friedensschlusses, um dessen Schutz sie bangen mussten: Der 1555 fi xierte Vertragstext ließ schlicht offen, zu welcher Fassung jenes Bekenntnisses man sich überhaupt bekennen musste, wollte man die reichsrechtlich verbindlichen Privilegien des Augsburger Religionsfriedens genießen. So eröffnete sich für die Reformierten die Möglichkeit, sich bei der Behauptung ihrer Augsburger Konfessionsverwandtschaft auf die Bekenntnisfassung zu berufen, die mit ihrer Lehre weitestgehend vereinbar war, nämlich auf die Variata mit ihrer vermittelnden Formulierung der Abendmahlslehre, der selbst Calvin seine Anerkennung durch Unterschrift nicht verweigert hatte. Im Zuge der Inanspruchnahme des Augsburger Bekenntnisses für und vor allem durch die Reformierten entwickelt sich somit die integrative, Lutheraner und Reformierte unter einer Bezeichnung sammelnde Begriffl ichkeit. Sie ist Teil der als Irenik bekannten Annäherungsversuche der Reformierten an das orthodoxe Luthertum und dient zugleich der Untermauerung der eigenen konfessionspolitischen Ansprüche: Wenn man die unumstrittenen Verwandten der CA Protestierende bzw. Protestantes nennt, sich aber um den Erweis der eigenen Augsburger Konfessionsverwandtschaft bemüht, liegt es nahe, auch sich selbst mit jenen Bezeichnungen zu belegen, um die eigene Partei in die Phalanx der CA-verwandten Stände einzureihen8 . Dass sich die integrative Terminologie vor 1648 an einen ganz bestimmten Diskussionskontext, nämlich eben jene Inanspruchnahme der CA, gebunden ist, belegen nicht nur die bisher in den Blick genommenen Quellen reformierter Provenienz: 1614 geben die Pfälzer Theologen einen Sammelband heraus, der die aus pfälzischer Sicht wichtigsten bis dato erschienenen Werke enthält, die die Reformierten im Zuge ihrer Auseinandersetzung mit den Württemberger Lutheranern vornehmlich in apologetischer Absicht veröffentlicht haben; der Band erschien unter dem Titel: Der Heydelbergischen mit den Würtenbergischen Theologen etliche Jahr hero gewechselte Schriften. Betreffende den Fried vnd Wolstand der samtlichen Evangelischen Kirchen in Deutschland9. Dieser Sammelband enthält für und zwischen Lutheranern und Reformierten als kontrovers galten, blieb das in seiner Auslegung strittige Augsburgische Bekenntnis die rechtlich unstrittige Referenzbasis des historisch-politischen Überlebens des Protestantismus« (Kaufmann, Das Bekenntnis im Luthertum, S. 281). 8 Der im Rahmen dieser Untersuchung aus den Quellen erhobene begriffsgeschichtliche Befund widerlegt somit die von Friedrich Wilhelm Graf geäußerte These, bis 1648 seien »in der theologischen und reichsrechtlichen Literatur nur die Angehörigen der lutherischen Konfessionspartei als Protestanten bezeichnet worden« (ders., Einleitung – Protestantische Freiheit, S. 13). 9 Der vollständige Titel lautet: Der Heydelbergischen mit den Würtenbergischen Theologen etliche Jahr hero gewechselte Schriften. Betreffende den Fried vnd Wolstand der samtlichen Evangelischen Kirchen in Deutschland. In diesem Format gedruckt/ auf daß sie in der
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die konfessionelle Apologie der Kurpfalz repräsentative und bedeutende Werke, die allesamt offi ziellen Rang hatten und vormals getrennt voneinander erschienen sind, nämlich die Trewhertzige Vermahnung der Pfältzischen Kirchen10, den Ausführliche[n] Bericht: Was die Reformierte Kirchen inn Deutschland gläuben oder nit gläuben11 sowie den Kurtze[n] Anhang Des Ausführlichen Berichts12 . Alle drei jenen Sammelband konstituierenden Werke gehen in der Hauptsache höchstwahrscheinlich auf den Heidelberger Theologen Bartholomäus Pitiscus, einen Zeitgenossen und Kollegen von David Pareus, zurück13. In den Kontext der literarischen Auseinandersetzung mit den lutherischen Theologen des Herzogtums Württemberg um die Orthodoxie des Kurpfälzischen Reformiertentums gehören zudem der Beschluß Der Heydelbergischen Endlichen Vberweisung14, die Antwort der Heidelbergischen Theologen15 und die Endliche Vberweisung16 . Nun ist auffällig, dass der Begriff Protestierende in keiner einzigen der sechs in Auseinandersetzung mit den Württembergern entstandenen Schriften vorordnung/ wie dieselbe von jahr zu jahr ausgegangen/ zusammen können gebunden/ zu erkundigung der wahrheit gegen einander gehalten vnd gelesen werden, Heidelberg (Gotthard Vögelin) 1614. Dieser Sammelausgabe der im Folgenden genannten sechs Schriften folgt auch die hier zugrunde gelegte Paginierung jener Werke. 10 Trewhertzige Vermahnung der Pfältzischen Kirchen/ An alle andere Evangelische Kirchen in Deutschland: Daß sie doch die grosse gefahr/ die ihnen so wol als vns vom Pabsthumb fürstehet/ in acht nemmen: und die inheimische/ vnnötige/ oder ja nun mehr genugsam erörterte streite/ dermal eins Christlich und Brüderlich mit vns auf heben/ und hinlegen wollen, Heidelberg (Gotthard Vögelin) 21614. 1606 erschien das Werk in erster Aufl age. 11 Ausführlicher Bericht: Was die Reformierte Kirchen inn Deutschland gläuben oder nit gläuben: Item/ Was sie für Ceremonien gebrauchen oder nicht gebrauchen: Sampt beygefügten Vrsachen/ Warumb sie eins oder das ander thuen oder lassen. Guthertzigen leuten zur nachrichtung an tag gegeben, Heidelberg (Gotthard Vögelin) 21614. Die erste Aufl age stammt aus dem Jahr 1607. 12 Kurtzer Anhang Des Ausführlichen Berichts/ was die Reformirte Kirchen in Deutschland gläuben oder nicht gläuben/ etc. Darinne sonderlich dieser Punkt noch weiter wird erkläret vnd bewiesen/ daß wir keines wegs so einen schrecklichen glauben haben/ als vns von Friedhessigen leuten wird zugemessen. Gestellt von den Theologen vnd Kirchendienern in der Churfürstlichen Pfaltz zu Heydelberg, Heidelberg (Gotthard Vögelin) 21614. 1609 wurde diese Schrift zum ersten Mal aufgelegt. 13 Vgl. dazu Holtmann, Die Pfälzische Irenik, S. 205 f., 217–219; Leube, Kalvinismus und Luthertum, S. 50–53. 14 Beschluß Der Heydelbergischen Endlichen Vberweisung/ vnd aller andern mit den Würtebergischen Theologen von sechs jahren her gewechselten Schrifften: Betreffende den fried vnd wolstand der sämptlichen Evangelischen Kirchen in Deutschland, Heidelberg (Gotthard Vögelin) 1614. 15 Antwort der Heidelbergischen Theologen auf der Continuationem Examinis des Ausführlichen Berichts/ Was die Reformirte kirchen in Deutschland gleuben oder nicht gleuben, Heidelberg (Gotthard Vögelin) 1615. 16 Endliche Vberweisung/ Daß die verkläger der Reformirten kirchen/ die schriften deroselben wissentlich falsch anzuziehen/ oder ja in frembden verstand zu verkehren pflegen/ nur damit sie ihnen allerhand abschewliche irthumbe zumessen mögen. Sampt widerholung der Vrsache/ warumb sie solches thuen. Dem spöttischen buche der Würtebergischen Theologen/ genandt Promotio gehaltenen Examinis etc. entgegen gesetzt Durch die Theologen vnd Kirchendiener in der Churfürstlichen Pfaltz, Heidelberg (Gotthard Vögelin) 1615.
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kommt. Der Grund dafür liegt in der Tatsache, dass sich keine der sechs Schriften mit der Berufung der Pfälzer auf die CA befasst, also keine der Inanspruchnahme der CA durch und für die Reformierten in der Kurpfalz – nicht einmal beiläufig – gewidmet ist. Vielmehr beschäftigen sich die sechs aufgezählten Werke zwar nicht ausschließlich, aber unleugbar in erster Linie mit der Entkräftung der den Reformierten von württembergisch-lutherischer Seite gemachten Häresievorwürfe und dem biblisch fundierten Beweis der Orthodoxie der Pfälzer. Die Berufung auf die CA zum Erweis der eignen Rechtgläubigkeit spielt dabei nirgendwo eine Rolle; der Bezug auf die Heilige Schrift sowie der Erweis der Übereinstimmung mit der Lehre Luthers konstituieren in diesem Zusammenhang die Basis der gesamten pfälzischen Argumentation17. Zwar verleihen die reformierten Autoren der von ihnen unterstellten brüderlichen Verbundenheit mit den Lutheranern18 auch terminologisch Ausdruck, indem sie das Adjektiv evangelisch integrativ nutzen und darunter die eigene reformierte Kirche wie
17 Die Berufung auf Luther als für den eigenen Standpunkt in Anspruch genommene Autorität ist besonders prägnant in: Trewhertzige Vermahnung, S. 31, 34 f., 42; Ausführlicher Bericht: Was die Reformierte Kirchen inn Deutschland gläuben oder nit gläuben, S. 249–266. Hinzu tritt die Aufmerksamkeit verdienende Behauptung der Pfälzer, selbst das Konkordienbuch vertrete, besonders mit Blick auf die Lehre vom freien, also vom menschlichen Willen und Tun vollkommen unabhängigen Erwählungsratschluss Gottes, einen genuin reformierten Standpunkt. Genau diese Lehre werde nun von bestimmten lutherischen Theologen, allen voran Hunnius und besonders Mylius (= Müller), in Zweifel gezogen, obwohl sie von Luther und vom Konkordienbuch mit aller Konsequenz vertreten werde. Dass sich nun auch die Heidelberger Theologen dieser konsequenten Haltung anschließen, werde ihnen daher völlig zu Unrecht zum Vorwurf gemacht; vielmehr zeuge die Anklage jener Lehre von der Unrechtmäßigkeit und mangelnden Qualifi zierung der lutherischen Anschuldigungen gegen die in der Pfalz vertretene Lehre (a.a.O., S. 241–273). Die Polemik der Pfälzer gipfelt schließlich in dem Vorwurf, die Abschwächung jener Lehre durch die genannten vermeintlich orthodoxen Lutheraner sei »nit alleine gut Papistisch/ sondern noch viel gröber als die Papistische Lehre [. . .]: Denn die Papisten sein noch nicht so weit gegangen daß sie gesagt hetten/ der mensch könte auß natürlichen kräften sich zur wahl Gottes qualificirt oder tüchtig machen [. . .]. Denn Belarminus der Ertzpapist [. . .] beweiset [. . .] stattlich: Erstlich/ daß keine vrsache der wahl in uns sey« (a.a.O., S. 273 f.). Vor Augen steht an dieser Stelle ein eindrückliches Beispiel, dass der irenische Aspekt der pfälzisch-reformierten Schriften beizeiten doch letzten Endes nur eine Seite der Medaille darstellt. Immer wieder begegnen auch Passagen, die nicht minder polemisch sind als ihre lutherischen Pendants; vgl. dazu neben dem obigen Auszug exemplarisch auch a.a.O., S. 99–101, 196–201. 18 Es mangelt nicht an Aufrufen zur Einigkeit gegenüber dem gemeinsamen Gegner, nämlich dem Papsttum mit seiner schärfsten Waffe, den Jesuiten, dessen Hinterhältigkeit und Brutalität man sich nur durch brüderlichen Zusammenhalt wirksam widersetzen könne; vgl. dazu exemplarisch Trewhertzige Vermahnung, S. 21–26, 30, 52–60; Antwort der Heidelbergischen Theologen, S. 106–109.
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auch die lutherischen Schwesterkirchen subsumieren19 ; doch die Termini Protestierende oder Protestanten sucht man dabei vergeblich 20. Die Inanspruchnahme der CA durch und für die Reformierten provozierte nun jedoch zwangsläufig den scharfen Protest des lutherischen Gegenübers, das nach wie vor die breite Mehrheit der Reichsstände, sofern sie dem reformatorischen Lager angehörten, stellte. Schließlich hatten sich weite Teile des Luthertums im Zuge des innerlutherischen Einigungsprozesses soeben erst auf die Konkordienformel verständigt, die sich in aller Eindeutigkeit zur Invariata bekannte, also die Fassung der CA zur allein maßgeblichen erhob, die wegen ihrer Abendmahlslehre für die Reformierten schlechterdings unannehmbar war. Und so sehr nun die Anhänger calvinischer Lehre jeder in ihren Auswirkungen für sie bedrohlichen Festlegung auf die Invariata begegnen mussten – diese Notwendigkeit zur Reaktion ist zweifelsohne ein bedeutendes Motiv für das Einsetzen der so genannten reformierten Irenik –, so sehr mussten die Lutheraner für eben jene Festlegung eintreten, wollten sie eine Aufweichung des Religionsfriedens verhindern, die den vermeintlichen Sakramentierern im Reich Tür und Tor geöffnet hätte21. Dies galt es nicht zuletzt wegen der massiven Ex19 Vgl. besonders Trewhertzige Vermahnung, S. 17, 22–26, 41 f., 52, 56–58; Ausführlicher Bericht, S. 7, 53 f, 122–125, 201, 275, 298, 307–309, 328–332; Kurtzer Anhang des Ausführlichen Berichts, S. 148; Antwort der Heydelbergischen Theologen, S. 3 f., 73; Beschluß der Heydelbergischen Endlichen Uberweisung, S. 1 f., 132 f., 135. 20 Es darf allerdings auch nicht verallgemeinernd darauf geschlossen werden, dass die reformierte Inanspruchnahme der CA per se schon die integrative Terminologie nach sich zöge: 1581 veröffentlicht Christoph Herdesianus unter dem Pseudonym Ambrosius Wolf die zweite Aufl age seiner HISTORIA Von der Augspurgischen Confession, Wie/ vnd in welchem verstandt sie vorlängst von dero genossen vnnd verwandten im Artickel des Heiligen Abendtmals/ nach der Wittenbergischen Concordiformul/ Anno 36. ist angenommen/ Auch wie sie seidhero sonst etlich mal in offentlichen Religionshandlungen ist gemehrt und erklärt worden. Item/ ACTA CONCORDIAE Zwischen Herren Luthero vnnd den Euangelischen Stätten in Schweitz im Jahr 38. vber der Wittenbergischen Concordiformul auffgerichtet/ Wider die PATRES BERGENSES vnd anderer Vbiquitisten verführischen betrug. Erstlich durch Mag. Ambrosium Wolfium gestelt vnd zusammen getragen/ Jetzundt wider Johann Magers/ Probsten zu Stutgarten/ falsche lästerungen/ von newem mit vielen anderen Acten/ Recessen/ Abschieden/ Sendtbrieffen Herren Philippi Melanthonis vnd anderer Gelehrten: auch kurtzem wahren Bericht vom Religionfrieden/ vnd Gründlicher widerlegung einer vermeinten partheyischen Epistel/ so Fridericus Myconius von der Wittenberg. Concordi/ vor zeiten geschrieben haben sol/ vber das halbe theil gemehret vnd gebessert, Neustadt an der Hardt (Matthias Harnisch) 21581. Es ist Wilhelm Zepper, der sich im neunten Kapitel seines Christlich Bedencken/ Vorschlag und Rath dreimal auf die Historia Von der Augspurgischen Confession bezieht bzw. die von ihm angeführten Quellen nach ihr zitiert (Zepper, Christlich Bedencken/ Vorschlag und Rath, S. 104, 124, 128; die Seitenzahlen der Historia Von der Augspurgischen Confession, die Zepper als Belegstellen angibt, beweisen, dass auch ihm die 2. Aufl age vorgelegen hat). Doch Herdesianus verwendet die Termini Protestierende oder Protestanten nicht; auch in der 1580 erschienen ersten Aufl age seiner HISTORIA Von der Augspurgischen Confession kommen die genannten Begriffe nicht vor. 21 Dazu merkt Irene Dingel an: »Aber auch die Frage, was denn eigentlich unter der ›Augsburger Konfessionsverwandtschaft‹ zu verstehen sei bzw. wer sich mit Recht als der Augsbur-
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pansionskraft des Calvinismus zu verhüten, die den lutherischen Theologen und ihren Landesherren vor Augen stand und ihre bedrohliche Wirkung auf den eigenen territorialen Besitzstand sicher nicht verfehlte. Entsprechend reagierten die untersuchten lutherischen Gelehrten auf die Ansprüche der Reformierten und ihre terminologische Flankierung: Von den reformierten Annäherungsversuchen unbeirrt, hielt die fest auf dem Boden der Konkordienformel stehende lutherische Orthodoxie nicht nur an ihrem Alleinanspruch auf die CA fest, zu deren einzig statthafter Fassung die Invariata erklärt wurde; auch sie untermauerte die eigene Frontstellung durch ihre Begriffl ichkeit. Ihre Vertreter nutzten die Begriffe Protestierende, Protestanten oder Protestantes ausnahmslos als Selbstbezeichnungen; sie wurden exklusiv auf die eigene Partei, weil und sofern diese sich als der CA verwandt empfand, angewandt. An eine Aufnahme der schöpferischen Impulse von reformierter Seite war daher schlicht nicht zu denken. Mit zunehmender Schärfe der Kontroverse darüber, wer nun überhaupt als der Augsburgischen Konfession verwandt gelten konnte, wurde auch die Terminologie in den Dienst der Polemik gestellt: Während die dem reformierten Lager angehörenden Autoren den ursprünglich irenischen Charakter ihrer Publizistik nach und nach abstreiften, dabei aber ihre integrative Begriffl ichkeit konsequent beibehielten, verzichteten Vertreter der lutherischen Orthodoxie sogar darauf, überhaupt noch einen Integrationsbegriff zu verwenden, der der Geschlossenheit von Lutheranern und Reformierten im Gegenüber zu den Altgläubigen hätte Ausdruck verleihen können. Dies war ja gerade in Bezug auf den Begriff »Evangelische« bzw. »Evangelici« der Fall: Wurde er seit jeher auch von den erklärten lutherischen Gegnern der reformierten Partei als Sammelbegriff für beide großen reformatorischen Konfessionskirchentümer im Reich gebraucht, mittels dessen zumindest ein Minimum an Gemeinsamkeit beider Fraktionen zum Ausdruck gebracht werden konnte und sollte, so ließen bestimmte Theologen lutherischer Façon im Zuge ihrer Frontstellung gegen die geistigen Erben Calvins auch diesen Integrationsbegriff schlicht fallen. Sie deuteten ihn kurzerhand um und bezogen ihn exklusiv auf die eigene Ausformung reformatorischen Kirchentums. Diese einschränkende Umdeutung des einen gischen Konfession verwandt verstehen durfte, blieb noch Jahrzehnte nach 1555 in der Diskussion, freilich nicht in der Weise, daß man dies zum Thema offener Auseinandersetzungen gemacht hätte, die in entsprechenden Streitschriftenkontroversen zu greifen wären« [dies., Augsburger Religionsfrieden und »Augsburger Konfessionsverwandtschaft« – konfessionelle Lesarten, in: Schilling, Smolinsky (Hgg.), Der Augsburger Religionsfrieden 1555, S. 157– 176, hier: S. 157]. So richtig der erste, die Umstrittenheit der Augsburger Konfessionsverwandtschaft attestierende Teil dieser Aussage ist, so wenig trifft der zweite zu: Die Auseinandersetzung darum, wer nun als der Augsburgischen Konfession verwandt gelten konnte – Lutheraner oder Reformierte oder gar beide –, wurde sehr wohl »zum Thema offener Auseinandersetzungen« gemacht, die dann auch »in entsprechenden Streitschriftenkontroversen zu greifen« sind, wie die meisten im Rahmen dieser Arbeit ausgewerteten Quellen belegen.
