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German Pages 308 [309] Year 2006
Studienreihe der Stiftung Kreditwirtschaft Hrsg.: Prof. Dr. Joh. Heinr. v. Stein
Tatiana Glaser
Privatimmobilienfinanzierung in Russland und Möglichkeiten der Übertragung des deutschen Bausparsystems auf die Russische Föderation
Verlag Wissenschaft & Praxis
Privatimmobilienfinanzierung in Russland
Studienreihe der Stiftung Kreditwirtschaft an der Universität Hohenheim Herausgeber: Prof. Dr. Joh. Heinr. v. Stein
Band 45
Tatiana Glaser
Privatimmobilienfinanzierung in Russland und Möglichkeiten der Übertragung des deutschen Bausparsystems auf die Russische Föderation anhand des Beispiels von Sankt Petersburg
Verlag Wissenschaft & Praxis
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
D100 ISBN 3-89673-294-3 © Verlag Wissenschaft & Praxis Dr. Brauner GmbH 2006 D-75447 Sternenfels, Nußbaumweg 6 Tel. 07045/930093 Fax 07045/930094
Alle Rechte vorbehalten Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany
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Geleitwort des Herausgebers Mit der Studienreihe möchte die Stiftung Kreditwirtschaft Arbeiten, die an der Universität Hohenheim zu bank- und finanzwirtschaftlichen Themen entstanden sind, Interessierten zugänglich machen. Die Veröffentlichungen sollen Erkenntnis und Gedankenaustausch in Wissenschaft und Praxis fördern. Die vorliegende Arbeit ist im Rahmen des Arbeitsprogramms des Europäischen Bausparinstituts an der Universität Hohenheim entstanden. Nach ersten positiven Erfahrungen in Transformationsländern wie Tschechien lag es nahe zu untersuchen, ob und unter welchen Bedingungen ein Bausparsystem in der Russischen Föderation mit ihren sehr spezifischen gesellschaftlichen, politischen und rechtlichen Verhältnissen eingeführt werden kann. Neben bankwissenschaftlichen und praxeologischen Fragen machte auch das große staats- und sozialpolitische Potenzial des Bausparens diese Untersuchung reizvoll. Die Verfasserin gewinnt bzw. fundiert in systematisch konsequenter Weise Feststellungen, die als wesentliche Grundlagen für die Entscheidung über die Einführung eines Bausparsystems deutscher Prägung geeignet sind. Sie arbeitet heraus, welche rechtlichen, institutionellen und angebotsmäßigen Voraussetzungen geschaffen werden müssen, um durch Bausparen die Wohnverhältnisse in Russland zu verbessern. Die Arbeit ist damit nicht nur bausparwirtschaftlich von hoher Bedeutung, sie leistet auch einen wichtigen Beitrag zur Gestaltung gesamtwirtschaftlicher Transformationsprozesse. Ich wünsche diesem Band der Studienreihe der Stiftung Kreditwirtschaft reges Interesse und guten Einfluss. Stuttgart, im Januar 2006 Prof. Dr. Johann Heinrich von Stein
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Vorwort der Verfasserin Die vorliegende Dissertation entstand am Lehrstuhl für Bankwirtschaft und Finanzdienstleistungen der Universität Hohenheim, angeregt durch die Tätigkeit des Europäischen Bausparinstituts. An dieser Stelle möchte ich all jenen danken, die mich bei meinem Promotionsvorhaben unterstützt haben. Mein aufrichtiger Dank gilt meinem akademischen Lehrer und Doktorvater Herrn Prof. Dr. Johann Heinrich von Stein, der meine Arbeit mit großem persönlichem Engagement begleitet und gefördert hat. Die zahlreichen fachlichen Gespräche mit ihm waren mir stets eine große Hilfe und ein guter Ansporn. Ebenfalls danke ich Herrn Prof. Dr. Hans-Peter Burghof für die Übernahme des Zweitgutachtens, Herrn Prof. Dr. Armin Dittmann für die Übernahme des Vorsitzes im Kolloquium, Herrn Prof. Dr. Lothar Vollmer für seinen vielseitigen fachlichen Rat auf dem Gebiet der Rechtswissenschaften, Herrn Prof. Dr. Eugen Buß für seine kompetente Beratung bei der Vorbereitung der empirischen Erhebungen. Interessante und informative Gespräche mit den Experten der deutschen Bausparkassen und der russischen Institutionen haben es ermöglicht, der Arbeit nicht nur eine theoretische, sondern auch eine praktische Ausrichtung zu geben. An dieser Stelle möchte ich besonders die Bausparkasse Schwäbisch-Hall AG hervorheben. Herzlichen Dank! Des Weiteren möchte ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Lehrstuhls für Diskussionsbereitschaft und Erfahrungsaustausch danken. Für das Gelingen der Arbeit war auch der Rückhalt im privaten Umfeld wichtig. An dieser Stelle danke ich besonders Frau Ingrid Hubing-Weizsäcker für ihre Unterstützung. Auch Herrn Bernhard Klocke, Herrn Bernhard Stark und Herrn Ernst Egloff sei für ihre große Hilfsbereitschaft und Ermutigung herzlich gedankt. Großer Dank gilt meinen Eltern Elena Grosheva und Evgeni Groshev, meinem Schwiegervater Hans Glaser und ganz besonders meinem Mann Steffen Glaser für die Unterstützung in Wort und Tat bei der Entstehung der Arbeit. Stuttgart, im Dezember 2005 Tatiana Glaser
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Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis....................................................................................................7 Abbildungsverzeichnis ......................................................................................... 13 Abkürzungsverzeichnis........................................................................................ 17 Symbolverzeichnis................................................................................................ 20 1. Einführung, Problemstellung, Grundbegriffe und methodische Vorgehensweise................................................................................................. 21 1.1 Einführung und Problemstellung ................................................................. 21 1.2 Definition der Grundbegriffe ........................................................................ 22 1.3 Methodische Vorgehensweise........................................................................ 27 2. Sozialpolitische und gesamtwirtschaftliche Bedeutung der privaten Eigentumsbildung durch Immobilien ............................................................ 29 3. Rahmenbedingungen der Privatimmobilienfinanzierung............................ 33 3.1 Gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen und Privatimmobilienfinanzierung..................................................................... 33 3.1.1 Einstellung der Bevölkerung zum Eigentum an Privatimmobilien ....... 33 3.1.2 Sparverhalten der Bevölkerung und seine Bedeutung für die Privatimmobilienfinanzierung................................................................ 36 3.1.3 Politische Stabilität................................................................................. 39 3.2. Wirtschaftliche Rahmenbedingungen und Privatimmobilienfinanzierung..................................................................... 40 3.2.1 Währungsstabilität.................................................................................. 40 3.2.2 Einkommensverhältnisse........................................................................ 41 3.2.3 Der Markt für private Wohnimmobilien und seine Infrastruktur .......... 42 3.3 Rechtliche Rahmenbedingungen und Privatimmobilienfinanzierung ..... 44 3.3.1. Die notwendigen Normkomplexe ......................................................... 45 3.3.1.1 Das Sachenrecht (Eigentumsrecht, Besicherungsrecht, Grundbuchrecht) .............................................................................. 45 3.3.1.2 Schuldrecht, insbesondere Kauf- und Kreditvertragsrecht.............. 47 3.3.1.3 Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht .................................... 49 3.3.1.4 Kreditwesenrecht ............................................................................. 51 3.3.1.5 Steuerrecht ....................................................................................... 52 3.3.2 Rechtssicherheit und Rechtsdurchsetzbarkeit........................................ 54
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INHALTSVERZEICHNIS
4. Systeme der Privatimmobilienfinanzierung .................................................. 55 4.1 Finanzierung durch Kredite – Nachsparprinzip ........................................ 55 4.2 Finanzierung nach dem Vorsparprinzip...................................................... 55 5. Das deutsche Bausparsystem .......................................................................... 57 5.1 Konzeption des deutschen Bausparsystems................................................. 57 5.2 Die Rahmenbedingungen für das deutsche Bausparsystem ...................... 62 5.2.1 Gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen.......................... 62 5.2.1.1 Einstellung der Bevölkerung zum Eigentum an Privatimmobilien. 62 5.2.1.2 Sparverhalten der Bevölkerung in Deutschland .............................. 65 5.2.1.3 Politische Stabilität und Privatimmobilienfinanzierung.................. 67 5.2.1.4 Die Rolle der staatlichen Förderung der Privatimmobilienfinanzierung für die Entwicklung des Bausparens ....................................................................................... 68 5.2.2 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen und Privatimmobilienfinanzierung............................................................................................ 72 5.2.2.1 Währungsstabilität ........................................................................... 72 5.2.2.2 Einkommensverhältnisse ................................................................. 72 5.2.2.3 Der Markt für private Wohnimmobilien.......................................... 74 5.2.2.3.1 Angebot und Nachfrage auf dem Markt für private Wohnimmobilien ...................................................................... 74 5.2.2.3.2 Bau- und Baulandpreise ............................................................ 76 5.2.2.3.3 Mietpreise .................................................................................. 77 5.2.3 Die rechtlichen Rahmenbedingungen des Bausparens in Deutschland . 78 5.2.3.1 Die bestehenden Normkomplexe..................................................... 78 5.2.3.1.1 Sachenrecht (Eigentumsrecht, Besicherungsrecht, Grundbuchrecht) ....................................................................... 78 5.2.3.1.2 Schuldrecht, insbesondere Kauf- und Kreditvertragsrecht ....... 81 5.2.3.1.3 Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht .............................. 86 5.2.3.1.4 Kreditwesenrecht....................................................................... 89 5.2.3.1.5 Steuerrecht................................................................................. 89 5.2.3.2 Rechtssicherheit und Rechtsdurchsetzbarkeit ................................. 90 5.3 Bankwirtschaftliche Elemente des Bausparens........................................... 91 5.3.1 Träger ..................................................................................................... 91 5.3.2 Leistungsfähigkeit, Ertrags- und Risikolage der deutschen Bausparkassen ........................................................................................ 92 5.3.3 Die Rolle der Bankenaufsicht beim Bausparen ................................... 102 5.3.4 Finanzierung......................................................................................... 104 5.3.4.1 Kollektive Finanzierung ................................................................ 104
INHALTSVERZEICHNIS
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5.3.4.2 Außerkollektive Finanzierung ....................................................... 104 5.3.5 Marketing bei den deutschen Bausparkassen....................................... 105 5.3.5.1 Produktpolitik und Sortimentspolitik ............................................ 107 5.3.5.1.1 Gestaltung des Produktes im kollektiven Grundgeschäft ....... 107 5.3.5.1.2 Gestaltung des Produktes in ergänzenden außerkollektiven Geschäften............................................................................... 110 5.3.5.1.3 Sortimentspolitik ..................................................................... 113 5.3.5.2 Preispolitik ..................................................................................... 116 5.3.5.2.1 Zinspolitik................................................................................ 116 5.3.5.2.2 Gebührenpolitik....................................................................... 116 5.3.5.3 Distributionspolitik ........................................................................ 118 5.3.5.3.1 Standortpolitik ......................................................................... 118 5.3.5.3.2 Absatzwege der Bausparkasse................................................. 119 5.3.5.4 Kommunikationspolitik ................................................................. 120 5.3.5.4.1 Werbung .................................................................................. 121 5.3.5.4.2 Persönliche Akquisition .......................................................... 122 5.3.5.4.3 Verkaufsförderung................................................................... 123 5.3.5.4.4 Öffentlichkeitsarbeit ................................................................ 124 6. Überprüfung des Bedarfes der Einführung eines Bausparsystems in Russland und das Vorhandensein der für diesen Aufbau notwendigen Rahmenbedingungen ..................................................................................... 125 6.1 Der Markt für Wohnungsbau und Wohnbaufinanzierung in Russland. Historische Entwicklung und aktueller Stand. ......................................... 125 6.1.1 Die historische Entwicklung von Wohnungsbau und Wohnungsbaufinanzierung in Russland............................................... 125 6.1.2 Aktueller Stand und Situationsanalyse des Wohnungsmarktes in Russland ............................................................................................... 134 6.1.2.1 Sankt Petersburg als Gegenstand der empirischen Untersuchung 134 6.1.2.2 Wohnungsbestand und Zufriedenheit der Bürger mit den Wohnungsverhältnissen................................................................. 138 6.1.2.3 Angebot und Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt. Entwicklungsstand des Wohnungsmarktes und seine Infrastruktur ................................................................................... 147 6.1.1.4 Das Preisniveau des Wohnungsmarktes ........................................ 155 6.1.2.5 Die Bedeutung der für Sankt Petersburg erarbeiteten Ergebnisse für die Russische Föderation ......................................................... 159 6.2 Anforderungen an die Rahmenbedingungen für den Aufbau eines Bausparsystems in Russland....................................................................... 160
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INHALTSVERZEICHNIS
6.2.1 Gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen und Privatimmobilienfinanzierung.............................................................. 160 6.2.1.1 Einstellung der Bevölkerung zum Eigentum................................. 160 6.2.1.2 Sparfähigkeit der russischen Bevölkerung und ihre Bedeutung für die Privatimmobilienfinanzierung ........................................... 164 6.2.1.3. Politische Stabilität und Privatimmobilienfinanzierung............... 168 6.2.1.4. Möglichkeit einer staatlichen Förderung des Bausparens ............ 169 6.2.2 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen und Privatimmobilienfinanzierung.............................................................. 169 6.2.2.1 Währungsstabilität ......................................................................... 170 6.2.2.2 Einkommensverhältnisse in Russland und Privatimmobilienfinanzierung ....................................................... 171 6.2.2.3 Der Markt für Privatimmobilien .................................................... 183 6.2.3 Rechtliche Rahmenbedingungen.......................................................... 184 6.2.3.1 Die bestehenden Normkomplexe................................................... 184 6.2.3.1.1 Sachenrecht (Eigentumsrecht, Besicherungsrecht, Katasterrecht) .......................................................................... 184 6.2.3.1.2 Schuldrecht, insbesondere Kreditvertragsrecht....................... 193 6.2.3.1.3 Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht ............................ 194 6.2.3.1.4 Kreditwesenrecht..................................................................... 196 6.2.3.1.5 Steuerrecht............................................................................... 199 6.2.3.2 Rechtssicherheit und Rechtsdurchsetzbarkeit ............................... 203 6.3 Formen und Verfahren der Wohnbaufinanzierung in Russland............ 205 6.3.1 Föderale Finanzierungsmodelle ........................................................... 205 6.3.1.1 Hypothekenkredite und „Quasi-Hypothek“................................... 205 6.3.1.2 Kritische Analyse der föderalen Modelle der Hypothekenkreditvergabe.............................................................. 212 6.3.1.3 Föderale Sonderprogramme der Wohnungsbaufinanzierung ........ 213 6.3.2 Regionale Finanzierungsmodelle ......................................................... 215 6.3.2.1 Finanzierungmodelle, die auf Subventionierung des Zinssatzes basieren. ......................................................................................... 216 6.3.2.2 Finanzierung über regionale Hypothekenagenturen...................... 216 6.3.2.3 Immobilienobligationen (Jilijnie sertifikati).................................. 217 6.3.2.4 Leasing von Wohnimmobilien mit Kaufrecht bzw. Kaufpflicht... 218 6.3.2.5 Genossenschaftliche Wohnbaufinanzierung.................................. 219 6.3.2.6 „Quasi – Bausparkassen“............................................................... 220 6.3.2.7 Finanzierung durch einen regionalen Fonds.................................. 221 6.3.2.8 Regionale Programme der Hypothekenkreditvergabe für ausgewählte Bevölkerungskategorien ........................................... 221
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6.3.3 Kritische Würdigung der existierenden Modelle der Hypothekenkreditvergabe .................................................................... 222 7. Empfehlungen zum Aufbau eines an die Verhältnisse der Russischen Föderation angepassten Bausparsystems. ................................................... 225 7.1 Mögliche Bausparkassenträger................................................................... 225 7.1.1 Inländische Träger................................................................................ 225 7.1.1.1. Private Organisationen.................................................................. 226 7.1.1.1.1 Kreditinstitute .......................................................................... 226 7.1.1.1.2 Versicherungsgesellschaften ................................................... 226 7.1.1.1.3 Die Organisationen, die im Moment ein bausparähnliches Geschäft betreiben („Quasi -Bausparkassen“)........................ 227 7.1.1.2. Staatliche Träger ........................................................................... 227 7.1.2 Ausländische Träger............................................................................. 228 7.1.3 Kooperative Trägerschaften ................................................................. 228 7.1.4 Die Rolle der Bankenaufsicht beim Bausparen ................................... 229 7.2 Finanzierung ................................................................................................. 230 7.2.1 Kollektive Finanzierung....................................................................... 230 7.2.2 Außerkollektive Finanzierung.............................................................. 230 7.3 Marketing...................................................................................................... 231 7.3.1 Produktpolitik....................................................................................... 234 7.3.1.1 Gestaltung des Produktes............................................................... 234 7.3.1.2 Vor- und Zwischenfinanzierungspolitik ........................................ 235 7.3.1.3 Sortimentspolitik............................................................................ 237 7.3.2 Preispolitik............................................................................................ 238 7.3.2.1 Zinspolitik ...................................................................................... 238 7.3.2.2 Gebührenpolitik ............................................................................. 238 7.3.3 Distributionspolitik............................................................................... 239 7.3.3.1 Standortpolitik................................................................................ 239 7.3.3.2 Vertriebswege ................................................................................ 240 7.3.4 Kommunikationspolitik........................................................................ 242 7.3.4.1 Werbung (anhand des Beispiels von St. Petersburg)..................... 244 7.3.4.2 Persönliche Akquisition und Kundenbetreuung ............................ 246 7.3.4.3 Verkaufsförderung ......................................................................... 248 7.3.4.4 Öffentlichkeitsarbeit ...................................................................... 249 7.5. Mögliche Entwicklungsszenarien des Bauspargeschäftes anhand des Beispiels von Sankt Petersburg............................................................ 249 8. Fazit ................................................................................................................. 259 9. Anhang ............................................................................................................ 263
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INHALTSVERZEICHNIS
1. Fragebogen zur Telefonbefragung in St. Petersburg ................................. 263 2. Leitfaden zur Expertenbefragung bei den deutschen Bausparkassen...... 271 3. Leitfaden zu Expertengesprächen bei den Banken und der Hypothekenagentur in Sankt Petersburg .................................................... 279 Literaturverzeichnis........................................................................................... 281 Quellenverzeichnis ............................................................................................. 301
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Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Wohnfläche pro Einwohner (in m2) in der Russischen Föderation 1980-2003................................................................................................. 21 Abb. 2: Wohnfläche in m2 pro Einwohner in anderen Industrieländern im Jahre 2000 ........................................................................................... 21 Abb. 3: Bauspardarlehensauszahlungen 1924-1934 in Deutschland..................... 25 Abb. 4: Entwicklung der Anzahl der Bausparkassen von 1924 bis 1933 ............. 25 Abb. 5: Entwicklung eines geschlossenen Kollektives, einfaches Modell............ 58 Abb. 6: Entwicklung eines geschlossenen Kollektives unter Berücksichtigung, dass neue Bausparer in das Kollektiv eintreten ........................................ 59 Abb. 7: Sparmotiv für ein Eigenheim nach Alter und Einkommen....................... 63 Abb. 8: Haushalte nach Alter des Haushaltsvorstandes und Art der Nutzung von Wohneinheit in Deutschland im Jahre 2002 ..................................... 63 Abb. 9: Haushalte nach Haushaltsgröße und Art der Nutzung der Wohneinheit im Jahre 2002 ........................................................................................... 64 Abb. 10: Sparverhalten der deutschen Bevölkerung.............................................. 66 Abb. 11: Sparziele der deutschen Bevölkerung ..................................................... 66 Abb. 12: Künftige Sparverhalten der deutschen Bevölkerung .............................. 67 Abb. 13: Inflationsrate in % in Deutschland.......................................................... 72 Abb. 14: Erschwinglichkeit einer Wohnung in Deutschland................................ 73 Abb. 15: Statistik der durchschnittlichen Kaufwerte für Bauland......................... 76 Abb. 16: Ertragslage der deutschen Bausparkassen im Jahr 2003......................... 96 Abb. 17: Cost-Income Ratio der ausgewählten Bausparkassen............................. 96 Abb. 18: Mediamix der Bausparkassen ............................................................... 122 Abb. 19: Refinanzierungsmodell der Kreditgenossenschaften des 19. Jahrhunderts .................................................................................... 131 Abb. 20: Empirische Befragung in Sankt Petersburg .......................................... 137 Abb. 21: Wohnungsfonds der Russischen Föderation (1990-2003) ................... 138 Abb. 22: Fertigstellungen ( Wohnfläche) in der Russischen Föderation............ 139 Abb. 23: Anzahl und Größe der fertiggestellten Wohnungen ............................. 140 Abb. 24: Entwicklungsdynamik des privaten Wohnungsfonds im Zeitraum von 1980-2003 ...................................................................................... 140 Abb. 25: Wohnungsfonds der Russischen Föderation nach Eigentumsformen (in Mio. m2) .......................................................................................... 141 Abb. 26: Ausstattung der Wohnungen in der Russischen Föderation und in Deutschland im Vergleich .................................................................... 142 Abb. 27: Ausstattung der Wohnungen in Sankt Petersburg im Jahr 2003 .......... 143 Abb. 28: Zufriedenheit mit der Wohnung allgemein in Sankt Petersburg .......... 144
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ABBILDUNGSVERZEICHNIS
Abb. 29: Zufriedenheitsgrad mit der Wohnungsgröße in Sankt Petersburg........ 144 Abb. 30: Zufriedenheit mit dem baulichen Zustand der Wohnungen ................. 145 Abb. 31: Zufriedenheit der Besitzer von Eigentumswohnungen......................... 146 Abb. 32: Zufriedenheit der Bewohner von Mietwohnungen ............................... 146 Abb. 33: Verbesserung der Wohnungsverhältnisse der Haushalte innerhalb von zwei Jahren in St. Petersburg......................................................... 149 Abb. 34: Pläne zur Verbeserung der Wohnsituation der Haushalte in St. Petersburg in den nächsten fünf Jahren ................................................ 150 Abb. 35: Fertiggestellte Wohnfläche in Sankt Petersburg (1992-2003).............. 152 Abb. 36: Die Struktur des Verkaufs auf dem Sekundärmarkt im ersten Halbjahr 2003 ....................................................................................... 153 Abb. 37: Der Umfang des Verkaufs der Wohnimmobilien von 1993-2003........ 154 Abb. 38: Preisentwicklung auf dem Primärmarkt für Wohnimmobilien............. 155 Abb. 39: Preisentwicklung auf dem Sekundärmarkt für Wohnimmobilien ....... 156 Abb. 40: Preise für Neubauwohnungen in Sankt Petersburg pro Quadratmeter........................................................................................ 157 Abb. 41: Preise auf dem Sekundärmarkt in Sankt Petersburg pro Quadratmeter........................................................................................ 158 Abb. 42: Bevölkerungsstruktur nach Altersgruppen in der Russischen Föderation ............................................................................................ 163 Abb. 43: Sparquote der russischen Bevölkerung ................................................. 164 Abb. 44: Sparverhalten der Bürger in der Russischen Föderation....................... 165 Abb. 45: Sparquote der russischen Bevölkerung in den ausgewählten Regionen .............................................................................................. 166 Abb. 46: Gegenüberstellung der Sparziele der russischen (auf dem Beispiel von Sankt-Petersburg) und der deutschen Bevölkerung ...................... 166 Abb. 47: Die von den Bürgern Moskaus bevorzugten Sparmöglichkeiten ......... 168 Abb. 48: Inflationsraten in osteuropäischen Ländern ......................................... 170 Abb. 49: Einkommensentwicklung in der Russischen Föderation ...................... 172 Abb. 50: Ersparnisse der russischen Haushalte ................................................... 175 Abb. 51: Die minimal möglichen Ersparnisse der Bevölkerung im Jahr 1998 anhand der Informationen der Studie der Zentralbank ....................... 176 Abb. 52: Verteilung der Bevölkerung nach der Höhe des Einkommens im Jahre 2003 ....................................................................................... 177 Abb. 53: Verteilung der Bevölkerung nach der Höhe des Einkommens im Jahre 2003 unter Berücksichtigung des inoffiziellen Einkommens ..... 177 Abb. 54: Berechnung der Erschwinglichkeit (auf der Basis eines offiziellen Einkommens) von Privatimmobilien für die Bevölkerung der Russischen Föderation .......................................................................... 178
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
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Abb. 55: Berechnung der Erschwinglichkeit (auf der Basis eines tatsächlichen Einkommens) von Privatimmobilien für die Bevölkerung der Russischen Föderation .......................................................................... 179 Abb. 56: Preis-Einkommen-Verhältnis auf dem deutschen Markt für Privatimmobilien............................................................................. 179 Abb. 57: Verteilung der Bevölkerung nach der Höhe des offiziellen Einkommens im Jahr 2003 ................................................................... 180 Abb. 58: Einkommens-Preis Verhältnis auf dem Wohnimmobilien Markt in St. Petersburg ........................................................................................ 181 Abb. 59: Preis-Einkommens-Verhältnis auf dem Wohnimmobilienmarkt in St. Petersburg nach Einkommensgruppen ............................................ 182 Abb. 60: Vertrauen der St. Petersburger Bevölkerung in die russischen Kreditinstitute ....................................................................................... 197 Abb. 61: Vertrauen der St. Petersburger Bevölkerung in die ausländischen Kreditinstitute ....................................................................................... 198 Abb. 62: Entwicklungsdynamik der Anlagen der Bürger bei den Kreditinstituten (in Rubel).................................................................... 198 Abb. 63: Änderung des Vertrauens der Bevölkerung in St. Petersburg während der letzten zwei Jahre............................................................ 199 Abb. 64: Schenkungsteuer bei Immobilien in Russland...................................... 200 Abb. 65: Erbschaftsteuer bei Immobilien in Russland ........................................ 201 Abb. 66: Immobiliensteuersätze in Russland....................................................... 202 Abb. 67: Das Föderale Modell der Hypothekarkreditvergabe in Russland......... 207 Abb. 68: Umfang der vergebenen Kredite und Kreditkonditionen, einzelne Hauptanbieter........................................................................................ 210 Abb. 69: Bereitschaft der Bürger, in Sankt Petersburg einen Bausparvertrag abzuschließen........................................................................................ 232 Abb. 70: Tarife der Bausparkasse „PSS“ in der Slowakei................................... 234 Abb. 71: Tarife der Bausparkasse „Fundamenta“ in Ungarn. ............................. 235 Abb. 72: Tarife der Bausparkasse „CMSS“ in Tschechien. ................................ 235 Abb. 73: Interesse der Bevölkerung in St. Petersburg an Versicherungsdienstleistungen. ............................................................ 237 Abb. 74: Gebühren der russischen Hypothekenbanken (exemplarisch).............. 239 Abb. 75: Struktur der Werbeaufwendungen in St. Petersburg............................. 244 Abb. 76: Prognose der Entwicklung von Inflation und Anlagezinsen ................ 250 Abb. 77: Entwicklung des Neugeschäftes, wahrscheinliche Prognose. .............. 251 Abb. 78: Entwicklung des Neugeschäftes, optimistische Prognose. ................... 252 Abb. 79: Entwicklung des Neugeschäftes, vorsichtige Prognose........................ 252 Abb. 80: Übersicht über die relevanten rechtlichen Vorschriften ....................... 253 Abb. 81: Gründungsaufwendungen. .................................................................... 253
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ABBILDUNGSVERZEICHNIS
Abb. 82: Entwicklung der Bürofläche. ................................................................ 254 Abb. 83: Büromieten. ........................................................................................... 254 Abb. 84: Die laufenden Sachaufwendungen........................................................ 254 Abb. 85: Die laufenden Personalaufwendungen.................................................. 255 Abb. 86: Planbilanz, wahrscheinliche Variante. .................................................. 255 Abb. 87: Zusammenfassung Ergebnisdaten für eine Bausparkasse in St. Petersburg, Russland, optimistische Variante. ................................ 256 Abb. 88: Zusammenfassung Ergebnisdaten für eine Bausparkasse in St. Petersburg, Russland, wahrscheinliche Variante. ........................... 257
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Abkürzungsverzeichnis Abb.
Abbildung
ABB
Allgemeine Bedingungen für Bausparverträge
AG
Aktiengesellschaft
AGB
Allgemeine Geschäftsbedingungen
AGG
Allgemeine Geschäftsgrundsätze
Aufl.
Auflage
BAKred
Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen
BaFin
Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht
BAnz.
Bundesanzeiger
Bek.
Bekanntmachung
BGBl.
Bundesgesetzblatt
BGH
Bundesgerichtshof
BBR
Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung
BSpKG
Bausparkassengesetz
BSpKVO
Bausparkassenverordnung
bzw.
beziehungsweise
ca.
circa
CIR
Cost-Income-Ratio
d. h.
das heißt
DW
Durchschnittswohnung
EinISR
Richtlinie über Einlagensicherungssysteme
EStG
Einkommensteuer-Gesetz
etc.
et cetera
ff.
folgende
Fn.
Fußnote
ggf.
gegebenenfalls
GE
Geldeinheiten
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ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
GfK
Gesellschaft für Konsum- Markt- und Absatzforschung
Goskomstat
Statistisches Bundesamt der Russischen Föderation
Grundsatz I/II
Grundsatz I/II der Grundsätze über das Eigenkapital und die Liquidität der Kreditinstitute
HGB
Handelsgesetzbuch
Hrsg. (hrsg.)
Herausgeber (herausgegeben)
i.d.F.
in der Fassung
Jg.
Jahrgang
K. A.
keine Angabe
KWG
Gesetz über das Kreditwesen
LBS
Landesbausparkasse
Mio.
Million(en)
ME
Maßeinheit
Mrd.
Milliard(en)
m.W.v.
mit Wirkung vom
Nr.
Nummer
o. g.
oben genannt
o. S.
ohne Seite
o.V.
ohne Verfasserangabe
p. a.
pro anno
PAngV
Preisangebeverordnung
Peterburgkomstat
Statistisches Amt von St. Petersburg
PM
Primärmarkt
Q
Quartal
RDM
Ring Deutscher Makler
RGBI.
Reichsgesetzblatt
ROI
Return on Investment
RWI
Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung
S.
Seite
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
SM
Sekundärmarkt
sog.
so genannte
u. a.
unter anderem
URL
Uniform Resource Locator
u. U.
unter Umständen
usw.
und so weiter
vgl.
vergleiche
VO
Verordnung
Vol.
Volume (Band)
z. B.
zum Beispiel
z. T.
zum Teil
ZPO
Zivilprozessordnung
WiRO
Zeitschrift für das osteuropäisches Recht
WF
Wohnungsfonds
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20
Symbolverzeichnis D
Nachfrage
m
Monat
N
Anzahl der Bevölkerung
P
Kaufpreis
R
Miete
S
Angebot
U
jährliche Nutzungskosten der Wohnfläche
X1
exogene Variablen
șP
Durchschnittspreis
șǼ
Durchschnittseinkommen
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1. Einführung, Problemstellung, Grundbegriffe und methodische Vorgehensweise 1.1 Einführung und Problemstellung Wohnen ist ein Grundbedürfnis des Menschen. Gute Wohnverhältnisse tragen wesentlich zur Lebensqualität der Menschen bei. Ein vorrangiges Ziel vieler Staaten ist es daher, die Rahmenbedingungen für einen effektiv funktionierenden Wohnungsmarkt sicherzustellen. In Russland besteht diesbezüglich großer Nachholbedarf. Trotz deutlicher Verbesserungen in den letzten Jahren (vgl. Abb. 1) verfügt jeder Bürger in Russland durchschnittlich nur über ca. 20 m2 Wohnfläche, - was deutlich unter dem Durchschnitt anderer europäischer Länder liegt (vgl. Abb. 2).
Gesamte Russische Föderation
1980 1985 1990 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 20031 13,4 14,9 16,4 18,0 18,3 18,6 18,8 19,1 19,3 19,7 20,0 20,3
Stadt
13,3
14,4
15,7
17,8
18,1
18,4
18,6
18,9
19,2
19,5
19,8
K.A.
Land
13,7
16,2
18,2
18,6
18,8
19,1
19,4
19,5
19,8
20,2
20,6
K.A.
Abb. 1: Wohnfläche pro Einwohner (in m2) in der Russischen Föderation 1980-20032 Land
Norwegen
USA
Schweden
Frankreich
Deutschland
Japan
Wohnfläche
74
65
43
36
35
31
Abb. 2: Wohnfläche in m2 pro Einwohner in anderen Industrieländern im Jahre 20003 Auch der Ausstattungsstandard russischer Wohnungen lässt gegenüber dem Durchschnitt aller europäischen Staaten noch zu wünschen übrig. So sind bei1
Es sind keine vergleichbaren Daten vorhanden wegen eines Methodenwechsels. Goskomstat (Statistisches Amt der Russischen Föderation): Jahrbuch, 2004, S. 199. 3 Goskomstat: Zahlen, 2004, S. 118. 2
22
EINFÜHRUNG
spielsweise nur 74% aller Wohnungen in Russland an eine zentrale Wasserversorgung angeschlossen, während dieser Wert in Deutschland Frankreich und Dänemark bei rund 100% liegt. 4 Erfahrungsgemäß führt die Nichterfüllung von Grundbedürfnissen zur Unzufriedenheit in der Bevölkerung, welche dadurch anfällig für populistische Parolen und extreme Strömungen wird. Nicht zuletzt deshalb trägt eine dauerhafte Lösung des Wohnungsproblems in Russland auch mit zur sozialpolitischen und gesamtwirtschaftlichen Stabilisierung des Landes bei. In sozialistischen Zeiten (1917-1985) gehörte die Wohnbaufinanzierung in Russland zu einer der wichtigsten staatlichen Aufgaben. Mit dem radikalen ökonomischen Umwandlungsprozess - von der Planwirtschaft hin zu einer freien Marktwirtschaft - änderte sich in Russland auch die Wohnbaupolitik. Künftig (z. T. auch schon jetzt) soll die Wohnungsversorgung in Russland nach marktmäßigen Prinzipien erfolgen. Das bedeutet, dass die Bevölkerung mit Ausnahme der sozial schwächeren Gruppen ihre Wohnungsprobleme selbst lösen muss. Durch den zunehmenden Einfluss der Marktwirtschaft in Russland wird daher die Bedeutung der Privatimmobilienfinanzierung immer größer.
1.2 Definition der Grundbegriffe Bei der Privatimmobilienfinanzierung geht es um Wohneigentum, das nicht vorwiegend durch öffentliche Mittel, sondern privat durch Eigenmittel und durch Fremdmittel finanziert wird. In der betriebswirtschaftlichen Literatur gibt es keinen einheitlichen Begriff der Finanzierung. Barbara Bertele definiert den Begriff Finanzierung als „Kapitalbeschaffung zur Deckung der Anschaffungs- oder Herstellungskosten, aber auch Geldbeschaffung für die Zahlungen, die für die Rückführung geliehenen Kapitals sowie für die Abdeckung von Finanzierungskosten und sonstigen im Zusammenhang mit der Finanzierung anfallenden Kosten aufzubringen sind. Jede für diese Finanzierungsaufgaben zur Verfügung stehende Geldquelle wird als Finanzierungsmöglichkeit bezeichnet.“ 5 In dieser Definition der Finanzierung fehlt jedoch der Hinweis auf die Gestaltungsmöglichkeiten der Finanzierung. Bei der Finanzierung werden die Beziehungen zwischen Kapitalgeber und Kapitalnehmer in Bezug auf Höhe, Zeitpunkt und Sicherheitsgrad der Zahlungen gestaltet.6 „Finanzierung umfasst somit alle Maßnahmen der Mittelbeschaf4
Vgl. Unece Environments und Human Settlements Division: Housing, 2004. o.S., Goskomstat: Regionen, 2003, S. 184. 5 Bertele, B.: Finanzierung, 1993, S. 220. 6 Vgl. Drukarczyk, J.: Finanzierung, 2003, S. 2.
EINFÜHRUNG
23
fung und – Rückzahlung und damit die Gestaltung der Zahlungs-, Informations-, Kontroll- und Sicherungsbeziehungen“7 zwischen Kreditnehmer und Kreditgeber. Bei der Immobilienfinanzierung besteht in der Regel hoher Kapitalbedarf. Ein privater Bauherr ist daher meistens auf fremdes Kapital angewiesen. Die Nutzungsdauer einer Wohnimmobilie beträgt 50 bis 100 Jahre. Es ist deshalb rechtlich und ökonomisch sinnvoll, die Finanzierung auf die Langfristigkeit der Nutzungsdauer auszurichten. Hierfür existieren verschiedene Systeme der Privatimmobilienfinanzierung. Man kann vor allem zwischen der Finanzierung nach dem Nachund Vorsparprinzip unterscheiden. Im Fall einer Finanzierung von Wohnimmobilien nach dem Nachsparprinzip findet zuerst die Vergabe eines Wohnbaudarlehens statt. Der Kreditnehmer ist dabei verpflichtet, den für den Bau eingesetzten Betrag mit Zinsen wieder zurück zu bezahlen. Es muss dabei berücksichtigt werden, dass die Zinsen in diesem Fall sehr hoch (belastend für den Schuldner) sein können. Bei der Finanzierung von Wohnimmobilien nach dem Vorsparprinzip muss zuerst ein Teil des für den Wohnungsbau benötigten Betrages angespart werden. Das deutsche Bausparsystem kann als Beispiel für dieses Modell dienen. Es ist ein Selbsthilfesystem mit dem Ziel der Wohnbaufinanzierung. Das Bauspargeschäft darf nur von Bausparkassen betrieben werden. Die Bausparkassen als Kreditinstitute sind in vollem Umfang den Vorschriften des Kreditwesengesetzes (KWG) unterstellt. Die besondere Struktur und Technik des Bausparens machen die Ergänzung des KWG-Gesetzes durch zusätzliche Vorschriften erforderlich. Diese finden sich in dem seit 1972 geltenden Bausparkassengesetz, sowie in der Bausparkassenverordnung. Es enthält neben den aufsichtsrechtlichen Bestimmungen das Organisationsrecht der Bausparkassen sowie den Ordnungsrahmen für den Geschäftsbetrieb. Nach § 1 des Bausparkassengesetzes sind Bausparkassen Kreditinstitute, deren Geschäftsbetrieb darauf ausgerichtet ist, „Einlagen von Bausparern (Bauspareinlagen) entgegenzunehmen und aus den angesammelten Beträgen den Bausparern für wohnungswirtschaftliche Maßnahmen Gelddarlehen (Bauspardarlehen) zu gewähren (Bauspargeschäft)“.8 Der Prozess Bausparen gliedert sich in zwei verschiedene, zeitlich hintereinander geschaltete Abschnitte, die Sparphase und die Darlehensphase. Der Übergang von der Spar- in die Darlehensphase vollzieht sich mit der Zuteilung. In der Sparphase profitiert die Spargemeinschaft von der Sparleistung eines Bausparers. Mit der Ansparung eines Guthabens erwirbt der einzelne Bausparer individuell einen Rechtsanspruch gegenüber der Bausparkasse auf ein später zu gewährendes Dar-
7 8
Vgl. Drukarczyk, J.: Finanzierung, 2003, S. 2 f. §1 Abs. 2 des BspKG.
24
EINFÜHRUNG
lehen in Höhe der Differenz zwischen Bausparsumme und Bausparguthaben – und mit günstigen von vornherein festgelegten niedrigen Zinsen.9 Die Bausparfinanzierung beruht auf einem „geschlossenen System“, mit dem Bausparkollektiv im Zentrum. Aus diesem Prinzip resultiert ein ganz entscheidender Vorteil des Bausparens gegenüber anderen langfristigen Finanzierungstechniken: Da die Refinanzierung der Bauspardarlehen im Normalfall allein aus den Einlagen der Sparer erfolgt, sind die Bausparkassen relativ unabhängig von den Zinsschwankungen am Kapitalmarkt. Diese Konstellation versetzt sie in die Lage, die Darlehenzinsen auf niedrigem Niveau bereits bei Vertragsabschluß für die gesamte Laufzeit festzuschreiben. Der Ursprung dieses Bauspargedankens liegt in England. Die Gründung der ersten Bausparkassen fällt in das Zeitalter der beginnenden industriellen Revolution (1775). Die Zeit war von Wohnungsnot auf städtischer und kommunaler Ebene geprägt. Insofern stellte die Gründung einer Einrichtung zur Selbsthilfe in einem „Birminghamer Wirtshaus“10 einen aus der Not geborenen Lösungsansatz dar. Dort wurde die Idee des Sparens in Verbindung mit einem konkreten Sparziel zum sog. Zwecksparen etabliert, deren Ziel es ist, durch kleine monatliche Sparleistungen der Mitglieder einen Kapitalfonds zu bilden und mit dessen Hilfe Darlehen zum Bau von Wohnhäusern an die Anleger zu vergeben. Dieser Kapitalfonds mit dem Namen Ketley’s Building Society kann als der Prototyp für alle nachfolgenden Formen von Bausparkassen bezeichnet werden. Die Anfänge der angelsächsischen und deutschen Bausparkassen sind vergleichbar. Im Zuge der - im Vergleich zu England - zeitlich später einsetzenden Industrialisierung Deutschlands traten deren bekannte Erscheinungen wie wachsende Agglomeration von Industrie und Bevölkerung mit der daraus resultierenden Wohnungsnot in den entstehenden Ballungszentren erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hervor. Als erste erfolgreiche private Bausparkasse gilt die 1924 aus ethischen Gesichtspunkten von dem Drogisten und Schriftsteller Georg Kropp gegründete „Gemeinschaft der Freunde Wüstenrot GmbH“. Er gilt als Urheber des modernen Gemeinschaftssparwesens in Deutschland. Als Voraussetzung für ihre Gründung kann die zu dieser Zeit vorherrschende Wohnungsnot der unteren und mittleren Bevölkerungsschichten, sowie der Mangel an Kreditbeschaffungsmöglichkeiten genannt werden. Dieser ersten Gründung folgten zahlreiche weitere Gründungen in der Rechtsform des eingetragenen Vereins, der Genossenschaft, der Gesellschaft mit beschränkter Haftung oder der Aktiengesellschaft.11 Ab 1929 wurden auch die ersten öffentlichen Bausparkassen gegründet. Die nachfolgende Vgl. dazu auch Laux, H.: Baufinanzierung,1992, S. 19-56. Vgl. Koch, W.: Zwecksparen,1935, S. 1. 11 Vgl. dazu auch Jenkis, H.: Grundlagen,1995, S. 21. 9
10
EINFÜHRUNG
25
Entwicklung kann als durchaus stürmisch bezeichnet werden. Bis 1934 konnten insgesamt 248 675 332 RM an 17 734 Bausparer vergeben werden. Jahr
1924
1925
1934
Darlehensausreichung (in RM)
10 000
2 397 750
248 675 332
Abb. 3: Bauspardarlehensauszahlungen 1924-1934 in Deutschland12 Das quantitative Entwicklungstempo der Bausparkassen lässt sich wie folgt darstellen: Jahr
1924
1925
1926
1927
1928
1929
1930
1933
Anzahl der Bausparkassen
1
2
4
3
24
32
113
270
Abb. 4: Entwicklung der Anzahl der Bausparkassen von 1924 bis 1933 13 Die erste Phase der deutschen Bausparentwicklung dauerte bis 1938. Bis zum Erlass der Richtlinien durch den damaligen Reichswirtschaftsminister vom 11. April 1938 bestand das Vertragsziel in der Vollfinanzierung des Bauvorhabens, d. h., die Bereitstellung des gesamten für das Bauvorhaben erforderlichen Leihkapitals.14 Diese Vollfinanzierung war auch deshalb erforderlich und sinnvoll, weil nach dem Ersten Weltkrieg und der großen Inflation noch kein funktionsfähiger Kapitalmarkt vorhanden war. Es war aber auch erkennbar, dass die kollektive Vollfinanzierung eines Grundstücks sowie der folgenden Baukosten zu große Anforderungen an die Bausparer stellte, also innerhalb der festgelegten Wartezeiten zu hohe Anspar- und Tilgungsleistungen vorsahen. Aus diesem Grund gingen 1933-1934 die ersten privaten Bausparkassen zur Teilfinanzierung über. Die Privatinitiative zum Bau von Eigenheimen ist besonders nach dem zweiten Weltkrieg durch staatliche Maßnahmen in der Bundesrepublik gefördert und ergänzt worden. Das Bausparsystem hat bei der erfolgreichen Lösung der Wohnungsprobleme in Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg mitgewirkt. Die Bausparkassen haben in der Zeit von 1948 bis 2001 Bausparmittel in Höhe von rund 700 Mrd. Euro zuge12
Vgl. dazu Lehmann, W.: Bausparkassen,1970, S. 70. Vgl. Vgl. Koch, W.: Zwecksparen,1935, S. 46. 14 Vgl. Degner, J./Röher, A: Bausparkassen, 1977, S. 680. 13
26
EINFÜHRUNG
teilt. Dadurch konnte der Erwerb von knapp 13 Mio. Wohnungen und eine Vielzahl von Modernisierungsmaßnahmen mitfinanziert werden.15 In dieser Zeit haben die Bausparkassen in Deutschland mehr als 1000 Milliarden DM zur Verfügung gestellt.16 Der russische Wohnungsmarkt ist hinsichtlich des Wohnstandards und der Finanzierungsmöglichkeiten des Wohnbaus durchaus mit der Situation im Nachkriegsdeutschland vergleichbar. Nach der Finanzkrise 1998 ist das Vertrauen der Bevölkerung zu den Kreditinstituten stark gesunken. Das krisengeschüttelte russische Bankensystem hatte nicht genug Geldressourcen und war deswegen nicht in der Lage, ausreichend (und vor allem bezahlbares) Leihkapital zur Verfügung zu stellen – ein Zustand, der bis heute anhält. Der Mangel an Kreditbeschaffungsmöglichkeiten für die Wohnbaufinanzierung könnte durch Einführung eines Bausparsystems deutscher Prägung beseitigt werden. Ein verlässlich funktionierendes System der Privatimmobilienfinanzierung in Russland würde es ermöglichen, eine Reihe wichtiger wirtschaftlicher Probleme zu lösen. Es würde: - durch effizientere Beschaffung und Nutzung von Investitionsmitteln den Immobilienmarkt beleben und die Auslastung der Bauindustrie sichern, - Finanzströme vom Markt der Spekulationsgeschäfte in den realen Sektor der Wirtschaft umlenken und für die Gewährung von Krediten an die Bevölkerung verfügbar machen, - die Geldmittel der Bevölkerung effizient arbeiten lassen (in die Wirtschaft fließen lassen). Seit der Novellierung des Bauspargesetzes im Jahre 1991 dürfen die deutschen Bausparkassen im Ausland Geschäfte betreiben. Seit diesem Zeitpunkt sind sie in der Slowakischen und Tschechischen Republik und in Ungarn tätig.17 Diese osteuropäischen Länder haben als Lösungsweg zur Entwicklung eines Wohnbaufinanzierungssystems bzw. zur Stärkung der privaten Wohnbautätigkeit das deutsche Bausparsystem übernommen. Das zeigt, dass das Bausparsystem auch in anderen Ländern einen festen Platz unter den Finanzdienstleistungsprodukten gefunden 15
Vgl. o.V.: Bausparkassen-Fachbuch, 2002, S. 22. Vgl. Jenkis, H.: Kompendium, 1996, S. 415. 17 Bereits 1992 hat die Bausparkasse Schwäbisch-Hall ein Tochterunternehmen in der Slowakei, die erste Bausparkasse AG in Bratislava gegründet. 1993 folgte eine Gründung der Tschechisch-Mährischen Bausparkasse AG in Prag. Im Jahr 1997 fing ein weiteres Joint Venture, die „Fundamenta Ungarisch-Deutsche Bausparkasse AG“ in Budapest, seine Geschäftstätigkeit an. Über ein Joint Venture ist die Bausparkasse Schwäbisch-Hall auch seit dem Jahr 2003 in China und seit dem Jahr 2004 in Rumänien aktiv. 16
EINFÜHRUNG
27
hat. Deswegen stellt sich die Frage, ob sich deutsche Erfahrungen auch in Russland anwenden lassen.
1.3 Methodische Vorgehensweise Die vorliegende Untersuchung ist dem Thema „Privatimmobilienfinanzierung in Russland“ gewidmet. Ziel der Arbeit ist zu überprüfen, ob das Bausparsystem deutscher Prägung auf die Russische Föderation übertragen werden kann. Die Untersuchung gliedert sich in folgende Arbeitsschritte: 1. Ausarbeitung und Definition der für eine Privatimmobilienfinanzierung notwendigen Rahmenbedingungen (Kriterien) mittels einer umfassenden Literaturrecherche und Analyse. 2. Darstellung und Analyse der vorhandenen Systeme der Privatimmobilienfinanzierung. Hier werden die Privatimmobilienfinanzierungssysteme, basierend auf Nachsparprinzip und Vorsparprinzip, analysiert. Es soll der Fragestellung nachgegangen werden, welches System der Privatimmobilienfinanzierung für Russland geeignet sein könnte. 3. Betrachtung des deutschen Bausparsystems aus der Sicht der oben aufgeführten Rahmenbedingungen. 4. Systematische Überprüfung der dargestellten Rahmenbedingungen in Bezug auf ihre Erfüllbarkeit in Russland. 5. Beurteilung der Möglichkeit und der Effizienz der Einführung eines Bausparsystems in Russland. Bei der Untersuchung wurden folgende Methoden angewandt: Literaturrecherche18, Literaturauswertung, Analyse der vorhandenen statistischen Daten, sowie empirische Analysen: Expertengespräche und Befragungen der Bevölkerung. Im Rahmen der Untersuchung wurde eine Umfrage in der Bevölkerung in Sankt Petersburg durchgeführt, in der die Fragenkomplexe „Wohnen und Sparen“ thematisiert wurden. Dadurch sollten die Erkenntnisse der Sekundärforschung mit empiri18
Bei der Untersuchung haben sich u.a. die Informationsquellen aus dem Internet als nützlich erwiesen: Die aktuellsten Informationen in Bezug auf das untersuchte Thema werden oft nur im Internet veröffentlicht, bzw. sind z. T. bereits veraltet, wenn eine Veröffentlichung bei einem Verlag erfolgt ist.
28
EINFÜHRUNG
schen Ergebnissen unterlegt und ergänzt werden. Als wissenschaftliche Methode wurde hierbei eine Telefonbefragung mit Hilfe eines Fragebogens verwendet. Des Weiteren wurde eine Expertenbefragung zum Thema „Aufbau eines Bausparsystems in der Russischen Föderation“ unter vier ausgewählten Bausparkassen in Deutschland durchgeführt. 19 Die Auswahl der Bausparkassen für diese Befragung erfolgte nach folgenden Kriterien: Erfahrungen bei der Einführung des Bausparens in Osteuropa sowie die Größe der Bausparkassen. Diese Befragung diente dazu, das Interesse der deutschen Bausparkassen in Bezug auf ein mögliches Engagement in Russland zu prüfen und das Thema aus praktischer Sicht zu beleuchten. Die Befragung fand in Form eines persönlichen, problemorientierten Interviews mit Hilfe eines Gesprächsleitfadens (siehe Anhang) statt. 20 Weiter wurden Expertengespräche in der Russischen Föderation (Sankt Petersburg) mit den Institutionen durchgeführt, die sich mit Hypothekarkreditvergabe befassen.21 Die Ergebnisse dieser Befragungen wurden nicht in einem eigenen Kapitel zusammengefasst, sondern in diese Arbeit integriert und an den entsprechenden Stellen dargestellt. Im Rahmen der Forschung wurden neben der deutschsprachigen Literatur englisch- und russischsprachige Quellen herangezogen.
19 20
21
Diese werden in der Arbeit aus Datenschutzgründen nicht namentlich erwähnt. Quelle 1. Diese Methode stellt zielorientiertes Fragen in den Vordergrund. Sie setzt auch voraus, dass der Forscher bereits entsprechende theoretische Ideen und Gedanken zu dem Thema entwickelt hat.- Vgl. dazu auch Lamnek, S.: Sozialforschung,1995, S. 74-78. Siehe Anhang.
29
2. Sozialpolitische und gesamtwirtschaftliche Bedeutung der privaten Eigentumsbildung durch Immobilien Das private Wohneigentum ist eines der attraktivsten Objekte für Investitionen. Was also bedeutet privates Wohneigentum für einen Menschen? Welche Motive können Menschen dazu bewegen, ihr Geld in private Wohnimmobilien zu investieren? Die Bildung des privaten Wohneigentums hat starken emotionalen Charakter: Streben nach Individualität und der Wunsch „Herr in den eigenen vier Wänden zu sein“ spielen hier eine bedeutende Rolle. Heidegger stellt - in seiner ihm eigenen philosophischen Denkkategorie - Wohnen mit Menschsein gleich.22Wohnraum bietet „das Umfeld für die Entfaltungsmöglichkeiten des Individuums und der Familie, wenn menschliche Würde und Individualität die einzelnen Grundwerte der Gesellschaft sind, so muss die menschliche Wohnung ihnen entsprechen“.23 Mit dem Prozess der Technisierung, Automatisierung und Informatisierung in der Wirtschaft kommt diesen Faktoren eine immer größer werdende Bedeutung zu. Viele Leute erleben in ihrer Arbeitswelt meist starke Abhängigkeiten, wohingegen Wohneigentum ihnen neue Freiräume eröffnet.24 Gute Wohnungsverhältnisse haben positive Wirkung auf die Leistungsfähigkeit und tragen zur Produktivität und Kreativität eines Menschen bei. Außerdem mobilisiert die Wohneigentumsbildung, die in der Regel eine langfristige Planung erfordert, die Eigeninitiative der Menschen und erzeugt ein gewisses Maß an Selbstvertrauen und Selbsverantwortung. Dies sind Fähigkeiten und Eigenschaften, von denen die Bürger auch an anderer Stelle profitieren können. Das Gefühl, Eigentümer zu sein, erzeugt eine besondere Verbindung zum Objekt und seinem Umfeld und verändert in gewissem Umfang die Einstellung des Eigentümers zur Umwelt und zur öffentlichen Ordnung. Ein weiteres wichtiges Motiv ist das Bedürfnis nach Sicherheit. Ein Mensch, der eine Eigentumswohnung oder ein eigenes Haus besitzt, fühlt sich sicherer und geborgener. Private Eigentumsbildung leistet einen wesentlichen Beitrag zur Altersvorsorge: Menschen, die im Alter mietfrei wohnen können, sind im Alter meistens 22
Vgl. Heidegger, M.: Bauen, 1954, S. 147, ähnlich: Vgl. Chiereghin: Physis,1991, S. 115-132. Kornemann, R.: Eigenheim, 1978, S. 134. 24 Vgl. Kurz, K.: Ungleichheiten, 1999, S. 7. 23
30
SOZIALPOLITISCHE UND GESAMTWIRTSCHFTLICHE BEDEUTUNG DER PRIVATEN EIGENTUMSBILDUNG DURCH IMMOBILIEN
besser versorgt, als Mietshaushalte. Damit verfügen sie im Vergleich zu Mieterhaushalten nicht nur über eine „Zusatzrente“ in Form der ersparten Nettokaltmiete, sondern auch über weitere Ausgabenspielräume. Private Wohneigentumsbildung kann auch die Zukunftsvorsorge für die weiteren Generationen leisten, indem das Wohneigentum vererbt wird. Somit hat diese Art der Zukunftsvorsorge einen Vorteil gegenüber privaten Vorsorgeversicherungen, deren Ansprüche mit dem Tod des Rentenbeziehers in der Regel erlöschen. Private Wohneigentumsbildung trägt somit dazu bei, dass die sozialen Systeme dauerhaft entlastet werden, wovon der Staat sehr profitiert. Nicht zu unterschätzen ist auch der gesamtwirtschaftliche Nutzen der privaten Wohneigentumsbildung. Der Erwerb von Wohneigentum leistet wie kaum eine andere Kapitalanlage einen Beitrag zur Vermögensbildung. Studien belegen ferner, dass Wohneigentümer bei gleichem Einkommen mehr sparen als Mieterhaushalte.25 Als Ergebnis verfügen Mitglieder von Haushalten, die Wohneigentum bilden, im Alter über rund zehn Mal mehr Vermögen als Miethaushalte in der gleichen Einkommenskategorie.26 Die Vermögensbildung beim Einzelnen stellt auch eine Vermögensbildung in der Volkswirtschaft dar.27 Die Wohneigentumsbildung prägt das Spar- und Konsumverhalten nicht nur vor der Anschaffung des Wohneigentums, sondern auch danach. Der Prozess des Sparens hat positive Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaft. Das positive Resultat des Sparprozesses besteht in Sachvermögenszuwachs und Produktionssteigerung. Man kann sehen, dass Länder in denen viel gespart wird, rasch wachsen.28 Der Prozess des Sparens muss jedoch im Zusammenhang mit der Wohnimmobilie gesehen werden. Dabei werden die über einen längeren Zeitraum gebildeten Ersparnisse in Wohnimmobilien investiert. Diese Investitionen haben eine enorme 25
Die Studie des Bonner Forschungsinstituts empirica belegt, dass die bessere Vermögensposition der Eigentümer gegenüber Mietern nicht unmittelbar mit den unterschiedlich hohen Einkommen zusammenhängt. „Vielmehr hätten Eigentümer und Mieter – auch wenn sie in der gleichen Einkommenskategorie lagen – eine ganz unterschiedliche „VermögensbildungsBiographie“. Die Ursache liegt in einem unterschiedlichen Konsum – und Sparverhalten, Vgl. o.V.: Wohneigentümer, 1999, S. 5. 26 Vgl. auch Henge, K: Bausparen, S. 261. 27 Vgl. dazu auch Henge, K: Bausparen, S. 258. 28 So lag die Sparquote (Anteil des Sparens am Sozialprodukt) in den beiden letzten Jahrzehnten in 14 der 20 Länder mit dem höchsten Wachstum über 25% und in keinem Fall unter 18%. (Beste Beispiele sind Japan China und Südostasien) Die Länder mit der schwächsten Expansion dagegen meldeten die tiefsten Sparquoten, meist unter 15 Prozent. Vgl. dazu Zanker, A.: Dynamik,1996, o. S.
SOZIALPOLITISCHE UND GESAMTWIRTSCHFTLICHE BEDEUTUNG DER PRIVATEN EIGENTUMSBILDUNG DURCH IMMOBILIEN
31
Bedeutung für die Entwicklung des Wohnungsmarktes und der Bauwirtschaft: Einerseits leisten sie einen gewichtigen Beitrag zur Entlastung des Wohnungsmarktes. So werden bei Einzug in ein Eigenheim oder in eine Eigentumswohnung im Durchschnitt 2 bis 2,5 Mietwohnungen frei.29 Andererseits tragen die Investitionen in das private Wohneigentum auch zur Erhaltung und Modernisierung des bereits vorhandenen Wohnungsbestandes bei und fördern somit die Entwicklung der Baubranche. So entstehen bei einem zusätzlichen Bedarf an Wohnfläche neue Arbeitsplätze in der Baubranche. Eine Untersuchung hat ergeben, dass 10000 zusätzliche Eigenheime rund 39000 zusätzliche Arbeitsplätze in der Bauindustrie und im Handwerk schaffen.30 Die private Wohneigentumsbildung beeinflusst somit viele Prozesse in der Wirtschaft: sie dynamisiert den Sparprozess, ermöglicht dadurch hohe inflationsfreie Investitionen im Wohneigentumsbereich, und akkumuliert Ersparnisse für die inflationsfreie Finanzierung einer dynamischen Wirtschaft.31 Sie hat demzufolge viele positive Auswirkungen auf die gesamtwirtschaftliche und sozialpolitische Situation eines Landes.
29
o.V.: Bedeutung, 2000, S. 1. o.V.: Bedeutung, 2000, S. 3; Die RWI-Studie „Gesamtwirtschaftliche und sektorale Wirkungen des Eigenheimbaus“ liefert ähnliche Ergebnisse: Sie stellt fest, dass der Bau von 10000 Wohnungen in Ein- und Zweifamilienhäusern knapp 44 000 Beschäftigte erfordert, der Bau von 10 000 Wohnungen in Mehrfamilienhäusern - 25 000 Beschäftigte. Vgl. JanssenTimmen, v.R./Dietrich, H./Moos, L/u.a.: Wirkungen, 2001, S. 32 f. 31 Vgl. Krupp, G.: Wohneigentum,1995, S. 368. 30
33
3. Rahmenbedingungen der Privatimmobilienfinanzierung Es gibt zwei Kategorien von Einflussfaktoren, die das Potenzial der Privatimmobilienfinanzierung eines Landes maßgeblich bestimmen. Zum Ersten muss Privatimmobilienfinanzierung sowohl für den einzelnen Sparer als auch für die Volkswirtschaft aufgrund der jeweiligen Situation in einem Land Vorteile bringen. Zum Zweiten müssen bestimmte politische, gesellschaftliche, wirtschaftliche und rechtliche Rahmenbedingungen erfüllt werden. In diesem Teil der Arbeit werden die Rahmenbedingungen dargestellt, die für eine Privatimmobilienfinanzierung erforderlich sind.
3.1 Gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen und Privatimmobilienfinanzierung 3.1.1 Einstellung der Bevölkerung zum Eigentum an Privatimmobilien Der Sinn und der Nutzen des Bausparens kann gegenüber der Bevölkerung nur dann plausibel gemacht werden, wenn im Land des möglichen Markteintritts die Bildung von privatem Wohneigentum in der Bevölkerung als Wert anerkannt ist, bzw. ein erstrebenswertes Ziel darstellt.32 Für einen Aufbau des Bausparsystems in Russland muss sichergestellt werden, dass dies dort der Fall ist. Im Folgenden wird versucht, diese Aussage mit Hilfe der Einstellungstheorien zu verdeutlichen. Die Einstellung ist einer der Schlüsselbegriffe der Sozialpsychologie.33 Einstellungen beziehen sich auf ein Objekt und werden erfahrungsbedingt erworben.34Sie beeinflussen die Handlungsorientierung im Bezug auf Objekte, Personen, Situationen. Einstellungen sind innere Zustände und werden durch Verhalten nach außen sichtbar. Man kann drei verschiedene Aspekte von Einstellungen unterscheiden: 32
Vgl. Bühler, A.: Marketingstrategien, 1999, S. 23 f. Vgl. Stahlberg, D./Frey, D.: Einstellungen, 1996, S. 219. 34 Vgl. Nieschlag, R./Dichtl, E./Hörschgen, H.: Marketing, 2002, S. 594. 33
34
RAHMENBEDINGUNGEN DER PRIVATIMMOBILIENFINANZIERUNG
Der kognitive Aspekt umfasst das Wissen, das ein Individuum über das Einstellungsobjekt hat. Der affektive Aspekt verdeutlicht die Emotionen, die das Einstellungsobjekt beim Individuum auslöst. Der verhaltensbezogene Aspekt umfasst die Anreizwirkung des Objektes, welche zum Handeln führt.35 Diese drei Aspekte sind sehr eng miteinander verbunden. Den Theorien der Einstellungs- und Verhaltensforschung liegt die Annahme zugrunde, dass Menschen in Übereinstimmung mit ihren Absichten handeln. So wird in der Theorie des geplanten Verhaltens angenommen, dass die Verhaltensabsicht von drei Komponenten beeinflusst wird: 1. der Einstellung zum Verhalten, 2. der subjektiven Norm, 3. der subjektiven Kontrolle über das Verhalten.36 Unter Kontrolle über das Verhalten ist gemeint, inwieweit man sein Verhalten kontrollieren kann und dabei über die Fähigkeit verfügt, seine Einstellungen umsetzen zu können. Übertragen auf die Einstellung zum Eigentum an privater Wohnimmobilie bedeutet dies, dass in erster Linie das Wissen über die Begriffe „Eigentum“ und „private Wohnimmobilie“ bei einem Individuum vorhanden sein muss. Wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, kann der Begriff der privaten Wohnimmobilie positive oder negative Emotionen beim Individuum auslösen, die das Verhalten des Individuums in Bezug auf private Wohnimmobilien bestimmen. Da der Erwerb einer privaten Wohnimmobilie andererseits viel Geld, Mühe und Geduld erfordert, muss das Bedürfnis, eine private Wohnimmobilie zu besitzen, groß genug sein, wenn es zum Kaufentschluss kommen soll. Die Einstellung der Bevölkerung zum Eigentum an privaten Wohnimmobilien unterscheidet sich von Land zu Land und kann durch kulturelle, soziodemographische und persönliche Faktoren beeinflusst werden: − Kulturelle Faktoren umfassen ein System von Leitvorstellungen, die sich im betrachteten gesellschaftlichen Kreis entwickelt haben. Diese werden zum größten Teil geschichtlich geprägt. So hat beispielsweise die Tatsache, dass es in ehemaligen sozialistischen Ländern aus politischen Gründen eine zeitlang kein privates Wohneigentum gab, vermutlich Auswirkungen auf die derzeitige Einstellung der Bevölkerung zum Eigentum. 35
Vgl. Irle, M.: Sozialpsychologie, 1975, S. 278 ff.; Stahlberg, D./Frey, D.: Einstellungen, 1996, S. 220 ff., Bohner, G.: Einstellungen, S. 265 ff. 36 Vgl. Ajzen, I: Theory , 1991, S. 179-211.
