Praxishandbuch Insolvenzstrafrecht [2nd revised edition] 9783110262780, 9783110262766

The handbook integrates criminal insolvency law with the law of criminal procedure and of commercial, corporate, and ban

232 73 10MB

German Pages 1747 [1748] Year 2017

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Vorwort
Inhaltsübersicht
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
1. Kapitel: Informationsbeschaffung
§ 1 Informationsbeschaffung der Staatsanwaltschaft und Gestaltung des Ermittlungsverfahrens (I.–III. 7 und V–IX Bittmann), (III. 8–IV. Trück), (X. 1 Joecks), (X. 2 Schulze)
§ 2 Die Buchhaltung als wesentliche Informationsquelle (Reck)
§ 3 Die Gerichte im Ermittlungsverfahren (Schmidt)
§ 4 Anwaltliche Strategien im Ermittlungsverfahren (Gehrmann/Püschel)
2. Kapitel: Die gesellschaftsrechtlichen Funktionsträger § 5 Die Auslandsgesellschaften (C und M Brand)
§ 6 Die Organe der GmbH (I.–IV. und VII. M Brand), (V. und VI. Meyer)
§ 7 Pflichten zur Vermeidung der Krise (M Brand)
§ 8 Pflichten in der der Krise (M Brand)
§ 9 Eröffnungsverfahren: Auswirkung der Antragstellung und gerichtlicher Maßnahmen bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf die Stellung der Verfahrensbeteiligten (Smid)
§ 10 Auswirkung des eröffneten Insolvenzverfahrens auf die Rechtsstellung und die Rechtspflichten der Beteiligten (Smid)
3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften § 11 Insolvenzverschleppung (Bittmann)
§ 12 Bankrott, §§ 283, 283a StGB und Verletzung der Buchführungspflicht, § 283b StGB (C Brand)
§ 13 Gesetz über die Sicherung der Bauforderungen (Bauforderungssicherungsgesetz – BauFordSiG) (Sperling)
§ 14 Gläubigerbegünstigung, § 283c StGB (C Brand)
§ 15 Betrug, § 263 StGB (Schulze)
§ 16 Untreue, § 266 StGB (Bittmann)
§ 17 Kreditbetrug, § 265b StGB (Schulze)
§ 18 Subventionsbetrug, § 264 StGB (Schulze)
§ 19 Unterschlagung, § 246 StGB (Schulze)
§ 20 Vereitelung der Zwangsvollstreckung, § 288 StGB (Schulze)
§ 21 Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen und Veruntreuen von Arbeitsentgelt, § 266a (Weiß)
§ 22 Compliance (Bock/Brackmann)
§ 23 Schuldnerbegünstigung, § 283d StGB (Sperling)
4. Kapitel: Besondere strafrechtliche Risiken § 24 Rechte und Pflichten des Insolvenzverwalters (I., II. und III. 1.–3. Joecks), (III. 4. und 5. Gerloff)
§ 25 Umfeldaktivitäten des Insolvenzverwalters (Gerloff)
§ 26 Sanierung in der Insolvenz (Gerloff)
§ 27 Insolvenzgeld (Gerloff)
§ 28 Die Banken (C Brand)
§ 29 Der Berater (Trück)
§ 30 Professionelle Unternehmensbestatter (Gerloff)
§ 31 Die Abrechnung des Insolvenzverwalters (Büttner)
5. Kapitel: Besondere Verfahrensfragen § 32 Die Verständigung im Strafverfahren (Meyer)
§ 33 Gewinnabschöpfung und Rückgewinnungshilfe (Goos)
6. Kapitel: Zwischen- und Hauptverfahren § 34 Die Staatsanwaltschaft (Bittmann)
§ 35 Das Gericht (Schmidt)
§ 36 Die Beteiligung der Finanzbehörden (Joecks)
§ 37 Die Verteidigung (Gehrmann/Püschel)
Stichwortverzeichnis
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Praxishandbuch Insolvenzstrafrecht [2nd revised edition]
 9783110262780, 9783110262766

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| I

Folker Bittmann (Hrsg.) Praxishandbuch Insolvenzstrafrecht De Gruyter Praxishandbuch

II |

| III

Folker Bittmann (Hrsg.)

Praxishandbuch Insolvenzstrafrecht | |

2., erweiterte und überarbeitete Auflage

IV |

Herausgeber und Autoren: Leitender Oberstaatsanwalt Folker Bittmann, Dessau-Roßlau Professor Dr. Dennis Bock, Kiel Rechtsanwältin Dr. Susann Brackmann, Hamburg Dr. Christian Brand, Universität Konstanz Rechtsanwalt Dr. Marco Brand, Frankfurt Weiterer Aufsichtsführender Richter Dr. Holger Büttner, Leipzig Rechtsanwalt Dr. Philipp Gehrmann, Berlin Rechtsanwalt Dr. Christian Gerloff, München Oberstaatsanwalt Axel Goos, Kiel Professor Dr. Wolfang Joecks †, Greifswald Oberstaatsanwalt Volker Meyer, Naumburg Rechtsanwalt Christof Püschel, Köln Professor Dr. Reinhard Reck, Steuerberater, Braunschweig Vorsitzender Richter am Landgericht, Eike C. Schmidt, LL.M., Osnabrück Staatsanwalt Frank-Thomas Schulze, Halle Professor Dr. Stefan Smid, Kiel Christian Sperling, Frankfurt Oberstaatsanwalt Dr. Thomas Trück, Tübingen Staatsanwalt Dr. Udo Weiß, Berlin

Zitiervorschläge: Bittmann in Insolvenzstrafrecht § 1 Rn 15 oder Insolvenzstrafrecht/Bittmann/Weiß § …

ISBN 978-3-11-026276-6 e-ISBN (PDF) 978-3-11-026278-0 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-039222-7 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Einbandabbildung: BernardaSv/iStock/thinkstock Datenkonvertierung/Satz: jürgen ullrich typosatz, Nördlingen Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH und Co. KG, Göttingen ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort | V

Vorwort Vorwort Vorwort

2004. Fast 13 Jahre ist das her. Telefone gab es bereits, auch mobile. Aber sie waren nicht wie selbstverständlich mit dem Internet verbunden, ebensowenig wie jeder PC. Aufstrebend war der Laptop. Tablet? Unbekannt. Beschlagnahmt wurden papierne Unterlagen, nicht Daten. Erinnerungen an die analoge Welt – an die Zeit der 1. Auflage. Sie wurde erfreulich positiv aufgenommen. Mein Dank als Herausgeber gilt allen Autor(inn)en, die diesen Erfolg möglich gemacht haben, den Dabeigebliebenen genauso wie den Ausgeschiedenen, aber auch all denen, die auf mein Bitten hin neu hinzugekommen sind und spontan zusagten. Tief traurig und im Mitgefühl für seine Frau und seine Kinder gedenke nicht nur ich des im Sommer völlig überraschend und viel zu jung verstorbenen Prof. Dr. Wolfgang Joecks. Er war ein allseits geschätzter und vielzitierter Mitautor sowie ein jederzeit ansprechbarer Berater. Die von seinem Tod gerissene Lücke wird in der jetzigen Auflage allerdings noch nicht sichtbar, weil er die Manuskripte seiner Beiträge noch selbst vollständig verfasst hat. Die Zeitspanne zwischen beiden Auflagen erforderte die vollständige Überarbeitung des gesamten Werks. Wo die Fortentwicklung nicht genügte, wich der bisherige Text einem völlig neuen. Themen entfallener Paragraphen finden sich integriert in anderen Abschnitten. Neu ist die ausführliche Befassung mit Inlandsgesellschaften ausländischer Rechtsform (§ 5), mit dem Bauforderungssicherungsgesetz (§ 13), mit der Vergütung des Insolvenzverwalters (§ 31) und aus dem Compliance-Blickwinkel (§ 22). Überraschend und eher zufällig konnte die Zählung dennoch weitgehend beibehalten werden. Trotz der zahlreichen inhaltlichen und personellen Änderungen hat das Buch seinen Charakter beibehalten. Die fachübergreifende Befassung mit einem Generalthema, wissenschaftlich und doch praxisbezogen, zur Zeit der Erstauflage innovativ, heute verbreitet, ermöglicht ein tiefes Eindringen in die Probleme, vermeidet den Tunnelblick und erleichtert die Diskussion sowohl zwischen Theorie und Praxis als auch zwischen den verschiedenen Berufsgruppen. Erst das konsequente Zuspitzen aus verschiedenen Blickwinkeln mit durchaus zuweilen völlig entgegengesetzten Interessen ermöglicht nicht selten das Finden einer konsensfähigen Lösung. Sie ist manchmal überraschend einfach – wird allerdings von den immer detailreicheren rechtlichen Vorgaben eher erschwert. Das nährt die Vermutung bestehenden Optimierungsbedarfs im Hinblick auf den Kontakt zwischen den Produzenten der Vorschriften und denen, die sie anwenden müssen, sei es in den Unternehmen, sei es in der Justiz. Die Hoffnung, dass auch die 2. Auflage dazu beitragen möge, der Praxis die Orientierung im beruflichen Alltag zu erleichtern, verbinde ich mit der Bitte, Kritik, Vorschläge oder Anregungen an den Autorenkreis heranzutragen und mir unter folker.bittmann@ web.de zu übermitteln. Dessau-Roßlau, Februar 2017

Folker Bittmann Herausgeber

VI | Vorwort

Inhaltsübersicht | VII

Inhaltsübersicht Inhaltsübersicht Inhaltsübersicht

Vorwort | V Abkürzungsverzeichnis | XLV Literaturverzeichnis | XLIX

1. Kapitel: Informationsbeschaffung §1

§2 §3 §4

Informationsbeschaffung der Staatsanwaltschaft und Gestaltung des Ermittlungsverfahrens (I.–III. 7 und V–IX Bittmann), (III. 8–IV. Trück), (X. 1 Joecks), (X. 2 Schulze) | 1 Die Buchhaltung als wesentliche Informationsquelle (Reck) | 166 Die Gerichte im Ermittlungsverfahren (Schmidt) | 198 Anwaltliche Strategien im Ermittlungsverfahren (Gehrmann/Püschel) | 216

2. Kapitel: Die gesellschaftsrechtlichen Funktionsträger Die Auslandsgesellschaften (C und M Brand) | 253 Die Organe der GmbH (I.–IV. und VII. M Brand), (V. und VI. Meyer) | 295 Pflichten zur Vermeidung der Krise (M Brand) | 370 Pflichten in der der Krise (M Brand) | 403 Eröffnungsverfahren: Auswirkung der Antragstellung und gerichtlicher Maßnahmen bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf die Stellung der Verfahrensbeteiligten (Smid) | 433 § 10 Auswirkung des eröffneten Insolvenzverfahrens auf die Rechtsstellung und die Rechtspflichten der Beteiligten (Smid) | 456

§5 §6 §7 §8 §9

3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften § 11 Insolvenzverschleppung (Bittmann) | 511 § 12 Bankrott, §§ 283, 283a StGB und Verletzung der Buchführungspflicht, § 283b StGB (C Brand) | 584 § 13 Gesetz über die Sicherung der Bauforderungen (Bauforderungssicherungsgesetz – BauFordSiG) (Sperling) | 795 § 14 Gläubigerbegünstigung, § 283c StGB (C Brand) | 826 § 15 Betrug, § 263 StGB (Schulze) | 854 § 16 Untreue, § 266 StGB (Bittmann) | 880 § 17 Kreditbetrug, § 265b StGB (Schulze) | 961 § 18 Subventionsbetrug, § 264 StGB (Schulze) | 965 § 19 Unterschlagung, § 246 StGB (Schulze) | 971 § 20 Vereitelung der Zwangsvollstreckung, § 288 StGB (Schulze) | 976 § 21 Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen und Veruntreuen von Arbeitsentgelt, § 266a (Weiß) | 980 § 22 Compliance (Bock/Brackmann) | 1054 § 23 Schuldnerbegünstigung, § 283d StGB (Sperling) | 1089

VIII | Inhaltsübersicht

4. Kapitel: Besondere strafrechtliche Risiken § 24 Rechte und Pflichten des Insolvenzverwalters (I., II. und III. 1.–3. Joecks), (III. 4. und 5. Gerloff) | 1105 § 25 Umfeldaktivitäten des Insolvenzverwalters (Gerloff) | 1121 § 26 Sanierung in der Insolvenz (Gerloff) | 1144 § 27 Insolvenzgeld (Gerloff) | 1171 § 28 Die Banken (C Brand) | 1187 § 29 Der Berater (Trück) | 1275 § 30 Professionelle Unternehmensbestatter (Gerloff) | 1313 § 31 Die Abrechnung des Insolvenzverwalters (Büttner) | 1339

5. Kapitel: Besondere Verfahrensfragen § 32 Die Verständigung im Strafverfahren (Meyer) | 1423 § 33 Gewinnabschöpfung und Rückgewinnungshilfe (Goos) | 1509

6. Kapitel: Zwischen- und Hauptverfahren § 34 § 35 § 36 § 37

Die Staatsanwaltschaft (Bittmann) | 1543 Das Gericht (Schmidt) | 1551 Die Beteiligung der Finanzbehörden (Joecks) | 1565 Die Verteidigung (Gehrmann/Püschel) | 1570

Stichwortverzeichnis | 1633

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Inhaltsverzeichnis | IX

Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis

Vorwort | V Abkürzungsverzeichnis | XLV Literaturverzeichnis | XLIX

1. Kapitel: Informationsbeschaffung § 1 Informationsbeschaffung der Staatsanwaltschaft und Gestaltung des Ermittlungsverfahrens I. Beginn eines Ermittlungsverfahrens | 1 1. Strafanzeigen | 1 2. Andere Informationsquellen | 3 3. Mitteilungen in Zivilsachen (MiZi) | 3 4. Die von § 97 Abs 1 S 3 InsO gesetzten Grenzen | 6 II. Aufnahme der Ermittlungen | 15 1. Ablehnung der Aufnahme von Ermittlungen | 15 2. Frühzeitige Einstellung nach dem Opportunitätsprinzip | 16 a) §§ 153 Abs 1 und 153a Abs 1 StPO | 16 b) Beschränkung des Verfahrensstoffs, §§ 154, 154a StPO | 17 3. Planung der Ermittlungen | 17 a) Aktenaufbau | 18 b) Akteneinsichtsgesuche | 22 c) Handakten | 23 d) Zusammenarbeit Staatsanwaltschaft/Polizei | 23 III. Allgemeine Informationsquellen | 25 1. Gesetzliche Kranken- und Ersatzkassen (als Einzugsstellen) | 26 2. Insolvenzgericht | 26 3. Gerichtsvollzieher | 27 4. Schuldnerverzeichnis | 27 5. Handelsregister | 27 6. Gewerberegister | 28 7. Arbeitsamt | 28 8. Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute | 28 a) Verfahrensrelevante Beweismittel | 28 b) Praxisrelevante Arten der Beweiserhebung | 31 IV. Durchsuchung und Beschlagnahme | 33 1. Allgemeines | 33 2. Praktische Grundlagen | 35 a) Inhaltliche Vorbereitung | 35 b) Einsatzplanung | 37 aa) Einsatzort | 37 bb) Einsatzzeitpunkt | 38 cc) Am Einsatz beteiligte Personen | 39 dd) Einsatzbesprechung | 42 ee) Informationspflichten und Pressearbeit | 43 c) Einsatzgestaltung | 44 aa) Ablauf | 44 bb) Asservate | 48 3. Rechtliche Grundlagen | 49 a) Ermittlungsrichter | 49 b) Sicherstellung und Beschlagnahme (§ 94 StPO) | 52

X | Inhaltsverzeichnis

V.

VI.

VII.

aa) Allgemeines | 52 bb) Auskunftsersuchen und Herausgabeverlangen | 55 cc) Anordnungsbefugnis und -inhalt | 58 dd) Beschlagnahme und Arrest zur Sicherung von Verfall und Einziehung | 63 c) Beschlagnahmeverbote, § 97 StPO | 63 aa) Allgemeines | 63 bb) Verhältnis zu §§ 111b ff StPO | 66 cc) Praktisch bedeutsame Fallkonstellationen | 66 (1) Geschäftsunterlagen | 66 (2) Notarielle Urkunden | 69 (3) Verteidigungsunterlagen | 71 (4) Anderkonten | 73 (5) Ermittlungen gegen Organe juristischer Personen | 74 dd) Wegfall der Beschlagnahmefreiheit | 75 (1) Entbindung von der Schweigepflicht | 75 (a) Grundlagen | 75 (b) Personengesellschaften | 76 (c) Juristische Personen | 77 (2) Verzicht und Ausnahmen | 82 ee) § 160a StPO | 84 (1) Grundlagen | 84 (2) Praktisch bedeutsame Fallkonstellationen zur Beschlagnahmefähigkeit | 86 (3) Dokumentation der Prognoseentscheidung | 89 (4) Verwendungs- und Verwertungsverbote | 90 d) Durchsuchung | 92 aa) Allgemeines | 92 bb) Betroffene und Objekte der Durchsuchung | 95 (1) Durchsuchung beim Verdächtigen gem § 102 StPO | 95 (2) Durchsuchungen bei Nichtverdächtigen nach § 103 StPO | 98 (3) Durchsuchung bei Kapital- und Personengesellschaften | 98 cc) Durchsuchungen und Zeugnisverweigerungsrechte, §§ 53, 97, 160a StPO | 99 dd) Durchsuchungen zur Nachtzeit | 101 ee) Anordnungsbefugnisse und -inhalt | 102 (1) Richterliche Anordnung | 102 (2) Eilanordnung durch Ermittlungsbehörden | 105 ff) Vollstreckung der Durchsuchungsanordnung | 109 gg) Zufallsfunde | 111 hh) Durchsicht von Papieren | 113 ii) Rechtsfolgen bei Gesetzesverstößen | 117 e) Rechtsschutz | 121 aa) Allgemeines | 121 bb) Antrag auf gerichtliche Entscheidung | 122 cc) Beschwerde | 124 dd) Verfassungsbeschwerde | 124 Zusammenarbeit Staatsanwaltschaft/Insolvenzverwalter | 124 1. Aufgaben des Insolvenzverwalters | 124 2. Einschaltung der Staatsanwaltschaft aus der Sicht des Insolvenzverwalters | 126 3. Insbesondere: Rückgewinnungshilfe | 128 4. Strafprozessuale Pflichtenstellung des Insolvenzverwalters | 130 Der Wirtschaftssachverständige | 132 1. Allgemeines | 132 2. Interne Wirtschaftsprüfgruppe, Rechtsstellung des Gutachters, Rechtsfolgen | 133 3. Externe Gutachter | 142 Der Zeuge | 142

Inhaltsverzeichnis | XI

VIII. Der Beschuldigte | 144 1. Allgemeines | 144 2. Vernehmung | 145 3. Der Verteidiger | 147 4. Inhaftierung des Beschuldigten | 149 IX. Akteneinsicht an Dritte | 150 X. Informationsbeschaffung bei anderen Behörden | 152 1. Steuerbehörden | 152 a) Reichweite des Steuergeheimnisses | 153 aa) „Verhältnisse“ | 153 bb) „Eines anderen“ | 153 b) Durchbrechung des Steuergeheimnisses | 155 aa) Durchführung eines Steuerstrafverfahrens | 156 bb) Durchführung eines Strafverfahrens, das sich nicht auf Steuerstraftaten bezieht | 156 (1) Gesetzliche Regelung | 156 (2) Zustimmung des Betroffenen | 157 (3) § 30 Abs 4 Nr 4 AO | 157 (4) § 30 Abs 4 Nr 5 AO | 158 cc) Grenzen der Verwertbarkeit | 161 c) Gesamtergebnis | 161 2. Arbeits- und Zollverwaltung | 162 a) Allgemeine Regelungen des Sozialdatenschutzes | 162 b) Regelungen des Gesetzes zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung (SchwarzArbG) | 163 aa) Allgemeines | 163 bb) Befugnisse der Zollverwaltung | 164 § 2 Die Buchhaltung als wesentliche Informationsquelle I. Informationsquelle betriebliches Rechnungswesen | 166 1. Die Buchführung als Teil des betrieblichen Rechnungswesens | 166 2. Die zwei Arten der Buchführungspflicht | 167 3. Handelsrechtliche Buchführungspflicht | 168 a) Allgemeine Bedingungen | 168 b) Der Kaufmannsbegriff als zentraler Bestandteil | 168 c) Besonderheiten der Kapitalgesellschaften | 170 d) Aufstellungspflichten | 172 e) Aufbewahrungspflichten | 173 f) Inventar und Inventur | 174 g) Grundsätze Ordnungsgemäßer Buchführung | 175 aa) Allgemein Grundsätze | 175 bb) Speziellere Grundsätze | 176 cc) Die grundlegenden, ergänzenden Ansatz- und Bewertungsvorschriften | 178 dd) Grundsätze der Zugangs- und Folgebewertung | 179 ee) Bewertungsmaßstäbe | 180 h) Die steuerliche Buchführungspflicht | 180 i) Exkurs latente Steuer | 182 II. Vom Buchungssatz zur Bilanz und GuV, Anhang und Lagebericht | 183 1. Überblick | 183 2. Die Bilanz | 185 3. Gewinn- und Verlustrechnung | 186 4. Der Anhang | 187 5. Lagebericht | 187

XII | Inhaltsverzeichnis

III.

IV.

Auswertungen und Informationsgehalt | 187 1. Der Kontenrahmen | 187 2. Die Hierarchie der Daten | 189 3. Primanota | 190 4. Der Kontoauszug | 191 5. Die Summen- und Saldenliste | 192 6. BWA und Zusatzauswertungen | 196 7. Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung | 196 Fundstellen für die Indizien der kriminalistischen Analyse der Insolvenz | 197

§ 3 Die Gerichte im Ermittlungsverfahren I. Die Aufgabenverteilung im Ermittlungsverfahren | 198 II. Der Ermittlungsrichter | 200 III. Die Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Ermittlungsrichters | 203 IV. Die Besonderheiten des Haftrechts | 204 1. Die Zuständigkeit des Gerichts | 204 2. Der Haftbefehl | 204 a) Die Voraussetzungen | 204 aa) Der dringende Tatverdacht: | 205 bb) Die Haftgründe | 205 cc) Verhältnismäßigkeit und Außervollzugsetzung | 208 dd) Die Aufhebung des Haftbefehls | 209 b) Der Rechtsschutz | 209 aa) Die Beschwerde | 210 bb) Die Haftprüfung | 210 cc) Die besondere Haftprüfung durch das Oberlandesgericht | 211 § 4 Anwaltliche Strategien im Ermittlungsverfahren I. Einleitung | 216 II. Vor dem Ermittlungsverfahren | 217 1. Vorfeldberatung | 217 a) Feststellung der Krise und Beratung über Handlungspflichten | 217 b) Asset Protection | 218 c) Eigenes Risiko des Beraters | 219 2. Insolvenzstrafrechtliche Risiken in Folge eines bereits anhängigen Ermittlungsverfahrens | 219 3. Strafanzeige | 220 III. Das Ermittlungsverfahren | 221 1. Umgang mit dem Mandanten | 222 2. Erste Schritte | 224 3. Auskunfts- und Mitwirkungspflichten im Insolvenzverfahren und das Insolvenzgeheimnis | 226 4. Durchsuchung und Beschlagnahme | 228 a) Durchsuchung des Beschuldigten gem § 102 StPO | 230 b) Durchsuchung des Dritten gem § 103 StPO | 233 c) Rechtsschutz | 235 5. Vermögensabschöpfung | 236 6. Untersuchungshaft | 239 7. Informationsgewinnung | 242 a) Akteneinsichtsrecht des Beschuldigten | 242 b) Akteneinsichtsrecht Dritter | 243 8. Andere Verfahrensbeteiligte | 244 a) Zeugen | 244

Inhaltsverzeichnis | XIII

b) Verletzter | 245 c) Wirtschaftsreferent | 245 9. Rechtliches Gehör | 246 a) Verteidigungsschriftsatz | 247 b) Beschuldigtenvernehmung | 247 10. Abschluss des Ermittlungsverfahrens | 248 11. Nebenfolgen | 249 12. Umgang mit der Presse | 250

2. Kapitel: Die gesellschaftsrechtlichen Funktionsträger § 5 Die Auslandsgesellschaften I. Einführung | 253 II. Grundzüge des internationalen Gesellschaftsrechts | 254 1. Einleitung | 254 2. Gesellschaftskollisionsrecht innerhalb der Europäischen Union | 255 a) Zuzug von Gesellschaften | 256 b) Wegzug von Gesellschaften | 258 3. Gesellschaftskollisionsrecht bei Beteiligung von Drittstaaten | 259 a) Drittstaaten, mit denen kein bilaterales Abkommen besteht | 259 b) Drittstaaten, mit denen bilaterale Abkommen bestehen | 260 4. Umfang des Gesellschaftsstatuts | 260 III. Vereinbarkeit einer Bestrafung des director mit dem Gemeinschaftsrecht | 261 IV. Untreue zum Nachteil einer Ltd | 263 1. Die Ltd als „andere“ iSd § 266 Abs 1 StGB | 263 2. Taugliche Täter einer Untreue zum Nachteil der Ltd | 265 3. Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht | 268 a) Das Bestimmtheitsgebot als Sperre für die Heranziehung englischen Gesellschaftsrechts? | 269 b) Verstoß gegen den Parlamentsvorbehalt bei der Heranziehung englischen Gesellschaftsrechts? | 271 c) Auswahl einiger untreuerelevanter Verstöße gegen den Companies Act 2006 | 273 d) Tatbestandsausschließendes Einverständnis | 276 aa) Existenzvernichtungsverbot und § 30 Abs 1 S 1 GmbHG als Schranken des Gesellschaftereinverständnisses in der Ltd? | 277 bb) Beschränkungen des Gesellschaftereinverständnisses auf der Grundlage des Companies Act 2006? | 279 4. Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip | 280 V. Bankrott (§ 283 StGB) und Verletzung der Buchführungspflicht (§ 283b StGB) in der Ltd | 281 1. Der director als Adressat des § 14 StGB | 281 2. Die Krisentatbestände des § 283 StGB | 283 3. Die Tathandlungen des § 283 Abs 1 Nrn 1–8 StGB | 284 a) Die Auslegung der Nrn 1–4, 8 | 284 b) Die Auslegung der Nrn 5–7 | 285 aa) Die von den §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b Abs 1 StGB in Bezug genommenen Buch- und Bilanzführungspflichten | 285 bb) Bestrafung englischer Bilanz- und Buchführungsverstöße gem §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b Abs 1 StGB? | 287 VI. Die Insolvenzverschleppung (§ 15a Abs 4, 5 InsO) | 289 VII. Die Beitragsvorenthaltung (§ 266a Abs 1 StGB) | 293

XIV | Inhaltsverzeichnis

§ 6 Die Organe der GmbH I. Einführung | 295 II. Die Geschäftsführer | 297 1. Bestellung, Anstellung und Abberufung | 297 a) Organschaftliche Bestellung | 297 b) Schuldrechtliches Anstellungsverhältnis | 299 c) Beendigung des Geschäftsführerverhältnisses | 300 2. Stellung, Aufgaben und Pflichten der Geschäftsführer | 301 a) Geschäftsführung | 301 aa) Grundsatz | 301 bb) Weisungsgebundenheit | 303 cc) Einberufungs- und Informationspflichten der Geschäftsführer | 305 (1) Einberufungspflichten | 305 (2) Informationspflichten | 308 dd) Loyalitäts- und Treuepflichten | 309 ee) Arbeitgeberpflichten | 310 ff) Rechnungslegungspflichten | 311 gg) Risikoüberwachung | 311 hh) Delegation von Geschäftsführungsaufgaben an Dritte | 311 b) Vertretung der Gesellschaft | 312 c) Mehrere Geschäftsführer | 313 aa) Grundsatz der Gesamtgeschäftsführung | 313 bb) Abweichende Regelungen | 313 cc) Mitwirkung eines Geschäftsführers an rechtswidrigem Geschäftsführungsbeschluss | 315 dd) Grundsatz der Gesamtvertretung | 316 3. Schadensersatz nach § 43 Abs 2 GmbHG | 317 a) Pflichtverletzung, Sorgfaltsmaßstab und Business Judgement Rule | 317 b) Keine Pflichtverletzung bei Vorliegen einer verbindlichen Weisung oder eines Einverständnisses | 319 aa) Einleitung | 319 bb) Weisungsbefugte Organe und Organwalter | 320 cc) Unverbindliche Weisungen | 320 (1) Grundsatz | 320 (2) Unverbindliche Weisungsbeschlüsse der Gesellschafterversammlung | 321 dd) Anfechtbare Beschlüsse | 323 ee) Haftungsrisiken des Geschäftsführers bei der Ausführung von Beschlüssen | 324 III. Die Gesellschafter und die Gesellschafterversammlung | 325 1. Befugnisse und deren Ausübung | 325 a) Befugnisse nach dem GmbHG | 325 b) Ausübung der Kompetenzen | 327 aa) Gesetzlich vorgesehenes Verfahren | 327 bb) Abweichende Vereinbarungen im Gesellschaftsvertrag | 328 2. Die Rechte des einzelnen Mitglieds | 328 a) Fehlende Organstellung | 328 b) Teilnahme- und Stimmrechte | 329 c) Loyalitäts- und Treuepflichten | 330 IV. Aufsichtsrat und Beirat | 331 1. Aufsichtsrat | 331 2. Beirat | 332 V. Faktische Organe, insbesondere der faktische Geschäftsführer | 333

Inhaltsverzeichnis | XV

Ausgangslage | 333 Organ- und Vertreterhaftung nach § 14 StGB (§ 9 OWiG) | 334 a) Überblick | 334 b) Begriff des Vertreters | 335 c) Unwirksamkeit der Rechtshandlung | 335 3. Haftung nach den Grundsätzen der faktischen Geschäftsführung | 336 a) Überblick | 336 b) Voraussetzungen der faktischen Geschäftsführung | 337 aa) Tatsächliche Geschäftsleitung | 338 bb) Einverständnis der Gesellschafter | 343 cc) Tatsächliche Verfügungsmacht | 344 c) Strafrechtliche Haftung des faktisch Handelnden | 344 d) Strafrechtliche Haftung eines faktisch handelnden Gesellschafters | 348 e) Vertreter einer Bank als faktischer Geschäftsführer | 348 f) Konzernvertreter als faktischer Geschäftsführer | 349 g) Faktische Geschäftsführung in der Unternehmensabwicklung | 350 h) Pflichtenstellung des faktischen Geschäftsführers | 351 aa) Einzelne Pflichten | 351 bb) Beantragung des Insolvenzverfahrens | 353 cc) Strafbarkeit wegen Betruges | 354 dd) Strafbarkeit wegen Untreue | 354 i) Subjektive Voraussetzungen einer Strafbarkeit | 356 4. Urteilsgründe | 357 a) Die Darstellung von Tatsachen | 357 b) Die konkrete Form der Täterschaft | 358 Der Strohmann | 358 1. Allgemeines | 358 2. Faktisches Vorkommen | 358 a) Handeln als Strohmann für eine natürliche Person | 358 b) Der Strohmann als Geschäftsführer einer GmbH | 359 3. Strafbarkeit des „Strohmann-“Geschäftsführers | 360 4. Insolvenzverschleppung | 361 5. Bankrott | 362 a) Insolvenz einer natürlichen Person als Hintermann | 362 b) Insolvenz des Strohmannes | 362 6. Vorenthalten von Arbeitsentgelt | 363 a) Verdeckte Stellvertretung | 363 aa) Strafbarkeit des Strohmannes | 363 bb) Strafbarkeit des Hintermannes | 364 b) Offene Stellvertretung | 364 c) Geschäftsführer als Strohmann | 364 7. Untreue | 364 8. § 130 OWiG | 365 9. Täterschaft und Teilnahme | 366 10. Garantenstellung, § 13 StGB | 366 11. Strafzumessung | 366 Die Liquidatoren | 367 1. 2.

VI.

VII.

§ 7 Pflichten zur Vermeidung der Krise I. Einführung | 370 II. Der Geschäftsführer | 371 1. Auszahlungsverbot nach § 30 Abs 1 GmbHG | 371 a) Tatbestand | 372 b) Auszahlung | 373

XVI | Inhaltsverzeichnis

An einen Gesellschafter | 375 Schmälerung des Gesellschaftsvermögens | 376 Praxisrelevante Fallgestaltungen | 378 aa) Verdeckte Gewinnausschüttung | 378 bb) Darlehensgewährung an Gesellschafter | 379 cc) Kreditsicherheiten | 383 dd) Zahlungen aus dem Vermögen einer GmbH & Co KG an Kommanditisten | 385 f) Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen § 30 Abs 1 GmbHG für den Geschäftsführer | 386 2. Auszahlungsverbot nach § 64 S 3 GmbHG | 386 a) Übersicht und Verhältnis zu § 64 S 1 GmbHG | 386 b) Dogmatik und Normzweck | 388 c) Tatbestand | 389 d) Praxisrelevante Fallgestaltungen | 391 aa) Darlehen an Gesellschafter | 391 bb) Kreditsicherheiten | 391 e) Rechtsfolgen | 393 3. Verbot der Kreditgewährung an Geschäftsführer nach § 43a GmbHG | 395 4. Verbot der Weggabe von Gesellschaftsvermögen bei Existenzgefährdung | 396 Die Gesellschafter | 396 1. Pflichten zum Zweck der Kapitalerhaltung | 396 a) Haftung nach § 31 GmbHG bei Unterbilanz | 396 b) Grundsätzlich keine weitergehende Schadensersatzhaftung | 397 2. Pflichten zum Schutz des Gesellschaftsvermögens | 398 a) Verbot existenzvernichtender Eingriffe | 398 aa) Dogmengeschichte | 398 bb) Aktuelle BGH-Rechtsprechung | 400 cc) Gesellschaftsrechtliche Treuepflichten als dogmatisches Fundament der Existenzvernichtungshaftung | 402 b) Haftung wegen materieller Unterkapitalisierung | 402 c) d) e)

III.

§ 8 Pflichten in der Krise I. Einführung | 403 II. Insolvenzeröffnungsgründe | 404 1. Grundlagen | 404 2. Zahlungsunfähigkeit | 405 a) Einleitung | 405 b) Voraussetzungen der Zahlungsunfähigkeit | 405 c) Feststellung der Zahlungsunfähigkeit | 406 aa) Zahlungseinstellung | 406 bb) Liquiditätsbilanz | 407 3. Drohende Zahlungsunfähigkeit | 408 4. Überschuldung | 410 a) Einführung | 410 b) Der zweistufige Überschuldungsbegriff | 410 c) Der modifizierte zweistufige Überschuldungsbegriff | 411 d) Die Fortführungsprognose | 411 e) Die Überschuldungsbilanz | 413 aa) Aktivseite | 414 bb) Passivseite | 415 III. Der Geschäftsführer | 416 1. Zahlungsverbot gem §§ 64 S 1 GmbHG, 92 Abs 2 S 1 AktG | 416 a) Übersicht | 416 b) Tatbestand | 416

Inhaltsverzeichnis | XVII

IV.

V.

aa) Zahlung | 416 bb) Eröffnung des Insolvenzverfahrens | 419 cc) Verschulden | 419 dd) § 64 S 4 iVm § 43 Abs 3 S 3 GmbHG | 421 c) Rechtsfolge | 421 2. Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO | 422 3. Sanierungspflicht | 423 4. Informationspflicht des Geschäftsführers gegenüber Gesellschaftsgläubigern | 424 Die Gesellschafter | 425 1. Gesellschafterdarlehen | 425 a) Einleitung | 425 b) Gesellschafterdarlehen vor dem MoMiG | 425 c) Gesellschafterdarlehen nach neuem Recht | 426 aa) Überblick | 426 bb) Behandlung von Gesellschafterdarlehen in der Insolvenz | 427 cc) Anforderungen an Gesellschafterdarlehen und ihnen gleichgestellte Forderungen | 428 dd) Kreditsicherheiten | 431 2. Pflichten zum Schutz des Gesellschaftsvermögens | 431 3. Zahlungsverbot gem §§ 64 S 1 GmbHG, 92 Abs 2 S 1 AktG | 431 4. Loyalitäts- und Treuepflichten | 431 Der Aufsichtsrat | 432

§ 9 Eröffnungsverfahren: Auswirkung der Antragstellung und gerichtlicher Maßnahmen bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf die Stellung der Verfahrensbeteiligten I. Einleitung des Insolvenzverfahrens iwS | 433 1. Der Insolvenzantrag und seine Bearbeitung durch das Insolvenzgericht | 433 a) Antragsprinzip | 433 b) Antragsbefugnis und Anforderungen an den Antrag | 433 aa) Eigenantrag des Schuldners | 433 bb) Fremdantrag des Gläubigers | 435 c) Glaubhaftmachung | 437 d) Nachlasspfleger | 438 e) Antragsrücknahme | 438 f) Zulässiger Neuantrag nach Freigabe | 438 2. Aufgaben des Insolvenzgerichts bei der Entscheidung über die Verfahrenseröffnung | 439 a) Charakter des Insolvenzverfahrens als Eilverfahren | 439 b) Amtsermittlungsgrundsatz | 439 II. Antragspflichten des Schuldners bzw der gesellschaftsrechtlichen Organe schuldnerischer Gesellschaften | 441 1. Keine allgemeine gesetzliche Antragspflicht | 441 2. Insolvenzrechtliche Antragspflichten | 441 III. Eröffnungsgründe | 442 1. Funktion | 442 a) Scheitern der privatautonomen Steuerung der Vermögensverhältnisse des Schuldners | 442 b) Numerus clausus der Eröffnungsgründe | 442 2. Überschuldung | 443 3. Zahlungsunfähigkeit | 443 4. Drohende Zahlungsunfähigkeit | 444 IV. Auswirkung insolvenzgerichtlicher vorläufiger Anordnungen bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf die Stellung der Verfahrensbeteiligten | 445

XVIII | Inhaltsverzeichnis

1.

2.

Gesetzliche Regelung der §§ 21 f InsO | 446 a) Schutz der Vermögenslage des Schuldners: Insolvenzgerichtliche Maßregeln vor Erlass des Eröffnungsbeschlusses | 446 aa) Aufgabe einstweiliger Maßnahmen | 446 bb) Gesetzliche Regelbeispiele insolvenzgerichtlicher vorläufiger Anordnungen | 446 cc) Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in die Rechtsstellung des Schuldners | 447 b) Wirkungsweise des Verfügungsverbots gem. § 21 Abs 2 Nr 2, § 24 InsO | 447 Auswirkungen der vorläufigen Anordnung auf Rechte und Pflichten von Schuldner und vorläufigem Verwalter | 448 a) Inbesitznahme der (künftigen) Masse durch den vorläufigen Verwalter | 448 b) Durch den vorläufigen Verwalter begründete Masseverbindlichkeiten | 448 aa) § 55 Abs 2 InsO | 448 bb) Arbeitsrechtliche Fragen | 448 c) Vertrauensschutz der Vertragspartner des Schuldners | 449 d) Zivilrechtliche Haftung für Verpflichtungen aus Rechtshandlungen während des Eröffnungsverfahrens | 452 aa) Haftung des Schuldners | 452 bb) Persönliche Haftung des vorläufigen Verwalters | 452 e) Vorläufige Insolvenzverwaltung und gegenseitige beiderseits nicht erfüllte Verträge | 453 f) Geschützte Beteiligte | 454 aa) Dritte | 454 bb) Schuldner | 454 cc) Sicherheitengläubiger | 454

§ 10 Auswirkung des eröffneten Insolvenzverfahrens auf die Rechtsstellung und die Rechtspflichten der Beteiligten I. Die Funktion des Insolvenzverfahrens | 456 1. Gesetzliche Bestimmung des § 1 InsO | 456 a) Haftungsverwirklichung par conditio creditorum | 456 b) Beschlagnahme des pfändbaren Vermögens des Insolvenzsschuldners | 457 c) Sanierung und Restschuldbefreiung | 462 2. Aufgabe einer legislatorischen „Zweckbestimmung“ für das Insolvenzverfahren | 464 a) § 1 InsO als Programmsatz | 464 b) Verfahrenszwecke als Auslegungsmaßstab bei der Beurteilung der Pflichtmäßigkeit des Handelns der Beteiligten | 464 c) „Konkurszweckwidrigkeit“ | 465 II. „Einheitlichkeit“ des Insolvenzverfahrens | 465 1. „Normalfall“ des Insolvenzverfahrens | 465 2. Das Insolvenzplanverfahren | 466 a) Sanierungsverfahren unter dem Dach des „einheitlichen“ Insolvenzverfahrens | 466 b) Sanierung durch den Schuldner | 468 III. Beteiligte des Insolvenzverfahrens | 468 1. Insolvenzfähigkeit des Schuldners | 468 a) Insolvenzverfahrensfähigkeit des Schuldners | 468 b) Insolvenzverfahrensfähigkeit prozessunfähiger oder teilrechtsfähiger Schuldner | 469 c) Insolvenzfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts | 470 2. Der Schuldner als Verfahrensbeteiligter im einheitlichen Insolvenzverfahren | 470 a) Im liquidierenden Verfahren | 470 aa) Entmachtung des Schuldners als Regelfall | 470 bb) Erklärungs- und Auskunftspflichten des Schuldners | 470 cc) Wirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf berufliche Schweigepflichten des Schuldners | 471 b) Im Sanierungsverfahren | 471

Inhaltsverzeichnis | XIX

c)

IV.

Unterwerfung unter Verfahrensdiktate; Wirkungen der Verfahrenseröffnung auf den Status des Schuldners | 472 d) Anwaltliche Vertretung des Schuldners im Insolvenzverfahren | 473 3. Vermeidung des Verlusts der Einflussnahme auf die Verfahrensgestaltung und -abwicklung durch Beantragung der Eigenverwaltung gem §§ 270 ff InsO – Übersicht | 474 a) Voraussetzungen der Anordnung der Eigenverwaltung | 474 Legislatorische Entscheidung gegen und systematische Bedeutung eines Junktims von Eigenverwaltung und Insolvenzplan | 474 1. Die Entscheidung des historischen Gesetzgebers 1994/1999 | 474 2. Einführung eines Junktims von Vorlage eines Insolvenzplans und Anordnung der Eigenverwaltung durch das ESUG | 475 3. Nachteiligkeit der Eigenverwaltung bei Nichtzulassung des vom Schuldner vorgelegten Insolvenzplans | 475 4. Pre-packaged-Plan | 476 5. Bericht an die Gläubigerversammlung als apokryphe Form des Insolvenzplans | 476 a) Alternativen zur Vorlage eines Insolvenzplans | 476 b) Bestellung eines Sachwalters | 477 c) Bestellung eines vorläufigen Sachwalters im Eröffnungsverfahren | 477 d) Hinweispflichten des Insolvenzgerichts gegenüber dem antragstellenden Schuldner | 477 e) Schutzschirmverfahren | 477 6. Bescheinigung | 477 a) Anforderungen an die fachliche Qualifikation des „Bescheinigers“ | 477 b) Anforderungen an die Unabhängigkeit des „Bescheinigers“ | 478 c) Ermächtigung des eigenverwaltenden Schuldners zur Begründung von Masseverbindlichkeiten im Schutzschirmverfahren | 478 7. Tatbestandsvoraussetzungen des § 270 Abs 2 Nr 2 InsO | 478 a) Regelungsgehalt der Vorschrift | 478 b) Judikatur des AG Hamburg | 479 8. Haftung des Beraters des eigenverwaltenden Schuldners | 479 a) Vertragliche Haftung: Pflichtverletzung, § 280 Abs 1 BGB | 479 b) Deliktische Haftung | 480 c) Schaden | 480 9. Prozessführungsbefugnis | 481 a) Im Folgeinsolvenzverfahren | 481 b) Im laufenden „Eigenverwaltungsverfahren“ | 481 10. Die Gläubiger | 482 a) Insolvenzgläubiger | 482 b) Absonderungsberechtigte Gläubiger | 482 c) Aussonderungsberechtigte Gläubiger | 484 11. Gläubigerpools | 484 a) Formen der Bündelung von Aus- und absonderungsberechtigten Gläubigern in Gläubigerpools | 484 b) Konsortialpools | 485 aa) Funktion | 485 bb) Judikatur des BGH | 486 cc) Anfechtung und Unwirksamkeit von Verfügungen gem. § 91 Abs 1 InsO | 486 dd) Konsequenzen | 487 c) Lieferantenpools | 487 aa) Sachenrechtliche Probleme | 487 bb) Verfahrensrechtliche Stellung eines Lieferantenpools | 487 cc) Rechtsformen eines Pools | 488 dd) Insolvenzrechtliche Grenzen der Poolbildung nach oder vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens | 488

XX | Inhaltsverzeichnis

Stellung und Reaktionsmöglichkeiten des Insolvenzverwalters | 489 aa) Sprengung eines Sicherheitenpools | 489 bb) Heilung unwirksamen Rechtserwerbs zur Erhaltung der Synergieeffekte eines Pools | 489 cc) Entscheidungslage des vorläufigen Verwalters | 490 12. Das Insolvenzgericht | 490 a) Übersicht | 490 b) Insolvenzrichter und Insolvenzrechtspfleger | 490 c) Örtlich Zuständigkeit | 491 aa) Allgemeine Regelung | 491 bb) Konzerngerichtsstand | 491 d) Amtshaftung | 492 13. Der Verwalter | 492 a) Übersicht über die Stellung des Verwalters im „Normalfall“ des liquidierenden Verfahrens | 492 aa) Übersicht | 492 bb) Kontenführung | 492 b) Der Verwalter im Sanierungsverfahren | 494 14. Freigabe | 494 a) Übersicht | 494 b) Freigabe selbständige Tätigkeit – Haftung für Löhne und Gehälter | 494 15. Massegläubiger | 495 Konstitution der Masse | 495 1. Insolvenzanfechtung | 495 a) Übersicht | 495 b) Anfechtung wegen Benachteiligung der Gläubigergesamtheit durch Leistung an einen einzelnen Gläubiger | 497 aa) Suspektanfechtung im Zeitraum von Drei-Monaten vor Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Kunden | 497 (1) Inkongruenzanfechtung | 497 (2) Kongruenzanfechtung | 497 (3) Sog Absichtsanfechtung | 498 c) Bargeschäft | 500 d) Anfechtung wegen Benachteiligung der Gläubigergesamtheit durch Weggabe von Vermögensgegenständen (Vermögensverschiebung) | 500 e) Zwangsvollstreckungssperre | 502 2. Aufrechungsverbote | 502 3. Gegenseitige Verträge | 503 a) Grundlagen | 503 b) Einzelfragen | 503 c) Kündigung von Beschäftigungsverhältnissen | 504 Flucht des Schuldners in die Massearmut | 504 1. Verfahrenskostendeckende Masse als Voraussetzung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens | 504 2. Massearmut | 505 a) Definition | 505 b) Fehlende Deckung der reinen Verfahrenskosten als Maßstab | 505 c) Nachtragsverteilung | 505 3. Masseunzulänglichkeit | 505 a) Definition | 505 b) Folgen | 506 Grenzüberschreitende Insolvenzverfahren | 506 1. Internationale Zuständigkeit | 506 2. Sitzverlegungen | 506 d)

V.

VI.

VII.

Inhaltsverzeichnis | XXI

3. 4. 5. 6.

a) Sitzverlegungen in der Krise vor Antragstellung | 506 b) Wohnsitzwechsel bzw Sitzverlegung nach Antragstellung | 507 c) Automatische europäisch-internationale Anerkennung | 507 d) Befugnisse des Insolvenzverwalters | 508 Sekundärinsolvenzverfahren | 508 a) Partikularmasse | 508 Antragsbefugnis | 509 Lex fori concursus | 509 Geeignete Verfahren | 510

3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften § 11 Insolvenzverschleppung I. Allgemeines | 511 II. Pflicht zur Anzeige des Verlustes des hälftigen Stammkapitals | 512 1. Anzeigepflicht | 513 a) Pflichtenstellung | 513 b) Kein Bilanzerfordernis | 514 2. Rechtsgut | 515 3. Subjektiver Tatbestand | 515 4. Praktische Bedeutung, Straferwartung, Konkurrenzen, Verjährung | 516 III. Insolvenzverschleppung, § 15a Abs 4 und 5 InsO | 517 1. Zusammenhang mit § 15a Abs 1 InsO | 517 2. Rechtsgut | 517 3. Tathandlung | 518 a) Handlungspflicht | 520 b) Drei Alternativen der Tatbegehung | 522 c) Anforderungen an einen dem Gesetz genügenden, also „richtigen“ Insolvenzantrag | 523 4. Sonderdelikt | 535 5. Ausscheiden des Geschäftsführers zB durch Amtsniederlegung | 539 6. Wechsel des Geschäftsführers in und unmittelbar vor der Krise | 541 7. Antragsfrist | 541 a) Fristbeginn | 541 b) Fristenlauf | 543 8. Insolvenzauslösetatbestände | 545 a) Zahlungsunfähigkeit | 546 aa) Zahlungseinstellung | 547 bb) Verständnis des Begriffs der Zahlungsunfähigkeit | 549 cc) Feststellung der Zahlungsunfähigkeit | 553 (1) Zu berücksichtigende Umstände | 553 (2) Feststellungsmethoden | 557 b) Drohende Zahlungsunfähigkeit | 561 aa) Bedeutung und Begriffsverständnis | 561 bb) Feststellung der drohenden Zahlungsunfähigkeit | 562 c) Überschuldung | 564 aa) Begriffsverständnis | 564 bb) Überschuldungsstatus | 566 (1) Korrektur der Bilanzansätze | 567 (2) Fortführungsprognose | 572 (3) Der Nachweis der Überschuldung im Ermittlungs- und Strafverfahren | 578 9. Der subjektive Tatbestand | 579

XXII | Inhaltsverzeichnis

10. Fahrlässige Insolvenzverschleppung, § 15a Abs 5 InsO | 580 11. Rechtswidrigkeit, Straferwartung und -rahmen, Verjährung, Konkurrenzen | 582 § 12 Bankrott, §§ 283, 283a StGB und Verletzung der Buchführungspflicht, § 283b StGB I. Einführendes zum Verständnis des Tatbestandes | 584 II. Das Rechtsgut des § 283 StGB | 586 III. Das zeitliche Zusammenspiel von Bankrotthandlung und objektiver Strafbarkeitsbedingung | 589 IV. Die tauglichen Täter des § 283 StGB | 591 1. Reichweite der §§ 283, 283a, 283b, 283c StGB im Recht der Personenverbände | 592 a) § 283 Abs 6 StGB – Ein Hindernis der Organstrafbarkeit wegen Bankrotts? | 593 b) Die juristische Person in der Gemeinschuldnerrolle | 594 aa) Die Interessentheorie und hiergegen gerichtete Einwände | 596 bb) Darstellung und Kritik des funktionalen Ansatzes | 599 cc) Das Zurechnungsmodell/der organisationsbezogene Ansatz | 601 dd) Die aktuelle Position des BGH | 602 c) Die Personengesellschaft in der Gemeinschuldnerrolle | 603 d) Sonstige Gesellschaftsformen | 605 2. Der Verbraucher als tauglicher Täter | 606 V. Das ordnungsgemäße Wirtschaften | 609 1. Die Anforderungen ordnungsgemäßen Wirtschaftens iRd § 283 Abs 1 StGB | 610 a) Konkretisierungsversuche im Schrifttum | 610 b) Einwände und eigener Ansatz | 612 aa) Insolvenzantragspflichtige Schuldner | 613 bb) Sonstige Schuldner | 614 2. Lösung konkreter Fälle | 614 VI. Die Krisenmerkmale der §§ 283 ff StGB | 616 1. Insolvenzrechtsakzessorische oder strafrechtsautonome Auslegung? | 618 2. Überschuldung – Einführendes | 620 a) Reichweite des Krisenmerkmals „Überschuldung“ | 621 b) Überschuldungsermittlung | 622 c) Behandlung von Altfällen | 628 3. Zahlungsunfähigkeit – Einführendes | 630 a) „Passivseite“ des „Zahlungsunfähigkeitspanoramas“ | 631 b) „Aktivseite“ des „Zahlungsunfähigkeitspanoramas“ | 632 c) Quantitatives und temporäres Element der Zahlungsunfähigkeit | 634 d) Feststellung der Zahlungsunfähigkeit | 637 4. Drohende Zahlungsunfähigkeit | 639 VII. Die Tathandlungen des § 283 Abs 1 Nr 1 StGB | 643 1. Taugliche Tatgegenstände | 643 2. Die Tathandlung des Beiseiteschaffens | 646 a) Restriktive Interpretationsansätze | 647 b) Besonderheiten bei Einzelunternehmern und Personen(handels)gesellschaften | 649 c) Beiseiteschaffen durch Unterlassen | 650 d) Beispiele | 650 3. Die Tathandlung des Verheimlichens | 651 4. Die Modalitäten „zerstören, beschädigen oder unbrauchbar machen“ | 654 VIII. Die Tathandlungen des § 283 Abs 1 Nr 2 StGB | 654 1. Verlustgeschäfte | 655 2. Spekulationsgeschäfte | 656 3. Differenzgeschäfte | 657 4. Unwirtschaftliche Ausgaben | 659 5. Spiel und Wette | 662

Inhaltsverzeichnis | XXIII

IX. X.

XI.

Die Tathandlungen des § 283 Abs 1 Nr 3 StGB | 663 Die Tathandlungen des § 283 Abs 1 Nr 4 StGB | 667 1. Tatgegenstand des § 283 Abs 1 Nr 4 StGB | 667 2. Die Tathandlungen des § 283 Abs 1 Nr 4 StGB | 668 3. § 283 Abs 1 Nr 4 StGB durch Unterlassen | 670 Die Buchführungsdelikte, §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b StGB | 670 1. Die tauglichen Täter der §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b StGB | 673 a) Die (Gemein-)Schuldnereigenschaft | 673 aa) Die GmbH/GmbH & Co KG als Gemeinschuldnerin | 674 bb) Aktiengesellschaft, eG, Personenhandelsgesellschaften als Gemeinschuldner | 678 b) Die Kaufmannseigenschaft | 678 c) Weitere taugliche Täter der Buchführungsdelikte | 681 d) Buchführungspflichtigkeit der Zweigniederlassung | 683 e) Keine Buch-/Bilanzführungspflicht trotz Kaufmannsstatus | 685 f) Delegation und Verteilung der Strafbarkeitsrisiken | 686 2. Die Tatbestände des § 283 Abs 1 Nr 5 StGB = § 283b Abs 1 Nr 1 StGB | 688 a) Tatgegenstand: Das Handelsbuch | 690 aa) Die äußerliche Gestaltung des Handelsbuchs | 692 bb) Inhaltliche Anforderungen an ein Handelsbuch | 693 (1) Buchführungstechnik | 695 (2) Allg Buchführungsgrundsätze | 697 b) Tathandlung des § 283 Abs 1 Nr 5 Var 1 StGB = § 283b Abs 1 Nr 1 Var 1 StGB | 699 c) Exkurs: Unmöglichkeit der Buchführung | 701 d) Tathandlung des § 283 Abs 1 Nr 5 Var 2 StGB = § 283b Abs 1 Nr 1 Var 2 StGB | 706 aa) Unordentliches Führen der Handelsbücher | 707 bb) Verändern von Handelsbüchern | 709 cc) Erschwerte Übersicht über den Vermögensstand | 710 3. Die Tatbestände des § 283 Abs 1 Nr 6 StGB = § 283b Abs 1 Nr 2 StGB | 712 a) Der Täterkreis der §§ 283 Abs 1 Nr 6, 283b Abs 1 Nr 2 StGB | 713 b) Die Tatgegenstände der §§ 283 Abs 1 Nr 6, 283b Abs 1 Nr 2 StGB | 715 c) Schutzdauer | 716 d) Tathandlungen | 717 4. Die Tatbestände des § 283 Abs 1 Nr 7a StGB = § 283b Abs 1 Nr 3a StGB | 719 a) Der Bilanzbegriff der §§ 283 Abs 1 Nr 7, 283b Abs 1 Nr 3 StGB | 719 aa) Die Tatgegenstände der §§ 283 Abs 1 Nr 7, 283b Abs 1 Nr 3 StGB | 719 bb) Die gängigen Bilanzarten | 720 (1) Die Eröffnungsbilanz | 720 (2) Die Abschlussbilanz und die Liquidationsbilanz | 722 b) Inhaltliche Anforderungen an eine ordnungsgemäße Bilanzerstellung | 723 aa) Der Bilanzinhalt – die zu bilanzierenden Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten | 724 bb) Die Bewertung der zu bilanzierenden Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten | 727 cc) Die formale Gestaltung der Handelsbilanz | 730 c) Die Tathandlung des § 283 Abs 1 Nr 7a StGB = § 283b Abs 1 Nr 3a StGB | 730 aa) Formelle Verstöße | 731 bb) Materielle Verstöße | 731 cc) Erschwerte Übersicht über den Vermögensstand | 732 dd) Teleologische Reduktion der §§ 283 Abs 1 Nr 7a, 283b Abs 1 Nr 3a StGB | 732 5. Die Tatbestände des § 283 Abs 1 Nr 7b StGB = § 283b Abs 1 Nr 3b StGB | 733 a) Tatgegenstand | 733 b) Die unterlassene Bilanz-/Inventarerstellung | 734 c) Die verspätete Bilanz-/Inventarerstellung | 735

XXIV | Inhaltsverzeichnis

XII.

XIII. XIV.

XV.

XVI.

XVII.

XVIII.

XIX. XX.

XXI.

XXII. XXIII.

aa) Die maßgebenden Fristen | 736 bb) Fristablauf nach Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung | 739 Die Tathandlungen des § 283 Abs 1 Nr 8 StGB | 739 1. Das wirtschaftswidrige Verringern des Vermögensstandes in anderer Weise (§ 283 Abs 1 Nr 8 Var 1 StGB) | 740 a) Tathandlungen auf der Aktivseite | 741 b) Tathandlungen auf der Passivseite | 743 2. Das Verheimlichen/Verschleiern der wirklichen geschäftlichen Verhältnisse (§ 283 Abs 1 Nr 8 Var 2 StGB) | 744 a) Geschäftliche Verhältnisse | 744 b) Die Tathandlung „verheimlichen“ | 745 c) Die Tathandlung „verschleiern“ | 746 d) Das „Firmenbestattungsunwesen“ – ein Fall des § 283 Abs 1 Nr 8 StGB? | 747 aa) Die höchstrichterliche Rspr | 747 bb) Einwände gegenüber dem Konzept der Rspr | 748 3. Grober Verstoß gegen die Anforderungen ordnungsgemäßen Wirtschaftens | 749 Der Tatbestand des § 283 Abs 2 StGB | 751 Objektive Strafbarkeitsbedingung | 752 1. Eröffnung des Insolvenzverfahrens/Ablehnung mangels Masse | 753 2. Zahlungseinstellung | 754 3. Zusammenhang zwischen Bankrotthandlung und objektiver Strafbarkeitsbedingung | 756 4. Teleologische Reduktion/Änderungsvorschläge de lege ferenda | 759 5. Europäische/Internationale Einflüsse | 760 Vorsatz und Irrtümer | 761 1. Bezugspunkt des Vorsatzes | 761 2. Tatumstands- versus Verbotsirrtum | 762 a) Allgemeine Aussagen | 762 b) Tatumstands- und Verbotsirrtum im Kontext der §§ 283, 283b StGB | 768 aa) Irrtümer über allgemeine Merkmale der §§ 283, 283b StGB | 768 bb) Irrtümer über die Begehungsmodalitäten der §§ 283, 283b StGB | 769 § 283 Abs 4 StGB | 771 1. Der Tatbestand des § 283 Abs 4 Nr 1 StGB | 772 2. Der Tatbestand des § 283 Abs 4 Nr 2 StGB | 774 Fahrlässige Bankrotthandlungen, § 283 Abs 5 StGB | 775 1. Fahrlässige Begehung der Bankrotthandlung des § 283 Abs 1 Nr 2 StGB | 775 2. Fahrlässige Begehung der Bankrotthandlungen des § 283 Abs 1 Nrn 5, 7 StGB | 776 Der Versuch des § 283 StGB | 776 1. Der untaugliche Versuch des § 283 StGB | 777 2. Unmittelbares Ansetzen zum und Rücktritt vom Versuch des Bankrotts | 778 Täterschaft und Teilnahme | 779 Vollendung, Beendigung, Strafrahmen und Verjährung | 782 1. Vollendung, Beendigung und Verjährung | 782 2. Strafrahmen | 783 Konkurrenzen | 783 1. Innerhalb von § 283 StGB | 783 2. Verhältnis zu anderen Delikten | 786 Internationales Strafrecht | 787 Regelbeispiele des Bankrotts, § 283a StGB | 788 1. Das Regelbeispiel des § 283a S 2 Nr 1 StGB | 789 2. Das Regelbeispiel des § 283a S 2 Nr 2 StGB | 789 a) Gefahr des Verlusts von Vermögenswerten, § 283a S 2 Nr 2 Var 1 StGB | 790 b) Wirtschaftliche Not, § 283a S 2 Nr 2 Var 2 StGB | 792 3. Unbenannte besonders schwere Fälle, § 283a S 1 StGB | 793

Inhaltsverzeichnis | XXV

4. 5.

Subjektiver Tatbestand und Versuch | 793 Teilnahme | 794

§ 13 Gesetz über die Sicherung der Bauforderungen (Bauforderungssicherungsgesetz – BauFordSiG) I. Allgemeines und systematische Bedeutung | 795 II. Der Straftatbestand des § 2 BauFordSiG | 796 1. Tauglicher Täter – Baugeldempfänger | 797 2. Tathandlung | 800 a) Geschützter Personenkreis: Baugläubiger | 801 b) Herstellung oder Umbau eines Baus | 803 c) Baugeld iSv § 1 Abs 3 BauFordSiG | 806 aa) Grundpfandrechtlich gesichertes Baugeld iSv § 1 Abs 3 S 1 Nr 1 BauFordSiG | 806 (1) Zweckabrede | 807 (2) Gewährung der Darlehensbeträge | 809 (3) Grundpfandrechtliche Sicherung der Darlehensmittel | 810 bb) Baugeld iSv § 1 Abs 3 S 1 Nr 2 BauFordSiG | 811 cc) Baugeld iSv § 1 Abs 3 S 2 BauFordSiG | 812 dd) Wegfall von Baugeld | 813 d) Verstoß gegen die Verwendungspflicht von § 1 Abs 1 S 1 BauFordSiG | 813 e) Zulässige anderweitige Verwendung und Eigenleistung des Baugeldempfängers | 817 3. Die Gläubigerbenachteiligung | 819 4. Subjektiver Tatbestand | 820 5. Objektive Bedingung der Strafbarkeit | 821 a) Zahlungseinstellung oder Eröffnung des Insolvenzverfahrens | 822 b) Zeitgleiche Benachteiligung der Baugläubiger | 822 6. Rechtswidrigkeit | 823 7. Beteiligung | 823 8. Konkurrenzen | 824 9. Vollendung, Beendigung, Rechtsfolgen und Verjährung | 825 § 14 Gläubigerbegünstigung, § 283c StGB I. Einführendes zum Verständnis der Gläubigerbegünstigung | 826 II. Gläubiger | 828 1. Allgemeine Anforderungen an die Gläubigerstellung | 828 2. Aus- und Absonderungsberechtigte | 830 3. Der Schuldner als Gläubiger? | 832 4. Gesellschaftsrechtliche Besonderheiten | 832 a) Die Gesellschafter als Gläubiger iSd § 283c StGB | 832 aa) Die Rechtslage in der juristischen Person | 832 bb) Die Rechtslage in der Personen(handels)gesellschaft | 836 b) Die Organwalter als Gläubiger und taugliche Täter des § 283c StGB | 836 III. Sicherung oder Befriedigung aus dem Schuldnervermögen | 839 IV. Die Inkongruenz der Befriedigung/Sicherung | 842 1. Die Inkongruenzmodalität „nicht“ | 844 2. Die Inkongruenzmodalität „nicht in der Art“ | 845 3. Die Inkongruenzmodalität „nicht zu der Zeit“ | 847 V. Das Merkmal „gewähren“ | 847 VI. Die Begünstigung des inkongruent befriedigten/besicherten Gläubiger | 848 VII. Die Benachteiligung der nicht bevorzugten Gläubigergesamtheit | 849 VIII. Subjektiver Tatbestand und Irrtum | 849 IX. Objektive Bedingung der Strafbarkeit | 851

XXVI | Inhaltsverzeichnis

X. XI. XII.

Versuch | 851 Täterschaft und Teilnahme | 852 Konkurrenzen und Verjährung | 853

§ 15 Betrug, § 263 StGB I. Die Bedeutung der Vorschrift in der Praxis | 854 II. Die Tatbestandsvoraussetzungen | 855 1. Der objektive Tatbestand | 855 a) Die Täuschungshandlung | 856 aa) Täuschung durch positives Tun | 856 bb) Täuschung durch Unterlassen | 859 b) Irrtum | 861 c) Ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal: Die Vermögensverfügung | 862 d) Der Vermögensschaden | 863 aa) Vermögensbegriff | 863 bb) Persönlicher und individueller Schadenseinschlag | 867 2. Der subjektive Tatbestand | 871 a) Vorsatz | 871 b) Die Absicht rechtswidriger Bereicherung | 872 III. § 263 Abs 3 StGB | 874 IV. Konkurrenzen | 875 V. Der Täter im Unternehmen | 876 1. Der Geschäftsführer als Täter | 877 2. Der Gesellschafter als Täter | 878 VI. Ermittlungsansätze | 878 § 16 Untreue, § 266 StGB I. Die Bedeutung der Vorschrift für die Praxis | 880 1. Allgemeines, Rechtsgut | 880 2. Die Bedeutung der Untreue in Fällen der Unternehmensinsolvenz | 885 II. Die Tatbestände und ihre Merkmale | 887 1. Missbrauchs- und Treubruchtatbestand | 887 2. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale | 888 a) Die Vermögensbetreuungspflicht | 888 b) Pflichtwidrigkeit | 895 aa) Anforderungen an die Tathandlung | 895 bb) Die Verletzung einer Vermögensbetreuungspflicht | 896 (1) Einverständnis | 900 (2) Unternehmerische Freiheit | 903 (3) Eingehen von Risiken | 907 c) Befugnis- bzw pflichtenbegründendes Verhältnis | 912 d) Der Nachteil | 913 3. Der subjektive Tatbestand | 923 4. Vollendung, Beendigung, Verjährung, Konkurrenzen, Strafantrag | 925 5. Die Strafe | 926 III. Taugliche Untreuetäter in oder vor der Insolvenz | 928 1. Fremdheit | 928 2. Der Einzelhandelskaufmann | 930 3. Die Personengesellschaft | 931 4. Die GmbH & Co KG | 931 5. Kapitalgesellschaften | 932 a) Vertretungsberechtigte und Aufsichtsorgane | 932 b) GmbH-Gesellschafter | 933 6. Sonstige Vermögensbetreuungspflichtige | 935

Inhaltsverzeichnis | XXVII

IV.

GmbH-Untreue | 935 1. Personen(-kombinationen) | 935 a) Der Alleingeschäftsführer | 935 b) Mehrköpfige Organe und Arbeitsteilung | 936 c) Rollenmehrheit: Der Gesellschafter-Geschäftsführer | 938 d) Zeitliche Grenzen | 938 2. Pflichtverstöße | 939 a) Abgrenzung zu nicht treuwidrigem Handeln | 939 b) Treuwidriges Handeln unmittelbar vor und in der Krise | 942 aa) Der Geschäftsführer | 943 bb) Der Allein- oder Mehrheitsgesellschafter | 945 cc) Unzulässige existenzgefährdende oder -vernichtende Eingriffe und sonstiges ungetreuliches Handeln | 947 c) Konzernfälle | 950 d) Untreue durch Auszahlung von Stammkapital, § 30 GmbHG | 952 e) Untreue durch Abzug kapitalstützender Mittel | 956

§ 17 I. II. III.

Kreditbetrug, § 265b StGB Die Bedeutung der Vorschrift für die Praxis | 961 Allgemeines | 962 Die Tathandlung | 963 1. § 265b Abs 1 Nr 1 StGB | 963 2. § 265b Abs 1 Nr 2 StGB | 964 Vollendung, tätige Reue, Konkurrenzen | 964

IV. § 18 I. II. III.

IV.

Subventionsbetrug, § 264 StGB Die Bedeutung der Vorschrift für die Praxis | 965 Allgemeines | 966 Die Tatbestandsmerkmale | 966 1. Subvention | 966 2. Leistungsempfänger | 966 3. Subventionserhebliche Tatsachen | 967 4. Die Tathandlungen | 967 a) § 264 Abs 1 Nr 1 StGB | 967 b) § 264 Abs 1 Nr 2 StGB | 968 c) § 264 Abs 1 Nr 3 StGB | 968 d) § 264 Abs 1 Nr 4 StGB | 969 Strafe, Regelbeispiele, tätige Reue, Konkurrenzen | 969

§ 19 Unterschlagung, § 246 StGB I. Allgemeines | 971 II. Die Tatbestandsmerkmale | 971 1. Fremde, bewegliche Sache | 971 2. Die Zueignung | 972 3. Qualifikation gem § 246 Abs 2 StGB | 973 III. Konkurrenzen | 974 § 20 Vereitelung der Zwangsvollstreckung, § 288 StGB I. Die Bedeutung der Vorschrift für die Praxis | 976 II. Der Tatbestand | 976 1. Drohen der Zwangsvollstreckung | 976 2. Täterqualität | 977 3. Bestandteile des Vermögens | 978 4. Die Tathandlungen | 978

XXVIII | Inhaltsverzeichnis

III. IV.

a) Veräußern | 978 b) Beiseiteschaffen | 978 5. Vereitelungsabsicht und Vorsatz | 979 Antragsdelikt, § 288 Abs 2 StGB | 980 Konkurrenzen | 980

§ 21 Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen und Veruntreuen von Arbeitsentgelt, § 266a I. Allgemeines | 980 1. Die Bedeutung der Vorschrift für die Praxis | 980 2. Entwicklung | 982 II. Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen, § 266a Abs 1 und 2 StGB | 984 1. Geschütztes Rechtsgut | 984 2. Anwendbarkeit deutschen Sozialversicherungsrechts | 985 3. Täterkreis | 987 a) Arbeitgeber | 987 b) Gleichgestellte (§ 266a Abs 5 StGB) | 989 c) Zurechnung der Arbeitgebereigenschaft (§ 14 StGB) | 990 aa) § 14 Abs 1 Nr 1 und 2 StGB | 990 bb) § 14 Abs 1 Nr 3 StGB | 992 cc) § 14 Abs 2 StGB | 993 4. Beiträge zur Sozialversicherung | 993 a) Allgemeines | 993 b) Beitragspflicht aufgrund eines Arbeitsverhältnisses | 994 c) Versicherungsträger | 996 d) Beitragsbemessung | 997 aa) Bemessungsgrundlage | 998 bb) Schätzung der Bemessungsgrundlage | 1000 cc) Beitragssätze | 1001 e) Beitragstragung | 1002 f) Beitragszahlung | 1003 g) Zusammenfassung | 1004 5. Einzugsstelle | 1005 6. Vorenthalten | 1006 a) Allgemeines | 1006 b) Fälligkeit | 1007 c) Zahlung | 1009 aa) Zahlung durch den Arbeitgeber | 1009 bb) Zahlung durch einen Dritten | 1011 cc) Teilzahlung | 1012 d) Möglichkeit der Zahlung | 1014 aa) Zahlungsunvermögen | 1014 bb) Fehlende Verfügungsbefugnis | 1018 7. Machen unrichtiger oder unvollständiger Angaben bzw Inunkenntnislassen (nur Abs 2) | 1019 8. Ursächlichkeit | 1021 9. Rechtswidrigkeit | 1023 a) Allgemeines | 1023 b) Zahlungsunfähigkeit, Überschuldung | 1024 c) Vorläufige Insolvenzverwaltung, Insolvenzverfahren | 1027 10. Vorsatz | 1028 11. Vollendung, Beendigung, Verjährung | 1031 12. Absehen von Strafe und Straffreiheit (Abs 6) | 1032 13. Rechtsfolgen | 1033

Inhaltsverzeichnis | XXIX

III.

a) Strafe | 1033 b) Sonstige Folgen | 1038 14. Konkurrenzen | 1039 15. Verfahrensfragen | 1042 a) Anfangsverdacht | 1042 b) Ermittlungen | 1043 aa) Auskünfte der Rentenversicherungsträger | 1043 bb) Auskünfte der Einzugsstellen | 1044 cc) Sonstige Ermittlungen | 1046 dd) Ermittlungsbehörden | 1046 ee) Grenzen | 1047 c) Abschluss der Ermittlungen, Hauptverhandlung, Urteil | 1047 Veruntreuen von Arbeitsentgelt, § 266 Abs 3 StGB | 1051

§ 22 Compliance I. Begriff der Compliance, insbesondere der Criminal Compliance und Insolvency Compliance | 1054 II. Strafrechtliche Determinierung der Compliance-Anforderungen | 1057 1. Allgemeine Anforderungen an die Unternehmensleitung | 1057 a) Risikoverantwortlichkeit der Unternehmensleitung | 1057 b) Haftung der Unternehmensführung wegen des vorsätzlichen oder fahrlässigen Unterlassens von Organisationsmaßnahmen | 1058 c) Pflichten des Aufsichtsrats | 1059 2. Pflichten mit insolvenz- und insolvenzstrafrechtsspezifischem Bezug | 1060 a) Pflichten vor Eintritt der Krise im insolvenzrechtlichen Sinne | 1060 aa) Rechnungslegung | 1060 (1) Bilanzstrafrecht | 1061 (2) Insolvenzdelikte mit rechnungslegungsrechtlichem Hintergrund | 1063 (3) Zeitlicher Rahmen | 1064 bb) Verlustanzeigepflichten nach §§ 84 GmbHG, 401 AktG | 1065 cc) Pflichten zur Erhaltung des Gesellschaftsvermögens | 1066 b) Strafbewehrte Pflicht zur Insolvenzantragstellung bei Eintritt der insolvenzrechtlichen Krise gemäß § 15a InsO | 1067 aa) § 15a Abs 4 InsO | 1067 bb) § 15a Abs 5 InsO | 1070 cc) Masseerhaltungspflichten nach den Bankrotttatbeständen der §§ 283 ff StGB | 1071 dd) Pflicht zur gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung, § 283c StGB | 1073 ee) Konkurrenz von Massesicherungspflicht und anderen strafbewehrten Pflichten | 1073 (1) Zahlung von Arbeitnehmeranteilen an der Sozialversicherung | 1073 (2) Steuerzahlungspflicht | 1074 (3) Konzernrechtliche Pflichten | 1075 ff) Vorsichtsgebot bei weiterem Handel | 1075 3. §§ 30, 130 OWiG als außerstrafrechtliche Auffangnorm | 1076 III. Bausteine der Implementierung hinreichender Insolvency Compliance – Die einzelnen Organisations- und Aufsichtsmaßnahmen | 1077 1. Vorüberlegung | 1077 a) Problem der Beachtung insolvenzrechtlicher Spezifika | 1077 b) Unternehmensspezifika | 1078 2. Organisation im Vorfeld der Krise | 1079 a) Risikoüberwachung und Früherkennung | 1079 b) Bestimmung von Risikofeldern und darauf beruhende Analyse der konkreten Risikofaktoren in Orientierung an IDW PS 340 | 1080

XXX | Inhaltsverzeichnis

Organisatorische Ausrichtung | 1080 aa) Compliance-Ressort in der Ebene der Unternehmensleitung | 1081 bb) Aktivieren eines Compliance Officers in vertikaler Delegation | 1081 cc) Installation eines Compliance Committees | 1081 d) Überwachung und Evaluation des Compliance-Systems zur Qualitätssicherung | 1082 e) Kommunikation | 1082 f) Konzernrechtliche Spezifika | 1083 3. Organisationsanforderungen in der Krise | 1084 a) Sofortige Konsultation externer fachlicher Berater und Erstellung eines Handlungskonzepts | 1084 b) Dokumentation | 1086 c) Gesteigerte Überwachung der Unternehmensentwicklung nach Überwindung der Krise | 1086 Compliance-Anforderungen an den Insolvenzverwalter | 1086 c)

IV. § 23 I. II. III. IV.

Schuldnerbegünstigung, § 283d StGB Allgemeines und systematische Bedeutung | 1089 Tauglicher Täter | 1090 Krisensituation | 1093 Tathandlungen | 1096 1. „Mit Einwilligung“ | 1096 2. „Zu Gunsten“ | 1098 V. Subjektiver Tatbestand | 1099 VI. Objektive Bedingung der Strafbarkeit | 1100 VII. Versuch | 1101 VIII. Besonders schwerer Fall | 1101 IX. Beteiligung | 1101 X. Konkurrenzen | 1102 XI. Vollendung, Beendigung, Rechtsfolgen und Verjährung | 1103

4. Kapitel: Besondere strafrechtliche Risiken § 24 Rechte und Pflichten des Insolvenzverwalters I. Überblick | 1105 II. Allgemeine Schädigungsverbote | 1107 1. Strafbarkeit wegen Betruges | 1107 2. Strafbarkeit wegen Untreue | 1108 a) Missbrauchstatbestand | 1108 b) Treubruchstatbestand | 1109 III. Spezielle Pflichtenkreise des Insolvenzverwalters | 1111 1. Rechnungslegung | 1111 2. Sozialversicherungsbeiträge | 1112 3. Steuerrechtliche Pflichten | 1112 4. Datenschutz | 1116 5. Umweltdelikte | 1119 § 25 Umfeldaktivitäten des Insolvenzverwalters I. Die Beschäftigung von abhängigen Hilfskräften | 1121 1. Die Struktur der Insolvenzverwaltervergütung | 1121 2. Kosten der Hilfskräfte | 1124 3. Strafrechtliche Risiken | 1128 a) Betrug | 1128 b) Untreue | 1129

Inhaltsverzeichnis | XXXI

Vergütung bei Einsatz besonderer Sachkunde | 1129 1. Die Qualifikation des Insolvenzverwalters | 1130 a) Natürliche Person | 1130 b) Einzelfalleignung | 1132 c) Geschäftskundigkeit | 1132 d) Unabhängigkeit | 1132 e) Vorschlagsrecht der Gläubiger und des Schuldners | 1134 2. Strafrechtliche Risiken | 1135 III. Beteiligung des Verwalters am wirtschaftlichen Ergebnis der von ihm eingeschalteten selbstständigen Hilfskräfte | 1136 IV. Eigenerwerb des Insolvenzverwalters oder Erwerb ihm Nahestehender aus der Insolvenzmasse | 1139 V. Fortführung von Aufträgen der Insolvenzschuldnerin | 1140 VI. Erwerb von Insolvenzforderungen unter Nennwert | 1141 VII. Insidergeschäfte | 1141 VIII. Korruptionsstraftaten | 1142 II.

§ 26 Sanierung in der Insolvenz I. Interessenslagen | 1144 II. Reformen | 1147 1. (Entscheidende) Neuerungen durch das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) | 1147 2. Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte | 1148 III. Sanierungsbeteiligte | 1149 1. Bisherige Eigentümer | 1149 2. Organschaftliche Vertreter/persönlich haftende Gesellschafter | 1149 3. Investoren – neue Eigentümer | 1150 4. (Vorläufiger) Insolvenzverwalter | 1150 5. Gläubigerversammlung | 1152 6. Arbeitnehmer | 1153 IV. Sanierungsarten | 1154 1. Übertragende Sanierung | 1154 2. Insolvenzplanverfahren | 1155 a) Liquidationsplan | 1156 b) Sanierungsplan | 1156 c) Übertragungsplan | 1157 d) Mischpläne | 1157 e) Sonstige Pläne | 1158 V. Praktische Probleme des (vorläufigen) Insolvenzverwalters | 1158 1. Betriebsfortführung durch schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter | 1158 a) Treuhandkontenmodell | 1159 b) Gerichtliche Ermächtigung für Masseverbindlichkeiten | 1162 2. Übertragende Sanierung bzw Verwertung vor Berichtstermin | 1164 3. Konzerninsolvenz | 1167 4. Sonstige strafrechtliche Risiken für den Insolvenzverwalter aus der Betriebsfortführung | 1170 § 27 Insolvenzgeld I. Historischer Hintergrund | 1171 II. Interessenlagen | 1171 1. Die Situation des Geschäftsführers | 1171 2. Die Interessenslage der Gesellschafter | 1172 3. Situation des (vorläufigen) Insolvenzverwalters | 1172

XXXII | Inhaltsverzeichnis

III. IV.

V. VI.

VII.

Die Insolvenzgeldversicherung | 1173 Voraussetzungen für die Leistung von Insolvenzgeld | 1173 1. Arbeitnehmer | 1174 2. Inlandsbeschäftigung | 1175 3. Insolvenzereignis | 1175 4. Insolvenzgeldzeitraum | 1176 5. Anspruchshöhe | 1176 Anspruchsausschluss und Anspruchsverlust | 1177 Gestaltungsspielräume | 1179 1. Vorfinanzierung von Insolvenzgeld | 1179 2. Organe juristischer Personen | 1182 Strafrechtliche Grenzen | 1183 1. Strafrechtlich relevante Handlungen von Geschäftsführern bzw Vorständen | 1183 2. Strafrechtliche Risiken für den (vorläufigen) Insolvenzverwalter | 1184 3. Arbeitnehmer | 1186

§ 28 Die Banken A. Einführung | 1187 B. Die Bankenuntreue | 1188 I. Kredituntreue | 1188 1. Der Täterkreis | 1189 2. Untreuerisiken bei der Vergabe „normaler“ Darlehen im „Mikrokosmos“ | 1196 a) Anforderungen an die untreuestrafrechtliche Pflichtwidrigkeit einer Darlehensvergabe – allgemeine Erwägungen | 1197 aa) Ausgangspunkt der Pflichtwidrigkeitsermittlung | 1197 bb) Die Auswirkungen der „AUB-Rspr“ auf die Kredituntreue | 1199 cc) Kausalität/objektive Zurechnung zwischen Pflichtverletzung und Schaden | 1202 dd) Das Erfordernis der gravierenden Pflichtverletzung | 1202 b) Anforderungen an die untreuestrafrechtliche Pflichtwidrigkeit einer Darlehensvergabe – Besonderheiten | 1209 aa) Verstoß gegen Formalvorgaben | 1209 bb) Missachtung materieller Vorgaben | 1211 (1) Missachtung der banküblichen Prüf-/Informationspflicht | 1211 (2) Fehlende/unzureichende Sicherheiten | 1216 (3) Klumpenrisiken und Verstoß gegen Eigenmittelausstattung | 1217 (4) Unterlassene Kreditkündigung | 1219 c) Anforderungen an den untreuerelevanten Nachteil | 1220 3. Strafbarkeitsrisiken bei der Vergabe von Sanierungskrediten | 1232 a) Die untreuestrafrechtlichen Gefahren | 1232 b) Die Falle des § 15a Abs 4 InsO | 1237 c) Die bankrottstrafrechtlichen Gefahren | 1238 4. Untreuerisiken im Makrokosmos der Darlehensvergabe oder: Der Verstoß gegen § 25a KWG – ein Fall für den Staatsanwalt? | 1240 5. Besonderheiten bei Sparkassen/Genossenschaftsbanken in der Opferrolle | 1242 a) Das Regelungsregime der Sparkassen und Genossenschaftsbanken | 1243 b) Untreuestrafrechtliche Konsequenzen bei Verstößen gegen die referierten Regelungsregime sowie sonstige Besonderheiten | 1245 6. Strafbarkeitsrisiken bei kick-back-Zahlungen von Fondsgesellschaften an Banken | 1247 7. Strafbarkeitsrisiken im Kontext des § 2 BauFordSiG | 1250 II. Die strafrechtlichen Folgen der Banken- und Finanzkrise | 1251 1. § 266 StGB und die ABS-Papiere | 1252 a) Bedeutung und Wirkweise von ABS-Papieren | 1252

Inhaltsverzeichnis | XXXIII

Untreuestrafrechtliche Konsequenzen des ABS-Ankaufs | 1255 aa) Der Kauf von ABS-Papieren – pflichtwidrig iSd § 266 Abs 1 StGB? | 1256 bb) Der Nachteil | 1259 cc) Vorsatz bzgl des objektiven Tatbestandes | 1260 dd) Der „Deal“ als umfassende Problemlösung? | 1262 2. § 283 StGB im Lichte der Bankenkrise | 1262 3. Strafrechtliche Reformvorschläge und Neuerungen im Angesicht der Finanz-/Bankenkrise | 1263 Das bankenspezifische Insolvenzstrafrecht | 1265 I. Der Tatbestand des § 54a KWG | 1266 1. Objektiver Tatbestand des § 54a KWG | 1266 a) Handlungsteil | 1267 b) Erfolgsteil | 1268 2. Die Vorschrift des § 54a Abs 3 KWG | 1268 3. Strafzumessungsrechtliche Ungereimtheiten | 1270 II. Der Tatbestand des § 55 KWG | 1270 1. Objektiver Tatbestand des § 55 KWG | 1271 a) Täterkreis | 1272 b) Nichtanzeige der drohenden Zahlungsunfähigkeit – ein Fall des § 55 KWG? | 1272 c) Tathandlungen | 1274 2. Subjektiver Tatbestand/Tatvollendung/Konkurrenzen | 1274 b)

C.

§ 29 Der Berater I. Problemstellung | 1275 II. Varianten der Beteiligung und Konkurrenzverhältnisse | 1276 1. Täterschaft | 1277 2. Teilnahme | 1280 a) Anstiftung | 1280 b) Beihilfe | 1281 III. Steuerberater und Wirtschaftsprüfer | 1285 1. Problemstellung | 1285 2. Einzelne Straftatbestände | 1286 a) Insolvenzstraftaten nach §§ 283–283d StGB | 1286 b) Untreue nach § 266 StGB | 1291 c) Insolvenzverschleppung nach § 15a InsO | 1292 d) Betrug nach § 263 StGB | 1295 e) Verletzung der Berichtspflicht nach § 332 HGB | 1296 f) Steuerhinterziehung und leichtfertige Steuerverkürzung nach §§ 370, 378 AO | 1297 aa) Steuerhinterziehung durch aktives Tun nach § 370 Abs 1 Nr 1 AO | 1297 bb) Steuerhinterziehung durch Unterlassen nach § 370 Abs 1 Nr 2 AO | 1299 cc) Teilnahme an der Steuerhinterziehung des Mandanten | 1300 dd) Leichtfertige Steuerverkürzung nach § 378 AO | 1301 IV. Rechtsanwälte | 1302 1. Beratung in der Unternehmenskrise | 1302 2. Unternehmenssanierung | 1304 3. Insolvenzverwaltung | 1308 4. Liquidation | 1310 5. Strafverteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafverfahren | 1310 V. Notare und sonstige Berater | 1312 § 30 Professionelle Unternehmensbestatter I. Problemstellung | 1313 II. Ablauf des „Insolvenzaufkaufs“ | 1315 1. Ausgangssituation | 1315

XXXIV | Inhaltsverzeichnis

Verkäufer | 1315 Aufkäufer | 1316 Kontakt zwischen Verkäufer und Aufkäufer | 1316 Notartermin | 1317 Zusatzvereinbarung | 1318 Das weitere Vorgehen nach der Veräußerung | 1319 a) Einsetzen neuer Geschäftsführer | 1319 b) Sitzverlegung | 1319 c) Vernichtung der Geschäftsunterlagen | 1320 d) Stellung von Insolvenzanträgen | 1320 e) Anlagevermögen | 1320 8. Typische Arten des Insolvenzaufkaufs | 1320 a) Aufkauf ohne weitere Sanierungsaktivitäten | 1320 b) Aufkauf zur Verwertung des Firmenmantels | 1321 c) Aufkauf und anschließende Insolvenzantragstellung | 1321 d) Aufkauf und gleichzeitiger Verkauf einer Vorratsgesellschaft | 1321 Strafrechtliche Wertung | 1322 1. Strafbarkeit des Altgeschäftsführers | 1322 a) Insolvenzverschleppung – § 15a Abs 3 und 4 InsO | 1322 b) Bankrottdelikte – § 283 StGB | 1324 aa) Bankrotthandlung nach § 283 Abs 1 Nr 1 StGB | 1325 bb) Bankrottstrafbarkeit nach – § 283 Abs 1 Nr 5 StGB | 1326 cc) Bankrottstrafbarkeit nach § 283 Abs 1 Nr 6 StGB | 1326 dd) Bankrottstrafbarkeit nach § 283 Abs 1 Nr 7 StGB | 1327 ee) Bankrottstrafbarkeit nach § 283 Abs 1 Nr 8 StGB | 1328 c) Untreue – § 266 StGB | 1329 d) Vorenthaltung von Arbeitnehmerbeiträgen – § 266a Abs 1 StGB | 1329 e) Hehlerei – § 259 StGB | 1330 f) Urkundenfälschung – § 267 StGB | 1330 2. Strafbarkeit des Neugeschäftsführers | 1330 a) Täterschaft des Neugeschäftsführers | 1330 b) Insolvenzverschleppung | 1331 c) Bankrottdelikte – § 283 StGB | 1333 d) Untreue – § 266 StGB | 1334 e) Urkundenunterdrückung – § 274 StGB | 1335 f) Begünstigung – § 257 StGB | 1335 g) Vorenthaltung von Arbeitnehmerbeiträgen – § 266a Abs 1 StGB | 1335 h) Betrug gegenüber dem Altgeschäftsführer – § 263 StGB | 1335 i) Strafvereitelung – § 258 StGB | 1336 3. Strafbarkeit der Gesellschafter und Hintermänner | 1336 a) Faktischer Geschäftsführer | 1336 b) Strafbarkeit wegen Anstiftung und Beihilfe | 1337 c) Strafbarkeit wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung | 1337 4. Strafbarkeit des beurkundenden Notars | 1338 2. 3. 4. 5. 6. 7.

III.

§ 31 Die Abrechnung des Insolvenzverwalters I. Einleitung | 1339 II. Zivilrechtliche Grundlagen | 1340 1. Überblick über die Ziele des Insolvenzrechts und die Aufgaben des insolvenzrechtlichen Vergütungsrechts | 1340 a) Ziele des Insolvenzverfahrens | 1340 aa) „par conditio creditorum“ | 1340 bb) Insolvenzplanverfahren | 1341

Inhaltsverzeichnis | XXXV

III.

cc) Eigenverwaltung | 1342 dd) Restschuldbefreiung | 1343 b) Aufgabe des Vergütungsrechts der Insolvenzordnung | 1344 aa) Angemessenheit | 1344 bb) Vertretbarkeit | 1345 2. Geschichtliche Entwicklung des insolvenzrechtlichen Vergütungsanspruchs | 1345 a) Regelungen bis zum Erlass der Vergütungsordnung vom 25. Mai 1960 | 1345 b) Die Vergütungsordnung vom 25. Mai 1960 | 1346 c) Vergütungsanspruch für Gesamtvollstreckungsverfahren | 1347 d) Die Insolvenzrechtliche Vergütungsordnung vom 19. August 1998 | 1347 aa) Anwendungsbereich | 1347 bb) Umstellung der Vergütung auf Euro | 1348 cc) Änderung der Verordnung vom 4.10.2004 | 1348 dd) Änderung des § 11 InsVV durch die Verordnung vom 21.12.2006 | 1349 ee) Regelung der Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters bei Nichteröffnung eines Insolvenzverfahrens mit Einführung des ESUG zum 1.3.2012 | 1350 ff) Die vergütungsrechtlich relevanten Änderungen im Gesetz zur Verkürzung der Restschuldbefreiung und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15.7.2013 | 1350 e) Fortgeltung der Vergütungsordnung vom 25.5.1960 | 1351 Der Vergütungsanspruch im Einzelnen | 1351 1. Vergütungsanspruch als Teil der Verfahrenskosten | 1351 a) Vergütungsanspruch als Sachverständiger | 1352 aa) Die Tätigkeit des Sachverständigen im Insolvenzeröffnungsverfahren | 1352 bb) Der Vergütungsanspruch des Sachverständigen im Insolvenzeröffnungsverfahren | 1352 (1) Vergütungsanspruch des „isolierten“ Sachverständigen | 1352 (2) Vergütungsanspruch des vorläufigen Insolvenzverwalters, der zugleich Sachverständiger ist | 1353 cc) Vergütungsanspruch des Sachverständigen im eröffneten Verfahren | 1355 (1) Die Tätigkeit als Sachverständiger | 1355 (2) Vergütungsanspruch des Sachverständigen | 1355 b) Vergütungsanspruch als Insolvenzverwalter | 1356 aa) Rechtsgrundlage | 1356 bb) Angemessenheit | 1357 cc) Art | 1357 dd) Rang | 1358 ee) Geltungsbereich | 1358 (1) Vergütungsanspruch als vorläufiger Insolvenzverwalter | 1359 (a) Ausgangspunkt | 1359 (aa) Qualitative Normalaufgaben | 1359 (bb) Quantitative Kriterien | 1360 (b) Der Vergütungsanspruch | 1360 (aa) Regelfall | 1360 (bb) Ausnahmefall: das nicht eröffnete Verfahren | 1361 (cc) Auswirkungen des § 63 Abs 3 InsO und des § 11 InsVV | 1362 (2) Vergütungsanspruch als Insolvenzverwalter | 1362 (a) Ausgangspunkt | 1362 (b) Der Vergütungsanspruch | 1363 c) Vergütungsanspruch als Treuhänder | 1364 aa) Im Restschuldbefreiungsverfahren | 1364 (1) Ausgangspunkt | 1364 (2) Vergütungsanspruch | 1364 bb) Im vereinfachten Insolvenzverfahren | 1365 (1) Ausgangspunkt | 1365

XXXVI | Inhaltsverzeichnis

Vergütungsanspruch | 1365 Auswirkungen des Wegfalls der §§ 312 ff und der Änderung des § 13 InsVV | 1366 cc) Im Verbraucherinsolvenzverfahren als vorläufiger Treuhänder | 1367 (1) Ausgangsunkt | 1367 (2) Vergütungsanspruch | 1367 (3) Auswirkungen des Wegfalls der §§ 312 ff und der Änderung des § 13 InsVV | 1368 d) Vergütungsanspruch als Sachwalter | 1368 aa) Ausgangspunkt | 1368 bb) Vergütungsanspruch | 1368 e) Vergütungsanspruch als vorläufiger Sachwalter | 1368 aa) Ausgangspunkt | 1368 bb) Vergütungsanspruch | 1369 f) Vergütungsanspruch als Sonderinsolvenzverwalter | 1370 aa) Ausgangspunkt | 1370 bb) Vergütungsanspruch | 1371 g) Vergütungsanspruch als vorläufiger Sonderinsolvenzverwalter | 1371 h) Vergütungsanspruch als Nachlassinsolvenzverwalter | 1372 i) Vergütungsanspruch des Verwalters im künftigen Konzerninsolvenzverfahren | 1372 aa) Gruppeninsolvenzverwalter | 1372 bb) Koordinationsverwalter | 1372 2. Besonders zu vergütende Tätigkeiten des Insolvenzverwalters | 1373 a) Vergütung im Normalverfahren | 1373 aa) Allgemeines | 1373 bb) Definition des Normalfalls | 1374 (1) Bei vorläufiger Verwaltung | 1374 (2) Im eröffneten Verfahren | 1374 b) Vorzeitige Beendigung des Insolvenzverfahrens | 1376 c) Zu- und Abschläge | 1376 aa) Allgemeines | 1376 bb) Anwendung der Grundsätze auf die vorläufige Verwaltung | 1377 (1) Erhöhung | 1377 (2) Minderung | 1378 (3) Höhe der Vergütung | 1378 cc) Anwendung der Grundsätze auf die Verwaltung im eröffneten Verfahren | 1378 (1) Erhöhung | 1378 (2) Minderung | 1379 d) Besonders zu vergütende Tätigkeiten | 1379 Zuständigkeit für die Vergütungsfestsetzung | 1380 1. Sachliche Zuständigkeit | 1380 a) Grundsatz | 1380 b) Sonderfall: vorläufige Verwaltung ohne spätere Verfahrenseröffnung | 1380 2. Funktionelle Zuständigkeit | 1381 a) Vor der Eröffnung | 1381 b) Nach der Eröffnung | 1382 c) Fehlende Eröffnung | 1382 aa) Abweisung mangels Masse | 1382 bb) Erledigungserklärung | 1383 cc) Antragsrücknahme | 1383 d) Zusammenfassung | 1383 Zivilrechtlich relevante Verstöße gegen die Abrechnung | 1383 1. Denkbare Unregelmäßigkeiten | 1384 a) Durch den Sachverständigen | 1384 (2) (3)

IV.

V.

Inhaltsverzeichnis | XXXVII

2.

aa) Überhöhte Geltendmachung von Arbeitsstunden für das Eröffnungsgutachten | 1384 bb) Unzutreffende Angabe über erstattungsfähige Auslagen | 1385 cc) Herbeiführung nicht erforderlicher Auslagen | 1386 dd) Falsche Belege über Drittgutachten und sonstige Auslagen | 1386 ee) Verstoß gegen die Pflicht der persönlichen Erstellung | 1386 ff) Verstoß gegen das Verbot der Doppelvergütung | 1387 gg) Überhöhte Geltendmachung von Arbeitsstunden und Auslagen bei der Schlussrechnungsprüfung | 1388 b) Durch den Insolvenzverwalter | 1388 aa) Angaben über nicht erfolgte Leistungen, um höhere Zuschläge bzw mehr Zuschläge zu erhalten | 1388 bb) Unzutreffende Angaben über Bewertungsgrundlagen, um im Rahmen des Ermessens höhere Zuschläge zu erhalten | 1389 cc) Unzutreffende Angaben über Berechnungsgrundlagen, um eine höhere Vergütung zu erhalten | 1389 dd) Falsche Angaben über die Hinzuziehung von Hilfskräften | 1389 ee) Vortäuschen persönlicher Eignung | 1391 ff) Schwerwiegende schuldhafte Pflichtverstöße | 1391 gg) Verschweigen des Vorliegens einer Interessenkollision | 1392 hh) Verstoß gegen die Dokumentationspflicht | 1393 ii) Unberechtigte Entnahme von Gebühren und Vorschüssen | 1394 (1) Unberechtigte Entnahme von Gebühren nach § 5 InsVV | 1394 (2) Unberechtigte Entnahme eines Vorschusses nach § 9 InsVV | 1394 jj) Geltendmachung einer überhöhten Vergütung | 1395 kk) Verstoß gegen das Verbot des Abschlusses von Vergütungsvereinbarungen | 1396 ll) Geltendmachung der Vergütung, obwohl diese verwirkt ist | 1397 mm) Geltendmachung der Vergütung unter Missbrauch besonderer Fachkunde | 1398 nn) Unkorrekte Geltendmachung von Auslagen | 1398 oo) Verstoß gegen das Verbot der Doppelvergütung | 1399 c) Durch das Insolvenzgericht | 1400 aa) Durch den Insolvenzrichter und den Insolvenzrechtspfleger | 1400 (1) Keine genügende Kontrolle des Vergütungsantrags | 1400 (2) Leichtfertige Genehmigung zusätzlicher Kosten | 1401 (3) Rechtswidrige Vergabe von Sachverständigengutachten | 1402 (4) Verstoß gegen die Prüfungspflicht bei der Delegation | 1403 (5) Keine Versagung bei schuldhaften Pflichtverstößen | 1404 (6) Nichtbeachtung einer Interessenkollision | 1404 (7) Verstoß gegen Prüfungspflichten | 1405 (8) Unzulässiger Abschluss von Vergütungsvereinbarungen | 1405 (9) Festsetzung der Vergütung, obwohl diese verwirkt ist | 1406 (10) Vergütung wird unberechtigt nicht zuerkannt | 1406 (11) Verzögerte Bearbeitung des Vergütungsantrags | 1407 (12) Verstoß gegen das Verbot der Doppelvergütung | 1407 (13) Versagung eines Vorschusses an den Verwalter | 1408 (14) Vergütung eines unverwertbaren Gutachtens | 1408 (15) Verstoß gegen das Willkürverbot | 1409 bb) Durch den Anweisungsbeamten | 1409 Sanktionen | 1410 a) Gegen den Sachverständigen | 1410 aa) Bei überhöhter Geltendmachung von Arbeitsstunden in der Vergütungsabrechnung für das Eröffnungsgutachten | 1410 bb) Bei unzutreffenden Angaben über erstattungsfähige Auslagen | 1411

XXXVIII | Inhaltsverzeichnis

3. 4.

cc) Bei Herbeiführung nicht erforderlicher Auslagen | 1412 dd) Bei falschen Belegen über Drittgutachten und sonstige Auslagen | 1412 ee) Verlust des Vergütungsanspruchs als Sachverständiger | 1412 b) Gegen den Insolvenzverwalter | 1413 aa) Bei Angaben über nicht erfolgte Leistungen, um höhere Zuschläge bzw mehr Zuschläge zu erhalten | 1413 bb) Bei unzutreffenden Angaben über Bewertungsgrundlagen, um im Rahmen des Ermessens höhere Zuschläge zu erhalten | 1414 cc) Bei falschen Angaben über die Hinzuziehung von Hilfskräften | 1414 dd) Bei Vortäuschen persönlicher Eignung | 1414 ee) Bei schuldhaften Pflichtverstößen | 1415 ff) Bei Verschweigen des Vorliegens einer Interessenkollision | 1415 gg) Bei einem Verstoß gegen die Dokumentationspflicht | 1416 hh) Bei unberechtigter Entnahme von Gebühren und Vorschüssen | 1416 (1) Unberechtigte Entnahme von Gebühren nach § 5 InsVV | 1416 (2) Unberechtigte Entnahme von Vorschüssen nach § 9 InsVV | 1417 ii) Bei unerlaubtem Abschluss einer Vergütungsvereinbarung | 1417 c) Gegen Angehörige des Insolvenzgerichts | 1417 aa) Gegen den Insolvenzrichter und den Insolvenzrechtspfleger | 1418 bb) Gegen den Anweisungsbeamten | 1419 Wertung und eigene Stellungnahme | 1419 Zusammenfassung aus zivilrechtlicher Sicht | 1420

5. Kapitel: Besondere Verfahrensfragen § 32 Die Verständigung im Strafverfahren I. Bedeutung für die Praxis | 1423 1. Allgemeines | 1423 2. Motivation | 1423 II. Die Absprache im Ermittlungs- und Zwischenverfahren | 1425 1. Einstellung des Verfahrens | 1425 2. Erörterungen nach § 160b StPO | 1425 3. Erlass eines Strafbefehles | 1427 4. Verständigung im Zwischenverfahren | 1428 a) Einstellung gem § 153a StPO | 1428 b) Erörterungen gem § 202a StPO | 1428 III. Die Rechtslage vor und nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren | 1430 1. Historische Rechtsprechung des BVerfG | 1430 2. Rechtsprechung des BGH | 1431 3. Das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren | 1431 4. Die Entscheidung des BVerfG vom 19.3.2013 | 1433 IV. Der Weg zu einer Verständigung | 1434 1. Verständigungsgespräche und Pflichtverteidigung | 1434 2. Die Rolle des Staatsanwaltes | 1435 3. Einhaltung des Öffentlichkeitsgrundsatzes | 1436 4. Gewährung rechtlichen Gehörs | 1437 5. Erörterungen nach § 212 StPO | 1438 6. Erörterungen nach § 257b StPO | 1438 a) Regelungsgehalt | 1438 b) Protokollierung nach § 273 Abs 1 S 2 StPO | 1439 7. Die Mitteilungspflicht nach § 243 Abs 4 StPO als verfahrensrechtliche Sicherung einer Verständigung | 1439

Inhaltsverzeichnis | XXXIX

Gesetzeszweck | 1439 Schutzrichtung | 1440 aa) Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Hauptverhandlungen | 1440 bb) Schutz des Angeklagten | 1441 c) Mitteilung durch den Vorsitzenden | 1442 d) Der Begriff der „Erörterung“ | 1443 e) Einschränkung des Erörterungsbegriffes durch das Verständigungsgesetz | 1444 f) Die Mitteilungspflicht wirklich zum Schutze aller Angeklagten? | 1446 g) Mitteilung des „wesentlichen Inhalts“ durch den Vorsitzenden | 1447 h) Erörterungen des „Gerichts“ | 1448 i) Erfolglose Gespräche | 1449 j) Das „Negativattest“ | 1449 k) Umfang der Mitteilung | 1450 l) Der Zwischenrechtsbehelf des § 238 Abs 2 StPO | 1451 m) Beruhen des Urteils auf der unterlassenen Belehrung | 1451 8. Besorgnis der Befangenheit | 1454 V. Die Verständigung | 1459 1. Gewährung rechtlichen Gehörs | 1459 2. Aufklärung des Angeklagten | 1460 3. Grundsatz der materiellen Wahrheit | 1462 4. Wahrung der freien Willensentschließung des Angeklagten; die „Sanktionsschere“ | 1467 5. Belehrung nach § 257c Abs 5 StPO | 1469 6. Die zulässige Verständigung | 1471 a) Inhalt | 1471 b) Angabe einer Ober- und Untergrenze der Strafe | 1475 c) Keine Zusage über den Schuldspruch, § 257c Abs 2 S 3 StPO | 1476 d) Keine Verständigung über Maßregeln der Besserung und Sicherung | 1476 e) Geständnis des Angeklagten und schuldangemessene Strafe | 1477 7. Bindungswirkung von Verständigungen | 1478 a) Verständigungen iSd Verständigungsgesetzes | 1478 b) Keine Bindung des Angeklagten | 1482 c) Keine Bindung des Staatsanwaltes | 1482 d) Informelle Absprachen | 1483 8. Belehrung nach § 35a S 3 StPO | 1484 9. Die Protokollierungspflichten | 1484 a) Allgemeines | 1484 b) Erörterungen nach §§ 202a, 212 StPO | 1484 c) Erörterungen nach § 257b StPO | 1485 d) Protokollierung nach §§ 202a, 212 iVm 243 Abs 4 S 1 und 2 StPO | 1485 e) Protokollierung einer Verständigung | 1485 f) Gescheiterte Gespräche | 1486 g) Protokollierung des Negativattestes | 1486 h) Weitere Protokollierungspflichten | 1487 10. Die Urteilsgründe | 1487 11. Der Rechtsmittelverzicht | 1488 12. Verständigung nach Urteilsverkündung | 1493 VI. Prozess gegen Mittäter oder Gehilfen | 1494 VII. Die Berufungshauptverhandlung gegen den Angeklagten | 1495 VIII. Behandlung einer Verständigung in der Revision | 1498 1. Kein Verfahrenshindernis | 1498 2. Die Verfahrensrüge | 1499 a) Zulässigkeit | 1499 b) Die Protokollrüge | 1500 c) Verletzung von §§ 202a, 212, 257b StPO | 1501 a) b)

XL | Inhaltsverzeichnis

3.

4. 5.

d) Verletzung der Mitteilungspflicht nach § 243 Abs 4 S 1 und 2 StPO | 1501 e) Das Negativattest | 1501 f) Die Verständigung iSd § 257c StPO | 1502 g) Informelle Absprachen | 1504 h) Berufungsrücknahme | 1505 i) Rechtsmittelverzicht | 1505 j) Beruhen des Urteils auf dem Gesetzesverstoß | 1507 Allgemeine Sachrüge | 1507 a) Fehlerhafte Beweiswürdigung | 1507 b) Verstoß gegen § 46 Abs 1, 2 StGB | 1508 c) Fehlende Berücksichtigung eines verständigungsbasierten Geständnisses | 1508 d) Eigene Sachentscheidung des Revisionsgerichtes | 1508 Wiederaufnahme des Verfahrens | 1509 Beschwerde | 1509

§ 33 Gewinnabschöpfung und Rückgewinnungshilfe I. Materiellrechtliche Grundlagen | 1509 1. Praktische Bedeutung | 1509 2. Entstehungsgeschichte | 1510 3. Voraussetzungen des Verfalls und Verfall von Wertersatz | 1510 a) Vorbemerkungen/Übersicht | 1510 b) Der Verfall – § 73 Abs 1 StGB | 1512 c) Nutzung und Surrogate – § 73 Abs 2 StGB | 1514 d) Bedeutung und Rechtsfolge des Verfalls – § 73e StGB | 1514 e) Der Verfall des Wertersatzes – § 73a StGB | 1515 f) Rechtsfolgen des Wertersatzverfalls | 1516 4. Schätzung gem § 73b StGB | 1516 5. Verfall/Wertersatzverfall gegenüber Dritten/Tatunbeteiligten – § 73 Abs 3 StGB | 1517 a) Auffassung der Literatur | 1518 b) Auffassung des Bundesgerichtshofes | 1519 c) Stellungnahme | 1521 6. Ausschluss des Verfalls/Wertersatzverfalls bei unbilliger Härte – § 73c StGB | 1521 7. Ausschluss/Beschränkung des Verfalls/Wertersatzverfalls durch Rechte Dritter – § 73 Abs 1 S 2 StGB | 1522 II. Prozessrechtliche Grundlagen | 1524 1. Erster Überblick | 1524 2. Beschlagnahme von Verfallsgegenständen gem § 111c StPO | 1527 3. Dinglicher Arrest gem § 111d StPO – Sicherung von Wertersatzverfall | 1528 4. Anordnungskompetenz für Verfall und Wertersatzverfall | 1530 5. Durchsuchungsmaßnahmen | 1531 6. Aufhebung der Beschlagnahme und Arrestanordnung/Rechtsmittel | 1531 7. Benachrichtigung des Verletzten – § 111e StPO | 1532 8. Befriedigung von Ansprüchen der Verletzten bei Verfallsgegenständen und bei Wertersatzverfall | 1532 9. Hinterlegung von gepfändeten Forderungen/Geld | 1536 10. Sonderregelung in § 111i StPO | 1536 11. Rückgewinnungshilfe als Ermessensausübung | 1537 12. Rückgewinnungshilfe und Insolvenz | 1539 13. Kosten der Rückgewinnungshilfe | 1540 14. Ausblick | 1540

Inhaltsverzeichnis | XLI

6. Kapitel: Zwischen- und Hauptverfahren § 34 Die Staatsanwaltschaft I. Die Abschlussverfügung | 1543 1. § 153 Abs 1 StPO | 1543 2. § 153a Abs 1 StPO | 1544 3. §§ 154 Abs 1 und 154a Abs 1 StPO | 1545 4. Die Verwarnung mit Strafvorbehalt | 1545 5. Der Strafbefehl | 1546 6. Die Anklageerhebung | 1546 a) Die sachliche Zuständigkeit | 1546 b) Die örtliche Zuständigkeit | 1547 II. Das Zwischenverfahren | 1548 III. Das Hauptverfahren | 1548 IV. Rechtsmittel | 1550 V. Vollstreckung | 1550 § 35 I. II. III.

IV. § 36 I. II. III.

IV.

Das Gericht Die Zuständigkeit | 1551 Das Zwischenverfahren | 1552 Das Hauptverfahren | 1554 1. Vorbereitung | 1554 2. Die Hauptverhandlung | 1556 a) Amtsaufklärungspflicht und entscheidungserheblicher Verfahrensstoff | 1557 b) Beweisanträge | 1558 c) Konfliktverteidigung und Prozessverschleppung | 1561 d) Ablehnungsanträge | 1562 Die Rechtsmittel | 1564 Die Beteiligung der Finanzbehörden Voraussetzungen der Beteiligung | 1566 Finanzbehörde | 1566 Rechte im Einzelnen | 1566 1. Recht auf Information | 1566 2. Anwesenheitsrecht | 1567 3. Äußerungsrecht | 1567 4. Fragerecht | 1567 5. Grenzen der Beteiligung | 1568 a) Beteiligung, wenn es auf die Sachkunde ankommt | 1568 b) Einschränkung | 1568 Rechtsfolgen von Verstößen gegen § 407 AO | 1569

§ 37 Die Verteidigung I. Die Verteidigung im Zwischenverfahren | 1570 1. Der gesetzliche Rahmen | 1570 2. Die Funktion des Zwischenverfahrens | 1571 3. Die praktische Bedeutung des Zwischenverfahrens | 1572 a) Grundsätzliches | 1572 b) Insolvenzstrafverfahren | 1572 4. Verteidigungsaktivitäten | 1573 II. Die Verteidigung im Hauptverfahren | 1575 1. Die Vorbereitung der Hauptverhandlung | 1575 a) Einleitung | 1575 b) Möglichkeiten der Verfahrensbeendigung ohne Hauptverhandlung | 1577

XLII | Inhaltsverzeichnis

2.

aa) Anfechtung oder Rücknahme des Eröffnungsbeschlusses | 1577 bb) § 206a StPO | 1577 cc) §§ 153 ff StPO | 1577 dd) Strafbefehlsverfahren | 1578 c) Terminierung und Ladung | 1578 aa) Terminierung | 1578 (1) Grundsätze | 1578 (2) Reaktionsmöglichkeiten der Verteidigung | 1580 (a) Terminsverlegungsantrag | 1580 (b) Beschwerde | 1580 (c) Befangenheit | 1581 bb) Ladung des Angeklagten und des Verteidigers | 1581 d) Beweiserhebung | 1582 aa) Anträge zur Beweiserhebung | 1582 (1) Beweisanträge gemäß § 219 StPO | 1582 (2) Beweisanregungen | 1584 bb) Selbstladung von Zeugen und Sachverständigen | 1584 (1) Bedeutung | 1584 (2) Voraussetzungen | 1584 (a) Zustellung des Ladungsschreibens | 1584 (b) Beweisantrag | 1585 (3) Weiterer Verfahrensablauf | 1585 e) Prüfung des gesetzlichen Richters | 1586 aa) Zuständigkeitsrüge | 1586 bb) Besetzungsrüge | 1586 (1) Einleitung | 1586 (2) Einzelheiten zur Besetzungsprüfung | 1587 (a) Besetzungsmitteilung gemäß § 222a StPO | 1587 (b) Prüfung der Besetzung | 1587 (3) Form und Inhalt der Besetzungsrüge | 1588 (4) Präklusion | 1589 (5) Prozesstaktik | 1589 f) Reden oder Schweigen | 1589 g) Kontakt zu Verfahrensbeteiligten und Medien | 1592 aa) Abstimmung mit Verteidigern von Mitangeklagten | 1592 bb) Kontakt zum Vorsitzenden | 1592 (1) Sitzordnung | 1593 (2) Foto- und Filmaufnahmen im Gerichtssaal | 1593 (3) Besondere Verteidigungsaktivitäten (opening statement) | 1593 cc) Medienkontakte | 1594 Die Hauptverhandlung | 1594 a) Der formalisierte Beginn der Hauptverhandlung | 1595 aa) Aufruf zur Sache | 1595 bb) Präsenzfeststellung und Entfernen der Zeugen | 1596 cc) Vernehmung des Angeklagten zur Person | 1596 dd) Verlesen des Anklagesatzes | 1597 ee) Mitteilung von Verständigungsgesprächen | 1598 ff) Hinweis auf Aussagefreiheit | 1599 b) Vernehmung des Angeklagten zur Sache | 1599 c) Handlungsoptionen und Handlungspflichten des Verteidigers | 1601 aa) Präklusion | 1601 bb) Beanstandungen von Maßnahmen des Vorsitzenden – § 238 Abs 2 StPO | 1602 cc) Erklärungen nach einzelnen Beweiserhebungen – § 257 Abs 2 StPO | 1605 dd) Widerspruchobliegenheit | 1606

Inhaltsverzeichnis | XLIII

Beweisaufnahme – Allgemeines | 1607 aa) Form und Gegenstand der Beweisaufnahme | 1607 bb) Gerichtliche Aufklärungspflicht | 1608 e) Beweisanträge | 1609 aa) Bedeutung für die Verteidigung | 1609 bb) Begriff, Form und Inhalt des Beweisantrages | 1610 cc) Ablehnung von Beweisanträgen | 1611 f) Umgang der Verteidigung mit dem Zeugen | 1612 g) Befragung des Sachverständigen | 1613 aa) Befragungsstrategie | 1614 bb) Vereidigung | 1614 cc) Befangenheit | 1615 h) Urkundenbeweis | 1615 aa) Begriff und Zulässigkeit | 1615 bb) Form des Urkundenbeweises | 1616 (1) Verlesung | 1616 cc) Selbstleseverfahren | 1616 i) Befangenheit | 1618 aa) Grundsätzliches | 1618 bb) Ablehnungsgründe | 1618 (1) Verhandlungsführung | 1618 (2) Voreingenommenheit in der Schuldfrage | 1619 (3) Richterliche Vorbefassung | 1620 (4) Prozessuale Willkür | 1620 cc) Zeitpunkt, Form und Inhalt des Antrages | 1621 dd) Ablehnungsverfahren | 1622 j) Plädoyer | 1623 k) Letztes Wort | 1626 l) Urteilsverkündung | 1626 Die abgekürzte Hauptverhandlung – Verständigung nach § 257c StPO | 1626 a) Zulässiger Inhalt einer Verständigung | 1628 b) Verfahrensgang | 1629 c) Verfahren nach gescheiterter Verständigung | 1629 d) Verständigung in der Verteidigungspraxis | 1630 e) Besonderheiten im Insolvenzstrafverfahren | 1631 d)

3.

Stichwortverzeichnis | 1633

XLIV | Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis | XLV

Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis aA aaO abl Abs aF AG allg allgM Alt aM amtl Anh Anm AnwBl Art Aufl. Ausn Az

andere Ansicht am angegebenen Ort ablehnend Absatz alte Fassung Amtsgericht; Ausführungsgesetz allgemein, -e, es allgemeine Meinung Alternative andere Meinung amtlich Anhang Anmerkung Anwaltsblatt Artikel Auflage Ausnahme Aktenzeichen

BAKinso BAnz Bd Begr Bek ber Beschl BGBl BGH BGHZ BRAK BR-Drs BT-Drs Buchst BVerfG BVerfGE bzgl bzw

Bundesarbeitskreis Insolvenzgerichte eV Bundesanzeiger Band Begründung Bekanntmachung berichtigt Beschluss Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundesrechtsanwaltskammer Bundesrats-Drucksache Bundestags-Drucksache Buchstabe Bundesverfassungsgericht Sammlung der Entscheidungen des BVerfG bezüglich beziehungsweise

ca

circa

d dh DIAI Diss DiskE DJ DRiZ DZWIR

der/die/das das heißt Deutsches Institut für angewandtes Insolvenzrecht eV Dissertation Diskussionsentwurf Deutsche Justiz Deutsche Richterzeitung Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht

ebd EGGVG EGInsO

ebenda, ebendort Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung v 5.10.1994 (BGBl I 1994, 2911)

XLVI | Abkürzungsverzeichnis

entspr Erg et al etc evtl EWiR

entsprechend Ergebnis et altera et cetera eventuell Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht

f f. FAO ff Fn FS

folgende für Fachanwaltsordnung fortfolgende Fußnote Festschrift

G gem gerichtl GG ggf grds

Gesetz gemäß gerichtlich/e/er/es Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland id Bek v 23.5.1949 (BGBl 1949, 1) gegebenenfalls grundsätzlich

HB hinsichtl hL hM Hrsg. Hs.

Handbuch hinsichtlich herrschende Lehre herrschende Meinung Herausgeber Halbsatz

i iaR idF idR iE iGgs inkl insb Insbüro InsO InsVerw InVo iSd iÜ iVm

im/in in aller Regel in der Fassung in der Regel im Einzelnen im Gegensatz inklusive insbesondere Zeitschrift für das Insolvenzbüro Insolvenzordnung v 5.10.1994 (BGBl I 1994, 2866) Insolvenzverwalter Insolvenz und Vollstreckung im Sinne des im Übrigen in Verbindung mit

JZ

Juristenzeitung

Kap KG KO

Kapitel Kammergericht/Kommanditgesellschaft Konkursordnung id Bek v 20.5.1898 (RGBl 1898, 369) Kommentierung kritisch/e/r Kölner Schrift

Komm krit KS

Abkürzungsverzeichnis | XLVII

KTS KTW

Konkurs, Treuhand, Sanierung Konkurs- und Treuhandwesen

lfd Lfg LG lit Lit Ls

laufend/e Lieferung Landgericht Litera Literatur Leitsatz

MDR mE mwN

Monatsschrift des Deutschen Rechts meines Erachtens mit weiteren Nachweisen

nF NJW Nr NStZ nv NZI NZWiSt

neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht nicht veröffentlicht Neue Zeitschrift für das Recht der Insolvenz und Sanierung Neue Zeitschrift für Wirtschafts-, Steuer- und Unternehmensrecht

o oa oÄ og oJ OLG

oder oben angeführt oder Ähnliches oben genannte/r/n ohne Jahresangabe Oberlandesgericht

RAussch rd RefE RegE RGBl Rn Rpfleger RPflG Rspr

Rechtsausschuss rund Referentenentwurf Regierungsentwurf Reichsgesetzblatt Randnummer Der Deutsche Rechtspfleger Rechtspflegergesetz id Bek v 5.11.1969 (BGBl I 1969, 2065) Rspr

S s sa s.o. sog s.u. stRspr str

Seite/n siehe siehe auch siehe oben sogenannt/e/r/n/s siehe unten ständige Rspr strittig

u ua uÄ Überbl Urt

und/unten unter anderem und Ähnliches Überblick Urteil

XLVIII | Abkürzungsverzeichnis

usw uU

und so weiter unter Umständen

v vAw vgl VID Vorbem vorgen

vom/vor von Amts wegen vergleiche Verband der Insolvenzverwalter Deutschlands eV Vorbemerkung vorgenannte/r/n/s

WBl wg wistra WM

Wirtschaftsrechtliche Blätter wegen Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht Wertpapier-Mitteilungen

Z zB ZInsO ZIP ZPO Zs zT zust zutr ZVI ZWH zzgl zzt

Ziffer/Zahl/zu/zum/zur zum Beispiel Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zivilprozessordnung id Bek v 5.12.2005 (BGBl I 2005, 3202) Zeitschrift zum Teil zustimmend zutreffend Zeitschrift für Verbraucher- und Privatinsolvenzrecht Zeitschrift für Wirtschaftsstrafrecht und Haftung im Unternehmen Zuzüglich zur Zeit/zurzeit

Im Übrigen sei auf Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 8. Auflage, Berlin 2015 verwiesen.

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Literaturverzeichnis | XLIX

Literaturverzeichnis* Literaturverzeichnis Literaturverzeichnis A/G/R/Bearbeiter A/R/R/Bearbeiter A/W/H/H/Bearbeiter Ackermann Adick ADS Ahlberg/Götting Aigner AK/Bearbeiter Alexander Amelung/Bearbeiter

Andres/Leithaus/Dahl/ Bearbeiter AnwK/Bearbeiter Arbeitskreis für Insolvenzwesen Köln e.V. Armbruster

Assmann Auer

Ayasse B/Bearbeiter Balz/Landfermann Bassenge/Roth

Bauer

Ahrens, Martin/Gehrlein, Markus/Ringstmeier, Andreas, Fachanwaltskommentar Insolvenzrecht, 3. Auflage, Neuwied 2017 Achenbach, Hans/Ransiek, Andreas/Rönnau, Thomas (Hrsg.), Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 4. Aufl., Heidelberg 2015 Arzt, Gunther/Weber, Ulrich/Heinrich, Bernd/Hilgendorf, Eric, Straftaten Besonderer Teil, 2. Auflage 2009 Ackermann, Karl, Die Gläubigerbegünstigung § 241 KO, Diss. Univ. Tübingen 1912 Adick, Markus, Organuntreue (§ 266 StGB) und Business Judgement, Diss. Univ. Osnabrück 2010 Forster, Karl H./Goerdeler, Reinhard/Lanfermann, Josef/Müller, Hans P. (Hrsg.), Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl., Stuttgart 1994 Ahlberg, Hartwig/Götting, Horst-Peter, Beck’scher Online-Kommentar Urheberrecht, 11. Edition 2016 Aigner, Kathrin, Das neue Bilanzrecht nach HGB, Bonn 2009 Wassermann, Rudolf (Hrsg.), Kommentar zur Strafprozessordnung, Reihe Alternativkommentare, Neuwied 1992 Alexander, Thorsten, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit für die Wahrung der Verkehrssicherungspflichten in Unternehmen, Heidelberg 2005 Amelung, Knut (Hrsg.), Individuelle Verantwortung und Beteiligungsverhältnisse bei Straftaten in bürokratischen Organisationen des Staates, der Wirtschaft und der Gesellschaft, Sinzheim 2000 Andres, Dirk/Leithaus, Rolf/Dahl, Michael, Insolvenzordnung (InsO) – Kommentar, 3. Auflage, München 2014 Leipold, Klaus/Tsambikakis, Michael/Zöller, Mark A. (Hrsg.), AnwaltKommentar StGB, 2. Aufl., Heidelberg 2015 Arbeitskreis für Insolvenzwesen Köln e.V., Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 3. Auflage 2009 Armbruster, Ekkehard, Die Stellung des haftenden Gesellschafter in der Insolvenz der Personenhandelsgesellschaft nach geltendem und künftigem Recht, Berlin 1996 Assmann, Heinz-Dieter (Hrsg.), Wertpapierhandelsgesetz, 3. Aufl., Köln 2003 Auer, Martin, Gläubigerschutz durch § 266 StGB bei der einverständlichen Schädigung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Diss. Freie Univ. Berlin 1991 Ayasse, Horst, Untreue im Bankenbereich bei der Kreditvergabe, Diss. Univ. Tübingen 1990 Bockemühl, Jan (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts Strafrecht, 6. Aufl., Köln 2015 Balz, Manfred/Landfermann, Hans-Georg, Die neuen Insolvenzgesetze, 2. Aufl., Düsseldorf 1999 Bassenge, Peter/Roth, Herbert, Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Rechtspflegergesetz – Kommentar, 12. völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage, Heidelberg 2009 Bauer, Joachim, Die GmbH in der Krise, 6. Auflage, Köln 2016

_____ * In diesem Literaturverzeichnis sind die zitierten Werke jeweils in ihrer neuesten Auflage angeführt. Falls im Einzelfall ein Zitat oder die hier verwandte Zitierweise nicht zu finden sein sollte, dürfte die Ursache in einem Verweis auf eine frühere Auflage liegen.

L | Literaturverzeichnis

Baumbach/Hopt/ Bearbeiter Baumbach/Hueck/ Bearbeiter Baumgarte Baur/Stürner

Beck Beck/Depré/ Bearbeiter Beck/Samm/ Kokemoor/Bearbeiter Beck’scher BilanzKommentar/Bearbeiter Beck’sches Handbuch der GmbH/Bearbeiter BeckOK/Bearbeiter BeckOK-GmbHG/ Bearbeiter BeckOK ZPO/Bearbeiter Beck’sches Formularbuch/Bearbeiter Behringer Bemmann Bente

BerlK/Bearbeiter

Berndt/Theile/ Bearbeiter Berscheid Biermann Birkholz Bischof/Jungbauer/ Bräuer/Curkovic/ Klipstein/Klüsener/ Uher Bley/Mohrbutter Bloching Blumers

Baumbach, Adolf/Hopt, Klaus, HGB, 37. Aufl., München 2016 Baumbach, Adolf/Hueck, Götz, GmbH-Gesetz, 20. Aufl., München 2013 Baumgarte, Christian, Leasing-Verträge über bewegliche Sachen im Konkurs, Göttingen 1980 Baur, Fritz/Stürner, Rolf, Zwangsvollstreckungs-, Konkurs-, und Vergleichsrecht, Bd. 1 Einzelvollstreckung, Heidelberg 1995; Bd. 2 Insolvenzrecht, Heidelberg 1999 Beck, Rudolf, Die Gesellschafterbeschlüsse der Gesellschaft mit beschränkter Haftung, 1911 Beck, Peter/Depré, Siegfried, Praxis der Insolvenz, 2. Auflage, München 2010 Beck, Heinz/Samm, Carl-Theodor/Kokemoor, Axel (Hrsg.), KWG, Loseblattkommentar, Heidelberg 2016 Grottel, Bernd/Schubert, Wolfgang J./Schmidt, Stefan/Winkeljohann, Norbert (Hrsg.), Beck’scher Bilanz-Kommentar, 10. Aufl., München 2016 Müller, Welf/Hense, Burkhard, Beck’sches Handbuch der GmbH, 15. Aufl., München 2014 von Heintschel-Heinegg, Bernd (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar StGB, 32. Ed., München 2016 Ziemons, Hildegard/Jaeger, Carsten (Hrsg.), GmbHG, 28. Edition, München 2016 Vorwerk, Volkert/Wolf, Christian (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar ZPO, 19. Edition, München 2015 Hoffmann-Becking, Michael/Rawert, Peter (Hrsg.), Beck’sches Formularbuch Bürgerliches, Handels- und Wirtschaftsrecht, 11. Aufl., München 2013 Behringer, Stefan, Compliance kompakt: Best Practice im ComplianceManagement, Berlin 2010 Bemmann, Günter, Zur Frage der objektiven Bedingung der Strafbarkeit, Göttingen 1957 Bente, Ulrich, Die Strafbarkeit des Arbeitgebers wegen Beitragsvorenthaltung und Veruntreuung von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB), Diss. Univ. Göttingen 1991, Frankfurt am Main 1992 Blersch, Jürgen/Goetsch, Hans-W./Haas, Ulrich, (Hrsg.), Berliner Kommentar Insolvenzrecht: InsO, Arbeitshilfen, InsVV, internationales Insolvenzrecht, Steuerrecht, Loseblatt, 58. Lfg., Köln 2016 Berndt, Markus/Theile, Hans, Unternehmensstrafrecht und Unternehmensverteidigung, Heidelberg 2016 Berscheid, Ernst-Dieter, Arbeitsverhältnisse in der Insolvenz, Recklinghausen 1999 Biermann, Frank, Die strafrechtlichen Risiken der Tätigkeit des (vorläufigen) Insolvenzverwalters, Baden-Baden 2008 Birkholz, Matthias, Untreuestrafbarkeit als strafrechtlicher „Preis“ der beschränkten Haftung, Berlin 1998 Bischof/Jungbauer/Bräuer/Curkovic/Klipstein/Klüsener/Uher, RVG, 7. Aufl., Köln 2016

Bley, Erich/Mohrbutter, Jürgen, Vergleichsordnung – Großkommentar – Band 1 (§§ 1–81), 4. neubearbeitete Auflage, Berlin 1979 Bloching, Micha, Pluralität und Partikularinsolvenz, Berlin 2000 Blumers, Wolfgang, Bilanzierungstatbestände und Bilanzierungsfristen im Handelsrecht und Strafrecht, Diss. Univ. Köln 1983

Literaturverzeichnis | LI

Bock Böhle-Stamschräder/ Kilger Bollacher

Bömelburg

Boos/Fischer/SchulteMattler/Bearbeiter Bork Bork Bork/Hölzle/Bearbeiter Bork/Koschmieder/ Bearbeiter Bork/Schäfer/ Bearbeiter Böttcher Böttger/Bearbeiter Brackmann

Brand Brandes Branz Braun/Bearbeiter Braun/Uhlenbruck Brehm Brettner Bretzke Breuer Brogl/Bearbeiter Brun Informatik – Revision & Controlling Bruns Buchegger Büning Burgermeister Busch/Krieg

Bock, Dennis, Criminal Compliance, Baden-Baden 2011 Böhle-Stamschräder, Aloys/Kilger, Joachim, Vergleichsordnung, 11. neubearbeitete Auflage, München 1986 Bollacher, Florian, Das Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen: eine Untersuchung aktueller Fragen zu § 266a Abs 1 StGB, insbesondere zur Problematik unterlassener Beitragszahlung in der Unternehmenskrise, Baden-Baden 2006 Bömelburg, Regina, Der Selbstbelastungszwang im Insolvenzverfahren. Eine Untersuchung zur Reichweite des Verwendungsverbotes gemäß § 97 Absatz 1 Satz 3 Insolvenzordnung, Diss. (Köln) 2004 Boos, Karl-Heinz/Fischer, Reinfrid/Schulte-Mattler, Hermann (Hrsg.), Kreditwesengesetz, 5. Aufl., München 2016 Bork, Reinhard, Handbuch des Insolvenzanfechtungsrechts, Köln 2006 Bork, Reinhard, Einführung in das Insolvenzrecht, 7. Auflage, Tübingen 2014 Bork, Reinhard/Hölzle, Gerrit (Hrsg.), Handbuch Insolvenzrecht, Köln 2014 Bork, Reinhard/Koschmieder, Kurt-Dieter (Hrsg.), Fachanwaltshandbuch Insolvenzrecht, Loseblatt, Stand 2011, Köln Bork, Reinhard/Schäfer, Carsten (Hrsg.), GmbHG, 3. Aufl., Köln 2015 Böttcher, Lars, Depotgesetz, Baden-Baden 2012 Böttger, Marcus (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht in der Praxis, 2. Aufl., Bonn 2015 Brackmann, Susann, Der Einfluss des Insolvenzrechts auf das Insolvenzstrafrecht am Beispiel des Beiseiteschaffens iSd § 283 Abs 1 Nr 1 StGB – Unter besonderer Berücksichtigung grenzüberschreitender Sachverhalte, Diss. Univ. Jena 2014 Brand, Christian, Untreue und Bankrott in der KG und GmbH & Co KG, Diss. Univ. Konstanz 2010 Brandes, Helmut, Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Insolvenzrecht, 3. Aufl., Köln 1997 Branz, Anja, Das Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung (§ 266a Abs 1 StGB) in der Unternehmenskrise, Tübingen 2002 Braun, Eberhard (Hrsg.), Insolvenzordnung, 7. neu bearbeitete Auflage, München 2017 Braun, Eberhard/Uhlenbruck, Wilhelm, Unternehmensinsolvenz, Düsseldorf 1999 Brehm, Wolfgang, Zur Dogmatik des abstrakten Gefährdungsdelikts, Tübingen 1973 Brettner, Ronald, Die Strafbarkeit wegen Insolvenzverschleppung gemäß § 15a InsO, Diss. Univ. Greifswald 2013 Bretzke, Ulrike, Der Begriff der „drohenden Zahlungsunfähigkeit“ im Konkursstrafrecht, Diss. Univ. Köln 1984 Breuer, Wolfgang, Insolvenzrechts-Formularbuch, 4. Aufl., München 2016 Brogl, Frank A. (Hrsg.), Handbuch Banken-Restrukturierung: Bankenabgabe – Prävention – Stabilisierung – Haftung, Berlin 2011 Brun, Jürg, Informatik – Revision & Controlling, Zürich 2000 Bruns, Hans-Jürgen, Die Befreiung des Strafrechts vom zivilistischen Denken, Habil. Univ. Breslau 1938 Buchegger, Walter, Insolvenzrecht, 2. erweiterte Auflage, Wien 2013 Büning, Marc, Die strafrechtliche Verantwortung faktischer Geschäftsführer einer GmbH, Diss. Fern-Univ. Hagen 2004 Burgermeister, Udo, Der Sicherheitenpool im Insolvenzrecht, 2. Aufl., Köln 1996 Busch, Luis/Krieg, Otto, Konkursordnung, Vergleichsordnung und Anfechtungsgesetz mit Erläuterungen, 16. Auflage, 1932

LII | Literaturverzeichnis

Büttiker Büttner Büttner/Büttner Cadus Cahn Ceffinato Christ Ciolek-Krepold Coenenberg/Haller/ Schultze Coimbra-Symposium/ Bearbeiter D/D/R/Bearbeiter Dannecker/Knierim/ Hagemeier/Bearbeiter Degenhardt Deixler-Hübner/Klicka

Depré Derleder/Knops/ Bamberger/Bearbeiter Deutsch-Spanisches Strafrechtskolloquium/Bearbeiter Deutsche Kriminologische Gesellschaft/ Bearbeiter Diem Diemer/Schatz/Sonnen Dinkhoff Dittrich

Büttiker, Alfons, Der Betrügliche Bankerutt, Diss. Univ. Heidelberg 1914 Büttner, Holger, Listing und De-Listing sowie Abwahl des Insolvenzverwalters im deutschen und österreichischen Recht, Berlin 2011 Büttner, Sebastian/Büttner, Holger, Die Trias im Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG), München 2012 Cadus, Joachim-M., Die faktische Betrachtungsweise, Diss. Univ. Mannheim 1984 Cahn, Andreas, Kapitalerhaltung im Konzern, Habilitation Frankfurt aM, Köln 1998 Ceffinato, Tobias, Legitimation und Grenzen der strafrechtlichen Vertreterhaftung nach § 14 StGB, Diss. Univ. Bayreuth 2012 Christ, Caroline, Englische Private Limited und französische Société à Responsabilité Limitée, Diss. Univ. Augsburg 2008 Ciolek-Krepold, Katja, Durchsuchung und Beschlagnahme in Wirtschaftsstrafsachen, München 2000 Coenenberg, Adolf G./Haller, Axel/Schultze, Wolfgang, Jahresabschluß und Jahresabschlußanalyse. Betriebswirtschaftliche, handelsrechtliche, steuerrechtliche und internationale Grundlagen, 24. Aufl., Landsberg am Lech 2016 Schünemann, Bernd (Hrsg.), Bausteine des europäischen Strafrechts, CoimbraSymposium für Claus Roxin, Köln 1995 Dölling, Dieter/Duttge, Gunnar/Rössner, Dieter (Hrsg.), Gesamtes Strafrecht: StGB, StPO, Nebensgesetze – Handkommentar, 3. Aufl., Baden-Baden 2013 Dannecker/Gerhard/Thomas C. Knierim/Andrea Hagemeier, Insolvenzstrafrecht, 2. Aufl., Heidelberg 2012 Degenhardt, Klaus, Die Limited in Deutschland, 7. Aufl., Paderborn 2011 Deixler-Hübner, Astrid/Klicka, Thomas, Zivilverfahren – Erkenntnisverfahren und Grundzüge des Exekutions- und Insolvenzrechts, 9. neu bearbeitete Auflage, Düsseldorf 2015 Depré, Peter, Die anwaltliche Praxis in Insolvenzsachen: Eine Einführung in die Anwaltstätigkeit, Stuttgart 1997 Derleder, Peter/Knops, Kai-Oliver/Bamberger, Heinz Georg (Hrsg.), Handbuch zum deutschen und europäischen Bankrecht, 2. Aufl., Berlin 2009 Hirsch, Hans-Joachim (Hrsg.), Deutsch-Spanisches Strafrechtskolloquium, Baden-Baden 1987 Deutsche Kriminologische Gesellschaft (Hrsg.), Band 63, Betriebskriminalität: Tagungsberichte der Deutschen Kriminologischen Gesellschaft vom 24. Mai 1975, Hamburg 1976 Diem, Andreas, Akquisitionsfinanzierungen, 3. Aufl., München 2013 Diemer/Schatz/Sonnen, Jugendgerichtsgesetz, 7. Aufl., Heidelberg 2015 Dinkhoff, Marc, Der faktische Geschäftsführer in der GmbH, Diss. Univ. Bremen 2003 Dittrich, Elisabeth, Die Untreuestrafbarkeit von Aufsichtsratsmitgliedern bei der Festsetzung überhöhter Vorstandsvergütungen, Diss. Univ. Tübingen 2007 Dohmen, Anja, Verbraucherinsolvenz und Strafrecht, Diss. Univ. Gießen 2007 Dörndorfer, Josef, Rechtspflegergesetz – Kommentar, 2. Auflage, München 2014 Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Europäische Insolvenzverordnung, Wien 2002 Joost, Detlef/Strohn, Lutz (Hrsg.), HGB, 3. Aufl., München 2014

Dohmen Dörndorfer Duursma-Kepplinger/ Duursma/Chalupsky Ebenroth/Boujong/ Joost/Strohn/Bearbeiter Ehlers/Drieling Ehlers, Harald/Drieling, Ilka, Unternehmenssanierung nach der Insolvenzordnung, 2. Aufl., München 2000 Eickmann, VergVO Eickmann, Dieter, VergVO – Kommentar zur Vergütung im Insolvenzverfahren, 2. wesentlich erweiterte Auflage, 1997

Literaturverzeichnis | LIII

Eickmann, Vergütungsrecht Eidam/Bearbeiter Eisenberg Erbs/Kohlhaas/ Bearbeiter Erdmann ErfK/Bearbeiter Ewald

Fink Fischer Fischer/Klanten/ Bearbeiter Fischer ua/Bearbeiter

Eickmann, Dieter, Vergütungsrecht – Kommentar zur InsVV, 2. neubearbeitete Auflage, Köln 2001 Eidam, Gerd (Hrsg.), Unternehmen und Strafe, 4. Aufl., Köln 2014 Eisenberg, Urlich; Beweisrecht der StPO; 9. Aufl., München 2015 Erbs, Georg/Kohlhaas, Max, Strafrechtliche Nebengesetze, 211. Ergänzungslieferung Januar 2016 Erdmann, Sven, Die Krisenbegriffe der Insolvenzstraftatbestände (§§ 283 ff StGB), Diss. Univ. Bonn 2007 Müller-Glöge, Rudi/Preis, Ulrich/Schmidt, Ingrid, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 16. Aufl., München 2016 Ewald, Rolf, Untreue zwischen „verbundenen Unternehmen“: eine Untersuchung zu Notwendigkeit und Umfang des durch § 266 StGB gewährten Vermögensschutzes im Konzernrecht des Aktiengesetzes, Diss. Univ. Bochum 1981 Fink, Herbert, Insolvenzrecht, 9. aktualisierte Auflage, Düsseldorf 2015 Fischer, Thomas, StGB, 64. Aufl, München 2017 Fischer, Reinfrid/Klanten, Thomas (Hrsg.), Bankrecht, 4. Aufl., Köln 2010

Fischer,Thomas/Elisa Hoven/Hans-Peter Huber/Rolf Raum/Thomas Rönnau/ Frank Saliger/Gerson Trüg, Dogmatik und Praxis des strafrechtlichen Vermögensschadens, Baden-Baden 2015 FK-InsO/Bearbeiter Wimmer, Klaus (Hrsg.), Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, 8. Auflage, Neuwied 2015 Fleischer/Bearbeiter Fleischer, Holger (Hrsg.), Handbuch des Vorstandsrechts, München 2006 Flöther/Smid/ Flöther, Lucas/Smid, Stefan/Wehdeking, Silke, Die Eigenverwaltung in der Wehdeking Insolvenz, München 2005 Flore/Tsambikakis Flore, Ingo/Tsambikakis, Michael; Steuerstrafrecht; 2. Aufl., Köln 2016 Flum Flum, Joachim, Der strafrechtliche Schutz der GmbH gegen Schädigungen mit Zustimmung der Gesellschafter, Diss. Univ. Konstanz 1990 Flume, AT I 2 Flume, Werner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Die juristische Person, Heidelberg 1983 Foerste Foerste, Ulrich, Insolvenzrecht, 6. Aufl., München 2014 Foerste/v. WestFoerste, Ulrich/Graf v. Westphalen, Friedrich, Produkthaftungshandbuch, phalen/Bearbeiter 3. Aufl., München 2012 Frank/Hecht Frank, Ludwig/Hecht, Gustav, Gesetz über die Sicherung der Bauforderungen, Mannheim/Leipzig 1909 Frege Frege, Michael C., Der Sonderinsolvenzverwalter, Köln 2008 Frege/Keller/Riedel Frege, Michael C./Keller, Ulrich/Riedel, Ernst, Handbuch der Rechtspraxis, Band 3, Insolvenzrecht, 8. Aufl., München 2015 FG BGH (zitiert: Roxin, Claus/Widmaier, Gunter (Hrsg.), 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe Bearbeiter BGH-FG) aus der Wissenschaft, Band IV, München 2000 FG Reichsgericht Schreiber, Otto (Hrsg.), Die Reichsgerichtspraxis im deutschen Rechtsleben, (zitiert: BearbeiterFestgabe der juristischen Fakultäten zum 50jährigen Bestehen des ReichsReichsgerichts FG) gerichts (1. Oktober 1929), Berlin 1929 FS 400 Jahre Universität Gropp, Walter/Lipp, Martin/Steiger, Heinhard (Hrsg.), Rechtswissenschaft im Gießen (zitiert: Wandel: Festschrift des Fachbereichs Rechtswissenschaft zum 400jährigen Bearbeiter-400-JahreGründungsjubiläum der Justus-Liebig-Universität Gießen, Tübingen 2007 Universität-Gießen FS) FS Achenbach (zitiert: Hellmann, Uwe/Schröder, Christian (Hrsg.), Festschrift für Hans Achenbach zum Bearbeiter-Achenbach 70. Geburtstag am 13. Oktober 2011, Heidelberg 2011 FS) FS AG Strafrecht im DAV Arbeitsgemeinschaft Strafrecht des Deutschen Anwaltvereins (Hrsg.), (zitiert: Bearbeiter …) FS 25 Jahre Arbeitsgemeinschaft Strafrecht des Deutschen Anwaltvereins: Strafverteidigung im Rechtsstaat, Baden-Baden 2009

LIV | Literaturverzeichnis

FS Bemmann (zitiert: Bearbeiter-Bemmann FS) FS Beusch (zitiert: Bearbeiter-FS Beusch) FS BGH (zitiert: Bearbeiter-FS BGH) FS Blau (zitiert: Bearbeiter-Blau FS) FS Buchner (zitiert: Bearbeiter-Buchner FS) FS Döllerer (zitiert: Bearbeiter-FS Döllerer) FS E. Dreher (zitiert: Bearbeiter-E.-Dreher FS) FS Dünnebier (zitiert: Bearbeiter-Dünnebier FS) FS Eisenberg (zitiert: Bearbeiter-Eisenberg FS) FS Feigen (zitiert: Bearbeiter-Feigen FS) FS Fischer (zitiert: Bearbeiter-FS Fischer) FS Frank (zitiert: Bearbeiter-Frank FG) FS Frisch (zitiert: Bearbeiter-Frisch FS) FS Ganter (zitiert: Bearbeiter-Ganter FS) FS Geerds (zitiert: Bearbeiter-Geerds FS) FS Geßler (zitiert: Bearbeiter-Geßler FS) FS GmbHG (zitiert: GmbH-FS) FS Goerdeler (zitiert: Bearbeiter-Goerdeler FS) FS Goette (zitiert: Bearbeiter Goette FS) FS Gössel (zitiert: Bearbeiter-Gössel FS) FS Hadding (zitiert: Bearbeiter-Hadding FS) FS Hamm (BearbeiterHamm FS) FS Hassemer (zitiert: Bearbeiter-Hassemer FS)

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Literaturverzeichnis | LV

FS Heinitz (zitiert: Bearbeiter-Heinitz FS) FS Heinz (zitiert: Bearbeiter-Heinz FS) FS Hellwig (zitiert: Bearbeiter-Hellwig FS) FS Henckel (zitiert: Bearbeiter-Henckel FS) FS Herzberg (zitiert: Bearbeiter-Herzberg FS)

Lüttger, Hans (Hrsg.), Festschrift für Ernst Heinitz zum 70. Geburtstag am 1. Januar 1972, Berlin 1972 Hilgendorf, Eric/Rengier, Rudolf (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Heinz zum 70. Geburtstag, Baden-Baden 2012 Hoffmann-Becking, Michael (Hrsg.), Festschrift für Hans-Jürgen Hellwig zum 70. Geburtstag, Köln 2010 Gerhardt, Walter (Hrsg.), Festschrift für Wolfram Henckel zum 70. Geburtstag am 21. April 1995, Berlin 1995 Putzke, Holm/Hartung, Bernhard/Hörnle, Tatjana/Merkel, Reinhard (Hrsg.), Strafrecht zwischen System und Telos, Festschrift für Rolf Dietrich Herzberg zum 70. Geburtstag, Tübingen 2008 FS Hueck (zitiert: Dietz, Rolf (Hrsg.), Beiträge zum Arbeits-, Handels- und Wirtschaftsrecht, FestBearbeiter-A. Hueck FS) schrift für Alfred Hueck zum 70. Geburtstag am 7. Juli 1959, München 1959 FS Hüffer (zitiert: Kindler, Peter/Koch, Jens/Ulmer, Peter/Winter, Martin (Hrsg.), Festschrift für Bearbeiter-Hüffer FS) Uwe Hüffer zum 70. Geburtstag, München 2010 FS Kirchhof (zitiert: Gerhardt, Walter (Hrsg.), Insolvenzrecht im Wandel der Zeit: Festschrift für HansBearbeiter-FS Kirchhof) Peter Kirchhof zum 65. Geburtstag, Recklinghausen 2003 FS Kitagawa (zitiert: Leser, Hans G. (Hrsg.), Festschrift für Zentaro Kitagawa zum 60. Geburtstag am Bearbeiter-Kitagawa FS) 5. April 1992, Berlin 1992 FS KO (zitiert: Uhlenbruck, Wilhelm (Hrsg.), Festschrift des Arbeitskreises für Insolvenz- u Bearbeiter-FS KO) Schiedsgerichtswesen e.V. Köln zum 100jährigen Bestehen der Konkursordnung vom 10. Februar 1877, Köln/Berlin/Bonn/München 1977 FS Krey (zitiert: Amelung, Knut/Günther, Hans-Ludwig (Hrsg.), Festschrift für Volker Krey zum Bearbeiter-Krey FS) 70. Geburtstag am 9. Juli 2010, Stuttgart 2010 FS Kropff (zitiert: Forster, Karl-Heinz (Hrsg.), Aktien- und Bilanzrecht: Festschrift für Bruno Kropff, Bearbeiter-FS Kropff) Düsseldorf 1997 FS Kühl (zitiert: Heger, Martin/Kelker, Brigitte/Schramm, Edward (Hrsg.), Festschrift für Kristian Bearbeiter-Kühl FS) Kühl zum 70. Geburtstag, München 2014 FS Lackner (zitiert: Küper, Wilfried (Hrsg.), Festschrift für Karl Lackner zum 70. Geburtstag am Bearbeiter-Lackner FS) 18. Februar 1987, Berlin 1987 FS Lampe (zitiert: Dölling, Dieter (Hrsg.), Jus humanum: Grundlagen des Rechts und Strafrecht, Bearbeiter-Lampe FS) Festschrift für Ernst-Joachim Lampe zum 70. Geburtstag, Berlin 2003 FS Maier-Reimer Grunewald, Barbara/Westermann, Harm Peter (Hrsg.), Festschrift für Georg (zitiert: BearbeiterMaier-Reimer zum 70. Geburtstag, München 2010 Maier-Reimer FS) FS Maiwald (zitiert: Bloy, René/Böse, Martin/Hillenkamp, Thomas (Hrsg.), Gerechte Strafe und Bearbeiter-Maiwald legitimes Strafrecht, Festschrift für Manfred Maiwald zum 75. Geburtstag, FS) Berlin 2010 FS Mehle (zitiert: Hiebl, Stefan/Kassebohm, Nils/Lilie, Hans (Hrsg.), Festschrift für Volkmar Mehle Bearbeiter-Mehle FS) zum 65. Geburtstag am 11. November 2009, Baden-Baden 2009 FS Merz (zitiert: Gerhardt, Walter (Hrsg.), Festschrift für Franz Merz zum 65. Geburtstag am Bearbeiter-FS Merz) 3. Februar 1992, Köln 1992 FS Meyer-Goßner Eser, Albin (Hrsg.), Strafverfahrensrecht in Theorie und Praxis: Festschrift für (zitiert: BearbeiterLutz Meyer-Goßner zum 65. Geburtstag, München 2001 FS Meyer-Goßner) FS Mezger (zitiert: Engisch, Karl (Hrsg.), Festschrift für Edmund Mezger zum 70. Geburtstag am Bearbeiter-Mezger FS) 15. Oktober 1953, München 1954 Kühne, Hans-Heiner (Hrsg.), Festschrift für Koichi Miyazawa dem Wegbereiter FS Miyazawa (zitiert: des japanisch-deutschen Strafrechtsdiskurses, Baden-Baden 1995 Bearbeiter-Miyazawa FS) FS Moxter (zitiert: Ballwieser, Wolfgang (Hrsg.), Bilanzrecht und Kapitalmarkt: Festschrift zum Bearbeiter-Moxter FS) 65. Geburtstag von Adolf Moxter, Düsseldorf 1994 FS Nobbe (zitiert: Habersack, Mathias/Joeres, Hans-Ul-rich/Krämer, Achim (Hrsg.), EntwicklungsBearbeiter-Nobbe FS) linien im Bank- und Kapitalmarktrecht, Köln 2009

LVI | Literaturverzeichnis

FS OLG Celle (zitiert: Bearbeiter-OLG Celle FS) FS Otto (zitiert: Bearbeiter-Otto FS) FS Paeffgen (zitiert: Bearbeiter-Paeffgen FS) FS Pawlowski (zitiert: Bearbeiter-Pawlowski FS) FS Pfeiffer (zitiert: Bearbeiter-Pfeiffer FS)

Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Georg-August-Universität zu Göttingen (Hrsg.), Göttinger Festschrift für das Oberlandesgericht Celle zum 250jährigem Bestehen des Oberlandesgerichts Celle, Göttingen 1961 Dannecker, Gerhard (Hrsg.), Festschrift für Harro Otto zum 70. Geburtstag am 1. April 2007, Köln 2007 Stuckenberg, Carl-Friedrich/Gärditz, Klaus Ferdinand (Hrsg.), Festschrift für Hans-Ullrich Paeffgen zum 70. Geburtstag am 2. Juli 2015, Berlin 2015 Smid, Stefan (Hrsg.), Recht und Pluralismus. Hans-Martin Pawlowski zum 65. Geburtstag, Berlin 1997

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Literaturverzeichnis | LVII

FS Schäfer (zitiert: Bearbeiter-Schäfer FS) FS Schaffstein (zitiert: BearbeiterSchaffstein FS) FS Schiller (zitiert: Bearbeiter-Schiller FS) FS Eb. Schmidt (zitiert: BearbeiterEb.-Schmidt FS) FS K. Schmidt (zitiert: Bearbeiter-K Schmidt FS) FS Schöch (zitiert: Bearbeiter-Schöch FS) FS Schröder (zitiert: Bearbeiter-Schröder FS) FS Schünemann (zitiert: BearbeiterSchünemann FS) FS Semler (zitiert: Bearbeiter-Semler FS) FS Streck (zitiert: Bearbeiter-Streck FS) FS Tiedemann (zitiert: Bearbeiter-Tiedemann FS) FS Tröndle (zitiert: Bearbeiter-Tröndle FS) FS Uhlenbruck (zitiert: Bearbeiter-Uhlenbruck FS) FS Ulmer (zitiert: Bearbeiter-Ulmer FS) FS v. Caemmerer (zitiert: Bearbeiterv. Caemmerer FS) FS Volk (Bearbeiter-Volk FS) FS Wahle (zitiert: Bearbeiter-Wahle FS) FS F. Weber (zitiert: Bearbeiter-F.-Weber FS) FS U. Weber (zitiert: Bearbeiter-U.-Weber FS) FS Wellensiek (zitiert: Bearbeiter-Wellensiek FS) FS Werner (zitiert: Bearbeiter-Werner FS) FS Wessing (zitiert: Bearbeiter-Wessing FS)

Eger, Thomas/Bigus, Jochen u.a. (Hrsg.), Festschrift für Hans-Bernd Schäfer zum 65. Geburtstag, Wiesbaden 2008 Grünwald, Gerald (Hrsg.), Festschrift für Friedrich Schaffstein zum 70. Geburtstag am 28. Juli 1975, Göttingen 1975 Lüderssen, Klaus/Volk, Klaus/Wahle, Eberhard (Hrsg.), Festschrift für Wolf Schiller zum 65. Geburtstag am 12. Januar 2014, Baden-Baden 2014 Bockelmann, Paul (Hrsg.), Festschrift für Eberhard Schmidt zum 70. Geburtstag, Göttingen 1961 Bitter, Georg/Lutter, Marcus/Priester, Hans-Joachim (Hrsg.), Festschrift für Karsten Schmidt zum 70. Geburtstag, Köln 2009 Dölling, Dieter (Hrsg.), Verbrechen – Strafe – Resozialisierung, Festschrift für Heinz Schöch zum 70. Geburtstag am 20. August 2010, Berlin 2010 Hoyer, Andreas (Hrsg.), Festschrift für Friedrich-Christian Schroeder zum 70. Geburtstag, Heidelberg 2006 Hefendehl, Roland/Hörnle, Tatjana/Greco, Luis (Hrsg.), Streitbare Strafrechtswissenschaft, Festschrift für Bernd Schünemann zum 70. Geburtstag am 1. November 2014, Berlin 2014 Bierich, Marcus (Hrsg.), Unternehmen und Unternehmensführung im Recht: Festschrift für Johannes Semmler zum 70. Geburtstag am 28. April 1993, Berlin 1993 Spatscheck, Rainer/Binnewies, Burkhard/Rakete-Dombek, Ingeborg (Hrsg.), Festschrift für Michael Streck zum 70. Geburtstag, Köln 2011 Sieber, Ulrich/Dannecker, Gerhard (Hrsg.), Strafrecht und Wirtschaftsstrafrecht, Festschrift für Klaus Tiedemann zum 70. Geburtstag, Köln 2008 Jescheck, Hans-Heinrich (Hrsg.), Festschrift für Herbert Tröndle zum 70. Geburtstag am 24. August 1989, Berlin 1989 Prütting, Hanns (Hrsg.), Insolvenzrecht in Wissenschaft und Praxis: Festschrift für Wilhelm Uhlenbruck zum 70. Geburtstag, Köln 2000 Habersack, Mathias (Hrsg.), Festschrift für Peter Ulmer zum 70. Geburtstag am 2. Januar 2003, Berlin 2003 Taschner, Hans Claudius (Hrsg.), Festschrift für Ernst von Caemmerer zum 70. Geburtstag, Tübingen 1978 Hassemer, Winfried/Kempf, Eberhard/Moccia, Sergio (Hrsg.), In dubio pro libertate, Festschrift für Klaus Volk zum 65. Geburtstag, München 2009 Birk, Hans-Jörg/u.a. (Hrsg.), Legum omnes servi sumus ut liberi esse possimus, Festschrift für Eberhard Wahle zum 70. Geburtstag, Stuttgart 2008 Bökelmann, Erhard (Hrsg.), Festschrift für Friedrich Weber zum 70. Geburtstag am 19. Mai 1975, Berlin 1975 Heinrich, Bernd (Hrsg.), Festschrift für Ulrich Weber zum 70. Geburtstag am 18. September 2004, Bielefeld 2004 Prager, Martin/Martin Jungclaus (Hrsg.), Der Begriff der Zahlungsunfähigkeit und die sog. „Bugwellentheorie“, Festschrift für Jobst Wellensiek, München 2011 Hadding, Walther (Hrsg.), Handelsrecht und Wirtschaftsrecht in der Bankpraxis: Festschrift für Winfried Werner zum 65. Geburtstag am 17. Oktober 1984, Berlin 1984 Ahlbrecht, Heiko/u.a. (Hrsg.), Unternehmensstrafrecht, Festschrift für Jürgen Wessing zum 65. Geburtstag, München 2015

LVIII | Literaturverzeichnis

FS Westermann (zitiert: BearbeiterWestermann FS) FS Widmaier (zitiert: Bearbeiter-Widmaier FS) FS Zolla (zitiert: Bearbeiter-Zolla FS) G/E/S/Bearbeiter G/J/W/Bearbeiter G/K/R/Bearbeiter G/L/Bearbeiter G/v B/Bearbeiter Gawaz Geers GK-AktG/Bearbeiter GK-GmbHG/Bearbeiter Goette Göhler Gola/Schomerus Goette/Habersack/ Bearbeiter Görling

Götker Gosch Gottwald Gottwald/Bearbeiter Gottwald/Riedel Götzinger/Michael Grabitz/Hilf/Bearbeiter Graeber/Graeber Graeber/Graeber, InsVV-Online Graf Graf-Schlicker/ Bearbeiter

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Literaturverzeichnis | LIX

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Graul, Eva (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Dieter Meurer, Berlin 2002 Geppert, Klaus (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Karlheinz Meyer, Berlin 1990 Duttge, Gunnar (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Ellen Schlüchter, Köln 2002

Stree, Walter (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Horst Schröder, München 1978

Gübel, Nils, Die Auswirkungen der faktischen Betrachtungsweise auf die strafrechtliche Haftung faktischer GmbH-Geschäftsführer, Diss. Univ. Kiel 1994 Güntert Güntert, Lothar, Gewinnabschöpfung als strafrechtliche Sanktion: eine Untersuchung zu den Verfallsbestimmungen der §§ 73 bis 73d des Strafgesetzbuches, Köln 1983 Günther/Lorenz/ Günther, Frank/Lorenz, Hans-Peter (Hrsg.), Großkredite nach GroMiKV und KWG, Bearbeiter Heidelberg 2011 H/K/Bearbeiter Hofmann, Olaf/Koppmann, Werner, Die neue Bauhandwerkersicherung, Stamsried 2000 H/W/F/Bearbeiter, Haarmeyer, Hans/Wutzke, Wolfgang/Förster, Karsten (Hrsg.), InsO – InsolvenzInsO ordnung, Kommentar, 2. Auflage, 2012 Haag/Löffler/Bearbeiter Haag, Oliver/Löffler, Joachim (Hrsg.), HGB, 2. Aufl., Bonn 2014 Haarmeyer Haarmeyer, Hans, Hoheitliche Beschlagnahme und Insolvenzbeschlag: zum Verhältnis konkurrierender Beschlagnahmen und der Befugnisse des Insolvenzverwalters, Herne/Berlin 2000 Haarmeyer/Mock Haarmeyer, Hans/Mock, Sebastian, Insolvenzrechtliche Vergütungsordnung (InsVV), 5. neu bearbeitete Auflage, 2014 Haarmeyer/Wutzke/ Haarmeyer, Hans/Wutzke, Wolfgang/Förster, Karsten, Insolvenzrechtliche Förster Vergütung (InsVV), 3. Aufl., München 2002 Haas Haas, Ulrich, Geschäftsführerhaftung und Gläubigerschutz, München 1997 Haas Insolvenzrecht Haas, Ulrich, Die Eröffnungsgründe: Zahlungsunfähigkeit, drohende Zahlungsunfähigkeit, Überschuldung, in: Henckel, Wolfram/Kreft, Gerhart, Insolvenzrecht, RWS Forum 14, Köln 1998 Habetha Habetha, Jörg, Bankrott und strafrechtliche Organhaftung, Diss. Univ. Saarbrücken 2014 Hachenburg/Bearbeiter Hachenburg, Max/Ulmer, Peter (Hrsg.), Großkommentar GmbHG, 8. Aufl., Berlin 1997 Hagedorn Hagedorn, Niklas, Bilanzstrafrecht im Lichte bilanzrechtlicher Reformen, Diss. Univ. Berlin 2009

LX | Literaturverzeichnis

Hagelberg Hagenloch Hahn HambK/Bearbeiter Hammerl

Hanack Hanft Hanisch

Hannich Hannig/Bearbeiter Harneit Harnier Hartmann Häsemeyer Hassemer Hauck

Hauschka Hauser Heckschen/Heidinger Hefendehl Heiermann/Riedl/ Rusam/Bearbeiter HeiK-InsO/Bearbeiter Heinz/Hartung Hellmann/Beckemper Hellwig, Gutachten E Henkes/Bauer/Kopp/ Polduwe Henssler/Strohn/ Bearbeiter

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Literaturverzeichnis | LXI

Herchen Herlinghaus Hermann Hertel/Weigelt Herwig Hess Hess, Insolvenzrecht

Hess/Bearbeiter Hess/Fechner/Freund/ Körner Hess/Weis Heymann/Bearbeiter HHSp/Bearbeiter Hilgendorf Hillig/Hartung Hiltenkamp-Wisgalle Hinderer

HK/Bearbeiter Hoffmann Hofmann

Höfner Hohnel/Bearbeiter Hopt/Bearbeiter Hörl Horschitz/Groß/ Weidner Huber Hüffer/Koch Hüffer/Koch, AktG Huhn I/K/Bearbeiter I/M/Bearbeiter

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LXII | Literaturverzeichnis

Ignor/Rixen/ Bearbeiter Institut für Kriminalwissenschaften und Rechtsphilosophie Frankfurt aM/Bearbeiter Ischebeck

J/J/R/Bearbeiter Jacobi Jacobs Jaeger Jaeger, KO

Jaeger/Bearbeiter InsO Jaeger/Bearbeiter InsO Jaeger/Henckel Jäger

Jauernig Jauernig ZPO Joecks Joerden/Szwark/ Bearbeiter Jung Just K/K/Bearbeiter KölnK/Bearbeiter KölnK/Bearbeiter K/P/B/Bearbeiter K/W/Bearbeiter Kanitz Kaufmann Kawan

Ignor, Alexander/Rixen, Stephan (Hrsg.), Handbuch Arbeitsstrafrecht, Stuttgart 2002 Institut für Kriminalwissenschaften und Rechtsphilosophie Frankfurt aM (Hrsg.), Jenseits des rechtsstaatlichen Strafens, Frankfurt aM 2007

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KK-StPO/Bearbeiter KK-AktG/Bearbeiter KK-OWiG/Bearbeiter KK-UmwG/Bearbeiter Klein/Bearbeiter Klüpfel/Gaberdiel/ Bearbeiter KMR/Bearbeiter Knauer Koch/Scholtz/ Bearbeiter Kohlmann Kohlmann/Bearbeiter Kohte Koller/Kindler/Roth/ Morck/Bearbeiter Kollmar KS/Bearbeiter Korbion/Wietersheim Krause Krekeler Krekeler/Werner Krezer

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LXIV | Literaturverzeichnis

Kribs-Drees

Kruse KS/Eickmann KS/Balz KS/Grub

KS/Pape

KS/Prütting K. Schmidt Kübler/Assmann Kübler/Prütting RWS Dok 18 Kuhn Kühn/Hofmann Kuhn/Uhlenbruck/ Bearbeiter Kummer Kümpel/Wittig/ Bearbeiter Küting/Weber/ Bearbeiter L/K/Bearbeiter L/S/Z L/S/Z/Bearbeiter Labinski Lachmair Lachmann/Nieberding Lackner/Kühl/ Bearbeiter Laskos Leipold/Bearbeiter Leipold/Heinze/ Stürner/Uhlenbruck Leipold/Tsambikakis/ Zöller/Bearbeiter

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Lemke/Mosbacher Lindheim LK/Bearbeiter Louis LR/Bearbeiter Lüderssen/Kempf/ Volk/Bearbeiter Lutter/Hommelhoff/ Bearbeiter Lutter/Krieger/Verse Lutter/Winter/ Bearbeiter Luz/Bearbeiter M/B/S/Bearbeiter M/G/Bearbeiter M/R/Bearbeiter M/S/M/Bearbeiter M/V/Bearbeiter Madrid-Symposium/ Bearbeiter MAH/Bearbeiter MAH GmbHRecht/ Bearbeiter MAH/Römermann/ Bearbeiter Mansdörfer/Habetha Marburger/Wolber Marten/Quick/Ruhnke

Martin Matzen Mayer Mayer, M-E Mentzel Mergel

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Meyer-Goßner/Schmitt M-G/Bearbeiter Michalski/Bearbeiter Miras Mittelsdorf MK-AktG/Bearbeiter MK-BGB/Bearbeiter MK-BilR/Bearbeiter MK-GmbHG/Bearbeiter MK-HGB/Bearbeiter MK-InsO/Bearbeiter MK-StGB/Bearbeiter MK-StPO/Bearbeiter Mohr Moosmayer Morscher Moss/Fletcher/Isaacs Mulford/Comiskey MünchHdB-GesellschaftsR-AG/Bearbeiter Münzinger Nappert Nelles Nelles, Diss.

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LXVIII | Literaturverzeichnis

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Regner

Reichelt Reinhart

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Reischl Reiß, R.

Reiß, W. Rengier AT Rengier BT I Rengier BT II Ressmann Reul/Heckschen/ Wienberg/Bearbeiter Ricken Ring/Grziwotz Ringleb/Bearbeiter, DCGK Rodemann Röhm Römermann/Bearbeiter Rönnau Röpke Rosenberg/Schwab/ Gottwald Roth Roth/Altmeppen/ Bearbeiter Rotsch, Wissenschaftliche und praktische Compliance-Diskussion Rotsch/Bearbeiter Rowedder/SchmidtLeithoff/Bearbeiter Roxin/Schünemann Roxin I Roxin II Rüster S/G/Bearbeiter S/S/Bearbeiter S/S/W/Bearbeiter Samolewitz

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LXX | Literaturverzeichnis

Sandrock/Wetzler/ Bearbeiter Schädlich Schäfer Schäuble

Schiederer/Loidl Schilha Schilit Schimansky/Bunte/ Lwowski/Bearbeiter Schimmelpfeng Schlierbach/Püttner Schlösser Schlothauer/Weider/ Nobis Schlüchter Schmid Schmidt, Handelsrecht Schmidt/Bearbeiter Schmidt/Lutter/ Bearbeiter Schmidt/Uhlenbruck Schmidt, Gesellschaftsrecht Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht Schmidt-Salzer Schmitt Schneider, J. Schneider Scholz/Bearbeiter Scholz/Tiedemann Schramm Schröder Schröder, O.

Schuld

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Schünemann

Schünemann Gutachten Schünemann/ Bearbeiter Schüppen Schürmann Schürnbrand Schwarz/Pahlke/ Bearbeiter Schweitzer Schwennicke/ Auerbach/Bearbeiter Schwilden

Sell

Semler/Stengel/ Bearbeiter Simon

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Tasma Teller Theile Theile, C. Thiel/Lüdtke-Handjery Thiessen Thilow

Thole

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Tiedemann

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Wauschkuhn Wehdeking Wehleit Weiß Weißer Wells Werner/Pastor/ Bearbeiter Wernicke Weyand/Diversy Wicke Wieczorek/Schütze Wiedemann Wiesener Wietz Wilde Wimmer/Dauernheim/ Wagner/Gietl/ Bearbeiter Wimmer/Stenner Windbichler Winkeljohann/ Förschle/Deubert Winter Wittig Wlotzke/Wissmann Wodicka Wöhe Wolf/Neuner Worm WP-Hdb Bd I/ Bearbeiter Wüchner

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LXXVI | Literaturverzeichnis

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§ 1 Informationsbeschaffung der Staatsanwaltschaft/Gestaltung des Ermittlungsverf. | 1

1. Kapitel: Informationsbeschaffung

1. Kapitel: Informationsbeschaffung Bittmann

§ 1 Informationsbeschaffung der Staatsanwaltschaft und Gestaltung des Ermittlungsverfahrens § 1 Informationsbeschaffung der Staatsanwaltschaft/Gestaltung des Ermittlungsverf.

I. Beginn eines Ermittlungsverfahrens Vor der Frage, wo die benötigten Informationen für ein Ermittlungsverfahren zu beschaf- 1 fen sind, steht die Entscheidung, welche Tatsachen überhaupt ermittelt werden müssen. Maßgeblich sind nur solche, auf die es juristisch ankommen kann. Es wäre ein Kunstfehler, die Aufklärung als Ermittlung aller Tatsachen anzulegen, die sich für die mögliche Tatzeit und den wahrscheinlichen Tatort feststellen lassen. Insbes für ein sich zeitlich vielleicht über Monate oder gar Jahre hinziehendes Insolvenzgeschehen wäre derartige Geschichtsforschung nichts als kontraproduktiv. Nicht Quantität ist gefragt, sondern Qualität. Ausgangspunkt der Überlegungen kann daher nur das materielle Strafrecht sein. Demgemäß bedarf es zunächst der Klarheit, unter welchen rechtlichen Gesichtspunkten die Ermittlungen zu führen sind. In Wirtschaftsstrafsachen, zumal im Insolvenzstrafrecht, finden sich häufig mehrere einschlägige Tatbestände. Angesichts dessen gilt es zunächst, die regelmäßig vorzufindende Komplexität zu reduzieren. Obwohl jeder Fall seine Besonderheiten aufweist, lassen sich dazu einige generelle Aussagen treffen. Dazu gehört die Aufteilung in einerseits tatübergreifende und andererseits tatbestandsspezifische Gesichtspunkte. Zu ersteren gehört das Zusammenstellen der beteiligten Unternehmen und ihrer Verantwortlichen in ihren jeweiligen gesellschaftsrechtlichen Funktionen als Basis für die Entscheidung über die Rolle, welche die jeweilige Person im Verfahren einnimmt. Zudem bedarf es der zügigen Festlegung, welche der in Rede stehenden Vorwürfe, ggf unter welchem Blickwinkel, dh welcher Ermittlungshypothese aufgegriffen und welche gemäß §§ 154, 154a StPO als Verfahrensstoff ausgeschieden werden. Nur auf Grundlage dieser Vorfestlegungen kann sachgerecht entschieden werden. Erst im Anschluss daran ist das Selektieren des Tatsachenstoffs und das Zuordnen der Informationen zu den jeweiligen Taten und sonstigen einschlägigen Umständen sinnvoll.

1. Strafanzeigen Die Staatsanwaltschaft kann auf verschiedene Art auf mögliche Insolvenzdelikte auf- 2 merksam werden.1 Zum einen kann sie eine Strafanzeige erreichen, die entweder unmittelbar bei ihr oder bei der Polizei einging. Zum anderen erhält sie vom Insolvenzgericht Mitteilungen auf der Basis der Anordnung über die Mitteilungen in Zivilsachen (MiZi2). Erlangt die Staatsanwaltschaft die Kenntnis von möglichen Straftaten durch Übersendung von Zivilakten, Anfragen, Anrufen oder durch die Lektüre allg zugänglicher Tageszeitungen, so darf sie ferner Ermittlungen von Amts wegen auch ohne Anstoß von außen aufnehmen. Je nachdem, worin die erste Informationsquelle besteht, werden mehr oder weniger 3 konkrete und verlässliche Angaben vorliegen. Am gehaltvollsten sind sicherlich die auf

_____ 1 Auflistung bei Weyand/Diversy Rn 166 f. 2 Dazu Näheres unten Rn 10 ff.

Bittmann

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der Basis einer MiZi angeforderten Insolvenzakten,3 gefolgt von Strafanzeigen, die meistens von den Rechtsvertretern geschädigter Gläubiger oder von gesetzlichen Krankenkassen als Einzugsstellen der Sozialversicherungsbeiträge,4 seltener von Insolvenzverwaltern stammen. In allen Fällen besteht aber üblicherweise weiterer, vom Einzelfall abhängiger Ermittlungsbedarf. Strafanzeigen müssen zunächst auf ihre Schlüssigkeit geprüft werden. Rechtlich handelt es sich dabei um die Klärung der Frage, ob ein Anfangsverdacht iSv § 152 Abs 2 StPO besteht. Zwar werden Strafanzeigen aufgrund der Aktenordnung immer in das JsRegister der Staatsanwaltschaft eingetragen. Dies dient aber nur Registraturzwecken. Die Vergabe eines Js-Aktenzeichens ist deshalb keineswegs gleichbedeutend mit der Bejahung eines Anfangsverdachts. Ob ein solcher vorliegt, muss bei Strafanzeigen immer gesondert geprüft werden und zwar unabhängig davon, ob bereits ein Js-Aktenzeichen vergeben wurde oder nicht. Nur wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine verfolgbare Straftat vorliegen, dh wenn ein Anfangsverdacht zu bejahen ist, darf die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen förmlich aufnehmen.5 Ist das der Fall, so muss sie in die Ermittlungen eintreten. Sie unterliegt also dem Legalitätsprinzip. Unter welchen Voraussetzungen ein Anfangsverdacht zu bejahen ist, liegt nicht im Ermessen der Staatsanwaltschaft. Sie verfügt aber über einen gewissen Beurteilungsspielraum.6 Sie hat dabei zu prüfen, ob der ihr bekanntgewordene Sachverhalt unter ein Strafgesetz fallen kann. Bei der Entscheidung dürfen kriminalistische Erfahrungen berücksichtigt werden. Es können entfernte Indizien genügen, die aber nicht nur in reinen Vermutungen bestehen dürfen.7 Insbes bei Strafanzeigen von Privatpersonen kommt es recht häufig vor, dass der Sachverhalt nicht unter juristischen Gesichtspunkten aufbereitet dargestellt wird. Sie können natürlich trotzdem einen Anfangsverdacht begründen. Fehlt ein solcher aber wie nicht selten, so hängt das weitere Vorgehen davon ab, ob das Mitgeteilte erwarten lässt, gezielte Nachfragen würden voraussichtlich einen Anfangsverdacht entstehen lassen. In solchem Fall kann der Anzeigeerstatter angeschrieben, zur Polizei oder Staatsanwaltschaft zwecks Vernehmung vorgeladen oder er in Eilfällen auch angerufen werden. Fehlt es trotz ergänzender Angaben an einem konkreten Tatverdacht, weil entweder der nunmehr geklärte oder der weiterhin unklare Sachverhalt keine erkennbare strafrechtliche Relevanz aufweist, so hat die Staatsanwaltschaft die Aufnahme von Ermittlungen ebenso abzulehnen, wie wenn die Strafanzeige nicht einmal Anlass zu Nachfragen geboten hatte. Es kann nicht genug Sorgfalt auf die Prüfung der Schlüssigkeit von Strafanzeigen verwandt werden. Es ist nicht nur eine Fehlsteuerung von Ressourcen, sondern streng genommen sogar rechtswidrig, Ermittlungsschritte vorzunehmen oder zu veranlassen, wenn kein Anfangsverdacht besteht. Deutet der in der Strafanzeige geschilderte Sachverhalt nicht auf das mögliche Vorliegen einer Straftat hin, so ist die Aufnahme von Ermittlungen sogleich abzulehnen und der Anzeigende nebst Rechtsbelehrung gem oder analog § 171 StPO entspr zu bescheiden. Es ist falsch, ohne Schlüssigkeitsprüfung in die Ermittlungen einzutreten. Ein erheblicher Teil der Überlastung auch insolvenz-

_____ 3 Zur Verwertungsproblematik vgl unten Rn 16 ff. 4 Vgl dazu unten § 21 Rn 68 ff. 5 Püschel/Paradissis ZInsO 2015, 1786, 1787 mN in Fn 13–16; SK/Weßlau/Deiters Rn 6 und 22 vor §§ 151 ff StPO. 6 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 4 zu § 152 StPO mN. 7 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 4 zu § 152 StPO.

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strafrechtlich ausgerichteter staatsanwaltschaftlicher Dezernate findet seine Erklärung darin, dass Akten ohne Prüfung des Anfangsverdachts mit unspezifizierten Ermittlungsaufträgen zur Polizei gesandt werden. Gelangen sie dann nach Wochen oder Monaten wieder auf den Tisch des Staatsanwalts, so ist sein Aufwand zur Feststellung mangelnden Tatverdachts ungleich größer als es am Anfang der Fall gewesen wäre: Während er zu Beginn der Ermittlungen den Inhalt von vielleicht nur 10 Aktenblättern hätte auswerten müssen, kann es vorkommen, dass er sich nun durch 200 oder mehr Aktenblätter durcharbeiten muss. Natürlich kommt es vor, dass im Verlauf solcher nicht angezeigter Ermittlungen trotzdem ein Tatverdacht bekannt wird. Hierbei handelt es sich jedoch lediglich um eine Zufallserkenntnis, die an der Systemwidrigkeit einer derartigen Handhabung nichts ändert.

2. Andere Informationsquellen Erhält die Staatsanwaltschaft auf andere Weise als durch eine Strafanzeige Kenntnis von 8 einem möglicherweise strafbaren Verhalten, so hat sie von Amts wegen ebenfalls zu prüfen, ob die vorliegenden Informationen bereits die Schwelle des Anfangsverdachts überschritten haben oder nicht. Bejahendenfalls ist das einzuleitende Verfahren sogleich im Js-Register zu erfassen. Verneinendenfalls muss die Staatsanwaltschaft den Vorgang unter AR registrieren und ggf weitere klärende Schritte unternehmen. Obwohl derartige Aktivitäten auf Informationsbeschaffung gerichtet sind, so han- 9 delt es sich doch nicht um förmliche Ermittlungen. Aus diesem Grunde stehen der Staatsanwaltschaft in dieser Phase die strafprozessualen Zwangsmittel noch nicht zur Verfügung.8 Sie ist deshalb darauf angewiesen, dass ihr die erfragten Informationen freiwillig mitgeteilt werden. Im Einzelfall kann es allerdings vorkommen, dass das zögerliche Verhalten oder die Verweigerungshaltung gegenüber einem Auskunftswunsch die Annahme einer Straftat erst wahrscheinlich erscheinen lässt. Dann darf aufgrund entspr kriminalistischer Erfahrung schon allein deswegen nunmehr ein Anfangsverdacht bejaht werden. In diesem Fall und wenn nach Eingang der weiteren Informationen genügende tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer verfolgbaren Straftat vorliegen, hat die Staatsanwaltschaft die förmlichen Ermittlungen aufzunehmen und den AR-Vorgang aufgrund des nunmehr bestehenden Anfangsverdachts von Amts wegen in das Js-Register umzutragen.

3. Mitteilungen in Zivilsachen (MiZi) Die Insolvenzgerichte sind nach dem 2. Teil, 2. Abschnitt Nr IX 2 und 3 der Anordnung über 10 die Mitteilungen in Zivilsachen (MiZi) verpflichtet, die Staatsanwaltschaften davon in Kenntnis zu setzen, wenn sie ein Insolvenzverfahren eröffnet oder einen Antrag auf Eröffnung mangels Masse abgewiesen haben. Überdies sind die zentralen Vollstreckungsgerichte gem dem 2. Teil, 2. Abschnitt Nr VI 2 MiZi verpflichtet, den Staatsanwaltschaften unter den Voraussetzungen des § 882c ZPO die Abgabe der Vermögensauskunft gem § 802c ZPO, deren Verweigerung und die Unterlassung eines Zwangsvollstreckungsversuchs wegen Aussichtslosigkeit (Pfandabstandserklärung) bekanntzugeben, so-

_____ 8 Lange DRiZ 2002, 264, 270 f; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 4b zu § 152 StPO; S/S/W/Schnabl/Vordermayer Rn 8 zu § 152 StPO; SK/Weßlau/Deiters, Rn 6a vor §§ 151 ff StPO.

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weit davon eine Gesellschaft ohne unbeschränkt haftende natürliche Person betroffen ist. Bei der MiZi handelt es sich um eine bundesweit einheitliche, auf Ländervereinbarung beruhende Verwaltungsvorschrift, welche seit Inkrafttreten des Justizmitteilungsgesetzes9 am 1.6.1998 ihre Rechtsgrundlage in § 12 Abs 5 EGGVG findet. Die MiZi erlauben die gezielte Suche nach Anhaltspunkten für Insolvenzdelik11 te.10 Die Staatsanwaltschaften werden insoweit ohne Anfangsverdacht tätig.11 Das kann man unter rechtstaatlichen Gesichtspunkten durchaus kritisieren,12 stellt aber keine Besonderheit des Insolvenzstrafrechts dar. Sog verrufene Orte dürfen auch zur Nachtzeit durchsucht werden, § 104 Abs 2 StPO. Dazu muss es zwar einen Anlass geben, welcher den Erlass eines richterlichen Durchsuchungsbeschlusses, § 105 StPO, rechtfertigte. Derartige Durchsuchungen führen aber sehr häufig zu Informationen, welche den Anfangsverdacht zusätzlicher Straftaten erst begründen. Der mit der MiZi an die Staatsanwaltschaft verbundene Grundrechtseingriff13 ist überdies weniger intensiv als eine Durchsuchung und, wenn überhaupt, dann vergleichbar mit den Informationen, die die Verrufenheit eines Orts erst begründen. Selbst wenn der Eingriff mangels Anfangsverdachts nicht auf die Ermittlungsgeneralklausel, § 160 StPO, gestützt werden kann,14 ja selbst wenn zudem auch noch §§ 13 und 17 EGGVG als bloße Mitteilungsermächtigungen keine ausreichende rechtliche Grundlage für die MiZi bilden sollten,15 ist die Mitteilungspraxis jedenfalls deswegen rechtmäßig, weil ihr Inhalt (zumindest im Hinblick auf Insolvenzverfahren) nicht über die allg Insolvenzbekanntmachungen hinausgeht und sich die Staatsanwaltschaft aus jedermann zugänglichen Quellen informieren darf. Ergänzend kommt hinzu, dass anlasslose Kontrollen, sei es des allg Polizeidienstes, sei es auf der Basis spezieller gesetzlicher Grundlagen (Beispiel: Finanzkontrolle Schwarzarbeit), nicht nur zulässig sind, sondern auch zu Erkenntnissen führen, auf welche ein strafrechtlicher Anfangsverdacht gestützt werden darf.16 Das ist überall auf dem Gebiet der Holkriminalität so und findet seine Rechtfertigung im Wissen, dass Straftaten ohne unmittelbares individuelles Opfer häufig (insgesamt oder in der ersten Zeit nach Begehung) im Dunkelfeld liegen. Besteht eine kriminalistische Wahrscheinlichkeit dahingehend, dass zu diesem bestimmte Arten von Taten oder Orte gehören, so sind verwaltungsrechtliche Kontrollen zulässig, auf deren Ergebnisse ein strafprozessuales Ermittlungsverfahren gestützt werden darf. Üblicherweise steht die Kontrollbefugnis einer allg oder speziellen Polizeibehörde zu. Das EGGVG mit den MiZi sieht in Insolvenzen einen genügenden Kontrollanlass, überträgt die Aufgabe der Information über Insolvenzen und ihr Vorfeld auf die Gerichte, erlaubt den Staatsanwaltschaften, die Insolvenzakten anzufordern und beschränkt zugleich deren ohne weitere Voraussetzungen zulässige Prüftätigkeit auf die Durchsicht nach strafrechtlich relevanten Anhaltspunkten. Das mag man als Degradierung der Staatsanwaltschaft zur Insolvenzpolizei und als

_____ 9 Vom 18.6.1997, BGBl I, 1430. 10 M-G/Richter Rn 76/19. 11 AA Weyand ZInsO 2016, 441 ff. Er entnimmt den Anfangsverdacht der Insolvenzverschleppung dem Ergebnis rechtstatsächlicher Studien, denen zufolge 90% der strafbewehrt gestellten Eröffnungsanträge verspätet gestellt wurden; vgl dazu Haarmeyer ZInsO 2016, 545, 545 f. 12 Püschel/Paradissis ZInsO 2015, 1786 ff; dagegen Weyand ZInsO 2016, 441 ff. 13 BVerfG NStZ-RR 2005, 343, Rn 12; NJW 2007, 1052; 2009, 2876 f, Rn 15; Püschel/Paradissis ZInsO 2016, 1786, 1787. 14 Püschel/Paradissis ZInsO 2016, 1786, 1787 f, führen dafür datenschutzrechtliche Gründe an. 15 Püschel/Paradissis ZInsO 2016, 1786, 1788. 16 AA Bömelburg S 69–101.

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Schnüffeljustiz17 geißeln, führt aber im Vergleich zur Erstkontrolle durch typische Verwaltungsbehörden zu gewiss keiner Einbuße an Rechtstaatlichkeit. Soweit kein Anfangsverdacht besteht, ist die Staatsanwaltschaft nicht gezwungen, die Insolvenzakten anzufordern oder überhaupt in insolvenzstrafrechtliche Vorermittlungen einzutreten. Es ist folglich zu unterscheiden: Begründet der Inhalt der MiZi selbst den Anfangsverdacht einer verfolgbaren Straftat (zB unabhängig von der Rechtsform bei einem von einer gesetzlichen Krankenkasse gestellten Insolvenzantrag; bei Abweisung mangels Masse über das Vermögen einer Kapital- oder ihr gleichgestellten Gesellschaft), dann muss die Staatsanwaltschaft förmliche Ermittlungen aufnehmen und die anzulegende Akte im Js-Register erfassen. Lässt der Inhalt der MiZi hingegen offen, ob ein Anfangsverdacht vorhanden ist oder nicht, so darf die Staatsanwaltschaft den Eingang der MiZi zum Anlass weiterer Prüfungen unter einem AR-Aktenzeichen nehmen, ist dazu aber nicht gezwungen. Sie hat ihre diesbezügliche Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen (sinnvollerweise auf Basis einer Haus- oder einer Rundverfügung des Generalstaatsanwalts) zu treffen und sich dabei an kriminalistischen Erfahrungen zu orientieren. Der staatsanwaltschaftliche Umgang mit eintreffenden Mitteilungen der Amtsgerichte fällt ganz unterschiedlich aus und bewegt sich zwischen den Extremen, einerseits jede in einer MiZi bezeichnete Akte anzufordern und auszuwerten und andererseits nur dann weitere Aktivitäten zu entfalten, wenn der Inhalt der Mitteilung selbst einen Anfangsverdacht begründet. Ersteres mag reiner Lehre entsprechen, ist aber aus Kapazitätsgründen nicht ohne Einschränkungen durchführbar. Letzteres wird hingegen in dieser Schärfe den Intentionen der MiZi nicht gerecht, bietet aber insoweit einen zutreffenden Ausgangspunkt, als diese Ansicht auf den Zweck der MiZi hinweist, der nicht in reiner Ordnungsfunktion besteht, sondern das Erkennen von im Dunkelfeld liegenden Straftaten erleichtern soll. Das erlaubt Abstufungen nach kriminalistischen Erfahrungen. Mischformen bestehen darin, unter generellen Gesichtspunkten bestimmte, aber nicht sämtliche Insolvenzakten anzufordern (zB nur dann, wenn von der Insolvenz eine Gesellschaft betroffen ist, für deren Verbindlichkeiten keine natürliche Person haftet und die deshalb unter Strafdrohung verpflichtet ist, rechtzeitig einen Eröffnungsantrag zu stellen) oder in einer Absprache mit dem Insolvenzgericht, von Amts wegen diejenigen Akten zu übersenden, die Hinweise auf Straftaten enthalten. Das setzt natürlich spezifische strafrechtliche Kenntnisse der Insolvenzrichter voraus.18 Entbehrlich erscheint die allg Auswertung der Akten von Verbraucher- und nicht auf einen Antrag eines Sozialversicherungsträgers zurückgehenden Regelinsolvenzverfahren über das Vermögen von Einzelhandelskaufleuten und Personenhandelsgesellschaften, die einen persönlich haftenden Gesellschafter aufweisen. Es kann zwar durchaus sein, dass sie Hinweise auf zB Buchführungs- und/oder Bilanzierungsmängel, auf beiseitegeschaffte Vermögensgegenstände oder auf unwirtschaftliches Gebaren enthält. Die Wahrscheinlichkeit ist aber geringer als in der Insolvenz einer Kapital- oder dieser gleichstehenden Personengesellschaft. Staatsanwaltschaftliches Einschreiten gegen den Geschäftsführer einer GmbH, allg gegen den Verantwortlichen einer strafbewehrt insolvenzantragspflichtigen juristi-

_____ 17 Püschel/Paradissis ZInsO 2016, 1786, 1788. 18 Ideal ist in dieser Hinsicht die Geschäftsverteilung des AG Lübeck, welche eine Personalunion für ermittlungs- und insolvenzrichterliche Aufgaben vorsieht.

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schen Person, ist zudem geboten, wenn er für diese die Vermögensauskunft erteilt hat oder der Gerichtsvollzieher die Vollstreckung wegen offensichtlicher Aussichtslosigkeit gar nicht erst versucht hat. Gleiches gilt aber nicht schon aufgrund jeder Mitteilung über die Verweigerung der Vermögensauskunft.19 Es kann nämlich auch unter Geltung der InsO durchaus vorkommen, dass diese Zuspitzung lediglich auf einer Zahlungsstockung20 beruht und es ist immerhin denkbar, dass der antragstellende Gläubiger vor Abgabe der Vermögensauskunft befriedigt wurde. Es empfiehlt sich aber durchaus, derartige MiZi zu registrieren. Nach allg Erfahrungen spricht nämlich jedenfalls die dritte Verweigerung binnen 6 Monaten für Insolvenzreife aufgrund eingetretener Zahlungsunfähigkeit. In einem solchen Fall sind Ermittlungen wegen Insolvenzverschleppung einzuleiten, ohne dass es zuvor der Auswertung der den MiZi zugrundeliegender Akten (des Gerichtsvollziehers und des Vollstreckungsgerichts) bedürfte.

4. Die von § 97 Abs 1 S 3 InsO gesetzten Grenzen 16 Dass die Insolvenzakten von der Staatsanwaltschaft angefordert werden dürfen, ist weit-

gehend konsentiert. Was die Staatsanwaltschaft mit ihnen anfangen darf, ist jedoch aufgrund der Verwendungsbeschränkungsregelung21 des § 97 Abs 1 S 3 InsO,22 auch Insolvenzgeheimnis23 genannt, heftig umstritten. Nicht wirklich geklärt ist ferner, ob das Insolvenzgericht oder zumindest der Gutachter im Eröffnungsverfahren, spätestens aber der Staatsanwalt den Offenbarungspflichtigen über die Bedeutung der Bestimmung aufklären muss.24 Gesetzlich vorgeschrieben ist keines von beidem. Der Wortlaut spricht allerdings durchaus für ein Verständnis dahingehend, dass der Staatsanwalt pflichtgemäß erteilte Auskünfte nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Schuldners oder seines Organs verwenden darf. Die Frage danach würde eine Aufklärung über die Rechtslage implizieren.

_____ 19 Ciolek-Krepold Rn 37; weitergehend Weyand/Diversy Rn 170, die im Hinblick auf die notwendigerweise vorangegangenen erfolglosen Zwangsvollstreckungen bereits einen Anfangsverdacht der Insolvenzverschleppung begründet sehen. 20 Vgl dazu unten § 8 Rn 7 und § 11 Rn 77. 21 Zum Unterschied zwischen einem Verwertungs- und einem Verwendungsverbot vgl allgemein Dencker FS Meyer-Goßner, S 237 ff; Meyer-Goßner/Schmitt, Einl Rn 57d mN; ausführlich zu § 97 Abs 1 S 3 InsO LG Potsdam, 24.4.2007 – 27 Ns 23/06, StV 2014, 407 ff, Rn 10–17 mN; auch A/R/R/Wegner Rn 7/2/18; MAH/ Böttger Rn 19/339 f; Haarmeyer ZInsO 2016, 545, 551 f; Püschel FS AG Strafrecht im DAV, S 759, 763 f; Weyand/Diversy Rn 172. Hefendehl, wistra 2003, 1, 6, betrachtet beide Begriffe hingegen als Synonyme. 22 Dazu aus jüngerer Zeit Mayer, StRR 2015, 124 ff; Weyand ZInsO 2015, 1948 ff. Für entspr Anwendung auf die Sanierungsbescheinigung gemäß § 270b Abs 1 S 3 InsO C Brand/Kanzler, wistra 2014, 334 ff; sa Haarmeyer ZInsO 2016, 545 ff; dagegen zutr M-G/Richter Rn 76/38; Weyand ZInsO 2015, 1948, 1950; Weyand/ Diversy Rn 172, denn die Bescheinigung stammt von einem Dritten (Fuchsen Stgb 2012, 303 ff; Reinhardt/ Lambrecht Stbg 2014, 71 ff; Steffan/Solmecke WPg 2015, 269 ff), ist also keine Auskunft des Schuldners oder seines Organs. Enders Rpfleger 2015, 677 ff hält ua die Weitergabe von im Zwangsvollstreckungsverfahren insbesondere vom Rechtspfleger (zB in der Vermögensauskunft) gewonnenen Informationen für verfassungswidrig. Jedenfalls wird man BGHSt 37, 340 ff, Rn 24, Verwertungsverbot für Angaben in einer eidesstattlichen Offenbarungsversicherung nach § 807 ZPO, auf die Vermögensauskunft nach § 802c zu übertragen haben, dazu Stam, StV2015, 130 ff. 23 Soweit vom „Insolvenzgeheimnis“ gesprochen wird, zB MAH/Böttger Rn 19/339; M-G/Richter Rn 76/ 22 ff; Weyand ZInsO 2015, 1948, ist das zwar anschaulich, aber nicht ganz zutreffend. Anders als zB beim „Sozialgeheimnis“ nach §§ 67 ff SGB X schützt nämlich § 97 Abs 1 S 3 InsO nicht den Inhalt, sondern lediglich eine bestimmte Herkunftsquelle. 24 Dafür A/R/R/Wegner Rn 7/2/15 (im Ermittlungsverfahren); Püschel FS Wessing S 753 ff = ZInsO 2016, 262 ff.

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Das Gesetz verbietet nur die Verwendung in einem Strafverfahren. Auch wenn 17 man ein weites Begriffsverständnis unter Einschluss des Ermittlungsverfahrens zugrundelegt, wird von § 97 Abs 1 S 3 InsO die Zeit bis zur Einleitung des Verfahrens nicht erfasst.25 Gleichwohl hielt es das LG Stuttgart26 schon vor über 15 Jahren in einer der äußerst seltenen veröffentlichten Entscheidung zu diesem Thema bereits für unzulässig, dass die Staatsanwaltschaft aufgrund des Inhalts der Insolvenzakten ein Ermittlungsverfahren einleitet, wenn dem Insolvenzverfahren ein Eigenantrag des Schuldners zugrunde liegt. Es empfahl stattdessen, allein aufgrund der Tatsache der Abweisung des Insolvenzantrags mangels Masse auf das Vorliegen eines Anfangsverdachts der Insolvenzverschleppung zu schließen.27 Richter28 regte als Konsequenz aus dem zitierten Beschluss des LG Stuttgart an, Insolvenzakten nur noch als Beiakten zu führen und keine Ablichtungen zu den Strafakten zu nehmen. Köhler29 hielt an seiner ursprünglichen Auffassung nicht fest, § 97 Abs 1 S 3 InsO greife nur dann ein, wenn die Auskunft nach richterlicher Anordnung erteilt worden war. Demgegenüber ist festzuhalten, dass die insolvenzrechtliche Offenbarungspflicht nicht davon abhängt, ob an den Schuldner entspr Fragen gerichtet wurden. Für das Verfahren bedeutsame Umstände hat er vielmehr ohne Nachfrage offenzulegen.30 Der Anwendungsbereich des § 97 Abs 1 S 3 InsO lässt sich nicht pauschal be- 18 schreiben31 – auch wenn eine (eher rechtpolitische als rein rechtswissenschaftliche) Kölner Offensive dafür wirbt, das Verwendungsverbot absolut und allumfassend zu verstehen.32 Sie vermag zwar die Inkonsistenz verschiedener gesetzlicher Bestimmungen (im Insolvenzrecht einerseits und im Strafverfahrensrecht andererseits) aufzuzeigen, die auf nicht aufeinander abgestimmten Grundgedanken beruht, kann aber nicht darüber hinwegzutäuschen, dass das Verwendungsverbot nur insoweit gilt, wie es Gesetz geworden ist – und mehr auch das BVerfG unter dem Gesichtspunkt der Selbstbelastungsfreiheit nicht verlangt hat, sondern weniger, nämlich nur ein Verwertungsverbot für Angaben, die zu machen den Gemeinschuldner eine Rechtspflicht trifft.33 Es gilt demnach, den Inhalt des § 97 Abs 1 S 3 InsO durch Auslegung erst zu ermitteln und ihn nicht dadurch quasi vorprogrammierend hineinzulegen, dass sein zweifelsfrei weitergehender Grundgedanke unbeschadet der Auslegungskanonices verallgemeinert und als geltendes

_____ 25 Bader NZI 2009, 416, 419; Weyand/Diversy Rn 172; aA Püschel FS AG Strafrecht im DAV, S 759, 763. Sa unten Rn 19. 26 Wistra 2000, 439 f m krit Anm Richter; krit auch Weyand/Diversy Rn 172. 27 Ebenso Richter wistra 2000, 1, 2; Weyand ZInsO 2001, 108, 109. 28 Wistra 2000, 440. 29 W/J/Köhler, 1. Aufl., Rn 2/528; 2. Aufl. Rn 7/408; so aber möglicherweise LG Ulm, NJW 2007, 2056 f, Rn 11 f (mit nicht eindeutigen Formulierungen; dezidiert und zu Recht gegen eine Beschränkung des Verwendungsverbots auf tatsächlich erzwungene Auskünfte Schork in ihrer Anm NJW 2007, 2057 f); Weyand/ Diversy Rn 172; wie hier Mayer StRR 2015, 124 ff, 125. 30 So zutr BGH, 5.3.2015 – IX ZB 62/14, Rn 12, wistra 2015, 242 ff; Haarmeyer ZInsO 2016, 545, 546 f; Laroche ZInsO 2015, 1469, 1471. 31 Einzelheiten in den WisteV-Standards WiJ 2012, 144 ff. 32 Laroche ZInsO 2015, 1469 ff; Püschel FS AG Strafrecht im DAV, S 759 ff; auch Püschel/Paradissis ZInsO 2015, 1786 ff; Haarmeyer ZInsO 2016, 545 ff; zuvor bereits ähnlich restriktiv Hohnel NZI 2005, 152 ff, ihm widersprechend Tetzlaff NZI 2005, 316 f. 33 BVerfGE 56, 41 ff; sa Gleß FS Beulke, S 723 ff; Ransiek/Winsel GA 2015, 620 ff; Rogall FS Beulke, S 973 ff; zur Frage der Geltung für juristische Personen s Fink wistra 2014, 457 ff; die Rspr ausführlich dokumentierend und zusammenfassend BVerfG, 6.9.2016 – 2 BvR 890/16, Rn 34 ff, StraFo 2016, 457 ff, und dem bemerkenswerten Hinweis, Rn 36, nicht jede einfachgesetzliche Ausprägung des nemo-tenetur-Grundsatzes genieße zugleich den Schutz des Art 1 GG.

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Recht ausgegeben wird. Vielmehr bedarf es genauer Differenzierungen.34 Das Insolvenzgeheimnis begründet ein Verwertungsverbot35 mit umfassender Fernwirkung,36 also ein Verwendungs-, nicht aber ein Erhebungsverbot.37 Das steht im Einklang mit dem JustizmitteilungsG und den MiZi und versetzt die Staatsanwaltschaft überhaupt erst in die Lage, die Prüfung eines Anfangsverdachts vorzunehmen. Zu diesem Zweck darf sie den Inhalt der Insolvenzakten zur Kenntnis nehmen. Das Verwendungsverbot erstreckt sich nicht auf die Verwendung zu Gunsten des Auskunftserteilenden,38 nicht auf falsche Angaben und (ganz oder teilweises) Schweigen des Schuldners oder dessen Organs. Insoweit ist der Inhalt der Insolvenzakten immer uneingeschränkt verwendbar.39 Die Angaben eines Mitglieds eines vertretungsberechtigten Organs dürfen jedenfalls dann zu Lasten eines anderen Mitglieds verwertet werden, wenn der Aussagende nicht zugleich auch für den oder die anderen Pflichtigen handeln wollte.40 Stimmt der Beschuldigte der Verwendung seiner Angaben aus dem Insolvenzverfahren zu, so sind sie strafprozessual uneinschränkt verwertbar.41 Die Zustimmung ist unwiderruflich.42 Der Beschuldigte kann auch nur einen Teil seiner Angaben freigeben,43 löst damit aber eine intensive Prüfung ihrer inhaltlichen Richtigkeit aus.44 Nicht in seiner Macht steht es hingegen zu bestimmen, wofür und gegen wen seine freigegebenen Angaben verwendet werden dürfen.45 Erfasst sind danach ebenso ausschließlich wie ausnahmslos alle Angaben des 19 Schuldners bzw bei Gesellschaften ihres (auch faktischen46) Organs (oder ihrer Rechtsvertreter47), die in Erfüllung der Auskunftspflicht nach § 97 Abs 1 S 1 InsO, auch iVm

_____ 34 Ähnlich wie hier Hefendehl wistra 2003, 1 ff. 35 Verfahrensfehler führen nach der Rspr nicht einmal ohne weiteres zu einem (einfachen) Verbot, ein in ihrer Folge gewonnenes Beweismittel zu verwerten, zB BVerfG, 7.12.2011 – 2 BvR 2500/09 und 1857/10, Rn 108 ff; BVerfGE 130 1 ff (dazu Löffelmann JR 2012, 217 f; BGH, 17.2.2016 – 2 StR 25/15, Rn 11 ff, insbes 19 ff, NStZ 2016, 551 ff mAnm Schneider, sondern nur bei „schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verstößen“, zB BGH, 21.4.2016 – 2 StR 394/15, Rn 8 ff, insbes 15, StV 2016, 539 f. 36 M-G/Richter Rn 76/25 ff; Weyand ZInsO 2001, 108, 109. Zur Fernwirkung allg Meyer-Mews HRRS 2015, 398 ff; Ransiek FS Beulke S 949 ff; Wolter, FS Kühne S 379 ff; auch BFH, 15.4.2015 – VIII R 1/13, wistra 2015, 479 ff. 37 IE ebenso Dencker FS Meyer-Goßner, S 239, 253, auch 243; ausführlich Hefendehl wistra 2003, 1, 4 ff; ebenso Bömelburg S 63–66; W/J/Nickolai Rn 25/97; Weyand/Diversy Rn 172; aA LG Potsdam, 24.4.2007 – 27 Ns 23/06, StV 2014, 407 ff, Rn 10; Haarmeyer ZInsO 2016, 545, 552, 555; Uhlenbruck NZI 2002, 401, 404; nicht eindeutig jedoch GmbHR 2002, 941, 944. 38 Bömelburg S 107–109; W/J/Nickolai Rn 25/96; M-G/Richter Rn 76/34; Weyand ZInsO 2015, 1948, 1951; Weyand/Diversy Rn 172; aA A/R/R/Wegner Rn 7/2/15. 39 Bömelburg S 101–104 bzw 104–107; W/J/Nickolai Rn 25/96 und 100 aE; Richter wistra 2000, 1, 3; M-G/ Richter Rn 76/35 f; Bittmann/Rudolph wistra 2001, 81, 83 f; Weyand ZInsO 2015, 1948, 1951; Weyand/Diversy Rn 172. 40 M-G/Richter Rn 76/43 (aber ohne diese Einschränkung). 41 A/R/R/Wegner Rn 7/2/15 verlangt vor der Zustimmung eine hinreichend qualifizierte Belehrung, widrigenfalls die Zustimmung widerruflich sei. 42 A/R/R/Wegner Rn 7/2/15; M-G/Richter Rn 76/33; Weyand ZInsO 2015, 1948, 1951. 43 A/R/R/Wegner Rn 7/2/15; M-G/Richter Rn 76/33. 44 Deshalb warnt A/R/R/Wegner Rn 7/2/15 vor Teilfreigabe und rät im Umfang der Günstigkeit zu eigenständiger Aussage. 45 M-G/Richter Rn 76/33. 46 Laroche ZInsO 2015, 1469, 1469 f. 47 M-G/Richter Rn 76/44. Eine andere Frage ist, ob auch Auskünfte insolvenzpflichtgemäß von der Schweigepflicht befreite Berufsgeheimnisträger (Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer, besonders praxisrelevant: Steuerberater, dazu auch unten Rn 164 ff) von § 97 Abs 1 S 3 InsO erfasst werden, dafür Kemperdick ZInsO 2013, 1116, 1119.

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§§ 20 Abs 1 S 2 bzw 22 Abs 3 S 2, 2. HS InsO, getätigt wurden.48 Alle Pflichtangaben im Zusammenhang mit einem Eigenantrag,49 §§ 13 Abs 1, 15 Abs 2 S 1 InsO, fallen demgegenüber nicht unter § 97 Abs 1 S 3 InsO.50 Insoweit gilt allerdings ein Verwertungsverbot nach

_____ 48 Bittmann/Rudolph wistra 2001, 81, 84; Haarmeyer ZInsO 2016, 545, 554; Laroche ZInsO 2015, 1469, 1472; M-G/Richter Rn 76/30 und 38; Uhlenbruck NZI 2002, 401, 405; Weyand/Diversy Rn 172, sa Diversy ZInsO 2005, 180 ff; A/R/R/Wegner Rn 7/2/16. Auf die persönlichen Verhältnisse des Organvertreters erstreckt sich die Auskunftspflicht des § 97 Abs 1 InsO nicht, BGH, 5.3.2015 – IX ZB 62/14, ZInsO 2015, 740 ff. Zum Ende der Auskunftspflicht liegen unterschiedliche Entscheidungen des BGH in Zivilsachen (25.2.2016 – IX ZB 74/15, Rn 12 ff, ZInsO 2016, 698 ff; auch 8.9.2016 – IX ZB 72/15, Rn 22 f, NJW 2016, 3726 ff) und in Strafsachen (14.3.2016 – 1 StR 337/15, Rn 15, NJW 2016, 1525 ff mAnm C Brand, dazu auch Bosch ZWH 2016, 285 f; Daners NZI 2016, 422 f; Kemperdick ZInsO 2016, 1148 ff; Köllner/Cyrus NZI 2016, 528 ff; Richter ZInsO 2016, 1346 ff; Steinbeck DZWIR 2016, 487 ff) vor. Dass allerdings das Verheimlichen iS von § 283 Abs 1 Nr 1 StGB zum Führen eines Insolvenzverfahrens akzessorisch ist, so Kemperdick ZInsO 2016, 1148, 1150, ist jedoch alles andere als selbstverständlich. Es ist zwar nur im Zusammenhang mit einem Insolvenzereignis strafbar, § 283 Abs 6 StGB, aber auch nach bloßer Zahlungseinstellung ohne das Führen eines Insolvenzverfahrens. Die Tatsache, dass der IX. Zivilsenat mit nachträglichem Auffinden zuvor verheimlichten Vermögens die Anordnung der Nachtragsverteilung als gegebene Rechtsfolge ansieht, spricht ebenso dafür, dass der Schutzzweck des Verheimlichens nicht mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens endet, selbst wenn § 97 InsO nicht mehr anwendbar ist, wie die das gesamte Vermögen umfassende Auskunftspflicht gem § 295 Abs 1 Nr 3, letzte Var InsO (zum Bestimmtheitsgebot im Hinblick auf den Umfang der Auskunftspflicht s BVerfG, 7.12.2016 – 2 BvR 1602/16, ZInsO 2017, 158 ff). Insoweit hat der Schuldner zwar nur auf Verlangen (erg: nochmals) Auskunft zu erteilen. Dies findet seine Erklärung aber in der bereits im vorangehenden Insolvenzverfahren bestehenden (eigeninitiativen, BGH, 11.2.2010 – IX ZB 126/08, Rn 5, ZInsO 2010, 477 f; 13.1.2011 – IX ZB 163/10, Rn 3, ZInsO 2011, 396 f; 8.3.2012 – IX ZB 70/10, Rn 13, ZInsO 2012, 751 ff; 22.11.2012 – IX ZB 23/10, ZInsO 2013, 138 f; LG Wuppertal, 15.9.2015 – 16 T 324/14, Rn 16 f, NZI 2016, 494 ff mAnm Becker) Offenbarungspflicht. Eine routinemäßige Wiederholung wäre überflüssig, ändert aber nichts am materiellen Fortbestand der Pflicht des Schuldners, sein Vermögen insgesamt zur Befriedigung seiner Gläubiger zur Verfügung zu stellen (mit Ausnahme des Schonvermögens und des Neuerwerbs nach erteilter Restschuldbefreiung). 49 Für ein Verwendungsverbot von Angaben in einem auf Eigenverwaltung abzielenden Eigenantrag und aller Angaben im Vorfeld eines Schutzschirmverfahrens Haarmeyer ZInsO 2016, 545 ff. Dafür mag es gute rechtspolitische Gründe geben, denn es sind in der Tat keine parallelen Anreize, im Gläubigerinteresse früh alles offenlegen zu müssen, damit aber zugleich das eigene Bestrafungsrisiko zu erhöhen. Weil mit der frühzeitigen Einschaltung des Insolvenzgerichts aber gerade auch dem Begehen (ggf: weiterer) Straftaten entgegengewirkt wird, stehen sich beide Anreize nicht notwendig antagonistisch gegenüber. Zudem wirkt ein solches Nachtatverhalten strafmildernd, zuweilen derart, dass selbst ein zähnefletschender Staatsanwalt seinen Jagdtrieb nicht zu Lasten eines wieder rechtstreu Gewordenen ausleben wird. Rein juristisch ist hingegen entgegen Haarmeyer, S 553, festzuhalten, dass sich erzwingbare Auskünfte mit Angaben in einem nicht erzwingbaren Antrag nicht gleichsetzen lassen, und zwar auch dann nicht, wenn dieser nicht erzwingbare Antrag in zulässiger Weise nur unter Offenbarung ggf strafrechtlich relevanter Umstände gestellt werden kann und überdies auch noch einer Rechtspflicht genügt. Eine solche Rechtslage widerspricht zwar dem (als absolut verstandenen) Gedanken, der Auskunftsperson einen Anreiz zur Erfüllung ihrer Pflichten durch Schutz vor Strafverfolgung zu bieten, nicht aber der vom Grundgesetz in der Menschenwürde garantierten Selbstbelastungsfreiheit, der in der Auslegung des BVerfG ein Verwertungsverbot (ohne Fernwirkung) für Pflichtangaben genügt. Ein Antrag auf Eigenverwaltung muss aber niemand stellen, weil als rechtmäßige Alternative ein Antrag auf Eröffnung des Regelinsolvenzverfahrens zur Verfügung steht, der zu weniger Angaben zwingt, die offenbart werden müssten. 50 HM, MAH/Böttger Rn 19/342; W/J/Nickolai Rn 25/100 aE; M-G/Richter Rn 76/30 und 38; Böttger/ Verjans Rn 4/227; Weyand ZInsO 2015, 1948, 1950; Weyand/Diversy Rn 172; aA A/R/R/Wegner Rn 7/2/19; Püschel FS AG Strafrecht im DAV, S 759, 764 ff. Das gilt entgegen M-G/Richter Rn 76/38 m Fn 4 f (unter zweifelhafter Berufung auf BGHZ 153, 205 ff), aber im Einklang mit Weiß ZInsO 2009, 11520 ff, 1524 ff, auch dann, wenn das Insolvenzgericht den gestellten Antrag für (noch) nicht zulässig ansieht und dem Antragsteller aufgibt, weitere Informationen beizubringen, etwa den amtlichen Fragebogen (vollständig) auszufüllen, denn diese Angaben kann das Insolvenzgericht nicht verlangen, und entgegen BGHZ 153, 205 ff, Rn 9; zust Püschel FS AG Strafrecht im DAV, S 759, 766; Haarmeyer ZInsO 2016, 545, 554, schon gar nicht erzwingen, zutr Weyand/Diversy Rn 172. Es ist Sache des Schuldners, einen zulässigen Antrag zu stellen. Zudem überzeugt die Folge der gegenteiligen Auffassung nicht, würde doch derjenige Schuldner

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den Grundsätzen des Gemeinschuldnerbeschlusses des BVerfG.51 Im Unterschied zum Verwendungsverbot des § 97 Abs 1 S 3 InsO fehlt es beim bloßen Verwertungsverbot an einer Fernwirkung. Nach hM52 hat der reine Gutachter im Insolvenzeröffnungsverfahren kein eigenes Auskunftsrecht. Sie stützt darauf die Schlussfolgerung, Angaben, die der Schuldner oder dessen Organ dem Gutachter gegenüber tätige, seien freiwillig und fielen deswegen nicht unter § 97 Abs 1 S 3 InsO. Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. Der Gutachter ist Helfer des Gerichts. Er ist nicht aus eigenem Recht tätig, sondern im Auftrag des Insolvenzgerichts. Angaben ihm gegenüber sind daher solche gegenüber dem Gericht. Das anerkennt die hM inzwischen immerhin für den Fall, dass das Gericht im Bestellungsbeschluss den Schuldner oder dessen Organ zur Auskunft gegenüber dem Gutachter verpflichtet.53 Damit nähern sich beide Auffassungen einander im Ergebnis weitgehend an, denn die insolvenzgerichtliche Praxis befleißigt sich weitgehend dieser Regelungstechnik. Ob es dafür auf eine (spezielle), Verf jedenfalls nicht bekannte Rechtsgrundlage zurückgreifen kann, ist eine andere Frage. In § 22 InsO findet sie sich zumindest nicht. Die Fernwirkung des Verwendungsverbots des § 97 Abs 1 S 3 InsO bedeutet, dass die 20 Staatsanwaltschaft die unter das Insolvenzgeheimnis fallenden Angaben weder unmittelbar verwerten noch mittelbar als Ansatz zu weiteren Ermittlungen verwenden darf. Sie vermag aber nicht zusätzlich zu bewirken, dass die im Insolvenzverfahren (auch) unter Nutzung der Angaben des Schuldners bzw dessen Organs gewonnenen Erkenntnisse für die Staatsanwaltschaft ausnahmslos tabu wären.54 Hier gilt folgende Abgrenzung: Was der Verwalter im Insolvenzverfahren vom Schuldner bzw dessen Organ erfährt, darf die Staatsanwaltschaft nicht verwenden, selbst wenn sie es vom Verwalter (oder einem Dritten) mitgeteilt bekommt. Was aber der (vorläufige) Verwalter (oder das Insolvenzgericht) aufgrund der Angaben des Schuldners bzw dessen Organs herausfindet, darf er der Staatsanwaltschaft bekanntgeben und diese darf derartige Informationen uneingeschränkt verwenden und verwerten.55 § 97 Abs 1 S 3 InsO normiert keine mittelbare Fernwirkung.56 Erkenntnisse, die der Verwalter sowohl aus geschützter als auch aus von dieser unabhängiger Quelle erfährt und an die Staatsanwaltschaft weiterleitet, darf diese ebenfalls uneingeschränkt nutzen, sich dabei aber nur auf Letztere stützen.57

_____ um den Schutz des § 97 Abs 1 S 3 InsO gebracht, der sogleich pflichtgemäß die nötigen Angaben macht und Unterlagen vorlegt, und damit gegenüber demjenigen benachteiligt, der sich vom Insolvenzgericht bitten lässt (s dazu Richter ZInsO 2016, 2372 ff, 2375 (zum vorgesehenen Übergang vom nicht richtig zum nicht vollständig gestellten Insolvenzantrag). 51 BVerfGE 56, 41; wistra 2004, 19; sa NJW 2001, 745 f: Verwertungsverbot hinsichtlich solcher Erkenntnisse, welche der Insolvenzverwalter aus der Lektüre der ebenfalls der Postsperre gem § 99 InsO unterliegenden Verteidigerpost gewonnen hat; krit dazu Marberth-Kubicki StV 2001, 433 ff; wie hier MAH/ Böttger Rn 19/342; Böttger/Verjans Rn 4/227; hilfsweise auch A/R/R/Wegner Rn 7/2/20; aA Weyand/Diversy Rn 172. 52 OLG Jena, 12.8.2010 – 1 Ss 45/10, wistra 2010, 495 f, Rn 9 f; OLG Celle, 19.2.2012 – 32 Ss 164/12, wistra 2013, 247 f, Rn 10; MAH/Böttger Rn 19/342; M-G/Richter Rn 76/30; Weyand ZInsO 2015, 1948, 1950 mN; aA Haarmeyer ZInsO 2016, 545, 552; Laroche ZInsO 2015, 1469, 1471; Kemperdick ZInsO 2013, 1116 ff. 53 Laroche ZInsO 2016, 1469, 1471; Weyand ZInsO 2015, 1948, 1950. 54 Hefendehl wistra 2003, 1, 8 f; Weyand ZInsO 2015, 1948, 1950 f. 55 Ebenso Hefendehl wistra 2003, 1, 8 f, aber beschränkt auf aufbewahrungspflichtige Buchhaltungsunterlagen; allg wie hier Bader NZI 2009, 416, 420; Weyand ZInsO 2015, 1948, 1952; aA Püschel FS AG Strafrecht im DAV, S 759, 766. 56 Bader NZI 2009, 416, 419; M-G/Richter Rn 76/31; Weyand/Diversy Rn 172; krit MAH/Böttger Rn 19/345; abl. Püschel FS AG Strafrecht im DAV, S 759, 766 f. 57 LG Potsdam, 24.4.2007 – 27 Ns 23/06, StV 2014, 407 ff, Rn 15; Bittmann/Rudolph wistra 2001, 81, 82 ff.

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Beides erklärt, weshalb Geschäfts- und sonstige einschlägige (Buchführungs-) 21 Unterlagen,58 strafprozessual uneingeschränkt ausgewertet werden dürfen – und zwar unabhängig davon, ob der Verwalter sie auffand oder sie ihm vom Schuldner oder dessen Organ übergeben oder zugänglich gemacht wurden, selbst wenn sie zuvor versteckt waren. Die Offenbarung des Versteckens selbst ist zwar nicht verwendbar,59 wohl aber die aufgrund der Mitwirkungspflicht gemäß § 97 Abs 2 InsO offengelegte Informationsquelle, die selbst keine das Verwendungsverbot des § 97 Abs 1 S 3 InsO auslösende Auskunft darstellt.60 In ihrer Verwertung liegt selbst dann keine Verwendung der Auskünfte des Schuldners oder von dessen Organ, wenn der Verwalter bei Auswertung der Unterlagen auf strafrechtlich relevante Manipulationen (zB der Buchhaltung) oder auf unlautere Finanztransaktionen stieß und darüber die zuvor nicht informierte Staatsanwaltschaft in Kenntnis setzte. Hefendehl61 unterscheidet zwischen der uneingeschränkten Verwertbarkeit von Un- 22 terlagen, die der Schuldner aufgrund von handelsrechtlichen Buchführungspflichten aufzubewahren hatte, und der Unverwertbarkeit vom Schuldner dem Verwalter zugänglich gemachter freiwillig aufbewahrter oder geführter Unterlagen. Das überzeugt schon

_____ 58 BVerfG, 27.4.2010 – 2 BvL 13/07, Rn 54, wistra 2010, 341 ff; LG Bonn, 7.10.2008 – 30 T 122/08, NZG 2009, 351 (L); Bader NZI 2009, 416, 420; M-G/Richter Rn 76/37 ff; Weiß DB 2010, 1744 ff; Weyand ZInsO 2015, 1948, 1951 f; Weyand/Diversy Rn 172; zweifelnd A/R/R/Wegner Rn 7/2/19; aA MAH/Böttger Rn 19/342; Bömelburg S 69–101; Püschel FS AG Strafrecht im DAV, S 759, 767 ff; Böttger/Verjans Rn 4/228 f; für andere als Buchführungsunterlagen auch Hefendehl wistra 2003, 1, 9. Wollte man den nemo-tenetur-Grundsatz auf sämtliche einem Privaten auferlegten Pflichten ausdehnen, so wären auch die Meldeanschrift, das Passphoto und das Autokennzeichen unverwertbar. 59 W/J/Nickolai Rn 25/100 aE. 60 OLG Celle, 19.2.2012 – 32 Ss 164/12, wistra 2013, 247 f, Rn 11; LG Ulm, 15.1.2007 – 2 Qs 2002/07 Wik, NJW 2007, 2056 f (mkrit Anm Schork – die Anmerkung macht die Notwendigkeit präziser Formulierung deutlich, denn für den konkreten Fall decken sich die Auffassungen); M-G/Richter Rn 76/39; aA A/R/R/Wegner Rn 7/2/19; MAH/Böttger Rn 19/342; Bömelburg S 134–140; Haarmeyer ZInsO 2016, 545, 554; Laroche ZInsO 2015, 1469, 1472, beide Letztgenannten sich auf den BGH berufend, jedoch zu Unrecht: Allerdings hat der BGH in drei Entscheidungen die Pflicht zur Vorlage von Unterlagen als Annex zu einer Auskunft gemäß § 97 Abs 1 S 1 bejaht, 17.2.2005 – IX ZB 62/04, Rn 10 und 25, BGHZ 162, 187 ff; 19.1.2006 – IX ZB 14/03, Rn 8, ZInsO 2006, 264 f; beide pauschal in Bezug nehmend 19.7.2012 – IX ZB 6/12, Rn 11, ZInsO 2012, 1615 ff. Gegenstand keines dieser Fälle war allerdings das Verwendungsverbot. Vielmehr ging es jeweils um konkrete Auskünfte (deutlich insbes BGHZ 162, 187, Rn 25). Der Senat formulierte 2006 zudem vorsichtig und verknüpfte die Pflicht zur Auskunft und zur Vorlage von Unterlagen mittels eines „ggf“, das er allerdings 2012 nicht wiederholte, dort zuvor aber mit dem „unterstützen“ § 97 Abs 2 InsO in Bezug nahm, „Auskunft“ also synonym mit „Mitwirkungspflicht“ gebrauchte. In diesen knappen Formulierungen zu spezifischen Sachverhalten liegt sicherlich keine allumfassende Aussage dahingehend, dass allein schon die pflichtgemäße Übergabe, §§ 80, 148 Abs 1 InsO, aller zur ordnungsgemäßen Verwaltung gehöriger (Buchhaltungs- und sonstiger) Unterlagen zu einem Verbot ihrer Verwendung im Strafverfahren führt; von Ogiermann/Weber wistra 2011, 206 ff, 212 (bei Fn 81) zutr auf solche Unterlagen beschränkt, die für das Insolvenzverfahren erstellt wurden und mit denen die gebotene Auskunft schriftlich anstatt mündlich erteilt wurde. Die Konsequenz der hier abgelehnten Gegenauffassung würde die Strafverfolgung (wegen Bankrotts, zB in der Variante des Verheimlichens, auch wegen Insolvenzverschleppung zumindest in der Variante des nicht richtig gestellten Eröffnungsantrags) teils vom Verhalten der amtlich zur Mitwirkung am Insolvenzverfahren Beteiligten (Insolvenzrichter und -rechtspfleger, Gutachter, vorläufiger und endgültiger Verwalter – allesamt keine Strafjuristen, insoweit zutr Bömelburg S 64 f) abhängig machen, die auf diese Weise den Repräsentanten des Schuldners die Möglichkeit geben würden, sich der Sperrwirkung wegen der Verfolgbarkeit (ganz oder teilweise) zu entziehen (vorinsolvenzliche Bankrottdelikte; verspäteter Eröffnungsantrag; ggf auch Betrug und Untreue): Faktische Entkriminalisierung durch die Straftäter selbst! Wäre die Information der Staatsanwaltschaft von ihrer Initiative abhängig, so schlüpften sie in die Rolle des Insolvenzpolizisten – allerdings ohne dem Legalitätsprinzip zu unterliegen. 61 Hefendehl, wistra 2003, 8 f; ebenso A/R/R/Wegner Rn 7/2/19; iE auch M-G/Richter Rn 76/38.

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deshalb nicht, weil freiwillige Auskünfte dem Insolvenzgeheimnis gerade nicht unterfallen. Darauf kommt es aber gar nicht an, weil der Schuldner dem Verwalter sämtliche Vermögenswerte zu übergeben, im Insolvenzeröffnungsverfahren dem schlichten Gutachter immerhin zu offenbaren hat.62 Dazu gehören nicht nur die vom Handelsrecht erfassten Buchführungsunterlagen,63 sondern auch alle anderen den Vermögensstand betreffenden Unterlagen, wie § 283 Abs 1 Nr 6 StGB zeigt.64 Aber nicht nur Buchhaltungs- und sonstige Unterlagen stehen einander gleich, sondern zudem auch sämtliche anderen unter das Verfügungsrecht des Verwalters fallenden Vermögensgegenstände des Schuldners, §§ 80 Abs 1 InsO und 283 Abs 1 Nr 1 StGB („Verheimlichen“). Das führt aber nicht zur mangelnden Verwendbarkeit, weil es sich nicht um eine Auskunft handelt. Informationen aus Gegenständen, die dem Insolvenzbeschlag unterliegen, sind strafprozessual frei verwertbar, wenn und soweit sie aus sich heraus verständliche belastende Informationen verkörpern. Persönliche Aufzeichnungen fallen von vorn nicht unter die Offenbarungsund Herausgabepflicht und daher schon deshalb nicht unter das Insolvenzgeheimnis. Die Unterscheidung zwischen Auskunft und selbständiger Informationsquelle erspart die andernfalls nötige einschränkende Interpretation erstgenannten Begriffs. Die Offenbarung des Passwords für den Firmencomputer oder die schlichte Angabe, der (vorläufige) Verwalter (oder bloße Gutachter) finde „alles was er brauche im Schrank“ kann nicht als die Sperrwirkung des § 97 Abs 1 S 3 InsO auslösende Auskunft angesehen werden. Oder soll danach unterschieden werden, ob dem Offenbarenden der strafrechtlich relevante Charakter der zugänglich gemachten Informationsquelle (Unterlagen wie Wertgegenstand) bewusst war oder nicht? Dann schiede der Insolvenzverwalter entweder als Zeuge nahezu völlig aus oder § 97 Abs 1 S 3 InsO hätte fast keinen Anwendungsbereich mehr – ganz abgesehen von der mangelnden Justitiabilität dieser inneren Tatsache. Verallgemeinernd bedeutet das: Unter das Insolvenzgeheimnis fällt jegliche Äußerung des Offenbarungspflichtigen. Solche Angaben dürfen im Ermittlungs- oder Strafverfahren nicht verwendet werden. Eröffnen sie aber den am Insolvenzverfahren Beteiligten (Insolvenzgericht, -verwalter, anderen Personen wie zB Gläubigern) den Zugang zu für sich stehenden Beweismitteln mit selbständigem Erkenntniswert, so dürfen Letztere im Gegensatz zur Auskunft von der Strafjustiz uneingeschränkt verwertet und verwendet werden. Die Staatsanwaltschaft darf also auch unter Geltung der InsO die Insolvenzakten wie nach altem Recht anfordern und auswerten. Sie darf auch aus deren Inhalt den Anfangsverdacht bestimmter Insolvenzstraftaten schöpfen.65 Anders als früher darf sie sich für ihre weiteren Ermittlungen aber nicht mehr uneingeschränkt auf den Inhalt der Insolvenzakten stützen. Sie ist vielmehr gehalten, im Einzelnen zu prüfen, aus welcher Quelle der Hinweis auf die mögliche Straftat stammt.66 Die Wortfassung spricht für fehlende Verwendbarkeit, wenn nicht aufgeklärt werden kann, ob eine Information ausschließlich auf einer Auskunft des Schuldners beruht.67 Darüber kann im Einzelfall schon der Inhalt der Insolvenzakte verlässliche Erkenntnisse bieten. Das ist nicht nur dann der Fall, wenn der Verwalter in seinem Gut-

_____ 62 63 64 65 66 67

Vgl unten § 9 10 Rn 43 f. Weitaus hM, zB W/J/Nickolai Rn 25/100; S/S/Heine/Schuster Rn 3a zu § 283 StGB. Vgl auch insoweit S/S/Heine/Schuster Rn 39 zu § 283 StGB; iE wie hier auch W/J/Nickolai Rn 25/100. W/J/Nickolai Rn 25/94 und 97; aA A/R/R/Wegner Rn 7/2/18. Das verlangt A/R/R/Wegner Rn 7/2/18 bereits vor Prüfung des Anfangsverdachts. A/R/R/Wegner Rn 7/2/15.

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achten anführt, dass sich der Schuldner oder dessen Organ ihrer Auskunftspflicht entzogen haben, oder darlegt, dass er aufgrund eigener Recherchen auf strafrechtlich relevante Umstände wie zB verspätete Bilanzierung oder ab einem bestimmten Zeitpunkt auf nicht mehr geführte Bücher gestoßen ist, sondern auch dann, wenn der Eigenantragsteller die den Tatverdacht begründenden Informationen seinem Insolvenzantrag beifügte.68 Diese Angaben dürfen zwar aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht unmittelbar verwertet, wohl aber als Ermittlungsansätze verwendet werden. Gibt die Insolvenzakte allein noch keinen Aufschluss über die Verdachtsquelle(n), 27 dann ist die Staatsanwaltschaft gehalten, denjenigen zu vernehmen, der den Verdacht im Insolvenzverfahren aktenkundig gemacht hat. Das kann im Einzelfall ein Gläubiger oder der Insolvenzrichter, wird aber regelmäßig der Verwalter gewesen sein. In der Vernehmung ist dann die Herkunft der den Verdacht einer Straftat begründenden Information zu eruieren. Stammt sie vom Schuldner oder von dessen Organ und wurde nicht freiwillig preisgegeben, so ist ferner zu klären, ob es für diese Information daneben auch noch eine selbständige Quelle gibt. Nur wenn das der Fall ist, darf die Staatsanwaltschaft diese Information verwenden und ihre weiteren Ermittlungen darauf stützen. Der Zwischenschritt zur Klärung der Herkunft einer für die Ermittlungen relevanten 28 Information unterbleibt in der Praxis allerdings nur allzu oft. Die Rechtsfolgen eines derartigen Verfahrensverstoßes können im Einzelfall gravierend sein und zur Einstellung des Verfahrens, ggf auch zum Freispruch führen.69 Das findet seinen Grund darin, dass § 97 Abs 1 S 3 InsO eben nicht nur ein Verwertungs-, sondern ein Verwendungsverbot enthält, die Ermittlungsbehörden also eine Auskunft des Schuldners oder dessen Organs demzufolge auch nicht als Basis für weitere Ermittlungen benutzen dürfen. Haben sich Ermittlungsorgane über dieses Verbot hinweggesetzt, so muss in dem 29 konkreten Stadium, in welchem sich das Verfahren gerade befindet, retrospektiv geprüft werden, welche Erkenntnisse (Beweismittel, Informationen etc) ohne den Verfahrensverstoß nicht gewonnen worden wären. Dabei kommt es entscheidend auf die Kausalität an. Auf die Auskunft selbst darf keine (den Beschuldigten/Angeklagten belastende) Schlussfolgerung gestützt werden. Das Verwendungsverbot mündet aber nur dann in ein Verwertungsverbot für ein von der Staatsanwaltschaft, ihren Ermittlungspersonen oder dem Gericht geschöpftes selbständiges Beweismittel, wenn es diesen Organen nicht konkret möglich gewesen wäre, das konkrete Beweismittel in rechtmäßiger Weise zu gewinnen.70 Nicht ausreichend dafür ist die bloß theoretische Möglichkeit der Beweisgewinnung auf rechtmäßige Weise.71 Es kommt allerdings nicht allein auf die tatsächlich genutzten Erkenntnisquellen an.72 Maßgeblich ist vielmehr, ob die Strafjustiz mit den ihr unabhängig von der Auskunft zur Verfügung stehenden Informationen und darauf beruhenden eigenen Nachforschungen den Tatnachweis führen kann, in der Hauptver-

_____ 68 Vgl dazu bereits oben Rn 17. 69 LG Potsdam, 24.4.2007 – 27 Ns 23/06, StV 2014, 407 ff, Rn 5 und 19. 70 OLG Naumburg, Urteil vom 14.1.2004, 2 Ss 449/03; LG Stuttgart wistra 2000, 439 f; aA Hefendehl, wistra 2003, 1, 7 f; LG Potsdam, 24.4.2007 – 27 Ns 23/06, StV 2014, 407 ff, Rn 18, aufgrund einer bereits im Ansatz verfehlten Disziplinierungsüberlegung, dagegen zutr BGH 27.1.2015 – 5 StR 310/13, Rn 9, NJW 2015, 1260 f. Die Staatsanwaltschaft ist aber nicht Partei des Strafverfahrens und es gibt keinen Grund, einen Angeklagten von einem Verfahrensfehler über dessen Beseitigung hinaus profitieren zu lassen. 71 Insoweit zutr LG Potsdam, 24.4.2007 – 27 Ns 23/06, StV 2014, 407 ff, Rn 18, gegen AG Potsdam als Ausgangsgericht; Bömelburg S 129–134; aA Bader NZI 2009, 416, 419 aE, der die Vorschrift des § 97 Abs 1 S 3 InsO insgesamt auf anderweit nicht erlangbare Erkenntnisse reduziert versteht. 72 So aber LG Potsdam, 24.4.2007 – 27 Ns 23/06, StV 2014, 407 ff, Rn 18.

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handlung also durchaus auch abweichend vom tatsächlichen Erkenntnisprozess im Ermittlungsverfahren einen clean path zu bahnen in der Lage ist.73 Offenbarte der Pflichtige dem Verwalter, er bewahre in einem Schließfach im Ausland einen bislang verschwiegenen Goldbarren auf, leitete der Verwalter diese Information an die Staatsanwaltschaft weiter und ließ diese ihn im Rechtshilfeweg beschlagnahmen, so hat sie die pflichtgemäße Auskunft pflichtwidrig verwendet. Die Verurteilung gemäß § 283 Abs 1 S 1 StGB (ggf in Tateinheit mit Untreue) scheitert aber nur dann, wenn es keine andere (tatsächliche und nicht nur theoretische) Quelle für diese Information gab. War der Zugang nur über einen Code oder ein Stichwort möglich, so kann die Straftat ohne Zustimmung des Offenbarungspflichtigen nicht nachgewiesen werden. Stießen aber entweder der Verwalter oder der Staatsanwalt auf einen Schließfachschlüssel, der zunächst vielleicht noch nicht einmal zugeordnet werden konnte, und fand sich in den Unterlagen zudem ein Hinweis auf die ausländische Bank (vielleicht nur eine nicht näher spezifizierte Telefonnummer im ausgewerteten [elektronischen] Telefonbuch), so hätte beides gemeinsam den Zugang ebenso eröffnet. Die Information über das Aufbewahren im ausländischen Schließfach unterliegt dann keinem Verwertungsverbot. Die Verurteilung hängt allerdings noch zusätzlich davon ab, dass unabhängig von der Auskunft das ursprüngliche Verschweigen nachgewiesen werden kann. Im Beispiel genügt dafür die Angabe des Insolvenzverwalters, bis zum Tag x keine Kenntnis gehabt zu haben – diese Information beruht auf eigener Wahrnehmung und deckt sich mit dem Befund, dass Schweigen des Pflichtigen nicht unter das Insolvenzgeheimnis fällt. War der Verfahrensverstoß in diesem Sinne nicht kausal für den aktuellen Erkenntnisstand, so kann und muss das Verfahren schlicht fortgesetzt werden. Ist die Kausalität nur für bestimmte Beweismittel zu bejahen, so dürfen diese weder verwertet noch (weiter-)verwendet werden. Das Verfahren ist unter Beschränkung auf die übrigen, erforderlichenfalls durch ergänzende, auf einwandfreie Weise zu gewinnende Quellen fortzusetzen. Die eine Verurteilung tragende gerichtliche Überzeugung von der Schuld des Angeklagten muss jedenfalls auf einer Argumentationskette ohne jeglichen Rückgriff auf die erteilte Auskunft beruhen.74 Lässt sich ohne den Verfahrensverstoß kein hinreichender Tatverdacht begründen, so darf die eingereichte Anklageschrift nicht zur Hauptverhandlung zugelassen werden. Ist dies gleichwohl geschehen, so hat das Gericht, bevor es das Verfahren einstellen darf, außerhalb der Hauptverhandlung durch Beschluss, § 206a StPO, innerhalb der Verhandlung durch Prozessurteil, § 260 Abs 3 StPO, allerdings (zumindest während der Hauptverhandlung) zu prüfen, ob nicht ein Freispruch nach allg Regeln vorgeht.75 Während der rechtkräftige Freispruch das Verfahren beendet, führt es die Einstellung wieder zurück in das Stadium des Ermittlungsverfahrens. Die Staatsanwaltschaft hätte zu prüfen, ob es noch andere, von der Auskunft unabhängige Ermittlungsansätze gibt. Ist das nicht der Fall oder führen sie nicht zu einem hinreichenden Tatverdacht, so hat sie das Verfahren gem § 170 Abs 2 StPO einzustellen. Da § 97 Abs 1 S 3 InsO also durchaus erfolgversprechendes Verteidigungspotential birgt, mag es verwundern, dass es zur Kernproblematik kaum veröffentlichte Rspr gibt.

_____ 73 Bömelburg S 114–119; W/J/Nickolai Rn 25/98; möglicherweise der Sache nach auch Weyand ZInsO 2015, 1948, 1951 (verbal allerdings ohne die hier befürwortete Beschränkung auf die tatsächliche Möglichkeit der auskunftsunabhängigen Beweisführung im konkreten Fall); eindeutig weitergehend aber Weyand/ Diversy Rn 172; Bader NZI 2009, 416, 419 und 420. 74 Hefendehl wistra 2003, 1, 7. 75 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 44–46 zu § 260 StPO.

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Anfangs mag das auf mangelndes Problembewusstsein zurückführbar gewesen sein. Fast 20 Jahre nach Inkrafttreten der InsO und 35 Jahre nach dem Gemeinschuldnerbeschluss des BVerfG kann aber nur angenommen werden, dass es tiefere Gründe geben muss. Verteidigungsseits ist zu hören, das Winken mit § 97 Abs 1 S 3 InsO führe vielfach zum sofortigen und gern angenommenen Angebot einer Einstellung gemäß § 153a StPO. Damit wäre das Thema quasi weggedealt. Das ist angesichts des für alle Beteiligten zu erwartenden Aufwands einer Kausalitätsprüfung des erst noch zu klärenden Verstoßes gegen das Insolvenzgeheimnis durchaus plausibel – und greift doch zu kurz: Wenn denn das Ergebnis so einfach wäre, warum sollten sich Beschuldigte/Angeklagte und (renommierte) Verteidiger darauf einlassen anstatt einen Freispruch mitzunehmen? In Fällen, in denen langes Procedieren droht oder noch andere Vorwürfe in Rede stehen, derentwegen eine Verurteilung naheliegt, mag § 153a StPO für alle einen probaten Ausweg bieten. Trotzdem: dass es zu § 97 Abs 1 S 3 InsO keine Entscheidung des BGH in Strafsachen 34 gibt, legt den Verdacht nahe, dass gerade informierten Verteidigern die begrenzte Wirkung dieser Verteidigungsstrategie bewusst ist: Die meisten Vorwürfe wären auch unter Wahrung des Insolvenzgeheimnisses nachweisbar – nur um welchen Preis? In der Hauptverhandlung drohte meist eine Verzögerung des Urteils. Aber wohl nicht nur das: Es müssten weitere Beweise erhoben werden. Wie generell in Ermittlungsverfahren ohne einstweilige Verwertung aller der Insolvenzakte zu entnehmenden Informationen, so drohten Hausdurchsuchungen, beim Beschuldigten/Angeklagten, Befragungen in Banken, von Geschäftspartnern, Nachbarn und Bekannten – mit dem weitgehend naheliegenden Ergebnis des möglichen Nachweises, aber dem zusätzlichen Risiko sozialer Distanzierung (oder gar des Aufdeckens weiterer Straftaten). Die Verwertung dürfte folglich deshalb so häufig hingenommen werden, weil der Verfahrensfehler die Verurteilung selten hindert und das Bestehen auf dem Verwendungsverbot zudem die Gefahr viel unangenehmerer Nebenwirkungen heraufbeschwört. Gleichwohl: Das Insolvenzgeheimnis ist ernst zu nehmen und spätestens dann, wenn sich die Verteidigung darauf beruft und eine Einstellung nach Opportunitätsgesichtspunkten ausscheidet, muss der Tatnachweis ohne Rückgriff auf Auskünfte des Pflichtigen zu führen versucht werden.

II. Aufnahme der Ermittlungen 1. Ablehnung der Aufnahme von Ermittlungen Enthält eine Strafanzeige nicht genügend auf eine mögliche Straftat deutende Angaben, 35 so ist die Aufnahme von Ermittlungen abzulehnen, §§ 152 Abs 2 iVm 170 Abs 2 StPO. Sichtet die Staatsanwaltschaft (unter einem AR-Aktenzeichen) die einschlägige Insolvenzakte, ohne dass sich (ausreichend konkrete) Hinweise auf eine begangene Straftat ergeben, so unterbleibt mit der Aufnahme von Ermittlungen auch das Umtragen in das Js-Register. Sprechen jedoch Tatsachen für das mögliche Vorliegen einer Straftat (zB um 2 Monate verspätete Bilanz), so liegt ein Anfangsverdacht vor. Das gilt selbst dann, wenn gleichzeitig gewonnene weitere Erkenntnisse den Verdacht wieder ausräumen (etwa die Bestätigung des Steuerberaters, alle Angaben rechtzeitig erhalten zu haben, aus Kapazitätsgründen aber nicht in der Lage gewesen zu sein, die Bilanz rechtzeitig zu fertigen). In einem solchen Fall unterbleibt nicht die Aufnahme von Ermittlungen, sondern das einzuleitende Verfahren ist sogleich – ohne weitere Ermittlungen – wieder (ganz oder teilweise) einzustellen, § 170 Abs 2 StPO.

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2. Frühzeitige Einstellung nach dem Opportunitätsprinzip a) §§ 153 Abs 1 und 153a Abs 1 StPO Die Bejahung eines Anfangsverdachts zwingt die Staatsanwaltschaft auch im übrigen nicht in jedem Fall zu weiteren Ermittlungen. Abhängig vom Sachverhalt kann das Verfahren schon in diesem frühen Stadium reif für eine Einstellung nach dem Opportunitätsprinzip (§§ 153 ff StPO) sein. Zur Schonung der durchweg knappen Ressourcen empfiehlt es sich, einen solchen Verfahrensabschluss so früh wie möglich zu prüfen. Stellt sich nämlich heraus, dass eine Einstellung wegen Geringfügigkeit nach § 153 Abs 1 StPO (zB bei der verspäteten, aber vollständigen Nachzahlung der Arbeitnehmeranteile zur Gesamtsozialversicherung, § 266a Abs 1 StGB, oder der verspäteten Errichtung einer Bilanz, § 283 Abs 1 Nr 7b oder § 283b Abs 1 Nr 3b StGB) möglich ist, so ist jede weitere Ermittlung nichts anderes als die Verschwendung von Kapazitäten.76 Erlaubt der Umfang des Anfangsverdachts zwar keine folgenlose Einstellung nach § 153 StPO, spricht aber immerhin für die Möglichkeit einer Einstellung gegen Auflagen, § 153a Abs 1 StPO, so war in der Anfangsphase eines Verfahrens früher Zurückhaltung geboten. Im Fall ausbleibender Zustimmung des Beschuldigten drohte eine Belastung des Verfahrens, weil dies als mangelnde Einsicht verstanden wurde, welche der Annahme geringer Schuld entgegenstehe, und umgekehrt vermieden werden sollte, trotz ursprünglichen Bestehens auf Erfüllen einer Auflage das Verfahren wegen nicht zu führenden Tatnachweises folgenlos einstellen zu müssen.77 Diese Sicht hat sich mittlerweile gewandelt. Sie beruht zwar auf zutreffenden Erwägungen. Diese können aber nur unter Berücksichtigung des jeweiligen und damit zeitabhängigen Umfelds berücksichtigt werden. Geändert hat sich weniger die Einstellung zu konsensualen Elementen – die Verständigung wird seit der Entscheidung des BVerfG vom 19.3.201378 sogar tendenziell zurückgedrängt. Beschuldigte bedrückt aber zunehmend die Aussicht auf eine medienöffentliche Hauptverhandlung. Hinzu kommt im Zeitalter von Compliance das gestiegene Bewusstsein für die (auch straf-)rechtlichen Risiken im Kern auf Legalität angelegten Wirtschaftens aufgrund zunehmender Bürokratisierung iVm dem aus der EU überschwappenden volkspädagogisch-punitiven Trend. Beschuldigte neigen deshalb eher als früher dazu, sich zunächst kundig machen zu wollen, um dann aber anschließend das ihre zu einer schnellen Erledigung beizutragen. Da auch Strafverfolger nicht immer die Strafwürdigkeit von unter irgendein Nebengesetz fallendes Verhalten zu erkennen vermögen, hat ihr Verständnis zugenommen für das Bedürfnis, sich verteidigen, sich zumindest erst einmal intensiv kundig machen zu wollen. Zudem mindert die Überlastung die Neigung, wegen eines reinen Formalverstoßes aufwendige Ermittlungen zu führen. Daher sind heute frühzeitige Erörterungen, § 160b StPO, zwischen Staatsanwalt und Beschuldigtem keine seltene Ausnahme mehr – und zwar unabhängig davon, ob ein Verteidiger eingeschaltet ist oder nicht. Dabei kann nahezu unbefangen auch über eine Einstellung gemäß § 153a StPO gesprochen werden. Ist sie nicht sogleich möglich, so stellt dies zwar nach wie vor eine Hürde für einen weiteren Versuch in einem späteren Verfahrensstadium dar. Weil aber offen über den Prognosecharakter gesprochen werden kann und damit darüber, dass der Verdacht noch keineswegs als hinreichend iSv §§ 170

_____ 76 Gleiches gilt für §§ 154 und 154a StPO, vgl dazu unten Rn 40. Zur Frage etwaigen begrenzten Strafklageverbrauchs vgl Meyer-Goßner/Schmitt Rn 37 f zu § 153 StPO) mN. 77 Voraufl. Rn 1/33–37. 78 BVerfGE 133, 168 ff.

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Abs 1, 203 StPO zu betrachten ist, liegt die Möglichkeit ausbleibenden Tatnachweises in der Logik dieses Vorgehens, so dass es einerseits nicht mehr als voreilig diskreditiert und andererseits der Beschuldigte nicht aufgrund fehlender frühzeitiger Zustimmung zu einer Auflage nach § 153a StPO als halsstarrig angesehen werden kann.

b) Beschränkung des Verfahrensstoffs, §§ 154, 154a StPO Besteht der Anfangsverdacht in Bezug auf mehrere Straftaten, so entspricht es selten sach- 40 gerechtem Vorgehen, sie sämtlich (aufwendig) bis zum Bejahen eines für die Anklage hinreichenden Verdachts aufklären zu wollen, Nrn 5, 101 RiStBV.79 Die Anwendung der Konzentrationsvorschriften §§ 154 Abs 1 und 154a Abs 1 StPO schont Ressourcen ohne die Straferwartung (nennenswert) zu mindern. Allerdings verbietet sich auch insoweit ein rein schematisches Vorgehen. Bei unklarer Beweislage sind die Ermittlungen zwar nicht notwendig umfassend, wohl aber breiter anzulegen (und auch im übrigen die notwendigen Beweise zu sichern, auf die im Fall der Wiederaufnahme zurückgegriffen werden muss), als wenn zumindest eine Tat in Rede steht, die sicher nachweisbar erscheint. Insbes dann, wenn es sich dabei um eine gravierende Tat handelt, können die Hinweise auf weitere Taten meist auf sich beruhen. Gleichwohl ist zu vermeiden, dass bei Gericht, va bei den Schöffen, der falsche Eindruck entsteht, jenseits der angeklagten Tat(en) bestehe keinerlei Verdacht auf weitere Ungereimtheiten. Es kann deshalb oder aufgrund bestehender (oder befürchteter) Beweisschwierigkeiten und abhängig von den konkreten Umständen durchaus sachgerecht sein, die Anklage auf mehrere Taten zu erstrecken und (ggf weitere) Beschränkungen der Hauptverhandlung vorzubehalten, §§ 154 Abs 2, 154a Abs 2 StPO.

3. Planung der Ermittlungen Steht neben dem Anfangsverdacht fest, dass vor einem Verfahrensabschluss noch wei- 41 tere Ermittlungen getätigt werden müssen, dann ist deren sorgfältige Planung angezeigt. Was zu Beginn der Ermittlungen falsch gemacht wird, lässt sich im späteren Verlauf des Verfahrens selten vollständig korrigieren. Manche Erkenntnisquellen werden mit Bekanntwerden der Aufnahme von Ermittlungen ein für alle Mal verschüttet. Andere verlieren ganz oder teilweise ihren Beweiswert, wenn sie zu spät genutzt werden. Ungeschickte Gestaltung des Ermittlungsverfahrens kann einen vermeidbar überflüssigen und hohen Aufwand nach sich ziehen. So sehr es also nötig ist, sich die Ermittlungsschritte detailliert zu überlegen, so 42 schwierig ist es, die richtige Herangehensweise abstrakt zu beschreiben. In jedem Fall treten mehr oder weniger Besonderheiten auf, welche eine Abweichung vom standardisierten Vorgehen rechtfertigen können, aber nicht müssen. Gleichwohl gibt es gewisse Aspekte, die zu beachten in der Regel unverzichtbar ist. So bietet es sich schon ganz zu Beginn des Verfahrens an, den Erkenntnisstand in 43 Form eines Aktenvermerks verlässlich festzuhalten. Er ist aus dem Wust der zahlreichen zur Akte gelangten, zum großen Teil allerdings für die strafrechtliche Bewertung völlig unwichtigen Informationen akribisch herauszufiltrieren. Wichtig ist dabei, auch die jeweiligen Blattzahlen zu notieren, auf welchen sich alle aktenkundigen einschlägigen Informationen für die jeweilige Tat befinden. Dieser Vermerk zum Verfahrensgegenstand ist bei jeder späteren erneuten Befassung mit dem Verfahren fortzuschreiben. Diese Handha-

_____ 79 Weyand/Diversy Rn 195 und 197.

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bung erspart die Doppel- oder Mehrfachlektüre des gesamten, regelmäßig sehr umfangreichen Akteninhalts und ermöglicht das schnelle Wieder-Einarbeiten in den Verfahrensstoff, selbst wenn die Akte erst nach Monaten erneut zur Bearbeitung ansteht und die Erinnerung an den Sachverhalt schon verblasst ist.

a) Aktenaufbau 44 Besondere Sorgfalt ist gerade in umfangreichen Verfahren auf den Aktenaufbau80 zu

legen. Maßgebliches Ordnungskriterium ist dabei der Grundsatz der Übersichtlichkeit. Wird dieser nicht gewahrt, so drohte früher sogar der Untergang von Informationen. Wiewohl dies heute bei digitalisierten Akten aufgrund der Nutzbarkeit der Suchfunktion so nicht mehr gilt, hat es weiterhin unschätzbare Vorteile zumindest für die Klarheit im Kopf, die maßgeblichen Informationen kompakt und zugriffsfähig zu ordnen. In allen Verfahren wegen Insolvenzdelikten empfiehlt es sich deshalb, neben den einzelnen chronologisch geordneten sog Hauptakten zusätzlich Sonderhefte oder -bände anzulegen. Bei ihnen handelt es sich um Aktenbestandteile, die einzig dazu dienen, die Hauptakten von Detailinformationen zu bestimmten Aspekten frei und dadurch übersichtlich zu halten. In Sonderhefte bzw -bände sind zB die Ablichtungen aller beigezogenen Akten (zB des Handelsregisters und des Insolvenzgerichts81) zu nehmen. 45 Beiakten sind demgegenüber ausschließlich die im Original zur Strafakte gesandten Akten anderer Behörden oder anderer Ermittlungs- bzw Strafverfahren. Aus diesem Grunde sind sie im Gegensatz etwa zu Sonderheften bzw -bänden nicht Bestandteile der Akten des Verfahrens. Ablichtungen von beweiserheblichen Unterlagen gehören zweckmäßigerweise 46 ebenfalls nicht in die Hauptakten. Es bietet sich an, dafür spezielle Beweismittelordner anzulegen. Der Sache nach handelt es sich zwar auch insoweit um Sonderhefte bzw -bände. Der Übersichtlichkeit wegen sollten sie aber nicht nur mit laufenden Nummern, sondern konkret bezeichnet werden (zB „SH X – Unterlagen aus Büro des Prokuristen“). 47 Nicht nur in Großverfahren, sondern immer auch dann, wenn in einem Verfahren zahlreiche Beteiligte und/oder eine Mehrzahl von Firmen eine wesentliche Rolle spielen, ist es überdies sinnvoll, auch noch gesonderte Tat- oder Fall-, Personen- und/oder Firmenakten anzulegen. Auch dies sind lediglich aus Klarheitsgründen spezifiziert bezeichnete Sonderhefte oder -bände. In diese sollten sämtliche sich auf die jeweilige Tat, Person oder Firma beziehenden Informationen Eingang finden. Das können zB Ablichtungen von Handelsregister- oder Insolvenzakten sein. Dann ersetzen sie die insoweit überflüssigen (unspezifischen) Sonderhefte. Im Bedarfsfall kann bei den Firmenakten noch zusätzlich differenziert werden. So kann es zB hilfreich sein, die für die wirtschaftliche Lage einer Gesellschaft maßgeblichen Informationen in einem gesonderten Ordner zusammenzufassen.82 In die Personen-, im Bedarfsfall aber auch in die Fall- und Firmenakten gehören auch Ablichtungen von regelmäßig zu den Hauptakten zu nehmenden Vernehmungsniederschriften oder jedenfalls von den Teilen solcher, welche sich auf die jeweilige Tat, Person oder Firma beziehen. Dass die Akten bei einem derartigen Aufbau an verschiedenen Stellen inhaltsgleich sind, ist unschädlich und der besseren Orientierung wegen hinzunehmen.

_____ 80 Detaillierte Übersicht bei Zeißig wistra 1994, 295; sa Janovsky Krim 1998, 331, 336 f. 81 Vgl dazu oben Rn 10 ff und 16 ff. 82 Zeißig wistra 1994, 295, 298.

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Werden die vorgenannten Dokumente ausgegliedert, bestehen die Hauptakten 48 dann im Wesentlichen nur aus den den Verfahrensgang dokumentierenden Unterlagen wie Strafanzeigen, Ladungen, Vermerken und Vernehmungen. Letztere dürfen aber auch ausschließlich Eingang in eine Personen- oder Firmenakte finden. Allerdings sollte diese Handhabung auf die seltenen Fälle beschränkt werden, in welchen sich die Vernehmung ausschließlich auf eine Person oder Firma bezieht. Empfehlenswert ist zudem das Anlegen eines Aktenspiegels und eines Inhaltsver- 49 zeichnisses jedes Aktenhefts oder -bands einschließlich der Sonderhefte bzw -bände. Aus dem Aktenspiegel sollte sich in übersichtlicher Form die Systematik des Aktenaufbaus ergeben. Dazu gehört auch die Bezeichnung insbes von Personen- und Firmenakten. Sie kön- 50 nen zB mit „SH P“ oder „SH F“ gekennzeichnet werden. Jeder einzelnen Person und Firma sollte ferner noch zusätzlich eine laufende römische Ziffer zugeordnet werden. Genügt ein Heft oder Band nicht, um alle Informationen zu einer Person oder Firma aufzunehmen, so sollte die römische Ziffer hinter einem Schrägstrich noch zusätzlich mit einer laufenden arabischen Ziffer versehen werden, also zB „SH P III/2“. Anstatt der Chiffrierung kann natürlich auch der volle Name verwandt werden, etwa „SH Fa. X/3“. Dafür gibt es keine festen Regeln. Wesentlich ist allein, dass, wenn nicht generell, dann in jedem Einzelfall klare Regeln festgelegt und konsequent durchgehalten werden. Maßstab ist allein die Wahrung der Übersicht. Das nachfolgende Beispiel wurde aus einem Originalfall nur leicht abgewandelt.

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b) Akteneinsichtsgesuche 52 In größeren Verfahren ist mit einer Vielzahl von Akteneinsichtsgesuchen zu rechnen.

Ihre technische Durchführung stellt iGgs zu früher kein Problem mehr dar, weil der Akteninhalt als elektronisches Doppel versandt werden kann. Damit kein Akteneinsichtsgesuch übersehen wird, sollte schon gleich zu Beginn der Ermittlungen eine Liste geführt werden, in welcher die Akteneinsichtsgesuche mit Fundstellen notiert werden. Die Liste, ergänzt um Hinweise auf Erfüllung, ist zweckmäßigerweise bei den Handakten aufzubewahren. Im Hinblick auf die Akteneinsicht seitens der Verteidigung83 gilt im Kern seit jeher, 53 dass sie zu gewähren ist, sobald dies den Ermittlungszweck nicht gefährden kann, § 147 Abs 1 iVm Abs 2 S 1 StPO. Keinerlei Beschränkungen gelten für die Niederschriften über die Vernehmung des (jeweiligen) Beschuldigten und für Gutachten, im Grundsatz auch für richterliche Untersuchungshandlungen, § 147 Abs 3 StPO. Zumindest in Haftsachen gilt ein über das Minimum des § 147 Abs 2 S 1 StPO hinausgehendes, wenngleich kein ausnahmsloses Akteneinsichtsrecht der Verteidigung. Nach § 147 Abs 2 S 2 StPO sind dem Verteidiger sämtliche für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Haft wesentlichen Informationen zugänglich zu machen. Diese Erweiterung gilt für sonstige Zwangsmaßnahmen (etwa Beschlagnahme zu Beweis- oder zu Zwecken der Vermögensabschöpfung, insoweit auch dinglicher, zukünftig Vermögensarrest) jedenfalls nicht in gleichem Maße. Zu differenzieren ist bei Akteneinsichtsgesuchen Dritter84 (Geschädigte, Versiche54 rungen, sonstige Gläubiger). Es ist zwar nur ein nobile officium, Dritten keine Akteneinsicht vor dem Verteidiger zu gewähren. Davon abzuweichen bedarf gleichwohl guter und schwerwiegender Gründe. Anders als früher liegen solche nur noch selten in drohender zivilrechtlicher Verjährung, weil der Lauf der Verjährungsfrist inzwischen erst mit der Kenntnis von Tat und Täter zu laufen beginnt, § 199 Abs 1 Nr 2 BGB. Allerdings pflegen Versicherungen zunehmend selbst die Zahlung von Abschlägen von der Einsicht in die Strafakten abhängig zu machen. Das Ziel, Verletzte vor wirtschaftlicher Bedrängnis zu bewahren, rechtfertigt die Gewährung zumindest partieller Akteneinsicht vor der Offenlegung gegenüber dem Verteidiger. In solchen Fällen ist der (erfolgreiche) Gesuchsteller aber nicht nur auf die strikte Zweckbindung der Verwendung hinzuweisen, sondern va auch darauf, von seiner Kenntnis gegenüber Dritten (zB Beschuldigten, Zeugen, Beteiligten potentieller Durchsuchungen und Beschlagnahmungen) ohne gesonderte Gestattung seitens der Strafjustiz keinen Gebrauch zu machen. 55 Vor der Gewährung ist zudem zu prüfen, in welchem Umfang das Akteneinsichtsrecht besteht.85 Dabei ist zu unterscheiden zwischen verschiedenen Interessenten. Am weitesten (nach dem Verteidiger) ist das Einsichtsrecht für einen auch in besonderen Wirtschaftsstrafsachen zuzulassenden Nebenkläger, § 395 Abs 3 StPO, gefolgt vom (nicht nebenklägerischen) Verletzten, dem ein berechtigtes Interesse genügt, jeweils soweit nicht die Interessen des Beschuldigten oder sonstiger Dritter entgegenstehen, § 406e StPO. Anderen Privaten kann unter den Voraussetzungen des § 475 StPO, Justizbehörden und anderen öffentlichen Stellen gemäß § 474 StPO Akteneinsicht gewährt werden. Ein Einsichtsbefugter darf aber nicht ohne weiteres alle Aktenteile einsehen. Technische Geschäftsgeheimnisse, aber auch psychologische Gutachten bleiben Dritten

_____ 83 Näher unten Rn 332 ff. 84 Dazu näher unten Rn 342 ff. 85 Aus Sicht der Verteidigung sehr restriktiv A/R/R/Wegner Rn 7/2/6.

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verschlossen, vgl Nr 186 Abs 2 RiStBV. Das berechtigte Einsichtsinteresse von Gläubigern beschränkt sich in der Regel auf die sie und den Beschuldigten betreffenden Bestandteile und erstreckt sich nicht auf Informationen über weitere Verletzte oder sonstige Gläubiger. In Beiakten darf grundsätzlich nur mit Zustimmung der aktenführenden Behörde Einsicht gewährt werden, § 478 Abs 2 StPO. Um einen späteren unverhältnismäßig höheren Aufwand durch Prüfung einer Unzahl von Aktenblättern zu vermeiden, sollten die Aktenteile, die nicht der Einsicht Dritter unterliegen, entweder von vorn herein gesondert, zB in einem Sonderheft oder -band geführt (etwa getrennt nach Verletzten) oder zumindest gesondert aufgelistet werden. Neben diesen materiellen Voraussetzungen ist in formeller Hinsicht zu beachten, 56 dass von der Offenbarung personenbezogener Daten Betroffenen, zumindest dem Beschuldigten, vor der Gewährung von Einsicht rechtliches Gehör zu gewähren ist.86 Voraussetzungen und Reichweite dieser Pflicht sind allerdings völlig unklar. Im Fall des Widersprechens ist ein rechtsmittelfähiger Bescheid zu erteilen. Betroffener wie Gesuchsteller können im Ermittlungsverfahren im Maße ihrer Beschwer den Ermittlungsrichter analog § 98 Abs 2 S 2 StPO anrufen.

c) Handakten Beim Durcharbeiten der Akte kommen dem Staatsanwalt regelmäßig Ideen und Gedanken 57 zur möglichen weiteren Entwicklung des Verfahrens. Sie dürfen, müssen in kleineren oder Routinefällen jedoch nicht schriftlich fixiert werden. Solche Vermerke erleichtern die spätere Bearbeitung und gehören als (durchaus spekulative oder Vermutungscharakter tragen dürfende) interne Arbeitshilfen zu den staatsanwaltschaftlichen Handakten. Es steht dem Staatsanwalt jedoch frei, sie ganz oder zum Teil zu den Akten zu nehmen.

d) Zusammenarbeit Staatsanwaltschaft/Polizei Sorgfältiger Planung bedarf die Einschaltung der Polizei in die Ermittlungen wegen 58 Insolvenzstraftaten. Die Polizei hat es in Wirtschaftsstrafsachen allg sehr schwer, weil sich die Anfor- 59 derungen an derartige Ermittlungen doch sehr von denjenigen in den übrigen Kriminalitätsfeldern unterscheiden,87 viel theoretisches Wissen verlangen und zu einem großen Teil in Schreibtischarbeit bestehen. Es sind zahlreiche Unterlagen auszuwerten, also ist viel Lesearbeit zu leisten. Das ist nicht immer aufregend oder auch nur interessant. Etwaiger Erkenntnisgewinn setzt zudem spezifischen Wissen auf verschiedenen Rechtsgebieten und der Betriebswirtschaft voraus. Kriminalbeamte bedürfen deshalb neben ihrer allg Ausbildung zusätzlicher Schulungen, bevor sie mit Gewinn Verfahren der Wirtschaftskriminalität bearbeiten können. Da die Stellen in den (Fach-)Kommissariaten für Wirtschaftsstrafsachen aber nicht höher dotiert sind als auf anderen Gebieten, warten auf qualifizierte Wirtschaftskriminalisten sehr schnell ihren Fähigkeiten entspr Beförderungstellen. Davon gibt es in den Wirtschaftsstrafkommissariaten aber nur sehr

_____ 86 BVerfG, 15.4.2005 – 2 BvR 465/05 NStZ-RR 2005, 343, Rn 12; 5.12.2006 – 2 BvR 2388/06, NJW 2007, 1052 f; 18.3.2009 – 2 BvR 8/08, 2009, 2876 f, Rn 15; Püschel/Paradissis ZInsO 2016, 1786, 1787. S näher unten Rn 342. 87 Wagner, Krim 1998, 659 ff, will des Aufwands und der niedrigen Straferwartung wegen (zu Unrecht!) die Insolvenzdelikte zu Privatklagedelikten herabstufen. Das wäre das Ende des forensischen Insolvenzstrafrechts!