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Begriffs ist dabei sicher in engstem Zusammenhang mit der entschränkenden Umdeutung des anderen durch den ausgemachten theologischen Gegner zu sehen. Eine auch terminologiegeschichtliche Zäsur stellte dabei schließlich der Westfälische Frieden von 1648 dar: Im Text des IPO, der die Reformierten in die Bestimmungen des Religionsfriedens einbezieht und somit aus ihnen eine dritte reichsrechtlich geschützte Partei macht, fi ndet sich eine zweifellos integrativ zu deutende Verwendung von protestantes. Doch die Frage danach, wer nun legitimerweise Anspruch darauf erheben könnte, als Augsburgischer Konfessionsverwandte zu gelten – Lutheraner oder Reformierte oder gar beide –, bleibt wegen der dissimulierenden Formulierungen des Vertragstextes auch 1648 ungeklärt. Jede Partei konnte in den Text ihre Haltung hineinlesen, ihr Ziel also für erreicht halten, was den Friedensschluss überhaupt erst für alle Beteiligten annehmbar machte: Er war akzeptabel, eben weil und sofern er zu einer Kompromissformulierung griff, weil und sofern er dissimulierte. Das IPO beendete den Streit um die Inanspruchnahme der CA für und durch die Reformierten folglich keineswegs; vielmehr delegierte es die mit aller Schärfe geführte Debatte von der Ebene des Reiches auf die der Territorien. Konnte die Sache durch die unzweifelhafte Einbeziehung der Reformierten in den Religionsfrieden reichsrechtlich als erledigt angesehen werden, ging der Streit um die begründende Basis für jene Einbeziehung auf der Ebene der Reichsterritorien ungemindert weiter. Dabei blieb die lutherische Orthodoxie argumentativ und daher auch terminologisch ganz in den Bahnen, die sie schon vor dem Friedensschluss von Münster und Osnabrück eingeschlagen hatte: Nicht zuletzt wegen der Ausweitung der Friedensbestimmungen auch auf die Reformierten, denen der Vertragstext des IPO es sogar ermöglichte, sich als Augsburger Konfessionsverwandte zu gerieren, behielt sie ihre konsequent ablehnende Haltung gegenüber den Calvinisten bei, sprach ihnen in nicht nachlassender Vehemenz jedwede Zugehörigkeit zum Kreis der CA-Verwandten ab und flankierte dies durch die entsprechende Terminologie. Von der integrativen Begriffl ichkeit des IPO vollkommen unbeeindruckt, hält das orthodoxe Luthertum an seiner strikt exklusiven Begriffsdeutung bzw. -nutzung fest22 . 22 Eine das an dieser Stelle nicht nur auf terminologischer Ebene gezeichnete Bild abrundende und in ihrer Beobachtungsschärfe unüberbotene Charakterisierung der lutherischen Orthodoxie nach 1648 bietet Karl Holl, Die Bedeutung der großen Kriege für das religiöse und kirchliche Leben innerhalb des deutschen Protestantismus, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte Bd. III: Der Westen, Tübingen 1928, S. 302–384, hier: S. 311– 320. Zur Streitkultur der lutherischen Orthodoxie, die auch im Rahmen der für diese Untersuchung einschlägigen Diskussionskontexte zum Tragen kommt und für die – wie auch die hier hinzugezogenen Quellen belegen – unter anderem charakteristisch ist, dass »Argumente jedweder Herkunft – inhaltlicher, persönlicher, institutioneller Art -« zwar unterschieden,
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Zwar bot auch die auf reformierter Seite in Anschlag gebrachte integrative Terminologie das aus den Dekaden vor 1648 gewohnte Bild. Doch kam es zu einer bemerkenswerten argumentativen Neuakzentuierung: Seit jeher ging die Behauptung der eigenen CA-Verwandtschaft einher mit einem theologisch eminent bedeutsamen Argumentationsstück, nämlich der Lehre von den Fundamentalartikeln 23. Wollte man einen Konsens zwischen der lutherischen und der eigenen Partei in den meisten Lehrstücken der CA plausibel machen, ließ sich auf den Nachweis, dass man ohnehin in den wichtigsten Lehrpunkten übereinstimme, schlechterdings nicht verzichten. Die entsprechende Argumentationsstrategie wurde schon bei Ursin präformiert, nach dem ja nur ganz bestimmte, einzelne Lehrpunkte zwischen Reformierten und Lutheranern strittig waren, wohingegen eben die beiderseitige Augsburger Konfessionsverwandtschaft nicht in Frage gestellt werden konnte. Spätestens seit Pareus wurde die damit implizierte Behauptung eines Fundamentalkonsenses beider reformatorischen Konfessionskirchentümer auf dem Boden des Heiligen Römischen Reiches dann unzweideutig ausformuliert. Der Feststellung der eigenen Augsburger Konfessionsverwandtschaft wurde die Lehre von den Fundamentalartikeln, die Behauptung also, in den heilsnotwendigen Lehrpunkten herrsche völlige Übereinstimmung mit dem Luthertum, zur Seite gestellt. Beide bedingten einander und sollten einander stützen. Soweit das argumentative Konzept der Reformierten bis 1648. Nach dem Westfälischen Frieden jedoch verstummten die Bemühungen um den Nachweis der CA-Verwandtschaft der eigenen Seite restlos. Kamen die Bekenntnisschriften, kam die CA überhaupt noch zur Sprache, dann nur im Zuge einer strikten Abwertung. Nicht mehr sie, sondern allein die Heilige Schrift kam als Maßstab für die Bewertung der Orthodoxie noch in Betracht. Diese Suspendierung der Bekenntnisschriften als maßgebender Instanzen zum Erweis der eigenen Rechtgläubigkeit, ja zur Bewertung von Orthodoxie überhaupt, bedeutete das Wegbrechen des einen Teils der reformierten Argumentation. Entsprechend stärker kam daher der verbleibende, beibehaltene Teil, die Lehre von den Fundamentalartikeln, zum Tragen. Die reformierten Theologen bzw. theologisch gebildeten Autoren bedienten sich also nach wie vor der Argumentation, es jedoch »gleichberechtigt nebeneinander gebraucht und gesehen« wurden, sowie zu den Elementen des lutherisch-orthodoxen Selbstverständnisses, sofern eben jene Streitkultur auf solche Elemente verweist, s. auch Markus Friedrich, Die Grenzen der Vernunft. Theologie, Philosophie und gelehrte Konfl ikte am Beispiel des Helmstedter Hofmannstreits und seiner Wirkungen auf das Luthertum um 1600 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften Bd. 69), Göttingen 2004, S. 378–396 (zu den zitierten Passagen s. a.a.O., S. 380). 23 Zur Entwicklung dieser traditionsreichen und wirkmächtigen Lehre nicht nur auf reformierter, sondern auch auf lutherischer Seite vgl. Ritschl, Dogmengeschichte des Protestantismus Bd. IV, S. 231–363 und Leube, Kalvinismus und Luthertum, S. 138–163, 243– 256.
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bestehe in bestimmten biblisch legitimierbaren und als fundamental anzusehenden Glaubenslehren Konsens zwischen ihnen und den geistigen Erben Luthers. Und genau diese Argumentationslinie bildet auch nach dem Friedensschluss von Münster und Osnabrück das inhaltliche Fundament für die integrative Terminologie auf Seiten des Reichsreformiertentums. Die Lehre von den Fundamentalartikeln ist nun nicht ausschließlich auf reformierter Seite in irenischer Absicht verfochten worden. Auch im Luthertum des 17. Jahrhunderts ließen sich Tendenzen zur Herstellung einer Gemeinschaft zwischen Lutheranern und Reformierten auf der Basis bestimmter Fundamentallehren, in denen eine unanfechtbare Übereinkunft beider Konfessionskirchentümer bestehe, ausmachen. Nun ist gerade diese vermittelnde Tendenz innerhalb des Luthertums aufs Engste mit der Person und dem Werk des Helmstedter Theologen Georg Calixt verbunden. In ihrer ganzen Konsequenz und in ihrem auch terminologischen Folgenreichtum kam Calixts irenische, aus seiner Forderung nach Toleranz gegenüber den Reformierten erwachsende Haltung schließlich erst in seinen Schülern und durch dieselben zum Tragen: Durch sie hielt die integrative Transformation der Bezeichnung Protestantes/Protestierende in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts Einzug in das deutschsprachige Luthertum, weil und sofern es von einem Fundamentalkonsens mit den geistigen Erben Calvins ausging. Eine explizit integrative Begriffsdeutung in der Nachfolge Georg Calixts ist nun unter den Verfechtern seiner Theologie keineswegs selbstverständlich, wie nicht nur das Beispiel Friedrich Ulrich Calixts vor Augen führt. Im Titel seiner 1662 erschienen REPETITIO DOCTRINAE PROTESTANTIUM verwendet der Calixt-Schüler Gerhard Titius den im Mittelpunkt dieser Untersuchung stehenden Begriff zwar, aber eben – wie allein schon der Titel belegt – in einem strikt exklusiven, also ausschließlich die Lutheraner bezeichnenden Sinn 24. 24 Gerhard Titius, REPETITIO DOCTRINAE PROTESTANTIUM QVOD CORPUS ET SANGUIS DOMINI NOSTRI JESU CHRISTI, CUM PANE ET VINO IN SACRA COENA, ORE COMMUNICANTIUM ACCIPIANTUR CUM CONFVTATIONE Nuperae Epistolae JOHANNIS VORSTII, qua ille WARNERI FREUNDII Homiliam Germanicam, de hoc ipso argu-
mento conscriptam, & superiore anno editam, aliquot locis vellicare laboravit, Helmstedt (Henning Müller) 1662. Der im Kontext dieser Arbeit im Vordergrund stehende Terminus taucht nur im Titel der Schrift auf. Nichtsdestotrotz kann seine exklusive Nutzung durch Titius nicht in Frage gestellt werden, zumal es sich bei der REPETITIO DOCTRINAE PROTESTANTIUM um den entschiedenen Einspruch jenes Calixt-Schülers gegen die auf reformierter Seite gehegten Vorbehalte gegenüber der lutherischen Lehre von der Realpräsenz Jesu Christi in den Abendmahlselementen handelt. Der literarische Diskurs, in den das genannte Werk Titius’ einzuordnen ist, verdankt sich der Kritik des reformierten Theologen Johannes Vorstius an einer Predigt Warner Freunds, in der dieser mit allem Nachdruck für die lutherische Abendmahlslehre eintritt [s. dazu: Warner Freund, Grünen Donnerstages Predigt Von der Wahren/ Wircklichen/ Wesentlichen Gegenwart des Leibes und Blutes Christi im heil. Abendmahl/ sampt einer nützlichen Vorrede/ Frommen Christen/ so in dem hierüber noch wärendem Zwyspalt/ gern wollen der himlischen/ vnd zum Himmel führenden Warheit gründlich vnd
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Auch taucht der Begriff nicht automatisch überall da auf, wo sich Anhänger Georg Calixts mit der Herstellung der Kirchenunion literarisch befassen bzw. in ihren Werken Wege aufzeigen, wie jene ihrer Meinung nach erreicht werden könne. Man denke in diesem Zusammenhang nur an Gerhard Titius und seine Schrift DE CONCORDIA ECCLESIASTICA 25. Dennoch waren es Theologen, die in der Tradition des berühmten lutherischen Unionstheologen Georg Calixt standen, die die integrative Nutzung von Protestantes bzw. Protestierende in das Luthertum auf dem Boden des Heiligen Römischen Reiches einführten. Während die Verfasser der Quellen, die der der Konkordienformel positiv gegenüberstehenden lutherischen Orthodoxie zuzuordnenden sind, konsequent auf eine exklusive Nutzung zurückgriffen, den Terminus Protestantes/Protestierende also als Selbstbezeichnung und damit als Abgrenzungsbegriff zu den Reformierten in Anschlag brachten, begann die auf Georg Calixt folgende und sich seinem geistigen Erbe verpfl ichtet fühlende Theologengeneration, fest auf dem Boden des Calixt’schen Unionsprogramms stehend, jene Bezeichnung als Integrationsbegriff zu gebrauchen. Nachgewiesen werden konnte dies exemplarisch an Martin Eckard und am untersuchten Spätwerk Friedrich Ulrich Calixts. Beide brachten jenen Terminus zur begrifflichen Flankierung ihrer auf Ausgleich bedachten Haltung explizit integrativ in Stellung, wie es unter den reformierten Irenikern bereits seit Ursin üblich war. Das Programm Georg Calixts, auf der Basis der Lehre von den Fundamentalartikeln den Ausgleich zwischen den streitenden Parteien herbeizuführen, hat den der Konkordienformel ablehnend gegenüberstehenden lutherischen Ireniker also überlebt und ist nicht ohne Konsequenzen auch auf die Terminologie seiner Schüler geblieben.
so fest als die Warheit auffs beste gegründet ist/ versichert vnd vnbetrogen seyn/ Zum besten herauß gegeben, Elbingen (Timotheus Wahrenfried) 1662. Seinen Einspruch veröffentlicht Vorstius unter dem Titel: AD WARNERUM FREUND EPISTOLA , Super hujus de corpore & sanguine Domini una cum pane & vino, ipso hominum ore manducando ac bibendo Homilia, quam VIR CL. GERHARDUS TITIUS, SS. Th. Doctor, & Acad. Juliae Professor, tantopere nuper laudavit, suisque Auditoribus commendavit, eo nomine, quod sententia Ecclesiarum Lutheranarum rationibus apertissimis, ac insuperabili prorsus robore suffultis undiquaque communita per Homiliam illam sit, Berlin (Christoph Rungius) 1662. In beiden Werken taucht der Begriff Protestantes bzw. Protestierende übrigens nicht auf ]. Titius’ Verteidigung der Grünen Donnerstages Predigt Freunds wiederum lässt Vorstius nicht unbeantwortet [s. ders., Ad GERHARDUM TITIUM, Theol. Doctorem, ejusdemque in Acad. Helmstadiensi Professorem, EPISTOLA , Super hujus libello, quem contra ejusdem VORSTII ad WARNERUM FREUND Epistolam nuper divulgavit, Berlin (Christoph Rungius) 1663 und ders., Ad GERHARDUM TITIUM, Theol. Doctorem, hujusque in Acad. Helmstadiensi Professorem, EPISTOLA ALTERA , Super hujus libello, quem nuper contra ejusdem VORSTII ad WARNERUM FREUND Epistolam divulgavit, Berlin (Christoph Rungius) 1663. In beiden gegen Titius gerichteten Schriften vermeidet Vorstius die im Titel der REPETITIO DOCTRINAE PROTESTANTIUM vorkommende Terminologie]. 25 S. dazu o. Kap. IV, Anm. 81.