RAHMENBEDINGUNGEN DER PRIVATIMMOBILIENFINANZIERUNG
35
− Soziodemographische Faktoren: Die Einstellung zum Eigentum hängt auch von der demographischen Entwicklung in einem Land ab. Statistische Untersuchungen belegen, dass die Anschaffungen von Wohneigentum von der Bevölkerungsstruktur abhängen.37 Verschiedene Bevölkerungsgruppen in einem Land können unterschiedliche Einstellungen zum privaten Wohneigentum haben. Hier spielen vor allem die Faktoren, wie das Alter der Personen, sowie der Familienstand und die Familienstruktur eine Rolle. Da der Mensch ein soziales Wesen ist, wird sein Verhalten von existierenden sozialen Normen in der Gesellschaft beeinflusst. Das Einhalten dieser Normen bestimmt die Rolle des Individuums in der Gruppe und entscheidet über seine soziale Zugehörigkeit. Auch „das Wohnen“ als menschliches Grundbedürfnis ist in seinem Wesen von einer Vielzahl sozialer Normen abhängig. Zum Beispiel bestimmt die allgemeine Einstellung zum Wohnen, ob die persönliche Entfaltungsmöglichkeit in der eigenen Wohnung geschätzt wird, und ob dem Wohnen als Mittel der Selbstdarstellung ein Prestigewert beigemessen wird. Das ist wiederum dafür entscheidend, welcher Anteil des verfügbaren Haushaltseinkommens für privates Wohneigentum aufgewendet werden soll und welche Wohnfläche dabei angestrebt wird. Außerdem hängt die Einstellung zum eigenen Wohneigentum vom Umgang mit den Risiken von Individualisierungsprozessen in der Gesellschaft ab. Da der Prozess der Individualisierung auch soziale und ökonomische Risiken mit sich bringt, wie etwa Verarmung, Vereinzelung, Verunsicherung und soziale Isolation, besteht die Notwendigkeit, diese zu begrenzen. Verfügt der Staat über ein umfassendes soziales System, das nicht nur finanzielle Risiken, wie Arbeitslosigkeit, Alter, Krankheit etc. absichert, sondern auch ausreichenden Schutz für das Grundbedürfnis Wohnen (z. B. Mieterschutz, sozialer Wohnungsbau) bietet, besteht für die Bürger eine geringere Notwendigkeit, sich selber durch die Anschaffung von Wohneigentum abzusichern.38 − Außerdem spielen persönliche Faktoren wie Intelligenz, Bildung, Beruf etc. bei der Einstellung zum Wohneigentum eine Rolle. Für den Aufbau eines Bausparsystems im Land ist es wichtig festzustellen, welche Bevölkerungsgruppen eine positive Einstellung zum privaten Wohneigentum haben und so als potenzielle Kunden einer Bausparkasse betrachtet werden können. Es müssen auch Wünsche und Prioritäten innerhalb dieser Gruppen berücksichtigt werden.
37 38
Vgl. auch Möller, K./Günter, M., Entwicklung, 2001, S. 1 ff. Vgl. dazu zusammenfassend auch Behring, K/Helbrecht, I.:Wohneigentum, 2002, S. 22-24.
36
RAHMENBEDINGUNGEN DER PRIVATIMMOBILIENFINANZIERUNG
Deshalb wird im Kapitel 6 der Arbeit durch empirische Analysen untersucht, welche Einstellung die russische Bevölkerung zur privaten Wohnimmobilie hat und welche Faktoren dabei eine bedeutende Rolle spielen.
3.1.2 Sparverhalten der Bevölkerung und seine Bedeutung für die Privatimmobilienfinanzierung „Wer ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum und damit auch höhere Einkommen anstrebt, muss die Ersparnisbildung der privaten Haushalte positiv beeinflussen“.39 Eine positive Einstellung zur Privatimmobilie reicht für den Aufbau des Bausparsystems in einem Land jedoch nicht aus. Neben einer positiven Einstellung zur Wohnimmobilie muss Sparwilligkeit für den Kauf, Bau oder für die Modernisierung von Wohnimmobilien vorhanden sein, da ohne diese Voraussetzungen ein Bausparsystem keinen Erfolg haben kann. In verschiedenen Ländern unterscheidet sich das Sparverhalten der Bürger z. T. beträchtlich voneinander. Infolgedessen ist es zuerst wichtig festzustellen, ob, und wenn ja, in welchem Umfang im Land gespart wird. Als nächstes muss berücksichtigt werden, welche Sparprioritäten in der Bevölkerung dominieren, und von welchen Kriterien das Sparverhalten für eine Wohnimmobilie im Wesentlichen abhängt. Da in volkswirtschaftlichen Theorien das Sparverhalten der Haushalte seit geraumer Zeit untersucht wurde, stellt sich die Frage, ob eine Theorie existiert, welche das Sparverhalten für eine Wohnimmobilie ausreichend erklärt. Zu diesem Zweck werden im Folgenden die verschiedenen theoretischen Aussagen über das Sparverhalten (abgeleitet vom Konsumverhalten) kurz dargestellt. 1. Nach Keynes (Absolute Einkommenshypothese) neigen die Menschen „in der Regel und im Durchschnitt dazu, bei einer Erhöhung des Einkommens ihren Konsum zu steigern, aber nicht um so viel wie die Einkommenserhöhung“.40
39 40
Krupp, G.: Wohneigentum,1995, S. 368. Keynes, J. M.: Theory, 1936, S. 96, zitiert nach Übersetzung von M. Streißler, Theorie, 1974, S. 119.
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37
2. Eine Weiterentwicklung der Absoluten Einkommenshypothese stellt die „Relative Einkommenshypothese“ durch Duesenberry dar.41 Zwei Annahmen charakterisieren die Relative Einkommenshypothese: A. „Die Konsumgewohnheiten sind flexibel und passen sich einem gestiegenen Einkommen an. Geht das Einkommen kurzfristig zurück, so ändern sich die Konsumgewohnheiten nicht“.42 B. Das Konsumverhalten aller Haushalte ist nicht voneinander unabhängig, wie Keynes’ Theorie implizit annimmt, sondern interdependent.43 Brown erweiterte die relative Einkommenshypothese zur sog. Habit-PersistenceHypothese. Er geht davon aus, dass sich Konsumgewohnheiten nicht abrupt an veränderte Einkommensverhältnisse anpassen, sondern, dass dieser einen permanenten Anpassungsprozess – den „habit persistence effect“ erfordere.44 Die oben skizzierten Theorien können für die Untersuchung des Sparverhaltens für eine Wohnimmobilie nicht direkt verwendet werden - vor allem deswegen, weil die Konsumänderung und demzufolge auch das Sparverhalten darin aus kurzfristiger Sicht gesehen werden. Sparen für eine Wohnimmobilie ist dagegen in der Regel ein langfristiger Prozess. Darauf aufbauend wurden in der neoklassischen Schule weitere Spartheorien entwickelt, die als „Normaleinkommenshypothesen“ bezeichnet werden. Darunter sind die „Lebenszyklushypothese“, von Modigliani/Brumberg/Ando und die „Permanente Einkommenshypothese“ von Friedman zu verstehen. Die „Lebenszyklushypothese“, genauso wie die „permanente Einkommenshypothese“, behaupten, dass Haushalte nach einem möglichst kontinuierlichen Konsumstrom streben. Das für diese Theorien relevante Leben wird hierbei in zwei Phasen aufgeteilt: während der Phase der Erwerbstätigkeit erwirtschaftet ein Mensch mehr Geld, als er verbraucht. Den überschüssigen Teil legt er als Ersparnis zurück. In der anschließenden zweiten Phase, dem Rentenalter, kann auf diese Ersparnisse zurückgegriffen werden. Die Nettoersparnis während des gesamten Lebens ist somit gleich Null.45 In diesen Theorien wird behauptet, dass die Haushalte ihre Konsumentscheidungen nicht gewohnheitsmäßig treffen, sondern versuchen, ihre Einkommen rational zu verwenden, um eine Nutzenmaximierung in der Form eines stetigen, maxima41
Vgl. Duesenberry, J. S.: Income, 1949. Otterbach, A.: Einflüsse, 1996, S. 43. 43 Vgl. Otterbach, A.: Einflüsse, 1996, S. 43. 44 Vgl. Brown: Persistence, 1952, S. 359. 45 Vgl. Modigliani, F./Brumberg, R.: Analysis, 1954, S. 392 ff. 42
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len Konsums zu erreichen. Das Sparen bekommt dadurch eine Pufferfunktion, so dass sich Einkommensschwankungen nicht auf den Konsum auswirken können.46 Man kann das Leben angesichts des Konsum- und Sparverhaltens der Privatpersonen in drei Abschnitte einteilen: 1. Junge Leute sparen relativ wenig, da sie Einkommenssteigerungen erst in der Zukunft erwarten. 2. Menschen in mittlerem Alter, die ihr Einkommensmaximum erreicht haben, sparen am meisten, da sie durch eigene Ersparnisse das geringere Einkommen im Rentenalter kompensieren wollen. 3. Ältere Menschen haben in der Regel eine geringere Sparwilligkeit. Der Grund dafür, dass Menschen im Alter trotzdem noch sparen, kann der Wunsch sein, Vermögen zu hinterlassen. Auch das Bedürfnis nach Vorsorge kann eine Rolle spielen. Nach dieser Theorie hilft Erspartes, das in Jahren höheren Einkommens gebildet wurde, in Jahren niedrigen Einkommens diesen Engpass auszugleichen. Auch Privateigentumsbildung dient der Umverteilung des Einkommens zwischen den verschiedenen Lebensphasen: Im Alter profitiert man von den in jüngeren Jahren in die Wohnimmobilie angelegten Ersparnissen. Diese können somit auch als in Immobilien umgewandelte Ersparnisse gesehen werden. Die Lebenszyklushypothese erscheint deswegen für die Untersuchung des Sparverhaltens bei der privaten Eigentumsbildung am geeignetsten. Deshalb scheint es sinnvoll, bei der Auswahl der Zielgruppe eine Selektion nach dem Alter durchzuführen, um festzustellen, ob ein ausreichendes Marktpotenzial vorhanden ist. Hierzu ist anzumerken, dass bei der Betrachtung des Sparens für Privatimmobilien auch andere Faktoren berücksichtigt werden müssen. Wichtig erscheinen vor allem psychometrische Variablen des Sparers (die bereits z. T. in vorangegangenen Kapiteln erwähnt wurden), wie die subjektive Einschätzung von Einkommenssicherheit, Erfahrungen, Zukunftserwartung, außerdem Geduld oder Ungeduld, sowie das Bedürfnis nach Sicherheit und Zeitpräferenzen. Darüber hinaus beeinflusst auch seine soziale Umgebung das Sparverhalten. Zu diesem Zweck wird im zweiten und dritten Teil der Arbeit das Sparverhalten der Bevölkerung in Deutschland und in der Russischen Föderation untersucht.
46
Vgl. Ohrmayer, E.: Sparverhalten,1997, S. 66.
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39
3.1.3 Politische Stabilität Privatimmobilien sind standort- oder bodengebunden. Diese Bindung des privaten Wohneigentums an einen festen Standort hat zur Konsequenz, dass der davon ausgehende Nutzen stark von sog. externen Faktoren abhängig ist. Das Umfeld der Privatimmobilien spielt hier eine bedeutende Rolle. Deswegen sind z. B. Käufer nur am Kauf einer Privatimmobilie interessiert, wenn sie annehmen, dass jetzt und in Zukunft in dem Gebiet, wo sie Eigentum erwerben, weiterhin Ruhe und Frieden herrschen. Deswegen ist bei einer langfristigen Privatimmobilienfinanzierung vor allem Vertrauen in die politische Stabilität eines Landes erforderlich.47 Die politische Stabilität ist dann vorhanden, wenn keine plötzlichen Richtungswechsel in der Politik stattfinden und eine Beständigkeit, Berechenbarkeit und Zuverlässigkeit der Politik gewährleistet ist. Daneben muss die private Wohneigentumsbildung von der Regierung auf langfristige Sicht unterstützt und gefördert werden. Die öffentliche Wertschätzung und Herausstellung der Vorzüge des Wohneigentums, sowie eine Bevorzugung vom selbstgenutzten Wohneigentum in der Wohnungspolitik sind für einen Aufbau des Bausparsystems erforderlich. Die Möglichkeit, grundlegende Spielregeln in diesem Bereich rasch und fundamental ändern zu können, erzeugt Unsicherheit in der Bevölkerung und reduziert somit drastisch die Investitionsbereitschaft der Bevölkerung in Wohnimmobilien. Außerdem sind akzeptable Bedingungen für ausländische Investoren von großer Bedeutung.48 Es muss im Zielland eine Möglichkeit geben, die ausländischen Investitionen vor unrechtmäßigen Angriffen zu schützen.
47 48
Vgl.:Auch Wohlrabe, H.-J.: Entwicklungsperspektiven, 1999, S. 126. Vgl.: ebenda, S. 126.
40
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3.2. Wirtschaftliche Rahmenbedingungen und Privatimmobilienfinanzierung 3.2.1 Währungsstabilität Durch Inflation ergibt sich eine besondere Problematik im Zusammenhang mit der Wohnimmobilienfinanzierung, die aufgrund hoher Immobilienpreise einen langfristigen Charakter hat. Hohe, nicht kalkulierbare Inflationsraten beeinträchtigen langfristige Sparprozesse und langfristige Finanzierungen. Langfristiges Sparen für eine Wohnimmobilie ist für Sparer nur dann attraktiv, wenn sie nicht befürchten müssen, dass morgen ihr Geld an Kaufkraft verliert. Deshalb muss der Sparzins (einschließlich eventueller Prämien), in der Regel mindestens so hoch sein wie die Inflationsrate.49 Das Bausparprodukt funktioniert nur dann, wenn eine Zinssicherheit in der Sparund Darlehensphase über einen langen Zeitraum (oft über 15 Jahre) gewährleistet werden kann. Ein Hauptvorteil des Bausparproduktes ist ein niedriger Darlehenszins. Um einen niedrigen Darlehenszins in Zukunft garantieren zu können, muss die Verzinsung des Guthabens auch mit einem noch geringeren Zins erfolgen: z. B. im Fall, wenn eine Baufinanzierung bei Inflation in Höhe von 15% stattfindet, kann sich eine Bausparkasse nicht leisten, einen Guthabenzins anzubieten, der mit dem Zins für die anderen Anlagen auf dem Markt konkurrieren kann bzw. vergleichbar ist (z. B. 10% - 12%). Wenn eine Bausparkasse einen Tarif, wie etwa 12% Guthabenzins und 14% Darlehenszins anbieten würde, besteht die Gefahr, dass es bei einer möglichen Stabilisierung der Währungsverhältnisse mit niedrigen Zinssätzen keine Bausparer mehr gäbe, die ein Bauspardarlehen zu einem Jahreszins in Höhe von 14% annehmen. Ein positiver Effekt für das Bausparen, der durch Inflation zustande kommt, ist der sog. Anlaufeffekt. Dieser Effekt kommt in der Anfangsphase zum Tragen und besteht darin, dass die in den ersten Jahren eingezahlten Bausparanlagen auf dem Markt relativ hoch verzinst werden können. Deswegen soll in dieser Arbeit den folgenden Fragestellungen nachgegangen werden: 1. Bei welcher Inflationsrate ist es denkbar, ein Bausparsystem in einem Land aufzubauen? 49
Vgl. auch Monschaw, B.v.:Wohnungsbaufinanzierung, 1992, S. 790.
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41
2. Wie hoch ist die Inflation in Russland und wie sehen die Zukunftsprognosen aus? 3. Wie hoch ist die Verzinsung für alternative Anlageprodukte? 4. Wie hoch ist der Anlagezins auf dem Markt? 5. Welche Wege gibt es, um eine Einführung des Bausparsystems trotz hoher Inflation zu ermöglichen?
3.2.2 Einkommensverhältnisse Die Ersparnisbildung der privaten Haushalte stellt einen der Ausgangspunkte für die Ermittlung des potenziellen Marktvolumens für eine Privatimmobilienfinanzierung dar.50 Empirische Untersuchungen stellen einen positiven Zusammenhang zwischen dem Pro-Kopf-Einkommen und dem Umfang der Sparkapitalmobilisierung fest.51 Eine der wichtigsten Voraussetzungen für den Aufbau einer Bausparkasse ist daher ein ausreichendes Einkommen der Bevölkerung im Land. Dabei müssen die Einkommensverhältnisse unter dem Aspekt eines möglichen Erwerbes einer privaten Wohnimmobilie betrachtet werden. Die Relation zwischen einer möglichen Ersparnis und den Preisen für die private Wohnimmobilie muss einen Erwerb des Wohneigentums möglich machen. Eine Person ist nur dann objektiv in der Lage, einen Teil des Einkommens anzusparen, wenn sie trotz dieser Ersparnis einen gewissen Lebensstandard halten kann. Das Lebensniveau, das ein Individuum aufrechterhalten möchte, wird von seinem sozialen Umfeld geprägt. Dieses soziale Existenzminimum ist eine entscheidende Größe für den Aufbau eines Bausparsystems, da kaum erwartet werden kann, dass von den Beträgen, die dieses Minimum bestimmen, noch wesentliche Teile gespart werden. Für eine Privatimmobilienfinanzierung ist jedoch nicht nur die Höhe, sondern auch die Sicherheit des Einkommens von Bedeutung. Je größer die Unsicherheit des Einkommens ist, desto geringer ist der Einkommensanteil, der für eine langfristige Finanzierung berücksichtigt werden darf.
50 51
Vgl. Bühler, A.: Marketingstrategien, 1999, S. 24. z. B. empirische Untersuchungen von Bhattacharyay stellen einen positiven Zusammenhang zwischen dem Pro-Kopf-Einkommen von 45 Entwicklungs- und Industrieländern und dem Umfang der Sparkapitalmobilisierung in diesen Ländern fest: Vgl. Bhattacharyay, B. N.: Development, 1988, S. 315 ff.
42
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3.2.3 Der Markt für private Wohnimmobilien und seine Infrastruktur Das Vorhandensein eines Marktes für private Wohnimmobilien mit einem ausreichendem Marktvolumen, sowie seine Zugänglichkeit für alle Teilnehmer ist eine Mindestanforderung für den Aufbau eines Privatimmobilienfinanzierungs- bzw. Bausparsystems. Der Wohnungsmarkt ist in der wissenschaftlichen Literatur als Markt definiert, auf welchem das Gut „Wohnung“ angeboten wird. Die Funktion des Wohnungsmarktes ist, das Angebot und die Nachfrage nach dem Gut „Wohnung“ in Einklang zu bringen.52 Die Wohnung ist ein Gut, das gekauft oder gemietet werden kann. Daraus ergibt sich die Aufteilung in einen Markt für Wohneigentum53 und einen Mietwohnungsmarkt. Angebot und Nachfrage auf dem Markt für Privatimmobilien (Preisdeterminanten) Aus der güterwirtschaftlichen Sicht resultiert die Vorstellung, dass Wohnungsmärkte ihr Gleichgewicht über den Preis erreichen.54 Die aus der allgemeinen Volkswirtschaftstheorie bekannten wesentlichen Determinanten des Angebotes gelten somit auch auf dem Markt der Privatimmobilien: - die Gesamtangebotsfunktion (bei der für jeden möglichen Preis die Summe der von den einzelnen Anbietern angebotenen Mengen gebildet wird) - die Zahl der Anbieter, - die Faktorpreise, - die Produktivität und kostensenkende Maßnahmen, - die Alternativproduktion.55 Die Nachfrage nach privaten Wohnimmobilien wird durch die Zahl der Nachfrager (welche durch die natürliche Bevölkerungsentwicklung und Wanderungsbewegung beeinflusst wird), deren Einkommen, die Preislage der Wohnimmobilien 52
Vgl. Kühne-Büning, L /Heuer J.: Wohnungswirtschaft, 1994, S. 17. Der Markt für Wohneigentum (Wohnimmobilien) kann je nach Eigentumsverhältnissen in die folgenden Teilmärkte untergliedert werden: Ein Markt für private Wohnimmobilien, ein Markt für genossenschaftliche Immobilien, ein Markt für staatliche Wohnimmobilien. 54 Vgl. Sotelo, R.: Grundlagen, 2001, S. 38. 55 Vgl. Franke, J.: Markoökonomik, 1992, S. 9 f. 53
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im Verhältnis zum Durchschnittseinkommen, sowie die Preise für Substitutionsund Komplementärgüter bestimmt. Sie kann durch folgende Gleichung dargestellt werden:56 D (X1,P,U,R) = S, wobei X1 – Exogene Variablen wie demographische Charakteristika und reale Einkommensentwicklungen; P – Kaufpreise einer Flächeneinheit; U – jährliche Nutzungskosten der Wohnfläche; R – Miete als Substitutionsgut; D – Nachfrage; S – Angebot. Die Lage des Immobilienobjektes bestimmt im Wesentlichen seinen Preis. Wohnimmobilien, die sich in der Nähe industrieller Gebiete mit gut entwickelter Infrastruktur und vielen Arbeits- und Ausbildungsstätten befinden, sind meistens teuerer, als Wohnobjekte gleicher Qualität in einem ländlichen Gebiet, da die Grundstückskosten in solchen Gebieten höher sind. Bei der Beurteilung der Preislage der Wohnimmobilie müssen auch die Erwerbskosten wie Vermessungs-, Notar- und Grundbuchgebühren, Erschließungskosten, sowie die Baunebenkosten (z. B. Kosten für einen Architekten, Statiker, etc.) berücksichtigt werden. Auch das Vorhandensein von Finanzierungsmöglichkeiten, sowie Kosten, die im Zusammenhang mit der Geldbeschaffung entstehen (Zinsen, Bearbeitungsgebühren, Kosten der Grundschuldeintragung, die Bereitsstellungszinsen), bestimmen die Höhe der Belastung des Erwerbers und beeinflussen die Nachfrage nach privaten Wohnimmobilien. Der Mietwohnungsmarkt, als Markt auf dem die Substitutionsgüter Mietwohnungen angeboten werden, ist für das untersuchte Thema von großer Bedeutung. Die Entscheidung eines Haushaltes für den Erwerb von Wohneigentum resultiert in der Regel aus der Abwägung zwischen den Vorteilen, die für Miete, bzw. Eigentum sprechen. Ein breites Angebot an gut ausgestatteten Mietwohnungen, günstige Preise, hoher Mieterschutz, direkte und indirekte Förderung der Mietwohnungen, etc., machen das Wohnen zur Miete attraktiv. So verliert z. B. die Eigentumswohnung an Wert, wenn der Staat Wohnungen preiswert vermietet. Ein 56
Vgl. auch DiPasquale, D./Wheaton, W.: Market, 1994, S. 3 f.
44
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Mangel an Wohnungen auf dem Mietwohnungsmarkt und hohe Mietpreise machen dagegen den Kauf von selbstgenutztem Wohneigentum für den Bürger sinnvoll. Niedrige Grundstückspreise, geringe Herstellungs-, Transaktions- und Finanzierungskosten, sowie gut entwickelte Infrastruktur des Marktes für Privatimmobilien, die einen unkomplizierten und sicheren Erwerb von privaten Wohnimmobilien ermöglicht, bieten zusätzliche Anreize für den Kauf von selbstgenutztem Wohneigentum. Wie bereits erwähnt, sind bei der Frage Miete oder Wohneigentum auch soziale, kulturelle und persönliche Faktoren von Bedeutung. Die Nachfrage an diesen beiden Teilmärkten kann durch verschiedene Wertvorstellungen und den damit verbundenen Präferenzen beeinflusst werden. Somit kann die Nachfragegleichung auf dem Markt der Privatimmobilien um den weiteren Faktor der subjektiven Wertvorstellungen/Präferenzen (W) erweitert werden: D (X1,P,U,R,W) = S Infrastruktur des Marktes für private Wohnimmobilien EineVoraussetzung für einen unkomplizierten Erwerb von privaten Wohnimmobilien auf dem Markt für private Wohnimmobilien ist eine gut entwickelte Infrstruktur desselben. Dazu gehören professionelle Anbieter privater Wohnimmobilien, Informationsdienste, die der Informationsbeschaffung über Angebot und Nachfrage dienen, Organe, die Transaktionen mit privaten Wohnimmobilien registrieren, sowie Institute, die eine Finanzierung der privaten Wohnimmobilie betreiben. Ein Großteil der Geschäfte auf den entwickelten Märkten für private Wohnimmobilien wird über den sog. Maklermarkt abgewickelt. Maklermärkte sorgen für mehr Transparenz auf dem Markt für private Wohnimmobilien. Als Makler können sowohl Einzelmakler, als auch Großmakler sowie Immobilienbörsen und Maklerverbände auftreten.
3.3 Rechtliche Rahmenbedingungen und Privatimmobilienfinanzierung Für die Privatimmobilienfinanzierung sind komplexe rechtliche Rahmenbedingungen notwendig. Sie betreffen insbesondere das Sachenrecht, das Kreditvergaberecht, einschließlich des Sicherungsrechtes (Darlehensvertragsrecht und die erforderliche Besicherung) und ergänzend dazu gleichsam als Basis das Kreditwesenrecht.
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Notwendig ist ferner ein sachgerecht ausgestaltetes Insolvenzrecht und nicht zuletzt ein Steuerrecht, das den Erwerb und die Veräußerung sowie die Finanzierung von Immobilien regelt. Außerdem sind Rechtssicherheit und Rechtsdurchsetzbarkeit erforderlich.
3.3.1. Die notwendigen Normkomplexe 3.3.1.1 Das Sachenrecht (Eigentumsrecht, Besicherungsrecht, Grundbuchrecht) Eine der wichtigsten Voraussetzungen bei der Privatimmobilienfinanzierung ist das Sachenrecht. Es geht dabei um den Erwerb des Eigentums an Immobilien und um die Möglichkeit ihrer Belastung mit Grundpfandrechten zum Zwecke der Bestellung von dinglichen Sicherheiten für Immobilienkredite. Jeder einzelne Bürger muss Eigentum an Immobilien erwerben können. Mit dem Eigentum sind grundsätzlich drei Befugnisse des Eigentümers über das Eigentumsobjekt verbunden: a) das Recht am Eigentum an sich (Eigentumstitel), welches als abstrakte Voraussetzung für die Beziehung zwischen Eigentümer und Eigentum notwendig ist. Erst ihr Vorhandensein sichert dem Eigentümer Eigentum zu. Aus dieser abstrakten rechtlichen Bezugskonstruktion heraus ergeben sich: b) das Recht zum Gebrauch des Eigentums, bzw. Verfügungsrecht, c) das Recht, einen Nutzen aus dem Eigentum zu ziehen.57 Das entsprechende Sachenrecht muss so gestaltet werden, dass der Erwerber oder der Grundpfandgläubiger eine sichere Rechtsposition erlangt, nach der seine Rechte gegenüber Dritten „absolut" wirken. Wegen dieser Drittwirkung werden in entwickelten Privatrechtsordnungen für Sachenrechte an Grundstücken Register (Grundbücher) geführt.58 Sie sollen über Sachenrechte Klarheit schaffen und so im geschäftlichen Verkehr mit Sachenrechten Transaktionskosten einsparen. Grundbücher sind darüber hinaus die Basis dafür, dass ein gutgläubiger Erwerb von Sachenrechten von einem Nichtberechtigtem unmöglich wird. All dies stellt sicher, dass an Immobilien sichere Verfügungsrechte erworben werden können.
57 58
Vgl. Larenz, K./Wolf, M.: Teil, S. 379 ff., Röll, L.: Wohnungseigentum, S. 673-726. Vgl. Baur, F./Stürner, R.: Sachenrecht, 1999, S. 29-35.
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Das ist die Grundvoraussetzung für einen funktionsfähigen Markt mit Immobilien und deren Besicherung. Die genaue Erfassung von Eigentum ist Grundlage der Eigentumsbeziehungen. Es ist nicht möglich, Eigentumsgeschäfte durchzuführen, wenn keine vollständigen und zuverlässigen Informationen darüber vorhanden sind. Deswegen stellt sich die Frage, wie Immobilienrechte registriert werden. Ziel einer solchen Registrierung ist es, die Eigentumsrechte zu schützen, um Betrug und Unklarheiten bei Immobilientransaktionen und der Immobilienfinanzierung zu verhindern. Zur Lösung dieses Problems dient das Grundbuchsystem.59 Ein leistungsfähiges Grundbuchsystem, in welchem alle Immobilienrechte erfasst werden, gewährleistet die Sicherheit der Eigentumsverhältnisse auf dem Immobilienmarkt. Sehr wichtig in Bezug auf Privatimmobilienfinanzierung ist der Schutz des gutgläubigen Erwerbers. Je besser dessen Rechte geschützt sind, umso geringer die Risiken, die mit Erwerb oder Veräußerung der Immobilien verbunden sind, und umso besser entwickelt sich der Wohnimmobilienmarkt. Bewährt hat sich, dass dieser Schutz mit Hilfe eines Grundbuches gewährleistet wird, das „öffentlichen Glauben“ genießt, d. h. von allen Einträgen, die im Grundbuch stehen, wird vermutet, dass sie die Rechtslage richtig wiedergeben. Eine solche Schutzstrategie sieht vor, dass das Eigentumsrecht an Immobilien auf den gutgläubigen Erwerber übergeht, wobei der bisherigen Rechtsinhaber für den Verlust seiner Rechtsposition vom Veräußerer entschädigt wird. Außerdem spielt eine solche Registrierung der Rechte an Eigentumsobjekten eine herausragende Rolle bei der Verpfändung der Immobilie. Die Verpfändung erfolgt mittels Eintragung einer Hypothek oder einer Grundschuld im Grundbuch. Der Kreditgeber, der durch diese Grundpfandrechte gesichert ist, hat gegenüber den anderen Gläubigern des Eigentümers eine Vorzugstellung.60 Die Verpfändung gibt die Möglichkeit zur gesonderten Befriedigung vor und nach der Insolvenz eines Kreditnehmers: - Vor der Insolvenz besteht die Möglichkeit einer gesonderten Befriedigung durch Zwangsversteigerung oder Zwangsverwaltung, - Eine Insolvenz sieht eine gemeinschaftliche Befriedigung vor. Die Verpfändung erlaubt auch nach einer Insolvenz die technisch abgesonderte Befriedigung aus einer Immobilie. Dieses sog. Absonderungsrecht steht 59
Siehe dazu ausführlich: Rombach, P.: Grundbuch, 2001, S. 569-618; Schöner, H./Stöber, K: Grundbuchrecht, 2004, S. 5 ff. 60 Vgl. Pottschmidt, G./Rohr,U.: Kreditsicherungsrecht, 1992, S. 336.
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den Gläubigern zu, die ein Grundpfandrecht besitzen. Die verpfändeten Objekte fallen zwar der Konkursmasse zu, der Berechtigte verfügt jedoch über das Recht, vorzugsweise seine Befriedigung zu erlangen.61 Deswegen ist es wichtig, dass ein Grundbuch oder ein vergleichbares Register existiert, da Immobilien sonst nicht rechtssicher verpfändet werden können. 3.3.1.2 Schuldrecht, insbesondere Kauf- und Kreditvertragsrecht Neben dem Sachenrecht ist für die Immobilienfinanzierung ein adäquat ausgestattetes Schuldrecht notwendig. Das Schuldrecht umfasst die Gesamtheit der Rechtsbeziehungen zwischen Gläubiger und Schuldner. Der Immobilienkaufvertrag begründet Rechte und Pflichten zwischen Käufer und Verkäufer. Beide müssen bei Ausübung ihrer Rechte und Erfüllung ihrer Pflichten nach „Treu und Glauben“ handeln. 62 Neben einem sachgerecht ausgestatteten Kaufvertragsrecht als Basis der späteren Übereignung geht es dabei vor allem um das Kreditvertragsrecht. Für den Kauf einer Immobilie benötigt der Käufer in der Regel einen Kredit. Mit dem Abschluss eines Kreditvertrages zwischen Kreditgeber und Kreditnehmer kommt ein Schuldverhältnis zustande. Deswegen sollten im Kreditvertrag Rechte und Pflichten von beiden Seiten klar definiert werden. (Das Folgende bezieht sich nur auf die Darlehen, die von Kreditinstituten vergeben werden.) Zu den wesentlichen Komponenten des Darlehensvertrages zählen der Kreditbetrag, der Zinssatz und die Höhe der Tilgung. Des Weiteren erweisen sich die folgenden Punkte als regelungsbedürftig: - Laufzeit des Kredits Bei einem Bankgeschäft muss die passive Seite mit der aktiven abgestimmt werden. Das ist insbesondere sehr wichtig, wenn es sich um eine langfristige Finanzierung handelt. Dies ist erforderlich, um die Liquidität eines Kreditinstitutes gewährleisten zu können. Die Zinserwartung eines Kreditinstituts muss dabei rechtlich geschützt werden. In der Regel wird deshalb im Darlehensvertrag eine feste Laufzeit des Kredites festgelegt. Dabei müssen Kreditinstitut und Darlehensnehmer davon ausgehen können, dass die jeweils andere Vertragspartei den geschlossenen Vertrag vereinbarungsgemäß abwickelt. Es ist jedoch durchaus möglich, dass es zu einer vorzeitigen Beendigung des Vertrages kommt.
61 62
Vgl. Boeckers, T./Gottfried, E./Weinberg, M.: Kreditsicherheiten, 1997, S. 103. Vgl. §242 des BGB.
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- Kündigung des Kreditvertrages Die Möglichkeiten einer Kündigung des Vertrages und die daraus resultierenden Zahlungsverpflichtungen für die eine oder andere Partei spielen auch eine mittelbare Rolle bei der Entscheidung für einen Kreditvertrag: Kommt ein Kreditverhältnis zustande, müssen sowohl das Kreditinstitut, als auch der Kreditnehmer die Möglichkeit haben, sich vom Vertrag zu lösen. Dies dient dem Schutz beider Parteien. Dabei unterscheidet man: 1. Kündigung durch die Bank. Das Kreditinstitut hat das Recht, ein Darlehen zu kündigen, wenn sich die wirtschaftliche Lage des Kreditnehmers wesentlich verschlechtert hat oder sich zu verschlechtern droht. 2. Kündigung durch den Darlehensnehmer Ein entsprechendes Kreditvertragsrecht muss im Bereich von Krediten für die Privatimmobilienfinanzierung über die allgemeinen Regeln der Kreditvergabe hinaus besondere Regeln zum Schutz derjenigen enthalten, die eine solche Immobilie erwerben. Treten im Rahmen des Schuldverhältnisses Probleme auf, die eine termingerechte Rückzahlung des Darlehens in Frage stellen, muss das beteiligte Kreditinstitut die Möglichkeit haben seine Forderungen gegenüber dem Kunden geltend machen zu können. Die Möglichkeit dazu bietet eine Zwangsvollstreckung des verpfändeten Vermögens. Bauträgervertrag Ein weiterer wesentlicher Punkt, der für einen Aufbau des Systems der Privatimmobilienfinanzierung geregelt werden soll, ist der Erwerb vom Bauträger. Dabei ist der Erwerber dem Risiko ausgesetzt, dass das Objekt wegen Finanzierungsschwierigkeiten des Bauträgers, Problemen beim Verkauf, oder aus anderen Gründen überhaupt nicht oder nicht termingerecht fertiggestellt werden kann. Im Falle eines Misslingens des Bauvorhabens kann der Erwerber einen Verlust an Kapital, Zinsen und an Zeit erleiden und erhält letztendlich ein nicht fertig gestelltes oder mangelhaftes Objekt, kurz nicht das gewünschte Objekt. Außerdem hat der Erwerber Verbindlichkeiten gegenüber einem Kreditinstitut, über welches die Baufinanzierung läuft: das Darlehen muss zurückgezahlt werden. Eine solche Situation ist für die Entwicklung der Privatimmobilienfinanzierung nicht förderlich. Es sollte deshalb einerseits ein Verbraucherschutzsystem eingeführt werden, das Zahlungen, die der Erwerber an den Bauträger leistet, sichert. Das könnte z. B. dadurch geschehen, dass Zahlungen des Erwerbers an den Bauträger nur nach dem Fortgang des Bauwerkes erfolgen dürfen. Der Entwicklung privater Immobilienfi-
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nanzierungen ist ferner förderlich, wenn das Kreditinstitut, das den Erwerber finanziert, auch an dem Objekt mit einem Grundpfandrecht abgesichert werden kann, das der Erwerber kauft. Wird es nur eine Sicherung an diesem Objekt erhalten, die gegenüber dem Kreditinstitut, das den Bauträger finanziert, nachrangig ist, verschlechtert sich die Finanzierungsmöglichkeit des Erwerbers. Es kann z. B. sein, dass sein Kredit teurer wird oder er andere Sicherheiten stellen muss oder die Finanzierung in dieser Phase des Baus abgelehnt wird. Förderlich wäre deshalb eine Verpflichtung desjenigen Kreditinstituts, das den Bauträger finanziert, dass dieses mit seiner Sicherheit zurücktreten muss soweit es vom Erwerber oder dem Kreditinstitut, das den Erwerber finanziert, Geld erhält. 63 Des Weiteren kann beim Bauvorhaben das Risiko eines erst nach Jahren erkennbaren technischen Schadens nicht ausgeschlossen werden. Demzufolge muss vom Gesetzgeber eine ausreichende Zeitspanne eingeräumt werden, innerhalb derer der Erwerber seinen Anspruch an den Bauträger geltend machen kann. Um das Risiko des Erwerbers vom Bauträger zu begrenzen, müssen Maßnahmen zu seinem Schutz ergriffen werden (u.a. auch Kündigungsmöglichkeiten). Das ist deshalb notwendig, weil selbstgenutztes Wohneigentum in der Regel ein Lebensmittelpunkt einer Familie ist. 3.3.1.3 Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht Zwangsvollstreckungsrecht Bei der Privatimmobilienfinanzierung ist das Zwangsvollstreckungsrecht von großer Bedeutung, da es der Sicherung und Durchsetzung von Ansprüchen eines Gläubigers gegen einen Schuldner dient.64 Die Möglichkeit einer Zwangsvollstreckung dient dem Schutz des Kreditinstitutes und mittelbar auch den Kunden, die ihrerseits Vermögenswerte bei der Bank haben. Wichtig sind dabei nicht nur die gesetzlichen Regelungen, sondern auch ihre Umsetzung in der Praxis. Ein Kreditinstitut muss sicher sein, dass eine Zwangsvollstreckung mit einem vertretbaren Aufwand vollzogen werden kann. Ist dies nicht möglich, entsteht für das Kreditinstitut ein sehr hohes Risiko, das u. U. auch zu seiner Insolvenz führen kann.
63
Vgl. zu den im deutschen Recht dazu auftretenden Problemstellungen z. B. : Freckmann, P.: Rechtsprechung, 2003, 399 ff. 64 Vgl. Becker, U.: Zwangsvollstreckung, 2001, S. 1081-1090.
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Insolvenzrecht Als Insolvent wird derjenige bezeichnet, der seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen kann65 oder, wenn es eine juristisch haftungsbeschränkte Person ist, wer überschuldet ist66. Bei der Privatimmobilienfinanzierung besteht eine Insolvenzgefahr der Darlehensnehmer, des Kreditinstituts und der Bauträger. Im Falle einer Insolvenz muss der Schutz der Gläubiger gewährleistet sein. Dies geschieht durch das Insolvenzverfahren, das dazu dient, den Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen, indem das Vermögen des Schuldners durch einen Insolvenzverwalter verwertet und der Erlös verteilt wird.67 Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verliert der Schuldner die Herrschaft über sein Vermögen und darf keine Geschäfte mehr zu Lasten der Konkursmasse tätigen. Insolvenz eines Kreditinstitutes Im Falle der Insolvenz eines Kreditinstitutes muss der Schutz der Anleger (Kunden) gewährleistet sein. Zu diesem Zweck muss die Sicherung von Einlagen erfolgen. So wurde z. B. 1994 eine Richtlinie über Einlagensicherungssysteme auf der europäischen Ebene verabschiedet.68 Darin ist ein Schutzniveau von mindestens 20.000 ECU vorgeschrieben.69 Ein Einlagensicherungssystem fördert auch die Privatimmobilienfinanzierung, da dieses das Risiko der Kunden, ihr gesamtes Geld zu verlieren, reduziert. Ist dieser Schutz nicht gegeben, werden die Kunden (Anleger) sich fernhalten. Insolvenz der Kreditnehmer Im Falle einer Insolvenz des Kreditnehmers muss für den Kreditgeber der Zugriff auf die Immobilie möglich sein. Dabei ist die Frage von Bedeutung, ob die Pfandrechte aus Immobilien gesondert befriedigt werden können, und, wenn kein Absonderungsrecht in dem jeweiligen Land besteht, in welcher Reihenfolge die Befriedigung der Gläubiger im Falle einer Insolvenz erfolgt. Anderseits stellt sich auch hier die Frage nach einem speziellen Schutz des Erwerbers im Falle einer Insolvenz. So existiert in einigen Ländern ein Verbraucherinsolvenzrecht. Diese Regelung sieht vor, dass der Kreditnehmer im Falle einer Zahlungsunfähigkeit Insolvenz beantragen kann und nach einiger Zeit von seinen Schulden befreit wird. Diese Möglichkeit verringert das Risiko des Kreditneh65
§17 der Insolvenzordnung, ausführlich dazu: Hess, H./Weis, M./Wienberg,R.: Insolvenzordnung, 2001, S. 307-324. 66 §19 der Insolvenzordnung. 67 ebenda, §1. 68 Richtlinie 94/19/EG des Europäischen Parlaments und des Rats vom 30.05.1994 über Einlagensicherungssysteme. 69 Vgl. Art 7 IV Richtlinie über Einlagensicherungssysteme (EinISR).
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mers, dauerhaft verschuldet zu sein und kann unter Umständen die Anzahl derjenigen Erwerber erhöhen, die eine Privatimmobilie mit Hilfe eines Darlehens finanzieren. Das Verbraucherinsolvenzrecht ist jedoch keine notwendige Bedingung für den Aufbau eines Systems der Privatimmobilienfinanzierung, da in vielen Ländern Privatimmobilienfinanzierung auch ohne dieses funktioniert. Außerdem kann diese Regelung u. U. auch negative Auswirkungen auf die Privatimmobilienfinanzierung haben: so kann es z. B. zu Missbrauch führen und die Anzahl der unehrlichen Kreditnehmer auf dem Wohnbaufinanzierungsmarkt erhöhen. Des Weiteren erhöht das Verbraucherinsolvenzrecht das Risiko eines Kreditinstitutes, da geliehene Geldmittel evtl. nicht vollständig zurückbezahlt werden. Die Kreditinstitute versuchen sich wiederum von diesem Risiko abzusichern, was in der Regel eine Zinsund/oder Gebührenerhöhung zur Folge hat. Bauträgerinsolvenz Erfolgt die Anschaffung von Immobilien über den Bauträger, muss der Käufer für den Fall, dass der Bauträger insolvent wird, ausreichend abgesichert sein. Dazu dienen in einigen Ländern die Bürgschaften, die der Bauträger beschaffen muss, bevor er das Bauvorhaben beginnt. 3.3.1.4 Kreditwesenrecht Für den Aufbau eines Bausparsystems bedarf es insbesondere des Vertrauens der Bevölkerung. Das Maß dieses Vertrauens hängt davon ab, wie stabil und funktionsfähig das Bankensystem im Land ist. Um die Stabilität des Kreditwesenssystems zu gewährleisten, müssen für das Kreditwesen gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen werden. Daher müssen im Kreditwesenrecht folgende Anforderungen an Kreditinstitute gestellt werden. (Hier werden nur einige davon genannt): 1. Ausreichende Eigenmittelausstattung der Banken, 2. Liquiditätsvorschriften, so dass jederzeit eine ausreichende Zahlungsbereitschaft gewährleistet ist, 3. Aufzeichnung zulässiger Geschäfte, die eine vollständige Überwachung durch die Bankenaufsicht gewährleisten, 4. Der Umgang der Banken mit Sicherheiten muss geregelt werden, 5. Anlagen von Privatpersonen müssen gesichert werden (Stichwort: Sicherungsfonds),
52
RAHMENBEDINGUNGEN DER PRIVATIMMOBILIENFINANZIERUNG
6. ein effektiv funktionierendes System der Überwachung und Kontrolle von Risiken. Diese Regelungen sind für alle Kreditinstitute verpflichtend. Für die Spezialkreditinstitute, wie Bausparkassen, sind diese allgemeinen kreditrechtlichen Grundlagen aufgrund der Besonderheiten und Komplexität des Bauspargeschäftes nicht ausreichend. Es ist daher sinnvoll und notwendig, sie durch Spezialgesetze zu ergänzen. Für ein funktionierendes Bausparsystem muss ein Bausparkassengesetz verabschiedet werden, das Bausparkassen als Spezialkreditinstitute definiert und ihre Geschäftsfelder abgrenzt, sowie die Möglichkeiten der wohnungswirtschaftlichen Verwendung von Bausparmitteln bestimmt und die Aufsichts- und Kontrollmechanismen regelt. Das Bausparkassengesetz und ergänzende Verordnungen müssen ein ausreichendes Geschäftsvolumen und genügend Spielraum für die Geschäftstätigkeit zulassen. Dieses Sonderrecht muss dazu dienen, die Risiken des Bauspargeschäftes zu minimieren, es zu fördern und unnötige Kosten zu vermeiden - so sind beispielsweise die Bausparkassen in mehreren Ländern von der Mindestreservepflicht befreit. Für eine erfolgreiche Implementierung des Bausparsystems ist auch die Einhaltung dieser gesetzlichen Normen notwendig. Daher ist es wichtig, dass eine funktionsfähige Aufsicht über die Bausparinstitute mit qualifizierten Arbeitskräften existiert. 3.3.1.5 Steuerrecht Die Besteuerung gehört zu den wirksamsten und am häufigsten angewandten monetären Instrumenten des Staates. Das gilt auch für die Märkte von Privatimmobilien und die Privatimmobilienfinanzierung. Deswegen soll im nächsten Schritt das Steuerrecht von Privatimmobilien behandelt werden, da seine Gestaltung das Verhalten von potenziellen Kunden von Bausparkassen maßgeblich beeinflussen kann. Dabei sind zwei wichtige Aspekte zu berücksichtigen: I. Besteuerung beim Erwerb, bei der Nutzung und bei der Veräußerung einer Immobilie 1. Besteuerung beim Erwerb durch Rechtsgeschäft unter Lebenden oder im Wege der Erbfolge In vielen Ländern wird der Erwerb einer Immobilie besteuert. Durch eine solche Besteuerung entsteht eine zusätzliche Belastung für den Käufer. Die Grunderwerbsteuer kann den Erwerb von Immobilien erheblich behindern. Wenn der Erwerb von selbstgenutzten Immobilien gefördert werden soll, muss also eine Grunderwerbsteuerbefreiung erfolgen. Das ermöglicht es, den Erwerb von selbst-
RAHMENBEDINGUNGEN DER PRIVATIMMOBILIENFINANZIERUNG
53
genutzten Wohnimmobilien für potenzielle Kunden attraktiver zu machen und die Anzahl der Immobilienkäufer bzw. Bauherren zu erhöhen, was für den Aufbau des Systems der Privatimmobilienfinanzierung sehr wichtig ist. Die Erbschaftsteuer fällt zwar nicht bei dem Erwerber, sondern bei den Erben an. Jedoch spielt die Höhe der Erbschaftsteuer bei der Entscheidung, eine Immobilie zu erwerben eine mittelbare Rolle, insbesondere für Bürger, die Wohneigentum mit der Absicht, dieses später zu vererben, erwerben. Je höher die Erbschaftsteuer ist, desto geringer ist für diese Bürger der Anreiz, Wohneigentum zu erwerben. 2. Laufende Besteuerung des Vermögens Es gibt Länder, in denen das vorhandene Vermögen laufend besteuert wird. Diese Steuerart wird als Vermögensteuer oder, wenn diese Vermögensteuer sich auf vorhandene Privatimmobilien bezieht, als Immobiliensteuer bezeichnet. Eine hohe Immobiliensteuer kann die Entscheidung, eine selbstgenutzte Wohnimmobilie zu erwerben, stark negativ beeinflussen. Eine Möglichkeit, die Immobiliensteuer von dem zu versteuernden Einkommen abzusetzen, könnte hier entgegenwirken. Einen Ausgleich zur hohen Immobiliensteuer können auch die Steuervorteile für Erhaltungsaufwendungen darstellen. Wenn die Erhaltungsaufwendungen bei der Einkommensteuer steuermindernd berücksichtigt werden, hat das dagegen eine positive Auswirkung auf die Entscheidung, eine private Wohnimmobilie zu erwerben. Außerdem wird in einigen Ländern eine Grundsteuer auf Immobilien erhoben. 3. Besteuerung bei Veräußerung der Immobilie spielt bei der Entscheidung für den Erwerb von selbstgenutztem Wohneigentum nur eine untergeordnete Rolle und wird hier daher nicht näher betrachtet. II. Steuerliche Behandlung der Kreditfinanzierung Die Besteuerung der Privatimmobilienfinanzierung ist von Land zu Land unterschiedlich. Sehr oft wird die Privatimmobilienfinanzierung steuerlich begünstigt, so dass viele Bürger sich für eine Immobilie als Geldanlageform entscheiden, um von steuerlichen Vorteilen zu profitieren. In manchen Ländern sind z. B. die Zinsen, welche man für einen Kredit zur Finanzierung von Wohnimmobilien bezahlt, vom zu versteuernden Einkommen absetzbar. Deshalb soll untersucht werden, welche steuerlichen Auswirkungen für einen Käufer die Einführung eines bisher nicht vorhandenen Bausparsystems beim Erwerb einer selbstgenutzten Immobilie haben kann.
54
RAHMENBEDINGUNGEN DER PRIVATIMMOBILIENFINANZIERUNG
3.3.2 Rechtssicherheit und Rechtsdurchsetzbarkeit Rechtsicherheit ist die Sicherheit, die durch die Gesamtheit der geltenden Rechtsvorschriften gewährleistet ist.70 Daraus folgt, dass Rechtsicherheit nur durch klare rechtliche Grundlagen geschaffen werden kann. Rechtsvorschriften müssen einheitlich definiert werden. Dabei ist auch zu vermeiden, dass Gesetze und Verordnungen unterschiedlich interpretiert werden können. Große Probleme können im Bereich der Geltendmachung von Rechten liegen, die teilweise mit langen Gerichtsverfahren verbunden sind. Die Möglichkeit einer unterschiedlichen Auslegung der vorhandenen rechtlichen Grundlagen beeinträchtigt auch den Schutz des Bauwilligen. Rechtssicherheit ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für ein effektiv funktionierendes System der Privatimmobilienfinanzierung. Ohne sie kann das Vertrauen der Bauwilligen nicht gewonnen werden. Rechtsdurchsetzbarkeit der Gesetze muss auch gegeben sein. Dies bedarf einer unabhängigen Justiz. Wenn die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen wurden, können sehr lange Gerichtswege die Durchsetzung der rechtlichen Ansprüche eines Marktteilnehmers ad absurdum führen.71
70 71
Vgl. Duden: Universalwörtebuch, 2001. Vgl. Hampel,W.: Immobilienmarkt, 2000, S. 618.
55
4. Systeme der Privatimmobilienfinanzierung Wie bereits erwähnt, kann man zwei Systeme der Privatimmobilienfinanzierung unterscheiden: Finanzierung nach dem Nach- und Vorsparprinzip. Dabei ist zu klären, welches der Systeme sich für die Russische Föderation am besten eignet.
4.1 Finanzierung durch Kredite – Nachsparprinzip Im Fall einer Finanzierung von Wohnimmobilien nach dem Nachsparprinzip findet zuerst die Vergabe eines Wohnbaudarlehens statt. Der Kreditnehmer ist dabei verpflichtet, den für den Bau eingesetzten Betrag mit Zinsen wieder zurück zuzahlen. Somit findet der Sparvorgang erst nach der Leistung der Ausgabe statt. Einerseits kommt man mit diesem Weg schneller zu einer eigenen Wohnimmobilie, andererseits beinhaltet er aber gleichzeitig ein großes Risiko, da Zinsen in diesem Fall eine sehr große Belastung für den Schuldner sein können. Bei dieser Variante handelt es sich um ein offenes Finanzierungssystem. Die Finanzierung dieser Kredite erfolgt aus der Gesamtheit der Passivgeschäfte des Instituts. Dieses Modell erfordert deshalb einen gut entwickelten Kapitalmarkt. In Russland ist diese Voraussetzung derzeit nicht gegeben.
4.2 Finanzierung nach dem Vorsparprinzip Wenn der Sparvorgang vor der Leistung der Investitionsausgabe stattfindet, spricht man von Zwecksparen.72 Zweckorientierte Eigenkapitalbildung erfolgt durch Vorsparen. Die Finanzierung einer Wohnimmobilie alleine durch Vorsparen ist nur selten möglich. Eine Teilfinanzierung durch Vorsparen wird allerdings oft verwendet. Bei der Finanzierung von Wohnimmobilien nach dem Vorsparprinzip muss zuerst ein Teil des für den Wohnungsbau benötigten Betrages angespart werden. Das Bausparsystem ist ein Beispiel dafür.
72
Vgl. Nadler, M.: Wohnungsfinanzierung, 2001, S. 45.
56
SYSTEME DER PRIVATIMMOBILIENFINANZIERUNG
Es funktioniert folgendermaßen: der Bauherr spart in regelmäßigen Raten in Abhängigkeit vom gewählten Tarif zwischen 40 und 50% der Vertragssumme. Anschließend bekommt er ein Bauspardarlehen und sein Sparguthaben ausgezahlt. Man kann zwischen offenen und geschlossenen Zwecksparsystemen unterscheiden. In einem offenen Zwecksparsystem refinanzieren sich die Kreditinstitute am Kapitalmarkt oder ändern die Zinssätze in Abhängigkeit von der Entwicklung am Kapitalmarkt. Sie haben im Vergleich zu geschlossenen Systemen einerseits flexiblere Refinanzierungsmöglichkeiten, anderseits sind sie von den Schwankungen am Kapitalmarkt abhängig. Die Zinssätze für Darlehen sind entweder variabel, oder werden nur für eine bestimmte Frist festgelegt. Solche Bausparsysteme existieren z. B. in Österreich und Frankreich. Die geschlossenen Zwecksparsysteme sind unabhängiger vom Kapitalmarkt. Die Spar- und Finanzierungsmittel bilden einen in sich geschlossenen Kreislauf, der den Entwicklungen auf dem Kapitalmarkt nicht ausgesetzt ist.73 Ein solches Bausparsystem existiert in Deutschland. Die Hauptargumente für ein Bausparsystem deutscher Prägung in Russland bestehen vor allem darin, dass bei einem Bausparsystem das Kreditausfallrisiko geringer ist, da Bauspardarlehen an bereits bekannte Kunden, welche ihre Bonität meistens über Jahre hinweg nachgewiesen haben, vergeben werden. Dies erweist sich für Russland, angesichts der später geschilderten Zwangsversteigerungsproblematik als vorteilhaft. Bei der Hypothekenkreditvergabe (bei welcher es sich um ein offenes System handelt) ist dieses Risiko wesentlich höher, da die Hypothekenbanken auch die Vergabe der gewerblichen Kredite betreiben. Des Weiteren erfordert dieses System (im Vergleich zu den anderen Systemen der Privatimmobilienfinanzierung) nicht unbedingt einen gut entwickelten Wertpapiermarkt. Außerdem bietet dieses Bausparsystem die Möglichkeit der Finanzierung von Wohnimmobilien, zu einem in der Regel günstigen, im Voraus festgelegten Zinssatz, was eine gewisse Sicherheit und Planbarkeit für die Bauherren ermöglicht. Auf das deutsche Bausparsystem wird im folgenden Kapitel näher eingegangen.
73
Vgl. Arbeitsgruppe „Global Housing Finance“: Bausparförderung, 2001, S. 6.
57
5. Das deutsche Bausparsystem Im Folgenden soll die Idee des kollektiven Bausparens, sowie die derzeitige Konzeption von Kollektiven in Form von Bausparkassen vorgestellt werden. Im Weiteren werden die bankwirtschaftlichen Elemente des Bausparens betrachtet. Die komplexe Darstellung des Bausparprozesses in Deutschland und die Identifizierung und Analyse der damit verbundenen Problemfelder sind für eine Ausarbeitung der Empfehlungen bezüglich eines Aufbaus des Bausparsystems in der Russischen Föderation notwendig.
5.1 Konzeption des deutschen Bausparsystems Zu den wesentlichen Vorteilen des Bausparsystems deutscher Prägung gehören seine • Einfachheit, • Bezahlbarkeit, • Planbarkeit, • Gerechtigkeit, • Flexibilität und • vergleichsweise geringe Anforderungen an die Entwicklung des Kapitalmarktes. Diese Charakteristiken machen das Bausparsystem für den Russischen Markt besonders attraktiv. Bei der Verwirklichung des Ziels der Beschaffung von Wohnraum - dabei ist zunächst unerheblich, ob es sich um Wohnungsbau, -kauf oder -modernisierung handelt - ist ein Bauherr allein oft nicht in der Lage, die erforderlichen Mittel, selbst aufzubringen oder sich diese auf dem Kapitalmarkt zu bezahlbaren Konditionen zu beschaffen.74 Das Bausparsystem, das auf dem Gedanken der gegenseitigen Hilfe unter den Bauherren basiert, bietet eine Gelegenheit, ein Baudarlehen zu im Voraus festgelegten, in der Regel vergleichsweise günstigen Konditionen zu erhalten. 74
Vgl. Oelsner, J-M.: Marketing, 1984, S. 24.
DAS DEUTSCHE BAUSPARSYSTEM
58
Das deutsche Bausparsystem ist - wie bereits erwähnt - ein geschlossenes System der Privatimmobilienfinanzierung. Dies bedeutet, dass alle Bauherren, die Bauspardarlehen bei der Bausparkasse erhalten, zuerst (vor der Zuteilung) die Sparer der jeweiligen Bausparkasse waren. Die Idee des kollektiven Bausparens lässt sich vereinfacht mit Hilfe eines oft verwendeten Modells wie folgt darstellen: Für dieses Modell gelten folgende Prämissen: • Das Kollektiv besteht aus 10 Teilnehmern, • Jeder Teilnehmer möchte einen Kredit für den Wohnungsbau, • Der Wert eines Hauses beträgt 10000 GE (=Bausparsumme), • Jeder Teilnehmer spart im Jahr 1000 GE. Jahr
Einzahlung
Sparsumme
Darlehen
Bestand
Wartezeit der ausbezahlten Sparer
1
10x1000 GE
10000 GE
1x10000 GE
0 GE
1
2
10x1000 GE
10000 GE
1x10000 GE
0 GE
2
3
10x1000 GE
10000 GE
1x10000 GE
0 GE
3
4
10x1000 GE
10000 GE
1x10000 GE
0 GE
4
5
10x1000 GE
10000 GE
1x10000 GE
0 GE
5
6
10x1000 GE
10000 GE
1x10000 GE
0 GE
6
7
10x1000 GE
10000 GE
1x10000 GE
0 GE
7
8
10x1000 GE
10000 GE
1x10000 GE
0 GE
8
9
10x1000 GE
10000 GE
1x10000 GE
0 GE
9
10
10x1000 GE
10000 GE
1x10000 GE
0 GE
10
Abb. 5: Entwicklung eines geschlossenen Kollektives, einfaches Modell Die durchschnittliche Wartezeit beträgt somit: 1+2+3+4+5+6+7+8+9+10 = 5,5 Jahre 10 Die Wartezeit wird somit von zehn Jahren bei Einzelsparern auf durchschnittlich 5,5 Jahre verkürzt. In dieser Verkürzung der Wartezeit liegt der Vorteil des Bausparkollektives.
DAS DEUTSCHE BAUSPARSYSTEM
59
Dieses stark vereinfachte Modell ist jedoch aufgrund der angenommenen Prämissen realitätsfremd und kann im folgenden Punkt kritisiert werden: Die Wartezeit von 5,5 Jahren in diesem Modell stellt eine rechnerisch ermittelte Durchschnittswartezeit dar. Die Personen, die die Auszahlung bereits nach einem Jahr erhalten haben, profitieren dabei am meisten, während eine Person, die ihre Spareinlagen erst nach zehn Jahren erhält, keine Vorteile hat – dies wird in der Realität nicht passieren. Um dieses Problem zu beheben und um das Bausparsystem für alle Bausparer gerecht zu gestalten, wird in folgendem Modell zusätzlich angenommen, dass jedes Jahr neue Bauherren in das Kollektiv eintreten. Die Einzahlungen werden im Kollektiv gesammelt. Sobald ein Bestand von 10000 GE vorhanden ist, wird dieser ausgeschüttet: Jahr
Neuabschlüsse
Ende Teilnehmer
Einzahlung
Zuteilung
Darlehen
Bestand
1
1
0
2
1
3
Wartezeit der ausbezahlten Sparer
1
1x1000 GE
0
0
1000 GE
0
2
2x1000 GE
0
0
3000 GE
1
0
3
3x1000 GE
0
0
6000 GE
.
.
.
.
.
.
.
.
.
5
1
0
10
10x1000 GE
1
1x10000 GE
5000 GE
5
6
1
1
10
10x1000 GE
1
1x10000 GE
5000 GE
6
Abb. 6: Entwicklung eines geschlossenen Kollektives unter Berücksichtigung, dass neue Bausparer in das Kollektiv eintreten Eine Zunahme der Teilnehmerzahl führt zu einer Verkürzung der Wartezeit. Die kürzesten Wartezeiten werden mit einem Kollektiv erreicht, bei dem sich die Kollektivgröße ständig erhöht. Bei einer Abnahme der Kollektivgröße verlängern sich dagegen die Wartezeiten. Erfolgt die Zuteilung nur unter Berücksichtigung der Reihenfolge der Eintritte ins Kollektiv, führt dies zu einer uneinheitlichen Behandlung der Kollektivteilnehmer,
60
DAS DEUTSCHE BAUSPARSYSTEM
da die Einzahlungshöhe der Bausparer nicht berücksichtigt wird. Bausparer mit niedrigen Sparraten erhalten nach Ablauf einer bestimmten Frist genauso ihre Zuteilung wie Bausparer mit hohen Sparraten. Um die Einzahlungen der einzelnen Bausparer zu berücksichtigen, sind in der Praxis verschiedene Bewertungsmethoden entstanden. Mit Hilfe dieser Berechnungsmethoden wird ein gerechter Zeitpunkt der Zuteilung für das jeweilige Kollektiv ermittelt. Dieses Bewertungverfahren ermöglicht ein flexibles Einsparschema für die Bausparer. Ein Bausparer hat dabei von Anfang an die Freiheit, auf ein Bauspardarlehen zu verzichten und nach der Annahme des Darlehens Sondertilgungen zu leisten. Diese Flexibilität erweist sich im Bezug auf die Einführung des Systems in der Russischen Föderation als besonders vorteilhaft, da dort eine vorausschauende Planung durch die instabile wirtschaftliche Lage sehr erschwert ist. Die Zeitspanne von dem Moment, an dem ein Bausparer sein Interesse bekundet, bis zum Abschluss des Bausparvertrages lässt sich in vier Phasen einteilen: Phase I: Akquisition und Vertragsabschluss, Phase II: Sparzeit (Einzahlung der Sparraten), Phase III: Zuteilung (Auszahlung der Bausparsumme), Phase IV: Darlehensphase (Rückzahlung des Darlehens). I. Akquisition Wie das Bausparprinzip zeigt, ist das Gewinnen von neuen Kunden für den Erfolg des Bausparsystems entscheidend. Die Kundenwerbung und -beratung werden deshalb seitens der Bausparkassen sehr intensiv geführt und spielen bei der Übertragung des Bausparsystems auf die Russische Föderation eine ausschlaggebende Rolle. Dies wird im Kapitel 5.3.5 und im Kapitel 7.3 näher erläutert. II. Ansparphase Mit dem Abschluss des Bausparvertrages verpflichtet sich der Bausparer zur Leistung von Zahlungen, für die er zwischen unterschiedlichen Varianten (je nach Bauspartarif75) wählen kann. Im Gegenzug erwirbt der Bausparer das Recht, nach der Zuteilung eine fixierte Bausparsumme zu beziehen.