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wenige und die sind zumeist besetzt. Das hat zur Folge, dass die nach langer Ausbildung für die Tätigkeit in einem Kommissariat für Wirtschaftsstrafsachen qualifizierten Polizeibeamten alsbald auf einen anderweit angesiedelten Beförderungsposten abwandern: Ihr mühsam und aufwendig erworbenes Wissen liegt dann brach und wird nicht zur Aufklärung von Wirtschaftskriminalität eingesetzt.88 Aussicht auf Behebung dieses seit Jahrzehnten bestehenden Missstands besteht nicht. Die Folgen zeigen sich zum einen in verzögerter und vermutlich auch schlechterer Aufklärung von Wirtschaftsstrafsachen, zum anderen in einer kostenträchtigen Verlagerung des Ermittlungsaufwands auf die Staatsanwälte, die Vernehmungen und Auswertungen zu einem (zu) Großteil selbst übernehmen müssen. 60 Die negativen Auswirkungen auf kleinere Ermittlungsverfahren wegen lediglich eher formeller Insolvenzdelikte sind jedoch begrenzt, weil sie häufig gut und zügig von den Staatsanwaltschaften nach Gewährung rechtlichen Gehörs im Wege der Versendung eines Anhörungsbogens allein abgeschlossen werden können. Für Verfahren, die sich nicht auf diese Weise erledigen lassen, bestehen aber noch erhebliche ungenutzte Effizienzreserven. Das beweisen die speziell zur Ermittlung wegen Insolvenzdelikten in Stuttgart und in Sachsen gebildeten „Wirtschaftsstrafrechtlichen Ermittlungsgruppen Staatsanwaltschaft – Polizei“, kurz: WESP.89 Räumlich zusammengeführt bilden sie zeitlich begrenzte Ermittlungsschwerpunkte. Steht ein Umfangsverfahren an, so werden die vorhandenen Kräfte für dessen Bearbeitung gebündelt. Nach dessen Abschluss wird ebenso konzentriert und kompakt eine Vielzahl kleinerer Verfahren erledigt. Der personelle und sächliche Ressourceneinsatz ist optimal. Aktenumlauf lässt sich weitestgehend vermeiden, Informationen stehen schnellstmöglich zur Verfügung und bilden die Basis schleunigst verfügter weitere Ermittlungen, Erinnerungsverluste bei Zeugen wie Ermittlern sind auf ein Minimum reduziert. Verfahrensabschlüsse sind viel schneller und mit geringerem Aufwand möglich. In Stuttgart vermochte die Zeit zwischen Eingang bei der Staatsanwaltschaft und Abschlussverfügung zuweilen auf phantastische vier Monate gedrückt zu werden.90 Die Hauptverhandlung folgt zügig und kann mit sachangemessenem Ergebnis ohne Abschläge für rechtstaatswidrige Verzögerungen, den Abstand zwischen Tat und Urteil sowie der Belastungen aufgrund einer Phase langer Ungewissheit beendet werden. Es ist unverständlich, dass diese eindrucksvollen Erfahrungen kaum Nachahmung an anderen Orten gefunden haben. Können ausreichend qualifizierte Polizeibeamte nicht in genügender Anzahl einge61 setzt werden, so fordert das die Staatsanwaltschaft als „Herrin“ des Ermittlungsverfahrens weitaus mehr als an sich erforderlich. Sie darf die Arbeit dann nur in geringem Maße der Polizei überlassen und muss gerade bei rechtlich schwierigen Insolvenzdelikten nahezu sämtliche Entscheidungen selbst treffen. Das gilt nicht nur für die Stoffbegrenzung, sondern erstreckt sich auch auf Festlegung und Abfolge zielgerichteter Ermittlungsschritte. Der zuständige Staatsanwalt muss sich stetig selbst über den Verfahrensstoff informieren. Er darf nicht nur die Richtung der polizeilichen Ermittlungen vorgeben, sondern ist gezwungen, auf pauschale Aufträge zu verzichten und muss stattdessen detaillierte und konkrete Ermittlungen anweisen.91

_____ 88 Ciolek-Krepold Rn 112. 89 Dittrich/Gruhl/Hepp Krim 1998, 713 ff; s auch Ciolek-Krepold Rn 106; BKA-Jahresbericht Wirtschaftskriminalität 2001, S 81 f. 90 Dittrich/Gruhl/Hepp Krim 1998, 713, 716. 91 Zeißig wistra 1994, 295, 299.

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Polizeibeamte mit anforderungsgerechter Qualifikation können (oder könnten, stünden sie zur Verfügung) die meisten Vernehmungen allein durchführen, weitere Ermittlungsansätze selbst erkennen und in Abstimmung mit dem zuständigen Staatsanwalt aufgreifen. Seine Sachleitungsbefugnis sollte der Staatsanwalt nicht allein in schriftlichen Verfügungen, sondern auch in Besprechungen ausüben. Informiert er sich über sachgerechte polizeiliche Zwischenvermerke, so muss er nicht jeden einzelnen Ermittlungsschritt selbst bestimmen oder gar leiten. Seine Ermittlungsarbeit kann er unter solchen Umständen auf heikle Maßnahmen (zB Durchsuchungen in Ämtern, bei Rechtsanwälten oder bei zu erwartender medialer Aufmerksamkeit) und die Vernehmung solcher Zeugen und Beschuldigter konzentrieren, die auf polizeiliche Vorladung nicht erschienen sind oder deren Aussagen bedeutende Erkenntnisgewinne versprechen. Auf der Basis eines verlässlichen polizeilichen Abschlussvermerks92 vermag der Staatsanwalt zügig seine Abschlussverfügung zu treffen. Gute Polizeiarbeit wirkt sich also beschleunigend und qualitätserhöhend aus. Selbst bei optimalen Verhältnissen muss aber der Staatsanwalt in rechtsgeprägten Wirtschaftsstrafsachen seine Führungsfunktion intensiver als zB in allg oder Drogensachen wahrnehmen, weil ein Polizeibeamter aufgrund seiner Aufgabenstellung nie die forensische Erfahrung haben kann, wie sie ein in Insolvenzverfahren erfolgreicher Staatsanwalt benötigt. Bei anforderungsgerechter Qualifikation verfügt der Polizist aber über kriminalistische Erfahrungen, die gerade einem mit Insolvenzermittlungen noch nicht so vertrauten jungen Staatsanwalt fehlen können. Er ist dankbar für polizeiliche Hinweise auf in anderen Verfahren gewonnene Erfahrungen, auf taktische Tipps und wichtige Erkenntnisquellen sowie für das Aktivieren hilfreicher Kontakte. Diese polizeilichen Qualitäten darf der Staatsanwalt keineswegs unbeachtet lassen, sondern er hat sein eigenes und das Potential der Polizei optimal zu kombinieren, um auf diese Weise die bestmögliche Aufklärung zu gewährleisten.93 In umfänglichen Verfahren ist eine Arbeitsteilung zwischen Staatsanwalt und Polizei unumgänglich. Je nach Sachlage muss eine polizeiliche Ermittlungsgruppe oder gar eine Sonderkommission gebildet werden. In Komplexverfahren genügt es auch nicht, wenn nur ein Staatsanwalt tätig wird. Werden weitere Staatsanwälte zur Bearbeitung einer Angelegenheit abgestellt, so sollte allerdings die Gesamtverantwortung gleichwohl bei einem allein liegen. Wechselt die Leitung von Verfahren zu Verfahren ab, so dürfte das nicht zu aufgrund der Gleichordnung denkbaren statusbedingten Schwierigkeiten führen. Bisher gibt es allerdings nur wenige, va wenig ermutigende Erfahrungen mit staatsanwaltschaftlicher Gemeinschaftsarbeit.

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III. Allgemeine Informationsquellen Fußt ein Ermittlungsverfahren nicht auf der Auswertung der Insolvenzakten, wird ihm 66 zumeist eine Strafanzeige eines Gläubigers oder einer Krankenkasse zugrunde liegen. Es ist dann meist erforderlich, vom Anzeigenden nähere Angaben zu erfragen. Zudem kann es wichtige Erkenntnisquellen erschließen, Zivilakten beizuziehen, weil darin nicht nur

_____ 92 Er sollte aufgrund der Bescheidungspflichten des § 171 StPO auch eine Auflistung der Anzeigeerstatter enthalten, Janovsky Krim 1998, 331, 337. 93 Janovsky Krim 1998, 269f.

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häufig betrugsrelevante unwahre Tatsachenbehauptungen wiederholt werden,94 sondern der Beschuldigte zur Vermeidung des Prozessverlustes regelmäßig Angaben zur Sache macht, welche im Ermittlungsverfahren auch dann verwertet werden dürfen, wenn er dort von seinem Schweigerecht Gebrauch macht.

1. Gesetzliche Kranken- und Ersatzkassen (als Einzugsstellen) 67 Nachfragen sind bei anzeigeerstattenden Krankenkassen erforderlich, wenn sie die be-

nötigten Angaben nicht sogleich erschöpfend mitgeteilt haben, sei es eigeninitiativ im Rahmen einer Strafanzeige, sei es auf eine an sie herangetragene Bitte um Mitteilung etwaiger Beitragsrückstände hin. Besonderheiten wie Nachzahlungen, Leistungsbestimmungen und Zwangsbeitreibungen werden nicht routinemäßig angeführt. Im Fall der Insolvenzanfechtung kann zudem nicht verlässlich angenommen werden, dass neben der nach Rückbuchung wieder offenen Beitragsforderung auch deren ursprüngliche Erfüllung angegeben wird. Sobald sich Hinweise auf derartige Komplikationen ergeben, muss dem Verlauf des Beitragskontos nicht nur akribisch, sondern detailreich auch in Bezug auf die Umstände von Beitragserfüllung und etwaiger Rückbuchung nachgegangen werden. Bei den Auskünften der Einzugsstellen handelt es sich um ein Zeugnis enthaltende Erklärungen einer öffentlichen Behörde iS von § 256 Abs 1 Nr 1 lit a StPO. Sie können daher in der Hauptverhandlung verlesen werden. Die Vernehmung des das Beitragskonto betreuenden oder zumindest desjenigen Sachbearbeiters, welcher im Ermittlungsverfahren die Auskunft erteilt hat, ist daher regelmäßig nicht erforderlich, sondern nur dann geboten, wenn (selbst aufgrund ergänzender Auskunft auf eine Nachfrage hin) noch strafrechtlich relevante Unklarheiten über den Verlauf des Beitragskontos bestehen. Bei den Anfragen nach Beitragsrückständen spielt das sog Sozialgeheimnis, §§ 67 ff 68 SGB X, keine Rolle. Einer richterlichen Anordnung zur Übermittlung der erforderlichen Daten gem § 73 Abs 3 SGB X bedarf es deshalb nicht, weil § 73 SGB trotz seiner umfassend erscheinenden Überschrift „Übermittlung für die Durchführung eines Strafverfahrens“ nur diejenigen Fälle erfasst, in denen die die Sozialdaten verwaltende Stelle nicht zugleich Verletzte der in Rede stehenden Straftat ist. Handelt es sich hingegen wie bei § 266a Abs 1 StGB um ein Delikt zum Nachteil der Sozialbehörde, dann ist Rechtsgrundlage für die Übermittlung der Sozialdaten ausschließlich § 69 Abs 1 Nr 2 iVm Nr 1 SGB X. Diese Vorschrift macht die Auskunft an die Strafjustiz nicht von einer gesonderten richterlichen Anordnung abhängig.95 Strafverfahren iSv § 69 Abs 1 Nr 2 SGB X ist auch das Ermittlungsverfahren.96

2. Insolvenzgericht 69 Neben etwaigen Nachfragen beim Anzeigenden wird die Staatsanwaltschaft in Ermitt-

lungsverfahren, die nicht auf eine MiZi zurückgehen, routinemäßig beim Insolvenzgericht nachfragen, ob dort Verfahren anhängig sind oder waren. Die daraufhin übersandten Insolvenzakten sind im gleichen Umfang auswertbar wie nach Übersendung aufgrund einer Anforderung nach Erhalt einer MiZi.97

_____ 94 95 96 97

Dazu Janovsky Krim 1998, 269, 272. Vgl auch unten Rn 392 ff. Hardtung NJW 1992, 211, 212 ff mN auch zur Gegenauffassung. Vgl dazu oben Rn 10 ff, und 16 ff.

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§ 1 Informationsbeschaffung der Staatsanwaltschaft/Gestaltung des Ermittlungsverf. | 27

3. Gerichtsvollzieher Enthalten nicht bereits die beigezogenen Insolvenzakten die erforderlichen Angaben, so 70 muss bei dem für den Unternehmenssitz zuständigen Gerichtsvollzieher erfragt werden, welche Zwangsvollstreckungsaufträge gegen den Schuldner bei ihm eingingen. Die notwendige Aussagegenehmigung ist ihm von seinem Dienstvorgesetzten, dem Präsidenten des Amts- oder Landgerichts, meist allg erteilt. Die Antwort hat sich auf die Höhe der titulierten Forderung, den Eingang, das Datum des Vollstreckungsversuchs und dessen Ergebnis zu erstrecken. Besonders hilfreich ist die Angabe über das Datum des Beginns des Zinslaufs, weil es Rückschlüsse auf den Beginn der wirtschaftlichen Schwierigkeiten gestattet. Denkbar ist die Übersendung von Ablichtungen, heute meist ersetzt durch Übermittlung der DR II-Akten in Dateiform. Ist der Gerichtsvollzieher nicht mehr im Dienst, dann verwaltet das Amtsgericht für die Aufbewahrungszeit von 5 Jahren seine Akten und übersendet sie der Staatsanwaltschaft. Die Aufstellung des Gerichtsvollziehers oder die Auswertung der DR IIAkten seitens der Ermittlungsbehörden selbst verspricht Erkenntnisse über den Zeitpunkt, ab welchem der Schuldner über keine pfändbare Habe mehr verfügte. Dabei handelt es sich regelmäßig um den spätesten Zeitpunkt des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit.

4. Schuldnerverzeichnis Das Schuldnerverzeichnis enthält Angaben zu erteilten Vermögensauskünften, 71 § 802c ZPO (in der Nachfolge der früheren eidesstattlichen Offenbarungsversicherung, davor Offenbarungseid) und zu wegen Aussichtslosigkeit unterlassenen Zwangsvollstreckungsversuchen. Beides weist noch eindeutiger als erfolglose Zwangsvollstreckungen auf eingetretene Zahlungsunfähigkeit hin. Die verweigerte Vermögensauskunft besagt für sich allein noch nichts Verlässliches, weil sie anders als die Vermögensauskunft das weitere Schicksal der Verbindlichkeit offenlässt.98 Die Kenntnis kann aber als Ausgangspunkt weiterer Ermittlungen dienen. Die routinemäßige Anforderung aller M-Akten ist hingegen auch bei Prüfung einer 72 Insolvenzverschleppung nicht erforderlich, weil ihr Inhalt dafür kaum einen zusätzlichen Erkenntnisgewinn verspricht.99 Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse besagen ebenso wie gerichtliche Durchsuchungsgestattungen gem § 758a Abs 1 ZPO für sich nur wenig. Führen solche Schritte auf dem Weg zur Zwangsvollstreckung nicht zum Erfolg, schließen sich regelmäßig sowieso Maßnahmen zur Erteilung der Vermögensauskunft an. Diese werden aber bereits durch eine Auskunft aus dem Schuldnerverzeichnis bekannt. Allein wenn es ausnahmsweise auf den genauen Zeitpunkt des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit100 ankommen sollte, kann es geboten sein, alle M-Akten anzufordern.

5. Handelsregister Abfragen beim elektronischen Handelsregister dienen zunächst einmal der Vergewisse- 73 rung, ob es sich beim Schuldner tatsächlich um eine juristische Person handelt. Die In-

_____ 98 Oben Rn 15. 99 AA Janovsky Krim 1998, 269, 271 f. 100 Regelmäßig aber nur bei Anwendung der kriminalistischen Methode, vgl zu den Feststellungsmethoden unten § 11 Rn 94 ff. Die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit im Wege der Erstellung eines betriebswirtschaftlichen Gutachtens setzt demgegenüber das Vorhandensein der vollständigen Buchführung voraus. Ist das der Fall, so können daraus alle erforderlichen Informationen entnommen werden. Die Prüfung der M-Akten kann aber zu Kontrollzwecken sinnvoll sein.

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solvenzverschleppung einer Vor-GmbH ist nicht strafbar.101 Der Sonderband verspricht (die nicht durchweg erforderliche) Aufklärung über die Entwicklung der Verhältnisse und Verantwortlichkeiten innerhalb einer nun insolventen juristische Person (Gesellschaftsvertrag, ggf in allen Fassungen, Gesellschafterliste, Geschäftsführeranmeldungen, Personalien, meist allerdings ohne den Geburtsort), weist jedoch keine stillen und Treuhandbeteiligungen aus.102 Die allg Registerakten („Registerband“) sind hingegen für Insolvenzermittlungen regelmäßig nicht von Belang. 74 Aus dem zentralen Handelsregister beim AG Bonn sind die dort hinterlegten Bilanzen beizuziehen. Die Pflicht dazu wird inzwischen zu einem recht hohen Prozentsatz erfüllt, so dass ihre Verletzung einen Bilanzverstoß und Insolvenzverschleppung zwar nicht im eigentlichen Sinne beweist, für beides aber ein sehr starkes Indiz darstellt. Eine rechtzeitig eingereichte Bilanz trägt hingegen regelmäßig entlastenden Charakter und spricht prima facie gegen das Vorliegen gravierender Insolvenzstraftaten.

6. Gewerberegister 75 Anfragen beim Gewerberegister sind nicht zwingend. Ob eine Gesellschaft darin ver-

zeichnet ist oder nicht, ist nicht von unmittelbarer strafrechtlicher Relevanz. Manchmal können sich daraus aber zuvor unbekannte Betriebsstätten oder, insbes bei Einzelhandelskaufleuten, anderweit trotz elektronischen Zugangs zu den Melderegistern nur mühsam zu ermittelnde Personalien ergeben. Das Gewerbezentralregister erfasst Gewerbeverbote nach § 35 Abs 1 GewO, deren Verletzung nach § 148 Nrn 1 oder 2 GewO strafbar sein kann. Anfragen dort setzen die Angabe der Anschrift voraus. Die Auskünfte können demzufolge zwar auf eine weitere Straftat hindeuten, versprechen aber für die Ermittlungen wegen Insolvenzdelikten keine neuen Erkenntnisse.

7. Arbeitsamt 76 Weitere Informationsquellen können im Einzelfall auch das zuständige Arbeitsamt,103

der Steuerberater104 und die Steuerbehörden105 sein.

Bittmann/Trück 8. Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute a) Verfahrensrelevante Beweismittel 77 Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute (§ 1 Abs 1 und 1a KWG) sind als Informationsgeber aus der Ermittlungspraxis nicht mehr wegzudenken. Früher spielten sie im Wesentlichen nur in den klassischen wirtschaftsstrafrechtlichen Verfahren insbes wegen Straftaten aus dem 22. und 24. Abschnitt des StGB eine wichtige Rolle. Heute gehören die unter dem Oberbegriff „Finanzermittlungen“ bezeichneten Untersuchungen zum Standardrepertoire der polizeilichen Fachdienststellen nicht nur bei der Bekämpfung des Terrorismus und der Organisierten Kriminalität, sondern auch bei der Vorbereitung gewinnabschöpfender Maßnahmen.

_____ 101 102 103 104 105

Allg Ansicht, vgl Bittmann/Pikarski wistra 1995, 91, 92; Deutscher/Körner wistra 1996, 8, 10 f. Janovsky Krim 1998, 269, 271. Vgl dazu iE unten Rn 389 ff. Weyand/Diversy Rn 174 ff. Weyand/Diversy Rn 180 ff; näher unten Rn 349 ff.

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Eine Aufklärung der finanziellen Entwicklung eines Unternehmens hin zur Krisensi- 78 tuation kann die Beiziehung von Kontounterlagen erfordern. Dies setzt eine umfassende Kenntnis der bestehenden Konten und der gegebenenfalls bestehenden weiteren vertraglichen Beziehung(en) voraus. Nur auf solch gesicherter Grundlage kann fundiert darüber entschieden werden, ob und wie zu einem späteren Zeitpunkt richterliche Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnungen beantragt und Auskunftsersuchen im Hinblick auf Kontounterlagen und weiteres von den Kredit- und Finanzdienstleistungsinstituten erfasstes Datenmaterial gestellt werden. Hierzu ist es wichtig, sämtliche Anhaltspunkte zu bestehenden Kontoverbindungen zu sammeln und zu erfassen. In diesem Zusammenhang hat es sich in der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Praxis als hilfreich erwiesen, eine Anfrage an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) gemäß § 24c Abs 3 S 1 Nr 2 KWG zu stellen, um bis dahin auch unbekannte Kontoverbindungen festzustellen.106 Die Einholung dieser Auskunft ist nicht an die Überschreitung einer Erheblichkeitsschwelle gebunden. Sie ist – vorbehaltlich der allgemeinen Verhältnismäßigkeit – schon beim Anfangsverdacht geringfügiger Straftaten zulässig.107 Sachdienlich können des weiteren Anfragen bei der „Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung“ (Schufa) und bei Wirtschaftsauskunftsdiensten sein. Deren – gebührenpflichtigen – Auskünften stehen keine prozessualen Zeugnisverweigerungsrechte entgegen. Trück Auf dieser Basis ist zu entscheiden, welche schriftlichen Unterlagen für die weite- 79 ren Ermittlungen von Bedeutung sein können. Wesentlich für die Aufklärung insbes von Insolvenzstraftaten ist die retrograde Feststellung der Liquidität eines Unternehmens. Anhaltspunkte hierzu liefern die Umsatzübersichten (häufig auch als Kontoverdichtungen oder Kontostaffeln bezeichnet) der bestehenden Konten, die über jede einzelne Kontobewegung Auskunft geben und somit einen ersten Einblick in die Geldflüsse, das Zahlungsverhalten, teilweise auch die Liquiditätsreserven des Kontoinhabers erlauben. Sind von den Tatvorwürfen nicht nur kleinere Unternehmen ohne umfangreiche 80 Kreditengagements betroffen, können über die eigentlichen Kontounterlagen hinaus die bei den Banken befindlichen (Kredit-)Unterlagen und Kundenakten von wesentlicher Bedeutung sein. Das gilt vor allem für die Hausbank, die auf Grund der Abwicklung des Zahlungsverkehrs und der Überwachung des Kreditengagements regelmäßig einen sehr weitgehenden Einblick in die laufende wirtschaftliche Entwicklung eines Unternehmens hat. Dabei sollte das Augenmerk nicht nur auf die eigentlichen Kreditakten gerichtet sein, sondern darüber hinaus auf den gesamten internen Schriftverkehr der Bank. Nicht nur Aufzeichnungen oder Mitteilungen des zuständigen Kontoführers und Kreditsachbearbeiters kommen schon auf Grund von deren Detailkenntnis des Tagesgeschäftes in Betracht. Gerade bei der Einräumung größerer Kreditlinien können deren Vorgesetzte bis hin zur Geschäftsleitung des Geldhauses maßgeblich involviert sein. Nicht selten haben sie von den Verantwortlichen des insolventen Unternehmens in der Sache weitergehende Informationen über die geschäftliche Situation und die beabsichtigten Maßnahmen in der finanziellen Krise erhalten. Ferner kann aufgrund interner Vergabegrenzen vorgeschrieben sein, dass sie bei der Ausreichung, Prolongation oder Umschuldung von Darlehen ab einem bestimmtem Betrag zu beteiligen sind. Dementsprechend sollten in die Erhebung und Auswertung der bankinternen Korrespondenz die Sitzungsprotokolle des

_____ 106 Reichling JR 2011, 12. 107 OLG Stuttgart, 13.2.2015 – 4 Ws 19/15, ZWH 2015, 247.

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Kreditausschusses und mögliche weitere Aufzeichnungen der Verantwortungsträger einbezogen werden. Kreditinstitute sind als Kaufleute gemäß § 257 Abs 4 HGB verpflichtet, Kontounterla81 gen als Teil ihrer Buchhaltung 10 Jahre lang aufzubewahren.108 Die Aufbewahrung geschieht dabei regelmäßig in elektronischer Form als Wiedergabe auf einem Bild- oder auf anderen Datenträgern. Gemäß § 261 HGB sind die Institute verpflichtet, die erforderlichen Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen, um die Unterlagen lesen zu können, und erforderlichenfalls auf ihre Kosten einen Ausdruck zu erstellen.109 Zudem ist es noch vom Wortlaut des § 95 Abs 1 StPO gedeckt, ein Herausgabeverlangen auf Datenträger oder Computerausdrucke zu richten, die aus einem Gesamtdatenbestand herauszuziehen, mithin erst herzustellen sind.110 Bei Schriftstücken ist idR die Übergabe von Ablichtungen ausreichend, sofern nicht ausnahmsweise das Originalschriftstück benötigt wird.111 Ersteres gilt inbes für Umsatzübersichten. Letzteres wird bspw von Bedeutung sein, wenn es bei Überweisungen auf die Unterschrift des Auftraggebers ankommt oder bei der Ausstellung und Einreichung von Schecks auf evtl vorhandene Indossamente (Art 14 ff ScheckG). In jedem Fall ist auf eine möglichst präzise Bezeichnung derjenigen Unterlagen zu achten, deren Herausgabe begehrt wird, schon um ggf eine Weigerung iSd § 95 Abs 2 S 1 StPO feststellen und damit eine notfalls zwangsweise Durchsetzung gewährleisten zu können.112 82 Das von Seiten der Kreditinstitute – heutzutage allerdings im Zusammenhang mit Ermittlungsmaßnahmen nur noch eher selten – ins Feld geführte „Bankgeheimnis“ ist im strafprozessualen Verfahren ohne Bedeutung.113 Es hat einen ausschließlich zivilrechtlichen Hintergrund und verpflichtet lediglich im geschäftlichen Verkehr zu Stillschweigen über die finanziellen Verhältnisse der Kunden.114 Ebenso wenig kann ein Zeugnisverweigerungsrecht aus der Vorschrift des § 30a AO hergeleitet werden. Zwar bezweckt die Norm den Schutz des Bankkunden, bezieht sich aber ausschließlich auf das Besteuerungsverfahren und legt fest, unter welchen Voraussetzungen Finanzbehörden Bankauskünfte einholen dürfen. Mitarbeiter der Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute sind demnach im Ermittlungs- und Strafverfahren entsprechend den allg Regeln der StPO zeugnispflichtig. Eine Bank oder Sparkasse kann daher auch einem Herausgabeverlangen der Ermittlungsbehörden nicht unter Berufung auf ein Bankgeheimnis oder ein vermeintliches Zeugnisverweigerungsrecht gegenüber dem Kunden begründet entgegentreten.115

_____ 108 Vgl dazu u § 2 Rn 34 ff. 109 OLG Düsseldorf, 21.10.2003 – III-4 Ws 411/02, juris (Rn 11–13); nach OLG Koblenz, 8.9.2005 – 2 Ws 514/05, wistra 2006, 73 (74) „Sinn und Zweck“; LG Koblenz, 7.1.2005 – 3 AR 29/04, NStZ 2006, 241 „Rechtsgedanke“ des § 261 HGB. Alle Entscheidungen ergingen zur Frage des Umfangs der Entschädigung nach ZSEG bzw JVEG; Meyer-Goßner/Schmitt § 95 Rn 8. 110 BVerfG, 18.2.2003 – 2 BvR 372/01, NStZ-RR 2003, 176 (177); OLG Bremen, 16.12.1975 – Ws 156/75, NJW 1976, 685 (686) auch für den Fall, dass es als Abwendungsbefugnis mit einer Beschlagnahmeanordnung verbunden ist; LR/Menges § 95 Rn 5, insbes auch zum Unterschied zur Beschlagnahme nach § 94 StPO, die sich auf den Datenträger als solchen richtet; krit SK/Wohlers § 95 Rn 29. 111 Eisenberg Beweisrecht der StPO Rn 2327. 112 LR/Menges § 95 Rn 19. 113 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 4 zu § 161 StPO mwN. 114 LG Lübeck, 3.2.2000 – 6 Qs 3/00, NJW 2000, 3148; grundlegend schon LG Frankfurt aM, 25.11.1953 – 5/7 Qs 183/53, NJW 1954, 688 (689 ff). 115 KG, 23.8.1988 – 4 Ws 154/88, NStZ 1989, 192 zur Herausgabe einer Kreditakte; MK/Hauschild § 95 Rn 15.

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b) Praxisrelevante Arten der Beweiserhebung Zeugenvernehmungen von Mitarbeitern eines Kreditinstituts werden regelmäßig nur 83 dann sinnvoll sein, wenn es um Einzelfragen einer Kontoverbindung oder Kreditgewährung geht, wie bspw die Forderung (weiterer) Sicherheiten und der Angaben des Beschuldigten. Sind in erster Linie formale Daten betroffen, wie insbes Kontoinhaber, Zeichnungsberechtigte, Kontovollmachten, ausgegebene Karten, Vorhandensein von Schließfächern und Depots, einzelne Kontostände, so stellt dagegen ein an die Bank gerichtetes Auskunftsersuchen die verfahrensökonomischere Vorgehensweise dar. Die Rechtsgrundlage für diese Form der allgemeinen Erhebung personenbezogener Daten findet sich in § 161 Abs 1 StPO.116 Auch wenn diesbezüglich eine Auskunftsverpflichtung nur für öffentlich-rechtliche Kreditinstitute angenommen wird,117 kommen dem private Bankhäuser gleichfalls regelmäßig nach. Rechtstechnisch ist hierin eine formlose Art der Zeugenaussage zu sehen.118 Dabei ist zu beachten, dass die Zeugnispflicht demjenigen, der die Auskünfte erteilt, lediglich auferlegt, sich auf seine Angaben ggf anhand von Unterlagen vorzubereiten. Deren Herausgabe ist hiervon nicht umfasst.119 Auch wenn in der Praxis eine Zeugenladung oder insbes ein Auskunftsverlagen regelmäßig mit einem Herausgabeverlagen verbunden wird, sind die jeweiligen Varianten der Beweiserhebung voneinander abzugrenzen.120 Dieser Gesichtspunkt darf schon wegen der unterschiedlichen rechtlichen Anforderungen an die zwangsweise Durchsetzung bei Nichterfüllung nicht aus dem Auge verloren werden. Für die Beschaffung von Konto- oder sonstigen Bankunterlagen stehen strafprozes- 84 sual zwei Wege zur Verfügung. Regelmäßig kann die Staatsanwaltschaft die Unterlagen bei dem kontoführenden Institut gemäß § 95 StPO121 anfordern, was keine Beschlagnahmeanordnung darstellt oder voraussetzt.122 Alternativ kann sie die Akten dem nach § 162 StPO zuständigen Ermittlungsrichter mit einem Antrag auf Erlass einer richterlichen Beschlagnahmeanordnung nach § 98 StPO – regelmäßig verbunden mit einer Durchsuchungsanordnung – vorlegen und diese nach Erlass vollstrecken (lassen). Welchen Weg die Staatsanwaltschaft wählt, entscheidet sie nach pflichtgemäßem Ermessen. Hierbei hat sie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten und das jeweils mildeste Mittel zur Erreichung des Ermittlungserfolges zu wählen.123 Die diesbezügliche Entscheidung ist indes nicht immer leicht zu treffen, da die Rechtslage von nicht immer stringenter und teilweise auch differierender Einzelfallrspr geprägt ist. So wird im Grundsatz davon ausgegangen, das Herausgabeverlangen sei gerade 85 bei Banken das gegenüber der Beschlagnahme mildere Mittel,124 jedenfalls bei Institutionen, die als vertrauenswürdig einzustufen, und von denen keine Verdunkelungshandlungen zu erwarten sind.125 Selbst bei der Notwendigkeit zwangsweiser Durchsetzung nach § 95 Abs 2 S 1 SPO wird es aber größten Teils als gleichrangige Alternative zur Be-

_____ 116 BVerfG, 17.2.2009 – 2 BvR 1372, 1745/07, NJW 2009, 1405 (1407). 117 BeckOK/Patzak § 161 Rn 5; Meyer-Goßner/Schmitt § 161 Rn 4; Eisenberg Beweisrecht der StPO Rn 2372; Reichling JR 2011, 12 (15 f). 118 LG Frankfurt aM, 25.11.1953 – 5/7 Qs 183/53, NJW 1954, 688 (689); vgl auch Nr 67 RiStBV. 119 LG Bonn, 13.5.2003 – 37 Qs 10/03, BKR 2003, 914 (915). 120 MK/Hauschild Rn 2 zu § 95 StPO. 121 Vgl dazu allgemein u § 1 Rn 144 ff. 122 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 1 zu § 95 StPO. 123 S u § 1 Rn 142. 124 LG Gera, 30.9.1999 – 2 Qs 412/99, NStZ 2001, 276; LR/Menges Rn 67 zu § 94 StPO. 125 MK/Hauschild Rn 26 zu § 94 StPO.

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schlagnahme angesehen,126 selbst wenn die Anwendung der Zwangsmittel der §§ 95 Abs 2 S 1, 70 StPO gegenüber einer Bank und deren Mitarbeiter in aller Regel der gravierendere Eingriff sein soll.127 Letzteres wurde andererseits jedenfalls dann als unverhältnismäßig eingestuft, falls sich die Bank gegen Vorlage eines Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlusses zur Herausgabe der erforderten Unterlagen bereit erklärt hatte.128 Die letztgenannte Verfahrensweise, freiwillige Herausgabe nach Vorlage eines 86 Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlusses (meist unter Abwendungsbefugnis), wird von den Banken va dann favorisiert, wenn es nicht lediglich um die Vorlage von Kontounterlagen geht. Dahinter steht das Streben nach Rechtssicherheit für den Fall des Konflikts mit dem Kunden, denn dann kann argumentiert werden, die Auskunftserteilung sei schließlich auf Grund einer Verpflichtung durch ein unabhängiges Gericht erfolgt. Schon vor diesem Hintergrund erspart die Vorlage einer richterlichen Entscheidung nach §§ 105 Abs 1, 98 Abs 1 StPO im Streitfall häufig unnötige Korrespondenz und kann so die Erfolgsaussichten nicht unerheblich erhöhen.129 Sie wird nach den vorbeschriebenen Rsprgrundsätzen auf jeden Fall dann nicht gegenüber dem zwangsweise durchzusetzenden Herausgabeverlangen nachrangig sein, wenn vor Vollstreckung die Gelegenheit zur freiwilligen Herausgabe eingeräumt wird. Das ermöglicht zugleich eine diskrete Erledigung durch die Bank, die durch die Staatsanwaltschaft oder die ermittelnde Polizeidienststelle eine Beschlussausfertigung erhält. Unabhängig von diesen tatsächlichen Kriterien kann sich die Erwirkung der richterlichen Anordnung anbieten, wenn angesichts lang andauernder Ermittlungen eine Unterbrechung der Verjährung erforderlich ist (§ 78c Abs 1 Nr 4 StGB).130 Verweigert ein Kreditinstitut die freiwillige Erfüllung und wählt die Staatsanwalt87 schaft nicht den Weg über eine Beschlagnahme, so muss sie zur Vollstreckung eines Herausgabeverlangens gemäß § 95 Abs 2 StPO beim Ermittlungsrichter die Anwendung der in § 70 StPO bestimmten Ordnungs- oder Zwangsmittel beantragen.131 Das gilt auch für den Fall, dass die Bank den herauszugebenden Gegenstand, die Kontoauszüge oder die Umsatzübersichten als Datenauszüge, erst und nur zu diesem Zweck erstellen muss.132 Wählt die Staatsanwaltschaft den zweiten Weg, so ist zu differenzieren: Die Herausgabepflicht trifft nach zutreffender Ansicht wegen deren rechtlicher Selbständigkeit das Geldinstitut als juristische Person.133 Dementsprechend richtet sich die Verhängung eines Ordnungsgeldes zur Sanktionierung der Verletzung dieser Pflicht auch nur gegen die Körperschaft.134 Ordnungs- und Zwangshaft dagegen können nur gegen eine natürli-

_____ 126 KG, 23.8.1988 – 4 Ws 154/88, NStZ 1989, 192; LG Lübeck, 3.2.2000 – 6 Qs 3/00, NJW 2000, 3148 (3149). 127 LG Stuttgart, 19.11.1991 – 14 Qs 61/91, NJW 1992, 2646 (2647), wo dann aber wiederum die Rechtswidrigkeit des staatsanwaltschaftlichen Herausgabeverlangens angenommen wurde, weil nur der Richter zuständig sei. 128 LG Halle, 6.10.1999 – 22 Qs 28/99, NStZ 2001, 276 (276 f) mit dem Hinweis, dass es nur dort in Betracht käme, „wo ein Vorgehen über §§ 94, 98 zur Sicherstellung … faktisch ungeeignet ist“. 129 Vgl LG Gera, 30.9.1999 – 2 Qs 412/99, NStZ 2001, 276; LG Lübeck, 3.2.2000 – 6 Qs 3/00, NJW 2000, 3148 f; grundsätzlich hierzu Bittmann wistra 1990, 325 ff; aA Döpfer WM 2002, 373 ff. 130 Vgl auch Nr 22 RiStBV. 131 S hierzu u § 1 Rn 145. 132 BVerfG, 18.2.2003 – 2 BvR 372/01, NStZ-RR 2003, 176 (177); BeckOK/Ritzert Rn 4a zu § 95 StPO. 133 Bittmann NStZ 2001, 231 (232) mwN; aA BeckOK/Ritzert Rn 4 zu § 95 StPO mwN; MK/Hauschild Rn 10 zu § 95 StPO; SK/Wohlers Rn 10 zu § 95 StPO, die jeweils von Herausgabepflicht der Organe der juristischen Person ausgehen. 134 Bittmann NStZ 2001, 231 (232) mwN; aA LG Stuttgart, 19.11.1991 – 14 Qs 61/91, NJW 1992, 2646 (2647).

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che Person verhängt und vollstreckt werden, so dass der für die juristische Person Entscheidungsbefugte der Adressat der richterlichen Entscheidung ist. Handelt dieser auf Anweisung, kommt in erster Linie der Weisungsbefugte, gegebenenfalls bis hin zu den in der Leitungsebene tätigen Personen in Betracht. Im Einzelfall kann es nicht nur vorkommen, dass Banken Unterlagen nicht freiwillig 88 herausgeben, sondern auch, dass deren Mitarbeiter, sofern noch ergänzende Zeugenvernehmungen erforderlich sind, nicht zur Aussage bereit sind. Mangels Zeugnisverweigerungsrechtes und strafprozessualer Bedeutung des Bankgeheimnisses haben sie allerdings gem § 161a Abs 1 S 1 StPO – wie alle anderen Zeugen – sämtlichen Ladungen der Staatsanwaltschaft Folge zu leisten und im Rahmen der Vernehmung zum Verfahrensgegenstand auszusagen.135 Erscheint der Zeuge auf die polizeiliche Ladung hin nicht oder bleibt ein Auskunftsersuchen unbeantwortet, wird die Staatsanwaltschaft den Zeugen daher unter Hinweis auf die Konsequenzen unentschuldigten Fernbleibens (§ 161a Abs 2 StPO) erneut zu laden und die Vernehmung selbst durchzuführen haben.136 Dabei dürfte es sich empfehlen, den oder einen der sachbearbeitenden Kriminalbeamten an der Vernehmung teilnehmen zu lassen, um polizeiliches Wissen aus den bisherigen Ermittlungen einbringen zu können. Zu diesem Zweck kann auch als Variante die Ladung des Zeugen auf die mit der Sachbearbeitung betraute Polizeidienststelle gewählt werden. Wird die Ladung mit einem Herausgabeverlangen für verfahrensrelevante Unterlagen verknüpft, so führt dies gleichwohl nicht dazu, dass die Staatsanwaltschaft über § 161a StPO zugleich die Verweigerung der Herausgabe selbst sanktionieren kann. Diesbezüglich bleiben die Regelungen des § 95 StPO einschlägig.137

IV. Durchsuchung und Beschlagnahme 1. Allgemeines Aufgabe von Staatsanwaltschaft und Polizei ist die Sachverhaltserforschung, sobald 89 der Anfangsverdacht einer Straftat iSd § 152 Abs 2 StPO besteht. Dazu gehört die Sammlung aller be- und entlastenden tatsächlichen Umstände sowie das Sichern der Beweise, deren Verlust zu befürchten ist (§ 160 Abs 2 StPO). Ergänzend bestimmt § 94 Abs 1 StPO, dass Gegenstände, die für die Untersuchung von Bedeutung sein können, in Verwahrung zu nehmen oder in anderer Weise sicherzustellen sind. Bei potentieller Beweisbedeutung besteht (jedenfalls im Grundsatz) aufgrund des Legalitätsprinzips eine Pflicht zur Sicherstellung.138 Dabei ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.139 Dessen Ausdruck findet sich in § 161 Abs 1 StPO, der die Staatsanwaltschaft zur Vornahme von Ermittlungshandlungen ermächtigt, die weniger eingriffsintensiv sind, als die ausdrücklich geregelten strafprozessualen Zwangsmaßnahmen.140

_____ 135 Reichling JR 2011, 12 (15). 136 Vgl LG Frankfurt aM, 25.11.1953 – 5/7 Qs 183/53, NJW 1954, 688 (689) noch zur Rechtslage vor Einführung des § 161a StPO. 137 LG Bonn, 13.5.2003 – 37 Qs 10/03, BKR 2003, 914 (915). 138 KK/Greven Rn 12 zu § 94 StPO; LR/Menges Rn 51 zu § 94 StPO; SK/Wohlers Rn 12 zu § 94 StPO; einschr Park Rn 464 f. 139 KK/Greven Rn 6 vor § 94 StPO; LR/Menges Rn 51–68 zu § 94 und 12 zu § 97 StPO; Meyer-Goßner/ Schmitt Rn 18 f zu § 94 StPO; Park Rn 28, 84 f, 141–149, 486, 631, 646, 649, 701 und 821 f; SK/Wohlers Rn 3 vor § 94, Rn 34 ff zu § 94, Rn 30 zu § 102 und Rn 16 zu § 103 StPO. 140 BVerfG, 17.2.2009 – 2 BvR 1372, 1745/07, NJW 2009, 1405 (1407).

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Bei der Ermittlung von Insolvenzdeliken ist regelmäßig zu prüfen, ob der Zugriff auf Geschäftsunterlagen, insbes die Buchhaltung, uneingeschränkt notwendig ist. Ein Ermittlungsverfahren kann in diesem Deliktsbereich teilweise auch ohne diese Maßnahme abgeschlossen werden. In der Praxis kommt das in erster Linie bei den informationsbezogenen Delikten der §§ 283 Abs 1 Nr 6 und 7, 283b StGB in Betracht, wenn etwa dort in Bezug genommene Fristen überschritten oder Unübersichtlichkeiten aus den entsprechenden Dokumenten selbst ersichtlich sind und/oder der Beschuldigte bestimmte Umstände bereits eingeräumt hat, zB Bilanzen nicht mehr erstellt oder die Überschuldung seines Unternehmens realisiert zu haben. In Erwägung zu ziehen ist ferner bei Insolvenzen kleinerer Unternehmen, dass die unter III. beschriebene Informationssammlung durch die Erhebung von Kontounterlagen, Akten des Gerichtsvollziehers und der Mahngerichte bereits den Nachweis der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit erbringen kann. Deren Feststellung ist eben nicht nur durch Erstellung eines Liquiditätsstatus, sondern gleichermaßen anhand von wirtschaftskriminalistischen Beweisanzeichen möglich.141 Gerade bei den nicht selten vorkommenden „Handwerkerinsolvenzen“ können darüber hinausgehende Ermittlungen vor diesem Hintergrund entbehrlich oder zumindest von untergeordneter Bedeutung sein. Betrifft das Ermittlungsverfahren indes größere Unternehmen, sind die Geschäfts- und Beteiligungsverhältnisse (gezielt) unübersichtlich gehalten oder steht sogar eine gesteuerte Insolvenz im Raum, so wird ein umfassender Einblick in die (noch vorhandenen) Geschäftsunterlagen allerdings regelmäßig erforderlich sein. Wie dieser zu gewährleisten ist, hängt vom Ort der Verwahrung ab. Ist ein Insol91 venzverfahren eröffnet, befinden sich die Geschäftsunterlagen meistens zumindest teilweise im Besitz des Insolvenzverwalters und werden den Ermittlungsbehörden üblicherweise freiwillig überlassen.142 Lehnt der Insolvenzverwalter das ab, stellt sich die Frage, welche prozessualen Zwangsmaßnahmen gegen ihn zulässig sind.143 Verfügt er dagegen nicht über alle Unterlagen, dann sind diese beim insolventen Unternehmen oder bei dessen Verantwortlichen sicherzustellen, das heißt in amtliche Verwahrung zu nehmen (§ 94 Abs 1 StPO). Gleiches gilt in Fällen, in denen der erforderliche Insolvenzantrag nicht gestellt oder mangels Masse abgewiesen worden ist. Die Sicherstellung geschieht entweder mit Einverständnis des Gewahrsamsinhabers, andernfalls im Wege der Beschlagnahme (§ 94 Abs 2 StPO). Liegt ein Einverständnis bislang nicht vor oder sind Verdunkelungshandlungen zu 92 befürchten, ist meist eine Durchsuchung der Geschäfts- oder Wohnräume erforderlich. Dabei sollte dem Gewahrsamsinhaber nach der Erläuterung des Grundes der Durchsuchung und ggf Belehrung gem § 136 StPO die Gelegenheit gegeben werden, die in Frage kommenden Unterlagen oder andere beweisbedeutsame Gegenstände freiwillig herauszugeben.144 Wissen die Ermittler nicht, wo die Beweismittel aufbewahrt werden, dann sind sie befugt, die Geschäfts- oder Wohnräume zu betreten und danach zu suchen. Die Durchsuchung ist also neben der Ergreifung des Beschuldigten ein Mittel zur Sicherstellung von Beweismitteln (Gegenstände und Spuren) im Wege der Beschlagnahme.

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_____ 141 142 143 144

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S hierzu BGH, 19.2.2013 – 5 StR 427/12, ZWH 2013, 366 mAnm Trück mwN. Vgl zu den Einzelheiten der Zusammenarbeit u § 1 Rn 268 ff. Vgl LG Saarbrücken, 2.2.2010 – 2 Qs 1/10, NStZ 2010, 534 ff; s hierzu u § 1 Rn 144. S u § 1 Rn 136.

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2. Praktische Grundlagen a) Inhaltliche Vorbereitung Ist in einem Ermittlungsverfahren mit wirtschaftsstrafrechtlichem Hintergrund und ei- 93 nem gewissen Umfang eine Entscheidung über die Notwendigkeit und den Umfang von Durchsuchungsmaßnahmen zu treffen, hat der Staatsanwalt den richtigen Zeitpunkt einer Durchsuchung zu wählen. Dieser Umstand kann weitreichende Konsequenzen für das weitere Verfahren haben. Sollen Räumlichkeiten des Beschuldigten gemäß § 102 StPO durchsucht werden, besteht bei einer zu frühen Durchsuchung das Risiko, dass noch nicht alle Beweismittel bekannt sind, nach denen gesucht werden soll, oder dass sich die Maßnahme wegen fehlender Informationen nicht auf alle Objekte bezieht, in denen tatsächlich Beweismittel vorhanden sein können. Daher wird sich im frühen Stadium eines Ermittlungsverfahrens eine Durchsuchung nur in dem eher seltenen Fall empfehlen, dass ernsthafte Anhaltspunkte für Verdunkelungshandlungen des Beschuldigten oder anderweitig drohenden Beweismittelverlust bekannt geworden sind. Insoweit gibt es allerdings keinen allgemeinen Erfahrungssatz, dass Unterlagen allein aufgrund Zeitablaufs verlustig gehen. Fasst ein Beschuldigter den Entschluss, Beweismittel zu vernichten, so wird er das in aller Regel tun, wenn er den möglichen Ermittlungsdruck fürchtet, was regelmäßig unmittelbar nach dem Zusammenbruch seines Unternehmens der Fall sein wird. Umgekehrt wird er mit zunehmendem Zeitablauf nicht mehr mit dem Erscheinen der Ermittlungsbehörden rechnen. Fehlen Anzeichen für die Annahme eines Beweismittelverlustes, dann ist zunächst die zu Beginn der Ermittlungen zwingend notwendige erste Informationssammlung145 abzuschließen, hier gilt das Prinzip ‚Gründlichkeit vor Schnelligkeit‘. Ermittlungstaktisch kontraproduktiv ist es selbstverständlich in diesem Zusammen- 94 hang, vor Abschluss der Informationsbeschaffung die Vernehmung des Beschuldigten zu terminieren. Mit der Ladung zur Vernehmung erfährt er davon, dass (immer noch) gegen ihn ermittelt wird und er kann sich (jetzt) dazu entschließen, Beweismittel dem Zugriff der Ermittlungsbehörden zu entziehen oder in sonstiger Weise Verdunkelungshandlungen vorzunehmen, etwa durch das unlautere Einwirken auf Zeugen. Eine Vernehmung dürfte deshalb nur in Betracht kommen, wenn der Beschuldigte bereits Kenntnis von den Ermittlungen hat (zB durch Mitteilung seitens des Anzeigeerstatters) oder sich absehen lässt, dass nur geringfügige Straftaten in Rede stehen oder solche, hinsichtlich derer sich die Beweismittel außerhalb des Zugriffsbereichs des Beschuldigten befinden, etwa weil sie vom Insolvenzverwalter in Beschlag genommen wurden. Der Fall einer zu frühen Terminierung wegen unzureichender verfahrensbezogener Kommunikation zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei dürfte in der Praxis zwar eher selten vorkommen, sollte aber nicht gänzlich aus dem Auge verloren werden. Um den Untersuchungszweck nicht zu gefährden, sollte sich die Informationssamm- 95 lung immer zunächst auf Maßnahmen beschränken, bei denen prognostisch gewährleistet ist, dass der Beschuldigte keine Kenntnis von ihnen erlangt. Dazu gehören neben der Erhebung von Registerauskünften vor allem das Beiziehen und die Auswertung von Beiakten. Dabei hat sich in der Praxis für die, die jeweiligen Akten führende Stelle der Hinweis bewährt, dass keine Information ohne vorherige Rücksprache mit den Ermittlungsbehörden erteilt werden darf. Letzteres wird vorsorglich auch im Falle der Kontaktaufnahme mit dem (vorläufigen) Insolvenzverwalter erfolgen müssen. Auf Grund seiner Tätigkeit hat dieser nicht selten detailliertes Wissen über das insolvente Unternehmen

_____ 145 Vgl dazu oben § 1 Rn 66 ff.

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und kann deswegen bisweilen wertvolle Auskünfte zu den verfahrensgegenständlichen Vorwürfen erteilen oder auf Verdachtsmomente wegen sonstiger Straftaten hinweisen. Zudem kann er am ehesten beurteilen, ob und welche Unterlagen fehlen. Eine nicht unerhebliche Gefährdung des Untersuchungszweckes kann sich aus der 96 Kontaktaufnahme mit Banken zur Erhebung von Kontounterlagen ergeben, sofern das Kreditinstitut dem Kunden das Auskunftsersuchen der Staatsanwaltschaft mitteilt. In geheimhaltungsbedürftigen Fallkonstellationen sollte daher das Ersuchen mit dem Hinweis auf die Pflicht zum Stillschweigen über die Ermittlungen und den Straftatbestand der Strafvereitelung (§ 258 StGB) verknüpft werden. In geeigneten Fällen kann sich auch eine persönliche Kontaktaufnahme mit den zwischenzeitlich bei den Banken flächendeckend eingerichteten Compliance-Abteilungen anbieten. Ungeachtet dessen verbleibt immer ein Restrisiko, welches im Einzelfall gegen den möglichen Erkenntnisgewinn abgewogen werden muss. 97 Vor Vollzug einer Durchsuchung oder Beschlagnahme ist zu erwägen, ob noch verdeckte Maßnahmen oder sonstige Ermittlungen zu tätigen sind, die voraussetzen, dass der Beschuldigte keine Kenntnis von dem gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren erlangt hat. Denn mit der Vollstreckung von Zwangsmaßnahmen erwächst für den Verteidiger des Beschuldigten nach der Rspr des BVerfG grundsätzlich ein Anspruch auf Gewährung von Akteneinsicht aus § 147 StPO, der jedenfalls im Beschwerdeverfahren zu realisieren ist. Da dieser Anspruch nicht disponibel ist, muss die Ermittlungsbehörde abwägen, die Ermittlungen zunächst im Verborgenen zu führen. Solange sie das für erforderlich hält, muss sie auf offene Eingriffsmaßnahmen verzichten. Diese va für die Untersuchungshaft entwickelten Maßstäbe gelten vom Grundsatz her auch für Durchsuchung und Beschlagnahme. Nach diesen Zwangsmaßnahmen kann allenfalls die Beschwerdeentscheidung, und damit die vorher zu gewährende Akteneinsicht, vorübergehend zurückgestellt werden.146 Dies kann indes dazu führen, dass mit der Auswertung von Beweismaterial ebenfalls so lange zugewartet werden muss.147 Jede Durchsuchung bedarf auch hinsichtlich Ort und Umfang der gewissenhaften 98 Planung und Vorbereitung. Je sorgfältiger diese vorbereitende Tätigkeit ausgeführt und die vorhandenen Informationen aufbereitet werden, desto einfacher, sicherer und effektiver können die operativen Maßnahmen durchgeführt werden.148 Am Anfang dieser Planung wird regelmäßig die Frage stehen, welche Beweismittel erhoben werden sollen, wo sie sich befinden und wie sie erhoben werden (können). Empfehlenswert ist deshalb, dass der Staatsanwalt insbes in Ermittlungsverfahren, die sich gegen mehrere Beschuldigte richten, unterschiedliche Tatvorwürfe und/oder mehrere Durchsuchungsobjekte betreffen, entsprechende Übersichten in Form eines Vermerks durch die kriminalpolizeiliche Sachbearbeitung erstellen lässt oder alternativ selbst fertigt. Auch wenn derartige Übersichten naturgemäß immer nur vorläufig und je nach Fortschritt der Ermittlungen aktualisierungsbedürftig sein werden, bieten sie den verantwortlichen Ermittlern, aber auch dem mit dem Erlass der Durchsuchungsanordnung(en) befassten Ermittlungsrichter eine gute Entscheidungshilfe. Dabei sollte auch darauf geachtet werden, dass die sich aus den Akten ergebenden Anschriften der Durchsuchungsobjekte vor einer Antragstel-

_____ 146 Zum Ganzen s BVerfG, 9.9.2013 – 2 BvR 533/13 (Rn 21–25); BVerfG, 4.12.2006 – 2 BvR 1290/05, NStZ 2007, 273 (275); LG Neubrandenburg, 16.8.2007 – 9 Qs 107/07, NStZ 2008, 655 (655 f) jeweils für Durchsuchung; BVerfG, 9.3.1965 – 2 BvR 176/63, NJW 1965, 1171 (1171 f) für Beschlagnahme. 147 LG Kiel, 30.4.2015 – 1 Qs 13 u 14/15, StV 2015, 623 (624). 148 Vgl dazu Eidam S 597 ff.

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lung beim Ermittlungsrichter nochmals polizeilich überprüft werden. Das vermeidet die ansonsten auf Grund des Bestimmtheitserfordernisses der Durchsuchungsanordnung notwendige nachträgliche Korrektur und damit unnötigen Aktenumlauf zur unpassenden Zeit.

b) Einsatzplanung Eine solide Vorbereitung beschränkt sich allerdings nicht nur auf die Informations- 99 sammlung, das inhaltliche Aufbereiten des Akteninhaltes und die Prüfung möglicher rechtlicher Probleme. Sie geht vielmehr einher mit der ebenso wichtigen sorgfältigen Planung des operativen Teils der Maßnahmen. Zwar wird dieser Teil der Vorbereitung durch die ermittelnde kriminalpolizeiliche Fachdienststelle in aller Regel zuverlässig und kompetent abgedeckt, gleichwohl sollte sich der Staatsanwalt, insbes bei umfangreichen Einsätzen, auch hiervon ein genaues Bild machen und das Einsatzkonzept prüfen. Vermieden werden sollte dabei der Eindruck, dass erfahrenen polizeilichen Ermittlern in ihrem Fachgebiet unnötige einsatztaktische Anweisungen erteilt werden. IS einer vertrauensvollen Zusammenarbeit wird seine Aufgabe sich darauf beschränken, auf die aus seiner Sicht wichtigen Gesichtspunkte hinzuweisen. Als Beispiel hierfür mag etwa die mögliche Auffindung und (die Beschlagnahme begrenzende) Sichtung von Beweismitteln auf elektronischen Datenträgern dienen, die gelegentlich immer noch unterschätzt wird. Die bisweilen exorbitanten Datenmengen müssen nicht nur gesichert, sondern irgendwann für die Ermittlungen auch gesichtet werden, was neben entsprechenden Speicherkapazitäten auch eine fachlich qualifizierte und eingearbeitete personelle Ausstattung voraussetzt sowie die Begrenzung der Sicherungsmaßnahmen auf das für das Ermittlungsverfahren relevante Datenmaterial.149

aa) Einsatzort Jede vernünftige Einsatzplanung beinhaltet eine verdeckte Aufklärung der Durchsu- 100 chungsobjekte im Vorfeld. Besonders deutlich wird das bei beabsichtigten Durchsuchungen von Geschäftsräumen großer Unternehmen an entspr weitläufigen Standorten. Erleichtert wird hierdurch nicht nur die Disposition des konkreten (erhöhten) Personalbedarfs eines Einsatzes, auch das Lokalisieren der möglichen relevanten Fundstellen innerhalb eines Objektes wird hierdurch vereinfacht, sofern festgestellt werden kann, wo welche Abteilung (Buchhaltung/Rechnungswesen, Revisionsabteilung/Controlling, Geschäftsleitung/Sekretariat) residiert. Zudem ergeben sich bei diesen Aufklärungsmaßnahmen nicht selten Hinweise auf weitere existierende Geschäftsräume (Filialen, Zweigniederlassungen, Lagerhallen), was bei der Beantragung der Durchsuchungsanordnungen entspr zu berücksichtigen ist. Gleiches gilt iE auch für die privaten Räumlichkeiten des Beschuldigten. Nicht selten fördert eine sorgfältige Überprüfung der bekannten Adressen eine bis dahin im Melderegister nicht erfasste neue Anschrift der Zielperson zu Tage. Relevant ist weiterhin die Klärung der Frage, ob der Beschuldigte unter anderer 101 Firmierung und/oder Einschaltung eines Strohmannes weiter im Geschäftsleben aktiv ist. Klarheit hierzu schaffen neben der Gewerberegisterabfrage entspr Adressenüberprü-

_____ 149 Zu Problemfällen nicht mehr angemessener Verzögerungen bei der Auswerung s LR/Tsambikakis Rn 22 zu § 110 StPO.

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fungen. Insbes Bürohochhäuser und Gewerbeparks mit Büroserviceunternehmen und der durch eine Vielzahl dort ansässiger Firmen gewährleisteten Anonymität liefern hier häufig gute Ermittlungsansätze, denen dann ggf durch weitere Überprüfungen im elektronischen Handelsregister nachgegangen werden kann. Ergeben die Ermittlungen, dass der Beschuldigte unter neuer Firmierung unmittelbar oder mittelbar wieder geschäftlich tätig ist, wird auch eine Durchsuchung der Räumlichkeiten des neuen Unternehmens zu prüfen sein.

bb) Einsatzzeitpunkt 102 Bei der Festlegung des konkreten Durchsuchungszeitpunkts ist zunächst auf eine mög-

lichst zeitnahe Vollstreckung der richterlichen Durchsuchungsanordnung zu achten. Zwar erlaubt die Rspr des BVerfG ein Zuwarten bis zu einer zeitlichen Grenze von sechs Monaten.150 In der Praxis ist jedoch ein Ausnutzen dieser Frist wenig hilfreich, weil ein solches Vorgehen Beweismittelverluste nach sich ziehen kann. Nicht zuletzt wächst die Gefahr versehentlicher oder bewusster Weitergabe von Informationen, was zu einer unerwünschten Vorwarnung des Beschuldigten führen kann. Im Übrigen müssen vermeidbare Verzögerungen im Ermittlungsfortschritt spätestens bei Prüfung der in Wirtschaftsstrafverfahren regelmäßig diskutierten Frage nach der (notwendigen) Verfahrensdauer im Rahmen der Strafzumessung kritisch hinterfragt werden. Größerer organisatorischer Koordinationsaufwand wird erforderlich sein, wenn 103 mehrere Objekte im Zuständigkeitsbereich verschiedener Dienststellen von Polizei oder Staatsanwaltschaft durchsucht werden müssen. Terminliche Abstimmungen sind hier unabdingbar, weil zur Vermeidung von Warneffekten ein zeitgleicher Beginn der Maßnahmen gewährleistet sein sollte. Besondere Probleme entstehen, wenn im Ausland gelegene Objekte durchsucht werden müssen,151 weil in diesen Fällen zunächst ein entspr Rechtshilfeersuchen an die zuständige ausländische Behörde zu richten und von dieser zu bewilligen ist. Auf Grund der unterschiedlichen Geschäftswege und divergierender strafprozessualer Grundlagen kann die Bearbeitungszeit im Einzelfall völlig offen sein und durch die ermittlungsführende Staatsanwaltschaft nur sehr selten beeinflusst werden, zumal sich jegliche Fristsetzungen oder Bevormundungen gegenüber den Behörden des bewilligenden Staates verbieten. Allerdings hat es sich in der Praxis bewährt, das jeweilige Rechtshilfeersuchen unabhängig vom jeweils vorgeschriebenen Geschäftsweg parallel über die Interpoldienststelle des BKA und ggf unter Beteiligung der bei den Generalstaatsanwaltschaften eingerichteten Kontakt- und Koordinationsstellen des Europäischen Justiziellen Netzes (EJN) zu steuern. Der auf diese Weise hergestellte Kontakt zu den beteiligten ausländischen Behörden führt erfahrungsgemäß zu einer nicht unerheblichen Beschleunigung der Bearbeitung und erhöht die gegenseitige Akzeptanz. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, die Vollstreckungspraxis im ersuchten Staat abzuklären. Teilweise werden Durchsuchungen, die im Wege der Rechthilfe auszuführen sind, bei den zu durchsuchenden Objekten angekündigt. Dies kann es ggf gebieten, die Zwangsmaßnahmen im Inland vorzuziehen. Steht nach alledem der Einsatzzeitpunkt fest, ist bei der Umsetzung der Maßnahme 104 darauf zu achten, dass nach Möglichkeit der jeweilige Inhaber der Räumlichkeiten vor

_____ 150 BVerfG, 27.5.1997 – 2 BvR 1992/92, NJW 1997, 2165 (2166); s auch u § 1 Rn 155 u 232. 151 Dazu Vordermayer/Ettenhofer Kap 3 Rn 2 ff und 83 ff.

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Ort zugegen ist (§ 106 StPO).152 Das empfiehlt sich unabhängig von der Vorschrift des § 105 Abs 2 S 1 StPO insbes auch für Räumlichkeiten des Beschuldigten bei Durchsuchungen nach § 102 StPO. Ein solches Vorgehen ist va deshalb praktikabel, weil auf diese Weise einerseits für den Beschuldigten die in seine Rechte eingreifende Maßnahme – zumindest in gewissem Umfang – direkt überprüfbar ist. Andererseits wird die dadurch geschaffene Transparenz auch dazu beitragen, die Gefahr (unberechtigt) erhobener Vorwürfe gegen die Einsatzkräfte wegen der Art und Weise der Durchführung der Durchsuchung zu minimieren. Diese Effekte werden dann schwierig zu erzielen sein, wenn die Maßnahme mehrere Wohn- und/oder Geschäftsräume des Beschuldigten betrifft. In diesem Fall ist eines der Durchsuchungsobjekte zu priorisieren, wobei neben dem mutmaßlichen zeitlichen Aufwand die Prognose, wo sich der wesentliche Teil der Beweismittel befindet, ausschlaggebend sein wird. Letztlich liegt es in der Entscheidung des Beschuldigten, ggf auf seine Anwesenheit bei der Durchsuchung eines Objektes zu verzichten, was für die Ermittlungsakte zu dokumentieren ist. Anderenfalls sollte das Objekt zwar durch geeignete Maßnahmen gegen Verdunkelungshandlungen dritter Personen gesichert werden, der Beginn der Durchsuchung aber nach Möglichkeit bis zum Erscheinen des Beschuldigten oder einer von ihm beauftragten Person verschoben werden.

cc) Am Einsatz beteiligte Personen In der ganz überwiegenden Anzahl der Alltagsfälle wird die Polizei die Durchsuchungs- 105 maßnahmen eigenverantwortlich durchführen, was der Konzeption der StPO entspricht und praktisch sinnvoll ist. Die persönliche Anwesenheit eines Staatsanwaltes wird regelmäßig dann notwendig sein – sofern sie nicht schon durch länderspezifische Erlasslagen vorgeschrieben ist –, wenn Geschäftsräume von Berufsgeheimnisträgern (§ 53 Abs 1 StPO) durchsucht werden sollen, da sich die (polizeilichen) Einsatzkräfte dabei vermehrt mit Rechtsfragen im Hinblick auf die Art und Weise der Durchführung sowie der Zulässigkeit von Beschlagnahmen konfrontiert sehen werden. Gleiches gilt im Ergebnis bei Durchsuchungen größerer Unternehmen. In diesen Fällen kann zu erwarten sein, dass entweder durch juristisch gebildete Mitarbeiter der Rechtsabteilung oder eingeschaltete Rechtsanwälte (vermeintliche) rechtliche Problemstellungen thematisiert werden, sei es auch nur zum Schein, um Fehler bei der Durchführung der Maßnahme zu provozieren oder deren Ablauf zu erschweren. Weiterhin empfehlenswert ist eine Präsenz in Fällen, in denen die Ermittlungen bereits vor der Durchsuchung wegen des Bekanntheitsgrades des Unternehmens oder einzelner Beschuldigter in ihrer Funktion als Angehörige der Chefetage durch die Medien für eine breite Öffentlichkeit thematisiert worden sind. Abgesehen von der Bewältigung rechtlicher Problemstellungen und medialer Bri- 106 sanz kann die Anwesenheit des Staatsanwalts auch die Durchführung von begleitenden Ermittlungen erleichtern. So können beispielsweise zeugenschaftliche Vernehmungen von Mitarbeitern des Unternehmens vor Ort ohne die sonst erforderliche Ladung und weiteres Zuwarten erfolgen, was erfahrungsgemäß nicht nur der zeitlichen Beschleunigung dient, sondern auch in der Sache selbst nicht selten gute Ergebnisse erzielt.153 Das gilt im Prinzip auch für die Vernehmung von Beschuldigten, wenngleich hier zu konstatieren sein wird, dass diese in den Fällen, in denen der Staatsanwalt persönlich

_____ 152 S u § 1 Rn 241. 153 Janovsky Kriminalistik 1998, 269 (276).

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anwesend ist, im Regelfall zunächst die Dinge mit ihren Verteidigern werden besprechen wollen.154 In jedem Fall ist im Hinblick auf die Protokollierungspflicht nach § 168b StPO klarzustellen, ob der Staatsanwalt die Vernehmung selbst durchführt oder er lediglich der polizeilichen Vernehmung beiwohnt und ggf ergänzende Fragen stellt. Auch bei der letztgenannten Variante ist indes § 168b StPO entsprechend anzuwenden.155 Eine persönliche Beteiligung des Staatsanwaltes an operativen Maßnahmen hat auf 107 der anderen Seite die verfahrensrechtliche Konsequenz, dass er für eine Vielzahl von Beweisthemen als Zeuge in Betracht kommen wird und dementspr seine Benennung durch die Verteidigung eröffnet ist. Er kann dann in einer Hauptverhandlung die Staatsanwaltschaft zumindest zeitweise nicht vertreten. 108 Werden mehrere Objekte durchsucht, kann es bei einem entsprechenden Verfahrensumfang sinnvoll sein, mehrere Staatsanwälte als jeweils vor Ort verantwortliche Entscheider einzusetzen. Das führt va zur Entlastung des die Ermittlungen führenden Dezernenten, der regelmäßig die nach seiner Beurteilung wichtigste Maßnahme begleiten wird und damit nicht mehr (ständig) als Ansprechpartner für alle in anderen Objekten Aktiven zur Verfügung stehen kann und muss. Ist er dagegen der einzige staatsanwaltliche Vertreter, muss gewährleistet sein, dass er für die polizeilichen Einsatzkräfte erreichbar ist, um die wesentlichen, das Verfahren leitenden Entscheidungen selbst treffen zu können. Hierzu gehören insbes die Durchsuchung weiterer Objekte unter dem Gesichtspunkt der Gefahr im Verzuge oder ergänzender Antragstellung beim Ermittlungsrichter, aber auch die Behandlung von Zufallsfunden und die Entscheidung über vorläufige Festnahmen und ggf die Vorführung vor den Ermittlungsrichter zur Beantragung eines Haftbefehls. Diese Erreichbarkeit ist auf Grund der heutigen Telekommunikationsmittel auch bei einer persönlichen Einbindung in eine konkrete Durchsuchungsmaßnahme im Regelfall unproblematisch, sollte aber in jedem Fall bedacht werden. Andererseits können gerade diese Gesichtspunkte auch für ein Verbleiben an der Dienststelle sprechen. Von dort aus ist eine fundiertere Stellung der Anträge möglich und – was gegenüber der (fern)mündlichen Variante stets bevorzugt werden sollte – die Einhaltung der Schriftform.156 In jedem Fall bieten sich Vorteile im Hinblick auf eine zeitnahe Dokumentation für die Akten. Auch die Staatsanwaltschaft als Herrin des Ermittlungsverfahrens hat bei der Teil109 nahme an operativen Maßnahmen die polizeiliche Einsatzleitung anzuerkennen. Zwar ist die Staatsanwaltschaft für die Vollstreckung der richterlichen Durchsuchungsanordnung verantwortlich, so dass ihr daher auch die letzte Entscheidung über die konkrete Durchführung einer Maßnahme zusteht. In der Praxis wird allerdings schon wegen der vorhandenen Logistik und des ‚Know-how’ regelmäßig die Polizei die Einsatzplanung übernehmen und damit auch wesentliche Einzelheiten der Umsetzung der Maßnahme entscheidend mitbestimmen. Insoweit wird der Staatsanwalt auf die fachliche Lagebeurteilung durch die Polizei vertrauen können und sich im Hintergrund halten. Hierher gehört insbes auch die Einschätzung der Gefährlichkeit einer oder mehrerer Zielpersonen und damit verbunden die Frage, ob ggf Spezialkräfte hinzugezogen werden müssen. Ein solches Vorgehen wird zwar in reinen Wirtschaftsstrafverfahren im Vergleich zu den Kriminalitätsbereichen der Organisierten Kriminalität eher selten sein, gleichwohl sind

_____ 154 Wozu bspw Michalke StraFo 2014, 89, generell rät, bei polizeilichen Vernehmungen auch hinsichtlich möglicher Zeugen. 155 BGH, 19.6.1997 – 1 StR 168/97, NStZ 1997, 611. 156 S hierzu u § 1 Rn 230.

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zB im Bereich der illegalen Arbeitnehmerüberlassung in der Baubranche durchaus gewisse Schnittmengen vorhanden und daher Einsätze denkbar, bei denen mit Widerstand gerechnet werden muss. Nicht zuletzt deshalb und va wegen der Eigensicherung sollte der Staatsanwalt auch der Letzte und nicht der Erste sein, der ein Durchsuchungsobjekt betritt. Ebenfalls Sache der Polizei ist die personelle Planung, insbes also die Entscheidung, welche Kräfte in welcher Stärke für den Einsatz notwendig sind und vorgehalten werden müssen. Dabei wird sie im Bedarfsfall andere Dienststellen um Amtshilfe ersuchen und ggf auch das jeweilige Landeskriminalamt um Unterstützung bitten. Letzteres ist va dann ratsam, wenn bestimmte fachliche Kompetenzen benötigt werden, zB bei der Erhebung und Sicherung von elektronischen Daten durch Computerspezialisten. Von erheblicher Bedeutung – und darauf sollte auch der Staatsanwalt achten – ist 110 die Anwesenheit zumindest einer Person in jedem Durchsuchungsobjekt, die nicht nur mit dem konkreten Ermittlungsverfahren vertraut ist, sondern auch den notwendigen Sachverstand im Hinblick auf die jeweilige wirtschaftsstrafrechtliche Materie mitbringt. Anderenfalls droht ein Beweismittelverlust schlicht und ergreifend deshalb, weil die Einsatzkräfte die Relevanz von Unterlagen nicht erkennen und sie deshalb nicht sicherstellen. Dabei kommen neben den staatsanwaltschaftlichen Dezernenten aus den Wirtschaftsstrafabteilungen in erster Linie Polizeibeamte von Dienststellen in Betracht, die für die Bearbeitung von Insolvenzstrafsachen oder zumindest Ermittlungsverfahren aus dem Bereich der Wirtschaftsstrafsdelikte zuständig sind. Fachliche Unterstützung können ferner die Mitarbeiter der staatsanwaltschaftlichen und polizeilichen Wirtschaftsprüfgruppen leisten, die bei größeren Ermittlungsverfahren in jedem Fall eingebunden werden sollten. Denkbar, wegen der entstehenden, nicht unerheblichen Kosten allerdings wenig erstrebenswert, ist weiterhin auch die Beteiligung von externen Gutachtern der Wirtschaftsprüfungsgesellschaften.157 Ist eine derartige Präsenz nicht zu realisieren, muss eine Gewichtung der Durchsuchungsobjekte erfolgen und entschieden werden, wo bei lebensnaher Betrachtung das spezielle Fachwissen am wichtigsten ist. Dabei werden die Unternehmensräumlichkeiten regelmäßig Priorität genießen, während bspw die nach den Vorermittlungen nur temporär genutzte Ferienwohnung eines Beschuldigten auch von Beamten durchsucht werden kann, denen spezielle Kenntnisse fehlen. In diesen Fällen muss allerdings die jetzt umso wichtigere telefonische Kommunikation gewährleistet sein, die auch abgefordert werden sollte. Wertvolle Synergieeffekte lassen sich schließlich erzielen, wenn die Möglichkeit 111 besteht, Ressourcen aus dem nichtpolizeilichen Bereich zu nutzen. Zu denken ist hier in erster Linie an die Beamten des Steuer- und Zollfahndungsdienstes.158 Deren Teilnahme an Durchsuchungsmaßnahmen ist regelmäßig dann unproblematisch, wenn der Verfahrensgegenstand (auch) in deren Zuständigkeit fällt. So wird häufig neben Insolvenzdelikten und Untreue auch ein Anfangsverdacht wegen Steuerhinterziehung bestehen, der die Finanzbehörden zum Tätigwerden veranlasst. Gleiches gilt im Ergebnis für konzertierte Aktionen mit Beamten der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS), einer Dienststelle des deutschen Zolls, sofern Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung in Rede stehen. Selbst wenn sich der Gegenstand des Verfahrens nicht mit der Verfolgungszuständigkeit des hinzuzuziehenden Beamten deckt, kann dessen Teilnahme sinnvoll sein. So kommt es bspw in Betracht zur Aufklärung von Vermögens- und Insolvenzdelikten, Steuerfahnder als Sachverständige für Buchhaltungsfragen zu beteiligen, soweit dafür Sorge getragen

_____ 157 Einzelheiten dazu u § 1 Rn 121. 158 LR/Tsambikakis Rn 122 zu § 105 StPO.

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wird, dass diese nicht gezielt nach „Zufallsfunden“ für die Einleitung eines Steuerstrafverfahrens suchen.159 Bei nahezu jeder Durchsuchung in einem Ermittlungsverfahren wegen Insolvenz112 straftaten stellt sich das Problem der Erhebung und Sicherung elektronischen Datenmaterials. Das beginnt bei der Auswertung eines Mobiltelefonspeichers ua tragbarer kleinformatiger Datenträger, wie zB Speicherkarten und USB-Sticks, setzt sich fort bei den üblichen transportablen (Laptops) und fest installierten Computern in Wohnungen und Büros und endet schließlich bei den über die Provider-Unternehmen angebotenen virtuellen Speicherkapazitäten für Anwendungen und Daten (sogenanntes „CloudComputing“). Wesentlich bei der Einsatzvorbereitung ist, dass bereits in den entspr Durchsuchungsanordnungen der Zugriff auf die elektronischen Datenträger gestattet wird, um im Bedarfsfall das zeitraubende Erwirken ergänzender Beschlüsse zu ersparen. Der Zugriff auf die Daten selbst sollte – mit Ausnahme der erstgenannten Gruppe von Datenträgern – entspr Fachleuten vorbehalten bleiben, wie sie flächendeckend bei den Landeskriminalämtern und den größeren Polizeipräsidien vorgehalten werden. Deren Beteiligung ist unverzichtbar, um zum einen sicherzustellen, dass tatsächlich das gesamte erforderliche,160 zT exorbitant große Datenvolumen erhoben und gesichert wird. Zum anderen wird bei den va im Unternehmensbereich häufig anzutreffenden vernetzten Computeranlagen und der Komplexität der Programmanwendungen der Gesichtspunkt zu bedenken sein, dass semiprofessionelle Zugriffe durch fachunkundiges Personal Daten vernichten und damit sogar Regressansprüche auslösen können. Betrifft die Datenerhebung kennwortgeschützte Bereiche, wird man bei der Durchsuchung von Unternehmensräumen zunächst die zeugenschaftliche Befragung des jeweiligen Mitarbeiters in Betracht zu ziehen haben, weil diese iGs zum Beschuldigten zur Auskunft verpflichtet sind. Der in diesen Fällen naturgemäß bestehenden Gefahr der Solidarisierung mit dem Beschuldigten und bewussten Falschaussage oder darüber hinaus des Vernichtens verfahrensrelevanter Daten wird man letztlich nur den Einsatz von Fachpersonal entgegen setzen können. Steht dieses zur Verfügung, wird man bei transportablen Datenträgern gleichwohl regelmäßig nicht um eine Beschlagnahme zwecks späterer Auswertung herumkommen. Gleiches gilt, wenn Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass der Datenbestand bereits manipuliert wurde, weil die Prüfung, ob vernichtete Daten wiederhergestellt werden können, die Mitnahme des Datenträgers voraussetzt, dh bei fest installierten Computeranlagen des Rechners bzw der Festplatte.

dd) Einsatzbesprechung 113 Vor umfangreichen Durchsuchungsmaßnahmen findet zur Vorbereitung für gewöhnlich

eine üblicherweise von der Einsatzleitung der Polizei anberaumte Einsatzbesprechung für sämtliche an dem Einsatz beteiligten Kräfte statt, um – neben dem persönlichen Kennenlernen – va den schriftlichen Einsatzplan, auch als Einsatzbefehl bezeichnet, durch die Vertreter der mit den Ermittlungen betrauten Dienststelle zu erläutern. Dieses „Briefing“ ist für die mit dem Sachverhalt nicht vertrauten Teilnehmer unverzichtbar, weil hier bereits im Vorfeld mögliche Problemfelder aufgezeigt und die Einsatzkräfte sensibilisiert werden können. Neben allgemeinen Erörterungen zu Lage und Aufbau der Durchsuchungsobjekte, den möglichen Besonderheiten der Zugangsmöglichkeiten, der

_____ 159 LG Stuttgart, 10.6.1997 – 10 Qs 36/97, NStZ-RR 1998, 54 (55). 160 S u § 1 Rn 139.

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Vermeidung unnötiger Warneffekte für die Beschuldigten und evtl (gesteigerten) Sicherheitsmaßnahmen bei zu erwartendem Widerstand wird hier auch die Verantwortung für und die Aufgabenverteilung innerhalb des jeweiligen Durchsuchungsobjektes vorgenommen. Letzteres ist, worauf noch einzugehen sein wird,161 insbes für eine sorgfältige Dokumentation der Maßnahme und der vorgenommenen Sicherstellungen maßgebend, Ersteres für die Frage, wer die Entscheidungen im Objekt während der Maßnahme trifft und Auskünfte an den Beschuldigten oder dritte Personen erteilt. Nichts ist in der Sache kontraproduktiver und für die Außendarstellung katastrophaler als Kompetenzstreitigkeiten vor Ort und inhaltlich verschiedene Antworten der anwesenden Beamten auf ein und dieselbe Frage. Bereits hier müssen Vorgehensweisen erörtert werden, die auf die Gestaltung der 114 weiteren Ermittlungen entscheidenden Einfluss haben können und daher eine Teilnahme des verantwortlichen Staatsanwalts an der Einsatzbesprechung empfehlenswert machen. Das ist etwa der auch in strategischer Hinsicht bedeutsame Gesichtspunkt, in welcher Reihenfolge welche Personen bei der Durchsuchung eines Unternehmens angesprochen werden sollen. In Abhängigkeit von den Tatvorwürfen und den bisherigen Ermittlungsergebnissen zu den Verantwortlichkeiten kann zunächst entweder der unmittelbar Handelnde, beispielsweise der zuständige Sachbearbeiter oder dessen direkter Vorgesetzter, angesprochen werden (sog „bottom-up“) oder die Geschäftsleitung (Geschäftsführer oder Vorstand) unmittelbar mit der Maßnahme konfrontiert werden (sog „top-down“).162

ee) Informationspflichten und Pressearbeit Ein weiterer wichtiger Punkt der Einsatzvorbereitung ist die Entscheidung, wer über 115 Durchsuchungsmaßnahmen vorab zu informieren ist und welche Einzelheiten offenbart werden. Nicht zuletzt die – größtenteils nicht mehr zeitgemäßen und im Hinblick auf die wünschenswerte Unabhängigkeit auch der Strafverfolgungsbehörden bedenklichen – Berichtspflichten gegenüber vorgesetzten Behörden und der Ministerialbürokratie, denen sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die jeweilige Polizeidienststelle Rechnung zu tragen haben, erweitern den Kreis der Wissensträger häufig in erheblichem Umfang. Dies wirkt sich, wie spektakuläre Fälle gezeigt haben,163 nicht immer positiv auf das Ermittlungsergebnis aus. Ohnehin liegt es in der Natur der Sache, dass der Kreis der zu Informierenden umso größer sein wird, je umfangreicher die jeweiligen Maßnahmen sind, und dass eine optimale Einsatzdurchführung eben zwangsläufig einen gewissen Informationsstand der Einsatzkräfte voraussetzt. Gerade deshalb empfiehlt es sich in diesen Fällen, nicht mehr als die unbedingt notwendigen Informationen im Rahmen der Berichterstattung, des schriftlichen Einsatzbefehls oder der mündlichen Einsatzbesprechung weiterzugeben. In allen größeren Fällen ist auch immer damit zu rechnen, dass die Presse aufmerk- 116 sam wird und interessiert nachfragt. Es gehört daher zu einer umfassenden Vorbereitung einer (größeren) Durchsuchungsaktion, dass festgelegt wird, in welcher Weise und von wem Presseauskünfte erteilt werden. Sinnvollerweise sollte diese Aufgabe auf den zuständigen Pressesprecher der Staatsanwaltschaft konzentriert werden. An ihn sollten die

_____ 161 S u § 1 Rn 126 ff. 162 Eidam S 548 f. 163 Vgl nur BGH, 16.4.2008 1 StR 83/08, BGHSt 52, 220, zu einer Justizministerin.

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polizeilichen Pressesprecher anfragende Journalisten verweisen. Es ist dann eine im Einzelfall zu treffende Entscheidung, ob bereits während der Durchsuchung Auskünfte erteilt werden oder ob eine Presseerklärung für die Zeit nach Abschluss der Maßnahmen oder sogar eine Pressekonferenz angekündigt wird. Presseerklärungen und Pressekonferenzen sollten in solchen Fällen dann von Staatsanwaltschaft und Polizei gemeinsam getragen werden. Wenn Durchsuchungsmaßnahmen außerhalb des eigenen Gerichtsbezirks vorge117 nommen werden, dann ist es ein nobile Offizium, spätestens zu Beginn der Aktionen die Leiter auswärtiger Staatsanwaltschaften von der Tatsache der Ermittlungen in ihrem jeweiligen Bezirk (per Fax oder eMail) in Kenntnis zu setzen. Auf diese Weise sind sie im Fall von Presseanfragen informiert und können für die Erteilung von Auskünften an den Pressesprecher der Staatsanwaltschaft verweisen, welche die Ermittlungen führt.

c) Einsatzgestaltung aa) Ablauf 118 Soll die Durchsuchung ohne staatsanwaltschaftliche oder richterliche Beteiligung stattfinden, so sind regelmäßig bereits zu Beginn Durchsuchungszeugen zuzuziehen (§ 105 Abs 2 StPO). Auch hier wirkt sich in der Praxis zunehmend die unter dem Gesichtspunkt des Gewaltenteilungsprinzips höchst bedenkliche und sich nicht auf die Justiz beschränkende Marschroute der Politik aus, die sich eines zunehmenden Aushungerns der Behörden und ihrer Mitarbeiter in finanzieller und personeller Hinsicht befleißigt. Immer häufiger ist daher zu beobachten, dass die in § 105 Abs 2 StPO ausdrücklich genannten Gemeindebediensteten nicht mehr in der Lage oder bereit sind, eine Aufgabe zu übernehmen, die nicht zu ihrer eigentlichen Kerntätigkeit rechnet. Da von der Hinzuziehung von Durchsuchungszeugen allerdings nur unter engen Voraussetzungen abgesehen werden kann, sollte für deren Verfügbarkeit frühzeitig Sorge getragen werden. Sind die Gepflogenheiten der in Betracht kommenden Behörde nicht aus der Praxis bekannt, so gilt es, wohl zu erwägen, ob eine vorherige Kontaktaufnahme zum Zwecke der Abklärung erfolgen kann. Immer ist dann eine Weitergabe geheim zu haltender Informationen zu besorgen. Auf jeden Fall sollte deren Preisgabe bei nicht gesicherter Zuverlässigkeit auf ein Mindestmaß beschränkt werden, bspw den Zeitpunkt und die voraussichtliche Dauer der Durchsuchung. Andernfalls wird es sich anbieten, bereits frühzeitig abzuklären, welche Durchsuchungszeugen ersatzweise in Betracht kommen, wie bspw Nachbarn, da auch bei diesen eine Gewähr für Neutralität gegeben sein muss.164 119 Zentraler Gesichtspunkt bei der Durchsuchung ist, welche schriftlichen Unterlagen konkret gesucht und beschlagnahmt werden sollen. Dabei ist, soweit möglich, bereits während der Durchsuchung eine Klärung der Beweiseignung von aufgefundenen Schriftstücken vorzunehmen, um diejenigen Dokumente oder Aktenbestände auszuscheiden, die für die Beweisführung erkennbar nicht maßgeblich werden können.165 Die Beantwortung dieser Fragen hängt natürlich in erster Linie davon ab, welche Vorwürfe Gegenstand des Ermittlungsverfahrens sind. Aus der richterlichen Durchsuchungsanordnung wird sich für die Einsatzkräfte durch die erforderliche Tatbeschreibung zwar die generelle Beweisrichtung ergeben und sie muss auch angeben, welche Beweismittel ge-

_____ 164 S zum Ganzen auch u § 1 Rn 240. 165 LG Dresden, 18.10.2002 – 5 Qs 82/2002, NStZ 2003, 567.

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funden werden sollen,166 um Zweifel über die zu suchenden Gegenstände auszuschließen.167 Gleichwohl wird die Entscheidung nur in den wenigsten Fällen präzise einzelne Dokumente aufführen, selbst wenn sie mit einer Beschlagnahmeanordnung168 kombiniert ist. Dementspr kann eine Konkretisierung erst vor Ort erfolgen und auch dann gilt es, das Interesse einer vollständigen Aufklärung bei Versuchen der Selektion nicht aus dem Auge zu verlieren. Das hat zur Folge, dass in Verfahren wegen Insolvenzdelikten und damit typischerweise einhergehenden Straftaten wie dem Eingehungsbetrug oder dem Vorenthalten oder Veruntreuen von Arbeitsentgelt regelmäßig die gesamten Buchhaltungsunterlagen sicherzustellen sein werden. Ggf wird man hier eine Begrenzung über den Tatzeitraum für bestimmte Geschäftsjahre vornehmen können. Dieselben Grundsätze sind im Hinblick auf Datenträger und elektronische Daten- 120 bestände gültig. Angesichts der Schwierigkeit des Zugangs zu den Beweisgegenständen und der großen Informationsmengen ist die Versuchung groß, unbesehen den gesamten Datenbestand und/oder das Speichermedium in Verwahrung zu nehmen. Gerade hier ist der Eingriff aber durch frühzeitige Sichtung auf das beweisrelevante Material zu beschränken.169 Im Einzelfall kann es aus diesen Gründen angezeigt sein, bereits zur Durchsuchung 121 einen Sachverständigen heranzuziehen. So kann ein Wirtschaftsreferent, ein Sachverständiger für Buchprüfung oder ein solcher einer externen Gutachtergesellschaft wertvolle Beiträge dazu leisten, welches Unterlagenmaterial für einen Liquiditäts- oder Überschuldungsstatus von Belang ist. Dies hilft, nicht zuletzt iSd Verhältnismäßigkeit, schon während der Maßnahme den Eingriff auf das tatsächlich beweisrelevante Material zu beschränken. Gleiches gilt für die Hinzuziehung eines EDV-Experten, der nicht nur den Zugang zu den Daten, sondern zugleich deren frühzeitige Sichtung unterstützen kann.170 Eine solche Mitwirkung ist aber nur zulässig, sofern sich der Gutachter auf eine beratende Tätigkeit beschränkt und das Gebot der Neutralität gewahrt ist.171 Diese Grenze ist überschritten, wenn er selbst Ermittlungs- und Durchsuchungshandlungen vornimmt.172 Das gilt ferner va dann, wenn die entspr Person ein (mittelbares) eigenes Interesse am Ausgang des Verfahrens hat.173 Unter diesen Umständen kann der Sachverständige zudem nach § 74 StPO als befangen abgelehnt werden,174 was die Ermittlungen erheblich verzögert und erschwert. Derjenige Beamte, der die Durchsuchung leitet hat daher unbedingt dafür Sorge zu tragen, dass sich der Sachverständige nur im Rahmen seiner Verfahrensrolle bewegt. Eine andere Verfahrensweise ist angezeigt, wenn es um das Auffinden eines be- 122 stimmten Gegenstandes geht, den der Beschuldigte beiseite geschafft oder veruntreut haben soll, bspw der auf Kosten des Unternehmens angeschaffte PKW der automobilen Oberklasse sowie der Schmuck für Ehefrau oder Lebensgefährtin, aber auch Sachen des

_____ 166 Vgl zu den Anforderungen an eine Durchsuchungsanordnung u § 1 Rn 228 ff. 167 BVerfG NJW 2003, 2669 ff; BGH NStZ 2002, 215, 216. 168 Vgl dazu u § 1 Rn 147 ff. 169 S hierzu u § 1 Rn 139. 170 KK/Bruns Rn 4 zu § 110 StPO; LR/Tsambikakis Rn 122 zu § 105 StPO. 171 BVerfG, 31.8.2007 – 2 BvR 1681/07 juris (Rn 4–7); OLG Bremen, 23.10.1998 – VAs 1/98, wistra 1999, 74 (75); LG Stuttgart, 10.6.1997 – 10 Qs 36/97, NStZ-RR 1998, 54 (55); MK/Hauschild Rn 35 zu § 105 StPO; M-G/B/Niemeyer § 12 Rn 9 für Wirtschaftsreferent; Foth/Karcher NStZ 1989, 166 (169). 172 LG Kiel, 14.8.2006 – 37 Qs 54/06, NJW 2006, 3224. 173 LG Berlin, 3.5.2012 – 526 Qs 10–11/12, CR 2013, 19 (19 f). 174 Hierzu MK/Trück Rn 9 zu § 74 StPO mwN.

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täglichen Bedarfs wie Computer oder Geräte der Kommunikations- und Informationstechnologie. Wesentlich hierbei ist, dass neben den eigentlichen Gegenständen nach Möglichkeit auch die dazugehörigen Papiere (Vertragsunterlagen und Rechnungen) gesucht werden, nicht zuletzt, um erforderlichenfalls eine zutreffende rechtliche Einordnung des Erwerbsgeschäftes (Kauf oder Leasing) und der Beteiligten (Unternehmen oder Beschuldigter) vornehmen zu können. Auch hier kann eine Entscheidung über Sicherstellung oder Beschlagnahme erst unter Berücksichtigung des Vorgefundenen im Objekt zu treffen sein. In diesem Zusammenhang kommen neben der Durchsuchung zur Sicherung von 123 Beweismitteln va (vorbereitende) Maßnahmen der Vermögensabschöpfung nach den §§ 111b ff StPO in Betracht, die der Sicherung von Verfalls- und Einziehungsgegenständen oder der Rückgewinnungshilfe dienen.175 Hervorzuheben ist dabei die Suche nach bisher nicht bekannten Vermögensteilen, wobei sich anhand des soeben erwähnten Beispiels des Geschäftswagens nochmals die Wichtigkeit des Auffindens der Belege des Erwerbsgeschäfts zeigt, weil andernfalls eine rechtliche und wirtschaftliche Zuordnung zum Vermögen des Beschuldigten nicht abschließend möglich ist. Aber auch Unterlagen zu weiteren, möglicherweise im Ausland geführten Bankkonten und Wertpapierdepots sowie Schließfächern, die dem Beschuldigten zuzuordnen sind oder über die er auf Grund einer Vollmacht verfügungsberechtigt ist, können wertvolle Ermittlungsansätze zur Vorbereitung vermögensabschöpfender Maßnahmen enthalten. Ferner können bereits während der Durchsuchung dingliche Arreste durch die Staatsanwaltschaft vollstreckt werden (§ 111f StPO). Soweit derartige Vollstreckungsmaßnahmen bewegliche Sachen betreffen, können sie neben der Staatsanwaltschaft auch von der Polizei durchgeführt werden (§ 111f Abs 1 StPO). Bei Immobilien ist die Staatsanwaltschaft zuständig (§ 111f Abs 2 StPO), funktionell zuständig ist gemäß §§ 22 Nr 1 und 2, 31 Abs 1 Nr 1 RPflG der Rechtspfleger. Wesentlich für alle Maßnahmen ist, dass auch sie mit der gebotenen Sorgfalt vorbereitet werden und ihre Umsetzung entspr personell unterstützt wird, im Bedarfsfall durch zusätzliche Kräfte, die noch während des Einsatzes hinzugezogen werden können, hierfür aber auch entspr als Reserve vorgehalten werden sollten. Ergeben sich anlässlich der Durchsuchung Anhaltspunkte für konspiratives Verhal124 ten, Versuche Beweismittel zu vernichten oder beiseite zu schaffen oder leistet der Betroffene Widerstand kann dem mit Zwangsmaßnahmen gemäß § 164 StPO begegnet werden. Zulässig sind kurzfristige Einschränkungen der persönlichen Freiheit, insbes in Form der Weisung ein bestimmtes Zimmer nicht zu verlassen,176 aber auch die Anordnung einer Telefonsperre. Letztere nennt die Vorschrift zwar nicht ausdrücklich, sie wird von dieser aber als gegenüber den aufgeführten mildere Maßnahme gleichwohl gedeckt.177 Derartige zusätzliche Eingriffe dürfen jedoch nicht präventiv, schon bei Planung des Einsatzes, sondern nur aus Anlass konkreter Störungen während des Vollzuges der Durchsuchung und Beschlagnahme angeordnet werden.178 Die nähere Ausgestaltung dieser grundsätzlich zulässigen Maßnahmen179 sollte, soweit sie überhaupt notwendig sind, mit dem notwendigen Fingerspitzengefühl vorgenommen werden, um das Eröffnen unnötiger Nebenkriegsschauplätze durch die betroffenen Personen oder deren Rechts-

_____ 175 176 177 178 179

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S dazu § 33. OLG Stuttgart, 13.10.1983 – 3 Ss (14) 535/83, Justiz 1984, 24 (25). LR/Erb Rn 13 f zu § 164 StPO. LG Frankfurt aM, 26.2.2008 – 5/26 Qs 6/08, NJW 2008, 2201 (2202); SK/Wolter Rn 11 zu § 164 StPO. BVerfG, 20.12.2002 – 2 BvR 495 u 641/02 juris (Rn 3); ferner Rengier NStZ 1981, 372 (375).

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beistände zu vermeiden. Als Maßstab können die seit dem 31.12.2010 geltenden Vorschriften der Anweisungen für das Straf- und Bußgeldverfahren (Steuer), insbesondere Ziffer 63 Abs 7 bis 9, herangezogen werden. Sind Verteidiger ebenfalls vor Ort, stellt sich die Frage, inwieweit auf eine Erörte- 125 rung des Verfahrens- und Ermittlungsstandes eingegangen oder diese sogar angeboten werden kann, va mit der Folge eines frühen Geständnisses. Spätestens seit der grundlegenden Entscheidung des BVerfG zur Verständigung180 ist hier große Vorsicht geboten. In jedem Fall muss unbedingt auf eine sorgfältige Einhaltung der in § 160b StPO vorgeschriebenen Dokumentationspflicht geachtet werden.181 Dies gilt erst recht, falls in den Gesprächen Gesichtspunkte zur Sprache kommen, die Gegenstand einer Verständigung iSd § 257c StPO sein könnten. In diesem Fall sollte auch schon frühzeitig dafür Sorge getragen werden, dass die Erörterungen in einer eventuell stattfindenden Hauptverhandlung offen gelegt werden.182 Unbedingt empfehlenswert ist dabei, um hinterher Missverständnissen oder Fehldeutungen entgegen zu wirken, den Gesprächsinhalt in einem Anschreiben an den Verteidiger festzuhalten und eine Mehrfertigung zu den Akten zu nehmen,183 unabhängig davon, ob eine Übereinstimmung erzielt wird oder nicht.184 Selbst wenn es rechtlich für zulässig gehalten wird, dass die Staatsanwaltschaft in diesem Rahmen sehr weitgehende Zusagen macht, bis hin zur Inaussichtstellung eines sehr konkreten Strafmaßes,185 Begrenzung der Strafverfolgung nach §§ 154, 154a StPO, Erledigung im Strafbefehlsverfahren oder Anbahnung einer Verständigung,186 ist Zurückhaltung geboten. Der Staatsanwalt sieht sich beständig dem Generalverdacht ausgesetzt, er wolle das Verfahrensergebnis schon im Ermittlungsverfahren auf Grundlage unzulänglich ermittelter Verdachtslage möglichst frühzeitig festlegen.187 Auch sollte man sich nicht ohne weiteres auf die Einhaltung von Zusagen verlassen, da diese für sich gesehen nicht bindend sind.188 Ermittlungen, die sich im Falle streitiger Verhandlung als notwendig erweisen, können dann möglicherweise nicht mehr nachgeholt werden. Ohnehin ist die nur teilweise die Ermittlungen begrenzende Wirkung eines Geständnisses zu berücksichtigen. So kommt eine alleine darauf gestützte Beweisführung nicht in Betracht, wenn es sich auf Umstände bezieht, die außerhalb des Wahrnehmungshorizonts des Beschuldigten liegen189 oder möglicherweise bei sehr komplexen Sachverhalten.190 Kommt es ange-

_____ 180 BVerfG, 19.3.2013 – 2 BvR 2628, 2883, 2155/10, NJW 2013, 1058 ff. 181 Vgl OLG Stuttgart, 26.3.2014 – 4a Ss 462/13, StraFo 2014, 152 (154). 182 BGH, 29.11.2011 – 1 StR 287/11 NStZ 2012, 347 (348); Meyer-Goßner/Schmitt Rn 8 zu § 160b StPO; Krawczyk StRR 2014, 224 (225 f). 183 Trück ZWH 2013, 169 (174); oder, so Jahn/Müller NJW 2009, 2625 (2627), in einem von allen Beteiligten zu unterzeichnenden Vermerk für die Akten, was allerdings eine recht umständliche und aufwändige Vorgehensweise wäre, da dieser regelmäßig nicht vor Ort fertiggestellt werden kann. 184 KK/Griesbaum Rn 9 zu § 160b StPO; LR/Erb Rn 9 zu § 160b StPO; aA Bittmann wistra 2009, 412 nur bei positivem Ergebnis. 185 KK/Griesbaum Rn 2 zu § 160b StPO. 186 LR/Erb Rn 7 zu § 160b StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 6 zu § 160b StPO; SK/Wohlers Rn 6 zu § 160b StPO. 187 So bspw LR/Erb Rn 2 zu § 160b StPO. 188 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 6 zu § 160b StPO; LR/Erb Rn 10 zu § 160b StPO; SK/Wohlers Rn 8 zu § 160b StPO. Es soll allenfalls die Möglichkeit eröffnet werden sich selbst auch von Zusagen zu lösen. 189 BGH, 11.12.2008 – 3 StR 21/08, NStZ 2009, 467 zum Betrug; einschr für Nachw des grundsätzlich in die Opfersphäre fallenden Irrtums BGH, 4.9.2014 – 1 StR 314/14, ZWH 2015, 102 (104) mAnm Kudlich; vgl auch BGH, 23.1.2013 – 1 StR 459/12, StraFo 2013, 260 (261) zu den Umständen faktischer Geschäftsführung und BGH, 14.11.2012 – 3 StR 403/12, ZWH 2013, 122 (123) mAnm Trück zu Tatbeiträgen eines Mittäters. 190 BGH, 5.12.1995 – 4 StR 698/95, StV 1996, 214 (215); BGH, 7.2.2012 – 3 StR 335/11, NStZ-RR 2012, 256 (256 f).

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sichts dieser Risiken – ggf trotz eines Angebots der Verteidigung – nicht zu einem Gespräch und in dessen Konsequenz zu einer Verminderung des Ermittlungsaufwands, so mag sich dies nicht selten nachteilig für den Beschuldigten auswirken, insbes im Hinblick auf die entstehenden Verfahrenskosten. Das muss aber bisweilen in Kauf genommen werden, will sich der Ermittler nicht im Nachhinein dem Vorwurf unsorgfältiger und einseitiger Aufklärung ausgesetzt sehen.

bb) Asservate 126 Bei jeder Durchsuchung und Beschlagnahme muss Wert auf besondere Sorgfalt bei der

Dokumentation der Sicherstellung gelegt werden.191 Darauf ist vor Beginn jeder Durchsuchung nochmals hinzuweisen, weil dieser Aspekt im Zuge der Maßnahmen immer wieder zu kurz kommt. Es ist aber gerade in heiklen Fällen von häufig sogar ausschlaggebender Bedeutung, dass die Herkunft eines Asservats vom Gericht zweifelsfrei festgestellt werden kann. Nur dann ist es möglich, verteidigungsseitigen Legendenbildungen, nach denen Beweismittel angeblich gefälscht oder untergeschoben wurden, mit Aussicht auf Erfolg entgegenzutreten. Die Einsatzbesprechung bietet eine gute Plattform, auf diese Aspekte vor jeder Durchsuchung nochmals besonders hinzuweisen, damit die Durchsuchungskräfte hinreichend sensibilisiert sind. 127 Bei Durchführung der Maßnahme ist zunächst ein umfassender und aussagekräftiger Durchsuchungsbericht zu erstellen. Dieser muss in jedem Fall dokumentieren, welche Personen (Einsatzkräfte, Zeugen, Beschuldigte und Verteidiger) während der Maßnahme anwesend waren und welche Einsatzkräfte welche Aufgaben hatten, bspw die Durchsuchung eines bestimmten Zimmers. Zum anderen ist das Durchsuchungsobjekt zu beschreiben, wobei die Fertigung einer Grundrissskizze ebenso hilfreich ist wie das Erstellen einer Lichtbildmappe. Insbes letzteres ist im Zeitalter der Digitalfotographie wenig zeit- und kostenaufwändig und beschreibt den Einsatzablauf und die örtlichen Gegebenheiten häufig sehr präzise. 128 Exaktes Arbeiten ist auch bei der Erfassung der sichergestellten Beweismittel von Nöten. Hier ist es unabdingbar, festzuhalten, welcher Beamte an welchem Ort welches Asservat gefunden hat. Dabei ist sowohl das Beweismittel als auch der Fundort so kurz wie möglich, aber so genau wie nötig zu beschreiben, zB welches Schriftstück in welchem Raum an welchem Platz (Schreibtisch, Schrank, Schublade, Papierkorb) gefunden wurde. Diesen Erfordernissen gerecht werdend und daher uneingeschränkt empfehlenswert ist die vom BKA und einigen LKÄ geübte Praxis, innerhalb eines jeden Durchsuchungsobjekts im Uhrzeigersinn zunächst die zu durchsuchenden Räume entspr zu nummerieren. Innerhalb eines Raumes erfolgt dann – wiederum im Uhrzeigersinn – das Durchnummerieren nach Fundorten. Aus den einzelnen Zahlen ergibt sich dann für jeden sichergestellten Gegenstand eine in das Sicherstellungsverzeichnis aufzunehmende Ziffernfolge, so dass auch Jahre später noch nachvollzogen werden kann, wo ein bestimmtes Beweismittel gefunden wurde. Das gilt umso mehr, wenn diese Vorgehensweise mit einer Skizze oder Lichtbildern kombiniert wird. Sämtliche sichergestellten Beweismittel sind in ein Asservatenverzeichnis aufzu129 nehmen (§ 109 StPO).192 Werden Sammlungen von Schriftstücken (Aktenordner oder -hefter) asserviert, so empfiehlt es sich, die ggf vorhandene Originalbeschriftung als kenn-

_____ 191 Ciolek-Krepold Rn 154; s auch u § 1 Rn 242. 192 Vgl dazu unten § 1 Rn 242.

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zeichnendes Merkmal aufzuführen (vgl Nr 69 Abs 2 AStBV). Auch hier gilt, dass eine sorgfältige Arbeitsweise für das weitere Verfahren von erheblicher Bedeutung ist, weil auf diese Weise für alle Verfahrensbeteiligten ein Höchstmaß an Nachvollziehbarkeit und Transparenz der Ermittlungsmaßnahme erreicht wird. Es erleichtert dem Sachverständigen die Erstellung seines Gutachtens. Soweit er bestimmte Urkunden verwendet, wird er sie in Ablichtung zu einem Anlagenband seines Gutachtens nehmen. Bei Vorliegen eines zuverlässigen Asservatenverzeichnisses ist es ihm dann ein Leichtes, die Herkunftsquelle zu bezeichnen. In der Hauptverhandlung vermag das Gericht die Deckungsgleichheit von Ablichtung und Original schnell und verlässlich zu überprüfen. Schließlich erleichtert eine genaue Auflistung, insbes die Kennzeichnung unterschiedlicher Fundorte, in besonderem Ausmaß die spätestens nach Rechtskraft nötige Abwicklung, dh Rückgabe der Asservate. An den sichergestellten Beweismitteln dürfen während des gesamten Verfahrens 130 keine Veränderungen vorgenommen werden. Das gilt nicht nur für den Inhalt, sondern bspw auch für die Form der Sicherstellung. Befindet sich also ein bestimmtes Schriftstück in einem bestimmten Stehordner, dann ist es dort zu belassen.193 Ungeordnete Schriftstücke, die nicht einzeln, sondern als Sachgesamtheit sichergestellt und registriert worden sind, müssen zusammen verwahrt werden, wenngleich nicht zwingend in der ursprünglichen Reihenfolge. Die polizeilichen Sachbearbeiter sind unbedingt anzuhalten, dass sie keine Originaldokumente in die Ermittlungskaten aufnehmen. Selbst wenn dies erhöhten Arbeitsaufwand bedeutet, müssen von Schriftstücken, die für die Beweisführung von zentraler Bedeutung sind, Kopien gefertigt und diese mit einem Verweis auf das bei den Asservaten verbleibende Original einblattiert werden. Gleiches gilt für einen Sachverständigen, der ebenfalls lediglich die Ablichtungen in sein Gutachten aufnimmt. Nicht zuletzt sind auch die Gerichte im Erkenntnisverfahren gehalten, die Ordnung der Asservate unangetastet zu lassen, woran sie der Staatsanwalt ggf zu erinnern hat. Eine solchermaßen sorgsame Handhabung der Asservate dient nicht zuletzt ebenfalls der reibungslosen Abwicklung nach Abschluss des Verfahrens.

3. Rechtliche Grundlagen a) Ermittlungsrichter Beschlagnahmen (§ 98 Abs 1 StPO) und Durchsuchungen (§ 105 Abs 1 StPO) erfordern 131 grundsätzliche eine richterliche Anordnung. Die erforderlichen Anträge müssen also während des Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft vor dem Einsatz bei dem gemäß § 162 Abs 1 StPO zuständigen Ermittlungsrichter gestellt werden. Ohne Antrag kann der Richter als sog Notstaatsanwalt gemäß § 165 StPO vorgehen, wobei die praktische Bedeutung dieser Vorschrift jedoch sehr gering ist. Ausnahmsweise können auch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen die Maßnahmen anordnen, sofern Gefahr im Verzug besteht. Dieser Begriff ist nach der Entscheidung des BVerfG vom 20.2.2001194 eng auszulegen und setzt in jedem Fall die Gefahr voraus, dass die durch das Einholen der – notfalls (fern)mündlichen – richterlichen Entscheidung bedingte zeitliche Verzögerung zu einem Beweismittelverlust führen wird.

_____ 193 Zeißig wistra 1994, 295 (297). 194 BVerfG, 20.2.2001 – 2 BvR 1444/00, BVerfGE 103, 142 ff; sa BVerfG, 3.12.2002 – 2 BvR 1845/00, NStZ 2003, 319; BVerfG, 27.2.2003 – 2 BvR 1120/02, NVwZ-RR 2003, 495 f; BGH, 30.8.2011 – 3 StR 210/11, NStZ 2012, 104 f.

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Nach dem gesetzlichen Leitbild obliegt dem Ermittlungsrichter die Kontrolle der Rechtmäßigkeit einer Maßnahme, nicht aber deren Zweckmäßigkeit (§ 162 Abs 2 StPO). Er ist also von der Gestaltung der Ermittlungen ausgeschlossen, die alleine der Staatsanwaltschaft als Herrin des Ermittlungsverfahrens zusteht. Ungeachtet dessen betont das BVerfG in stRspr, dass es neben der Prüfung des Tatverdachtes in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht auch Aufgabe des Ermittlungsrichters ist, die Verhältnismäßigkeit zu kontrollieren und Umfang und Intensität des mit einer Wohnungsdurchsuchung verbundenen Grundrechtseingriffs auf das erforderliche Ausmaß zu begrenzen.195 Wenn mitunter darauf abgestellt wird, bei Durchsuchungsanordnungen erstrecke sich die ermittlungsrichterliche Befugnis auch auf die Überprüfung der Zweckmäßigkeit,196 ist lediglich die letztgenannte, auf die Einhaltung des Übermaßverbots ausgerichtete Rechtskontrolle angesprochen.197 Diese ist selbstverständlich schon vor der Antragstellung durch die Staatsanwaltschaft im Rahmen einer Abwägung gleichfalls vorzunehmen (Nr 73a S 1 RiStBV). Dieser rechtliche Rahmen kann gerade angesichts verfahrenstypischer Besonder133 heiten in Wirtschaftsstrafsachen nicht unkritisch sein. Sie sind dadurch geprägt, dass der Ermittlungsrichter zwar, wie sonst ebenfalls, vor dem ersten staatsanwaltschaftlichen Antrag mit einem Verfahren nicht befasst ist und somit die Akten nicht kennt. Bei den meisten Verfahren aus dem Bereich der allgemeinen Strafsachen ist das auch unproblematisch, weil sich der Aktenumfang in überschaubaren Grenzen hält. In Wirtschaftsstrafsachen jedoch sind umfangreiche Akten nicht die Ausnahme, sondern die Regel. So kann in einem Verfahren wegen Insolvenzdelikten nicht zuletzt wegen der vorhergehenden Informationssammlung das gesamte Aktenmaterial (Hauptakte, Sonderhefte und Beweismittelbände) durchaus mehrere tausend Seiten ausmachen, bevor der Ermittlungsrichter zum ersten Mal mit der Sache befasst ist. Angesichts der regelmäßig hohen Arbeitsbelastung wird es für ihn schwierig sein, sich ohne Hilfestellung in das Aktenmaterial einzuarbeiten, bevor er über den, häufig auch noch eiligen, Antrag befindet. Unter Berücksichtigung dessen sollte der Staatsanwalt schon wegen seines Interes134 ses an einer zügigen Entscheidung bestrebt sein, in der den jeweiligen Antrag begleitenden Übersendungsverfügung den aus seiner Sicht wesentlichen Sachverhalt unter Hinweis auf die maßgeblichen Aktenstellen komprimiert, aber repräsentativ in einem Vermerk darzustellen. Dabei kann sinnvollerweise auf einen vom polizeilichen Sachbearbeiter vorbereiteten vorläufigen Ermittlungsbericht oder frühere polizeiliche Vermerke ebenso verwiesen werden wie auf eigene Übersichten zum Verfahrensstand, die im Verlauf des Ermittlungsverfahrens erstellt wurden.198 Dies dient nicht nur dazu, dem Ermittlungsrichter den Zugang zum Akteninhalt zu vereinfachen, sondern zugleich der nochmaligen Selbstkontrolle vor Antragstellung. Gerade hier zeigt sich, dass eine von Beginn an sorgfältige Aktenführung und -pflege die weiteren Ermittlungen deutlich erleichtert. Der Ermittlungsrichter kann sich anhand des Vermerks in der Übersendungsverfügung einen ersten Überblick über den Gegenstand des Verfahrens verschaffen. Durch Verweisungen ist er in der Lage, die Richtigkeit der Darlegungen in den Akten, die 132

_____ 195 BVerfG, 5.5.2000 – 2 BvR 2219/99, NStZ 2000, 601 ff; 28.3.2003 – 2 BvR 358/03, NJW 2003, 2669 ff; 15.12.2005 – 2 BvR 372/05 StV 2006, 565 f; 4.7.2006 – 2 BvR 950/05, NJW 2006, 2974 f; 7.9.2006 – 2 BvR 1219/05, NJW 2007, 1443 f; 26.3.2007 – 2 BvR 1006/01, PStR 2007, 121 f. S dazu auch u § 1 Rn 142. 196 OLG Düsseldorf, 12.6.1989 – OGs 13/89, NStZ 1990, 145 (145); Meyer-Goßner/Schmitt Rn 14 zu § 162 StPO. 197 SK/Wohlers Rn 28 ff zu § 162 StPO. 198 S dazu o § 1 Rn 98.

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uneingeschränkt dem Grundsatz der Aktenwahrheit und Aktenvollständigkeit entsprechen müssen,199 selbst zu überprüfen. Ob er darüber hinaus den übrigen Akteninhalt vollumfänglich oder nur kursorisch sichtet, um sich davon zu überzeugen, dass bei der Antragstellung nichts Wesentliches übersehen wurde, ist seine Entscheidung, die er nach eigenem Ermessen vor dem Hintergrund einer eigenverantwortlichen Prüfung unter Berücksichtigung der Eilbedürftigkeit zu treffen hat. Zutreffend hebt der BGH200 in diesem Zusammenhang die besondere Bedeutung hervor, die der sorgfältigen Vorbereitung und Antragstellung durch die Staatsanwaltschaft zukommt: „Die Erfüllung seiner Funktion als Kontrollorgan der Ermittlungsbehörden wird deshalb nicht unerheblich erschwert und verzögert, wenn der Ermittlungsrichter nicht annehmen kann, dass die Beweislage, soweit sie für die Entscheidung relevant ist, in den Antragsschriften ohne erhebliche Lücken dargetan ist.“ Eine weitere Hilfestellung, leistet der Staatsanwalt, indem er vorformulierte Ent- 135 würfe der zu beantragenden Entscheidung(en) fertigt. Von dieser Verfahrensweise wird in der Praxis zu Recht umfassend Gebrauch gemacht, weil er Detailkenntnis hat und schon auf Grund der eigenen Prüfungspflicht vor Antragstellung im Falle der Durchsuchung nicht nur entscheiden muss, welche Räumlichkeiten betroffen sein sollen, sondern auch welche Beweismittel dort ggf aufgefunden werden können. Unter Hinweis auf den in der Übersendungsverfügung dargelegten Verfahrensstand kann dann der Erlass der Entscheidungen nach Maßgabe der beizulegenden Entwürfe beantragt werden. Der Ermittlungsrichter ist nicht gehindert, die Ausführungen der Antragsschrift wörtlich zu übernehmen, sofern er diese für sachlich und rechtlich zutreffend hält. Das Ausbleiben der von ihm zu leistenden eigenverantwortlichen Prüfung201 kann nicht alleine daraus geschlossen werden, dass er nach seiner Auffassung tragende Erwägungen nicht umformuliert.202 Es drängt sich allerdings dann auf, wenn der Ermittlungsrichter lediglich formularmäßig abgefasste Floskeln ohne einzelfallbezogene Hinweise übernimmt203 oder ohne eine aus sich heraus verständliche Darstellung lediglich auf Fundstellen in den Akten verweist,204 was aber schon für sich gesehen zur Unwirksamkeit der Anordnung führt. Hat er Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit des Entwurfs, kann er ihn ändern oder neu formulieren. Hierzu kann er auf die bei der Staatsanwaltschaft befindliche Datei des Dokumentes zurückgreifen, um deren Übersendung er nachsucht. Bestehen aus seiner Sicht indes grundlegende Bedenken gegen den Erlass einer beantragten Entscheidung, ist er gehalten, durch entspr Rückfrage bei der Staatsanwaltschaft eine Klärung herbeizuführen und seine Einwände in einem Vermerk aktenkundig zu machen. Geht ihm die beantragte Maßnahme zu weit, kann er inhaltlich eine Begrenzung vornehmen, bspw bestimmte Räumlichkeiten bei einer Durchsuchungsanordnung ausnehmen. Hält er den Antrag für unbegründet, so muss er ihn ablehnen. Somit erlaubt ein vorformulierter Entwurf oder zumindest ein vollständiger und präziser Antrag iE eine qualitativ hochwertige Entscheidung.

_____ 199 BVerfG, 14.7.2016 – 2 BvR 2474/14, juris (Rn 19 ff); BGH, 2.9.2015 – 5 StR 312/15, StraFo 2015, 458. 200 BGH, 11.3.2010 – StB 16/09, JR 2011, 404 (407). 201 BVerfG, 27.5.1997 – 2 BvR 1992/92, NJW 1997, 2165 (2166); BVerfG, 20.2.2001 – 2 BvR 1444/00, NJW 2001, 1121 (1122). 202 BVerfG, 31.8.2007 – 2 BvR 1681/07 juris (Rn 8); BVerfG, 17.3.2009 – 2 BvR 1940/05, NJW 2009, 2516 (2517); BGH, 11.3.2010 StB 16/09, JR 2011, 404 (406 f) zu § 101a StPO. 203 BVerfG, 28.4.2003 – 2 BvR 358/03, NJW 2003, 2669 (2671); LG Wiesbaden, 15.2.2016 – 6 Qs 2/16, NZWiSt 2016, 148 (149); ferner Trück JZ 2010, 1106 (1113) mwN insbes zur diesbezügl Rspr d BVerfG. 204 LG Limburg, 11.3.2015 – 1 Qs 27 u 34/15, StV 2016, 350.

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b) Sicherstellung und Beschlagnahme (§ 94 StPO) aa) Allgemeines 136 Gegenstände, die als Beweismittel in Betracht kommen können, sind in Verwahrung zu nehmen oder in anderer Weise sicherzustellen (§ 94 Abs 1 StPO). Notwendig ist nach allgM die Begründung eines staatlichen Herrschaftsverhältnisses über die Sache.205 Sicherstellung ist – wie schon aus dem Wortlaut des § 94 Abs 1 StPO ersichtlich – der Oberbegriff für alle Maßnahmen, die getroffen werden, um dieses Herrschaftsverhältnis herzustellen, damit die Beweismittel im Ermittlungs- oder Strafverfahren genutzt werden können.206 Sie kann entweder formlos207 oder als förmliche Beschlagnahme erfolgen. Letzteres ist notwendig, wenn der Gewahrsamsinhaber den Gegenstand nicht freiwillig herausgibt (§ 94 Abs 2 StPO). Das bedeutet jedoch nicht, dass ihm vor ihrer Durchführung zwingend zunächst Gelegenheit zu geben ist, die förmliche Beschlagnahme durch freiwillige Herausgabe abzuwenden.208 Die dementspr Frage oder Aufforderung an den Gewahrsamsinhaber ist aber über den Anwendungsbereich des § 95 StPO hinaus zulässig und – sofern nicht die Gefahr überraschender Verdunkelungshandlungen besteht – empfehlenswert.209 Unbeschadet dessen ist eine förmliche Beschlagnahme auch dann wirksam, wenn eine formlose Sicherstellung möglich gewesen wäre,210 wobei jedoch Gesichtspunkte der Verhältnismäßigkeit nicht außer Betracht bleiben dürfen.211 Haben mehrere Personen Mitgewahrsam an einem Gegenstand, so ist die förmliche Beschlagnahme schon dann erforderlich, wenn nur eine von ihnen ihre Zustimmung zur Herausgabe verweigert.212 Wird das Einverständnis widerrufen, liegt hierin ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 98 Abs 2 S 2 StPO.213 137 Gegenstände als Beweismittel iSd § 94 Abs 1 StPO sind zum Beweis geeignete bewegliche und unbewegliche Sachen.214 Hierzu gehören nicht nur Bild-, Ton- und elektronische Datenträger,215 einschl der technischen Hilfsmittel, mit deren Hilfe sie lesbar gemacht werden,216 sondern auch die darauf enthaltenen Daten als nichtkörperliche Gegenstände,217 selbst falls es sich hierbei um E-Mails handelt, die noch auf dem Server des Providers gespeichert sind.218 Beschlagnahmt werden können nicht nur Sachen, die tat-

_____ 205 LR/Menges Rn 4 und 34 zu § 94 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 14 zu § 94 StPO. 206 KK/Greven Rn 1 zu § 94 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 11 zu § 94 StPO; Park Rn 430. 207 Bei Gewahrsamslosigkeit oder Herausgabebereitschaft, SK/Wohlers Rn 16 zu § 94 StPO; LR/Menges Rn 4 zu § 94 und Rn 3 zu § 98 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 1 und 12 zu § 94 StPO. 208 BGH, 18.3.1992 – 1 BGs 90/92 – 2 BJs 186/91–5, StV 1992, 308 (311); KK/Greven Rn 16 zu § 94 StPO; LR/Menges Rn 42 zu § 94 StPO; aA SK/Wohlers Rn 37 zu § 94 StPO; LR/Tsambikakis Rn 8 zu § 103 StPO in den Fällen des § 103 StPO; LG Berlin, 24.7.2003 – 502 Qs 49, 50/03, NJW 2003, 2694 (2695) für eine Beschlagnahme in Kanzleiräumen von Rechtsanwälten, die sich „kooperativ“ verhielten. 209 SK/Wohlers Rn 19 zu § 95 StPO hält sie für verpflichtend. 210 KK/Greven Rn 16 zu § 94 StPO; LR/Menges Rn 41 zu § 94 StPO; Park Rn 433, je mwN. 211 S u § 1 Rn 144. 212 KK/Greven Rn 15 zu § 94 StPO; LR/Menges Rn 40 zu § 94 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 12 zu § 94 StPO. 213 BeckOK/Ritzert Rn 7 zu § 94 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 12 zu § 94 StPO; SK/Wohlers Rn 9 zu § 94 StPO; Park Rn 505; siehe hierzu u § 1 Rn 263 ff. 214 KK/Greven Rn 3 zu § 94 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 4 zu § 94 StPO; SK/Wohlers Rn 20 zu § 94 StPO. 215 BVerfG, 18.2.2003 – 369 und 372/01, NStZ-RR 2003, 176 f; KK/Greven Rn 4 zu § 94 StPO; MeyerGoßner/Schmitt Rn 16a zu § 94 StPO. Im Einzelfall können auch die Einzelplatzversion eines servergestützten Computerprogramms nebst Handbuch und Freischaltdiskette dazugehören, LG Trier, 16.10.2003 – 5 Qs 133/03, NStZ 2004, 223. 216 LG Trier, 16.10.2003 – 5 Qs 133/03, NJW 2004, 869. 217 BVerfG, 12.4.2005 – 2 BvR 1027/02, NJW 2005 1917 (1920). 218 BVerfG, 16.6.2009 – 2 BvR 902/06, NJW 2009, 2431 (2434).

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sächlich zum Beweis geeignet sind. Unwesentlich ist auch, ob ein Gegenstand während des Ermittlungsverfahrens oder in einer Hauptverhandlung als Beweismittel Verwendung findet. Ausreichend ist unabhängig von Eigentum, Besitz oder Gewahrsam allein die Möglichkeit zur Beweiseignung.219 Das ist für Geschäfts- und Buchführungsunterlagen schon dann zu bejahen, wenn sie in einem Ermittlungsverfahren wegen Insolvenzdelikten der Auswertung durch einen Sachverständigen dienen sollen.220 Auf die Beweisbedeutung jedes einzelnen Dokuments oder jeder einzelnen elektronischen Datei kommt es daher nicht an. Ausreichend ist vielmehr die Bedeutung für irgendeine Tätigkeit im Ermittlungs- oder Strafverfahren. 221 Voraussetzung ist ein einfacher Tatverdacht,222 der bereits zum Zeitpunkt der Anordnung der Beschlagnahme bestanden haben muss.223 Dabei genügt es, wenn der zu beschlagnahmende Gegenstand selbst den Verdacht auslöst.224 Bei Schriftstücken werden grundsätzlich die Originale sicherzustellen oder zu be- 138 schlagnahmen sein, um späteren Streitigkeiten über deren Authentizität vorzubeugen.225 Dem Gewahrsamsinhaber ist die Möglichkeit zu geben, sich bei Bedarf Fotokopien anzufertigen. Letztere genügen auch den Zwecken des Ermittlungs- und Strafverfahrens, sofern es nicht im Einzelfall auf den Beweis der Urheberschaft ankommt.226 Steht allerdings zu befürchten, dass die Übereinstimmung mit dem Original bestritten werden könnte, so sollte die Staatsanwaltschaft die Freigabe von Originalen davon abhängig machen, dass der Beschuldigte die Richtigkeit jeder Ablichtung in einem Beglaubigungsvermerk bestätigt. Hinsichtlich des Umfangs der Beschlagnahme ist gleichfalls deren Beschränkung durch das Ziel der Beweissicherung zu beachten.227 Vor diesem Hintergrund ist es zwar nicht unzulässig, selbst umfangreiche Aktenbestände zu beschlagnahmen,228 wie bspw die gesamten Buchhaltungsunterlagen. In Ermittlungsverfahren wegen Insolvenzstraftaten wird dies regelmäßig sogar unvermeidlich sein, sofern zumindest eine Eingrenzung des relevanten Zeitraumes vorgenommen wird. Allerdings ist eine zeitnahe Sichtung, möglichst schon am Durchsuchungsobjekt, vorzunehmen, um die Auswirkungen des Eingriffs so gering wie möglich zu halten und ggf zur Beweisführung nicht benötigte Unterlagen freizugeben.229

_____ 219 BVerfG, 1.10.1987 – 2 BvR 1178/86, NJW 1988, 890 (894); BVerfG, 13.12.1994 – 2 BvR 894/94, NJW 1995, 2839 (2840) „potentielle Bedeutung“ für die Beweisführung; LG Hamburg, 15.10.2010 – 608 Qs 18/10, NJW 2011, 942 (943); KK/Greven Rn 7 und 11 zu § 94 StPO; LR/Menges Rn 30 f zu § 94 StPO; MeyerGoßner/Schmitt Rn 6 und 8 zu § 94 StPO; Park Rn 456 f und 484; SK/Wohlers Rn 28 zu § 94 StPO. 220 Gleiches gilt allgemein, wenn für die Frage der möglichen Beweisbedeutung erst ein kriminaltechnisches Gutachten eingeholt werden muss, vgl KK/Greven Rn 7 zu § 94 StPO. 221 BeckOK/Ritzert Rn 3 zu § 94 StPO; LR/Menges Rn 24 und 30 zu § 94 StPO. Einziehungs- und Verfallgegenstände gehören nicht hierher, KK/Greven Rn 1 zu § 94 StPO; LR/Menges Rn 7 zu § 94 StPO. Sie können allerdings gemäß §§ 111b ff StPO beschlagnahmt oder arrestiert werden, dazu u § 1 Rn 156 f und § 33; zT abw Meyer-Goßner/Schmitt Rn 2 zu § 94 StPO. 222 KK/Greven Rn 8 zu § 94 StPO; Park Rn 479. 223 Park Rn 459; SK/Wohlers Rn 15 zu § 94 StPO. 224 KK/Greven Rn 8 zu § 94 StPO mwN; Park Rn 459 m Fn 76. 225 AA Park Rn 646 mwN in Fn 529: Im Regelfall bestehe eine Abwendungsbefugnis durch Anfertigung und Herausgabe von Fotokopien. Damit wird aber va Streit über die Authentizität der Unterlagen provoziert. 226 BVerfG, 11.7.2008 – 2 BvR 2016/06, NJW 2009, 281 (282) zur Handakte eines Rechtsanwalts; M-G/B/ Niemeyer § 11 Rn 100. 227 MK/Hauschild Rn 28 zu § 94 StPO. 228 SK/Wohlers Rn 43 zu § 94 StPO. 229 LG Dresden, 18.10.2002 – 5 Qs 82/2002, NStZ 2003, 567; S auch o § 1 Rn 119.

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Wesentlich problematischer kann im Einzelfall die Sicherstellung und Beschlagnahme elektronischer Daten und Datenträger sein, die in Wirtschaftsstrafverfahren regelmäßig vorkommt. Werden nur die Daten als solche benötigt, so kann eine Spiegelung hergestellt oder dem Betroffenen im Einzelfall gestattet werden, die Beschlagnahme durch einen Ausdruck abzuwenden,230 wenn dies für die Beweiszwecke genügt.231 Als weiteres Beispiel sei hier der Zugriff auf E-Mails genannt, die auf dem Server des Providers gespeichert sind. Da geschäftliche Korrespondenz heutzutage in erheblichem Umfang auf elektronischem Wege geführt wird, können diese wertvolle Anhaltspunkte für die Bewertung der wirtschaftlichen Situation eines Unternehmens und den Kenntnisstand der Verantwortlichen liefern. Auf Grund der möglichen Reichweite und Intensität des Eingriffs in das unter dem besonderen Schutz des Art 10 Abs 1 GG stehende Fernmeldegeheimnis bedarf es aber einer den effektiven Schutz des materiellen Grundrechts gewährleistenden Ausgestaltung des Verfahrens durch die Ermittlungsbehörden. Deswegen ist unbeschadet entspr ausdrücklicher gesetzlicher Regelungen der Beschuldigte möglichst frühzeitig von der Maßnahme zu unterrichten, evtl daran zu beteiligen, um die Sicherstellung des Datenbestandes – ggf im Rahmen der Durchsicht gem § 110 StPO – auf die für das Verfahren relevanten Mitteilungen zu begrenzen und insbes diejenigen frühestmöglich auszuscheiden, die den Kernbereich privater Lebensgestaltung betreffen; für die Verfahrensführung idS nicht zulässige Daten sind unverzüglich zurückzugeben oder zu löschen (§ 489 Abs 2 S 1 StPO).232 Die Rückgabe der Beweismittel hat zu erfolgen, sobald das Verfahren rechtskräftig 140 abgeschlossen233 oder der Grund für eine Sicherstellung bzw Beschlagnahme bereits vorher weggefallen ist.234 Das ergibt sich für die Herausgabe sichergestellter Sachen an den Verletzten einer Straftat aus § 111k StPO. Eine solche ist indes nur ausnahmsweise in Erwägung zu ziehen, falls dessen Herausgabeanspruch offensichtlich begründet ist.235 Ggf sollte eine Entscheidung der Gerichts nach § 111k S 3 StPO herbeigeführt werden. Im Übrigen sind die Gegenstände grundsätzlich an den letzten Gewahrsamsinhaber wieder herauszugeben (Nr 75 Abs 2 RiStBV),236 sofern hierdurch nicht ein rechtswidriger Zustand geschaffen oder wiederhergestellt wird.237 Dabei sind die Justizbehörden nicht verpflich139

_____ 230 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 18a zu § 94 StPO; SK/Wohlers Rn 41 zu § 94 StPO. 231 S aber LG Konstanz v 27.10.2006 – 4 Qs 92/06, MMR 2007, 193 (194) zum Problem gelöschter Daten. 232 BVerfG, 16.6.2009 – 2 BvR 902/06, NJW 2009, 2431 (2436 ff); sa allg BVerfG, 12.4.2005 – 2 BvR 1027/02, NJW 2005, 1917 (1921); BVerfG, 2.3.2006 – 2 BvR 2099/04, NJW 2006 976 (982); BGH, 24.11.2009 – StB 48/09, NJW 2010, 1297 (1298) zur Unzulässigkeit der Beschlagnahme sämtlicher gespeicherter Daten, sofern keine konkreten Anhaltspunkte für die potenzielle Beweisbedeutung des gesamten Datenbestandes gegeben sind und zu weniger eingriffsintensiven Varianten; ausführlich und kritisch auch MK/Hauschild Rn 31 f zu § 94 StPO. 233 OLG Stuttgart, 27.8.2001 – 2 Ws 165/2001, wistra 2002, 38; Park Rn 616, 618; zur Zulässigkeit im Wiederaufnahmeverfahren vgl KMR/Müller Rn 4 zu § 94 StPO mwN. 234 OLG Düsseldorf, 13.12.1989 – 2 Ws 582/89, NStZ 1990, 202; LG Saarbrücken, 27.10.2009 – 2 KLs 2/09 – 33 Js 518/08, StraFO 2009, 510. 235 SK/Wohlers Rn 57 f zu § 98 StPO; aA OLG Düsseldorf, 13.12.1989 – 2 Ws 582/89, NStZ 1990, 202 und MK/Hauschild Rn 51 zu § 94 StPO mit dem Hinweis, das Strafverfahren habe „grundsätzlich nicht die Aufgabe, den Besitz an Sachen, die für die Zwecke des Verfahrens vorübergehend in amtlichen Gewahrsam gebracht worden sind, bzw die Inhaberschaft von entsprechenden Geldforderungen unter den Beteiligten zu regeln“. 236 BGH, 14.11.2014 – V ZR 90/13, MDR 2015, 233; OLG Düsseldorf, 13.12.1989 – 2 Ws 582/89, NStZ 1990, 202; Einzelheiten bei LR/Menges Rn 62–69 zu § 98 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 22 zu § 94 StPO mwN; Malitz NStZ 2003, 61, 63; aA MüKo/Bittmann Rn 2 zu § 111k mwN in Fn 17 f. 237 LG Saarbrücken, 27.10.2009 – 2 KLs 2/09 – 33 Js 518/08, StraFO 2009, 510.

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tet, ihm die Sachen an seinen Wohnsitz zu bringen.238 Das gilt erst recht für den rechtskräftig Verurteilten, der die Gegenstände abzuholen oder deren Abholung zu veranlassen und auf Grund seiner Kostentragungspflicht auch zu bezahlen hat.239 Ist kein Empfangsberechtigter240 erreichbar oder weigert er sich, die Gegenstände entgegen zu nehmen, sind sie als Fundsachen zu behandeln und entweder – bei entspr Erfolgsaussicht – zu versteigern oder anderenfalls zu vernichten.241 Letzteres ist ungeachtet des Ablaufs der handelsund steuerrechtlichen Aufbewahrungsfristen von bis zu zehn Jahren nach Beendigung der Liquidation (vgl § 74 Abs 2 S 1 GmbHG) auch bei Buchführungs- und anderen Geschäftsunterlagen zulässig, weil diese Pflichten trotz des Wortlauts des § 283 Abs 1 Nr 6 StGB nicht die Ermittlungs- und Justizbehörden treffen. Alternativ besteht die Möglichkeit, gemäß § 74 Abs 2 S 2 GmbHG durch das zuständige Registergericht eine Person bestimmen zu lassen, welche die Unterlagen verwahrt.242 Die Zuständigkeit für die Herausgabe liegt bei der Staatsanwaltschaft. Das gilt 141 während des Ermittlungsverfahrens unbestritten in den Fällen, in denen die Beschlagnahme durch die Staatsanwaltschaft oder ihre Ermittlungspersonen angeordnet und durch den Ermittlungsrichter bestätigt wurde. Für den Fall der richterlichen Beschlagnahme wird die Auffassung vertreten, dass vor der Herausgabe der Gegenstände eine Aufhebung dieser Anordnung zu erfolgen hat.243 Vorzugswürdig erscheint hier die Gegenauffassung, die auf die Verfahrensherrschaft der Staatsanwaltschaft während des Ermittlungsverfahrens abstellt und zu Recht darauf hinweist, dass die Beschlagnahmevorschriften der §§ 94 ff keine Bestimmung über die Aufhebung der getroffenen Maßnahmen enthalten.244 Auch nach rechtskräftigem Abschluss eines Strafverfahrens hat die Staatsanwaltschaft die Beweismittel herauszugeben.245 Für den Zeitraum nach Anklageerhebung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens ist indes das mit der Sache befasste Gericht zuständig.246

bb) Auskunftsersuchen und Herausgabeverlangen Die Ermittlungsbehörden haben stets im Auge zu behalten, dass sowohl das „ob“ als 142 auch das „wie“ der Beschlagnahme unter dem Vorbehalt des Übermaßverbots stehen.247 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erfordert, dass die Maßnahme zur Erreichung des angestrebten Ziels geeignet und erforderlich sein muss und dass der mit ihr verbun-

_____ 238 BGH, 3.2.2005 – III ZR 271/04, NJW 2005, 988 f; MK/Hauschild Rn 51 zu § 94 StPO; aA LR/Menges Rn 64 zu § 98 StPO; Damrau NStZ 2003, 408 ff. 239 Vgl LG Hamburg, 20.2.2004 – 303 S 16/03, NStZ 2004, 512. 240 Jedenfalls bis zur Beendigung des Insolvenzverfahrens ist das der Insolvenzverwalter, LG Mannheim, 29.10.1997 – 25 AR 9/97, NStZ-RR 1998, 113, oder der Liquidator, vgl OLG Stuttgart, 30.9.1998 – 20 U 21/98, ZIP 1998, 1880 (1883) mwN. 241 Dörn wistra 1999, 175 ff; einschr H Schäfer wistra 1984, 136 ff. 242 Beck’sches Handbuch der GmbH/Erle/Helm § 16 Rn 58. 243 KK/Greven Rn 33 zu § 98 StPO; LR/Menges Rn 61 zu § 98 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 30 zu § 98 StPO; MK/Hauschild Rn 37 zu § 98 StPO; SK/Wohlers Rn 55 zu § 98 StPO; Park Rn 655 f; Malitz NStZ 2003, 61, 65. 244 LG Hildesheim, 10.12.1988 – 13 Qs 181/88, NStZ 1989, 192 (193); LG Berlin 25.1.1994 – 510 Qs 3/94, NStZ 1994, 400 zu § 111k StPO noch vor Einfügung des heutigen S 3; BeckOK/Ritzert Rn 12 zu § 98 StPO. 245 LG Saarbrücken, 27.10.2009 – 2 KLs 2/09 – 33 Js 518/08, StraFO 2009, 510. 246 LR/Menges Rn 61 zu § 68 StPO; nach MK/Hauschild Rn 38 zu § 98 StPO während des Revisionsverfahrens der letzte Tatrichter. 247 Hierzu MK/Hauschild Rn 23 ff zu § 94 StPO.

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dene Eingriff nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und zur Stärke des bestehenden Tatverdachts stehen darf.248 Deshalb muss vor Anordnung und Vollzug einer Beschlagnahme geprüft werden, ob nicht eine mildere Maßnahme zur Verfügung steht, mit der der Beweis ausreichend sicher geführt werden kann.249 So ist immer zu prüfen, ob nicht Zeugenvernehmungen als in die Rechte des Be143 schuldigten weniger eingreifende Ermittlungshandlungen zur Beweisführung genügen.250 Einen unbedingten Vorrang genießen sie indes nur als gleichwertige Erkenntnisquelle. Bei der Einschätzung, ob sie eine solche darstellen, kann auch Berücksichtigung finden, dass schriftliche Beweismittel gegenüber dieser Form des Personalbeweises oft einen höheren Beweiswert haben, insbes weil ein unergiebiges Erinnerungsvermögen oder die Unzuverlässigkeit der Angaben eines Zeugen zu erwarten ist.251 Dieselben Grundsätze gelten für Auskunftsersuchen als eine auf § 161 Abs 1 StPO gestützte vereinfachte Form der Zeugenaussage.252 Diese werden va gegenüber Banken253 und Behörden254 in Betracht kommen. Greifen diese wenig eingriffsintensiven Möglichkeiten der Beweiserhebung nicht, so 144 ist zu beachten, dass zur Sicherstellung eines Beweismittels iSd § 94 Abs 1 SPO nicht nur die Beschlagnahme nach § 94 Abs 2 StPO in Betracht kommt. Vielmehr hat derjenige, in dessen Gewahrsam es sich befindet, dieses nach § 95 Abs 1 StPO auf Verlangen herauszugeben, mithin können sich die Ermittlungsbehörden eines Herausgabeverlangens bedienen. Daher muss – gerade bei der Erhebung von Unterlagen – bei der Wahl der Vorgehensweise das Verhältnis dieser beiden Varianten der Beweismittelgewinnung beachtet werden. Dabei wird nach derzeit wohl überwiegender Meinung davon ausgegangen, dass diese vom Grundsatz her gleichberechtigt nebeneinander stehen und es keiner Beschlagnahmeanordnung als Voraussetzung der Verhängung von Zwangsmitteln nach §§ 95 Abs 2 S 1, 70 StPO bedarf.255 Dennoch ist im Einzelfall immer zu prüfen, ob nicht vorrangig ein gegenüber der Beschlagnahmeanordnung milderes Mittel der Beweissicherung zu Verfügung steht.256 Als solches stellt sich ein Herausgabeverlangen jedenfalls dann dar, „wenn Gewissheit herrscht, dass sich ein beschlagnahmefähiger Beweisgegenstand im Gewahrsamsbereich eines herausgabepflichtigen Adressaten befindet – also nicht etwa im Gewahrsamsbereich des Beschuldigten –, es zur Erlangung des Gegenstandes nicht auf einen Überraschungseffekt ankommt, die Maßnahme Erfolg versprechend ist, das Gebot der Verfahrensbeschleunigung nicht entgegensteht und weder ein das Ermittlungsverfahren bedrohender Verlust der begehrten Sache zu befürch-

_____ 248 BVerfG, 3.9.1991 – 2 BvR 279/90, NStZ 1992, 91 (92). 249 LG Trier, 16.10.2003 – 5 Qs 133/03, NJW 2004, 869 (870); LG Saarbrücken, 2.2.2010 – 2 Qs 1/10, NStZ 2010, 534 (535); LR/Menges Rn 57 zu § 94 StPO. 250 BVerfG, 11.7.2008 – 2 BvR 2016/16, NJW 2009, 281 (282) zur die Beschlagnahme ermöglichenden Durchsuchung. 251 BVerfG, 13.12.1994 – 2 BvR 894/94, NJW 1995, 2839 (2840). 252 LR/Menges Rn 67 zu § 94 StPO; BVerfG, 17.2.2009 – 2 BvR 1372, 1745/07, NJW 2009, 1405 (1406) sieht diese Vorschrift als Ermächtigungsgrundlage an. 253 MK/Hauschild Rn 23 ff zu § 94 StPO; s hierzu o § 1 Rn 83 ff. 254 Vgl hierzu BVerfG, 29. 2.2012 – 2 BvR 1954/11, NJW 2012, 2096 (2097) für Finanzamt als gegenüber Notariat vorrangiger Stelle für die formlose Erhebung notarieller Urkunden. 255 LG Stuttgart, 19.11.1991 – 14 Qs 61/91, NJW 1992, 2646 (2647); LG Halle, 6.10.1999 – 22 Qs 28/99, NStZ 2001, 276 (277); LG Koblenz, 31.10.2001 – 4 Qs 67/01, WM 2002, 383 (384); LG Koblenz, 31.10.2001 – 4 Qs 167/01, wistra 2002, 359; HeiK-InsO/Gercke Rn 1 zu § 95 StPO; LR/Menges Rn 24 zu § 95 StPO; MK/Hauschild Rn 4 f zu § 95 StPO; Eisenberg Beweisrecht Rn 2325a. 256 LG Hamburg, 15.10.2010 – 608 Qs 18/10, NJW 2011, 942 (944).

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ten ist, noch etwaige Verdunkelungsmaßnahmen zu besorgen sind“.257 Bei Banken wird dies häufig anzunehmen sein,258 aber auch beim Insolvenzverwalter,259 Wirtschaftsprüfer260 oder Steuerberater.261 Bestand ausreichend Gelegenheit zur freiwilligen Herausgabe, müssen aber selbst bei einer Rechtsanwaltssozietät vor Anordnung der Beschlagnahme die „Ergebnisse angekündigter Bemühungen“ nicht abgewartet werden.262 Hinsichtlich der Zuständigkeit für das Herausgabeverlangen herrscht Streit. Der 145 wohl überwiegende Teil der Rspr und Lit geht – nach der Gesetzessystematik und dem eindeutigen Wortlaut des § 98 Abs 1 StPO zutreffend – von der Anordnungsbefugnis nicht nur des Gerichts, sondern auch der Staatsanwaltschaft und ihrer Ermittlungspersonen aus.263 Nach aA soll alleine der Ermittlungsrichter zuständig sein.264 Der Staatsanwalt, der diese Maßnahme in Erwägung zieht, sollte sich daher zunächst mit den Gepflogenheiten im Land- oder Amtsgerichtsbezirk vertraut machen. Das Herausgabeverlangen kann sich auch auf einen Beweisgegenstand beziehen, der noch nicht vorhanden ist, sondern erst geschaffen werden muss, beispielsweise als Datenauszug durch eine Zusammenstellung von Einzeldaten aus einem Gesamtdatenbestand.265 Sind die Daten – was heute im gewerblichen Bereich regelmäßig vorkommen wird – nur in elektronischer Form zur Wiedergabe auf Bild- oder anderen Datenträgern vorhanden, besteht gemäß §§ 257 Abs 3, 261 HGB für die Unternehmen die Verpflichtung, die erforderlichen Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen, um die Unterlagen lesen zu können, und erforderlichenfalls die Unterlagen auf ihre Kosten auszudrucken.266 Weigert sich der Gewahrsamsinhaber unrechtmäßig, können die in § 70 StPO bestimmten Ordnungs- und Zwangsmittel festgesetzt werden (§ 95 Abs 2 S 2 StPO). Das hat immer durch das Gericht zu erfolgen,267 und zwar auch dann, wenn das Herausgabeverlagen mit einer Zeugenladung oder einem Auskunftsersuchen verbunden wurde.268 Eine solche zwangsweise Durchsetzung kommt allerdings eher selten vor. Die Ermittlungspraxis zieht es in diesen Fällen vor, eine kombinierte richterliche Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung gemäß §§ 103, 98 Abs 1 StPO zu erwirken und zu vollstrecken269 oder deren Abwendung durch Herausgabe anzubieten.

_____ 257 LG Saarbrücken, 2.2.2010 – 2 Qs 1/10, NStZ 2010, 534 (535); idS auch schon LG Gera, 30.9.1999 – 2 Qs 412/99, NStZ 2001, 276. 258 S hierzu o § 1 Rn 85. 259 LG Saarbrücken, 2.2.2010 – 2 Qs 1/10, NStZ 2010, 534 (535). 260 Peters/Klingberg ZWH 2012, 11 (15). 261 LG Saarbrücken, 12.3.2013, NZWiSt 2013, 153 (154), wobei bezüglich der Durchsuchung nach § 103 StPO zusätzlich § 160a Abs 2 S 1 StPO herangezogen wird, ohne auf § 160a Abs 5 StPO überhaupt einzugehen. 262 LG Hamburg, 15.10.2010 – 608 Qs 18/10, NJW 2011 942 (944). 263 LG Gera, 30.9.1999 – 2 Qs 412/99, NStZ 2001, 276; LG Halle, 6.10.1999 – 22 Qs 28/99, NStZ 2001, 276, 277; LG Koblenz WM 2002, 383, 384 f; LG Lübeck, 3.2.2000 – 6 Qs 3/00, NJW 2000, 3148 f; LG Bonn, 13.5.2003 – 37 Qs 10/03, BKR 914 (915); LR/Menges Rn 20 zu § 95 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 2 zu § 95 StPO; MK/Hauschild Rn 7 zu § 95 StPO; SK/Wohlers Rn 25 zu § 95 StPO. 264 LG Stuttgart, 19.11.1991 – 14 Qs 61/91, NJW 1992, 2646 (2647); Reichling JR 2011, 12 (14 f); Döpfer WM 2002, 373 ff (jedenfalls für Banken als Adressaten aufgrund von deren besonderen Status). 265 BVerfG, 18.2.2003 – 2 BvR 372/01, NStZ-RR 2003, 176 (177). 266 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 8 zu § 95 StPO; Wegen des Entschädigungsanspruchs auf Grund der entstandenen Kosten vgl §§ 7, 19 JVEG; s hierzu o § 1 Rn 81. 267 LG Bonn, 13.5.2003 – 37 Qs 10/03, BKR 914 (915); LG Koblenz, 31.10.2001 – 4 Qs 67/01, WM 2002, 383 (385); SK/Wohlers Rn 32 zu § 95 StPO. 268 LG Bonn, 13.5.2003 – 37 Qs 10/03, BKR 2003, 914 (915). 269 Zum Verhältnis von § 94 zu § 95 StPO vgl Bittmann wistra 1990, 325 (332 f).

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Verstöße gegen § 95 StPO führen zu einem Beweisverwertungsverbot, wenn das Beweismittel durch die Anwendung von Zwangsmitteln erlangt worden ist, obwohl die Verweigerung der Herausgabe durch den Gewahrsamsinhaber wegen eines bestehenden Auskunfts- oder Zeugnisverweigerungsrechtes (§§ 52, 53, 53a, 55 StPO) rechtmäßig war.270 Das hindert aber nicht die nachfolgende richterliche Beschlagnahme. Erfolgt sie, so stellt sie die Verwertbarkeit wieder her. Etwas anderes kann bei grob fehlerhafter oder willkürlicher Vorgehensweise der Ermittlungsbehörden in Betracht zu ziehen sein.271 Besonderheiten können sich zudem aus § 160a StPO ergeben, sofern Berufsgeheimnisträger272 von der Maßnahme betroffen sind.273

cc) Anordnungsbefugnis und -inhalt 147 Die Anordnungskompetenz für die Beschlagnahme liegt gem § 98 Abs 1 S 1 StPO in ers-

ter Linie beim Richter274. Ausnahmsweise besteht nach dieser Vorschrift bei Gefahr im Verzug275 auch für die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen eine Eilanordnungsbefugnis. Soweit es die Eingriffsmaßnahme der Durchsuchung betrifft, soll diese sich aus § 105 Abs 1 S 1 StPO in gleicher Weise ergebende Berechtigung der Polizei dabei nach der Rspr des BVerfG276 und des BGH277 gegenüber derjenigen der Staatsanwaltschaft nachrangig sein. In Anlehnung daran wird für die nichtrichterliche Anordnungskompetenz bei einer Beschlagnahme ebenfalls ein Rangverhältnis angenommen.278 Diese Auslegung entspricht indes schon nicht dem Wortlaut des § 98 Abs 1 S 1 StPO, der eine Differenzierung gerade nicht enthält.279 In systematischer Hinsicht spricht die vom Gesetzgeber eindeutig zum Ausdruck gebrachte weitere Abstufung, die § 98 Abs 1 S 2 StPO gegenüber S 1 enthält, sogar gegen dieses Verständnis. Der Verweis auf den generellen Primat der Staatsanwaltschaft gegenüber der Polizei280 führt zu keinem anderen Ergebnis. Hieraus lässt sich nur herleiten, dass sich Letztere nicht in Widerspruch zu Weisungen der mit der Sache bereits vorbefassten Staatsanwaltschaft setzen darf.281 Schließlich wird die hier vertretene Ansicht durch den Sinn und Zweck der Regelung gestützt. Es erscheint sachgerecht, die Kompetenz zur Eilanordnung der sachnächsten Behörde zuzuerkennen. Das ist die mit der Durchführung der Maßnahme idR befasste Polizei. Eine andere Handhabung wäre auch faktisch zumindest für ein Ermittlungsverfahren wegen

_____ 270 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 11 zu § 95 StPO mwN. 271 S allgemein hierzu u § 1 Rn 252. 272 Eine erweiternde Auslegung des § 160a StPO auf die Zeugnisverweigerungsrechte des § 52 StPO ist nach BVerfG, 15.10.2009 – 2 BvR 2438/08 NJW 2010, 287 (287 f) nicht geboten. 273 S u § 1 Rn 208. 274 Zur Frage, welches Gericht zuständig ist, vgl LR/Menges Rn 8–13 zu § 98 StPO; Park Rn 509–513. Die Zuständigkeitsregelung deckt sich im Wesentlichen mit derjenigen für die Durchsuchung, vgl u § 1 Rn 228 ff u § 3 Rn 1 ff. 275 Vgl zu diesem unbestimmten Rechtsbegriff BVerfG, 20.2.2011 – 2 BvR 1444/00 Rn 40–48, BVerfGE 103, 142 ff. 276 BVerfG, 4.2.2005 – 2 BvR 308/04, NJW 2005, 1637 (1638); vgl auch BVerfG, 11.6.2010 – 2 BvR 1046/08, NJW 2010, 2864 (2865) zur entspr Formulierung. 277 BGH, 19.1.2010 – 3 StR 530/09, wistra 2010, 231 (232). 278 KK/Greven Rn 11 zu § 98 StPO; LR/Menges Rn 31 zu § 98 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 6 zu § 98 StPO; MK/Hauschild Rn 6 zu § 98 StPO; SK/Wohlers Rn 31 zu § 98 StPO. 279 Metz NStZ 2012, 242 (243 f). 280 So LR/Menges Rn 31 zu § 98 StPO. 281 Zur vergleichbaren Regelung in § 81a Abs 2 StPO zutreffend idS OLG Jena, 25.11.2008 – 1 Ss 230/08, VRS 116 (2009), 105 (106 f); OLG Brandenburg, 16.12.2008 – 2 Ss 69/08, BeckRS 2009, 05947.

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Insolvenzstraftaten nur selten zu gewährleisten. Gerade bei der Erhebung von Unterlagen in diesem Rahmen stellt sich im Verlauf der Nachsuche bei einer Vielzahl von Gegenständen über einen längeren Zeitraum hinweg immer wieder die Frage, ob diese als beweisrelevant einzustufen und zu beschlagnahmen sind. Diesbezügliche jeweilige Rückfragen wären nur umsetzbar, sofern sich ein Vertreter der Staatsanwaltschaft vor Ort befindet. Andernfalls muss der Beamte, der während eines Einsatzes entspr Entscheidungen zu treffen hat, das in eigener Zuständigkeit ohne vorherige Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft tun können. Der Inhalt der Beschlagnahmeanordnung muss sich neben einer – ggf kurzen – 148 Darstellung der tatsächlichen Grundlagen des Tatvorwurfs und dessen rechtlicher Würdigung immer auf bestimmte Gegenstände beziehen.282 Sie muss aus sich heraus verständlich sein, weswegen bloße Verweise auf Fundstellen in den Akten für die diesbezügliche Konkretisierung nicht genüben.283 Dabei ist der Beweisgegenstand so genau zu bezeichnen, wie das nach den Ermittlungen möglich ist, so dass keine Zweifel über den Umfang einer Anordnung bestehen.284 Bis zu einem gewissen Grad werden sich allerdings unspezifische und unscharfe Angaben dann nicht vermeiden lassen, wenn die Anordnung sich auf eine Sachgesamtheit bezieht, bspw die Beschlagnahme „sämtlicher schriftlicher Unterlagen“, die im Zusammenhang mit einem (bestimmten) Rechtsgeschäft stehen.285 Einfach stellt sich die Sach- und Rechtslage dar, sofern sämtliche für eine Bezeich- 149 nung eines Gegenstandes notwendigen Informationen bekannt sind. So liegen zB mitunter nach den bisherigen Ermittlungen oder den Feststellungen des Insolvenzverwalters Anhaltspunkte dafür vor, dass der eines Insolvenzdeliktes verdächtige Beschuldigte einen Gegenstand unrechtmäßig im Besitz hat, der dem Vermögen des insolventen Unternehmens zuzuordnen ist. Handelt es sich hierbei um einen Pkw oder elektronische Geräte, wie PCs, Laptops, Tablets, Smartphones – alles Objekte, die von Unternehmern und Geschäftsführern der steuerlichen Vorteile wegen gerne für das Betriebsvermögen erworben, jedoch wie Privatvermögen behandelt und genutzt werden – kann dieser Gegenstand anhand einer Individualnummer genau bestimmt werden. Hier kann die Staatsanwaltschaft eine (kombinierte) richterliche Anordnung zur Durchsuchung der Räumlichkeiten des Beschuldigten und der Beschlagnahme unter unverwechselbarer Nennung des Gegenstandes beantragen. Nicht unproblematisch sind dagegen die Fälle der Beschlagnahme von Kontounterlagen. Gerade hier ist allerdings sorgfältig darauf zu achten, dass die Beschlagnahmegegenstände – auch hinsichtlich des Mediums in dem die gesuchten Daten verkörpert sind – präzise bezeichnet werden.286 Das kann und sollte inhaltlich sowohl in sachlicher als auch in zeitlicher Hinsicht erfolgen. Ersteres ist durch die Benennung der Schriftstücke möglich, die von der Anordnung umfasst sein sollen, letzteres durch die Angabe des Zeitraumes. Dementspr sind also bspw die Unterlagen betr die Eröffnung eines oder mehrerer anhand der Nummer(n) zu benennender Konten, Unterkonten, Depots und Schließfächer, die hierfür erteilte(n) Vollmacht(en), die ggf

_____ 282 LG Halle, 5.5.2008 – 22 Qs 8/08, wistra 2008, 280. 283 LG Gießen, 8.6.2015 – 2 Qs 13/15, StV 2016, 351 (352); anders LG Braunschweig, 21.7.2015 – 6 Qs 116/ 15, ZWH 2016, 129 (130) für Bezugnahme auf eine in derselben Sache ergangene Durchsuchungsanordnung. 284 LG Frankfurt/Oder, 5.5.2008 – 22 Qs 46/08, StraFo 2008, 330. 285 So auch Meyer-Goßner/Schmitt Rn 9 zu § 98 StPO; SK/Wohlers Rn 19 zu § 94 StPO. 286 Vgl hierzu die sehr weitgehenden Anforderungen in OLG Koblenz, 19.6.2006 – 1 Ws 385/06, NStZ 2007, 285 (286).

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geführte Korrespondenz mit dem Kontoinhaber und va die Umsatzübersichten für bestimmte Kalendermonate oder -jahre aufzuführen. Die genannten Beispiele werden jedoch den eher kleineren und unproblematischen 150 Teil der täglichen polizeilichen und justiziellen Praxis widerspiegeln. Überwiegend können die Ermittlungsbehörden die zu beschlagnahmenden Gegenstände nicht (genau) bestimmen. Vor der beabsichtigten Durchsuchung ist nämlich idR nicht bekannt, ob und ggf welche Geschäftsunterlagen und anderen relevanten Dokumente oder sonstige Beweismittel vorhanden sind, die potentiell beweiserheblich sein können. In diesen Fällen scheidet eine vorherige richterliche Beschlagnahmeanordnung zumindest insoweit mangels Bestimmbarkeit aus Rechtsgründen aus. Wird sie dennoch – mit welcher Formulierung auch immer287 – erlassen, ist sie unwirksam und kann allenfalls als Richtlinie bei der Durchführung der Durchsuchung dienen.288 Daraus ergibt sich jedoch nicht, dass die wenigstens umschreibende Bezeichnung bedeutungslos wäre. Sie stellt sich vielmehr als Wirksamkeitsvoraussetzung für die Durchsuchungsanordnung dar. Gerade hier wirkt sich aus, dass die in der Praxis meist (kombinierten) richterlichen Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnungen unterschiedlichen Anforderungen an ihre jeweilige Bestimmtheit genügen müssen.289 Die darin enthaltene Durchsuchungsanordnung muss, um deren Grenzen und Ziel hinreichend festzulegen, unter Berücksichtigung der bisherigen Ermittlungsergebnisse und der Umstände des Einzelfalles die Art und den vorgestellten Inhalt derjenigen Beweismittel, nach denen gesucht werden soll, zumindest – aber eben auch nur – annäherungsweise bezeichnen.290 Dagegen hat eine Beschlagnahmeanordnung die von ihr erfassten Gegenstände so exakt wie möglich zu benennen, so dass keine Zweifel darüber bestehen, ob sie von der Anordnung erfasst sind.291 Bei Insolvenzstraftaten sollte, um der Eingrenzungsfunktion zumindest der Durchsuchungsanordnung zu genügen, eine zumindest gattungsmäßige Umschreibung derjenigen Unterlagen erfolgen, die Rückschlüsse auf die Liquiditäts- und Vermögenslage zulassen.292 Eine solche, die bisherige bloße Umschreibung konkretisierende Anordnung wird – 151 soweit nicht Objekte betroffen sind, die schon im vorbeschriebenen Sinn präzise bezeichnet werden können – daher häufig erst durch den Polizeibeamten vor Ort erfolgen können, der zur Vollstreckung der (richterlich) angeordneten Durchsuchung eingesetzt ist. Führt diese zur Auffindung von Beweismitteln, die nicht freiwillig herausgegeben werden und noch nicht vorab beschlagnahmt wurden, sind die Durchsuchungskräfte nicht verpflichtet, vorläufige Beweissicherungsmaßnahmen zu treffen, um zunächst eine richterliche Beschlagnahmeanordnung einzuholen. Vielmehr können sie selbständig die Beschlagnahme anordnen, weil hier regelmäßig die Voraussetzungen der Gefahr im Verzug

_____ 287 Der früher gebräuchlichen Formulierung, alle bei einer Durchsuchung gefundenen Beweismittel seien zu beschlagnahmen, erteilte BVerfG, 3.9.1991 – 2 BvR 279/90, NStZ 1992, 91 (92), eine klare Absage. 288 BVerfG, 9.11.2001 – 2 BvR 436/01, NStZ 2002, 212 (213); BVerfG, 29.1.2002 – 2 BvR 1245/01, NStZ-RR 2002, 172; BVerfG, 23.1.2004 – 2 BvR 766/03, NStZ-RR 2004, 143 (144); BVerfG, 16.6.2009 – 2 BvR 902/06, NJW 2009, 2431 (2438); OLG Koblenz, 19.6.2006 – 1 Ws 385/06, NStZ 2007, 285 (286) mwN. 289 Vgl BVerfG, 23.1.2004 – 2 BvR 766/03, NStZ-RR 2004, 143 f; vgl auch BVerfG, 31.8.2007 – 2 BvR 1681/ 07 juris (Rn 11). 290 BVerfG, 17.3.2009 – 2 BvR 1940/05, NJW 2009, 2516 (2517); LG Limburg, 15.2.2011 – 1 Qs 6/11 juris (Rn 11) mwN; s hierzu u § 1 Rn 229. 291 BVerfG, 3.9.1991 – 2 BvR 279/90, NStZ 1992, 91; LG Lüneburg, 12.12.1983 12 Qs 8/83, MDR 1984, 603; LG Neuruppin, 11.7.1997 – 14 Qs 59 Js 315/96, NStZ 1997, 563 (564). 292 Ein Formulierungsbeispiel findet sich bei Peters/Klingberg ZWH 2012, 11 (15 f).

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anzunehmen sein werden.293 Das ergibt sich daraus, dass der Beschuldigte nunmehr Kenntnis von den gegen ihn gerichteten Ermittlungen hat und daher die Annahme nahe liegen wird, dass er Einfluss auf die Beweismittel nehmen wird.294 Selbst wenn im Rahmen einer Durchsuchung bei Dritten von einer solchen Gefahr der Verdunkelung nicht ohne weiteres auszugehen ist, stieße eine auch nur telefonische Unterrichtung eines Ermittlungsrichters, um eine mündliche Entscheidung herbeizuführen, angesichts der dynamischen Verhältnisse einer sich hinziehenden Maßnahme, bei der immer neue Beweisgegenstände auftauchen, an ihre tatsächlichen Grenzen. Gleiches gilt in den Fällen, in denen bereits die Durchsuchung durch die Staatsanwaltschaft oder ihre Ermittlungspersonen wegen Gefahr im Verzug angeordnet worden ist (§ 105 Abs 1 StPO). Ob die Voraussetzungen dieses unbestimmten Rechtsbegriffes, der keinen Ermessensspielraum eröffnet295 und nach der stRspr des BVerfG und der Fachgerichte restriktiv auszulegen ist, tatsächlich vorgelegen haben, ist jedoch in vollem Umfang gerichtlich nachprüfbar.296 Die nichtrichterliche Anordnung des Beschlagnahme bedarf keiner bestimmten 152 Form. Sie muss daher nicht schriftlich niedergelegt werden, sondern kann bspw auch mündlich oder telefonisch erfolgen.297 Von daher ist es unschädlich, wenn der Ermittlungsbeamte, der die konkretisierende Anordnung der Beschlagnahme vornimmt, diese, wie in der Praxis meist zu beobachten, nicht explizit zum Ausdruck bringt. In der als Mittel der Sicherstellung erfolgenden Durchführung der Beschlagnahme beweglicher Sachen im Wege ihrer Inverwahrnahme ist sie vielmehr zugleich enthalten.298 Spätestens wird man sie aber in der Übergabe des Sicherstellungverzeichnisses, in dem die beschlagnahmten Gegenstände aufgeführt sind, zu sehen haben,299 zumindest aber deren erforderliche Dokumentation.300 Erfolgt die (konkretisierende) Beschlagnahme ohne gerichtliche Anordnung, soll un- 153 ter den Voraussetzungen des § 98 Abs 2 S 1 StPO binnen drei Tagen die richterliche Bestätigung herbeigeführt werden.301 Dies ist der Fall, wenn entweder die durch die Maßnahme betroffene Person abwesend und auch kein erwachsener Angehöriger302 zugegen war, oder einer von beiden der Beschlagnahme ausdrücklich widersprochen hat.303 Betroffen ist derjenige, dessen Gewahrsam, Besitz oder Eigentum von der Maßnahme berührt ist.304 Gemäß § 98 Abs 2 S 5 StPO ist er über seine Rechte zu belehren. Ein Verstoß gegen die Sollvorschrift des § 98 Abs 2 S 1 StPO zieht nach bisheriger Ansicht im Regelfall

_____ 293 OLG Karlsruhe, 3.7.1981 – 4 Ws 151/80, Justiz 1981, 482 zu § 111e StPO; LG Bonn, 21.6.2012 – 27 Qs 2/12, NZWiSt 2013, 21 (24); LR/Menges Rn 35 f zu § 98 StPO. 294 Vgl BayObLG, 29.10.2002 – 4 St RR 104/02, JR 2003, 300 (301) zu § 105 Abs 1 StPO. 295 SK/Wohlers Rn 35 zu § 98 StPO und Rn 39 f zu § 105 StPO. 296 Vgl hierzu u § 1 Rn 237. 297 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 8 zu § 98 StPO; MK/Hauschild Rn 17 zu § 98 StPO. 298 OLG Karlsruhe, 3.7.1981 – 4 Ws 151/80, Justiz 1981, 482 (482 f); OLG Frankfurt aM, 26.10.1981 – 5/10 Qs 76/81, NJW 1982, 897, jeweils zu § 111e StPO. 299 Sehr engherzig als „gerade noch ausreichend“ OLG Jena, 20.11.2000 – 1 Ws 313/00, NJW 2001, 1290 (1293), für Staatsanwalt, der sich dabei auf Gefahr im Verzug beruft. 300 OLG Karlsruhe, 3.7.1981 – 4 Ws 151/80, Justiz 1981, 482 (483). 301 LG Koblenz, 6.12.2000 – 10 Qs 24/00, StV 2001, 501 (502). 302 Der Begriff ist weit auszulegen und geht über die Definition des § 11 Abs 1 Nr 1 StGB hinaus KK/Greven Rn 15 zu § 98 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 15 zu § 98 StPO; Park Rn 500; SK/Wohlers Rn 42 zu § 98 StPO. 303 Hierzu Park Rn 503. 304 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 15 zu § 98 StPO.

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keine negativen prozessualen Rechtsfolgen nach sich.305 Ob die Rspr des BVerfG zur Annahme eines Beweisverwertungsverbotes bei einem schwerwiegenden und bewusst oder willkürlich begangenen Verfahrensverstoß306 uneingeschränkt übertragbar ist, erscheint schon angesichts des Charakters der Drei-Tages-Frist als reiner Ordnungsvorschrift307 zweifelhaft. Dies gilt umso mehr, als selbst die richterliche Entscheidung nach § 98 Abs 2 S 2 StPO als solche wegen § 336 StPO für das Revisionsgericht nicht bindend ist,308 und somit keine abschließende Wirkung für das Verfahren entfaltet. In Betracht kämen daher allenfalls Fälle einer gänzlich außergewöhnlichen Fristüberschreitung, die faktisch zu einer Ausschaltung der gerichtlichen Kontrolle führen.309 Zu erwägen ist ein Beweisverwertungsverbot daher in erster Linie, wenn durch Polizei oder Staatsanwaltschaft der Richtervorbehalt der §§ 98, 105 StPO gezielt oder systematisch missachtet worden ist.310 Für die – gesetzlich nicht näher – ausgestaltete Vollstreckung einer Beschlagnah154 meanordnung ist die Staatsanwaltschaft zuständig (§ 36 Abs 2 S 1 StPO), die durch ihre Ermittlungspersonen das Erforderliche veranlasst. Hierzu ist sie während des Ermittlungsverfahrens iGs zum Zwischen- und Hauptverfahren allerdings nicht verpflichtet,311 weil die richterliche Anordnung nur gestattenden Charakter hat.312 Vollstreckt wird, indem die Polizei die beschlagnahmten Gegenstände in amtlichen Gewahrsam nimmt oder auf andere Weise sichert.313 Die Bekanntgabe der Beschlagnahmeanordnung an den Betroffenen und dessen Belehrung gemäß § 98 Abs 2 S 5 StPO erfolgt entweder im Rahmen der Vollstreckung oder zeitnah danach. Eine Zurückstellung ist mangels (analoger) Anwendung des § 101 Abs 5 StPO selbst dann nicht zulässig, wenn sie zu einer Gefährdung des Untersuchungserfolges – bspw weil noch verdeckte Maßnahmen laufen – führen würde.314 In Bezug auf den mit den Ermittlungen verbundenen Zeitablauf ist zu beachten, 155 dass eine richterliche Beschlagnahmeanordnung ebenso wie ein Durchsuchungsbeschluss nicht mehr vollstreckt werden darf, wenn seit ihrem Erlass mehr als 6 Monate vergangen sind oder eine wesentliche Änderung des Sachstands eingetreten ist.315 Demgegenüber ist die Wirkung einer vollstreckten Beschlagnahmeanordnung oder des sie bestätigenden richterlichen Beschlusses grundsätzlich zeitlich nicht begrenzt; sie erlischt regelmäßig erst mit dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens.316 Soweit die Originale von Schriftstücken beschlagnahmt worden sind, kann allerdings der Verhält-

_____ 305 KG, 30.9.1971 – 3 Ss 72/71, VRS 42 (1972), 210 (211); OLG Frankfurt aM, 4.4.2003 – 3 Ws 301/03, NStZRR 2003, 175 (176); LR/Menges Rn 77 zu § 98 StPO; MK/Hauschild Rn 44 zu § 98 StPO; SK/Wohlers Rn 64 zu § 98 StPO; Park 2. Aufl. Rn 643. 306 BVerfG, 12.4.2005 – 2 BvR 1027/02, NJW 2005 1917 (1923); s auch u § 1 Rn 252. 307 OLG Frankfurt aM, 4.4.2003 – 3 Ws 301/03, NStZ-RR 2003, 175 (176). 308 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 32 zu § 98 StPO; MK/Hauschild Rn 44 zu § 98 StPO. 309 LR/Menges Rn 46 zu § 98 StPO; offengelassen von OLG Frankfurt aM, 4.4.2003 – 3 Ws 301/03, NStZRR 2003, 175 (176). 310 Ausführlich hierzu LR/Menges Rn 75 ff zu § 98 StPO mwN. 311 Gleiches gilt für die Durchsuchungsanordnung, vgl Meyer-Goßner/Schmitt Rn 8 zu § 105 StPO und u § 1 Rn 232. 312 LR/Menges Rn 22 zu § 98 StPO. 313 LR/Menges Rn 4 zu § 94 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 3 vor §§ 94 ff StPO. 314 BGH v 4.8.2015 – 3 StR 162/15, wistra 2015, 478; BGH v 24.11.2009 – StB 48/09, NJW 2010, 1297 (1298); MK/Hauschild Rn 21 zu § 98 StPO mwN. 315 LG Neuruppin, 11.7.1997 – 14 Qs 59 Js 315/96, NStZ 1997, 563 (564); ferner BVerfG, 27.5.1997 – 2 BvR 1992/92, NJW 1997, 2165 (2166) für die Durchsuchungsanordnung; vgl u § 1 Rn 232. 316 OLG Hamm VRS 77, 286.

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nismäßigkeitsgrundsatz deren Herausgabe gebieten, sofern für die (weiteren) Ermittlungen Fotokopien ausreichend sind und der Betroffene die Unterlagen zur Fortführung seines Geschäftsbetriebs benötigt.317 In der Praxis treten wegen Unterbesetzung der Auswerteeinheiten318 und der oftmals kaum zu bewältigenden Datenmenge bedauerlicher Weise immer wieder zeitliche Verzögerungen bei der Auswertung von beschlagnahmten PCs auf. Hier ist im Auge zu behalten, dass die Beschlagnahme wegen Zeitablaufs unverhältnismäßig werden kann und deswegen aufzuheben ist. Für diese Entscheidung sind va die Komplexität des konkreten Ermittlungsvorganges und die Eingriffsintensität der Beschlagnahme gegeneinander abzuwägen.319

dd) Beschlagnahme und Arrest zur Sicherung von Verfall und Einziehung Die Beschlagnahme einer Sache als Beweismittel steht in der Ermittlungspraxis eindeu- 156 tig im Vordergrund. Daneben kann sie aber auch erforderlich sein, um spätere Gewinn abschöpfende Maßnahmen beim Täter vorzubereiten und diesem die Vermögensvorteile aus der Tat schon vor seiner Verurteilung vorläufig zu entziehen.320 Hierfür stehen verschiedene Wege zur Verfügung. Geht es um die vorläufige Sicherung eines bestimmten, im Besitz des Beschuldigten befindlichen Gegenstandes für die spätere gerichtliche Anordnung des (erweiterten) Verfalls gemäß §§ 73, 73d StGB oder der Einziehung nach § 74 StGB, sieht § 111b Abs 1 S 1 StPO dessen Beschlagnahme vor. Ist der Gegenstand nicht mehr vorhanden, so kann gemäß § 111b Abs 2 iVm § 111d StPO ein dinglicher Arrest zur Sicherung einer bestimmten Geldsumme zwecks späterer Einziehung oder Verfall des Wertersatzes angeordnet werden. Die genannten Möglichkeiten bestehen auch dann, wenn der spätere Verfall oder die Einziehung nicht zu Gunsten des Staates (§§ 73e Abs 1, 74e Abs 1 StGB), sondern im Wege der Rückgewinnungshilfe zu Gunsten des Verletzten aus der Tat in Betracht kommt (§ 111b Abs 5 StPO iVm § 73 Abs 1 S 2 StGB), weil dessen Schadenersatzanspruch nicht durch die Gewinn abschöpfenden Maßnahmen faktisch undurchsetzbar werden soll. Die Anordnungskompetenz ergibt sich aus § 111e Abs 1 S 1 StPO. Danach ist in den 157 Fällen der §§ 111c und d StPO dem Richter die Anordnung der Beschlagnahme und des dinglichen Arrests vorbehalten, bei Gefahr im Verzug ist hierzu auch die Staatsanwaltschaft befugt. Die Beschlagnahme beweglicher Sachen kann im Eilfall auch von den Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft angeordnet werden (§ 111e Abs 1 S 2 StPO). Die Einzelheiten der Vollstreckungsbefugnisse regelt die Vorschrift des § 111f StPO.

c) Beschlagnahmeverbote, § 97 StPO aa) Allgemeines Der Regelungsmechanismus der §§ 52, 53, 53a, 94 und 95 StPO wird maßgeblich ergänzt 158 durch die in § 97 StPO niedergelegten Beschlagnahmeverbote. Die Vorschrift dient dem

_____ 317 LG München I, 22.11.2002 – 14 Qs 200/02, NStZ-RR 2003, 142. 318 Vgl LG Kiel, 19.6.2003 – 32 Qs 72/03, StraFo 2004, 93 (94); LG Limburg, 22.8.2005 – 5 Ws 96/05, StraFo 2006, 198. 319 Hierzu MK/Hauschild Rn 33 zu § 98; einen Richtwert von sechs Monaten sieht LG Limburg, 22.8.2005 – 5 Ws 96/05, StraFo 2006, 198 vor, allerdings für einen Fall des § 184b StGB mit eher vagem Tatverdacht und einem zu überprüfenden Material von nicht erheblichem Umfang. 320 Einzelheiten u § 33.

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Schutz der Zeugnisverweigerungsrechte des sechsten Abschnitts im ersten Buch der StPO vor Umgehung,321 weil ohne sie auch die zur Zeugnisverweigerung berechtigten Personen alle in ihrem Gewahrsam befindlichen beweiserheblichen Gegenstände herausgeben müssten. Grundlage dieser Zeugnisverweigerungsrechte sind Vertrauensverhältnisse, die entweder auf familiären oder verwandtschaftlichen Bindungen beruhen (§ 52 StPO) oder durch anderweitige persönliche oder geschäftliche Beziehungen von Personen (§ 53 StPO) oder ihrer Berufshelfer (§ 53a StPO) zu einem Beschuldigten bedingt sind. Konstitutiv ist also zweierlei, nämlich zum einen der Beschuldigtenstatus der von dem Zeugnisverweigerungsrecht geschützten Person, zum anderen der Zeugenstatus322 des Gewahrsamsinhabers.323 Wegen dieser aus der Natur der Sache folgenden Schutzrichtung gilt auch das Beschlagnahmeverbot des § 97 Abs 1 Nr 3 StPO, ebenso wie Nr 1 und 2, die dies ausdrücklich hervorheben, nur im Strafverfahren gegen denjenigen, dem gegenüber die Schweigepflicht besteht.324 Diese Vertrauensverhältnisse werden dadurch geschützt, dass die in § 97 Abs 1 StPO genannten schriftlichen Unterlagen, wozu in analoger Anwendung von § 11 Abs 3 StGB auch Ton-, Bild und Datenträger gehören,325 sowie andere Gegenstände nicht zu Beweiszwecken beschlagnahmt werden dürfen. Allerdings ist dieser Schutz im Interesse einer – verfassungsrechtlich gebotenen – umfassenden Sachaufklärung zur Wahrheitsfindung326 und effektiven Strafverfolgung327 nicht unbeschränkt. Eine analoge Anwendung der Norm kommt in Fällen, in denen die Person konkret kein Zeugnisverweigerungsrecht für sich beanspruchen kann, nicht in Betracht.328 Ungeachtet dessen können sich aber in besonders gelagerten Einzelfällen Beschlagnahmeverbote aus Vorschriften außerhalb der StPO ergeben, insbes unmittelbar aus der Verfassung, wenn wegen der Eigenart des Beweisthemas in besonders schutzwürdige Bereiche unter Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eingegriffen wird.329 Ein Beschlagnahmeverbot, und damit die Prüfung der Voraussetzungen des § 97 StPO, 159 ist bereits beim Erlass einer Durchsuchungs- oder Beschlagnahmeanordnung zu beachten. Ist nämlich die Beschlagnahme bestimmter Beweismittel unzulässig, so schlägt sich das schon auf die Durchsuchung nieder, die dem Zweck ihrer Auffindung dienen soll.330

_____ 321 BVerfG, 8.3.1972 – 2 BvR 28/71, NJW 1972, 1123 (1125); OLG Frankfurt, 22.8.2001 – 2 AuslS 10/01, NJW 2002, 1135 (1136). 322 Nicht Beschuldigtenstatus: BVerfG, 29.7.2002 – 2 BvR 708/02 juris (Rn 5). 323 BGH, 27.3.2009 – 2 StR 302/08, BGHSt 53, 257 (260); KK/Greven Rn 1 zu § 97 StPO; SK/Wohlers Rn 20 zu § 97 StPO. 324 BVerfG, 11.7.2008 – 2 BvR 2016/06, NJW 2009, 281 (282); BVerfG, 27.10.2003 – 2 BvR 2211/00, NStZ-RR 2004, 83 (84); LG Bochum, 16.3.2016 – II-6 Qs 1/16, NStZ 2016, 500; LG Berlin, 4.7.2005 – 608 Qs 3/05, wistra 2005, 394 (395); MK/Hauschild Rn 15 zu § 97 StPO; str; s u § 1 Rn 197. 325 BVerfG, 30.1.2002 – 2 BvR 2248/00, NStZ 2002, 377. 326 BVerfG, 27.10.2003 – 2 BvR 2211/00, NStZ-RR 2004, 83 (84). 327 Vgl BVerfG, 20.2.2001 – 2 BvR 1444/00, NJW 2001, 1121 (1123) mwN. 328 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 2 zu § 97 StPO; MK/Hauschild Rn 3 zu § 97 StPO; SK/Wohlers Rn 5 zu § 97 StPO; der Sache nach BVerfG, 27.10.2003 – 2 BvR 2211/00, NStZ-RR 2004, 83 (84); BVerwG, 9.2.2001 – 6 B 3/01, NJW 2001, 1663. 329 BVerfG, 27.10.2003 – 2 BvR 2211/00, NStZ-RR 2004, 83 (84); BGH, 13.11.1997 – 4 StR 404/97, BGHSt 43, 300 (303) mwN; BVerfG, 30.7.2003 – 2 BvR 508/01 ua, NJW 2003, 3401 ff, zur Reichweite des Beschlagnahmeprivilegs von Bundestagsabgeordneten; BerlVerfGH, 24.1.2003 – VerfGH 39/99, NJW 2004, 593 f zu einem Verstoß gegen Landesverfassung; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 20 zu § 94 StPO; MK/Hauschild Rn 6 zu § 97 StPO; SK/Wohlers Rn 49 f zu § 97 StPO; Park Rn 627–632. 330 LG Köln, 7.4.1981 – 117 (62) Qs 3/80, NJW 1981, 1746 (1747); LG Fulda, 12.10.1999 – 2 Qs 51/99, NJW 2000, 1508; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 1 zu § 97 StPO.

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Auch besteht dann keine Herausgabepflicht des Gewahrsamsinhabers nach § 95 Abs 1 StPO.331 Grundlegende Voraussetzung für die Annahme eines Beschlagnahmeverbotes ist 160 nach § 97 Abs 2 S 1 StPO, dass der Beweisgegenstand im Gewahrsam des Zeugnisverweigerungsberechtigten ist.332 Grundsätzlich beschlagnahmefreie Gegenstände dürfen danach gleichwohl beschlagnahmt werden, wenn sie sich außerhalb von dessen (Mit-)333 Gewahrsam befinden,334 zB auf dem Postweg.335 Ein in gemeinsamem Gewahrsam des Beschuldigten und des Zeugnisverweigerungsberechtigten befindlicher Gegenstand ist beschlagnahmefähig.336 Die Beschlagnahmefreiheit endet selbst bei unfreiwilligem Gewahrsamsverlust, sofern dieser nicht auf einer Beschlagnahme beruht.337 Besonderheiten sind zu berücksichtigen, wenn die Korrespondenz elektronisch in 161 Form von E-Mails geführt wird. Die auf dem Rechner des Zeugen bereits eingegangenen und gespeicherten E-Mail-Dateien befinden sich in dessen Gewahrsam.338 Sie werden daher von § 97 StPO erfasst. Schwieriger ist es indes zu bewerten, sofern diese noch auf einem anderen Rechner zwischengespeichert sind. Grundsätzlich hat der Geheimnisträger hieran, wie bei Sendungen, die auf dem Postweg sind, noch keinen Gewahrsam.339 Etwas anderes wird für den Fall anzunehmen sein, dass sie sich im Postfach der zeugnisverweigerungsberechtigten Person beim Provider befinden,340 jedenfalls wenn dieses, wie allgemein üblich, Passwort geschützt ist. Die Situation ist dann vergleichbar mit der Lagerung von Gegenständen in einem Schließfach, auf das der Zeugnisverweigerungsberechtigte – ggf nur gemeinsam mit dem Vermieter – zugreifen kann. Hier ist der Gewahrsam des Ersteren gegeben.341 Ein Verstoß gegen ein Beschlagnahmeverbot zieht grundsätzlich ein Beweisverwer- 162 tungsverbot nach sich. 342 Ein unzulässig beschlagnahmtes Beweismittel darf aber grundsätzlich dennoch verwertet werden, sofern die Voraussetzungen des Beschlagnahmeverbotes nachträglich entfallen.343 Das ist etwa der Fall, wenn der Gewahrsamsinhaber oder der Beschuldigte344 eine Verzichtserklärung abgibt oder der Beschuldigte einen Berufsgeheimnisträger von der Schweigepflicht entbindet (§ 53 Abs 2 S 1 StPO).345

_____ 331 MK/Hauschild Rn 14 zu § 95 StPO; SK/Wohlers Rn 7 zu § 95 StPO. 332 Die in § 97 Abs 2 S 1 u 2 StPO genannten Ausnahmen für eine elektronische Gesundheitskarte und Gewahrsam bestimmter Institutionen sind für den Bereich der Insolvenzstraftaten kaum von Belang. 333 AK/Amelung Rn 10 zu § 97 StPO; LR/Menges Rn 29 zu § 97 StPO; Meyer-Goßner Rn 12 zu § 97 StPO; SK/Wohlers Rn 17 zu § 97 StPO; Park Rn 553. 334 Zu Sonderfällen bei Gemeinschaftspraxen von Rechtsanwälten, Steuerberatern und ähnlichen Berufen vgl LR/Menges Rn29 zu § 97 StPO. 335 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 11 zu § 97 StPO. 336 BGH, 4.8.1964 – StB 12/63, BGHSt 19, 374 (374 f); MK/Hauschild Rn 20 zu § 97 StPO. 337 LR/Menges Rn 33 f zu § 97 StPO; MK/Hauschild Rn 53 zu § 97 StPO; aA Park Rn 554 f. 338 KK/Greven Rn 8 zu § 97 StPO; MK/Hauschild Rn 20b zu § 97 StPO. 339 KK/Greven Rn 8 zu § 97 StPO. 340 MK/Hauschild Rn 20b zu § 97 StPO, wobei die dort herangezogene Entscheidung BVerfG, 16.6.2009 – 2 BvR 902/06, NJW 2009, 2431, als Beleg eher problematisch ist, da sie eine Beschlagnahme direkt beim Provider betraf. 341 LR/Menges Rn 28 zu § 97 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 11 zu § 97 StPO. 342 KK/Greven Rn 9 zu § 97 StPO; LR/Menges Rn 141 zu § 97 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 46a zu § 97 StPO (für Angehörige), während für Berufsgeheimnisträger § 160a StPO gilt, Rn 50; MK/Hauschild Rn 61 zu § 97 StPO; SK/Wohlers Rn 95 f zu § 97 StPO; Park Rn 683. 343 BeckOK/Ritzert Rn 25 zu § 97 StPO mwN; KK/Greven Rn 10 zu § 160a StPO; LR/Menges Rn 146 zu § 97 StPO; MK/Hauschild Rn 62 zu § 97 StPO; aA Park Rn 683. 344 LR/Menges Rn 47 und 145 zu § 97 StPO. 345 MK/Hauschild Rn 63 zu § 97 StPO.

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Gleiches gilt, wenn sich gegen den Zeugnisverweigerungsberechtigten im Nachhinein der Verdacht der Beteiligung an der Tat, einer Begünstigungs-346 oder einer Strafvereitelungshandlung ergibt (§ 97 Abs 2 S 3 StPO), sofern dessen (ausschließliche) Grundlage nicht in dem rechtswidrig beschlagnahmten Beweismittel selbst zu finden ist.347 Wurde es dagegen in zulässiger Weise beschlagnahmt, so entsteht ein Beweisverwertungsverbot auch dann nicht, wenn die Voraussetzungen für die Beschlagnahmefreiheit erst nach der Beschlagnahme eintraten,348 was bspw bei späterer Entstehung eines Angehörigenverhältnisses oder Zeugnisverweigerungsrechtes in Betracht kommt.349 Sind Berufsgeheimnisträger iSd 53 Abs 1 S 1 Nr 2 und 3 StPO durch die Maßnahme betroffen, können sich allerdings Modifikationen dieser Grundsätze aus § 160a StPO ergeben.350

bb) Verhältnis zu §§ 111b ff StPO 163 Die Beschlagnahmeverbote des § 97 StPO gelten nur für Beweiszwecke, erstrecken sich

also nicht auf Beschlagnahmen unter den Voraussetzungen der §§ 111b ff StPO zur Sicherung von Einziehung und Verfall einschließlich Rückgewährhilfe.351 Im Fall einer solchen Beschlagnahme besteht aber regelmäßig auch kein Beschlagnahmeverbot zu Beweiszwecken. Die betroffenen Gegenstände sind sowieso zumeist nach der Gegenausnahme des § 97 Abs 2 S 3 StPO zu Beweiszwecken beschlagnahmefähig, weil sie aus einer Straftat herrühren oder zu ihrer Ausführung eingesetzt worden waren. Auf die Verwertung als Beweismittel hat es dann keinen Einfluss, falls die Beschlagnahmefähigkeit nach den §§ 111b ff StPO nicht gegeben war, wobei aber § 160a StPO zu beachten ist.352

cc) Praktisch bedeutsame Fallkonstellationen (1) Geschäftsunterlagen 164 Buchhaltungs- und andere Geschäftsunterlagen sind für die Ermittlungen in Insolvenzund anderen Wirtschaftsstrafverfahren von erheblicher Bedeutung,353 weshalb es für die Weiterführung der Ermittlungen regelmäßig von zentraler Bedeutung ist, ob sie beschlagnahmefähig sind. Soweit der Beschuldigte oder eine zur Herausgabe bereite dritte Person, insbes der Insolvenzverwalter,354 die Unterlagen in Besitz hat, liegen die Dinge einfach. Problematisch kann die Rechtslage jedoch werden, wenn die in Betracht kommenden Schriftstücke und Belege, wie häufig der Fall, sich im Gewahrsam eines Steuerberaters, Wirtschaftsprüfers oder anderen Berufsgeheimnisträgers befinden. Die-

_____ 346 BGH, 28.3.1973 – 3 StR 385/72, BGHSt 25, 168 (169 ff) zu §§ 97 Abs 1 Nr 1, 52 Abs 1 Nr 2 StPO. 347 BGH, 28.6.2001 1 StR 198/01, NStZ 2001, 604 (606); LG Saarbrücken, 4.1.1988 – 5 Qs 149/87 NStZ 1988, 424 (425) für Tagebuch; BeckOK/Ritzert Rn 25 zu § 97 StPO; MK/Hauschild Rn 63 zu § 97 StPO. 348 BGH, 20.10.1982 – 2 StR 43/82, NStZ 1983, 85, zu §§ 97 Abs 2 S 3 StPO in Bezug auf Verteidiger, allerdings noch vor Einfügung des § 160a StPO; BeckOK/Ritzert Rn 25 zu § 97 StPO; KK/Greven Rn 10 zu § 97 StPO; LR/Menges Rn 147 zu § 97 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 47 zu § 97 StPO (wegen § 160a StPO einschr für die Fälle des § 53 StPO). 349 MK/Hauschild Rn 62 zu § 97 StPO. 350 S hierzu u § 1 Rn 194 ff. 351 SK/Wohlers Rn 4 zu § 97 StPO. 352 LR/Menges Rn 19 zu § 97 StPO. 353 LG Stuttgart, 14.9.1987, wistra 1988, 40 (41); LG München I, 22.4.1988 – 19 Qs 3/88, NJW 1989, 536 (537); LG Hamburg, 4.7.2005 – 608 Qs 3/05, wistra 2005, 394 (396); LR/Menges Rn 111 zu § 97 StPO. 354 Zur Beschlagnahmefähigkeit im Besitz des Insolvenzverwalters befindlicher Unterlagen s LG Saarbrücken, 2.2.2010 – 2 Qs 1/10, NStZ 2010, 534 (535). S auch u § 1 Rn 226.

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se berufen sich dann häufig auf das Zeugnisverweigerungsrecht aus § 53 Abs 1 Nr 3 StPO mit der Behauptung, hieraus folge ein Beschlagnahmeverbot nach § 97 Abs 1 StPO. Die Rechtslage ist – soweit die Schriftstücke nicht ausnahmsweise von vornherein gem § 97 Abs 2 S 3 StPO als Deliktsgegenstände beschlagnahmefähig sind355 – indes weitgehend unklar und in Rspr und Lit nach wie vor äußerst umstritten.356 Die wohl hM in der va jüngeren Rspr und ein Teil der Lit vertritt eine differenzie- 165 rende Lösung. Danach soll für Buchhaltungsunterlagen, Steuer- und Handelsbilanzen eine zeitlich begrenzte Beschlagnahmefreiheit für den Zeitraum anzunehmen sein, für den sie der Geheimnisträger für seine berufsspezifische Tätigkeit, nämlich die Erstellung des Abschlusses und/oder der Steuererklärung, benötigt. Sie unterliegen indes uneingeschränkt dem Zugriff der Ermittlungsbehörden, sobald diese Arbeiten innerhalb einer angemessenen Zeit abgeschlossen sind,357 wovon spätestens auszugehen ist, falls die Gesellschaft aufgelöst und im Handelsregister gelöscht wurde.358 Hierunter fallen insbes die Buchhaltung als solche in Form von Konten, Inventaren, Buchungsbelegen wie zB Rechnungen, Lieferscheinen, Quittungen, Auftragszetteln, Warenbestandsaufnahmen, Bankauszügen, Betriebskostenrechnungen, Buchungsanweisungen, Bewertungsunterlagen, Gehaltslisten, Kassenberichten, ferner Auswertungen in Form von Jahreskontoübersichten, Summen- und Saldenlisten, fertig erstellten Jahresabschlüssen sowie schließlich allgemeine Geschäftsunterlagen in Form von Korrespondenz zwischen dem Beschuldigten und Geschäftspartnern, zB Steuerbescheinigungen von Banken, Rechnungen sowie Anstellungsverträgen, Lohn- und Gehaltsabrechnungen, Niederschriften über Gesellschafterversammlungen.359 Entgegen dieser Ansicht ist allerdings nach zutreffender Auffassung360 eine gene- 166 relle Beschlagnahmefreiheit der genannten Unterlagen gegeben. Richtig ist einerseits der Ansatzpunkt, demzufolge die Annahme einer uneingeschränkten Anwendbarkeit des § 97 StPO auf den in § 53 StPO genannten Personenkreis zu weit geht.361 Sinn und Zweck der in dieser Vorschrift getroffenen Regelung ist – wie oben ausgeführt362 – der (ergänzende) Schutz der in den §§ 53 Abs 1 S 1 Nr 1 bis 3b, 53a StPO normierten Zeugnisverweigerungsrechte der Berufsgeheimnisträger nebst ihrer Berufshelfer. Der Schutzbereich kann daher nicht weiter gehen als diese selbst. Sie erfassen aber nur deren berufsspezifische Tätigkeit, dh eine solche, die für die berufliche Qualifikation und Stellung kennzeichnend ist.363 Hierzu zählen die reine Buchhaltungstätigkeit, die der Steuerberater lediglich wie ein externer Buchhalter erledigt, und die gewerbliche Verwahrung von

_____ 355 LR/Menges Rn 112 zu § 97 StPO; s hierzu die umfangreichen Bspe bei Schäfer wistra 1985, 12 (15 ff). 356 Zutr KK/Greven Rn 15 zu § 97 StPO „Rspr und Lit dazu sind nahezu unübersehbar geworden“. 357 LG Saarbrücken, 6.4.1984 – 5 Qs 49/83, wistra 1984, 200; LG Berlin, 10.11.1976 – 514a/514 Qs 73/76, NJW 1977, 725; LG Chemnitz, 20.9.2000 – 4 Qs 8/00, wistra 2000, 476; LG Berlin, 4.7.2005 – 608 Qs 3/05, wistra 2005, 394 (396 ff); LG Dresden, 22.1.2007 – 5 Qs 34/06, NJW 2007, 2709 (2710 ff); LG Essen, 12.8.2009 – 56 Qs 7/09, NStZ-RR 2010, 150 (151); KK/Greven Rn 15 zu § 97 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 40 zu § 97 StPO; M-G/B/Häcker § 93 Rn 24 ff; Schäfer wistra 1985, 12 (13 f). 358 LG Saarbrücken, 12.3.2013 – 2 Qs 15/13, NZWiSt 2013, 153. 359 S die bespielhaften Aufzählungen in LG Berlin, 4.7.2005 – 608 Qs 3/05, wistra 2005, 394 (396 u 397 f). 360 LR/Menges Rn 117 zu § 97 StPO; SK/Wohlers Rn 82 zu § 97 StPO; Moosburger wistra 1989, 252 (255 f); Mössmer/Moosburger wistra 2006, 211 (213 f). 361 So aber OLG Köln, 7.5.1991 – 2 Ws 149/91, StV 1991, 507 (508) zumindest für Prüfbericht eines Wirtschaftsprüfers; LG Koblenz, 30.10.1984 – 10 QS 10, 23/84, StV 1985, 8 (9); Park Rn 571 f und 683 u wohl auch LG Aachen, 1.10.1979 – 24 Qs 6/79, MDR 1981, 160. 362 O § 1 Rn 158. 363 OLG Frankfurt, 22.8.2001 – 2 AuslS 10/01, NJW 2002, 1135 (1136); vgl auch LG München I, 3.8.1984 – 27 Qs 8/84, wistra 1985, 41 (42).

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Unterlagen von vornherein nicht.364 Zutreffend ist andererseits, dass vom Wortlaut des § 97 StPO die Auslegung nicht mehr gedeckt ist,365 die Norm sei schon gar nicht anwendbar, weil der Kaufmann weiterhin (Mit-)Gewahrsam an den beim Berater befindlichen Unterlagen habe366 oder weil sie nicht im Rahmen des Vertrauensverhältnisses entstanden seien.367 Unter teleologischen und systematischen Gesichtspunkten erscheint indes eine zeitliche Begrenzung der geschützten Vertrauensbeziehung ebensowenig überzeugend,368 wird diese doch gerade dann belastet, wenn der Anvertrauende weiß, die Berechtigung zur Geheimhaltung ist nur vorübergehender Natur. Dieser zentrale Befund führt aber bei konsequenter Berücksichtigung angesichts der handels- und steuerrechtlichen Publizitätsvorschriften, insbes in §§ 238 ff, 242 ff, 325 ff HGB, 97, 104 Abs 2, 140, 147 AO,369 zu einer Unanwendbarkeit des § 97 Abs 1 StPO auf Buchhaltungs- und Geschäftsunterlagen. Denn unabhängig davon, ob die im Handels- und Steuerrecht enthaltenen Aufbewahrungs- und Vorlegungspflichten die strafprozessuale Beschlagnahmefähigkeit rechtsverbindlich begründen können oder nicht,370 sind sie doch ein maßgebliches Auslegungskriterium, was in der Eigenschaft als Berufsgeheimnisträger iSd § 53 Abs 1 S 1 Nr 3 StPO anvertraut oder bekannt wurde und daher auch den Umfang des § 97 Abs 1 StPO bestimmt. Ein besonderes Vertrauen, das der Ermöglichung einer dem Berufsbild entsprechenden effektiven und umfassenden Beratung dient und das diese Vorschriften schützen wollen, kann sich schon vom Grundgedanken her nicht in entscheidender Weise auf Umstände stützten, die ohnehin der Allgemeinheit offen gelegt werden müssen.371 Überspitzt formuliert käme wohl niemand auf die Idee, den Inhalt einer Tageszeitung als Basis der Vertrauensbeziehung zum Berufsgeheimnisträger zu machen, nur weil sie diesem übergeben wird. Umgekehrt werden Verhaltensweisen nicht mehr vom Regelungsbereich der §§ 53, 97 StPO umfasst, die es zum Gegenstand haben, allgemein für zugänglich erachtetes Wissen alleine durch Begründung eines Mandatsverhältnisses und Übergabe an den Beauftragten seiner Qualifikation als frei zugängliche Quelle zu berauben. Was von der Ansicht, die auf eine zeitlich begrenzte Beschlagnahmefreiheit abstellt, undifferenziert mit dem normativ geschützten Vertrauensverhältnis gleichgesetzt wird, ist

_____ 364 LG Saarbrücken, 6.4.1984 – 5 Qs 49/83, wistra 1984, 200; LG Stuttgart, 14.9.1987, wistra 1988, 40 (40 f); LG Darmstadt, 18.3.1988 – 9 Qs 1188/87, NStZ 1988, 286 (287); LG Hildesheim, 21.4.1988 – 22 Qs 1/88, wistra 1988, 327; M-G/B/Häcker § 93 Rn 24 u 26; Schäfer wistra 1985, 12 (13). 365 IE auch LR/Menges Rn 116 zu § 97 StPO. 366 LG Aachen, 11.10.1984 – 86 Qs 74/84, NJW 1985, 338; LG Aachen, 16.3.1981 – 15 Qs 9/81, MDR 1981, 603; Birnmanns MDR 1981, 102; aA LG Aachen, 1.10.1979 – 24 Qs 6/79, MDR 1981, 160. 367 LG Braunschweig, 23.6.1978 – 36 Qs 67/78, NJW 1978, 2108 (2109); LG Stuttgart, 5.8.1983 – 10 Qs 96/83, wistra 1985, 41; LG Darmstadt, 18.3.1988 – 9 Qs 1188/87, NJW 1988, 286; aA LG Fulda, 12.10.1999 – 2 Qs 51/99, NJW 2000, 1508. 368 Mössmer/Moosburger wistra 2006, 211 (214); was Schäfer wistra 1985, 12 (14) zwar durchaus erkennt, dann aber auf die Konstruktion eines (konkludenten?) Mandatswechsels von Beratung zu Verwahrung ausweicht. 369 S die Aufzählung bei M-G/B/Häcker § 93 Rn 27. 370 Von Letzterem gehen LG Dresden, 22.1.2007 – 5 Qs 34/06, NJW 2007, 2709 (2711); Meyer-Goßner/ Schmitt Rn 40 zu § 97 StPO (allerdings unter Verkürzung der Problematik) aus. 371 Zutr legt das LG München I, 3.8.1984 – 27 Qs 8/84, wistra 1985, 41 (42) dar, dass die Geschäftsunterlagen nur die „Grundlage“ des Vertrauensverhältnisses bilden, sie dieses daher „nach ihrem Aussagegehalt“ nicht betreffen; so auch LR/Menges Rn 117 zu § 97 StPO; in diese Richtung auch Mössmer/Moosburger wistra 2006, 211 (213 f); LG Stuttgart, 14.9.1987 – 10 Qs 53/87, wistra 1988, 40 (41); LG Darmstadt, 18.3.1988 – 9 Qs 1188/87, NJW 1988, 286; LG München I, 22.4.1988 – 19 Qs 3/88, NJW 1989, 536 (537); LG Fulda, 12.10.1999 – 2 Qs 51/99, NJW 2000, 1508 (1509), wobei im konkret entschiedenen Fall eine Überlagerung durch § 148 StPO angenommen wurde.

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die faktisch ungestörte Ausübung der Beratertätigkeit. Um diesem alleine die Frage der Verhältnismäßigkeit einer strafprozessualen Zwangsmaßnahme betreffenden Prüfungspunkt372 zu entsprechen, ist die Übergabe von Kopien der zur Bearbeitung des Mandats benötigten publizitätspflichtigen Unterlagen notwendig, aber auch ausreichend.373 Nach § 97 Abs 1 StPO beschlagnahmefrei, weil den Bereich des Vertrauensschutzes 167 betreffend, sind dagegen die mandatsbezogene Korrespondenz zwischen Beschuldigtem oder Finanzamt und Berufsgeheimnisträger sowie dessen Notizen und Entwürfe.374 Maßgeblich ist in diesem Zusammenhang der Inhalt der Schriftstücke als solcher. Der mitunter herangezogene Begriff der „Handakte“375 stellt indes kein taugliches Abgrenzungskriterium dar, da es ja gerade darauf ankommt, ob diese im vorgenannten Sinn zu qualifizierende Dokumente enthält.376 Allerdings werden publizitätspflichtige Unterlagen nicht alleine dadurch beschlagnahmefrei, dass sie der Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer mit eigenen Anmerkungen versieht.377 Die strafprozessuale Einordnung von Beweisgegenständen kann schon aus Gründen der Rechtssicherheit und Gleichbehandlung nicht zur willkürlichen Disposition des jeweiligen Berufsgeheimnisträgers gestellt werden. Von ihm ist gerade als Adressat des Vertrauenstatbestandes sorgfältiges Arbeiten und eine stringente Wahrung des Geheimnisschutzes seines Mandanten zu erwarten. Hält er selbst diese von der StPO eingeräumte ermittlungsfreie Sphäre nicht ein, indem er seine eigenen Aufzeichnungen mit den aufbewahrungs- und vorlagepflichtigen Unterlagen vermischt und kombiniert, so kann hierdurch nicht das öffentliche Strafverfolgungsinteresse tangiert werden.378

(2) Notarielle Urkunden Von erheblicher Relevanz bei Ermittlungen kann der Inhalt notarieller Urkunden sein. 168 So kommt es bspw in insolvenzstrafrechtlichen Verfahren häufig darauf an, den wirklichen wirtschaftlichen Berechtigten eines von einem Strohmann als Nachfolgeunternehmen einer insolventen Gesellschaft geführten Betriebes zu identifizieren, um den Nachweis einer Untreue durch das Beiseiteschaffen von Vermögenswerten zu führen oder gewinnabschöpfende Maßnahmen vorzunehmen. Dieser Nachweis kann geführt werden, sofern in diesen Fällen ein notarieller Treuhandvertrag existiert und der beurkundende Notar bekannt ist, so dass eine Ausfertigung bei ihm beschlagnahmt werden kann. Immer wieder stoßen allerdings die Forderungen der Ermittler bei den Notaren auf 169 Widerstand, wenn es um die Beschlagnahme derartiger Schriftstücke geht, weil insbes durch Notarkammern die Ansicht vertreten wird, es bestehe ein Beschlagnahmeverbot

_____ 372 S hierzu o § 1 Rn 142. 373 So iE auch LG Stuttgart v 5.8.1983 – 10 Qs 96/83, wistra 1985, 41; LR/Menges Rn 76; MK/Hauschild Rn 37 zu § 97 StPO; SK/Wohlers Rn 82 zu § 97 StPO. 374 LG München I, 22.4.1988 – 19 Qs 3/88, NJW 1989, 536 (537); LG Chemnitz, 20.9.2000 – 4 Qs 8/00, wistra 2000, 476; LG Bonn, 29.10.2001 – 37 Qs 59/01, NJW 2002, 2261; LG Berlin, 4.7.2005 – 608 Qs 3/05, wistra 2005, 394 (395 f u 397 f); KK/Greven Rn 15 zu § 97 StPO; LR/Menges Rn 117 zu § 97 StPO; wobei auf unterschiedliche Varianten des § 97 Abs 1 StPO zurückgegriffen wird. 375 LG München I, 22.4.1988 – 19 Qs 3/88, NJW 1989, 536 (537); Meyer-Goßner/Schmitt Rn 29 zu § 97 StPO; SK/Wohlers Rn 79 zu § 97 StPO. 376 Moosburger wistra 1989, 252 (253 f). 377 So aber LG München I, 22.4.1988 – 19 Qs 3/88, NJW 1989, 536 (537); LG Berlin, 4.7.2005 – 608 Qs 3/05, wistra 2005, 394 (398). 378 Nach Mössmer/Moosburger wistra 2006, 211 (214) setzt der Berater selbst ein Indiz für die fehlende Geheimhaltungsbedürftigkeit.

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iS einer der Varianten des § 97 Abs 1 StPO.379 Zutr ist dabei zwar, dass Notare auf Grund ihrer Schweigepflicht (§ 18 BNotO) Berufsgeheimnisträger gemäß § 53 Abs 1 Nr 3 StPO sind und ein Zeugnisverweigerungsrecht haben. Allerdings handelt es sich bei notariellen Urkunden weder um schriftliche Mitteilungen (§ 97 Abs 1 Nr 1 StPO) noch um Aufzeichnungen (§ 97 Abs 1 Nr 2 StPO) und schließlich auch nicht um andere Gegenstände iSv § 97 Abs 1 Nr 3 StPO, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht des Notars erstreckt. Die fehlende Geheimhaltungsbedürftigkeit liegt bei denjenigen notariellen Urkunden, die durch Einsichtnahme in ein öffentliches Register (Handels- und Vereinsregister, Grundbuch) zur Kenntnis genommen werden können, auf der Hand. Im Übrigen ergibt sie sich daraus, dass der Gesetzgeber für die Wirksamkeit bestimmter Rechtsgeschäfte Formvorschriften erlassen hat, deren Einhaltung das Tätigwerden eines Notars voraussetzen. Dementspr liegt sein Handeln im öffentlichen Interesse und dient nicht etwa nur den Beteiligten des konkreten Rechtsgeschäfts. Diese notariellen Urkunden sind regelmäßig (auch) zur Kenntnisnahme durch Dritte geradezu bestimmt und somit beschlagnahmefähig.380 Letzteres gilt allerdings nicht für die originäre Beratungstätigkeit, die der Notar vor 170 oder nach der Errichtung einer Urkunde erbringt. Hier greift sein Zeugnisverweigerungsrecht ein, weil der Mandant nicht befürchten soll, dass der Notar gegen seinen Willen über vertrauliche Erörterungen aussagt. Dieses und damit auch die davon abgeleitete Beschlagnahmefreiheit umfasst daher die von dem Notar hierzu gefertigten Niederschriften, Aufzeichnungen, seine ggf im Vorfeld mit dem Mandanten geführte Korrespondenz, aber auch die möglichen Entwürfe der notariellen Urkunde.381 171 Im Einzelfall ist vor der Beschlagnahme einer notariellen Urkunde die Verhältnismäßigkeit zu prüfen. Das BVerfG382 sah diese bei einem Treuhandvertrag, dessen Herausgabe ein Notar unter (unzutreffender) Berufung auf sein Zeugnisverweigerungsrecht verweigerte, als nicht gegeben an. Als Grund hierfür nannte es die Möglichkeit der Erhebung beim zuständigen Finanzamt, wo dieser wegen der aus § 54 Abs 1 EStDV folgenden Verpflichtung der Notare zur Übersendung einer beglaubigten Abschrift, hinterlegt sein müsse. Man wird die erzieherisch und schulmeisterlich wirkenden Ausführungen nicht unberücksichtigt lassen können, auch wenn sie in der niedergelegten Form nicht zu überzeugen vermögen. Es besteht nämlich eine Herausgabepflicht auch für Notare aus § 95 Abs 1 StPO gegenüber den Strafverfolgungsbehörden, sofern kein Beschlagnahmeverbot greift.383 Deren Nichterfüllung kann nicht durch eine (möglicherweise) gegenüber einer anderen Behörde in anderem Zusammenhang erfüllte Vorlagepflicht überspielt werden. Dabei ist die Perspektive allzu einseitig auf den Berufsgeheimnisträger fokussiert. Es bleibt unbeleuchtet, warum es ein milderes Mittel sein sollte, eine an dem Vorgang unbeteiligte Behörde um die Herausgabe von Urkunden zu bemühen, ggf über § 96 StPO384 und nach Prüfung des Steuergeheimnisses, obwohl diese von demjenigen, der sie

_____ 379 S hierzu bspw der Hinweis auf eine Mitteilung der bayerischen Notarkammer bei LG Gera, 30.9.2003 – 2 Qs 306/03, NotBZ 2003, 433. 380 BVerfG, 6.11.2014 – 2 BvR 2928/10 (Rn 22), StraFo 2015, 63; BGH v 30.3.1987 – RiZ (R) 7/86, NJW 1987, 2441, 2442; LG Darmstadt, 12.12.1986 – 13 Qs 1368/86, wistra 1987, 232; LG Kiel, 6.8.1999 – 39 Qs 27/99, wistra 2000, 194; LG Gera, 30.9.2003 – 2 Qs 306/03, NotBZ 2003, 433 f. 381 LG Köln, 7.4.1981 – 117 (62) Qs 3/80, NJW 1981, 1746 (1747); LG Darmstadt, 12.12.1986 – 13 Qs 1368/86, wistra 1987, 232; LG Gera, 30.9.2003 – 2 Qs 306/03, NotBZ 2003, 433 f; KK/Greven Rn 13 zu § 97 StPO. 382 BVerfG, 29.2.2012 – 2 BvR 1954/11, NJW 2012, 2096 (2097). 383 Vgl SK/Wohlers Rn 23 zu § 95 StPO. 384 Vgl hierzu OLG Jena, 20.11.2000 – 1 Ws 313/00, NJW 2001, 1290 (1291).

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erstellte und der hierfür zudem entlohnt wurde, erlangt werden könnten. Somit muss vom Grundsatz hier die Beschlagnahme beim Notar, zumal wenn sie mit einer Abwendungsbefugnis versehen ist, als die verhältnismäßige Ermittlungsmaßnahme angesehen werden.

(3) Verteidigungsunterlagen Nach § 97 Abs 2 S 1 StPO setzen, sofern keine der dort oder in S 2, hier nicht relevanten, 172 Ausnahmen greift, die Beschlagnahmeverbote des § 97 Abs 1 StPO grundsätzlich voraus, dass die Gegenstände sich im Gewahrsam des Zeugnisverweigerungsberechtigten befinden. Diese Tatbestandsvoraussetzung wird für Unterlagen, die der Verteidigung dienen, allerdings durch die Vorschrift des § 148 StPO ergänzt und erweitert.385 Wegen des besonderen Schutzes des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Beschuldigten und dem Verteidiger greift die Beschlagnahmefreiheit auch dann ein, wenn Ersterer die fraglichen Unterlagen im Besitz hat oder diese sich auf dem Postweg befinden.386 Entscheidend ist dabei nicht, ob der Beschuldigte oder sein Verteidiger bestimmte Schriftstücke als Verteidigungsunterlagen bezeichnet haben, solange sie offensichtlich als solche erkennbar sind.387 Das gilt unabhängig vom Medium der Verwahrung, so dass bspw auch Datenträger mit entspr Inhalten geschützt sind.388 Zudem muss zum Zeitpunkt der Anfertigung der Unterlagen das Ermittlungsverfahren noch nicht eingeleitet und der Betroffene noch nicht förmlich Beschuldigter sein.389 Daraus folgt indes nicht, dass der Beschuldigte beweisrelevante Unterlagen beliebig dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörden entziehen kann, va indem er sie mit Vermerken versieht390 oder mit Verteidigungsunterlagen vermischt.391 Vielmehr sind die Dokumente in Zweifelsfällen durch die Ermittlungsbehörden sorgfältig zu prüfen und zu bewerten.392 Handelt es sich danach um Verteidigungsunterlagen, dann sind sie zurückzugeben, ihr Inhalt ist nicht verwertbar. Nicht zuletzt auf Grund der Schwere eines solchen Eingriffs in grundlegende Verfahrensrechte393 des Be-

_____ 385 BGH, 13.8.1973 – 1 BJs 6/71/StB 34/73, NJW 1973, 2035; allgM, s nur Meyer-Goßner/Schmitt Rn 37 zu § 97 StPO; Oesterle StV 2016, 118, (120 ff) will dies im Rahmen einer – allerdings sehr weit gehenden – Interpretation schon aus § 97 StPO selbst herleiten. 386 BGH, 25.2.1998 – 3 StR 490/97, NJW 1998, 1963 (1964) „verfassungskonforme Auslegung des § 97 Abs 1 StPO“; BGH, 13.11.1989 – I BGs 351/89-GBA-1 BJs 33/89–6, NJW 1990, 722 für auf dem Postweg befindliche Schriftstücke; LG Gießen, 25.6.2012 – 7 Qs 100/12, ZWH 2012, 514 (515); LG Bonn, 21.6.2012 – 27 Qs 2/12, NZWiSt 2013, 21 (24); LG Bonn, 3.12.2003 – 31 Qs 161/03, StV 2004, 124 f für im Haftraum aufbewahrte selbst gefertigte Aufzeichnungen „in entspr Anwendung von § 97 Abs 1 StPO“; LG München I, 26.7.2000 – 5 Qs 80/00613, NStZ 2001, 612 verfassungskonforme Auslegung für auf freiem Fuß befindlichen Beschuldigten; LR/Menges Rn 85 und 106 zu § 97 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 37 zu § 97 StPO; Park Rn 579; SK/Wohlers Rn 87 zu § 97 StPO. 387 BGH, 25.2.1998 – 3 StR 490/97, NJW 1998, 1963 (1964). 388 BVerfG, 30.1 2002 – 2 BvR 2248/00, NJW 2002, 1410 für Notebook. 389 LG Braunschweig, 21.7.2015 – 6 Qs 116/15, ZWH 2016, 129; LG Gießen, 25.6.2012 – 7 Qs 100/12, ZWH 2012, 514 (515) mAnm Tsambikakis. 390 So aber offensichtlich BVerfG, 6.11.2014 – 2 BvR 2928/10 (Rn 23), StraFo 2015, 63, allerdings apodiktisch und ohne auf die Problematik einzugehen. 391 LG Gießen, 25.6.2012 – 7 Qs 100/12 ZWH 2012, 514 (515). 392 BVerfG, 30.1 2002 – 2 BvR 2248/00, NJW 2002, 1410; s auch LG Braunschweig, 21.7.2015 – 6 Qs 116/15, ZWH 2016, 129 (130) zu einem Prüfungsbericht der Revision, der nicht zum Zwecke der Verteidigung erstellt wurde; dieser Gesichtspunkt kommt bei LG München I, 26.7.2000 – 5 Qs 80/00613, NStZ 2001, 612, zu kurz. 393 EGMR, 13.1.2009 – Sorvisto ./. Finnland – 19348/04 – Rn 104 ff; 28.11.1991 – S ./. Schweiz, 12629/87 u.a., Rn 48, beides zitiert nach BVerfG 20.5.2010 – 2 BvR 1413/09 Rn 17, BVerfGK 17, 311 ff.

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schuldigten, und um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, die Verteidigung zu behindern, werden die Ermittlungsbehörden derartige Überprüfungen unter strikter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur in Ausnahmefällen vornehmen. Besondere Probleme ergeben sich, wenn der Verteidiger Bank-, Buchhaltungs173 oder sonstige Geschäftsunterlagen in Gewahrsam hat, die ihm vom Beschuldigten übergeben wurden. Dabei kann es sich um Deliktsgegenstände handeln, die schon gem § 97 Abs 2 S 3 StPO der Beschlagnahme unterliegen.394 Ein Briefverkehr zwischen Kaufleuten über einen beabsichtigten Betrug395 wird zwar praktisch kaum vorkommen; in Frage kommen aber Buchhaltungsunterlagen und Bilanzen bspw, wenn sie für eine Steuerhinterziehung die falschen Angaben der Steuererklärung ermöglichen,396 bei einem (Kredit-)Betrug vorgelegt werden397 oder bei Insolvenzdelikten.398 Unbeschadet dessen werden diese Unterlagen, abgesehen von den praktisch kaum nachweisbaren Missbrauchsfällen der Verteidigung als „Beweismittelgrab“,399 auch nicht unter § 97 Abs 1 Nr 3 StPO zu fassen sein.400 Selbst das, wegen § 148 StPO gesteigerte Vertrauensverhältnis kann sich nicht auf Dokumente stützen, die gesetzlichen Publizitätspflichten unterfallen, seien sie handels- oder steuerrechtlicher Natur. Insoweit fehlt es schon begrifflich an einem internen und geheimhaltungsbedürftigen Bereich. Es handelt sich daher nach zutr Ansicht nicht um spezifisches Verteidigungsmaterial, sondern um schlichte Beweismittel. Die Verteidigung kann hier genauso gut auf Kopien zurückgreifen.401 Statt der Beschlagnahme wird bei Schriftstücken oder diesen gleichzustellenden Daten, die als Überführungsstücke in Betracht kommen, auch die Möglichkeit eines an den Verteidiger gerichteten Herausgabeverlangens für zulässig gehalten.402 174 Unabhängig davon sind selbst Verteidigungsunterlagen nicht unbeschränkt beschlagnahmefrei. Das Beschlagnahmeverbot des § 97 Abs 1 StPO greift dann nicht ein, wenn der Verteidiger im Verdacht der Beteiligung iSd § 97 Abs 2 S 3 StPO steht.403 Im Hinblick auf die Voraussetzungen zur Beschlagnahmefähigkeit in diesen Fällen besteht in Rspr und Lit Einigkeit dahingehend, dass der Anfangsverdacht iSd Vorliegens zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte gemäß § 152 Abs 2 StPO jedenfalls nicht ausrei-

_____ 394 LG Fulda, 12.10.1999 – 2 Qs 51/99, NJW 2000, 1508 (1510); Meyer-Goßner/Schmitt Rn 39 zu § 97 StPO; allg bejaht die Anwendbarkeit des § 97 Abs 2 S 3 StPO auf Unterlagen beim Verteidiger BGH, 20.3.2000 – 2 ARs 489/99 und 2 AR 217/99, wistra 2000, 311 (313); aA Ciolek-Krepold Rn 322 (unter dem fast schon kuriosen Hinweis darauf, dass dem Beschuldigten die Beseitigung der Unterlagen als Handlungsalternative zur Verfügung gestanden hätte); Park Rn 551, 567 und 572; und wohl, allerdings ohne die Problematik ausdrücklich anzusprechen, LG Berlin, 1.3.1989 – 520 Qs 22/89, NJW 1990, 1058. 395 So das bei Meyer-Goßner/Schmitt Rn 22 zu § 97 StPO zitierte Beispiel. 396 LG Aachen, 11.10.1984 – 86 Qs 74/84, NJW 1985, 338; LG Aachen, 16.3.1981 – 15 Qs 9/81, MDR 1981, 603; LG Hamburg, 8.1.1981 – 1 Ws 7 und 13/81, MDR 1981, 603. 397 LR/Menges Rn 44 zu § 97 StPO; SK/Wohlers Rn 42 zu § 97 StPO für manipulierte Unterlagen; sehr weitgehend auch M-G/B/Häcker § 93 Rn 36 für Kenntnisstand des Beschuldigten bei Leistungs- und Warenkreditbetrug in der Liquiditätskrise. 398 MK/Hauschild Rn 60 zu § 97 StPO; Schäfer wistra 1985, 15; aA jedenfalls für nicht manipulierte Unterlagen LR/Menges Rn 44 zu § 97 StPO; LG Stuttgart, 7.11.1975 – IV Qs 363/75, NJW 1976, 2030, für Betrugstaten in der Krise. 399 S hierzu Meyer-Goßner/Schmitt Rn 39 zu § 97 StPO; SK/Wohlers Rn 92 zu § 97 StPO. 400 So aber LG Fulda, 12.10.1999 – 2 Qs 51/99, NJW 2000, 1508 (1509); MK/Hauschild Rn 32 zu § 97 StPO. 401 LR/Menges Rn 92 zu § 97 StPO; M-G/B/Häcker § 93 Rn 32. 402 SK/Wohlers Rn 93 zu § 97 StPO ggf mit nachfolgendem Weg über §§ 138a ff StPO. 403 BGH, 20.3.2000 – 2 ARs 489/99 und 2 AR 217/99, wistra 2000, 311 (313); LG Fulda, 12.10.1999 – 2 Qs 51/99, NJW 2000, 1508 (1510).

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chend ist.404 Zu weitgehend ist es allerdings, das Vorliegen einer Ausschlussentscheidung gemäß § 138a StPO, zumindest aber einer vorläufigen Entscheidung nach § 138c Abs 3 StPO zu fordern.405 Dies liefe im Ergebnis auf das Bejahen eines dringenden oder zumindest hinreichenden Tatverdachts hinaus. Bei einer Entscheidung dieser Streitfrage werden einerseits die Besonderheiten des Verteidigungsverhältnisses und dessen verfassungsrechtlich gewährleisteter strafprozessualer Schutz zu berücksichtigen sein, andererseits das ebenfalls mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtsgut der Wahrheitsfindung im Strafverfahren mit Blick auf eine effektive Strafverfolgung.406 Letztere gebietet es, möglichen Missbräuchen des Vertrauensverhältnisses zwischen Beschuldigtem und Verteidiger vorzubeugen, so dass im Ergebnis die Forderung nach dem Vorliegen eines dringenden oder hinreichenden Tatverdachts iSd §§ 170 Abs 1, 203 StPO als zu weitgehend abzulehnen ist.407 Angemessener ist es, mit der Rspr einen „qualifizierten“ Tatverdacht zu verlangen, der auf gewichtigen und bestimmten Tatsachen beruhen muss.408

(4) Anderkonten Unterschiedliche Auffassungen werden schließlich zu der Frage vertreten, ob Unter- 175 lagen zu Anderkonten eines Rechtsanwalts oder Notars von den Beschlagnahmeverboten des § 97 Abs 1 StPO umfasst sind. Die Befürworter einer Beschlagnahmefreiheit ziehen aus der gesetzlichen Verpflichtung zur Führung von Anderkonten durch Rechtsanwälte und Notare den Schluss, dass das kontoführende Kreditinstitut als Berufshelfer anzusehen sei und deshalb gem §§ 53a Abs 1, 97 Abs 3 StPO auch die bei der Bank – und damit nicht im Gewahrsam des Kontoinhabers – befindlichen Kontounterlagen nicht beschlagnahmt werden dürfen.409 Diese Auffassung verkennt indes die Funktion eines Anderkontos in der wirtschaftlichen Praxis im Allgemeinen und die Reichweite des Anwaltsgeheimnisses im Besonderen. Richtig ist, dass Rechtsanwälte und Notare verpflichtet sind, Anderkonten für die treuhänderische Entgegennahme und Verwahrung von Fremdgeldern zu führen (§§ 43a Abs 5 BRAO, 54b BeurkG). Hinter diesen Vorschriften steht der Gedanke, die erforderliche strikte Trennung zwischen Eigenmitteln des Treuhänders und den Fremdgeldern buchhalterisch zu manifestieren. Das ist nicht zuletzt auch deshalb notwendig, um Letztere vor dem möglichen Zugriff von Gläubigern des Rechtsanwalts oder Notars zu schützen. Erfolgen Einzahlungen auf ein solches Konto, so wird dies häufig im Zusammenhang mit einer rechtsberatenden Tätigkeit stehen. Andererseits kann es aber auch persönliche Motive haben, einen Rechtsanwalt oder Notar als reinen Treuhänder zum Zwecke der vorläufigen Sicherung eines geleisteten Geldbetrages im Hinblick auf die Gegenleistung einzuschalten. Entspr dokumentieren die aus den Buchhaltungsunterlagen ersichtlichen Geldein- und -ausgänge lediglich eine solche

_____ 404 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 38 zu § 97 StPO. 405 LR/Menges Rn 96 zu § 97 StPO; Park Rn 587 f und 609. 406 BVerfG, 6.10.2014 – 2 BvR 1568/12, NJW 2015, 150 f; BVerfG, 19.3.2013 – Rn 89 und 92, BVerfGE 133, 168 ff; BVerfG, 15.1.2009 – 2 BvR 2044/07 Rn 66, BVerfGE 122, 248 ff. 407 Vgl BVerfG, 20.5.2010 – 2 BvR 1413/09, NJW 2010, 2937 (2938). 408 BGH, 13.8.1973 – 1 BJs 6/71/StB 34/73, NJW 1973, 2035 (2036); BGH, 22.11.2000 – 1 StR 375/00 juris; BGH, 28.6.2001 – 1 StR 198/01, NJW 2001, 3793 (3794); KK/Greven Rn 39 zu § 97 StPO; MK/Hauschild Rn 34 zu § 97 StPO; M-G/B/Häcker § 93 Rn 34; vgl auch BVerfG, 20.5.2010 – 2 BvR 1413/09, NJW 2010, 2937 ff. 409 AG Münster, 8.8.1997 – 23 Gs 459/97, NStZ-RR 1998, 283 für Rechtsanwalt; LG Darmstadt, 9.6.1989 – 9 Qs 288/89, DNotZ 1991, 560 (560 f) für Auszahlungsanweisung eines Notars, wenn das betroffene Konto nicht an der Publizität des notariellen Vertrags teilnimmt; SK/Wohlers Rn 83 zu § 97 StPO; Stahl wistra 1990, 94 ff; Rau wistra 2006, 410 ff.

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treuhänderische Tätigkeit, die nicht charakteristisch für das eigentliche Berufsbild der Rechtsanwälte und Notare ist und auch von anderen Personen ausgeübt werden könnte.410 Dementspr wird das für die Frage des Zeugnisverweigerungsrechts nach § 53 Abs 1 StPO und damit auch für die Beschlagnahmefreiheit gem § 97 Ab. 1 StPO allein maßgebliche Rechtsberatungsverhältnis des Berufsgeheimnisträgers zu seinem Auftraggeber in seinem Kernbereich nicht berührt.411 Die daraus resultierende Möglichkeit der Beschlagnahme bezieht sich aber nur auf die reinen Buchungsunterlagen des Anderkontos,412 jedenfalls soweit sie sich im Gewahrsam der Bank befinden.413 Nicht beschlagnahmefrei sind dagegen Mitteilungen des Auftraggebers oder die 176 Aufzeichnungen des Notars oder Rechtsanwalts. Gleiches wird für die in dessen Gewahrsam befindlichen Kontounterlagen jedenfalls dann gelten, wenn eine strikte Trennung der beschlagnahmefreien von den der Beschlagnahme unterliegenden Dokumenten nicht gewährleistet ist.414 Daher wird es sich aus Vereinfachungsgründen empfehlen, die Unterlagen des Anderkontos bei der kontoführenden Stelle zu beschlagnahmen.415

(5) Ermittlungen gegen Organe juristischer Personen 177 Bei Ermittlungen gegen Organe oder Mitglieder von Organen juristischer Personen ist zu

berücksichtigen, dass das geschützte Vertrauensverhältnis, das die Grundlage der Beschlagnahmeverbote des § 97 StPO darstellt, ausschließlich zwischen dem Berufsgeheimnisträger und der juristischen Person als solcher besteht.416 § 97 Abs 1 Nr 1 und 2 StPO gelten aber schon nach dem Wortlaut, die Nr 3 nach der Gesetzessystematik nur, sofern derjenige zu dessen Gunsten das Zeugnisverweigerungsrecht besteht auch Beschuldigter des Verfahrens ist.417 Demzufolge erstreckt sich der Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Berufsgeheimnisträger und juristischer Person nicht auf deren Organ (bzw dessen Mitglieder), selbst wenn es sich dabei um den AlleingesellschafterGeschäftsführer handelt. Das hat zur Folge, dass Unterlagen der Gesellschaft, die sich im Gewahrsam von Berufsgeheimnisträgern befinden, im Ermittlungsverfahren gegen ein Organ einer juristischen Person oder ein Mitglied eines solchen von vornherein nicht dem Schutz des § 97 StPO unterfallen.418 Sie sind beschlagnahmefähig, ohne dass es auf die Antwort auf die strittige Frage nach der Beschlagnahmefähigkeit von Buchführungs-

_____ 410 OLG Frankfurt aM, 22.8.2001 – 2 AuslS 10/01, NJW 2002, 1135 (1137). 411 BVerfG, 9.10.1989 – 2 BvR 1558/89, wistra 1990, 97. 412 MK/Hauschild Rn 38 zu § 97 StPO. 413 LG Aachen, 16.10.1998 – 86 Qs 63/98 u 86 Qs 99/98, NJW 1999, 2381 (2382); LG Würzburg, 20.9.1989 – Qs 323/89, wistra 1990, 118. Lt LG Chemnitz, 2.7.2001 – 4 Qs 13/01, wistra 2001, 399; OLG Frankfurt aM, 22.8.2001 – 2 AuslS 10/01, NJW 2002, 1135 (1136), ist die Bank schon kein Gehilfe gem § 53a StPO. 414 Wovon nach LG Aachen, 23.1.1998 – 86 Qs 94/97, DNotZ 1998, 171 (172 f), auszugehen ist. 415 LG Aachen, 16.10.1998 – 86 Qs 63/98 u 86 Qs 99/98, NJW 1999, 2381 (2382); Meyer-Goßner/Schmitt Rn 40 zu § 97 StPO; KK/Greven Rn 18 zu § 97 mwN. 416 Hierzu ausführlich u § 1 Rn 183 ff. 417 LG Hamburg, 15.10.2010 – 608 Qs 18/10, NJW 2011, 942 (943); LG Hamburg, 4.7.2005 – 608 Qs 3/05, wistra 2005, 394 (395); LR/Menges Rn 75 zu § 97 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 10a zu § 97 StPO; MK/ Hauschild § 97 Rn 15; aA Schmitt wistra 1993, 9 (12); v Galen NJW 2011, 945. 418 BVerfG, 27.10.2003 – 2 BvR 2211/00, NStZ-RR 2004, 83 (84); BVerfG, 11.7.2008 – 2 BvR 2016/06, NJW 2009, 281 (282) jeweils mwN; LG Hamburg, 15.10.2010 – 608 Qs 18/10, NJW 2011, 942 (943); BeckOK/Ritzert Rn 4 zu § 97 StPO; KK/Greven Rn 6 zu § 97 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 10a zu § 97 StPO; Priebe ZIP 2011, 312 (316); Schäfer wistra 1984, 209 (211); aA LG Hamburg, 4.7.2005 – 608 Qs 3/05, wistra 2005, 394 (395); SK/Wohlers Rn 10 zu § 97 StPO.

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unterlagen beim Berufsgeheimnisträger ankommt419 und ohne dass es der Befreiung von der Schweigepflicht bedürfte. An diesem Befund ändert sich nach der hier vertretenen Ansicht auch durch § 160a StPO nichts.420

dd) Wegfall der Beschlagnahmefreiheit (1) Entbindung von der Schweigepflicht (a) Grundlagen Ein Beschlagnahmeverbot entfällt mit dem Zeugnisverweigerungsrecht, aus dem es sich 178 herleitet. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn in Bezug auf den Berufsgeheimnisträger eine wirksame Schweigepflichtsentbindung erklärt wird.421 Nicht zuletzt die Komplexität der aufgezeigten Probleme und die bestehende Meinungsvielfalt bei Auslegung und Anwendung des § 97 StPO sowie die daraus ggf resultierenden Beweis- und Prozessrisiken sollten für den verantwortlichen Staatsanwalt Anlass genug sein, frühzeitig eine entspr Erklärung des oder der Berechtigten zu erreichen. Die Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht kann andererseits von dem oder den Berechtigten widerrufen werden, was allerdings nach bisheriger Rspr nur für die Zukunft ein Verwertungsverbot für beschlagnahmefreie Gegenstände nach sich zog. Die auf Grundlage des dann zurückzugebenden422 Beweisgegenstandes rechtmäßig gewonnenen Erkenntnisse durften aber weiterhin verwertet werden.423 Eine andere Bewertung könnte sich nunmehr im Hinblick auf den in § 160a Abs 1 S 1 StPO genannten Kreis von Zeugnisverweigerungsberechtigten, im Bereich der Insolvenzstraftaten inbes Rechtsanwälte, aus dem absoluten Verwendungsverbot des § 160a Abs 1 S 2 StPO ergeben, wenn man diesem über den Wortlaut hinaus („dennoch“) rückwirkenden Charakter auch im Hinblick auf ursprünglich rechtmäßig erlangte Beweismittel beimisst.424 Für die Wirksamkeit der Entbindungserklärung ist von wesentlicher Bedeutung, 179 wer sie abgeben kann. Diese Berechtigung steht den jeweiligen Trägern des Geheimhaltungsinteresses zu, und zwar, sofern es sich hierbei um eine Personenmehrheit handelt, allen gemeinsam, wobei sie die Erklärung getrennt abgeben können.425 Rechtlich unproblematisch sind dabei diejenigen Fälle, in denen der Beschuldigte die einzige Person

_____ 419 Vgl dazu o § 1 Rn 164 ff. 420 S hierzu u § 1 Rn 197. 421 OLG Nürnberg, 17.8.1956 – Ws 267/56, NJW 1958, 272 (272 f); OLG Hamburg, 29.12.1961 – Ws 756/61, NJW 1962, 689 (682 f); BeckOK/Ritzert Rn 22 zu § 97 StPO; KK/Greven Rn 5 zu § 97 StPO; Meyer-Goßner/ Schmitt Rn 24 zu § 97 StPO; SK/Wohlers Rn 27 zu § 97 StPO; nach BGH, 3.12.1991 – 1 StR 120/90, BGHSt 38, 144 (145), „liegt es nahe“ in der Schweigepflichtentbindung zugleich eine Einwilligung in die Beschlagnahme und Verwertung des Beweisgegenstandes zu sehen; so auch LR/Menges Rn 47 zu § 97 StPO. 422 OLG Nürnberg, 17.8.1956 – Ws 267/56, NJW 1958, 272 (274). 423 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 25 zu § 97 StPO; MK/Hauschild Rn 52 zu § 97 StPO; SK/Wohlers Rn 32 zu § 97 StPO; OLG Nürnberg, 17.8.1956 – Ws 267/56, NJW 1958, 272 (274) u OLG Hamburg, 29.12.1961 – Ws 756/61, NJW 1962, 689 (691), könnten dahingehend verstanden werden, dass sich die Unverwertbarkeit nicht nur auf das Beweismittel als solches beschränken soll. Dies wäre indes systematisch nicht konsequent, da eine dem § 252 StPO entsprechende Regelung für § 97 StPO gerade nicht existiert. Die Fallkonstellation ist dagegen eher vergleichbar mit derjenigen bei § 81c StPO, s hierzu MK/Trück Rn 36 zu § 81c StPO. 424 S hierzu o § 1 Rn 206 f. 425 OLG Celle, 2.8.1985 – 1 Ws 194/85, wistra 1986, 83; LG Bonn, 13.2.2012 – 27 Qs-410 Js 511/10 21/11, NStZ 2012, 712 (713); AG Bonn, 12.3.2010 – 51 Gs 557/10, NStZ 2010, 536; LR/Ignor/Bertheau Rn 78 zu § 53 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 46 zu § 53 StPO; MK/Hauschild Rn 56 zu § 53 StPO; SK/Rogall Rn 202 zu § 53 StPO; Passarge BB 2010, 591.

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ist, die von einem Zeugnisverweigerungsrecht geschützt werden soll. Folglich kann auch nur er den Berufsgeheimnisträger von seiner Schweigepflicht entbinden, muss dies aber selbstverständlich wegen des nemo-tenetur-Grundsatzes nicht tun. Die zuletzt genannte Konstellation ist in wirtschaftsstrafrechtlichen Sachverhalten 180 beim Einzelkaufmann anzutreffen. Besteht gegen einen solchen der Verdacht, im Zusammenhang mit der Insolvenz Straftaten begangenen zu haben, so kann der Insolvenzverwalter keine wirksame Entbindungserklärung abgeben, um damit das Beschlagnahmeverbot in Wegfall zu bringen.426 Praktische Probleme treten indes va bei gesellschaftsrechtlich geprägten Fallkonstellationen auf.

(b) Personengesellschaften 181 Diese Grundsätze kommen auch auf Personengesellschaften (GbR, OHG, KG) zur An-

wendung. Obschon diese Zusammenschlüsse – insoweit missverständlich – in § 14 Abs 2 BGB als rechtsfähig definiert werden, sind sie nach der Rspr des BGH iGs zur juristischen Person eben nur teilrechtsfähig.427 Im Hinblick auf die strafprozessuale Frage nach der Berechtigung zur Entbindung des Berufsgeheimnisträgers von der Schweigepflicht gilt dementspr, dass diese den Gesellschaftern zusteht.428 Selbst wenn ein Insolvenzverfahren bereits anhängig ist, kann die Entbindungserklärung dagegen nicht durch den Insolvenzverwalter ausgesprochen werden.429 Fraglich kann demnach nur sein, ob alle Gesellschafter die Erklärung abgeben müssen. Das ist unter Berücksichtigung des Grundsatzes, dass in den Fällen, in denen mehrere Personen durch ein Zeugnisverweigerungsrecht geschützt werden, jeder Berechtigte den Berufsgeheimnisträger von seiner Schweigepflicht entbinden muss,430 zu bejahen. Somit bestehen das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs 1 Nr 3 StPO und damit das Beschlagnahmeverbot nach § 97 Abs 1 StPO auch dann, wenn einzelne Gesellschafter, unabhängig von ihrem Status als (Mit-)Beschuldigte oder Zeugen, ihre Zustimmung zu der Schweigepflichtentbindung verweigern. Da der Umfang des Zeugnisverweigerungsrechts für einen bestimmten Vernehmungsgegenstand nach gefestigter Rspr431 unteilbar ist und nur einheitlich beurteilt werden kann, ist auch eine nur teilweise Vernehmung des Berufsgeheimnisträgers im Hinblick auf diejenige Person, die eine Entbindungserklärung abgegeben hat, nicht möglich. Diese die Ermittlungen einschränkenden Rechtsfolgen führen allerdings in der Pra182 xis nicht zwangsläufig zu deren Stillstand. Nicht ausgeschlossen wird die Möglichkeit, auf sonstige sachliche und personelle Beweismittel zurückzugreifen. In Betracht kommt in erster Linie, einen Gesellschafter, der eine Entbindungserklärung abgegeben hat oder zu einer solchen bereit war, als Beschuldigten oder Zeugen zu vernehmen. Zudem können die in seinem Gewahrsam befindlichen Geschäftsunterlagen oder sonstigen

_____ 426 LR/Menges Rn 54 zu § 97 StPO. 427 BGH, 2.12.2010 – V ZB 84/10 Rn 8, BGHZ 187, 344 ff; 4.12.2008 – V ZB 74/08 Rn 10, BGHZ 179, 102 ff; 25.1.2008 – V ZR 63/07 Rn 7, NJW 2008, 1378 ff; 25.9.2006 – II ZR 218/05 Rn 10, NJW 2006, 3716 f; BGH 29.1.2001 – II ZR 331/00 Rn 5 ff, BGHZ 146, 341 ff. 428 Weitergehend SK/Rogall Rn 205 zu § 53 StPO, der die Personenvereinigung als Geheimnisträger ansieht. 429 LR/Menges Rn 54 zu § 97 StPO. 430 S o § 1 Rn 179. 431 BGH, 20.2.1985 – 2 StR 561/84, BGHSt 33, 148 (152); LG Hamburg, 7.3.1989 – (84) 7/89, StV 1989, 385 (386).

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Beweismittel sichergestellt und ausgewertet werden, erforderlichenfalls nach Vollstreckung entspr Durchsuchungs- oder Beschlagnahmeanordnungen für die Wohn- und Geschäftsräume. Schließlich verbleiben als Zeugen diejenigen Personen, denen kein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht. Das sind in erster Linie also die Mitarbeiter der Gesellschaft, die in Schlüsselpositionen mit für die Ermittlungen wesentlichen Aufgabenbereichen (Buchhaltung, Controlling, Sekretariat) befasst waren.

(c) Juristische Personen Gerade im Bereich der Insolvenzdelikte stehen sehr häufig Straftaten im Raum, die ihre 183 Grundlage in der Nutzung der Rechtsformen der juristischen Personen des Privatrechts, also vornehmlich den im Wirtschaftsleben als Gestaltungsform maßgebenden Kapitalgesellschaften der GmbH und AG, finden und die nicht selten auch zu deren Nachteil begangen werden. Waren für diese Berufsgeheimnisträger als Berater tätig, die als Zeuge in Betracht kommen, va die in § 53 Abs 1 S 1 Nr 3 StPO aufgeführten Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater und Notare, stellt sich die Frage, wer ggf eine Entbindungserklärung iSd § 53 Abs 1 S 2 StPO abzugeben befugt ist. Insoweit besteht indes eine vollkommen ungeklärte Rechtslage, denn in Rspr und Lit ist äußerst umstritten,432 zu wessen Gunsten die Verschwiegenheitspflicht besteht. Dies ist sowohl für die Strafverfolgungsbehörden, als auch für die Berater misslich. Erstere laufen wegen der schwierigen Kalkulierbarkeit der im Gerichtsbezirk vertretenen Rsprlinie Gefahr, bei Zeugnisverweigerung rechtswidrige Ordnungsmittel zu verhängen oder umgekehrt ihrer Aufklärungspflicht nicht nachzukommen. Letzteren droht bei Berufung auf ein Zeugnisverweigerungsrecht die Verhängung eines Ordnungsmittels433 oder aber bei Aussage eine Strafbarkeit nach § 203 StGB.434 Eine höchstrichterliche oder gesetzgeberische Klärung steht bislang aus. Staatsanwälte und Berater435 sollten sich daher unbedingt mit der im jeweiligen Landgerichtsbezirk vorherrschenden Rsprlinie vertraut machen. Nach zutr Ansicht ist Geheimnisgeschützte ausschließlich die juristische Per- 184 son.436 Sie stellt ein eigenständiges Rechtssubjekt dar, deren Interessen nicht mit denjenigen ihrer Organe deckungsgleich sind, diesen sogar diametral zuwider laufen können.437 Die gegenteilige Ansicht orientiert sich zu sehr an der Ein-Personen-GmbH, die zwar gesetzlich zulässig ist, aber eben rechtlich wie praktisch nicht den Regelfall, sondern vielmehr die Ausnahme darstellt. Schon dieser Befund erfordert es, die zu ihrer Be-

_____ 432 Umfangr LitN zu den vertretenen Ansichten bei Tully/Kirch-Heim NStZ 2012, 657 (658 f). 433 S bspw OLG Köln, 1.9.2015 – 2 Ws 544/15, NZWiSt 2016, 285 ff zu § 70 StPO. 434 Zu diesen Konfliktlagen Kretschmer ZWH 2016, 215 (216); Tully/Kirch-Heim NStZ 2012, 657 (659). 435 Priebe ZIP 2011, 312 (316) mit dem Hinweis, dass Rechtsanwaltskammern auf Anfrage hin auch entspr Rechtsgutachten in Auftrag geben. 436 OLG Oldenburg, 28.5.2004 – 1 Ws 242/04, NJW 2004, 2176; OLG Nürnberg, 18.6.2009 – 1 Ws 289/09, NJW 2010, 690 (691) jedenfalls für Wirtschaftsprüfer wegen Bezugs seiner Tätigkeit zu den wirtschaftlichen Interessen des Unternehmens sowie OLG Köln, 1.9.2015 – 2 Ws 544/15, NZWiSt 2016, 285 (286 f) für Rechtsanwalt bei entsprechender Ausgestaltung des Mandats; LG Lübeck, 7.6.1977 – 4 Qs 171/77, NJW 1978, 1014 (1015); LG Hamburg, 6.8.2001 – 616 Qs 41/01, NStZ-RR 2002, 12 „jedenfalls“ für Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer, der „lediglich wirtschaftliche Angelegenheiten der Gesellschaft bekunden soll“; KK/Greven Rn 6 zu § 97 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 46a zu § 53 StPO; Peters/Klingberg ZWH 2012, 11 (12 f); Priebe ZIP 2011, 312 (316); Schäfer wistra 1985, 209 (211); Weyand ZInsO 2013, 1064; Weyand wistra 1995, 240. 437 LG Bonn, 13.2.2012 – 27 Qs-410 Js 511/10 21/11, NStZ 2012, 712 (713); KK/Greven Rn 6 zu § 97 StPO; Peters/Klingberg ZWH 2012, 11 (13 f) für Wirschtschaftsprüfer; Priebe ZIP 2011, 312 (316); Schäfer wistra 1985, 209 (211); Tully/Kirch-Heim NStZ 2012, 657 (662).

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treuung mandatierten Berater des § 53 Abs 1 S 1 Nr 3 StPO nur auf die Gesellschaft zu verpflichten. Dem steht zunächst nicht entgegen, dass „anvertrauen“ oder „bekanntgeben“ iSd Norm als „Kommunikationsbeziehung“438 nur eine natürliche Person kann, mithin das Organ. Es ist als faktisch Handelnder in diesem Zusammenhang als Mitglied der Geschäftsleitung „allein dem Wohl und Wehe der Gesellschaft verpflichtet“, genauso wie der Berufsgeheimnisträger, der für die juristische Person tätig wird.439 Auch der Umstand, dass ein Anvertrauen selbst von Dritten und ein Bekanntwerden in Bezug auf diese angenommen werden kann, führt zu keiner Einbeziehung des Organs in den Geheimnisschutz. Der Schutzbereich des § 53 Abs 1 S 1 Nr 3 StPO hat, um nicht völlig konturlos zu werden, sachbezogene Grenzen, wie sich schon aus dem Wortlaut selbst („in dieser Eigenschaft“) ergibt.440 Daher sind Kenntnisse ausgeschlossen, die der Zeuge nur bei Gelegenheit seiner Berufsausübung erfährt und die mit dieser in keinem funktionalen Zusammenhang stehen.441 Dies ist bei personenbezogenen Mitteilungen des Organes indes der Fall. Denn laufen diese den Interessen der juristischen Person zuwider, fallen sie von vornherein aus dem Rahmen des Mandats, das ausschließlich auf deren Interessenvertretung bezogen ist.442 Der Verweis auf die Möglichkeit einer eigenen443 oder abgeleiteten strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Organs nach §§ 14 StGB, 34 AO444 und einer persönlichen Haftung, insbes nach §§ 93 AktG, 43 GmbHG,445 führt zu keinem anderen Ergebnis. Diese Vorschriften besagen ja gerade, dass es dem Organ nicht erlaubt ist, schädigende Handlungen zum Nachteil der Gesellschaft oder unter Ausnutzung von deren rechtlicher Selbständigkeit zu begehen. Somit kann sich hierauf ein Vertrauensverhältnis zu deren Berater gerade nicht aufbauen.446 Die Ansicht, die Effizienz des Beratungsverhältnisses fordere demgegenüber selbst unter diesen Bedingungen die Verschwiegenheit auch gegenüber dem Organ,447 verengt die Verhältnisse auf einen für

_____ 438 Krause NStZ 2012, 663 (664); idS auch LR/Ignor/Bertheau Rn 78 zu § 53 StPO und schon OLG Celle, 2.8.1985 – 1 Ws 194/85, wistra 1986, 83. 439 Passarge BB 2010, 591 (592); Peters/Klingberg ZWH 2012, 11 (12 f) für Wirtschaftsprüfer. 440 Nichts anderes besagt iÜ die bspw bei SK/Rogall Rn 62 zu § 53 StPO für die Einbeziehung von Drittgeheimnissen herangezogene Entscheidung OLG Hamburg, 29.12.1961 – Ws 756/61, NJW 1962, 689 (691). Dort wird aus dem Zeugnisverweigerungsrecht ein Beschlagnahmeverbot hergeleitet, sofern die Geheimnisse des Dritten „untrennbar“ mit dem sonstigen Inhalt verbunden sind. Selbst dann wird aber die Vernehmung des Geheimnisträgers als Zeuge nicht von vornherein ausgeschlossen. 441 BGH, 4.2.2016 – StB 23/14, wistra 2016, 280 (281); OLG Bamberg, 11.8.1983 – 4 Ws 401/83, StV 1984, 499 (500); SK/Rogall Rn 60 zu § 53 StPO. Ob darüber hinaus beim Bekanntwerden eine „Sonderbeziehung“ gegeben sein muss, wird von BGH, 20.2.1985 – 2 StR 561/84, BGHSt 33, 149 (150), offen gelassen und von OLG Köln, 4.7.2000 – Ss 254/00, NJW 2000, 3656 (3657), verneint. 442 OLG Oldenburg, 28.5.2004 – 1 Ws 242/04, NJW 2004, 2176; OLG Nürnberg, 18.6.2009 – 1 Ws 289/09, NJW 2010, 690 (691) für Wirtschaftsprüfer; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 46a zu § 97 StPO; Peters/Klingberg ZWH 2012, 11 (14); Priebe ZIP 2011, 312 (316). 443 OLG Schleswig, 27.5.1980 – 1 Ws 160, 161/80, NJW 1981, 294; OLG Koblenz, 22.2.1985 – 2 VAS 21/84, NStZ 1985, 426 (428); OLG Celle, 2.8.1985 – 1 Ws 194/85, wistra 1986, 83; LG Saarbrücken, 26.5.1995, wistra 1995, 239; SK/Rogall Rn 205–207 zu § 53 StPO; Schmitt wistra 1993, 9 (11). 444 LG Hamburg, 4.7.2005 – 608 Qs 3/05, wistra 2005, 394 (395). 445 Krause NStZ 2012, 663 (664). 446 OLG Köln, 1.9.2015 – 2 Ws 544/15, NZWiSt 2016, 285 (287); OLG Nürnberg, 18.6.2009 – 1 Ws 289/09, NJW 2010, 690 (691); LG Bonn,13.2.2012 – 27 Qs-410 Js 511/10 21/11, NStZ 2012, 712 (713); LG Lübeck, 7.6.1977 – 4 Qs 171/77, NJW 1978, 1014 (1015). Von LG Hamburg, 6.8.2001 – 616 Qs 41/01, NStZ-RR 2002, 12, wird dies daher auch zu Recht als vom Geheimnisschutz nicht umfasstes „privates Interesse des Geschäftsführers“ angesehen; vgl auch BVerfG, 27.10.2003 – 2 BvR 2211/00, NStZ-RR 2004, 83 (84) zu § 97 StPO: kein „schützenswertes Interesse der juristischen Person an strafbaren Handlungen zu ihren Gunsten oder in ihrem Interesse“; Peters/Klingberg ZWH 2012, 11 (13); Priebe ZIP 2011, 312 (316). 447 Boost StraFo 2012, 460 ff zumindest für Rechtsanwälte als Berater; Krause NStZ 2012, 663 (664).

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das grundsätzlich zeitlich unbegrenzte Zeugnisverweigerungsrecht448 nicht alleine ausschlaggebenden Zeitausschnitt. Die juristische Person führt ein eigenständiges Rechtsdasein, das nicht an die Vertretung durch eine bestimmte Person gebunden ist. Die organschaftlichen Vertreter können versterben449 oder ausgetauscht werden. Der Berater bleibt indes weiterhin den Interessen der Gesellschaft verpflichtet. Somit muss dieser, um die Interessenvertretung und seine Vertrauensstellung wirksam auszuüben, unabhängig von und sogar gegen möglicherweise zeitlich gebundene Partikularinteressen einer bestimmten natürlichen Person agieren können.450 Führt dies dazu, dass die (aktuell eingesetzten) Organe mit dem Berater nicht uneingeschränkt kommunizieren,451 ist der Grund hierfür nicht in einem unzureichenden strafprozessualen Geheimnisschutz zu suchen, sondern darin, dass diese Ziele verfolgen, die mit ihrer gesetzlichen Aufgabe einer Vertretung der juristischen Person in deren Interesse nicht vereinbar sind. IÜ wird durchaus zutr auch die Ansicht vertreten, der Berufsgeheimnisträger sei auf Eigengeheimnisse der Geschäftsführung gar nicht angewiesen, um das Mandat für die juristische Person zu bearbeiten.452 Letztlich wird nur mit der hier vertretenen Ansicht die Einheit der Rechtsordnung gewahrt, nachdem die Zivilrechtsprechung453 bei Anwendung des § 383 Abs 1 Nr 6 ZPO auf die juristische Person abstellt.454 Der hiergegen gerichtete Einwand, es bestünden bezüglich der jeweiligen prozessualen Regelungen unterschiedliche Interessenlagen,455 berücksichtigt nicht ausreichend, dass zivilrechtlich erhebliche Regress- und Ersatzansprüche im Raum stehen, deren Folgen ebenfalls einschneidenden Charakter für das frühere Organ haben.456 Im Fall des § 823 Abs 2 BGB können sie sogar ihre Grundlage in strafrechtlich relevantem Fehlverhalten finden. Unter diesen Gesichtspunkten ist die – selbst nur ausnahmsweise457 – Annahme ei- 185 nes Doppelmandats bei oder sogar unter Annahme grundsätzlich gegebener Vermischung der Interessensphären458 weder gerechtfertigt, noch geboten.459 Die Behauptung, eine Differenzierung, welcher Sphäre ein mitgeteilter Sachverhalt normativ zuzurechnen

_____ 448 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 10 zu § 53 StPO. 449 Auf diese problematische und in der Diskussion meist unerwähnte Konstellation weist zu Recht Priebe ZIP 2011, 312 (316) hin. 450 Passarge BB 2010, 591 (594) bringt dies zutr wie folgt auf den Punkt: „Anderenfalls würde der Berufsgeheimnisträger, der dem Wohl und Wehe der juristischen Person verpflichtet ist, gezwungen, zu deren Lasten zum Komplizen der unredlichen, vormaligen Geschäftsleitung zu werden. Dies ist jedoch mit Ziel und Zweck des § 53 StPO unvereinbar“; Peters/Klingberg ZWH 2012, 11 (14); Priebe ZIP 2011, 312 (316). 451 Was OLG Koblenz, 22.2.1985 – 2 VAS 21/84, NStZ 1985, 426 (427); LG Berlin, 5.3.1993 – 505 AR 2/93, wistra 1993, 278 (279); Dierlamm StV 2011, 144; Krause NStZ 2012, 663 (664); Schmitt wistra 1993, 9 (10 f) als Grund für deren Einbeziehung ansehen. 452 Priebe ZIP 2011, 312 (316). 453 BGH, 30.11.1989 – III ZR 112/88, NJW 1990, 510 (512). 454 LG Hamburg, 6.8.2001 – 616 Qs 41/01, NStZ-RR 2002, 12; Weyand ZInsO 2013, 1064. 455 LG Hamburg, 4.7.2005 – 608 Qs 3/05, wistra 2005, 394 (395). 456 Tully/Kirch-Heim NStZ 2012, 657 (662); Weyand wistra 1995, 240 (241). 457 Unter dieser Einschränkung OLG Köln, 1.9.2015 – 2 Ws 544/15, NZWiSt 2016, 285 (286 f); Bittmann wistra 2012, 173 (175); Tully/Kirch-Heim NStZ 2012, 657 (663); Meyer-Goßner/Schmitt Rn 46c zu § 97 StPO mit dem Hinweis auf den dann problematischen Interessenkonflikt für den Berater; SK/Rogall Rn 206 zu § 53 StPO für den Fall, dass „Eigengeheimnisse“, insbes Straftaten zur Kenntnis des Berufsgeheimnisträgers gelangt sind. 458 OLG Schleswig, 27.5.1980 – 1 Ws 160, 161/80, NJW 1981, 294; OLG Koblenz, 22.2.1985 – 2 VAS 21/84, NStZ 1985, 426 (428); OLG Celle, 2.8.1985 – 1 Ws 194/85, wistra 1986, 83; LG Saarbrücken, 26.5.1995, wistra 1995, 239; AG Bonn, 12.3.2010 – 51 Gs 557/10, NStZ 2010, 536; Krause NStZ 2012, 663 (665). 459 OLG Oldenburg, 28.5.2004 – 1 Ws 242/04, NJW 2004, 2176; Peters/Klingberg ZWH 2012, 11 (13 f); Priebe ZIP 2011, 312 (316).

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sei, könne regelmäßig nicht erfolgen,460 stellt zu einseitig auf die Sicht einer eventuellen späteren Verteidigung ab. Dagegen ist es einerseits Sache des Organs, seine persönliche Sphäre von derjenigen seiner Vertretungsfunktion für die Gesellschaft zu trennen und eigene Beratung bei einem anderen Berufsgeheimnisträger in Anspruch zu nehmen.461 Dies wird in der Praxis auch durchaus so gehandhabt.462 Andererseits gebietet die Stellung der in § 53 Abs 1 S 1 Nr 3 StPO genannten Beraterberufe, insbes aber die des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege, auf die zur Hervorhebung der Bedeutung des Vertrauensverhältnisses zurückgegriffen wird,463 geradezu eine solche Vorgehensweise. Nur so kann der Berufsgeheimnisträger einer mit vertraglichen und standesrechtlichen Pflichten nicht zu vereinbarenden gleichzeitigen Vertretung widerstreitender Interessen entgegenwirken.464 Er hat daher zu Beginn des Mandats und ggf im weiteren Verlauf unmissverständlich darauf hinzuweisen, dass er die Interessen der juristischen Person vertritt.465 Es kann nicht zu Lasten derselben oder des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung gehen, wenn er selbst nicht Sorge für die saubere Trennung der Mandatssphäre trägt oder eine Vermischung durch den gerade amtierenden Geschäftsführer oder Vorstand zulässt. Der mit § 53 Abs 1 S 1 Nr 3 StPO bezweckte Vertrauensschutz der Mandatsverhältnisse würde überschritten, sofern es va das jeweilige Organ faktisch in der Hand hätte, durch Steuerung seines Mitteilungsverhaltens die Ausübung strafprozessualer Befugnisse der Gesellschaft selbst für die Zukunft an sich zu binden und damit auf seine persönlichen Interessen festzulegen,466 zumal für die Strafverfolgungsorgane im Nachhinein nicht zu ermitteln wäre, ob und mit welchem Inhalt Mandatsvermischungen tatsächlich erfolgten oder nur vorgeschoben werden.467 186 Folglich kann auch nur die juristische Person wirksam eine Entbindungserklärung abgeben. Dies geschieht durch das vertretungsbefugte Organ.468 Wer dabei für die Gesellschaft im konkreten Fall handeln kann, ergibt sich aus den einschlägigen gesetzlichen Vertretungsbefugnissen (§§ 35 GmbHG, 78 AktG) und den sie ggf ergänzenden satzungsrechtlichen Bestimmungen der Körperschaft. Danach müssen bei einem aus mehreren Personen bestehenden Vertretungsorgan alle eine entspr Erklärung abgeben, es sei denn, dass eine von ihnen zur alleinigen Vertretung berechtigt ist. Bei einer Gesamtvertretung muss die Erklärung von der durch die Satzung bestimmten Anzahl der vertretungsberechtigten Personen stammen.469 187 Den im Handelsregister eingetragenen Vertretungsberechtigten kann der – va bei der GmbH vorkommende – faktische Geschäftsführer nicht gleichgestellt werden.470

_____ 460 OLG Koblenz, 22.2.1985 – 2 VAS 21/84, NStZ 1985, 426 (428); LR/Ignor/Bertheau Rn 78 zu § 53 StPO; Krause NStZ 2012, 663 (665). 461 Passarge BB 2010, 591 (594); für klare Mandatstrennung auch Priebe ZIP 2011, 312 (316). 462 So die Fallkonstellation bei LG Bonn, 13.2.2012 – 27 Qs-410 Js 511/10 21/11, NStZ 2012, 712. 463 Boost StraFo 2012, 460 ff. 464 Kretschmer ZWH 2016, 215 (217); Passarge BB 2010, 591 (592 f); Schäfer wistra 1985, 209 (212); Tully/ Kirch-Heim NStZ 2012, 657 (662). 465 KK/Greven Rn 6 zu § 97 StPO; Kirsch NZWiSt 2016, 287 (288). 466 Peters/Klingberg ZWH 2012, 11 (14). 467 Auf solch „erhebliche Unsicherheiten im tatsächlichen Bereich“ weisen Tully/Kirch-Heim NStZ 2012, 657 (659) zu Recht hin. 468 OLG Köln, 1.9.2015 – 2 Ws 544/15, NZWiSt 2016, 285 (286); BeckOK/Ritzert Rn 22 zu § 97 StPO; MeyerGoßner/Schmitt Rn 46a zu § 53 StPO; SK/Rogall Rn 205 zu § 53 StPO; Peters/Klingberg ZWH 2012, 11 (12); Schmitt wistra 1993, 9. 469 Priebe ZIP 2011, 312 (315). 470 So aber OLG Celle, 2.8.1985 – 1 Ws 194/85, wistra 1986, 83; BeckOK/Huber Rn 40 zu § 53 StPO; MeyerGoßner/Schmitt Rn 46a zu § 53 StPO.

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Die faktische Geschäftsführung471 dient der Zurechnung strafrechtlicher Folgen auf eine Person, die die Gesellschaft unter Ausnutzung einer übermächtigen Stellung lenkt. Diese ist jedoch gerade kein ordnungsgemäß bestelltes und vertretungsbefugtes Organ der Gesellschaft. Daher kann ihr rechtlich auch nicht die Befugnis zukommen, diese – ggf neben dem formalen organschaftlichen Vertreter – von der Schweigepflicht zu entbinden oder, umgekehrt gewendet, die Entbindung zu blockieren.472 Nach diesen Grundsätzen lässt sich auch die Frage mit der gebotenen Rechtssicherheit 188 entscheiden, wer nach einem personellen Wechsel des vertretungsberechtigten Organs der juristischen Person die Entbindungserklärung abzugeben hat. Dies richtet sich ausschließlich nach der rechtlich wirksamen Befugnis zur aktuellen Geschäftsführung. Das neue Vertretungsorgan ist demnach berechtigt, eine Schweigepflichtentbindung auch mit Wirkung für die Zeit vor der Aufnahme der Tätigkeit vorzunehmen. Der frühere (faktische) Geschäftsführer oder Vorstand kann hierauf keinen Einfluss nehmen.473 Diese Sichtweise wird allein der strikten Trennung zwischen juristischer Person und handelndem Organ gerecht, die zur Folge hat, dass sich das Vertrauensverhältnis zwischen juristischer Person und Berufsgeheimnisträger nicht auf die jeweils handelnde natürliche Person erstreckt. Entspr sind die Fälle zu entscheiden, in denen die juristische Person nach Eröffnung 189 des Insolvenzverfahrens durch den Insolvenzverwalter vertreten wird (§§ 22 Abs 1, 80 Abs 1 InsO474). Allein er kann für die Gemeinschuldnerin, die Mandantin des Berufsgeheimnisträgers war und daher durch die Verschwiegenheitspflicht geschützt ist, wirksam eine Entbindungserklärung abgeben. Eine Zustimmung oder kumulative Erklärung auch des ehemals Vertretungsberechtigten ist nicht erforderlich.475 Schließlich kann nur bei uneingeschränkter Anerkennung der juristischen Person 190 als eigenständig Geheimnisgeschützte eine in der Praxis insbes bei größeren Unternehmen regelmäßig anzutreffende Praxis einer im Gesamtkonzept stimmigen Lösung zugeführt werden. Bei entspr betrieblichen Gegebenheiten erfolgt nämlich die Information des Beraters nicht durch die Führungsebene, sondern wird an nicht vertretungsberechtigte Mitarbeiter delegiert. Selbst die Vertreter der personalen Anbindung des Geheimnisschutzes erkennen dann aber, was indes zwingende Konsequenz dieser Ansicht wäre, die Befugnis zur Entbindung von der Schweigepflicht nicht demjenigen zu, der

_____ 471 S hierzu ausführlich § 6 Rn 96 ff. 472 Passarge BB 2010, 591 (593 f); Tully/Kirch-Heim NStZ 2012, 657 (660). 473 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 46a zu § 53 StPO; Passarge BB 2010, 591 (593); Peters/Klingberg ZWH 2012, 11 (14); Priebe ZIP 2011, 312 (316); Schäfer wistra 1985, 209 (211); aA LG Berlin, 5.3.1993 – 505 AR 2/93, wistra 1993, 278 (278), wonach der frühere Geschäftsführer sogar gegen den Willen des aktuellen zur Entbindung berechtigt sein soll, inbes zum Zwecke der Entlastung; BeckOK/Huber Rn 40 zu § 53 StPO. 474 Hierzu gehört auch die zivilrechtliche Befugnis des Insolvenzverwalters zur Abgabe einer Schweigepflichtentbindungserklärung, vgl OLG Nürnberg, 19.7.1976 – 5 W 21/76, MDR 1977, 144 mwN. 475 OLG Oldenburg, 28.5.2004 – 1 Ws 242/04, NJW 2004, 2176; OLG Nürnberg, 18.6.2009 – 1 Ws 289/09, NJW 2010, 690 (691); jedenfalls für die „Offenbarung wirtschaftlicher Geheimnisse“ OLG Köln, 1.9.2015 – 2 Ws 544/15, NZWiSt 2016, 285 (286 f); LG Lübeck, 7.6.1977 – 4 Qs 171/77, NJW 1978, 1014 (1015); LG Hamburg, 6.8.2001 – 616 Qs 41/01, NStZ-RR 2002, 12; BeckOK/Ritzert Rn 22 zu § 97 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 46b zu § 97 StPO; SK/Wohlers Rn 30 zu § 97 StPO; Priebe ZIP 2011, 312 (316); Schäfer wistra 1985, 209 (210 f); Weyand ZInsO 2013, 1064; Weyand wistra 1995, 240; KK/Greven Rn 6 zu § 97 StPO jedenfalls bei Straftaten zN oder „im Interesse“ des Unternehmens; aA OLG Schleswig, 27.5.1980 – 1 Ws 160, 161/80, NJW 1981, 294; OLG Koblenz, 22.2.1985 – 2 VAS 21/84, NStZ 1985, 426 (427); OLG Düsseldorf, 14.12.1992 – 1 Ws 1155/92, StV 1993, 346; LG Saarbrücken, 26.5.1995, wistra 1995, 239; BeckOK/Huber Rn 40 zu § 53 StPO; KK/Senge Rn 47 zu § 53 StPO; LR/Ignor/Bertheau Rn 78 zu § 53 StPO; SK/Rogall Rn 207 zu § 53 StPO; MeyerGoßner/Schmitt Rn 46c zu § 53 StPO für den Fall des Doppelmandats. Zivilprozessual OLG Nürnberg, 19.7.1976 – 5 W 21/76 Rn 31, MDR 1977, 144 f.