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Es lassen sich nur Vermutungen darüber anstellen, warum nicht schon Georg Calixt selbst auf die in der sog. Pfälzischen Irenik entstandene Interpretation und Verwendung der Bezeichnungen Protestantes und Protestierende zurückgegriffen hat. Allein, es ging ihm bei seinem Unionsprogramm eben nicht um die Herstellung einer gegen Rom gerichteten Allianz von Reformierten und Lutheranern wie zum Beispiel Pareus. Vielmehr könnte man eine integrative Terminologie genau in diese Richtung auf altgläubiger Seite missverstehen, was Calixts Programm nur abträglich sein konnte. Er war zwar überzeugter Lutheraner, strebte aber nicht zuletzt auf der Basis der Lehre von den Fundamentalartikeln eine Vereinigung der in drei Parteien, nämlich in Lutheraner, Reformierte und Altgläubige getrennten abendländischen Christenheit an. Es musste ihm also daran gelegen sein, an seinem Programm interessierte Vertreter in den Reihen der beiden letztgenannten Parteien zu fi nden, weshalb er eine Misstrauen auf altgläubiger Seite erweckende, unter Umständen abschreckende Terminologie vermeiden musste. Somit machte allein schon sein notwendig behutsames Vorgehen und Taktieren eine integrative Begriffsnutzung in der Tradition, in der diese Terminologie nun einmal seit ihrem innerevangelischen Auf kommen in der Pfälzischen Irenik stand, für ihn unbrauchbar. Erst die Generation nach ihm, die sich seinem Programm zutiefst verpfl ichtet wusste, verwendete jenen Begriff integrativ, jedoch ausschließlich dann, wenn es ihr explizit um eine Annäherung, wenn nicht sogar Vereinigung von Reformierten und Lutheranern ging. Durch die angeführten Quellen konnte dabei eine gewisses Spektrum der Rezeption des Friedensprogramms Georg Calixts auf der Basis der Lehre von den Fundamentalartikeln abgedeckt werden: Sein Sohn Friedrich Ulrich und Martin Eckard rezipierten seine irenischen Grundgedanken in anderer, im Vergleich zu Pufendorf fraglos gesteigerter Qualität und Quantität. Trotz der qualitativen Unterschiede aber, trotz des Mehr oder Weniger der Rezeption ist eine Beeinflussung all jener durch Calixt und sein Unionsprogramm nicht von der Hand zu weisen, die sich auch bzw. gerade in einer ganz bestimmten Begrifflichkeit niederschlug. Nun stehen Georg Calixt und die auf seine Theologie rekurrierenden Strömungen mit ihren Bemühungen um Beilegung der Lehrstreitigkeiten der Lutheraner mit den Reformierten keineswegs allein im Luthertum der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Nicht nur die Rezipienten des auf der Lehre von den Fundamentalartikeln fußenden Calixt’schen Unionsprogramms streiten für einen Ausgleich zwischen den beiden großen reformatorischen Konfessionskirchentümern auf dem Boden des Heiligen Römischen Reiches; auch dem Pietismus ist es darum zu tun – wenn auch unter theologiegeschichtlich völlig neuen Vorzeichen. Sowohl Philipp Jakob Spener als auch Gottfried Arnold machten sich auf eigene Weise für eine Überwindung der Lehrdifferenzen zwi-
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schen Lutheranern und Reformierten stark, was sich nicht zuletzt in ihrer integrativen Begriffl ichkeit niederschlug. Es war Spener, der die Frage nach Rechtgläubigkeit, nach legitimem Wahrheitsanspruch der vertretenen Lehre, von der Frage nach der je konstitutiven Bekenntnisschrift ablöste und damit in der Bewertung des reformierten Gegenübers theologiegeschichtlich ganz neue Wege wies. Er suspendierte die Identifi kation von Wahrheit, Orthodoxie und Bekenntnisschrift und problematisierte statt ihrer bestimmte Differenzen verschiedener Bewusstseinsformationen: Man konnte die Gemeinschaft mit den Reformierten mit gutem Recht verweigern, weil und sofern man wahrnahm, dass sie anders glaubten. Man konnte ihnen zu Recht die Gemeinschaft versagen, ohne sie wegen der herrschenden Dissense zu verdammen 26 . Dabei spielte in Speners Argumentation die Bekenntnisfrage, also ein bestimmtes corpus doctrinae oder auch nur ein Teil daraus – zum Beispiel die CA – als Maßstab zur Beurteilung von Wahrheit oder Unwahrheit, Orthodoxie oder Heterodoxie, überhaupt nicht hinein, auch wenn er bemüht war, seine Selbstwahrnehmung als Lutheraner, als von dem Wahrheitsanspruch der eigenen Ausformung reformatorischer Lehre überzeugter Theologe in seinen untersuchten Schriften in aller Deutlichkeit herauszustellen, was nicht ohne Auswirkung auf sein irenisches Programm blieb. Die originelle Art und Weise, auf die sich Spener der Bewertung des Verhältnisses zum Reformiertentum stellte, seine Betrachtungsweise, die von Ferne vorausverweist auf moderne religionspsychologische Entwürfe von Bewertung von Alterität, wurde weitergebildet durch einen Mann, der alle konfessionellen Bindungen transzendierte und der entsprechend frei war von den Skrupeln seiner Konfessionszugehörigkeit sowie den aus ihnen erwachsenden Modifi kationen seiner Wahrnehmung des anderskonfessionellen Gegenübers, kurz: der sich selbst als unparteiisch, durch Erleuchtung über den streitenden Konfessionen stehend verstand. Ein solcher Theologe trat nun mit Gottfried Arnold in das Blickfeld der vorliegenden Untersuchung. Er eignete sich die herausgestellte Neuformierung theologischen Bewusstseins, wie sie sich bei Spener feststellen ließ, an und führte sie seinem spiritualistischen Radikalpietismus gemäß weiter: In seiner Unpartheyische[n] Kirchen= und Ketzer=Historie war kein Platz für die Bewertung der reformierten Schwesterkirchen anhand einer Bekenntnisschrift, mittels derer sich die von ihnen verfochtene Lehre, der von ihnen vertretene Glaube als heterodox qualifi zieren und die eigene Lehre als allein rechtgläubig hätte herausstellen lassen. Die Bekenntnisschriften selber sind nicht Resultat des theologisch legitimen Verlangens nach lehrmäßiger Klarstellung – dafür war der radikale Pietist Arnold blind. Sie verdanken sich vielmehr der Selbst- und Streitsucht der Gelehrten, die in ihrer unchristlichen Eigenliebe nach nichts mehr streben als nach Gel26
S. dazu Speners o. auf S. 209 u. 211 zitierten Ausführungen.
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tung und Macht. Entsprechend fand die an und mit den Bekenntnisschriften erörterte Wahrheitsfrage in Arnolds Darstellung des Reformationszeitalters nur negative Beurteilung, da er schlicht kein Verständnis auf brachte für die Kombination von Wahrheits- und Bekenntnisfrage. Sie war ihm eines der vielen Zeugnisse für den Verfall, der seit den Jahren Konstantins des Großen die Geschichte der breiten, wahrnehmbaren Masse des Christentums heimsuchte und auch durch die zu Anfang der Reformation wieder aufgerichtete brüderliche Liebe nur kurzzeitig hatte aufgehalten werden können. Dem Darstellungsprogramm der Unpartheyische[n] Kirchen= und Ketzer=Historie passte Arnold dabei ganz bewusst auch seine Terminologie ein. Zwar kannte er beide überkommenen Interpretationsoptionen der Bezeichnung Protestierende/ Protestanten: Einmal konnte er sie exklusiv allein auf das Luthertum anwenden. Sodann war es ihm aber auch möglich, die Geschlossenheit von Lutheranern und Reformierten durch die integrative Nutzung jenes Begriffs zu unterstreichen. Anders als noch beispielsweise bei Pareus standen jedoch beide Deutungsvarianten keineswegs unvermittelt nebeneinander. Vielmehr war ihnen aus programmatischen Gründen ihr je eigener Platz in Arnolds kirchengeschichtlicher Darstellung zugedacht: Der Themenkomplex, in dem die integrative Interpretation der Bezeichnung Protestierende/Protestanten zum Einsatz kommt, ist die für die Reformation so schicksalhafte Spaltung von Reformierten und Lutheranern, die sich der Tatsache verdanke, dass »es unter denen Protestanten an der einigkeit gemangelt, und die aemulation, mißgunst, verleumdungen, verkätzerungen und dergleichen gehindert, daß sie ihre consilia auch nicht einmahl äusserlich vereinigen, geschweige sich in eine krafft des glaubens und der liebe gegen die gemeinen feinde verbinden können« 27.
Die schon im soeben angeführten Zitat zu fi ndende integrative Deutung jenes Begriffs stellte dabei eine von Arnold offensichtlich gern in Anspruch genommene Möglichkeit dar, seiner Kritik, aber auch seinem aufrichtigen Bedauern ob der Entzweiung der Reformatoren und ihrer geistigen Erben Ausdruck zu verleihen. Bei der Schilderung und Bewertung der historischen Ereignisse und Entwicklungen nach dem von der Eigenliebe befeuerten Auseinanderbrechen der ursprünglich in geschwisterlicher, urchristlicher Liebe geschlossenen reformatorischen Bewegung griff Arnold zwar weiterhin auf den Begriff Protestanten/ Protestierende zurück, doch in der erstgenannten Deutungsvariante: Er platzierte jene Bezeichnung eben nicht mehr integrativ als aus Liebe geborene Geschlossenheit implizierenden Sammelbegriff für die Reformatoren und ihre Gefolgschaft, sondern nutzte sie nur noch zur Benennung der Angehörigen des Augsburger Bekenntnisses gerade im Gegenüber zu den Reformierten, also der Lutheraner. Durch die Aufgabe jener Geschlossenheit implizierenden Verwendung 27
16, VIII, 37 (zur Zitation s. o. Kap. IV, Anm. 224).
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der Bezeichnung Protestanten/Protestierende als Integrationsbegriff und durch die damit einhergehende terminologische Qualitätsverschiebung verlieh Arnold seiner Kritik und dem Bedauern des unparteiischen Christen über den nicht zu verkennenden Verfall der einst so hoffnungsvoll begonnen Reformation gleichsam zusätzlich auf terminologischer Ebene Ausdruck. Dabei ignorierte Arnold im Zuge seiner Darstellung schlicht die für das adäquate Verständnis der Lehrkonfl ikte zwischen beiden reformatorischen Lagern unabdingbare Gleichsetzung von Wahrheit und je eigener theologischer Lehre durch die Protagonisten des Streites und reduzierte seine Begründung für das Auseinanderbrechen beider Parteien auf die charakterlichen Schwächen der an der Kontroverse Beteiligten. Konsequent psychologisierend und moralisierend nahm er eine Bewertung des bis in seine Gegenwart unaufgehobenen Dissenses zwischen Reformierten und Lutheranern vor, mit der eben nicht weniger vor Augen steht als eine mögliche Ausformung des Bewertungsansatzes Speners, der mit seiner Erhebung der Mentalitätsdifferenzen statt der Wahrheitsdifferenzen zum entscheidenden Problem bezüglich des Konfl ikts zwischen den beiden großen protestantischen Konfessionskirchentümern des Reiches den Ermöglichungsgrund schuf für Arnolds kompromissloses Abbiegen ins Psychologische und Moralische. Genau für diese schon bei Spener zu attestierende und bei Arnold auf bestimmte Weise weiterentwickelte und durchgeformte Mentalitätsverschiebung deutet auf ganz eigene Weise voraus auf ein Jahrhundert, das das Ende der protestantischen Orthodoxie und des von ihr geprägten Bezuges zu den Bekenntnisschriften sehen wird, das die volle Entfaltung des historisch-kritischen Zugangs nicht nur zur Heiligen Schrift Alten und Neuen Bundes, sondern auch und gerade zu den corpora doctrinae des Protestantismus erleben wird, und zwar mit den zu erwartenden terminologiehistorischen Konsequenzen. Soweit die (terminologie-)historische Entwicklung, die anhand der Untersuchung lutherischer und reformierter (kontrovers-)theologischer Werke des 16. und 17. Jahrhunderts nachgezeichnet werden konnte. Bleibt noch die Frage nach dem Wert dieser Entwicklung gerade im Gegenüber zu den eingangs referierten Ergebnissen der bisherigen begriffsgeschichtlichen Forschung. Die These, dass die integrative Deutung bzw. Verwendung des Begriffs Protestantes/ Protestierende/Protestanten über England und andere Teile Westeuropas des Heiligen Römischen Reiches gefunden habe, wie neben Maurer auch Fischer, Ohst und Graf meinten, kann als widerlegt gelten. Die verfolgten reichsinternen Debatten weisen keine Spur von entscheidender westeuropäischer Beeinflussung auf. Jene These scheidet somit als Begründung für das Auf kommen des Integrationsbegriffs Protestantes/Protestierende/Protestanten aus, will man die den Deutungswandel jenes Terminus, also sein Werden eben zur Bezeichnung für Reformierte und Lutheraner mit sich bringende Entwicklung auf dem Boden Reiches nachvollziehen.