75
Auf die Bauspartarife wird im Kapitel 5.3.5.1 näher eingegangen.
DAS DEUTSCHE BAUSPARSYSTEM
61
III. Zuteilung Sobald eine Mindestansparsumme, eine Mindestvertragsdauer und eine ausreichende Bewertungszahl erreicht sind, kann die Zuteilung erfolgen.76 Der Zeitpunkt der Zuteilung des Darlehens hängt hauptsächlich von der Entwicklung des Neugeschäftes der Bausparkasse ab und kann somit nicht genau prognostiziert werden. Im Schnitt beträgt der Zeitraum zwischen Vertragsabschluss und Zuteilung in Deutschland zwischen 8 und 9 Jahren.77 Eine verbindliche Festlegung des Zuteilungstermins ist aus Liquiditätsgründen gesetzlich untersagt.78 Dies muss auch bei der Übertragung des Bausparsystems auf die Russische Föderation beibehalten werden.79 Auch das Prinzip einer zweckmäßigen Verwendung des Bauspardarlehens erscheint bei der Übertragung des Bausparsystems auf die Russische Föderation wichtig und muss aufrechterhalten werden: Um dies zu gewährleisten, muss bei der Bausparkasse ein Antrag auf Zuteilung gestellt werden, in dem die Verwendung der Mittel genau beschrieben wird. IV. Darlehensphase Nach der Zuteilung beginnt die Darlehensphase, in welcher der Bausparer das fest und niedrig verzinste Darlehen zurückzahlt. Der Bausparer kann nur über ein Darlehen in Höhe seiner Vertragssumme verfügen (50 - 60% der Vertragssumme bei einem Standardtarif). Die Höhe der Tilgungsrate wird bei Vertragsabschluss vereinbart. Die Rückzahlung des Bauspardarlehens wird in der Regel innerhalb von ca. 12 Jahren verlangt. Eine vergleichsweise kurze Darlehensphase erscheint im Bezug auf die Übertragung des Bausparsystems auf die Russische Föderation als sehr attraktiv und käme den russischen Bürgern sehr entgegen, da diese aus ihrer Mentalitäten heraus versuchen, so schnell wie möglich wieder schuldenfrei zu sein.
76
Für die Zuteilung der Geldmittel des Bausparkollektives wurden die gesetzlichen Mindestvoraussetzungen festgelegt: Vgl. § 7 der BSpKVO; § 4 ABB der privaten Bausparkassen, § 4 ABB der Landesbausparkassen. 77 Vgl. Informationen der Bausparkasse Schwäbisch Hall. 78 Vgl. § 4 des BSpKG. 79 Nach Auskunft einer deutschen Bausparkasse (Quelle 8) wollten die russischen Partner am Anfang der Vorbereitung des Bauspargesetzes die Festschreibung des Zuteilungszeitpunktes erlauben. Eine solche Erlaubnis würde jedoch das ganze Bausparprinzip zunichte machen.
62
DAS DEUTSCHE BAUSPARSYSTEM
5.2 Die Rahmenbedingungen für das deutsche Bausparsystem In diesem Kapitel wird überprüft, ob die im Kapitel drei definierten Rahmenbedingungen in Deutschland erfüllt sind.
5.2.1 Gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen 5.2.1.1 Einstellung der Bevölkerung zum Eigentum an Privatimmobilien Das Wohneigentum besitzt in Deutschland einen sehr hohen Stellenwert. Für 80 Prozent der Deutschen stellt das Wohneigenheim ein erstrebenswertes Ziel dar. 80 Die Wohneigentumsquote ist hier in den letzten Jahren deutlich gestiegen. So wohnten Ende 2002 42,2 Prozent aller Haushalte in Deutschland mietfrei in den eigenen vier Wänden und dem zufolge 57,8 Prozent zur Miete.81 Die Wohneigentumsquote aller Haushalte hat sich damit seit 1993 von 38,7 Prozent82 um 3,5 Prozentpunkte erhöht. Die Ergebnisse der ersten „Save Studie“, die vom Deutschen Institut der Altersvorsorge mit Hilfe der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Europäischen Kommission im Jahr 2002 in Deutschland durchgeführt wurde, macht die Bedeutung selbstgenutzter Privatimmobilien für die deutsche Bevölkerung deutlich. So besteht der wichtigste Vermögensanteil der Deutschen aus selbstgenutzten Wohnimmobilien.83 Außerdem wohnen Haushalte, die über ein hohes Finanzvermögen verfügen, in der Regel in hochwertigem, privatem Wohneigentum.84Daraus kann man schließen, dass privates Wohneigentum in Deutschland zu einem Prestigesymbol geworden ist: die Bevölkerungsschicht, welche die finanzielle Möglichkeit hat, eine Wohnimmobilie zu erwerben, nimmt diese in der Regel auch wahr. Die Ergebnisse der „Save Studie“ bestätigen die im ersten Kapitel gemachte Annahme, dass das Sparen der Haushalte für ein privates Eigenheim mit dem Alter und der Höhe des Einkommens korreliert. So sparen deutlich mehr jüngere (44,8%) und vor allem reichere Haushalte (51,3%) für ein Eigenheim (siehe Abb. 7). 80
Vgl. Breuer, M.: Bausparjahr, 2003, S. 798. Statistisches Bundesamt, Mikrozensus-Zusatzerhebung 2002, Tab. 20. 82 Vgl. o.V.: Wohnungsmärkte, 2004, S. 80. 83 Vgl. Börsch-Supan, A./Essig, L.: Sparen, 2002, S. 53. 84 Vgl. ebenda, S. 53. 81
DAS DEUTSCHE BAUSPARSYSTEM
Wichtigkeitsgrad
Altersklassen
63
Einkommensklassen
unter 35 Jahre
35-55 Jahre
über 55 Jahre
unter 2500 €
2500-5000 €
Über 5000 €
unwichtig
26,4
48,3
55,6
54,2
44,1
31,8
indifferent
28,8
18,6
10,2
23,9
20,1
16,9
wichtig
44,8
33,1
34,3
21,9
35,8
51,3
Abb. 7: Sparmotiv für ein Eigenheim nach Alter und Einkommen85 Demzufolge steigt die Wohneigentumsquote mit dem Alter des Haushaltsvorstandes: So liegt die Wohneigentumsquote in Haushalten, in denen der Haushaltsvorstand zwischen 30 und 59 Jahre alt ist, bei 42,7%, bei den unter 30-jährigen dagegen nur bei 7,8% (siehe Abb. 8). Alter
Eigentümer in %
Wohnen zur Miete in %
Unter 30 Jahren
7,2
92,8
30 - 59 Jahren
43,2
56,8
60 Jahre und mehr
50,1
49,9
Abb. 8: Haushalte nach Alter des Haushaltsvorstandes und Art der Nutzung von Wohneinheit in Deutschland im Jahre 200286 Als weiterer Faktor, der bei der Einstellung zum Sparen für privates Wohneigentum in Deutschland eine große Rolle spielt, kann die Haushaltsgröße genannt werden. Große Familien erwerben typischerweise häufiger Wohneigentum, als Einfamilienhaushalte (vgl. Abb. 9):
85 86
Vgl. Börsch-Supan, A./Essig, L.: Sparen, 2002, S. 74. Vgl. Statistisches Bundesamt Deutschland, Mikrozensus-Zusatzerhebung 2002, Tab. 20.
DAS DEUTSCHE BAUSPARSYSTEM
64
Haushaltsgröße
Eigentümer in %
Wohnen zur Miete in %
1 Person
25,3
74,7
2 Personen
48,5
51,5
3 und mehr Personen
55,9
44,1
Alle Haushalte
42,2
57,8
Abb. 9: Haushalte nach Haushaltsgröße und Art der Nutzung der Wohneinheit im Jahre 200287 Auch die These, dass die Einstellung zum privaten Wohneigentum von der sozialen Lage und der Grundorientierung abhängt, wurde mit den Ergebnissen der o. g. „Save Studie“ belegt. Dabei wurden die Befragten in Abhängigkeit von ihren Werteinstellungen sowie anderen sozialen Merkmalen, wie Arbeit, Familie und Bildung in homogene Gruppen aufgeteilt. Jede Gruppe hat einer privaten Wohnimmobilie unterschiedlich hohe Bedeutung zugeschrieben. So stuften z. B. 46% der Befragten der Gruppe des „gesellschaftlichen Leitmilieus“88 (zu der 28% der Befragten zugeordnet wurden) das Sparen für das private Eigenheim als sehr wichtig ein. In der Gruppe des „Hedonistischen Milieus“89 sind dagegen die Sparenden für eine Wohnimmobilie nur mit 36% vertreten.90 Außerdem haben die Längsschnittanalysen ergeben, dass bei Wohneigentumsbildung eine sog. „erbliche Veranlagung“ besteht: „Wer in Wohneigentum aufwuchs, hat eine um 60% erhöhte Übergangsrate zu Wohneigentum gegenüber jenen, die in einer Mietwohnung aufwuchsen.“91 (Diese Abhängigkeit ist in Bezug auf eine Analyse in der Russischen Föderation weniger hilfreich, da dort die meisten erwachsenen Bürger nicht im Wohneigentum aufwuchsen). Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Einstellung zum privaten Wohneigentum in Deutschland überwiegend positiv ist, was deutlich zur erfolgreichen Entwicklung des Bausparens beigetragen hat. Die im ersten Kapitel gemachte Annahme von Faktoren, die auf die Einstellung der Bevölkerung zum Eigentum eine 87
Vgl. Statistisches Bundesamt Deutschland, Mikrozensus-Zusatzerhebung 2002, Tab. 20. entspricht der Oberschicht und der oberen Mittelschicht der Gesellschaft: gekennzeichnet durch „Erfolgs-Ethik und Machbarkeitsdenken“. Im Detail siehe die Beschreibung dieser Gruppe in: Börsch-Supan, A./Essig, L.: Sparen, 2002, S. 60-62. 89 Die Menschen, die dieser Gruppe angehören, leben in Widersprüchen, modern und spaßorientiert. Vgl. Börsch-Supan; A./Essig, L.: Sparen, 2002, S. 61. 90 ebenda, S. 74. 91 Kurz, K., Ungleichheiten,1999, S. 29. 88
DAS DEUTSCHE BAUSPARSYSTEM
65
Rolle spielen, haben zum größten Teil am Beispiel Deutschland ihre Bestätigung gefunden. 5.2.1.2 Sparverhalten der Bevölkerung in Deutschland Als freiwilliges Sparen hängt das Bausparen von dem verfügbaren Einkommen und der Sparneigung ab. Die Erfahrungen der Vergangenheit in Deutschland haben jedoch gezeigt, dass zwischen einer allgemeinen Ersparnisbildung (Sparquote) und dem Sparen für eine private Wohnimmobilie differenziert werden muss. Als Beispiel dafür dienen die Zahlen der Jahre 1993 und 2002. Während die Ersparnisbildung der privaten Haushalte 1993 um 1,6 v.H. sank, nahmen die an Bausparkassen geleisteten Sparbeiträge um 6,15 v.H zu.92 Während die Veränderung des verfügbaren Einkommens eine wichtige Einflussgröße ist, besitzt die Veränderung der Ersparnisbildung für das Bauspargeschäft eine geringere Bedeutung. Dieser Zusammenhang kann auch statistisch mittels Korrelationskoeffizient belegt werden. Obwohl in den Neunziger Jahren Sparfähigkeit und Sparbereitschaft in Deutschland insgesamt deutlich nachließen, nahm jedoch gleichzeitig der Immobilienerwerb zu. Die teilweise zuwanderungsbedingte Wohnraumverknappung und die daraus resultierenden Mietsteigerungen hatten einen starken Anreiz auf die Anschaffung einer Wohnimmobilie.93 Aus diesem Grund ist es wichtig, die Motive und Ziele des Sparens zu erfahren. Im Auftrag des Verbandes der Privaten Bausparkassen hat das EMNID- Institut in Bielefeld im September 2002 die 16. Umfrage zum Sparverhalten der Bundesbürger in Deutschland durchgeführt. 2000 Bundesbürger im Alter von über 14 Jahren wurden zum Thema „Sparen“ telefonisch befragt. Die Ergebnisse dieser Befragung zeigen, dass ca. 51 % der Bevölkerung im Jahre 2002 für einen bestimmten Zweck sparen. In der Abb. 10 sind die Ergebnisse der Befragungen für den Zeitraum 1997 - 2002 dargestellt:
92 93
Sparer
Nicht Sparer
1/1997
57,4
41,1
1/1998
54,4
44,3
2/1998
56,7
42,6
Vgl. Deutsche Bundesbank: Monatsbericht Januar 1999, S. 33. Vgl. ebenda, S. 37.
DAS DEUTSCHE BAUSPARSYSTEM
66
3/1998
54,9
44,5
1/1999
59,5
39,8
2/1999
53,7
44,8
3/1999
54,1
44,7
1/2000
54,2
45,0
2/2000
55,7
44,0
3/2000
55,3
44,2
1/2001
57,5
42,0
2/2001
55,1
44,4
3/2001
52,7
46,8
1/2002
57,3
42,5
2/2002
51,2
47,9
3/2002
51,4
48,4
Abb. 10: Sparverhalten der deutschen Bevölkerung94 Bei Sparern ergab sich folgende Verteilung der wichtigsten Sparziele (Anteile in %). Die Summe dieser Anteile ergibt mehr als 100%, da zum Teil mehrere Sparziele angegeben wurden. Sparziel
03/02 2/01 1/01 3/00 2/00 1/00 3/99 2/99 1/99 2/98 1/98
Altersvorsorge
59,5
54,7 57,7
60,0 58,1 55,9
45,4 36,4 45,3
50,4 44,7
Konsum, Anschaffungen
60,3
51,4 52,1
47,9 41,2 40,7
38,0 43,9 49,9
43,1 38,4
Erwerb, Renovierung von Wohneigentum
52,4
50,8
41,4 32,2 35,4
28,1 27,9 33,2
31,5 32,8
Kapitalanlage
43,6
43,5 43,9
31,8 22,5 20,9
18,4 10,7 21,4
19,6 16,2
Notgroschen
4,6
4,4
3,3
4,2
4,8
4,3
2,7
3,7
5,7
5,2
4,6
Ausbildung der Kinder
4,4
4,0
3,6
3,1
4,7
3,7
1,8
3,0
3,8
3,4
2,6
Sonstiges
4,4
4,3
3,7
4,0
3,6
2,4
3,0
4,4
4,1
3,7
4,0
46
Abb. 11: Sparziele der deutschen Bevölkerung95 94
Die Befragungen wurden nach Auskunft des Verbandes der Privaten Bausparkassen drei Mal im Jahr, jeweils im März, Juni und September durchgeführt. Verband der Privaten Bausparkassen: Sparklima, 2002, in: URL, siehe Literaturverzeichnis.
DAS DEUTSCHE BAUSPARSYSTEM
67
Das Sparmotiv „Wohneigentum“ hat im letzten Jahr bei den Sparern mit 52,4% noch an Bedeutung gewonnen. Der Wert ist mehr als doppelt so hoch wie zu Beginn der Befragungen im Jahr 1997. Auf die Frage hinsichtlich des künftigen Sparverhaltens haben sich die folgenden Resultate ergeben (Anteile in %): Sparziel
2/01 1/01 3/00 2/00 1/00 3/99 2/99 1/99 3/98 2/98 1/98 1/97
Mehr
8,7
9,0
Weniger
15,5
12,2 14,9 13,7
Etwa gleich viel
69,2
Weiß nicht und keine 6,5 Eingabe
9,2
10,3
10,6 10,3
10,8 12,5 13,0
12,2 13,9 15,4
14,6 15,3
71,6 69,9 71,3
71,1 69,3 69,9
70,3 69,9 66,6
65,0 63,3
7,2
7,1
7,4
9,8
5,3
7,9
7,0
11,0 8,8
9,2
8,6
8,5
10,2 7,7
8,6
7,7
11,0
Abb. 12: Künftige Sparverhalten der deutschen Bevölkerung96 Der Anteil von 14 % der Befragten aus der Gruppe derjenigen, die künftig mehr sparen wollen, haben als Grund für dieses Mehrsparen „Immobilienerwerb und Modernisierung“ angegeben.97 Diese Ergebnisse über das Sparverhalten der Bevölkerung in Deutschland in Bezug auf das Sparen für eine Privatimmobilie werden im Kapitel 6. mit den Ergebnissen in der Russischen Föderation verglichen. 5.2.1.3 Politische Stabilität und Privatimmobilienfinanzierung Die Privatimmobilienfinanzierung in Deutschland wurde kontinuierlich sozialpolitisch unterstützt. Die politische Situation in Deutschland ist als stabil zu bezeichnen und stellt somit derzeit kein Hindernis für die Privatimmobilienfinanzierung dar.
95
Verband der Privaten Bausparkassen: Sparklima, 2002, in: URL, siehe Literaturverzeichnis. ebenda, 2002, in: URL, siehe Literaturverzeichnis. 97 ebenda, 2002, in: URL, siehe Literaturverzeichnis. 96
68
DAS DEUTSCHE BAUSPARSYSTEM
5.2.1.4 Die Rolle der staatlichen Förderung der Privatimmobilienfinanzierung für die Entwicklung des Bausparens Im Hinblick auf die Einführung des Bausparsystems in der Russischen Föderation stellt sich als nächstes die Frage, ob eine staatliche Bausparförderung dabei notwendig ist und falls ja, welche Förderungsform dabei am effektivsten erscheint. Die staatliche Unterstützung der Privatimmobilienfinanzierung kann verschiedene Ausprägungen haben. Dabei lassen sich zwei Grundformen unterscheiden: die Vorsparförderung (die Förderung vor einem Eintritt in die Finanzierung) und Nachsparförderung (Förderung nach einem Eintritt in die Finanzierung). Die Vorsparförderung bezieht sich in der Regel auf Sparleistungen, die zum Bau oder zum Erwerb einer Immobilie verwendet werden sollen. Das beinhaltet die Begünstigungen einer systematischen Ansammlung von Eigenkapital vor dem Eigentumserwerb, insbesondere die Förderung des Bausparens. Die Nachsparförderung umfasst in der Regel die Absetzbarkeit der Schuldzinsen vom zu versteuerndem Einkommen (oder der Steuerschuld), Abschreibungen der gebauten oder erworbenen Immobilie, sowie direkte Zuschüsse nach dem Erwerb einer Immobilie. So wird z. B. in Großbritannien zur Förderung des Wohneigentums der steuerliche Schuldzinsabzug benutzt. Dem Bürger wird also die Möglichkeit eingeräumt, einen Teil seiner Schuldzinsen (z. Z. für ein Darlehen von 30 000 Pfund) von seiner Steuerschuld abzuziehen.98 Die Förderung wird in der Regel bis zu einer festgelegten Einkommensgrenze durchgeführt, damit nur die sozialen Schichten der Bevölkerung gefördert werden, für die es unbedingt notwendig ist. Die Förderung der Privatimmobilienfinanzierung in Deutschland erfolgte bereits seit 1934. Zuerst im Form eines steuerlichen Sonderausgabenabzuges.99 Zurzeit wird in Deutschland die Vor- und Nachsparförderung angewandt. Vorsparförderung 1) Zu der Vorsparförderung gehört die Förderung mittels Wohnungsbauprämien (WOP). Diese sind durch das Wohnungsbauprämien-Gesetz (gilt seit 1952) reglementiert. Diese Art der Förderung bezieht sich speziell auf das Bausparen. „Die Begünstigung des Bausparens nach dem kollektiven Sparsystem dient gezielt der marktmäßigen Gewinnung nachrangiger Finanzierungsmittel für private Bauzwecke verschiedener Art“.100 Nach dem derzeitigen Rechtsstand beträgt die Woh98
Europäische Bausparkassenvereinigung: Bausparen, 2001, in:URL, siehe Literaturverzeichnis. Vgl. Badde, C.: Landesbausparkassen, 2004, S. 210. 100 Vgl. §2, Abs. 1., Fünftes Vermögensbildungsgesetz. 99
DAS DEUTSCHE BAUSPARSYSTEM
69
nungsprämie 8,8 % der prämienberechtigten Beträge, soweit sie die Bausparsumme nicht übersteigen. Die Prämie ergibt maximal 512 Euro pro Jahr für Alleinstehende und 1024 Euro für Verheiratete. Diese begünstigten Höchstbeträge gelten seit 1. Januar 1996 (zuvor waren es jeweils 800 und 1600 DM gemäß Vermögensbildungsgesetz). Prämienberechtigt sind Sparzahlungen der Bausparer, sowie Guthabenzinsen und Bonusse zu dem Zeitpunkt, in dem sie dem Bausparguthaben zugerechnet werden. Die prämienbegünstigten Leistungen des einzelnen Bausparers müssen mindestens 50 Euro jährlich betragen und das zu versteuernde jährliche Einkommen darf 25600 Euro für Alleinstehende und 51200 Euro für Verheiratete nicht überschreiten.101 2) Eine weitere Form der Vorsparförderung in Deutschland ist die Förderung der Arbeitnehmer durch vermögenswirksame Leistungen. (Diese Regelung richtet sich nach dem 5. Vermögensbildungsgesetz). Die Förderung besteht in Arbeitnehmer-Sparzulagen in Höhe von 9% für vermögenswirksame Leistungen von bis zu 470 Euro pro Arbeitnehmer und Kalenderjahr. Der Arbeitnehmer, der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit im Sinne des § 19 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes bezieht, erhält Anspruch auf eine Sparzulage nach Absatz 2, wenn sein Einkommen die Einkommensgrenze nicht überschreitet. Diese Einkommensgrenze beträgt 17.900 Euro oder bei einer Zusammenveranlagung von Ehegatten nach § 26b des Einkommensteuergesetzes 35.800 Euro. Maßgeblich ist das zu versteuernde Einkommen nach § 2 Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes in dem Kalenderjahr, in dem die vermögenswirksamen Leistungen angelegt worden sind.102 Nachsparförderung Neben der Eigenkapitalbildung wird vom Staat auch die Bildung von Wohneigentum während der Finanzierungsphase gefördert. Mit Beginn des Jahres 1996 trat in Deutschland eine neue Regelung bezüglich der Eigenheimzulage in Kraft (Eigenheimzulagegesetz 1996). Sie fördert generell den Erwerb von Privatimmobilien, Anbauten und Erweiterungsmaßnahmen. Dabei ist unerheblich, ob ein Immobilienobjekt über eine Bausparkasse, eine Hypothekenbank, ein sonstiges Kreditinstitut oder anderweitig finanziert wird. Die Förderung wird ab dem Zeitpunkt des Kaufs des Immobilienobjektes berechnet. Nach dieser Verordnung wurde der private Bauherr für den Erwerb eines Neubaus acht Jahre lang mit einem Betrag in Höhe von 5% der Anschaffungs-/Herstellungskosten (einschließlich Grund und Boden) jährlich gefördert (bis maximal 2556 Euro). Beim Erwerb eines Altbaus betrug die Förderung 2,5% (bis maximal 1278 Euro). Für jedes Kind erhöhte sich der Beitrag pro Jahr um 767 Euro. 101
Bausparverträge mit WoP begünstigten Leistungen unterliegen einer Bindungsfrist von 7 Jahren. 102 Vgl. §13 Fünftes Vermögensbildungsgesetz.
70
DAS DEUTSCHE BAUSPARSYSTEM
Diese Zulage ist auch an Einkommensgrenzen103 gebunden (wobei diese Grenze höher liegt, als bei den bereits geschilderten Förderungsarten). Sie kann nur von Alleinstehenden mit einem Einkommen von maximal 81 807 Euro für die letzten zwei Jahre, bzw. Verheirateten mit einem Einkommen von 163 614 Euro (genauso in den letzten zwei Jahren) in Anspruch genommen werden. Pro Kind wird die Einkommensgrenze um 30 678 Euro erhöht.104 Diese Förderung hat maßgeblich sowohl zum Erfolg des Bausparens in den letzten Jahren, als auch zur Erhöhung der Wohneigentumsquote in Deutschland beigetragen. Seit 01.01.2004 wurde diese Förderung vor allem aus haushaltspolitischen Gründen gekürzt: die Förderung sowohl für Neubauten als auch für Bestandserwerb beträgt jährlich 1% der Bemessungsgrundlage, maximal jedoch 1250 Euro pro Jahr, ihre Dauer verblieb bei 8 Jahren. Altbauten und Erweiterungen werden nach dem neuen Gesetz nicht mehr gefördert. Die Kinderzulage wurde auf 800 Euro erhöht. Die Einkommensgrenzen wurden auf 70 000/140 000 Euro (Ledige/Verheiratete) im Zweijahresraum (mit einer Erhöhung pro Kind um 30 000 Euro) abgesenkt. Derzeit wird über einen Wegfall der Eigenheimzulage diskutiert. Die Auswirkungen eines Wegfalls der Eigenheimzulage auf das Geschäft der Bausparkassen sind nach Meinung der Experten eher gering, da die potenziellen Bauherren dann erst recht vorsparen müssten, wovon das Bausparsystem profitieren könnte.105 Dies ist jedoch ein eigenes Thema und wird deshalb im Rahmen dieser Arbeit nicht näher behandelt. Im Hinblick auf das Bausparen erweist sich die Förderung in der Vorsparphase als eine effektivere Förderungsart. Gegenüber der Förderung in der Nachsparphase verfügt die Vorsparförderung über folgende Vorteile: 1. Der Anteil des Eigenkapitals bei der Immobilienfinanzierung wird mit der Hilfe der Vorsparförderung erhöht. So wird die Höhe des erforderlichen Kredits und auch die Höhe der zukünftigen finanziellen Belastung der Bauherren reduziert. 2. Niedrige Finanzierungsvolumina beinhalten auch geringere Zinsänderungsrisiken, so dass die Wahrscheinlichkeit, dass eine Finanzierung durch Zinsänderung misslingt, deutlich kleiner ist. 3. Die Vorsparförderung erzeugt einen disziplinierenden Effekt auf den Bausparer. Der Sparwille wird auf ein konkretes Ziel gerichtet. Das Vorsparen prägt
103
Festlegung der Einkünfte erfolgt nach § 2 Abs. 2 EStG, die negativen Einkünfte können seit 01.01.2004 nicht mehr berücksichtigt werden. 104 § 5 Eigenheimzulagegesetz. 105 Quelle 2.
DAS DEUTSCHE BAUSPARSYSTEM
71
einen regelmäßigen Konsumverzicht, der in der Rückzahlungsphase von großem Vorteil ist. Als weiteres Argument für eine Vorsparförderung ist die hohe Wirtschaftlichkeit dieser Förderungsmethode zu nennen. Mit einem relativ geringen Aufwand (ca. 500 Mio. Euro pro Jahr) werden mindestens 5 Mrd. Euro pro Jahr stimuliert. 106 80 bis 90% dieser Bausparleistungen erzielen eine Gesamtwirkung auf dem Wohnungsmarkt in Höhe von 17,8 Mrd. Euro pro Jahr, das 35fache der ursprünglichen Wohnungsbauprämie.107 Die Bedeutung der staatlichen Förderung beim Bausparen lässt sich an einem Beispiel verdeutlichen: Laut letzter Umfrage unter den Bausparkunden schließen 18% von ihnen einen Bausparvertrag ab, weil sie für diesen Vertrag eine Förderung erhalten.108 Allerdings erfordert das Bausparsystem nicht zwangsläufig eine staatliche Förderung, es kann vom Prinzip her auch ohne staatliche Förderung funktionieren. Der Erfolg des Bausparens als Massengeschäft hängt jedoch im Wesentlichen von der Entwicklung des Neugeschäftes ab. Seine Förderung bietet einen Anreiz für den Abschluss eines Bausparvertrages und macht somit die Akquisition neuer Kunden aussichtsreicher109 , was auch bei einer Übertragung des Bausparsystems auf die Russische Föderation zu berücksichtigen wäre.
106
Breuer, M.: Bausparjahr, 2003, S. 799. ebenda, S. 799. 108 o.V. Kundenzufriedenheitsmonitoring, 2004, Bausparkasse Schwäbisch Hall. 109 Vgl. auch Börsch-Supan, A./Stahl, K.: Savings, 1991, S. 295 f. 107
DAS DEUTSCHE BAUSPARSYSTEM
72
5.2.2 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen und Privatimmobilienfinanzierung 5.2.2.1 Währungsstabilität Die Währung in Deutschland erweist sich in den letzten 10 Jahren als stabil. Die Inflationsrate bewegte sich zwischen 0,6 und 2,5% im Jahr. Das zeigt die folgende Abbildung: Jahr
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
%
1,7
1,4
1,9
0,9
0,6
1,9
2,5
1,3
1,6
Abb. 13: Inflationsrate in % in Deutschland110 Ende der Zwanziger Jahre herrschte in Deutschland eine hohe Inflation. Zu diesen Zeiten verschwanden viele Bausparkassen vom deutschen Markt. Das bestätigt die These, dass ein Bausparsystem bei einer hohen Inflation kaum funktionieren kann. Dies soll bei der Übertragung des Bausparsystems auf die Russische Föderation beachtet werden. 5.2.2.2 Einkommensverhältnisse Wie dargestellt, spielen die Einkommensverhältnisse eine ausschlaggebende Rolle für eine Privatimmobilienfinanzierung. Es geht dabei vor allem darum, ob eine Privatimmobilienfinanzierung aufgrund der Einkommenssituation gewagt werden kann. Die Relation zwischen dem Einkommen und den Immobilienpreisen ist dabei entscheidend. In diesem Abschnitt wird ermittelt, welche Relation zwischen dem Einkommen der Bevölkerung und den Wohnimmobilienpreisen in Deutschland existiert. Diese Daten werden für einen späteren Vergleich mit der Russischen Föderation verwendet. Da der Aufbau der relevanten statistischen Daten in der Russischen Föderation und in Deutschland unterschiedlich ist, erfolgte die Auswahl der Parameter so, dass eine spätere Gegenüberstellung der Ergebnisse möglich ist. Die Berechnung der „house price to income ratio“ ist eine der verbreitesten Methoden, um die Erschwinglichkeit der Wohnimmobilie in einem Land zu messen.
110
Quelle: Unece Statistical Division, 2004, in: URL, siehe Literaturverzeichnis.
DAS DEUTSCHE BAUSPARSYSTEM
73
Der Koeffizient im Bereich zwischen 3 und 5 wird dabei als „normal“ angesehen.111 Zuerst wird das Verhältnis zwischen dem jährlichen Durchschnittseinkommen eines Haushaltes und dem Durchschnittspreis für einen Quadratmeter Wohnfläche berechnet. Bei der Berechnung des Preises einer Durchschnittswohnung (DW)112 wird die durchschnittliche Haushaltsgröße mit der durchschnittlichen Pro-KopfWohnfläche multipliziert. Daraus ergibt sich eine durchschnittliche Wohnfläche in Höhe von ca. 88,5 m2 (41,6 m2 113 x 2,13114). Danach wird ermittelt, wie viele Quadratmeter Wohnfläche sich ein Haushalt jährlich leisten kann, wenn er sein ganzes Einkommen für Wohneigentum ausgeben würde:
Durchschnittseinkommen /Person ș Haushalt ș E pro Haushalt 2
ș P für m in einer Eigentumswohnung ș P einer DW (88.5 m2) ș P eines Reihenhauses ș P eines Einfamilienhauses ș P einer DW/ Haushaltseinkommen p. a. ș P eines Reihenhauses/ Haushaltseinkommen p. a ș P eines Einzelhauses/Haushaltseinkommen p.a. ș E Jahreseinkommen eines Haushaltes/Preis für einen 2 m Wohnfläche
ME115
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
Euro/ Jahr
14581
14961
15476
15944
16505
16552
16700
2.2 32078
2.18 32615
2.19 33892
2.16 34439
2.15 35486
2.14 35421
2.13 35571
Euro/m
1846
1812
1777
1725
1694
1666
1608
Euro/ SW Euro/ Haus Euro/ Haus Jahre
163371
160362
157265
152663
149919
147441
142308
241000
240000
244000
246000
247000
245000
234000
344000
345000
348000
354000
358000
355000
343000
5.09
4.92
4.64
4.43
4.22
4.16
4.0
Jahre
7.51
7.36
7.20
7.14
6.96
6.92
6.58
Jahre
10.72
10.58
10.27
10.28
10.09
10.02
9.64
2
17.38
18.00
19.07
19.96
20.95
21.26
22.12
Euro/ Jahr 2
m /Jahr
Abb. 14: Erschwinglichkeit einer Wohnung in Deutschland116. 111
Vgl. Flood, J.: Analysis, 2004, in: URL, siehe Literaturverzeichnis. Unter einer Durchschnittswohnung wird hier eine Wohnung mit durchschnittlicher Wohnfläche zu einem durchschnittlichen Preis im jeweiligen Land verstanden. 113 o.V.: Wohnungsmärkte, 2004, S. 57. 114 Quelle: Statistisches Bundesamt, GENESIS Online Datenbank. 115 Maßeinheit. 112
74
DAS DEUTSCHE BAUSPARSYSTEM
Aus diesen Berechnungen geht hervor, dass ein durchschnittlicher Haushalt für eine Standardwohnung 4 Jahre zum Sparen bräuchte, wenn er keine weiteren Ausgaben mehr hätte. Für ein Reihenhaus beträgt dieser Koeffizient im Jahr 2003 6,58 Jahre und für ein Einzelhaus 9,64 Jahre. Würde ein Durchschnittshaushalt das gesamte Jahreseinkommen dazu verwenden, Wohnfläche zu erwerben, würde er dafür 22,12 m2 erhalten, was recht wenig ist. Der Grund dafür sind die vergleichsweise hohen Preise für die Wohnimmobilie. Mit einem solchen Preis/Einkommensverhältnis ist ein Bausparsystem - wie die Erfahrung gezeigt hat – trotzdem funktionsfähig. Die Einkommensverhältnisse in Deutschland sind von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Eine Analyse dieser Relationen pro Bundesland erscheint jedoch problematisch, da die Wohnimmobilienpreise nach Auskunft der Statistischen Ämter auf Bundeslandebene nicht ermittelt werden. Hier kann nur auf die Daten des Rings Deutscher Makler117 zurückgegriffen werden. Dieser ermittelt allerdings die Preise auf der Basis von Großstädten. Auf eine Analyse der Preis-Einkommens-Verhältnisse in Deutschland auf regionalen Ebene wird in dieser Arbeit jedoch verzichtet, da die auf der Ebene der Bundesrepublik ermittelten Daten ausreichende Anhaltspunkte für einen späteren Vergleich mit der Russischen Föderation liefern. 5.2.2.3 Der Markt für private Wohnimmobilien 5.2.2.3.1 Angebot und Nachfrage auf dem Markt für private Wohnimmobilien Die Nachfrage nach einer Wohnimmobilie war in den letzten zehn Jahren rückläufig. Dafür können folgende Gründe genannt werden: - Andere Geldanlageformen wurden in letzter Zeit bevorzugt: z. B. Anlagen auf dem Wertpapiermarkt, - Eine gewisse Instabilität auf dem Arbeitsmarkt und hohe Arbeitslosigkeit schafften eine Unsicherheit und hemmten demzufolge die Nachfrage nach privatem Wohneigentum; - Das heutige Mietrecht, welches einen hohen Schutz für die Mieter vorsieht. Es entstand mit der Regelung des Wohnraummangels in der Nach-
Eigene Berechnungen auf der Basis der Informationen vom Statistischen Bundesamt und Auswertungen des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung auf Basis der RDMImmobilienpreisspiegel. 117 Vgl. z. B.: Ring Deutscher Makler: RDM-Immobilienmarktbericht, 2003, o. S. 116
DAS DEUTSCHE BAUSPARSYSTEM
75
kriegszeit.118Diese erhebliche Freiheitseinschränkung der Vermieter durch staatliche Vorschriften wird von vielen Ökonomen und Juristen als schädlich bezeichnet, da sie das Bauen unattraktiver macht. 119 Eine Lockerung des Mieterschutzes würde zu einer steigenden Nachfrage nach Wohnimmobilien in Deutschland führen. - Hohe Preise für die Wohnimmobilien, die sowohl auf knappes Bauland (und daraus resultierende hohe Preise für Grund und Boden), als auch auf hohe Baukosten (die vor allem durch hohe Stundenlöhne im Baugewerbe nach oben getrieben werden), zurückzuführen sind.120 Als Folge der gesunkenen Nachfrage auf dem Markt sanken auch die Preise für private Wohnimmobilien. So verzeichnete man einen realen Preisrückgang für die Wohnimmobilien um 0,6% im Zeitraum von 1998 - 2002 und um 0,8% im Jahre 2003.121 Durch Ermittlung der Mittelwerte wird jedoch die Situation auf den regionalen Immobilienmärkten nicht wiedergegeben. So muss bei der Nachfrage nach der Wohnimmobilie nach Regionen differenziert werden. Die höchsten Immobilienumsätze entfallen in Deutschland auf die Ballungsgebiete. In diesen Regionen übersteigt die Nachfrage nach Privatimmobilien weiterhin das Angebot. Besonders hoch ist dabei die Nachfrage nach Einfamilienhäusern, wo z. T. sogar Angebotsdefizite bestehen. Die Nachfrage nach Eigentumswohnungen hingegen ist insgesamt gesunken. Ein bedeutendes Hindernis auf dem Immobilienmarkt stellen Transaktionkosten dar.122 Diese bestehen sowohl aus direkten Kosten (Grunderwerbsteuer, Notargebühren, Bankgebühren, etc.) als auch aus Kosten für die Informationsbeschaffung (dazu gehören Maklerprovisionen, sonstige Kosten für die Wohnungssuche, usw.). Insgesamt werden die Transaktionskosten in Deutschland auf ca. 10% des Anschaffungspreises einer Immobilie geschätzt.123 Diese machen den Erwerb einer Immobilie zu einer Investition, die sich nur langfristig auszahlt. Um die Nachfrage nach privaten Wohnimmobilien zu erhöhen, müssten die Transaktionskosten gesenkt werden. 118
Die vereinbarten Vertragsinhalte sind von einer zusätzlichen Inhaltskontrolle durch das Mietrecht abhängig und können demzufolge nichtig sein. - Vgl. BGB, §535 ff. 119 Vgl. o.V.: Plädoyer,1997, S. 14. 120 wobei regional allerdings sehr große Unterschiede bestehen 121 Vgl. o.V.: Preise, 2003, S 600. 122 Vgl. Ein häufiger Grund dafür, dass sich 70% der Einpersonen-Haushalte in Miet-, statt in Eingentumsverhältnissen befinden, sind laut einer Befragung der LBS West die hohen Transaktionskosten. Vgl. Badde, C.: Landesbausparkassen, 2004, S. 210. 123 Vgl. o.V.: Möglichkeit, 2003, S. 44.
DAS DEUTSCHE BAUSPARSYSTEM
76
5.2.2.3.2 Bau- und Baulandpreise Die Preise für eine Wohnimmobilie werden stark durch Bau- und Baulandpreise beeinflusst (insbesondere auf dem Primärmarkt für Wohnimmobilien). Die Baulandpreise sind in den 90er Jahren stark gestiegen. Seit dem Jahr 2000 steigen die Baulandpreise nur geringfügig an. Im Bundesdurchschnitt liegen die Preissteigerungen für Baulandpreise sogar unter dem Anstieg der Lebenshaltungskosten. Auch bei den Baulandpreisen ist ein deutlicher regionaler Unterschied festzustellen: So liegt der Preis für Bauland in Ostdeutschland bei 67 Euro für 1 m2, in Westdeutschland bei 140 Euro/m2 124 (vgl. Abb. 15). Bundesländer Schleswig-Holstein Niedersachsen Bremen Nordrhein-Westfalen Hessen Rheinland-Pfalz Baden-Württemberg Bayern Saarland Berlin Brandenburg Mecklenburg-Vorpommern Sachsen Sachsen-Anhalt Thüringen
ME EUR/m2 EUR/m2 EUR/m2 EUR/m2 EUR/m2 EUR/m2 EUR/m2 EUR/m2 EUR/m2 EUR/m2 EUR/m2 EUR/m2 EUR/m2 EUR/m2 EUR/m2
2001 46.61 45.15 81.6 77.9 85.71 42.65 117.32 94 32.72 236.84 40.33 17.95 27.55 23.49 23.15
1996 33.48 37.98 68.69 63.36 78.04 36.48 102.64 84.24 48.13 388.75 46.34 19.05 17.76 21.98 20.42
Abb. 15: Statistik der durchschnittlichen Kaufwerte für Bauland125 Auch die Baukosten unterscheiden sich stark zwischen den Regionen. Die durchschnittlich kalkulierten Baukosten lagen 2002 bei 1250 Euro pro einen Quadratmeter Wohnfläche.126
124
Vgl. o.V.: Wohnungsmärkte, 2004, S. 4. Quelle: Statistisches Bundesamt, GENESIS Online Datenbank. 126 Vgl. o.V.: Wohnungsmärkte, Bonn 2004, S. 31. 125
DAS DEUTSCHE BAUSPARSYSTEM
77
5.2.2.3.3 Mietpreise Als Indikator für die Entwicklung der Mieten in Deutschland kann der vom Statistischen Bundesamt ermittelte „Mietenindex“ verwendet werden. Dieser liefert die Durchschnittsergebnisse für das gesamte Bundesgebiet und zeigt die Änderung der Mieten im Gesamtbestand aller Wohnungen auf. So ist der Mietenindex der Nettokaltmiete in den letzten 5 Jahren lediglich um 1% bis 1,4% gestiegen, was eine deutliche Preisstabilisierung auf dem Mietwohnungsmarkt erkennen lässt. Bundesweit lagen die Mieten im Jahre 2003 bei 5,93 Euro pro m2.127 Bei einer durchschnittlichen Wohnfläche pro Haushalt von 88,5 m2 betrug die durchschnittliche Bruttokaltmiete 524,8 Euro (ca. 15% des durchschnittlichen Haushaltsjahreseinkommens). Die Mietpreise sind genauso wie Immobilienpreise stark regional geprägt. So herrscht in einigen Ballungsgebieten weiterhin eine starke Nachfrage nach Mietwohnungen, was sich in den Mietpreisen wiederspiegelt. Jedoch waren steigende Mieten (trotz rückläufiger Anzahl der fertiggestellten Wohnflächen auf dem Primärmarkt für Wohnimmobilien) nur in vereinzelten Regionen zu beobachten. In einigen Regionen sind die Mieten z. T. sogar leicht zurückgegangen (vgl. Jahresspiegel für die Jahre 1996 - 2003, Ring Deutscher Makler). Die Höhe der Miete sollte als eine Determinante angesehen werden, ob Wohneigentum für einen Haushalt in Frage kommt. Die Mieten für eine durchschnittliche Wohnung (88,5 m 2) in Deutschland betragen ca. 15 % des durchschnittlichen Haushaltseinkommens, was relativ (im Vergleich mit anderen Ländern) teuer ist und einen Anreiz darstellt, privates Wohneigentum zu erwerben. Auch wenn man die Kosten einer Bankfinanzierung berücksichtigt (die derzeit sehr günstig sind) und die Ausgaben, die für die Instandhaltung einer Wohnung anfallen, zahlt sich eine solche Anschaffung in vielen Fällen langfristig aus. Das ergibt die Beispielrechnung der Stiftung Warentest.128 Aus der Darstellung lässt es sich erkennen, dass in Deutschland sowohl ein entwickelter Markt für Privatimmobilien, als auch ein Markt für Bauland und ein entwickelter Mietwohnungsmarkt mit einer gut entwickelten Infrastruktur vorhanden sind. Des Weiteren liefert die vorangegangene Analyse die Anhaltspunkte für die Untersuchung des Marktes für Privatimmobilien in der Russischen Föderation und bestätigt die im Kapitel 3.2.3 gemachten Annahmen. Eine detaillierte Analyse des 127 128
Vgl. o.V.: Wohnungsmärkte, 2004, S. 9. Vgl. auch Stiftung Warentest: Kaufen, 2003, in: URL, siehe Literaturverzeichnis.
78
DAS DEUTSCHE BAUSPARSYSTEM
Marktes für private Wohnimmobilien in Deutschland inklusive aller Einflussfaktoren würde jedoch den Rahmen dieser Arbeit sprengen.129
5.2.3 Die rechtlichen Rahmenbedingungen des Bausparens in Deutschland In diesem Kapitel soll überprüft werden, ob alle rechtlichen Rahmenbedingungen, die im ersten Kapitel als notwendig für den Aufbau eines Bausparsystems definiert wurden, in Deutschland vorhanden sind. 5.2.3.1 Die bestehenden Normkomplexe 5.2.3.1.1 Sachenrecht (Eigentumsrecht, Besicherungsrecht, Grundbuchrecht) Eigentumsrecht Das Eigentum ist in Deutschland verfassungsrechtlich durch Artikel 14, Abs.1, Satz 1 des Grundgesetzes gewährleistet. Die Eigentumsgarantie soll dem Rechtsinhaber einen Freiraum im vermögensrechtlichen Bereich erhalten und ihm damit die eigenverantwortliche Gestaltung seines Lebens ermöglichen. „Der rechtliche Gehalt des Eigentums wird daher durch Ausübbarkeit zum eigenen Vorteil (Privatnützigkeit) und Verfügbarkeit (nicht notwendig unbeschränkt) gekennzeichnet.“130 Das Eigentum wird somit in Deutschland als Rechtsinstitut gewährleistet. In § 903 BGB ist der zivilrechtliche Eigentumsbegriff festgelegt. Das Bürgerliche Gesetzbuch definiert das Eigentum als umfassendes Recht zu tatsächlichen (Benutzung, Gebrauch) und rechtlichen (Belastung, Veräußerung) Herrschaftshandlungen, das die Rechtsordnung an einer beweglichen und unbeweglichen Sache zulässt. Somit stellt das Eigentumsrecht ein sog. Sachenrecht (dingliches Recht) dar.131 Nach dieser Definition kann der Besitzer über das Eigentum frei verfügen. Das bedeutet, dass Eigentum unter anderem frei erworben und veräußert werden kann. Das Erwerbsrecht in Deutschland sieht folgende Formen des Erwerbes von einer Wohnimmobilie vor: 1. man erwirbt Wohneigentum selbst, 129
Daher soll hier auf folgende weiterführende Quellen verwiesen werden: Die Analysen des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung, der Jahresspiegel des Rings Deutscher Makler, Untersuchungen des Institutes für Städtebau, Wohnungswirtschaft und Bausparwesen.
130
Vgl. Schwanen, J.: Sicherungssystem, 2001, in: URL, siehe Literaturverzeichnis. mehr zum Thema Absicherung im Allgemeinen: Palandt, O.: Bürgerliches Gesetzbuch, 2004, S. 1330-1440.
131
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2. man erwirbt ein Grundstück und baut selbst, 3. man erwirbt eine Wohnimmobilie vom Bauträger. Besicherungsrecht Darlehen aus Bausparverträgen müssen grundsätzlich dinglich gesichert werden132, damit der Schutz der Bausparkasse im Falle einer Zahlungsunfähigkeit oder Insolvenz der Darlehensnehmer möglichst gut gewährleistet ist. Zur Sicherung von Bauspardarlehen bestehen strenge Vorschriften. Die zulässigen Sicherheiten werden durch § 7 des Bausparkassengesetzes geregelt. Dies geschieht in erster Linie durch die Eintragung einer Grundschuld, seltener durch die Bestellung einer Hypothek. (Das Bauspardarlehen darf 80 v.H. des Beleihungswertes des Pfandobjektes nicht übersteigen). Nach § 7 können auch Ersatzsicherheiten entgegengenommen werden. Ob eine angebotene Ersatzsicherheit ausreicht, hat die Bausparkasse zu entscheiden.133 Bausparkassen sind die einzigen institutionellen Anbieter von nachrangig zu sichernden Baudarlehen, d. h. die erste Stelle bei der Eintragung im Grundbuch wird für ein anderes Kreditinstitut zur Sicherung freigelassen. Diese Tatsache ist dadurch begründet, dass das Kreditausfallrisiko bei einer Bausparkasse geringer ist als bei Hypothekenbanken und anderen Kreditinstituten. Das erklärt sich dadurch, dass es sich bei einer Bausparkasse um ein geschlossenes System handelt, in welchem die Bauspardarlehen an bereits bekannte Kunden (Privatpersonen) vergeben werden. Bei den Hypothekenbanken handelt es sich dagegen um ein offenes System der Privatimmobilienfinanzierung. Außerdem vergeben Hypothekenbanken auch gewerbliche Kredite, bei welchen das Kreditausfallrisiko nachweislich höher ist. Vor diesem Hintergrund wurde durch die Gesetznovelle vom 13. Dezember 1990 den Bausparkassen die Möglichkeit eingeräumt, sog. Blankodarlehen (Darlehen ohne Sicherheit) zu gewähren. Diese Regelung erstreckt sich nur auf die Bauspardarlehen und Vor- und Zwischenfinanzierungskredite, wobei die Darlehenshöhe auf maximal 10000 Euro beschränkt ist.134 Dies erlaubt eine Vereinfachung und als Folge eine Beschleunigung des Kreditvergabeprozesses und fördert eine Senkung der Kosten, die in diesem Zusammenhang entstehen. Hinsichtlich der Übertragung des Bausparsystems auf die Russische Föderation muss darüber nachgedacht werden, ob sich diese Erfahrung auch übertragen lässt. 132
ausführlicher in: Palandt, O.: Bürgerliches Gesetzbuch, 2004, S. 1502-1548. Vgl. Schäfer, O./Cirpka, E./Zehnder, A.: Bausparkassengesetz, 1999, S. 340. 134 Vgl. §7 Abs. 4 Nr. 2 des BSpKG, §6 Abs. 1 der BSpKVO. 133
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Denn die Vergabe der Blankodarlehen ist nur in dem Fall gerechtfertigt, wenn die vergebenen Darlehen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit vereinbarungsgemäß zurückgezahlt werden. Grundbuchrecht Deutschland hat ein funktionierendes Grundbuchsystem, in dem jede rechtsgeschäftliche Begründung von Änderung an Grundstücksrechten zu ihrer Wirksamkeit die Eintragung ins Grundbuch erfordert (sog. Eintragungsgrundsatz). Einer Eintragung in das Grundbuch kommt somit eine rechtbegründende Wirkung zu. Im Folgenden werden die wesentlichen Elemente des deutschen Grundbuchrechtes dargestellt, mit dem Ziel, ihre Übertragbarkeit auf die Russische Föderation zu prüfen. Dies erscheint deswegen sinnvoll, da Russland, zum einen vor der Revolution im Jahre 1917 ein dem deutschen ähnliches Grundbuchsystem besaß. Zum anderen besteht zwischen dem jetzigen russischen Katastersystem und dem deutschen Grundbuchsystem eine gewisse Ähnlichkeit. Die Analyse, was am russischen Katastersystem geändert werden muss, damit es sich zu einem gut funktionierenden System entwickelt, wird im Kapitel 6.2.3.1.1 durchgeführt. Das Grundbuch oder Grundbuchblatt besteht aus mehreren Bögen und umfasst das Bestandsverzeichnis, in dem die katastermäßige Lage des Grundstücks angegeben ist, sowie die folgenden drei Abteilungen: • Abteilung 1, in welcher die jeweiligen Eigentümer des Grundstücks etc., sowie die Erwerbsgründe vermerkt sind; • Abteilung 2, die der Erfassung von Lasten und Beschränkungen mit Ausnahme der Grundpfandrechte dient; • Die Abteilung 3, in welcher die Grundpfandrechte erfasst werden. Damit das Grundbuch dem Immobiliarverkehr die erforderliche sichere Grundlage geben kann, sind vom Gesetzgeber die folgenden Hauptgrundsätze entwickelt worden: 1. Antragsgrundsatz. Eine Eintragung in das Grundbuch erfolgt nur auf Antrag eines Beteiligten (§ 13 Abs. 1 GBO). 2. Bewilligungsgrundsatz. Neben der materiellrechtlich notwendigen Willenserklärung (z. B. Einigung nach § 873 Abs. 1 BGB) ist zur Eintragung einer rechtsgeschäftlichen Änderung der dinglichen Rechtslage die einseitige Bewilligung des Betroffenen in beglaubigter Form erforderlich (sog. Eintragungsbewilligung nach § 19 GBO).
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3. Voreintragungsgrundsatz. Der Bewilligende muss voreingetragen sein (vgl. § 39 GBO). Wenn das der Fall ist wird vermutet, dass ihm die im Grundbuch eingetragene Rechtsposition zusteht (§ 891 BGB). Diese Vermutung ist die Grundlage dafür, dass man von einem sog. nur „Buchberechtigten“ gutgläubig Rechte an Grundstücken erwerben kann (§ 892 BGB). Das erspart Transaktionskosten beim Erwerb von Rechten von Grundstücken. (Weil dadurch eine zusätzliche Prüfung der Rechte an dieser Immobilie entfällt). 4. Bestimmtheitsgrundsatz. Bei der Eintragung muss das einzutragende Recht nach Inhalt, Art, Umfang der Belastung und Person des Berechtigten genau bezeichnet werden (Spezialitätsprinzip). 5. Prioritätsgrundsatz. Der Rang der Grundstücksrechte richtet sich nach der Reihenfolge der Eintragungen in das Grundbuch (vgl. § 879 BGB, § 45 GBO). Die später beantragte Eintragung in das Grundbuch darf nicht vor Erledigung des früher gestellten Antrags erfolgen (vgl. § 17 GBO). Der Prioritätsgrundsatz bestimmt das Rangverhältnis der Grundpfandrechte untereinander. Der Rang der Grundstücksrechte ist für den Kreditgeber von erheblicher rechtlicher und wirtschaftlicher Bedeutung: je schlechter der Rang, desto höher das Ausfallrisiko. Im Fall der Zwangsversteigerung oder/und der Zwangsverwaltung entscheidet er darüber, in welcher Reihenfolge die konkurrierenden Rechte aus dem Erlös befriedigt werden. Somit sind in Deutschland die Anforderungen, welche der Erwerb einer Immobilie und die Sicherung von Darlehen stellen, erfüllt. 5.2.3.1.2 Schuldrecht, insbesondere Kauf- und Kreditvertragsrecht Wie im Kapitel 3 festgelegt, ist das Vorhandensein des Kaufrechtes und Darlehensrechtes für die Einführung des Bausparsystems von großer Relevanz. Diese Voraussetzungen sind in Deutschland gegeben. Im deutschen Recht sind vertragstypische Pflichten beim Kaufvertrag in § 433 BGB geregelt. Dabei ist der Verkäufer „verpflichtet, dem Käufer die Sache zu übergeben und das Eigentum an der Sache zu verschaffen“.135 Die Übergabe eines mangelfreien Objektes gehört dabei zu den vertragsmäßigen Verpflichtungen. Der Käufer ist dagegen verpflichtet, „dem Verkäufer den vereinbarten Kaufpreis zu zahlen und die gekaufte Sache abzunehmen“.136 137 Die Verhältnisse, die im Zuge der Kreditvergabe entstehen, werden in § 488 des BGB geregelt.
135
§ 433 BGB. ebenda, § 433 (2). 137 mehr dazu in: o.V.: Schuldrecht, 2002, S. 566-568. 136
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Der Gesetzgeber räumt sowohl dem Kreditnehmer als auch dem Kreditgeber Kündigungsrechte ein. Verschlechtern sich die Vermögensverhältnisse des Schuldners, so besteht für den Darlehensgeber die Möglichkeit, sein Darlehensversprechen zu kündigen. Nach den AGB kann das Kreditinstitut dabei einen Schadensersatz vom Kreditnehmer fordern, der ihm bei der Nichterfüllung des Darlehensvertrages entsteht. Der Schadensersatzanspruch entsteht durch das nicht vertragsgerechte Verhalten des Kreditnehmers und ist eine Variante der Vorfälligkeitsentschädigung.138 Auch der Darlehensnehmer kann sowohl aufgrund der Vertragsgestaltung als auch aus § 489 BGB Kündigungsrechte wahrnehmen. Eine gleiche oder ähnliche Regelung, die Kündigungsrechte für beide Parteien vorsieht, ist auch in der Russischen Föderation im Hinblick auf die Einführung des Bausparsystems erforderlich. Diese Kündigungsrechte sollen dazu dienen, das Risiko sowohl der Kreditnehmer als auch der Kreditgeber zu begrenzen. Die Begriffe „Bausparvertrag“ und „Bauspardarlehen“ gibt es im russischen Recht noch nicht. Bei der Definition dieser Begriffe im Rahmen des russischen Rechts erscheint es sinnvoll, die wesentlichen Charakteristiken aus dem deutschen Recht zu übernehmen. Ein Bausparvertrag ist kein Darlehensvertrag. Der Bausparer erwirbt dadurch nur einen Anspruch auf ein Bauspardarlehen, wobei der Zeitpunkt der Kreditvergabe nicht im Voraus festgelegt werden kann. Ein Bausparvertrag kann somit als Vorvertrag bezüglich des späteren Bauspardarlehens bezeichnet werden. Um den Bausparer zu schützen, ist das Recht der Bausparkasse auf eine Kündigung des Bausparvertrages deutlich beschränkt. Der Bausparer muss dagegen bei einer Verschlechterung seiner wirtschaftliche Lage über eine gewisse Flexibilität verfügen und die Möglichkeit haben, den Bausparvertrag zu kündigen. Aus diesem Grund sieht § 15 ABB ein jederzeitiges Kündigungsrecht des Bausparvertrages seitens des Bausparers vor. Dieses Recht dient dazu, dass sich mehr potenzielle Kunden letztendlich für einen Bausparvertrag entscheiden. Die Übertragung dieses Prinzips auf die Russische Föderation würde somit zur Förderung der Neuabschlüsse beitragen. Ein aufgrund eines Bausparvertrags gewährtes Darlehen wird als Bauspardarlehen bezeichnet. Es bedarf grundsätzlich der Schriftform, um die Rechte der beiden Parteien zu schützen.139
138 139
Vgl. BGB: § 490 Abs. 2. Vgl. ebenda, § 492 Abs.1.
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Der Darlehensvertrag einer Bausparkasse muss (gemäß § 492, Abs. 1 Satz BGB) die folgenden Informationen beinhalten, um dem Verbraucher die Klarheit über die auf ihn zukommenden Belastungen sicherzustellen: - den Nettodarlehensbetrag, - die Art und Weise der Rückzahlung des Kredites, sowie unter anderem Anzahl und Höhe der einzelnen Tilgungsraten, und die Zahlungstermine, - den Zinssatz und alle sonstigen Kosten des Darlehens, einschließlich etwaiger vom Darlehensnehmer zu tragender Vermittlungskosten, - den effektiven Jahreszins (§ 4 PAngV), - die Kosten einer Restschuldversicherung (oder sonstigen Versicherung, die im Zusammenhang mit dem Kreditvertrag geschlossen wird), z. B. bei einer obligatorischen Risikolebensversicherung, - die zu bestellenden Sicherheiten. Eine solche Transparenz für den Kunden wäre auch in der Russischen Föderation bei der Einführung des Bausparsystems notwendig. Dies würde eine Risikoreduktion für die beiden Parteien bedeuten und somit das Vertrauen der potenziellen Kunden zu dem Bausparsystem fördern. Wenn der Darlehensnehmer seinen Verpflichtungen nicht nachkommt, hat die Bausparkasse das Recht auf eine Kündigung des Darlehens zur sofortigen Rückzahlung. Dies ist in folgenden Fällen gerechtfertigt:140 - der Darlehensnehmer ist mit fälligen Leistungen in Höhe von mindestens zwei Monatsraten in Verzug geraten, - der Wert des Pfandobjektes oder anderer Sicherheiten hat sich reduziert, so dass keine ausreichende Sicherung des Darlehens mehr besteht, - Veräußerung des Pfandobjektes ohne schriftliche Zustimmung, - Eine dem Zweck des Bausparkassengesetzes nicht entsprechende Verwendung des gewährten Darlehens, - wesentliche Angaben, die bei der Darlehensgewährung gemacht wurden, haben sich als unzutreffend oder unvollständig erwiesen. Diese Maßnahmen dienen der Substanzerhaltung einer Bausparkasse und somit auch dem Schutz der anderen Bausparer.
140
Vgl. § 12 der ABB der privaten Bausparkassen, sowie § 12 der ABB der Landesbausparkassen.
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Der Erwerb direkt vom Bauträger hat in den letzten Jahren in Deutschland zunehmend an Bedeutung gewonnen. Immer weniger Erwerber wollen sich mit Grundstückbeschaffung, Planung und Erstellung des Objektes selbst befassen und dabei Risiken hinsichtlich Kostenkalkulation und Zeitaufwand eingehen. Diese Aufgaben können an gewerblich tätige Personen oder Unternehmen übertragen werden. Das Objekt wird nach Abschluß des Vertrages in Abschnitten fertiggestellt, was zusätzliche Risiken für den Käufer mit sich bringt: z. B. nicht zeitgemäße Fertigstellung des Objektes, finanzielle Schwierigkeiten des Bauträgers, oder minderwertige Qualität des Objektes. Dieses Risiko wird auch dadurch erhöht, weil die finanziellen Mittel des Erwerbers bereits während des Bauvorganges zum Einsatz kommen. Dies geschieht einerseits deswegen, weil der Bauträger oft nicht in der Lage ist, für das gesamte Bauvorhaben eine Vorfinanzierung zu leisten, anderseits erlaubt es eine Minderung der Kosten bei der Baufinanzierung. Im Hinblick auf die Übertragung des Bausparsystems auf die Russische Föderation wäre es wichtig, einen Mechanismus zu finden, welcher der Verteilung der Risiken beim Erwerb einer Privatimmobilie und dem Schutz der Erwerber, die auch gleichzeitig Bausparer sein können, Rechnung trägt. Hier kann die deutsche Regelung, die in der Makler- und Bauträgerverordnung (MaBV) festgelegt wurde als Beispiel dienen. Als besondes wichtig erscheint in diesem Zusammenhang die Gewährleistung von Anzahlungen des Erwerbers. Deshalb legt § 2 MaBV fest, dass bevor der Bauträger Anzahlungen des Erwerbers entgegennehmen darf, von ihm entsprechende Sicherungen geleistet oder eine zu diesem Zweck geeignete Versicherung abgeschlossen werden müssen.141 Darüber hinaus müssen von ihm die im § 3 MaBV festgelegten Bedingungen erfüllt werden (dazu zählen z. B. das Vorhandensein der Baugenehmigung, Sicherung des Anspruchs des Auftraggebers auf die Übertragung des Eigentums, usw.) Neben der o. g. Sicherungsmaßnahmen zum Schutze des Erwerbers wurde in deutschem Recht das Kongruenzprinzip zwischen Baufortschritt und Ratenzahlungen eingeführt. 142 Gemäß diesem Prinzip werden die Zahlungen nach dem Baufortschritt an den Bauträger geleistet.143 Eine weitere Regelung, die dem Schutz des Erwerbers dient, besteht darin, dass im Falle eines „Steckenbleibens“ des Bauvorhabens der Erwerber die Möglichkeit erlangt, dieses selbst abzuschließen. Dies ist jedoch mit bedeutendem Aufwand verbunden und kann in den meisten Fällen nicht durchgeführt werden. Deswegen wird vom Gesetzgeber alternativ die Möglichkeit angeboten, „anstelle der Freistel141
Vgl. Werner, U/ Pastor, W.: Einführung, 2003, S. XXXV. Vgl. Reithmann, C./Meichssner, C./von Heymann, E.: Kauf, S. 67. 143 § 3 der Makler- und Bauträgerverordnung. 142
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lung alle vom Auftraggeber vertragsgemäß bereits geleisteten Zahlungen bis zum anteiligen Wert des Vertragsobjektes zurückzuzahlen“.144 Eine weitere Schutzmaßnahme besteht darin, dass wenn das Bauvorhaben von einem Kreditinstitut finanziert wird, das ständig mit dem Bauträger zusammenarbeitet, werden Kreditinstitut und Bauträger so behandelt, als wenn sie eine Einheit wären. Das gilt nur dann, wenn das Kreditinstitut dabei im Verhältnis zum Erwerber, dem es eine Finanzierung gewährt, die Rolle als Kreditgeber überschreiten würde. Bei einem finanzierten Erwerb eines Grundstücks oder eines grundstücksgleichen Rechts ist eine wirtschaftliche Einheit nur anzunehmen, wenn der Darlehensgeber selbst das Grundstück oder das grundstücksgleiche Recht verschafft oder wenn er über die Zurverfügungstellung von Darlehen hinaus den Erwerb des Grundstücks oder grundstücksgleichen Rechts durch Zusammenwirken mit dem Unternehmer fördert, indem er sich dessen Veräußerungsinteressen ganz oder teilweise zu Eigenmacht, bei der Planung, Werbung oder Durchführung des Projekts Funktionen des Veräußerers übernimmt oder den Veräußerer einseitig begünstigt. 145 Das bedeutet, dass im Falle einer Insolvenz des Bauträgers oder beim Auftreten anderer Probleme, welche die vertragsgerechte Fertigstellung des Objektes verhindern, der Erwerber auch einen Anspruch gegenüber der Bank hat. Diese Schutzmaßnahmen haben maßgeblich dazu beigetragen, dass ein wesentlicher Anteil der Wohnimmobilien in Deutschland von Bauträgern gekauft wird. Eine generelle Anwendung dieser Vorschriften ohne die oben genannten Einschränkungen kann auch dazu führen, dass sich Kredtinstitute aus diesem Geschäftsfeld der Finanzierung zurückziehen. In der Russischen Föderation ist der Erwerb vom Bauträger oft die einzige Möglichkeit, eine Immobilie zu erwerben. Dies ist jedoch dort mit einem sehr hohen Risiko verbunden. In diesem Zusammenhang muss darüber nachgedacht werden, wie die Verteilung des Risiko beim Erwerb einer Privatimmobilie zwischen Bauträger und Erwerber in Russland erfolgen kann. Die Lösung dieses Problems würde den Wunsch, eine private Immobilie zu erwerben, positiv beeinflussen, was auch die erfolgreiche Einführung des Bausparsystems unterstützen könnte. Diese Problematik wird im Kapitel 6. ausführlich behandelt.