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den Informationsfluss tatsächlich herstellt. Vielmehr sollen auch hier die (früheren oder aktuellen?) Organe zuständig sein.476 Dem liegt – regelmäßig unausgesprochen477 – der für sich gesehen zutr Gedanke zu Grunde, dass der Kreis der geschützten Dritten ansonsten letztlich konturlos würde und dessen Bestimmung ins Belieben der Geschäftsführung gestellt. Nicht berücksichtigt wird aber, dass Organwalter dann nicht nur über Geheimnisse der Gesellschaft, sondern zugleich über diejenigen untergeordneter Mitarbeiter bestimmen könnten, obwohl sie in Person an der Kommunikation gar nicht teilnehmen. Damit würde die postulierte Grundlage der Vertrauensbeziehung des Beraters zum Organ vollends verlassen und der Gesetzeszweck des § 53 Abs 1 S 1 Nr 3 StPO verfehlt. Eine rechtsystematisch adäquate Erfassung ist daher nur möglich, sofern man die juristische Person auch bei diesen Fallkonstellationen als allein geheimnisgeschützt betrachtet. Vor diesem Hintergrund wird erst einsichtig, warum hier ebenfalls nur die jeweils amtierenden Vertretungsbefugten berechtigt sind, die Schweigepflichtentbindung zu erklären.478

(2) Verzicht und Ausnahmen 191 Die aufgezeigten Problemstellungen der Schweigepflichtentbindung stellen sich nicht

bei freiwilliger Herausgabe des Beweisgegenstandes durch den Zeugnisverweigerungsberechtigten, weil darin regelmäßig der Verzicht auf den Schutz des § 97 StPO zu sehen ist.479 Eine solche (konkludente) Verzichtserklärung ist sogar wirksam, wenn der Gewahrsamsinhaber damit gegen seine beruflichen Verschwiegenheitspflichten verstößt und sich ggf nach § 203 StGB strafbar macht.480 Allerdings nimmt die hM für alle in § 97 StPO aufgeführten zeugnisverweigerungsberechtigten Personen an, sie müssten in jedem Fall vorher darüber belehrt werden, dass der Gegenstand nur auf Grund seines freiwilligen Verzichts in Verwahrung genommen wird.481 Diese Ansicht vermag indes unter gesetzessystematischen Gesichtspunkten nicht zu überzeugen. IGs zu § 52 Abs 3 S 1 StPO sieht § 53 StPO eine Belehrungspflicht über das Zeugnisverweigerungsrecht nicht vor. Der Gesetzgeber geht daher davon aus, dass Berufsgeheimnisträgern ihre Rechte bekannt sind. Da sich das Beschlagnahmeverbot aus dem Zeugnisverweigerungsrecht herleitet ist diese Wertung auch bei § 97 StPO zu berücksichtigen. Eine Belehrung ist demnach richtigerweise unter dem Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht482 nur dann zu fordern, wenn dem Berufsgeheimnisträger das Beschlagnahmeverbot ersichtlich nicht bekannt ist.483 Va bei den in § 53 Abs 1 S 1 Nr 3 StPO genannten rechts- und steuerberatenden Be-

_____ 476 Schmitt wistra 1993, 9 (11). 477 Obwohl Tully/Kirch-Heim NStZ 2012, 657 (661 mit Fn 57) zu Recht darauf hinweisen, dass diese Behauptung zumindest klärungsbedürftig wäre. 478 OLG Oldenburg, 28.5.2004 – 1 Ws 242/04, NJW 2004, 2176; so im Ergebnis auch Tully/Kirch-Heim NStZ 2012, 657 (661 f). 479 BGH, 23.1.1963 – 2 StR 534/62, BGHSt 18, 227 (230). 480 BeckOK/Ritzert Rn 24a zu § 97 StPO; LR/Menges Rn 55 zu § 97 StPO; MK/Hauschild Rn 52 zu § 97 StPO; Park Rn 597; aA SK/Wohlers Rn 35 zu § 97 StPO mwN. 481 BeckOK/Ritzert Rn 24b zu § 97 StPO; KK/Greven Rn 3 zu § 97 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 6 zu § 97 StPO; MK/Hauschild Rn 51 zu § 97 StPO; SK/Wohlers Rn 34 zu § 97 StPO unter Hinweis, auch bei Berufsgeheimnisträgern könne die Kenntnis von der Beschlagnahmefreiheit „nicht pauschal unterstellt“ werden; Park Rn 598; die häufig in Bezug genommene Entscheidung BGH, 23.1.1963 – 2 StR 534/62, BGHSt 18, 227 (230), betrifft indes einen Fall der nach § 52 Abs 1 Nr 2 StPO zur Zeugnisverweigerung berechtigten Ehefrau. 482 Vgl BeckOK/Huber Rn 38 zu § 38 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 44 zu § 53 StPO jeweils mwN. 483 LR/Menges Rn 57 zu § 97 StPO.

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rufsgruppen, die im Zusammenhang mit Insolvenzstraftaten im Vordergrund stehen, dürfte dies aber kaum je der Fall sein. Wird die selten erforderliche Belehrung versäumt, ist das so gewonnene Beweismittel nicht verwertbar, es sei denn, die Belehrung wird zeitnah nachgeholt oder dem Gewahrsamsinhaber war die Rechtslage auch ohne die Belehrung bekannt.484 Entschließt sich der Gewahrsamsinhaber im weiteren Verlauf zu einem Widerruf seines Verzichts, dann müssen die Beweismittel wieder zurückgegeben werden. Allerdings dürfen nach bisheriger Rspr die aus ihnen gewonnenen Erkenntnisse gleichwohl erhoben und verwertet werden, sofern die Beweismittel bereits ausgewertet wurden.485 Dementspr soll eine Vernehmung des Polizeibeamten oder (externen) Sachverständigen zu den Ergebnissen der Auswertung möglich sein.486 Bei den in § 160a StPO genannten Berufsgruppen dürfte diese Rspr jedoch nicht mehr uneingeschränkt aufrecht erhalten werden können. Für diese wird zwischenzeitlich eine alleinige Dispositionsmacht des Berufsgeheimnisträgers verneint.487 Neben dem Verzicht durch eine entspr Willenserklärung regelt § 97 Abs 2 S 3 StPO 192 eine weitere Ausnahme, bei der die Beschlagnahmeverbote des § 97 Abs 1 StPO wegfallen. Diese greifen nicht, wenn der Zeugnisverweigerungsberechtigte im Verdacht der Beteiligung an der in Rede stehenden Tat, der Begünstigung, der Strafvereitelung oder der Hehlerei steht. Das Tatbestandsmerkmal der Tatbeteiligung ist nach allgM weit auszulegen, so dass es unter Zugrundelegung des prozessualen Tatbegriffs (§ 264 StPO)488 bereits ausreicht, wenn die Beteiligung rechtswidrig iSd § 11 Abs 1 Nr 5 StGB ist. Strafbar muss das Verhalten des Tatbeteiligten dagegen nicht sein.489 Dementspr entfällt das Beschlagnahmeverbot des § 97 Abs 1 StPO auch dann, wenn der Tatbeteiligte auf Grund des Angehörigenprivilegs straffrei bleibt (§ 258 Abs 6 StGB).490 Bei der vorzunehmenden Prüfung kommt es zwar nicht darauf an, ob gegen den Zeugnisverweigerungsberechtigten bereits ein förmliches Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde,491 die Annahme der Voraussetzungen des § 97 Abs 2 S 3 StPO muss sich jedoch auf konkrete Tatsachen stützen, so dass lediglich vage Anhaltspunkte oder Vermutungen nicht ausreichen.492 Besonderheiten gelten für den Verteidiger des Beschuldigten.493 Schließlich greifen die Beschlagnahmeverbote des § 97 Abs 1 StPO nicht in Bezug auf 193 Deliktsgegenstände, dh solche Beweismittel, die durch eine Straftat hervorgebracht oder zur Begehung einer Straftat gebraucht wurden oder bestimmt sind oder die aus einer Straftat herrühren (§ 97 Abs 2 S 3 StPO). Dazu zählen auch Gegenstände, die nur der Vorbereitung der Tat gedient haben,494 bspw bei entspr Verdachtslage nicht nur Urkun-

_____ 484 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 6 zu § 97 StPO. 485 MK/Hauschild Rn 52 zu § 97 StPO. 486 KK/Greven Rn 3 zu § 97 StPO; LR/Menges Rn 64 zu § 97 StPO. 487 S u § 1 Rn 207. 488 BGH, 23.1.1963 – 2 StR 534/62, BGHSt 18, 227 (229). 489 KK/Greven Rn 41 zu § 97 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 19 zu § 97 StPO; SK/Wohlers Rn 37 zu § 97 StPO; KMR/Hadamitzky Rn 15 zu § 97; LR/Menges Rn 38 zu § 97 StPO. 490 BGH, 28.3.1973 – 3 StR 385/72, BGHSt 25, 168 (169) für § 257 Abs 2 StGB aF. 491 BGH, 13.8.1973 – 1 BJs 6/71/StB 34/73, NJW 1973, 2035; LR/Menges Rn 15 und 23 zu § 97 StPO. 492 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 20 zu § 97 StPO; MK/Hauschild Rn 58 zu § 97 StPO; SK/Wohlers Rn 37 zu § 97 StPO. 493 S o § 1 Rn 174. 494 LG Hamburg, 8.1.1981 – 1 Ws 7 und 13/81, MDR 1981, 603; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 22 zu § 97; MK/Hauschild Rn 60 zu § 97 StPO.

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den selbst, sondern zugleich deren Entwürfe.495 Die Vorschrift gilt selbst für Gegenstände, die der nichtteilnahmeverdächtige Verteidiger in Gewahrsam hat.496

ee) § 160a StPO (1) Grundlagen 194 Sind die in § 53 Abs 1 S 1 Nr 2 und 3 StPO genannten Berufsgeheimnisträger betroffen, gilt es, die Sondervorschrift des § 160a StPO zu beachten. Die Norm erfasst jegliche offene und verdeckte Ermittlungsmaßnahme.497 Wegen ihrer unsystematischen Struktur und ihres unübersichtlichen Wortlauts ist sie Gegenstand zahlreicher Abgrenzungs- und Streitfragen und erschwert die Arbeit der staatlichen Ermittlungsbehörden in unangemessener Weise.498 § 160a StPO ist geradezu ein Paradebeispiel „moderner“ Kleinbuchstaben-Paragra195 phen-Gesetzgebung. Den zutr ursprünglichen Ausgangspunkt für die Regelung legte das BVerfG, indem es darauf hinwies, der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung dürfe nicht durch heimliche Abhörmaßnahmen ausgehöhlt werden. Hierzu rechnete es neben dem Gespräch mit einem Geistlichen in Bezug auf seinen seelsorgerischen Inhalt auch dasjenige mit einem Verteidiger. Letzterem wurde eine zur Wahrung der Menschenwürde wichtige Funktion beigemessen, da es den Zweck erfülle, den Beschuldigten davor zu bewahren, bloßes Objekt im Strafverfahren zu werden.499 Diesen Ansatz nutzte der Gesetzgeber jedoch, um die Vorschrift auf Drängen der Berufsvertreter und der vornehmlich von Forderungen der rechts- und steuerberatenden Berufe geprägten juristischen Lit500 zu ihrer heutigen Form auszubauen.501 Hierbei drängt sich der Befund auf, dass die günstige Gelegenheit genutzt wurde, ohne Rücksicht auf strafprozessuale Grundsätze und Systematik in erster Linie die Interessen derjenigen Gruppen zu bedienen, aus denen sich die gesetzgebende Gewalt zu einem erheblichen Anteil rekrutiert oder von deren Bevorzugung man sich politische Vorteile versprach. Anders ist es nicht zu erklären, wie ein unstrukturiertes Sammelsurium an unbestimmten Rechtsbegriffen und geschützten Interessengruppen, deren Differenzierung in sachlicher Hinsicht kaum nachvollziehbar ist, in das Gesetz Eingang fand und wodurch die Justizpraxis vor massive Auslegungs- und Anwendungsprobleme502 gestellt wird. Dies zeigt sich symptomatisch in der Einbeziehung nunmehr aller Rechtsanwälte und sogar Kammerbeistände in den absoluten Schutzbereich des § 160a Abs 1 StPO. Dabei soll keineswegs verkannt werden, dass diese als Organe der Rechtspflege einem hochrangigen öffentlichen Inte-

_____ 495 KK/Greven Rn 35 zu § 97 StPO. 496 S o § 1 Rn 173. 497 BeckOK/Sackreuther Rn 1 zu § 160a StPO; KK/Griesbaum Rn 2 zu § 160a StPO; LR/Erb Rn 13 zu § 160a StPO; Kretschmer HRRS 2010, 551. 498 M-G/Häcker § 93 Rn 46 f. 499 BVerfG, 3.3.2004 1 BvR 2378/98 und 1085/99, NJW 2004, 999 (1003 f); Kretschmer HRRS 2010, 551 (552). Mit ausdrücklicher Bezugnahme auf das BVerfG auch BT-Drucks 16/5846 S 35 (noch zum ursprünglich vorgesehenen § 53b StPO). Die spätere Verortung an der jetzigen Stelle erfolgte nach der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses in BT-Drucks 16/6979 S 45 letztlich ohne wesentliche inhaltliche Umgestaltung, weil sie „systematisch passender“ erschien, krit hierzu SK/Wolter Rn 1 zu § 160a StPO. Der zugleich mit der Vorschrift bezweckte Schutz der Parlamentarier entfaltet im Bereich der Insolvenzstraftaten keine maßgebliche Bedeutung. 500 Aber auch in diese Richtung SK/Wolter Rn 1 und 4 ff zu § 160a StPO. 501 S hierzu LR/Erb Rn 6 zu § 160a StPO mwN. 502 Diese beklagt auch in aller Deutlichkeit M-G/B/Häcker § 93 Rn 46 f.

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resse dienen.503 Es ist aber durchaus bemerkenswert, dieses dann unbesehen auf den gleichen Rang zu stellen, wie das ursprünglich auf die Menschenwürde des Beschuldigten bezogene Argument des BVerfG, um zu dessen Gunsten eine unbeeinflusste Strafverteidigung zu gewährleisten.504 Das BVerfG seinerseits konnte sich dem nur als verfassungsrechtlich „noch zu rechtfertigen“ anschließen, indem es sich auf das – allerdings recht fadenscheinig anmutende – Notargument der Gesetzesbegründung505 berief, dass eine Trennung der Tätigkeitsfelder von Anwälten und Verteidigern „faktisch kaum möglich“ sei.506 Bedauerlicher Weise bleibt auch in der Lit die rechtsstaatlich äußerst bedenkliche Kehrseite dieser Bevorzugung weitgehend unbeleuchtet. Flankiert von einer aggressiven Nullrunden- und Personaleinsparungspolitik im Bereich der Justiz ist gerade diese Argumentationslinie Ausdruck einer immer weiter gehenden Zurückdrängung der dritten Gewalt zu Lasten politischen Interessenkalküls.507 Vor diesem Hintergrund bedarf § 160a StPO einer verfassungskonformen Ausle- 196 gung, die den Anwendungsbereich in einem rechtsstaatlich noch vertretbaren Maß bestimmt und die uferlose Wortfülle und Dehnbarkeit der Norm eindämmt. Dabei ist dem verfassungsrechtlichen Gebot einer effektiven Strafverfolgung, das nur in engen Ausnahmefällen durch absolute Beweiserhebungs- und Verwendungsverbote eingeschränkt werden darf,508 der notwendige Stellenwert beizumessen.509 Dieses kann sich, was in der zwischenzeitlichen Diskussion zu Unrecht völlig verloren ging, nicht nur als öffentliches Interesse darstellen, sondern je nach Fallgestaltung auch als Opferinteresse individuell begründet sein.510 In gleicher Weise beachtenswert ist der schutzwürdige Belang eines späteren Beschuldigten, nicht zum Objekt von Verantwortungsverlagerungen zu werden, die die Unternehmensführung durch selektive Verschiebung des Beweismaterials auf Berater verfolgt, um das Unternehmen oder sich selbst auf dessen Kosten schadlos zu halten.511 In Bezug auf die Beschlagnahme bedeutet dies, dass aus § 160a Abs 5 StPO ein Vor- 197 rang des § 97 StPO als speziellere Regelung folgt.512 Demgemäß ist einerseits nach § 160a Abs 1–3 StPO zu beurteilen, ob und in welchem Umfang ein Beweisverwertungsverbot greift, soweit sich die Maßnahme auf nach § 97 StPO beschlagnahmefreie Gegenstände

_____ 503 So die ursprünglich überzeugende Begründung für deren frühere Verortung in Abs 2 nach BT-Drucks 16/5846 S 36. Wobei allerdings auffällt, dass die auch allg in der Lit vorfindlichen Darstellungen des Vertrauensverhältnisses zwischen Berater und Mandant teilweise fast schon romantischen Charakter annehmen. Hier wäre eine Rückbesinnung auf einen sachlichen Rahmen dringend vonnöten. 504 S hierzu die fast schon pathetischen Ausführungen in BT-Drucks 16/11170 S 4. 505 BT-Drucks 16/11170 S 4. 506 BVerfG, 12.10.2011 – 2 BvR 236/08 ua, NJW 2012, 833 (842), allerdings unter dem Gesichtspunkt des Art 3 Abs 1 GG im Vergleich zu den Berufsgruppen des § 160a Abs 2 StPO. 507 Lesenswert hierzu va LG Mannheim, 3.7.2012 – 24 Qs 1–2/12, wistra 2012, 400 (404 ff). 508 BVerfG, 12.10.2011 – 2 BvR 236/08 ua, NJW 2012, 833 (841 f). 509 Weswegen nach BVerfG, 15.10.2009 – 2 BvR 2438/08, NJW 2010, 287 (287 f) bspw auch keine erweiternde Auslegung des § 160a StPO auf die Zeugnisverweigerungsrechte des § 52 StPO geboten ist. 510 So noch zur zutreffenden Verortung auch der Rechtsanwälte in Abs 2 der ursprünglichen Gesetzesfassung BT-Drucks 16/5846 S 36. 511 LG Mannheim, 3.7.2012 – 24 Qs 1–2/12, wistra 2012, 400 (404 ff); M-G/Häcker § 93 Rn 47a; Raum StraFo 2012, 395 ff. Auf den Interessengegensatz zwischen juristischer Person und Handelnden und den Einfluss auf den Umfang der Schweigepflicht weist auch Bittmann wistra 2012, 173 (175) hin. 512 LG Bochum, 16.3.2016 – II-6 Qs 1/16, NStZ 2016, 500 (501 f); BeckOK/Sackreuther Rn 17 zu § 160a StPO; KK/Griesbaum Rn 21 zu § 160a StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 17 zu § 160a StPO mwN; MK/Kölbel Rn 7 zu § 160a StPO; Schneider NStZ 2016, 309 (310); aA Ballo NZWiSt 2013, 46 (48 ff); Bertheau StV 2012, 303 (306).

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erstreckte. Insoweit enthält letztere Norm keine eigenständige Regelung.513 Andererseits sperrt die von § 97 StPO erfasste Regelungsmaterie einen Rückgriff auf § 160a StPO.514 Das ist immer dann der Fall, wenn die Ermittlungsmaßnahme auf die Beschlagnahme von körperlichen Gegenständen abzielt.515 Das bedeutet aber aus og Gründen, dass die Auslegung des § 97 StPO autonomen Grundsätzen folgt, mithin auch in Grenzfragen ohne Rückgriff auf § 160a StPO.516 Folglich hat die systematische Auslegung des § 97 Abs 1 Nr 3 StPO, wonach sich dieser wie § 97 Abs 1 Nr 1 und 2 StPO nur auf das Vertrauensverhältnis zwischen Beschuldigtem und Berufsgeheimnisträger bezieht,517 selbst beim Rechtsanwalt weiterhin Bestand.518 Zudem greifen die Regelungen über die Beschlagnahmefreiheit gem § 97 Abs 2 S 1 StPO – abgesehen von den aus § 148 StPO folgenden519 Besonderheiten für Verteidigungsunterlagen520 – weiterhin nur, sofern sich die Gegenstände im Gewahrsam des Zeugnisverweigerungsberechtigten befinden. 521 Schließlich können Deliktsgegenstände wegen § 97 Abs 2 S 3 StPO beschlagnahmt werden, auch wenn es an einer Tatbeteiligung des Berufsgeheimnisträgers iSd § 160a Abs 4 S 1 StPO fehlt. Das kommt bspw hinsichtlich eines Schriftwechsels in Betracht, den ein gutgläubiger Rechtsanwalt für seinen Mandanten im Rahmen eines von diesem begangenen Betruges führte.522 198 Unbeschadet dessen kommt § 160a StPO schon vom Wortlaut her nicht zur Anwendung, falls der Berufsgeheimnisträger selbst Beschuldigter des Verfahrens ist.523

(2) Praktisch bedeutsame Fallkonstellationen zur Beschlagnahmefähigkeit 199 Weder § 160a Abs 1 S 1 noch Abs 2 S 1 StPO erfassen für die Kenntnisnahme durch Drit-

te bestimmte Unterlagen. Auf diese erstrecken sich Zeugnisverweigerungsrecht und Beschlagnahmeverbot nicht. Ferner ist der Schutzbereich der Vorschrift, die der Wahrung des Vertrauensverhältnisses zwischen Berufsgeheimnisträger und Mandant dient, nicht betroffen.524 Im Bereich der Insolvenzstraftaten sind hier in erster Linie publizitäts-

_____ 513 KK/Bruns Rn 21 zu § 160a StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 17 zu § 160a StPO. 514 LG Bochum, 16.3.2016 – II-6 Qs 1/16, NStZ 2016, 500 (502), Meyer-Goßner/Schmitt Rn 17 zu § 160a StPO u Oesterle StV 2016, 118 (119): „Keine Meistbegünstigungsklausel“; aA wohl LG Saarbrücken, 12.3.2013 – 2 Qs 15/13, NZWiSt 2013, 153 (153 f), das im Zusammenhang mit Ausführungen zu § 103 StPO wegen § 160a Abs 2 S 1 StPO alleine den gegenüber § 97 StPO weiteren Umfang des § 53 StPO für maßgeblich hält, ohne indes auf § 160a Abs 5 StPO überhaupt einzugehen. 515 LG Mannheim, 3.7.2012 – 24 Qs 1–2/12, wistra 2012, 400 (408). 516 LR/Erb Rn 56 zu § 160a StPO. 517 S o § 1 Rn 158. 518 LG Bochum, 16.3.2016 – II-6 Qs 1/16, NStZ 2016, 500 (501 f); LG Hamburg, 15.10.2010 – 608 Qs 18/10, NJW 2011, 942 (944); LR/Erb Rn 60 zu § 160a StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 10b zu § 160a StPO; MK/ Hauschild Rn 64 zu § 97 StPO; MK/Kölbel Rn 8 zu § 160a StPO; Schneider NStZ 2016, 309 (311); der Sache nach auch LG Bonn, 21.6.2012 – 27 Qs 2/12, NZWiSt 2013, 21 (24), selbst wenn dort auf § 97 Abs 1 Nr 1 StPO Bezug genommen wird; wohl auch Sotelsek NStZ 2016, 502 (503); aA Ballo NZWiSt 2013, 46 (50); Jahn ZIS 2011, 453 ff, wobei er wohl dennoch vom grundsätzlichen Vorrang des § 97 StPO wegen § 160a Abs 5 StPO ausgeht (460); v Galen NJW 2011, 945; Raum StraFo 2012, 395 ff; Rütters/Schneider GA 2014, 160 (170 f); Schmid/Wengenroth NZWiSt 2016, 404 (405 ff). 519 LR/Erb Rn 58 zu § 160a StPO. 520 S hierzu § 1 o Rn 172 ff. 521 LG Mannheim, 3.7.2012 – 24 Qs 1–2/12, wistra 2012, 400 (408); Klengel/Buchert NStZ 2016, 383 (384) Schneider NStZ 2016, 309 (310 f). 522 LR/Erb Rn 56 zu § 160a StPO. 523 BGH, 27.3.2009 – 2 StR 302/08, BGHSt 53, 257 (262); Meyer-Goßner/Schmitt Rn 1 zu § 160a StPO. 524 BVerfG, 6.11.2014 – 2 BvR 2928/10 juris (Rn 18 und 22), StraFo 2015, 61 ff.

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pflichtige Buchhaltungs- und Geschäftsunterlagen sowie notarielle Urkunden zu nennen. Insoweit kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.525 Gleiches gilt schon vom Wortlaut her, soweit das Zeugnisverweigerungsrecht 200 nicht betroffen ist,526 gerade wenn kein funktionaler Zusammenhang zwischen Erlangung des Geheimnisses und Berufsausübung besteht.527 Davon erfasst sind va die Konstellationen, in denen der Berufsgeheimnisträger nicht im Rahmen einer für sein eigentliches Berufsbild charakteristischen Weise tätig wird, bspw bei der Führung von Anderkonten.528 Um die Ausübung eines verliehenen Amtes und nicht eines durch §§ 53 Abs 1, 97 Abs 1 StPO geschützten Vertrauensverhältnisses geht es aber auch bei der Insolvenzverwaltung durch einen Rechtsanwalt.529 Genauso besteht nach zutreffender Ansicht530 bei Ombudsleuten im Rahmen betrieblicher Compliance-Systeme, selbst wenn es sich um Rechtsanwälte handelt, kein funktionaler Zusammenhang mit ihrer anwaltlichen Tätigkeit. Erlangen sie Informationen von Hinweisgebern, insbesondere solche, die auf strafbares Verhalten im Unternehmen hindeuten, so besteht ihre Aufgabe Letzterem gegenüber darin, diese anonymisiert weiterzuleiten. Soweit zugleich eine Plausibilitätsprüfung erfolgt, kann sie genasogut durch juristisch nicht ausgebildete Mitarbeiter des Unternehmens oder externe Kriminalisten erfolgen, wie häufig auch der Fall. Dieser Befund kann nicht umgangen werden, indem überbetont wird, dem Ombudsmann obliege es regelmäßig, relevante Sachverhalte von nicht-relevanten Hinwiesen juristisch zu filtern.531 Denn letztlich wird die Aufgabe, die erhaltenen Informationen weiterzuleiten, hierdurch nicht in sein Ermessen gestellt. In dieser ist das maßgebliche und kennzeichnende Element der Tätigkeit zu sehen. Dem Hinweisgeber schulden sie indes keine rechtliche Beratungstätigkeit. Besondere Probleme wirft die Einordnung von internen Ermittlungen („internal 201 investigations“) auf, mit denen ein Rechtsanwalt von einem Unternehmen beauftragt wird. Umstritten ist insbes, ob § 160a StPO zugunsten eines (später) beschuldigten Organs oder sonstigen Mitarbeiters greift, falls der Auftrag von einer juristischen Person erteilt wurde. Dass verfahrensrelevante Geschäftsunterlagen nicht einfach durch Übergabe an einen beauftragten Rechtsanwalt dem Zugriff der Ermittlungsbehörden entzogen werden können, ergibt sich schon aus vorstehenden Ausführungen. Nichts anderes gilt jedoch auch für von diesem selbst recherchiertes Material, bspw Aufzeichnungen über Interviews mit Mitarbeitern und gefertigte Berichte.532 Deren zwangsweise Erhebung wird durch § 160a StPO nicht gesperrt, da insoweit das Vorrangverhältnis des § 97 Abs 1 StPO zu beachten ist. Diese Vorschrift schützt aber nach zutr Ansicht – auch in Nr 3 – lediglich das Vertrauensverhältnis des Beschuldigten selbst zum Berufsgeheimnisträger. Geheimnisgeschützter ist allerdings ausschließlich die juristische Person.533 Wegen der Tätigkeit für diese kommt ein Treueverhältnis zu den befragten Mitarbeitern schon we-

_____ 525 S o § 1 Rn 164 ff u 168 ff. 526 BVerfG, 6.11.2014 – 2 BvR 2928/10 juris (Rn 22), StraFo 2015, 61 ff. 527 BGH, 4.2.2016 – StB 23/14, wistra 2016, 280 (281). 528 S o § 1 Rn 175 f. 529 LG Saarbrücken, 2.2.2010 – 2 Qs 1/10, NStZ 2010, 534 (535), allerdings ohne ausdrückliche Erwähnung des § 160a StPO. 530 Sotelsek NStZ 2016, 502 (503 f); der Sache nach auch LG Bochum, 16.3.2016 – II-6 Qs 1/16, NStZ 2016, 500 (500 ff). 531 So aber Schmid/Wengenroth NZWiSt 2016, 404 (406). 532 LG Hamburg, 15.10.2010 – 608 Qs 18/10, NJW 2011, 942 ff; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 10b zu § 97 StPO; MK/Hauschild Rn 64 zu § 97 StPO. 533 MK/Hauschild Rn 64 zu § 97 StPO; Schneider NStZ 2016, 309 (310 f); s hierzu auch o § 1 Rn 184.

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gen des sonst bestehenden Interessenkonflikts nicht in Betracht.534 Wenn dem entgegengehalten wird, der Schutz des Berufsgeheimnisses liefe leer, falls auch die vom Berater selbst gefertigten Aufzeichnungen beschlagnahmefähig seien,535 so wird hier nur ein Teil des Problemkreises beachtet. Sicherlich ist insoweit die berufstypische Bearbeitungsweise des Mandats berührt. Zugleich mag ein Unternehmen damit in positiver Weise – wenngleich durchaus im Eigennutz – sein Interesse an rechtstreuem Verhalten dokumentieren.536 Andererseits nimmt der Berater hier Aufgaben wahr, die im Grundsatz den Strafverfolgungsbehörden obliegen, nämlich die Aufklärung strafbarer Verhaltensweisen.537 Das mag zwar nicht unzulässig sein, führt aber gerade bei Straftaten aus dem Unternehmen heraus oder zu dessen Nachteil zu einer nicht unproblematischen Konkurrenzsituation zu einer ureigenen Aufgabe der Ermittlungsbehörden als Teil der dritten Staatsgewalt.538 Es ist durchaus zweifelhaft, ob ein Auftraggeber besonderen Vertrauensschutz in Bezug auf Dritte verdient, wenn er letztlich Aufgaben vorwegnimmt, die dem öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung dienen, oder der Berater, sofern er das Tätigkeitsfeld der staatlich dafür eingesetzten Institutionen in Anspruch nimmt. Zudem würde über eine systemwidrige Überdehnung des Zeugnisverweigerungsrechts eine Position geschaffen, in der Private mittels Einschaltung von Berufsgeheimnisträgern die zumindest teilweise Dispositionsmacht über den Ermittlungsstoff – sogar evtl zu Ungunsten eines späteren Beschuldigten – erlangen, was vom Sinn und Zweck der §§ 160a, 97, 53 StPO nicht mehr gedeckt sein kann.539 Dem mag im Einzelfall keine erhebliche praktische Bedeutung zukommen. Schließlich können die Ermittlungsorgane die Beweisgegenstände – sofern sie sich noch im Unternehmen540 befinden – sicherstellen und die entspr Zeugenvernehmungen weiterhin selbst durchführen541 und müssen dies wegen ihrer Sachaufklärungspflicht selbstverständlich tun. Rechtliche Erwägungen des Beraters können ferner nicht mehr als Anregungen für deren notwendig eigene juristische Bewertung liefern. Dagegen darf indes auch die Gefahr für die sachliche Aufklärung nicht unterschätzt werden. Gerade die Aussageentwicklung ist ein bedeutender Faktor im Hinblick auf die Beurteilung von Beeinflussungen. Solche stehen bei internen Ermittlungen wegen der wirtschaftlichen Interessen des Auftraggebers in besonderem Maße im Raum.542 Außerdem können interne Untersuchungen bei Insolvenzdelikten Rückschlüsse auf den Kenntnisstand bezüglich der Krisensituation und damit die subjektive Tatseite verschiedener Delikte liefern. Ggf ist jedoch Zurückhaltung bei früheren Angaben des jetzigen Beschuldigten geboten, zu denen dieser ohne Rücksichtnahme auf die Selbstbe-

_____ 534 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 10b zu § 97 StPO; Bittmann wistra 2012, 173 (175); Raum StraFo 2012, 395 ff. 535 LR/Erb Rn 61 zu § 160a StPO, der ansonsten grundsätzlich für eine autonome Auslegung des § 97 StPO plädiert. 536 Raum StraFo 2012, 395 ff. 537 Besonders augenfällig tritt dies in den Ausführungen von Ballo NZWiSt 2013, 46 (47) zu den Grundlagen des Untersuchungs- bzw Abschlussberichts zu Tage. Sie zeigen sich in gleicher Weise bei Betrachtung der Funktion von Ombudsleuten bspw bei Schmid/Wengenroth NZWiSt 2016, 404, insbes da diese, was Sotelsek NStZ 2016, 502 zutreffend betont, sich häufig zur Geheimhaltung von Hinweisen gegenüber den staatlichen Strafverfolgungsorganen verpflichten. 538 M-G/Häcker § 93 Rn 47a; vgl auch die Darstellungen bei Sarhan wistra 2015, 449 (449 u 451) zu Anlässen und Abläufen interner Ermittlungen. 539 LG Hamburg, 15.10.2010 – 608 Qs 18/10, NJW 2011, 942 (944); Meyer-Goßner/Schmitt Rn 10b zu § 97 StPO; auf diese Gefahr der Verschiebung von Beweismitteln weist auch LR/Erb Rn 57 zu § 160a StPO hin. 540 Gerade die problematische Situation einer Verschiebung der Beweismittel zum Berater wird bei Ballo NZWiSt 2013, 46 (51 f) nicht berücksichtigt. 541 Worauf LG Mannheim, 3.7.2012 – 24 Qs 1–2/12, wistra 2012, 400 (407), zu Recht hinweist. 542 Raum StraFo 2012, 395 ff.

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lastungsfreiheit des späteren Strafverfahrens und möglicherweise unter Druckausübung veranlasst wurde.543 Kommt die juristische Person jedoch als Beteiligte nach §§ 442, 444 StPO ihrerseits in eine Stellung, die derjenigen eines Beschuldigten entspricht, kann ein Beschlagnahmeschutz zu ihren Gunsten greifen.544 Zu prüfen ist § 160a StPO gleichfalls bei Sicherstellung eines Beweisgegenstandes im 202 Wege des Herausgabeverlangens.545 Dabei darf aber nicht außer Acht gelassen werden, dass es sich nur um eine zur Beschlagnahme alternative Form der zwangsweisen Sicherstellung grundsätzlich beschlagnahmefähiger Beweismittel iSd § 94 Abs 1 StPO handelt. Für die Umsetzung ist mithin § 97 StPO in gleicher Weise zu beachten.546 Demnach entfaltet auch in diesem Zusammenhang § 160a Abs 5 StPO Ausschlusswirkung, soweit die Regelungsmaterie des § 97 StPO greift. Die sich aus § 97 StPO ergebende Beschlagnahmefreiheit kann nicht durch Ver- 203 mischung von beschlagnahmefreiem mit beschlagnahmefähigem Beweismaterial umgangen werden. Der in Bezug auf Verteidigungsunterlagen apodiktisch und nicht entscheidungstragend geäußerten Ansicht des BVerfG, beschlagnahmefähige Unterlagen könnten durch darauf angebrachte Vermerke des Beschuldigten beschlagnahmefrei werden,547 kann nicht gefolgt werden. Ansonsten hätte es der Beschuldigte oder sonstige Mandant des Beraters beliebig in der Hand, Unterlagen dem Zugriff der Ermittlungsbehörden zu entziehen. Vielmehr kann beiden Seiten angesichts der weitgehenden Rechte, die ihnen eingeräumt werden, auf der anderen Seite auch sorgfältige Kennzeichnung und Trennung der Sphären auferlegt werden.548 Halten sie sich nicht daran, haben sie selbst das Risiko zu tragen.

(3) Dokumentation der Prognoseentscheidung Richtet sich die Ermittlungsmaßnahme gegen einen der in § 160a Abs 1–3 StPO ge- 204 nannten Berufsgeheimnisträger oder deren Hilfspersonen so fordert das Gesetz eine Prognoseentscheidung, ob unverwertbare Erkenntnisse aus dem geheimnisgeschützten Bereich zu erwarten sind.549 Um diese kenntlich und nachprüfbar zu machen haben die Ermittlungsbehörden eine Dokumentation der tragenden Tatsachen und Erwägungen vorzunehmen.550 Es empfiehlt sich die entspr Ausführungen schon in den Antrag der Staatsanwaltschaft und den anordnenden gerichtlichen Beschluss aufzunehmen. Fehlt es daran, kann schon alleine hierin ein Verstoß gegen § 160a Abs 1 S 1 oder Abs 2 S 1 und 2 StPO zu sehen sein, der zur Rechtswidrigkeit der Maßnahme führt.551

_____ 543 Rechtliche Konstruktionen zu entsprechenden Verwertungsverboten finden sich bei Sarhan wistra 2015, 449 (450 ff u 453 ff). 544 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 10c zu § 97 StPO; MK/Hauschild Rn 64 zu § 97 StPO auch zum Kartellrechtsmandat; Klengel/Buchert NStZ 2016, 383 (384 f); Schneider NStZ 2016, 309 (311 f), der allerdings zu Recht enge Grenzen zieht, ab welchem Zeitpuntk dies der Fall ist. 545 Insoweit zutreffend Kirsch NZWiSt 2013, 154 (154 f) in der Anm zu der diesbezüglich unklaren Entscheidung LG Saarbrücken, 12.3.2013 – 2 Qs 15/13, NZWiSt 2013, 153 (154). 546 S o § 1 Rn 159. 547 BVerfG, 6.11.2014 – 2 BvR 2928/10 juris (Rn 23), StraFo 2015, 61 ff. 548 LR/Erb Rn 65 StPO für Berufsgeheimnisträger; Klengel/Buchert NStZ 2016, 383 (386); vgl auch LG Ulm, 15.1.2007 – 2 Qs 2002/07 Wik, NJW 2007, 2056 (2057), und LG Saarbrücken, 2.2.2010 – 2 Qs 1/10, NStZ 2010, 534 (535), für Rechtsanwalt als Insolvenzverwalter. 549 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 3a zu § 160a StPO zu Abs 1 S 1. 550 KK/Greisbaum Rn 6 zu § 160a StPO. 551 BVerfG, 6.11.2014 – 2 BvR 2928/10 juris (Rn 21), StraFo 2015, 61 ff.

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(4) Verwendungs- und Verwertungsverbote 205 Inwieweit Ermittlungshandlungen, die das Zeugnisverweigerungsrecht eines Berufsge-

heimnisträgers und die sich daraus herleitenden Beschlagnahmeverbote tangieren, zu einem Beweisverwertungsverbot führen, beurteilt sich nach § 160a StPO, da § 97 StPO insoweit keine Sonderregelung vorsieht. In Bezug auf Rechtsanwälte, insbes in ihrer Eigenschaft als Verteidiger und ihnen gleichgestellte Personen sieht § 160a Abs 1 S 2 StPO ein absolutes Verwertungsverbot vor, das auch verbietet, evtl erlangte Erkenntnisse mittelbar als weiteren Ermittlungs- oder Spurenansatz zu nutzen.552 Soweit die in § 53 Abs 1 S 1 Nr 3 weiter aufgeführten Notare, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater betroffen sind, die gerade bei Insolvenzstraftaten als Erkenntnisquelle in Betracht kommen, trifft § 160a Abs 2 S 3 StPO eine Sonderregelung. Danach ist die Entscheidung in Anlehnung an die schon bisher vom BGH vertretene Abwägungslehre im Wege einer Einzelfallprüfung zu treffen.553 Allerdings ist die erhöhte Eingangsschwelle einer Straftat von erheblicher Bedeutung zu beachten. Ob eine solche gegeben ist, richtet sich nach den abstrakten Strafrahmen des materiellen Strafrechts und nicht nach der Schuldform, weswegen selbst Fahrlässigkeitsdelikte herangezogen werden können.554 Als Folge kommt hier lediglich ein relatives Verwertungsverbot zum tragen, das es nicht verbietet, erlangte Erkenntnisse mittelbar als Grundlage für weitere Ermittlungen zu nutzen.555 Unbeschadet dessen bedürfen für die Zwangsmaßnahmen nach §§ 94, 95 StPO die Verweise auf die jeweiligen Beweiserhebungsvorschriften des § 160a Abs 1 S 1 und Abs 2 S 1 und 2 StPO im Hinblick auf Abs 5 der Vorschrift einer einschränkenden Auslegung. Nicht der dort lediglich genannte Umfang des Zeugnisverweigerungsrecht ist Ausgangpunkt für die Prüfung der Verwertbarkeit, sondern die abschließende Sonderregelung des § 97 StPO. Gerade auch in diesem Zusammenhang führt die gesetzgeberisch misslungene Fassung der Vorschrift zu Anwendungsschwierigkeiten, va inwieweit bisherige allgemeine Rechtsgrundsätze556 nach Einfügung des § 160a StPO weiterhin Gültigkeit haben. Selbst beim Verteidiger, der unter dem Verdacht der Tatbeteiligung iSd § 97 Abs 2 206 S 3 StPO stand, wurde bislang angenommen, dass das ursprünglich in zulässiger Weise gewonnene Beweismittel auch dann verwertbar bleibt, nachdem der Tatverdacht entfallen ist.557 Es ist indes zweifelhaft, ob diese Rspr im Hinblick auf das für alle Rechtsanwälte geltende absolute Verwendungsverbot des § 160a Abs 1 S 2 StPO aufrecht erhalten werden kann. Zwar spricht hierfür der Wortlaut der Vorschrift, die mit dem Wort „dennoch“ zum Ausdruck bringt, die ursprüngliche Beweiserhebung müsse schon unter Verstoß gegen § 160a Abs 1 S 1 StPO erfolgt sein.558 Allerdings brachte schon der BGH selbst in seiner vor Einfügung des § 160a StPO ergangenen Entscheidung zum Ausdruck, es komme auf die Frage eines fehlerhaften Erwerbs des Beweismittels gar nicht an. Vielmehr nahm er auf ein früheres Judikat zu §§ 97 Abs 1 Nr 1, 52 Abs 1 Nr 2 StPO Bezug, das hierzu folgendes ausführte: „Denn die Verwertung eines fehlerhaft erlangten Beweismittels ist nicht wegen des fehlerhaften Erwerbs verboten, sondern weil ‚das Gesetz selbst den Gegenstand

_____ 552 KK/Griesbaum Rn 9 zu § 160a StPO. 553 BGH, 4.2.2016 – StB 24/14, StV 2017, 1 f. 554 BGH, 22.3.2012 – 1 StR 359/11, JR 2013, 34 (36), für fahrlässige Tötung mit einer gesetzlichen Höchststrafe von 5 Jahren. 555 BeckOK-StPO/Sackreuther Rn 12 zu § 160a StPO; LR/Erb Rn 52 zu § 160a StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 12 zu § 160a StPO. 556 S hierzu o § 1 Rn 146 (Herausgabeverlangen) und Rn 162 (Beschlagnahme). 557 BGH, 20.10.1982 – 2 StR 43/82, NStZ 1983, 85. 558 AA Meyer-Goßner/Schmitt Rn 4 zu § 160a StPO.

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als Beweismittel ablehnt‘, weil ‚das Beweisrecht der StPO erkennen lässt, dass dieses Beweismittel reprobiert wird‘. Die Verletzung der Beweisregelung macht die Verwertung nicht unzulässig“.559 Eine solche ausdrückliche Ablehnung des Beweismittels an sich hat der Gesetzgeber aber nunmehr mit § 160a Abs 1 S 2 StPO geschaffen. Diese wird daher durchschlagen müssen, und zwar auch auf evtl durch das Beweismittel eröffnete Folgeermittlungen.560 Angesichts der eindeutigen gesetzgeberischen Wertung561 erscheint es nicht mehr vertretbar, eine gewissermaßen weiterwirkende Rechtmäßigkeit der Maßnahme anzunehmen, nachdem sich die zur Begründung herangezogene Verdachtslage als unzutreffend erwiesen hat. Richtete sich die Beschlagnahme gegen einen Berufsgeheimnisträger aus den in § 160a Abs 2 S 1 genannten Berufsgruppen, wird im Rahmen der Abwägung die ursprüngliche Rechtmäßigkeit der Maßnahme deutlich ins Gewicht fallen müssen, so dass ein Verwertungsverbot regelmäßig nur dann in Erwägung zu ziehen ist, sofern ein Überschreiten der Erheblichkeitsschwelle für die Straftat zweifelhaft ist. Im umgekehrten Fall einer tatsächlich erst nach Durchführung der Maßnahme entstehenden Verdachtslage wird dagegen teilweise angenommen, die Abwägung könne bei ursprünglich willkürlicher Annahme gegenüber einem zum ursprünglichen Zeitpunkt völlig unverdächtigen Berufsgeheimnisträger sogar bei einem später unabhängig von der Maßnahme gewonnenen Verdacht zu einem Verwertungsverbot führen.562 Nicht zur Unverwertbarkeit führt ein Widerruf der Entbindung von der Schwei- 207 gepflicht für die bis dahin gewonnen Erkenntnisse. Ein solcher entfaltet Wirkung nur für die Zukunft.563 Dies folgt schon aus dem Wortlaut des § 160a Abs 1 S 2 StPO ggf iVm Abs 2 S 3 StPO („dennoch“), der einen vorhergehenden Verstoß gegen das jeweilige Beweiserhebungsverbot in Abs 1 S 1 oder Abs 2 S 1 und 2 voraussetzt. Für eine erweiternde Auslegung der Vorschrift564 ist angesichts ihrer verfassungsrechtlich zumindest problematischen Weite kein Raum. Zudem würde es jeglichen strafprozessualen Grundsätzen widersprechen, dem Beschuldigten auf diesem Wege die Befähigung einzuräumen, die Beweisgewinnung der Ermittlungsbehörden durch beliebige Generierung oder Entziehung von Beweismaterial zu manipulieren.565 In gleicher Weise werden zunächst auf Basis einer unzulässigen Maßnahme gewonnene Beweismittel uneingeschränkt verwertbar, sobald eine wirksame Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht erteilt wird, da die Verwertungsverbote des § 160a StPO an das Bestehen eines Zeugnisverweigerungsrechtes anknüpfen.566 Über dieses hat allerdings der Berufsgeheimnisträger keine eigenständige Dispositionsmacht. Die Anwendbarkeit des § 160a StPO wird folglich nicht dadurch ausgeschlossen, dass er den Ermittlungsbehörden von sich aus die geschützten Erkenntnisse freiwillig zugänglich macht.567 Das ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Norm, die die Rechtsfolgen nach Abs 1 S 1 und Abs 2 S 1 abstrakt daran anknüpft, dass der Geheimnisträger das Zeugnis über die Erkenntnisse „verweigern dürfte“, mithin

_____ 559 BGH, 28.3.1973 – 3 StR 385/72, BGHSt 25, 168 (170 f), seinerseits unter Zitat von Eb Schmidt, Rn 14 zu § 94 StPO; Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, S. 139 ff, 141. 560 So iE auch LR/Erb Rn 47 zu § 160a StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 4 zu § 160a StPO. 561 SK/Wohlers Rn 47 zu § 97; LR/Erb Rn 47 zu § 160a StPO sahen dies schon nach der früheren Rechtlage als zwingend an. 562 LR/Erb Rn 49 zu § 160a StPO. 563 LR/Erb Rn 16 zu § 160a StPO; aA Bertheau StV 2012, 303 (304). 564 So angedacht von Meyer-Goßner/Schmitt Rn 4 zu § 160a StPO. 565 LR/Erb Rn 16 zu § 160a StPO. 566 BeckOK/Sackreuther Rn 5 zu § 160a StPO; KK/Griesbaum Rn 7 zu § 160a StPO. 567 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 1 zu § 160a StPO; MK/Kölbel Rn 2 zu § 160a StPO.

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alleine an die Person des Geheimnisgeschützten anbindet. Nachdem § 97 StPO insoweit keine Sonderregelung enthält,568 gilt dies auch bei freiwilliger Herausgabe beschlagnahmefreier Gegenstände.569 Besonderheiten bestehen auch für ein Herausgabeverlangen, das trotz Bestehen 208 eines Zeugnisverweigerungsrechts aus § 53 Abs 1 S 1 Nr 2 oder 3 StPO durchgesetzt wurde. Zwar hindert ein Verstoß gegen ein Zeugnisverweigerungs- und Beschlagnahmeverbot nicht zwingend eine nachfolgend rechtmäßige Beschlagnahme eines Beweisgegenstandes.570 Etwas anderes gilt aber wegen des absoluten Verwendungsverbotes aus § 160a Abs 1 S 2 StPO in Bezug auf Rechtsanwälte. Bei den von § 160a Abs 2 S 1–3 StPO erfassten Berufsgruppen muss zumindest die erhöhte Hürde einer Straftat von erheblicher Bedeutung überwunden werden.571

d) Durchsuchung aa) Allgemeines 209 Durchsuchung ist nach der auch für das Strafrecht geltenden Definition des BVerfG572 das ziel- und zweckgerichtete Suchen staatlicher Organe nach Personen oder Sachen zur Ermittlung eines Sachverhalts, um etwas aufzuspüren, was der Inhaber der Wohnung von sich aus nicht offenlegen will. §§ 102 ff StPO gelten für sämtliche strafprozessualen Durchsuchungen. Eine Anordnung der Durchsuchung nach §§ 102 ff StPO ist entbehrlich, falls der Betrof210 fene sein Einverständnis mit einer Durchsicht erklärt.573 Dazu muss jeder Gewahrsamsinhaber seine Einwilligung erteilen und bei Räumen juristischer Personen der gesetzliche Vertreter.574 Da unterschiedlich beurteilt wird, ob eine konkludente Zustimmung, bspw durch Duldung der Nachschau, ausreichend575 und deren tatsächliches Vorliegen im Nachhinein schwer zu beurteilen ist, sollte der Betroffene von dem Ermittlungsbeamten, der die Maßnahme durchführen will, zuvor belehrt und dies dokumentiert werden.576 Dies gilt erst recht, um die Freiwilligkeit der Mitwirkung sicherzustellen, falls die Voraussetzungen der §§ 102 ff StPO nicht gegeben sind.577

_____ 568 S o § 1 Rn 197. 569 S hierzu o Rn 191. 570 S o § 1 Rn 146. 571 Insoweit zutr Kirsch NZWiSt 2013, 154 (154 f) in der Anm zu der diesbezüglich unklaren Entscheidung LG Saarbrücken, 12.3.2013 – 2 Qs 15/13, NZWiSt 2013, 153 (154). 572 BVerfG, 18.9.2008 – 2 BvR 683/08 Rn 17, wistra 2008, 463 ff mwN; grundlegend BVerfG, 3.4.1979 – 1 BvR 994/76, NJW 1979,1539, im Anschluss an BVerwG, 12.12.1967 – I C 112/64, NJW 1968, 563; BVerwG, 6.9.1974 – I C 17/73, NJW 1975, 130 (131), zur Abgrenzung gegenüber der Besichtigung; Park Rn 29 ff Die Abgrenzung zur bloßen Nachschau hat nach Wesser NJW 2002, 2138, 2139 f, danach zu erfolgen, ob ein weiterer Eingriff (zB in Art 14 GG) beabsichtigt ist, dann: Durchsuchung, oder nicht, dann: Nachschau. 573 BGH, 15.10.1985 – 5 StR 338/85, NStZ 1986, 84 (85). 574 LR/Tsambikakis Rn 10 und 14 zu § 105 StPO; MK/Hauschild Rn 2 zu § 105 StPO. 575 Für eindeutige Fälle BeckOK/Hegmann Rn 2 zu § 105 StPO; MK/Hauschild Rn 2 zu § 105 StPO; aA iSd Erfordernisses einer ausdrücklichen Erklärung OLG Köln, 27.10.2009 – 81 Ss 65/09, StV 2010, 14 (15); KK/Bruns Rn 1 zu § 105 StPO; LR/Tsambikakis Rn 4 zu § 105 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 1 zu § 105 StPO; SK/Wohlers Rn 4 zu § 105 StPO. 576 SK/Wohlers Rn 4 zu § 105 StPO. 577 LG Berlin, 27.6.2008 – 525 Qs 102/08, StV 2011, 89; KK/Bruns Rn 1 zu § 105 StPO; Meyer-Goßner/ Schmitt Rn 1 zu § 105 StPO; sa OLG Hamburg, 23.3.2007 – 1 Ss 5/07, StV 2008, 12, für einen Fall der Unverhältnismäßigkeit.

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Der in der grundlegenden Norm des § 102 StPO genannte Begriff der „Wohnung“ ist 211 dabei in einem sehr weiten Sinne zu verstehen. Alles, was zur persönlichen räumlichen Sphäre gehört, fällt darunter,578 also auch Neben- und Lagerräume, Garagen, Gartenhäuser und Unterkünfte in Hotels, Schiffen, Bau- oder Wohnwagen, ebenso beruflich genutzte Räume579 einschließlich Dienstzimmer.580 Soll die Durchsuchung einer Wohnung vorgenommen werden, so ist deren besonderer Schutz durch Art 13 GG zu berücksichtigen, was seinen Niederschlag va in der hervorgehobenen Prüfung des Übermaßverbots findet.581 Kraftfahrzeuge – ausgenommen Wohnmobile und Wohnwagen582 – sind dagegen, 212 da sie nicht der Behausung von Menschen dienen, nicht vom Begriff der Wohnung erfasst.583 Sie werden aber regelmäßig nach § 102 StPO als dem Verdächtigen „gehörende Sache“ anzusehen sein. Ferner umfasst der Begriff der Wohnung nicht etwaige bei Banken angemietete Schließfächer. Da eine Durchsuchung ausschließlich das Hausrecht der betroffenen Bank berührt,584 ist in diesen Fällen eine Anordnung nach Maßgabe der engeren Voraussetzungen des § 103 StPO notwendig. Eine Wohnungsdurchsuchung darf als Ergreifungs- oder Ermittlungsdurchsuchung 213 nur zu bestimmten gesetzlich vorgegebenen Zwecken angeordnet werden.585 Sie kann mithin einerseits dazu dienen, den Beschuldigten zu ergreifen. Damit ist seine Festnahme zur Durchführung einer gesetzlich zugelassenen Zwangsmaßnahme gemeint. Zweck kann neben der Vollstreckung eines Haftbefehls gemäß §§ 112, 230 Abs 2 StPO auch eine Vorführung nach §§ 134, 236 StPO oder das Ermöglichen von Identifizierungs- oder körperlichen Untersuchungsmaßnahmen sein.586 Ferner kann eine Durchsuchung angeordnet werden, wenn die Annahme587 gerechtfertigt ist, dass Beweismittel588 aufgefunden werden können (§ 102 StPO), gleichgültig, ob diese be- oder entlastend sind.589 Hierzu gehören auch Spuren, die zu Beweiszwecken gesichert oder zumindest vorübergehend in Augenschein genommen werden sollen.590 Schließlich verweist die Vorschrift des § 111b Abs 4 StPO auf die §§ 102 ff StPO, so dass eine Durchsuchung auch dann in Betracht kom-

_____ 578 BeckOK/Hegmann Rn 8 zu § 102 StPO; LR/Tsambikakis Rn 28 zu § 102 StPO; Park Rn 52; Wesser NJW 2002, 2138. 579 BVerfG, 16.4.2015 – 2 BvR 2279/13 NJW 2015, 2869 (2870); BVerfG, 16.4.2015 – 2 BvR 440/14 NJW 2015, 2870 (2871); BVerfG, 5. 3.2012 − 2 BvR 1345/08, NJW 2012, 2097 (2098); BVerfG, 27.5.1997 – 2 BvR 1992/92, NJW 1997, 2165 mwN. 580 KK/Bruns Rn 8 f zu § 102 StPO; LR/Tsambikakis Rn 30 zu § 102 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 7 zu § 102 StPO; MK/Hauschild Rn 17 zu § 102 StPO; SK/Wohlers Rn 9 zu § 102 StPO. 581 S u § 1 Rn 214. KK/Bruns Rn 12 zu § 103 StPO; Kruis/Wehowsky NJW 1999, 682 ff; LR/Tsambikakis Rn 36 ff zu § 102 StPO. 582 BeckOK/Hegmann Rn 9 zu § 102 StPO; MK/Hauschild Rn 17 u 22 zu § 102 StPO; SK/Wohlers Rn 10 zu § 102 StPO. 583 BGH, 11.4.1997 – 1 BGs 88/97, NStZ 1998, 157. 584 BVerfG, 16.10.2002 – 2 BvR 1306/02 juris (Rn 2), NJW 2003, 1032 (LS). 585 StPO KK/Bruns Rn 3 zu § 102; MK/Hauschild Rn 3 zu § 102 StPO. 586 KK/Greven Rn 5 zu § 102 StPO; LR/Tsambikakis Rn 19 zu § 102 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 12 zu § 102 StPO; MK/Hauschild Rn 4 zu § 102 StPO; SK/Wohlers Rn 19 zu § 102 StPO. Die von LG Frankfurt aM, 17.9.2003 – 5/6 Qs 51/03 StV 2003, 610, insoweit vertretene gegenteilige Ansicht für eine Maßnahme nach § 81g StPO bei einem Verurteilten ist durch die Neufassung der Vorschrift in Abs 4 überholt. 587 LR/Tsambikakis Rn 23 zu § 102 StPO; Park Rn 37 f und 43–48. 588 Vgl zum Begriff Meyer-Goßner/Schmitt Rn 4 ff zu § 94 StPO. 589 LR/Tsambikakis Rn 10 zu § 103 StPO. 590 Ggf durch Fotografieren, LR/Tsambikakis Rn 21 zu § 102 StPO; SK/Wohlers Rn 21 zu § 105 StPO; KK/Bruns Rn 4 zu § 102 und 4 zu § 103 StPO; KMR/Hadamitzky Rn 16 zu § 102 StPO.

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men kann, wenn vorläufige Sicherungsmaßnahmen für eine spätere Gewinnabschöpfung durchgeführt werden sollen.591 Da sich die Durchsuchung schon ihrer Natur nach als schwer wiegender Eingriff in 214 die grundrechtlich geschützte Rechtssphäre des Betroffenen darstellt, ist sowohl bei deren Anordnung als auch bei ihrer Durchführung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.592 Dies gilt in hervorgehobenem Maße wegen des besonderen Grundrechtsschutzes aus Art 13 Abs 1 StPO für die in der Praxis ganz überwiegenden Fälle der Durchsuchung von Wohnräumen,593 für Durchsuchungen bei Nichtverdächtigen gem § 103 StPO594 und für solche bei Berufsgeheimnisträgern.595 Ggf sind hierzu Ausführungen im Beschluss zu machen.596 Hieran kann es bspw fehlen, wenn andere gleichermaßen Erfolg versprechende, aber weniger einschneidende Ermittlungsmaßnahmen zur Verfügung stehen, selbst wenn sie für die Ermittlungsbehörden mit größerem Aufwand verbunden sind.597 IdS können Zeugenvernehmungen,598 insbes von Mitarbeitern des Unternehmens, vorrangig sein,599 die Einholung von Auskünften, insbes bei Banken und Behörden,600 in besonders gelagerten Einzelfällen sogar die Konfrontation des Beschuldigten mit den bisherigen Ermittlungen601 oder die an ihn gerichtete Aufforderung, beweisrelevante Gegenstände vorzulegen, die sich in seinem Besitz befinden.602 Ist bei bestimmten Personen oder Institutionen deren Kooperation zu erwarten, wie va beim Insolvenzverwalter,603 kann zumindest die Anordnung einer Durchsuchung als verhältnismäßig angesehen werden, sofern sie mit einer Abwendungsbefugnis versehen ist.604 Etwas anderes kann allerdings für deren Vollzug gelten, ohne dass dem Betroffenen zuvor ausreichende Gelegenheit zur freiwilligen Herausgabe der Beweisgegenstände gegeben wurde.605 Die Unverhältnismäßigkeit kann schließlich daraus folgen, dass die Maß-

_____ 591 MK/Hauschild Rn 5 zu § 102 StPO. 592 BVerfG, 26.5.1976 – 2 BvR 294/76, MDR 1977, 113; BeckOK/Hegmann Rn 18 zu § 102 StPO mwN; KK/Bruns Rn 12 zu § 103 StPO; LR/Tsambikakis Rn 18 und 25 zu § 102 StPO; Kruis/Wehowsky NJW 1999, 682 ff. 593 BVerfG, 5.2.2004 – 2 BvR 1621/03, NJW 2004, 1519 (1520); BVerfG, 5.8.1966 – 1 BvR 586/62, 610/63, 512/64, NJW 1966, 1603 (1607); BVerfG, 26.5.1976 – 2 BvR 294/76, MDR 1977, 113. 594 BVerfG, 11.7.2008 – 2 BvR 2016/06, NJW 2009, 281 (282); BVerfG, 3.7.2006 – 2 BvR 299/06, NJW 2007, 1804 (1805); LG Limburg, 22.6.2012 – 1 Qs 72/12 juris (Rn 18); KK/Bruns Rn 12 zu § 103 StPO. 595 BVerfG, 6.11.2014 – 2 BvR 2928/10, StraFo 2015, 61; LG Rostock v 21.7.2015 – 18 Qs 212/14 (2), StV 2015, 622 (623) . 596 S u § 1 Rn 229. 597 BVerfG,16.12.2014 – 2 BvR 2393/12 StV 2015, 614 (615); BVerfG, 3.7.2006 – 2 BvR 2030/04, StraFo 2006, 369 (371); BeckOK/Hegmann Rn 18 zu § 102 StPO; LR/Tsambikakis Rn 59 u 62 zu § 105 StPO; MK/ Hauschild Rn 31 zu § 102 StPO. 598 BVerfG, 3.7.2006 – 2 BvR 2030/04, StraFo 2006, 369 (371). 599 BVerfG, 11.7.2008 – 2 BvR 2016/06, NJW 2009, 281 (282). 600 BVerfG, 3.7.2006 – 2 BvR 2030/04, StraFo 2006, 369 (371); LG Potsdam, 8.1.2007 – 25 Qs 60/06, JR 2008, 260 (261) zu Prüfbericht der Deutschen Rentenversicherung. 601 BVerfG, 11.2.2015 – 2 BvR 1694/14, NJW 2015, 1585 (1587). 602 Sehr weit gehend BVerfG v 30.7.2015 – 1 BvR 1951/13, juris (Rn 16–20) u BVerfG, 29.11.2004 – 2 BvR 1034/02, NJW 2005, 1640 (1641 f), wobei dann nach den dortigen Ausführungen aus der Nichtvorlage ggf entspr Schlüsse gezogen werden können. 603 LG Dresden, 27.11.2013 – 5 Qs 113, 123/13 StV 2015, 621; zu Banken s o § 1 Rn 84 ff. 604 LG Ulm, 15.1.2007 – 2 Qs 2002/07 Wik, NJW 2007, 2056 (2057); aA Menz JR 2008, 261, der allerdings unberücksichtigt lässt, dass es iGgs zur nachfolgend angeführten Entscheidung des LG Potsdam gerade nicht zu einem Vollzug der Anordnung kam; vgl auch LG Neubrandenburg, 9.11.2009 – 8 Qs 190/09, NStZ 2010, 352 (353); LG Berlin, 24.7.2003 – 502 Qs 49, 50/03, NJW 2003, 2694 (2695), für Rechtsanwalt. 605 LG Potsdam, 8.1.2007 – 25 Qs 60/06, JR 2008, 260 (261); so auch LG Neubrandenburg, 9.11.2009 – 8 Qs 190/09, NStZ 2010, 352 (353); LG Saarbrücken, 2.2.2010 2 Qs 1/10, NStZ 2010, 534 (535), jeweils für die

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nahme im Hinblick auf die Schwere des Tatvorwurfs606 oder den Grad des konkreten Tatverdachts nicht mehr angemessen erscheint.607 Das muss aber selbst bei dem Verdacht von Ordnungswidrigkeiten nicht von vornherein die Unverhältnismäßigkeit zur Folge haben, wenn diese von entspr Gewicht sind, was inbes im Bereich des Wirtschaftsrechts in Frage kommt.608 bb) Betroffene und Objekte der Durchsuchung (1) Durchsuchung beim Verdächtigen gem § 102 StPO Wegen der unterschiedlichen Voraussetzungen ist die Abgrenzung der Durchsuchung 215 beim Verdächtigen nach § 102 StPO von derjenigen bei einem Dritten nach § 103 StPO erforderlich. Es kommt für die Annahme Ersterer auch hier wieder wie bei § 97 Abs 2 S 3 StPO nicht darauf an, ob jemand bereits Beschuldigter ist oder nicht. Es gilt vom Grundsatz her ein weiter Begriff des Verdächtigen, weswegen die hM davon ausgeht, die Durchsuchung könne sich auch bei zunächst noch informatorisch als Zeugen gehörten Personen auf § 102 StPO stützen.609 Danach ist in formeller Hinsicht zwar nicht notwendig, dass bereits ein Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten eingeleitet worden ist,610 jedoch dürfen die Beschuldigtenrechte und die strengeren Anforderungen des § 103 Abs 1 StPO auch nicht umgangen werden. Daher konstituiert schon die Anordnung der Maßnahme den Beschuldigtenstatus, wenn sie erkennbar dazu dient, geeignete Beweismittel für die Überführung des davon Betroffenen zu gewinnen,611 spätestens aber deren Vollzug.612 Ohnehin wird, da für das Vorliegen der Straftat an sich und die Auffindevermutung jeweils ein Anfangsverdacht gefordert wird,613 eine weitere Differenzierung danach, ob der Betroffene schon unterhalb dieser Schwelle verdächtig oder noch reiner Zeuge ist, schwierig zu treffen sein. IZw sollte daher der sichere Weg über § 103 StPO beschritten werden. Inhaltlich bezieht sich die Eigenschaft des Betroffenen sowohl auf die Täter und Teilnehmer (an) einer Tat, als auch auf diejenigen, die der Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei614 verdächtig sind. Erfasst werden somit sowohl der Beschuldigte im Ermittlungsverfahren als auch der Angeschuldigte und der Angeklagte in den Stadien des Zwischen- und

_____ Vollstreckung eines Beschlusses ohne Abwendungsbefugnis, und LG Saarbrücken, 12.32013 – 2 Qs 15/13, NZWiSt 2013, 153 (154) für Steuerberater; der Sache nach in diese Richtung auch, wenngleich im Wortlaut schon auf die Anordnung bezogen LG Dresden, 27.11.2013 – 5 Qs 113, 123/13 StV 2015, 621; Peters/Klingberg ZWH 2012, 11 (15) für Wirtschaftsprüfer. 606 Nach BVerfG, 6.5.2008 – 2 BvR 384/07, NJW 2008, 1937 (1938), muss für die Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei eine „mehr als geringfügige Sanktion in Betracht“ kommen. 607 BVerfG, 16.12.2014 – 2 BvR 2393/12 StV 2015, 614 (615); BeckOK/Hegmann Rn 18a zu § 102 StPO; KK/ Bruns Rn 12 zu § 102 StPO; LR/Tsambikakis Rn 64 zu § 105 StPO. 608 LR/Tsambikakis Rn 67 zu § 105 StPO; vgl auch die RpsrN bei KK/Bruns Rn 12 zu § 102 StPO. 609 BeckOK/Hegmann Rn 2 zu § 102 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 2 zu § 102 StPO; wohl nur verbal enger LR/Tsambikakis, Rn 12 f zu § 102 StPO, der zumindest einen Anfangsverdacht verlangt, einen solchen zutreffend aber bereits bei Vorliegen entspr kriminalistischer Erfahrungswerte bejaht. IÜ wendet auch er sich nicht ausdrücklich gegen die Auffassung der hM, dass ein Ermittlungsverfahren noch nicht eingeleitet worden zu sein braucht. 610 BeckOK/Hegmann Rn 2 zu § 102 StPO; StPO KK/Bruns Rn 1 zu § 102; SK/Wohlers Rn 5 zu § 102 StPO; Michalke StraFo 2014, 89. 611 BGH, 3.7.2007 – 1 StR 3/07, BGHSt 51, 367 (370 f), mit der zwingenden Folge, dass er dann auch als Beschuldigter nach § 136 Abs 1 StPO zu belehren ist. 612 BGH, 28.2.1997 – StB 14/96, NStZ 1997, 398 (399); MK/Hauschild Rn 9 zu § 102 StPO. 613 S u § 1 Rn 217. 614 Nach MK/Hauschild Rn 13 zu § 102 StPO ist die ausdrückliche Nennung dieser Tatbestände historisch bedingt.

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Hauptverfahrens (§ 157 StPO),615 nicht jedoch ohne weiteres der Verurteilte.616 Im Strafvollstreckungsverfahren kommen die §§ 102, 103 StPO nur im Rahmen entsprechender Verweisung (§ 457 Abs 3 StPO) zur Anwendung.617 Strafunmündige Personen können konsequenterweise keine Verdächtigen sein, so dass bei ihnen eine Durchsuchung nur unter den engeren Voraussetzungen des § 103 StPO möglich ist.618 Die Durchsuchung bei einem Verdächtigen darf gemäß § 102 StPO zum Zwecke sei216 ner Auffindung und Festnahme als Ergreifungsdurchsuchung sowie als Ermittlungsdurchsuchung stattfinden, wenn zu vermuten ist, dass Beweismittel619 oder Spuren620 aufgefunden werden können. Durchsucht werden dürfen unter diesen Voraussetzungen die Wohnung, andere Räume,621 die Person des Verdächtigen selbst622 und die ihm gehörenden Sachen.623 Bei Insolvenzstraftaten sollte die Durchsuchung trotz des Unternehmensbezugs nicht auf Geschäftsräume beschränkt werden. Gerade planvoll agierende Täter verbergen belastendes Material nicht selten in den Wohnräumen oder sonstigen privaten Räumlichkeiten.624 Maßgebend ist im Falle der Durchsuchung der von § 102 StPO erfassten Räumlichkeiten, dass der Verdächtige diese tatsächlich nutzt,625 irrelevant dagegen, im Rahmen welcher Rechtsverhältnisse er dies tut,626 ob er Allein- oder Mitinhaber ist und ob die Nutzung befugt oder unbefugt erfolgt.627 Bei Sachen sind nicht die Eigentums-, sondern die faktischen Besitz- und Gewahrsamsverhältnisse maßgebend.628 Dementspr ist die Vorschrift auch dann anwendbar, wenn der Beschuldigte lediglich Mitgewahrsam hat629. § 102 StPO setzt der Sache nach einen Anfangsverdacht einer Straftat voraus.630 217 Für dessen Annahme müssen vor Beginn der Maßnahme zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, weswegen bloße Annahmen oder vage Vermutungen unter Berücksichtigung des Gewichts des Eingriffs nicht ausreichend sind.631 Zur Begründung

_____ 615 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 1 zu § 102 StPO. 616 AG Leipzig, 6.8.1998 – 81 OWi 01547/98, NJW 1999, 2053, 2054; vgl auch KG, 5.5.1999 – 2 AR 26/99 – 3 Ws 116/99, NJW 1999, 2979, 2980 zu § 94 StPO. 617 KK/Bruns Rn 1 zu § 102 StPO; LR/Tsambikakis Rn 4 zu § 102 StPO; LR/Graalmann-Scheerer Rn 28 zu § 457 StPO; Park Rn 35–41. 618 LR/Tsambikakis Rn 10 zu § 102 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 4 zu § 102 StPO. 619 S o § 1 Rn 137 ff. Meyer-Goßner/Schmitt Rn 4–9 zu § 94 StPO. 620 KK/Bruns Rn 4 zu § 102; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 13 zu § 102 StPO; SK/Wohlers Rn 21 zu § 102 StPO, auch wenn diese ausdrücklich nur in § 103 Abs 1 StPO erwähnt werden; LR/Tsambikakis Rn 21 zu § 102 StPO, sieht Spuren als Beweismittel iS von § 102 StPO an. 621 S o § 1 Rn 211. 622 OLG Celle, 5.11.1996 – 3 Ss 140/96, NJW 1997, 2463 (2464); LR/Tsambikakis Rn 37 zu § 102 StPO; SK/ Wohlers Rn 13 zu § 102 StPO. 623 Insbes zu Kraftfahrzeugen und Schließfächern s o § 1 Rn 212. 624 Dannecker/Knierim/Hagemeier Rn 312. 625 KK/Bruns Rn 9 zu § 102 StPO; SK/Wohlers Rn 9 zu § 102 StPO. 626 BVerfG, 2.7.2009 – 2 BvR 2225/08, NJW 2009, 3225 (3226), für Wohnräume. 627 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 7 zu § 102 StPO; MK/Hauschild Rn 18 zu § 102 StPO. 628 BeckOK/Hegmann Rn 12 zu § 102 StPO; KK/Bruns Rn 11 zu § 102 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 10 zu § 102 StPO; MK/Hauschild Rn 25 zu § 102 StPO; SK/Wohlers Rn 9 zu § 102 StPO. 629 KK/Bruns Rn 11 zu § 102 StPO; LR/Tsambikakis Rn 38 zu § 102 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 10 zu § 102 StPO; MK/Hauschild Rn 25 zu § 102 StPO; SK/Wohlers Rn 14 zu § 102 StPO; Park Rn 54. 630 BVerfG, 23.1.2004 – 2 BvR 766/03, NStZ-RR 2004, 143; BeckOK/Hegmann Rn 1 zu § 102 StPO; LR/ Tsambikakis Rn 13 zu § 102 StPO; MK/Hauschild Rn 8 zu § 102 StPO; SK/Wohlers Rn 24 zu § 102 StPO. 631 BVerfG, 11.6.2010 – 2 BvR 3044/09 Rn 16, wistra 2010, 404 ff; BVerfG, 28.4.2003 – 2 BvR 358/03, NJW 2003, 2669 (2670); LG Kiel, 30.3.2015 – 2 Qs 17/15, StraFo 2015, 245; KK/Bruns Rn 1 zu § 102 StPO; MeyerGoßner/Schmitt Rn 2 zu § 102 StPO mwN.

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kann auch kriminalistische Erfahrung herangezogen werden.632 Ein Verstoß gegen diese Anforderungen liegt vor, wenn sich sachlich zureichende plausible Gründe für eine Durchsuchung nicht mehr finden lassen633 und der Eingriff als unzulässige Ausforschungsdurchsuchung634 der Ermittlung von Tatsachen dienen würde, die zur Begründung des Verdachts überhaupt erst erforderlich wären.635 Selbst die im Bereich der Wirtschaftsstrafsachen nicht selten anzutreffenden anonymen Anzeigen können indes als Verdachtsquelle dienen, allerdings nur wenn sie von beträchtlicher sachlicher Qualität sind oder zugleich schlüssiges Tatsachenmaterial vorgelegt wird.636 Bei einem lediglich geringen Grad des Anfangsverdachts sind ggf zunächst weitere Ermittlungen vorzunehmen, falls nicht eine besondere Eilbedürftigkeit diese nicht zulässt.637 Die Abgrenzung kann freilich nicht mit mathematischer Gewissheit vorgenommen werden. Die Ermittlungsbehörden haben einen zwar rechtlich begrenzten, aber doch vorhandenen Beurteilungsspielraum. Wegen des grundgesetzlichen Schutzes der Wohnung aus Art 13 GG und des damit verbundenen Gebots der Einhaltung des Übermaßverbots darf gleichwohl nicht aufgrund des Verdachts einer jeden noch so geringen Straftat und nur dann durchsucht werden, wenn mehr als nur die theoretische Möglichkeit des Auffindens von Beweismitteln besteht.638 Vom Verdacht der Straftat ist die Auffindevermutung zu trennen.639 Bezüglich der 218 Durchsuchung beim Beschuldigten nach § 102 StPO berechtigt indes schon der Tatverdacht, zugleich Letztere anzunehmen.640 Ob Staatsanwaltschaft und Polizei nach Bejahung des Tatverdachts eine Durchsu- 219 chung anstreben, liegt in ihrem Ermessen. Für die Beurteilung der Verdachtslage sind sie dabei an keine feste zeitliche Grenze gebunden. Sie dürfen sich auch auf Erkenntnisse stützen, die älter als sechs Monate sind. Die gegenteilige Auffassung641 verkennt, dass die zur Begründung herangezogene Entscheidung des BVerfG642 als maßgeblich nicht etwa den Zeitpunkt der Kenntniserlangung der Ermittlungsbehörden von Verdachtsmomenten ansieht, sondern den der richterlichen Durchsuchungsanordnung, und hiervon ausgehend mit zunehmendem Zeitablauf den sukzessiven Wegfall der tatsächlichen Entscheidungsgrundlage von dem Entscheidungsinhalt annimmt, den der Richter mit seiner Durchsuchungsanordnung verantwortet.643 Allerdings wird bei länger zurückliegenden Erkenntnissen gegen einen Beschuldigten die Frage besonders gründ-

_____ 632 LR/Tsambikakis Rn 12 zu § 102 StPO; MK/Hauschild Rn 8 zu § 102 StPO; SK/Wohlers Rn 18 zu § 102 StPO; Ciolek-Krepold Rn 41; Michalke StraFo 2014, 89. 633 BVerfG, 10.11.1981 – 2 BvR 1118/80 Rn 5, BVerfGE 59, 95 ff; 23.3.1994 – 2 BvR 396/94 Rn 6, NJW 1994, 2079 ff; 2.3.2006 – 2 BvR 2099/04 Rn 119, BVerfGE 115, 166 ff; 27.2.2007 – 1 BvR 538 und 2045/06 Rn 62, BVerfGE 117, 244 ff. 634 BVerfG, 29.4.2007 – 2 BvR 2601/06 Rn 18 mwN, BVerfGK 11, 88 ff; 11.6.2010 – 2 BvR 3044/09 Rn 15, BVerfGK 17, 350 ff; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 2 zu § 102 StPO; MK/Hauschild Rn 8 zu § 102 StPO. 635 BVerfG, 3.7.2006 – 2 BvR 2030/04, StraFo 2006, 369 (371). 636 BVerfG, 14.7.2016 – 2 BvR 2474/14, juris (Rn 17); LG Stuttgart, 7.9.2007 – 7 Qs 71/07, juris (Rn 31 ff). 637 BVerfG, 16.12.2014 – 2 BvR 2393/12 StV 2015, 614 (615). 638 BVerfG, 28.4.2003 – 2 BvR 358/03, NJW 2003, 2669 (2670); SK/Rudolphi Rn 5 und 15 zu § 102 StPO. 639 LR/Tsambikakis Rn 58 zu § 105 StPO; in BVerfG, 11.1.2016 – 2 BvR 1361/13, wistra 2016, 149 (150) auch als „Auffindeverdacht“ bezeichnet. 640 BVerfG, 11.1.2016 – 2 BvR 1361/13, wistra 2016, 149 (150); BVerfG, 28.4.2003 – 2 BvR 358/03, NJW 2003, 2669 (2670). 641 LG Berlin, 24.9.2002 – 508 Qs 115/02, NStZ 2004, 102 m zutr abl Anm Heghmanns; zust LR/Tsambikakis Rn 13 zu § 102 StPO, allerdings ohne die Annahme einer festen Frist. 642 BVerfG, 27.5.1997 – 2 BvR 1992/92, NJW 1997, 2165 (2166); s hierzu u § 1 Rn 232. 643 BVerfG, 27.5.1997 – 2 BvR 1992/92 Rn 26, BVerfGE 96, 44 ff.

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lich zu prüfen sein, ob unter Berücksichtigung des Zeitablaufs noch mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass und ggf welche Beweismittel gefunden werden können.

(2) Durchsuchungen bei Nichtverdächtigen nach § 103 StPO 220 Soll nach § 103 StPO bei einem Nichtverdächtigen durchsucht werden, dann sind er-

höhte Anforderungen an die Eingriffsvoraussetzungen einer solchen Maßnahme zu stellen.644 Anders als für die Durchsuchung beim Tatverdächtigen nach § 102 StPO reicht hier die allg Aussicht, irgendwelche relevanten Beweismittel zu finden, nämlich nicht aus, um die erheblich in Rechte eines unbeteiligten Dritten eingreifende Maßnahme zu begründen. Voraussetzung ist vielmehr, dass hinreichend individualisierte Beweismittel gesucht werden, die in der Durchsuchungsanordnung auch als solche zu bezeichnen sind.645 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist in hervorgehobenem Maße zu berücksichtigen.646 Zudem kann die Auffindevermutung hier nicht alleine auf den Tatverdacht gestützt werden, der sich ja gegen eine andere Person richtet. Vielmehr sind konkrete Gründe erforderlich und auch darzulegen, die darauf schließen lassen, dass der Beweisgegenstand bei dem unverdächtigen Dritten gefunden werden kann.647 Die von § 103 StPO erfassten Durchsuchungsobjekte und -ziele weichen nicht von 221 denen des § 102 StPO ab, auch wenn hier der Wortlaut der Vorschrift Sachen und Personen nicht ausdrücklich nennt.648 Lassen danach die vorhandenen Ermittlungsergebnisse die begründete Annahme zu, dass die Person des Beschuldigten oder bestimmte Beweisgegenstände bei einem Nichtverdächtigen zu finden sind, dann darf aus demselben Grunde sowohl bei einem Nichtverdächtigen als auch bei dem Beschuldigten durchsucht werden.649 Eine weitere Ausnahme gegenüber den gesteigerten Anforderungen des § 103 Abs 1 StPO enthält Abs 2 der Vorschrift. Danach dürfen die Räume dritter (nicht tatverdächtiger) Personen unter den gleichen Voraussetzungen wie die Wohnung des Beschuldigten durchsucht werden, wenn dieser sich darin aufhält oder sie während seiner Verfolgung betreten hat.

(3) Durchsuchung bei Kapital- und Personengesellschaften 222 Umstritten ist, welche Norm bei der Durchsuchung der Räume juristischer Personen

anwendbar ist. Ausgangspunkt ist die rechtliche Wertung, nach der diese einerseits Trägerin des Grundrechts aus Art 13 Abs 1 GG sein,650 andererseits aber, da dies in rechtli-

_____ 644 KK/Bruns Rn 12 zu § 103 StPO; LR Tsambikakis Rn 2 und 7 zu § 103 StPO. 645 BVerfG NJW 1981, 971; BGH, 21.11.2001 – StB 20/01, NStZ 2002, 215 (216); BGHR StPO § 103 Gegenstände 1 und Tatsachen 1; KMR/Hadamitzky Rn 5 zu § 103 StPO; Park Rn 112 und 114 f; SK/Wohlers Rn 9 zu § 103 StPO. 646 S o § 1 Rn 214. 647 BVerfG, 11.1.2016 – 2 BvR 1361/13, wistra 2016, 149 (150); BVerfG, 3.7.2006 – 2 BvR 299/06, NJW 2007, 1804 (1805); BVerfG, 28.4.2003 – 2 BvR 358/03, NJW 2003, 2669 (2670); LR/Tsambikakis Rn 57 f zu § 105 StPO. 648 KMR/Hadamitzky Rn 4 f zu § 103 StPO; LR/Tsambikakis Rn 9 zu § 103 StPO; Park Rn 117 f. 649 BVerfG, 28.4.2003 – 2 BvR 358/03, NJW 2003, 2669 (2670); KK/Bruns Rn 5 zu § 103 StPO; LR/ Tsambikakis Rn 12 zu § 103 StPO. 650 BVerfG, 16.4.2015 – 2 BvR 2279/13 NJW 2015, 2869 (2870); BVerfG, 5. 3.2012 − 2 BvR 1345/08, NJW 2012, 2097 (2098); BVerfG, 16.6.1987 – 1 BvR 1202/84 juris (Rn 23) zu § 758 ZPO, insoweit n abgedr in NJW

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cher Hinsicht natürlichen Personen vorbehalten ist, selbst keine Straftaten begehen können. Von daher ist eine Entscheidung zu treffen, gegen wen und in welcher Eigenschaft sich eine Durchsuchungsanordnung richtet. Der BGH vertritt mit einem Teil der Lit die Ansicht, diese könne wahlweise auf § 102 StPO oder § 103 StPO gestützt werden, falls der Beschuldigte bei Begehung der Straftat als Organ oder sonstiger befugter Vertreter der Gesellschaft gehandelt habe.651 In der Lit wird teilweise abw darauf abgestellt, es sei ausschlaggebend, wem das Hausrecht zustehe.652 Zutr wird man die Entscheidung indes nach dem sonst auch maßgeblichen Kriterium zu treffen haben, ob der Verdächtige zumindest Mitgewahrsam an den in Frage kommenden Räumlichkeiten hat.653 Danach muss man differenzieren: Ist ein Büro dem Beschuldigten zur Nutzung zugewiesen oder richtet sich die Durchsuchung gegen ein Organ der juristischen Person, bei dem von einem Gewahrsam an den von ihm genutzten Büroräumen regelmäßig auszugehen ist, so kommt § 102 StPO zur Anwendung, während in den übrigen Fällen die engeren Grenzen des § 103 Abs 1 S 1 StPO einzuhalten sind. Soll neben den Räumen des Beschuldigten auch in anderen durchsucht werden, so ist für erstere § 102 StPO, für die übrigen § 103 Abs 1 S 1 StPO anwendbar.654 Diese Grundsätze gelten in gleicher Weise, da sie ebenfalls Träger des Grundrechts 223 aus Art 13 Abs 1 GG sein können,655 wenn die Räumlichkeiten von Personenhandelsgesellschaften und anderen rechtsfähigen Personengesellschaften durchsucht werden sollen.656 Auch bei der GbR, die gleichfalls als Grundrechtsträger in Betracht kommt,657 darf die Durchsuchung nur bei solchen Räumen und Sachen auf § 102 StPO gestützt werden, an denen der Verdächtige zumindest Mitgewahrsam hat.658

cc) Durchsuchungen und Zeugnisverweigerungsrechte, §§ 53, 97, 160a StPO Das Bestehen eines Zeugnisverweigerungsrechts, auch dasjenige nach § 53 StPO, steht 224 einer Durchsuchung nach § 103 StPO vom Grundsatz her nicht entgegen.659 Allerdings

_____ 1987, 2499; BVerfG, 26.5.1976 – 2 BvR 294/76 juris (Rn 28 f) für KG, die im verfassungsrechtlichen Sinne auch als juristische Person anzusehen sei, insoweit nur auszugsweise abgedr in MDR 1977, 113. 651 BGH, 22.8.1996 – 5 StR 159/96, wistra 1997, 107 (108); BeckOK/Hegmann Rn 10 zu § 102 StPO; KK/ Bruns Rn 8 zu § 102 StPO u Rn 1 zu § 103 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 1 zu § 103 StPO sowie unter Hinweis auf § 30 OWiG bei Rn 3a zu § 102 StPO. Die mitunter herangezogenen Entscheidungen BVerfG, 26.5.1976 – 2 BvR 294/76, MDR 1977, 113; BVerfG v 28.4.2003 – 2 BvR 358/03, NJW 2003, 2669 (2670) lassen die Frage indes offen, da bei der erstgenannten im Rahmen des § 102 StPO schon die rechtsstaatlichen Mindestanforderungen an die Beschreibung des Tatvorwurfs nicht gegeben und bei der zweitgenannten die Voraussetzungen des § 103 StPO im konkreten Fall zumindest der Sache nach auch erfüllt waren. 652 AK/Amelung Rn 6 und 17 zu § 102 sowie Rn 4 zu § 103 StPO; Ciolek-Krepold, Rn 43 f; Krekeler/Schütz wistra 1995, 296 (297). 653 Vgl BVerfG, 9.2.2005 – 2 BvR 984/04, 1018/04 u 1030/04, NStZ-RR 2005, 203 (205) zur GbR. 654 So die im Vordringen befindliche Meinung in der Lit LR/Tsambikakis Rn 11 zu § 102 StPO u Rn 5 zu § 103 StPO; MK/Hauschild Rn 23 zu § 102 StPO u Rn 5 zu § 103 StPO, der allerdings innerhalb eines Büroraumes noch nach den Durchsuchungsobjekten unterscheiden will; SK/Wohlers Rn 12 zu § 102 StPO u Rn 4 zu 103 StPO. Vgl auch zu den unterschiedlichen Sphären des Grundrechtsschutzes bei Gesellschafter und Gesellschaft BVerfG, 16.4.2015 – 2 BvR 2279/13 NJW 2015, 2869 (2870). 655 BVerfG, 26.5.1976 – 2 BvR 294/76 juris (Rn 28 f) für die KG, insoweit nur auszugsw abgedr in MDR 1977, 113. 656 LR/Tsambikakis Rn 5 zu § 103 StPO; SK/Wohlers Rn 4 zu § 103 StPO. 657 Vgl LR/Tsambikakis Rn 32 zu § 102 StPO allg für nicht rechtsfähige Personenverbände. 658 BVerfG, 9.2.2005 – 2 BvR 984/04, 1018/04 u 1030/04, NStZ-RR 2005, 203 (205). 659 BVerfG, 27.2.2003 – 2 BvR 1120/02, NVwZ-RR 2003, 495 (496); Meyer-Goßner/Schmitt Rn 7 zu § 103 StPO; MK/Hauschild Rn 10 zu § 103 StPO; vgl auch LG Saarbrücken, 13.6.2002 – 8 Qs 127/02, NStZ-RR 2002,

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darf sie nicht auf die Suche nach gem § 97 StPO beschlagnahmefreien Gegenständen660 ausgerichtet sein.661 Dies entfaltet für den Bereich der Insolvenzstrafsachen insbes Bedeutung, soweit die in § 53 Abs 1 Nr 3 StPO aufgeführten Berufsgeheimnisträger der Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater und Notare betroffen sind. Lässt sich die Beschlagnahmefreiheit anlässlich der Durchsuchung nicht sofort feststellen, kann gerade bei Schriftstücken und elektronisch gespeicherten Daten zunächst eine vorläufige Sicherstellung zum Zwecke der Durchsicht gem § 110 StPO vorgenommen werden.662 Stellt sich dabei die Beschlagnahmefreiheit heraus, ist das körperliche Beweismittel sofort herauszugeben, Daten sind zu löschen.663 Eine Verwertung ist auch nicht mittelbar, bspw durch Vernehmung des Ermittlungsbeamten zulässig.664 225 Zu berücksichtigen ist auch die Vorschrift des § 160a StPO im Hinblick auf die dort genannten Berufsgeheimnisträger und ihre Gehilfen, bei denen nach § 103 StPO durchsucht wird.665 Allerdings führt die handwerklich misslungene Ausgestaltung der Vorschrift, die einer zunehmend um sich greifenden Zurückdrängung der rechtsprechenden Gewalt zugunsten einer Interessenpolitik zu verdanken ist,666 zu erheblichen Auslegungs- und Anwendungsschwierigkeiten.667 Der sehr weit gehenden Ansicht, die den Anwendungsbereich der Norm rein nach dem Umfang des Zeugnisverweigerungsrechts des § 53 StPO bestimmen will,668 kann indes nicht gefolgt werden. Das könnte zwar aus dem Wortlaut des § 160a Abs 1 S 1 und Abs 2 S 1 StPO hiergeleitet werden, wo die Bezugnahme ausdrücklich nur auf die Berechtigung zur Verweigerung des Zeugnisses erfolgt. Im Hinblick auf die verfassungsrechtlich bedenkliche Weite der Vorschrift669 bedarf es hier aber einer systematisch einschr Auslegung. Wegen des in § 160a Abs 5 StPO enthaltenen Anwendungsvorrangs des § 97 StPO ist alleine auf die Frage der Beschlagnahmefreiheit abzustellen, wenn sich die Durchsuchung auf Beweismaterial bezieht, das seiner Art nach dem Anwendungsbereich dieser Vorschrift unterfällt. Ansonsten würden die ausdifferenzierten Regelungen des § 97 StPO faktisch leerlaufen, weil das vorbereitende Mittel, um an die dort genannten Gegenstände zu gelangen, nämlich die Durchsuchung, anderen Regeln folgt.670 Der gegenüber § 53 StPO engere Schutzbereich des § 97 StPO würde auf diesem Wege wieder ausgehebelt. Ein solches Verständnis widerspricht auch nicht dem Wortlaut des § 160a Abs 1 S 1 und Abs 2 S 1 StPO, da § 97 StPO der Sache nach nichts anderes regelt, als den Umfang des Zeugnisverweigerungsrechts für den Bereich des Sachbeweises.

_____ 267 (269) zur Ergreifungsdurchsuchung in der Kanzlei des Verteidigers – allerdings noch zur Rechtslage vor Einfügung des § 160a StPO. Die Durchsuchung nach § 102 StPO ist hier nicht von Belang, da § 53 StPO nur auf Zeugen anwendbar ist und §§ 97 Abs 2 S 3, 160a Abs 4 S 1 StPO Ausschlussregelungen für selbst tatverdächtige Berufsgeheimnisträger enthalten. 660 Vgl dazu o § 1 Rn 158 ff. 661 BVerfG, 27.2.2003 – 2 BvR 1120/02, NVwZ-RR 2003, 495 (496); BGH, 13.8.1973 – 1 BJs 6/71/StB 34/73, NJW 1973, 2035; KK/Bruns Rn 7 zu § 103 StPO; LR/Tsambikakis Rn 12 zu § 103 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 7 zu § 103 StPO; MK/Hauschild Rn 10 zu § 103 StPO, SK/Wohlers Rn 12 zu § 103 StPO. 662 KK/Bruns Rn 7 zu § 103 StPO; LR/Tsambikakis Rn 12 zu § 103 StPO; MK/Hauschild Rn 10 zu § 103 StPO. 663 LR/Tsambikakis Rn 17 zu § 110 StPO; MK/Hauschild Rn 13 zu § 110 StPO. 664 KK/Bruns Rn 7 zu § 103 StPO. 665 Sind sie Beschuldigte, ist die Vorschrift schon ihrem Wortlaut nach nicht anwendbar: BGH, 27.3.2009 – 2 StR 302/08, BGHSt 53, 257 (262); Meyer-Goßner/Schmitt Rn 1 zu § 160a StPO. 666 S hierzu o § 1 Rn 195. 667 Auf die Anwendungsprobleme mit der Folge einer sehr unsicheren Grundlage für das Ermittlungsverfahren weist zutr auch M-G/B/Häcker § 93 Rn 46 f hin. 668 LG Saarbrücken, 12.3.2013 – 2 Qs 15/13, NZWiSt 2013, 153 (154); LR/Tsambikakis Rn 71 zu § 105 StPO. 669 BVerfG, 12.10.2011 – 2 BvR 236/08 ua, NJW 2012, 833 (842) „… noch zu rechtfertigen.“ 670 LR/Erb Rn 63 zu § 160a StPO.

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Treten Rechtsanwälte nicht in ihrer eigentlichen Funktion als Rechtsbeistand auf, 226 kommt § 160a StPO nicht zum Tragen. Dies gilt insbes für eine Tätigkeit als Insolvenzverwalter. Hier füllt der Rechtsanwalt ein verliehenes Amt aus und nicht ein freiwillig begründetes Mandatsverhältnis. Demnach greifen die auf ein besonderes Vertrauensverhältnis aufbauenden Vorschriften der §§ 53 Abs 1, 97 Abs 1 StPO nicht.671 Da auch § 160a StPO in gleicher Weise gerade den Schutz der Vertrauensbeziehung zwischen Anwalt und Mandant gewährleisten soll,672 kommt diese Norm gleichfalls nicht zur Anwendung.673 Selbst wenn sich dieses Ergebnis schon aus dem Wortlaut des § 160a Abs 1 S 1 StPO ergibt, da aus Rechtsgründen von vornherein keine Erkenntnisse im Raum stehen, über die das Zeugnis verweigert werden dürfte, empfehlen sich in Antrag und Beschluss Ausführungen hierzu, weil sich die Maßnahme gegen eine Person richtet, die zumindest formell unter den dort genannten Personenkreis fällt. Mithin werden schon alleine deswegen explizite Prognoseerwägungen gefordert sein.674

dd) Durchsuchungen zur Nachtzeit Sollen Wohn- oder Geschäftsräume nachts durchsucht werden, dann sind in § 104 Abs 1 227 StPO niedergelegte zusätzliche Beschränkungen zu beachten. Danach dürfen diese Räumlichkeiten nur unmittelbar nach Tatentdeckung, bei Gefahr im Verzug oder dann durchsucht werden, wenn ein entwichener Gefangener wieder ergriffen werden soll.675 Gefahr im Verzug ist anzunehmen, wenn ein Zuwarten mit der Maßnahme bis zum nächsten Tag ihren Erfolg mit einiger Wahrscheinlichkeit gefährden würde.676 Die Nachtzeit umfasst in der Zeit zwischen dem 1.4. und dem 30.9. die Zeit von 21.00 bis 4.00 Uhr, vom 1.10. bis zum 31.3. endet sie erst morgens um 6.00 Uhr (§ 104 Abs 3 StPO). Eine ausreichend vor Beginn der Nachtzeit begonnene Durchsuchung darf aber fortgesetzt werden.677 Ausgenommen von den zusätzlichen Beschränkungen des § 104 Abs 1 StPO sind zum einen schon vom Wortlaut her Durchsuchungen von Personen und Sachen außerhalb der genannten Räumlichkeiten678 sowie zum anderen nach § 104 Abs 2 StPO für jedermann zugängliche Räume, die als Treffpunkte von Straftätern oder Tatorte von Rauschgift- und Waffenhandel, unerlaubtem Glücksspiel und Prostitution bekannt sind. Für den letztgenannten Fall wird von einem Teil der Lit § 104 Abs 2 StPO allerdings im Hinblick auf Art 13 Abs 2 GG einschr ausgelegt, so dass Wohnungen nicht von der Ausnahmevorschrift erfasst sein sollen. Diese dürften nach der entspr Ansicht nachts nur unter den Voraussetzungen des § 104 Abs 1 StPO durchsucht werden.679 Folgt man dem,

_____ 671 LG Dresden, 27.11.2013 – 5 Qs 113, 123/13 StV 2015, 621; LG Saarbrücken, 2.2.2010 – 2 Qs 1/10, NStZ 2010, 534 (535). 672 BVerfG, 6.11.2014 – 2 BvR 2928/10 juris (Rn 18 f), StraFo 2015, 61 ff. 673 LG Dresden, 27.11.2013 – 5 Qs 113, 123/13 StV 2015, 621; so auch der Sache nach LG Saarbrücken, 2.2.2010 – 2 Qs 1/10, NStZ 2010, 534 (535), allerdings ohne auf § 160a StPO ausdrücklich einzugehen. 674 Vgl BVerfG, 6.11.2014 – 2 BvR 2928/10 juris (Rn 20), StraFo 2015, 61 ff zur Durchsuchung beim Strafverteidiger. 675 Unabhängig davon sind in diesen Fällen wie auch sonst Durchsuchungen mit Zustimmung des oder der Berechtigten möglich, Meyer-Goßner/Schmitt Rn 1 zu § 104 StPO; SK/Wohlers Rn 5 und 10 zu § 104 StPO. 676 SK/Wohlers Rn 9 zu § 104 StPO; LR/Tsambikakis Rn 6 zu § 104 StPO. 677 BVerfG, 24.5.1977 – 2 BvR 988/75, NJW 1977, 1489; KK/Bruns Rn 2 zu § 104 StPO; LR/Tsambikakis Rn 4 zu § 104 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 10 zu § 104 StPO; Park Rn 183; SK/Wohlers Rn 4 zu § 104 StPO. 678 MK/Hauschild Rn 1 zu § 104 StPO. 679 KK/Bruns Rn 4 zu § 104 StPO; SK/Wohlers Rn 14 zu § 104 StPO; aA Meyer-Goßner/Schmitt Rn 7 zu § 104 StPO; MK/Hauschild Rn 9 zu § 104 StPO.

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ist für die Regelung allerdings kein praktisch relevanter eigenständiger Anwendungsbereich mehr ersichtlich.

ee) Anordnungsbefugnisse und -inhalt (1) Richterliche Anordnung 228 Wohnungsdurchsuchungen setzen im Regelfall, sofern sie nicht von dem oder den Inhabern der Räumlichkeiten gestattet werden,680 eine richterliche Anordnung voraus. Zust hierfür ist gem § 162 Abs 1 S 1 StPO im Ermittlungsverfahren der Ermittlungsrichter, nach Anklageerhebung zunächst gem § 162 Abs 3 S 1 StPO das Gericht des ersten Rechtszuges und im Berufungsverfahren das Berufungsgericht. Nach Revisionseinlegung bestimmt § 163 Abs 3 S 2 StPO die Zuständigkeit des Gerichts, dessen Entscheidung angefochten wurde. Nach Rechtskraft geht die Zuständigkeit gem § 162 Abs 3 S 3 StPO wieder auf den Ermittlungsrichter über, wobei indes im Zusammenhang mit der Strafvollstreckung die Sonderreglung in § 457 Abs 3 S 3 StPO zu beachten ist.681 Ausnahmsweise kann die Durchsuchung auch durch die Staatsanwaltschaft oder ihre Ermittlungspersonen682 angeordnet werden, sofern Gefahr im Verzug vorliegt (§ 105 Abs 1 S 1 StPO).683 Angesichts der Schwere eines solchen Eingriffs ist der entscheidende Richter ver229 pflichtet, die Eingriffsvoraussetzungen, einschließlich der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme, sorgfältig und eigenverantwortlich zu prüfen.684 Seine Einschaltung ist mehr als nur eine Formalie, weswegen sich der notwendige Inhalt der Durchsuchungsanordnung an ihrer Funktion orientiert, die Maßnahme messbar und kontrollierbar zu gestalten.685 Der Beschluss muss, um diesen Anforderungen zu genügen, die betroffenen Örtlichkeiten686 und – va, falls er die Verjährung unterbrechen soll687 – den Tatvorwurf – für den Fall der Beihilfe auch hisichtlich der Haupttat688 – sowie Rahmen, Grenzen und Ziel der Durchsuchung genau bezeichnen.689 Der Verdacht darf zwar nicht nur floskelhaft erwähnt werden, wohl aber genügt insoweit eine gewisse, vom Kenntnisstand abhängige knappe, allerdings aussagekräftige Konkretisierung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht, einschließlich der den Tatverdacht begründenden tatsächli-

_____ 680 S o § 1 Rn 210. 681 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 17 zu § 162 StPO. In der Gesetzesbegründung BT-Drucks 16/11644 S 35 wird das durch den Wortlaut des § 162 Abs 3 S 3 StPO bedingte Konkurrenzverhältnis zu § 457 Abs 3 S 3 StPO bemerkenswerter Weise gar nicht angesprochen. 682 Die Ermittlungspersonen sind aber nicht befugt, Gebäudedurchsuchungen nach § 103 Abs 1 S 2 StPO anzuordnen, § 105 Abs 1 S 2 StPO. 683 S hierzu u § 1 Rn 233. 684 BVerfG, 23.1.2004 – 2 BvR 766/03, NStZ-RR 2004, 143; s hierzu auch § 1 Rn 135. 685 BVerfG, 8.3.2004 – 2 BvR 27/04, NJW 2004, 1517 (1518); BVerfG, 28.4.2003 – 2 BvR 358/03, NJW 2003, 2669 (2669 f); BVerfG, 26.5.1976 – 2 BvR 294/76, MDR 1977, 113 (113 f). 686 S hierzu insbes BVerfG, 16.4.2015 – 2 BvR 440/14 NJW 2015, 2870 (2871) bei mehreren Gesellschaften (GmbHs) mit ähnlicher Firmierung. 687 BGH wistra 2003, 382 f. 688 LG Rostock, 21.7.2015 – 18 Qs 212/14 (2), StV 2015, 622 (623). 689 Speziell für Insolvenzdelikte BVerfG KTS 2002, 679 ff; allg BVerfG NJW 2003, 2669; 2002, 1941 f; 1999, 2176; 1997, 2165 ff, 2166; NStZ 2002, 212 f; 2000, 601; NStZ-RR 2002, 172 f; ZInsO 2002, 424 f; BGH NStZ 2002, 215, 216, je mwN; wistra 2003, 382 f; LG Bielefeld NStZ 1999, 581 f (zu § 103 StPO); LG Konstanz wistra 2001, 195; Amelung/Wirth StV 2002, 161, 162 f; Gusy StV 2002, 153, 156; KK/Bruns Rn 6 zu § 102, 6 zu § 103 sowie 4 zu § 105 StPO; Weiler GS Meurer S 395, 408 ff; noch weitergehende Anforderungen befürwortet, allerdings zu Unrecht, Park Rn 72 ff, 397. Zur Frage der Zulässigkeit einer Dauerdurchsuchungserlaubnis vgl LG Hamburg wistra 2004, 36 (verneinend) mAnm Webel wistra 2004, 36 ff (bejahend).

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chen Umstände.690 Das setzt selbstverständlich die Angabe des gesetzlichen Tatbestandes voraus, auf dessen Verwirklichung sich der Tatverdacht richtet.691 Indiztatsachen sind nicht eigens anzuführen, sofern sich nicht ausnahmsweise erst in der Zusammenschau mit der Umschreibung der aufzufindenden Beweismittel ergibt, worauf die mit der Durchsuchung betrauten Beamten ihr Augenmerk zu lenken haben.692 In jedem Fall muss der Beschluss aus sich heraus verständlich sein. Bloße Verweise auf Fundstellen in Akten oder bereits früher erlassene Beschlüsse genügen für die Konkretisierung des Sachverhalts und der zu suchenden Beweismittel nicht.693 Auch für die einerseits so genau wie möglich zu bezeichnenden694 gesuchten Beweismittel ist andererseits eine annäherungsweise, etwa beispielhafte oder gattungsmäßige, die Beweisrichtung verdeutlichende Bezeichnung ausreichend, die den Einsatzkräften den erforderlichen Spielraum für die Berücksichtigung der zuvor nicht bekannten Umstände im Objekt belässt.695 Bei der Umgrenzung der Eingriffsvoraussetzungen ist besondere Sorgfalt geboten, da insoweit, jedenfalls nach Durchführung der Durchsuchung,696 eine Nachbesserung im Beschwerdeverfahren für unzulässig erachtet wird.697 Die Auffindevermutung ergibt sich bei der Durchsuchung beim Verdächtigten nach § 102 StPO regelmäßig aus der Verdachtsannahme.698 Bei einem Vorgehen nach § 103 StPO bedarf es allerdings uU der Angabe konkreter Gründe, warum ein Beweisgegenstand bei einem Unverdächtigen gefunden werden kann.699 Ohnehin setzten die unterschiedlichen Voraussetzungen dieser Vorschriften voraus, dass erkennbar ist, auf welche die Maßnahme gestützt wird.700 Soweit sich dies nicht von selbst ergibt,701 muss der Beschluss zudem Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit, insbes in Form der Angemessenheit enthalten,702 was indes notfalls noch im Beschwerdeverfahren nachgeholt werden kann.703 Jedenfalls soweit Berufsgeheimnisträger betroffen sind oder Institutionen bei denen eine Kooperation zu erwarten

_____ 690 BVerfG NJW 2003, 2669, 2670; 2004, 1517, 1518, 1519, 1520; NStZ 2004, 160; LG Wiesbaden, 15.2.2016 – 6 Qs 2/16, NZWiSt 2016, 148 (149). Unabhängig von den Begründungserfordernissen muss der Richter aber auch prüfen, ob ausreichende, einen Anfangsverdacht begründende Tatsachen vorliegen, während Vermutungen nicht genügen, BVerfG NJW 2004, 1519, 1520; NStZ-RR 2004, 143. 691 BVerfG, 16.4.2015 – 2 BvR 2279/13 (Rn 11), WM 2015, 1080; BVerfG, 5.3.2012 – 2 BvR 1345/08, NJW 2012, 2097 (2098). 692 BVerfG, 5. 3.2012 − 2 BvR 1345/08, NJW 2012, 2097 (2098); SK/Wohlers Rn 25 zu § 105 StPO. 693 LG Limburg, 11.3.2015 – 1 Qs 27 u 34/15, StV 2016, 350 (350 f). 694 BVerfG, 28.4.2003 – 2 BvR 358/03, NJW 2003, 2669; und zwar nach LG Bad Kreuznach, 9.11.2015 – 2 Qs 107/15, StV 2016, 154 (155) auch für den Fall einer ausnahmeweise erfolgenden mündlichen Anordnung; s auch LG Bochum, 16.3.2016 – II-6 Qs 1/16, NStZ 2016, 500 (502) zur Durchsuchung bei Berufsgeheimnisträger. 695 BVerfG, 26.5.1976 – 2 BvR 294/96, MDR 1977, 113 (114); Eidam S 598; ein Formulierungsbeispiel findet sich bei Peters/Klingberg ZWH 2012, 11 (15 f). 696 BVerfG, 5. 3.2012 − 2 BvR 1345/08, NJW 2012, 2097 (2098). 697 BVerfG, 10.9.2010 – 2 BvR 2561/08, NJW 2011, 291 (292); BVerfG, 20.4.2004 – 2 BvR 2043/03 ua, NJW 2004, 3171; LG Limburg, 11.3.2015 – 1 Qs 27 u 34/15, StV 2016, 350 (351); MK/Hauschild Rn 41b zu § 105 StPO; speziell zur Verdachtslage BVerfG, 9.2.2005 – 2 BvR 984/04, 1018/04 u 1030/04, NStZ-RR 2005, 203 (205). 698 BVerfG, 28.4.2003 – 2 BvR 358/03, NJW 2003, 2669 (2670). 699 BVerfG, 3.7.2006 – 2 BvR 299/06, NJW 2007, 1804 (1805); BVerfG, 28.4.2003 – 2 BvR 358/03, NJW 2003, 2669 (2670); zum Ganzen Ciolek-Krepold Rn 67 ff mwN. 700 BVerfG, 9.2.2005 – 2 BvR 984/04, 1018/04 u 1030/04, NStZ-RR 2005, 203 (205). 701 BVerfG, 11.2.2015 – 2 BvR 1694/14, NJW 2015, 1585 (1587); LR/Tsambikakis Rn 59 zu § 105 StPO; SK/Wohlers Rn 24 StPO. 702 BVerfG, 16.12.2014 – 2 BvR 2393/12 StV 2015, 614 (615); BVerfG, 11.7.2008 – 2 BvR 2016/06, NJW 2009, 281 (282). 703 BVerfG, 28.4.2003 – 2 BvR 358/03, NJW 2003, 2669 (2670).

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ist, sollten sie daher grundsätzlich aufgenommen werden. In Bezug auf Rechtsanwälte darf zudem eine ausdrückliche Auseinandersetzung mit der Prognose zur Verwertbarkeit iSd § 160a Abs 1 S 1 StPO nicht fehlen.704 Erforderlich ist ferner im Hinblick auf Datenbestände, dass bereits die Anordnung eine beschr Regulierung enthält, um eine Ausdehnung des Zugriffs auf nicht verfahrensrelevante Daten Dritter über das erforderliche Maß hinaus zu verhindern.705 Str ist, ob die richterliche Durchsuchungsanordnung einer bestimmten Form bedarf, 230 da § 105 StPO hierzu keine ausdrückliche Regelung trifft. Richtiger Weise ist die Schriftform als zwingend anzusehen. Nur diese entspricht der Systematik des Gesetzes im Hinblick auf Begründung und Bekanntmachung richterlicher Entscheidungen (§§ 34 ff StPO), gewährleistet die Funktion einer wirksamen Begrenzung des Eingriffs durch vorherige richterliche Kontrolle und vermeidet Missverständnisse.706 Das BVerfG vertritt allerdings eine abw Ansicht, nach der ausnahmsweise die (fern-)mündliche richterliche Anordnung ggf nach mündlicher Information über den Sachverhalt „jedenfalls in einfach gelagerten Fällen, in denen allein auf Grund der mündlichen Darstellung des Sachverhalts eine sachangemessene Entscheidung möglich ist“, genügend sein soll.707 Hiervon sollte – nicht zuletzt auch wegen der im Zeitpunkt des Vollzugs der Maßnahme mangelnden Transparenz dieses Verfahrens für den Betroffenen – nur im absoluten Ausnahmefall Gebrauch gemacht werden. Unbedingt ist dann auf eine hinreichende Dokumentation708 besonderer Wert zu legen, die sich auch damit auseinandersetzt, warum keine Zeit für die Durchführung des schriftlichen Verfahrens bestand.709 Bei Insolvenzstraftaten dürfte angesichts der üblicherweise längerfristigen Vorbereitung einer Durchsuchung in der Praxis jedoch kaum Bedarf bestehen, von diesem mündlichen Verfahren Gebrauch zu machen. In Betracht kann es in erster Linie dann kommen, wenn während der Durchführung der Maßnahme neue Durchsuchungsobjekte bekannt werden, und vor der Annahme von Gefahr im Verzug noch genügend Zeit verbleibt, die bereits vorliegende schriftliche Anordnung um diese zu erweitern.710 Von einer stillschweigenden Anordnung der Durchsuchung gehen Teile von Lit und Rspr im Falle des Erlasses eines Haft-, Unterbringungs- oder Vorführbefehls mit der Konsequenz aus, dass keine zusätzliche Durchsuchungsanordnung erforderlich sei.711 Da diese Auffassung selbst insoweit prob-

_____ 704 BVerfG, 6.11.2014 – 2 BvR 2928/10, StraFo 2015, 61. 705 LG Itzehoe, 12.1.2015 – 2 Qs 162–164/14, StraFo 2015, 243 ff. 706 LR/Tsambikakis Rn 34 ff zu § 105 StPO; SK/Wohlers Rn 29 StPO; ausführlich mwN Trück JZ 2010, 1106 (1108 ff). 707 BVerfG, 16.6.2015 – 2 BvR 2718/10 ua NJW 2015, 2787 (2790) mAnm Bittmann; so auch schon die wohl hM im Anschluss an BVerfG, 20.2.2001 – 2 BvR 1444/00, NJW 2001, 1121 (1122 f) „in der Regel schriftlich“; BGH, 13.1.2005 – 1 StR 531/04, NJW 2005, 1060 (1061); KG, 1.9.2008 – (4) 1 Ss 220/08 juris (Rn 8); MK/ Hauschild Rn 15 zu § 105 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 3 zu § 105 StPO jeweils mwN; weitere umfangreiche Nachweise insbes zur Rspr d BVerfG bei Trück JZ 2010, 1106 (1107 f). 708 S hierzu LG Bad Kreuznach, 9.11.2015 – 2 Qs 107/15, StV 2016, 154 (155) zur erforderlichen Eingrenzung der zu suchenden Beweismittel. 709 LG Lüneburg, 7.12.2015 – 26 Qs 281/15, StV 2016, 348 (348 f); LG Mühlhausen, 15.11.2006 – 6 Qs 9/06, wistra 2007, 195 (196); LG Tübingen, 1.10.2007 – 1 Qs 38/07, NStZ 2008, 589 (591); s hierzu auch mwN Trück JZ 2010, 1106 (1107 f). 710 S hierzu u § 1 Rn 236. 711 KK/Bruns Rn 6 zu § 105 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 6 zu § 105 StPO; OLG Düsseldorf, 27.7.1981 – 2 Ws 289/81, NJW 1981, 2133 ff; sa BVerfG, 2.7.1963 – 1 BvR 947/58 Rn 4, BVerfGE 16, 239: diese Entscheidung knüpft – wenn auch für den Bereich des Zwangsvollstreckungsrechts – an das Vorliegen einer richterlichen Anweisung an den Gerichtsvollzieher an.

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lematisch712 ist, als es um die Wohnräume der gesuchten Person selbst geht, empfiehlt es sich allerdings, eine gesonderte Entscheidung über den mit der Durchsuchung verbundenen eigenständigen Grundrechtseingriff herbeizuführen. Soll der Gesuchte jedoch in den Räumen eines Dritten ergriffen werden, ist in jedem Fall die Beantragung einer gesonderten Anordnung nötig.713 Die gemäß § 35 Abs 2 StPO erforderliche Bekanntmachung des Beschlusses, der 231 gem § 33 Abs 4 StPO im Normalfall ohne Anhörung des Betroffenen714 erlassen werden kann, geschieht in der Praxis durch Übergabe einer regelmäßig mit vollständigen Gründen versehenen Ausfertigung durch die den Beschluss vollstreckenden Beamten.715 Sie kann nur ganz ausnahmsweise noch länger zurückgestellt werden, wenn die Kenntnisnahme seines vollen Inhalts den Untersuchungszweck gefährden würde.716 Die Vollstreckung der ermittlungsrichterlichen Durchsuchungsanordnung erfolgt 232 gem § 36 Abs 2 S 1 StPO durch die Staatsanwaltschaft, die ihrerseits ihre Ermittlungspersonen damit beauftragen kann.717 Damit die vorherige richterliche Kontrolle nicht leerläuft, entfaltet der Beschluss allerdings nur zeitlich eingeschränkte Wirksamkeit, weswegen die Ermittlungsbehörden nicht beliebig mit dem Vollzug zuwarten können. Die Gestattung des Ermittlungsrichters verliert bei wesentlich verändertem Sachverhalt oder spätestens nach Ablauf von 6 Monaten ihre Wirksamkeit, wenn die Ermittlungsbehörden bis dahin von ihr noch keinen Gebrauch gemacht haben.718 Hiervon nicht erfasst sind Fälle, bei denen sich der Betroffene mit einer Beschwerde gegen ein mit der Durchsuchungsanordnung verbundenes Herausgabeverlangen wendet und die Sechsmonatsfrist während der Dauer des Beschwerdeverfahrens verstreicht.719 Eine Verpflichtung zur Vollstreckung besteht im Ermittlungsverfahren nicht. Auch der Durchsuchungsbeschluss hat also ebenso wie die richterliche Beschlagnahmeanordnung720 lediglich den Rechtscharakter einer Erlaubnis.721

(2) Eilanordnung durch Ermittlungsbehörden Bei Gefahr im Verzug sind nach § 105 Abs 1 S 1 StPO auch die Staatsanwaltschaft und 233 ihre Hilfsbeamten (letztere sind aber nicht zuständig für Gebäudedurchsuchungen nach

_____ 712 S die gewichtigen Argumente der aA bei LR/Tsambikakis Rn 16–24 zu § 105 StPO mwN in Fn 64; SK/Wohlers Rn 9 zu § 105 StPO. 713 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 6 zu § 105 StPO mwN. 714 BVerfG, 11.10.1978 – 2 BvR 1055/76, NJW 1979, 154 (155); aA SK/Wohlers Rn 30 zu § 105 StPO für Berufsgeheimnisträger. 715 BGH, 7.11.2002 – 2 BJs 27/02 – 5 – StB 16/2, NStZ 2003, 273 (274); MK/Hauschild Rn 24 zu § 105 StPO, der auch die von KK/Bruns Rn 5 zu § 105 StPO vertretene analoge Anwendung des § 101 StPO für unzulässig hält. 716 BGH, 7.11.2002 – 2 BJs 27/02 – 5 – StB 16/2, NStZ 2003, 273 (274). 717 LR/Tsambikakis Rn 110 zu § 105 StPO; SK/Wohlers Rn 43 zu § 105 StPO. 718 BVerfG, 27.5.1997 – 2 BvR 1992/92, NJW 1997, 2165 (2166). Das LG Zweibrücken, 23.9.2002 – Qs 103/ 02, NJW 2003, 156, hält eine Überschreitung der Frist um 2 Tage für unschädlich. Ciolek-Krepold, Rn 75 ff, befürwortet für Wirtschaftsstrafsachen eine Vollstreckungsfrist von einem Jahr. Park, Rn 125, hält den Ermittlungsrichter für befugt, eine kürzere Vollstreckungsfrist als 6 Monate festzusetzen. Das ist, wie LG Saarbrücken, 20.9.2016 – Qs 26/16, NStZ-RR 2016, 346 f nunmehr im Hinblick auf § 110 StPO klargestellt hat, unrichtig, weil der Ermittlungsrichter nur eine Rechtmäßigkeits-, nicht aber eine Zweckmäßigkeitskontrolle auszuüben hat. Er ist weder Vorgesetzter noch Vormund der Ermittlungsbehörden. 719 BVerfG, 18.2.2003 – 2 BvR 372/01, NStZ-RR 2003, 176 (177). 720 Dazu o § 1 Rn 154. 721 LR/Tsambikakis Rn 111 zu § 105 StPO; MK/Hauschild Rn 27 zu § 105 StPO.

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§§ 103 Abs 1 S 2 StPO, 105 Abs 1 S 2 StPO) zur Anordnung der Durchsuchung befugt. Nach der Legaldefinition dieses Rechtsbegriffs, die in § 81a Abs 2 StPO enthalten ist,722 ist die „Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung“, mithin das zeitliche Moment ausschlaggebend. Entspr ist die Frage, ob die Voraussetzungen für die Eilanordnungskompetenz gegeben sind, vom Grundsatz her faktisch zu entscheiden. Hierzu muss das Ermittlungsorgan eine Prognose treffen, ob schon der vorherige Versuch, eine richterliche Entscheidung Anordnung einzuholen, wegen des damit verbundenen Zeitverlustes den Erfolg der Ermittlungsmaßnahme gefährden würde.723 Dabei ist einzukalkulieren, dass nach der hM eine fernmündliche Gestattung der Durchsuchung durch den Ermittlungsrichter auf einen fernmündlicher Antrag des Staatsanwalts hin in Eilfällen den formellen Anforderungen an einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss gem § 105 Abs 1 StPO genügen kann.724 Der Grund, warum eine rechtzeitige richterliche Entscheidung nicht zu erwarten ist, ist mithin zunächst rechtlich irrelevant.725 Andererseits bedarf die Orientierung an den faktischen Verhältnissen einer normativen Begrenzung, damit der Richtervorbehalt nicht durch entspr Gestaltung der tatsächlichen Umstände unterlaufen werden kann. Die Strafverfolgungsbehörden dürfen folglich die tatsächlichen Voraussetzungen der Gefahr im Verzug nicht selbst herbeiführen, indem sie gar keine ernsthaften Versuche der Kontaktaufnahme mit dem zuständigen Ermittlungsrichter unternehmen726 oder so lange mit dem Antrag zuwarten, bis die Gefahr eines Beweismittelverlusts tatsächlich eingetreten ist.727 Sie dürfen mithin die Vorrangigkeit einer richterlichen Anordnung nicht ignorieren. Ferner besteht für die Gerichte, aber auch für die Justizverwaltung, die verfassungsrechtliche Pflicht, einen Not- oder Eildienst einzurichten, der für die Ermittlungsbehörden erreichbar sein muss, sofern hierfür ein praktischer Bedarf besteht.728 War die – auch fernmündliche – Kontaktaufnahme mit dem Ermittlungsrichter er234 folgreich, führt dies grundsätzlich zu einem Übergang der Entscheidungsbefugnis auf diesen. Die Eilkompetenz der Ermittlungsbehörden endet dann.729 Sie haben im weiteren Verlauf selbst auf die Gefahr eines Beweismittelverlustes hin die richterliche Entscheidung abzuwarten. Ein Wiederaufleben der Eilkompetenz kann nur ganz ausnahmsweise durch nachträglich eintretende oder neu bekannt werdende tatsächliche Umstände begründet werden, die sich nicht aus dem Prozess der Prüfung des Durchsuchungsantrags und der Entscheidung darüber ergeben.730 Solche Umstände sind insbesondere gerade dann nicht anzuerkennen, sofern der Ermittlungsrichter mitteilt, er könne ohne die Vor-

_____ 722 S hierzu MK/Trück Rn 30 zu § 81a StPO. 723 BVerfG, 8.3.2006 – 2 BvR 1114/05, StraFo 2006, 368; BVerfG, 20.2.2001 – 2 BvR 1444/00, NJW 2001, 1121 (1123); BGH, 10.7.2014 – 3 StR 140/14, StV 2015, 85 (86) mwN zur Rspr des BGH. 724 S o § 1 Rn 230. 725 Hoffmann NStZ 2003, 230 ff; Schulz NStZ 2003, 63 5f, zutr gegen Beichel/Kieninger NStZ 2003, 10 ff und Krehl NStZ 2003, 461 ff. 726 BVerfG, 16.6.2015 – 2 BvR 2718/10 ua NJW 2015, 2787 (2791) mAnm Bittmann; AG Tiergarten, 22.1.2015 – (284b Cs) 274 Js 5378/13 (16/14) StV 2015, 624 für Polizeibeamte; BGH v 21.4.2016 – 2 StR 394/15, StV 2016, 539 für Staatsanwalt an Werktag zu dienstüblichen Zeiten. 727 BVerfG, 4.2.2005 – 2 BvR 308/04, NJW 2005, 1637 (1638); BVerfG, 20.2.2001 – 2 BvR 1444/00, NJW 2001, 1121 (1123); BGH, 30.8.2011 – 3 StR 210/11, NStZ 2012, 104 (104 f); BGH, 18.4.2007 – 5 StR 546/06, BGHSt 51, 285 (293). 728 BVerfG, 10.12.2003 – 2 BvR 1481/02 Rn 13, NJW 2004, 1442; 28.9.2006 – 2 BvR 876/06 Rn 13, NJW 2007, 1444; 8.3.2006 – 2 BvR 1114/05 Rn 14 mwN, StraFo 2006, 368 f; sa § 22c GVG. 729 BVerfG, 16.6.2015 – 2 BvR 2718/10 ua NJW 2015, 2787 (2791) mAnm Bittmann. 730 BVerfG, 16.6.2015 – 2 BvR 2718/10 ua NJW 2015, 2787 (2791) mAnm Bittmann.

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lage schriftlicher Unterlagen nicht entscheiden.731 Gleiches gilt für den Fall, dass alleine wegen des vom Ermittlungsrichter in Anspruch genommen Prüfungs- und Entscheidungszeitraums oder dessen Bindung durch weitere Dienstgeschäfte ohne ausreichende Vertretungsregelung die Gefahr eines Beweismittelverlustes eintritt.732 Auch die Ablehnung des Antrags eröffnet darüber hinaus selbstverständlich nicht erneut die Eilentscheidungsbefugnis.733 Bei der Prüfung der Voraussetzungen für die Eilandordnungsbefugnis, müssen die 235 Strafverfolgungsbehörden im konkreten Einzelfall über ihre Zuständigkeit selbst entscheiden.734 Damit sie bei dieser Beurteilung ihre Befugnisse nicht zulasten der schon wegen Art 13 Abs 3 GG gebotenen Regelzuständigkeit des Ermittlungsrichters überdehnen, ist stets zu beachten, dass es sich bei „Gefahr im Verzug“ um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt, der eine enge Auslegung erfordert. Den Ermittlungsbehörden ist weder ein Ermessen, noch ein Beurteilungsspielraum eröffnet. Daher dürfen sie sich nur auf Einzelfall bezogene Tatsachen stützen, bloße Hypothesen oder Vermutungen reichen nicht aus.735 Wegen der zeitlichen Verzögerung, die das Einholen einer richterlichen Anordnung zwangsläufig mit sich bringt, muss eine wesentliche Verschlechterung der zu sichernden Beweislage, ernsthaft anzunehmen sein.736 Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze wird die Annahme von Gefahr im Verzug 236 bei Insolvenzdelikten auf absolute Ausnahmefälle beschränkt sein. Sie kann bspw eintreten, wenn zu befürchten ist, dass ein vorläufig Festgenommener nach seiner Freilassung Beweismittel vernichten oder beiseiteschaffen würde,737 der Betroffene im Verlaufe einer zunächst freiwillig gestatteten Durchsuchung sein ursprünglich erklärtes Einverständnis zurückzieht 738 oder sich der Sachverhalt sonst verändert hat. 739 Eine entspr Gefahrenlage kann auch während der Vollstreckung eines richterlichen Durchsuchungsbeschlusses eintreten.740 Dabei dürfte es sich sogar um den bei Ermittlungen in diesem Deliktsbereich häufigsten Fall handeln. Eine derartige Situation tritt immer dann ein, wenn während laufender Durchsuchung noch weitere Objekte bekannt werden, etwa weil der Beschuldigte noch über eine Nebenwohnung verfügt, Informationen über ein Nachfolgeunternehmen auftauchen oder die Buchführungsunterlagen beim Steuer-

_____ 731 BVerfG, 16.6.2015 – 2 BvR 2718/10 ua NJW 2015, 2787 (2791) mAnm Bittmann; so nunmehr gegen die unter dem Gesichtspunkt der strafprozessualen Systematik vorzugswürdige fachgerichtliche Rspr BGH 11.8.2005 – 5 StR 200/05, NStZ 2006, 114 (115); OLG Köln, 27.10.2009 – 81 Ss 65/09, StV 2010, 14 (16); ausführlich u mwN hierzu Trück JZ 2010, 1006 ff. 732 BVerfG, 16.6.2015 – 2 BvR 2718/10 ua NJW 2015, 2787 (2791 ff) mAnm Bittmann. 733 Vgl BGH, 28.6.2001 1 StR 198/01, NStZ 2001, 604 (606), zu § 98 Abs 1 StPO. 734 BVerfG, 16.6.2015 – 2 BvR 2718/10 ua NJW 2015, 2787 (2791) mAnm Bittmann. 735 BVerfG, 20.2.2001 – 2 BvR 1444/00, NJW 2001, 1121 (1122 f); dazu Amelung NStZ 2001, 337 ff; Amelung/ Wirth StV 2002, 161 ff; Asbrock StV 2001, 322 ff; Einmahl NJW 2001, 1393 ff; Gusy JZ 2001, 1033 ff; Möllers NJW 2001, 1397 f; Ostendorf/Brüning JuS 2001, 1063 ff; Schaefer NJW 2001, 1396 f; Schulte-Kellinghaus NJW 2004, 477 ff; BVerfG, NJW 2002, 1333 f; 2003, 2303, 2304; NStZ 2003, 319; BrbgVerfG, NJW 2003, 2305, 2306. 736 Bei einer Durchsuchung annähernd 6 Stunden nach Erhalt der maßgeblichen Erkenntnisse ist keine Gefahr (mehr) in Verzug, LG Koblenz, 31.3.2003 – 10 Qs 24/03, StV 2003, 382 (L); vgl auch AG Bremen, 27.6.2011 – 75 Ls 8/11, NStZ 2012, 287 f. 737 BayObLG, 29.10.2002 – 4 St RR 104/2002, NStZ-RR 2003, 142 (L): Das Freiheitsgrundrecht ist im Konfliktfall stärker als das Wohnungsgrundrecht. 738 BGH, 15.10.1985 – 5 StR 338/85, NStZ 1986, 84 (85). 739 Ciolek-Krepold Rn 60. 740 HeiK-InsO/Lemke Rn 5 zu § 102 StPO.

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berater aufbewahrt werden und dort erhoben werden müssen.741 Denkbar ist auch, dass die gewonnenen Informationen Anschlussmaßnahmen bei Dritten,742 etwa bei zuvor unbekannten Mittätern (§ 102 StPO) oder Geschäftspartnern (meist: § 103 StPO), erfordern, deren Warnung zu besorgen ist. Selbst dann ist jedoch immer in Erwägung zu ziehen, dass bereits eine schriftliche richterliche Anordnung vorliegt, die ggf auf telefonischem Wege kurzfristig auf weitere Objekte oder Personen ausgedehnt werden kann.743 Denkbar wäre auch die Situation, dass bei einer Unternehmensbestattung744 die Verbringung von Geschäftsunterlagen ins Ausland unmittelbar bevorsteht oder bereits begonnen hat. Ob bei einer Durchsuchung wegen Gefahr im Verzug deren Anordnungsvorausset237 zungen vorlagen, ist auch noch nach Beendigung der Durchsuchung in vollem Umfang gerichtlich überprüfbar.745 Um diese Kontrolle zu gewährleisten, ist das Verfahren entspr auszugestalten. Zwar bedarf die Eilanordnung der Ermittlungsbehörden selbst grundsätzlich keiner bestimmten Form, sie kann zunächst auch mündlich oder telefonisch ergehen.746 § 35 StPO gilt für das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren nicht unmittelbar.747 Es ist aber noch vor oder aber unmittelbar nach Ausführung der Maßnahme für eine umfassende schriftliche Dokumentation Sorge zu tragen, um für eine nachträgliche gerichtliche Überprüfung eine Entscheidungsgrundlage zu schaffen.748 Diese hat sich ggf auch auf ernsthafte, aber erfolglose Versuche der Kontaktaufnahme mit dem Ermittlungsrichter oder neu auftretende Umstände, die zu einem Wiederaufleben der Eilkompetenz nach dessen Befassung führen, zu erstrecken.749 Dabei kann schon eine Niederlegung am nächsten oder übernächsten Tag als unzureichend anzusehen sein.750 Auf die sorgfältige Darlegung aller für die Rechtmäßigkeit der Durchsuchung maßgeblichen Umstände ist mithin unbedingt zu achten. Hierbei sollte sich das Ermittlungsorgan an den für einen richterlichen Beschluss maßgeblichen Anforderungen orientieren und diese um die Umstände ergänzen, aus denen sich die Eilbedürftigkeit ergibt. Gerade die oberflächliche Dokumentation bietet Angriffspunkte für die Verteidigung.751

_____ 741 Insoweit verneint Ciolek-Krepold, Rn 63, unter Hinweis auf die handelsrechtlichen Aufbewahrungspflichten zu Unrecht eine Eilbefugnis der Ermittlungsbehörden. Sie verkennt, dass der Steuerberater nicht selbst aufbewahrungspflichtig ist, sondern die Unterlagen auf Anforderung seines Auftraggebers jederzeit, dh sofort, herauszugeben hat, ohne dass dies nach den §§ 257 oder 258 StGB strafbar wäre. Ist der Beschuldigte der Auftraggeber oder dessen Organ, so besteht für ihn ein großer Anreiz, sich schnellstmöglich den Besitz dieser potentiell belastenden Unterlagen zu verschaffen, um sie zu verstecken oder zu vernichten. Dies kann nur durch eine sofortige Durchsuchung und Beschlagnahme unterbunden werden. 742 Ciolek-Krepold Rn 61. 743 S o § 1 Rn 230. 744 S hierzu u § 30. 745 BVerfG, 20.2.2001 – 2 BvR 1444/00, NJW 2001, 1121 (1123). 746 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 3 zu § 105 StPO. 747 Trück JZ 2010, 1106 (1116). 748 BVerfG, 4.2.2005 – 2 BvR 308/04, NJW 2005, 1637 (1638); BVerfG, 20.2.2001 – 2 BvR 1444/00, NJW 2011, 1121 (1124); nach BGH, 13.1.2005 – 1 StR 531/04, NJW 2005, 1060 (1061), kann die polizeiliche Dokumentation der staatsanwaltschaftlichen Anordnung genügen; insoweit einschr auf Evidenz-Fälle, aber dabei die größere Sachnähe des Polizeibeamten nicht berücksichtigend BVerfG, 10.12.2003 – 2 BvR 1481/ 02, NJW 2004, 1442; sa BrbgVerfG, 21.11.2002 – 94/02 Rn 20, NJW 2003, 2305 f; BGH v 21.4.2016 – 2 StR 394/ 15, StV 2016, 539; vgl hierzu auch Einmahl NJW 2001, 1393 ff; Hoffmann NStZ 2003, 230. 749 BVerfG, 16.6.2015 – 2 BvR 2718/10 ua NJW 2015, 2787 (2791 u 2793) mAnm Bittmann; AG Tiergarten, 22.1.2015 – (284b Cs) 274 Js 5378/13 (16/14) StV 2015, 624 zu fehlender Kontaktaufnahme durch Polizeibeamte. 750 BVerfG, 8.3.2006 – 2 BvR 1114/05, StraFo 2006, 368 (369). 751 Michalke StraFo 2014, 89.

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Hinsichtlich der Eilanordnungsbefugnis besteht kein Rangverhältnis zwischen der 238 in § 105 Abs 1 S 1 StPO genannten Staatsanwaltschaft und ihren Ermittlungspersonen. Soweit nach der Rspr des BVerfG752 und des BGH753 anderes gelten soll, entspricht dies schon nicht dem Wortlaut der Vorschrift, die, insbes iGgs zu § 105 Abs 1 S 2 StPO, der die Polizei ausdrücklich von einer Berechtigung ausnimmt, ein solches nicht vorsieht („und“). Aus den zur Anordnung der Beschlagnahme dargelegten Gründen754 folgt dies auch nicht aus der Gesetzessystematik.

ff) Vollstreckung der Durchsuchungsanordnung Die rechtmäßige Anordnung der Durchsuchung berechtigt die vollziehenden Ermitt- 239 lungspersonen im Wege der Annexkompetenz zur Anwendung unmittelbaren Zwangs, in Form der unerlässlichen und zugleich verhältnismäßigen Begleitmaßnahmen.755 Auch das Anfertigen von Photographien ist zulässig, sofern das Dokumentationsinteresse das Persönlichkeitsinteresse des Betroffenen überwiegt.756 Durch den nach § 164 StPO zuständigen Beamten können bei konkretem Anlass eine Telefonsperre und Stubenarrest, angeordnet werden, nicht jedoch vorsorglich und generalisierend.757 Es muss dem Betroffenen aber die Kontaktaufnahme mit einem Rechtsanwalt gestattet werden.758 Wird die Durchsuchung ohne Teilnahme eines Richters oder Staatsanwalts durchge- 240 führt, dann sind nach Möglichkeit bei deren Beginn759 Durchsuchungszeugen, und zwar entweder ein Gemeindebeamter oder zwei andere neutrale760 Gemeindemitglieder hinzuzuziehen (§ 105 Abs 2 S 1 StPO). Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Regelung ergeben, dass sie als wesentliche Förmlichkeit zwingendes Recht ist und nicht zur Disposition der Ermittlungsbehörden steht. Von ihrer Beachtung hängt die Rechtmäßigkeit der Maßnahme ab.761 Selbst wenn ihre Nichteinhaltung alleine nicht die Unverwertbarkeit der bei der Durchsuchung sichergestellten Beweismittel nach sich zieht,762 so bleibt sie dennoch nicht folgenlos. Zumindest bei einem bewussten oder willkürlichen Verstoß der Ermittlungspersonen steht dem Betroffenen ein Notwehr- und Widerstandsrecht zu.763

_____ 752 BVerfG, 16.6.2015 – 2 BvR 2718/10 ua NJW 2015, 2787 (2790) mAnm Bittmann „möglichst der – vorrangig verantwortliche – Staatsanwalt“; BVerfG, 4.2.2005 – 2 BvR 308/04, NJW 2005, 1637 (1638); vgl auch BVerfG, 11.6.2010 – 2 BvR 1046/08, NJW 2010, 2864 (2865) zur entspr Formulierung. 753 BGH, 19.1.2010 – 3 StR 530/09, wistra 2010, 231 (232). 754 S hierzu o § 1 Rn 147. 755 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 13 zu § 105 StPO; MK/Hauschild Rn 31 zu § 105 StPO; SK/Wohlers Rn 63 ff zu § 105 StPO, jeweils mBsp. 756 LR/Tsambikakis Rn 128 zu § 105 StPO; MK/Hauschild Rn 30 zu § 105 StPO; Park Rn 196. 757 KK/Bruns Rn 14a zu § 105 StPO; LR/Tsambikakis Rn 127 zu § 105 StPO; MK/Hauschild Rn 31 zu § 105 StPO; SK/Wohlers Rn 68 f zu § 105 StPO. 758 Dannecker/Knierim/Hagemeier Rn 309; Michalke StraFo 2014, 89. 759 BGH, 9.5.1963 – 3 StR 6/63, NJW 1963, 1461. 760 SK/Wohlers Rn 59 zu § 105 StPO. 761 BGH, 31.1.2007 – StB 18/06, BGHSt 51, 211 (213 f); RG, 1.10.1920 – IV 619/20, RGSt 66, 161 (165); OLG Celle, 11.1.1985 – 3 VAs 20/84, StV 1985, 137 (138) mwN auch zur früheren abw Rspr. 762 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 11 zu § 105 StPO; SK/Wohlers Rn 80 zu § 105 StPO; Hofmann NStZ 2005, 121 (124); MK/Hauschild Rn 34 zu § 105 StPO jedenfalls für irrtümliche Verstöße; aA LR/Tsambikakis Rn 147 zu § 105 StPO; letztlich offen gelassen von BGH, 31.1.2007 – StB 18/06, BGHSt 51, 211 (213 f). 763 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 11 zu § 105 StPO; MK/Hauschild Rn 34 zu § 105 StPO; s aber auch RG, 1.10.1920 – IV 619/20, RGSt 66, 161 (166); OLG Stuttgart, 27.8.1970 – 2 Ss 406/70, NJW 1971, 629, die bei versehentlicher Nichtbeachtung von einer Strafbarkeit des Widerstand Leistenden nach § 113 StGB ausgehen.

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Die Vorschrift dient in erster Linie dem Schutz des von der Durchsuchung Betroffenen, der zwar nicht zugleich auch Durchsuchungszeuge sein,764 auf die Beteiligung von Durchsuchungszeugen aber verzichten kann.765 Erklärt er keinen Verzicht oder ist er nicht zugegen, kann von der Zuziehung nicht alleine deswegen abgesehen werden, weil insbes die Gemeindebediensteten immer häufiger nicht mehr bereit sind, die Aufgabe zu übernehmen.766 Vielmehr muss zunächst der Versuch unternommen werden, ersatzweise auf zwei Mitglieder der Gemeinde zurückzugreifen. Nur wenn der mit der Zeugensuche verbundene Zeitverlust ansonsten den Erfolg der Durchsuchungsmaßnahme vereiteln würde, was bspw bei einem Widerruf einer zunächst zur Durchführung des Eingriffs erklärten Einwilligung in Betracht kommt,767 darf gänzlich auf die Anwesenheit von Durchsuchungszeugen verzichtet werden. In jedem Fall hat der die Durchsuchung leitende Beamte die Umstände zu dokumentieren, aus denen sich die Unmöglichkeit der Zuziehung ergibt.768 Selbst wenn der Betroffene verzichtet, können die vollstreckenden Beamten gleichwohl Zeugen hinzuziehen.769 Das wird sich in der Praxis meist anbieten, wenn mit Konflikten durch Angriffe des Betroffenen gegen die Rechtmäßigkeit der Durchsuchung und Vorwürfe gegen die eingesetzten Beamten zu rechnen ist. 241 Der Inhaber der zu durchsuchenden Räume oder Gegenstände hat gemäß § 106 Abs 1 S 1 StPO ein Anwesenheitsrecht, aber keine Verpflichtung zur Teilnahme.770 Bei mehreren Inhabern steht das Anwesenheitsrecht jedem von ihnen zu.771 Kann der Berechtigte nicht teilnehmen, ist nach Möglichkeit sein Vertreter hinzuzuziehen (§ 106 Abs 1 S 2 StPO), dh diejenige Person, die den Inhaber auf Grund einer besonderen Vollmacht oder eines Auftrags oder sonst üblicherweise vertritt.772 Das kann in den Räumlichkeiten des Beschuldigten auch sein Verteidiger sein, der allerdings auch bei persönlicher Anwesenheit des Beschuldigten hinzukommen darf.773 Ungeachtet dieser Anwesenheitsrechte darf aber mit einer Durchsuchung bereits begonnen werden, bevor der Inhaber oder sein Vertreter eintrifft.774 Gleichwohl wird es sich in der Praxis schon zur Vermeidung unnötiger Konflikte und zur Gewährleistung weitestgehender Transparenz empfehlen, das Eintreffen abzuwarten.775 Der Zweck einer nach § 103 StPO angeordneten Durchsuchung ist dem Inhaber oder seinem Vertreter vor Beginn bekannt zu geben (§ 106 Abs 2 S 1 StPO). Gleiches gilt aber auch für eine Durchsuchung beim Verdächtigen gemäß § 102 StPO,776

_____ 764 OLG Celle, 11.1.1985 – 3 VAs 20/84, StV 1985, 137 (138). 765 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 12 zu § 105 StPO mwN; KMR/Hadamitzky Rn 31 zu § 105 StPO; LR/Tsambikakis Rn 118 zu § 105 StPO. 766 S hierzu o § 1 Rn 118. 767 BGH, 15.10.1985 – 5 StR 338/85, NStZ 1986, 84 (85). 768 Zum Ganzen LG München I, 10.2.2009 – 4 Qs 2/09 juris, nicht vollständig abgedr in StraFo 2009, 146; OLG Celle, 11.1.1985 – 3 VAs 20/84, StV 1985, 137 (138). 769 KK/Bruns Rn 14 zu § 105 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 12 zu § 105 StPO; Park Rn 177; nach LR/Tsambikakis Rn 118 zu § 105 StPO soll dann aber nur sehr eingeschränkter Entscheidungsspielraum für Ermittlungsbeamte bestehen. 770 KMR/Hadamitzky Rn 3 zu § 106 StPO. 771 LR/Tsambikakis Rn 2 zu § 106 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 2 zu § 106 StPO; Park Rn 167; SK/ Wohlers Rn 5 zu § 106 StPO. 772 LR/Tsambikakis Rn 6 zu § 106 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 4 zu § 106 StPO; SK/Wohlers Rn 13 ff zu § 106 StPO; KMR/Hadamitzky Rn 12 zu § 106 StPO. 773 KMR/Hadamitzky Rn 6 zu § 106 StPO; LR/Tsambikakis Rn 13 zu § 106 StPO. 774 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 2 zu § 106 StPO; SK/Wohlers Rn 8 zu § 106 StPO; Park Rn 160 und 198. 775 S o § 1 Rn 104. 776 KMR/Hadamitzky Rn 15 zu § 106 StPO; LR/Tsambikakis Rn 14 zu § 106 StPO; vgl auch OLG Karlsruhe, 9.5.1996 – 1 Ss 120/95, NStZ-RR 1997, 37 (38), zur Personendurchsuchung.

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§ 1 Informationsbeschaffung der Staatsanwaltschaft/Gestaltung des Ermittlungsverf. | 111

und zwar schon deswegen weil eine Beschlagnahme und damit auch die hierfür erforderliche Durchsuchung unverhältnismäßig sein kann, wenn dem Gewahrsamsinhaber keine Gelegenheit gegeben wird, den gesuchten Gegenstand freiwillig herauszugeben.777 Wie die Vorschrift des § 105 Abs 2 S 1 StPO ist auch diese Regelung zwingendes Recht, aus dessen Verletzung aber nicht zwangsläufig die Unverwertbarkeit der gewonnenen Beweismittel folgt.778 Der von einer Durchsuchung Betroffene kann gemäß § 107 S 1 StPO nach ihrer Been- 242 digung eine schriftliche Mitteilung verlangen, die den Grund der Maßnahme und im Fall des § 102 StPO die Straftat beinhalten muss.779 Diese schriftliche Mitteilung erfolgt in der Praxis durch die, regelmäßig bei Beginn der Maßnahme vorgenommene Übergabe einer Ausfertigung der (richterlichen) Durchsuchungsanordnung.780 Außerdem kann der Betroffene verlangen, dass ihm eine Auflistung der freiwillig herausgegebenen bzw beschlagnahmten Gegenstände oder aber eine Negativbescheinigung ausgehändigt wird (§ 107 S 2 StPO). Auch wenn die genannten Bescheinigungen nur auf Verlangen des Betroffenen ausgestellt werden müssen und die Nichtbeachtung dieser Vorschriften für sich betrachtet keine Unverwertbarkeit der Durchsuchung und der Beschlagnahme zur Folge hat,781 empfiehlt es sich für die Praxis, die Bescheinigungen in allen anderen Fällen gleichfalls auszustellen. Das gilt nicht zuletzt zur Absicherung der eingesetzten Beamten va dann, wenn die Durchsuchung in Abwesenheit des Inhabers der durchsuchten Räumlichkeiten oder seines Vertreters stattgefunden hat und trägt iÜ ebenfalls zur Transparenz der Maßnahmen für alle Beteiligten und damit zur Konfliktvermeidung bei. Neben diesen Bescheinigungen nach § 107 StPO ist zwingend ein amtliches Sicherstellungsverzeichnis zu erstellen, ferner sind die in amtliche Verwahrung genommenen oder beschlagnahmten Gegenstände entspr zu kennzeichnen, um Verwechslungen zu verhindern (§ 109 StPO). Auch hier gilt, dass die Nichtbeachtung der Vorschrift auf die Verwertbarkeit der bei der Maßnahme sichergestellten Beweismittel keinen Einfluss hat.782 Die vorschriftswidrige Sachbehandlung kann allerdings im Einzelfall erhebliche Folgen bei der späteren Zuordnung von Beweisstücken und damit negative Konsequenzen für den weiteren Verlauf des Strafverfahrens haben783 sowie uU Schadensersatzansprüche auslösen.784

gg) Zufallsfunde Eine Durchsuchung hat sich auf die Suche nach denjenigen Beweismitteln zu beschrän- 243 ken, die für die in der Durchsuchungsanordnung genannte Straftat von Bedeutung sind. Dementspr bewirkt die Anordnung der Maßnahme deren Begrenzung auf die jeweilige

_____ 777 S o § 1 Rn 136 u 144. 778 BGH, 30.3.1983 – 2 StR 173/82, NStZ 1983, 375 (376); KK/Bruns Rn 1 zu § 106 StPO; Meyer-Goßner/ Schmitt Rn 1 zu § 106 StPO; LR/Tsambikakis, Rn 17 zu § 106 StPO; SK/Wohlers Rn 28 zu § 106 StPO selbst für bewusste Verstöße; letztlich offen lassend BGH, 31.1.2007 – StB 18/06 Rn 8, BGHSt 51, 211 (213 f). 779 Hierzu Meyer-Goßner/Schmitt Rn 2 zu § 107 StPO. 780 LR/Tsambikakis Rn 2 zu § 107 StPO; MK/Hauschild Rn 4 zu § 107 StPO. 781 KK/Bruns Rn 5 zu § 107 StPO; KMR/Hadamitzky Rn 8 zu § 107 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 1 zu § 107 StPO; MK/Hauschild Rn 9 zu § 107 StPO. 782 KK/Bruns Rn 1 zu § 109 StPO; KMR/Hadamitzky Rn 5 zu § 109; LR/Tsambikakis Rn 5 zu § 109 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 2 zu § 109 StPO; MK/Hauschild Rn 5 zu § 109 StPO; SK/Wohlers Rn 4 zu § 109 StPO; Park Rn 645. 783 Vgl o § 1 Rn 126 ff. 784 MK/Hauschild Rn 5 zu § 109 StPO.

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Straftat als Durchsuchungsanlass und hinsichtlich der zu suchenden Beweismittel. Entspr sind diese, abhängig vom Stand der Ermittlungen und den vorhanden Erkenntnissen,785 zumindest beispielhaft oder gattungsmäßig, im Einzelfall aber auch sehr präzise anzugeben. Daraus folgt, dass es den Strafverfolgungsbehörden verwehrt ist, allgemein in Räumen nach Beweismitteln oder Spuren für irgendwelche Straftaten zu suchen. Eine systematische Suche nach „Zufallsfunden“ ist unzulässig.786 Das bedeutet allerdings nicht, dass keine anderen als die in der Durchsuchungsanordnung genannten Gegenstände sicherstellt werden dürfen. Finden Kriminalbeamte bspw im Rahmen einer Durchsuchung wegen Betruges in der Wohnung des Beschuldigten eine Schusswaffe oder Rauschgift, dann wäre es systemwidrig, die Verfolgung entspr Straftaten formal deswegen zu unterbinden, weil die Gegenstände nicht im Durchsuchungsbeschluss genannt sind.787 Auch wird die Anwendung der Vorschrift nicht dadurch ausgeschlossen, dass die richterliche Anordnung ausdrücklich auf bestimmte Beweisgegenstände beschränkt ist.788 Stellt sich also im Verlauf einer Durchsuchungsmaßnahme789 heraus, dass Anhaltspunkte für die Begehung einer anderen Straftat vorliegen, die nicht Gegenstand der bisherigen Ermittlungen war, dann gebieten Legalitätsprinzip (§ 152 Abs 2 StPO) und Amtsermittlungsgrundsatz (§ 160 Abs 2 StPO) als zwei tragende Maximen des deutschen Strafprozessrechts, dass den Verdachtsmomenten nachzugehen ist.790 Dabei muss, wie schon der Wortlaut des § 108 Abs 1 S 1 StPO („hindeuten“) belegt, die Schwelle für einen Anfangsverdacht noch nicht überschritten sein. Vielmehr genügt ein noch ungewisser Verdacht oder die nahe liegende Möglichkeit einer Straftat oder der mutmaßliche Zusammenhang des Gegenstandes mit einer bereits bekannten Straftat.791 Für diese Zufallsfunde bestimmt § 108 Abs 1 S 1 StPO als gesetzlich vermuteter Fall der Gefahr im Verzug,792 dass die aufgefundenen Beweismittel einstweilen in Beschlag zu nehmen sind, soweit kein Beschlagnahmeverbot für diese anderen Straftaten eingreift.793 Sie dürfen zu diesem Zweck in amtliche Verwahrung genommen werden, damit die Staatsanwaltschaft über das weitere Vorgehen entscheiden kann (§ 108 Abs 1 S 2 StPO). Dabei kommt es nicht darauf an, ob es sich um eine (andere) Straftat des Beschuldigten oder einer dritten Person handelt. Die endgültige Beschlagnahme obliegt auch hier aber dem Richter, weil aufgrund der vorgenommenen vorläufigen Beschlagnahme keine Gefahr im Verzug (mehr) gegeben ist.794

_____ 785 S o § 1 Rn 148 ff u 229. 786 BGH, 14.12.1998 – 2 BJs 82/98–3, CR 1999, 292 (293); BeckOK/Hegmann Rn 4 zu § 108 StPO; KK/Bruns Rn 1 zu § 108 StPO; LR/Tsambikakis Rn 9 zu § 108 StPO; SK/Wohlers Rn 4 zu § 108 StPO. 787 So iE auch Michalke StraFo 2014, 89. 788 So aber LG Freiburg, 4.3.1999 – VIII Qs 17–98, NStZ 1999, 582 (583); KK/Bruns Rn 2 zu § 108 StPO; auch wenn die Ausführungen in der Entscheidung anderes nahe legen, sehen einen Fall gezielter Suche nach Zufallsfunden hierin LR/Tsambikakis Rn 9 zu § 108 StPO; SK/Wohlers Rn 4 zu § 108 StPO; dagegen wie hier Meyer-Goßner/Schmitt Rn 1 zu § 108 StPO; MK/Hauschild Rn 6 zu § 108 StPO. 789 BVerfG, 1.3.2002 – 2 BvR 972/00, NStZ 2002, 371 (372): „bei Gelegenheit“. 790 LR/Tsambikakis Rn 1 zu § 108 StPO; MK/Hauschild Rn 2 zu § 108 StPO. 791 KMR/Hadamitzky Rn 1 zu § 108 StPO; LR/Tsambikakis Rn 8 zu § 108 StPO; MK/Hauschild Rn 2 zu § 108 StPO; SK/Wohlers Rn 5 zu § 108 StPO, ansonsten kommen §§ 94 ff StPO direkt zur Anwendung. 792 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 6 zu § 108 StPO. 793 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 4 zu § 108 StPO; SK/Wohlers Rn 11 zu § 108 StPO; das nach AG Pirmasens, 17.12.2015 – 1 Ls 4152 Js 25/15, StV 2017, 25 (29) auch daraus folgen kann, dass für das originär zu suchende Beweismittel nach § 103 StPO keine Auffindevermutung bestand; allg zu den Beschlagnahmeverboten des § 97 StPO im Einzelnen o § 1 Rn 158 ff. 794 KK/Bruns Rn 3 und 5 zu § 108 StPO; LR/Tsambikakis Rn 14 zu § 108 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 7 zu § 108 StPO; BeckOK/Hegmann Rn 11 zu § 108 StPO.

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§ 1 Informationsbeschaffung der Staatsanwaltschaft/Gestaltung des Ermittlungsverf. | 113

Allerdings findet die Regelung des § 108 Abs 1 StPO nur auf Zufallsfunde Anwen- 244 dung, die mit dem einer Durchsuchung zugrundeliegenden Tatvorwurf in keiner Verbindung stehen, was sich nach dem strafprozessualen Tatbegriff des § 264 Abs 1 StPO richtet.795 Dagegen erfasst die Norm nicht diejenigen Sachverhalte, bei denen Beweismittel gefunden werden, die ersichtlich für den der Durchsuchung zu Grunde liegenden Tatvorwurf Bedeutung haben, jedoch nicht von der Zielrichtung der Anordnung umfasst werden. Gibt hier der Gewahrsamsinhaber das Beweismittel nicht freiwillig heraus, muss vor Ort eine Beschlagnahme nach Maßgabe der §§ 94, 98 StPO erfolgen.796 Hier gilt allerdings ebenso, dass die Begrenzungsfunktion der Durchsuchungsanordnung zu beachten ist, dh eine systematische Suche nach Beweismitteln unzulässig ist, die zwar irgendwie den Tatvorwurf betreffen können, von der Durchsuchungsanordnung jedoch nicht erfasst sind.797 So wird man etwa im Falle einer Durchsuchungsanordnung, die explizit bestimmte Beweismittel – beispielsweise im Einzelnen genau bezeichnete Schriftstücke – nennt, die wahllose Mitnahme von Steh-Ordnern oder einer Festplatte und anderen elektronischen Datenträgern durch die Durchsuchungskräfte als unzulässig anzusehen haben. Anders wird dagegen zu entscheiden sein, wenn bereits die Durchsuchungsanordnung abstrakter gefasst ist und dabei ausdrücklich auch die in elektronischer Form auf Datenträgern gespeicherten Dokumente beinhaltet. Das Beispiel zeigt, wie wichtig aus Sicht der Staatsanwaltschaft eine präzise Formulierung bei Beantragung der Durchsuchungsanordnung ist. Beantragte andererseits der Staatsanwalt etwa ausdrücklich und genau bezeichnet die Suche nach den Buchführungsunterlagen 2010–2014 zu gestatten, grenzte der Ermittlungsrichter den Beschluss aber auf Unterlagen nur der Jahre 2012–2014 ein, so darf nach der Buchführung 2010–2011 nur dann gesucht werden, wenn sich nachträglich in einer Gefahr im Verzug begründenden Weise neue tatsächliche Umstände herausstellten, welche nunmehr auch die Beweiserheblichkeit der Unterlagen früherer Jahre für die Anlasstat begründen.

hh) Durchsicht von Papieren Die bei einer Durchsuchung aufgefundenen Papiere sind zu sichten. Dieses Sichten ist 245 noch als ein Teil der Durchsuchung anzusehen,798 auch wenn die Papiere nicht vor Ort, sondern auf der Dienststelle799 durchgesehen werden, und dient dazu, aus den vorgefundenen Gegenständen die beweiserheblichen auszusondern.800 Für die Durchsicht ist gemäß § 110 Abs 1 StPO die Staatsanwaltschaft zuständig, die hierzu Dolmetscher und

_____ 795 LR/Tsambikakis Rn 7 zu § 108 StPO. 796 LG Kiel, 25.4.2016 – 7 Qs 24/16, StV 2017, 22 (23); LG Berlin, 15.1.2004 – 518 Qs 44/03, NStZ 571 (572 f); LR/Tsambikakis Rn 7 zu § 108 StPO; SK/Wohlers Rn 5 zu § 108 StPO; zumindest ungenau Park Rn 225; s hierzu auch o § 1 Rn 151. 797 LG Kiel, 25.4.2016 – 7 Qs 24/16, StV 2017, 22 (23); LG Braunschweig, 21.7.2015 – 6 Qs 116/15, ZWH 2016, 129 (130); LG Berlin, 15.1.2004 – 518 Qs 44/03, NStZ 2004, 571 (573); sa BVerfG, 28.4.2003 – 2 BvR 358/03 Rn 23, NJW 2003, 2669 ff. 798 BVerfG, 30.1.2002 – 2 BvR 2248/00, NJW 2001, 1410 f mwN; 28.4.2003 – 2 BvR 358/03 Rn 23, NJW 2003, 2669 ff; BGH, 7.12.1998 – 5 AR (VS) 2/98 Rn 30, BGHSt 44, 265 ff; BGH, 14.12.1998 – 2 BJs 82/98–3, CR 1999, 292 (293); LG Kiel, 30.4.2015 – 1 Qs 13 u 14/15 StV 2015, 623 (624); KMR/Hadamitzky Rn 5 zu § 110 StPO; LR/Tsambikakis Rn 20 zu § 110 StPO; SK/Wohlers Rn 28 zu § 110 StPO. 799 BGH, 5.8.2003 – StB 7/03 Rn 15, wistra 2003, 432 f; der Sache nach auch LG Itzehoe, 12.1.2015 – 2 Qs 162–164/14, StraFo 2015, 243 ff. 800 BVerfG, 29.1.2002 – 2 BvR 494/01 Rn 7, NStZ-RR 2002, 144 f; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 2 und 10 zu § 110 StPO.

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Sachverständige zur Unterstützung beiziehen801 und iÜ diese Aufgabe aus Beschleunigungs- und Vereinfachungsgründen auf ihre Ermittlungspersonen delegieren kann. Der Begriff des Papiers iS der Vorschrift wird nach allgM weit ausgelegt und erfasst alles, was wegen seines Gedankeninhalts Bedeutung haben kann und auf Papier geschrieben ist.802 Ferner gehören auch sämtliche auf elektronischen Datenträgern gespeicherten digitalen Informationen dazu.803 Die Durchsicht erstreckt sich auf die Sichtung sämtlicher in den durchsuchten Räumlichkeiten vorhandenen Unterlagen auf ihre Beweiserheblichkeit.804 Voraussetzung ist allerdings ein rechtmäßiges Handeln der Ermittlungsorgane, dh auch hier ist die bereits erläuterte Begrenzungsfunktion der Durchsuchungsanordnung zu beachten,805 insbes bei der Frage der Zulässigkeit der Durchsicht von elektronischen Datenträgern.806 Bei Berufsgeheimnisträgern ist ferner der besondere Schutz des Vertrauensverhältnisses zu beachten. Daher darf nicht wahllos der gesamte Datenbestand sichergestellt und durchgesehen werden. Vielmehr ist durch geeignete Auswahlkriterien, bspw Dateinamen oder Treffer eines spezifizierten Suchlaufs, die Ausdehnung auf nicht verfahrensrelevante Daten Dritter über das erforderliche Maß hinaus zu vermeiden.807 Die Zuständigkeit für die Durchsicht liegt nach § 110 Abs 1 StPO in erster Linie bei 246 der Staatsanwaltschaft, die diese Aufgabe aber auf ihre Ermittlungspersonen808 delegieren kann. Daher kommt der Frage, inwieweit andere Beamte iSv § 110 Abs 2 StPO die Durchsicht vornehmen können, in der Praxis kaum Bedeutung zu. Sie dürfen es jedenfalls dann, wenn der Inhaber der durchzusehenden Papiere, nicht aber ein Vertreter nach § 106 Abs 1 S 2 StPO,809 das genehmigt. Ohne diese Genehmigung dürfen sie sich dagegen nur vergewissern, ob vorgefundene Unterlagen überhaupt etwas mit der in der Durchsuchungsanordnung genannten Straftat zu tun haben können, dh zum Zwecke des Ausscheidens offensichtlich irrelevanter Papiere eine Grobsichtung vornehmen. Diese hat sich auf äußere Kriterien zu beschränken, bspw die Beschriftung von Ordnern oder die Betreffangabe in einem Schreiben.810 Dieses umfassende Verbot einer inhaltlichen

_____ 801 BeckOK/Hegmann Rn 7 zu § 110 StPO; LR/Tsambikakis Rn 8 zu § 110 StPO; KMR/Hadamitzky Rn 11 zu § 110 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 3 zu § 110 StPO; MK/Hauschild Rn 11 zu § 110 StPO; SK/Wohlers Rn 13 zu § 110 StPO. 802 KMR/Hadamitzky Rn 9 zu § 110 StPO; KK/Bruns Rn 4 zu § 110 StPO; LR/Tsambikakis Rn 5–9 zu § 110 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 1 zu § 110 StPO; BeckOK/Hegmann Rn 1 und 3 zu § 110 StPO. 803 BVerfG, 30.1.2002 – 2 BvR 2248/00 Rn 5, NJW 2001, 1410 f; auch 28.4.2003 – 2 BvR 358/03 Rn 23 f, NJW 2003, 2669 ff; BGH, 5.8.2003 – StB 7/03, NStZ 2003, 670 (671); BGH, 14.12.1998 – 2 BJs 82/98–3, CR 1999, 292 (293); LG Bad Kreuznach, 9.11.2015 – 2 Qs 107/15, StV 2016, 154; LG Köln, 11.8.1994 – 112 Qs 2/94, NStZ 1995, 54 f mAnm Klaas; KK/Bruns Rn 2 zu § 110 StPO mwN; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 1 zu § 110 StPO. 804 AA Park Rn 228 und wistra 2000, 453, 455. 805 LG Berlin, 15.1.2004 – 518 Qs 44/03 Rn 35 – 37, NStZ 2004, 571 ff. 806 BVerfG, 16.6.2009 – 2 BvR 902/06, NJW 2009, 2431 (2436 f). 807 LG Itzehoe, 12.1.2015 – 2 Qs 162–164/14, StraFo 2015, 243 ff; ausführlich Hiéramente wistra 2016, 432 (435 ff). 808 Vgl hierzu § 152 GVG und die bei Meyer-Goßner/Schmitt Rn 6 zu § 152 GVG abgedruckte Übersicht über die einzelnen von den Bundesländern gemäß § 152 Abs 2 GVG erlassenen Rechtsverordnungen. Für die bei Wirtschaftsstrafsachen nicht selten vorkommenden Fallkonstellationen im Hinblick auf Steuerstraftaten, die Stellung und Befugnisse der Finanzbehörden vgl §§ 399 Abs 1, 386 Abs 2, 402 Abs 1 AO; zu den Ermittlungspersonen gehören in diesen Fällen gemäß 404 AO dann auch die Beamten der Zollfahndungsämter und der Steuerfahndung. 809 LR/Tsambikakis Rn 14 zu § 110 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 4 zu § 110 StPO; MK/Hauschild Rn 14 zu § 110 StPO; SK/Wohlers Rn 15 zu § 110 StPO. 810 OLG Jena, 20.11.2000 – 1 Ws 313/00, NJW 2001, 1290 (1292); OLG Celle StV 1985, 137 ff, jeweils zu § 110 StPO aF; KMR/Hadamitzky Rn 15 zu § 110 StPO; LR/Tsambikakis Rn 15 zu § 110 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 4 zu § 110 StPO; SK/Wohlers Rn 17 zu § 110 StPO; Park Rn 240.

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Vorprüfung ist allerdings für den Betroffenen nicht nur vorteilhaft, weil es in der Praxis dazu führen kann, dass von den Durchsuchungskräften vermehrt Papiere sichergestellt und abtransportiert werden, die tatsächlich, wie sich später herausstellt, nicht beweiserheblich sind. Das aber dürfte wohl kaum im Interesse des von der Maßnahme Betroffenen liegen. Die in diesen Fällen von den Beamten erhobenen Papiere sind in einen Umschlag zu nehmen, der in Gegenwart des Inhabers zu versiegeln und bei der Staatsanwaltschaft abzuliefern ist (§ 110 Abs 2 S 2 StPO). Ob nach der Änderung der Vorschrift der Betroffene nach wie vor das Recht hat, an der Entsiegelung des Umschlags und der Sichtung der Papiere teilzunehmen, was eine entspr Benachrichtigung voraussetzt, wird unterschiedlich beurteilt.811 Da sich der Gesetzgeber iGs zur früheren Rechtslage bewusst dafür entschieden hat, kein Anwesenheitsrecht des Betroffenen vorzusehen und dieser im Übrigen auch nach der alten Rechtslage nur „wenn möglich“ zur Teilnahme an der Entsiegelung aufzufordern war, ist eine generelle Verpflichtung der Staatsanwaltschaft zur Benachrichtigung mangels gesetzlichem Anwesenheitsrecht abzulehnen.812 Im Einzelfall unbenommen bleibt natürlich die Möglichkeit, dem Beschuldigten und ggf seinem Verteidiger bzw dem Nichtverdächtigen die Anwesenheit zu gestatten, wenn das den Ermittlungszweck nicht gefährdet. Gerade bei nichtverdächtigen Personen kann ein solches Vorgehen bei der Sicherstellung großer (elektronischer) Datenmengen sogar empfehlenswert oder sogar geboten sein, weil deren konkrete, nachvollziehbare und überprüfbare Angaben zur Datenstruktur und zur Relevanz der jeweiligen Daten deren materielle Zuordnung vereinfachen und den Umfang der sicherzustellenden Daten reduzieren können.813 Zudem trägt ein solches Vorgehen zur Transparenz für die Beteiligten und zur Konfliktvermeidung bei. Für die Dauer der Durchsicht von Papieren enthält das Gesetz keine zeitliche Limi- 247 tierung.814 Aufgrund des Übermaßverbotes ist die Sichtung zur Minimierung des Eingriffs in die Rechtsposition des Betroffenen allerdings so schnell wie möglich durchzuführen und abzuschließen.815 Die konkrete Dauer wird aber regelmäßig von Umfang und Inhalt des sichergestellten Materials abhängig sein. Das kann bei komplexen Sachverhalten und umfangreichen Sicherstellungen durchaus mehrere Monate in Anspruch nehmen.816 Es wird dann aber va bei Geschäftsunterlagen geboten sein, dem Betroffenen (unter Aufsicht) Zugang zu gewähren, und ihm die Fertigung von Ablichtungen zu ermöglichen. Zu berücksichtigen sind ferner die Schwere des Tatvorwurfs und die Intensität des Eingriffs. Schwerwiegende, systematische oder bewusste Verstöße gegen die Regelungen des § 110 Abs 1 oder 2 StPO können bei fehlerhaften Durchsuchungen oder Beschlagnahmen ein Verwertungsverbot zur Folge haben.817 Gerade in wirtschaftsstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren werden die Ermittler zu 248 sichtendes Datenmaterial nahezu immer (auch) in elektronischer Form, gespeichert auf Datenträgern verschiedenster Art, vorfinden. Auch hier ist die Durchsicht Aufgabe der

_____ 811 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 5 zu § 110 StPO mwN. 812 MK/Hauschild Rn 14 zu § 110 StPO. 813 BVerfG, 16.6.2009 – 2 BvR 902/06, NJW 2009, 2431 (2437). 814 BeckOK/Hegmann Rn 8 zu § 110 StPO; nach LG Saarbrücken, 20.9.2016 – 2 Qs 26/16, NStZ-RR 2016, 346 f darf auch der Ermittlungsrichter keine zeitliche Befristung anordnen. 815 LR/Tsambikakis Rn 22 zu § 110 StPO mit Bsp für unverhältnismäßige Zeiträume; MK/Hauschild Rn 10 zu § 110 StPO. 816 Ebenso BVerfG NJW 2002, 1410, 1411; BGH wistra 2003, 432, 433; sa LG Dresden NStZ 2003, 567; LG Stade wistra 2002, 319; Hoffmann/Wißmann NStZ 1998, 443 f. 817 BVerfG, 12.4.2005 – 2 BvR 1027/02 Rn 134 f, BVerfGE 113, 29 ff; MK/Hauschild Rn 24 zu § 110 StPO.

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Staatsanwaltschaft, die sie delegieren kann, und zwar selbst dann, wenn die Dateien sowohl beschlagnahmefähige als auch beschlagnahmefreie Daten enthalten.818 Für die Durchsicht elektronischer Datenträger sieht § 110 Abs 3 S 1 StPO vor, dass die Durchsicht eines Speichermediums sich auch auf andere Datenträger erstrecken darf, sofern ein Zugriff auf deren Daten von dem durchsuchten Speichermedium aus technisch möglich ist und notwendige Passwörter herausgegeben819 oder aufgefunden werden.820 Letzteres wird zT auch bei Berechnung der Zugangsdaten im Wege der „Brute-Force“-Methode, selbst nach Mitnahme der Hardware, angenommen.821 In der praktischen Anwendung hat diese Regelung zur Folge, dass nicht nur die Daten in dem Speicher des fest installierten oder tragbaren Computers vor Ort (Festplatte) durchgesehen werden dürfen, sondern auch diejenigen Datenspeicher, auf die – vornehmlich über das Internet – von dem jeweiligen Rechner aus zugegriffen werden kann. Hierzu gehören die Inhalte von EMails, die in einem elektronischen Postfach des Betroffenen bei einem Anbieter von Internet-Diensten für ihn gespeichert sind.822 Ein weiteres, in der Ermittlungspraxis immer größere Relevanz erlangendes Beispiel 249 sind Datenspeicher, die der von der Maßnahme Betroffene im Rahmen des sog ‚CloudComputing‘823 ausgelagert hat. Dabei handelt es sich um Speicherkapazitäten, die der Betroffene – meistens aus Kostengründen – nicht mehr selbst lokal vorhält, sondern die von einem Anbieter (Provider) als Dienstleistung angeboten und vom Nutzer angemietet werden. Die Daten befinden sich dann nicht mehr auf dem Rechner vor Ort oder im Unternehmensrechenzentrum, sondern in dem virtuellen Speicher, der mit dem englischen Begriff „cloud“ (deutsch: Wolke824) bezeichnet wird, und auf den über das Internet zugegriffen wird.825 Erforderlich für einen Zugriff auf diese Daten zwecks Durchsicht ist aber immer, dass ohne diese Maßnahme ein Verlust der Daten durch eine Löschung zu befürchten ist.826 Steht nach der Durchsicht der Daten fest, dass sie als Beweismittel in Betracht kommen, dann erlaubt § 110 Abs 3 S 2 StPO auch deren Sicherung, die unter den Voraussetzungen des § 98 Abs 2 StPO richterlich zu bestätigen ist. In keinem Fall von § 110 StPO gedeckt ist der heimliche Zugriff auf die vom Betroffe250 nen geschützten Daten im Wege einer verdeckten Online-Durchsuchung. Die Vorschriften der §§ 102 StPO ff erlauben lediglich den Zugriff im Wege einer offen ausgeführten Durchsuchung.827

_____ 818 Dieser Umstand wurde in dem der Entscheidung des BVerfG, 17.7.2002 – 2 BvR 1027/02, wistra 2002, 378 ff, zu Grunde liegenden Fall der Durchsuchung einer Rechtsanwalts- und Steuerberaterpraxis von dem mit der Beschwerde der Betroffenen befassten Landgericht verkannt. Das BVerfG erließ eine einstweilige Anordnung, durch die eine Verwendung der landgerichtlich beschlagnahmten Mischdateien vorläufig gesperrt wurde. Bei zutreffender Handhabung hätte sich das verfassungsrechtliche Problem allerdings ebenso gestellt, nämlich bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Durchsicht, also im Rahmen des § 110 StPO. 819 Wozu der Beschuldigte nach LR/Tsambikakis Rn 8 zu § 110 StPO; SK/Wohlers Rn 10 zu § 110 StPO nicht verpflichtet ist. 820 MK/Hauschild Rn 16 zu § 110 StPO. 821 BeckOK/Hegmann Rn 16a zu § 110 StPO mN zur aA. 822 SK/Wohlers Rn 10 zu § 110 StPO; Knierim StV 2009, 206 (211). 823 Vgl hierzu Herrmann/Soiné NJW 2011, 2922 (2925); Kudlich GA 2011, 193 (207). 824 In Netzwerkdarstellungen wird deshalb für diese Speicherplätze häufig auch ein Wolkensymbol verwendet. 825 Zum zumindest Mitgewahrsam des Beschuldigten an den Daten bei einer Durchsuchung nach § 102 StPO s Meyer-Goßner/Schmitt Rn 10a zu § 102 StPO. 826 LR/Tsambikakis Rn 8 zu § 110 StPO; MK/Hauschild Rn 17 zu § 110 StPO. 827 BGH, 31.1.2007 – StB 18/06, BGHSt 51, 211 ff; MK/Hauschild Rn 16 zu § 110 StPO; vgl zur grunds verfassungsrechtlichen Zulässigkeit BVerfG, 27.2.2008 – 1 BvR 370 und 595/07, BVerfGE 120, 274 ff; zur Unzu-

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Nicht selten werden die Strafverfolgungsbehörden vor dem Problem stehen, dass die 251 zu sichtenden Daten bei einem Provider gespeichert sind, dessen Server im Ausland aufgestellt ist. Auf diese Daten kann gleichwohl grundsätzlich zugegriffen werden. Ist unklar, ob und in welchem ausländischen Staat sie gelagert werden, kann dies ohne die Notwendigkeit der Rechtshilfe unmittelbar auf § 110 Abs 3 StPO gestützt werden.828 Andernfalls erfolgt der Zugriff einerseits nach internationalem Gewohnheitsrecht.829 Andererseits enthält das als ‚Cybercrime-Konvention‘ bezeichnete Übereinkommen des Europarats vom 23.11.2001 über Computerkriminalität, welchem der Bundestag durch Gesetz vom 5.11.2008 zugestimmt hat830 und welches für die Bundesrepublik Deutschland seit dem 1.7.2009 in Kraft getreten ist,831 hierzu spezielle Regelungen,832 soweit das jeweils zu ersuchende Land diesem beigetregen ist.833 Danach kann nach Art 32 lit a des Abkommens auf öffentlich zugänglich gespeicherte Computerdaten unabhängig davon zugegriffen werden, wo sie sich befinden, so dass kein Rechtshilfeersuchen erforderlich ist. Gleiches gilt gemäß Art 32 lit b des Abkommens für nicht frei zugängliche Computerdaten, sofern deren Inhaber dem Zugriff zustimmt. Stimmt er einem Zugriff auf seine Daten dagegen nicht zu, dann bleiben nur die Möglichkeiten der Rechtshilfe. Hier ist zu unterscheiden zwischen der (vorläufigen) Sicherung der Daten zur Vermeidung eines Beweismittelverlustes durch den Staat, in dem sich die Daten befinden, welche in dringenden Fällen auch durch ein beschleunigtes Rechtshilfeersuchen in die Wege geleitet werden kann (Art 29 iVm Art 25 Abs 3 des Abkommens), und der endgültigen Herausgabe der Daten. Stehen entsprechende Probleme zu erwarten, sollte sich der ermittelnde Staatsanwalt angesichts der diffizilen und nicht alltäglichen Rechtsmaterie schon vor Beginn der Maßnahme mit den entspr Regelungen vertraut machen und – soweit in der Behörde vorhanden – einen Rechtshilfedezernenten hinzuziehen.

ii) Rechtsfolgen bei Gesetzesverstößen Ein nicht unbedeutender Teil von Schrifttum und Rspr zur Durchsuchung beschäftigt 252 sich mit der Problematik der Verwertbarkeit von Beweismitteln durch Ermittlungsbehörden und Gerichte, die auf rechtswidrige Weise erhoben wurden und nicht von einer ausdrücklichen Regelung wie va § 160a Abs 1 S 2 und Abs 2 S 3 StPO erfasst werden. Hierzu gehören insbes auch die im Rahmen von fehlerhaften Durchsuchungen gewonnenen Erkenntnisse. Es gelten dabei folgende Grundsätze: Einerseits zieht nicht jede rechtsfehlerhafte Beweiserhebung die Unverwertbarkeit der gewonnenen Beweise nach sich.834 Das hat das BVerfG mehrfach ausdrücklich klargestellt und damit die Rspr des BGH bestätigt. Die danach zur Annahme von Beweisverwertungsverboten als eher zurückhal-

_____ lässigkeit der verdeckten Installation von Software im Rahmen der Telekommunikationsüberwachung mangels Rechtsgrundlage AG Hamburg, 28.8.2009 – 160 Gs 301/09, StraFO 2009, 512. 828 BeckOK/Hegmann Rn 15 zu § 110 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 7b zu § 110 StPO; aA Werkmeister/ Steinbeck wistra 2015, 209 (214) mwN. 829 KK/Bruns Rn 8a zu § 110 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 7a zu § 110 StPO; MK/Hauschild Rn 18 zu § 110 StPO; Gercke StraFo 2009, 271 (272). 830 BGBl II 2008, 1242. 831 BGBl II 2010, 218. 832 S hierzu LR/Tsambikakis Rn 9 zu § 110 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 7a zu § 110 StPO; MK/ Hauschild Rn 18 zu § 110 StPO. 833 Werkmeister/Steinbeck wistra 2015, 209 (213) mit Auflistung in Fn 67. 834 BVerfG, 9.11.2010 – 2 BvR 2101/09, Rn 45, NStZ 2011, 103 ff; 2.7.2009 – 2 BvR 2225/08 Rn 15, NJW 2009, 3225 f; 30.6.2005 – 2 BvR 1502/04 Rn 8, NStZ 2006, 46 f; 27.4.2000 – 2 BvR 1990/96 Rn 8, NStZ 2000, 488 f.

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tend835 einzustufende Rspr entscheidet nach Prüfung der Umstände des jeweiligen Einzelfalles und berücksichtigt dabei insbes die Art des Verbots und das Gewicht des Verstoßes. Hierzu erfolgt zwischen den (grund)rechtlich geschützten Interessen des von einer Maßnahme Betroffenen und der Bedeutung des verletzten Rechtsguts einerseits sowie dem mit Verfassungsrang ausgestatteten Interesse einer funktionsfähigen Strafrechtspflege und der Wahrheitserforschung im Strafverfahren andererseits eine Abwägung der widerstreitenden Interessen.836 Dabei kommt der funktionsfähigen Strafrechtspflege und der Wahrheitserforschung durch die Gerichte ein erheblicher Stellenwert zu. Andererseits kommt ein Beweisverwertungsverbot allerdings dann in Betracht, wenn der den staatlichen Stellen zuzurechnende Verfahrensverstoß als schwerwiegend, bewusst oder willkürlich anzusehen ist und grundrechtliche Sicherungen des von der Maßnahme Betroffenen planmäßig oder gar systematisch nicht beachtet oder umgangen wurden. Unter diesen Umständen kann selbst der Gesichtspunkt des hypothetisch rechtmäßigen Ermittlungsverlaufs nicht ins Gewicht fallen,837 der bei unbewussten Verstößen regelmäßig gegen ein Verwertungsverbot spricht.838 Nach diesen Grundsätzen ist zu entscheiden wie es sich auswirkt, wenn die Anwen253 dungsbereiche der §§ 102, 103 StPO nicht eingehalten werden. Ein Beweisverwertungsverbot kommt nicht in Betracht, wenn bei einem Verdächtigen fehlerhaft auf Grund einer richterlichen Anordnung nach § 103 StPO anstatt § 102 StPO durchsucht wurde, weil die geringeren Eingriffsvoraussetzungen der letztgenannten Norm ohnehin vorgelegen hätten. Dementspr fehlt es an einem rechtswidrigen Handeln839 und erst recht an einer planmäßigen Umgehung von Schutzmechanismen. Im umgekehrten Fall der Durchsuchung auf Grund einer Anordnung nach § 102 StPO bei einem tatsächlich Unverdächtigen ist zu prüfen, ob die (engeren) Voraussetzungen des § 103 StPO zum Zeitpunkt der Anordnung und Durchführung der Maßnahme ebenfalls gegeben waren.840 War das der Fall, dann liegt die Annahme eines Beweisverwertungsverbotes zu Gunsten des Beschuldigten schon deshalb fern, weil sich der Rechtsverstoß auch hier regelmäßig nicht als Missachtung von grundrechtlichen Sicherungen darstellen wird, sofern keine gegenteiligen Anhaltspunkte vorliegen. Ein Verwertungsverbot ist indes anzunehmen, sofern es zum Zeitpunkt der Anordnung der Durchsuchung an dem zwingend notwendigen Tatverdacht überhaupt fehlte.841 254 Stellt sich nach Abschluss der Durchsuchung im Rahmen einer gerichtlichen Prüfung der zu Grunde liegenden Anordnung wegen Gefahr im Verzug heraus, dass deren Voraussetzungen nicht vorlagen, dann hat das Gericht die Rechtswidrigkeit der Maßnahme festzustellen.842 Rechtswidrigkeit bedeutet allerdings nicht zwangsläufig, dass

_____ 835 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 18 zu § 105 StPO. 836 BGH, 10.7.2014 – 3 StR 140/14, StV 2015, 85 (86); BGH, 27.2.1992 – 5 StR 190/91 Rn 13, BGHSt 38, 214 ff; 11.11.1998 – 3 StR 181/98 Rn 10, BGHSt 44, 243 ff; 18.4.2007 – 5 StR 546/06 Rn 19–32, BGHSt 51, 2 ff; KK/Greven Rn 10 vor § 94 StPO. 837 BGH, 21.4.2016 – 2 StR 394/15, StV 2016, 539 (540); BGH, 30.8.2011 – 3 StR 210/11, NStZ 2012, 104 (105); BGH, 8.4.2007 – 5 StR 546/06, NJW 2007, 2269 (2273). 838 BGH, 17.2.2106 – 2 StR 25/15, NStZ 2016, 551 (552 f); der Sache nach auch BGH, 18.11.2003 – 1 StR 455/03, NStZ 2004, 449 (450). 839 BGHSt 28, 57, 60. 840 Eine entspr Argumentation findet sich in BVerfG, 28.4.2003 – 2 BvR 358/03, NJW 2003, 2669 (2670). 841 LG Berlin, 27.6.2008 – 525 Qs 102/08, StV 2011, 89; LG Dresden, 11.1.2011 – 14 KLs 201 Js 33570/09, StraFo 2011, 223; AG Köln, 26.1.2010 – 585 Ds 223/09, StV 2012, 280 (280 f). 842 BVerfG, 30.4.1997 – 2 BvR 817/90, 728/92 und 1065/95 Rn 54 f, NJW 1997, 2163 ff; 4.3.2008 – 2 BvR 2111 und 2112/07 Rn 25 mwN, NStZ 2009, 166 f zur Frage der verspäteten Geltendmachung. Allerdings hebt BGH,

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die gewonnenen Beweismittel zugleich unverwertbar sind. Zwar wurde im Anschluss an die grundlegende Entscheidung des BVerfG zum Begriff der Gefahr im Verzug vom 20.2.2001843 verschiedentlich ein weitergehendes Beweisverwertungsverbot vertreten.844 Demgegenüber ist jedoch auch in diesem Zusammenhang davon auszugehen, dass dem deutschen Strafprozessrecht ein allg geltender Grundsatz fremd ist, wonach jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich zieht.845 Dem folgend ist nach der Rspr des BGH und des BVerfG gleichfalls eine Abwägung der widerstreitenden Interessen vorzunehmen.846 Ein Beweisverwertungsverbot ist danach in Fällen anzunehmen, in denen den Ermittlungsbehörden schwerwiegende bewusste oder willkürliche Verfahrensverstöße vorgeworfen werden können, bspw bei einer systematischen oder planmäßigen Umgehung des für eine Durchsuchungsanordnung geltenden Richtervorbehalts.847 Eine solche liegt vor, wenn durch die Ermittlungsbehörden die richterliche Zuständigkeit für die Anordnung von Durchsuchungen dadurch missachtet wird, dass trotz einer den Antrag ausdrücklich ablehnenden richterlichen Entscheidung auf die Eilentscheidungsbefugnis zurückgegriffen wird,848 am Werktag während dienstüblicher Zeiten noch nicht einmal der Versuch unternommen wird,849 eine richterliche Entscheidung zu erlangen, oder absichtlich so lange gewartet wird, bis die Voraussetzungen für die Annahme einer Gefahr im Verzuge und damit für die eigene Anordnungskompetenz vorliegen. 850 Versehentliche und geringfügige Versäumnisse ziehen dagegen für die letztgenannte Fallkonstellation keine entspr Folge nach sich.851 Ebenfalls kein Raum für ein Verwertungsverbot besteht bei fehlerhafter Annahme des Vorliegens der Gefahr im Verzuge aufgrund tatsächlichen oder rechtlichen Irrtums852 oder in den Fällen fehlender oder unzureichender Dokumentation.853 Verstöße gegen zwingendes Recht können ferner die Art und Weise der Durchfüh- 255 rung der Maßnahme betreffen. Die entspr Vorschriften haben indes eher den Charakter

_____ 16.6.2009 – 3 StR 6/09, NStZ 2009, 648, hervor, dass das Verfahren nach § 98 Abs 2 StPO analog keine Voraussetzung für die Geltendmachung des Rechtsfehlers im Rahmen der Revision ist, s auch u § 1 Rn 264. 843 BVerfGE 103, 142 ff. 844 AG Braunschweig StV 2001, 393 ff; Daleman/Heuchemer JA 2003, 430, 435; Fezer FS Rieß 93, 101 ff; Krekeler NStZ 1993, 263 ff; Park Rn 389–427. 845 BVerfG, 28.7.2008 – 2 BvR 784/08, NJW 2008, 3053 f; BGH, 11.11.1998 – 3 StR 181/98, BGHSt 44, 243 ff. 846 BVerfG, 2.7.2009 – 2 BvR 2225/08 Rn 15–17, NJW 2009, 3225 f; 9.11.2010 – 2 BvR 2101/09, Rn 45, NStZ 2011, 103 ff; BGH, 10.7.2014 – 3 StR 140/14, StV 2015, 85 (86); BGH, 30.8.2011 – 3 StR 210/11, NStZ 2012, 104 (105); BGH, 18.4.2007 – 5 StR 546/06 Rn 20, BGHSt 51, 285 ff; umfassend LR/Tsambikakis Rn 139–149 zu § 105 StPO. 847 BGH, 30.8.2011 – 3 StR 210/11, NStZ 2012, 104 (105); MK/Hauschild Rn 36 zu § 105 StPO. 848 Vgl BGH, 28.6.2001 – 1 StR 198/01, NStZ 2001, 604 (606) zu § 98 Abs 1 StPO. 849 BGH, 21.4.2016 – 2 StR 394/15, StV 2016, 539 (540). 850 BVerfG, 20.2.2001 – 2 BvR 1444/00 Rn 46–48, BVerfGE 103, 142 ff; BGH, 30.8.2011 – 3 StR 210/11, NStZ 2012, 104 (105). 851 BGH, 19.1.2010 – 3 StR 530/09, BGHR StPO § 105 Abs 1 Gefahr im Verzug 1; anders für „grobe Verkennung des Richtervorbehalts“ AG Tiergarten, 22.1.2015 – (284b Cs) 274 Js 5378/13 (16/14) StV 2015, 624 (625). 852 BVerfG NStZ 2004, 216; NJW 1999, 273 f (Ausnahme: besonders schwerwiegender Verstoß); StV 2002, 113; BGH, 25.4.2007 – 1 StR 135/07, NStZ-RR 2007, 242 (243); OLG Frankfurt/M NStZ-RR 2003, 175, 176; OLG Koblenz NStZ 2004, 231 f; AG Tiergarten, StV 2003, 663, 664; Amelung NJW 1991, 2533 ff; KK/Greven Rn 10 f vor und 19 f zu § 94 StPO, 14 zu § 98 sowie KK/Bruns Rn 21 f zu § 105 StPO; Krehl NStZ 2003, 461, 463 f, LR/Tsambikakis Rn 141 zu § 105 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 21 zu § 94 und Rn 7 zu § 98 StPO; Schoreit NStZ 1999, 173 ff; SK/Wohlers Rn 79 zu § 105 StPO. 853 BGH, 25.4.2007 – 1 StR 135/07, NStZ-RR 2007, 242 (243); BGH, 13.1.2005 – 1 StR 531/04 Rn 14, NStZ 2005, 392 f. Vgl auch BVerfG, 28.7.2008 – 2 BvR 784/08 Rn 10, NJW 2008, 3053 f für den Fall einer im Rahmen der Eilkompetenz angeordneten Blutentnahme gemäß § 81a StPO.

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von Ordnungsvorschriften, so dass Verwertungsverbote nur im Ausnahmefall angenommen werden können.854 Sollte die gebotene Abwägung zu dem Ergebnis führen, dass das aus dem Verfah256 rensverstoß folgende Beweiserhebungsverbot zu einem Beweisverwertungsverbot führt, stellt sich die Folgefrage, ob dieses auf das unmittelbar durch die jeweilige Maßnahme gewonnene Beweismittel beschränkt bleibt. Eine generelle Fernwirkung idS, dass sich die Unverwertbarkeit auch auf diejenigen weiteren Beweismittel erstreckt, die zwar für sich gesehen rechtmäßig, aber nur auf Grundlage des rechtswidrig erlangten gewonnen werden konnten, nimmt die Rspr nicht an. Vielmehr ist ebenfalls eine Abwägung vorzunehmen, die jedoch nur ganz ausnahmsweise zu einer entspr Folgewirkung führt.855 Hierbei fällt in Bezug auf sachliche Beweismittel maßgeblich ins Gewicht, dass die Beschlagnahme als grundsätzlich von der Durchsuchung zu trennender Entscheidungsgegenstand anzusehen ist, der eigenständigen Regeln folgt. Daher können ordnungsgemäß beschlagnahmte Gegenstände verwertet werden, selbst wenn sie nur mittels einer rechtsfehlerhaften Durchsuchung gefunden wurden, jedenfalls solange dieser kein willkürliches oder grob fehlerhaftes Verhalten zu Grunde lag.856 Dagegen kommt letzteres bspw in Betracht für den Fall einer Durchsuchungsanordnung, die sich noch nicht einmal auf einen Anfangsverdacht stützen kann. Der unter diesen Umständen sichergestellte Gegenstand kann dann nicht als Beweismittel herangezogen werden.857 Gleiches gilt für eine Einlassung des Beschuldigten vor dem polizeilichen Ermittlungsbeamten, bei der dieser die ohne Anfangsverdacht rechtswidrig erlangten Gegenstände vorhält, ohne qualifiziert über deren Unverwertbarkeit zu belehren.858 Anderes gilt aber wieder für ein Geständnis in der Hauptverhandlung, das von einer fehlerhaften Durchsuchungsanordnung unberührt bleibt.859 Sind Berufsgeheimnisträger als Dritte von einer Durchsuchung nach § 103 SPO be257 troffen, so sind die besonderen Regelungen für Verwertungs- und Verwendungsverbote in § 160a Abs 1 S 2 und Abs 2 S 3 StPO zu beachten.860 Dies gilt, wenn die Dursuchung der Beschlagnahme von Gegenständen dienen soll auch im Hinblick auf § 160a Abs 5 StPO unabhängig von § 97 StPO, da sich dort keine Regelungen zur Verwertbarkeit finden.861 Ist der Berufsgeheimnisträger allerdings selbst Beschuldigter, kann § 160a StPO indes schon seinem Wortlaut nach nicht zur Anwendung kommen.862 Es verbleibt dann bei den zuvor dargestellten allg Grundsätzen.

_____ 854 Die entspr Hinweise hierzu finden sich bei der Erörterung der Vorschriften selbst in den vorhergehenden Abschnitten dd), ff) u hh) o Rn 227, 239 ff u 245 ff. 855 Grundlegend BGH, 22.2.1978 – 2 StR 334/77, BGHSt 27, 355 (357); BGH, 18.4.1980 – 2 StR 731/79, BGHSt 29, 244 (249) jeweils zu TKÜ-Maßnahmen; MK/Kudlich Einl Rn 489. 856 BVerfG, 29.7.2002 – 2 BvR 708/02 juris (Rn 6); BVerfG, 15.7.1998 – 2 BvR 446/98, NJW 1999, 273 (274); BGH, 18.11.2003 – 1 StR 455/03, NStZ 2004, 449 (450); LG Bad Kreuznach, 9.11.2015 – 2 Qs 107/15, StV 2016, 154 (155). 857 LG Dresden, 11.1.2011 – 14 KLs 201 Js 33570/09, StraFo 2011, 223. 858 BGH, 10.7.2014 – 3 StR 140/14, StV 2015, 85 (86); nach OLG Düsseldorf, 23.6.2016 – 3 RVs 46/16, StV 2017, 12 (15); AG Kehl, 29.4.2016 – 2 Cs 303 Js 19062/15, StV 2017, 23 (25); LG Berlin, 27.6.2008 – 525 Qs 102/ 08, StV 2011, 89 (89 f) auch ohne entspr Vorhalt. 859 BGH, 16.10.2007 – 3 StR 413/07 juris; BGH, 25.4.2007 – 1 StR 135/07, NStZ-RR 2007, 242 (243). 860 BVerfG, 6.11.2014 – 2 BvR 2928/10 juris (Rn 17–19), StraFo 2015, 61 ff. 861 S o § 1 Rn 197. 862 BGH, 27.3.2009 – 2 StR 302/08, BGHSt 53, 257 (262); Meyer-Goßner/Schmitt Rn 1 zu § 160a StPO.

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e) Rechtsschutz aa) Allgemeines Sowohl der von einer strafprozessualen Maßnahme Betroffene als auch die Staatsan- 258 waltschaft im Falle der gerichtlichen Ablehnung einer beantragten Anordnung haben Rechtsmittel. Während der Staatsanwaltschaft gegen ablehnende (ermittlungs)richterliche Entscheidungen das Rechtsmittel der Beschwerde zusteht (§§ 304 ff StPO), sind die Rechtsschutzmöglichkeiten des Betroffenen im Einzelnen diffiziler. In jedem Fall besteht aber kein strafprozessuales Stufenverhältnis oder ein Vorrang eines der Rechtsbehelfe, mit dem die Rechtswidrigkeit der Durchsuchung oder der Beschlagnahme geltend gemacht werden kann. Auch wenn der Beschuldigte die Rechtsschutzmöglichkeit des § 98 Abs 2 S 2 StPO (analog) nicht in Anspruch genommen hat, muss sich das erkennende Gericht – und in der Folge ggf das Revisionsgericht – damit auseinandersetzen, ob Beweisverwertungsverbote eingreifen.863 Die Entwicklung des Rechtsschutzes gegen strafprozessuale Eingriffe iAllg und im 259 Hinblick auf Durchsuchungen und Beschlagnahmen im Besonderen ist maßgebend durch Entscheidungen des BVerfG aus dem Jahre 1997864 und nachfolgend des BGH865 geprägt worden. Während bis dahin Rechtsmittel gegen richterliche Entscheidungen nur bei einer fortbestehenden Beschwer des von einer Maßnahme Betroffenen als zulässig erachtet wurden, gilt nunmehr, dass dieser sich gegen tiefgreifende strafprozessuale Grundrechtseingriffe auch und va dann wehren kann, wenn die Maßnahme vor der gerichtlichen Entscheidung bereits beendet ist und zuvor kein wirksamer gerichtlicher Rechtsschutz zu erlangen war. Das wird bei einer abgeschlossenen Durchsuchung regelmäßig, bei einer Beschlagnahme866 aber nicht zwangsläufig der Fall sein. Dementspr kann der Betroffene auch im Nachhinein noch die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme gerichtlich prüfen lassen, sofern er ein Rechtsschutzbedürfnis darlegt. Letzteres ist allerdings in zeitlicher Hinsicht867 begrenzt, auch wenn es keine allgemeingültige Frist gibt und immer die Umstände des Einzelfalles zu würdigen sind. Es wird aber nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Staatsanwaltschaft die Originale beschlagnahmter Unterlagen zurückgibt, sich jedoch Kopien für die weitere Auswertung zurückbehält.868 Abgesehen von der Erweiterung der Rechtsschutzmöglichkeiten zu Gunsten eines 260 Betroffenen können für diesen bei der konkreten Prüfung eines Rechtsmittels weitere Erleichterungen bei der Auswahl zum Tragen kommen. Wird ein Rechtsmittel durch einen ersichtlich Rechtsunkundigen falsch adressiert, dann ist die Dienststelle, bei der das Rechtsmittel eingeht, von Amts wegen zur Weiterleitung an das zur Entscheidung berufene Gericht verpflichtet, ohne dass das ggf negative Konsequenzen für eine bestehende Frist hat. Ferner verleiht § 300 StPO dem allg Rechtsgedanken Ausdruck, dass die falsche Bezeichnung eines Rechtsmittels unschädlich ist. Grund hierfür ist, dass ein An-

_____ 863 BGH, 16.6.2009 – 3 StR 6/09, NStZ 2009, 648. 864 BVerfG, 30.4.1997 – 2 BvR 817/90, NJW 1997, 2163 ff; 27.5.1997 – 2 BvR 1992/92, NJW 1997, 2165 ff; vgl dazu KK/Greven Rn 23 ff und 29 zu § 98 StPO. 865 BGH NStZ 2002, 215, 216; BGHR StPO § 304 Abs 5 Durchsuchung 1; BGH NJW 2000, 84, 85. 866 OLG Frankfurt/M NStZ-RR 2003, 175 f. 867 Vgl hierzu den der Entscheidung BVerfG, 18.12.2002 – 2 BvR 1660/02, NJW 2003, 1514 f, zu Grunde liegenden Fall eines Rechtsschutzantrages, der 2 Jahre nach Durchführung der Maßnahme und einvernehmlicher Verfahrensbeendigung nach § 153a StPO gestellt wurde; LG Potsdam, 20.10.2003, 21 Qs 95 und 172/03, NJW 2004, 696 f, dieser Entscheidung lag eine 4 Jahre zurückliegende richterliche Bestätigung einer Beschlagnahme zu Grunde; LG Saarbrücken, 2.4.2007 – 8 Qs 132/06, NStZ-RR 2008, 113; wN bei Meyer-Goßner/Schmitt Rn 18a vor § 296 StPO. 868 OLG Köln, 7.5.1991 – 2 Ws 149/91, StV 1991, 507 (508).

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spruch auf eine möglichst umfassende und effektive richterliche Kontrolle besteht, der durch das Einhalten von Formalien nicht unnötig eingeschränkt werden darf. Wird idS also das Ziel eines Rechtsmittels deutlich, dann ist es unabhängig von seiner Bezeichnung so anzusehen, als sei es das vom Gesetz für den konkreten Fall vorgesehene.869 Schließlich darf der Rechtsschutzsuchende auf die formale Bezeichnung der von ihm angegriffenen Maßnahme vertrauen. Legt er zB gegen einen gerichtlichen Beschlagnahmebeschluss Beschwerde ein, obwohl diese Anordnung tatsächlich – etwa wegen fehlender Bestimmtheit – unwirksam ist, dann ist sein Rechtsmittel in analoger Anwendung von § 98 Abs 2 S 2 StPO in einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen eine nichtrichterlich angeordnete Beschlagnahme umzudeuten.870 Wurde in diesen Fällen die nichtrichterliche Beschlagnahme bereits gemäß § 98 Abs 2 S 2 StPO durch den Ermittlungsrichter bestätigt, dann ist eine gegen die ursprüngliche richterliche Beschlagnahmeanordnung gerichtete Beschwerde als eine solche gegen die Bestätigungsentscheidung anzusehen. Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn eine in einen Durchsuchungsbeschluss auf261 genommene gattungsmäßige Beschlagnahmeanordnung nach Einlegung der gegen die verbundenen Entscheidungen gerichteten Beschwerde dadurch gegenstandslos wird, dass der Ermittlungsrichter auf Grund eines Widerspruchs des Betroffenen bereits über die anlässlich der Durchsuchung konkret beschlagnahmten Gegenstände gemäß § 98 Abs 2 S 2 StPO entscheidet und die Beschlagnahme bestätigt. Die tatsächlich beschlagnahmten Gegenstände werden dadurch gegenüber dem angefochtenen Beschluss konkretisiert. Da der Bestätigungsbeschluss spezieller ist, hat sich die ursprüngliche Beschlagnahmeanordnung erledigt. In diesem Fall kann die vom Betroffenen hiergegen zuvor eingelegte Beschwerde nicht in eine solche gegen den Bestätigungsbeschluss umgedeutet werden, weil letzterer zum Zeitpunkt der Einlegung der Beschwerde noch nicht existierte. Eine Beschwerde nach § 304 StPO kann sich nämlich immer nur gegen eine bereits bestehende Entscheidung richten.871 Konsequenz der dargestellten Erweiterungen des Rechtsschutzes durch die Rspr ist, 262 dass im Wesentlichen nur noch danach unterschieden wird, ob der von einer Maßnahme Betroffene eine nichtrichterliche Anordnung bzw Maßnahme oder eine richterliche Entscheidung angreifen will. Die zur Anwendung gelangenden Vorschriften sind für die hier fokussierten Maßnahmen der Durchsuchung und der Beschlagnahme im erstgenannten Fall § 98 Abs 2 S 2 StPO (Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung) sowie iÜ die Vorschriften der §§ 304 ff (Beschwerde gegen richterliche Entscheidungen) im dritten Buch der Strafprozessordnung.

bb) Antrag auf gerichtliche Entscheidung 263 Nach Wortlaut und systematischer Stellung betrifft die Vorschrift des § 98 Abs 2 S 2 StPO

in direkter Anwendung das Recht des von einer Beschlagnahme Betroffenen, gerichtliche Entscheidung zu beantragen, um die Rechtmäßigkeit einer Beschlagnahmeanordnung der Staatsanwaltschaft oder ihrer Ermittlungspersonen überprüfen zu lassen.

_____ 869 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 2 zu § 300 StPO mwN. 870 BVerfG, 29.1.2002 – 2 BvR 1245/01 NStZ-RR 2002, 172 f. Das LG Koblenz StV 2001, 501 f hob zusätzlich auch noch den ursprünglichen richterlichen Beschlagnahmebeschluss mangels Bestimmtheit als „rechtswidrig“ auf, sa LG Stade wistra 2002, 319; LR/Menges Rn 48 zu § 98 StPO. 871 BGH, 15.10.1999 – StB 9/99 NStZ 2000, 154.

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§ 1 Informationsbeschaffung der Staatsanwaltschaft/Gestaltung des Ermittlungsverf. | 123

Antragsberechtigt sind der Gewahrsamsinhaber sowie der Eigentümer und der Besitzer einer Sache,872 der Status als Beschuldigter für sich betrachtet genügt dafür nicht.873 Die örtliche Zuständigkeit des Gerichts richtet sich nach § 98 Abs 2 S 3 iVm § 162 StPO.874 Inhaltlich prüft das Gericht die Rechtmäßigkeit der nichtrichterlichen Beschlagnahmeanordnung, dh auch, ob Gefahr im Verzug vorlag. Maßgebend für die Frage der Rechtmäßigkeit einer Beschlagnahme ist nicht der Zeitpunkt ihrer Anordnung, sondern derjenige der richterlichen Entscheidung.875 Kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen vorliegen, bestätigt es die Beschlagnahme (ggf unter Feststellung der Rechtwidrigkeit des vorausgegangenen Handelns nichtrichterlicher Organe). Gegen diese Entscheidung kann der Antragsteller dann Beschwerde gemäß § 304 StPO einlegen. Liegen die Voraussetzungen dagegen nicht (mehr) vor, ist die Beschlagnahme mit der Konsequenz aufzuheben, dass die in Rede stehenden Gegenstände an den Antragsteller herauszugeben sind. Hiergegen steht der Staatsanwaltschaft ihrerseits das Beschwerderecht zu. Darüber hinaus wird die Regelung des § 98 Abs 2 S 2 StPO in weitem Umfang analog 264 angewendet, wenn es um die gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit von anderen Ermittlungsmaßnahmen geht. Das gilt zum einen, wenn die von dem Betroffenen angegriffene Maßnahme noch andauert,876 so dass auch die – in der Praxis eher seltene – richterliche Kontrolle einer Durchsuchung möglich ist, die zB wegen der noch zu erledigenden Durchsicht von Papieren noch nicht abgeschlossen ist.877 Dabei ist ggf sowohl das Vorliegen der Voraussetzungen für die Durchsuchung als auch die Art und Weise ihrer Durchführung zu prüfen, letzteres bspw dann, wenn der betroffene Antragsteller die Zulässigkeit878 oder eine überlange Dauer der Durchsicht879 nach § 110 StPO geltend macht. Zum anderen kann der Betroffene nachträglich die Rechtmäßigkeit einer durch die Strafverfolgungsbehörden bereits vollzogenen erledigten Eingriffsmaßnahme kontrollieren lassen. Hierher gehören die Fälle, in denen eine Durchsuchungsanordnung der Staatsanwaltschaft oder ihrer Ermittlungspersonen wegen der Annahme von Gefahr im Verzug überprüft werden soll. Ergibt die Prüfung, dass die Anordnung nicht hätte ergehen dürfen, dann hat der Ermittlungsrichter deren Rechtswidrigkeit festzustellen. Gleiches gilt iE, wenn Gegenstand der Überprüfung die Art und Weise der Durchführung einer abgeschlossenen Durchsuchung ist und die geltend gemachten Beanstandungen nach gerichtlicher Prüfung durchgreifen. Dabei kommt es nach der Rspr nicht darauf an, ob die zu Grunde liegende Durchsuchungsanordnung eine nichtrichterliche oder eine richterliche war.880

_____ 872 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 20 zu § 98 StPO. 873 KK/Greven Rn 18 zu § 98 StPO; bei Beschlagnahme personenbezogener Daten ist auch der hiervon Betroffene antragsberechtigt, BVerfG, 2.4.2006 – 2 BvR 237, 246 und 256/06 Rn 3 mwN, PStR 2007, 124. 874 Über einen bei Anklageerhebung noch nicht beschiedenen Rechtsschutzantrag entscheidet das erkennende Gericht, vgl OLG Stuttgart StV 2003, 552. 875 LR/Menges Rn 53 zu § 98 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 17 zu § 98 StPO mwN; KK/Greven Rn 20 zu § 98 StPO. 876 OLG Celle NStZ 2010, 534 für Fahndungsmaßnahmen nach § 131 StPO. 877 Vgl hiezu den Fall LG Bad Kreuznach, 9.11.2015 – 2 Qs 107/15, StV 2016, 154 f. 878 LG Bad Kreuznach, 9.11.2015 – 2 Qs 107/15, StV 2016, 154. 879 BVerfG NStZ-RR 2002, 144, 145; NJW 2002, 1410, 1411; NJW 1997, 2165. 880 BGH NJW 1999, 730 ff; 1999, 3499 f; 2000, 84 ff. Nicht entschieden hat der BGH dabei die Frage, ob eine analoge Anwendung des § 98 Abs 2 S 2 StPO in Betracht kommt, wenn Art und Weise des Vollzuges einer Durchsuchung bereits richterlich angeordnet wurden; bejahend Katholnigg NStZ 2000, 155 f, iE aus

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Schließlich kann sowohl derjenige, der zunächst seine Zustimmung zur Sicherstellung eines Gegenstandes erklärt hatte,881 als auch der mit einem staatsanwaltschaftlichen Herausgabeverlangen nach § 95 StPO Konfrontierte882 jederzeit einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung in analoger Anwendung des § 98 Abs 2 S 2 StPO stellen.

cc) Beschwerde 266 Eine richterliche Entscheidung kann von dem Betroffenen allein mit der hierfür vorge-

sehenen einfachen, unbefristeten Beschwerde gemäß § 304 StPO angegriffen werden. Das gilt im Einzelnen für die richterliche Beschlagnahmeanordnung nach § 98 Abs 1 StPO, die richterliche Bestätigung der nichtrichterlichen Anordnung nach § 98 Abs 2 S 1 StPO sowie die ablehnenden Entscheidungen, die durch Ermittlungsrichter in direkter und analoger Anwendung des § 98 Abs 2 S 2 StPO ergehen.

dd) Verfassungsbeschwerde 267 Hat der Betroffene den Rechtsweg der Fachgerichtsbarkeit erschöpft und sieht sich

durch die gerichtliche(n) Entscheidung(en) in seinen Grundrechten verletzt, dann kommt als außerordentlicher Rechtsbehelf für ihn noch die Verfassungsbeschwerde in Betracht (§ 90 Abs 2 BVerfGG). Macht er hierbei (auch) eine Verletzung des rechtlichen Gehörs gemäß § 103 Abs 1 GG durch die angegriffene letztinstanzliche Entscheidung geltend, dann ist die Verfassungsbeschwerde nur statthaft, wenn der Beschwerdeführer zuvor den Rechtsbehelf des § 33a StPO bzw § 311a StPO genutzt hat.883 Dieser Rechtsbehelf soll der Entlastung des BVerfG dienen884 und es den Fachgerichten ermöglichen, eventuelle Beanstandungen selbst zu beheben. Er greift in jedem Fall der Verletzung von Art 103 Abs 1 GG ein, nicht nur dann, wenn dem angegriffenen Beschluss Tatsachen oder Beweisergebnisse zu Grunde gelegt wurden, zu denen der Beschwerdeführer nicht gehört worden war.885

V. Zusammenarbeit Staatsanwaltschaft/Insolvenzverwalter Trück/Bittmann

1. Aufgaben des Insolvenzverwalters 268 Der Insolvenzverwalter886 hat die Aufgabe, die noch vorhandene Masse so zu verwer-

ten, dass die Insolvenzgläubiger, § 38 InsO, bestmöglich befriedigt werden, § 1 S 1 InsO. Verspricht dieses Ziel am ehesten im Wege der Fortsetzung der werbenden Tätigkeit erreicht werden zu können, dann hat nicht nur der vorläufige, § 22 Abs 1 Nr 2 InsO, sondern auch der nach Verfahrenseröffnung bestellte (endgültige) Insolvenzverwalter die Produktion, ggf in eingeschränkter Weise und mit veränderter Organisation

_____ systematischen Gründen zu Recht verneinend und das Rechtsmittel der Beschwerde befürwortend MeyerGoßner/Schmitt Rn 17 zu § 105 StPO mwN. 881 KK/Greven Rn 18 zu § 98 StPO. 882 Bittmann NStZ 2001, 231; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 12 zu § 95 StPO je mwN. 883 BVerfG, 18.12.2002 – 2 BvR 1910/02 Rn 15 mwN, NJW 2003, 1513 f. 884 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 1 zu § 33a StPO. 885 BVerfG, 30.6.1976 – 2 BvR 164/76 Rn 14, BVerfGE 42, 243 ff. 886 Vgl dazu allg unten § 10 Rn 113 ff.

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(zumindest) vorübergehend (selbst) fortzuführen.887 Dies kann, muss aber nicht im Rahmen eines Insolvenzplans, §§ 217 ff InsO, geschehen. Scheidet die Möglichkeit der Fortführung aus, so hat der Insolvenzverwalter den Betrieb einzustellen und die (Teil-) Befriedigung der Gläubiger durch Veräußerung der Aktiva anzustreben, vgl § 159 InsO. Er darf den Betrieb als Ganzes, aber auch Teile, ggf jeden Vermögensgegenstand einzeln veräußern. In jedem Fall, also bei Fortführung wie bei Veräußerung, hat er das gesamte Vermögen des (Gemein-)Schuldners (= Soll-Masse) zur Ist-Masse zu ziehen. Dazu hat er sich aller ihm zu Gebote stehender Mittel zu bedienen. Die Verletzung dieser Pflicht ist strafbewehrt, weil er als Verwalter einer Vermögensbetreuungspflicht iSd § 266 Abs 1 StGB unterliegt.888 Diese Aufgabenbeschreibung zeigt, dass die Interessen des Verwalters zum einen Teil gleichgerichtet sind mit denen der Ermittlungsbehörden (zB bezüglich Ist-Massemehrung), zum anderen Teil aber gegenläufiger Natur (zB Aufwand zur Unterstützung staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen im übrigen). IE ist aber ein kooperatives Verhältnis zwischen Verwalter und Staatsanwaltschaft für beide Beteiligten trotzdem durchweg sinnvoll.889 Bei Betriebsfortführung können staatsanwaltschaftliche Ermittlungen zu einem Imageschaden führen oder aufgrund der zwangsläufig auftretenden Bindung von Ressourcen und/oder der Beschlagnahme von Geschäftsunterlagen störend wirken. Eine erfolgreiche Verwaltung ist zudem ohne Mitwirkung des Schuldners oder dessen Organs nicht (immer) möglich. Daher kann die Anordnung von Untersuchungshaft den Intentionen des Verwalters zuwiderlaufen. Es ist für ihn zwar häufig nützlich, mit dem Staatsanwalt zu drohen, seltener aber, diese Drohung auch tatsächlich verwirklichen zu müssen.Bittmann Da der Gutachter oder vorläufige Verwalter im Insolvenzeröffnungsverfahren das gesamte dem Insolvenzbeschlag unterliegende Vermögen des Schuldners festzustellen, der Verwalter im eröffneten Insolvenzverfahren es zur Masse zu ziehen hat, muss er auch prüfen, ob der Schuldner oder dessen Organ Vermögenswerte beiseitegeschafft oder veruntreut bzw ob die Masse sonstige (werthaltige) Ansprüche gegen den Schuldner oder dessen Organ hat.890 Dies begründet sein berechtigtes Interesse an der Einsicht in die Akten des Ermittlungsverfahrens wegen Insolvenzdelikten (iwS).891 Im eröffneten Insolvenzverfahren kann nur der Verwalter Ansprüche wegen Masseminderung als Gesamtschaden gemäß § 92 S 1 InsO geltend machen. Dazu ist er kraft Amtes verpflichtet. Da bei absehbarer Insolvenz jeder Schuldner bzw dessen Organ in der Versuchung steht, für sich „zu retten, was noch zu retten ist“, besteht bei jedem Insolvenz(eröffnungs)verfahren Anlass, nach verborgenen Vermögenswerten zu forschen. Das gilt insbes dann, wenn zB folgendes festgestellt wird:892 – Zahlungen an verbundene Unternehmen mit unklarem wirtschaftlichem Hintergrund – Zahlungen für Luxusgüter – Instandhaltungsaufwendungen im Ausland

_____ 887 Vgl dazu zB Uhlenbruck/Hirte Rn 11 ff zu § 11 InsO. 888 Dazu näher unten § 16 Rn 17, auch 57, sowie § 24 Rn 12 ff. 889 Janca/Schroeder/Baron wistra 2015, 409 ff, 409; Weyand/Diversy Rn 179. 890 Uhlenbruck/Mock Rn 50 ff zu § 17 Inso und Rn 113 ff zu § 19 InsO; Haas NZG 1999, 373, 375; Stobbe S 98 ff. 891 S dazu unten Rn 346 ff. 892 Görling S 110.

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GmbH-Rechnungen ohne HR B-Nummer Hohe Rechnungen ohne oder mit nicht aussagefähigen Angaben zum Grund Hohe Beraterhonorare Unklare Scheckbelastungen Hohe Barabhebungen.

273 Der Gutachter bzw (vorläufige) Verwalter hat zu Aufklärungszwecken zuweilen wie ein

Kriminalist vorzugehen.893 Dazu ist er selbst berechtigt und verpflichtet. Aussicht auf Erfolg bietet bei einem hartgesottenen Schuldner bzw Organ desselben aber selten alleiniges Vorgehen. Der Gutachter bzw (vorläufige) Verwalter muss sich häufig der Hilfe Dritter bedienen. Dabei kann es sich um Private wie spezialisierte Rechtsanwälte, Detektive894 oder Informanten, aber auch um Behörden, insbes die Staatsanwaltschaft, handeln.895

2. Einschaltung der Staatsanwaltschaft aus der Sicht des Insolvenzverwalters 274 Auf die Mitwirkung der Staatsanwaltschaft angewiesen ist der Insolvenzverwalter

in den Fällen, in welchen der Schuldner oder dessen Organ im Verdacht steht, ihm zB Geschäftsunterlagen vorzuenthalten,896 Vermögensgegenstände auf eine Nachfolgegesellschaft verlagert oder sie in anderer Weise seinem Zugriff entzogen zu haben. Weil ihm weder in einem neuen Unternehmen Befugnisse zustehen, wenn es von einer juristischen Person oder als Einzelunternehmen bzw Personenhandelsgesellschaft von Dritten, zB einer Strohfrau,897 betrieben wird, noch er sich ohne weiteres Zugang zur Wohnung des Schuldnerorgans verschaffen kann, verfügt er häufig nicht über die Informationen, welche für ein erfolgversprechendes Vorgehen auf dem Zivilrechtsweg nötig wären. Ausreichenden Verdachtsmomenten dürfen jedoch die Ermittlungsbehörden unter Einsatz der nur ihnen zustehenden Zwangsbefugnisse nachgehen – und die dabei gewonnenen Erkenntnisse dem Verwalter zur Verfügung stellen.

_____ 893 Görling S 108 ff. 894 Görling, S 115, wies im Jahre 2000 darauf hin, dass Privatermittler nach Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nur im Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft eingeschaltet werden sollten, weil anderenfalls die Gefahr von Warneffekten bestehe mit der Folge, dass der Schuldner bzw dessen Organ zu Verdunkelungshandlungen animiert werde. Inzwischen sind Complance-Abteilungen in größeren Unternehmen üblich und es werden im Verdachtsfall Internal Investigations geführt. Ein allg Prä staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen besteht nicht, weil der Leitung gesellschaftsrechtlich, ggf abgesichert von § 266 StGB, die Pflicht zur Aufklärung des Fehlverhaltens von Unternehmensangehörigen obliegt; dazu Rotsch/Bittmann Rn 34 B/127 und 138; einschr Rotsch/Moosmayer Rn 34 B/74. 895 Görling S 112 ff. 896 Das LG Mainz, NZI 2001, 384, behandelte – sehr forsch – selbständige Buchführungsgesellschaften, auf welche die Aufbewahrung und Führung der Unterlagen ausgelagert waren, wie unselbständige Betriebsabteilungen und hielt deshalb dort gem §§ 21 InsO, 883, 758, 758a ZPO angeordnete Durchsuchungen für rechtmäßig. Der schlichte Gutachter im Insolvenzeröffnungsverfahren darf vom Insolvenzgericht mangels gesetzlicher Grundlage nicht ermächtigt werden, Wohn- und Geschäftsräume des Schuldners zu betreten, BGH, 4.3.2004 – IX ZB 133/03, Rn 14, BGHZ 158, 222 ff. Selbst dem vorläufigen Verwalter darf das Insolvenzgericht nicht die Durchsuchung von Räumen an Verfahren Unbeteiligter gestatten, BGH, 24.9.2009 – IX ZB 38/08, Rn 12 ff, NJW 2009, 3438 ff. Ein eigenes Auskunftsrecht gegenüber einem Notar hat der Verwalter jedenfalls nicht vor (versuchter?) Durchsetzung seines Auskunftsanspruchs gegen den Schuldner, OLG Schleswig, 14.5.2013 – 11 U 46/12, ZInsO 2013, 1644 ff. Der Insolvenzverwalter kann auf der Basis des Eröffnungsbeschlusses über den Gerichtsvollzieher Auskünfte Dritter nach § 802l ZPO einholen, AG Rosenheim, 8.9.2016 – 605 IN 468/15, ZInsO 2016, 1954 ff, dazu Markovic ZInsO 2016, 1974 ff. 897 Vgl dazu allg unten § 6 Rn 158 ff.

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Ordnungsgemäßer Verwaltung entspricht es deshalb, bei entspr Sachlage unver- 275 züglich nicht nur das Insolvenzgericht zu informieren, damit es zur Anwendung der in §§ 97 ff, 101 InsO normierten Zwangsmittel schreiten kann, sondern zusätzlich auch noch die Staatsanwaltschaft einzuschalten. 898 Diese hat nicht nur die weitergehenden Zwangsbefugnisse, sondern auch die Befugnis, im Bedarfsfall sofort zu handeln. Demgegenüber laden die Insolvenzgerichte den Schuldner zunächst vor und/oder drohen ihm Zwangsmaßnahmen zuvor an, um ihm die Gelegenheit zu geben, seine Mitwirkungspflichten doch noch freiwillig zu erfüllen. Bevor das Insolvenzgericht Zwangsmaßnahmen ergreift, vergeht also viel Zeit, welche der Böswillige zu weiteren Manipulationen nutzen kann. Dem kann durch die Einschaltung der Staatsanwaltschaft wirksam entgegengetreten werden. Da diese aber nur dann einschreiten darf, wenn ein Anfangsverdacht besteht, genügt es allerdings nicht, wenn der Gutachter bzw (vorläufige) Verwalter lediglich Spekulationen vorträgt. Beschränkt er sich darauf, so ist die Enttäuschung auf beiden Seiten vorprogrammiert.899 Entgegenzuwirken ist ihr mit einer Darstellung des maßgeblichen Sachverhalts seitens des Insolvenzverwalters. Sinnvoll ist, das Begehren und das Ziel der Einschaltung der Staatsanwaltschaft in knappstmöglicher Form voranzustellen und anschließend das Geschehen unter Verweis auf (in Ablichtung beigefügte) Unterlagen chronologisch zu schildern. Je stringenter dies geschieht, je weniger Abschweifungen auf sowohl Nebensächlichkeiten als auch auf weitere, ggf strafrechtlich relevante und deshalb in einem eigenen Abschnitt gesondert zu schildernde Vorkommnisse der Schriftsatz enthält, desto zügiger vermag die Staatsanwaltschaft zu handeln. Sinnvoll oder gar notwendig ist für den Verwalter die Zusammenarbeit mit der 276 Staatsanwaltschaft, wenn der Schuldner unkooperativ ist, Unterlagen nicht vorlegt, es Hinweise auf Beiseiteschaffen von Vermögenswerten gibt und va, wenn der Verwalter Ansprüche gegen den Schuldner bzw dessen Organ, regelmäßig den Geschäftsführer der insolventen GmbH, verfolgt. Zur genauen Feststellung zB einer schädigenden Handlung und zum Verbleib des Geldes, aber auch zur Prüfung etwa vorhandenen Vermögens, in welches vollstreckt werden könnte, kann es erforderlich sein, bei dem Schuldner oder dessen (ggf: früheren) Organ zu durchsuchen. Stellt sich dort heraus, dass Geld oder sonstiges Vermögen auf Dritte übertragen wurde, so kann auch bei diesen sogleich durchsucht werden. In gleicher Weise vermag die Staatsanwaltschaft von vorn herein gegen Dritte vorzugehen, wenn ihr zB vom Insolvenzverwalter mitgeteilte Anhaltspunkte für den unrechtmäßigen Verbleib von Aktiva bei diesen vorliegen. Erhält der Verwalter die erforderlichen Informationen und Unterlagen nicht, nur 277 teilweise, zögerlich oder in manipulierter Weise, so kann dies, insbes bei Anteilsübergang und Wechsel des Geschäftsführers in zeitlicher Nähe zur Insolvenz, auf Firmenbestattung900 hindeuten. Nicht nur dann behauptet der Altgeschäftsführer typischerweise, sämtliche Unterlagen dem Erwerber zur Verfügung gestellt zu haben, während dieser entweder schweigt oder umgekehrt verlauten lässt, nie Unterlagen erhalten zu haben. Erfahrungsgemäß befinden sie sich entweder noch im Herrschaftsbereich des Altgeschäftsführers oder wurden von seinem Nachfolger in ein verschwiegenes Lager verbracht. Zu Letzterem führen die dem Gutachter, dem (ggf: vorläufigen) Verwalter und dem Insolvenzgericht zustehenden Mittel so gut wie nie, auch weil Mittel zur Finanzierung eines Detektivs selten vorhanden sind. Abhilfe verspricht in solcher Lage, wenn

_____ 898 Görling S 117 ff. 899 Vgl Görling S 108 f. 900 Vgl dazu unten § 30.

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überhaupt, nur der Einsatz der der Strafjustiz zustehenden Instrumente wie längerfristiger Observationen, § 163f StPO, nachfolgender Durchsuchungen beim neuen Geschäftsführer und seinen Hintermännern sowie der Beschlagnahme von Beweismitteln und im guten Fall auch zur Masse gehörendes Vermögen. 278 Zu frühzeitigem und sachgerechtem Eingreifen ist die Staatsanwaltschaft nur in der Lage, wenn sie Kenntnis vom Handlungsbedarf erhält. Die Auswertung der aufgrund eingegangener MiZi übersandter Insolvenzakten901 kommt für das Insolvenzverfahren meist zu spät. Die routinemäßige sofortige Mitteilung des Eingangs eines Insolvenzantrags änderte daran nichts, weil er selbst meist keinerlei konkreten Ermittlungsbedarf erkennen lässt. Es bleibt daher allein der Weg, dass das Insolvenzgericht, va aber der Gutachter oder vorläufige Verwalter, im Bedarfsfall aus eigener Initiative unverzüglich die Staatsanwaltschaft einschaltet. Sie von der Sachgerechtigkeit solcherart Zusammenwirkens zu überzeugen, ist Sache der Staatsanwaltschaft. Das fällt ihr umso leichter, als sie durch schnelles Handeln Ermittlungsergebnisse gewinnt, welche auch zur Massemehrung im Insolvenzverfahren beitragen. Das zeigt folgendes Beispiel: Ein Einzelhandelskaufmann hatte vor Insolvenzanmel279 dung seine Vermögenswerte „in Sicherheit“ gebracht. So hatte er ua seine Segelyacht ebenso wie drei Grundstücke bzw Eigentumswohnungen in Deutschland, Spanien und der Schweiz auf seine Kinder übertragen und die Aktien seiner schweizerischen AG beiseitegeschafft. Weil er sich in die Schweiz zurückgezogen hatte, wurden ein Haftbefehl erwirkt und die schweizerischen Behörden im Wege internationaler Rechtshilfe in Strafsachen nicht nur um dessen Vollstreckung, sondern auch um Durchsuchung seiner Wohnung, Beschlagnahme beweiserheblicher Unterlagen und seines pfändbaren Vermögens in Gegenwart der deutschen Ermittlungsbeamten und des Verwalters sowie um Arrestierung seiner Konten ersucht. Die Maßnahmen fanden sämtlich an einem Tag statt. Weil sich der Beschuldigte zu jenem Zeitpunkt gerade in Deutschland aufhielt, wurde von der Schweiz aus die Durchsuchung der in Betracht kommenden deutschen Wohnungen in die Wege geleitet und es gelang, ihn festzunehmen. In der Schweiz wurde Beweismaterial sichergestellt und es wurden Kontoguthaben eingefroren. Im Zuge einiger Anschlussdurchsuchungen mit begleitenden Vernehmungen in der Schweiz wurde ferner bekannt, dass die Aktien der schweizerischen AG des Beschuldigten von einem deutschen Rechtsanwalt verwahrt wurden. Dort konnten sie noch am selben Abend sichergestellt werden. Binnen zweier Wochen lag nicht nur das Geständnis des Beschuldigten vor, sondern es wurden zudem sämtliche zur Masse gehörenden Gegenstände von ihren unrechtmäßigen Besitzern an den Verwalter herausgegeben. Der Fall wurde noch im selben Jahr mit einer längeren, zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe rechtskräftig abgeschlossen.

3. Insbesondere: Rückgewinnungshilfe 280 Im Eilfall kann der Insolvenzverwalter mit der Staatsanwaltschaft fernmündlich Kontakt

aufnehmen, wichtige Zeugen präsentieren sowie die maßgeblichen Unterlagen zur Verfügung stellen. Er und/oder ein Dritter können erforderlichenfalls sogleich von einem Staatsanwalt oder einem Kriminalbeamten vernommen und auch nach kundigen Zeugen902 befragt werden. Die Strafjustiz sollte unverzüglich das Erforderliche in die

_____ 901 Dazu oben Rn 10 ff. 902 Görling S 109 f.

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Wege leiten, je nach den Umständen des Einzelfalls weitere Vernehmungen durchführen oder veranlassen, richterliche Durchsuchungsbeschlüsse erwirken, vollstrecken und Beschlagnahmen vornehmen. Zweckmäßigerweise sollten die Durchsuchungen nicht nur das Ziel der Erhebung von Beweismitteln verfolgen, sondern auch der Gewinnabschöpfung dienen. Das ist auf zweifache Art und Weise möglich. Zum einen kann der Staatsanwalt den 281 Insolvenzverwalter oder dessen Bevollmächtigten zur Durchsuchung hinzuziehen, damit er in eigener Zuständigkeit zur Masse gehörende Vermögensgegenstände in Besitz nimmt. Scheidet dieser Weg aus, so trifft die Staatsanwaltschaft die dem Opfer, also hier der Masse, gegenüber bestehende Amtspflicht, nach pflichtgemäßem Ermessen zu prüfen und zu entscheiden, ob und wie sie die Realisierung etwaiger Ansprüche gegen den Schuldner, dessen Organ oder auch jeden Dritten, welcher – und sei es schuldlos – aus einer Straftat – sei es ein Bankrott oder sei es eine Untreue –, „etwas“ erlangt hat, im Wege der Rückgewinnungshilfe903 unterstützen kann. Sie hat die Befugnis, beiseitegeschaffte bzw veruntreute Gegenstände zunächst zu beschlagnahmen und in amtliche Verwahrung zu nehmen sowie Forderungen gegenüber Dritten, va gegenüber Geldinstituten, zu arretieren. Gleiches gilt für Wertersatz, wenn das Erlangte nicht mehr gegenständlich vorhanden ist. Trotz mancher Schwerfälligkeiten im internationalen Rechtshilfeverkehr in Strafsa- 282 chen ist es immer wieder erstaunlich, wie schnell im Bedarfsfall im Ausland jedenfalls vorläufige Maßnahmen durchgeführt zu werden vermögen. Das ist den Ermittlungsbehörden zum Teil deutlich schneller als dem Verwalter möglich, weil er sich üblicherweise erst vor Ort begeben und seine Legitimation nachweisen müsste, wenn denn die Inlandsinsolvenz in dem betreffenden Ausland überhaupt anerkannt wird. Natürlich gibt es auch die umgekehrte Situation, dass nämlich die Ermittlungsbehörden auf die Vermögenswerte nicht, nur mühsam oder erst (zu) spät zugreifen könnten, dem Insolvenzverwalter aber zügigere und erfolgversprechende Möglichkeiten zur Verfügung stehen. Für das erfolgreiche Zusammenwirken von Insolvenzverwalter und Ermittlungsbehörden gibt es daher keine allgemeingültigen Regeln, sondern es kommt auf die genaue Abstimmung im konkreten Fall an. Selbst wenn ein Insolvenzverwalter vorhat, Ansprüche gegen den Schuldner oder 283 dessen Organ für die Masse zu verfolgen, stößt er auf gehörige Schwierigkeiten. Die Masse muss nämlich wenigstens so viel an freien Mitteln aufweisen, dass der Prozess finanziert werden kann. Gerade der Profi versteht es aber, eben dies zu vermeiden. § 4a InsO ermöglicht es lediglich, dem (Gemein-)Schuldner die Kosten des Insolvenzverfahrens zu stunden, hilft jedoch dem (vorläufigen) Verwalter nicht. Er kann zwar Prozesskostenhilfe beantragen. Sie wird aber häufig verweigert,904 weil die Gerichte es für zumutbar ansehen, dass Gläubiger der Masse Vorschüsse zur Verfügung stellen – diese dies jedoch angesichts der Aussicht auf minimale Quoten ganz anders sehen und ihre Beteiligung verweigern. In solcher Lage ist es nicht sachgerecht, wenn der Gutachter oder der vorläufige Verwalter beim Insolvenzgericht schlicht die Abweisung des Antrags mangels Masse anregt und dieses so entscheidet. Bestehen mit erheblicher Wahrscheinlichkeit Ansprü-

_____ 903 Einzelheiten dazu unten § 33 Rn 71 ff; auch MüKoStPO/Bittmann Rn 17 ff zu § 111b StPO. 904 ZB BGH, 19.5.2015 – II ZR 263/14, ZInsO 2015, 1465 mN. Die Zurückhaltung beklagen allg Gundlach/ Frenzel/Schmidt NJW 2003, 2412 ff; auch Schmidt ZInsO 2013, 766 ff; Übersichten bei Brete/Gehlen ZInsO 2014, 1777; Lang NZI 2012, 746 ff. Bei der Eigenverwaltung soll Prozesskostenhilfe ausscheiden, LAG BadenWürttemberg, 3.7.2014 – 10 TaBV 3/14, ZInsO 2014, 1719 f, dagegen Weber ZInsO 2014, 2151 ff.

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che gegen den Schuldner oder dessen Organ, so ist es nicht nur möglich und sinnvoll, sondern entspricht auch dem (mit § 266 StGB) strafbewehrten Erfordernis, sämtliche Realisierungschancen zu nutzen, die Staatsanwaltschaft einzuschalten. Gelingt es, im Wege der Rückgewinnungshilfe beiseitegeschaffte bzw veruntreute 284 Gegenstände zu beschlagnahmen (zB Kraftfahrzeuge, Computer, wertvolle Maschinen, va aber Grundstücke) oder den Wertersatz mittels Arrests zu sichern, so ist (vorbehaltlich fortbestehenden Beweisbedarfs) eine Freigabe an die Masse geboten.905 Hat die Staatsanwaltschaft beiseitegeschafftes bzw veruntreutes Schuldnervermö285 gen nach einer Abweisung des Insolvenzantrags mangels Masse im Wege der Rückgewinnungshilfe sichergestellt, so hat sie nicht nur die Gläubiger gemäß § 111e Abs 4 und 5 StPO zu informieren, sondern in der Hauptverhandlung die Feststellung des Erlangten oder von dessen Wert gemäß § 111i Abs 2 StPO zu beantragen, damit entweder Gläubiger auf die gesicherten Gegenstände zugreifen oder sie nach 3 Jahren dem Staat gemäß § 111i Abs 5 und 6 StPO anheimfallen. Auch ohne eine Feststellung gemäß § 111i Abs 2 StPO darf die Staatsanwaltschaft sichergestellte Gegenstände als Fundsachen versteigern lassen, wenn sich kein Gläubiger meldet.906 Sinnvoll ist zudem die Information des Insolvenzgerichts. Es darf zwar nicht von 286 Amts wegen, wohl aber auf Antrag eines Gläubigers die Nachtragsverteilung anordnen. Möglich ist zudem das Bestellen eines Nachtragsliquidators seitens des Registergerichts.907 Jeder Gläubiger kann dann darin selbst versuchen, seine Rechte gegen eine zu diesem Zwecke als fortbestehend angesehene juristische Person geltend zu machen zB durch Pfändung von Ansprüchen908 der Gesellschaft gegen ihre Gesellschafter. Das dürfte für den einzelnen Gläubiger der lukrativere Weg sein, weil nach der Ablehnung eines Insolvenzverfahrens mangels Masse der insolvenzrechtliche Grundsatz gleichmäßiger Befriedigung aller Insolvenzgläubiger nicht mehr gilt.909

4. Strafprozessuale Pflichtenstellung des Insolvenzverwalters 287 Der Insolvenzverwalter unterliegt wie jedermann der Zeugnispflicht. Er muss im Be-

darfsfall vor Gericht und gegenüber der Staatsanwaltschaft alles bekunden, was er wahrgenommen hat und der Aufklärung von (nicht notwendig: nur) Insolvenzstraftaten dienen kann. Ihm steht qua Amt keinerlei Zeugnisverweigerungsrecht zur Seite.910 Der Stellung des Verwalters entspricht es allerdings, dass die Staatsanwaltschaft ihm zunächst Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme gibt und ihn um Herausgabe der maßgeblichen Unterlagen, ggf von Ablichtungen derselben, bittet. Sinnvoll ist es in etlichen Fällen, dass der Verwalter der Staatsanwaltschaft, dort insbes den Wirtschafts-

_____ 905 Zum Streitstand MüKoStPO/Bittmann Rn 12 f vor §§ 111b ff StPO. 906 StRspr seit BGH NStZ 1984, 409, 410; dazu Schmid/Winter NStZ 2002, 8, 13; MüKoStPO/Bittmann Rn 6 zu § 111k StPO, beide mN. 907 ZB BGH, 19.4.2016 – II ZB 29/14; BayObLG DB 2004, 179 ff. Vgl allg zur Liquidation unten § 6 Rn 193 ff, auch § 11 Rn 21. 908 Eindrucksvolle Zusammenstellung bei Stobbe S 137 ff (S 278 ff: Einlageforderungen, S 322 ff: Unterbilanz- und Verlustdeckungshaftung, S 360 ff: Rückgewähr kapitalersetzender Leistungen; S381 ff: Schlechtleistungen und S 388 ff: § 64 Abs 2 GmbHG, nunmehr § 64 S 1 GmbHG). 909 BGH, 11.9.2000 – II ZR 370/99, Rn 12, NJW 2001, 304 f; aA mit guten Gründen Konzen FS Ulmer S 323, 347. 910 Zur Frage der Verschwiegenheitspflicht s Deckenbrock/Fleckner ZIP 2005, 2290 ff; zur möglichen Strafvereitelung durch Insolvenzverwalter vgl unten § 29 Rn 67. Der „Könner“ macht deshalb „masselosen Konkurs“, Hollinderbäumer BB 2013, 1223 ff.

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fachkräften, den Zugang zu den in seinem Besitz befindlichen Geschäftsunterlagen ermöglicht. Auf diese Weise kann die Grundlage für ein betriebswirtschaftliches Gutachten,911 zB zur Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung, gewonnen und durch Auskünfte seitens des Verwalters ergänzt werden. In etlichen Ermittlungsverfahren wegen Insolvenzdelikten muss die Staatsanwalt- 288 schaft an den Verwalter herantreten. Das kann routinemäßig durch Übersendung eines fallunabhängigen Fragebogens geschehen, dient allerdings eher der (zulässigen912) Verdachtsschöpfung als der Aufklärung eines schon bestehenden konkreten Anfangsverdachts. Der Ertrag ist jedoch begrenzt, weil die als bürokratische Routinemaßnahme übermittelten Fragen notwendigerweise allg formuliert sein müssen und ein Verwalter ohne besonderen Anlass wenig Interesse hat, die abgefragten Informationen sorgfältig und damit zeitaufwendig zu beantworten. Besonders misslich ist das Herantreten an einen ehemaligen Gutachter oder früheren vorläufigen Verwalter lange nachdem er sein Gutachten erstellt hat bzw der Insolvenzantrag mangels Masse abgewiesen wurde, er die Angelegenheit für sich deswegen bereits endgültig abgeschlossen und längst auch keinen Zugang zu den Geschäftsunterlagen mehr hat. Der Eindruck, die Staatsanwaltschaft melde sich erst, wenn alles gelaufen sei, also viel zu spät, ist dann nahezu zwingend. Es ist daher sinnvoll, auf derartige allg Anfragen zu verzichten. Stattdessen sollte die Staatsanwaltschaft den Verwalter nur im Bedarfsfall, dann 289 aber gezielt – schriftlich oder (fern-)mündlich – befragen. Dies erlaubt es, auf die Spezifika des jeweiligen Falles einzugehen und zeigt ihm, dass die Staatsanwaltschaft ihm Verständnis entgegenbringt und ihn nicht unnötig belasten will. Um ihm die Notwendigkeit seiner Befragung einsichtig zu machen, sollte die Staatsanwaltschaft die verfahrensgegenständlichen Vorwürfe angeben, die bereits vorhandenen Verdachtsmomente knapp zusammengefasst darlegen und ihm auf diese Weise verständlich machen, warum sie seiner Mithilfe bedarf. Verwalter pflegen jedenfalls dann verfahrensfördernd zu antworten, wenn die Anfrage zu einer Zeit eingeht, zu welcher sie die Hoffnung haben können, ihrerseits von den Ermittlungsergebnissen zu profitieren. Verweigert der Verwalter hingegen die Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft, 290 so kann er zu ihr unter Einsatz von Zwangsmitteln veranlasst werden. Er kann zur Zeugenvernehmung geladen913 und im Weigerungsfall vorgeführt werden, §§ 161a Abs 2 S 1, 51 Abs 1 S 3 StPO. Sinnvoll ist das aber nur im Ausnahmefall und nach Sicherstellung, ggf sogar der Auswertung der Geschäftsunterlagen. Erforderlichenfalls kann beim Insolvenzverwalter gemäß § 103 StPO durchsucht werden, um bei ihm die Geschäftsunterlagen des Schuldners nach § 98 StPO zu beschlagnahmen. IGs zur Befragung (auch mittels Fragebogens) bedarf es dazu aber eines bereits bestehenden (gegen einen anderen914 gerichteten) Tatverdachts.915 Der Insolvenzbeschlag hindert die Beschlagnahme zu Be-

_____ 911 Vgl dazu unten Rn 294 ff sowie § 11 Rn 94 ff. 912 Vgl oben Rn 11. 913 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 3 zu § 53 StPO; M-G/Häcker Rn 93/6; H Schäfer KTS 1991, 23, 28; sa Weyand/Diversy Rn 179. 914 Richtet sich ein Verdacht gegen den Verwalter, so ist eine Durchsuchung unter den erleichterten Voraussetzungen des § 102 StPO möglich. Die Ermittlungen im Verfahren gegen den Insolvenzschuldner oder seine Repräsentanten werden allerdings höchst selten auf den Verwalter erstreckt. Erforderlichenfalls wird gegen ihn in einem gesonderten Verfahren ermittelt. 915 LG Neubrandenburg, 17.7.2002 – 6 Qs 8/02, ZInsO 2002, 842 f; 9.11.2009 – 8 Qs 190/09, NZI 2010, 280; LG Potsdam, 8.1.2007 – 25 Qs 60/06, ZInsO 2007, 1162 f – sehr restriktiv (dazu Brüsseler ZInsO 2007, 1163 f; dagegen Weyand ZInsO 2008, 24 ff), LG Berlin, 9.4.2008 – 523 Qs 35/08, ZInsO 2008, 865; LG Bielefeld, 10.8.2009 – 9 Qs 351/09, ZInsO 2009, 2105 ff; LG Saarbrücken, 2.2.2010 – 2 Qs 1/10, ZInsO 2010, 431 ff (dazu

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weiszwecken nicht.916 Allerdings muss die Staatsanwaltschaft dem Verwalter in solcher Weise Zugang zu den Geschäftsunterlagen ermöglichen, dass er zu ordnungsmäßiger Führung seines Amtes in der Lage bleibt. Er darf sich Ablichtungen fertigen, muss die Kosten dafür dann aber privat und nicht auf Kosten der Insolvenzmasse begleichen, weil sie lediglich aufgrund seiner nicht erforderlichen Weigerung zur Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft angefallen sind. Der Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaft und Verwalter steht nach der hier ver291 tretenen Auffassung917 § 97 Abs 1 S 3 InsO nicht entgegen, weil diese Vorschrift kein Beweiserhebungsverbot normiert.

VI. Der Wirtschaftssachverständige 1. Allgemeines 292 Insolvenzstrafrechtliche Ermittlungsverfahren kennzeichnen nicht selten eine Fülle von

potentiell beweiserheblichen Asservaten, zB Geschäftsbücher, Kontounterlagen, Korrespondenz – schriftlich wie elektronisch. Gesicherte Dateien lassen sich zuweilen nur mittels technischer Hilfe öffnen. Die Staatsanwaltschaft hat aus dem zugänglichen und umfangreichen Material die strafrechtlich relevanten Informationen herauszufiltrieren. Die Juristen wären aber regelmäßig zeitlich wie va fachlich überfordert, müssten sie diese Aufgabe allein bewerkstelligen. Sie dürfen und müssen sich zum Bewältigen dieser Aufgabe sachverständiger oder auch sonstiger Hilfe bedienen. Eingeschaltet werden kann entweder ein Mitglied der hausinternen Wirtschaftsprüfgruppe oder ein externer Sachverständiger. Weiß der Beschuldigte bereits, dass gegen ihn ermittelt wird, so ist Nr 70 Abs 1 RiStBV zu beachten und vor der Bestellung zum Sachverständigen ein mandatierter oder bestellter Verteidiger zu hören.918 Seine Argumente sind bei der Entscheidungsfindung zu beachten. Ein Vetorecht hat die Verteidigung allerdings nicht. Zu prüfen, ob zu einem bestimmten, zB für § 263 StGB relevanten Zeitpunkt Konto293 deckung bestand, fällt dem Staatsanwalt noch leicht. Gleiches gilt hinsichtlich der Antwort auf die Frage, ob während der Zeit aufgelaufener rückständiger Arbeitnehmeranteile, § 266a Abs 1 StGB, andere Verbindlichkeiten erfüllt wurden oder nicht.919 Aber schon bei der Notwendigkeit, den Geldfluss bei Ermittlungen wegen Untreue, § 266 StGB, aufzuklären, ist es hilfreich, wenn nicht sogar erforderlich, damit jemanden zu betrauen, der damit geübter ist. Das gilt erst recht, wenn der Zeitpunkt eingetretener Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung zu ermitteln ist.

_____ Weyand ZInsO 2010, 433 f); LG Dresden, 27.11.2013 – 5 Qs 113 und 123/13, ZInsO 2013, 2564 f (dazu Köllner NZI 2014, 237 f); LG Ulm, 15.1.2007 – 1 Qs 2002/07 WiK, NJW 2007, 2056 f (dazu Schork, NJW 2007, 2057 f); Stiller ZInsO 2011, 1633 ff; Weyand ZInsO 2014, 1033 ff. 916 AA Haarmeyer Rn 215 ff, 254–260; dagegen Bittmann wistra 2001, 175 ff; wie hier auch Ciolek-Krepold Rn 351 ff; H Schäfer KTS 1991, 23, 27 f. 917 Vgl dazu oben Rn 16 ff. 918 Das gilt auch vor einem Gutachtenauftrag an einen Wirtschaftsreferenten, Meding S 90 ff. Die Vorschrift sollte nach den Vorstellungen der StPO-Kommission 2015 in die StPO überführt werden. Im Regierungsentwurf ist dieser Vorschlag jedoch nicht enthalten. 919 Zur Problematik vgl unten § 21 Rn 98 f und 100 ff.

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2. Interne Wirtschaftsprüfgruppe, Rechtsstellung des Gutachters, Rechtsfolgen Die Staatsanwaltschaften, die Wirtschaftsabteilungen eingerichtet haben, verfügen regelmäßig über eine Wirtschaftsprüfgruppe.920 Sie besteht üblicherweise aus Wirtschaftsreferenten921 und aus (Bilanz-)Buchhaltern. Wirtschaftsreferenten müssen über ein abgeschlossenes Hochschulstudium, typischerweise ein wirtschaftswissenschaftliches, verfügen, sind also regelmäßig Betriebs- oder Volkswirt. Sie sind daher fachlich qualifiziert, die erforderlichen Gutachten zu erstellen. Die (Bilanz-)Buchhalter demgegenüber sind je nach fachlichem Können zwar in kleineren Fällen ebenfalls durchaus in der Lage, eigenständig ein Gutachten (zB zur Zahlungsunfähigkeit nach der kriminalistischen Methode) zu erstatten. Ihnen werden aber meist nur abgegrenzte Aufgaben übertragen – eigenständig vom Staatsanwalt oder unterstützend vom Wirtschaftsreferenten. So kann ihnen etwa die Auswertung der Zwangsvollstreckungsakten oder – unter Vorgabe bestimmter Kriterien – von Kontounterlagen ebenso übertragen werden wie die Auflistung angemahnter Verbindlichkeiten. Bei entspr Erfahrung sind sie auch in der Lage, die Buchführungsunterlagen nach sonstigen kriminalistischen Beweisanzeichen für eingetretene Zahlungsunfähigkeit auszuwerten oder deren Feststellung nach der betriebswirtschaftlichen Methode durch den Wirtschaftsreferenten (weitgehend) vorzubereiten. Bei der Einschaltung der Wirtschaftsprüfgruppe muss der Staatsanwalt genau unterscheiden, ob er ein Mitglied zu Ermittlungszwecken oder als echten Sachverständigen heranzieht. Beides ist möglich,922 aber in einem Verfahren nicht beides. Das eine ist mit dem anderen unvereinbar, und zwar nicht nur aufgaben-, sondern auch personenbezogen.923 Wer ermittelnd tätig war, ist im selben Verfahren kein tauglicher Sachverständiger (mehr),924 sondern kann mangels Unbefangenheit abgelehnt werden. Die Abgrenzung geschieht nach normativen Kriterien. Sachverständiger ist nur, wer die Antwort auf eine vorgegebene Frage eigenverantwortlich und frei von Weisungen Dritter unter Einsatz seiner besonderen Sachkunde zu finden hat. Wird einem Wirtschaftsreferenten oder einem Bilanzbuchhalter ein derartiger Auftrag erteilt, dann ist er Sachverständiger. Nicht entscheidend ist hingegen, wie und wo das Gutachten vorbereitet oder erstellt wird. Ebenso wie ein Psychiater zum Zwecke der Erstellung eines Gutachtens über den Geisteszustand eines Beschuldigten, so darf sich auch der Wirtschaftsfachmann mit den Beteiligten unterhalten, darf insbes Beschuldigte ebenso wie Zeugen befragen, ohne allerdings Vernehmungen wie ein Staatsanwalt zu führen.925 Er muss aber versuchen, die für die sachkundige Beantwortung der ihm auferlegten Fachfrage erforderlichen Informationen zu erhalten. Zu diesem Zweck darf er darauf hinwirken, dass die für ihn wesentlichen Fragen vom Staatsanwalt gestellt werden, vgl § 80 Abs 1 StPO, er darf aber

_____ 920 Weyand/Diversy Rn 191. Die Bezeichnung ist allerdings unterschiedlich, die verschiedenen Organisationsformen dokumentiert Meding, S 1 ff. 921 Zu Funktion und Rechtstellung s Bittmann wistra 2011, 47 ff; Lemme wistra 2002, 281 ff; Wiegmann StV 1996, 570 ff; Wolf ZWH 2012, 125 ff; distanziert Gehrmann/Püschel unten 4/129 ff; ausführlich und die Integration in die Staatsanwaltschaft als verfehlt ansehend Meding, Der Wirtschaftsreferent bei der Staatsanwaltschaft. 922 Bittmann wistra 2011, 47 ff, 48 f, 51 ff; Lemme wistra 2002, 281; Wolf ZWH 2012, 125 ff, 128 ff; aA Meding S 123, 159 und 170 f: als Gutachter deplatziert, „grob gesetzwidrig“, S 264. 923 Unklar BGH wistra 1986, 257, 258. 924 Bittmann wistra 2011, 47 ff, 51 ff; Lemme wistra 2002, 281 ff; Meding S 130, auch 122, 149, 249 f und 263; Wiegmann StV 1996, 570 ff; Wolf ZWH 2012, 125 ff, 127 f. 925 Bittmann wistra 2011, 47 ff, 51 f; Krekeler wistra 1989, 52, 54; Lemme wistra 2002, 281, 287; Meding S 95; Wolf ZWH 2012, 125 ff, 126 und 131.

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auch selbst an Vernehmungen teilnehmen und dabei Fragen stellen, § 80 Abs 2 StPO, und er darf sich, ergänzend zu Vernehmungen, auch selbständig mit den Auskunftspersonen unterhalten, sie befragen und ihre Antworten oder sonstigen Darlegungen entgegennehmen.926 Wie ein Unfallgutachter darf sich auch ein Wirtschaftssachverständiger an den Ort des Geschehens begeben. Er darf sich deshalb im Rahmen eines ihm zuvor erteilten Gutachtenauftrags an von einem Staatsanwalt oder Polizisten geleiteten Durchsuchungen beteiligen, wenn er es für sinnvoll hält927 oder der Staatsanwalt ihn darum bittet.928 Das Leiten der Durchsuchung wäre hingegen mit seiner Funktion unvereinbar, ebenso das Entscheiden über die Beschlagnahme vorgefundener Unterlagen.929 Die Teilnahme des Sachverständigen an der Durchsuchung ist in der Regel allerdings schon deshalb sinnvoll, weil er sich dabei selbst ein Bild machen und prüfen kann, welche für ihn notwendigen Unterlagen vorhanden sind und welche fehlen. Eine derartige Beteiligung wirkt sich in der Regel eingriffsmindernd aus, weil weitergehend als ohne ihn verhindert werden kann, dass andere als beweiserhebliche Unterlagen sichergestellt werden. So gesehen liegt die Hinzuziehung des Sachverständigen zur Durchsuchung auch im Interesse des Gewahrsamsinhabers, entspricht dem Übermaßverbot930 und bietet keinen Anlass zu Zweifeln an seiner Unabhängigkeit. Der Wirtschaftsreferent darf auch als Sachverständiger wie jeder sonstige darauf hinwirken, dass die Staatsanwaltschaft die für die Erstattung seines Gutachtens erforderlichen Anknüpfungstatsachen beschafft.931 Ist er zB beauftragt, den Zeitpunkt der Insolvenzreife herauszufinden, so darf und muss er etwa den Staatsanwalt auf ein Konto hinweisen, auf welches er bei der Auswertung der ihm zur Verfügung gestellten Unterlagen gestoßen ist. Über die Beschaffung der Kontounterlagen entscheidet jedoch als Ermittlungsschritt der Staatsanwalt und nicht der Gutachter selbst. Ob sich eine Wirtschaftsfachkraft als Sachverständiger oder als Ermittlungshelfer an einer Durchsuchung beteiligt, richtet sich nicht nach äußeren Kriterien. Maßgeblich ist allein der ihm erteilten Auftrag und ob er sich innerhalb dieses Rahmens bewegt. Wird der Auftrag an den Sachverständigen während einer Durchsuchung erweitert, zB wenn er zunächst nur eingeschaltet war, um den Zeitpunkt des Eintritts der Überschuldung festzustellen, er aber bei der Durchsuchung zusätzlich den Auftrag erhält zu prüfen, ob Buchführungsmängel iSv § 283 Abs 1 Nr 5 oder § 283b Abs 1 Nr 1 StGB vorliegen, insbes ob die Übersicht über den Vermögensstand erschwert ist, dann ist die zur Klärung dieser Ergänzungsfrage entfaltete Aktivität ebenfalls Gutachtertätigkeit. Ebenso liegt es, wenn ein Staatsanwalt einen zB Wirtschaftsreferenten zu – allg oder fallbezogenen – Beratungszwecken einschaltet. Voraussetzung dafür ist aber, dass er ihm eine fachspezifische Aufgabe stellt, ihn etwa fragt, wie ein Vorgang steuerlich ge-

_____ 926 Lemme wistra 2002, 281 ff, 286 f. 927 Das OLG Zweibrücken, NJW 1979, 1995, hält einen Sachverständigen sogar für verpflichtet, eigene Ermittlungen vorzunehmen, wenn es bei ihrer Durchführung auf seine Sachkunde ankommt. 928 Bittmann wistra 2011, 47 ff, 51 f; Ciolek-Krepold Rn 113, 149, 231 und 373 f; Mahnkopf/Funk NStZ 2001, 519, 519 f; Wolf ZWH 2012, 125 ff, 130 f; iE wohl auch Wiegmann, StV 1996, 570, 573 f, weil sie es trotz missverständlicher Formulierungen nur für unzulässig erachtet, dass der Wirtschaftsreferent Einfluss auf Umfang und Richtung der Ermittlungen nimmt; aA Meding S 119, 122 und 167 ff. 929 LG Kiel NJW 2006, 3224 f; Bittmann wistra 2011, 47 ff, 51 f; Wiegmann StV 1996, 570, 574; Wolf ZWH 2012, 125 ff, 128 f und 130; Rechtsfolge: Ablehnbarkeit wegen Besorgnis der Befangenheit. 930 Ciolek-Krepold Rn 113; Mahnkopf/Funk NStZ 2001, 519, 520. 931 Bittmann wistra 2011, 47 ff, 51; Lemme wistra 2002, 281, 286; Wolf ZWH 2012, 125 ff, 126.

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staltet sein müsste, um rechtmäßig zu sein, und wie die zutreffende Verbuchung aussähe. Im Rahmen der Sachverständigentätigkeit hält sich auch die Antwort auf die Bitte um betriebswirtschaftliche Bewertung eines Vorgangs. Wird eine Wirtschaftsfachkraft nicht im aufgeführten Sinne als Sachverständiger 302 beauftragt, so handelt sie als Ermittlungshelfer, etwa wenn zB dem Wirtschaftsreferenten ein Sachverhalt mit der Bitte unterbreitet wird, ihn (nicht zum Zwecke der Aufklärung eines bestimmten, bereits bestehenden Tatverdachts zu prüfen, sondern) nach betriebswirtschaftlichen oder steuerlichen Auffälligkeiten zu untersuchen. Gleiches gilt grundsätzlich932 für das Ersuchen, Unterlagen nach noch nicht im Einzelnen benennbaren Manipulationen zu sichten. Das kann zB vonnöten sein, wenn zwar feststeht, dass größere Summen Geldes nicht mehr vorhanden sind, aber unklar ist, wer dies auf welche Weise bewerkstelligte. Erweitert ein Wirtschaftsreferent oder sonstiger Sachverständiger seinen Prüfungsauftrag eigenmächtig, so schlüpft er in die mit Gutachtertätigkeit unvereinbare Rolle des Ermittlungshelfers. Sein Wissen kann dann lediglich noch im Wege der Einvernahme als sachverständiger Zeuge in das Verfahren, insbes in die Hauptverhandlung, eingeführt werden. Das gilt auch nach erfolgreicher Ablehnung eines Sachverständigen.933 Er darf dann weiterhin über die Tatsachen aussagen, welche ihm bei Durchführung des erteilten Auftrages bekannt geworden sind, muss sich aber eigener Bewertungen enthalten. Fragen nach seinem Wissen über das Bestehen von Standards oder Erfahrungssätzen und danach, ob und welchen Eindruck er von deren Wahrung in concreto gewonnen hat, darf und muss er jedoch ebenfalls beantworten. Das Gericht darf sich in seinem Urteil darauf allerdings nur dann stützen, wenn es selbst über die zur Bewertung erforderliche Fachkunde verfügt. Die schwierige Abgrenzung zwischen Sachverständigentätigkeit und Ermittlungshil- 303 fe fällt am leichtesten, wenn der Staatsanwalt bereits bei Auftragserteilung und -durchführung bewusst und klar zwischen beiden Aufgabenarten unterschieden hat. Nur ein als solcher erteilter Gutachtenauftrag unterbricht934 unter den Voraussetzungen des § 78c Abs 1 Nr 3 StGB die Verjährung. Zudem sind nur die Aufwendungen für ein Gutachten Kosten des Verfahrens und können gegenüber dem Verurteilten geltend gemacht werden.935 Ob die im Ermittlungsverfahren getroffene Abgrenzung rechtlich korrekt erfolgte, entscheidet im Streitfall das Gericht. Die verjährungsunterbrechende Wirkung tritt aber auch dann ein, wenn die als Gutachter eingeschaltete Wirtschaftsfachkraft nach Auffassung des Gerichts tatsächlich lediglich Ermittlungshelfer war. Gleiches gilt bei aufgrund vorheriger ermittlungshelfender Aktivitäten erfolgreicher Ablehnung eines Wirtschaftsreferenten, der als Sachverständiger eingeschaltet worden war.936 Wurde hingegen eine Kostenrechung für Ermittlungshilfe gestellt, so wird sie im Streitfall niedergeschlagen.

_____ 932 Anders verhält es sich, wenn zu diesem Zweck besondere, nur vom Sachverständigen beherrschte Methoden angewandt werden sollen, so zB eine Plausibiltätsprüfung für Bilanzmanipulationen im Wege der Buchstabenverteilung, dazu Harz/Comtesse ZInsO 2015, 2050 ff. 933 BGH NStZ 2002, 44, 45 mN; Bittmann wistra 2011, 47 ff, 53; Wolf ZWH 2012, 125 ff, 128. 934 BGH NJW 1979, 2414; wistra 1986, 257, 258; Lemme wistra 2002, 281, 283 mN in Fn 46; S/S/W/Rosenau Rn 12 zu § 78c StGB; Wolf ZWH 2012, 125; unklar Fischer Rn 13 zu § 78c StGB. 935 Bittmann wistra 2011, 47 ff, 54 f; OLG Koblenz NStZ-RR 1998, 127 f; Wolf ZWH 2012, 125 ff, 127. 936 BGH wistra 1986, 257, 258: Obwohl der Wirtschaftsreferent vor und nach seiner gutachterlichen Tätigkeit Ermittlungsfunktionen übernommen hatte, bejahte der Senat die Unterbrechungswirkung seiner Bestellung. Dem veröffentlichten Sachverhalt ist allerdings nicht zu entnehmen, ob ein Befangenheitsantrag gestellt worden war oder nicht; Bittmann wistra 2011, 47 ff, 52.