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Der Impuls zur Entschränkung verdankt sich einem ganz bestimmten, schon im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts virulenten Problem, das einen ganz eigenen Diskussionskontext formiert, nämlich der Debatte um die Augsburger Konfessionsverwandtschaft des Reichsreformiertentums. Aus diesem Kontext ergibt sich zugleich eine für die Geschichte jenes Begriffs auf dem Boden des Reiches bedeutende Eigenart: Seine Entschränkung bleibt gleichsam reichsrechtlich rückgebunden, denn er bezeichnet auch im Zuge seiner Ausweitung durch und auf die Reformierten die Angehörigen der CA. Genau darin lag die Motivation der in Diensten der Kurpfalz und anderer reformierter Reichsterritorien stehenden Theologen, sich selbst wie die Lutheraner als Protestantes oder Protestierende zu bezeichnen: So unterstrichen sie terminologisch ihren Anspruch auf die CA. Vor diesem Hintergrund nimmt es nicht Wunder, dass im Sprachgebrauch der untersuchten Werke – der orthodox-lutherischen ohnehin nicht, aber eben auch der reformierten nicht – eine Ausweitung beispielsweise auf die englischen, niederländischen oder französischen Ausformungen reformatorischen Kirchentums nicht stattfi ndet. Die Eigenart der Genese des Integrationsbegriffs bedingt dies. Zugleich aber trägt die Entwicklung, die jener Terminus im Reich genommen hat, trägt der Diskussionskontext, der diese Entwicklung angestoßen hat, den Keim zur weitergehenden Entschränkung in sich: Die von den Reformierten aufgestellte und für ihre reichsrechtliche Sicherheit unabdingbare Behauptung, auch sie seien als legitime Verwandte des Augsburger Bekenntnisses anzusehen, wäre ohne die gleichzeitige Behauptung der Übereinstimmung mit den sich als Augsburger Konfessionsverwandte verstehenden Lutheranern in einer wie auch immer näher zu defi nierenden Zahl und Gestalt von Fundamentalartikeln geradezu absurd. Ja, erstgenannte Behauptung würde sofort und nicht zu Unrecht als rein politisch-taktisches Manöver entlarvt werden – nicht zuletzt vom lutherischen Gegenüber. Daher bedurfte sie der plausibilisierenden Flankierung durch zweitgenannte Behauptung. Der Protest des orthodoxen Luthertums, der um die Aufdeckung der taktischen, durch die problematische politisch-reichsrechtliche Situation befeuerten Motive der vermeintlichen Ketzer bemüht war, blieb nun trotzdem nicht aus und war sicher auch nicht ganz unberechtigt. Dass gerade die Selbstdarstellung der Reformierten als legitime Angehörige der CA und der entsprechende, jene erste Behauptung untermauernde Argumentationsstrang ausgerechnet in dem Moment abreißen, als das Reichsreformiertentum sein reichsrechtlich-religionspolitisches Ziel der Aufnahme in den Reichsfrieden 1648 erreicht, unterstreicht auf ganz eigene Art den von der lutherischen Orthodoxie angegangenen politisch-taktischen Impetus der reformierten Autoren: Kaum sind sie an ihr Ziel gelangt, in dessen Dienst sie einst auch ihre schöpferische Terminologie stellten, verstummen sie, wenn es im Rahmen (kontrovers-)theologischer Publizistik um ihre Augsburger Konfessionsverwandtschaft geht – trotz oder doch
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wegen der Tatsache, dass das orthodoxe Luthertum auch nach dem Westfälischen Frieden nicht müde wird, ihnen ihre Konfessionsverwandtschaft zu bestreiten. Jene zweite durch die Lehre von den Fundamentalartikeln konstituierte Behauptung aber besteht auch nach 1648 fort. Der die Behauptung der Zugehörigkeit der Reformierten zum Kreis der CA-Verwandten einst notwendig flankierende Argumentationsstrang, dessen Kern eben jene Lehre von den Fundamentalartikeln bildet, in denen zwischen Lutheranern und Reformierten Konsens herrsche, ist auch nach dem Westfälischen Friedensschluss in der reformierten (kontrovers-)theologischen Literatur präsent. Er überlebt folglich den politisch-taktischen Zweck, in dessen Dienst er einst gestellt wurde und der 1648 als erfüllt gelten konnte. Mehr noch: Er fi ndet nach 1648 Eingang in die theologisch gebildeten Kreise des Reichsluthertums, die sich um Überwindung der Gräben zwischen der eigenen Partei und dem reformierten Lager bemühen, weil und sofern sie der Konkordienformel kritisch gegenüber stehen. Dort wird jener auf die Lehre von den Fundamentalartikeln gegründete Argumentationsstrang – wie zuvor schon auf reformierter Seite – zu dem Kontext, in dem die integrative Begriffl ichkeit zur Entfaltung ihrer Wirkung kommt und Einzug hält in das Luthertum des Heiligen Römischen Reiches, um dort – man denke an Spener und Arnold – von ihrer reichsrechtlichen Rückbindung vollends befreit zu werden und die damit verbundenen Schranken hinter sich zu lassen. Zwar war es eben aufgrund der Lehre von den Fundamentalartikeln zuvor schon Johann Crocius möglich, jene reichsrechtliche Rückbindung und die damit einhergehende territoriale Einschränkung der integrativen Terminologie aufzugeben, jedoch nur bedingt: Für ihn stand außer Frage, »Protestantium in Germania confessio est Augustana« 28 . Die für ihn als Glied des Reformiertentums im Reich hinsichtlich des Selbstverständnisses seiner Kirche grundlegende Bekenntnisschrift ist somit die CA; die ihr verwandten Stände nennt er Protestantes. Dennoch konnte er u. a. auch die Glieder der evangelischen Kirchentümer in England, Frankreich, der Schweiz und Polen Protestanten nennen. Dies war ihm aber nur wegen der Behauptung möglich, dass sich zwar die reformierten Kirchen jenseits der Reichsgrenzen auf ihre eigenen Bekenntnisschriften stützten, diese aber der CA als dem ältesten protestantischen Bekenntnis nicht im Geringsten widersprächen. Somit blieb auch für Crocius die Übereinstimmung mit der CA ausdrücklich das Kriterium, an dem er jede Ausformung reformatorischen Kirchentums und ihre Anhänger maß, um zu entscheiden, ob man von Protestanten sprechen könne oder nicht. Die über die Bindung an und durch die Lehre des Augsburger Bekenntnisses hinausgehende Entschränkung des Integrationsbegriffs Protestantes/Protestierende/Protestanten war erst möglich, als die Bekenntnisschriften überhaupt auf28
Crocius, COMMENTARIUS De AUGUSTANAE CONFESSIONIS SOCIETATE , S. 599.
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hörten, als Messlatten für Wahrheit und Unwahrheit, für Orthodoxie und Heterodoxie zu fungieren – und die dafür unverzichtbare Mentalitäts- und Wahrnehmungsverschiebung, die dafür unabdingbaren Denkansätze waren eben erst bei Spener und in aller Konsequenz schließlich bei Arnold feststellbar. Die Entwicklung, die jener Begriff in der (kontrovers-)theologischen Literatur auf dem Boden des Reiches nahm, trägt somit bereits vom späten 17. Jahrhundert an die Option der Entschränkung ohne Bekenntnisschriftgebundenheit in sich; also zur Erklärung auch dieses für die heutige Terminologie bedeutenden Spezifi kums bedarf es nicht der Annahme, der deutsche Sprachgebrauch sei maßgeblich durch englische oder andere westeuropäische Einflüsse geprägt worden. Allein, jene Option fand im deutschen Sprachgebrauch zumindest der theologisch gebildeten Literatur der Frühen Neuzeit, genauer: des 16. und 17. Jahrhunderts, keine Realisierung: Eine derartig weitgefasste Verwendung der Termini Protestantes, Protestierende oder Protestanten über lutherische und reformierte Konfessionskirchentümer hinaus war in keiner der untersuchten Quellen gegeben. So wird es nun nach 1648 und vollends mit dem integrativen, Lutheraner und Reformierte bezeichnenden Gebrauch der Begriffe Protestantes und Protestierende auf Seiten bestimmter, theologisch auf ganz eigene Weise geprägter Teile des Luthertums schwierig, den Kreisen, die auf jene Deutung und die daraus resultierende Nutzung der genannten Termini zurückgreifen, um ihr theologisches Programm auch auf terminologischer Ebene zu transportieren, genau deshalb (religions-)politisch motiviertes Kalkül als wichtigstes Movens für ihre publizistische Tätigkeit zu unterstellen. Hinter ihrer Terminologie scheint doch mehr zu stehen, nämlich die Überzeugung, dass sich das Ringen um Geschlossenheit trotz der unverkennbaren und letztlich auch unüberbrückbaren Differenzen lohnt, wie unter anderem das Religionsgespräch von Kassel deutlich macht, dessen Protagonisten ihre Gemeinsamkeiten höher werteten als ihre nach wie vor bestehenden Unterschiede. Wie nicht nur, aber auch das genannte Religionsgespräch von 1661 zeigt, hört das Streben reformierter Theologen nach dem eben nicht nur politischen, sondern auch theologischen Schulterschluss mit dem Luthertum nicht auf, obgleich ihr politisch-reichsrechtliches Ziel, ihre unzweideutige Aufnahme in den Religionsfrieden, 1648 erreicht ist. Ihr Streben fi ndet unter den lutherischen Theologen bei denen, die ihrerseits um die Herstellung eines auch auf theologischer Ebene friedlichen Miteinanders bemüht sind, sogar Anklang und Unterstützung, was sich nicht zuletzt in der integrativen Terminologie niederschlägt. Und so wird die beiden Parteien gemeinsame Deutung des Begriffs Protestantes/Protestierende/Protestanten Ausdruck einer gemeinsamen Überzeugung: dass es zwar zwischen den Reformationskirchentümern unhintergehbare und historisch gewachsene, theologisch begründbare Differenzen geben mag, diese aber dem versöhnten Miteinander im Bewusstsein legitimer Pluralität nicht notwendig im Wege stehen müssen.
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Das 18. Jahrhundert, auf das die schon bei Spener festzustellende und bei Arnold auf ganz eigene Weise zur Entfaltung gelangte Mentalitätsverschiebung vorausdeutet, das die Überwindung der protestantischen Orthodoxie und des von ihr geprägten Bezuges zu den Bekenntnisschriften sehen wird, sollte auch zeigen, dass sich genau jene Überzeugung schließlich durchsetzte, ja dass sie nicht zuletzt durch ihre begriffl iche Kommunikation das Wesen des Protestantismus mitprägte29, so dass noch der Preuße Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher in der ersten Aufl age seiner Glaubenslehre in über den zeitgeschichtlichen Kontext hinaus bemerkenswerter Weise mit Blick auf die von ihm gewählte Terminologie fragen konnte: »[. . .] warum sollten wir aus der Sprache einen Ausdruk verbannen, der in den wichtigsten kirchenrechtlichen Verhandlungen immer ist gebraucht worden, durch den eben die eigenthümliche Entstehungsart der deutschen evangelischen Kirche im Gedächtniß erhalten wird – für welche vaterländische Kirche wir um so mehr einer eignen Bezeichnung bedürfen, als sie durch die Erlöschung des Gegensatzes von Reformirten und Lutherischen einen noch bestimmteren Charakter bekommt – und durch den zugleich jedem Kundigen der geschichtliche Entwiklungspunkt in Erinnerung gebracht wird, mit welchem die Verbesserung der Kirche so genau zusammenhängt?« 30 29 In den im Zuge dieser Untersuchung analysierten Werken wird die Diskussion um das Wesen des Protestantismus und damit des Christentums selbstverständlich nicht geführt, und zwar wegen des für nahezu alle vorgestellten theologisch gebildeten Autoren – Gottfried Arnold bildet die große Ausnahme – selbstverständlichen Wahrheits- bzw. Absolutheitsanspruchs der eigenen Konfession. Solange dieser Anspruch Voraussetzung für jedes theologisches Denken und Handeln ist, solange also Wesens- und Wahrheitsbegriff zusammenfallen, ist eine Wesensdiskussion schlicht nicht möglich; erst als der partikulare Wahrheitsanspruch im 18. Jahrhundert im Zuge der Auf klärung nicht zuletzt durch historische Distanzierung zweifelhaft wird, kommt es zu Überlegungen zum Wesen der eigenen Konfession oder Religion. Deutlich wird dies auch an der Lehre von den Fundamentalartikeln: Auch sie kann deshalb bei allem guten Willen ihrer Verfechter und unabhängig von der Partei, die sie stark macht, ihr Ziel, nämlich die Herstellung von Einigkeit, nie ganz erreichen, wie die vorgestellten Kontroversen deutlich gemacht haben. Denn die Frage nach den fundamentalen, also wesentlichen Lehrpunkten setzt ja voraus, dass es auch nicht-wesentliche Lehrpunkte gibt. Derartige Überlegungen aber müssen so lange ohne Erfolg bleiben, wie der Absolutheits- oder Wahrheitsanspruch der eigenen religiös-konfessionellen Formation aufrechterhalten wird. Zum Zusammenhang von Wesensdiskussion und Lehre von den Fundamentalartikeln s. Rudolf Schäfer, Welchen Sinn hat es, nach einem Wesen des Christentums zu suchen?, in: ders., Gotteslehre und kirchliche Praxis. Ausgewählte Aufsätze, herausgegeben von Ulrich Köpf und Reinhard Rittner, Tübingen 1991, S. 13–31, bes. 16–25. Einen prägnanten Überblick über die Wesensfrage und ihre Begründung im Protestantismus bietet Hartmut Ruddies, »Wesensbestimmung ist Wesensgestaltung« – Der Beitrag Ernst Troeltschs zur Wesensbestimmung des Christentums, in: Mariano Delgado (Hg.), Das Christentum der Theologen im 20. Jahrhundert: vom »Wesen des Christentums« zu den »Kurzformeln des Glaubens«, Stuttgart u. a. 2000, S. 23–36, hier: S. 23 f. 30 Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Der christliche Glaube 1821/22, Studienausgabe Bd. 1, herausgegeben von Hermann Peiter, Berlin u. a. 1984, S. 7. Schleiermachers Apologie der von ihm gewählten Begriffl ichkeit ist zu sehen vor dem Hintergrund des im Juni 1817 ergangenen königlichen Circularschreibens, in dem es heißt: »[. . .] Noch fi ndet
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Und so gehört der Begriff Protestantes/Protestierende/Protestanten gerade seit und wegen seiner Entschränkung durch die angeführten reformierten Theologen zu den Begriffsbildungen, »die neue Wirklichkeiten freigesetzt haben« 31.
sich das Ministerium zu der Bemerkung veranlaßt, daß der Name: ›Protestanten‹, so bedeutungsvoll er zu der Zeit war, in welcher er auf kam, doch mehr die damals geschehene Verwahrung der äußern Rechte der evangelischen Fürsten und Stände in den Angelegenheiten des Glaubens und der Kirchenverfassung, wie den der evangelischen Kirche eigenthümlichen Geist und Sinn zu bezeichnen geeignet ist, – auch, wenn er auf diesen letzten angewandt wird, mancherlei Mißdeutungen zuläßt, und dazu auch in der neuesten Zeit hin und wieder gemißbraucht worden. Es scheint daher in mehr als einer Hinsicht rathsam, diese Benennungen: ›Protestanten‹, ›protestantische Kirche‹, der Geschichte, welcher sie angehören, zu überlassen, und dafür, zumal in Erbauungsschriften und gottesdienstlichen Vorträgen, die angemesseneren und allgemein verständlicheren Namen: ›evangelische Kirche‹, ›evangelische Christen‹, von nun an allgemein zu gebrauchen. [. . .]« [Circularschreiben des Königlichen Ministeriums des Innern an die evangelische Geistlichkeit der Preußischen Monarchie (vom 30. 6. 1817), in: Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt (1821/22) Teilband 3: Marginalien und Anhang, herausgegeben von Ulrich Barth (KGA Erste Abteilung, Schriften und Entwürfe, Bd. 7/3), Berlin u. a. 1984, S. 389]. Zum historischen Kontext des Circularschreibens s. Erich Foerster, Die Entstehung der Preußischen Landeskirche unter der Regierung König Friedrich Wilhelms des Dritten nach Quellen erzählt. Ein Beitrag zur Geschichte der Kirchenbildung im deutschen Protestantismus Bd. 1, Tübingen 1905, S. 268–275. Schon in einer Kabinettsordre vom 1. März 1817, in der Friedrich Wilhelm III. den Erlass des Circularschreibens anordnet und dessen inhaltliche Ausrichtung in ihren groben Zügen festlegt, erklärt der Monarch: »[. . .] Außerdem fi nde ich es sehr an seinem Orte, in diesem Zirkular das Unpassende der Benennung: Protestanten vorzustellen, womit die evangelischen Glaubensbekenner beider Konfessionen bezeichnet werden. Daß diese Benennung nicht mehr angemessen ist, wird man nicht bezweifeln wollen; sie war es nur in der Zeit, da sie auf kam, und sie führt die Idee von einer Sekte mit sich, die nur geduldet wird« (zitiert nach a.a.O., S. 270). Bemerkenswert ist neben der Kritik des Königs an der Bezeichnung bzw. ihrer Nutzung die Tatsache, dass sie ihm und – man bedenke den offi ziellen Charakter seiner Ausführungen und vor allem des Circularschreibens – weiten Teilen seiner Zeit ganz selbstverständlich ein Integrationsbegriff ist. 31 Koselleck, Begriffsgeschichten, S. 29.
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DRTA , Jüngere Reihe Bd. 7,2, bearbeitet von Johannes Kühn, Göttingen 21963.