144 145
§ 3 der Makler- und Bauträgerverordnung. Vgl. BGB: § 358 Abs. 3, Satz 3.
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5.2.3.1.3 Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht Das Zwangsvollstreckungsrecht ist in Deutschland durch ZPO146 und ZVG147 geregelt. Die Zwangsvollstreckung gibt einem Kreditinstitut die Möglichkeit, sich aus dem Erlös der verpfändeten Sicherheiten zu befriedigen. Die Bausparkassen nutzen in erster Linie die Möglichkeit der Zwangsversteigerung und fallbezogen vereinzelt auch die Möglichkeit der Zwangsverwaltung. Da Bausparkassen aufgrund der Kundenselektion ein niedriges Kreditausfallrisiko haben, spielen Zwangsmaßnahmen eine geringere Rolle als bei anderen Kreditinstituten. (Kreditausfälle liegen bei den Bausparkassen unter 1% des Gesamtkreditvolumens). Es wurden 2003 in Deutschland jährlich ca. 60.000 Objekte zwangsversteigert, davon ca. 10.000 Objekte, die voll oder teilweise über Bausparkassen finanziert wurden, was relativ wenig ist.148 Im Jahre 2003 wurden bei einer Bausparkasse von 2200 anhängigen Zwangsversteigerungsverfahren 1340 beendet, wobei in ca. 70 % der Zwangsversteigerungsfälle die Forderungen befriedigt werden konnten.149 Der zeitliche Aufwand dabei betrug von Kreditkündigung bis Verwertung ca. 30 Monate, was als vertretbar zu bewerten ist.150 Vor dem Hintergrund einer zweitrangigen Absicherung des Bauspardarlehens, muss sichergestellt werden, dass die Objekte nicht deutlich unter ihrem Verkehrswert ersteigert werden. Dies ist auch wichtig, um den Schuldner vor Verschleuderung zu schützen. Das Zwangsversteigerungsrecht in Deutschland enthält Regelungen, die zum Schutz der Gläubiger und Kreditnehmer dienen: Dazu gehören insbesondere die Regelungen über die 5/10 -151 und 7/10 –Grenzen.152 (Gilt allerdings nur für den 1. Zwangsversteigerungstermin). Ein ähnlicher Schutz der Gläubiger und Kreditnehmer muss auch in der Russischen Föderation eingeführt werden. 146
Zivilprozessordnung. Zwangsversteigerungsgesetz. 148 Quelle 3. 149 In ca. 30% der Fälle konnte die Bausparkasse ihre Forderungen nur teilweise befriedigen. Dies hing damit zusammen, dass die verpfändeten Objekte aufgrund der Marktentwicklung an Wert verloren haben. Quelle 12. 150 ebenda. 151 Der Zuschlag wird abgesagt, wenn das abgegebene Meistgebot 5/10 des Verkehrswertes vom Grundstück nicht erreicht (§ 85a ZVG). 152 Der Zuschlag kann auf Antrag versagt werden, wenn das abgegebene Meistgebot 7/10 des Verkehrswertes des Grundstückes nicht erreicht.(§ 74 ZVG). 147
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Somit kann man sagen, dass in Deutschland ein gut funktionierendes Zwangsversteigerungsrecht existiert, das den Bausparkassen und anderen Kreditinstituten die Möglichkeit bietet, gekündigte Kredite zumindest teilweise wieder zu bekommen. Wie bereits erwähnt, besteht bei einer Privatimmobilienfinanzierung die Gefahr, dass bei einem der Beteiligten Insolvenz eintritt. Die drei möglichen Varianten werden hier betrachtet: Insolvenz einer Bausparkasse: Insolvenz einer Bausparkasse wird in Deutschland sowohl durch allgemeines Insolvenzrecht, als auch durch bausparspezifisches Recht geregelt. Diese Regelungen sind darauf ausgerichtet, die Einleger bzw. Bausparer im Falle einer Insolvenz der Bausparkasse zu sichern. Wird eine Bausparkasse zahlungsunfähig oder überschuldet oder beendet sie ihre Tätigkeit aus anderen Gründen, können die bestehenden Verträge von einer anderen Bausparkasse übernommen werden. Wenn dies nicht gelingt, kann mit Zustimmung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht die vereinfachte Abwicklung der Bausparverträge erfolgen.153 Dabei leisten die Bausparer keine Sparzahlungen nach § 2 mehr, Zuteilungen und weitere Darlehensauszahlungen finden nach § 9 auch nicht mehr statt.154 Neue Bausparverträge werden nicht mehr abgeschlossen. Die Bausparguthaben werden entsprechend den verfügbaren Mitteln zurückgezahlt. Dabei werden alle Bausparer nach dem Verhältnis ihrer Forderungen ohne Vorrang voreinander befriedigt.155 Außerdem werden im Rahmen der Bankenregulierung Maßnahmen durchgeführt, die darauf gerichtet sind, dass die Insolvenz einer Bausparkasse nicht eintritt. So gehören elf Landesbausparkassen dem Einlagensicherungssystem der deutschen Sparkassenorganisation (Sicherungsfonds der Landesbausparkassen) an. Der LBS Sicherungsfonds dient dem Schutz der ihm angeschlossenen Institute und gewährleistet daher insbesondere deren Liquidität und Zahlungsfähigkeit.156 Die privaten Bausparkassen sind ebenfalls unterschiedlichen Sicherungsfonds angeschlossen.157 Es ist deshalb enorm wichtig, solche Vorsichtsmaßnahmen auch in der Russischen Föderation zu treffen, da ohne diese kein Vertrauen der Bürger in 153
§ 20 Abs. 2 ABB - Vgl. auch § 5 Abs. 2. Nr. 7 BSpKG und § 15 BSpKG. Schäfer O./Cipka E./Zehnder A., Bausparkassengesetz, 1999, S. 259-261, S. 302. 155 ebenda, S. 302. 156 Vgl. Newiger, N.: Umsetzung, 1998, S. 349, S. 352. 157 Die Bausparkasse Schwäbisch Hall z. B. einem Sicherungssystem der Genossenschaftsbanken, die übrigen privaten Bausparkassen einem Sicherungsfonds, bei dem Beiträge erst im Sicherungsfall angefordert werden. 154
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ein Bausparsystem gewonnen werden kann. Insbesondere, wenn man berücksichtigt, dass in den 90er Jahren viele Kreditinstitute in Russland insolvent geworden sind. Die Zahlungsunfähigkeit einer Bausparkasse kann im Grunde auf zwei verschiedenen Ursachen beruhen: Das Kollektivgeschäft krankt, und/oder das außerkollektive Geschäft führt zur Insolvenz. Auf die Hauptrisiken des Bauspargeschäftes, die im ungünstigsten Fall zu einer Insolvenz führen können, und wie diese gesteuert werden können, gehe ich in Kapitel 5.3.3. näher ein. Insolvenz von Bausparer Bei der Insolvenz von Bauherren ist sowohl das Allgemeine Insolvenzrecht, als auch das Verbraucherinsolvenzrecht relevant. Mit dem Inkrafttreten der neuen Insolvenzordnung am 01.01.1999 wird dem „redlichen Schuldner“, der ein Verbraucher ist, die Gelegenheit gegeben, sich von seinen restlichen Verbindlichkeiten zu befreien.158 Die Verbraucherinsolvenzordnung wirkt sich in Deutschland allerdings nur leicht positiv auf die Bereitschaft aus, Schulden für den Erwerb einer Privatimmobilie zu machen.159 Eine Verbraucherinsolvernzordnung erweist sich deshalb nicht als unbedingt notwendig für die Einführung eines Bausparsystems. Insolvenz der Bauträger Die „Makler- und Bauträgerverordnung“ trägt maßgeblich zur Sicherung der Käufer im Falle einer Insolvenz bei. Die wesentlichen Bausteine dieser Regelung (zu denen unter anderem die Zahlung nach Baufortschritt, sowie die Möglichkeit gehört, Ansprüche auch gegenüber einer Bank geltend zu machen,) wurden bereits im Kapitel 5.2.3.1.3 erläutert.
158
Die Restschuldgewährung setzt voraus, dass es überhaupt zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens kommt. In dem Fall, dass das Verfahren mangels Masse nicht eröffnet (§ 26 InsO) oder wieder eingestellt (§ 207 InsO) wird, findet kein Restschuldbefreiungsverfahren statt. Gewährt wird die Restschuldbefreiung nur dem „redlichen“ Schuldner. Die Gründe für die Versagung der Restschuldbefreiung sind in § 290 (InsO) aufgeführt. Nach dem deutschen Recht kann ein schuldenfreier Neuanfang nur dann ermöglicht werden, wenn der Schuldner sein pfändbares gegenwärtiges Vermögen zur Gläubigerbefriedigung bringt und sieben Jahre lang sein verfügbares laufendes Einkommen aufgibt. 159 Laut Auskunft der Bausparkassen ist der Einfluss der Verbraucherinsolvenzordnung auf die Bereitschaft der Bürger, einen Kredit zur Finanzierung einer selbstgenutzten Immobilie aufzunehmen, gering. Quelle 5.
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5.2.3.1.4 Kreditwesenrecht Als Kreditinstitute unterliegen Bausparkassen in Deutschland in vollem Umfang den Vorschriften des KWG. Dadurch sind sie der Aufsicht des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen unterworfen, d. h. es gelten die Grundsätze I und laut BAKred,160 die in § 10 des Kreditwesengesetzes definierten Regelung über Angemessenheit des haftenden Eigenkapitals.161 Besonderheiten der Struktur und Technik des Bauspargeschäftes machten eine Ergänzung durch spezielle Bestimmungen für Bausparkassen notwendig. Diese finden sich im Bausparkassengesetz und der Bausparkassenverordnung. Das Bausparkassengesetz umfasst die Normen des Bauspargeschäftes, sowie die Regelungen für Betrieb und Organisation einer Bausparkasse. Die Bausparkassenverordnung beinhaltet neben den Bestimmungen über eine vorübergehende Anlage der bereits zugeteilten, aber noch nicht in Anspruch genommenen Bausparmittel, Vorschriften zu den Großbausparverträgen, Regelungen zum „Sparer-Kassen-Leistungsverhältnis“ sowie zum „Fonds zur Bauspartechnischen Absicherung“.162 Damit wurde in Deutschland eine sichere rechtliche Basis für ein Bausparsystem geschaffen. 5.2.3.1.5 Steuerrecht Das Steuerrecht hat einen unmittelbaren Einfluss auf die Entscheidung, eine Immobilie zu erwerben, da dies die Höhe der Anschaffungskosten beeinflusst. Dies hat demzufolge eine Auswirkung auf das Bausparsystem. In Deutschland ist diese nach Einschätzungen der deutschen Bausparexperten jedoch sehr gering.163 Die hohen Freibeträge beim Vererben der Wohnimmobilie an die nahen Angehörigen und Abschaffung der Vermögenssteuer im Jahre 1999 spielen dabei eine gewisse Rolle. Steuervorteile für Erhaltungsaufwendungen bei der Einkommenssteuer Die Steuervorteile für Erhaltungsaufwendungen für selbstgenutztes Wohneigentum bei Einkommenssteuer wurden in den letzten Jahren drastisch reduziert. Sie betreffen hauptsächlich nur selbstgenutzte Baudenkmale oder selbstgenutzte Sa-
160
Vgl. Schäfer,O./Cirpka, E./Zehnder, A.: Bausparkassengesetz, 1999, S. 110. Liquiditätsgrundsätze II und III BAKred sind für die Bausparkassen nicht relevant, hier existieren spezielle Vorschriften. 162 Vgl. o.V.: Bausparkassen-Fachbuch, 2002, S. 27-29. 163 Quelle 8. 161
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nierungsobjekte 164 Des Weiteren können die Aufwendungen für Ausbauten oder Erweiterungen auch als Sonderausgaben abgezogen werden.165 Nach § 10e Abs. 6 des EStG können laufende Grundstückskosten, wie z. B. Grundsteuer und Gebäudeversicherungsprämien, steuerlich geltend gemacht werden. Diese steuerlichen Vorteile haben aufgrund ihrer sehr beschränkten Anwendung in Deutschland somit keinen Einfluss auf das Bausparsystem. Der Einfluss des Steuerrechtes auf das Bausparsystem kann jedoch je nach Steuersystem bedeutender sein. Deswegen darf der steuerliche Aspekt bei der Beurteilung der Situation in der Russischen Föderation unter dem gegebenen Gesichtspunkt nicht außer Acht gelassen werden. 5.2.3.2 Rechtssicherheit und Rechtsdurchsetzbarkeit Die Rechtsicherheit in Deutschland ist durch einheitliche Gesetzesgrundlagen im Bereich der Privatimmobilienfinanzierung gewährleistet. Deutsche Gerichte und Verwaltungsbehörden verfügen über ausreichende Erfahrungen, die eine vernünftige Umsetzung dieser Grundlagen ermöglichen. Dies muss auch in der Russischen Föderation angestrebt werden.
164 165
Vgl. EStG, § 10 f.. Vgl. ebenda.
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5.3 Bankwirtschaftliche Elemente des Bausparens 5.3.1 Träger Auf dem Baufinanzierungsmarkt kommt dem Bauspargeschäft in Deutschland eine große Bedeutung zu.166Das Bauspargeschäft hat in Deutschland ein beträchtliches Volumen erreicht: Ende 2003 verwalteten alle Bausparkassen ca. 33 Millionen Bausparverträge mit einer Gesamtbausparsumme von 704 Milliarden Euro.167 Das bedeutet, dass statistisch gesehen fast 40% der Bürger über einen Bausparvertrag verfügen. 168 Sogar zum aktuellen Zeitpunkt, in dem die Darlehenszinsen auf einem historischen Tiefststand sind, entwickelt sich das Bauspargeschäft immer noch positiv. Dies ist nicht zuletzt auf die erfolgreiche Tätigkeit der Bausparkassenträger zurückzuführen. (Gegenwärtig sind in Deutschland 27 Bausparkassen tätig. Derzeit wird der Bausparkassenmarkt von drei großen Anbietern dominiert: die Bausparkasse Schwäbisch Hall AG, BHW Bausparkasse AG und Wüstenrot Bausparkasse AG. Diese drei Bausparkassen wiesen in 2003 einen Marktanteil bezogen auf Gesamtvertragsbestand von 49,3 % auf.)169 Für die Übertragung des Systems auf die Russische Föderation ist es von Bedeutung zu wissen, wie ein erfolgreicher Bausparkassenträger aufgestellt werden soll und welches die wichtigsten Kriterien sind, die bei der Auswahl der geeigneten Bausparkassenträger erfüllt werden müssen. Dazu gehören: 1. Spezialisierung: Die Komplexität des Bauspargeschäftes erfordert, dass das Bausparprodukt von spezialisierten Kreditinstituten angeboten wird. 2. Leistungsfähigkeit: Die angebotenen Leistungen müssen den Bedürfnissen der Nachfrager gerecht werden. Die Qualität der angebotenen Leistungen muss hoch sein, damit die Kunden auf Dauer gewonnen werden können. Entscheidend für den Erfolg des Bauspargeschäftes ist letztendlich auch die Fähigkeit, das Bausparprodukt zu verkaufen. Hierbei kommt es insbesondere auf die Auswahl der Distributionskanäle an. Diese Problematik wird im Kapitel 5.3.5.3 separat behandelt. 166
Siehe dazu auch: Verband der Privaten Bausparkassen: Jahrbuch, 2003, S. 124. Verband der Privaten Bausparkassen: Jahrbuch 2003, 2004, S. 99. 168 Bemessen an der Bevölkerungszahl in Deutschland, die im Jahre 2003 82,892 Mio. betrug. Vgl. Mitteilung des Statistischen Bundesamtes vom 11.08.2003. 169 Vgl. Geschäftsberichte der deutschen Bausparkassen. 167
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3. Ertragsfähigkeit: Bausparkassenträger müssen wie jedes andere Unternehmen ertragbringend sein. Die Bausparkassen bewegen sich in einem sehr engen Rahmen: Das Bauspardarlehen muss möglichst zu günstigeren Konditionen angeboten werden können als bei Banken, da dies einen der wesentlichen Vorteile des Bausparens darstellt. Ist das nicht der Fall, besteht die Gefahr, dass die Darlehensverzichte stark zunehmen. 4. System der Risikosteuerung: Jede Bausparkasse muss über ein Überwachungs-, bzw. Steuerungssystem verfügen, um den bei Bauspargeschäften auftretenden Risiken gegensteuern zu können. Im Folgenden wird überprüft, ob und wie diese Anforderungen von den deutschen Bausparkassen erfüllt werden. Die Erfahrungen der deutschen Bausparkassen sollen bei der Übertragung des Systems auf die Russische Föderation - in Punkten wo es möglich erscheint - berücksichtigt werden.
5.3.2 Leistungsfähigkeit, Ertrags- und Risikolage der deutschen Bausparkassen Um die Leistungsfähigkeit der deutschen Bausparkassen zu beurteilen, muss zuerst der Begriff der „Leistung“ und der „Leistungsfähigkeit“ bei den Bausparkassen definiert werden. In der betriebswirtschaftlichen Literatur gibt es keine einheitliche Definition des Begriffes „Leistung“. Der Leistungsinhalt kann aus der betriebsbezogenen Perspektive, sowie aus der Markt- und kundenbezogenen Perspektive betrachtet werden.170 Die betriebsbezogene Sichtweise konzentriert sich auf die Produktions- und Kostenbereiche. Zentrale Bedeutung haben hier Faktoreneinsatz und Gesamtheit der produzierten Dienstleistungen. Die Leistungserstellung bei der Bausparkasse erfolgt durch Ansatz von produktiven Faktoren. Diese können im Wesentlichen in die drei folgenden Gruppen untergliedert werden: die menschliche Arbeit, die Sachmittel und den „monetären Faktor“171. Als monetärer Faktor werden in diesem Zusammenhang die notwendigen Liquiditätsreserven, sowie die notwendige Ausstattung mit Eigenkapital verstanden. Für die Bausparkassen sind auch der Einlagesicherungsfonds und der
170 171
Vgl. Böhner, W.: Bankbetriebslehre, 1982, S. 874. Vgl. Deppe, H.-D.: Konzeption, 1978, S. 31.
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Fonds zur bauspartechnischen Absicherung als „monetärer Faktor“ zu betrachten.172 Betrachtet man die Leistung aus der Sicht der Leistungsnachfrager (Kunden), so werden Aspekte der Marktleistung angesprochen. Die Marktleistung definiert sich als die Summe der innerbetrieblichen Teilleistungen der Bausparkasse. Diese resultieren aus den vom Markt geforderten oder/und den von der Bausparkasse am Markt durchsetzbaren Leistungen. Die internen Faktoren der Bausparkasse müssen somit so eingesetzt werden, dass für die Kunden dabei ein möglichst hoher Nutzen ensteht. Da das Bauspargeschäft als ausgesprochen personalintensiv charakterisiert werden kann, hängt die Leistungsfähigkeit der Bausparkassen nicht zuletzt von der Qualifikation und der fachlichen Kompetenz der Mitarbeiter ab. Um eine effiziente und fehlerlose Bearbeitung von Kundenverträgen und anderen Anfragen zu ermöglichen, müssen die internen Ressourcen: die mit Kommunikationsmitteln (wie z. B. Internet, Telefon, Fax, u. U. eine Videokonferenzanlage) ausgestatteten Arbeitsräume, maschinelle Ausrüstung der Bausparkassen mit Computern und Bausparsoftware einem hohen Niveau entsprechen. Zu den produktiven Faktoren einer Bausparkasse gehören die Geschäftsleitung und das Personal der Bausparkasse sowie ihre Organisation, Planung, Kontrolle und der finanzielle Faktor. Ergänzend kommt eine effizient gestaltete interne Prozessabwicklung (Prozessabläufe) hinzu. Der Arbeitsaufwand ist bei den Bausparkassen in den letzten Jahren vor allem durch die steigende Komplexität des Bauspargeschäftes stark angestiegen: So beschränkte sich das Leistungsangebot der Bausparkassen bis Ende der siebziger Jahre auf einen Standardtarif. Änderungen der gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die Reduzierung staatlicher Fördermaßnahmen sowie eine Veränderung des Nachfrageverhaltens nötigten deutsche Bausparkassen zur Änderung ihrer Geschäftspolitik. Diese führte zur Weiterentwicklung der von den Bausparkassen angebotenen Leistungen, der „Schnellspartarif“, „Langzeittarif“, „Disagiotarif“, „Optionstarif“ wurden eingeführt. Neben dem originären Bauspargeschäft werden von den Bausparkassen auch Nebengeschäfte ausgeführt, wie z. B. Vor- und Zwischenkreditvergabe. Durch Einführung rationeller Arbeitsmethoden - in erster Linie durch Verbesserung und Optimierung der elektronischen Datenverarbeitung – konnte eine Effizienzsteigerung bei der Bearbeitung von Bausparverträgen erreicht werden. So betrug die durchschnittliche Anzahl der Bausparverträge je angestellten Mitarbei172
Bausparkassen in Deutschland sind auf Grund von einer EU-Vorschrift von der Mindestreserve befreit, da Bausparguthaben langfristige Einlagen sind.
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ter bei privaten Bausparkassen im Jahre 2002 1738 Verträge173, im Jahr 1993 waren es nur 1233 Verträge, und im Jahr 1969 475 Verträge174. Um der Nachfrage auf dem Markt gerecht zu werden, bieten die deutschen Bausparkassen (meistens über ihre Tochtergesellschaften) zunehmend ergänzende Leistungen an (siehe dazu Kapitel 5.3.5.1.3). Der Erfolg des Bauspargeschäftes hängt im Wesentlichen jedoch nicht von der Breite der angebotenen Leistungen ab, sondern von ihrer Qualität und ihrer kundenorientierten und kostengünstigen Gestaltung. Die Qualität der angebotenen Leistungen der Bausparkassen aus Kundensicht kann mit dem Kriterium „Kundenzufriedenheit“ verglichen und bewertet werden. Seit 1992 führt die Firma Service Barometer AG jährlich eine empirische Untersuchung durch, die Kundenzufriedenheit und Kundenbindung im Konkurrenzvergleich feststellt. Diese Studie hat ergeben175, dass die deutschen Bausparkassen innerhalb der Finanzdienstleitungsbranche in der Zeit von 1994 bis 2003 den Anteil der „vollkommen zufriedenen Kunden“ von 41% bis auf 47% gesteigert haben. Dabei wurden insbesondere die folgenden Faktoren bewertet: - Qualität der Betreuung durch persönliche Ansprechpartner, - Freundlichkeit des Ansprechpartners, - Erreichbarkeit des Ansprechpartners, - Zuverlässigkeit bzw. Richtigkeit der Aussagen, - Leistungsumfang, - aktive Betreuung, - Qualität von Informationen „rund ums Bauen“. Trotz der insgesamt positiven Entwicklung in Bezug auf Kundenzufriedenheit in diesen Bereichen besteht noch Verbesserungsbedarf bei der „aktiven Kundenbetreuung“, da im Schnitt nur 37 % der Bausparer mit dieser Dienstleistung vollkommen zufrieden sind.176 Eine Erhöhung des Leistungsumfanges der Bausparkassen wünschen sich 58 % der Bausparer.177 Am wenigsten zufrieden sind Bausparer mit der Verständlichkeit der Korrespondenz der Bausparkassen (66 % der Bausparer sehen hier einen Verbesserungsbedarf).178 173
Vgl. Verband der Privaten Bausparkassen: Jahrbuch, 2003, S. 148. Vgl. Verband der Privaten Bausparkassen: Bausparwesen, 1970, S. 85ff. 175 Vgl. Kundenmonitor Deutschland 2003, Marktforschung, 1659.49/2003, S. 17. 176 Vgl. ebenda, S. 30. 177 Vgl. ebenda, S. 32. 178 Vgl. ebenda, S. 37. 174
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Die Leitungsfähigkeit der Bausparkassen kann mit Hilfe folgender Koeffizienten beurteilt werden: - Wie viele Verträge bearbeitet ein Mitarbeiter, - Cost-Income-Ratio (Erträge/Aufwendungen), - Welche Leistungspalette die Bausparkassen anbieten, - Wie lange die Wartezeiten zur Zuteilung sind. Ertragslage: Der zunehmende Konkurrenzdruck auf dem Markt hat in den letzten Jahren zu deutlich niedrigeren Brutto-Margen geführt. Derzeit betragen diese etwa. 0,45 %. Davon abzuziehen sind Verwaltungs- und Bearbeitungskosten in Höhe von etwa 0,33 %. Nach Berücksichtung der sonstigen betrieblichen Aufwendungen und Erträge und der Risikokosten verbleibt eine Netto-Marge von 0,12 %.179 Die Ertragslage der deutschen Bausparkassen im Jahr 2003 ist auf der Abbildung 16 dargestellt: Mio. €
Zinsüberschuss
793.6
576.1
392.2
484.1
Private BS Gesamt181 2,246.0
Provisionsergebnis
-136.4
18.2
14.9
33.8
-69.5
-3.9
-73.4
Rohertrag
657.2
594.3
407.1
517.9
2,176.5
701.8
2,878.3
Verwaltungsaufwand
411.4
437.5
406.7
305.5
1,561.1
565.5
2,126.6
Operatives Betriebsergebnis Saldo aus sonstigen betrieblichen Aufwendungen und Erträgen Risikovorsorge
245.8
156.8
0.4
212.4
615.4
136.3
751.7
37.4
39.1
92.1
-9.0
159.6
34.1
193.7
108.1
-46.6
14.9
110.5
186.9
17.0
203.9
Betriebsergebnis nach Bewertungsergebnis
175.1
242.5
77.6
92.9
588.1
153.4
741.5
179
BSH
BHW
Wüsten rot
Private BS Rest180
Öffentl. BS Gesamt182 705.7
Alle BS Gesamt183 2,951.7
Berechnet basierend auf den Geschäftsberichten der ausgewählten Bausparkassen (siehe Fn. 189, 190) aus dem Jahr 2003. 180 Quelle: Geschäftsberichte Badenia, Deutsche Bank, Allianz, DEBEKA, Victoria. 181 Bausparkassen: Badenia, Deutsche Bank, Allianz, DEBEKA, Victoria, BSH, BHW, Wüstenrot (insgesamt ca. 90% der Bilanzsumme aller privaten Bausparkassen). 182 LBS West, LBS Bayern, LBS Baden-Würtemberg, LBS Nord (insgesamt ca. 70% der Bilanzsumme aller öffentlichen Bausparkassen). 183 Summe aus 189) + 190) - insgesamt 84% der Bilanzsumme aller Bausparkassen.
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Sonstiges Ergebnis (Zuschreibungen zu Beteiligungen, Auflösung Sonder-posten mit Rücklagenanteil; Fondszuführungen/auflösungen Steuern
-30.0
0.0
24.3
7.4
1.7
15.1
16.8
98.8
6.5
46.4
63.8
215.5
92.2
307.7
Jahresergebnis
46.3
236.0
55.5
36.5
374.3
76.3
450.6
Abb. 16: Ertragslage der deutschen Bausparkassen im Jahr 2003 Die nachfolgende Cost-Income-Ratio für alle Bausparkassen zeigt einen z. T. großen Nachholbedarf. Die vom Deutschen Sparkassen- und Giroverband definierte CIR-Norm von 65 % für Unternehmen des Finanzverbundes184 wird von vielen Bausparkassen nicht erreicht: Mio. €
Cost-IncomeRatio 2003 Cost-Income-Rate 2002
BSH
BHW
Wüstenrot
60.9%
69.8%
82.1%
Private BS Rest 62.7%
58.2%
79.2%
86.2%
65.1%
Private BS Gesamt 68.2%
Öffentl. BS Gesamt 78.1%
Alle BS Gesamt 70.5%
71.1%
77.1%
72.6%
Abb. 17: Cost-Income Ratio der ausgewählten Bausparkassen185 Im Weiteren wird hier auf die ausführliche Ertragsanalyse der Bausparkassen von Benölken186 verwiesen. Risikolage der deutschen Bausparkassen Jede Entscheidung der Bausparkasse ist mit Unsicherheiten verbunden und beinhaltet somit ein Risiko. Die Risiken lassen sich zunächst in operative und strategische Risiken unterteilen. Die ersten wirken sich direkt auf die konkreten Ergebnisgrößen aus, die zweiten haben eine längere Wirkungsdauer und schlagen nicht unmittelbar auf die konkreten Ergebnisgrößen durch.
184
Vgl. Benölken, H.: Bauspargeschäft, 2003, S. 76. Berechnet basierend auf den Geschäftsberichten der deutschen Bausparkassen für das Jahr 2003.Übersicht der ausgewählten Bausparkassen, siehe Abb.16; für das Jahr 2002: o.V.: Bilanzvergleich (I), 2003, S. 806-813, o.V.: Bilanzvergleich (II), S. 800-806. 186 Vgl. Benölken, H.: Bauspargeschäft, 2003, S. 76 ff. 185
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Außerdem wird im Bankgeschäft zwischen Risiken des internen Leistungsbereiches und externen Leistungsbereiches differenziert. Die Risiken des internen Leistungsbereiches umfassen operationelle Risiken, welche personelle, technische und prozessbedingte Ursachen haben können. Zu den Risiken im externen Leistungsbereich gehören z. B. Liquiditätsrisiken, Marktpreisrisiken, Kreditrisiken, rechtliche Risiken, Währungsrisiken, Risiko der Personalbeschaffung. Diese Risiken sind auch für das Bausparkassengeschäft relevant. Die besondere Spezifik des Bauspargeschäftes erfordert jedoch eine andere Gewichtung dieser Risiken im Vergleich zu anderen Kreditinstituten. Die speziellen rechtlichen Grundlagen, die nur für die Bausparkassen gelten, sind darauf gerichtet, die Risiken des Bausparens zu begrenzen, um die Bausparer zu schützen. So dürfen die Bausparkassen außer dem Bauspargeschäft, nur die bestimmten, im § 4 des Bauspargesetzes ausgeführten Geschäfte durchführen. Risikoreiche Kreditgeschäfte aus Gewerbefinanzierungen, Auslands- und Investitionskrediten dürfen Bausparkassen nicht tätigen. Liquiditätsrisiko bei den Bausparkassen: Entsprechend dem § 3 Abs. 2 KWG ist das Bauspargeschäft die einzige in Deutschland zulässige Form des Zwecksparens. Sie ist mit gewissen strukturellen Risiken behaftet. Eines der größten Risiken, welchem die Bausparkassen ausgesetzt sind, ist ein dauerhafter Rückgang der Neuzugänge, was wiederum zu einer Verlängerung der Wartezeiten führt. Das Wartezeitproblem ergibt sich aus der Unbestimmtheit des Zeitpunktes, zu welchem die Zuteilung des Darlehens erfolgt. Das ist eine unvermeidbare Folge des kollektiven Systems, in welchem die zur Kreditvergabe zur Verfügung stehenden Mittel begrenzt sind. Demgemäß muss der Bausparer so lange auf die Erfüllung seines Zuteilungsanspruches warten, bis die Bausparkasse genügend Mittel angesammelt hat. Je größer der Spargeldeingang durch Zugang neuer Bausparer ist, desto mehr Mittel stehen für eine Zuteilung zur Verfügung. Dies führt dementsprechend zur Verkürzung der Wartezeiten. Die Wartezeiten können somit zwar prognostiziert, aber nicht garantiert werden. So kann z.B bei einem kontinuierlichen Bedarf an Wohnraum u. U. mit einem anhaltenden Zugang neuer Bausparer gerechnet werden, der die Einhaltung tragbarer Wartezeiten bis zur Zuteilung erwarten lässt. Dies kann jedoch aufgrund der hohen Konkurrenz auf dem Markt, und anderen Einflussfaktoren, die für das Bauspargeschäft von Bedeutung sind, nicht garantiert werden. Die tragbaren Wartezeiten sind für die Bausparer von großer Bedeutung, da diese eine direkte Auswirkung auf seine finanzielle Belastung haben. Bei einer Verlän-
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gerung der Wartezeiten entsteht für den Bausparer ein finanzieller Nachteil: Der Bausparer muss entweder den Zeitpunkt des geplanten Kaufs der Immobilie nach hinten verschieben (bedeutet u. U. zusätzliche Ausgaben für Miete), oder diese Zeit mit einem Zwischendarlehen oder einer anderen Finanzierung überbrücken (was in der Regel eine kostenintensive Angelegenheit ist). Somit kann eine eintretende Verlängerung der Wartezeiten den potenziellen Bausparer vom Abschluss eines Bausparvertrages abhalten, was wiederum zu einer weiteren Verlängerung der Wartezeiten führen wird. Aus diesem Grund muss der Neuzugang der Bausparer unterstützt werden. Eine wichtige Rolle spielt dabei die staatliche Förderung des Bausparens. Sie macht für viele Personen das Bausparen attraktiv, fördert die Neuzugänge und wirkt somit einer Verlängerung von Wartezeiten entgegen. Eine große Rolle bei der Akquisition der neuen Kunden spielt auch die Marketingstrategie des Bausparinstitutes. Dies wird im Kapitel 5.3 näher erläutert. Wenn die Neuzugänge jedoch ausbleiben, kann die Stabilisierung der Wartezeiten mittels folgender Maßnahmen erreicht werden: 1. die Aufnahme von Fremdgeld in geeigneter Form in den Zeiten mit rückläufigem Bauspargeschäft. Außerkollektive Mittel können jedoch nur begrenzt zur Verkürzung der Wartezeiten verwendet werden. Einerseits sind die Kosten solcher Mittel hoch. (Die Zinsen für Fremdgeld liegen in der Regel über dem Darlehenszins). Anderseits sind die Möglichkeiten der Bausparkassen das Fremdgeld am Kapitalmarkt aufzunehmen dadurch begrenzt, dass die Aktiva der Bausparkassen sich in hohem Maße aus nachrangig gesicherten Forderungen zusammensetzen, so, dass die oft dafür erforderlichen hochrangigen Sicherheiten nur in begrenztem Maße gestellt werden können. 2. die Bildung des „Fonds zur bauspartechnischen Absicherung“ (er wurde durch die Gesetzesnovelle vom 13. Dezember 1990 eingeführt). Dieser Sonderposten (bis zu maximal einer Höhe von 3%)187 wird aus Mehrerträgen der Bausparkasse, die während der Anlauf- und Wachstumsphasen entstehen, gebildet. Bei verschlechtertem Vertragszuwachs führt der Einsatz der Mittel aus dem Fonds zur Stabilisierung der Wartezeiten.188 Marktpreisrisiko Der Bausparer ist in seiner Entscheidung flexibel, ein Darlehen zu den vereinbarten Konditionen anzunehmen oder zu verzichten. Seine Entscheidung bestimmen neben den persönlichen Umständen die Marktgegebenheiten. 187 188
§ 6 Abs. 1 des BSpKG. Vgl. Lehmann, H.-J.: Zuteilungspolitik, 1994, S. 423.
DAS DEUTSCHE BAUSPARSYSTEM
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So verzichten z. B. Bausparer häufiger auf ein Bauspardarlehen, wenn sie eine preiswertere Alternative auf dem Markt angeboten bekommen. In der Praxis werden Darlehensverzichte generell positiv bewertet, weil sie zur Verstärkung des Bausparkollektives einen Beitrag leisten. Es muss jedoch berücksichtigt werden, dass sich ein Darlehensverzicht für eine Bausparkasse nur dann als vorteilhaft erweist, wenn der Marktzins über dem Zins für Bauspardarlehen liegt. Andernfalls kann die Bausparkasse die nicht für ein Bauspardarlehen benötigten Mittel nur zu vergleichsweise schlechteren Konditionen auf dem Kapitalmarkt anlegen und erhält somit einen geringeren Ertrag.189 Die Zinssätze der Bauspareinlagen aus den bestehenden Verträgen müssen dabei weiter bezahlt werden. Wenn sich die Darlehensverzichte unter solchen Umständen häufen, kann sich für die Bausparkassen daraus ein Problem ergeben. Die Auffassung, dass die Bausparkassen aufgrund der festen Zinsdifferenz zwischen Bauspardarlehen und Bauspareinlagen keinem Zinsänderungsrisiko unterliegen, ist demzufolge nicht korrekt.190 Kreditrisiko Die Unsicherheit, dass im Darlehensvertrag vereinbarte Zahlungen nicht rechtzeitig, nicht in vollem Maße oder gar nicht erbracht werden, stellt ein Kreditrisiko dar. Das Kreditrisiko kann unterschiedliche Gründe haben: - eine Verschlechterung der Bonität des Kreditnehmers, - schlechte Zahlungsmoral. Im Fall, dass der Kunde nicht zahlt oder bei einer deutlichen Verschlechterung seiner Bonität (die für die Rückzahlung des Darlehens eine Gefahr darstellt), kann die Bausparkasse auf die Sicherheiten zurückgreifen. Die Sicherung der Bauspardarlehen kann die Gefahr von Ausfällen erheblich mindern. Wenn die Kreditsicherheiten zu diesem Zeitpunkt nicht den erwarteten Wert aufweisen, kommt das Besicherungsrisiko zum Tragen. Die Kreditrisiken bei den Bausparkassen sind relativ gering. Die Ausfallquote bei Forderungen aus Bauspardarlehen liegt im langjährigen Schnitt deutlich unter 0,05 % des Forderungsbestandes.191 Das erklärt sich dadurch, dass die Bausparkassen ihre Bauspardarlehen in der Regel an bereits bekannte Kunden vergeben, die ihre finanzielle Vertrauenswürdigkeit durch jahrelanges Sparen bei der Bausparkasse unter Beweis gestellt haben.
189
Vgl. Dittler, G.: Bausparen, 1999, S. 232 f. Vgl. auch Metz, M./Herzog, W.: Zinsänderungsrisiko, 2002, S. 174. 191 Vgl. Schäfer, O./Cirpka, E./Zehnder, A.: Bausparkassengesetz, 1999, S. 144. 190
100
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Außerdem mindert die dingliche Sicherung der Bauspardarlehen die Gefahr von Ausfällen erheblich. Aufgrund des geringeren (im Vergleich mit den o. g. Kreditinstituten) Kreditrisikos bei den Bausparkassen kann die Besicherung in der Regel mit einer Grundschuld des zweiten bzw. des dritten Ranges erfolgen. Adressenausfallrisiken Die Anlagemöglichkeiten verfügbarer Mittel sind gemäß § 4 Abs. 3 des Bauspargesetzes grundsätzlich auf erste Adressen beschränkt (z. B. Anlage in Bundesanleihen). Adressenausfallrisiken sind damit nicht gegeben. Hier besteht ein wesentlicher Unterschied zur Risikolage der anderen Kreditinstitute. Rechtliche Risiken Eine Veränderung der rechtlichen Rahmenbedingungen, bzw. gesetzlichen Vorschriften könnte ein Risiko für die Bausparkassen darstellen. So kann z.B. eine Veränderung der rechtlichen Rahmenbedingungen zu Liquiditätsproblemen führen, da dabei die Neuabschlüsse stark rückläufig werden. Mit der Einführung der neuen gesetzlichen Vorschriften kann die Notwendigkeit aufkommen, das Bauspargeschäft den neuen gesetzlichen Standards anpassen zu müssen, was mit hohen zusätlichen Ausgaben verbunden sein kann. Währungsrisiko Mit der Eröffnung der Möglichkeit für die Bausparkassen, auch im Ausland tätig zu werden, stellt sich die Frage der Behandlung von Währungsrisiken. Im Interesse der Bauspargemeinschaft müssen diese von der Bausparkasse ausgeschaltet werden, um nicht Gefahr zu laufen, dass die Zuteilungsmittel durch Wechselkursschwankungen verringert werden.192 Dies ist auch beim Aufbau des Bauspargeschäftes in der Russischen Föderation relevant. Das heißt, dass die Bauspargeschäfte dort nur in nationaler Währung (Rubel) betrieben werden dürfen. Es muss nämlich verhindert werden, dass die Bausparer dort die Währungsrisiken auf sich nehmen müssen (was oft bei den russischen Hypothekenbanken der Fall ist, s. dazu auch S. 210). Risiko der Personalbeschaffung Mitarbeiter einer Bausparkasse gewährleisten die ordnungsgemäße und effiziente Abwicklung des Tagesgeschäftes. Die Risiken ergeben sich v.a. bei der Suche und bei der Auswahl geeigneter Mitarbeiter, sowie aus dem möglichen Abgang von Spezialkräften, deren Ersatz am Markt aufgrund der besonderen Spezifika des Bauspargeschäftes schwierig sein kann. Eine genaue Analyse der Austritte, die z. 192
Vgl. ebenda, S. 513.
DAS DEUTSCHE BAUSPARSYSTEM
101
B. auf der Basis der detaillierten Befragung der ausgeschiedenen Mitarbeiter erfolgen kann und darauf aufbauende Maßnahmen müssen auf eine hohe Mitarbeiterbindung abzielen. Wichtig ist u.a. das Vergütungssystem, welches konkurrenzfähig sein muss. Außerdem kommt das Risiko hinzu, dass das geeignete Personal nicht rechtzeitig gefunden werden kann. Die Produktion von Bausparleistungen ist sehr stark IT- geprägt. System- (v. a. Programm-) Probleme haben hier ( relativ zu anderen Branchen) ein großes Gewicht. Hier liegt ein operatives Risiko. Das Risikomanagement, das auf die Identifizierung, Messung, Kalkulation und Steuerung der Risiken gerichtet ist, spielt beim Bauspargeschäft eine zunehmend wichtige Rolle. Jedes Bausparunternehmen hat ein eigenes, auf die Bedürfnisse des Unternehmens angepasstes System des Risikomanagements. In der Regel werden die Risiken durch eine Vielzahl von Steuerungsinstrumenten dezentral in den Fachbereichen identifiziert, überwacht und anschließend von einer zentralen Abteilung erfasst und gesteuert. Ein solches System muss entsprechend dem Entwicklungsstand des Bauspargeschäftes eingesetzt werden. Bei der Entwicklung kann von den deutschen Erfahrungen ausgegangen werden. Eine fundierte Beurteilung der Risikolage deutscher Bausparkassen ist jedoch für einen Externen sehr schwer durchführbar, da die damit verbundenen Daten von den Bausparkassen sehr vertraulich behandelt werden. Auch anhand der Geschäftsberichte ist keine Messung dieser Risiken möglich. Die Geschäftsberichte sagen zwar aus, wie hoch z. B. die Kreditausfälle der Bausparkasse im betrachteten Jahr waren, erlauben jedoch keine Beurteilung, wie gut die Prozesse zur Risikobegrenzung bei der Bausparkasse momentan sind: Die Kreditausfälle, die z. B. im vergangenen Jahr in Geschäftsberichten zu sehen waren, gehen oft auf Einzelfälle zurück, die acht bis zehn Jahre (z. T. auch mehr) in der Vergangenheit liegen. So wurden z. B. Anfang der 90er Jahre viele - z. T. auch sehr teuere - Objekte in Ostdeutschland von den Bausparkassen finanziert. Diese Kreditausfälle schlagen erst jetzt zu Buche. Auch Scoringmethoden bieten für einen Externen nur begrenzte Möglichkeiten, diese Risiken zu beurteilen, da man bei dieser Methode auf die Auskünfte von Bausparexperten angewiesen ist. In jedem Falle wäre der Nutzen einer Bewertung der Risikolage der deutschen Bausparkassen für das Risikomanagement bei den Bausparkassen in Russland aufgrund deutlicher Marktunterschiede - sehr beschränkt.
102
DAS DEUTSCHE BAUSPARSYSTEM
5.3.3 Die Rolle der Bankenaufsicht beim Bausparen Ziele der Bankenaufsicht sind die Sicherung der Funktionsfähigkeit des Kreditwesens und der Gläubigerschutz.193 Das Vertrauen der Gläubiger in die Bonität der Kreditinstitute ist aufgrund der besonderen Vertrauensempfindlichkeit des Kreditwesens von großer Bedeutung: Der Verlust des Vertrauens beschränkt sich oft nicht nur auf ein bestimmtes Kreditinstitut, sondern kann den gesamten Banksektor erfassen.194 Mangels Fachkompetenz sind die Kunden eines Kreditinstituts meistens nicht in der Lage, die Qualität des Managements des Kreditinstitutes und die Geschäftspolitik zu kontrollieren. Das Vertrauen der Gläubiger in die Sicherheit ihrer Forderungen muss jedoch gerechtfertigt sein. Hierzu kann die Bankenaufsicht beitragen. Auch beim Bausparen soll die Bankenaufsicht der Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Bausparsystems dienen, da der Verlust des Vertrauens der Bausparer Kettenreaktionen auslösen und das Funktionieren des Bausparsystems in Frage stellen kann. Hinzu kommt auch die besondere Schutzbedürftigkeit der Bausparer, die dadurch begründet ist, dass die Bausparer in der Regel über ein relativ geringes Vermögen verfügen. Der Bau eines Hauses zur Selbstnutzung stellt für die Mehrheit der Bürger die größte Investition des Lebens dar. Oft ist diese auch als Altervorsorge gedacht. Gerade diese Bausparer würden durch den Verlust ihres der Bausparkasse anvertrauten Vermögens besonders hart getroffen. In vielen Fällen würde dieser Verlust eine Bedrohung ihrer ökonomischen Existenz bedeuten. Deswegen ist der Schutz der Kunden der Bausparkasse von besonderer sozialer und politischer Bedeutung. Gemäß § 3 des Bauspargesetzes obliegt die Aufsicht über die Bausparkassen dem BaFin. Im Vergleich zu sonstigen Kreditinstituten verfügt die BaFin hier über erweiterte Aufsichtskompetenzen im Sinne des Kundenschutzes. Die Bundesaufsicht muss im Erlaubnisverfahren prüfen, ob aufgrund der Allgemeinen Geschäftsgrundsätze und der Allgemeinen Bausparbedingungen die Erfüllbarkeit der Bausparverträge innerhalb angemessener Zuteilungsfristen gewährleistet ist und die Belange der Bausparer ausreichend wahrgenommen werden. Die Bauspar- und Darlehenstarife, sowie die Allgemeinen Geschäftsbedingungen müssen von der Bankenaufsicht genehmigt werden. Die Aufsicht ist nach § 9 Abs. 2 befugt, Änderungen der Geschäftsgrundsätze und der Bausparbedingungen zu ver193 194
Vgl. Burghof, H.-P./Rudolph, B.: Bankenaufsicht, Wiesbaden, 1996, S. 22. Vgl. Müller, W.: Bankenaufsicht, 1981, S. 30; Burghof, H.-P.: Eigenkapitalnormen, 1998, S. 83-84.
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langen, wenn die Erfüllung der in den Bausparverträgen übernommenen Verpflichtungen nicht ausreichend gewährleistet ist. Inhaltskontrolle und sonstige AGB-Regelungen gelten jedoch auch für genehmigte Bedingungen der Bausparkassen.195 Die Gründe, die nach § 33 Abs. 1 KWG zur Versagung der Erlaubnis führen können, werden für die Bausparkassen im § 8 erweitert. Diese gelten auch für die Erteilung und Versagung der vorgeschriebenen Genehmigung der Allgemeinen Geschäftsgrundsätze und der Allgemeinen Bausparbedingungen (§ 9 Abs. 1 Satz 2). Die Gründe, die nach § 36 KWG zur Abberufung eines Geschäftsleiters führen können, werden durch § 11 des Bauspargesetzes für Bausparkassen ergänzt. Die laufende Tätigkeit des Bausparinstitutes wird von einem Vertrauensmann, der laut § 12 bei jeder Bausparkasse vom Bundesaufsichtsamt bestellt werden muss, geprüft. Der Vertrauensmann überwacht vor allem die Durchführung des Zuteilungsverfahrens. Was in diesem Zusammenhang jedoch als sehr wichtig erscheint, ist die fachliche Kompetenz des Vertrauensmannes und seine Fähigkeit, die komplexen, EDVgestützten Systeme beurteilen zu können. Das sind die Voraussetzungen dafür, dass der Vertrauensmann auch prüfen kann, ob gegen Interessen der Bausparer bei einer Bausparkasse verstoßen wird. Bei einigen deutschen Bausparkassen erscheint dies nicht gesichert: Vertrauensmann bzw. Vertrauensfrau kommen oft aus der Politik und engagieren sich in ihrem täglichen Leben in Bereichen wie z. B. Ernährung, Tourismus oder Landwirtschaft und haben zum Bausparen keinen genügend fundierten Bezug. Die Funktion des Vertrauensmannes verliert unter diesen Bedingungen ihre Bedeutung. Bei der Einführung des Bausparsystems in der Russischen Föderation sollte auf die Fachqualifikation dieser Funktionsträger geachtet werden (siehe dazu auch Kapitel 7.1.4). Des Weiteren wird im jährlichen Abschlüßprüfungsbericht darauf eingegangen, ob die ABB und AGG, sowie die anderen Rechtsvorschriften von der Bausparkasse eingehalten wurden. Genügt eine Bausparkasse den Anforderungen nicht, kann dies zu einer Rücknahme der Erlaubnis seitens der Aufsichtsbehörde führen. Die Bankenaufsicht leistet somit einen außerordentlichen Beitrag zum Schutz der Bauspargemeinschaft.
195
Vgl. z. B. BGH, Urteil von 9.7.1991-XI ZR 72/90.
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5.3.4 Finanzierung Wie bei anderen Unternehmen kann auch für die Herkunft der eingesetzten Mittel der Bausparkasse eine Unterteilung nach Innen- und Außenfinanzierung erfolgen. 5.3.4.1 Kollektive Finanzierung Die deutschen Bausparkassen arbeiten, wie bereits erwähnt, nach dem Prinzip eines geschlossenen Systems der Darlehensvergabe.196Das bedeutet, dass nur diejenigen Bauherren ein Bauspardarlehen erhalten, die die vorher notwendige Sparleistung bei dieser Bausparkasse erbracht haben. Zu kollektiven Mitteln der Bausparkasse zählen die Einlagen der Bausparer aufgrund von abgeschlossenen Bausparverträgen, sowie die Annuitäten von Bausparern, die ihre Bauspardarlehen bereits erhalten haben. 5.3.4.2 Außerkollektive Finanzierung Zur Finanzierung der sonstigen Aktivgeschäfte, zu denen Kollektivmittel nicht verwendet werden dürfen, benötigen die Bausparkassen außerkollektive Geldmittel. So werden z. B. Sofortdarlehen von den Bausparkassen aus Eigen- oder Fremdmitteln ohne Bausparvertrag gewährt. Die Sofortdarlehen werden in der Regel vom Bausparer für die Schließung von Finanzierungslücken verwendet. Die Refinanzierung solcher Kredite aus der Trägheitsreserve ist durch § 6 Abs. 1 des Bauspargesetzes untersagt. Außerdem können die Fremdmittel für die Refinanzierung von Vor- und Zwischenfinanzierungskrediten aufgenommen werden. (Die Gewährung von Zwischenkrediten gehörte schon seit Anfang der 50er Jahre zu den Standardleistungen der Bausparkassen. Diese Kredite dürfen auch nur für wohnungswirtschaftliche Maßnahmen verwendet werden). Dies ist oft notwendig, da die Vergabe von Vorfinanzierungskrediten und Zwischenkrediten aus Trägheitsreserven, gemäß § 10 des Bauspargesetzes und § 1 der Bausparkassenverordnung begrenzt ist. Beschränkt ist auch die Laufzeit solcher Kredite, da die Trägheitsreserven nach § 6 des Bauspargesetzes in erster Linie für die Zuteilungsmasse verfügbar sein müssen. Ferner können die Fremdmittel auch der Zuteilungsmasse zugeführt werden, wenn bei einer Bausparkasse ein rückläufiges Neugeschäft zu beobachten ist. Der Einsatz von Fremdmitteln wirkt in diesem Fall einer Verlängerung der Wartezeiten entgegen. 196
Sie sind die einzigen Kreditinstitute, die vom Verbot eines kollektiven Kreditsparsystems nach § 2 KWG ausgenommen sind.
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Laut § 4 Abs. 1 des Bauspargesetzes stehen den Bausparkassen folgende ergänzende Finanzierungsmöglichkeiten zu Verfügung: 1. Globalkreditgeschäft – Aufnahme der Gelder bei Kreditinstituten und bei sonstigen Kapitalsammelstellen; 2. Depositengeschäft – Verschuldung im Banken– und Nichtbankensektor durch Annahme von Sicht-, Spar- und Termineinlagen; 3. Emissionsgeschäft – Bausparkassen können unter anderem Schuldverschreibungen emittieren. Die Laufzeit dieser Wertpapiere war eine Zeitlang auf 4 Jahre beschränkt. Mit der Gesetzesnovelle vom 13. Dezember 1990 wurde diese Beschränkung aufgehoben. Die Bausparkassen benötigen derzeit auch keine besondere staatliche Genehmigung, um diese Wertpapiere zu emittieren. Die Mittel aus ihrer Ausgabe werden für die Finanzierung sowohl von Zwischenkrediten, als auch von Sofortdarlehen und Vorfinanzierungskrediten eingesetzt. Bei der Finanzierung mit Fremdmitteln muss das Zinsänderungsrisiko berücksichtigt werden. In den letzten Jahren werden Bausparprodukte hauptsächlich aus kollektiven Mitteln refinanziert. Das hängt damit zusammen, dass aufgrund des zurzeit insgesamt günstigen Zinsniveaus relativ wenig Bausparer ein Bauspardarlehen in Anspruch nehmen: Die Darlehensverzichte stiegen in den letzten zehn Jahren kontinuierlich und betrugen in 2003 9,3 % der Bilanzsumme (im Jahre 1993 waren es nur 4%).197
5.3.5 Marketing bei den deutschen Bausparkassen Marketing ist „eine bewusste und systematische Beeinflussung des Marktes zugunsten des Unternehmens“.198 Die zunehmende Transparenz aus Käufersicht auf dem Markt der Privatimmobilienfinanzierung (nicht zuletzt aufgrund der Verwendung neuer Medien in der Kommunikation – jetzt können die Kunden leichter die einzelnen Produkte miteinander vergleichen) und zunehmender Wettbewerb in der Finanzdienstleistungsbranche führten dazu, dass das Marketing bei den Bausparkassen in den letzten Jahren wesentlich an Bedeutung gewonnen hat.
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Vgl. Geschäftsberichte der deutschen Bausparkassen, eigene Berechnungen. Büschgen, H.: Bankmarketing, 1995, S. 25.
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Aus den vergangenen Kapiteln wurde deutlich, dass ein ausreichendes Neugeschäft für die Existenz der Bausparkassen notwendig ist. Dies erfordert ständige Anstrengungen der Bausparkassen, die Kunden für das Bauspargeschäft zu gewinnen. Mit dem Marketing verfügen die Bausparkassen über ein Bündel von Mitteln, das es ihnen erlaubt, besser und effizienter auf sich ändernde Marktsituationen zu reagieren und die Kundenbedürfnisse zum eigenen Vorteil zu lenken. Deshalb stellt die Entwicklung einer immer effizienteren Marketingpolitik eine der größten strategischen Herausforderungen für die Bausparkassen dar. In diesem Kapitel wird das Marketing bei den deutschen Bausparkassen mit dem Ziel untersucht, Empfehlungen bezüglich der Gestaltung der Marketingmaßnahmen bei der Einführung des Produktes auf dem russischen Markt zu geben. Hierbei ist anzumerken, dass das Thema Marketing bei den deutschen Bausparkassen in der wissenschaftlichen Literatur bis jetzt nur noch wenig beleuchtet wurde. Zu den wenigen Untersuchungen zu diesem Themenkomplex gehören u. a. die Arbeiten von J. Oelsner „Marketing bei der Bausparkassen“199 und M. Möbus „Kundenzufriedenheit als Marketingziel der deutschen Bausparkassen“200. In den vorherigen Kapiteln wurden die Faktoren dargestellt, die die Nachfrage nach Bausparleistungen im Wesentlichen beeinflussen: die Größe der Bevölkerung, ihre Struktur und Entwicklungsdynamik, die allgemeinen Einstellungen der Bevölkerung gegenüber dem Sparen und insbesondere gegenüber dem Sparen für eine Wohnimmobilie, usw. Für die Marketingpolitik einer Bausparkasse ist es jedoch wichtiger, die „spezifischen Merkmale der verschiedenen Gruppen von Bausparern“ zu kennen.201 Um die Zielgruppen zu identifizieren, führen die Bausparkassen eine Kundensegmentierung durch. Da das Nachfrageverhalten der Kunden stark mit demographischen Merkmalen wie Alter und Familienstand, sowie sozioökonomischen Merkmalen - Einkommen, Beruf oder Bildung korreliert, erfolgt die Kundensegmentierung zuerst nach diesen Kriterien. Eine weitere Segmentierung erfolgt nach psychographischen Kriterien, zu denen u.a. die Einstellungen der Kunden, ihr erwarteter Nutzen bezüglich eines Produktes gehören.202 Diese Unterteilung kann auf der Basis von Kundenbefragungen vorgenommen werden. Nachdem eine Bausparkasse eine Segmentierung basierend auf diesen Kriterien vorgenommen hat, definiert sie ihre Zielgruppen. Dabei muss das Marktpotenzial 199
Vgl. Oelsner, J.-M.: Marketing, 1994. Vgl. Möbus, M. Kundenzufriedenheit, 1999. 201 Vgl. Oelsner, J.-M.: Marketing, 1994, S. 64. 202 Vgl. Cramer, J.-E.: Marktforschung, 1998, S. 107 ff. 200
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(unter bestimmten Bedingungen von allen Anbietern erreichbarer Absatz), welches durch diese Zielgruppen repräsentiert ist, einen bedeutenden Umfang für die Bausparkasse darstellen.203 Trotz gleicher Segmentzugehörigkeit können die Kunden unterschiedlich hohe Erwartungen und jeweils andersartigen Bedarf haben. Die Produkt- und Sortimentspolitik der Bausparkassen sind darauf gerichtet, diesen Bedarf zu decken. 5.3.5.1 Produktpolitik und Sortimentspolitik Im Rahmen ihrer Produktpolitik boten die deutschen Bausparkassen aufgrund der steigenden Konkurrenz auf dem Markt der Wohnungsbaufinanzierung im Laufe der Jahre eine immer breiter werdende Dienstleistungspalette an. Nichtsdestotrotz wird das Bauspargeschäft durch hohe Angebotshomogenität gekennzeichnet. Aufgrund der rechtlichen Bestimmungen verfügen die Bausparkassen jedoch nur über sehr begrenzte Möglichkeiten in Bezug auf Innovation, Variation, Diversifikation und Differenzierung des angebotenen Produktes.204 Wie gehen die Bausparkassen in diesem relativ eng vorgegebenen Rahmen vor? Welche Maßnahmen haben sich als besonders erfolgreich erwiesen und lassen sich bei der Einführung des Bausparens in Russland anwenden? Die für die Bausparkassen zulässigen Geschäfte sind in § 1 und § 4 des Bauspargesetzes festgelegt. Dazu gehört in erster Linie das kollektive Grundgeschäft der Bausparkassen. 5.3.5.1.1 Gestaltung des Produktes im kollektiven Grundgeschäft Die meisten Bausparkassen boten bis Ende der Siebziger Jahre nur einen Bauspartarif an. Inzwischen ist die Situation ganz anders: die Bausparkassen bieten im Schnitt 2 bis 3 unterschiedliche Tarife an, dazu kommen die unterschiedlichen Tarifvarianten.205 Durch diese Tarifvielfalt wird den Kunden die Möglichkeit geboten, die Bausparverträge weitgehend ihren Bedürfnissen anzupassen. Viele unterschiedliche Tarife und Tarifvarianten zu unterhalten, ist für die Bausparkassen mit hohen zusätzlichen Aufwendungen verbunden: Diese sog. Komplexitätskosten entstehen im Laufe der Tarifentwicklung, Tarifeinführung und Tarifvermarktung.206 So wird bei der Vermarktung der vielen Tarifvarianten neben den zusätzlichen Schulungsmaßnahmen für Bausparberater und der Anpassung der Bausparsoftware an die neuen Tarife und Tarifvarianten eine sehr 203
Vgl. Bühler, A.: Marketingstrategien, 1999, S. 24. Vgl. Schäfer-Lehnen, A.: Planung, 1981, S. 23. 205 Vgl. Verband der Privaten Bausparkassen: Jahrbuch, 2003, S. 162-191. 206 Vgl. auch Böhm, W./Kempter, E./Laumen, M.: Produktvielfalt, 2000, S. 4. 204
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zeitintensive Kundenberatung nötig, bei der die breite Angebotspalette erklärt wird. Außerdem nimmt die Komplexität der Berechnungen bei der Ermittlung von Zuteilungsvoraussetzungen zu. Am Ende rechnen sich diese Ausgaben oft nicht, da viele der angebotenen Tarifvarianten von Kunden nur in einem sehr eingeschränkten Umfang in Anspruch genommen werden.207 Das Angebot innerhalb der Bausparbranche ist weitgehend gleich. Die Wettbewerbs- und Ertragsvorteile aus der Produktpolitik bestehen nur kurzfristig. Aussichtsreiche neue Tarifvarianten werden von Konkurrenten innerhalb kurzer Zeit nachgeahmt. Die verbreitetesten Bauspartarif- Typen sind heute: 1. der Normaltarif, 2. der Niedrigzinstarif, 3. der Schnellspartarif, 4. der Langzeittarif, 5. der dynamische Bausparvertrag, 6. der Disagio-Tarif, 7. der Optionstarif. Insbesondere der Optionstarif hat in der letzten Zeit sehr stark an Bedeutung gewonnen. Fast alle Bausparkassen bieten inzwischen einen solchen Tarif an. Dieser Tarif bietet sehr viel Flexibilität für den Kunden: Dabei kann der Bausparer zwischen verschiedenen Tarifvarianten wechseln, z. B. einen anderen Darlehenszins wählen oder die Bausparsumme erhöhen. Die Strategie der deutschen Bausparkassen geht derzeit in die Richtung „mehr Flexibilität für den Kunden“. Als Beispiel ist hier der neue Tarif R66 der Dresdner Bauspar AG zu nennen, bei welchem der Bausparer Zuteilungszeitpunkt, Darlehenshöhe und Rückzahlungsrate selbst bestimmen kann.208 Hierzu ist anzumerken, dass diese Entwicklung in Deutschland über mehrere Jahrzehnte stattgefunden hat. Deshalb kann und soll diese Produktpalette nicht einfach auf den Russischen Markt übertragen werden. Bei der Produktpolitik spielt die Zuteilungspolitik eine wichtige Rolle, da sich für die meisten Bausparer der Zweck ihrer Spartätigkeit erst mit der Zuteilung des Bausparvertrages erfüllt. Wie schnell es im Schnitt zu einer Zuteilung 207
Vgl. ebenda, S. 10-12. Diese Aussage basiert auf einer empirischen Erhebung, die an der Universität Hohenheim durchgeführt wurde. 208 Vgl. Wiechers, R.: Imagebilder, 2000, S. 666.