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Das Auftreten von Unklarheiten und unnötige Komplikationen lassen sich vermeiden oder zumindest deutlich mindern mittels eindeutiger Regeln für die Erteilung von Gutachtenaufträgen an die Wirtschaftsprüfgruppe. Sachgerecht ist eine landeseinheitliche Allgemeinverfügung des Justizministeriums oder einer Rundverfügung des Generalstaatsanwalts. Fehlen derartige Bestimmungen, so sollte die Leitung der örtlichen Staatsanwaltschaft eine hausinterne Verfügung treffen. Ihr Inhalt muss sich auf die organisatorische Stellung der Mitglieder der Wirtschaftsprüfgruppe innerhalb der Staatsanwaltschaft erstrecken, festlegen, wer auf welchem Wege Aufträge an sie erteilen darf und unmissverständlich klarstellen, dass ihre Mitglieder Gutachten selbständig und unabhängig, also frei von Weisungen Dritter, insbes der Staatsanwälte, zu erstatten haben. Sie sollte ferner dem Staatsanwalt auferlegen, bei Einschaltung der Wirtschaftsprüfgruppe aktenkundig zu machen, ob er einen Gutachten- oder Ermittlungsauftrag erteilt hat. Ist die behördliche Praxis von derartigen Grundsätzen geprägt, so beeinträchtigt die Beschäftigung einer Wirtschaftsfachkraft bei der Staatsanwaltschaft937 ebensowenig wie ihre Ermittlungstätigkeit in anderen Fällen ihre verfahrensrechtliche Stellung als Sachverständige. 305 Ein Regelungswerk über die Stellung der Mitglieder der Wirtschaftsprüfgruppe kann sich an nachfolgendem Beispiel orientieren:

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Der Leitende Oberstaatsanwalt Vfg. 1. Zuständigkeit der Wirtschaftsprüfgruppe, Erteilung von Gutachtenaufträgen und Abrechnung der Kosten I. Allgemeines: Die Angehörigen der Wirtschaftsprüfgruppe übernehmen die Bearbeitung betriebswirtschaftlicher Fragestellungen in eigener Zuständigkeit. Über ihre Einschaltung entscheidet d. Dezernent/in des jeweiligen Ermittlungsverfahrens. Die jeweiligen Aufträge werden über den für die Wirtschaftsprüfgruppe zuständigen Abteilungsleiter an die Wirtschaftsreferenten gesandt. Von ihrem Aufgabengebiet her unterstützen die Mitglieder der Wirtschaftsprüfgruppe die staatsanwaltschaftliche Arbeit. Diese Funktion ist aber beschränkt auf betriebswirtschaftliche Fragen, so daß sie nur zu diesem Zweck einzuschalten sind. Die Wirtschaftsprüfgruppe hat also nicht den Sinn wie etwa die Kriminalpolizei, allgemeine Ermittlungen zur Entlastung der Staatsanwälte/innen zu führen. II. Die Mitglieder der Wirtschaftsprüfgruppe unterstehen der Aufsicht des im Geschäftsverteilungsplan bestimmten Abteilungsleiters. Er übt zum einen die Rechtsaufsicht aus und ist bezüglich der Organisation, des Einsatzes für bestimmte Verfahren und die Reihenfolge der Bearbeitung weisungs- und delegationsbefugt. Den Inhalt ihrer Tätigkeit bestimmen die Mitglieder der Wirtschaftsprüfgruppe jeder für sich. Gutachtenaufträge werden unabhängig und frei von inhaltlichen Weisungen bearbeitet. Die Bilanzbuchhalter/innen unterliegen allerdings dann der Fachaufsicht des/r jeweiligen Wirtschaftsreferenten/in, wenn sie von diesem/r für die Erstellung seiner/ihrer Gutachten herangezogen werden. III. Zu den Aufgaben der Wirtschaftsreferent(inn)en gehören insbesondere: (1.) die Prüfung der Buchführung und der Jahresabschlüsse dahingehend, ob diese die Anforderungen der Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung erfüllen (§ 238 ff HGB); (2.) die Beurteilung, zu welchem Zeitpunkt Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung eines Unternehmens eingetreten sind;

_____ 937 Näher dazu Rn 306.

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(3.) Bestandsaufnahme und Auswertung (dh Suche nach einer Antwort auf vom Dezernenten/der Dezernentin vorgegebene Fragestellungen) von Geschäftsunterlagen, die als Beweismittel in Betracht kommen, nach buchhalterischen, betriebswirtschaftlichen und steuerlichen Aspekten. Dazu kann im Einzelfall gehören: a) vorbereitende Beratung über die aus betriebswirtschaftlicher Sicht relevanten Beweismittel; b) Teilnahme an Durchsuchungen und Grobsichtung der Unterlagen im Objekt, um zu gewährleisten, daß alles Beweiserhebliche sichergestellt wird; c) Fertigung von Sichtungsprotokollen; d) Vorgaben zur Erstellung von Systematisierungskriterien für die Bilanzbuchhalter/innen; e) verfahrensspezifische Auftragsvergabe an die Bilanzbuchhalter/innen auf Basis der staatsanwaltschaftlichen Fragestellungen; f) Fertigung von Zwischenberichten und Gutachten nach Aufträgen der Staatsanwälte/innen unter Verwendung der von den Bilanzbuchhalter/innen erstellten Detailunterlagen; g) Teilnahme an Befragungen und Vernehmungen; h) Beratung der Staatsanwälte/innen in betriebswirtschaftlichen Angelegenheiten und i) Beratung der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte aus betriebswirtschaftlicher Sicht über möglicherweise vorhandene Wege zur Klärung des vorgegebenen Ermittlungsziels. IV. Bilanzbuchhalter Den Bilanzbuchhalter(inne)n können Aufgaben, insbesondere die Prüfung der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung sowie rechnerische und buchtechnische Arbeiten, etwa Kontenabstimmungen, Rekonstruktion von Geldflüssen und Fertigung von Auszügen aus dem Buchwerk oder der Geschäftskorrespondenz, zur selbständigen Erledigung übertragen werden. Sie sind auch zuständig für die Ermittlung des Zeitpunktes der Zahlungsunfähigkeit nach der kriminalistischen Methode. V. Die Einschaltung der Wirtschaftsprüfgruppe setzt in der Regel einen hinreichend konkretisierten schriftlichen Auftrag voraus. Dabei ist zu unterscheiden zwischen (echten) Gutachtenaufträgen einerseits und sonstigen Aufträgen andererseits. (1.) Sonstige Aufträge Dabei kann es sich zB um die Bestandsaufnahme vorhandener Unterlagen handeln, aber auch um die Abwicklung von Asservaten (letzteres setzt eine Freigabeentscheidung des Dezernenten voraus). Nur in Sonderfällen und mit Zustimmung des für die Wirtschaftsprüfgruppe zuständigen Abteilungsleiters ist es zulässig, der Wirtschaftsprüfguppe Akten und/oder Asservate zuzuleiten oder sie an Durchsuchungen zu beteiligen, um etwaige Auffälligkeiten herauszufinden. Werden Mitglieder der Wirtschaftsprüfgruppe mit derartigen Tätigkeiten befaßt, dann dürfen sie in diesem Verfahren nicht als Gutachter eingesetzt werden. (2.) Gutachtenaufträge Echte Gutachtenaufträge (auch) an Wirtschaftsreferent(inn)en oder Bilanzbuchhalter/innen unterbrechen gemäß § 78c Abs 1 Nr 3 StGB (erneut) die Verjährung, wenn der Beschuldigte schon vernommen oder ihm die Aufnahme von Ermittlungen bereits zuvor bekanntgegeben worden war. Die für das Erstellen von Gutachten anfallenden Kosten können von der Justizkasse im Strafverfahren als Teil der Verfahrenskosten geltend gemacht werden, § 9 JVEG. A) Folgende Aktivitäten sind Gutachtertätigkeit: – sachkundige Feststellung von Tatsachen – fachliche Beurteilung von Sachverhalten – Übermittlung von Erfahrungsgrundsätzen – Erklärung von Geschehensabläufen. Der Gutachter hat entweder auf der Basis eines bereits festgestellten oder vorgegebenen Sachverhalts, sogenannten Anknüpfungstatsachen, tätig zu werden oder aber unter Zuhilfenahme seiner besonderen Sachkunde einen Sachverhalt festzustellen, sogenannte Befundtatsachen. Anknüpfungs- und/oder Be-

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fundtatsachen hat er unter den ihm vorgegebenen Gesichtspunkten auszuwerten. Maßgeblich dabei ist, daß es zur Beantwortung der Fragen der besonderen Sachkunde des Gutachters bedarf. Könnte die Klärung auch von der Polizei, der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht in eigener Sachkunde festgestellt werden, so wird ein Sachverständiger nicht als Gutachter im dargestellten Sinne tätig. Eine überwiegend mechanische Tätigkeit, wie zB die Abbildung von Zahlungsvorgängen, genügt also nicht. Ausreichend ist andererseits aber alles, wozu es besonderen Fachwissens bedarf, zB schon die Erläuterung bestimmter Fachausdrücke und die Auswertung von Kontounterlagen, die bestimmte Abkürzungen enthalten oder aus anderen Gründen nicht allgemeinverständlich sind. Ob ein Gutachtenauftrag vorliegt oder nicht, hängt nicht von der äußeren Form des Auftrages ab. Der Gutachtenbegriff ist nicht eng zu verstehen. Maßgebliches Kriterium ist die Anwendung spezifischer Kenntnisse des Sachverständigen. Soweit das zur Klärung einer Fachfrage erforderlich ist, gehört zur Gutachtentätigkeit auch die Teilnahme an Durchsuchungsmaßnahmen und die Prüfung von Unterlagen auf ihre Beweiserheblichkeit. Ob es sich insoweit um die Erfüllung eines „sonstigen Auftrags“ (vgl oben 1.) oder um echte Gutachtentätigkeit handelt, hängt also davon ab, welchen Auftrag die Wirtschaftsprüfgruppe erhalten hat: Wurde sie zu dem Zwecke eingeschaltet, Unterlagen herauszusuchen, welche für unbenannte Strafvorwürfe von Bedeutung sein können, so handelt es sich um eine bloße Sichtung. Wurde ihr hingegen der Auftrag erteilt, das Vorliegen der ein oder mehrere Tatbestandsmerkmal(e) ausfüllenden Tatsachen herauszufinden, und sieht sie zu diesem Zwecke die Unterlagen durch, so liegt echte Gutachtentätigkeit vor. Weil die Gutachtentätigkeit voraussetzt, daß wegen eines bestimmten Vorwurfs oder verschiedener konkreter Vorwürfe bereits zuvor ermittelt wurde, handelt es sich bei einem Auftrag an die Wirtschaftsprüfgruppe, neben genau bezeichneten auch sonstige bei der Auswertung der Unterlagen erkennbare Unregelmäßigkeiten zu dokumentieren, nicht um Gutachtentätigkeit. Insoweit liegt ein „sonstiger Auftrag“ im Sinne von oben Ziff 1. vor. Anders verhält es sich hingegen, wenn etwa zur Klärung eines bestimmten, zB Untreue- oder Bankrottvorwurfs der Auftrag erteilt wird, sämtliche (dafür relevanten) Zahlungsvorgänge und geschäftlichen Handlungen zu dokumentieren, welche ein ordentlicher Kaufmann nicht getätigt hätte. B) Sachverständigentätigkeit verlangt Unabhängigkeit des Gutachters. Ist letztere nicht gewahrt, so kann er gemäß § 22 Nr 4 StPO analog wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Das hat zur Folge, daß ein Gutachter weder vor noch nach Auftragserteilung als – weisungsgebundener – Ermittlungsgehilfe des Staatsanwalts tätig werden darf. Er darf in keinem Fall den Gang der Ermittlungen beeinflussen oder gestalten. Unvereinbar mit der notwendigen Unabhängigkeit als Gutachter ist es deshalb, wenn ein Mitglied der Wirtschaftsprüfgruppe ohne Gutachtenauftrag an Durchsuchungsmaßnahmen und/oder Vernehmungen teilnimmt. Mit der Rolle eines Sachverständigen ist es hingegen vereinbar, wenn der Sachverständige an derartigen Ermittlungsmaßnahmen zum Zwecke der Erfüllung des ihm erteilten Gutachtenauftrags teilnimmt. Hierfür ist es nicht erforderlich, daß dem Gutachter bereits ein Auswertungsauftrag erteilt wurde. Es genügt vielmehr, wenn ihm auferlegt ist, an der Klärung des zB ein Tatbestandsmerkmal ausmachenden Sachverhalts mitzuwirken. Dies muß bei Gutachtenerteilung klargestellt werden. Eine schriftliche Fixierung des Gutachtenauftrags ist deshalb unumgänglich. Sie hat in der Regel vor der Einschaltung des Gutachters zu erfolgen und darf nur dann nachträglich geschehen, wenn aufgrund der Eilbedürftigkeit der durchzuführenden Maßnahme vor ihrer Verwirklichung keine Gelegenheit dazu bestand. Wird ein Mitglied der Wirtschaftsprüfgruppe lediglich beratend zu Durchsuchungen oder Vernehmungen hinzugezogen, so handelt es sich um einen „sonstigen Auftrag“, dessen Erfüllung einem nachfolgenden Einsatz dieses Mitglieds der Wirtschaftsprüfgruppe als Sachverständigem in diesem Verfahren entgegensteht. Dies ist bei Erteilung „sonstiger Aufträge“ an Mitglieder der Wirtschaftsprüfgruppe mit zu bedenken und bei Erteilung von Gutachtenaufträgen zwingend zu beachten. Je früher der Gutachtenauftrag erteilt wird, desto freier können die Mitglieder der Wirtschaftsprüfgruppe ohne Gefahr für ihre Unabhängigkeit agieren. C) Die Kosten der Erstattung (echter) Gutachten sind Kosten des Verfahrens. Sie werden im Fall eines Schuldspruchs dem Verurteilten auferlegt. Es ist deshalb erforderlich, daß die Mitglieder der Wirtschafts-

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prüfgruppe ihre gesamten Aktivitäten, welche sie zur Erfüllung jedes einzelnen Gutachtenauftrags entfalten, sorgfältig dokumentieren. Die Mitglieder der Wirtschaftsprüfgruppe haben ihre Kosten nach Abschluß jeden Auftrags aufzustellen und abzurechnen. Die Höhe der Entschädigung hängt vom Inhalt des Gutachtens ab. Entspricht es vom Schwierigkeitsgrad her den Erfordernissen einer Unternehmensbewertung, dann unterfällt es der Honorargruppe 11 mit einem Stundensatz von 115 EUR. Liegen die Anforderungen darunter, so ist von den Wirtschaftsreferent(inn)en eine Einstufung in eine niedrigere Honorargruppe vorzunehmen. Betriebswirtschaftliche Gutachten sind jedoch mindestens in Höhe von 90 EUR, Honorargruppe 6, abzurechnen. Die Gutachtentätigkeit von (Bilanz-)Buchhalter(inn)en unterfällt regelmäßig der Honorargruppe 4, ist also mit 80 EUR pro Stunde anzusetzen. Soweit sich deren Einsatz allerdings auf die Auswertung von Konten bezieht, gilt jedoch die Honorargruppe 1 mit einem Stundensatz von 65 EUR. Je nach Gegenstand der Tätigkeit können auch die Honorargruppen 2 und 3 einschlägig sein. Ziehen die Wirtschaftsreferent(inn)en (Bilanz-)Buchhalter(inn)en als Hilfskräfte hinzu, so kann deren Einsatz nicht gesondert als eigene Gutachtentätigkeit abgerechnet werden. Vielmehr haben die Wirtschaftsreferent(inn)en die Kosten der (Bilanz-)Buchhalter(inn)en als ihre Hilfskräfte nach § 12 Abs 1 S 2 Nr 1 JVEG anzusetzen. Für die Höhe gelten allerdings dieselben Maßstäbe wie für die eigene Gutachtentätigkeit der (Bilanz-)Buchhalter(inn)en. Die Kosten für Ablichtungen sind nach § 7 Abs 1 S 1 JVEG in Höhe von 0,50 EUR für die ersten 50 Kopien und in Höhe von 0,15 EUR für jede weitere abzurechnen. Gesonderte Schreibkosten sind gemäß § 12 Abs 1 S 2 Nr 3 JVEG mit 0,90 EUR für je 1.000 Anschläge zu berechnen. Dieser Ansatz entfällt allerdings bei persönlicher Schreibtätigkeit des Gutachters (zB am Computer). D) Bei der Erteilung von Gutachtenaufträgen ist deshalb folgendes zu beachten: Der Gutachtenauftrag ist schriftlich zu erteilen. Er ist regelmäßig vor Beginn der Tätigkeit des Sachverständigen zu dokumentieren. Aus dem Gutachtenauftrag muß hervorgehen, daß der Sachverständige eigenverantwortlich und fei von Weisungen Dritter sein Gutachten zu erstatten hat. Der Auftrag muß sich auf die Klärung eines oder mehrerer bestimmter Beweisthemen beziehen. Nicht ausreichend ist hingegen die unspezifische Sichtung von Unterlagen oder die Bitte, Hinweise auf weitere Ermittlungshandlungen oder Unregelmäßigkeiten zu erteilen. Die Beweisfragen sind eindeutig, unmißverständlich und differenziert zu formulieren. Die Anknüpfungstatsachen sind dem Gutachter mitzuteilen. In den Akten ist festzuhalten, welches Material dem Gutachter zur Verfügung gestellt wurde.

Bestellt der Staatsanwalt einen Wirtschaftsreferenten unter Einhaltung der vorstehend 306 aufgeführten Regeln als Gutachter, so setzt sich dieser nicht schon deshalb der Besorgnis der Befangenheit aus, weil er bei der Ermittlungsbehörde eingestellt ist. Zwar braucht es ein Angeklagter nicht hinzunehmen, dass als Sachverständiger berufen wird, wer zuvor bereits ein Gutachten im kommerziellen Interesse seines Arbeitgebers erstattet hatte.938 Die Staatsanwaltschaft ist im Ermittlungs- und Strafverfahren aber gerade nicht Partei oder in vergleichbarer Weise wie ein gewinnorientierter Arbeitgeber an dessen Ausgang interessiert. Daher steht die Funktion als Wirtschaftsreferent der Übernahme der Rolle eines Sachverständigen im Strafprozess nicht bereits grundsätzlich entgegen.939 Ob ihm in

_____ 938 BGH NStZ 2002, 215. 939 BGH wistra 1986, 257, 258; zuvor bereits obiter NJW 1979, 2414; 25.2.2016 – 3 StR 142/15, Rn 5–12, insbes 10, StV 2017, 110 ff. (für Mitarbeiter der BaFin); OLG Zweibrücken NJW 1979, 1995; Bittmann wistra 2011, 47 ff, 51; Lemme wistra 2002, 283 f; Wiegmann StV 1996, 570, 572f; aA Krekeler wistra 1989, 52, 53; Meding S 135 ff.

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einer landesrechtlichen Regelung die Eigenschaft eines Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft verliehen ist oder nicht, spielt keine Rolle,940 solange er von den ihm damit eingeräumten Möglichkeiten im konkreten Fall keinen Gebrauch macht oder gemacht hat. Umstritten ist, ob sich ein Gutachter, insbes ein Wirtschaftsreferent, der Besorgnis 307 der Befangenheit aussetzt, wenn er die Staatsanwaltschaft auf Straftaten außerhalb seines Gutachtenauftrags aufmerksam macht. Mit der Funktion eines Sachverständigen ist es sicherlich nicht vereinbar, die Prüfung von sich aus auf weitere Straftaten auszudehnen, auf die Erweiterung der Ermittlungen bzw seines Auftrags zu dringen oder gar den Beschuldigten (während oder auch erst nach Gutachtenerstattung) wegen der selbst entdeckten Straftaten anzuzeigen.941 Unschädlich ist es hingegen, wenn der Sachverständige zum Zwecke der Erfüllung des ihm erteilten Gutachtenauftrags in seinem Gutachten auch Sachverhalte darstellt, welche für sich gesehen eigene Straftaten darstellen.942 Daran ändert es nichts, wenn der Staatsanwalt diese Ausführungen zum Anlass nimmt, seine Ermittlungen auch auf diese Taten auszudehnen.943 Bedenken gegen die Unbefangenheit des Sachverständigen sind allerdings dann 308 wiederum begründet, wenn er in seinem Gutachten von sich aus auf weitere oder andere (von ihm auch so bezeichnete) Straftaten des Beschuldigten oder auch eines Dritten hinweist.944 Unbedenklich ist es jedoch, wenn ihm bereits der Gutachtenauftrag auferlegt, bei Entdeckung sonstiger aus seiner betriebswirtschaftlichen Sicht möglicher Unregelmäßigkeiten unverzüglich Kontakt mit dem Staatsanwalt aufzunehmen, und er ihn in Erfüllung dieses Teils seines Auftrags, also als Sachverständiger, auf bestimmte jenseits seiner bereits übernommenen Aufgaben liegende Umstände aufmerksam macht. Einer juristischen Bewertung hat er sich dabei wie generell zu enthalten. Unter Befangenheitsgesichtspunkten unschädlich, aber wenig sachgerecht, wäre es, die Hinweise erst in der schriftlichen Endfassung des Gutachtens zu erteilen. Sie können nämlich dem Staatsanwalt nicht nur Anlass bieten, den erteilten Gutachtenauftrag zu erweitern, sondern auch, ihn zu modifizieren, ja sogar ihn zurückzuziehen, zB wenn die neuen Erkenntnisse es erlauben, im Wege der §§ 154 oder 154a StPO die Tat(en), die Anlass für den Gutachtenauftrag bot(en), aus dem weiteren Verfahren (vorläufig) auszuscheiden. Maßgeblich ist wiederum, ob der Wirtschaftsreferent mit seinem Hinweis in Erfüllung seines Auftrags handelt und ob er die Entscheidung über etwaige Konse-

_____ 940 Bittmann wistra 2011, 47 ff, 48; Lemme, wistra 2002, 281, 286, Letzterer zutr gegen AG Bautzen StV 1998, 125. Zu den Befugnissen des Wirtschaftsreferenten als staatsanwaltschaftliche Ermittlungsperson Meding S 34 ff. 941 Lemme wistra 2002, 281, 287. 942 Bittmann wistra 2011, 47 ff, 52 f; Lemme wistra 2002, 281, 287; einschr Wolf ZWH 2012, 125 ff, 129 f. 943 Krekeler wistra 1989, 52, 53. Nur für Wirtschaftsreferenten aA Lemme wistra 2002, 281, 287, weil die Unterscheidung zwischen Ermittlungs- und Tätigkeit als Sachverständiger nicht mehr möglich sei. Dem ist entgegenzuhalten, dass es der Gutachter nicht in der Hand hat, welche Schlüsse der Staatsanwalt aus seinen Ausführungen zieht; Wolf ZWH 2012, 125 ff, 130, vermutet hingegen eine Neigung des Staatsanwalts, Hinweise des Wirtschaftsreferenten mit dem Vorliegen eines Anfangsverdachts geichzusetzen. Die Unabhängigkeit des Sachverständigen würde aber selbst davon nicht berührt, solange er sich selbst sachlich an seinen Auftrag hält. Oder soll etwa ernsthaft behauptet werden, dass sie zwar dann nicht in Frage gestellt ist, wenn der Staatsanwalt die Ermittlungen nicht ausdehnt, wohl aber dann, wenn er es tut? Das würde bedeuten, dass die Sachkunde des Staatsanwalts oder die Intensität, mit welcher er sich mit den gutachterlichen Ausführungen befasst, ausschlaggebend wäre für die Besorgnis der Befangenheit des Wirtschaftsreferenten, obwohl letzterer auf diese Umstände keinerlei Einfluss hat. Und wie wäre es, wenn der Staatsanwalt die Ermittlungen zwar auf die neu bekannt gewordenen Taten erstreckt, diesbezüglich aber gemäß § 154 Abs 1 StPO verfährt? 944 Bittmann wistra 2011, 47 ff, 53; Lemme wistra 2002, 281, 287.

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quenzen (zB Ausdehnung der Ermittlungen, Erweiterung des Gutachtenauftrags, dessen Modifikation oder Rückzug) dem Staatsanwalt überlässt. Bei Erfüllung beider Voraussetzungen begründet ein weiterführender Hinweis nicht die Besorgnis der Befangenheit gegen den Wirtschaftsreferenten oder Buchhalter. Ein Gutachtenauftrag an einen Wirtschaftsreferenten kann zB folgendermaßen aus- 309 sehen: Vfg. 1. 2.

Herrn AL U.m.A. (4 Bände) 8 Sonderhefte und 14 Beweismittelbände (in Stehordnern)

Frau/Herrn Wirtschaftsreferentin/en übersandt. Ich bitte um Erstattung eines Gutachtens in nachfolgend näher bezeichnetem Umfang. Das Ermittlungsverfahren richtet sich gegen den Beschuldigten A. als Geschäftsführer der Fa. XY GmbH, die Beschuldigte B. als deren Prokuristin, den Beschuldigten C. als deren Leiter der Buchhaltung, die Beschuldigte D. als Mitarbeiterin des Beschuldigten C. sowie gegen den Beschuldigten E. als Gesellschafter/Geschäftsführer der Fa. Z GmbH. Die Firmen XY GmbH und Z GmbH befassen sich mit der Erstellung von Bauwerken (vgl Ablichtungen der Handelsregisterakten in SH V). Der Beschuldigte A. ist zwar Geschäftsführer der Fa. XY GmbH, aber nicht deren Gesellschafter. Er hält allerdings eine stille Beteiligung an der Fa. Z GmbH, welche ihm beherrschenden Einfluß in der Fa. Z GmbH ermöglicht. Es besteht der Verdacht, daß er im kollusiven Zusammenwirken mit dem Beschuldigten E. dafür sorgte, daß lukrative Aufträge, die ursprünglich der Fa. XY GmbH erteilt werden sollten, an die Fa. Z GmbH vergeben wurden. Überdies sollen sie, soweit es nicht zur Auftragsvergabe an die Fa. Z GmbH kam, Subunternehmerverträge zwischen den Firmen XY GmbH und Z GmbH geschlossen haben. Nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis waren die Preise dabei für die Fa. XY GmbH ruinös, dh wesentlich über dem Marktpreis liegend (vgl Vermerk Bl. 142–148 Bd. II d.A.). Ferner besteht der Verdacht, daß Rechnungen für nicht erbrachte Leistungen der Fa. Z GmbH von der Fa. XY GmbH bezahlt wurden. Nach bisherigen Erkenntnissen wurden sie in der Buchhaltung erfaßt (vgl die Aussage der Beschuldigten D., Bl. 25–38 Bd. III d.A.). Weil die Verbuchung nicht ohne Wissen der Beschuldigten C. und D. vonstatten gehen konnte, sollen sie mit einer Art Schweigegeld in Höhe von 5 bzw 2% an den illegitimen Gewinnen der Fa. XY GmbH beteiligt worden sein. Weil der Beschuldigte A, vielfach nicht im Büro tätig war, soll er die Beschuldigte B. eingeweiht und mit 10% beteiligt haben. Es ist nach den bisherigen Ermittlungen anzunehmen, daß die Fa. XY GmbH aufgrund der geschilderten Gewinnverlagerung auf die Fa. Z GmbH in Liquiditätsschwierigkeiten geriet. Die Beschuldigten A. bis D. schieden am …… aus der Fa. XY GmbH aus und der nachfolgend zum Alleingeschäftsführer bestellte Alleingesellschafter F. stellte drei Monate später Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, welcher zwei Monate danach mangels Masse abgewiesen wurde (vgl Bl. 1–4 Bd. I d.A., 17–35 Bd. IV d.A. sowie Sonderhefte V, unter Trennlasche III, Bl. 125–128, sowie VII). Es besteht sonach gegen die Beschuldigten A und B der Verdacht mehrfacher Untreue, gegen die Beschuldigten C. bis E. der Verdacht der Beihilfe dazu. Überdies stehen die Beschuldigten A. bis D. im Verdacht des Bankrotts gemäß § 283 Abs 1 Nrn. 5 und 7a StGB. Ich bitte deshalb, ein betriebswirtschaftliches Gutachten darüber zu erstatten, a) welche Geschäfte zwischen den Firmen XY GmbH und Z GmbH in der Buchhaltung beider Unternehmen erfaßt sind, b) in welchen Fällen den Rechnungen der Fa. Z GmbH keine Leistungen gegenüberstand sowie c) zu welchem Zeitpunkt Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit der Fa. XY GmbH eingetreten sind. Ferner bitte ich, die Fälle aufzulisten und die entsprechenden Unterlagen zusammenzustellen, in welchen den Rechnungen der Fa. Z GmbH eigene (Subunternehmer-)Leistungen gegenüberstehen, damit ich bei einem Bausachverständigen den Grad der Überhöhung der Rechnungen prüfen lassen kann. Außerdem

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bitte ich noch, sämtliche Auftraggeber der Fa. Z GmbH aufzulisten, damit sie zeugenschaftlich darüber vernommen werden können, ob sie ursprünglich vorhatten, der Fa. XY GmbH den Auftrag zu erteilen. Insgesamt bitte ich, für sämtliche der aufgeführten verfahrensgegenständlichen Vorwürfe die geschäftlichen Handlungen festzustellen, welche ein ordentlicher Kaufmann nicht getätigt hätte. Zum Zwecke der Gutachtenerstattung stehen die eingangs aufgeführten Aktenstücke ebenso zur Verfügung, wie die bei den Firmen XY und Z GmbH sichergestellten Asservate (17 bzw 15 Umzugskartons im Asservatenraum …). Falls es erforderlich sein sollte, weitere Informationen, zB Kontounterlagen, für die Erstattung des Gutachtens beizuziehen, so bitte ich um entsprechende Information. Der Arbeitsaufwand für die Erstattung dieses Gutachtens ist im Einzelnen zu dokumentieren und nach dem ZSEG abzurechnen. Sollten Ihnen bei Erstattung des Gutachtens, insbesondere im Zuge der Auswertung der Unterlagen, aus betriebswirtschaftlicher Sicht weitere Unregelmäßigkeiten auffallen, so bitte ich darum, diese ebenfalls zu dokumentieren. Der dafür erforderliche Zeitaufwand ist allerdings nicht nach dem ZSEG abrechnungsfähig, so daß ich darum bitte, die insoweit anfallenden Kosten nicht in die Abrechnung des Gutachtens einfließen zu lassen.

3. Externe Gutachter 310 Anstatt einen solchen Gutachtenauftrag an die hausinterne Wirtschaftsprüfgruppe zu

vergeben, kann auch ein externer Sachverständiger eingeschaltet werden. Es gibt Einzelgutachter, aber auch bundesweit tätige Gesellschaften, welche sich auf die Erstattung betriebswirtschaftlicher Gutachten zu forensischen Zwecken spezialisiert haben und die vorzügliche Leistungen zu bringen in der Lage sind. In besonders umfangreichen Verfahren kann es auch einmal erforderlich sein, eine der großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften zu beauftragen. Im letztgenannten Fall muss man allerdings mit Kosten in Millionenhöhe rechnen, wenn man überhaupt jemanden findet, der bereit ist, für die sich nur auf ca ein Viertel der in der Wirtschaft üblichen Beträge belaufenden Sätze des JVEG tätig zu werden. In solchen Fällen ist die vorherige Zustimmung nicht nur des Behördenleiters und des Generalstaatsanwalts, sondern auch des Justizministeriums einzuholen. Angesichts der niedrigen Stundensätze hat überdies jeder externe Gutachter Schwierigkeiten, kostendeckend zu arbeiten. Daher sind recht großzügige Abrechnungen nicht verwunderlich und bedürfen der Nachprüfung. Sie fällt umso leichter, desto präziser der Auftrag formuliert und die Bearbeitung zwischen Gutachter und Staatsanwaltschaft (auch noch in der Phase der Erstellung) abgestimmt wurde. Auch externe Gutachter945 dürfen wie Wirtschaftsreferenten an Durchsuchungen 311 teilnehmen sowie Beschuldigte und Zeugen befragen. Auch sie haben die Grenzen des ihnen erteilten Auftrags strikt zu wahren. IÜ gelten für sie die allg Regeln für Sachverständige einschließlich der Bestimmungen über die Befangenheit.

VII. Der Zeuge 312 Obwohl in Ermittlungs- und Strafverfahren wegen Insolvenzdelikten der Beweis durch

Urkunden- und Sachverständige eine überdurchschnittliche Rolle spielt, kann auf die Einvernahme von Zeugen selten verzichtet werden. In aller Regel lassen sich die

_____ 945 Weyand/Diversy Rn 192. Nur natürliche Personen sind taugliche Gutachter, Meyer-Goßner/Schmitt Rn 2 vor § 72 StPO.

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zahlreichen Informationen aus den vielfältigen Schriftstücken erst durch eine persönliche Darstellung zu einem plausiblen und belastbaren Verdacht zusammenfügen. Steht am Beginn des Erkenntnisprozesses eine umfassende Aussage, so erleichtert das die Ermittlungen zumeist sehr, weil sich darauf Ermittlungshypothesen stützen lassen, welche bis zu ihrer Falsifizierung dem weiteren Verfahrensgang zugrunde gelegt werden können. Das eventuell trotzdem unvermeidliche „Stochern mit der Stange im Nebel“ bekommt mit einer solchen Annahme wenigstens eine bestimmte Richtung. Zunächst ist zu klären, welche Personen als Zeugen in Betracht kommen. Die Antwort setzt regelmäßig Kenntnisse über typische Organisationsstrukturen in Unternehmen voraus. Hilfreich ist zumeist die Befragung der Mitarbeiter, die mit der Verwaltung des Vermögens betraut waren, zB Buchhalter und Leiter der Abteilungen für Beschaffung wie Vertrieb. Oft verfügen auch Angehörige des Chefsekretariats über wertvolles Wissen. Derartige Informationsquellen wird im Insolvenz(eröffnungs)verfahren bereits der Gutachter bzw (vorläufige) Insolvenzverwalter für sich genutzt haben.946 Ihn sollte der Staatsanwalt um Benennung auskunftsfähiger Personen bitten. Hilfreich als Zeugen sind auch der Steuerberater und bei größeren Unternehmen die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, welche die Bilanzen testierte. Da sie aber zur Geheimhaltung verpflichtet sind,947 stehen sie zu Beginn der Ermittlungen meist noch nicht zur Verfügung. Das ändert sich im Verlauf des Verfahrens auch nur dann, wenn sie von ihrer jeweiligen Schweigepflicht entbunden werden sollten.948 Genauer Prüfung bedarf die Entscheidung, an wen sinnvollerweise zu welchem Zeitpunkt herangetreten werden sollte. Hier prallen zwei gegensätzliche Überlegungen aufeinander: Einerseits kann der sachnächste Zeuge sicherlich am umfassendsten zur Aufklärung beitragen und auf diese Weise einen den Verfahrensabschluss erleichternden und beschleunigenden Beitrag leisten. Andererseits ist mit jeder offenen Ermittlung die Gefahr verbunden, dass der Beschuldigte davon erfährt und, auf diese Weise gewarnt, Verdunkelungshandlungen vornimmt. Diese Gefahr ist umso größer, je mehr die Interessen des Zeugen denen des Beschuldigten gleichen. Zudem muss va zu Beginn der Ermittlungen mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass ein Zeuge an der Straftat beteiligt war. Jeder zu Aufklärungszwecken unternommene Schritt kann daher das gerade Gegenteil bewirken. Der Staatsanwalt muss folglich mehrdimensional denken und ggf Zwischeninformationen über die Stellung eines Zeugen zum Beschuldigten zu erhalten versuchen – mit allerdings vergleichbarem Risiko. Allgemeingültige Regeln, wann an welchen Zeugen herangetreten werden sollte, gibt es nicht. Maßgeblich sind jeweils die Umstände des Einzelfalls. Ein wesentliches Entscheidungskriterium ist die Schwere der verfahrensgegenständlichen Vorwürfe. Überdies sind die Mittel, die zu Verdunkelungszwecken eingesetzt werden können, weniger erfolgversprechend, seitdem der Mailverkehr ausgewertet werden kann und die Möglichkeit besteht, gelöschte Daten wiederherzustellen. In Fällen kleinerer und mittlerer Qualität muss üblicherweise nicht mit einem professionellen Vorgehen auf Beschuldigtenseite gerechnet werden. Der ursprünglich redliche, in der Krise aber in Panik geratene Kaufmann wird im laufenden Geschäft höchst selten verdunkelnde Vorsorge gegen strafrechtliche Verfolgung getroffen haben. In der Krise wird er zwar darauf achten, dass nicht jeder Mitarbeiter Einblick in sein nunmehri-

_____ 946 Görling S 109 f. 947 Weyand/Diversy Rn 174 ff. (va zum Steuerberater). 948 Zur Frage, wer eine wirksame Schweigepflichtentbindung erklären kann, vgl oben Rn 178 ff.

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ges Geschäftsgebaren erhält. Er wird aber kaum über die Kenntnis, Mittel und Verbindungen verfügen, die für eine nachhaltige Geheimhaltung bestimmter Verhaltensweisen erforderlich sind. Er muss vor der Redlichkeit seiner Chefsekretärin eher Angst haben als dass er sie zu einer Helferin unlauterer Vorhaben machen könnte. Liegen bei derartigem Tatverdacht keine besonderen für das Gegenteil sprechenden Erkenntnisse vor, so gibt es keinen Grund, auf die schnelle Einvernahme der sachnächsten Zeugen zu verzichten, wenn nicht sogar sogleich zur Vernehmung des Beschuldigten geschritten werden kann. Steht allerdings eine schwere Straftat in Rede oder liegen Anhaltspunkte für ziel317 gerichtetes Verdunkeln vor, so gebührt der Sicherstellung der Sachbeweise der Vorrang und es sollten zuvor nur Opfer- und sonstige außenstehende Zeugen wie zB der Insolvenzgutachter oder (vorläufige) Insolvenzverwalter gehört werden.949 An tatnahe Zeugen sollte erst nach Sicherstellung herangetreten werden. Gleiches gilt für Mitarbeiter der Hausbank, fühlen sie sich doch selbst im Zeitalter von Compliance zuweilen mehr ihrem Kunden als der Suche nach der Wahrheit verbunden.950

VIII. Der Beschuldigte 1. Allgemeines 318 Der Beschuldigte ist Subjekt des Verfahrens und dessen Hauptperson. Gleichwohl

sind seine Handlungsmöglichkeiten im Ermittlungsverfahren nicht nur begrenzter als in der Hauptverhandlung, sondern sie hängen auch ganz erheblich davon ab, wie der Staatsanwalt die Ermittlungen gestaltet. Feste und für alle Fälle passende Regeln gibt es nicht. Es gilt der Grundsatz der freien Gestaltung des Ermittlungsverfahrens. Die konkreten Entscheidungen werden zwar immer von den Umständen des Einzelfalls bestimmt. Es gibt aber einige Kriterien als Orientierungshilfen. Anfangs ist zu prüfen, ob der Beschuldigte von der Strafanzeige bereits Kenntnis 319 hat oder mit der Aufnahme von Ermittlungen angesichts der ihm bekannten Umstände sicher rechnen wird. Letzterenfalls liegt seine Vernehmung zu Beginn der Ermittlungen häufig durchaus nahe. Beim Verdacht schwerer Straftaten kann es trotzdem hilfreich sein, dass die Ermittlungsbehörden ihre Informationsbasis vor seiner Vernehmung zunächst verbreitern. Als Zwischenlösung können sie dem Beschuldigten die Gelegenheit zur Stellungnahme einräumen, ohne ihm detaillierte Fragen zu stellen. So vermeiden sie, ihm Einblick in ihren Kenntnisstand zu gewähren, der etwaige Erwägungen zu missbräuchlicher Beeinflussung der Beweislage (wie Vernichtung von Unterlagen, Einschüchterung von Zeugen) oder Fluchtvorbereitungen beeinflussen könnte. 320 Ist hingegen anzunehmen, dass der Beschuldigte noch keine Kenntnis von den Ermittlungen hat, so sollte sich das weitere Vorgehen nach dem Schweregrad des Verfahrensgegenstands richten. In kleineren Fällen, zB § 266a Abs 1 StGB in der Phase kurz vor dem Zusammenbruch, nur geringfügige Überschreitung der Insolvenzantragsfrist, kleinere Buchführungs- oder Bilanzverstöße, ist es, insbes bei Handwerksbetrieben oder sonstigen Kleinunternehmen, meist sinnvoll, recht frühzeitig zur Beschuldigtenvernehmung zu schreiten. Allerdings sollte auch bei dieser Sachlage zumindest die Insolvenzakte schon ausgewertet sein, weil es andernfalls naheliegt, dass weitere Vorwür-

_____ 949 Noch zurückhaltender Trück oben Rn 94. 950 Vgl oben Rn 96.

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fe bekannt werden. Sie könnten die ursprüngliche Einschätzung widerlegen, verlangen aber jedenfalls das Gewähren rechtlichen Gehörs auch dazu (falls keine Beschränkung gemäß §§ 154, 154a StPO erfolgt). Die beabsichtigte Erörterung des möglichen Verfahrensabschlusses, § 160b StPO, setzt ebenfalls eine möglichst sichere Informationsbasis voraus. In größeren Fällen, insbes gegen hartgesottene und/oder von zu Konfliktverteidi- 321 gung neigenden Rechtsanwälten beratene Beschuldigte, hängt der Erfolg der Ermittlungen in besonderem Maße von geschickter Gestaltung ab. Zunächst gilt es, rechtzeitig zu erkennen, dass es sich um einen solchen Fall handelt. Weil dann mit einem frühen Geständnis nicht zu rechnen ist, lässt er sich nur mit hieb- und stichfesten Beweisen für alle belastenden Umstände zu einer angemessenen Verurteilung führen. Erkennt die Verteidigung im Laufe des Verfahrens die aus ihrer Sicht unkomfortable Beweislage, so mag ein taktisches Geständnis folgen, dem allerdings nur eine geringe strafmildernde Wirkung beizumessen ist. Erforderliche Beweise gilt es so frühzeitig zu erheben, dass der Beschuldigte so 322 wenig wie möglich Gelegenheit zu Verdunkelungshandlungen hat. Daher ist hier strikte Geheimhaltung unverzichtbar. Alle Möglichkeiten, Informationen in einer für Außenstehende nicht sichtbaren Weise zu sammeln, sind extensiv zu nutzen. Erhärtet sich der Tatverdacht, so sind Durchsuchungen zum Zwecke der Beschlagnahme von Beweismitteln vorzubereiten. Erst im Zuge der Durchführung der Zwangsmaßnahmen, wenn weitestmöglich gewährleistet ist, dass die vorhandenen Beweise tatsächlich zum Verfahren gezogen werden, sollte der Beschuldigte von den gegen ihn geführten Ermittlungen erfahren. Es ist dann eine Sache des Einzelfalles, ob ihm im unmittelbaren Anschluss an die Zwangsmaßnahmen rechtliches Gehör gewährt wird oder erst später. Falls Aussagebereitschaft besteht, bietet sich zumeist eine Vernehmung parallel zur Durchsuchung an. Weist der Beschuldigte oder sein Verteidiger auf tatsächlich kritische Punkte hin, so sollte der Staatsanwalt dafür dankbar sein. Deren Aufklärung ist im Ermittlungsverfahren weniger aufwendig als in einer eventuellen späteren Hauptverhandlung, entspannt zumindest die Atmosphäre und kann durchaus zum Widerlegen des einen oder anderen Vorwurfs führen. Bei fehlender Aussagebereitschaft hat der Staatsanwalt auch nach Abschluss der 323 Durchsuchungen akribisch und kunstgerecht weiterzuermitteln. Er sollte sich dabei an das Um-Herum-Prinzip halten, also sämtliche be- und entlastenden Informationen aus dem näheren und weiteren Umfeld des Beschuldigten sammeln und sich an ihn erst ganz am Schluss des Ermittlungsverfahrens erneut wenden. Hatte der Staatsanwalt dem Beschuldigten zuvor noch nicht ausdrücklich Gelegenheit zu rechtlichem Gehör gewährt, so muss er dies gemäß § 163a Abs 1 S 1 StPO spätestens vor Abschluss der Ermittlungen nachholen. Häufig wird er der Verteidigung auf Antrag oder aus Fairnessgründen von Amts wegen vor Anklageerhebung die Akten selbst dann nochmals übersenden, wenn der Beschuldigte bereits die – genutzte oder ungenutzte – Gelegenheit zur Stellungnahme hatte. Daraufhin etwa vorgetragenes (erstmaliges oder weiteres) Verteidigunsgvorbringen ist auf weiteren Ermittlungsbedarf hin zu überprüfen. Im Fall des Schweigens kann der Staatsanwalt nur nach Aktenlage und auf der Basis der ohne Mitwirkung des Beschuldigten zusammengetragenen Ermittlungsergebnisse entscheiden. 2. Vernehmung Beginnt ein Ermittlungsverfahren bei der Polizei, so lädt sie den Beschuldigten regelmä- 324 ßig zur Vernehmung, bevor sie die Akten der Staatsanwaltschaft zuleitet. In einer nennenswerten, aber relativ geringen Quote lässt er sich tatsächlich befragen. Führt die

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Staatsanwaltschaft die Ermittlungen allein, eine in kleineren und sogar mittleren Insolvenzstrafsachen gängige Handhabung, oder hat sich der Staatsanwalt die Entscheidung über das Herantreten an den Beschuldigten vorbehalten, so muß er entscheiden, welche der verschiedenen Varianten er wählt, an den Beschuldigten heranzutreten. Der Übergang in offene Ermittlungen kann im Wege einer Durchsuchung stattfinden.951 Meist wird es einer solchen aber nicht bedürfen, weil sich der Tatverdacht zB aufgrund Auswertung von vom Insolvenzverwalter beigezogenen Geschäftsunterlagen, ggf ergänzt von dessen Angaben, konkretisiert hat und ausreichend gefestigt erscheint. Rechtliches Gehör kann mittels staatsanwaltschaftlicher oder polizeilicher Ladung zur Vernehmung oder Übersendung eines Anhörungsbogens zu schriftlicher Stellungnahme gewährt werden.952 Typischerweise meldet sich anschließend ein Verteidiger mit der Bitte um Akteneinsicht. Qualitativ besser ist die mündliche Vernehmung, wenn möglich bei der Staatsanwaltschaft unter Beteiligung sowohl des polizeilichen Sachbearbeiters als auch des Wirtschaftsreferenten oder externen Gutachters. Stehen schwierige Rechtsfragen im Raum, so vermag der Staatsanwalt regelmäßig gezielter die zur Aufklärung erforderlichen spezifischen Fragen zu formulieren als ein Polizeibeamter. Dessen Schwerpunkt liegt oft im Tatsächlichen, während der Sachverständige Fragen zur wirtschaftlichen Motivation beizusteuern vermag. Führt der Staatsanwalt die Vernehmung, so kann er zudem sich bietende Möglichkeiten der Erörterung sowohl des weiteren Ablaufs des Verfahrens als auch von dessen Abschluss ergreifen. Vielleicht lässt sich das Verfahren nach § 153a StPO beenden oder ein Strafbefehl absprechen. Diese Vorteile bleiben allerdings nur allzu häufig unter Hinweis auf Kapazitätsprobleme und zeitliche Engpässe ungenutzt: Zu Unrecht! Und meist verbunden mit für Polizei und Staatsanwaltschaft, oft auch für das Gericht höherem Aufwand. Natürlich können nicht regelmäßig Staatsanwalt, Polizist und Gutachter an der Beschuldigtenvernehmung teilnehmen, zumal nicht in jedem kleineren Verfahren. Die Zeit, die sich der Staatsanwalt für eine Vernehmung nimmt, zahlt sich jedoch in der Gesamtheit, nicht notwendig allerdings in jedem betroffenen Verfahren, durch eine signifikante Verminderung des Ermittlungsaufwandes mehr als aus, weil sich auch ohne Absprache Unklarheiten vor der Hauptverhandlung beseitigen lassen und dies häufig eine Konzentration des Verfahrensstoffs erlaubt. Selbst wenn der Beschuldigte bestreitet, lohnt sich der Vernehmungsaufwand zumeist, wenn und weil anschließend klarer ist, wo die anstehenden Ermittlungsschwerpunkte liegen und welche Umstände noch der Prüfung bedürfen. Die erforderlichen Schritte lassen sich zielgenau(er) einleiten und vornehmen. Auch darin beweist sich rationeller Einsatz der begrenzten Kapazitäten. Die Vernehmung seitens des Staatsanwalts schont zwar die knappen Ressourcen der Justiz, nur allzu selten aber auch seine eigenen in angemessenem Maße, werden ihm doch häufig die aufgrund ersparter Sitzungsstunden entstandenen Spielräume mittels Übertragung der Sitzungsvertretung in dezernatsfremden Fällen wieder genommen. Immerhin sinkt die Arbeitsbelastung der gesamten Behörde und damit zumindest ein wenig auch für jeden einzelnen Staatsanwalt. Freilich profitieren davon auch diejenigen, die zum Entstehen des Vorteils nichts beigetragen haben. Gleichwohl überwiegt meist auch für den einzelnen Staatsanwalt das Positive.

_____ 951 Vgl dazu oben Rn 209 ff. und 314. 952 Vgl dazu unten Rn 330.

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Die meiste Zeit sparen aufgrund der Vernehmung des Beschuldigten seitens des 329 Staatsanwalts allerdings die Gerichte, weil Hauptverhandlungen entbehrlich werden oder kürzer ausfallen, ohne dass diesen Vorteilen ein gerichtlicher Aufwand gegenüberstünde. Für sie handelt es sich demnach um einen Nettogewinn. Die bedarfsgerechte Ausstattung der Staatsanwaltschaften würde gewiss mit einer Qualitätssteigerung einhergehen – vermutlich aber auch mit einer aufs Ganze gesehenen signifikanten Minderung des Aufwands. In den meisten Fällen genügt die Versendung eines Anhörungsbogens, § 163a 330 Abs 1 S 2 StPO, weil auch die Ladung zur Vernehmung regelmäßig nur die Initialzündung dafür ist, dass sich ein Verteidiger zu den Akten meldet. Über die Durchführung einer Vernehmung kann und sollte der Staatsanwalt letztlich erst nach gewährter Akteneinsicht befinden. Erscheinen die Ermittlungsergebnisse bereits als gefestigt und bedarf es zB aufgrund von Vorstrafen ohnehin der Durchführung einer Hauptverhandlung, so kann die Vernehmung des Beschuldigten das Verfahren bestenfalls geringfügig fördern. Bei offener Beweislage dürfte hingegen die Vernehmung sachgerecht sein. Für Absprachen bedarf es ihrer aber selten, wenn ein Verteidiger vorhanden ist. Es lässt sich mit ihm meist fernmündlich klären, ob und in welcher Weise das Verfahren konsensual erledigt werden kann.

3. Der Verteidiger In aller Regel mandatiert ein Beschuldigter, gegen den wegen Insolvenzdelikten ermit- 331 telt wird, einen Verteidiger.953 Zog er den Verdacht jedoch eher schlingernd denn bewusst auf sich, so kommt es durchaus vor, dass er sich selbst verteidigt. Es handelt sich dann meist um eine eher handwerklich oder technisch orientierte Person, der ihr Geschäft über den Kopf gewachsen war. Soweit sie nicht mit unbezahlten Aktiva aus dem insolventen Unternehmen weiterarbeitet, sondern der Verfahrensgegenstand lediglich aus insolvenzrechtlichen Formaldelikten und/oder Beitragsvorenthaltung besteht, kommt hier recht oft ein Verfahrensabschluss nach Opportunitätsgesichtspunkten in Betracht, bei etwas schwerwiegenderen Delikten auch der Antrag auf Erlass eines Strafbefehls. Er kann ggf nur auf Verwarnung mit Strafvorbehalt lauten, va wenn der Beschuldigte zu Geldzahlungen bereit ist, insbes zum Zwecke der Wiedergutmachung an die Einzugsstellen, die 6-Monats-Frist des § 153a StPO aber zu kurz ist, um in dieser Zeit Leistungen in angemessener Relation zum Schaden zu erbringen.954 Soweit sich der Beschuldigte verteidigen lassen will, der Regelfall, wird er nicht be- 332 reit sein, ohne seinen Verteidiger Angaben zu machen. Dieser wird zunächst versuchen, Akteneinsicht zu erhalten, bevor er seinem Mandanten rät, wie er sich sinnvollerweise zum Verfahren stellen soll. Das Recht der Akteneinsicht ist in § 147 StPO normiert. Danach hat im Ermittlungsverfahren die Staatsanwaltschaft über die Gewährung von Akteneinsicht zu entscheiden. Bestimmte Aktenteile, zB einen vollzogenen Haftbefehl und Vernehmungsprotokolle des Beschuldigten, muss sie der Verteidigung zur Kenntnis geben, § 147 Abs 3 StPO, sei es im Wege beschränkter Akteneinsicht, sei es durch Überlassung von Ablichtungen. Im Übrigen obliegt es ihrem pflichtgemäßen Ermessen, ob sie die Akten zurückhält oder nicht. Weil der Grundsatz in der Gewährung von Akteneinsicht besteht, muss es verfahrensbezogene Gründe geben, wenn sie verweigert werden

_____ 953 Vgl dazu ausführlich unten § 4. 954 Vgl dazu bereits oben Rn 36 ff.

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soll. In Aktenteile, auf welche sich die Haftentscheidung stützt, ist Akteneinsicht zu gewähren, § 147 Abs 2 S 2 StPO.955 Faktisch hat sich dieses Gebot zu einem quasi uneingeschränkten Akteneinsichtsrecht entwickelt. Ausnahmen sind wohl kaum mehr als in Bezug auf bevorstehende weitere prozessuale Zwangsmaßnahmen gestattet. Gegen die Verweigerung von Akteneinsicht kann in 3 Fallkonstellationen das nach § 162 StPO zuständige Gericht, im Ermittlungsverfahren: der Ermittlungsrichter, angerufen werden: nach Abschluss der Ermittlungen, § 169a StPO, in den Fällen des § 147 Abs 3 StPO und allg für den inhaftierten Beschuldigten. Die Entscheidung unterliegt gem § 304 der Beschwerde, es sei denn, es handelt sich um eine Entscheidung in der Hauptverhandlung, § 305 S 1 StPO. Die Entscheidung über die Gewährung – vollständiger oder teilweiser – Akteneinsicht trifft im Ermittlungsverfahren der Staatsanwalt. Maßgeblich ist, ob die Befürchtung besteht, die Kenntnis der Akten seitens der Verteidigung könne nach dem jeweiligen Verfahrensstand den Erfolg der weiteren Ermittlungen gefährden. Zu Beginn der Ermittlungen ist mit einem Akteneinsichtsgesuch nur dann zu rechnen, wenn dem Beschuldigten rechtliches Gehör gewährt werden soll, oder wenn dieser zufällig von den Ermittlungen Kenntnis erlangt hat. Ersterenfalls wird es häufig keine Bedenken gegen die Gewährung von Akteneinsicht geben. Letzterenfalls wird sachverhaltsabhängig entschieden werden müssen. Gleiches gilt im Anschluss an eine Durchsuchung. Zumeist wird es nach deren Abschluss keinen Grund geben, Akteneinsicht zu verweigern. Er liegt jedenfalls nicht allein darin, dass weitere Zwangsmaßnahmen aufgrund der bei Auswertung des beschlagnahmten Materials gewonnenen Erkenntnisse nie ganz auszuschließen sind. Erst nach Abschluss der Ermittlungen Akteneinsicht zu gewähren, ist nur selten sachgerecht. Zum einen erspart ein immerhin denkbares frühzeitiges Geständnis sonst unvermeidlichen Ermittlungsaufwand. Zum anderen liegt es im Interesse der Ermittlungen, wenn die Verteidigung frühzeitig den Finger in etwaige „Wunden“ legt. Lassen sie sich nicht „heilen“, so ist das Verfahren ressourcensparend frühzeitig zu beenden. Für die Justiz ist eine im Ermittlungsverfahren passive Verteidigung dann ein Ärgernis, wenn sie ihre vorhandenen sachlichen Argumente gebührensteigernd erst im Hauptverfahren vorbringt. Ohne spezielle Gegengründe von nennenswertem Gewicht sollte daher im Ermittlungsverfahren ohne Scheu vor der Verteidigung frühzeitig zumindest beschränkte Akteneinsicht gewährt werden. Aktenteile, welche Informationen enthalten, die zu jenem Zeitpunkt noch nicht bekannt werden sollen, können ja ohne Begründung vorübergehend entfernt werden. Dem Verteidiger ist auf jeden Fall vor Anklageerhebung umfassende, dh vollständige Akteneinsicht zu gewähren. Ihm sind deshalb nicht nur die eigentlichen Akten, sondern auch die Sonder- und Beweismittelbände zugänglich zu machen. Er hat ferner das Recht, mit Zustimmung der aktenführenden Stelle Einsicht in (original) Beiakten zu nehmen. Unabhängig von deren Zustimmung darf er die sich in Ablichtung bei den Strafakten (zB in einem Sonderheft) abgelegten Kopien früherer Beiakten einsehen. § 147 StPO ist insoweit lex specialis zu den §§ 474 ff StPO, insbes zu § 475 StPO; § 478 Abs 2 StPO steht schon seinem Wortlaut nach nicht entgegen. Neben den kompletten Akten darf der Verteidiger auch sämtliche Asservate besichtigen, § 147 Abs 1, letzte Var. Ihm

_____ 955 Ausgehend von EGMR wistra 1993, 333f (dazu Schmitz wistra 1993, 319 ff). Der bei fehlender oder beschränkter Gewährung von Akteneinsicht bestehende Informationsvorsprung der Staatsanwaltschaft gegenüber der Verteidigung ist verfassungsrechtlich unproblematisch, BVerfG wistra 2004, 179 f.

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stehen also alle Buchführungs- und sonstigen Unterlagen offen, die sichergestellt oder beschlagnahmt wurden, soweit sie noch nicht wieder freigegeben sind. Aufgrund der prinzipiellen Unersetzbarkeit von Beweismitteln darf der Verteidiger diese aber nur an Amtsstelle, dh in den Räumen der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts und unter behördlicher Kontrolle einsehen, § 147 Abs 4 S 1 StPO, sa § 475 Abs 3 S 2 StPO. Er darf sich allerdings auf eigene Kosten Ablichtungen fertigen (lassen).

4. Inhaftierung des Beschuldigten Die Haftfrage stellt sich in kleineren und mittleren Verfahren wegen Insolvenzdelikten – manchmal entgegen den Wünschen geschädigter Gläubiger – nur selten. Der Grundrechtsrelevanz wegen sind die Voraussetzungen für das Bejahen von Haftgründen, regelmäßig Flucht- oder Verdunkelungsgefahr,956 § 112 Abs 2 StPO, sehr streng. Notwendig ist zudem dringender Tatverdacht, § 112 Abs 1 StPO. Denkbar ist die Inhaftierung nach bekanntgewordenen Verdunkelungshandlungen oder beim Anrichten weiterer Schäden (zB bei Nutzung beiseitegeschaffter oder unter Wert veräußerter Aktiva in einem Folgeunternehmen). Unvermeidlich ist ein Haftantrag bei konkreten Fluchtplänen oder wenn Zeugen unter Druck gesetzt werden. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Ermittlungsbehörden davon rechtzeitig und verlässlich Kenntnis erlangen. Hinzu kommt, dass das Bundesverfassungsgericht die Oberlandesgerichte veranlasst hat, Haftbefehle selbst nach zügigen Ermittlungen nur in exceptionellen Fällen länger als 6 Monate in Vollzug zu halten. Angesichts der oft jahrelangen Dauer der Ermittlungen ist es auch deshalb selten sinnvoll, den Beschuldigten frühzeitig in U-Haft nehmen zu lassen. Im Gegenteil. Selbst in Fällen vollzogener Haft und bei Fortbestand der Gründe für deren Anordnung sollte die Staatsanwaltschaft, regelmäßig alsbald, spätestens aber zwei Monate vor der ersten besonderen Haftprüfung durch das Oberlandesgericht, § 121 StPO, im Kontakt mit dem Verteidiger von sich aus nach geeigneten Auflagen suchen, unter denen der Vollzug des Haftbefehls als entbehrlich erscheint. Davon sollte sie nur aufgrund besonderer Umstände (zB Drangsalierung von Zeugen; besonders großer Schaden, sehr hohe Straferwartung aufgrund einschlägiger Vorstrafen) absehen. Ein ausgesetzter Haftbefehl sichert das Verfahren wirksamer als ein entweder vom Oberlandesgericht aufgehobener und nur unter engsten Voraussetzungen957 erneuerbarer Haftbefehl oder ein unter Aussetzung zwar aufrechterhaltener, dessen Vollstreckung aber angesichts des Zeitablaufs nur noch für eine ganz kurze Dauer droht. Angesichts der Mühen eines Auslandsaufenthalts, der dort fehlenden persönlichen „Infrastruktur“, der doch meist begrenzten finanziellen Mittel, der durchaus verbreiteten Selbstüberschätzung mancher Selbständiger und eines zumindest in Europa mittlerweile recht wirksamen Fahndungsverbundes ist die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Flucht und eines Verborgenhaltens bis zum Eintritt der Verjährung in den meisten Fällen relativ gering. Angesichts dessen hat sich die frühe Inhaftnahme und die Aufrechterhaltung des Haftbefehls bis in die Hauptverhandlung hinein auf Fälle zu beschränken, in denen es aufgrund besonderer Umstände unerträglich wäre, den Beschuldigten in Freiheit zu belassen. Bei bestehender Fluchtgefahr ist jedoch zu prüfen, ob es sinnvoll ist, die Erhebung der Anklage mit einem Haftbefehlantrag zu verbinden. Immerhin ließe er sich

_____ 956 Einzelheiten unten § 3 Rn 19 ff. 957 Näher unten § 3 Rn 54 f.

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auf eine gegenüber dem Beginn des Verfahrens bessere Tatsachengrundlage stützen und es bestünde die Aussicht auf Vollzug der Untersuchungshaft über die gesamte Dauer der Hauptverhandlung. Gleichwohl steht dieser Weg nur selten offen, weil die erwartete Erhebung der Anklage jedenfalls dann keinen zusätzlichen Fluchtanreiz bietet, wenn sich der Beschuldigte zuvor dem Verfahren gestellt hat.958

IX. Akteneinsicht an Dritte 342 Die Akteneinsicht Dritter richtet sich nach § 475 StPO. Sie ist zu gewähren, wenn der

Dritte ein berechtigtes Interesse an der Einsichtnahme hat. Das ist bei einem Gläubiger des (Insolvenz-)Schuldners durchweg der Fall und zwar auch dann, wenn eine juristische Person insolvent geworden ist und er Rechte nicht gegen das Unternehmen, sondern gegen dessen (früheres) Organ oder ein Mitglied desselben verfolgen will. Gegen die Gewährung frühzeitiger Akteneinsicht Dritter bestehen ermittlungstaktisch bedingte Bedenken nur selten. Immerhin gilt es zu verhindern, dass Gläubiger von Informationen aus den Strafakten Gebrauch machen, die dem Beschuldigten noch nicht bekannt gegeben wurden, um andernfalls zu befürchtende Beweismittelverluste möglichst zu verhindern. Kann dieses Bedenken ausgeschlossen werden, dann stehen der Gewährung von Akteneinsicht an den Gläubigervertreter keine Aufklärungsgründe entgegen. Gleichwohl entsprach es schon immer einem nobile officium, ihm nicht vor dem Verteidiger die Akten zur Verfügung zu stellen. Inzwischen besteht dazu eine mittelbare Rechtspflicht: Die Gewährung von Akteneinsicht stellt einen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen dar. Das Bundesverfassungsgericht959 leitete daraus die Pflicht der Justiz ab, ihm zuvor rechtliches Gehör zu gewähren. Ist er nicht einverstanden, so muss im Ermittlungsverfahren der Staatsanwalt über den Antrag per Bescheid befinden. Wie er anschließend vorzugehen hat, ist im Gesetz nicht geregelt. Weil der Bescheid von beschwerten Beteiligten nach Zugang angefochten werden kann, liegt es im Fall einer Gewährungsentscheidung nahe, die Akten nicht sofort zur Einsichtnahme freizugeben, sondern abzuwarten, ob der Betroffene Rechtschutz sucht. Da er zum Ergreifen der Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde, der Berufung und der Revision jeweils eine Woche Zeit hat, genügt es seinen Belangen, mit der Durchführung der Akteneinsicht eine Woche nach Zugang zu warten. Über die Anfechtung des Bescheids befindet der nach § 162 StPO zuständige Richter, § 478 Abs 3. Die während des Ermittlungsverfahrens getroffene Entscheidung des Ermittlungsrichters ist unanfechtbar, § 478 Abs 3 S 3 StPO. Durch die Straftat Verletzte haben gemäß § 406e StPO eine privilegierte Stel343 lung.960 Ihnen steht im Gegensatz zu sonstigen Dritten auch das Recht zur Beweismittelbesichtigung zu. Wie ein Verteidiger darf auch für sie ein Rechtsanwalt an Amtsstelle in die Asservate schauen.

_____ 958 Das gilt nach inzwischen gefestigter Rspr sogar nach Verurteilung und zwar selbst zu einer höheren als erwartbar gewesenen Freiheitsstrafe, dazu Meyer-Goßner/Schmitt Rn 28 zu § 116 StPO m zahlreichen Nachw. 959 BVerfG, 15.4.2005 – 2 BvR 465/05, Rn 12, NStZ-RR 2005, 343; 26.10.2006 – 2 BvR 67/06, Rn 9, NJW 2007, 1052 f; 18.3.2009 – 2 BvR 8/08, Rn 15, 2009, 2876 f; zust S/S/W/Ritscher Rn 1 zu § 478 StPO; MeyerGoßner/Schmitt Rn 2 zu § 478 StPO; BeckOK/Wittig Rn 3 zu § 478 StPO; scharf abl W/J/Nickolai Rn 25/76 ff. 960 ZB LG Saarbrücken, 2.7.2009 – 2 Qs 11/09, NStZ 2010, 111 f (dazu Tierel jurisPR-StrafR 19/2009, Anm 1. Für eine gleichwohl restriktive Gewährung von Akteneinsicht Riedel/Wallau NStZ 2003, 393 ff.

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Das gilt zunächst für beim Beschuldigten sichergestellte Unterlagen und andere Ge- 344 genstände, allerdings auch insoweit nicht unbeschränkt, weil die Interessen des Verletzten, soweit sie reichen und rechtlichen Schutz genießen, gegen die des Beschuldigten abzuwägen sind. Selbst persönliche Unterlagen des Beschuldigten wie zB Kontoauszüge sind den Blicken des Verletzten nicht generell entzogen.961 Maßgeblich zu berücksichtigen sind auf seiten des Beschuldigten vielmehr der jeweilige Erkenntnisstand der Ermittlungsbehörden, also der Grad des Verdachts, die Verurteilungswahrscheinlichkeit, und die Schwere des Tatvorwurfs. Je gravierender der Tatvorwurf und je stärker der Tatverdacht, desto geringer wiegen dessen Interessen. Gleichzeitig steigt im selben Ausmaß, also zB mit der Höhe des erlittenen Schadens, die Berücksichtigungsfähigkeit der Belange des Verletzten. Es kommt auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles an. Es ist gibt aber nur wenige Beweismittel, die von vorn herein für den Verletzten tabu sind. Dazu gehören va Krankheitsbefunde, aber auch der Diskretion unterliegende persönliche Umstände. Insoweit wird es aber häufig schon an einem berechtigten Einsichtsinteresse selbst fehlen. § 406e StPO unterscheidet ebensowenig wie § 475 Abs 3 StPO zwischen Asservaten, 345 die beim Beschuldigten und solchen, die bei Dritten sichergestellt wurden. Gleichwohl kann die Einsicht in Unterlagen Dritter, insbes in solche persönlicher Natur, nur unter engeren Voraussetzungen gewährt werden als in Schriftstücke des Beschuldigten. Zunächst bedarf es der Feststellung, ob sich das rechtliche Interesse des Verletzten auch auf die Kenntnis der Asservate Dritter erstreckt. Das ist gegenüber Unterlagen des Beschuldigten seltener der Fall. Ferner ist dem Schutz eines außenstehenden Dritten beim erforderlichen Abwägungsvorgang ein deutlich höheres Gewicht beizumessen. Aber auch hier sind letztlich wiederum die Umstände des Einzelfalles maßgeblich. Daraus folgt eine andere Gewichtung, wenn der Beschuldigte Organ des Dritten war oder ist: Führte er als Geschäftsführer die GmbH, in deren Unterlagen der Verletzte Einsicht begehrt, so ist sie Letzterem unter gleichen oder zumindest kaum engeren Vorraussetzungen zu gewähren als in Unterlagen des Beschuldigten selbst. Das kann dazu führen, dass Einsicht in persönliche Schriftstücke des Beschuldigten verweigert, in Geschäftsunterlagen der GmbH hingegen gewährt wird. Interessen des Insolvenzverwalters dürften nur unter besonderen Umständen entgegenstehen. In die umgekehrte Richtung wandelt sich hingegen die Gewichtung beim Begehren, Einsicht in persönliche Unterlagen eines dem Beschuldigten fernstehenden Zeugen, etwa eines Mitarbeiters der GmbH, zu erhalten. Umstritten ist, ob auch der Insolvenzverwalter über das Vermögen einer juristi- 346 schen Person berechtigt ist, Einsicht in die Strafakten und die Beweismittel zu nehmen. Das wird zum Teil unter Hinweis auf seine besondere Stellung verneint, weil er weder Rechtsnachfolger des Schuldners sei, noch Ansprüche gegen diesen verfolge und die Eigenschaft „Verletzter“ nicht zum verwalteten Vermögen gehöre, sondern an die natürliche oder juristische Person als solcher gebunden sei. Das Bestreben, zB den Geschäftsführer in Haftung zu nehmen, genüge nicht.962

_____ 961 So aber Ciolek-Krepold Rn 367. 962 So zB OLG Koblenz wistra 1988, 203 ff (dagegen zutr H Schäfer wistra 1988, 216 ff); OLG Frankfurt wistra 1996, 197 ff; restriktiv auch OLG Köln, 16.10.2014 – 2 Ws 396/14, NZI 2014, 1059 ff; Wessing NZI 2003, 1, 11; aA OLG Braunschweig, 10.3.2016 – 1 Ws 56/16, ZInsO 2016, 1011 ff (dazu Köllner/Mück NZI 2016, 598 f) für den Gutachter im Insolvenzeröffnungsverfahren, den es dem Insolvenzverwalter gleichstellt; ebenso bereits OLG Dresden, 4.7.2013 – 1 Ws 53/13, NZI 2014, 358 f mAnm von der Fecht; OLG Köln, 16.10.2014 – 2 Ws 396/14, ZInsO 2014, 2501 ff (mit Beschränkung auf Akten zu Straftaten gegen das verwaltete Unternehmen); LG Hildesheim, 26.3.2007 – 25 Qs 17/06, NJW 2008, 531 ff; 22.8.2007 – KLs 5413 Js 18030/06,

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Diese Argumentation greift nicht durch. Da jeder Dritte Einsicht in die Strafakten nehmen darf, der Ansprüche gegen den Beschuldigten prüfen möchte, ist kein Grund dafür ersichtlich, nun gerade dem Insolvenzverwalter dieses Recht streitig zu machen. Sein berechtigtes Interesse folgt aus seiner Aufgabe, die Masse tunlichst zu mehren, im Bedarfsfall auch durch Verfolgung von Ansprüchen gegen frühere oder noch im Amt befindliche, aber nicht mehr verfügungsbefugte Organe oder deren Mitglieder. Soweit der Insolvenzverwalter solche Ansprüche prüfen will oder geltend zu machen beabsichtigt, ist er als „Verletzter“ iSd § 406e StPO zu behandeln.963 Nichts anderes kann gelten, wenn er Ansprüche gegen einen Dritten verfolgen will. Aussagen des Beschuldigten zum geschäftlichen Verhältnis zwischen der nunmehrigen Schuldnerin und dem Dritten können von wesentlicher Bedeutung sein, begründen jedenfalls das rechtliche Interesse an der Akteneinsicht. Die Durchsetzung eines Haftungsanspruchs gegen den Dritten kann den Beschuldigten finanziell sogar entlasten. 348 Gerade wenn ein (Insolvenz-)Schuldner im Verdacht steht, Vermögenswerte beiseitegeschafft oder als Verantwortlicher einer insolventen juristischen Person Vermögen veruntreut zu haben, ergeben sich oft erst aus den sichergestellten Unterlagen Hinweise auf den Verbleib dieser der Masse gebührenden Vermögensteile. Es wird dem (vorläufigen) Insolvenzverwalter deshalb regelmäßig die Sichtung aller Beweismittel eingeräumt werden müssen. Soweit die Asservate aus Unterlagen oder sonstigen Gegenständen bestehen, welche zur Masse gehören, hat der Insolvenzverwalter aber nicht nur ein Besichtigungsrecht, sondern es steht ihm ein, wenn auch nicht immer sofort durchsetzbarer, so doch immerhin bedingter Herausgabeanspruch gegen die Staatsanwaltschaft zu.964 347

X. Informationsbeschaffung bei anderen Behörden Bittmann/Joecks

1. Steuerbehörden 349 Namentlich die Kenntnisse der Finanzbehörden haben für die Verfolgung von Insol-

venzdelikten potenziell eine nicht unerhebliche Relevanz. In der Regel sind dort Informationen vorhanden, die sich auf die Liquidität und das Zahlungsverhalten des Unternehmens über längere Zeiträume beziehen. Insofern liegt es nicht fern, wenn die Staatsanwaltschaft versucht, auf die bei der Finanzbehörde vorhandenen Daten zurückzugreifen. Diese Informationsbeschaffung stößt jedoch schnell an rechtliche Grenzen: Die bei der Finanzverwaltung vorhandenen Daten unterliegen dem Steuergeheimnis (§ 30 AO); dessen mit der Weitergabe von Daten verbundene Durchbrechung bedarf einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Auch wenn es sich um eine Ergänzung der allg Vorschriften über die Amtsverschwiegenheit handelt,965 wird ein qualifiziertes

_____ NStZ-RR 2008, 43 ff; 6.2.2009 – 25 Qs 1/09, NJW 2009, 3799 ff; AG Bochum, 22.11.2016 – 64 Gs-35 Js 206/05, ZInsO 2016, 1442 f; Weyand/Diversy Rn 179. 963 Str, wie hier Ciolek-Krepold Rn 355 f; H Schäfer KTS 1991, 23, 26; jedenfalls folgt das Einsichtsrecht aus § 475 StPO, OLG Braunschweig, 10.3.2016 – 1 Ws 56/16, ZInsO 2016, 1011 ff (dazu Köllner/Mück NZI 2016, 598 f); OLG Dresden, 4.7.2013 – 1 Ws 53/13, NZI 2014, 358 f mAnm von der Fecht; LG Hildesheim, 27.3.2007 – 25 Qs 17/06, NJW 2008, 531 ff, 533; 22.8.2007 – KLs 5413 Js 18030/06, NStZ-RR 2008, 43 ff; 6.2.2009 – 25 Qs 1/09, NJW 2009, 3799 ff; LG Mühlhausen, 26.9.2005 – 9 Qs 21/05, wistra 2006, 76 ff, 78, mAnm Frye; AG Bochum, 22.11.2016 – 64 Gs-35 Js 206/05, ZInsO 2016, 1442 f; Janca/Schroeder/Baron wistra 2015, 409 ff, 409; Weyand/Diversy Rn 179. 964 Sa oben Rn 290. 965 T/K/Drüen Rn 4 zu § 30 AO.

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Amtsgeheimnis geschaffen, dessen Durchlässigkeit sich nicht schon aus allg Regelungen der Amtshilfe ergibt. Die Praxis steht dem Steuergeheimnis zum Teil skeptisch gegenüber; es behindert 350 vielfach die Ermittlungstätigkeit und wird überdies von den Finanzbehörden zum Teil extensiv angewendet.966 Immerhin hat § 30 AO keinen Verfassungsrang.967 Andererseits handelt es sich aber um einen Ausfluss des über Art 1 Abs 1, Art 2 Abs 1 GG geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Das Steuergeheimnis steht unter der Schutzgarantie des Rechts auf „informationelle Selbstbestimmung“.968 Der Staat, der von seinem Bürger die Offenbarung einer Vielzahl von Details aus dem Privat- oder gar Intimleben fordert, ist zum Schutz der erhobenen Daten verpflichtet.

a) Reichweite des Steuergeheimnisses Der Gegenstand des Steuergeheimnisses ergibt sich aus § 30 Abs 2 AO. Danach geht es 351 um fremde Verhältnisse (§ 30 Abs 2 Nr 1 AO: „Verhältnisse eines anderen“) und fremde Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse (§ 30 Abs 2 Nr 2 AO), die in einem Verfahren oder aus einem anderen Anlass iSd § 30 Abs 2 Nr 1a-c AO bekannt geworden sind. Joecks

aa) „Verhältnisse“ Der Begriff Verhältnisse bezeichnet alle Merkmale, die eine Person von ihrer Umwelt 352 abheben und zum Individuum machen.969 Das Steuergeheimnis bezieht sich auf alles, was über eine Person bekannt werden kann. Erfasst sind also die gesamten persönlichen, wirtschaftlichen, rechtlichen, öffentlichen und privaten Verhältnisse einer Person.970 Der Schutz reicht vom Ort, der Zeit und der Art einzelner Geschäftsvorfälle über einzelne Bilanzpositionen bis hin zur Zahl der (ehelichen und nichtehelichen) Kinder, der Sauberkeit der Wohnung und der religiösen und politischen Einstellung.971

bb) „Eines anderen“ Anderer ist jeder, der nicht Amtsträger ist oder einem Amtsträger gleichsteht. Erfasst 353 sind neben natürlichen Personen auch juristische Personen und nicht rechtsfähige Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die ebenfalls besteuert werden können. IGgs zu § 22 Abs 2 Nr 1 RAO verlangt § 30 Abs 2 Nr 1 AO 1977 nicht mehr die „Verhält- 354 nisse eines Steuerpflichtigen“, sondern begnügt sich mit den Verhältnissen „eines anderen“. Der Schutz erstreckt sich also auch auf Nicht-Steuerpflichtige, wie die in § 33 Abs 2 AO Genannten.972 Nach der Finanzrspr sind auch Gewährsleute (V-Leute, Informationspersonen, Anzeigeerstatter) vom Steuergeheimnis erfasst.973

_____ 966 So, wenn dem Betroffenen die Bekanntgabe der Person des Anzeigeerstatters unter Berufung auf das Steuergeheimnis verwehrt wird. 967 BVerfGE 67, 100, 142; Klein/Rüsken Rn 1 zu § 30 AO. 968 T/K/Drüen Rn 6 zu § 30 AO. 969 T/K/Drüen Rn 12 zu § 30 AO. 970 HHSp/Alber Rn 32 ff zu § 30 AO. 971 T/K/Drüen Rn 12 zu § 30 AO. 972 § 33 Abs 2 AO: „Steuerpflichtiger ist nicht, wer in einer fremden Steuersache Auskunft zu erteilen, Urkunden vorzulegen, ein Sachverständigengutachten zu erstatten oder das Betreten von Grundstücken, Geschäfts- oder/und Betriebsräumen zu gestatten hat.“ 973 Nachweise bei T/K/Drüen Rn 15 zu § 30 AO.

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Im Rahmen von Personengesellschaften sind Offenbarungen an Gesellschafter (insbes Kommanditisten) zulässig, soweit sie Gegenstand der einheitlichen und gesonderten Feststellung sind.974 Hingegen unterliegen Daten, die geeignet sind, über die gesamthänderische Verbundenheit hinaus etwas über den Persönlichkeits- oder Vermögensbereich des Beteiligten auszusagen, dem Steuergeheimnis.975 Bei Kapitalgesellschaften sind ihre Verhältnisse gegenüber deren Gesellschaftern ebenfalls Gegenstand des Steuergeheimnisses. Inwiefern dann Informationen von Seiten der Vorstandsmitglieder oder Geschäftsführer weitergegeben werden, ist eine gesellschaftsrechtliche Frage, die an der grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 30 AO nichts ändert.976 Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse können ebenfalls bestimmten Personen zu356 geordnet werden und gehören damit auch zu den Verhältnissen eines anderen iSd § 30 Abs 2 Nr 1 AO. Der Regelung in § 30 Abs 2 Nr 2 AO kommt daher nur klarstellende Bedeutung zu.977 Betriebs- und Geschäftsgeheimnis ist jede Tatsache des geschäftlichen oder betrieblichen Lebens, die nur einem eng begrenzten Personenkreis bekannt und anderen Personen nicht ohne weiteres zugänglich ist. Der Inhaber des Geheimnisses muss einen Geheimhaltungswillen und ein (berechtigtes wirtschaftliches) Geheimhaltungsinteresse haben.978 Erfasst sind Kundenlisten, Bezugsquellen, Bilanzen, Kalkulationen, Methoden der Betriebsstatistik, Applikationsverfahren, Vorlagen und Vorschriften technischer Art, insbes Zeichnungen, Modelle, Schnitte, Vermerke über die Beschaffenheit der Ware, die Art der Kundenwerbung, Prospekte und Kostenvoranschläge.979 Fremd ist ein Geheimnis für alle Personen, die das Geheimnis nicht kennen und die 357 nach dem Willen des Inhabers von der Kenntnis ausgeschlossen sein sollen.980 Die Verhältnisse eines anderen bzw Geheimnisse müssen in einer bestimmten Art/aus bestimmtem Anlass bekannt geworden sein. Erfasst ist zunächst das Verwaltungsverfahren (§ 30 Abs 2 Nr 1a, 1. Alt AO). Hierbei handelt es sich um jede nach außen wirkende Tätigkeit der Behörden, die auf Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlass eines Verwaltungsaktes gerichtet ist. Diese Tätigkeiten müssen in Steuersachen (§ 3 Abs 1, Abs 3 AO) ausgeübt werden.981 Gemeint sind auch solche Verwaltungsverfahren, die nach den entspr Einzelgesetzen den für Steuervergütungen geltenden Vorschriften der AO unterfallen, wie etwa Bestimmungen des Investitionszulagenrechts (§ 7 Abs 1 S 1 InvZulG 1993, § 19 Abs 6 S 1 BerlinFG). Ebenfalls erfasst sind Rechnungsprüfungsverfahren der Rechnungsprüfungsbehörden, soweit sie die Festsetzung und Erhebung der Steuern überprüfen (§ 30 Abs 2 Nr 1a Alt 2 AO).982 Schließlich wird auch das Bekanntwerden in gerichtlichen Verfahren (vor dem FG oder dem BFH) einbezogen. 358 Dem Steuergeheimnis unterliegen auch Verhältnisse eines anderen, die in einem Strafverfahren wegen einer Steuerstraftat oder einem Bußgeldverfahren wegen einer Steuerordnungswidrigkeit bekannt geworden sind (§ 30 Abs 2 Nr 1b AO). Erfasst ist also etwa auch der Zustand eines Geschäftsraums bei der Durchsuchung. Die Kenntnisse sind 355

_____ 974 BFH BStBl 1997, 750. 975 T/K/Drüen Rn 17 zu § 30 AO. 976 T/K/Drüen Rn 21 zu § 30 AO. 977 T/K/Drüen Rn 25 zu § 30 AO; Fischer Rn 8 zu § 355 StGB mN. 978 Vgl FG Baden-Württemberg EFG 1987, 62; Wolf NJW 1997, 98; T/K/Drüen Rn 26 zu § 30 AO. 979 HHSp/Alber Rn 94 zu § 30 AO; T/K/Drüen Rn 26 zu § 30 AO. 980 T/K/Drüen Rn 28 zu § 30 AO. Auch gegenüber dem vorläufigen Insolvenzverwalter ist das Steuergeheimnis zu wahren, HHSp/Alber Rn 70 zu § 30 AO. 981 T/K/Drüen Rn 31 zu § 30 AO. 982 T/K/Drüen Rn 32 zu § 30 AO.

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in einem solchen Verfahren erlangt, wenn ein objektiver oder subjektiver Zusammenhang mit dem amtlichen Verfahren besteht; es genügt, dass die Kenntnisse nur bei Gelegenheit einer Amtshandlung erlangt werden, die Amtshandlung also lediglich die Ausgangsposition für die Kenntnisnahme liefert.983 Gegen wen das Verfahren gerichtet ist, ist unerheblich.984 Bei Durchsuchungen nach § 103 StPO wegen einer Steuerstraftat erstreckt sich das Steuergeheimnis demnach auf Erkenntnisse über den Beschuldigten wie den Dritten, bei dem durchsucht wurde. Das Steuergeheimnis gilt auch für solche Verhältnisse, die in einem Verfahren in anderen Sachen als in Steuersachen bekannt geworden sind (§ 30 Abs 2 Nr 1c AO). Erfasst sind nur Fälle, in denen die Vorlage von Steuerbescheiden und Bescheinigungen gesetzlich vorgeschrieben war.985 Es geht um die vorgeschriebene Mitteilung einer Finanzbehörde, die gesetzlich vorgeschriebene Vorlage eines Steuerbescheides oder eine Bescheinigung über die bei der Besteuerung getroffenen Feststellungen. Schließlich unterfallen dem Steuergeheimnis nach § 30 Abs 2 Nr 3 AO auch die nach § 30 Abs 2 Nr 1 oder Nr 2 AO geschützten Daten; eine Verletzung des Steuergeheimnisses liegt dann vor, wenn jemand diese im automatisierten Verfahren unbefugt abruft, soweit sie für eines der in Nr 1 genannten Verfahren (Wahllosverfahren, Rechnungsprüfungsverfahren, gerichtliches Verfahren in Steuersachen) in einer Datei gespeichert sind. Die Daten müssen also zuvor im Besteuerungsverfahren angefallen sein.986 Außerdienstlich bekannt gewordene Verhältnisse, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse unterfallen dem Steuergeheimnis nicht.987

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b) Durchbrechung des Steuergeheimnisses Dem Steuergeheimnis unterliegende Daten dürfen grundsätzlich nicht Dritten (außer- 363 halb der Finanzbehörde) offenbart werden. Der Finanzbehörde ist aber in bestimmten Konstellationen die Durchbrechung des Steuergeheimnisses erlaubt. Nötig hierfür ist eine Befugnis, die sich insbes aus § 30 Abs 4 AO ergeben kann. Soweit es um Informationen an die Staatsanwaltschaft geht, ist dabei zu differenzieren. Benötigt die Staatsanwaltschaft Informationen aus der Sphäre der Finanzverwaltung zur Durchführung eines Steuerstrafverfahrens, ist eine Erteilung von Auskünften in der Regel unkompliziert.988 Geht es hingegen um die Informationsbeschaffung bezüglich Nichtsteuerstraftaten, dürfen Auskünfte nur unter engen Voraussetzungen gegeben werden.989 Soweit sowohl Steuerstraftaten wie auch Nicht-Steuerstraftaten, etwa Insolvenzdelikte, berührt sind, stellt sich überdies die Frage nach der Grenze der Verwertbarkeit.990

_____ 983 Kühn/v Wedelstädr/Blesinger Rn 13 zu § 30 AO; OLG Hamm NJW 1981, 356, 358; T/K/Drüen Rn 35 zu § 30 AO. 984 BFH BStBl 1995, 497. 985 Schwarz/Schwarz Rn 27 zu § 30; T/K/Drüen Rn 37 zu § 30 AO. 986 T/K/Drüen Rn 39 zu § 30 AO. 987 T/K/Drüen Rn 38 zu § 30 AO. 988 Vgl unten Rn 342. 989 Vgl unten Rn 343 ff. 990 Vgl unten Rn 365.

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aa) Durchführung eines Steuerstrafverfahrens 364 Benötigt die Staatsanwaltschaft Angaben zur Durchführung eines Steuerstrafverfah-

rens, können entspr Informationen über die Verhältnisse eines anderen nach § 30 Abs 4 Nr 1 AO ohne weiteres gegeben werden. Die Offenbarung der nach Abs 2 erlangten Kenntnisse dient insoweit der Durchführung eines Strafverfahrens wegen einer Steuerstraftat (oder eines Bußgeldverfahrens wegen einer Steuerordnungswidrigkeit).

bb) Durchführung eines Strafverfahrens, das sich nicht auf Steuerstraftaten bezieht 365 Schwieriger ist die Situation, wenn es um die Durchführung eines Strafverfahrens geht,

das sich nicht auf Steuerstraftaten bezieht. § 30 Abs 4 Nr 1 AO ist dann nicht einschlägig; lediglich aus § 30 Abs 4 Nr 2–5 bzw § 30 Abs 5 AO kann sich dann ein Offenbarungsrecht ergeben.

(1) Gesetzliche Regelung 366 Die Offenbarung ist zulässig, soweit sie durch Gesetz ausdrücklich zugelassen ist. Sol-

che Zulassungen sind in einer Vielzahl von Vorschriften enthalten.991 Für Zwecke der Strafverfolgung sind jedoch lediglich wenige Regelungen vorhanden. Insbes für die Verfolgung von Insolvenzdelikten bestehen aber entspr Regelungen nicht. Andererseits können sich im Zusammenhang mit der anderweitig erlaubten Offenbarung auch insoweit relevante Erkenntnisse ergeben. 367 So ermächtigt § 6 des Gesetzes gegen missbräuchliche Inanspruchnahme von Subventionen vom 29.7.1976992 zur Mitteilung von Tatsachen, die den Verdacht eines Subventionsbetrugs begründen. Nach § 4 Abs 5 Nr 10 S 2 EStG muss die Finanzbehörde der Staatsanwaltschaft Tatsachen mitteilen, die den Verdacht von Korruptionsstraftaten nahelegen.993 Dazu gehören nach der Änderung des § 299 StGB auch Fälle der Angestelltenbestechung im Ausland.994 Mit dem Vierten Finanzmarktförderungsgesetz (Art 18) wurde ein neuer § 31b – Mitteilungen zur Bekämpfung der Geldwäsche – mit Wirkung vom 1. Juli 2002 in die Abgabenordnung eingefügt.995 Das Gesetz zur Erleichterung der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit vom 23. Juli 2002996 bindet die Zollbehörden stärker in die Ermittlungen bei Schwarzarbeit ein. Zugleich werden die Mitteilungsbefugnisse nach den §§ 31 und 31a AO zu Mitteilungspflichten und dabei teilweise erweitert. Bedeutsam ist namentlich § 31a AO (Mitteilungen zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung und des Leistungsmissbrauchs).

_____ 991 Vgl die Nachweise bei T/K/Drüen Rn 74 ff zu § 30 AO. 992 BGBl I 2037; dazu Partsch/Scheffner NJW 1996, 2492. 993 Vgl auch BMF BStBl I 2002, 630, 641. 994 Art 1 Nr 4 des Gesetzes „zur Ausführung des Zweiten Protokolls vom 19. Juni 1997 zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, der Gemeinsamen Maßnahme betreffend die Bestechung im privaten Sektor vom 22. Dezember 1998 und des Rahmenbeschlusses vom 29. Mai 2000 über die Verstärkung des mit strafrechtlichen und anderen Sanktionen bewehrten Schutzes gegen Geldfälschung im Hinblick auf die Einführung des Euro vom 22. August 2002“ (BGBl I 3387), in Kraft seit 30. August 2002. 995 BGBl I 2070: „Die Offenbarung der nach § 30 geschützten Verhältnisse des Betroffenen ist zulässig, soweit sie der Durchführung eines Strafverfahrens wegen einer Straftat nach § 261 des Strafgesetzbuchs dient. Die Finanzbehörden haben Tatsachen, die auf eine derartige Straftat schließen lassen, den Strafverfolgungsbehörden mitzuteilen.“ 996 BGBl I 2787.

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(2) Zustimmung des Betroffenen Darüber hinaus ist eine Mitteilung stets zulässig, wenn der Betroffene zustimmt (§ 30 368 Abs 4 Nr 3 AO). Betroffener ist der, dessen Verhältnisse offenbart werden sollen.997 Dabei soll die Verwaltung zwar berechtigt, aber nicht verpflichtet sein, die Verhältnisse zu offenbaren, wenn der Betroffene der Offenbarung zustimmt. Hintergrund ist der Umstand, dass § 30 AO nicht allein private Interesse schützt, sondern mittelbar auch öffentliche Interessen.998 Inwiefern dann ein umfänglicher Ermessensspielraum besteht, ist zweifelhaft.999 Es geht insbes um Fälle, in denen der Steuerpflichtige aus wirtschaftlichen Gründen gegenüber Gläubigern bzw Vertragspartnern die Erfüllung steuerlicher Pflichten nachweisen soll. Soweit es um Individualbesteuerung geht, kann nur der Steuerpflichtige selbst zu- 369 stimmen. Der Insolvenzverwalter kann nicht an seine Stelle treten, soweit es etwa um die Einkommensteuer des Gemeinschuldners geht. Auch sonst kann im Rahmen eines Einzelunternehmens eine Befreiung vom Steuergeheimnis durch andere nicht erfolgen. Inwiefern dies bei Kapitalgesellschaften anders ist, ist zweifelhaft. Die Frage wird in Rspr und Lit bislang nicht behandelt. Es spricht viel dafür, dass sich hier der Streitstand wiederfinden dürfte, den es für die Entbindung des Steuerberaters/Wirtschaftsprüfers von der Verschwiegenheitspflicht gibt.1000

(3) § 30 Abs 4 Nr 4 AO § 30 Abs 4 Nr 4 AO gestattet unter bestimmten Voraussetzungen die Durchbrechung des Steuergeheimnisses zur Durchführung eines Strafverfahrens wegen einer Tat, „die keine Steuerstraftat ist“. Die Bestimmung wird überlagert durch § 393 Abs 2 AO, der zT weitere Voraussetzungen für die Unterrichtung der Staatsanwaltschaft aufstellt. § 30 Abs 4 Nr 4a AO erlaubt die Übermittlung von Kenntnissen, die in „einem Verfahren wegen einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit erlangt worden sind; …“. Ausgenommen von der Offenbarungsbefugnis sind „solche Tatsachen, die der Steuerpflichtige in Unkenntnis der Einleitung des Strafverfahrens oder des Bußgeldverfahrens offenbart hat oder die bereits vor Einleitung des Strafverfahrens oder des Bußgeldverfahrens im Besteuerungsverfahren bekannt geworden sind, …“ Der Durchbrechungsgrund erfasst also gerade nicht Erkenntnisse aus dem reinen Besteuerungsverfahren, sondern nur „Zufallsfunde“ iSd § 108 StPO oä und Bekundungen nach Einleitung des Verfahrens. Über den Wortlaut hinaus wird die Bestimmung nicht nur auf Steuerpflichtige, sondern auch auf sonstige Betroffene ausgedehnt, die zur Mitwirkung verpflichtet waren.1001 Erfasst sind damit also insbes Konstellationen, in denen bei Durchsuchungen nach §§ 102, 103 StPO Erkenntnisse über Nicht-Steuerstraftaten gewonnen werden. Die Durchbrechung des Steuergeheimnisses in diesen Fällen ist nur konsequent. Gäbe es nicht eine Sonderregelung für die Ermittlung von Steuerstraftaten durch Steuerfahndung und Strafsachen- und Bußgeldstelle, würden die Ermittlungshandlungen ohnehin von Polizei oder Staatsanwaltschaft vorgenommen, so dass diese ohne weiteres Kenntnis von

_____ 997 998 999 1000 1001

T/K/Drüen Rn 108 zu § 30 AO. T/K/Drüen Rn 111 zu § 30 AO; OLG Hamm NJW 1981, 356. Vgl BFH BStBl 1967 II, 572; FG Hamburg EFG 1988, 426. Vgl oben Rn 188 ff. T/K/Drüen Rn 114 zu § 30 AO; Schwarz/Schwarz Rn 43 zu § 30 AO; Klein/Rüsken Rn 174 zu § 30 AO.

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solchen Delikten erhielten. § 30 Abs 4 Nr 4a AO kompensiert die Verlagerung der Zuständigkeit durch die Erlaubnis der Weitergabe der Information an die (Polizei und) Staatsanwaltschaft. Daneben erlaubt § 30 Abs 4 Nr 4b AO die Unterrichtung der Staatsanwaltschaft, 374 wenn die entspr Kenntnisse ohne steuerliche Verpflichtung oder unter Verzicht auf ein Auskunftsverweigerungsrecht erlangt worden sind. Wer sich ohne rechtliche Verpflichtung äußert oder auf ein ihm zustehendes Auskunftsverweigerungsrecht verzichtet, ist nicht schutzwürdig.1002 Ohne steuerliche Verpflichtung handelt zB der Erstatter einer Anzeige (Denunziant).1003 Ebenfalls offenbart werden dürfen vorsätzlich falsche Angaben des Betroffenen ge375 genüber der Finanzbehörde (§ 30 Abs 5 AO).

(4) § 30 Abs 4 Nr 5 AO 376 Informationen aus dem Besteuerungsverfahren können hingegen nur nach Maßgabe des

§ 30 Abs 4 Nr 5 AO offenbart werden; in diesen Fällen ist überdies § 393 Abs 2 AO zu beachten. § 30 Abs 4 Nr 5 erlaubt die Durchbrechung des Steuergeheimnisses in Fällen eines 377 zwingenden öffentlichen Interesses. Die Bestimmung selbst definiert, wann ein öffentliches Interesse „namentlich gegeben“ ist. Der Fall ist dies zunächst bei Verbrechen und vorsätzlichen schweren Vergehen gegen Leib und Leben oder gegen den Staat und seine Einrichtungen [lit a)]. Dies kann etwa in Fällen groß angelegter Korruption der Fall sein. Im Insolvenzstrafrecht von erheblicher Bedeutung ist lit b): Danach kann eine Information erfolgen, wenn „Wirtschaftsstraftaten verfolgt werden oder verfolgt werden sollen, die nach ihrer Begehungsweise oder wegen des Umfangs des durch sie verursachten Schadens geeignet sind, die wirtschaftliche Ordnung erheblich zu stören oder das Vertrauen der Allgemeinheit auf die Redlichkeit des geschäftlichen Verkehrs oder auf die ordnungsgemäße Arbeit der Behörden und der öffentlichen Einrichtungen erheblich zu erschüttern, …“. Schließlich erlaubt lit c) die Offenbarung, wenn diese erforderlich ist zur Richtigstellung in der Öffentlichkeit verbreiteter unwahrer Tatsachen. Entscheidende Bedeutung kommt zunächst der Frage zu, wann von einem solchen 378 gravierenden Wirtschaftsdelikt gesprochen werden kann. In der Kommentarliteratur ist schon umstritten, wie man den Begriff der Wirtschaftsstraftaten definieren soll. Vorgeschlagen wird zT eine Anlehnung an § 74c GVG.1004 Damit gehören die Bankrottdelikte zu den „Wirtschaftsstraftaten“ (§ 74c Abs 1 Nr 5 GVG). Man wird darüber hinaus auch solche Fälle des Betrugs usw erfassen müssen, bei denen entgegen § 74c Abs 1 Nr 6 GVG zur Beurteilung des Falles keine besonderen Kenntnisse des Wirtschaftslebens erforderlich sind. Es ist nicht einzusehen, warum ein relativ einfach gelagerter Betrug mit einem erheblichen volkswirtschaftlichen Schaden nicht für Zwecke des § 30 Abs 4 Nr 5b AO als „Wirtschaftsstraftat“ angesehen werden soll, wenn die Tat zumindest im Wirtschaftsleben begangen worden ist und das vorausgesetzte Quantum Schaden erreicht. Die Wirtschaftsstraftat muss zu einem erheblichen Schaden geführt haben. Der Um379 fang ist nach dem konkreten Fall zu bestimmen.1005 Überdies muss diese Tat entweder ge-

_____ 1002 1003 1004 1005

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T/K/Drüen Rn 115 zu § 30 AO. Vgl aber BMF DStR 1981, 319. Vgl T/K/Drüen Rn 125 zu § 30 AO. T/K/Drüen Rn 130 zu § 30 AO.

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eignet sein, die wirtschaftliche Ordnung erheblich zu stören oder aber das Vertrauen der Allgemeinheit auf die Redlichkeit des geschäftlichen Verkehrs usw zu erschüttern. Judikatur zu dieser Frage existiert praktisch nicht. Den wenigen Entscheidungen ist zu entnehmen, dass ganz erhebliche Anforderungen zu stellen sind.1006 So genügt eine Tat nach § 82 Abs 1 Nr 1 GmbHG regelmäßig nicht.1007 In einem Betrugsfall zum Nachteil der Bundeswehr hatte der 3. Zivilsenat noch zu § 22 RAO eine zulässige Durchbrechung angenommen.1008 Die wirtschaftliche Ordnung erheblich stören können nur Wirtschaftsstraftaten, die zu einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gefüges führen. Es muss sich also um Bankenzusammenbrüche und Großinsolvenzen kriminellen Charakters mit Auswirkung auf eine Vielzahl von Anlegern, Zulieferbetrieben usw handeln.1009 Das Vertrauen der Allgemeinheit in die Richtigkeit des wirtschaftlichen Verkehrs können insbes solche Straftaten erschüttern, die sich gegen das UWG oder gegen Rechnungslegungsvorschriften des Aktiengesetzes und der anderen in § 74c Abs 1 Nr 1 GVG genannten Gesetze wenden.1010 Dabei genügt nicht jede Enttäuschung der Erwartung, Geschäftsverkehr sei mehr oder minder redlich; die Tat muss geeignet sein, dieses Vertrauen der Allgemeinheit erheblich zu erschüttern. Damit erlaubt § 30 Abs 4 Nr 5b AO in der Regel die Informationsweitergabe an die Staatsanwaltschaft nur, wenn es um gravierende Insolvenzdelikte („Großkonkurse“) geht. Wenn demgegenüber die Finanzverwaltung in AEAO zu § 30 Tz 8.11 die Auffassung vertritt, bei Erkenntnissen zu Insolvenzstraftaten sei das Steuergeheimnis durchweg zu vernachlässigen, widerspricht dies dem Wortlaut des Gesetzes und ist rechtswidrig.1011 Auch in diesen Fällen bedarf § 393 Abs 2 AO der Beachtung. Nach § 393 Abs 1 AO richten sich die Rechte und Pflichten des Steuerpflichtigen bzw des Beschuldigten im Besteuerungsverfahren und im Strafverfahren nach den für das jeweilige Verfahren geltenden Vorschriften. § 393 Abs 2 S 1 AO statuiert ein Verwertungsverbot für Tatsachen oder Beweismittel, die der Staatsanwaltschaft (oder dem Gericht) aus den Steuerakten bekannt werden, wenn und soweit der Steuerpflichtige der Finanzbehörde vor Einleitung des Strafverfahrens oder in Unkenntnis der Einleitung diese Beweismittel oder Tatsachen in Erfüllung steuerrechtlicher Pflichten offenbart hat. Eine Ausnahme macht dann § 393 Abs 2 S 2 AO: „Dies gilt nicht für Straftaten, an deren Verfolgung ein zwingendes öffentliches Interesse (§ 30 Abs 4 Nr 5) besteht.“ Dabei besteht überwiegend Einvernehmen, dass gegen § 393 Abs 2 S 2 AO erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken bestehen.1012 Die Vorschrift verstößt gegen das nemotenetur-Prinzip und ist daher verfassungswidrig.1013 Eine verfassungskonforme Auslegung scheidet aus.1014 Eine Durchbrechung des Steuergeheimnisses ist in diesen Fällen unzulässig.

_____ 1006 BGH (Z) NJW 1982, 1648; OLG Stuttgart wistra 1986, 191. 1007 OLG Stuttgart wistra 1986, 191, 192. 1008 BGH (Z) NJW 1982, 1648. 1009 S/S/Perron Rn 30 zu § 355 StGB; T/K/Drüen Rn 127 zu § 30 AO; Schwarz/Schwarz Rn 49 zu § 30 AO; zT anders LK/Schäfer 10. Aufl. Rn 66 zu § 355 StGB; vgl auch Müller ZRP 1970, 110, 111; Schulz ZRP 1976, 76; Heinz GA 1977, 193, 199 ff. 1010 T/K/Drüen Rn 128 zu § 30 AO. 1011 MK/Schmitz § 355 StGB Rn 79. 1012 Vgl HHSp/Hellmann Rn 180 zu § 393; J/J/R/Joecks Rn 97 ff zu § 393; Kohlmann/Hilgers-Klautzsch Rn 242 zu § 393 AO; Reiß S 234 f; Reiß NJW 1977, 1436, 1437 f; SK/Rogall Rn 163 zu vor § 133 StPO; aM Meine wistra 1985, 186; Rüster S 90 ff; dies wistra 1988, 49, 52; Koch/Scholtz/Scheurmann-Kettner Rn 23 zu § 393. 1013 HHSp/Hellmann Rn 181 zu § 393 AO; J/J/R/Joecks Rn 100 zu § 393 AO. 1014 HHSp/Hellmann Rn 182 zu § 393 AO; J/J/R/Joecks Rn 100 zu § 393 AO.

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Eine andere Frage ist, wann der Steuerpflichtige Tatsachen oder Beweismittel „in Erfüllung steuerrechtlicher Pflichten“ offenbart hat. Jedenfalls sind solche Informationen erfasst, die der grundrechtlich Betroffene aufgrund einer erzwingbaren Mitwirkungspflicht mitgeteilt hat.1015 Dabei ist gleichgültig, von wem der Anstoß zur Mitwirkung ausgegangen ist, ob also der Steuerpflichtige von sich aus oder auf Aufforderung der Finanzbehörde hin die Tatsachen oder Beweismittel mitgeteilt hat.1016 Nicht erfasst sind daher freiwillige Angaben des Steuerpflichtigen, zB Anträge auf 385 Steuererstattung oder -vergütung oder die freiwillige Vorlage von Unterlagen.1017 Umstritten ist, ob der Steuerpflichtige auch dann in Erfüllung steuerrechtlicher Pflichten handeln kann, wenn er wahrheitswidrige Angaben macht. So hatte das BayObLG mehrfach Fälle zu beurteilen, in denen Steuerpflichtige zur Erreichung einer Reduzierung der Steuerlast verfälschte Rechnungen vorlegten, mit deren Hilfe sie die Abzugsfähigkeit von Aufwendungen als Werbungskosten (oder Betriebsausgaben) erreichen wollten. Wer die Urkunden verfälscht hat, war nicht aufklärbar; im Hinblick auf das Gebrauchen der unechten Urkunde verneinte das BayObLG eine Verwertbarkeit vor dem Hintergrund des § 393 Abs 2 S 1 AO.1018 Diese Auffassung ist jedoch abzulehnen. Wer eine unechte Urkunde zur Absicherung seiner Täuschung im Besteuerungsverfahren vorlegt, handelt bei Gelegenheit der Erfüllung steuerlicher Pflichten, nicht jedoch „in Erfüllung“ solcher.1019 Zwischenzeitlich hat auch der BGH klargestellt, dass er der Rechtsauffassung des BayObLG nicht zu folgen vermag.1020 § 393 Abs 2 S 1 AO schützt nur (aber immerhin) denjenigen, der bei wahrheitsgemäßer Erfüllung steuerlicher Pflichten sich einer Nichtsteuerstraftat bezichtigt, nicht jedoch denjenigen, der mittels einer unechten Urkunde die Finanzbehörde zu täuschen versucht.1021 Soweit der Beschuldigte in Erfüllung steuerrechtlicher Pflichten Tatsachen oder Be386 weismittel mitgeteilt hat, dürfen Staatsanwaltschaft und Gericht auf die Steuerakten nicht zurückgreifen. Dabei ist nach hM der Begriff der „Steuerakten“ eng auszulegen. Erfasst sein sollen nur die Akten der Finanzbehörde über das Besteuerungsverfahren (einschließlich des Rechtsbehelfsverfahrens) und die Akten des Finanzgerichts, nicht dagegen die Steuerstrafakten.1022 Insbes sollen die Steuerstrafakten ausgeschlossen sein, die von der Finanzbehörde in ihrer Eigenschaft als Verfolgungsbehörde zu führen sind.1023 Daran ist richtig, dass auf die Steuerstrafakten zugegriffen werden kann, wenn und soweit die Voraussetzungen der Offenbarung „in Erfüllung steuerrechtlicher Pflichten“ nicht erfüllt sind. Sollten sich aber Ablichtungen der Steuerakte in der Steuerstrafakte befinden – was oftmals der Fall ist –, greift auch insoweit das Verwertungsverbot des § 393 Abs 2 S 1 AO. Entscheidend ist nicht, wo sich der Nachweis befindet, sondern ob die Steuerakte die „Quelle der Erkenntnis“ war.1024 Überdies wird man solche aus der Steuerakte herrührenden Tatsachen oder Beweismittel dem Verwertungsverbot des § 393

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_____ 1015 Klein/Jäger Rn 12 zu § 393 AO; HHSp/Hellmann Rn 137 zu § 393 AO. 1016 Hellmann aaO. 1017 Besson S 158 f; Kohlmann/Hilgers-Klautzsch Rn 199 zu § 393 AO; HHSp/Hellmann Rn 139 zu § 393 AO. 1018 Vgl BayObLG NJW 1997, 600; wistra 1998, 117, 118. 1019 Vgl Jarke wistra 1997, 325, 327; Joecks wistra 1998, 86, 88 ff; Maier wistra 1997, 53, 54; HHSp/ Hellmann Rn 138 zu § 393 AO. 1020 BGH wistra 1999, 341; 2003, 429. 1021 J/J/R/Joecks Rn 74 zu § 393 AO. 1022 Kohlmann/Hilgers-Klautzsch Rn 214 zu § 393 AO; R/K/Roth Rn 144 zu § 393 AO; Hadamitzky/Senge Rn 8 zu § 393 AO. 1023 Brenner StBp 1975, 277. 1024 Schwarz/Dumke Rn 55 zu § 393 AO.

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Abs 2 S 1 AO unterfallen lassen müssen, die der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht auf sonstige Weise unter Verletzung des Steuergeheimnisses von der Finanzbehörde oder einem ihrer Amtsträger mitgeteilt werden.1025 Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass im Hinblick auf Nicht-Steuerstraftaten wegen des Steuergeheimnisses Auskünfte durch die Finanzbehörde regelmäßig nicht erteilt werden dürfen. Dies gilt namentlich für solche Tatsachen oder Beweismittel, die der Steuerpflichtige in Erfüllung steuerrechtlicher Pflichten offenbart hat. In den anderen Fällen ist eine Offenbarung zulässig, wenn es sich um gravierende Wirtschaftsstraftaten handelt, deretwegen um die Auskunft nachgesucht wird. Die Auffassung der Finanzverwaltung, Erkenntnisse zu Insolvenzstraftaten iSd §§ 283 bis 283c StGB oder zu Insolvenzverschleppungsstraftaten (§ 15a InsO) sei durchweg zulässig, ist rechtswidrig.

cc) Grenzen der Verwertbarkeit Soweit für das Steuerstrafverfahren bedeutsame Tatsachen oder Beweismittel gleichzei- 387 tig Relevanz für die Verfolgung von Nicht-Steuerstraftaten haben, stellt sich die Frage nach den Grenzen der Verwertbarkeit. Wer eine Steuerhinterziehung unter Verwendung verfälschter oder gefälschter Urkunden begeht, sich also tateinheitlich wegen Steuerhinterziehung und Urkundenfälschung strafbar macht, wird durch das Steuergeheimnis insofern nicht geschützt, als die Verwendung der unechten Urkunde regelmäßig nicht „in Erfüllung steuerrechtlicher Pflichten“ erfolgt. Wer mit der Steuerhinterziehung eine unrichtige Bilanz vorlegt, mag auf der Grundlage des entspr Beweismittels wegen Steuerhinterziehung verurteilt werden. Die Bilanz kann dann auch wegen der Verfolgung anderer Straftaten, etwa eines Insolvenzdelikts, herangezogen werden, da das Machen unrichtiger Angaben niemals „in Erfüllung steuerrechtlicher Pflichten“ erfolgt. Liegt aber eine korrekte Bilanz nur (noch) als Teil der Steuerakte vor, ist diese selbst dann nicht verwertbar, wenn Steuerstraf- und Insolvenzstrafverfahren im selben Verfahren verhandelt werden.1026

c) Gesamtergebnis Als Gesamtergebnis ist festzuhalten: Eine Informationsbeschaffung aus den Quellen der 388 Finanzbehörde wird regelmäßig durch das Steuergeheimnis erschwert oder gar unmöglich gemacht. Dies ist von Verfassungs wegen vorgegeben, wenn und soweit die Tatsachen oder Beweismittel vom Steuerpflichtigen in Erfüllung steuerrechtlicher Pflichten offenbart worden sind. Soweit es um Erkenntnisse geht, die zugleich für das Steuerstrafverfahren von Bedeutung sind, können die entspr Tatsachen oder Beweismittel regelmäßig auch für die Verfolgung anderer Straftaten, etwa von Insolvenzdelikten, genutzt werden. In allen anderen Fällen kommt es darauf an, ob es um die Informationsbeschaffung für die Verfolgung gravierender Wirtschaftsstraftaten iSd § 30 Abs 4 Nr 5b AO geht.

_____ 1025 HHSp/Hellmann Rn 155 zu § 393 AO; Kühn/v Wedelstädr/Blesinge Rn 7 zu § 393; J/J/R/Joecks Rn 84 zu § 393 AO; Müller DStR 1986, 702. 1026 Vgl auch OLG Stuttgart wistra 1986, 191.

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2. Arbeits- und Zollverwaltung Schulze 389 Das Arbeitsmarktstrafrecht ist heute ein wesentlicher Aufgabenbereich der Wirtschaftsabteilungen der Staatsanwaltschaften. Die in der Schattenwirtschaft der Schwarzarbeit erwirtschafteten Umsätze schädigen die Sozialsysteme in immensen Größenordnungen. Ein besonderer Anreiz für Schwarzarbeit besteht dabei in der geringen Ahndungswahrscheinlichkeit. Nur ein weitgehender Datenabgleich und -austausch gewährleistet eine effektive Ermittlungstätigkeit. Dies ist in Einklang zu bringen mit den Erfordernissen des Sozialdatenschutzes. a) Allgemeine Regelungen des Sozialdatenschutzes 390 Das System der sozialen Sicherung bedingt die fortwährende Sammlung einer Vielzahl

personenbezogener Daten zur Entscheidung über die Gewährung verschiedener Leistungen. Die zur Sammlung und Speicherung von Daten eingesetzten elektronischen Datenverarbeitungssysteme haben es – als Konsequenz der Anerkennung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung – notwendig werden lassen, den Schutz dieser Daten durch die Leistungsträger zu gewährleisten und eine weitgehende Pflicht zur Geheimhaltung zu normieren. Dem Schutz der sozialen Geheimnisse dienen § 35 SGB I und die Vorschriften des zweiten Kapitels SGB X, welche die Erhebung, die Verarbeitung und Nutzung von Sozialdaten regeln. Gemäß § 35 Abs 3 SGB I besteht, soweit eine Datenübermittlung nicht zulässig ist, keine Auskunftspflicht, keine Zeugnispflicht und keine Pflicht zur Vorlegung oder Auslieferung von Schriftstücken, Akten und Dateien. Ohne Pflicht zur Auskunft besteht aber auch kein Recht zur Erteilung. Dieser Schutz gilt für alle personenbezogene Daten bzw Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse unabhängig davon, auf welche Weise diese Daten den Leistungsträgern oder ihnen gleichgestellten Stellen bekannt geworden sind. 391 Diese Verpflichtung der Leistungsträger zum Geheimnisschutz unterscheidet sich in ihrer Ausgestaltung stark von der durch § 203 StGB strafbewehrten Schweigeverpflichtung, die nur dann besteht, wenn dem Schweigepflichtigen in seiner Eigenschaft als Angehöriger einer der besonders verpflichteten Berufsgruppen ein Geheimnis anvertraut oder sonst bekannt geworden ist. Nach § 161 StPO kann die Staatsanwaltschaft im Rahmen eines Ermittlungsverfah392 rens von allen öffentlichen Behörden Auskunft verlangen. Dieses Auskunftsrecht der Staatsanwaltschaft ist durch § 35 SGB I in Bezug auf die Leistungsträger eingeschränkt. Zur Erfüllung von Aufgaben der Strafverfolgungsbehörden regelt § 68 Abs 1 SGB X die Datenübermittlung im Wege der Amtshilfe. Danach ist es im Einzelfall auf Ersuchen zulässig, Name, Vorname, Geburtsdatum, Geburtsort, derzeitige Anschrift des Betroffenen, seinen derzeitigen oder künftigen Aufenthalt, sowie Namen und Anschriften seiner derzeitigen Arbeitgeber zu übermitteln, soweit kein Grund zur Annahme besteht, dass dadurch schutzwürdige Interessen des Betroffenen beeinträchtigt werden und wenn das Ersuchen nicht länger als sechs Monate zurückliegt. Amtshilfe wird immer im Einzelfall geleistet, daher ist es unzulässig, Sozialdaten von Personengruppen zB im Rahmen von Fahndungsmaßnahmen zu übermitteln. Weiterhin dürfen Auskünfte, die zur Verfolgung einer Beitragsvorenthaltung nach § 266a Abs 1 StGB erfordert werden, ohne richterlichen Beschluss erteilt werden, § 69 I Nr 2 SGB X. Darüber hinausgehend regelt § 73 SGB X speziell die Übermittlung von Daten für die 393 Durchführung eines Strafverfahrens. Eine Übermittlung von Sozialdaten ist nach Abs 1 grundsätzlich zulässig, soweit sie zu Durchführung eines Strafverfahrens wegen eines Verbrechens oder wegen einer sonstigen Straftat von erheblicher Bedeutung erforderlich

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ist. Unter die letzteren fallen nach den Gesetzesmaterialien auch Vergehen, wenn sie in besonders gravierendem Maße und mit weitreichenden Folgen die Rechtssphäre des Opfers verletzen oder erhebliche volkswirtschaftliche Schäden verursachen. Eingeschränkt ist die Übermittlungsbefugnis zur Aufklärung von Vergehen gemäß Abs 2 der Vorschrift. Übermittelt werden dürfen dann nur Vor- und Familienname, früher geführte Namen, Geburtsdatum, Geburtsort, derzeitige und frühere Anschriften des Betroffenen sowie Namen und Anschrift seiner derzeitigen und früheren Arbeitgeber, sowie demnächst zu erbringende Geldleistungen. Bei jeder Übermittlung ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Erforderlich ist nach § 73 Abs 3 SGB X eine richterliche Anordnung, der die ersuchte 394 Stelle ohne eigene Prüfungsmöglichkeit Folge zu leisten hat. Eine staatsanwaltschaftliche Anordnungsbefugnis besteht nicht. Bei Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Übermittlungsanordnung steht dem Leistungsträger die Überprüfung im Beschwerdewege offen. § 73 Abs 1 und Abs 3 gehen bezüglich der Erlangung von Sozialdaten den allgemeinen strafprozessualen Vorschriften vor.

b) Regelungen des Gesetzes zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung (SchwarzArbG) aa) Allgemeines Die Krise im Unternehmen geht regelmäßig mit „Einsparüberlegungen“ des Unternehmers insb bzgl der „lästigen“ Sozialversicherungsbeiträge einher. Hinzu kommen Modelle der Beschäftigung „Scheinselbstständiger“ und des Sozialleistungsmißbrauchs durch geringfügig Beschäftigte. Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung (SchwarzArbG) ist dieser praktisch bedeutsame Teilbereich des (auch Insolvenz-)Strafrechtes (neu) geregelt. Hinsichtlich der Prüf- und Ermittlungstätigkeit besteht heute eine Schwerpunktbildung bei den Zollbehörden. Mit der Novelle des SchwarzArbG vom 1.8.20041027 wurde als neue Verfolgungsbehörde eine Bundespolizeieinheit, die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS), die aus Zollbeamten und aus Mitarbeitern der Arbeitsinspektion der Bundesagentur für Arbeit aufgebaut wurde, geschaffen. Durch die Einrichtung einer eigenen Ermittlungs- und Verfolgungsbehörde auf dem Gebiet des Arbeitsmarktstrafrechts wurde der Verfolgungsdruck durch Effektivierung und Spezialisierung der Ermittlungsbehörde wesentlich erhöht. Zuständig als Behörden der Zollverwaltung sind die Hauptzollämter mit den Sachgebieten E für die Bekämpfung der Schwarzarbeit und der illegalen Erwerbstätigkeit. Die Prüfungszuständigkeit bei der Erfüllung steuerlicher Pflichten obliegt weiter in erster Linie den Landesfinanzbehörden. Den Zollbehörden steht insoweit nach § 2 Abs 1 S 2 lediglich ein Mitwirkungsrecht und eine Mitteilungspflicht zu. Mit dem Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie vom 11. August 2014 1028 ist der Aufgaben- und Prüfbereich der Zollbehörden faktisch noch vergrößert worden. Kern des Gesetzes ist das in Artikel 1 verankerte Mindestlohngesetz, durch das ein allgemeiner Mindestlohn eingeführt wird. Damit wird die Tarifautonomie dahingehend eingeschränkt, dass es den Tarifparteien untersagt wird, Tariflöhne unterhalb des Mindestlohnes zu vereinbaren.

_____ 1027 BGBl I 1842. 1028 BGBl I 1355.

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bb) Befugnisse der Zollverwaltung 399 Die Behörden der Zollverwaltung prüfen nach § 2 Abs 1 SchwarzArbG:



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die Einhaltung der sozialversicherungsrechtlichen Meldepflichten des Arbeitgebers nach § 28a Sozialgesetzbuch IV (SGB IV). Verstöße gegen diese Melde- und Aufzeichnungspflichten stehen erfahrungsgemäß im Zusammenhang mit einer vom Arbeitgeber beabsichtigten gemäß § 266a StGB strafbaren Verkürzung von Sozialversicherungsbeiträgen. ob die (zwingenden) Arbeitsbedingungen nach Maßgabe des Mindestlohngesetzes, des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes und des § 10 Absatz 5 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes eingehalten werden oder wurden im Zusammenhang mit Dienst- und Werkleistungen den Missbrauch von Leistungen nach den Sozialgesetzbüchern II und III sowie dem Altersteilzeitgesetz. In die Prüfungen sind auch die neuen Leistungen nach dem SGB II (Arbeitslosengeld II) einbezogen. die Bescheinigung der Angaben des Arbeitgebers im Zusammenhang mit Leistungen nach dem SGB III. Es sind hier Prüfpflichten auf der Grundlage der zuvor geltenden §§ 304  ff SGB III übernommen. Solche Leistungsbescheinigungen sind die Arbeitsbescheinigung nach § 312 SGB III, die Nebeneinkommensbescheinigung nach § 313 SGB III sowie die Insolvenzgeldbescheinigung nach § 314 SGB III. ob Arbeitgeber bestimmter Branchen den Tag des Beginns des Beschäftigungsverhältnisses spätestens bei dessen Aufnahme an die Datenstelle der Deutschen Rentenversicherung gemeldet haben, sogenannte Sofortmeldung. ob bei ausländischen Arbeitnehmern die erforderlichen Arbeitsgenehmigungen bzw Aufenthaltstitel vorliegen Diese Prüfungspflichten sind aus dem SGB III in die §§ 10 und 11 übernommen, wie auch bisherigen Straftatbestände der §§ 406 und 407 SGB III, deren Gegenstand jeweils illegale Ausländerbeschäftigung war und auf den zu Grunde liegenden Ordnungswidrigkeiten-Tatbeständen des § 404 Abs 2 Nr 3 u 4 SGB III beruhten. Änderungen ergaben sich jedoch insbesondere in § 11. Dieser Straftatbestand erfasst nach dem ÄndG vom 19.8.20071029 jetzt auch illegale selbstständige Tätigkeit. die Einhaltung der steuerlichen Pflichten.

Bereits aus dieser Aufzählung ergibt sich, dass wesentliche Bereiche der Prüfaufgaben der FKS nicht als Schwarzarbeit definiert sind.1030 Die Beschäftigten der Hauptzollämter führen in Wahrnehmung ihrer Aufgaben an400 lassbezogene und verdachtsunabhängige Prüfungen durch. Die Prüfungen können auch vergangene Zeiträume umfassen. Eine Prüfungsverfügung der FKS muss grundsätzlich nicht schriftlich erlassen werden und bedarf keiner vorherigen schriftlichen Ankündigung. Die Behörden der Zollverwaltung haben bei der Verfolgung von Straftaten und Ord401 nungswidrigkeiten – die mit einer der in § 2 Abs 1 SchwarzArbG genannten Prüfgegenstände unmittelbar zusammenhängen – die gleichen Befugnisse wie die Polizeivollzugsbehörden nach der Strafprozessordnung und dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten. Ihre Beamten sind insoweit Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft (§ 14 Abs 1 SchwarzArbG).

_____ 1029 BGBl I 1970. 1030 Vgl Büttner wistra 2006, 251.

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Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Auftraggeber und Dritte, die bei einer Prüfung nach § 2 402 Abs 1 SchwarzArbG angetroffen werden, sowie Entleiher, die bei einer Prüfung nach § 2 Abs 1 Nr 5 SchwarzArbG angetroffen werden, sind gesetzlich verpflichtet, diese Prüfungen zu dulden und an diesen aktiv mitzuwirken, §§ 3–5 SchwarzArbG. Sie müssen dabei insbesondere – das Betreten der Grundstücke und der Geschäftsräume, beispielsweise die des Arbeitgebers während der Geschäftszeit, dulden, – die erforderlichen Auskünfte erteilen und – Unterlagen, zB Arbeitsverträge, Lohnabrechnungen, Meldeunterlagen, Nachweis über gezahlte Löhne und Arbeitszeitaufzeichnungen sowie andere Geschäftsunterlagen, aus denen Umfang, Art und Dauer von Beschäftigungsverhältnissen abgeleitet werden können, zur Einsichtnahme vorlegen. Diese Mitwirkungsverpflichtung, ähnlich der im Besteuerungsverfahren, bedingt prozessual, dass bei bestehendem Anfangsverdacht für eine Straftat bspw nach § 266a StGB vor Prüfungsbeginn die erhobenen Beweismittel regelmäßig einem Verwertungsverbot unterliegen dürften. So ist bei einem Anfangsverdacht nach § 266a StGB durch Mitteilungen oder Strafanzeigen von Arbeitnehmern grds ein Ermittlungsverfahren einzuleiten und ggfs eine Durchsuchungsmaßnahme zu beantragen. Eine „verdachtsunabhängige“ Prüfung nach § 2 SchwarzArbG scheidet schon begrifflich aus. Ergibt sich hingegen erst im Rahmen einer Prüfung gem. § 2 Abs 1 SchwarzArbG der Verdacht einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit, hat die Zollverwaltung die Befugnisse der Finanzbehörde nach § 402 Abs 1 AO. Diese Befugnisse können auch von Angestellten wahrgenommen werden, die die in § 14 Abs 1 S 3 SchwarzArbG genannten Voraussetzungen erfüllen. Nach Durchführung der unaufschiebbaren Maßnahmen ist die Sache an die zuständige Landesfinanzbehörde zur Durchführung des Besteuerungsund abschließenden Steuerstrafverfahrens oder Ordnungswidrigkeitenverfahrens abzugeben (§ 14 Abs 2 S 2 SchwarzArbG). Damit treffen die Behörden die strafprozessualen Pflichten der §§ 136, 136a, 52, 53, 55 StPO. Ein Recht zum Betreten von (ausschließlichem) Wohnraum besteht aufgrund des grundgesetzlich geschützten Bereichs der Wohnung (Art 13 Grundgesetz) nicht, auch wenn er teilweise geschäftlich genutzt wird. Dies ist nur mit Einverständnis des Wohnrechtsinhabers zulässig. Arbeitgeber und Auftraggeber haben zur Durchführung einer Geschäftsunterlagenprüfung – sofern vorhanden – geeignete Räumlichkeiten unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. Stehen geeignete Räumlichkeiten nicht zur Verfügung und ist ansonsten eine Prüfung vor Ort nicht möglich, kann der Arbeitgeber/Auftraggeber verpflichtet werden, die Unterlagen an Amtsstelle vorzulegen. In Datenverarbeitungsanlagen gespeicherte Daten haben der Arbeitgeber/Auftraggeber auszusondern und der Finanzkontrolle Schwarzarbeit auf Verlangen auf automatisiert verarbeitbaren Datenträgern oder in Listen zu übermitteln. Die vorgenannten Ausführungen zu den Duldungs- bzw Mitwirkungspflichten und zum Verwaltungszwang gelten gleichermaßen auch für Prüfungen nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz, § 17 AEntG. Die Behörden der Zollverwaltung unterliegen bei ihrer Aufgabenwahrnehmung dem Sozialgeheimnis nach § 35 SGB I. Für sie gelten die oben dargestellten Sozialdatenschutzregelungen des SGB X. anhängen

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166 | 1. Kapitel: Informationsbeschaffung

§ 2 Die Buchhaltung als wesentliche Informationsquelle Reck § 2 Die Buchhaltung als wesentliche Informationsquelle I. Informationsquelle betriebliches Rechnungswesen 1. Die Buchführung als Teil des betrieblichen Rechnungswesens 1 Das betriebliche Rechnungswesen ist ein zentraler Bestandteil des Informationssystems

eines Unternehmens. Es bildet dabei die innerbetrieblichen Leistungsbeziehungen und die Leistungsbeziehungen zu der Umwelt ab.1 Unter dem betrieblichen Rechnungswesen versteht man daher nach Bieg in Anlehnung an Wöhe letztlich alle Verfahren, mit denen die im Betrieb auftretenden Geld- und Leistungsströme mengen- und wertmäßig erfasst und das so ermittelte Zahlenmaterial aufbereitet und weiterverarbeitet werden. Die Buchführung ist dabei ein Bestandteil des Rechnungswesens des Unternehmens.2 2 Das betriebliche Rechnungswesen hat sowohl die Informationsbedürfnisse der internen Adressaten (insbes des Managements) als auch die Informationsbedürfnisse der externen Adressaten (zB Aktionäre, Gläubiger, Arbeitnehmer, Finanzbehörden und Banken) zu befriedigen.3 Insofern können die nachstehenden Bereiche unterschieden werden.4 3 Tafel 1: Teilbereiche des betrieblichen Rechnungswesens Teilbereiche

Inhalt

Perspektive

Adressat

1. Finanzbuchführung und Bilanz (Finanzbuchhaltung)

Inventar, Buchführung, Jahresabschluss, Sonder-oder Zwischenbilanzen

Zeitabschnittsrechnung

Externe, daher auch bezeichnet als externes Rechnungswesen

2. Kostenrechnung

Betriebskostenrechnung, Selbstkostenrechnung, kurzfristige Erfolgsrechnung

Kalkulation

Interne, daher Bestandteil des internen Rechnungswesens

3. Betriebswirtschaftliche Statistik und Vergleichsrechnung

zumeist kennzahlenorientierter Zeitvergleich, Soll-IstVergleich, Verfahrensvergleich

Vergleich und Kontrolle

Interne, daher Bestandteil des internen Rechnungswesens

4. Planungsrechnung

Planbilanz, Plan, Gewinn- und Verlustrechnung, Planliquiditätsrechnung

Vorausschaurechnung

Interne, daher Bestandteil des internen Rechnungswesens

4 Die Auswertungen der Teildisziplinen können im Falle der Insolvenz des Unternehmens

als Informationsquelle herangezogen werden. Im Hinblick auf die Analyse einer Unter-

_____ 1 Eisle, S 3. 2 Bieg, S 1. 3 IwS ist auch der Wirtschaftsstaatsanwalt ein Externer, der seine Informationsbedürfnisse mittels der Auswertung der Buchführung zu befriedigen versucht. 4 Vgl Wöhe, S 693.

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§ 2 Die Buchhaltung als wesentliche Informationsquelle | 167

nehmensinsolvenz und den damit einhergehenden Bankrott- und Betrugsdelikten etc kommt dabei dem Zahlenmaterial aus der Finanzbuchhaltung eine zentrale Bedeutung zu. Ferner bilden die Daten der Finanzbuchhaltung die Basis, um die rechnerische Überschuldung bzw die betriebswirtschaftliche Zahlungsunfähigkeit festzustellen. Auf die Betrachtung der Finanzbuchhaltung liegt im Weiteren daher der Focus. Auf Ausführungen zur Kosten- und Leistungsrechnung, der betriebswirtschaftlichen Statistik und der Planungsrechnung wird insofern verzichtet. Dies geschieht auch vor dem Hintergrund, dass diese Steuerungsinstrumente bei kleineren Kapitalgesellschaften, die immer wieder im Mittelpunkt der insolvenzstrafrechtlichen Ermittlungen stehen, schlichtweg nicht vorhanden sind. Die Auswertung der Finanzbuchhaltung kann darüber hinaus aber auch – dieser 5 Aspekt wird naturgemäß in der betriebswirtschaftlichen Literatur zur Finanzbuchführung vernachlässigt – eine wertvolle Quelle für die kriminalistische Analyse der Zahlungsunfähigkeit darstellen. So zeigt zB die Auswertung der Bankunterlagen als Teil der Buchführung an, wann es zu Scheckretouren kam, was als ein wesentliches Indiz der kriminalistischen Zahlungsunfähigkeit angesehen werden kann. Ferner können nur durch die Auswertung der Geschäftsunterlagen, die sich im Regelfall im Bereich der Finanzbuchführung befindet, Kenntnisse über Mahnungen etc gewonnen werden.5 Vor dem Hintergrund der Praxis sei ergänzend auch darauf hingewiesen, dass in 6 nicht allen Fällen, wenn nicht sogar im überwiegenden Teil der Fälle, alle Rechnungskreise auch tatsächlich geführt werden, da keine gesetzliche Verpflichtung besteht (dies betrifft vor allem die Bereiche 2–4 der obigen Tafel). Zudem wird bei krisenbefangenen Unternehmen zumeist im nicht-operativen Bereich gespart. Das Personal aus der Buchführung wird mithin entlassen bzw der Steuerberater erhält für seine Arbeit keine Vergütung mehr, sodass dieser die Arbeit bis zur weiteren Bezahlung einstellt. Dies führt dann dazu, dass die Buchführung des betroffenen Unternehmens nicht tagesaktuell ist bzw aufgrund von mangelnder Fachkompetenz fehlerhaft sein kann und in der Aussagekraft begrenzt.

2. Die zwei Arten der Buchführungspflicht Im Bereich der Finanzbuchführung – die wie schon im Vorstehenden angedeutet – nicht 7 nur eine wesentliche externe Informationsquelle ist, sondern auch für den Bereich des Insolvenzstrafrechtes und der hier zu ermittelnden Taten eine zentrale Rolle zukommt, unterscheidet man diejenige nach dem Handelsrecht und die Buchführung nach dem Steuerrecht, wobei die Finanzbuchführung gem Handelsrecht durch Nebenrechnungen iSd § 60 EStDV so überführt werden kann, dass sich das steuerliche Ergebnis ergibt. Die gesetzlichen Grundlagen für die Finanzbuchführung und den am Ende eines Wirtschaftsjahres aufzustellenden Jahresabschluss werden im nächsten Abschnitt dargestellt, wobei auch auf die strafrechtliche Relevanz der Daten eingegangen wird. Den Anfang der gesetzlichen Grundlagenbetrachtung soll dabei die handelsrechtliche Buchführungspflicht bilden.

_____ 5 Vgl iE zu der kriminalistischen Methode § 11 III 8. a) cc) (2).

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3. Handelsrechtliche Buchführungspflicht a) Allgemeine Bedingungen 8 Die handelsrechtliche Buchführungspflicht ist Voraussetzung, damit ein Straftatbestand iSd § 283 Abs 1 Nrn 5–7 StGB bzw des § 283b StGB verwirklicht werden kann, da die Nicht-Führung von Büchern bzw die vorzeitige Vernichtung der Bücher und die Bilanzmanipulation bzw die verspätete Aufstellung der Bilanz als Tatbestandsmerkmal die Buchführungspflicht lt HGB voraussetzt. Die Pflicht zur Führung der handelsrechtlichen Bücher, bzw wie die Bücher zu führen sind und deren Aufbewahrung für alle Kaufleute, regeln die Vorschriften des §§ 238 ff HGB. Die ergänzenden Vorschriften für die Aufstellung der Jahresabschlüsse und des Anhanges sowie des Lagebericht6 für Kapitalgesellschaften fixieren die §§ 264 ff HBG. Die ergänzenden Vorschriften für Kapitalgesellschaften gelten ferner für OHG und KG, wenn nicht mindestens ein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist oder eine OHG, KG oder andere Personengesellschaft mit einer natürlichen Person persönlich haftender Gesellschafter ist (§ 264a HGB). Ferner gilt es für den Konzernabschluss und Lagebericht die spezifischen Vorschriften der §§ 290 ff HGB zu beachten. Ergänzende Vorschriften für den Jahresabschluss, die Bilanz, den Anhang und den Lagebericht für Genossenschaften finden sich in den §§ 336 ff HGB. Gleiches gilt für die branchenspezifischen Regeln für Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen, §§ 340 ff HGB. 9 Werden auf der Basis anderer Gesetze – zB Steuerrecht – zu führende Bücher nicht ordnungsgemäß geführt, führt dies nicht etwa zur Straflosigkeit. Hier droht die Strafbarkeit auf der Basis anderer gesetzlicher Vorschriften. Hier ist insbes auf die Abschnitte zur Steuerhinterziehung gem §§ 369 ff AO hinzuweisen, es kann aber auch ein Kreditbetrug iSd § 265b StGB erfüllt werden bzw auch eine Urkundenfälschung ist in diesem Zusammenhang pönalisiert (§ 267 StGB).7

b) Der Kaufmannsbegriff als zentraler Bestandteil 10 Gem § 238 HGB ist jeder Kaufmann verpflichtet, Bücher zu führen und in diesen seine

Handelsgeschäfte und die Lage seines Vermögens nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung ersichtlich zu machen. Kaufmann ist gem § 1 Abs 1 HGB, wer ein Handelsgewerbe betreibt, insofern wird auch von dem Kaufmann kraft Betätigung gesprochen (früher: Ist – Kaufmann). In § 1 Abs 2 HGB findet sich dann die weitergehende Information, dass ein Handelsgewerbe vorliegt, wenn ein Gewerbebetrieb gegeben ist, es sei denn, dass das Unternehmen nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb nicht erfordert. Hierbei handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Die Auslegung des Begriffs fand in der Praxis statt.8 Die Situation war aber insgesamt aufgrund der Unbestimmtheit der Gesetzesnorm nicht befriedigend.

_____ 6 Die Bilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung als Kernbereiche der Finanzbuchhaltung beim Abschluss des Geschäftsjahres geben kaum Informationen über den zukünftigen Verlauf des Unternehmens bzw die Daten sind zum Teil sehr komprimiert wiedergegeben. Dieser Diskrepanz für einen externen Leser der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung hilft der Lagebericht (§§ 289–289a HGB) ab. Hier sind Informationen über die zukünftige Entwicklung des Unternehmens aufzunehmen. Im Anhang sind differenzierende und erläuternde Angaben zur Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung zu machen. Vgl Wöhe S 815. 7 In der Praxis ist dieses Delikt immer wieder im Zusammenhang mit der Steuerhinterziehung festzustellen. 8 Vgl zum Beispiel Reck Tz 444 ff mit einer Vielzahl von weiteren Verweisen.

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§ 2 Die Buchhaltung als wesentliche Informationsquelle | 169

Etwas mehr Rechtssicherheit wurde durch die neuen Vorschriften des BilMoG (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz) vom 29.5.2009 geschaffen. Diese sind verpflichtend für die Geschäftsjahre ab dem 1.1.2010 anzuwenden, können aber auch freiwillig schon in ihrer Gesamtheit dem Abschluss ab 2009 zugrunde gelegt werden. Ziel des BilMoG ist es, für die Unternehmen ein Bilanzrecht zu schaffen, das im Hinblick auf die internationale Rechnungslegung nach IFRS (International Financial Reporting Standards) eine gleichwertige, aber kostengünstige und praxisgerechte Alternative bietet.9 In § 241a HGB ist insofern eine Befreiung für Einzelkaufleute von der Buchführungspflicht vorgesehen, wenn sie an den Abschlussstichtagen von zwei aufeinander folgenden Geschäftsjahren nicht mehr als 600.000 € Umsatzerlöse und 60.000 €10 Jahresüberschuss aufweisen.11 Im Falle der Neugründung tritt die Befreiung bereits ein, wenn die Schwellenwerte des § 241a HGB am ersten Abschlussstichtag nach der Neugründung nicht überschritten werden. Hier ist dann eine Schätzung der Umsatzerlöse und des Jahresüberschusses des Geschäftsjahres erforderlich, um zu ermitteln, ob die Schwellenwerte eingehalten wurden.12 Es kann mithin konstatiert werden, dass für die Einzelunternehmen durch die Einführung des § 241a HGB Rechtssicherheit und Klarheit geschaffen wurde. Leider erfolgte dies nicht, wie zunächst vorgesehen, auch durch eine Einbeziehung der Personengesellschaften, wie zuerst im Referentenentwurf vorgesehen für diese Gesellschaften, sondern die Regierung will zunächst Erfahrungen sammeln, wie sich die Befreiung im Bereich der Einzelkaufleute auswirkt.13 Dennoch sollte nicht verkannt werden, dass der § 241a HGB sicherlich Referenzgrößen beinhaltet, die bei der Beurteilung, ob eine Personengesellschaft buchführungspflichtig ist, nicht zu vernachlässigen sein dürften. Darüber hinaus bestimmt § 2 HGB, dass ein Unternehmer – unabhängig von den Voraussetzungen des § 1 HGB – als Handelsgewerbe anzusehen ist, wenn er das Unternehmen im Handelsregister eingetragen hat. Insofern wird vom Kaufmann Kraft Eintragung gesprochen (früher Kann – Kaufmann). Die damit verbundene Buchführungspflicht beginnt mit der Eintragung in das Handelsregister und erlischt mit der Löschung des Unternehmens aus dem Register. Auch für die land- und forstwirtschaftlichen Unternehmen, die nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordern, gilt § 2 HGB iVm § 3 Abs 2 HGB. Ist danach ein solches Unternehmen im Handelsregister eingetragen, gilt es als Handelsgewerbe und ist damit auch buchführungspflichtig. Hierbei gilt es zu beachten, dass der Land- und Forstwirt mit dem eingerichteten Geschäftsbetrieb berechtigt, aber nicht verpflichtet ist, die Eintragung in das Handelsregister zu beantragen. Eine Eintragung als solches wirkt dann aber konstitutiv.14 § 5 HGB befasst sich im Weiteren noch mit den Fiktivkaufleuten. Demnach gilt, ist eine Firma im Handelsregister eingetragen, so kann gegenüber demjenigen, welcher sich

_____ 9 Vgl Vinken/Seewald/Korth/Dehler, S 4. 10 Bis zum 31.12.2015 betrugen die Werte 500.000,00 € Umsatz und 50.000,00 € Jahresüberschuss. 11 Die Befreiung tritt dabei aufgrund der Gesetzesnorm lt HGB automatisch ein und bedarf keines Verwaltungsaktes gemäß § 141 AO. Für die Befreiung von der steuerlichen Bilanzierung bedarf es eines Verwaltungsaktes. In diesem Zusammenhang entsteht ein Spannungsfeld. Es sind Fälle denkbar, bei denen die handelsrechtliche Buchführung entfallen ist und allein eine Einnahmen- und Ausgabenrechnung iSd § 4 Abs 3 EStG gefertigt wird, obwohl steuerlich noch Abschlüsse zu erstellen sind. Die Nichterstellung dieser Abschlüsse dürfte dabei mangels Verpflichtung gemäß HGB keinen Verstoß iSd § 283 Abs 1 Nr 7 StGB darstellen, können aber iSd §§ 369 AO ggf gewürdigt werden. 12 Vgl Vinken/Seewald/Korth/Dehler, S 37. 13 Vgl Vinken/Seewald/Korth/Dehler, S 35. 14 Vgl Baumbach/Hopt § 3 Tz 6 und 7.

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auf die Eintragung beruft, nicht geltend gemacht werden, dass das unter der Firma betriebene Gewerbe kein Handelsgewerbe sei. Mit dieser Vorschrift wird allein bewirkt, dass man auf die Eintragung im Register vertrauen darf. Sollte der Gewerbetreibende der Ansicht sein, dass er kein Kaufmann iSd HGB §§ 1–4 bzw § 6 ist, dann muss er die Löschung betreiben, damit ihn die buchhalterischen Obliegenheiten nicht mehr betreffen und eine Verletzung derselben aus der Sicht des StGB zu keinen strafrechtlichen Folgen mehr führt. § 6 HGB stellt klar, dass die Vorschriften der Kaufleute auch auf die Handelsgesellschaften anzuwenden sind. Demnach sind die OHG und die KG (§ 105 Abs 2 HGB bzw § 161 Abs 2 HGB) Kaufleute iSd HGB, wenn sie ein Gewerbe betreiben, das nach Art und Umfang einen kaufmännisch eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert. Insofern wird auf § 1 Abs 2 HGB iVm § 105 Abs 2 HGB bzw § 161 Abs 2 HGB verwiesen. In dieser Konstellation ist die Eintragung deklaratorisch. Sollte die Einrichtung eines kaufmännischen Betriebes nicht erforderlich sein bzw nur eigenes Vermögen verwaltet werden und wird die Gesellschaft im Register eingetragen, dann wirkt die Eintragung in das Register konstitutiv. Zu den Handelsgesellschaften Kraft Eintragung zählen alle Kapitalgesellschaften. Diese sind grundsätzlich buchführungspflichtig. Nicht buchführungspflichtig sind Innengesellschaften, denn das Vermögen des stillen Gesellschafters geht in das Vermögen des Inhabers des Handelsgeschäftes über, § 230 Abs 1 HGB. Der stille Gesellschafter hat dann im Weiteren spezifische Rechte. Insofern kann untechnisch von einem Darlehensverhältnis mit spezifischen Rechten geredet werden. Im Weiteren sei auch hervorgehoben, dass die Freiberufler (zB Ärzte, Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater), da sie keine Kaufleute iSd HGBs sind, nicht buchführungspflichtig gemäß HGB sind. Eine Buchführungspflicht entfällt deshalb aber nicht, insofern wird auf die Ausführungen zu den steuerlichen Obliegenheiten weiter unten explizit hingewiesen.

c) Besonderheiten der Kapitalgesellschaften 19 Die generellen Verpflichtungen, die für alle Kaufleute bzgl der Erstellung des Abschlus-

ses und der Bewertung gelten, sind in den §§ 242 ff HGB geregelt. Den Umfang der spezifischen Normen hier im Detail darzustellen, würde den Rahmen des Werkes sprengen, da es hier auch eine mehr als ausreichende Anzahl von Fachkommentaren gibt.15 Im Rahmen der hier vorzunehmenden Ausführungen wird der Focus auf die Darstellung der Grundzüge gelegt und deren Bedeutung für das Insolvenzstrafrecht (vgl insbes die Ausführungen in § 2 III 5). Für die buchführungspflichtigen Kapitalgesellschaften richtet sich der Umfang der 20 Buchführungspflicht zusätzlich nach den größenabhängigen Kriterien des § 267 HGB. Insofern werden große, mittlere und kleine Kapitalgesellschaften unterschieden. Da die Differenzierung der Größen immer wieder bedeutsam ist, sind die Klassen nachstehend abgebildet. Die Zugehörigkeit zu einer der drei Klassen bestimmt sich dabei danach, ob die Gesellschaft an zwei aufeinanderfolgenden Abschlussstichtagen mindestens zwei der drei nachstehenden Grenzwerte der Tafel 2 erfüllt.16

_____ 15 Exemplarisch seien hier das WP Handbuch, der Bilanzkommentar von Beck bzw der Kommentar von Coenenberg/Halter/Schultze aufgeführt. 16 Ferner gibt es noch die Kleinstkapitalgesellschaft (§ 276a HGB). Diese ist gegeben, wenn zwei der drei nachstehenden Merkmale nicht überschritten werden: Bilanzsumme 350.000,00 €; Umsatzerlöse 700.000,00 €; im Jahresdurchschnitt zehn Arbeitnehmer (gilt ab dem 28.12.2012).

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§ 2 Die Buchhaltung als wesentliche Informationsquelle | 171

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Tafel 2: Größenkriterien bei Kapitalgesellschaften Kriterien Kapitalgesellschaft

Bilanzsumme in Mio. EUR

Umsatz in Mio. EUR

Arbeitnehmer

Kleine

≤ 4,84

≤ 9,68

≤< 50

Mittlere

≤< 19,25

≤< 38,5

≤< 250

Große

>19,25

>38,5

> 250

Tafel 2a: Neue Größenkriterien bei Kapitalgesellschaften durch das BilRUG17 Kriterien Kapitalgesellschaft

Bilanzsumme in Mio. EUR

Umsatz in Mio. EUR

Arbeitnehmer

Kleine

≤< 6,00

≤< 12,00

≤< 50

Mittlere

≤< 20,00

≤< 40,00

≤< 250

Große

> 20,00

> 40,00

> 250

Ein wesentlicher Unterschied zur Buchführung bei den Personengesellschaften und 22 Einzelkaufleuten ist das Kapitalkonto bei den Kapitalgesellschaften. Bei einer Personengesellschaft ist für jeden Gesellschafter mindestens ein Kapitalkonto zu führen. Die Kapitalgesellschaft hat im Gegensatz hierzu nur ein Kapitalkonto, welches sich in verschiedene Unterkonten aufteilt. Das Eigenkapital der Kapitalgesellschaft ist nach § 266 Abs 3 HGB wie folgt zu glie- 23 dern. I. Gezeichnetes Kapital II. Kapitalrücklage III. Gewinnrücklage18 IV. Gewinnvortrag/Verlustvortag V. Jahresüberschuss/Jahresfehlbetrag Im Hinblick darauf, ob ggf eine Überschuldung der Kapitalgesellschaft gegeben ist, bil- 24 det die Betrachtung der Eigenkapitalsituation einen ersten Einstieg, denn die Positionen I–V stellen in Summe das Eigenkapital dar. Ist dies zumindest buchhalterisch aufgebraucht (durch Verluste der Position V) ist dies ein Indiz für eine ggf vorliegende Überschuldung. Um diese Situation für den Bilanzleser möglichst transparent zu gestalten, stellt in diesem Zusammenhang der § 268 Abs 3 HGB ferner klar, dass ein Eigenkapital, das durch Verluste aufgebraucht ist und sich insofern ein Überschuss der Passivposten über die Aktivposten ergibt, betragsmäßig am Schluss der Bilanz auf der Aktivseite gesondert unter der Bezeichnung „Nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag“ auszuweisen ist.

_____ 17 BilRUG = Bilanzrichtlinie Umsetzungsgesetz tritt ab dem 31.12.2015 in Kraft, kann aber schon für 2014 angewendet werden. 18 Die Gewinnrücklage gliedert sich dann noch in die Unterpunkte 1. Gesetzliche Rücklage, 2. Rücklagen für eigene Anteile, 3. Satzungsgemäße Rücklagen und 4. Andere Rücklagen.

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Neben den besonderen Gliederungs-, Bewertungs- und Bilanzierungsvorschriften, auf die hier aufgrund des Umfanges und einer Fülle von Fachkommentaren nicht im Einzelnen eingegangen werden kann, liegt ein weiterer Unterschied zur Buchführung bei Personengesellschaften und Einzelunternehmen in dem grundsätzlichen Erfordernis des Aufstellens eines Anhangs zum Jahresabschluss und eines Lageberichtes § 264 Abs 1 S 1 HGB19. Im Anhang zum Jahresabschluss soll zusätzlich Klarheit über die Vermögens-, Fi26 nanz- und Ertragslage der aufstellenden Kapitalgesellschaft gegeben werden. Der Inhalt des Anhangs richtet sich nach den §§ 284–286 HGB, wobei für einige Angaben ein Wahlrecht besteht, ob diese direkt in der Bilanz- bzw Gewinn- und Verlustrechnung oder erst im Anhang gemacht werden. ZB kann das Anlagengitter, das die Entwicklung des Anlagevermögens transparenter lassen werden soll, entweder in der Bilanz oder im Anhang erfolgen (§ 268 Abs 2 HGB). 27 Für kleine Kapitalgesellschaften gilt die Erleichterung, dass ihre Bilanz nur in verkürzter Form aufzustellen ist. Auch in der Gewinn- und Verlustrechnung dürfen bei der kleinen und mittelgroßen Kapitalgesellschaft bestimmte Positionen zusammengezogen werden (§ 266 Abs 1 HGB, § 276 HGB). Ferner sind kleine Kapitalgesellschaften von der Pflicht zur Aufstellung eines Anlagengitters und von den Angaben bestimmter Erläuterungen im Anhang befreit (§ 274a HGB und § 288 HGB). 25

d) Aufstellungspflichten 28 Da den Aufstellungspflichten bzgl der Bilanz im StGB eine spezielle Bedeutung zu-

kommt, sollen diese hier kurz dargestellt werden. § 283 Abs 1 Nr 7b StGB stellt insofern unter Strafe, wenn es unterlassen wird, die Bilanz oder das Inventar in der vorgeschriebenen Zeit aufzustellen. Bzgl des Aufstellungszeitraumes bestimmt für alle Kaufleute § 243 Abs 3 HGB, dass 29 der Jahresabschluss (Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung) innerhalb einer, einem ordnungsmäßigen Geschäftsgang entspr, Zeit aufzustellen ist. Wie dieser Zeitraum konkret zu bemessen ist, dies wird nicht genannt. Die Vorschriften für Kapitalgesellschaften sind hier wesentlich konkreter. In § 264 30 Abs 1 S 3 und 4 HGB wird fixiert, dass der Jahresabschluss und der Lagebericht von den gesetzlichen Vertretern in den ersten drei Monaten des Geschäftsjahres für das vergangene Geschäftsjahr aufzustellen ist. Für kleine Kapitalgesellschaften wird ergänzend bestimmt, dass der Lagebericht nicht erstellt zu werden braucht und wenn dies einem ordnungsgemäßen Geschäftsgang entspricht, dann kann der Abschluss innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf des Geschäftsjahres erstellt werden. 31 Für alle Kaufleute gilt dabei, folgt man dem Beck’schen Bilanzkommentar und dem Urteil des BFH vom 6.12.1983,20 dass eine Bilanz, die nach Ablauf eines Jahres nach Abschluss des Geschäftsjahres aufgestellt wird, nicht mehr innerhalb der einem ordnungsgemäßen Geschäftsgang zur Verfügung stehenden Zeitraum erstellt ist. Insofern wird gefolgert, dass ein Jahresabschluss innerhalb einer der dem ordnungsgemäßen Ge-

_____ 19 Gemäß § 264 Abs 1 S. 5 HGB müssen Kleinstkapitalgesellschaften iS von § 267a HGB keinen Anhang und Lagebericht erstellen (§ 264 Abs 1 S 4 HGB). Sie müssen die Angaben gemäß § 267 Abs 7 HGB und § 285 Nr 9c HGB und im Falle einer Aktiengesellschaft die in § 160 Abs 3 S 2 AktG genannten Angaben unter der Bilanz angeben. Auf die zusätzlichen Ausweispflichten zum 31.12.2016 gemäß § 264 HGB wird ergänzend hingewiesen. 20 BStBl II 1984, S 227.

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§ 2 Die Buchhaltung als wesentliche Informationsquelle | 173

schäftsgang entspr Zeit erstellt ist, wenn die Aufstellung spätestens 12 Monate nach Ablauf des Geschäftsjahres erfolgt.21 Im Weiteren wird dann klargestellt, dass ein Unternehmen in der Krise – mit Blick auf die Entscheidung des BVerfG – den Abschluss zeitnah und ohne schuldhaftes Verzögern zu erstellen hat.22 Im Beck’schen Kommentar wird in diesem Zusammenhang nur noch von einem Zeitraum von zwei bis drei Monaten gesprochen.23 Für große und mittlere Kapitalgesellschaften gelten dabei die sich verkürzenden 32 Fristen gemäß § 264 Abs 1 HGB, mithin die Verpflichtung zur Aufstellung des Abschlusses als vordringliche Aufgabe – iE ebenso – in der Krisensituation.24 Die vorstehend angesprochenen Zeiträume können dabei nicht durch einen Gesell- 33 schafterbeschluss verlängert werden. Die genannten Zeiträume sind zwingend einzuhalten.

e) Aufbewahrungspflichten Ebenso wie die verspätete Aufstellung der Bilanz pönalisiert das StGB, wenn Handelsbü- 34 cher oder sonstige Unterlagen, zu deren Aufbewahrung ein Kaufmann nach Handelsrecht verpflichtet ist, vor Ablauf der für Buchführungspflicht bestehenden Aufbewahrungspflichten beiseiteschafft, verheimlicht, zerstört oder beschädigt werden, wenn dies die Übersicht über den Vermögensstand erschwert (§ 283 Abs 1 Nr 6 StGB). Daher bestimmt § 257 HGB in Abs 1, dass jeder Kaufmann verpflichtet ist, die folgen- 35 den Unterlagen geordnet aufzubewahren:25 1. Handelsbücher, Inventare, Eröffnungsbilanzen, Jahresabschlüsse, Einzelabschlüsse nach § 325 Abs 2a, Lageberichte, Konzernabschlüsse, Konzernlageberichte sowie die zu ihrem Verständnis erforderlichen Arbeitsanweisungen und Organisationsunterlagen; 2. die empfangenen Handelsbriefe; 3. Wiedergaben der abgesandten Handelsbriefe; 4. Belege für Buchungen in den von ihm nach § 238 Abs 1 zu führenden Büchern (Buchungsbelege). § 257 Abs 4 HGB bestimmt dann weiter, dass die Unterlagen gemäß Abs 1 Nrn 1 und 4 36 zehn Jahre aufzubewahren sind und die anderen Unterlagen sechs Jahre. Wichtig ist dabei, dass allein die Abschlüsse und Eröffnungsbilanzen in Papierform 37 aufzubewahren sind, während die anderen Unterlagen mittels EDV archiviert werden können. In diesem Zusammenhang zeigt aber gerade die Praxis, dass dies ein Problem werden könnte, da nicht immer gewährleistet werden kann, dass nach 10 Jahren ggf die archivierte Datei gestartet werden kann. Diese Obliegenheitsverletzung betrifft dann den Kaufmann negativ.

_____ 21 Vgl Beck’scher Bilanzkommentar § 243 Tz 92 f; so auch WP Handbuch E 2, wobei hier eher eine Frist von sechs bis neun Monaten präferiert wird, die zwölf Monatsfrist wird aber ohne Krise nicht als abwegig aufgefasst. 22 Vgl BVerfG 15.3.1978 – 2 BvR 927/76. 23 Vgl Beck’scher Bilanzkommentar § 243 Tz 95. 24 Vgl Beck’scher Bilanzkommentar § 264 Tz 17. 25 Im Rahmen der steuerlichen Pflichten bestimmt § 147 AO die Aufbewahrungspflichten für das Steuerrecht, die Ausführungen des § 147 AO sind dabei inhaltsidentisch mit dem § 257 HGB, sie umfassen aber über § 141 AO mehr Unternehmen.

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Das HGB schränkt die Örtlichkeit der Aufbewahrung grundsätzlich nicht ein. Demgegenüber erfolgt dies in § 146 Abs 2 AO, der bestimmt, dass die Unterlagen im Geltungsbereich der Bundesrepublik aufzubewahren sind. Mit Zustimmung des Finanzamtes kann die Speicherung der Unterlagen aber auch im Ausland erfolgen § 146 Abs 2a AO. Ggf ist aber auf Aufforderung des Amtes eine Rückverlagerung vorzunehmen, deren Nichtbeachtung mit einem Verzögerungsgeld bis zu 250.000 € geahndet wird (§ 146 Abs 2b AO). 39 Aus der Praxis heraus sei im Weiteren angemerkt, dass die Aufbewahrungsfristen nicht allein für die Kaufleute – sondern generell gemäß § 147 AO iVm §§ 145 f AO einzuhalten sind. Insgesamt gilt es zu beachten, dass eine vorzeitige Vernichtung von Unterlagen vor Ablauf der steuerlichen Aufbewahrungsfrist in Zusammenhang mit der Frist, in der steuerliche Veranlagungen noch vorgenommen werden können bzw geändert werden können (vgl hier iE die §§ 169 ff AO), misslich ist, da man sich des Instrumentariums der Exkulpation mittels Buchbeleges beraubt hat (§ 147 Abs 3 AO). Letztlich sei auch noch auf § 257 Abs 5 HGB hingewiesen, der die Aufbewahrungs40 frist verlängert, denn dieser bestimmt, dass die Aufbewahrungsfrist mit Schluss des Kalenderjahres beginnt, in dem die letzte Eintragung in das Handelsbuch gemacht wurde, das Inventar aufgestellt wurde, die Eröffnungsbilanz oder der Jahresabschluss festgestellt, der Einzelabschluss nach 325 Abs 2a HGB oder der der Konzernabschluss aufgestellt, der Handelsbrief empfangen oder abgesandt worden oder der Buchungsbeleg entstanden ist. Insofern gilt zB für den Abschluss 2012, der erst im Jahr 2013 erstellt werden kann und bei dessen Erstellung im Jahr 2013 noch Buchungen vorgenommen werden, dass die Frist bzgl der Aufbewahrung erst am 31.12.2013 beginnt und am 31.12.2023 endet. 38

f) Inventar und Inventur 41 Ebenso wichtig wie die Aufbewahrungspflichten und die Aufstellungspflichten bzgl der

Bilanz ist die Aufstellung des Inventars. Gem § 240 Abs 1 HGB hat ein jeder Kaufmann zu Beginn des Handelsgewerbes seine Grundstücke, seine Forderungen und Schulden, den Betrag des baren Geldes sowie seine sonstigen Vermögensgegenstände genau zu verzeichnen und dabei den Wert der einzelnen Vermögensgegenstände und Schulden anzugeben. Das Inventarverzeichnis ist dabei das Ergebnis der Inventur. Nur durch Messen, Zählen und Wiegen, was bei der Inventur erfolgt, kann das Verzeichnis erstellt werden. Das Inventar ist am Ende eines jeden Geschäftsjahres innerhalb eines ordnungsgemä42 ßen Geschäftsganges zu erstellen. Diese Frist ist kürzer als die Aufstellungsfrist für den Abschluss. Die Aufzeichnungen des Inventars bilden eine Basis für den Abschluss und müssen daher vorher erstellt sein. In den §§ 240 Abs 3 und 4 HGB und § 241 HGB werden dann im Weiteren Vereinfachungsregeln bzgl der Aufstellung des Inventars aufgeführt.26 Eine Nichtbeachtung der Inventarisierung bedingt, dass das Ergebnis des Unter43 nehmens ggf zu niedrig ausgewiesen wird, sodass zu wenig Steuern erhoben werden, was steuerstrafrechtliche Folgen haben kann. Darüber hinaus sanktioniert die Nichterstellung des Inventars der § 283 Abs 1 Nr 7b StGB in der Krise.

_____ 26 Vgl Beck’scher Bilanzkommentar § 240 HGB Tz 66 ff. Die Autoren des Abschnittes heben bzgl der Zeitschiene hervor, dass das Mengengerüst zeitnah nach dem Ablauf des Geschäftsjahres zu erfassen ist.

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g) Grundsätze Ordnungsgemäßer Buchführung aa) Allgemein Grundsätze Wie die Bücher eines Unternehmens geführt werden sollen, dies ist grundlegend im § 238 44 Abs 1 HGB geregelt. Demnach gilt es beim Führen der Bücher, die Grundsätze der ordnungsgemäßen Buchführung zu beachten. Diese sind in dem § 239 Abs 2 HGB allgemein definiert. Danach sind die Eintragungen in den Büchern und sonstigen Aufzeichnungen • vollständig, • richtig, • zeitgerecht und • geordnet vorzunehmen.27 Ein Verstoß gegen diese Regeln kann in der Krise die Übersicht über die Vermögenssituation nachhaltig erschweren, sodass der Tatbestand des § 283 Abs 1 Nr 5 StGB erfüllt ist. Die Nichterfüllung außerhalb der Krise bedingt dabei nicht, dass keine Sanktionen zu erwarten sind. Im Rahmen von Betriebsprüfungen drohen aufgrund der Verwerfung der Buchführung, da sie unordentlich ist, wenn die Grundsätze der ordnungsgemäßen Buchführung nicht eingehalten wurden, empfindliche Steuerhinzuschätzungen, die ihre gesetzliche Verankerung im § 162 AO finden und steuerstrafrechtliche Sanktionen sind auch nicht auszuschließen (vgl §§ 369 ff AO). Das Gebot der Vollständigkeit28 verlangt, dass alle Geschäftsvorfälle lückenlos erfasst werden. Darüber hinaus fixiert § 246 HGB als spezifische Ausprägung des Vollständigkeitsgebotes, dass im Rahmen des Abschlusses alle Vermögensgegenstände,29 Schulden, Rechnungsabgrenzungsposten sowie Aufwendungen und Erträge zu erfassen sind. Nicht mit dem Vollständigkeitsgebot in Einklang steht, wenn in der Krise, wie immer wieder festzustellen ist, Schulden nicht vollständig fixiert werden. ZB werden die Zinsen eines abgeschlossenen Darlehensvertrages, die an den Gläubiger mangels Liquidität nicht bezahlt wurden, nicht im Abschluss als Verbindlichkeit erfasst. Die Richtigkeit einer Eintragung bezieht sich auf die zutreffende Aufzeichnung und Abbildung des Geschäftsvorfalles im Buchwerk des Unternehmens. Gegen das Gebot der Richtigkeit wird zB verstoßen, wenn ein fiktiver Erlös in die Buchhaltung eingebaut wird. Es wird mithin eine Ausgangsrechnung erfasst, der kein Auftrag zugrunde liegt. Die Beachtung der Vollständigkeit und Richtigkeit der Erfassung der Geschäftsvorfälle bedingt auch, dass jede Buchung mit einem Beleg belegt werden kann. Insofern gilt im Zusammenhang mit den Grundsätzen der ordnungsgemäßen Buchführung „keine Buchung ohne Beleg“ (Belegprinzip). Zeitgerecht betrifft den Zusammenhang zwischen dem Anfall des Geschäftsvorfalls und die Erfassung desselben in der Buchführung. Demnach sollen, wenn man sich auch im HGB an den steuerlichen Vorschriften orientiert, die Kasseneinnahmen und Kassenausgaben täglich erfasst werden (§ 146 Abs 1 S 2 AO). Die zeitgerechte Erfassung ist daneben er-

_____ 27 In § 243 Abs 2 HGB wird für den Abschluss ferner der Grundsatz der Klarheit und Übersichtlichkeit eingefordert, diesen Anforderung wird die Praxis gerecht, in dem die Gliederungsvorschriften der Bilanz gemäß § 266 HGB bzw der Gewinn- und Verlustrechnung gemäß § 275 HGB beachtet werden. 28 Vgl die Ausführungen zu den Grundsätzen der Buchführung im Beck’schen Bilanzkommentar § 239 HGB Tz 3 ff. 29 Durch das BilMoG wurde in § 246 Abs 1 S 2 HGB in Anlehnung an § 39 Abs 2 AO fixiert, dass in der Bilanz auch die Vermögensgegenstände angesetzt werden können, wo kein zivil- aber ein wirtschaftliches Eigentum vorliegt, hier kann der wirtschaftliche Eigentümer über die Nutzungsdauer, den zivilrechtlichen Eigentümer von der Nutzung aufgrund der Vertragsdauer im Grundsatz ausschließen.

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füllt, wenn zwischen dem Anfall der Geschäftsvorfälle und ihrer buchmäßigen Erfassung ein zeitlicher Zusammenhang besteht, hierbei wird ein Zeitraum von längstens einem Monat für die Buchung nach Anfall des Geschäftsvorfalles als angemessen angesehen, sofern die Buchführungsunterlagen organisatorisch gegen Verlust geschützt werden.30 Der Forderung der geordneten Erfassung wird die Praxis dadurch gerecht, dass der 50 Geschäftsvorfall sachgerecht kontiert wird – wobei ein planmäßig gegliedertes Kontensystem zugrunde gelegt wird – und mit einem hinreichenden Erfassungsmerkmal zur Identifizierung versehen wird (Belegnummerierung und Kontierung).

bb) Speziellere Grundsätze 51 Neben den allgemeinen Grundsätzen gilt es im Rahmen der Erstellung einer Buchfüh-

rung und aus dieser hervorgehend beim Abschluss spezielle Regeln zu beachten, diese sind nachstehend kurz aufgeführt und erläutert. • Das Saldierungsverbot (§ 246 Abs 2 HGB) • Der Grundsatz der Einzelbewertung (§ 252 Abs 1 Nr 3HGB) • Grundsatz der Bilanzidentität (§ 252 Abs 1 Nr 4 HGB) • Grundsatz der Vorsicht (§ 252 Abs 1 Nr 4 HGB) • Realisationsprinzip (§ 252 Abs 1 Nr 4 HGB) • Imparitätsprinzip (§ 252 Abs 1 Nr 4 HGB) • Grundsatz der Fortführung der Unternehmenstätigkeit (§ 252 Abs 1 Nr 2 HGB) • Grundsatz der Stetigkeit (§ 246 Abs 3 und 252 Abs 1 Nr 6 HGB)

52 Das Saldierungsverbot gem § 246 Abs 2 S 1 HGB besagt, dass Posten der Aktivseite und

Posten der Passivseite, Aufwendungen mit Erträgen und Grundstücksrechte nicht mit Grundstückslasten verrechnet werden dürfen. Durch die Beachtung des Prinzips soll zur Bilanzklarheit beigetragen werden.31 In § 252 Abs 1 Nr 3 HGB ist der Grundsatz der Einzelbewertung kodifiziert. Dem53 nach sind für die Erstellung des Abschlusses die Vermögensgegenstände und Schulden auf den Abschlussstichtag einzeln zu bewerten. Darüber hinaus ist in § 252 Abs 1 Nr 1 HGB der Grundsatz der Bilanzidentität fi54 xiert. Die Wertansätze in der Eröffnungsbilanz des Geschäftsjahres müssen demnach mit denen der Schlussbilanz des vorhergehenden Geschäftsjahres übereinstimmen. Im Rahmen einer EDV-gestützten Abschlusserstellung sollte das Einhalten der Bilanzidentität eigentlich kein Problem sein. In der Praxis ist dies nicht immer so, da hier häufig nach Abschluss des Wirtschaftsjahres allein Bank- und Kassenkonten vorgetragen werden und einige weitere Vermögenswerte (zB Forderungen aus Lieferungen und Leistungen und Schuldpositionen), deren Werte sich aber im Rahmen der Abschlusserstellung noch ändern. Genau diese Änderungen werden aber dann nicht eingepflegt, sodass die Bilanzidentität nicht mehr gegeben ist. In § 252 Abs 1 Nr 4 HGB ist das Imparitätsprinzip als Ausdruck des immer noch 55 herrschenden Vorsichtsprinzips bei der Abschlusserstellung kodifiziert. Demnach sind

_____ 30 Vgl BFH 25.3.1992, BStBl II, S 1011 mit der Darstellung der zeitgerechten Erfassung lt HGB. 31 Durch Einführung des BilMoG wurde das Verrechnungsverbot insofern aufgeweicht, dass Vermögensgegenstände, die dem Zugriff aller übrigen Gläubiger entzogen sind und ausschließlich der Erfüllung von Schulden aus Altersverpflichtungen oder vergleichbaren langfristig fälligen Verpflichtungen dienen, gem § 246 Abs 2 S 2 HGB zu verrechnen sind. Gleiches gilt für die Aufwendungen und Erträge.

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alle vorhersehbaren Risiken und Verluste, die bis zum Abschlussstichtag entstanden sind, zu berücksichtigen. Auch Ereignisse, die erst nach dem Abschlussstichtag, aber vor Aufstellung des Jahresabschlusses bekannt geworden sind, müssen im Jahresabschluss berücksichtigt werden, wenn sie bis zum Abschlussstichtag verursacht wurden, ungeachtet dessen, ob sie sich positiv oder negativ auswirken.32 Dies Vorgehen wird auch als Wertaufhellungsprinzip bezeichnet. Demnach ist eine Schadenersatzforderung, die im abgelaufenen Geschäftsjahr begründet wurde, da eine Schlechtlieferung erfolgte, auch noch in dem abgelaufenen Geschäftsjahr zu bilanzieren, wenn der Anspruch vor Aufstellung des Jahresabschlusses bekannt wurde. Es sind mithin insbes auch negative Ereignisse aufzunehmen, die gerade in der Krise gern verdrängt werden, um eine rechnerische Überschuldung zu vermeiden. Durch den Nichtansatz wird mithin die Vermögenslage falsch dargestellt. Gegenüber den Verlusten, die vor allem das Imparitätsprinzip umfasst, dürfen Gewinne nur berücksichtigt werden, wenn sie am Abschlussstichtag realisiert sind (vgl § 252 Abs 1 Nr 4 HGB). Insofern spricht man auch vom Realisationsprinzip. Ein Verstoß gegen dieses Realisationsprinzip kommt dabei in zwei Begehungsformen vor, die in der Praxis in der Krise nicht selten festzustellen sind. Zum einen werden kurz vor Abschluss des Geschäftsjahres Rechnungen an Kunden geschrieben, um mittels der generierten Erlöse die Gewinn- und Verlustrechnung positiver erscheinen zu lassen und ggf eine sonst gegebene rechnerische Überschuldung zu negieren. Kurz nach Abschluss des Geschäftsjahres, ggf auch später, werden diese „Lufterlöse“ dann wieder in der Buchhaltung storniert. Zum anderen ist aber auch zu beobachten, dass schon mit Auftragserteilung die Erlösbuchung erfolgt, obwohl der Erlös erst nach Erfüllung des Auftrages generiert wird. Unter dem Grundsatz der Fortführung der Unternehmenstätigkeit gem § 252 Abs 1 Nr 2 HGB wurde fixiert, dass bei der Bewertung der Wirtschaftsgüter von der Fortführung der Unternehmenstätigkeit auszugehen ist, sofern dem nicht tatsächliche oder rechtliche Gründe entgegen stehen. Insofern wird auch vom Going Concern Prinzip gesprochen. Demnach sind die historischen Anschaffungs- oder Herstellungskosten (nicht zu verwechseln mit den Wiederbeschaffungskosten) gem § 253 Abs 1 HGB anzusetzen, die ggf bei den Gütern des Anlagevermögens um Abschreibungen zu vermindern sind, § 253 Abs 3 HGB. Der Grundsatz der Stetigkeit (§ 246 Abs 3 und § 252 Abs 1 Nr 6 HGB) besagt, dass eine einmal gewählte Bewertungsmethode nicht zu ändern ist. Ein Übergang von der linearen Abschreibung zur degressiven Abschreibung ist demnach zB unzulässig. § 248 Abs 1 HGB fixiert das Bilanzierungsverbot für die Aufwendungen für die Gründung eines Unternehmens, die Aufwendungen für die Beschaffung des Eigenkapitals und die Aufwendungen für den Abschluss von Versicherungsverträgen. Durch die Änderungen des HGB durch das BilMoG wurde das Bilanzierungswahlrecht für selbst geschaffene immaterielle Wirtschaftsgüter eingeführt.33 Nicht bilanziert werden dürfen weiterhin selbst geschaffene Marken, Drucktitel, Verlagsrechte, Kundenlisten und vergleichbare immaterielle Vermögensgegenstände des Anlagevermögens (§ 248 Abs 2 HGB). In § 255 Abs 2a HGB wurde bezüglich der Bewertung der selbstgeschaffenen imma-

_____ 32 WP Handbuch, Teil I, E 230. 33 § 5 Abs 2 EStG verbietet weiterhin den Ansatz dieses Wirtschaftsgutes, wodurch es beim Ansatz zu einem Auseinanderfallen der Steuerbilanz und der Handelsbilanz kommt, sodass zwei Bilanzen zu erstellen sind.

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teriellen Wirtschaftsgüter fixiert, dass die Herstellungskosten für den immateriellen Vermögensgegenstand die bei der Entwicklung anfallenden Aufwendungen sind.

cc) Die grundlegenden, ergänzenden Ansatz- und Bewertungsvorschriften 60 Im Weiteren werden kurz die grundlegenden Ansatz- und Bewertungsvorschriften erör-

tert, soweit dies nicht schon im Rahmen der erörterten Prinzipien geschah. Eine spezifische Ausprägung des Vorsichtsprinzips ist die Verpflichtung zur Bildung von Rückstellungen gemäß § 249 Abs 1 HGB für ungewisse Verbindlichkeiten und für drohende Verluste. Darüber hinaus sind Rückstellungen für im Geschäftsjahr unterlassene Aufwendungen für Instandhaltung, die im folgenden Geschäftsjahr innerhalb von drei Monaten, oder für Abraumbeseitigung, die im folgenden Geschäftsjahr nachgeholt werden, zu bilden und für Gewährleistungen ohne rechtliche Verpflichtung. Steuerlich ist die Bildung der Rückstellung für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften nicht zulässig (vgl § 5 Abs 1 Nr 4a EStG). Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zeichnen sich dadurch aus, dass 62 die Höhe oder (und) die Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme ungewiss ist, die ungewisse Verbindlichkeit ist aber rechtlich entstanden oder wirtschaftlich verursacht. Zu den Rückstellungen idS gehören die Urlaubsrückstellungen, die Rückstellungen für die Erstellung des Abschlusses, die Steuerrückstellungen und die Rückstellungen für Schadenersatzansprüche und in diesem Zusammenhang anfallende Prozesskosten. Aus der Erfahrung kann angemerkt werden, dass die Bildung der Rückstellungen, wie es der § 249 Abs 1 HGB für ungewisse Verbindlichkeiten fordert, in einem Unternehmen, wenn es kriselt, nur äußerst rudimentär erfolgt, um das Ergebnis gegenüber der Bank, die die gegebenen Kredite nicht kündigen soll, nicht noch schlechter werden zu lassen. Immer wieder ist festzustellen, dass in diesem Zusammenhang bis auf die Steuerrückstellungen, keine der oben aufgeführten Rückstellungstypen gebildet wird.34 Vorstehend beschriebener Zusammenhang gilt auch für die Rückstellung für dro63 hende Verluste aus schwebenden Geschäften. In diesen Fällen haben die Vertragsparteien einen Vertrag geschlossen, der aber noch nicht erfüllt ist. Stellt nun der liefernde Unternehmer fest, dass seine Verpflichtung größer ist als der zu erwartende Ertrag (Verpflichtungsüberschuss), dann ist dieser Überschuss als Rückstellung aus einem schwebenden Geschäft in die Bilanz einzustellen. In der Krise sind eigentlich gerade diese Positionen häufig zu bilden, denn nicht selten ist festzustellen, dass Aufträge angenommen werden, die keinesfalls kostendeckend sind. Es besteht mithin ein Verpflichtungsüberschuss. In der Praxis unterbleibt aber die Bildung dieser Position, nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund, um im Rahmen eines Bankgespräches nicht noch schlechter dazustehen, wenn es um die Prolongation der Kredite geht, deren Kündigung das sofortige Ende des Unternehmens zur Folge hätte. Ferner sind im Abschluss die Rechnungsabgrenzungsposten zu bilden. Daher müs64 sen am Ende des Wirtschaftsjahres alle Aufwands- und Ertragskonten daraufhin geprüft werden, ob die gebuchten Beträge dem abgelaufenen Wirtschaftsjahr wirtschaftlich zuzurechnen sind. Enthalten die Konten Beträge, die auf spätere Wirtschaftsjahre entfallen, müssen sie abgegrenzt werden. Daher schreibt § 250 Abs 1 und 2 HGB vor, dass als 61

_____ 34 In einigen Fällen wird sogar eine separate „Bankbilanz“ gefertigt und für die Steuer eine Steuerbilanz, die dann alle Risiken enthält. Die Vorgaben des HGBs sind dann zwar erfüllt. Es sollte aber nicht verkannt werden, dass die Frage des Kreditbetruges im Raum steht (vgl § 265b StGB).

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Rechnungsabgrenzungsposten auf der Aktivseite der Bilanz Ausgaben auszuweisen sind, soweit die Ausgaben vor dem Abschlussstichtag erfolgten und Aufwand für eine bestimmte Zeit nach diesem Tag darstellt. Ein typischer Fall dieser Kategorie ist die Abgrenzung der Versicherungsausgaben. Darüber hinaus wird in § 250 Abs 2 HGB gefordert, dass Rechnungsabgrenzungsposten zu bilden sind für Einnahmen vor dem Abschlussstichtag, soweit die Zahlungen erst Ertrag für eine bestimmte Zeit nach diesem Tag darstellen. Ein typischer Fall, der unter diese Art der Abgrenzung fällt, ist die Mietzahlung für Januar des kommenden Jahres im Dezember des abzuschließenden Jahres. Ferner ist ein Rechnungsabgrenzungsposten auf der Aktivseite zu bilden und über die Zeit abzuschreiben, wenn der Ausgabebetrag niedriger als der Erfüllungsbetrag ist. Die Konstellation ist häufig gegeben, wenn bei Aufnahme eines Darlehens der Auszahlungsbetrag geringer als die Darlehensverbindlichkeit ist. Der Unterschiedsbetrag wird auch als Darlehnsabgeld, Damnum oder Disagio bezeichnet. Um ein möglichst transparentes Bild von einem Unternehmen zu erlangen, sind gem 65 § 251 HGB die Haftungsverhältnisse offenzulegen. Demnach sind unter der Bilanz, sofern sie nicht auf der Passivseite auszuweisen sind, Verbindlichkeiten aus der Begebung und Übertragung von Wechseln, aus Bürgschaften, Wechsel- und Scheckbürgschaften und aus Gewährleistungsverträgen sowie Haftungsverhältnisse aus der Bestellung von Sicherheiten für fremde Verbindlichkeiten zu vermerken. Der Ausweis kann in einem Betrag erfolgen. Die Haftungsverhältnisse sind auch anzugeben, wenn ihnen gleichwertige Rückgriffsforderungen gegenüberstehen. Gemäß dieser Vorschrift sind zB Patronatserklärungen aufzuführen, die die Muttergesellschaft für Tochtergesellschaften abgegeben hat. Erfolgt kein Ausweis der Haftungsverhältnisse, ist die Bilanz so erstellt, dass die Übersicht über das Vermögen erschwert wird.35

dd) Grundsätze der Zugangs- und Folgebewertung Vermögensgegenstände sind höchstens mit den Anschaffungs- und Herstellungskosten 66 anzusetzen (§ 253 Abs 1 HGB). Die Vermögensgegenstände des Anlagevermögens sind dabei um Abschreibungen zu mindern, die die Anschaffungs- und Herstellungskosten auf die Geschäftsjahre der Nutzung verteilen (§ 253 Abs 3 HGB). Bei einer dauernden Wertminderung sind außerplanmäßig Abschreibungen vorzunehmen, wenn der beizulegende Wert am Bilanzstichtag niedriger ist36 (§ 253 Abs 3 S 3 HGB). Bei Vermögensgegenständen des Umlaufvermögens sind grundsätzlich keine Ab- 67 schreibungen vorzunehmen. Dies gilt aber nicht, wenn der Börsen- oder Marktpreis bzw beizulegende Wert am Abschlussstichtag niedriger ist § 253 Abs 4 HGB. In der Krise wird die gesetzliche Pflicht zur Abschreibung häufig ignoriert. So finden sich in den OPOS-Listen nicht selten Forderungen aus Lieferungen und Leistungen, die 180 Tage und älter sind, was auf eine Uneinbringlichkeit iVm einem Abschreibungsbedarf hindeutet. Dass die Abschreibung unterbleibt, hat dabei keinen fiskalischen Grund. Die Abschreibung würde ggf allein dazu führen, dass ein vorhandener Gewinn gemindert wird, was die Steuerlast senkt. Die Abschreibungen unterbleiben häufig, da Kredite prolongiert werden sollen bzw sich Zinskonditionen gesichert werden sollen, was im Rahmen eines Bankengespräches mit einem schlechten Jahresergebnis schwerer möglich ist. Sofern der Grund für die außerplanmäßige Abschreibung im Bereich des Anla-

_____ 35 Vgl Beck’scher Bilanzkommentar § 251 Tz 50. 36 Der beizulegende Wert ist der Wiederbeschaffungswert.

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gevermögens bzw des Umlaufvermögens entfallen ist, sieht § 253 Abs 5 HGB eine Zuschreibungspflicht vor. Verbindlichkeiten sind, so schreibt es § 253 Abs 1 S 2 HGB vor, mit dem Erfüllungsbe68 trag anzusetzen. Rückstellungen sind in Höhe des nach kaufmännischer Buchführung notwendigen Erfüllungsbetrages anzusetzen § 253 Abs 1 S 2 HGB. § 253 Abs 2 S 1 HGB schreibt hierzu ergänzend vor, dass Rückstellungen mit einer Restlaufzeit von mehr als einem Jahr abzuzinsen sind.

ee) Bewertungsmaßstäbe 69 Wie die Anschaffungs- und Herstellungskosten zu ermitteln sind, schreibt § 255 HGB vor.

Demnach sind Anschaffungskosten die Aufwendungen, die geleistet werden, um einen Vermögensgegenstand zu erwerben und diesen in einen betriebsbereiten Zustand zu versetzen (§ 255 Abs 1 HGB). Nicht zu den Anschaffungskosten zählen die Erhaltungsaufwendungen, die in der Krise gern einmal zugeschrieben werden, um das Vermögen zu mehren und den Aufwand zu reduzieren. Eine Stilblüte in diesem Zusammenhang ist die Hinzuaktivierung von neu angeschafften Rädern bei einem Pkw, die die abgefahrenen Räder ersetzen. Die Herstellungskosten sind in § 255 Abs 2 HGB definiert. Hierzu gehören demnach die Aufwendungen, die durch den Verbrauch von Gütern und die Inanspruchnahme von Diensten zur Herstellung eines Vermögensgegenstandes bzw dessen Erweiterung oder zur wesentlichen Verbesserung anfallen. Zu den Herstellungskosten gehören zwingend (§ 255 Abs 2 HGB) 70 • Materialkosten • Fertigungskosten • Sonderkosten der Fertigung • angemessene Teile der Materialgemeinkosten • angemessene Teile der Fertigungsgemeinkosten • der Werteverzehr des Anlagevermögens, soweit durch die Fertigung veranlasst. 71 Angesetzt werden dürfen ferner, soweit diese auf den Zeitraum der Herstellung entfallen,

• • • • •

angemessene Teile der Kosten der allgemeinen Verwaltung angemessene Teile der Kosten für soziale Einrichtungen des Betriebes für freiwillige soziale Leistungen für die betriebliche Altersversorgung Zinsen dürfen allein dann angesetzt werden, wenn der Kredit der Anschaffung des Vermögensgegenstandes diente (§ 255 Abs 3 HGB).

72 Forschungs- und Vertriebskosten dürfen generell nicht angesetzt werden. § 255 Abs 2a

HGB schreibt ergänzend für die selbst geschaffenen immateriellen Vermögensgegenstände des Anlagevermögens vor, dass die Aufwendungen für die Entwicklung angesetzt werden können, wobei er bzgl der Berechnung auf § 255 Abs 2 HGB verweist.

h) Die steuerliche Buchführungspflicht 73 Die handelsrechtliche Buchführungspflicht verpflichtet die Kaufleute zur Aufstellung der

Jahresabschlüsse. Diese Daten sind auch für die Ermittlung des steuerlichen Gewinns grundsätzlich heranzuziehen (vgl § 5 Abs 1 EStG). Darüber hinaus ergibt sich aber auch aus der AO für gewerbliche Unternehmen sowie die Land- und Forstwirte die Verpflichtung, Abschlüsse zu erstellen (§ 141 Abs 1 AO). Für die Kaufleute, die schon lt HGB buchführungspflichtig sind, gilt, dass diese Aufzeichnungen auch für die Steuer bindend

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sind, § 140 AO.37 Die Grenzen für die alleinige Aufzeichnungspflicht für Gewerbetreibende und für die Land- und Forstwirte sind in § 141 Abs 1–5 AO genannt und nachstehend aufgeführt: • Umsätze einschließlich der steuerfreien Umsätze, ausgenommen die Umsätze nach § 4 Nr 8–10 UStG des UStG, von mehr als 600.000 € im Kalenderjahr.38 • selbstbewirtschaftete land- und forstwirtschaftliche Flächen mit einem Wirtschaftswert (§ 46 BewG) von mehr als 25.000 €. • einen Gewinn aus Gewerbebetrieb von mehr als 60.000 €39 • einen Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft von mehr als 60.000 €40 Die Verpflichtung, steuerliche Abschlüsse zu erstellen, ergibt sich dabei aufgrund eines Verwaltungsaktes. Demnach ergibt sich die Verpflichtung vom Beginn des Wirtschaftsjahres an, das auf die Bekanntgabe der Mitteilung folgt (§ 141 Abs 2 S 1 AO). Diese Verpflichtung kann durch einen Verwaltungsakt auch wieder aufgehoben werden (§ 141 Abs 2 S 2 AO). Vorstehend wurde angesprochen, dass die handelsrechtliche Buchführung auch die Basis für die Ermittlung des steuerlichen Gewinns bildet. Insofern spricht man vom Maßgeblichkeitsprinzip. Generell gilt auch nach der Einführung des BilMoG, dass die Handelsbilanz für die steuerliche Gewinnermittlung maßgebend ist, § 5 Abs 1 S 1 HS 1. EStG. Allerdings gilt gemäß § 5 Abs 1 S 1 HS 2 EStG, dass die Ausübung steuerlicher Wahlrechte im handelsrechtlichen Jahresabschluss nicht mehr möglich ist. Steuerliche Abschreibungen nach § 254 HGB aF, § 279 Abs 2 HGB aF und die Bildung Sonderposten mit Rücklagenanteil nach §§ 247 Abs 3 HGB aF, 279 aF können für die Jahresabschlüsse ab 2010 nicht mehr gebildet werden. Für Altfälle gilt aber der Bestandsschutz (s.o.). Insofern kommt es iE unter Berücksichtigung des Bestandsschutzes zum Wegfall der umgekehrten Maßgeblichkeit.41 Der Wegfall der umgekehrten Maßgeblichkeit hat zwei Konsequenzen. In der Praxis wird allein (zum Teil unbewusst) für die Besteuerung eine Steuerbilanz erstellt, in der die Wahlrechte ausgeübt werden. Eine Handelsbilanz, die die Ausübung der steuerlichen Wahlrechte neutralisiert, fehlt. Dies bedingt, dass der Tatbestand der unterlassenen Bilanzierung erfüllt sein kann, § 283 Abs 1 Nr 7b StGB. Ferner fehlen nunmehr die Aufsatzwerte der Handelsbilanz. Es existieren mithin keine Zahlen, die über den Grundsatz der Maßgeblichkeit die Basis für die Steuerbilanz darstellen. Dies hat zur Folge, dass die Zahlen der Steuererklärung zu verwerfen sind und der Tatbestand der Hinterziehung im Sinne der §§ 369 f AO erfüllt wird. Für die Unternehmen, die aufgrund der vorstehenden Ausführungen lt Handelsrecht und Steuerrecht keine Abschlüsse zu erstellen haben, gilt nicht, dass diese keinerlei Aufzeichnungen zu führen haben. Denn selbstverständlich hat der Fiskus im Zusammen-

_____ 37 § 140 AO bestimmt, dass die Aufzeichnungen, die sich aus außersteuerlichen Normen ergeben, für die Zwecke der Besteuerung zu erfüllen sind. Diese Aufzeichnungen sind vielfältig (zB Altmetallhändler, Metallbuch nach landesrechtlichen Regeln; Apotheker, Herstellungsbücher und Prüfungsbücher nach Apothekenbetriebsordnung, vgl iE Falterbaum/Bolk/Reiß/Eberhardt, S 57 mit einer Vielzahl von weiteren Bsp). 38 Bis 2015 waren es 500.000,00 € Umsatz. 39 Bis 2015 waren es 50.000,00 € Gewinn. 40 Vgl Fn 39. 41 Vgl Reck a, S 1969 ff. Hier wird im Weiteren auch der Zusammenhang vom BilMoG und der Bankrottstraftaten sowie der Steuerhinterziehung analysiert; vgl aber auch Bittmann wistra 2008, 441 ff.

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hang mit der Besteuerung ein Interesse, den Ertrag dieser Unternehmen zu ermitteln, damit die Gleichheit der Besteuerung gewährt ist. Insofern bestimmt § 4 Abs 3 EStG, dass die Unternehmen den Gewinn dadurch zu ermitteln haben, dass sie den Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben generieren. Unternehmen, die so ihren Gewinn ermitteln, sind typischerweise die Freiberufler, wie Ärzte, Steuerberater, Rechtsanwälte oder Wirtschaftsprüfer.

i) Exkurs latente Steuer 78 Im deutschen Steuerrecht lassen sich eine Vielzahl von Beispielen für das Auseinander-

fallen von handels- und steuerrechtlichen Gewinnermittlung finden. Dies bedingt entweder einen Ansatz von aktiven latenten Steuern oder passiven latenten Steuern. Zur Illustration diene in Anlehnung an Wöhe42 das Beispiel der Abschreibungen: Der entgeltlich erworbene Firmenwert kann handelsrechtlich über fünf Jahre abge79 schrieben werden und steuerrechtlich über 15 Jahre. Die handelsrechtlichen Abschreibungen sind in den Erstjahren größer als die steuerlichen Abschreibungen und in den Folgejahren ist der Effekt genau umgekehrt. Es gilt mithin in den Erstjahren, dass der Steueraufwand handelsrechtlich kleiner ist als die Steuerzahlung und im Anschluss umgekehrt. Hieraus ergibt sich über § 274 Abs 1 S 2 HGB ein Aktivierungswahlrecht.43 Im Bereich des Passivbereiches (handelsrechtlicher Steueraufwand größer als die Steuerzahlung) bedingt § 274 Abs 1 S 1 HGB einen Ansatzzwang. Zwar verrechnen Handelsbilanz und Steuerbilanz über die Gesamtnutzungsdauer das gleiche Abschreibungsvolumen. Bezogen auf das Einzeljahr können sich aber Abweichungen ergeben. Das nachfolgende Fallbeispiel geht von folgenden vereinfachten Zahlen aus 80 • Zwei Perioden Fall (die Abweichung im ersten Jahr wird im zweiten Jahr wieder ausgeglichen) • Ertragssteuern 30% • Der Handelsbilanzgewinn beziffert sich auf 1.000 je Periode • Der kalkulatorische Steueraufwand beträgt 300 je Periode • Die Ertragsteuerzahlung erfolgt am Periodenende durch Banküberweisung 81 Tafel 3: latente Steuer Aktive latente Steuer Handelsbilanzgewinn kleiner als der Steuerbilanzgewinn Periode

1

2

Total

Handelsbilanzgewinn

1000

1000

2000

Steuerbilanzgewinn

1200

800

2000

Steuerzahlung

360

240

600

82 Ohne Steuerabgrenzung gelangt man im handelsrechtlichen Jahresabschluss zu folgen-

dem Ausweis:

_____ 42 Vgl Wöhe S 780 ff. 43 Der Fall ist zB im Bereich des entgeltlich erworbenen Firmenwertes gegeben, der handelsrechtlich im Regelfall über fünf Jahres abgeschrieben wird und steuerrechtlich über 15 Jahre.

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§ 2 Die Buchhaltung als wesentliche Informationsquelle | 183

Gewinn vor Steuern (HB Gewinn) Ertragsteuern (Steuerzahlung)

Periode 1 1000 –360

Periode 2 1000 –240

Jahresüberschuss

–640

–760

Will man der offensichtlichen Verletzung des Prinzips der periodengerechten Abgren- 83 zung im Handelsrecht Rechnung tragen, muss der handelsrechtliche Gewinn auf jeweils 300 nivelliert werden. Dies erfolgt durch die Bildung eines Aktivpostens „Aktive latente Steuer“ zum 31.12.01, der im Folgejahr aufgelöst wird. Buchungssatz 31.12.01 Ertragssteueraufwand Aktive latente Steuer

300 60

an

Bank (Steuerzahlung)

360

Buchungssatz 31.12.02 Ertragsteueraufwand

300

an

Bank (Steuerzahlung) Aktive latente Steuer

240 60

II. Vom Buchungssatz zur Bilanz und GuV, Anhang und Lagebericht 1. Überblick Einzelunternehmen und Personengesellschaften haben gemäß § 242 HGB einen Jah- 84 resabschluss aufzustellen. Dieser Abschluss ist auch für Kapitalgesellschaften zu erstellen, wobei die § 266 bzw § 275 HGB die Gliederungen und den Inhalt der Angaben der Hauptbestandteile des Abschlusses in Form von Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung standardisierend und differenzierend vorgeben. In der Praxis erstellen aber auch Einzelunternehmen und Personengesellschaften die Bilanz in Anlehnung an die Gliederungsvorschrift des § 266 HGB bzw die Gewinn- und Verlustrechnung gemäß § 275 HGB. Allein die Kapitalgesellschaften sind dabei verpflichtet, den Abschluss um einen Anhang und den Lagebericht zu ergänzen. Die wesentlichen Informationsgehalte der einzelnen Bestandteile des Abschlusses sind nachstehend wiedergegeben. 85

Tafel 4: Grundlegende Informationsquellen des Jahresabschlusses Bilanz

Gewinn- und Verlustrechnung

Anhang

Lagebericht

Vermögenshöhe; Vermögenszusammensetzung; liquide Mittel; Schulden; Eigenkapital

Erfolg als Differenz von Ertrag und Aufwand und die Zusammensetzung von Ertrag und Aufwand – damit die Quellen von Erfolg oder Misserfolg

Erläuterungen zur Bilanz und dem Erfolg

Erläuterungen zur Geschäftslage und der zukünftigen Entwicklung

Die Bilanz und die Gewinn- und Verlustrechnungen werden am Abschluss eines Bu- 86 chungsjahres erstellt, nachdem alle Geschäftsvorfälle im System der doppelten Buchführung erfasst wurden. Von einer doppelten Buchführung wird dabei gesprochen, da im Zusammenhang mit einem Geschäftsvorfall immer zwei Konten angesprochen werden.

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184 | 1. Kapitel: Informationsbeschaffung

Dies kann ein Bestandskonto sein (wie zB das Bankkonto), welches am Ende des Buchungsjahres über die Bilanz abzuschließen ist, insofern kann auch von einem Schlussbilanzkonto gesprochen werden. Es kann sich aber auch um ein Erfolgskonto (wie zB das Konto Umsatzerlöse) handeln, welches am Ende des Jahres über das Konto Gewinn- und Verlustrechnung abzuschließen ist. Eine dritte Art von Konto ist das gemischte Konto. Es enthält sowohl Elemente eines Bestandskontos als auch Elemente eines Erfolgskontos. Der typische Vertreter dieser Kontenart ist das Wareneinkaufskonto. Hier wird der gesamte Einkauf erfasst (Erfolgskonto) und am Ende des Jahres wird der Bestand unter Berücksichtigung des Anfangsbestandes an die Bilanz abgegeben (Element als Bestandskonto).44 87 Jeder Buchungssatz wird dabei in einem Journal45 in chronologischer Reihenfolge mit im Regelfall nachstehenden Informationen erfasst (bei Einrichtung einer Kostenrechnung können die Angaben umfangreicher sein): 1. Buchungssatznummer (zB 1 für den ersten Buchungssatz des Jahres) 2. Umsatz 3. Angesprochenes Konto und Gegenkonto 4. Datum (hier sollte das Datum des Geschäftsvorfalles, der sich aus dem Bankauszug ergibt, erfasst werden) 5. Textung (ein Buchungstext, der den Geschäftsvorfall beschreibt, sollte hier eingegeben werden, die Textung ist nicht zwingend erforderlich). 88 Gerade die Auswertung der Textung kann dabei eine reiche Fundquelle für die Aufdeckung

von Bankrotttaten darstellen. Hier kann zB die Textung „Verkauf Anlagevermögen an Gesellschafter“ – zumindest in der Krise – Anlass für eine Prüfung geben, ob der Preis und das übergegangene Wirtschaftsgut in einem ausgewogenen Verhältnis standen oder nicht. 89 Die Konten, die im Rahmen eines Geschäftsvorfalles angesprochen werden, werden auch als Sachkonten bezeichnet. Sie können nach sachlichen Kriterien geordnet werden. Grundsätzlich können dabei im Rahmen der Buchführung so viele Sachkonten gebildet werden, wie es erforderlich ist. Gesetzliche Grenzen, die die Anzahl der Sachkonten beschränken, gibt es nicht. Neben den Sachkonten können, wenn Waren auf Ziel verkauft werden (Liefer- und Zahlungsdatum fallen auseinander), Personenkonten geführt werden. Für die einzelnen Lieferanten werden die Kreditorenkonten geführt. Die Kunden, die ihre Waren bzw Leistungen auf Ziel erhalten, werden in der Debitorenbuchhaltung erfasst. Dieser Bereich der Buchführung wird auch als „offene Posten Buchhaltung“ bezeichnet. Die Auswertungen, die mittels PC und Drucker erzeugt werden, werden in der Praxis als OPOS – Liste benannt. Sofern eine „offene Posten Buchführung“ vorliegt, kann sie eine Quelle für eine 90 Vielzahl von Informationen sein. So kann zB die Nichtbezahlung einer Lieferantenrechnung (sie steht über Monate unverändert auf dem entsprechenden Kreditorenkonto) darauf hinweisen, dass ggf eine Stundungsabrede vorliegt oder ggf eine Streitigkeit geben sein kann.46 Eine Debitorenrechnung, die seit Monaten nicht bezahlt wird, deutet darauf hin, dass diese ggf nicht einbringlich sein könnte, was Einfluss auf die Überschuldungs-

_____ 44 Vgl hierzu auch Falterbaum/Bolk/Reiß/Eberhard, S 166 ff. 45 Das Journal wird häufig auch als Primanota bezeichnet. Da es sich um die Grundaufzeichnung handelt, wird auch von einem Grundbuch gesprochen. 46 Beide Informationen haben Einfluss auf die Fälligkeit der Verbindlichkeit, was im Rahmen der betriebswirtschaftlichen Analyse der Zahlungsunfähigkeit zu berücksichtigen wäre.

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§ 2 Die Buchhaltung als wesentliche Informationsquelle | 185

und Zahlungsfähigkeitssituation des Unternehmens haben kann. Die Salden aller Debitorenkonten und Kreditorenkonten der „offenen Posten Buchführung“ finden in der Bilanz unter dem Posten Forderungen aus Lieferungen und Leistungen bzw Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen Eingang. Darüber hinaus schreibt § 268 Abs 2 HGB vor, dass in der Bilanz oder im Anhang die 91 Entwicklung der einzelnen Posten des Anlagevermögens darzustellen ist. Diese Darstellung wird auch als Anlagengitter bezeichnet. Das Anlagengitter (oder Anlagenspiegel) ist dabei allein von mittelgroßen bzw großen Kapitalgesellschaften zu erstellen, § 268 Abs 2 iVm § 267 und § 274a HGB. Ein Anlagengitter ist nachstehend abgebildet. 92

Tafel 5: Anlagengitter Bilanzposition

Historische Anschaffungsund Herstellungskosten

Zugänge des Wirtschaftsjahres

Abgänge des Wirtschaftsjahres

Umbuchungen

Zuschreibungen

Abschreibung des Wirtschaftsjahres

Kumulierte Abschreibung

Restbuchwert

















20.371,00

565.179,92

680.040,54

Restbuchwert Vorjahr

Sachanlagen Grundstücke, grundstücksgleiche Rechte und Bauten einschließlich der Bauten auf fremdem Boden

1.245.220,46

700.411,54

Das Anlagengitter wird in der Praxis ergänzt durch das Anlagenverzeichnis.47 In diesem 93 sind alle Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens mit Inventarnummer, Bezeichnung, Anschaffungs- bzw Herstellungsdatum, Abschreibungsart, Nutzungsdauer, Anschaffungs- bzw Herstellungskosten, Abschreibung des Wirtschaftsjahres, kumulierte Abschreibungen und Buchwert am Ende des Wirtschaftsjahres aufgeführt. Die Führung des Anlagenverzeichnisses wird auch als Anlagenbuchhaltung bezeichnet. IE muss dieses zwingend von allen Unternehmen geführt werden, da andernfalls die Abschreibungen des jeweiligen Jahres nicht ermittelt werden können. Die Auswertung des Anlagenverzeichnisses in der Krise gibt ggf Hinweise, ob es zu 94 einem „massiven Anlagenabgang“ kam, der mittels der weiteren Geschäftsunterlagen aufzuklären ist (an wen wurde verkauft − zB die Ehefrau des Gesellschafter Geschäftsführers und zu welchem Preis, marktüblich oder nicht).

2. Die Bilanz Vorstehend wurde die Bilanz des Öfteren angesprochen. Im Weiteren soll der Aufbau 95 kurz erläutert werden. Die Bilanz besteht aus der Aktivseite und der Passivseite. Die Aktivseite erfasst die Vermögenswerte, die mit betrieblichen Mitteln angeschafft 96 werden. Insofern wird auch von der Mittelverwendung gesprochen. Am Anfang der Ak-

_____ 47 Das Verzeichnis ist im Hinblick auf die Inventurverpflichtung und das zu erstellende Inventar grundsätzlich zu erstellen.

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186 | 1. Kapitel: Informationsbeschaffung

tivseite stehen dabei die Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens (zB Grundstücke, Gebäude oder Maschinen). Bei den Vermögensgegenständen des Anlagevermögens handelt es sich um Gegenstände, die dazu bestimmt sind, dauerhaft im Geschäftsbetrieb zu verbleiben (§ 247 Abs 2 HGB). Hiervon kann ausgegangen werden, wenn der Vermögensgegenstand länger als ein Jahr dem Unternehmen dient. Liegt eine kürzere Nutzung vor, dann handelt es sich um Vermögensgegenstände des Umlaufvermögens, wie zB die Forderungen aus Lieferungen und Leistungen. Das Umlaufvermögen wird dabei der Gliederung des § 266 HGB folgend unter dem Anlagevermögen abgebildet. Die Passivseite der Bilanz zeigt die Mittelherkunft auf. Hierfür gibt es zwei Quellen, 97 das Eigenkapital und das Fremdkapital. Typische Vertreter des Fremdkapitals sind dabei die Kredite von Banken oder die Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen. Eigenkapital zeichnet sich dadurch aus, dass dies dauerhaft dem Unternehmen zur Verfügung steht. Fremdkapital steht dem Unternehmen nur temporär zur Verfügung. Der schematische Aufbau der Bilanz ist nachstehend dargestellt. 98 Tafel 6: Schematischer Bilanzaufbau Aktiva

Passiva

Vermögen – Anlagevermögen – Umlaufvermögen

Kapital – Eigenkapital – Fremdkapital

(Mittelverwendung)

(Mittelherkunft)

99 Das Eigenkapital eines Unternehmens wächst, wenn ein Unternehmer Gewinne erzielt

und diese bei Kapitalgesellschaften nicht ausgeschüttet werden bzw bei Personengesellschaften oder Einzelunternehmen entnommen werden. Werden Verluste erzielt, schrumpft das Eigenkapital. 3. Gewinn- und Verlustrechnung

100 Wie sich der Gewinn oder Verlust ergeben hat, dies zeigt die Gewinn- und Verlustrech-

nung. Hier werden den Erlösen die Aufwendungen gegenübergestellt. § 275 HGB enthält insofern eine differenzierende Darstellung. Nachstehend ist der schematische Aufbau der Gewinn- und Verlustrechnung (kurz GuV) dargestellt.

101 Tafel 7: Schematischer Aufbau der GuV Aufwendungen

Erträge

Umsatzaufwendungen

Umsatzerlöse Löhne und Gehälter Materialverbrauch Abschreibungen

Sonstige Aufwendungen Zinsaufwand sonstiger Aufwand

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Sonstige Erträge Erträge aus Beteiligungen Zinsertrag sonstiger Ertrag

§ 2 Die Buchhaltung als wesentliche Informationsquelle | 187

4. Der Anhang Der Anhang ergänzt das Zahlenmaterial der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrech- 102 nung und liefert wichtige Informationen insbes für den externen Bilanzleser. Allerdings ist ein Anhang primär von Kapitalgesellschaften bzw von Personengesellschaften iS des § 264a HGB zu erstellen. Insbes sind im Anhang Angaben zu den Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden 103 zu machen § 284 Abs 2 Nr 1 HGB, bzw Änderungen der Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden sind zu dokumentieren § 284 Abs 2 Nr 3 HGB. Darüber hinaus verlangt § 285 HGB eine Vielzahl von weiteren Informationen. Allerdings schränkt § 288 HGB die zu machenden Angaben gemäß § 285 HGB für kleine Kapitalgesellschaften stark ein. Kleinstkapitalgesellschaften sind von dieser Verpflichtung befreit.48

5. Lagebericht Im Lagebericht der Kapitalgesellschaften, § 289 HGB, ist der Geschäftsverlauf einschließ- 104 lich des Geschäftsergebnisses der Kapitalgesellschaft so darzustellen, dass er den tatsächlichen Verhältnissen entspricht. Insofern sieht § 289 Abs 1 S 4 HGB auch vor, dass die zukünftige Entwicklung mit Chancen und Risiken zu beurteilen und zu erläutern ist, hierbei sind die Annahmen zu erläutern. Ferner sind die Vorgänge von besonderer Bedeutung anzugeben, die nach dem Geschäftsjahr eingetreten sind, § 289 Abs 2 Nr 1 HGB. Darüber hinaus sieht § 289 Abs 2 HGB weitere Angaben vor, die insbes die Risikosituation des Unternehmens beleuchten sollen.

III. Auswertungen und Informationsgehalt 1. Der Kontenrahmen In den Unternehmen werden zur Bewältigung des Buchungsstoffes in der Regel zahlrei- 105 che Konten geführt.49 Kontenrahmen und Kontenplan dienen dabei dazu, die Konten systematisch zu ordnen. Der Kontenrahmen ist ein Ordnungsinstrument für die Konten der Buchhaltung. Er ist branchenspezifisch und beinhaltet die Obermenge aller für die einzelnen Branchen möglichen Konten. Es kann daher nicht verwundern, dass es eine Vielzahl von Kontenrahmen gibt. Der Kontenplan ist ein Ordnungsinstrument eines bestimmten Unternehmens. Im Kontenplan sind die individuell für das Unternehmen relevanten Konten zusammengefasst. Die systematische Ordnung der Konten wird durch ihre einheitliche Gliederung und 106 Bezeichnung erreicht. Dies ermöglicht: • Einen genauen Überblick über die in einem Unternehmen geführten Konten. • Einen Vergleich der einzelnen Aufwendungen und Erträge desselben Unternehmens (innerer Betriebsvergleich). • Einen Vergleich der einzelnen Aufwendungen und Erträge eines Unternehmens mit denen anderer Unternehmen desselben Wirtschaftszweiges (äußerer Vergleich). • Die Vereinheitlichung und Vereinfachung des Buchungstextes durch die Verwendung von Kontennummern, was aber nicht bedingt, dass kein individueller Text

_____ 48 Vgl Fn 19. 49 Vgl zu den nachfolgenden Ausführungen Bornhofen, Buchführung 1, S 68 ff.

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188 | 1. Kapitel: Informationsbeschaffung

einzufügen ist, denn erst dieser belebt den Geschäftsvorfall in der Praxis bzw macht die historischen Abläufe transparent. 107 Datenverarbeitungsorganisationen zB DATEV bietet zwei Spezialkontenrahmen (SKR)

an, die in einer Vielzahl von Fällen zur Anwendung kommen. Es handelt sich um den SKR 03 und den SKR 04. Die Kontenrahmen enthalten zehn Kontenklassen, die mit den Ziffern 0–9 nummeriert sind. Diese können weiter differenziert werden, in Kontengruppen (zwei Ziffern 00–99); Untergruppen mit drei Ziffern (000–999) und die Einzelkonten 0001 bis 9999. Der SKR 03 sieht die nachstehenden Kontenklassen vor, wobei der Rahmen dem 108 Prozessgliederungsprinzip folgt. Das Anlagevermögen und das Kapital (Kontenklasse 0) sind die Ausgangsgrößen der betrieblichen Tätigkeit. Mit den Finanzmitteln (Kontenklasse 1) werden die Waren gekauft. Durch das Warengeschäft (Einkauf, Lagerung, Verkauf) entstehen betriebliche Aufwendungen (Kontenklasse 4). Die Erträge aus den Wareneinkäufen (Kontenklasse 8) bilden den Abschluss der betrieblichen Aktivitäten. 109 Tafel 8: SKR 03 Kontenklasse

Bezeichnung

0

Anlage- und Kapitalkonten

1

Finanz- und Privatkonten

2

Abgrenzungskonten

3

Wareneingangs- und Bestandskonten

4

betriebliche Aufwendungen

5

Frei

6

Frei

7

Bestände an Erzeugnissen

8

Erlöskonten

9

Vortragskonten – Statistische Konten

110 Der SKR 04 folgt dem Abschlussgliederungsprinzip, wie die nachstehende Tafel zeigt. In

den Kontenklassen 0–3 sind die Konten der Bilanz abgebildet, wobei am Anfang die Konten der Aktivseite der Bilanz stehen, denen die Konten der Passivseite folgen. In den Kontenklassen 4–8 sind die Konten der Gewinn- und Verlustrechnung abgebildet, wobei in der Kontenklasse 4 die Erlöskonten erfasst sind und in den Kontenklassen 5–8 sind die Kostenkonten abgebildet. In der Kontenklasse 9 werden die Vortragskonten erfasst, um die Eröffnungsbilanzwerte vorzutragen.

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§ 2 Die Buchhaltung als wesentliche Informationsquelle | 189

111

Tafel 9: SKR 04 Kontenklasse

Bezeichnung

0

Anlagevermögen

1

Umlaufvermögen

2

Kapital (Passiva)

3

Rückstellungen und Verbindlichkeiten (Passiva)

4

betriebliche Erträge

5

betriebliche Aufwendungen (Material)

6

betriebliche Aufwendungen (Personal, sonstige Aufwendungen)

7

weitere Erträge und Aufwendungen

8

Frei

9

Vortragskonten – statistische Konten

Die Debitoren werden auf den Konten 10000–69999 erfasst. Auf den Konten 70000– 99999 werden die Kreditoren erfasst.

2. Die Hierarchie der Daten Auf dem Weg vom Beleg (denn die eiserne Regel eines jeden Buchhalters heißt: „KEINE 112 BUCHUNG OHNE BELEG“) bis zum Abschluss können eine Vielzahl von Informationen gewonnen werden, wie das Geschäftsergebnis und damit die Grundlagen für die Besteuerung zustande kamen. Es können aber auch Informationen bzgl der insolvenzstrafrechtlichen Delikte gewonnen werden. Im Rahmen der Analyse der buchhalterischen Informationen lässt sich eine gewisse Hierarchie bei der Auswertung konstatieren. An der niedrigsten Stelle in der Auswertungshierarchie steht die Primanota – aufbauend auf dem Beleg – und an höchster Stelle stehen die Bilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung. Je höher die Stellung in der Auswertungshierarchie, desto höher der Abstraktionsgrad der Auswertung, dh desto weiter entfernt sich der Betrachter vom Einzelbeleg zugunsten einer Gesamtbetrachtung der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens. Der Zusammenhang ist nachstehend nochmals dargestellt. 113

Tafel 10: Abstraktionsgrad der Buchführung Beleg (zB Rechnung) Buchungsliste/Primanota Kontoauszug (Sachkonto)

Abstraktionsgrad zunehmend

Summen- und Saldenliste BWA/Bilanz und GuV

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190 | 1. Kapitel: Informationsbeschaffung

3. Primanota 114 Bei der Primanota handelt es sich um den Ausdruck der in einer Datenbank eingegebe-

nen Buchungen (Eingabejournal). Sie kann zB die nachstehende Form haben und variiert etwas in Abhängigkeit von dem eingesetzten EDV System (zB DATEV, Addison oder Lexware). Die Grundstruktur ist aber gleich. Sie ist nachstehend abgebildet.

115 Tafel 11: Primanota 99999/99/201250 XY AG Stapel 01 2012 (Januar)

12.06.201251 Blatt 1

PRIMANOTA Datum 1.1.2012–31.1.2012

Nr.52

Umsatz53 BU

Gegenkonto Belegfeld54

Datum55

Konto56

1 2 3 4 5

90,67 65,45 87,16 50,69 61,88

4400 4400 4400 4400 4400

1. Jan 1. Jan 1. Jan 1. Jan 1. Jan

10275 10161 10158 10984 10895

RE 2012001 RE 2012002 RE 2012003 RE 2012004 RE 2012005

Skonto

Text57 Fibu 12 Fibu 12 Fibu 12 Fibu 12 Fibu 12

116 Aus insolvenzrechtlicher Sicht können aus der Auswertung der Primanota ua die folgen-

den Informationen gewonnen werden: • Sind keine anderen Ausdrucke als die Primanota vorhanden, so ist es möglich, wenn auch sehr aufwendig, anhand vorhandener Primanota-Ausdrucke die Buchhaltung des Schuldners zu rekonstruieren (vollständige Neueingabe der Datensätze). • Die Primanota kann aber auch Angaben liefern, was „tatsächlich“ geschah. So können zB ursprünglich als „Gesellschafterdarlehen in Höhe von 5.000 €“ deklarierte Auszahlungen nachträglich als „Zahlungen für in Anspruch genommene Beratungsleistungen“ deklariert werden. Der Buchungssatz hierzu wäre: per Beratungsleistung 5.000,00 € an Gesellschafterdarlehen 5.000,00 €. Diese Umbuchungen erfolgen häufig in der Krise. Sofern keine anderen Informationsmittel vorhanden sind (zB Sachkonten wie das Konto Gesellschafterdarlehen und das Konto Beratungsleistung), kann die Auswertung der Primanota ein derartiges „Geschäftsgebaren“ offen zu Tage treten lassen. • Ferner können auf Basis der Primanoten zeitlich zusammenfallende Buchungsänderungen in Form von Verrechnungen ggf nachvollzogen werden (wobei die Textung da-

_____ 50 Hier sind die Beraternummer, die Mandantennummer und das Buchungsjahr geschlüsselt. 51 Datum des Ausdrucks. 52 Hier sind die Buchungsnummern erfasst. 53 Hier ist die Höhe des Umsatzes erfasst. 54 Hier wird der Beleg genauer bezeichnet (hier Ausgangsrechnungen). 55 Hier wird das Eingabedatum händisch eingegeben, es sollte, wenn die Bank und die Kasse erfasst werden, mit dem Datum auf dem Beleg identisch sein, da sonst die Übersicht erheblich erschwert wird. Bei Unternehmen ist dies aber leider in der Krise immer wieder zu verzeichnen, was ggf einen enormen Anpassungsaufwand verursacht damit bspw eine Verbindlichkeit aus Lieferung dann erfasst wird, wenn sie entstanden ist und nicht Monate später, was nachhaltige Auswirkungen auf die Analyse der Zahlungsunfähigkeit hat. 56 Hier ist das Konto erfasst, das im Soll belastet wird. 57 Hier wurde ergänzend der Grund der Rechnung angegeben, hier die Erstellung der Finanzbuchhaltung für den Monat 12 und zwar für das Vorjahr.

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§ 2 Die Buchhaltung als wesentliche Informationsquelle | 191

bei immer hilft, die aber in der Praxis immer wieder vernachlässigt wird, bzw der Berater und sein Personal können mangels vorliegender Belege nur rudimentär buchen, um dann zeitlich nachgelagert den Geschäftsvorfall ggf zu korrigieren und zu texten).

4. Der Kontoauszug Mit dem Kontoauszug aus der Buchführung, der hier angesprochen wird, ist der Sach- 117 kontoauszug gemeint. Hier werden alle Geschäftsvorfälle, die das entspr Sachkonto betreffen, erfasst. Nachstehend ist beispielhaft das Konto der Rechts- und Beratungskosten eines Unternehmens abgebildet. Der Saldo eines Kontos geht am Ende des Geschäftsjahres dann in den Jahresabschluss ein. Im Fall der Rechts- und Beratungskosten wird der Saldo an die Gewinn- und Verlustrechnung abgegeben. 118

Tafel 12: Kontoauszug 99999/99/2012 XY AG Konto 6825 58 Datum 14.1.2011 25.3.2011 29.3.2011

BU Gegenkonto 1800 1800 1800

EB Wert60: 0,00

19.7.2012 Blatt 1

Jahreskonto Rechts- und Beratungskosten Buchungstext Bundesanzeiger RA Fugge RA Michel

Saldo: 885,0061

USt59 9 9 9

Belegfeld Umsatz Soll Umsatz Haben 35,00 250,00 600,00

JVZ Soll62

885,00 JVZ Haben

Auf dem Konto Rechts- und Beratungskosten werden die Kosten erfasst, die insbeson- 119 dere für Anwaltsleistungen aufgewendet wurden bzw im Rahmen von Beraterverträgen verausgabt wurden. Die Auswertung eines derartigen Kontos kann im Rahmen einer Kriminalinsolvenz äußerst aufschlussreich sein. Kann man doch durch die Einsicht in das Konto ua Hinweise erlangen, welche Leistungen in Form von Beraterverträgen zulasten des Unternehmens abgerechnet wurden, um die Verträge dann im Nachgang einzusehen. Ggf ergibt sich daraufhin im Weiteren aufgrund von zusätzlichen Ermittlungen, dass es sich um einen „Alibivertrag“ handelte, um jemandem Geld aus dem Unterneh-

_____ 58 Die Kontonummer ist dem SKR 04 entnommen. 59 Hier wird geschlüsselt, ob Vorsteuer gezogen wurde. Der Schlüssel 9 steht für 19% und der Schlüssel 8 für 7%. 60 Der EB Wert nimmt den Eröffnungsbilanzwert auf. Insbes bei den Bestandskonten sollte hier ein Wert eingegeben sein. Ist dies nicht der Fall, könnten die Werte aus dem letzten Jahr nicht korrekt vorgetragen worden sein, was die Übersicht über die Vermögens- und Ertragslage nachhaltig beeinträchtigt. 61 Der Saldo ergibt sich als Summe des EB Wert zzgl der JVZ Soll abzgl der JVZ Haben. Es handelt sich um den Endbestand des Kontos. 62 Hierbei handelt es sich um die Jahresverkehrszahl im Soll (JVZ), mithin die Summe aller Geschäftsvorfälle, die im Soll erfasst wurden.

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192 | 1. Kapitel: Informationsbeschaffung

men zukommen zu lassen. Insofern ist die Auswertung dieses Kontos immer wieder interessant, um die Beziehungen zu nahestehenden Personen zu evaluieren, denen gern ein Beratervertrag angeboten wird. Im Hinblick auf die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit ist auch das Konto des Ma120 terialaufwandes iVm dem Beleg von sicherlich hohem Interesse. Nicht selten wird nämlich eine Verbindlichkeit in der Buchhaltung erst mit der Zahlung erfasst und nicht mit dem Eingang der Rechnung in das Unternehmen. Diese Diskrepanz kann insofern aufgedeckt werden, wenn das Buchungsdatum auf dem Materialaufwandskonto mit dem Lieferdatum63 lt Beleg verglichen wird. Einen Hinweis darauf, dass die Verbindlichkeit aus Lieferung und Leistung nicht bei Lieferung eingebucht wird, zeigt auch ein Blick auf das Gegenkonto. Sofern die Verbindlichkeit bei Lieferung erfasst wird, wird das Konto 3300 im SKR 04 erfasst (Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen) bzw ein OPOS Konto 70000 ff. Im Fall der Buchung des Aufwandes bei Bezahlung wird als Gegenkonto das Konto Kasse 1600 oder Bank 1800 erfasst. Auch der Blick auf das Konto sonstige Vermögensgegenstände ist häufig lohnens121 wert (Konto 1300 im SKR 04). Nicht selten werden auf diesem Konto die Darlehenszahlungen an die Gesellschafter erfasst, die ggf einer näheren Analyse bedürfen. Hier findet sich auch in dem einen oder anderen Fall ein Hinweis, dass das Stammkapital nicht eingezahlt wurde, statt es auf dem Konto 2910 ausstehende Einlagen nicht eingefordert zu erfassen. Insofern wird im Rahmen der Gründung einer GmbH mit 25.000 € zB der noch nicht eingezahlte Betrag iHv 12.500 € auf dem Konto sonstige Vermögensgegenstände erfasst. In extremen Fällen kann die Auswertung des Kontos sonstige Vermögensgegenstände auch zeigen, dass in der Krise die Ansprüche „egalisiert“ werden. Es findet dann eine „Ausbuchung“ als sonstiger Aufwand statt (Konto 6300), womit ein weiteres interessantes Konto aus der Sicht der Kriminalinsolvenz angesprochen ist. Um den wirklichen Ablauf des Geschehens wieder transparent zu machen, ist die Auswertung ggf mehrerer Sachkonten notwendig. Denn nicht selten wird versucht, indem der Geschäftsvorfall über eine Vielzahl von Sachkonten „gejagt“ wird, Verwirrung zu stiften. 122 Die Auswertung der Sachkonten stellt mithin eine wesentliche Informationsquelle im Rahmen der Kriminalinsolvenz dar. Insofern lohnt sich auch immer ein Blick auf die nachstehend beispielhaft aufgeführten Konten, die Gründe hierfür wurden in diesem Abschnitt schon angesprochen. • Forderungen gegenüber Gesellschaftern • Verrechnungskonten (Gesellschafter) • Fremdleistungen • Beraterkonten 123 Bei verbundenen Unternehmen kann es sich auch anbieten, nach Möglichkeit das spie-

gelbildlich zu führende Konto anzusehen, um die Verbuchung von Zahlungsströmen nachzuvollziehen bzw zu vergleichen.

5. Die Summen- und Saldenliste 124 Die Summen- und Saldenlisten stellen Aufstellungen der Salden unterschiedlicher Kon-

ten dar. Die Summen- und Saldenlisten sind nach Kontengruppen sortiert. Summen- und

_____ 63 Hierbei handelt es sich um eine Pflichtangabe auf einer Rechnung, die gemäß § 14 Abs 4 UStG zwingend vorgesehen ist.

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§ 2 Die Buchhaltung als wesentliche Informationsquelle | 193

Saldenlisten werden im Regelfall, nachdem die monatlichen Buchungen erfolgt sind, generiert. Der Aufbau einer Summen- und Saldenliste ist nachstehend abgebildet. Den Anfang bilden das Konto und die Kontobezeichnung. Im Weiteren werden die Eröffnungsbilanzwerte bei den Bestandskonten ausgewiesen. Daran schließt sich der Ausweis der Kontenbewegungen auf dem Konto pro Monat an und in zwei weiteren Spalten wird die Summe der Bewegungen für die kumulierten Werte angegeben. Der Eröffnungswert zzgl der kumulierten Werte im Soll und abzgl der Werte im Haben ergeben dann den Saldo des Kontos am Abschluss des Auswertungsmonats.64 Voraussetzung für ein korrektes Ergebnis ist dabei immer, dass alle Geschäftsvorfälle buchhalterisch erfasst sind. 125

Tafel 13: Summen- und Saldenliste

XY GmbH

Summen- und Saldenliste alle Konten Eröffnungs bilanzwert

Konto Bezeichnung 27 400 480 800 860 957 963 970

EDV Software Betriebsausstattung GWG Gezeichnetes Kapital Gewinnvortrag Gewerbesteuerrückstellung Körperschaftsteuer rückstellung sonstige Rückstellung Summe Klasse 0

1000 1200 1360

Kasse Bank Geldtransit

Monatswerte

3.716,00 S 280,00 S

12.07.2012 Blatt 1

kumulierte Werte 134,24 15,34

394,26

Saldo

2.297,83

1.747,26 234,00 2.297,83

2.383,00 S 46,00 S 0 25.000,00 H 464.377,03 H

39.180,81

11.932,50

12.754,00 H

4.709,49

4.709,49 H 13.101,83 H

25.000,00 H 464.377,03 H 40.002,31 H

6.883,52 11.932,50 4.709,49

S H

28.925,84 H 14.724,21 4.500,00

20.324,21

4.500,00

3.996,00 21.607,73 21.291,57 558.305,18

62.197,11

25.421,08

62,00 S 142.311,98 S

62,00

7.309,24

62,00 257.478,00 399.789,96 4.189,24 465.569,24 465.589,24

S H

2.429,00 519.942,35 0 0 200,00 H

Die Aussagekraft einer Summen- und Saldenliste wird nachhaltig beeinträchtigt, wenn 126 keine Eröffnungsbilanzwerte vorgetragen werden. In der Praxis erfolgt dies im Bereich der Jahresübernahme häufig nur für die Kasse, die Bank und die Forderungen aus Lieferungen und Leistungen und die Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen. Für die Analyse der Zahlungsunfähigkeit bzw der Überschuldung ist ein solcher Datenrohling nur wenig aussagekräftig. Die Eröffnungswerte sind hier ggf zeitaufwendig und händisch einzupflegen. Die vorstehende Bemerkung sollte aber nicht so verstanden werden, dass Summen- und Saldenlisten ohne Eröffnungswerte wertlos sind. Das Gegenteil ist der Fall. Auch Rohlinge ohne Eröffnungswerte sind eine elementare Vorausset-

_____ 64 Diese Berechnung gilt für die im Soll geführten Bestandskonten. Bei im Haben geführten Konten gilt die umgekehrte Reihenfolge.

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194 | 1. Kapitel: Informationsbeschaffung

zung für die betriebswirtschaftliche Analyse der Zahlungsunfähigkeit bzw der Überschuldung. Darüber hinaus kann der Vergleich der Salden über die Zeit zu Fragen anregen: 127 • Kommt es im Laufe der Zeit zu einem starken Anstieg von den sonstigen Aufwendungen, steht dies nicht selten mit Beraterverträgen mit nahen Angehörigen im Zusammenhang. Der Anstieg der Kosten gibt mithin den Hinweis, dass sich ein Einstieg in die Analyse des Kontos lohnt, um ggf das „Ausbluten“ eines Unternehmens nachvollziehen zu können. • Erhebliche Veränderungen der Position Kasse und der Bestände bei der Bank dürften immer einen Anlass für eine tiefergehende Analyse geben. In den einfachsten Fällen wurden die Mittel zur ungeplanten Rückführung nur ausgewählter Verbindlichkeiten verwendet. In anderen Fällen wurden auch tatsächlich bestehende oder erst nachträglich geschaffene Habensalden auf Gesellschafterverrechnungskonten ausgeglichen. • Auch nachhaltige Veränderungen im Bereich des Anlage- und Umlaufvermögens geben Anlass für eine tiefere forensische Prüfung. Nicht selten ist zu beobachten, dass im Rahmen der Unternehmenskrise das Anlagevermögen ausgebucht wird, wobei dies dann nicht selten an die Ehefrau zu einem „Freundschaftspreis“ übertragen wird, um dann die leere Hülle von Unternehmen in die Insolvenz zu schicken.65 ZT ist aber auch das Aufblähen des Kontos Forderungen aus Lieferungen und Leistungen zu konstatieren. Hintergrund ist die Erfassung fiktiver Rechnungen, um die Situation gegenüber den Banken besser darzustellen, im nächsten Buchungslauf werden derartige Rechnungen dann wieder storniert. • Auch das plötzliche Absinken bzw das Auflösen der Forderungen gegen Gesellschafter oder nahestehende Personen sollte Anlass zu weiteren Prüfungen geben. Zumeist werden der Gesellschaft nämlich „Beraterhonorare“ in Rechnung gestellt. Die Beraterhonorare fließen dann in Form von „kick-backs“ an die Gesellschafter zurück. 128 Eine Unterform der Summen- und Saldenlisten bilden die Debitorenlisten und die Kredi-

torenlisten, wenn sie geführt werden. Nachstehend ist eine Debitorenliste dargestellt. Der Aufbau der Kreditorenliste ist gleich. 129 In der Debitorenliste wird das Konto „Forderungen aus Lieferungen und Leistungen“ aufgeschlüsselt. Es werden einzelne Forderungskonten für Gläubiger (zB Brauer 12200) oder Gläubigergruppen (zB diverse Gläubiger D 12400) gebildet. Im Anschluss an die Kontonummer und die Bezeichnung wird wiederum der Eröffnungsbilanzwert ausgewiesen, hieran schließt sich der Ausweis des Monatswertes und der kumulierte Wert. Den Abschluss bildet der Saldo.

_____ 65 Dass ein derartiges Vorgehen sinnlos sein dürfte, zeigen die Anfechtungsnormen des Insolvenzrechtes §§ 129 ff InsO, ein Recht, das der Verwalter – nicht zuletzt auch um seine eigene Vergütung zu sichern – nachhaltig zur Anwendung bringt.

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§ 2 Die Buchhaltung als wesentliche Informationsquelle | 195

130

Tafel 14: Debitorenliste Summen- und Saldenliste XY GmbH

Summen- und Saldenliste Debitoren Juni 12

Konto

Bezeichnung

Eröffnungsbilanzwert

12100 12200 12300 12400 12500 12600

Adolf Brauer Colidus Diverse D Evertz Fleischer

300,00 € 250,00 € 400,00 € 2.000,00 € 500,00 € 500,00 €

Monatswerte Soll Haben 400,00 €

1.000,00 € 100,00 € 120,00 €

1.000,00 € 150,00 € 120,00 €

12.07.2012 Blatt 1 kumulierte Werte Soll Haben 800,00 € 400,00 € 500,00 € 5.000,00 € 200,00 € 400,00 €

500,00 € 5.000,00 € 300,00 € 400,00 €

Saldo 700,00 € 250,00 € 400,00 € 2.000,00 € 400,00 € 500,00 €

Die in der Debitorenliste aufgeführten Konten können selbstverständlich auch aus der 131 EDV ausgelesen werden. Nachstehend ist ein Debitorenkonto dargestellt. Die Rechnungsnummer ist die Nummer der Ausgangsrechnung. Das Datum ist das Datum der Rechnungsausstellung. Dieses kann mit der Fälligkeit identisch sein.66 Ferner enthält das OPOS Konto das Gegenkonto und den Rechnungsbetrag (Soll) und den Saldo (bei Teilzahlungen über die Zeit abnehmend). Letztlich werden die Tage der Fälligkeit ausgewiesen und ggf. ein händischer Buchungstext und die Umsatzsteuer. 132

Tafel 15: Einzelkonto Debitor XY GmbH

Z GmbH OPOS KONTO

14.08.2012

Konto 30701

Rechnungsnummer

Datum

RE20120218 RE20120315 RE20120397

10.3.2012 10.3.2012 4400 29.3.2012 29.3.2012 4400 01.4.2012 01.4.2012 4400

Fälligkeit

Gegenkonto

Summe offene Posten

Betrag Betrag SollHaben 991,86 1.092,90 2.891,59

4.976,35

Saldo 991,86 1.092,90 2.891,59

fällig –157 –138 –135

Buchungstext USt 19% 19% 19%

4.976,35

Die Auswertung der Debitoren kann wichtige Erkenntnisse liefern: 133 • So deutet ein immer gleichbleibender Betrag des Zahlungseingangs beim Debitor an, dass ein Ratenzahlungsbetrag abgeschlossen wurde. Allein die Rate ist insofern im Rahmen der Analyse der betriebswirtschaftlichen Zahlungsunfähigkeit aufzunehmen. • Sofern ein Saldo bei einem Debitorenkonto über Monate gleich hoch bleibt, deutet dies die Vereinbarung einer Stundung oder die Uneinbringlichkeit der Forderung an. Gleiches kann auch aus den Tagen der Fälligkeit ermittelt werden.67

_____ 66 Hierbei handelt es sich um Rechnungen ohne Zahlungsziel. 67 Die Aussagefähigkeit der OPOS-Listen hängt dabei entscheidend davon ab, dass die Buchhaltung gepflegt wird, mithin nicht über Monate hinweg keine Eingaben erfolgen bzw im Rahmen der Buchung nicht das OPOS-Konto angesprochen wird.

Reck

196 | 1. Kapitel: Informationsbeschaffung

134 Im Bereich der Kreditoren kann die Auswertung der Konten auch wesentliche Informa-

tionshinweise geben. • So deutet ein immer gleichbleibender Betrag eines Kreditorenkontos darauf hin, dass ggf eine Stundungsvereinbarung vorliegt. Es kann aber auch der Fall sein, dass der Kreditor nicht bezahlt wird, da Mängel in der Leistung vorliegen und kein Zahlungsausgleich erfolgt. Insbes im ersten Fall dürfte eine nicht mehr kurzfristig fällige Verbindlichkeit vorliegen. • Wird ein immer gleicher Betrag einer Schuld getilgt, dann zeigt dies eine Ratenvereinbarung an, sodass im Rahmen der Analyse der betriebswirtschaftlichen Zahlungsunfähigkeit nicht der gesamte Betrag zu berücksichtigen ist, sondern allein die fällige Rate.

6. BWA und Zusatzauswertungen 135 Betriebswirtschaftliche Auswertungen (BWAs) sollen die betriebswirtschaftliche Analyse

und Steuerung eines Unternehmens unterstützen. Sie komprimieren die in der Finanzbuchhaltung verarbeiteten Werte nach betriebswirtschaftlichen Aspekten. Einige BWAs, die in der Praxis immer wieder vorzufinden sind, sind nachstehend aufgeführt. 136 1. Die kurzfristige Erfolgsrechnung. Sie stellt iE eine monatliche Gewinn- und Verlustrechnung dar. Mit ihrer Hilfe kann man unter Berücksichtigung der Eigenkapitalsituation aus dem letzten Abschluss unterjährig die rechnerische Überschuldung generell ermitteln.68 137 2. Die Betrachtung der statischen Liquidität. Im Rahmen dieser Auswertungen wird die Liquidität 1., 2. und 3. Grades eines Unternehmens ermittelt. Hierbei gilt es zu beachten, dass gerade die Liquidität 2. Grades einen Hinweis darauf gibt, ob eine betriebswirtschaftliche Zahlungsunfähigkeit vorliegt. Insofern sind diese Auswertungen von hoher Bedeutung für die Analyse der Zahlungsunfähigkeit und va der Kenntnis derselben durch die Geschäftsleitung. Allerdings sei darauf hingewiesen, dass die Kontokorrentrahmen in diesen Auswertungen häufig nicht eingepflegt sind, was deren Aussagekraft einschränkt.69 138 3. Ferner werden auch häufig Vergleichs BWAs ausgedruckt. Hier werden dann die aktuellen Daten mit den Daten des Vorjahres verglichen bzw Sollvorgaben mit den Istvorgaben.

7. Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung 139 In der Hierarchie der Abstraktionsgerade der Auswertungen an oberster Stellen stehen

die Bilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung mit ihren Kontennachweisen. Aufgrund der Zusammenfassung der Daten lassen sich diesen Informationsquellen allein erste Hinweise auf Insolvenzdelikte bzw Straftaten entnehmen. So deutet ein Verlust in der Gewinn- und Verlustrechnung über Jahre bei einer Kapitalgesellschaft an, dass eine bilanzielle Überschuldung gegeben sein kann. Dies findet ggf eine Bestätigung, wenn in der Bilanz korrespondierend ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag ausgewiesen wird. Ferner zeigt der volle Ausweis des nichteingezahlten Eigenkapitals in Höhe

_____ 68 Es kann sich hierbei nur um eine überschlägige Ermittlung handeln, da bspw ein Rangrückritt in der kurzfristigen Erfolgsrechnung nicht eingepflegt ist. 69 Vgl zu diesem grundlegendem Problem auch Reck BBK 1999, Seite 327 ff.

Reck

§ 2 Die Buchhaltung als wesentliche Informationsquelle | 197

von 25.000 € bei einer Kapitalgesellschaft an, dass das Gründungskapital nicht eingezahlt wurde. In diese Richtung zeigt auch eine Forderung gegenüber Gesellschaftern in Höhe von 25.000 €. Darüber hinaus zeigt der Zeitreihenvergleich ggf an, dass es zu Vermögensverschiebungen gekommen ist, die dann zu weiteren Nachforschungen Anlass geben sollten.

IV. Fundstellen für die Indizien der kriminalistischen Analyse der Insolvenz Nachstehend sind häufige Fundstellen aufgeführt, die dem Bereich der Buchführung 140 zugeordnet werden können, die es im Rahmen einer Kriminalinsolvenz abzuarbeiten gilt, um insbesondere die kriminalistische Analyse der Zahlungsunfähigkeit vornehmen zu können. 141

Tafel 16: Indikatoren der kriminalistischen Analyse der Zahlungsunfähigkeit und Fundstellen Indikator70

häufige Fundquellen

Maßnahmen von Lieferanten • Inanspruchnahme von Zahlungszielen



• •

Ausweitung des Lieferantenkredites Überschreitung von Zahlungszielen

• •



Übergang zur Ratenzahlung





Mahnung von Lieferanten



• •

Wechsel Hauptlieferanten Lieferung nur gegen Barzahlung oder Vorkasse

• •



Zahlung von Mahn- und Vollstreckungsbescheiden





Scheck- und Wechselproteste





Pfändungen von Lieferanten





Ladung und Haftbefehl zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung



Maßnahmen von Kreditinstituten • Überziehung der Kontokorrentlinie



Auswertung der Bankunterlagen nebst Rechnungen (Finanzbuchhaltung) Kreditorenkonten (OPOS Buchhaltung) Auswertung der Bankunterlagen nebst Rechnungen (Finanzbuchhaltung) Ratenzahlungsverträge, Auswertung der Kreditorenkonten (Vertragsunterlagen, OPOS Buchhaltung) Mahnordner, Auswertung des Schriftverkehrs, gebuchte Belege (Finanzbuchhaltung, Geschäftsleitung) Kreditorenkonten (OPOS Buchhaltung) Auswertung der Kasse und Befragung der Lieferanten und der Geschäftsleitung (Finanzbuchhaltung und Geschäftsleitung) Mahnordner, Auswertung des Schriftverkehrs, gebuchte Belege (Finanzbuchhaltung, Geschäftsleitung) Bankkonto und dessen Auswertung, Bankunterlagen (Finanzbuchhaltung und Geschäftsleitung) „Mahn- und Pfändungsordner“, Auswertung des Schriftverkehrs, gebuchte Belege (Finanzbuchhaltung, Geschäftsleitung); Gerichtsvollzieher Geschäftsunterlagen, Gerichtsvollzieher

Summen- und Saldenlisten und Kreditakte (Finanzbuchhaltung, Geschäftsleitung und Bank)

_____ 70 Vgl Hartung wistra 1997, 11 f.

Reck

198 | 1. Kapitel: Informationsbeschaffung

Indikator71

häufige Fundquellen

• •

• •

Bankkonto und dessen Auswertung Bankkonto und dessen Auswertung

• • •

Kreditakte (Geschäftsleitung und Bank) Kreditakte (Geschäftsleitung und Bank) Kreditakte, sowie noch nicht abgelegt Geschäftsunterlagen (Geschäftsleitung und Bank)

Weitere Indizien • Rückständige Buchführung







• •

Stundungs- und Vergleichsverhandlungen mit allen Gläubigern Nichtzahlung von Mieten und Pachten etc. Nichtzahlung von Löhnen



Nichtzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen





Nichtzahlung von Steuern



Auswertung des Standes der Finanzbuchhaltung (Finanzbuchhaltung), Steuerberater, Rechtsanwalt, vereidigter Buchprüfer oder Wirtschaftsprüfer Spezialordner Stundung/Vergleich, Auswertung der Geschäftsunterlagen Bankkonto und dessen Auswertung Bankkonto und dessen Auswertung, ggf. Auswertung der Lohnbuchhaltung Bankkonto und dessen Auswertung, ggf. Auswertung der Lohnbuchhaltung Bankkonto und dessen Auswertung und Geschäftsunterlagen

• • •

Rückgabe von Schecks Rückgabe von Lastschriften und Abbuchungsaufträgen Erfolgslose Kreditverhandlungen Suche nach neuen Kreditgebern Kreditkündigung der Bank

• •

anhängen!!

§ 3 Die Gerichte im Ermittlungsverfahren Reck/Schmidt § 3 Die Gerichte im Ermittlungsverfahren I. Die Aufgabenverteilung im Ermittlungsverfahren 1 Nach der Konzeption des Gesetzgebers der StPO liegt die rechtliche Verantwortung für

das gesamte Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft, auch wenn in der Praxis die Polizei die Ermittlungen (durch)führt und damit in einer Vielzahl von Ermittlungsverfahren faktisch eine Verlagerung der Verantwortlichkeit zu beobachten ist. Die Gerichte – allen voran der Ermittlungsrichter – werden in dieser Phase des Verfahrens nur auf Antrag tätig.1 Antragstellerin ist in erster Linie die Staatsanwaltschaft, die das Gericht, vornehm2 lich den Ermittlungsrichter, zum Zwecke des vorbeugenden Rechtsschutzes vor strafprozessualen Grundrechtseingriffen zur Erlangung entspr Anordnungen einzuschalten hat. Ferner kann sie in gesetzlich besonders geregelten Fällen die Durchführung einzelner Untersuchungshandlungen beantragen, die sie auch selbst vornehmen könnte, bspw die richterliche Vernehmung eines Beschuldigten oder Zeugen (§ 168c StPO). Antragsbefugt sind des Weiteren der Beschuldigte und sein Verteidiger sowie der im Einzelfall von einer Maßnahme betroffene unverdächtige Dritte und sein Verfahrensbevollmächtigter, wenn sie nachträglich Rechtsschutz suchen. Letzteres kann bspw im Fall einer Durchsu-

_____ 71 Vgl Hartung wistra 1997, 11 f. 1 BVerfG 20.2.2011 – 2 BvR 1444/00 Rn 34, BVerfGE 103, 142 ff; Ausnahme ist die in der Praxis selten vorkommende Fallgestaltung des Richters als sog Notstaatsanwalt (§ 165 StPO).

Reck/Schmidt

§ 3 Die Gerichte im Ermittlungsverfahren | 199

chungsanordnung nach § 103 StPO für den von einer Durchsuchung oder Beschlagnahme Betroffenen der Fall sein, der sich gegen die Maßnahme wenden will. Eindeutig im Vordergrund der gerichtlichen Tätigkeit im Ermittlungsverfahren ste- 3 hen Entscheidungen über Anträge der Staatsanwaltschaft vor der Durchführung bestimmter Ermittlungsmaßnahmen. Hierzu gehören nicht nur der Erlass von Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnungen sowie Haftbefehlen. Vielmehr hat der Gesetzgeber in den letzten Jahren eine Reihe von Regelungen in die StPO eingefügt, die Richtervorbehalte enthalten und damit iE die Entscheidungskompetenzen der Staatsanwaltschaft einschränken. Im Einzelnen handelt es dabei um folgende Ermittlungsmaßnahmen: – die körperliche Untersuchung des Beschuldigten (§ 81a Abs 2 StPO) ua Personen (§ 81c Abs 5 StPO), – die molekulargenetische Untersuchung (§ 81f Abs 1 S 1 StPO), – die DNA-Identitätsfeststellung (§ 81g Abs 3 StPO), – die Rasterfahndung (§§ 98a, 98b Abs 1 S 1 StPO), – die Postbeschlagnahme (§§ 99, 100 Abs 1 StPO), – die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikationsüberwachung (§§ 100a, 100b Abs 1 S 1 StPO), – die akustische Wohnraumüberwachung (§ 100d Abs 1 S 1 StPO), – das Abhören des nichtöffentlich gesprochenen Wortes (§§ 100f Abs 4, 100b Abs 1 S 1 StPO),Schmidt – die Erhebung von Verkehrsdaten nach dem Telekommunikationsgesetz (§§ 100g Abs 2, 100b Abs 1 S 1 StPO), – der Einsatz eines „IMSI-Catcher“ (§§ 100i Abs 3, 100b Abs 1 S 1 StPO), – Auskunftsverlangen über Zugriffsdaten gegenüber Telekommunikationsanbietern (§ 100j Abs 3 S 1 StPO), – der Einsatz verdeckter Ermittler gegen bestimmte Beschuldigte oder bei Betreten von Wohnungen (§ 110b Abs 2 StPO), – die Öffentlichkeitsfahndung (§ 131c Abs 1 S 1 StPO), – die Netzfahndung (§ 163d Abs 2 StPO), – die Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung (§ 163e Abs 4 S 1 StPO), – die längerfristige Observation (§ 163f Abs 3 S 1 StPO). Diese Tendenz, die ihrerseits auf die Rspr des BVerfG zur Bedeutung und Funktion des 4 Richtervorbehalts zurückgeht,2 wird nicht immer und uneingeschränkt positiv bewertet.3 Sie trägt einer Entwicklung Rechnung, die einerseits neuen Kriminalitätsformen und Bedrohungen – nicht nur aus den Bereichen des Terrorismus und der organisierten (Wirtschafts-)Kriminalität – wirksam begegnen muss, indem den Ermittlungsbehörden effiziente Untersuchungsmöglichkeiten durch das Ausnutzen va neuer Informationsund Kommunikationstechnologien an die Hand gegeben und die hierzu notwendigen Ermächtigungsgrundlagen geschaffen werden. Andererseits ziehen diese Ermächtigungen zwangsläufig erhebliche Eingriffe in die (Grund-)Rechte der Betroffenen nach sich, die es auf das unbedingt notwendige Maß zu beschränken gilt. Vergegenwärtigt man sich, dass va durch die private Wirtschaft in allen Bereichen nach Herzenslust und nahe-

_____ 2 Vgl BVerfG 20.2.2011 – 2 BvR 1444/00 Rn 33, BVerfGE 103, 142 ff; 4.2.2005 – 2 BvR 308/04 Rn 11, NJW 2005, 1637 ff. 3 Vgl in der Vorauflage Bittmann § 3 Rn 3.

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200 | 1. Kapitel: Informationsbeschaffung

zu unreglementiert persönliche Daten erhoben, gesammelt und weitergegeben werden, wird sehr schnell deutlich, dass der Zugriff der Ermittler auf dieses Datenmaterial und dessen Auswertung bis hin zur Erstellung von Bewegungsbildern und persönlichen Profilen in vielen Fällen auch Unverdächtige betreffen kann. Nicht zuletzt deshalb wird man der Kritik an den Richtervorbehalten vernünftigerweise das Argument des Schutzes vor möglichem Missbrauch der Kompetenzen durch die Ermittlungsbehörden und der Notwendigkeit eines durch den Richter gewährleisteten vorbeugenden Rechtsschutzes entgegenhalten können. Unabhängig davon hat der Gesetzgeber in den Fällen, in denen ein Beweismittelver5 lust ohne sofortiges Handeln der Ermittlungsbehörden zu befürchten, eine richterliche Entscheidung aber nicht rechtzeitig zu erlangen ist, die Eilanordnungskompetenzen der Staatsanwaltschaft auf Grund von Gefahr im Verzug unangetastet gelassen.4 Deren Voraussetzungen sind nach der Rspr des BVerfG5 und der Fachgerichte6 allerdings eng auszulegen.

II. Der Ermittlungsrichter 6 Für richterliche Entscheidungen im Ermittlungsverfahren ist gemäß § 162 StPO der Er-

mittlungsrichter funktional zuständig. Mit Ausnahme der Ermittlungsrichter bei den OLG und des BGH (§§ 169 Abs 1 StPO, 120, 130 Abs 1 S 1 GVG), die allerdings in Insolvenzstrafsachen keine Rolle spielen, ist er beim AG angesiedelt. 7 Seine örtliche Zuständigkeit orientiert sich grundsätzlich an dem Gerichtsbezirk, in dem die antragstellende Staatsanwaltschaft oder ihre Zweigstelle ihren Sitz hat, § 162 Abs 1 S 1 StPO. Von diesem Grundsatz normieren insbes die §§ 125 Abs 1 und 126a Abs 2 S 1 StPO für den Erlass eines Haft- oder Unterbringungsbefehls eine Ausnahme. Danach ist zuständig das AG, in dessen Bezirk ein Gerichtsstand begründet ist oder der Beschuldigte sich aufhält. Die Gerichtsstände ergeben sich aus dem zweiten Abschnitt des ersten Buchs der StPO; die praktisch bedeutsamsten sind fraglos die des Tatorts (§ 7 StPO) sowie des Wohnsitzes oder Aufenthaltsortes des Beschuldigten (§ 8 StPO) bzw seines Ergreifungsortes (§ 9 StPO). Die einmal begründete Zuständigkeit gilt nach § 126 Abs 1 S 1 StPO für die weiteren Haftentscheidungen fort. Allerdings kann die Staatsanwaltschaft den Haft- oder Unterbringungsbefehl auch bei dem AG beantragen, in dessen Bezirk sie ihren Sitz hat, sofern sie zumindest eine weitere Untersuchungshandlung beantragt, § 162 Abs 1 S 2 StPO. Besteht für Letzteres keine Notwendigkeit, dann kann die Staatsanwaltschaft gemäß § 126 Abs 1 S 3 StPO aber auch im Nachhinein die Übertragung der Zuständigkeit für die Haftentscheidungen auf das AG, in dessen Bezirk sie ihren Sitz hat, beantragen, um auf diese Weise eine einheitliche Zuständigkeit zu schaffen und möglichen unterschiedlichen Entscheidungen vorzubeugen.7 Keinen Einfluss auf die örtliche

_____ 4 Vgl §§ 81a Abs 2, 81c Abs 5, 81f Abs 1, 81g Abs 3, 98 Abs 1, 98b Abs 1, 100 Abs 1, 100b Abs 1 S 2, 100j Abs 3 S 2, 105 Abs 1, 110b Abs 2 S 2, 131c Abs 1, 163d Abs 2, 163e Abs 4, 163f Abs 3 StPO; dazu Helmken StV 2003, 193 ff. 5 BVerfG 20.2.2011 – 2 BvR 1444/00, BVerfGE 103, 142 ff; 12.2.2007 – 2 BvR 273/06 Rn 17, NJW 2007, 1345 f; vgl dazu oben § 1 IV Rn 100 ff. 6 BGH 30.8.2011 – 3 StR 210/11 Rn 8, NStZ 2012, 104 f; 18.4.2007 – 5 StR 546/06 Rn 16, BGHSt 51, 285 ff je mwN; BGH 11.8.2005 – 5 StR 200/05 Rn 12, BGHR StPO § 105 Abs 1 „Durchsuchung 6“. 7 Bittmann NStZ 2010, 13, 16; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 10 zu § 162 StPO.

Schmidt

§ 3 Die Gerichte im Ermittlungsverfahren | 201

Zuständigkeit für den Erlass eines Haftbefehls hat die Konzentration von Wirtschaftsstrafsachen bei einem Gericht.8 Neben dieser zentralen Zuständigkeitsregelung des § 162 StPO enthält § 81 Abs 3 StPO eine Sonderzuständigkeit des Gerichts der Hauptsache für den Beschluss zur Unterbringung eines Beschuldigten zwecks Vorbereitung eines Gutachtens über seinen psychischen Zustand. Abgesehen von den Entscheidungen über die Anträge der Staatsanwaltschaft vor Durchführung bestimmter Ermittlungsmaßnahmen ist der Ermittlungsrichter teilweise auch selbst aktiv in die Ermittlungen eingebunden, nämlich bei der Durchführung von Augenscheinnahmen und – in der Praxis häufiger vorkommend – Vernehmungen von Beschuldigten, Zeugen und Sachverständigen. Von wesentlicher Bedeutung sind hier die Anwesenheitsrechte des Beschuldigten und seines Verteidigers bei Vernehmungen von Zeugen und Sachverständigen (§§ 168c Abs 2, 168d Abs 1 S 1 StPO),9 die mit entspr Benachrichtigungspflichten korrespondieren (§§ 168c Abs 5 S 1, 168d Abs 1 S 2 StPO). Deren Verletzung zieht in aller Regel ein Beweisverwertungsverbot nach sich, was nicht nur die spätere Verlesung der richterlichen Niederschrift über die Untersuchungshandlung, sondern auch die Vernehmung des Ermittlungsrichters in der Hauptverhandlung ausschließt.10 Ausnahmsweise kann der Beschuldigte gemäß § 168c Abs 3 S 1 StPO von der Teilnahme ausgeschlossen werden, wenn seine Anwesenheit den Zweck der vom Richter durchzuführenden Ermittlungsmaßnahme gefährden würde, insoweit formuliert S 2 der Vorschrift den praktisch häufig vorkommenden Fall der Gefahr einer nicht wahrheitsgemäßen Aussage des Zeugen in Anwesenheit des Beschuldigten. Auch in diesen Fällen verbleibt es jedoch bei dem Anwesenheitsrecht des Verteidigers und der Benachrichtigungspflicht mit den aufgezeigten Konsequenzen.11 Diese entfällt erst dann, wenn bereits hieraus eine Vereitelung oder Verschlechterung des Untersuchungserfolges resultieren würde,12 was der Ermittlungsrichter zu prüfen und ggf in den Akten zu dokumentieren hat.13 Wird in einem solchen Fall die Vernehmungsniederschrift in der späteren Hauptverhandlung durch Verlesung gemäß § 251 Abs 2 StPO eingeführt, dann kann diese Verfahrensweise durch das Revisionsgericht nur eingeschränkt überprüft werden.14 Einigkeit besteht darüber, dass der Ermittlungsrichter in den Fällen, in denen er selbst Untersuchungshandlungen vornehmen soll, neben seiner Zuständigkeit deren rechtliche Zulässigkeit prüft (§ 162 Abs 2 StPO). Hiervon nicht umfasst ist die Frage der Erforderlichkeit einer Maßnahme, über welche alleine die Staatsanwaltschaft befindet. Dementspr ist es dem Richter versagt, einen Antrag auf Vernehmung unter Hinweis auf die Möglichkeiten der Staatsanwaltschaft gemäß §§ 161a Abs 1 und 2, 163a Abs 3 StPO, die Vernehmung selbst durchzuführen, abzulehnen.15 Allerdings wird die Staatsanwalt-

_____ 8 OLG Nürnberg wistra 1999, 280. 9 Anders als bei der Vernehmung Mitbeschuldigter, vgl OLG Düsseldorf NStZ-RR 2003, 238 ff. 10 BGHSt 31, 140, 144; 26, 332, 335; BGH StV 2003, 540 ff; LG Bremen [Gr StrK bei dem AG Bremerhaven] StV 2003, 328 f mAnm Meyer-Lohkamp; KK/Griesbaum Rn 22 zu § 168c StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 6 zu § 168c StPO beide mwN. 11 LG Hamburg StraFo 2003, 131. 12 BGHSt 29, 1, 3. 13 BGHSt 31, 140, 142; BGH NJW 2003, 3142, 3143. 14 BGHSt 42, 86, 92 mwN; BGH NStZ 1999, 417. 15 LG Freiburg NStZ 1993, 146 f; KK/Griesbaum Rn 17 zu § 162 StPO; einer rechtsmissbräuchlichen Einschaltung muss der Ermittlungsrichter aber nicht Folge leisten, vgl LG Köln MDR 1995, 1252.

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schaft Anträge dieser Art vernünftigerweise auch nur dann stellen, wenn eine besondere Verfahrenskonstellation dies gebietet, bspw wenn ein Zeuge vernommen werden soll, dessen Erscheinen in einer Hauptverhandlung aus den in § 251 Abs 2 Nr 1 und 2 StPO genannten Gründen unwahrscheinlich ist oder ein Zeuge vereidigt werden soll.16 Demgegenüber ist bei richterlichen Entscheidungen über Anträge der Staatsanwaltschaft vor Eingriffen in verfassungsmäßig geschützte Rechtspositionen im Rahmen des vorbeugenden Rechtsschutzes, bspw Durchsuchungen (§§ 102, 103 StPO) oder Telekommunikationsüberwachungen (§ 100a StPO), das Ermessen des Ermittlungsrichters nicht beschränkt. Das bedeutet, dass die Prüfung des staatsanwaltschaftlichen Antrags nicht nur die tatbestandlichen Voraussetzungen der jeweiligen Maßnahme umfasst, sondern die Rechtskontrolle auch eine Verhältnis- und Zweckmäßigkeitsprüfung beinhaltet, so dass bei völliger Ungeeignetheit einer Ermittlungsmaßnahme, Unverhältnismäßigkeit des Eingriffs oder in Fällen des Rechtsmissbrauchs entspr Anträge abzulehnen sind.17 Soweit es um die Frage geht, ob der Richter das Vorliegen eines Anfangsverdachts oder besonderer Prozessvoraussetzungen, etwa das Vorhandensein eines Strafantrages oder die Verjährung einer Tat, zu prüfen hat, ist zu unterscheiden. Beantragt die Staatsanwaltschaft die Vornahme einer Untersuchungshandlung durch den Richter, wird er also im Wege der Amtshilfe tätig, dann ist ihm diese Prüfung versagt. Entscheidet der Ermittlungsrichter dagegen über Eingriffe im Rahmen eines bestehenden Richtervorbehalts, dann sind auch diese Punkte zu prüfen.18 Der Ermittlungsrichter darf von sich aus über den Antrag der Staatsanwaltschaft nicht hinausgehen, es sei denn, es liegt ein – in der Praxis sehr seltener – Fall des § 165 StPO vor.19 Auch das belegt das gesetzgeberische Konzept der StPO, in welchem der Ermittlungsrichter kein generelles Aufsichtsrecht über die Staatsanwaltschaft hat und nur diese als Herrin des Ermittlungsverfahrens über ihr ermittlungstaktisches Vorgehen entscheidet.20 Umgekehrt kann der Ermittlungsrichter im Einzelfall Beschränkungen anordnen, bspw in einem Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss eine Abwendungsklausel dergestalt formulieren, dass der Betroffene eine zwangsweise Beschlagnahme (von Unterlagen) durch freiwillige Herausgabe (von Fotokopien oder Abschriften) vermeiden kann. Eine zeitliche Befristung im Hinblick auf die Vollstreckbarkeit einer Durchsuchungsanordnung scheidet jedoch ebenso aus wie im Falle von Untersuchungshaft eine Überprüfung ihres Vollzugs von Amts wegen. Insoweit wird der Ermittlungsrichter nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder des Beschuldigten und seines Verteidigers tätig. Letztere haben durch Beweisanträge die Möglichkeit, auf den Gang der Ermittlungen Einfluss zu nehmen, die regelmäßig bei der Staatsanwaltschaft gestellt werden, welcher die Entscheidung über eine Durchführung obliegt. Ausnahmsweise kann der Beschuldigte unter den Voraussetzungen des § 166 StPO richterliche Beweiserhebungen bereits im Ermittlungsverfahren erreichen, was praktisch nahezu ausschließlich in Haftsachen re-

_____ 16 Schellenberg NStZ 1991, 72, 73; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 15 zu § 162; KK/Griesbaum Rn 7 zu § 162 StPO; BeckOK/von Häfen Rn 5 zu § 162 StPO. 17 KK/Griesbaum Rn 17, 19 zu § 162 mwN; BeckOK/von Häfen Rn 12 zu § 162 StPO. 18 LG Regensburg, StV 2004, 198; LG Saarbrücken wistra 1993, 280; Rieß NStZ 1991, 513, 514; KK/ Griesbaum Rn 16 und 19 zu § 162 StPO; BeckOK/von Häfen Rn 12–14 zu § 162 StPO. 19 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 5 zu § 162 StPO; weitergehend KK/Griesbaum Rn 6 zu § 162 StPO. 20 Zu weitgehend daher LG Cottbus StV 2003, 382.

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§ 3 Die Gerichte im Ermittlungsverfahren | 203

levant ist. Die richterliche Ablehnung eines solchen Antrages ist zwar nicht isoliert anfechtbar,21 kann aber im Rahmen einer weitergehenden Haftprüfung gemäß §§ 121, 122 StPO durchaus hinterfragt werden. Grundsätzlich hat das Gericht vor seinen Entscheidungen dem Beschuldigten oder 16 ggf dessen Verteidiger rechtliches Gehör zu gewähren. Das gilt jedoch dann nicht, wenn die vorherige Anhörung den Zweck der Anordnung gefährden würde (§ 33 Abs 4 StPO), insbes bei Anordnung der Untersuchungshaft22 und der Durchsuchung.

III. Die Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Ermittlungsrichters Gegen richterliche Entscheidungen im Ermittlungsverfahren ist das Rechtsmittel der 17 Beschwerde zulässig, die bei dem Gericht einzulegen ist, dessen Entscheidung angefochten wird (§§ 304 Abs 1, 306 Abs 1 StPO).23 Hält der Ermittlungsrichter das Rechtsmittel für begründet, hilft er der Beschwerde ab und ändert die angefochtene Entscheidung entspr. Anderenfalls muss er die Beschwerde unverzüglich, spätestens aber innerhalb von drei Tagen an das Beschwerdegericht weiterleiten (§ 306 Abs 2 StPO). Zuvor wird der Ermittlungsrichter die Beschwerde regelmäßig der Staatsanwaltschaft mit der Bitte um Beifügung der Akten und zur Stellungnahme vorlegen. Hierdurch wird in der Praxis zwar häufig die Drei-Tages-Frist überschritten. Da es sich aber um eine Soll-Frist handelt,24 wird der Betroffene hierdurch nicht schlechter gestellt, weil ja ohnehin das Beschwerdegericht der Staatsanwaltschaft Gelegenheit zur Stellungnahme geben müsste (§§ 308 Abs 1 S 1, 309 Abs 1 StPO), es also in der Sache auch nicht früher entscheiden könnte. Die Entscheidung durch das Beschwerdegericht selbst erfolgt grundsätzlich im schriftlichen Verfahren, lediglich bei einer Haftbeschwerde kann im Einzelfall gemäß § 118 Abs 2 StPO nach einer mündlichen Verhandlung entschieden werden. Das Einlegen der Beschwerde hemmt den Vollzug der angefochtenen Entscheidung 18 gemäß § 307 Abs 1 StPO nicht. Abs 2 der Vorschrift lässt allerdings zu, dass sowohl der Ermittlungsrichter als auch das Beschwerdegericht von Amts wegen oder auf Antrag25 anordnen, dass die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung bis zur Entscheidung des Beschwerdegerichts ausgesetzt wird. Eine derartige Aussetzung kommt va dann in Betracht, wenn durch die sofortige Vollziehung Tatsachen geschaffen würden, die nach einer gegenteiligen Entscheidung des Beschwerdegerichts nicht oder zumindest nur mit erheblichem Aufwand wieder rückgängig gemacht werden könnten. Bei der in diesen Fällen vorzunehmenden Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der richterlichen Anordnung und den Nachteilen, die dem Beschwerdeführer hieraus drohen, ist insbes die Erfolgsaussicht des Rechtsmittels zu berücksichtigen.26

_____ 21 LG Berlin StV 2004, 10 m abl Anm Wohlers. 22 Vgl hierzu OLG Hamm NStZ-RR 1998, 19. 23 Besonderheiten gelten für Entscheidungen des Ermittlungsrichters am OLG und beim BGH, § 304 Abs 4 und 5 StPO. 24 KK/Zabeck Rn 18 zu § 306 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 11 zu § 306 StPO. 25 Anträge dieser Art werden als „Stopp-Anträge“ bezeichnet. 26 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 2 zu § 307 StPO; KK/Zabeck Rn 7 zu § 307 StPO.

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IV. Die Besonderheiten des Haftrechts 1. Die Zuständigkeit des Gerichts 19 Zuständig für den Erlass eines Haftbefehls im Ermittlungsverfahren ist grundsätzlich

gemäß § 125 Abs 1 StPO der Ermittlungsrichter des AG, in dessen Bezirk ein Gerichtsstand begründet ist oder der Beschuldigte sich aufhält. Im Falle der Vornahme weiterer richterlicher Untersuchungshandlungen kann die Staatsanwaltschaft einen entspr Antrag auch bei dem AG ihres Sitzes stellen (§ 162 Abs 1 S 2 StPO).27 Wird der Beschuldigte auf Grund eines bestehenden Haftbefehls festgenommen, dann ist er dem Richter vorzuführen, der den Haftbefehl erlassen hat (§§ 115 Abs 1, 126 Abs 1 S 1 StPO), oder, wenn das zeitlich nicht spätestens am Tag nach der Festnahme möglich ist, dem Ermittlungsrichter des nächsten AG (§ 115a Abs 1 StPO). Dessen Befugnisse sind jedoch beschränkt, weil er lediglich die Existenz des Haftbefehls und die Identität des Beschuldigten prüft.28 Besteht der Haftbefehl nicht mehr oder stimmt die Identität der festgenommenen Person nicht mit dem im Haftbefehl genannten Beschuldigten überein, so hat er deren Freilassung anzuordnen. Sonstige Bedenken gegen den Haftbefehl oder dessen Vollzug hat er unverzüglich der zuständigen Staatsanwaltschaft und dem zuständigen Gericht mitzuteilen (§ 115a Abs 2 S 4 StPO), welchem die alleinige Entscheidungsbefugnis hierüber zusteht. Wird danach der Vollzug des Haftbefehls angeordnet, kann der Beschuldigte verlangen, auch noch dem (eigentlich) zuständigen Richter zur Vernehmung vorgeführt zu werden. Über dieses Recht muss der Beschuldigte entspr belehrt werden (§ 115a Abs 3 StPO). Diese Vorführung hat unverzüglich stattzufinden, das heißt sobald wie möglich.29 Wird der Haftbefehl durch den Richter bestätigt, ist dem unverteidigten Beschuldigten nach § 140 Abs 1 Nr 4 StPO ebenso unverzüglich ein Verteidiger zu bestellen; dem Beschuldigten steht insoweit allerdings eine gewisse Bedenkzeit zu.30 Ist noch kein Haftbefehl erlassen und wird der Beschuldigte vorläufig festgenom20 men, dann ist er dem Richter im Festnahmebezirk vorzuführen (§ 128 Abs 1 S 1 StPO). Alternativ besteht auch die Möglichkeit der Vorführung vor den Ermittlungsrichter des AG, in dessen Bezirk ein Gerichtsstand begründet ist, weil dessen (allg) Zuständigkeit für den Erlass eines Haftbefehls nicht ausgeschlossen wird.31 Die Entscheidung hierüber obliegt der Staatsanwaltschaft, die zu berücksichtigen hat, dass das den Haftbefehl erlassende Gericht auch die späteren Haftentscheidungen zu treffen hat (§ 126 Abs 1 S 1 StPO).

2. Der Haftbefehl a) Die Voraussetzungen 21 Der wohl erheblichste Eingriff in die Rechte eines Beschuldigten ist der Entzug der Freiheit. Im Ermittlungsverfahren erfolgt dieser Freiheitsentzug durch die vorläufige Festnahme des Beschuldigten und den Vollzug von Untersuchungshaft oder einstweiliger

_____ 27 Vgl oben Rn 7. 28 OLG Frankfurt/M NStZ 1988, 471; KK/Graf Rn 4 zu § 115a StPO mwN; BeckOK/Krauß Rn 3 f zu § 115a StPO. 29 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 8 zu § 115a StPO sowie zum Begriff der Unverzüglichkeit Rn 8 zu § 25 StPO mwRspr-N. 30 In der Praxis wird diese Bedenkzeit häufig mit einer Woche bemessen. 31 KK/Schultheis Rn 3 zu § 128 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 5 zu § 128 StPO.