Heinrich Martin Eckard, Weniges/ kurtzes und wolmeinendliches Bedencken über Das Theologische Gespräch/ welches vor anderthalb Jahren zu Cassel gehalten worden/ darneben auch zuförderst von den Trennungen der Christlichen Kirchen/ und wie etwa solchen fürzukommen und abzuhelffen/ gehandelt wird Dem Gemeinen Mann zur Nach= und Unterricht hervorgegeben erstlich, Rinteln (Peter Lucius) 1662. – Ders., Abgenöthigte kurze/ aber doch gründliche Verthädigung Seines Bedenckens So über Das Theologische Gespräch/ welches vor zwey Jahren zu Cassel gehalten worden/ den einfältigen Christen zur Nach= und Unterricht im verwichenen Jahr hervorgegeben und anjetzo wiederholet/ Wider einen Wittenbergischen ungleichen Bericht/ Welchen Doct. Jacobus Tentzel Superintendens zu Greüssen gestellet/ und die Theologische Facultet zu Wittenberg approbiret hat/ Vom Kirchen=Frieden Zwischen den Evangelischen Lutherischen und Reformirten, Rinteln (Peter Lucius) 1663. Endliche Vberweisung/ Daß die verkläger der Reformirten kirchen/ die schriften deroselben wissentlich falsch anzuziehen/ oder ja in frembden verstand zu verkehren pflegen/ nur damit sie ihnen allerhand abschewliche irthumbe zumessen mögen. Sampt widerholung der Vrsache/ warumb sie solches thuen. Dem spöttischen buche der Würtebergischen Theologen/ genandt Promotio gehaltenen Examinis etc. entgegen gesetzt Durch die Theologen vnd Kirchendiener in der Churfürstlichen Pfaltz, Heidelberg (Gotthard Vögelin) 1615. EPICRISIS FACULTATIS THEOLOGICAE IN ACADEMIA ELECTORALI WITTEBERGENSI DE COLLOQUIO CASSELLANO RINTELIO-MARPURGENSIUM Anno
MDCLXI. Mense Julio instituto, & Syncretismo ibidem sancito, Superiori anno cum Collegiis Facultatum Theologicarum, & Ministeriorum Ecclesiasticorum in Germania, & extra eandem fraterne communicata, & ab iisdem approbata, nunc primum ob causas, in praefatione adductas, luci publicae exposita, Wittenberg (Tobias Mevius u. a.) 1663. Andreas Erstenberger, DE AVTONOMIA. Das ist von Freystellung mehrerley Religion vnd Glauben/ Was vnnd wie mancherley die sey/ Was auch derhalben biß daher im Reich Teutscher Nation fürgangen/ vnd ob dieselbig von der Christlichen Obrigkeit möge bewilligt vnd gesattet werden. Durch weilend den Edlen vnd Hochgelehrten Herrn FRANCISCVM BVRGKARDVM, beyder Rechten Doctorn/ Churfürstlichen Cölnischen gehaimen Rath vnd Cantzlern/ Zu dienst vnd bericht allen liebhabern der wahren Christlichen Ainigkeit vnd Fridens mit fleiß zusammen getragen. Zuuor in drey Thail/ Jetzt zum andernmal mit fleiß/ vnd umb besser gelegenheit willen in ein Buch zusamen Gedruckt, München (Adam Berg) 21593. Warner Freund, Grünen Donnerstages Predigt Von der Wahren/ Wircklichen/ Wesentlichen Gegenwart des Leibes und Blutes Christi im heil. Abendmahl/ sampt einer nützlichen Vorrede/ Frommen Christen/ so in dem hierüber noch wärendem Zwyspalt/ gern wollen der himlischen/ vnd zum Himmel führenden Warheit gründlich vnd so fest als die Warheit auffs beste gegründet ist/ versichert vnd vnbetrogen seyn/ Zum besten herauß gegeben, Elbingen (Timotheus Wahrenfried) 1662. G. T. H., Neuer unparhteyischer Reunions= Oder Vereinigungs=Vortrag/ In welchem vorgestellt wird/ Wie beyde Evangelische Kirchen wieder bequemlich könten in den Meynungen selbsten vereiniget werden/ ohne das je eine der andern viel nachzugeben gehalten würde seyn. Sampt angehenckter doppelter/ Erstlich an beyde Kirchen
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insgemein/ und dann an beyder Kirchen Theologos ins besonders/ gestellter ernsthaffter Vorstellung aller Ublen/ so auß der unseligen Trennung/ der Kirchen GOttes/ enstehen. Allen Christlichen Regenten/ Theologis, Lehrern und Predigern/ auch Christlich gesinnten Fried=liebenden Evangelischen zur Prüfung und reiffer Uberlegung auffgetragen, o. O. 1687. Elias Grebenitz, Unterricht Von Der Reformirten Und Lutherischen Kirchen, Frankfurt a. O. ( Jeremias Schrey) 21680. Christoph Herdesianus, HISTORIA Von der Augspurgischen Confession, Wie/ vnd in welchem verstandt sie vorlängst von dero genossen vnnd verwandten im Artickel des Heiligen Abendtmals/ nach der Wittenbergischen Concordiformul/ Anno 36. ist angenommen/ Auch wie sie seidhero sonst etlich mal in offentlichen Religionshandlungen ist gemehrt und erklärt worden. Item/ ACTA CONCORDIAE Zwischen Herren Luthero vnnd den Euangelischen Stätten in Schweitz im Jahr 38. vber der Wittenbergischen Concordiformul auffgerichtet/ Wider die PATRES BERGENSES vnd anderer Vbiquitisten verführischen betrug. Erstlich durch Mag. Ambrosium Wolfium gestelt vnd zusammen getragen/ Jetzundt wider Johann Magers/ Probsten zu Stutgarten/ falsche lästerungen/ von newem mit vielen anderen Acten/ Recessen/ Abschieden/ Sendtbrieffen Herren Philippi Melanthonis vnd anderer Gelehrten: auch kurtzem wahren Bericht vom Religionfrieden/ vnd Gründlicher widerlegung einer vermeinten partheyischen Epistel/ so Fridericus Myconius von der Wittenberg. Concordi/ vor zeiten geschrieben haben sol/ vber das halbe theil gemehret vnd gebessert, Neustadt an der Hardt (Matthias Harnisch) 21581. Der Heydelbergischen mit den Würtenbergischen Theologen etliche Jahr hero gewechselte Schriften. Betreffende den Fried vnd Wolstand der samtlichen Evangelischen Kirchen in Deutschland. In diesem Format gedruckt/ auf daß sie in der ordnung/ wie dieselbe von jahr zu jahr ausgegangen/ zusammen können gebunden/ zu erkundigung der wahrheit gegen einander gehalten vnd gelesen werden, Heidelberg (Gotthard Vögelin) 1614. Mathias Hoe von Hoenegg, Nothwendige Vertheidigung/ Des heiligen Römischen Reichs Evangelischer Chur=Fürsten vnd Stände AugApffels. Nemlich der wahren/ reinen/ vngeänderten/ Käyser Carln dem fünfften Höchstlöblichster Gedächtniß/ Anno 1530. vbergebenen Augspurgischen Confession, vnd des auff dieselbe gerichteten hochverpoenten ReligionFrieds. Mit gründlicher Außführung/ Daß weder Höchst/ Hoch/ und Wolermelte Chur=Fürsten/ vnd Stände/ noch deroselben trewe Theologen in einem einigen Articul von gedachter wahrer Augspurgischen Confession abgewichen/ dahero auch des heilsamen ReligionFriedens sich nicht verlustig gemachet haben. Auff sonderbaren gnädigsten Befelch/ Des Durchlauchtigsten Fürsten vnd Herrn/ Herrn Johann Georgens/ Hertzogen zu Sachsen/ Gülich/ Cleve vnd Berg/ des Heiligen Römischen Reichs Ertzmarschallens vnd ChurFürstens/ Landgraffens in Düringen/ Marggraffens zu Meissen/ Burggraffens zu Magdeburg/ Graffens zu der Marck vnd Ravensburg/ Herrens zum Ravenstein/ etc. Verfasset/ Vnd zur Ableinung der Jesuitischen hin vnd wider außgesprengten Lästerungen und Beschmitzungen in Druck gegeben, Leipzig (Zacharias Schürer u. a.) 1628. – Ders., Vnvermeidentliche Rettung Churfürstl. Durchl. zu Sachsen gethaner Gewissens=Frag/ vnd darauff erfolgter Antwort/ Ob die Evangelischen/ dem Calvinismo zum besten/ die Waffen ergreiffen/ vnd in omnem eventum, allein/ vmb des Calvinismi willen/ den hochnöthigen Frieden/ im H. Röm. Reich außschlagen/ hingegen mit den blutigen Waffen fortfahren können/ vnd sollen/ Wider eine gifftige
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Lästerschrifft/ eines vngenanten Calvinischen Tockmausers/ die vnter dem Titul/ Oraculum Dodonaeum &c. im vergangenen Herbst außgesprenget worden, Leipzig (Thomas Schürer u. a.) 1635. Rudolf Hospinianus, CONCORDIA DISCORS: DE ORIGINE ET PRO-GRESSV FORMVLAE CONCORDIAE BERGENSIS LIBER VNVS: IN QVO EIVS ERRORES ET FALSA DOgmata, sacrae Scripturae, orthodoxis Symbolis, toti Antiquitati puriori, &
ipsi etiam Augustanae Confeßioni repugnantia: Antilogiae item seu Contradictiones, Condemnationes iniustae, et modus agendi in Ecclesia Christi hactenus inusitatus, quem in consribendo, suffragijs muniendo et promulgando hoc CONCORDIAE LIBRO Patres Bergenses Auctores eius sequuti sunt, Christiano Lectori demonstrantur & ob oculos ponuntur: Ex Actis tum publicis, tum priuatis, Recessibus item aliquot Conuentuum, Scriptis quoque & Rescriptis, Censuris & Iudicijs Illustrissimorum Principum, Ecclesiarum, Scholarum, &c. PRO ORTHODOXIS ECCLESIIS: AD Illustrißimum & Generosißimum Principem ac Dominum DN. OTTONEM Landgrauium Haßiae, &c., Zürich ( Johannes Wolf ) 1607. Leonhard Hutter, CONCORDIA CONCORS. De ORIGINE ET PROGRESSU FORMULAE CONCORDIAE ECCLESIARUM CONFESSIONIS AUGUS-TANAE , Liber Unus: IN QUO EIUS ORΘΟΔΟΧΙΑ, SCRIPTURAE SACRAE, OECUMENICIS SYMBOLIS, TOTI ANTIQUITATI PURIORI, ET PRIMAE ILLI, MINIMEQUE VARIATAE CONFES sioni Augustanae, ex asse consona: Modus item agendi, in eo conscribendo,
suffragiis muniendo, & tandem promulgando observatus, legitimus, & in Ecclesia CHRISTI hactenus usitatus fuisse, Christiano lectori evidenter & perspicue demonstratur: & RODOLPHI HOSPINIANI Tigurini Helvetii convitia, mendacia, & manifesta crimina falsi deteguntur ac solide refutantur: EX ACTIS PUBLICIS: RECESSIBUS, ETIAM ALIQUOT CONVENTUUM ET COLLOQUIORUM : Scriptis item & Rescriptis; Censuris & Judiciis Illustrissimorum Electorum, Principum, Comitum, Rerumpub. Ecclesiarum Scholarum, &c. PRO ORTHODOXIS ECCLESIIS: JUSSU ET AUTORITATE SERENISSI-MORUM ELECTORUM SAXONIAE: CHRISTIANI II. augustissimae recordationis Principis: & JOHANNIS GEORGII, &c. Cum approbatione Theologorum Lipsensium, Witebergensium, & Würtenbergensium editus, Wittenberg (Wolfgang Meissner u. a.) 1614. – Ders., IRENICUM VERE CHRISTIANUM : Sive DE SYNODO ET UNIONE EVANGELICORUM NON-FUCATA CONCILIANDA , Tractatus Theologicus, Irenici D. Davidis Parei Consilia callida, lubrica, insidiosa, quibus Ecclesiae Dei, Pacem non Evangelicam, sed Samaritanam; Concordiam non Orthodoxam, sed Ariminensem & haereticam, nimium quantum persuadere satagit; ὥσερ καλὰ όδας (quod ajunt) persequens, examinans, refellens, Wittenberg (Paul Helwig) 1616. Instrumentum Pacis Osnabrugensis, in: Acta Pacis Westphalicae, Serie III, Abt. B: Verhandlungsakten, Bd. 1/1: Die Friedensverträge mit Frankreich und Schweden. Urkunden, bearbeitet von Antje Oschmann, Münster 1998, S. 95–170. Kurtzer Bericht Von dem COLLOQUIO, So auff Anordnung Des Durchleuchtigsten/ Hochgebohrnen Fürsten und Herren/ Herrn Wilhelmi/ Land=Graffen zu Hessen/ Fürsten zu Herßfeld/ Graffen zu Catzenelenbogen/ Dietz/ Ziegenhain/ Nidda/ und Schaumburg etc. Unsers Gnädigsten Fürsten und Herren/ Zwischen Etlichen Theologen von Marpurg und Rinteln/ Die auff Seiner Fürstl. Durchleuchtigkeit Befehl zusammen beruffen worden/ zu Cassel am 1. Julii/ und etlichen andern nachfolgenden Tagen gehalten/ Nebst dem Schluß derselben Theologen, Kassel (Salomon Schadewitz) 1661, in: Abraham Calov, HISTORIA SYNCRETISTICA , S. 634–647.
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ORACULUM DODONAEUM NON JOPHONIS ARTE, SED veritatis Magisterio resolu-
tum: Oder/ Eine vnlängst auff Churfürstlicher Durchl. zu Sachsen/ wie vorgegeben wird/ beschehene Frag/ vnder Herrn D. Hoe Namen gestellte/ vnd gleich als auß dem Munde deß Herrn angegebene Antwort/ jetziges Kriegswesen im Römischen Reich betreffend. Auß dem Zeugnüß der offenbaren Warheit erläutert/ vnd allen/ der Augspurgischen Confession von Hertzen zugethanen Christen/ zur Nachrichtung an Tag gegeben, Frankfurt a. M. ( Johann Friderich Weiß) 1634. David Pareus, Irenicum sive DE UNIONE ET SYNODO EVANGELICORUM CONCILIANDA LIBER VOTIVUS Paci Ecclesiae & desiderijs pacificorum dicatus, Heidelberg ( Jonas Rose) 1614. – Ders., IRENICVM Oder Friedemacher/ Wie die Evangelischen Christlich zuvereinigen/ vnd zu einem Synodo, oder allgemeinen Versamblung gelangen mögen/ Dem lieben Kirchen Frieden zu Förderung/ vnd allen Friedliebenden zu Gefallen geschrieben Durch Herrn DAVID PAREVM der heyligen Schrifft Doctor. Vnd nun auß dem Latein ins Teutsch gebracht/ Durch Herrn GWINANDVM ZONSIVM Pfarrherrn vnd Inspectorn zu Bretta. Sampt einer Vorrede/ vnd newen Erinnerungen an den Christlichen Leser, Frankfurt a. M. ( Jona Rose) 1615. Christian Pauli, Anleitung. Wie die Der Reformirten Religion Zugethane/ Sich der Confession, welche Fürsten und Stände A. 1530. Käyser Carolo V. zu Augspurg übergeben haben/ sich nicht begeben dörffen: Sondern solche ohne Verletzung ihres Gewissens in allen Articuln annehmen können, Bremen (Hermann Brauer) 1679. Christoph Pezel, Wahrhaffter Bericht Von den vorbesserten Exemplarn Augsp. Confession: Vnd Warümb es eigentlich zuthun sey inn dem Streit vom Heiligen Nachtmal. Vnnd daß Philippo Melanchthoni vngütlich zugelegt werde/ als solte er nach D. Luthers Tode erst eine newe Lehr vom Abentmal eingefüret haben. Zu Gründlicher Widerlegung Der genanthen letzten Bekendtnus vnd Testaments/ D. Nicolai Selnecceri. Vnd zu Christlicher Warnung guthertziger Leuth/ Damit sie im Grund erkennen mögen/ daß solcher D. Selneckers widerholten letzten Bekentnus gar nicht zugetrawen sey/ vnd daß die jenigen sich gentzlich werden betrogen fi nden/ die von dem Testament Jesu Christi/ vnd desselben rechtem/ wahrhafftem/ vnd tröstlichem Verstandt/ auff das nichtige vnnd betrigliche Selneckerische Testament sich abfüren lassen/ alß welches anders nicht ist/ dann eine Vorwirrung der heilsamen Lehr vom Heiligen Abentmal/ vnnd ein solches Gemenge/ das durchaus zweiffelhafftig vnd vngewiß ist/ darinnen Jha zugleich Nein/ vnd Nein zugleich Jha heissen mus, Bremen (Bernhard Peters) 1591. Benedict Pictetus, DE CONSENSU, AC DISSENSV Inter Reformatos, & Augustanae Confessionis Fratres, DISSERTATIO, Amsterdam 1697. Bartholomäus Pitiscus, Ausführlicher Bericht: Was die Reformierte Kirchen inn Deutschland gläuben oder nit gläuben: Item/ Was sie für Ceremonien gebrauchen oder nicht gebrauchen: Sampt beygefügten Vrsachen/ Warumb sie eins oder das ander thuen oder lassen. Guthertzigen leuten zur nachrichtung an tag gegeben, Heidelberg (Gotthard Vögelin) 21614. – Ders., Kurtzer Anhang Des Ausführlichen Berichts/ was die Reformirte Kirchen in Deutschland gläuben oder nicht gläuben/ etc. Darinne sonderlich dieser Punkt noch weiter wird erkläret vnd bewiesen/ daß wir keines wegs so einen schrecklichen glauben haben/ als vns von Friedhessigen leuten wird zugemessen. Gestellt von den Theologen vnd Kirchendienern in der Churfürstlichen Pfaltz zu Heydelberg, Heidelberg (Gotthard Vögelin) 21614.