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kommt, bzw. wie lang die Wartezeiten bei einer Bausparkasse sind, hängt nicht zuletzt von der Zuteilungspolitik der Bausparkasse ab.209 Eine unangemessene Steigerung der Wartezeiten kann eine erhebliche Erhöhung der Finanzierungskosten für den Bausparer bedeuten und kann u. U. systemgefährdend sein.210 Deshalb forderte 1990 der Gesetzgeber mit der Novellierung des Bausparkassengesetzes die Bausparkassen auf, eine nach Möglichkeit gleichmäßige Zuteilung sicherzustellen. Eine gleichmäßige Zuteilung zu erreichen, ist auch bei der Übertragung des Systems auf die Russische Föderation wichtig. In Deutschland dient diesem Ziel das folgende Instrumentarium, das auch für die Russische Föderation übernommen werden kann. Dafür spricht, dass die technische Seite des Bausparens in den osteuropäischen Ländern, wo das Bausparsystem bereits eingeführt wurde, komplett übernommen wurde. Die Bausparkassen legen für die Zuteilung von Bausparverträgen Mindestvoraussetzungen fest. Dazu gehören Mindestansparzeit, Mindestansparung und Mindestbewertungszahl oder andere geeignete Zuteilungsvoraussetzungen, die in den ABB festgelegt worden sind.211 Diese müssen auf Dauer zu einem kollektiven Sparer-Kassen-Leistungsverhältnis (SKLV) von mindestens 1,0 führen. Bei Abweichungen müssen die Zuteilungsvoraussetzungen laut § 7 Abs. 4 der BSpKVO entsprechend angepasst werden. Es gibt jedoch Fälle, in welchen ein hohes kollektives SKLV einen vorübergehenden Charakter hat und demzufolge angenommen werden kann: z. B. wenn sich eine Bausparkasse im Anfangsstadium (was auch bei der Übertragung des Bausparsystems auf die Russische Föderation im Anfangsstadium der Fall wäre) oder in einer sehr starken Progressionsphase befindet, oder wenn aufgrund einer starken Änderung der Rahmenbedingungen bereits zugeteilte Darlehen nicht abgerufen wurden. 212 Neben den kollektiven SKLV, wird das individuelle SKLV berechnet. Das individuelle SKLV zeigt das Verhältnis zwischen der Leistung eines Bausparers an das Kollektiv und der zu erwartenden Beanspruchung des Kollektivs nach Darlehensaufnahme an.213 Je kleiner diese Kennzahl ist, desto höher wird das Kollektiv zu Lasten der Wartezeitentwicklung belastet. Deshalb muss das individuelle 209
Vgl. Oelsner, J.-M. Marketing, 1984, S. 147. Vgl. Wielens, H.: Anmerkung, 1994, S. 419. 211 Vgl. Schäfer, O./Cirpka, E./Zehnder, A.: Bausparkassengesetz, § 5, Anm.16, S. 248 f., sowie § 4 Abs. 2 ABB. 212 Vgl. o.V.: Bausparkassen-Fachbuch, 2002, S. 121. 213 Vgl. Lehmann, H.-J.: Zuteilungspolitik, 1994, S. 423. 210
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SKLV laut §7 Abs. 2. der BSpKVO bei der Zuteilung mindestens 0,5 betragen. Mit Hilfe dieser Mindestbewertungszahl wird sichergestellt, dass kein Bausparer ohne eine bestimmte Mindesthöhe des Sparverdienstes zugeteilt wird. Dies dient ferner dazu, die Funktionsfähigkeit des Bausparkollektivs sicherzustellen und ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der Leistung des Kollektivs und derer einzelner Bausparer zu gewährleisten. 214 Des Weiteren soll die Mindestbewertungszahl in Zeiten eines starken Geldeingangs die möglichen Zuteilungen beschränken. Diese Gelder können dann in Zeiten mit rückläufigem Geldeingang verwendet werden. Die Höhe der Bewertungszahl des Einzelvertrages entscheidet darüber, ob die Bausparsumme zugeteilt wird oder nicht. Die niedrigste Bewertungszahl, die für eine Zuteilung ausreicht, heißt Zielbewertungszahl. Ungewöhnlich niedrige Zielbewertungszahlen können über einen längeren Zeitraum nicht aufrechterhalten werden. Im Gegenteil: Diese können sogar dem Bausparen eine falsche Richtung vorgeben, indem so hauptsächlich Schnellsparer angelockt werden.215 Je vorsichtiger eine Mindestbewertungszahl festgelegt wird, desto niedriger fällt eine spätere Fremdmittelaufnahme nach einem Neugeschäftsrückgang aus.216 Eine vorsichtige Vorgehensweise bei der Festlegung von Zuteilungsvoraussetzungen kann kurzfristig zwar zu Einschränkungen bei der Wettbewerbsfähigkeit des Bausparinstituts hinsichtlich von Wartezeiten bedeuten, auf Dauer jedoch ist die Ausübung einer zuverlässigen Zuteilungspolitik eine notwendige Voraussetzung, um erfolgreich zu sein.217 5.3.5.1.2 Gestaltung des Produktes in ergänzenden außerkollektiven Geschäften Schon bald nach der Gründung haben die deutschen Bausparkassen damit begonnen, das Kerngeschäft durch außerkollektive Dienstleistungen zu ergänzen.218 Unter dem Gesichtspunkt „Übertragung des Bausparsystems auf die Russische Föderation“ soll geklärt werden, ob diese Produkte auch auf dem russischen Markt angeboten werden sollen. Bei dieser Entscheidung sind die folgende Beurteilungkriterien relevant: 214
Die Zuteilungsvoraussetzungen im Einzelfall müssen so bemessen werden, dass die kollektive SKLV von mindestens 1 zu erwarten ist. So wird z. B. für Schnellsparer eine SKLV von 0,7 und höher erforderlich. - Vgl. Bausparkassen- Fachbuch, S. 123. 215 Vgl. Laux, H.: Bausparfinanzierung, 1992, S. 59. 216 Vgl. Lehmann, H.-J.: Zuteilungspolitik, 1994, S. 426. 217 Vgl. ebenda, S. 427. 218 Vgl. Storck, L.: Produktpolitik, 1985, S. 302.
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1. Welche Bedarf decken diese Produkte ab? 2. Wie ist die Nachfrage nach solchen Produkten? 3. Wie hoch ist dabei das Kreditausfallrisiko? 4. Wie hoch sind die Margen, die dabei zu erwarten sind? Die meisten deutschen Bausparkassen bieten die folgenden außerkollektiven Produkte an: Vor- und Zwischenfinanzierungen, Sofortfinanzierung, Tilgungsstreckung. Im Folgenden werden diese Produkte anhand der oben genannten Kriterien analysiert. Bei der Vorfinanzierung wird dem Bausparer, der ein Mindestsparguthaben noch nicht angespart hat, ein Darlehen höchstens in der Höhe der vereinbarten Bausparsumme zu Kapitalmarktbedingungen gewährt.219 Während seiner Laufzeit erfolgt keine Tilgung des Darlehens, der Bausparer zahlt nur Zinsen. Neben den Zinsen muss der Bausparer die vereinbarten regelmäßigen Sparleistungen an die Bausparkasse entrichten. Nach Zuteilung des Bausparvertrages wird das Darlehen durch Bausparmittel abgelöst. Die Möglichkeit einer Vorfinanzierung kommt vielen Bauherren entgegen, wenn das aktuelle Zinsniveau hoch ist, die Kunden eine nachrangig gesicherte Finanzierung benötigen, oder die Möglichkeit einer Sondertilgung haben wollen. Eine Vorfinanzierung bedeutet in der Regel eine hohe zusätzliche Belastung: je weniger angespart ist, desto länger ist die Finanzierungsdauer und umso teuerer ist eine Vorfinanzierung. Ob diese Belastung für einen bestimmten Bauherrn tragbar ist, muss im Vorfeld sorgfältig kalkuliert werden. Das Risiko für das Bausparinstitut für diese Darlehensart ist in Deutschland hoch, um das Dreifache höher als das Risiko für ein normal zugeteiltes Bauspardarlehen, das im Rahmen des Kollektivgeschäftes vergeben wird. Dies wird jedoch durch gute Margen kompensiert: Die Bausparkasse verdient dabei u.U. besser als bei einem herkömmlichen Bauspargeschäft. Die Verdienstmöglichkeiten hängen jedoch vom Gesamtangebot des Marktes für Baukredite ab. Ein weiterer Vorteil dieses Produktes für die Bausparkasse besteht darin, dass sie dadurch zusätzliche Bausparer gewinnen kann, für die die Möglichkeit einer Vorfinanzierung einen Anstoß gibt, einen Bausparvertrag abzuschließen. Einen Zwischenkredit erhält ein Bausparer mit vorzeitigem Finanzierungsbedarf, wenn er bereits das tarifliche Mindestsparguthaben angespart hat. Der Zwischenkredit wird bis zur Höhe der Bausparsumme zu Kapitalmarktbedingungen gewährt. Während seiner Laufzeit erfolgt keine Tilgung des Darlehens, der Bauspa219
Vgl. § 4 Abs.1 des Bauspargesetzes; vgl. dazu auch Bausparkassen-Fachbuch, 2002, S. 38.
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rer zahlt nur Zinsen.220 Die finanzielle Belastung ist - verglichen mit einer Vorfinanzierung - geringer, da das vereinbarte Mindestsparguthaben in diesem Fall bereits erreicht ist und die Dauer dieser Finanzierung in der Regel kürzer ist. Nach Zuteilung des Bausparvertrages wird ein Zwischendarlehen (analog Vorfinanzierungsdarlehen) durch Bausparmittel abgelöst. Aus Sicht der Bausparkasse ist ein Zwischenkredit mit einem - im Vergleich zu einem Vorfinanzierungskredit - geringen Risiko verbunden und bringt eine hohe Zinsmarge, allerdings nur für kurze Zeit: Die durchschnittliche Laufzeit solcher Kredite liegt in Deutschland bei ca. 6 Monaten.221 Sofortfinanzierung222 Eine Sofortfinanzierung bietet dem Bausparer die Möglichkeit, seine Immobilie sofort zu finanzieren.223 Dabei bekommt der Bausparer eine Summe zur Soforteinzahlung, die das Mindestsparguthaben ersetzt. Bei einer Sofortfinanzierung schließt man de facto zwei Verträge ab: einmal über ein Baudarlehen und einmal über einen Bausparvertrag, auf welche man die Sofortfinanzierung leistet. Das Sofortfinanzierungsgeschäft ermöglicht für eine Bausparkasse einerseits die Akquisition von Bausparern und bringt u. U. eine relativ hohe Rendite (die jedoch geringer ist, als bei einer Zwischenfinanzierung), anderseits ist eine Sofortfinanzierung mit einem relativ hohen Kreditrisiko für das Bausparinstitut verbunden, das auf eine in der Regel nachrangige Sicherung des Darlehens und die Vergabe des Darlehens an einen noch unbekannten Kunden zurückzuführen ist. Das Sofortdarlehensgeschäft spielt für die Bausparkassen eine untergeordnete Rolle.224 Tilgungsstreckung Die Laufzeit eines Bauspardarlehens, die im Durchschnitt 9 bis 11 Jahre beträgt, ist im Vergleich mit einer Laufzeit von Hypothekendarlehen (z. T. über 30 Jahre) relativ kurz, was eine hohe monatliche Belastung für den Inhaber eines Bauspardarlehens bedeutet. Um die Höhe der laufenden Tilgung zu reduzieren, bieten die Bausparkassen seit 1962 ein Tilgungsstreckungsdarlehen.225 Dabei entrichtet der Bausparer regelmäßig nur einen Teil der Tilgung, den Rest übernimmt die 220
Vgl. Laux, H.: Bausparfinanzierung,1992, S. 136- 148. Quelle 11. 222 Mehr dazu in:. Laux, H.: Bausparfinanzierung, 1992, S. 148-166. 223 Laut § 4 Abs.1 Nr. 2 des Bauspargesetzes dürfen die Bausparkassen ein Gelddarlehen zur Finanzierung wohnungswirtschaftlicher Maßnahmen gewähren, wenn kein Bausparvertrag vorhanden ist. 224 Der Anteil der sonstigen Baudarlehen, zu welchen auch Sofortfinanzierungsdarlehen zählen, betrug an den gesamten Auszahlungen 2003 lediglich 6,9 %. Vgl. Verband der Privaten Bausparkassen: Bericht, 2004, S. 96. 225 Lehmann, W.: Bausparkassen, 1977, S. 51. 221
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Bausparkasse selbst oder ein anderes Kreditinstitut. Der Bausparer erhält in Form von Annuitätzuschüssen ein Darlehen und muss seinen vertraglichen Verpflichtungen bis zum vollen Umfang später nachkommen.226 Dieses Produkt wird von den Bausparkassen oft genutzt, um notleidende Kredite zu retten. Hier sind in Deutschland grundsätzlich hohe Margen möglich, weil dieses Marktsegment eine geringe Transparenz aufweist. Außerdem ist der Kunde in einer Notsituation bereits auf eine bestimmte Bausparkasse angewiesen. Allerdings kann es die falsche Strategie sein, Kredite mit überhöhten Margen anzubieten, da dies dazu führen kann, dass der Bausparer nicht in der Lage sein wird, seinen Kredit zu tilgen. Der Anteil solcher Kredite ist im gesamten Kreditportfolio einer Bausparkasse sehr gering. Diese Ausführungen sind auf den russischen Markt allerdings nicht ohne weiteres übertragbar, da die Situation sich dort komplett von der Situation auf dem deutschen Markt unterscheidet. Anders sind auch die Erfordernisse des Marktes. Ob es sinnvoll ist, diese Produkte in der Russischen Föderation anzubieten, wird im Kapitel 7.3.1.2 analysiert. 5.3.5.1.3 Sortimentspolitik Auf dem deutschen Markt gewinnt die Diversifizierung von Dienstleistungen der Bausparkassen immer mehr an Bedeutung. Die meisten Bausparkassen bieten neben den Produkten, die zum kollektiven- und außerkollektiven Geschäft gehören, zusätzliche Leistungen an. Diese Zusatzleistungen sollen dazu dienen, die Kernleistung für den Kunden wertvoller zu machen. Diese breite Produktpalette ist allerdings nicht auf die Russische Föderation - insbesondere im Anfangsstadium - übertragbar. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Der wichtigste Grund ist, dass das primäre Ziel einer Bausparkasse in Russland darin besteht, das eigentliche Bauspargeschäft einzuführen und eine Akzeptanz zu diesem Produkt zu erreichen. Dies erfordert große Investitionen und Konzentration aller Kräfte auf dieses Ziel. Ein weitere Grund ist, dass es in Russland keine ausreichende zahlungsfähige Nachfrage nach zusätzlichen Leistungen gibt. So bieten z. B. die meisten deutschen Bausparkassen die Vermittlung erststelliger Hypotheken an. Dabei dürfen Bausparkassen auch Gelddarlehen im Namen Dritter bewilligen.227 Es ist ohne Zweifel eine Verwaltungsvereinfachung, die sich viele Kunden sowohl in Deutschland als auch in Russland wünschen, eine „Finanzierung aus einer Hand“ zu bekommen. 226 227
Mehr dazu in:. Laux, H.: Bausparfinanzierung, 1992, S. 166-171. Vgl. dazu § 4 Abs. 1 Nr. 3 des Bauspargesetzes.
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Allerdings lässt sich eine solche Vermittlung in Deutschland viel einfacher organisieren: So bietet z. B. die Bausparkasse Schwäbisch-Hall DG-Hyp-Produkte an, die Bausparkasse Wüstenrot hat eine eigene Bank und eine Hypothekenbank. Da in Russland eine solche Infrastruktur noch nicht vorhanden ist, lässt sich eine solche Vermittlung nur mit einem sehr hohen Aufwand gestalten. Dieser Aufwand muss letztendlich von dem Leistungsnehmer bzw. Bausparer getragen werden. Die ganze Finanzierung wird demzufolge teuerer. Die meisten potenziellen Bausparer in der Russischen Föderation verfügen über ein mittleres Einkommen. Eine Maßnahme, die auf die Verbesserung ihrer Wohnsituation gerichtet ist, bedeutet ohnehin eine hohe Belastung für sie. Deshalb sind diese Bürger eher dazu bereit, einen Teil der Arbeit, die mit der Suche nach einer zusätzlichen Finanzierung verbunden ist selbst zu erledigen, als einen Aufpreis dafür an Vermittler zu zahlen. Die Leistungen „Vermittlung von Bürgschaften“228 und „Vergabe einer Ablösegarantie“229 können in Russland aufgrund fehlender Anbieter dieser Leistungen nicht angeboten werden. Viele deutsche Bausparkassen bieten im Rahmen der Sortimentspolitik Versicherungsprodukte an, da bei den meisten privaten Bausparkassen die Gewährung des Bauspardarlehens von dem Bestehen eines Versicherungsschutzes abhängig gemacht wird. Dazu gehören eine Lebensversicherung, die eine zusätzliche Kreditsicherheit für den Todesfall des Bausparers darstellt, sowie verschiedene Sachversicherungen „rund um die Immobilie“: Wohngebäudeversicherung, Hausratversicherung, Bauhaftpflichtversicherung. Oft arbeiten in Deutschland Bausparkassen
228
Die deutschen Bausparkassen dürfen nach den aufsichtsbehördlich genehmigten Vertragsbedingungen Bauspardarlehen bis zu 80 v.H. des von ihnen ermittelten Beleihungswertes der zu beleihenden Grundstücke gewähren. Vgl. § 7 Abs. 2 der ABB für private Bausparkassen, § 7 Abs. 2 der ABB für öffentliche Bausparkassen. Laut § 7 Abs. 3 des Bauspargesetzes kann „von einer Sicherung durch Grundpfandrechte abgesehen werden, wenn ausreichende anderweitige Sicherheiten gestellt werden (Ersatzsicherheiten).“ Als Ersatzsicherheit kann neben anderen banküblichen Sicherheiten die Bürgschaft eines geeigneten Kreditinstituts genommen werden. Vgl. Schreiben des BAKred vom 09.01.1979: „Auch nach Inkrafttreten des Bauspargesetzes am 1. Januar 1973 ist den Bausparkassen gestattet, von einer Sicherung durch Grundpfandrechte für ihre Forderungen aus Bauspar-, Vor-, Zwischenfinanzierungssowie sonstigen Gelddarlehen für wohnungswirtschaftliche Maßnahmen abzusehen.“ Weiter heißt es ebenda: …“sehe ich folgende Sicherheiten als ausreichend im Sinne der o. g. Bestimmungen an: 1. Bürgschaft eines geeigneten Kreditinstituts….“ 229 Wenn der Bausparvertrag die Mindestvoraussetzungen erreicht hat, aber noch nicht zugeteilt werden kann, kann eine Bausparkasse eine Garantie erteilen, dass ein bei einem anderen Kreditinstitut aufgenommenes Baudarlehen mit einem Bauspardarlehen abgelöst wird.
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und Versicherungsgesellschaften eng zusammen und betreiben sog. „CrossSelling“, in denen sie jeweils die Produkte vom Partner anbieten.230 In der Russischen Föderation ist die Versicherungsbranche noch sehr unterentwickelt. Wenn sich in der Russischen Föderation eine Kooperation der Bausparkasse mit einer Versicherungsgesellschaft ergibt, könnte darüber nachgedacht werden, ob man Versicherungsprodukte, die für das Erhalt eines Bauspardarlehens notwendig sind, wie insbesonde Lebensversicherungen und Gebäudeversicherungen bei der Darlehensvergabe verkauft. Dies würde allerdings nur ein Randprodukt darstellen und wäre erst 2 bis 3 Jahre nach der Einführung des Bausparens relevant (wenn die ersten Bausparverträge zugeteilt werden). Die Vermittlung von Rentenversicherungen und Investmentfonds, die im Rahmen von Cross-Selling von den deutschen Bausparkassen angeboten werden, macht in der Russischen Föderation keinen Sinn, da diese Anlageformen dort kaum in Anspruch genommen werden. Seit etwa 1960 versuchen die deutschen Bausparkassen zusätzlich zu ihrem Finanzierungsangebot Unterstützung bei der Realisierung der Wohnungsbauvorhaben zu leisten. Diese Dienstleistungen erstrecken sich auf die Vermittlung von Bauland und Bauobjekten von zu diesem Zweck gegründeten Baulandbeschaffungsund Bauträgergesellschaften, und den Verkauf von anderen Produkten „rund ums Bauen“, zu welchen u. a. das Anbieten von Architektenberatungen und Ausarbeitung von Fertighauskonzepten gehören.231 Außerdem bieten viele Bausparkassen Beratungstätigkeiten an, indem sie den Kunden im Zusammenhang mit der Verwirklichung des Bauvorhabens allgemeine und spezielle Problemlösungen unterbreiten. Grundsätzlich könnten diese Leistungen auch von der Bausparkasse in der Russischen Föderation angeboten werden. Besondes attraktiv und nützlich für die russischen Bürger wäre dabei die Vermittlung von Bauland und Bauobjekten. Ein passendes Grundstück oder Bauobjekt zu finden, stellt in Ballungsgebieten der Russischen Föderation ein sehr großes Problem dar. Es könnte dabei auch über Kooperationen mit russischen Immobiliengesellschaften nachgedacht werden.
230
Als Beispiel können hier die Bausparkasse Wüstenrot und die Württembergische Versicherung genannt werden. 231 Mit dem Ziel, Produkte „rund ums Bauen“ bereitzustellen, entstand z. B. die BHWImmobilien Gesellschaft. Die Bausparkasse Wüstenrot hat hier ebenfalls Aktivitäten entwickelt: Die Wüstenrot Leonberger Immobilien GmbH betreibt Kauf und Verkauf von Immobilien, sowie die Bauträgeraktivitäten.
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Diese Leistungen stellen das Potenzial für die zukünftige Entwicklung des russischen Bausparsystems dar. Letztendlich haben auch die deutschen Bausparkassen erst nach 30 Jahren angefangen, diese Leistungen anzubieten.232 5.3.5.2 Preispolitik Unter der Preispolitik der Bausparkassen wird die Gesamtheit aller preispolitischen Entscheidungen, die in Bezug auf die angebotenen Leistungen getroffen werden, verstanden. Die Preispolitik der Bausparkassen lässt sich in Zinspolitik und Gebührenpolitik unterteilen.233 5.3.5.2.1 Zinspolitik Bei der Festlegung von Zinskonditionen für die herkömmlichen Bausparprodukte, bewegen sich die Bausparkassen in einem engen Rahmen: einerseits müssen die Zinsen auf das Sparguthaben über dem Inflationsniveau liegen, andererseits müssen die Darlehenszinsen für die Bausparverträge im Vergleich zu den anderen Anbietern der Immobilienfinanzierungen günstiger sein, damit die Bausparkassen im Wettbewerb bestehen können. Zwischen dem Zins auf Bausparguthaben und Bauspardarlehen ist eine Mindestmarge von 2 % erforderlich, um Rentabilität zu gewährleisten. Gehen die Zinsen am Kapitalmarkt stark nach unten, müssen die Konditionen für die Bauspardarlehen auch dementsprechend angepasst werden. Diese Änderungen müssen allerdings vom Bundesaufsichtsamt genehmigt werden.234 Bei der Festlegung der Zinssätze für die Produkte aus dem außerkollektiven Bereich orientieren sich die Bausparkassen an Konditionen, die auf dem Markt angeboten werden (z. B. von den Hypothekenbanken). 5.3.5.2.2 Gebührenpolitik Bei der Kaufentscheidung des Kunden spielt das Thema Gebühren eine eher untergeordnete Rolle: Kunden nehmen diese lediglich als Bestandteil der Gesamtleistung der Bausparkasse wahr und stufen ihre Bedeutsamkeit eher durchschnitt-
232
233
Dies entspricht auch der Meinung der befragten Bausparexperten und den Erfahrungen, die von den Bausparkassen in anderen osteuropäischen Ländern gemacht wurden.
Möbus, M. definiert in seiner Arbeit auch Zuteilungspolitik als Preispolitik (Vgl. Möbus, M. Kundenzufriedenheit, 1999, S. 70f.). Dieser Auffassung kann jedoch nicht gefolgt werden, da die Zuteilungspolitik im Wesentlichen durch Produktgestaltung bestimmt wird. 234 Vgl. Ladewig, W.: Zinsen, 1999, S. 240.
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lich ein.235 Jedoch darf die Gebührenpolitik bei den Bausparkassen nicht vernachlässigt werden. Da die Bauspartarife nur schwer miteinander verglichen werden können, lässt sich ein Gebühren-Vergleich einfacher gestalten. Außerdem bieten das Internet sowie verschiedene Verbraucherzeitschriften viele Möglichkeiten, die Gebühren von Bausparkassen miteinander zu vergleichen, sie tragen somit zusätzlich zur Preistransparenz bei. Unter solchen Bedingungen nimmt die Rolle der Gebührenpolitik zu. Immer wieder werben die Bausparkassen mit neuen Tarifen, bei welchen z. B. die Kontoführungsgebühr entfällt (z. B. Tarif BHW Dispo Plus) oder die Abschlussgebühr zurückerstattet werden kann (z. B. Tarif Vario R der LBS Westdeutschen Landesbausparkasse). Die Bausparkasse BHW bietet im Rahmen eines Tarifes „2003“ eine Erstattung der Abschlussgebühr bei einem Darlehensverzicht mit einer hohen Bewertungszahl (62). Solche Angebote können den Bausparkassen kurzfristig Wettbewerbsvorteile verschaffen. Ein kompletter Verzicht auf Gebühren bei den Bausparkassen ist aus Rentabilitätsgründen jedoch nicht möglich. Es besteht die Möglichkeit, Gebühren offen anzugeben oder diese anderweitig in den Preis der Bausparleistung zu integrieren. Die von den deutschen Bausparkassen erhobenen Gebühren lassen sich wie folgt klassifizieren: 1. Die Abschlussgebühren für Bausparverträge, die derzeit zwischen 1 und 1,6% der Bausparsumme liegen; 2. Gebühren für Veränderung von Bausparverträgen (z. B. bei Vertragsteilung und Vertragszusammenlegung); 3. Gebühren für die Übertragung des Bausparvertrages (werden von 15 Bausparkassen erhoben); 4. Die Gebühren für die Ermittlung des Beleihungswertes (werden bei 10 Bausparkassen erhoben); 5. Die Kontoführungsgebühren (werden zurzeit von 10 deutschen Bausparkassen erhoben. Sie liegen zwischen 7,67 und 12 Euro im Jahr); 6. Darlehensgebühren; 7. Gebühren für die Beantragung von Bauspardarlehen; 8. Gebühren für außerkollektive Kredite; 9. Gebühren für die Bearbeitung von WOP- Anträgen. 235
Vgl. Wagner, R.: Gebührenpolitik, 1999, S. 39.
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Diese Gebühren werden in Deutschland von den Bürgern als selbstverständlich angenommen. Dies ist auch dadurch zu begründen, dass Gebühren bei Bankdienstleistungen fast überall erhoben werden. Die Überlegung, ob man in einem Land Gebühren einführt oder nicht, soll sich nach der Mentalität der Bürger in dem jeweiligen Land richten. In China z. B. werden Gebühren von der Bevölkerung grundsätzlich nicht akzeptiert, infolgedessen wurde bei der Bausparkasse in China die in Deutschland übliche Abschlussgebühr durch einen Mitgliedschaftsbeitrag im „Wohnfinanzierer-Club“ ersetzt.236 Im Kapitel 7 wird das Verhalten der russischen Kreditinstitute in Bezug auf Gebührenpolitik untersucht. 5.3.5.3 Distributionspolitik Distributionspolitik sorgt für die systematische Übergabe der Leistungen der Bausparkasse. Diese fängt bei der Akquisition von Kunden an, welche Kontaktaufnahme, Ermittlung der Kundenbedürfnisse sowie Kundenberatung enthält, sorgt aber auch für die Intraktion mit und die Nachbereitung bei den Kunden.237 Die sehr hohe Bedeutung der Distributionspolitik für die Bausparkassen ist vor allem darauf zurückzuführen, dass eine Bausparkasse, die kein Neugeschäft hat, nicht überlebensfähig ist. Des Weiteren hat die Distributionspolitik einen großen Einfluss sowohl auf Ressourcen, Allokationen, als auch auf die Wertschöpfungskette. Im Mittelpunkt der Distribution steht sowohl die Standortentscheidung als auch die Auswahl und Gestaltung einzelner Distributionskanäle.238 5.3.5.3.1 Standortpolitik Die Standortpolitik beeinflusst sowohl die Kosten als auch die Umsätze der Bausparkasse. Grundsätzlich müssen bei den Dienstleistungsunternehmen die Standorte so gewählt werden, dass der Markt möglichst gut abgedeckt werden kann.239 Die Lage der Beratungsstellen bei den Bausparkassen ist daher sehr wichtig. Diese müssen verstreut sein und sich in unmittelbarer Kundennähe befinden. Die Zentrale der Bausparkasse wird in Deutschland in der Regel nicht als ein Verkaufsort genutzt, sondern als Ort, an dem hauptsächlich die verwaltungstechnischen Aufgaben durchgeführt werden - seine geographische Lage spielt daher nur 236
Quelle 6. Vgl. Frese, E./Noetel,W.: Kundenorientierung, 1992, S. 114. 238 Vgl. Kotler, P./Bliemel, F.: Marketing-Management, 2001, S. 1074 f.; Büschgen, H.: Bankmarketing, 1995, S. 184. 239 Vgl. Kotler,P./Bliemel, F.: ebenda, S. 1084. 237
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eine untergeordnete Rolle. Einzige Bedingung dabei ist eine gute Erreichbarkeit der Verwaltung für Mitarbeiter und Außendienst. 5.3.5.3.2 Absatzwege der Bausparkasse Die Auswahl der Vertriebskanäle muss unter der Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeit erfolgen. In der Regel kombinieren Bausparkassen unterschiedliche Vertriebsformen: - eigenes Zweigstellennetz (bzw. über Konzern/Verband), - eigenen Außendienst, - Kooperationspartner im Banken- oder Versicherungsbereich. Hier erfolgt in der Regel ein Austausch: andere Finanzdienstleister stellen der Bausparkasse ihre Vertriebskapazitäten, d. h. Filialen, Außendienstmitarbeiter, sowie ggf. eigene Vertriebsvereinbarungen mit anderen Vertriebsinstitutionen zur Verfügung. Der Verkauf von Bausparverträgen bietet für Finanzdienstleister ihrerseits neben der Provision einige Vorteile: Die Geschäftsbeziehung zu einem Baufinanzierungskunden erstreckt sich in den meisten Fällen auf die gesamte Darlehenslaufzeit, wodurch für den Kooperationspartner erhebliche Cross Selling Potenziale entstehen,240 - rechtlich selbständige, z.T nebenberufliche, Handelsvertreter241 und Makler (die Vergütung der Handelsvertreter ist in der Regel erfolgsabhängig und erfolgt auf Provisionsbasis), - Direktvertrieb (Telefon oder Internet). Der eigene Außendienst gewinnt bei den Bausparkassen immer mehr an Bedeutung. So kamen z. B. bei der Bausparkasse BHW im Jahr 2003 über 90% des Bausparneugeschäftes über den eigenen Vertrieb. Lediglich 7 bis 8% der Akquise kamen von den Kooperationspartnern.242Bei der Bausparkasse Mainz wurde 96% des Neugeschäftes im Jahr 2003 über den Außendienst akquiriert, bei der Aachener Bausparkasse betrug dieser Anteil 78%, und bei der Bausparkasse SchwäbischHall 41,3%. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Außendienstmitarbeiter flexibler auf die Kundenwünsche reagieren können. Beratung kann somit auch außerhalb der Geschäftszeiten erfolgen. Der Direktvertrieb spielt zurzeit bei den Bausparkassen nur eine untergeordnete Rolle, was sich durch die starke Komplexität und Erklärungsbedüftigkeit des Produktes begründen lässt. Jedoch ist auch ein Abschluss über den Direktvertrieb bei 240
Vgl. Haueisen, P./Kruwinnus, D.: Herausforderungen, 2003, S. 29. Vgl. § 87 HGB. 242 o.V.: Vertrieb, 2003, S. 129. 241
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Standard-Tarifen denkbar. Eine Bestätigung dafür liefert die Erfahrung der Bausparkasse Quelle, die als erste Direkt-Bausparkasse im Jahre 1990 gegründet wurde. Begonnen mit Mailings und Abschlüssen über das Call-Center fing sie 1998 mit Online-Abschlüssen an.243 Dieser Vertriebszweig erwirtschaftete im Jahre 2002 ein gutes Drittel des Neugeschäftes.244 Ein Hauptargument für Kunden, die sich für einen Bausparvertragsabschluss im Web entscheiden, ist in erster Linie die Zeitersparnis. Deutliche Kosten- und Zeitersparnis bringt dieser Vertriebsweg auch für das Bausparinstitut. Aus diesem Grund wird dieser Vertriebsweg zukünftig in der Bausparbranche eine zunehmend größere Rolle spielen, was gleichzeitig eine neue Herausforderung für die Bausparkassen darstellt. Ein differenzierter Vertrieb lohnt sich für die Bausparkassen in Deutschland immer mehr. Distribution über mehrere Vertriebskanäle bringt einerseits erhebliche Kostensenkungspotenziale mit sich, anderseits sorgt sie für einen verbesserten Risikoausgleich, da die Distribution nicht mehr von einem einzelnen Absatzkanal abhängt.245 Durch steigende Komplexität des Marktes für Finanzdienstleistungen wird der Vertrieb in Zukunft immer mehr an Bedeutung gewinnen. Dies wird auch durch eine weitere Optimierung der innerbetrieblichen Prozesse ermöglicht.246 Auch bei der Einführung des Bausparproduktes in die Russische Föderation spielt der Vertrieb eine ausschlaggebende Rolle. Deshalb soll der Distributionspolitik bei der Ausarbeitung der Empfehlungen für die Einführung des Bausparproduktes auf dem russischen Markt eine besonders hohe Bedeutung beigemessen werden. Dies entspicht auch der Meinung der Experten bei den deutschen Bausparkassen.247 5.3.5.4 Kommunikationspolitik Kommunikationspolitik gewährleistet die Übermittlung von Informationen zu den aktuellen und potenziellen Einzelkunden oder Kundengruppen. Mittels Kommunikationspolitik wird das Bausparprodukt verständlich gemacht. Aufgrund des immateriellen Charakters der von den Bausparkassen angebotenen Leistungen besteht eine Unsicherheit der Nachfrager gegenüber der Qualität dieser 243
Vgl. Reiche, J.: Bausparen, 2003, S. 269. Vgl. ebenda, S. 269. 245 Vgl. Schögel, M.: Mehrkanalsysteme, 1997, S. 27. 246 Vgl. Schierenbeck, H: Neuorientierung der Vertriebssysteme für Banken, Thesen des Vortrages in: o.V.: Bankkunden, 1993, o. S. 247 Expertenbefragung bei den deutschen Bausparkassen, siehe Leitfaden im Anhang. 244
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Leistungen. Diese kann erst nach Ablauf von mehreren Jahren ab dem Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Leistung bewertet werden.248 Aus diesem Grund ist es beim Bauspargeschäft besonders wichtig, das Vertrauen der Kunden zu gewinnen und eine Überzeugungsarbeit für das Bausparprodukt zu leisten. Um dieses Ziel zu erreichen, werden unterschiedliche Instrumente der Kommunikationspolitik eingesetzt, zu denen Werbung, Öffentlichkeitsarbeit, Verkaufsförderung und persönliche Kommunikation gehören. 5.3.5.4.1 Werbung Die Werbung ist eines der wesentlichen Verkaufsinstrumente der Bausparkassen. Dabei muss das Produkt und das Unternehmen als solches kommuniziert werden. Ziel der Werbung ist es zunächst, einen hohen Bekanntheitsgrad der Bausparkasse zu erreichen. Dies ist vor allem notwendig, um einen erfolgreichen Verkauf der Bausparprodukte zu gewährleisten. Eine besondere Problematik bei der Werbung für Bausparkassendienstleistungen besteht darin, dass diese aufgrund ihres immateriellen Charakters nicht visuell dargestellt werden können. Deshalb wird in der Werbung der Bausparkassen in der Regel nur das Ergebnis, zu welchem ein Abschluss des Bausparvertrages führen kann (z. B. ein fertiges Haus oder „eine sichere, sorgenfreie Zukunft in den eigenen vier Wänden“), demonstriert. Ganz wichtig ist dabei dieses Ergebnis mit dem Namen der Bausparkasse in Verbindung zu bringen. Dabei werden die Fähigkeiten der Bausparkasse betont, die wohnungswirtschaftlichen Probleme kompetent und zuverlässig zu lösen. Die Werbung der Bausparkassen in Deutschland erfolgt gleichzeitig über mehrere Medien: Fernsehen, Tageszeitschriften, Fachzeitschriften, Plakate, Rundfunk. Der Anteil der Fernsehwerbung der Bausparkassen hat - trotz der hohen Kosten seit 1997 den größten Anteil in den gesamten Werbeaufwendungen der Bausparkassen. Er stieg in den letzten 11 Jahren von 25% auf bis zu 67,2%. Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass über das Fernsehen breite Publikumskreise erreicht werden können. Der Anteil der Werbung in den Zeitungen und Zeitschriften ist sehr stark zurückgegangen und beträgt derzeit 21,1% der gesamten Aufwendungen. Der Anteil der Werbung über Werbefunk blieb in den letzten 11 Jahren mehr oder weniger konstant und betrug im Jahr 2003 8,6%. Der Umfang sogenannter Plakat-Werbung ist mit ca. 3% weiterhin minimal (vgl. Abb. 18).
248
Vgl. in etwa auch Schöse, R.: Marketing, S. 32.
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Mediamix der Bausparkassen 100% 80% 60% 40% 20%
19 92 19 93 19 94 19 95 19 96 19 97 19 98 19 99 20 00 20 01 20 02 20 03
0%
Werbefernsehen
Plakat
Jahre Zeitungen
Werbefunk
Publikumszeitschriften
Abb. 18: Mediamix der Bausparkassen249 5.3.5.4.2 Persönliche Akquisition Aufgrund der Komplexität des Angebotes der Bausparkassen, ist es nicht möglich, dem Kunden die Bausparprodukte nur durch Werbung im Detail näher zu bringen. Die ausführliche kompetente Beratung der potenziellen Kunden ist daher notwendig. Die persönliche Kommunikation erfolgt in Form von Beratungsgesprächen in der Filiale oder direkt beim Kunden. Nach dem Vertragsabschluss wird die Kommunikation mit dem Kunden in der Regel weitergeführt, da oft im Laufe der Vertragslaufzeit neue Fragen auftauchen. Qualität der Beratung und Betreuung weit über den Verkauf hinaus ist ein entscheidender Faktor für die erfolgreiche Entwicklung des Bauspargeschäftes. „Qualität setzt voraus, deutlicher und intensiver auf die Kunden zu hören“.250 Dieser kontinuierliche Kontakt zu dem Kunden nutzt nicht nur dem Kunden, sondern auch der Bausparkasse selbst. Der rege Informationsaustausch mit dem Kunden trägt wesentlich zur Verbesserung der Leistungsqualität einer Bausparkasse bei, indem die bestehenden Schwachpunkte und Probleme des Bauspargeschäftes identifiziert werden.251 Für den Aufbau von Bausparkassen in Russland ist es von entscheidender Bedeutung, die Qualität der persönlichen Akquisition zu gewährleisten. 249
Quelle 7 - Interne Unterlagen der deutschen Bausparkassen. Diese Informationen beziehen sich auf vier ausgewählte Bausparkassen. 250 Bühler, W.: Qualität, 2002, S. 16. 251 Mehr zum Informationspotenzial der Kunden: Tewes, M.: Kundenwert, S. 94- 99.
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5.3.5.4.3 Verkaufsförderung Unter Verkaufsförderung wird eine Vielzahl unterschiedlicher, meist kurzfristiger Anreize zur Stimulation des Absatzes verstanden.252 Ziel der Verkaufsförderung ist es, den Verkauf von Bankdienstleistungen so „leicht wie möglich“ zu gestalten und sicherzustellen, dass diese beim Kunden gut ankommen.253 Als wirksames Marketinginstrument gehört die Verkaufsförderung zum Kommunikationsmix jeder Bausparkasse. Die Verkaufsförderung bei den Bausparkassen soll dazu dienen, die Vertriebsorgane zu unterstützen und die Kunden zum Abschluss eines Bausparvertrages zu bewegen. Dabei unterscheidet man zwischen verbrauchergerichteter Verkaufsförderung und Verkaufsförderung, die auf die Absatzmittler gerichtet ist.254 Die Motivation der Vertriebsmitarbeiter erfolgt in der Regel durch erfolgsabhängige Vergütung, zusätzlich können die Mitarbeiter durch Sales-Wettbewerbe motiviert werden. Als Belohnung werden dabei entweder Geld- oder Sachgeschenke vergeben.255 Die Leistung des Vertriebes wird durch regelmäßige Schulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen gefördert. Diese sollen auch dazu dienen, die Verkaufsförderung-Aktionen, die auf Kunden gerichtet sind vorzubereiten. Im Rahmen der kundengerichteten Verkaufsförderung bei den Bausparkassen haben sich die folgenden Aktionen gut bewährt: 1. Ausgabe von Geschenkartikeln, 2. Teilnahme an Messen und Ausstellungen, sowie deren eigene Veranstaltung, 3. Beratung in Energiesparfragen, 4. Vergabe von Gutscheinen für Messebesuche, 5. Erstellung von individuellen Finanzplänen, 252
Vgl. Kotler, P./Bliemel, F.: Marketing-Management, 2001, S. 985. Vgl. Büschgen, H.: Bankmarketing, 1995, S. 252. 254 Vgl. Palmer, A.: Principles, 1994, S. 290; Oelsner, J-M: Marketing, 1984, S. 232. 255 Bei der Entscheidung, in welcher Form die Mitarbeiter belohnt werden sollen, sind die steuerlichen Richtlinien jeweiligen Land zu beachten. Die Wettbewerbe müssen so gestaltet werden, dass der maximale Nutzen aus dem investierten Geld erziehlt wird. So kann z. B. von den im Land vorhandenen steuerlichen Freibeträgen Gebrauch gemacht werden: in Deutschland ist das z. B. die 44-Euro-Grenze. (D. h., dass alle Zuwendungen an den Mitarbeiter, die unter 44 Euro im Monat liegen, steuerfrei sind). Das bedeutet, dass es u. U. Sinn macht, im Laufe des Jahres immer wieder Motivationsaktionen des Vertriebes zu machen, in welchen nur kleine Geschenke verteilt werden. Die Motivationsmaßnahmen, die sich für die Russische Föderation am besten eignen (letztendlich wurden viele Mitarbeiter über Jahre hinweg durch das sozialistische Umfeld geprägt) werden im Kapitel 7. dargestellt. 253
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6. Preisausschreiben, 7. Beratungstage bei den Bausparkassen. Im Kapitel 7 wird überprüft, ob sich diese Verkaufsförderungsaktionen auch für die Russische Föderation umsetzen lassen. 5.3.5.4.4 Öffentlichkeitsarbeit Öffentlichkeitsarbeit dient nicht unmittelbar der Schaffung von Absatzmöglichkeiten. Diese ist darauf gerichtet, ein positives Bild über die Bausparkasse und die von ihr angebotenen Leistungen in der Öffentlichkeit zu vermitteln und das Vertrauen in das Bauspargeschäft zu fördern. Die Öffentlichkeitsarbeit bildet somit ein Fundament, auf welchem die anderen absatzpolitischen Maßnahmen aufgebaut werden können. Im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit werden von den Bausparkassen Pressekonferenzen durchgeführt, Haus- und Kundenzeitschriften herausgegeben, Fachbeiträge in Fachzeitschriften veröffentlicht. Durch die Öffentlichkeitsarbeit erreicht man haupsächlich die Bürger, die sich für das Thema aktiv interessieren. So werden z. B. die Beiträge in Fachzeitschriften in der Regel nur in bestimmten Kreisen gelesen.
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6. Überprüfung des Bedarfes der Einführung
eines Bausparsystems in Russland und das Vorhandensein der für diesen Aufbau notwendigen Rahmenbedingungen 6.1 Der Markt für Wohnungsbau und Wohnbaufinanzierung in Russland. Historische Entwicklung und aktueller Stand 6.1.1 Die historische Entwicklung von Wohnungsbau und Wohnungsbaufinanzierung in Russland Entwicklung des Wohnungsbaus in der Russischen Föderation In diesem Abschnitt wird auf die Geschichte des russischen Wohnungsbaus und der Wohnungsbaufinanzierung eingegangen, da sich die gegenwärtige Situation in Russland nur durch Verständnis der historischen Zusammenhänge erklären lässt. Nach der Revolution 1917 wurden die städtischen Wohnungen in der Russischen Föderation verstaatlicht, wodurch sowohl der Markt für private Wohnimmobilien als auch der marktwirtschaftlich ausgerichtete private Mietwohnungsmarkt nicht mehr existierten. Das Wohnen ist somit zu einer vom Staat geförderten sozialen Dienstleistung geworden.256 Seitdem wurden die meisten Wohnungen in Russland vom Staat gebaut, der die rechtliche und soziale Pflicht hatte, die Bevölkerung mit Wohnungen zu versorgen. Dies geschah in Form der Vermietung. Die Verteilung der Wohnungen erfolgte entsprechend der damaligen Gesetzgebung (Wohnungskodex) gemäß der Anmeldereihenfolge und unter der Berücksichtigung der vorgeschriebenen Standardwohnfläche pro Person. Eine Familie durfte maximal eine Wohnung bewohnen.
256
Vgl. Sailer-Fliege, U.: Wohnungsmärkte, 1999, S. 70.
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ÜBERPRÜFUNG DES BEDARFS EINES BAUSPARSYSTEMS IN RUSSLAND UND DER FÜR DEN AUFBAU NOTWENDIGEN RAHMENBEDINGUNGEN
Der Mieter genoss dabei sehr hohen Mieterschutz. Die Wohnung konnte praktisch nicht gekündigt werden. Beim Tod des Mieters wurde sie in der Regel an die Hinterbliebenen „vererbt“, bzw. überschrieben.257 Die niedrigen Mieten und Nebenkosten erlaubten teilweise auch Bevölkerungsgruppen mit einem niedrigen Einkommen eine nach damaligem Standard gute Wohnung zu bewohnen. Aufgrund der geringen Mieten, die die tatsächlichen Kosten zum Instandhalten der Wohnungen nicht decken konnten, musste der Staat Milliardenbeträge in den Wohnungshaushalt aus dem Staatsbudget investieren. Dabei wurde das investierte Geld größtenteils für den Neubau und nicht für die ordnungsgemäße Instandhaltung des Wohnungsbestandes verwendet. Bei der Lösung des Wohnungsproblems spielten nicht-staatliche Mechanismen, wie genossenschaftlicher oder individueller Wohnungsbau nur eine sehr geringe Rolle. Die Erfahrung hat gezeigt, dass das oben beschriebene System nicht effizient genug war, weil die Wohnverhältnisse des größten Teils der russischen Bevölkerung auf einem sehr niedrigen Niveau geblieben sind. Die Wartezeit auf eine Wohnung betrug teilweise 15 bis 25 Jahre (was auf die Bereitschaft der Bevölkerung Wartezeiten zu akzeptieren hinweist, wie man sie auch bei einem Bausparsystem braucht). Viele Familien wohnten jahrzehntelang in einer sog. „Kommunalwohnung“.258 Das vom sowjetischen Staat unrealistisch gesetzte hohe Ziel, jeder Familie eine separate Wohnung zur Verfügung zu stellen, konnte zu sozialistischen Zeiten nicht erreicht werden. Im Zuge der politischen Veränderungen fand auch in der Wohnungsbaupolitik ein Wandel statt. Der ökonomische Umwandlungsprozess in Russland von der Planwirtschaft hin zu einer freien Marktwirtschaft verfolgte in erster Linie das Ziel, innerhalb kurzer Zeit sich selbst steuernde Marktmechanismen zu entwickeln und administrative Methoden durch ökonomische zu ersetzen. Eine Wohnung wird nun nicht mehr als soziale Dienstleistung, sondern als Wirtschaftsgut verstanden.259 Für den Übergang zu einem neuen System zur Lösung der Wohnungsprobleme bedurfte es einer neuen Gesetzgebung. Der erste Schritt in diese Richtung wurde mit dem Gesetz „Über die Privatisierung des Wohnungsfonds in RSFSR“ vom 04.07.1991 getan. Ziel dieses Gesetzes war es, die Privatisierung des Wohnungsfonds zu regeln. Mit der Privatisierung sollten die Bürger mehr Freiheiten bei der 257
So meldete man z. B. die Enkelkinder in der Wohnung der Großeltern an. Wenn diese starben, ging die Wohnung automatisch auf die Enkelkinder über. 258 Dabei wohnen mehrere Familien in einer Wohnung und teilen sich Küche, Flur und Bad. 259 Vgl. Sailer-Fliege, U.: Wohnungsmärkte, 1999 S. 73.
ÜBERPRÜFUNG DES BEDARFS EINES BAUSPARSYSTEMS IN RUSSLAND UND DER FÜR DEN AUFBAU NOTWENDIGEN RAHMENBEDINGUNGEN
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Lösung der Wohnungsfragen bekommen.260Das Gesetz legte die Grundregeln der Privatisierung des staatlichen und regionalen Wohnungsfonds fest und trug somit zu der rechtlichen, sozialen und ökonomischen Neugestaltung der Eigentumsverhältnisse auf dem Wohnungsmarkt bei. Nach diesem Gesetz durfte jeder Bürger, der eine Mietwohnung vom Staat bewohnte, 261diese Wohnung privatisieren. Die Privatisierung erfolgte auf freiwilliger Basis und bis zu festgelegten Grenzen unentgeltlich: So konnten 18 m2 Wohnfläche pro Person gebührenfrei privatisiert werden, eine Familie konnte noch zusätzlich 9 m2 Wohnfläche gebührenfrei dazubekommen. Die restliche Wohnfläche musste bezahlt werden. Die Privatisierung erforderte die Zustimmung aller Familienmitglieder, die über ein Wohnrecht in dieser Wohnung zu dem Zeitpunkt der Privatisierung verfügten. Um den Privatisierungsprozess zu beschleunigen, wurde die Novellierung des Gesetzes „Über die Privatisierung des Wohnungsfonds in der RSFSR“ am 23.12.1992 verabschiedet. Dort wurde bestimmt, dass der Wohnungstransfer beim Inkrafttreten des Gesetzes unentgeltlich erfolgt (unabhängig von der Größe der Wohnung). Die Gebühren, die Haushalte für die Privatisierung bereits bezahlt hatten, mussten erstatten werden. Änderungen bei der Eigentumsstruktur des Wohnungsfonds machten eine Neuordnung bei der Wartung und Instandhaltung des Wohnungsfonds erforderlich. Deswegen kam es im zweiten Schritt der Wohnungsreform zur Verabschiedung des Gesetzes „Über die Grundlagen der staatlichen Wohnungspolitik“ (am 24.12.1992), worin die Neuregelungen bei der Verteilung und Wartung des Wohnungsfonds in der Russischen Föderation festgelegt, und die neuen Eigentümer als zuständig für die Wartung der eigenen Wohnung erklärt wurden. Neben den unbestrittenen Vorteilen, zu denen die Vererbbarkeit der Wohnung, die Möglichkeit ihrer Veräußerung, Vermietung und eines unproblematischen Tausches gegen eine andere Wohnung zählen, brachte die Privatisierung einer Wohnung damit auch zusätzliche Belastungen mit sich. So mussten potenzielle Eigentümer sowohl die Kosten für die zukünftigen Reparaturen im Haus und in der Wohnung, als auch höhere Nebenkosten in Kauf nehmen. Dadurch brachte eine 260
261
So bekamen die Besitzer der privatisierten Wohnungen das Recht, über diese frei zu verfügen: diese zu erwerben, zu veräußern, zu verschenken, zu vererben und zu vermieten. All dies war früher nicht möglich. Die einzige Möglichkeit, die den Bürgern vor der Reform zur Verbesserung der Wohnungssituation zur Verfügung stand, war Tausch einer Wohnung gegen eine andere. Die Mieter von staatlichem Wohnraum in Russland genießen hohen Mieterschutz und müssen auch bei Mietrückständen kaum eine Räumungsklage befürchten. Außerdem können die Belegungsrechte den Kindern oder anderen Verwandten übertragen werden.
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ÜBERPRÜFUNG DES BEDARFS EINES BAUSPARSYSTEMS IN RUSSLAND UND DER FÜR DEN AUFBAU NOTWENDIGEN RAHMENBEDINGUNGEN
Privatisierung der Wohnung für Bürger, die Wohnungen in schlechtem baulichen Zustand bewohnten, keinen finanziellen Vorteil, sondern es entstand ihnen sogar ein Nachteil. Aus diesem Grund nahmen die Mieter in Standardplattenhäusern und reparaturbedürftigen Altbauten das Privatisierungsangebot nur selten wahr. Im Hinblick auf die niedrigen Mieten,262 die wesentlich geringer als die tatsächlichen Kosten der Instandhaltung der Wohnung waren, war es für viele Bürger attraktiver, weiterhin zur Miete zu wohnen. Die Wohnungen in gut erschlossenen Gegenden und in guter Bauweise wurden dagegen fast immer privatisiert. Mittlerweile befinden sich über 66,5% des Wohnungsfonds in privatem Eigentum.263 Das hängt auch damit zusammen, dass die Mieten deutlich gestiegen sind und weiterhin steigen werden. Die russische Regierung hat das Ziel gesetzt, Mieten auf ein kostendeckendes Niveau zu bringen. Momentan wird in den meisten Fällen eine Kostendeckung nicht erreicht. Die Mieten im Jahre 2001 deckten nur ca. 58% der Kosten. Im Jahre 2003 waren es 81,5 %.264 Hinzu kommt, dass viele Bevölkerungsgruppen einen Anspruch auf eine fünfzigprozentige Mietermäßigung haben. Das rückt den Zeitpunkt, an dem kostendeckende Mieten erreicht werden können, in weitere Ferne. Steigende Mieten machen private Wohnimmobilien für Bürger zunehmend attraktiver. Des Weiteren ging die Anzahl der Wohnungen, die vom Staat zur Verfügung gestellt werden, deutlich zurück. Somit haben nur Bürger aus sehr bedürftigen Familien eine Chance auf eine Wohnung vom Staat. Alle anderen Bevölkerungsgruppen müssen die Verbesserung ihrer Wohnungsverhältnisse selber finanzieren. Entwicklung der Wohnungsbaufinanzierung Die Idee der privaten Immobilienfinanzierung ist für Russland nicht neu. Vor der Revolution 1917 wurde der Wohnungsbau in Russland größtenteils privat finanziert. Die Entwicklung der Eigentumsformen, Marktorientierung in der Wirtschaft und der Kapitalmangel bei Adeligen hatten im Wesentlichen dazu beigetragen, 262
Hier ist die Miete vom Staat gemeint. Die Mieten wurden von der Preisliberalisierung im Januar 1992 nicht betroffen und blieben damit zunächst auf dem Niveau von 1928. Im Zuge der Hyperinflation lag die Kostendeckung in der Wohnungswirtschaft in den Jahren 1992/1993 sogar bei null. – Vgl. Kosareva, M./Uljukaev, A.: Reformen,1997, S. 56. 263 Vgl. Goskomstat Russlands: Regionen, 2003, S. 176-177. 264 Vgl. Koshman, N.P.: Strategie, 2004, in: URL, siehe Literaturverzeichnis.
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dass bereits Mitte des 18. Jahrhunderts die Beleihung der Immobilie durch Hypothekenbanken erfolgte. Die Hypothekenkreditvergabe war eine der ersten Bankentätigkeiten in Russland. Ihr Anfang geht auf den Beschluss des Senates vom 13.05.1754 zurück, nach welchem zwei erste Hypothekenbanken - die „Staatliche Hypothekenbank für Adelige“ und die „Hypothekenbank für Kaufleute“ - gegründet wurden, die zur Finanzierung des Wohnungsbaus dienen sollten. Die Bewertung von Immobilien erfolgte durch eine spezielle dafür zuständige Kommission. Die Hypothekenkredite wurden mit Laufzeiten von 15, 28 und 33 Jahren vergeben.265 Im Jahr 1856 betrugen die Gesamtforderungen der Hypothekenbanken 427 Mio. Rubel. Viele Immobilienobjekte mussten wegen Zahlungsunfähigkeit der Kreditnehmer verkauft werden.266Aufgrund der zunehmenden Zahlungsunfähigkeit der Schuldner, machten die Hypothekenbanken im Jahr 1857 Bankrott. Da das Land eine Hypothekenkreditvergabe dringend benötigte, fing Alexander der II. an, ein Hypothekenkreditsystem neu aufzubauen. Nach seiner Anordnung wurde eine Kommission gegründet, welche die Ausarbeitung dieses Systems zum Ziel hatte. 267 Das Ergebnis dieser Arbeit war das Projekt „Über ländliche Kreditgemeinschaften“, das als Grundlage für die spätere Gründung der Kreditgenossenschaften diente. Dem rechtlichen System der Hypothekenkreditvergabe wurde die romanogermanische Tradition zugrunde gelegt. Um die Vergabe der Hypothekenkredite zu regeln, wurden die folgenden Gesetze verabschiedet: - „Insolvenzordnung“ („Ustav o bankrotstve“), die die Rechte der Teilnehmer bei Bankrott festlegte, - „Ordnung des kaufmännischen Gerichtes“ („Ustav torgovogo suda“), - „Zivilgerichtsordnung“ („Ustav grazhdanskogo suda“), - „Gesetz über die Verpfändung von Immobilien“ („Zakon o zaloge nedvizhimosti“), - „Satzung der Kreditgenossenschaften“ („Ustav kreditnych obshhestv“), - „Notarielle Ordnung“, sie regelte die Registrierung der Transaktionen durch Notare. 265
Vgl. Tarankov, V. I.: Wertpapiere, 1992, S. 428. Vgl. o.V.: Bankschulden, 1860, S. 12. 267 Vgl. o.V.: Abriss, 1911, S. ɏIII. 266
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ÜBERPRÜFUNG DES BEDARFS EINES BAUSPARSYSTEMS IN RUSSLAND UND DER FÜR DEN AUFBAU NOTWENDIGEN RAHMENBEDINGUNGEN
Auf die Reform von 1860 folgte eine Periode großen Wachstums der Hypothekenbanken. Man kann die Hypothekenbanken dieser Zeit in „Grund- und BodenBanken“ und „Kreditbanken“ einordnen. „Grund- und Boden Banken“ akzeptierten als Sicherheit für ihre Kredite (wie der Name schon sagt) Grund und Boden, Kreditbanken hingegen nahmen zu diesem Zweck Gebäude. Zur Sicherung der Eigentumsrechte musste der Vertrag über eine Hypothek von einem Notar beglaubigt werden. Die staatliche Regulierung der Hypothekenkreditvergabe wurde verschärft durch die Gründung der staatlichen Bank "Grund- und Boden-Bank für Bauern" im Jahre 1881. Eine Kommission des Finanzministeriums hat die Geschäftsordnung für diese Bank ausgearbeitet. Es wurden zusätzliche Gesetze und Verordnungen verabschiedet, die den Kauf von Grundstücken mit Hilfe von einem Kredit einer Hypothekenbank regelten und die Richtlinien für den Verkauf von Grundstücken zahlungsunfähiger Gläubiger bestimmten. In den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts wurden in Russland zwei Kreditgenossenschaften gegründet. Diese stellten ein geschlossenes System der Privatimmobilienfinanzierung dar. Die Kreditgenossenschaften funktionierten nach folgendem Prinzip: die Kreditgenossenschaft vergab die Kredite an Kreditnehmer und trat gleichzeitig als Emittent von Wertpapieren („Pfandbriefen“) auf. Dabei erhielt der Kreditnehmer ein Darlehen in Wertpapierform. Die Rückzahlung des Darlehens musste jedoch mit Bargeld erfolgen. So war der Kreditnehmer gleichzeitig auch der Wertpapiererwerber. Der Kreditnehmer musste seine Wertpapiere selbst auf dem sekundären Wertpapiermarkt verkaufen. Diese Wertpapiere galten als eine sichere Anlage und normalerweise war es unproblematisch, sie auf dem Wertpapiermarkt zu veräußern. Diese Wertpapiere wurden durch das gesamte verpfändete Vermögen der Kreditgenossenschaftsmitglieder gesichert. (Jedes Mitglied der Kreditgenossenschaft haftete im Rahmen seines verpfändeten Vermögens für die Forderungen aus diesen Wertpapieren). Somit waren die Pfandbriefe doppelt gesichert: sowohl durch eine Geldforderung als auch durch die Sicherheiten. Außerdem stimmten die Laufzeiten für die Kredite mit den Laufzeiten der „Pfandbriefe“ überein. Investoren kauften diese Wertpapiere um eine Rendite in Form von einem festen Zins zu erhalten. Die Verzinsung der Wertpapiere hing von der Lage des langfristigen Kapitalmarktes und von der Laufzeit der Wertpapiere ab. Nachfolgend ist das Refinanzierungsmodell der Kreditgenossenschaften dargestellt.
ÜBERPRÜFUNG DES BEDARFS EINES BAUSPARSYSTEMS IN RUSSLAND UND DER FÜR DEN AUFBAU NOTWENDIGEN RAHMENBEDINGUNGEN
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Hypothekenvertrag Kreditgenossenschaft
Obligationen
Kreditnehmer
Rückzahlung des Kredits Zahlungen auf Obligationen
Kauf und Verkauf der Obligationen Investor
Abb. 19: Refinanzierungsmodell der Kreditgenossenschaften des 19. Jahrhunderts Die Tätigkeit der Kreditgenossenschaften kann als erfolgreich bezeichnet werden. So wurden in der Zeit von 1862 bis 1911 bei der Sankt Petersburger Kreditgenossenschaft insgesamt 9462 Immobilienobjekte verpfändet. Der Umfang der vergebenen Kredite belief sich auf 283,8 Mio. Rubel. Die Kreditgenossenschaft erwirtschaftete in 49 Jahren einen Nettogewinn in Höhe von 25 Mio. Rubel.268 Diese Kreditgenossenschaften existierten bis zur Oktoberrevolution 1917. Die erfolgreiche Tätigkeit der Kreditgenossenschaften vor der Revolution zeigt, dass historische Beispiele für den Aufbau eines Systems der privaten Immobilienfinanzierung in Russland gegeben sind. Unmittelbar nach der Oktoberrevolution 1917 wurde in Russland die Wohnbaufinanzierung zum staatlichen Monopol erklärt. Aufgrund einer Verordnung des Zentralen Exekutivkomitees wurde in der Sowjetischen Union die „Staatliche Spezialbank“ für die Finanzierung des Kommunal- und Wohnungsbaus" gegründet, die sich ausschließlich mit der Finanzierung und langfristigen Kreditierung des Wohnungsbaus befasste. Diese Bank und die ihr untergeordneten Kommunalbanken finanzierten in Form nicht zurückzahlbarer Zuschüsse und langfristiger Darlehen den gesamten Wohnungs- und Kommunalbau und den Neubau ganzer Städte und Ansiedlungen. Die Bank arbeitete einerseits nach dem Prinzip der wirtschaftlichen Rechnungsführung, anderseits war sie aber ein Organ der staatlichen Verwaltung und Kon268
Tarankov, V. I.: Wertpapiere, 1992, S. 443.