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§ 3 Die Gerichte im Ermittlungsverfahren | 205

Unterbringung auf der Basis eines Haft- oder Unterbringungsbefehls. Diese Maßnahmen sind im neunten Abschnitt des ersten Buchs der StPO (§§ 112–130) geregelt. Der Erlass eines Haftbefehls im Ermittlungsverfahren als die in der Praxis mit wei- 22 tem Abstand am häufigsten vorkommende Maßnahme im Zusammenhang mit freiheitsentziehenden Maßnahmen ist gemäß § 114 Abs 1 StPO ausschließlich dem Richter vorbehalten, sein notwendiger Inhalt ergibt sich aus Abs 2 und 3 der Vorschrift. Die notwendigen sachlichen Voraussetzungen nennt § 112 StPO. Danach muss ein sog dringender Tatverdacht gegen den Beschuldigten bestehen, ferner ist ein Haftgrund Voraussetzung und schließlich ist die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft zu stellen.32

aa) Der dringende Tatverdacht: Dringender Tatverdacht liegt vor, wenn die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass ein Be- 23 schuldigter Täter oder Teilnehmer einer rechtswidrig und schuldhaft begangenen Tat ist.33 Daraus folgt einerseits, dass die Bejahung eines dringenden Tatverdachts gegen einen Beschuldigten gegenüber dem Anfangsverdacht iSd § 152 Abs 2 StPO eine deutlich breitere Grundlage an bestimmten Tatsachen voraussetzt, so dass bloße Vermutungen oder künftige mögliche Ermittlungsergebnisse nicht ausreichend sind.34 Andererseits ist der dringende Tatverdacht aber auch stärker als der hinreichende Tatverdacht, dessen Annahme für die Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft sowie die Eröffnung des Hauptverfahrens durch das Gericht maßgeblich ist (§§ 203, 170 Abs 1 StPO).

bb) Die Haftgründe Die Haftgründe ergeben sich aus den §§ 112, 112a Abs 1 StPO und sind dort abschließend 24 aufgezählt. Dabei spielen die Haftgründe der Schwere der Tat35 (§ 112 Abs 3 StPO) und der Wiederholungsgefahr (§ 112a StPO) in der Praxis der Wirtschaftsstrafverfahren erfahrungsgemäß keine wesentliche Rolle. Der Haftgrund der Flucht (§ 112 Abs 2 Nr 1 StPO) setzt voraus, dass der Beschuldigte 25 flüchtig ist oder sich verborgen hält. Verlegt der Beschuldigte seinen Wohnsitz ins Ausland, dann stellt dieser Umstand für sich betrachtet noch keine Flucht dar, selbst wenn er weiß, dass gegen ihn ermittelt wird. Entscheidend ist vielmehr, ob die Wohnsitzverlegung wegen der laufenden Ermittlungen veranlasst oder unabhängig davon vorgenommen worden ist. Dementspr ist ein Ausländer auch dann nicht flüchtig iS der Vorschrift, wenn er zwecks Eheschließung oder Familienzusammenführung oder nur deshalb in seine Heimat zurückkehrt, weil sein Aufenthaltstitel abgelaufen ist, ohne dass iÜ ein Zusammenhang mit der begangenen Straftat erkennbar ist.36 Allerdings wird das Verhalten eines Beschuldigten sehr genau zu bewerten sein. Reagiert er bspw auf Ladungen nicht, obwohl er von den Ermittlungen Kenntnis hat, und die Nachforschungen ergeben,

_____ 32 Münchhalffen FS Riess S 347 ff lehnt pauschal und schon deshalb nicht überzeugend die Praxis der Untersuchungshaft in Wirtschaftsstrafverfahren als zu rigide ab. 33 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 5 zu § 112 StPO. 34 LG Frankfurt/M StV 2009, 477; LR/Hilger Rn 20 zu § 112 StPO. 35 Zur notwendigen verfassungskonformen Auslegung der Vorschrift BVerfGE 19, 342, 350; KK/Graf Rn 42 zu § 112 StPO. 36 OLG Bremen NStZ-RR 1997, 334; OLG Naumburg wistra 1997, 80; OLG Frankfurt/M bei Paeffgen NStZ 1996, 23 f; OLG Saarbrücken bei Paeffgen NStZ 1992, 481.

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dass er seine Wohnung im Inland ohne nachvollziehbaren Grund aufgegeben hat, wird man den Haftgrund der Flucht annehmen können.37 Der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs 2 Nr 2 StPO) verlangt immer eine Abwä26 gung sämtlicher Umstände des Einzelfalles. Er wird zu bejahen sein, wenn die Prognose eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür ergibt, dass sich der Beschuldigte dem Strafverfahren nicht zur Verfügung halten, sondern sich ihm entziehen wird. Eines der dabei regelmäßig zu berücksichtigenden Kriterien ist die dem Beschuldigten drohende Sanktion, ohne dass insoweit eine schematische Einordnung angebracht ist.38 Je höher danach die zu erwartende Strafe ist, umso stärker wird man den Fluchtanreiz einschätzen dürfen.39 Dem sind mögliche fluchthemmende Gesichtspunkte wie bspw familiäre und andere soziale sowie berufliche Bindungen, aber auch ggf das Alter und der Gesundheitszustand als höchstpersönliche Umstände des Beschuldigten sowie sein mögliches Verhalten nach der Tat gegenüber zu stellen. Beziehungen des Beschuldigten ins Ausland werden für sich betrachtet die Annahme der Fluchtgefahr nicht tragen. Allerdings wird eine sehr genaue Prüfung angebracht sein, wenn er auf Grund privater oder beruflicher Verbindungen ins Ausland und zusätzlicher Faktoren (ausländischer Grundbesitz, Konto- und Depotguthaben) quasi über Nacht in der Lage wäre, sich dort mühelos eine Existenz aufzubauen. Umgekehrt gilt für Ausländer aus den Mitgliedsländern der EU mit einem existierenden Wohnsitz in ihrem Heimatland oder einem anderen EUStaat, dass der fehlende feste Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland alleine keine Fluchtgefahr begründen kann, weil darin ein Verstoß gegen das europarechtliche Diskriminierungsverbot zu sehen wäre.40 Gerade in Wirtschaftsstrafverfahren wird allerdings häufig über mehrere Umstände, die zwar nicht einzeln, so aber doch kumuliert die Fluchtgefahr begründen können, ein Haftgrund „dargestellt“. Der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs 2 Nr 3 StPO) spielt nicht zuletzt 27 auf Grund einer restriktiven Auslegung der Vorschrift durch die Rspr in der Praxis eine untergeordnete Rolle. Vorausgesetzt wird ein Verhalten des Beschuldigten, das den Verdacht begründet, er habe auf unlautere Weise auf Sach- oder Personalbeweise eingewirkt oder einwirken lassen und dadurch die Ermittlungen erschwert. Es muss zudem die Prognose weiterer Verdunkelungshandlungen rechtfertigen. Unproblematisch sind die Fallgestaltungen, in denen der Beschuldigte bereits wäh28 rend der Ermittlungen ihn belastende Mitbeschuldigte oder Zeugen bedroht oder anderweitig einschüchtert, um ihre Aussagen in seinem Sinne zu beeinflussen. Gleiches gilt, wenn feststeht, dass der Beschuldigte schriftliche Unterlagen, elektronische Dateien oder sonstige Sachbeweise vernichtet oder manipuliert hat (oder manipulieren will), um die Ermittlungen zu erschweren. Hier wird man ohne weiteres Verdunkelungsgefahr annehmen können. Allerdings darf nicht jede Einflussnahme durch den Beschuldigten, die den Ermittlungsbehörden die Arbeit möglicherweise erschwert, als Verdunkelungsmaßnahme angesehen werden. Vielmehr kommt hier das Kriterium des unlauteren Ver-

_____ 37 Vgl OLG Stuttgart NStZ 1998, 427, 428; OLG Düsseldorf NJW 1997, 2965 f (Flucht = Aufgabe der Wohnung + Unerreichbarkeit). 38 KG StV 2012, 609; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 23 zu § 112 StPO m Rspr-N. 39 Straferwartung ab fünf Jahren, vgl BGH Beschluss vom 13.9.2000 – StB 9/00 Rn 5; Strafhaft iaS hindert die Annahme von Fluchtgefahr nicht, KG StV 2012, 609; OLG Hamm NStZ 2004, 221 f; NStZ-RR 2000, 188 f; KK/Graf Rn 19 f zu § 112 StPO. 40 LG Kleve NSt-RR 2011, 342; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 20a zu § 112 StPO; vgl aber andererseits OLG Oldenburg NStZ 2011, 116 zur Frage der Fluchtgefahr bei einem niederländischen Beschuldigten.

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haltens zum Tragen, dh, das Verhalten des Beschuldigten muss prozessordnungswidrig und anstößig sein.41 Schwieriger zu entscheiden sind diejenigen Fälle, in denen dem Beschuldigten keine 29 konkrete direkte oder indirekte Einflussnahme nachgewiesen werden kann. Hier müssen bestimmte Tatsachen aus dem Verhalten des Beschuldigten, seinen Beziehungen und Lebensumständen42 vorliegen, aus denen sich die Verdunkelungsgefahr ergibt, auch hier genügen – wie bei der Fluchtgefahr – reine Vermutungen oder Unterstellungen also nicht. Wesentlich ist, dass die Annahme von Verdunkelungsgefahr nicht die volle Überzeugung des über die Haftfrage entscheidenden Gerichts voraussetzt. Ausreichend ist insoweit, dass auf Grund konkreter Tatsachen eine Verdunkelungsabsicht mit einiger Sicherheit prognostiziert werden kann. Hierfür können bspw auch bereits erfolgte Verurteilungen des Beschuldigten, aber auch sein Verhalten in früheren Verfahren herangezogen werden.43 Ebenfalls berücksichtigt werden muss das in wirtschaftsstrafrechtlichen Verfahren 30 nicht selten zu registrierende Verhalten des Beschuldigten, Vermögenswerte beiseite zu schaffen, um sie auf diese Weise dem Zugriff der Ermittlungsbehörden und den durch die Tat Geschädigten zu entziehen, auch wenn der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr nicht der Sicherung der Zurückgewinnungshilfe dient.44 Ein derartiges dokumentierbares Verhalten des Beschuldigten wird zum einen bereits bei der Prüfung des Haftgrundes der Fluchtgefahr eine maßgebliche Rolle spielen, va wenn bereits Vermögensbestandteile in das Ausland verschoben worden sind oder verschoben werden sollen. Aber auch beim Haftgrund der Verdunkelungsgefahr wäre ein derartiges Verhalten des Beschuldigten zumindest ein Indiz dafür, dass er auch auf ihn belastende Beweismittel Einfluss nehmen wird, um die drohende Strafverfolgung zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Eine derartige Manipulations- oder Verschleierungsgefahr wird man in insolvenzstrafrechtlichen Fällen etwa dann annehmen können, wenn der Beschuldigte mit Vermögenswerten, die er dem insolventen Unternehmen entzogen hat, seine wirtschaftlichen Aktivitäten unter neuer Firmierung fortsetzt. Schließlich dürfen auch das konkret verfolgte Delikt selbst und seine Tatumstände 31 für die Gefährdungsprognose herangezogen werden.45 Das bedeutet allerdings nicht, dass jede auf Täuschung oder Manipulation angelegte Straftat eine Verdunkelungsgefahr begründet, weil anderenfalls schon der einfache Betrug aus dem Bereich der Bagatellkriminalität Anlass geben würde, über die Annahme von Verdunkelungsgefahr nachzudenken. Anders wird es dagegen aussehen, wenn dem Beschuldigten bspw gewerbsoder bandenmäßiger Betrug vorgeworfen wird, sofern die Taten nach Planung und Ausführung die Verdunkelung vor und nach ihrer Begehung geradezu voraussetzen.46 Hierzu gehören sicherlich diejenigen Fälle aus dem Bereich der Wirtschaftskriminalität, in denen objektiv Organisationsgefüge festgestellt werden können, die den Tatbestand des § 129 StGB erfüllen oder gefestigte Bandenstrukturen offenbaren. Auch in diesen Konstel-

_____ 41 OLG Hamm StV 1985, 114; KMR/Wankel Rn 12 zu § 112 StPO; LR/Hilger Rn 50 zu § 112 StPO; SK/Paeffgen Rn 37 zu § 112 StPO. 42 KK/Graf Rn 25 und 27 zu § 112 StPO; BeckOK/Krauß Rn 18–21 zu § 112 StPO. 43 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 30 zu § 112 StPO mwN. 44 Gärtner NStZ 2005, 544, 546 f. 45 BGH NStZ 1998, 205 m abl Anm Tolmein; OLG Frankfurt/M NStZ-RR 1999, 127, 128 (bejahend speziell für Wirtschaftsstraftaten); NStZ 1997, 200, 201 m kritAnm Otto; KK/Graf Rn 31 zu § 112 StPO; BeckOK/Krauß Rn 21 zu § 112 StPO je mwN. 46 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 30 zu § 112 StPO mwN.

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lationen reichen aber nur die Tat an sich und der (dringende) Tatverdacht gegen den Beschuldigten nicht aus, erforderlich ist daneben eine Würdigung der Einzelfallumstände.47

cc) Verhältnismäßigkeit und Außervollzugsetzung 32 Neben dem dringenden Tatverdacht und dem Vorliegen eines Haftgrundes ist sowohl bei

Erlass des Haftbefehls als auch bei jeder Entscheidung über den (weiteren) Vollzug der Untersuchungshaft immer auch deren Verhältnismäßigkeit zu prüfen. Eine einfachgesetzliche Ausprägung dieses Grundsatzes findet sich in § 113 StPO48, der bei Straftaten mit einer geringen Strafandrohung bereits die Möglichkeit der Anordnung von Untersuchungshaft beschränkt. Der sich aus dieser Vorschrift ergebende Rechtsgedanke wird in der Praxis regelmäßig in Fällen der sog Bagatellkriminalität zu beachten sein, selbst wenn der Strafrahmen im Einzelfall auch eine höhere Bestrafung zulässt. Derartige Fallkonstellationen werden im wirtschaftsstrafrechtlichen Bereich indes zumeist nicht vorkommen. 33 Ein weiteres Beispiel für die Erforderlichkeit einer Verhältnismäßigkeitsprüfung zeigt § 116 StPO. Grundsätzlich ist ein Haftbefehl ein Instrument zur Sicherung des Verfahrens vornehmlich im Hinblick auf die Präsenz bzw Erreichbarkeit des Beschuldigten. Aus diesem Zweck folgt aber auch, dass nicht jeder bestehende Haftbefehl zwingend vollzogen werden muss. Dementspr erlaubt die Vorschrift eine Aussetzung des Vollzuges, sofern eine anzustellende Prognose ergibt, dass zur Sicherung des Verfahrens weniger einschneidende Maßnahmen als die Freiheitsentziehung ausreichen. Dabei differenziert die Norm danach, welcher Haftgrund vorliegt. So kann die Sicherung des Verfahrens im Falle des Vorliegens von Fluchtgefahr möglicherweise durch Meldeauflagen sowie die Leistung einer Sicherheit (§§ 116 Abs 1 S 2 Nr 4, 116a StPO) erreicht werden, wovon die richterliche Praxis häufig Gebrauch macht. Insoweit hat die Aufzählung in § 116 Abs 1 StPO nur Beispielscharakter, dh es sind durchaus auch andere Auflagen denkbar.49 In Betracht kommt etwa die Hinterlegung von Ausweisdokumenten, aber auch die Anordnung einer Kontosperre, um auf diese Weise einer möglichen Flucht aus wirtschaftlichen Gründen entgegen zu wirken. Denkbar in wirtschaftsstrafrechtlichen, aber auch sonstigen Strafverfahren mit hohen Vermögensschäden ist auch das Stellen einer entspr Sicherheitsleistung durch den Beschuldigten mit der dokumentierten Erklärung, dass diese im Verurteilungsfall zum Ausgleich des Schadens für den oder die Geschädigten zur Verfügung stehen soll. Eine derartige Erklärung vermag nicht nur – ggf mit weiteren Auflagen – die Fluchtgefahr entscheidend zu hemmen, sie wird bei einer späteren Strafzumessung als wichtiger Strafmilderungsgrund von erheblicher Bedeutung sein, erspart sie doch den Geschädigten häufig zeit- und kostenintensive Zivilprozesse. Schwieriger ist ein Absehen vom Vollzug der Untersuchungshaft bei Vorliegen von 34 Verdunkelungsgefahr, was sich bereits aus dem Wortlaut des § 116 Abs 2 StPO ergibt, wonach durch die anzuordnenden Maßnahmen die Verdunkelungsgefahr „erheblich“

_____ 47 OLG Hamm 6.2.2002 – 2 Ws 27/02 Rn 11, StV 2002, 205 f; OLG Frankfurt/M 30.8.1996 – 1 HEs 191/96 1 Ws 96 und 97/96, NStZ 1997, 200 ff. 48 Verfassungsrechtlich ist diese Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als sog Übermaßverbot bekannt. 49 BeckOK/Krauß Rn 4 zu § 116 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 11 f zu § 116 StPO.

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vermindert werden muss. Hier wird die Staatsanwaltschaft regelmäßig eine geständige Einlassung des Beschuldigten als Voraussetzung für eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls fordern, was jedoch für sich betrachtet den Haftgrund der Verdunkelungsgefahr iE nicht immer ausräumen wird, weil ein Geständnis widerrufen werden kann. Anders wird die Sachlage zu beurteilen sein, wenn neben einer solchen Einlassung im Rahmen einer richterlichen Vernehmung weitere Sachbeweise oder Zeugenaussagen vorliegen, die das Geständnis bestätigen. Denkbar ist in diesen Fällen die zusätzliche Anordnung von Kontaktverboten (§ 116 Abs 2 S 2 StPO), um möglichen Einflussnahmen zu begegnen. Zwar können derartige Anordnungen durch die Ermittlungsbehörden nur selten überwacht werden. Allerdings geht der Beschuldigte für den Fall der Zuwiderhandlung gegen ein solches Kontaktverbot ein hohes Entdeckungsrisiko ein, weil er seinerseits nicht ausschließen kann, dass Verstöße den Ermittlungsbehörden bekannt werden und der Haftbefehl deshalb gemäß § 116 Abs 4 Nr 1 StPO wieder in Vollzug gesetzt wird. In diesen Fällen ist den Ermittlungsbehörden die vorläufige Festnahme des Beschuldigten (§ 127 Abs 2 StPO) gestattet.50

dd) Die Aufhebung des Haftbefehls Ein Haftbefehl ist aufzuheben, sobald die Voraussetzungen für die Untersuchungshaft 35 entfallen sind oder die Verhältnismäßigkeit nicht mehr gegeben ist (§ 120 Abs 1 S 1 StPO). Dabei ist der Ermittlungsrichter während des Ermittlungsverfahrens an einen entspr Antrag der Staatsanwaltschaft gebunden (§ 120 Abs 3 S 1 StPO). Häufiger wird in wirtschaftsstrafrechtlichen Verfahren die Konstellation anzutreffen sein, dass zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft Einigkeit darüber besteht, den inhaftierten Beschuldigten vom weiteren Vollzug der Untersuchungshaft zu verschonen. Dabei wird regelmäßig über entspr Auflagen, insbes Sicherheitsleistungen, verhandelt. Stellt dann die Staatsanwaltschaft den Antrag auf Außervollzugsetzung des Haftbefehls, ist der Ermittlungsrichter nach dem Gesetz zwar nicht an diesen Antrag gebunden,51 er wird aber nur in Ausnahmefällen dem Antrag nicht entsprechen. Konsequenz dessen ist, dass im Fall der Außervollzugsetzung nur der Richter die Freilassung des Beschuldigten aus der Untersuchungshaft anordnen kann, während die Staatsanwaltschaft das aufgrund eigener Kompetenz gemäß § 120 Abs 3 S 2 StPO anordnen kann, sofern sie gleichzeitig die (vollständige) Aufhebung des Haftbefehls beantragt hat.

b) Der Rechtsschutz Lehnt das Gericht einen Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erlass eines Haftbefehls ab, 36 kann diese gegen den ablehnenden Beschluss Beschwerde einlegen. Gleiches gilt für den Beschuldigten und seinen Verteidiger, wenn sie einen bestehenden Haftbefehl oder dessen Vollzug angreifen wollen. Aber auch ein außer Vollzug gesetzter Haftbefehl kann angegriffen werden, unabhängig davon, ob sich der Beschuldigte auf freiem Fuß oder – weil die Auflagen (noch) nicht erfüllt sind – im Vollzug der Untersuchungshaft befindet. Für den Fall des Vollzugs besteht alternativ die Möglichkeit der Haftprüfung.

_____ 50 KK/Graf Rn 35 zu § 116 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 30 zu § 116 StPO. 51 OLG Düsseldorf NStZ-RR 2001, 122; AG Stuttgart NStZ 2002, 399 f; aA BGH NJW 2000, 967; BeckOK/ Krauß Rn 24 zu § 120 StPO.

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aa) Die Beschwerde 37 Für die Beschwerde bei Haftentscheidungen gelten die allgemeinen Vorschriften der

§§ 304 ff StPO,52 die jedoch in einigen Fallkonstellationen Besonderheiten erfahren. Grundsätzlich wird durch die Einlegung der Beschwerde der Vollzug der angefochtenen Entscheidung nicht gehemmt (§ 307 Abs 1 StPO). Ausnahmsweise kann das Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, oder das Beschwerdegericht anordnen, dass die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung ausgesetzt wird (§ 307 Abs 2 StPO). Daraus könnte gefolgert werden, dass das zuständige Gericht auch im Falle einer vom Beschuldigten beantragten Aufhebung oder Außervollzugsetzung eines Haftbefehls die Vollziehung dieser Entscheidung auf Antrag der Staatsanwaltschaft aussetzen kann. Diese Möglichkeit besteht jedoch bei der Aufhebung eines Haftbefehls deshalb nicht, weil für diesen Fall § 120 Abs 2 StPO als lex specialis vorsieht, dass die tatsächliche Freilassung des Beschuldigten durch ein Rechtsmittel (der Staatsanwaltschaft) nicht aufgehalten werden darf, maW also die sofortige Vollziehung der Aufhebung gesetzlich angeordnet wird. Diese strikte Rechtsfolge erklärt sich dadurch, dass der Gesetzgeber den Freiheitsentzug als schwerwiegenden Eingriff in die Rechte eines Beschuldigten ansieht, dem jegliche Legitimation fehlt, wenn ein Gericht bereits das Vorliegen der Voraussetzungen für den Erlass oder Fortbestand eines Haftbefehls verneint. Demgegenüber gilt die vorgenannte allg Regel, wenn der Bestand des Haftbefehls von der Entscheidung nicht berührt wird, das Gericht aber den Vollzug des Haftbefehls ausgesetzt hat.53 Sowohl das Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, als auch das Beschwerdegericht haben daher die Möglichkeit, die Vollziehung der den Vollzug eines Haftbefehls aussetzenden Entscheidung zu hemmen. Ist die Beschwerde eingelegt, so hat zunächst der Richter, dessen Entscheidung an39 gefochten worden ist, die Begründung des Rechtsmittels zu prüfen und zu entscheiden, ob er der Beschwerde abhilft, § 306 Abs 2 HS 1 StPO. Hilft er nicht ab, dann sind die Akten dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vorzulegen. Abw vom Normalfall des zweistufigen Instanzenzuges bei Beschwerden im Ermittlungsverfahren besteht im Haftrecht die Besonderheit, dass gegen die Beschwerdeentscheidungen der LG das Rechtsmittel der weiteren Beschwerde nach § 310 Abs 1 Nr 1 StPO zum OLG statthaft ist.54 Diese Möglichkeit besteht nicht nur bei Vollzug des Haftbefehls, sondern immer dann, wenn der Beschuldigte den Bestand eines existierenden Haftbefehls angreifen will.55

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bb) Die Haftprüfung 40 Die alternative Möglichkeit eines Antrags auf gerichtliche Prüfung, ob ein Haftbefehl

aufzuheben oder zumindest außer Vollzug zu setzen ist, hat nur derjenige Beschuldigte, gegen den die Untersuchungshaft vollzogen wird (§ 117 Abs 1 StPO). Zuständig ist gemäß § 126 Abs 1 StPO ausschließlich das Gericht, welches den Haftbefehl erlassen hat. Gegen

_____ 52 Vgl dazu oben Rn 17 ff. 53 KK/Schultheis Rn 19 zu § 120 StPO mwN; KK/Zabeck Rn 2 zu § 307 StPO; BeckOK/Cirener Rn 12 zu § 307 StPO mwN. 54 Danach besteht nur noch die Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde und der Beschwerde zum EGMR. 55 KK/Schultheis Rn 25 zu § 116 StPO; KK/Zabeck Rn 10 zu § 310 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 7 zu § 310 StPO je mwN; für Beschwerden über (erstinstanzliche) Entscheidungen des OLG nach § 120 Abs 3 GVG ist der BGH zuständig, § 135 Abs 2 GVG.

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dessen (erneute) Entscheidung hat der Beschuldigte dann immer noch die Möglichkeit der Beschwerde zu dem im Instanzenzug höheren Gericht. Eine mündliche Verhandlung macht das Gesetz zwar von einem entspr Antrag 41 des Beschuldigten abhängig und stellt sie iÜ in das Ermessen des Gerichts (§ 118 Abs 1 StPO), die gerichtliche Praxis verhandelt Haftprüfungen jedoch regelmäßig mündlich. Der Haftprüfungstermin hat unverzüglich stattzufinden, wobei § 118 Abs 5 StPO eine Maximalfrist von zwei Wochen bestimmt, die nur mit Zustimmung des Beschuldigten überschritten werden darf. Von dem Haftprüfungstermin ist neben dem Beschuldigten und seinem Verteidiger auch die Staatsanwaltschaft zu benachrichtigen (§ 118a Abs 1 StPO). Wird nach dem Haftprüfungstermin der Haftbefehl weiterhin vollstreckt, hat der Beschuldigte einen Anspruch auf eine erneute mündliche Verhandlung erst dann, wenn die Untersuchungshaft mindestens drei Monate dauert und seit der letzten mündlichen Haftprüfung mindestens zwei Monate vergangen sind (§ 118 Abs 3 StPO).

cc) Die besondere Haftprüfung durch das Oberlandesgericht Auf Grund der Schwere des Eingriffs bei Freiheitsentziehungen ist die Bearbeitung von 42 Haftsachen durch die Ermittlungsbehörden und Gerichte in jedem Verfahrensstadium zu priorisieren. Der in Untersuchungshaft56 befindliche Beschuldigte, Angeschuldigte oder Angeklagte57 hat schon wegen des Charakters der Haft als Sicherungsinstrument einen Anspruch darauf, dass das Verfahren zeitnah abgeschlossen wird.58 Hiervon ausgehend bestimmt § 121 Abs 1 StPO, dass bei Nichtvorliegen eines auf Freiheitsstrafe lautenden Urteils die Untersuchungshaft wegen derselben Tat über die Dauer von sechs Monaten hinaus nur dann aufrecht erhalten werden kann, wenn besondere Gründe vorliegen. Das kann der Fall sein, wenn die Ermittlungen besonders schwierig oder umfangreich sind oder ein anderer wichtiger Grund gegeben ist. In diesen Fällen sind die Akten rechtzeitig, dh spätestens am Tag des Ablaufs der 43 sechsmonatigen Frist (§ 121 Abs 3 S 1 StPO), dem zuständigen Senat des OLG59 zur besonderen Haftprüfung vorzulegen. Für die Berechnung der Frist kommt es nicht auf den Zeitpunkt der vorläufigen Festnahme an, entscheidend sind der Erlass des Haftbefehls und die Anordnung seines Vollzuges. Etwas anderes gilt nur dann, wenn zum Zeitpunkt der Festnahme der Haftbefehl bereits erlassen war, denn der Tag, an dem die Untersuchungshaft beginnt, ist mitzurechnen.60 Unberücksichtigt bei der Fristberechnung bleiben diejenigen Zeiträume, in denen 44 die Untersuchungshaft unterbrochen war, bspw durch die zwischenzeitliche Verbüßung von Strafhaft in einem anderen Verfahren oder bei (vorübergehender) Haftverschonung. Gleiches gilt iE für die Zeiten, in denen der Beschuldigte im Ausland Haft verbüßt hat,

_____ 56 Das gilt nur für die Untersuchungshaft gemäß §§ 112 ff StPO, also nicht für die Fälle des § 230 Abs 2 StPO; vgl KK/Schultheis Rn 3 zu § 121; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 2 zu § 121 StPO; gleichwohl ist auch in diesen Fällen das in Haftsachen geltende Beschleunigungsgebot zu beachten. 57 Zur Terminologie vgl § 157 StPO. 58 Art 5 Abs 3 S 1 MRK. 59 In erstinstanzlichen Staatsschutzsachen beim OLG sind die Akten in dieser Frist dem BGH vorzulegen, § 121 Abs 4 S 2 StPO iVm § 120 GVG, in Staatsschutzsachen beim LG dem Staatsschutzsenat des OLG, § 121 Abs 4 S 1 StPO iVm § 120 GVG. 60 OLG Braunschweig NJW 1966, 116, 117; LR/Hilger Rn 13 zu § 121 StPO; aA OLG Hamm 8.8.2007 – 3 Ws 429/07 Rn 8; KK/Schultheis Rn 6 zu § 121 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 4 zu § 121 StPO.

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hierzu zählt insbes auch die Auslieferungshaft61. Die sechsmonatige Frist ruht aber dann, wenn die Hauptverhandlung begonnen hat bis zur Verkündung des Urteils (§ 121 Abs 3 S 2 StPO). Wird sie nicht eingehalten, dann hat das nicht automatisch die Aufhebung des Haftbefehls und die Entlassung des Inhaftierten zur Folge, sondern stellt erhöhte Anforderungen an die Prüfung der materiellen Voraussetzungen der Haftfortdauer.62 Bevor die Akten dem OLG vorgelegt werden, hat die Staatsanwaltschaft zunächst im 45 Ermittlungsverfahren die Entscheidung des Ermittlungsrichters und im Zwischenverfahren bzw vor Beginn der Hauptverhandlung des Gerichts, bei welchem das Verfahren anhängig ist, über die Notwendigkeit der weiteren Untersuchungshaft herbeizuführen (§ 122 Abs 1 StPO). Das Gericht hat bei seiner Entscheidung auch die besonderen Voraussetzungen des § 121 Abs 1 StPO zu prüfen.63 Kommt es danach zu dem Ergebnis, dass diese nicht (mehr) vorliegen, und teilt die Staatsanwaltschaft diese Auffassung, dann ist eine Entscheidung des OLG nicht mehr erforderlich. In diesen Fällen wird in der Praxis regelmäßig eine Aussetzung des Vollzuges des Haftbefehls in Betracht kommen. Vertritt die Staatsanwaltschaft allerdings eine andere Auffassung und beantragt sie die Vorlage der Akten beim OLG, dann ist das Gericht gemäß § 122 Abs 1, 2. Alt StPO verpflichtet, dem nachzukommen, eine Aufhebung des Haftbefehls oder seine Außervollzugsetzung scheiden dann aus.64 Nach Vorliegen des Haftfortdauerbeschlusses werden die Akten durch die Staatsan46 waltschaft mit einem detaillierten Bericht über den Verlauf der Ermittlungen an die Generalstaatsanwaltschaft übersandt, die sie nach einer eigenständigen Prüfung und Fertigung einer Stellungnahme mit einem Antrag dem zuständigen Strafsenat des OLG vorlegt. Bevor der Senat entscheidet, hat er dem Beschuldigten und seinem Verteidiger rechtliches Gehör zu gewähren (§ 122 Abs 2 S 1 StPO). Das wird regelmäßig im schriftlichen Verfahren geschehen, möglich ist aber auch eine mündliche Verhandlung (§ 122 Abs 2 S 2 StPO). Der Senat hat zunächst die bereits dargestellten allgemeinen Voraussetzungen der 47 Untersuchungshaft, dh das Vorliegen eines dringenden Tatverdachts, das Bestehen eines Haftgrundes sowie die Verhältnismäßigkeit der Inhaftierung zu prüfen und erst danach über die Frage zu entscheiden, ob der Vollzug der Untersuchungshaft aufgrund besonderer Umstände weiter gerechtfertigt ist.65 Diese besonderen Umstände präzisiert § 121 Abs 1 StPO dahingehend, dass die Ermittlungen entweder durch einen besonderen Umfang oder gesteigerten Schwierigkeitsgrad gekennzeichnet sind. Alternativ nennt die Vorschrift das Vorliegen eines sonstigen wichtigen Grundes. Allerdings wird insbes dieses Tatbestandsmerkmal von Gerichten im Hinblick auf die Rspr des BVerfG66 sehr restriktiv ausgelegt.67 Das gilt umso mehr, je länger die Freiheitsentziehung andauert, wo-

_____ 61 KK/Schultheis Rn 8 zu § 121 StPO; BeckOK/Krauß Rn 3 zu § 121 StPO mwN. 62 BVerfG NJW 1976, 1736, 1737 mwN; OLG Hamm NStZ-RR 2003, 143; KK/Schultheis Rn 30 zu § 121 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 28 zu § 121 StPO. 63 AG Wuppertal StV 1998, 555; BeckOK/Krauß Rn 2 zu § 122 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 27 zu § 121 StPO; aA KK/Schultheis Rn 2 zu § 122 StPO je mwN. 64 BeckOK/Krauß Rn 2 zu § 122 StPO. 65 OLG Celle NJW 1969, 245, 246; OLG Zweibrücken NStZ-RR 2001, 55; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 13 zu § 122 StPO; BeckOK/Krauß Rn 5 zu § 122 StPO. 66 BVerfG NJW 2003, 2895 f; NStZ 2002, 100 f; NJW 2000, 1401 mwN; StV 1999, 162 f; NStZ 1995, 295 f; NJW 1992, 1749, vgl zur Rspr des BVerfG auch Jahn NStZ 2007, 255, 257 f mwN. 67 Vgl hierzu KK/Schultheis Rn 13 zu § 121 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt Rn 18–26 zu § 121 StPO je mwN.

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§ 3 Die Gerichte im Ermittlungsverfahren | 213

bei das Kriterium der Tatschwere von der Rspr nur teilweise als berücksichtigungsfähig angesehen wird.68 Vereinfacht dargestellt kann gesagt werden, dass eine durch die Ermittlungsbehör- 48 den oder Gerichte69 verursachte Verzögerung des Verfahrens ohne eine angemessene Kompensation70 die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus in aller Regel nicht zu rechtfertigen vermag.71 So stellen bspw Überlastungen der mit der Sachbearbeitung befassten Ermittlungsdienststellen oder des zuständigen Spruchkörpers bei Gericht allein nach wohl einhelliger Auslegung keinen wichtigen Grund dar, selbst wenn sie nicht vorhersehbar waren.72 Gleiches gilt iE für das Versäumen naheliegender Ermittlungs- oder Verfahrenshandlungen.73 Dementspr ist es sowohl für die Polizei und die Staatsanwaltschaft als auch für das mit dem Verfahren befasste Gericht von wesentlicher Bedeutung, jede Tätigkeit, die geeignet ist, das Verfahren in irgendeiner Weise zu fördern, entspr in den Akten zu dokumentieren. Die in der Vorschrift des § 121 Abs 1 StPO zum Ausdruck kommende Zielsetzung des 49 Gesetzgebers, eine Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus als Ausnahmefall nur unter sehr engen Voraussetzungen zu ermöglichen, setzt bereits nach dem Wortlaut voraus, dass der Beschuldigte bisher wegen „derselben Tat“ inhaftiert war. Eine Definition dieses Tatbegriffs enthält die StPO jedoch nicht, was va in den Fällen zu Auslegungsfragen führen kann, in denen entweder in mehreren selbständigen Verfahren

_____ 68 BVerfG 23.9.2005 – 2 BvR 1315/05 Rn 31 f, NStZ 2006, 47 ff; 5.12.2005 – 2 BvR 1964/05 Rn 62, NJW 2006, 672 f; OLG Bamberg 14.11.1994 – Ws 567/94, NJW 1995, 1689 mAnm Meinen NStZ 1997, 110; OLG Düsseldorf 23.11.1999 – 1 Ws 948/99 Rn 16 – 18, NStZ-RR 2000, 250 f mwN; Kraushaar NStZ 1996, 528 ff; aA OLG Düsseldorf 25.3.1996 – 2 Ws 86/96, NJW 1996, 2587, 2588; OLG Frankfurt/M 16.2.1996 – 1 HEs 20/96, NJW 1996, 1485, 1487; OLG Koblenz 27.9.1996 – (2) 4420 BL – III-94/96, NStZ 1997, 252 f mAnm Hilger. 69 Anders aber bei Verzögerungen durch die Verteidigung; vgl OLG Düsseldorf wistra 1994, 201; die längere Verhinderung des Wahlverteidigers rechtfertigt eine Fortsetzung der Untersuchungshaft nicht, OLG Hamm NStZ-RR 2002, 124 f; gleiches gilt für die urlaubsbedingte Abwesenheit eines Pflichtverteidigers, OLG Celle, NdsRpfl 1997, 290; zu weiteren Bsp für dem Beschuldigten zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen KK/Schultheis Rn 16 zu § 121 StPO; BeckOK/Krauß Rn 14 zu § 121 StPO je mwN. 70 OLG Jena NStZ 1997, 452, 453; KK/Schultheis Rn 22a zu § 121 StPO mwN; aA OLG Frankfurt/M NStZ-RR 1996, 268, 270. 71 Der Grundsatz der freien Gestaltung des Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft entzieht sich aber auch im besonderen Haftprüfungsverfahren gerichtlicher Beurteilung, Hoffmann NStZ 2002, 566, 567 f. 72 BVerfG NJW 2003, 2895, 2896. 73 Aus der umfangreichen Kasuistik einige Beispiele: Verspätete Beauftragung eines Gutachters OLG Düsseldorf 1.7.2009 – III-1 Ws 337/09, NStZ-RR 2010, 19 (L); 17.1.1997 – 2 Ws 506/96, StV 1998, 559 f; OLG Hamm 18.8.2000 – 2 BL 140/00, NStZ-RR 2001, 60; 9.9.2002 – 2 BL 90/02, NStZ-RR 2002, 348, 349; OLG Jena 12.1.1998 – 1 HEs 2/98, StV 1998, 560 ff; zusätzliche Vernehmung tatferner Zeugen OLG Jena 25.8.1997 – 1 HEs 63/97, NStZ-RR 1997, 364, 365; unterlassene Abtrennung und Anklage abschlussreifer Einzeltaten BVerfG 28.1.1992 – 2 BvR 1754/91 Rn 14, NJW 1992, 1749 f; 13.9.2001 – 2 BvR 1286 und 1371/01 Rn 20, NStZ 2002, 100 f (aA OLG Düsseldorf 30.10.2001 – 4 Ws 508 – 516/01 Rn 12 f, NStZ-RR 2002, 217 L); OLG Koblenz 22.1.2001 – (2) 4420 BL – III – 99/00, StV 2001, 302 f; Verzögerungen bei der Anklageerhebung ohne sachlichen Grund OLG Hamm 26.9.2000 – 2 BL 165/00 Rn 10, wistra 2001, 35 ff; OLG Frankfurt/M 8.9.1994 – 1 HEs 271/94, StV 1995, 141 f; OLG Bremen 20.1.1992 – BL 4 und 5/92, StV 1992, 181 f; OLG Bamberg 23.6.1991 – Ws 371/91, StV 1992, 426; OLG Naumburg 19.3.2007 – 1 Ws 132/07, StV 2007, 364 f; OLG Hamm 17.7.2006 – 4 Ws 337–339/06, StraFo 2006, 409 f; LG Frankfurt/O 4.4.2007 – 21 Qs 63/07, StV 2007, 366; Unterlassen der Anfertigung von Doppelakten BVerfG 16.2.1995 – 2 BvR 2552/94 Rn 3 und 8, NStZ 1995, 295 f; 10.12.1998 – 2 BvR 1998/98 Rn 11, StV 1999, 162 f; verspätete Beantragung der Nachtragsauslieferung OLG Dresden 26.7.2001 – 3 AK 56/01, StV 2001, 519 mAnm Hübel; verzögerte Eröffnungsentscheidung OLG Nürnberg 26.8.2010 – 1 Ws 462/10 H Rn 5, StV 2011, 39 ff; OLG Koblenz 19.12.2002 – 1 Ws 973/02, StV 2003, 519; 13.6.2003 (1) 4420 BL – III – 27/03, StV 2003, 519 f; Aussetzung der Hauptverhandlung aufgrund Ausbleibens eines verspätet geladenen Zeugen OLG München 27.4.2001 – 3 Ws 286 und 287/01 H, StV 2001, 466 f.

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gegen einen bestimmten Beschuldigten ermittelt wird oder ein Ermittlungsverfahren mehrere Tatvorwürfe umfasst. Wäre der Begriff „derselben Tat“ eng und in der Weise zu definieren, wie es auf der 50 materiell-rechtlichen Ebene der Konkurrenzen (§§ 52, 53 StGB) geschieht, dann hätte das zur Folge, dass immer wieder neue Tatvorwürfe nachgeschoben und ein bestehender Haftbefehl erweitert oder durch einen neuen Haftbefehl ausgetauscht werden könnte. Das wiederum hätte zur Konsequenz, dass die Frist nach § 121 Abs 1 StPO jeweils von neuem liefe und eine Haftprüfung durch das OLG faktisch nicht stattfände. Auch die Anwendung des prozessualen Tatbegriffs des § 264 Abs 1 StPO führt in diesen Fällen nicht zu wesentlich anderen Ergebnissen. Da eine solche Auslegung ersichtlich dem Schutzgedanken des § 121 StPO zuwider läuft, wird deshalb die Zulässigkeit einer derartigen „Reservehaltung“ von Tatvorwürfen als Grundlage von Haftbefehlen in Rspr und Lit – soweit ersichtlich – einhellig abgelehnt.74 51 Hiervon ausgehend fallen unter den Begriff derselben Tat sämtliche Taten eines Beschuldigten ab dem Zeitpunkt, in dem sie – dringender Tatverdacht vorausgesetzt75 – bekannt geworden sind oder hätten bekannt sein und in den bestehenden Haftbefehl aufgenommen werden können.76 Unterschiedliche Taten liegen vor, wenn eine oder mehrere Staatsanwaltschaften gegen denselben Beschuldigten wegen verschiedener, miteinander nicht zusammenhängender Sachverhalte ermitteln.77 Dementspr kann die Untersuchungshaft nicht durch einen neuen Haftbefehl über die Dauer von sechs Monaten hinaus verlängert werden, wenn dieser neue Haftbefehl nur Tatvorwürfe enthält, die bereits bei Erlass des ersten Haftbefehls bekannt waren. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Vorwürfe Gegenstand desselben Verfahrens oder eines getrennten Verfahrens sind. Werden dagegen erst nach Erlass des früheren Haftbefehls neue Taten bekannt oder verdichtet sich der Tatverdacht schon früher bekannter erst danach zu einem dringenden und ergeht deswegen ein neuer oder erweiterter Haftbefehl, so wird dadurch ohne Anrechnung der bisherigen Haftdauer eine neue Frist von sechs Monaten in Gang gesetzt. Fristbeginn ist in diesem Fall der Zeitpunkt, ab dem wegen des weiteren Tatvorwurfs erstmals die Voraussetzungen für den Erlass eines neuen oder die Erweiterung eines bestehenden Haftbefehls vorgelegen haben.78 Eine unterschiedliche Tat liegt auch dann vor, wenn der Beschuldigte ab dem Erlass (und Vollzug) eines Haftbefehls eine völlig neue Straftat begeht. Wird wegen dieser neuen Tat ein Haftbefehl erlassen, dann beginnt auch die sechsmonatige Frist des § 121 Abs 1 StPO neu zu laufen.

_____ 74 Vgl KG 11.11.1996 – (4) 1 HEs 160/96 (116/96), NStZ-RR 1997, 75; OLG Bremen 12.6.1997 – Ws 42/97, NStZ-RR 1997, 334; OLG Dresden 31.3.2009 – 2 AK 6/09 Rn 9, NJW 2010, 952 f; OLG Düsseldorf 16.12.2003 – III-3 Ws 460/03 Rn 5 – 28, StV 2004, 496 ff; OLG Hamm 21.4.1998 – 2 BL 62/98 Rn 12 f, NStZ-RR 1998, 277 ff; 21.1.2002 – 2 Ws 11/02 Rn 11–13, NStZ-RR 2002, 382 je mwN; OLG Jena 22.3.1999 – 1 HEs 12/99 Rn 11–13, NStZ-RR 1999, 347 f; OLG Koblenz 21.4.1999 – 2 Ws 158/99 Rn 7–9, NStZ-RR 2000, 156 f; 4.12.2000 – (2) 4420 BL – III – 97/00 Rn 2–7, NStZ-RR 2001, 124 f; 3.1.2001 – (1) 4420 BL – III – 71/00 Rn 7–11, NStZ-RR 2001, 152 ff; OLG Köln 15.8.1997 – HEs 177/97 – 208, NStZ-RR 1998, 181 f; 14.11.2000 – HEs 196/00 – 220 Rn 7–9, NStZ-RR 2001, 123 f; OLG München 4.7.2011 – 2 Ws 568/11 H Rn 1 f, StraFo 2011, 394 mAnm Lepper; OLG Naumburg 2.12.2008 – 1 Ws 674/08 Rn 7 f, StraFo 2009, 148; LG Rostock 29.7.1996 – I KLs 82/96, NStZ 1997, 97 f mAnm Fahl; OLG Stuttgart 28.10.1998 – 4 HEs 184/98 Rn 7, NStZ-RR 1999, 318 f; OLG Zweibrücken 26.1.1998 – 1 BL 4/98 Rn 6 – 10, NStZ-RR 1998, 182 f; KK/Schultheis Rn 10 ff zu § 121 StPO; Meyer-Goßner/ Schmitt Rn 11–15 zu § 121 StPO je mwN; Lange NStZ 1998, 606 ff; Summa NStZ 2002, 69 ff. 75 OLG Karlsruhe 8.10.2004 – 2 HEs 151/04 Rn 3, NJW 2004, 3725 f. 76 LR/Hilger Rn 16 zu § 121 StPO m umfangreichen N. 77 OLG Köln NStZ-RR 1998, 181 f; OLG Jena NStZ-RR 1999, 347, 348 mwN. 78 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 14 zu § 121 StPO; BeckOK/Krauß Rn 8 zu § 121 StPO je mwN.

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§ 3 Die Gerichte im Ermittlungsverfahren | 215

Die Entscheidung im Rahmen der besonderen Haftprüfung setzt voraus, dass das OLG die dargestellten allg gesetzlichen Erfordernisse der Untersuchungshaft – dringender Tatverdacht, Haftgrund und die Verhältnismäßigkeit der Freiheitsentziehung – geprüft und festgestellt hat. Fehlt es an einer dieser Voraussetzungen, dann ist der Haftbefehl wie in jeder Lage des Verfahrens ohne weiteres aufzuheben und die Freilassung des Beschuldigten anzuordnen. Sind diese Erfordernisse dagegen gegeben, dann sind in einem zweiten Schritt die besonderen Voraussetzungen des § 121 Abs 1 StPO zu prüfen. Steht danach fest, dass die weitere Untersuchungshaft über einen Zeitraum von sechs Monaten hinaus gerechtfertigt ist, ist ihre Fortdauer anzuordnen, sofern der Senat nicht von der Möglichkeit Gebrauch macht, den Vollzug des Haftbefehls nach § 116 StPO auszusetzen (§§ 121 Abs 2, 122 Abs 5 StPO). Daraus folgt, dass eine Haftverschonung ausscheidet, wenn die besonderen Voraussetzungen der weiteren Untersuchungshaft nicht festgestellt sind.79 Würde das OLG dagegen ohne diese Feststellung gleichwohl den Haftbefehl unter Auflagen außer Vollzug setzen, dann müsste ein Verstoß des Beschuldigten gegen diese Auflagen folgenlos bleiben, eben weil die Haft nicht über sechs Monate hinaus vollzogen werden darf.80 Ordnet der Senat im Rahmen der besonderen Haftprüfung die Fortdauer der Untersuchungshaft an, dann gibt es gegen diese Entscheidung kein strafprozessuales Rechtsmittel; dem Beschuldigten verbleibt nunmehr allerdings noch die Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde. 81 Unabhängig davon ist die besondere Haftprüfung jeweils spätestens nach drei Monaten durch das OLG zu wiederholen (§ 122 Abs 4 S 2 StPO). Für die Zeit zwischen den Haftprüfungen kann der Senat sie jedoch gemäß § 122 Abs 3 S 3 StPO auf das nach den allg Vorschriften zuständige Gericht delegieren, dh im Ermittlungsverfahren also auf den Ermittlungsrichter oder im Zwischenverfahren bis zum Beginn der Hauptverhandlung auf das Tatgericht82. Wird der Haftbefehl durch das OLG aufgehoben, dann kann diese Entscheidung grundsätzlich nicht mehr geändert werden, weil die Aufhebung eines Haftbefehls endgültig ist.83 Das bedeutet allerdings nicht, dass in keinem Fall ein neuer Haftbefehl erlassen werden kann. Letzteres wird unstreitig in den Fällen des § 230 Abs 2 StPO in Betracht kommen,84 wenn der ordnungsgemäß geladene Angeklagte unentschuldigt der Hauptverhandlung fernbleibt, ferner mit dem Erlass eines Urteils, weil hier die Sperrwirkung der Haftbefehlsaufhebung nicht mehr greift.85 Darüber hinaus wird von einigen OLG in Anlehnung an eine frühere Entscheidung des BVerfG86 zu Recht die Auffassung vertreten, dass ein nach den §§ 121 Abs 1, 122 StPO aufgehobener Haftbefehl dann durch einen neuen Haftbefehl wegen derselben Tat ersetzt werden kann, wenn wesentliche Änderungen der Verfahrenslage vorliegen und die Würdigung dieses Umstands bei einer vorzunehmenden Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch des Beschuldigten und dem Anspruch des Staates auf vollständige Auf-

_____ 79 Meyer-Goßner/Schmitt Rn 13a und 15 zu § 122 StPO; KK/Schultheis Rn 26 zu § 121 StPO. 80 OLG Braunschweig NJW 1967, 1290, 1291. 81 BVerfG NJW 2000, 1401; NStZ-RR 1999, 12, 13. 82 Dies gilt jeweils entspr für den BGH, § 122 Abs 7 StPO. 83 OLG Celle StV 2002, 556; OLG Stuttgart NJW 1975, 1572, 1573; OLG Düsseldorf StV 1993, 376; StV 1996, 493 f; OLG München StV 1996, 676; OLG Hamm StV 1996, 159; OLG Zweibrücken StV 1996, 494 f; LR/Hilger Rn 47 zu § 121 StPO und Rn 38 f zu § 122 StPO. 84 Wankel KMR § 122 Rn 19; LR/Hilger Rn 47 zu § 121 StPO. 85 KK/Schultheis Rn 31 zu § 121 StPO. 86 BVerfG 15.2.1967 – 1 BvR 653/66 Rn 7, BVerfGE 21, 184 ff.

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klärung der Straftat ergibt, dass der Beschuldigte nunmehr eine erneute Inhaftierung hinnehmen muss.87 Das gilt insbes dann, wenn die Hauptverhandlung begonnen hat und neue Tatsachen bekannt werden, die den Haftgrund betreffen oder wenn aufgrund wesentlich veränderter Umstände die Hauptverhandlung ohne Inhaftierung nicht durchgeführt werden könnte.88 Allerdings wird ein derartiges Vorgehen in der Praxis nur in sehr wenigen, besonders gelagerten Ausnahmefällen in Betracht kommen, und das zur Entscheidung berufene Gericht wird außerordentlich strenge Maßstäbe anlegen müssen und den Grad der Verfahrensgefährdung, die Schwere des Tatvorwurfes und das Gewicht der neuen Tatsachen, aber auch die frühere Haftdauer in seine Abwägung einbeziehen müssen.89 56 Ist der Haftbefehl allein auf den Haftgrund der Wiederholungsgefahr (§ 112a StPO) gestützt, dann kann die Untersuchungshaft nach § 122a StPO nicht länger als ein Jahr aufrechterhalten werden, selbst wenn die besonderen Voraussetzungen des § 121 Abs 1 StPO vorliegen. anhängen!!

§ 4 Anwaltliche Strategien im Ermittlungsverfahren

Schmidt/Gehrmann/Püschel § 4 Anwaltliche Strategien im Ermittlungsverfahren I. Einleitung 1 Das Insolvenzstrafverfahren stellt ganz unterschiedliche Herausforderungen an die an-

waltliche Beraterin und den anwaltlichen Berater.1 Diese sind häufig nicht nur in der Rolle als rechtlicher Beistand, sondern auch in psychologischer Hinsicht in besonderer Weise gefordert. So wird der Verteidiger in einem Ermittlungsverfahren häufig mit einem Mandanten konfrontiert sein, der das Insolvenz(straf)verfahren schon zu Beginn als tiefe Lebenskrise empfindet. Die möglichen strafrechtlichen Konsequenzen stehen zu diesem Zeitpunkt regelmäßig nicht im Zentrum. Vielmehr steht dem Betroffenen unmittelbar das wirtschaftliche Scheitern vor Augen, das oftmals eine Sinn- und Identitätskrise auslöst. Nicht wenige Mandanten stehen in dieser Situation vor den Scherben ihres Lebenswerkes. Häufig liegt gerade darin auch der Grund, weshalb der Mandant sich der Wahrnehmung von Krisenanzeichen verschlossen hatte bzw der (tatsächlich realitätsfernen) Hoffnung nachhing, durch einen Großauftrag „das Ruder nochmals herumzureißen“. Ferner ist das Insolvenzstrafverfahren gerade durch eine Ressourcenknappheit auf 2 Seiten des Mandanten gekennzeichnet, die dafür verantwortlich sein kann, dass die Verteidigung nur mit begrenztem Aufwand geführt werden soll oder kann. Gleiches gilt nicht selten auch für den anwaltlichen Berater des Verletzten. Denn auch dieser wird mit Blick auf die zumeist niedrige Höhe der Massequote hohe Anforderungen an den Erfolg einzelner Maßnahmen des anwaltlichen Beraters stellen. Schließlich stellt auch das materielle Recht zahlreiche Anforderungen an den an3 waltlichen Berater. Ohne Klärung der gesellschafts-, steuer-, sozialversicherungs- und

_____ 87 OLG Frankfurt/M NStZ 1985, 282 mwN; OLG Celle NJW 1973, 1988, 1989; OLG Hamburg StV 1987, 256, 257; offen gelassen von OLG Celle StV 2002, 556; aA BeckOK/Krauß Rn 9 zu § 122 StPO; Meyer-Goßner/ Schmitt Rn 19 zu § 122 StPO; KK/Schultheis Rn 31 zu § 121 StPO; OLG Düsseldorf MDR 1983, 600. 88 OLG Hamburg MDR 1994, 84 f; aA OLG Celle, StV 2002, 556; OLG Düsseldorf MDR 1993, 1001. 89 OLG Hamburg MDR 1994, 84 f. 1 Den Gewohnheiten der deutschen Schriftsprache entsprechend wird im Folgenden nur die männliche Form gebraucht.

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§ 4 Anwaltliche Strategien im Ermittlungsverfahren | 217

insolvenzrechtlichen Vorfragen wird eine Verteidigung kaum erfolgversprechend zu führen sein.

II. Vor dem Ermittlungsverfahren Für den strafrechtlich orientierten anwaltlichen Berater eröffnet sich schon vor Einlei- 4 tung eines Ermittlungsverfahrens ein breites Arbeitsfeld. Naheliegend ist dies dort, wo mittels einer Strafanzeige ein Ermittlungsverfahren angestoßen werden soll. Zunehmend wird der auf das Strafrecht spezialisierte Anwalt aber auch in einer Krisensituation eines Unternehmens hinzugezogen. Hilfreich kann dies insbes dort sein, wo ein Unternehmen versucht, die Krise aus eigener personeller und wirtschaftlicher Kraft zu überwinden. Der strafrechtliche Berater kann hier, unbelastet von engen Verbindungen zu dem Unternehmen oder einzelnen Personen, mit nüchternem Blick die Grenzen des rechtlich Zulässigen aufzeigen. Gehrmann/Püschel

1. Vorfeldberatung Die Vorfeldberatung stellt eine anspruchsvolle Materie für den strafrechtlichen Berater 5 dar, die mit einem nicht unerheblichen eigenen Haftungsrisiko verbunden ist. Das Gesetz geht in seinem Leitbild noch von einem Rechtsanwalt aus, der in allen Rechtsbereichen adäquaten Rechtsrat bieten kann und entspr verpflichtet ist, umfassend zu beraten. Diesem Leitbild können tatsächlich nur die Wenigsten entsprechen. Die Beratung in einer Krisensituation würde entspr vertiefte Kenntnisse im Gesellschafts-, Steuer-, Insolvenz- und Insolvenzstrafrecht verlangen. Ob diese Kenntnisse vorhanden sind, sollte der Berater vorab kritisch prüfen. Dem strafrechtlich ausgerichteten Berater ist zu empfehlen, die Mandatierung auf bestimmte Bereiche zu beschränken und dies auch schriftlich niederzulegen.2 Im Idealfall kann er den Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer des Mandanten hinzuziehen und mit einem „Zivilrechtler“ mit profunden gesellschafts- und insolvenzrechtlichen Kenntnissen kooperieren.

a) Feststellung der Krise und Beratung über Handlungspflichten Um eine Vorfeldberatung leisten zu können, muss der Berater die wirtschaftliche Situation 6 des Unternehmens zuverlässig einschätzen können. Dafür hat er sich einen Überblick über die momentane finanzielle Situation zu verschaffen. Zu prüfen ist die Liquidität des Unternehmens und die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit iS einer Fortführungsprognose. Mit Blick auf die Insolvenzantragspflicht muss gewährleistet sein, dass der Eintritt einer Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldungssituation erkannt wird, um nicht gegen die Insolvenzantragspflicht zu verstoßen.3 In einem zweiten Schritt sind sodann die Organe des Unternehmens über ihre Hand- 7 lungspflichten4 zu beraten. Teil dieser Beratung muss es sein, über die (straf)rechtlichen Risiken des Verstoßes gegen solche Pflichten aufzuklären.

_____ 2 Dannecker/Knierim/Hagemeier, Rn 458. 3 Zu den Einzelheiten des Krisenbegriffs: § 8 Rn 2 ff und § 11 Rn 70 ff. 4 Im Einzelnen § 7 und § 8.

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Überschaubar ist eine solche Beratung nur dann, wenn deutlich ist, dass das Geschäftsmodell nicht mehr tragfähig ist und sich klassische Krisenanzeichen5 – wie die Aufforderung zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung oder rückständige Sozialabgaben – bereits eingestellt haben. Hier werden die Beratung über den Zeitpunkt des Eintritts der Krise iSd §§ 17 ff InsO sowie die Frage im Vordergrund stehen, ob das Unternehmen in die Insolvenz gehen soll oder noch (wenigstens in Teilen) veräußert oder weitergeführt werden kann. Solche verhältnismäßig einfach gelagerten Fälle werden jedoch die absolute Ausnahme darstellen, da die Situation häufig sehr diffus ist und die Überlebensfähigkeit des Unternehmens komplexe Fragen aufwirft. Zudem wird die Geschäftsleitung tendenziell die Überlebensfähigkeit des Unternehmens günstiger beurteilen als dies ein verständiger, unbelasteter Dritter vielleicht tun würde. Hier ist es Aufgabe des Beraters, solchen Fehlbeurteilungen entgegen zu wirken und den Realitätssinn zu schärfen.

b) Asset Protection 9 Eine Vorfeldberatung des Mandanten sollte ferner auch die Möglichkeiten eines Schut-

zes des Vermögens vor dem Zugriff der Gläubiger beinhalten. Das geltende Recht bietet hier einige Möglichkeiten, die nutzbar gemacht werden können, um dem Mandanten und seiner Familie Planungssicherheit für die weitere Lebensgestaltung zu geben. Die im Folgenden kurz skizzierten Gestaltungsmöglichkeiten werden unter dem Be10 griff der Asset Protection diskutiert und haben überwiegend höchstrichterliche Billigung erfahren. Es handelt sich also um Gestaltungen, deren Bestandskraft im Grundsatz keinen Zweifeln ausgesetzt ist und die auch nicht aus sonstigen Gründen fragwürdig erscheinen. Zu beachten ist, dass die hier vorgeschlagenen Modelle vornehmlich solche des präventiven Vermögensschutzes sind.6 Der Vermögensschutz kann im Grundsatz auf zwei Wegen erfolgen:7 Die erste Mög11 lichkeit besteht darin, das haftende Vermögen von dem ursprünglichen Inhaber abzutrennen und auf Dritte zu übertragen. Hierbei ist auf eine Gestaltung zu achten, die weder nach dem AnfG noch nach der InsO rückabgewickelt werden kann. Das zweite Modell sieht den Verbleib des Eigentums beim Vermögensinhaber vor. In diesem Fall soll das Eigentumsrecht vollstreckungsfest über den Wert hinaus sein, den die deutschen Pfändungsfreigrenzen vorsehen. Die einfachste Möglichkeit der Übertragung von Eigentum stellt die Schenkung dar, 12 die jedoch vier Jahre lang nach § 4 AnfG oder § 134 InsO angefochten werden kann. Ein Unterfall der Schenkung stellt die Übertragung des Familienwohnheims dar, der steuerlich mit Blick auf § 13 Abs 1 Nr 4a ErbStG günstiger ist. Eine Übertragung des Eigentumsrechts ist ferner im Wege der sog Güterstandsschaukel möglich, bei der die Rspr allerdings jüngst die Anfechtungsmöglichkeiten erleichtert hat.8 Gemeint ist hiermit der freiwillige Wechsel des ehelichen Güterstandes der Zugewinngemeinschaft hin zur Gütertrennung. In Höhe des Zugewinnausgleichsanspruchs kann das haftende Vermögen reduziert werden. Ferner kann das sog „Wiesbadener Modell“ für Unternehmensinhaber

_____ 5 Im Einzelnen § 11 Rn 97. 6 Vgl von Oertzen, S 12; Scherer/Kirchhain ZErb 2006, 106 ff; Ponath ZEV 2006, 49. 7 Die folgende Darstellung orientiert sich an von Oertzen, Asset Protection im deutschen Recht¸ vgl auch Wulf PStR 2008, 57. 8 Vgl Hosser ZEV 2011, 174.

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interessant sein, nach dem das Unternehmen in ein Betriebsunternehmen und ein Besitzunternehmen aufgespalten wird.9 Eine Übertragung des Eigentumsrechts außerhalb des engeren Familienkreises kann durch den Einsatz von inländischen Familienstiftungen10 oder ausländische Anstalten, Trusts oder Familienstiftungen erfolgen. Allerdings sind diese Gestaltungen auch beratungsintensiv, um insbes steuerliche Risiken auszuschließen. Ferner wird dazu geraten, einen pfändbaren Vermögensanfall zu vermeiden. Dies 13 kann präventiv geschehen oder nach Eintritt des Insolvenzfalls, beispielsweise durch Ausschlagung einer Erbschaft; in Betracht kommt etwa die Ausschlagung gegen Abfindung mit einem nicht pfändbaren Wohnungsrecht. Solche Handlungen sind nicht anfechtbar.11

c) Eigenes Risiko des Beraters Die anwaltliche Beratung eines Unternehmens im Vorfeld einer Krise und in der Krise 14 selbst muss als gefahrgeneigte Tätigkeit12 begriffen werden. Der Berater wird nicht selten dem Ansinnen Dritter ausgesetzt sein, in der Krisenberatung den Rahmen des rechtlich Möglichen zu überschreiten. Neben den vielfältigen wirtschaftlichen Gründen kann eine langjährige Verbundenheit mit dem Unternehmen Handlungsanreiz sein, weil die Krise auch als persönliche Krise wahrgenommen wird. Ferner kann der Berater, der in einer „Brandsituation“ als „Feuerwehrmann“ gerufen wurde, sich gezwungen fühlen, schnelle Erfolge vorzuweisen. Nicht unterschätzt werden sollten auch die Möglichkeiten der Einflussnahme der Geschäftsführung auf den Berater, der trotz besseren Wissens nicht rechtzeitig den Absprung schafft. Insolvenzdelikte sind überwiegend Sonderdelikte. Deshalb wird eine täterschaftli- 15 che Begehung nur dort in Betracht kommen, wo der Berater als Sanierer Geschäftsführungsaufgaben übernommen hat. Teilnahmestrafbarkeiten sind wesentlich häufiger anzutreffen.13 Die Bandbreite in Betracht kommender strafrechtlicher Verfehlungen ist beträchtlich.14 Hinzuweisen ist hier darauf, dass das Risiko eine psychische Beihilfehandlung gemäß § 27 StGB zu begehen, auch bei berufstypischen Handlungen nicht unterschätzt werden darf. Insbes wenn der Berater erkennt, dass die Unternehmensleitung ein insolvenzstrafrechtlich relevantes Verhalten entfaltet, muss mit größter Sorgfalt geprüft werden, ob durch ein weiteres Tätigwerden in dem Mandat die Grenze des Erlaubten überschritten wird. Dies kann etwa der Fall sein, wenn die eigene Tätigkeit einen bereits eingetretenen Schaden perpetuiert oder gar vertieft.

2. Insolvenzstrafrechtliche Risiken in Folge eines bereits anhängigen Ermittlungsverfahrens Insolvenzstrafrechtliche Risiken drohen nicht nur auf Grund eines wirtschaftlichen 16 Misserfolges, sondern können auch durch ein Ermittlungsverfahren ausgelöst werden, in dem die Staatsanwaltschaft Arrestmaßnahmen ausgebracht hat. Sofern Ermittlungsver-

_____ 9 Vgl BFH BStBl 1987 II S 28. 10 Vgl von Oertzen/Hosser ZEV 2010, 168; Werner ZEV 2014, 66. 11 von Oertzen, S 65 f. 12 Wessing NZI 2002, 1, 2; Volk/Böttger, MAH, § 19 Rn 262 ff. 13 Cyrus/Köllner NZI 2016, 288. 14 Im Einzelnen: 3. Kapitel und § 29.

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fahren den Verdacht eines strafbaren Verhaltens in Zusammenhang mit der Führung eines Unternehmens – etwa § 370 AO, §§ 263 ff StGB, § 38 WpHG – zum Gegenstand haben, werden Arrestmaßnahmen häufig in die Geschäftskonten des Unternehmens vollstreckt. Neben der negativen Publizitätswirkung gegenüber der Bank und den Kunden des Unternehmens kann hieraus sehr zügig die Zahlungsunfähigkeit iSd § 17 InsO eines Unternehmens resultieren mit der Folge des Risikos einer Strafbarkeit der Mitglieder des geschäftsführenden Organs gemäß § 15a Abs 4 InsO. Sollte die Staatsanwaltschaft nicht zu Gesprächen über eine Lockerung oder Umgestaltung der Arreste15 bereit sein, müssen dieses Risiko und die Auswirkungen der Stellung eines fristgerechten Insolvenzantrages auf das Unternehmen und die Mitarbeiter dem bearbeitenden Staatsanwalt eindringlich skizziert werden. Insbes sollte auch nicht davor zurückgescheut werden, die Geltendmachung von Haftungsansprüchen nach StrEG oder Amtshaftung in Aussicht zu stellen, um die Gesprächsbereitschaft zu befördern.

3. Strafanzeige 17 Die Strafanzeige sollte nicht als Möglichkeit der (Fort-)Führung zivilprozessualer Ausei-

nandersetzung mit anderen Mitteln gesehen, sondern nur als Handlungsoption in Betracht gezogen werden, wenn ein strafbares Verhalten offen zu Tage liegt. Denn trotz der Ausweitung der Opferrechte im Zuge der letzten Reformen der Strafprozessordnung schätzen es die Ermittlungsbehörden nicht, als „Handlanger“ einer im Kern außerstrafrechtlichen Auseinandersetzung eingespannt zu werden. Zudem birgt die schnelle Einstellung des Ermittlungsverfahrens oder sogar die Ablehnung der Aufnahme von Ermittlungen die Gefahr, dass der Angezeigte aus der Strafanzeige einen taktischen Vorteil zieht. Schließlich wird oftmals nicht ausreichend bedacht, dass durch die Strafanzeige ein Verfahren angestoßen wird, auf das der Anzeigeerstatter im späteren Verlauf – wenn überhaupt – nur noch begrenzten Einfluss nehmen kann. Der Anzeigeerstatter kann sich damit unter Umständen in eine Situation bringen, in der er nicht mehr flexibel auf eine geänderte Interessenlage reagieren kann. Zudem besteht das Risiko, dass die in der Strafanzeige mitgeteilten Sachverhalte auf die eine oder andere Weise an die Öffentlichkeit dringen.16 Eine geräuschlose und allein an dem wirtschaftlichen Ergebnis orientierte Lösung wird hierdurch meist behindert. Der Inhalt einer Strafanzeige ergibt sich aus § 158 StPO. Bei der Erstellung der Straf18 anzeige sollte darauf geachtet werden, dass der Sachverhalt klar umrissen dargestellt wird, der den Verdacht einer strafbaren Handlung begründet. Selbstverständlich hat die Darstellung richtig und vollständig zu erfolgen. Es zahlt sich zudem aus, wenn das Tatgeschehen so einfach wie möglich dargestellt wird. Auf übermäßige Mutmaßungen und Spekulationen sollte verzichtet werden. In der Regel kontraproduktiv ist es, Ereignisse aufzunehmen, die den Tatverdacht nicht untermauern, sondern lediglich der „Kolorierung“ der (vermeintlichen) Persönlichkeit des mutmaßlichen Täters und seiner moralischen Verkommenheit dienen. So werden ohne Not die (ohnehin bestehende) Einseitigkeit der Darstellung hervorgehoben und Nebenkriegsschauplätze eröffnet, die im späteren Verlauf der Ermittlungen unnötig Aufmerksamkeit binden. In der Regel überflüssig ist es schließlich, der Staatsanwaltschaft konkrete Ratschläge zu erteilen, welche strafprozessuale Maßnahmen zu ergreifen sind. Oftmals tragen die Mandanten jedoch

_____ 15 Im Einzelnen § 33 Rn 44 ff. 16 Dannecker/Knierim/Hagemeier, Rn 227.

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genau diese Wünsche an den Berater heran. Dies mag verständlich sein, da die Strafanzeige sicherlich auch eine Ventilfunktion für den Mandanten hat. Jedoch kann dem Mandanten im Regelfall erklärt werden, dass einer nüchternen Darstellung regelmäßig der größere Erfolg beschieden sein wird. Rechtsfragen sollten in der Strafanzeige nur dort erörtert werden, wo dies unerläss- 19 lich ist. Als Faustregel kann dienen, dass einer Strafanzeige, in der der Verdacht der strafbaren Handlung auf eine komplexe oder gar „ausgeklügelte“ rechtliche Konstruktion gestützt wird, wenig Erfolg beschieden sein wird. Hingegen können die Erfolgsaussichten signifikant erhöht werden, wenn in der Darstellung des Tatgeschehens darauf geachtet wird, dass keine Informationen eingehen, von denen der Anzeigeerstatter nur aufgrund der Auskunftspflicht des Schuldners gemäß § 97 Abs 1 S 1 InsO Kenntnis erlangt hat. Beispielsweise sollten Berichte und Gutachten des Insolvenzverwalters nicht für die Begründung des Anfangsverdachtes herangezogen werden. So ist jedenfalls in einem frühen Verfahrensstadium die Diskussion um die (sehr strittige) Reichweite des Beweisverwendungsverbotes gemäß § 97 Abs 1 S 3 InsO entbehrlich.17 In die Beratung des Mandanten zu den Erfolgsaussichten und taktischer Veranlas- 20 sung einer Strafanzeige ist schließlich aufzunehmen, dass keine (zu) hohen Erwartungen mit diesem Schritt verbunden sein sollten. Schon die Antwort auf die Frage, ob die Staatsanwaltschaft strafprozessuale Maßnahmen unternimmt oder dem Beschuldigten „nur“ umgehend rechtliches Gehör gewährt, kann kaum seriös prognostiziert werden. Auch ist dem Mandanten der zeitliche Horizont eines Ermittlungsverfahrens zu erläutern. Personen, die wenig Erfahrung mit den Abläufen in der Justiz haben, sind sich oftmals nicht bewusst, dass sich solche Verfahren über Jahre hinziehen können. Die Einreichung der Strafanzeige sollte von einem persönlichen Gespräch mit der 21 Staatsanwaltschaft begleitet werden. So kann signalisiert werden, dass es sich bei der Strafanzeige nicht lediglich um eine „Pflichtübung“ handelt, und das Interesse des Mandanten an der Strafverfolgung im persönlichen Gespräch erläutert werden. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass schon frühzeitig in Erfahrung gebracht werden kann, wie die Staatsanwaltschaft den vorgetragenen Sachverhalt würdigt.

III. Das Ermittlungsverfahren Das Ermittlungsverfahren hat sich gerade im Wirtschaftsstrafrecht zweifelsohne zu dem 22 wichtigsten Verfahrensstadium entwickelt. Die moderne Strafverteidigung hat – jedenfalls im wirtschaftsstrafrechtlichen Kontext – das Ermittlungsverfahren als den Verfahrensabschnitt erkannt, in dem die Erfolgschancen für die Erzielung eines dem Verhalten des Mandanten angemessenen Ergebnisses am größten sind.18 Die Statistiken sprechen hier eine deutliche Sprache. So wurden 2010 etwa 92% der vor dem Amtsgericht erhobenen Anklagen und ca 86% der vor den Landgerichten erhobenen Klagen zum Hauptverfahren zugelassen. In ca 96% der Verfahren erfolgte sodann eine amtsgerichtliche oder landgerichtliche Verurteilung.19 Angesichts dieser Statistiken ist auch auf ein psychologisches Phänomen hinzuwei- 23 sen, das es nahelegt, trotz der Pflicht der Staatsanwaltschaft zur Ermittlung auch entlas-

_____ 17 Vgl dazu unten Rn 43 ff und oben § 1 Rn 16 ff. 18 Ähnlich Dahs Rn 234 f. 19 Zitiert nach Traut/Nickolaus StraFo 2012, 51.

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tender Tatsachen gemäß § 160 Abs 2 StPO möglichst frühzeitig in einem Verfahren vorzutragen: der sog. Inertia-Effekt. Nach den Erkenntnissen der Sozialpsychologie tut sich das menschliche Gehirn schwer mit Tatsachen, die im Gegensatz zu einer bereits gefassten Meinung stehen und neigt in diesen Fällen einer selektiven Wahrnehmung zu.20 Mit Blick auf das Strafverfahren bedeutet dies, dass Entlastungsargumente trotz § 160 Abs 2 StPO frühzeitig präsentiert werden sollten. Als hilfreich erweist sich regelmäßig, möglichst frühzeitig im Verfahren eine Ge24 sprächsebene mit der Staatsanwaltschaft herzustellen, um auf das Verfahren auch schon zu einem Zeitpunkt einwirken zu können, in dem beispielsweise noch keine Akteneinsicht gewährt wurde. Hilfreich ist dies auch, um das Risiko einer „bösen Überraschung“ für den Mandanten zu minimieren, die (rechtliche) Einschätzung der Staatsanwaltschaft kennenzulernen und eine erste Ahnung von der Persönlichkeit des zuständigen Staatsanwaltes zu erhalten. 25 Die Bemühungen um einen guten Kontakt mit der Staatsanwaltschaft dürfen nicht als Absage an eine in der Sache streitige und/oder konfrontative Verteidigung missverstanden werden.21 Dort, wo eine Verteidigung streitig zu führen ist, muss dies geschehen. Allerdings kann auch am Ende einer streitigen Verteidigung eine Verständigung im strafprozessualen Sinne stehen, die jedoch dort nicht mehr gelingen wird, wo der „Kampf um das Recht“22 auf einer persönlichen Ebene angelangt ist. So stellt etwa die persönliche Dienstaufsichtsbeschwerde die nahezu letzte Eskalationsstufe in der Auseinandersetzung dar, welche nur wohlbedacht zu betreten ist. Es gibt sicher Fälle, in denen nur mit diesem Mittel ein Staatsanwalt zur Ordnung gerufen und zurück auf den Boden der StPO gebracht werden kann. Allerdings ist die Verteidigung gerade in engagiert und konfrontativ geführten Verfahren ebenso wenig wie die Staatsanwaltschaft davor gefeit, den nüchternen Blick auf die Angelegenheit zu verlieren. Es empfiehlt sich daher, einen so weitreichenden Schritt nicht in der Hitze des Gefechts zu vollziehen.

1. Umgang mit dem Mandanten 26 Wesentliche, allerdings nicht stets zwingende Voraussetzung für eine erfolgreiche Ver-

teidigung ist eine belastbare Vertrauensbeziehung zwischen dem Verteidiger und seinem Mandanten. Vertraut der Mandant seinem Verteidiger, so wird er bereit sein, mit ihm offen und ohne Vorbehalte über das Geschehen zu sprechen, das Gegenstand des Tatvorwurfs ist. In der Regel sind die Erfolgsaussichten der Verteidigungsbemühungen desto höher, je mehr Informationen der Mandant seinem Verteidiger offenbart. Sowohl der Mandant als auch der Verteidiger setzen sich einer unangenehmen Situation im späteren Verlauf des Verfahrens aus, wenn der Verteidigungsvortrag in tatsächlicher Hinsicht leicht widerlegbar ist. Hierfür kann es hilfreich sein, dem häufigen Irrglauben entgegenzutreten, der um27 fassend informierte Verteidiger dürfe nicht mehr mit dem Ziel der Nichteröffnung oder des Freispruchs verteidigen. Andererseits muss dem Mandanten gewährleistet sein, dass die Information des Verteidigers im Innenverhältnis mit dessen Kommunikation nach außen nichts zu tun hat. Es ist besonders auf die Verschwiegenheitsverpflichtung des Verteidigers hinzuweisen. Nach außen tretendes Verhalten des Verteidigers ist ausführ-

_____ 20 Barton StraFo 1993, 11; Salditt StV 1993, 442, 445 f. 21 Hamm NJW 2006, 2084. 22 Hamm NJW 2006, 2084; Salditt StraFo 2009, 312.

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lich zu besprechen und inhaltlich abzustimmen. Der Mandant muss sich jederzeit darüber im Klaren sein, dass solche Aktivitäten von seiner Zustimmung abhängen. Schon ab dem ersten Kontakt mit dem Mandanten ist diese Vertrauensbeziehung zu fördern. Unter diesem Gesichtspunkt kann von Vorteil sein, wenn der Mandant seinen Verteidiger im Zuge einer strafprozessualen Maßnahme – im Insolvenzstrafverfahren wahrscheinlich im Zuge einer Durchsuchung – kennenlernt. Aufgrund dieser Ausnahmesituation für den Mandanten kann sich der Verteidiger schon im ersten Moment der Mandatsbeziehung als Beistand profilieren, der sich den Ermittlungsbehörden auf Seiten des Beschuldigten entgegenstellt, ihm den weiteren Ablauf erklärt und so die Verunsicherung über den Eingriff in die Lebenssphäre abmildert. In der Durchsuchungssituation kann der Mandant den Wert einer vertrauensvollen Zusammenarbeit mit seinem Verteidiger unmittelbar erkennen. Die Vertrauensbeziehung zwischen Mandant und Verteidiger kann im Verlauf eines Strafverfahrens auf vielfältige Weise auf die Probe gestellt werden. Baustein einer belastbaren Vertrauensbeziehung ist, dem Mandanten in den ersten Besprechungen keine unrealistischen Versprechungen über den Ausgang des Verfahrens zu machen. Der Verteidiger tut gut daran, deutlich zu machen, dass nicht er Herr des Verfahrens ist und seine Einflussmöglichkeiten auf den Gang des Verfahrens nur begrenzter Natur sind. Oftmals wollen Mandanten schon zu einem frühen Zeitpunkt in der Mandatsbeziehung erfahren, was ihnen „drohe“. Eine seriöse Abschätzung wird in den seltensten Fällen zuverlässig möglich sein. Der Ausgang eines Strafverfahrens unterliegt zahlreichen Faktoren, die gerade am Anfang des Ermittlungsverfahrens kaum zuverlässig zu überblicken sind. Zudem sind regionale Unterschiede in der Strafverfolgungspraxis der Staatsanwaltschaften zu bemerken. Die Gefahr einer konkreten günstigen Prognose besteht darin, dass die Vertrauensbeziehung irreparable Schäden erleidet, wenn die Prognose nicht eintritt. Daher dürfte es jedenfalls langfristig der Mandatsbeziehung förderlicher sein, dem Mandanten zu erläutern, welche Verteidigungsziele realistisch erreichbar erscheinen. Die Verteidigungsstrategie ist präzise zu erläutern; auf die Gefahren und Vorteile ist hinzuweisen. Um spätere Irritationen oder gar Vorwürfe berufsrechtlicher Natur zu vermeiden, sind die Verteidigungsstrategien mit dem Mandanten abzustimmen und dessen Zustimmung einzuholen. Zu der Erreichung eines Verteidigungszieles ist der sicherste Weg einzuschlagen. Der Mandant ist frühzeitig auf mögliche (weitere) strafprozessuale Maßnahmen vorzubereiten. So sind ihm konkrete Verhaltensleitlinien für den Umgang mit den Ermittlungsbehörden an die Hand zu geben. Insbes ist er auf die Möglichkeit vorzubereiten, dass Ermittlungsbehörden ihn (unter Umgehung der Verteidigung) direkt ansprechen. Ebenfalls ist die Möglichkeit einer Durchsuchung und Beschlagnahme zu besprechen. Der Mandant sollte schon frühzeitig darauf hingewiesen werden, dass er die Verteidigerpost in einem separaten Ordner/Aktenschrank aufbewahrt, der mit „Verteidigungsunterlagen“ zu beschriften ist. Gleiches gilt auch für einen digitalen Ordner. Dem mitunter anzutreffenden Ansinnen des Mandanten, Beweismitteln in der Verteidigerkanzlei „Asyl“ zu gewähren, ist entgegenzutreten; zumal es sich ohnehin regelmäßig und trotz § 160a StPO nur um eine „Scheinsicherheit“ handeln dürfte.23 Weiter ist dem Mandanten zu erklären, dass die Qualität der Verteidigung stark durch seine Mitarbeit beeinflusst wird. Keiner steht (jedenfalls zu Beginn des Ermitt-

_____ 23 LG Mannheim wistra 2012, 400 mAnm Ballo NZWiSt 2013, 46; vgl aber auch Park Rn 562.

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lungsverfahrens) besser im „Stoff“ als der Mandant. Der Verteidiger muss sich diese Informationsquelle nutzbar machen. Bewährt haben sich hierzu beispielsweise Fragenkataloge, die dem Mandanten zur schriftlichen Beantwortung übersandt werden. Vor einer unkritischen Übernahme der Schilderungen des Mandanten ist zu warnen. Ungenauigkeiten und Erinnerungslücken können auch bei dem redlichen Mandanten niemals ausgeschlossen werden. Deshalb sind Inkonsistenzen zwischen der Darstellung des Mandanten und dem Akteninhalt offen anzusprechen. 33 Eng mit der Mitarbeit des Mandanten verbunden ist auch die Frage der Honorierung der Verteidigungstätigkeit. Die Kosten der Verteidigung hängen zu einem nicht unwesentlichen Teil von der Bereitschaft des Mandanten ab, Vorarbeiten selbst zu erledigen und den Verteidiger nicht mit einem Wust an Akten zu bestücken, aus dem sich dieser selbst die wesentlichen Tatsachen erarbeiten soll. Ökonomisch sinnvoll kann eine Verteidigung unter diesen Bedingungen selten geführt werden. 34 Eine Verteidigungsvergütung entsprechend RVG ist nicht ansatzweise realistisch für eine angemessene Verteidigung im Ermittlungsverfahren. Eine Vergütungsvereinbarung empfiehlt sich, soll die Verteidigung nicht erst in der Hauptverhandlung erfolgen. In welchen Regionen sich diese bewegt, ist einzelfallabhängig und Verhandlungssache. Ob Festbeträge für einzelne Verfahrensstadien oder eine Stundenhonorierung vereinbart wird, bleibt der konkreten Situation überlassen. Eine Stundenhonorierung hat allerdings den Vorteil, für den Mandanten transparenter zu sein und birgt nicht Gefahr, dass der Verteidiger in seinen Bemühungen nachlässt, wenn der Betrag nach seiner internen Wirtschaftlichkeitsberechnung aufgebraucht ist. Schließlich sollte die Frage eines Vorschusses gerade im Insolvenzstrafrecht angesprochen werden. Entspannt kann der Verteidiger mit seinem Mandanten die wirtschaftliche Grundla35 ge der Verteidigung erörtern, wenn der Mandant eine Spezialstrafrechtsschutz-Versicherung in Anspruch nehmen kann. Ist der Mandant über das in eine Krise geratene Unternehmen versichert, gehört die Versicherungsleistung materiell nicht zur Insolvenzmasse des Unternehmens als Versicherungsnehmerin mit der Konsequenz, dass der Insolvenzverwalter grundsätzlich verpflichtet ist, Leistungen der Versicherung an den Mandanten weiterzuleiten.24 Hat die Versicherung zuvor eine Deckungszusage zugunsten des Mandanten abgegeben, tritt durch eine Zahlung an den Insolvenzverwalter keine Erfüllung ein; der Mandant kann dann von der Versicherung unmittelbar – auch ohne Zustimmung des Insolvenzverwalters – Befreiung von der Honorarverpflichtung gegenüber dem von ihm beauftragten Verteidiger verlangen 2. Erste Schritte 36 Sobald der Beschuldigte von einem Ermittlungsverfahren erfährt und sich an einen

Verteidiger wendet, wird der Verteidiger seine Mandatierung gegenüber den Ermittlungsbehörden anzeigen. Ob es vereinzelt Ausnahmefälle geben mag, in denen es nicht angezeigt ist, dass der Beschuldigte einen Verteidiger benennt, braucht hier nicht entschieden werden.25 Der Verteidiger ist Organ der Rechtspflege26 und seine Beauftragung im Falle eines laufenden Ermittlungsverfahrens ein gebotenes und in keiner Weise Verdacht erregendes Vorgehen. Gleiches gilt für die Absage der (ersten) Beschuldigtenvernehmung, sofern noch keine Akteneinsicht genommen wurde. Beide Verteidigungs-

_____ 24 OLG Köln NJW-RR 2015, 725. 25 Vgl Dahs Rn 245. 26 § 1 BRAO; vgl insbes BVerfG StraFo 1996, 176.

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handlungen sind nicht geeignet, Misstrauen zu begründen, sondern zeigen vielmehr, dass der Beschuldigte die Tatvorwürfe ernst nimmt und sich dem Ermittlungsverfahren stellt. Zudem ist so frühzeitig wie möglich ein Akteneinsichtsantrag zu stellen, um den Tatvorwurf kennenzulernen. Die Akteneinsicht ist elementar, um eine Verteidigung effektiv zu führen. Situationen, in denen auf das Akteneinsichtsrecht – auch nur vorübergehend – verzichtet werden soll, sind kaum denkbar. Dauern die Ermittlungen der Polizei noch an, so kann die Anzeige der Verteidigung gemeinsam mit einem Akteneinsichtsgesuch an Polizei und Staatsanwaltschaft gesandt werden. Ist nur das polizeiliche Aktenzeichen bekannt, so ist der Akteneinsichtsantrag an die Polizei mit der Aufforderung zu senden, diesen der Staatsanwaltschaft vorzulegen. Die Anzahl der zu bestellenden Wahlverteidiger ist auf drei gemäß § 137 Abs 1 S 2 StPO begrenzt. Aus der Vollmacht sollten die Verteidiger namentlich ersichtlich sein, um Missverständnisse bei größeren Sozietäten zu vermeiden. Werden mehrere Beschuldigte von Verteidigern einer Kanzlei verteidigt, ist schon unter berufsrechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen, ob dies innerhalb einer Kanzlei zulässig ist. Bestehen keine Interessenkonflikte, so ist dies bedenkenlos möglich. Mit dem Mandanten ist aber zugleich zu erörtern, dass Interessenkonflikte im späteren Verlauf des Verfahrens aufbrechen können und für diesen Fall das Mandat ggf – vgl § 3 Abs 2 BORA – niedergelegt werden muss. Im Ergebnis sind die anzustellenden Erwägungen stark einzelfallabhängig. Festgehalten werden kann jedenfalls, dass wirtschaftliche Überlegungen ein gefährlicher Ratgeber sind. Richtet sich das Verfahren gegen mehrere Beschuldigte, so sollte ausgelotet werden, ob sich die Verteidigungsmöglichkeiten im Wege einer sog Sockelverteidigung27 verbessern lassen. Kennzeichen einer Sockelverteidigung ist die Verfolgung einer gemeinsamen Verteidigungsstrategie, die den Interessen sämtlicher Beschuldigter gleichermaßen dient. Mit anderen Worten bauen die Verteidiger eine gemeinsame Verteidigungslinie auf, die allen Beschuldigten Schutz bietet. Üblicherweise richten sich die Verteidigungsbemühungen daher gegen eines oder mehrere objektive Tatbestandsmerkmale oder die Rechtswidrigkeit der Handlung. Individuelle (Nicht-)Verantwortlichkeiten werden nicht thematisiert. Die Vorteile einer Sockelverteidigung liegen in einer besseren Informationsgewinnung und der Koordinierung der Arbeitskraft der eingebunden Verteidiger. Widersprüche in den einzelnen Stellungnahmen werden vermieden. Die Grenzen der Sockelverteidigung werden durch die Interessen des Mandanten markiert. Zuvorderst ist zu beachten, dass die Bindung an eine gemeinsame Verteidigungsstrategie nicht auf Kosten des Mandanten geht. So ist der Mandant in sämtliche Vorgänge einzubinden, um nicht den Eindruck entstehen zu lassen, er stehe nicht (mehr) im Zentrum der Verteidigungsbemühungen. Dies gilt insbes dann, wenn verschiedene Hierarchiestufen eines Unternehmens in die Sockelverteidigung eingebunden sind. Ferner können die Interessenlagen der Beschuldigten auseinanderstreben. Sei es, weil die gemeinsame Verteidigungsstrategie nicht verfängt oder die Staatsanwaltschaft signifikante Strafnachlässe oder die Einstellung des Verfahrens aus Opportunitätsgründen demjenigen in Aussicht stellt, der bereit ist, den Sockel (zu Lasten der anderen Beschuldigten) zu verlassen. Dem Verteidiger muss daher gegenwärtig bleiben, dass es sich bei der Sockelverteidigung nur um ein Bündnis auf Zeit handelt.28

_____ 27 Vgl etwa MAH/Salditt/Minoggio § 9 Rn 61. 28 W/J/Dierlamm, Rn 29/20.

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Sofern die Interessen des Mandanten es gebieten, den gemeinsamen Sockel zu verlassen, so ist dies den übrigen Verteidigern unverzüglich anzuzeigen.29 Kollegialiter sollte diese Anzeige frühzeitig erfolgen, um den anderen Verteidigern die Möglichkeit zu geben, das Verteidigungsverhalten an die geänderten Gegebenheiten anzupassen. 42 Anders als in anderen Gebieten des Wirtschaftsstrafrechts spielte die Unternehmensverteidigung30 im Insolvenzstrafverfahren in der Vergangenheit kaum eine Rolle. Dies könnte sich nach der Reform des Insolvenzverfahrens durch das ESUG – mit den Möglichkeiten des Eigenverwaltungs- und Schutzschirmverfahrens – im Falle einer erfolgreichen Sanierung ändern. 41

3. Auskunfts- und Mitwirkungspflichten im Insolvenzverfahren und das Insolvenzgeheimnis 43 Nach § 97 Abs 1 S 1 InsO ist der Schuldner – bei juristischen Personen der organschaftliche Vertreter nach § 101 Abs 1 InsO – verpflichtet, dem Insolvenzgericht, dem Insolvenzverwalter, dem Gläubigerausschuss und ggf. der Gläubigerversammlung über alle das Verfahren betreffende Verhältnisse Auskunft zu geben. Der Schuldner hat dabei nach § 97 Abs 1 S 2 InsO auch solche Tatsachen zu offenbaren, die geeignet sind, eine Verfolgung wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit herbeizuführen. Diese Auskunfts- und Mitteilungspflichten können zwangsweise unter Zuhilfenahme des Maßnahmenkataloges des § 98 InsO durchgesetzt werden. Ferner droht die Versagung der Restschuldbefreiung für den Fall unterlassener Mitwirkung. 44 Es liegt auf der Hand, dass diese – zum damaligen Zeitpunkt in der KO geregelten – weitreichenden und sanktionsbewehrten Auskunfts- und Mitwirkungspflichten in Konflikt mit dem nemo-tenetur-Grundsatz geraten, nach dem der Betroffene sich nicht zum Beweismittel gegen sich selbst machen lassen muss. Dies hatte das BVerfG in dem bekannten „Gemeinschuldner-Beschluss“ von 198131 auch ausdrücklich festgestellt. In der Folge hat der Gesetzgeber mit dem Übergang von der Konkursordnung zur Insolvenzordnung die Gelegenheit ergriffen und ein Insolvenzgeheimnis ausdrücklich in § 97 Abs 1 S 3 InsO normiert.32 Danach gilt: „Jedoch darf eine Auskunft, die der Schuldner gemäß seiner Verpflichtung nach Satz 1 erteilt, in einem Strafverfahren oder in einem Verfahren nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten gegen den Schuldner oder einen in § 52 Abs 1 der Strafprozessordnung bezeichneten Angehörigen des Schuldners nur mit Zustimmung des Schuldners verwendet werden.“

45 Der Gesetzgeber hat damit ausdrücklich ein Verwendungsverbot gesetzlich festgeschrie-

ben. Anders als das bloße Verwertungsverbot kommt dem Verwendungsverbot eine Fernwirkung dergestalt zu, dass die Auskunft nicht zur Grundlage weiterer Ermittlungsschritte gemacht werden darf.33 Ferner dürfen solche Beweismittel nicht verwertet werden, zu denen die Auskunft den Weg gewiesen hat.34 Sinn und Zweck dieser weitrei-

_____ 29 Richter NJW 1993, 2152, 2154. 30 Vgl MAH/Kempf/Schilling, § 10; MAH/Wessing, § 11. 31 BVerfG NJW 1981, 1431. 32 Ausführlich zur Genese und zu Umfang und Reichweite des § 97 Abs 1 S 3 InsO Püschel, FS AG Strafrecht, S 759. 33 Vgl aber BGHSt 54, 69. 34 MüKo/Stephan, InsO, § 97 Rn 17.

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chenden Beschränkungen für das Strafverfahren ist es, den Interessen des Gläubigers im Insolvenzverfahren an einer optimalen Verwertung des Schuldnervermögens so weit wie möglich Rechnung zu tragen. Denn nur wenn der Schuldner darauf vertrauen darf, dass seine Auskünfte nicht in einem Strafverfahren gegen ihn oder seine Verwandten verwandt werden, wird er sich zu einer lückenlosen Aufklärung bereit erklären können.35 Der Gesetzeswortlaut legt nahe, dass die Wirkung des § 97 Abs 1 S 3 InsO weitrei- 46 chend ist. Hierfür sprechen auch Sinn und Zweck.36 Da das Verwendungsverbot die Auskunftspflicht nach § 97 Abs 1 S 1 u. 2 InsO absichert und flankiert, ist seine Reichweite spiegelbildlich zur Auskunftspflicht zu verstehen; soweit die Auskunftspflicht reicht, so weit reicht auch das Verwendungsverbot.37 Gleichwohl ist das Meinungsspektrum zu den Grenzen des § 97 Abs 1 S 3 InsO sehr breit und ein unstrittiger Anwendungsbereich jenseits der allseits geteilten Erkenntnis kaum auszumachen, dass jedenfalls Auskünfte des Schuldners bzw durch diesen angefertigte Unterlagen in Erfüllung seiner Verpflichtung aus § 97 Abs 1 S 1 InsO dem Verwendungsverbot des § 97 Abs 1 S 3 InsO unterfallen.38 Die Unsicherheit beginnt bereits bei der Frage, ob § 97 Abs 1 S 3 InsO eine sog Frühwirkung zeigt, nach der aus der Insolvenzakte schon kein Anfangsverdacht einer Insolvenzstraftat geschöpft werden darf.39 Dies hätte zur Folge, dass ein Insolvenzstrafverfahren nicht eingeleitet werden könnte, ohne dass Erkenntnisse vorliegen, die sich nicht aus der Insolvenzakte speisen. Denn der Eintritt der Insolvenz ist für sich genommen sicherlich kein hinreichender tatsächlicher Anhaltspunkt iSd § 152 Abs 2 StPO für eine Insolvenzstraftat.40 Eine vergleichbar entscheidende Wegmarke für das Ermittlungsverfahren ist die Frage, ob die Vorlage von Geschäftsunterlagen unter das Verwendungsverbot zu subsumieren ist.41 Eine Differenzierung zwischen bereits vorhandenen und geschaffenen Geschäftsunterlagen ist auf Grundlage des Wortlautes des § 97 Abs 1 S 3 InsO nicht angezeigt und kann auch nicht durch die rechtspraktische Erwägung begründet werden, dass bei solcher Auslegung ein „Asyl für Beweismittelunterlagen“ geschaffen werde und eine Verfolgung von Insolvenzstraftaten faktisch nicht mehr möglich sei.42 Solche Befürchtungen können verfassungsrechtlich verbürgte Schutzräume nicht aufbrechen. Zudem hat der Gesetzgeber in § 97 InsO eine grundlegende Wertentscheidung getroffen, nach der die Interessen des Gläubigers im Insolvenzverfahren höher gewichtet werden als die Interessen des Staates an einer effektiven Strafverfolgung.43 Die Verteidigungspraxis im insolvenzstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren scheint 47 diese Rechtslage noch nicht im vollen Umfang erkannt zu haben. Denn anders ist nicht zu erklären, dass die Justizpraxis das Verwendungsverbot des § 97 Abs 1 S 3 InsO vielerorts ignoriert und die Insolvenzakte zum Ausgangspunkt des Ermittlungsverfahrens

_____ 35 Müller-Gugenberger/Richter, § 76 Rn 29. 36 Vgl Haarmeyer ZInsO 2016, 545 – auch zur Anwendung des § 97 Abs 1 S 3 InsO bei Abstimmung und Antrag eines Eigenverwaltungsverfahrens. 37 Laroche ZinsO 2015, 1469, 1472. 38 Vgl Rn 19; OLG Jena NJW 2010, 1369; Püschel, FS AG Strafrecht, S 759; Müller-Gugenberger/Richter, § 76 Rn 30 ff; MüKo/Stephan, InsO, § 97 Rn 16 ff; Achenbach/Ransiek/Wegner, 7. Teil, 2. Kap, Rn 14. 39 Dafür zB Püschel, FS AG Strafrecht, S 759, 761 ff; dagegen etwa Weyand ZInsO 2015, 1948. 40 Pointiert: Püschel/Paradissis ZInsO 2015, 1786. 41 Dafür etwa Laroche ZinsO 2015, 1469, 1472 unter Hinweis auf BGH ZInsO 2012 1472 Rn 11; dagegen zB OLG Jena ZInsO 2011, 732, 733, da die Vorlage auf der allg Mitwirkungspflicht nach § 97 Abs 2 InsO beruhe. 42 So aber Richter wistra 2000, 1, 4; vgl auch Diversy ZInsO 2005, 180, die von „Holkriminalität“ spricht. 43 Müller-Gugenberger/Richter, § 76 Rn 29.

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macht. Dem hat die Verteidigung eine „Nullhypothese“44 entgegenzusetzen, nach der die belastenden Erkenntnisse regelmäßig auf Auskünften des Schuldners beruhen und entspr nicht verwertbar sind. Die Staatsanwaltschaft hat dann den Beweis anzutreten, dass verfahrensrelevante Tatumstände nicht aus einer Auskunft im Insolvenzverfahren stammen.45 Erteilt der Schuldner hingegen sein Einverständnis zu der Verwertung der Auskünfte 48 im Strafverfahren46 oder gibt er die Auskünfte gegenüber Dritten, die nicht in § 97 Abs 1 S 1 InsO aufgezählt sind, so begibt er sich des Schutzes des Insolvenzgeheimnisses. Keine Rechtssicherheit besteht insbesondere bei Auskünften gegenüber dem vom Gericht bestellten (Nur-)Sachverständigen. Viel spricht dafür, den Gutachter – der im Auftrag des Gerichts als dessen Gehilfe tätig wird – in den Anwendungsbereich des § 97 Abs 1 S 3 InsO einzubeziehen.47 In der Strafjustiz wird dies teilweise anders gesehen.48 Diese restriktive Auslegung dürfte jedenfalls in den praktisch häufigen Fällen unvertretbar sein, in denen das Insolvenzgericht dem Schuldner aufgibt, die Auskunftspflichten unmittelbar gegenüber dem Sachverständigen zu erfüllen.49 Fehlt eine solche Anordnung, sollte der Verteidiger eine „Koalition der Vernunft“ mit dem Sachverständigen suchen und eine entsprechende Ergänzung des Beschlusses oder schon die Bestellung des Gutachters als vorläufigen Insolvenzverwalter beim Insolvenzgericht anregen. Hier wie auch sonst in Fällen, in denen ein Ermittlungsverfahren noch nicht eingeleitet wurde, ist § 97 Abs 1 S 1 InsO ein probates Mittel der Präventivverteidigung. Der Mandant, den als Schuldner bzw. als organschaftlichen Vertreter der juristischen Person eine Auskunftspflicht trifft, kann durch seine Auskunft die Reichweite des Verwendungsverbotes gestalten. Auf eine einfache Formel gebracht: Je früher und umfassender der Mandant seiner Auskunfts- und Mitwirkungspflicht nachkommt, umso geringer ist das Risiko, dass er strafrechtliche Konsequenzen zu gewärtigen hat.50

4. Durchsuchung und Beschlagnahme 49 Durchsuchungen zielen auf das Auffinden von Beweismitteln ab und finden in aller Re-

gel unangekündigt statt, um das Überraschungsmoment zu nutzen. Die Maßnahme kann sich gegen einzelne oder mehrere Beschuldigte – zB Gesellschafter, Geschäftsführer und Mitarbeiter einer GmbH – oder gegen Dritte – etwa Geschäftspartner – richten. Die Anforderungen, die an einen Durchsuchungsbeschluss zu stellen sind, variieren je nachdem, ob sich die Durchsuchung gegen einen Beschuldigten gem § 102 StPO oder gegen einen Dritten gem § 103 StPO richtet.51 Durchsuchungen stellen schwerwiegende Eingriffe dar und sind mit hohen Belas50 tungen und Verunsicherung für die Betroffenen verbunden. Wird die Maßnahme in den Privaträumlichkeiten des Betroffenen durchgeführt, so treten neben die Belastungen

_____ 44 Püschel, FS AG Strafrecht, S 759, 772. 45 Hefendehl wistra 2003, 1, 7; Püschel, FS AG Strafrecht, S 759, 771; Haarmeyer ZInsO 2016, 545, 555. 46 Es besteht eine „Pflicht zur qualifizierten Belehrung im Insolvenzstrafverfahren“ über das Verwendungsverbot des § 97 Abs 1 S 3 InsO: Püschel, FS Wessing , S 753. 47 Kemperdick ZInsO 2013, 1116, 1118; Laroche ZInsO 2015, 1469, 1471 mwN. 48 OLG Jena ZInsO 2011, 732; OLG Celle wistra 2013, 247. 49 In NRW sehen die zentral zur Verfügung gestellten Vorlagen solcher Beweisbeschlüsse eine solche Anordnung vor, s. Laroche ZInsO 2015, 1469, 1472. 50 S Püschel, FS AG Strafrecht, S 759, 770. 51 Einzelheiten unter § 1 Rn 209 ff.

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durch die Durchsuchung selbst noch die Wirkung auf das unmittelbare Lebensumfeld des Betroffenen, der sich bspw auch nach Abschluss der Maßnahme noch auf lange Zeit den misstrauischen Blicken der Nachbarn ausgesetzt sieht. Die spätere Einstellung des Ermittlungsverfahrens mangels Tatverdachts gem § 170 Abs 2 StPO vermag diese (Neben-)Folge der Durchsuchung nicht in allen Fällen zu heilen. In dieser schockartigen Situation reagiert der unvorbereitete Betroffene erfahrungsgemäß selten besonnen. Je nach Mentalität neigt der Betroffene zu einem konfrontativen Verhalten gegenüber den Beamten oder er versucht, durch Angaben zum Sachverhalt die Maßnahmen – gleichsam in letzter Sekunde – abzuwehren. Beide Verhaltensmuster sind – wenn auch menschlich verständlich – in aller Regel verhängnisvoll: die Beendigung der Maßnahmen wird nicht erreicht und die Position des Betroffenen im weiteren Verlauf des Ermittlungsverfahrens meist verschlechtert. Aufgabe des Verteidigers muss es in einer solchen Situation sein, dem Mandanten Beistand zu leisten und ihn zu einem ruhigen und koordinierten Verhalten anzuleiten. Dies kann nur gelingen, wenn auch der Verteidiger die Situation als Notfall begreift und sich der Angelegenheit unmittelbar mit voller Aufmerksamkeit zuwendet. Sofern dies nicht möglich ist, sollte die Vertretung durch einen Kollegen organisiert werden. Denn in der Regel wird es unerlässlich sein, dass sich der Verteidiger vor Ort begibt, um dort die Rechtmäßigkeit der Maßnahme zu prüfen und den Ermittlungsbehörden als Ansprechpartner zu Verfügung zu stehen, um den Kontakt zwischen dem Betroffenen und den Ermittlungsbehörden auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Insbes Unternehmen können sich durch einfache organisatorische Vorkehrungen auf eine Durchsuchungsmaßnahme vorbereiten.52 So kann das Risiko einer negativen Außenwirkung signifikant reduziert werden, wenn den Mitarbeitern einige Verhaltensleitlinien an die Hand gegeben werden. Unabhängig von der Unternehmensgröße empfiehlt es sich bspw, einen Ansprechpartner im Unternehmen für den Fall einer Durchsuchung zu benennen. Diese Person sollte im Unternehmen auch bekannt sein. Es empfiehlt sich, den Namen und die Kontaktdaten am Empfang bzw der Pforte zu hinterlegen, so dass auch nicht geschulte Mitarbeiter zügig reagieren können. Zudem sollten bereits die Grundzüge einer Kommunikationsstrategie entworfen sein, um zeitnah mit einer geeigneten Sprachregelung an die Öffentlichkeit und die eigene Belegschaft treten zu können, sollte dies erforderlich sein.53 Häufig ist eine gewisse Zurückhaltung auf Seiten der Unternehmensführung zu bemerken, sich mit der Möglichkeit eine Durchsuchung vorab gedanklich auseinanderzusetzen. Dieser Neigung zur Tabuisierung sollte sich der anwaltliche Berater entgegenstellen und der Unternehmensführung verdeutlichen, dass auch dieses Thema Teil der unternehmerischen Tätigkeit ist und im ureigenen Interesse des Unternehmens liegt. Nur die präventive Befassung kann im Ernstfall ein Fehlverhalten der Mitarbeiter verhindern, welches gravierende Schäden – nicht zuletzt an der öffentlichen Wahrnehmung des Unternehmens – nach sich ziehen kann.54 Als „Türöffner“ in solche Gespräche kann der Anwalt die Vorbereitung auf eine Durchsuchung gemäß § 103 StPO nutzen.

_____ 52 S zur Prävention und zu praktischen Verhaltensregeln Püschel PStR 2006, 89. 53 Vgl dazu unten Rn 153 ff. 54 W/J/Dierlamm, Rn 27/65.

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a) Durchsuchung des Beschuldigten gem § 102 StPO 55 In der Regel wird ein Verteidiger durch seinen Mandanten telefonisch darüber in Kennt-

nis gesetzt, dass in den Räumlichkeiten des Mandanten eine Durchsuchungsmaßnahme durchgeführt wird. Die nachfolgenden Ausführungen orientieren sich am typischen zeitlichen Ablauf einer Durchsuchungsmaßnahme. Schon am Telefon sollte der Verteidiger seinen Mandanten ein Handlungsgerüst an 56 die Hand geben, wie dieser sich bis zum Eintreffen des Strafverteidigers zu verhalten hat. Hierfür reicht es aus, dass der Mandant zwei leicht zu merkende Grundregeln für den weiteren Umgang mit den Ermittlungsbeamten verinnerlicht: 1. Bei einer Durchsuchung ist wenig zu gewinnen, jedoch viel zu verlieren! 2. Reden ist Silber, Schweigen ist Gold! 57 Im Anschluss hieran sollte sich der Strafverteidiger mit dem Ermittlungsführer verbin-

den lassen, sein Kommen ankündigen und sich kurz den Tatverdacht erläutern lassen. Schon in diesem Stadium kann Kooperationsbereitschaft signalisiert werden, um einen „zivilisierten“ Ablauf der Durchsuchungsmaßnahme zu befördern. In der Regel werden die Ermittlungsbeamten gewillt sein, die Durchsuchungsmaßnahme bis zum Eintreffen des Strafverteidigers so zurückhaltend zu gestalten, dass das Risiko einer Eskalation der Situation überschaubar bleibt. Auch die Ermittlungsbehörden sind zumeist an einer zügigen und reibungslosen Durchsuchung interessiert. Nach dem Eintreffen am Ort der Durchsuchungsmaßnahme ist der Durchsuchungs58 beschluss, sofern vorhanden, auf seine Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. In dem Durchsuchungsbeschluss müssen der Tatverdacht und die Beweismittel, die durch die Maßnahme aufgefunden werden sollen, sowie die zu durchsuchenden Räumlichkeiten konkret bezeichnet sein. Ferner darf der Beschluss nicht älter als sechs Monate sein.55 Die Prüfung kann für den Moment auf diese Mindestanforderungen beschränkt bleiben, da nur bei einer auf der Hand liegenden Rechtswidrigkeit des Durchsuchungsbeschlusses Aussicht besteht, noch in der Durchsuchungssituation selbst Gehör zu finden.56 59 Liegt ein Dursuchungsbeschluss nicht vor, so kann die Maßnahme nur auf „Gefahr im Verzug“ iSd § 105 Abs 1 StPO gestützt werden. Die Voraussetzungen für eine „Gefahr im Verzug“ sind sehr eng. Ihr Vorliegen ist in (insolvenzstrafrechtlichen) Ermittlungsverfahren kaum mehr denkbar, nachdem das BVerfG57 die Einrichtung eines ermittlungsrichterlichen Eil- und Notdienstes eingefordert hatte. Im Zuge der Durchsuchung sind die Staatsanwaltschaft und auf deren Anordnung 60 ihre Ermittlungsbeamten zu der Durchsicht der Papiere des Betroffenen gem § 110 Abs 1 StPO befugt. Der Begriff der Papiere ist, wie sich schon aus § 110 Abs 3 StPO ergibt, weit zu verstehen und erfasst auch elektronisch gespeicherte Daten. Zu beachten ist, dass der Beschuldigte nicht zu der Herausgabe von Passwörtern verpflichtet ist. Die Neufassung des § 110 Abs 3 StPO erlaubt den Ermittlungsbehörden nunmehr auch, Daten durchzusehen, die sich nicht auf dem Computer des Betroffenen selbst, sondern auf räumlich getrennten Speichermedien befinden und auf die über den Computer des Betroffenen zugegriffen werden kann. Anwendung findet diese Vorschrift insbes für externe Server oder Email-Provider sowie für den gesamten Bereich des Cloud-Computings. Ihre Grenze findet diese Berechtigung dort, wo das externe Speichermedium in einer ausländischen

_____ 55 BVerfG NJW 1997, 2165. 56 Vgl Brüssow/Gatzweiler/Krekeler/Mehle/Wehnert, § 3 Rn 33. 57 BVerfG NJW 2008, 1444.

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Jurisdiktion gelegen ist. Hier haben die Ermittlungsbehörden den Weg der internationalen Rechtshilfe zu beschreiten. Ein Verstoß kann zu einem Verwertungsverbot führen.58 Im weiteren Fortgang der Durchsuchungsmaßnahme wird mit dem Mandanten zu klären sein, in welchem Maße eine Kooperationsbereitschaft mit den Ermittlungsbehörden in der Durchsuchungssituation angezeigt erscheint. Bspw kann auf die Dauer der Durchsuchungsmaßnahme eingewirkt werden, in dem den Ermittlungsbehörden angeboten wird, die in dem Durchsuchungsbeschluss benannten Beweismittel selbst herauszusuchen. Hierdurch wird die Durchsuchungsmaßnahme abgewendet und zugleich das Risiko von Zufallsfunden (vgl § 108 StPO) verringert. Der Abwendung einer umfassenden Beschlagnahme der Computer des Beschuldigten kann die Herausgabe von Passwörtern zu verschlüsselten Datensystemen dienen. Schon aus Eigeninteresse sollte der Betroffene der Maßnahme den ermittelnden Beamten Zutritt zu Räumlichkeiten, Schließfächern etc gewähren, sofern dies durch den Durchsuchungsbeschluss gedeckt ist. Andernfalls sind die Ermittlungsbeamten berechtigt, sich gewaltsamen Zutritt zu verschaffen. Ebenfalls ist es dringend anzuraten, von jeglichen Aktivitäten abzusehen, die als Beweismittelbeseitigung missverstanden werden könnten. Hier droht der Erlass eines Haftbefehls wegen Verdunklungsgefahr. Sofern die Ermittlungsbehörden Gegenstände, die sie für beweisrelevant erachten, mitnehmen wollen, müssen diese Gegenstände gem § 94 Abs 2 StPO beschlagnahmt werden. Von einer freiwilligen Herausgabe ist in der Regel abzuraten. Die Beschlagnahme muss entweder in dem richterlichen Durchsuchungsbeschluss als Maßnahme aufgenommen sein oder ein gesonderter Beschlagnahmebeschluss vorliegen. Fehlt es an beidem, so ist der Beamte bei Vorliegen von Gefahr im Verzug zur Beschlagnahme berechtigt (§ 98 Abs 1 S 1 StPO). Im Anschluss soll innerhalb von drei Tagen die gerichtliche Bestätigung der Beschlagnahme beantragt werden (§ 98 Abs 2 S 1 StPO). Es ist darauf zu achten, dass die zu beschlagnahmenden Beweismittel mit dem Tatverdacht korrespondieren oder die Beschlagnahme als Zufallsfunde nach § 108 StPO in Betracht kommt. Andernfalls ist der Beschlagnahme immer zu widersprechen. Diese Beschränkungen beachten die Ermittlungsbehörden erfahrungsgemäß bei der Sicherstellung von elektronischen Daten zu wenig und neigen oftmals aus Praktikablitätserwägungen heraus einer Komplettspiegelung des gesamten Datenbestandes zu. Unzulässig sind bspw Komplettspiegelungen des Datenbestandes eines Steuerberatungsbüros, in dem mehrere Berufsträger tätig sind.59 Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass die Gerichte den Ermittlungsbehörden in dieser Frage sehr entgegenkommen und den Zeitraum, der für eine Sichtung der Daten iSd § 110 StPO zur Verfügung steht, sehr großzügig bemessen.60 Zu beachten ist, dass die Daten, die zu einer Sichtung mitgenommen werden, als vorläufig sichergestellt gelten.61 Die Durchsuchung dauert solange fort, bis die Sichtung der Daten vollzogen ist. Erst nach der Sichtung erfolgt die Beschlagnahme. Beschlagnahmefrei ist die Korrespondenz zwischen dem Verteidiger und dem Beschuldigten und zwar auch solche, die sich im Gewahrsam des Beschuldigten befindet (§ 97 Abs 1 S 3 StPO iVm § 148 StPO). Diese Beschlagnahmefreiheit von Verteidigerunterlagen ist unabhängig vom Beschuldigtenstatus und besteht auch bei einer Gemengelage

_____ 58 59 60 61

Vgl Meyer-Goßner/Schmitt § 110 StPO, Rn 7a f. BVerfG NJW 2005, 1917. BVerfG NStZ 2002, 377; BGH NStZ 2003, 670. Vgl BVerfG NStZ 2003, 2669; Thüringer OLG wistra 2001, 73.

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mit einem verzahnten Insolvenzverfahren.62 Gleichwohl ist es zweckmäßig, solche Korrespondenz ausdrücklich als „Verteidigungsunterlagen“ zu kennzeichnen. Der Ermittlungsbeamte ist befugt, kurz und oberflächlich zu prüfen, ob es sich bei den so bezeichneten Unterlagen tatsächlich um Verteidigungsunterlagen handelt. Bei einer solchen Durchsicht ist der Beamte genau zu kontrollieren. Als Verteidigungsunterlagen beschlagnahmefrei sind nicht nur die Korrespondenz mit dem Verteidiger, sondern sind auch eigene Aufzeichnungen des Mandanten, die dieser für seine Verteidigung selbst angefertigt hat.63 Dies folgt aus dem Recht auf effektive Verteidigung.64 Bestehen Meinungsverschiedenheiten zu der Rechtmäßigkeit der Beschlagnahme, so ist Verschluss und Versiegelung der Unterlagen zu verlangen, um sicherzustellen, dass eine Öffnung und Durchsicht erst durch den angerufenen Ermittlungsrichter erfolgt. Hierzu können Kartons verwendet werden, die beim Verschließen mit dem Dienstsiegel der Ermittlungsbehörden oder dem eigenen Firmenstempel versehen werden. Werden Unterlagen beschlagnahmt, die der Betroffene etwa zur Aufrechterhaltung seiner Geschäftstätigkeit benötigt, so sollte versucht werden, schon vor Ort Kopien anzufertigen. Stets ist darauf zu bestehen, dass dem Betroffenen ein Beschlagnahme- und Sicherstellungsprotokoll ausgehändigt wird, in dem die beschlagnahmten Gegenstände genau bezeichnet sind. Die Angabe „10 Leitz-Ordner“ ist unzureichend. Stattdessen ist jeder einzelne Ordner in das Verzeichnis mit der außen angebrachten Beschriftung zu erfassen. Oftmals werden die Ermittlungsbeamten versuchen, die Durchsuchungssituation dazu zu nutzen, informatorische Befragungen oder Vernehmungen durchzuführen. Der Mandant muss darüber aufgeklärt werden, dass die Beamten über Gespräche mit ihm oder Dritten auch dann Aktenvermerke fertigen, wenn es sich nicht um förmliche Vernehmungen handelt. Unverfängliche Situationen existieren während einer Durchsuchung nicht. Die Durchsuchung ist zu dulden, ihr darf kein Widerstand entgegengesetzt werden. Insofern ist das Hausrecht eingeschränkt und das Betreten der Privat- oder Geschäftsräume durch die Ermittlungspersonen legitimiert. Anders sieht es aber aus, wenn die Beamten – statt zur Suche nach bestimmten Beweismitteln – den Aufenthalt zu anderen Zwecken – insbesondere der Befragung von Zeugen oder Beschuldigten – nutzen. Ein solches Verweilen in der Wohnung bzw. im Unternehmen mit dem Zweck der Durchführung von Vernehmungen ist vom Durchsuchungsbeschluss nicht gedeckt und daher nur mit Willen des Hausrechtsinhabers statthaft. Daher sollte dem Durchsuchungsleiter bereits im Vorgespräch – jedenfalls zu Beginn der Durchsuchung – grds deutlich gemacht werden, dass die Durchführung von Vernehmungen in der Wohnung bzw. auf dem Unternehmensgelände nicht gestattet wird. Nur in Ausnahmefällen wird es angezeigt sein, sich als Beschuldigter einer Vernehmung in der Durchsuchungssituation zu stellen. Eine Pflicht zur Aussage besteht für den Beschuldigten jenseits der Angaben zur Person nicht. Hingegen ist ein Zeuge gemäß § 161a StPO verpflichtet, auf Ladung vor der Staatsanwaltschaft zu erscheinen und Angaben zur Sache zu machen, sofern kein Zeugnisoder Aussageverweigerungsrecht besteht. Ist ein Staatsanwalt bei der Durchsuchung anwesend und besteht auf eine Vernehmung, so kann der Zeuge auf die für ihn überra-

_____ 62 Vgl LG Hamburg StraFo 2016, 463 mAnm Mehle/Mehle. 63 Meyer-Goßner/Schmitt § 97 StPO, Rn 36 f. 64 BVerfG NStZ 2002, 377.

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schende und verunsichernde Situation verweisen und sein Recht gemäß § 68b Abs 1 S 1 StPO beanspruchen, sich der Unterstützung durch einen Zeugenbeistand zu versichern und sich mit diesem zunächst zu besprechen. Zugleich muss deutlich gemacht werden, dass der Zeuge einer ordnungsgemäßen Ladung selbstverständlich Folge leisten wird. In der Regel wird damit eine sofortige Vernehmung abzuwenden sein. Nach Abschluss der Durchsuchung ist die Einlegung von Rechtsmitteln zu prüfen.65 72 Zu diesem Zwecke sollten die Betroffenen Gedächtnisprotokolle im unmittelbaren Anschluss an die Durchsuchung fertigen. Sofern Presseanfragen vorliegen, sind diese kurz und bündig zu beantworten.66

b) Durchsuchung des Dritten gem § 103 StPO Die vorstehenden Ausführungen gelten auch für die Durchsuchung eines Dritten gem 73 § 103 StPO. Es versteht sich von selbst, dass solche Durchsuchungsmaßnahmen in der Regel in einer weniger angespannten Atmosphäre als einer Durchsuchung des Beschuldigten gem § 102 StPO stattfinden. Zudem haben die Ermittlungsbehörden meist ein größeres Verständnis für die Bedürfnisse des Betroffenen. Die sich hieraus ergebenden Handlungsspielräume gilt es für den hinzugezogenen anwaltlichen Berater zu nutzen. Beispielsweise wird regelmäßig erreicht werden können, dass die Beamten ihre Dienstfahrzeuge in unauffälliger Weise parken und die Durchsuchungsmaßnahme so gestalten, dass die Eingriffe in den Geschäftsbetrieb auf ein Mindestmaß reduziert werden. Richtet sich die Durchsuchung gegen einen nicht beschuldigten Berufsgeheimnis- 74 träger, so sind die Anforderungen erhöht, die an die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme zu stellen sind.67 Die Ermittlungsbehörden verkennen überdurchschnittlich häufig die Eingriffstiefe der Maßnahme gegen einen Berufsgeheimnisträger, so dass hier die Erfolgsaussichten eines Rechtsbehelfs nicht zu unterschätzen sind. Dies gilt insbes seit Einführung des § 160a StPO, wonach die Durchsuchung bei einem Berufsgeheimnisträger unzulässig ist, wenn zu erwarten steht, dass voraussichtlich auch Erkenntnisse erlangt werden, über die der Berufsgeheimnisträger das Zeugnis verweigern darf.68 Die Durchsuchung bei einem unverdächtigen Insolvenzverwalters ist regelmäßig unverhältnismäßig, wenn die Ermittlungsbehörden nicht zuvor ein Herausgabeverlangen nach § 95 StPO gegen diesen gerichtet haben.69 Zudem können sich Berufsgeheimnisträger – z Rechtsanwälte, Steuerberater und 75 Notare – auf besondere Verfahrensrechte berufen. So ist das vornehmste Recht des Berufsgeheimnisträgers sein Zeugnisverweigerungsrecht gem § 53 StPO. Dieses erstreckt sich gem § 53a StPO auf seine Mitarbeiter. So dürfen Rechtsanwälte und Steuerberater die Auskunft über alle Tatsachen verweigern, die ihnen im Rahmen der Berufsausübung anvertraut oder bekannt geworden sind. Es kommt dabei weder darauf an, wer dem Berater die Tatsachen anvertraut hat noch wie sie ihm bekannt geworden sind oder ob diese Tatsachen in die Geheimnissphäre des Mandanten fallen. Dieses Recht erstarkt über § 203 StGB zu einer Zeugnisverweigerungspflicht, die über die Beendigung des Mandats oder sogar den Tod des Mandanten fortdauert. Das Zeugnisverweigerungsrecht endet,

_____ 65 Siehe unten Rn 79 ff. 66 S unten Rn 153 ff. 67 BVerfG, 17.10.11, 2 BvR 2100/11, mAnm Gehrmann PStR 2012, 57. 68 StraFo 2015, 61 mAnm Gehrmann Anwalt und Kanzlei 2015, 78. 69 Vgl etwa LG Potsdam JR 2008, 260; LG Berlin ZInsO 2008, 865; LG Saarbrücken ZInsO 2010, 431 mAnm Gehrmann PStR 2010, 212.

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sobald der Mandant seinen Berater von der Schweigepflicht entbindet. Strittig ist insbes bei juristischen Personen, wer eine Entbindung von der Schweigepflicht vornehmen darf. In der jüngeren Rechtsprechung ist die Tendenz auszumachen, dass dies der gesetzliche Vertreter des Unternehmens im Zeitpunkt der Erklärung sei.70 Auf die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters im Zeitpunkt der Mandatierung soll es hingegen nicht ankommen.71 Entsprechend soll dies beim Insolvenzverwalter gelten.72 Auch dieser könne grds den Berufsgeheimnisträger wirksam von der Schweigepflicht entbinden, ohne dass es einer zusätzlichen Erklärung des früheren gesetzlichen – erst recht nicht des faktischen – Vertreters bedürfe.73 Flankiert werden die Zeugnisverweigerungsrechte durch die Beschlagnahmeverbote 76 des § 97 StPO. Danach sind Unterlagen des Mandanten, die sich im Gewahrsam des Rechtsanwalts oder Steuerberaters befinden, in weiten Teilen beschlagnahmefrei.74 Dies dient der Verhinderung einer Umgehung des Zeugnisverweigerungsrechts. Als Faustformel zu der Reichweite des Beschlagnahmeverbots lässt sich daher merken: „Was der Mund nicht sagen muss, darf der Hand nicht entrissen werden“. Eine Ausnahme hierzu besteht, sofern sich die Durchsuchung gegen den Berater als 77 Beschuldigten gemäß § 102 StPO richtet. Ebenfalls ist der Berufsgeheimnisträger nicht befugt, potentiellen Beweismitteln in einem Verfahren gegen seinen Mandanten in seinen Kanzleiräumen „Asyl“ zu gewähren. Die Verbringung solcher Materialien in die Kanzleiräume macht diese nicht beschlagnahmefrei. Auch § 160a StPO bietet hier keinen Schutz.75 Sehr strittig ist die Frage der Beschlagnahmefreiheit der Unterlagen des Mandanten, 78 die sich im Gewahrsam eines Wirtschaftsprüfers oder Steuerberaters befinden. Grundsätzlich beschlagnahmefrei ist die Handakte des steuerlichen Beraters, da sich hier Mitteilungen an oder von dem Beschuldigten (§ 97 Abs 1 Nr 1 StPO) oder eigene Aufzeichnungen des steuerlichen Beraters (§ 97 Abs 1 Nr 2 StPO) befinden. Ob schriftliche Unterlagen, die ein Beschuldigter seinem Steuerberater ausgehändigt hat, damit dieser die Buchhaltung führt, unter das Beschlagnahmeverbot des § 97 Abs 1 StPO fallen76, ist so strittig, dass nur empfohlen werden kann, sich mit der Rspr des jeweiligen Landgerichtssprengels vertraut zu machen.77 Nach wohl überwiegender Auffassung sind diese Unterlagen beschlagnahmefrei, wenn sie mit Notizen des steuerlichen Beraters versehen sind.78 Ist der steuerliche Berater gleichzeitig mit der Aufstellung des Jahresabschlusses und Steuererklärungen betraut, unterfallen diejenigen Unterlagen der Buchhaltung der Beschlagnahmefreiheit, die noch für die Aufstellung von Jahresabschlüssen und Steuererklärungen benötigt werden.79 In jedem Fall sollte gegen Durchsuchungs- und Beschlagnamemaßnahmen bei einem unverdächtigen Berufsträger eine rechtskräftige ge-

_____ 70 OLG Oldenburg NJW 2004, 2176; OLG Nürnberg NJW 2010, 690 mAnm Wegner GWR 2009, 474; vgl auch Bittmann wistra 2012, 173; Tully/Kirchheim, NStZ 2012, 657. 71 AA Krause, FS Dahs, S 349 ff mwN; Brüssow/Gatzweiler/Krekeler/Mehle/Wehnert, § 3 Rn 76. 72 OLG Köln StV 2016, 8 mAnm Gatzweiler/Wölky. 73 S Meyer-Goßner/Schmitt § 53 Rn 46b mwN. 74 LG München NJW 1984, 1191. 75 LG Mannheim wistra 2012, 400 mAnm Ballo NZWiSt 2013, 46; vgl aber auch Park, Rn 562. 76 LG Berlin NJW 1977, 725; LG Stade NStZ 1987, 38. 77 Brüssow/Gatzweiler/Krekeler/Mehle/Wehnert, § 3 Rn 62. 78 Vgl LG München NJW 1989, 536. 79 LG Saarbrücken NStZ-RR 2013, 183; LG Dresden NJW 2007, 2709; vgl m umf N Meyer-Goßner/Schmitt § 97 Rn 40.

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richtliche Entscheidung aus berufspolitischen Gründen80 und zur Vermeidung eigener Haftung herbeigeführt werden.

c) Rechtsschutz Die Erfolgsaussichten gegen Durchsuchungs- und Beschlagnahmemaßnahmen sind – wie bereits wiederholt angemerkt – gering. Die Zweckmäßigkeit der Einlegung eines Rechtsbehelfs wird im Schrifttum kritisch betrachtet.81 Nur in Ausnahmefällen wird sich empfehlen, die Maßnahme aufgrund eines fehlenden Tatverdachts in diesem frühen Verfahrensstadium anzugreifen. Dies hat seinen Grund darin, dass zum einen sich ein Anfangsverdacht leicht begründen lässt und zum anderen eine nicht abhelfende Entscheidung zu einer Festschreibung der Ermittlungshypothese führt. Andererseits kann der Rechtsbehelf zu einem Versuch der Informationsgewinnung genutzt werden, indem frühzeitig Akteneinsicht gemäß § 147 StPO unter Rückgriff auf die Rechtsprechung des BVerfG82 zur Akteneinsichtsgewährung zu Rechtsbehelfen in Untersuchungshaft- oder Arrestverfahren beantragt wird.83 Der Rechtsschutz gegen Durchsuchungs- und Beschlagnahmemaßnahmen hat sich seit einer wegweisenden Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 1997 entscheidend vereinfacht. Nach Abschluss der Durchsuchung kann der Betroffene die Aufhebung der richterlichen Anordnung bzw die Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit im Wege der Beschwerde gem § 304 StPO erreichen. Gleiches gilt auch für die nicht (vollständig) vollzogene richterliche Durchsuchungsanordnung. In allen anderen Fällen des Angriffs gegen nicht richterliche Durchsuchungsanordnungen oder gegen die Art und Weise der richterlichen und nicht richterlichen Durchsuchungsanordnung ist der Antrag auf richterliche Entscheidung gemäß § 98 Abs 2 S 2 StPO bzw dessen analoge Anwendung das statthafte Rechtsmittel.84 Die Entscheidung des Ermittlungsrichters ist sodann beschwerdefähig gem § 304 StPO. § 98 Abs 2 S 2 StPO findet entspr Anwendung auch dann, wenn Dokumente nur vorübergehend gem § 110 StPO zum Zwecke der Durchsicht sichergestellt werden. Soll bspw die Dauer der Durchsicht gerügt werden, so ist der Antrag auf richterliche Entscheidung gem § 98 Abs 2 S 2 StPO analog der gegenüber der Beschwerde speziellere Rechtsbehelf.85 Das Beschwerdegericht darf seine Entscheidung nicht auf Gründe stützen, die dem Ermittlungsrichter nicht bekannt waren. Prüfungsmaßstab bleibt im Beschwerdeverfahren die Sach- und Rechtslage zur Zeit des Erlasses des Durchsuchungsbeschlusses.86 Ob und mit welcher Reichweite eine rechtswidrige Durchsuchungsmaßnahme ein Beweisverwertungsverbot begründet, ist stark einzelfallabhängig. Festzustellen ist jedoch, dass sich das deutsche – wie das gesamte kontinentaleuropäische – Rechtssystem im Gegensatz zu dem anglo-amerikanischen eher zurückhaltend gegenüber einem Beweisverwertungsverbot zeigt. Ein Beweisverwertungsverbot könne nach Ansicht des

_____ 80 Brüssow/Gatzweiler/Krekeler/Mehle/Wehnert, § 3 Rn 74. 81 Ausführlich zum Für und Wider: Park Rn 353 ff. 82 BVerfG StV 2004, 412 mAnm Kempf StraFo 2004, 299; BVerfG, StraFo 2006, 165. 83 Vgl LG Berlin NStZ 2006, 472; LG Saarbrücken NStZ-RR 2006, 80; BVerfG NStZ-RR 2008, 16; OLG Naumburg, 12.11.2010 – 1 Ws 680/10; LG Berlin StV 2010, 352; Überblick bei Börner NStZ 2010, 417. 84 MAH-Strafverteidigung/Widmaier/Müller/Schlothauer, § 3 Rn 75; Brüssow/Gatzweiler/Krekeler/Mehle/ Wehnert § 3 Rn 95 ff. 85 BVerfG NStZ-RR 2002, 144; NJW 2009, 2518. 86 BVerfG NJW 2011, 291.

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BVerfG nur dort angenommen werden, wo das Interesse des Betroffenen am Schutz seiner verfassungsrechtlich verbürgten Freiheiten das Interesse des Staates an der Aufklärung von Straftaten überwiege.87 In dieser Abwägung seien vor allem der Schweregrad der Tat und des Verfahrensverstoßes sowie die Wahrscheinlichkeit der rechtmäßigen Erlangung des Beweismittels einzustellen.88 Für den Rechtsschutz gegen die Beschlagnahme gilt das vorstehend Gesagte.

5. Vermögensabschöpfung 83 In der Rechtspraxis des Wirtschaftsstrafrechts nimmt die Vermögensabschöpfung einen

hohen Stellenwert ein und wird als „zweite Ermittlungsdimension“ bezeichnet.89 Neben der Feststellung der Schuld soll die Vermögensabschöpfung dazu dienen, dem Täter die Früchte seiner Tat zu entziehen. Die Vermögensabschöpfung ist damit kondiktionsähnlich und soll nach der Konzeption des Gesetzes präventiv wirken. In den Augen der deutschen höchstrichterlichen Rspr handelt es sich deshalb um eine Maßnahme eigener Art, die keinen Strafcharakter habe.90 Dies mag zutreffend sein, solange man allein die rechtliche Konstruktion betrachtet. Nimmt man hingegen die faktische Wirkung der Vermögensabschöpfung in den Blick, so ist der Strafcharakter dieser Maßnahme naheliegend.91 Bei der Bestimmung der Reichweite der Verfallsvorschriften ist der kondiktionsähnliche Charakter der Maßnahme iSd Rspr ernst zu nehmen. Als Kontrollüberlegung empfiehlt sich daher eine Prüfung anhand des Kondiktionsrechts. Dort, wo die Anordnung des Verfalls die Bahnen des Kondiktionsrechts verlässt, entwickelt die Maßnahme Strafcharakter, wenn man die Rspr beim Wort nimmt.92 Die Ermittlungsbehörden schulen ihre Mitarbeiter intensiv in diesem Bereich und 84 haben eigene Abteilungen eingerichtet, die sich auf Vermögensabschöpfungen spezialisiert haben. Insbes in Umfangsverfahren wird die Ermittlungstätigkeit häufig in Sachund Finanzermittlungen aufgeteilt. Die Interessen an einer effektiven Verfolgungstätigkeit in dieser zweiten Ermittlungsdimension dürften nicht zuletzt fiskalischer Natur sein. 85 Die Bedeutung der Vermögensabschöpfung im Insolvenzstrafrecht ist im Gegensatz zum sonstigen Wirtschaftsstrafrecht nach geltendem Recht gering.93 Dies liegt maßgeblich darin begründet, dass Insolvenzstraftaten in der Regel zu keinem Vermögenszuwachs bei dem Täter führen und deshalb eine Abschöpfung der Vermögensvorteile aus der Straftat oder für die Straftat ins Leere läuft. Ein Anwendungsbereich verbleibt allerdings in Fällen eines Handelns für einen tatunbeteiligten Dritten iSd § 73 Abs 3 StGB. So etwa dann, wenn der Täter Vermögenswerte verschiebt. Typisches Beispiel ist etwa die unentgeltliche Übertragung von Vermögenswerten auf die Ehefrau oder eine juristische Person. 86 Die materiell-rechtlichen Grundlagen der Vermögensabschöpfung sind in §§ 73 ff StGB normiert. Als erlangtes Etwas iSd § 73 Abs 1 S 1 StGB sind sämtliche wirtschaftli-

_____ 87 BVerfG StV 2002, 113. 88 § 1 Rn 252, Jahn StraFo 2011, 117; Park Rn 370 ff; Brüssow/Gatzweiler/Krekeler/Mehle/Wehnert, § 3 Rn 122 ff. 89 W/J/Podolsky Rn 26/2. 90 BVerfG wistra 2004, 255. 91 EGMR 9.2.1995 – 17440/90, A 307-A (1995), Rn 35; sa EGMR, Urt v 12.5.2015, Gogitidze ua ./. Georgien, Nr 36862/05. 92 Gehrmann wistra 2010, 346. 93 Vgl a. RegE Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung v 8.7.2016.

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chen Werte zu verstehen, die unmittelbar aus oder für die Tat erlangt wurden. Aufwendungen des Täters für die Tat sind nach dem sog Bruttoprinzip94 hiervon nicht abzuziehen.95 Die Bestimmung des erlangten Etwas ist schwierig und hat mittlerweile zu einer reichhaltigen Kasuistik geführt. Zudem sind sich die einzelnen Strafsenate des BGH über die Bestimmung des erlangten Etwas uneins, so dass sich hier reichhaltiges Verteidigungspotenzial bietet.96 Jüngst hat der 3. Strafsenat des BGH zutr ausgeführt, dass der Schutzzweck der verletzten Strafnorm entscheidende Bedeutung für die Bestimmung des erlangten Etwas habe.97 Ausgeschlossen ist die Verfallsanordnung jedoch in Fällen, in denen dem Verletzten Ansprüche aus der Tat erwachsen sind und die Abschöpfung die Erfüllung dieser Ansprüche erschweren würde. Dies gilt auch in Fällen, in denen der Verletzte seinen Anspruch bislang noch nicht geltend gemacht hat. Der Anspruch des Verletzten soll nach Ansicht des OLG München98 allerdings dann keine Sperrwirkung mehr entfalten, wenn der Verletzte seinen Verzicht ausdrücklich erklärt hat. Diese Einschränkung der Reichweite des § 73 Abs 1 S 1 StGB ist pointiert als „Totengräber des Verfalls“ bezeichnet worden.99 Dieser Abgesang trifft nach Einführung des bedingten Verfalls in § 111i Abs 2–8 StPO und Einführung eines staatlichen Auffangrechtserwerbes, soweit Verletzte nicht befriedigt wurden, nicht mehr den rechten Ton. Überdies sollte nunmehr auch der letzte Praktiker die Rspr des BGH zur Kenntnis genommen haben, nach der die Anordnung des bedingten Verfalls im Urteil – unabhängig von vorangegangenen Sicherungsmaßnahmen – zwingend ist.100 Im Ermittlungsverfahren galt schon immer, dass durch die Rückgewinnungshilfe die Möglichkeit der Ausbringung der Arreste zu Gunsten des Verletzten besteht und es für die Verteidigungsbemühungen (zunächst!) kaum einen Unterschied macht, auf welcher Grundlage der Arrest angeordnet wurde. Sofern der Verfall des erlangten Etwas nicht mehr möglich ist, kann der Verfall des Wertersatzes in Geld gemäß § 73a StGB angeordnet werden. Die Anordnung des Verfalls kann gemäß § 73c StGB ganz oder teilweise unterbleiben, wenn die Anordnung des Verfalls eine unbillige Härte darstellt oder der Wert des Erlangten nicht mehr im Vermögen des Betroffenen vorhanden ist. Für das Insolvenzstrafrecht bedeutsam ist vor allem die Anordnung des Verfalls gegen einen tatunbeteiligten Dritten gemäß § 73 Abs 3 StGB. Dritter kann jede natürliche und juristische Person sein. Hier ist in Anlehnung an § 822 BGB eine Abschöpfung möglich, wenn der Täter oder Teilnehmer für diesen Dritten gehandelt und dieser dadurch etwas erlangt hat. Der Ersatzanspruch des Verletzten sperrt auch hier die Verfallsanordnung. Als Maßnahme eigener Art ohne Strafcharakter ist die Anordnung auch gegen einen gutgläubigen Dritten möglich. Allerdings wird es in solchen Fällen einer sorgfältigen Prüfung der Voraussetzungen des § 73c StGB bedürfen.101 Dem Verteidiger ist zu empfehlen, sich mit Inhalt und Reichweite dieser Vorschrift gut vertraut zu machen. Hier liegt erhebliches Potential, um zu sachgerechten Ergebnissen zu kommen. Zu bedenken ist

_____ 94 BVerfG NJW 2004, 2073, 2074 f. 95 Zu den Einzelheiten § 33 Rn 9. 96 MAH-Wirtschafts- und Steuerstrafrecht/Rönnau § 12 Rn 3. 97 BGH NJW 2012, 1159. 98 NStZ 2004, 443; NStZ 2006, 621. 99 Eberbach NStZ 1987, 487, 491. 100 BGHSt 60, 75. 101 Fischer § 73 Rn 29.

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aber, dass eine Entscheidung, die § 73c StGB zur Anwendung bringt, dem Grundsatz nach revisionsrechtlich überprüft werden kann und nur eine saubere Begründung hier Rechtssicherheit bietet. Der BGH hat drei Fallgruppen innerhalb des § 73 Abs 3 StGB herausgearbeitet.102 In den sog Vertreterfällen liegen die Voraussetzungen des § 73 Abs 3 StGB vor, wenn ein Bereicherungszusammenhang zwischen der Tat und dem Vermögen des Vertretenen – regelmäßig ein Unternehmen – besteht. Ebenfalls können Vermögenswerte abgeschöpft werden, wenn der Täter sie einem Dritten unentgeltlich oder auf Grund eines bemakelten Rechtsgeschäfts zuwendet, um den Vermögenswert vor dem Zugriff der Gläubiger zu schützen (Verschiebungsfall). Eine Abschöpfung gem § 73 Abs 3 StGB ist hingegen in sog Erfüllungsfällen ausgeschlossen, in denen der Täter einem gutgläubigen Dritten Tatvorteile in Erfüllung einer mit der Tat nicht in Zusammenhang stehenden entgeltlichen unbemakelten Forderung zuwendet. Die Interessen des Drittbetroffenen und des Beschuldigten werden im Regelfall gleichlaufend sein, so dass nichts gegen eine Koordination der Verteidigungsbemühungen gegen eine Arrestmaßnahme bzw eine Verfallanordnung spricht. Die §§ 111b ff StPO dienen der strafprozessualen Umsetzung bzw Sicherung der Vermögensabschöpfung. Sie haben vorrangig zum Ziel, schon während des Ermittlungsverfahrens vorläufige Maßnahmen zur Sicherstellung solcher Maßnahmen zu ermöglichen, in denen das Gericht in der Hauptverhandlung eine Verfallanordnung wahrscheinlich treffen wird. 103 Gemäß § 111b Abs 5 StPO sind vorläufige Maßnahmen auch zur Rückgewinnungshilfe zulässig, wenn dem Tatverletzten gegen den Täter Ansprüche zustehen. Der vollstreckungssichernde Zugriff auf Vermögensgegenstände erfolgt in Form der Beschlagnahme gemäß §§ 111b Abs 1, 111c StPO, sofern Vermögensgegenstände sichergestellt werden sollen, die der Täter aus oder für die Straftat erlangt hat. Der Arrest ist auch ohne Beschwerde nach sechs Monaten aufzuheben, sofern nicht bestimmte Tatsachen den Tatverdacht begründen und die Ermittlungen schwierig oder umfänglich sind (vgl § 111b Abs 3 StPO). Sofern kein dringender Tatverdacht vorliegt, ist die Maßnahme auf 12 Monate beschränkt.104 An die Bedeutung dieser Fristen sind die Ermittlungsbehörden gelegentlich zu erinnern. Ist die Maßnahme im Rahmen der Rückgewinnungshilfe vollzogen worden, so ist der Verletzte gemäß § 111e Abs 3 StPO hierüber in Kenntnis zu setzen. Dies gilt auch für die erfolglose Durchführung der Maßnahme. Zu beachten ist, dass der Insolvenzverwalter nicht Verletzter iSd Norm ist. Ferner gelten die Ausführungen zu Verletzten iSd § 406e StPO entspr. Die Maßnahmen der vorläufigen Sicherstellung können im Wege der Beschwerde angegriffen werden. Soweit die Anordnung des dinglichen Arrests einen Betrag von EUR 20.000 übersteigt, ist ferner die weitere Beschwerde gemäß § 310 StPO zulässig. Die Einlegung der Beschwerde sollte nur dort erwogen werden, wo das wirtschaftliche Überleben des Mandanten akut bedroht oder die Erfolgsaussichten deutlich überwiegen. Insbes zu einem frühen Zeitpunkt im Verfahren wird eine Beschwerde selten auf tatsächlichen Erwägungen beruhen können, solange die Verdachtshypothese der Staatsanwaltschaft sich noch nicht konkretisiert hat. Zudem besteht das nicht unerhebliche Risiko, dass im

_____ 102 BGHSt 45, 235. 103 W/J/Podolsky, Rn 28/73. 104 Vgl BGH wistra 2009, 364.

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Falle einer Nichtabhilfeentscheidung die Verdachtshypothese quasi festgeschrieben wird. Insbes noch vor Ablauf von sechs Monaten wird eine Beschwerde in der Regel ohne Erfolg bleiben, da der Anfangsverdacht leicht begründet werden kann. Nach Ablauf der sechs Monate, insbes nach Ablauf von zwölf Monaten, steigen die Erfolgschancen schon aufgrund der höheren Anforderungen, die das Gesetz an eine Aufrechterhaltung der Maßnahme stellt. Eine Beschwerde kann hier auch die Funktion eines „Testballons“ übernehmen, um zu ersehen, in welche Richtung das Ermittlungsverfahren steuert. In Gesprächen mit der Staatsanwaltschaft wird in der Regel eine Umgestaltung der 97 Arrestmaßnahme zu erreichen sein. Bspw kann es sich anbieten, eine Kontenpfändung gegen Eintragung einer Grundsicherheit auf eine Immobilie aufheben zu lassen. Ist ein Arrest in ein Aktiendepot vollstreckt worden, kann sich eine Notveräußerung gemäß § 111l StPO anbieten, wenn eine signifikante Minderung des Wertes des Depots zu befürchten steht. Sofern die Staatsanwaltschaft sich hierzu nicht bereit findet, sollte der Verkaufswunsch aktenkundig gemacht werden, um sich einen Anspruch nach StrEG oder § 839 BGB zu erhalten.

6. Untersuchungshaft Die Konfrontation mit einem Haftbefehl wird in einem Insolvenzstrafverfahren die Aus- 98 nahme bleiben. Der Strafrahmen der Insolvenzstraftatbestände ieS überschreitet nur bei einem besonders schweren Fall gem § 283a StGB eine mögliche Freiheitsstrafe von fünf Jahren. Urteile, in denen ein besonders schwerer Fall angenommen wurde, sind nur vereinzelt veröffentlicht und entspr selten.105 Gleiches gilt auch für besonders schwere Fälle einer Untreue in Zusammenhang mit einer Insolvenz. Eine Fluchtanreiz bietende Strafe wird daher nur in Einzelfällen in Rede stehen. Die Fluchtgefahr stellt jedoch mit großem Abstand den wichtigsten Haftgrund in 92,5% der Fälle dar.106 Bei der Verteidigung gegen einen Haftbefehl ist zu berücksichtigen, dass neben die 99 verfahrenssichernde Funktion der Untersuchungshaft oftmals eine weitere Funktion hinzukommt, die allgemein als „apokrypher“ – also verborgener – Haftgrund bezeichnet wird. Zwar sind solche apokryphen Haftgründe unzulässig. Allerdings wird kaum bestreitbar sein, dass der Nebeneffekt einer Untersuchungshaft, der in der Motivation zu einem für den Inhaftierten ungünstigen Prozessverhalten liegt, von den Prozessbeteiligten auf Seiten der Staatsanwaltschaft und des Gerichts oftmals virtuos in Kauf genommen wird.107 Das Beharren auf rechtsstaatliche Standards seitens der Verteidigung wird hier oftmals nicht im Interesse des Mandanten an einer möglichst kurzen Inhaftierung liegen und macht die Verteidigungssituation entspr undankbar.108 Die Vollstreckung der Untersuchungshaft ist das schärfste Schwert, das die StPO der 100 Staatsanwaltschaft an die Hand gibt und erlaubt tiefste Eingriffe in die Rechte des Beschuldigten. Der Mandant wird ohne Vorbereitung aus seinem Lebensumfeld herausgerissen und einem harten Regiment unterworfen, dessen Regeln für den Mandanten oftmals unverständlich sind und auf das er in der Regel keinen Einfluss nehmen kann. Im Erleben des Mandanten stellt die Untersuchungshaft eine Freiheitsberaubung dar.109 Die

_____ 105 106 107 108 109

Vgl LG Hildesheim, 23.5.2007 – 25 KLs 5413 Js 18030/06. Ostendorf NK 2009, 125, 127. Vgl aufschlussreiche Beispiele bei Nobis StraFo 2012, 45, 48. Nobis StraFo 2012, 45, 49; Püschel/Bartmeier/Mertens § 7 Rn 62. Vgl Hassemer StV 1984, 38, 40: „Freiheitsberaubung eines Unschuldigen“.

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bekannten und eingeübten Umgangsformen menschlichen Miteinanders sind in der Untersuchungshaft zumeist nur eingeschränkt vorhanden und werden durch Verhaltensweisen abgelöst, die den Mandanten in aller Regel verstören. Die Fremdbestimmung und Ohnmacht nimmt der Mandant sehr häufig als äußerst belastendes Erlebnis wahr. Die Untersuchungshaft stellt eine Zäsur im Leben des Inhaftierten dar, die traumatisierende Folgen haben kann. Nahezu alle Lebensbereiche des Mandanten werden tiefgreifend in Mitleidenschaft gezogen. Seine wirtschaftliche Situation verschlechtert sich sofort massiv. Geschäftspartner oder der Arbeitgeber gehen oftmals sofort auf Distanz mit der Folge, dass Einnahmen wegbrechen und die Bedienung laufender Verbindlichkeiten gefährdet ist. Schon nach kurzer Zeit kann die wirtschaftliche Existenz des Mandanten ernsthaft gefährdet oder irreparabel zerstört sein. Ebenso leidet das private Umfeld stark unter der Inhaftierung. Freunde und Bekannte werden bei Offenbarwerden der Vorwürfe Abstand nehmen. Die Belastungen der Familie des Inhaftierten sind mannigfaltig: Der Lebensunterhalt der Familie kann gefährdet sein und die Familie muss plötzlich die gewohnten Rollenverteilungen aufgeben und den Verlust verkraften, was den Einzelnen an den Rand der emotionalen Belastbarkeit und darüber hinaus bringt. Kleinen Kindern ist die Situation kaum zu erklären, was zu schwersten emotionalen Störungen führen kann. Überdies sind die Kontaktmöglichkeiten zwischen dem Inhaftierten und seiner Familie stark eingeschränkt. Hier kann der Verteidiger durch eine zügige Klärung der Telefon- und Besuchserlaubnis erhebliche Verbesserungen der Situation bewirken. Hinzu kommt, dass der Beschuldigte in einem Insolvenzstrafverfahren in der Regel das erste Mal einen so einschneidenden Kontakt mit den Ermittlungsbehörden und ihrem strafprozessualen Instrumentarium hat. Auch der schuldige Insolvenzstraftäter wird sich selbst kaum als „Kriminellen“ wahrnehmen, der ein Ermittlungsverfahren als realistisches Risiko in seine Überlegungen aufgenommen hatte. Der festgenommene Mandant realisiert all dies bereits in den ersten Stunden seiner Verhaftung und wird in einem ersten Impuls alles daran setzen wollen, die Untersuchungshaft zu beenden. Dies kann entweder durch eine Einlassung des Beschuldigten zu den Tatvorwürfen geschehen, die in dieser Form und zu diesem Zeitpunkt nicht erfolgt wäre, wenn er in Freiheit gewesen wäre. Aber auch die nicht seltenen Falschgeständnisse und Falschbelastungen Dritter geben deutliche Hinweise auf den Druck, dem der frisch inhaftierte Mandant ausgesetzt ist. Hier ist der Verteidiger noch mehr als sonst als Beistand auch in psychischer Hinsicht gefordert. Die Erwartungen an den Verteidiger sind hoch. Dies gilt vor allem für den Beschuldigten selbst, aber auch die Angehörigen verlangen (mit Recht) Beratung in dieser Krisensituation. Gerade in der ersten Zeit nach einer Inhaftierung verursacht ein Haftmandat einen hohen Zeitaufwand. Der Verteidiger sollte sich hier gründlich selbst befragen, ob er in der Lage und willens ist, diesen Zeitaufwand zu bewältigen, um eine angemessene Verteidigung zu gewährleisten. Die Erwartungen der Betroffen dürfen den Verteidiger allerdings auch nicht zu „Schnellschüssen“ verleiten. Die Verteidigung ist in der Haftsituation von herausgehobener Bedeutung für den weiteren Verlauf des Ermittlungsverfahrens.110 Kann die Verteidigung eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls oder gar die Aufhebung erreichen, so ist ein wichtiger Etappensieg errungen, der den weiteren Verlauf des Ermittlungsverfahrens beeinflussen

_____ 110 Schlothauer/Weider/Nobis Rn 14.

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wird. Ein durch das Beschwerdegericht aufgehobener Haftbefehl wird häufig dazu führen, dass die Staatsanwaltschaft die eigene Ermittlungshypothese einer gründlichen Prüfung unterzieht und oftmals zu dem Ergebnis kommt, einen Tatverdacht nicht länger zu verfolgen. Sicherlich kann die Aufhebung eines Haftbefehls aber auch die gegenteilige Wirkung zeigen und die Staatsanwaltschaft dazu veranlassen, sich der Sache mit besonderer Intensität zu widmen, um den „Makel“ der Aufhebung zu tilgen und so das Gesicht zu wahren. Diese Erkenntnis ist gemeinsam mit dem seit den wegweisenden Urteilen des 107 EGMR111 durchsetzbaren Recht auf Akteneinsicht bei der Verteidigung gegen einen Haftbefehl verantwortlich für einen Wandel der Verteidigungsstrategie in Haftsachen. War früher vornehmlich der Haftgrund Ziel der Angriffe der Verteidigung, so verlagert sich dies zunehmend auf die Frage des dringenden Tatverdachts.112 Der Vorteil für den Inhaftierten liegt hierbei auch darin, dass mit der Verteidigung gegen den Vorwurf in der Sache das Gefühl der eigenen Ohnmacht abgefedert werden kann. Hierbei sollte der Verteidiger auch darauf achten, den Mandanten intensiv in die Verteidigung einzubeziehen, da dieser regelmäßig neben der Kenntnis der Ermittlungsakte die wichtigste Informationsquelle ist. Häufig erlahmen die Kräfte des Mandanten bei Fortdauer der Haft erheblich, so dass in der Anfangszeit der Ertrag einer Einbindung am höchsten ist. Die Einbindung des Mandanten führt als weiterer Effekt auch dazu, dass er während der Haftzeit beschäftigt bleibt und so die Chancen höher stehen, die Auswirkungen der Haft zu begrenzen. Eine Einbindung des Mandanten erfordert, dass er sich in der Haft auch mit der Ermittlungsakte beschäftigen kann. Gerade bei umfangreichen Verfahren sollte mit der Anstaltsleitung vereinbart werden, dass der Inhaftierte einen Laptop erhält, auf dem er die digitalisierte Ermittlungsakte bearbeiten kann.113 Zwei Rechtsbehelfe stehen zum Angriff auf den Haftbefehl zur Verfügung: die münd- 108 liche oder schriftliche Haftprüfung gem § 117 StPO und die Haftbeschwerde gem § 304 StPO. In der Regel wird sich zunächst eine mündliche Haftprüfung als Mittel der Wahl darstellen.114 Statistisch ist ihr der größte Erfolg beschieden. Der Vorteil liegt in der kurzen Frist (§ 118 Abs 5 StPO) sowie in dem anzuberaumenden Haftprüfungstermin, in dem das Gericht und die Staatsanwaltschaft einen persönlichen Eindruck des Mandanten erlangen können. Ist das Verteidigungsziel zunächst auf eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls gerichtet, so wird es sich empfehlen, schon vor dem Termin die Möglichkeiten mit der Staatsanwaltschaft auszuloten. Nur wenige Haftrichter setzen einen Haftbefehl ohne Zustimmung der Staatsanwaltschaft außer Vollzug. Die Haftbeschwerde eignet sich insbes, wenn komplizierte rechtliche oder tatsächliche Fragen zu beurteilen sind. Die Nachteile beider Rechtsbehelfe liegen auf der Hand und bestehen in der präjudizierenden Wirkung für das weitere Verfahren. Jede Nichtabhilfeentscheidung stärkt die Verdachtshypothese der Staatsanwaltschaft. Der Vollzug der Untersuchungshaft hat in den UVollz-Gesetzen der Länder (endlich) 109 eine gesetzliche Regelung gefunden. In diesen ist der gesamte Verlauf des Aufenthalts in einer Untersuchungshaftvollzugsanstalt von dem Verfahren der Aufnahme bis zur Entlassung geregelt. Insbes bei längeren Inhaftierungen gewinnen die einzelnen Ausprä-

_____ 111 EGMR StV 1993, 283; StV 2001, 201 mAnm Kempf; vgl auch BVerfG StV 1994, 1 mAnm Lammer. 112 Brüssow/Gatzweiler/Krekeler/Mehle/Deckers § 5 Rn 9. 113 Vgl OLG Koblenz wistra 1995, 77; LG Mannheim StraFo 2008, 469. 114 MAH-Strafverteidigung Widmaier/Müller/Schlothauer/König § 4 Rn 196; vgl aber auch Schlothauer/ Weider/Nobis Rn 732: „kein Rechtsbehelfsautomatismus“.

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gungen des Vollzugs an Bedeutung, so dass eine Intervention des Verteidigers bei der Anstaltsleitung (vgl § 119a Abs 1 S 2 StPO) oder dem Haftrichter (vgl § 126 Abs 1 S 1 StPO) zu spürbaren Hafterleichterungen für den Beschuldigten führen kann.115

7. Informationsgewinnung 110 Die Verteidigung verfügt immer über zwei Informationsquellen, die es gründlich zu er-

schließen gilt: der Mandant und die Ermittlungsakte. Beide Informationsquellen sind möglichst frühzeitig zu nutzen. Die Verteidigung steht hierbei vor der Schwierigkeit, dass die Staatsanwaltschaft eine Akteneinsicht wegen der Gefährdung des Ermittlungszwecks gem § 147 Abs 2 StPO in weitem Umfang bis zur Grenze des § 147 Abs 3 StPO verweigern kann. Ohne Kenntnis des konkreten Tatvorwurfs, die regelmäßig erst mit Akteneinsicht gewonnen wird, kann mit dem Mandanten die Angelegenheit nur in groben Zügen besprochen werden. Die elementare Bedeutung der Akteneinsicht für eine sachgerechte und effektive Verteidigung ist offensichtlich.116 Neben der Ermittlungsakte und dem Mandanten können auch eigene Ermittlungen 111 geeignet sein, wichtige Informationen zu erlangen. Hierzu ist der Verteidiger ohne weiteres befugt. Im Umgang mit (potentiellen) Zeugen ist Vorsicht angezeigt, um sich nicht in den Ruch der unzulässigen Zeugenbeeinflussung zu bringen. Darüber hinaus lassen sich noch zahllose weitere Wege denken, an weitere Informationen zu gelangen. Gerade in insolvenzstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren bietet es sich an, ein eigenes Gutachten zu der Frage der Krise und der Fortführungsprognose anfertigen zu lassen. Die Grenze setzt hier nur die Bereitschaft des Mandanten, die Kosten zu übernehmen. Ob es darüber hinaus tatsächlich sinnvoll ist, Detekteien mit Ermittlungen zu beauf112 tragen, muss im Einzelfall entschieden werden. Allerdings sollte man sich vor zu hohen Erwartungen an die Ergebnisse solcher Ermittlungsbemühungen hüten. Mit der Informationsgewinnung korrespondiert auch eine Informationspflicht ge113 genüber dem Mandanten. Agiert der Anwalt als Verteidiger, so besteht diese Informationspflicht jedenfalls hinsichtlich solcher Informationen, die der Verteidiger aus der Ermittlungsakte oder auf anderem rechtmäßigen Weg – also auch Kenntnis von bevorstehenden strafprozessualen Zwangsmaßnahmen – erlangt hat.117 Ist der Anwalt hingegen Opfervertreter, so unterliegt die Informationspflicht Beschränkungen. Bspw darf der Anwalt Kenntnisse aus einer Akteneinsicht, die gem § 406e StPO gewährt wurde, nur weitergeben, sofern sie der Wahrnehmung des berechtigten Interesses dienen.118

a) Akteneinsichtsrecht des Beschuldigten 114 Nach § 147 StPO umfasst das Akteneinsichtsrecht sämtliche Akten, die dem Gericht im

Falle der Anklageerhebung vorzulegen wären. Es herrscht der Grundsatz der Aktenvollständigkeit. In sämtliche Schriftstücke, Ton- oder Bildaufnahmen ist Einsicht zu gewähren, aus denen sich schuldspruch- oder rechtsfolgenrelevante Umstände ergeben können.119 Sofern die Akteneinsicht wegen Gefährdung des Ermittlungszwecks gem § 147

_____ 115 116 117 118 119

Im Einzelnen: Schlothauer/Weider/Nobis Rn 995 ff; vgl auch Pohlreich NStZ 2011, 560. W/J/Dierlamm, Rn 29/42. W/J/Dierlamm, Rn 29/54; Schlothauer/Weider/Nobis Rn 397 ff; vgl aber auch BGHSt 29, 99, 103. BVerfG NJW 2003, 501, 503 und § 19 Abs 2 BORA. BGH StV 2010, 228, 229.

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Abs 2 StPO verwehrt wird, beschränkt sich das Akteneinsichtsrecht auf die in § 147 Abs 3 StPO genannten Bestandteile. Ist der Beschuldigte mit strafprozessualen Zwangsmaßnahmen konfrontiert, kann 115 ihm nur in geringem Umfang die Akteneinsicht wegen Gefährdung des Untersuchungszwecks verwehrt werden, sofern der Beschuldigte diese Maßnahme im Wege der Beschwerde angreift und die Ermittlungsbehörden die Maßnahme aufrechterhalten wollen. Im Grundsatz gilt: Ein ausreichender Grund für eine Entscheidung auf der Grundlage des Akteninhaltes, der dem Beschuldigten nicht zugänglich ist, besteht im Beschwerdeverfahren grundsätzlich nicht.120

b) Akteneinsichtsrecht Dritter Neben dem Beschuldigten können auch Dritte über einen Rechtsanwalt ein Akteneinsichtsrecht geltend machen. Vor der Entscheidung der Staatsanwaltschaft ist dem Beschuldigten rechtliches Gehör zu gewähren.121 § 406e StPO gibt dem Verletzten ein Akteneinsichtsrecht. Der Rechtsanwalt hat für seinen Mandanten die Stellung als Verletzter und dessen berechtigtes Interesse schlüssig darzulegen. Verletzter ist, wer durch die Straftat in seinen Rechten verletzt wurde. Bei den Delikten des §§ 283 ff StGB und § 15a Abs 4 InsO sind Gläubiger, deren Forderungen und Vermögensrechte aufgrund der Straftat einen Wertverlust erlitten haben, Verletzte iSd § 406e StPO.122 Der Insolvenzverwalter ist kein Verletzter iSd § 406e StPO.123 Ein berechtigtes Interesse liegt insbes vor, wenn geprüft werden soll, ob eine Einstellungsbeschwerde gem § 172 StPO eingelegt oder bürgerlich-rechtliche Ansprüche geltend gemacht werden sollen. Das berechtigte Interesse ist in dem Antrag schlüssig darzulegen. In der Praxis ist festzustellen, dass zahlreiche Gesuche schon an dieser (eher) niedrigen Hürde scheitern. Solange das berechtigte Interesse nicht zumindest in Umrissen deutlich wird, bleibt der Antrag unzulässig.124 Ist das berechtigte Interesse schlüssig dargelegt worden, so hat die Staatsanwaltschaft eine Interessenabwägung mit den betroffenen Interessen des Beschuldigten gem § 406e Abs 2 StPO vorzunehmen. Die Akteneinsicht ist zu versagen, wenn die Interessen des Beschuldigten an der Geheimhaltung die Interessen des Verletzten an der Akteneinsicht überwiegen. Dies kann etwa der Fall sein, wenn einer Versagung mit Blick auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, ein Steuer-, Betriebs- oder Fernmeldegeheimnis erforderlich erscheint oder die Akteneinsicht allein der Ausforschung und der unzulässigen Beweisgewinnung für ein Zivilverfahren dienen soll.125 Eine Versagung wird in der Regel zu erfolgen haben, wenn die Ermittlungen (noch) keinen hinreichenden Tatverdacht belegen.126 Ein Versagungsgrund liegt ferner vor, wenn eine Gefährdung des Untersuchungszwecks oder erhebliche Verzögerungen zu befürchten sind. Zu prüfen bleibt, ob eine teilweise Akteneinsicht möglich ist.127

_____ 120 121 122 123 124 125 126 127

BVerfG NStZ 2007, 274, 275; NStZ-RR 2008, 16, 17; ausführlich Börner NStZ 2010, 417. BVerfG NJW 2005, 2766. Vgl A/R/R/Wegner, 7. Teil, 1. Kap, Rn 3 und 2. Kap, Rn 5. OLG Frankfurt NStZ 2007, 168; Meyer-Goßner/Schmitt § 475 Rn 1. Meyer-Goßner/Schmitt § 406e Rn 3. Meyer-Goßner/Schmitt § 475 Rn 2 ff. LG Köln StraFo 2005, 78; Meyer-Goßner/Schmitt § 406e Rn 6; Krause FS Widmaier, S 653. BVerfG NJW 2003, 501, 503.

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244 | 1. Kapitel: Informationsbeschaffung

Neben dem Verletzten hat auch jeder Dritte ein Akteneinsichtsrecht gem § 475 StPO, sofern er ein berechtigtes Interesse darlegt und der hiervon Betroffene kein schutzwürdiges Interesse an der Versagung hat. Anders als in § 406e StPO findet nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut eine Interessenabwägung gerade nicht statt.128 Das Interesse des Betroffenen überwiegt regelmäßig. Angesichts der rechtlichen Schwierigkeiten des Verletztenbegriffs und der insoweit 121 divergierenden Rspr bieten sich für die Verteidigung hier zahlreiche Ansatzpunkte, die nicht zuletzt deshalb genutzt werden sollten, um der Staatsanwaltschaft einen ersten Eindruck über die Qualität und Entschlossenheit der Verteidigung zu geben. Ferner kann eine Akteneinsicht des (vermeintlich) Verletzten verheerende Auswirkungen auf bspw zivilrechtliche Auseinandersetzungen haben. Kein Geheimnis ist zudem, dass die Ermittlungsrichter wenig glücklich über die neue Zuständigkeitsregelung des § 406e Abs 4 S 1 StPO sind und sich die Bearbeitung zumeist entspr hinzieht.

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8. Andere Verfahrensbeteiligte 122 Neben der Staatsanwaltschaft, dem Ermittlungsrichter und anderen Beschuldigten sind

auch andere Verfahrensbeteiligte in den Blick zu nehmen. So sollte zügig mit dem Beschuldigten geklärt werden, ob und wie er sich gegenüber (potentiellen) Zeugen oder möglichen Verletzten verhalten soll. Der Verteidiger muss in seine strategischen Überlegungen beide angesprochenen Verfahrensbeteiligten einbeziehen. Hinzu kommt noch der Umgang mit dem Wirtschaftsreferenten der Staatsanwaltschaft.

a) Zeugen 123 Der Mandant ist darüber aufzuklären, dass der Umgang mit (potentiellen) Zeugen für ihn

die Gefahr birgt, sich dem Verdacht einer Verdunklungsgefahr iSd § 112 Abs 2 Nr 3b StPO auszusetzen. Daher sollte der Mandant jeden Kontakt mit potentiellen Zeugen vermeiden. Wo dies nicht möglich ist, sollte der Kontakt auf ein Mindestmaß begrenzt werden. Gespräche zu dem anhängigen Ermittlungsverfahren sind zu vermeiden. Hier kann hilfreich sein, mit dem Mandanten eine Sprachregelung für solche Situationen zu finden. 124 Die Kontaktaufnahme zu einem Zeugen durch den Verteidiger begründet hingegen nicht den Verdacht einer Verdunklungsgefahr. Ob es sich empfiehlt, einen Zeugen anzusprechen, ist eine taktische Frage und kann nur im Einzelfall beantwortet werden. Entschließt sich der Verteidiger zu der Kontaktaufnahme, so sollte dies offen geschehen. Die Bereitschaft des Zeugen, das Anliegen des Verteidigers anzuhören, wird regelmäßig dadurch befördert, dass der Verteidiger transparent macht, weshalb er den Zeugen anspricht und va, dass der Zeuge nicht verpflichtet ist, mit dem Verteidiger zu sprechen. Hierdurch kann auch vermieden werden, dass der Eindruck einer unzulässigen Beeinflussung des Zeugen entsteht. 125 Bspw kann der Zeuge für ein ausführliches Gespräch in die Kanzlei gebeten und ein Mitarbeiter der Kanzlei hinzugezogen werden. Dies hat zudem den Vorteil, dass dieser Mitarbeiter zugleich protokollieren kann. In besonders gelagerten Fällen kann es sich sogar empfehlen, den Zeugen auf die Möglichkeit hinzuweisen, sich in der Befragung von einem anwaltlichen Zeugenbeistand begleiten zu lassen.

_____ 128 LG Dresden StV 2006, 11; LG Frankfurt aM StV 2003, 495; LG Hildesheim NJW 2009, 3799, 3800; Löwe/Rosenberg/Hilger § 475 Rn 7; aA Meyer-Goßner/Schmitt § 475 Rn 3.

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§ 4 Anwaltliche Strategien im Ermittlungsverfahren | 245

In Insolvenzstrafverfahren kommt den früheren Beratern des Unternehmens – etwa 126 Steuerberater und Wirtschaftsprüfer – besondere Bedeutung zu, da diese tiefe Einblicke in den wirtschaftlichen Zustand des Unternehmens hatten. Deshalb bietet es sich auch für den Verteidiger an, im Wege eigener Ermittlungen Kontakt mit solchen Beratern zu suchen, um die Informationsgrundlage zu verbreitern. Allerdings ist hier – wie generell im Umgang mit Zeugen – besondere Vorsicht geboten, den Zeugen über den Stand der Verteidigung nicht in Kenntnis zu setzen. Jeder Zeuge unterliegt der Wahrheitspflicht und kann seitens der Staatsanwaltschaft auch über sein Erleben in Zeiträumen befragt werden, die nach dem verfahrensgegenständlichen liegen. Ob und in welchem Umfang sich Steuerberater und Wirtschaftsprüfer auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen können bzw nur durch den Insolvenzverwalter hiervon entbunden werden können, ist höchst streitig. Es lässt sich allerdings eine Tendenz in der Rspr erkennen, nach der eine Entbindung von der Schweigepflicht durch den früheren Organwalter nicht in Frage kommt, sondern nur der aktuelle Wille der juristischen Person entscheidend sein soll.129

b) Verletzter Der Verletzte einer Straftat kann eine treibende Kraft des Ermittlungsverfahrens sein. 127 Obgleich man eine aktive Rolle im Insolvenzstrafverfahren seltener als in anderen Gebieten des (Wirtschafts-)Strafverfahren sieht, sollte der (potentiell) Verletzte schon frühzeitig in die strategischen Überlegungen einbezogen werden. So ist etwa ratsam, bei der Anzeige der Verteidigung des Beschuldigten einer (teilweisen) Gewährung der Akteneinsicht an den Verletzten zu widersprechen und vor einer Entscheidung der Staatsanwaltschaft über ein solches Gesuch rechtliches Gehör zu beantragen. Die Kontaktaufnahme mit dem Insolvenzverwalter bzw. den geschädigten Gläu- 128 bigern mit dem Ziel eines Täter-Opfer-Ausgleiches iSd § 46a StGB ist insbesondere zu erwägen, wenn der Beschuldigte über liquide Mittel zur Befriedigung der noch ausstehenden Verbindlichkeiten verfügt. Die (Teil-)Begleichung der Forderungen ist als Schadenswiedergutmachung einzuordnen, die die Strafbarkeit zwar nicht entfallen lässt, jedoch – bei richtiger Gestaltung130 – im Rahmen des § 46a StGB zumindest erhebliche strafmildernde Berücksichtigung finden muss.131 Überdies kann eine Ausgleichsvereinbarung mit dem Insolvenzverwalter respektive allen Gläubigern Voraussetzung oder Teil einer Absprache über die Einstellung des Verfahrens gem § 153a StPO bzw § 153b StPO sein. Eine Einigung nur mit einzelnen Gläubigern ist indes mit Blick auf § 283c StGB in der Regel unangebracht.

c) Wirtschaftsreferent Im Insolvenzstrafverfahren kommt dem Wirtschaftsreferenten der Staatsanwaltschaft 129 regelmäßig eine bedeutende Rolle hinsichtlich der Feststellung der die Krisenmerkmale begründenden Tatsachen zu. Der Wirtschaftsreferent ist, obgleich er organisatorisch innerhalb der Staatsanwaltschaft angesiedelt ist, nicht schon ohne Weiteres als „Beamter der Staatsanwaltschaft“ iSd §§ 74 Abs 1 S 1, 22 Nr 4 StPO von einer Tätigkeit als Sachver-

_____ 129 Sa Rn 75 sowie OLG Oldenburg NJW 2004, 2176; OLG Nürnberg NJW 210, 690; Tully/Kirch-Heim NStZ 2012, 657; aA Krause FS-Dahs S 349 ff mwN; Brüssow/Gatzweiler/Krekeler/Mehle/Wehnert § 3 Rn 76. 130 S hierzu umfassend Püschel StraFo 2006, 261. 131 BGH wistra 2000, 176; OLG München, 2.8.2007 – 5 St RR 113/07, BeckRS 2007, 12872.

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ständiger ausgeschlossen.132 Ob diese organisatorische Eingliederung mit Blick auf die Unabhängigkeit des Sachverständigen glücklich ist, darf bezweifelt werden. Jedenfalls ist dem Verteidiger gem Nr 70 Abs 1 RiStBV vor der Auswahl des Wirtschaftsreferenten rechtliches Gehör zu gewähren. 130 Im Blick haben sollte die Verteidigung, dass der Wirtschaftsreferent als Sachverständiger wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden kann. Zwar rechtfertigt allein der Umstand, dass der Wirtschaftsreferent Mitarbeiter der mit den Ermittlungen befassten Staatsanwaltschaft ist, für sich genommen noch nicht, seiner Unvoreingenommenheit zu misstrauen, sofern er sein Gutachten eigenverantwortlich und frei von jeder Beeinflussung erstatten kann. Etwas anderes muss jedoch gelten, wenn der Wirtschaftsreferent aktiv in die Ermittlungen eingebunden wird. Eine solche nicht erst durch den konkreten Gutachtenauftrag veranlasste (vgl § 80 StPO) Mitwirkung des Wirtschaftsreferenten an den Ermittlungen rechtfertigt es, seiner Unvoreingenommenheit bei seiner späteren Tätigkeit als Sachverständiger zu misstrauen.133 Darauf, ob der Wirtschaftsreferent subjektiv tatsächlich voreingenommen ist oder sein Gutachten nicht eigenverantwortlich oder nicht unbeeinflusst erstatten kann, kommt es in einem solchen Fall nicht mehr an.134 In einer späteren Hauptverhandlung ist der wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnte Wirtschaftsreferent nicht mehr Sachverständiger, sondern allenfalls noch sachverständiger Zeuge. Wird hier ein erneuter Beweisantrag hinsichtlich eines Sachverständigengutachtens in der Hauptverhandlung gestellt, dürfte zumindest die Staatsanwaltschaft kaum umhin kommen, sich diesem Antrag anzuschließen. Das Gutachten des Wirtschaftsreferenten ist mit dem Mandanten zu besprechen. In 131 der Regel werden sich hierbei zahlreiche Punkte finden, die Angriffsfläche bieten. Es besteht kein Grund, dem Gutachten eines Wirtschaftsreferenten mit Ehrfurcht in tatsächlicher oder fachlicher Hinsicht zu begegnen. Vielmehr sollte dieses stets kritisch hinterfragt werden. In zahlreichen Fällen wird dies schon mit den eigenen „Bordmitteln“135 und der Hilfe des Mandanten erfolgen können. In komplexeren Fällen sollte über ein betriebswirtschaftliches Gutachten nachgedacht werden.

9. Rechtliches Gehör 132 Ob und in welcher Weise von dem Anspruch auf rechtliches Gehör im Ermittlungsverfah-

ren Gebrauch gemacht werden soll, ist unter Verteidigern umstritten. Nach verbreitet anzutreffender Ansicht soll eine Stellungnahme bzw eine Beschuldigtenvernehmung im Ermittlungsverfahren nicht die Regel sein, um sich Handlungsspielräume nicht zu verbauen. Angesichts der für die Verteidigung ernüchternden Statistiken hinsichtlich der Zulassung einer Anklage zum Hauptverfahren und zu Verurteilungen kann allerdings kaum in Streit stehen, dass eine Stellungnahme in geeigneter Form im Ermittlungsverfahren zu erfolgen hat. Sofern eine realistische Aussicht besteht, eine Anklageerhebung zu vermeiden, sollte diese unbedingt ergriffen werden. Zu Recht wird darüber hinaus geraten, das Recht auf rechtliches Gehör wahrzunehmen, sofern hierdurch die Situation des Mandanten im Verfahren verbessert werden kann.136

_____ 132 133 134 135 136

BGHSt 28, 381, 384; ausf. Wolf ZWH 2012, 125. LG Köln StraFo 2014, 19; Meyer-Goßner/Schmitt § 74 Rn 5 mwN. LG Köln StraFo 2014, 19. Hilfreich Graf von Kanitz, Bilanzkunde für Juristen zur Überschuldungsbilanz. W/J/Dierlamm Rn 29/58.

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a) Verteidigungsschriftsatz In der Regel wird die Verteidigung im Ermittlungsverfahren im Wege eines Verteidi- 133 gungsschriftsatzes zu führen sein. Aufgrund der Komplexität und Abstraktheit der Sachverhalte wird der persönliche Eindruck des Mandanten jedenfalls im Ermittlungsverfahren nur eine nachrangige Bedeutung haben. Zudem hat der Verteidigungsschriftsatz den erheblichen Vorteil, dass die Sachverhalte in Ruhe aufgearbeitet und dargestellt werden. Gerade das Insolvenzstrafverfahren ist wesentlich dadurch gekennzeichnet, dass die rechtlichen Krisenbegriffe auf komplexen tatsächlichen Sachverhalten beruhen, deren Feststellung erhebliche Anforderungen stellt. An diesem Prozess der Tatsachenfeststellung und vor allem -interpretation kann sich die Verteidigung erfolgversprechend durch einen eigenen Schriftsatz beteiligten und auf das Meinungsbild der Staatsanwaltschaft zu dem Sachverhalt einwirken. Eine Verteidigungsschrift sollte allerdings in Fällen wohl überlegt sein, in denen die 134 Staatsanwaltschaft erkennbar entschlossen ist, die Sache in jedem Fall zur Anklage zu bringen. Hier kann eine Verteidigungsschrift dazu führen, dass die Anklage auf die bereits vorgebrachte Verteidigungslinie angepasst wird. Die Verteidigung hätte so ohne Nutzen ihr Pulver verschossen. Ratsam kann hier sein, die Argumente dem unvoreingenommenen Gericht erstmals im Zwischenverfahren zu präsentieren. Auch hier bleibt die Entscheidung, welcher Weg zu beschreiten ist, nicht dem Verteidiger vorbehalten. Der Mandant ist über die Vor- und Nachteile der Handlungsalternativen aufzuklären und so in die Lage zu versetzen, eine eigene Entscheidung zu treffen. b) Beschuldigtenvernehmung Nur in Ausnahmefällen ist es ratsam, den Weg einer Beschuldigtenvernehmung zu be- 135 schreiten. Dies gilt etwa dann, wenn der Staatsanwalt sich einen persönlichen Eindruck des Beschuldigten machen soll, um ihm eine Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Mandanten zu ermöglichen oder einen Haftbefehl wegen Verdunklungsgefahr zu vermeiden. Ob eine Beschuldigtenvernehmung als Verteidigungsmittel überhaupt in Betracht 136 zu ziehen ist, hängt maßgeblich von der Persönlichkeit des Mandanten ab. Wesentliche Voraussetzung wird sein, dass der Mandant der staatsanwaltschaftlichen Befragung intellektuell und emotional gewachsen ist. Hat der Mandant etwa ein aufbrausendes Wesen, so wird sich eine Vernehmung eher verbieten. Beschuldigte hängen oft der Vorstellung nach, dass in einem persönlichen Gespräch 137 mit dem Staatsanwalt sich „die Sache schon schnell“ aufklären werde und nur ausreichend Zeit benötigt werde, um die Einzelheiten zu erklären. Diese Betrachtung verkennt, dass insbes komplexe Sachverhalte selten in einer mündlichen Besprechung in vergleichbarer Tiefe geklärt werden können, wie dies im Wege eines Schriftsatzes möglich ist. Der Beschuldigte sieht sich in der Vernehmung einer geschulten Verhörsperson gegenüber, die über den Vorteil verfügt, durch überraschende Vorhalte den Beschuldigten in die Defensive zu bringen. Eine Vorbereitung auf solche Vorhalte kann ohne Aktenkenntnis nahezu nie gewährleistet werden. Zudem belastet eine Vernehmung den Beschuldigten erheblich, so dass es häufig zu Ungenauigkeiten und Gedächtnislücken aufgrund der Aufregung kommen wird. Dies ist sehr gefährlich. Die Staatsanwaltschaft wird geneigt sein, solche Ungenauigkeiten als belastend iSd Ermittlungshypothese zu werten. Darin ist kein Vorwurf zu erblicken, sondern es handelt sich um ein wahrnehmungspsychologisches Phänomen. Die Staatsanwaltschaft geht in der Regel schlicht mit einer anderen Ausgangsthese als der Beschuldigte oder die Verteidigung in eine solche Vernehmung.

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248 | 1. Kapitel: Informationsbeschaffung

An dieser Stelle soll nicht unterschlagen werden, dass eine Beschuldigtenvernehmung auch ökonomische Gründe haben kann. Die Erstellung eines Verteidigungsschriftsatzes wird regelmäßig kostenintensiver sein. Bedacht werden muss schließlich, dass die Vernehmung des Beschuldigten in einer 139 späteren Hauptverhandlung durch Vernehmung der Verhörsperson gemäß § 250 StPO oder durch Verlesung des Protokolls einer richterlichen Vernehmung gemäß § 254 StPO eingeführt werden kann. 140 Sofern eine Beschuldigtenvernehmung als probates Verteidigungsmittel betrachtet wird, sind einige Vorbereitungen hierauf zu treffen. Die Situation ist mit dem Mandanten durchzusprechen und der Mandant hierauf vorzubereiten. Denkbar ist schließlich, die Vernehmung durch einen Schriftsatz vorzubereiten, um die wichtigsten Punkte aus Sicht der Verteidigung schriftlich zu fixieren und der Staatsanwaltschaft schon vorab zu kommunizieren. 138

10. Abschluss des Ermittlungsverfahrens 141 Das Ermittlungsverfahren wird entweder durch Einstellung des Verfahrens oder durch

Erhebung der öffentlichen Klage beendet. Einstellung des Verfahrens erfolgt bspw mangels Tatverdachts gemäß § 170 Abs 2 StPO, aus Opportunitätsgründen gem § 153 oder § 153a StPO, nach § 153b StPO oder gemäß § 154 StPO. Die Erhebung der öffentlichen Klage erfolgt durch Anklageschrift gemäß § 170 Abs 1 StPO. Alternativ kann die Staatsanwaltschaft in geeigneten Fällen einen Strafbefehl gem § 407 StPO beantragen. 142 Ziel der Verteidigung wird regelmäßig die Einstellung des Verfahrens sein. Die Möglichkeiten hierzu sind beständig zu prüfen. Sofern einer Einstellung nach § 170 Abs 2 StPO nur geringe Aussichten auf Erfolg eingeräumt wird, ist sorgfältig abzuwägen, ob und wann Verhandlungen mit der Staatsanwaltschaft über eine Einstellung aus Opportunitätsgründen möglich erscheinen. Das Gesetz sieht solche Erörterungen zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft mittlerweile in § 160b StPO vor. 143 In einem solchen Gespräch ist Vorsicht in mehrfacher Hinsicht angebracht. Zunächst können solche Verhandlungen sowohl zu früh als auch zu spät erfolgen. In keinem Fall darf der Eindruck bei der Staatsanwaltschaft entstehen, der Beschuldigte versuche sich mit dem Angebot einer hohen Auflage gemäß § 153a StPO aus dem Verfahren „zu kaufen“. Die Wirkung eines solchen Ansinnens wird zumindest sein, dass die Höhe der Auflage nochmals „angezogen“ wird. Vorschnelle Zusagen in solchen Verständigungsgesprächen sind nicht zuletzt deshalb zu vermeiden, weil die Staatsanwaltschaft in einer Erörterung gemäß § 160b StPO von Gesetzes wegen gehalten ist, einen Vermerk anzufertigen. Haben Zusagen einmal Eingang in die Akte gefunden, ist die Aussicht auf günstigere „Konditionen“ kaum mehr möglich. Im Insolvenzstrafverfahren wird es sich oftmals anbieten, Erörterungen über die Be144 endigung des Ermittlungsverfahrens nach Einreichung einer umfangreichen Verteidigungsschrift aufzunehmen. Die in der Lit mit diesem Schritt beschriebenen Gefahren137 sind in einem Insolvenzstrafverfahren eher nachrangig, da hier aufgrund der Komplexität der Sachverhalte regelmäßig ein schriftlicher Vortrag zu erfolgen hat, um der Staatsanwaltschaft die Schwächen der Ermittlungshypothese vor Augen zu führen. Die Suche nach einer Verständigung vor Einsicht in die Ermittlungsakte wird regelmäßig nicht zu angemessenen Ergebnissen führen.

_____ 137 Brüssow/Gatzweiler/Krekeler/Mehle/Gillmeister § 6 Rn 6.

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Die Beratung des Mandanten über die Frage der Zustimmung zu einer Verfah- 145 renseinstellung nach § 153a StPO erfordert Gespür. Der Mandant sollte nicht den Eindruck gewinnen, der Verteidiger wolle ihn in die eine oder andere Richtung drücken. Denn obgleich nach der Rspr des BVerfG die Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO die Unschuldsvermutung unberührt lässt, hat der juristische Laie oftmals das Gefühl, dass trotz Einstellung ein „Fleck auf seiner Weste“ verbleibt. Für die öffentliche Meinung, die zu Differenzierungen selten willens ist, dürfte diese Einschätzung häufig zutreffen. Zudem darf nicht vergessen werden, dass eine Einstellung aus Opportunitätsgründen in einem weiteren Verfahren nicht ohne weiteres nochmals gewährt werden würde. Auch ist der Wunsch eines Mandanten zu respektieren, der sich in einer öffentlichen Hauptverhandlung verteidigen und um einen Freispruch kämpfen möchte. Andererseits sind die Risiken einer Hauptverhandlung zu skizzieren. Oftmals haben 146 Mandanten, die keine strafgerichtlichen Erfahrungen haben, sehr hohe Erwartungen an die Qualität der Tatsachenfindung vor Gericht, die sich mit dem Gerichtsalltag oft nicht in Einklang bringen lassen. Die prozessuale Wahrheit kann von den tatsächlichen Geschehensabläufen mitunter erheblich abweichen. Ferner ist gerade mit Blick auf die außerstrafrechtlichen Nebenfolgen einer Verurteilung der Gang in die Hauptverhandlung „zur Verteidigung der Ehre“ risikobehaftet. Erleichtert wird dem Mandanten eine Zustimmung zu der Einstellung, wenn ein Teil der Auflage nicht dem Justizfiskus, sondern gemeinnützigen Organisationen zufließt. Vorschlägen seitens des Beschuldigten versperren sich Staatsanwaltschaften nur in seltenen Fällen. Zu beachten ist schließlich, dass sowohl die Zahlung von Geldauflagen als auch von 147 Geldstrafen insolvenzrechtlich angefochten werden kann.138

11. Nebenfolgen Die Verteidigung im Ermittlungsverfahren ist mit Blick auf mögliche Nebenfolgen einer 148 Verurteilung zu führen. Als Nebenfolgen lassen sich strafrechtliche und außerstrafrechtliche unterscheiden. Strafrechtliche Nebenfolgen sind in §§ 45 bis 45b StGB geregelt. Nicht-strafrechtliche Nebenfolgen sind überwiegend solche des Wirtschaftsverwal- 149 tungsrechts. Keineswegs ungewöhnlich ist, dass der Mandant diese außerstrafrechtlichen Nebenfolgen als eingriffsintensiver erlebt als die eigentliche strafrechtliche Sanktion; insbes wenn diese im Bereich der Geldstrafe oder der bedingten Freiheitsstrafe verbleibt. Mag man bspw bei der Entziehung des Waffenscheins noch darüber streiten, ob dies tatsächlich eine eingriffsintensive Sanktion darstellt, so dürfte dies etwa bei dem Ausschluss vom Geschäftsführeramt gem § 6 Abs 2 S 3 GmbHG oder dem Entzug der Gewerbeerlaubnis gem § 35 GewO bzw § 34c Abs 2 Nr 1 GewO außer Streit stehen. So ordnet § 6 Abs 2 S 3 GmbHG bspw den zwingenden Ausschluss vom Geschäfts- 150 führeramt für fünf Jahre nach Rechtskraft des Urteils an, sofern die vorsätzliche Begehung einer Insolvenzverschleppung oder einer Bankrottstraftat rechtskräftig festgestellt wird.139 Damit ist eine Regelung geschaffen worden, die selbst bei einem „niedrigschwelligen“ Vergehen zu der Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz führen kann. Zu Recht wird die Frage aufgeworfen, ob das Sanktionsinstrumenatrium des Wirtschaftsverwal-

_____ 138 BGH NStZ 2009, 521; NZI 2014, 863; vgl auch Bittmann wistra 2011, 113 und Eggers/Reuker wistra 2011, 453. 139 Zur Verschärfung durch das MoMiG Bittmann NStZ 2009, 113.

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tungsrechts nicht in Widerspruch mit dem der Strafe innewohnenden Resozialisierungsgedanken steht. Unabhängig davon ist jedoch die praktische Wirkung einer solchen Regelung auf 151 das Strafverfahren, dass beachtliche Anstrengungen unternommen werden, um einen Ausgang des Verfahren zu erreichen, der im Bereich des § 153a StPO oder einer Fahrlässigkeitsstrafbarkeit liegen könnte. Die Kehrseite dessen ist, dass der Mandant für solche Ergebnisse auf ein Entgegenkommen der Strafverfolgungsbehörden und der Gerichte angewiesen ist. Es ist nicht selten, dass Ermittlungsbehörden schon zu Beginn eines Ermittlungsverfahrens andeuten, dass im Falle einer engagierten Verteidigung mit solchem „Entgegenkommen“ nicht mehr gerechnet werden könne. Für solche Situationen sollte man sich an das Sprichwort erinnern, dass „nichts so heiß gegessen wie es gekocht wird“. Ebenfalls im Blick gehalten werden muss die Möglichkeit der Versagung der Rest152 schuldbefreiung gem § 290 Abs 1 S 1 InsO.140

12. Umgang mit der Presse 153 Bei öffentlichkeitswirksamen Insolvenzstrafverfahren muss Teil der Verteidigungsstrate-

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gie auch eine Medienstrategie sein. Hier hat sich in den letzten Jahren ein eigener Beratungszweig herausgebildet, der unter dem Namen der „Litigation-PR“ oder „Krisen-PR“ firmiert.141 Der Umgang mit den Medien ist gefahrgeneigte Tätigkeit.142 Für den Verteidiger selbst, weil er den Versuchungen der Eitelkeit zu widerstehen hat, die ihn schnell in Konflikt mit dem Werbeverbot gemäß § 43b BRAO und va den Interessen des Mandanten bringen kann. Im Stadium des Ermittlungsverfahrens wird der Mandant in aller Regel ein Interesse daran haben, dass über seine Person eine Berichterstattung gerade nicht stattfindet, die das Ermittlungsverfahren zum Gegenstand hat. Selbst wenn eine Berichterstattung – etwa im Fall einer Durchsuchung oder Inhaftierung – nicht vermieden werden kann, wird eine schnelle Beendigung im Interesse des Mandanten liegen. Die Medien nehmen in ihrer (Verdachts-)Berichterstattung dem Grundsatz nach eine legitime, verfassungsrechtlich verbürgte Aufgabe wahr. Nicht übersehen werden darf jedoch, dass Medien ebenfalls kapitalistisch orientierte Wirtschaftsunternehmen sind, die in einem hart umkämpften Markt ihr Produkt an den Leser bzw potentiellen Kunden bringen müssen. „Zentrales Kampfinstrument“ in dieser Auseinandersetzung ist die neue Nachricht, die reißerisch angepriesen wird.143 Zwischentöne und Komplexität haben in einer solchen Berichterstattung (meist) keinen Platz, die zumindest faktisch eine Prangerwirkung144 hat. Dies gilt – in eingeschränkter Form – auch für Medien, die nicht dem „Boulevard“ zuzurechnen sind, jedenfalls insoweit, als die erste Berichterstattung betroffen ist. Angesichts dieser Voraussetzungen sollte sich der Verteidiger nicht der Illusion hingeben, durch eine Zusammenarbeit mit den Medien – etwa durch exklusive Informa-

_____ 140 141 142 143 144

BGH NZI 2011, 424. Krit Wegner FS Achenbach, S 579. Dahs Rn 201. MAH-Strafverteidigung Widmaier/Müller/Schlothauer/Lehr § 21 Rn 3. Rinsche ZRP 1987, 348.

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tionsweitergabe – Kontrolle über eine Berichterstattung erlangen zu können. Gerade zu Beginn eines Ermittlungsverfahrens bietet das Presserecht vielmehr zahlreiche Instrumente, eine Berichterstattung – zumindest in identifizierender Form – zu unterbinden. Um dieses Instrumentarium zur vollen Wirkung zu bringen, empfiehlt sich die frühzeitige Kooperation mit einem Presserechtler. Wo in Einzelfällen die Berichterstattung nicht unterbunden, sondern auf sie einge- 158 wirkt werden soll, kommt eine Reaktion mittels Pressemitteilung in Betracht. Häufig wird der Mandant gegenüber der Öffentlichkeit ein noch größeres Bedürfnis verspüren, sich zu rechtfertigen und zu erklären als schon gegenüber dem Staatsanwalt. Zudem ist auch nicht von der Hand zu weisen, dass keine Reaktion als Schuldeingeständnis ausgelegt werden könnte. Sofern diesem Drängen nachgegeben wird, ist es geboten, die kurzfristigen Interessen in der Auseinandersetzung mit der Öffentlichkeit mit den langfristigen Interessen einer erfolgreichen Verteidigung gegenüber der Staatsanwaltschaft in Gleichklang zu bringen. Der Sache nach gebührt der Verteidigung ein strategischer Vorrang. Zudem hat die Verteidigung in der Sache und nicht in der Zeitung zu erfolgen.

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252 | 1. Kapitel: Informationsbeschaffung

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§ 5 Die Auslandsgesellschaften | 253

2. Kapitel: Die gesellschaftsrechtlichen Funktionsträger 2. Kapitel: Die gesellschaftsrechtlichen Funktionsträger

§ 5 Die Auslandsgesellschaften

C Brand/M Brand § 5 Die Auslandsgesellschaften I. Einführung Vor einigen Jahren kam die Frage auf, ob sich die Initiatoren einer ausländischen juris- 1 tischen Person, deren Verwaltungssitz in Deutschland liegt, nach deutschem Strafrecht verantworten müssen, wenn sie das Gesellschaftsvermögen pflichtwidrig schädigen. Da die Private Company Limited by Shares des englischen Rechts (Ltd) den Großteil der in Deutschland agierenden Auslandsgesellschaften stellt,1 beschränken sich die nachfolgenden Ausführungen auf diese Erscheinungsform.2 Obschon das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung 2 von Missbräuchen (MoMiG) vom 23.10.20083 auf die Zunahme der in Deutschland tätigen Auslandsgesellschaften reagierte, indem es der GmbH die haftungsbeschränkte Unternehmergesellschaft (UG) zur Seite stellte (vgl § 5a GmbHG),4 ist damit der „Wettbewerb der Gesellschaftsformen“ nicht zulasten der Auslandsgesellschaften entschieden. Zwar sind die Zahlen der Auslandsgesellschaften, die im Inland ihren Geschäftsbetrieb neu aufnehmen, rückläufig.5 Jedoch geht diese Entwicklung nicht so weit, dass die Auslandsgesellschaften gänzlich von der Bildfläche verschwunden wären.6 Deshalb besteht nach wie vor ein Bedürfnis, sich mit den (strafrechtlichen) Problemen auseinanderzusetzen, die aufkommen, sobald die Organe der Auslandsgesellschaft diese schädigen. Im Mittelpunkt der Debatte stehen va drei Tatbestände: Es sind dies die Untreue 3 (§ 266 StGB), der Bankrott (§ 283 StGB) und die Insolvenzverschleppung (§ 15a Abs 4, 5 InsO).7 Hinzu kommt § 266a Abs 1 StGB. Nur ihnen widmen sich daher die nachfolgenden Überlegungen unter Beschränkung auf die Besonderheiten, die insoweit für die Ltd gelten. Vorab sei festgehalten, dass deutsches Strafrecht in den hier interessierenden Fallgestaltungen, in denen die Ltd ihren Verwaltungssitz im Inland hat, regelmäßig dann gem den §§ 3, 9 Abs 1 StGB zur Anwendung gelangt, falls der director entweder in

_____ 1 Zu diesem Befund LK/Tiedemann § 283 Rn 245; Pattberg, S 7; Worm, S 19; Brettner, S 40; Radtke GmbHR 2008, 729; Richter Tiedemann-FS, S 1023, 1030; Bittmann/Gruber GmbHR 2008, 867; Wilk/Stewen wistra 2011, 161; Schramm/Hinderer ZIS 2010, 494; Kraatz JR 2011, 58, 59; vgl auch Weyand/Diversy Rn 26; Joerden/Szwark/Schmitz, S 199, 200; Wietz, S 17, 72; Nuys, S 2, 36; Köke/Schwabe ZAP 2006 Fach 15, 511. 2 S zu solchem Vorgehen etwa auch Brettner, S 40; Peukert, S 6 f. 3 BGBl I S 2026. 4 Zu den damit verbundenen Hoffnungen s etwa Dernedde NJ 2007, 443, 445. 5 M-G/Müller-Gugenberger § 23 Rn 112; Stärk, S 20; Brettner, S 39; Peukert, S 71 f; Kindler Buchner-FS, S 426, 439; Hefendehl ZIP 2011, 601, 602; Kornblum GmbHR 2010, R 53, der mittlerweile mehr UG-Neugründungen als Ltd-Neugründungen registriert; sa J Jahn FAZ v 29.5.2013, Nr 122, S 23; ferner Römermann GmbHR 2016, 27; Keil DZWIR 2016, 392, 393, denen zufolge die Blütezeit der Ltd vorüber ist. 6 Zu diesem Befund Stärk, S 20; Peukert, S 72; Melchior AnwBl 2011, 20; Müller-Gugenberger GmbHR 2009, 578, 579; Hefendehl ZIP 2011, 601, 602; offen gelassen von Ransiek/Hüls ZGR 2009, 157, 175. 7 Was die Sondertatbestände in den einzelnen Spezialgesetzen – etwa GmbHG, AktG oder GenG – anbelangt, so werden diese deshalb nicht erörtert, weil ihre Reichweite richtigerweise rechtsformabhängig ist, sich also der director einer Ltd bspw nicht wegen Gründungsschwindels nach § 82 GmbHG strafbar machen kann; ausf dazu E/R/S/T/Brand § 82 GmbHG Rn 17; Sandrock/Wetzler/N Hoffmann, S 227, 247 ff; Schlösser wistra 2006, 81, 84; Weller IPRax 2003, 207, 208 f; Müller-Gugenberger Tiedemann-FS, S 1003, 1013 f, der zahlreiche Vorschläge unterbreitet, wie diese Sondertatbestände in das StGB integriert und damit auch gegen die Auslandsgesellschaften in Stellung gebracht werden können (aaO, S 1018 ff).

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Deutschland handelt oder der Vermögensschaden/die objektive Bedingung der Strafbarkeit8, 9 in Deutschland eintreten.10 Bevor allerdings zum Strafrecht Stellung genommen wird, werden die Grundzüge des internationalen Gesellschaftsrechts dargestellt.

II. Grundzüge des internationalen Gesellschaftsrechts C Brand/M Brand

1. Einleitung 4 Das internationale Gesellschaftsrecht ist trotz mehrfacher Bemühungen bis heute nicht

kodifiziert und beruht daher allein auf Richterrecht, das sich – grob vereinfacht – mit den Schlagwörtern „Sitztheorie“ und „Gründungstheorie“ umschreiben lässt.11 Gegenstand des internationalen Gesellschaftsrechts – auch Gesellschaftskollisionsrecht genannt – ist die Frage nach dem auf Auslandsgesellschaften anwendbaren Recht. Es geht um die Bestimmung des Gesellschaftsstatuts (lex societatis).12 Nach der Sitztheorie ist auf eine Gesellschaft das Recht des Staates anzuwenden, in dem die Gesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz (siège réel) hat.13 Die Gründungstheorie hingegen wendet das Recht des Staates an, in dem die Gesellschaft gegründet wurde.14 Die historische Entwicklung des modernen internationalen Gesellschaftsrechts 5 spannt einen Bogen von Friedrich Carl von Savigny, der bereits vor 200 Jahren die Gründungstheorie vertrat, über die wechselhafte Rspr des Reichsgerichts, das teils der Gründungs-, teils der Sitztheorie folgte, bis hin zur Rspr des BGH, der sich in einer Grundlagenentscheidung aus dem Jahr 1970 für die Sitztheorie entschied.15 Gegenwärtig dominiert die Rspr des EuGH das europäische Gesellschaftskollisionsrecht. Seit den wegweisenden Entscheidungen „Centros“,16 „Überseering“17 und „Inspire Art“18 gilt nach überwiegender An-

_____ 8 Zu letzterem als Anknüpfungspunkt deutschen Strafrechts s erg § 12 Rn 269. 9 Vgl aber auch Worm, S 91 f, der zufolge der Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung nur dann einen Erfolgsort iSd § 9 Abs 1 Var 3 StGB begründet, wenn es sich um eine strafbarkeitsbegründende Bedingung handelt. Verfolge die Strafbarkeitsbedingung – wie § 283 Abs 6 StGB – hingegen einen strafbegrenzenden Zweck, lasse sich ein Erfolgsort hierüber nicht konstruieren. 10 BGH wistra 2010, 268, 269; Scholz/Tiedemann/Rönnau Vor §§ 82 ff Rn 73, 76; MK/Dierlamm § 266 Rn 171; Pelz Rn 462; Hinderer, S 28 f, 147 f; Christ, S 334; Nuys, S 46; Pattberg, S 91 ff, 252 f; Peukert, S 104 ff; Richter Tiedemann-FS, S 1023, 1035; Rönnau ZGR 2005, 832, 855; Radtke GmbHR 2008, 729, 732; ders/ M Hoffmann EuZW 2009, 404, 408; Kienle GmbHR 2007, 696, 697; Mankowski/Bock GmbHR 2010, 822; Schlösser wistra 2006, 81, 84; Schumann ZIP 2007, 1189, 1194; Ransiek/Hüls ZGR 2009, 157, 175 f; ausf dazu Labinski, S 153 ff; ferner Schramm/Hinderer ZIS 2010, 494, 495 f, die den interessanten Vorschlag unterbreiten, sogleich aber wieder verwerfen, angesichts der Geltung englischen Gesellschaftsrechts, den Handlungsort iSd § 9 Abs 1 StGB normativ zu bestimmen und deshalb in England zu lozieren. 11 Ein konziser Überblick findet sich bei v. Hoffmann/Thorn § 7 Rn 23 ff (= S 288 f); Kübler/Assmann § 35 II 1 (= S 554 ff). 12 MünchHdB-GesellschaftsR/Jasper/Wollbrink § 75 Rn 1, 6; zum Statut allg vgl v. Bar/Mankowski IPR I, § 1 Rn 18 ff (= S 4 ff); konkret zum Begriff des Gesellschaftsstatuts s v. Hoffmann/Thorn § 7 Rn 23 (= S 288) sowie die Begründung auf S 8 zu Art 10 des Referentenentwurfs eines Gesetzes zum internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen v 7.1.2008. Ausgeklammert wird hier die Darstellung des sog Fremdenrechts. Dieses behandelt etwa die Frage der Anwendbarkeit deutscher Grundrechte auf Auslandsgesellschaften, ausf dazu Wiedemann Bd. 1, § 15 I (= S 825 ff). 13 BGH 2003, 1607, 1608; BGH NJW 1970, 998, 999; Henssler/Strohn-InternGesR/Servatius Rn 15. 14 BGH NJW 1970, 998, 999. 15 Zur Entstehungsgeschichte von Sitz- und Gründungstheorie ausf Trautrims, ZHR 176 (2012), 435 ff. 16 NJW 1999, 2027 ff. 17 NJW 2002, 3614 ff. 18 NJW 2003, 3331 ff.

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sicht für den Rechtsraum der EU die Gründungstheorie.19Geht es hingegen um Gesellschaften aus Nicht-EU-Staaten, findet – jedenfalls in Deutschland – grds die Sitztheorie Anwendung, wenn nicht ausnahmsweise bilaterale Abkommen Abweichendes bestimmen.20 Die nationalen Bemühungen, ein einheitliches gesellschaftsrechtliches IPR mit allgemeiner Geltung der Gründungstheorie zu kodifizieren,21 sowie die europäischen Bemühungen einer EU-Richtlinie zur Sitzverlegung,22 sind bislang gescheitert.23 Auch hat sich der Gesetzgeber nicht in §§ 4a GmbHG, 5 AktG für die allgemeine Geltung der Gründungstheorie entschieden. Die §§ 4a GmbHG, 5 AktG normieren die Gründungstheorie nur für den Wegzug deutscher Gesellschaften mbH und deutscher Aktiengesellschaften ins Ausland.24 Der deutsche Gesetzgeber erlaubt damit die Verlagerung des Verwaltungssitzes (nicht aber des Satzungssitzes!) deutscher Gesellschaften mbH und deutscher Aktiengesellschaften ins Ausland.25 Für den Zuzug von Gesellschaften treffen §§ 4a GmbHG, 5 AktG keine Regelung. Daraus folgt, dass für den Zuzug von Gesellschaften aus Drittstaaten nach wie vor die Sitztheorie gilt.26 Es bleibt damit bei der gespaltenen Rechtslage zwischen EU-Sachverhalten (Gründungstheorie für Zuzug und Wegzug) und Sachverhalten mit Drittstaatenberührung (Gründungstheorie für Wegzug, Sitztheorie für Zuzug).27 M Brand Gegenstand des internationalen Gesellschaftsrechts sind zunächst alle rechtsfä- 6 higen Gesellschaften.28 Auf nichtrechtsfähige Personengesellschaften ist das internationale Gesellschaftsrecht anwendbar, wenn diese über eine nach außen hervortretende Organisation verfügen.29 Reine Innen- und Gelegenheitsgesellschaften unterfallen hingegen nicht dem Gesellschaftsstatut.30

2. Gesellschaftskollisionsrecht innerhalb der Europäischen Union Das Gesellschaftskollisionsrecht innerhalb der Europäischen Union ist maßgebend von 7 der Rspr des EuGH geprägt. Grund dafür ist die Berührung mit der Niederlassungsfreiheit nach Artt 49, 54 AEUV in Fällen, in denen Gesellschaften aus dem EU-Raum ihren Sitz innerhalb der EU verlegen oder im EU-Raum Tochtergesellschaften oder Niederlassungen gründen. Anders gewendet geht es um Sachverhalte mit Auslandsbezug, die dem Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit unterfallen.31 Die Niederlassungsfreiheit ge-

_____ 19 AA aber Roth ZIP 2012, 1744 f, der insbes unter Berufung auf die „Vale-Entscheidung“ des EuGH (ZIP 2012, 1394) für einen Mittelweg zwischen Gründungs- und Sitztheorie eintritt. 20 BGH BeckRS 2009, 28205; BGH NZG 2004, 1001; BGH NZG 2000, 926; BGH NJW 1957, 1433, 1434; BayObLG DNotZ 2004, 725, 726; v. Bar/Mankowski IPR I, § 7 Rn 35 (= S 571); MK-BGB-InternGesR/Kindler Rn 5; Henssler/Strohn-InternGesR/Servatius Rn 14. S auch erg u Rn 15 ff. 21 Zuletzt in Art 10 des Referentenentwurfs eines Gesetzes zum internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen v 7.1.2008. 22 Entwurf einer 14. Richtlinie über die Verlegung des Gesellschaftssitzes von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat (Sitzverlegungsrichtlinie). 23 Vgl dazu Bartels ZHR 176 (2012), 412, 413; Trautrims, ZHR 176 (2012), 435, 436; Teichmann DB 2012, 2085, 2091 f. 24 Su Rn 14. 25 MK-GmbHG/Mayer § 4a GmbHG Rn 2; Michalski/Funke § 4a GmbHG Rn 9. 26 BGH DStR 2009, 59, 61 – „Trabrennbahn“; Kindler AG 2007, 721, 725 f. 27 Zur Differenzierung zwischen Zuzug und Wegzug von Gesellschaften ausführlich unten Rn 8 ff. 28 MK-BGB-InternGesR/Kindler Rn 3; Wedemann RabelsZ 75 (2011), 541, 548. 29 MK-BGB-InternGesR/Kindler Rn 282 ff; Wedemann RabelsZ 75 (2011), 541, 548. 30 Wedemann RabelsZ 75 (2011), 541, 548 f. 31 Es zählen dazu auch Länder, die mit Frankreich, den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich besondere Beziehungen unterhalten, wie etwa Französisch Polynesien, Grönland, die Niederländischen

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hört zu den tragenden Pfeilern der Europäischen (Wirtschafts-)Union. Ihr sachlicher Anwendungsbereich ist weit zu verstehen. Das zentrale Merkmal „Niederlassung“ wird als eine feste Einrichtung definiert, die bei Eingliederung in die nationale Volkswirtschaft der tatsächlichen und dauerhaften Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit zu dienen bestimmt ist.32 Darunter fällt nach ständiger Rspr des EuGH auch die Errichtung von Unternehmen sowie die Ausübung der Unternehmenstätigkeit nach den Bestimmungen, die im Niederlassungsstaat für dessen eigene Angehörige gelten.33 Ihre Grenzen findet die Niederlassungsfreiheit in deren missbräuchlicher oder betrügerischer Ausnutzung.34 Ausnahmsweise kann eine die Grundfreiheiten beeinträchtigende Maßnahme gerechtfertigt sein, wenn die folgenden Voraussetzungen vorliegen: (i) Die mitgliedstaatliche Maßnahme muss in nichtdiskriminierender Weise angewandt werden, (ii) sie muss zwingenden Gründen des Gemeinwohls entsprechen und (iii) sie muss zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet und erforderlich sein (sog „Gebhard-Formel“).35 Dabei sind als Gemeinwohlinteressen alle im Gesellschaftsrecht bedeutsamen Schutzinteressen anerkannt: der Schutz der Gesellschafter, der Gläubiger sowie der Arbeitnehmer.36 8 Die prägenden Entscheidungen für das internationale Gesellschaftsrecht innerhalb der EU sind: „Daily Mail“,37 „Centros“,38 „Überseering“,39 „Inspire Art“,40 „SEVIC“41 und „Cartesio“.42 Wie ein roter Faden zieht sich durch die Entscheidungen die Differenzierung zwischen dem Zuzug und Wegzug von Gesellschaften.43 Es gilt folgende Faustregel: Der Zuzug einer wirksam in einem EU-Mitgliedstaat gegründeten Gesellschaft ist vom Aufnahmestaat grds hinzunehmen, wohingegen der Wegzug einer Gesellschaft durch Vorschriften des Herkunftsstaates beschränkt oder sogar ganz blockiert werden kann.44

a) Zuzug von Gesellschaften 9 Beim Zuzug von Gesellschaften wird der grenzüberschreitende Sachverhalt aus der

Perspektive des Aufnahmestaates betrachtet. Dabei ist es für den Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit unerheblich, wenn die gesamte operative Tätigkeit im Aufnahmestaat getätigt wird und im Heimatstaat nur der Satzungssitz liegt. Dies gilt selbst für den Fall, dass die Aufspaltung von Satzungssitz und Verwaltungssitz von vornherein geplant

_____ Antillen ua, vgl Henssler/Strohn-InternGesR/Servatius Rn 19. Eine in einem solchen assoziierten Staat oder Überseegebiet gegründete Gesellschaft genießt also auch die Zuzugsfreiheit in Staaten der Europäischen Union entsprechend der EuGH-Rspr. 32 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Forsthoff Art 49 AEUV Rn 16; Teichmann ZGR 2011, 639, 663. 33 EuGH NJW 2002, 3614, Rn 56 – „Überseering“; EuGH NJW 1999, 2027, 2028, Rn 19 – „Centros“. 34 EuGH NJW 1999, 2027, 2029, Rn 24 – „Centros“. 35 EuGH NJW 1996, 579, Rn 37 – „Gebhard“; EuGH NJW 2003, 3331, 3334, Rn 133 – „Inspire Art“; EuGH NJW 1999, 2027, 2028, Rn 19 – „Centros“; Teichmann ZGR 2011, 639, 655, 667 f. 36 Teichmann ZGR 2011, 639, 655, 667 f. 37 EuGH NJW 1989, 2186 ff. 38 EuGH NJW 1999, 2027 ff. 39 EuGH NJW 2002, 3614 ff. 40 EuGH NJW 2003, 3331 ff. 41 EuGH NJW 2006, 425 ff. 42 EuGH DStR 2009, 121 ff. 43 So in der Sache auch v. Hoffmann/Thorn § 7 Rn 32a (= S 291 f); MünchHdB-GesellschaftsR/Jasper/ Wollbrink § 75 Rn 52; Bayer/Schmidt ZIP 2012, 1481, 1482; Behme NZG 2012, 936 f. 44 Kübler/Assmann § 35 II 2b (= S 557); Henssler/Strohn-InternGesR/Servatius Rn 18.

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war (sog. Briefkastengesellschaften).45 Auf den Punkt gebracht verlangt die Niederlassungsfreiheit vom Aufnahmestaat, eine Gesellschaft, die in einem anderen Mitgliedstaat wirksam gegründet wurde, als solche anzuerkennen.46 So muss beispielsweise eine im Vereinigten Königreich wirksam gegründete Limited auch in Deutschland als Limited anerkannt und behandelt werden. Auf die Niederlassungsfreiheit kann sich eine Gesellschaft jedoch nur dann berufen, wenn sie im Aufnahmestaat ihre wirtschaftliche Tätigkeit tatsächlich mittels einer festen Einrichtung für unbestimmte Zeit ausübt.47 Es wird also nur die physische und nicht die rein rechtliche Mobilität von Gesellschaften im EURaum geschützt.48 Einer Konzession der zugezogenen Gesellschaft im Zuzugsstaat bedarf es nicht. Es gilt das Prinzip der automatischen Anerkennung.49 Entgegen teilweise vertretener Ansicht50 muss die Gesellschaft nicht auch im Her- 10 kunftsstaat physisch ansässig sein, um in den Genuss der Niederlassungsfreiheit zu gelangen. Dieses Erfordernis lässt sich der „Cadbury-Schweppes-Entscheidung“,51 auf die sich die Vertreter dieser Ansicht berufen, nicht entnehmen.52 Zwar ist es richtig, dass der EuGH in „Cadbury-Schweppes“ ausführte, mitgliedstaatliche Beschränkungen könnten gerechtfertigt sein, wenn sie dazu dienen, Umgehungen mitgliedstaatlicher Vorschriften durch rein künstliche Gestaltungen wie Briefkastenfirmen zu verhindern. Jedoch hatte der EuGH in „Cadbury-Schweppes“ eine Konstellation zu entscheiden, in der die Gesellschaft im Zuzugsstaat keinen effektiven Verwaltungssitz hatte, wohl aber im Herkunftsstaat. Genau umgekehrt liegen die Dinge bei „Centros“, „Inspire Art“ und „Überseering“. Hier ging es stets darum, dass eine Gesellschaft in ihrem Herkunftsstaat nicht physisch vertreten war, wohl aber im Zuzugsstaat. Dies darf aber nicht über folgende Konsequenz aus der EuGH-Rspr hinwegtäuschen: 11 Aberkennt der Gründungsstaat der wegziehenden Gesellschaft die Rechtsfähigkeit, weil er für die Anerkennung der Rechtsfähigkeit verlangt, dass die Gesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz an ihrem Satzungssitz unterhält, fehlt es auch aus der Perspektive des Aufnahmestaates an einer rechtsfähigen Gesellschaft. Denn sofern in einem Mitgliedstaat die Sitztheorie vollumfänglich gilt und nicht nur in Gestalt einer Anerkennungstheorie, verlangt er mithin nicht nur für ausländische, sondern auch für inländische Gesellschaften die Identität von Verwaltungs- und Satzungssitz, führt die Verweisung auf dessen Recht dazu, dass die Gesellschaft als solche nicht existiert. Die Anforderungen, die an die wirksame Gründung einer Gesellschaft und an deren Fortbestand gestellt werden, richten sich nämlich ausschließlich nach dem jeweils einschlägigen nationalen Recht.53 Aberkennt der Gründungsstaat „seiner“ Gesellschaft die Rechtsfähigkeit, ist dies auch von den übrigen Mitgliedstaaten zu respektieren.

_____ 45 EuGH NJW 2003, 3331, 3333, Rn 95 – „Inspire Art“; EuGH NJW 1999, 2027, Rn 17 – „Centros“; zum Begriff der Briefkastengesellschaft: Teichmann ZGR 2011, 639, 642; ders ZGR 2011, 639, 662 f, 669 mit dem zutreffenden Hinweis darauf, dass der Briefkastengründung das Recht des Gründungsstaats entgegenstehen kann. Dies ist dann der Fall, wenn der Gründungsstaat für das wirksame Bestehen inländischer Gesellschaften verlangt, dass diese ihren Verwaltungssitz am Satzungssitz haben. S auch unten Rn 7. 46 EuGH NJW 2002, 3614, 3615, Rn 72 f, 80 – „Überseering“; Teichmann, DB 2012, 2085. 47 EuGH ZIP 2012, 1394, 1396, Rn 34 – „Vale“. 48 Mörsdorf/Jopen ZIP 2012, 1398, 1399. 49 Kübler/Assmann § 35 II 3 (= S 558); Wiedemann Bd. 1, § 14 I 2a (= S 778 ff) mit instruktiven Ausführungen zur historischen Entwicklung. 50 Böttcher/Kraft NJW 2012, 2701, 2703; Roth EuZW 2010, 607 ff; ders ZIP 2012, 1744 f. 51 EuGH NZG 2006, 835, 839, Rn 54, 66–68, 75. 52 Zutr Habersack/Verse § 3 Rn 18 aE (= S 23 f); Teichmann DB 2012, 2085, Fn 7; ders ZGR 2011, 639, 671 f. 53 Teichmann ZGR 2011, 639, 669.

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b) Wegzug von Gesellschaften 12 Nach gängiger europarechtlicher Dogmatik ist der Wegzug einer Person aus ihrem Her-

kunftsstaat genauso von der Niederlassungsfreiheit geschützt wie der Zuzug in einen anderen EU-Staat; die Niederlassungsfreiheit darf mithin weder durch Vorschriften des Herkunftsstaates noch durch solche des Aufnahmestaates behindert werden.54 Dieser für natürliche Personen uneingeschränkt geltende Grds lässt sich nach der Rspr des EuGH aus folgendem Grund nicht auf Gesellschaften mit Rechtspersönlichkeit übertragen: Natürliche Personen sind von Natur aus rechtsfähig, wohingegen juristischen Personen als künstlich geschaffenen Rechtssubjekten die Rechtsfähigkeit erst durch die Rechtsordnungen der einzelnen Mitgliedstaaten verliehen werden muss. Prägnant formuliert der EuGH, „dass eine auf Grund einer nationalen Rechtsordnung gegründete Gesellschaft jenseits der nationalen Rechtsordnung, die ihre Gründung und Existenz regelt, keine Realität hat“.55 Die Beurteilung der Rechtsfähigkeit einer Gesellschaft stellt eine für die Eröffnung des Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit notwendige Vorfrage dar.56 Ein Mitgliedstaat kann somit die „Anknüpfung bestimmen, die eine Gesellschaft aufweisen muss, um als nach seinem innerstaatlichen Recht gegründet angesehen zu werden und damit in den Genuss der Niederlassungsfreiheit gelangen zu können, als auch die Anknüpfung, die erforderlich ist, damit diese Eigenschaft später erhalten bleibt“.57 Deutlich wird dies in der „Cartesio-Entscheidung“ des EuGH vom 16.12.2008.58 Hier 13 verlegte eine in Ungarn eingetragene ungarische Kommanditgesellschaft ihren Verwaltungssitz nach Italien. Sie beantragte beim ungarischen Registergericht die Eintragung der Sitzverlegung. Ihren Satzungssitz wollte sie dabei in Ungarn belassen und als Gesellschaft ungarischen Rechts fortbestehen. Das Registergericht wies das Eintragungsersuchen zurück, da nach ungarischem Recht der Verwaltungssitz am Ort des Satzungssitzes liegen müsse. Der EuGH sah darin keinen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit. Denn mit der Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes nach Italien erlösche die Kommanditgesellschaft nach ungarischem Recht, womit sie nicht mehr dem subjektiven Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit unterfalle. Daraus folgt, dass der Herkunftsstaat den Wegzug einer Gesellschaft verhindern kann (Geschöpftheorie).59 Jedoch ermöglicht die Niederlassungsfreiheit nach Ansicht des EuGH einer Gesellschaft die Verlegung in einen anderen Mitgliedstaat, indem sie sich in eine Gesellschaftsform des Rechts dieses Staates umwandelt, ohne dass sie im Zuge der Umwandlung aufgelöst und abgewickelt werden muss, wenn das Recht des Aufnahmemitgliedstaats dies gestattet.60 Für den Wegzug deutscher Kapitalgesellschaften hat sich der Gesetzgeber inzwi14 schen für die Gründungstheorie entschieden, vgl §§ 4a GmbHG, 5 AktG. Dies bedeutet, dass deutsche Kapitalgesellschaften, die ihren Verwaltungssitz ins Ausland verlegen, als solche weiterexistieren und von dem Zuzugsstaat als solche anzuerkennen sind.61 Dies

_____ 54 EuGH NJW 1989, 2186, 2187 – „Daily Mail“. 55 EuGH NJW 1989, 2186, 2187 – „Daily Mail“; bestätigt in EuGH NJW 2002, 3614, 3615, Rn 67 – „Überseering“; EuGH ZIP 2009, 24, Rn 104 – „Cartesio“; EuGH ZIP 2012, 1394, 1395, 1397 Rn 27, 51 – „Vale“. 56 EuGH ZIP 2012, 1394, 1395, Rn 28 – „Vale“; EuGH ZIP 2012, 169, 171, Rn 27 – „Grid Indus“; Teichmann DB 2012, 2085, 2088; ders ZGR 2011, 639, 661 f, 679 f; Behme NZG 2012, 936, 937. 57 EuGH ZIP 2009, 24 29, Rn 110 – „Cartesio“; bestätigt in EuGH ZIP 2012, 1394, 1395, Rn 29 – „Vale“; EuGH ZIP 2012, 169, 171, Rn 27 – „Grid Indus“. 58 ZIP 2009, 24 ff mAnm Knof/Mock. 59 Mörsdorf/Jopen ZIP 2012, 1398. 60 Vgl Frobenius DStR 2009, 487. 61 MünchHdB-GesellschaftsR/Jasper/Wollbrink § 75 Rn 53; Henssler/Strohn-InternGesR/Servatius Rn 37; Baumbach/Hueck/Fastrich § 4a Rn 11.

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gilt jedenfalls in den Fällen, in denen das nach deutscher Sitztheorie maßgebliche ausländische IPR auf deutsches Sachrecht verweist (vgl Art 4 Abs 1 S 2 EGBGB).62 Fehlt es an einem solchen Verweis, so haben Zuzugsstaaten innerhalb der Europäischen Union die Gesellschaft gleichwohl als solche anzuerkennen. Drittstaaten können hingegen die Anerkennung einer zugezogenen Gesellschaft verweigern. Dies ist dann der Fall, wenn der Drittstaat der Sitztheorie folgt.63 Ihren Satzungssitz können deutsche Gesellschaften hingegen nicht unter Beibehaltung ihrer Rechtsform ins Ausland verlegen.64 Vielmehr bedarf es hierzu einer grenzüberschreitenden Umwandlung in eine Rechtsform des Zuzugsstaates.

3. Gesellschaftskollisionsrecht bei Beteiligung von Drittstaaten Im Verhältnis zu Nicht-EU- und Nicht EWR-Staaten (Drittstaaten) findet die Rspr des 15 EuGH keine Anwendung. Insoweit gelten die obigen Ausführungen nicht. Es gilt grds das deutsche internationale Privatrecht, wenn nicht ausnahmsweise bilaterale Abkommen etwas anderes regeln.

a) Drittstaaten, mit denen kein bilaterales Abkommen besteht Es gilt das deutsche IPR, das nach wie vor der (modifizierten) Sitztheorie folgt.65 Folg- 16 lich werden Auslandsgesellschaften, die ihren Verwaltungssitz nach Deutschland verlegen, nicht als solche anerkannt. Vielmehr werden sie als Personengesellschaften oder einzelkaufmännische Unternehmen behandelt.66 Dies hat zur Folge, dass die Gesellschafter zB nicht von etwaigen Haftungsbeschränkungen profitieren, sondern wie die Gesellschafter einer GbR oder oHG unbeschränkt persönlich haften. Verlegt etwa eine schweizer AG ihren Verwaltungssitz nach Deutschland, so wird sie als oHG behandelt. Die Gesellschafter haften dann nach § 128 HGB persönlich für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft als Gesamtschuldner. Für den Wegzug ins nichteuropäische Ausland gilt der bereits oben dargestellte § 4a GmbHG (Zulässigkeit der Verlagerung des Verwaltungssitzes einer GmbH ins Ausland).67 Mangels Geltung der EU-Rechtsprechungsgrundsätze kann der Zuzugsstaat aber einer deutschen Kapitalgesellschaft die Anerkennung als juristische Person und deren Haftungsbeschränkung versagen und diese nur als Personengesellschaft behandeln. Dies ist der Fall, wenn der Zuzugsstaat der Sitztheorie folgt.68

_____ 62 Henssler/Strohn-InternGesR/Servatius Rn 37. 63 Henssler/Strohn-InternGesR/Servatius Rn 37. 64 Henssler/Strohn-InternGesR/Servatius Rn 36; Baumbach/Hueck/Fastrich § 4a Rn 9. 65 BGH DStR 2009, 59, 61 – „Trabrennbahn“; BGH NJW 2002, 3539 – „Jersey“; Bartels ZHR 176 (2012), 412, 413 f, 416; Kübler/Assmann § 35 II 1a (= S 555); Melchior AnwBl 2011, 20. Man spricht seit der „JerseyEntscheidung“ auch von modifizierter Sitztheorie, da der BGH hierin seine alte Rspr aufgab, wonach zugezogene Auslandsgesellschaften in Deutschland unter keinen Umständen als rechtsfähig anerkannt wurden. 66 BGH ZIP 2009, 2385; BGH DStR 2009, 59, 61 – „Trabrennbahn“; BGH NJW 2002, 3539 – „Jersey“; OLG Hamburg ZIP 2007, 1108, 1113; Kübler/Assmann § 35 III b (= S 558); Baumbach/Hueck/Hueck/Fastrich Einl Rn 59; MünchHdB-GesellschaftsR/Jasper/Wollbrink § 75 Rn 58. 67 Dazu oben Rn 14. 68 Baumbach/Hueck/Fastrich Einl Rn 63.

M Brand

260 | 2. Kapitel: Die gesellschaftsrechtlichen Funktionsträger

b) Drittstaaten, mit denen bilaterale Abkommen bestehen 17 Das für die Praxis wohl relevanteste Drittstaatenabkommen ist der Freundschafts-,

Handels- und Schifffahrtsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 29.10.1954.69 Nach dessen Art XXV Abs 5 S 2 gilt die Gründungstheorie. In den Vereinigten Staaten von Amerika wirksam gegründete Gesellschaften müssen also in Deutschland als solche anerkannt werden.70 Einzige Einschränkung ist, dass die Gesellschaft in ihrem Gründungsstaat über einen sog „genuin link“, mithin eine tatsächliche, effektive Beziehung verfügen muss. Jedoch ist das „genuine-link-Erfordernis“ schon dann erfüllt, wenn die Gesellschaft in den USA eine geringe wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet. Es genügt bereits, wenn sie einen Telefonanschluss bereithält.71

4. Umfang des Gesellschaftsstatuts 18 Allein mit der Feststellung des Gesellschaftsstatuts ist freilich noch wenig gewonnen.

Für den Einzelfall ist vielmehr entscheidend, welche Rechtsfragen das Gesellschaftsstatut erfasst. Allgemein lässt sich sagen, dass das Gesellschaftsstatut einheitlich alle gesellschaftsrechtlichen Fragen erfasst (Einheitstheorie).72 Sowohl das Außen- als auch das Innenverhältnis der Gesellschaft bestimmen sich mithin nach dem Gesellschaftsstatut.73 IE erfasst werden Gründung, Fortbestand, Auflösung, Abwicklung und Beendigung der Gesellschaft, ihre Rechtsfähigkeit, ihre Organisationsverfassung sowie ihre Haftungsverfassung.74 Auch Fragen der organschaftlichen Vertretungsmacht richten sich nach dem Gesellschaftsstatut.75 Vor diesem Hintergrund ist es etwa rechtlich unzulässig, den director einer wirksam im Vereinigten Königreich gegründeten Limited, die ihren effektiven Verwaltungssitz in Deutschland hat, der Handelndenhaftung analog § 11 Abs 2 GmbHG zu unterwerfen.76 Nicht vom Gesellschaftsstatut erfasst werden das Insolvenzrecht sowie das allgemeine Zivil- und Zivilprozessrecht.77 So ist etwa der insolvenzrechtliche § 39 Abs 1 Nr 5 InsO (Nachrang von Gesellschafterdarlehen) auf Auslandsgesellschaften anwendbar, die ihren effektiven Verwaltungssitz in Deutschland haben.78 Gleiches gilt für Ansprüche aus § 64 S 1 GmbHG.79 Die nach der Rspr in § 826 BGB wurzelnde Existenzvernichtungshaftung unterfällt hingegen dem Gesellschaftsstatut.80 Für grenzüberschreitende Umwandlungen stellte der EuGH in seiner

_____ 69 Dazu und zu weiteren Drittstaatenabkommen: Beitzke Martin Luther-FS, S 1 ff passim. 70 BGH DNotZ 2005, 141; BGH NJW-RR 2004, 1618; BGH NJW-RR 2002, 1359; Wiedemann Gesellschaftsrecht I, § 14 II 2c (= S 796); Beitzke, Martin Luther-FS, S 1, 10; Weller ZGR 2010, 679, 698 f. 71 BGH DNotZ 2005, 141 ff mAnm Thölke. 72 Baumbach/Hueck/Fastrich Einl Rn 60; MK-BGB-InternGesR/Kindler Rn 6 und 543. 73 Henssler/Strohn-InternGesR/Servatius Rn 25. 74 BGH NJW 1957, 1433, 1434; MK-BGB-InternGesR/Kindler Rn 544; ein umfassender Katalog über die einzelnen vom Gesellschaftsstatut erfassten Gegenstände findet sich in MünchHdB-GesellschaftsR/Jasper/ Wollbrink, § 75 Rn 28 ff. 75 BGH NJW 2004, 1315, 1316; Einsele § 2 Rn 6 (= S 22); Henssler/Strohn-InternGesR/Servatius Rn 25. 76 BGH NJW 2005, 1648 f. 77 MK-BGB-InternGesR/Kindler Rn 544. 78 BGH ZIP 2011, 1775; Teichmann ZGR 2011, 639, 655, 673. 79 EuGH NJW 2016, 223 („Kornhaas“); BGH GmbHR 2015, 79 mAnm Römermann; KG NZG 2010, 71, 72; Roth/Altmeppen/Altmeppen § 64 Rn 5. 80 Henssler/Strohn-InternGesR/Servatius Rn 29; aA Teichmann ZGR 2011, 639, 673, 681. Im Übrigen unten Rn 37.

M Brand

§ 5 Die Auslandsgesellschaften | 261

„Vale-Entscheidung“ vom 12.7.201281 fest, dass hierauf die Gründungsvorschriften des Aufnahmestaats anwendbar sind. Der Aufnahmestaat kann demnach von einer ausländischen Gesellschaft, die sich in eine Inlandsgesellschaft umwandeln möchte, verlangen, dass sie seine Gründungsvorschriften nebst den Regeln zur Kapitalaufbringung einhält.82

III. Vereinbarkeit einer Bestrafung des director mit dem Gemeinschaftsrecht M Brand/C Brand

Bevor man die Tatbestände der §§ 266, 283 StGB, 15a Abs 4, 5 InsO im Einzelnen würdigt, 19 muss der Frage nachgegangen werden, ob die Niederlassungsfreiheit einer Bestrafung des director gem den §§ 266, 283 StGB, 15a Abs 4, 5 InsO entgegensteht. Da der EuGH die Grundfreiheiten im Sinne eines Beschränkungsverbotes interpretiert und damit über ein bloßes Diskriminierungsverbot deutlich hinausgeht,83 führt der Hinweis, die genannten Strafvorschriften gelten für In- und Ausländer gleichermaßen, nicht weiter. Auch der Ordnungscharakter, der Strafnormen zweifelsohne eignet, erteilt jedenfalls den §§ 266, 283 StGB, 15a Abs 4, 5 InsO aufgrund ihrer akzessorischen Rückbindung an das Gesellschafts- und Insolvenzrecht 84 keinen „gemeinschaftsrechtlichen Freibrief“ ausgestellt auf das Stichwort „niederlassungsneutrale Anwendung allgemeinen Verkehrsrechts“.85 Im Gegenteil: Die Gefahr, als director in die strafrechtliche Haftungsfalle der §§ 266, 283 StGB, 15a Abs 4, 5 InsO zu geraten, ist durchaus geeignet, von der gemeinschaftsrechtlich verbürgten Niederlassungsfreiheit nur zurückhaltend Gebrauch zu machen.86 Freilich soll dies dann nicht gelten, wenn dem Träger der Niederlassungsfreiheit in seinem Herkunftsstaat vergleichbare Sanktionen drohen wie im Zuzugsstaat.87 Konkret: Eine nach deutschem Recht strafbare Handlung müsse auch nach englischem Recht strafbar und mit einem abstrakten88 Strafrahmen versehen sein, der nicht unter dem des Zuzugsstaats liege.89 Wer sich dieser Überlegung anschließt, gelangt jedenfalls dann in keinen Konflikt mit den Artt 49, 54 AEUV, sofern er den pflichtwidrig agierenden

_____ 81 ZIP 2012, 1394 ff. 82 Mörsdorf/Jopen ZIP 2012, 1398, 1400. 83 Grdl EuGH Slg 1974, 837 („Dassonville“). 84 Anders ist es um gesellschaftsrechtsneutrale Strafvorschriften bestellt; diese beschränken die Niederlassungsfreiheit nicht; ausf zu der Differenzierung zwischen neutralen und gesellschaftsrechtsakzessorischen Strafvorschriften Worm, S 44 f; Hinderer, S 67 f; Stärk, S 87; sa schon Rönnau ZGR 2005, 832, 838. 85 EuGH NJW 1989, 2183 f („Cowan/Tresor public“); EuGH EuZW 1999, 345, 346 („Donatella Calfa“); Christ, S 334; Radtke GmbHR 2008, 729, 733; Kraatz JR 2011, 58, 64; aA wohl aber S/S/Perron § 266 Rn 21e; Kienle GmbHR 2007, 696, 697; vgl auch Schlösser wistra 2006, 81, 85, der erwägt, eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit in Anlehnung an die sog. „Keck-Rspr“ zu verneinen (gegen die Übertragung der „Keck-Rspr“ auf die Niederlassungsfreiheit sprechen sich etwa Nuys, S 22 f, 258, Wilde, S 149 f aus; skept auch Hinderer, S 98; dafür hingegen KG GmbHR 2010, 99, 101; Worm, S 41 ff; Pattberg, S 68 ff). 86 Labinski, S 123; Hinderer, S 62 ff; Nuys, S 258; Wilde, S 253; Stärk, S 72; Brettner, S 52 f (am Bsp der strafbaren Insolvenzverschleppung); Sandrock/Wetzler/N Hoffmann, S 227, 240, 252 f; Schramm/Hinderer ZIS 2010, 494, 499; Kraatz JR 2011, 58, 64; Spindler/Berner RIW 2004, 7, 15; sa Wietz, S 105; allg schon Schüppen, S 188; vgl aber Pattberg, S 171 ff, 176, dem zufolge weder § 283 Abs 1 Nrn 1–3 StGB noch § 283 Abs 1 Nr 4 StGB die Niederlassungsfreiheit beschränkt (ebenso wenig wie § 283c StGB; aaO, S 193, § 266 StGB; aaO, S 305 ff und § 266a StGB; aaO, S 334 ff); so wohl auch Wilk/Stewen wistra 2011, 161, 163. 87 Worm, S 123 ff; Labinski, S 123; Hinderer, S 64, 157; wohl auch Sandrock/Wetzler/N Hoffmann, S 227, 247; hiergegen aber Wietz, S 271; ferne Stärk, S 89. 88 Dazu, dass eine abstrakte einer konkreten Betrachtungsweise vorzuziehen ist, s Worm, S 137 ff. 89 Worm, S 126, 139, 147.

M Brand/C Brand

262 | 2. Kapitel: Die gesellschaftsrechtlichen Funktionsträger

director einer englischen Ltd gem § 266 StGB verurteilt. Denn das englische Recht kennt mit sec 4 Fraud Act (FA 2006) einen der Untreue vergleichbaren, in seiner Reichweite sogar noch weitergehenden Tatbestand.90 Fehlt es jedoch an einer solchen „Komplementär-Sanktionsnorm“ des ausländischen Rechts,91 steht eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit im Raum.92 C Brand Allerdings führt nicht jede Beschränkung einer Grundfreiheit zu einem entspre20 chenden Verstoß. Vielmehr besteht die Möglichkeit der Rechtfertigung. Nach dem vom EuGH entwickelten sog „Vier-Konditionen-Test“ ist die Beschränkung einer Grundfreiheit rechtmäßig, wenn sie in nicht diskriminierender Weise angewendet wird, auf zwingenden Gründen des Gemeinwohls beruht, zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet und nicht über das hinaus geht, was zur Zielerreichung erforderlich ist („GebhardFormel“93).94 Im Lichte dieser Formel gerät insbes der Untreuetatbestand unter erheblichen Rechtfertigungsdruck.95 Da § 266 Abs 1 StGB allein den Vermögensschutz des Treugebers bezweckt, wird sein Beruhen auf zwingenden Gründen des Gemeinwohls zT in Zweifel gezogen.96 Dem Kriterium „zwingende Gründe des Gemeinwohls“ könnten damit nur Strafnormen entsprechen, die Allgemeininteressen schützen. Das überzeugt nicht: Der strafrechtliche Schutz des fremden Vermögens vor seinen Betreuern dient nicht nur dem jeweiligen Treugeber, sondern erfüllt darüber hinaus ganz allgemein ein Sicherheitsbedürfnis des Rechtsverkehrs, der zu seinem optimalen Funktionieren darauf angewiesen ist, die Vermögensverwaltung (partiell) in fremde Hände zu legen. Anders gewendet, steuert der Untreuetatbestand erheblich dazu bei, den in einer diversifizierten Wirtschaftsordnung naturgemäß angelegten principal-agent-Konflikt zu entschärfen. Einem zwingenden Grund des Gemeinwohls trägt § 266 Abs 1 StGB dem zufolge durchaus Rechnung.97 Schwieriger ist es dagegen um die Erforderlichkeit bestellt. Sieht die Rechtsordnung, der die Auslandsgesellschaft entstammt, keine dem § 266 StGB vergleichbare Strafnorm vor, hat es den Anschein, als ob der „Vier-Konditionen-Test“ den Rechtsanwender dazu zwingt, zu eruieren, inwieweit der Herkunftsstaat ein milderes Mittel zur Zielerreichung für ausreichend erachtet.98 Das aber heißt: Käme der Vergleich mit dem Sanktionsstandard des Herkunftsstaates zu dem Ergebnis, dass zur Ahndung des im Zuzugsstaat via § 266 StGB strafbewehrten Verhaltens im Herkunftsstaat lediglich

_____ 90 Zum Ganzen s Worm, S 190 und passim; ferner Stärk, S 159; Hinderer, S 159 f; Schramm/Hinderer ZIS 2010, 494, 499 f; Grau/Airey/Frick BB 2009, 1426, 1429. 91 Zu § 283 StGB s Worm, S 159, die nach einem ausf Vergleich anhand der englischen Sanktionsmöglichkeiten zu dem Resultat gelangt, dass nur § 283 Abs 1 Nrn 5–7 StGB keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit bewirken, § 283 Abs 1 Nrn 1–4, 8 StGB hingegen schon; zu § 283b StGB s dies, S 177, wonach zwar nicht Abs 1 wohl aber Abs 2 die Niederlassungsfreiheit beschränkt. 92 Anders wohl Joerden/Szwark/Schmitz, S 199, 207; vgl ferner Wietz, S 272, der eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit nur annimmt, wenn ein nach anderen Rechtsordnungen erlaubtes Verhalten unter Strafe gestellt wird. 93 S erg Rn 7. 94 EuGH Slg 1995, I-4165, 4197 f („Gebhard“); NJW 2003, 3331, 3334; dazu, dass eine Rechtfertigung via Art 52 Abs 1 AEUV ausscheidet, s nur Hinderer, S 77 f; ferner, freilich am Bsp des gleichlautenden Art 46 Abs 1 EGV aF Worm, S 40, 206 f; im Kontext des § 15a Abs 1 InsO Wilde, S 153 f. 95 Allg hierzu Sandrock/Wetzler/N Hoffmann, S 227, 260 f. 96 Schramm/Hinderer ZIS 2010, 494, 500; Peukert, S 328; wohl auch Kraatz JR 2011, 58, 64. 97 So iE auch Worm, S 212. 98 Dafür wohl Labinski, S 123 f; Nuys, S 268 ff; Peukert, S 328; Sandrock/Wetzler/N Hoffmann, S 227, 261; sa Schlösser wistra 2006, 81, 85; dies soll aufgrund der abschließenden Regelung durch die EG-InsVO nicht für die Insolvenzantragspflicht gelten; so Wilde, S 160.

C Brand

§ 5 Die Auslandsgesellschaften | 263

das Zivilrecht aufgerufen ist,99 stellte sich die Heranziehung des § 266 StGB – so wäre der Gedanke fortzuspinnen – womöglich als nicht erforderlich iSd „Vier-Konditionen-Tests“ dar, zumal der EuGH in die Richtung tendiert, bestimmte zivilrechtliche Sanktionen wie die Durchgriffshaftung des Gesellschafters als abschreckender und effektiver einzustufen.100 Die Folge wäre eine weitgehende Nivellierung nationalen Strafrechts bei fehlender „Strafrechtsvergleichbarkeit“ und somit der Eintritt in einen „Wettbewerb der Strafrechtsordnungen“.101 Aus diesem Grund hat ein Teil des Schrifttums vorgeschlagen, das Erforderlichkeitsmerkmal des „Vier-Konditionen-Tests“ im strafrechtlichen Kontext als Ausdruck einer negativen Unverhältnismäßigkeitsprüfung zu begreifen. Danach ist eine strafrechtliche Beschränkung der Niederlassungsfreiheit bereits dann gerechtfertigt, wenn die Strafnorm nicht außer Verhältnis zum Zweck resp zum Ziel der Maßnahme steht.102 Da die §§ 266, 283 StGB, 15a Abs 4, 5 InsO diesen Anforderungen entsprechen, bleiben sie nicht wegen Verstoßes gegen die Niederlassungsfreiheit unangewendet, sobald eine Auslandsgesellschaft die Rolle des Geschädigten bzw des (Gemein-)Schuldners bekleidet.103

IV. Untreue zum Nachteil einer Ltd 1. Die Ltd als „andere“ iSd § 266 Abs 1 StGB Der objektive Tatbestand des § 266 Abs 1 StGB verlangt neben den Merkmalen „Ver- 21 mögensbetreuungspflicht“, „Verletzung dieser Vermögensbetreuungspflicht (Pflichtwidrigkeit)“ und „Schaden“, dass sich die Schädigungshandlung gegen ein taugliches Opfer richtet. Ausweislich der obergerichtlichen Rspr und des ihr mehrheitlich zustimmenden Schrifttums sind taugliche Opfer der Untreue nur natürliche und juristische Personen, also Entitäten, die mit Rechtspersönlichkeit begabt sind.104 Damit fallen die Personen(handels)gesellschaften aus dem „Opferkreis“ des § 266 Abs 1 StGB heraus.105 Die

_____ 99 So in dem von BGH wistra 2010, 268 entschiedenen Fall; der Herkunftsstaat der geschädigten Ltd waren dort die British Virgin Islands, deren Rechtsordnung das in Rede stehende Verhalten des director nur zivilrechtlich sanktioniert; dazu Kraatz JR 2011, 58, 64. 100 Zur letzteren Einschätzung s Labinski, S 125; Sandrock/Wetzler/N Hoffmann, S 227, 254; ferner Hinderer, S 88 f; dazu, dass Strafrecht keinesfalls immer das eingriffsintensivste Mittel und deshalb auch nicht gegenüber sonstigen denkbaren Verwaltungsmaßnahmen mit kriminalpräventiver Stoßrichtung per se subsidiär ist, s Swoboda ZStW 122 (2010), 24, 48. 101 Dezidiert krit stehen dem Wietz, S 271 und Hinderer, S 94 gegenüber. 102 Hinderer, S 105 f; Schramm/Hinderer ZIS 2010, 494, 501. 103 Hinderer, S 108, 135, 173 ff; zur Rechtfertigung der §§ 283 Abs 1 Nrn 1–4, 8, 283b Abs 2 StGB ferner Worm, S 225 f und passim. 104 BGHSt 34, 221, 222 f; BGH wistra 1984, 71; BGH wistra 1984, 226; BGH NStZ 1987, 279; BGH wistra 1991, 183; jüngst bestätigt von BGH NJW 2013, 3590, 3593 f m abl Anm Brand, ebd; BGH NStZ 2013, 38 f; OLG Celle ZWH 2014, 21 m ebenfalls abl Anm Brand, ebd; ferner BGH NStZ 1987, 279; aus dem Schrifttum s zu dieser Position LK/Schünemann § 266 Rn 140; Lackner/Kühl/Heger § 266 Rn 3; Nickmann, S 224; Gössel JR 1988, 256, 257; Winkelbauer JR 1988, 33, 34; Mankowski/Bock GmbHR 2010, 822; Fischer ua/Kubiciel, S 153, 164; Schramm StV 2011, 57, 58. 105 Hiergegen ausf Brand, S 214 und passim; zust Ceffinato, S 331; Golombeck WiJ 2014, 84, 91 f; Radtke NStZ 2016, 639, 640 ff; s des Weiteren K Schmidt JZ 2014, 878, 881 ff; ferner bereits Grunst BB 2001, 1537 sowie Richter GmbHR 1984, 137, 146, der auf dem Boden des wirtschaftlichen Vermögensbegriffs allerdings nur die GmbH & Co KG in den Kreis der tauglichen Geschädigten einer Untreue aufnehmen will; ähnl auch schon Reiß wistra 1989, 81, 86: Untreue zum Nachteil der Gruppe; die Entscheidung RGSt 7, 18, 20 gibt für die hier einschlägige Problematik indes nichts her. Zwar hat das Reichsgericht in der eben zitierten Entscheidung die Aussage getroffen, dass das Gesellschaftsvermögen einer Personenhandelsgesellschaft den

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Schädigung ihres Vermögens begründe eine Untreue nur, wenn hiermit zugleich eine Schädigung der Gesellschafter einhergehe.106 Wer die Ltd mit inländischem Verwaltungssitz im Lichte der international-privatrechtlich herrschenden Sitztheorie würdigt, macht aus diesem Verband eine Personen(handels)gesellschaft,107 sofern nicht die Gesellschafter die Ltd nach deutschem Gesellschaftsrecht neu – bspw als GmbH – gründen.108 Unterbliebe eine solche Neugründung käme nur eine Untreuestrafbarkeit zum Nachteil der Gesellschafter in Betracht, falls ein Vermögensbetreuungspflichtiger das Gesellschaftsvermögen schädigt. Jedoch hat der BGH der Rspr des EuGH folgend auf Auslandsgesellschaften, die in einem Mitgliedsstaat des AEUV gegründet wurden, die Gründungstheorie angewandt.109 Dem EuGH zufolge gebietet es die gemeinschaftsrechtlich verbürgte Niederlassungsfreiheit (Artt 49, 54 AEUV), diese Gesellschaften im Inland entsprechend ihrem Gründungsrecht zu beurteilen.110 Dh: Die Ltd muss als juristische Person anerkannt werden111 und ist mithin taugliche Geschädigte einer Untreue.112 Ob sich hieran für die sog „Briefkastengesellschaften“ – das sind Ltds, die im Staat ihrer Registrierung keine unternehmerische Tätigkeit entfalten – in Folge der Entscheidungen „Cadbury-Schweppes“113 und va „Vale“114 etwas ändert, bleibt abzuwarten. Teile des einschlägigen Schrifttums jedenfalls entnehmen den Entscheidungsgründen in der Rechtssache „Vale“ das Erfordernis, wonach die ausländische Gesellschaft, will sie die Niederlassungsfreiheit in Anspruch nehmen, immer auch an ihrem Registersitz unternehmerisch tätig sein muss115.116

_____ Gesellschaftern genausowenig zustehe, wie das Vermögen einer juristischen Person deren Mitgliedern. Diese Aussage bezieht sich jedoch lediglich auf den Tatbestand des § 246 StGB und ermöglicht es, einen Gesellschafter der Gesellschaftsvermögen an sich nimmt, ohne dass ihm der Gesellschaftsvertrag dies gestattet, wegen Unterschlagung dieses Gegenstandes zu bestrafen. Zu einer immerhin vorstellbaren Untreuestrafbarkeit des Gesellschafters findet sich in dem Urteil kein Wort, weshalb es nicht überzeugt, diese Entscheidung als Beleg für die Möglichkeit einer Untreue zum Nachteil von Personengesellschaften heranzuziehen. 106 BGHSt 34, 221, 223; BGH NStZ 1987, 279 = wistra 1987, 218; BGH wistra 1984, 71; BGH wistra 1989, 264, 266; BGH NJW 2011, 3733, 3735; BGH wistra 2009, 273; AG Stuttgart wistra 2008, 226, 229; implizit auch BGHSt 3, 23, 25 im Kontext einer Vor-GmbH; Lackner/Kühl/Heger § 266 Rn 3; S/S/Perron § 266 Rn 39a; LK/ Schünemann § 266 Rn 172, 262; MK/Dierlamm § 266 Rn 146, 201; W/J/Pelz 9/256; MAH/Beukelmann § 18 Rn 78 ff; Böttger/Böttger 3/147; Grub, S 140; Schulte NJW 1983, 1773, 1774; Winkelbauer JR 1988, 33, 34; vgl auch Bittmann wistra 2010, 302, 303; Schramm StV 2011, 57; ferner BGHSt 3, 23, 25 am Bsp der Vor-GmbH; krit gegenüber diesem Topos Soyka/Voß ZWH 2012, 348, 350. 107 S etwa am Bsp von Drittstaatengesellschaften BGHZ 178, 192, 194 ff; OLG Hamburg, BB 2007, 1519, 1520 f m krit Anm Binz/Mayer; AG Gera wistra 2004, 435; Scholz/Tiedemann/Rönnau Vor §§ 82 ff Rn 74; Richter Tiedemann-FS, S 1023, 1027 f; Mellert BB 2004, 1869; aA und damit für die Gründungstheorie AG Ludwigsburg ZIP 2006, 1507, 1508 f; am Bsp der Ltd unter dem Blickwinkel der Sitztheorie BGHZ 151, 204 ff; BGH GmbHR 2002, 1021 f; Wilde, S 26; Wietz, S 47; Weiß, S 41, 146; Nuys, S 24; Hinderer, S 17; Pattberg, S 55; Peukert, S 17; Altenhain/Wietz NZG 2008, 569, 570; Bittmann ZGR 2009, 931, 950; Weller ZGR 2010, 679, 689; Sandrock/Wetzler/N Hoffmann, S 227, 230; Köke ZInsO 2005, 354, 356. 108 Zu dieser Konsequenz der Sitztheorie s etwa GK-GmbHG/Ransiek Vor § 82 Rn 70; Ladiges/Pegel DStR 2007, 2069; Ebert/Levedag GmbHR 2003, 1337 m Fn 3; Rönnau ZGR 2005, 832, 834; Altenhain/Wietz NZG 2008, 569, 570. 109 BGHZ 154, 185; BGHZ 178, 192, 196; zur Geltung der Gründungstheorie bei US-amerikanischen Gesellschaften BGHZ 153, 353, 355 ff. 110 Ausf zum Ganzen o Rn 7 ff. 111 S nur Richter Tiedemann-FS, S 1023, 1028; Mankowski/Bock GmbHR 2010, 822; Ebert/Levedag GmbHR 2003, 1337, 1340; Köke ZInsO 2005, 354, 356. 112 So auch BGH wistra 2010, 268; A/R/R/Seier Kap 2/5 Rn 341; sa Pattberg, S 256; Peukert, S 135 f. 113 EuGH ZIP 2006, 1817. 114 EuGH EuZW 2012, 621. 115 Ausf dazu o Rn 10. 116 So etwa Roth ZIP 2012, 1744 f.

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2. Taugliche Täter einer Untreue zum Nachteil der Ltd Die Ltd verfügt ähnlich wie die GmbH über einen Geschäftsleiter, den director,117 sowie 22 über den bzw die Gesellschafter.118 Der früher obligatorische company secretary, der vorwiegend administrative Aufgaben wahrnahm,119 ist mit der Novellierung des Companies Act fakultativ (vgl sec 270 CA 2006).120 Im Zentrum des (untreue-)strafrechtlichen Interesses steht der director. Seine Vermögensbetreuungspflicht im Verhältnis zur Ltd ist mittlerweile geklärt. Die Stellung, die er im Kompetenzgefüge der Ltd einnimmt, verpflichtet ihn in Form einer Hauptpflicht zu einem selbstständigen und fremdnützigen Umgang mit dem Gesellschaftsvermögen.121 Anders gewendet: Der director übt ein geschäftsbesorgungsähnliches Amt für die Ltd aus. Parallel zum faktischen Geschäftsführer deutscher Provenienz kennt das Recht der Ltd 23 einen sog de facto director.122 Da dieser genauso wie der faktische GmbH-Geschäftsführer die Gesellschaft leitet und ihn sogar gem sec 170 Abs 5 CA 2006 dieselben Pflichten wie den director treffen,123 spricht nichts dagegen, auch den de facto director als tauglichen Täter der Untreue zu führen.124 Denn § 266 Abs 1 StGB umschreibt kein Organdelikt, dessen Täterkreis sich nach der Innehabung einer bestimmten formalen Organposition bestimmt. Vielmehr erfüllt jeder die Täterqualität, dem die fremdnützige Hauptpflicht obliegt, selbstständig fremdes Vermögen zu verwalten.125 Neben den de facto director tritt im englischen Gesellschaftsrecht die Figur des sog shadow director (vgl sec 251 CA 2006).126 Im Unterschied zum de facto director agiert der shadow director nicht im Außenverhältnis, sondern beschränkt sich darauf, als „bestimmender Hintermann“127 auf den de jure director indirekten Einfluss – etwa in Form von Weisungen – auszuüben.128 Für die Annahme einer Vermögensbe-

_____ 117 Zur Vergleichbarkeit von director und GmbH-Geschäftsführer s Behme ZVglRWiss 108 (2009), 178, 179; Stöber GmbHR 2006, 746; Hübner IPRax 2015, 297, 301; Müller DB 2006, 824, 826; Dernedde NJ 2007, 443, 444. 118 Ladiges/Pegel DStR 2007, 2069, 2070. 119 Zu den Aufgaben dieses Organs s etwa Ebert/Levedag GmbHR 2003, 1337, 1341; Kadel MittBayNot 2006, 102, 105; Heinz AnwBl 2004, 612, 614; Müller DB 2006, 824, 828; Köke ZInsO 2005, 354, 356; ders/Schwabe ZAP 2006 Fach 15, 511, 514; ferner Pattberg, S 13 m Fn 65; Stärk, S 28. 120 Dazu Wietz, S 35; Labinski, S 112 m Fn 561; Nuys, S 62; Pattberg, S 13; Peukert, S 57; Ladiges/Pegel DStR 2007, 2069, 2070; Torwegge GmbHR 2006, 919, 922; Lawlor ZIP 2007, 2202; Kadel MittBayNot 2006, 111, 113; Tal GmbHR 2007, 254, 255; Dernedde NJ 2007, 443, 444. 121 Ausf dazu mit Blick auf den CA 2006 Schumann wistra 2008, 229, 230; ferner M-G/Hadamitzky § 32 Rn 25b f; Scholz/Tiedemann/Rönnau Vor §§ 82 ff Rn 77; A/R/R/Seier Kap 2/5 Rn 341; Wietz, S 224; Worm, S 99, 109; Labinski, S 213 f; Hinderer, S 156; Pattberg, S 255; Peukert, S 138 f; G/J/W/Waßmer § 266 Rn 24; Kraatz JR 2011, 58, 62; Schlösser wistra 2006, 81, 86; Gross/Schork NZI 2006, 10, 15; Radtke GmbHR 2008, 729, 734; Ransiek/Hüls ZGR 2009, 157, 176; Richter Tiedemann-FS, S 1023, 1034, der die Vermögensbetreuungspflicht aus dem weitreichenden Ausschüttungsverbot der sec 829, 830 CA 2006 herleitet; Mankowski/ Bock ZStW 120 (2008), 704, 757, die zur Begründung auf sec 156 CA 2006 verweisen. 122 Zur Vergleichbarkeit s Wietz, S 37; Weiß, S 162; Wilk/Stewen wistra 2011, 161, 165; Thole Der Konzern 2008, 402, 408; Schmittmann/Bischoff ZInsO 2009, 1561, 1568. 123 S Thole RIW 2008, 606, 608; Steffek GmbHR 2007, 810, 811; Ladiges/Pegel DStR 2007, 2069, 2071. 124 Dafür etwa AG Stuttgart wistra 2008, 226, 228 f; zust Wietz, S 224; Labinski, S 231; Peukert, S 139; A/R/R/Seier Kap 2/5 Rn 341; G/J/W/Waßmer § 266 Rn 25; Mankowski/Bock ZStW 120 (2008), 704, 757; Schumann wistra 2008, 229, 230; Richter Tiedemann-FS, S 1023, 1034. 125 Näher zu den Voraussetzungen § 16 Rn 9 ff. 126 Dazu, dass die Figur des shadow director im deutschen Gesellschaftsrecht keine Entsprechung hat, s Schmittmann/Bischoff ZInsO 2009, 1561, 1568. 127 v. Rummel, S 54. 128 Zu den Unterschieden zwischen shadow und de facto director s ausf Schmittmann/Bischoff ZInsO 2009, 1561, 1566 f; Kadel MittBayNot 2006, 102, 105; ferner Steffek GmbHR 2007, 810, 811; Lawlor ZIP 2007, 2202, 2203; Müller DB 2006, 824, 826; Schall DStR 2006, 1229, 1231; Wietz, S 37 f; Wilde, S 183.

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266 | 2. Kapitel: Die gesellschaftsrechtlichen Funktionsträger

treuungspflicht genügt diese Stellung jedoch,129 zumal auch den shadow director qua ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung Pflichten des de jure director treffen130 (vgl sec 214 Abs 7 Insolvency Act 1986 [IA 1986] zum „wrongful trading“). Schwieriger könnte sich die Rechtslage gestalten, sobald nicht eine natürliche, son24 dern eine juristische Person – bspw eine weitere Ltd – die Rolle des director bekleidet. Im Unterschied zum deutschen Gesellschaftsrecht lässt der Companies Act 2006 (CA 2006) eine solche Gestaltung ausdrücklich zu (vgl Part 10, Chapter 1, No 155).131 Schädigt der director der „Geschäftsführungsgesellschaft“ pflichtwidrig das Vermögen der Ltd, lässt sich seine Bestrafung gem § 266 Abs 1 StGB über § 14 Abs 1 StGB bewerkstelligen: Die Vermögensbetreuungspflicht, die der „Geschäftsführungsgesellschaft“ in ihrer Eigenschaft als director obliegt, „überwälzt“ § 14 Abs 1 Nr 1 StGB auf den director der „Geschäftsführungsgesellschaft“.132 Von der Kontroverse, ob der director dem Terminus „vertretungsberechtigtes Organ“ unterfällt,133 einmal abgesehen, verursacht diese Lösung auch keine Zweifel mit Blick auf den Wortlaut des § 14 Abs 1 StGB. Wie die Behandlung der GmbH & Co. KG sub specie § 14 Abs 1 StGB zeigt,134 besitzt diese Zurechnungsnorm die nötige Flexibilität, um neuartige Gestaltungsformen zu erfassen. Der CA 2006 differenziert ferner zwischen dem managing und dem non-executive 25 director. Dabei entspricht die Position des managing director derjenigen etwa des GmbH-Geschäftsführers, während die Stellung des non-executive director derjenigen des deutschen Aufsichtsrates ähnelt.135 Da die Aufsichtsratsmitglieder „ihrer“ Gesellschaft gegenüber vermögensbetreuungspflichtig sind, kann für den non-executive director nichts anderes gelten.136 Unterschiede zeigen sich erst auf der Ebene der Pflichtwidrigkeit.137 Völlig offen ist dagegen, ob auch die Gesellschafter gegenüber „ihrer“ Ltd vermö26 gensbetreuungspflichtig sind. Während diese Problematik im Kontext der „GmbH-“ und „Konzern-Untreue“ eine Flut an zustimmenden138 und ablehnenden139 Stellungnahmen ausgelöst hat, ist es um die Ltd erstaunlich ruhig geblieben. Unternimmt man den Versuch, eine erste Antwort auf die Frage nach der Vermögensbetreuungspflicht der Ltd-

_____ 129 Labinski, S 231. S aber auch Wietz, S 226 ff, der zur Annahme einer Vermögensbetreuungspflicht des shadow director vom Standpunkt seines „Substitutionsansatzes“ grds nur gelangen will, wenn man im GmbH-Strafrecht den Gesellschafter als vermögensbetreuungspflichtig einstuft; skept gegenüber einer Vermögensbetreuungspflicht des shadow director etwa Peukert, S 139 f. 130 Vgl etwa Steffek GmbHR 2007, 810, 811, dem zufolge die Pflichten des de jure director häufig auch den shadow director treffen. 131 Zur Zulässigkeit dieser Gestaltung unter dem Regime des CA 1985 s Kadel MittBayNot 2006, 102, 104; Köke ZInsO 2005, 354, 356; Heinz AnwBl 2004, 612, 614. 132 So auch am Bsp der Schuldnereigenschaft iSd § 15a Abs 1 InsO Wilk/Stewen wistra 2011, 161, 164, allerdings ohne sich auf eine Modalität des § 14 StGB festzulegen. 133 Dazu u Rn 53. 134 S erg § 12 Rn 21. 135 Zu diesem Vgl s Wilde, S 179; Wilk/Stewen wistra 2011, 161, 165; Ladiges/Pegel DStR 2007, 2069, 2070; Steffek GmbHR 2007, 810, 814; Kadel MittBayNot 2006, 102, 104; s ferner auch Wietz, S 36; Weiß, S 164; zur Überwachungsfunktion des non-executive director sa Christ, S 47; Peukert, S 55; Müller DB 2006, 824, 826; Pattberg, S 18 sowie Kudlich/Henn, S 149, 157 m Fn 14. 136 IE so auch Wietz, S 225. 137 Zutr Wietz, S 226. 138 GK-GmbHG/Ransiek Vor § 82 Rn 21; Park/Zieschang Teil 3, Kap 2 Rn 87 m Fn 184; Richter GmbHR 1984, 137, 144 f; Radtke GmbHR 1998, 361, 367 f; Brand Der Konzern 2010, 285, 292 f. 139 So etwa FG München GmbHR 2014, 434, 435; S/S/Perron § 266 Rn 26; MK/Dierlamm § 266 Rn 97, 280; B/Quedenfeld/Richter Kap 5 Rn 151, 240; Weyand/Diversy Rn 153; Schweitzer, S 238 ff; Livonius wistra 2009, 91, 93 f, 95.

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Gesellschafter zu geben, erweist es sich als hilfreich, zunächst die Gesichtspunkte herauszuarbeiten, die bei der GmbH ausschlaggebend dafür sind, die Vermögensbetreuungspflicht der Gesellschafter zu bejahen. Da der Rekurs auf die Treuepflicht, die Mitgliedschaft bzw die Entnahmesperren weder je für sich noch gemeinsam die Vermögensbetreuungspflicht der GmbH-Gesellschafter zu begründen vermag,140 bleibt als Anknüpfungspunkt lediglich die Finanzierungsverantwortung der Gesellschafter gegenüber „ihrer“ GmbH übrig. Gem §§ 24, 31 Abs 3 GmbHG hat jeder Gesellschafter für die Aufbringung und Erhaltung des Stammkapitals in voller Höhe einzustehen. Das kann so weit gehen, dass letztendlich ein Gesellschafter allein das Stammkapital aufbringen141 bzw den Rückerstattungsanspruch aus § 31 Abs 3 GmbHG – dessen Höhe freilich umstritten ist142 – tragen muss.143 Daraus folgt: Die Gesellschafter übernehmen jeder einzeln die Verantwortung, das Stammkapital vollständig aufzubringen und tragen zudem dafür Sorge, dieses Stammkapital während der gesamten Lebensdauer der GmbH nicht durch Entnahmen zu mindern. Darüber hinaus hat das MoMiG sämtliche Gesellschafterdarlehen mit einem Nachrang in der Gesellschaftsinsolvenz belegt und dadurch die besondere finanzielle Verantwortung der Gesellschafter zugunsten „ihrer“ GmbH verdeutlicht. Ein fremdnütziger Fürsorgeaspekt, der im Verein mit dem umfassenden Weisungsrecht (vgl § 37 GmbHG) die Vermögensbetreuungspflicht der GmbH-Gesellschafter begründet, liegt mithin vor.144 Ob diese Argumentation auf dem Feld der „Untreue zum Nachteil einer Ltd“ fruchtbar gemacht werden kann, hängt entscheidend vom englischen Gesellschaftsrecht ab.145 Angesichts der Verwandtschaft zwischen Ltd-Gesellschafter und Aktionär146 – die Weisungsbefugnisse der Ltd-Gesellschafter gegenüber ihrem director sind längst nicht so stark ausgeprägt, wie diejenigen der GmbH-Gesellschafter gegenüber ihrem Geschäftsführer147 – wird eine Vermögensbetreuungspflicht der Ltd-Gesellschafter von einzelnen Vertretern des Schrifttums pauschal geleugnet.148 Denkbar erscheint die Annahme einer Vermögensbetreuungspflicht der Ltd-Gesellschafter jedoch, wenn diese entgegen sec 829, 830 CA 2006 Gesellschaftsvermögen ausgeschüttet erhalten und um den Verstoß gegen sec 829, 830 CA 2006 wissen. Die Rechtsregel des constructive trust fingiert in solchen Fällen eine Art „gesetzliches Treuhandverhältnis“, wonach die Gesellschaft „wirtschaftliche Eigentümerin“ des weggegebenen Vermögens bleibt – jedenfalls solange es direkt oder in Surrogaten identifizierbar ist – und die Gesellschafter einem dinglichen Herausgabeanspruch unterliegen.149 Eine Vermögensbetreuungspflicht ließe sich für diese Konstellation also durchaus konstruieren.