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– Ders., Trewhertzige Vermahnung der Pfältzischen Kirchen/ An alle andere Evangelische Kirchen in Deutschland: Daß sie doch die grosse gefahr/ die ihnen so wol als vns vom Pabsthumb fürstehet/ in acht nemmen: und die inheimische/ vnnötige/ oder ja nun mehr gnugsam erörterte streite/ dermal eins Christlich und Brüderlich mit vns auf heben/ und hinlegen wollen, Heidelberg (Gotthard Vögelin) 21614. Samuel Pufendorf, JUS FECIALE DIVINUM Sive DE CONSENSU ET DISSENSU PROTESTANTIUM EXERCITATIO POSTHUMA , Lübeck 1695. – Ders., Herrn Samuel Frey=Herrn von Pufendorf/ Heiliges Religions=Recht/ Darinnen angezeiget wird/ in welchen Lehr=Puncten die Protestanten einig sind oder nicht. Nach Seinem seel. Absterben heraus gegeben und nunmehr aus dem Lateinischen ins Teutsche übersetzet, Frankfurt a. O. ( Johann Völcker) 1696. – Ders., Jus feciale divinum, herausgegeben von Detlef Döring (Samuel Pufendorf, Gesammelte Werke, herausgegeben von Wilhelm Schmidt-Biggemann, Bd. 9), Berlin 2004. Antonius Reiser, Widerholter Beweis/ Daß die Calvinisch=Reformierte sich der Augsburgischen Confession nicht anmassen können/ so lang sie ihre bißher geführte irrige LehrSätze hartnäckig verthädigen/ wieder Christianum Pauli, der Zeit Calvinisch=Reformierten Prediger zu Altona [. . .]/ Welchem beygefüget ist ein Anhang/ was von der Reformierten Lehrer auß frembder in teutsche Sprache übersetzten Schrifften eigentlich zuhalten sey, Hamburg (Gottfried Schultz) 1680. Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Der christliche Glaube 1821/22, Studienausgabe Bd. 1, herausgegeben von Hermann Peiter, Berlin u. a. 1984. Veit Ludwig von Seckendorf, Commentarius historicus et apologeticus de Lutheranismo, Sive de Reformatione religionis ductu D. Martini Lutheri in magna Germaniae parte aliisque regionibus, et speciatim in Saxonia recepta et stabilita: in quo ex Ludovici Maimburgii Jesuitae Historia Lutheranismi anno MDCLXXX Parisiis Gallice edita libri tres ab anno 1517 ad annum 1546 Latine versi exhibentur, corriguntur, et ex Manuscriptis aliisque rarioribus libris plurimis supplentur; Simul et aliorum quorundam Scriptorum errores aut calumniae examinantur. Auspiciis Serenissimi et Potentissimi Electoris et Serenissimorum Ducum Saxoniae, eo fi ne ut ad veram et exactiorem notitiam rei gestae, et ad depulsionem calumniarum, ex fide dignis monumentis, denuo via pateat: Pro honore DEI, et pace Ecclesiae, justaque defensione pietatis et virtutis, a Majoribus in negotio Reformationis ostensae. Adjectis indicibus necessariis et locupletissimis, Leipzig ( Johann Friederich Gleditschius) 21694. Johann Christoph Seld, Wohlgemeinte Entdeckung des Syncretistischen Abgotts und Greüels oder der Hochschädlichen Religions=Vermischung/ So im verwichenen 1661. Jahr zween Rinthelische und zween Marpurgische Theologi in die H. Stätte der Evangelischen Kirchen zu setzen/ sich unterstanden/ bestehend Theils in Anführung und Uberführung der Mängel/ so sich bey derer Collocutoren Zweck/ Personen und andern Umbständen ereignen/ Theils in Widerlegung des erdichteten und eingebildeten Fundamental-Consens oder Ubereinstimmung in den Grund=Articuln des Glaubens/ Theils in Behäuptung der Conviction oder AusDisputirung derer Reformirten/ als eines Schrifftmäßigen und wohlbewährten Mittels/ die Religions=St rittigkeiten/ zu enden/ Auf Fürstl. gnädigsten Befehl verfertiget, Altenburg ( Johann Bernhard Bauerfi nck) 1664. Nikolaus Selnecker, Vom Heiligen Abendmal des HERRN/ was es sey/ vnnd was darin ausgetheilet vnd genommen werde/ sampt etlichen fürnemen einreden/ vnd
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Bibliographie
antwort darauff. Widerholete kurtze vnd letzte Bekentnis vnnd Testament, Notopyrgi ad Menium 1591. Friedrich Seyler, Anabaptista Larvatus Das ist Verstellter Wieder=Täuffer. Entdeckt beydes In einem Historischen Entwurff aller uns bekandter Wieder=täufferen Ursprungs, seltsamer Meynungen, und hin und wieder erweckter Unruhen. Wie auch Einer Dogmatischen Widerlegung aller derselben, und ihro so wohl gänzlich, als auch guten theils anverwandter Irrthumen der Socianeren, Papisten, Arminianeren, etlich Lutheraneren, Cartesianeren etc., Basel ( Johann-Rudolph Genath) 1680. Johann Georg Sigwart, ADMONITIO CHRISTIANA , De Irenico sive Libro Votivo: Quem David Pareus, Theologiae Doctor & Professor Acad. Heidelbergensis, Senior, de Vnione, Synodo et Syncretismo, inter Evangelicos, hoc est, Lutheranos & Calvinianos, constituendo, superiore Anno 1614. evulgavit, Tübingen ( Johann Alexander Cellius) 1616. – Ders., Kurtzer Extract/ Oder Summarischer Außzug Deren Admonition=Schrift/ so im 1616. Jahr zu Tübingen/ auff David Parei/ der Heiligen Schrifft Doctoris vnd Professoris zu Heydelberg/ Irenicum, in Truck verfertiget worden. In welchem auch auff solch verteutschte Irenicum, (der Friedenmacher genant) geantworttet vnd gründtlich angezeigt würdt: Warumb/ zwischen den genanten Lutherischen vnd Calvinischen/ noch der Zeit/ kein Vereinigung in Religions=Puncten gemacht werden könne. Dem Christlichen/ guthertzigen/ vnd der Wahrheit liebhabenden Leser zum besten/ verfaßt, Tübingen ( Johann Alexander Cellius) 1618. Johannes Sleidanus, DE STATV RELIGIONIS ET REIPVBLICAE CAROLO QVINTO CAESARE COMMENTARII PARS I, EDITIO NOVA DELINEATA A IO. GOTTLOB BOEHMIO, Osnabrück 1968 (Reprographischer Nachdruck der Ausgabe 1785–
1786). Thomas Smith, Miscellanea: In quibus continentur Praemonitio ad Lectorem de infantum Communione apud Graecos. Defensio libri de Graecae Ecclesiae statu contra objectiones Authoris Historiae Criticae, super fide & ritibus Orientalium. Brevis & succincta narratio de vita, studiis, gestis, & Martyrio D. Cyrilli Lucarii, Patriarchae Constantinopolitani. Commentatio de Hymnis Matutino & Vespertino Graecorum. Exceritatio Theologica de causis remediisque dissidiorum, quae orbem Christianum hodie affigunt, London 1686. Philipp Jakob Spener, Letzte Theologische Bedencken und andere Brieffl iche Antworten 1711 Nebst einer Vorrede von Carl Hildebrand von Canstein, Teil 3, eingeleitet von Dietrich Blaufuß und Peter Schicketanz (Philipp Jakob Spener, Schriften, herausgegeben von Erich Beyreuther, Bd. XV, Teilband 2 Korrespondenz), Hildesheim u. a. 1987 (Nachdruck der Ausgabe Halle 1711). – Ders., Consilia et Iudicia Theologica Latina, Opus posthumum Ex eiusdem Litteris 1709, Partes 1–2, eingeleitet von Dietrich Blaufuß (Philipp Jakob Spener, Schriften, herausgegeben von Erich Beyreuther, Bd. XVI, Teilband 1 Korrespondenz), Hildesheim u. a. 1989 (Nachdruck der Ausgabe Frankfurt a. M. 1709). Samuel Strimesius, Theologischer Unterricht vom Christlichen Kirchen=Frieden/ Welchen Vorreds=weise einem Büchlein des Seel. Hn. Conradi Bergii (Themata Theologica genannt) zuerst in Lateinischer Sprache vorangesetzet/ und nun/ auff Begehren/ aus dem Lateinischen ins Deutsche verdolmetschet Samuel Strimesius, Frankfurt a. O. (Christoph Zeitler) 1687. – Ders., Samuelis Strimesii, V. D. M. wie auch Theologiae und Philos. Professoris Publici Vertheidigung Seines Theologischen Unterrichts Vom Christlichen Kirchen=
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Frieden/ wider eines ANONYMI Hierbey von Wort zu Wort angefügte Einnerung über denselben, Frankfurt a. O. (Christoph Zeitler) 1689. Jakob Tentzel, Kurtzer Bericht Von Dem Kirchen=Frieden der Lutherischen mit den Calvinischen Irrthümern und derselben fürsetzlichen Verthädigern/ Denen Einfältigen zu Nutz gestellet Und Mit approbation der Hochlöblichen Theologischen Facultät zu Wittenberg zum Druck gegeben, Wittenberg (Michael Wendt) 1663. Der Theologischen Facultät bey der Chur=Fürstlichen Sächsischen Universität Wittenberg Bedencken/ Uber dem Casselischen Colloquio, so zwischen denen Rintelischen und Marpurgischen Theologen/ im Jahr Christi 1661. im Heu-Monath angestellet/ Wie auch über dem Syncretismo, der daselbsten auffgerichtet worden. Welches im Jahr 1662. etlichen Collegiis unterschiedener Theologischen Facultäten und Ministerien in und ausser Teutsch=Land/ brüderlich zugeschicket/ und von denselben approbiret ist. Das Werk erschien in Wittenberg (Tobias Mevius u. a.) 1663, in: Abraham Calov, HISTORIA SYNCRETISTICA , S. 611–731. Gerhard Titius, REPETITIO DOCTRINAE PROTESTANTIUM QVOD CORPUS ET SANGUIS DOMINI NOSTRI JESU CHRISTI, CUM PANE ET VINO IN SACRA COENA, ORE COMMUNICANTIUM ACCIPIANTUR CUM CONFVTATIONE Nuperae Epistolae JOHANNIS VORSTII, qua ille WARNERI FREUNDII Homiliam Germani-
cam, de hoc ipso argumento conscriptam, & superiore anno editam, aliquot locis vellicare laboravit, Helmstedt (Henning Müller) 1662. – Ders., DE CONCORDIA ECCLESIASTICA Procul noxio Syncretismo, Samaritanismo, Babelismo seu religionum mixtura, indifferentismo, &c. Reducenda CONSILII PLENIOR REPRAESENTATIO A viro quodam in scriptis Calixtinis probe versato boni publici ergo Consignata, in: Friedrich Ulrich Calixt, VIA AD PACEM, S. 100– 155. Zacharias Ursinus, DE LIBRO CONCORDIAE quem vocant, A quibusdam Theologis, nomine quorundam Ordinum Augustanae Confessionis, edito, ADMONITIO Christiana: Scripta a Theologis et Ministris Ecclesiarum in ditione Illustrißimi Principis IOHANNIS CASIMIRI Palatini ad Rhenum Bauariae Ducis, etc., Neustadt a. d. Hardt (Mattheus Harnisch) 1581. – Ders., Christliche Erinnerung Vom CONCORDIBVCH So newlich durch etliche Theologen gestelt/ Vnd im Namen etlicher Augspurgischer Confession verwandten Stände publicirt/ Der Theologen und Kirchendiener in der Fürstlichen Pfaltz bey Rhein. Auß dem Latein verteutscht/ Vnd an etlichen orten weiter außgeführt, Neustadt a. d. Hardt (Mattheus Harnisch) 1581. Johannes Vorstius, AD WARNERUM FREUND EPISTOLA, Super hujus de corpore & sanguine Domini una cum pane & vino, ipso hominum ore manducando ac bibendo Homilia, quam VIR CL. GERHARDUS TITIUS, SS. Th. Doctor, & Acad. Juliae Professor, tantopere nuper laudavit, suisque Auditoribus commendavit, eo nomine, quod sententia Ecclesiarum Lutheranarum rationibus apertissimis, ac insuperabili prorsus robore suffultis undiquaque communita per Homiliam illam sit, Berlin (Christoph Rungius) 1662. – Ders., Ad GERHARDUM TITIUM, Theol. Doctorem, ejusdemque in Acad. Helmstadiensi Professorem, EPISTOLA, Super hujus libello, quem contra ejusdem VORSTII ad WARNERUM FREUND Epistolam nuper divulgavit, Berlin (Christoph Rungius) 1663. – Ders., Ad GERHARDUM TITIUM, Theol. Doctorem, hujusque in Acad. Helmstadiensi Professorem, EPISTOLA ALTERA, Super hujus libello, quem nuper contra ejus-
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Bibliographie
dem VORSTII ad WARNERUM FREUND Epistolam divulgavit, Berlin (Christoph Rungius) 1663. Johann Georg Walch, Historische und Theologische Einleitung in die Religions= Streitigkeiten Der Evangelisch=Lutherischen Kirchen, Von der Reformation an bis auf ietzige Zeiten, Theil 1, Jena ( Johann Meyer) 1730. Wilhelm Zepper, Christlich Bedencken/ Vorschlag und Rath/ Durch waserly mittel und wege dem hochbetrübten zustand der Kirchen Gottes/ wegen der unchristlichen/ ergerlichen spaltungen/ lästerns/ verketzerns und verdammens zwischen den Euangelischen Kirchen und Lehrern: auch derenthalben besorglichen/ ja ungezweifelten straffen Gottes/ und undergang der Euangelischen Stände/ vermittelst göttlicher gnaden/ bey zeiten vorzukomen und abzuhelffen seyn möge. Mit der alten Christlichen Kirchen/ Keyser und Lehrer exempeln/ und darneben gehaltenen newen gemeinen Constitutionen im heiligen Römischen Reich/ zusamt besonderen Abschieden/ Handlungen und Edicten der Protestirenden Ständen befestiget und bewehret, Herborn (Christoff Rabe) 1594.
Weiterführende Literatur Kenneth G. Appold, Abraham Calov als Vater der lutherischen Spätorthodoxie, in: Ernst Koch, Johannes Wallmann (Hgg.), Ernst Salomon Cyprian (1673–1745) zwischen Orthodoxie, Pietismus und Frühauf klärung (Vorträge des Internationalen Kolloquiums vom 14. bis 16. September 1995 in der Forschungs- und Landesbibliothek Gotha), Gotha 1996, S. 49 58. – Ders., Orthodoxie als Konsensbildung. Das theologische Disputationswesen an der Universität Wittenberg zwischen 1570 und 1710, Tübingen 2004. Ferdinand Christian Baur, Die Epochen der kirchlichen Geschichtsschreibung, Darmstadt 1962 (Reprografi scher Nachdruck der Ausgabe Tübingen 1852). Friedrich Wilhelm Bautz, Art. Alting, Heinrich, BBKL 1 ( 21990), Sp. 132. – Ders., Art. Bergius, Konrad, a.a.O., Sp. 518 f. – Ders., Art. Crocius, Johann, a.a.O., Sp. 1162 f. Gustav Adolf Benrath, Reformierte Kirchengeschichtsschreibung an der Universität Heidelberg im 16. und 17. Jahrhundert (Veröffentlichungen des Vereins für pfälzische Kirchengeschichte Bd. 9), Speyer 1966. – Ders., David Pareus, in: Schlesische Lebensbilder Bd. 5: Schlesier des 15. bis 20. Jahrhunderts, herausgegeben von Helmut Neubach und Ludwig Petry, Würzburg 1968, S. 13–23. – Ders., Art. Pfalz I. Historisch, TRE 26 (1996), S. 323–334. Albrecht Beutel, Art. Unpartheyische Kirchen= und Ketzer=Historie, vom Anfang des Neuen Testaments biß auf das Jahr Christi 1688, Gottfried Arnold; EA Ffm 1699/1700, in: Michael Eckert, Eilert Herms u. a. (Hgg.), Lexikon der theologischen Werke, Stuttgart 2003, S. 768 f. – Ders., Philipp Jakob Spener (1635–1705) und Johann Joachim Spalding (1714–1804), in: Friedrich Wilhelm Graf (Hg.), Klassiker der Theologie Bd. 2: Von Richard Simon bis Karl Rahner, München 2005, S. 37–57. – Ders., Spener und die Auf klärung, in: ders., Reflektierte Religion. Beiträge zur Geschichte des Protestantismus, Tübingen 2007, S. 101–124.
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Weiterführende Literatur
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– Ders., Philipp Jakob Spener in Berlin 1691–1705, in: a.a.O., S. 295–324. – Ders., Das Melanchthonbild im kirchlichen und im radikalen Pietismus, in: Udo Sträter (Hg.), Melanchthonbild und Melanchthonrezeption in der Lutherischen Orthodoxie und im Pietismus. Referate des dritten Wittenberger Symposiums zur Erforschung der Lutherischen Orthodoxie (Wittenberg, 6.–8. Dezember 1996) (Themata Leucoreana), Lutherstadt Wittenberg 1999, S. 11–24. – Ders., Union, Reunion, Toleranz. Georg Calixts Einigungsbestrebungen und ihre Rezeption in der katholischen und protestantischen Theologie des 17. Jahrhunderts, in: Heinz Duchhardt, Gerhard May (Hgg.), Union – Konversion – Toleranz. Dimensionen der Annäherung zwischen den christlichen Konfessionen im 17. und 18. Jahrhundert (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz Beiheft 50), Mainz 2000, S. 21–37. – Ders., Art. Protestantismus I. Kirchengeschichtlich 1. Deutschland und Europa, RGG4 6 (2003), Sp. 1727–1733. – Ders., Philipp Jakob Spener, der Vater des Neuprotestantismus, in: ders., PietismusStudien. Gesammelte Aufsätze II, Tübingen 2008, S. 132–145. Erich Wenneker, Art. Pezel, Christoph, BBKL 7 (1994), Sp. 403–408. Ernst Walter Zeeden, Hegemonialkriege und Glaubenskämpfe 1556–1648 (Propyläen Geschichte Europas Bd. 2), Berlin 1999 (Nachdruck der 2. Aufl age Berlin 1980). Art. Grebenitz (Elias), in: Johann Heinrich Zedler, Grosses vollständiges UniversalLexicon Aller Wissenschaften und Künste 11 (1735), Sp. 755. Art. Seiler oder Seyler, (Friedrich) in: Zedler, Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschaften und Künste 36 (1743), Sp. 1535. Art. Symbolische Bücher, in: Zedler, Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschaften und Künste 41 (1744), Sp. 639–683.