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trolle, welches mit besonderen Vollmachten ausgestattet war. Diese Bank sollte die sparsame und zweckmäßige Verwendung der bereitgestellten Mittel ausbauen und intensivieren, um eine Senkung der Baukosten sowie eine Abkürzung der Bauzeiten zu erreichen. Aus diesem Grund wurde der Bank das Recht übertragen, Sanktionen gegen Betriebe und Bauorganisationen, die sich nicht an bestehende Vorschriften gehalten hatten, zu verhängen. Dadurch sollte eine Einhaltung der Plandisziplin verstärkt werden. Maßnahmen, die darauf abzielten, Finanzmittel der Bevölkerung in den Wohnungsbau fließen zu lassen, fanden auch zu sowjetischen Zeiten statt. Die Regierung versuchte Mittel für den Wohnungsbau durch das neue Modell der Wohnungsbaukooperativen heranzuziehen. Zum ersten Mal wurde eine Möglichkeit für den Erwerb einer genossenschaftlichen Wohnung in einem Ein- oder Mehrfamilienhaus in der Verordnung vom 09.07.1959 „Über die genossenschaftlichen Kooperativen“ vorgesehen.269 (Mit dem Erlass vom 09.07.1959 Nr. 1184 „Über Förderungsmaßnahmen des kollektiven Wohnungsbaus von Ein- und Mehrfamilienhäusern“ wurden die Hauptprinzipien dieses Finanzierungsmodells festgelegt und somit der erste Schritt für die Entwicklung dieses Finanzierungsmodell getan). Diese Verordnung erlaubte es den Bürgern, eine Wohnungsbaukooperative zu gründen. Jedes Mitglied dieser Kooperative erhielt eine Wohnung zum Eigentum, die Treppen und gemeinsam benutzten Einrichtungen im Haus gehörten zum Gemeinschaftseigentum. So bekamen die Menschen die Möglichkeit, ihre Wohnverhältnisse aus eigenen Kräften zu verbessern. Diese Finanzierung funktionierte nach dem folgenden Prinzip: Die Kreditvergabe erfolgte durch die „Stroitel’nyj“ (Baubank) der Sowjetunion. Um ein Darlehen zu erhalten, musste die Baukooperative über Eigenmittel in Höhe von mindestens 30 % des Planwertes des Hauses verfügen (in nördlichen Regionen Russlands, die hinter dem Polarkreis liegen, nur 20 %). Die Laufzeit des Darlehens betrug dabei 25 Jahre bei einem Jahreszins in Höhe von 0,5%. Das Darlehen musste in gleichen Raten getilgt werden. Bereits im Jahr 1962 wurden mit Hilfe dieses Modells mehr als 81, in 1964 – 2405, in 1965 – 3550 Tausend m2 Wohnfläche fertiggestellt. Die Kreditvergabe für die Wohnbaufinanzierung über Wohnungsbaugenossenschaften erfolgte bis März 1988.270 Im Jahre 1988 betrug der Anteil der Wohn269
270
Diese Rechtsordnung wurde später durch Erlasse vom 05.10.1962 Nr. 1395 und Nr. 1143 vom 02.10.65 ergänzt. Die Gesetzgebung, die die Finanzierung des Wohnungsbaus nach diesem Modell regelte, wurde laufend verbessert und ergänzt: Verordnung SɆ RSFSR vom 26.11.82, Nr. 608 „Ɉ zhilishhno-stroitel’noj kooperacii“ („Über Wohnungsbaukooperativen“), Brief der Staatsbank der USSR vom 17.01.83 Nr. 524 „Ɉ zhilishhno-stroitel’noj kooperacii“ („Über Woh-
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immobilien, die über Wohnungsbaugenossenschaften finanziert wurden, etwa 7 % der Neubauwohnungen. Die Finanzierung der Wohnimmobilie über die Wohnungsbaugenossenschaften hat somit in einem gewissen Maße zur Lösung des Problems bei der Wohnraumversorgung beigetragen. Diese Finanzierungsform kann jedoch nicht als eine Form der Hypothekenkreditvergabe angesehen werden, da die Finanzierung von Wohnraum zum Teil mit Mitteln aus speziellen Fonds der Unternehmen erfolgte, welche mit den Bemühungen des ganzen Arbeitskollektivs gebildet worden sind.271 Das bewirkte eine gewisse soziale Ungerechtigkeit, da sie vom gesamten Kollektiv erwirtschaftet wurden, aber nur von Einzelnen genutzt werden konnten. Außerdem blieb wegen des vergleichsweise niedrigen Einkommens vieler Bürger den meisten von ihnen kein finanzieller Spielraum, eine genossenschaftliche Wohnung zu bauen. Heute hat sich die Situation wesentlich geändert. Immer mehr Wohnungen werden aus eigenen Mitteln der privaten Bauherren finanziert. Laut Informationen von Gosstroj und des Analyse Zentrums des Immobilienmarktes erwarben in 2003 1,2% der russischen Bevölkerung die Wohnungen aus Eigenmitteln und nur 0,3% der Haushalte erhielten eine Wohnung vom Staat.272 Zum einen haben dabei wohnungspolitische Faktoren, wie Liberalisierung des Wohnungsmarktes und die Gewährung von zusätzlichen steuerlichen Anreizen, eine Rolle gespielt. Zum anderen ist hier die wanderungsbedingte Zunahme der Einwohnerzahlen, bei ansonsten sinkenden Haushaltsgrößen, und das steigende Einkommen zu nennen. Dennoch hängt die weitere Entwicklung des Wohnungsbaus davon ab, ob der russischen Bevölkerung effektiv funktionierende Finanzierungsmechanismen angeboten werden. Hier kann das Bausparsystem nach dem deutschen Muster eine große
nungsbaukooperativen“), Vorschrift der Baubank der USSR vom 13.05.83 Nr. 39 „Po finansirovaniju i kreditovaniju kooperativnogo zhilishhnogo stroitel’stva“ (Über Finanzierung und Kreditvergabe des Genossenschaftsbaus“). 271 Oft leisteten die Unternehmen eine Sachleistung an die Wohnungsbaugenossenschaften, die z.B. darin bestand, dass ein Bauabschnitt komplett aus den Mitteln vom Unternehmen, bzw. aus den Mitteln des Prämienfonds und Fonds „für die Durchführung der sozialen- und kulturellen Maßnahmen“ bezahlt wurde. Vgl. Brief der Staatsbank der USSR „Ɉ zhilishhnostroitel’noj kooperacii“ („Über Wohnungsbaukooperativen“) vom 17.01.83, Nr. 524, § 16. Eigentlich wurden die Mittel dieses Fonds vom gesamten Arbeitskollektiv erarbeitet und auch für alle Mitarbeiter bestimmt. In diesem Fall konnten nur die Mitarbeiter davon profitieren, die Mitglied der Wohnungsbaugenossenschaft waren. 272 Granik, I.: Regierung, 2004, S. 10.
134
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Hilfe leisten. Auf die Finanzierungsmodelle, die in Russland derzeit vorhanden sind, wird im Kapitel 6.3 näher eingegangen.
6.1.2 Aktueller Stand und Situationsanalyse des Wohnungsmarktes in Russland 6.1.2.1 Sankt Petersburg als Gegenstand der empirischen Untersuchung Im Laufe der Untersuchung hat sich ergeben, dass die Analyse der Sekundärquellen für die betrachtete Fragestellung nicht ausreichend ist, da diese nicht alle benötigten Informationen zum untersuchten Thema liefern. Darüber hinaus stellte sich die Frage nach der Verlässlichkeit der vorhandenen Statistiken. Um die Ergebnisse der Sekundärforschung zu überprüfen und zu ergänzen, erschien die Durchführung einer empirischen Untersuchung sinnvoll. Im Rahmen dieser Arbeit war es aufgrund des extrem hohen Aufwandes nicht möglich, die Umfrage auf das gesamte Gebiet der Russischen Föderation, deren Gesamtbevölkerung 143 Mio. Einwohner273 beträgt, auszudehnen. In diesem Zusammenhang war es naheliegend, eine geeignete Region auszuwählen, in welcher die empirische Untersuchung durchgeführt wird. An dieser Region soll nun überprüft werden, ob die Voraussetzungen für eine Einführung des Bausparsystems dort gegeben sind und eine Einführung möglich bzw. sinnvoll (wirtschaftlich) ist. Bei der Wahl der für diese Zielsetzung geeigneten Region spielten die folgenden Kriterien eine entscheidende Rolle: 1. Größe der Region und ihre demographische Struktur: Um ein erfolgreiches Bauspargeschäft betreiben zu können, muss eine ausreichende Nachfrage in der Region vorhanden sein. Dies macht es erforderlich, dass sich in der ausgewählten Region eine ausreichende Anzahl an Bewohnern im arbeitsfähigen Alter befindet. Diese Bürger sind potenzielle Nachfrager für eine Wohnimmobilie und u. U. für eine Baufinanzierung. 2. Ausreichende Anzahl von Bürgern mittleren Einkommens: Das Bausparsystem ist in erster Linie für Bürger mit mittlerem Einkommen von Bedeutung, da für Bürger mit einem hohen Einkommen eine Finanzierung des Eigenheims mit Hilfe eines Bausparsystems insbesondere aufgrund der langen Wartezeiten weniger in Frage kommt. 273
Vgl. Goskomstat: Zahlen, 2004, S. 26.
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135
3. Bezahlbare Preise für Wohnimmobilien: Das Verhältnis zwischen dem durchschnittlichen Einkommen der Bevölkerung in der Region und den durchschnittlichen Immobilienpreisen muss so sein, dass ein Erwerb des privaten Wohneigentums denkbar ist; 4. Überdurchschnittliche Attraktivität der Region: Die Attraktivität der Region wird vor allem an Kriterien wie Prestige der Region, berufliche Entwicklungs- und Ausbildungsmöglichkeiten, Infrastruktur, Nahversorgung und Verkehrsanbindung, Entwicklungspotenzial der Region gemessen. 274 5. Risiken der Region: Hier können die folgenden Parameter bewertet werden: Kriminalitätsgrad der Region, politische Situation der ausgewählten Region, Grad der Korruption, Risiko der rückläufigen Entwicklung der Region. Bei der Auswahl der in der Umfrage zu untersuchenden Region wurden u.a. die Ergebnisse einer Studie der Wirtschaftszeitschrift „Expert“ verwendet. Diese Studie führt einen Vergleich verschiedener Regionen der Russischen Föderation durch und bewertet diese in Hinsicht auf das vorhandene Entwicklungspotenzial, Investitionsklima sowie die bestehenden Risiken. Dabei wird für jede Region ein Rating vergeben, welches Potenzial und Risiken widerspiegelt. Sankt Petersburg bekam bei dieser Auswertung den zweiten Rang unter allen Regionen der Russischen Föderation. Moskau belegte mit großem Abstand vor anderen Regionen den ersten Platz.275 Sankt Petersburg kann daher besser mit einer anderen Region Russlands verglichen werden. Sankt Petersburg ist eine Stadt mit 4,566 Mio. Einwohnern (was 3,3% der Gesamtbevölkerung Russlands ausmacht), mit 1436 km2 Fläche und einem hohen Entwicklungspotenzial. In Sankt Petersburg werden 9,46 Mrd. oder 2,7% des Bruttoinlandsproduktes der Russischen Föderation erwirtschaftet. St. Petersburg ist die ehemalige Hauptstadt Russlands und daher ein Wohnort mit hohem Prestige. Neben vielfältigen Ausbildungs-, Arbeits- und Freizeitgestaltungsmöglichkeiten hat Sankt Petersburg eine breite Infrastruktur im Bereich der Banken– und sonstigen Finanzdienstleistungen. Die Sankt Petersburger Kreditinstitute und deren Kunden haben bereits einige Erfahrungen im Bereich der Privatimmobilienfinanzierung gesammelt. Für einen Aufbau des Bausparsystems ist es durchaus wichtig, dass die Bevölkerung bereits über ausreichende Kenntnisse in Bezug auf Bankdienstleistungen verfügt. So kann das Bausparprodukt für die Bürger besser verständlich gemacht werden.
274 275
Vgl. auch Grabow, B/Henckel,D./Hollbach-Grömig, B.: Standorte, 1995, S. 14 - 15 und 27. Das Bruttoinlandsprodukt in Moskau betrug 2002 343,8 Mrd. (oder 13% des Bruttoinlandsproduktes der Russischen Föderation.)- Vgl. Goskomstat: Regionen, 2003, S. 173.
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Als weiterer Vorteil der Sankt Petersburger Region ist in diesem Kontext auch die günstige geographische Lage zu nennen, die über die Jahre hinweg die Zusammenarbeit mit deutschen und anderen ausländischen Unternehmen attraktiv machte, sowie eine insgesamt westliche Ausrichtung der Stadt. Infolgedessen stieg in den letzten Jahren die Nachfrage nach Wohnimmobilien in Sankt Petersburg permanent an. Aus den o. g. Gründen kann Sankt Petersburg als Region für die Durchführung der empirischen Untersuchung ausgewählt werden: Für die primäre empirische Untersuchung wurde eine telefonische teilweise standardisierte Befragung ausgewählt. Diese Entscheidung wurde aus folgenden Gründen getroffen: - Eine telefonische Befragung besitzt eine relativ hohe Antwortquote, was für diese Untersuchung von Bedeutung ist. Bei einer schriftlichen Befragung muss mit einer geringeren Rücklaufquote gerechnet werden. - Diese Befragung beinhaltet einige Fragen zu Themen, zu denen Bürger erfahrungsgemäß nicht gerne eine Auskunft geben, wie z. B. Sparverhalten, Einkommen, Wohnsituation.276 Bei einer schriftlichen Befragung (trotz Zusicherung der Anonymität) haben viele Befragte Bedenken, da einerseits die Adresse der Befragten bekannt ist277 und andererseits der ausgefüllte Fragebogen auf dem Postweg verloren gehen und in falsche Hände geraten könnte. - Das Problem des Misstrauens bleibt auch bei einer telefonischen Befragung bestehen. Dabei sind jedoch diese Ängste geringer, da der Name des Befragten nicht bekannt ist (in Russland existieren keine öffentlich zugänglichen Telefonbücher, in denen man sich zu einer Telefonnummer die Adresse heraussuchen kann). - Eine telefonische Befragung bietet auch die Möglichkeit für Rückfragen, sowohl von der Seite des Befragten, als auch von der Seite der Interviewer. - Die Durchführung einer telefonischen Befragung ist in Sankt Petersburg möglich, da 98% der Haushalte in Sankt Petersburg über einen Telefonanschluss verfügen.278 276
Aufgrund der historischen Entwicklung in Russland im Laufe des letzten Jahrhunderts ist das Misstrauen der Bürger sehr groß. 277 Nach Auskunft des Zentrums für Umfragen, Methoden und Analysen in Mannheim werden die Befragten bei einer telefonischen Befragung nach einem Zufallsverfahren nicht nach ihrem Namen, bzw. Adresse befragt. Vgl. dazu auch Frey, J./Kunz,G.: Telefonumfragen, 1990, S. 51 f.. 278 Laut Auskunft der St. Petersburger Telefonnetz-Gesellschaft im Februar 2002.
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Da bei vielen Fragen zu diesem Thema das Antwortspektrum durch Vorgabe der Antwortsvarianten (Antwortsvorgaben) nicht voll ausgeschöpft werden kann, wurden beim Aufbau des Fragebogens „halbgeschlossene“279 Fragen bevorzugt. Diese Frageform bietet dem Befragten die Möglichkeit, im Falle, dass die Antwortvorgaben nicht voll zutreffen, auch eigene Antwortsvarianten anzugeben. Die erhobene Stichprobe setzt sich aus einer Gruppe von 250 Befragten aus Sankt Petersburg zusammen. Die Befragung fand in dem Zeitraum vom 10.05.2002 bis 10.09.2002 statt. Bei der Auswahl der Befragten wurde die „Random Digit Dialing“ Methode (Zufallsziffernanwahl) angewandt.280 Stichprobe
2498
qualitätsneutrale Ausfälle281
1948
bereinigte Stichprobe
550
Systematische Ausfälle Teilnehmer nicht erreicht
44
Befragung verweigert
247
Befragung abgebrochen
9
Summe
300
Anzahl der durchgeführten Interviews
250
Teilnahmequote
45,5%
Abb. 20: Empirische Befragung in Sankt Petersburg282
279
Kromey, H.: Modelle, 2000, S. 355. In Sankt Petersburg haben alle Telefonnummern 7 Stellen. Mit Hilfe eines Zufallszahlengenerators wurden siebenstellige Zufallszahlen generiert. Ob eine Telefonnummer in Sankt Petersburg existiert, lässt sich im ersten Schritt an der Kombination der ersten drei Zahlen erkennen. Es gibt nur eine bestimmte Anzahl von Telefondiensten, die alle über eine eigene dreistellige Nummernkombination verfügen (siehe Anhang). Telefonnummern, die mit einer anderen Nummernkombination der ersten drei Ziffern beginnen, sind aus diesem Grund nicht möglich. Diese vom Zufallsgenerator erzeugten Nummern wurden nicht angewählt und stellen qualitätsneutrale Ausfälle dar. Die restlichen 550 siebenstelligen Nummer wurden angewählt und stellen eine bereinigte Stichprobe dar. – Vgl. auch Kromey, H.: Modelle, 2000, S. 379. 281 Telefonnummer existiert nicht, bzw. fünf Nummern blieben übrig und wurden nicht angewählt. 282 Fragebogen – siehe Anhang. 280
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Insgesamt wurde 250 Telefoninterviews durchgeführt. Die Ergebnisse dieser Befragung werden nicht separat in der Arbeit dargestellt, sondern in die Paragraphen der Arbeit integriert. 6.1.2.2 Wohnungsbestand und Zufriedenheit der Bürger mit den Wohnungsverhältnissen Für die Ermittlung des Bedarfs der russischen Bürger im Hinblick auf die Nachfrage nach privatem Wohneigentum und demzufolge auch nach dessen Finanzierung muss zuerst die derzeitige Situation beim Wohnungsbestand analysiert werden. Der Wohnungsfonds der Russischen Föderation besteht aus rund 56 Mio. Wohnungen, deren Durchschnittsfläche zur Zeit 50,8 m2 beträgt. 283 23,2% des Wohnungsfondes entfällt auf Einzimmerwohnungen. Der Rest des Bestandes bilden zum großen Teil Zwei- und Dreizimmerwohnungen. Diese relativ kleine Größe der Wohnungen ist darauf zurückzuführen, dass nach dem zweiten Weltkrieg und in die nachfolgenden Jahre die Steigerung der Wohnungszahl im Vordergrund stand, was zur Lasten der Größe ging. Seit 1980 ist der Wohnungsfonds der Russischen Föderation um ca. 54% gewachsen: Wohnungsfond der in Mio. m2 Städte Ländliche Regionen
1980 1985 1990 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 1861 2138 2425 2645 2676 2710 2738 2761 2787 2822 2853 2882
1291 1492 1720 1911 1937 1962 1983 2001 2020 2045 2069 2086 570 646 705 734 739 748 755 760 767 777 784 796
Abb. 21: Wohnungsfonds der Russischen Föderation (1990-2003) 284 Diese Zunahme konzentrierte sich sehr stark auf die Städte. Ende 2003 gab es in Russland laut Informationen des Statistischen Amtes 2882 Mio. m2 Wohnfläche, von deren 72,4% auf Städte und 27,6% auf ländliche Regionen entfielen.285 Die Fertigstellung von neuen Wohnflächen ist im Vergleich zum Jahr 1990 (noch zu Zeiten der Sowjetunion) immer noch gering. So wurden im Jahr 2000 lediglich 2,8 Wohnungen pro 1000 Bürger fertig gestellt, im Jahr 1990 waren es 7,1 Wohnungen pro 1000 Einwohner. Auch im Vergleich mit Deutschland, wo im Jahre 283
Vgl. o.V.: Bildung, 2004, in: URL, siehe Literaturverzeichnis. Goskomstat: Jahrbuch, 2004, S. 200. 285 Vgl. o.V.: Bildung, 2004, in: URL, siehe Literaturverzeichnis. 284
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2002 6,1 Wohnungen pro 1000 Einwohner fertiggestellt werden, ist diese Kennzahl sehr gering.286 Dies ist in erster Linie auf den Mangel an finanziellen Mittel zurückzuführen. Allerdings werden immer mehr der neu fertiggestellten Wohnungen aus den Mitteln der Bürger (Eigenmittel und Kredite) finanziert. Im Jahr 2003 betrug dieser Anteil bereits 41,6% der gesamten fertiggestellten Wohnfläche (vgl. Abb. 22). Jahre
Fertiggestellte Wohnfläche In Mio. m2
1992 1995 1998 1999 2000 2001 2002 2003
41,5 41,0 30,7 32,0 30,3 31,7 33,8 36,4
davon in Mio. m2 Finanziert aus GenossenMitteln der schaftlicher Bevölkerung Wohnungsbau 4,9 2,1 9,0 1,7 12,1 0,8 13,7 0,7 12,6 0,7 13,1 0,6 14,2 0,6 15,2 0,5
in % Finanziert aus GenossenMitteln der schaftlicher Bevölkerung Wohnungsbau 11,8 5,0 22,0 4,2 39,4 2,5 42,9 2,1 41,6 2,4 41,2 2,0 41,9 1,7 41,6 1,4
Abb. 22: Fertigstellungen ( Wohnfläche) in der Russischen Föderation287 Die privatfinanzierten Wohnungen unterscheiden sich deutlich sowohl von den staatlich oder genossenschaftlich finanzierten Wohnungen, als auch von den Wohnungen aus dem Bestand, da sie im Durchschnitt viel größer (um 260% größer sind (vgl. Abb. 23). Das ist eine Bestätigung dafür, dass die russischen Bürger nach einer größeren Wohnfläche streben.
Anzahl der Wohnungen ( in Tausend) Durchschnittsfläche in m2 davon nach Wohnungstypen, in % der Gesamtferigstellung 1-Zimmerwohnungen 2- Zimmerwohnungen 3- Zimmerwohnungen 286
1992 1995
1997
1998
2001
2002
2003
388
1999 2000 gesamt 390 373
682
602
430
382
396
427
60,8
68,2
75,9
79,1
82,1
81,1
83,1
85,3
85,4
18 32 40
18 32 38
18 30 36
18 30 36
18 29 34
20 29 34
20 30 33
21 30 32
23 31 31
Vgl. Unece Environments and Human Settlements Division: Housing, 2004, in: URL, siehe Literaturverzeichnis. 287 Vgl. Goskomstat: Zahlen, 2003, S. 230.
140
ÜBERPRÜFUNG DES BEDARFS EINES BAUSPARSYSTEMS IN RUSSLAND UND DER FÜR DEN AUFBAU NOTWENDIGEN RAHMENBEDINGUNGEN
4 und mehr– Zimmerwohnungen
10
12
16
16
19
17
17
17
15
davon über Genossenschaften finanziert Anzahl der Wohnungen ( in 37 30 23 13 11 11 10 8 7 Tausend) Durchschnittsfläche in m2 56,1 58,5 58,9 61,9 61,7 61,7 67,5 69,0 71,4 Davon von der Bevölkerung mit Eigenmitteln und Krediten finanziert Anzahl der Wohnungen ( in 61 90 102 104 114 106 108 113 115 Tausend) Durchschnittsfläche in m2 80,1 99,7 112,4 116,3 120,8 118,8 120,4 125,7 131,9
Abb. 23: Anzahl und Größe der fertiggestellten Wohnungen288 Gemäß dem Gesetz der Russischen Föderation über „Die Grundlagen der Föderalen Wohnungspolitik“ wird der Wohnungsfonds der Russischen Föderation nach Eigentumsverhältnissen in die fünf folgenden Kategorien unterteilt: 1. Privater Wohnungsfonds (der sich im Eigentum natürlicher und juristischer Personen befindet), 2. Staatlicher Wohnungsfonds (befindet sich in staatlichem Eigentum), 3. Wohnungsfonds von Gemeinden, 4. Gesellschaftseigentum ( im Eigentum von Vereinen und Verbänden), 5. Gemeinschftseigentum und gemischter Wohnungsfonds. Die Eigentumsstruktur des Wohnungsfonds der Russischen Föderation hat sich im Laufe der letzten 10 Jahre deutlich verändert. Der private Wohnungsfonds, dessen Anteil im 1990 lediglich 33% betrug, stieg bis 2003 bereits auf 69,9% (vgl. Abb. 24).
Wohnungfond (in Mio. m2) davon private davon private (in %)
1980 1861
1985 2138
1990 2425
1995 2645
1996 2676
1997 2710
1998 2738
1999 2761
2000 2787
2001 2822
2002 2853
2003 2882
703 37,7
740 34,6
791 32,6
1398 53
1473 55
1547 57
1628 59
1742 63
1819 65,3
1910 67,7
1993 69,9
-
Abb. 24: Entwicklungsdynamik des privaten Wohnungsfonds im Zeitraum von 1980-2003289
288
Vgl. Goskomstat: Zahlen, 2003, S. 230.
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In einigen Regionen beträgt der private Wohnungsfonds sogar fast 80%: Privater WF* Russland Moskau Petersburg Sverdlowskij Region Nowosibirsk
Staatlicher WF
WF der Gemeinden
69,9 60,9 56,8 78,6
davon im Privateigentum der Bürger** 66,5 59,5 54,8 70,1
6,5 34,5 5,8 5,0
22,5 2,5 36,9 15,8
Gemeinschaftseigentum und gemischter WF 1,1 1,2 0,5 0,6
71,1
63,3
5,4
21,5
2,0
* umfasst die Immobilien im Eigentum von natürlichen und juristischen Personen ** umfasst die Immobilien im Eigentum von natürlichen Personen
Abb. 25: Wohnungsfonds der Russischen Föderation nach Eigentumsformen (in Mio. m2) 290 Die Privatisierung des Wohnungsfonds hat hauptsächlich in städtischen Gegenden stattgefunden. Auf dem Land hatte der private Wohnungsfonds bereits zu sowjetischen Zeiten einen hohen Anteil (z. B. lag dieser im Jahr 1980 bei 70%). Die Privatisierung löste jedoch das Problem der mangelhaften Qualität des Wohnungsfonds nicht. Mehr als 60% der Wohnungsobjekte (rund 11,4 Mio., die vor 1973 gebaut wurden) sind bereits um mehr als zu einem Drittel abgenutzt und bedürfen somit einer Reparatur und Modernisierung, 3,2% des Wohnungsfonds befinden sich in einem bedrohlichen Zustand und sind praktisch unbewohnbar.291 Die Wohnungen in den Städten sind grundsätzlich besser ausgestattet und zu einem viel größeren Teil an die technische Infrastruktur angeschlossen als die Wohnungen auf dem Land. So verfügen z. B. 86% der Wohnungen in städtischen Gegenden über einen Wasseranschluss. Auf dem Land dagegen sind es nur 39 % der Wohnungen. In Deutschland ist dieser Anteil deutlich höher (vgl. Abb. 26).
289
Eigene Berechnungen anhand der Informationen vom Goskomstat: Vgl: Goskomstat: Jahrbuch, 2004, S. 220. 290 Vgl. Goskomstat: Regionen, 2003, S. 178-179. 291 Vgl. Granik, I.: Wohnungsprobleme, 2004, S. 10.
142
ÜBERPRÜFUNG DES BEDARFS EINES BAUSPARSYSTEMS IN RUSSLAND UND DER FÜR DEN AUFBAU NOTWENDIGEN RAHMENBEDINGUNGEN
Anzahl Jahr (1 000)
Wohnungen mit :
Wasser-Leitung (in %)
Dusche oder Bad (in %)
Zentrale-Heizung (in %)
Deutschland
2000
37 050
100.0
100,0
86.9
Russische Föderation
2000
2 779
73.0
64.0
73.0
Abb. 26: Ausstattung der Wohnungen in der Russischen Föderation und in Deutschland im Vergleich292 Wie bereits erwähnt, liegt auch die Durchschnittswohnfläche pro Person mit rund 20 m² - trotz einiger Fortschritte in den letzten 13 Jahren - deutlich unter dem Standard in westlichen Ländern. Laut statistischer Informationen ergibt sich in der Russischen Föderation das folgende Bild: Lediglich 20% der Haushalte wohnen in einer Wohnung, in der die Anzahl der Zimmer größer als die Anzahl der Bewohner ist. Überwiegend ist die folgende Relation zu finden: • Bei 30,8% der Haushalte ist die Anzahl der Bewohner identisch mit der Anzahl der Zimmer in der Wohnung. • In 31,1 % der Fälle hat der Wohnraum ein Zimmer weniger, als die Anzahl seiner Bewohner. 293 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass in der Russischen Föderation ein enormer Bedarf sowohl an zusätzlichen Wohnflächen, als auch an der Reparatur und Modernisierung der bereits bestehenden Wohnungen vorhanden ist. Diese Sachlage bestätigen auch die Ergebnisse einer empirischen Studie, die im Auftrag von der „Vneshtorgbank AG“ in der Zeit vom Dezember 2003 bis Januar 2004 in der gesamten Russischen Föderation durchgeführt wurde. Diese ergab, dass nur 39% der Bevölkerung der russischen Föderation mit ihren Wohnverhältnissen zufrieden sind, 61% der russischen Haushalte wollen ihre Wohnungsver-
292
Vgl. Unece Environments and Human Settlements Division: Housing, in: URL, siehe Literaturverzeichnis. 293 Vgl. Studie der Zentralbank, in: Avramova, E.: Verhalten, 2001, in: URL, siehe Literaturverzeichnis.
ÜBERPRÜFUNG DES BEDARFS EINES BAUSPARSYSTEMS IN RUSSLAND UND DER FÜR DEN AUFBAU NOTWENDIGEN RAHMENBEDINGUNGEN
143
hältnisse verbessern.294 Der zusätzliche Bedarf der russischen Bevölkerung an neuen Wohnungen beträgt laut Studie der Vneshtorgbank 1 291 Mio. m2, was 45% des derzeitigen Wohnungsbestandes bedeutet. 295 Verbesserungsbedarf, was die Quantität und Qualität der Wohnfläche betrifft, besteht auch in Sankt Petersburg. Anfang 2003 betrug der Sankt Petersburger Wohnungsfonds 95,7 Mio. m2, was einen Anteil in Höhe von 3,35 % des gesamten Wohnungsfonds der Russischen Föderation bedeutet. Die Durchschittswohnfläche pro Einwohner lag im Jahr 2003 bei 21 m2, was eine Verbesserung um etwa 30% gegenüber dem Jahr 1990 bedeutet. Der Wohnungsbestand umfasst insgesamt 1.642.500 Wohnungen: 41,2% davon entfallen auf die Zweizimmerwohnungen, 30,6 % auf Dreizimmerwohnungen, 21,1 % auf Einzimmerwohnungen, und 7 % auf Wohnungen mit vier und mehr Zimmern.296 Die Ausstattung der Wohnungen in Sankt Petersburg hat sich im Laufe der letzten Jahre ebenfalls verbessert und liegt deutlich über dem Durchschnitt der Russischen Föderation. Abbildung 27 liefert einen detaillierten Überblick: Ausgestattet mit
Wasserleitung
Kanalisation
Zentralheizung
Bad
heißes Wasser
% der Wohnungen
98,6
98,3
98,7
92,1
94,0
Abb. 27: Ausstattung der Wohnungen in Sankt Petersburg im Jahr 2003297 Laut offiziellen Informationen befinden sich 0,5 % der Wohnungen in St. Petersburg in einem bedrohlichen Zustand und müssen dringend repariert und renoviert werden.298 Auch die in Sankt Petersburg durchgeführte empirische Untersuchung hat gezeigt, dass 49,2 % der Bevölkerung in St. Petersburg mit ihren Wohnverhältnissen unzufrieden sind, davon 2,4 % sogar sehr.
294
Vneshtorgbank, 2004, Beurteilung, S. 18. ebenda, S. 18 f. 296 Vgl. Peterburgkomstat: Lage, 2004, S. 224. 297 Vgl. ebenda, S. 224. 298 Goskomstat: Regionen, 2003, 182-183. 295
144
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Zufriedenheit mit der Wohnung allgemein 50
47.2
46.8
45 40 Haushalte
35 30 25 20 15 10 3.6
5
2.4
0 sehr zufrieden
zufrieden
unzufrieden
sehr unzufrieden
Abb. 28: Zufriedenheit mit der Wohnung allgemein in Sankt Petersburg299 Ein wesentlicher Grund für die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit den Wohnverhältnissen ist die Wohnraumknappheit. So gaben insgesamt 54,4 % Bürger bei der Befragung an, mit der Größe ihrer Wohnung unzufrieden zu sein (vgl. Abb. 29).
P roz ent
Zufriedenheitsgrad mit der Wohnungsgröße 50.0% 45.0% 40.0% 35.0% 30.0% 25.0% 20.0% 15.0% 10.0% 5.0% 0.0%
46.4% 36.8%
8.8%
sehr zufrieden
zufrieden
8.0%
unzufrieden
sehr unzufrieden
Abb. 29: Zufriedenheitsgrad mit der Wohnungsgröße in Sankt Petersburg300
299 300
Empirische Untersuchung, Sankt Petersburg, 2002. Empirische Untersuchung, Sankt Petersburg, 2002.
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145
Laut Befragung bewohnen lediglich 8,8 % der Befragten eine Wohnung, in der die Anzahl der Bewohner kleiner als die Anzahl der Zimmer ist. In 52,8 % der Fälle ist die Anzahl der Bewohner größer als die Anzahl der Zimmer und in 38,4 % gleich. Der Korrelationskoeffizient zwischen zwei Parametern „Zufriedenheit mit den Wohnverhältnissen insgesamt“ und „Größe der Wohnung“ zeigte jedoch mit 0,419 eine nicht so starke Abhängigkeit. Dies kann einerseits mit relativ niedrigen Ansprüchen der Bevölkerung bezüglich ihrer Wohnverhältnisse erklärt werden, andererseits zeigt dies, dass die Größe der Wohnung nicht der einzige und der wichtigste Parameter ist, der bei der Zufriedenheit der Bevölkerung mit ihren Wohnungsverhältnissen eine Rolle spielt.301 So zeigten sich die Befragten insbesondere mit dem baulichen Zustand der Wohnung unzufrieden und begründeten dies mit ihrer Reparatur- und Renovierungsbedürftigkeit. Viele Befragten beklagten sich, dass im Keller immer Wasser stehe, dass die Wände des Hauses permanent nass seien und dass die Zimmertemperatur im Winter häufig nur 8 bis 10 Grad Celsius betrage. Zufriede nheit mit dem baulichen Zustand in% 56.0%
60.0% 50.0%
Prozent
40.0% 28.4%
30.0% 20.0%
10.8% 10.0% 0.0%
4.8%
sehr zufrieden
zufrieden
unzufrieden
sehr unzufrieden
Abb. 30: Zufriedenheit mit dem baulichen Zustand der Wohnungen302 Die im Eigentum lebenden Menschen zeigten sich insgesamt zufriedener mit ihren Wohnverhältnissen als diejenigen, die zur Miete wohnten. Dies lässt sich jedoch dadurch erklären, dass die staatlichen Wohnungen, die in einem schlechten Zustand waren, von den Bewohnern nicht privatisiert wurden. Die folgenden zwei 301 302
Die berechnete Korrelation ist signifikant auf dem Level von 0,01. Empirische Untersuchung, Sankt Petersburg, 2002.
146
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Grafiken stellen dar, wie zufrieden Eigentümer und Mieter mit ihrer Wohnsituation sind. Zufriedenheit mit der Wohnung allgemein (Eigentumswohnungen) 70.0% 62.6% 60.0%
Prozent
50.0% 40.0% 31.7%
30.0% 20.0% 10.0%
5.8% 0.0%
0.0% sehr zufrieden
zufrieden
unzufrieden
sehr unzufrieden
Abb. 31: Zufriedenheit der Besitzer von Eigentumswohnungen303 Zufriedenheit mit der Wohnung allgemein (Mietwohnungen) 80.0% 70.4%
70.0%
Prozent
60.0% 50.0% 40.0% 30.0% 22.4% 20.0% 10.0% 0.0% sehr zufrieden
6.1% 1.0%
zufrieden
unzufrieden
sehr unzufrieden
Abb. 32: Zufriedenheit der Bewohner von Mietwohnungen304 Die Befragungsergebnisse zeigen, dass ein enormer Neubaubedarf sowie ein hohes Modernisierungs- und Renovierungspotenzial im Wohnungsbestand vorhan-
303 304
Empirische Untersuchung, Sankt Petersburg, 2002. ebenda, 2002.
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147
den ist.305 Dies erklärt auch die hohe Nachfrage nach privaten Wohnimmobilien auf dem Sankt Petersburger Wohnungsmarkt (siehe auch Kapitel 6.1.2.3.1). 6.1.2.3 Angebot und Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt. Entwicklungsstand des Wohnungsmarktes und seine Infrastruktur Bei der Analyse der vorhandenen Sekundärquellen zu diesem Thema wurde festgestellt, dass viele elektronische und gedruckte Quellen nur sehr oberflächliche Informationen über die Lage auf dem Markt für Privatimmobilien liefern. Obwohl viele Informationen zu aktuellen Immobilienpreisangeboten (ermittelt anhand von Immobilienangeboten in den Zeitungen und im Internet) vorhanden sind, findet man kaum Informationen über die Anzahl der getätigten Transaktionen und das Transaktionsvolumen. Das betrifft insbesondere die Situation auf dem Sekundärmarkt der Privatimmobilien. Problematisch ist auch die Analyse des Mietwohnungsmarktes, da viele Wohnungen illegal (von privat zu privat) vermietet, und demzufolge nicht erfasst werden. Der Mietwohnungsmarkt und seine Infrastruktur Bei der Analyse des Mietwohnungsmarktes ist zwischen den Wohnungen, die vom Staat vermietet werden und den Wohnungen auf dem freien Mietwohnungsmarkt, zu differenzieren. Da der Staat momentan nur eine geringe Anzahl der Wohnungen zur Verfügung stellt und die Wartezeiten für solche Wohnungen in der Regel sehr lang sind, kann dieser Teil des Marktes nur bedingt mit dem freien Mietwohnungsmarkt konkurrieren. Der Erhalt einer Wohnung vom Staat stellt zurzeit nur in den seltensten Fällen eine Alternative zur Lösung der Wohnungsprobleme dar. Lediglich 1,5% der Haushalte in St. Petersburg, die auf eine Wohnung vom Staat warten, erhielten im Jahr 2002 eine solche. (Zum Vergleich: Im Jahr 2001 lag diese Zahl ebenfalls bei 1,5%).306Unterstellt man, dass die Vergabe der Wohnungen in gleichem Tempo voranschreitet, werden die letzten Bewerber ihre Wohnungen erst in 66 Jahren erhalten.307
305
Viele Familien in Sankt Petersburg bewohnen immer noch die kommunalen Wohnungen und sehnen sich nach einem separaten Zuhause. 306 Vgl. Goskomstat: Regionen, 2003, S. 186-187. 307 Ähnlich sieht auch die Situation in anderen Regionen aus: z. B. in Sverdlowskaja Oblast’ lag diese Zahl bei 1,3%, in Nowosibirskaja Oblast’ bei 2,3%, usw., Vgl.: Goskomstat: Regionen, S. 186-187.
148
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Der freie Mietwohnungsmarkt in Sankt Petersburg ist - ähnlich wie in anderen Regionen der Russischen Föderation – noch relativ jung und unterentwickelt. Zu sowjetischen Zeiten wurden die Wohnungen nur selten und meistens illegal untervermietet – ein Zustand, der teilweise bis heute anhält. Heute gibt es bei der Suche nach einer Mietwohnung grundsätzlich zwei Wege: von privat zu privat (ggf. durch eine Anzeige im Internet oder in der Zeitung), mit Hilfe einer Informationsagentur oder durch Vermittler, deren Dienste in der Regel sehr teuer sind. Immer noch fehlt es an der nötigen Infrastruktur: Instanzen, die z. B. die Registrierung der Mietverträge regeln und die Rechte der Mieter und der Vermieter schützen, sind nicht vorhanden: Ein Mietvertrag ist z. B. gesetzlich nicht zwingend erforderlich. Auch gibt es keine Regelungen im Hinblick auf Mietpreiserhöhungen und- begrenzungen.308 Deshalb werden Mieter oft davon überrascht, dass ihre Miete bereits nach Ablauf von wenigen Monaten nach Einzug deutlich steigt. Außerdem gibt es noch viele Handlungen mit betrügerischer Absicht auf dem Mietwohnungsmarkt, indem z. B. eine Wohnung gleichzeitig an mehrere Interessenten vermietet wird, usw.309 Deshalb ist die Situation auf dem St. Petersburger Mietwohnungsmarkt derzeit sehr angespannt. Die Nachfrage nach Mietwohnungen auf dem freien Mietwohnungsmarkt wird hauptsächlich durch Haushaltsgründungen junger Menschen, sowie durch Zuzüge aus anderen Regionen Russlands ausgelösst. Hinzu kommt die Singularisierung der bestehenden Haushalte. Diese können sich einen Kauf einer eigenen Wohnung nicht (oder nicht sofort) leisten und sind somit darauf angewiesen, eine Wohnung zu mieten. Das begrenzte Wohnungsangebot kann heute die permanent steigende Nachfrage auf dem Mietwohnungsmarkt nicht befriedigen. Auf eine Mietwohnung gibt es im Schnitt 5 bis 7 Bewerber.310 Diese Situation beeinflusst die Nachfrage auf dem Privatimmobilienmarkt.
308
Vgl. Scheschenko, G. F.: Wohnungsbeziehungen, 2003, in: URL, siehe Literaturverzeichnis. Vgl. Beljaeva, M.: Wohnungsmiete, 2004, in: URL, siehe Literaturverzeichnis; Antonov, W.: Eingriffe, 1998, S. 1-3. 310 Nach Meinung der Spezialisten des St. Petersburger Wohnungsmarktes: Petij, A., Direktor der Firma Ⱥɇ "Quartz-Service" und Spezialisten der Firma Ⱥɇ „Ekton“ in: Vgl. Golenkova, D.: Miete, 2004, in: URL, siehe Literaturverzeichnis. 309
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149
Der Markt für private Wohnimmobilien und seine Infrastruktur Der Markt für private Wohnimmobilien in Sankt Petersburg ist insgesamt durch eine hohe Nachfrage (sowohl auf dem primären als auch auf dem sekundären Markt für Privatimmobilien) und ein unzureichendes Angebot zu charakterisieren. Die hohe Nachfrage geht - wie bereits erwähnt - auf den großen Nachholbedarf und das knappe Angebot auf dem Mietwohnungsmarkt zurück. Hinzu kommt, dass die hohen Inflationsraten der letzten Jahre bei den Bürgern zu einer regelrechten „Flucht in Sachwerte“ führte. Demzufolge finden viele Haushalte eine Anlage in sog. „Betongold“ am sinnvollsten. Eine hohe Nachfrage nach privaten Wohnimmobilien konnte auch durch die empirische Untersuchung in St. Petersburg bestätigt werden. So verbesserten insgesamt 9,6 % der Haushalte binnen zwei Jahren ihre Wohnsituation durch den Erwerb einer Wohnung oder eines Hauses (vgl. Abb. 33). Ve rbesse rung de r Wohnungsve rhältnisse
69.6
Erhalt einer Wohnung vom Staat Modernisierung
0.4 12.4 8.0
Wohnungstausch
7.2
Kauf/Bau einer Wohnung Kauf/Bau eines Hauses
2.4
0
keine Verbesserung
20
40
60
80
Prozent
Abb. 33: Verbesserung der Wohnungsverhältnisse der Haushalte innerhalb von zwei Jahren in St. Petersburg Die hohe Nachfrage nach den privaten Wohnimmobilien wird, laut empirischer Untersuchung, in Zukunft weiterhin steigen. So haben 12,8% der Befragten vor, ihre Wohnsituation durch Kauf einer Wohnung oder eines Hauses in den nächsten fünf Jahren zu verbessern (vgl. Abb. 34).
150
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Ve rbe sse rung de r Wohnungsv e rhältnisse
54.4
Erhalt einer Wohnung vom Staat Modernisierung
0 20 12.8
Wohnungstausch
10.8
Kauf/Bau einer Wohnung Kauf/Bau eines Hauses
2
0
keine Verbesserung
20
Prozent
40
60
Abb. 34: Pläne zur Verbeserung der Wohnsituation der Haushalte in St. Petersburg in den nächsten fünf Jahren311 In Folgendem soll nun eine ausführlichere Darstellung der Situation auf dem Markt für private Wohnimmobilien anhand von Sekundärquellen erfolgen: Primärmarkt der privaten Wohnimmobilien Auf dem Primärmarkt für private Wohnimmobilien wurden im Jahr 2003 Wohnungen mit einer Wohnfläche von 1,3 Mio. m2 nachgefragt. Laut Prognosen wird die Nachfrage im Jahr 2004 1,41 Mio. m2 und im Jahr 2005 1,49 Mio. m2 betragen.312 Die Nachfrage nach Wohnimmobilien kann nach Preiskategorien folgendermassen klassifiziert werden:313 - 46 % der Nachfrage entfällt auf die preiswerteren Wohnungen (450-500 Euro für einen m2) - 39 % der Nachfrage auf die Wohnungen des mittleren Standards (500-540 Euro für einen m2) - 8 % der Nachfrage auf die Wohnungen verbesserter Qualität (540-1250 Euro für einen m2) - 7 % trägt die Nachfrage nach den sog. „Elite-Wohnungen“ (ab 1250 Euro) bei. 311
Empirische Untersuchung, Sankt Petersburg, 2002. Vgl. o.V.: Ursachen, 2004, in: URL, siehe Literaturverzeichnis. 313 Dabei wurden die Preise in Euro umgerechnet.Vgl. ebenda, 2004. 312
ÜBERPRÜFUNG DES BEDARFS EINES BAUSPARSYSTEMS IN RUSSLAND UND DER FÜR DEN AUFBAU NOTWENDIGEN RAHMENBEDINGUNGEN
151
Klassifiziert nach der Anzahl der Zimmer liegt die Nachfrage nach kleinen Einzimmerwohnungen mit einem Anteil von fast 42% an der Spitze. Sehr gefragt sind auch Zweizimmerwohnungen (mit ca. 48 bis 55 m2 Wohnfläche). Die Nachfrage nach kleinen Wohnungen erklärt sich durch hohe Preise auf dem Primärimmobilienmarkt einerseits und durch demographische Veränderungen andererseits (wobei Faktoren wie niedrige Geburtenraten und hohe Scheidungsquoten eine große Rolle spielen). Außerdem werden große komfortable Wohnungen guter Qualität auf dem Primärmarkt relativ stark nachgefragt. Solche Wohnungen werden in der Regel auf dem Sekundärmarkt nicht angeboten. Die meisten Bürger erwerben privates Wohneigentum nicht mit dem Ziel, es zu vermieten oder weiter zu verkaufen (um Spekulationsgewinne zu erzielen), sondern zur Selbstnutzung.314 Das Angebot Die Situation auf dem Neubaumarkt hat sich in den letzten 6 Jahren deutlich verbessert. In der Zeit von 1992 bis 2003 wurden in Sankt Petersburg 11,8 Mio. m2 Wohnfläche fertiggestellt: 1,7 Mio. m2 davon im Jahr 2003, was eine Steigerung von ca. 44% gegenüber dem Vorjahr (2002) bedeutet.315 Diese Entwicklung ist auf der folgenden Abbildung dargestellt:
314
Befragung der Kunden bei der Firma SK „Petersburg-Immobilien“ hat ergeben, dass 90% der Kunden die Wohnung für sich selber oder für ihre Angehörigen erwerben, Vgl. Bibon, M.: Sagen, 2004, in: URL, siehe Literaturverzeichnis. 315 Im Jahr 1999 wurden in Sankt Petersburg 14 880 neue Wohnungen mit 1 072 500 m2 fertiggestellt. Im Jahr 2000 waren es schon 15191 neue Wohnungen mit 1 080 900 m2 Gesamtfläche, 2003 1 757 900 m2. Vgl. Peterburgkomstat: Lage, 2003, S. 23.
152
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1800 1600 1400 1200 1000 800 600 400 200 20 03
20 02
20 01
20 00
19 99
19 98
19 97
19 96
19 95
19 94
19 93
19 92
0
Wohnfläche in Tausend qm
Abb. 35: Fertiggestellte Wohnfläche in Sankt Petersburg (1992-2003)316 Trotz dieser Verbesserung ist das Angebot auf dem Primärmarkt für Privatimmobilien immer noch unzureichend und kann die permanent steigende Nachfrage nicht decken. Der Sekundärmarkt für private Wohnimmobilien Die Nachfrage Eine ähnliche Tendenz kann auch auf dem sekundären Immobilienmarkt beobachtet werden. Die größte Nachfrage besteht nach Ein- und Zweizimmerwohnungen. Die Nachfrage nach Dreizimmerwohnungen ist dagegen gesunken. Die Nachfrage nach geräumigen Wohnungen über 150 m2 ist weiterhin sehr gering - diese finden nur schwer einen Käufer. Das ist z. T. auch auf den reparaturbedürftigen Zustand solcher Wohnungen zurückzuführen. Dabei ist hier die Konkurrenz seitens des Primärmarktes sehr groß.
316
Vgl. o.V.: Anfang, 2003, S. 2.
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153
ɂɡɦɟɧɟɧɢɟ ɫɬɪɭɤɬɭɪɵ ɩɪɨɞɚɠ ɧɚ ɜɬɨɪɢɱɧɨɦ ɪɵɧɤɟ 35%
30%
25%
20%
15%
10%
5%
0% Zimmer ɤɨɦɧɚɬɵ
1 ɤ.ɤɜ Zi. .
Zi. . 2 ɤ.ɤɜ
3 Zi. ɤ.ɤɜ .
4ɢ & ɛɨɥɟɟ mehr
Ʉɨɥɢɱɟɫɬɜɨ ɤɨɦɧɚɬ Anzahl der Zimmer
1ɤɜɚɪɬɚɥ 1Q
2ɤɜɚɪɬɚɥ 2Q
Abb. 36: Die Struktur des Verkaufs auf dem Sekundärmarkt im ersten Halbjahr 2003317 Das Angebot Auch der Sekundärmarkt für Privatimmobilien ist durch ein knappes Angebot gekennzeichnet. Fast alle Objekte werden über Immobilien-Vermittlungsgesellschaften veräußert, was sich dementsprechend in den Preisen widerspiegelt. Nur sehr wenige Objekte befinden sich im direkten Verkauf: Oft werden sog. Verkaufsketten gebildet. Dadurch werden die Risiken für den Käufer deutlich erhöht und es entstehen lange Wartezeiten auf ein gewünschtes Objekt. Ein weiteres Problem auf dem Sekundärmarkt für Privatimmobilien stellt der schlechte Zustand der angebotenen Objekte dar. Viele Objekte müssen vor dem Bezug gründlich renoviert werden. Die folgende Abbildung zeigt den Umfang der Transaktionen auf dem Markt für Privatimmobilien in der Russischen Föderation. In der Russischen Föderation wurden auf dem Markt für Privatimmobilien im Zeitraum vom 1993 bis 2003 – offiziellen Informationen zufolge – Transaktionen in folgendem Umfang getätigt: 317
St. Petersburg Immobilien Corporation: Übersicht, 2003, S. 21.
154
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Anzahl der verkauften Wohnimmobilienobjekte davon an Privatpersonen Umfang der verkauften Wohnfläche davon an Privatpersonen Wert der verkauften Wohnfläche davon verkauft an Privatpersonen Umrechnungskurs 319 davon verkauft an Privatpersonen
ME
1993
1995
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
Stück
8610
26483
42516
44151
37054
44766
39087
32246
36925
Stück
-
22462
31520
32780
28858
39322
33530
27302
30430
Tausend m2
481
1359
2527
2859
2690
2920
2669
2288
2767
-
1121
1808
2053
2084
2513
2150
1868
2238
Mio.Rubel
1668
2889
8455
13160
22888
23271
28134
39677
Mio. Rubel318
1264
1813
5739
8888
17779
19304
21116
30492
keine Daten keine Daten
Rubel/USD Mio.USD
-
4640
5960
20,65
27
28,16
30,14
31,78
29,45
-
391
927
430
658
685
701
960
keine Daten
Abb. 37: Der Umfang des Verkaufs der Wohnimmobilien von 1993-2003320 Der Markt für Privatimmobilien ist noch sehr jung, weswegen seine Infrastruktur noch nicht ausreichend entwickelt ist.321 Vor allem fehlt es an Transparenz. Die auf dem Markt agierenden Immobilienvermittler und Beratungsunternehmen sind zahlreich, nicht alle jedoch arbeiten seriös. Die Qualifikation der Immobilienvermittler und Berater ist noch unzureichend und insgesamt schlechter als in anderen Branchen.322 Dies birgt viele Risiken für Käufer, die im Falle eines Fehlverhaltens der Vermittler nicht geschützt sind.323 Ein großes Problem stellt auch die Finanzierung einer Wohnimmibilie dar, auf welches im Kapitel 6.3 näher eingegengen wird.
318
Bis 1998 – Mrd Rubel. Währungskurs vor der Reform ist auf den aktuellen Stand umgerechnet. 320 Goskomstat: Zahlen, 2003, S. 114. 321 Vgl. auch Koch, R.: Investitionen, 2004, S. 30. 322 Vgl. Shestak, I.: Immobilien, 2000, S. 20. 323 Die Verbesserung dieser Situation ist im Programm der Regierung der Russischen Föderation für 2000-2010 vorgesehen. 319
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155
6.1.1.4 Das Preisniveau des Wohnungsmarktes Der Mietwohnungsmarkt Die hohe Nachfrage auf dem Mietwohnungsmarkt führte zu einem deutlichen Preisanstieg der Mieten, die für kleine Wohneinheiten (einzelne Zimmer und kleine Wohnungen) seit 2001 fast um das Doppelte gestiegen sind.324Die Mieten für Wohnungen anderer Kategorien stiegen in diesem Zeitraum um 30 bis 70%. Im Schnitt betrug die monatliche Miete für ein Zimmer in Abhängigkeit von Lage und Qualität im Juni 2004 800 bis 1500 Rubel (24 bis 45 Euro). Eine Einzimmerwohnung kostete zwischen 65 und 250 Euro im Monat, eine Zweizimmerwohnung zwischen 220 und 300 Euro, eine Dreizimmerwohnung ab 280 Euro.325Die monatliche Miete lag somit zwischen 5 und 7 Euro für einen Quadratmeter. Der Markt für Privatimmobilien Der Markt für Privatimmobilien wurde in den letzten Jahren durch einen kontinuierlichen Preisanstieg sowohl auf dem Primär-, als auch auf dem Sekundärmarkt geprägt. Dies gilt nicht nur für St. Petersburg, sondern für die gesamte Russische Föderation (vgl. Abb. 38 und Abb. 39). Primärmarkt für Wohnimmobilien 30000 Russland
Rubel/m2
25000 20000
Moskau
15000 10000
Moskowskaja Oblast'
5000
St. Petersburg
20 02
20 01
20 00
19 99
19 98
19 97
0
Leningradskaja Oblast'
Jahre
Abb. 38: Preisentwicklung auf dem Primärmarkt für Wohnimmobilien326
324
Rodionova, T.: Miete, 2004, in: URL, siehe Literaturverzeichnis. Es existiert keine offizielle Statistik für Mieten in St. Petersburg. Die Preise wurden anhand von Anzeigen aus Datenbanken und Informationen von Immobilienagenturen ermittelt. 326 Die durchschnittlichen Preise auf dem Primärmarkt für Privatimmobilien in Regionen Russlands (1997 - in Tausend Rubel).Vgl.: Goskomstat: Jahrbuch, 2003, S. 622-623. 325
156
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Sekundärmarkt für Wohnimmobilien 30000 Russland
Rubel/m2
25000 20000
Moskau
15000 Moskowskaja Oblast'
10000 5000
St. Petersburg
20 02
20 01
20 00
19 99
19 98
19 97
0
Leningradskaja Oblast'
Jahre
Abb. 39: Preisentwicklung auf dem Sekundärmarkt für Wohnimmobilien327 Dieser Preisanstieg auf dem Wohnimmobilienmarkt, der über dem Inflationsniveau liegt, wurde von folgenden Faktoren beeinflusst: 1. Steigerung der Herstellungskosten (Anstieg sowohl der Personal-, als auch der Sachaufwendungen), 2. Verteuerung von Grund und Boden: Die Preise liegen in Abhängigkeit von der Lage der Grundstücke zwischen 2000 und 9000 Euro für 100 m2, 3. Eine hohe Wohnungsnachfrage, die in erster Linie auf das permanent steigende reale Einkommen der Bevölkerung zurückzuführen ist.328 Außerdem wurde die Nachfrage nach privaten Wohnimmobilien durch die Abschwächung des Dollarkurses begünstigt, da die Bürger jetzt eine sichere Anlageform suchten. Am stärksten stiegen die Preise auf dem Markt für Privatimmobilien in Moskau. So betrug vor der Finanzkrise (1997) der Durchschnittspreis für einen m2 Wohnfläche 5700 – 5800 Rubel (ca. 950 bis 970 US Dollar). Danach sanken die Preise und betrugen 1998 nur noch 4020 Rubel (670 US Dollar) für einen m2.329 Inzwischen beträgt der niedrigste Preis für eine Wohnung in einem Plattenbau 34500 bis 37500 Rubel (1150 bis 1250 US Dollar) für einen m2 Wohnfläche (laut Informationen der Firma „MIEL- Immobilien“). Der Durchschnittspreis liegt bei ca. 40000 – 45000 Rubel (1350-1500 US Dollar) pro einen m2. So beträgt der Durchschnittspreis für einen m2 Wohnfläche in sog. „Chruschtschow-Wohnungen“ mehr 327
Durchschnittliche Preise auf dem Primärmarkt für Privatimmobilien in Regionen Russlands (bis einschl. 1997 in Tausend Rubel), Vgl. Goskomstat: Jahrbuch, 2003, S. 622-623. 328 Vgl. Zentrum der Analytik: Situation, 2003, in: URL, siehe Literaturverzeichnis. 329 o.V.: Preisrekorde, 2003, in: URL, siehe Literaturverzeichnis.
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157
als 40000 Rubel (1300 US Dollar). Für Wohnungen besserer Qualität muss für einen Quadratmeter Wohnfläche mittlerweile 42000 bis 51000 Rubel (1400 bis 1700 US Dollar) bezahlt werden. Die Preise für Wohnungen mit gehobener Ausstattung liegen zwischen 360000 und 450000 Rubel (12 000 und 15000 US Dollar).330 Trotz des permanent steigenden Preisniveaus hat sich der Umfang der Transaktionen auf dem primären Immobilienmarkt in Moskau mehr als verdoppelt.331 Die Neubauten werden in der Regel bereits vor der Fertigstellung des Fundamentes verkauft. Die Preissteigerung auf dem St. Petersburger Markt für Privatimmobilien entwickelte sich wie folgt: 1) Auf dem Primärmarkt für Privatimmobilien haben sich die Preise im Zeitraum 2000 bis 2003 fast verdoppelt.332 Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Inflation (kumuliert) für den betrachteten Zeitraum insgesamt bei ca. 60% lag.333 Die Abbildungen 40 und 41 stellen einen Vergleich der Preise für einen m2 Wohnfläche des Jahres 2000 und 2003 auf dem Primärmarkt und Sekundärmarkt in Abhängigkeit von der Qualität und Ausstattung der Wohnungen dar. Dabei ist zu sehen, dass die Wohnungspreise auf dem Primärmarkt sehr von der Qualität der Ausstattung abhängen. Besonders stark stiegen auf dem Primärmarkt die Preise für Wohnungen mit verbesserter Ausstattung. Jahr/Wohnungsqualität
gehobene Ausstattung in Rubel/ m2
verbesserte Ausstattung in Rubel/ m2
Standardausstattung in Rubel/ m2
2000334
19702
10684
9182
2003335
36379
21342
15306
84.65%
99.76%
66.70%
Änderung (in % )
Abb. 40: Preise für Neubauwohnungen in Sankt Petersburg pro Quadratmeter336 330
Vgl. Firma „Soho Realty“, Moskau, 2004, in: URL, siehe Literaturverzeichnis. Die Umrechnung erfolgte in USD und nicht in Euro, um einen Vergleich mit dem Zeitraum, als noch kein Euro existierte, möglich zu machen. 331 Nach Informationen der Firma „Miel- Immobilien“, Vgl.o.V.: Preisrekorde, 2003, in: URL, siehe Literaturverzeichnis. 332 Peterburgkomstat: Lage, 2003, S. 102. 333 Quelle: UNECE Statistical Division: Data, 2004, in: URL, siehe Literaturverzeichnis; IMF: Yearbook, 2003, S.79. 334 Der Umrechnungskurs zum USD lag im Jahre 2000 bei 28,16 Rubel für 1 USD. Vgl. Goskomstat: Zahlen, 2004, S. 393. 335 Der Umrechnungskurs zum USD lag im Jahre 2003 bei 29,80 Rubel für 1 USD. Vgl. Zentralbank der Russischen Föderation: Statistik, 2004, in URL, siehe Literaturverzeichnis.
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Auf dem Sekundärmarkt ließen sich dagegen nur geringe Unterschiede bei den Preisen für die Wohnungen verschiedener Qualität feststellen. Das hängt damit zusammen, dass zum einen die Nachfrage nach solchen Wohnungen das Angebot deutlich übersteigt, zum anderen deutet dies auf die niedrige Transparenz des sekundären Wohnungsmarktes hin. Auf diesem Marktsegment sind die realen Preise für Wohnungen gehobener Ausstattung sogar gesunken, da diese sich oft in sehr alten und reparaturbedürftigen Bauten befinden. Deshalb ziehen die Bürger, die eine Wohnung gehobener Ausstattung erwerben wollen, den Erwerb einer solchen Wohnung auf dem Primärmarkt vor. Jahr Wohnungsqualität
gehobene Ausstattung in Rubel/ m2
2000
13209
11352
9667
9247
2003
20485
20705
18784
18783
82.39%
94.31%
103.13
Änderung in %
55.08%
verbesserte Aus- Standardausstatstattung in Rubel/ tung in Rubel/ m2 m2
Niedrige Qualität in Rubel/ m2
Abb. 41: Preise auf dem Sekundärmarkt in Sankt Petersburg pro Quadratmeter337 Auch die sinkenden Zinssätze haben dazu beigetragen, dass die Nachfrage nach privaten Wohnimmobilien gestiegen ist. Der Zinssatz für Hypothekenkredite, die in USD vergeben wurden, sank im Schnitt um ca. 3 Prozentpunkte im betrachteten Zeitraum.338 Angesichts eines sehr geringen Umfanges der Vergabe von langfristigen Hypothekenkrediten (siehe dazu Kapitel 6.3.1) ist der Einfluss des Zinssatzes auf die Entwicklung des Marktes für Privatimmobilien insgesamt nicht sehr stark. Nach Prognosen russischer Experten werden die Immobilienpreise in Ballungsgebieten weiter steigen. Wenn der Aufbau eines funktionsfähigen Systems zur Privatimmobilienfinanzierung gelingt, wird eine weitere Erhöhung der Preise für private Wohnimmobilien um 20 bis 30 % erwartet.
336
Vgl. Peterburgkomstat: Lage, 2003, S. 102. Vgl. Peterburgkomstat: Lage, 2000, S. 100; Peterburgkomstat: Lage, 2003, S. 102. 338 o.V.: Hypothek, 2004, in: URL, siehe Literaturverzeichnis. 337
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159
6.1.2.5 Die Bedeutung der für Sankt Petersburg erarbeiteten Ergebnisse für die Russische Föderation Die Ergebnisse, die am Beispiel von St. Petersburg erarbeitet wurden (diese werden auch in den nachfolgenden Kapiteln dargestellt), können in hohem Maße auf die gesamte Russische Föderation, insbesondere auf die Ballungsgebiete, übertragen werden. Dies bestätigt auch eine Befragung der Bevölkerung, die in Moskau im Auftrag der deutschen Bausparkassen durchgeführt wurde.339 Bei einem Vergleich der Ergebnisse dieser empirischen Untersuchung in Sankt Petersburg und der o. g. Untersuchung in Moskau sind deutliche Parallelen zu sehen. Insbesondere die Fragen nach der Zufriedenheit der Bevölkerung mit ihren Wohnungsverhältnissen und bezüglich der Bereitschaft, einen Bausparvertrag abzuschießen, liefern fast die gleichen Ergebnisse. Ein klarer Unterschied ist jedoch bei den verfügbaren Einkommen der Bevölkerung zu sehen, die in Moskau deutlich höher als in St. Petersburg liegen (was auch durch offizielle statistische Quellen belegt ist.)340Eine detaillierte Darstellung des Vergleiches war jedoch aufgrund der Vertraulichkeit der Moskauer Untersuchung im Rahmen dieser Arbeit leider nicht möglich. Am Beispiel der Sankt Petersburger Region kann man sehen, dass der russische Wohnimmobilienmarkt durch kontinuierliches Wachstum, hohe Nachfrage nach Wohnimmobilien, welche das Angebot deutlich übersteigt und, durch einen Mangel an Finanzierungsangeboten charakterisiert ist.341 Dies, obwohl laut empirischen Untersuchungen nur 5 - 10 % der Bevölkerung (je nach Region) der Russischen Föderation in der Lage sind, eine Wohnimmobilie sofort aus eigenen Mitteln zu finanzieren.342 Daraus lässt sich schließen, dass das Marktpotenzial in Sankt Petersburg sowohl für die Entwicklung des Marktes für private Wohnimmobilien als auch für die Entwicklung der Privatimmobilienfinanzierung sehr hoch ist. Die Ergebnisse der Befragung sollen als Ausgangspunkt für die Ermittlung der Nachfrage nach Privatimmobilienfinanzierungen dienen. Sie sollen helfen, die 339
Aufgrund der Informationen einer Bausparkasse. Quelle 8. Goskomstat der Russischen Föderation: Einkommen, 2004, in: URL, siehe Literaturverzeichnis. 341 Auf die Finanzierungsmodelle wird im Detail im Kapitel 6.3 eingegangen. 342 Vneshtorgbank: Beurteilung, 2004, S. 15. 340
160
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Zielgruppen einer zukünftigen Bausparkasse in Russland zu identifizieren und eine Prognose für die Entwicklung des Neugeschäftes in St. Petersburg zu erstellen.