_____ 140 Zur Kritik ausf Brand Der Konzern 2010, 285, 290 f; ferner Schweitzer, S 239 ff. 141 Zum Ganzen ausf K Schmidt Raiser-FS, S 311. 142 Hierzu BGHZ 150, 61, 65; ferner K Schmidt Raiser-FS, S 311, 330 ff. 143 Zu dieser Konsequenz s K Schmidt Raiser-FS, S 311, 318, 327, 332; Bayer Röhricht-FS, S 25, 31. 144 Ausf zur Vermögensbetreuungspflicht des GmbH-Gesellschafters und zum Topos der Finanzierungsverantwortung Brand Der Konzern 2010, 285. 145 Dagegen scheint etwa die Aussage von Schall DStR 2006, 1229 zu sprechen, dem zufolge die Ltd-Gesellschafter keine nennenswerte Finanzierungsverantwortung im Verhältnis zu „ihrer“ Gesellschaft trifft. 146 Dazu etwa Labinski, S 113. 147 S nur Müller DB 2006, 824, 827; aA Hübner IPRax 2015, 297, 301; ferner bei „qualifizierter Beschlussfassung“ Behme ZVglRWiss 108 (2009), 178, 183. 148 Wietz, S 232, 264. 149 Dazu v. Rummel, S 34; Otte, S 89; ferner Schall DStR 2006, 1229, 1234, der aber auch auf mögliche Probleme mit Blick auf die Kollisionsregel „lex rei sitae“ hinweist.

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3. Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht 27 Der Tatbestand des § 266 Abs 1 StGB zerfällt bekanntlich in die Missbrauchs- und die

Treubruchsvariante. Während erstere hM zufolge voraussetzt, dass der Täter unter Überschreitung seiner internen Bindungen nach außen rechtsgeschäftlich wirksam agiert, lässt letztere jeglichen – auch faktischen – Verstoß gegen die Vermögensbetreuungspflicht genügen.150 Von diesen Unterschieden – die den Missbrauchstatbestand zu einem ausgestanzten Spezialfall des Treubruchtatbestandes degradieren151 –, einmal abgesehen, muss der Täter in beiden Varianten seine ihm intern auferlegten Pflichten missachten152.153 Solche Pflichten beruhen entweder auf ausdrücklichen Vorgaben, die der Treugeber in Form einer juristischen Person bspw in seiner Satzung/seinem Gesellschaftsvertrag macht, oder – bei deren Fehlen – auf Gesetz. Untersagt der Treugeber in seiner Satzung/seinem Gesellschaftsvertrag bzw im An28 stellungsvertrag mit seinen Organwaltern die Vornahme bestimmter Verhaltensweisen, handelt pflichtwidrig, wer hiergegen verstößt.154 Ob dies für jeglichen Verstoß oder nur für Verstöße gegen solche Vorgaben gilt, die zumindest mittelbar den Vermögensschutz des Treugebers bezwecken, ist derzeit ungeklärt. Der BGH tendiert in die Richtung, sämtlichen Satzungsvorgaben Vermögensrelevanz zu attestieren.155 Nach der engsten Gegenauffassung setzt die Annahme einer untreuerelevanten Pflichtverletzung indes voraus, dass der Täter eine Satzungsvorgabe missachtet, die dem (mittelbaren) Vermögensschutz des Treugebers dient.156 Richtigerweise begeht eine Pflichtverletzung iSd § 266 Abs 1 StGB bereits, wer Satzungsvorgaben außer Acht lässt, deren Verletzung notwendig den Einsatz von Treugebervermögen erfordert157.158 29 Fehlen Vorgaben in der Satzung/im Gesellschaftsvertrag – was iRd Organuntreue dem praktischen Regelfall entsprechen dürfte – wird der Pflichtenmaßstab des Treunehmers unter Rückgriff auf das einschlägige Gesellschaftsrecht ermittelt. Im Falle der Ltd heißt das: Da die Niederlassungsfreiheit gebietet, die Ltd im Inland nach dem Recht ihres Gründungsstaates zu behandeln,159 ist maßgebend das englische Gesellschaftsrecht in seiner Ausprägung, die es durch den CA 2006 gefunden hat.160 Dieser regelt in

_____ 150 S etwa BGH NJW 1984, 2539, 2540. 151 Zu diesem anschaulichen Bild LK9/Hübner § 266 Rn 4. 152 Ausf § 16 Rn 21 ff. 153 Zu Umfang und Reichweite der Vermögensbetreuungspflicht iRd Missbrauchstatbestandes s erg Brand/Hotz JuS 2014, 714, 716 f. 154 Allg zu diesem Grds Rönnau ZStW 119 (2007), 887, 907; ferner Worm, S 100; Labinski, S 254. 155 BGHSt 56, 203, 211 f am Bsp des PartG; so auch schon Knauer NStZ 2002, 399, 401; krit gegenüber dieser Position Rönnau StV 2011, 753, 755. 156 Hillenkamp NStZ 1981, 161, 166; MK/Dierlamm § 266 Rn 14, 47, 170, 194; ders Widmaier-FS, S 607, 612; Waßmer, S 58; Adick, S 96 f; Rose wistra 2005, 281, 289. 157 Erg zum Ganzen § 28 Rn 16 f. 158 Brand/Sperling AG 2011, 233, 243 f. 159 Ausf o Rn 7 ff, 18. 160 So auch, freilich am Bsp einer, nach dem Recht der British Virgin Islands gegründeten Ltd BGH wistra 2010, 268, 269; zust Schramm/Hinderer ZIS 2010, 494, 497; Beckemper ZJS 2010, 554; allg zur Notwendigkeit, bei der Pflichtwidrigkeitsbestimmung englisches Gesellschaftsrecht heranzuziehen, Scholz/ Tiedemann/Rönnau Vor §§ 82 ff Rn 77; S/S/Perron § 266 Rn 21e; MK/Dierlamm § 266 Rn 171; Lackner/Kühl/ Heger § 266 Rn 20a; G/J/W/Waßmer § 266 Rn 24; AnwK/Esser § 266 Rn 292; A/R/R/Seier Kap 2/5 Rn 341; M-G/Hadamitzky § 32 Rn 25b; M-G/Müller-Gugenberger § 23 Rn 118; Park/Zieschang Teil 3, Kap 2 Rn 28; Worm, S 102; Hinderer, S 151; Labinski, S 250 f; Pattberg, S 287; Peukert, S 206 f; Christ, S 337; Rönnau ZStW 119 (2007), 887, 906; Ransiek/Hüls ZGR 2009, 157, 176; Mosiek StV 2008, 94, 95; Radtke GmbHR 2008, 729, 734; Schlösser wistra 2006, 81, 86; Rubel/Nepomuck EWiR 2010, 761, 762; Fornauf/Jobst GmbHR 2013, 125,

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den sec 170–179 CA 2006 eine Vielzahl von Pflichten, denen der director im Rahmen seiner Geschäftsführung genügen muss.161 Allerdings ist fraglich und wird im Schrifttum seit Jahren intensiv diskutiert, ob die Missachtung dieser Pflichten den Schritt zur untreuerelevanten Pflichtwidrigkeit gestattet. Nach teilweise vertretener Ansicht sollen dem sowohl das Bestimmtheitsgebot162 als auch das Demokratieprinzip in der Ausprägung des Parlamentsvorbehalts entgegenstehen. Eine Antwort auf die vorgetragenen Bestimmtheitsbedenken wäre entbehrlich, so- 30 fern die Ansicht zuträfe, der zufolge Art 103 Abs 2 GG in gemeinschaftsrechtlich determinierten Fallgestaltungen dem Vorrang des Gemeinschaftsrechts „zum Opfer fiele“. Die zutreffende hM entnimmt der Rspr des EuGH indes die Aussage, wonach das Erfordernis gemeinschaftsrechtskonformer Auslegung nicht verlangt, Strafnormen in einer Weise auszulegen, die den nationalen Interpretationsstandards zuwiderläuft.163 Geboten sei lediglich unter mehreren Auslegungsmöglichkeiten diejenige zu wählen, die dem Gemeinschaftsrecht am besten entspreche.164

a) Das Bestimmtheitsgebot als Sperre für die Heranziehung englischen Gesellschaftsrechts? Das in Art 103 Abs 2 GG niedergelegte Bestimmtheitsgebot adressiert an den Gesetzge- 31 ber die Forderung, Strafgesetze so auszugestalten, dass für den Normunterworfenen Klarheit darüber herrscht, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist.165 Daran soll es fehlen, sobald das Tatbestandsmerkmal „Pflichtwidrigkeit“ unter Rückgriff auf ausländisches Gesellschaftsrecht konturiert werde. So erlaube etwa die enorme Komplexität des englischen Gesellschaftsrechts, die aus der Gemengelage zwischen CA 2006 und common law entstehe,166 nur unter großen Mühen die Vorhersage, wann ein bestimmtes Verhalten des Gesellschaftsorgans pflichtwidrig sei.167 Darüber hinaus drohe die Gefahr, dass das Strafrecht seine Aufgabe verfehle, Rechts(guts)verletzungen zu verhindern, da von Strafvorschriften nur angesprochen und dementsprechend in seinem Verhalten beeinflusst werde, wer diese auch verstehe.168 Folge dieses Bestimmtheitsdefizits sei die Straflosigkeit des directors sub specie Untreue, der „seine“ Ltd pflichtwidrig schädigt.169 Um die Bestimmtheitsbedenken auszuräumen, wird vermittelnd zum Teil die For- 32 derung erhoben, das deutsche Recht als Obergrenze zu begreifen. Dahinter verbirgt

_____ 128; aA aber Stärk, S 147 ff, die das deutsche Gesellschaftsrecht heranziehen will, um den Pflichtenmaßstab, den der director einhalten muss, zu ermitteln. 161 Ausf zu den einzelnen Pflichten u Rn 37 ff. 162 Dazu etwa Schlösser wistra 2006, 81, 88. 163 Wietz, S 109 f. 164 Wietz, S 111. 165 St Rspr des BVerfG; s nur BVerfGE 25, 269, 285; BVerfGE 28, 175, 183; BVerfGE 41, 314, 319; BVerfGE 45, 346, 351; BVerfGE 47, 109, 120; BVerfGE 48, 48, 56; BVerfGE 64, 389, 393 f; BVerfGE 73, 206, 234; BVerfGE 75, 329, 341; BVerfGE 126, 170, 195; BVerfG BeckRS 2010, Nr 51332. 166 Zur über sec 170 Abs 4 CA 2006 weiter bestehenden Maßgeblichkeit von common law und equityGrds bei der Interpretation der Geschäftsleiterpflichten s Wietz, S 42 f; allg zur Geltung des case law im Kontext des CA 2006 Peukert, S 247 ff; Labinski, S 105; Nuys, S 54. 167 Rönnau ZGR 2005, 832, 856; ders NStZ 2011, 558, 559; Mosiek StV 2008, 94, 98; ähnl auch Altenhain/Wietz NZG 2008, 569, 572. 168 Mosiek StV 2008, 94, 98; vgl aber auch Schmittmann/Bischoff ZInsO 2009, 1561, 1570, die va dem Strafrecht die Aufgabe zuweisen, die directors englischer Ltds zu disziplinieren. 169 So ausdrückl Rönnau NStZ 2011, 558, 559; iE ebenso Peukert, S 253 f, 259 ff.

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sich folgende Operation: Hat die (strafrechtliche) Prüfung eine Missachtung des ausländischen Gesellschaftsrechts durch den Treupflichtigen und damit das Vorliegen einer Pflichtverletzung ergeben, soll der Schritt zur untreuestrafrechtlichen Pflichtwidrigkeit erst dann statthaft sein, wenn dasselbe Verhalten gemessen am deutschen (Gesellschafts-)Recht ebenfalls pflichtwidrig iSd § 266 Abs 1 StGB wäre.170 Das überzeugt indes nicht. Zwar verstößt diese hypothetische Prüfung des deutschen Gesellschaftsrechts nicht gegen Gemeinschaftsrecht,171 da die Pflichtwidrigkeit gerade nicht am Maßstab des deutschen Gesellschaftsrechts ermittelt, sondern dieses nur als „Strafausschließungsgrund“ herangezogen wird, falls der director nach ausländischem, nicht aber nach deutschem Gesellschaftsrecht pflichtwidrig handelt. Allerdings: Gelangt man zu der Annahme, dass dem Bestimmtheitsgebot nicht ausreichend entspricht, wer die Pflichtwidrigkeit anhand ausländischen Gesellschaftsrechts bestimmt, ändert der Umstand, wonach das inkriminierte Verhalten gem deutschem Gesellschaftsrecht gleichfalls pflichtwidrig wäre, hieran nichts.172 Den Apologeten, die einen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot propagieren, so33 bald man die Pflichtwidrigkeit iSd § 266 Abs 1 StGB mithilfe ausländischen Gesellschaftsrechts ermittelt,173 ist der BGH jüngst zu Recht entgegengetreten.174 Zwar hat das Argument, wonach das Tatbestandsmerkmal „fremd“ etwa iSd §§ 242, 246 StGB bei grenzüberschreitendem Bezug des Sachverhalts ebenfalls anhand von ausländischem Recht interpretiert werde175 und deshalb für § 266 Abs 1 StGB nichts anderes gelten könne,176 nur geringe Überzeugungskraft.177 Denn auf diese Weise wird zum Beweis herangezogen, was es erst noch zu beweisen gilt. Jedoch eröffnet das normative Merkmal der Pflichtwidrigkeit einen weiten Beurteilungsspielraum: So bleibt es im Ausgangspunkt dem Ermessen des Treugebers überlassen, welche Grenzen er dem Treunehmer im Umgang mit seinem Vermögen setzt und damit den Bereich abzustecken, jenseits dessen der Treunehmer pflichtwidrig iSd § 266 Abs 1 StGB handelt. Dh, Treugeber und Treunehmer könnten das Vertragsverhältnis, das den Treunehmer verpflichtet, selbstständig und fremdnützig das Treugebervermögen zu verwalten, kraft ihrer privatautonomen Gestaltungsfreiheit ausländischem Recht unterstellen. Verstieße der Treunehmer sodann gegen die Vorgaben dieser gewählten Rechtsordnung und schädigte er dadurch den Treugeber, müsste iRd untreuestrafrechtlichen Aufarbeitung die Pflichtwidrigkeit auf

_____ 170 Mankowski/Bock ZStW 120 (2008), 704, 718 ff; dies GmbHR 2010, 822 f; Kraatz JR 2011, 58, 64; sympathisierend Pelz Rn 483; ferner Wietz, S 216 ff, 257, der aber als Obergrenze nicht nur das GmbH-Recht, sondern sämtliche thematisch einschlägige Rechtsquellen als Vergleichsmaßstab berücksichtigen will; skept bis abl gegenüber dieser Forderung Pattberg, S 300 f. 171 So aber Rönnau NStZ 2011, 558, 559. 172 Zutr Rönnau NStZ 2011, 558, 559; ähnl Labinski, S 87; Peukert, S 299 ff. 173 Siehe o Rn 29. 174 BGH wistra 2010, 268, 270; einem Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot widersprechen ferner Pattberg, S 294 ff; Christ, S 338; Radtke NStZ 2011, 556, 557; Rubel/Nepomuck EWiR 2010, 761, 762; Beckemper ZJS 2010, 554, 557. 175 Zu diesem zutr Vorgehen s OLG Schleswig NJW 1989, 3105 f; Mankowski/Bock ZStW 120 (2008), 704, 744 f; T Walter Tiedemann-FS, S 969, 973; sa schon Lobe v. Frank-FS, S 33, 42. 176 BGH wistra 2010, 268, 270; zust Pelz Rn 482; Rubel/Nepomuck EWiR 2010, 761, 762; Bittmann wistra 2010, 302, 303; Beckemper ZJS 2010, 554, 557; Hüls NZWiSt 2012, 12, 14; ähnl schon Radtke GmbHR 2008, 729, 735 f; wohl auch Hinderer, S 155 f; Pattberg, S 254. 177 Krit Scholz/Tiedemann/Rönnau Vor §§ 82 ff Rn 78; Peukert, S 130; Rönnau NStZ 2011, 558, 559; Schlösser/Mosiek HRRS 2010, 424, 425.

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dem Boden dieser fremden Rechtsordnung eruiert werden.178 Warum dann etwas anderes für den director gelten soll, der pflichtwidrig das Vermögen „seiner“ Ltd schädigt, bleibt umso mehr unerfindlich, als Treunehmer und Treugeber die von ersterem einzuhaltenden Pflichten sogar nach ihrer eigenen, selbsterschaffenen „Phantasierechtsordnung“ ausgestalten könnten. Anders gewendet: Ein Bestimmtheitsgewinn ist gegenüber dem Rekurs auf ausländisches Gesellschaftsrecht nicht zu verzeichnen, wenn stattdessen die vom Treunehmer zu beachtenden Pflichten aus einem mehrere hundert Seiten langen, womöglich gar in einer Fremdsprache verfassten Vertragswerk destilliert werden müssen. Daran aber zeigt sich: Die Bestimmtheitsprobleme, die entstehen, sobald man sich daran macht, in einer konkreten Fallgestaltung den Pflichtenmaßstab des präsumtiven Täters zu ermitteln, sind dem Untreuetatbestand immanent. Und: Solange dieser dem Bestimmtheitsgebot im Ganzen genügt,179 vermögen einzelne Schwierigkeiten bei der Pflichtwidrigkeitsbestimmung daran nichts zu ändern. Hinzu kommt: Wer sich bei der Vertragswahl auf eine fremde Rechtsordnung einlässt bzw unter dem Mantel einer Ltd am inländischen Rechtsverkehr teilnimmt, wird nicht unvorhersehbar überrascht, wenn man sein Verhalten am Maßstab dieser fremden Rechtsordnung misst.180 Die Regeln des sog. „Expertenstrafrechts“, die es unter bestimmten, hier nicht einschlägigen Voraussetzungen181 erlauben, den Erkennbarkeitsmaßstab zulasten des präsumtiven Täters zu verschieben,182 müssen also überhaupt nicht bemüht werden.

b) Verstoß gegen den Parlamentsvorbehalt bei der Heranziehung englischen Gesellschaftsrechts? Der Parlamentsvorbehalt, der seine Grundlage in Art 103 Abs 2 GG,183 dem Rechts- 34 staatsprinzip sowie den Grundrechten findet, fordert vom parlamentarischen Gesetzgeber, die wesentlichen Angelegenheiten des Gemeinwesens selbst zu regeln. Zu diesen wesentlichen Angelegenheiten des Gemeinwesens rechnet insbes die Entscheidung, welche Verhaltensweisen man unter Androhung von Kriminalstrafe verbietet.184 Hiergegen verstößt Teilen des Schrifttums zufolge, wer das Tatbestandsmerkmal der Pflichtwidrigkeit mithilfe ausländischen Rechts ermittelt.185 Angesichts der strafbarkeitsbe-

_____ 178 Dazu im Kontext der Frage nach einem möglichen Verstoß gegen den Parlamentsvorbehalt Pelz Rn 482; Worm, S 115; ausf zu dieser Überlegung auch Wietz, S 165 f; ferner Ransiek/Hüls ZGR 2009, 157, 177; Hüls NZWiSt 2012, 12, 14; Rubel/Nepomuck EWiR 2010, 761, 762. 179 Dafür BVerfGE 126, 170 ff; Wietz, S 154 f. 180 Zu diesem Gedanken s LK/Schünemann § 266 Rn 264; S/S/Perron § 266 Rn 21e; Pelz Rn 481; Worm, S 82, 112 f; Labinski, S 233 f; Hinderer, S 127 ff, 154; Pattberg, S 303; Radtke GmbHR 2008, 729, 734 f; Mankowski/Bock ZStW 120 (2008), 704, 718; Ransiek/Hüls ZGR 2009, 157, 178; Gross/Schork NZI 2006, 10, 15. AA aber Rönnau NStZ 2011, 558, 559; zust Peukert, S 259; skept auch Joerden/Szwark/Schmitz, S 199, 209. 181 Worm, S 112; Peukert, S 255 ff. AA Labinski, S 88, 279, der diese Grds hier anwendet und damit ebenfalls die Bestimmtheitsbedenken auszuräumen in der Lage ist. 182 S etwa BVerfG BeckRS 2010, Nr 51332, dem zufolge die Bestimmtheit eines Tatbestandes auch davon abhängt, an welchen Adressatenkreis sich die Vorschrift wendet. Insbes dann, wenn die Adressaten der Norm ausschl Personen sind, die zB über bestimmte Fachkenntnisse verfügen, soll die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe keine Bestimmtheitsbedenken evozieren, solange man davon ausgehen kann, dass die Adressaten aufgrund ihres Fachwissens in der Lage sind, die jeweiligen Begriffe zu verstehen. 183 Dazu Wietz, S 123; Labinski, S 71; Hinderer, S 129; Pattberg, S 135, 292; Nuys, S 43; Radtke GmbHR 2008, 729, 735; Mankowski/Bock ZStW 120 (2008), 704, 715. 184 Worm, S 84; Volkmann ZRP 1995, 220, 223 f. 185 So Scholz/Tiedemann/Rönnau Vor §§ 82 ff Rn 78; Peukert, S 263 ff; Rönnau ZGR 2005, 832, 856 f; ders NStZ 2011, 558, 559; Mosiek StV 2008, 94, 98 f.

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gründenden Qualität des Fremdrechts, das dem Untreuetatbestand hinzugefügt werde, ließe sich nicht mehr sagen, der deutsche Gesetzgeber habe die wesentlichen Konturen des Untreueunrechts selbst festgelegt.186 Für dieses Verständnis streite zudem die Rspr des BVerfG, das in seiner aktuellen, die Verfassungsmäßigkeit des § 266 StGB betreffenden Entscheidung vom Juni 2010 eindringlich einen restriktiven Umgang mit dem Untreuetatbestand angemahnt habe. Gegen das Gebot einschränkender und präzisierender Auslegung verstieße es aber, wollte man dem § 266 Abs 1 StGB eine Verweisung in sämtliche europäische Rechtsordnungen entnehmen.187 Zu Recht verneinen jedoch der BGH und die ihm zustimmende Literaturansicht ei35 nen Verstoß gegen den Parlamentsvorbehalt, sobald man ausländisches Gesellschaftsrecht beruft, um dem Merkmal „Pflichtwidrigkeit“ Konturen zu verleihen.188 Diese Auffassung kann das ebenso simple wie überzeugende Argument für ihre Position ins Feld führen, wonach bereits derjenige Treunehmer pflichtwidrig agiert, der die vom Treugeber vertraglich festgelegten Vorgaben überschreitet. Wenn aber der Treugeber selbst bestimmen kann, welches Verhalten pflichtgemäß und welches pflichtwidrig iSd § 266 Abs 1 StGB ist und eine hierauf gestützte Verurteilung des pflichtsäumigen Treunehmers wegen Untreue nicht befürchten muss, gegen den Parlamentsvorbehalt zu verstoßen, fällt es schwer, einen Grund zu benennen, warum Gleiches nicht gelten soll, sobald ausländisches Gesellschaftsrecht den Pflichtenmaßstab des Treunehmers festlegt.189 Weniger leuchtet dagegen der Hinweis auf das europäische Primärrecht ein, um die Bedenken sub specie Parlamentsvorbehalt zu zerstreuen: So soll der Parlamentsvorbehalt gewahrt sein, weil der nationale Gesetzgeber dem europäischen Primärrecht, das zur Anwendung ausländischen Gesellschaftsrechts iRd § 266 Abs 1 StGB zwinge, seinen „Segen“ erteilt habe. 190 Allerdings geht damit keinesfalls notwendig die Folgerung einher, der nationale Gesetzgeber wolle seine europäischen Vertragspartner dazu „ermächtigen“, im Wege der Gesellschaftsrechtssetzung auf die Reichweite des nationalen Strafrechts Einfluss zu nehmen.191 Zudem wäre eine solche Kette demokratischer Legitimation zu sehr verdünnt, um dem Parlamentsvorbehalt zu entsprechen.192 36 Das gefundene Ergebnis, wonach der Parlamentsvorbehalt dem deutschen (Straf-) Rechtsanwender nicht verbietet, iRd § 266 Abs 1 StGB auf ausländisches Gesellschaftsrecht zurückzugreifen, ändert sich, sobald man § 266 StGB als Blankett-193 bzw als blan-

_____ 186 Rönnau NStZ 2011, 558, 559; skept auch Fornauf/Jobst GmbHR 2013, 125, 132. 187 Rönnau NStZ 2011, 558, 559. 188 BGH wistra 2010, 268, 270; Worm, S 114 f; Labinski, S 78; Pattberg, S 294; Radtke NStZ 2011, 556, 558; ders/Hoffmann EuZW 2009, 404, 405; Bittmann wistra 2010, 302, 303; Rubel/Nepomuck EWiR 2010, 761, 762; Beckemper ZJS 2010, 554, 557; vgl auch Schlösser/Mosiek HRRS 2010, 424, 426, die einen Verstoß gegen den Parlamentsvorbehalt nur in Betracht ziehen, falls man zu dem Ergebnis gelangt, dass es sich bei § 266 StGB um einen Blanketttatbestand handelt; zum Ganzen sa Lindheim, S 258 ff. 189 Zu dieser einleuchtenden Argumentation s Pelz Rn 482; Hinderer, S 156; Labinski, S 77; Pattberg, S 293 f; Radtke GmbHR 2008, 729, 735; Schramm/Hinderer ZIS 2010, 494, 498; Rubel/Nepomuck EWiR 2010, 761, 762; ferner Radtke NStZ 2011, 556, 557, der dieses Argument dort aber anführt, um die Bestimmtheitsbedenken auszuräumen. 190 Radtke NStZ 2011, 556, 558; in diese Richtung schon ders GmbHR 2008, 729, 736; ähnl S/S/Perron § 266 Rn 21e; Labinski, S 78 f. 191 So zu Recht Altenhain/Wietz NZG 2008, 569, 572; ähnl Peukert, S 267 f. 192 Scholz/Tiedemann/Rönnau Vor §§ 82 ff Rn 78; Rönnau ZGR 2005, 832, 856 m Fn 119; ders NStZ 2011, 558, 559. 193 Für Einordnung als Blankett etwa Peukert, S 229 ff; Sahan I. Roxin-FS, S 295, 305; wohl auch Pelz Rn 480, 482; Honsell G. Roth-FS, S 277, 278; aA Gross/Schork NZI 2006, 10, 15; ferner LK/Schünemann § 266 Rn 94 mit Blick auf die von ihm verfochtene These, wonach § 266 Abs 1 Var 2 StGB nicht die Missachtung einer

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kettartigen Tatbestand194 – mehr spricht aber dafür, die Pflichtwidrigkeit angesichts der Möglichkeit, sie im Wege „privatautonomer Rechtssetzung“ zu konturieren, als normatives Tatbestandsmerkmal195 zu begreifen196 – charakterisiert.197 Zwar findet sich die Ansicht, wonach das (ausländische) Gesellschaftsrecht im Einzugsbereich des Blanketts nicht vom Privat- zum Strafrecht avanciert und somit nicht den strengen Anforderungen des Parlamentsvorbehalts unterliegt.198 Vielmehr erlaube der Parlamentsvorbehalt die Gesetzgebungstechnik des Blanketttatbestandes,199 wodurch die Weichen in Richtung Zulässigkeit der Fremdrechtsanwendung gestellt würden.200 Entschließe sich nämlich der Gesetzgeber einen Blanketttatbestand zu kreieren, entscheide er gleichzeitig über die Reichweite des verbotenen Verhaltens sowie den Unrechtsgehalt des Tatbestandes. Im Falle der Untreue sei die Verweisung auf den Pflichtenmaßstab des jeweiligen Treueverhältnisses eine gewollte, die zudem nur unter exakten Voraussetzungen erfolge und keinesfalls eine Verweisung „ins Blaue“.201 Das überzeugt indes nicht. Solange es an einem ausdrücklichen Befehl des Gesetzgebers fehlt, den Blanketttatbestand unter Rückgriff auf ausländisches Recht auszufüllen,202 können diese Aufgabe nur deutsche Vorschriften wahrnehmen.203 Mit anderen Worten: Wer die Untreue – zu Unrecht – als Blankett qualifiziert, muss dem director, der seine dem CA 2006 entstammenden Pflichten missachtet, sub specie § 266 StGB Straffreiheit gewähren.204

c) Auswahl einiger untreuerelevanter Verstöße gegen den Companies Act 2006 Richtigerweise sind die Vorgaben des GmbH-Rechts an den director einer Ltd nicht ad- 37 ressiert.205 Dies gilt insbes für das Verbot der Existenzvernichtung.206 Obschon der BGH zur Durchsetzung dieses Verbots in seiner „Trihotel-Entscheidung“ auf § 826 BGB verweist, führt dies nicht zu einer deliktsrechtlichen Anknüpfung und der damit einher-

_____ außerstrafrechtlichen (Sorgfalts-)Pflicht voraussetzt, sondern es genügen lässt, dass der Täter das ihm anvertraute fremde Vermögen vorsätzlich schädigt (zu den hiergegen bestehenden Einwänden s § 28 Rn 24). 194 Dafür Worm, S 104, 112; Joerden/Szwark/Schmitz, S 199, 208; Rönnau ZGR 2005, 832, 854; Mosiek StV 2008, 94, 98; Weber BayVBl 1989, 166, 167; wohl auch Dittrich, S 204, 208. 195 Ein ausf und beachtliches Plädoyer für die Differenzierung zwischen Blankett und normativem Tatbestandsmerkmal, die es dem Gesetzgeber erlaubt, sich der Geltung des Art 103 Abs 2 GG zu entziehen (s BVerfGE 78, 205, 213), findet sich bei Wietz, S 181–196. 196 Dafür B/Quedenfeld/Richter Kap 5 Rn 149a; Wietz, S 199 und passim; Hinderer, S 155; Labinski, S 210 m Fn 1061; Pattberg, S 288 ff; Laskos, S 135; Mayer, S 47; Stärk, S 140; Rönnau ZStW 119 (2007), 887, 905; Ransiek/Hüls ZGR 2009, 157, 177; Hüls NZWiSt 2012, 12, 13 f; Beckemper ZJS 2010, 554, 557; vgl ferner BVerfGE 126, 170, 204: „komplexes normatives Tatbestandsmerkmal“; zust wohl auch Saliger ZIS 2011, 902, 905 m Fn 38. 197 Zutr Hinderer, S 155; Stärk, S 140; aA Radtke GmbHR 2008, 729, 736. 198 In diese Richtung Mankowski/Bock ZStW 120 (2008), 704, 721 f; wohl auch Pelz Rn 482; hiergegen dezidiert Wietz, S 174; Pattberg, S 133. 199 Das entspricht ganz hM; vgl nur Wietz, S 167. 200 Mankowski/Bock ZStW 120 (2008), 704, 716. 201 Zum Ganzen überzeugend Mankowski/Bock ZStW 120 (2008), 704, 716 f. 202 Ein Bsp für einen solchen Anwendungsbefehl stellt § 370 Abs 6 AO dar. 203 Pattberg, S 132 f, 137, 140; s ferner BGHSt 21, 277, 279; OLG Karlsruhe NStZ 1985, 317; AG Lörrach NStZ 1985, 221; LK/Werle/Jeßberger Vor § 3 Rn 334; Lackner JR 1968, 268, 269. 204 So auch Hüls NZWiSt 2012, 12, 14, die freilich – wie hier – die Pflichtwidrigkeit als „komplexes normatives Tatbestandsmerkmal“ begreift; konsequent deshalb Peukert, S 315 ff und passim. 205 Siehe o Rn 18, 29. 206 S/S/Perron § 266 Rn 21e; Rönnau ZGR 2005, 832, 854; vgl auch Schlösser wistra 2006, 81, 86; dasselbe dürfte auch für § 64 S 3 GmbHG gelten; s nur Pattberg, S 287.

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gehenden Folge, sämtliche Geschäftsleiter der im Inland tätigen (EU-)Auslandsgesellschaften diesem Verbot zu unterwerfen. Vielmehr ist das Existenzvernichtungsverbot – nicht zuletzt wegen seiner dogmatischen Verortung im zwingenden GmbH-Liquidationsrecht207 – gesellschaftsrechtlich anzuknüpfen.208 Ob die „Kornhaas-Entscheidung“ des EuGH209 künftig dazu zwingt, das Existenzvernichtungsverbot dem Insolvenzstatut zuzuordnen und folglich Geschäftsleiter von Auslandsgesellschaften mit inländischem Interessenmittelpunkt diese Vorgaben beachten müssen, bleibt abzuwarten.210 Solange gilt: Maßgeblich für den Pflichtenmaßstab des director ist ausschließlich das englische Gesellschaftsrecht. Da nicht sämtliche denkbare Pflichtverstöße des directors auf ihre Untreuerelevanz hin untersucht werden können, beschränken sich die nachfolgenden Ausführungen auf einige exemplarische, besonders praxisrelevante Pflichtverletzungen. Gesellschaftsrechtlich pflichtwidrig handelt der director, der die ihm gezogenen 38 Kompetenzgrenzen überschreitet. Sec 171 CA 2006 verpflichtet ihn, „to act within powers“ und normiert damit Reste der überkommenen ultra-vires-Lehre.211 Da ein solcher Pflichtverstoß ohne Weiteres die Anforderungen erfüllt, die § 266 StGB an das Merkmal der Vermögensbetreuungspflichtverletzung stellt, bedarf lediglich die Frage der Klärung, ob der director, der sec 171 CA 2006 missachtet, den Missbrauchs- oder den Treubruchtatbestand verwirkt. Bekanntlich verlangt der speziellere Missbrauchstatbestand, dass der Treunehmer die ihm eingeräumte Rechtsmacht unter Überschreitung seiner internen Bindungen nach außen rechtsgeschäftlich wirksam gebraucht.212 Nicht genügen soll nach hM die Verpflichtung des Treugebers im Rechtscheinswege, also etwa auf der Grundlage von Anscheins- oder Duldungsvollmacht.213 Würdigt man im Lichte dieser Grundsätze den director, der sec 171 CA 2006 verletzt, dürfte der Missbrauchstatbestand ausscheiden. Denn der director, der außerhalb seiner Kompetenzgrenzen agiert, vermag „seine“ Ltd nur zu verpflichten, sofern der Geschäftspartner gutgläubig ist (vgl sec 40 CA 2006).214 Einschlägig ist mithin der Treubruchtatbestand.215 Sec 172 CA 2006 statuiert ganz allgemein die Pflicht, „to promote the success of the 39 company“.216 Konkretisierend verlangt Abs 1 des sec 172 CA 2006, dass der director diejenigen Maßnahmen ergreift, die den Erfolg der Gesellschaft zugunsten der Gesellschaftergesamtheit am wahrscheinlichsten fördern.217 Jedoch bleibt sec 172 Abs 1 CA 2006 hierbei nicht stehen. Darüber hinaus normiert er vielmehr einen ganzen Katalog an Interessen, die der director im Rahmen seines geschäftlichen Entscheidungsfindungsprozesses be-

_____ 207 Siehe u § 7 Rn 62 ff. 208 Siehe o Rn 18 und u Rn 47. 209 NJW 2016, 223 („Kornhaas“). 210 Näher zum Ganzen u Rn 47. 211 Hierzu Ladiges/Pegel DStR 2007, 2069, 2071; ferner Hinderer, S 152. Beachte aber, dass im Unterschied zum überkommenen Verständnis der ultra-vires-Lehre Verträge, die der director auf einem nicht vom Unternehmensgegenstand gedeckten Sektor abschließt, nicht mehr per se dem Verdikt der Nichtigkeit unterfallen, da der Geschäftsgegenstand unter dem Regime des CA 2006 nur die Vertretungsmacht und nicht die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft limitiert; ausf dazu Wietz, S 40; Möser RIW 2010, 850, 852; ferner Torwegge GmbHR 2006, 919, 921. 212 § 16 Rn 36. 213 S nur Rengier BT I § 18 Rn 8. 214 Ausf zu den Anforderungen des sec 40 CA 2006 Möser RIW 2010, 850, 855 ff. 215 Wohl auch Wietz, S 255. 216 Von Thole RIW 2008, 606, 608 als ein „Herzstück des Kodifikationswerkes“ bezeichnet. 217 So die Übersetzung von Ladiges/Pegel DStR 2007, 2069, 2071.

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rücksichtigen muss. Neben gesellschaftsbezogenen Interessen wie der Gleichbehandlung aller Gesellschafter, der Förderung und Pflege des Verhältnisses zu Kunden, Lieferanten und sonstigen Personen sowie der Beachtung der langfristigen Konsequenzen der jeweiligen Entscheidung nennt sec 172 Abs 1 CA 2006 zusätzlich Allgemeininteressen wie die Auswirkungen der Entscheidung auf Gemeinwesen und Umwelt sowie die Arbeitnehmerinteressen.218 Unabhängig davon, ob diese partielle Ausrichtung am stakeholder-Interesse den Pflichtenmaßstab des director erheblich verändert oder es aber bei der maßgeblichen Orientierung am sharholder-Interesse verbleibt,219 dürfte jedenfalls ein Verstoß gegen die „stakeholder-Vorgaben“ kaum jemals eine untreuerelevante Pflichtwidrigkeit begründen. Denn weder dienen diese Vorgaben dem (zumindest mittelbaren) Vermögensschutz noch setzt ein Verstoß gegen die genannten stakeholderInteressen notwendig den Einsatz von Treugebervermögen voraus. Sec 174 CA 2006 entspricht am ehesten den Sorgfaltsgeneralklauseln der §§ 43 40 Abs 1 GmbHG, 93 Abs 1 AktG.220 Danach hat der director die Geschäfte mit der angemessenen Sorgfalt und nach den besten Fähigkeiten gewissenhaft zu führen. Entscheidend ist dabei die Sorgfalt, die allgemein von einem director in der entsprechenden Position erwartet werden kann.221 Ob der director, der hiergegen verstößt, immer auch pflichtwidrig iSd § 266 Abs 1 StGB handelt, wurde – soweit ersichtlich – bislang noch nicht thematisiert. Angesichts der vor dem Hintergrund des ultima-ratio-Grds geführten Debatte um das Erfordernis einer gravierenden Pflichtverletzung222 sollte man aber bei der Annahme einer untreuerelevanten Pflichtverletzung Zurückhaltung üben. Dh, nur in Extremfällen zeitigt der Verstoß gegen sec 174 CA 2006 gleichzeitig eine Vermögensbetreuungspflichtverletzung. Der mit „duty to avoid conflicts of interest“ überschriebene sec 175 Abs 1 CA 2006 41 hat zum Ziel, Interessenkonflikte zwischen director und Gesellschaft zu verhindern. Hierzu untersagt sec 175 Abs 1 CA 2006 bspw die nicht autorisierte Verwertung von Geschäftsinformationen durch den director. Verstößt der director hiergegen, etwa indem er Geschäftschancen wahrnimmt, die der Ltd zustehen, bereitet es keine Schwierigkeiten, über solches Verhalten das Verdikt der Pflichtwidrigkeit iSd § 266 Abs 1 StGB zu fällen. Seine Pflichten verletzt des Weiteren der director, der in dieser Eigenschaft Leistun- 42 gen von Dritten annimmt, damit er eine bestimmte Tätigkeit ausübt bzw unterlässt (vgl sec 176 Abs 1 CA 2006).223 Auf die Ebene der Untreue gehoben dürfte in dem Verstoß gegen sec 176 Abs 1 CA 2006 immer auch eine Vermögensbetreuungspflichtverletzung liegen, da die Annahme von Schmiergeldern regelmäßig zum Nachteil des Treugebers gereichen wird, ein entsprechendes Verbot mithin dem Schutz des Treugebervermögens dient.

_____ 218 Zu diesem Katalog s nur Ladiges/Pegel DStR 2007, 2069, 2071 f; dazu, dass aus der Verpflichtung auf diese Interessen keine Vermögensbetreuungspflicht des director gegenüber den dort genannten Interessengruppen folgt, s ausf Labinski, S 216 ff. 219 Dazu s Thole RIW 2008, 606, 608; Steffek GmbHR 2007, 810, 812; Ladiges/Pegel DStR 2007, 2069, 2072; Lawlor ZIP 2007, 2202, 2204; ferner Wietz, S 252; Labinski, S 215. 220 Zu dieser Vergleichbarkeit M-G/Hadamitzky § 32 Rn 25c. 221 Ladiges/Pegel DStR 2007, 2069, 2073; Thole RIW 2008, 606, 609 f; Steffek GmbHR 2007, 810, 814; Hinderer, S 153; Pattberg, S 33; zum CA 1985 vgl Ebert/Levedag GmbHR 2003, 1337, 1342. 222 Dazu § 28 Rn 19 ff. 223 Ladiges/Pegel DStR 2007, 2069, 2073 f.

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Lässt sich der Umfang des ausländischen Rechts und folglich ein Verstoß des inkriminierten Verhaltens hiergegen nicht feststellen – für das englische Recht dürfte diese Situation angesichts seiner Durchdringung seitens des deutschsprachigen Schrifttums allenfalls ausnahmsweise einmal eintreten224 –, wird zT vorgeschlagen, im Einklang mit der herrschenden internationalprivatrechtlichen Meinung225 zur Pflichtwidrigkeitsermittlung auf inländisches Recht zurückzugreifen.226 Das überzeugt jedoch nicht: Da die Beteiligten das Rechtsverhältnis, dem die Vermögensbetreuungspflicht entspringt, ausländischem Recht unterstellt haben, indem sie bspw eine Ltd errichteten, bedarf es der Verletzung dieser fremden Rechtsordnung, um eine untreuerelevante Pflichtverletzung zu begründen. Der Rückgriff auf inländisches Recht zwänge den Parteien des Treueverhältnisses hingegen einen Pflichtenmaßstab auf, den sie ersichtlich nicht wollten. Der Angeklagte ist mithin freizusprechen, sofern dem ausländischen Gesellschaftsrecht ein Maßstab für das konkret in Rede stehende Verhalten nicht entnommen werden kann.227

d) Tatbestandsausschließendes Einverständnis 44 Im Kontext der GmbH-Untreue entfällt die Pflichtwidrigkeit des Geschäftsführers, sofern

die Gesellschafter sein Handeln wirksam konsentieren. Wann freilich das Einverständnis der Gesellschafter wirksam ist, ob also Entnahmesperren wie § 30 Abs 1 S 1 GmbHG oder das Existenzvernichtungsverbot Grenzen ziehen, darum tobt in Rspr und Schrifttum eine heftig geführte Auseinandersetzung.228 Trotz – zT beachtlicher – Gegenargumente229 verdient die Position des BGH und seiner Anhänger den Vorzug. Danach bringt ein Gesellschaftereinverständnis, das gegen § 30 Abs 1 S 1 GmbHG/das Existenzvernichtungsverbot verstößt, die vom Geschäftsführer begangene Pflichtverletzung nicht in Wegfall.230 Für diese Annahme streitet folgende Gedankenoperation: Das fremde Ver-

_____ 224 Zu diesem Befund s Wietz, S 209; aA aber Peukert, S 287 ff. 225 Dazu, dass auf inländisches Recht zurückzugreifen ist, sofern sich das ausländische Recht nicht ermitteln lässt, s BGHZ 69, 387, 393 ff; BGH NJW 1982, 1215, 1216; offen gelassen noch in BGH NJW 1961, 410, 411 f; dieser Rspr zust Mankowski/Bock ZStW 120 (2008), 704, 732 f mwN auch zur Gegenansicht. 226 Dafür wohl Mankowski/Bock ZStW 120 (2008), 704, 732 ff. 227 So iE auch Wietz, S 209; ebenso wohl Peukert, S 314 f. 228 Siehe o § 16 Rn 105. 229 Der Ansicht, wonach ein gegen § 30 Abs 1 GmbHG verstoßendes Gesellschaftereinverständnis unbeachtlich ist, wird insbes vorgeworfen, sie mache aus § 266 StGB ein Gläubigerschutzdelikt (vgl aber auch Louis, S 58 f, dem zufolge § 266 StGB mittelbar auch der Erhaltung des Gläubigerhaftungsfonds der Kapitalgesellschaften dient); zu dieser Position s etwa S/S/Perron § 266 Rn 21b; S/S/W/Saliger § 266 Rn 86; SK/Hoyer § 266 Rn 70, 73; MK/Dierlamm § 266 Rn 158; Schweitzer, S 341 ff, 370 f; Wehleit, S 20 ff; Mohr, S 76 f; Ayasse, S 57 ff; Peukert, S 156 ff; Rönnau ZStW 119 (2007), 887, 908, 925; Arloth NStZ 1990, 570, 573, 575; Labsch wistra 1985, 1, 7 f; Beulke Eisenberg-FS, S 245, 257 f; Joerden/Szwark/Schmitz, S 199, 210; Habetha NZG 2012, 1134, 1139 f; vgl ferner Marwedel ZStW 123 (2011), 548, 568, der nach Aufgabe der Interessentheorie ein Festhalten an den Einwilligungsgrenzen des § 30 Abs 1 S 1 GmbHG/des Existenzvernichtungsverbots nicht mehr für begründbar hält; sa Reiß wistra 1989, 81, 86; vorsichtiger freilich Kudlich ZWH 2012, 360, der ein Nebeneinander von § 266 StGB einer- und § 283 StGB andererseits keinesfalls kategorisch ausschließt. 230 Für diese Position stehen: BGHSt 49, 147, 157 ff; BGHSt 54, 52, 57 ff; BGH wistra 2003, 457, 460; BGH NZG 2011, 1238; BGHR StGB § 283 Abs 1 – Konkurrenzen 2; BGHR StGB § 283 Abs 1 – Konkurrenzen 3; BGHSt 3, 32, 40, der freilich noch weiter ging und nur Entnahmen in den Grenzen des § 29 GmbHG gestattete; NK/Kindhäuser § 266 Rn 71; Lackner/Kühl/Heger § 266 Rn 20a; M-G/Hadamitzky § 32 Rn 83 ff; GK-GmbHG/ Ransiek Vor § 82 Rn 23 f; W/J/Pelz 9/252; Park/Zieschang Teil 3, Kap 2 Rn 87; MAH/Böttger § 19 Rn 217; Böttger/ders 3/80 f; Eidam/Weyand 7/975 ff; Labinski, S 233 m Fn 1191; Waßmer, S 91 ff, 102; Ceffinato, S 380 f; Radtke/Hoffmann NStZ 2012, 91, 93; Weyand ZInsO 2012, 770, 771; Brammsen EWiR 2012, 399 f; sa B/Que-

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mögen, dessen Betreuung der Geschäftsführer schuldet, gehört der GmbH. Die GmbH muss somit in ihrer Eigenschaft als Vermögensträgerin die Schädigung konsentieren. Da die GmbH jedoch weder handeln noch wollen kann, benötigt sie hierzu ihre Organe. Willensbildungsorgan ist die Gesellschafterversammlung; die in dieser Versammlung wirksam gefassten Beschlüsse werden der GmbH als ihr Wille zugerechnet. Scheitert die Zurechnung aber, weil der Beschluss der Gesellschafter nichtig ist,231 hat die GmbH keinen Willen gebildet, der dahin geht, mit der Schädigung ihres Vermögens einverstanden zu sein. Paradigmatisch hierfür steht der Beschluss, der gegen § 30 Abs 1 S 1 GmbHG/ das Existenzvernichtungsverbot verstößt. Analog § 241 Nr 3 AktG entfaltet dieser keine Wirksamkeit, ein Einverständnis der GmbH in ihre Schädigung scheidet mithin aus.232 Etwas anderes gilt allenfalls für solche Gesellschafterbeschlüsse, die zwar den Geschäftsführer anweisen, gebundenes Vermögen an die Gesellschafter auszukehren, dadurch aber die Gläubigerbefriedigung nicht gefährden. Wie ein Umkehrschluss zu § 43 Abs 3 S 3 GmbHG zeigt, haftet der Geschäftsführer, der einen Beschluss dieses Inhalts umsetzt, nicht auf Ersatz des an die Gesellschafter ausgekehrten Betrags. Angesichts dessen erschiene es – insbes mit Blick auf § 823 Abs 2 BGB – ungereimt, den Geschäftsführer gleichwohl gem § 266 StGB zu bestrafen, ahndete man doch auf diese Weise ein Verhalten, das das Zivilrecht ausdrücklich erlaubt.232a Wendet man sich nach dem vorstehenden Ausflug in das GmbH-Strafrecht der Ltd 45 zu, stehen im Vordergrund der aktuellen Debatte va zwei Themenkreise: Neben der Problematik, ob die Entnahmesperren des GmbH-Rechts auch den Gesellschaftern einer Ltd Grenzen setzen, fordert die Frage eine Antwort, inwieweit das englische Gesellschaftsrecht die Reichweite des Gesellschaftereinverständnisses determiniert.

aa) Existenzvernichtungsverbot und § 30 Abs 1 S 1 GmbHG als Schranken des Gesellschaftereinverständnisses in der Ltd? Was die Schranke des § 30 Abs 1 S 1 GmbHG anbelangt, herrscht mittlerweile Einigkeit: 46 Da die Vorschrift zum deutschen Gesellschaftsrecht gehört, dieses jedoch wegen der europarechtlichen Niederlassungsfreiheit auf EU-Auslandsgesellschaften und damit auch auf die Ltd keine Anwendung findet,233 limitiert § 30 Abs 1 S 1 GmbHG das Einverständnis der Ltd-Gesellschafter in Schädigungen „ihrer“ Gesellschaft nicht.234 Allerdings hat die Entscheidung „Kornhaas“ des EuGH Bewegung in die Debatte gebracht. In dieser Rechtssache hat der EuGH entschieden, Art 49, 54 AEUV stünden dem Unternehmen,

_____ denfeld/Richter Kap 5 Rn 151, 242; Radtke NStZ 2016, 639, 645; Richter GmbHR 1984, 137, 144; Reck ZInsO 1999, 195, 201 bzgl des Verstoßes gegen § 30 GmbHG; diff noch (aufgegeben in der 2. Aufl. unter Rn 158) MK1/Dierlamm § 266 Rn 137, dem zufolge nur der Verstoß gegen § 30 Abs 1 GmbHG dem Gesellschaftereinverständnis die Wirksamkeit nimmt; ebenso Achenbach BGH-FG, S 593, 599; Fornauf/Jobst GmbHR 2013, 125, 127 sowie früher Radtke GmbHR 1998, 361, 364 ff. 231 Dazu ausf § 6 Rn 59 ff. 232 Zum Ganzen schon Waßmer, S 91 f; gegen die Berücksichtigung des Analogieschlusses zu § 241 Nr 3 AktG iRd § 266 StGB aber Ceffinato, S 379 f m Fn 16; zu diesem Erg würde wohl auch Plathner, S 138 gelangen; s dazu auch Schweitzer, S 284 ff. 232a Grdl zu diesem Gedanken Schweitzer, S 335 ff, 346 f. 233 Otte, S 151; Heinz AnwBl 2005, 417; Schumann DB 2004, 743, 745; Schlichte DB 2006, 1357, 1359 f; aus strafrechtlicher Sicht S/S/Perron § 266 Rn 21e; MK1/Dierlamm § 266 Rn 137 m Fn 335; Pattberg, S 265 f; Radtke GmbHR 2008, 729, 734; Rönnau ZGR 2005, 832, 854; Bittmann ZGR 2009, 931, 953. 234 Wietz, S 60, 119 m Fn 775; Labinski, S 234; Ransiek/Hüls ZGR 2009, 157, 179; Gross/Schork NZI 2006, 10, 15; so iE auch Stärk, S 150 ff.

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§ 64 S 1 GmbHG auf eine EU-Auslandsgesellschaft anzuwenden, deshalb nicht entgegen, weil § 64 S 1 GmbHG unmittelbar weder die Gründung noch die Errichtung einer Zweigniederlassung betreffe.235 Vor diesem Hintergrund sei es erwägenswert, über eine gesellschaftsrechtliche Sonderanknüpfung der Kapitalerhaltungsregeln nachzudenken.236 Weniger eindeutig ist es um die Reichweite des Existenzvernichtungsverbots be47 stellt. Ob dieses Verbot die Gesellschafter einer in Deutschland ansässigen Ltd adressiert,237 hängt nach verschiedentlich geäußerter Ansicht entscheidend von seiner international-privatrechtlichen Qualifikation ab.238 Wer das Existenzvernichtungsverbot mit Blick auf den vom BGH in Sachen „Trihotel“ bemühten § 826 BGB deliktsrechtlich anknüpft,239 dürfte regelmäßig zu dem Ergebnis gelangen, wonach das Existenzvernichtungsverbot für die Ltd-Gesellschafter Geltung beansprucht (vgl Art 4 Rom II-VO).240 Nichts anderes gilt, wenn man das Existenzvernichtungsverbot – wie teilweise vorgeschlagen – insolvenzrechtlich qualifiziert. Richtigerweise handelt es sich jedoch um ein Institut des Gesellschaftsrechts,241 da das Existenzvernichtungsverbot mit der Intention kreiert wurde, Lücken im streng bilanziellen Kapitalschutz des GmbH-Rechts zu schließen242 und „Liquidationen auf kaltem Weg“ zu verhindern243.244 Hinzu kommt: Die Reichweite der Niederlassungsfreiheit hängt nicht davon ab, welcher Regelungsmaterie der nationale Gesetzgeber eine bestimmte Vorschrift zuordnet,245 sondern bestimmt sich allein anhand der tatsächlichen Auswirkungen, die von der jeweiligen Vorschrift auf die Reichweite der Grundfreiheit ausgehen.246 Dh: Ein tatbestandsausschließendes Einverständnis der Ltd-Gesellschafter scheitert nicht an der Hürde des Existenzvernichtungsverbots.247 Ob die bereits erwähnte Entscheidung „Kornhaas“ des EuGH an diesem Ergebnis etwas ändert, darüber hat das international-privatrechtliche Schrifttum gerade erst zu diskutieren begonnen.248 Gleiches soll nach teilw vertretener Ansicht für die Vor-

_____ 235 EuGH NJW 2016, 223, 224 f („Kornhaas“). 236 Schall ZIP 2016, 289, 295; Kindler EuZW 2016, 136, 139; wohl auch Ringe JZ 2016, 573, 577. 237 Grds erwogen, aber letztendlich offen gelassen von Scholz/Tiedemann10 Vor §§ 82 ff Rn 67; befürwortet von AG Stuttgart wistra 2008, 226, 229; zust Schumann wistra 2008, 229, 230 f; Richter TiedemannFS, S 1023, 1037; Gross/Schork NZI 2006, 10, 15; ebenso bereits Wilhelm ZHR 167 (2003), 520, 541; abgelehnt von S/S/Perron § 266 Rn 21e; krit auch Radtke GmbHR 2008, 729, 733 f; Paefgen EWiR 2004, 919, 920. 238 Zu den versch „Anknüpfungsoptionen“ s instruktiv Weller IPRax 2003, 207, 210. 239 Für deliktsrechtliche Anknüpfung etwa Schanze/Jüttner AG 2003, 661, 669 f; Altenhain/Wietz NZG 2008, 569, 571; Labinski, S 243; B/Quedenfeld/Richter Kap 5 Rn 152b; vgl aber auch K Schmidt GmbHR 2008, 449, 458, der mit Blick auf das Vorhaben, eine deliktsrechtliche Anknüpfung zu erreichen, von rechtsdogmatischer Mimikri spricht. 240 So ausdrückl Labinski, S 243. 241 Dafür Röpke, S 173 f; Christ, S 330 f; Otte, S 155; MAH/Römermann/Römermann/Röver E Rn 37; Triebel/v Hase/Melerski/v. Hase Rn 347; Servatius DB 2015, 1087, 1093; Eidenmüller NJW 2005, 1618, 1620; Spindler/Berner RIW 2004, 7, 11; Schumann DB 2004, 743, 749; Müller DB 2006, 824, 829; Köke ZInsO 2005, 354, 356 f; ders/Schwabe ZAP 2006 Fach 15, 511, 521; Just ZIP 2006, 1251, 1253; K Schmidt GmbHR 2008, 449, 458; Worm, S 102; Pattberg, S 274; Ransiek/Hüls ZGR 2009, 157, 179; wohl auch Schlösser wistra 2006, 81, 86; offen gelassen von Kadel MittBayNot 2006, 102, 110, dem zufolge es aber statthaft sein soll, eine entsprechende Haftung aus dem englischen Gesellschaftsrecht heraus zu entwickeln. 242 Zu dieser Intention Zessel, S 102 f; Wietz, S 20; Köke/Schwabe ZAP 2006 Fach 15, 511, 521. 243 Siehe o Rn 18. 244 Zu diesem Aspekt s Köke/Schwabe ZAP 2006 Fach 15, 511, 521. 245 So aber anscheinend Radtke/M Hoffmann EuZW 2009, 404, 407 im Kontext des § 15a InsO. 246 Zutr Spindler/Berner RIW 2004, 7, 10; zust Hoffmann, S 227, 246. 247 IE so auch Lackner/Kühl/Heger § 266 Rn 20a. 248 S etwa Schall ZIP 2016, 289, 294; Mankowski NZG 2016, 281, 286; Ringe JZ 2016, 573, 577.

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schrift des § 64 S 3 GmbHG gelten. 249 Zwar habe der Gesetzgeber des MoMiG mit dieser Vorschrift die Hoffnung verknüpft, Scheinauslandsgesellschaften robuster gegenüber dem Missbrauch durch ihre Geschäftsleitungsorgane zu machen und habe er zudem – unter kollisionsrechtlichen Aspekten immerhin bedenkenswert – einen Bezug des § 64 S 3 GmbHG zum Insolvenzrecht hergestellt, indem er nur solche Zahlungen verbietet, die zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen mussten. Gleichwohl stehe im Fokus des § 64 S 3 GmbHG die Intention, die bei § 30 GmbHG vorgenommenen Lockerungen partiell auszugleichen. Mit Blick auf die jüngste Rspr des EuGH, der § 64 S 1 GmbHG insolvenzrechtlich anknüpft und sub specie Artt 49, 54 AEUV keine Bedenken hat, diese Vorschrift auf EU-Auslandsgesellschaften anzuwenden,250 spricht allerdings viel dafür, auch § 64 S 3 GmbHG dem insolvenzrechtlichen Forum zuzuordnen und somit die Geschäftsleitungsverantwortlichen von EU-Auslandsgesellschaften dieser Vorschrift ebenfalls zu unterwerfen.251

bb) Beschränkungen des Gesellschaftereinverständnisses auf der Grundlage des Companies Act 2006? Die Befugnis der Ltd-Gesellschafter in ihrer Eigenschaft als Willensbildungsorgan252 48 Schädigungen des Gesellschaftsvermögens zu gestatten, könnte ihre Grenze in den sec 829, 830 CA 2006 finden. Diese Vorschriften gestatten den Gesellschaftern nur, den auf der Basis einer förmlichen Gewinnfeststellung ermittelten tatsächlich realisierten Gewinn abzüglich des realisierten Verlusts aus dem Gesellschaftsvermögen zu entnehmen.253 Darüber hinausgehende Ausschüttungen müssen sowohl der director als auch die Gesellschafter zurückerstatten.254 Dabei spielt es keine Rolle, ob die Entnahmen Gläubigerinteressen tangieren.

_____ 249 Für die Einordnung als gesellschaftsrechtlich etwa Servatius DB 2015, 1087, 1092 f; ferner Stärk, S 145, die diese Vorschrift aber auf den director analog anwenden will (aaO, S 152); für insolvenzrechtliche Qualifikation Uhlenbruck/Hirte § 15a Rn 30 mwN; allg zur Dogmatik des § 64 S 3 GmbHG u § 7 Rn 32 ff. 250 EuGH NJW 2016, 223, 224 f („Kornhaas“). 251 Dafür Schall ZIP 2016, 289, 292 f; Mankowski NZG 2016, 281, 286; Kindler EuZW 2016, 136, 139; Ringe JZ 2016, 573, 577; wohl auch Swierczok NZI 2016, 50, 51; ferner Mock IPRax 2016, 237, 241 f; ders. NZI 2016, 462, 463 (der allerdings eine gesellschaftsrechtliche Anknüpfung präferiert); offen gelassen von Böcker DZWIR 2016, 174, 179, der aber gewisse Vorbehalte an einer insolvenzrechtlichen Qualifikation anmeldet. 252 Zu dieser Qualifikation MAH/Römermann/Römermann/Mönchmeyer B Rn 83; Triebel/v Hase/Melerski/Triebel Rn 147; Labinski, S 112; Nuys, S 63; Wietz, S 44; Pattberg, S 15; vgl ferner Müller DB 2006, 824, 828, dem zufolge die oberste Entscheidungsgewalt bei der Gesellschafterversammlung liegt; beachte aber, dass das englische Gesellschaftsrecht keine zwingend vorgegebene Trennung zwischen Willensbildungsund Handlungsorgan kennt, sondern sogar der Gesellschafterversammlung die Befugnis zur Vertretung der Ltd einräumt; dazu Möser RIW 2010, 850, 859. 253 Ausschüttungsfähig sind damit weder die erwarteten Gewinne aus schwebenden Geschäften noch Vermögenszuwächse aufgrund der Neubewertung von Wirtschaftsgütern; dazu Just Rn 242; Heinz/Hartung Kap 9 Rn 35; Triebel/v. Hase/Melerski/Triebel Rn 124; Triebel/Illmer/Ringe/Vogenauer/Ziegler/Ringe/Otte § 4 Rn 114; v. Rummel, S 32 f; Röpke, S 103; Zessel, S 226; Christ, S 126; Otte, S 87 f; Degenhardt, S 56 f; Wietz, S 237; Labinski, S 121, 235 m Fn 1205; Nuys, S 92; Pattberg, S 38 f; Stärk, S 32, 154; Rönnau ZGR 2005, 832, 854; Kraatz JR 2011, 58, 62; Fornauf/Jobst GmbHR 2013, 125, 129; ferner Fleischer DStR 2000, 1015, 1016; Ebert/Levedag GmbHR 2003, 1337, 1343; Schumann DB 2004, 743, 744; Schall DStR 2006, 1229, 1231; Kadel MittBayNot 2006, 102, 104; Müller DB 2006, 824, 829 noch zu sec 263 CA 1985. 254 Just Rn 243; Heinz/Hartung Kap 9 Rn 38; v. Rummel, S 34 ff; Zessel, S 226; Christ, S 127; Otte, S 88 ff; Labinski, S 236 m Fn 1209; Peukert, S 61 f; allg zu dieser Erstattungspflicht Thole Der Konzern 2008, 402, 405; ferner Ebert/Levedag GmbHR 2003, 1337, 1344; Schall DStR 2006, 1229, 1231 zu sec 263 CA 1985.

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Vor dem Hintergrund dieses Kapitalschutzsystems liegt die Folgerung nicht fern, den director, der mit Zustimmung der Gesellschafter aber unter Verstoß gegen sec 829, 830 CA 2006 Gesellschaftsvermögen an letztere auskehrt, wegen Untreue gem § 266 Abs 1 StGB zu verurteilen. Nach dem oben unter Rn 44 zur GmbH-Untreue Ausgeführten setzt dies voraus, dass der die sec 829, 830 CA 2006 missachtende Gesellschafterwille nichtig ist bzw der Ltd nicht wirksam zugerechnet werden kann. Obiter hat der Court of Appeal eine Zurechnung des Gesellschafterwillens zwar ausgeschlossen, sobald die Gesellschafter eine Straftat zum Nachteil „ihrer“ Gesellschaft begehen.255 Ob diese Rspr für den Verstoß gegen sec 829, 830 CA 2006 gleichermaßen Geltung beansprucht, erscheint indes fraglich, da eine Strafbarkeit nicht automatische Folge der Verletzung von sec 829, 830 CA 2006 ist.256 Im Schrifttum allerdings findet sich der Hinweis, wonach die Gesellschafter Beeinträchtigungen der sec 829, 830 CA 2006 nicht wirksam konsentieren können.257 Wer sich dieser Position anschließt, muss den director, der unter Verstoß gegen sec 829, 830 CA 2006 Gesellschaftsvermögen ausschüttet, trotz Zustimmung sämtlicher Gesellschafter aus dem Tatbestand des § 266 Abs 1 StGB bestrafen.

4. Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip 50 Einzelne Vertreter des Schrifttums konstatieren einen Verstoß gegen das Rechtsstaats-

prinzip, sobald der Strafrichter iRd Tatbestandsauslegung auf fremdes Recht zurückgreifen muss. Um sämtlichen EU-Auslandsgesellschaften einen vergleichbaren Untreueschutz zu gewähren, sei es nötig, das Gesellschaftsrecht von 27 mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen zu beherrschen, und zwar so, wie es tatsächlich „gelebt“ werde.258 Da dies realistischerweise nicht möglich sei und vom Strafrichter auch nicht erwartet werden könne, gingen mit der Fremdrechtsanwendung „unübersehbare Ungerechtigkeiten, Ungereimtheiten und […] Härten“259 einher. Beifall verdient indes die Gegenansicht, die in der Fremdrechtsanwendung keinen 51 Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip erblickt.260 Neben der zutreffenden Erkenntnis, wonach das gelebte Recht eines Mitgliedstaates im Einzelfall durchaus – etwa im Wege von Sachverständigengutachten oder durch Anfrage bei ausländischen Ministerien, Behörden etc – ermittelt werden kann,261 weist sie darauf hin, dass auch § 7 Abs 2 StGB die Kenntnis der Rechtslage am ausländischen Tatort erfordert, das Problem der Fremdrechtsanwendung dem StGB mithin immanent und keinesfalls unbekannt ist.262

_____ 255 Lord Browne-Wilkinson in: Directors of Public Prosecutions v Gomez (1993) AC 442, 496. 256 Zu letzterem Labinski, S 236. 257 Wietz, S 238 f, 247, dem zufolge aber der Verstoß gegen bloße Formalvorgaben das Einverständnis nicht entfallen lässt, sofern verteilungsfähiger Gewinn vorhanden ist (aaO, S 245); Labinski, S 236; Stärk, S 156; Fornauf/Jobst GmbHR 2013, 125, 129; Schall DStR 2006, 1229, 1235; Ebert/Levedag GmbHR 2003, 1337, 1343 m Fn 47; Lotz ZInsO 2010, 1634, 1637 bzgl Verstöße gegen die duty to creditors; zu den Konsentierungsgrenzen allg sa Thole RIW 2008, 606, 611; ferner Heinz/Hartung Kap 6 Rn 47; Schwilden, S 104 ff. AA: Keine Nichtigkeit des Einverständnisses bei Verstoß gegen sec 829, 830 CA 2006 Peukert, S 61 f. 258 Zu diesem Erfordernis s Mankowski/Bock ZStW 120 (2008), 704, 730 f. 259 Oehler, Rn 744 f; sa Altenhain/Wietz NZG 2008, 569, 572 sowie Mosiek StV 2008, 94, 99. 260 Scholz/Tiedemann/Rönnau Vor §§ 82 ff Rn 77; Rönnau ZGR 2005, 832, 855; Schlösser wistra 2006, 81, 87. 261 Worm, S 86 f; Christ, S 338; Schlösser wistra 2006, 81, 87; zu den Ermittlungsmöglichkeiten sa Schramm/Hinderer ZIS 2010, 494, 499. 262 Labinski, S 89 f; s ferner auch Peukert, S 278.

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V. Bankrott (§ 283 StGB) und Verletzung der Buchführungspflicht (§ 283b StGB) in der Ltd Der Tatbestand des § 283 StGB normiert ein Sonderdelikt, dessen Täter nur der (Gemein-) 52 Schuldner sein kann.263 Da das deutsche Recht eine Strafbarkeit juristischer Personen nicht kennt, hat der Gesetzgeber den § 14 StGB auf Posten gestellt, um Strafbarkeitslücken zu verhindern, die entstehen, sobald ein Personenverband die Position des Gemeinschuldners einnimmt.264 Die Zurechnungsvorschrift des § 14 StGB versetzt den Rechtsanwender in die Lage, unter den dort genannten Voraussetzungen die Gemeinschuldnerrolle des Verbands seinen Organen/Beauftragten zuzuweisen. Bekleidet eine Ltd die Gemeinschuldnerrolle, bedürfen die nachfolgenden Punkte eingehender Betrachtung:

1. Der director als Adressat des § 14 StGB Die im Schrifttum hierüber geführte Debatte kreist um die Frage, ob der director in den 53 Gemeinschuldnerstatus „seiner“ Ltd gem § 14 Abs 1 Nr 1 StGB oder gem § 14 Abs 2 Nr 1 StGB einrückt. Entzündet hat sich die Auseinandersetzung an der im englischen Recht geltenden Mandatstheorie.265 Der director ist nach dem CA 2006 kein Organwalter der Gesellschaft, sondern ein mit weitreichenden Kompetenzen ausgestatteter Mandatsträger,266 der seine Rechtsmacht, die Ltd zu verpflichten und über das Gesellschaftsvermögen zu verfügen, von den Gesellschaftern eingeräumt bekommt. Mit Blick auf diese rechtstechnische Konstruktion scheint es ausgeschlossen, den director dem § 14 Abs 1 Nr 1 StGB zu subsumieren, da diese Vorschrift nur das Organ einer juristischen Person und damit ein Pflichtsubjekt adressiert, dem das Amt des director gerade nicht entspricht. Dennoch votiert die wohl herrschende Ansicht dafür, den director als Organ iSd § 14 Abs 1 Nr 1 StGB zu klassifizieren.267 Ihr zufolge ist der Terminus „Organ“ nicht technisch, sondern wertend zu verstehen und erfasst deshalb sämtliche Personen, die eine juristische Person nach außen und innen leiten.268 Im Vordergrund des § 14 Abs 1 Nr 1 StGB stehe nicht so sehr die Bezeichnung des handelnden Vertreters, als vielmehr dessen Funktion als Leitungsorgan.269 Darüber hinaus sei § 14 StGB mit „Handeln für einen anderen“ überschrieben und verwende § 14 Abs 1 StGB den Terminus „Vertreter“ als Oberbegriff.270 Zudem lasse das englische Recht

_____ 263 § 12 Rn 10. 264 Ausf § 12 Rn 11. 265 Dazu Möser RIW 2010, 850, 851; Wachter NZG 2005, 338, 339; Just, Rn 146; Wilde, S 168; Labinski, S 177; Hinderer, S 36 f; Wietz, S 35; Worm, S 62 f; Nuys, S 63, 401; Rönnau ZGR 2005, 832, 843; Gross/Schork NZI 2006, 10, 15; Radtke/M Hoffmann EuZW 2009, 404, 405; Hefendehl ZIP 2011, 601, 603; aA mit Blick auf das Gemeinschaftsrecht Weiß, S 158 f; mit Blick auf sec 35 A CA 1989 Schwilden, S 11 f. 266 Pattberg, S 14, 100; Stärk, S 29; Christ, S 336, die vom Beauftragten spricht. 267 Dafür LG Freiburg v 8.11.2010, 8 Ns 420 Js 9168/09, 8 Ns 420 Js 9168/09 – AK 2/10, Rn 96 (juris); LK/Tiedemann § 283 Rn 245; NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis 283d Rn 45; S/S/Perron § 14 Rn 16/17; M/R/ Altenhain § 283 Rn 6; Nuys, S 403; Pattberg, S 104; Weiß, S 160; Stärk, S 107; Christ, S 336; Brackmann, S 272; Rönnau ZGR 2005, 832, 844; Richter Tiedemann-FS, S 1023, 1034; Schumann ZIP 2007, 1189, 1195; ders wistra 2008, 229, 230; Gross/Schork NZI 2006, 10, 15; ferner Mankowski/Bock ZStW 120 (2008), 704, 754; ebenso Worm, S 65 f und Hinderer, S 37 ff, die ihre Ansicht maßgebend auf eine gemeinschaftsrechts-konforme Interpretation des Organbegriffs stützen; iE so wohl auch Ogiermann/Weber wistra 2011, 206, 209. 268 Pattberg, S 104; in diese Richtung auch BGH NZG 2013, 937, 938 am Bsp einer schweizerischen Aktiengesellschaft. 269 Rönnau ZGR 2005, 832, 844; zust Worm, S 66; Stärk, S 105. 270 Grdl zu dieser Argumentation Rönnau ZGR 2005, 832, 844, der aber auch darauf verweist, dass zumindest § 14 Abs 2 Nr 1 StGB anwendbar sei; sa Scholz/Tiedemann/Rönnau Vor §§ 82 ff Rn 79; zust Pattberg, S 103.

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282 | 2. Kapitel: Die gesellschaftsrechtlichen Funktionsträger

Bestrebungen erkennen, den director als Organ der Ltd aufzufassen.271 Diese Argumentation verdient Zustimmung. Wer hingegen mit der Gegenansicht meint, der Wortlaut des § 14 Abs 1 Nr 1 StGB sei überdehnt, sobald man den director einer Ltd hierunter fasst,272 reißt gleichwohl keine Strafbarkeitslücken auf, da § 14 Abs 2 Nr 1 StGB in die Bresche springt,273 die diese Interpretation des § 14 Abs 1 Nr 1 StGB hinterlässt. Allerdings handeln sich die Verfechter dieser Auffassung erhebliche Schwierigkeiten bei § 15a InsO ein. Wollten sie hier der gesetzgeberischen Intention entsprechend den director als Mitglied des Vertretungsorgans begreifen, gelänge dies allenfalls mithilfe des interpretatorischen Kunstgriffs, wonach Organ iSd § 15a Abs 1 S 1 InsO angesichts des Bestrebens, auch die Auslandsgesellschaften zu erfassen, untechnisch zu verstehen sei. Warum aber ausgerechnet der strafrechtlichen Vorschrift des § 14 Abs 1 Nr 1 StGB ein technisches Organverständnis zugrunde liegen soll, leuchtete dann nicht mehr ein. Vielmehr müsste unter Inkaufnahme erheblicher Strafbarkeitslücken der director vom Standpunkt der Gegenansicht konsequenterweise aus dem Täterkreis des § 15a InsO ausgeklammert werden. Überzeugend wäre das nicht. Der notwendige Zurechnungszusammenhang („als“ bzw „auf Grund dieses Auftrags“) bereitet im Kontext der Bilanz- und Buchführungsdelikte dagegen keine Probleme. Gem sec 394 CA 2006 hat der director nämlich einen Jahresabschluss bestehend aus einer Vermögensbilanz sowie einer Gewinn- und Verlustrechnung zu erstellen; sein Untätigbleiben ist der Ltd mithin zurechenbar.274 In allen übrigen Fällen muss indes im Streit um die richtige Interpretation der Partikel „als“ Stellung bezogen werden275.276 Während also der managing-director gem § 14 Abs 1 Nr 1 StGB in die Gemeinschuld54 nerrolle der Ltd einrückt, sofern er „als Organ“ handelt, ist bislang ungeklärt, ob Gleiches auch für den non-executive-director gilt. Zwar steht der non-executive-director dem deutschen Aufsichtsrat nahe und rechnet dieser nicht zum typischen Adressatenkreis des § 14 StGB. Im Unterschied zum Aufsichtsratsmitglied deutscher Provenienz beschränkt sich das Tätigkeitsfeld des non-executive-director aber in der Regel nicht darauf, die Geschäftsführung des managing-director zu überwachen. Vielmehr begründet die Position als non-executive-director ebenfalls eine vollwertige „director-Stellung“. Vor diesem Hintergrund spricht deshalb mehr dafür, den non-executive-director gleichfalls auf der Adressatenliste des § 14 StGB zu führen.277 55 Ein Eingriff in die Niederlassungsfreiheit ist dagegen nicht zu besorgen, sobald man dem director besondere persönliche Merkmale „seiner“ Ltd via § 14 StGB zurechnet. Da § 14 StGB als bloße Überleitungsvorschrift keine Ge- oder Verbote an den director bzw die Ltd adressiert, sondern lediglich die Voraussetzungen statuiert, unter denen bestimmte Statusmerkmale von der im Inland nicht straffähigen Ltd auf den director

_____ 271 Dazu Pattberg, S 101 f. 272 Labinski, S 177 f. 273 Hierfür G/J/W/Waßmer § 266 Rn 25; Hellmann/Beckemper, Rn 463; Labinski, S 178 f, 265, 272; Gross/ Schork NZI 2006, 10, 15; offen gelassen, ob Abs 1 Nr 1 oder Abs 2 Nr 1 gilt von Radtke/Hoffmann EuZW 2009, 404, 405. 274 Dazu Radtke/Hoffmann EuZW 2009, 404, 405. 275 Dazu ausf § 12 Rn 15 ff. 276 Zur Geltung der Interessentheorie s Richter Tiedemann-FS, S 1023, 1034; ferner Hinderer, S 48 f; implizit Pattberg, S 106 m Fn 520; für die Fuktionstheorie wohl Worm, S 67, die den Zurechnungszusammenhang anhand des Begriffspaars „in Ausübung/bei Gelegenheit“ vornehmen will. 277 Grdl dazu Pattberg, S 106 m Fn 519; zu den notwendigen Differenzierungen im Kontext des § 15a InsO s Wilde, S 173 ff.

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§ 5 Die Auslandsgesellschaften | 283

„überwälzt“ werden können, entsteht ein Konflikt mit der Niederlassungsfreiheit richtigerweise nicht.278

2. Die Krisentatbestände des § 283 StGB Der Tatbestand des § 283 Abs 1 StGB sanktioniert die Vornahme einer Bankrotthandlung 56 (vgl Nrn 1–8) im Zeitpunkt der drohenden/eingetretenen Zahlungsunfähigkeit bzw Überschuldung, wohingegen § 283 Abs 2 StGB demjenigen Schuldner Kriminalstrafe androht, der durch die Handlungen der Nrn 1–8 die Überschuldung/eingetretene Zahlungsunfähigkeit herbeiführt. Über die richtige Interpretation dieser Krisentatbestände herrscht in Rspr und Schrifttum keine Einigkeit.279 Jedoch scheint es so, als ob sich die Ansicht durchsetzt, die eine, strafrechtliche Besonderheiten berücksichtigende insolvenzrechtsakzessorische Auslegung der Termini „Überschuldung, eingetretene und drohende Zahlungsunfähigkeit“ befürwortet.280 Ihr hat sich mittlerweile für das Merkmal der Zahlungsunfähigkeit auch der BGH angeschlossen.281 Maßgebend sind damit die Legaldefinitionen der §§ 17 Abs 2, 18 Abs 2, 19 Abs 2 InsO.282 Bekleidet eine Ltd mit Verwaltungssitz im Inland die Gemeinschuldnerrolle, richtet 57 sich die Reichweite der Krisentermini ebenfalls nach den §§ 17 Abs 2, 18 Abs 2, 19 Abs 2 InsO.283 Insbes die Vermutung des Art 3 Abs 1 S 2 EG-InsVO steht dem Rückgriff auf die insolvenzrechtlichen Legaldefinitionen nicht entgegen. Denn die EU-Auslandsgesellschaften284 haben ihren Interessenmittelpunkt („center of main interest“, kurz „COMI“)285 im Inland; gem Art 3 Abs 1 S 1, Abs 2 S 1 EG-InsVO ist damit die Vermutung des Art 3 Abs 1 S 2 EG-InsVO entkräftet und findet folglich deutsches Insolvenzrecht Anwendung.286 Über Art 4 Abs 2 S 1 EG-InsVO erfasst die Berufung deutschen Insolvenzrechts mithin auch die Insolvenzantragsgründe, da die Voraussetzungen, unter denen das Insolvenzverfahren eröffnet wird, das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung regelt.287

_____ 278 Ausf zum Ganzen Pattberg, S 105 f; Worm, S 68, 116, 140, 204; aA Stärk, S 90, 105; ferner wohl Sandrock/Wetzler/N Hoffmann, S 227, 253; Christ, S 336, die aber bereits eine Beschränkung ablehnt bzw zumindest von Rechtfertigung ausgeht; offen gelassen von Spindler/Berner RIW 2004, 7, 15. 279 Ausf § 12 Rn 35 ff. 280 Dafür Hinderer, S 49; wohl auch Worm, S 89. 281 BGH wistra 2007, 308; BGH wistra 2007, 312. 282 Zum Ganzen s § 12 Rn 37. 283 Köke ZInsO 2005, 354, 357. Dazu, dass die Bewertung der Aktiva/Passiva iRd Überschuldungsbilanz es notwendig machen kann, auf englisches Gesellschaftsrecht zurückzugreifen, s Labinski, S 283 ff. 284 Dieser Terminus ist dem der „Scheinauslandsgesellschaft“ vorzuziehen; s nur M-G/B5/Müller-Gugenberger § 23 Rn 109. 285 Eine ausf Stellungnahme zu den unterschiedl Ermittlungsansätzen des „COMI“ findet sich bei Wilde, S 70 ff. 286 Dazu Rönnau ZGR 2005, 832, 853; Bittmann ZGR 2009, 931, 951; ders/Gruber GmbHR 2008, 867, 869; Schumann ZIP 2007, 1189, 1195; Kienle GmbHR 2007, 696, 698; Radtke/Hoffmann EuZW 2009, 404, 407; Gross/Schork NZI 2006, 10, 13; Spindler/Berner RIW 2004, 7, 11; Geyrhalter/Gänßler NZG 2003, 409, 413; Lawlor NZI 2005, 432, 433 f; Heinz AnwBl 2004, 612, 617; ders AnwBl 2005, 417, 418; Schumann DB 2004, 743, 746; Weller IPRax 2003, 207, 209; Köke ZInsO 2005, 354, 357; Ebert/Levedag GmbHR 2003, 1337, 1341; Nuys, S 289 f; Hinderer, S 52; Worm, S 88 f; Pattberg, S 96; Labinski, S 198; Wilde, S 78; Stärk, S 112; zur Entkräftung der Vermutungswirkung s etwa LG Duisburg ZIP 2007, 926; Müller DB 2006, 824, 827 m Fn 75. 287 IE wie hier M-G/Richter § 76 Rn 54; Wilde, S 128 f, 191, 197; Weiß, S 171; Hinderer, S 52 f; Pattberg, S 107 f; Schumann ZIP 2007, 1189, 1195; Radtke/Hoffmann EuZW 2009, 404, 407; ähnl Rönnau ZGR 2005, 832, 853; enger freilich Eidenmüller/Rehberg ZVglRWiss 105 (2006), 427, 445, denen zufolge die Bilanzierung bei § 19 Abs 2 InsO nach Gründungsrecht zu erfolgen hat.

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284 | 2. Kapitel: Die gesellschaftsrechtlichen Funktionsträger

3. Die Tathandlungen des § 283 Abs 1 Nrn 1–8 StGB 58 Die Tathandlungen des § 283 Abs 1 Nrn 1–8 StGB sind abschließend normiert. Inwieweit

englisches (Gesellschafts-)Recht ihre Interpretation determiniert, hängt von der jeweiligen Tathandlung ab. Deshalb wird im Folgenden zwischen den Nrn 1–4, 8 und den Nrn 5–7 unterschieden.

a) Die Auslegung der Nrn 1–4, 8 59 Betrachtet man die Tathandlungen des § 283 Abs 1 Nrn 1–4, 8 StGB etwas genauer, ent-

puppt sich allenfalls das in den Nrn 1–3, 8 geforderte Merkmal des „Widerspruchs zu den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft“288 als Einfallstor für englisches (Gesellschafts-)Recht.289 Sofern sich hierzu überhaupt Stellungnahmen finden, lehnen diese den Rückgriff auf englische Vorschriften – etwa solche des CA 2006 – ab. Denn die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Wirtschaft, denen das Verhalten der Nrn 1–3, 8 widersprechen müsse, habe der director nicht gegenüber „seiner“ Gesellschaft, sondern gegenüber den Gesellschaftsgläubigern zu beachten. Ein gesellschaftsrechtlicher Bezug des Merkmals, der es erfordere, seine Interpretation am ausländischen (Gesellschafts-)Recht auszurichten, bestehe mithin nicht.290 Im Vordergrund stehe vielmehr eine betriebswirtschaftliche, nicht eine juristische Bewertung der entsprechenden Handlungen.291 Etwas anderes gelte aber, falls englisches Recht ein den Nrn 1–4, 8 unterfallendes Verhalten gestatte. Der Grds, wonach nicht wirtschaftswidrig sei, was das Zivilrecht erlaube, erfahre insoweit eine Erweiterung.292 Diese Ansicht überzeugt bereits im Ausgangspunkt nicht, weil sie es – fälschlicherweise – für möglich hält, den unbestimmten Rechtsbegriff des ordnungsgemäßen Wirtschaftens unter Rückgriff auf (irgendwelche diffusen) betriebswirtschaftlichen Maßstäbe zu konkretisieren. Nach dem an anderer Stelle entwickelten Konkretisierungsansatz 293 sind Maßnahmen jenseits der Dreiwochenfrist, die § 15a Abs 1 InsO gewährt, um einen erfolgsversprechenden Sanierungsplan umzusetzen, stets, Maßnahmen im Vorfeld bzw während des Laufs der Dreiwochenfrist immer dann wirtschaftswidrig, wenn sie dem Maßstab der §§ 64 S 2 GmbHG, 92 Abs 2 S 2 AktG, 99 S 2 GenG, 130a Abs 1 S 2 HGB widersprechen. Allerdings ist in Rspr und Schrifttum umstritten, ob der director einer Ltd an die Vorgaben des § 64 S 2 GmbH gebunden ist.294 Wer diese Frage verneint, weil er § 64 S 2 GmbHG gesellschafts- und nicht insolvenzrechtlich qualifiziert, der kann zwar über all diejenigen Maßnahmen, die der director nach Ablauf der Dreiwochenfrist des § 15a Abs 1 InsO tätigt, mit der hier vertretenen Ansicht das Verdikt der Wirtschaftswidrigkeit fällen, da die Pflichten des § 15a Abs 1 InsO richtigerweise auch den director einer Ltd treffen,295 muss jedoch, um die

_____ 288 Ausf zu diesem Merkmal § 12 Rn 26 ff. 289 Dazu, dass sich bzgl der Nrn 1–4, 8 ansonsten keine Besonderheiten aus der Beteiligung einer Ltd ergeben, s Labinski, S 269 f; Sandrock/Wetzler/N Hoffmann, S 227, 254; Ogiermann/Weber wistra 2011, 206, 209. 290 So Hinderer, S 57; ähnl Mankowski/Bock ZStW 120 (2008), 704, 744. 291 Zum Ganzen s Labinski, S 270 f. 292 Pattberg, S 165 ff. 293 S § 12 Rn 31. 294 Dafür OLG Jena NZI 2013, 807 ff, allerdings noch zu § 64 Abs 2 GmbHG aF; abl dagegen Poertzgen NZI 2013, 809 f. 295 Su Rn 68 f.

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§ 5 Die Auslandsgesellschaften | 285

Wirtschaftlichkeit aller anderen Maßnahmen zu eruieren, das ausländische (Gesellschafts-)Recht befragen.

b) Die Auslegung der Nrn 5–7 Weitaus größere Schwierigkeiten bereitet es, den director, der entweder keine Handels- 60 bücher führt oder keine Bilanzen erstellt, gem § 283 Abs 1 Nrn 5–7 StGB bzw gem § 283b Abs 1 StGB, sofern die Tathandlung außerhalb der Krise erfolgt und eine solche nicht herbeiführt, zu bestrafen. Dreh- und Angelpunkt dieser Schwierigkeiten ist die Frage, welche Vorschriften den director zur Führung von Handelsbüchern und Bilanzen verpflichten und – falls diese Verpflichtung englischem Recht entspringen sollte – ob die §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b Abs 1 StGB auch den Verstoß gegen englische Buch- und Bilanzführungspflichten pönalisieren.

aa) Die von den §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b Abs 1 StGB in Bezug genommenen Buchund Bilanzführungspflichten Die §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b Abs 1 StGB verweisen auf Pflichten, die den Schuldner 61 dazu anhalten, Bücher und Bilanzen zu führen. Solche Pflichten finden sich etwa in den §§ 238 Abs 1 (Buchführung), 242 Abs 1 (Bilanzierung) HGB. Danach ist jeder Kaufmann zur Buch- und Bilanzführung verpflichtet.296 Ob die §§ 238 Abs 1, 242 Abs 1 HGB auch Auslandsgesellschaften wie die Ltd adressieren, darum tobt in Rspr und Schrifttum eine heftig geführte Auseinandersetzung: Die Befürworter, die die §§ 238 Abs 1, 242 Abs 1 HGB auf EU-Auslandsgesellschaften 62 erstrecken und deren Geschäftsleitungsorganen aufgeben, die Bücher und Bilanzen der Gesellschaft (auch) nach deutschem Recht zu führen, gründen ihrer Ansicht va auf den öffentlich-rechtlichen Charakter der §§ 238 Abs 1, 242 Abs 1 HGB.297, 298 Die Anwendbarkeit der §§ 238 ff HGB orientiere sich allein am Ort der kaufmännischen Niederlassung. Streitig ist freilich, woraus die Kaufmannseigenschaft der Auslandsgesellschaft folgt. Da § 6 Abs 2 HGB ausscheidet – eine Vorschrift, die die Kaufmannseigenschaft der Auslandsgesellschaft ausdrücklich anordnet, fehlt im deutschen Recht – wird zum Teil ein Rekurs auf § 6 Abs 1 HGB vorgeschlagen.299 Danach soll die Auslandsgesellschaft den Status eines Kaufmanns iSd deutschen HGB erwerben, sobald sie in einem dem deut-

_____ 296 Näher zum Inhalt dieser Pflichten § 12 Rn 126 ff und Rn 175 ff. 297 Allg für öffentlich-rechtliche Qualifikation der Buchführungspflichten LG Freiburg v 8.11.2010, 8 Ns 420 Js 9168/09, 8 Ns 420 Js 9168/09 – AK 2/10, Rn 99 (juris); Ebert/Levedag GmbHR 2003, 1337, 1338; M-G/ Richter § 85 Rn 4; Weyand/Diversy Rn 84; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 6, der es aber offen lässt, ob die sog „Scheinauslandsgesellschaften“ nach deutschem Recht buchführungspflichtig sind (aaO, Rn 19); Schumann wistra 2008, 229, 230; ders ZIP 2007, 1189, 1190; Radtke/Hoffmann EuZW 2009, 404, 406; Richter Tiedemann-FS, S 1023, 1037; Lenger/Apfel WiJ 2012, 34, 44; wohl auch Bittmann wistra 2010, 302, 303. 298 Vgl aber auch Wilk/Stewen wistra 2011, 161, 167, die zwar den öffentlich-rechtlichen Charakter der Bilanz- und Buchführungspflichten leugnen, indes gleichwohl davon ausgehen, dass die entsprechenden deutschen Regelungen für die englische Ltd gälten. Ein Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht läge hierin nicht, da die Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit gerechtfertigt sei; ähnl Ekkenga 400-Jahre-Universität-Gießen-FS, S 395, 406 f; offen gelassen von AG Stuttgart wistra 2008, 226, 229. 299 MK-BilR/Graf § 238 Rn 11; ferner Worm, S 70, die aus der Einpersonengesellschaftsrichtlinie und der dort angeordneten Vergleichbarkeit von GmbH und Ltd folgert, dass jede Ltd via § 6 Abs 1 HGB die Kaufmannseigenschaft erwirbt, und zwar anscheinend ungeachtet ihrer Eintragung im Handelsregister; ebenso Stärk, S 168; Degenhardt, S 68 f; Ebert/Levedag GmbHR 2003, 1337, 1339; wohl auch LG Freiburg v 8.11.2010, 8 Ns 420 Js 9168/09, 8 Ns 420 Js 9168/09 – AK 2/10, Rn 98 (juris).

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286 | 2. Kapitel: Die gesellschaftsrechtlichen Funktionsträger

schen Handelsregister funktional vergleichbaren ausländischen Register eingetragen worden ist.300 Die überzeugendere Ansicht fordert hingegen, die Kaufmannseigenschaft der Auslandsgesellschaft anhand der von § 1 Abs 2 HGB vorgegebenen Kriterien positiv festzustellen. Nur wenn das Gewerbe, das die Auslandsgesellschaft betreibt, einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert, geht es an, die Auslandsgesellschaft als Kaufmann zu begreifen.301 Etwas anderes mag allenfalls für diejenigen Auslandsgesellschaften gelten, die ihrer aus den §§ 13d–13h HGB folgenden Eintragungspflicht nachgekommen sind und sich im deutschen Handelsregister haben registrieren lassen.302 Die Gegner, die es ablehnen, die Buchführungs- und Bilanzierungspflichten des 63 HGB den Geschäftsleitern der EU-Auslandsgesellschaften aufzuerlegen, klassifizieren die §§ 238 ff HGB gesellschaftsrechtlich303 und disqualifizieren damit jegliche Erstreckung dieser Vorschriften auf EU-Auslandsgesellschaften als gemeinschaftsrechtswidrig. 304 Buchführungs- und Bilanzierungspflichten folgten für den director einer Ltd ausschließlich aus englischem Recht.305 Zwischen diesen beiden Meinungslagern steht die Ansicht, die zur Straflosigkeit des 64 director sub specie §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b Abs 1 StGB immer dann gelangt, wenn dieser zumindest nach den Vorschriften einer der beiden Rechtsordnungen die Bücher und Bilanzen der Ltd führt.306 Strafbar ist danach nur, wer seinen Pflichten weder nach deutschem noch nach englischem Recht nachkommt.307 Den Sieg im Streit um die richtige international-privatrechtliche Anknüpfung der 65 Bilanz- und Buchführungsvorschriften trägt die Ansicht davon, die die §§ 238 ff HGB gesellschaftsrechtlich qualifiziert und den director einer englischen Ltd von der Aufgabe entbindet, zusätzlich Bücher und Bilanzen nach deutschem Recht zu führen.308 Neben

_____ 300 Labinski, S 267 f; scheinbar auch Müller-Gugenberger Tiedemann-FS, S 1003, 1009 m Fn 41. 301 Weyand/Diversy Rn 84; Wilk/Stewen wistra 2011, 161, 167; Schumann ZIP 2007, 1189, 1190. 302 Darauf weist zu Recht M-G/Müller-Gugenberger § 23 Rn 107 hin; ebenso Wilk/Stewen wistra 2011, 161, 167. 303 Dafür Staub/Pöschke § 238 Rn 9, 26; MK-BilR/Graf § 238 Rn 13; Heinz/Hartung Kap 14 Rn 2; Scholz/ Tiedemann/Rönnau Vor §§ 82 ff Rn 79; Just Rn 262; Christ, S 339; Eidenmüller/Rehberg ZVglRWiss 105 (2006), 427, 443; Müller DB 2006, 824, 826; Just/Krämer BC 2006, 29; Labinski, S 273 f; Worm, S 72 f; Mankowski/Bock ZStW 120 (2008), 704, 755; Rönnau ZGR 2005, 832, 846; wohl auch Sandrock/Wetzler/ N Hoffmann, S 227, 255; dagegen deutlich Stärk, S 82. 304 Rönnau ZGR 2005, 832, 846; Labinski, S 273 ff, der zusätzlich dem im Lichte der Zweigniederlassungsrichtlinie ausgelegten § 325a HGB das Verbot entnimmt, EU-Auslandsgesellschaften zur Bilanz- und Buchführung nach deutschem Recht zu verpflichten; ähnl Pattberg, S 121 ff. 305 Zu den Rechtsgrundlagen im Einzelnen s Labinski, S 277 f; Pattberg, S 119 f; Nuys, S 129; Worm, S 74; Stärk, S 35 f; ferner Kienle GmbHR 2007, 696, 700, Just/Krämer BC 2006, 29 30 ff (die beiden zuletzt Genannten aber noch zum CA 1985); für die Geltung ausländischen Handelsbilanzrechts auch LK/Tiedemann § 283 Rn 245; M/R/Altenhain § 283 Rn 6; Pelz Rn 478 f; Rönnau ZGR 2005, 832, 846; Joerden/Szwark/Schmitz, S 199, 208; ferner wohl Sandrock/Wetzler/N Hoffmann, S 227, 255. 306 M-G/Müller-Gugenberger § 23 Rn 120a; vgl ferner Schumann ZIP 2007, 1189, 1193 sowie dens wistra 2008, 229, 230, der die Bilanz-/Buchführung nach ausländischem Recht qua Fiktion der Bilanz-/Buchführung nach deutschem Recht gleichstellt; zust Radtke/Hoffmann EuZW 2009, 404, 407 (zur Kritik an dieser „Fiktionslösung“ s Hinderer, S 114); ähnl Kienle GmbHR 2007, 696, 699: Straflosigkeit bei Buchführung nach englischem Recht, zumindest aber Einstellung des Strafverfahrens gem § 153 StPO. 307 Radtke/Hoffmann EuZW 2009, 404, 407; zust S/S/Heine/Schuster Vorbem §§ 283 ff Rn 1c und § 283 Rn 29; so wohl auch Schumann wistra 2008, 229, 230; ders ZIP 2007, 1189, 1194. 308 Vgl aber auch Hinderer, S 116, dem zufolge allein ausschlaggebend ist, ob die Verpflichtung, (zusätzlich) nach deutschem Recht zu bilanzieren, mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar ist; die Qualifikation der entsprechenden Regelungen als gesellschafts- oder öffentlich-rechtlich sei hierfür unerheblich; in eine andere Richtung zielt eine Überlegung von Pattberg, S 210 f, der im Kontext des § 15a InsO darauf hinweist,

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den gemeinschaftsrechtlichen Zweifeln, die aufkommen, sobald man dem director einer Ltd eine „doppelte“ Bilanz- und Buchführung zumutet,309 streitet für diese Ansicht va die Überlegung, wonach die Bilanz- und Buchführungsvorgaben so stark von gesellschaftsrechtlichen Wertungen und Besonderheiten abhängen, die unberücksichtigt blieben, wollte man diese Vorgaben allein öffentlich-rechtlich verstehen. Hierfür spricht des Weiteren die Vorschrift des § 325a HGB. Gem deren Abs 1 S 1 hat der Vertreter einer inländischen Zweigniederlassung die nach dem Recht der Hauptniederlassung erstellte Rechnungslegung im Inland offenzulegen. Da der EuGH den auf der Zweigniederlassungsrichtlinie basierenden Terminus der Zweigniederlassung weit auslegt und darunter selbst solche EU-Auslandsgesellschaften fasst, die sich im Herkunftsstaat wirtschaftlich nicht betätigen,310 gilt § 325a Abs 1 S 1 HGB auch für diese Gesellschaften. Wer darüber hinaus das Merkmal „Hauptniederlassung“ iSd § 325a Abs 1 S 1 HGB mit „Satzungssitz der Gesellschaft“ übersetzt,311 gelangt zu dem Ergebnis, dass diese EU-Auslandsgesellschaften gleichfalls verpflichtet sind, eine nach dem Recht des Satzungssitzes erstellte Rechnungslegung im Inland offenzulegen.312 Die Forderung zusätzlich Bilanzen und Bücher gem dem deutschen HGB zu führen, ergäbe vor diesem Hintergrund keinen Sinn, da diese Bücher/Bilanzen nicht einmal offengelegt werden müssten.313

bb) Bestrafung englischer Bilanz- und Buchführungsverstöße gem §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b Abs 1 StGB? Ob die §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b Abs 1 StGB die Missachtung englischer Bilanz- und 66 Buchführungsvorgaben strafbewehren, ist äußerst umstritten.314 Zum Teil werden die §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b Abs 1 StGB als („unechte“) Blankettdelikte315 und ihre Ausfüllung durch ausländisches Recht als Verstoß gegen den Parlamentsvorbehalt eingestuft.316 Andere Stimmen leugnen den Blankettcharakter der §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b

_____ dass erst feststehen müsse, ob eine bestimmte Norm des Sachrechts nach dem einschlägigen Kollisionsrecht überhaupt zur Anwendung berufen ist, bevor ihre Vereinbarkeit mit Gemeinschaftsrecht im Raum steht. 309 Ausf dazu Hinderer, S 117 ff; Stärk, S 172 ff; Degenhardt, S.70 sieht hierin den entscheidenden Nachteil der Ltd. 310 EuGH Slg. 1999, I-459 („Centros“); EuGH Slg. 2003, I-10155 („Inspire-Art“); zust etwa OLG Zweibrücken NZG 2003, 537, 538; LG Trier NZG 2003, 778. 311 Dafür Worm, S 74; Stärk, S 34; Rönnau ZGR 2005, 832, 846; Eidenmüller/Rehberg ZVglRWiss 105 (2006), 427, 436. 312 Zu diesem Befund Christ, S 339; Eidenmüller/Rehberg ZVglRWiss 105 (2006), 427, 438 und passim. 313 Worm, S 74; iE ebenso Stärk, S 34 f; Rönnau ZGR 2005, 832, 846; sa Eidenmüller/Rehberg ZVglRWiss 105 (2006), 427, 440; M-G/Wolf § 26 Rn 22; krit gegenüber solcher Argumentation Schumann ZIP 2007, 1189, 1192. 314 Zw etwa Park/Sorgenfrei Kap 5/T1 Rn 16, Bittmann ZGR 2009, 931, 952, allerdings ohne nähere Begründung. 315 OLG Karlsruhe NStZ 1985, 317; AG Lörrach NStZ 1985, 221; Pelz Rn 478; Worm, S 79; Hinderer, S 122 f; Labinski, S 280; Pattberg, S 146 ff, 155, 158; Joerden/Szwark/Schmitz, S 199, 208; Wilk/Stewen wistra 2011, 161, 166; Kienle GmbHR 2007, 696, 698; Park/Sorgenfrei Kap 5/T1 Rn 12 bzgl § 283b StGB; sympathisierend Rönnau ZGR 2005, 832, 848. 316 Scholz/Tiedemann/Rönnau Vor §§ 82 ff Rn 79; Joerden/Szwark/Schmitz, S 199, 208; Hinderer, S 129 ff; Pattberg, S 150, 161 f; Stärk, S 168; iE ebenso Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 16; in diese Richtung auch Wilk/Stewen wistra 2011, 161, 166 f; Rönnau ZGR 2005, 832, 849 f; vgl auf dieser Linie ferner Weiß, S 37 f; sa BGHSt 21, 277, 279 = JR 1968, 266, 267 zu § 21 StVG aF sowie Schlösser/Mosiek HRRS 2010, 424, 426.

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Abs 1 StGB317 und haben deshalb keine Bedenken, die Verletzung ausländischer Buchführungs- und Bilanzierungspflichten entsprechend zu bestrafen. Wieder andere akzeptieren zwar die Blanketteigenschaft der §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b Abs 1 StGB, widersprechen jedoch den Einwänden sub specie Parlamentsvorbehalt:318 Zum einen habe der deutsche Gesetzgeber über das tatbestandliche Unrecht der §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b Abs 1 StGB selbst entschieden und die unrechtsbegründenden Kriterien auch selbst umschrieben.319 Zum anderen habe er sich, als er den Gemeinschaftsverträgen zustimmte, damit einverstanden erklärt, die Buchführungs- und Bilanzierungspflichten iRd §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b Abs 1 StGB auf der Grundlage EU-ausländischen Rechts zu bestimmen.320 Schließlich enthalte der Wortlaut der §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b Abs 1 StGB keine Beschränkung auf deutsches Handelsbilanzrecht.321 Den Vorzug verdient die Ansicht, die mit Blick auf den Parlamentsvorbehalt die 67 Missachtung ausländischer Bilanzierungsvorschriften nicht gem §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b Abs 1 StGB sanktioniert. Zu Recht weist sie darauf hin, dass der Umstand, wonach der Gesetzgeber sowohl das tatbestandliche Unrecht als auch die unrechtsbegründenden Kriterien der §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b Abs 1 StGB selbst normiert habe, nicht von dem Erfordernis entbindet, die blankettausfüllende außerstrafrechtliche Regelung ebenfalls dem deutschen Recht zu entnehmen.322 Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Zustimmung des deutschen Gesetzgebers zu den Gemeinschaftsverträgen, war doch damals überhaupt nicht absehbar, welche weiten Kreise die Niederlassungsfreiheit im Kontext des (internationalen) Gesellschaftsrechts ziehen würde.323 Völlig straflos bleibt der director, der es unterlässt nach englischem Recht Bücher und Bilanzen zu führen, aber nicht. So kann er sich im Falle unordentlichen Führens oder Veränderns von Handelsbüchern zumindest nach § 283 Abs 1 Nr 8 StGB strafbar machen.324 Ob eine Strafbarkeit nach diesem Auffangtatbestand auch denjenigen director trifft, der keine Bücher/Bilanzen führt, ist hingegen umstritten. Die Antwort hierauf hängt davon ab, ob § 283 Abs 1 Nr 8 StGB durch Unterlassen begehbar ist325 und ob den director bejahendenfalls eine entsprechende Garantenstellung trifft.326

_____ 317 Dafür Liebelt NStZ 1989, 182; ferner LK/Werle/Jeßberger Vor § 3 Rn 335 und S/S/Sternberg-Lieben28 § 15 Rn 103, letztere allerdings beschränkt auf § 283b StGB. 318 LK/Tiedemann § 283 Rn 92, 244, der aber zusätzlich fordert, dass das ausländische Recht einem vergleichbaren Organ eine dem deutschen Recht vergleichbare Buchführungspflicht (usw) auferlegt; zust Niemeyer, S 168; ferner Labinski, S 75 f, 280 f; Worm, S 85 f; Kienle GmbHR 2007, 696, 698; sympathisierend MAH/Vogel § 14 Rn 36. 319 Worm, S 85; Labinski, S 281; Schumann ZIP 2007, 1189, 1195. 320 Labinski, S 281 f. 321 LK/Tiedemann § 283 Rn 244; Labinski, S 279; Hinderer, S 130; Worm, S 78; Niemeyer, S 167; ferner Wilk/Stewen wistra 2011, 161, 166; Kienle GmbHR 2007, 696, 698; sa Schumann ZIP 2007, 1189, 1194. 322 AA aber Worm, S 77, der zufolge die Ansicht, wonach ein Blankett stillschweigend immer nur auf inländisches Recht verweise, gemeinschaftsrechtswidrig ist. 323 Ausf zum Ganzen auch mit Blick auf die Unterschiede zu § 170 StGB Hinderer, S 130 ff. 324 Dafür Scholz/Tiedemann/Rönnau Vor §§ 82 ff Rn 79; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 21; Hinderer, S 136 f; Christ, S 340; Rönnau ZGR 2005, 832, 850 ff; aA aber Pattberg, S 178 ff, der Bestimmtheitsbedenken gegen diese Ansicht ins Feld führt; ferner Stärk, S 178 m Fn 746, die nur solche Handlungen unter § 283 Abs 1 Nr 8 StGB fassen will, die einen von den Nrn 1–7 abweichenden Charakter aufweisen. 325 Dazu s Hinderer, S 137 f. 326 Zw Rönnau ZGR 2005, 832, 851 f; bejahend Hinderer, S 140 ff, der aber zugleich darauf hinweist, dass dem Merkmal „verheimlichen“ iSd § 283 Abs 1 Nr 8 StGB auch ohne die Annahme einer Garantenstellung die unterbliebene Buchführung subsumiert werden kann.

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VI. Die Insolvenzverschleppung (§ 15a Abs 4, 5 InsO) Während unter dem Regime des § 84 Abs 1 Nr 2 GmbHG der director nach nahezu einhel- 68 liger Meinung kein tauglicher Täter der strafbaren Insolvenzverschleppung sein konnte,327 hat sich das Blatt mit der Schaffung des § 15a Abs 4, 5 InsO gewendet. Nicht zuletzt der Standort des § 15a InsO in der Insolvenzordnung und seine rechtsformneutrale Formulierung geben der Ansicht Auftrieb, die – ganz im Einklang mit dem Willen des MoMiG-Gesetzgebers328 – den director nunmehr dem Täterkreis der strafbaren Insolvenzverschleppung zuschlägt.329 Insbes das Analogieverbot hindert nicht, den director dem mit „Mitglied des Vertretungsorgans“ umschriebenen Täterkreis des § 15a Abs 4, 5 iVm Abs 1 S 1 InsO zu subsumieren.330 Im Unterschied zum Geschäftsführer iSd § 84 Abs 1 Nr 2 GmbHG erfasst die Vokabel „Mitglied des Vertretungsorgans“ nach ihrem Wortlaut auch die Geschäftsleiter ausländischer Gesellschaften. Ob dies freilich für sämtliche directors gilt, oder ob unter dem Merkmal „Mitglied des Vertretungsorgans“ lediglich der managing- sowie die executive-director(s) rangieren, ist derzeit noch ungeklärt.331 Mehr dürfte aber in der Tat dafür sprechen, den non-executive-director grds von der Täterliste des

_____ 327 LG Gera wistra 2004, 435; MK/Kiethe/Hohmann § 15a InsO Rn 29; M-G/Richter § 80 Rn 21; W/J/Beck 6/55b, 110a; W/J/Köhler3 7/13; GK-GmbHG/Ransiek Vor § 82 Rn 68; MAH/Römermann/Römermann/Röver E Rn 113; K/P/B/Preuß § 15a Rn 63; HambK/Borchardt § 15a InsO Rn 44; M/G/Rinjes 8/273 f; MAH/Böttger § 19 Rn 190; Böttger/Verjans 4/142; Pelz Rn 464; Just Rn 346; Labinski, S 207 f; Worm, S 50 ff; Wilde, S 20; Christ, S 334 f; Niemeyer, S 168; Ceffinato, S 87; Brettner, S 36; Schlösser wistra 2006, 81, 84; Richter Tiedemann-FS, S 1023, 1032; Hiebl Mehle-FS, S 273, 276; Joerden/Szwark/Schmitz, S 199, 206; Rönnau ZGR 2005, 832, 839; Mankowski/Bock ZStW 120 (2008), 704, 753 f; Sandrock/Wetzler/N Hoffmann, S 227, 249 ff; Kienle GmbHR 2007, 696, 697; Schumann wistra 2008, 229 f; Bittmann NStZ 2009, 113, 114; ders wistra 2007, 321; ders/ Gruber GmbHR 2008, 867; Weyand ZInsO 2008, 702, 706; Hirte Schäfer-FS, S 605, 615; Büttner ZInsO 2009, 841, 849; Müller-Gugenberger GmbHR 2009, 578, 579; Spindler/Berner RIW 2004, 7, 15; Just ZIP 2006, 1251, 1252 f; Franke wistra 2004, 436; wohl auch Pattberg, S 205 f Anders aber Nuys, S 279 und passim, der die Ltd mit Sitz im Inland als faktische GmbH (S 213 ff) und den director als Geschäftsführer iSd § 84 Abs 1 Nr 2 GmbHG aF qualifiziert (S 221 ff); ähnl bereits Gross/Schork NZI 2006, 10, 12 f, die mit Blick auf die Rechtsfigur des faktischen Geschäftsführers den director dem Täterkreis des § 84 Abs 1 Nr 2 GmbHG aF zuschlagen; ferner Weiß, S 143, der mit Blick auf die §§ 35a Abs 4, 79 GmbHG die These aufstellt, wonach all diejenigen Vorschriften des GmbHG, die nicht zum Gesellschaftsstatut rechnen, auch auf ausländische Gesellschaften Anwendung finden; krit gegenüber einer am faktischen Geschäftsführer ansetzenden Konstruktionen Wietz, S 115. 328 BT-Drucks 16/6140, S 55. 329 M/G/Rinjes 8/19, 283; M-G/Richter § 76 Rn 54 und § 80 Rn 22; W/J/Pelz 9/13; Eidam/Weyand 7/915 f; K Schmidt/K Schmidt/Herchen § 15a Rn 10; FK-InsO/Schmerbach § 15a Rn 50; G/E/S/Gehrlein Vor § 64 Rn 105; K/P/B/Preuß § 15a Rn 9 f; HeiK-InsO/Ransiek § 15a Rn 39; GK-GmbHG/Ransiek Vor § 82 Rn 69; Weyand/Diversy Rn 144 f; Böttger/Verjans 4/148; Worm, S 231 f; Pattberg, S 238 ff; Ceffinato, S 88 m Fn 199; Hiebl Mehle-FS, S 273, 281; Hefendehl ZIP 2011, 601, 603; Radtke/Hoffmann EuZW 2009, 404, 407 f; MüllerGugenberger GmbHR 2009, 578, 579; Weyand ZInsO 2008, 702, 705; Lenger/Apfel WiJ 2012, 101, 106; Brete/ Thomsen KSI 2009, 66, 67; Bittmann GmbHR 2007, 70, 74 f; Popp JURA 2012, 618, 624; wohl auch Schramm/ Hinderer ZIS 2010, 494, 497; sympathisierend ferner Ogiermann/Weber wistra 2011, 206, 209; Poertzgen ZInsO 2007, 574, 575 f; offen gelassen bei Scholz/Tiedemann/Rönnau Vor §§ 82 ff Rn 75; unklar G/E/S/Boetticher Vor §§ 82 ff Rn 11; abl Hirte Schäfer-FS, S 605, 616. 330 Wilde, S 168 ff; Weiß, S 217; Stärk, S 109; dazu, dass die früheren Bedenken sub specie Analogieverbot im Einzugsbereich des § 15a InsO ihre Bedeutung verloren haben, s Labinski, S 191; aA aber Servatius DB 2015, 1087, 1091 f. 331 Für Einbeziehung des de facto und des shadow director Weiß, S 163, freilich noch zu § 64 Abs 1 GmbHG aF; Wilk/Stewen wistra 2011, 161, 165; vgl ferner Wilde, S 182, der sich dafür ausspricht, im Einzugsbereich des § 15a InsO das faktische Vertretungsorgan anhand des inländischen Gesellschaftsrechts zu ermitteln. Maßgebend sei nicht, ob der präsumtive Täter zur Gruppe der de facto bzw shadow directors rechne, sondern ob er die Voraussetzungen erfülle, die die Figur des faktischen Organs aufstellt.

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290 | 2. Kapitel: Die gesellschaftsrechtlichen Funktionsträger

§ 15a InsO zu streichen.332 Die Schwierigkeiten potenzieren sich, sobald eine andere Ltd den Posten des director bekleidet. Wer hier dem director der „director-Ltd“ deren Antragspflicht in einer Weise zurechnen will, dass ersterer, unterlässt er es, den Insolvenzantrag ordnungsgemäß zu stellen, sich gem § 15a Abs 4, 5 InsO strafbar macht, muss den Weg über § 14 StGB gehen.333 Eine analoge Anwendung des § 15a Abs 1 S 2 InsO334 bewerkstelligt dagegen keine „strafrechtsfeste“ Überwälzung der Antragspflicht.335 Damit er sich gem § 15a Abs 4, 5 InsO strafbar machen kann, muss dem director einer 69 englischen Ltd mit Hauptsitz im Inland die Antragspflicht des § 15a Abs 1 InsO obliegen. Der Ausgang dieser Frage bemisst sich nach der international-privatrechtlichen Qualifikation dieser Pflicht. Knüpft man § 15a Abs 1 InsO seiner Stellung entsprechend insolvenzrechtlich an,336 adressiert die Antragspflicht auch den director. Favorisiert man dagegen eine gesellschaftsrechtliche Anknüpfung,337 verstieße die Anwendung des § 15a Abs 1 InsO auf EU-Auslandsgesellschaften gegen die Niederlassungsfreiheit.338 Die zutreffende hM klassifiziert § 15a Abs 1 InsO insolvenzrechtlich. Im Falle der Überschuldung/Zahlungsunfähigkeit einer im Inland domizilierenden Ltd hat also der director einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen,339 andernfalls seine Strafbarkeit nach § 15a Abs 4, 5 InsO im Raum steht. Um dem „Firmenbestattungsunwesen“ das Handwerk zu legen,340 hat der MoMiG70 Gesetzgeber mit § 15a Abs 3 InsO die Insolvenzantragspflicht auf die Gesellschafter erstreckt, sobald die Gesellschaft in den Zustand der Führungslosigkeit (vgl § 35 Abs 1 S 2 GmbHG) gerät.341 Ob § 15a Abs 3 InsO auch die Ltd-Gesellschafter erfasst, ist derzeit noch ungeklärt. Blickt man in das einschlägige Schrifttum – Rspr zu dieser Frage fehlt bislang – herrscht die Ansicht vor, wonach § 15a Abs 3 InsO für EU-Auslandsgesellschaften keine Geltung beansprucht.342 Indem § 15a Abs 3 InsO die Insolvenzantragspflicht auf die

_____ 332 Dazu Wilde, S 179; Wilk/Stewen wistra 2011, 161, 165; zust M/G/Rinjes 8/283 m Fn 649; aA Weiß, S 164. 333 Brettner, S 62; Hefendehl ZIP 2011, 601, 603. 334 Dazu Baumbach/Hueck/Haas § 64 Rn 169. 335 So auch Baumbach/Hueck/Haas § 64 Rn 169. 336 Dafür K Schmidt/K Schmidt/Herchen § 15a Rn 7; K/P/B/Preuß § 15a Rn 9 f; BerlK/Haas § 15a Rn 8; Heinz/Hartung Kap 17 Rn 59; Böttger/Verjans 4/147; Pelz Rn 471 ff; W/J/ders 9/33; Wilde, S 126 f, 142 und passim; Worm, S 231; Labinski, S 195 ff; Pattberg, S 217 f und passim; Stärk, S 116; Hiebl Mehle-FS, S 273, 281; Hefendehl ZIP 2011, 601, 603; Römermann NZI 2008, 641, 645; zu § 64 Abs 1 GmbHG aF LG Kiel GmbHR 2006, 710, 711 f; zust Leutner/Langner GmbHR 2006, 713, 714; Cranshaw jurisPR-InsR 2/2007, Anm 1; Köke/Schwabe ZAP 2006 Fach 15, 511, 519 f; Röpke, S 158; Christ, S 331 ff; Weiß, S 119 und passim; sympathisierend auch Brettner, S 47, der aber erhebliche Unsicherheiten ausmacht, ob § 15a InsO mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar ist (aaO, S 60, 62 f und passim); abl Triebel/v. Hase/Melerski/v. Hase Rn 619; Otte, S 157 f; Just ZIP 2006, 1251, 1253; Pohl Raupach-FS, S 375, 384; Schumann DB 2004, 743, 746; offen gelassen von Kadel MittBayNot 2006, 102, 110. 337 Dafür Hirte Schäfer-FS, S 605, 616; tendenziell in diese Richtung ferner Bittmann/Gruber GmbHR 2008, 867, 871; vgl auch Uhlenbruck/Hirte § 15a Rn 3 und M-G/Richter § 80 Rn 15, denen zufolge die Herausnahme der Vereine aus dem Anwendungsbereich des § 15a Abs 1 InsO durch § 15a Abs 6 InsO zumindest Zweifel an der insolvenzrechtlichen Qualifikation der Antragspflicht nährt. 338 Zur Möglichkeit einer Rechtfertigung s ausf Bittmann/Gruber GmbHR 2008, 867, 871 ff. 339 Hinderer, S 168 f; Stärk, S 121 und passim. 340 Nach Bittmann wistra 2007, 321, 322 ist die Anordnung des § 15a Abs 3 InsO allenfalls geeignet, den Anreiz zur Firmenbestattung ein wenig zu mindern. 341 Zu dieser gesetzgeberischen Intention s etwa Müller-Gugenberger GmbHR 2009, 578, 580. 342 K Schmidt/K Schmidt/Herchen § 15a Rn 21; FK-InsO/Schmerbach § 15 Rn 52 und § 15a Rn 51; Böttger/ Verjans 4/155; Wilk/Stewen wistra 2011, 161, 165 am Bsp des non-executive-director; wohl auch M-G/ Richter § 80 Rn 36; allg Hiebl Mehle-FS, S 273, 284; Hefendehl ZIP 2011, 601, 606; Wälzholz GmbHR 2008,

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Gesellschafter ausdehne, greife er in einen Regelungsbereich – die gesellschaftsinterne Aufgabenverteilung – ein, der allein dem Gesellschaftsrecht vorbehalten sei. Da die EUAuslandsgesellschaften jedoch ihr eigenes Gesellschaftsrecht mitbrächten, verstieße es gegen die Niederlassungsfreiheit, wollte man die Gesellschafter einer Ltd, die über keinen director verfügt, via § 15a Abs 3 InsO zur Insolvenzantragsstellung zwingen.343 Das überzeugt nur zum Teil: Mit der von § 35 Abs 1 S 2 GmbHG angeordneten passiven Vertretung, hat der Gesetzgeber in der Tat eine gesellschaftsrechtliche Angelegenheit geregelt. Warum aber Gleiches iRd § 15a Abs 3 InsO gelten soll, bleibt unerfindlich. Der Hinweis, eine insolvenzrechtliche Qualifikation sei ausgeschlossen, wenn die Antragspflicht einem nicht allgemein zur Vertretung des Schuldners berechtigten und verpflichteten Organ zugewiesen werde,344 greift jedenfalls zu kurz. Denn im Vordergrund des § 15a Abs 3 InsO steht weniger der Zweck, den Gesellschaftern Vertretungsbefugnis einzuräumen, als vielmehr die Sorge, auch im Falle der Führungslosigkeit die rechtzeitige Verfahrenseröffnung zu gewährleisten. Anders gewendet: Die Veränderung der internen Gesellschaftsstruktur, die § 15a Abs 3 InsO unbestritten bewirkt, stellt sich im Kontext der Insolvenzantragspflicht als bloßer Reflex dar und vermag nicht den § 15a Abs 3 InsO dem Gesellschaftsrecht zuzuschlagen. Schwerer wiegt schon der Einwand, wonach § 15a Abs 3 InsO lediglich die Rechtsformen „Gesellschaft mit beschränkter Haftung“, „Aktiengesellschaft“ und „Genossenschaft“ anspreche.345 Allerdings überschreitet angesichts der zahlreichen zwischen Ltd und GmbH bestehenden Gemeinsamkeiten346 die Wortlautgrenze nicht, wer die Ltd dem Terminus „Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ subsumiert.347 Darüber hinaus legt auch das Gemeinschaftsrecht, das die Ltd als „Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ begreift,348 ein solches Verständnis nahe. Im Falle der Führungslosigkeit sind mithin auch die Ltd-Gesellschafter antragspflichtig.349 Während der nicht bzw nicht rechtzeitig gestellte Insolvenzantrag auch unter dem 71 alten Recht zur Strafhaftung führte,350 hat das MoMiG dem § 15a Abs 4 InsO die Tathandlung des nicht richtig gestellten Insolvenzantrags hinzugefügt.351 Um das richtige Verständnis dieser neu eingeführten Tathandlung ranken sich zahlreiche Zweifelsfra-

_____ 841, 847; aA, allerdings ohne Begr Heinz/Hartung Kap 17 Rn 63; ebenso wohl Scholz/Tiedemann/Rönnau Vor §§ 82 ff Rn 75. 343 So etwa Weiß, S 217. 344 Weiß, S 217. 345 K Schmidt/K Schmidt/Herchen § 15a Rn 21; FK-InsO/Schmerbach § 15a Rn 51; Bittmann NStZ 2009, 113, 115; ähnl schon ders wistra 2007, 321, 322. 346 Zur „Wesensverwandtschaft“ zwischen GmbH und Ltd s Ekkenga 400-Jahre-Universität-Gießen-FS, S 395, 401. 347 Dafür etwa Gross/Schork NZI 2006, 10, 12 f; aA freilich Hiebl Mehle-FS, S 273, 284. 348 Freilich geht es nicht an, die Vokabel „Ltd“ einfach mit „GmbH“ zu übersetzen; dazu Römermann GmbHR 2006, 262, 263. 349 So etwa BerlK/Haas § 15a Rn 35; Roth/Altmeppen/Altmeppen Vorbem § 64 Rn 65; wohl auch K/P/B/ Preuß § 15a Rn 43; zu diesem Erg gelangt Weiß, S 217 nur für den Fall, dass die Abberufung des director missbräuchlich erfolgt, da das Gemeinschaftsrecht in solchen Konstellationen eine Sonderanknüpfung gestattet. 350 Allerdings nannte § 84 Abs 1 Nr 2 GmbHG aF die Tathandlung des „nicht rechtzeitig gestellten Insolvenzantrags“ nicht ausdrücklich. Vielmehr wurden die entsprechenden Fallgestaltungen der unterbliebenen Insolvenzantragsstellung gleichgesetzt; zu diesem Befund s nur K/P/B/Preuß § 15a Rn 76. Der „nicht rechtzeitig gestellte Insolvenzantrag“ war lediglich in § 148 Abs 1 Nr 2 GenG erwähnt. 351 Vor Inkrafttreten des MoMiG waren die Fälle „einer nicht richtigen“ Antragsstellung regelmäßig straflos; s nur KG wistra 2002, 313, 315 f.

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gen352,353 wovon sich eine aus dem Themenkomplex der Auslandsgesellschaften speist. So ist fraglich, ob der director einer Ltd, deren Interessenmittelpunkt im Inland liegt, den § 15a Abs 4 Var. 2 InsO verwirklicht, wenn er den Insolvenzantrag nicht bei dem zuständigen deutschen, sondern bei einem unzuständigen ausländischen Insolvenzgericht stellt. Die Ansicht, die mit Blick auf die Artt 16, 17 EG-InsVO vorschlägt, den director sub specie § 15a Abs 4 Var. 2 InsO straflos zu stellen, sofern das von ihm angegangene unzuständige Gericht das Verfahren eröffnet, ihn hingegen aus § 15a Abs 4 Var. 2 InsO im Falle der Antragsabweisung zu bestrafen,354 überzeugt nicht. Da es sich bei den Tatbeständen des § 15a InsO um abstrakte Gefährdungsdelikte handelt,355 verwirklicht den § 15a Abs 4 Var 2 InsO bereits, wer den Insolvenzantrag an ein unzuständiges Gericht adressiert und dadurch die Gefahr einer Zurückweisung des Antrags heraufbeschwört. Dass der worst case tatsächlich nicht eintritt und das angegangene Gericht trotz seiner Unzuständigkeit das Insolvenzverfahren eröffnet, beseitigt die bereits verwirkte Strafbarkeit nicht.356 Zu keinem anderen Ergebnis zwingt die von § 306a Abs 1 StGB her bekannte Einschränkung, wonach solches tatbestandliches Verhalten nicht zur Strafhaftung führe, das das geschützte Rechtsgut ersichtlich nicht gefährden konnte. Denn im Zeitpunkt der Insolvenzantragsstellung beim unzuständigen Gericht ist keineswegs sicher, dass dieses den Antrag nicht zurückweisen wird. Für Diskussionsstoff hat im Schrifttum der Fall gesorgt, dass der director innerhalb 72 der Frist des § 15a Abs 1 S 1 InsO beim zuständigen deutschen Gericht Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellt, dieses aber unter Verkennung des inländischen Interessenmittelpunktes lediglich ein isoliertes Partikularinsolvenzverfahren iSd Art 3 Abs 4 EG-InsVO eröffnet. Da das Partikularinsolvenzverfahren gem Art 3 Abs 2 EG-InsVO nur das im Inland belegene Vermögen ergreift, die ausländischen Vermögenswerte mithin vom Insolvenzbeschlag unberührt bleiben,357 wäre die These nicht fernliegend, der director sei seiner Pflicht aus § 15a Abs 1 S 1 InsO nicht hinreichend nachgekommen. Dabei würde jedoch verkannt, dass ein Fehler des Insolvenzgerichts zur Eröffnung des Partikularinsolvenzverfahrens geführt hat. Dieser Fehler ließe sich zwar beheben, indem der director den Eröffnungsbeschluss gem § 34 Abs 2 InsO mit der sofortigen Beschwerde angreift. Eine Verpflichtung hierzu lässt sich dem § 15a Abs 1 S 1 InsO indes nicht entnehmen. Genausowenig fordert § 15a Abs 1 S 1 InsO vom director einen Antrag auf Durchführung des Hauptinsolvenzverfahrens zu stellen, da diesem das eröffnete Partikularinsolvenzverfahren entgegensteht. Ein Verstoß gegen § 15a Abs 1 S 1 InsO und eine Strafbarkeit gem § 15a Abs 4, 5 InsO scheiden somit richtigerweise aus.358 Hat der director die Pflichten aus § 15a Abs 1 S 1 InsO missachtet, obschon „seine“ 73 Ltd ausschließlich im Inland residiert und eröffnet sodann ein unzuständiges ausländi-

_____ 352 Ausf o § 11 Rn 23 ff. 353 S erg Brand KTS 2014, 1, 10 ff, Rönnau/Wegner ZInsO 2014, 1025 ff sowie Böttger/Verjans 4/163 ff und M-G/Richter § 80 Rn 53 ff. 354 Dafür Pattberg, S 246 f; Wilde, S 228 ff, 241 m Fn 870, 247 m Fn 886; vgl auch AG Köln NZI 2005, 564, dem zufolge nicht gegen § 64 Abs 1 GmbHG aF verstößt, wer den Insolvenzantrag bei einem unzuständigen ausländischen Gericht stellt, jedenfalls sofern dieses das Verfahren hierauf eröffnet. 355 MK/Kiethe/Hohmann § 15a InsO Rn 5; M-G/Richter § 80 Rn 5; Wilde, S 86. 356 So wohl auch, freilich zu § 64 Abs 1 GmbHG aF Weiß, S 178. 357 Näher zum Partikular- und Sekundärinsolvenzverfahren Ehricke/Ries JuS 2003, 313 (314 f, 318 f). 358 Ausf zum Ganzen Wilde, S 218; ebenso Weiß, S 180, der allerdings maßgebend auf den Umstand abhebt, wonach der Fehler der Sphäre des Gerichts entstammt.

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§ 5 Die Auslandsgesellschaften | 293

sches Insolvenzgericht auf seinen Antrag hin das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Ltd, könnte die gegenseitige Anerkennungspflicht des Art 16 Abs 1 EG-InsVO dazu zwingen, den director aus der bereits verwirkten Strafhaftung nach § 15a Abs 4, 5 InsO zu entlassen. Zwar spricht Art 16 Abs 1 EG-InsVO nur vom zuständigen Gericht. Jedoch hat sich zwischenzeitlich die Ansicht durchgesetzt, die Art 16 Abs 1 EG-InsVO auch dann anwendet, wenn ein unzuständiges Gericht das Hauptinsolvenzverfahren eröffnet, nachdem es den Schuldner angehört hat.359 Aus Gründen der Rechtssicherheit verbietet Art 16 Abs 1 EG-InsVO die zweitstaatliche Überprüfung der internationalen Zuständigkeit. Diese Zielsetzung soll nach teilweise vertretener Ansicht in Gefahr geraten, gestattete man den inländischen Strafgerichten im Rahmen einer auf § 15a Abs 4, 5 InsO gestützten Anklage nachzuprüfen, ob das ausländische Gericht seine Zuständigkeit zu Recht angenommen hat. Deshalb müsse – sofern das ausländische Insolvenzgericht an seiner Beurteilung festhält – der director vom Vorwurf der strafbaren Insolvenzverschleppung freigesprochen werden.360 Wie bereits gesehen361 verstößt die Verurteilung eines directors gem § 15a Abs 4, 5 74 InsO, der seine Pflicht aus § 15a Abs 1 InsO missachtet hat,362 richtigerweise nicht gegen die Niederlassungsfreiheit. Zwar lag dem EuGH, der hierzu das letzte Wort hat,363 diese Frage noch nicht zur Entscheidung vor. Die besseren Gründe sprechen aber für die Vereinbarkeit der strafbaren Insolvenzverschleppung mit Artt 49, 54 AEUV.364 Insbes die Ausführungen, mit denen der EuGH einen Verstoß des § 64 S 1 GmbHG gegen die Niederlassungsfreiheit verneint hat,365 erlauben die Prognose, er werde auch die Insolvenzantragspflicht als mit Artt 49, 54 AEUV vereinbar halten.366

VII. Die Beitragsvorenthaltung (§ 266a Abs 1 StGB) Zu den Insolvenzdelikten im weiteren Sinne zählt auch der Tatbestand des § 266a 75 StGB, da die dort normierten Tathandlungen typischerweise in der Unternehmenskrise begangen werden. Von den drei Tatbeständen, die die Abs 1–3 des § 266a StGB regeln,367 besitzt Abs 1 die mit Abstand größte praktische Relevanz: Danach macht sich strafbar, wer als Arbeitgeber bzw als Arbeitgeber qua Zurechnung (vgl § 14 StGB) die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung nicht an die Sozialversicherungsträger abführt. Da der director Zurechnungsadressat des § 14 Abs 1 Nr 1 StGB ist,368 trifft ihn der Arbeitgebersta-

_____ 359 EuGH Slg. 2006, I-3813 („Eurofood“); wohl auch Ehricke/Ries JuS 2003, 313 (314). 360 Dazu ausf Wilde, S 241 f, 245. 361 Siehe o Rn 20. 362 Ausf zur Vereinbarkeit des § 15a Abs 1 InsO mit der Niederlassungsfreiheit Wilde, S 142–166. 363 Bittmann ZGR 2009, 931, 951; ders NStZ 2009, 113, 114; Wilk/Stewen wistra 2011, 161, 164; sa HeiKInso/Kleindiek § 15a Rn 6. 364 Ausf dazu Hinderer, S 173 ff; Labinski, S 203 ff; Wilde, S 254; ferner Pattberg, S 223 ff, 248, der schon eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit ablehnt; ähnl mit Blick auf die EG-InsVO und die „KeckFormel“ Radtke/Hoffmann EuZW 2009, 404, 408; s zum Ganzen auch die Einschätzung von MK/Kiethe/ Hohmann § 15a InsO Rn 29; Bittmann NStZ 2009, 113, 114; Hefendehl ZIP 2011, 601, 603; zur gemeinschaftsrechtlichen Rechtfertigung der §§ 64 Abs 1, 84 Abs 1 Nr 2 GmbHG aF ausf Weiß, S 192 ff; vgl auch Eidenmüller NJW 2005, 1618, 1621. 365 EuGH NJW 2016, 223, 224 f („Kornhaas“). 366 Zu dieser Prognose s etwa Mock IPRax 2016, 237, 242; Mankowski NZG 2016, 281, 286; Ringe JZ 2016, 573, 577; Hübner IPRax 2015, 297, 302; ferner Kindler EuZW 2016, 136, 139; Swierczok NZI 2016, 50, 51. 367 Ausf dazu § 21 Rn 8 ff. 368 S Rn 53.

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tus „seiner“ Ltd,369 sobald diese im Inland sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer (zu den Voraussetzungen s §§ 2 Abs 2, 3 Nrn 1, 9 SGB IV) beschäftigt.370 Da nach Ansicht des EuGH und des ihm mehrheitlich folgenden Schrifttums das 76 Zahlungsverbot des § 64 S 1 GmbHG für den director Geltung beansprucht,371 besteht die Gefahr einer Kollision unterschiedlicher Verhaltenspflichten – Zahlungsverbot einer-, Zahlungsgebot andererseits – auch hier. Ist die Ltd zahlungsunfähig oder überschuldet, stellt sich für den director genauso wie für den Geschäftsführer einer zahlungsunfähigen bzw überschuldeten GmbH die Frage, ob er angesichts des § 64 S 1 GmbHG ohne eigenes Haftungsrisiko die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung aus dem Gesellschaftsvermögen abführen darf. Während der zweite Zivil- und der fünfte Strafsenat des BGH früher entgegengesetzt entschieden und den Geschäftsleiter einer juristischen Person in eine „Zwickmühle“ manövriert haben372 – nach Auffassung des zweiten Zivilsenats beanspruchte das Zahlungsverbot des § 64 S 1 GmbHG,373 nach Ansicht des fünften Strafsenats das von § 266a Abs 1 flankierte sozialrechtliche Zahlungsgebot den Vorrang374 – hat der zweite Zivilsenat vor einigen Jahren eine Kehrtwende vollzogen und den Geschäftsführer einer GmbH gem § 64 S 2 GmbHG exkulpiert, der die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung abführt, um sich nicht aufgrund der Rspr des fünften Strafsenats gem § 266a Abs 1 StGB strafbar zu machen.375 Nimmt man die Entscheidung des zweiten Zivilsenats beim Wort, erfasst die Exkulpationsregel des § 64 S 2 GmbHG jedoch nur solche Zahlungen, deren Nichtvornahme den Geschäftsleiter dem Risiko aussetzt, strafrechtlich zu haften. Die Auswirkungen dieser Rspr auf den vom fünften Strafsenat kreierten Sonderrechtfertigungsgrund – schon bevor der zweite Zivilsenat seine Rspr änderte, war der Geschäftsleiter, der während des Laufs der Dreiwochenfrist, die § 15a Abs 1 InsO für erfolgsversprechende Sanierungsversuche eröffnet, keine Sozialversicherungsbeiträge abführte, dem fünften Strafsenat zufolge gem. § 64 S 1 GmbHG gerechtfertigt376 – sind dementsprechend bis heute nicht abschließend ausgelotet. Im Unterschied zum BFH, der der neueren Rspr des zweiten Zivilsenats den Grds entnimmt, Lohnsteuer- und Sozialversicherungsabgaben seien generell gem § 64 S 2 GmbHG privilegiert, unabhängig zu

_____ 369 Zur „Überwälzung“ des Arbeitgeberstatusses s Pattberg, S 323; Worm, S 117; Stärk, S 105 ff; Christ, S 341; Richter Tiedemann-FS, S 1023, 1040; skept aber Spindler/Berner RIW 2004, 7, 15. 370 Zur Sozialversicherungspflicht des directors s Pattberg, S 317 ff, der einen Gleichlauf mit der Sozialversicherungspflicht des GmbH-Geschäftsführers befürwortet. 371 EuGH NJW 2016, 223, 225 („Kornhaas“); BGH NZI 2016, 461, 462; andeutungsweise bereits EuGH NZI 2015, 88, 98 f („H/H.K.“); zust Weller/Hübner NJW 2016, 225; Schall ZIP 2016, 289, 291 f; Kindler EuZW 2016, 136 ff; Swierczok NZI 2016, 50 f; Keil DZWIR 2016, 392, 393; Petersen JK 2016, 1077; ferner schon Weller/ Schulz IPRax 2014, 336, 338; Hübner IPRax 2015, 297, 301; iE zust auch Römermann GmbHR 2016, 27, 29; abl aber Mock IPRax 2016, 237, 239 ff, 242 sowie ders. NZI 2016, 462, 463, der zum einen die insolvenzrechtliche Qualifikation des § 64 S 1 GmbHG durch den EuGH rügt und stattdessen für eine gesellschaftsrechtliche Anknüpfung plädiert und zum anderen die Annahme, § 64 S 1 GmbHG beschränke schon nicht die Niederlassungsfreiheit, kritisiert; iE ebenso Ringe JZ 2016, 573, 574 ff; abl auch Poertzgen GmbHR 2016, 593, 594, der zwar der insolvenzrechtlichen Qualifikation des § 64 S 1 GmbHG durch den EuGH zustimmt, es jedoch für ausgeschlossen hält, § 64 S 1 GmbHG wegen seines ausschließlichen Bezugs zur GmbH und aufgrund des Fehlens einer planwidrigen Regelungslücke auf die Ltd entsprechend anzuwenden; diff Servatius DB 2015, 1087, 1090 f, der bei eröffnetem Insolvenzverfahren § 64 S 1 GmbHG über Art 4 EuInsVO, bei nicht eröffnetem Verfahren wegen Masselosigkeit hingegen analog Art 335 EGInsO anwenden will. 372 Instruktiv zu diesem Dilemma Schneider/Brouwer ZIP 2007, 1033; Berger/Herbst BB 2006, 437. 373 Exemplarisch BGHZ 146, 246 ff; BGHZ 149, 100, 106 f. 374 BGHSt 48, 307, 311; BGHSt 47, 318, 321. 375 BGH NJW 2007, 2118, 2120 mit zust Bespr Altmeppen; zust BGH GmbHR 2008, 815 ff; OLG München DB 2008, 457, 460; aus dem Schrifttum: Podewils ZInsO 2008, 813, 814; ders, GmbHR 2008, 817, 818. 376 S nur BGHSt 48, 307, 309 f.

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welchem Zeitpunkt der Geschäftsleiter sie tätige,377 steht der überwiegende Teil des Schrifttums auf dem Standpunkt, der Geschäftsführer, der innerhalb des von § 15a Abs 1 InsO gewährten Dreiwochenzeitraums die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung abführe, könne sich nicht auf § 64 S 2 GmbHG berufen, da ihm kein Strafbarkeitsrisiko gedroht habe.378 Den Vorzug verdient die erstgenannte Ansicht, da andernfalls § 64 S 2 GmbHG einen gespaltenen Pflichtenmaßstab erhielte und zu einem Zweck – scil erfolgsversprechende Sanierungsversuche ins Werk zu setzen – instrumentalisiert würde, zu dem er nicht geschaffen wurde.379 Das bedeutet aber nicht, dass der Geschäftsleiter einer juristischen Person nach Eintritt von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung noch vorhandenes Vermögen immer dazu verwenden müsste, die Forderungen der Sozialversicherungsträger zu bedienen. Vielmehr handelt der Geschäftsleiter gem § 34 StGB gerechtfertigt und bleibt somit gem § 266a Abs 1 StGB straflos, der das Gesellschaftsvermögen innerhalb der Dreiwochenfrist des § 15a Abs 1 InsO zugunsten von ex ante erfolgsversprechenden Sanierungsversuchen einsetzt, anstatt es an die Sozialversicherungsträger abzuführen.380 Inwieweit darüber hinaus die englischen Haftungsinstitute des „wrongful trading“ (sec 214 IA 1986) bzw der Verletzung der „duties for the benefit of creditors“ in der Lage sind, den director einer vergleichbaren Pflichtenkollision auszusetzen, ist derzeit noch völlig ungeklärt,381 erscheint aber zumindest mit Blick auf das „wrongful trading“ eher unwahrscheinlich, da dieses Instrument hM zufolge dem Insolvenzstatut angehört und folglich auf eine Ltd, die ihren wirtschaftlichen Interessenmittelpunkt im Inland hat, keine Anwendung findet.382 anhängen

§ 6 Die Organe der GmbH I. Einführung

C Brand/M Brand § 6 Die Organe der GmbH

Die GmbH ist juristische Person mit eigener Rechtspersönlichkeit und von ihrem jeweili- 1 gen Mitgliederbestand unabhängig. Sie hat zwei notwendige Organe: Die Gesellschafterversammlung1 und den oder die Geschäftsführer.2 Ein Aufsichtsrat ist – anders als in der AG – grundsätzlich nur fakultatives Organ der GmbH.3 Seit dem 1.11.20084 existiert

_____ 377 BFHE 222, 228, 233. 378 S nur Späth, S 341 mwN. 379 Näher zu dieser Arg Brand GmbHR 2010, 237, 239 f. 380 Näher dazu Brand GmbHR 2010, 237, 241 ff; auf dieser Linie auch Späth, S 349 ff. 381 S aber die eine Kollision verneinenden Ausführungen bei Pattberg, S 327 ff. 382 Dazu Hübner IPRax 2015, 297, 300 f; zur insolvenzrechtlichen Qualifikation sa Peukert, S 95; Servatius DB 2015, 1087, 1090. 1 Entscheiden die Gesellschafter nicht in der Versammlung, sondern im Verfahren nach § 48 Abs 2 GmbHG, so ist dennoch die Gesellschafterversammlung das entscheidende Organ und nicht die Gesellschafter in ihrer Gesamtheit, vgl dazu unten Rn 82. 2 Vgl statt aller Hüffer/Koch, Rn 2 zu § 34, S 361; Kübler/Assmann, § 18 V, S 285; C Brand/Vogt, wistra 2007, 408, 410. 3 Roth/Altmeppen Rn 1 zu § 52 GmbHG; K Schmidt Gesellschaftsrecht, § 36 I 1, S 1068; Schäfer § 34, Rn 1 f, S 163; zwingend ist ein Aufsichtsrat in der mitbestimmten GmbH, vgl nur ErfK/Oetker Rn 1 zu § 6 MitbestG; ders Rn 1 zu § 3 Montan-MitbestG und ders Rn 13 zu § 1 DrittelbG. 4 MoMiG (Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen), BGBl I 2008, S 2026; vgl zur Reform des GmbH-Rechts die instruktiven Ausführungen von Thiessen DStR 2007, 202 ff.

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eine Sonderform der GmbH: Die in § 5a GmbHG geregelte Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt).5 Sie zeichnet sich vor allem durch ihr Mindestkapital in Höhe von nur 1 Euro aus.6 Die UG (haftungsbeschränkt) kann nach bestrittener Auffassung auch alleiniger Komplementär einer KG sein.7 Nach der Organisationsverfassung der GmbH ist die Gesellschafterversammlung 2 oberstes (Willensbildungs-)Organ.8 Sie kann im Gesellschaftsvertrag oder durch Gesellschafterbeschluss in den gesetzlichen Grenzen alle Entscheidungen an sich ziehen.9 Insb kann sie nach § 37 GmbHG die Geschäftsführer durch Weisungen und sonstige Vorgaben in ihren Aktivitäten beschränken, sie aber auch – umgekehrt – zum Tätigwerden verpflichten.10 Der Geschäftsführer hingegen ist das Handlungsorgan der GmbH und vertritt diese gem § 35 GmbHG nach außen.11 M Brand Insgesamt zeichnet sich die interne Organisation der GmbH – anders als diejenige 3 der AG – durch eine große Flexibilität aus.12 So steht es den Gesellschaftern nach § 45 Abs 2 GmbHG frei, im Gesellschaftsvertrag von der gesetzlichen Kompetenzverteilung abzuweichen (Satzungsautonomie).13 In ihrer Gestaltungsfreiheit sind die Gesellschafter durch – wenige – zwingende Vorschriften eingeschränkt. Hingewiesen sei etwa auf das Recht zur Satzungsänderung (§ 53 GmbHG) und die Entscheidung über Grundlagengeschäfte sowie das Auskunfts- und Einsichtsrecht (§ 51a GmbHG).14 Diese Rechte müssen zwingend bei den Gesellschaftern verbleiben.15 Umgekehrt dürfen den Geschäftsführern nicht diejenigen Kompetenzen entzogen werden, die im Zusammenhang mit den zwingenden §§ 30, 31, 35, 40, 49, 64 GmbHG stehen. In diesem gesetzlichen Rahmen kann der Geschäftsführer zu einem bloßen Vollzugsorgan degradiert oder in eine Stellung gebracht werden, die derjenigen eines AG-Vorstandes gleichkommt.16 Übertragen die Gesellschafter Kompetenzen auf andere Organe oder Dritte, etwa einen Aufsichtsrat oder ein Schiedsgericht, so darf dies nie unwiderruflich erfolgen, da die Kompetenz-

_____ 5 Zur Bedeutung des Zusatzes „haftungsbeschränkt“ im Geschäftsverkehr und der Rechtsscheinhaftung analog § 179 BGB bei unterlassener Angabe dieses Zusatzes vgl BGH NJW 2012, 2871; dagegen mit beachtlichen dogmatischen Argumenten: Altmeppen, NJW 2012, 2833 ff. 6 Zu den Einzelheiten vgl Miras S 1 ff. 7 OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 21. August 2012 – 1 U 8/12, Rz 40; zum Streitstand Hucke/Holfter JuS 2010, 861, 863 f. 8 OLG München BB 2002, 2196, 2197; MK-GmbHG/Stephan/Tieves Rn 13 zu § 35 GmbHG; GK-GmbHG/ Hüffer Rn 6 zu § 45 GmbHG; ders AktG, Rn 2 § 118 AktG; Baumbach/Hueck/Zöllner Rn 4 zu § 45 GmbHG; Schürnbrand S 123 ff; Hüffer/Koch, Rn 29 zu § 34, S 370; Schuld S 90; aA Roth/Altmeppen Rn 2 zu § 45; Lutter/Hommelhoff/Bayer Rn 2 zu § 45 GmbHG; K Schmidt Gesellschaftsrecht, § 36 I 2a, S 1068; Kübler/ Assmann, § 18 V 3, S 288 f; MünchHdB-GesellschR/Grziwotz Bd. 3, Rn 1 zu § 36; Goette ZGR 2008, 436, 448; Hommelhoff ZIP 1983, 383, 384, die sämtlich die Gesellschafter in ihrer Gesamtheit als oberstes Willensbildungsorgan betrachten; zum Ganzen unten Rn 73. 9 Goette § 7 Rn 2; Kort ZIP 1991, 1274, 1276; Hommelhoff ZGR 1978, 119, 121; Schäfer § 34, Rn 3, S 163. 10 Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 1 zu § 37 GmbHG; Wiedemann ZGR 2011, 183, 216; Hommelhoff ZGR 1978, 119, 121. 11 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 3 zu § 35 GmbHG; K Schmidt Gesellschaftsrecht, § 36 II 1a, S 1070. 12 Kübler/Assmann § 18 V 3, S 288; Baumbach/Hueck/Zöllner Rn 1 zu § 45 GmbHG; Baumbach/Hueck/ Fastrich Rn 4 zu Einl GmbHG. 13 Baumbach/Hueck/Zöllner Rn 9 zu § 45 GmbHG; MünchHdB-GesellschR/Grziwotz Bd. 3, Rn 38 zu § 1; Schäfer § 34, Rn 4, S 164. 14 Baumbach/Hueck/Zöllner Rn 7 zu § 45 GmbHG. 15 Zu den Grundlagengeschäften und der „Holzmüller-Doktrin“ s auch unten, Rn 75. 16 Vgl Gruber Voraufl, Rn 30 f zu § 5, S 165.

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Kompetenz zur Satzungsänderung und damit auch die Entscheidung zur Kompetenzübertragung zwingend bei den Gesellschaftern verbleiben muss.17

II. Die Geschäftsführer 1. Bestellung, Anstellung und Abberufung a) Organschaftliche Bestellung Zum Geschäftsführer kann nach § 6 Abs 2 S 1 GmbHG grundsätzlich jede natürliche, 4 unbeschränkt geschäftsfähige Person bestellt werden.18 Auch ein Gesellschafter kann Geschäftsführer sein, nicht hingegen ein Aufsichtsratsmitglied (§ 105 Abs 1 AktG analog).19 Ein Aufsichtsrat, der zugleich Geschäftsführer wäre, könnte nämlich seiner Überwachungs- und Kontrollpflichten nicht nachkommen, ohne in Interessenkonflikte zu geraten. Die in § 6 Abs 2 S 2 GmbHG genannten Personen können nicht Geschäftsführer sein. Insb versperrt § 6 Abs 2 S 2 Nr 3 GmbHG20 denjenigen den Weg ins Amt des Geschäftsführers, die wegen der dort aufgelisteten Straftaten – exemplarisch herausgegriffen seien die Insolvenzverschleppung, die Insolvenzstraftaten nach den §§ 283 bis 283d StGB sowie §§ 263 bis 264a und 265b bis 266a StGB (letztere nur bei einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr21) – verurteilt22 wurden.23 Nach dem im Rahmen des MoMiG eingeführten § 6 Abs 2 S 2 Nr 3 GmbHG hat nur noch eine vorsätzliche Straftat die Inhabilität zur Folge.24 Mit dieser Beschränkung der Inhabilität ging eine Erweiterung des Katalogs an Straftaten einher, die zur Inhabilität des Geschäftsführers führen.25 So kann seit dem 1.11.2008 nicht mehr zum Geschäftsführer ernannt werden, wer sich etwa wegen Betrugs oder Untreue mit einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr oder wegen Insolvenzverschleppung (vgl § 15a Abs 4 InsO) strafbar gemacht hat. Zur Inhabilität können rechtskräftige Verurteilungen wegen aktiven Tuns, Unterlassens, Anstiftung und Beihilfe führen.26 Entgegen der hM27 hat eine Verurteilung wegen verspäteten Insolvenzantrags keine Inhabilität zur Folge. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 6 Abs 3 lit a) GmbHG zieht nur eine Verurteilung wegen unterlassener Insolvenzantragsstellung die

_____ 17 Roth/Altmeppen Rn 2 f zu § 45 GmbHG; Bork/Schäfer/Masuch Rn 6 zu § 45 GmbHG; GK-GmbHG/Hüffer Rn 13 zu § 45 GmbHG; Flume AT I 2, § 7 I 2, S 190 ff. 18 GK-GmbHG/Paefgen Rn 1 zu § 6 GmbHG. 19 Bork/Schäfer Rn 6 zu § 6 GmbHG; Baumbach/Hueck/Fastrich Rn 8 zu § 6 GmbHG; Baumbach/Hueck/ Zöllner/Noack Rn 28 zu § 52 GmbHG. 20 Zum intertemporären Recht vgl § 3 Abs 2 EGGmbHG. 21 Zur Berechnung der einjährigen Strafe bei Tateinheit und Tatmehrheit vgl Weiß GmbHR 2013, 1076, 1078 f. 22 „Verurteilt“ bedeutet nicht, dass ein Urteil im technischen Sinne vorliegen muss. Ein Strafbefehl genügt, vgl Weiß GmbHR 2013, 1076, 1077. 23 Einer Anordnung der Inhabilität im Urteil bedarf es nicht; die bloße Verurteilung genügt, um das Verdikt „Inhabilität“ zu bewirken, Brand/Reschke JZ 2011, 1102, 1103. Vgl auch Brand/Reschke JZ 2011, 1102 passim zum Problem, wie sich die reformatio in peius auf die Inhabilitätsanordnung des § 6 Abs 2 S 2 Nr 3 GmbHG auswirkt. 24 Baumbach/Hueck/Fastrich Rn 13 zu § 6 GmbHG; GK-GmbHG/Paefgen Rn 18 zu § 6 GmbHG; Miras, Rn 310. 25 Vgl GK-GmbHG/Paefgen Rn 18 zu § 6 GmbHG; Roth/Altmeppen Rn 11 zu § 6 GmbHG. 26 GK-GmbHG/Paefgen Rn 26 zu § 6 GmbHG. 27 OLG Celle GmbHR 2013, 1140 m kritischer Anm Römermann; Roth/Altmeppen Rn 12 zu § 6 GmbHG; MKGmbHG/Goette Rn 33 zu § 6 GmbHG; GK-GmbHG/Paefgen Rn 30 zu § 6 GmbHG; Gundlach/Müller NZI 2011, 480, 481; Baumbach/Hueck/Fastrich Rn 13 zu § 6 GmbHG.

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Inhabilität nach sich.28 Wird eine inhabile Person zum Geschäftsführer bestellt, so ist die Bestellung nichtig (§ 134 BGB).29 Tritt die Inhabilität des Geschäftsführers hingegen später ein, so endet dessen Amt von selbst.30 Endet die Inhabilität, lebt die Geschäftsführerstellung nicht wieder ipso iure auf; es bedarf vielmehr der Neubestellung.31 Wird ein Geschäftsführer im Rahmen einer „Firmenbestattung“ bestellt, so ist seine Bestellung nicht nichtig.32 Die Anforderungen an den GmbH-Geschäftsführer können seit dem MoMiG auch 5 nicht mehr durch die Gründung einer englischen private company limited by shares mit einer Zweigniederlassung in Deutschland umgangen werden. Denn der mit Wirkung vom 1.11.2008 eingeführte § 13e Abs 3 S 2 HGB erklärt § 6 Abs 2 S 2 und 3 GmbHG für die Registereintragung von Zweigniederlassungen von Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit Sitz im Ausland für entsprechend anwendbar. Damit müssen beispielsweise alle Geschäftsleiter einer englischen limited liability company mit Zweigniederlassung in Deutschland die Versicherung abgeben, dass in ihrer Person keine Bestellungshindernisse vorliegen.33 Macht der Geschäftsleiter bei der Anmeldung zum Handelsregister vor dem Registergericht falsche Angaben zu seiner Eignung iSd § 6 Abs 2 S 2 und 3 GmbHG, so ist er nach § 82 Abs 1 Nr 5 GmbHG genauso strafbar wie ein GmbH-Geschäftsführer.34 Nach § 6 Abs 5 GmbHG haften die Gesellschafter solidarisch für einen Schaden der 6 Gesellschaft, der dadurch entsteht, dass sie vorsätzlich oder grob fahrlässig eine Person zum Geschäftsführer bestellen, die dieses Amt nicht innehaben kann.35 Die Schadensersatznorm bezweckt insb den Schutz der Gesellschaftsgläubiger vor inhabilen und damit ungeeigneten Geschäftsführern.36 Da es sich um eine Innenhaftung der Gesellschafter gegenüber ihrer Gesellschaft handelt und zu dessen Geltendmachung es grundsätzlich eines Gesellschafterbeschlusses nach § 46 Nr 8 GmbHG bedarf,37 wird der Anspruch überwiegend bei Pfändung, Insolvenz und Masselosigkeit relevant werden.38 Jede GmbH braucht mindestens einen Geschäftsführer.39 Ausnahmen hiervon 7 normieren §§ 33 MitbestG,40 13 Montan-MitbestG, 13 MitbestErG, die für mitbestimmte Gesellschaften mbH mindestens zwei Geschäftsführer (einen Arbeitsdirektor und einen Geschäftsführer) verlangen sowie § 23 Nr 2 KAGB, der für Kapitalverwaltungsgesellschaften das Erfordernis von mindestens zwei Geschäftsleitern aufstellt. Dem Arbeitsdirektor obliegt zwingend das Personal- und Sozialwesen.41 IÜ bestimmt der Gesellschaftsvertrag

_____ 28 Michalski/Tebben Rn 24 zu § 6 GmbHG; Römermann NZI 2008, 641, 646. 29 Bork/Schäfer Rn 11 zu § 6 GmbHG; MK-GmbHG/Goette Rn 43 zu § 6 GmbHG; GK-GmbHG/Paefgen Rn 42 zu § 6 GmbHG; Weiß GmbHR 2013, 1076. 30 MK-GmbHG/Goette Rn 45 zu § 6 GmbHG; Baumbach/Hueck/Fastrich Rn 17 zu § 6 GmbHG; GKGmbHG/Paefgen Rn 42 zu § 6 GmbHG; Weiß GmbHR 2013, 1076. 31 GK-GmbHG/Paefgen Rn 42 zu § 6 GmbHG. 32 OLG Karlsruhe GmbHR 2013, 1090; offen Brand/Reschke ZIP 2010, 2134, 2138. 33 GK-GmbHG/Paefgen Rn 50 zu § 6 GmbHG; GK-HGB/Koch Rn 16 zu § 13e HGB; Hopt/Voigt Anm 18 zu Formular I.B.2; vgl auch Miras, Rn 127. 34 Miras, Rn 133; Baumbach/Hueck/Haas Rn 58 ff zu § 82 GmbHG. 35 Zur Haftung aus § 6 Abs 5 GmbHG ausführlich Schneider/Schneider GmbHR 2012, 365 ff; vgl auch Wiedemann ZGR 2011, 183, 213. 36 Bork/Schäfer Rn 19, 23 zu § 6 GmbHG; Baumbach/Hueck/Fastrich Rn 18 zu § 6 GmbHG. 37 Ausnahmen sind in Konzernsachverhalten denkbar, vgl Zöllner ZGR 1988, 392, 410 f. 38 Baumbach/Hueck/Fastrich Rn 18 zu § 6 GmbHG. 39 Baumbach/Hueck/Fastrich Rn 5 zu § 6 GmbHG; Hüffer/Koch, § 34, Rn 3. 40 Ulmer/Habersack/Henssler Rn 6 zu § 30 MitbestG; Wlotzke/Wissmann/Koberski Rn 14 zu § 33 MitbestG. 41 BVerfGE 50, 290, 378.

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die Zahl der Geschäftsführer.42 Enthält die Satzung keine oder zumindest keine abschließende Regelung über die Geschäftsführerzahl, kann die Zahl der Geschäftsführer durch Gesellschafterbeschluss mit einfacher Mehrheit (§§ 46 Abs 1 Nr 5, 47 Abs 1 GmbHG) festgelegt werden.43 Die Bestellung der Geschäftsführer erfolgt entweder im Gesellschaftsvertrag oder 8 durch einen Beschluss der Gesellschafterversammlung, §§ 6 Abs 3 und 4, 46 Nr 5 GmbHG. Sie bedarf der Zustimmung des designierten Geschäftsführers, da diesem anderenfalls das mit weitreichenden Haftungsrisiken verbundene Amt des Geschäftsführers aufgedrängt würde.44 Für die mitbestimmte GmbH ist in § 31 MitbestG iVm §§ 84, 85 AktG zwingend vorgesehen, dass der Aufsichtsrat die Geschäftsführer bestellt.45 Bei einer GmbH, die dem DrittelbG unterfällt, richtet sich die Kompetenz zur Bestellung der Geschäftsführer dagegen nach § 6 GmbHG oder dem Satzungsinhalt, § 1 Abs 1 Nr 3 DrittelbG.46 Der Gesellschaftsvertrag kann die Bestellung der Geschäftsführer einem anderen Organ, etwa einem Beirat, überlassen.47 Die Geschäftsführer müssen schon vor der Anmeldung der Gesellschaft zum 9 Handelsregister bestellt werden. Denn es zählt zu ihren Aufgaben, die Gesellschaftereinlagen entgegenzunehmen (§ 7 Abs 2, 3 GmbHG), die Versicherungen nach § 8 Abs 2, 3 GmbHG abzugeben und die Gesellschaft zum Handelsregister anzumelden (§ 7 Abs 1, § 8 GmbHG).48

b) Schuldrechtliches Anstellungsverhältnis Von der Bestellung des Geschäftsführers als Organ ist der schuldrechtliche Anstel- 10 lungsvertrag – der regelmäßig ein Dienst- und kein Arbeitsvertrag ist49 – zu unterscheiden (Trennungstheorie).50 Für den Vertragsschluss ist grundsätzlich die Gesellschafterversammlung und nicht der amtierende Geschäftsführer zuständig.51 Dabei ist ein Gesellschafter, der selbst für das Amt des Geschäftsführers „kandidiert“, stimmberechtigt.52 In der – nach dem Mitbestimmungsgesetz – mitbestimmten GmbH hat nach nicht ganz

_____ 42 Roth/Altmeppen Rn 3 zu § 6 GmbHG; Bork/Schäfer Rn 3 zu § 6 GmbHG. 43 Baumbach/Hueck/Fastrich, Rn 5 zu § 6 GmbHG; Roth/Altmeppen Rn 3 zu § 6 GmbHG. 44 Baumbach/Hueck/Hueck/Fastrich, Rn 25 zu § 6; Bork/Schäfer/Jacoby Rn 10 zu § 35 GmbHG; Schürnbrand S 343; Schäfer, Rn 6 zu § 34, S 165; Schuld S 110 f. 45 Vgl BGH NJW 1984, 733 ff; ErfK/Oetker Rn 1 und 2 zu § 31 MitbestG; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 302 zu § 52 GmbHG; Ulmer/Habersack/Henssler Rn 1 ff zu § 31 MitbestG. 46 Roth/Altmeppen Rn 70 zu § 6 GmbHG; Lutter/Krieger/Verse Rn 1134. 47 Baumbach/Hueck/Fastrich Rn 30 zu § 6 GmbHG; Roth/Altmeppen Rn 59 zu § 6 GmbHG; Wiedemann in FS Schilling zum 65. Geburtstag, S 105, 117. 48 GK-GmbHG/Paefgen Rn 9 zu § 6 GmbHG. 49 K Schmidt Gesellschaftsrecht, § 36 II 2c, S 1073; Konzen NJW 1989, 2977, 2978; Miras Rn 11c; vgl auch Flume AT I 2, § 10 I 2, S 345 f, der für den Fall des ohne Vergütung tätig werdenden Vorstands oder Geschäftsführers vertritt, dass nur ein organschaftliches Rechtsverhältnis und regelmäßig nicht auch ein schuldrechtlicher Vertrag zwischen Organ und juristischer Person besteht. Insb in der Einmann-GmbH, deren einziger Gesellschafter zugleich Geschäftsführer sei, bestehe häufig nur ein organschaftliches Rechtsverhältnis. 50 BGH NZG 2010, 827, Rz 9; BGH NJW 2003, 351; BAG NZA 1996, 143, 144; K Schmidt Gesellschaftsrecht, § 36 II 2c u 4b, S 1073, 1079; Schäfer § 34, Rn 5 f, S 165; Jaeger NZA 1998, 961, 963; Beck’sches Formularbuch/Stephan IX. 48, Anm 1; die Trennung zwischen Anstellungsvertrag und Organstellung kommt besonders deutlich bei der AG in § 84 Abs 1 und 3 AktG zum Ausdruck, vgl Schürnbrand S 344 f. 51 BGH NJW 2000, 2983; Beck’sches Formularbuch/Stephan, IX. 48, Anm 3. 52 OLG Frankfurt aM DB 2005, 492; Beck’sches Formularbuch/Stephan, IX. 48, Anm 3.

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unbestrittener Auffassung der Aufsichtsrat als Annex-Kompetenz zur organschaftlichen Bestellung die Alleinkompetenz, den Anstellungsvertrag mit den Geschäftsführern zu schließen.53 Bei Bestehen eines fakultativen Aufsichtsrats ist dieser regelmäßig für den Abschluss des schuldrechtlichen Anstellungsvertrages zuständig, wenn er den Geschäftsführer auch organschaftlich bestellt hat.54

c) Beendigung des Geschäftsführerverhältnisses 11 Der Unterschied zwischen der Organstellung und dem schuldrechtlichen Anstellungs-

verhältnis zeigt sich va bei der Beendigung des Geschäftsführerverhältnisses. Während die Organstellung nach § 38 Abs 1 GmbHG grundsätzlich frei widerruflich ist, richtet sich die Beendigung des Anstellungsvertrages nach den darin geregelten Bestimmungen55 und den ergänzenden bürgerlich-rechtlichen Vorschriften; das Kündigungsschutzgesetz ist wegen § 14 Abs 1 KSchG auf den Geschäftsführer nicht anwendbar.56 Freilich kann in der Satzung – und richtiger Ansicht nach auch im Anstellungsvertrag57 – der Widerruf der Organstellung nach Maßgabe des § 38 Abs 2 GmbHG von wichtigen Gründen abhängig gemacht werden.58 In mitbestimmten Gesellschaften ist nach den §§ 31 MitbestG, 12 Montan-MitbestG und 13 MitbestErG iVm § 84 Abs 3 AktG sogar nur eine Abberufung aus wichtigem Grund zulässig. Zuständig für die Abberufung und Kündigung ist grundsätzlich die Gesellschafterversammlung,59 wenn nicht ausnahmsweise der Aufsichtsrat in Fällen der – nach dem Mitbestimmungsgesetz – mitbestimmten GmbH zuständig ist.60 Insb sind bei mehreren Geschäftsführern nicht die Mitgeschäftsführer für die Kündigung zuständig.61 Wird über die Abberufung/Kündigung eines GesellschafterGeschäftsführers aus wichtigem Grund entschieden, so darf dieser in der Gesellschafterversammlung über seine Abberufung/Kündigung nicht mitstimmen.62 12 Der Widerruf der Organstellung wirkt sich regelmäßig nicht auf die Wirksamkeit des Anstellungsvertrages, und umgekehrt die Beendigung des Anstellungsvertrages nicht auf

_____ 53 Grundlegend BGH NJW 1984, 733 ff; ErfK/Oetker Rn 10 zu § 31 MitbestG; Baumbach/Hueck/Zöllner/ Noack Rn 303, 305 zu § 52; anders hingegen in den nach dem Drittelbeteiligungsgesetz mitbestimmten GmbH bei denen die Gesellschafterversammlung zuständig ist, ErfK/Oetker Rn 17 zu § 1 DrittelbG. 54 Vgl zum Ganzen: K Schmidt Gesellschaftsrecht, § 36 II 2c, S 1073 mwN. 55 Zu möglichen Vertragsgestaltungsmodalitäten: Diller NZG 2011, 254, 255. 56 ErfK/Kiel Rn 3 zu § 14 KSchG; Diller NZG 2011, 254, 255. 57 Flume AT I 2, § 10 I 3, S 349 f mit dem zutreffenden Hinweis, dass eine Beschränkung des Widerrufs auf das Vorliegen eines wichtigen Grundes im Anstellungsvertrag nur von der Gesellschafterversammlung getroffen werden kann. Dies gebietet der Grundsatz der Satzungsautonomie. 58 Anders in der Genossenschaft: Der zwingende § 24 Abs 3 S 2 GenG verlangt eine jederzeitige Widerruflichkeit, vgl Flume AT I 2, § 10 I 1, S 343; Henssler/Strohn/Geibel Rn 11 zu § 24 GenG. Wieder anders ist in der AG nach § 84 Abs 3 AktG ein Widerruf ausnahmslos nur aus wichtigem Grund zulässig, vgl Flume AT I 2, § 10 I 1, S 343; Hüffer/Koch, AktG, Rn 34 zu § 84 AktG; OLG Frankfurt NZG 2015, 514. 59 BGH NJW 1987, 1890, 1891 für den Fall, dass die Kündigung mit dem Widerruf der Organstellung einhergeht; Krämer NotBZ 2004, 87. 60 BGH NJW 1983, 938, 939; Beck’sches Formularbuch/Stephan, IX.12, Anm 16; in der AG ist stets der Aufsichtsrat für die Kündigung des Anstellungsvertrages zwischen Vorstand und AG zuständig, wie sich dem § 112 S 1 AktG entnehmen lässt, vgl Flume AT I 2, § 10 I 2, S 347. 61 Flume AT I 2, § 10 I 2, S 346 f. 62 BGH NJW 1987, 1889; BGH NJW 1987, 1890, 1891; BGH NJW 1983, 938 mit instruktiven Ausführungen dazu, dass eine analoge Anwendung des § 84 Abs 3 S 4 AktG, demzufolge die Abberufung wirksam ist, bis deren Unwirksamkeit rechtskräftig festgestellt wurde, jedenfalls auf die GmbH mit zwei gleich beteiligten Gesellschaftern nicht möglich ist; Baumbach/Hueck/Zöllner Rn 86 zu § 47 GmbHG; Flume AT I 2 § 7 I 2, S 192.

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den Bestand der Organstellung aus.63 Die Parteien können aber eine Koppelungsabrede vereinbaren, wonach die Beendigung des Organverhältnisses zur Auflösung des Dienstverhältnisses führt oder zu dessen Kündigung berechtigt.64 Es sind dann die Fristen des § 622 BGB zu beachten.65 Bei einer Kündigung des Geschäftsführers aus wichtigem Grund ist die Frist des § 626 Abs 2 BGB zu beachten. Diese Ausschlussfrist beginnt nur zu laufen, wenn die Gesellschafterversammlung Kenntnis von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen erlangt.66 Mithin löst die vor Zusammentritt der Gesellschafterversammlung erlangte Kenntnis den Fristbeginn des § 626 Abs 2 BGB grundsätzlich nicht aus.67 Anderes gilt etwa dann, wenn die Einberufung der Gesellschafterversammlung von ihren einberufungsberechtigten Mitgliedern unverhältnismäßig verzögert wird.68 Der GmbH-Geschäftsführer kann einen Anstellungsvertrag auch mit einer anderen 13 Person – regelmäßig einer anderen Gesellschaft – abschließen (sog Drittanstellung).69 So kann in einer GmbH & Co KG der Geschäftsführer der Komplementär GmbH deren Organ sein trotz eines Anstellungsverhältnisses (nur) mit der GmbH & Co KG.70 In einem Konzern kann der Anstellungsvertrag mit der Mutter- und das Organverhältnis mit der Tochtergesellschaft bestehen. Zudem kann ein Geschäftsführer zweier Schwesterngesellschaften nur mit einer von beiden einen Anstellungsvertrag schließen.71

2. Stellung, Aufgaben und Pflichten der Geschäftsführer Den Geschäftsführern obliegt zum einen die Geschäftsführungsbefugnis, zum anderen 14 die Vertretung der GmbH.72 Geschäftsführung bedeutet jedes tatsächliche und rechtliche Handeln für die Gesellschaft, wohingegen die Vertretung nach § 35 GmbHG das rechtsgeschäftliche Außenhandeln des Geschäftsführers erfasst.73

a) Geschäftsführung aa) Grundsatz Die Geschäftsführung ist im GmbHG – anders als im AktG (siehe §§ 76 Abs 1, 77 und 82 15 Abs 2 AktG) – nur rudimentär geregelt. Sie umfasst im Grundsatz alle Entscheidungen, die für die Verfolgung des Gesellschaftszwecks erforderlich sind.74 Daraus folgt, dass der Gesellschaftszweck bzw Unternehmensgegenstand die Grenze der Geschäftsführung mar-

_____ 63 BAG NZA 1996, 143, 144; Krämer NotBZ 2004, 87; Goette Rn 18 und 152 zu § 8. 64 Goette Rn 152 zu § 8 mwN; ausführlich: Krämer NotBZ 2004, 121 ff mit Hinweisen zu den Grenzen solcher Koppelungsklauseln auf S 125. 65 LAG Köln NZA-RR 1999, 300; Krämer NotBZ 2004, 121, 122 ff mit instruktiven Ausführungen zu der Frage, ob lediglich § 622 Abs 1 BGB oder auch § 622 Abs 2 BGB unabdingbar ist. 66 BGH NJW 1998, 3274 – 1. LS. 67 Vgl Schürnbrand S 131 f. 68 BGH NJW 1998, 3274 – 2. LS. 69 BAG NZG 1996, 200, 201; Krämer NotBZ 2004, 81 ff; Jaeger NZA 1998, 961, 966 f; zur Drittanstellung in der AG: KG NZG 2011, 865 ff; Jooß NZG 2011, 1130. 70 Vgl etwa BGHZ 75, 209; Rowedder/Schmidt-Leithoff/Koppensteiner/Gruber Rn 79 zu § 35 GmbHG; Goette Rn 6 zu § 8. 71 Zu den in dieser Fallgruppe besonders hervortretenden Koordinationsproblemen Krämer NotBZ 2004, 88. 72 Flume AT I 2, § 10 II 1, S 357; van Venrooy GmbHR 1999, 685; Schuld S 43 und Ziemons S 8 sehen die Vertretung als Teil der Geschäftsführung an. 73 Schäfer § 34 Rn 8, S 166; Zitzmann S 15. 74 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 29 zu § 35 GmbHG.

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kiert.75 Der Geschäftsführer ist nicht nur zur Ausübung der Geschäftsführung berechtigt, sondern auch verpflichtet. Er muss insb die Geschäfte so führen, dass das Unternehmensziel der Gesellschaft bestmöglich erreicht wird und dass der Gesellschaft möglichst keine Schäden entstehen.76 Entgegen der hM77 schließt die Geschäftsführung grundsätzlich auch außergewöhn16 liche Maßnahmen ein,78 solange die Satzung oder Gesellschafterbeschlüsse nichts anderes bestimmen.79 Unter außergewöhnlichen Maßnahmen versteht die hM in Anlehnung an § 116 Abs 1 und 2 HGB Handlungen, die über den gewöhnlichen Betrieb der Gesellschaft hinausgehen.80 Genannt seien etwa Geschäfte, die nicht mehr von dem in der Satzung definierten Unternehmensgegenstand erfasst sind81 sowie Handlungen, die wegen ihrer Bedeutung für die Gesellschaft oder wegen ihres unternehmerischen Risikos Ausnahmecharakter haben,82 wie zB Verträge über eine stille Gesellschaft, den Erwerb von Beteiligungen, den Ankauf eines großen Betriebsteils oder die Gewährung eines Großkredits.83 Die hM führt insb zu Unsicherheiten im Rechtsverkehr und zur Problematik der bereits im Recht der Personenhandelsgesellschaften nur schwer umsetzbaren Abgrenzung von gewöhnlichen und ungewöhnlichen Geschäften im Rahmen des § 116 HGB.84 Überdies ist die hM mit dem System der §§ 35, 37, 45 und 46 GmbHG unvereinbar, da diese zentralen Kompetenzvorschriften keine Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung für ungewöhnliche Maßnahmen vorsehen.85 Schließlich werden die Interessen der Gesellschafter nicht unzulässig tangiert, weil die Geschäftsführer die beabsichtigten außer-

_____ 75 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 30 zu § 35 GmbHG; MK-GmbHG/Stephan/Tieves Rn 81 zu § 35 GmbHG. 76 MK-GmbHG/Stephan/Tieves Rn 82 zu § 35 GmbHG. 77 OLG Frankfurt WM 1989, 438, 440; Meyer-Landrut EWiR 1991, 469; Scholz/Schneider Rn 12 zu § 37 GmbHG; Rowedder/Schmidt-Leithoff/Koppensteiner/Gruber Rn 10 zu § 37 GmbHG; Lutter/Hommelhoff/ Kleindiek Rn 10 zu § 37 GmbHG; GK-GmbHG/Paefgen Rn 9 zu § 37 GmbHG; Roth/Altmeppen Rn 23 zu § 37 GmbHG mit der Einschränkung, dass sich aus den Gepflogenheiten ein anderes ergeben kann; Lutter/ Leinekugel ZIP 1998, 225, 231; Schäfer Rn 9 zu § 34, S 167; Hommelhoff ZGR 1978, 124, 126; differenzierend Eisenhardt FS Pfeiffer S 839, 842 ff: Letztlich handele es sich um eine terminologische Frage. Wenn man unter ungewöhnlichen Geschäfte nur vorlagepflichtige iSd § 49 Abs 2 GmbHG verstehe, dann seien dafür stets die Gesellschafter zuständig. Fasse man den Begriff hingegen weiter, so könne ein weisungsfreier Bereich entstehen. Einen solchen weisungsfreien Bereich lehnt Eisenhard, S 846 jedoch – zu Recht – ab; vgl auch Fleischer NZG 2011, 521, 525. 78 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 7 zu § 37 GmbHG; Hachenburg/Mertens Rn 10 zu § 37 GmbHG; Wiedemann Gesellschaftsrecht I, § 6 III 1, S 325; Schürnbrand S 312; Zitzmann S 86 ff, 107; Kort ZIP 1991, 1274 f; Ziemons S 12 ff, 20 mit der unzutreffenden Einschränkung, dass die Geschäftsführer nicht für Maßnahmen zuständig sind, die sie gem § 49 Abs 2 GmbHG der Gesellschafterversammlung vorlegen müssen. Ziemons verkennt, dass § 49 Abs 2 GmbHG nur eine Vorlagepflicht an die Gesellschafterversammlung statuiert. Fassen die Gesellschafter keinen Beschluss, bleibt der Geschäftsführer zuständig, vgl unten Rn 27. 79 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 7 zu § 37 GmbHG. 80 Rowedder/Schmidt-Leithoff/Koppensteiner/Gruber Rn 10 zu § 37 GmbHG; Roth/Altmeppen Rn 23 zu § 37 GmbHG; Hommelhoff ZGR 1978, 119, 123; gegen eine Anwendung des § 116 HGB auf die GmbH sprechen sich Lutter/Leinekugel ZIP 1998, 225, 231 f aus, obwohl sie eine Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung für ungewöhnliche Maßnahmen annehmen. 81 Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 11 zu § 37 GmbHG. 82 Scholz/Schneider Rn 15 zu § 37 GmbHG; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 11 zu § 37 GmbHG; Lutter/ Leinekugel ZIP 1998, 225, 231. 83 Scholz/Schneider Rn 15 zu § 37 GmbHG; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 11 zu § 37 GmbHG; Lutter/ Leinekugel ZIP 1998, 225, 231 f; vgl auch OLG Koblenz ZIP 1990, 1570, 1572; zu weiteren Beispielen, die nach der hM unter den Begriff der „ungewöhnlichen Maßnahme“ fallen: Zitzmann S 86 f. 84 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 7 zu § 37 GmbHG. 85 Vgl Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 7 zu § 37 GmbHG.

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gewöhnlichen Maßnahmen der Gesellschafterversammlung ohnehin immer dann vorlegen müssen, wenn sie mit der Missbilligung der Maßnahme durch die Gesellschafter rechnen müssen.86 Die Geschäftsführer sind vorbehaltlich anderweitiger Satzungsbestimmungen oder 17 sonstiger Gesellschafterbeschlüsse entgegen der hM87 auch für Entscheidungen über die Grundzüge der Unternehmenspolitik zuständig.88 Das Argument der hM, die aus § 46 Nr 1, 5 und 6 GmbHG, worin die Kompetenz der Gesellschafter für alle wesentlichen Finanz- und Personalangelegenheiten normiert ist, schließt, dass den Gesellschaftern die allgemeine Kompetenz für die Grundzüge der Unternehmenspolitik zukomme,89 trägt iE nicht. Zum einen führt der schillernde und nicht exakt bestimmbare Begriff „Unternehmenspolitik“ zu großer Rechtsunsicherheit.90 Zum anderen können die Gesellschafter stets durch Weisungen, Gesellschafterbeschluss oder Satzungsbestimmung die Geschäftsführer in ihre Schranken weisen, sofern sie dies für erforderlich halten. Gelegenheit dazu erhalten sie durch die Einberufungs- und Informationspflicht der Geschäftsführer.91

bb) Weisungsgebundenheit Die Geschäftsführer unterliegen sowohl generellen als auch speziellen Weisungen der 18 Gesellschafter.92 Generelle Weisungen sind etwa durch den Erlass einer Geschäftsführerordnung, oder durch einen Katalog von Zustimmungsvorbehalten möglich.93 Dabei steht es grundsätzlich im Belieben der Gesellschafterversammlung, ob, wann und auf welche Maßnahmen bezogen sie den Geschäftsführern Weisungen erteilen möchte.94 In der Praxis kann dies zur Folge haben, dass Fremdgeschäftsführer und solche Geschäftsführer, die selbst nur Minderheitsgesellschafter sind, von den Gesellschaftern „an einer sehr kurzen Leine geführt“ werden,95 was den Geschäftsführer de facto zu einem leitenden Angestellten degradieren kann.96

_____ 86 Zur Einberufungspflicht unten Rn 26. 87 BGH NJW-RR 1992, 993; BGH NJW 1991, 1681; GK-GmbHG/Paefgen Rn 8 zu § 37; Lutter/Hommelhoff/ Kleindiek Rn 8 zu § 37 GmbHG; Lutter/Leinekugel ZIP 1998, 225, 231, die die Leitlinien der Unternehmenspolitik als Untergruppe der ungewöhnlichen Maßnahmen einordnen; Eisenhardt FS Pfeiffer S 839, 842; differenzierend MK-GmbHG/Stephan/Tieves Rn 62 ff zu § 37 GmbHG. 88 Rowedder/Schmidt-Leithoff/Koppensteiner/Gruber Rn 8 zu § 37 GmbHG; Baumbach/Hueck/Zöllner/ Noack Rn 13 f zu § 37 GmbHG; Schürnbrand S 312 f; Zitzmann S 65 ff, 107. 89 Eisenhardt FS Pfeiffer S 839, 842. 90 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 13 f zu § 37 GmbHG; Rowedder/Schmidt-Leithoff/Koppensteiner/ Gruber Rn 8 zu § 37 GmbHG; Hachenburg/Mertens Rn 11 zu § 37 GmbHG; Zitzmann, S 65 f; Ziemons S 18 ff; Kort ZIP 1991, 1274 f. 91 Siehe unten Rn 26 und 29. 92 OLG Düsseldorf ZIP 1984, 1476, 1478; MK-GmbHG/Stephan/Tieves Rn 115 zu § 37 GmbHG; Rowedder/ Schmidt-Leithoff/Koppensteiner/Gruber Rn 26 zu § 37 GmbHG; Konzen NJW 1989, 2977, 2979; Eisenhardt FS Pfeiffer S 839, 840; Zitzmann S 18 und Ziemons S 17 entnehmen die Weisungsgebundenheit des Geschäftsführers allein dem § 37 Abs 1 GmbHG. 93 Scholz/Schneider Rn 57f zu § 37 GmbHG; Goette § 7 Rn 4; zu den Zustimmungsvorbehalten vgl etwa BGH NJW 1997, 2678; zum Zustimmungsvorbehalt eines Aufsichtsrates: OLG Oldenburg NZG 2007, 434, 437. 94 OLG Düsseldorf ZIP 1984, 1476, 1478; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 36 zu § 37 GmbHG; Hommelhoff ZGR 1978, 119, 121 f. 95 Konzen NJW 1989, 2977, 2978. 96 Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 12 zu § 37 GmbHG; Konzen NJW 1989, 2977, 2978.

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Das Weisungsrecht der Gesellschafter besteht jedoch nicht uneingeschränkt. Vielmehr umgrenzen nach allgM diejenigen Vorschriften einen weisungsfreien Bereich, die dem Geschäftsführer eine ausschließliche Kompetenz einräumen. Dazu zählen insb die Kapitalerhaltungsvorschriften nach §§ 30, 31 GmbHG, die Vertretungsmacht des Geschäftsführers nach § 35 GmbHG, die Einreichung der Gesellschafterliste beim Handelsregister nach § 40 GmbHG sowie sonstige Registerpflichten, die Einberufung der Gesellschafterversammlung nach § 49 GmbHG, die Pflichten im Zusammenhang mit Zahlungen der insolventen GmbH nach § 64 GmbHG und § 15a InsO.97 Diese Vorschriften stehen nicht zur Disposition der Gesellschafter, weil anderenfalls der intendierte Schutz von Gläubiger- und Allgemeininteressen gefährdet würde. Den Geschäftsführern muss so viel Handlungsspielraum verbleiben, damit sie diesen Pflichten ordnungsgemäß nachkommen können.98 Darüber hinaus hat die Gesellschafterversammlung – will man einmal vom Aus20 nahmefall der nach dem Mitbestimmungsgesetz mitbestimmten GmbH absehen99 – bei der Erteilung von Weisungen keinen weisungsfreien Mindestbereich des Geschäftsführers zu beachten. 100 Die Gegenansicht überzeugt nicht, wenn sie anführt, § 46 GmbHG, der einzelne Befugnisse der Gesellschafterversammlung aufzählt, wäre überflüssig, wenn das Gesetz von einer Allzuständigkeit der Gesellschafterversammlung ausgehen würde.101 Denn § 46 GmbHG regelt die Kompetenzen der Gesellschafterversammlung, die die Geschäftsführer stets, mithin auch ohne Beschluss der Gesellschafterversammlung, zu beachten haben.102 In allen anderen, nicht in § 46 GmbHG genannten Bereichen, haben die Gesellschafter ein in ihrem Ermessen liegendes Zugriffsrecht. Solange und soweit sie davon keinen Gebrauch machen, bleiben die Geschäftsführer zuständig. Daraus folgt: § 46 GmbHG legt eine „gestufte Zuständigkeitshierarchie“ fest und läuft somit selbst bei einem uneingeschränkten Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung nicht leer.103 Hinzu kommt, dass es kaum gelingen wird, eine rechtssichere Umgrenzung eines weisungsfreien Bereiches über den vom Gesetz zwingend vor19

_____ 97 OLG Nürnberg NZG 2000, 154, 155; Eisenhardt FS Pfeiffer S 839, 844 mit weiteren Anwendungsbereichen; Roth/Altmeppen Rn 6 f zu § 37 GmbHG; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 5 und 12 zu § 37 GmbHG; GK-GmbHG/Paefgen Rn 12 und 18 zu § 37 GmbHG; Mennike NZG 2000, 622, 623; zu § 64 S 3 GmbHG: K Schmidt/Uhlenbruck Rn 11.99. 98 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 18 zu § 37 GmbHG. 99 Dazu Ulmer/Habersack/Henssler Rn 20 zu § 30 MitbestG, die zu Recht in der mitbestimmten GmbH einen weisungsfreien Mindestbereich der Geschäftsführung für die laufenden Tagesgeschäfte annehmen. Dafür spricht die normative Stärkung der Geschäftsführung in der mitbestimmten GmbH, die sich aus dem Übergang der Personalkompetenz auf den Aufsichtsrat nach § 84 AktG und der daraus resultierenden Folge ergibt, dass die Geschäftsführer gem § 31 Abs 1 S 1 MitbestG iVm § 84 Abs 3 S 1 AktG nur noch aus wichtigem Grund abberufen und gekündigt werden können. AA Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 300 zu § 52 GmbHG. 100 OLG Düsseldorf ZIP 1984, 1476, 1478; Scholz/Schneider Rn 38 zu § 37 GmbHG; Lutter/Hommelhoff/ Kleindiek Rn 1, 12 zu § 37 GmbHG, der ausführt, dass die Geschäftsführer im Wesentlichen auf die Funktion eines reinen Ausführungsorgans zurückgedrängt werden können; Hachenburg/Mertens Rn 16 zu § 37 GmbHG; C Brand/Vogt, wistra 2007, 408, 410; Wank GmbHR 1980, 121, 123; Beuthien/Gätsch ZHR 157 (1993), 483, 498; Konzen NJW 1989, 2977, 2979; Schürnbrand S 317; Sotiropoulos S 64; Ziemons S 21; aA Bork/Schäfer/Masuch Rn 7 zu § 45 GmbHG; Hommelhoff ZGR 1978, 119, 127 ff; Zöllner, ZGR 1977, 319, 325. 101 Hommelhoff ZGR 1978, 119, 129, der es jedoch zulässt, den Geschäftsführer durch entsprechende Satzungsregelungen zu einem bloßen Exekutivorgan zu degradieren. 102 Scholz/Schneider Rn 38 zu § 37 GmbHG; GK-GmbHG/Paefgen Rn 19 zu § 37 GmbHG; Eisenhardt FS Pfeiffer S 839, 845; Ziemons S 18. 103 So auch Eisenhardt FS Pfeiffer S 839, 845.

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gegebenen vorzunehmen.104 Ein über die gesetzlich zwingend vorgesehenen Grenzen hinausgehender weisungsfreier Mindestbereich ist somit nicht aus dem Gesetz ableitbar.105 Bestimmungen im Anstellungsvertrag des Geschäftsführers können die organschaft- 21 liche Weisungsbefugnis der Gesellschafter nicht beschränken. Denn Bestimmungen im Anstellungsvertrag wirken rein schuldrechtlich und schlagen damit nicht auf das Organverhältnis durch.106 Umgekehrt können Weisungen aber gegen den Anstellungsvertrag verstoßen und den Geschäftsführer ggf zur Kündigung des Anstellungsvertrags berechtigen.107 cc) Einberufungs- und Informationspflichten der Geschäftsführer108 (1) Einberufungspflichten Der Geschäftsführer hat nach § 49 Abs 2 Var 1 GmbHG die Gesellschafterversammlung 22 in den „ausdrücklich bestimmten Fällen zu berufen.“ Dazu zählen die §§ 49 Abs 3 (Verlust der Hälfte des Stammkapitals), 5a Abs 4 (Einberufung bei drohender Zahlungsunfähigkeit bei der UG),109 50 Abs 1 GmbHG (Einberufungsverlangen von mindestens zehn Prozent der Gesellschafter) sowie die §§ 13 Abs 1 S 2, 125 S 1, 193 Abs 1 S 2 UmwG.110 Bei mehreren Geschäftsführern ist jeder einzelne zur Einberufung befugt und verpflichtet, auch wenn Gesamtgeschäftsführung besteht.111 Denn bei der Einberufung handelt es sich weder um einen Akt der Geschäftsführung noch um einen Akt der Vertretung.112 Die Einberufung dient nämlich nicht der unmittelbaren Verfolgung des Gesellschaftszwecks.113 Der Geschäftsführer kann nur ausnahmsweise von der Einberufung absehen, wenn sämtliche Gesellschafter vom Einberufungserfordernis Kenntnis haben und dennoch auf die Abhaltung einer Versammlung verzichten.114 Auch ein nicht wirksam bestellter oder inzwischen abberufener Geschäftsführer, oder ein solcher, der sein Amt niedergelegt hat, kann entsprechend § 121 Abs 2 S 2 AktG die Versammlung einberufen, wenn er im Handelsregister eingetragen ist.115 Gemäß § 49 Abs 2 Var 2 GmbHG müssen die Geschäftsführer die Gesellschafterver- 23 sammlung einberufen, wenn dies „im Interesse der Gesellschaft erforderlich erscheint“.

_____ 104 Eisenhardt FS Pfeiffer S 839, 845 mit weiteren Argumenten gegen einen weisungsfreien Bereich. 105 OLG Nürnberg NZG 2000, 154, 155; GK-GmbHG/Paefgen Rn 14 zu § 37 GmbHG; Eisenhardt FS Pfeiffer S 839, 846; iE auch Mennike NZG 2000, 622, 623; Kuntz GmbHR 2008, 121, 123. 106 Eisenhardt FS Pfeiffer S 839, 846. 107 OLG Düsseldorf ZIP 1984, 1476, 1478. 108 Zur Einberufungsbefugnis der Gesellschafter siehe unten Rn 78. 109 Dazu Miras, Rn 248. 110 Vgl dazu Zitzmann S 115, mit dem zutreffenden Hinweis, dass entgegen teilweise vertretener Auffassung §§ 26, 53 ff, 60 Abs 1 Nr 2, 66 GmbHG nicht zu den „ausdrücklich bestimmten Fällen“ iSd § 49 Abs 2 Var 1 GmbHG zählen, da sich § 49 GmbHG nur auf die Einberufung der Versammlung bezieht, §§ 26, 53 ff, 60 Abs 1 Nr 2, 66 GmbHG hingegen lediglich die Zuständigkeit der Gesellschafter vorschreiben und damit auch eine Abstimmung im Umlaufverfahren nach § 48 Abs 2 GmbHG zulassen, vgl auch Geißler GmbHR 2010, 457, 459 f. 111 BayObLG NZG 1999, 1063; Baumbach/Hueck/Zöllner Rn 3 zu § 49 GmbHG; Bork/Schäfer/Masuch Rn 2 zu § 49 GmbHG; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 5 und 3 zu § 84 GmbHG. 112 Baumbach/Hueck/Zöllner Rn 3 zu § 49 GmbHG. 113 Baumbach/Hueck/Zöllner Rn 2 zu § 49 GmbHG. 114 Baumbach/Hueck/Zöllner Rn 21 zu § 49 GmbHG; Geißler GmbHR 2010, 457, 459. 115 OLG Düsseldorf GmbHR 2004, 572, 578; Lutter/Hommelhoff/Bayer Rn 2 zu § 49 GmbHG; aA Baumbach/Hueck/Zöllner Rn 3 zu § 49 GmbHG; Wicke Rn 2 zu § 49 GmbHG.

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In der Literatur wird unter Verweis auf § 111 Abs 3 S 1 AktG vertreten, dass die Gesellschafterversammlung nach § 49 Abs 2 Var 2 GmbHG einzuberufen sei, wenn die intendierte Maßnahme in den Zuständigkeitsbereich der Gesellschafter falle oder der Geschäftsführer mit der Missbilligung der Maßnahme durch die Gesellschafter rechnen müsse.116 Dagegen spricht, dass der Geschäftsführer Angelegenheiten im Zuständigkeitsbereich der Gesellschafter diesen ohnehin vorlegen muss. Dies ergibt sich bereits aus dem allgemeinen Kompetenzgefüge.117 Auch die potentielle Missbilligung der intendierten Maßnahme durch einzelne Gesellschafter löst keine Vorlagepflicht nach § 49 Abs 2 Var 2 GmbHG aus.118 Denn die Norm spricht vom Gesellschaftsinteresse und nicht vom Gesellschafterinteresse. Es verbietet sich, die Interessen der Gesellschaft und einzelner oder mehrerer Gesellschafter pauschal gleichzusetzen.119 Eine Einberufung nach § 49 Abs 2 Var 2 GmbHG ist vielmehr dann erforderlich, wenn das Gesellschaftswohl iSd § 111 Abs 3 S 1 AktG gerade die Entscheidung der Gesellschafter in der Versammlung erfordert.120 Dies ist der Fall, wenn der Gesellschaft bei Nichtabhaltung einer Gesellschafterversammlung ein erheblicher Schaden oder Nachteil droht. Nach § 49 Abs 3 GmbHG121 hat der Geschäftsführer die Gesellschafterversammlung 24 unverzüglich – dh ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs 1 S 1 BGB) – einzuberufen, wenn sich aus der Jahresbilanz oder einer Zwischenbilanz ergibt, dass der Wert des Eigenkapitals auf den Betrag des halben Stammkapitals herabgesunken ist.122 Dies ist dann der Fall, wenn das Nettovermögen der Gesellschaft nur noch die Hälfte des statutarischen Stammkapitals beträgt.123 Zur Bemessung des Eigenkapitals ist auf die Bewertungsgrundsätze der Handelsbilanz (Fortführungswerte) abzustellen124 und nicht auf die zu §§ 63, 64 aF GmbHG entwickelten Bewertungsgrundsätze (Liquidationswerte). Für diese Sicht spricht der Wortlaut, der auf die Jahresbilanz Bezug nimmt.125 Stille Reserven dürfen nur insoweit „aufgelöst“ werden, als dies in der Jahresbilanz zulässig wäre.126 § 49 Abs 3 GmbHG findet – über seinen Wortlaut hinaus – auch dann Anwendung, wenn die Geschäftsführer den Stammkapitalverlust nicht anhand einer Bilanz, sondern aufgrund an-

_____ 116 Lutter/Hommelhoff/Bayer Rn 13 zu § 49 GmbHG. 117 Zitzmann S 115. 118 Zur Vorlagepflicht bei zu erwartendem Widerspruch der Gesellschaftermehrheit siehe unten Rn 26. 119 Zitzmann S 93 f; allgemein zur Unterscheidung von Gesellschafts- und Gesellschafterinteressen Fischer NJW 1954, 777, 778. 120 GK-GmbHG/Hüffer Rn 20 zu § 49 GmbHG; Baumbach/Hueck/Zöllner Rn 17 zu § 49 GmbHG; Wicke Rn 6 zu § 49 GmbHG; Henssler/Strohn/Hillmann Rn 9 zu § 49 GmbHG. 121 Die Komplementärvorschrift des Aktienrechts ist § 92 Abs 1 AktG. 122 BGH ZIP 1995, 560 ff; OLG Celle GmbHR 2008, 1034; Baumbach/Hueck/Zöllner Rn 19 zu § 49 GmbHG; zum Zweck der Norm: Nowotny FS Semler, S231 ff; zum Schutzzweck (Schutz der Gesellschaft, Schutz Dritter oder Schutz der Gesellschafter) ausführlich Zitzmann S 135 ff. 123 BGH WM 1958, 1416, 1417; Bork/Schäfer/Masuch Rn 10 zu § 49 GmbHG; Baumbach/Hueck/Zöllner Rn 19 zu § 49 GmbHG; Zitzmann S 133; Geißler GmbHR 2010, 457, 459; aA Müller ZGR 1985, 191, 206 f, der darauf abstellt, ob ein Verlust in Höhe der Hälfte des offen ausgewiesenen Eigenkapitals besteht. Die Ansicht überzeugt nicht, weil § 49 Abs 3 GmbHG seinem Wortlaut nach nicht auf die Höhe des Verlusts, sondern auf den Verbleib des hälftigen Stammkapitals abstellt. 124 Baumbach/Hueck/Haas Rn 10 zu § 84 GmbHG; Roth/Altmeppen Rn 14 zu § 84 GmbHG iVm Rn 13 zu § 49 GmbHG; Bork/Schäfer/Masuch Rn 10 zu § 49 GmbHG; Geißler GmbHR 2010, 457, 459; Müller ZGR 1985, 191, 204. 125 Baumbach/Hueck/Haas Rn 10 zu § 84 GmbHG; Geißler GmbHR 2010, 457, 459. 126 OLG Köln AG 1978, 17, 22; Baumbach/Hueck/Haas Rn 12 zu § 84 GmbHG; Bork/Schäfer/Masuch Rn 10 zu § 49 GmbHG; Müller ZGR 1985, 191, 206; aA BGH WM 1958, 1416, 1417 (Aufdeckung stiller Reserven zulässig); zum Streitstand: Zitzmann S 133 f.

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derer Umstände feststellen.127 Hat ein Geschäftsführer aufgrund äußerer Umstände den Verdacht, dass der Wert des Eigenkapitals auf den Betrag des halben Stammkapitals herabgesunken ist, so hat er sich durch Aufstellung zumindest einer „groben“ Zwischenbilanz Klarheit zu verschaffen.128 Noch weitergehend besteht eine Pflicht des Geschäftsführers, die wirtschaftliche Lage der GmbH laufend zu beobachten und hierbei für eine Organisation zu sorgen, die ihm die ständige Übersicht über die wirtschaftliche und finanzielle Situation der GmbH jederzeit ermöglicht. Gegebenenfalls hat er sodann bei Indizien für eine kritische Entwicklung weitere Nachforschungen anzustellen.129 Neben der Einberufung muss der Geschäftsführer auch einen eigenen Tagesordnungspunkt für den Verlust der Hälfte des Stammkapitals vorsehen.130 Bei der Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) besteht gem § 5a Abs 4 25 GmbHG eine Einberufungspflicht bei drohender Zahlungsunfähigkeit. Streitig ist, ob § 5a Abs 4 GmbHG lex specialis zu § 49 Abs 3 GmbHG oder neben § 49 Abs 3 GmbHG anwendbar ist.131 Die letztgenannte Ansicht hätte zur Folge, dass bei der Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) sowohl bei drohender Zahlungsunfähigkeit als auch bei Aufzehrung der Hälfte des Stammkapitals die Gesellschafterversammlung einzuberufen wäre.132 Nach einer Mindermeinung ist § 49 Abs 3 GmbHG jedenfalls dann auf die Unternehmergesellschaft anwendbar, wenn deren Stammkapital nebst thesaurierter Rücklagen 25.000 € überschreitet.133 Da bei Verlust des halben Stammkapitals regelmäßig eine Einberufung der Gesellschafterversammlung im Interesse der Gesellschaft liegen und somit der Anwendungsbereich des § 49 Abs 2 Var 2 GmbHG („Einberufung im Interesse der Gesellschaft“) eröffnet sein wird, bedarf es einer Anwendung des § 49 Abs 3 GmbHG neben § 5a Abs 4 GmbHG nicht.134 Eine Einberufungspflicht kann sich auch aus § 37 GmbHG ergeben, wenn der Ge- 26 schäftsführer Zweifel hat, ob die Gesellschafter die intendierte Maßnahme billigen werden.135 Dies folgt aus der herausragenden Rolle der Gesellschafterversammlung als oberstes Willensbildungsorgan. Jedoch genügt nicht jede abstrakte Möglichkeit einer Missbilligung, da diese faktisch immer besteht und damit letztlich die Geschäftsführer an einer effektiven Ausübung ihres Amtes gehindert wären.136 Auch der zu erwartende Widerspruch eines Minderheitsgesellschafters begründet keine Einberufungspflicht der Geschäftsführer.137 Vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte für einen entgegenstehenden Willen der Mehrheit der Gesellschafter gegeben sein.

_____ 127 Vgl BGH BB 1995, 975; OLG Celle GmbHR 2008, 1034, 1035; Lutter/Hommelhoff/Bayer Rn 16 zu § 49 GmbHG; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 2 zu § 84 GmbHG (Evidenz); Baumbach/Hueck/Zöllner Rn 20 zu § 49 GmbHG; Müller ZGR 1985, 191, 211 f; Hommelhoff ZIP 1983, 383, 391. 128 Baumbach/Hueck/Zöllner Rn 20 zu § 49 GmbHG. 129 BGH ZIP 1995, 560; Baumbach/Hueck/Zöllner Rn 20 zu § 49 GmbHG; Geißler GmbHR 2010, 457, 459. 130 Nowotny FS Semler, 231, 237 f. 131 Dafür Miras, Rn 250a. 132 Dazu Miras, Rn 250 f. 133 Geißler DZWIR 2010, 98, 101. 134 Dazu Miras, Rn 253 mit weiteren Differenzierungen. 135 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 10 zu § 37 GmbHG; GK-GmbHG/Paefgen Rn 10 zu § 37 GmbHG; Zitzmann S 95 ff, 119; im Erg auch BGH NJW 1984, 1461, 1462; Lutter/Hommelhoff/Bayer Rn 13 zu § 49 GmbHG. 136 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 10 zu § 37 GmbHG. 137 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 10 zu § 37 GmbHG.

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Hat der Geschäftsführer die Versammlung einberufen und erscheinen die Gesellschafter nicht zur Gesellschafterversammlung oder entscheiden die Gesellschafter nicht über die Angelegenheit, kann der Geschäftsführer die Maßnahme, sofern sie nicht in die ausschließliche Zuständigkeit der Gesellschafter fällt, ausführen. Denn die Einberufungspflicht soll den Gesellschaftern lediglich ermöglichen, eine Maßnahme an sich zu ziehen. Machen sie davon keinen Gebrauch, bleibt die Zuständigkeit des Geschäftsführers unverändert.138 28 Bei Verletzung der Einberufungspflicht haftet der Geschäftsführer nach Maßgabe des § 43 Abs 2 GmbHG,139 ferner uU nach deliktsrechtlichen Vorschriften (§ 826 BGB, § 823 Abs 2 BGB iVm § 84 GmbHG, § 823 Abs 2 BGB iVm § 49 Abs 3 GmbHG).140 27

(2) Informationspflichten 29 Aus § 51 GmbHG ergibt sich die Pflicht des Geschäftsführers, die Gesellschafterversamm-

lungen umfassend vorzubereiten und alle Gesellschafter über die anstehenden Tagesordnungspunkte rechtzeitig zu informieren.141 Nach § 51 Abs 1 S 2 GmbHG ist die Information zusammen mit der Ladung mindestens eine Woche vor der Versammlung zu erteilen. Bei Grundlagengeschäften kann eine noch frühzeitigere Information erforderlich sein.142 Dies ergibt sich aus der für die Gesellschaft und ihre Gesellschafter wesentlichen Bedeutung der Grundlagengeschäfte. Das von der Gegenansicht vorgebrachte Argument, e contrario §§ 47, 49, 125 S 1, 230 Abs 1, 238 S 1 UmwG – worin ausdrücklich eine längere Frist angeordnet wird – dürfe bei sonstigen Grundlagengeschäften keine längere Frist gewährt werden,143 überzeugt nicht. Das UmwG ist zum einen jünger als das GmbHG und zum anderen hat der Gesetzgeber mit Erlass der Informationspflichtbestimmungen des UmwG nicht die Absicht gehabt, damit konkludent Wertungen für das GmbHG zu treffen. 30 Daneben hat der Geschäftsführer außerhalb von Gesellschafterversammlungen nach § 51a Abs 1 GmbHG jedem Gesellschafter auf Verlangen Auskunft über die Angelegenheiten der Gesellschaft zu geben und Einsicht in die Bücher und Schriften zu gestatten.144 Ablehnen darf er das Informationsbegehren eines Gesellschafters nach § 51a Abs 2 S 1 GmbHG, wenn zu besorgen ist, dass der Gesellschafter die Informationen zu gesellschaftsfremden Zwecken verwenden und dadurch der Gesellschaft einen nicht unerheblichen Nachteil zufügen wird. Die Verweigerung bedarf in diesem Fall eines Beschlusses der Gesellschafter, § 51a Abs 2 S 2 GmbHG. Verweigert der Geschäftsführer die Auskunft aus einem anderen zulässigen Grund – genannt sei etwa das Informationsbegehren eines Nicht-Gesellschafters wie dem Treuhänder oder Erbprätendenten145 –, so bedarf es hierzu keines Gesellschafterbeschlusses nach § 51a Abs 2 S 2 GmbHG. Dies ergibt sich bereits aus der systematischen Stellung der Norm, die sich nur auf S 1 bezieht

_____ 138 Zitzmann S 102 f. 139 Baumbach/Hueck/Zöllner Rn 23 zu § 49 GmbHG; Roth/Altmeppen Rn 16 zu § 49 GmbHG. 140 Lutter/Hommelhoff/Bayer Rn 22 zu § 49 GmbHG und Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 2 zu § 84 GmbHG. 141 Lutter/Hommelhoff/Bayer Rn 1 und 21 ff zu § 51 GmbHG; iE auch: Baumbach/Hueck/Zöllner Rn 56 zu § 51a GmbHG. 142 Scholz/K Schmidt/Seibt Rn 22 zu § 51 GmbHG; GK-GmbHG/Hüffer Rn 21 zu § 51 GmbHG; aA Lutter/ Hommelhoff/Bayer Rn 20 zu § 51 GmbHG. 143 Lutter/Hommelhoff/Bayer Rn 20 zu § 51 GmbHG. 144 Zur Qualifikation des § 51a GmbHG als Individualrecht: Schürnbrand S 134. 145 Vgl K Schmidt GmbHR 1982, 206.

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und somit sonstige Fälle zulässiger Informationsverweigerung nicht erfasst.146 Neben dem Auskunftsrecht nach § 51a Abs 1 GmbHG besteht kein Auskunftsrecht aus § 810 BGB. Ein Auskunftsrecht aus § 810 BGB kann aber einem aus der Gesellschaft ausgeschiedenen Gesellschafter zustehen.147 Ferner kann die Satzung oder auch ein einfacher Gesellschafterbeschluss dem Geschäftsführer weitergehende Berichtspflichten auferlegen.148 Die Geschäftsführer trifft darüber hinaus eine allgemeine Berichtspflicht, die sie 31 nicht nur auf Verlangen der Gesellschafter, sondern von sich aus erfüllen müssen.149 Hierfür spricht, dass die Gesellschafter nur bei umfassender und kontinuierlicher Information durch den Geschäftsführer das ihnen zustehende Weisungsrecht gegenüber dem Geschäftsführer effektiv zum Wohl der Gesellschaft ausüben können.150 Es bestehen grundsätzlich keine Informationspflichten gegenüber Dritten. So 32 sind die Geschäftsführer bei der Anbahnung eines Vertrages der Gesellschaft mit einem Dritten regelmäßig nicht dazu verpflichtet, die andere Partei über die finanzielle Situation der Gesellschaft aufzuklären. In der Regel hat daher auch der Geschäftsführer als Vertreter der GmbH den (potentiellen) Vertragspartner nicht über die finanzielle Lage der GmbH aufzuklären. Ausnahmen bestehen nur dann, wenn der Vertragspartner nach Treu und Glauben eine Aufklärung redlicherweise erwarten darf. Aufklärungspflichten hinsichtlich der finanziellen Lage der GmbH kommen regelmäßig erst nach Eintritt der Krise in Betracht.151

dd) Loyalitäts- und Treuepflichten Neben den im Gesetz ausdrücklich normierten Pflichten trifft die Geschäftsführer gegen- 33 über der Gesellschaft auch ein allgemeines Gebot zur „Treue“ und zu „loyalem Verhalten“.152 Eine schuldhafte Verletzung der Loyalitäts- und Treuepflichten kann zur Haftung des Geschäftsführers nach § 43 Abs 2 GmbHG führen.153 Der Geschäftsführer einer Komplementär-GmbH kann sich nach den Grundsätzen des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter auch gegenüber der GmbH & Co KG nach § 43 Abs 2 GmbHG schadensersatzpflichtig machen, wenn er seine Treuepflichten verletzt.154 Daneben können sich je nach Art des Verstoßes bzw nach dem Grad des Verschuldens auch strafrechtliche Sanktionen ergeben.155

_____ 146 K Schmidt GmbHR 1982, 206 f. 147 OLG Saarbrücken GmbHR 2011, 33, 34; OLG Schleswig GmbHR 2008, 434 ff; Baumbach/Hueck/ Zöllner Rn 60 zu § 51a GmbHG. 148 Baumbach/Hueck/Zöllner Rn 59 zu § 51a GmbHG. 149 Grunewald ZHR 146 (1982), 211, 225 f; Hommelhoff ZIP 1983, 383, 389 ff, der die Geschäftsführer weitergehend sogar für verpflichtet hält, ein „Berichtssystem“ zugunsten der Gesellschafter zu schaffen; aA Baumbach/Hueck/Zöllner Rn 59 zu § 51a GmbHG. 150 Hommelhoff ZIP 1983, 383, 399; Zitzmann S 127, der diese umfassende Informationspflicht als Ausfluss der Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit versteht; zur Qualifikation als kollektives Informationsrecht: Schürnbrand S 134. 151 Siehe unten § 8 Rn 52. 152 Vgl etwa BGHZ 10, 187, 192f; MK-GmbHG/Stephan/Tieves Rn 86 zu § 35 GmbHG; Michalski/Haas/ Ziemons Rn 86 zu § 43 GmbHG; Scholz/Schneider Rn 151 zu § 43 GmbHG; Fleischer WM 2003, 1045, 1046; Altmeppen ZIP 2008, 437, 440; Zitzmann S 127. 153 Michalski/Haas/Ziemons Rn 86 zu § 43 GmbHG; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 17 zu § 43 GmbHG. 154 OLG Düsseldorf NZG 2000, 933. 155 Michalski/Haas/Ziemons Rn 86 zu § 43 GmbHG.

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Aus der allgemeinen Treuepflicht des Geschäftsführers ergibt sich ua ein Wettbewerbsverbot.156 Dieses Wettbewerbsverbot besteht während der Amtszeit des Geschäftsführers. Danach gilt ein Wettbewerbsverbot demgegenüber grundsätzlich nur, wenn es vertraglich vereinbart wurde.157 Da auf ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot mit dem Geschäftsführer § 74 HGB nicht anwendbar ist, kann es auch ohne Karenzentschädigung iSd § 74 Abs 2 HGB wirksam vereinbart werden.158 Ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot kann aber ausnahmsweise „nach § 138 BGB iVm Art 2, 12 GG nichtig sein […], wenn das Verbot nicht dem berechtigten geschäftlichen Interesse der Gesellschaft dient oder es nach Ort, Zeit und Gegenstand die Berufsausübung und die wirtschaftliche Tätigkeit des Geschäftsführers unbillig erschwert.“159 Ein Wettbewerbsverbot zugunsten einer Komplementär-GmbH kann auch für die GmbH & Co KG wirken, mit der kein Wettbewerbsverbot vereinbart wurde.160 Des Weiteren wird aus dem Treuegebot abgeleitet, dass der Geschäftsführer Geschäftschancen, die der Gesellschaft zustehen, nicht für sich selbst wahrnehmen darf.161 Geschäftschancen, zu denen der Geschäftsführer während seiner Amtszeit Zugang hatte, darf er auch nach seinem Ausscheiden nicht für sich persönlich in Anspruch nehmen.162 35 Zivilrechtlich aus dem Treugebot ableitbar – strafrechtlich in § 85 GmbHG vorausgesetzt – ist ferner eine umfassende Verschwiegenheitspflicht des Geschäftsführers über Geheimnisse und vertrauliche Angelegenheiten der Gesellschaft.163 Die Verschwiegenheitspflicht dauert in Bezug auf Geschäftsgeheimnisse, die den Geschäftsführern während ihrer Amtszeit bekannt geworden sind, auch nach Beendigung ihrer Amtszeit fort.164

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ee) Arbeitgeberpflichten 36 Dem Geschäftsführer obliegt die Pflicht, die Arbeitnehmerbeiträge seiner Gesellschaft

zur Sozialversicherung rechtzeitig und vollständig an den jeweiligen Sozialversicherungsträger abzuführen.165 Ist der Geschäftsführer aufgrund einer internen Ressortverteilung166 nicht für die Abführung der Sozialversicherungsabgaben zuständig, entlastet ihn

_____ 156 OLG Köln BB 2008, 800, 801; Claussen FS Beusch S 111, 114 f; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 41 zu § 35 GmbHG; Michalski/Haas/Ziemons Rn 97 zu § 43 GmbHG; im Erg auch Beck’sches Formularbuch/ Stephan, IX. 48, Anm 6. 157 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 195 iVm Rn 46 zu § 35 GmbHG; Roth/Altmeppen Rn 32 zu § 43 GmbHG; Michalski/Haas/Ziemons Rn 104 zu § 43 GmbHG; Scholz/Schneider Rn 173 f zu § 43 GmbHG. 158 BGH NZG 2008, 753; BGH NZG 2002, 475, 476; Beck’sches Formularbuch/Stephan, IX.48, Anm 17; Heidenhain NZG 2002, 605, 606. 159 BGH NZG 2008, 753; vgl auch: BGH NZG 2002, 475, 476; Beck’sches Formularbuch/Stephan, IX.48, Anm 17. 160 OLG Köln BB 2008, 800 ff; Roth/Altmeppen Rn 29 zu § 43 GmbHG; ders ZIP 2008, 437, 440. 161 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 39 zu § 35 GmbHG; Fleischer WM 2003, 1045. 162 KG GmbHR 2010, 869, Rz 17; Roth/Altmeppen Rn 32 zu § 43 GmbHG. 163 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 40 zu § 35 GmbHG; MK-GmbHG/Fleischer Rn 199 zu § 43 GmbHG; Scholz/Schneider Rn 144 zu § 43 GmbHG, der die Verschwiegenheitspflicht aber dogmatisch aus der allgemeinen Förderpflicht des Geschäftsführers ableitet. 164 Vgl hierzu BGHZ 91, 1, 6; MK-GmbHG/Fleischer Rn 200 zu § 43 GmbHG; Baumbach/Hueck/Zöllner/ Noack Rn 40 zu § 35 GmbHG. 165 BGH NJW 2001, 969; BGHZ 144, 311; 133, 370; 134, 304; ferner BGH NJW 1998, 1306 f; 1998, 1484 ff; BGHZ 136, 332; LG Bochum GmbHR 2014, 1041 ff m Anm Brötzmann. Siehe auch unten § 8 Rn 42. 166 Zur Ressortverteilung s unten Rn 43 f.

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dies nicht von einer Überwachung des hierfür intern zuständigen Mitgeschäftsführers oder Prokuristen.167

ff) Rechnungslegungspflichten Große Bedeutung haben – gerade im Vorfeld einer Krise – die den Geschäftsführer tref- 37 fenden Rechnungslegungspflichten. Diese bestimmen sich im Einzelnen nach den §§ 238 ff HGB (allgemeine Bilanzvorschriften für alle Einzelkaufleute und Handelsgesellschaften) und nach den §§ 264 ff HGB (besondere Bestimmungen für Kapitalgesellschaften). Bei den Kapitalgesellschaften ist nach § 267 Abs 1 bis 3 HGB zu unterscheiden zwischen – kleinen, – mittleren und – großen Gesellschaften. Gegenstand der Rechnungslegung ist der Jahresabschluss, bestehend aus – der Bilanz, – der Gewinn- und Verlustrechnung und – dem Bilanzanhang sowie dem Lagebericht (§§ 242 ff, 264 ff HGB). bleibt so!!! Das Stammkapital ist hierbei nach § 42 GmbHG als gezeichnetes Kapital auszuweisen. Es steht auf der Passivseite der Bilanz (§ 266 HGB). Die Feststellung des Jahresabschlusses obliegt den Gesellschaftern; die Geschäftsführer haben ihnen den Jahresabschluss unverzüglich vorzulegen (§§ 42a GmbHG, 46 Nr 1 GmbHG).168 gg) Risikoüberwachung Die Geschäftsführung muss die GmbH insgesamt so organisieren, dass sie die wirtschaft- 38 liche und finanzielle Lage der Gesellschaft stets überblicken und Risiken so rechtzeitig erkennen kann, dass wirksame Maßnahmen zu deren Steuerung ergriffen werden können.169 Für diese Zwecke ist eine geordnete Buchführung unabdingbar.170

hh) Delegation von Geschäftsführungsaufgaben an Dritte Die Geschäftsführer können einzelne Aufgaben an untergeordnete Mitarbeiter dele- 39 gieren.171 Die Mitarbeiter sind keine Erfüllungsgehilfen des Geschäftsführers, sondern

_____ 167 BGH NJW 2001, 969; BGHZ 133, 370, 377 f; zu den Interdependenzen der Geschäftsführerhaftung nach § 64 S 1 GmbHG und dessen potentieller Strafbarkeit nach § 266a StGB im Rahmen der Pflicht zur Abführung von Arbeitnehmerbeiträgen siehe unten § 8 Rn 42. 168 Zu den Einzelheiten siehe oben § 2 Rn 21 ff. 169 BGH ZIP 1995, 560, 561; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 31 zu § 43 GmbHG; vgl auch Bittmann ZWH 2012, 414 f. 170 Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 31 zu § 43 GmbHG; Goette DStR 1995, 1640; Fleck GmbHR 1974, 224, 225. 171 Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 30 zu § 43 GmbHG; MK-GmbHG/Fleischer Rn 110 zu § 43 GmbHG.

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312 | 2. Kapitel: Die gesellschaftsrechtlichen Funktionsträger

allenfalls der Gesellschaft.172 Der Geschäftsführer muss sich demzufolge deren Fehlverhalten nicht nach § 278 BGB zurechnen lassen.173 Eine Haftung des Geschäftsführers kommt mithin nur in Betracht, wenn er selbst eine Pflichtverletzung – etwa in Form fehlerhafter Auswahl, Weisung oder Anleitung – begangen hat.174 Bedeutsam in diesem Kontext ist die Pflicht des Geschäftsführers, die Mitarbeiter des Unternehmens zu überwachen. Überträgt der Geschäftsführer zB eine Aufgabe auf einen Prokuristen, und begeht der Prokurist eine Pflichtverletzung, so muss der Geschäftsführer aus zivilrechtlicher Sicht nachweisen, dass er den Prokuristen hinreichend überwacht hat.175

b) Vertretung der Gesellschaft 40 Die Geschäftsführer sind organschaftliche Vertreter der GmbH (§ 35 Abs 1 GmbHG).

Ihre Vertretungsmacht ist nach § 37 Abs 2 GmbHG gegenüber Dritten unbeschränkt und unbeschränkbar.176 Die daraus resultierende herausragende Stellung der Geschäftsführer wird durch § 35a Abs 1 S 1 GmbHG untermauert, wonach alle Geschäftsführer auf allen Geschäftsbriefen anzugeben sind.177 Eine wirksame Vertretung liegt nicht vor bei Missbrauch der Vertretungsmacht, dh dem bewussten Missbrauch der Vertretungsmacht zum Nachteil des Vertretenen.178 War der Missbrauch für den Vertragspartner evident erkennbar, so muss die GmbH das Geschäft nicht gegen sich gelten lassen.179 Der Vertrag ist analog § 177 Abs 1 BGB schwebend unwirksam, so dass die GmbH entscheiden kann, ob sie den Vertrag genehmigt.180 Entgegen der hM gilt dies auch bei Kollusion.181 Zwar mag hier prima vista sittenwidriges Verhalten nach § 138 Abs 1 BGB naheliegen. Jedoch gäbe man dem Vertretenen mit der damit einhergehenden „Nichtigkeit“ letztlich Steine statt Brot, da ihm auf diese Weise die Option genommen würde, einen für ihn günstigen Vertrag zu genehmigen. Daher sollte man ihm auch bei Kollusion das Wahlrecht einräumen, ob er das Rechtsgeschäft gegen sich gelten lässt, oder etwaige Schadensersatzansprüche gegen seinen vertragswidrig handelnden Vertreter und den kollusiv agierenden Geschäftspartner geltend macht. 41 Bei der Passivvertretung sind im Falle der Führungslosigkeit nach dem im Zuge des MoMiG eingeführten § 35 Abs 1 S 2 GmbHG für den Empfang von Willenserklärungen die Gesellschafter zuständig.182 Bei mehreren Gesellschaftern genügt es, wenn die Willenserklärung einem Gesellschafter zugeht.183 Hat die Gesellschaft ein faktisches Organ, so ist

_____ 172 Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 30 zu § 43 GmbHG; MK-GmbHG/Fleischer Rn 126 zu § 43 GmbHG; Fleck GmbHR 1974, 224, 225. 173 Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 30 zu § 43 GmbHG; Hachenburg/Mertens Rn 12 zu § 43 GmbHG; MKGmbHG/Fleischer Rn 126 zu § 43 GmbHG; Fleck GmbHR 1974, 224, 225. 174 Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 30 zu § 43 GmbHG; MK-GmbHG/Fleischer Rn 126 und 132 ff zu § 43 GmbHG. 175 BGHZ 133, 370, 378. 176 BGH NJW 1984, 1461, 1462; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 2 und 12 zu § 37 GmbHG; Roth/Altmeppen Rn 37 zu § 37 GmbHG. 177 Zitzmann S 15. 178 BGH NJW 1984, 1461, 1462; Flume AT I 2, § 10 II 2d, S 372; Roth/Altmeppen Rn 38 zu § 37 GmbHG. 179 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 160 zu § 35 GmbHG und Rn 43 ff zu § 37 GmbHG; allg zum Missbrauch der Vertretungsmacht: Wolf/Neuner § 49, Rn 102 ff, S 602 ff. 180 Wolf/Neuner BGB AT, § 49, Rn 104, S 603; K Schmidt Gesellschaftsrecht, § 10 IIb, c, S 258 ff. 181 Wolf/Neuner BGB AT, § 49, Rn 107, S 603f; aA K Schmidt Gesellschaftsrecht, § 10 IIc, S 260 mwN. 182 Hüffer/Koch, § 34, Rn 5; MK-GmbHG/Stephan/Tieves, Rn 242 zu § 35 GmbHG. 183 MK-GmbHG/Stephan/Tieves, Rn 243 zu § 35 GmbHG.

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§ 6 Die Organe der GmbH | 313

sie nicht führungslos.184 Die Willenserklärungen sind in diesem Fall dem faktischen Organ gegenüber abzugeben.

c) Mehrere Geschäftsführer aa) Grundsatz der Gesamtgeschäftsführung Für den Fall einer GmbH mit mehreren Geschäftsführern enthält das GmbHG keine aus- 42 drückliche Regelung, ob Gesamtgeschäfts- oder Einzelgeschäftsführung besteht. Jedoch ist in § 35 Abs 2 S 1 GmbHG für die Vertretung geregelt, dass bei Bestellung mehrerer Geschäftsführer im Zweifel Gesamtvertretung vorliegt. Diese Vorschrift ist entsprechend auf die Geschäftsführung anzuwenden.185 Damit liegt vorbehaltlich einer anderen gesellschaftsvertraglichen Vereinbarung im Zweifel Gesamtgeschäftsführung vor.186 Dies hat zur Folge, dass jeder Geschäftsführer mit seinen Mitgeschäftsführern einstimmige Entscheidungen treffen muss.187 Einer bestimmten Maßnahme müssen daher alle Geschäftsführer zustimmen und nicht nur diejenigen, die in einer Sitzung gerade anwesend sind.188

bb) Abweichende Regelungen Die Satzung kann eine vom gesetzlichen Grundsatz des Mehrheitsprinzips abweichen- 43 de Regelung treffen.189 Zu denken ist hierbei insb an eine Ressortaufteilung, die Einräumung einer Einzelgeschäftsführungsbefugnis oder die Einführung von Mehrheitsentscheidungen.190 Enthält die Satzung keine Regelung, so kann sie auch durch einen einfachen Gesellschafterbeschluss vereinbart werden. 191 Überdies steht es den Geschäftsführern frei, sich eine eigene Geschäftsordnung zu geben und darin eine Ressortaufteilung vorzunehmen, sofern der Gesellschaftsvertrag dem nicht entgegensteht; hierfür bedarf es allerdings analog § 77 Abs 2 S 3 AktG der Zustimmung aller Geschäftsführer.192

_____ 184 Brand/Brand NZI 2010, 712 ff. 185 Vgl nur RGZ 98, 98, 99 f; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 29 zu § 37 GmbHG; Rowedder/SchmidtLeithoff/Koppensteiner/Gruber Rn 16 zu § 37 GmbHG; Scholz/Schneider/Schneider Rn 25 zu § 37 GmbHG; MK-GmbHG/Stephan/Tieves Rn 78 zu § 37 GmbHG; Leuernig/Dornhegge NZG 2010, 13; aA van Venrooy, GmbHR 1999, 685 ff. 186 BGH NJW 1990, 2560, 2565 (Lederspray); Rowedder/Schmidt-Leithoff/Koppensteiner/Gruber Rn 16 zu § 37 GmbHG; Scholz/Schneider/Schneider Rn 25 zu § 37 GmbHG. 187 Goette § 8 Rn 52; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 29 zu § 37 GmbHG; Rowedder/Schmidt-Leithoff/Koppensteiner/Gruber Rn 17 zu § 37 GmbH. 188 Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 28 zu § 37 GmbHG; Scholz/Schneider Rn 21a zu § 37 GmbHG; MKGmbHG/Stephan/Tieves Rn 79 zu § 37 GmbHG. 189 Roth/Altmeppen Rn 33 zu § 37 GmbHG; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 29 zu § 37 GmbHG; Peters GmbHR 2007, 682 ff; Leuernig/Dornhegge NZG 2010, 13, 14. 190 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 29 zu § 37 GmbHG; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 33 zu § 37 GmbHG. 191 OLG Stuttgart GmbHR 1992, 48; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 29 zu § 37 GmbHG; Roth/Altmeppen Rn 33 zu § 37 GmbHG; MK-GmbHG/Stephan/Tieves Rn 90 zu § 37 GmbHG; Leuernig/Dornhegge NZG 2010, 13, 14. 192 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 29 zu § 37 GmbHG; Roth/Altmeppen Rn 34 f zu § 37 GmbHG; Bork/Schäfer/Jacoby Rn 5 zu § 37 GmbHG; Leuernig/Dornhegge NZG 2010, 13, 14; vgl auch: Peters GmbHR 2007, 682, 683.

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314 | 2. Kapitel: Die gesellschaftsrechtlichen Funktionsträger

Im Rahmen einer Ressortaufteilung wird grundsätzlich jedem Geschäftsführer Einzelgeschäftsführungsbefugnis innerhalb seines Ressorts eingeräumt. Im Falle einer solchen Ressortaufteilung sind lediglich bedeutsame Fragen dem Gesamtgeschäftsführungsgremium vorzulegen, soweit nicht ohnehin die Gesellschafterversammlung zu entscheiden hat.193 Freilich befreit die Ressortaufteilung den Geschäftsführer nicht gänzlich von der Verantwortung für die übrigen Ressorts.194 Vielmehr gebietet es der Grundsatz der Gesamtverantwortung195, dass der einzelne Geschäftsführer zum einen nicht von der Erfüllung öffentlich-rechtlicher Pflichten der Gesellschaft befreit werden kann196 und zum anderen seine Geschäftsführerkollegen überwachen muss.197 Selbst den Zölibatsgeschäftsführer (Geschäftsführer ohne eigenen Aufgabenbereich) trifft eine Überwachungspflicht seiner Geschäftsführerkollegen.198 Die Intensität der Überwachungspflichten richtet sich ua nach der Bedeutung eines von einem Mitgeschäftsführer geplanten Vorgangs, der Nähe des Vorgangs zum eigenen Ressort und der Art der Ressortaufteilung.199 Um ihrer Überwachungspflicht gerecht zu werden, müssen die Geschäftsführer ggf ein internes System gegenseitiger Ressortberichte einrichten.200 Der Geschäftsführer ist jedoch nicht verpflichtet, jede einzelne Maßnahme seiner Kollegen ohne Anlass zu kontrollieren.201 Korrespondierend zu den Überwachungspflichten hat der Geschäftsführer ein un45 eingeschränktes Recht auf Information über alle Angelegenheiten der Gesellschaft, und zwar auch über die Angelegenheiten, die nur das Ressort eines Geschäftsführungskollegen betreffen.202 Es gilt der Grundsatz: Jeder darf alles wissen, und jeder hat Anspruch darauf, über alles informiert zu werden.203 Der Geschäftsführer darf zur Ausübung seines Informationsrechts auch die Mitarbeiter der Gesellschaft befragen. 204 Dieses Informationsrecht verdichtet sich zu einer Pflicht, Auskunft einzuholen, wenn der Geschäftsführer Anlass zu der Annahme hat, die Gesamtheit der Geschäftsführer müsse mit der Angelegenheit befasst werden.205

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_____ 193 BGH NJW 1990, 2560, 2565; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 32 zu § 37 GmbHG; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 31 zu § 37 GmbHG; Peters GmbHR 2007, 682, 686; vgl auch Scholz/Schneider Rn 43 zu § 43 GmbHG. 194 AllgM, vgl nur BGH NJW 1990, 2560, 2565; Bork/Schäfer/Jacoby Rn 6 zu § 37 GmbHG. 195 Dazu nur OLG Koblenz WM 2008, 211, 212. 196 BGH NJW 2001, 969, 971; BGH ZIP 1995, 560, 561; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 32 zu § 37 GmbHG; iÜ Peters GmbHR 2007, 682, 684; Paefgen/Dettge WuB II C § 37 GmbHG 1.08. 197 BGHZ 133, 370, 377 f; BGH NJW 2001, 969, 971; BGH ZIP 1995, 560, 561; BGH NJW 1994, 2149; BGH GmbHR 1992, 675, 677; BGH NJW-RR 1986, 1293; RGZ 98, 98, 100; OLG Jena NZG 2010, 226, 228 f; MKGmbHG/Stephan/Tieves Rn 83 zu § 37 GmbHG; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 32 zu § 37 GmbHG; Peters GmbHR 2007, 682, 684; Paefgen/Dettge WuB II C § 37 GmbHG 1.08. 198 OLG Koblenz WM 2008, 211, 212. 199 Roth/Altmeppen Rn 23 zu § 43 GmbHG. 200 Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 32 zu § 37 GmbHG; vgl auch Scharpf DB 1997, 737 ff. 201 OLG Düsseldorf GmbHR 1992, 675, 677 (zu § 64 Abs 2 GmbHG aF); Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 32 zu § 37 GmbHG. 202 OLG Koblenz WM 2008, 211; OLG Karlsruhe NZG 2000, 264, 266; Paefgen/Dettge WuB II C § 37 GmbHG 1.08; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 32 zu § 37 GmbHG; Michalski/Lenz Rn 33 zu § 37 GmbHG; MK-GmbHG/Fleischer Rn 109 zu § 43 GmbHG; Peters GmbHR 2007, 682, 685; Leuering/Dornhegge NZG 2010, 13, 15. 203 OLG Koblenz WM 2008, 211, 212; MK-GmbHG/Stephan/Tieves Rn 83 zu § 37 GmbHG; Scholz/Schneider/Schneider Rn 31 zu § 37 GmbHG. 204 OLG Koblenz WM 2008, 211. 205 Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 32 zu § 37 GmbHG.

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§ 6 Die Organe der GmbH | 315

Die wechselseitige Überwachungspflicht wird in der Krise der GmbH verschärft:206 46 Der Geschäftsführer muss jetzt grundsätzlich ohne Anlass zumindest stichprobenartig überprüfen, ob der andere Geschäftsführer rechtmäßig handelt. Der BGH hat die wechselseitige Überwachungspflicht in einem Fall bejaht, in dem es um eine Haftung nach § 823 Abs 2 BGB iVm § 64 GmbHG aF wegen diverser Zahlungen durch einen von zwei Geschäftsführern einer bereits überschuldeten GmbH ging. Der Geschäftsführer, der die Zahlungen veranlasste, war nach der internen Geschäftsverteilung für die internationalen Geschäfte zuständig. Da die Zahlungen allesamt im Rahmen des internationalen Geschäftsverkehrs vorgenommen wurden, berief sich der andere, für den nationalen Sektor zuständige Geschäftsführer, darauf, dass ihn kein Verschulden treffe. Schließlich habe er weder die Zahlungen veranlasst, noch fallen sie in seinen Zuständigkeitsbereich. Dieser Sicht folgte der BGH nicht. Ein Geschäftsführer könne sich nicht darauf berufen, dass die Zahlungen von demjenigen Mitgeschäftsführer veranlasst worden seien, in dessen Sparte die Geschäfte fallen.207 Denn der andere – insoweit intern unzuständige Geschäftsführer – habe in der angeschlagenen Gesellschaft weitgehende Kontroll- und Überwachungspflichten gegenüber dem Mitgeschäftsführer.208 An diese Überwachungspflichten sei ein strenger Maßstab anzulegen.209 Eine strenge Überwachungspflicht besteht vor allem auch bei der Abführung von Sozialversicherungsabgaben210 oder bei der Erfüllung von Steuerpflichten.211 Der Geschäftsführer muss sich insb darum kümmern, dass die GmbH ihre Pflichten erfüllt und sich durch geeignete Maßnahmen – etwa durch Nachfrage bei den Kreditinstituten der GmbH – im Einzelfall Gewissheit verschaffen.212 Der Geschäftsführer muss sich zur Erfüllung seiner Pflichten nicht zwingend am Verwaltungssitz der Gesellschaft aufhalten.213 Auch bei der nicht ressortgebundenen Einzelgeschäftsführungsbefugnis besteht 47 die dargestellte gegenseitige Überwachungspflicht der Geschäftsführer. Hierbei kann jeder Geschäftsführer der Einzelentscheidung des anderen Geschäftsführers widersprechen (§ 115 HGB analog) und verlangen, dass die Maßnahme allen Geschäftsführern zur Entscheidung vorgelegt wird.214

cc) Mitwirkung eines Geschäftsführers an rechtswidrigem Geschäftsführungsbeschluss Ein Geschäftsführer darf nicht an einem rechtswidrigen Beschluss des Geschäftsführer- 48 gremiums mitwirken.215 Dabei ist die Mitwirkung eines Geschäftsführers an einem Be-

_____ 206 BGH GmbHR 2001, 236, 237; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 32 zu § 37 GmbHG; MK-GmbHG/ Stephan/Tieves Rn 83 zu § 37 GmbHG; Peters GmbHR 2007, 682, 686; Leuering/Dornhegge NZG 2010, 13, 16; für die AG und den VVaG: Habersack WM 2005, 2360, 2362, der jedoch auf S 2363 für eine schwächer ausgeprägte Überwachungspflicht in der AG mit dem Argument plädiert, im Ergebnis dürfe das Misstrauen das Vertrauen unter den Vorständen nicht überwiegen. Zum Begriff der Krise siehe unten § 7 Rn 2. 207 BGH NJW 1994, 2149; Goette DStR 1994, 1094. 208 BGH NJW 1994, 2149, 2150. 209 BGH NJW 1994, 2149, 2150. 210 BGH GmbHR 2001, 236, 237; BGHZ 133, 370; Oppenländer/Trölitzsch/Steffan, § 37, Rn 112; vgl auch oben Rn 36. 211 Vgl Scholz/Schneider Rn 359 f zu § 43 GmbHG mwN. 212 BGH GmbHR 2001, 236, 237. 213 BGH GmbHR 2001, 236, 237. 214 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 30 zu § 37 GmbHG; Michalski/Lenz Rn 33 zu § 37 GmbHG; Scholz/Schneider/Schneider Rn 30 zu § 37 GmbHG; Leuering/Dornhegge NZG 2010, 13, 15. 215 Vgl BGH NJW 1990, 2560, 2562 (Lederspray); Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 16 zu § 43 GmbHG.

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schluss sowohl dann ursächlich für das Zustandekommen des rechtswidrigen Beschlusses, wenn er für den Beschluss stimmt, als auch dann, wenn er sich der Stimme enthält.216 Kein Geschäftsführer kann sich mithin erfolgreich damit verteidigen, dass er die anderen Geschäftsführer voraussichtlich ohnehin nicht zu der erforderlichen Beschlussfassung hätte bewegen können.217 Stimmt der Geschäftsführer hingegen gegen den Beschluss, so ist er regelmäßig nicht verantwortlich.218 Eine Pflicht, der Geschäftsführerversammlung fern zu bleiben und damit die Be49 schlussunfähigkeit der Geschäftsführerversammlung zu bewirken, besteht nicht. Jedoch hat jeder einzelne Geschäftsführer alles ihm Mögliche und Zumutbare zu tun – insb seine Geschäftsführerkollegen zu überzeugen – um einen pflichtgemäßen Beschluss herbeizuführen. Vor diesem Hintergrund sollte jeder Geschäftsführer zum Zwecke des besseren Nachweises seiner Bemühungen bei Beschlussfassungen auf namentlicher Abstimmung und Protokollierung bestehen. 50 Wie weit die Verpflichtung des einzelnen Geschäftsführers zur Beeinflussung der anderen Geschäftsführer reicht, hängt von der Intensität der Gesellschaftsverpflichtung ab. Je nach Lage des Einzelfalls kann der einzelne Geschäftsführer dazu verpflichtet sein, die Maßnahme der Geschäftsführerversammlung zur Entscheidung vorzulegen. Es kann darüber hinaus sogar die Verpflichtung bestehen, mit einer – grundsätzlich jederzeit möglichen – Amtsniederlegung zu drohen und diese ggf zu vollziehen. Man denke etwa an den Fall, in dem die Gesellschaft zum Rückruf eines gesundheitsgefährdenden Produkts verpflichtet ist.

dd) Grundsatz der Gesamtvertretung 51 Nach § 35 Abs 2 GmbHG sind mehrere Geschäftsführer Gesamtvertreter, dh sie können

Verträge für die GmbH nur gemeinschaftlich abschließen. Anders verhält es sich bei der Passivvertretung, also bei der Rechtsmacht, für und gegen die GmbH Willenserklärungen entgegenzunehmen. Hier besteht eine Einzelvertretungsmacht eines jeden Geschäftsführers (§ 35 Abs 2 S 3 GmbHG).219 Da die Bestimmungen über die Gesamtvertretung in § 35 Abs 2 S 1 GmbHG dispositiv sind,220 wird einzelnen Geschäftsführern im Gesellschaftsvertrag nicht selten auch für die Aktivvertretung Einzelvertretungsmacht eingeräumt. Wenn die Satzung dies vorsieht, kann auch der eine Geschäftsführer einen anderen Geschäftsführer ermächtigen, für ihn mit zu handeln.221 Ohne entsprechende Satzungsermächtigung können sich gesamtvertretungsberechtigte Geschäftsführer jedenfalls dann Einzelvertretungsmacht erteilen, wenn sie beide zugleich die einzigen Gesellschafter der GmbH sind.222 Die Satzung kann auch in Analogie zu §§ 78 Abs 3 S 1 AktG, 125 Abs 3 HGB unechte Gesamtvertretung vorsehen.223 Dies bedeutet, dass ein

_____ 216 GK-GmbHG/Paefgen Rn 101 zu § 43 GmbHG; Fleischer BB 2004, 2645, 2651. 217 GK-GmbHG/Paefgen Rn 101 zu § 43 GmbHG. 218 GK-GmbHG/Paefgen Rn 101 zu § 43 GmbHG; Fleischer BB 2004, 2645, 2648; weitergehend Lutter/ Hommelhoff/Kleindiek Rn 17 zu § 43 GmbHG. 219 Scholz/Schneider Rn 52 zu § 35 GmbHG. 220 Roth/Altmeppen Rn 41 zu § 35 GmbHG; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 106 zu § 35 GmbHG. 221 Michalski/Lenz Rn 49 zu § 35 GmbHG; Scholz/Schneider Rn 67 zu § 35 GmbHG; aA Roth/Altmeppen Rn 42 zu § 35 GmbHG; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 106 zu § 35 GmbHG mit Hinweis auf § 78 Abs 3 AktG. 222 OLG München ZIP 2013, 1956. 223 BGH NJW 1987, 841; K Schmidt Handelsrecht, § 16 III 3 c, S 469; Köhl NZG 2005, 197.

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gesamtvertretungsberechtigter Geschäftsführer seine Gesellschaft wahlweise mit seinem Geschäftsführerkollegen oder gemeinsam mit einem Prokuristen vertreten kann.

3. Schadensersatz nach § 43 Abs 2 GmbHG a) Pflichtverletzung, Sorgfaltsmaßstab und Business Judgement Rule Ein Geschäftsführer macht sich nach § 43 Abs 2 GmbHG gegenüber der Gesellschaft 52 schadensersatzpflichtig, wenn er seine Pflichten ihr gegenüber verletzt.224 Es handelt sich bei § 43 Abs 2 GmbHG um eine eigenständige Anspruchsgrundlage.225 Der als Innenhaftung konzipierte § 43 Abs 2 GmbHG dient vorwiegend dem Gesellschaftsinteresse.226 Darüber hinaus hat die Vorschrift auch eine gläubigerschützende Funktion.227 Zu den Pflichten des Geschäftsführers zählt – neben den bereits oben228 ausführlich behandelten Einberufungs-, Informations-, Überwachungs-, Rechnungslegungs-, Treue- und Loyalitätspflichten – insb die Pflicht, für die Rechtmäßigkeit des Handelns der Gesellschaft zu sorgen (Legalitätspflicht).229 Diese Pflicht besteht nur gegenüber der Gesellschaft und nicht auch im Verhältnis zu außenstehenden Dritten.230 Aus § 43 Abs 1 GmbHG ist auch der faktische Geschäftsführer verpflichtet, etwa der Mehrheitsgesellschafter, der Geschäftsführeraufgaben wahrnimmt.231 Der Geschäftsführer einer Komplementär-GmbH einer GmbH & Co KG haftet gegenüber der KG jedenfalls dann aus § 43 Abs 2 GmbHG, wenn die Komplementär-GmbH einzig oder überwiegend mit der Aufgabe betraut ist, die Geschäfte der KG zu führen.232 Denn die organschaftliche Sonderrechtsbeziehung zwischen dem Geschäftsführer und der Komplementär-GmbH entfaltet drittschützende Wirkung zugunsten der KG.233 Pflichtwidrig iSd § 43 Abs 1 GmbHG handelt etwa der Geschäftsführer, der wider die 53 Kompetenzordnung „seiner“ Gesellschaft handelt, 234 zB eine zustimmungspflichtige Maßnahme ergreift, ohne sie vorab den Gesellschaftern vorzulegen235 oder eine nicht vom Unternehmenszweck gedeckte Maßnahme ergreift.236 Pflichtwidrig handelt überdies ein Geschäftsführer, der schwarze Kassen im Ausland errichtet, fällige Forderungen nicht rechtzeitig einzieht, der es unterlässt, Gehälter der Mitarbeiter in der Krise der Gesellschaft zu reduzieren oder der Gesellschaftsforderungen auf seinem eigenen Konto verbucht und

_____ 224 Zum Begriff der Pflichtverletzung vgl nur Petersen, § 1, Rn 25, S 9. 225 MK-GmbHG/Fleischer Rn 1 zu § 43 GmbHG. 226 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 1 zu § 43 GmbHG; Michalski/Haas/Ziemons Rn 4 zu § 43 GmbHG; § 43 Abs 2 GmbHG ist genauso wenig wie § 93 Abs 2 und 3 AktG Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs 2 BGB, vgl Mertens/Cahn, KK-AktG, Rn 207 zu § 93 AktG. 227 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 1 zu § 43 GmbHG; Michalski/Haas/Ziemons Rn 4 zu § 43 GmbHG; K Schmidt ZIP 1994, 837, 843. 228 Rn 22 ff. 229 BGHZ 194, 26, LS und Rz 23 mwN. 230 BGHZ 194, 26, LS und Rz 23 mwN. 231 Mertens FS Robert Fischer, 1979, 461, 464 ff. 232 BGH NZG 2013, 1021, 1022, Rz 15. 233 BGH NZG 2013, 1021, 1022, Rz 16. 234 Vgl OLG Koblenz Urteil vom 12.9.2007 – 12 U 1437/04, juris LS 4 und Rn 101: Der Geschäftsführer hatte das zuständige Aufsichtsratsgremium weisungswidrig nicht eingeschaltet; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 16 zu § 43 GmbHG. 235 Zur Einberufungs- und Vorlagepflicht ausführlich oben Rn 22 ff. 236 BGH NJW 2013, 1958, 1959, Rz 16.

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318 | 2. Kapitel: Die gesellschaftsrechtlichen Funktionsträger

diese nicht zeitnah an die Gesellschaft zurückerstattet.237 Zudem handelt der Geschäftsführer pflichtwidrig, wenn er Gesellschaftsvermögen verschwendet.238 Auch das Zerstören und Beschädigen von Gegenständen aus dem Gesellschaftsvermögen kann zu den Pflichtverletzungen iSd § 43 Abs 1 GmbHG zählen; hier tritt allerdings auch eine Haftung des Geschäftsführers aus § 823 Abs 1 BGB in Anspruchskonkurrenz zur Haftung aus § 43 Abs 2 GmbHG. Eine Pflichtwidrigkeit liegt auch vor, wenn ein Geschäftsführer ohne Zustimmung der Gesellschafter Insolvenzantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit stellt.239 54 Eine Haftung nach § 43 Abs 2 GmbHG scheidet aus, wenn der Geschäftsführer darlegen und – erforderlichenfalls – beweisen kann, dass der der Gesellschaft entstandene Schaden auch bei pflichtgemäßem Alternativverhalten eingetreten wäre.240 Entschiede man anders, machte man aus § 43 Abs 2 GmbH letztlich eine Sanktionsvorschrift, was dem allgemeinen Verständnis der Norm zuwider liefe und mit ihrem Wortlaut unvereinbar wäre.241 Freilich bleibt die Maßnahme pflichtwidrig und kann zur Abberufung und Kündigung des Geschäftsführers aus wichtigem Grund führen.242 Sorgfaltsmaßstab ist derjenige eines ordentlichen Geschäftsmannes, § 43 Abs 1 55 GmbHG. Er ist gleich zu beurteilen wie in § 93 Abs 1 S 1 AktG („ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter“).243 Der Geschäftsführer schuldet die Sorgfalt, die ein ordentlicher Geschäftsmann in verantwortlich leitender Position bei selbstständiger Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen zu wahren hat.244 Diese Sorgfaltspflicht geht weiter als diejenige eines selbstständig handelnden Kaufmanns, da der Geschäftsführer gleich einem Treuhänder für fremde Vermögensinteressen tätig wird.245 Persönliche Eigenschaften des Geschäftsführers wie Alter, Unerfahrenheit und Krankheit sind für die Beurteilung des Sorgfaltsmaßstabes unerheblich.246 Bei unternehmerischen Entscheidungen247 hat der Geschäftsführer einen Ermes56 sensspielraum.248 Dies gilt auch für risikoreiche Geschäfte, die die Gefahr von Verlusten in sich bergen. Agiert der Geschäftsführer innerhalb seines Ermessensspielraums, so haftet er für etwaige Schäden der Gesellschaft nicht.249 Die Grenzen des Ermessens ergeben sich aus § 93 Abs 1 S 2 AktG (Business Judgment Rule).250 Diese Ermessensgrenzen

_____ 237 Zu diesen Beispielen und der umfassenden Kasuistik vgl instruktiv Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 24 zu § 43 GmbHG. 238 Bachmann NZG 2013, 1121; vgl auch BGH NZG 2006, 141, 143, Rz 19 (Mannesmann). 239 OLG München, NZI 2013, 542. 240 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 16 zu § 43 GmbHG; Michalski/Haas/Ziemons Rn 199a zu § 43 GmbHG; Bachmann NZG 2013, 1121, 1123. 241 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 16 zu § 43 GmbHG. 242 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 16 zu § 43 GmbHG mwN. 243 OLG Celle NZG 2000, 1178, 1179; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 7 zu § 43 GmbHG. 244 OLG Oldenburg, NZG 2007, 434, 435; OLG Celle NZG 2000, 1178, 1179; MünchHdB-GesellschR/ Marsch-Barner/Diekmann Bd. 3, Rn 11 zu § 46; im Grundsatz auch: Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 9 zu § 43 GmbHG. 245 OLG Celle NZG 2000, 1178, 1179; OLG Zweibrücken NZG 1999, 506, 1. LS; MK-GmbHG/Fleischer Rn 10 zu § 43 GmbHG. 246 BGH NJW 1983, 1856, 1857; OLG Celle NZG 2000, 1178, 1179; OLG Zweibrücken NZG 1999, 506, 507; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 11 zu § 43 GmbHG; Noack/Bunke WuB II C § 43 GmbHG 1.09. 247 Die Business Judgment Rule gilt nur für unternehmerische, nicht für rechtlich gebundene Entscheidungen. Der Geschäftsleiter darf daher auch keine „nützlichen Pflichtverletzungen“ begehen; vgl Binder AG 2008, 274, 278 f. 248 BGH NZG 2013, 1021, 1023, Rz 27; BGH NZG 2008, 751; OLG Oldenburg NZG 2007, 434, 435; OLG Zweibrücken NZG 1999, 506, 5. LS; MünchHdB-GesellschR/Marsch-Barner/Diekmann Bd. 3, Rn 11 zu § 46. 249 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 22 zu § 43 GmbHG. 250 Vgl MK-AktG/Spindler Rn 36 zu § 93 AktG; Hüffer/Koch, AktG, Rn 10 zu § 93 AktG.

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§ 6 Die Organe der GmbH | 319

gelten auch im GmbH-Recht.251 Nach dem BGH haftet der Geschäftsführer dann nicht, wenn sein „unternehmerische[s] Handeln auf einer sorgfältigen Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen beruht; das erfordert, dass er in der konkreten Entscheidungssituation alle verfügbaren Informationsquellen tatsächlicher und rechtlicher Art ausschöpft und auf dieser Grundlage die Vor- und Nachteile der bestehenden Handlungsoptionen sorgfältig abschätzt und den erkennbaren Risiken Rechnung trägt.“252 Gegen diese „Formel“ wird die berechtigte Kritik erhoben, dass sie insoweit zu streng sei, als nach ihr „die Tür zur Business Judgment Rule überhaupt dann erst geöffnet ist, wenn die eingeholte Information objektiv angemessen war.“253 Der BGH entferne sich zu weit vom Wortlaut des § 93 Abs 1 S 2 AktG; seine Auffassung sei daher mit der lex lata unvereinbar.254 Es muss sich das Geschäftsleiterermessen folglich auch auf die Auswahl der Information erstrecken.255 Ob die Voraussetzungen der Business Judgment Rule vorliegen, ist aus ex ante-Perspektive zu beurteilen.256 Der Geschäftsführer muss dabei stets zum Wohle der Gesellschaft handeln.257 Freilich ist zu berücksichtigen, dass bei Gesellschafter-Geschäftsführern regelmäßig Interessenkollisionen zwischen dem Handlungsermessen als Geschäftsführer und den Treuepflichten als Gesellschafter bestehen.258 Dieser Aspekt muss bei der Bestimmung des Ermessensspielraums berücksichtigt werden.

b) Keine Pflichtverletzung bei Vorliegen einer verbindlichen Weisung oder eines Einverständnisses aa) Einleitung Die Ausführung einer verbindlichen Weisung, dh einer Weisung, die von einem zu- 57 ständigen Organ im Rahmen von Gesetz, Satzung und guten Sitten erteilt wird,259 stellt grundsätzlich keine Pflichtverletzung dar.260 Der sorgfältig handelnde Geschäftsführer haftet damit nicht nach § 43 Abs 2 GmbHG.261 Dies folgt einerseits aus einem Umkehrschluss zu § 43 Abs 3 GmbHG, der ersichtlich davon ausgeht, dass der Wille der GmbH

_____ 251 BGH NJW 2003, 358, 359; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 22 zu § 43 GmbHG; Hüffer/Koch, § 34, Rn 14, S 365; Kindler FS Goette, S 231, 232; Lutter ZIP 2007, 841, 847; Kuntz GmbHR 2008, 121 ff; Redeke NZG 2009, 496 ff passim; kritisch Bachmann NZG 2013, 1121, 1122 f. 252 BGH NZG 2013, 1021, 1023, Rz 30; BGH NZG 2008, 751; KG NZG 2011, 429, 431; OLG Frankfurt am Main AG 2011, 173, 176, Rz 128; Wicke Rn 6 zu § 43 GmbHG; Noack/Bunke WuB II C § 43 GmbHG 1.09. 253 Bachmann NZG 2013, 1121, 1124; ders ZHR 177 (2013), 1, 3, 10; Spindler/Stilz/Fleischer Rn 75 zu § 93 AktG; ders NJW 2009, 2337, 2339; Fest NZG 2011, 540, 541; Redeke NZG 2009, 496 f. 254 Spindler/Stilz/Fleischer Rn 75 zu § 93 AktG; ders NJW 2009, 2337, 2339; Fest NZG 2011, 540, 541. 255 Vgl Binder AG 2008, 274, 279 f, 281. 256 Bachmann ZHR 177 (2013), 1, 5; Binder AG 2008, 274, 281; v Falkenhausen NZG 2012, 644, 648; Noack/Bunke WuB II C § 43 GmbHG 1.09. 257 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 22d zu § 43 GmbHG; Schäfer ZIP 2005, 1253, 1257; Binder AG 2008, 274, 281. 258 Lutter ZIP 2007, 841, 848; Kuntz GmbHR 2008, 121, 124 ff. 259 BGHZ 31, 258, 278; BGH NJW 1983, 1856 f; OLG Frankfurt aM GmbHR 2009, 317, 319. 260 BGH NJW 2010, 64, Rz 10; BGH NJW 1983, 1856f; OLG Frankfurt aM GmbHR 2009, 317, 319; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 33 zu § 43 GmbHG; MK-GmbHG/Fleischer Rn 275 zu § 43 GmbHG; MünchHdB-GesellschR/Marsch-Barner/Diekmann Bd. 3, Rn 32 zu § 46; Altmeppen DB 2000, 657; Mennicke NZG 2000, 622, 624; Fleck GmbHR 1974, 224, 226; Ziemons S 15. 261 BGH NJW 2010, 64, Rz 10; BGH NJW 2000, 1571; BGHZ 31, 258, 278; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 33 zu § 43 GmbHG; Roth/Altmeppen Rn 114 zu § 43 GmbHG; Hachenburg/Mertens Rn 69 zu § 43 GmbHG, Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 32 ff zu § 43 GmbHG; GK-GmbHG/Paefgen Rn 113 f zu § 43 GmbHG; Bork/ Schäfer/Klöhn Rn 52 zu § 43 GmbHG; Schäfer Rn 13 zu § 34, S 169; Goette ZGR 2008, 436, 448f; Mennicke NZG 2000, 622, 624; Konzen NJW 1989, 2977, 2978.

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320 | 2. Kapitel: Die gesellschaftsrechtlichen Funktionsträger

grundsätzlich durch die Gesellschafter gebildet wird,262 und andererseits aus § 37 Abs 1 GmbHG, der den Geschäftsführer zur Ausführung verbindlicher Weisungen verpflichtet.263 Befolgt der Geschäftsführer indes eine unverbindliche Weisung, so befreit ihn dies grundsätzlich nicht von seiner Haftung.264 Dies stellt § 43 Abs 3 S 3 GmbHG für den Fall einer gegen § 30 Abs 1 GmbHG verstoßenden Rückzahlung klar.265 Die Haftung des Geschäftsführers entfällt allerdings, wenn er die Unverbindlichkeit ohne Verschulden nicht erkannte.266 58 Haftungsausschließende Wirkung hat auch das von einem zuständigen Organ erteilte Einverständnis.267 Ein Weisungsbeschluss entfaltet aber dann keine haftungsbefreiende Wirkung, wenn der Geschäftsführer die Gesellschafterversammlung fehlerhaft vorbereitet oder die Gesellschafter nur unzulänglich informiert hat.268

bb) Weisungsbefugte Organe und Organwalter 59 Weisungsbefugt können neben der Gesellschafterversammlung auch – so die Satzung

dies vorsieht – ein fakultativer Aufsichtsrat, Beirat oder ein einzelner Gesellschafter sein.269 Schweigt die Satzung zum Thema Weisungen, so können diese nach § 37 Abs 1 GmbHG nur durch einen Gesellschafterbeschluss erteilt werden.270 Die Weisung muss nicht ausdrücklich erteilt werden. Vielmehr genügt es, wenn das zuständige Organ die Maßnahmen des Geschäftsführers stillschweigend billigt.271

cc) Unverbindliche Weisungen (1) Grundsatz 60 Eine Weisung ist unverbindlich, wenn sie in den weisungsfreien Bereich der Geschäftsführer eingreift272 oder den Geschäftsführer zu verbotswidrigen – etwa gegen das Steuerrecht, Sozialversicherungsrecht, Kartellrecht, Wettbewerbsrecht, Umweltrecht und das Strafrecht verstoßenden – Handlungen verpflichtet.273

_____ 262 BGH NJW 2000, 1571; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 33 zu § 43 GmbHG; GK-GmbHG/Paefgen Rn 114 zu § 43 GmbHG; Bork/Schäfer/Klöhn Rn 52 zu § 43 GmbHG; Altmeppen DB 2000, 657. 263 MK-GmbHG/Fleischer Rn 275 zu § 43 GmbHG. 264 Roth/Altmeppen Rn 122 zu § 43 GmbHG; GK-GmbHG/Paefgen Rn 129 zu § 43 GmbHG; Mennicke NZG 2000, 622, 624; Konzen NJW 1989, 2977. 265 K Schmidt/Uhlenbruck Rn 1.39; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 34 zu § 43 GmbHG; zu § 64 S 4 GmbHG s § 8 Rn 44; Winter S 102. 266 MünchHdB-GesellschR/Marsch-Barner/Diekmann Bd. 3, Rn 33 zu § 46 und unten, Rn 65. 267 BGHZ 142, 92, 95; GK-GmbHG/Paefgen Rn 113 zu § 43 GmbHG; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 33 zu § 43 GmbHG; MK-GmbHG/Fleischer Rn 279 zu § 43 GmbHG. 268 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 34 zu § 43 GmbHG; MK-GmbHG/Fleischer Rn 277 zu § 43 GmbHG. 269 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 33 zu § 43 GmbHG; MK-GmbHG/Fleischer Rn 276 zu § 43 GmbHG; MünchHdB-GesellschR/Marsch-Barner/Diekmann Bd. 3, Rn 32 zu § 46; Ebert GmbHR 2003, 444; Mennicke NZG 2000, 622, 623; Ziemons S 25. 270 Ziemons S 8 f. 271 BGH NJW 2000, 576; Roth/Altmeppen Rn 121 zu § 43 GmbHG; Goette § 7 Rn 6; die Billigung durch ein nicht weisungsbefugtes Organ reicht demgegenüber nicht aus, Rowedder/Schmidt-Leithoff/Koppensteiner Rn 31 zu § 43 GmbHG. 272 Vgl Winter S 100; Ebert GmbHR 2003, 444; zum weisungsfreien Bereich oben Rn 19 f. 273 Scholz/Schneider Rn 51 zu § 37 GmbHG; Fleck ZGR 1990, 31, 42 f; Ebert GmbHR 2003, 444, 445.

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§ 6 Die Organe der GmbH | 321

Ferner sind sittenwidrige Weisungen unverbindlich.274 Sittenwidrigkeit liegt vor, 61 wenn ein Verstoß gegen zwingende Gebote der Rechtsordnung von hoher Tragweite vorliegt.275 Auch sind Weisungen unverbindlich, die den Geschäftsführer zu einer existenzver- 62 nichtenden Maßnahme verpflichten.276

(2) Unverbindliche Weisungsbeschlüsse der Gesellschafterversammlung Ein Geschäftsführer ist nicht an nichtige Weisungsbeschlüsse der Gesellschaf- 63 terversammlung gebunden.277 Er darf einen nichtigen Beschluss nicht ausführen.278 Da das GmbHG zur Nichtigkeit von Beschlüssen keine Regelungen enthält, greift die hM insoweit auf die aktienrechtlichen Bestimmungen, §§ 241, 242, 249, 250, 253 und 256 AktG zurück.279 Danach können Beschlüsse materiell oder formell nichtig sein. Auch bei den teilweise als Sonderkategorie eingestuften Nicht- oder Scheinbeschlüssen handelt es sich um nichtige Beschlüsse.280 Als Beispiel für einen Nichtbeschluss wird der Beschluss eines unzuständigen Gremiums angesehen. Die Einordnung der Schein- und Nichtbeschlüsse in die Kategorie der nichtigen Beschlüsse wird relevant bei der Frage der Heilung nach § 242 Abs 2 AktG und bei der Nichtigkeitsklage nach § 249 AktG.281 Materielle Nichtigkeit eines Beschlusses ergibt sich bei Verstößen gegen zwingen- 64 de gesetzliche Bestimmungen inhaltlicher Art.282 Genannt seien sittenwidrige Beschlüsse und Beschlüsse, die gegen eine gesetzliche Verbotsvorschrift iSd § 134 BGB verstoßen.283 Die Beschränkung der Sittenwidrigkeit auf den Beschlussinhalt ergibt sich aus § 241 Nr 4 AktG (analog).284 Darüber hinaus ordnet § 57j S 2 GmbHG die Nichtigkeit an für Beschlüs-

_____ 274 Ebert GmbHR 2003, 444, 446; Fleck ZGR 1990, 31, 42 f. 275 Scholz/K Schmidt Rn 76 zu § 45 GmbHG; Konzen NJW 1989, 2977, 2982; ausführlich zur Definition der Sittenwidrigkeit: Wolff/Neuner, BGB AT, § 46, Rn 12 ff. 276 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 34 zu § 43 GmbHG; Ebert GmbHR 2003, 444, 446; Goette ZGR 2008, 436, 452 f, der auf den absoluten Ausnahmecharakter der Existenzvernichtungshaftung hinweist; Fleck ZGR 1990, 31, 36f. allg zur Existenzvernichtungshaftung auch Vetter ZGR 2005, 788, 811, 813 ff; s auch die strafrechtliche Entscheidung BGH GmbHR 1995, 654, 655; ferner BGH GmbHR 1999, 922 m Anm Müller; zur Existenzvernichtung ausführlich § 7 Rn 60 ff. 277 Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 22 zu § 37 GmbHG und Rn 34 zu § 43 GmbHG; Baumbach/Hueck/ Zöllner/Noack Rn 22 zu § 37 GmbHG; MK-GmbHG/Fleischer Rn 278 zu § 43 GmbHG; Hachenburg/Mertens Rn 30 zu § 37 GmbHG. Zur Frage, ob eine Ausnahme anzunehmen ist, wenn alle Gesellschafter den Beschluss gebilligt haben Rowedder/Schmidt-Leithoff/Koppensteiner/Gruber Rn 33 zu § 43 GmbHG. Zur Dogmatik von Beschlüssen allgemein vgl Noack S 1 ff; Schuld S 55 ff. 278 GK-GmbHG/Raiser Rn 91 zu Anh § 47 GmbHG; dazu, dass Beschlüsse in Angelegenheiten der Geschäftsführung vom Vertretungsorgan vollzogen werden vgl Noack S 51. 279 BGHZ 36, 207, 210 f; OLG Karlsruhe GmbHR 2013, 1090, 1091; GK-GmbHG/Raiser Rn 3 zu Anh § 47 GmbHG; Lutter/Hommelhoff/Bayer Rn 9 ff zu Anh § 47 GmbHG; Baumbach/Hueck/Zöllner Rn 44 ff zu Anh § 47 GmbHG; Rowedder/Schmidt-Leithoff/Koppensteine/Gruber Rn 108 f zu § 47 GmbHG; Miras, Rn 231; Ebert GmbHR 2003, 444, 446; Ziemons S 26. 280 Noack S 11. 281 Noack S 11 f. 282 GK-GmbHG/Raiser Rn 51, 56 zu Anh § 47 GmbHG; Noack S 18 ff, 33, der einschränkend und präzisierend hinzufügt, dass inhaltliche Verstöße gegen Gesetzesvorschriften nur dann zur Nichtigkeit führen, „wenn nicht einmal alle Mitglieder, auch nicht für einen Einzelfall, auf die Einhaltung der Norm verzichten können“. 283 Noack S 18 ff. 284 Gegen die analoge Anwendung des § 241 Nr 4 AktG auf den GmbH-Beschluss Noack S 39.