Personenregister Alting, Heinrich 75–82, 90, 92, 122 Andreä, Jakob 28 Andresen, Carl 30, 62 Appold, Kenneth G. 100, 116 Arnold, Gottfried 12, 212–234, 236– 256, 269–272, 274, 276 Barth, Ulrich 277 Barthut, Christoph 153–158, 162, 164, 200 Baur, Ferdinand Christian 216 Bautz, Friedrich Wilhelm 75, 82, 144 Beckmann, Christian 66–75, 84, 92, 121, 254 Bellarmin, Robert 262 Benrath, Gustav Adolf 30–31, 39 Bergius, Konrad 144 Beutel, Albrecht 202, 208, 210, 255 Beyreuther, Erich 203, 208 Bindseil, Heinrich Ernst 22 Blaschke, Karlheinz 26 Blaufuß, Dietrich 203, 208, 223, 233– 234, 256 Böhmer, Julius 14 Böttigheimer, Christoph 166 Bornkamm, Heinrich 2, 15 Botsack, Johann 129–133, 162, 180 Bräuer, Siegfried 8–11, 13–18 Brandi, Karl 20 Brauer, Karl 188 Brecht, Martin 3, 21, 27–28, 202, 207, 223 Bremer, Kai 216, 218 Breymayer, Reinhard 234 Brinkmann, Günter 39, 53 Brunner, Otto 257 Bucer, Martin 15, 65, 226 Büchsel, Jürgen 215, 217, 223
Calinich, Robert 23 Calixt, Friedrich Ulrich 165, 184, 186– 192, 199, 267–269 Calixt, Georg 7, 16, 115, 159, 165–166, 171–172, 181, 184–185, 187–190, 192– 193, 199, 201–202, 267–269 Calov, Abraham 5, 7, 16, 115–119, 121– 122, 124–129, 144, 162, 164, 168–169, 179, 182, 184–188, 190, 192 Calvin, Johannes 20, 45, 51, 56, 65–66, 69–70, 88, 91–93, 97, 99, 100, 111, 115, 119, 121, 126, 128, 131–132, 143– 145, 152, 154, 159, 161, 191, 200, 207, 225–228, 238, 246–247, 260, 267 Chemnitz, Christian 176–181, 184 Christoph von Württemberg 24–25 Crocius, Johann 75, 82–90, 92, 114–115, 122, 129, 133, 136, 142, 144–145, 149– 152, 159, 274 Cuno, Friedrich Wilhelm 56 Curtius, Sebastian 166 Dannhauer, Johann Conrad 133–138, 162, 164, 170, 211 Daus, John 10 Delgado, Mariano 276 Denzer, Horst 193 Deppermann, Klaus 202, 223 Dibelius, Franz 105, 212–213, 216, 223, 255 Dickmann, Fritz 119, 123 Dingel, Irene 29, 31, 64, 193, 263 Döring, Detlef 193 Dörries, Hermann 219 Donnert, Erich 8 Duchhardt, Heinz 166 Dunkel, Johann Gottlob Wilhelm 67 Duraeus, Johannes 188–189
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Personenregister
Eckard, Heinrich Martin 170–177, 180– 181, 187, 192, 199–200, 268–269 Eckert, Michael 255 Edel, Andreas 25–28 Elisabeth I. 12 Erstenberger, Andreas 48–49, 71, 73, 84, 103, 111 Ferdinand I. 83, 232, 235 Fischer, Hermann 6–8, 10–11, 14–15, 17, 272 Foerster, Erich 277 Franz I. 86 Freund, Warner 267 Friedrich III. 20, 22, 24–29, 47–48, 51, 64, 71–74, 82–84, 103, 111, 127, 136, 191 Friedrich IV. 29, 83 Friedrich V. 75, 83, 144 Friedrich Wilhelm III. 277 Friedrich, Markus 266 Fries, Heinrich 2 Gass, Wilhelm 166, 187 Gemeinhardt, Peter 28 Goeters, J. F. Gerhard 24 Gotthard, Axel 21–22 Graf, Friedrich Wilhelm, 1, 12–15, 17, 202, 260, 272 Graf, Fritz 109 Grane, Leif 23 Grebenitz, Elias 164 Greschat, Katharina 217 Greschat, Martin 166, 202, 212 Grundmann, Herbert 101 Haug-Mortiz, Gabriele 231 Hauschild, Wolf-Dieter 20–21, 28, 123– 124 Heckel, Martin 3, 21–22, 26–27, 48, 119 Heinius, Johann 166 Heinrich II. 86 Henichius, Johann 166 Henke, Ernst Ludwig Theodor 165–166, 187 Heppe, Heinrich 24, 28 Herdesianus, Christoph 263 Herms, Eilert 255
Heudecker, Silvia 216 Heun, Werner 2 Hirsch, Emanuel 202, 208, 212, 218, 223, 254 Hoe von Hoenegg, Matthias 105–115, 119, 121–122, 135–138, 169 Holl, Karl 218, 265 Hollweg, Walter 21–23, 25–28, 48 Holtmann, Wilhelm 20, 23, 31, 39, 53, 57, 261 Honecker, Martin 2 Hornig, Gottfried 5–6 Horning, Wilhelm 134 Hospinian, Rudolf 104, 106, 108 Hutter, Leonhard 99–104, 106, 115, 119, 121, 128, 133, 136, 180–181, 183 Jakob I. 12 Jöcher, Christian Gottlieb 137, 153, 164, 171, 174, 176, 181 Johann Friedrich von Sachsen 232 Johann Georg von Sachsen 110 Johann Kasimir 29, 83 Jung, Volker 115 Kantzenbach, Friedrich Wilhelm 212 Karl V. 29, 32, 107, 119, 129, 135, 142, 168–169, 183, 190, 230, 232, 235 Karl X. Gustav 188 Karl von Baden 24 Karlstadt, Andreas 180 Kattenbusch, Ferdinand 16–17 Kaufmann, Thomas 14, 21, 110, 116, 119, 258, 260 Keller, Ludwig 137 Kirn, Hans-Martin 116 Kluckhohn, August 20, 23 Klueting, Harm 30, 166, 207 Koch, Ernst 15, 23, 26, 116 Köhler, Walther 15 Köpf, Ulrich 276 Kohlmeyer, Ernst 15 Kohls, Ernst Wilhelm 2 Kohnle, Armin 2 Kolde, Theodor 23 Konstantin der Große 215, 217, 244, 253, 271 Koselleck, Reinhart 1, 257, 259, 277
Personenregister
Krieg, Thilo 181 Kühn, Johannes 2–3 Kundert, Werner 201 Kunze, Johann Wilhelm 99, 115 Leube, Hans 28–29, 39, 53, 92, 116, 166–167, 188, 261, 266 Lindeboom, J. 201 Ludwig IV. 29, 31, 136 Ludwig XIV. 12 Luther, Martin 15, 32, 39, 40–41, 45–47, 62–63, 68, 75, 80, 84, 96, 100, 108, 117, 126, 129, 132, 142–143, 153–156, 176, 180, 190–191, 207, 224–226, 228–229, 238–249, 252–253, 262 Mager, Inge 165–166 Matthiae, Johannes 188 Maurer, Wilhelm 2–7, 9–11, 13–17, 20, 23, 118, 272 Maximilian II. 25, 72, 103, 127 May, Gerhard 166 Mehlhausen, Joachim 193 Melanchthon, Philipp 15, 22–23, 29, 32– 34, 38, 41, 45, 47, 63–66, 68, 84, 91, 109, 117–118, 130, 132, 176, 188, 246– 247, 252 Mirbt, Carl 82 Moltmann, Jürgen 62 Moritz von Sachsen 230, 232 Mühling, Andreas 24 Müller, Frank 110 Müller, Gerhard 2, 21 Müller, Johann Tobias 23 Müller, Karl 2, 14, 28 Musäus, Peter 166 Neubach, Helmut 39 Neuser, Wilhelm 23, 30, 62 Ney, Julius 2 Niefanger, Dirk 216 Niewöhner, Friedrich 223, 234, 256 Nürnberger, Richard 23 Nüssel, Friederike 28 Oberdorfer, Bernd 28 Ohst, Martin 1, 10–15, 272 Oschmann, Antje 123
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Pareus, David 39–60, 66–67, 71–74, 76, 78, 84–85, 90–92, 94–95, 97–99, 101– 103, 106, 108, 114, 116, 121–122, 128, 133, 136, 140, 149, 163, 181–183, 200, 206, 254, 261, 266, 271 Pauli, Christian 137–140 Peiter, Hermann 276 Petry, Ludwig 39 Pezel, Christoph 55, 62–66, 81, 114, 133 Philipp von Hessen 21, 58 Pictetus, Benedict 189, 192 Pitiscus, Bartholomäus 261 Pohlig, Matthias 11 Press, Volker 20, 31 Pufendorf, Samuel 193–201, 205, 209, 256, 269 Reiser, Antonius 133, 137–139, 162, 170 Remling, Franz Xaver 20 Repgen, Konrad 119 Ritschl, Albrecht 212 Ritschl, Otto 26, 140, 166, 193, 266 Ritter, Adolf Martin 30, 62 Ritter, Gerhard 23 Rittner, Reinhard 276 Rohls, Jan 21–23 Ruddies, Hartmut 276 Schäfer, Rudolf 276 Scheliha, Arnulf von 1 Schicketanz, Peter 203 Schilling, Heinz 20–22, 24, 26, 39, 264 Schlaich, Klaus 48 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst 276–277 Schmidt, Georg 4, 231 Schmidt, Martin 189, 213 Schmidt-Biggemann, Wilhelm 193 Schneider, Hans 223 Schröder, Markus 1 Schüssler, Hermann 166 Schwarz, Reinhard 3, 21, 27–28 Seckendorff, Veit Ludwig von 233–236, 256 Seeberg, Erich 223, 249 Seeberg, Reinhold 29 Seld, Johann Christoph 181–184 Selnecker, Nikolaus 62
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Personenregister
Seyler, Friedrich 233, 236–238 Sigwart, Johann Georg 91–99, 103–104, 106, 115, 119, 121, 128, 133, 136, 180– 181, 183 Sleidanus, Johannes 4, 9–11, 13–14 Smith, Thomas 189 Smolinsky, Heribert 22, 264 Sommer, Andreas Urs 213, 216 Sommer, Wolfgang 105, 110 Sparn, Walter 99 Spehr, Christopher 140 Spener, Philipp Jakob 7, 134, 137, 201– 212, 233, 269–270, 272, 274, 276 Sträter, Udo 246 Strimesius, Samuel 139–148, 157, 160, 162, 164 Strohm, Christoph 22 Sturm, Erdmann K. 30
Ursinus, Zacharias 19, 30–39, 41, 47, 51– 53, 55–57, 60–62, 64, 66, 78, 84, 89, 92, 97, 114, 116, 121–124, 145, 149, 152, 161–163, 182–183, 266, 268
Tanner, Klaus 13 Tentzel, Jakob 174–175, 180–181 Tholuck, August 115–116 Thomasius, Christian 216 Titius, Gerhard 189, 267 Troeltsch, Ernst 218 Tschackert, Paul 92
Zedler, Johann Heinrich 142, 164, 236 Zeeden, Ernst Walter 227 Zepper, Wilhelm 55–62, 81, 163, 263 Ziegert, Richard 23 Zonsius, Gwinandus 55 Zwingli, Ulrich 39–40, 95, 97–99, 117, 119, 126, 130–132, 190–191, 200, 225– 228, 231, 235, 238–240, 242–244, 246–249, 253
Ulrichs, Karl Friedrich 39
Vorstius, Johannes 267 Wagenmann, Julius August 129 Walch, Johann Georg 167–168, 170, 184–186, 188, 190 de Wall, Heinrich 17 Wallmann, Johannes 7–8, 10–11, 16, 115–116, 134, 142, 166–167, 202–203, 212, 246 Weber, Max 218 Wenneker, Erich 62 Wesche, Jörg 216 Wolfgang von Zweibrücken 24–25
Sachregister Abendmahl 33, 38, 40–44, 63, 65, 70, 76, 78, 80–81, 84, 88, 101, 103, 111– 112, 126, 134, 139, 157, 167, 173, 197, 200, 208–209, 211, 225–226, 249–250, 253, 267 Abendmahlsformel 15, 22, 24 Abendmahlslehre 14–15, 22–23, 26, 33– 34, 38, 41, 47, 56, 62, 76–77, 88, 94, 97–98, 100–101, 111–112, 118–119, 139, 158, 179, 190, 260, 263, 267 Abendmahlsstreit 15, 117, 131, 249 Alterität 270 Altgläubige 25, 34–36, 38, 43–45, 47– 48, 58, 64, 66, 110, 117–118, 147–150, 161, 173, 185, 197, 201, 225, 229–230, 232, 235, 237, 241, 251, 259, 264, 269 Amsterdam 75, 80, 153, 189 Antichrist 44–45, 48, 50, 53, 77, 241, 255 Apologie 15, 52, 68, 105, 142, 153, 188, 252, 261 Artikel 22–23, 28, 33–34, 36, 40, 46, 50, 65, 68, 70, 78–80, 84, 88, 93, 96, 99, 102, 111, 118, 123, 125–127, 133, 137, 139, 141–142, 144–145, 158–159, 161, 163–164, 166, 173, 176, 178, 180, 186, 191–199, 201–202, 206–208, 210–211, 250, 252, 266, 268–269, 273–274, 276 Auf klärung 5–8, 12–13, 15–16, 202, 212, 276 Augsburger Bekenntnis 14–15, 20–22, 25, 27–28, 30–31, 35–38, 46, 52, 54, 65, 68, 70, 75, 78–80, 83–84, 86–89, 91, 99, 105, 107–180, 111–112, 116, 119, 121, 123, 125–127, 129, 132–133, 135–137, 139, 142, 145, 149, 156, 158, 160, 162, 169–170, 172, 176, 179, 183, 231–232, 234–235, 254, 258, 260, 264, 271, 273–274
Ausformung 13, 16, 76, 121, 259, 272 Autorität 9, 22, 130, 240, 262 Basel 236–238 Begriffsgeschichte 2, 5, 257 Bekenntnis 14, 22, 26–28, 63, 69, 76, 78, 83, 85, 87–90, 93, 107, 111, 118–119, 121, 126, 130, 137, 153, 159, 163, 187, 221, 260, 274 Bekenntnisfassung 20, 24, 27, 29–30, 34, 63, 107, 116, 119, 132, 137, 145, 152, 157, 162, 170, 191, 260, 263 Bekenntnisschrift 22, 24, 27, 48, 51, 75, 80, 87–91, 118–119, 129, 140–142, 145–148, 153, 156–160, 211, 250–253, 266, 270–271, 274, 276 Bekenntnisversion 33, 36, 52, 56, 64, 108, 118 Binnendifferenzierung 124 Bremen 62, 65–66, 81 Calvinismus 20, 23–26, 30, 49, 91, 110, 115, 264 Calvinisten 21, 27, 45–46, 48–50, 71–73, 77, 95, 97, 101–102, 107–110, 112–113, 121–122, 127, 130, 152, 169, 175–176, 178, 182–183, 265 Circularschreiben 276, 277 Confessio Augustana 11, 14, 20, 22–24, 26–27, 30, 32–34, 46–47, 51–52, 58– 59, 61, 63–66, 68, 70–71, 74–76, 78– 94, 97, 100, 103, 105, 107–108, 111– 112, 114–126, 129–132, 135, 137, 139, 142, 145, 149, 151–152, 156–157, 160– 162, 168, 174, 179, 185, 190–191, 211, 231–235, 250, 252, 258–259, 260, 262–266, 273–274 Dänemark 181
306
Sachregister