6.2 Anforderungen an die Rahmenbedingungen für den Aufbau eines Bausparsystems in Russland 6.2.1 Gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen und Privatimmobilienfinanzierung 6.2.1.1 Einstellung der Bevölkerung zum Eigentum In der Literatur wird häufig die Meinung vertreten, dass die Einstellung der russischen Bevölkerung zum Eigentum negativ sei.343 Dies wird damit begründet, dass zu Zeiten der Sowjetunion kein Privateigentum existierte und sich somit keine positive Einstellung zum Eigentum entwickeln konnte. Die Einstellung der Bevölkerung zum Eigentum in einem Land wird - wie bereits dargestellt - über einen längeren Zeitraum geprägt. Deswegen scheint es unzureichend, sich nur auf die Betrachtung der sowjetischen Periode zu beschränken. Die Wurzeln liegen viel tiefer in der Geschichte. In diesem Zusammenhang soll die Einstellung der Bevölkerung zum Eigentum vor der Revolution 1917 betrachtet werden. Die Unterschiede in der Entwicklung von Eigentumsrechten in Russland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern liegen bereits im Mittelalter. Das Dienstverhältnis zwischen russischen Fürsten und der Gefolgschaft basierte auf der Entlohnung in Form von Geld sowie Naturalien und war nicht mit der Vergabe von Land verbunden. Die Dienstpflicht wurde an die Kinder vererbt. Auch Kaufleute und Fernhändler wurden im 15. Jahrhundert zu einer uneingeschränkten Dienstpflicht gezwungen. Mit der Entlassung des grundbesitzenden Adels aus der Dienstpflicht im Jahre 1762 wurde eine Neuregelung der Besitzrechte an Boden notwendig. Den Besitzerschutz legte die Landvermessungsinstruktion („mezevaja instrukcija“) fest. Seit dieser Zeit besserte sich der Schutz der Eigentümer, deren Eigentum jetzt ausschließlich vom Gericht eingezogen werden konnte. Mit dem Manifest vom 28.06.1782 wurde dem Adel das Bodeneigentum einschließlich der Bodenschätze übertragen. Damit ging die russische Rechtsnorm des Schutzes für Boden343
Dies war auch die Vermutung einiger Experten im Laufe der Expertenbefragung.
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besitzer sogar über die entsprechenden Regelungen in den meisten europäischen Staaten hinaus. Mit der Staatsverfassung von 1775 wurde das Eigentumsrecht auch den Kaufleuten verliehen. Katarina II. führte 1787 für die Anfechtung von Eigentumstiteln eine zehnjährige Verjährung ein. Im Verlauf der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich das Eigentumsprivileg zu einem allgemeinen Recht. Der russische Eigentumsbegriff, so wie er in der Gesetzessammlung des 19. Jahrhunderts, dem „Svod zakonov“, niedergeschrieben wurde, unterschied sich nicht vom westlichen. Eigentum wurde als höchste, umfassende und ausschließliche Herrschaft an einer Sache angesehen. Mit der Aufhebung der Leibeigenschaft in Russland im Jahre 1861 sollte jeder ehemalige Leibeigene Boden gegen Entgelt zur Nutzung erhalten, um sich selber ernähren zu können. Der den Bauern zur Nutzung zugeteilte Boden ging in den Besitz der Bodenumverteilungsgemeinde über, die ihren Mitgliedhaushalten Boden gemäß der Zahl der männlichen Angehörigen zuwies. Die Bodenflächen wurden immer wieder umverteilt, wobei auch Änderungen der Familiengröße berücksichtigt wurden. Auf eigenen Wunsch war der Austritt einzelner Haushalte aus der Gemeinde allerdings, bei Zweidrittelmehrheit der Stimmen, erlaubt. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass Mitte des 19. Jahrhunderts nur knapp die Hälfte der Bauern Russlands der Leibeigenschaft unterworfen waren. Alle anderen Bauern verfügten über bessere Besitzverhältnisse. So existierte in Russland neben privatem Eigentum und Staatseigentum noch eine dritte eigenständige Form, das Kollektiveigentum. Diese ist als Besonderheit der geschichtlichen Entwicklung Russlands im Bezug auf das Eigentum zu betrachten. Darauf basiert die Vorstellung von einem sog. „Dritten Weg“, der Russland nichtkapitalistische Entwicklungsmöglichkeiten böte.344 Die Stolypinsche Agrarreform von 1906 verfügte die Zerschlagung der Bodenumverteilungsgemeinden. Jeder Bauer konnte somit auf eigenen Antrag aus der Gemeinde austreten. Die Trennung zwischen der rechtlichen Handhabung von Immobilienobjekten und Grundstücken ist jedoch bis heute geblieben. Trotz einiger Besonderheiten des Grund- und Bodenrechts, war privates Immobilieneigentum den Menschen nicht fremd. Sogar zu Zeiten der Sowjetunion besaßen die meisten Menschen auf dem Land ein eigenes Haus. Auch die sog. „Datscha-Tradition“ 345 bestätigt die positive Einstellung der Bevölkerung zum Eigentum an Privatimmobilien. Die meisten Besitzer haben ihre Datschas zu sowjetischen Zeiten mit großer Leidenschaft und Freude gepflegt. Es 344 345
Vgl. Oberländer, E./Lemberg, H./Sundhaussen, H.: Genossenschaften,1993, S. 20 ff. Zu sowjetischen Zeiten besaßen viele Familien eine Datscha (ein Grundstück ca. 6 bis 12 Ar groß mit einem Sommerhaus).
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wurde dabei sehr geschätzt, dass etwas aufgebaut werden kann, was einem gehört und auch vererbt werden kann. Die Lebensweisheit, dass man im Leben drei Sachen gemacht haben müsse: „ein Kind großziehen, einen Baum pflanzen und ein Haus bauen“ war (und ist) auch in Russland geläufig. Im Zuge der Perestrojka hat die „Datscha-Tradition“ noch mehr an Bedeutung gewonnen. Viele Bürger konnten ein Grundstück erhalten, um dort ein Sommerhaus aufzubauen, und ein wenig Landwirtschaft zu betreiben. Der Wunsch, wieder etwas eigenes zu besitzen, war bei den meisten Bürgern sehr groß. So investierten sie dafür den Großteil ihrer Freizeit und bewiesen Kreativität und Erfindungsreichtum. Im Rahmen der Untersuchung wurden einige Interviews mit Menschen gemacht, die auf dem Weg zu ihren Datschas waren. Die Befragungen fanden in Regionalzügen statt. Diese Gespräche bestätigten die Annahme, dass die Bürger sehr glücklich darüber sind, wieder privates Eigentum haben zu können und auch bereit sind, dafür große Investitionen in Form von Zeit und Geld zu tätigen. „Letztendlich lohnt sich der Aufwand“, meinen die meisten Befragten. Auch die in Sankt Petersburg durchgeführte empirische Untersuchung konnte eine positive Einstellung der russischen Bevölkerung zum Eigentum feststellen. So haben fast 77% der Befragten auf die Frage, in welchen Eigentumsverhältnissen sie am liebsten wohnen würden, die Antwort „im persönlichen Eigentum“ angegeben. Den russischen Bürgern ist somit des Nutzen von privatem Wohneigentum sehr bewusst.346 Das nächste wichtige Kriterium, welches für die Einstellung der Bevölkerung zum Eigentum an Privatimmobilien eine wichtige Rolle spielt, ist der demographische Faktor. Im Land muss eine ausreichende Anzahl von Bürgern vorhanden sein, die ein Interesse an Privatimmobilieneigentum haben. Die Antwort auf diese Frage lässt sich aus der Entwicklung der folgenden Kriterien ableiten: - Bevölkerungsanzahl, - Altersstruktur der Bevölkerung, - Anzahl der Haushalte. Die russische Bevölkerung geht seit 1990 kontinuierlich zurück: Das Bevölkerungswachstum betrug für den Zeitraum von 1990 bis 1995 -0,02%; für den Zeitraum von 1995 bis 2000 -0,35%.347 Ein Bevölkerungsrückgang lässt sich heute in 70 von 89 Regionen der Russischen Föderation beobachten.348 Dabei erfolgt in 346
Empirische Untersuchung, Sankt Petersburg, 2002. Vgl. Goskomstat: Jahrbuch, 2003, S. 75-78. 348 Vgl. ebenda, S. 75-78. 347
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Ballungsgebieten ein fortdauerndes Bevölkerungswachstum, was hauptsächlich durch die Zuwanderung aus den asiatischen und östlichen Landesteilen der Russischen Föderation erklärt werden kann. In ländlichen Gebieten ist ein deutlicher Bevölkerungsrückgang festzustellen. Prognosen zufolge wird sich diese Tendenz in absehbarer Zukunft weiter fortsetzen, so dass die russische Bevölkerung im Jahre 2015 138 Mio. betragen wird (gegenüber 145,537 Mio im Jahre 2002). 349 Dennoch steht eine insgesamt rückläufige Tendenz der Bevölkerung dem Aufbau eines Bausparsystems in der Russischen Föderation nicht im Weg. Grund dafür ist die insgesamt sehr hohe Bevölkerungszahl. Außerdem wird sich Prognosen zufolge die Anzahl der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter in Russland in den nächsten 10 Jahren sogar erhöhen (vgl. Abb. 42). Dies lässt auch eine weiterhin steigende Nachfrage nach Wohnimmobilien erwarten.
Prozent
Bevölkerungsstruktur nach Altersgruppen in der Russischen Föderation 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0 0-9
10-19 20-29 30-39 40-49 50-59 60-69 70-79
80102
Altersgruppen
Abb. 42: Bevölkerungsstruktur nach Altersgruppen in der Russischen Föderation350 Die in diesem Absatz gestellte Frage, ob die Einstellung der Bevölkerung zum Eigentum an Privatimmobilien in Russland positiv ist, kann somit mit einem „Ja“ beantwortet werden. 349 350
Vgl. ebenda, S. 75-78. Vgl. Goskomstat: Demographie, 2004, S. 8, in: URL, siehe Literaturberzeichnis.
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6.2.1.2 Sparfähigkeit der russischen Bevölkerung und ihre Bedeutung für die Privatimmobilienfinanzierung Bei der Beurteilung des Umfanges der Sparfähigkeit der Bevölkerung in der Russischen Föderation kommt die folgende Problematik zum Tragen: Die offiziellen statistischen Daten liefern zwar Informationen über die Höhe der Sparquote in der Russischen Föderation. Basierend auf dieser Zahl kann man jedoch nur annähernd eine Aussage treffen, wie viel die Bürger pro Jahr genau sparen. Das hängt damit zusammen, dass das offizielle Einkommen der Bürger in der Russischen Föderation unter ihrem wirklichen Einkommen liegt, da dort viele Bürger ein Schatteneinkommen beziehen (dieser Unterschied beträgt schätzungsweise ca. 30%).351 Eine genauere Erläuterung dieses Problems wird im Kapitel 6.2. (Die Einkommensverhältnisse in der Russischen Föderation) vorgenommen. Die offizielle Sparquote in der Russischen Föderation betrug im Jahr 2002 nach Informationen des Statistischen Amtes 16,5%, was auf die hohe Sparbereitschaft der russischen Bürger hindeutet (vgl. Abb. 43). Sparquote in % vom verfügbaren Einkommen Jahr Russland
1990 7,5
1995 20,3
2001 14,6
2002 16,5
2003352
Abb. 43: Sparquote der russischen Bevölkerung353 Die offiziellen statistischen Informationsquellen liefern jedoch keine Informationen über die Sparziele der Bevölkerung und über das Sparverhalten der einzelnen Bevölkerungsgruppen. Deshalb werden für die Beurteilung der Sparfähigkeit der Bevölkerung in der Russischen Föderation neben den Daten aus offiziellen Quellen empirische Daten aus Sekundärquellen und die Ergebnisse der in St. Petersburg von der Autorin durchgeführten empirischen Untersuchung herangezogen. Nach umfangreichen Recherchen hat sich die Studie der namhaften Forschungsgesellschaft ROMIR-Monitoring und der analytischen Gruppe Expert MA für diese Fragestellung als nützlich erwiesen. Diese Studie zum Thema „Lebensstil der Mittelschicht“, die u.a. auch das Sparverhalten der Mittelschicht untersuchte, basiert auf einer repräsentativen Befragung, die in der Russischen Föderation von März 351
Vgl. Berezin, I.: Verteilung, 2003, S. 2 ff. Für 2003 liegen dazu noch keine statistischen Daten vor. 353 Vgl. Goskomstat: Regionen, 2003, S. 152-153. 352
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bis April 2004 durchgeführt wurde. Die Untersuchung erstreckte sich auf 20 bedeutende Städte Russlands: u. a. Moskau, St. Petersburg, Jekaterinburg, Barnaul, Wolgograd, Saratov, Ufa, Krasnodar, Irkutsk, Tumen, Perm. Dabei wurden 4000 Haushalte der Mittelschicht (mit einem Mindesteinkommen über 250 Euro im Monat pro Person, in Moskau 350 Euro) befragt. Aus der Untersuchung lassen sich einerseits Erkenntnisse über die Verteilung zwischen Sparern und Nicht-Sparern bei den befragten Zielpersonen ableiten, anderseits gibt sie auch Auskunft über die Höhe der getätigten Ersparnisse. Im Detail sehen die Ergebnisse wie folgt aus: Alle Befragten 100%
Frage nicht beantwortet: 20%
Nicht-Sparer 33,3 %
Sparer 46,7%
2,4% - keine Angaben 50%: Ersparnis: 5001000 USD/Jahr
33,3%: Ersparnis 15003000 USD/Jahr
14,3%: Ersparnis 40005000 USD/Jahr
Abb. 44: Sparverhalten der Bürger in der Russischen Föderation.354 Wie man sieht, ist der Anteil der Bevölkerung, welcher regelmäßig spart, relativ hoch. Dabei ist allerdings zu bedenken, das in dieser Studie nur die sog. „wohlhabenden“ Haushalte mit Einkommen über 250 Euro/Person befragt wurden. Sparfähigkeit in St. Petersburg: Die offizielle Sparquote in St. Petersburg ist im regionalen Vergleich relativ hoch und lag im Jahr 2002 bei 19,6% des durchschnittlichen Jahreseinkommens (siehe Abb. 45): 354
Das Diagramm wurde erstellt nach den Ergebnissen der Studie. Vgl.Gruppe Expert: Lebensstil, 2004, in: URL, siehe Literaturverzeichnis.
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Moskau St. Petersburg Swerdlowski region Nowosibirski Region
Sparquote in % vom verfügbaren Einkommen 1990 1995 2001 2002 5,8 53,9 12,2 14,1 4,2 23,9 19,2 19,6 3,9 9,7 11,5 13,4 7,3 28,7 21,8 22,0
2003355
Abb. 45: Sparquote der russischen Bevölkerung in den ausgewählten Regionen356 Die Ergebnisse der in Sankt Petersburg durchgeführten empirischen Untersuchung belegen, dass 46% der Bevölkerung in St. Petersburg regelmäßig spart. Bei denjenigen, die sparen, ergab sich eine Verteilung der wichtigsten Sparziele, die in nachfolgender Tabelle den Sparzielen der Bevölkerung in Deutschland gegenübergestellt wird. Dabei wurden in beiden Varianten von jedem Befragten mehrere Sparziele angegeben: Sparziel
Anteile in % aller Befragten in St. Petersburg
Anteile in % von den Sparenden in St. Petersburg
Anteile in % von den Sparenden in Deutschland
Notgroschen
26,4
57,0
4,4
Erwerb/ Renovierung von Wohneigentum
19,2
41,7
52,4
Ausbildung der Kinder
9,2
20,0
4,4
Konsum/ Anschaffungen
12,0
26,1
60,3
Abb. 46: Gegenüberstellung der Sparziele der russischen ( auf dem Beispiel von Sankt-Petersburg) und der deutschen Bevölkerung357 Im Vergleich zu Deutschland, wo bei den Sparzielen Konsum und Anschaffungen dominieren, liegt das „Notsparen“ in Russland mit 57% an der ersten Stelle. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die Bevölkerung in Russland wesentlich schlechter als in Deutschland gegen unvorgesehene Erreignisse (wie z. B. Krankheit, Arbeitslosigkeit, etc.) abgesichert ist. Dieser Zustand erzeugt die Notwendigkeit, selber eine Vorsorge zu treffen. Diese erfolgt entweder in Form von Erspar355
Für 2003 liegen dazu noch keine statistischen Daten vor. Vgl. Goskomstat: Regionen, 2003, S. 152-153. 357 Vgl. zu den Sparzielen in Deutschland: Verband der Privaten Bausparkassen: Sparklima, 2002, in: URL, siehe Literaturverzeichnis, für Russland: Empirische Untersuchung, Sankt Petersburg, 2002. 356
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nissen für Notlagen, oder aber in Form von Wohneigentum, welches sich sehr gut als Vorsorge eignet. Die Ergebnisse meiner Untersuchung in St. Petersburg bestätigen, dass das Sparen für Wohneigentum in Russland (genauso wie in Deutschland) einen hohen Stellenwert besitzt. So gaben 41,7% der Sparer (oder 19,2% der Befragten) an, derzeit für den Erwerb oder Renovierung des Wohneigentums zu sparen. Der Anteil der Bevölkerung, der für eine Immobilie spart, ist in Russland geringer als in Deutschland. Dies ist aber auf ein im Vergleich geringeres Einkommen zurückzuführen. Das private Wohneigentum wird von den Bürgern auch als eine sichere Form der Geldanlage angesehen. In alle anderen Anlageformen haben die Bürger ihren Glauben zum Teil verloren. Dies beweist auch, dass 41,2% der Befragten das Wohneigentum als Anlageform bevorzugen. 358 So halten es rund 70% der Bürger in St. Petersburg grundsätzlich für sich persönlich sinnvoll, für eine Wohnimmobilie zu sparen. Die restlichen 30,4% lehnen dieses aus folgenden Gründen ab: - 13,6% sind mit ihrer derzeitigen Wohnungssituation zufrieden, - 3,6% befürchten den Verlust eigener Ersparnisse, - 4,4% haben dafür kein Geld, - 8,8% bevorzugen andere Anschaffungen. Auch in Moskau wird viel gespart, so verfügt die Bevölkerung dort nach Auskunft der Bausparkasse Schwäbisch Hall über 100 Euro Ersparnisse monatlich.359 Die Ergebnisse der Befragung - die von dem unabhängigen Forschungszentrum „Rossijskoe obshhestvennoe mnenie i issledovanie rynka“ („Russisches Meinungsmonitoring und Marktforschung“ (ROMIR) im August 2001 durchgeführt wurde - belegen, dass 28,3% der Befragten ihre Ersparnisse in Immobilien investieren:
358 359
Vgl. Empirische Untersuchung, Sankt Petersburg, 2002. Quelle 8.
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Immobilien; 28.3
keine Antwort; 23.5
Wertpapiere; 2 sonstiges; 3 Gold, Schmuck; 19.6
Bargeld (feste Währung); 19.6
Bargeld (Rubel); 7.2 Bankdeposit; 12.7
Abb. 47: Die von den Bürgern Moskaus bevorzugten Sparmöglichkeiten360 Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass alle zur Verfügung stehenden statistischen und empirischen Datenquellen auf eine hohe Sparbereitschaft der Menschen in der Russischen Föderation insgesamt und insbesondere auf eine hohe Sparbereitschaft für eine private Wohnimmobilie hindeuten. Somit gilt für die Russischen Föderation diese Voraussetzung als erfüllt. 6.2.1.3. Politische Stabilität und Privatimmobilienfinanzierung Seit der Amtsübernahme von Präsident Putin im März 2000 ist die politische Situation in Russland als relativ stabil zu bewerten. Präsident Putin hat das Vertrauen vieler russischer Bürger gewinnen können. Nach der Perestroika haben sich die Ansichten der Regierung zum privaten Wohneigentum geändert. Ein effektiv funktionierendes System der Privatimmobilienfinanzierung in Russland zu etablieren, wurde vom russischen Präsidenten als eines der wichtigsten Ziele der nächsten Jahre erklärt. Momentan wird intensiv an den neuen gesetzlichen Grundlagen in diesem Bereich gearbeitet.361 360 361
Vgl. RɈɆIR - Gallup International: Wirtschaft, 2001, in: URL, siehe Literaturverzeichnis. So betonte Vladimir Putin in seiner Rede am 12.02.2004, dass der Entwicklung der Privatimmobilienfinanzirung eine hohe Bedeutung zukommt. Auch im Programm der Regierung: „Hauptrichtungen der Regierungstätigkeit der Russischen Föderation für den Zeitraum bis zum Jahre 2008“ vom 28.07.2004, wurde der Entwicklung der Wohnimmobilienfinanzierung eine hohe Bedeutung beigemessen. Vgl. Abs.3, Art. 1 des o.g. Programms.
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Die russische Regierung ist grundsätzlich daran interessiert, ein Bausparsystem einzuführen. Auf Regierungsebene wurden bereits Gespräche mit deutschen Experten über die Einführung eines solches Systems geführt. Es existiert bereits ein Entwurf für ein Bausparkassengesetz in der Russischen Föderation, über das voraussichtlich im Jahr 2005 abgestimmt wird.362 6.2.1.4. Möglichkeit einer staatlichen Förderung des Bausparens Das neue russische Steuerrecht sieht Steuerbegünstigungen für die Schuldner aus Hypothekarkrediten vor. Der Steuerpflichtige kann die Ausgaben, die er für die Herstellung bzw. den Erwerb einer Wohnimmobilie aufgewendet hat, steuernmindernd geltend machen. 363 Zu den abzugsfähigen Ausgaben zählen auch Zinsen für die Hypothekenkredite. Der abzugsfähige Höchstbetrag beträgt 600000 Rubel (ca. 25 000 Euro)364 zzgl. der Ausgaben für Darlehenszinsen in unbegrenzter Höhe. Diese Möglichkeit ist für viele russische Bürger attraktiv und fördert den Erwerb von Wohneigentum insgesamt. Sie hat jedoch den Nachteil, dass Bürger mit höheren Einkommen stärker gefördert werden. Eine Förderung für das Bausparen existiert derzeit noch nicht. Eine staatliche Förderung speziell für das Bausparen wäre für die Einführung des Bausparsystems in Russland notwendig. Sie würde einen Anreiz für die Bevölkerung bieten, einen Bausparvertrag abzuschließen. Dies ist auch erforderlich, um die im Moment noch relativ hohe Inflationsrate auszugleichen. Es werden zur Zeit auf der Regierungsebene Diskussionen im Bezug auf eine Einführung der staatlichen Bausparförderung geführt. Eine Voraussage, ob die Förderung des Bausparens in Russland eingeführt wird, ist derzeit nicht möglich.
6.2.2 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen und Privatimmobilienfinanzierung Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen spielen eine wesentliche Rolle beim Aufbau eines Systems zur privaten Immobilienfinanzierung. Die russische Wirtschaft hat sich seit 1999 insgesamt kontinuierlich positiv entwickelt. Dies lässt sich am Wachstum des Bruttoinlandsproduktes (BIP) ablesen, das im Laufe der letzten fünf Jahre um insgesamt 38% stieg. 365 Im Jahre 2004 betrug 362
Diese Informationen konnten in Expertengesprächen, die bei den deutschen Bausparkassen durchgeführt wurden, gewonnen werden. 363 Art. 220 Abs.1, Nr. 2 des Steuergesetzbuches. 364 In der Russischen Föderation ist es möglich, für diese Summe eine Wohnimmobilie zu erwerben. 365 Vgl. Russische Regierung: Ergebnisse, 2005, in: URL, siehe Literaturverzeichnis.
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das Wachstum des BIP der Russischen Föderation 7,1%.366 Die zunehmenden Investitionen und der steigende Binnenkonsum (dieser wuchs 2004 um 10,4% im Vergleich zum Vorjahr) bildeten u. a. die Basis für diese Entwicklung. Diese beiden Parameter sind für die Entwicklung der Privatimmobilienfinanzierung in Russland von großer Bedeutung. Das Wachstum der Investitionen wurde u.a. auch im Sektor des Wohnungsbaus verzeichnet. Dieses Marktsegment wuchs 2004 um insgesamt 10,2% im Vergleich zum Vorjahr. 367 Diese Entwicklung bildet auf den ersten Blick eine gute Basis für den Aufbau eines Bausparsystems. Ob die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für einen Aufbau des Bausparsystems in der Russischen Föderation ausreichen, wird im Folgenden analysiert. 6.2.2.1 Währungsstabilität Wie bereits erwähnt, gehört die monetäre Stabilisierung zu den Grundbedingungen, die für eine Einführung des deutschen Bausparsystems erfüllt werden müssen. Der Erfolg der monetären Stabilisierung in der Russischen Föderation lässt sich am besten an dem Indikator Inflationsrate ablesen. In den letzten fünf Jahren ist die Inflation in Russland kontinuierlich zurückgegangen. Im Jahre 2003 betrug die Inflationsrate 14%. Die Prognose „der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung in Russland in dem Zeitraum bis 2006“, die auch mit der Zentralbank Russlands abgestimmt wurde, sieht eine weitere Senkung der Inflationsrate vor. So soll die Inflationsrate im Jahre 2004 auf 8-10% zurückgehen, im Jahre 2005 auf 8,5- 6,5%, im Jahre 2006 auf 7,5-5,5%.368 Die Zentralbank der Russischen Föderation betrachtet diese Vorgaben als realistisch. Land
1991
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
Russland
93
1526
875
308
198
47,7
14,7
27,7
85,7
20,8
21,5
15,8
14
11
Tschechien
56,6
11,1
20,8
10
9,2
8,8
8,5
10,6
2,1
3,9
4,7
1,8
0,1
3,0
Slowakei
61,2
9,9
23,3
13,4
9,9
5,8
6,1
6,7
10,6
12
7,3
3,3
3,1
8,6
Ungarn
34,2
23
22,5
18,9
28,3
23,6
18,3
14,2
10
9,8
9,2
5,3
4,7
6,9
Abb. 48: Inflationsraten in osteuropäischen Ländern369 366
Vgl. ebenda. Vgl. ebenda. 368 o.V.: Wirtschaft, 2003, in: URL, siehe Literaturverzeichnis. 369 Quelle: UNECE Statistical Division: Data, 2004, in: URL, siehe Literaturverzeichnis; IMF: Yearbook, 2003, S. 79. 367
ÜBERPRÜFUNG DES BEDARFS EINES BAUSPARSYSTEMS IN RUSSLAND UND DER FÜR DEN AUFBAU NOTWENDIGEN RAHMENBEDINGUNGEN
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Um ein Bausparsystem etablieren zu können, sollte die Inflationsrate bei höchstens 20% liegen und eine sinkende Tendenz aufweisen. Die Erfahrungen der deutschen Bausparkassen in Osteuropa bestätigen diese Aussage.370 Die Bausparkassengründungen in den anderen osteuropäischen Ländern erfolgten bei folgenden Inflationsraten: Slowakei (Gründung im Jahr 1992): 9,9% Tschechien- (Gründung im Jahr 1993): 20,8% Ungarn (Gründung im Jahr 1997): 18,4% Die Nachteile, die Bausparer dadurch haben, können, wie bereits erwähnt, mittels staatlicher Förderung ausgeglichen (kompensiert) werden. Eine relativ hohe Inflationsrate hat bei der Gründung einer Bausparkasse für diese sogar eine positive Auswirkung. Das hängt damit zusammen, dass die Verzinsung von Bauspareinlagen viel niedriger ist, als der Zins zu dem die Bausparkasse ihre Mittel anlegt (da die Zinserträge die Zinsaufwendungen wesentlich übersteigen). Dadurch kommt der sog. Anlaufeffekt zustande. Das Indexierungsverfahren kann eine weitere Lösung des Problems einer hohen Inflationsrate bei der Gründung einer Bausparkasse sein. Unter Indexierung versteht man die Bindung von Geldforderungen und Verbindlichkeiten an die mittels eines Index’ als Bezugsgröße (Wertmesser) erfasste Geldwertentwicklung. Die Indexierung bewirkt eine weitgehende Neutralisierung inflationärer Effekte.371 Um inflationsbedingte Kaufkraftverluste beim Bausparen aufzuhalten, ermöglicht die Indexierung eine Anpassung von Bauspareinlagen und Bauspardarlehen an das Inflationsniveau, so dass deren realer Wert erhalten bleibt. Das angesparte Geldvermögen bzw. die ausstehenden Restschulden werden dann periodisch mit dem Index an die Inflationsentwicklung angepasst. Insofern verhindert die Indexierung Inflationsgewinne oder -verluste, die für Gläubiger oder Schuldner entstehen können. 6.2.2.2 Einkommensverhältnisse in Russland und Privatimmobilienfinanzierung Wie bereits dargestellt, hat das real verfügbare Haushaltseinkommen einen dominanten Einfluss auf die Bau- oder Kaufentscheidung einer privaten Wohnimmobilie.372Somit hängt auch der Erfolg der Privatimmobilienfinanzierung in Russland im Wesentlichen von der finanziellen Lage der Haushalte ab. 370
Laut Auskunft der deutschen Bausparkassen - siehe Expertenbefragung. Vgl. Geigant, F./ Haslinger, F.: Indexierung, 1994, S. 387. 372 Vgl. auch Haders, H.D: Prognosemodell, 1971, S. 117. 371
172
ÜBERPRÜFUNG DES BEDARFS EINES BAUSPARSYSTEMS IN RUSSLAND UND DER FÜR DEN AUFBAU NOTWENDIGEN RAHMENBEDINGUNGEN
In dieser Arbeit soll jedoch keine eigenständige Analyse der Einkommensverhältnisse in Russland erfolgen, vielmehr muss analysiert werden, für welche Bevölkerungsgruppen eine Privatimmobilienfinanzierung in Frage kommt und wie hoch dieser Bevölkerungsanteil ist. Diese Gruppen bilden das Potenzial für das zukünfige Bausparsystem. Wie bereits erwähnt, wurde im Laufe der Untersuchung festgestellt, dass verlässlichen Informationen über das Einkommen der Bevölkerung in der Russischen Föderation sehr schwer zu beschaffen sind. Die Berichte von Goskomstat (Analogie zum Statistischen Bundesamt in Deutschland) umfassen nur Informationen über das offizielle Einkommen der Bevölkerung. Laut Informationen von Goskomstat wuchs das Durchschnittseinkommen der Bevölkerung (pro Person) in den letzten Jahren kontinuierlich und betrug im Jahr 2003 5141,9 Rubel im Monat (umgerechnet ca. 140 Euro, siehe auch Abbildung 49). Durchschnittseinkommen374 Währungskurs375
ME373
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
Rubel /Monat
769.2
942.1
1013
1663.4
2288.4
3074.8
3964.1
5141.9
Rubel/USD
4,585
5,960
20,65
27,23
26,14
26,49
33,11
36,82
167,8
158,0
49,1
61,1
87,5
116,1
119.7
139,7
Rubel/Euro Durchschnittseinkommen376
USD bzw. Euro/Monat
Abb. 49: Einkommensentwicklung in der Russischen Föderation Das offizielle Einkommen der Bevölkerung ist jedoch geringer, als ihr tatsächliches Einkommen. Diese Tatsache belegen empirische Studien, sowie Schätzungen des russischen Finanzamtes. Bei der Ermittlung des tatsächlichen Einkommens der Bevölkerung werden verschiedene Ansätze verwendet: 1. Empirische Befragungen der Bevölkerung über die Höhe ihres Einkommens, 2. Ermittlung des Einkommens aufgrund der steuerlichen Einnahmen, 3. Ermittlung des Einkommens basierend auf der Höhe der Ausgaben. 373
Bis zur Währungsreform 1998 in Tausend Rubel. Vgl. Goskomstat: Zahlen, 2004, S. 27. 375 Bis 1998 Rubel/USD, ab 1999 Rubel/Euro. 376 Berechnet nach dem offiziellen Währungskurs von der Zentralbank (Bank Russlands): Quelle: für die Jahre 1996-2002: Goskomstat: Zahlen, 2002, S. 393, für das Jahr 2003: Goskomstat: Zahlen, 2003, S. 426. 374
ÜBERPRÜFUNG DES BEDARFS EINES BAUSPARSYSTEMS IN RUSSLAND UND DER FÜR DEN AUFBAU NOTWENDIGEN RAHMENBEDINGUNGEN
173
Im Folgenden wird die tatsächliche Höhe des Einkommens über die Höhe der Ausgaben berechnet. Die Gesamteinkommen (Eg (N)) der russischen Bürger betrugen im Jahre 2003: Eg(N)= șEm×12×N= 5141,9×12×143,097 Mio. (239,8 Mrd. Euro),
377
= 8829485,5 Mio. Rubel
șEm = monatliches Durchschnittseinkommen N = Anzahl der Einwohner in der Russischen Föderation, m = Anzahl der Monate. Davon werden 16,5%378 gespart. Somit betrugen die Ausgaben im Jahre 2003 7372620,3 Mio. Rubel (200,3 Mrd. Euro). Die Gesamtausgaben der Bevölkerung waren jedoch in Wirklichkeit um ca. 80 Mrd. Euro höher als nach offiziellen statistischen Daten.379 Dabei wurden die Ausgaben der Bevölkerung in verschiedenen Branchen durch Marktforschungsinstitute ermittelt und zusammenaddiert. Dies würde bedeuten, dass die Einnahmen der Bürger in der Russischen Föderation in der Realität 319,8 Mrd. Euro betrugen, was einem Einkommen in Höhe von 186,24 Euro im Monat entspricht. 380 Berechnung: șEm = Eg(N)/N /m; șEm = (239 800 Mio. Euro + 80000 Mio. Euro)/143,097 Mio./12 = = 186,24 Euro (6857,25 Rubel). Nach dieser Berechnung muss das offizielle Einkommen der Bevölkerung um 33% erhöht werden, um die reale Höhe des Einkommens zu ermitteln. Das Finanzamt der Russischen Föderation vertritt die Meinung, dass das tatsächliche Einkommen der Bevölkerung das offizielle Einkommen um ca. 26% übersteigt.381 Eine eigenständige Überprüfung dieser Schätzung war aufgrund der Vertraulichkeit dieser Daten leider nicht möglich. Da keine hundertprozentige Übereinstimmung bei den o. g. Schätzungen des tatsächlichen Einkommens der Bevölkerung festgestellt werden konnte, wurde im nächsten Schritt versucht, diese Daten mittels einer empirischen Untersuchung zu 377
Ergebnisse der Volkszählung vom 09.10.2002 - Vgl.Goskomstat: Jahrbuch, 2003, S. 75-78. Vgl. Goskomstat: Regionen, 2003, S. 152-153. Die Daten für 2003 liegen noch nicht vor, deshalb wird bei der Berechnung die Sparquote vom Jahr 2002 genommen. 379 Vgl. Berezin, I.: Verteilung, 2003, S. 2 ff. 380 Vgl. ebenda, 2003, S. 2 ff. 381 Vgl. Jigunov, I.: Entwicklung, 2002, S. 78. 378
174
ÜBERPRÜFUNG DES BEDARFS EINES BAUSPARSYSTEMS IN RUSSLAND UND DER FÜR DEN AUFBAU NOTWENDIGEN RAHMENBEDINGUNGEN
überprüfen. Von Anfang an erschien der Erfolg dieses Versuches fraglich, da die Bürger in der Russischen Föderation sehr ungern Auskunft über ihre Einkommensverhältnisse geben. Dieser Verdacht bestätigte sich auch im Laufe der Untersuchung: Das (mit Hilfe einer selbst durchgeführten Befragung der Bevölkerung in St. Petersburg) ermittelte Durchschnittseinkommen der Befragten lag lediglich 1% über dem durchschnittlichen offiziellen Einkommen in Sankt Petersburg im untersuchten Zeitraum. Die Aussagekraft der Untersuchung zum Thema „Einkommen“ ist allerdings sehr eingeschränkt, da zum Ersten nur 53,6% der Befragten die Frage nach ihrem Einkommen beantwortet haben (46,4% der Befragten lehnten die Antwort ab). Zum Zweiten stellt sich die Frage nach der Glaubwürdigkeit der gegebenen Antworten: Es ist zu vermuten, dass gerade diejenigen, die ein inoffizielles Einkommen beziehen, diese Frage ablehnten, oder lediglich die Höhe ihres offiziellen Einkommens angaben. Deshalb konnten die Schätzungen über den tatsächlichen Einkommenslevel in der Russischen Föderation mittels dieser Untersuchung weder bestätigt, noch widerlegt werden. Aus diesem Grund wurde versucht relevante empirischen Studien zu finden, die eine Überprüfung der o. g. Einkommensschätzungen ermöglichen. Nach umfassenden Recherchen konnte eine Studie, die im Auftrag der Zentralbank der Russischen Föderation durchgeführt wurde, ausfindig gemacht werden.382 Die Untersuchung wurde Juni 1998 durchgeführt (kurz vor der Finanzkrise). Nach der Finanzkrise verschlechterte sich die Einkommenssituation wesentlich. Erst Im Jahr 2003 hatte die Kaufkraft der Bevölkerung das Niveau von 1998 wieder erreicht. Aufgrund der Vergleichbarkeit der Einkommenssituation der Haushalte der Jahre 2003 und 1998 kann diese Untersuchung hier verwendet werden. Diese Untersuchung liefert einen Überblick in Bezug auf Umfang der Ersparnisse der Haushalte in der Russischen Föderation. Dabei erfolgte eine Unterteilung der Befragten in zehn Einkommensgruppen (vgl. Abb. 50): Nr.
Umfang der Jahresersparnisse in Rubel
in USD
Anzahl der Haushalte in %
Nr.
Umfang der Jahresersparnisse in Rubel
in USD
Anzahl der Haushalte
1.
Unter 1000
Unter 166
26,4
6.
40 000 - 60 000
666710000
3,1%
382
Es wurden 4000 Haushalte in der Russischen Föderation befragt. Vgl. Avramova, E: Verhalten, 2001 in: URL, siehe Literaturverzeichnis.
ÜBERPRÜFUNG DES BEDARFS EINES BAUSPARSYSTEMS IN RUSSLAND UND DER FÜR DEN AUFBAU NOTWENDIGEN RAHMENBEDINGUNGEN
175
2.
1000 - 5000
166833
33,3
7.
60 000 - 80 000
1000013333
1,1%
3.
5000 - 10 000
8331667
15,3
8.
80 000 -100 000
1333316667
0,8%
4.
10 000 –
16673333
11,0
9.
100 000
16667333000
1,1%
33336667
7,3
Über 333000
0,5%
20 000 5.
20 000 – 40 000
-2 000000 10.
Über 2 000000
Abb. 50: Ersparnisse der russischen Haushalte383 Wenn man die Ergebnisse dieser empirischen Untersuchung mit den offiziellen statistischen Daten für denselben Zeitraum vergleicht, stellt man fest, dass bei solchen Einkommen jährliche Ersparnisse in dieser Höhe gar nicht möglich sind (vgl. Abb. 51). So betrug die offizielle Sparquote in der Russischen Föderation im Jahr 1998 15,3%384, so dass sich die Ersparnisse der Haushalte auf insgesamt 272917 Mio. Rubel ( 45486 Mio. USD) beliefen. Wenn man jedoch nach den unteren Angaben einen Umfang der minimalen Ersparnisse berechnet - eine genauere Berechnung ist mangels detaillierter Informationen nicht möglich - ergeben sich Ersparnisse in Höhe von 846102 Mio. Rubel (Vgl. Abb. 51). Ersparnisse in dieser Höhe würden jedoch auf eine Sparquote in Höhe von 47,4% hinweisen. Dadurch ergäbe sich eine Differenz in Höhe von 573185 Mio. Rubel (95530,8 Mio. US Dollar), was nach dem heutigen Umrechnungskurs ca. 79 Mrd. Euro entspräche. Dies stimmt in etwa mit der Zahl überrein, auf die Berezin, I (Leiter der „Marketinggilde“ in Russland) in seiner oben erwähnten Studie kommt.
383
Bevölkerung in %
Bevölkerung in Mio.
Gesamteinkommen Mio. Rubel
100%
146.74 in Mio.
1783771.44 in Rubel
Bevölkerungsgruppen in % (laut Studie)
Anzahl der Haushalte
Min Ersparnisse /Haushalt
Ersparnisse Min p.a.
26.4%
12.913
0
0
33.3%
16.288
1000
16 288.1
15.3%
7.484
5000
37 418.7
11.0%
5.380
10000
53 804.7
7.3%
3.571
20000
71 413.5
3.1%
1.516
40000
60 652.5
in Mio.Rubel
Vgl. Avramova, E: Verhalten, 2001, S. 8, in: URL, siehe Literaturverzeichnis. Umfang der Ersparnisse wurde in USD umgerechnet (1 USD= 6 Rubel) 384 Vgl. Goskomstat: Jahrbuch, 1998, S. 217.
176
ÜBERPRÜFUNG DES BEDARFS EINES BAUSPARSYSTEMS IN RUSSLAND UND DER FÜR DEN AUFBAU NOTWENDIGEN RAHMENBEDINGUNGEN
1.1%
0.538
60000
32 282.8
0.8%
0.391
80000
31 304.5
1.1%
0.538
100000
53 804.7
0.5%
0.245
2000000
489 133.3
48.864
846 102.8
Abb. 51: Die minimal möglichen Ersparnisse der Bevölkerung im Jahr 1998 anhand der Informationen der Studie der Zentralbank 385 Die Zahlen dieser empirischen Untersuchung liefern somit eine weitere Bestätigung dafür, dass die russischen Bürger über ein höheres Einkommen verfügen, und demzufolge auch mehr sparen können, als dies in vorhandenen offiziellen Statistiken zu sehen ist. Die Höhe des Durchschnittseinkommens sagt jedoch nichts über die Verteilung des Einkommens zwischen den einzelnen Bevölkerungsgruppen aus. Dies ist ebenfalls eine sehr wichtige Größe für den Aufbau eines Bausparsystems. Die Mittelschicht ist für eine Bausparkasse die wichtigste Zielgruppe. Diese Bevölkerungsgruppe wäre durchaus - mit etwas Disziplin - finanziell in der Lage, regelmäßig die Beträge für einen Bausparvertrag einzusparen. Sehr arme Bürger verfügen nicht über die finanziellen Möglichkeiten, einen Bausparvertrag zu erfüllen, sehr reiche haben dagegen oft einen Bausparvertrag gar nicht nötig, da sie eine Wohnung auch ohne Kredit erwerben können. Um die Verteilung des Einkommens zwischen den Bevölkerungsgruppen zu ermitteln, wurde auf der Basis der offiziellen statistischen Daten eine Berechnung vorgenommen. Die Berechnungsergebnisse sind in der Abbildung 52 dargestellt. Daraus kann man ersehen, dass in der Russischen Föderation im Jahr 2003 20% der Bevölkerung über ein monatliches Durchschnittseinkommen in Höhe von über 11880 Rubel (ca. 323 Euro) verfügten. Diese Gruppe könnte durchaus eine Zielgruppe für die Bausparkassen sein. Sehr reiche Bürger sollten aus dieser Gruppe allerdings herausgenommen werden. Dies könnte durch die Einbeziehung der zweitbesten Einkommensgruppe mit einem monatlichen Durchschnittseinkommen von 159 Euro kompensiert werden. Diese Gruppe könnte ebenfalls ein Potenzial für die Bausparkasse darstellen: Bausparverträge könnten diesen Menschen beispielsweise helfen, Mittel für die Renovierung ihrer Wohnungen oder für eine Verbesserung ihrer Wohnungsverhältnisse mittels eines Tausches ihrer Wohnung für eine bessere (größere und/oder komfortablere) Wohnung zu erhalten. . 385
Eigene Berechnung nach Zahlen des Goskomstates. Vgl. Goskomstat: Zahlen, 2004 S. 108.
ÜBERPRÜFUNG DES BEDARFS EINES BAUSPARSYSTEMS IN RUSSLAND UND DER FÜR DEN AUFBAU NOTWENDIGEN RAHMENBEDINGUNGEN
Bevölkerung in %
Bevölkerung in Mio.
Gesamteinkommen in Mio Rubel
100%
143.097
8850602.4
Bevölkerungsgrup pen
Bevölkerungsanteile
20% 20% 20% 20% 20%
28.619 28.619 28.619 28.619 28.619
in Mio. Rubel EinkommensverEinkomteilung der Grup- mensverteipen ( in %) lung 5.6 10.3 15.3 22.7 46.1
495634 911612 1354142 2009087 4080128
in Mio. Rubel Jahreseinkommen der Gruppe
in Rubel
17318.10 31852.94 47315.53 70200.17 142565.10
1443.18 2654.41 3942.96 5850.01 11880.4
in Euro
ș Monatseinkommen
39.20 72.09 107.09 158.88 322.66
177
in Euro ș monatl. Haushaltseinkommen 117.59 216.27 321.26 476.64 967.99
Abb. 52: Verteilung der Bevölkerung nach der Höhe des Einkommens im Jahre 2003386 Berücksichtigt man auch inoffizielle Einkommen, ergibt sich folgendes Bild: (Dabei wird vorsichtig mit 25% mehr Einkommen gerechnet). Bevölkerung in %
Bevölkerung in Mio.
Gesamteinkommen
100% Bevölkerungsgruppen
143.097 Bevölkerungsanteile
8850602.4 Verteilung des Einkommens nach Grupen in %
in Euro ș Monatseinkommen
20% 20% 20% 20% 20%
28.619 28.619 28.619 28.619 28.619
5.6 10.3 15.3 22.7 46.1
48.99 90.11 133.86 198.60 403.33
In Euro ș monatl. Haushaltseinkommen 146.98 270.34 401.58 595.81 1209.98
Abb. 53: Verteilung der Bevölkerung nach der Höhe des Einkommens im Jahr 2003 unter Berücksichtigung des inoffiziellen Einkommens387 Die offiziellen statistischen Daten erlauben jedoch nicht eine in die Tiefe gehende Analyse der Einkommenssituation der russischen Bürger innerhalb der jeweiligen Gruppe, was für die betrachtete Fragestellung sehr nützlich wäre. Aus dieser Situation heraus muss man sich hier auf den Vergleich der Durchschnittswerte des Einkommens zwischen den Gruppen beschränken. Es stellt sich nun die Frage, ob dieses Einkommen für die Finanzierung einer Privatimmobilie ausreicht. Zu diesem Zweck wird das durchschnittliche Einkommen 386 387
Eigene Berechnung nach Zahlen von Goskomstat. Vgl. Goskomstat: Zahlen, 2004 S. 108. Eigene Berechnung nach Zahlen des Goskomstates. Vgl. Goskomstat: Zahlen, 2004 S. 108.
178
ÜBERPRÜFUNG DES BEDARFS EINES BAUSPARSYSTEMS IN RUSSLAND UND DER FÜR DEN AUFBAU NOTWENDIGEN RAHMENBEDINGUNGEN
der Bevölkerung mit den durchschnittlichen Preisen für eine Wohnimmobilie verglichen: ME388
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
Durchschnittseinkommen (ș E) /Person im Monat
Rubel/
942.1
1013
1663.4
2288.4
3074.8
3964.1
5141.9
Währungskurs
Rubel/€
5,960
20,65
27,23
26,14
26,49
33,11
36,82
ș E/ Person/Monat
Euro/M
158,0
49,1
61,1
87,5
116,1
119.7
139,7
ș P für einen m Wohnfläche
Rubel/
3057.8
4995
6575.0
7634.1
9819.9
12159.7
15193
Preis einer DW (60 2 m)
Rubel
183468
299700
394500
458046
589140
729582.
911580
Preis einer DW (60 2 m)
Euro
30783
14513
14487
17523
22240
22035
24758
Preis einer DW/ jährliches ș E des Haushalts.389
Jahre
5.41
8.22
6.59
5.56
5.32
5.11
4.92
Durchschnittliches Jahreseinkommen eines Haushalts/ Preis 2 für 1 m
m /Jahr
11.09
7.30
9.11
10.79
11.27
11.74
12.18
2
Monat
2
m
2
Abb. 54: Berechnung der Erschwinglichkeit (auf der Basis eines offiziellen Einkommens) von Privatimmobilien für die Bevölkerung der Russischen Föderation390 Bei der Berechnung der gleichen Koeffizienten mit der Annahme, dass ein reales Einkommen um 25% höher ist, hätte sich ein Haushalt im Jahr 2003 sogar 15,23 m2 Wohnfläche kaufen können. Der Kaufpreis einer Standardwohnung ist äquivalent einem 3,94 –fachen Jahreseinkommen eines Haushaltes:
Wohnung/ jährliches Haushaltseinkommen
388
ME
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
Jahre
4.33
6.57
5.27
4.45
4.26
4.09
3.94
Bis zur Währungsreform 1998 in Tausend Rubel. Ein durchschnittlicher Haushalt besteht in Russland aus ca. drei Mitgliedern (Vgl. Goskomstat, 2003). 390 Diese Berechnung erfolgte aufgrund von Informationen vom Goskomstat. 389
ÜBERPRÜFUNG DES BEDARFS EINES BAUSPARSYSTEMS IN RUSSLAND UND DER FÜR DEN AUFBAU NOTWENDIGEN RAHMENBEDINGUNGEN
Haushaltsjahreseinkommen/m Wohnfläche
2
2
m /Jahr
13.86
9.13
11.38
13.49
14.09
179
14.67
15.23
Abb. 55: Berechnung der Erschwinglichkeit (auf der Basis eines tatsächlichen Einkommens) von Privatimmobilien für die Bevölkerung der Russischen Föderation391 Diese Koeffizienten zeigen, dass der Erwerb einer Wohnung für einen durchschnittlichen Haushalt durchaus erreichbar ist. Im Vergleich zu Deutschland (vgl. Abb. 14) unterscheidet sich das Preis-Einkommens-Verhältnis nicht wesentlich. Bei der Beschaffung einer Standardwohnung ist dieses Verhältnis in Russland (unter Annahme, dass das tatsächliche Einkommen der Haushalte um mindestens 25% höher ist als das offizielle) sogar besser. Allerdings geht es in dieser Gegenüberstellung nicht um einen Vergleich von Wohnungen gleichen Standards, sondern um einen Vergleich von Wohnungen nach dem jeweiligen Standard der beiden Länder. So wird in Russland von einem durchschnittlichen Haushalt derzeit nicht eine Wohnung der Größe von 88,5 m2 angestrebt, sondern hier entspricht eine Wohnung mit 60 m2 Wohnfläche dem Standard. Koeffizienten
ME
2002
2003
Preis einer Standardwohnung/jährliches Einkommen eines Haushaltes.
Jahre
4.16
4.0
Preis eines Reihenhauses/jährliches Einkommen
Jahre
6.92
6.58
Preis eines Einzelhauses/jährliches Einkommen
Jahre
10.02
9.64
21.26
22.12
2
Durchschnittliches Jahreseinkommen eines Haushaltes/ Preis 1 m Wohnfläche
2
m /Jahr
Abb. 56: Preis-Einkommen-Verhältnis auf dem deutschen Markt für Privatimmobilien392 Dabei ist zu berücksichtigen, dass in Deutschland auch wesentlich teuerere Immobilienobjekte, wie z. B. Reihenhäuser und Einfamilienhäuser, finanziert werden, die im Verhältnis zum Durchschnittseinkommen deutlich höher liegen.
391
Diese Berechnung erfolgte aufgrund einer Schätzung der tatsächlichen Einnahmen der Haushalte. 392 Eigene Berechnungen auf der Basis der Informationen vom Statistischen Bundesamt und Auswertungen des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung.
ÜBERPRÜFUNG DES BEDARFS EINES BAUSPARSYSTEMS IN RUSSLAND UND DER FÜR DEN AUFBAU NOTWENDIGEN RAHMENBEDINGUNGEN
180
Hier ist allerdings zu beachten, dass bei einer solchen Betrachtung die Unterschiede zwischen den Regionen unberücksichtigt bleiben. So könnte es z. B. sein, dass das relativ hohe Einkommen in den Ballungsgebieten die Durchschnittspreise stark nach oben treibt und umgekehrt, dass bei den Immobilien in den ländlichen Gebieten der Durchschnittspreis der Immobilie überproportional in eine günstigere Richtung beeinflusst wird. Dies macht eine zusätzliche Betrachtung auf der regionalen Ebene sinnvoll. Dies wird nun am Beispiel von St. Petersburg gemacht. In St. Petersburg ergab sich im Jahr 2003 folgende Verteilung des Einkommens:393 Bevölkerung in %
Bevölkerung in Mio.
Gesamteinkommen
100% Bevölkerungsgruppen
4.565 Bevölkerungsanteile
20% 20% 20% 20% 20%
0.913 0.913 0.913 0.913 0.913
367042 Anteil des Einkommens der jeweiligen Gruppe 6.9 11.8 16.4 23.1 41.8
in Euro Monatliche Durchschnittseinkommen 62.78 107.36 149.22 210.18 380.33
in Euro Durchschnittliche Monatliche Haushaltseinkommen 188.34 322.09 447.66 630.54 1140.98
Abb. 57: Verteilung der Bevölkerung nach der Höhe des offiziellen Einkommens im Jahr 2003394 Im Folgenden werden die gleichen Koeffizienten für die Stadt St. Petersburg berechnet:
ș E/Person/ Monat395 Haushaltsgröße 393
ME
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
Rubel /Monat Anzahl
1105
1422
2169
2820
3775
4940
6700.3
7200
3
3
3
3
3
3
3
3
Die folgende Berechnung basiert auf den Einkommenszahlen für das Jahr 2003, die Koeffizienten für die Verteilung zwischen den Einkommensgruppen wurden jedoch auf der Basis vom Jahr 2002 ermittelt, da die Daten für 2003 bis jetzt noch nicht verfügbar sind. Nach den ersten Schätzungen wird es jedoch keine großen Änderungen im Vergleich zum Jahr 2002 geben (und wenn, dann in die Richtung, dass der Anteil der Gruppe mit dem höheren Einkommen größer wird). 394 Eigene Berechnung nach Zahlen von Goskomstat. Vgl. Goskomstat: Zahlen, 2004, S. 27, S. 30, S. 108. 395 Durchschnittseinkommen pro Person im Monat.
ÜBERPRÜFUNG DES BEDARFS EINES BAUSPARSYSTEMS IN RUSSLAND UND DER FÜR DEN AUFBAU NOTWENDIGEN RAHMENBEDINGUNGEN ș E des Haushaltes p.a.396 ș P auf dem PM397 ș P einer DW auf dem PM398 ș P auf dem SM ș P einer DW auf dem SM DW auf dem PM/ ș E des Haushaltes p.a. DW auf dem SM/ ș E des Haushaltes p.a. ș E der Haushalt 2 p.a./ Preis 1 m WF auf dem PM ș E des Haushaltes p.a / Preis 1 2 m WF auf dem SM
Rubel/Jah r Rubel/m2 Rubel
181
39780
51192
78084
101520
135900
177840
241211
259200
3749
7963
9370
11186
13263
16594
22081
17400
224922
477804
562194
671148
795792
995652
1324860
1044000
Ru2 bel/m Rubel
3417
10998
9785
10046
11436
13388
19267
17400
205008
659850
587118
602754
686148
803268
1156020
1044000
Jahre
5.65
9.33
7.20
6.61
5.86
5.60
5.49
4.03
Jahre
5.15
12.89
7.52
5.94
5.05
4.52
4.79
4.03
2
10.61
6.43
8.33
9.08
10.25
10.72
10.92
14.90
2
11.64
4.65
7.98
10.11
11.88
13.28
12.52
14.90
m /Jahr
m /Jahr
Abb. 58: Einkommens-Preis Verhältnis auf dem Wohnimmobilien Markt in St. Petersburg399 Wie die Abbildung 58 zeigt, ist eine Wohnimmobilie für die St. Petersburger Bevölkerung im Schnitt sogar etwas erschwinglicher als in Russland insgesamt. Genauso wie in der Russischen Föderation lässt sich eine positive Tendenz in der Preis-Einkommens-Entwicklung feststellen. Um festzustellen, welche Einkommensgruppen in St. Petersburg sich eine Wohnimmobilie leisten können, ist es sinnvoll, die gleichen Koeffizienten für die verschiedenen Einkommensgruppen zu ermitteln:
ș E/Person/Monat Haushaltsgröße 396
ME
1. Gruppe
2. Gruppe
3. Gruppe
4. Gruppe
5. Gruppe
Rubel /Monat Anzahl
2312
3953
5494
7739
14004
3
3
3
3
3
Haushaltsjahresdurchschnittseinkommen. Durchschnittlicher Preis für 1 m2 Wohnfläche (WF) auf dem Primärmarkt (PM). 398 Durchschnittlicher Preis (ș P) einer Durchschnittswohnung (DW) auf dem Sekundärmarkt (SM). 399 Vgl: Goskomstat: Regionen, 2003 S. 27, 30, S. 150-151, S. 875-876; Goskomstat: Zahlen, 2004, S. 27, S. 384; Goskomstat: Jahrbuch, 2003, S. 622-623. 397
182
ÜBERPRÜFUNG DES BEDARFS EINES BAUSPARSYSTEMS IN RUSSLAND UND DER FÜR DEN AUFBAU NOTWENDIGEN RAHMENBEDINGUNGEN ș E des Haushaltes p.a. ș P auf dem PM
ș P einer DW auf dem PM ș P auf dem SM ș P einer DW auf dem SM DW PM/ ș E des Haushaltes p.a. DW SM/ ș E des Haushaltes p.a. ș E des Haushaltes p.a./ ș P 2 1 m Wohnfläche auf dem PM ș E des Haushaltes p.a./ ș P 2 1 m Wohnfläche auf dem SM
2
83216.16 22081
142307.64 22081
197794.08 22081
278597.52 22081
504135 22081
2
1324860 19267
1324860 19267
1324860 19267
1324860 19267
1324860 19267
1156020 15.92
1156020 9.31
1156020 6.70
1156020 4.76
1156020 2.63
13.89
8.12
5.84
4.15
2.29
2
3.77
6.44
8.96
12.62
22.83
2
4.32
7.39
10.27
14.46
26.17
Rubel/m Rubel Rubel/m Rubel Jahre Jahre
m /Jahr m /Jahr
Abb. 59: Preis-Einkommens-Verhältnis auf dem Wohnimmobilienmarkt in St. Petersburg nach Einkommensgruppen400 Wenn man das Preis-Einkommens-Verhältnis für die Wohnimmobilie in St. Petersburg anschaut, sieht man deutlich, dass die Einkommensgruppe 5 sich mit Sicherheit eine Wohnimmobilie leisten kann. Ein durchschnittlicher Haushalt braucht lediglich zwei volle Jahreseinkommen, um eine Wohnung auf dem Sekundärmarkt erwerben zu können. Dabei bleibt das Schatteneinkommen sogar unberücksichtigt. Für die Bürger aus Einkommensgruppe 4 und 3 wäre eine Wohnimmobilie durchaus auch finanzierbar. Diese Bürger sollten jedoch eine bessere Unterstützung vom Staat erhalten. Wobei die Bürger aus der Gruppe 3 stärker gefördert werden müssen, als die Bürger aus der Gruppe 4. Für die Gruppe 3 sollte die Förderung mindestens 800 Euro pro Jahr betragen, für die Bürger aus der Gruppe 4 würde die Hälfte dieses Betrages reichen. Bei der Betrachtung der Immobilienpreise und des Einkommensniveaus der Bürger in der Russischen Föderation wird deutlich, dass zur Zeit mindestens 20 % der Bevölkerung finanziell in der Lage sind, ein Darlehen für eine Wohnimmobilie zu bedienen (allerdings unter der Bedingung, dass ihr Einkommen relativ stabil bleibt). Wenn der Trend der letzten Jahre sich weiter fortsetzt, würde dieser Bevölkerungsanteil von Jahr zu Jahr größer. Nach Schätzungen russischer Experten von Gosstroi sind 20% der russischen Haushalte in der Lage, sich eine Verbesserung der Wohnungssituation zu leisten,
400
Vgl. Goskomstat: Regionen, 2003 S. 27, 30, S. 150-151, S. 875-876; Goskomstat: Zahlen, 2004, S. 27, S. 384; Goskomstat: Jahrbuch, 2003, S. 622-623.
ÜBERPRÜFUNG DES BEDARFS EINES BAUSPARSYSTEMS IN RUSSLAND UND DER FÜR DEN AUFBAU NOTWENDIGEN RAHMENBEDINGUNGEN
183
indem sie die alte Wohnung verkaufen, um mit dem Erlös einen Großteil der neuen Wohnung zu finanzieren.401 Diese Analyse bestätigt, dass ein Teil der Bevölkerung in der Russischen Föderation über nutzbare Sparpotenziale verfügt und auf ein sicheres und effektives Finanzierungssystem wartet. 6.2.2.3 Der Markt für Privatimmobilien Aus der vorangegangenen Darstellung des Wohnungsmarktes der Russischen Föderation kann man schließen, dass ein Markt für Privatimmobilien in Russland bereits vorhanden ist. Die Entwicklung des Marktes für Privatimmobilien hemmt im Moment das eingeschränkte Angebot an Privatimmobilien auf dem Primärmarkt. Dies ist sowohl auf einen Mangel an Grund und Boden in gut erschlossenen Gegenden402, als auch auf die Finanzierungsprobleme der Bauunternehmen zurückzuführen. Die Kreditinstitute sind bei der Finanzierung von Bauunternehmen sehr zurückhaltend, da solche Kredite mit hohen Risiken behaftet sind. Im Ergebnis beträgt der Kreditanteil bei den Bauunternehmen lediglich 20% der gesamten Baukosten. Bis zu 40% der Wohnungsbauprojekte werden vom Anfang an mit Mitteln der Bauherren finanziert. Ein weiterer Grund für das unzureichende Angebot auf dem Markt für Privatimmobilien ist der aufwendige und langwierige Prozess zur Erlangung einer Baugenehmigung. Dieser dauert teilweise 3 bis 4 Jahre.403 Außerdem sind die Möglichkeiten bei der Finanzierung der Bauvorhaben von Privatpersonen sehr begrenzt, was dazu geführt hat, dass in St. Petersburg lediglich 5,6% der fertiggestellten Wohnungen im Jahr 2002 aus privaten Mitteln finanziert wurden.404 Die Finanzierungsprobleme werden im Kapitel 6.3 ausführlicher betrachtet. Diese Probleme müssten dringend behoben werden, um den problemlosen Erwerb der Wohnimmobilien zu ermöglichen und die Entwicklung der Privatimmobilienfinanzierung zu fördern. Nichtsdestotrotz ist der Markt für Privatimmobilien durch ein kontinuierliches Wachstum gekennzeichnet. Prognosen zufolge wird die Fertigstellung der neuen 401
Vgl. Interfax: Regierung, 2003, in: URL, siehe Literaturverzeichnis. Die Bebauung neuer Gebiete erweist sich auch als schwer, da dort die Verkehrsanbindung und die soziale Infrastruktur fehlt. 403 Vgl. Jakovlev, V./Ponomarev, V./Pleskachevskij, V./u.a.: Hypothek, 2004, in: URL, siehe Literaturverzeichnis. 404 Goskomstat: Regionen, 2003, S. 602 f. 402
184
ÜBERPRÜFUNG DES BEDARFS EINES BAUSPARSYSTEMS IN RUSSLAND UND DER FÜR DEN AUFBAU NOTWENDIGEN RAHMENBEDINGUNGEN
Wohnflächen in den nächsten sieben Jahren weiter steigen: Der Umfang der Fertigstellung von Wohnimmobilien wird im Jahr 2010 53 Mio. m2 erreichen. 405 Der Markt für Privatimmobilien ist somit für eine Einführung des Bausparsystems in Russland ausreichend entwickelt. Darüber hinaus würde eine Einführung des Bausparsystems seine weitere Entwicklung fördern. Auf die rechtlichen Aspekte, die für die Funktionsfähigkeit des Marktes für private Wohnimmobilien eine bedeutende Rolle spielen, wird im folgenden Kapitel eingegangen.