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322 | 2. Kapitel: Die gesellschaftsrechtlichen Funktionsträger

se, die im Rahmen einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen. An formeller Nichtigkeit leiden Beschlüsse, die in einer Gesellschafterversamm65 lung gefasst wurden, die durch einen Unbefugten (§§ 121 Abs 2, 241 Nr 1 AktG analog) einberufen worden war.285 Entsprechendes gilt für im schriftlichen Verfahren gefasste Beschlüsse, wenn ein Unbefugter dazu aufgefordert hat.286 Auch sonstige gravierende Einladungsmängel (§ 121 Abs 3 AktG analog) führen nach hM zur Nichtigkeit des Beschlusses287 und damit – aus Sicht des Geschäftsführers – zur Unbeachtlichkeit der darauf beruhenden Weisung.288 Bedeutsam ist etwa der Fall, dass nicht alle nach § 16 GmbHG angemeldeten – also auch die nicht stimmberechtigten – Gesellschafter nach § 51 Abs 1 GmbHG zur Gesellschafterversammlung geladen worden sind.289 Die schneidige Rechtsfolge „Nichtigkeit“ bei nicht erfolgter Ladung ist mit deren großer Bedeutung für den Gesellschafter zu begründen, weil lediglich die abgegebenen Stimmen gezählt werden und sich die Abwesenheit eines Gesellschafters somit ganz erheblich auf das Stimmergebnis auswirken kann.290 Der Einberufungsmangel führt jedoch dann nicht zur Nichtigkeit des Beschlusses, wenn alle Gesellschafter erschienen oder ordnungsgemäß vertreten sind und alle Gesellschafter damit einverstanden sind, dass Beschlüsse gefasst werden, arg e § 51 Abs 3 GmbHG.291 Dabei gilt aber auch ein anwesender Gesellschafter als nicht erschienen, der der Beschlussfassung ausdrücklich oder konkludent widerspricht.292 Den Fall regelt für die AG § 121 Abs 6 AktG. Überdies führt die Nichtbeurkundung eines beurkundungspflichtigen Beschlusses 66 analog § 241 Nr 2 AktG zur Nichtigkeit des Beschlusses.293 Das GmbHG sieht eine Beurkundungspflicht jedoch nur für Satzungsänderungen vor, § 53 Abs 2 GmbHG. Der Verstoß gegen eine statutarisch angeordnete Formvorschrift führt nicht zur Nichtigkeit, sondern lediglich zur Anfechtbarkeit des Beschlusses.294 Einen wegen Beurkundungsmangels nichtigen Beschluss heilt § 51 Abs 3 GmbHG jedoch nicht.295 In diesem Fall

_____ 285 BGH NJW 1983, 1677; Lutter/Hommelhoff/Bayer Rn 11 zu Anh § 47 GmbHG; Baumbach/Hueck/Zöllner Rn 45 zu Anh § 47 GmbHG; Rowedder/Schmidt-Leithoff/Koppensteiner/Gruber Rn 95 zu § 47 GmbHG; GKGmbHG/Raiser Rn 36 zu Anh § 47 GmbHG. 286 Lutter/Hommelhoff/Bayer Rn 11 zu Anh § 47 GmbHG. 287 BGH WM 2006, 726 mit zustimmender Anm von Lamprecht WuB II C § 15 GmbHG 1.06. Im vom BGH entschiedenen Fall lagen mehrere Mängel vor. Es ist für die Frage der Nichtigkeit auf jeden Mangel gesondert abzustellen. Eine kumulative Betrachtung aller Mängel verbietet sich. Noack S 37. 288 Lutter/Hommelhoff/Bayer Rn 12 zu Anh § 47 GmbHG; Baumbach/Hueck/Zöllner Rn 47 zu Anh § 47 GmbHG. 289 BGHZ 36, 207, 211; OLG Brandenburg GmbHR 1998, 193, 196; BayOblG GmbHR 1997, 1002; Baumbach/Hueck/Zöllner Rn 45 zu Anh § 47 GmbHG; GK-GmbHG/Raiser Rn 39 zu Anh § 47 GmbHG. 290 BGHZ 36, 207, 211. 291 BGH NJW 1999, 2817; OLG Saarbrücken GmbHR 2006, 987, 989; BayObLG NZG 1999, 1063 – 2. LS; GKGmbHG/Raiser Rn 45 zu Anh § 47 GmbHG; Müller GmbHR 1999, 923 f; Noack S 37; OLG München BB 2002, 2196 f mit dem zutreffenden Hinweis, dass es den Gesellschaftern arg e § 51 Abs 3 GmbHG auch möglich sei, einen Termin zu bestimmen, wenn alle Gesellschafter einverstanden sind. Wenn die Gesellschafter nämlich schon ohne (ordnungsgemäße) Einberufung entscheiden können, müssen sie erst recht einen Termin zu einer Versammlung anberaumen dürfen. 292 BGH NZG 2009, 385; BGH NZG 2003, 127, 129 (Rüge des Mangels erst nach Abstimmung genügt nicht); BGH DStR 1998, 348 f m zust Anm v Goette; BGHZ 100, 264, 269 f; RGZ 92, 409, 410 f; Beck’sches Formularbuch/Stephan, IX. 33, Anm 1; entgegen seiner früheren Auffassung jetzt auch Baumbach/Hueck/ Zöllner Rn 31 zu § 51 GmbHG. 293 GK-GmbHG/Raiser Rn 46 zu Anh § 47 GmbHG. 294 GK-GmbHG/Raiser Rn 48 zu Anh § 47 GmbHG. 295 GK-GmbHG/Raiser Rn 48 zu Anh § 47 GmbHG.

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§ 6 Die Organe der GmbH | 323

kommt nur eine Heilung durch Eintragung ins Handelsregister analog § 242 AktG in Betracht.296 Für den festgestellten Jahresabschluss gelten analog § 256 AktG besondere Nich- 67 tigkeitsgründe. Nach § 256 Abs 5 AktG kann ua ein Verstoß gegen die Bewertungsgrundsätze die Nichtigkeit des Beschlusses bewirken. Sowohl eine Überbewertung als auch eine vorsätzliche Unterbewertung ziehen die Nichtigkeit des Jahresabschlusses nach sich. § 256 Abs 6 AktG sieht besondere Heilungsmöglichkeiten vor. Verstoßen die Gesellschafter einer Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) 68 gegen ihre Thesaurierungspflicht aus § 5a Abs 3 S 1 GmbHG, indem sie beim Jahresabschluss etwa zu thesaurierendes Kapital nicht oder nicht vollständig in die gesetzlichen Rücklagen einstellen, so ist der Beschluss, der den Jahresabschluss feststellt, analog § 256 AktG nichtig.297 Daraus folgt, dass der Geschäftsführer nicht an Weisungen gebunden ist, die ihn zu Auszahlungen an Gesellschafter nach dem nichtigen Jahresabschluss verpflichten. Für gleichwohl veranlasste Ausschüttungen haftet der Geschäftsführer gem § 43 Abs 2 GmbHG.298

dd) Anfechtbare Beschlüsse Fraglich ist, ob den Geschäftsführer auch Weisungen binden, die auf einem lediglich 69 anfechtbaren Beschluss der Gesellschafterversammlung beruhen. Nach st Rspr sind Beschlüsse der Gesellschafterversammlung analog §§ 243 ff AktG anfechtbar, soweit nicht Besonderheiten der GmbH eine abweichende Beurteilung erfordern.299 Anfechtbar sind solche Beschlüsse, die gegen das Gesetz oder den Gesellschaftsvertrag verstoßen (§ 243 Abs 1 AktG analog),300 etwa Verfahrensverstöße in der Gesellschafterversammlung,301 Verletzungen des Satzungswecks,302 des Gleichbehandlungsgrundsatzes (§ 53a AktG analog)303 und der Treuepflicht der Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft oder gegenüber anderen Mitgesellschaftern.304 Für die Anfechtbarkeit eines treuwidrigen Weisungsbeschlusses genügt ein objektiver Verstoß gegen die Treuepflichten; Verschulden ist nicht erforderlich.305 Ist ein zunächst anfechtbarer Beschluss inzwischen unanfechtbar geworden, so sind die Geschäftsführer an ihn gebunden und müssen ihn ausführen.306 Der unanfechtbar gewordene Beschluss entlastet damit den Geschäftsfüh-

_____ 296 GK-GmbHG/Raiser Rn 86 zu Anh § 47 GmbHG. 297 Miras, Rn 231. 298 Vgl auch Miras, Rn 233a, der auf die unzulässige Auszahlung thesaurierter Rücklagen § 30 GmbHG analog anwendet und damit zu einer Haftung nach § 43 Abs 3 GmbHG gelangt. 299 BGH NZG 1999, 723; BGH NZG 1999, 498; BGH NJW 1996, 259; BGHZ 104, 66; 51, 209, 210; 36, 207, 210f; 15, 382, 384; 11, 231, 235; ablehnend Zöllner/Noack ZGR 1989, 525; Noack S 182 f. 300 Roth/Altmeppen Rn 118 zu § 47 GmbHG. 301 Etwa Lutter/Hommelhoff/Bayer Rn 47 zu Anh § 47 GmbHG; Rowedder/Schmidt-Leithoff/Koppensteiner Rn 121 zu § 47 GmbHG. 302 Lutter/Hommelhoff/Bayer Rn 53 f zu Anh § 47 GmbHG; Rowedder/Schmidt-Leithoff/Koppensteiner/ Gruber Rn 123 zu § 47 GmbHG. 303 Lutter/Hommelhoff/Bayer Rn 55 zu Anh § 47 GmbHG. 304 Lutter/Hommelhoff/Bayer Rn 56 zu Anh § 47 GmbHG; Rowedder/Schmidt-Leithoff/Koppensteiner/ Gruber Rn 125 zu § 47 GmbHG; Winter S 51, 109. 305 Winter S 109. 306 BGHZ 76, 154, 159; Hachenburg/Mertens Rn 30 zu § 37 GmbHG; Ebenroth/Lange GmbHR 1992, 69, 73; Roth/Altmeppen Rn 16 zu § 37 GmbHG; Mennicke NZG 2000, 622, 624; Winter S 55 f; Ziemons S 30.

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324 | 2. Kapitel: Die gesellschaftsrechtlichen Funktionsträger

rer.307 Umgekehrt darf der Geschäftsführer einen erfolgreich angefochtenen Beschluss nicht ausführen.308 Führt er ihn dennoch aus, befreit er ihn nicht von seiner Haftung. Aber müssen die Geschäftsführer auch einen (möglicherweise) anfechtbaren Beschluss ausführen, der noch nicht angefochten wurde oder gegen den eine Anfechtungsklage bereits erhoben, über diese aber noch nicht entschieden wurde? Die Geschäftsführer müssen hier folgende widerstreitende Interessen gegeneinander abwägen: Einerseits haben sie unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten der Klage zu prüfen, welche Nachteile der Gesellschaft für den Fall drohen, dass sie den Beschluss ausführen, dessen Anfechtung aber später wirksam festgestellt wird. Andererseits müssen sie prüfen, welche Nachteile der Gesellschaft drohen, wenn sie es unterlassen, den Beschluss auszuführen und dieser letztlich nicht angefochten oder dessen Anfechtung für unwirksam erklärt wird.309 Den Geschäftsführern steht dabei im Hinblick auf die Folgenabwägung ein Ermessensspielraum zu.310 Das Haftungsrisiko ist für den Geschäftsführer gering: Bewegt er sich innerhalb seines Ermessens, handelt er nicht pflichtwidrig.311 Eine Schadensersatzpflicht entfällt dann.

ee) Haftungsrisiken des Geschäftsführers bei der Ausführung von Beschlüssen 70 Für den Geschäftsführer besteht freilich dann ein Haftungsrisiko, wenn er einen Be-

schluss trotz Kenntnis von dessen Nichtigkeit ausführt oder wenn er die Nichtigkeit des Beschlusses nicht erkennt und daher die darauf beruhende Weisung ausführt. Verkennt er schuldhaft die Nichtigkeit des Beschlusses, so haftet er grds nach § 43 Abs 2 GmbHG; anderenfalls scheidet eine Haftung mangels Verschuldens aus.312 Ausnahmsweise kann sich der Geschäftsführer auf den Einwand des venire contra 71 factum proprium berufen, wenn er aus § 43 Abs 2 GmbHG in Anspruch genommen wird.313 Dieser Einwand steht dem Geschäftsführer aber nur dann zu, wenn der Weisungsbeschluss von den Gesellschaftern einstimmig gefasst wurde – anderenfalls würde

_____ 307 GK-GmbHG/Paefgen Rn 130 zu § 43 GmbHG; MK-GmbHG/Fleischer Rn 278 zu § 43 GmbHG; MünchHdBGesellschR/Marsch-Barner/Diekmann Bd. 3, Rn 34 zu § 46; Ziemons S 39; Mertens FS Robert Fischer, 1979, 461, 465. 308 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 22 zu § 37 GmbHG. 309 GK-GmbHG/Paefgen Rn 130 zu § 43 GmbHG; MK-GmbHG/Fleischer Rn 278 zu § 43 GmbHG; Mertens FS Robert Fischer, 1979, 461, 465, der jedoch die Frage nach den Erfolgsaussichten der Anfechtungsklage nicht in die Ermessensentscheidung einbezieht; dagegen stellt Bork/Schäfer/Jacoby Rn 18 zu § 37 GmbHG nur die Frage nach den Erfolgsaussichten in das Ermessen des Geschäftsführers. 310 MK-GmbHG/Fleischer Rn 278 zu § 43 GmbHG; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 22 zu § 37 GmbHG; Rowedder/Schmidt-Leithoff/Koppensteiner/Gruber Rn 35 zu § 43 GmbHG; Roth/Altmeppen Rn 17 zu § 37 GmbHG; Hachenburg/Mertens Rn 30 zu § 37 GmbHG; Ebenroth/Lange GmbHR 1992, 69, 73; Ebert GmbHR 2003, 444, 447; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 22 f zu § 37 GmbHG und Rn 35 zu § 43 GmbHG; aA wohl Mennicke NZG 2000, 622, 624, die eine Folgepflicht des Geschäftsführers bei anfechtbarem Weisungsbeschluss grundsätzlich verneint; kritisch hinsichtlich der Ermessensentscheidung: GK-GmbHG/ Paefgen Rn 130 f zu § 43 GmbHG. 311 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 35 zu § 43 GmbHG. 312 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 35 zu § 43 GmbHG; MK-GmbHG/Fleischer Rn 278 zu § 43 GmbHG; Bork/Schäfer/Klöhn Rn 53 zu § 43 GmbHG; MünchHdB-GesellschR/Marsch-Barner/Diekmann Bd. 3, Rn 33 zu § 46; Mertens FS Robert Fischer, 1979, 461, 465. 313 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 35 zu § 43 GmbHG; Ebert GmbHR 2003, 444, 448; Mennicke NZG 2000, 622, 625; Fleck ZGR 1990, 31, 44, der dies für den Fall der nachträglichen Genehmigung annimmt; Fleck GmbHR 1974, 224, 227.

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§ 6 Die Organe der GmbH | 325

dem Minderheitsschutz nicht hinreichend Rechnung getragen314 – und der Geschäftsführer arg e § 43 Abs 3 S 3 GmbHG bei Ausführung des Beschlusses nicht in Vermögen eingreift, das dem Gläubigerschutz dient.315 Der Geschäftsführer darf die unternehmerische Maßnahme stets auch den Gesell- 72 schaftern zur Entscheidung vorlegen. Weist die Gesellschafterversammlung dann den Geschäftsführer an, das Geschäft abzuschließen, so macht sich dieser grundsätzlich nicht schadensersatzpflichtig.316

III. Die Gesellschafter und die Gesellschafterversammlung 1. Befugnisse und deren Ausübung a) Befugnisse nach dem GmbHG Die Gesellschafterversammlung ist oberstes Willensbildungsorgan. Dies kommt da- 73 rin zum Ausdruck, dass die Gesellschafterversammlung nicht nur für Entscheidungen über den Gesellschaftsvertrag (§ 53 Abs 1 GmbHG) zuständig ist,317 sondern auch für alle sonstigen Grundlagenentscheidungen318 wie die Veräußerung des Unternehmens,319 die Umwandlung der Gesellschaft sowie das Verhältnis der Gesellschaft zu ihren Gesellschaftern.320 In der AG ist neben der Hauptversammlung auch der Vorstand Willensbildungsorgan.321 Nach § 46 GmbHG ist die Gesellschafterversammlung zuständig für die Feststellung 74 des Jahresabschlusses (Nr 1), die Einforderung von Einzahlungen und Stammeinlagen (Nr 2), die Rückzahlung von Nachschüssen (Nr 3), die Teilung sowie die Einziehung von Geschäftsanteilen (Nr 4), die Bestellung und die Abberufung von Geschäftsführern und die Entlassung derselben (Nr 5),322 die Maßregeln zur Prüfung und Überwachung der Geschäftsführung (Nr 6), die Bestellung von Prokuristen und Generalbevollmächtigten (Nr 7) und die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen einzelne Geschäftsführer oder Gesellschafter (Nr 8). Die Satzung kann die Kompetenzen anderen Organen übertragen, § 45 Abs 2 GmbHG. Die Kompetenzen aus § 46 GmbHG können erweitert und beschränkt werden. Da- 75 bei muss dem Geschäftsführer über den gesetzlich zwingenden Bereich hinaus kein Grundbestand eigener Entscheidungsbefugnisse belassen werden.323 Es wird diskutiert,

_____ 314 GK-GmbHG/Paefgen Rn 117 zu § 43 GmbHG; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 35 zu § 43 GmbHG. Aus § 62 GmbHG lässt sich entnehmen, dass alle Gesellschafter einen Anspruch darauf haben, dass die Gesellschaft ihre Geschäfte rechtmäßig führt, GK-GmbHG/Paefgen Rn 117 zu § 43 GmbHG. 315 Vgl BGH NJW 1994, 2149, 2152; Scholz/Schneider Rn 136 zu § 43 GmbHG will den Arglisteinwand nur in Fällen eines Verstoßes gegen die Kapitalaufbringungs- oder Kapitalerhaltungsvorschriften versagen und begründet dies mit Hinweis auf eine besondere aus § 43 Abs 3 GmbHG resultierende Garantenpflicht des Geschäftsführers. 316 OLG Jena NZG 1999, 121, 122. 317 Priester FS Werner S 657, 658 ff; K Schmidt Gesellschaftsrecht, § 38 I 1a, S 1188. 318 K Schmidt Gesellschaftsrecht, § 36 III 2b, S 1095; Schäfer, Rn 9 zu § 34; GK-GmbHG/Paefgen Rn 9 zu § 37 GmbHG; Wiedemann, Bd. 1; § 6 III 2a, S 335; Ziemons S 11. 319 GK-GmbHG/Paefgen Rn 9 zu § 37 GmbHG; Zitzmann S 19. 320 Zitzmann S 19. 321 C Brand/Wostry, WRP 2008, 637, 639, KK-AktG/Zöllner Rn 2 zu § 119 AktG mwN; aA Hüffer/Koch, AktG, Rn 3 zu § 118 AktG. 322 Bei der mitbestimmten GmbH ist hierfür der Aufsichtsrat zuständig, vgl BGHZ 89, 48, 56. 323 Roth/Altmeppen Rn 4 zu § 37 GmbHG; aA Baumbach/Hueck/Zöllner Rn 5 zu § 46 GmbHG und Baumbach/ Hueck/Zöllner/Noack Rn 18 zu § 37 GmbHG mwN auch zur Gegenansicht. Siehe auch bereits oben Rn 3, 17 ff.

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326 | 2. Kapitel: Die gesellschaftsrechtlichen Funktionsträger

ob sich die aus dem Aktienrecht bekannte „Holzmüller/Gelatine“-Doktrin324 auch im Kompetenzgefüge des GmbH-Rechts auswirkt. Der BGH urteilte in seiner „Holzmüller“Entscheidung: „Bei schwerwiegenden Eingriffen in die Rechte und Interessen der Aktionäre, wie zB der Ausgliederung eines Betriebs, der den wertvollsten Teil des Gesellschaftsvermögens bildet, auf eine dazu gegründete Tochtergesellschaft, kann der Vorstand ausnahmsweise […] verpflichtet sein, […] eine Entscheidung der Hauptversammlung herbeizuführen.325 In seinen „Gelatine“-Entscheidungen326 entschied er sodann die bis dahin unentschiedene Frage, welche Mehrheit für den Hauptversammlungsbeschluss erforderlich ist. Er sprach sich wegen der Bedeutung der Maßnahme für die Aktionäre für eine Dreiviertel-Mehrheit aus.327 Zwar stelle die Maßnahme keine Satzungsänderung im Rechtssinne dar und bedürfe daher grundsätzlich keiner qualifizierten Mehrheit, jedoch werde im Bereich der „Holzmüller“-Angelegenheiten so tief in die mitgliedschaftliche Stellung der Aktionäre eingegriffen, dass auch hier das für Satzungsänderungen erforderliche Mehrheitserfordernis nach § 179 Abs 2 S 1 AktG geboten sei.328 Von zentraler Bedeutung der „Gelatine“-Rechtsprechung ist die Klarstellung, dass eine HV-Zuständigkeit nach den „Holzmüller“-Grundsätzen nur in eng begrenzten Ausnahmefällen erforderlich ist.329 Die hM plädiert für eine Übertragung dieser Rechtsprechung auf die GmbH.330 Dies bedeutet indes nicht nur, dass für Maßnahmen mit „Holzmüller“-Dimension die Gesellschafterversammlung zuständig ist, sondern auch und vor allem, dass die Gesellschafter einer GmbH keine „Holzmüller“-Kompetenzen statutarisch auf die Geschäftsführer übertragen können.331 Für Weisungen der Gesellschafter an die Geschäftsführer im „Holzmüller“-Bereich verlangt Priester eine Dreiviertel-Mehrheit.332 Dies überzeugt, weil auch im GmbH-Recht eine Satzungsänderung nach § 53 Abs 1 GmbHG zwingend den Gesellschaftern vorbehalten ist und somit „Holzmüller“-Kompetenzen, die einer Satzungsänderung gleichstehen, bei den Gesellschaftern verbleiben müssen. Die Gesellschafterversammlung ist kein Vertretungsorgan. Vielmehr bedürfen ihre 76 Beschlüsse der Ausführung seitens der Geschäftsführung. Ausgenommen sind bestimmte körperschaftliche Rechtsgeschäfte (§ 46 Nr 5, 7, 8 GmbHG).

_____ 324 BGHZ 83, 122; bestätigt und weiterentwickelt durch BGHZ 159, 30 ff „Gelatine“; dazu ausführlich Habersack AG 2005, 137 ff; Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, Rn 34 zu Vor § 311 AktG mit dem zutreffenden Hinweis darauf, dass die Holzmüller-Grundsätze nur Maßnahmen mit Mediatisierungseffekt erfassen; so auch BGH NZG 2007, 234; OLG Frankfurt am Main AG 2011, 173 f, Rz 62, 73; aA LG Frankfurt am Main ZIP 1997, 1698, 1701; Priester AG 2011, 654, 658; Fleischer NJW 2004, 2335, 2336 f. 325 BGHZ 83, 122 – 1. LS. 326 BGHZ 159, 30 ff. 327 BGHZ 159, 30, 31 – LS c). 328 BGHZ 159, 30, 45; dem folgend: Priester FS H. P. Westermann, S 1281, 1287; Fleischer NJW 2004, 2335, 2339; Götze NZG 2004, 585, 588; kritisch, aber im Ergebnis zustimmend, auch Bungert BB 2004, 1345, 1348 f. 329 Vgl Münchener HdB-AG/Krieger Rn 9 zu § 69; Priester AG 2011, 654, 661; Fuhrmann ZGR 2004, 339, 340. Für die umstrittenen Anforderungen, die an Maßnahmen mit „Holzmüller“-Ausmaßen zu stellen sind, sei auf die einschlägige Kommentarliteratur verwiesen, instruktiv etwa Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, Rn 33 ff zu Vorbemerkung § 311 AktG. 330 MK-GmbHG/Liebscher Rn 985 zu Anh GmbH Konzernrecht; Münchener HdB-GmbH/Decher/Kiefner, Rn 13 ff zu § 68; Priester FS H. P. Westermann, S 1281 ff; aA Scholz/Emmerich Rn 61 zu Anh § 13 GmbHG. 331 Priester FS H. P. Westermann, S 1281, 1292; MK-GmbHG/Liebscher Rn 985 zu Anh GmbH Konzernrecht. 332 Priester FS H. P. Westermann, S 1281, 1287 ff.

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§ 6 Die Organe der GmbH | 327

b) Ausübung der Kompetenzen aa) Gesetzlich vorgesehenes Verfahren Das Gesetz sieht in § 48 Abs 1 GmbHG vorrangig die Versammlung für die Beschlussfas- 77 sung der Gesellschafter vor. Da eine solche Versammlung mit nicht unerheblichem Aufwand verbunden ist – siehe etwa die zwingenden Verfahrensvorschriften der §§ 50 ff GmbHG – wird in der Praxis vielfach von der Möglichkeit des § 48 Abs 2 GmbHG Gebrauch gemacht. Danach ist eine Gesellschafterversammlung entbehrlich, wenn sich sämtliche Gesellschafter in Textform mit der geplanten Bestimmung oder mit der schriftlichen Abgabe der Stimmen einverstanden erklären. Die beiden Varianten des § 48 Abs 2 GmbHG unterscheiden sich in einem wesentlichen Punkt: Variante 1 verlangt Einstimmigkeit aller an der Gesellschafterversammlung teilnahmeberechtigten Gesellschafter. Das schließt diejenigen ein, die in der Gesellschafterversammlung nur anwesenheitsberechtigt, nicht aber stimmberechtigt sind.333 Variante 2 setzt dagegen bei der Abstimmung selbst keine Einstimmigkeit voraus. Vielmehr muss nur über die Modalität „schriftliche Abstimmung“ einstimmig entschieden werden.334 Für die Einmann-GmbH ordnet § 48 Abs 3 GmbHG an, dass der Gesellschafter unverzüglich nach der Beschlussfassung eine Niederschrift aufzunehmen und diese zu unterschreiben hat. Grundsätzlich wird die Versammlung nach § 49 Abs 1 GmbHG durch die Geschäfts- 78 führer einberufen.335 Nach dem zwingenden § 50 Abs 1 GmbHG336 kann aber eine Gesellschafterminderheit, deren Geschäftsanteile zusammen mindestens zehn Prozent des Stammkapitals ausmachen, verlangen, dass die Geschäftsführer – oder ein anderes nach der Satzung zur Einberufung zuständiges Organ337 – die Gesellschafterversammlung einberufen.338 Dasselbe Recht steht einem einzelnen Gesellschafter zu, dessen Anteil(e) zehn Prozent oder mehr ausmachen.339 Das Verlangen ist berechtigt, wenn die Gesellschafter Zweck und Gründe hinreichend konkret angeben.340 Verweigert der Geschäftsführer trotz rechtmäßigen Verlangens die Einberufung, so können Minderheitsgesellschafter mittels des Selbsthilferechts aus § 50 Abs 3 GmbHG die Versammlung selbst einberufen.341 Damit soll einerseits die Gesellschafterminderheit gestärkt und andererseits verhindert werden, dass sich der Geschäftsführer einem Einberufungsverlangen der Gesellschafter widersetzen kann.342 Die Versammlung ist mittels Einschreibens – Übergabe-Einschreiben oder Einwurf-Einschreiben – einzuberufen.343 Bei fehlerhaft einberufener Versammlung gilt § 51 Abs 3 GmbHG.344

_____ 333 Baumbach/Hueck/Zöllner Rn 27 und 30 zu § 48 GmbHG; Geißler GmbHR 2010, 457, 458. 334 Baumbach/Hueck/Zöllner Rn 27 zu § 48 GmbHG; Lutter/Hommelhoff/Bayer Rn 25 zu § 48 GmbHG. 335 Zur Einberufung durch die Geschäftsführer ausführlich oben Rn 22 ff. 336 Die Parallelvorschrift für die AG ist § 122 AktG. 337 Man denke etwa an einen Aufsichtsrat oder Beirat. Dazu instruktiv Schopp GmbHR 1976, 126, 127. 338 Roth/Altmeppen Rn 3 zu § 50 GmbHG mit instruktiven Hinweisen zur konkreten Berechnung der Quote. 339 Beck’sches Formularbuch/Stephan, IX.30, Anm 1; Schopp GmbHR 1976, 126, 128. Auch der Mehrheitsgesellschafter kann sich des Rechts aus § 50 Abs 1 GmbHG bedienen, vgl Geißler GmbHR 2010, 457, 459. 340 Roth/Altmeppen Rn 6 zu § 50 GmbHG; Schopp GmbHR 1976, 126, 128. 341 OLG Köln NJW-RR 1999, 979; Bork/Schäfer/Masuch Rn 7 zu § 50 GmbHG; Schopp GmbHR 1976, 126, 128 f. 342 Goette § 7 Rn 22. Letzteres kann insb dann relevant werden, wenn der Geschäftsführer den Versuch unternimmt, seine Abberufung oder die Kündigung seines Anstellungsvertrages abzuwenden, vgl BGH NJW 1998, 3274. 343 LG Mannheim NZG 2008, 111f; Köper NZG 2008, 96 ff; aA Baumbach/Hueck/Zöllner Rn 12 zu § 51 GmbHG Übergabe-Einschreiben erforderlich). 344 Zu den Rechtsfolgen fehlerhafter Ladung oben Rn 65.

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bb) Abweichende Vereinbarungen im Gesellschaftsvertrag 79 Der Gesellschaftsvertrag kann von § 48 GmbHG abweichende Regelungen vorsehen. Er

kann zum Beispiel eine Bestimmung enthalten, die – abweichend von § 48 Abs 2 GmbHG – eine Beschlussfassung ausschließlich in einer förmlichen Versammlung vorsieht.345 Denkbar ist aber auch, dass die Form der Beschlussfassung über § 48 Abs 2 GmbHG hinaus erleichtert wird. Hier kommt insb eine Regelung in Betracht, wonach eine schriftliche Abstimmung schon dann möglich ist, wenn dies nur eine einfache Mehrheit befürwortet. Auch die Möglichkeit telefonischer Abstimmungen kann in der Satzung vorgesehen werden.346 Im Übrigen kann die Einberufung der Gesellschafterversammlung in der Satzung erleichtert werden, indem statt eines Einschreibens eine mündliche, telefonische Einberufung oder eine solche per E-Mail zulässig ist.347 Sogar Satzungsänderungen können im einfachen schriftlichen Verfahren beschlos80 sen werden.348 Einige Entscheidungen aber – wie etwa die Verschmelzung (§ 13 Abs 1 S 2 UmwG), die Spaltung (§ 125 UmwG) und der Formwechsel (§ 193 Abs 1 S 2 UmwG) – bleiben ausschließlich der Gesellschafterversammlung vorbehalten. Die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung bedürfen grundsätzlich nur der ein81 fachen Mehrheit, es sei denn, der Gesellschaftsvertrag349 oder das Gesetz regeln etwas anderes (vgl etwa § 53 Abs 3 GmbHG). Die Abstimmung erfolgt nach Geschäftsanteilen (§ 47 Abs 2 GmbHG) und nicht nach Köpfen. Aus diesem Grund hat der Mehrheitsgesellschafter in der GmbH eine herausragende Machtposition. Bezüglich der Stimmrechte kann die Satzung eine andere Regelung vorsehen (§ 45 Abs 2 GmbHG).

2. Die Rechte des einzelnen Mitglieds a) Fehlende Organstellung 82 Der einzelne Gesellschafter ist grundsätzlich nicht Organ der GmbH.350 Streit besteht aber darüber, ob die Gesellschaftergesamtheit oder die Gesellschafterversammlung Organ der GmbH ist.351 Für die Organstellung der Gesellschaftergesamtheit wird mitunter angeführt, dass nach § 48 Abs 2 GmbHG Beschlüsse auch im Umlaufverfahren gefasst werden können und somit die Gesellschafter zwar als Willensbildungsorgan, nicht hingegen im Rahmen einer Gesellschafterversammlung tätig würden. Demzufolge sei nicht die Gesellschafterversammlung, sondern die Gesellschaftergesamtheit als Organ der GmbH zu betrachten.352 Die Gegenansicht353 argumentiert wie folgt: Betrachte man die Gesellschafter in ihrer Gesamtheit als Gesellschaftsorgan, so lasse sich nicht erklären, weshalb bei einer Gesellschafterversammlung nicht alle Gesellschafter zugegen

_____ 345 Scholz/K Schmidt Rn 69 zu § 48 GmbHG. 346 K Schmidt, § 36 III 3a, S 1095; Baumbach/Hueck/Zöllner Rn 41 zu § 48 GmbHG. 347 Baumbach/Hueck/Zöllner Rn 39 zu § 51 GmbHG; Lutter/Hommelhoff/Bayer Rn 36 zu § 51 GmbHG; zur Rechtslage beim Verein: Grziwotz MDR 2012, 741 ff. 348 Baumbach/Hueck/Zöllner Rn 28 zu § 48 GmbHG und Zöllner/Noack Rn 55 zu § 53 GmbHG. 349 Baumbach/Hueck/Zöllner Rn 24 zu § 47 GmbHG. 350 Vgl nur Schürnbrand S 133 f. 351 Vgl Baumbach/Hueck/Zöllner Rn 4 zu § 45 GmbHG; ausführlich Schürnbrand S 123 ff mit umfangreichen Nachweisen; zur vergleichbaren Diskussion beim Verein vgl nur Schürnbrand S 133; im Übrigen oben, Rn 2 mit umfassenden Nachweisen zum Streitstand. 352 K Schmidt, § 36 III 1, S 1094; MünchHdB-GesellschR/Wolff Bd. 3, Rn 1 zu § 36; Geißler GmbHR 2010, 457. 353 Schürnbrand S 123 ff mit umfassenden Nachw zum Meinungsstand.

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sein müssen und folglich die abwesenden Gesellschafter übergangen werden dürfen.354 Zudem lasse § 48 Abs 2 GmbHG zu, dass nur ein Teil der Gesellschafter abstimme. Auch dies lasse sich mit der Figur der Gesamtheit der Gesellschafter als Willensbildungsorgan nicht rechtfertigen.355 Die besseren Argumente sprechen damit für die Auffassung, die die Gesellschafterversammlung als Organ qualifiziert. Vor diesem Hintergrund überzeugt auch die Auffassung356 nicht, die – je nach Abstimmungsmodalität – sowohl die Gesellschafterversammlung als auch die Gesellschafter in ihrer Gesamtheit als oberstes Willensbildungsorgan betrachtet. Bei der AG wird hingegen unstreitig die Hauptversammlung und nicht die Aktionäre in ihrer Gesamtheit als Willensbildungsorgan angesehen.357

b) Teilnahme- und Stimmrechte Jeder Gesellschafter hat das Recht, an der Gesellschafterversammlung teilzunehmen 83 und an der Abstimmung mitzuwirken358. Teilnahme- und stimmberechtigt sind auch diejenigen Vertreter, die kraft Gesetzes bzw kraft ihres Amtes von dem Gesellschafter abgeleitete mitgliedschaftliche Befugnisse besitzen.359 Exemplarisch genannt seien etwa die Eltern geschäftsunfähiger oder beschränkt geschäftsfähiger Kinder oder der Insolvenzverwalter eines Gesellschafters.360 Das Stimmrecht gehört zu den unverzichtbaren Mitgliedschaftsrechten.361 Es wur- 84 zelt in der Mitgliedschaft und ist nicht isoliert auf Dritte übertragbar (sog Abspaltungsverbot).362 Sofern gesetzliche Vertreter oder Vertreter kraft Amtes wie der Testamentsvollstrecker, Nachlassverwalter oder Insolvenzverwalter das Stimmrecht ausüben, liegt darin keine unzulässige Abspaltung des Stimmrechts von der Mitgliedschaft, weil diese Vertreter allgemein zur Ausübung der Mitgliedschaft berufen sind und ihnen damit auch das Stimmrecht zusteht.363 Das Abspaltungsverbot verbietet grundsätzlich auch die unwiderrufliche Bevollmächtigung von Nichtgesellschaftern zur Stimmrechtsausübung. Eine Ausnahme besteht bei Treuhandverhältnissen: Der Treuhänder des ihm abgetretenen Gesellschaftsanteils kann dem Treugeber unwiderruflich die Stimmrechtsausübung übertragen; Grund dafür ist die Stellung des Treugebers als wirtschaftlicher Eigentümer des abgetretenen Gesellschaftsanteils.364 Sofern die Satzung keine abweichende Regelung trifft, richtet sich die Gewichtung des Stimmrechts nach § 47 Abs 2 GmbHG. Danach gewährt jeder Euro eines Geschäftsanteils eine Stimme.365 Der Gesellschaftsvertrag kann – unter Berücksichtigung des unantastbaren Kernbe- 85 reichs der Mitgliedschaft – nähere Bestimmungen über die Stimmrechtsausübung

_____ 354 Baumbach/Hueck/Zöllner Rn 4 zu § 45 GmbHG. 355 Schürnbrand S 131. 356 Hüffer FS 100 Jahre GmbHG, 521, 532. 357 MünchHdB-GesellschR/Wolff Bd. 3, Rn 1 zu § 36; Schürnbrand S 121 f mwN. 358 Das Teilnahmerecht hat auch der vom Stimmrecht ausgeschlossene Gesellschafter, Baumbach/ Hueck/Zöllner Rn 6 zu § 48 GmbHG. 359 Goette § 7 Rn 46; Scholz/K Schmidt Rn 19 zu § 48 GmbHG. 360 Goette § 7 Rn 46; GK-GmbHG/Hüffer Rn 16 zu § 48 GmbHG. 361 Goette § 7 Rn 43; auch Scholz/K Schmidt Rn 15 zu § 48 GmbHG. 362 BGHZ 43, 261, 267; Flume AT I 2, § 7 II 1, S 202. 363 Flume AT I 2, § 7 II 1, S 202 f. 364 Zum Ganzen instruktiv Flume AT I 2, § 7 II 1, S 206 ff. 365 Roth/Altmeppen, Rn 24 zu § 47 GmbHG; Baumbach/Hueck/Zöllner Rn 66 f zu § 47 GmbHG.

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treffen.366 Nach Ansicht des BGH ist eine Satzungsregelung zulässig, wonach die Gesellschafter höchstens einen Vertreter in die Versammlung entsenden dürfen.367 Auf der anderen Seite sind Bestimmungen unwirksam, die den Gesellschafter in seinem Recht zur eigenverantwortlichen Auswahl seines Vertreters beschränken oder in sein Weisungsrecht eingreifen, das er gegenüber seinem Vertreter hat.368 § 47 Abs 4 S 1 GmbHG schließt denjenigen Gesellschafter von seinem Stimmrecht 86 aus, der durch Beschlussfassung entlastet oder von einer Verbindlichkeit befreit werden soll. Dasselbe gilt für eine Beschlussfassung, die die Vornahme des Rechtsgeschäfts oder die Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreites gegenüber einem Gesellschafter betrifft, § 47 Abs 4 S 2 GmbHG. Die Vorschrift erfasst auch die Fälle, in denen die Gesellschaft durch den Beschluss lediglich ermächtigt wird, das Rechtsgeschäft vorzunehmen. Gleiches gilt für die Genehmigung eines bereits mit dem Gesellschafter abgeschlossenen Geschäfts.369

c) Loyalitäts- und Treuepflichten 87 Die Gesellschafter unterliegen Treue- und Loyalitätspflichten sowohl gegenüber „ih-

rer“ GmbH als auch untereinander.370 Gleiches gilt für die AG.371 Art und Umfang der Treuepflicht lassen sich nicht allgemein, sondern nur für den Einzelfall bestimmen. Typische Verstöße gegen das Treuegebot sind etwa kreditschädigende Äußerungen oder die pflichtwidrige Weitergabe vertraulicher Informationen.372 Ein generelles Wettbewerbsverbot lässt sich für die Gesellschafter aus der Treuepflicht nicht ableiten. Ein Wettbewerbsverbot kommt aber dann in Betracht, wenn der Gesellschafter im Innenverhältnis die Geschicke der Gesellschaft ausschlaggebend bestimmt und trotzdem außerhalb der Gesellschaft unternehmerisch tätig werden will.373 Denn hier könnte der Gesellschafter von seiner Herrschaftsmöglichkeit zum Nachteil der Gesellschaft Gebrauch machen; er hat ferner durch die beherrschende Stellung die Möglichkeit, gesellschaftsinterne Informationen zu erlangen und zu Lasten der Gesellschaft zu verwenden.374 Wettbewerbsverbote können ferner in den Grenzen des § 1 GWB in der Satzung vereinbart werden.375 Sie sind dann an Art 12 GG und § 138 BGB zu messen, da der Gesellschafter in seiner Berufsausübungsfreiheit betroffen ist.376 88 Im Einzelfall lässt sich – allerdings nur mit Zurückhaltung – aus dem Treuegebot auch eine Pflicht zu einer bestimmten Ausübung des Stimmrechts in der Gesellschafterversammlung ableiten.377 Die Stimmpflicht kann sich sogar auf eine Satzungsänderung

_____ 366 BGH ZIP 1989, 634; Goette § 7 Rn 41. 367 BGH ZIP 1989, 634. 368 Goette § 7 Rn 41. 369 Zum Ganzen Flume AT I 2, § 7 V 5, S 228 f; Baumbach/Hueck/Zöllner Rn 91 f zu § 47 GmbHG; auch BGHZ 68, 112. 370 Roth/Altmeppen Rn 28 zu § 13 GmbHG; Baumbach/Hueck/Fastrich Rn 20 zu § 13 GmbHG mwN; Winter S 44, 79 und passim; Zöllner ZGR 1988, 392, 408, 411; zu den Treuepflichten im Insolvenzplanverfahren vgl Thole ZIP 2013, 1937 ff. 371 BGHZ 129, 136 ff; Winter S 82 f; M Brand KTS 2011, 481, 487. 372 Baumbach/Hueck/Fastrich Rn 28 zu § 13 GmbHG; Roth/Altmeppen Rn 75 zu § 47 GmbHG. 373 BGHZ 89, 162, 165 ff. 374 BGHZ 89, 162, 166. 375 BGH NJW 2010, 1206, 1207. 376 BGH NJW 2010, 1206, 1207. 377 Vgl Winter S 167 ff.

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erstrecken, wenn die Satzungsänderung im dringenden Interesse der Gesellschaft liegt und dem Gesellschafter zumutbar ist.378 Abschließend sei noch die Entscheidung „Sanieren oder Ausscheiden“379 erwähnt, die zwar eine GmbH & Co oHG betrifft, aber sowohl auf die GmbH380 als auch auf die AG381 übertragbar ist. Nach „Sanieren oder Ausscheiden“ können auch Aktionäre und GmbH-Gesellschafter als Ausfluss ihrer Treuepflicht vor die Wahl gestellt werden, entweder an der erfolgversprechenden Sanierung mitzuwirken oder aus der Gesellschaft auszuscheiden.

IV. Aufsichtsrat und Beirat 1. Aufsichtsrat Anders als in der AG ist der Aufsichtsrat in der GmbH grundsätzlich kein zwingendes 89 Organ. Vielmehr steht es im Belieben der Gesellschafter, ob sie – im Gesellschaftsvertrag – einen fakultativen Aufsichtsrat in ihrer Gesellschaft installieren.382 Lediglich in Gesellschaften, die dem Mitbestimmungsgesetz (nach § 1 Abs 1 Nr 2 MitbestG Gesellschaften mit idR mehr als 2.000 Arbeitnehmern), dem Montanmitbestimmungsgesetz (nach § 1 Abs 2 Montan-MitbestG Gesellschaften mit idR mehr als 1000 Arbeitnehmern und Tätigkeit im Montanbereich) oder dem Drittelbeteiligungsgesetz (Gesellschaften mit idR mehr als 500 Arbeitnehmern) unterliegen, bedarf es zwingend eines Aufsichtsrats.383 Der fakultative Aufsichtsrat hat grundsätzlich die Kompetenzen, die ihm der Ge- 90 sellschaftsvertrag einräumt.384 Dabei sind die Gesellschafter sehr flexibel, so dass der GmbH-Aufsichtsrat sowohl weitergehende als auch weniger weitreichende Kompetenzen im Vergleich zum AG-Aufsichtsrat haben kann.385 Die Dispositionsbefugnis besteht aber nicht uneingeschränkt: Zum einen ist es nicht möglich, den Aufsichtsrat von der Überwachung der Geschäftsführer zu entbinden,386 da dies das wesentliche Charakteristikum des Aufsichtsrats darstellt.387 Ohne sie wäre der Aufsichtsrat seines Wesens beraubt.388 Zum anderen kann auf den Aufsichtsrat nicht die gesamte Geschäftsführung übertragen werden, sondern nur einzelne Maßnahmen der Geschäftsführung.389 Anderenfalls geriete man in einen Konflikt mit der Kompetenzordnung der GmbH. Soweit der Gesellschafts-

_____ 378 BGHZ 98, 276, 280; Baumbach/Hueck/Fastrich Rn 29 zu § 13 GmbHG; Winter S 178 ff. 379 BGHZ 183, 1 ff; bestätigt von BGH NZG 2011, 510 ff. 380 Zur Übertragbarkeit auf die GmbH: Priester ZIP 2010, 497 ff; im Erg zustimmend Bork/Schäfer/ Thiessen Rn 60 zu § 34 GmbHG; Beck’sches Formularbuch/Stephan, IX.47, Anm 6 und IX.9, Anm 8; MKGmbHG/Lieder Rn 33 zu § 55 GmbHG, der jedoch verkennt, dass „Sanieren oder Ausscheiden“ gerade nicht mit dem Kapitalschnitt mittels Kapitalherabsetzung auf null und anschließender Kapitalerhöhung gleichgesetzt werden kann, vgl M Brand KTS 2011, 481 ff. 381 Zur Übertragbarkeit auf die AG: M Brand KTS 2011, 481 ff. 382 RGZ 156, 145, 150; Lutter/Hommelhoff/Lutter Rn 1, 3 und 4 zu § 52 GmbHG; Rowedder/SchmidtLeithoff/Koppensteiner/Schnorbus Rn 9 zu § 52 GmbHG. 383 Nach § 1 Abs 4 MitbestG und § 1 Abs 2 DrittelbG sind Tendenzunternehmen von der Mitbestimmung freigestellt. 384 K Schmidt, § 36 IV 1a, S 1108; MünchHdB-GesellschaftsR/Marsch-Barner/Diekmann, Rn 7 zu § 48. 385 Lutter/Hommelhoff/Lutter Rn 13 zu § 52 GmbHG. 386 MünchHdB-GesellschaftsR/Marsch-Barner/Diekmann, Rn 49 zu § 48. 387 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 27 f zu § 52 GmbHG; GK-GmbHG/Raiser/Heermann Rn 17 zu § 52 GmbHG; MünchHdB-GesellschaftsR/Marsch-Barner/Diekmann, Rn 5 zu § 48. 388 Vgl Rowedder/Schmidt-Leithoff/Koppensteiner/Schnorbus Rn 8 zu § 52 GmbHG. 389 Lutter/Hommelhoff/Lutter Rn 13 zu § 52 GmbHG; MünchHdB-GesellschaftsR/Marsch-Barner/Diekmann, Rn 51 zu § 48.

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vertrag schweigt, verweist der ausschließlich auf den fakultativen Aufsichtsrat anwendbare § 52 Abs 1 GmbHG weitestgehend auf die Vorschriften des AktG zum Aufsichtsrat.390 Auch hiernach ist die Überwachung der Geschäftsführer nach § 52 Abs 1 GmbHG iVm § 111 Abs 1 AktG eine der zentralen Aufgaben des Aufsichtsrats.391 Da § 52 Abs 1 GmbHG nur die entsprechende Anwendung der dort genannten aktien91 rechtlichen Vorschriften anordnet, muss bei deren Auslegung stets der strukturelle Unterschied zwischen AG und GmbH berücksichtigt werden.392 Die aktienrechtlichen Normen sind mithin im Lichte der Kompetenzordnung der GmbH zu interpretieren.393 So ist in der GmbH die Gesellschafterversammlung das oberste Willensbildungsorgan,394 das somit auch über dem Aufsichtsrat zu stehen hat. Die Gesellschafter sind daher trotz Bestehen eines Aufsichtsrates den Geschäftsführern gegenüber vorrangig weisungsbefugt.395 Sofern es sich um keinen fakultativen, sondern um einen nach § 1 MitbestG obliga92 torischen Aufsichtsrat handelt, bestimmen sich die Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats nach § 25 Abs 1 S 1 Nr 2 MitbestG. Nach den zwingenden mitbestimmungsrechtlichen und in Bezug genommenen aktienrechtlichen Vorschriften ist der Aufsichtsrat des Mitbestimmungsgesetzes weitergehend demjenigen der AG angenähert als sonstige GmbHAufsichtsräte.396 In der paritätisch mitbestimmten GmbH ist es auch nicht möglich, neben den stimmberechtigten weitere, lediglich beratende Mitglieder in den Aufsichtsrat zu entsenden.397 Dem steht zum einen der zwingende § 109 Abs 1 S 2 AktG entgegen, der nur die Zuziehung von Sachverständigen und Beratern zu einzelnen Sitzungen zulässt, aber gerade nicht die dauerhafte Teilnahme von beratenden Aufsichtsratsmitgliedern.398 Zum anderen verstößt die Zulassung ständiger beratender Aufsichtsratsmitglieder gegen den allgemein anerkannten Grundsatz, dass alle Mitglieder des Aufsichtsrats die gleichen Rechte und Pflichten haben sollen.399 Dürfen zusätzliche beratende Mitglieder nur von der Anteilseignerseite in den Aufsichtsrat entsendet werden, liegt überdies ein Verstoß gegen den in § 7 MitbestG verankerten Grundsatz der paritätischen Mitbestimmung vor.400

2. Beirat 93 Vom Aufsichtsrat ist der Beirat zu unterscheiden. Es gibt keine gesetzliche Verpflichtung

zur Bestellung eines Beirats, jedoch kann der Gesellschaftsvertrag einen solchen vorsehen. Dies gestattet die weitgehende Gestaltungsfreiheit im GmbH-Recht.401

_____ 390 Lutter/Hommelhoff/Lutter Rn 3 zu § 52 GmbHG. 391 Rowedder/Schmidt-Leithoff/Koppenstein Rn 11 zu § 52 GmbHG. 392 GK-GmbHG/Raiser/Heermann Rn 23 zu § 52 GmbHG. 393 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 30 zu § 52 GmbHG; K Schmidt, § 36 IV 1a, S 1108; MünchHdBGesellschaftsR/Marsch-Barner/Diekmann, Rn 12 zu § 48. 394 Siehe oben Rn 2 und 73. 395 Scholz/Schneider Rn 22 zu § 52 GmbHG. 396 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 269 zu § 52 GmbHG. 397 BGH WM 2012, 448 ff. 398 BGH WM 2012, 448, 449 f. 399 BGH WM 2012, 448, 450. 400 BGH WM 2012, 448, 450. 401 K Schmidt, § 36 IV 3, S 1110; Windbichler § 22, Rn 2, S 239; Wiedemann FS Schilling zum 65. Geburtstag, S 105, 108.

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Beiräte können unterschiedliche Funktionen haben. Ein Beirat kann bloßes „Hono- 94 ratiorengremium“402 sein, das auf die Geschäftsführung keinen Einfluss hat. Ihm können aber auch bestimmte Gesellschafterbefugnisse übertragen werden,403 wobei die Kompetenzübertragung eindeutig im Gesellschaftsvertrag geregelt sein muss.404 Bestehen Zweifel über die Reichweite der Beiratskompetenzen, so „stehen ihm nur die jeweils engsten Kompetenzen zu.“405 Weisungsrechte gegenüber dem Geschäftsführer können auf den Beirat übertragen werden, wenn diese Übertragung durch einen einfachen Gesellschafterbeschluss – nicht also nur durch eine Änderung des Gesellschaftsvertrags – rückgängig gemacht werden kann.406 Geschäftsführerkompetenzen können auf den Beirat jedenfalls nicht mit Wirkung für das Außenverhältnis übertragen werden.407 Die Institution „Beirat“ kann durch Änderung des Gesellschaftsvertrags abgeschafft werden.408 Verletzen die Beiräte ihre Pflichten gegenüber der Gesellschaft, können sie sich schadensersatzpflichtig machen.409 Der Gesellschafterversammlung muss stets ein Kernbereich unverzichtbarer Rechte 95 vorbehalten bleiben.410 Strukturändernde Beschlüsse – insb die Entscheidung über die Auflösung, Verschmelzung oder Umwandlung sowie Änderungen des Gesellschaftsvertrags – haben zwingend durch die Gesellschafterversammlung zu erfolgen und können nicht auf andere Organe übertragen werden.411

V. Faktische Organe, insbesondere der faktische Geschäftsführer

M Brand/Meyer 1. Ausgangslage Täter und Teilnehmer einer Straftat können im deutschen Strafrecht nur natürliche Per- 96 sonen sein, die sog Verbands- oder Unternehmenshaftung („corporate criminal liability“) gibt es – mit Ausnahme der bußgeldrechtlichen Verantwortung einer juristischen Person für deliktisches Verhalten ihrer Repräsentanten gem § 30 OWiG – nicht412. Eine juristische Person kann daher mangels Handlungs- und Schuldfähigkeit strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden.413 Hieraus folgen strafrechtliche Haftungs-

_____ 402 K Schmidt, § 36 IV 3, S 1110; Wiedemann FS Schilling zum 65. Geburtstag, S 105 f. 403 K Schmidt, § 36 IV 3, S 1110; Windbichler § 22, Rn 2, S 239; allgemein zur Übertragung von Befugnissen der Gesellschafterversammlung auf andere Organe: BGHZ 43, 261, 264; Beispiele für die verschiedenen Funktionen von Beiräten finden sich bei Wiedemann FS Schilling zum 65. Geburtstag, S 105 f. 404 Vgl BGH DStR 1996, 111, 112 mAnm Goette, zur spezielle Frage der Kompetenzverlagerung von der Gesellschafterversammlung auf die Geschäftsführer bei der Einforderung der Resteinlagen und den damit zusammenhängenden schneidigen Kaduzierungsfolgen. Goette behandelt aber in seiner Anmerkung auch den Fall, in dem die Kompetenz zur Einforderung einer Resteinlage auf den Aufsichtsrat/Beirat übertragen wurde; Goette § 7 Rn 3. 405 Wiedemann FS Schilling zum 65. Geburtstag, S 105, 120. 406 Konzen NJW 1989, 2977, 2980. 407 K Schmidt, § 36 IV 3, S 1110. 408 Wiedemann FS Schilling zum 65. Geburtstag, S 105, 122. 409 Wiedemann FS Schilling zum 65. Geburtstag, S 105, 123. 410 K Schmidt, § 36 IV 3, S 1110 und BGHZ 43, 261, 264, zur Kompetenzübertragung auf ein Schiedsgericht. 411 K Schmidt, § 36 IV 3, S 1110. 412 Hierzu KK/Rogall Rn 1 ff, 16 ff zu § 30 OWiG. 413 Als Kapitalgesellschaft zu den juristischen Personen gehört unproblematisch auch die durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts u zur Bekämpfung von Missbräuchen v 23.10.2008 eingeführ-

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probleme, wenn der gesetzliche Tatbestand bestimmte Täterqualitäten oder bestimmte an den Status des Täters gebundene Pflichten voraussetzt. So liegt bei einer GmbH als Normadressat der §§ 325, 327, 329 StGB das besondere 97 Merkmal der „Betreiberin einer Anlage“ vor, sie hat aber nicht gehandelt. Dem für sie handelnden Geschäftsführer fehlt dieses Merkmal. Ebenso ist nicht der Geschäftsführer „Arbeitgeber“ iSd 266a StGB, vielmehr die von ihm vertretene GmbH, die aber weder handeln noch es unterlassen kann, die Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung abzuführen. Eine Strafverfolgung wegen Bankrotts gem § 283 Abs 1 Nr 1 StGB setzt voraus, dass der Täter bei Überschuldung, drohender oder eingetretener Zahlungsunfähigkeit Bestandteile seines Vermögens ua beiseite schafft. Die Norm wendet sich unmittelbar daher nur an Einzelunternehmer und Privatverbraucher.414 Das Aushöhlen einer juristischen Person in der Krise ist vom Tatbestand nicht erfasst, da diese ein eigenständiges Vermögen besitzt. § 288 StGB wendet sich nur an den Schuldner, dem die Zwangsvollstreckung droht. Ist dieser eine juristische Person, kann deren Vertreter den Tatbestand dem Wortlaut nach nicht verwirklichen, auch wenn er eine der dort genannten Handlungen begeht. Denn dem Vertreter droht die Zwangsvollstreckung nicht. Die auf dieser Rechtslage beruhende Haftungslücke hat der Gesetzgeber mit § 14 98 StGB (entspr: § 9 OWiG) und die Rspr mit der Entwicklung der Grundsätze über die Haftung aus faktischer verantwortlicher Tätigkeit ausgefüllt.

2. Organ- und Vertreterhaftung nach § 14 StGB (§ 9 OWiG) a) Überblick Meyer 99 Die Norm ist aus dem Bedürfnis entstanden, denjenigen strafrechtlich fassen zu können, der für einen anderen handelt, ohne die tatbestandsspezifische Täterqualifikation aufzuweisen, inbes ein Organ, ein Vertreter oder Beauftragter.415 Der Handelnde wird mit der gleichen Strafe bedroht, die den Vertretenen treffen würde, so dieser die gesetzliche Pflicht selbst verletzen würde. Werden Pflichtenkreise vertretungsweise wahrgenommen, der Vertreter aber vom Tatbestand unmittelbar erfasst, so regelt sich die strafrechtliche Verantwortlichkeit unabhängig von § 14 StGB. Die §§ 82, 84 und 85 GmbHG („als“ Geschäftsführer, „als“ Mitglied des Aufsichtsrats bzw „als“ Liquidator) oder § 331 HGB und § 15a InsO (wer „als“ Mitglied eines vertretungsberechtigten Organs … einer Kapitalgesellschaft etwas unrichtig darstellt, bzw „die“ Mitglieder des Vertretungsorgans) betreffen Fälle, die sich schon ihrem Wortlaut nach auf ein Handeln für einen anderen erstrecken. Täter können hier ohnehin nur Geschäftsführer oder Liquidatoren sein, so dass für deren Haftung der Umweg über § 14 nicht beschritten werden muss.416 Auch ohne eine derartige tatbestandliche Einschränkung trifft die strafrechtliche Haftung des

_____ te „Unternehmergesellschaft – UG – (haftungsbeschränkt), § 5a GmbHG“, Baumbach/Hueck/Fastrich Rn 4 zu § 5a GmbHG. 414 BGH v 22.2.2001 – 4 StR 421/00, Rn 16; v 10.2.2009 – 3 StR 372/08, Rn 10 sowie v 1.9.2009 – 1 StR 301/09, Rn 1 (jeweils zugleich Abkehr von der zu § 283 StGB entwickelten sog „Interessenformel“); v 29.4.2010 – 3 StR 314/09, Rn 23; Maurer/Wolf wistra 2011, 327, 332. 415 LK/B Schünemann Rn 1 zu § 14 StGB versteht § 14 StGB als Strafausdehnungsgrund, S/S/Perron Rn 1 zu § 14 StGB u Scholz/Tiedemann-Rönnau Rn 19 zu § 14 StGB als „Merkmalsüberwälzungs-“tatbestand auf eine natürliche Person, sofern der eigentliche Normadressat eine juristische ist. 416 Hildesheim wistra 1993, 166, 168. Ausführlich BGHSt 31, 118, 122 f.

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§ 263 StGB den betrügerisch handelnden Vertreter einer juristischen Person unmittelbar.417 b) Begriff des Vertreters Der für die Strafverfolgungsbehörden bedeutsame § 14 Abs 1 Nr 1 StGB betrifft vertre- 100 tungsberechtigte Organe einer juristischen Person oder die Mitglieder eines solchen Organs, mithin Personen oder Gremien, durch welche die juristische Person Beschlüsse fasst und handelt. Wie der ansonsten überflüssige Abs 3 zeigt, setzt Abs 1 eine rechtlich wirksame Vertreterbestellung voraus.418 § 14 Abs 1 Nr 1 StGB gilt für die Fälle, in denen das Gesetz bestimmte, auf einen Vertreter (zB Geschäftsführer einer GmbH) nicht zutreffende Statusbezeichnungen verwendet oder an solche anknüpft und – nur – dem Statusinhaber (also der nicht deliktsfähigen GmbH) Pflichten auferlegt, also Handlung (durch den Geschäftsführer) und Verantwortung (der juristischen Person) bzw Funktion und Status auseinanderfallen.419 Die Statusbezeichnungen in §§ 325, 325a, 327, 329 (jeweils „Betreiber“), 266a („Arbeitgeber“) oder 283 („Bankrotteur“) StGB stellen die „besonderen persönlichen Merkmale“ iSd § 14 Abs 1 StGB dar.420 Bei der Untreue gem § 266 StGB ist § 14 StGB grds nicht,421 aber etwa für das Handeln 101 eines Geschäftsführers heranzuziehen, der für eine mit der Wahrung fremder Vermögensinteressen betraute (Vermögensverwaltungs-)GmbH handelt und dafür sorgt, dass die GmbH ihre Vermögensbetreuungspflicht gegenüber dem Dritten verletzt; diesem Geschäftsführer ist unmittelbar selbst nicht die Pflicht zugeordnet, das verletzte Vermögen zu betreuen, so dass auf die Vertreterhaftung zurückgegriffen werden muss.422 c) Unwirksamkeit der Rechtshandlung Von strafrechtspraktisch geringerer Bedeutung ist § 14 Abs 3 StGB. Hiernach ist inbes 102 Abs 1 auch dann anzuwenden, wenn eine Rechtshandlung, welche die Vertretungsbefugnis begründen sollte, zwar vorliegt,423 aber unwirksam ist, der Vertreter aber wie ein

_____ 417 BGH wistra 2011, 311. Bestellt der Geschäftsführer für die GmbH Waren, obwohl er weiß, dass die GmbH – und nicht etwa er selbst – den Kaufpreis nicht wird bezahlen können, gibt es bzgl der Verwirklichung der Tatbestandsmerkmale des Betruges keine Probleme, vgl u Rn 147 f; kein Sonderdelikt ist auch § 264 Abs 1 Nr 1 StGB, so dass Täter nicht nur der Subventionsnehmer bzw dessen gesetzlicher Vertreter, sondern jedermann und daher auch ein faktischer Geschäftsführer sein kann, BGH v 28.5.2014 – 3 StR 206/13, Rn 16. 418 S/S/Perron Rn 13 zu § 14 StGB. 419 LK/B Schünemann Rn 1 zu § 14 StGB. 420 S/S/Perron Rn 5 zu § 14 StGB; Fischer Rn 1b, 3 zu § 14 StGB; LK/B Schünemann Rn 21 zu einem „Ausführer“ u „Verbringer“ nach §§ 34 AWG u 41 f jeweils zu § 14 StGB; MüKo/Radtke Rn 36, 38 zu § 14 StGB. 421 Auf § 14 StGB muss zumeist deshalb nicht zurückgegriffen werden, weil der Handelnde regelmäßig selbst in einer der tatbestandlich genannten Beziehungen zu dem geschädigten Vermögen steht. Der ordnungsgemäß bestellte Geschäftsführer kann über das Vermögen der GmbH gem § 35 GmbHG verfügen und wird daher vom Tatbestand des § 266 Abs 1 1. Alt StGB unmittelbar erfasst. Gleiches gilt, wenn der – einzelkaufmännische – Vermögensverwalter oder ein von ihm Bevollmächtigter oder Beauftragter eine pflichtwidrige, schadensverursachende Handlung gegen das anvertraute Vermögen begeht, LK/B Schünemann Rn 22 aE, 31, 41 zu § 14 StGB; vgl im Einzelnen u § 16 Rn 5 ff. 422 S/S/Perron Rn 5 aE zu § 14 StGB; aA BGH St 13, 330 mAnm Schröder JR 1960, 105; BGH MDR 1954, 495; sa unten § 16 Rn 5. Zu der Haftung eines Geschäftsführers einer GmbH & Co KG vgl LG Bonn NJW 1981, 469; zu der Vermögensbetreuungspflicht eines Insolvenzsachbearbeiters in einem Steuerberatungsbüro s BGH NStZ 2000, 375, 376. Zu Untreuehandlungen eines faktischen Geschäftsführers vgl u Rn 149 ff. 423 Also einen Gesellschafter o Dritten nach § 6 Abs 3 GmbHG im Gesellschaftsvertrag zu bestellen o im Handelsregister eintragen zu lassen.

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solcher handelt, also faktisch diese Stellung einnimmt. Begeht er in dieser Rolle eine Straftat, so wird er wie ein ordnungsgemäß bestellter Vertreter behandelt, dh strafrechtlich in die Pflicht genommen.424 Gleiches gilt beim Handeln eines Organs. Maßgeblich ist bei § 14 Abs 3 iVm Abs 1 StGB daher, ob von den Parteien ein rechtlich wirksamer Bestellungsakt gewollt war und versucht wurde, jedoch (unvorhergesehen und unbeabsichtigt) an förmlichen Gründen scheiterte. 425 Die strafrechtlich relevante faktische Geschäftsführung fällt nicht direkt unter § 14 Abs 3 StGB: Bei ihr ist eine Bestellung gerade nicht intendiert, ein hierauf zielender Akt „aus triftigen Gründen“ bewusst nicht versucht, vielmehr ein bzgl geschäftlicher Angelegenheiten eher schlichter „Strohmann“ als förmlicher Vertreter vorgeschoben worden.426 3. Haftung nach den Grundsätzen der faktischen Geschäftsführung427 a) Überblick 103 Das Ziel, Verantwortliche zur Haftung bei Missbrauch juristischer Personen428 heranzuziehen, kann somit weder § 14 Abs 1 noch Abs 3 iVm Abs 1 StGB in den Fällen erreichen, in denen die Übernahme einer Leitungstätigkeit in der GmbH ohne formelle Bestellung zum Geschäftsführer oder Eintragung in das Handelsregister erfolgt und ein förmlicher Bestellungsakt bewusst erst gar nicht versucht wurde.

_____ 424 Fischer Rn 18 zu § 14; Rn 2 zu § 75 StGB. 425 MüKo/Radtke Rn 112 f zu § 14 StGB; Lutter/Hommelhoff-Kleindiek Rn 49 Anh zu § 64 GmbHG; S/S/Perron Rn 42/43 zu § 14 StGB. Ein typischer fehlerhafter Bestellungsakt liegt vor, wenn statt der für die Bestellung von Geschäftsführern zuständigen Gesellschafterversammlung (§§ 45 Abs 2, 46 Nr 5 GmbHG) ein amtierender mit einem neuen Geschäftsführer einen (unwirksamen) Geschäftsführervertrag abschließt, BGH NJW 2000, 2983; Goette § 8 Rn 2 f. Zu den Voraussetzungen, unter welchen der fehlerhafte Akt dennoch Wirksamkeit entfalten kann, vgl BGHZ 65, 190, 194; BGH WM 1973, 506, 507. 426 LK/B Schünemann Rn 71 zu § 14 StGB; W/J/Raum Rn 4/13 f; /Pelz Rn 9/317; G/J/W/Waßmer 10 Rn 22 zu § 266 StGB; Scholz/Tiedemann-Rönnau Rn 20 zu § 84 GmbHG. Zum „Strohmann“ u VI. Rn 158 ff. Es ist die hM, die die Haftung des faktischen Geschäftsführers außerhalb des Anwendungsbereiches des § 14 Abs 3 StGB ansiedelt; zwingend ist dies nicht. Der Wortlaut spricht nicht dagegen, den faktischen Geschäftsführer unmittelbar § 14 Abs 3 StGB unterfallen zu lassen; vom Rechtsgedanken her verfolgt LK/Tiedemann Rn 70 vor § 283 StGB denselben Ansatz, in dem er in dem – auch konkludenten – Einverständnis der Gesellschafter einen –zumindest faktischen – Bestellungsakt sieht und damit § 14 Abs 3 StGB unmittelbar anwendet. Hierfür spricht ferner, dass es keiner weiteren Formerfordernisse für die Bestellung des Geschäftsführers bedarf; so hat seine Eintragung ins Handelsregister keine rechtsbegründende Wirkung, s.u. Rn 115f. 427 Die folgenden Grundsätze – dargestellt am Beispiel der GmbH – sind auch auf den Vorstand einer Aktiengesellschaft anzuwenden, RGSt 16, 269; 43, 407, 413; 64, 81; BGHSt 21, 101, 104. Während in der Lit mit verschiedenen Argumenten Kritik an dem Institut der faktischen Geschäftsführung als solchem geübt wird (Hoyer NStZ 1988, 369; Otto StV 1984, 462; Radtke NStZ 2003, 154; nach Scholz/Tiedemann-Rönnau Rn 17 ff, 21, 24 zu § 84 mwN stehen zumindest keine zwingenden verfassungsrechtlichen Gründe entgegen, so dass er die Zulässigkeit des Instituts bejaht), hält die Rspr seit RGSt 71, 112 an ihm fest, vgl etwa BGHSt 3, 32, 38; 6, 314, 315; 21, 101, 105; 31, 118, 122 f; DB 66, 1349, wobei sie in unterschiedlichem Umfang Unterstützung aus der Lit erhält, Fuhrmann FS Tröndle S 139, 144, 155 mwN; Bork WM 2014 1841, 1843; zum Streitstand M-G/Schmid/Fridrich Rn 30/65. Als Bsp für die abl Meinung etwa unterscheidet Lutter/Hommelhoff-Kleindiek Rn 6 u 23 zu § 64 u Rn 12 vor § 35, Rn 2 zu § 82 u Rn 3 zu § 84 GmbHG zwischen dem fehlerhaft bestellten Geschäftsführer, der einer Strafandrohung aller sich an den Geschäftsführer richtenden Straftatbeständen unterfalle u dem faktischen, der sich einen Strohmanngeschäftsführer halte. Die strafrechtliche Einbeziehung des Letzteren überschreite die Grenze der nach Art 103 Abs 2 GG noch zulässigen Auslegung. Wie § 6 Abs 5 GmbHG zeigt, der eine Haftung gerade für die Gesellschafter vorsieht, die einer amtsunfähigen Person die Führung der Geschäfte überlassen, hat sich der Gesetzgeber den Grundsätzen der Rspr zur faktischen Geschäftsführung angeschlossen, sa Lutter/Hommelhoff-Kleindiek Rn 53 zu § 6 u 49 Anh zu § 64 GmbHG. 428 M-G/Schmid/Fridrich Rn 30/56.

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Es handelt sich hierbei um die Fälle, in denen ein außerhalb des Vertretungsorgans 104 Stehender die Gesellschaft über den Kopf eines formell bestellten Geschäftsführers hinweg beherrscht, damit vorsätzlich für seine Person die Erfüllung der förmlichen Bestellungsvorschriften unterlässt, um sich hinter dem bestellten Geschäftsführer zu verstecken. Diese faktische Leitungstätigkeit üben meist Personen aus, welche zwar die Be- 105 schränkungen der Haftung einer juristischen Person nutzen wollen, die aber etwa den Makel fehlender Kreditwürdigkeit tragen, beamtenrechtlichen Nebentätigkeitsbeschränkungen unterliegen429 oder die die gem den §§ 8 Abs 3 S 1, 6 Abs 2 S 2 Nr 3 GmbHG erforderliche und durch § 82 Abs 1 Nr 5 GmbHG bei Falschangabe pönalisierte Versicherung nicht abgeben können, weil sie wegen einer der dort benannten Straftaten vorbestraft und damit amtsunfähig sind.430 Sie inthronisieren möglichst Unerfahrene, geschäftlich Unbedarfte als formelle Geschäftsführer der GmbH,431 die im Weiteren als „Strohleute“432 der die Geschäfte führenden Hintermänner fungieren. Betroffen ist hier der gesetzlich nicht (gesondert) geregelte Fall der faktischen Ge- 106 schäftsführung als ein Sonderfall des täterschaftlichen Handelns.433 Er beruht auf dem Gedanken, dass die strafrechtliche Verantwortung auch denjenigen treffen soll, der nicht als Geschäftsführer bestellt und auch nicht als solcher im Handelsregister eingetragen ist, der aber als verantwortlich Handelnder auftritt und die Gesetzesverletzung herbeiführt.434 Der faktisch Handelnde, der sich die organschaftlichen Rechte eines bestellten Geschäftsführers im Einvernehmen mit den Gesellschaftern anmaßt, soll sich nach diesen Grundsätzen bei Nichterfüllung der organschaftlichen Pflichten hinsichtlich der strafrechtlichen Verantwortung nicht hinter den zivilrechtlichen Verhältnissen435 verstecken und nicht darauf berufen können, er sei gar nicht zum Geschäftsführer bestellt worden.

b) Voraussetzungen der faktischen Geschäftsführung Ob jemand die tatsächliche Stellung eines Geschäftsführers innehat, müssen Strafverfol- 107 gungsbehörden und Gerichte anhand der Umstände und der Machtverhältnisse in der

_____ 429 Zu einem Bezirksschornsteinfegermeister vgl BGHSt 3, 32, 37. 430 Lutter/Hommelhoff-Kleindiek Rn 47 zu § 6 GmbHG; zur faktischen Geschäftsführung über eine eigens zum Zweck des Verstoßes gegen lebensmittelrechtliche Bestimmungen gegründeten AG BGHSt 21, 101, 102. Vor dem Hintergrund, dass ein amtierender Geschäftsführer in einem Zivilprozess der Gesellschaft, weil Organ, nicht als Zeuge, vielmehr nur als Partei vernommen werden darf, §§ 446 u 449 ZPO (Scholz/ U.H. Schneider-S.H. Schneider Rn 212 zu § 35 GmbHG), ist auch zu beobachten, dass dieser vor der Aussage formell abberufen wird, die Geschäfte aber faktisch unverändert weiter bestimmt. Missbräuchlich hierbei ist die Benennung als Zeuge, nicht die Abberufung. Seltener treten – nicht per se ehrenrührige – Fälle auf, in denen ein unerwarteter Anlass zu der Übernahme der faktischen Leitungstätigkeit führt, so durch Familienangehörige nach Tod, Unfall oder Krankheit des eigentlichen Organs, oder im Wege vorweggenommener Erbfolge. S a u VI. Rn 161. 431 Bei Personenidentität auch einer GmbH & Co KG. 432 S hierzu u VI. Rn 158 ff. 433 M-G/Schmid/Fridrich Rn 30/56 mwN. 434 BGHSt 3, 32, 37 f; 6, 314, 315; 21, 101, 105; BGHZ 104, 44, 47 f; s MüKo/Radtke Rn 113 zu § 14 StGB dazu, dass Strafbarkeitslücken zwar dann nicht vorliegen, wenn der faktische Geschäftsführer als Teilnehmer einer Straftat des Strohmannes belangt werden kann, dies aber nicht greift, wenn der Strohmann die formal eingenommene Position des Geschäftsführer gar nicht ausübt. Letzteres allerdings ist gerade praxisrelevant. 435 MüKo/Radtke Rn 109 zu § 14 StGB.

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Gesellschaft ermitteln. Die Rspr hat im Wesentlichen hierfür die Maßgabe entwickelt, dass der Handelnde in qualifizierter Intensität mit Zustimmung der zuständigen Organe Geschäftsführungsaufgaben wahrgenommen hat.436

aa) Tatsächliche Geschäftsleitung 108 Im Einzelnen ist Voraussetzung für die Haftung des Handelnden, dass er die Geschäfts-

leitung tatsächlich innegehabt und in Erfüllung dessen die maßgeblichen, für den wirtschaftlichen Fortbestand des Betriebes entscheidenden Dispositionen getroffen, also nach dem Gesamterscheinungsbild die Geschäfte „wie ein Geschäftsführer“ geführt hat.437 Die geschäftsführende Tätigkeit muss von gewisser Dauer438 gewesen, der Handelnde betriebsintern und/oder nach außen439 verantwortlich aufgetreten sein und auf wichtige Geschäftsvorfälle bestimmenden Einfluss genommen haben.440 109 Die einzelnen Tätigkeiten des Handelnden sind allerdings nicht mehr als Beweisanzeichen. Erst eine Gesamtschau lässt einen verlässlichen Schluss darauf zu, ob jemand faktischer Geschäftsführer war.441 110 Typische Tätigkeiten stellen dar der Abschluss von den Geschäftsumfang bestimmenden Verträgen, das Einstellen und das Entlassen von Arbeitnehmern,442 das Verfas-

_____ 436 BGHSt 31, 118, 122; MüKo/Radtke Rn 45, 114 zu § 14 StGB. Das Institut der faktischen Geschäftsführung ist auch im Zivilrecht etwa bei der Bestimmung der Normadressaten der §§ 823 Abs 2 BGB iVm 266a StGB, 92 Abs 2 AktG, 15a InsO (bis 31.10.2008 64 GmbHG), 130a, 177a HGB anerkannt, BGH v 11.6.2013 – II ZR 389/12, Rn 23; BGHZ 75, 96, 106; 104, 44, 46; NJW 2002, 1803, 1805; KG NZG 2000, 1228; so hat eine GmbH nach den §§ 43 GmbHG, 890 ZPO, 276 BGB einen Verstoß gegen eine Unterlassungsverfügung zu vertreten, von der nur – aufgrund Organisationsverschulden des satzungsmäßigen Geschäftsführers – der faktische Geschäftsführer Kenntnis erlangt hatte, OLG Jena NJ 2002, 158; ausführlich zur Rechtsfigur der faktischen Geschäftsführung im Zivilrecht Bork WM 2014, 1841, 1842. Auch die Finanzrechtsprechung erkennt das Institut an; sie stellt für die Frage, ob jemand faktisch wie ein Organmitglied gehandelt hat, darauf ab, ob er nach außen so auftritt, als könne er umfassend über fremdes Vermögen verfügen, wobei bereits eine beherrschende Stellung als Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft eine Verfügungsberechtigung idS vermitteln könne, zuletzt FG Köln vom 17.1.2014 – 13 V 3359/13, Rn 38 mwN. 437 BGHZ 104, 44, 49; FG Münster v 27.1.2016 – 10 K 1167/13, Rn 39 ff; LG Hannover v 8.2.2016 – 1 O 169/13, Rn 18. 438 Der Nachweis der dauerhaften Übernahme der Verantwortlichkeit fällt erfahrungsgemäß schwer. Mit von ihnen unterschriebenen Urkunden u Zeugenaussagen von Vertretern von Banken u Krankenkassen konfrontiert, räumen die Beschuldigten die faktische Leitung zwar ein, allerdings mit der häufig zu hörenden Einschränkung, sie hätten die Aufgabe nur punktuell zur Problemlösung in gerade diesem Fall übernommen. 439 BGH NJW 2002, 1803, 1805; OLG Brandenburg ZInsO 2001, 76, 78. 440 BGHSt 31, 118, 122. 441 Ebd; OLG Brandenburg ZInsO 2001, 76, 79; die Tätigkeiten, die dem Gericht eine Subsumtion unter den auszufüllenden Begriff der „faktischen Geschäftsführung“ erlauben, müssen keine rechtmäßigen sein: So kann das eigentliche – legale – Baugeschäft einer Firma untergeordnet betrieben worden sein, der Handelnde aber zur Verschaffung von Wettbewerbsvorteilen und damit Gewinnmaximierung einen überragenden Beitrag dazu geleistet haben, dass Arbeitnehmer in zu geringem Umfang dem Finanzamt gemeldet und zu niedrige Angaben über deren Löhne und die Umsätze des Unternehmens gemacht und Scheinrechnungen angeblicher Subunternehmer selbst gefertigt und eingereicht wurden, LG Duisburg v 10.3.2014 – 34 KLs 144 Js 53/12, Rn 39 f. Gleiches gilt, wenn der Handelnde aufwändig ein nach außen aufgebautes Täuschungsszenario darstellt, vermittels dessen künstlich zwischengeschaltete (Briefkasten-)Subunternehmer Baukosten auf dem Papier erhöhen, um erhöhte Fördermittel zu erhalten, etwa durch Schriftverkehr unter Briefköpfen verschiedener Firmen, um tatsächlich geschlossene und vollzogene Verträge vorzutäuschen, BGH v 28.5.2014 – 3 StR 206/13, Rn 3, 14. 442 Wie bei dem Institut der faktischen Geschäftsführung insgesamt kommt es auch hier nur auf das Handeln als solches an. Ob die Verträge zivilrechtlich wirksam oder als sog „Schwarzlohnabrede“, auf-

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sen von Zeugnissen oder Arbeitszeitregelungen im eigenen Namen, das Betrauen eines Steuerberaters mit der Führung der Geschäftsbücher, die Erteilung von Buchungsanweisungen, die Festsetzung von Provisionssätzen,443 die Teilnahme an Betriebsratssitzungen, die Wortwahl des Handelnden – etwa: „unsere“ Belegschaft, „mein“ Unternehmen (als Zeichen dafür, dass er sich mit dem Geschäft identifiziert444 und sich als dessen „Seele“445 sieht) –, sein erkennbares Bemühen, aktuelle Anforderungen des Gesetzgebers oder der Rspr umzusetzen, so Compliance-Vorgaben zur Haftungsvermeidung der Firma einzuführen, das öffentliche Auftreten, etwa sich auf Seminaren als „Gründer“ vorstellen zu lassen,446 Akquise und Abwicklung von Aufträgen, ferner das Führen von Kreditverhandlungen mit Banken447 oder Preisverhandlungen mit Kunden, das Treffen von Stundungsabreden mit Geschäftspartnern oder Krankenkassen, das Zeichnen wichtiger ausgehender Schriftstücke im Namen der Gesellschaft, das Handeln mit einer vom als Geschäftsführer im Handelsregister eingetragenen Strohmann ausgestellten Generalvollmacht,448 die Vertretung der Gesellschaft in gerichtlichen Verfahren oder die Erteilung von Vollmachten gem § 167 BGB, die Teilnahme an Außenprüfungen des Finanzamtes449 oder auch die alleinverantwortliche Gründung von Tochtergesellschaften und die Einsetzung von „Scheingesellschaftern“, die tatsächlich Strohmänner des faktischen Geschäftsführers sind.450 Auch Art, Höhe oder sogar Bezeichnung451 einer Bezahlung durch das Unterneh- 111 men, auch für Verhandlung und Abschluss von (Grundstücks-)Veräußerungsverträgen nach Beendigung der werbenden Tätigkeit der Firma, kann Aufschluss über eine faktische Leitung geben. Hinsichtlich der Höhe gilt dies etwa, wenn der Lohn des faktischen Geschäftsführers, der sich hinter der Fassade eines „einfachen“ Mitarbeiters versteckt, vor einem legalen Hintergrund nicht mehr nachvollziehbar ist, etwa weil er in keinem

_____ grund derer der faktisch Handelnde als Arbeitgeber keinerlei Lohnsteuer u Sozialversicherungsbeiträge abführt u der Arbeitnehmer die Einkünfte nicht erklärt, bemakelt sind (etwa BGH v 8.2.2011 – 1 StR 651/10; sa BGH v 11.6.2015 – VII ZR 216/14), ist ohne Belang. 443 HessVGH v 4.3.2014– 6 B 2049/13. 444 BGHSt 31, 118, 119. 445 BGHSt 3, 32, 37; bei der reinen Wortlautprüfung ist natürlich Vorsicht geboten: So weist das LG Bonn – v 26.3.2014, 2 O 568/11 – zu Recht darauf hin, dass die Äußerung, jemand „werde die Sache schon richten“, nicht dazu führt, dass er die Geschicke einer GmbH leiten würde; als Zusicherung eines Vertreters einer kreditbegleitenden Bank bedeute dies lediglich, dass sie sich um die finanzielle Ausgestaltung, also etwa die Darlehensgewährung, kümmern werde. 446 HessVGH v 4.3.2014 – 6 B 2049/13. 447 BGH v 11.7.2005 – II ZR 235/03, Rn 11; ungewöhnlich, aber natürlich für die Einschätzung sehr hilfreich ist der Umstand, dass nur der faktische Geschäftsführer Bankvollmacht über das einzige Gesellschaftskonto hat. 448 BGHSt 3, 32, 37 ff; 31, 118, 119 ff. Ein für Strafverfolgungsbehörden vielversprechender Hinweis liegt in dem gegenüber dem Vertreter einer kreditierenden Bank geäußerten Wunsch einer Ehefrau, ihr Ehemann möge an diesem Gespräch teilnehmen, da dieser tatsächlich die treibende Kraft im Geschäft sei, wegen eines früheren Insolvenzverfahrens aber nicht als Firmeninhaber auftreten dürfe, u sie selbst nur formell die Geschäfte führe, BGHSt 31, 118, 119. 449 FG Köln vom 17.1.2014 – 13 V 3359/13, Rn 38. Ein Indiz für die Übernahme faktischer Tätigkeit kann auch sein, wenn die Beteiligten in der Vergangenheit bereits die rechtliche Einschätzung des Finanzamtes akzeptiert haben, einer von zwei Handelnden sei faktischer und der andere tatsächlicher Geschäftsführer, FG Münster v 27.1.2016 – 10 K 1167/13, Rn 39 ff, 43. 450 BGHSt 21, 101 ff. 451 Verräterisch und für Strafverfolgungsbehörden arbeitserleichternd ist, wenn der nach außen hin nur untergeordnet Tätige – als Hausmeister, Haustechniker, Reinigungskraft –, tatsächlich aber faktische Geschäftsführer ein „Beraterhonorar“ aufgrund eines eigens geschlossenen Vertrages erhält, der aufgrund einer Durchsuchung offenbar geworden ist; Hausmeister etc „beraten“ gemeinhin nicht.

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vernünftigen Verhältnis zu der Gewinnsituation und dem sonstigen Lohngefüge der Firma steht und er sich auch in Ansehung eines evtl überobligatorischen Einsatzes weit von dem einschlägigen Mindest- oder Tariflohn entfernt hat, inbes wenn sein Lohn den des Strohmannes (spürbar) übersteigt. Andererseits kann für eine Verschleierung der wahren Aufgabenverteilung sprechen, dass der faktisch Handelnde für angebliche Botenund Hausmeistertätigkeiten nur einen geringen Lohn bezieht, der seinen Einsatz für das Unternehmen, wie ihn etwa Zeugen schildern, in keiner Weise erfasst, der ihn aber nach außen als „kleinen“ Angestellten ohne Verantwortung erscheinen lässt.452 Ein weiteres Beweiszeichen kann im Rahmen einer Negativabgrenzung die Verneinung der Frage sein, ob es in der Firma neben dem faktisch Handelnden qualifiziertes Führungspersonal und eine funktionierende Geschäftsleitung gegeben hat, ob mithin eine Dritten formell eingeräumte Machtstellung von diesen Dritten auch inhaltlich ausgefüllt wurde.453 Das ist nicht der Fall, wenn – der formellen Geschäftsführung buchhalterische, operative oder fachspezifische Vorgänge fremd sind und ihr inhaltlich nicht bekannte wichtige Verträge nur in den Fällen zur Unterschrift vorgelegt wurden, bei denen die Vorlage aus Gründen zivilrechtlicher Formerfordernisse (zB § 311b Abs 1 BGB) unumgänglich war, – Gesellschafter, Vorstand oder Aufsichtsrat den Informationsfluss in der Gesellschaft derart kanalisiert haben, dass allein das faktische Organ noch über die Informationen verfügt, um die Vermögenssituation der Gesellschaft, die Entwicklung der Liquidität oder den Wert des Anlagevermögens beurteilen zu können.454 Hat bei einer derartigen Gestaltung der faktische Vertreter die interne Entscheidung getroffen, den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen, besagt es nichts, dass der Antrag durch die formellen Geschäftsführer selbst oder aber in deren Namen oder aufgrund besonderer Vollmacht durch den faktischen Vertreter gestellt wird. Denn hierdurch ändert sich nichts an der Machtstellung des faktisch Handelnden, vielmehr wird nur dem Mangel abgeholfen, dass er nach außen hin keine ohne weiteres rechtlich nachvollziehbare Organstellung einnimmt.455 112 Die nur sporadische Anwesenheit des Handelnden am Geschäftssitz steht der Annah-

me nicht entgegen, dass er die Firma tatsächlich leitet. Denn die lückenhafte Anwesenheit gibt nur Aufschluss darüber, dass er die laufenden Routineangelegenheiten nicht

_____ 452 BGHSt 31, 118, 121; dies betrifft die Fälle, in denen der faktische Geschäftsführer unmittelbar oder mittelbar – über Ehefrau, sonstige Verwandte – am Gesellschaftsvermögen beteiligt ist; ansonsten würde es wohl an einem Motiv für die Inanspruchnahme eines zu geringen Lohnes fehlen. 453 Nachdem in dem BGHSt 21, 101, 106 zugrunde liegendem Fall als Vorstandsmitglieder eingesetzte Strohleute erstmalig eine eigene Entscheidung erwogen – Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens –, wurden sie vom Hintermann sofort abberufen u „… gegen dessen Privatjäger u Bonbon-Koch …“ als willfährige Werkzeuge ersetzt; in dem Ausgangsfall für BGH v 28.5.2014 – 3 StR 206/13 – war es eine vorgeschaltete Studentin, die ihr Studium nicht bestritt, und die für die Geschäftsführertätigkeit keine Einkünfte erhielt, sondern vom faktischen Geschäftsführer nebenbei „unterstützt“ wurde; sa FG Köln vom 17.1.2014 aaO Rn 41 (o Rn 110); ein bedeutsamer Hinweis für die Negativabgrenzung ist auch, dass die bestellte Geschäftsführerin keinen adäquaten Anstellungsvertrag, sondern einen als „Hauswirtschaftskraft und Bürotätigkeit“ hat, LG Berlin v 29.1.2014 – 86 O 163/13, Rn 20. Weder im Zivil- noch im Strafrecht ist es allerdings erforderlich, dass der faktisch Handelnde die gesetzliche Geschäftsführung völlig verdrängt. Es reicht, wenn er im maßgeblichen Umfang Geschäftsführerfunktionen übernommen hat, wie sie für den Geschäftsführer kennzeichnend sind, BGH v 8.9.2010 – 7 U 2568/10, Rn 69. 454 Hierzu KG NZG 2000, 1228, 1230. 455 KG aaO. Zu diesbezüglichen Ermittlungspflichten des Insolvenzgerichtes s u Rn 145.

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erledigt. Sie schließt nicht aus, dass er nach den genannten Kriterien die maßgebliche Geschäftsleitung innehat.456 Die zusammenfassende Würdigung der einzelnen Beweisanzeichen hat stets im 113 Lichte der Vorgaben der Rspr zu erfolgen, wonach die Allgemeinheit einen Anspruch auf Schutz vor unredlicher Handhabung der Geschäftsführung der Gesellschaft hat.457 Ein „Weniger“ in der Übernahme der faktischen Leitung in einem Bereich kann daher durch ein Beteiligungs- „Mehr“ auf anderer Ebene ausgeglichen werden. Nur dieser Ansatz erfasst das strafwürdige Verhalten etwa eines „Paten“, der eine arbeitsteilige Organisation (bzw hier: Firma) beherrscht, aber gänzlich aus dem Hintergrund heraus Weisungen erteilt und den formellen Geschäftsführern Zustimmungsvorbehalte auferlegt. Es gilt Vergleichbares wie bei der Verteilung der Tatbeiträge im Rahmen der mittelbaren sowie der Mittäterschaft des § 25 Abs 1 und 2 StGB: (Mit-)Täter ist auch der sich zwar im Hintergrund haltende, an der konkreten Tat möglicherweise nur in geringfügiger Weise beteiligte, aber mit Organisationsmacht und Entscheidungskraft versehene „spiritus rector“, dem die Handlungen der übrigen Mitwirkenden als eigene zugerechnet werden; die Tathandlung ist hierbei nicht in dem bloßen körperlichen Vollzug, sondern in der Ausübung organisatorischer Leitungs- und Entscheidungsmacht zu sehen.458 Mittelbarer Täter ist daher auch derjenige, der die Tat nicht unmittelbar begeht, der aber durch Organisationsstrukturen bestimmte Rahmenbedingungen – staatliche Machtbefugnisse, mafiaähnlich organisierte Verbrechen oder mit strengem Befehls- und Gehorsamsgefüge geführte wirtschaftliche Unternehmen – ausnutzt, um die Tat begehen zu lassen, sofern zwischen ihm und dem unmittelbar Handelnden ein hinlänglich deutlicher räumlicher, zeitlicher und hierarchischer Abstand besteht.459 Dies gilt etwa für den Hintermann, der weiß, dass aufgrund der speziellen Organisationsstruktur seine Anordnungen regelmäßig ausgeführt werden.460 Für das Institut der faktischen Geschäftsführung im Wirtschaftsleben bedeutet dies, dass etwa für die faktische Übernahme der Leitungstätigkeit in einer GmbH ein Auftreten als Organ nach außen dann nicht erforderlich ist, wenn bereits die im Innenbereich ausgeübten Funktionen eindeutig der Geschäftsführungsebene zuzuordnen sind und der faktisch Handelnde weiß, dass die (formelle) loyale Führungsebene seinen Anordnungen regelmäßig nachkommt.461

_____ 456 BGHZ 104, 44, 49. Im Internet-Zeitalter dürfte dies ohnehin selbstverständlich sein. 457 BGHSt 31, 118, 122; 46, 62, 65. 458 Fischer Rn 11 ff zu § 25 StGB mwN; LK/B Schünemann Rn 30 zu § 14 StGB. In diese Richtung geht auch die Entscheidung des BGH v 20.10.2011 – 4 StR 71/11, juris Rn 13 ff, wonach der Geschäftsführer iR seiner Garantenpflicht für sog „betriebsbezogene Straftaten“ haftet, wenn diese Ausfluss der Firmenpolitik sind – Mobbing, Schikanen, Körperverletzungen –, um einen unliebsamen Mitarbeiter zur Kündigung zu bewegen, o die Täter ihnen gerade durch die Firmenstruktur eingeräumte Machtbefugnisse missbrauchen; selbst Hand anlegen muss der (faktische) Geschäftsführer bei den (dort abzuurteilenden, allerdings nicht „betriebsbezogenen“ Körperverletzungs- o Nötigungs-)Handlungen also gerade nicht! 459 BGH v 2.11.2007 – 2 StR 384/07, Rn 7; St 40, 218, 235, 236 (Täterschaft der Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrates der DDR, sa u Rn 148). Zur Abgrenzung zwischen mittelbarer Täterschaft unter dem Begriff des Organisationsdeliktes u einem gemeinschaftlichen Handeln gem § 25 Abs 2 StGB s S/S/HeineWeißer Rn 6 ff, 30 u 68 zu § 25 StGB, die aber die Gefahr sehen, dass das Institut der „Organisationsherrschaft“ jede irgendwie geartete soziale Verantwortung der Leitungsebene einer beliebigen Organisation dazu benutzt wird, diese als Tatherrschaft zu qualifizieren. 460 BGHSt 40, 218, 235, 236. In der Entscheidung St 45, 270 ff hat der BGH ausdrücklich auf diese Wertung Bezug genommen. 461 So kann es für seine Strafbarkeit als Täter/Mittäter ausreichen, wenn sich die Tatbeiträge des Hintermannes darin erschöpfen, dass er an der Entwicklung des gemeinsamen Tatplanes mitwirkt, den Tatentschluss mit fasst, die aufgrund dieses Tatplanes von Anderen begangen Straftaten (etwa: Einreichen

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„Weisungen“ eines Gesellschafters an den Geschäftsführer, mögen sie in noch so großer Anzahl und Intensität erteilt werden, sind aber stets vor dem gesellschaftsrechtlichen Hintergrund zu bewerten, sie taugen nur in engem Rahmen als Beweisanzeichen für die Übernahme der faktischen Geschäftsführung: Denn einerseits ist dem Geschäftsführer die laufende Geschäftsführung zugeordnet; andererseits bestimmen aber das Weisungsrecht von Gesellschaftern und die Folgepflicht der Geschäftsführer den Grundaufbau einer GmbH.462 Als überzeugende Beweisanzeichen kommen daher nur – fehlerhafte Weisungen – die die Auszahlung stammkapitalerhaltenden Vermögens entgegen § 30 GmbHG an die Gesellschafter (den/die Anweisenden selbst!) oder entgegen § 64 GmbHG vorsehen –463 oder – exzessive, ins Einzelne gehende, den Geschäftsführer als reines Exekutivorgan mit der Folge eines „rigiden Machtentzugs“ degradierende Weisungen nur eines Gesellschafters in Betracht, die zudem mündlich und damit nicht nachvollziehbar und unter Verstoß gegen § 47 Abs 1 GmbHG erteilt werden, wonach die Gesellschafterversammlung Weisungen zu beschließen hat.464 114 Für den II. Zivilsenat des BGH kommt es bei der Beurteilung der Frage, ob jemand fak-

tisch wie ein Organmitglied handelt und haftet, auf das Gesamterscheinungsbild von dessen Auftreten an.465 Hierzu gehöre auch maßgeblich ein Handeln im Außenverhältnis, das die Tätigkeit des Organs nachhaltig präge, so dass eine rein interne Einwirkung eines Dritten auf die Geschäftsführer nicht zu einer haftungsbegründenden Stellung als

_____ von Scheinrechnungen) mit trägt u er sich über den Fortgang der Handlungen unterrichten lässt, BGH v 3.3.2016 – 4 StR 134/15; seine Taten sind dann als „uneigentliches Organisationsdelikt“ zu einer einheitlichen Tat zusammenzufassen. Sa LK/B Schünemann Rn 67, 73 zu § 14 StGB; aA Scholz/Tiedemann-Rönnau Rn 26 zu § 84 GmbHG unter Hinweis auf den Wortlaut von § 37 Abs 2 S 1 GmbHG. Dem hier vertretenen Ansatz ähnlich ist die Rspr zu § 13 VerkProspG, wonach eine Prospekthaftung den trifft, von dem der Prospekt ausgeht; als sog „Hintermänner“ haften auch die Personen, die hinter der Gesellschaft stehen u auf ihr Geschäftsgebaren o die Gestaltung besonderen Einfluss nehmen, auch wenn sie in dieser Einflussnahme nicht nach außen in Erscheinung treten, OLG Hamm v 5.2.2015 – 34 U 265/12, juris Rn 154 mwN. 462 Lutter/Hommelhoff-Kleindiek Rn 17 f zu § 37 GmbHG; Scholz/UH Schneider-SH Schneider Rn 1 zu § 37 GmbHG. 463 Scholz/UH Schneider-SH Schneider Rn 61 zu § 37 GmbHG. 464 M-G/Schmid/Fridrich Rn 30/62; Scholz/UH Schneider-SH Schneider Rn 38, 46 zu § 37 GmbHG. In die strafrechtliche Würdigung ist einzubeziehen, wenn die Gesellschafterversammlung – zulässigerweise – durch Beschluss nach § 47 GmbHG das Weisungsrecht auf einen Gesellschafter übertragen hat. 465 BGH v 11.7.2005 – II ZR 235/03, Rn 8; v 27.6.2005 – II ZR 113/03, Rn 8 ff; NJW 2002, 1803, 1805; so a OLG München v 14.3.2011 – 21 U 4114/10, Rn 19. Der VII. Zivilsenat des OLG München, Urt v 8.9.2010 – 7 U 2568/10, Rn 67 ff, bejaht dies jedenfalls für den Anwendungsbereich des § 64 Abs 2 GmbHG (für Sachverhalte ab dem 1.11.2008 § 15a InsO) u damit den Fall, dass der faktische Geschäftsführer wegen eigener Investitionen ein erhebliches Interesse an der Konsolidierung bzw Rettung des angeschlagenen Unternehmens hat u gerade deswegen von außen in die Belange der eigentlichen Geschäftsführung eingreift. Mit ähnlicher Begründung verneint der BGH vom 11.2.2008 – II ZR 291/06, Rn 5 – die Stellung u damit Haftung als faktischer Geschäftsführer, wenn sich der Handelnde die Verfügungsgewalt über das Gesellschaftskonto – berechtigt – zu Sicherungszwecken vorbehalten hatte. Diese Einschränkungen werden zu Recht kritisiert. Lutter/Hommelhoff-Kleindiek, Rn 11 zu § 35 mwN, etwa hält das Erfordernis eines Handelns im Außenverhältnis nicht als schlechterdings zwingendes Tatbestandsmerkmal einer faktischen Geschäftsführung. Kleinschmidt/Dinh Van sieht in der Restriktion einen Freibrief für Dritte, ohne Folgen im eigenen Interesse Einfluss auf die Geschäftsführung nehmen zu können, Anm zu OLG München v 8.9.2010, juris. In der Tat ist die Einschränkung bedenklich, weil sie den faktischen Unternehmensleiter, der einen Strohmann vorschiebt, belohnt. In seiner Entscheidung v 11.6.2013 – II ZR 389/12, Rn 23 – verwendet der II. Zivilsenat für die Einstufung eines Handelnden als faktischer Geschäftsführer dann aber die von den Strafsenaten des BGH in stRspr vertretene Definition, ohne auf mögliche Einschränkungen einzugehen.

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faktisches Organ führe, sei diese auch von einiger Intensität und führe etwa dazu, dass der eingetragene Geschäftsführer zu einem reinen Befehlsempfänger degradiert werde. Wenn auch das Institut der faktischen Geschäftsführung im Zivilrecht anerkannt ist466 und grundsätzlich Kongruenz mit den durch die Rspr für das Strafrecht entwickelten Vorgaben besteht, kann diese Ansicht des II. Zivilsenates angesichts der vorgestellten Grundsätze zur Verteilung der Tatbeiträge und der Entscheidung des 3. Senats vom 22.9.1982467 nicht für das Strafrecht gelten. Der ua in dieser Entscheidung erwähnte Schutz des Geschäftsverkehrs vor unredlicher Handhabung der Geschäftsführung kann nicht gewährleistet werden, wenn der praxisrelevante Bereich der Hintermänner ausgenommen wird. Diese sollen wirtschaftliche Macht und rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten gerade nicht als „Schild“ vor sich her tragen können. Vielmehr soll in Erkennung der wahren Sachlage der strafrechtliche Durchgriff auf den tatsächlich Verantwortlichen möglich sein.468

bb) Einverständnis der Gesellschafter Weitere Voraussetzung der Strafbarkeit des Handelnden ist, dass ihm das Amt durch die 115 Zuständigen angetragen worden war,469 er sich die Unternehmensführung mithin nicht einseitig angemaßt hatte. Grund hierfür ist, dass die strafrechtliche Verantwortlichkeit an die Übernahme einer Herrschaftsposition geknüpft ist, welche sich von demjenigen ableitet, der für die rechtswirksame Bestellung in die Position zuständig wäre. Zuständig für die formelle Berufung eines Geschäftsführers sind die Gesellschafter, so dass ohne deren Kenntnis – und zumindest Duldung – eine faktische Geschäftsführung nicht möglich ist.470 Ausreichend dafür ist jedoch, dass der faktisch Handelnde die tatsächliche Geschäftsführerstellung im – ebenfalls tatsächlichen – Einverständnis der (Mehrheits471-)Gesellschafter bzw des zuständigen Gesellschaftsorgans mit dem faktischen Handeln eingenommen hatte,472 die Zuständigen sein Auftreten also mindestens duldeten.

_____ 466 Vgl o Rn 107. 467 BGHSt 31, 118, 122; vgl o Rn 113. 468 BGHSt 21, 101, 105. Die Entscheidung betont unter Hinweis auf BGHZ 31, 258, dass dies auch für den zivilrechtlichen Durchgriff gelten müsse, eine Vorgabe, mit der sich der II. Zivilsenat in der genannten Entscheidung nicht auseinandergesetzt hat. 469 Scholz/Tiedemann-Rönnau Rn 23f zu § 84 GmbHG. 470 RGSt 71, 112; 72, 191; BGHSt 3, 32, 38; 21, 101,104; 31, 118, 122; NStZ 2000, 34, 35 mwN; LK/B Schünemann Rn 71, 73 zu § 14 StGB mwN; MüKo/Radtke Rn 116 zu § 14 StGB. 471 LK/B Schünemann Rn 71, 73 zu § 14 StGB; M-G/Richter Rn 81/49. Die einfache Mehrheit der Gesellschafter ist nach §§ 6 Abs 3 S 2, 47 Abs 1, 2 iVm 46 Nr 5 GmbHG ausreichend, um formell einen Geschäftsführer zu bestellen, so dass nicht einzusehen ist, warum bzgl des Einverständnisses mit der faktischen Leitung höhere Anforderungen zu stellen sein sollen, so aber Scholz/Tiedemann-Rönnau Rn 24 zu § 84 GmbHG. 472 BGHSt 3, 32, 38; 21, 101, 103, 104; 31, 118, 122; NStZ 2000, 34, 35; StV 1984, 461 mAnm Otto; W/J/Pelz Rn 9/325; H Schäfer wistra 1990, 81, 82; aA Hoyer, NStZ 1988, 369, der einen formellen Bestellungsakt verlangt. Dies widerlegt LK/B Schünemann, Rn 71, 72 zu § 14 StGB unter Hinweis auf BGHZ 65, 15, 19; 95, 330; 104, 44, 46 ff, überzeugend mit der Erwägung, dass es atavistisch anmute, im Strafrecht formeller zu verfahren als im Zivilrecht, das den informellen faktischen Geschäftsführer als Normadressat der Antragspflicht der §§ 15a InsO, 130a, 177a HGB längst anerkenne. In dem Einverständnis der Gesellschafter kann auch ein – zumindest faktischer – Bestellungsakt mit der Folge gesehen werden, dass § 14 Abs 3 StGB unmittelbar angewandt werden kann, so zu Recht LK/Tiedemann Rn 70 vor § 283 StGB (s bereits o Rn 102 mAnm). Das Tatbestandsmerkmal „Gesellschafter“ kann natürlich nur bei einer GmbH erfüllt sein; bei

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Der Einhaltung weiterer Formerfordernisse bedarf es nicht, die Eintragung in das Handelsregister hat für die Bestellung eines Geschäftsführers ohnehin keine rechtsbegründende Wirkung, §§ 10, 39 GmbHG.473

cc) Tatsächliche Verfügungsmacht 117 Ebenso wenig wie für die Ausfüllung der tatsächlichen Geschäftsführung durch einen

Handelnden kommt es bei den einzelnen Tätigkeitsmerkmalen darauf an, ob die Rechte förmlich übertragen wurden. Deshalb bedarf es nicht zwingend einer durch den förmlichen Geschäftsführer bei der Geschäftsbank hinterlegten Konto- oder gar einer notariellen Vollmacht.474 Maßgeblich ist vielmehr die tatsächliche Verfügungsmacht über das Geschäftskonto. Sie kann dem faktischen Geschäftsführer auch zB aufgrund der ständigen Bereitschaft des eingetragenen Geschäftsführers zu wunschgemäßen Verfügungen zustehen. Wenn regelmäßig das formelle Organ zeichnet, so steht das also der Annahme der faktischen Geschäftsführung eines Dritten nicht notwendig entgegen.475

c) Strafrechtliche Haftung des faktisch Handelnden 118 Die strafrechtliche Haftung des faktisch Handelnden ist stets unabhängig von der des 119

förmlichen Geschäftsführers zu beurteilen.476 So bleibt zum einen die sich nach den allg Vorschriften begründende Strafbarkeit der vorgeschobenen formellen Geschäftsführer – der Strohleute – von den Grundsätzen der faktischen Geschäftsführung unberührt.477 Die strafrechtliche Haftung des tatsächlich Handelnden ist nur eine ergänzende.478

_____ einer AG kann nicht auf Aktionäre abgestellt werden, hier kommt der Aufsichtsrat in Betracht, Bork WM 2014, 1841, 1842. 473 BGHSt 3, 32, 37 f mwN; Scholz/Tiedemann-Rönnau Rn 16 zu § 84 GmbHG; M-G/Richter Rn 81/46. 474 BGHSt 6, 314, 316. 475 BGHSt 31, 118, 121; auch H Schäfer wistra 1990, 81, 82. 476 Nach hier vertretener Auffassung gilt die strafrechtliche Haftung auch für einen Mit- oder stellvertretenden faktischen Geschäftsführer, sobald die genannten Kriterien auf sie zutreffen und sie mit dem faktischen Geschäftsführer gemeinschaftlich oder in dessen Abwesenheit handeln, sa M-G/Schmid Rn 81/ 50. 477 BGHSt 21, 101, 105; 3, 33, 37; M-G/Schmid/Ludwig Rn 29/26 ff u/Schmid/Fridrich Rn 30/63. Jedenfalls für die Haftung nach § 84 GmbHG (seit 1.11.2008 § 15a InSO) auch Scholz/Tiedemann-Rönnau Rn 27 zu § 84 GmbHG. Je nach Ausmaß von dessen Kenntnisstand u Befugnissen kann hinsichtlich des formellen Geschäftsführers eine Einstellung gem §§ 153, 153a StPO als sachgerecht erscheinen. Zum Strohmann s u VI. Rn 158 ff. 478 Allg Meinung, etwa Hildesheim wistra 1993, 166; Scholz/Tiedemann-Rönnau Rn 27 zu § 84 GmbHG. Nach Auffassung des OLG Hamm, NStZ-RR 2001, 173, 174, u des KG, wistra 2002, 313, 314 f, trifft den vorgeschobenen formellen Geschäftsführer eine strafrechtliche Verantwortlichkeit (dort: wegen Nichtabführens von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung gem § 266a StGB) nur dann, wenn er im Innenverhältnis noch mit tatsächlichen Befugnissen u der Kompetenz ausgestattet ist, auf die rechtliche u wirtschaftliche Entwicklung der Gesellschaft Einfluss zu nehmen. Allein der durch den bloßen Formalakt der Bestellung u Eintragung in das Handelsregister erzeugte Rechtsschein genüge nicht für die Strafbarkeit, wenn dem formellen Geschäftsführer wie hier das normgemäße Handeln „unmöglich“ sei. Für LK/B Schünemann Rn 75 zu § 14 StGB ist es zweifelhaft, ob der reine Strohmann neben einem die Geschäfte allein besorgenden faktischen Geschäftsführer noch als Normadressat anzusprechen ist. Die Auffassungen gehen von einem falschen Verständnis des § 35 GmbHG aus. Die Norm verleiht dem formellen Geschäftsführer eine organschaftliche Alleinzuständigkeit mit unbeschränkter u unbeschränkbarer (§ 37 Abs 2 GmbHG) Vertretungsmacht, Lutter/Hommelhoff-Kleindiek Rn 1 f, 9 zu § 35; Rn 2 zu § 41 GmbHG. Ein Handeln, das dem Geschäftsführer aufgrund dieser Organstellung obliegt u zu dem er allein deswegen bereits in der Lage ist,

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Zum anderen hindert eine Bestrafung des zum Geschäftsführer Bestellten die Strafverfolgung des faktischen Geschäftsführers nicht.479 Die Anforderungen an die Annahme faktischer Geschäftsführung neben einem bestellten Geschäftsführer werden innerhalb der Rspr und in der Lit nicht einheitlich formuliert.480 Bereits das RG sah im Hinblick auf das verfassungsrechtlich garantierte Analogieverbot (jetzt Art 103 Abs 2 GG) zur Vermeidung einer unzulässigen Strafbarkeitsausweitung eine restriktive Handhabung als geboten an, wenn neben dem formell wirksam bestellten Mitglied der Geschäftsleitung die strafrechtliche Haftung auch einen faktisch Handelnden treffen sollte.481 Der 3. Strafsenat des BGH verlangt, dass der faktisch Handelnde gegenüber dem formell bestellten und eingetragenen Geschäftsführer eine überragende Stellung im Unternehmen einnimmt.482 In einer Entscheidung aus dem Jahre 1984 wich der 1. Strafsenat des BGH von dieser Anforderung ohne Begründung und ohne Hinweis auf den Widerspruch ab und verlangte für eine strafrechtliche Verantwortung des faktisch Handelnden lediglich, dass er gegenüber dem formellen Geschäftsführer ein Übergewicht habe.483 Dazu scheint auch das BayObLG484 zu tendieren, sieht aber selbst das „strenge“ Erfordernis der überragenden Stellung des Geschäftsführers dann als gegeben an, wenn mindestens sechs der acht klassischen Merkmale im Bereich Geschäftsführung erfüllt sind: Bestimmung der Unternehmenspolitik, der Unternehmensorganisation, Einstellung von Mitarbeitern, Gestaltung der Geschäftsbeziehungen zu Vertragspartnern, Verhandlung mit Kreditgebern, Bestimmung der Gehaltshöhe, Entscheidung der Steuerangelegenheiten, Steuerung der Buchhaltung.485 Nach Auffassung von Schmid/Fridrich ergibt sich aus § 35 GmbHG, dass der Handelnde unabhängig von der Existenz weiterer Geschäftsführer bei Pflichtver-

_____ kann ihm nicht unmöglich sein. Der Grundsatz, wonach bei Unmöglichkeit normgemäßen Handelns bei Unterlassensdelikten wie § 266a StGB die Tatbestandsmäßigkeit entfällt, gilt insoweit nicht, weil das Organ sich mit der Niederlegung des Amtes von der Pflicht befreien kann. Das OLG Hamm wechselt, ohne diesen Übergang zu erläutern, von der Haftung des Geschäftsführers als Organ zur Pflicht des „Arbeitgebers“ – mithin der juristischen Person – zur Beitragsabführung. Der GmbH mag bei mangelnder Leistungsfähigkeit das normgemäße Verhalten tatsächlich unmöglich sein mit der Folge, dass mangels Pflicht der Vertretenen (der GmbH) auch den Vertreter (auch den faktischen ) keine Verantwortung trifft (BGHZ 133, 370; zur Buchführungs- u Bilanzierungspflicht der juristischen Person bei Zahlungsunfähigkeit vgl S/S/ Heine-Schuster Rn 47a zu § 283 StGB; s hierzu u § 12, zu § 266a StGB u § 21, sowie zum Strohmann-Geschäftsführer u VI. Rn 158 ff). Nur das besagt auch die vom OLG Hamm als Begründung zitierte Entscheidung des BGH (wistra 1992, 145). Die unbeschränkbare Handlungsfähigkeit u -pflicht des formellen Geschäftsführers wird hiervon nicht betroffen. Hat jemand die Position eines Geschäftsführers iSd § 35 GmbHG inne, so ist er bei Pflichtverstößen auch strafbar, BGHSt 21, 101, 105; BFH v 11.3.2004 – VII R 52/02; Maurer wistra 2003, 174, 175; vgl auch u Rn 128 f. Laut OLG Jena kann das zivilrechtliche Verschulden des formellen Geschäftsführers gerade darin liegen, die Geschäftsführung so verteilt zu haben, dass wichtige Geschäftsvorgänge nur einem faktischen Geschäftsführer bekannt werden, NJ 2002, 158. 479 BGHSt 3, 32, 37 f; H Schäfer wistra 1990, 81, 82. 480 BayObLG wistra 1991, 195, 197. 481 RGSt 71, 112, 113; auch Dierlamm NStZ 1996, 153, 156. 482 BGHSt 31, 118, 120; hierauf Bezug nehmend BGH NStZ 1998, 568, 569. 483 BGH StV 1984, 461 mAnm Otto; OLG Düsseldorf NStZ 1988, 368 mAnm Hoyer; zust W/J/Pelz Rn 9/327. 484 NJW 1997, 1936, zuletzt offen gelassen von BGH vom 23.1.2013 – 1 StR 459/12, Rn 35. 485 Diese Auffassung, die auf Dierlamm, NStZ 1996, 153, 156, zurückgeht, erscheint im Hinblick auf die Vielfältigkeit unternehmerischen Handelns als zu starr; s dazu a LG Augsburg vom 31.1.2014 – 2 Qs 1002/15.

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stößen im Ganzen haftbar ist, wenn nur feststeht, dass er faktischer Geschäftsführer ist.486 Dem ist entgegengehalten worden, dass bei einer Abkehr von dem Kriterium der 126 überragenden Stellung die Grenze des Analogieverbotes überschritten werden könnte und eine Abgrenzung zu den Fällen nicht mehr möglich sei, in denen aufgrund fachlicher Kompetenz eine bloße Beratung des eigentlichen Geschäftsführers, der durch qualifiziertes Fachpersonal Entlastung sucht, vorliege.487 Vom Makel möglicher Strafbarkeiten sollten aber Personen ausgeschlossen sein, die aus einem berechtigten Interesse heraus für die Gesellschaft tätig werden und hierbei in die Kompetenzen der Geschäftsführung eingriffen, etwa Sanierer, die für einen bestimmten Zweck in ein Unternehmen abgeordnet werden und beschränkte Weisungsbefugnis gegenüber der Geschäftsführung innehätten,488 Vertreter einer ein Kreditengagement begleitenden Bank489 oder ein „tüchtiger“ Prokurist.490 127 In späteren Entscheidungen bezieht sich der BGH wieder allein auf die überragende Position des faktischen Geschäftsführers.491 Im Bereich des Zivilrechts wiederum ist es ausreichend, dass der Handelnde neben dazu berufenen Organen in maßgeblichem Umfang Geschäftsführerfunktionen übernommen hat.492 Von anderer Seite wird es für die Annahme einer haftungsbegründenden formellen Geschäftsführung als genügend angesehen, wenn sich der neben dem eingetragenen Geschäftsführer Handelnde in einem „Sicherheitskordon“493 zwischen einem Übergewicht und der überragenden Stellung iSd höchstrichterlichen Entscheidungen bewegt. Die Auffassung von Schmid/Fridrich ist zutreffend. Sie allein erfasst das Wesen des 128 § 35 GmbHG sowie der §§ 6 und 64 Abs 1 GmbHG,494 die ausdrücklich mehrere Geschäftsführer zulassen. Fraglich kann immer nur sein, ob jemand faktischer Geschäftsführer ist. Dies bedarf bei Vorhandensein eines aktiven eingetragenen Geschäftsführers genauer Untersuchung. Hat jedoch die Prüfung anhand der vorgestellten Grundsätze ergeben, dass faktisch verantwortliches (Mit-)Handeln vorliegt, so haftet der Handelnde strafrechtlich als faktischer Geschäftsführer.495 Die Existenz weiterer – formeller oder faktischer – Geschäftsführer soll ihn von dieser Haftung nicht befreien.496

_____ 486 in M-G Rn 30/25 ff u 63 mwN. 487 Hildesheim wistra 1993, 166, 168; Joerden wistra 1990, 1 mwN. 488 Zur Haftung aus faktischer Geschäftsführung bei Übernahme einer treuhänderischen Verwaltung von Kreditmitteln, die einer Gesellschaft aus Landesmitteln zur Verfügung gestellt wurden, OLG Brandenburg ZInsO 2001, 76. 489 Zur Abgrenzung der Übernahme faktischer Leitungstätigkeit durch Bankenvertreter vgl u Rn 134 ff; ausführlich unten § 28. 490 Dierlamm NStZ 1996, 152, 155; H Schäfer wistra 1990, 81, 82. 491 BGH wistra 1987, 147, 148; 1990, 97, 98; NStZ 2000, 34, 35. 492 BGHZ 104, 44, 48; OLG Düsseldorf NZG 2000, 312. 493 LK/B Schünemann Rn 73 zu § 14 StGB. Auch das BayOblG, NJW 1997, 1936, sieht die „überragende Stellung“ nur als ultima ratio an, lässt aber auch „ein Übergewicht“ an Geschäftsführerfunktion des faktischen Geschäftsführers ausreichen. 494 Zu den §§ 130a, 177a HGB s BGH Z 104, 44, 47 f. 495 Für das OLG Düsseldorf, NZG 2000, 312, 313, liegt es gar „auf der Hand“, dass es nicht darauf ankommen kann, dass der faktisch Handelnde in allen Teilbereichen organschaftlicher Kompetenz – verdrängend – tätig geworden ist. 496 Das Argument, bloße „Berater“ sollten vom Makel einer Strafbarkeit ausgeschlossen werden, geht hier fehl. Als „Berater“ haften sie in dem hier geprüften Umfang ohnehin nicht. Erfüllen sie aber alle Kriterien, sind sie keine „Berater“ mehr, sondern faktische Geschäftsführer; als diese haften sie allerdings zu Recht.

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Im Folgenden ist zu unterscheiden: Ergibt die Prüfung eine Verantwortlichkeit des 129 faktischen Geschäftsführers im ganzen Unternehmen, so haftet er im Rahmen der Allzuständigkeit eines GmbH-Geschäftsführers für alle auftretenden Unregelmäßigkeiten bei der Erfüllung der Pflichten des Unternehmens.497 Im Prinzip ist auch bei Aufteilung der Geschäftsbereiche auf mehrere – faktische – Geschäftsführer einer GmbH jeder für die Geschäftsführung insgesamt verantwortlich,498 denn die Führung der Gesellschaft umfasst nicht allein die Besorgung eines bestimmten Geschäftsbereiches, sondern die verantwortliche Leitung der Geschäfte in ihrer Gesamtheit.499 Jedoch knüpft die Pflichtenstellung des Geschäftsführers an den von ihm be- 130 treuten Geschäfts- und Verantwortungsbereich an. Hat der – faktische – Geschäftsführer aufgrund interner Zuständigkeitsregeln nur in einem Teilbereich eine entscheidende Stellung inne, so ist er insoweit – aber auch hierauf begrenzt – organschaftlich verantwortlich.500 Eine allgemeine gegenseitige Überwachungspflicht gleichberechtigter – faktischer – Organe ohne besondere Veranlassung besteht nicht.501 Dies ist angesichts der erforderlichen Arbeitsteilung und Spezialisierung in großen Betrieben nur vernünftig und auch mit der og Systematik des § 35 GmbHG vereinbar. Allerdings gibt es Situationen, in denen diese, auf organschaftliche Haftung ausgerichtete Systematik wieder zur Anwendung des Grundsatzes der Generalverantwortlichkeit und Allzuständigkeit eines jeden (faktischen) Geschäftsführers zwingt: Wenn das Unternehmen in Krisenoder Ausnahmesituationen oder aus sonstigem Anlass existenziell bzw grundlegend als Ganzes betroffen ist.502 In diesen Fällen verliert die Zuteilung von Ressorts ihre Relevanz.503 Diese Grundsätze gelten auch, wenn der formelle Geschäftsführer die Erfüllung sei- 131 ner (ggf nur der in sein Ressort fallenden) Pflichten auf andere Personen delegiert. Nach angemessener und beanstandungsfreier Einarbeitungszeit kann er sich auf die pflichtgemäße Erfüllung der Aufgaben durch die Betrauten (auch: faktische Geschäftsführer) solange verlassen, wie ihm keine Anzeichen für eine unzureichende Pflichterfüllung

_____ 497 BGH vom 8.11.1989 – 3 StR 249/89, Rn 6; wistra 1990, 97, 98 für steuerrechtliche Pflichten; BGHZ 133, 370 für das Abführen von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung; G/J/W/Merz 10 Rn 53, 54 ff zu § 13 StGB mwN; M-G/Schmid-Fridrich Rn 30/25 ff u 63 (o Rn 125); allg zu Überwachungspflichten einer krisengeschüttelten GmbH mit mehrköpfiger Geschäftsführung BGHZ 133, 370. 498 BGHSt 31, 106, 123 (Lederspray). 499 BGH wistra 1990, 97, 98. 500 OLG Düsseldorf, NZG 2000, 312, 313; LK/B Schünemann Rn 75 zu § 14 StGB; G/J/W/Merz 10 Rn 53 zu § 13 StGB. 501 OLG Düsseldorf wistra 2002, 357, 358 mwN. 502 BGH St 37, 106, 123 (Lederspray); S/S/Stree-Bosch Rn 53 zu § 13 StGB. Als Beispiel für ressortüberschreitende Probleme nennt der Senat eine Häufung von Verbraucherbeschwerden über Schadensfälle durch Unternehmensprodukte. Daneben kommen va die typischen Krisenmerkmale in Betracht. Der ressortfremde (faktische) Geschäftsführer handelt dann pflichtwidrig iSd verwirklichten Norm (zB §§ 266a, 283 StGB, 82 GmbHG, 15a InsO), wenn er Anhaltspunkte für eine unzureichende Erfüllung der gesellschaftsrechtlichen Pflichten hat u nicht gegensteuert. Sich aufdrängende Verdachtsmomente können hierbei nicht nur aus der unzureichenden Erfüllung der konkreten Pflicht, sondern auch aus anderen Anzeichen resultieren, BGH vom 28.5.2002 – 5 StR 16/02, Rn 24 f (zur Verantwortlichkeit für die Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen). 503 OLG Düsseldorf NStZ-RR 2002, 178, 179 mwN. Wegen vergleichbarer Wertung wie in Rn 119 kann auch hier je nach Einzelfall an eine Einstellung gem §§ 153, 153a StPO bzgl desjenigen faktischen Geschäftsführers gedacht werden, dem qua Abrede ein Geschäftsbereich zugewiesen wurde, in dem ein strafrechtlich relevantes Verhalten nicht aufgetreten ist. Vgl zu der Verantwortlichkeit bei mehrgliedrigen Organen auch KK/Rogall Rn 61 ff zu § 9 OWiG.

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vorliegen.504 Organisiert er seinen Betrieb jedoch so, dass ihm Verstöße gar nicht bekannt werden können oder steht die Handlungsweise des faktischen Geschäftsführers etwa wegen andauernden Verstoßes gegen ein Berufsverbot in einem rechtswidrigen Gesamtzusammenhang, liegt hierin ein (Organisations-)Verstoß gegen seine Pflicht zur verantwortlichen Geschäftsführung. Ein vorsätzlicher Pflichtverstoß liegt vor, wenn der Verantwortliche die Zuspitzung der wirtschaftlichen Lage und etwa die daraus resultierende Gefährdung der Arbeitnehmerbeiträge sieht oder billigend in Kauf nimmt, aber sichernde Maßnahmen unterlässt.505 In der Praxis zeitigen die unterschiedlichen Auffassungen regelmäßig allerdings 132 keine unterschiedlichen Ergebnisse: Es überwiegen die Fälle der Ein-Mann-GmbH mit eingesetztem Strohmann und dem Hintermann in überragender Stellung.

d) Strafrechtliche Haftung eines faktisch handelnden Gesellschafters 133 Auch einen Gesellschafter kann eine strafrechtliche Haftung für Pflichtverstöße in der

GmbH treffen, wenn er nach den vorgestellten Grundsätzen faktisch eine Leitungsfunktion, etwa bei Ausübung des Weisungsrechts gegenüber der Geschäftsführung, übernommen hat.506 Allerdings ist hier die sehr genaue Abgrenzung zu der Regelung des § 37 Abs 1 GmbHG durchzuführen, der den Gesellschaftern die Bestellung, Überwachung und auch Kontrolle der Geschäftsführer durch Ausübung des Weisungsrechtes als zentrale Aufgabe überträgt.507 Eine strafrechtliche Haftung durch Übernahme der faktischen Geschäftsführung wird daher nur bei einer extensiven Ausübung von Gesellschafterrechten, etwa durch eine Vielzahl von Einzelweisungen an den Geschäftsführer, angenommen werden können, die diesen zu einem reinen Exekutivorgan degradieren.508 An dieser Systematik ändern auch die §§ 35 Abs 1 S 2 GmbHG und 15a Abs 3 InsO nichts. Ist die Gesellschaft „führungslos“, hat sie also „keinen Geschäftsführer“, sind die Gesellschafter insolvenzantragspflichtig. Hierdurch werden sie ohne Erfüllung der genannten Kriterien aber nicht selbst zu faktischen Geschäftsführern.509

e) Vertreter einer Bank als faktischer Geschäftsführer 134 Faktische Geschäftsführer können auch Vertreter einer Bank sein, wenn sie – zB um die

Rückzahlung von an eine GmbH ausgereichten Krediten fürchtend – das Vertrauen in die Geschäftsführung verloren haben und eine Art „Zwangsverwaltung“ über die schuldnerische Firma übernehmen,510 etwa um die noch vorhandenen Vermögenswerte der unter-

_____ 504 BGH vom 28.5.2002 – 5 StR 16/02, Rn 24 f (s o Rn 130); BGHZ 133, 370, 378; OLG Naumburg NZV 1998, 41. 505 BGH vom 28.5.2002 – 5 StR 16/02, Rn 24 f (s o Rn 130); Korte NStZ 1998, 450. Nach BGHZ 134, 304, 315, kann sich gerade dann, wenn es in der GmbH „drunter und drüber geht“, für den Verantwortlichen die Notwendigkeit aufdrängen, die Abführung von Arbeitnehmerbeiträgen für die Zukunft sicherzustellen. 506 Zum Streitstand im Gesellschaftsrecht zu der Frage, in welchem Umfang Weisungen zulässig sind, Lutter/Hommelhoff-Kleindiek Rn 17 ff zu § 37 GmbHG. S dazu ausführlich o Rn 113. 507 Goette § 7 Rn 3 ff. 508 BGH NJW 1997, 66, 67; Lutter/Hommelhoff-Kleindiek Rn 18a zu § 37 GmbHG; BGH NJW 2002, 1803, 1805. Zur Haftung des sog „aktiven Mehrheitsgesellschafters“ vgl u § 16 Rn 65 ff. 509 Lutter/Hommelhoff-Kleindiek Rn 44 zu § 35, 42, 67 Anh zu § 64 GmbHG unter Hinweis auf das Gesetzgebungsverfahren MoMiG; M-G/Richter Rn 23/129 u Rn 80/35. Zu dem Tatbestandsmerkmal „führungslos“ s ebenso §§ 78 Abs 1 S 2AktG, 24 Abs 1 S 2 GenG u 10 Abs 2 InsO. 510 Im Einzelnen hierzu u § 28.

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kapitalisierten GmbH sich selbst zu sichern, sie also dem Zugriff anderer Gläubiger zu entziehen. Indiziell spricht für faktische Geschäftsführung, wenn die Bank einen konkreten Sa- 135 nierungsberater vorschlägt und auf seiner Beauftragung besteht, 511 Verfügungen zu Gunsten und zu Lasten der schuldnerischen GmbH nach eigener Entscheidung ausführt, sich Ansprüche abtreten lässt, eingehende Zahlungen auf Konten umleitet, über die nur sie Verfügungsgewalt hat, selbst über die Ausbezahlung von Löhnen und Sozialversicherungsbeiträgen nach Belieben entscheidet, Fördermittel eigenmächtig zur Reduzierung der Kreditlinie verbucht, ein neues Konto bei sich errichtet, um die Pfändung des Geschäftskontos der schuldnerischen GmbH zu unterlaufen und anschließend selbst oder auf ihre Veranlassung durch den Geschäftsführer an Geschäftspartner und Schuldner der GmbH mit dem Verlangen herantritt, auf dieses neue Konto einzuzahlen, dem formellen Geschäftsführer keine Belege mehr aushändigt oder ihn zu Entlassungen von Arbeitnehmern oder zu innerbetrieblichen Umstrukturierungen veranlasst. Der formelle Geschäftsführer pflegt in der Krise solche Maßnahmen zu dulden in der Hoffnung auf einen Sanierungserfolg sowie aufgrund der Befürchtung, die Kredite bei Weigerung unverzüglich gekündigt zu erhalten. Jeder einzelne Aspekt mag der üblichen und im berechtigten Interesse ausgeübten 136 Begleitung eines Kreditengagements durch die Hausbank inbes bei Rückzahlungsschwierigkeiten entsprechen. Die Gesamtheit der Einzelaspekte kann jedoch auf eine faktische Übernahme der Leitungstätigkeit in der GmbH durch Verantwortliche der Bank mit der Folge hinweisen, dass diese für Unregelmäßigkeiten wie Verstöße gegen die Buchführungspflicht oder für eine verspätete Insolvenzanmeldung strafrechtlich verantwortlich sind. Gewichtiges Indiz für eine quasi Entmündigung der eigentlich Verantwortlichen kann ein Eingriff in eines der acht klassischen Merkmale im Bereich Geschäftsführung512 bedeuten, wobei in der Praxis typisch der (zunehmende) Verlust der Verfügungsmacht des formell Verantwortlichen über die Geschicke des Unternehmens erscheint, ihm insbes – ein Zustimmungsvorbehalt für grundlegende unternehmerische Entscheidungen wie die Kalkulation und Festsetzung der Verkaufspreise durch Vertreter der Bank oktroyiert und – unter Auferlegung der Pflicht zu einer Berichterstattung über die Lage der Firma binnen sehr kurzer Zeiträume die Entscheidung über das Zulassen von Kontobewegungen verwehrt wird.

f) Konzernvertreter als faktischer Geschäftsführer Eine ähnliche Ausgangslage wie bei der Gesellschafterhaftung findet sich bei einer Zu- 137 sammenfassung mehrerer Unternehmen, von denen eines das oder die anderen durch gesellschaftsrechtliche Gestaltungen beherrscht (Konzern).513 Aufgrund der zivilrechtli-

_____ 511 Bork WM 2014, 1841, 1845, der allerdings berechtigt darauf hinweist, dass dies trotz der Intensität dieses Schrittes und der daraus folgenden Richtungsvorgabe als Einzelmaßnahme nicht ausreicht, den Bankenvertreter als faktischen Geschäftsführer einzustufen, solange keine dauernde Einflussnahme folgt; idP dürfte die Bank ohnehin mehrere qualifizierte Sanierungsberater vorschlagen und die Entscheidung dem Unternehmer überlassen. 512 Vgl hierzu o Rn 124. 513 S hierzu BGHZ 95, 330, 335 ff; BGH NJW 1997, 66, 67; BGH NJW 2001, 3622 (Bremer Vulkan); K Schmidt NJW 2001, 3577; Altmeppen ZIP 2001, 1837. Das Verfahren zum „Bremer Vulkan“ ist am 28.10.2010 vom LG

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chen Ausgangslage ist der Vertreter des herrschenden Unternehmens durchaus berechtigt, durch Weisungen die rechtlichen Beziehungen der Unternehmen untereinander zu regeln, ohne dass ihn eine organschaftliche Haftung für Straftaten in den beherrschten Unternehmen trifft.514 Die Haftung trifft den Vertreter aber, wenn er nicht nur von außen Anweisungen erteilt, sondern im beherrschten Unternehmen selbst faktische Leitungstätigkeit nach den dargestellten Grundsätzen ausübt. Der BGH zog folgenden einleuchtenden Vergleich: Da das beherrschende Unter138 nehmen seinen Einfluss dadurch ausüben könnte, dass es einen Vertreter des abhängigen Unternehmens formell bestellt, welcher dann der strafrechtlichen Verantwortung als Geschäftsführer/Vorstand unterliege, sei es nicht einzusehen, dass anderes gelten solle, wenn lediglich im Rahmen einer abweichenden organisatorischen Gestaltung und rechtlichen Einkleidung515 das beherrschende Unternehmen einen informell entsandten Vertreter die Geschäfte faktisch führen lasse.516

g) Faktische Geschäftsführung in der Unternehmensabwicklung 139 Die Kriterien zur faktischen Geschäftsführung wurden anhand von Fällen werbender

Unternehmen entwickelt, sie gelten aber auch dann, wenn der Unternehmenszweck allein noch in der Abwicklung der Geschäftstätigkeit besteht.517 140 Hat allerdings der eingetragene Geschäftsführer die unternehmerische Entscheidung getroffen, eine Gesellschaft abzuwickeln und beauftragt er nun etwa einen Rechtsanwalt mit der Umsetzung der Entscheidung, so hat dieser die engen Grenzen der grundlegenden Entscheidung zur Beendigung des Unternehmens zu wahren. Auch will und kann er das Unternehmen nicht als eigenes „führen“ und damit nicht als „Seele des Geschäfts“ handeln. Er ist mithin kein faktischer Geschäftsführer. 141 Auf den faktischen Liquidator finden die Grundsätze der faktischen Geschäftsführung entspr Anwendung.518 Allerdings muss sich die Gesellschaft tatsächlich bereits im Stadium der Liquidation nach den §§ 60 ff GmbHG befinden.519 Liquidation ist das Ver-

_____ Bremen gem § 206a StPO eingestellt worden, was allerdings nichts mit den grds Erwägungen zum Konzern zu tun hatte, StV 2011, 531. 514 BGH wistra 1999, 419. 515 BGHZ 65, 15, 21. 516 BGHSt 21, 101, 107. In dem zugrunde liegenden Fall verfuhr der Vertreter des beherrschenden Unternehmens „mit und in“ der abhängigen Aktiengesellschaft nach seinem Gutdünken, indem er ua die Zusammensetzung des Aufsichtsrats bestimmte u durch diesen nach Belieben Vorstandsmitglieder formell bestellte u abberief. 517 BGH wistra 1999, 459, 461. Die Entscheidung spricht davon, dass die Grundsätze nur „eingeschränkt“ anwendbar seien. Die Art der Einschränkung wird nicht erläutert, es folgen jedenfalls Erwägungen, die die erwähnten typischen Kriterien einer faktischen Geschäftsführung betreffen. Es ist auch nicht ersichtlich, warum die Grundsätze nicht gelten sollten, führen sie doch wie sogleich in Rn 140 dargestellt zu dem richtigen Ergebnis. 518 BGH wistra 1999, 459, 462 mwN; W/J/Pelz Rn 9/319. Gleiches gilt für einen als faktisches Organ auftretenden außergerichtlichen Vergleichsverwalter, KG NZG 2000, 1228, 1230. 519 BGH wistra 1999, 459, 462 f spricht missverständlich davon, dass das Liquidationsverfahren mit der Eintragung der Auflösung der Gesellschaft in das Handelsregister beginne; die Eintragung gem § 65 GmbHG ist jedoch rein deklaratorisch, Lutter/Hommelhoff-Kleindiek Rn 5 zu § 60 u Rn 5 zu § 65 GmbHG, was nach Scholz/K Schmidt Rn 1 zu § 65 GmbHG, unstr ist. Der Entscheidung lag der Auftrag eines formellen Geschäftsführers an einen Rechtsanwalt zugrunde, „die Geschäftstätigkeit der GmbH zum Jahresende abzuschließen“. Das Stadium der Liquidation war hier noch nicht erreicht. War das Unternehmen im Zeitpunkt der Auftragserteilung überschuldet, kommt je nach weiterer Handlungsweise eine

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fahren zur Abwicklung der Unternehmensbeendigung als regelmäßige Folge der Auflösung der GmbH gem § 60 GmbHG, wobei die Gesellschaft mit Liquidationszweck noch fortbesteht.520

h) Pflichtenstellung des faktischen Geschäftsführers Die Stellung als faktischer Geschäftsführer führt dazu, dass der Handelnde die 142 Pflichten erfüllen muss, die auch den bestellten Geschäftsführer treffen.521 Dieser wiederum ist kraft Amtsstellung grundsätzlich für alle Angelegenheiten der Gesellschaft zuständig.522

aa) Einzelne Pflichten Ebenso wie den formellen Geschäftsführer trifft daher den faktisch Handelnden die 143 strafbewehrte Pflicht, – bei der Anmeldung der Gesellschaft (hier nur GmbH und UG) bestimmte Versicherungen bzgl der ordnungsgemäßen Aufbringung des Stammkapitals abzugeben, §§ 7, 9a, 82 GmbHG,523 – kein Geheimnis der Gesellschaft unbefugt zu offenbaren, das ihm „als (faktischer) Geschäftsführer“ bekannt geworden ist, § 85 GmbHG, – keine wettbewerbsbeschränkende Absprachen bei Ausschreibungen zu veranlassen, § 298 StGB,524 – die Bücher ordnungsgemäß zu führen, §§ 41 GmbHG, 283 Abs 1 Nrn 5525 und 6, 283b Abs 1 Nrn 1 und 2 StGB, – den Jahresabschluss aufzustellen, §§ 264 Abs 1 HGB, 283 Abs 1 Nr 7,526 283b Abs 1 Nr 3 StGB, – einen Verlust der Hälfte des Stammkapitals den Gesellschaftern einer GmbH anzuzeigen, §§ 49 Abs 2 und 3, 84 Abs 1 GmbHG, – bzgl aller juristischen Personen rechtzeitig Insolvenzantrag zu stellen, § 15a Abs 1, 3 und 4 InsO,527

_____ Strafbarkeit des Rechtsanwaltes wegen Beihilfe zur Insolvenzverschleppung durch den Geschäftsführer in Betracht. 520 Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 1 zu § 60 GmbHG; Scholz/K Schmidt/Bitter Rn 5 zu § 60 GmbHG. Vgl im Einzelnen u VII. Rn 193 ff. 521 BGHSt 31, 118, 120; W/J/Raum Rn 4/20; Moosmayer NStZ 2000, 295. 522 BGH NStZ 1997, 125, 126; wistra 1990, 97, 98; W/J/Pelz Rn 9/46 ff, 329; s aber o Rn 129 f. 523 BGHSt 46, 62, 64; wistra 2001, 338; Scholz/Tiedemann Rn 32 vor § 82 GmbHG. Die eigentliche Tathandlung wird zumeist darin liegen, dass der faktische den formellen Geschäftsführer anweist, vorbereitete Anmeldungen zum Handelsregister zu unterzeichnen. In Betracht kommt daher Mittäterschaft des faktischen neben dem formellen Vertreter oder im Einzelfall auch eine Anstiftung zur Gründungstäuschung. 524 M-G/Schmid/Fridrich Rn 30/69. 525 BGH StV 1984, 461 mAnm Otto; Lutter/Hommelhoff-Kleindiek Rn 2 zu § 41. 526 BGH StV ebd. 527 BGH vom 11.7.2005 – II ZR 235/03, Rn 7; BGHZ 104, 44; NJW 2002, 1803, 1805; BayObLG NJW 1997, 1936; OLG Brandenburg ZInsO 2001, 76; Scholz/K Schmidt Rn 153 f zu § 64 GmbHG. Der Gesetzgeber selbst hat betont, dass das „MoMiG die Rspr zum faktischen Geschäftsführer und die weitere Rechtsentwicklung hierzu nicht berühre“, RegE MoMiG BT-Drs 16/6140, 56; wenn auch nicht ausdrücklich erwähnt, ist doch nichts dafür ersichtlich, dass dies bzgl seiner Strafbarkeit anders sein sollte, sa Bergmann NZWiSt 2014, 82; G/J/W/Otte 405 Rn 23 f zu § 15a InsO, was Lutter/Hommelhoff-Kleindiek Anh zu

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– – – – –

keine masseschmälernden Verfügungen zu treffen, §§ 266, 283 Abs 1 Nr 1–4, 8 StGB,528 einem Gläubiger in Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit der GmbH keine diesem nicht zustehende Sicherheit oder Befriedigung zu gewähren, §§ 283c Abs 1, 3 iVm 283 Abs 6 StGB, die Arbeitnehmerbeiträge rechtzeitig an die Einzugsstellen abzuführen, § 266a StGB,529 die notwendigen, steuerlichen Erklärungen für die Gesellschaft abzugeben, §§ 18 Abs 1 und 3 UStG, 370 AO,530 und allg betriebsbezogene Straftaten von Mitarbeitern, also solche, die einen inneren Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit des Täters oder mit der Art des Betriebes aufweisen, zu verhindern.531

_____ § 64GmbHG Rn 89 allerdings nicht überzeugend findet, sa Rn 65. Abs 3 des § 15a InsO zeigt demgegenüber aber gerade, dass der Gesetzgeber eine Umgehung der Insolvenzantragspflicht verhindern will. Nach hM beseitigt das Vorhandensein eines faktischen Geschäftsführers den Tatbestand der Führungslosigkeit iSd § 15a Abs 3 InsO nicht, auch wenn dieser selbst insolvenzantragspflichtig ist, Scholz/Tiedemann-Rönnau Rn 21 zu § 64 GmbHG; Bergmann NZWiSt aaO 82 mwN. Dem ist zuzustimmen, soll doch einerseits das Institut der faktischen Geschäftsführung den Missbrauch bei der Vertretung juristischer Personen bekämpfen u es nicht gesetzlich bestimmten Adressaten erlauben, sich hinter „nur“ faktisch Handelnden zu verstecken, o Rn 103, 113, und andererseits § 15a Abs 3 InsO die Gesellschafter verpflichten („Anreizfunktion“), die Gesellschaft nicht zum Schaden des Rechtsverkehrs führungslos zu lassen, also zu jeder Zeit einen formellen Ansprechpartner vorzuhalten, BT-Drs 16/6140 S 55. Da das Institut im Zivilrecht anerkannt ist, ist dem faktischen Geschäftsführer die gebotene Antragstellung möglich, MG/Richter Rn 80/27; Lutter/Hommelhoff-Kleindiek Rn 49 Anh zu § 64 GmbHG. Unmittelbarer Normadressat ist der faktische Geschäftsführer nach dem Wortlaut diese Gesetzes aber nur, wenn er zugleich Gesellschafter ist. Zur zivilrechtlichen Haftung des faktischen Geschäftsführers nach § 64 GmbHG Priebe ZInsO 2014, 1682. 528 BGHSt 3, 33, 37 (zu § 239 I Nr 1 KO id bis zum 29.7.1976 geltenden Fassung); 21, 101, 105 (zu § 244 KO id bis zum 24.5.1968 geltenden Fassung); BGH BB 1987, 145. Es entastet den faktischen wie auch den formellen Geschäftsführer strafrechtlich nicht, wenn er zum Tatzeitpunkt die Organstellung ausübt, vor Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung des § 283 Abs 6 StGB (Zahlungseinstellung usw) aber ausscheidet, LK/Tiedemann Rn 67 vor § 283 StGB. 529 Hierbei ist Folgendes zu beachten: Der Begriff des Arbeitgebers bestimmt sich, da das Strafrecht an dessen sozialversicherungsrechtliche Pflichten anknüpft, nach §§ 611 ff BGB u den im Sozialrecht geltenden Pflichten (grundlegend zum sozialversicherungspflichtigen Arbeitgeber BSG v 20.12.1966 – 3 RK 63/63, Rn 35; v 16.3.1972 – 3 RK 73/68, Rn 17). Ungeachtet einer arbeitsvertraglichen Verpflichtung, die ja nur mit der juristischen Person besteht, kann der faktische Geschäftsführer Arbeitgeber iSd Sozialrechts u damit unmittelbar nach § 266a Abs 1 StGB sein, wenn er sich eines Strohmannes bedient, S/S/Perron Rn 11; Fischer Rn 4a jeweils zu § 266a StGB. Auf die „faktische Betrachtung im Strafrecht“ kommt es dann nicht an. Eine deliktische Vertreterhaftung scheidet in Bezug auf § 24 SGB IV sowohl für den Geschäftsführer als auch den faktisch Handelnden aus, weil es sich bei den Säumniszuschlägen um eine neben den Beitrag tretende Ungehorsamsfolge u nicht um einen Straf- oder Ordnungswidrigkeitentatbestand gem §§ 14 Abs 1 Nr 1 StGB, 9 Abs 1 Nr 1 OWiG handelt, BGH v 14.7.2008 – II ZR 238/07, Rn 4 f. Ob die Firma im Ausland sitzt, spielt für die Haftung des faktischen Geschäftsführers keine Rolle, wenn Arbeitnehmer in Deutschland beschäftigt wurden; dann tritt der Vermögensschaden der Einzugsstelle auch hier ein, so dass § 3 StGB (für die zivilrechtliche Haftung iVm § 40 Abs 1 S 2 EGBGB) gilt, BGH v 11.6.2013 – II ZR 389/12, Rn 12. Sa Lutter/Hommelhoff-Kleindiek Rn 96 zu § 43 GmbHG. 530 BGH wistra 1987, 147; W/J/Raum Rn 4/20. 531 BGH v 20.10.2011 – 4 StR 71/11.

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bb) Beantragung des Insolvenzverfahrens Auch gerade dem faktischen Geschäftsführer obliegt es, nach § 15a Abs 1 und 3 InsO 144 bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung532 der Gesellschaft unverzüglich, spätestens binnen 3 Wochen, das gerichtliche Insolvenzverfahren zu beantragen.533 Der Insolvenzrichter darf daher den faktischen Geschäftsführer als Antragsteller 145 nicht mit der Begründung zurückweisen, er sei „nur“ faktischer Geschäftsführer. Vielmehr sind insolvenzrechtliche Ermittlungen zu seiner Stellung im Unternehmen erforderlich. Der Richter kann Darlegungen verlangen oder sich auf andere Weise die Überzeugung von der Berechtigung verschaffen.534 Voraussetzung für die Berechtigung des faktischen Geschäftsführers zur Antragstel- 146 lung ist nicht, dass es einen formellen Geschäftsführer nicht gibt bzw dass der faktische diesen völlig verdrängt hätte.535 Auch lassen entgegenstehende Weisungen der Gesellschafter oder eine Einwilligung der Gläubiger die Strafbarkeit des faktischen ebenso wenig entfallen wie die des formellen Geschäftsführers, da die Antragspflicht öffentlichrechtlicher Natur ist.536

_____ 532 Zu diesen Tatbestandsmerkmalen vgl u § 11. 533 BGH NStZ 2015, 470 mit abl Anm von Galen; Sa o Rn 143 u BGHSt 3, 32, 38; 21, 101; 31, 118, 122; BGHZ 104, 44, 48; wistra 1990, 60, 61; NStZ 2000, 34, 35; OLG Düsseldorf NStZ 1988, 368 mAnm Hoyer; BayObLG NJW 1997, 1936; M-G/Schmid/Fridrich Rn 30/69 u/Richter Rn 80/27; Lutter/Hommelhoff-Kleindiek Anh zu § 64 GmbHG Rn 49; LK/B Schünemann Rn 76, 77 zu § 14 StGB auch mit Darstellung der zivilrechtlichen Rechtsprechung; nach Auffassung von K Schmidt/Uhlenbruck Rn 584, 1228, 1229, sind faktische Organe zwar nicht insolvenzantragsberechtigt, wohl aber unter Strafbewehrung antragsverpflichtet, weil § 15a InsO nicht als Insolvenzantragspflicht, vielmehr als insolvenzrechtliche Organpflicht verstanden werden müsse. Diese ziele aber eher auf frühzeitiges Erkennen der drohenden Insolvenz u deren Abwendung als auf Stellung des Insolvenzantrages (vgl dazu u § 11). Da die Antragstellung Teil dieser umfassenden Organpflicht sei, gelte § 15a InsO auch zu Lasten des faktischen Geschäftsführers; iÜ kann sich weder der faktische noch der formelle Geschäftsführer darauf berufen, dass ein von der GmbH mit der steuerlichen Beratung Beauftragter bei Unterdeckung der Handelsbilanz nicht auf etwaige Handlungs- oder auf die Pflicht hingewiesen hat, Insolvenzantrag zu stellen; es ist ureigene Pflicht des (faktischen) Geschäftsführers, eine Überschuldungsprüfung vorzunehmen oder vornehmen zu lassen, Priebe ZInsO 2014, 1687. 534 Zwar gilt in der Insolvenzordnung der Amtsermittlungsgrundsatz. Der Gesetzgeber hat aber nunmehr klar gestellt, dass das Stellen eines „nicht richtigen“ Insolvenzantrages strafbewehrt ist, § 15a Abs 4 InsO. Auch der faktische Geschäftsführer muss daher einen Antrag stellen, der das Gericht in die Lage versetzt, das Vorliegen der Antragsvoraussetzungen zu prüfen (Bittmann NStZ 2009, 113, 115; G/J/W/Otte 405 Rn 124 zu § 15a InsO; enger M-G/Richter Rn 80/35 ff, 54: Ein Insolvenzantrag ist erst dann unrichtig, wenn hierdurch die Prüf- und Überwachungsfunktion des Insolvenzgerichtes iHa die Massesicherung erheblich beeinträchtigt ist; Einzelheiten bei Lutter/Hommelhoff-Kleindiek Rn 87 Anh zu § 64 GmbHG). Dies war in der Vorauflage zu dem bis zum 31.10.2008 geltenden § 84 Abs 1 Nr 2 GmbHG noch anders zu würdigen, da dieser eine in sich vollständige Strafnorm darstellte, so dass bereits der rechtzeitige Antrag strafbefreiend wirkte unabhängig davon, ob die weiteren „selbständigen“ Insolvenzpflichten wie Einreichung eines Gläubiger- u Schuldnerverzeichnisses u die Übersicht über die Vermögensmasse der GmbH erfüllt wurden, BayObLG wistra 2000, 315. Um Missbrauch vorzubeugen, hat der faktische Geschäftsführer nach zivilrechtlichen Grundsätzen ua darzulegen, dass er die maßgeblichen, für den wirtschaftlichen Fortbestand des Unternehmens entscheidenden Maßnahmen treffen kann. Denn auch die förmlichen, zur Eigenantragstellung berechtigten Organe einer GmbH oder AG (§ 15 InsO) müssen ihre Vertretungsberechtigung durch Vorlage eines aktuellen Registerauszuges darlegen. Weigert sich der faktisch Handelnde, dieser Darlegungspflicht nachzukommen, stellt er einen „nicht richtigen“ Antrag strafbar aber nur, wenn er fakt GF und die Gesellschaft insolvenzreif war. Weist das Gericht einen Antrag als unzulässig zurück, trifft die (faktische) Geschäftsführung ohnehin eine neue Pflicht zur Antragstellung, wenn sich die Vermögenslage einer nach wie vor werbenden Gesellschaft ändert, Maurer wistra 2003, 174, 176. Im Einzelnen u § 11. 535 Vgl o Rn 121 ff. 536 RGZ 72, 289; Scholz/K Schmidt § 64 GmbHG Rn 160. Vgl allg u § 11.

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cc) Strafbarkeit wegen Betruges 147 Der faktische Geschäftsführer kann Täter eines Betruges gem § 263 StGB sein.537 Ein Betrug durch aktives Tun kann bereits darin liegen, dass der Täter – auch ohne 148

eigenhändige Beteiligung bei der tatbestandlichen Ausführungshandlung – auf die formelle Geschäftsführung den notwendigen Einfluss ausübt. Denn die Tatherrschaft hat auch derjenige inne, der durch Organisationsstrukturen bestimmte Rahmenbedingungen ausnutzt, die solche regelhaften Abläufe auslösen, die zu der vom Hintermann erstrebten Tatbestandsverwirklichung führen.538 Es reicht daher der Entschluss des faktischen Geschäftsführers, den Betrieb der Firma trotz Zahlungsunfähigkeit weiterzuführen, und seine Kenntnis, dass Angestellte weiterhin Bestellungen im Rahmen des laufenden Geschäftsbetriebes auslösen. Betrug durch Unterlassen durch einen faktischen Geschäftsführer kommt etwa bei pflichtwidrig unterbliebener Aufklärung – etwa von Kapitalanlegern über sog kick-back-Zahlungen – in Betracht.539 In einem vom OLG Düsseldorf entschiedenen Fall war der Handelnde als gewerblicher Vermittler von Terminoptionen und Warentermindirektgeschäften beschäftigt. Ihm unterstand der Geschäftsbereich Werbung und Betreuung von Kunden, den er in einem derartigen Umfang bestimmend (mit-)leitete und in dem er einen derart dominierenden Einfluss ausübte, dass er nach den og Kriterien540 „wie ein Geschäftsführer“ handelte. Als solcher haftet er für die Folgen ungenügender Risikoaufklärung und die Verletzung der Aufklärungspflicht, also die eigentliche schadensstiftende Handlung in seinem Geschäftsbereich, auch ohne formeller Geschäftsführer zu sein.541 Als faktischer (Teil-)Geschäftsführer war er somit verpflichtet, potentielle Anleger vor Vertragsschluss ungefragt über inbes die Risiken von Optionsgeschäften und darüber aufzuklären, dass die Höhe der Vermittlungsprovision die Gewinnchance des Kunden minderte und die geringe Wahrscheinlichkeit, gerade deswegen überhaupt einen Gewinn zu erzielen, mit jedem Optionsgeschäft noch abnahm.542 Eine Täuschung durch pflichtwidriges Unterlassen kann ebenso dann vorliegen, wenn eine beherrschende Firma aufgrund der Anteilsverhältnisse faktisch unbeschränkt Einfluss auf die Geschäftsführung der beherrschten Firma nehmen kann und dies durch ihre Vertreter auch tut: So die formellen Geschäftsführer der beherrschten GmbH zu veranlassen, einem Liquiditätsverbund beizutreten und ihre liquiden Mittel in den Verbund einzubringen, und in der Folge allein darüber zu bestimmen, in welcher Weise die eingebrachten Mittel verfügt werden. Ab dem Zeitpunkt, in dem die Rückführung der von der beherrschten GmbH in den Konzernverbund eingebrachten Gelder aufgrund der drohenden Illiquidität der beherrschenden Firma nicht mehr gewährleistet ist, müssen die faktisch „Herrschenden“ die formellen Geschäftsführer auf den drohenden Verlust hinweisen.543

dd) Strafbarkeit wegen Untreue 149 Ebenso kann der faktisch verantwortlich Handelnde tauglicher Täter einer Untreue

durch Verwirklichung des Treubruchtatbestandes des § 266 Abs 1 2. Alt StGB sein, wenn

_____ 537 BGH NStZ 1998, 568 mAnm Dierlamm; wistra 1999, 179; 2001, 217, 218; s bereits o Rn 99. 538 BGHSt 40, 218, 236 ff (Täterschaft der Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrates der DDR), sa o Rn 113. 539 OLG Düsseldorf NZG 2000, 312, 313. 540 S o Rn 108 ff. 541 BGHZ 104, 44 ff, 47. 542 StRspr BGH NJW 1992, 1879, 1880; 1994, 997; WM 1994, 149, 150; BGHZ 105, 108, 110. 543 BGH NJW 2001, 3622, 3623 (Bremer Vulkan).

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die GmbH eine entspr vertragliche Pflicht zur Vermögensbetreuung übernommen hat;544 hierfür muss er weder gesetzlicher Vertreter noch Inhaber eines Unternehmens sein.545 Denn diese Alternative knüpft nicht an die formale Position des Geschäftsführers an, sondern an die tatsächliche Verfügungsmacht über ein bestimmtes Vermögen, wenn damit ein schützenswertes Vertrauen in eine pflichtgemäße Wahrnehmung der Vermögensinteressen verbunden ist.546 Ob der Handelnde die tatsächliche Verfügungsmacht innehat und damit in einer besonderen Vermögensfürsorgepflicht zur Gesellschaft steht, bestimmt sich nach den Machtverhältnissen in der Gesellschaft. Auf die Position des faktischen Geschäftsführers kommt es hierbei formell nicht an; zur Ausfüllung des Begriffes der tatsächlichen Verfügungsmacht sind jedoch die zu dem Institut der faktischen Geschäftsführung entwickelten Kriterien sinngemäß anzuwenden.547 Dies gilt auch für einen sein Weisungsrecht gegenüber einer abhängigen Gesellschaft extensiv ausübenden Gesellschafter.548 Ein beherrschendes Unternehmen, dessen Vertreter faktisch Einfluss auf die Ge- 150 schäftsführung einer abhängigen GmbH haben, hat eine Vermögensbetreuungspflicht gegenüber der GmbH insoweit, dass das herrschende Unternehmen nicht die Existenz der abhängigen GmbH gefährden darf und darauf zu achten hat, dass sie ihre Fähigkeit behält, ihren Verbindlichkeiten nachzukommen. Machen die Vertreter des beherrschenden Unternehmens Gebrauch von ihrer Einflussmöglichkeit und weisen die Geschäftsführung an, liquide Mittel der GmbH in einen Liquiditätsverbund der herrschenden Gesellschaft einzubringen, kommt die Verwirklichung des Treuebruchtatbestandes in Betracht, wenn die GmbH hierdurch tatsächlich in finanzielle Schwierigkeiten gerät.549 Während es für den 3. Strafsenat des BGH im Rahmen des Untreuetatbestandes für 151 die strafrechtliche Haftung des Inhabers der tatsächlichen Verfügungsmacht unbeacht-

_____ 544 OLG Hamm v 28.2.2014 – I-9 U 152/13; 9 U 152/13, Rn 35; LG Berlin vom 29.1.2014 – 86 O 163/13, Rn 19 f zur Annahme von Baugeld durch den faktischen Geschäftsführer, s dazu a Fischer Rn 23 zu § 266; G/J/W/ Waßmer 10 Rn 49 zu § 266 StGB; nimmt der faktische Geschäftsführer vereinbarungsgemäß Bargeld für die GmbH entgegen, handelt er im Rahmen der dinglichen Einigung über den Eigentumsübergang als deren Vertreter, sie wird Eigentümerin; verwendet der faktische Geschäftsführer die Gelder für sich, begeht er eine Unterschlagung nach § 246 StGB, OLG Hamm aaO Rn 49. Bei allem Prüfungseifer sollte die Staatsanwaltschaft nie außer Acht lassen, ob es des Instituts der faktischen Geschäftsführung überhaupt bedarf; so hat es der BGH v 26.11.2015 – 3 StR 17/15, Rn 51 – schlicht offen gelassen, ob der Angeklagte die Geschäfte der Nürburgring GmbH faktisch geführt hat, da seine nach § 266 Abs 1 StGB erforderliche Pflicht, die Vermögensinteressen der Gesellschaft zu schützen, jedenfalls aus seiner Stellung als Aufsichtsrat folgte, §§ 111 Abs 1 AktG, 52 Abs 1 GmbHG. 545 BGH v 19.2.2013 – 5 StR 427/1; sa o Rn 101. Der Missbrauchstatbestand schützt nur vor dem Missbrauch einer rechtlichen Verfügungsbefugnis u damit den Vermögensinhaber vor den Gefahren eines das „rechtliche Dürfen“ (im Innenverhältnis) überschreitenden „rechtlichen Könnens“ (im Außenverhältnis), S/S/Perron Rn 17, 25 zu § 266 StGB. Die bloß tatsächliche Einwirkungsmacht insoweit reicht nicht aus, weshalb ein faktischer Geschäftsführer mangels rechtswirksamen Grundverhältnisses kein tauglicher Täter im Sinne des § 266 Abs 1 1. Alt StGB sein kann, W/J/Pelz Rn 9/337; MüKO/Dierlamm Rn 24 zu § 266; Fischer Rn 14 u 30 zu § 266 StGB; LK/Schünemann Rn 40 f u 125 zu § 266 StGB (11. Aufl). Letzterer weist aber zu Recht darauf hin, dass dies nicht (jedenfalls nicht hinsichtlich der 2. Alt, vgl u § 16) für denjenigen faktischen Geschäftsführer gilt, der nach den Grundsätzen der Duldungs- oder Anscheinsvollmacht für die GmbH rechtsgeschäftliche (nachteilige) Rechtswirkungen auslöst. 546 RGSt 62, 15, 18; 74, 1,4; BGHSt 6, 314, 315; 13, 330, 331; NJW 1997, 66,67; wistra 1999, 419; MüKo/ Dierlamm Rn 81 zu § 266 StGB zur Vermögensbetreuungspflicht des faktischen Geschäftsführers.. 547 So zwar nicht ausdrücklich, aber inzident BGH NJW 1997, 66, 67. Zu den Kriterien o Rn 108 ff. 548 Vgl o Rn 133 u 137. 549 BGH NJW 2001, 3622, 3623 (Bremer Vulkan); G/J/W/Waßmer 10 Rn 54 zu § 266 StGB; sa o Rn 137 u 149.

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lich ist, wenn auch der formelle Geschäftsführer selbst erhebliche typische Geschäftsführertätigkeit entfaltet und eine eigene Vermögensbetreuungspflicht innehat,550 will der 5. Senat gemäß einer älteren Entscheidung in diesem Fall für die Strafbarkeit des faktischen Geschäftsführers „besonders hohe Anforderungen“ erfüllt wissen (ohne diese allerdings näher zu erläutern).551 Angesichts des Umstandes, dass im Rahmen der Untreue die Grundsätze des Institutes der faktischen Geschäftsführung sinngemäß gelten, kann ohne Wertungswidersprüche auch hier eine haftungsbegründende faktische Geschäftsführung bereits dann angenommen werden, wenn die Prüfung der Machtverhältnisse ergeben hat, dass faktisch verantwortliches (Mit-)Handeln vorliegt.552 Der formelle Geschäftsführer kann Täter des Sonderdeliktes des § 266 StGB sein, 152 da er in einem besonderen Pflichtenverhältnis zum geschädigten Vermögen steht.553 Steht eine juristische Person in einem Treueverhältnis, ist eine „Überwälzung“554 der strafrechtlichen Haftung auf deren Organe nur nach § 14 StGB möglich.555

i) Subjektive Voraussetzungen einer Strafbarkeit 153 Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit wegen einer vorsätzlich begangenen Tat setzt

voraus, dass der Täter die sachlichen Umstände kennt, die ihn zu einem tatsächlichen Geschäftsführer machen.556 Andernfalls unterliegt er einem Tatbestandsirrtum gem § 16 Abs 1 S 1 StGB.

_____ 550 BGH NJW 1997, 66, 67. 551 BGHSt 13, 330, 332. 552 Vgl o Rn 118 ff; dies betrifft natürlich nur die Leitungsebene; § 266 StGB kann gänzlich unabhängig von diesen Erwägungen auf jeder Ebene einer Gesellschaft verwirklicht werden. 553 Fischer Rn 11 ff; MüKO/Dierlamm Rn 79 jeweils zu § 266 StGB; zur Erfüllung des Missbrauchstatbestandes durch einen Unterbevollmächtigten eines Geschäftsherrn vgl S/S/Perron Rn 13 zu § 266 StGB; zur Verwirklichung des Treubruchtatbestandes durch Beauftragte S/S/Perron Rn 25 zu § 266 StGB; sa o Rn 101. 554 Begriff bei S/S/Perron Rn 33 zu § 266 StGB. 555 S bereits o Rn 101 sowie u § 16. § 14 StGB in der aktuellen Fassung ist mit grundsätzlich unverändertem Inhalt seit dem 1.10.1968 in Kraft. Zu der Problematik der Übertragung der Vermögensfürsorgepflicht hat der BGH vor dieser Gesetzeslage etwa zu der Veruntreuung von Mietvorauszahlungen oder Baukostenzuschüssen durch eine Stiftung entschieden, dass zwar diese zur Erfüllung des Vertrages verpflichtet sei; da sie jedoch ausschließlich durch ihre Organe handeln könne, sei die Annahme gerechtfertigt, dass diese strafrechtlich für die Erfüllung der Treuepflicht verantwortlich seien, MDR 1954, 495. Dieselbe Pflichtübertragung nahm BGHSt 11, 102, 103 vor, indem der Senat ein Kommissionsverhältnis zwischen einem Kommittenten u einer GmbH als „nach strafrechtlicher Betrachtung“ zwischen dem Kommittenten u dem an Stelle der juristischen Person Handelnden geschlossen ansah. Entgegen dem Handelsrecht müsse im Strafrecht der Handelnde im Vordergrund stehen u nicht derjenige, den dessen Handlung nach bürgerlichrechtlichen Vorschriften treffe. Diese Rspr ist überholt, da § 14 StGB die Lücken in der Haftung geschlossen hat. Dies gilt allerdings nicht für die Entscheidungen BGHSt 13, 330, 331 u BGH NJW 1959, 491, 492, wonach die Treuepflichten dann bei dem wahren Firmeninhaber entstehen, wenn die das Treueverhältnis begründenden Verträge zwischen den Kunden u einem Handelnden geschlossen wurden, der zwar formeller Inhaber der Firma, als Strohmann aber nur vorgeschoben war. Dieser Grundsatz behält seine Gültigkeit, da hier das Treueverhältnis zwischen Kunden und wahrem Firmeninhaber nach dem BGH nur durch die Firmeninhaberschaft faktisch entstanden sein kann, wofür § 14 StGB mit Ausnahme des engen Anwendungsbereiches des Abs 3 keine Pflichtübertragung vorsieht, vgl hierzu LK/B Schünemann Rn 80 zu § 266 StGB. 556 Eventualvorsatz reicht nach allg Regelungen aus, was das LG Hamburg vom 22.5.2008 – 325 O 194/ 07, Rn 21 am Bsp eines für technische Dinge Zuständigen, der sich „bewusst“ nicht um die Begleichung der Rechnungen gekümmert habe, verdeutlicht.

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Um einen Verbotsirrtum gem § 17 S 1 StGB handelt es sich, wenn der faktisch Han- 154 delnde nicht das Bewusstsein hatte, dass er durch Übernahme der Geschäftsführung auch in die entspr Pflichtenstellung eingerückt ist, wenn er vielmehr irrtümlich annahm, ohne formelle Bestellung zum Geschäftsführer dessen Pflichten nicht erbringen zu müssen.557 Jedenfalls dann, wenn es sich um einen erfahrenen Kaufmann handelt, der zuvor mehrere Firmen betrieben und für deren Insolvenz verantwortlich war, und nunmehr Geschäftsführerpflichten wie die Erledigung der laufenden Buchführung oder das Abführen der Sozialversicherungsbeiträge eigenhändig erfüllte, ist das tatsächliche Vorliegen eines derartigen Irrtums zu verneinen.558 Überdies müsste der Verbotsirrtum des Handelnden unvermeidbar gewesen sein, 155 um zu seiner Straflosigkeit zu führen, § 17 S 2 StGB. Dies ist in aller Regel nicht der Fall.559 An die Vermeidbarkeit des Irrtums hat der BGH hohe Anforderungen geknüpft, indem er inbes verlangt, dass der Handelnde alle seine geistigen Erkenntniskräfte einsetzt und aufgetretene Zweifel durch Nachdenken und erforderlichenfalls durch Einholung von Rat bei einer sachkundigen und vertrauenswürdigen Person oder Stelle beseitigt.560 Hat der Normadressat Kenntnis davon, dass eine Rechtsfrage umstritten ist, kann ihm der Vorwurf bedingten Unrechtsbewusstseins gemacht werden.561 Hat er allerdings einen kompetenten (Fach-)Anwalt, der nicht von ihm wirtschaftlich abhängig ist, oder den Sachbearbeiter einer tatsächlich zuständigen Behörde um Auskunft gebeten, kann er dieser Auskunft gemäß handeln, wenn er sie verstanden und zumindest auf ihre Plausibilität geprüft hat.

4. Urteilsgründe a) Die Darstellung von Tatsachen Ist es zu einer Verurteilung zu einer Strafe gerade wegen der Eigenschaft als faktischer 156 Geschäftsführer gekommen, lohnt ein Blick in die Urteilsgründe, um evtl Rechtsmittel einzulegen. Ob jemand als faktischer Geschäftsführer tätig war, hat das Gericht anhand von Tatsachen zu bewerten. Nur diese Tatsachen können auch Gegenstand eines Geständnisses sein und später der revisionsrechtlichen Überprüfung.562 Die bloße Feststellung, der Angeklagte „habe die Geschicke der Firma im Wesentlichen allein bestimmt“, reicht vor diesem Hintergrund nicht aus; vielmehr ist erforderlich, dass die Urteilsfeststellungen ein „Bild“ von den Verhältnissen ergeben, das Rückschlüsse auf die der Annahme faktischer Geschäftsführung zugrunde liegenden konkreten Tätigkeiten zulässt.

_____ 557 BGH StV 1984, 461, 462. Natürlich muss der faktisch Handelnde auch um sämtliche Umstände wissen, die die Strafbarkeit begründen, etwa BGH vom 7.10.2009 – 1 StR 478/09 – zur Stellung als Arbeitgeber, LG Hamburg vom 22.5.2008 – 325 O 194/07, Rn 20 f zur Kenntnis darüber, dass Baugeld iSd GSB (seit dem 29.7.2009: Gesetz über die Sicherung von Bauforderungen, BauFordSiG, BGBl I 2436) vorliegt. 558 Ebd. 559 W/J/Pelz Rn 9/335. 560 BGHSt 2, 194, 201; 4, 1, 5; 236, 243; 347, 352 f; 21, 18, 20 f; StV 1984, 461; Fischer Rn 8, 9 zu § 17 StGB. 561 OLG Stuttgart vom 26.6.2006 – 1 Ss 296/05, Rn 18 ff; Fischer Rn 9 ff zu § 17 StGB. Zur Erkundigungspflicht eines Geschäftsführers einer kommunalen Eigengesellschaft hinsichtlich Amtsträgereigenschaft BGH vom 26.10.2006 – 5 StR 70/06, Rn 11 (Kölner Müllskandal). 562 BGH vom 23.1.2013 – 1 StR 459/12, Rn 31 ff; bestätigt durch BGH vom 12.3.2014 – 1 StR 605/13.

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b) Die konkrete Form der Täterschaft 157 Die Urteilsgründe müssen erkennen lassen, ob das Gericht davon ausgeht, dass der for-

melle Geschäftsführer etwa bei einer Antragstellung auf Fördermittel vorsätzlich gehandelt hat und es dieses Handeln über § 25 Abs 2 StGB dem faktischen Geschäftsführer, der treibenden Kraft, zurechnen will, oder ob es annimmt, der formelle Geschäftsführer sei gutgläubig, so dass es eine mittelbare Täterschaft des faktischen bejaht.563

VI. Der Strohmann 1. Allgemeines 158 Der Strohmann repräsentiert bei juristischen Personen, inbes der GmbH, die Kehrseite

des faktischen Geschäftsführers.564 Weil letztgenannter tatsächlich die Fäden in der Hand hält, ohne im Rechtsverkehr als Verantwortlicher in Erscheinung treten zu wollen, bedient er sich eines Strohmannes. Dieser trägt nach außen die Verantwortung, erwirbt oder veräußert Gegenstände oder schließt sonstige Verträge, hat aber im Innenverhältnis nichts zu sagen. Aufgrund seiner formalen Stellung trägt er gleichwohl strafrechtliche Verantwortung, wenn er die die Strafbarkeit begründenden Elemente kannte oder hätte kennen müssen.565

2. Faktisches Vorkommen566 159 Zu unterscheiden ist zwischen dem Strohmann, der für eine natürliche Person auftritt, und demjenigen als Geschäftsführer einer GmbH.

a) Handeln als Strohmann für eine natürliche Person 160 Dieser handelt im Rechtsverkehr nach außen selbständig, ist in Wirklichkeit aber von

einem Hintermann, der das beabsichtigte Geschäft nicht selbst vornehmen kann oder will, vorgeschoben. Er tritt also in verdeckter Treuhandschaft für einen anderen auf. Er handelt im eigenen Namen und wird deshalb selbst berechtigt und verpflichtet.567 Da er aber im wirtschaftlichen Interesse des verborgen bleibenden Hintermannes handelt, hat er im Innenverhältnis zu seinem Treugeber einen Freistellungs- bzw Regressanspruch hinsichtlich der von ihm eingegangenen Verbindlichkeiten und umgekehrt die Pflicht, die Rechte und wirtschaftlichen Vorteile aus dem eingegangenen Geschäft an den Treugeber abzutreten bzw herauszugeben.568 Weil die Bestellung des Strohmanns tatsächlich gewollt ist, handelt es sich weder im Verhältnis zwischen ihm und dem wah-

_____ 563 BGH vom 28.5.2014 – 3 StR 206/13, Rn 17; wegen im wesentlicher gleicher Bewertungsebene sei auch eine wahlweise Feststellung zulässig. 564 Vgl allg M-G/Schmid/Ludwig Rn 27/25 ff. 565 Zur Einstufung als „Strohmann“ im Gewerberecht OVG Lüneburg vom 22.5.2015 – 7 ME 15/15. 566 Zu einer GmbH als Strohmann und damit „leistendem Unternehmen“ iSd Umsatzsteuerrechts FG München v 17.2.2016 – 3 K 2395/13, Rn 35 ff. 567 LK/Tiedemann Rn 73 vor § 283 StGB; Richter GmbHR 1984, 113, 119. Ist ein ausgereichter Kredit für eine gewerbliche Tätigkeit bestimmt, die eine natürliche Person als Strohmann für einen anderen ausübt, ist der Strohmann grundsätzlich nicht „Verbraucher“ iSd § 1 Abs 1 VerbrKrG (heute: §§ 491 ff BGB), BGH NJW 2002, 2030 f. 568 Pump wistra 1988, 221, 222; Kramer JuS 1983, 423, 424.

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ren Geschäftsherrn noch bei den vom Strohmann abgeschlossenen Verhältnissen um Scheingeschäfte iS von § 117 BGB. Die genannten Rechtsgeschäfte sind auch weder nach § 134 noch nach § 138 BGB nichtig.569 Die Motivationen für die Wahl einer derartigen Gestaltung sind vielfältig.570 Im Zu- 161 sammenhang mit Insolvenzstraftaten ist va relevant, dass sich ein Vorbestrafter hinter dem guten Namen eines Unbescholtenen „verstecken“ kann, um seine nicht notwendig seriösen Geschäfte fortzusetzen und die Fäden in der Hand zu behalten. Zu prüfen ist dann, ob etwa in Betrugsfällen mittäterschaftliches Handeln beider in Betracht kommt. Denkbar ist auch, dass der Hintermann das Interesse an dem eingefädelten Geschäft verloren hat oder schlichtweg kein Geld zur Verfügung stellen kann. Für den Strohmann kann dies bei Unkenntnis der wahren Absichten und/oder tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse des Treugebers strafrechtlich entlastend wirken. Er kann sogar in eine Opferrolle gelangen.

b) Der Strohmann als Geschäftsführer einer GmbH Bei der GmbH tritt der Strohmann „als“ Geschäftsführer auf, demzufolge wird die 162 GmbH berechtigt und verpflichtet. Angesichts dessen treten hier keine Schwierigkeiten durch Beteiligung verschiedener Vermögensmassen auf. Im Innenverhältnis ist der Strohmann aber vom tatsächlich für die GmbH handelnden faktischen Geschäftsführer abhängig. In der insolvenzstrafrechtlichen Praxis beschränken sich die Auftritte des Strohmanns nach außen auf wenige Handlungen, etwa die Anmeldung zum Handelsregister, die Kontaktaufnahme zu Behörden oder – sehr selten – im Zuge von Grundstücksgeschäften zu Notaren.571 Im Übrigen handelt der faktische Geschäftsführer auf der Basis einer ihm erteilten Generalvollmacht572 oder per Weisung an Prokuristen oder andere vom Strohmann Bevollmächtigte. Motiv für die Bestellung eines Strohmannes als GmbH-Geschäftsführer ist häufig, 163 dass der Hintermann, also der faktische Geschäftsführer, gem § 6 Abs 2 GmbHG nicht förmlich zum Geschäftsführer bestellt werden kann, zB weil ihm nach § 35 GewO die Ausübung des Gewerbes untersagt573 oder weil er innerhalb der letzten 5 Jahre wegen einer der in § 6 Abs 2 GmbHG (der in der nF einen erheblich erweiterten Katalog enthält!)574 genannten Straftaten verurteilt worden war. Das Motiv für die dann folgende

_____ 569 BGH bei Herlan, GA 1979, 312; OLG Naumburg v 19.10.2004 – 9 U 62/04, Rn 7; Palandt/Ellenberger Rn 6 zu § 117 BGB mwN, Rn 8 vor § 164 BGB; Siegmann/Vogel ZIP 1994, 1821; Kramer JuS 1983, 423, 424; Pump wistra 1988, 221; Scholz/Wicke Rn 56 zu § 2 GmbHG. 570 Es kann dabei eine völlig seriöse Überlegung maßgeblich sein, zB die vorweggenommene Erbfolge, vgl dazu Dierlamm NStZ 1996, 153; Löffeler wistra 1989, 121. Weniger seriös, aber noch nicht strafbar ist es, wenn mit dem Einschalten eines Strohmannes die Rollen in einem Zivilverfahren erfolgversprechender verteilt werden sollen: Der Strohmann wird dann als Partei vernommen, während der kundige Hintermann als Zeuge auftreten kann, vgl dazu Dierlamm NStZ 1996, 153. S dazu bereits o V. Rn 105. 571 Anders liegt es zB, wenn der Hintermann die Gesellschaft schon gegründet oder erworben hat, um illegitime Gewinne zu erzielen. Bei solchen Gestaltungen kommt es vor, dass er sich wie ein Pate der Mafia völlig im Hintergrund hält u noch nicht einmal als Gesellschafter auftritt, sondern auch diesbezüglich einen Treuhänder eingesetzt hat. Die Beweisschwierigkeiten liegen hier ebenso wie die hohe kriminelle Energie auf der Hand. 572 OLG Naumburg JMBlLSA 1999, 113; GmbHR 1997, 845, 846; Löffeler wistra 1989, 121. 573 Dierlamm NStZ 1996, 153; Löffeler wistra 1989, 121; M-G/Schmid/Ludwig Rn 29/23 f; sa o V. Rn 105. 574 Und zwar seit Inkrafttreten des MoMiG vom 23.10.2008 – BGBl I 2026; auch eine Verurteilung im Ausland ist zwischenzeitlich als Verbotstatbestand in das Gesetz aufgenommen; zur früheren Gesetzeslage OLG Naumburg GmbHR 2000, 378 ff.

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Umgehung über einen Strohmann ist auch verständlich: § 6 Abs 2 GmbHG stellt ein scharfes Schwert dar, weil die Folge eines Verstoßes in der Nichtigkeit der Bestellung und damit in der Notwendigkeit besteht, sämtliche von dem ungeeigneten Geschäftsführer getätigten Geschäfte rückabzuwickeln, soweit nicht die Grundsätze der Anscheinsoder Duldungsvollmacht eingreifen. Überdies bestehen dann unkalkulierbare Haftungsrisiken gegen den unter Verstoß gegen § 6 Abs 2 GmbHG eingetragenen Geschäftsführer. Demgemäß bestellt der faktische Geschäftsführer als Strohmann häufig eine unbe164 darfte Person ohne rechtliche Kenntnisse und wirtschaftliche Erfahrung, ggf einen Alkoholiker von der „Straße“ für ein paar Euro Gehalt oder einen hochbetagten Rentner. Auch Angestellte oder „Strohfrauen“ wie Angetraute, Geliebte, Töchter oder sonstige Vertraute kommen als formelle Geschäftsführer(innen) in Betracht.575 In Sanierungsfällen ist zu beobachten, dass der von außen hinzugezogene Bera165 ter/Sanierer eine beherrschende Stellung erhält, die inbes einen Gesellschaftergeschäftsführer an den Rand der geschäftlichen Verantwortung drängt und ihn – mit oder meist gegen seinen Willen – zu einem bloßen Strohmann degradiert.576

3. Strafbarkeit des „Strohmann-“Geschäftsführers 166 Der Strohmann ist rechtlich wirksam in die Organwalter- bzw Vertreterposition einge-

rückt. Er ist Geschäftsführer und damit mittels § 14 StGB zum Normadressaten von Sonderdelikten geworden. Daher treffen ihn die gleichen Pflichten wie jeden anderen Kaufmann bzw eingetragenen Geschäftsführer. Er ist deshalb tauglicher Täter der Insolvenzstraftaten (§§ 15a InsO, 283 ff, 266a StGB) und sonstiger damit im Zusammenhang stehender Delikte (zB § 266 StGB, auch § 82 GmbHG) und Ordnungswidrigkeiten (zB § 130 OWiG) wie auch der Steuerstraftaten. Nach § 15 Abs 1 InsO ist jedes Mitglied des Vertretungsorgans und damit auch der Strohmann zum Insolvenzantrag berechtigt, nach § 15a Abs 1 InsO dementsprechend auch verpflichtet.577 Neben dem Nachweis der Organwalterposition muss geprüft werden, ob der Stroh167 mann den jeweiligen Tatbestand in objektiver wie in subjektiver Hinsicht erfüllt hat.578 Er kann zB für Buchführungs- oder Bilanzmanipulationen dann nicht bestraft werden, wenn sie von dem Hintermann bzw faktischen Geschäftsführer an ihm vorbei vorgenommen wurden und er keinerlei Anhaltspunkte für dessen derartige Aktivitäten hatte. Ein Anhaltspunkt für eine strafbewehrte Pflichtverletzung sind va Liquiditätsprobleme, die erfahrungsgemäß durch erhöhten Posteingang und persönliche Kontaktaufnahme durch Gläubiger recht schnell auch für einen verantwortungsmäßig ausgebooteten formellen Geschäftsführer zu Tage treten. Ist diesem bekannt, dass der faktische nicht als formeller hätte eingetragen werden können – § 6 Abs 2 GmbHG, etwa Vorstrafe o andauerndes Berufsverbot –, muss sich ihm dessen Unzuverlässigkeit ohnehin aufdrängen.579 Anders ist es in den Unterlassungsfällen. Insoweit trifft ihn die Pflicht zur Buchführung

_____ 575 BGHSt 31, 118 f; Pump wistra 1988, 221. 576 Vgl o V. Rn 139 f. 577 LG Hildesheim vom 9.10.2010 – 25 KLs 5443 Js 40026/04, Rn 139; MüKo/Radtke Rn 113 zu § 14 StGB; Scholz/Tiedemann-Rönnau Rn 32 vor § 82 GmbHG; Lutter/Hommelhoff-Kleindiek Rn 96 zu § 43 GmbHG mwN; M-G/Schmid/Ludwig Rn 29/26; W/J/Pelz Rn 9/333 f zu den Unterlassungsdelikten § 283 Abs 1 Nr 5 1. Alt u Nr 7 Buchst b). 578 BGH NStZ 1997, 545; W/J/Raum Rn 4/20. 579 BGH vom 28.5.2002 – 5 StR 16/02, Rn 24 f; W/J/Raum Rn 4/21.

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und Bilanzerrichtung wie jeden anderen Kaufmann oder Geschäftsführer auch. Überträgt bzw überlässt er die Erfüllung dieser Pflichten einem anderen, so hat er ihn zu überwachen und zu kontrollieren. Diese Pflicht folgt bereits aus dem Bestellungsakt.580 Ist ihm dies nicht bewusst, so unterliegt er lediglich einem vermeidbaren Verbotsirrtum. Das zeigt, dass der Gesichtspunkt eines Übernahmeverschuldens581 Bedeutung nicht allein für Fahrlässigkeitsdelikte hat. Das OLG Hamm582 und ihm folgend auch das KG583 vertraten die Auffassung, den 168 Strohmann treffe dann keine strafrechtliche Haftung, wenn er gegenüber dem Einfluss des Hintermanns machtlos sei, weil ihm die Pflichterfüllung in solcher Lage unmöglich sei. Dem kann nicht gefolgt werden.584 Die Pflichten des GmbH-Geschäftsführers sind gesetzlich festgelegt, sie gelten für ihn ab Bestelllung unabhängig von seiner faktischen Einflussmöglichkeit. Andernfalls würde ein Geschäftsführer als überstimmtes Mitglied eines mehrköpfigen Leitungsorgans von vornherein nicht haften. Tatsächlich trifft jeden Geschäftsführer die sog „Allzuständigkeit“.585 Die Auffassung des OLG Hamm und des KG ist auch mit der gefestigten Rspr unvereinbar, dass es einen Geschäftsführer strafrechtlich nicht entlastet, wenn er rechtswidrige Weisungen des Gesellschafters oder der Gesellschafterversammlung nach § 37 Abs 1 GmbHG erfüllt, zB die erforderliche Anmeldung der Insolvenz unterlässt oder Arbeitnehmeranteile zur Gesamtsozialversicherung nicht abführt. Vermag sich der die Rechtslage erkennende Strohmann gegen den faktischen Geschäftsführer nicht durchzusetzen, so bewahrt ihn ebenso wie den rechtswidrig angewiesenen Geschäftsführer vor einer Bestrafung nur die Amtsniederlegung.586 Diese wird ihm in aller Regel möglich und zumutbar sein.

4. Insolvenzverschleppung Der Strohmann-Geschäftsführer einer GmbH ist kraft Eintragung neben dem fakti- 169 schen Geschäftsführer587 verpflichtet, im Fall eingetretener Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen, § 15a InsO.588 Unterlässt er dies, so macht er sich je nach den Umständen wegen vorsätzlicher oder fahrlässiger Insolvenzverschleppung, § 15a Abs 4 u 5 InsO, strafbar. Kennt er seine Pflichten nicht, so unterliegt er einem – durchweg: vermeidbaren – 170 Verbotsirrtum. Verkennt er aufgrund mangelnder Fähigkeiten die Insolvenzreife, so liegt unter dem Gesichtspunkt des Übernahmeverschuldens fahrlässiges Handeln vor. Erkannte er hingegen seine fehlende Sachkunde und schaltet gleichwohl keinen Fachmann ein, so haftet er nicht nur für Fahrlässigkeit, sondern ist vielmehr wegen eines mindestens bedingt vorsätzlichen Delikts strafbar. Kann er sich gegen den faktischen

_____ 580 BGH NJW 2002, 2480, 2482 mN (zu § 266a Abs 1 StGB); zust Radtke NStZ 2003, 154, 156; LG Hamburg vom 22.5.2008 – 325 O 194/07, Rn 22. 581 Scholz/Tiedemann-Rönnau Rn 50, 52 f zu § 84 GmbHG; Siegmann/Vogel ZIP 1994, 1821, 1822. 582 NStZ-RR 2001, 173, 174. 583 wistra 2002, 313, 314 f. 584 Ebenso bereits o V. Rn 118 ff. 585 BGH NJW 1990, 2560 ff (Erdal-Entscheidung); Fischer Rn 40 zu § 13 StGB; vgl dazu o V. Rn 118 ff u 128 ff. 586 BGH ZIP 1994, 867. 587 Vgl dazu o V. Rn 118 ff. 588 Scholz/Tiedemann-Rönnau Rn 26 zu § 84 GmbHG; M-G/Schmid/Ludwig Rn 29/26; einschr LK/B Schünemann Rn 75, 76 zu § 14 StGB, s dazu o Rn 118 ff.

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Geschäftsführer trotz Kenntnis sowohl seiner Pflichten als auch der Insolvenzreife nicht durchsetzen, so vermeidet er nur im Fall der unverzüglichen Amtsniederlegung seine Strafbarkeit.

5. Bankrott a) Insolvenz einer natürlichen Person als Hintermann 171 Im Fall der Insolvenz des Hintermannes sind im Hinblick auf ein etwaiges Beiseiteschaffen oder Verheimlichen von Vermögenswerten die Herausgabeansprüche gegenüber dem Strohmann zu beachten. Es liegt nahe, dass sie der Treugeber ungern offenbart. Er wird deshalb häufig danach trachten, die Gegenstände an Dritte weiterübertragen zu lassen, Ansprüche zu verheimlichen, das Treuhandverhältnis zu leugnen und seine Berechtigung ggf im Zusammenwirken mit dem Strohmann noch mehr zu verschleiern. Derartige Handlungen sind Straftaten nach § 283 Abs 1 Nrn 1 oder 8 StGB, welche der Treugeber täterschaftlich begeht und zu denen der Strohmann Beihilfe leistet, wenn nicht dazu anstiftet.

b) Insolvenz des Strohmannes 172 Im Fall der Insolvenz des Strohmannes ist zu unterscheiden: Ist dinglicher Inhaber des

jeweiligen Rechts der Treugeber, so fällt es nicht in die Insolvenzmasse. Der Treugeber hat einen Aussonderungsanspruch, den er auch gegen den Insolvenzverwalter durchsetzen könnte. Erfüllt der Strohmann solche Ansprüche des Treugebers, zahlt er zB das auf die zuvor bereits an den Treugeber wirksam abgetretene Forderung eingenommene Geld an diesen aus oder liefert er bei vorweggenommenem Besitzkonstitut, § 930 BGB, den erworbenen Gegenstand ab, so handelt er rechtmäßig. Eine Bestrafung wegen eines Bankrotts nach § 283 Abs 1 oder Nr 8 StGB scheidet dann aus. Anders liegt es, wenn der Hintermann lediglich schuldrechtliche Ansprüche gegen den Strohmann hat, die dieser gleichwohl erfüllt. Je nach Fallkonstellation kommt hier eine Bestrafung wegen Bankrotts oder wegen Gläubigerbegünstigung in Betracht. Auch als Strohmann ist der Kaufmann wie der eingetragene Geschäftsführer ver173 pflichtet, die Geschäftsvorfälle nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung aufzuzeichnen und die Bilanz fristgerecht zu erstellen. Ist er dazu aufgrund seiner Fähigkeiten nicht in der Lage, so hat er fachkundige Dritte damit zu beauftragen.589 Es entlastet ihn nicht, wenn er darauf vertraut, dass der Hintermann/der faktische Geschäftsführer diese Pflichten erfüllen werde. Ihn treffen mindestens die Aufsichts-, Überwachungs- und Kontrollpflichten, wie sie auch ein ressortfremdes Mitglied eines Geschäftsführergremiums590 zu erfüllen hat.591 Bei Unkenntnis unterliegt er einem – vermeidbaren – Verbotsirrtum. Verkennt er in 174 Erfüllung einer seiner ihm gegenüber dem faktischen Geschäftsführer bestehenden Pflichten von diesem begangene Verstöße, so unterliegt er einem Tatbestandsirrtum, § 16 StGB. Er kann in diesem Fall nicht wegen eines Vorsatzdeliktes bestraft werden. In Betracht kommt aber eine Haftung aufgrund Fahrlässigkeit, §§ 283 Abs 5, 283b Abs 2 StGB,

_____ 589 RGSt 49, 321; BGHSt 21, 101, 105; OLG Karlsruhe Justiz 1977, 206. 590 Vgl dazu o V. Rn 130. 591 OLG Karlsruhe Justiz 1977, 206; Tiedemann Rn 211 zu § 283 u Rn 9 zu § 283b StGB.

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§ 6 Die Organe der GmbH | 363

zB wenn er aufgrund seiner Fähigkeiten nicht in der Lage ist, das Handeln des Hintermannes zu überblicken; dies ist praxisrelevant, da der faktische Geschäftsführer ja gerade einen Strohmann einsetzt, der geschäftlich unbedarft und nicht in der Lage ist, ihm zu widersprechen.592 Hier haftet er aus dem Gesichtspunkt des Übernahmeverschuldens. Kann der Strohmann sich nicht durchsetzen, muss er zur Vermeidung einer Bestrafung wegen eines Vorsatzdeliktes sein Amt niederlegen.593

6. Vorenthalten von Arbeitsentgelt Eine Bestrafung wegen Beitragsvorenthaltung setzt voraus, dass der Täter „Arbeitge- 175 ber“ war oder vertretungsberechtigtes Organ (bzw Mitglied eines solchen) einer juristischen Person, welche ihrerseits Arbeitgeberin war.594 Es ist demnach zu differenzieren, ob der Strohmann für eine andere natürliche Person oder für einen faktischen GmbHGeschäftsführer handelte.

a) Verdeckte Stellvertretung aa) Strafbarkeit des Strohmannes Schließt der Strohmann mit dem Arbeitnehmer im eigenen Namen den Arbeitsvertrag, 176 so ist er jedenfalls dann im Außenverhältnis Arbeitgeber, wenn er in verdeckter Stellvertretung handelt, also weder dem Arbeitnehmer noch der Einzugsstelle offenlegt, dass er für einen anderen auftritt. Unterbleibt die Beitragsabführung, so ist er selbst tauglicher Täter nach § 266a Abs 1 StGB.595 Ob er tatsächlich bestraft werden kann, hängt davon ab, ob seine oder die wirtschaftlichen Verhältnisse des Hintermannes maßgeblich sind. Hier gibt es keine allgemeingültige Antwort. Vielmehr ist auf die konkreten Um- 177 stände abzustellen. Ist etwa der Strohmann von vornherein wirtschaftlich minderbemittelt und fungiert er hinsichtlich der Einnahmen und Ausgaben nur als Durchlaufstelle, wird er sich ohne gegenteilige Anzeichen darauf verlassen dürfen, dass der Hintermann ihn in die Lage versetzt, die fälligen Arbeitnehmeranteile entrichten zu können. Bleibt die dafür erforderliche Transaktion überraschend aus, kann von einem vorsätzlichen Handeln seitens des Strohmanns jedenfalls für die ersten beiden Taten keine Rede sein. Ist er allerdings finanziell in der Lage, die Arbeitnehmeranteile aus dem eigenen Vermögen zu begleichen, wird man dies von ihm jedenfalls dann erwarten müssen, wenn die Zahlung ohne Gefährdung seines Existenzminimums möglich ist. Gibt es jedoch von vorn herein Zweifel, ob der Hintermann leisten wird, so trifft den Strohmann wie jeden anderen Arbeitgeber eine Pflicht zur Vorsorge,596 damit er die fällig werdenden Arbeitnehmeranteile fristgerecht und vorrangig597 vor anderen Verbindlichkeiten erfüllen kann.

_____ 592 593 594 595 596 597

S o V. Rn 102 u 105. Vgl o Rn 170. Vgl dazu u § 21. S/S/Perron, Rn 11 zu § 266a StGB, sieht nur den Hintermann als Arbeitgeber an. Dazu u § 21. Dazu u § 21.

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bb) Strafbarkeit des Hintermannes 178 Wegen Beitragsvorenthaltung kann auch der Hintermann, also der faktische Ge-

schäftsführer, neben dem oder statt des Strohmanns strafbar sein.598 Eine Bestrafung wird zwar ausscheiden, wenn der Hintermann dem Strohmann die finanziellen Mittel zur Beitragsabführung zur Verfügung gestellt hat, letzterer das Geld aber überraschend anderweitig verwendet. Sobald aber der Hintermann Kenntnis von Sorgfaltswidrigkeiten des Strohmanns oder aus sonstigen Gründen Anlass hat, an der Zuverlässigkeit des Strohmanns zu zweifeln, wird er nur dann straffrei ausgehen können, wenn er seinen Überwachungspflichten599 genügt. Keine Einschränkungen hinsichtlich der Strafbarkeit des Hintermanns bestehen in dem Fall, dass er seine ihm gegenüber dem Strohmann vorhandenen Pflichten nicht erfüllt. Hier wird er ggf neben letzterem nach § 266a Abs 1 StGB bestraft. Allerdings kommt es auch ihm zugute, wenn der Strohmann aus eigenen Mitteln die Arbeitnehmeranteile rechtzeitig abführt.

b) Offene Stellvertretung 179 Im Fall offener Stellvertretung wird regelmäßig nur der Hintermann als Arbeitgeber

angesehen werden können. Er haftet dann nach § 266a Abs 1 StGB wie jeder andere Einzelhandelskaufmann. Der Strohmann kann im Einzelfall wegen Beihilfe mitverantwortlich sein.

c) Geschäftsführer als Strohmann 180 Handelt es sich beim formellen Geschäftsführer einer GmbH um einen Strohmann, so

ändert das nichts daran, dass die GmbH und nicht etwa der Strohmann als natürliche Person Arbeitgeberin ist. Für die Erfüllung der von § 266a Abs 1 StGB erfassten Arbeitgeberpflichten hat aber der Strohmann ebenso wie der faktische Geschäftsführer nach § 14 StGB strafrechtlich einzustehen.600 In Irrtumsfällen gelten die zu §§ 15a InsO und 283 StGB dargestellten601 Überlegun181 gen entspr. Verweigert ihm der faktische Geschäftsführer den Einblick in die wirtschaftliche Lage der GmbH, so wird der eingetragene Strohmann – Geschäftsführer einer Bestrafung wegen Beitragsvorenthaltung nur dann entgehen, wenn er bei ersten Anzeichen finanzieller Schwierigkeiten sein Amt niederlegt. Andernfalls muss er damit rechnen, dass der faktische Geschäftsführer die Arbeitnehmeranteile nicht oder jedenfalls nicht rechtzeitig abführt. Das nimmt er im Fall des Weiteramtierens mindestens billigend in Kauf und macht sich strafbar.

7. Untreue 182 Den Strohmann treffen als Geschäftsführer einer GmbH im Verhältnis zur Gesellschaft

nach § 266 StGB strafbewehrte Treuepflichten gem §§ 35, 43 GmbHG. Verboten sind danach Handlungen, die das Gesellschaftsvermögen schädigen. Darüber hinaus besteht ein Schadensabwendungsgebot. Daraus folgt die Rechtspflicht des Strohmannes, schä-

_____ 598 599 600 601

S ausführlich V. Rn 143. Dazu u Rn 190 u allg o V. Rn 118 ff u 130 ff. BGH NJW 2002, 2480, 2482 (dazu Radtke NStZ 2003, 154, 156); S/S/Perron Rn 5 zu § 14 StGB. Vgl o Rn 170 u 174.

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§ 6 Die Organe der GmbH | 365

digenden Handlungen des faktischen Geschäftsführers entgegenzuwirken und den Eintritt des Schadens mit allen ihm rechtlich zur Verfügung stehenden Mitteln zu verhindern.602 Unterliegt die von ihm vertretene GmbH im Verhältnis zu einem Geschäftspartner, 183 zB aufgrund einer langjährigen, besonders intensiven Geschäftsbeziehung oder im Rahmen eines Geschäftsbesorgungsvertrags, einer Vermögensbetreuungspflicht iSd § 266 StGB, so hat – neben dem faktischen Geschäftsführer – auch der Strohmann dafür zu sorgen, dass die GmbH dieser Pflicht zur Betreuung des ihr anvertrauten Vermögens genügt. Erforderlichenfalls hat er die gebotenen Handlungen selbst vorzunehmen. Im Fall des Verstoßes folgt seine strafrechtliche Haftung aus § 14 StGB.

8. § 130 OWiG Da der Strohmann in aller Regel in den hier näher betrachteten Fällen von seiner tatsächlichen Stellung im Unternehmen nicht in der Lage sein wird, grundlegende organisatorische Entscheidungen zu treffen und sie gegen den Hintermann bzw faktischen Geschäftsführer durchzusetzen, wird ihm im Fall von rechtswidrigen Handlungen jedenfalls des Hintermanns durchweg ein Organisationsverstoß zur Last zu legen sein. Dass er seine Vorstellungen, falls überhaupt vorhanden, nicht hätte durchsetzen können, entlastet ihn ohne Amtsniederlegung hier ebenso wenig wie es ihn vor strafrechtlichen Folgen bewahrt. Auch in den Irrtumsfällen gelten keine Besonderheiten.603 Die prinzipielle Verantwortlichkeit knüpft hier also ebenfalls an die formale Stellung an, ohne dass es den Strohmann generell entlastet, wenn er kaum Einblick in und wenig bis gar keinen Einfluss auf das wirtschaftliche Geschehen hat. Er haftet wiederum unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des Übernahmeverschuldens. Das gilt für die Fahrlässigkeit uneingeschränkt. Dem Strohmann wird aber erfahrungsgemäß jedenfalls bedingter Vorsatz zur Last zu legen sein, wenn er konkrete Hinweise auf Pflichtverstöße oder Sorgfaltswidrigkeiten des Hintermanns oder die angespannte wirtschaftliche Lage bewusst ignoriert. Eine Ordnungswidrigkeit nach § 130 OWiG trifft mit einer Straftat tatmehrheitlich zusammen, wenn dem Beschuldigten, etwa dem Strohmann, sowohl betriebsbezogene Straftaten als auch Organisationsmängel zur Last fallen, die zu Straftaten Dritter, zB des Hintermannes, beitrugen, ohne dass ihm insoweit ebenfalls ein strafrechtlicher Vorwurf gemacht werden könnte. Sind allerdings bei aktiver Begehungsweise Ausführungshandlungen jedenfalls teilweise deckungsgleich oder hätten bei Unterlassungen die verschiedenen Pflichten mindestens zum Teil durch dieselbe Handlung erfüllt werden müssen, so tritt die Ordnungswidrigkeit als subsidiär zurück, § 21 Abs 1 S 1 OWiG. Gewinnabschöpfende Maßnahmen sind aber auch in diesem Fall selbst dann möglich, wenn sie nur an die Ordnungswidrigkeit, nicht aber an die Straftat anknüpfen können, §§ 21 Abs 1 S 2, 29a OWiG. Bemerkenswert ist, dass die Höchstgrenze für ein mögliches Bußgeld für vorsätzliche Verstöße nach § 130 Abs 3 OWiG bei 1 Mio € und damit in aller Regel oberhalb der Grenze einer Geldstrafe liegt.

_____ 602 BGHSt 9, 203, 215; Siegmann/Vogel ZIP 1994, 1821, 1823; s zur Untreue o V. Rn 101 u 149. 603 Vgl dazu o Rn 170, 174 u 181.

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9. Täterschaft und Teilnahme 188 Wirken der Strohmann-Geschäftsführer einer GmbH und deren faktischer Geschäftsfüh-

rer zusammen, so sind sie regelmäßig Mittäter.604 Das gilt jedenfalls dann, wenn der Strohmann selbst handelt, also zB Verträge und Steuererklärungen selbst unterzeichnet oder die Arbeitnehmer bei der Einzugsstelle anmeldet. Dass er im Unternehmen lediglich eine Randfigur ist, führt wegen der Allzuständigkeit eines formellen Geschäftsführers605 nicht dazu, dass er allein deshalb nur als Gehilfe anzusehen wäre. Fehlen ihm dagegen strafbegründende persönliche Merkmale wie im Fall der offenen Stellvertretung für eine natürliche Person bei § 266a Abs 1 StGB die Arbeitgebereigenschaft,606 so bleibt nur die strafrechtliche Haftung als Gehilfe nach § 27 StGB, ggf allein wegen psychischer Beihilfe.607 Je nach Lebenssachverhalt kommt auch eine Strafbarkeit des Strohmann – Geschäftsführers wegen (leichtfertiger) Geldwäsche in Betracht, § 261 Abs 1 Nr 4a), Abs 5 StGB.608 189 Im Ordnungswidrigkeitenrecht gilt der Einheitstäterbegriff, § 14 Abs 1 S 2 OWiG. Daher muss nur einer der Beteiligten die erforderlichen persönlichen Merkmale aufweisen.

10. Garantenstellung, § 13 StGB 190 Handelt der Strohmann für eine andere natürliche Person, so hat er ebenso wie als

Strohmann-Geschäftsführer einer GmbH dafür zu sorgen, dass keine betriebsbezogenen Straftaten begangen werden,609 also zB kein Gläubiger trotz Zahlungsunfähigkeit eine ihm nicht gebührende Sicherheit erlangt bzw in anderer als geschuldeter Weise befriedigt wird, § 283c StGB, keine Vermögensgegenstände beiseitegeschafft, verheimlicht bzw veruntreut werden, §§ 283 Abs 1 Nr 1 bzw 266 StGB, oder das Vermögen in wirtschaftswidriger Weise vermindert wird, § 283 Abs 1 Nr 8 StGB.610

11. Strafzumessung 191 Der Strohmann ist mit nur wenigen Einschränkungen als Kaufmann oder als GmbH-

Geschäftsführer strafrechtlich verantwortlich.611 Das gilt allerdings nur auf der Tatbestandsebene. Seine strafrechtliche Schuld wird hingegen in aller Regel deutlich weniger schwer wiegen als die des Hintermannes bzw faktischen Geschäftsführers. Demzufolge wird die Strafe im Fall des Nachweises der Verantwortlichkeit auch Letztgenannter für den Strohmann deutlich niedriger ausfallen. Das ist schon deshalb angemessen, wenn nicht zwingend, weil er in aller Regel nur im geringem Umfang am Erlös aus den Geschäften und damit auch aus den Straftaten profitiert.

_____ 604 BGH NStZ 1986, 463; 1987, 224, 225. 605 S o V. Rn 118 ff, 129. 606 Vgl dazu o Rn 179. 607 Siegmann/Vogel ZIP 1994, 1821, 1823. 608 AG Öhringen v 4.12.2015 – 3 Ls 52 Js 9294/14, juris. 609 BGH v 20.10.2011 – 4 Str 71/11; Rogall ZStrW 98 (1986), 573, 612; sa o V. Rn 143. 610 Ausführlich S/S/Stree-Bosch Rn 52 aE, 53 zu § 13 StGB dazu, wann eine Haftung als unmittelbarer Täter wg Verstoßes gegen Organisationspflichten, als mittelbarer Täter kraft Organisationsherrschaft o eben nach § 13 StGB aufgrund einer Garantenstellung greift. 611 S dazu auch LK/B Schünemann Rn 75 zu § 14 StGB.

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Hinsichtlich der Anwendung des Opportunitätsprinzips, namentlich der Anwen- 192 dung der §§ 153 und 153a StPO, wird man allerdings differenzieren müssen. Eine Einstellung nach diesen Vorschriften ist regelmäßig dann angezeigt, wenn es sich bei dem Strohmann oder der Strohfrau um eine unbedarfte Person handelt, welche entweder aus falsch verstandener persönlicher Verbundenheit eingesprungen ist oder, ohne die Situation zu überblicken, sich für ein geringfügiges Entgelt anwerben ließ. Handelt der Strohmann hingegen in voller Kenntnis der Situation, so etwa die kaufmännisch ausgebildete Ehefrau, weil ihr Mann aufgrund seiner früheren Straftaten nicht mehr Geschäftsführer sein kann oder einem Gewerbeverbot unterliegt, so ermöglicht ihr Handeln erst die (Fortsetzung der) Straftaten. Zwar bleibt ihr Verschulden zumeist geringer als dasjenige des Hintermannes/faktischen Geschäftsführers. Für besondere Nachsicht und damit für eine Einstellung des Verfahrens jedenfalls nach § 153 StPO, meist aber auch nach § 153a StPO, ist dann aber kein Raum. Hier ist eine genaue Abwägung seitens der Staatsanwaltschaft und des Gerichts erforderlich.

VII. Die Liquidatoren

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Die grundsätzlich auf Dauer angelegte GmbH (Ausnahme: satzungsmäßige Befristung) kann aus verschiedenen Gründen aufgelöst werden. Diesem Thema widmen sich die folgenden Ausführungen. Im Fokus steht dabei das sog Liquidationsverfahren. Die bloße Existenz eines Auflösungsgrundes führt in der Regel noch nicht zum Erlöschen der GmbH. Vielmehr muss die Gesellschaft, um endgültig aus dem Rechtsverkehr zu verschwinden, ein dreistufiges Verfahren durchlaufen: (1) zunächst erfolgt die Auflösung der GmbH (§§ 60 bis 62 GmbHG), sodann (2) die Liquidation (§§ 65 bis 74 GmbHG) und abschließend (3) die Beendigung.612 Erst mit der Beendigung erlischt die GmbH als juristische Person.613 Die Auflösung der GmbH setzt zunächst einen Auflösungsgrund nach § 60 GmbHG voraus. Wichtige Auflösungsgründe sind die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft (Nr 4), ein Beschluss der Gesellschafter (Nr 2) und die Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse (Nr 5). Neben dem Auflösungsgrund kann ein formeller Gestaltungsakt, etwa ein Auflösungsurteil, erforderlich sein. So kann zum Beispiel im Falle der Zweckverfehlung die Gesellschaft nach § 61 GmbHG durch Gerichtsurteil aufgelöst werden. Solange das Gerichtsurteil fehlt, liegt lediglich eine auflösungsreife GmbH vor, die nach wie vor eine werbende Gesellschaft ist. Die Auflösung führt nicht unmittelbar zur Beendigung der GmbH. Es schließt sich die aus Gläubigerschutzaspekten grundsätzlich zwingende Liquidation an.614 In der Liquidationsphase wird die Gesellschaft arg e § 70 GmbHG abgewickelt. Der ursprünglich von der Gesellschaft verfolgte (Erwerbs-)Zweck wird durch den Liquidationszweck ersetzt.615

_____ 612 Vgl Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 1 zu § 60 GmbHG. 613 MK-GmbHG/Berner Rn 10 zu § 60 GmbHG; Baumbach/Hueck/Haas Rn 8a zu § 60 GmbHG; Lutter/ Hommelhoff/Kleindiek Rn 1 zu § 60 GmbHG. 614 Baumbach/Hueck/Haas Rn 2 zu § 60 und Rn 2 zu § 66 GmbHG; Schäfer § 37, Rn 4, S 234. 615 Roth/Altmeppen Rn 6 zu § 60 GmbHG; Baumbach/Hueck/Haas Rn 9 zu § 60 GmbHG; MK-GmbHG/ Berner Rn 17 zu § 60 GmbHG.

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Nach § 66 GmbHG sind für die Liquidation die Liquidatoren zuständig. Dies gilt freilich nicht, wenn die Gesellschaft aufgrund einer Insolvenz aufgelöst wird. Für diesen Fall sieht die Insolvenzordnung ein eigenes Abwicklungsverfahren vor.616 Insb das dort in §§ 217 ff InsO vorgesehene Insolvenzplanverfahren ermöglicht es, insolvente, aber sanierungsfähige Gesellschaften aus der Krise zu führen und zu sanieren. Das GmbHG sieht nach § 66 Abs 1 GmbHG für den Regelfall die Geschäftsführer als Liquidatoren vor.617 Jedoch können die Gesellschafter in der Satzung oder durch Beschluss andere Personen bestellen, sog „gekorene“ Liquidatoren. Die Bestellung der Liquidatoren richtet sich nach § 67 GmbHG. Danach sind die ersten Liquidatoren sowie deren Vertretungsbefugnis von den Geschäftsführern zur Eintragung ins Handelsregister anzumelden. Seit dem 1.9.2009618 sind die Inhabilitätsvorschriften des § 6 Abs 2 S 2 und 3 GmbHG auch auf Liquidatoren anwendbar. Sie müssen nunmehr bei der Anmeldung zum Handelsregister angeben, dass ihrer Bestellung keine Umstände entgegenstehen, die von §§ 67 Abs 3, 66 IV, 6 Abs 2 S 2 und 3 GmbHG erfasst werden. M Brand Die Liquidation der Gesellschaft beginnt mit der Bekanntmachung der Auflösung im 198 Gesellschaftsblatt und der Aufforderung an die Gläubiger, sich bei der Gesellschaft zu melden, § 65 Abs 2 GmbHG.619 § 12 S 1 GmbHG620 sieht für das Gesellschaftsblatt den elektronischen Bundesanzeiger als Pflichtmedium für alle gesetzlich vorgeschriebenen Veröffentlichungen vor, mithin auch für diejenigen nach § 65 Abs 2 GmbHG.621 Einer dreimaligen Bekanntmachung bedarf es seit dem ARUG nicht mehr; einmalige Bekanntmachung genügt.622 Wird die Gesellschaft durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgelöst, so bedarf es der Bekanntmachung nach § 65 Abs 2 GmbHG nicht, weil sich in diesem Fall das Verfahren nach der Insolvenzordnung richtet.623 Die Liquidatoren sind gem §§ 69 Abs 1, 35, 37 GmbHG vollumfänglich zur Vertre199 tung der Gesellschaft berechtigt.624 Freilich laufen die Liquidatoren Gefahr, sich durch zweckwidrige Geschäfte im Innenverhältnis gegenüber der Gesellschaft schadensersatzpflichtig zu machen. Bei der Vertretung haben die Liquidatoren einen Liquidationszusatz wie zB „i.L.“ anzugeben. Anderenfalls machen sie sich gegenüber den Gläubigern aus culpa in contrahendo gem §§ 280 Abs 1, 311 Abs 2 BGB schadensersatzpflichtig.625 Sind mehrere Liquidatoren vorhanden, so haben sie nach § 68 Abs 1 S 2 GmbHG vorbehaltlich anderweitiger Bestimmungen lediglich Gesamtvertretungsmacht. Die Liquidatoren haben nach § 70 S 1 GmbHG die laufenden Geschäfte zu beenden, 200 die Verpflichtungen der aufgelösten Gesellschaft zu erfüllen, die Forderungen derselben einzuziehen und das Vermögen der Gesellschaft zu Geld zu machen.626 Nach Befriedigung aller Gläubiger wird das verbliebene Vermögen nach Ablauf des von § 73 Abs 1 197

_____ 616 Baumbach/Hueck/Haas Rn 2 zu § 66 GmbHG. 617 BAG, NZG 2002, 1175, 1176: Geschäftsführer sind „die geborenen Liquidatoren.“ 618 ARUG (Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrichtlinie), BGBl I 2009, S 2479. 619 Baumbach/Hueck/Haas Rn 17 und 18 zu § 65 GmbHG; K Schmidt, § 38 IV 4b, S 1204; Schäfer, Rn 6 zu § 37, S 234. 620 Eingeführt durch das JKomG (Justizkommunikationsgesetz) vom 2.3.2005, BGBl I 2005, S 837. 621 Baumbach/Hueck/Fastrich Rn 5 zu § 12 GmbHG. 622 Baumbach/Hueck/Haas Rn 17 zu § 65 GmbHG; Hopt/Weyland/Hoger Anm 6 zu Formular II.D.2.5. 623 Baumbach/Hueck/Haas Rn 17 zu § 65 GmbHG. 624 K Schmidt, § 38 IV 3a, S 1200. 625 Vgl K Schmidt, § 38 IV 3a, S 1201. 626 K Schmidt, § 38 IV 3a, S 1200.

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§ 6 Die Organe der GmbH | 369

GmbHG geforderten Sperrjahres unter die Gesellschafter verteilt. Sofern mit der Verteilung des Geldes an die Gesellschafter noch nicht begonnen wurde, besteht jedoch noch die Möglichkeit, die Gesellschaft fortzuführen, indem die Gesellschafter ihre Gesellschaft durch Zweckänderung wieder in eine werbende verwandeln.627 Sie müssen die Zweckänderung mittels einfachen Gesellschafterbeschlusses vereinbaren. Der Auflösungsgrund darf in diesem Zeitpunkt nicht mehr vorliegen.628 Die Gesellschaft darf auch nicht insolvenzreif oder masselos sein.629 Die Beendigung tritt ein, wenn die Gesellschaft nach Abschluss der Liquidation 201 gem § 74 Abs 1 S 2 GmbHG, nach Abschluss des Insolvenzverfahrens gem 394 Abs 1 S 2 FamFG oder von Amts wegen im Handelsregister gelöscht wird.630 Streit besteht vor allem darüber, ob Beendigung bereits mit Handelsregistereintragung eintritt,631 oder ob zusätzlich – so nach der überzeugenden Lehre vom Doppeltatbestand – Vermögenslosigkeit der Gesellschaft vorliegen muss.632 Unabhängig davon muss de lege lata im Falle verbleibenden Vermögens nach der Löschung aus dem Handelsregister eine Nachtragsliquidation durchgeführt werden.633 Dazu sind analog §§ 273 Abs 4 AktG, 66 Abs 5 S 2 GmbHG Nachtragsliquidatoren vom Gericht zu bestellen.634 Die ursprünglichen Liquidatoren sind nämlich nicht mehr im Amt, weil das Nachtragsliquidationsverfahren gegenüber dem ursprünglichen Liquidationsverfahren ein eigenständiges Verfahren darstellt.635 Daraus folgt auch, dass die Vertretungsmacht der bisherigen Liquidatoren nicht in der Nachtragsliquidation fortwirkt.636 Als weiteres Argument für die fehlende Kontinuität der Vertretungsmacht wird angeführt, dass mit der Anmeldung der Vollbeendigung im Rahmen einer Löschung nach § 74 Abs 1 S 2 GmbHG die stillschweigende Niederlegung der Organstellung verbunden ist.637 Für die Fälle der Amtslöschung (§§ 394 FamFG) wird teilweise zu Unrecht vertreten, dass die Vertretungsmacht der ursprünglichen Vertretungsorgane – mithin den Geschäftsführern – fortbesteht.638 Dagegen spricht indes, dass unabhängig davon, ob eine Amtslöschung oder eine solche nach § 74 Abs 1 S 2 GmbHG vorliegt, die Nachtragsliquidation ein eigenständiges Verfahren darstellt.

_____ 627 Nach Roth/Altmeppen Rn 40 ff zu § 60 GmbHG stellt die bereits begonnene Auszahlung kein Hindernis für eine Fortführung der Gesellschaft dar. 628 Roth/Altmeppen Rn 36 zu § 60 GmbHG. 629 Vgl Roth/Altmeppen Rn 38 zu § 60 GmbHG. 630 Baumbach/Hueck/Haas Rn 3 zu § 60 GmbHG und Rn 16 zu § 74 GmbHG; MK-GmbHG/Berner Rn 22 zu § 60 GmbHG; K Schmidt, § 11 V 3b, S 311. 631 So Hönn ZHR 138 (1974), 50, 74 ff; Hüffer GS Schultz, S 103 ff. 632 So BAG NZA 2003, 1049, 1050; BAG NZA 2003, 59, 61; BGH NJW 2001, 304, 305; OLG Koblenz ZIP 2007, 2166 – 4. LS; OLG Düsseldorf GmbHR 2004, 572, 574; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Rn 32 zu § 43, S 215; Baumbach/Hueck/Haas Rn 104 zu § 60 GmbHG; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 6 f zu § 74 GmbHG mwN; grundlegend K Schmidt GmbHR 1988, 209, 210 f; zur überholten Auffassung, die der Registereintragung nur deklaratorische Wirkung beimisst, vgl Hüffer GS Schultz, 99, 102 mNachw. 633 BGHZ 53, 264, 266; BAG NZG 2002, 1175; OLG Jena ZInsO 2007, 715, 717; Hüffer GS Schultz, S 99, 106. 634 OLG Koblenz ZIP 2007, 2166; allgemein zur analogen Anwendung von § 273 AktG auf die GmbH: Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 1 und 9 zu § 74 GmbHG. 635 Baumbach/Hueck/Haas Rn 106 zu § 60 GmbHG. 636 BAG NZA 2003, 1049, 1051, mit dem zutreffenden Hinweis darauf, dass die dem Liquidator erteilte Prozessvollmacht über § 86 ZPO fortwirkt; BAG NZA 2003, 59, 60f; BFH NJW-RR 2001, 244; BGH NJW-RR 1994, 542; KG NZG 2004, 1004. 637 KG NZG 2004, 1004. 638 BayObLG NJW-RR 1998, 613, 614; aA BFH NJW-RR 2001, 244; KG NZG 2004, 1004.

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Gemäß § 71 Abs 4 GmbHG gilt grundsätzlich das allgemeine Recht der Geschäftsführer – hingewiesen sei insb auf die §§ 37, 41, 49 Abs 1 und 2, 64 GmbHG – auch für die Liquidatoren, es sei denn, im 5. Abschnitt des GmbHG sind ausdrückliche Ausnahmen getroffen.639 Folglich ist auf die Liquidatoren die zentrale Haftungsnorm des § 43 Abs 3 GmbHG anwendbar.640 Der Liquidator haftet danach wie ein Geschäftsführer und wie dieser nur gegenüber der Gesellschaft und nicht gegenüber den Gesellschaftern. Freilich kann er ihnen gegenüber nach anderen Bestimmungen haften, zB aus Delikt oder vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung.641 anhängen

§ 7 Pflichten zur Vermeidung der Krise

M Brand § 7 Pflichten zur Vermeidung der Krise I. Einführung 1 Neben den bereits in § 6 dargestellten Pflichten der einzelnen Gesellschaftsorgane exis-

tiert eine Reihe von Pflichten, die schwerpunktmäßig der Verhinderung von Gesellschaftskrisen dienen. Hiervon handelt dieses Kapitel. Im Fokus der Betrachtung stehen die Kapitalerhaltung nach § 30 Abs 1 GmbHG, die damit eng verbundene Haftung nach §§ 31, 43 GmbHG, die Geschäftsführerhaftung nach § 43a GmbHG und § 64 S 3 GmbHG sowie die Haftung aus Existenzvernichtung und materieller Unterkapitalisierung. Die Darstellung dieser Normen beschränkt sich auf die lex lata. Eine Auseinandersetzung mit der rechtspolitischen und ökonomischen Diskussion, die etwa um die Kapitalerhaltung und die Insolvenzverursachungshaftung kreist,1 kann, wenn überhaupt, nur gestreift werden. Gemeinsames Charakteristikum der hier dargestellten Pflichten ist die Krisenprä2 vention. Entscheidend kommt es also darauf an, was unter Krise zu verstehen ist. Eine Gesellschaft befindet sich jedenfalls in der Krise, wenn sie insolvenzreif, mithin zahlungsunfähig und/oder überschuldet ist.2 Richtiger Ansicht nach setzt die Krise aber bereits mit der drohenden Zahlungsunfähigkeit ein.3 Denn bereits im Stadium der drohenden Zahlungsunfähigkeit kann sich der Geschäftsführer – sollte später tatsächlich der Insolvenzfall eintreten – nach §§ 283 Abs 1, 283d Abs 1 Nr 1 StGB strafbar machen.4

_____ 639 Roth/Altmeppen Rn 44 zu § 71 GmbHG. 640 Roth/Altmeppen Rn 44 zu § 71 GmbHG. 641 BGH NJW 1969, 1712. 1 2 3 4

Vgl dazu nur Thole S 35 ff. Goette § 4 Rn 19; Bauer, A I 2b, Rn 6; Picot/Aleth VIII Rn 4. Picot/Aleth VIII Rn 4. Dazu ausführlich § 23, Rn 10.

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II. Der Geschäftsführer 1. Auszahlungsverbot nach § 30 Abs 1 GmbHG Das Auszahlungsverbot nach § 30 Abs 1 GmbHG5 dient als Herzstück der Kapitalerhal- 3 tung6 der Krisenprävention.7 Die Vorschrift untersagt den Geschäftsführern Auszahlungen an die Gesellschafter oder ihnen nahestehende Personen, die zur Unterschreitung des statutarischen Stammkapitals führen, dh eine Unterbilanz8 verursachen oder vertiefen. Für die Beurteilung der Unterbilanz kommt es auf den Zeitpunkt der jeweiligen Auszahlung an. 9 § 30 Abs 1 GmbHG bezweckt keinen gegenständlichen Eigentumsschutz;10 es unterliegen somit nicht das tatsächlich eingebrachte Geld oder die tatsächlich eingebrachten Gegenstände der Ausschüttungssperre, sondern das rechnerische Stammkapital.11 Maßgeblich ist im Grundsatz eine bilanzielle Betrachtungsweise.12 Das stellte der MoMiG-Gesetzgeber in § 30 Abs 1 S 2 Var 2 GmbHG klar, wonach keine Auszahlung vorliegt, soweit ein vollwertiger Gegenleistungs- und Rückgewähranspruch besteht. Die bilanzielle Architektur des § 30 GmbHG war in der Vergangenheit umstritten. So qualifizierte der BGH in seiner „Novemberentscheidung“13 an Gesellschafter ausgereichte Darlehen trotz vollwertigen Rückzahlungsanspruchs als verbotene Auszahlung.14 Jedoch

_____ 5 In der AG dient der weitergehende § 57 Abs 1 AktG der Kapitalerhaltung: K Schmidt, § 37 III 1a, S 1132; Flume AT I 2, § 8 IV 2a, S 285: „Das Vermögen der Aktiengesellschaft ist zur Gänze, abgesehen von dem zur Verteilung beschlossenen Bilanzgewinn, für die AG gebunden. Bei der GmbH erfasst die Bindung dagegen […] nur das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögen.“ 6 Richtiger Ansicht nach dient die Kapitalerhaltung einzig dem Gläubigerschutz: K Schmidt, § 37 I 2, S 1112 und § 37 III 1d, S 1140; Roth/Altmeppen Rn 1 zu § 30 GmbHG; Ulmer FS GmbHG, 363; Dampf Der Konzern 2007, 157, 158; OLG Koblenz, Urteil v 16.7.2010 – 10 U 1510/09; aA BGH NJW 1997, 2599, 2600, wo von Schutzbedürfnis der „Gesellschaft“ und der „Gläubiger“ die Rede ist; BGH NJW 1980, 1524, 1525; Fastrich FS Zöllner, Bd. 1, 143, 155; Müller-Erzbach ZHR 61 (1908), 357, 385; Lutter/Hommelhoff Rn 1 zu § 30 GmbHG, MK-GmbHG/Ekkenga Rn 15 ff zu § 30 GmbHG, die neben den Gläubigern auch die Gesellschaft und die Gesellschafter vom Schutzzweck des § 30 Abs 1 GmbHG erfasst wissen wollen. Baumbach/Hueck/Fastrich Rn 3 zu § 30 GmbHG, Bruns Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung, S 201 f und Goette § 3 Rn 1 sehen die Gesellschafter neben den Gläubigern als geschützt an; s auch Haas DStR 2010, 1991, 1992: „§ 30 Abs 1 GmbHG will das Gesellschaftsvermögen ja vor allem zugunsten der Gesellschaft vor Auszahlungen an die Gesellschafter schützen.“ Offen hingegen: BGH NJW 1999, 3483, 3485 (GbR mbH). 7 K Schmidt/Uhlenbruck Rn 1.22 führt pointiert aus: „Die Kapitalerhaltung (§§ 30, 31 GmbHG) ist ein unbedingtes Muss bei der Krisenvermeidung und Krisenbereinigung; Bauer ZInsO 2011, 1273; aA Eidenmüller/ Engert GmbHR 2005, 433 ff: Rechtsökonomisch sei ein Mindestkapital nur sinnvoll, wenn man dessen gerichtliche Kontrolle in das Insolvenzverfahren verlagerte. 8 Der Begriff Unterbilanz wird hier iSd hM verwendet. Danach liegt eine Unterbilanz vor, wenn das Stammkapital der GmbH bzw das Grundkapital der AG vom Nettovermögen nicht mehr gedeckt ist, so etwa OLG Düsseldorf, GmbHR 2006, 535, 536; Baumbach/Hueck/Fastrich Rn 19 zu § 30 GmbHG; Roth/Altmeppen Rn 9 zu § 30 GmbHG; Sotiropoulos S 24; zu terminologisch abweichenden Ansichten vgl Uhlenbruck/ Uhlenbruck Rn 25 zu § 19 InsO. 9 BGHZ 9, 157, 169; BGH NJW 1987, 1194; MK-GmbHG/Ekkenga Rn 88 zu § 30 GmbHG. 10 BGH NJW 2004, 1111; Sotiropoulos S 25. 11 BGH NJW 1980, 1524, 1525; K Schmidt, § 37 III 1a, S 1132; Sotiropoulos S 25; Winter NZG 2012, 1371, 1372. 12 GK-GmbHG, ErgB-MoMiG/Habersack Rn 1 und 4 zu § 30 GmbHG; Baumbach/Hueck/Fastrich Rn 2 zu § 30 GmbHG; Roth/Altmeppen Rn 8 zu § 30 GmbHG; K Schmidt, § 37 III 1c, S 1134; K Schmidt/Uhlenbruck Rn 1.24 und 1.42; Bitter ZInsO 2010, 1505, 1509; Bauer ZInsO 2011, 1335, 1339; Sutter/Masseli WM 2010, 1065; Komo GmbHR 2010, 232; Hirte WM 2008, 1429, 1430; Tillmann NZG 2008, 401; Plied ZIP 2009, 149; zur Durchbrechung der rein bilanziellen Betrachtung s unten Rn 10. 13 BGHZ 157, 72 ff. 14 Beachtenswert ist, dass bereits das RG in einer Entscheidung aus dem Jahre 1935 (RGZ 130, 28, 32 ff) erkannte, dass ein vollwertiger Rückzahlungsanspruch dem Telos des § 30 GmbHG entsprechend berück-

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leitete der BGH bereits in seiner – eine Aktiengesellschaft betreffenden – „MPS-Entscheidung“15 die Kehrtwende hin zur bilanziellen Betrachtungsweise ein und legte die bilanzielle Betrachtung sogar Altfällen zugrunde.16 Damit ist die Ausschüttung von Gesellschaftsvermögen auch bei den Zahlungen bilanziell zu betrachten, die nach der November-Entscheidung und vor Inkrafttreten des MoMiG erfolgten. Ein Verstoß gegen das Ausschüttungsverbot des § 30 Abs 1 GmbHG führt weder zur 4 Nichtigkeit des Grundgeschäfts (Darlehen, Schenkung, Kaufvertrag, ua), noch zur Unwirksamkeit des Erfüllungsgeschäfts.17 Dies gilt selbst für den Fall, dass sich die Gesellschafter bewusst über die Auszahlungssperre hinwegsetzen.18 Es handelt sich bei § 30 Abs 1 GmbHG mithin nicht um ein gesetzliches Verbot iSv § 134 BGB.19 Folglich muss der Gesellschafter, der das verbotswidrig ausbezahlte Geld empfangen hat, dieses nicht nach § 812 Abs 1 S 1 Var 1 BGB zurückzahlen. Die Erstattungspflicht verbotswidriger Rückzahlungen ergibt sich vielmehr aus § 31 Abs 1 GmbHG.20 Eine Haftung des Geschäftsführers kommt nach § 43 Abs 3 GmbHG in Betracht.21 Wird eine GmbH von einem Private Equity Fonds erworben, so kann ein Verstoß gegen die Grundsätze der Kapitalerhaltung auch aufsichtsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen (siehe § 292 KAGB).22 5 Nach hM23 regelt § 30 Abs 1 GmbHG kein Leistungsverweigerungsrecht gegenüber Dritten. Jedoch ist es in den praktisch häufigen Fällen von upstream-securities möglich, eine limitation language in den Sicherheitenbestellungsvertrag aufzunehmen.24 Die limitation language bewirkt, dass die Gesellschaft aus den Sicherheiten nur insoweit beansprucht werden darf, als dadurch nicht das Stamm- bzw Grundkapital unterschritten wird.

a) Tatbestand 6 Der Tatbestand des § 30 Abs 1 GmbHG hat drei Voraussetzungen:

– – –

eine Auszahlung an die Gesellschafter causa societatis, die Schmälerung des Gesellschaftsvermögens, die Herbeiführung oder Verschärfung einer Unterbilanz.

_____ sichtigt werden muss. Es fällte eine wohlbegründete Entscheidung, zu deren Grundsätzen der BGH in seiner „MPS-Entscheidung“ zurückgekehrt ist. 15 BGH WM 2009, 78 ff; dazu ausführlich Habersack ZGR 2009, 347 ff; Geibel ZJS 2009, 190 ff; s auch unten Rn 20. 16 Vgl dazu auch GK-GmbHG, ErgB-MoMiG/Habersack Rn 6 zu § 30 GmbHG; Baumbach/Hueck/Fastrich Rn 46 zu § 30 GmbHG. 17 BGH NJW 1997, 2599, 2600; Flume AT I 2, § 8 IV 2c, S 290 ff; zu § 57 AktG: BGHZ 196, 312 ff; OLG München ZIP 2012, 1024 – 1. LS (Vorinstanz); Mülbert/Wilhelm FS Hommelhoff, 747, 750 f; Winter NZG 2012, 1371 ff. 18 Grundlegend BGH NJW 1997, 2599, 2600; aA Flume AT I 2, § 8 IV 2c, S 290. 19 BGH NJW 1997, 2599, 2601; Goette § 3 Rn 7; K Schmidt/Uhlenbruck Rn 1.27; für die AG: OLG München ZIP 2012, 1024; Winter NZG 2012, 1371 ff. 20 Dazu unten Rn 53 ff. Aktionäre haften für den Empfang verbotswidriger Auszahlungen nach § 62 AktG, vgl nur Winter NZG 2012, 1371, 1373. 21 Dazu unten Rn 31; zu § 43 GmbHG ausführlich § 6 Rn 52 ff. 22 Zu den Private Equity Sachverhalten siehe noch ausführlich unten Rn 21 f. 23 Baumbach/Hueck/Haas Rn 99 zu § 64 GmbHG; MK-GmbHG/Ekkenga Rn 284 zu § 30 GmbHG; aA Meister WM 1980, 390, 394, 399. 24 Goette/Habersack/Vetter Rn 4.91; Diem § 43 Rn 106; Kollmorgen/Santelmann/Weiß BB 2009, 1818, 1819; Dampf Der Konzern 2007, 157, 167; jurisPR-HaGesR/Bormann 4/2008, F.2; Bormann/Urlichs Sonderheft GmbHR 2008, 37, 49.

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b) Auszahlung Das Tatbestandsmerkmal „Auszahlung“25 wird entspr dem Schutzzweck der Norm weit 7 ausgelegt.26 Praktisch fällt alles vermögensschmälernde Handeln oder Unterlassen darunter, das einen rechtsgeschäftlichen Charakter hat oder einer rechtsgeschäftlichen Handlung zumindest gleichzustellen ist.27 Vor diesem Hintergrund umfasst der Wortlaut neben der Vornahme von Geldleistungen auch Verfügungen über sonstige Vermögensgegenstände, wie etwa die Übereignung einer Sache oder die Abtretung einer Forderung.28 Auch Aufrechnungserklärungen unterfallen dem weiten Zahlungsbegriff.29 Nach der „Deutsche Telekom III-Entscheidung“ des BGH30 liegt eine Auszahlung sogar dann vor, wenn eine AG im Falle der öffentlichen Umplatzierung von Aktien eines Altaktionärs die Verantwortung für den Verkaufsprospekt übernimmt und der veräußernde Aktionär die Gesellschaft nicht von ihrer Haftung freistellt. Da § 30 Abs 1 GmbHG keine Liquiditätsschutznorm ist, sondern das bilanzielle Vermögen schützt, wird bereits häufig die Eingehung einer Verbindlichkeit, die die Gesellschaft gegenüber „ihrem“ Gesellschafter zur Zahlung verpflichtet, eine „Auszahlung“ darstellen.31 Freilich ist insoweit ein besonderes Augenmerk darauf zu richten, ob die Gesellschaft gegen ihren Gesellschafter einen vollwertigen Gegenleistungsanspruch hat. Bei Vorliegen eines vollwertigen Gegenleistungsanspruchs liegt nach § 30 Abs 1 S 2 Var 2 GmbHG nämlich keine verbotene Auszahlung vor.32 Die Auszahlung muss causa societatis, mithin gegenüber dem Gesellschafter in 8 seiner Funktion als Gesellschafter und nicht als außenstehendem Dritten erfolgen. Zur Feststellung, ob es sich um ein Rechtsgeschäft causa societatis oder um ein zulässiges Drittgeschäft handelt, ist zu prüfen, unter welchen Bedingungen die Gesellschaft den Vertrag mit einem außenstehenden Dritten unter Berücksichtigung von Marktbedingungen geschlossen hätte.33 Keine Auszahlung liegt vor, wenn dem Vemögensabfluss an den Gesellschafter ein 9 vollwertiger Gegenleistungsanspruch gegenübersteht, dh ein reiner Aktiventausch vorliegt.34 Nur diese Sicht wird dem bilanziellen Verständnis des § 30 Abs 1 GmbHG gerecht und vermag dessen Wortlaut befriedigend zu erklären, wonach „das zur Erhaltung

_____ 25 Dem entspricht das Tatbestandsmerkmal „Leistung“ in § 57 AktG. 26 RGZ 136, 260, 264; BGHZ 31, 258, 276; BGHZ 122, 333, 337 f; GK-GmbHG/Habersack Rn 75 zu § 30 GmbHG; Goette § 3 Rn 2; K Schmidt/Uhlenbruck Rn 124; Rothley/Weinberger NZG 2010, 1001, 1002. 27 Vgl BGHZ 31, 258, 276; BGH NJW 1987, 1194, 1195; Lutter/Hommelhoff Rn 8 zu § 30 GmbHG; Baumbach/Hueck/Fastrich Rn 33 zu § 30 GmbHG („Leistungen aller Art, die wirtschaftlich das Gesellschaftsvermögen mindern“); GK-GmbHG/Habersack Rn 75 zu § 30 GmbHG. 28 BGH WM 1984, 137; Lutter/Hommelhoff Rn 8 zu § 30 GmbHG. 29 Rothley/Weinberger NZG 2010, 1001, 1002. 30 NJW 2011, 2719 ff. 31 Lutter/Hommelhoff Rn 8 zu § 30 GmbHG; Wicke Rn 8 zu § 30 GmbHG; Bauer ZInsO 2011, 1335, 1336; aA MK-GmbHG/Ekkenga Rn 131 zu § 30 GmbHG. Zu den Kreditsicherheiten s unten Rn 26 f. 32 Dazu unten Rn 9 und 16 ff. 33 BGH NJW 2009, 850, 851 (Rz 9); RGZ 146, 84, 92; OLG Köln NZG 2009, 951, 953; Baumbach/Hueck/ Fastrich Rn 29 zu § 30 GmbHG; Bauer ZInsO 2011, 1335, 1336; Geßler FS Fischer, S 131, 136; Mülbert/Wilhelm FS Hommelhoff, 747, 754 (Fn 28), 756 f fordern darüber hinaus, dass die Gesellschaft (AG) in dem Bewusstsein leisten müsse, die Vermögenszuwendung gerade wegen der Mitgliedschaft des Aktionärs zu gewähren. Dies geht jedoch angesichts der ratio legis von §§ 30 GmbHG, 57 AktG zu weit. Die für den Gläubigerschutz zentrale Kapitalerhaltung soll nicht durch oftmals schwer nachweisbare subjektive Erfordernisse verkürzt werden. 34 GK-GmbHG/Habersack Rn 76 zu § 30 GmbHG; Winter DStR 2007, 1484, 1485; K Schmidt GmbHR 2007, 1072, 1075; Sotiropoulos GmbHR 1996, 653, 654.

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des Stammkapitals erforderliche Vermögen […] nicht ausgezahlt werden [darf].“ Wegen des vollwertigen Gegenleistungsanspruchs liegt bilanziell keine Vermögensminderung vor, weshalb auch nichts ausgezahlt wird. Nach der Gegenansicht35 liegt in diesen Fällen zwar eine Auszahlung vor, die jedoch nicht zu einer Vermögensminderung führt. Im Ergebnis unterscheiden sich die beiden Meinungen nicht. Nach hM kann in Ausnahmefällen auch ein die Bilanz nicht berührender Vermö10 gensabfluss eine Auszahlung nach § 30 Abs 1 GmbHG sein.36 Beispielhaft genannt sei die Ausschüttung stiller Reserven bei Vorliegen einer Unterbilanz.37 Denn bei Vorliegen einer Unterbilanz tangiert die Weggabe stiller Reserven die Gläubigerinteressen genauso wie bilanzwirksame Ausschüttungen von Vermögenswerten.38 Zur Veranschaulichung sei folgender Beispielsfall angeführt: Eine Gesellschaft, die sich im Zustand der Unterbilanz befindet, verkauft an einen Gesellschafter ein Grundstück, das mit einem Wert von 100.000 € in der Bilanz verbucht ist für 100.000 €. Inzwischen ist das Grundstück aber 150.000 € wert. Damit ist das Rechtsgeschäft zwar bilanzrechtlich neutral, tatsächlich aber macht die Gesellschaft 50.000 € Verlust. Hätte sie das Grundstück zu seinem objektiven Wert verkauft, wären die 50.000 € unmittelbar in das Stammkapital geflossen und damit den Gläubigern zugutegekommen.39 Folglich liegt eine Auszahlung in Höhe von 50.000 € vor.40 Steht der weggegebenen stillen Reserve hingegen ein vollwertiger Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruch gegenüber – im Beispielsfall verpflichtet sich der Gesellschafter 150.000 € für das Grundstück zu zahlen –, liegt keine Auszahlung nach § 30 Abs 1 GmbHG vor.41

_____ 35 RGZ 150, 28, 32 f; Baumbach/Hueck/Fastrich Rn 35 zu § 30 GmbHG; Lutter/Hommelhoff Rn 9 zu § 30 GmbHG. 36 Baumbach/Hueck/Fastrich Rn 37 zu § 30 GmbHG; Roth/Altmeppen Rn 12 zu § 30 GmbHG; GK-GmbHG/ Habersack Rn 43 zu § 30 GmbHG; ders ZGR 2009, 347, 353; Winter DStR 2007, 1484, 1486; Thole ZInsO 2011, 1425; Eusani GmbHR 2009, 795, 799; Bormann/Urlichs GmbHR Sonderheft MoMiG, 2008, 37, 48; Saenger FS Westermann, S 1381, 1387 f, 1397 f; Nodoushani ZIP 2012, 97, 104 für die AG. 37 Roth/Altmeppen Rn 13 zu § 30 GmbHG; Lutter/Hommelhoff Rn 32 zu § 30 GmbHG; Habersack ZGR 2009, 347, 351 f, der daher die Amtliche Begründung zum MoMiG, worin es heißt, der Gesetzgeber sei „zur bilanziellen Betrachtungsweise zurück[gekehrt], die bis zum November 2003 problemlos anerkannt war“ (Begr RegE ZIP 2007, Beilage zu Heft 23, S 17) als „schief“ bezeichnet; Thole ZInsO 2011, 1425. 38 GK-GmbHG/Habersack Rn 43 zu § 30 GmbHG; Spliedt ZIP 2009, 149, 152. 39 Freilich gilt dies nur, soweit die Gesellschaft eine Unterbilanz aufweist. Anderenfalls könnte der Geschäftsführer den Erlös ohnehin an die Gesellschafter ausschütten, ohne gegen § 30 Abs 1 GmbHG zu verstoßen (vgl Habersack ZGR 2009, 347, 354). Hätte die Gesellschaft im Beispielsfall ihr statutarisches Stammkapital vollständig aufgebracht und wäre es noch vorhanden und verkaufte sie nun das Grundstück an einen Dritten für 150.000 €, so könnte sie die stillen Reserven – mithin 50.000 € – an die Gesellschafter auszahlen, ohne gegen § 30 Abs 1 GmbHG zu verstoßen. Folglich könnte sie das Grundstück auch direkt an einen Gesellschafter für 100.000 € verkaufen. Von § 30 Abs 1 GmbHG geschützte Gläubigerinteressen würden nicht tangiert. Denn anstelle des bilanziellen Aktivpostens „Grundstück im Wert von 100.000 €“ tritt nun der Posten „100.000 € Barmittel“ oder „Kaufpreisforderung in Höhe von 100.000 €“. Am einzig für § 30 Abs 1 GmbHG relevanten bilanziellen Vermögen hat sich mithin nichts geändert. Freilich kann eine mit § 30 GmbHG vereinbare verdeckte Gewinnausschüttung gegen § 29 GmbHG (Gewinnverwendung) verstoßen. Dies ist aber für die Kapitalerhaltung ohne Belang und zieht auch keine strafrechtlichen Sanktionen nach sich. Bei der AG wäre freilich anders zu entscheiden, weil § 57 Abs 3 AktG nur die Auszahlung des Bilanzgewinns zulässt. 40 Vgl Lutter/Hommelhoff Rn 32 zu § 30 GmbHG; Winter DStR 2007, 1484, 1486; Rothley/Weinberger NZG 2010, 1001, 1004; Eusani GmbHR 2009, 795, 799. 41 Vgl Thole ZInsO 2011, 1425.

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c) An einen Gesellschafter Die Auszahlung muss an einen Gesellschafter erfolgen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die 11 Gesellschafterstellung ist die Begründung der Auszahlungsverpflichtung und nicht erst die effektive Leistung.42 Demnach sind auch Auszahlungen an einen inzwischen ausgeschiedenen Gesellschafter von § 30 Abs 1 GmbHG erfasst, wenn der Gesellschafter nur bei der Verpflichtung zur Auszahlung (dem Kausalgeschäft), nicht aber bei der effektiven Leistung (der Erfüllung) Gesellschafter der Gesellschaft war.43 Diese Sicht steht im Einklang mit der oben44 vertretenen Auffassung, dass bereits die Eingehung einer Verbindlichkeit eine Zahlung iSd § 30 Abs 1 GmbHG sein kann. Jedoch auch für den Fall, dass die Eingehung einer Verbindlichkeit keine Zahlung ist – bei Kreditsicherheiten ist dies etwa denkbar45 – kommt es für die Frage der Gesellschafterstellung auf den Zeitpunkt der Verpflichtung gegenüber dem Gesellschafter an. Denn anderenfalls könnte der gläubigerschützende § 30 Abs 1 GmbHG zu leicht umgangen werden. Auch Zusagen an künftige Gesellschafter werden von § 30 Abs 1 GmbHG erfasst. Es geht nämlich nicht an, dass eine Gesellschaft einem potentiellen Erwerber eines GmbH-Geschäftsanteils die Gewährung eines zinsgünstigen Darlehens verspricht und später, bei Valutierung des Darlehens argumentiert, sie leiste nur in Erfüllung einer mit einem Nicht-Gesellschafter eingegangenen Verbindlichkeit.46 Neben der Auszahlung an den Gesellschafter unterfallen § 30 Abs 1 GmbHG auch 12 Auszahlungen an Nichtgesellschafter, wenn die Auszahlungen wertungsmäßig einer Zahlung an einen Gesellschafter gleichstehen.47 Dies kann etwa der Fall sein bei einer engen rechtlichen oder persönlichen Verbundenheit mit dem Gesellschafter sowie bei mittelbaren Leistungen an einen Gesellschafter.48 Eine mittelbare Auszahlung an einen Gesellschafter liegt etwa vor, wenn die 13 Gesellschaft auf Veranlassung des Gesellschafters an einen Dritten zahlt, um eine Darlehensschuld zu tilgen, die sie gegenüber dem Gesellschafter hat.49 Gleich ist zu entscheiden, wenn die Gesellschaft an einen Dritten zahlt, um eine Verbindlichkeit ihres Gesellschafters gegenüber dem Dritten zu tilgen.50 In diesen Fällen ist der Gesellschafter selbst (mittelbarer) Zahlungsempfänger, womit ihn die Rückzahlungspflicht aus § 31 GmbHG trifft.51 Für die Haftung des Dritten aus § 31 GmbHG müssen hingegen weitere Voraussetzungen hinzukommen, beispielsweise ein besonderes per-

_____ 42 RGZ 133, 395; BGHZ 13, 49, 54; BGHZ 69, 274, 280; BGHZ 81, 252, 258; Baumbach/Hueck/Fastrich Rn 23 zu § 30 GmbHG; Roth/Altmeppen Rn 25 zu § 30 GmbHG; Canaris FS Fischer, 31, 32; Lutter/Hommelhoff Rn 19 zu § 30 GmbHG stellt zwar grds auf den Zeitpunkt der Auszahlung ab. Da er aber bereits in der schuldrechtlichen Verpflichtung zugunsten des Gesellschafters regelmäßig eine Auszahlung erblickt, kommt er idR zum selben Ergebnis wie die hM. 43 Canaris FS Fischer, 31, 32. 44 Rn 7. 45 S unten Rn 27. 46 Canaris FS Fischer, 31, 32 f. 47 OLG Rostock, NZG 1998, 385. Zu den Zahlungen der Gesellschaft an Dritte ausführlich Canaris FS Fischer, S 31 ff. 48 Die Einzelheiten sind umstr. Siehe BGH NJW 1998, 2592, 2594, wo schlicht davon die Rede ist, dass auch Dritte von der Norm erfasst werden, die der Gesellschaft oder einem Gesellschafter nahestehen; OLG Koblenz, Urteil v 16.7.2010 – 10 U 1510/09; OLG Düsseldorf GmbHR 1995, 227; Baumbach/Hueck/Fastrich Rn 24 ff zu § 30 GmbHG; Roth/Altmeppen Rn 31 zu § 30 GmbHG; zu § 57 AktG: Mülbert/Wilhelm FS Hommelhoff, 747, 752 f. 49 BGHZ 81, 365, 368; zu § 57 AktG: Mülbert/Wilhelm FS Hommelhoff, 747, 753. 50 BGHZ 81, 365, 368; Roth/Altmeppen Rn 30 zu § 30 GmbHG. 51 BGHZ 81, 365, 368; Baumbach/Hueck/Fastrich Rn 25 zu § 30 GmbHG.

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sönliches Näheverhältnis, das zB vorliegen kann, wenn der Dritte der Sohn des Gesellschafters ist.52 Eine in der Sanierungspraxis häufig auftretende Konstellation ist der Gesellschafter 14 als Treuhänder, der seinen Anteil treuhänderisch für einen Treugeber hält.53 Die wirtschaftliche Nähebeziehung zwischen Treuhänder und Treugeber führt dazu, dass bei Auszahlungen der Gesellschaft unmittelbar an den Treugeber zur Haftung des Treugebers nach §§ 30 Abs 1, 31 GmbHG führt.54 Der Treuhänder haftet gesamtschuldnerisch neben dem Treugeber, wenn er die Leistung veranlasst hat.55 Treugeber und Treunehmer haften auch dann gesamtschuldnerisch, wenn die Zahlung an den Treunehmer (unmittelbaren Gesellschafter) als Strohmann erfolgt.56 Einen interessanten Fall hatte das OLG Koblenz57 zu entscheiden: Die Komplementär-GmbH einer GmbH & Co KG gewährte dieser einen Kredit, der bei der GmbH eine Unterbilanz verursachte. An der GmbH & Co KG war der alleinige Gesellschafter-Geschäftsführer der Komplementär-GmbH selbst als Kommanditist beteiligt. Hierin liegt nach den Ausführungen des Gerichts jedenfalls dann keine verbotene Auszahlung iSv § 30 Abs 1 GmbHG, wenn der Kommanditist seine Einlage vollständig erbracht hat. Dann drohe ihm nämlich keine Inanspruchnahme durch die KG-Gläubiger, § 171 Abs 1 HGB, womit die KG als Dritte angesehen werden müsse und nicht als eine dem Gesellschafter nahestehende Person gelte. Zudem weist das Gericht darauf hin, dass die Komplementär-GmbH als persönlich haftende Gesellschafterin der KG mit ihrem ganzen Vermögen haftet, womit sie „mit der Gewährung des Darlehens zur Begleichung der Verbindlichkeiten ihrer eigenen Inanspruchnahme zuvorgekommen ist.“58

d) Schmälerung des Gesellschaftsvermögens 15 Nach der hier vertretenen Ansicht59 liegt schon keine Auszahlung vor, sofern es an einer

bilanziellen Vermögensschmälerung fehlt.60 Die hM geht hingegen bei jedem Vermögensabfluss von einer Auszahlung aus und prüft anschließend unter dem Tatbestandsmerkmal „Vermögen“, ob selbiges unter Zugrundelegung bilanzieller Erwägungen geschmälert wurde. Das bilanzielle Verständnis des § 30 GmbHG erlaubt es auch, solche Auszahlungen dem § 30 Abs 1 GmbHG zu subsumieren, die eine schon bestehende Unterbilanz lediglich vertiefen.61 16 Das Kapital wird nur bei vollwertigem Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruch nach § 30 Abs 1 S 2 Var 2 GmbHG nicht berührt. Unter Hinweis auf die „bilanzielle Architektur“ des § 30 GmbHG wird zu Recht vertreten, dass nicht nur die Berücksichtigung des Gegenleistungs- und Rückgewähranspruchs Ausfluss der bilanziellen Betrachtungs-

_____ 52 BGHZ 81, 365, 368 f; zur Haftung des Dritten ausführlich Canaris FS Fischer, S 31, 37 f, 56 der der Gesellschaft gegen den Dritten einen Rückgewähranspruch aus den allg Vorschriften, insbes den §§ 812, 817, 985 BGB, gewährt. S auch Rn 54. 53 BGH NJW 2004, 1111; BGH NJW 1989, 1800, 1801; Roth/Altmeppen Rn 32 ff zu § 30 GmbHG. 54 Roth/Altmeppen Rn 33 zu § 30 GmbHG; Baumbach/Hueck/Fastrich Rn 12 zu § 31 GmbHG. 55 Baumbach/Hueck/Fastrich Rn 12 zu § 31 GmbHG. 56 Baumbach/Hueck/Fastrich Rn 12 zu § 31 GmbHG. 57 OLG Koblenz, Urteil v 16.7.2010 – 10 U 1510/09. 58 OLG Koblenz, Urteil v 16.7.2010 – 10 U 1510/09; iE auch OLG Köln NZG 2003, 42, das aber insbes nicht danach differenziert, ob der Kommanditist seine Einlage vollständig erbracht hat oder nicht; krit dazu Baumbach/Hueck/Fastrich Rn 69 zu § 30 GmbHG. 59 S oben Rn 9. 60 S oben Rn 9. 61 BGH NJW 1990, 1730, 1732; K Schmidt, § 37 III 1d, S 1135 mit Nachweisen auch zur Gegenansicht.

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weise sei, sondern auch die Bemessung der Vollwertigkeit des Gegenleistungs- und Rückgewähranspruchs.62 Vor diesem Hintergrund ist ein Gegenleistungs- bzw Rückgewähranspruch vollwertig, dessen Aktivierbarkeit nicht zweifelhaft, mithin die Bonität des kreditnehmenden Gesellschafters gewährleistet und damit die Forderungsrealisierung unzweifelhaft ist.63 Im Kern geht es also um die Frage, wann von einer ausreichenden Bonität des Schuldners auszugehen ist, um die gegen ihn gerichtete Forderung in der Bilanz des Gläubigers aktivieren zu können. Der BGH definierte in seinem „MPS-Urteil“: „Die Bonität eines Schuldners beurteile sich nach seiner Vermögens- und Ertragslage.“64 Maßgeblicher Zeitpunkt sei derjenige der Darlehensausreichung.65 Eine Literaturauffassung schließt sich präzisierend dem Votum des BGH an. Dieser Ansicht nach liegt Bonität des Schuldners vor, wenn er mit genügend Vermögen ausgestattet ist, das er in Liquidität umwandeln könnte, um das Darlehen zu bedienen.66 Sowohl aus wirtschaftlichen Erwägungen als auch den gesetzgeberischen Intentionen, upstream-loans und cash pooling wieder „salonfähig“ zu machen, überzeugt diese Ansicht: Man muss bei der Beurteilung der Bonität auf die Vermögenslage des Schuldners im Zeitpunkt der Leistung (etwa der Dahrlehensausreichung) abstellen, wobei es zu berücksichtigen gilt, ob das Vermögen notfalls in Liquidität umgewandelt werden kann. Spätere negative Entwicklungen der Bonität des Schuldners bleiben unberücksichtigt und führen nicht zur Aberkennung der Vollwertigkeit.67 Eine Besicherung des Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruchs ist nicht erfor- 17 derlich, sofern der Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruch vollwertig im oben beschriebenen Sinne ist.68 Ein umfassender Drittvergleich,69 der in der Regel eine Besicherung verlangte, ist seit Inkrafttreten des MoMiG nicht mehr notwendig. Er fügt sich nicht

_____ 62 Roth/Altmeppen Rn 111 zu § 30 GmbHG; Baumbach/Hueck/Fastrich Rn 42 zu § 30 GmbHG; Söhner ZIP 2011, 2085, 2086; Käpplinger NZG 2010, 1411, 1412; Brocker/Rockstroh BB 2009, 730, 731; Thole ZInsO 2011, 1425, 1426; Rothley/Weinberger NZG 2010, 1001; Mülbert/Leuschner NZG 2009, 281; Winter DStR 2007, 1484, 1486; Mülbert/Wilhelm FS Hommelhoff, 747, 773, die den § 30 Abs 1 GmbHG, anders als den § 57 Abs 1 AktG, strikt bilanziell interpretieren; für die AG: BGH NJW 2011, 2719, 2721 f („Telekom“). Der BGH schwenkt entgegen zahlreicher Literaturstimmen einen strikt bilanziellen Kurs ein bei der Bemessung der Gegenleistung. Nicht bilanziell messbare Leistungen sind nach dem BGH nicht zu berücksichtigen; aA Arbeitskreis zum DT III-Urteil des BGH, CFL 2011, 2719, 377, 378 (Gegenleistungsanspruch muss lediglich konkret und bezifferbar sein); kritisch auch Nodoushani ZIP 2012, 97, 103 ff; Leuschner NJW 2011, 3275 f, der dem BGH iE zustimmt, nicht jedoch in der Begründung. 63 BGH WM 2009, 78, 81; Roth/Altmeppen Rn 111 zu § 30 GmbHG; ders ZIP 2009, 49, 53; Spliedt ZIP 2009, 149, 151; Wicke Rn 10 zu § 30 GmbHG; Bauer ZInsO 2011, 1335, 1339; Rothley/Weinberger NZG 2010, 1001, 1003; Goette/Goette FS Goette, S 97, 104; nach Lutter/Hommelhoff Rn 28 zu § 30 GmbHG definiert die tatsächliche Durchsetzbarkeit der Forderung ihre Vollwertigkeit mit. Jedoch komme es ua auf das Risiko der Einbringlichkeit an. Zudem hänge die Vollwertigkeit maßgeblich von der Bonität des Schuldners ab; Sotiropoulos S 29. 64 BGH WM 2009, 78, 81. 65 BGH WM 2009, 78, 81; Baumbach/Hueck/Fastrich Rn 43 zu § 30 GmbHG; aA Rothley/Weinberger NZG 2010, 1001, 1003, die sich zu Unrecht auf das „MPS-Urteil“ des BGH berufen, in dem dieser ausdrücklich auf die Darlehensausreichung abstellt. 66 Käpplinger NZG 2010, 1411, 1412 für die unten in Rn 20 noch ausführlich behandelte Fallgestaltung von upstream-loans einer Zielgesellschaft an eine Akquisitionsgesellschaft. 67 BGH WM 2009, 78, 81; Rothley/Weinberger NZG 2010, 1001, 1003; Bachmann/Hassner WuB II C § 43a GmbHG 1.12. 68 Vgl BGH ZIP 2009, 70, Rn 10 ff; Roth/Altmeppen Rn 104 zu § 19 GmbHG; Roth/Altmeppen Rn 114 zu § 30 GmbHG; Baumbach/Hueck/Fastrich Rn 56 zu § 30 GmbHG; Söhner ZIP 2011, 2085, 2087; Kiefner/Theusinger NZG 2008, 801, 806; Drygala/Kremer ZIP 2007, 1289, 1293. 69 Dafür Eusani GmbHR 2009, 795, 800; Bachmann/Hassner WuB II C § 43a GmbHG 1.12; zu § 57 AktG: Mülbert/Wilhelm FS Hommelhoff, 747, 770.

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in die „bilanzielle Architektur“ des § 30 GmbHG ein. Denn für die Aktivierung des Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruchs in der Bilanz ist eine Besicherung keine zwingende Voraussetzung. Jedoch bedeutet dies nicht, dass die Besicherung für die Beurteilung der Vollwertigkeit keine Rolle spielt. Sie kann einem Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruch, der die Darlehensforderung wertmäßig nicht vollständig deckt, die Vollwertigkeit verleihen.70 Man denke etwa an den Schuldner, der nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in der Lage sein wird, das Darlehen zurückzuzahlen. Die Bestellung einer Sicherheit vermag über diese „Bonitätslücke“ hinwegzuhelfen und dient somit als Kompensation dafür. Auch eine Verzinsung der Rückzahlungsforderung ist für deren Vollwertigkeit grundsätzlich nicht erforderlich.71 18 Ein nur teilweise vollwertiger Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruch ist nicht berücksichtigungsfähig.72 Dafür spricht ein Vergleich mit der insoweit vergleichbaren Novellenregelung zum „Hin- und Herzahlen“ in § 19 Abs 5 GmbHG,73 bei der sich der Gesetzgeber ausdrücklich für das „Alles-oder-Nichts-Prinzip“ entschied.74 Dies überzeugt, weil die generelle Anordnung der bilanziellen Betrachtungsweise den Grundsatz der Kapitalaufbringung und -erhaltung nicht unerheblich einschränkt und somit nur gerechtfertigt ist, wenn keine Zweifel an der Bonität des Gesellschafters bestehen, der Darlehen aus gebundenem Gesellschaftsvermögen erhält.75

e) Praxisrelevante Fallgestaltungen aa) Verdeckte Gewinnausschüttung 19 Eine verdeckte Gewinnausschüttung76 liegt vor, wenn einem Gesellschafter Vermögenswerte aus dem Vermögen „seiner“ Gesellschaft unter deren objektivem Wert77 überlassen werden.78 Als Beispiel sei die „Tiefbau-Entscheidung“ des BGH aus dem Jahr 1989 angeführt.79 Darin ging es ua um die Verpachtung eines Grundstücks des Gesellschafters an „seine“ GmbH zu weit überhöhten Pachtzinsen. Der II. Zivilsenat bejahte einen Verstoß gegen § 30 Abs 1 GmbHG. Um eine verdeckte Gewinnausschüttung handelt es sich aber auch, wenn der Gesellschafter ein Darlehen zu günstigeren als den marktüblichen Zinsen erhält.80 Freilich verstoßen verdeckte Gewinnausschüttungen nur dann gegen § 30 Abs 1 GmbHG, wenn sie eine Unterbilanz verursachen oder vertiefen.81

_____ 70 Roth/Altmeppen Rn 104 zu § 19 GmbHG; Wicke Rn 10 zu § 30 GmbHG; Söhner ZIP 2011, 2085, 2087; Rothley/Weinberger NZG 2010, 1001, 1003; Drygala/Kremer ZIP 2007, 1289; Sotiropoulos S 29. 71 Zur Ausnahme bei längerfristigen Darlehen an Gesellschafter vgl Baumbach/Hueck/Fastrich Rn 56 zu § 30 GmbHG; aA OLG Frankfurt ZIP 2011, 392, 393. 72 OLG Frankfurt ZIP 2011, 392; Baumbach/Hueck/Fastrich Rn 55 zu § 30 GmbHG; Bork/Schäfer/Thiessen Rn 78 zu § 30 GmbHG; Lutter/Hommelhoff Rn 27 zu § 30 GmbHG; Roth/Altmeppen Rn 113 zu § 30 GmbHG; ders ZIP 2009, 49, 53; Spliedt ZIP 2009, 149, 151 f; Bormann/Urlichs GmbHR Sonderheft MoMiG, 2008, 37, 48; aA Mülbert/Leuschner NZG 2009, 281, 282; Hirte, ZInsO 2008, 689, 691. 73 Begr RegE BT-Drucks 16/6140, S 76; Altmeppen ZIP 2009, 49, 53; Bork/Schäfer/Thiessen Rn 78 zu § 30 GmbHG; Bormann/Urlichs GmbHR 2008, 37, 48. 74 Begr RegE BT-Drucks 16/6140, S 76. 75 Altmeppen ZIP 2009, 49, 53. 76 Terminologisch korrekt müsste man von „verdeckter Ausschüttung“ sprechen, da kein Gewinn iSd Handelsrechts betroffen ist, vgl Sotiropoulos S 23, Fn 3. 77 Zur Bemessung des objektiven Werts allg: Finkenauer FS H.P. Westermann, S 183, 195 ff. 78 Bitter ZInsO 2010, 1505, 1509; vgl auch das Beispiel in Rn 10. 79 BGH NJW 1989, 1800, 1801 und unten Rn 62. 80 S dazu unten Rn 23 f. 81 K Schmidt, § 37 III 2d, S 1140; Flume AT I 2, § 8 IV 2d, S 294. Vgl auch die Ausführungen oben Rn 10.

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bb) Darlehensgewährung an Gesellschafter Gewährt die Gesellschaft einem ihrer Gesellschafter ein Darlehen, stellt dies nur dann 20 eine Auszahlung dar, wenn die Gesellschaft im Gegenzug keinen vollwertigen Rückzahlungsanspruch erwirbt. Besonders praxisrelevant sind die upstream-loans (aufsteigenden Darlehen). Dabei handelt es sich um Darlehen, die eine Tochtergesellschaft ihrer Muttergesellschaft gewährt. Ein prominentes Beispiel für upstream-loans ist die „MPS-Entscheidung“.82 Darin ging es um die Beurteilung aufsteigender Darlehen im Cash pool83 eines faktischen Konzerns. Indem der BGH ausführt, „dass eine Einlagenrückgewähr nicht vorliegt bei Leistungen der Gesellschaft, welche durch einen vollwertigen Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruch gegen den Aktionär gedeckt sind“84, rehabilitierte er die zuvor durch die „November-Entscheidung“ vom 23.11.200385 stark in ihrer „Einsetzbarkeit“ erschütterten upstream-loans86. In seiner „November-Entscheidung“ führte der BGH aus, dass vollwertige Rückzahlungs- und Gegenleistungsansprüche bei der Frage, ob ein Darlehen gegen § 30 Abs 1 GmbHG verstoße, nicht zu berücksichtigen seien. Freilich darf nicht verkannt werden, dass die Auswirkungen der „November-Entscheidung“ auf die abhängige AG keinesfalls die „verheerenden“ Wirkungen hatte wie für die GmbH.87 Denn im Aktienrecht verdrängt der rein vermögensschützende und bilanziell auszulegende § 311 AktG den § 57 Abs 1 AktG in den häufig anzutreffenden Konstellationen faktischer Konzerne als lex specialis. 88 Vor diesem Hintergrund war im faktischen AGKonzern der vollwertige Rückzahlungsanspruch einer Darlehensverbindlichkeit trotz der „November-Entscheidung“ zu berücksichtigen. In der Private-Equity-Praxis bedeutsam sind die Fälle von upstream-loans an Akqui- 21 sitionsvehikel, die regelmäßig im Kontext von leverage-buy-outs (LBOs) auftauchen.89 Der „Standard-Sachverhalt“ liegt wie folgt: Eine AG (Käuferin) will eine GmbH (Zielgesellschaft) erwerben. Zu diesem Zweck bedient sie sich einer eigens zum Erwerb der Zielgesellschaft gegründeten GmbH als Akquisitionsvehikel (Erwerbsgesellschaft).90 Die AG stattet die Erwerbsgesellschaft mit dem Mindeststammkapital von 25.000 € sowie weiterem zum Erwerb der Zielgesellschaft erforderlichen Vermögen aus, das sich teils aus Eigen-, teils aus Fremdkapital zusammensetzt. Muss die Käuferin für den Erwerb der Zielgesellschaft deren Marktwert, etwa 1.000.000 €, zahlen und schießen die Gesellschafter

_____ 82 BGH WM 2009, 78 ff; vgl auch Komo GmbHR 2010, 230, 232 und oben Rn 3. 83 Zum Cash pooling ausführlich unten Rn 25. 84 BGH WM 2009, 78, 80; so entschied bereits 1935 das Reichsgericht in einer ähnlich gelagerten Entscheidung: RGZ 130, 28 ff. 85 BGHZ 157, 72 ff und oben Rn 3. 86 Bauer ZInsO 2011, 1335, 1337 spricht von „ganz erhebliche[n] Auswirkungen auf die Innenfinanzierung von Konzernen durch Cash pooling“; Habersack ZGR 2009, 347, 349 spricht vom „grauen November des Jahres 2003“; Rothley/Weinberger NZG 2010, 1001, sprechen von einer „erheblichen Verunsicherung“. 87 Habersack ZGR 2009, 347, 355 f. 88 Habersack ZGR 2009, 347, 355 f; Riegger ZGR 2008, 233, 239 f; Winter NZG 2012, 1371, 1373; Ziemons GWR 2011, 404, mit dem zutreffenden Hinweis darauf, dass der BGH in seiner Telekom-Entscheidung vom 31.5.2011 (NZG 2011, 829) die Subsidiarität der §§ 57, 62 AktG wie folgt konkretisierte: § 311 AktG entfalte nur Sperrwirkung, wenn bis zum Ablauf des betreffenden Geschäftsjahres der Nachteil tatsächlich ausgeglichen wurde oder ein Rechtsanspruch auf künftigen Nachteilsausgleich tatsächlich eingeräumt wurde; aA Flume AT I 2, § 4 IV, S 127. Auf die abhängige GmbH ist § 311 AktG nicht, auch nicht analog, anwendbar, vgl Hüffer/Koch, AktG Rn 53 zu § 311 AktG. 89 Vgl instruktiv Söhner ZIP 2011, 2085 ff. 90 Der Grund für den Erwerb mittels eines Akquisitionsvehikels ist insbesondere in steuerrechtlichen Erwägungen zu sehen. Zudem spielt es eine Rolle, dass sich die Käufergesellschaft mit dem Erwerb der Zielgesellschaft keinen unnötigen Haftungsrisiken aussetzen will.