Deutschland 5, 7, 15–17, 56, 60, 65, 75, 83, 85, 87 Differenz 11, 15, 23, 37, 50, 177, 253– 254, 269, 272 Dilemma 200, 207, 210 Diskussionskontext 19, 30, 71, 109, 136, 180, 257–258, 260, 265, 273 Dissimulation 75, 139, 162 Dreißigjähriger Krieg 80, 90, 105, 109 Eigenliebe 216–218, 220–222, 225, 230, 247, 249–250, 253, 270–271 Einheit 209–210 Einheitsbewusstsein 19 Einigkeit 31, 37, 40, 44, 46, 62, 80, 96– 97, 128, 134–135, 154, 157, 167, 171– 174, 177–178, 182–183, 191, 194, 196– 197, 206, 216, 221–222, 225–226, 228, 237, 242–244, 248, 253, 271, 276 England 4–7, 10, 12–13, 16, 65, 86, 272, 274 Entschränkung 4–5, 51, 66, 70, 87, 89, 91, 99, 121, 145, 150, 205, 257–258, 273–275, 277 Ermöglichungsgrund 37, 52, 91, 254 Formation 211–212, 255, 270 Frankreich 4–5, 10, 12–13, 43, 61, 65, 86–87, 274 Fremdbezeichnung 4–5, 8, 14, 203, 205 Frieden 53–54, 59, 62, 91, 97, 109–110, 127–128, 134–135, 140, 143–149, 160, 164, 167, 171, 173, 194, 196, 199–200 Frankfurt a. M. 165 Frankfurt a. O. 139–140, 144–145, 147– 148, 164 Frankfurter Rezess 22, 33, 84 Fürst 24, 26, 31, 33, 63–64, 69–73, 75– 76, 83–84, 86, 90, 98, 101, 107, 127, 130–131, 135, 197–198, 201, 224, 277 Fundament 42, 45, 47, 50, 54, 56, 59, 69, 79, 88, 94–96, 100, 102, 110, 113, 127, 140–141, 143, 145, 161, 163, 165, 167, 172, 194–195, 198, 208, 231, 266–267, 269, 274 Gegenreformation 5, 12, 24 Genf 10, 189
Geschlossenheit 26, 33, 36, 51, 69, 75, 91, 94, 96, 128, 132–133, 135, 143– 144, 147, 161, 237, 253–254, 271, 275 Gewissenszwang 251 Glauben 5–6, 23, 53–54, 56–57, 59, 94– 98, 100, 107–108, 111, 126, 134, 140, 142–143, 146, 148, 154, 160, 167–168, 172–173, 175, 177, 181–182, 191–192, 194–195, 198–200, 207, 228, 244–245, 247, 250, 270–271, 277 Hamburg 137–138 Heidelberg 31, 71, 73, 80, 92, 101–102, 182, 261–262 Heidelberger Katechismus 23, 24, 26, 72, 111 Heiliger Stuhl 25, 243 Heiliges Römisches Reich 4–7, 10–18, 24, 26, 35, 47, 61–62, 65–66, 71, 74, 81, 86–91, 96, 113–114, 119, 121, 123, 127, 130, 149, 153, 178, 189, 193, 227, 235, 237, 258–260, 263–269, 272–275 Helmstedt 7, 165–167, 171, 184, 187, 267 Herborn 56, 58–59, 61, 81 Heterodoxie 211, 270, 275 Hugenotten 55, 61, 86–87 Humanismus 246 Identifi kation 36, 51, 66, 76, 78, 136, 138, 145, 149, 154, 162, 185, 194, 218, 234, 270 Inanspruchnahme 22, 59, 66, 71, 74, 80, 82, 84, 89, 105, 114, 116, 119, 122, 145, 149, 161–163, 260, 262–263, 265 Instrumentum Pacis Osnabrugensis 12, 121, 123–125, 127–129, 133, 152, 159, 161–163, 177–180, 265 Integrationsbegriff 5, 8, 12, 15, 17, 19, 36, 52, 60–61, 64–65, 85, 87, 89, 91, 99, 102, 106, 108, 114, 119, 128, 145, 147–148, 152, 164, 168, 174, 181, 184, 187, 189, 192, 204–205, 210, 227, 231, 250, 257, 264, 268, 272–274 Interpretation 22, 33, 59–60, 66–67, 75– 76, 85, 87, 89, 110, 123–125, 145, 151, 161–163, 175, 180, 227, 234, 252–254, 269, 271
Sachregister
Invariata 20, 23, 29–30, 33–34, 63, 65– 66, 84, 88, 91, 93–95, 97–101, 105, 107–108, 112, 116–119, 121, 126, 128– 132, 136–137, 139, 156–157, 162, 170, 174–175, 179, 182–184, 186, 191, 258, 263–264 Irenik 18, 20, 30, 53, 64, 71, 74, 78, 86– 87, 90, 122, 140, 149, 162, 198, 260, 263, 269 Jesuiten 44, 105, 108, 262 Kaiser 25–26, 28, 33–34, 49–50, 60, 63, 83, 85, 103, 107, 109–111, 118–119, 123, 127, 130, 135, 142, 168–169, 179, 183, 190, 229–232, 235, 252, 260 Kanonizität 259 Kassel 82, 84–85, 88–89, 122, 149, 167, 172 Katholiken 13 Katholizismus 7 Ketzer 31, 36, 95, 98, 112, 115, 118–119, 124–125, 128–129, 140–141, 147, 154, 163, 172, 191, 215–216, 218, 273 Ketzerei 50, 102, 105, 127, 172, 216 Ketzertypologie 101 Kirche 1, 31–33, 35, 37–38, 40–41, 44– 47, 53, 56–57, 60–62, 65, 69, 76–83, 86–87, 91, 95–96, 100, 110, 112, 127– 128, 140, 142–145, 147, 149–156, 160, 163–164, 166, 168, 170–175, 177, 180, 185–187, 195–197, 201, 203–210, 214– 223, 230, 237–243, 248–250, 253, 255, 262–263, 270, 274, 276–277 Kirchentum 3, 7, 13, 17–20, 24, 30, 33, 55, 61, 76, 86–87, 90–91, 101, 112– 113, 124, 137, 140, 145, 147–148, 151, 162–164, 170–174, 187, 192–196, 201, 205–206, 208, 211–212, 215, 248, 264, 266–267, 269, 272–275 Kompromiss 153, 226, 258, 265 Konfession 7, 27, 46, 77, 82, 87, 90, 103, 133, 142, 156, 165, 167, 180, 192, 198, 200, 204–205, 207, 209–211, 218, 237, 270, 276 Konfessionalisierung 24–25 Konfessionsverwandte 14, 25, 29, 33–34, 36–38, 48–49, 51, 55, 59, 63, 65–66,
307
73–74, 78–79, 82–84, 87, 90–91, 94, 97, 99, 103, 111–112, 114, 119, 121– 122, 124–128, 130, 132, 138–139, 142, 151, 159–161, 191, 231–234, 236, 252, 258–260, 265, 273–274 Konfessionsverwandtschaft 20, 25–27, 36, 46–48, 51–52, 54, 60, 66, 75–76, 78–79, 81, 84, 89, 92, 96, 103, 106, 114–115, 120–121, 123–124, 130, 133, 135, 145, 152, 159–162, 259–260, 263, 266, 273–274 Konfl ikt 12, 25, 28, 42–43, 53, 56, 146, 157, 180, 198, 201–202, 223, 225, 232, 237, 253–254, 272 Konkordienbuch 28, 30, 32, 34–35, 37– 38, 56, 107–108, 127–129, 141, 160, 162–163, 176–177, 179, 181–182, 201, 262 Konkordienformel 29–31, 33, 35, 37–38, 62, 91, 99, 104, 121, 130–131, 134, 142, 182, 184–185, 252, 258, 263–264, 268, 274 Konkordienwerk 28–30, 32, 35–36, 38– 39, 95, 99, 104, 106, 114, 132, 142, 164 Konsens 11, 15, 40–41, 50, 65, 76, 78– 79, 88, 95–96, 141, 143, 154, 161, 165, 167, 172, 176, 182, 187, 266–267, 274 Kontroverse 42, 70, 109, 121, 152, 168, 183–184, 191–192, 197, 208–211, 253, 264, 272, 276 Konversion 154, 158 Kurfürst 20, 22–26, 31, 47–48, 51, 58, 63–64, 71–72, 74, 83, 101, 103, 107, 109–111, 127, 131, 137, 156, 183, 191, 224, 232, 235 Kurfürstentum 26, 105 Lehre 22, 24, 31–32, 35, 37–38, 41–42, 45, 47, 51, 54, 56, 59, 62, 64–66, 69, 75–80, 88, 100–103, 106–107, 111– 112, 123, 125, 128, 132, 137, 139–147, 151, 153–162, 164, 167, 170, 176–177, 182, 186, 191–193, 195–197, 199–204, 206, 208, 210–212, 218, 221, 225, 234, 237, 239–240, 250, 253, 255, 259–260, 262, 266–270, 272, 274, 276 Liebe 54, 62, 143, 157–158, 171–172, 181, 194, 197, 207, 216, 219–222, 225–
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Sachregister
226, 228, 241–244, 246–250, 252–253, 255, 271 London 189 Luthertum 5, 18, 28–30, 39, 76, 91, 96, 99, 114, 121–122, 132, 142, 144, 146, 151–154, 157, 159, 162, 164, 166, 170, 175, 184, 187, 192–193, 195, 201, 204– 205, 207, 260, 263, 265–268, 271, 273–275 Maßstab 156, 270 Naumburger Fürstentag 22, 24, 33, 47, 58, 60, 63, 83, 131, 176 Niederlande 13, 65 Oberhofprediger 105, 108, 110, 113, 115, 135–136, 139 Orakel 109, 113–114 Orthodoxie 5, 7, 92, 212–122, 127, 129, 131, 134, 139, 142, 145, 156–157, 160 184, 187, 190, 210–211, 261–262, 264– 266, 268, 270, 272–273, 275–276 Papst 213, 224, 228–229, 240, 242–243 Papstkirche 2, 40, 43–45, 51, 76, 173, 201, 208, 237, 239, 241–244 Papsttum 33, 57, 59, 115, 147, 153, 191, 226, 228, 239, 243, 262 Partei 13, 27, 37, 42, 46, 48, 56, 69–70, 96, 108, 112–113, 122, 127, 138, 152– 153, 155, 157–161, 163, 165, 167, 173, 175, 191–196, 198, 200–201, 206–207, 209, 214–222, 226–227, 238, 244, 249, 252–253, 258, 260, 264–266, 269, 272, 274–275 Pfalz 20, 24–26, 28–29, 36, 47, 54–55, 59, 65–67, 71–72, 74, 77, 80–81, 83, 89, 103, 111, 136, 149, 162, 182, 258– 259, 261–262, 269, 273 Philippismus 26, 29 Pietismus 8, 12, 15–16, 202, 223, 254– 255, 269–270 Pietist 201–204, 211–212, 223, 246, 248, 255, 270 Pluralität 1, 275
Polemik 59, 76, 78, 105, 108–111, 115, 118, 122, 134, 142, 144, 149–150, 160– 161, 164, 174, 177, 264 Prädestinationslehre 45, 167, 196–198, 200, 204, 208 Presbyterianer 4 Protestatio 2–5 Protestation von Speyer 2–9, 13, 16, 77, 179, 224, 240 Puritaner 4 Puritanismus 7 Qualität 16–17, 29, 59, 75, 81, 87, 89–90, 108, 110, 115, 132, 164, 202, 212, 254, 256, 259, 269, 272 Quantität 16, 58, 83, 85, 132, 238, 256, 269 Reformation 1–4, 6–7, 11, 14–15, 20–22, 44, 105–106, 113, 137, 173–176, 179, 193, 197, 225, 227–228, 237–250, 252– 255, 271–272 Reformator 8, 68, 116, 154, 156, 225, 229, 237, 239–242, 244–246, 249, 252, 254, 271 Reformiertentum 24–27, 29–30, 36, 51, 62, 71, 84, 87, 91, 97, 116, 121, 129, 149, 152, 155, 161, 197, 205, 210, 258, 261, 267, 270, 273 Reichsrecht 2, 5, 27, 161–162, 177, 224 Reichstag zu Augsburg (1530) 34, 63, 93–94, 107, 116, 119, 130, 137, 142, 168–169, 176, 183 Reichstag zu Augsburg (1566) 25–28, 48–49, 51, 58–60, 63, 71–72, 74, 80– 82, 84, 94, 103, 111, 127, 131–132, 191 Reichstag zu Speyer (1529) 2–7, 9, 16, 58, 77, 106, 224 Religionsfrieden 20–22, 25–27, 29, 38, 59, 62, 66, 69–75, 81–82, 90–92, 103, 105, 107, 110–114, 121, 123, 125, 127, 130, 134, 161, 178, 181, 231–233, 259– 260, 264–265, 275 Religionsgespräch zu Kassel (1661) 159, 166–168, 170–172, 176–179, 181–185, 187, 275
Sachregister
Religionsgespräch zu Marburg (1529) 40–41, 58, 79–80, 88, 94, 113, 126, 173, 188–190 Restitutionsedikt 110 Rezeption 6–8, 10–11, 13–14, 16, 19, 66, 92, 166, 193, 269 Rinteln 166–167, 170–172, 174, 176–178, 180, 182–184, 186 Sachsen 24, 26, 58, 90, 105, 109–110, 135–136, 235, 242 Sammelbegriff/Sammelbezeichnung 1, 5, 19, 115, 253–254, 258, 264, 271 Schmalkaldischer Bund 4, 9, 11, 14–15, 22, 100, 118, 126, 131, 176, 229–231, 234–235, 258–259 Schmalkaldischer Krieg 4, 9, 61, 228– 233, 236 Schottland 65, 87 Schriftverkehr 8–9, 11 Schweden 122, 188 Schweiz 18, 40, 61, 65, 86–87, 193, 224, 227, 239, 242, 274 Selbstbewusstsein 24, 110, 185, 206, 223 Selbstbezeichnung 4–11, 13–14, 16, 19, 81, 91, 115, 121, 136, 173, 175, 180, 184, 258–259, 264, 268 Selbstverständnis 12, 29, 77, 85–87, 91, 151, 155, 162, 170, 175, 205, 220, 266, 274 Selbstwahrnehmung 212, 223, 255, 270 Spiritualismus 222–223 Sprachgebrauch 1, 5, 13, 15–17, 273, 275 Sprachraum 10, 15–17, 19 Staatskirche 4 Stände 2–4, 6, 8–9, 11–12, 14, 16, 20– 22, 25–28, 34–37, 43–44, 49, 51, 59, 60–61, 64–70, 72–74, 78–79, 81–82, 85–87, 89, 93–95, 102–111, 113–114, 117–119, 123–127, 130–132, 136, 162, 178–179, 183, 188–189, 205, 231, 239, 252, 260, 263, 274, 276 Straßburg 10, 134–136, 138, 211 Streitigkeiten 39–40, 46, 52, 54–55, 58, 61, 65, 68, 71, 124, 147, 157, 163, 166, 173, 177–178, 187, 194, 197–199, 225– 227, 237, 248–249, 253, 269
309
Synkretismus 127, 168, 170, 181, 184– 185, 188 Synode 37, 39–40, 42, 53–55, 57–58, 61, 71, 163 Synode zu Dordrecht 158 Toleranz 53–54, 164–167, 174, 182–183, 210, 267 Transsubstantiation 46, 65–66, 99–100 Tübingen 92, 94, 96–99, 103 Ubiquitätslehre 36–38, 40, 42, 46–47, 56, 81, 108, 225 Übereinstimmung 10, 24, 51, 75, 78, 88, 90, 97, 137, 142, 145–146, 149, 154, 156, 176, 182, 187, 195, 198–199, 210– 211, 262, 274 Überparteilichkeit 218–219 Uneinigkeit 44, 227, 238 Unparteilichkeit 212, 214–215, 218, 220, 222, 255 Variata 20, 22–24, 32–33, 36, 38, 52, 63, 68–70, 84–85, 89, 91, 97, 107–108, 117–119, 129–130, 132, 135, 139, 183, – 184, 191, 260 Verbreitung 9–11 Vereinigung 50, 69, 113, 118, 128, 131, 153, 155, 157, 179, 191, 194–195, 198, 200, 205–208, 223, 258, 269 Wahrheit 3, 64, 78, 103, 111, 142, 144, 154–155, 163, 171, 177, 197, 206–207, 211, 213–214, 216–217, 220–222, 237, 253, 270–272, 275 Wahrnehmungsverschiebung 254, 275 Westeuropa 4–5, 10, 13, 187, 272 Westfälischer Frieden 12–13, 18, 119, 122–124, 129, 133–134, 138–139, 159, 161–162, 176–178, 227, 265–267, 273– 274 Wiedertäufer 50, 96, 112, 117, 124, 235 Wittenberg 11, 14, 68, 99–102, 115–116, 154, 156, 168, 171–172, 174, 176, 181, 193, 225, 229, 245–246 Wittenberger Konkordie 11, 14–15, 47, 58, 63, 65, 69–70, 80, 93, 188–189, 226, 231, 258
310 Württemberg 24–25, 260–261 Zäsur 12, 18, 121, 211, 265
Sachregister
Zwinglianer 15, 63–64, 77, 93, 100, 111, 117–118, 126–127, 130–131, 138, 169, 176, 179, 183, 234–235