6.2.3 Rechtliche Rahmenbedingungen Wie bereits erwähnt, ist es unmöglich, das Bausparsystem in Russland ohne Schaffung wirkungsvoller, rechtlicher Rahmenbedingungen zu etablieren. Das rechtliche Umfeld schafft den Mechanismus, der die Interessen, Rechte und Pflichten aller Beteiligten, die an diesem System teilnehmen, sichert. Das Ziel dieses Absatzes ist es daher zu überprüfen, inwiefern die rechtlichen Voraussetzungen für die Einführung eines Bausparsystems in Russland vorhanden sind und, falls diese im Moment noch nicht ausreichen, zu untersuchen, was in dieser Hinsicht geändert werden müsste. 6.2.3.1 Die bestehenden Normkomplexe 6.2.3.1.1 Sachenrecht (Eigentumsrecht, Besicherungsrecht, Katasterrecht) Eigentumsrecht Um eine Beurteilung der Rahmenbedingungen möglich zu machen, soll hier zunächst die Entwicklung und der aktuelle Stand des Eigentumsrechtes dargestellt werden. 1917 wurde in Russland das Recht auf Privateigentum in Frage gestellt, da im Privateigentum das Haupthindernis auf dem Weg zu völliger Gleichberechtigung und sozialer Gerechtigkeit gesehen wurde. In der Eigentumsordnung der ehemaligen Sowjetunion wurden drei Eigentumssubjekte definiert: das staatliche, das genossenschaftliche und das individuelle Eigentum.406 Bei der Funktion des Eigentums wurde zwischen dem Eigentum für die wirtschaftliche Gewinnerzielung einerseits und dem Eigentum für die persönlichen Konsumbedürfnisse andererseits unterschieden. Grund und Boden, was als 405 406
Vgl. Vneshtorgbank: Beurteilung, 2004, S. 27. Vgl. Art. 9 Abs. 1 der Verfassung der Russischen Föderation.
ÜBERPRÜFUNG DES BEDARFS EINES BAUSPARSYSTEMS IN RUSSLAND UND DER FÜR DEN AUFBAU NOTWENDIGEN RAHMENBEDINGUNGEN
185
Volkseigentum (in der Praxis Staatseigentum) bezeichnet wurde, verwaltete der Staat. Dabei wurde die wirtschaftliche Seite der Bodennutzung ausser acht gelassen und eine Unentgeltlichkeit von Grund und Boden fixiert. Bis heute wird in Russland zwischen dem Eigentum an Grund und Boden und dem Eigentum an Immobilienobjekten unterschieden.407 Zu sowjetischen Zeiten war Privateigentum an Grund und Boden zwar nicht möglich, für die Immobilienobjekte (Häuser) gab es jedoch eine Ausnahme. So erlaubte die damalige Gesetzgebung einer Privatperson ein privates Eigentum in Form eines Einfamilienhauses auf dem Land oder Anteile daran zu besitzen. Besitzer aller anderen Immobilienobjekte war der Staat. Das Zivilgesetz der RSFSR von 1964 schrieb auch die Registrierung der Immobilienobjekte beim Verkauf des Hauses oder seiner Anteile (§239 des Zivilgesetzbuches) oder auch bei Verpfändung des Hauses (§ 195, § 201 des Zivilgesetzbuches) vor. Seit Ende der 80er Jahre hat in der Russischen Föderation eine Entwicklung hin zur Marktwirtschaft stattgefunden, die gleichzeitig die Änderung der Eigentumsordnung in Bewegung gesetzt hat.408 Im ersten Schritt wurde in Russland ein neues Eigentumsgesetz erlassen (Gesetz über das Eigentum in der RSFSR vom 24.12.1990 (VVS RSFSR 1990, Nr. 30, Pos. 416) in der Fassung vom 24.06.1992. Es definierte das "Eigentum" als das Recht des Eigentümers, nach eigenem Ermessen das ihm gehörende Vermögen zu besitzen, zu nutzen und darüber zu verfügen.409 Bei den Eigentumsformen unterschied das Eigentumsgesetz zwischen dem Privateigentum, dem Eigentum von Kooperativen und anderen gesellschaftlichen Organisationen, dem staatlichen und kommunalen Eigentum, dem Eigentum von Gemeinschaftsunternehmen, ausländischen Bürgern, Organisationen und Staaten. Ausnahmen bestanden nur für Grund und Boden, Bodenschätze, Gewässer und Wälder, welche in staatlichem Eigentum blieben.410 Heute sind Privateigentum und staatliches Eigentum nach der Verfassung der Russischen Föderation vom 12.12.1993 gleichgestellt.411 Dies bedeutet die endgültige Änderung der sozialistischen Eigentumsordnung. Zu den wichtigsten aktuellen Quellen des Eigentumsrechts gehört neben der Verfassung der Russischen Föderation, der seit Dezember 1994 in Kraft getretene erste Teil des Zivilgesetzbuches, in dem unter anderem das Eigentum und die be407
Vgl. Art. 9 Abs. 2 und Art. 36 der Verfassung der Russischen Föderation. Vgl. auch Evers, F.: Modernisierung, 1996, S. 99. 409 Vgl. Art. 10 Eigentumsgesetz vom 24.12.1990. 410 Vgl. Art. 11 der Verfassung der RSFSR vom 1978 ; Art. 6 EigtG. 411 Vgl. Art. 9. der Verfassung der Russischen Föderation vom 12.12.1993. 408
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ÜBERPRÜFUNG DES BEDARFS EINES BAUSPARSYSTEMS IN RUSSLAND UND DER FÜR DEN AUFBAU NOTWENDIGEN RAHMENBEDINGUNGEN
schränkten dinglichen Rechte geregelt sind. Das oben erwähnte Gesetz „Über das Eigentum in der RSFSR“ trat zum 01.01.1995, mit dem Inkrafttreten des ersten Teils des Russischen Zivilgesetzbuches, außer Kraft. Obwohl das Zivilgesetzbuch412 nicht immer eine eindeutige Terminologie verfolgt, kann für das russische Recht in Überreinstimmung mit dem deutschen festgestellt werden, dass grundsätzlich Sachen im Sinne von körperlichen Gegenständen als Objekte dinglicher Rechte angesehen werden.413 Außerdem sind die Sachenrechte in Russland, genauso wie in Deutschland, als absolute Rechte anerkannt. Der Begriff „Absolutheit“ im russischen Recht bedeutet auch, dass dieses Recht von jedem zu achten ist und es existiert eine unendliche Vielzahl von Verboten, dieses Recht zu verletzen.414 Der Eigentumsbesitzer ist somit vor einer Enteignung geschützt.415 Nach Art. 35, Abs. 3 der Russischen Verfassung ist eine Zwangsenteignung und damit die Auflösung des Privateigentums nur durch eine richterliche Entscheidung nach vorheriger „gleichwertiger Entschädigung“ und nur im Fall, wenn dies aus „übergeordneten gesellschaftlichen Interessen“ erfolgt ist, zulässig.416 Anders und mit vielen Turbulenzen verlief die Entwicklung des Rechtes an Grund und Boden. Bis zur Landreform im Jahre 1861 lebten viele Bürger auf dem Land in Leibeigenschaft. Mit der Befreiung wurde die Möglichkeit zum käuflichen Erwerb von Land geschaffen. Zu Beginn der sowjetischen Zeit überlebten einige Rechtsformen an Eigentum zunächst, gingen jedoch im Zuge der Verstaatlichung Anfang der 30er Jahre verloren.417 Die Verfassung der Sowjetunion von 1936 ließ nur noch die Form des staatlichen Eigentums am Boden zu.418 Die erste Änderung der sozialistischen Ordnung in Bezug auf die Rechte an Grund und Boden erfolgte am 20.11.1990 mit dem Gesetz „Über die Bodenreform“419 und am 22.11.1990 mit dem Gesetz „über den bäuerlichen Betrieb“420, die das Privateigentum an Grund und Boden mit zahlreichen Ausnahmen wieder einführten. Eine weitere Etappe der Rechtsänderungen erfolgte durch die Novellierung des Bodengesetzes der Russischen Föderation, die am 28.04.1993 in Kraft trat. Jedoch 412
Die zivilrechtlichen Grundlagen des Eigentums sind in den Art. 209-217, ZGB fesgelegt. Vgl. Gubalke, K.: Pfandrecht, 2001, S. 9. 414 Efimowa, L: Wechselbeziehungen, 1998, S. 35. 415 Vgl. Art. 45 und Art. 46 der Verfassung der Russischen Föderation, Art. 11ff des ZGB. 416 Vgl. auch Art. 15 des ZGB, mehr dazu Schultze, R: Unternehmen, 1998. S. 62. 417 Vgl. Wedde, R., v.: Bodengesetzbuch, 2002, S. 109. 418 Vgl. Krassov, K.: Bodengesetz, 2000, S. 19. 419 Gesetz der RSFSR von 23.11.1990 Nr. 374-1 „o zemel’noj reforme“ („Über die Bodenreform“), VVS RSFSR 1990, Nr. 26, Pos. 327. 420 Gesetz der RSFSR von 22.11.1990 Nr. 348-1 „o krest’janskom (fermerskom) hozjajstve“ (Über den bäuerlichen Betrieb), VVS RSFSR 1990, Nr. 26, Pos. 324. 413
ÜBERPRÜFUNG DES BEDARFS EINES BAUSPARSYSTEMS IN RUSSLAND UND DER FÜR DEN AUFBAU NOTWENDIGEN RAHMENBEDINGUNGEN
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blieben auch nach dieser Novellierung die weitgehenden Beschränkungen in Bezug auf Erwerb und Veräußerung von Grund und Boden bestehen. Das Eigentum an Grundstücken konnten nur Staatsbürger der Russischen Föderation zum Bau eines Wohnhauses oder zwecks Führung eines landwirtschaftlichen Betriebes erwerben.421 Eine Übertragung auf Dritte war nur in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Vorschriften zulässig. Ein Verkauf an ausländische juristische oder natürliche Personen wurde durch Art. 11 und 52 des Bodengesetzbuches422 ausdrücklich ausgeschlossen. Es standen somit ausländischen, juristischen und natürlichen Personen nur sehr begrenzte Möglichkeiten zur Verfügung, Eigentum an Grund und Boden zu erwerben.423 Dies wirkte sich auf die Entwicklung des Marktes der privaten Wohnimmobilie äußerst negativ aus. Zur Beseitigung der Probleme, die die Transaktionen mit Grund und Boden beschränkten, war demzufolge eine Bodenreform erforderlich. Diese erfolgte am 25.10.2001 mit dem Inkrafttreten des neuen Bodengesetzbuches, das nun den Erwerb von Grund und Boden für russische und ausländische natürliche und juristische Personen erlaubte: „Bürger und juristische Personen haben das gleiche Recht auf Erwerb von Grundstücken zu Eigentum“.424 Der Erwerb von Grundstückseigentum durch Privatpersonen kann durch einen Vertrag, durch Erbschaft oder sonstige Gesamtrechtsnachfolge oder durch einen Verwaltungsakt zustandekommen.425 Objekte des Verkaufs können nur Grundstücke sein, die im staatlichen Kataster erfasst wurden.426 Eine Besonderheit des russischen Rechts besteht darin, dass neben dem Eigentum zwei weitere Rechte an Grundstücken existieren. Dies sind der Erbbesitz auf Lebenszeit und das ständige unbefristete Nutzungsrecht.427 Die Novellierung des Bodenrechtes war ein Schritt in die richtige Richtung, um Transaktionen mit Grundstücken zu ermöglichen. Es besteht allerdings noch weiterer Verbesserungsbedarf in diesem Rechtssektor:
421
Art. 12 Ziff. 2 EigtG und Art 1 des Föderalen Gesetzes der Russischen Föderation „Grundstücke zur Führung einer persönlichen Hauswirtschaft zu Erholungszwecken und für den individuellen Hausbau als Eigentum zu erwerben und zu verkaufen" (VVS RF 1993, Nr. 1, Pos. 26). 422 VVS RSFSR 1991. Nr. 22, Pos. 768; novelliert durch das Änderungsgesetz vom 28.04.1993 (VVS 1993 Nr. 21, Pos. 748). 423 Ein solcher Eigentumserwerb konnte nur über die Gründung eines Unternehmens erfolgen, in welches Grund und Boden als Sachanlage eingebracht werden konnte. 424 Art. 15 Pkt. 2 des Bodengesetzbuches der Russischen Föderation. 425 Vgl. Breig, B. v.: Rechte, 2002, S. 36. 426 Art. 37 Pkt. 1 des Bodengesetzbuches der Russischen Föderation. 427 Vgl. Breig, B.v.: Rechte, 2002, S. 34.
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ÜBERPRÜFUNG DES BEDARFS EINES BAUSPARSYSTEMS IN RUSSLAND UND DER FÜR DEN AUFBAU NOTWENDIGEN RAHMENBEDINGUNGEN
- Die bürokratische Einflussnahme auf die Bodenpreisentwicklung muss weiter reduziert werden,428 damit sich ein freier Bodenmarkt in der Russischen Föderation entwickeln kann, - Der zur Zeit sehr große bürokratische Aufwand, der bei der Beantragung von Baugenehmigungen zu bewältigen ist, muss dringend reduziert werden. Dieser hat eine äußerst negative Auswirkung auf die Fertigstellung neuer Wohnflächen und demzufolge auf den Primärmarkt für Privatimmobilien. Trotz einiger weiterer Probleme, die auf diesem Gebiet noch gelöst werden müssen (auf diese wird im Rahmen dieser Arbeit nicht näher eingegangen, da sie für eine Einführung des Bausparsystems nahezu irrelevant erscheinen), entspricht auch das russische Bodenrecht mittlerweile weitgehend den westlichen Gesetzmäßigkeiten und stellt somit kein Hindernis für den Aufbau des Bausparsystems dar. Katasterrecht429 In der zaristischen Zeit existierte in Russland die Institution des Grundbuches, die im Jahr 1917 abgeschafft wurde. Danach (zu Zeiten der Sowjetunion) gab es kein einheitliches System der Registrierung von Immobilien. In verschiedenen Organisatorische Einheiten der Russischen Föderation wurde diese Funktion durch diverse Ämter, wie z. B. das Büro für technische Informationen, Grund- und BodenKommitee und andere speziell dafür gegründete Ämter, ausgeführt. Dabei wurden keine vollständigen Informationen über den rechtlichen Zustand der Immobilien erfasst. Dieser Zustand änderte sich nun im Laufe des Transformationsprozesses. Eine Verbesserung der Verlässlichkeit von Informationen über Rechte an Grundstücken und Gebäuden leistete der Erlass des Präsidenten vom 28.02.1996, sowie der Beschluss der Regierung der Russischen Föderation vom 15.04.1996 und der Erlass des Präsidenten vom 27 August 1996. Am 21.07.1997 wurde das Gesetz Nr. 122-FZ „Über die staatliche Registrierung der Rechte auf Immobilien und der Geschäfte mit ihnen“ verabschiedet (trat am 31.01.1998 in Kraft). Das Gesetz legte eine neue Ordnung für die Registrierung von Gegenständen und unbeweglichem Eigentum fest. Jedes Vermögensobjekt in der Russischen Föderation muss demgemäß eine individuelle Katasternummer erhalten. Die Katasternummer setzt sich aus der Katasternummer des Grundstücks, auf dem sich das Objekt befindet und der Inventarnummer der Gebäude (der Objekte) zusammen. Der Grundstückeigentümer erhält eine Urkunde über die staatliche Registrierung der Rechte „an unbeweglichem Vermögen“.
428 429
Rudolph, K: Situation, 2004, in: URL: siehe Literaturverzeichnis. Das Grundbuchrecht existiert in der Russischen Föderation nicht.
ÜBERPRÜFUNG DES BEDARFS EINES BAUSPARSYSTEMS IN RUSSLAND UND DER FÜR DEN AUFBAU NOTWENDIGEN RAHMENBEDINGUNGEN
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Nach diesem Registrierungsgesetz unterliegen der staatlichen Registrierung neben dem Eigentum auch andere Rechte am unbeweglichen Vermögen, wie z. B. Servitute (Dienstbarkeiten) und Hypotheken.430 Beim Vollzug einer registrierungspflichtigen Immobilientransaktion, wie z. B. dem Kauf oder der Veräußerung einer Immobilie, muss sowohl der Kaufvertrag als auch der Übergang des Eigentumsrechtes zum Käufer registriert werden. Demzufolge ist „Russland heute das einzige Land, in dem das System der doppelten Registrierung deklariert wurde.“431 Die staatliche Registrierung gilt als einziger Beweis für das Bestehen des registrierten Rechts. Das registrierte Recht kann, genauso wie in Deutschland, nur auf dem Gerichtsweg erstritten werden. Die Registrierung der Immobilie erfolgt nach dem sog. „Territorialen Prinzip“. (In dem Bezirk, wo sich das Objekt befindet).432 Mit dem In-Kraft-Treten am 18.09.2003 des Föderalen Gesetzes vom 09.06.2003 N 69-FZ wurden die Bestimmungen des Registrierungsgesetzes an die geltende Gesetzgebung weitgehend angepasst.433 Zu den wesentlichen Änderungen zählt u.a. die Einführung einer zwingenden Katastererfassung eines Grundstücks. Dies bedeutet, dass bei der Registrierung von Rechten an Grundstücken ein Katasterplan des Grundstückes mit dessen Katasternummer vorgelegt werden muss.434 Dies ist deswegen erforderlich, weil die Identifizierung des Grundstückes im Staatlichen Register in Zukunft nur noch nach Katasternummer erfolgen soll.435 Die Angaben, die in diesem Register sind, können öffentlich eingesehen werden. Jede Person kann über jede registrierte Immobilie entgeltlich eine Auskunft erhalten.436 Die Auskunft umfasst Informationen über die Bezeichnung der Immobilie, ihre Lage, Katasternummer und die an ihr bestehenden Rechte und die auf ihr ein430
Eine wichtige Rechtsgrundlage für das materielle Liegenschaftsrecht ist das Föderale Gesetz Nr. 102 „Über Hypothek (Immobilienverpfändung)“ vom 16.07.1998. In diesem Gesetz wurde der Begriff der Hypothek zum ersten Mal definiert. Mit dem Gesetz vom 5. Februar 2004 wurde das Hypothekengesetz von 1998 in einigen Punkten geändert. Das neue Gesetz beinhaltet keinen ausführlichen Katalog verpfändbarer Grundstücke mehr. Alle Grundstücke, die nicht durch das Föderationsgesetz in der Verkehrsfähigkeit beschränkt sind, können mit Hypotheken belastet werden.- Vgl. Solotych, S.: Russische Föderation, 2004, S. 188. 431 Lazarevskij, A.: Registrierungssystem, Moskau, 2000, S. 6. 432 Gesetz Nr. 122-FZ „Über die staatliche Registrierung der Rechte auf Immobilien und der Geschäfte mit ihnen“. 433 Vgl. Safronowa, N./Gröning, M.: Registrierung, 2003, S. 370. 434 Vgl. Art. 17 Pkt. 1, Abs. 9 des Registrierungsgesetzes. 435 Vgl. Art. 7 des Katastergesetzes. 436 Im Unterschied zu der vor 1998 geltenden Registrierungsordnung haben nicht nur „interessierte Personen“, sondern grundsätzlich „jedermann“ Anspruch auf Auskunft über die Rechtsverhältnisse an Immobilien.
190
ÜBERPRÜFUNG DES BEDARFS EINES BAUSPARSYSTEMS IN RUSSLAND UND DER FÜR DEN AUFBAU NOTWENDIGEN RAHMENBEDINGUNGEN
getragenen Belastungen. Eine Ablehnung bedarf einer schriftlichen Begründung und kann vor Gericht angefochten werden. Das bringt mehr Transparenz in das Registrierungssystem und sichert die Rechte der Eigentümer, was für den Aufbau eines Bausparsystems in Russland von Bedeutung ist. Das staatliche Kataster weist einerseits Ähnlichkeiten mit dem deutschen Grundbuch auf, indem es sich aus den drei folgenden Abschnitten zusammensetzt: Der erste Abschnitt enthält die kurze Beschreibung des Objektes: Adresse, Art des Objektes, seine Fläche in qm, Zweck des Objektes, etc. Der zweite Abschnitt beschreibt die Rechte für dieses Objekt und erfasst die Informationen über die Personen, die über diese Rechte verfügen. Es muss folgende Angaben beinhalten: Name des Eigentümers (Rechtsinhabers), Rechtsarten, Adresse, Name des Registrators, Datum und Unterschrift. Der dritte Abschnitt enthält die Informationen über die Belastungen und Begrenzungen für dieses Objekt, wie Hypotheken, Treuhandverwaltung, Verpachtung, Beschlagnahme des Vermögens, etc.437 Andererseits ist das russische Kataster nicht mit einem deutschen Grundbuch gleichzusetzen. Der entscheidende Unterschied besteht darin, dass das sog. Prinzip des „öffentlichen Glaubens“, der zum Schutz des gutgläubigen Erwerbers dient, beim russischen Kataster bedauerlicherweise nicht existiert.438 Der Schutz der Immobilienrechte ist jedoch eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Entstehung eines effektiv funktionierenden Systems der Privatimmobilienfinanzierung. Das Prinzip „des öffentlichen Glaubens“ bedeutet, dass der gutgläubige Erwerber auf den Grundbuchinhalt ohne weiteres vertrauen kann, da die Richtigkeit des Eingetragenen unterstellt wird. Dem gutgläubigen Erwerber gegenüber gelten in Deutschland somit die Eintragungen als richtig und vollständig. Im Änderungsgesetz vom 09.06.2003 wurde versucht, die Rechte der Vertragsparteien besser zu schützen, indem z. B. die Aussetzung der Registrierung (Art. 19 Pkt. 3. Abs. 2 RegG) von einer der Parteien beantragt werden kann. Dies kann sowohl zum Schutz des Verkäufers (der z. B. den ihm zustehenden Kaufpreis nicht erhalten hat), als auch zum Schutz des Käufers (der z. B. beim Immobilienerwerb getäuscht wurde) dienen.439 437
Vgl. Das Föderale Gesetz Nr. 122 – FZ „Über die staatliche Registrierung der Rechte am unbeweglichen Vermögen und Rechtsgeschäfte mit ihnen“ vom 21.07.1997, vgl. auch Das Föderale Änderungsgesetz Nr. 69- FZ vom 09.06.2003. 438 Dieses Problem befindet sich derzeit in der Diskussion.Vgl. auch Schmiedler, F.: Rechtsgrundlagen, 2002, in: URL, siehe Literaturverzeichnis. 439 Vgl. Safronowa, N./Gröning, M.: Registrierung, 2003, S. 369.
ÜBERPRÜFUNG DES BEDARFS EINES BAUSPARSYSTEMS IN RUSSLAND UND DER FÜR DEN AUFBAU NOTWENDIGEN RAHMENBEDINGUNGEN
191
Im Weiteren kann die Registrierung der Immobilie abgelehnt werden, wenn nicht alle Dokumente zum Nachweis der Registrierung früherer Rechte an der Immobilie vorgelegt werden.440 Außerdem dient die neue Regelung über die Vorlage aller notwendigen Dokumente, die die Rechte des Antragstellers zur Nutzung des Grundstücks belegen, dem Schutz der Rechte des Grundstückseigentümers. Sie verhindert u.a das Entstehen von Schwarzbauten.441 Trotz dieser Verbesserung hat der gutgläubige Erwerber einer Immobilie in Russland immer noch sehr viele Risiken zu tragen, die folgendermaßen klassifiziert werden können: 1) administrative Risiken, die auf fehlerhafte Handlungen der Registrierungsbehörden zurückzuführen sind. Ein System zur Entschädigung eines gutgläubigen Erwerbers für den durch Schuld der Registrierungsbehörden entstandenen Schaden existiert in der Russischen Föderation bis jetzt noch nicht. Obwohl solche Fehler nicht sehr häufig auftreten (das Gericht in Moskau hat bei 0,04% der Registrierungstätigkeiten auf dem Immobilienmarkt einen Fehler von Registrierungsorganen festgestellt),442 stellt dies ein gewisses Risiko auf dem Immobilienmarkt dar. Mit fortschreitender Entwicklung des Immobilienmarktes und steigender Belastung der Registrierungsbehörden wächst auch das Risiko eines Fehleintrages. Die These in der russischen Gesetzgebung, dass die staatlichen Organe, die für die Registrierung der Rechte für Immobilien zuständig sind, eine Verantwortung für die zeitgerechte, genaue Eintragung der Rechte in dem staatlichen Register, sowie die Vollständigkeit der eingetragenen Informationen zu tragen haben, hilft dem gutgläubigen Erwerber nicht weiter. Gesetzliche Anforderung über die hohe Qualifikation der Mitarbeiter, welche die Rechte auf Immobilien prüfen und registrieren (diese müssen über einen Universitäts-Abschluss, Fachrichtung Jura, verfügen) helfen bis zu einem gewissen Grad, die Fehlerquote gering zu halten, können jedoch die Fehler bei der Registrierung verständlicherweise nicht immer vermeiden. 2) Risiken der Gesetzgebung Nichtübereinstimmungen in der Gesetzgebung können zusätzliche Risiken bei dem Erwerb/Veräußerung der Wohnimmobilien verursachen. So existieren in Russland z. B. einige Immobilienrechte (so wie Mietrecht, Pachtrecht etc.), die mit dem Katasterrecht überhaupt nicht abgedeckt sind.
440
Vgl. Art. 20, Pkt. 1 des Registrierungsgesetzes. Vgl. auch Safronowa, N./Gröning, M.: Registrierung, S. 369. 442 Laut Auskunft Moskauer Institut „Ekonomiki goroda“. 441
192
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3) Handlungen mit betrügerischer Absicht Bei der Übertragung der Rechte für Wohnimmobilien ist es von großer Bedeutung nachzuweisen, dass die Veräußerung der Immobilie von einer berechtigten Person erfolgt ist. Für den gutgläubigen Erwerber in Russland spielt eine wichtige Rolle, wie der vorherige Eigentümer des Grundstückes dieses übergeben hat. Nach dem Absatz 302 des russischen Zivilgesetzbuches kann das Eigentum von einem gutgläubigen Erwerber zurückgefordert werden, wenn der vorherige Eigentümer sein Eigentum unrechtmäßig verloren hat. Um den mangelhaften Schutz des gutgläubigen Erwerbers von Immobilien in der Russischen Föderation zu demonstrieren, sollen hier einige Beispiele eines unrechtmäßigen Entzugs von Eigentum aufgeführt werden: 1. Der Verkauf des Eigentums wurde von einer nicht zurechnungsfähigen Person durchgeführt, 2. Der Verkauf des Eigentums wurde von einer unbefugten Person in betrügerischer Absicht durchgeführt, 3. Der Eigentümer wurde irregeführt. Eine solche Situation im Bezug auf den Schutz des gutgläubigen Erwerbers beeinträchtigt die Realisierung der Eigentumsrechte für die Wohnimmobilie und hält die Entwicklung des Immobilienmarktes auf. Die Einführung des Prinzips des gutgläubigen Erwerbs in der Russischen Föderation würde helfen, die mit Erwerb und Veräußerung der Immobillien verbundenen Risiken aller Teilnehmer des Immobilienmarktes zu minimieren und Transaktionen mit Immobilien transparenter zu gestalten. Immer noch fallen in der Russischen Föderation das Eigentum an einem Gebäude und das Eigentum an einem Grundstück, auf dem das Gebäude sich befindet, auseinander443 , wenngleich das neue Bodengesetzbuch das Prinzip der Einheitlichkeit zwischen den Grundstücken und den dazugehörigen Objekten verstärkt hat.444 Um die rechtlichen Grundlagen und ihre Handhabung zu vereinfachen, müssen des Weiteren einheitliche Rahmenbedingungen für Immobilienobjekte sowie Grund und Boden geschaffen werden, insbesondere in Bezug auf die Registrierung der Immobilienobjekte. Dies würde mehr Transparenz in das System bringen und außerdem viele Kosten ersparen.445
443
Vgl. Kudjukov, D./ Lorenz, J.: Eigentumserwerb, 2003, S. 266. Vgl. Volkov/Golisenkov/Kozyr: Kommentar, 2002, Art. 35 Bodengesetz, S. 113-118. 445 Vgl. auch Chachalin, A.: Markt, 2004, in: URL, siehe Literaturverzeichnis. 444
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193
Diese Maßnahmen würden den Kauf von selbstgenutzten Immobilien in der Russischen Föderation fördern und die erfolgreiche Einführung des Bausparsystems unterstützen. Allerdings könnte ein Bausparsystem auch unter diesen Bedingungen in Russland funktionieren, da aufgrund eines relativ geringen Kreditausfallrisikos die Besicherung der Immobilienobjekte nicht die entscheidende Rolle für die Bausparkassen spielt. Es gibt in der Russischen Föderation auch andere Wege, ein Darlehen abzusichern. Für eine Bausparkasse in Russland wäre es sinnvoll, auch davon Gebrauch zu machen. Dazu gehört z. B. die Absicherung der Darlehen mittels einer Bürgschaft446, die sowohl von einer natürlichen, als auch von einer juristischen Person gegeben werden kann. (Diese Form der Absicherung wurde auch von der Bausparkasse in Tschechien genutzt). Dabei wäre es vorstellbar, dass z. B. Arbeitgeber für ihre Mitarbeiter bürgen. Dies ist bereits oft der Fall bei der Vergabe von Baudarlehen durch andere Kreditinstitute. Als Bürgschaftsgeber könnten auch vermögende Familienmitglieder auftreten, da der Zusammenhalt in vielen russischen Familien noch sehr stark ausgeprägt ist. Somit stellt die russische Gesetzgebung eine weitere Möglichkeit dar, die der Gläubiger nutzen kann, um seine Forderungen abzusichern.447 Die Vergabe der ungesicherten Blankodarlehen, die zwar ermöglichen würde, die Kosten bei der Besicherung einzusparen, erscheint jedoch in Russland als sehr risikoreich, da keine Informationen über die Kreditausfälle bei Blankodarlehen anderer Kreditinstituten vorliegen. 6.2.3.1.2 Schuldrecht, insbesondere Kreditvertragsrecht448 Die Vertragsgestaltung in russischem Recht beinhaltet keine wesentlichen Unterschiede im Vergleich zum deutschen.
446
Genauso wie im deutschen Recht verpflichten sich die Garantiegeber, die Forderung des Gläubigers zu erfüllen, wenn der Schuldner seinen Pflichten nicht nachkommen kann. Vgl. Russisches Zivilgesetzbuch, Art. 368 ff. 447 Die anderen, in der russischen Gesetzgebung festgelegten Möglichkeiten, zu welchen die Anzahlung (Art. 380 ff. des ZGB), Konventionalstrafe (Art. 330 ff. des ZGB), Zurückhaltung (Art. 359 ff. des ZGB) gehören, erweisen sich im Bezug auf die mögliche Anwendung durch die Bausparkasse als ungeeignet und werden daher nicht näher betrachtet. 448 Das russische Schuldrecht wurde durch das neue Zivilgesetzbuch reformiert. Der Kauf ist als Grundlage des Eigentumserwerbs im Kapitel 14 des zweiten Teils des Zivilgesetzbuches geregelt. Die Verhältnisse, die im Zuge der Kreditvergabe entstehen, unterliegen den Vorschriften des Zivilgesetzbuches (Teil 2).
194
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Allerdings ist der Kreditgeber im russischen Recht immer noch benachteiligt: Es ist in der Praxis nicht möglich, ein Darlehen zu kündigen, wenn der Kreditnehmer den vergebenen Kredit nicht ordnungsgemäß tilgt.449 Eine mit der deutschen Makler- und Bauträgerverordnung vergleichbare Grundlage, die die Rechte der Erwerber beim Erwerb vom Bauträger schützt existiert in Russland derzeit nicht. Dies erhöht die Risiken der Erwerber deutlich. Diese rechtlichen Mängel müssen behoben werden, stehen jedoch einem Aufbau des Bausparsystems in der Russischen Föderation nicht unmittelbar im Weg. 6.2.3.1.3 Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht Im Gegensatz zu westlichen Ländern, in denen Grund und Boden als sehr gute Kreditsicherheiten gelten, besitzen sie in der Russischen Föderation einen nicht so hohen Wert. Das hängt in erster Linie damit zusammen, dass in der Russischen Föderation ein Zwangsvollstreckungsverfahren für ein Kreditinstitut sehr schwer durchzusetzen ist, obwohl es über das Recht verfügt, eine verpfändete Wohnung zu versteigern und seine Forderungen daraus zu befriedigen. Der Grund dafür besteht darin, dass gemäß Verfassung der Russischen Föderation (Art. 40) jeder Bürger mit einer Wohnung versorgt sein muss.450 Demzufolge verfügt ein zahlungsunfähiger Schuldner u. U. über das Recht, die bei dem Kreditinstitut verpfändete Wohnung weiterhin zu bewohnen, wenn er keine andere Wohnung hat. Es gibt noch eine Reihe weiterer Fälle, in denen Kreditinstitute fast keine Chance bei einem Gerichtsverfahren haben. Das ist z. B. der Fall, wenn minderjährige Familienmitglieder die verpfändete Wohnung bewohnen oder dort offiziell angemeldet sind. In diesem Fall ist eine Veräußerung nur mit dem Einverständnis des Treuhand- und Pflegekommitees zulässig. Diese Zustimmung erhält man in der Regel nur in dem Fall, wenn das minderjährige Familienmitglied bereits über eine ausreichende Wohnfläche in einer anderen Wohnung verfügt (was nur selten der Fall ist). Auch wenn in der verpfändeten Wohnung eine Person angemeldet ist, ohne dort zu wohnen (was gesetzlich erlaubt ist), ist eine Veräußerung dieser Wohnung nicht möglich. Bei dieser Sachlage muss ein Kreditinstitut die hohen Geld- und Zeitaufwendungen (die Dauer beträgt mindestens 1 Jahr) für das Vollstreckungsverfahren und die Erfolgsaussichten abwägen. 449 450
Vgl. Ponomarev, W.: Hypothekenkreditvergabe, 2003, in: URL, siehe Literaturverzeichnis. Vgl. Golovin, J.: Hypothekarkreditvergabe, 1999, S. 39.
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Damit ein langfristig ausgelegtes System der Privatimmobilienfinanzierung funktionieren kann, müssen die oben beschriebenen nichtübereinstimmenden Klauseln in der Gesetzgebung dringend geändert werden. Dies ist auch angedacht. Derzeit befindet sich der Entwurf des Gesetzes in der Legislative. Diese Änderung ist auch für die Einführung des Bausparsystems in Russland notwendig, obwohl dem Zwangsvollstreckungsrecht unter den Rahmenbedingungen eine eher untergeordnete Rolle zukommt. Dies hängt – wie bereits erläutert - mit einem geringeren Kreditausfallrisiko der Bausparkassen zusammen. Das hat sich auch in den durchgeführten Expertengesprächen unter den deutschen Bausparkassen bestätigt. Die Bestimmungen zur Insolvenz sind in den Artikeln 25, 61, 65 enthalten.451 Die weiteren Einzelheiten sind durch das Insolvenzgesetz der Russischen Föderation geregelt. Einer der wesentlichen Kritikpunkte am Insolvenzgesetz452 aus dem Jahre 1998 war die Rangfolge der Verteilung der Masse im Konkursverfahren. Sehr benachteiligt waren vor allem die Gläubiger, deren Forderungen durch Pfandrechte gesichert waren.453 Die Befriedigung erfolgte erst im dritten Rang. Eine abgesonderte Befriedigung aus dem Pfandgegenstand fand nicht statt, was den Wert einer Besicherung durch das Pfand in der Praxis beachtlich reduzierte.454 Das novellierte Insolvenzgesetz455, das am 01.12.2002 in Kraft trat, schreibt eine Absonderung und getrennte Befriedigung aus dem Pfandgegenstand vor.456 Diese Regelung stellt einen großen Fortschritt im russischen Insolvenzrecht dar und sorgt dafür, dass die Verpfändung in der Russischen Föderation ein größeres Gewicht erhält. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass trotz eines bestehenden Verbesserungsbedarfs auf diesem Gebiet, die Bedingungen für die Einführung eines Bausparsystems als ausreichend bewertet werden können. Insbesondere unter dem Gesichtspunkt, dass das Zwangsversteigerungsrecht eine vergleichsweise geringe Bedeutung für die Einführung des Bausparsystems in der Russischen Föderation besitzt. Dies hat sich auch in Expertengesprächen bestätigt.
451
Vgl. Gesetz „Über die Zahlungsunfähigkeit (Bankrott)“. Vgl. ebenda, Teile 1 und 2. 453 Gutbrod/Vogel, zitiert aus Wedde, R.v.:Insolvenzrecht, 2003, S. 198. 454 Vgl. Wedde, R.v.: Insolvenzrecht, 2003, S. 198. 455 Föderales Gesetz Nr. 127-FZ „Über die Zahlungsunfähigkeit (den Bankrott)“. 456 Vgl. ebenda, Art. 134 Pkt. 4, Abs. 2. 452
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6.2.3.1.4 Kreditwesenrecht Anfang der neunziger Jahre hat sich das Bankensystem in Russland mangels ausreichender Gesetzgebung und gut funktionierender Bankenaufsicht sehr unkontrolliert entwickelt. Zu dieser Zeit wurden in Russland viele neue Banken gegründet, die nur über ein geringes Eigenkapital verfügten. Diese Kreditinstitute fokussierten ihre Tätigkeit in erster Linie auf Geschäftsfelder, die schnelle Gewinne versprachen. Das Kleinkundengeschäft wurde hingegen vernachlässigt. Nach dem Bankencrash 1998 haben viele Kreditinstitute Konkurs angemeldet, was zu Unsicherheit in der Bevölkerung führte. Dieses Ereignis hat eine Notwendigkeit für Änderungen im russischen Kreditwesen aufgezeigt. Dabei wurde deutlich, dass eine Umstrukturierung und Umorganisation des russischen Bankensystems dringend erforderlich war. Zurzeit hat sich in Russland ein universales zweistufiges Bankensystem etabliert. Die Tätigkeit aller russischen Kreditinstitute ist durch das Gesetz „Über Banken und Bankentätigkeit“ geregelt. In der zurzeit geltenden Fassung dieses Gesetzes kommt eine Definition der „spezialisierten Kreditinstitute“ nicht vor. Viele Experten vertreten jedoch die Meinung, dass eine Einführung der speziellen Kreditinstitute in Russland sinnvoll sein kann. Bereits heute gibt es in Russland Kreditinstitute, die sich als „spezialisierte“ Kreditinstitute bezeichnen (einige Banken nennen sich z. B. Hypothekenbanken). Es fehlen allerdings noch die rechtlichen Grundlagen, die ihre Tätigkeit regeln. Auch ist die Durchführung des Bauspargeschäftes aufgrund seiner Komplexität ohne ein Bausparkassengesetz nicht möglich. Zurzeit existiert in Russland bereits der Entwurf eines Bausparkassengesetzes, der sich auf dem Weg durch die Legislative befindet. An der Ausarbeitung dieses Entwurfes haben russische und deutsche Spezialisten (u.a. aus der Bausparkasse Schwäbisch Hall und LBS) über zwei Jahre gearbeitet. Der ausgearbeitete Entwurf des Gesetzes entspricht inhaltlich den Anforderungen der deutschen Bausparkassen und würde im Falle seines Inkrafttretens eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Einführung des Bausparsystems in Russland erfüllen. Um einen sicheren rechtlichen Rahmen für das Betreiben des Bauspargeschäftes zu schaffen, sollten neben der Einführung des Bausparkassengesetzes Änderungen im Gesetz „Über Banken und Bankentätigkeit“ aufgenommen werden. Dies muss gemacht werden, indem man den Begriff „Spezialkreditinstitute“ genau definiert, damit die Sonderregelungen für solche Kreditinstitute z. B. in Form eines Sondergesetzes oder einer Sonderverordnung rechtswirksam werden können. Eine andere wichtige Frage, die geklärt werden muss, ist die Einführung einer Sonderregelung für die Reservierung von Mitteln bei der Zentralbank. Momentan
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müssen die privaten Kreditinstitute 3,5 % der Einlagen natürlicher Personen bei der Zentralbank hinterlegen.457 Die Reserven bei der Zentralbank werden nicht verzinst und dienen der Sicherheit der Anleger. Diese Regelung ist bei den Universalbanken mit Sicherheit sinnvoll, da diese im Vergleich zu den spezialisierten Kreditinstituten einem größeren Risiko ausgesetzt sind. Bei den Bausparkassen erscheint sie eher als überflüssig. Bausparkassen vergeben Kredite nur an die eigenen Kunden und verfügen über ausreichende Informationen bezüglich ihrer Kreditwürdigkeit. Die Anforderung an die Bausparkassen, Reserven bei der Zentralbank zu bilden, wird das Bauspargeschäft wesentlich verteuern, was sich mit Sicherheit negativ auf die Nachfrage nach Bausparkrediten auswirken wird. Die Befreiung der Bausparkassen von der Reservenpflicht bei der Zentralbank oder deren Festlegung auf einen möglichst niedrigen Satz erscheint in diesem Zusammenhang ratsam. Aufgrund der nicht ausreichenden rechtlichen Rahmenbedingungen in Russland kann ein Vertrauensmangel der Bevölkerung in die Kreditinstitute festgestellt werden. Viele Bürger in der Russischen Föderation haben bereits schlechte Erfahrungen mit den Kreditinstituten und anderen Finanzintermediären gemacht. Die Ergebnisse der in St. Petersburg durchgeführten, empirischen Untersuchung machen dies deutlich (vgl. Abb. 60 und Abb. 61). Vertrauen in die russischen Kreditinstitute sehr vertrauenswürdig
1.60
vertrauenswürdig
20.00 62.40 11.60
nicht vertrauenswürdig überhaupt nicht vertrauenswürdig
4.40
weiß nicht
0.00
20.00
40.00
60.00
80.00
Prozent
Abb. 60: Vertrauen der St. Petersburger Bevölkerung in die russischen Kreditinstitute 457
Verordnung der Zentralbank vom 07.06.2004 Nr. 1473-Y „Über die Pflichtreserven bei der Zentralbank“
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Vertrauen in die ausländischen Kreditinstitute sehr vertrauenswürdig
2.8 54.8
nicht vertrauenswürdig
20.4 9.2
überhaupt nicht vertrauenswürdig
12.8
0
vertrauenswürdig
weiß nicht
20
40
60
Prozent
Abb. 61: Vertrauen der St. Petersburger Bevölkerung in die ausländischen Kreditinstitute Aus diesen Ergebnissen kann man sehen, dass das Vertrauen der Bürger zu den Kreditinstituten mit ausländischem Kapital wesentlich höher ist, als zu den russischen Kreditinstituten. Das spricht dafür, dass eine Bausparkasse mit deutschem Kapital das Vertrauen der Bürger durchaus gewinnen kann. Außerdem wuchs das Vertrauen der Bevölkerung in die Kreditinstitute in der letzten Zeit kontinuierlich. Ein Beweis dafür liefern sowohl die Ergebnisse der empirischen Untersuchung als auch die wachsenden Anlagen bei den Banken (vgl. Abb. 62, 63). 1992
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
Gesamt
374
28317
75231
128876
176701
216876
318905
462454
702406
1046576
in Rubel in fester Währung
374 -
28317 -
75231 -
128876 -
148247 11775
149595 67280
211254 107651
304454 158000
457783 244623
649123 397433
Abb. 62: Entwicklungsdynamik der Anlagen der Bürger bei den Kreditinstituten (in Rubel)458
458
Quelle: Goskomstat: Jahrbuch, 2003, S. 182, die Zahlen sind auf- bzw. abgerundet.
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Änderung des Vertrauens zu den Kreditinstituten während der letzten zwei Jahren
52.0
gestiegen
30.4 13.2
gesunken
4.0
weiß nicht
0.4
0.0
gleich geblieben
keine Antwort 20.0
40.0
60.0
Prozent
Abb. 63: Änderung des Vertrauens der Bevölkerung in St. Petersburg während der letzten zwei Jahre 6.2.3.1.5 Steuerrecht Wie bereits erwähnt, sind bei der Realisierung des Wohneigentumswunsches eine Reihe von steuerlichen Gesichtspunkten zu beachten. I. Versteuerung einer Immobilie beim Erwerb, bei der Nutzung und bei der Veräußerung 1. Besteuerung beim Erwerb durch Rechtsgeschäft unter Lebenden oder im Wege der Erbfolge Versteuerung beim Erwerb eines Immobilienobjektes Beim Erwerb eines Immobilienobjektes in Russland wird keine Erwerbssteuer erhoben. Vielmehr wird sogar das zu versteuernde Einkommen gemäß § 23 des Steuergesetzbuches der Russischen Föderation über die „Einkommenssteuer der Privatpersonen“ um den Betrag reduziert, der für den Kauf einer Immobilie erbracht wurde.459 Diese Regelung wirkt sich positiv auf den Erwerb der Wohnimmobilien aus. Nach der heutigen Gesetzgebung müssen beim Erwerb eines Immobilienobjektes allerdings die Registrierungsgebühren in Höhe von 1,5% des offiziellen Anschaffungspreises entrichtet werden. Die Erhebung dieser Gebühr hat zur Folge, dass viele Immobilienverträge einen niedrigeren als in Wirklichkeit vorhandenen Wert 459
Vgl. auch Art. 1.2 Abs. 220 des Steuerkodex der Russischen Föderation.
200
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der Immobilien ausweisen, um diese Steuer zu reduzieren. Dies bringt erhebliche Risiken für alle Beteiligten mit sich: 1. Für den Veräußerer, da dieser offiziell nur auf den Betrag, der im Immobilienvertrag ausgewiesen ist, Anspruch hat. 2. Für die finanzierende Institution, da die Verpfändung der Immobilie in diesem Fall erschwert wird. Diese darf in diesem Fall nur mit dem offiziellen Preis der Immobilie bei der Kreditvergabe arbeiten. 3. Für den Käufer, der neben den Vorteilen einer geringeren Belastung beim Erwerb auch Nachteile bei der Finanzierung hat. Dieser muss in der Regel über den Betrag, der den offiziellen Wert der Immobilie übersteigt, bereits verfügen. Die Reduzierung dieses Satzes würde zur Förderung des Immobilienerwerbes und zur Schaffung der sicheren Rahmenbedingungen für alle Teilnehmer in Russland beitragen. Dies würde die Chancen einer erfolgreichen Einführung des Bausparsystems in Russland erhöhen. Bei Schenkung des Immobilienobjektes wird Schenkungsteuer erhoben. Ihre Höhe ist von der Höhe des Preises eines Immobilienobjektes und von dem Verwandtschaftsgrad des Beschenkten abhängig (Abs. 3, Gesetz Nr. 2020-1 vom 12.12.91). Zum ersten Verwandtschaftsgrad zählen dabei Kinder und Eltern, zum zweiten alle anderen begünstigten Personen. Die Höhe der Schenkungsteuer wird z. T. in MROT festgelegt. MROT (was übersetzt „minimaler Monatslohn“ bedeutet) ist eine Größe, die von der russischen Regierung festgelegt und immer wieder (periodisch) indexiert wird. Dies gilt für die gesamte Russische Föderation und beträgt momentan 600 Rubel. Die Höhe der Schenkungsteuer auf die Immobilienobjekte ist in der folgenden Abbildung dargestellt:
Preis des Objektes in MROT Unter 80 80-850 851-1700 1701- 2550
Über 2550
Erster Verwandtschaftsgrad
Zweiter Verwandtschaftsgrad
Keine Steuer 3% 23,1 MROT + 7% vom Wert, der über 850 MROT liegt 82,6 MROT + 11% vom Wert, der über 1700 MROT liegt 176,1 MROT+ 15% vom Wert, der über 2550 MROT liegt
Keine Steuer 10% 77 MROT + 10% vom Wert, der über 850 MROT liegt 247 MROT + 30% vom Wert, der über 1700 MROT liegt 176,1 MROT + 40% vom Wert, der über 2550 MROT liegt
Abb. 64: Schenkungsteuer bei Immobilien in Russland
ÜBERPRÜFUNG DES BEDARFS EINES BAUSPARSYSTEMS IN RUSSLAND UND DER FÜR DEN AUFBAU NOTWENDIGEN RAHMENBEDINGUNGEN
201
Die Erbschaftsteuer Begünstigte erster Stufe
Begünstigte zweiter Stufe
Andere Begünstigte
Unter 850 850 -1700
Keine Steuer 5% vom Wert, der über 850 MROT liegt
Keine Steuer 10% vom Wert, der über 850 MROT liegt
1700 -2550
42,5 MROT + 10% vom Wert, der über 1700 MROT liegt
85 MROT + 20% vom Wert, der über 1700 MROT liegt
Über 2550
127,5 MROT+ 15% vom Wert, der über 2550 MROT liegt
255 MROT + 30% vom Wert, der über 2550 MROT liegt
Keine Steuer 20% vom Wert, der über 850 MROT liegt 170 MROT + 30% vom Wert, der über 1700 MROT liegt 425 MROT + 40% vom Wert, der über 2550 MROT liegt
Preis des Objektes in MROT
Abb. 65: Erbschaftsteuer bei Immobilien in Russland Von der Erbschafts- und Schenkungsteuer werden die folgenden Gruppen befreit: 1. Gemeinsam oder getrennt lebende Ehegatten, 2. Invaliden der ersten und zweiten Kategorie. 3. Es existieren weitere Ausnahmen. Man kann sehen, dass die Immobilien in Russland bei Schenkung und im Wege der Erbfolge relativ hoch versteuert werden, höher als in Deutschland, da dort die hohen Freibeträge für die Begünstigten aus der näheren Verwandtschaft existieren. Dies wird jedoch dadurch ausgeglichen, dass die Steuern in der Regel vom Inventarpreis des Immobilienobjektes erhoben werden, der deutlich unter dem Marktpreis liegt. Außerdem wird für Wohnungen unter 27000 Euro keine Steuer erhoben. Da die Immobilienobjekte, die über Bausparkassen finanziert werden, eher in einem preiswerteren Bereich liegen, steht die hohe Erbschafts- und Schenkungsteuer in Russland einem Bausparsystem nicht im Wege. Somit hat die hohe Erbschafts- und Schenkungsteuer in Russland nur einen relativ geringen Einfluss auf den Wunsch der Bürger, eine Wohnimmobilie zu erwerben. Nur in seltenen Fällen wird dies in Russland ein wesentliches Argument gegen eine Wohnimmobilie sein.
202
ÜBERPRÜFUNG DES BEDARFS EINES BAUSPARSYSTEMS IN RUSSLAND UND DER FÜR DEN AUFBAU NOTWENDIGEN RAHMENBEDINGUNGEN
2. Immobiliensteuer. Russland gehört zu den Ländern, in welchen die vorhandene Immobilie laufend besteuert wird. Laut Gesetz der Russischen Föderation vom 09.12.1991 N 2003-1 „Über Vermögensteuer für natürliche Personen“ und Instruktion über die Anwendung dieses Gesetzes, unterliegen Wohnimmobilienobjekte in Russland einer Immobiliensteuer. Die Sätze für die Immobiliensteuer sind momentan wie folgt festgelegt: Immobilienwert (in Tausend Rubel) Steuersatz bis 300 bis 0,1% 300 bis 500 0,1% bis 0,3% über 500 0,3% bis 2%
Abb. 66: Immobiliensteuersätze in Russland460 Allerdings fällt die Vermögenssteuer in der Russischen Föderation bei der Entscheidung für den Erwerb einer Privatimmobilie momentan nicht ins Gewicht. Der Grund dafür ist, dass laut o. g. Gesetz als Basis für die Berechnung der Vermögenssteuer der Inventarpreis des Objektes und nicht sein Marktpreis zugrunde gelegt wird. Da der Inventarpreis des Objektes normalerweise wesentlich niedriger als sein Marktpreis ist, fällt auch die zu zahlende Steuer viel geringer aus. Es ist zur Zeit jedoch im Gespräch, dass diese Regelung geändert werden soll, so dass der Marktpreis des Objektes, und nicht sein Inventarpreis als Basis für die Berechnung dieser Steuer genommen wird. Diese Änderung würde jedoch einige Probleme mit sich bringen. Zum einen bedarf es dafür einer methodologischen Grundlage, bzw. eines einheitlichen Konzeptes für die Bewertung der Immobilie, das im Moment noch nicht existiert. Zum anderen würde eine solche Änderung eine mehrfache Belastung für die Bürger bedeuten, die für viele nicht tragbar ist. Wenn diese Änderung zustande kommt, wird die Vermögenssteuer bei der Entscheidung über den Erwerb einer Wohnimmobilie im Vergleich zu der heutigen Situation eine wesentlich größere Rolle spielen. Deshalb muss bei Einführung einer solchen Änderung gleichzeitig der Vermögenssteuersatz angepasst werden, so dass die Bürger bei der Anschaffung der Privatimmobilie nicht übermäßig belastet werden. 460
Vgl. Instruktion vom 2.11.1999. Nr. 54: „Über die Besteuerung von Vermögen natürlicher Personen“.
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203
Außerdem wäre es möglich, unterschiedliche Steuersätze für Privatimmobilien einzuführen, indem man teuere Objekte höher versteuert als billige. Dadurch würde ein Bausparsystem, wenn es eingeführt werden sollte, unterstützt, da für die meisten potenziellen Kunden einer Bausparkasse nur Immobilienobjekte niedriger und mittlerer Preisklasse in Frage kommen. Eine andere Alternative, die zur Förderung des Bausparsystems beitragen würde, wäre die Festlegung einer Preisgrenze unterhalb der keine Vermögenssteuer erhoben wird. 3. Die Versteuerung der Immobilie bei ihrer Veräußerung. Bei der Veräußerung der Wohnimmobilie unterliegt der Erlös aus der Veräußerung einer Einkommenssteuer in Höhe von 13%. Das zu versteuernde Einkommen wird jedoch reduziert, wenn der Veräußerer: - länger als 5 Jahre im Besitz dieses Objektes war, - sich 3-5 Jahre im Besitz des Objektes befand, wobei der Wert des Objektes die Höhe von 1 000 000 Rubel nicht übersteigen darf, - weniger als drei Jahre im Besitz des Objektes war, wobei der Wert des Objektes 125 000 Rubel nicht übersteigen darf.461 II Steuerliche Behandlung des Immobilienerwerbes Die Zinsen, die für einen Hypothekarkredit bezahlt werden, können steuerlich geltend gemacht werden. 6.2.3.2 Rechtssicherheit und Rechtsdurchsetzbarkeit „Die Strenge der russischen Gesetze wird durch die Unverbindlichkeit ihrer Ausführung gelindert.“ (Karamzin, N. M.)462 Bei der Rechtssicherheit spielen nicht nur die gesetzlichen Grundlagen eine Rolle, sondern auch ihre Anwendung in der Praxis. Eine hundertprozentige Anwendung gemäß gesetzlichen Grundlagen ist in Russland immer noch nicht gegeben. Die Rechtssicherheit und Rechtsdurchsetzbarkeit sind derzeit noch nicht ausreichend ausgeprägt. Dies kann auch nicht von heute auf morgen erfolgen und wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen. 461 462
Art. 210, Abs. 2, Steuerkodex der Russischen Föderation Übersetzt aus dem Russischen, Karamzin, N. M: Geschichte des Russischen Staates, 1824, o.S.
204
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Dieses Problem erzeugt die meisten Befürchtungen und Ängste von Seiten potenzieller Investoren. Es ist daher auch bei der Einführung eines Bausparsystems mit zu berücksichtigen. Anderseits ist jedoch eine wesentliche Besserung auf diesem Gebiet zu sehen. Somit erscheinen die Risiken auf diesem Gebiet als zumutbar. Schließlich haben zahlreiche ausländische Investoren, die sich in Russland engagieren, diese Hürde überwunden. Die Risiken für ein ausländisches Unternehmen (eine ausländische Bausparkasse) können u. U. dadurch reduziert werden, indem man z. B. mit einem starken Kooperationspartner in Russland zusammenarbeitet.
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6.3 Formen und Verfahren der Wohnbaufinanzierung in Russland Zurzeit ist in Russland sowohl auf der staatlichen als auch auf der regionalen Ebene eine breite Palette von Modellen für die Wohnbaufinanzierung vorhanden. Diese sollen in diesem Kapitel dargestellt und analysiert werden. Die existierenden Modelle zur Privatimmobilienfinanzierung in Russland müssen nicht unbedingt als Konkurrenz zu einem Bausparsystem gesehen werden, da ein Bausparvertrag in der Regel nur einen Teil der Immobilienfinanzierung darstellt. Vielmehr sollen die anderen Formen der Privatimmobilienfinanzierung in Russland untersucht werden, um die Problempunkte auf diesem Gebiet zu identifizieren, die Nachfrage nach dieser Finanzierungsform aufzuzeigen und Anregungen für die Einführung eines Bausparsystems zu liefern.
6.3.1 Föderale Finanzierungsmodelle 6.3.1.1 Hypothekenkredite und „Quasi-Hypothek“ Mittlerweile gibt es in Russland eine Reihe von Institutionen, die finanzielle Mittel zum Bau oder Erwerb von Immobilien in Form von Hypothekenkrediten anbieten. Dabei wird zwischen Hypothekarkrediten und der sog. „Quasi-Hypothek“ unterschieden. Programm der Agentur für Hypothekenkreditvergabe: Die Vergabe von Hypothekenkrediten startete im Jahr 1997 im Rahmen des Föderalen Programms der Russischen Föderation. Dabei wurde das Prinzip des Hypothekarkreditsystems nach amerikanischem Muster zugrunde gelegt. Diese Wahl ist in der Tatsache begründet, dass amerikanische Kollegen tatkräftige fachliche und finanzielle Unterstützung beim Aufbau des Hypothekenkreditsystems in Russland geleistet haben: So wurde die Ausbildung von russischen Fachkräften im Bereich der Hypothekarkreditvergabe von der USAID (USA International Development) finanziert. Außerdem arbeiteten amerikanische Spezialisten bei der Schaffung gesetzlicher Grundlagen und Ausarbeitung methodologischer Empfehlungen für die Hypothekarkreditvergabe in Russland mit russischen Fachleuten eng zusammen. Als Ergebnis dieser Zusammenarbeit wurde mit dem Beschluss der russischen Regierung (N1010 vom 10.08.1996) im Jahr 1997 in Moskau eine Agentur für Hypothekenkreditvergabe gegründet, die seit 1998 auch noch zwei Filialen in Sankt Petersburg und Nowosibirsk unterhält. Diese Agentur hat zur Aufgabe, „die Vergabe
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ÜBERPRÜFUNG DES BEDARFS EINES BAUSPARSYSTEMS IN RUSSLAND UND DER FÜR DEN AUFBAU NOTWENDIGEN RAHMENBEDINGUNGEN
der Hypothekarkredite an die Bevölkerung zu tätigen und damit einen Beitrag zur Verbesserung der Wohnungssituation zu leisten“. Die ersten zwei Jahre arbeitete diese Agentur mit der amerikanischen Firma „Fannie Mae“ zusammen, die auch das Geld für die Vergabe von Hypothekarkrediten in Russland zur Verfügung stellte. Es erfolgte dabei keine Refinanzierung der Hypothekenkredite. Dieses Programm hatte keinen großen Erfolg, der Umfang der vergebenen Kredite war sehr gering. Als die US-amerikanischen Sponsorengelder in immer stärkerem Maß ausblieben, wurde auf der Regierungsebene nach Wegen gesucht, wie die Tätigkeit der Hypothekaragentur weitergeführt werden kann. Infolgedessen verabschiedete die russische Regierung im Mai 2001 ein Staatsprogramm, dessen Ziel die Verbesserung der Wohnungsverhältnisse in der Russischen Föderation war. Laut Programm musste die Hypothekarkreditvergabe weiterhin über die o. g. Agentur erfolgen, die finanziellen Mittel dafür stellte der russische Staat zur Verfügung. Ende 2002 wurde das Stammkapital der Agentur auf 690 Mio. Rubel erhöht. Die Agentur schloss Vertragsvereinbarungen mit mehr als fünfzig Regionen der Russischen Föderation ab. Derzeit arbeitet die Agentur am Refinanzierungsprozess der Hypothekenkredite. Durch das Föderale Gesetz „Über Hypotheken-Wertpapiere“463, das am 18.11.2003 in Kraft trat, wurde die Emission von sog. HypothekenObligationen ermöglicht.464 Dieses Gesetz soll die Hypothekenkreditvergabe mittels Akkumulation der Finanzmittel privater und institutioneller Investoren fördern.465 Nach diesem Gesetz haben Obligationen eine Laufzeit von 5 oder 10 Jahren und werden in erster Linie durch Kreditverbindlichkeiten gesichert.466 Im April 2003 wurden die ersten, vom Staat garantierten HypothekenObligationen für insgesamt 1,07 Mrd. Rubel (ca. 35 Mio. $) emittiert. Diese Emission macht eine Refinanzierung von ca. 1000 Hypothekenkrediten mit einem Gesamtwert von ca. 30000$ möglich, was allerdings für die Verhältnisse der Russischen Föderation sehr wenig ist. Die Hypothekenkreditvergabe soll nach dem folgenden Schema erfolgen:
463
Das Projekt definiert die Arten der Pfandbriefe, ihre Form und Emissionsordnung, sowie Besonderheiten bei Kauf und Veräußerung. 464 Vgl. dazu auch Serdechnov, A.: Hypothekenkedite, 2003, in: URL, siehe Literaturverzeichnis. 465 Vgl. Föderales Gesetz „Über Hypotheken-Wertpapiere“ vom 18.11.2003. 466 In diesem Fall kann in der Praxis nicht eine hohe Sicherheit, wie z. B. bei den Pfandbriefen in Deutschland erreicht werden. Diese Regelung hängt damit zusammen, dass die Durchführung einer Zwangsversteigerung einer Immobilie momentan auf erhebliche Schwierigkeiten stößt.
ÜBERPRÜFUNG DES BEDARFS EINES BAUSPARSYSTEMS IN RUSSLAND UND DER FÜR DEN AUFBAU NOTWENDIGEN RAHMENBEDINGUNGEN
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Rerierung der RF 1
Föderale Agentur der Hypotekarkreditvergabe
Bauunternehmen
12
2 3
Investoren 4
7 11
8
6 5
Kreditnehmer
9
Bank
10
1. Regierung bürgt für die Wertpapiere der Agentur, 2. Regierung sponsert die Hypothekarkreditvergabe, 3. Die Agentur emittiert Mortgage Bonds, 4. Investoren kaufen Mortgage Bonds, 5. Die Bank vergibt Hypothekarkredite, 6. Die Bank bekommt das Geld für die Hypothekarkreditvergabe von der Agentur, 7. Ein Bauunternehmen verpfändet seine Immobilienobjekte, um einen Baukredit zu bekommen, 8. Der Baukredit wird an Bauunternehmen vergeben, 9. Der Bauherr bekommt einen Hypothekarkredit, 10. Das Bauobjekt wird verpfändet, 11. Das Bauobjekt wird vom Käufer bezahlt, 12. Der Käufer wird zum Eigentümer des Objektes. Abb. 67: Das Föderale Modell der Hypothekarkreditvergabe in Russland467 Die Hypothekenkredite werden zu den folgenden Konditionen vergeben: 467
laut Informationen der Föderalen Agentur der Hypotekarkreditvergabe
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ÜBERPRÜFUNG DES BEDARFS EINES BAUSPARSYSTEMS IN RUSSLAND UND DER FÜR DEN AUFBAU NOTWENDIGEN RAHMENBEDINGUNGEN
1. Die Laufzeit der vergebenen Hypothekarkredite beträgt entweder 5 oder 10 Jahre, was vom Wunsch und von der Zahlungsfähigkeit der Kreditnehmer abhängig ist. 2. Der Zinssatz ist auf 18 % pro Jahr bei monatlicher Tilgung festgesetzt und an den Rubel gebunden. 3. Um einen Kredit zu bekommen, muss zuerst ein Beitrag in Höhe von 30% der Kreditsumme eingezahlt werden. Um die Arbeit dieser Agentur näher kennen zu lernen, wurde im Rahmen dieser Untersuchung ein Expertengespräch mit einem leitenden Mitarbeiter des Hauses durchgeführt.468 Nach seiner Auskunft, interessieren sich viele Bürger für solche Kredite, aber nur wenige davon können die hohen Anforderungen der Agentur erfüllen. Deshalb ging der Hauptanteil solcher Kredite (laut Auskunft der Agentur) an die besserverdienenden Privatpersonen, die in der IT-Branche tätig sind, an Einzelunternehmer, sowie an Führungskräfte mittlerer Ebene ausländischer Unternehmen. Im Folgenden werden die Anforderungen an die Kreditnehmer kurz dargestellt: Das Nettoeinkommen eines Haushaltes muss mehr als 350 Euro betragen. In diesem Fall kann der Bewerber einen Hypothekarkredit maximal in Höhe von 5200 Euro erhalten. Wenn das Einkommen höher ist, kann auch ein größerer Kredit gewährt werden. Bei der Entscheidung über eine Kreditvergabe werden die Entwicklungstendenzen des Einkommens berücksichtigt. Diese werden mit Hilfe der entsprechenden Einkommensnachweise vom Arbeitgeber ermittelt. Die Beurteilung, ob das Einkommen ausreicht und die Berechnung einer möglichen Darlehenshöhe erfolgt auf der Grundlage der folgenden Formeln: 1.
Die monatliche Rate für Kredit/ Monatsnettoeinkommen =