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375.000 € Eigenkapital zu, so benötigt die Erwerbsgesellschaft weitere 600.000 € Fremdkapital, etwa durch Bankkredite. Damit ist die Erwerbsgesellschaft zu 40% mit Eigen- und zu 60% mit Fremdkapital ausgestattet. Nach dem Erwerb der Zielgesellschaft weist die Erwerbsgesellschaft in ihrer Bilanz auf der Aktivseite die Anteile der Zielgesellschaft iHv 1.000.000 € aus, wohingegen auf der Passivseite neben den 25.000 € Stammkapital die 375.000 € Eigenkapital als Rücklagen und 600.000 € Verbindlichkeiten zu verbuchen sind. Das Kapitalerhaltungsrecht kommt zum einen dann ins Spiel, wenn die Zielgesellschaft der Erwerbsgesellschaft ein upstream-loan aus gebundenem Vermögen zu marktgerechten Zinsen gewährt, damit die Erwerbsgesellschaft ihre Bankkredite (teilweise) zurückführen kann. Streitig ist, ob die Darlehensausreichung durch einen vollwertigen Rückgewähranspruch gedeckt ist. Eine Auffassung bejaht dies.91 Als Argument führt sie an, dass die von der Erwerbsgesellschaft gehaltenen Anteile an der Zielgesellschaft als liquidierbares Vermögen der Erwerbsgesellschaft einzuordnen sind, mit der Folge, dass ein vollwertiger Rückzahlungsanspruch vorliegt.92 Die Gegenansicht93 beruft sich auf den Willen des MoMiG-Gesetzgebers. In der Begründung zu § 30 Abs 1 S 2 GmbHG heißt es: „Ist der Gesellschafter zB eine mit geringen Mitteln ausgestattete Erwerbsgesellschaft oder ist die Durchsetzbarkeit der Forderung aus anderen Gründen absehbar in Frage gestellt, dürfte die Vollwertigkeit regelmäßig zu verneinen sein.“94 Nach den Ausführungen in Rn 16 ist die erste Auffassung im Erg zu bevorzugen. Solange die Erwerbsgesellschaft ihr Vermögen und das Vermögen der Zielgesellschaft in Liquidität umwandeln kann, die die Darlehenssumme deckt, ist von der Vollwertigkeit des Rückgewähranspruchs auszugehen. Denn die Erwerbsgesellschaft kann als alleinige Gesellschafterin der Zielgesellschaft in den Grenzen des Kapitalerhaltungsrechts grundsätzlich frei über das Vermögen der Zielgesellschaft verfügen. Im Ansatz gleich zu entscheiden ist für die praktisch relevanten Sicherheiten, die die Zielgesellschaft zugunsten ihres Gesellschafters – dh der Obergesellschaft – stellt. Auch hier ist anhand der unten95 ausführlich dargestellten Kriterien zu prüfen, ob den Anforderungen der §§ 30 Abs 1 GmbHG, 57 AktG genügt ist. Zum anderen werden Fragen der Kapitalerhaltung akut, wenn sich an die Private 22 Equity Transaktion ein downstream merger anschließt (debt push down).96 Um im Bilde des in Rn 21 geschilderten Falls zu bleiben, bedeutet dies, dass die Erwerbsgesellschaft auf die Zielgesellschaft verschmolzen wird. Dabei gehen die von der Erwerbsgesellschaft gehaltenen Anteile an der Zielgesellschaft auf die Käuferin über, wohingegen das Vermögen, mithin auch die Verbindlichkeiten der Erwerbsgesellschaft, auf die Zielgesellschaft übergeht.97 Weist das Vermögen der Erwerbsgesellschaft einen negativen Saldo auf und kompensieren Aktiva der Zielgesellschaft nicht die Verbindlichkeiten der Erwerbsgesellschaft – was bei LBOs regelmäßig der Fall sein wird –, so liegt nach einer

_____ 91 Käpplinger NZG 2010, 1411 ff. 92 Käpplinger NZG 2010, 1411, 1412. 93 Söhner ZIP 2011, 2085, 2087; v Braunschweig FD-MA 2009, 273906; Riegger ZGR 2008, 233, 238 f, der seine Aussage jedoch noch spekulativ im Hinblick auf das zur Zeit des Beitrags noch nicht verabschiedete MoMiG trifft. 94 Begr RegE zum MoMiG, BT-Dr 16/6140, S 41. 95 Rn 26 ff. 96 Vgl Klein/Stephanblome ZGR 2007, 351, 364 ff. Freilich ist auch ein Upstream-Merger denkbar, der jedoch wegen der damit einhergehenden Hebung der stillen Reserven bei der operativ agierenden Tochtergesellschaft in der Praxis wohl seltener angewandt wird. 97 Vgl Klein/Stephanblome ZGR 2007, 351, 353 f; Riegger ZGR 2008, 233, 246; Söhner ZIP 2011, 2085, 2089; Mertens AG 2005, 785, 786; instruktiv zur Frage, ob und inwieweit dies eine Kapitalerhöhung bei der Zielgesellschaft bedingt: Klein/Stephanblome ZGR 2007, 351, 353 ff.

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Ansicht ein Verstoß gegen § 30 Abs 1 GmbHG vor, wenn die Zielgesellschaft ihr statutarisches Stammkapital unterschreitet.98 Nach einer anderen Auffassung soll ein downstream merger bei überschuldeter Erwerbsgesellschaft sogar stets unzulässig sein.99 Eine differenzierende Ansicht nimmt bei einer AG als übernehmenden Rechtsträger stets einen Verstoß gegen § 57 Abs 1 AktG an, wenn ein Schuldenüberhang beim übertragenden Rechtsträger besteht; bei einer GmbH als übernehmender Rechtsträger werde gegen § 30 GmbHG nur verstoßen, sofern der downstream merger eine Unterbilanz bei der Zielgesellschaft herbeiführe.100 Zur Begründung wird die unterschiedliche Reichweite des Kapitalschutzes bei § 30 Abs 1 GmbHG einerseits und § 57 Abs 1, 3 AktG andererseits genannt. Einen diametral entgegengesetzten Standpunkt vertreten diejenigen Autoren,101 die eine verbotswidrige Auszahlung generell verneinen, da bei der Verschmelzung im Rahmen des downstream mergers das Vermögen nicht rechtsgeschäftlich, sondern nach § 20 Abs 1 Nr 1 UmwG kraft Gesetzes übergehe.102 Vor dem Hintergrund des von §§ 30 Abs 1 GmbHG, 57 Abs 1 AktG bezweckten Gläubigerschutzes und dem extensiven Zahlungsbegriff ist die letztgenannte Ansicht abzulehnen. Jedoch überzeugt es auch nicht, einen downstream merger in der GmbH stets für unzulässig zu halten. Denn zum einen existiert für diesen Fall keine dem § 152 S 2 UmwG – der für die Ausgliederung eines einzelkaufmännischen Betriebs gilt – vergleichbare Norm, wonach eine Ausgliederung bei Überschuldung explizit untersagt ist. Zum anderen setzt der Gläubigerschutz bei der GmbH erst mit Unterschreitung des Stammkapitals ein. Folglich ist ein downstream merger solange zulässig, als das statutarische Stammkapital der aufnehmenden GmbH (Zielgesellschaft) durch den Vermögensübergang der übertragenden Gesellschaft nicht unterschritten wird. 103 Dagegen wird bei der AG ein downstream merger regelmäßig gegen § 57 Abs 1 AktG verstoßen, sofern beim übertragenden Rechtsträger ein Schuldenüberhang besteht. Im Kontext der Darlehensgewährung ist noch folgende Fallgestaltung problema- 23 tisch: Eine unterkapitalisierte GmbH gewährt „ihrem“ Gesellschafter ein zinsloses Darlehen oder ein Darlehen unterhalb des marktüblichen Zinssatzes. Damit „verzichtet“ sie auf eine Vermögensmehrung; hätte sie nämlich das Darlehen einem außenstehenden Dritten gewährt, so hätte sie den marktüblichen Zins verlangt (Drittvergleich). Während der „Prä-MoMiG-Rechtslage“ subsumierte die hM diese Konstellation dem § 30 Abs 1 GmbHG,104 hält daran aber auch nach Inkrafttreten des MoMiG fest.105 Dies überzeugt dann, wenn die Gesellschaft im Zeitpunkt der Darlehensgewährung eine Unterbilanz

_____ 98 Lutter/Winter/Priester Rn 62 zu § 24 UmwG; MK-AktG/Bayer Rn 95 zu § 57 AktG. 99 OLG Stuttgart NZG 2006, 159 f; Klein/Stephanblome ZGR 2007, 351, 366 ff; Hüffer/Koch, AktG, Rn 2 zu § 57 AktG (für die AG). 100 Mertens AG 2005, 785, 786; vgl auch Seibert in FS Schwark, S 261, 268. 101 Söhner ZIP 2011, 2085, 2089; Riegger ZGR 2008, 233, 238 f; Bock GmbHR 2005, 1023 ff; KK-UmwG/ Simon Rn 155 zu § 2 UmwG; im Erg ebenso Diem § 49, Rn 35 (S 347). 102 Söhner ZIP 2011, 2085, 2089; Riegger ZGR 2008, 233, 246 f. 103 Semler/Stengel/Diekmann Rn 15 zu § 68 UmwG. 104 S nur Canaris FS Fischer, S 31, 35, Fn 12. 105 Vgl Baumbach/Hueck/Fastrich Rn 34 zu § 30 GmbHG; Mülbert/Leuschner NZG 2009, 281, 282 f; Eusani GmbHR 2009, 795, 796; aA Rothley/Weinberger NZG 2010, 1001, 1005; Kiefner/Theusinger NZG 2008, 801, 804; Brocker/Rockstroh BB 2009, 730, 732; Drygala/Kremer ZIP 2007, 1289, 1293, die damit verkennen, dass den Gläubigern der unterkapitalisierten Gesellschaft auf diese Weise Geld in Gestalt der fehlenden Zinserträge vorenthalten wird, das bei einem vergleichbaren Drittgeschäft unmittelbar in das Stammkapital geflossen wäre.

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aufweist.106 Zu diesem Ergebnis gelangt man auch durch eine stringente Anwendung der bilanziellen Betrachtungsweise bei zinslosen Darlehen, die länger als ein Jahr laufen. In diesen Fällen ist nämlich das Darlehen abzuzinsen.107 Die Differenz des abgezinsten Betrags zum nominellen Darlehensbetrag stellt den Zinsausfall der Gesellschaft dar. Freilich liegt eine verdeckte Gewinnausschüttung nur in Höhe der fehlenden bzw zu 24 niedrig veranschlagten Zinsen vor.108 Dies hat der BGH in seinem „MPS-Urteil“ entschieden109 und korreliert mit dem Schutzzweck des § 30 Abs 1 GmbHG, der nach der hier vertretenen Auffassung einzig die Gläubiger im Blick hat. Deren Interessen sind nämlich nur insoweit tangiert, als die Gesellschaft keinen marktüblichen Zins für das Darlehen verlangt. Eine – scheinbare – Besonderheit stellt sich noch im Rahmen der Darlehensvergabe 25 beim cash pooling.110 Es handelt sich dabei um eine in der Praxis gängige Form der Konzernfinanzierung, die va der Zinsoptimierung und der Liquiditätsverbesserung im Konzern dient.111 Beim cash pooling werden die Kontosalden der in das cash pool-System eingebundenen Gesellschaften auf einem zentralen Verrechnungskonto des cash poolFührers (idR der Mutter- oder Obergesellschaft) verrechnet.112 Der Verrechnungszeitraum beträgt idR einen Bankarbeitstag.113 Die Unterkonten werden am Verrechnungstag zumeist auf null gestellt (sog zero balancing),114 dh ein negativer Saldo wird komplett ausgeglichen, ein positiver vollständig abgeschöpft.115 Die Rechtsverhältnisse zwischen den am cash pool beteiligten Gesellschaften werden nach hM als wechselseitige Darlehensverhältnisse eingestuft.116 Es wird teilweise vertreten, dass die zinslose, kurzfristige „Geldüberlassung“ an den cash pool dann keine gegen § 30 Abs 1 GmbHG verstoßende Auszahlung sei, wenn die Kredit gewährende (Tochter-)Gesellschaft im Gegenzug ihrer-

_____ 106 Vgl Lutter/Hommelhoff Rn 32 zu § 30 GmbHG; Goette Rn 34 zu § 3; Spliedt ZIP 2009, 149, 150. 107 Eusani GmbHR 2009, 795, 796. 108 Spliedt ZIP 2009, 149, 150; Mülbert/Leuschner NZG 2009, 281, 284; Kiefner/Theusinger NZG 2008, 801, 804; Sotiropoulos S 27. 109 BGH WM 2009, 78, 81. Es überzeugt nicht, wenn Rothley/Weinberger NZG 2010, 1001, 1006 den BGH dahingehend interpretieren, dass „die Frage einer unzulänglichen Verzinsung […] keine Frage einer unzulässigen Einlagenrückgewähr, sondern lediglich eine Frage von Pflichtverletzungen und Schadensersatzansprüchen ist.“ Zwar verweist der BGH auf Schadensersatzansprüche nach §§ 317, 318 AktG. Jedoch geht es dabei ausschließlich um einen Verstoß gegen § 311 AktG – darin ist die Nachteilszufügung gegenüber der abhängigen Aktiengesellschaft im faktischen Konzern geregelt –, der ausschließlich über die Schadensersatznormen der §§ 317, 318 AktG sanktioniert ist. Eine dem § 62 AktG entsprechende Norm fehlt im Regime der §§ 311 ff AktG gerade. Spricht der BGH von Pflichtverletzung, so meint er selbstredend die Nachteilszufügung iSv § 311 Abs 1 AktG. Gemünzt auf die §§ 30 Abs 1 GmbHG, 57 Abs 1 AktG bedeutet dies: Werden Zinsen nicht in der marktüblichen Höhe verlangt, so liegt in der Differenz zwischen tatsächlich vereinbarten Zinsen und marktüblichem Zinssatz eine verbotene Auszahlung vor. Im System der Kapitalerhaltung ist diese verschuldensunabhängig via §§ 31 GmbHG, 62 AktG zurückzuzahlen, im Rahmen der Nachteilszufügung nach § 311 AktG muss ein Verschulden hinzukommen, §§ 317, 318 AktG. 110 Zum Begriff und zu dessen rechtlichem und ökonomischem Hintergrund: Altmeppen NZG 2010, 361 f; Willemsen/Rechel BB 2009, 2215, 2216; Klinck/Gärtner NZI 2008, 457; auf das für die Kapitalerhaltung folgenlose virtuelle Cash Pooling ist hier nicht weiter einzugehen. 111 Willemsen/Rechel BB 2009, 2215, 2216; Klein ZIP 2017, 258. 112 Altmeppen NZG 2010, 361 f; Goette/Goette FS Goette, S 97, 102; Saenger FS Westermann, S 1381, 1382. 113 Altmeppen NZG 2010, 361; Goette/Goette FS Goette, S 97, 102; Saenger FS Westermann, S 1381, 1382. 114 Priester ZIP 2006, 1557; beim sog Conditional- oder Target-Balancing werden die Konten bis zu einem vereinbarten Betrag ausgeglichen, vgl Willemsen/Rechel BB 2009, 2215, 2216. 115 Altmeppen NZG 2010, 361; Goette/Goette FS Goette, S 97, 102; Saenger FS Westermann, S 1381, 1382. 116 Priester ZIP 2006, 1557 m Nachw; aA Decker ZGR 2013, 392, 398 ff.

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seits zinslose Zahlungen aus dem cash pool erhalten könne.117 Innerhalb dieser Auffassung ist streitig, ob die Grenze für ein kurzfristiges Darlehen bei sechs Monaten118 oder bei einem Jahr zu ziehen ist.119 Dagegen tritt eine Gegenansicht120 für eine Verzinsungspflicht auch bei kurzfristigen cash pool-Darlehen ein. Sie führt an, dass bereits aus bilanzieller Perspektive dem erlassenen Darlehenszins eine konkrete Gegenleistung gegenüberstehen müsse.121 Allgemeine, nicht näher qualifizierbare Vorteile aus dem cash pool-System genügen nicht für einen bilanziellen Vorteil. Des Weiteren widerspreche ein pauschaler Abzinsungsverzicht, auf den die Zulässigkeit der zinslosen Darlehensgewährung hinausläuft, dem handelsbilanziellen Vorsichtsprinzip.122 Vor dem Hintergrund des gesetzgeberischen Willens, die durch die November-Rechtsprechung123 aufgeworfenen Bedenken gegen das cash pooling auszuräumen,124 sollte bei Darlehen, die im Rahmen eines cash poolings gewährt werden, nicht bereits dann von einem Verstoß gegen § 30 GmbHG ausgegangen werden, wenn ein zinsloses Darlehen für nicht länger als ein Jahr gewährt wird.125

cc) Kreditsicherheiten § 30 Abs 1 GmbHG erlangt Bedeutung auch im Recht der Kreditsicherung. Praxisrele- 26 vant sind insbesondere upstream securities126: Eine Tochter-GmbH besichert ein Darlehen ihrer Obergesellschaft – etwa einer AG oder GmbH – gegenüber einem Dritten. Darin liegt eine zumindest mittelbare Auszahlung zugunsten der Obergesellschaft – sei es im Zeitpunkt der Sicherheitenbestellung oder deren Verwertung.127 Es ist streitig, ob bereits die Bestellung einer Sicherheit oder erst deren Verwertung 27 oder gar Bestellung und Verwertung eine Auszahlung iSv § 30 Abs 1 GmbHG ist.128 Die Meinungsverschiedenheit beruht ua auf der bereits oben129 besprochenen und inzwischen überholten „November-Rechtsprechung“ des BGH. Zur Wiederholung: Mit der „November-Rechtsprechung“ wurde vorübergehend die bilanzielle Betrachtungsweise der §§ 30 GmbHG und 57 AktG aufgegeben. Davon motiviert wurde in der Literatur vertre-

_____ 117 Altmeppen ZIP 2009, 49, 52; Drygala/Kremer ZIP 2007, 1289, 1293; zweifelnd Mülbert/Leuschner NZG 2009, 281, 283. 118 Altmeppen ZIP 2009, 49, 52. 119 Bauer ZInsO 2011, 1335, 1339; Brocker/Rockstroh BB 2009, 730, 732; Drygala/Kremer ZIP 2007, 1289, 1293; Kiefner/Theusinger NZG 2008, 801, 804; Thole ZInsO 2011, 1425, 1426 verlangt keine zeitliche Begrenzung. Er konstatiert schlicht: „Ebenso wenig schadet stets die fehlende Verzinsung.“ 120 Eusani GmbHR 2009, 795, 798; Söhner ZIP 2011, 2085, 2087. 121 Eusani GmbHR 2009, 795, 798. 122 Eusani GmbHR 2009, 795, 797. 123 Dazu oben Rn 3 und 20 und unten Rn 27. 124 MoMiG Referentenentwurf v 29.5.2006, S 53 f. 125 Klein ZIP 2017, 258, 259 f. Zu Darlehen mit einer längeren Laufzeit als 1 Jahr s oben Rn 23. 126 Aber auch sidestream securities sind praktisch relevant. 127 BGH NJW 2011, 2719, 2720, Rz 16 („Telekom“); BGH NJW-RR 2008, 51; Ring/Grziwotz/Barth Rn 28 zu § 30 GmbHG; Schilmar DB 2004, 1411, 1415; Kollmorgen/Santelmann/Weiß BB 2009, 1818; Sutter/Masseli WM 2010, 1064; Winkler/Roman ZIP 2009, 2361; jurisPR-HaGesR/Bormann 4/2008, F.2; Böcker ZGR 2006, 213, 219; vgl auch schon RGZ 146, 84, 92; nach Mülbert/Wilhelm FS Hommelhoff, 747, 761 liegt eine unmittelbare Zuwendung der Gesellschaft an den Gesellschafter vor, da die Sicherheitenbestellung einem Kredit an den Gesellschafter gleichzusetzen sei. 128 Zum Streitstand ausführlich Goette/Habersack/Vetter Rn 4.70 ff. 129 Rn 3.

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ten, dass bereits in der Bestellung der Sicherheit eine Auszahlung zu sehen sei.130 Argumentiert wurde mitunter wie folgt: Bilanziell betrachtet sei die Bestellung von Sicherheiten in der Regel kein Vermögensabfluss, was sich den §§ 251, 268 Abs 7 HGB – danach sind Sicherheiten grundsätzlich nur unter der Bilanz zu vermerken – entnehmen lasse. Nachdem der BGH in seiner „November-Entscheidung“ aber die bilanzielle Betrachtung aufgegeben habe, sei das den §§ 251, 268 Abs 7 HGB entnommene „Bilanzargument“ hinfällig. Vor diesem Hintergrund sei es zulässig, bereits in der Sicherheitenbestellung als besondere Form der Kreditgewährung131 eine Auszahlung zu sehen.132 Nachdem der BGH in seiner „MPS-Entscheidung“ die „November-Rechtsprechung“ aufgab und auch der Gesetzgeber zur bilanziellen Betrachtung zurückkehrte, wird vielfach jedoch wieder – wie teilweise bereits vor der „November-Entscheidung“ vertreten133 – auf den Zeitpunkt der Sicherheitsverwertung abgestellt.134 Andere Autoren sehen in der Sicherheitenbestellung eine unzulässig Zahlung, wenn die Kreditsicherheit bereits im Zeitpunkt ihrer Bestellung zu passivieren und kein vollwertiger Gegenleistungs- oder Rückzahlungsanspruch bestehe.135 Eine Passivierung sei vorzunehmen, wenn die Inanspruchnahme aus der Sicherheit bereits bei ihrer Bestellung ernsthaft drohe, da dann eine bilanzielle Rückstellung zu bilden sei.136 Es überzeugt die Ansicht, die eine Zahlung bejaht, wenn bei Bestellung der Sicherheit deren Inanspruchnahme ernsthaft droht und die Sicherheit damit in der Bilanz zu passivieren ist. Diese Sicht ist Ausfluss der bilanziellen Betrachtungsweise, die § 30 Abs 1 GmbHG zugrunde liegt. Lag in der Bestellung der Sicherheit keine Zahlung, weil deren Inanspruchnahme noch nicht ernsthaft drohte, so ist in der Verwertung der Sicherheit eine Zahlung zu sehen.137 Klammerte man letztgenannte Konstellationen aus dem Anwendungsbereich des § 30 Abs 1 GmbHG aus, so entstünden nicht

_____ 130 Bender BB 2005, 1491, 1492; Habersack/Schürnbrand NZG 2004, 689, 696; zuvor bereits Schön ZHR 159 (1995), 351, 357 ff; beschränkt auf Realsicherheiten: Kleindiek NZG 2000, 483, 485; Freitag WM 2007, 1681, 1685, der allerdings der bilanziellen Betrachtungsweise verhaftet ist und lediglich dem Argument die Gefolgschaft verweigert, die Sicherheiten seien bilanzrechtlich erst im Zeitpunkt ihrer Verwertung zu passivieren. Die Frage wurde von der höchstrichterlichen Rechtsprechung offen gelassen: In BGH NZG 2007, 704, 707 heißt es, dass jedenfalls bei schuldrechtlichen Sicherheiten erst auf den Zeitpunkt der Verwertung abzustellen sei. Was die dinglichen Sicherheiten angeht, so ließ der BGH die Frage ausdrücklich offen. Hierzu auch BGH NJW 1976, 751 ff, wonach eine Vermögensminderung im Sinne von § 172 Abs 4 HGB vorliegen soll, wenn zugunsten eines Kommanditisten eine Grundschuld seitens der Kommanditgesellschaft bestellt wird. Bereits die Bestellung der Grundschuld mindere das Gesellschaftsvermögen. Zu diesem Aspekt auch: Westermann DZWIR 2008, 485, 493. Im neueren Schrifttum zwischen dinglicher und persönlicher Sicherheit differenzierend: MK-GmbHG/Ekkenga Rn 140 zu § 30 GmbHG; Wessels ZIP 2004, 793, 794, 797. 131 Dazu Söhner ZIP 2011, 2085, 2088; zu § 57 AktG: Mülbert/Wilhelm FS Hommelhoff, 747, 760 f. 132 Habersack/Schürnbrand NZG 2004, 689, 696; Wessels ZIP 2004, 793, 797. 133 OLG München NJW-RR 1998, 261; Peltzer/Bell ZIP 1993, 1757, 1761; Peltzer GmbHR 1995, 15, 18; Groß/ Sonnenhol GmbHR 1995, 561. 134 Söhner ZIP 2011, 2085, 2088; Komo GmbHR 2010, 233; Tillmann NZG 2008, 404; Diem Rn 64 zu § 43; so wohl auch Winkler/Becker ZIP 2009, 2361, 2363, die jedoch unter 2.2 und 2.2.1 zu widersprüchlichen Ergebnissen gelangen; Ring/Grziwotz/Barth Rn 34 zu § 30 GmbHG, der diese Auffassung jedenfalls dann vertritt, wenn die Gesellschaft sich gegenüber dem Gesellschafter zur Absicherung eines Drittdarlehens verpflichtet, da die Gesellschaft gegen das Verwertungsgesuch des Gesellschafters das Auszahlungsverbot des § 30 Abs 1 GmbHG einwenden könne; vgl auch Winter DStR 2007, 1484, 1488. 135 KK-AktG/Drygala Rn 79 zu § 57 AktG; Michalski/Heidinger Rn 95 zu § 30 GmbHG; Nodoushani ZIP 2012, 97, 104 f; Flesner NZG 2006, 641, 645f; Mülbert/Wilhelm FS Hommelhoff, 747, 761, die jedoch nicht die Einschränkung vornehmen, dass die Sicherheit zu passivieren ist. 136 Beck’scher Bilanz-Kommentar/Kozikowski/Schubert Rn 207 zu § 247 HGB; Bork/Schäfer/Thiessen Rn 82 f zu § 30 GmbHG; Sotiropoulos S 97 ff; Nodoushani ZIP 2012, 97, 104 f. 137 So auch Dampf Der Konzern 2007, 157, 167, 172.

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hinnehmbare Schutzlücken. Man bedenke: In der Regel wird die Inanspruchnahme der Sicherheit bei deren Bestellung nicht ernsthaft drohen. Würde man in diesen Fällen nicht auf die Sicherheitenverwertung abstellen, so hätte es die Gesellschaft quasi in der Hand, durch Bestellung von Sicherheiten ihr ganzes (!) Vermögen an den Gläubigern vorbei zu entäußern. Auch §§ 43a, 64 S 3 GmbHG schlössen diese Schutzlücke nur unzureichend.138 Die wiederholt betonte „bilanzielle Architektur“ der §§ 30 Abs 1 GmbHG, 57 Abs 1 28 AktG zwingt auch zur Berücksichtigung vollwertiger Gegenleistungs- und Rückgewähransprüche. Solche können sich zB aus §§ 670, 774, 1143, 1225 BGB ergeben.139 Freilich sind die Gegenleistungs- und Rückgewähransprüche, so man bei den Kreditsicherheiten mit einer Ansicht auf den Zeitpunkt der Sicherheitenverwertung abstellt,140 in der Regel nicht vollwertig. Denn sofern der Darlehensgeber sich aus der von der Tochtergesellschaft gestellten Sicherheit zu befriedigen sucht, wird die Muttergesellschaft – die Darlehensnehmerin – in der Regel nicht mehr liquide sein.141 Anderenfalls hätte sie ihr Darlehen weiter bedient, so dass erst gar kein Verwertungsfall der Sicherheit eingetreten wäre. Aber auch wenn man auf den Zeitpunkt der Passivierung in der Handelsbilanz abstellt, existiert in der Regel kein vollwertiger Gegenleistungsanspruch. Dies versteht sich vor dem Hintergrund, dass die Passivierung der Kreditsicherheit zu erfolgen hat, sobald deren Inanspruchnahme ernsthaft droht. In diesem Fall wird die Muttergesellschaft ihren Verpflichtungen aus der Hauptschuld regelmäßig nicht mehr ordnungsgemäß nachkommen.142 Vollwertigkeit wird indes regelmäßig dann anzunehmen sein, wenn man auf den Zeitpunkt der Sicherheitenbestellung abstellt143 und in diesem Zeitpunkt die Verwertung der Sicherheit nicht ernsthaft droht. Da der vollwertige Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruch im Zeitpunkt der Zahlung vorliegen muss, ist bei aufsteigenden Sicherheiten auf den Zeitpunkt der Sicherheitenbestellung oder der Sicherheitenverwertung abzustellen, je nachdem, wann eine Zahlung vorliegt.144 Der Geschäftsführer kann seine Haftungsrisiken aus § 43 Abs 3 GmbHG, die ins- 29 besondere bei der Bestellung von Sicherheiten drohen, durch Vereinbarung einer limitation language begrenzen.145 Denn die limitation language bewirkt, dass eine Sicherheit nur insoweit verwertet werden darf, als dass das Stammkapital nicht angegriffen wird.146

dd) Zahlungen aus dem Vermögen einer GmbH & Co KG an Kommanditisten Eine unzulässige Auszahlung liegt auch vor, wenn der Geschäftsführer der Komplemen- 30 tär-GmbH einer GmbH & Co KG an den Kommanditisten der KG eine Zahlung aus dem

_____ 138 Dazu unten Rn 32 ff. 139 K Schmidt/Uhlenbruck Rn 1.42; jurisPR-HaGesR/Bormann 4/2008, F.2, der zusätzlich die Sicherungsabrede nennt. 140 Habersack/Schürnbrand NZG 2004, 689, 696; aA zu § 57 AktG: Mülbert/Wilhelm FS Hommelhoff, 747, 761 f. 141 Winkler/Becker ZIP 2009, 2361, 2363; Bormann/Urlichs Sonderheft GmbHR 2008, 37, 49. 142 Vgl Baumbach/Hueck/Fastrich Rn 62 zu § 30 GmbHG. 143 So OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 8.11.2013 – 24 U 80/13 sowie die Vorinstanz LG Darmstadt vom 25.4.2013 – 16 O 195/12. 144 Dazu oben Rn 27. 145 Siehe auch schon oben Rn 5; ein Beispiel für eine limitation language findet sich im Tatbestand der Entscheidung LG Darmstadt vom 25.4.2013 – 16 O 195/12. 146 LG Darmstadt, Urteil vom 25.4.2013 – 16 O 195/12; Bork/Schäfer/Thiessen Rn 87 zu § 30 GmbHG.

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Vermögen der KG leistet, die bei der Komplementär-GmbH eine Unterbilanz hervorruft.147 Möglich ist dies etwa dann, wenn die Komplementär-GmbH Anteile an der KG hält. Mit dem Abfluss des Vermögens aus der KG verringert sich auch der Anteilswert der Komplementärin daran, so dass sich auch das GmbH-Vermögen vermindert. Auch ist es denkbar, dass durch die Zahlung bei der KG eine Überschuldung herbeigeführt wird; die GmbH haftet dann als Komplementärin der KG nach § 128 HGB mit der Konsequenz, dass sie die Schuld passivieren muss.148

f) Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen § 30 Abs 1 GmbHG für den Geschäftsführer 31 Nimmt der Geschäftsführer verbotswidrige Auszahlungen an die Gesellschafter vor, so

handelt er pflichtwidrig iSv § 43 Abs 3 GmbHG.149 Verstößt er bei dem Pflichtverstoß gegen die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes, handelt er mithin schuldhaft, macht er sich schadensersatzpflichtig.150 Nach hM stellt § 43 Abs 3 GmbHG einen in den Rechtsfolgen verschärften Schadensersatzanspruch dar,151 dessen Schneidigkeit sich vor allem dadurch auszeichnet, dass die Gesellschaft auf ihn wegen § 43 Abs 3 S 2 iVm § 9b Abs 1 GmbHG nicht verzichten kann.152 Der Höhe nach ist der Geschäftsführer zum Ersatz des vollständigen Schadens, der aus der verbotswidrigen Auszahlung resultiert, verpflichtet, wobei die verbotswidrigen Zahlungen den Mindestschaden darstellen.153 Dieser Aspekt wird relevant für die Beweislast: Den Mindestschaden muss die grundsätzlich beweisbelastete GmbH nicht beweisen.154

2. Auszahlungsverbot nach § 64 S 3 GmbHG a) Übersicht und Verhältnis zu § 64 S 1 GmbHG 32 Seit Inkrafttreten des MoMiG am 1.11.2008 existiert für den GmbH-Geschäftsführer ein weiteres Haftungsrisiko: § 64 S 3 GmbHG.155 Nach § 64 S 3 GmbHG sind die Geschäftsführer zum Ersatz von Zahlungen an Gesellschafter verpflichtet, soweit diese zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen mussten und auch objektiv zur Zahlungsunfähigkeit führten,156 es sei denn, die Zahlungen waren mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsführers vereinbar. Kaum eine andere Vorschrift des MoMiG hat einen so großen Disput ausgelöst wie 33 § 64 S 3 GmbHG. Die Hinweise des Gesetzgebers auf § 64 S 3 GmbHG als Teilbereich der Existenzvernichtungshaftung und die Parallelen zum solvency test schüren die kontrovers geführte Debatte in Wissenschaft und Praxis. Zusätzlich wird die Diskus-

_____ 147 BGH NJW 1990, 1725 ff; BGH NJW 1973, 1036 ff; OLG Köln NZG 2003, 42; Flume AT I 2, § 8 IV 2a, S 286; dies soll selbst dann gelten, wenn der Kommanditist nicht der Komplementär-GmbH angehört, vgl BGH NJW 1990, 1725; OLG Köln NZG 2003, 42. 148 Dazu Baumbach/Hueck/Fastrich Rn 68 zu § 30 GmbHG. 149 Verstößt der Vorstand einer AG gegen § 57 AktG, so haftet er nach § 93 Abs 3 AktG. 150 BGH NJW 2003, 3629, 3632; BGH NZG 2001, 893, 894; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 48 zu § 43 GmbHG. 151 Vgl GK-GmbHG/Paefgen Rn 141, 142 zu § 43 GmbHG; Scholz/Schneider, Rn 268 zu § 43 GmbHG mwN. 152 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack Rn 48 zu § 43 GmbHG. 153 Scholz/Schneider Rn 275 zu § 43 GmbHG. 154 Scholz/Schneider Rn 275 zu § 43 GmbHG; GK-GmbHG/Paefgen Rn 150 zu § 43 GmbHG. 155 Die aktienrechtliche Komplementärvorschrift ist § 92 Abs 2 S 3 AktG; zur Anwendbarkeit des § 64 S 3 GmbHG auf Auslandsgesellschaften siehe o § 5 Rn 47. 156 K Schmidt/Uhlenbruck Rn 11.97.

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sion beeinflusst von der grundsätzlichen Frage, ob § 64 S 3 GmbHG „nur“ eine Vorverlagerung der Haftung aus § 64 S 1 GmbHG darstellt,157 oder vielmehr ein eigenes Zahlungsverbot sui generis anordnet.158 Verständlich wird dieser Aspekt vor dem Hintergrund eines bereits unter der „Prä-MoMiG-Ära“ geführten „Grabenkampfes“, ob § 64 S 1 GmbHG im Zusammenhang mit der Insolvenzantragspflicht aus § 64 Abs 1 GmbHG aF, jetzt § 15a InsO, gelesen werden muss, § 64 S 1 GmbHG gleichsam nur einen Teil des Gesamtschadensersatzanspruchs aus Insolvenzverschleppung darstellt,159 oder ob § 64 S 1 GmbHG getrennt von § 15a InsO zu interpretieren ist und damit ein von der Insolvenzverschleppungshaftung unabhängiger Ersatzanspruch eigener Art mit eigenem Rechtsfolgenregime ist.160 Das erstgenannte „Einheitsmodell“ isoliert den § 64 S 3 GmbHG von § 64 S 1 GmbHG und deutet ihn somit als eigenständiges echtes Zahlungsverbot, wohingegen das letztgenannte „Trennungsmodell“ § 64 S 3 GmbHG als Vorstufe des § 64 S 1 GmbHG auslegen kann, da der ganze § 64 GmbHG mit der Insolvenzverschleppungshaftung nach § 15a InsO nichts zu schaffen hat und somit ein Eigenleben führt, in welches sich sowohl dessen Satz 1 als auch dessen Satz 3 harmonisch einfügen. Das „Einheitsmodell“ überzeugt. Deutlich wird dies vor folgendem Hintergrund: In- 34 terpretierte man mit dem von der hM favorisierten „Trennungsmodell“ den Anspruch aus § 64 S 1 GmbHG unabhängig von dem Anspruch wegen Insolvenzverschleppung aus § 823 Abs 2 BGB iVm § 15a InsO als eigenständigen Ersatzanspruch sui generis auf Erstattung aller verbotswidrigen Zahlungen, könnte es zu unverhältnismäßigen Haftungsfolgen kommen. Man denke etwa daran, dass die dem § 64 S 1 GmbHG zuwiderlaufenden Auszahlungen nur teilweise einen Insolvenzverschleppungsschaden iSd § 823 Abs 2 BGB iVm § 15a InsO nach sich ziehen.161 Hier würde der Geschäftsführer nach dem Trennungsmodell für (deutlich) mehr haften, als es der Gläubigerschutz gebietet: Er müsste schlicht alle verbotswidrig geleisteten Zahlungen an die Masse zurückerstatten.162 Hingegen gelingt es dem „Einheitsmodell“ derartige Unverhältnismäßigkeiten zu vermeiden. Nach dem Einheitsmodell stellt § 64 S 1 GmbHG nämlich – in Anlehnung an die Parallelnorm des § 130a HGB – nur einen Teilbereich des Gesamtgläubigerschadenser-

_____ 157 So Baumbach/Hueck/Haas Rn 2 zu § 64 GmbHG; GK-GmbHG, ErgB-MoMiG/Casper Rn 110 zu § 64 GmbHG; MK-GmbHG/Müller Rn 154 zu § 64 GmbHG; Poertzgen/Meyer ZInsO 2012, 249, 250; Werner StBW 2013, 43. 158 Scholz/K Schmidt Rn 15, 64 zu § 64 GmbHG; Wicke Rn 26 zu § 64 GmbHG. 159 So K Schmidt ZIP 2005, 2177, 2183 ff; ders GmbHR 2007, 1072, 1078 f; ders ZHR 168 (2004), 637 ff; ders KTS 2001, 373, 388; ders ZIP 2008, 1401, 1402 f, 1408; Michalski/Funke LMK 2003, 150 f; iE auch Bitter WM 2001, 666, 670 ff. 160 So BGH NZI 2010, 913, 914; BGH GmbHR 2007, 596 ff; BGHZ 146, 264, 278 f; BGH NJW 1974, 1088 f; Baumbach/Hueck/Haas Rn 7 zu § 64 GmbHG; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 5 zu § 64 GmbHG; Thiessen S 73, 102 ff; Habersack/Schürnbrand WM 2005, 957, 960; Röhricht ZIP 2005, 505, 509 f. 161 Scholz/K Schmidt Rn 65 zu § 64 GmbHG; ders GmbHR 2007, 1072, 1079; ders KTS 2001, 373, 388 f; ders ZIP 2005, 2177, 2179 ff mit instruktivem Beispiel. 162 Die Gegenansprüche des Geschäftsführers gegen die Masse vermögen an der übermäßigen Haftung nichts zu ändern. Vgl dazu instruktiv K Schmidt ZIP 2005, 2177, 2182 f. So wird zwar dem Geschäftsführer ein Anspruch gegen die Masse gewährt, der „in Rang und Höhe mit dem Betrag, den der begünstigte Gesellschaftsgläubiger im Insolvenzverfahren erhalten hätte“, übereinstimmt (BGHZ 146, 264, 279; Haas NZG 2004, 737, 743, der mit einer Analogie zu § 144 Abs 1 InsO sympathisiert). Dieser Anspruch wird jedoch selten mehr als 5% der verbotswidrigen Zahlung ausmachen und überdies dem Geschäftsführer nur zugestanden, wenn er seinerseits den gegen ihn gerichteten Anspruch aus § 64 S 1 GmbHG erfüllt hat. An letzterem wird es zumeist schon fehlen, da es wohl den wenigsten Geschäftsführern möglich sein wird, mitunter horrende Summen, die sie aus § 64 S 1 GmbHG schulden, zu bezahlen.

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satzanspruchs aus § 823 Abs 2 iVm § 15a InsO dar,163 wobei die Bedeutung des § 64 S 1 GmbHG darin liegt, dass ein Schaden in dieser Höhe widerleglich vermutet wird.164 Daraus erhellt zugleich: Der Geschäftsführer kann die Vermutung widerlegen, auch insoweit, als die Auszahlung keinen Insolvenzverschleppungsschaden verursacht. Für die Dogmatik des § 64 S 3 GmbHG folgt daraus: Dieser stellt – entgegen § 64 S 1 GmbHG – ein eigenständiges echtes Zahlungsverbot dar, das keine bloße Vorverlagerung der Haftung aus § 64 S 1 GmbHG ist.165

b) Dogmatik und Normzweck 35 Eine einheitliche Linie zur Auslegung des § 64 S 3 GmbHG hat sich bislang nicht heraus-

gebildet. Das breitgefächerte Meinungsspektrum reicht von der Deutung des § 64 S 3 GmbHG als normierten Fall der Existenzvernichtungshaftung über die Kodifizierung des aus dem anglo-amerikanischen Rechtskreis bekannten solvency test bis hin zur Kompensation für den Verzicht auf eine Mintestkapitalausstattung bei der UG (haftungsbeschränkt) iSv § 5a GmbHG.166 Gegen die Gesetzesbegründung, wonach § 64 S 3 GmbHG einen Teilbereich „der Haftung, die unter dem Stichwort „existenzvernichtender Eingriff“ bekannt geworden ist“167 darstelle, wird teilweise wie folgt argumentiert: Nach herkömmlicher Dogmatik gelten lediglich die Gesellschafter als Adressaten der Existenzvernichtungshaftung; § 64 S 3 GmbHG wende sich aber an den Geschäftsführer.168 Außerdem laute die Rechtsfolge des Anspruchs aus existenzvernichtendem Eingriff „Schadenersatz“, diejenige aus § 64 S 3 GmbHG aber Erstattung der verbotswidrigen Zahlung.169 Gegen den Hinweis auf die UG (haftungsbeschränkt)170 ließe sich einwenden, dass zwar gerade für diese wegen ihres geringen Stammkapitals ein zusätzlicher Liquiditätsschutz am Platze sei, § 64 S 3 GmbHG sich jedoch nicht auf die UG beschränke, sondern für jede Erscheinungsform der GmbH gelte. Diesen Einwänden zum Trotz wird man – insbesondere vor dem Hintergrund der Ge36 setzesmaterialien – § 64 S 3 GmbHG am besten gerecht, wenn man bei dessen Auslegung alle drei genannten Gesichtspunkte gleichberechtigt berücksichtigt. Dies gelingt, wenn man den kleinsten gemeinsamen Nenner – den Liquiditätsschutz – bei der Interpretation der Vorschrift maßgeblich heranzieht.171 Man bedenke: Der Gedanke des Liquiditätsschutzes steckt – zumindest partiell – sowohl im solvency test172 als auch in der Haftung wegen Existenzvernichtung.173 Nicht zuletzt dient er als Kompensation für den Verzicht

_____ 163 Zum Verhältnis des § 64 Abs 2 GmbHG aF (heute § 64 S 1 GmbHG) zu seinen Schwesterbestimmungen grundlegend K Schmidt ZHR 168 (2004), 637 ff. 164 Scholz/K Schmidt Rn 16 zu § 64 GmbHG; ders ZHR 168 (2004), 637, 655, 666; ders ZIP 2008, 1401, 1404. 165 Scholz/K Schmidt Rn 15 zu § 64 GmbHG. 166 Vgl RegE-MoMiG ZIP 2007, 3, 21; Baumbach/Hueck/Haas Rn 2 zu § 64 GmbHG. 167 RegE-MoMiG ZIP 2007, 3, 21; zu den Auswirkungen des § 64 S 3 GmbHG auf die Haftung aus existenzvernichtendem Eingriff, wie sie seit der „Trihotel-Entscheidung“ gesehen wird, siehe unten Rn 67. 168 Vgl dazu Scholz/K Schmidt Rn 81 zu § 64 GmbHG; Meyer BB 2008, 1742, 1746. 169 Knof DStR 2007, 1536, 1537; Streit/Bürk DB 2008, 742, 749. 170 Dazu RegE-MoMiG ZIP 2007, 3, 21; vgl auch Baumbach/Hueck/Haas Rn 2 zu § 64 GmbHG. 171 M Brand ZIP 2012, 1010; ders NZG 2012, 1374, 1375. 172 Jungmann ZGR 2006, 638, 648; Vetter ZGR 2005, 788, 802 f; Weller DStR 2007, 116, 117 f, 120. 173 Baumbach/Hueck/Fastrich Rn 60 zu § 13 GmbHG; Bitter ZInsO 2010, 1505, 1523; Habersack ZGR 2008, 533, 537; Vetter BB 2007, 1965, 1967; Böcker/Poertzgen WM 2007, 1203; pointiert Knof DStR 2007, 1580, 1586; Weller DStR 2007, 116, 118, 120, der die Liquidität als nur mittelbar durch das Existenzvernichtungsverbot begreift.

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auf die Mindestkapitalausstattung bei der UG (haftungsbeschränkt).174 Dafür spricht auch der gesetzgeberische Wille, wonach § 64 S 3 GmbHG den § 30 Abs 1 GmbHG ergänzen soll.175 Das Zusammenspiel dieser beiden Vorschriften fügt sich in das gesetzgeberische Konzept ein: Während § 30 Abs 1 GmbHG das bilanzielle Vermögen im Blick hat, tritt ergänzend und unterstützend § 64 S 3 GmbHG daneben, um die Liquidität der Gesellschaft zu schützen. Man kann auch formulieren: Das Prinzip des solvency test, das in § 64 S 3 GmbHG eine Heimat gefunden hat, sanktioniert Liquiditätsabflüsse, die mangels bilanzieller Auswirkung von § 30 Abs 1 GmbHG nicht erfasst werden, und zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führten. Daraus geht hervor, dass § 64 S 3 GmbHG ein Gegengewicht zur bilanziellen Betrachtungsweise des § 30 Abs 1 GmbHG darstellt.176 § 64 S 3 GmbHG dient einzig dem Gläubigerschutz.177 Freilich ist der Anspruch auf 37 Zahlung an die Gesellschaft gerichtet. Das darf aber nicht zu der falschen Annahme verleiten, dass auch die Gesellschaft vom Schutzzweck erfasst sei. Denn zum einen dient auch § 30 Abs 1 GmbHG allein dem Gläubigerschutz, obwohl der Rückerstattungsanspruch nach § 31 GmbHG der Gesellschaft zusteht. Zum anderen ist es aus insolvenzrechtlicher Perspektive allein interessengerecht, wenn der Anspruch gegen den Geschäftsführer vom Insolvenzverwalter für die Gesellschaft (Masse) geltend gemacht wird, weil nur so eine geordnete Verteilung an alle Gläubiger bewerkstelligt werden kann.

c) Tatbestand Der Zahlungsbegriff des § 64 S 3 GmbHG ist weit zu verstehen.178 Er erfasst jede Leistung 38 an Gesellschafter, die Liquidität der Gesellschaft preisgibt,179 unabhängig davon, ob die Leistung causa societatis erfolgt.180 Zahlungen an Dritte werden nach den gleichen Grundsätzen erfasst, die bei § 30 GmbHG gelten.181 Das Tatbestandsmerkmal Zahlungsunfähigkeit ist gleich zu interpretieren wie bei 39 § 17 Abs 2 InsO.182 Danach ist die Gesellschaft zahlungsunfähig, wenn sie nicht in der Lage ist, ihre fälligen Zahlungspflichten binnen drei Wochen zu mindestens 90% zu erfüllen.183 Eine Deckungslücke von unter 10% löst grundsätzlich keine Zahlungsunfähig-

_____ 174 Vgl Knof DStR 2007, 1580, 1586. 175 RegE-MoMiG ZIP 2007, 3, 21; Schoch/K Schmidt Rn 65 zu § 64 GmbHG; M Brand ZIP 2012, 1010; kritisch Schluck-Amend in FS Hommelhoff, 961, 964 f. 176 Scholz/K Schmidt Rn 79 zu § 64 GmbHG; ders GmbHR 2007, 1072, 1079; M Brand ZIP 2012, 1010; Poertzgen/Meyer ZInsO 2012, 249 f. 177 GK-GmbHG, ErgB-MoMiG/Casper Rn 110 zu § 64 GmbHG; Haas DStR 2010, 1991, 1992; Schluck-Amend in FS Hommelhoff, 961, 981; aA Knof DStR 2007, 1536, 1538: Schuldnerschutz. 178 BGH NZI 2009, 486, 487: Im Kontext einer Entscheidung zu § 130a HGB zieht er pauschal einen Vergleich mit dem weiten Zahlungsbegriff bei § 64 GmbHG; GK-GmbHG, ErgB-MoMiG/Casper Rn 105 zu § 64 GmbHG; MK-GmbHG/Müller Rn 159 zu § 64 GmbHG; Knof DStR 2007, 1536, 1537 f; M Brand ZIP 2012, 1010; vgl auch: C Brand, Untreue, S 305; zum weiten Zahlungsbegriff des § 64 GmbHG aF: Poertzgen S 195. 179 So auch M Brand ZIP 2012, 1010; Tasma S 314 f. 180 Scholz/K Schmidt Rn 79 und 91 zu § 64 GmbHG. 181 Henssler/Strohn/Arnold Rn 66 zu § 64 GmbHG; zu „Drittleistungen“ bei § 30 GmbHG vgl oben Rn 13 f. 182 BGH NZG 2012, 1379; Werner StBW 2013, 43, 45; Schluck-Amend FS Hommelhoff, 961, 972; Winstel/ Skauradszun GmbHR 2011, 185, 187; M Brand NZG 2012, 1374, 1375; ders ZIP 2012, 1010, 1011 mwN; zur Zahlungsunfähigkeit s § 8 Rn 5 ff. 183 BGH NZI 2007, 36, 37 (Rz 27); BGH NJW 2005, 3062 ff; Uhlenbruck/Uhlenbruck Rn 4, 5, 11 zu § 17 InsO; Altmeppen ZIP 2013, 801. Vgl auch unten § 8 Rn 7.

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keit aus.184 Zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit hat der Geschäftsführer regelmäßig eine entsprechende Bilanz (Liquiditätsbilanz) zu erstellen, in der er, vereinfacht gesprochen, dem liquiden Gesellschaftsvermögen alle fälligen Verbindlichkeiten gegenüberzustellen hat.185 § 64 Satz 3 GmbHG sanktioniert nur die Verursachung der Zahlungsunfähigkeit und nicht die Herbeiführung einer Überschuldung.186 Für diese Sicht spricht neben dem eindeutigen Wortlaut der Norm deren Charakter als Liquiditätsschutzvorschrift. Denn im Gegensatz zur liquiditätsorientierten Zahlungsunfähigkeit ist die Überschuldung rein rechnerisch zu verstehen. Die Zahlungsunfähigkeit muss adäquat kausal auf der Zahlung beruhen.187 Nach 40 gängiger deliktsrechtlicher Dogmatik ist ein Ereignis dann als ursächlich anzusehen, „wenn [es] im allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, unwahrscheinlichen und nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen geeignet ist, einen Erfolg dieser Art herbeizuführen.“188 Für die Qualifikation der Zurechnung als schlichte Adäquanz spricht neben der Gesetzesbegründung189 der Schutzzweck des 64 S 3 GmbHG: Gläubiger sollen nicht durch Auszahlungen an die Gesellschafter geschädigt werden.190 Eine Monokausalität oder anderweit restriktive Zurechnung würde diesem Schutzzweck nicht gerecht.191 Auch vor dem gesetzgeberischen Willen, in § 64 S 3 GmbHG einen Aspekt der Existenzvernichtungshaftung und des solvency test verankert zu haben, überzeugt eine zu eng verstandene Zurechnung nicht. Ein solvency test ist nur sinnvoll, wenn Zahlungen an Gesellschafter, die – neben anderen Ursachen – adäquat kausal zur Zahlungsunfähigkeit führen, grundsätzlich eine Haftung des Geschäftsführers nach sich ziehen. Was die Haftung aus Existenzvernichtung angeht, so ist diese ohnehin inzwischen im Deliktsrecht beheimatet,192 wo die Adäquanz als Korrektiv der weiten Äquivalenzformel dient. Die Kausalität ist aus der ex post-Perspektive zu bestimmen.193

_____ 184 BGH NZI 2007, 36, 37 (Rz 27); BGH NJW 2005, 3062, 3065 f mit dem zutreffenden Hinweis darauf, dass es sich nicht um eine starre Grenze handele. 185 Wenzler GmbHR 2013, 33, 34. 186 Baumbach/Hueck/Haas Rn 102 zu § 64 GmbHG; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 27 zu § 64 GmbHG; MK-GmbHG/Müller Rn 166 zu § 64 GmbHG; Henssler/Strohn/Arnold Rn 70 zu § 64 GmbHG; aA Ulmer/ Habersack/Casper Rn 6.44; Knof DStR 2007, 1580, 1586. 187 M Brand ZIP 2012, 1010, 1011; Böcker/Poertzgen WM 2007, 1203, 1208; Knof DStR 2007, 1536, 1539; K Schmidt/Lutter/Krieger/Sailer-Coceani, AktG, Rn 22 zu § 92 AktG; für eine auf die Besonderheiten des § 64 S 3 GmbHG zuzuschneidende Adäquanz: GK-GmbHG, ErgB-MoMiG/Casper Rn 118 zu § 64 GmbHG, der stets einen engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang zwischen Zahlung und Zahlungsunfähigkeit fordert. Für eine derartige Einengung enthält § 64 S 3 GmbHG aber keinen Anhaltspunkt. Liegt ein solcher räumlicher und zeitlicher Zusammenhang allerdings vor, so entfaltet dies Indizwirkung, vgl dazu Scholz/K Schmidt Rn 99 zu § 64 GmbHG; zur Kausalität bei Zahlung, die 13 Monate vor Insolvenzeröffnung getätigt wurde, OLG Celle ZWH 2013, 41 ff mit kritischer Anm Bittmann; kritisch auch Giedinghagen/Göb EWiR 2013, 203. 188 BGHZ, 198, 204; Palandt/Grüneberg Rn 26 zu Vor § 249 BGB. 189 RegE-MoMig ZIP 2007, 3, 21. 190 In diese Richtung auch: Baumbach/Hueck/Haas Rn 105 zu § 64 GmbHG, der jedoch relativierend ausführt: „[…] muss es ausreichen, wenn die Zahlung an Gesellschafter einen (wesentlichen) Beitrag dazu leistet, dass die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft herbeigeführt […] wird.“ 191 Baumbach/Hueck/Haas Rn 105 zu § 64 GmbHG; aA aber Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 35 f zu § 64 GmbHG, der fordert, dass „der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit überwiegend wahrscheinlich ist.“ Noch enger: MK-GmbHG/Müller Rn 170 zu § 64 GmbHG; Henssler/Strohn/Arnold Rn 71 zu § 64 GmbHG; Müller in Liber Amicorum Winter, 487, 496 („mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“). 192 Dazu unten Rn 64 ff. 193 LG Berlin GmbHR 2010, 201 ff, Rz 18; MK-GmbHG/Müller Rn 169 zu § 64 GmbHG.

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d) Praxisrelevante Fallgestaltungen aa) Darlehen an Gesellschafter Darlehen – etwa die praxisrelevanten upstream loans (dazu Rn 20 f) – unterfallen dem 41 Zahlungsbegriff des § 64 S 3 GmbHG. Eine „Zahlung“ liegt erst vor, wenn die Valuta ausgezahlt wird und nicht bereits bei Eingehung der Darlehensverbindlichkeit.194 Denn das Eingehen einer Verbindlichkeit stellt noch keinen Liquiditätsverlust dar.195 Für § 64 S 3 GmbHG folgt daraus: Da eine Verbindlichkeit bereits zum Fälligkeitszeitpunkt in der Liquiditätsbilanz zu passivieren ist – dasselbe gilt für die Rückzahlungspflicht von Gesellschafterdarlehen196 – und somit grundsätzlich bereits diese Verbindlichkeit die Zahlungsunfähigkeit bewirkt, kann die auf diese Forderung erfolgende Zahlungsleistung die Zahlungsunfähigkeit nicht mehr herbeiführen.197 Anders ist dies nur dann, wenn durch die Zahlungsleistung ausnahmsweise aus einer unwesentlichen eine wesentliche Deckungslücke wird, oder der Geschäftsführer auf eine noch nicht fällige Darlehensverbindlichkeit zahlt.198 Dieses Ergebnis wird für korrekturbedürftig gehalten und daher vorgeschlagen, die der Zahlung zugrunde liegende Verbindlichkeit im Rahmen der Haftung nach § 64 S 3 GmbHG nicht zu berücksichtigen.199 Dies überzeugt nicht, da man die Zahlungsunfähigkeit nicht mit dem Hinweis leugnen kann, dass man anderenfalls Satz 3 nicht gebrauchen könne.200 Zudem hat die Norm, insbesondere bei den sogleich zu behandelnden aufsteigenden Sicherheiten, sehr wohl einen eigenständigen Anwendungsbereich.

bb) Kreditsicherheiten Dem Zahlungsbegriff des § 64 S 3 GmbHG unterfallen auch Kreditsicherheiten.201 Strei- 42 tig ist, in welchem Zeitpunkt eine verbotswidrige Zahlung vorliegt. Die hM nimmt eine verbotswidrige Zahlung an, wenn im Zeitpunkt der Sicherheitenbestellung die Inanspruchnahme der Sicherheit wahrscheinlich ist und keine liquiden Gegenleistungsansprüche bestehen.202 Andere Autoren wollen in jeder Sicherheitenbestellung bereits eine

_____ 194 BGH NZG 2012, 1379 f; M Brand NZG 2012, 1374, 1375; Wenzler GmbHR 2013, 33 f; Tasma S 315. 195 Wicke Rn 27 zu § 64 GmbHG; Bork/Schäfer Rn 48 zu § 64 GmbHG; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 24 zu § 64 GmbHG; M Brand NZG 2012, 1374, 1375; Poertzgen/Meyer ZInsO 2012, 249, 252 mwN. 196 Dazu Roth/Altmeppen Rn 76 ff zu § 64 GmbHG. 197 BGH NZG 2012, 1379; Roth/Altmeppen Rn 76 ff zu § 64 GmbHG; ders ZIP 2013, 801, 802; Strohn NZG 2011, 1161, 1168; Henssler/Strohn/Arnold Rn 61 f zu § 64 GmbHG; Bitter ZInsO 2010, 1505, 1519; M Brand ZIP 2012, 1010, 1012; ders NZG 2012, 1374, 1375; Wenzler GmbHR 2013, 33 f; Winstel/Skauradszun GmbHR 2011, 185, 186 f; Kleindiek BB 2013, 18; Hoos ZWH 2013, 115 f; Hirte/Knof/Mock JZ 2013, 1051, 1052 ff; aA Tasma S 315. 198 BGH NZG 2012, 1379; Baumbach/Hueck/Haas Rn 99 zu § 64 GmbHG; Schluck-Amend FS Hommelhoff, 961, 970 ff; Winstel/Skauradszun GmbHR 2011, 185, 186 f; Desch BB 2010, 2586; Strohn NZG 2011, 1161, 1169; M Brand ZIP 2012, 1010, 1012; aA bezüglich des Punktes, dass durch die Erfüllung einer Verbindlichkeit aus einer unwesentlichen eine wesentliche Deckungslücke werden kann und dadurch die Zahlungsunfähigkeit herbeigeführt wird: Roth/Altmeppen Rn 78 zu § 64 GmbHG; ders ZIP 2013, 801, 803 ff. 199 MK-GmbHG/Müller Rn 167 zu § 64 GmbHG; Dahl/Schmitz NZG 2009, 567, 569; Poertzgen ZInsO 2010, 785, 787; Görg FS Streck, 823, 828; Spliedt ZIP 2009, 149, 159 f; Kleindiek GWR 2010, 75. 200 Roth/Altmeppen Rn 76 zu § 64 GmbHG. 201 Vgl nur Poertzgen/Meyer ZInsO 2012, 249, 252; M Brand NZG 2012, 1374 ff; ders ZIP 2012, 1010 ff mwN. 202 Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 24 zu § 64 GmbHG; Bork/Schäfer Rn 48 zu § 64 GmbHG; GK-GmbHG/ Casper Rn 113 zu § 64 GmbHG; Goette/Habersack/Casper Rn 6.42; Wicke Rn 27 zu § 64 GmbHG; K Schmidt/ Lutter/Krieger/Sailer-Coceani Rn 19 zu § 92 AktG; Greulich/Brunnemann NZG 2006, 681, 684; Poertzgen/ Meyer ZInsO 2012, 249, 252; Knof DStR 2007, 1536, 1538; Komo GmbHR 2010, 230, 235; Theusinger/Kapteina NZG 2011, 881, 885; Niesert/Hohler NZI 2009, 345, 349; Nolting-Hauff/Greulich GmbHR 2013, 169, 174; Diem § 43, Rn 87 (S 272); keinesfalls kann die Ansicht als allgemeine Meinung betrachtet werden, wie dies Orthmann/Weber BB 2012, 1039, 1042 tun.

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Zahlung sehen.203 Für die hM wird mitunter folgendes Rangargument angeführt:204 Der Gläubiger einer dinglichen Sicherheit genieße in der Gesellschaftsinsolvenz das Privileg der abgesonderten Befriedigung nach §§ 49 ff InsO, woraus folge, dass ihm bereits im Zeitpunkt der Sicherheitenbestellung eine insolvenzfeste Vermögensposition zukomme. Aber auch der Gläubiger der persönlichen Sicherheit profitiere: Ohne die persönliche Sicherheit stünde dem Gläubiger des Gesellschafters nur dessen Vermögen nebst seinem Gesellschaftsanteil abzüglich aller Verbindlichkeiten der Gesellschaftsgläubiger (Passiva) zu. Die persönliche Sicherheit – etwa eine Bürgschaft – bewirke nun, dass der Gesellschafter-Gläubiger auch quotal neben den Gesellschafts-Gläubigern befriedigt werde.205 Diese Argumentation sei anhand der praxisrelevanten upstream securities exemplifiziert: Eine Tochtergesellschaft bestellt einem Dritten ein Sicherungsrecht für einen Kredit ihrer Muttergesellschaft bei dem Dritten. Das „Rangargument“ ist insoweit richtig, als beim Gläubiger ein Vermögenszuwachs eintritt. Durch eine Realsicherheit bekommt er nämlich das Verwertungsrecht an einem Vermögensgegenstand der Tochtergesellschaft, bei der Personalsicherheit gewinnt er sie als zusätzliche Schuldnerin. Dieses Rangargument überzeugt jedoch weder für Real- noch für Personalsicherheiten: Zum einen geht mit der Bestellung von Realsicherheiten nicht zwingend ein Liquiditätsverlust, sondern zumeist nur ein Vermögensverlust einher. Zum anderen überzeugt das „Rangargument“ bei Personalsicherheiten bereits im Ansatz nicht. Zwar erhält der Gläubiger einen zusätzlichen Schuldner: die Tochtergesellschaft. Jedoch ist er gegenüber deren Gläubigern in der Insolvenz nicht privilegiert. Er erhält – wie die anderen Gläubiger auch – seine Insolvenzquote. Als Inhaber einer persönlichen Kreditsicherheit ist er nämlich nicht zur Aus- oder Absonderung berechtigt. Dass er darüber hinaus noch einen Anspruch – seinen Primäranspruch – gegen die Muttergesellschaft hat, muss bei der Betrachtung außen vor bleiben. Es geht nämlich nur um den Liquiditätsabfluss bei der Tochtergesellschaft. Allein diese ist in die Betrachtung einzubeziehen, da sie bei der Sicherheitenbestellung die maßgebliche Gesellschaft ist, die ihr Geschäftsführer bei der Prüfung des § 64 S 3 GmbHG im Blick haben muss. Man bedenke: § 64 S 3 GmbHG schützt die jeweilige Gesellschaft vor einem Liquiditätsabfluss und sanktioniert nicht die Besserstellung einzelner Gläubiger. Anderenfalls gelangte man über das Rangargument bei Personalsicherheiten zu einer konzerneinheitlichen Betrachtung von Mutter- und Tochtergesellschaft, da man einen Vermögensverlust, der die Gläubiger benachteiligt, nur konstruieren kann, indem man Mutter- und Tochtergesellschaft gemeinschaftlich betrachtet. Eine solche konzerneinheitliche Betrachtung findet im Gesetz aber keine Stütze. 43 Die Auffassung der hM überzeugt auch aus einer weiteren Erwägung nicht: Sie ist nämlich folgender handelsbilanziellen Sicht verhaftet: Nach § 251 HGB sind Sicherungsrechte solange unter der Bilanz zu vermerken, als sie nicht zu passivieren sind. Passiviert werden sie im Rahmen einer Rückstellung nach § 249 HGB, wenn ihre Inanspruchnahme

_____ 203 So iE Cahn Der Konzern 2009, 7, 9 f; Mahler GmbHR 2012, 504 f; Tasma S 318; MK-GmbHG/Müller Rn 159 zu § 64 GmbHG (für dingliche Sicherheiten); Haas GmbHR 2010, 1, 6, der jedoch einschränkend darauf abstellt, dass ein kurzfristig beleih- und versilberbarer Gegenstand betroffen sein muss. 204 Niesert/Hohler NZI 2009, 345, 349; zu diesem Rangargument auch Habersack/Schürnbrand NZG 2004, 689, 696, die sich freilich zu § 30 Abs 1 GmbHG äußern. Jedoch können die Ausführungen an dieser Stelle fruchtbar gemacht werden, da Habersack/Schürnbrand die bilanzielle Betrachtungsweise bei § 30 Abs 1 GmbHG – jedenfalls während der Zeit der „November-Rechtsprechung“ – nicht vertreten und somit – wie hier – lediglich Liquiditätsaspekte fokussieren. 205 Vgl Habersack/Schürnbrand NZG 2004, 689, 696; Schön ZHR 159 (1995), 351, 357 ff.

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wahrscheinlich ist.206 Dies mag sich auf die Interpretation des bilanziell zu betrachtenden § 30 Abs 1 GmbHG auswirken, nicht hingegen auf den liquiditätsorientierten § 64 S 3 GmbHG. Denn weder die Rückstellung noch die Angabe von Sicherungsrechten unter der Bilanz wirkt sich auf die Liquidität der Gesellschaft aus.207 Sofern vertreten wird, eine Zahlung sei bereits in jeder Sicherheitenbestellung zu sehen, überzeugt dies auch deshalb nicht, weil mit der Sicherheitenbestellung zwar ein Vermögensverlust, nicht notwendig aber ein Liquiditätsverlust einhergeht.208 Zur Vermeidung dieser Inkonsistenzen sei folgende Lösung vorgeschlagen: Eine 44 Zahlung nach § 64 S 3 GmbHG ist nur in solchen Sicherheitenbestellungen zu sehen, mit denen ein Liquiditätsverlust einhergeht, wobei die Liquidität betriebsbezogen zu interpretieren ist (dazu sogleich). Genau diese liquiditätsschmälernde Zahlung muss zur Zahlungsunfähigkeit iSd § 17 Abs 2 InsO führen. Daraus folgt: Ging mit der Sicherheitenbestellung kein Liquiditätsverlust einher, so liegt keine Zahlung vor, was jedoch nichts daran ändert, dass die Sicherheit im Zeitpunkt ihrer Verwertungsreife im Rahmen der Liquiditätsbilanz zu berücksichtigen ist. Tritt in diesem Fall tatsächlich Zahlungsunfähigkeit ein, so haftet der Geschäftsführer nicht nach § 64 S 3 GmbHG, weil er keine Zahlung iSd Norm tätigte. Dieses Normverständnis schließt auch grundsätzlich eine Haftung des Geschäftsführers im Zeitpunkt der Sicherheitenverwertung aus: Da bereits die Sicherheit in der Liquiditätsbilanz passiviert wurde, stellt die Verwertung nur noch einen neutralen Liquiditätsabfluss dar, der die Zahlungsunfähigkeit nicht mehr kausal herbeiführen kann.209 Ausgenommen davon sind zwei Konstellationen, in denen die Sicherheitenverwertung die Zahlungsunfähigkeit bewirkt: Zum einen, wenn der Geldfluss aus einer unwesentlichen eine wesentliche Deckungslücke macht, zum anderen, wenn der Geschäftsführer auf eine noch nicht verwertbare Sicherheit leistet.210 Mit einer Sicherheitenbestellung geht dann ein Liquiditätsverlust einher, wenn ent- 45 weder die übliche Weiterbenutzung des Sicherungsgutes seitens der Gesellschaft und damit insoweit auch die Betriebsfortführung nicht mehr sichergestellt ist, oder die Sicherheitenbestellung eine empfindliche Beeinträchtigung der Kreditfähigkeit der Schuldnerin nach sich zieht, mithin ein Bedürfnis zur Kreditaufnahme bestanden hatte, dem gerade wegen der Sicherheitenbestellung nicht entsprochen werden konnte.211 Diese Sicht interpretiert den § 64 S 3 GmbHG nicht nur konsequent liquiditätsorientiert, sondern führt auch zu interessengerechten Ergebnissen.212

e) Rechtsfolgen Der § 64 S 3 GmbHG gewährt der Gesellschaft ein Leistungsverweigerungsrecht gegen- 46 über den Gesellschaftern,213 den Gesellschaftern nahestehenden Dritten und den Siche-

_____ 206 Theusinger/Kapteina NZG 2011, 881, 882. 207 Ausführlich dazu und zu weiteren Argumenten: M Brand ZIP 2012, 1010, 1011 f; ders NZG 2012, 1374 ff. 208 M Brand ZIP 2012, 1010, 1011 f; Freitag, Der Konzern 2011, 330, 334; dies erkennt auch Mahler GmbHR 2012, 504, die dann aber dennoch – zu Unrecht – zu dem Ergebnis gelangt, jede Sicherheitenbestellung sei eine Zahlung. 209 Zustimmend Porzelt ZInsO 2013, 2145, 2148. 210 M Brand ZIP 2012, 1010, 1012 f; dazu auch Göb NZI 2012, 609, 612. 211 M Brand ZIP 2012, 1010, 1012 f; ders NZG 2012, 1374 ff. 212 M Brand ZIP 2012, 1010, 1013 f. 213 BGH NZG 2012, 1379; OLG Stuttgart ZIP 2009, 1864; LG Berlin GmbHR 2010, 201; Scholz/K Schmidt Rn 96 und 106 zu § 64 GmbHG; ders. JuS 2013, 267 f; Wicke Rn 26 zu § 64 GmbHG; MK-GmbHG/Müller Rn 174 zu § 64 GmbHG; Gehrlein BB 2008, 846, 849; Wenzler, GmbHR 2013, 33, 34; Kleindiek BB 2013, 17;

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rungsnehmern.214 Relevant wird dies nur, wenn bei der Verwertung der Sicherheit oder der Zahlung auf die Darlehensverbindlichkeit aus einer unwesentlichen eine wesentliche Deckungslücke entstünde und somit ausnahmsweise die Verwertung der Sicherheit bzw die Zahlung auf die Darlehensverbindlichkeit eine (verbotswidrige) Zahlung darstellte. In den Fällen, in denen bereits die Bestellung einer Sicherheit eine verbotswidrige Zahlung ist, kann deren Verwertung der § 64 S 3 GmbHG nicht einredehalber entgegengehalten werden, da der Verstoß gegen § 64 S 3 GmbHG bereits abschließend verwirklicht ist. Gegen das Erfordernis eines Leistungsverweigerungsrechts wird eingewandt, der Geschäftsführer könne die Zahlung auf eine fällige und einredefreie Forderung, die einen Verstoß gegen § 64 S 3 GmbHG nach sich zöge, schlicht verweigern215 und den Gläubiger auf den Klageweg verweisen. Der Geschäftsführer hafte nicht, auch wenn die Gesellschaft – was wahrscheinlich ist – zur Zahlung verurteilt werde, da die Verweigerung der Zahlung mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar sei.216 Dieser Einwand überzeugt nicht. Denn § 64 S 3 GmbHG bezweckt im Interesse des Gläubigerschutzes die Liquidität der GmbH zu erhalten.217 Man würde diesen Zweck vereiteln, würde man eine Klage gegen die Gesellschaft zulassen, die dieser im Ergebnis die Liquidität entzieht, die § 64 S 3 GmbH schützen will. Im Übrigen müsste der Geschäftsführer, um seiner Haftung zu entgehen, „seine“ Gesellschaft in einen Prozess drängen, den sie aller Wahrscheinlichkeit nach verliert. Dabei fielen Prozesskosten an, die die Gesellschaft zu tragen hätte. Dieses interessenwidrige Ergebnis lässt sich vermeiden, wenn man § 64 S 3 GmbHG als Leistungsverweigerungsrecht im hier beschriebenen Sinne qualifiziert. Soweit teilweise angeführt wird, eines Leistungsverweigerungsrechts bedürfe es nicht, weil der Geschäftsführer, um der Existenzverursachungshaftung zu entgehen, sein Amt niederlegen könne,218 so löst dies das Problem nicht, sondern verlagert es nur auf den neu zu bestellenden Geschäftsführer. Zahlt der Geschäftsführer unter Verstoß gegen § 64 S 3 GmbHG, hat er das Geleistete 47 zurückzuerstatten; anders als bei § 64 S 1 GmbHG ist es dem Geschäftsführer dabei nicht möglich, einen geringeren Insolvenzverursachungsschaden einzuwenden.219 Ein über die Zahlung hinausgehender Schaden ist nicht nach § 64 S 3 GmbHG, sondern nach § 43 GmbHG erstattungsfähig. Dies ist etwa relevant wegen der unterschiedlichen Beweislast. § 64 S 2 GmbHG normiert nämlich, anders als § 43 GmbHG, eine Haftung für vermutetes Verschulden („dies gilt nicht“).

_____ Werner StBW 2013, 43, 47; Knolle/Lojowsky NZG 2013, 171; Hoos ZWH 2013, 115 f; Bunnemann ZWH 2012, 389, 395; Bangha-Szabo, ZIP 2013, 1058, 1059; Böcker DZWIR 2013, 403, 409; Müller WuB II C. § 64 GmbHG; Tasma S 317; aA OLG München BB 2010, 1880; Haas DStR 2010, 1991; ders NZG 2013, 41, 44 f; Hopt/ Weyland/Hoger Formular II.D.4.2 Anm 2; Schluck-Amend in FS Hommelhoff, 961, 976 ff; Müller in Liber Amicorum Winter, 487, 491 f; Bork EWIR 2013, 75, 76; Hirte/Knof/Mock JZ 2013, 1051, 1054 f; offen Woedtke, NZG 2013, 484, 486. Der Gedanke eines Leistungsverweigerungsrechts gegenüber einem Verbandsmitglied bei Zahlungen, die die Zahlungsunfähigkeit nach sich ziehen, ist keineswegs neu. So hat schon Ballerstedt FS Knur, 1, 20 im Jahre 1972 überzeugend herausgearbeitet, dass es der Gläubigerschutz bei eingetragenen Vereinen gebiete, dass zur Zahlungsunfähigkeit führende Zahlungen mit einer Einrede behaftet sind. 214 M Brand ZIP 2012, 1010, 1012; ders NZG 2012, 1374, 1376; dem folgend Nolting-Hauff/Greulich GmbHR 2013, 169, 175; aA Tasma S 317. 215 Bork EWIR 2013, 75, 76; dagegen zu Recht Müller in Liber Amicorum Winter, 487, 493. 216 Schluck-Amend in FS Hommelhoff, 961, 980. 217 BGH NZG 2012, 1379, 1381; M Brand NZG 2012, 1374, 1375. 218 Schluck-Amend in FS Hommelhoff, 961, 980. 219 Scholz/K Schmidt Rn 94 zu § 64 GmbHG.

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3. Verbot der Kreditgewährung an Geschäftsführer nach § 43a GmbHG § 43a GmbHG verbietet die Gewährung von Krediten an Geschäftsführer, andere ge- 48 setzlichen Vertreter, Prokuristen oder zum gesamten Geschäftsbetrieb ermächtigte Handlungsbevollmächtigte aus dem zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlichen Vermögen der Gesellschaft. Entgegen ihres missverständlichen Wortlauts ist die Vorschrift nicht rein bilanziell zu interpretieren. Vielmehr dürfen bei der Frage, ob die Kreditgewährung das Stammkapital angreift, vollwertige Gegenleistungsansprüche nicht berücksichtigt werden.220 Verständlich wird dies vor folgendem teleologischen Hintergrund der Norm: § 43a GmbHG liegt der „Grundsatz der Risikotrennung“ zugrunde, wonach es nicht zu Lasten der Gesellschaftsgläubiger gehen darf, ob die Gesellschaft den Rückzahlungsanspruch gegen den Darlehensnehmer letztlich realisieren kann oder nicht.221 Das Risiko eines Forderungsausfalls ist in den von § 43a GmbHG erfassten Konstellationen auch besonders hoch, da die Geschäftsführer zumeist selbst für die Gewährung der Darlehen zuständig sind – sei es, weil sie vom Verbot des Insichgeschäfts befreit sind oder ihre Geschäftsführerkollegen entscheiden – und daher oftmals eine kritische Bonitätsprüfung unterbleiben wird, wie sie bei außenstehenden Dritten erfolgen würde.222 Das Verbot aus § 43a GmbHG erstreckt sich entgegen einer teilweise vertretenen Auf- 49 fassung223 nicht auf Darlehen an Gesellschafter, wohl aber auf Darlehen an Gesellschafter-Geschäftsführer.224 Dies folgt zum einen aus der enumerativen Aufzählung der Personen, an die keine Darlehen gewährt werden dürfen.225 Zum anderen werden Auszahlungen und damit auch die Gewährung von Darlehen an Gesellschafter bereits über die §§ 30 Abs 1 und 64 S 3 GmbHG sanktioniert, so dass eine weitere Sanktionsnorm dem Gläubigerschutz über Gebühr Rechnung trüge und die Haftungsrisiken von Geschäftsführern und Gesellschaftern unverhältnismäßig erhöhte.226 Das Tatbestandsmerkmal Darlehen ist wirtschaftlich zu verstehen und schließt ua Kreditsicherheiten ein.227 Ein Verstoß gegen § 43a GmbHG liegt vor, wenn im Zeitpunkt der Darlehensaus- 50 zahlung das Stammkapital unterschritten wird.228 Auf den Vertragsschluss kommt es vor dem Hintergrund des Schutzzwecks der Norm nicht an; es ist zu diesem Zeitpunkt nämlich noch kein Geld geflossen, welches später – in der Insolvenz – wieder eingetrieben werden müsste. Es droht durch den Vertragsschluss auch keine Gefahr für einen späteren Liquiditätsabfluss, da der Gesellschaft ein Leistungsverweigerungsrecht zusteht, sofern durch die spätere Valutierung das Stammkapital unterschritten würde.229 Verstieß die Darlehensauszahlung nicht gegen § 43a GmbHG, so greift die Vorschrift auch nicht

_____ 220 BGH ZWH 2012, 369, Rz 35 mAnm M Brand; Fromm GmbHR 2008, 537, 539; Sotiropoulos S 43. 221 Uwe H Schneider GmbHR 1982, 197, 201; MK-GmbHG/Löwisch Rn 3 zu § 43a GmbHG; Sotiropoulos S 38 f. 222 BGH ZWH 2012, 369, Rz 41; Uwe H Schneider GmbHR 1982, 197, 200 f. 223 K Schmidt, § 37 III 6b, S 1148 f; Sotiropoulos S 57 ff; Uwe H Schneider GmbHR 1982, 197, 201. 224 BGHZ 157, 72, 74; BGH ZWH 2012, 369 ff m zust Anm M Brand; GK-GmbHG/Paefgen Rn 13 zu § 43a GmbHG; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 4 zu § 43a GmbHG; MK-GmbHG/Löwisch Rn 3 zu § 43a GmbHG; Wicke Rn 2 zu § 43a GmbHG; Bork/Schäfer/Klöhn Rn 2 zu § 43a GmbHG; Uwe H Schneider GmbHR 1982, 197, 201; aA Röck GmbHR 2012, 746, die den Grundsatz der Risikotrennung verkennt, der für den Gesellschafter-Geschäftsführer in gleicher Weise gilt wie für den Fremdgeschäftsführer. 225 GK-GmbHG/Paefgen Rn 13 zu § 43a GmbHG. 226 In diese Richtung auch: GK-GmbHG/Paefgen Rn 13 zu § 43a GmbHG. 227 Peltzer in: FS Rowedder, S 325, 338; Sotiropoulos S 44. 228 Sotiropoulos S 46. 229 Sotiropoulos S 46.

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ein, wenn das Gesellschaftsvermögen später unter das statutarische Stammkapital absinkt.230 Man kann es den Geschäftsführern nämlich nicht zumuten, eine künftige Verschlechterung des Gesellschaftsvermögens auf sich nehmen zu müssen. Liegt ein Verstoß gegen § 43a GmbHG vor, so muss der Empfänger des Darlehens die 51 Valuta insoweit zurückzahlen, als das statutarische Stammkapital unterschritten wird, § 43a S 2 GmbHG.

4. Verbot der Weggabe von Gesellschaftsvermögen bei Existenzgefährdung 52 Der Geschäftsführer haftet nach § 826 BGB, wenn er vorsätzlich an einem existenzver-

nichtenden Eingriff mitwirkt.231

III. Die Gesellschafter 1. Pflichten zum Zweck der Kapitalerhaltung a) Haftung nach § 31 GmbHG bei Unterbilanz 53 Spiegelbildlich zum Auszahlungsverbot des Geschäftsführers aus § 30 Abs 1 GmbH ist es den Gesellschaftern untersagt, Zahlungen entgegenzunehmen, die gegen § 30 Abs 1 GmbHG verstoßen. Anderenfalls sind sie nach § 31 Abs 1 GmbHG verpflichtet, diese an die Gesellschaft zurückzuerstatten. Dabei ist grundsätzlich die GmbH anspruchsberechtigt. Eine Ausnahme macht die höchstrichterliche Rechtsprechung in folgender Konstellation: Die Komplementär-GmbH einer GmbH & Co KG verstößt durch Zahlungen aus dem Vermögen der KG gegen § 30 Abs 1 GmbHG.232 In diesem Fall ist nach hM die KG anspruchsberechtigt.233 Ein Anspruch aus § 985 BGB oder § 812 BGB gegen den Gesellschafter besteht nicht, weil § 30 GmbHG kein Verbotsgesetz iSv § 134 BGB ist.234 Anspruchsverpflichtet ist grundsätzlich der Gesellschafter. Dabei muss seine Ge54 sellschafterstellung lediglich im Zeitpunkt der Begründung der Verbindlichkeit bestehen.235 Wird die Zahlung an einen Dritten dem Gesellschafter zugerechnet, so ist regelmäßig nur der Gesellschafter selbst zur Rückzahlung verpflichtet.236 Exemplarisch sei etwa die Zahlung der Gesellschaft an eine Bank angeführt, um einen Kredit des Gesellschafters zurückzuzahlen. Dritte Personen sind grds nur dann zur Rückzahlung aus § 31 Abs 1 GmbHG verpflichtet, wenn zwischen ihnen und einem Gesellschafter ein enges persönliches Verhältnis besteht.237 Die beiden haften dann gesamtschuldnerisch.238

_____ 230 BGH ZWH 2012, 369, Rz 37 ff mit zust Anm M Brand; GK-GmbHG/Paefgen Rn 27 zu § 43a GmbHG; Geßler BB 1980, 1385, 1389; Lutter DB 1980, 1317, 1322; Bachmann/Hassner WuB II C § 43a GmbHG 1.12; aA K Schmidt, § 37 III 6a, S 1148; Sotiropoulos S 47 f; ders GmbHR 1996, 653, 656; Peltzer in: FS Rowedder, S 325, 342. 231 Arends/Möller GmbHR 2008, 169, 173. 232 Dazu oben Rn 30. 233 BGH NJW 1990, 1725, 1726; K Schmidt, § 56 V 1b, S 1655 f; vgl zum Streitstand Roth/Altmeppen Rn 175 zu § 30 GmbHG m umfassenden Nachw. 234 S oben Rn 4. 235 Baumbach/Hueck/Fastrich Rn 8 zu § 31 GmbHG; Roth/Altmeppen Rn 3 zu § 31 GmbHG iVm Rn 25 zu § 30 GmbHG. 236 Roth/Altmeppen Rn 4 zu § 31 GmbHG; Bork/Schäfer/Thiessen Rn 22 zu § 31 GmbHG. S auch oben Rn 13. 237 Vgl K Schmidt, § 37 III 2e, S 1142; zu den Voraussetzungen s Rn 13 f. 238 Bork/Schäfer/Thiessen Rn 22 zu § 31 GmbHG.

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Die Rückzahlungspflicht besteht in Höhe des gesamten wertmäßigen Betrages, der an den Gesellschafter unter Verstoß gegen § 30 Abs 1 GmbHG ausgezahlt wurde.239 Der Gesellschafter muss also nicht den konkreten Gegenstand zurückgeben, sondern lediglich das Vermögen wertmäßig wiederauffüllen. Verstieß die Auszahlung nur teilweise gegen § 30 Abs 1 GmbHG, so haftet der Gesellschafter lediglich insoweit, als er eine § 30 Abs 1 GmbHG-widrige Zahlung empfangen hat. Der Gesellschafter wird auch nicht von seiner Rückzahlungspflicht befreit, wenn das Stammkapital zwischenzeitlich auf andere Weise wieder aufgefüllt ist.240 Vielmehr bleibt der Gesellschaft der einmal entstandene Rückzahlungsanspruch so lange erhalten, bis auf diesen selbst geleistet wurde. Da der Rückzahlungsanspruch dogmatisch kein Bereicherungsanspruch ist, sondern ein gesellschaftsrechtlicher Rückzahlungsanspruch, ist es dem Gesellschafter verwehrt, sich auf Entreicherung nach § 818 Abs 3 BGB zu berufen.241 Überdies steht die analoge Anwendung des § 19 Abs 2 GmbHG einer etwaigen Aufrechnung mit einer Gegenforderung des Gesellschafters entgegen.242 § 31 Abs 3 GmbHG ordnet eine subsidiäre Ausfallhaftung der übrigen Gesellschafter an, wenn der Empfänger zur Rückerstattung nicht in der Lage ist. Die Gesellschafter haften dabei pro rata – mithin nicht als Gesamtschuldner – und nur insoweit, als es zur Befriedigung der Gläubiger erforderlich ist. Liegt bereits eine Überschuldung vor, so haften die Gesellschafter nach hM nur summenmäßig auf die Höhe des statutarischen Stammkapitals, da anderenfalls das Haftungsrisiko der Gesellschafter unkalkulierbar wäre.243 Nach einer überzeugenden Gegenansicht244 ist die Haftung summenmäßig auf die Stammeinlage des Empfängers der verbotenen Auszahlung beschränkt. Denn nur so gelingt es, die Parallele der Haftung aus § 31 Abs 1 GmbHG zu derjenigen auf Einbringung der Stammeinlage aus § 24 GmbHG konsequent umzusetzen. Nach § 24 S 1 GmbHG haften die übrigen Gesellschafter nämlich auch nur subsidiär in Höhe des Fehlbetrags des säumigen Gesellschafters. Nach einer in der Literatur vertretenen Ansicht kann der in den §§ 31 Abs 3, 24 GmbHG enthaltenen Einstandspflicht der Gesellschafter für das statutarische Stammkapital entnommen werden, dass das Verhältnis der Gesellschafter zu „ihrer“ Gesellschaft fremdnützig ist iSv § 266 StGB.245

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b) Grundsätzlich keine weitergehende Schadensersatzhaftung Die Regelung des § 31 GmbHG ist nach der neueren Rspr des BGH – von den Fällen der 59 sog Existenzgefährdung und Unterkapitalisierung der GmbH abgesehen246 – grundsätz-

_____ 239 Schäfer § 35, Rn 36, S 204. 240 BGH NJW 2000, 2577 ff („Balsam/Procedo“) unter ausdrücklicher Aufgabe früherer Rspr; bestätigt von BGH NJW 2003, 3629, 3631; BGH ZWH 2012, 369 ff m zust Anm M Brand; Schäfer § 35, Rn 36, S 205. 241 Schäfer § 35, Rn 36, S 204. 242 K Schmidt, § 37 III 2a, S 1138. 243 BGH NJW 2003, 3629, 3632; BGH NZG 2005, 845, 846; BGH NJW 2002, 1803, 1804, wo das Problem diskutiert, aber noch nicht endgültig entschieden wird; Schäfer § 35, Rn 37, S 205; Baumbach/Hueck/ Fastrich Rn 24 zu § 31 GmbHG; Altmeppen ZIP 1999, 1354, 1355. 244 K Schmidt, § 37 III 3b, S 1143. 245 C Brand Der Konzern 2010, 285, 293. 246 Hierzu sogleich Rn 60 ff.

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lich abschließend; sie wird insbesondere nicht durch weitergehende Schadensersatzansprüche ergänzt.247

2. Pflichten zum Schutz des Gesellschaftsvermögens 60 Zwei Haftungsinstitute flankieren die im GmbHG und der InsO normierten Haftungstat-

bestände: die Haftung aus existenzvernichtendem Eingriff in das Gesellschaftsvermögen sowie die Haftung wegen materieller Unterkapitalisierung.248 Wichtig für das Verständnis der folgenden Ausführungen ist das in § 13 Abs 2 GmbHG verankerte Trennungsprinzip.249 Gerade die Trennung des GmbH-Vermögens und des Gesellschaftervermögens sowie die damit einhergehende Haftungstrennung geben der GmbH ihr spezifisches Gepräge. Zunächst ist zu klären, inwieweit die beiden Haftungsinstitute neben §§ 30, 31, 64 61 S 3 GmbHG einen originären Anwendungsbereich haben. 250 Die Existenzvernichtungshaftung erfasst insbes diejenigen Fälle, in denen das zur Deckung des statutarischen Stammkapitals erforderliche Vermögen nicht an die Gesellschafter oder ihnen nahestehende Personen ausgezahlt wird,251 sowie Fälle, in denen die Gesellschaftsinsolvenz ausgelöst wird, ohne dass der Gesellschaft bilanzielles Vermögen entzogen wurde, wie es etwa bei dem Entzug von Geschäftschancen, dem Abzug von Führungskräften oder der Veranlassung von (unvertretbar) riskanten und verlustträchtigen Geschäften denkbar ist.252 Im Übrigen erfordern §§ 30 Abs 1, 64 S 3 GmbHG einen durch die Gesellschaft veranlassten Vermögensentzug, was bei einem unmittelbaren Zugriff des Gesellschafters auf das Gesellschaftsvermögen nicht der Fall ist.253 Die Haftung wegen materieller Unterkapitalisierung nimmt Konstellationen in den Blick, in denen Gesellschaften zwar das gesetzlich vorgegebene Stammkapital aufgebracht haben, dies aber angesichts ihrer Größe und ihres Geschäftsfeldes dem Gläubigerschutz nicht genügt.

a) Verbot existenzvernichtender Eingriffe aa) Dogmengeschichte 62 Das Verbot existenzvernichtender Eingriffe, dem eine Haftung wegen Existenzvernichtung korrespondiert, hat in den letzten drei Jahrzehnten eine wechselvolle Geschichte durchlebt. Ihren Ausgangspunkt nahm sie im Jahre 1985 im Konzernrecht mit der „Autokran-Entscheidung“: Der Kläger hatte mit sieben Gesellschaften mbH, auf die allesamt der Beklagte einen beherrschenden Einfluss iSv § 17 AktG ausübte, Leasingverträge

_____ 247 BGH NJW 2002, 1803, 1804: „Die abschließende Regelung dieser Vorschrift schließt eine weitergehende Haftung auch bei schuldhafter Mitwirkung der anderen Gesellschafter an dem Vermögensentzug grundsätzlich aus“; BGHZ NJW 1999, 2817; Lutter/Hommelhoff Rn 24 zu § 31 GmbHG; Müller GmbHR 1999, 923 ff; aA Altmeppen ZIP 1999, 1352. 248 Vgl Habersack ZGR 2008, 533, 543; für die Existenzvernichtung: BGH NJW 2008, 2437, 2439. 249 Mit diesem setzt sich denn auch BGH NJW 2008, 2437, 2439 in seiner unten noch näher besprochenen „GAMMA-Entscheidung“ auseinander. 250 Zwischen den Ansprüchen aus § 31 GmbHG und aus existenzvernichtendem Eingriff besteht Anspruchsgrundlagenkonkurrenz, vgl BGH NJW 2007, 2689, 2693, Rz. 38, 40 – „Trihotel“; Weller ZIP 2007, 1681, 1687; MK-BGB/Wagner Rn 118 zu § 826 BGB. 251 Winter S 203. 252 Vgl Habersack ZGR 2008, 533, 537; Baumbach/Hueck/Fastrich Rn 60 zu § 13 GmbHG. 253 Habersack ZGR 2008, 533, 537.

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geschlossen. Die Gesellschaften mbH leasten beim Kläger Autokräne. Als die Gesellschaften mbH ihre Leasingraten nicht mehr bezahlten, kündigte der Kläger die Verträge und erwirkte über die noch ausstehenden Raten einen Vollstreckungstitel gegen die Gesellschaften mbH. In der Zwangsvollstreckung gegen die Gesellschaften mbH erlangte er aber nur teilweise Befriedigung. Deshalb begehrte er zusätzlich einen Anspruch unmittelbar gegen den Beklagten, den ihm der BGH auch gewährte, und zwar analog § 303 AktG aF, § 322 Abs 2, 3 AktG. Zur Begründung führt das Urteil unter anderem die Vergleichbarkeit des qualifizierten faktischen GmbH-Konzerns mit dem aktienrechtlichen Vertragskonzern an.254 Denn bei der beherrschten GmbH bestehe das Einfallstor für die Einflussnahme in § 37 Abs 1 GmbHG, bei der AG in § 308 Abs 2 GmbHG.255 Diese Rechtsprechung schrieb der BGH in seiner „Tiefbau-Entscheidung“256 fort und führte erweiternd an, dass im faktischen GmbH-Konzern auch eine Haftung der beherrschenden Gesellschaft gegenüber der beherrschten GmbH entsprechend § 302 AktG – mithin eine Verlustübernahmepflicht – bestehe. In seiner „Video-Entscheidung“ aus dem Jahr 1991257 bestätigt der BGH abermals seine Rechtsprechung unter intensiver Auseinandersetzung mit der Frage, wann ein qualifizierter faktischer Konzern vorliegt. Nach Ansicht des Senats muss das herrschende Unternehmen – das auch eine natürliche Person sein kann – die Geschäfte der abhängigen GmbH dauernd und umfassend geführt haben.258 In diesem Fall spreche nämlich eine Vermutung dafür, dass das herrschende Unternehmen nicht mehr einzig die Interessen der beherrschten GmbH, sondern eigene Interessen verfolge und somit die Minderheitsgesellschafter der beherrschten GmbH und deren Gläubiger benachteilige. Allerdings könne diese Vermutung widerlegt werden, wenn das herrschende Unternehmen beweise, dass die Verluste der beherrschten Gesellschaft auf Umständen beruhen, die mit der Ausübung der Leitungsmacht nichts zu tun haben.259 Eine Klarstellung und Konkretisierung dieser Formel liefert die „TBB-Entscheidung“ des BGH vom 29.3.1993.260 Das Urteil stellt klar, dass Tatbestand der Haftung im qualifizierten faktischen Konzern nicht die dauerhafte und umfassende Leitung der abhängigen Gesellschaft sei, sondern die objektiv missbräuchliche Behandlung der beherrschten durch die beherrschende Gesellschaft.261 Demzufolge könne die dauerhafte und umfassende Leitung der abhängigen Gesellschaft auch keine Vermutung für einen qualifizierten faktischen Konzern begründen. Eine radikale Kehrtwende vollzog der BGH in seiner „Bremer Vulkan-Entschei- 63 dung“ aus dem Jahr 2001.262 Er verabschiedete sich darin von der entsprechenden Anwendung des Haftungsregimes aus dem AG-Vertragskonzern und stellt den Grundsatz auf, dass sich der Schutz der abhängigen GmbH auf ihr Stammkapital nach § 30 GmbHG beschränke. Der Alleingesellschafter der abhängigen GmbH hafte nur ausnahmsweise, wenn er „seiner“ GmbH Mittel in einem Umfang entziehe, dass die GmbH ihren Verbind-

_____ 254 BGH NJW 1986, 188, 191. 255 Dieses Argument relativierte BGH NJW 1991, 3142, 3144 – „Video“. 256 BGH NJW 1989, 1800 ff. 257 BGH NJW 1991, 3142 ff. 258 BGH NJW 1991, 3142, 3144; zuvor schon: BGH NJW 1989, 1800, 1802; BGH NJW 1986, 188, 191; vgl auch Sotiropoulos S 74. 259 BGH NJW 1991, 3142, 3144. 260 BGH NJW 1993, 1200 ff mit zust Anm Kübler. 261 BGH NJW 1993, 1200, 1203; Habersack ZGR 2008, 533, 539 sieht darin die „herausragende Bedeutung dieses Urteils“. 262 BGH NJW 2001, 3622 ff.

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lichkeiten nicht mehr nachkommen könne („bestandsvernichtender Eingriff“).263 In seinen Entscheidungen „L-Kosmetik“264 und „KBV“265 aus dem Jahr 2002 bestätigte der BGH seine „Vulkan-Rechtsprechung“. In „KBV“ gehen die Bundesrichter grundlegend auf die dogmatische Verankerung des inzwischen „Anspruch aus existenzvernichtendem Eingriff“ genannten Haftungsinstituts ein. Ausgangspunkt sei § 13 Abs 2 GmbHG. Die darin verankerte Haftungsbeschränkung komme den Gesellschaftern nur zugute, wenn sie das Gesellschaftsvermögen als Haftungsmasse für die Gesellschaftsgläubiger respektieren.266 Greifen die Gesellschafter in existenzvernichtender Weise in das Gesellschaftsvermögen ein, liquidieren sie selbige mithin auf kaltem Wege, so haben sie sich des Schutzes des § 13 Abs 2 GmbHG für unwürdig erwiesen, weshalb sie mit ihrem Privatvermögen haften. Kurz gewendet: § 13 Abs 2 GmbHG wird bei Rechtsformmissbrauch durchbrochen; es handelt sich mithin um eine sog Durchgriffshaftung.267 Will ein Gesellschafter seine Unternehmenstätigkeit beenden, muss er sich eines der gesetzlichen, in der InsO und in §§ 65 ff GmbHG vorgesehenen Verfahren bedienen.268 Im dritten Leitsatz seiner „Autovertragshändler-Entscheidung“ 269 erstreckt der BGH die Haftung auch auf einen Gesellschafter, der an einer Gesellschaft beteiligt ist, die ihrerseits Gesellschafter der GmbH ist. Dies bestätigte der BGH in seiner „Handelsvertreter-Entscheidung“.270 Darin schärfte er zugleich die Konturen des Tatbestandsmerkmals „existenzvernichtender Eingriff“. Dieser sei nicht bei bloßen Managementfehlern verwirklicht, sondern nur bei gezielten, betriebsfremden Zwecken dienenden Eingriffen in das Gesellschaftsvermögen.

bb) Aktuelle BGH-Rechtsprechung 64 Einen vorläufigen Endpunkt in der „unendlichen Geschichte“ des existenzvernichtenden

Eingriffs statuiert die vielbeachtete „Trihotel-Entscheidung“ des BGH vom 16.7.2007.271 Der zweite Zivilsenat gibt darin den eigenständigen richterrechtlichen Anspruch wegen existenzvernichtenden Eingriffs auf und stützt die Existenzvernichtungshaftung auf § 826 BGB.272 Damit vollzieht er nicht nur in punkto Anspruchsgrundlage eine radikale Kehrtwende, sondern auch was die konkrete Ausgestaltung der Existenzvernichtungs-

_____ 263 BGH NJW 2001, 3622, 3623. 264 BGH NJW 2002, 1803 ff. 265 BGH NJW 2002, 3024 f. 266 BGH NJW 2002, 3024, 3025. 267 Instruktiv zur Durchgriffshaftung Flume AT I 2, § 3 III, S 79 ff; Wiedemann Gesellschaftsrecht I, § 4 III 1, S 221 ff; Coing NJW 1977, 1793 ff. 268 BGH NZG 2005, 177 ff „Autovertragshändler“; Habersack ZGR 2008, 533, 542. 269 BGH NZG 2005, 177. 270 BGH NZG 2005, 214 f; nochmals bestätigt in BGH NJW 2007, 2689, 2693 „Trihotel“. 271 BGH NJW 2007, 2689 ff; bestätigt von BGH NJW 2008, 2437 ff – „GAMMA“; dazu Dauner-Lieb ZGR 2008, 34 ff; Altmeppen NJW 2007, 2567 ff, der ua dafür plädiert, nicht nur den vorsätzlich schädigenden Gesellschafter haften zu lassen, sondern in Anlehnung an den Rechtsgedanken aus § 93 Abs 5 S 2 und 3 AktG auch den Gesellschafter, der die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters gröblich verletzt hat. Habersack ZGR 2008, 533 ff begrüßt das Urteil weitestgehend. Einschränkend tritt er aber auf S 548 f bei der vermögenslosen, nicht unter Fremdverwaltung stehenden GmbH für eine Außenhaftung ein. 272 BGH NJW 2007, 2689 – 2. LS; bestätigt von BGH NJW 2008, 2437 ff „GAMMA“; BGH DB 2013, 866, 867; diese dogmatische Verortung bezeichnet Habersack ZGR 2008, 533, 549 als „in sich stimmig und dogmatisch vertretbar“.

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haftung betrifft: Diese soll von nun an reine Innenhaftung sein.273 Gleichzeitig fällt mit der neuen Rechtsprechung die bislang propagierte Subsidiarität gegenüber dem Haftungsregime der §§ 30, 31 GmbHG.274 Wenig später führte der BGH aus, dass die in „Trihotel“ herausgearbeiteten Grundsätze der Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs auch im Liquidationsstadium der Gesellschaft gelten.275 Nach inzwischen verfestigter BGH-Rechtsprechung liegt ein zum Schadensersatz 65 nach § 826 BGB verpflichtender existenzvernichtender Eingriff vor, wenn der Gesellschaft von ihren Gesellschaftern in sittenwidriger Weise das zur Tilgung ihrer Schulden erforderliche Vermögen entzogen und dadurch eine Insolvenz verursacht oder vertieft werde. Dabei liege ein Vermögensentzug nur dann vor, wenn ihm keine gleichwertige Gegenleistung gegenüberstehe.276 Bei der Gewährung von Kreditsicherheiten liegt ein existenzvernichtender Eingriff nur vor, wenn seitens der sicherungsgebenden Gesellschaft die Betriebsfortführung nicht mehr sichergestellt ist oder gerade wegen der Sicherheitenbestellung einem tatsächlichen Bedürfnis zur Kreditaufnahme nicht entsprochen werden konnte.277 Es muss sich um einen kompensationslosen Eingriff handeln, der die Insolvenz der Gesellschaft verursacht oder vertieft; dazu genügt die Vertiefung einer bestehenden Überschuldung.278 Als Eingriffshandlung kommt neben der Alleintäterschaft des Gesellschafters auch dessen Beteiligung als Mittäter, Anstifter oder Gehilfe an einem existenzvernichtenden Eingriff durch den Geschäftsführer in Betracht, § 830 BGB.279 Die Beteiligung eines mittelbaren Gesellschafters an einem Eingriff des Geschäftsführers der Gesellschafter-Gesellschaft genügt.280 Ein bloßes Unterlassen kann die Existenzvernichtungshaftung nicht auslösen.281 In subjektiver Hinsicht genügt bedingter Vorsatz. Dem Gesellschafter müssen dabei die Tatsachen, die das Verdikt der Sittenwidrigkeit begründen, bekannt sein, nicht hingegen muss er sein Tun als sittenwidrig erkennen.282 Der zu ersetzende Schaden besteht in den durch den Eingriff verursachten Vermö- 66 gensnachteilen der Gesellschaft, die sich aus den entzogenen Vermögenspositionen, insolvenzbedingten Zerschlagungsverlusten sowie etwaigen entgangenen Gewinnen zusammensetzen. Hinzu kommen die Kosten des vorläufigen Insolvenzverfahrens sowie des Insolvenzverfahrens, wenn die Gesellschaft ohne den existenzvernichtenden Eingriff nicht insolvent geworden wäre. Die Obergrenze des Schadens bilden sämtliche im Insolvenzverfahren angemeldeten Forderungen zuzüglich der Kosten des vorläufigen Insolvenzverfahrens und des Insolvenzverfahrens.283

_____ 273 BGH NJW 2007, 2689; kritisch dazu MK-BGB/Wagner Rn 120 zu § 826 BGB. 274 BGH NJW 2007, 2689, 2693, Rz 38, 40 – „Trihotel“. 275 BGHZ 179, 344 ff – „Sanitary“; bestätigt in BGH ZWH 2012, 369 ff mAnm M Brand. 276 BGHZ 173, 246, Rn 23 ff, 51; BGH ZWH 2012, 369 ff mAnm M Brand; BGH NZG 2012, 1069 ff, Rn 21; BGH DB 2013, 866, 867; vgl auch den instruktiven vom OLG Celle NZG 2010, 181 ff entschiedenen Fall. Hier hatte der Gesellschafter-Geschäftsführer „seiner“ GmbH eine gegen ihn gerichtete Forderung entzogen, indem er ein klagabweisendes Versäumnisurteil zu seinen Gunsten und zu Lasten „seiner“ GmbH erwirkte. Das OLG Celle bejahte zu Recht einen Anspruch aus § 826 BGB gegen den Gesellschafter-Geschäftsführer. 277 BGH NJW 2007, 2689, 2694; zur Auswirkung dieser Rechtsprechung auf die Geschäftsführerhaftung nach § 64 S 3 GmbHG s oben Rn 44 f und M Brand ZIP 2012, 1010 ff. 278 BGH NZG 2012, 1069 ff, Rn 25. 279 BGH NZG 2012, 1069 ff, Rn 14; BGH DB 2013, 866, 867; Lutter/Hommelhoff Rn 24 zu § 31 GmbHG. 280 BGH NZG 2012, 1069 ff, Rn 14; BGH DB 2013, 866, 867. 281 BGH NJW 2008, 2437 ff – „GAMMA“. 282 BGH DB 2013, 866, 868; OLG Celle NZG 2010, 181, 183. 283 BGH NZG 2012, 1069 ff, Rn 29; BGHZ 173, 246, Rn 56 f.

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cc) Gesellschaftsrechtliche Treuepflichten als dogmatisches Fundament der Existenzvernichtungshaftung 67 Die aktuelle BGH-Rechtsprechung“ basiert noch auf der „Prä-MoMiG-Rechtslage“ und musste daher – legitimer Weise – den damals erst geplanten § 64 S 3 GmbHG nicht berücksichtigen.284 Anders sieht dies aus, wenn der BGH künftig Fälle der Existenzvernichtung zu entscheiden hat, auf die das reformierte GmbHG anwendbar ist. Er müsste sich dann die Frage stellen, ob es sein kann, dass der Geschäftsführer für Zahlungen haftet, die den Tatbestand der Existenzvernichtung verwirklichen (und damit regelmäßig die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft herbeiführen), wenn er die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsführers nicht beachtet hat, während die Gesellschafter nach § 826 BGB erst dann haften, wenn sie im Hinblick auf die Eingriffshandlung als auch auf die Schädigung vorsätzlich handelten.285 Vernünftiger Weise muss man die Frage verneinen. Anderenfalls setzte man sich Wertungswidersprüchen aus, da man so die Gesellschafter als die wahren Profiteure des existenzvernichtenden Eingriffs gegenüber den Geschäftsführern privilegierte. Die Lösung könnte darin liegen, die Existenzvernichtungshaftung der Gesellschafter dogmatisch in deren Treuepflichten gegenüber der Gesellschaft zu verorten, womit man auch zwanglos fahrlässiges Verhalten im Gleichlauf mit § 64 S 3 GmbHG sanktionieren kann.286 Auch die durch das MoMiG herbeigeführte Änderung der Rechtslage bei Gesell68 schafterdarlehen gibt Anlass, die Rechtsprechung der Existenzvernichtung zu überdenken. Wurden Gesellschafterdarlehen in der „Prä-MoMiG-Ära“ als eigenkapitalersetzend behandelt, mit der Konsequenz, dass deren Rückzahlung – wenn sie gegen § 30 Abs 1 GmbHG verstieß – nach §§ 31, 43 Abs 3 GmbHG sanktioniert wurde, so sind sie nach dem neuen § 135 InsO nur noch anfechtbar; das Eigenkapitalersatzrecht wurde aufgehoben. Damit ist es nach neuem Recht aber möglich, die Rückzahlung „eigenkapitalersatzrechtlicher Darlehen“ dem Regime der Existenzvernichtungshaftung zu unterwerfen, und zwar unabhängig von der noch vor der „Trihotel-Entscheidung“ geltenden subsidiären Haftung gegenüber dem Stammkapitalschutz.287

b) Haftung wegen materieller Unterkapitalisierung 69 Zur Veranschaulichung sei – stark vereinfacht – der der „GAMMA-Entscheidung“288 zu-

grundeliegende Sachverhalt vorangestellt: Die B GmbH & Co KG (B-KG) ist in finanzielle Schieflage geraten, die sie zu ersten Entlassungen ihrer Arbeitnehmer nötigte. Um weitere Entlassungen zu verhindern, vereinbarte sie zusammen mit ihrem Betriebsrat einen Sozialplan, wonach die noch bestehenden Arbeitsverhältnisse auf eine Gesellschaft für Personalentwicklung und Qualifizierung (sog BQG) übergeleitet werden sollen. Diese Aufgabe übernahm die G-GmbH, die einzig für die vorübergehende Beschäftigung und Weitervermittlung der Arbeitnehmer der B-KG zuständig war. Gegründet wurde sie mit einem Stammkapital von 25.000 €. Finanziert wurde die G-GmbH zum

_____ 284 Zu dieser Vorschrift ausführlich oben Rn 32 ff. 285 Vgl Habersack ZGR 2008, 533, 558; pauschal für die Berücksichtigung des § 64 S 3 GmbHG im Rahmen der Ausformung der deliktischen Existenzvernichtungshaftung: Vetter BB 2007, 1965, 1967; MK-BGB/ Wagner Rn 121 zu § 826 BGB sieht die Parallelität von § 826 BGB und § 64 S 3 GmbHG, hält aber an den Voraussetzungen der Existenzvernichtungshaftung fest. 286 Habersack ZGR 2008, 533, 558; M Brand, ZWH 2012, 373. 287 Veil NJW 2008, 3264, 3265. 288 BGH NJW 2008, 2437.

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einen durch öffentliche Mittel wie Strukturkurzarbeitergeld, zum anderen durch Remanenzkosten in Höhe von 25.000 € monatlich, die von der B-KG aufzubringen waren.289 Nachdem die B-KG, allen Rettungsbemühungen zum Trotz, Insolvenz anmelden musste und damit die Remanenzzahlungen an die G-GmbH nicht mehr erbringen konnte, fiel auch die G-GmbH in die Insolvenz. Denn die G-GmbH hatte außer den genannten keine weiteren Einnahmen und – was ebenfalls hervorgehoben zu werden verdient – die Ansprüche auf Remanenzkosten waren entgegen branchenüblichen Gepflogenheiten nicht durch Bankbürgschaften gesichert. Der Insolvenzverwalter der G-GmbH klagt nun gegen deren Gesellschafter auf Zahlung von Entgelt- und Schadensersatzansprüche der Arbeitnehmer ua aus dem Haftungsinstitut der materiellen Unterkapitalisierung. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts290 und zahlreichen Literaturstim- 70 men291 verneinte der BGH zu Recht einen Anspruch aus materieller Unterkapitalisierung.292 Zum einen sei ein solcher Anspruch zu unbestimmt und damit mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit unvereinbar, zum anderen sei das Haftungsregime der §§ 30, 31, 64 GmbHG und § 826 BGB abschließend. Es fehle damit an einer Regelungslücke für ein weiteres Haftungsinstitut.293 Jedoch muss man eine Haftung des jeweiligen Gesellschafters dann bejahen, wenn er gegen § 826 BGB verstößt.294 Man denke etwa an den Gesellschafter, der auf Kosten der Gesellschaftsgläubiger unter Ausnutzung der beschränkten Haftung spekuliert.295 anhängen

§ 8 Pflichten in der Krise

M Brand § 8 Pflichten in der Krise I. Einführung Sobald sich die Gesellschaft in der Krise befindet, verschärft sich das Pflichtenprogramm 1 vor allem der Geschäftsführer, aber auch der Gesellschafter: Ab jetzt droht ihnen die Haftung wegen Insolvenzverschleppung nach § 823 Abs 2 BGB iVm § 15a InsO, die Haftung aus § 64 S 1 GmbHG, sowie typischerweise das Insolvenzanfechtungsrisiko von Gesellschafterdarlehen gem §§ 39 Nr 5, 135 InsO. Daneben bleiben die bereits in § 7 erörterten Haftungstatbestände weitgehend bestehen. Der Geschäftsführer kann also nach wie vor gegen § 30 Abs 1 GmbHG verstoßen. Zudem bestehen die skizzierten Überwachungspflichten unter mehreren Geschäftsführern1 fort. Sie werden in der Krise sogar noch verstärkt. Dreh und Angelpunkt für dieses gesteigerte Pflichtenprogramm ist die in § 7 Rn 2

_____ 289 Vgl zur Struktur der BQG und den Remanenzkosten die instruktiven Ausführungen des Berufungsgerichts: OLG Düsseldorf NZG 2007, 388, 389. 290 OLG Düsseldorf NZG 2007, 388 ff, das sich iE freilich dogmatisch für einen Anspruch aus Existenzvernichtung entschied. Auch diesen negierte der BGH. 291 Kübler/Assmann § 18 VI 5, S 296 f; Wiedemann Gesellschaftsrecht I, § 4 III 1b, S 224 ff; Lutter/Hommelhoff/Lutter/Bayer Rn 20 ff zu § 13 GmbHG mwN; Bitter ZInsO 2010, 1561, 1581. 292 BGH NJW 2008, 2437; zustimmend Veil NJW 2008, 3264, 3266; Baumbach/Hueck/Fastrich Rn 47 zu § 13 GmbHG; vorher verneinte eine Haftung wegen materieller Unterkapitalisierung bereits BAG NJW 1999, 740, 741. 293 BGH NJW 2008, 2437, 2439; Baumbach/Hueck/Fastrich Rn 47 zu § 13 GmbHG. 294 Flume AT I 2, § 3 III, S 84 und 87. 295 Flume AT I 2, § 3 III, S 87. 1 Oben § 6 Rn 44.

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umschriebene Krise,2 die durch die Insolvenzeröffnungsgründe „(drohende) Zahlungsunfähigkeit“ oder „Überschuldung“ ausgelöst wird.

II. Insolvenzeröffnungsgründe 1. Grundlagen 2 Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens setzt nach § 16 InsO voraus, dass ein Eröff-

nungsgrund vorliegt. Es gibt drei Insolvenzeröffnungsgründe: Die Zahlungsunfähigkeit gem § 17 InsO, die drohende Zahlungsunfähigkeit gem § 18 InsO sowie die Überschuldung gem § 19 InsO. Bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung muss der Schuldner nach § 15a Abs 1 3 Satz 1 InsO Insolvenzantrag stellen.3 Daneben sind nach § 13 Abs 1 Satz 2 InsO auch die Gläubiger antragsberechtigt. Abweichend vom Grundsatz des § 13 Abs 1 S 2 InsO ist bei drohender Zahlungsunfähigkeit ausschließlich der Schuldner antragsberechtigt. Eine Antragspflicht besteht bei drohender Zahlungsunfähigkeit nicht. Der Schuldner kann bei drohender Zahlungsunfähigkeit auch gegen den Willen seiner Gläubiger Insolvenzantrag stellen und sich dem Insolvenz(plan)verfahren unterstellen.4 Anders als bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung muss nach § 18 Abs 3 InsO bei lediglich drohender Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzantrag einschränkend entweder (1) von allen Mitgliedern des Vertretungsorgans, allen persönlich haftenden Gesellschaftern oder allen Abwicklern oder (2) von einer ohne Mitwirkung Dritter zur Vertretung der Gesellschaft berechtigten Person gestellt werden.5 Die Funktion der Insolvenzeröffnungsgründe besteht darin, einen Ausgleich zwi4 schen den Gläubigerinteressen und den Gesellschaftsinteressen zu schaffen.6 Konkret geht es darum, die Antragspflicht nicht zu weit in die Zukunft zu verlagern und dadurch die Masse für die Insolvenzgläubiger zu sehr zu schmälern.7 Man darf die Insolvenzantragspflicht aber auch nicht zu weit nach vorn verlagern, weil auf diese Weise überlebensfähige Gesellschaften in die Insolvenz gezwungen und ihnen damit erfolgsversprechende Sanierungschancen außerhalb des Insolvenzverfahrens genommen würden.8 Auch für die Interessen der Gläubiger untereinander ist der Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung relevant: Je später das Insolvenzverfahren eröffnet wird, desto eher profitieren diejenigen Gläubiger, deren Forderungen noch vor Verfahrenseröffnung befriedigt werden. Sie profitieren dabei auf Kosten der übrigen Gläubiger, für die nur noch eine geringere Insolvenzmasse verbleibt. Diese unterschiedlichen Interessen sind bei der Auslegung der einzelnen Insolvenzantragsgründe zu berücksichtigen.

_____ 2 Zur Bedeutung der „Krise“ für die Gesellschafterdarlehen nach neuem Recht s u Rn 56 f. 3 Ausführlich unten Rn 47. 4 K Schmidt ZIP 2013, 485, 489. 5 Andres/Leithaus/Dahl, Rn 8 zu § 18 InsO; MK-InsO/Drukarczyk Rn 75 zu § 18 InsO. 6 Vgl dazu BGH NJW 2005, 3062, 3065; Bitter/Kresser ZIP 2012, 1733, 1734; K Schmidt AG 1978, 334, 337 speziell für den Fall der Überschuldung; instruktiv zu diesen Interessenantipoden sind auch die Ausführungen von Thole S 69 f. 7 Umso früher das Insolvenzverfahren eröffnet wird, desto größer ist in der Regel die für die Insolvenzgläubiger verbleibende Masse, vgl Bork KTS 2005, 1, 9; Thole S 69. 8 Vgl Thole S 69 f.

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2. Zahlungsunfähigkeit a) Einleitung Die Zahlungsunfähigkeit – der praktisch wichtigste Insolvenzeröffnungsgrund9 – liegt 5 nach der Legaldefinition des § 17 Abs 2 Satz 1 InsO vor, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Nach § 17 Abs 2 Satz 2 InsO ist Zahlungsunfähigkeit in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat.10 Zahlungsunfähigkeit ist Geldilliquidität.11 Sie liegt dann nicht vor, wenn den fälli- 6 gen Verbindlichkeiten des Schuldners ausreichend Liquidität in Form von Zahlungsmitteln gegenübersteht.12 Die Gesellschaft muss stets in der Lage sein, ihre Verbindlichkeiten vollständig befriedigen zu können. Bloße Zahlungsunwilligkeit genügt nicht für die Annahme von Zahlungsunfähigkeit.13

b) Voraussetzungen der Zahlungsunfähigkeit In seiner grundlegenden Entscheidung vom 24. Mai 200514 definierte der BGH erstmals 7 die Zahlungsunfähigkeit unter dem Regime der InsO und verlieh der Abgrenzung zur Zahlungsstockung Konturen. Der BGH geht im Grundsatz vom Stichtagsprinzip aus, wie es in § 17 Abs 2 InsO Gesetz geworden ist.15 Es sind die an einem bestimmten Tag fälligen Forderungen dem liquiden Vermögen gegenüberzustellen. Ergibt diese Liquiditätsprüfung einen negativen Saldo, ist die Gesellschaft grundsätzlich zahlungsunfähig. Dies gilt jedoch nicht ausnahmslos. Vielmehr hat der BGH folgende quantitativen und qualitativen Grundsätze aufgestellt: Lässt sich eine festgestellte Liquiditätslücke voraussichtlich innerhalb eines Zeitraums von zwei bis drei Wochen beheben, so liegt lediglich eine Zahlungsstockung vor, die keinen Insolvenzeröffnungsgrund darstellt.16 Der BGH verlangt dabei nicht, dass der Schuldner seine fälligen Verbindlichkeiten innerhalb der dreiwöchigen Frist zu hundert Prozent erfüllen kann. Beträgt eine innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke des Schuldners weniger als 10% seiner fälligen Gesamtverbindlichkeiten, ist regelmäßig von Zahlungsfähigkeit auszugehen, es sei denn, es ist bereits absehbar, dass die Lücke demnächst mehr als 10% erreichen wird.17 Der vom BGH postulierte Schwellenwert von 10% stellt eine lediglich widerlegbare Vermutung für die Zahlungsunfähigkeit dar.18

_____ 9 Vgl MK-InsO/Eilenberger Rn 1 zu § 17 InsO; Staufenbiel/Hoffmann ZInsO 2008, 785, 786. 10 S u Rn 10. 11 Baumbach/Hueck/Haas Rn 37 zu § 64 GmbHG; Thole S 71; Staufenbiel/Hoffmann ZInsO 2008, 785, 787; Jäger BB 1997, 1575. 12 Bork KTS 2005, 1, 3; MK-InsO/Eilenberger Rn 10 zu § 17 InsO. 13 Bittmann Voraufl, Rn 66 zu § 11; Burger/Schellberg, BB 1995, 261. 14 BGHZ 163, 134 = NJW 2005, 3062 f; bestätigt von BGH NZI 2007, 36, 37, Rn 27, BGH ZIP 2012, 1174, 1175, Rz 10; BGH ZWH 2013, 505; OLG Saarbrücken ZIP 2012, 1973; vgl auch Dahl NJW-Spezial 2008, 53 f. 15 S a Braun/Bußhardt Rn 12 zu § 17 InsO. 16 BGH NJW 2005, 3062; s a BGHSt, NStZ 2007, 643, 644; Thole S 72; Goette/Habersack/Casper Rn 6.4, der auf den Prognosezeitraum eines Unternehmens abstellt, der überwiegend bei drei Wochen liegen wird, jedoch auch bei einem Monat liegen kann. Kritisch zum Dreiwochenzeitraum etwa Harz/Baumgartner/ Conrad ZInsO 2005, 1304, 1307. 17 BGH NJW 2005, 3062, 3066. 18 BGH NJW 2005, 3062, 3065; Uhlenbruck/Mock Rn 21 zu § 17 InsO; Braun/Bußhardt Rn 14 zu § 17 InsO; so bereits die hier in der 1. Aufl., Rn 16 zu § 7 vertretene Auffassung von Gruber; ebenso entscheiden Goette/Habersack/Casper Rn 6.3; Thole S 73.

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Beträgt die Unterdeckung 10% oder mehr, so ist regelmäßig von Zahlungsunfähigkeit auszugehen, es sei denn, es liegen konkrete Umstände vor, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwarten lassen, dass die Liquiditätslücke zwar nicht innerhalb von zwei bis drei Wochen – dann läge nur eine Zahlungsstockung vor –, jedoch immerhin in überschaubarer Zeit beseitigt werden wird.19 Dabei gilt: Je näher die konkret festgestellte Unterdeckung dem Schwellenwert kommt, desto geringere Anforderungen sind an das Gewicht der besonderen Umstände zu stellen, mit denen die Vermutung entkräftet werden kann. Umgekehrt müssen umso schwerer wiegende Umstände vorliegen, je größer der Abstand der tatsächlichen Unterdeckung von dem Schwellenwert ist.20

c) Feststellung der Zahlungsunfähigkeit 9 Es gibt zwei Möglichkeiten zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit: die Aufstellung

einer Liquiditätsbilanz oder die Feststellung einer Zahlungseinstellung gemäß § 17 Abs 2 S 2 InsO.21 Nach der neueren BGH-Rechtsprechung ist die Feststellung einer Liquiditätsbilanz entbehrlich, wenn eine Zahlungseinstellung die gesetzliche Vermutung der Zahlungsunfähigkeit begründet.22

aa) Zahlungseinstellung 10 Die in § 17 Abs 2 S 2 InsO geregelte Zahlungseinstellung begründet eine widerlegbare

Vermutung der Zahlungsunfähigkeit.23 Nach gängiger Definition liegt eine Zahlungseinstellung vor, wenn der Schuldner nicht mehr in der Lage ist, seine fälligen Verbindlichkeiten zu bezahlen und dies nach außen erkennbar zum Ausdruck kommt.24 Es muss sich mindestens für die beteiligten Verkehrskreise der Eindruck aufdrängen, dass der Schuldner nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen.25 Dies kann selbst dann der Fall sein, wenn der Schuldner noch vereinzelt – auch in beträchtlicher Höhe – Zahlungen tätigt.26 Eigene Erklärungen des Schuldners, eine fällige Verbindlichkeit nicht begleichen zu können, deuten auf eine Zahlungseinstellung hin, auch wenn sie mit einer Stundungsbitte versehen sind.27 Selbst die Nichtzahlung einer einzigen Verbindlichkeit kann erheblich sein, wenn sie insgesamt von nicht unbeträchtlicher Höhe

_____ 19 BGH NJW 2005, 3062, 3066; Uhlenbruck/Mock Rn 23 zu § 17 InsO, der unter Verweis auf die Gläubigerinteressen zutreffend von einem maximalen Prognosezeitraum von drei, allenfalls aber sechs Monaten ausgeht. 20 BGH NJW 2005, 3062, 3066; Uhlenbruck/Mock Rn 23 zu § 17 InsO. 21 BGH GmbHR 2015, 803, Rz 12, mAnm Blöse; BGH BeckRS 2015, 06445; OLG Saarbrücken ZIP 2012, 1973; C Brand S 222; Bork ZIP 2008, 1749. 22 BGH GmbHR 2015, 803, Rz 12, mAnm Blöse; BGH BeckRS 2015, 06445; BGH ZWH 2013 505, Rn 6; BGH ZIP 2007, 1469, Rz 27; vgl auch Braun/Bußhardt Rn 12 zu § 17 InsO; Lau DB 2013, 1219, 1220; Bork ZIP 2008, 1749; Hölzle ZIP 2007, 613, 616 ff begrüßt die BGH-Rspr in diesem Punkt. Bittmann hat dieses Vorgehen bereits in der Voraufl, Rn 74 zu § 11 vorgeschlagen; iÜ vgl die Ausführungen unter Rn 10. 23 BGH ZIP 2012, 723, 725; Harz/Baumgartner/Conrad ZInsO 2005, 1304, 1306. 24 BGH WM 2013, 1993, 1994; BGH NZG 2012, 940, 941; OLG Hamburg BeckRS 2009, 25496; Baumbach/ Hueck/Haas Rn 41 zu § 64 GmbHG; Goette/Habersack/Casper Rn 6.5; Thole S 74; wenn K Schmidt AG 1978, 334, 336 ausführt: „Zahlungseinstellung ist nichts anderes als kundgetane Zahlungsunfähigkeit“ geht die Aussage dahingehend zu weit, als sie impliziert, dass der Schuldner selbst seine Zahlungsunfähigkeit kundgetan haben muss. 25 BGH WM 2013, 1993, 1994; BGH ZIP 2012, 723, 724; BGH NZI 2007, 36, 37. 26 BGH NZG 2012, 940, 941; BGH NZI 2008, 299, 300; Hölzle ZIP 2007, 613, 617. 27 BGH NZI 2007, 36, 37.

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ist.28 Sind derartige Indizien vorhanden, bedarf es – anders als bei der Feststellung der Zahlungsunfähigkeit mittels Liquiditätsbilanz – einer darüber hinausgehenden Darlegung und Feststellung der genauen Höhe der gegen den Schuldner bestehenden Verbindlichkeiten oder einer Unterdeckung von mindestens zehn vom Hundert nicht.29

bb) Liquiditätsbilanz Greift die Vermutung des § 17 Abs 2 S 2 InsO nicht ein, hat der Schuldner die Zahlungsunfähigkeit mittels einer Liquiditätsbilanz zu ermitteln.30 Für die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit im Rahmen einer Liquiditätsbilanz sind neben den Aktiva I und Passiva I auch die Aktiva II und Passiva II zu berücksichtigen.31 Bei den Aktiva I handelt es sich um die zum Stichtag der Liquiditätsbilanz aktuell verfügbare Liquidität. Zu den Aktiva I zählen sämtliche Zahlungsmittel, mithin Bargeld, Kontoguthaben sowie jederzeit verfügbare Kredite (freie Kreditlinien auf laufenden Geschäftskonten).32 Auch kapitalmarktfähige Wertpapiere und Aktien, die jederzeit, dh innerhalb eines Tages veräußert werden können, zählen zur aktuell verfügbaren Liquidität.33 Bei den Passiva I handelt es sich um die zum Stichtag der Liquiditätsbilanz fälligen Verbindlichkeiten. Zu den Passiva I zählen die fälligen Zahlungspflichten, mithin alle Zahlungsverbindlichkeiten, die zum Stichtag fällig und nicht gestundet sind.34 Richtiger Ansicht nach kommt es auf den Fälligkeitsbegriff des § 271 BGB an.35 Ob die Forderungen von den Gläubigern ernsthaft eingefordert wurden, spielt keine Rolle.36 Gesellschafterdarlehen sind nicht als Verbindlichkeit zu berücksichtigen, wenn der Gesellschafter und die Gesellschaft einen qualifizierten Nachrang der Darlehensforderung im Insolvenzverfahren nach § 39 Abs 2 InsO vereinbart haben.37 Zwar hat der Gesetzgeber die Frage nach der Berücksichtigung von Gesellschafterdarlehen als Verbindlichkeiten gem § 19 Abs 2 S 2 InsO nur für die Überschuldung geregelt, jedoch gilt dies, um Wertungswidersprüche zu vermeiden, gleichermaßen für die Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO.38 Mit Aktiva II umschreibt man die Liquidität, die in spätestens drei Wochen zur Verfügung steht.39 Es handelt sich um im Drei-Wochen-Zeitraum fällig werdende Forderungen aus Lieferungen und Leistungen sowie um zusätzlich frei werdende Kreditlinien.40 Auch Einnahmen aus kurzfristig verwertbaren Gegenständen des Anlage- oder Umlauf-

_____ 28 BGH NZG 2012, 940, 941; OLG Saarbrücken ZIP 2012, 1973. 29 BGH GmbHR 2015, 803, Rz 13, mAnm Blöse; BGH WM 2013, 1993, 1994. 30 BGH BeckRS 2015, 06445; Lau DB 2013, 1219, 1220; ein Beispiel für eine Liquiditätsbilanz findet sich in den Ausführungen des LG Augsburg, abgedruckt in DZWIR 2003, 303, 304 f. 31 Dazu ausführlich Bork ZIP 2008, 1749 ff. 32 Baumbach/Hueck/Haas Rn 36 zu § 64 GmbHG; Nickert/Lamberti/Kriegel Rn 33; Braun/Bußhardt Rn 28 zu § 17 GmbHG; Bork ZIP 2008, 1749, 1750; Jäger BB 1997, 1575; Harz/Baumgartner/Conrad ZInsO 2005, 1304, 1306; Knolle/Tezlaff ZInsO 2005, 897, 898. 33 Baumbach/Hueck/Haas Rn 36 zu § 64 GmbHG; Plagens/Wilkes ZInsO 2010, 2107, 2114. 34 Baumbach/Hueck/Haas Rn 34 f zu § 64 GmbHG; Harz/Baumgartner/Conrad ZInsO 2005, 1304, 1306; Knolle/Tezlaff ZInsO 2005, 897, 899. Eine Stundung nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit beseitigt die bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit nicht, OLG Saarbrücken ZIP 2012, 1973, 1974. Zur Berücksichtigung von Patronatserklärungen siehe BGH NZI 2011, 536 ff. 35 Altmeppen ZIP 2013, 801, 805. 36 BGHSt NStZ 2007, 643, 644; Uhlenbruck/Mock Rn 150 zu § 19 InsO; C Brand S 221, Fn 31; Knolle/Tezlaff ZInsO 2005, 897, 899; Altmeppen ZIP 2013, 801, 805; aA BGH NZI 2007, 36, 38. 37 Dazu ausführlich unten Rn 33. 38 Goette/Habersack/Casper Rn 6.3. 39 Uhlenbruck/Mock Rn 28 zu § 17 InsO; Bork ZIP 2008, 1749, 1750 f.

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vermögens sind zu berücksichtigen.41 Dass die Aktiva II in der Liquiditätsbilanz zu berücksichtigen sind, liegt auf der Hand. Anderenfalls hätte die Dreiwochenfrist, die dem Schuldner gerade dazu dienen soll, sich Liquidität zu beschaffen, keinen Sinn.42 Die grundsätzliche Berücksichtigung der Aktiva II erfordert eine Prognoseentschei15 dung darüber, ob die Forderungen der Gesellschaft im maßgeblichen Drei-Wochen-Zeitraum beglichen, mithin die Schuldner ihre Verbindlichkeiten der Gesellschaft gegenüber erfüllt haben werden.43 Nur dann verfügt die Gesellschaft über weitere Liquidität, die eine Zahlungsunfähigkeit zur Zahlungsstockung zu degradieren vermag. Es wird sich jedoch häufig als schwierig gestalten, mit Sicherheit vorherzusagen, ob der Schuldner zahlen wird. Dies gilt insbesondere in Fällen, in denen sich der Schuldner bereits in Verzug befindet. Hier verbietet es sich, die Forderung zu 100% in die Liquiditätsbilanz einzustellen. Vielmehr muss ein Wertberichtigungsabschlag vorgenommen werden.44 In welcher Höhe dieser zu erfolgen hat, bemisst sich nach der ex ante zu beurteilenden Wahrscheinlichkeit, ob die Forderung beglichen werden wird. Maßgeblich ist dabei auf den Zeitpunkt der Fälligkeit der Forderung abzustellen.45 Ist die Forderung beispielsweise bereits seit über zwei Monaten fällig, so ist es eher unwahrscheinlich, dass der Schuldner ausgerechnet in den nächsten drei Wochen zahlt. Ist hingegen die Forderung gerade erst fällig geworden und handelt es sich um einen zuverlässigen und stets pünktlich zahlenden Kunden, so darf von einer hohen Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden, dass die Forderung auch diesmal pünktlich beglichen sein wird. Auch die Passiva II sind in der Liquiditätsbilanz zu berücksichtigen.46 Passiva II 16 sind Verbindlichkeiten, die im Drei-Wochen-Zeitraum nach dem Stichtag fällig werden. Berücksichtigte man die Passiva II nicht, so ergäbe sich folgendes Szenario: Würden nur die Aktiva II und nicht auch die Passiva II berücksichtigt, so bestünde die Gefahr, dass sich der Schuldner für sehr lange Zeit auf Zahlungsstockung berufen kann, seine Schulden „wie eine Bugwelle vor sich her schiebt“ und man damit die Insolvenzeröffnung sehr weit nach hinten verlagern würde, was der Gesetzgeber gerade vermeiden wollte.47

3. Drohende Zahlungsunfähigkeit 17 Drohende Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn der Schuldner voraussichtlich nicht in der

Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen. „Voraussichtlich“ bedeutet überwiegende Wahrscheinlichkeit, mithin mehr als 50%.48

_____ 40 Bork ZIP 2008, 1749, 1750. 41 Bork ZIP 2008, 1749, 1750; Baumbach/Hueck/Haas Rn 38 zu § 64 GmbHG; Aleth/Harlfinger NZI 2010, 166, 169; Harz/Baumgartner/Conrad ZInsO 2005, 1304, 1307. 42 Vgl Bork ZIP 2008, 1749, 1750. 43 Das Problem stellt sich bei den Passiva II nicht, da es hier nur auf die Fälligkeit ankommt, die regelmäßig unproblematisch festzustellen ist. 44 Baumbach/Hueck/Haas Rn 38 zu § 64 GmbHG; Bork ZIP 2008, 1749, 1750. 45 Bork ZIP 2008, 1749, 1750. 46 Uhlenbruck/Mock Rn 28 zu § 17 InsO; Baumbach/Hueck/Haas Rn 38 zu § 64 GmbHG; Bork ZIP 2008, 1749, 1751 ff; Bork/Koschmieder/Hölzle Rn 29.60e zu § 17 InsO; ders ZIP 2007, 613, 615; Nickert/Lamberti/ Kriegel Rn 50; Wolf/Kurz DStR 2006, 1339, 1342; Knolle/Tezlaff ZInsO 2005, 897, 900; aA OLG Hamburg BeckRS 2009, 25496; Bruns EWiR 2005, 767, 768; wohl auch BGH NZI 2007, 36, 38. 47 Baumbach/Hueck/Haas Rn 38 zu § 64 GmbHG; Bork ZIP 2008, 1749, 1752; Hölzle ZIP 2007, 613, 615; vgl auch Bunnemann ZWH 2012, 389, 391. 48 BGH NZI 2014, 259, 260; LG Hamburg NZI 2015, 560, 561; Braun/Bußhardt Rn 4 und 5 zu § 18 InsO; N/R/Mönning Rn 24 zu § 18 InsO; MK-InsO/Drukarczyk Rn 44 zu § 18 InsO.

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Zum Verhältnis der drohenden Zahlungsunfähigkeit zur Überschuldung vgl die Ausführungen dort in Rn 28. Im Ansatz gelten für die drohende Zahlungsunfähigkeit die gleichen Grundsätze wie für die Zahlungsunfähigkeit. Der entscheidende Unterschied besteht in den unterschiedlichen Prognosezeiträumen für die Zahlungsunfähigkeit einerseits (drei Wochen49) und die drohende Zahlungsunfähigkeit andererseits (bis zu zwei Jahre50).51 Weniger schwierig gestaltet sich allem Anschein zum Trotz die Abgrenzung von drohender Zahlungsunfähigkeit und Zahlungsstockung: Die beiden schließen sich gegenseitig aus. Denn Zahlungsstockung liegt nur vor, wenn eine Deckungslücke von unter 10% besteht und nicht zu befürchten steht, dass diese zukünftig größer wird. Dieser Sachverhalt verbietet die Annahme einer drohenden Zahlungsunfähigkeit, da diese im Gegensatz zur Zahlungsstockung gerade voraussetzt, dass der Schuldner in der Zukunft eine wesentliche Unterdeckung aufweisen wird.52 Nach dem Gesetzeswortlaut sind bei der Feststellung der drohenden Zahlungsunfähigkeit die bestehenden Zahlungspflichten zu berücksichtigen. In der Regierungsbegründung führt der Gesetzgeber konkretisierend aus, dass die Entwicklung der Finanzlage des Schuldners bis zur Fälligkeit aller bestehenden Verbindlichkeiten zu berücksichtigen ist. Nimmt man diese Definition beim Wort, so gelangte man mitunter zu sehr langen Prognosezeiträumen. Beispielsweise können Darlehensverbindlichkeiten bereits bestehen, aber erst in zehn bis fünfzehn Jahren fällig werden. Dies führte zu Prognosezeiträumen, die sich über mehrere Jahre erstrecken.53 Ein solcher Zeitraum ist zu lang bemessen, da er zu viele Unwägbarkeiten mit sich bringt und es kaum möglich ist, vorherzusagen, ob die Gesellschaft in zehn Jahren zahlungsfähig ist.54 Wegen dieser Schwierigkeiten ist einem Vorschlag aus der Literatur beizupflichten, der die Prognose auf das laufende, nach Möglichkeit auch auf das kommende Geschäftsjahr beschränkt.55 Im Rahmen der Liquiditätsbilanz können nicht nur Verbindlichkeiten berücksichtigt werden, die bereits existieren, sondern auch solche, deren Entstehung im Prognosezeitraum zu erwarten ist.56 Dies ergibt sich aus dem Schutzzweck des § 18 InsO, der den Schuldner schützen will, indem er ihm eine möglichst frühzeitige Verfahrenseröffnung gestattet. Die drohende Zahlungsunfähigkeit kann regelmäßig nur mittels eines Finanzplans ermittelt werden,57 in dem alle im maßgeblichen Prognosezeitraum voraussichtlich fälligen Verbindlichkeiten die voraussichtlich vorhandene Liquidität gegenüberzustellen ist.

_____ 49 S o Rn 7. 50 S u Rn 19. 51 Uhlenbruck/Mock Rn 12 zu § 18 InsO. 52 Vgl K Schmidt/Uhlenbruck Rn 5.109. 53 Solch lange Prognosezeiträume anerkennen N/R/Mönning Rn 25 zu § 18 InsO; MK-InsO/Drukarczyk Rn 54 zu § 18 InsO; Müller in Liber Amicorum Winter, 487, 495; iE auch Thole S 76. 54 Harz ZInsO 2001, 193, 197. 55 K Schmidt/Uhlenbruck Rn 5.108; Harz ZInsO 2001, 193, 197; einen Zeitraum von idR nicht länger als maximal drei bis sechs Monaten verlangt Andres/Leithaus/Dahl Rn 5 zu § 18 InsO; für eine flexible Einzelfallbetrachtung votiert Braun/Bußhardt Rn 8 zu § 18 InsO. Die letztgenannte Ansicht kann jedoch schon deshalb nicht überzeugen, weil dadurch eine zu große Rechtsunsicherheit entstünde und die Geschäftsführungsorgane der Kapitalgesellschaften mit zu großen Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken belastet würden. 56 MK-InsO/Drukarczyk Rn 52 ff zu § 18 InsO; Andres/Leithaus/Dahl Rn 4 zu § 18 InsO; Braun/Bußhardt Rn 10 zu § 18 InsO; Bittmann wistra 1998, 321, 325 f; aA wohl Bork ZIP 2000, 1709, 1710. 57 MK-InsO/Drukarczyk Rn 23 zu § 18 InsO; K Schmidt/Uhlenbruck Rn 5.104; Aleth/Harlfinger NZI 2010, 166, 168; Bittmann wistra 1999, 10, 14.

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4. Überschuldung a) Einführung 22 Bei einer juristischen Person oder einer Personenhandelsgesellschaft, bei der es keinen persönlich haftenden Gesellschafter gibt (§ 19 Abs 3 InsO),58 ist nach § 19 Abs 1 InsO auch die Überschuldung Insolvenzeröffnungsgrund. 59 Nach einem langwierigen Entscheidungsprozess gilt nach aktueller Rechtslage der modifizierte zweistufige Überschuldungsbegriff60, der bereits von der Rechtsprechung61 und ganz hM zur KO angewandt wurde62 und zu dem der Gesetzgeber mit dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz vom 17.10.2008 zunächst interimsweise,63 nun endgültig zurückgekehrt ist.64 Der alte, im Rahmen der InsO eingeführte zweistufige Überschuldungsbegriff65 gilt damit nur noch für Altfälle.66 Mit der vorübergehenden Anordnung des modifizierten zweistufigen Überschuldungsbegriffs verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, solche Gesellschaften vor der Insolvenz zu bewahren, die zwar rechnerisch überschuldet sind, aber eine positive Fortführungsprognose vorweisen können.67 Er versuchte so, massenhaft drohende Insolvenzen wegen Überschuldung zu verhindern, die durch den krisenbedingten erheblichen Wertverlust von Grundstücken und Aktien drohen.68 Mit der Entfristung des modifizierten zweistufigen Überschuldungsbegriffes trägt der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung, dass sich dieser Überschuldungsbegriff in der Praxis bewährt hat.69

b) Der zweistufige Überschuldungsbegriff 23 Nach dem zweistufigen Überschuldungsbegriff liegt Überschuldung vor, wenn die Ge-

sellschaft rechnerisch überschuldet ist. Die zweistufige Struktur taucht etwas versteckt bei der Bewertung der Aktiva auf: Ist die Fortführung der Gesellschaft überwiegend wahrscheinlich, so sind auf der Aktivseite der Überschuldungsbilanz Fortführungswerte, anderenfalls Liquidationswerte anzusetzen.70 Die Fortführungsprognose ist damit,

_____ 58 Etwa die GmbH & Co KG und alle sonstigen „Kapitalgesellschaft & Co KG“. 59 Vgl die Modifizierung für die Genossenschaft in § 98 Abs 1 GenG. 60 Teilweise auch als „neuer Überschuldungsbegriff“ oder „Tatbestand Nr 2“ bezeichnet, vgl K Schmidt ZIP 2013, 485, 487. 61 BGH NJW 1992, 2891 „Dornier“; OLG Düsseldorf NJW-RR 1999, 1411, 1412. 62 Erstmals K Schmidt AG 1978, 334, 337 ff; vgl zum Meinungsstand: Baumbach/Hueck/Haas Rn 43c zu § 64 GmbHG; Frystatzki NZI 2010, 173, 175. 63 Ursprünglich war im FMSTG vorgesehen, dass der „modifizierte zweistufige Überschuldungsbegriff“ bis zum 31.10.2012 befristet sein soll, anschließend wurde er mit dem Gesetz zur Erleichterung der Sanierung von Unternehmen bis zum 31.12.2013 verlängert, vgl dazu Weber/Markgraf BC 12, 2012, Praxis Info. 64 Vgl zur Historie der verschiedenen Überschuldungsbegriffe K Schmidt ZIP 2013, 485 ff; Böcker/ Poertzgen GmbHR 2013, 17 ff. 65 Teilweise auch als „alter Überschuldungsbegriff“ oder „Tatbestand Nr 1“ bezeichnet, vgl K Schmidt ZIP 2013, 485, 487. 66 Zur wechselhaften Geschichte der beiden Überschuldungsbegriffe: K Schmidt DB 2008, 2467 ff; Möhlmann-Mahlau/Schmitt NZI 2009, 19, 20. 67 Gesetzesbegründung zu Art 5 FMStG, abgedruckt in: ZIP 2008, 729, 730; Andres/Leithaus/Dahl Rn 1 zu § 19 InsO; Goette/Habersack/Casper Rn 6.7. 68 Vgl Goette/Habersack/Casper Rn 6.7. 69 Vgl Begründung zu Art 18 des Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess (BT-Drucks 17/11385) S 27 re Sp; ausführlich zu den volkswirtschaftlichen Auswirkungen der einzelnen Überschuldungsbegriffe Bitter/Hommerich/Reiß ZIP 2012, 1201 ff. 70 BGH ZIP 2007, 676, 679, Rn 19; BGH ZIP 2006, 2171, Rn 3; Roth/Altmeppen Rn 33 Vor § 64 GmbHG; Thonfeld NZI 2009, 15, 16.

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anders als beim modifizierten zweistufigen Überschuldungsbegriffs, kein eigenständiges Tatbestandsmerkmal der Überschuldung. Der zweistufige Überschuldungsbegriff kann folgende Ergebnisse hervorrufen: (1) So- 24 wohl nach Fortführungs- als auch nach Liquidationswerten, (2) weder nach Fortführungs- noch nach Liquidationswerten, (3) nur nach Liquidationswerten oder (4) nur nach Fortführungswerten liegt rechnerische Überschuldung vor. Im ersten Fall liegt eindeutig Überschuldung vor. Eine Fortführungsprognose ist entbehrlich. Umgekehrt ist die Gesellschaft im zweiten Fall nicht überschuldet. Auch hier ist eine Fortführungsprognose entbehrlich. Im dritten und wohl häufigsten Fall kommt es darauf an, ob die Fortführungsprognose positiv ausfällt. Der vierte – wohl äußerst seltene – Fall führt nicht zur Überschuldung der Gesellschaft, da diese ihre Verbindlichkeiten in der Liquidation erfüllen kann, wenn die Überschuldungsbilanz bei Ansatz von Liquidationswerten positiv ausfällt.71

c) Der modifizierte zweistufige Überschuldungsbegriff Nach dem modifizierten zweistufigen Überschuldungsbegriff des § 19 Abs 2 S 1 InsO 25 liegt Überschuldung vor, wenn die Gesellschaft nach Liquidationswerten rechnerisch überschuldet ist und keine positive Fortführungsprognose besteht.72 Rechnerische Überschuldung liegt vor, wenn die Masse im Fall der Liquidation nicht ausreicht, um die Verbindlichkeiten zu befriedigen.73 Die Fortführungsprognose ist eigenständiges Tatbestandsmerkmal. Ist sie positiv, liegt trotz rechnerischer Überschuldung keine rechtliche Überschuldung vor.74 Ein Insolvenzantrag wegen Überschuldung kann und muss dann nicht gestellt werden.

d) Die Fortführungsprognose Kern der Fortführungsprognose ist die anhand eines Finanzplans ermittelte Überle- 26 bensfähigkeit der Gesellschaft. Die für beide Überschuldungsbegriffe bedeutsame Fortführungsprognose ist eine Zahlungsfähigkeitsprognose.75 Dies versteht sich vor dem Hintergrund des Schutzzwecks der Insolvenzeröffnungsgründe: dem Schutz der Gläubigerinteressen. Solange die Gesellschaft zahlungsfähig ist, haben die Gläubiger grundsätzlich kein Interesse an einem Insolvenzverfahren.76 Eine zahlungsfähige Gesellschaft ist nämlich in der Lage, ihre fälligen Verbindlichkeiten zu erfüllen. Eine darüber hinausgehende Ertragsfähigkeit, dh die Fähigkeit der Gesellschaft, ihre Verbindlichkeiten und Kosten des laufenden Betriebs durch Eigenmittel zu bedienen (Innenfinanzie-

_____ 71 Zum Ganzen: Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 20 und 22 Anh § 64 GmbHG. 72 Bitter/Kresser ZIP 2012, 1733; so auch bereits BGH NJW 1992, 2891 „Dornier“; zum Ganzen: Roth/ Altmeppen Rn 29 zu Vor § 64 GmbHG. 73 K Schmidt DB 2008, 2467, 2468; Adolff FS Hellwig, 433, 436. 74 Vgl Roth/Altmeppen Rn 30 Vor § 64 GmbHG; Baumbach/Hueck/Haas Rn 43c zu § 64 GmbHG; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 23 Anh § 64 GmbHG; Adolff FS Hellwig, 433, 436. 75 OLG Schleswig NZG 2010, 492, 493 (zum zweistufigen Überschuldungsbegriff); OLG Köln ZIP 2009, 808, 809 f, Rn 42; OLG Frankfurt aM NZG 2001, 173, 174 (zum modifiziert zweistufigen Überschuldungsbegriff der KO); Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 23 und 28 Anh § 64 GmbHG; MK-InsO/Drukarczyk/Schüler Rn 76 zu § 19 InsO; Andres/Leithaus/Dahl Rn 6 zu § 19 InsO; Hüffer/Koch, AktG, Rn 21 zu § 92 AktG; GKAktG/Habersack Rn 51 f zu § 92 AktG; Frystatzki NZI 2011, 173, 179; ders NZI 2010, 173, 176, 179; ders NZI 2013, 161; Aleth/Harlfinger NZI 2010, 166, 168; Hüffer FS Wiedemann, 1047, 1067; Fromm ZInsO 2004, 943, 945; Bork ZIP 2000, 1709, 1710; Bitter/Kresser ZIP 2012, 1733; Böcker/Poertzgen GmbHR 2013, 17, 21. 76 MK-InsO/Drukarczyk/Schüler Rn 76 zu § 19 InsO; Bork ZIP 2000, 1709 f; ausf Frystatzki NZI 2011, 173, 177.

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rung), 77 verlangt der Gläubigerschutz nicht. 78 Gegen eine Ertragsfähigkeitsprognose spricht, dass diese langfristig sanierungsfähige Unternehmen in die Insolvenz zwänge.79 Man bedenke: Die Sanierung eines Unternehmens kann sich über Jahre hinziehen. In diesem Zeitraum überlebt die Gesellschaft häufig nur durch Fremdfinanzierung und nicht durch Eigenmittel. Eine Fortführungsprognose verstanden als Ertragsfähigkeitsprognose müsste also in Sanierungsfällen oftmals negativ ausfallen. Dies überzeugt nicht, da der Gesetzgeber mit dem modifizierten zweistufigen Überschuldungsbegriff gerade krisengeschüttelten Gesellschaften helfen wollte. Es gibt aber Fälle, in denen ausnahmsweise auch die Ertragsfähigkeit in die Betrachtung einzubeziehen ist. Beispielhaft genannt seien Gesellschaften, die eine sog „Payment In Kind“-Finanzierung (PIK) erhalten. Die kreditnehmende Gesellschaft muss den Kredit nicht ratenweise, sondern am Laufzeitende im Ganzen zuzüglich Zinsen zurückzahlen. Steht bereits zu einem bestimmten Zeitpunkt vor Endfälligkeit fest, dass die Gesellschaft im Zeitpunkt der Endfälligkeit nicht genügend Eigenmittel erwirtschaftet haben wird, um den Kredit zurückzuzahlen, so kann es der Gläubigerschutz gebieten, der Gesellschaft eine negative Fortführungsprognose zu attestieren und Überschuldung anzunehmen.80 27 Eine positive Fortführungsprognose setzt zweierlei voraus: in subjektiver Hinsicht den Fortführungswillen des Schuldners und in objektiver Hinsicht die sich aus einem aussagekräftigen Unternehmenskonzept ergebende überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass die Gesellschaft mittelfristig überlebensfähig ist.81 Überwiegende Wahrscheinlichkeit bedeutet, dass die Fortführung der Gesellschaft wahrscheinlicher ist als deren Stilllegung.82 Für das Vorliegen einer positiven Fortführungsprognose ist der Geschäftsführer darlegungs- und beweispflichtig.83 Der Prognosezeitraum ist gleich zu bestimmen wie bei der drohenden Zahlungsun28 fähigkeit.84 Denn in beiden Fällen geht es um die Ermittlung der Überlebensfähigkeit einer Gesellschaft für einen prognostizierbaren Zeitraum. Die Prognose hat sich auf das

_____ 77 Zur Terminologie: Frystatzki NZI 2010, 173, 174; Bitter/Kresser ZIP 2012, 1733, 1736. 78 Bork ZIP 2000, 1709, 1710; K Schmidt ZIP 2013, 485, 491; aA AG Hamburg NJW-Spezial 2012, 151; Wolf DStR 1998, 126, 127; ders DStR 2009, 2682, 2684, der sich für eine kombinierte Anwendung von Zahlungsfähigkeits- und Ertragsprognose ausspricht; Dahl NZI 2008, 719, 720; Bittmann wistra 1999, 10, 14; differenzierend Hüttemann FS K Schmidt, 764 f, der nur für den zweistufigen Überschuldungsbegriff auf die Ertragsfähigkeit des Unternehmens abstellt. Nach der hier vertretenen Ansicht ist freilich auch der weitergehenden Auffassung eine Absage zu erteilen, die darauf abstellt, ob das Unternehmen mittelfristig Gewinne abwirft, vgl dazu: Bork ZIP 2010, 1709 f mwN, der diese Ansicht selbst ablehnt. 79 Frystatzki NZI 2011, 173, 177; Bitter/Kresser ZIP 2012, 1733, 1734, 1742. 80 Bitter/Kresser ZIP 2012, 1733, 1735. 81 BGH ZIP 2006, 2171, Rn 3; vgl bereits BGH NJW 1992, 2891 „Dornier“ – 2. Leitsatz; OLG Schleswig NZI 2010, 492, 493 zum zweigliedrigen Überschuldungsbegriff; Roth/Altmeppen Rn 37 Vor § 64 GmbHG; Lutter/ Hommelhoff/Kleindiek Rn 28 Anh § 64 GmbHG; Braun/Bußhardt Rn 9 zu § 19 InsO; Bitter/Kresser ZIP 2012, 1733, 1735; Ehlers NZI 2011, 161, 162; aA Hüffer FS Wiedemann, 1047, 1048, der das subjektive Element erst bei den mit der Antragspflicht verbundenen Rechtsfolgen berücksichtigen will; Hüttemann FS K Schmidt, 765 f, der das subjektive Element für entbehrlich hält. Dies überzeugt nicht, denn für die Gläubiger macht es iE keinen Unterschied, ob die Gesellschaft nicht fortgeführt werden kann, weil die objektive Prognose negativ ausfällt oder die zuständigen Organe die Gesellschaft nicht fortführen wollen. 82 K Schmidt/Uhlenbruck Rn 5.128; Hüffer FS Wiedemann, 1047, 1065; Aleth/Harlfinger NZI 2010, 166, 168; unrichtig ist die Auffassung von Ehlers NZI 2011, 161, 164, der eine 50prozentige Wahrscheinlichkeit fordert. Nach gängigem und richtigem Sprachgebrauch liegt eine überwiegende Wahrscheinlichkeit nämlich erst bei einem Prozentsatz von über 50 Prozent vor. 83 BGH NZG 2010, 1393, 1394, Rn 11; BGH ZIP 2006, 2171, Rn 3; Roth/Altmeppen Rn 37 Vor § 64 GmbHG; Adolff FS Hellwig, 433, 436 f. 84 Dazu oben Rn 19; aA K Schmidt ZIP 2013, 485, 491.

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laufende und – wenn möglich – kommende Geschäftsjahr zu erstrecken.85 Nach diesem Verständnis fallen zwar die drohende Zahlungsunfähigkeit und die negative Fortführungsprognose des § 19 InsO regelmäßig in eins.86 Dies beraubt jedoch die drohende Zahlungsunfähigkeit nicht ihres eigenständigen Anwendungsbereichs. So kann der Schuldner zum Beispiel im Falle einer negativen Fortführungsprognose ohne rechnerische Überschuldung nur wegen drohender Zahlungsunfähigkeit Insolvenzantrag stellen. Denn mangels rechnerischer Überschuldung liegt keine rechtliche Überschuldung iSd § 19 InsO vor. Der Schuldner kann damit keinen Insolvenzantrag wegen Überschuldung stellen.87 In der Sanierungspraxis stellt sich häufig das Problem, ob und unter welchen Vor- 29 aussetzungen geplante aber noch nicht verbindlich vereinbarte Sanierungsmaßnahmen, insbes in Aussicht gestellte Überbrückungs- und Sanierungskredite, im Rahmen der Fortführungsprognose berücksichtigt werden dürfen.88 Richtiger Ansicht89 nach sind zukünftige Kredite dann in die Fortführungsprognose einzustellen, wenn ihre Gewährung überwiegend wahrscheinlich ist. Gleiches gilt für Maßnahmen der Eigenkapitalzufuhr und sonstige Sanierungsmaßnahmen wie die Stundung oder der Forderungsverzicht.90 Verlangte man für alle oder einzelne dieser Konstellationen eine verbindliche Vereinbarung, so wäre dies nicht mit dem prognostischen Element vereinbar, das der Fortführungsprognose innewohnt. Darüber hinaus würde eine gegenteilige Sicht der Sanierungspraxis nicht gerecht, wonach Sanierungskredite regelmäßig erst mit Auslaufen der alten Kredite verbindlich abgeschlossen werden.91 Dürften solche Sanierungskredite nicht schon vor deren rechtsverbindlichem Abschluss in der Fortführungsprognose berücksichtigt werden, so läge in vielen Sanierungsfällen Überschuldung vor, ein Ergebnis, das vom Gesetzgeber nicht gewollt sein kann. Er hätte auf diese Weise den krisengeschüttelten Gesellschaften mit der (vorübergehenden) Anordnung des modifizierten zweistufigen Überschuldungsbegriffs nämlich Steine statt Brot gegeben. e) Die Überschuldungsbilanz92 Die Feststellung der Überschuldung kann nur mittels einer Bilanz (Überschuldungsbi- 30 lanz) geschehen.93 Da es bei der Überschuldung um die Feststellung geht, ob das Vermö-

_____ 85 Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 28 Anh § 64 GmbHG; Uhlenbruck wistra 1996, 1, 6; K Schmidt/Uhlenbruck Rn 5.126; Dahl NZI 2008, 719, 720; Bork ZIP 2000, 1709, 1710; Hüffer FS Wiedemann, 1047, 1066; Aleth/Harlfinger NZI 2010, 166, 169; aA Fromm ZInsO 2004, 943, 945 und Wimmer NJW 1996, 2546, 2547 (zwei bis drei Jahre). 86 Vgl Frystatzki NZI 2011, 173, 178; aA Bork ZIP 2000, 1709, 1710. 87 Dies verkennt Frystatzki NZI 2011, 173, 178, wenn er ausführt, dass die drohende Zahlungsunfähigkeit neben der Überschuldung keinen eigenständigen Anwendungsbereich mehr habe. 88 Dieser Punkt wird regelmäßig im Kontext der Fortführungsprognose bei der Überschuldung diskutiert und nicht im Rahmen der drohenden Zahlungsunfähigkeit, obwohl er dort genauso relevant ist. Die Verortung bei der Fortführungsprognose beruht auf den Bedürfnissen der Praxis: Die drohende Zahlungsunfähigkeit ist nur fakultativer, die Überschuldung zwingender Insolvenzeröffnungsgrund. 89 Aleth/Harlfinger NZI 2010, 166, 170 f. 90 Bitter/Hommerich/Reiß ZIP 2012, 1201, 1208; Aleth/Harlfinger NZI 2010, 166, 170 mwN zur Gegenansicht. 91 Aleth/Harlfinger NZI 2010, 166, 171. 92 Ein Musterformular einer Überschuldungsbilanz ist abgedruckt in: Breuer Muster Nr 42; ausführlich zu den Wertansätzen und den Bewertungsgrundsätzen in der Überschuldungsbilanz: K Schmidt/Uhlenbruck Rn 5.133. 93 Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 16 Anh § 64 GmbHG; Fromm ZInsO 2004, 943; aA Goette/Habersack/ Casper Rn 6.16.

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gen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt (§ 19 Abs 2 S 1 InsO), handelt es sich bei der Überschuldungsbilanz um eine Vermögensbilanz.94 Fehl ginge es indes, die Überschuldungsbilanz mit der Handelsbilanz gleichzusetzen,95 da in der Überschuldungsbilanz andere Werte anzusetzen sind. So dürfen – anders als in der Handelsbilanz – zB stille Reserven aufgedeckt werden.96

aa) Aktivseite 31 Im Grundsatz sind alle Vermögenswerte der Gesellschaft unter Auflösung etwaiger stil-

ler Reserven zu aktivieren, soweit sie im Falle eines Insolvenzverfahrens verwertbar sind.97 Es zählen daher auch immaterielle Vermögensgegenstände zu den Aktiva, wenn sie selbständig verwertbar sind.98 Ein etwaiger Firmen- oder Geschäftswert99 ist nur dann in Ansatz zu bringen, wenn mit einer Veräußerung des Unternehmens als Ganzes gerechnet werden kann.100 Auf der Aktivseite zu verbuchen sind auch Schadensersatzansprüche gegen Gesellschafter und Ansprüche auf rückständige Einlagen.101 Forderungen sind mit ihrem Nennwert zu aktivieren, sofern nicht Zweifel an deren Durchsetzbarkeit eine Abschreibung erfordern.102 Ansprüche aus § 64 S 1 und 3 GmbHG sind nicht zu berücksichtigen, da sie erst im Insolvenzverfahren bzw nach dessen Abweisung mangels Masse geltend gemacht werden können.103 Es wäre zudem zirkelschlüssig, wenn man für die Haftung aus § 64 S 1 GmbHG Überschuldung verlangte und gleichzeitig den Anspruch aus § 64 S 1 GmbHG in der Überschuldungsbilanz aktivierte.104 Vermögensgegenstände, die nicht der Gesellschaft gehören oder die in der Insolvenz ein Aussonderungsrecht begründen, sind nicht auf der Aktivseite zu verbuchen.105 Gleiches gilt für Sicherheiten, die ein Dritter zugunsten der Gesellschaft bestellt, weil sie nicht zum Vermögen der Gesellschaft zählen.106

_____ 94 Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 16 Anh § 64 GmbHG; GK-AktG/Habersack Bd. 3, Rn 45 zu § 92 AktG. 95 So aber Wackerbarth NZI 2009, 145, 148 f. 96 Vgl K Schmidt ZIP 2013, 485, 490. 97 K/P/B/Pape Rn 59 zu § 19 InsO; MüKo-AktG/Spindler Rn 55 zu § 92 AktG; GK-AktG/Habersack Rn 47 und 53 zu § 92 AktG; MK-GmbHG/Müller Rn 26 zu § 64 GmbHG. 98 Baumbach/Hueck/Haas Rn 51 zu § 64 GmbHG; MK-GmbHG/Müller Rn 31 zu § 64 GmbHG; GK-AktG/ Habersack Rn 47 zu § 92 AktG; K/P/B/Pape Rn 62 zu § 19 InsO, der jedoch einen strengen Maßstab verlangt. 99 Dieser errechnet sich aus der Differenz des nach der Ertragswertmethode ermittelten Gesamtwerts des Unternehmens und der Summe der einzelnen Teilwerte abzüglich der Verbindlichkeiten, vgl K Schmidt/ Uhlenbruck Rn 5.144. 100 GK-GmbHG/Casper, ErgBd-MoMiG, Rn 58 zu § 64 GmbHG; GK-AktG/Habersack Rn 47 zu § 92 AktG; MK-InsO/Drukarczyk/Schüler Rn 93 zu § 19 InsO; Baumbach/Hueck/Haas Rn 51 zu § 64 GmbHG; K Schmidt/ Uhlenbruck Rn 5.144, der zu Recht darauf hinweist, dass die Forderung nach einem konkreten Erwerbsangebot zu eng sei. So aber K/P/B/Pape Rn 62 zu § 19 InsO und MK-GmbHG/Müller Rn 31 zu § 64 GmbHG (bei negativer Fortführungsprognose). 101 BGH DStR 2007, 1360; BGH ZIP 2005, 1734, 1736; Baumbach/Hueck/Haas Rn 51 zu § 64 GmbHG; MKGmbHG/Müller Rn 30 zu § 64 GmbHG. 102 MK-GmbHG/Müller Rn 29 zu § 64 GmbHG. 103 Baumbach/Hueck/Haas Rn 49 zu § 64 GmbHG; MK-GmbHG/Müller Rn 30 zu § 64 GmbHG; Frystatzki NZI 2013, 161, 163 f. 104 Zutreffend Frystatzki NZI 2013, 161, 163. 105 Baumbach/Hueck/Haas Rn 50 zu § 64 GmbHG; K Schmidt/Uhlenbruck Rn 5.136. 106 OLG Düsseldorf NZG 1999, 944, 946; LG Göttingen ZIP 2009, 382, 384; Baumbach/Hueck/Haas Rn 50 zu § 64 GmbHG.

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bb) Passivseite Es sind alle Verbindlichkeiten, die aus dem Gesellschaftsvermögen zu befriedigen 32 sind, grundsätzlich zum Nennwert anzusetzen.107 Auf die Fälligkeit kommt es nicht an.108 Bei streitigen Verbindlichkeiten ist eine Wertberichtigung vorzunehmen in Abhängigkeit zu deren objektiver Realisierbarkeit.109 Durch das Insolvenzverfahren ausgelöste Kosten und Verbindlichkeiten sind nicht zu berücksichtigen.110 Dagegen müssen Forderungen, die durch Dritte besichert sind, passiviert werden.111 Überdies ist die Einlage eines (typischen) stillen Gesellschafters zu berücksichtigen, da dieser Insolvenzgläubiger ist, wie sich § 236 HGB entnehmen lässt.112 Forderungen aus Gesellschafterdarlehen sowie aus Rechtshandlungen, die einem 33 solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen, sind gem § 19 Abs 2 S 2 InsO nur dann nicht zu passivieren, wenn ein Nachrang iSv § 39 Abs 2 InsO ausdrücklich vereinbart wurde.113 Dafür spricht der Wortlaut des § 19 Abs 2 S 2 InsO sowie die Gesetzgebungsgeschichte: Während im Regierungsentwurf des MoMiG noch ausdrücklich vorgesehen war, dass die Forderungen iSd § 39 Abs 1 Nr 5 InsO auch ohne Rangrücktritt nicht zu passivieren seien,114 hat sich der Gesetzgeber in § 19 Abs 2 S 2 InsO eindeutig für die Gegenposition entschieden.115 Nach nicht unbestrittener Meinung muss es sich dabei, wie schon unter der InsO vor Inkrafttreten des MoMiG, um einen qualifizierten Rangrücktritt handeln.116 Dies bedeutet, dass der Rangrücktritt nicht nur bedingt auf den Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vereinbart sein darf. Vielmehr muss der Rangrücktritt so ausgestaltet sein, dass das Darlehen nur im Falle eines die Verbindlichkeiten übersteigenden Aktivvermögens der darlehensnehmenden Gesellschaft zurückgezahlt wer-

_____ 107 Uhlenbruck/Mock Rn 202 zu § 19 InsO; GK-GmbHG/Casper, ErgBd-MoMiG, Rn 60 zu § 64 GmbHG; K/P/B/Pape Rn 63 zu § 19 InsO. 108 Baumbach/Hueck/Haas Rn 52 zu § 64 GmbHG; K/P/B/Pape Rn 63 zu § 19 InsO; N/R/Mönning Rn 37 zu § 19 InsO. 109 Primozic/Feckl GmbHR 2005, 160 ff; zu str Verbindlichkeiten vgl auch Schmidt/Roth ZInsO 2006, 236 ff; Braun/Bußhardt Rn 28 zu § 19 InsO. 110 AG Göttingen, Beschl. v 22.8.2002 – 71 IN 65/01; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 42 zu Anh § 64 GmbHG; Uhlenbruck/Mock Rn 199 zu § 19 InsO; Baumbach/Hueck/Haas Rn 49 zu § 64 GmbHG. 111 OLG Celle NZG 2002, 730, 731; Baumbach/Hueck/Haas Rn 52 zu § 64 GmbHG; Uhlenbruck/Mock Rn 152 zu § 19 InsO. 112 Roth/Altmeppen Rn 42 Vor § 64 GmbHG; GK-GmbHG/Casper, ErgBd-MoMiG, Rn 59 zu § 64 GmbHG. 113 K/P/B/Pape Rn 69 zu § 19 InsO; FK-InsO/Schmerbach Rn 29 zu § 19 InsO; Kreft/Kirchhof Rn 25 zu § 19 InsO; Andres/Leithaus/Dahl Rn 8 zu § 19 InsO; Roth/Altmeppen Rn 41 und 44 Vor § 64 GmbHG; K Schmidt/Uhlenbruck, Rn 2.86; K Schmidt/Uhlenbruck Rn 5.184 ff; Scholz/Bitter Rn 361 Anh zu § 64 GmbHG; Bork/Koschmieder/Naraschewski Rn 21.30; Goette/Habersack Rn 5.48; Henssler/Strohn/T Fleischer Rn 2 zu § 19 InsO; Graf-Schlicker/Bremen Rn 32 zu § 19 InsO; Haas DStR 2009, 326; Altmeppen NJW 2008, 3601, 3607; Hopt/van de Sande/Böning, II K 1, Anm 5; aA Braun/Bußhardt Rn 14 zu § 19 InsO; Gehrlein BB 2008, 846, 847; Wazlawik NZI 2012, 988, 990; Leonhard/Smid/Zeuner Rn 29 zu § 19 InsO (Gesellschafterdarlehen sind auch ohne Rangrücktritt nicht zu passivieren, ihnen gleichgestellte Forderungen bedürfen hingegen eines Rangrücktritts); Gottwald/Riedel, Praxishandbuch InsO, 4/2.9.1; Habersack ZIP 2007, 2145, 2151 (auf der Grundlage des RegE). 114 Vgl Eidenmüller FS Canaris, Bd. 2, 49, 57. 115 Vgl FK-InsO/Schmerbach Rn 29 zu § 19 InsO; Goette/Habersack Rn 5.45 ff; Haas DStR 2007, 326; Scholz/Bitter Rn 64 Vor § 64 GmbHG. 116 BGH GmbHR 2015, 472 ff; K Schmidt/K Schmidt Rn 35 zu § 19 InsO; Scholz/Bitter Rn 63 Vor § 64 GmbHG; Frystatzki NZI 2013, 609 ff; C Brand/M Brand GmbHR 2015, 1125, 1127; aA Bork/Schäfer/Thiessen Rn 58 Anh § 30 GmbHG; Beck’sches Formularbuch/Meyer-Sparenberg II. 13, Anm 7, S 144 f; Adolff FS Hellwig, 2011, 433, 440 ff; Kahlert DStR 2010, 227, 229 f; Geiser NZI 2013, 1056; Hopt/van de Sande/Böning, II K 1, Anm 4.

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den darf.117 Die Rangrücktrittsvereinbarung muss sich mithin auch auf den Zeitraum vor Insolvenzeröffnung erstrecken.118 Was die Rangtiefe des qualifizierten Rangrücktritts angeht, so muss die Befriedigung von Forderungen aus Gesellschafterdarlehen hinter den Rang des § 39 Abs 1 Nr 5 InsO zurücktreten.119 Eine Gleichstellung mit den Einlagenrückgewähransprüchen ist nicht erforderlich.120

III. Der Geschäftsführer 1. Zahlungsverbot gem §§ 64 S 1 GmbHG, 92 Abs 2 S 1 AktG a) Übersicht 34 Nach § 64 S 1 GmbHG sind die Geschäftsführer der Gesellschaft zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft geleistet werden. Dies gilt nicht, wenn die Zahlungen mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar sind. Zur Dogmatik des § 64 S 1 GmbHG und dessen Verhältnis zu § 64 S 3 GmbHG wurde bereits ausführlich Stellung genommen.121 Entgegen der hM ist § 64 S 1 GmbHG nur eine Spezialnorm des Gesamtgläubigerersatzanspruchs aus § 823 Abs 2 BGB iVm § 15a InsO und damit kein Erstattungsanspruch sui generis.122 Der Anspruch aus § 64 S 1 GmbHG steht formal der Gesellschaft zu. Gleichwohl dient 35 § 64 S 1 GmbHG allein dem Interesse der Gläubigergesamtheit.123 Dies folgt daraus, dass der Anspruch aus § 64 S 1 GmbHG erst vom Insolvenzverwalter geltend gemacht wird und damit in die für die Gläubigerbefriedigung vorgesehene Insolvenzmasse gelangt.

b) Tatbestand aa) Zahlung 36 Das Tatbestandsmerkmal Zahlung ist weit zu verstehen.124 Es fallen darunter nicht nur Barauszahlungen, sondern auch Vermögenstransfers mittels Überweisung, Lastschrift oder Scheck sowie vermögensschmälernde Sach- oder Dienstleistungen.125 Bloße Unterlassungen – wie zB die unterlassene Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses – sind dem § 64 S 1 GmbHG nicht zu subsumieren.126 Freilich bleibt eine Haftung nach § 43 Abs 2 GmbHG davon unberührt.127 Geschütztes Vermögen ist das Gesellschaftsvermögen iSd § 35 InsO.128 Daher ist insbesondere die Weggabe aussonderungsfähiger Gegenstände

_____ 117 BGH GmbHR 2015, 472. 118 BGH GmbHR 2015, 472, 473; s dazu auch C Brand/M Brand GmbHR 2015, 1125 ff. 119 BGH GmbHR 2015, 472, 474. 120 BGH GmbHR 2015, 472, 474. 121 § 7 Rn 33 f. 122 S o § 7 Rn 34. 123 BGH NJW 1974, 1088, 1089; Baumbach/Hueck/Haas Rn 5 zu § 64 GmbHG; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 4 zu § 64 GmbHG. 124 BGH NZG 2009, 582, 583; OLG München, ZIP 2013, 778; Baumbach/Hueck/Haas Rn 65 zu § 64 GmbHG; Wicke Rn 20 zu § 64 GmbHG; Poertzgen KSzW 2012, 310, 312. 125 OLG Düsseldorf NJW-RR 1999, 1411, 1412; Baumbach/Hueck/Haas Rn 65 zu § 64 GmbHG; Wicke Rn 20 zu § 64 GmbHG; K Schmidt ZHR 168 (2004), 636, 667; Bitter ZInsO 2010, 1505, 1514 f; Strohn NZG 2011, 1161, 1165. 126 Bork/Schäfer Rn 15 zu § 64 GmbHG; Baumbach/Hueck/Haas Rn 66 zu § 64 GmbHG; aA OLG Hamm ZIP 1980, 280, 281. 127 Baumbach/Hueck/Haas Rn 66 zu § 64 GmbHG. 128 Baumbach/Hueck/Haas Rn 64 und 68 zu § 64 GmbHG; ders NZG 2004, 737, 740.

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keine Zahlung. Diese unterfallen nicht dem § 35 InsO und stehen von vornherein nicht der Gesamtgläubigerbefriedigung zur Verfügung.129 Gleiches gilt für die Rückgabe von Treugut durch den Geschäftsführer an den Treunehmer.130 Geht mit dem Vermögensabfluss ein unmittelbarer und werthaltiger Vorteil einher, so fehlt es insoweit bereits an einer Zahlung.131 Ein Vorteil ist unmittelbar, wenn er einerseits in engem Zusammenhang zum Vermögensabfluss steht und zudem vom Leistungsempfänger oder einer Person getätigt wird, deren Verhalten er sich zurechnen lassen muss.132 Werthaltige Gegenleistungen für den weggegebenen Vermögenswert sind daher stets zu berücksichtigen.133 Der Gegenstand des Massezuflusses muss sich nicht zwingend bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens in der Masse befinden. Vielmehr genügt es, wenn der ausgleichende Wert endgültig in das Gesellschaftsvermögen gelangt ist.134 Wird ein Gegenstand, der als Ausgleich für eine Masseschmälerung in das Gesellschaftsvermögen gelangte, danach wieder ausgegeben, so mag dies eine erneute verbotswidrige Zahlung sein. Beachtete man hingegen den zuvor erfolgten Ausgleich der ersten Masseschmälerung nicht, so könnte dies zu einer Vervielfachung des eigentlich zu erstattenden Betrags führen, obwohl die Masse wertmäßig nur einmal vermindert wurde. Dies liefe dem Zweck des § 64 S 1 GmbHG zuwider, der lediglich Masseverkürzungen verhindern und keiner Massebereicherung Vorschub leisten will.135 Vom Geschäftsführer veranlasste Gutschriften auf einem debitorischen Konto 37 unterfallen in der Regel dem Zahlungsbegriff.136 Denn in Höhe der Gutschrift wird die Darlehensforderung der Bank gegen den Schuldner getilgt und damit das Aktivvermögen der Gesellschaft zugunsten der Bank geschmälert.137 Eine Gutschrift auf einem debitorischen Konto stellt aber dann keine Zahlung dar, wenn die Masse im wirtschaftlichen Ergebnis ungeschmälert bleibt.138 Man denke etwa an Fälle, in denen durch die Überweisung auf das debitorisch geführte Konto die Wiedereröffnung eines Kreditrahmens bewirkt wird und der Geschäftsführer den überwiesenen Betrag zugunsten der Barkasse der Gesellschaft abhebt oder auf ein kreditorisch geführtes Konto der Gesell-

_____ 129 BGH NJW 1987, 2433, 2434; Baumbach/Hueck/Haas Rn 64 zu § 64 GmbHG; ders NZG 2004, 737, 740. 130 Haas NZG 2004, 737, 740. 131 BGH GmbHR 2015, 925, 929; BGH GmbHR 2015, 137; Baumbach/Hueck/Haas Rn 70 zu § 64 GmbHG; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 7 zu § 64 GmbHG; Bork/Schäfer Rn 15 zu § 64 GmbHG; teilweise wird auch vertreten, dass etwaige Gegenleistungen erst im Rahmen des § 64 S 2 GmbHG zu berücksichtigen sind, so wohl BGH NJW 1974, 1088, 1089. 132 Vgl Baumbach/Hueck/Haas Rn 70b zu § 64 GmbHG. 133 OLG Celle NJW-RR 1995, 558; Haas NZG 2004, 737, 741. 134 BGH GmbHR 2015, 137; K Schmidt NZG 2015, 129. 135 BGH, GmbHR 2015, 137, 138, Rn 11. 136 BGH GmbHR 2015, 925 ff; BGH NZI 2007, 418 – 3. LS und 419 f; BGH NJW 2001, 304, 305; BGH NJW 2000, 668; OLG Hamm NZG 2009, 1116; OLG Düsseldorf NJW-RR 1999, 1411 (Nachweis der ausnahmsweisen Vereinbarkeit mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsführers möglich); Wicke Rn 20 zu § 64 GmbHG; Michalski/Nerlich Rn 41 zu § 64 GmbHG; Bunnemann ZWH 2012, 389, 392; Poertzgen KSzW 2012, 310, 313, Fn 36; im Grundsatz geht auch K Schmidt ZHR 168 (2004), 636, 667, in diesen Fällen von einer Zahlung aus, freilich mit der Einschränkung, dass ein Schaden für die Insolvenzgläubiger entstanden sein muss, vgl ders KTS 2001, 373, 388 f. Einen Kurzüberblick über die Geschäftsführerhaftung bei Zahlungseingängen auf debitorischen Konten geben Commandeur/Kusch NZG 2009, 1103. 137 BGH GmbHR 2015, 925, 926; BGH NZI 2007, 418; BGH NJW 2000, 668 – 2. LS; Strohn NZG 2011, 1161, 1165; Bunnemann ZWH 2012, 389, 392. 138 BGH GmbHR 2015, 925, 929, Rz 33; s a die instruktiven Ausführungen von K Schmidt ZIP 2008, 1401 ff.

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schaft überweist.139 Auch folgender Fall stellt keine verbotswidrige Zahlung dar: Der Einzug von Forderungen, die an die Bank zur Sicherheit abgetreten wurden, auf einem debitorischen Konto einer GmbH und die anschließende Verrechnung mit dem Sollsaldo stellen keine vom Geschäftsführer einer GmbH veranlasste masseschmälernde Zahlung dar, wenn vor Insolvenzreife die Sicherungsabtretung vereinbart und die Forderung der Gesellschaft entstanden und werthaltig wurde.140 Daraus folgt, dass Gutschriften auf einem debitorischen Konto nicht pauschal als verbotswidrige Zahlungen bewertet werden dürfen. Die gegenteilige Konstellation, nämlich Buchungen von einem debitorischen Konto, stellt regelmäßig keine Zahlung dar.141 Denn hier findet nur ein Gläubigertausch statt: Während sich die Verbindlichkeit gegenüber der kontoführenden Bank erhöht, verringert sich diejenige eines anderen Gläubigers.142 Daran ändert auch die durch den Gläubigertausch zusätzlich entstehende Zinsschuld gegenüber der Bank nichts.143 Die Zinsschuld ist nämlich bloße Verbindlichkeit, die grundsätzlich nicht als Zahlung zu qualifizieren ist.144 Die Buchung von einem debitorischen Konto ist aber dann eine Zahlung, wenn die Bank freie Kreditsicherheiten innehat, aus denen sie jetzt in entsprechend größerem Umfang abgesonderte Befriedigung verlangen kann.145 Verboten sind Zahlungen nach dem Eintritt der materiellen Insolvenz und nicht 38 erst mit Ablauf der Insolvenzantragsfrist nach § 15a Abs 1 S 1 InsO.146 Auf die Feststellung der Überschuldung kommt es entgegen dem Wortlaut nicht an.147 Die bloß drohende Zahlungsunfähigkeit genügt nicht zur Annahme eines Zahlungsverbots nach § 64 S 1 GmbHG.148 Hat der Geschäftsführer die Zahlung nicht selbst vorgenommen, sondern ein Dritter, so muss er sich diese dennoch zurechnen lassen, wenn er den Dritten zur Zahlung veranlasst hat oder die Zahlung hat geschehen lassen, obwohl er sie hätte verhindern können.149 Eine Veranlassung in diesem Sinne liegt vor, wenn die Zahlungen mit Wissen und Willen des Geschäftsführers geschehen.150 Dies kann aber zB bei Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, etwa bei Kontopfändungen, zu verneinen sein.151 Anders ist dies hingegen für sog Cross-Pledge-Vereinbarungen über die wechselseitige Haftung von

_____ 139 BGH GmbHR 2015, 925, 929; siehe bereits Roth/Altmeppen Rn 10 zu § 64 GmbHG; Bitter WM 2001, 666, 667; Heidenhain LM Nr 18 zu § 64 GmbHG. 140 BGH GmbHR 2015, 925, 926, Rz 12 mAnm v Poertzgen. 141 BGH DZWIR 2011, 217, 218 mAnm Heinze; BGH NZG 2010, 346 – 2. LS; BGH NZG 2009, 582, 583; BGH NZI 2007, 418 – 2. LS mit insoweit zust Anm v Poertzgen; OLG Hamm NZG 2009, 1116; Wicke Rn 20 zu § 64 GmbHG; Poertzgen GmbHR 2015, 929; aA Heinze DZWIR 2010, 258 f (für Zahlungen aus Dispositionskredit sowie aus Überziehungskredit); krit auch: K Schmidt ZIP 2008, 1401, 1405. 142 BGH NJW 2000, 668, 669; Strohn NZG 2011, 1161, 1165. 143 BGH NJW 2000, 668, 669. 144 BGH NZI 1998, 38, 39; Poertzgen KSzW 2012, 310, 312 f mwN. 145 BGH NZI 2007, 418, 419; OLG Hamm NZG 2009, 1116; Michalski/Nerlich Rn 41 zu § 64 GmbHG; Strohn NZG 2011, 1161, 1165. 146 BGH DZWIR 2011, 217, 218 mAnm Heinze; BGH NJW 2009, 2454; BGH NZG 2009, 582, 583; BGH NJW 2000, 668; Baumbach/Hueck/Haas Rn 67 zu § 64 GmbHG; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 7 zu § 64 GmbHG; Wicke Rn 20 zu § 64 GmbHG; Michalski/Nerlich Rn 45 zu § 64 GmbHG; Bunnemann ZWH 2012, 389, 390. 147 BGH ZIP 2012, 1557, Rn 8; BGH NJW 2000, 668; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 7 zu § 64 GmbHG; Haas DStR 2003, 423, 424. 148 Bunnemann ZWH 2012, 389, 390. 149 BGH NZG 2009, 582, 583; Baumbach/Hueck/Haas Rn 63 zu § 64 GmbHG. 150 BGH NZG 2009, 582, 583; OLG München, ZIP 2013, 778 f. 151 BGH DZWIR 2011, 217, 218 m Anm Heinze; BGH NZG 2009, 582 f; OLG München, ZIP 2013, 778 f.

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Konten der Gesellschaft und des Geschäftsführers mit der Bank zu sehen.152 Denn die aufgrund dieser Vereinbarung erfolgende Verrechnung in der Insolvenz der Gesellschaft beruht auf der vorangegangenen Cross-Pledge-Vereinbarung.153

bb) Eröffnung des Insolvenzverfahrens Der Anspruch aus § 64 S 1 GmbHG entsteht erst, wenn das Insolvenzverfahren eröffnet oder 39 der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt wurde.154 Dafür spricht bereits das hier vertretene dogmatische Verständnis des § 64 S 1 GmbHG als Teil des Gesamtgläubigerersatzanspruchs aus § 823 Abs 2 BGB iVm § 15a InsO.155 Denn dieser Schadensersatzanspruch ist nach § 92 InsO vom Insolvenzverwalter geltend zu machen. Daraus folgt, dass ein eröffnetes Insolvenzverfahren notwendige Voraussetzung ist.156 Des Weiteren spricht für diese Sicht, dass erst mit der Eröffnung des Verfahrens das Gesellschaftsvermögen zugunsten der Gläubiger „beschlagnahmt“ wird und feststeht, ob und in welcher Höhe die Masse durch verbotswidrige Zahlungen vermindert wurde.157 Im Falle der Ablehnung des Verfahrens mangels Masse können einzelne Gläubiger nach hM den Anspruch aus § 64 S 1 GmbHG im Rahmen der Einzelzwangsvollstreckung pfänden und sich zur Einziehung überweisen lassen.158

cc) Verschulden Die Haftung aus § 64 S 1 GmbHG setzt Verschulden voraus.159 Verschulden iSd § 64 S 1 40 GmbHG liegt vor, wenn der Geschäftsführer die Insolvenzreife „seiner“ Gesellschaft erkennen konnte.160 Als Maßstab dient die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns (§ 64 S 2 GmbHG), ohne dass es auf dessen individuelle Fähigkeiten ankommt.161 Das Verschulden wird widerlegbar vermutet (dazu sogleich).162 Im Einzelnen gilt Folgendes: Vom Geschäftsführer wird erwartet, dass er sich jederzeit über die wirtschaftliche Lage „seiner“ Gesellschaft vergewissert.163 Er muss insbesondere die Insolvenzreife prüfen.164 Er handelt fahrlässig, wenn er sich nicht rechtzeitig die erforderlichen Informationen und Kenntnisse verschafft, die er für die Prüfung benötigt, ob er pflichtgemäß Insol-

_____ 152 OLG München ZIP 2013, 778. 153 OLG München ZIP 2013, 778 f; dazu Primozic/Brugugnone NJW 2013, 1709 ff. 154 BGH NZI 2001, 87, 88; Baumbach/Hueck/Haas Rn 12 zu § 64 GmbHG; ders NZG 2004, 737, 744 f; Michalski/Nerlich Rn 47 zu § 64 GmbHG; aA BGH NZI 2009, 486, 488, Rz 20 m abl Anm v Haas. 155 S o § 7 Rn 33 f. 156 Freilich ist der Insolvenzverwalter im Falle der Antragsablehnung mangels Masse nicht (mehr) zuständig für die Verfolgung der Gläubigeransprüche; jeder Gläubiger verfolgt seinen Anspruch wieder selbst (Uhlenbruck/Hirte Rn 113 zu § 11 InsO). Jedoch ist dafür gerade die Ablehnung des Antrags erforderlich, so dass auch in diesem Fall der Anspruch nicht bereits mit der verbotswidrigen Zahlung entsteht. 157 Baumbach/Hueck/Haas Rn 12 zu § 64 GmbHG. 158 BGH NJW 2001, 304, 305; Wicke Rn 19 zu § 64 GmbHG; krit K Schmidt GmbHR 2000, 1225 ff. 159 BGH ZIP 2012, 1174, 1175; BGH ZIP 2012, 1557, Rz 9. 160 BGH ZIP 2012, 1557, Rn 9; BGH NJW 2000, 668; Baumbach/Hueck/Haas Rn 84 zu § 64 GmbHG; Michalski/Nerlich Rn 48 zu § 64 GmbHG. 161 BGH ZIP 2012, 1557, Rn 9; Baumbach/Hueck/Haas Rn 84 zu § 64 GmbHG; Wicke Rn 22 zu § 64 GmbHG; Bork/Schäfer Rn 17 zu § 64 GmbHG; Michalski/Nerlich Rn 49 zu § 64 GmbHG. 162 BGH ZIP 2012, 1557, 1558, Rn 10; BGH ZIP 2012, 1174, 1175, Rn 13; BGH NJW 2000, 668. 163 BGH ZIP 2012, 1557, 1558, Rn 11; BGH GmbHR 1995, 299; Oppenländer/Trölitzsch/Steffan, § 37, Rn 111; Binder WuB II C § 64 GmbHG 2.12. 164 BGH ZIP 2012, 1557, 1558, Rn 11.

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venzantrag stellen muss.165 Verfügt der Geschäftsführer nicht über ausreichende Kenntnisse, so muss er sich beim Anzeichen einer Krise von einer unabhängigen und fachlich qualifizierten Person beraten lassen.166 Er darf sich dabei nicht mit einer unverzüglichen Auftragserteilung begnügen, sondern muss auch auf eine unverzügliche Vorlage des Prüfergebnisses hinwirken.167 Der Geschäftsführer kann die Vermutung seines Verschuldens widerlegen, indem er die Gründe darlegt und erläutert, die ihn daran gehindert haben, die Insolvenzreife der Gesellschaft zu erkennen. Bei der Bewertung dieses Vorbringens ist zu berücksichtigen, dass der Geschäftsführer einer GmbH für eine Organisation sorgen muss, die ihm die zur Wahrnehmung seiner Pflichten erforderliche Übersicht über die wirtschaftliche und finanzielle Situation der Gesellschaft jederzeit ermöglicht.168 Der Geschäftsführer kann sich entlasten, wenn er die Vermutung des § 64 S 2 GmbHG 41 widerlegt, mithin darlegt und beweist, dass im Zeitpunkt der „verbotswidrigen“ Zahlung die Zahlung mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar ist. Auslegungsmaßstab für die eng zu interpretierende Vorschrift ist das Gläubiger- und nicht das Gesellschaftsinteresse.169 Folglich haftet der Geschäftsführer nicht, wenn die Zahlung gerade den Gesellschaftsgläubigern zugutekommt. Dies ist der Fall, wenn die Zahlung den Gläubigern mehr Vor- als Nachteile bringt.170 Man denke etwa an Zahlungen, die erforderlich sind, um etwaige Sanierungschancen nicht von vornherein zu vereiteln.171 Auch Zahlungen, die zur Aufrechterhaltung des Unternehmens erforderlich sind, können dem § 64 S 2 GmbHG subsumiert werden.172 Beispielhaft genannt sei die Begleichung von laufenden Wasser-, Strom-, Heiz-, Lohn- oder Steuerschulden.173 Diese Zahlungen sind gläubigerschützend, wenn durch deren Unterlassung jede Sanierung- oder Unternehmensfortführung im Insolvenzverfahren zunichte gemacht würde.174 Auch Zahlungen an einen absonderungsberechtigten Gläubiger bis zur Höhe des Wertes des Sicherungsguts sind nach § 64 S 2 GmbHG zulässig.175 Zu bedenken ist indes, dass diese Zahlungen dann nicht (mehr) getätigt werden dürfen, wenn eine Sanierung innerhalb der Dreiwochenfrist des § 15a InsO von vornherein aussichtslos ist.176 Der Geschäftsführer muss in diesem Fall ohnehin Insolvenzantrag stellen. Die Begleichung von Steuerrückständen und fälligen sowie rückständigen Arbeit42 nehmeranteilen zur Sozialversicherung entsprechen der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns, auch wenn die Zahlung nach Eintritt der Insolvenzreife vorgenommen

_____ 165 BGH ZIP 2012, 1557, 1158, Rn 11. 166 BGH ZIP 2012, 1174; BGH ZIP 2012, 1557, 1558, Rn 11; Binder WuB II C § 64 GmbHG 2.12. 167 BGH ZIP 2012, 1174. 168 BGH ZIP 2012, 1557, 1558, Rn 11. 169 BGHZ 146, 264, 274 f; Baumbach/Hueck/Haas Rn 72 zu § 64 GmbHG; Bork/Schäfer Rn 20 zu § 64 GmbHG. 170 BGH DStR 2008, 1246; Baumbach/Hueck/Haas Rn 72 zu § 64 GmbHG; Michalski/Nerlich Rn 46 zu § 64 GmbHG. 171 OLG Saarbrücken, Urteil v 8.4.2008 – 4 U 397/07 – juris Rn 47; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 12 zu § 64 GmbHG; Knittel/Schwall NZI 2013, 782, 785 f. 172 OLG Saarbrücken, Urteil v 8.4.2008 – 4 U 397/07 – juris Rn 47; Baumbach/Hueck/Haas Rn 73 zu § 64 GmbHG. 173 BGH DZWIR 2011, 217 (Steuerschulden); BGH DStR 2008, 1246, 1247; Baumbach/Hueck/Haas Rn 73 zu § 64 GmbHG; ders NZG 2004, 737, 742; Michalski/Nerlich Rn 46 zu § 64 GmbHG. 174 Vgl BGH DStR 2008, 1246, 1247. 175 OLG Saarbrücken, Urteil v 8.4.2008 – 4 U 397/07 – juris Rn 47; Bork/Schäfer Rn 21 zu § 64 GmbHG. 176 Knittel/Schwall, NZI 2013, 782, 785 f.

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wird.177 Denn man kann von einem Geschäftsführer mit Blick auf die Einheit der Rechtsordnung nicht verlangen, diese Zahlungen im Interesse einer gleichmäßigen und ranggerechten Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger in einem nachfolgenden Insolvenzverfahren zu unterlassen und sich dadurch nach § 266a Abs 1, § 14 Abs 1 Nr 1 StGB strafbar und nach § 823 Abs 2 BGB iVm § 266a StGB schadensersatzpflichtig zu machen.178 Anders gestaltet sich die Rechtslage bei den Arbeitgeberanteilen zur Sozialversi- 43 cherung. Da § 266a Abs 1 StGB nur die Arbeitnehmeranteile erfasst,179 entsteht bei bloßer Nichtabführung der Arbeitgeberbeiträge kein Strafbarkeits- oder Haftungsrisiko. Der Geschäftsführer befindet sich damit nicht in dem oben (Rn 42) beschriebenen Interessenkonflikt, so dass die Zahlung der Arbeitgeberanteile nicht der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns entspricht.180

dd) § 64 S 4 iVm § 43 Abs 3 S 3 GmbHG Die Geschäftsführer können gegen den Anspruch aus § 64 S 1 GmbHG nicht einwenden, 44 dass sie in Befolgung eines Beschlusses der Gesellschafter gehandelt haben.181 Dem steht der § 43 Abs 3 S 3 GmbHG entgegen, auf den der § 64 S 4 GmbHG verweist.

c) Rechtsfolge Nach hM, die dem Trennungsmodell folgt, haftet der Geschäftsführer auf Erstattung der 45 verbotswidrig geleisteten Zahlung, unabhängig davon, ob ein Masseschaden in Höhe der Zahlung entstanden ist.182 Kommt der Geschäftsführer seiner Verpflichtung nach und erstattet die verbotswidrig geleistete Zahlung an die Masse, so sei ihm im Urteil ein Anspruch gegen den Insolvenzverwalter auf dasjenige vorzubehalten, was der begünstigte Gläubiger im Insolvenzverfahren hätte geltend machen können, wenn der Geschäftsführer an ihn keine verbotswidrige Zahlung geleistet hätte.183 Auch etwaige Ansprüche des insolventen Schuldners gegen den begünstigten Gläubiger soll der Geschäftsführer, sofern er den Erstattungsanspruch aus § 64 S 1 GmbHG erfüllt hat, analog § 255 BGB abgetreten bekommen.184

_____ 177 BGH DZWIR 2011, 217 f mAnm Heinze; krit MK-GmbHG/Müller Rn 143 zu § 64 GmbHG; Knittel/Schwall, NZI 2013, 782, 785, die darauf hinweisen, dass die Rspr des BGH die Gläubigergleichbehandlung zu Gunsten der Fiskal- uns Sozialträger benachteilige; vgl auch C Brand WM 2010, 1783 ff, der die Abführung rückständiger Sozialversicherungsbeiträge für zulässig hält. Zur Rechtslage vor dem BGH Urteil aus 2011, insbes zur Auseinandersetzung zwischen dem 5. Strafsenat und dem II. Zivilsenat vgl C Brand GmbHR 2010, 237 f. Zur Problematik der Haftung während der Dreiwochenfrist des § 15a Abs 1 S 1 InsO: C Brand GmbHR 2010, 237, 238 ff. 178 BGH DZWIR 2011, 217 mAnm Heinze. 179 MK-StGB/Radtke Rn 45 zu § 266a StGB; Brötzmann GmbHR 2014, 1043. Die Nichtabführung von Arbeitgeberanteilen wird nur unter den strengen Voraussetzungen des § 266a Abs 2 StGB unter Strafe gestellt. 180 BGH DZWIR 2011, 217, 218 m Anm Heinze. Zu den Einzelheiten der Strafbarkeit nach § 266a StGB vgl unten § 21. 181 Michalski/Nerlich Rn 51 zu § 64 GmbHG. 182 BGH NJW-RR 2007, 1490; BGHZ 146, 264, 278 f; OLG München ZIP 2013, 778, 779; Roth/Altmeppen Rn 16 f zu § 64 GmbHG. 183 BGHZ 146, 264, 279. 184 BGHZ 146, 264, 279; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 19 zu § 64 GmbHG; Bunnemann ZWH 2012, 389, 393; zu § 255 BGB allg Roth in FS Medicus, S 495 ff. Zu den Einwänden gegen dieses Rechtsfolgensystem siehe § 7 Rn 33 f.

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Das hier favorisierte Einheitsmodell hingegen lässt den Geschäftsführer nur auf die Rückerstattung von verbotswidrigen Zahlungen in der Höhe haften, als dadurch ein Masseschaden entstanden ist. § 64 S 1 GmbHG spielt demnach im Rahmen des Gesamtschadensersatzanspruchs aus § 823 Abs 2 BGB iVm § 15a InsO nur die Rolle einer Beweislastnorm: In Höhe der verbotswidrig geleisteten Zahlungen wird ein Schaden widerlegbar vermutet.185

2. Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO 47 Nach § 15a InsO, der dem § 64 Abs 1 GmbHG aF entspricht, hat der Geschäftsführer ohne

schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung Insolvenzantrag zu stellen.186 Die Frist beginnt zu laufen, wenn der Geschäftsführer positive Kenntnis von der Überschuldung bzw Zahlungsunfähigkeit hat.187 Denn nur so kann die Frist ihren Zweck erfüllen, Sanierungsversuche zu ermöglichen.188 Dabei kann der Geschäftsführer entgegen dem missverständlichen Wortlaut nicht in jedem Fall drei Wochen zuwarten, bis er den Insolvenzantrag stellt. Die Dreiwochenfrist kommt ihm vielmehr nur zugute, wenn in dieser Zeit hinreichend erfolgsversprechende Sanierungsmaßnahmen laufen, mithin eine rechtzeitige Sanierung ernstlich zu erwarten ist.189 Von mehreren Geschäftsführern ist jeder einzelne antragsverpflichtet.190 Auf die Vertretungsregelung bzw interne Geschäftsverteilung kommt es nicht an.191 Der Fremdantrag eines Gläubigers beseitigt die Antragspflicht nicht, da er jederzeit zurückgenommen werden kann.192 Wird der Insolvenzantrag mangels Masse abgelehnt, erlangt die Gesellschaft aber später Vermögenswerte, die die Verfahrenskosten decken würden, besteht ab diesem Zeitpunkt eine erneute Insolvenzantragspflicht des Geschäftsführers.193 48 Bei Kreditinstituten und Finanzdienstleistungsinstituten gilt die Sonderregelung des § 46b KWG. Nach § 46b Abs 1 Satz 4 KWG kann der Insolvenzantrag eines Kreditinstituts oder eines Finanzdienstleistungsinstituts nur von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht gestellt werden. Im Falle drohender Zahlungsunfähigkeit kann der Insolvenzantrag nach § 46b Abs 1 S 5 KWG von der Bundesaufsicht für Finanzdienstleistungen aber nur mit Zustimmung des Kreditinstituts oder Finanzdienstleistungsinstituts gestellt werden. An die Stelle des Insolvenzantrags nach § 15a InsO tritt bei Kredit- und Finanzdienstleistungsinstituten nach § 46b Abs 1 S 1 HS 1 KWG die Pflicht, die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Bundesanstalt für Finanzdienstleis-

_____ 185 K Schmidt ZIP 2005, 2177, 2183; ders KTS 2001, 373, 388 f; Michalski/Funke LMK 2003, 150 f. 186 OLG Hamm GmbHR 2014, 1044; zur Insolvenzantragspflicht des faktischen Organs vgl C Brand/ M Brand NZI 2010, 712 ff. 187 BGHZ 75, 96, 110 Rn 38; OLG Frankfurt NZG 2004, 1157, 1159; aA Scholz/K Schmidt Rn 164 zu § 64 GmbHG; zum Streitstand Baumbach/Hueck/Haas Rn 124 zu § 64 GmbHG. 188 BGHZ 75, 96, 110, Rn 38. 189 BGH NZG 2012, 464, 465; Bork/Schäfer Rn 67 zu § 64 GmbHG; Baumbach/Hueck/Haas Rn 123 zu § 64 GmbHG. 190 Bork/Schäfer Rn 65 zu § 64 GmbHG; Baumbach/Hueck/Haas Rn 114 zu § 64 GmbHG. 191 Baumbach/Hueck/Haas Rn 113 f zu § 64 GmbHG. 192 BGHSt ZIP 2008, 2308, 2310; Bork/Schäfer Rn 65 zu § 64 GmbHG; Baumbach/Hueck/Haas Rn 114 zu § 64 GmbHG (Insolvenzantragspflicht besteht nicht, solange der Gläubiger seinen Antrag nicht zurückgenommen hat). 193 Baumbach/Hueck/Haas Rn 113 zu § 64 GmbHG; nach BGHSt ZIP 2008, 2308, 2310 f soll strafbewehrte Antragspflicht hingegen nicht wieder aufleben.

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tungen anzuzeigen. Diese Pflicht gilt nach § 46b Abs 1 S 1 HS 2 KWG auch bei drohender Zahlungsunfähigkeit. Auf § 15a InsO sind die Rsprgrundsätze zu § 64 Abs 1 GmbHG aF grundsätzlich an- 49 zuwenden.194 Daraus folgt ua die Eigenschaft des § 15a InsO als Schutzgesetz iSv § 823 Abs 2 BGB.195 Nach der Rspr des BGH und der hM ist als Insolvenzverschleppungsschaden nur der Quotenschaden der Altgläubiger ersatzfähig, dh derjenigen Gläubiger, die bereits vor dem Insolvenzfall Gesellschaftsgläubiger waren.196 Die vertraglichen Neugläubiger hingegen haben ihren Anspruch auf das negative Interesse gegen den Geschäftsführer in Individualprozessen außerhalb des Insolvenzverfahrens geltend zu machen;197 sie müssen analog § 255 BGB ihre Insolvenzforderungen Zug um Zug an den Insolvenzverwalter abtreten.198 Maßgeblicher Zeitpunkt für die Abgrenzung zwischen Neu- und Altgläubigern ist nach Ansicht des BGH die Entstehung des Anspruchs, für den der Schadensersatz gefordert wird.199 Richtiger Ansicht nach unterfällt dem Insolvenzverschleppungsschaden entgegen 50 der hM auch der Quotenschaden der Neugläubiger.200 Dieser Schaden wird vom Insolvenzverwalter einheitlich über § 92 InsO eingeklagt. Den darüber hinausgehenden Schaden müssen die Neugläubiger selbst gegenüber dem Geschäftsführer geltend machen.201 Diese Sicht überzeugt, weil sie dem § 92 InsO größeres Gewicht verleiht und somit verhindert, dass die Verfolgung von Quotenschäden entwertet wird.202 Hinzu kommt Folgendes: Klammerte man die Neugläubiger aus dem Gesamtschadensersatzanspruch aus, so wird es idR zu folgenden prozessualen Komplikationen kommen: Gelangt das Gericht zu dem Ergebnis, dass die materielle Insolvenz früher oder später eintrat als anfänglich angenommen, muss der Insolvenzverwalter entweder für weitere Gläubiger als Altgläubiger klagen oder bei ursprünglich für Altgläubiger gehaltene Neugläubiger die Klage zurücknehmen. Dieses Szenario wird dem § 92 InsO und einem effizienten Insolvenzverfahren nicht gerecht.203

3. Sanierungspflicht Abgesehen von der Insolvenzantragspflicht unterliegen die Geschäftsführer einer allge- 51 meinen Sanierungspflicht gegenüber „ihrer“ Gesellschaft.204 Diese Pflicht besteht bereits im Vorfeld der Insolvenz, nämlich dann, wenn sich die Gesellschaft zwar in einer betriebswirtschaftlichen, nicht hingegen in einer insolvenzrechtlichen Krise befindet.205

_____ 194 Wicke Rn 11 zu § 64 GmbHG. 195 BGHZ 171, 46, 49 f; Baumbach/Hueck/Haas Rn 109 zu § 64 GmbHG; Bork/Schäfer Rn 68 zu § 64 GmbHG; Poertzgen KSzW 2012, 310. 196 BGH NJW 1998, 2667; Wicke Rn 15 zu § 64 GmbHG; Bork/Schäfer Rn 69, 71 zu § 64 GmbHG; Poertzgen KSzW 2012, 310, 311; vgl zur Entwicklung der Rspr vom Vertrauensschaden hin zum Kreditgewährungsschaden die konzisen Ausführungen von Klöhn KTS 2012, 133 ff. 197 BGH NJW 2007, 3130, 3131, Rn 16; Wicke Rn 15 zu § 64 GmbHG; Baumbach/Hueck/Haas Rn 141 zu § 64 GmbHG; Poertzgen KSzW 2012, 310, 311; Frystatzki NZI 2013, 161, 163. 198 BGH GmbHR 2009, 817, 819; Baumbach/Hueck/Haas Rn 139 zu § 64 GmbHG. 199 BGH NJW 2007, 3130, 3131, Rn 16; aA Wagner in FS K Schmidt, 1665, 1676 f. 200 K Schmidt KTS 2001, 373, 384; Poertzgen KSzW 2012, 310, 317. 201 K Schmidt KTS 2001, 373, 384. 202 K Schmidt KTS 2001, 373, 382 f. 203 Dazu grundlegend K Schmidt KTS 2001, 373 ff; vgl auch Poertzgen KSzW 2012, 310, 317. 204 Gottwald/Uhlenbruck/Gundlach § 7 Rn 45; Oppenländer/Trölitzsch/Steffan, § 37, Rn 111. 205 MünchHdb-GmbH/Wellensiek/Schluck-Amend § 23 Rn 25, 75; Gottwald/Uhlenbruck/Gundlach § 7 Rn 45; Götker Rn 346.

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Die Sanierungspflicht setzt voraus, dass die Gesellschaft sanierungsfähig ist.206 Zwar ergibt sich die Sanierungspflicht der Geschäftsführer nicht unmittelbar aus dem Gesetz. Jedoch ist sie Ausfluss der Pflicht des Geschäftsführers zur unternehmerischen Leitung aus § 43 Abs 1 GmbHG.207 Konkret besteht die Sanierungspflicht darin, Reaktionsmöglichkeiten auf die Krise zu eruieren, Sanierungskonzepte zu erstellen sowie Sanierungsschritte einzuleiten. Freilich darf der Geschäftsführer dabei nicht seine Kompetenzen überschreiten. Liegt eine Maßnahme außerhalb seines Kompetenzbereichs, so muss er sie der Gesellschafterversammlung vorlegen.208 Insbesondere grundlegende Sanierungsmaßnahmen fallen in den Kompetenzbereich der Gesellschafterversammlung.209 Verletzt der Geschäftsführer seine Sanierungspflicht fahrlässig und fügt er dadurch „seiner“ Gesellschaft einen Schaden zu, so macht er sich nach § 43 Abs 2 GmbHG haftbar.210

4. Informationspflicht des Geschäftsführers gegenüber Gesellschaftsgläubigern 52 Grundsätzlich gilt, dass niemand verpflichtet ist, seinen Vertragspartner über die eige-

nen Vermögensverhältnisse aufzuklären. Abweichend davon muss jedoch über die eigenen Vermögensverhältnisse informieren, wer sich in einer Krisensituation befindet und die Durchführbarkeit des Vertrags bei Vorleistungspflicht des Vertragspartners durch Überschuldung von vornherein schwerwiegend gefährdet ist oder wenn die schlechte wirtschaftliche Lage zur Vereitelung des Vertragszwecks geeignet ist, insbesondere wenn bei Inanspruchnahme von Geld- und Warenkrediten mit Rücksicht auf die bestehende Überschuldung zu erwarten ist, dass die Gesellschaft im Zeitpunkt der Fälligkeit der Forderung zahlungsunfähig sein wird.211 Diese Informationspflicht trifft grundsätzlich die Gesellschaft als Vertragspartner oder den Geschäftsführer, wenn er unter besonderer Inanspruchnahme persönlichen Vertrauens nach § 311 Abs 3 Satz 2 BGB die Vertragsverhandlungen zugunsten der Gesellschaft beeinflusst oder eigene wirtschaftliche Interessen verfolgt.212 Besteht zwischen einem Gesellschaftsgläubiger und der insolvenzreifen Gesellschaft bereits eine Geschäftsbeziehung, so kann der Geschäftsführer auch ohne Inanspruchnahme persönlichen Vertrauens verpflichtet sein, den vorleistungspflichtigen Gläubiger über die Vermögensverhältnisse „seiner“ Gesellschaft zu informieren.213 Verletzt er diese Pflicht schuldhaft, macht sich der Geschäftsführer gegenüber dem Gläubiger nach § 826 BGB haftbar.214 Daneben kommt eine Haftung nach § 823 Abs 2 iVm § 263 StGB in Betracht.215

_____ 206 MünchHdb-GmbH/Wellensiek/Schluck-Amend § 23 Rn 25 ff; Gottwald/Uhlenbruck/Gundlach § 7 Rn 45. 207 Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 35 zu § 43 GmbHG; MünchHdb-GmbH/Wellensiek/Schluck-Amend § 23 Rn 25. 208 Zu den Einberufungs- und Informationspflichten des Geschäftsführers oben § 6 Rn 22 ff. 209 Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 35 f zu § 43 GmbHG. 210 Gottwald/Uhlenbruck/Gundlach § 7, Rn 45; Oppenländer/Trölitzsch/Steffan, § 37, Rn 111. 211 OLG Köln GmbHR 2014, 1039, 1040. 212 BGHZ 87, 27, 32 ff; OLG Köln GmbHR 2014, 1039, 1040; Baumbach/Hueck/Haas Rn 155 zu § 64 GmbHG; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, Rn 71 zu § 43 GmbHG. 213 OLG Köln GmbHR 2014, 1039, 1040. 214 OLG Köln GmbHR 2014, 1039, 1040. 215 OLG Köln GmbHR 2014, 1039, 1040.

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IV. Die Gesellschafter 1. Gesellschafterdarlehen a) Einleitung Das Recht der Gesellschafterdarlehen wurde durch das MoMiG grundlegend geändert. 53 Die „Rechtsprechungsregeln“ zum Eigenkapitalersatzrecht, die die §§ 30, 31 GmbHG auf Gesellschafterdarlehen entsprechend anwandten, sind mit der Vorschrift des § 30 Abs 1 S 3 GmbHG ins Reich der Rechtsgeschichte verbannt,216 die „Novellenregelungen“ der §§ 32a und b GmbHG217 aufgehoben und die Gesellschafterdarlehen in die §§ 39 Abs 1 Nr 5, 44a, 135 InsO „umgezogen“.218 b) Gesellschafterdarlehen vor dem MoMiG219 Nach altem Recht – dh vor dem 1.11.2008220 – wurden Gesellschafterdarlehen, die der 54 Gesellschaft von ihren Gesellschaftern in der Krise gewährt wurden, als Eigenkapital behandelt. Dabei war das Tatbestandsmerkmal „Krise der Gesellschaft“ in § 32a Abs 1 GmbHG legaldefiniert. Das Gesetz verstand darunter einen Zeitpunkt, in dem die Gesellschafter ihrer Gesellschaft als ordentliche Kaufleute Eigenkapital zugeführt hätten.221 Lag ein solches eigenkapitalersetzendes Darlehen vor, konnten die Gesellschafter ihren Anspruch auf Rückgewähr des Darlehens nur als nachrangige Insolvenzgläubiger geltend machen.222 Darlehen, die ein Jahr vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens zurückgezahlt wurden, unterlagen der Insolvenzanfechtung.223 Die Qualifikation der Gesellschafterdarlehen als Eigenkapital führte zudem zur analogen Anwendung der §§ 30, 31 GmbHG, wenn der Geschäftsführer den Gesellschaftern die eigenkapitalersetzenden Darlehen in der Krise der Gesellschaft zurückzahlte.224 Darin lag die eigentliche Brisanz der Rsprregeln.225 Begründet wurde die Rückstufung der Gesellschafterdarlehen sowie deren Behandlung als Eigenkapital mit der sog Finanzierungsfolgenverantwortung. Diesem Begründungsansatz lag der Gedanke zugrunde, dass die Gesellschafter die Insolvenz nicht auf Kosten der Gläubiger hinauszögern dürfen.226 Vielmehr hätten sie der Gesellschaft in der Krise entweder Eigenkapital zuführen oder die Gesellschaft liquidieren müssen.227

_____ 216 BGH GmbHR 2013, 410, Rn 10; Goette/Habersack Rn 5.13; K Schmidt/Uhlenbruck, Rn 2.84; Krolop ZIP 2007, 1738; Pentz GmbHR 2013, 393, 397; Marotzke JZ 2010, 592; Gehrlein BB 2008, 846, 848 f. 217 Vgl dazu Bittmann/Gruber Voraufl, § 7 Rn 123 ff. 218 BGH GmbHR 2013, 410, Rn 10; zur Entstehungsgeschichte der Vorschriften instruktiv Marotzke JZ 2010, 592 f. 219 Vgl dazu ausf Bittmann/Gruber Voraufl, § 7 Rn 122 ff und die instruktiven Ausführungen von K Schmidt ZIP 2010, Beilage zu Heft 39, 15 f; zur Rspr des RG, das die Problematik über § 826 BGB löste, vgl Eidenmüller FS Canaris, Bd. 2, 49 f; Fastrich FS Zöllner, Bd. 1, 143, 144. 220 Dieses Recht gilt gem Art 103d EGInsO für Insolvenzverfahren fort, die vor dem 1.11.2008 eröffnet wurden. 221 Zum Begriff der Krise nach § 32a GmbHG aF: Bittmann/Gruber Voraufl, § 7, Rn 125 f. 222 K Schmidt/Uhlenbruck, Rn 2.72. 223 K Schmidt/Uhlenbruck, Rn 2.72. 224 Dazu exemplarisch Uhlenbruck/Hirte Rn 2 zu § 135 InsO. 225 K Schmidt/Uhlenbruck, Rn 2.73. 226 Vgl Altmeppen NJW 2008, 3601. 227 Vgl Goette/Habersack Rn 5.12 f; ders ZIP 2007, 2145, 2147; Gehrlein BB 2008, 846, 849.

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c) Gesellschafterdarlehen nach neuem Recht aa) Überblick 55 Das Recht der Gesellschafterdarlehen ist seit Inkrafttreten des MoMiG am 1.11.2008 einheitlich für alle Gesellschaftsformen, bei denen keine natürliche Person unmittelbar als Gesellschafter oder mittelbar als Gesellschafter einer persönlich haftenden Gesellschafter-Gesellschaft haftet – insbes also die GmbH, AG und GmbH & Co KG (§ 39 Abs 4 S 1 InsO)228 – in der InsO geregelt. Auch ausländische Gesellschaften unterfallen dem neuen Regime, sofern deutsches Insolvenzrecht gem Art 3 Abs 1 iVm Art 4 Abs 1 EuInsVO anwendbar ist.229 Die zentralen Bestimmungen, die sich mit den Gesellschafterdarlehen beschäftigen, sind § 19 Abs 2 S 2 InsO (Überschuldung), §§ 39 Abs 1 Nr 5, Abs 2, 44a InsO (Nachrang) und § 135 InsO (Insolvenzanfechtung). Die folgenden Ausführungen beschränken sich im Wesentlichen auf den Nachrang 56 von Gesellschafterdarlehen iSv § 39 Abs 1 Nr 5 InsO.230 Wichtig für das Verständnis des neuen § 39 Abs 1 Nr 5 InsO ist, dass der MoMiG-Gesetzgeber das Tatbestandsmerkmal „in der Krise“ bewusst aufgegeben und alle Gesellschafterdarlehen und ihnen wirtschaftlich gleichgestellte Forderungen einheitlich in der InsO geregelt hat.231 Indem der Gesetzgeber auf das Tatbestandsmerkmal der Krise verzichtete, leitete er nach teilweise vertretener Ansicht eine dogmatische Kehrtwende ein. Nicht mehr die Finanzierungs(folgen)verantwortung232 diene als dogmatisches Fundament für die Sonderbehandlung von Gesellschafterdarlehen, 233 sondern das Prinzip der Haftungsbeschränkung, deren missbräuchliche Ausnutzung durch die Gesellschafter verhindert werden soll.234 Diese Sicht sei damit zu begründen, dass sich anders nicht erklären lasse, weshalb auch vor der Krise gewährte Darlehen jetzt dem Sonderregime der Gesellschafterdarlehen unterfallen.235 Teilweise wird auch die Auffassung vertreten, dass die Sonderbehandlung der

_____ 228 Zur GmbH & Co KG siehe etwa BGH GmbHR 2013, 410 ff; die personelle Beschränkung der Gesellschafterdarlehen in § 39 Abs 4 InsO bedauert K Schmidt, Liber Amicorum Winter, 601, 613 f. 229 Braun/Bäuerle Rn 15 zu § 35 InsO; Baumbach/Hueck/Hueck Rn 12 zu Anh § 30 GmbHG; Bork ZGR 2007, 250, 253. 230 Zur Behandlung von Gesellschafterdarlehen in der Überschuldungsbilanz s o Rn 33; zum Verhältnis des Nachrangs nach § 39 Abs 1 Nr 5 InsO zur Insolvenzanfechtung nach § 135 InsO ausführlich Thole ZHR 176 (2012), 513 ff. 231 Vgl Baumbach/Hueck/Fastrich Rn 5 zu Anh § 30 GmbHG; Goette/Habersack Rn 5.2; Altmeppen NJW 2008, 3601, 3602. 232 So aber mit Abweichungen im Detail BGH GmbHR 2013, 410, 413; Roth/Altmeppen Rn 9 Anh §§ 32a, b GmbHG aF; ders NJW 2005, 1911, 1913 f; Bork ZGR 2007, 250, 257; ders EWIR 2013, 217, 218; Spliedt ZIP 2009, 149, 153; d’Avoine NZI 2013, 321, 322; Reinhard/Schützler ZIP 2013, 1898, 1900; Bork/Schäfer/Thiessen Rn 5 und 6 Anh zu § 30 GmbHG, ders DStR 2007, 202, 205 ff; K Schmidt GmbHR 2009, 1009, 1018 f; ders ZIP 2010, Beilage zu Heft 39, 15, 17 ff, der freilich die Finanzierungsverantwortung im Lichte des MoMiG als Finanzierungszuständigkeit begreift; die Frage offenlassend BGH ZIP 2011, 575 f; eine gute Zusammenfassung des Meinungsstreits findet sich bei Pentz GmbHR 2013, 393, 398. 233 Zur dogmatischen Einordnung des Kapitalersatzrechts auf der Basis der Novellenregeln von 1980 vgl die konzisen Ausführungen von Roth/Altmeppen Rn 9 f Vor §§ 32a, b GmbHG aF. 234 Goette/Habersack Rn 5.13; ders ZIP 2008, 2385, 2387; ders ZIP 2007, 2145; Huber ZIP 2010, Beilage Heft 39, S 7, 13 f; ders in FS Priester, 259, 275 ff; Gehrlein BB 2008, 846, 849 stellt auf das Näheverhältnis des Gesellschafters zu „seiner“ Gesellschaft ab; so auch Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 115 Anh zu § 64 GmbHG, der noch besonders die Doppelrolle des Gesellschafters als Gesellschafter und Kreditgeber betont; Eidenmüller FS Canaris, Bd. 2, 49, 64 stellt auf die Ausnutzung des Informationsvorsprungs durch die Gesellschafter ab; krit gegenüber allen Begründungsmodellen: Thole ZHR 176 (2012), 513, 518 ff, der iE aber auch den Gedanken der Finanzierungsfolgenverantwortung, freilich angepasst auf die Verhältnisse des MoMiG, bemüht. 235 Zur Bedeutung des für die Finanzierungsfolgenverantwortung konstitutiven Tatbestandsmerkmals „in der Krise“ vgl Huber FS Priester, 259, 270, 271.

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Gesellschafterdarlehen mit dem Informationsvorsprung der Gesellschafter zu begründen sei.236 Gegen die letztgenannte Ansicht ist einzuwenden, dass auch Geschäftsleiter und 57 Banken regelmäßig einen Informationsvorsprung gegenüber außenstehenden Gläubigern haben, ohne dass deren Darlehen aber subordiniert würden.237 Gegen die Ansicht, die auf die Ausnutzung der Haftungsbeschränkung abstellt, spricht, dass sie den personellen Anwendungsbereich von Gesellschafterdarlehen zu sehr einschränkt, obwohl der Gesetzgeber ausweislich der Materialien den personellen und sachlichen Anwendungsbereich nicht verändern wollte. Die auf die Finanzierungsfolgenverantwortung abstellende hM berücksichtigt nicht, dass der Gesetzgeber das für die Finanzierungsfolgenverantwortung konstitutive Merkmal „in der Krise“ abgeschafft hat. Da letztlich kein Erklärungsmodell für sich allein überzeugt, erscheint es am stimmigsten, alle drei Begründungsansätze bei der Beurteilung und Bewertung von Gesellschafterdarlehen zu berücksichtigen. Auf diese Weise wird man im jeweiligen Einzelfall zu interessengerechten Ergebnissen gelangen.

bb) Behandlung von Gesellschafterdarlehen in der Insolvenz Nach § 39 Abs 1 Nr 5 InsO sind Gesellschafterdarlehen und ihnen gleichstehende Forde- 58 rungen in der Insolvenz der Gesellschaft nachrangig238. Insoweit ergeben sich keine Änderungen zum alten Recht. Die Vorschrift wird flankiert von § 44a InsO, der rechtsformneutral regelt, was der alte § 32a Abs 2 GmbHG bereits für die GmbH anordnete: Besichert ein Gesellschafter ein Darlehen der Gesellschaft, so kann der Kreditgeber aus der Insolvenzmasse nur insoweit Befriedigung verlangen, als er bei der Inanspruchnahme des Gesellschafters aus der Sicherheit ausgefallen ist. Ist das Gesellschafterdarlehen bereits zurückgezahlt, finden die Vorschriften des 59 Anfechtungsrechts Anwendung. Die zentrale Vorschrift der Anfechtung von Gesellschafterdarlehen, § 135 InsO, gibt dem Insolvenzverwalter in Abs 1 Nr 1 ein Anfechtungsrecht an die Hand für den Fall, dass einem Gesellschafter Sicherheit für eine Forderung iSd § 39 Abs 1 Nr 5 InsO in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder danach gewährt wurde.239 Nach § 135 Abs 1 Nr 2 InsO hat der Insolvenzverwalter ein Anfechtungsrecht, wenn dem Gesellschafter ein Jahr vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder danach Befriedigung für eine Forderung iSd § 39 Abs 1 Nr 5 InsO gewährt wurde.240 Die Rechtsfolgen der Anfechtung ergeben sich aus § 143 Abs 1 InsO, wonach das veräußerte, weggegebene oder aufgegebene Vermögen des Schuldners der Insolvenzmasse zurückgewährt werden muss. In den Konstellationen des § 135 Abs 2 InsO, dh den gesellschafterbesicherten Drittdarlehen, ergibt sich die Rechtsfolge aus § 143 Abs 3 InsO. Hier muss der Gesellschafter, der die Sicherheit bestellt hat, dasjenige an die Insolvenzmasse erstatten, was an den Darlehensgeber der besicherten Forderung aus dem Gesellschaftsvermögen gezahlt worden ist.

_____ 236 Eidenmüller in FS Canaris, Bd. 2, 49, 64. 237 Vgl K Schmidt, Liber Amicorum Winter, 601, 614; Krolop ZIP 2007, 1738, 1741. 238 S o Rn 33; s a die beachtliche Gegenthese von Eidenmüller in FS Canaris, Bd. 2, 49, 50, 53 ff, die freilich mit der lex lata unvereinbar ist. 239 Zu den damit einhergehenden Haftungsrisiken beim Cash Pool vgl Klinck/Gärtner NZI 2008, 457 ff. 240 Vgl K Schmidt/Uhlenbruck, Rn 2.82 f.

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cc) Anforderungen an Gesellschafterdarlehen und ihnen gleichgestellte Forderungen 60 Das Gesellschafterdarlehen muss grundsätzlich von einem Gesellschafter gewährt

werden, wobei aber auch das Darlehen eines mittelbaren Gesellschafters, etwa eines Gesellschafters der Komplementär-GmbH einer GmbH & Co KG an die KG, als Gesellschafterdarlehen einzustufen ist.241 Es kommt nicht auf die formale Gesellschafterstellung an. Vielmehr können auch Darlehen von Nichtgesellschaftern dem Regelungsregime der Gesellschafterdarlehen unterfallen. Wer genau zu diesen Nichtgesellschaftern, die Gesellschaftern gleichstehen, zählt, ist str. Einigkeit besteht lediglich darüber, dass nicht auf § 138 InsO abgestellt werden kann.242 IÜ gilt Folgendes: Zwar erwähnt § 39 Abs 1 Nr 5 InsO, anders als seine Vorgängernorm § 32a Abs 3 S 1 GmbHG aF, die Einbeziehung von Dritten in den Anwendungsbereich der Gesellschafterdarlehen nicht ausdrücklich. Jedoch geht die Gesetzesbegründung davon aus, dass die „Übernahme des § 32a Abs 3 S 1 GmbHG aF sowohl in sachlicher als auch in personeller Hinsicht erfolgen“243 soll. Dies bedeutet, dass die vor dem MoMiG entwickelten Grundsätze zur Einbeziehung von Dritten in den Bereich der Gesellschafterdarlehen im Grundsatz fortgelten.244 Bei Gesellschafterdarlehen im Konzern sind im Grundsatz folgende Konstella61 tionen zu unterscheiden: absteigende Darlehen (Darlehen der Mutter an die Tochter), aufsteigende Darlehen (Darlehen der Tochter an die Mutter) oder horizontale Darlehen (Darlehen zwischen Schwestergesellschaften). Darlehen der Mutter- an ihre Tochtergesellschaft unterfallen dem § 39 Abs 1 Nr 5 InsO. Gleiches gilt für folgende Enkel-Konstellationen: Die von der Obergesellschaft beherrschte Tochtergesellschaft gewährt ihrer Tochtergesellschaft (der Enkelgesellschaft der Obergesellschaft) ein Darlehen.245 Auch horizontale Darlehen zwischen Schwestergesellschaften, die von einer gemeinsamen Mutter beherrscht werden, unterfallen grundsätzlich § 39 Abs 1 Nr 5 InsO.246 Aufsteigende Darlehen sind hingegen in der Regel keine Gesellschafterdarlehen.247

_____ 241 Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 118 und 123 Anh zu § 64 GmbHG; Bork/Schäfer/Thiessen Rn 35 und 38 Anh zu § 30 GmbHG; Dahl/Schmitz NZG 2009, 325, 326; Habersack ZIP 2007, 2145, 2148. 242 BGH ZIP 2011, 575 f; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 120 Anh zu § 64 GmbHG; Goette/Habersack Rn 5.24; Thole ZHR 176 (2012), 513, 536; Schall ZIP 2010, 205, 209; K Schmidt ZIP 2010, Beilage zu Heft 39, 15, 21. 243 Roth/Altmeppen Rn 22 Anh §§ 32a, b GmbHG aF mit Verweis auf RegE MoMiG BT-Drucks 16/6140, S 56. 244 BGH GmbHR 2013, 410, 412; BGH GmbHR 2011, 413; dem folgend LG Hagen BeckRS 2012, 07405; Roth/Altmeppen Rn 22 zu An h §§ 32a, b GmbHG aF; Braun/Bäuerle Rn 15 zu § 39 InsO; Andres/Leithaus/ Dahl Rn 5 zu § 135 InsO; Bork/Schäfer/Thiessen Rn 35 f Anh zu § 30 GmbHG; Pentz GmbHR 2013, 393, 400; Bork EWIR 2013, 217, 218; aA Goette/Habersack Rn 5.23 f; Huber ZIP 2010, Beilage Heft 39, S 7, 13; ders in FS Priester, 259, 279 f, 283. 245 BGH GmbHR 2013, 410; BGH ZIP 2008, 1230, 1231; BGH ZIP 2005, 660; BGH ZIP 2001, 115; aA Habersack ZIP 2008, 2385, 2389, 2392. 246 Im Einzelnen ist hier Vieles umstritten. Vgl BGH GmbHR 2013, 410, 412, der in seinem zweiten Leitsatz ausführt: „Zu den gleichgestellten Forderungen gehören grundsätzlich auch Darlehensforderungen von Unternehmen, die mit dem Gesellschafter horizontal oder vertikal verbunden sind.“ Ob der BGH damit von seiner in BGH ZIP 2008 1230 f. begründeten Rspr abweichen und alle „Tanten-Konstellationen“ unabhängig von der Möglichkeit der Muttergesellschaft, bestimmenden Einfluss auf die kreditgebende Gesellschaft nehmen zu können, erfassen will, bleibt offen; Uhlenbruck/Hirte Rn 42 zu § 39 InsO, der Darlehen zwischen verbundenen Gesellschaften stets dem Sonderregime der Gesellschafterdarlehen unterstellt; Schall ZIP 2010, 205, 210 f; Habersack ZIP 2008, 2385 ff; s a BGH ZIP 2008, 1230, 1231; BGH ZIP 2001, 115; BGH ZIP 1999, 1314. 247 LG Bonn, WM 2005, 2179 ff; Roth/Altmeppen, GmbHG, Rn 174 zu § 32a aF GmbHG; GK-GmbHG/Habersack Rn 89 Anh zu § 30 GmbHG; Cahn S 238; Thole ZInsO 2011, 1425, 1429; aA wohl OLG Düsseldorf, DB

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Streitig ist, ob die Rückzahlung von downstream-loans – dh Darlehen der das Ver- 62 rechnungskonto führenden Obergesellschaft an die Untergesellschaften – im Cash Pool248 nach § 135 InsO anfechtbar sind. Richtiger Ansicht nach muss dies verneint werden.249 Denn zum einen wollte der MoMiG-Gesetzgeber das Cash Pool-Verfahren für die Praxis wieder attraktiver gestalten; wäre jede Zahlung im Rahmen des Cash Pools anfechtbar, so wäre diese gesetzgeberische Intention weitgehend vereitelt.250 Hinzu kommt, dass die Insolvenzanfechtungstatbestände lediglich eine Benachteiligung der übrigen Insolvenzgläubiger vermeiden wollen und nicht deren Besserstellung anstreben. Unterstellte man aber jede im Rahmen eines Cash Pools getätigte Zahlung dem Insolvenzanfechtungsrecht, so würde der Gesellschafter leicht ein Vielfaches an „seine“ Gesellschaft zurückzahlen müssen, als es der Gläubigerschutz gebietet. Dies versteht sich vor dem Hintergrund, dass die Gesellschaft selbst von dem Cash Pool profitiert, wenn ihr Saldo im Minus ist. Dann erhält nämlich sie Zahlungen aus dem Cash Pool. Sachgerecht ist es also nur, wenn man auf den Gesamtsaldo innerhalb der Anfechtungsfrist und nicht jede einzelne Forderung im Cash Pool abstellt.251 Im Normalfall ist der Darlehensgeber sowohl im Zeitpunkt der Darlehensgewäh- 63 rung oder Darlehensbelassung als auch im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Gesellschafter. In diesem Fall ist § 39 Abs 1 Nr 5 InsO unproblematisch anwendbar. Scheidet der Gesellschafter jedoch nach Darlehensgewährung und vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus „seiner“ Gesellschaft aus, so ist sein Darlehensrückzahlungsanspruch „nur“ dann nachrangig, wenn innerhalb eines Jahres nach seinem Ausscheiden das Insolvenzverfahren eröffnet wurde.252 Erwirbt ein Dritter die Darlehensforderung – etwa durch Zession – während der Jahresfrist des § 135 Abs 1 Nr 2 InsO, so muss er sich nach hM253 nach dem Rechtsgedanken des § 404 BGB254 den Nachrang gem § 39 Abs 1 Nr 5 InsO entgegenhalten lassen.255 Allerdings erwirbt der Zessionar

_____ 1997, 521 ff; OLG Köln, GmbHR 2010, 251 ff; Herwig, Das Gesellschafterdarlehensrecht im Unternehmensverbund. 248 Zum Cash Pool siehe § 7 Rn 25. 249 Reuter NZI 2011, 921, 925 ff; Willemsen/Rechel BB 2009, 2215, 2216 ff; Klinck/Gärtner NZI 2008, 457 ff, die mit der Anwendung der Bargeschäftsprivilegs nach § 142 InsO sympathisieren; aA Zahrte NZI 2010, 596 ff, der jedoch den zurückzuzahlenden Betrag auf die Höhe der eingeräumten Kreditlinie beschränkt. 250 Willemsen/Rechel BB 2009, 2215, 2217. 251 Reuter NZI 2011, 921, 926; Willemsen/Rechel BB 2009, 2215, 2218 f. 252 BGH NJW 2012, 682, 683 (Jahresfrist § 135 Abs 1 Nr 2 InsO analog); Preuss ZIP 2013, 1145, 1146 f; Thole ZHR 176 (2012), 513, 532; Goette/Habersack Rn 5.27; krit K Schmidt ZIP 2010, Beilage zu Heft 39, 15, 22 f. 253 BGH GmbHR 2013, 410; OLG Stuttgart, GmbHR 2012, 577, 578; Bork/Schäfer/Thiessen, Rn 43 Anh § 30 GmbHG; Pentz GmbHR 2013, 393, 401; Altmeppen NJW 2008, 3601, 3603 f; Blöse GmbHR 2012, 583, 584, der jedoch im Falle der unentgeltlichen Forderungsabtretung für eine „Forderungsverstrickung“ ohne einen Rückgriff auf § 404 BGB plädiert; aA Ekkenga FS Schapp, 125, 127 ff. 254 Zu § 404 BGB allg vgl nur Petersen, § 8, Rn 375 ff, S 134 ff. Ob § 404 BGB die dogmatisch richtige Lösung ist für die Begründung des Nachrangs auch gegenüber dem Zessionar, ist indes fraglich. Man bedenke: § 404 BGB will den Schuldner schützen, der sich gegen die Zession nicht zur Wehr setzen kann. Der Nachrang des § 39 Abs 1 Nr 5 InsO dient aber nicht dem Schuldnerschutz, sondern dem Schutz der Gläubiger des Schuldners. Freilich ist hier nicht der Platz, diese dogmatisch anspruchsvolle Frage vertieft zu behandeln. Es muss daher mit diesen Anmerkungen sein Bewenden haben. Vgl aber die instruktiven Ausführungen von Ekkenga FS Schapp, 125, 127 ff; krit auch Jungclaus NZI 2013, 311, 312. 255 BGH GmbHR 2013, 410, 413; Andres/Leithaus/Dahl Rn 6 zu § 135 InsO; Pentz GmbHR 2013, 393, 401, 402; Bork EWIR 2013, 217, 218; Dahl/Schmitz NZG 2009, 325, 326; Altmeppen NJW 2008, 3601, 3603 f; Bork/Schäfer/Thiessen Rn 43 Anh § 30 GmbHG; Uhlenbruck/Hirte Rn 46 zu § 39 InsO; ders WM 2008, 1429, 1431; Thole ZHR 176 (2012), 513, 534 f; Huber ZIP 2010, Beilage Heft 39, S 7, 9; d’Avoine NZI 2013, 321; Reinhard/Schützler ZIP 2013, 1898, 1899; aA Preuss ZIP 2013, 1145, 1149; Ekkenga FS Schapp, 125, 127 ff; krit auch

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nach hM in analoger Anwendung des § 135 Abs 1 Nr 2 InsO eine gewöhnliche – mithin nicht nachrangige – Insolvenzforderung, wenn er die Forderung außerhalb der Anfechtungsfrist erworben hat.256 Nach der Rspr des BGH und der hL haftet der Zedent neben dem Zessionar gesamtschuldnerisch auf Rückzahlung des Darlehens, wenn der Insolvenzverwalter das Gesellschafterdarlehen anficht.257 Die Frage, ob sich der Erwerber einer Inhaberschuldverschreibung den Nachrang entgegenhalten lassen muss, ist bislang nicht geklärt.258 64 In § 39 Abs 5 InsO ist das sog Kleinbeteiligungsprivileg geregelt. Dieses besagt, dass Gesellschafterdarlehen von Gesellschaftern, die nicht Geschäftsführer und die mit zehn Prozent oder weniger am Haftkapital beteiligt sind, nicht nach § 39 Abs 1 Nr 5 InsO nachrangig sind. Das Kleinbeteiligungsprivileg bestimmt sich ausschließlich nach der Kapitalbeteiligung und nicht nach dem Stimmgewicht des Gesellschafters.259 In sachlicher Hinsicht unterfallen den §§ 39 Abs 1 Nr 5, 135 InsO neben den Darle65 hen sonstige, diesen wirtschaftlich entsprechende Forderungen. Zu letzteren zählen insbes Stundungs- und Fälligkeitsvereinbarungen, weil es sich dabei wirtschaftlich betrachtet um Darlehen handelt. 260 Die der Stundungs- oder Fälligkeitsvereinbarung zugrundeliegende Forderung muss keine Darlehensforderung sein; vielmehr kann es genügen, bspw eine Miet- oder Kaufpreisforderung zu stunden.261 Auch die Einlage eines stillen Gesellschafters ohne Verlustrisiko iSd § 236 HGB kann eine Forderung sein, die einem Gesellschafterdarlehen wirtschaftlich entspricht, wenn der stille Gesellschafter zugleich Gesellschafter der GmbH ist.262 Weitere Beispiele für nachrangige Forderungen iSd § 39 Abs 1 Nr 5 InsO sind „sale and lease back“-Konstellationen sowie (harte) Patronatserklärungen.263 § 39 Abs 4 S 2 InsO enthält ein Sanierungsprivileg. Danach sind bereits bestehende 66 oder neu gewährte Darlehen eines Gläubigers nicht nachrangig iSv § 39 Abs 1 Nr 5 InsO, wenn er bei Zahlungsunfähigkeit, drohender Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung Anteile der Gesellschaft zum Zwecke der Sanierung erwirbt. Das Tatbestandsmerkmal „bis zur nachhaltigen Sanierung“ ist missglückt, kommt es bei einer erfolgreichen Sanierung doch gerade nicht mehr auf ein Rangprivileg an. Gemeint sein kann also nur die versuchte, im Ergebnis aber gescheiterte Sanierung.264 Gerät die Gesellschaft nach einer nachhaltigen Sanierung erneut in die Insolvenz, so sind die Darlehen nicht mehr privile-

_____ Baumbach/Hueck/Fastrich Rn 30 Anh § 30 GmbHG; Jungclaus NZI 2013, 311, 312. Zur Vereinbarkeit dieser Auffassung mit der hier vertretenen Dogmatik, wonach die Subordinierung der Gesellschafterdarlehen ua auf dem Prinzip der Haftungsbeschränkung beruht, vgl Schlößer/Klüber BB 2009, 1594, 1596. 256 BGH GmbHR 2013, 410; Goette/Habersack Rn 5.26; ders ZIP 2007, 2145, 2149; Reinhard/Schützler ZIP 2013, 1898, 1899; krit zu Recht K Schmidt, Liber Amicorum Winter, 601, 620: § 135 Abs 1 Nr 2 InsO knüpfe für die Fristberechnung an die Erfüllungshandlung an. Die Abtretung sei aber keine Erfüllung, sondern erst die Rückführung des Darlehens. Zum Streitstand ausführlich Jungclaus, Gesellschafterdarlehen, 2012, S 8 ff. 257 BGH GmbHR 2013, 410; aA Reinhard/Schützler ZIP 2013, 1898, 1899. 258 Dazu d’Avoine NZI 2013, 321 ff. 259 Hirte WM 2008, 1429, 1433; Gehrlein BB 2008, 846, 851. 260 Goette/Habersack Rn 5.34; Braun/Bäuerle Rn 15 zu § 39 InsO; Uhlenbruck/Hirte Rn 38 zu § 39 InsO; Roth/Altmeppen Rn 49 Anh §§ 32a, b GmbHG aF; Altmeppen NJW 2008, 3601, 3604; Gehrlein BB 2008, 846, 850, 853. 261 Uhlenbruck/Hirte Rn 38 zu § 39 InsO; Altmeppen NJW 2008, 3601, 3604. 262 Uhlenbruck/Hirte Rn 38 zu § 39 InsO; Roth/Altmeppen Rn 218 zu § 32a GmbHG aF. 263 Uhlenbruck/Hirte Rn 38 zu § 39 InsO; Roth/Altmeppen Rn 215 zu § 32a GmbHG aF mwBsp. 264 Altmeppen NJW 2008, 3601, 3605.

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giert.265 Das Sanierungsprivileg kommt nicht nur den Gesellschaftern, sondern auch den diesen gleichgestellten Dritten zugute.266

dd) Kreditsicherheiten Das Sonderrecht der Gesellschafterdarlehen wirkt sich auch auf Kreditsicherheiten aus, 67 die ein Gesellschafter (oder ein ihm gleichgestellter Dritter) zur Besicherung eines Darlehens (oder einer diesem wirtschaftlich entsprechenden Forderung eines Dritten) gegenüber „seiner“ Gesellschaft bestellt. Der Gesellschafter ist nämlich mit seinem Freistellungsanspruch gegen „seine“ Gesellschaft nach § 39 Abs 1 Nr 5 GmbHG subordiniert; dasselbe gilt für den Erstattungsanspruch für den Fall, dass die Sicherheit bereits verwertet wurde.267 Auf einen einfachen Nenner gebracht bedeutet dies: „Der Gesellschafter bzw die von ihm gestellte Sicherheit soll im Insolvenzverfahren regresslos für die Gesellschaftsschuld haften.268 Die Rechte des Sicherungsnehmers gegenüber der Gesellschaft ergeben sich aus § 44a InsO.

2. Pflichten zum Schutz des Gesellschaftsvermögens Die im vorangehenden Kapitel269 bereits ausführlich dargestellten Pflichten zum Schutz 68 des Gesellschaftsvermögens – insbes das Verbot existenzvernichtender Eingriffe270 – bestehen auch in der Krise der Gesellschaft.271

3. Zahlungsverbot gem §§ 64 S 1 GmbHG, 92 Abs 2 S 1 AktG Da die Gesellschafter nicht Adressaten des Zahlungsverbots aus § 64 S 1 GmbHG respek- 69 tive § 92 Abs 2 S 1 AktG sind, droht ihnen auch nicht die dort angeordnete Haftung. Jedoch ist es möglich, dass die Gesellschafter als Gehilfen oder Mittäter an einer verbotswidrigen Zahlung mitwirken und sich dadurch über §§ 830 Abs 2, 840 BGB neben den Geschäftsführern haftbar machen.272

4. Loyalitäts- und Treuepflichten Die bereits oben273 ausführlich dargestellten Loyalitäts- und Treuepflichten bestehen auch 70 in der Krise der Gesellschaft fort. Relevant werden hier insbes Sanierungsszenarien, in denen einzelne Gesellschafter ihre Mitwirkung an einer erfolgsversprechenden Sanierung verweigern.274 Im Einzelfall können die Gesellschafter auf Grund ihrer Treuepflicht verpflichtet sein, an den intendierten Sanierungsmaßnahmen zu partizipieren. Verwei-

_____ 265 266 267 268 269 270 271 272 273 274

Baumbach/Hueck/Fastrich Rn 77 zu Anh § 30 GmbHG; Altmeppen NJW 2008, 3601, 3606. Goette/Habersack Rn 5.22. Hennssler/Strohn/Fleischer Rn 8 zu § 39 InsO; K Schmidt/Uhlenbruck, Rn 2.100. K Schmidt/Uhlenbruck, Rn 2.100. § 7, Rn 60 ff. Vgl dazu nur BGH DB 2013, 866, 867. Vgl Bittmann/Gruber Voraufl, § 7, Rn 144. Ulmer KTS 1981, 469, 489 f; Bittmann/Gruber Voraufl, § 7, Rn 144. § 6, Rn 87 f. So etwa im Fall „Girmes“, BGHZ 129, 136 ff.

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gern sie ihre Mitwirkung, so können sie in Ausnahmefällen sogar vor die Alternative „Sanieren oder Ausscheiden“ gestellt werden.275

V. Der Aufsichtsrat 71 Wie bereits gesehen, gibt es Gesellschaften mbH, die einen obligatorischen, und sol-

che, die einen fakultativen Aufsichtsrat haben.276 Diese Unterscheidung ist zentral für die Frage, ob ein Aufsichtsrat haftet, der einen Verstoß des Geschäftsführers gegen § 64 S 1 GmbHG vorwerfbar nicht verhinderte. Anhand der Gesetzessystematik gelangte der BGH in seiner vielbeachteten „Doberlug-Entscheidung“ zu folgendem Haftungsmodell: Die Mitglieder eines fakultativen Aufsichtsrats haften über die Verweiskette der §§ 52 Abs 1 GmbHG, § 116 S 1 iVm §§ 92, 93 Abs 1 und 2 AktG nur dann, wenn durch ihren Pflichtenverstoß der Gesellschaft ein Schaden im Sinne der §§ 249 ff BGB entstanden sei. Sofern die nach § 64 S 1 GmbHG verbotswidrige Zahlung hingegen nur einen Schaden der Insolvenzgläubiger nach sich ziehe, sei eine Haftung der Aufsichtsratsmitglieder ausgeschlossen.2 7 7 Sowohl die gesetzliche Systematik als auch die Historie tragen dieses Ergebnis. Zum einen schließt die eben aufgezeigte Verweiskette die Anwendung des § 93 Abs 3 Nr 6 AktG auf den fakultativen Aufsichtsrat aus. Aus dieser Vorschrift ergibt sich aber gerade die Haftung des Aufsichtsrats einer AG, der seine Überwachungspflicht im Zusammenhang mit verbotswidrig geleisteten Zahlungen iSv § 92 Abs 2 S 1 AktG verletzte. Indem der Gesetzgeber bewusst einen Verweis auf § 93 Abs 3 Nr 6 AktG unterließ, unterband er die Haftung des fakultativen GmbH-Aufsichtsrats in den dort geregelten Fällen der verbotswidrig getätigten Zahlungen. Anders ist hingegen für den obligatorischen Aufsichtsrat zu entscheiden. Da für diesen § 93 Abs 3 Nr 6 AktG gilt, haftet er auch, wenn er verbotene Zahlungen der Geschäftsführer vorwerfbar nicht verhindert. anhängen

_____ 275 Priester ZIP 2010, 497 ff; iE zust Bork/Schäfer/Thiessen Rn 60 zu § 34 GmbHG; Beck’sches Formularbuch/Stephan, IX.47, Anm 6 und IX.9, Anm 8; M Brand KTS 2011, 481 ff. 276 Dazu § 6, Rn 1 und 89. 277 BGH NZI 2010, 913 mit zust Anm Poertzgen, der freilich für eine andere Begründung des Ergebnisses plädiert; ausführlich und lesenswert ist auch die Besprechung von Thiessen ZGR 2010, 275 ff.

M Brand

§ 9 Eröffnungsverfahren: Auswirkung der Antragstellung und gerichtl Maßnahmen | 433

§ 9 Eröffnungsverfahren: Auswirkung der Antragstellung und gerichtlicher Maßnahmen bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf die Stellung der Verfahrensbeteiligten Smid § 9 Eröffnungsverfahren: Auswirkung der Antragstellung und gerichtl Maßnahmen

I. Einleitung des Insolvenzverfahrens iwS 1. Der Insolvenzantrag und seine Bearbeitung durch das Insolvenzgericht a) Antragsprinzip Das Insolvenzverfahren wird auf Antrag eines Gläubigers oder des Schuldners eröffnet 1 (§ 13 Abs 1 InsO). Ein Tätigwerden des Gerichts von Amts wegen ist ausgeschlossen.1 Allerdings gelten insofern Besonderheiten, die insbes bei der Prüfung der Insolvenzvoraussetzungen (causae cognito) ihren Niederschlag finden.2 Für den Eigenantrag juristischer Personen ist zu berücksichtigen, dass die Zuständigkeit ebenso wie die Vertretungsmacht der Organe der juristischen Person auch in der Insolvenz bestehen bleiben,3 da die juristischen Personen zum Zwecke der Durchführung des Insolvenzverfahrens so fortbestehen, wie es aufgrund ihrer gesellschaftsrechtlichen Verfassung vorgesehen ist; in ihren Organen (gesetzlichen Vertretern) sind die juristischen Personen im Insolvenzverfahren handlungsfähig. Einen besonderen Fall scheint nur vordergründig der Einzelantrag4 eines Geschäftsführers oder Vorstandsmitglieds darzustellen.

b) Antragsbefugnis und Anforderungen an den Antrag aa) Eigenantrag des Schuldners Der Schuldner kann neben den herkömmlichen Fällen der Zahlungsunfähigkeit oder der 2 Überschuldung auch dann einen Eigenantrag stellen und ihn mit der Vorlage eines Insolvenzplans verbinden, wenn sich ein Sanierungsbedarf aus dem „Drohen“ des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit5 ergibt. Im Falle der Insolvenz von juristischen Personen greift § 15 InsO ein. Juristische Personen werden grundsätzlich durch ihre gesetzlichen Organe vertreten (vgl § 78 AktG: Vorstand; § 35 GmbHG: Geschäftsführer6) und Personenhandelsgesellschaften durch ihre geschäftsführungsbefugten Gesellschafter oder durch die persönlich haftenden Gesellschafter (§ 161 Abs 2, § 170 HGB, § 278 AktG). § 15 Abs 1 S 1 InsO7 bestimmt: Für die insolvente AG ist jedes (einzelne) Vorstandsmitglied (§ 92 Abs 2 AktG) oder jeder (einzelne) Liquidator berechtigt. Die ausschließliche Erwähnung von Vorstandsmitgliedern oder Liquidatoren als Antragsberechtigte in § 15 Abs 1 InsO stellt wie im bisherigen Recht klar, dass andere Organe der AG wie der Aufsichtsrat, die Hauptversammlung oder gar einzelne Aktionäre8 vermöge ihrer gesellschaftsrechtlichen Organstellung nicht antragsbefugt sind. Eine uU bestehende Gesamtvertretung (vgl § 78

_____ 1 Begr zu § 15 RegE/§ 13 InsO, BT-Drs 12/2443, S 113, abgedr bei K/P/B/Pape, Rn 17 zu § 13 InsO; Braun/ Uhlenbruck S 213; Häsemeyer Rn 7.01. 2 Smid Grundzüge Rn 4 zu § 4 InsO; MK/Schmahl Rn 1 zu § 13 InsO und Rn 5 zu § 16 InsO; Uhlenbruck, Rn 7 zu § 13 InsO u Rn 6 zu § 16 InsO. 3 Hellmann S 573. 4 Hellmann S 587. 5 Hierzu Smid/Rattunde/Martini Rn 4.1 f. 6 Gottwald/Uhlenbruck Rn 3 f zu § 11 InsO; FK-InsO/Schmerbach § 15 InsO Rn 3 f. 7 LSZ/Smid/Leonhardt, Rn 8 zu § 15 InsO. 8 RGZ 36, 30.

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Abs 2, § 269 Abs 2 AktG) schließt die Antragsbefugnis eines einzelnen Vorstandsmitglieds oder eines Liquidators nicht aus.9 In diesem Falle gelten aber besondere Anforderungen an den Sachverhaltsvortrag. § 15 Abs 1 InsO gilt iÜ ausdrücklich auch für alle Eigenanträge von Gesellschaften und Vereinen ohne Rechtspersönlichkeit. Nach § 15 Abs 3 InsO liegt bei einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit, deren Gesellschafter eine juristische Person ist (GmbH & Co KG), die Antragsbefugnis bei deren Organen; es kommt insofern § 15 Abs 3 InsO zum Zuge.10 Der Schuldner braucht mit seinem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Regelfall die seine Insolvenz begründenden Tatsachen nicht glaubhaft zu machen.11 Das ist nur bei der einseitigen Antragstellung durch einen von mehreren organschaftlichen Vertretern anders: Beim Antrag einzelner Geschäftsführer oder Vorstandsmitglieder ist entspr § 15 Abs 2 InsO der Eröffnungsbeschluss nur dann zu erlassen, wenn das Vorliegen eines Insolvenzgrundes glaubhaft gemacht wird. Verbindet der Schuldner mit seinem Antrag durch Vorlage eines Insolvenzplans die Initiative auf Einleitung eines Reorganisations- und Sanierungsverfahrens, unterscheidet sich die ihn treffende Darlegungslast iAllg nicht von Anträgen, die er in einer Liquidationslage stellt. Um ein Sanierungsverfahren sinnvoll einleiten zu können, wird der Schuldner seinen Antrag allerdings regelmäßig auf den Insolvenzgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) stützen.12 Auch insofern trifft den Schuldner keine Darlegungslast (mit der Folge, dass bei nicht hinreichender Darlegung der Voraussetzungen des § 18 InsO der Antrag abzuweisen wäre). Insbes hat der Schuldner in diesen Fällen keinen „Liquiditätsplan“ vorzulegen. Der Schuldner wird die entspr Angaben ohnedies in seinem Insolvenzplanentwurf vorlegen müssen,13 ohne den der Eigenantrag für den Schuldner zu dem frühen Zeitpunkt des § 18 InsO kaum tragbare Risiken zeitigen würde. 14 Der Insolvenzantrag muss schriftlich gestellt werden (§ 13 Abs 1 S 1 InsO).15 Eine Verfahrenseröffnung von Amts wegen ist nicht vorgesehen, und zwar auch dann nicht, wenn der Schuldner, ohne einen Antrag zu stellen, gegenüber dem Insolvenzgericht Erklärungen hinsichtlich einer vermeintlichen Insolvenz abgibt. Für den Inhalt des Eigenantrags des Schuldners trifft § 13 Abs 2 InsO wichtige Anordnungen: Danach ist dem Antrag des Schuldners ein Verzeichnis der Gläubiger und ihrer Forderungen beizufügen. Wenn der Schuldner einen Geschäftsbetrieb hat, der nicht eingestellt ist, sollen in dem Verzeichnis besonders kenntlich gemacht werden:16 1. die höchsten Forderungen, 2. die höchsten gesicherten Forderungen, 3. die Forderungen der Finanzverwaltung, 4. die Forderungen der Sozialversicherungsträger sowie 5. die Forderungen aus betrieblicher Altersversorgung.

_____ 9 Braun/Bußhardt, Rn 9 zu § 15 InsO; MK/Schmahl Rn 9 zu § 15 InsO. 10 LSZ/Smid/Leonhardt, Rn 14 zu § 15 InsO. 11 Smid Grundzüge Rn 1 zu § 13 InsO; Braun/Bußhardt, Rn 12 zu § 13 InsO; MK/Schmahl, Rn 44 zu § 13 InsO; Uhlenbruck, Rn 11 zu § 13 InsO. 12 LSZ/Smid/Leonhardt Rn 24 zu § 13 InsO. 13 LSZ/Smid/Leonhardt Rn 24 zu § 13 InsO. 14 LSZ/Smid/Leonhardt Rn 24 zu § 13 InsO. 15 LSZ/Smid/Leonhardt Rn 14 zu § 13 InsO. 16 Vgl hierzu Smid, Handbuch Insolvenzrecht, Rn 56a zu § 24.

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Das „sollen“ ist so zu verstehen, dass in dem Antrag diese Angaben zwingend zu machen sind. Der Schuldner hat in diesem Fall auch Angaben zur Bilanzsumme, zu den Umsatzer- 7 lösen und zur durchschnittlichen Zahl der Arbeitnehmer des vorangegangenen Geschäftsjahres zu machen.17 Denn § 13 Abs 2 S 5 InsO ordnet an, dass die Angaben nach § 13 Abs 2 S 4 InsO verpflichtend sind, wenn der Schuldner Eigenverwaltung beantragt. Ferner ist dem Verzeichnis und den weiteren Angaben die Erklärung beizufügen, dass die enthaltenen Angaben richtig und vollständig sind.18

bb) Fremdantrag des Gläubigers § 14 InsO bestimmt, dass der Insolvenzantrag eines Gläubigers zulässig ist, wenn er 8 ein rechtliches Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat. Insolvenzgläubiger gem § 38 InsO sind grundsätzlich antragsberechtigt.19 Eine Antragsberechtigung von Massegläubigern im neuen Recht kommt regelmäßig deshalb nicht mehr in Betracht, weil die §§ 53 ff InsO aufgrund legislatorischer Dezision geschaffene unechte Masseverbindlichkeiten nicht mehr anerkennen. Nach § 13 Abs 1 S 2 InsO sind darüber hinaus „die Gläubiger“ antragsbefugt, was auch die nachrangigen Gläubiger20 zu erfassen scheint. Das ist aber nicht der Fall: Insbes Rückgewähransprüche des darlehensgewährenden Gesellschafters sind in der Insolvenz nachrangige Forderungen gem § 39 Abs 1 Nr 5 InsO und begründen deshalb nicht die Befugnis zur Stellung eines Gläubigerantrags, weil es in Ermangelung der Möglichkeit, diese Forderungen im Falle des Vorliegens eines Eröffnungsgrundes gegen die schuldnerische Gesellschaft durchzusetzen, dem nachrangigen Gläubiger am Rechtsschutzinteresse fehlt.21 Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Anspruch bereits vorkonkurslich geltend gemacht worden ist. Antragsberechtigt sind dagegen die absonderungsberechtigten Gläubiger als Verfahrensbeteiligte, nicht aber die aussonderungsberechtigten Gläubiger.22 Dies gilt auch für Grundpfandgläubiger, da nicht von vornherein ein Ausfall des Grundpfandinhabers bei der Verwertung der Immobilie auszuschließen ist.23 Stellen mehrere Gläubiger neben- oder miteinander einen Antrag, so sind diese in 9 einem Verfahren zu verbinden.24 Insolvenzanträge wegen eines Teilbetrages der Forderung des Gläubigers sind unzulässig.25 Ansprüche, die auf Auseinandersetzung einer Gesellschaft oder Gemeinschaft zielen, begründen keinen zulässigen Insolvenzantrag26, da die Auseinandersetzung gem § 84 Abs 1 S 1 InsO außerhalb des Insolvenzverfahrens erfolgt. Die Kategorie des Rechtsschutzbedürfnisses des Gläubigers in § 14 Abs 1 InsO dient 10 iÜ zur Klarstellung, dass rechtsmissbräuchlich (zu „insolvenzfremden“ Zwecken) gestell-

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NR/Mönning Rn 79 f zu § 13 InsO. NR/Mönning Rn 90 zu § 13 InsO. Frege/Keller/Riedel Rn 376. KPB/Pape § 13 InsO Rn 55; HeiK-InsO/Kirchhof § 13 InsO, Rn 8. Vgl allein Kreft/Kirchhof InsO § 13 Rn 7, 29. Vgl Begr zu § 15 RegE/§ 13 InsO, BT-Drs 12/2443, S 113, abgedr bei K/P/B, Rn 55 zu § 13 InsO. Anders BGH, 29.11.2007 – IX ZB 12/07, ZIP 2008, 281. LSZ/Smid/Leonhardt Rn 10 zu § 14 InsO. Uhlenbruck, Anwaltliche Beratung, S 48. LSZ/Smid/Leonhardt Rn 12 zu § 14 InsO.

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te Anträge unzulässig sind.27 Die Voraussetzungen einer Rechtsmissbräuchlichkeit des Fremdantrags nach § 14 Abs 1 InsO sind mit der Entscheidung des BGH v 7.2.200828 konkretisiert worden. Darin hat der IX. Zivilsenat darauf erkannt, dass einem Gläubiger, dem eine Forderung zusteht und der einen Eröffnungsgrund glaubhaft macht, in der Regel das rechtliche Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, das von § 14 Abs 1 InsO gefordert ist, nicht abgesprochen werden darf.29 Geht es dem Antragsteller dagegen ersichtlich um andere Ziele als die Befriedigung der eigenen Forderung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens, das von § 1 S 1 InsO als Verfahrenszweck ausdrücklich genannt wird, kann es an einem rechtlichen Interesse an der Durchführung eines Insolvenzverfahrens fehlen.30 Dies ist namentlich dann der Fall, wenn der Gläubiger Vermögensgegenstände des Schuldners im Eröffnungsverfahren ermitteln lassen will, um dann zN anderer Gläubiger außerhalb eines Insolvenzverfahrens die Zwangsvollstreckung zu betreiben.31 Auf einen solchen Ausnahmetatbestand darf aber nicht daraus geschlossen werden, dass der Antrag stellende Gläubiger es ablehnt, Einzelheiten wegen vom Schuldner empfangener Zahlungen im anfechtungsrelevanten Zeitraum mitzuteilen. Denn wie der IX. Zivilsenat zutr ausführt, kennt die InsO keine Auskunftspflichten möglicher Anfechtungsschuldner gegenüber dem Insolvenzgericht.32 Diese bestehen auch nicht gegenüber dem vorläufigen Insolvenzverwalter, der ggf als Insolvenzverwalter im eröffneten Verfahren Gegner des Anfechtungsprozesses wäre. Allein der Umstand, dass möglicherweise die vorhandene Masse die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nicht decken werde, begründet eine Rechtsmissbräuchlichkeit des Fremdantrags nicht;33 in dem gegen eine natürliche Person gerichteten Antrag begründet iÜ die Möglichkeit der Freigabe seiner selbständigen Tätigkeit durch einen zu bestellenden Insolvenzverwalter, dass der Insolvenzantrag nicht zu einer Vernichtung der wirtschaftlichen Betätigung des Insolvenzschuldners führen würde. Verfolgt der Gläubiger dagegen allein mit der Antragstellung das Ziel, einen Wettbewerber auszuschalten, würde sich der Fremdantrag als rechtsmissbräuchlich mit der Folge darstellen, dass es dem Antrag stellenden Gläubiger an dem von § 14 Abs 1 InsO für die Fremdantragstellung geforderten rechtlichen Interesse an der Durchführung eines Insolvenzverfahrens fehlte.34 Dies ist aber nicht der Fall, wenn der Antrag stellende Gläubiger die Ausschaltung des zahlungsunfähigen Wettbewerbers allenfalls als Nebenzweck seines Eröffnungsantrages verfolgt hat. 11 An dem Rechtsschutzbedürfnis absonderungsberechtigter Gläubiger (namentlich Grundpfandgläubiger) hat der BGH gezweifelt: Entgegen dem Wortlaut des § 14 InsO meint der IX. Zivilsenat,35 der Eröffnungsantrag setze voraus, dass der Gläubiger eine Forderung glaubhaft macht, die im Falle der Eröffnung des Verfahrens eine Insolvenzforderung darstellen würde. Er konzediert in diesem Zusammenhang, dass zur abgesonderten Befriedigung berechtigte Gläubiger auch Insolvenzgläubiger sind, soweit ihnen der Schuldner auch persönlich haftet. Absonderungsberechtigte Gläubiger nähmen aber am Insolvenzverfahren insofern nicht teil, als sie auf ihr Absonderungsrecht nicht ver-

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Vgl Häsemeyer Rn 7.07 f; Braun/Uhlenbruck S 222 f. BGH, 7.2.2008 – IX ZB 137/07, ZIP 2008, 565. BGH, 29.6.2006 – IX ZB 245/05, NZI 2006, 588, 589. BGH, 21.6.2007 – IX ZB 51/06, NZG 2007, 623, 624. BGH, 15.7.2004 – IX ZB 280/03, ZVI 2004, 753, 754. BGH, 7.2.2008 – IX ZB 137/07, ZIP 2008, 565. BFH, 28.2.2011 – VII B 224/10, ZIP 2011, 724. BGH, 19.5.2011 – IX ZB 214/10, ZIP 2011, 1161. BGH, 29.11.2007 – IX ZB 12/07, ZIP 2008, 281.

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zichten und auch keinen Ausfall erleiden. Der Senat meint insoweit, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nütze diesen Gläubigern daher nichts. Das ist abzulehnen. Denn ob ein absonderungsberechtigter Gläubiger einen Ausfall erleidet oder nicht, lässt sich erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens – und zwar nach Verwertung des Absonderungsgegenstandes feststellen. Der IX. Zivilsenat des BGH36 hat zutreffed darauf erkannt, dass auch der Insolvenz- 12 antrag eines nachrangigen Gläubigers ohne Befriedigungsaussichten zulässig ist. Gegenteiliges folgt auch nicht etwa aus § 174 Abs 3 InsO, nach dem nachrangige Gläubiger ihre Forderungen nur nach ausdrücklicher Aufforderung des Insolvenzgerichts zur Tabelle anzumelden berechtigt sind. Denn dies setzt die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens voraus und kann daher die Frage der Antragsbefugnis nachrangiger Insolvenzgläubiger nicht betreffen. Ausschlaggebend kommt es dagegen darauf an, dass der Gesetzgeber durch die Schaffung nachrangiger Insolvenzgläubiger deren Beteiligung am Verfahren überhaupt sicherstellen wollte.

c) Glaubhaftmachung Bei einem Fremdantrag hat das Gericht sowohl die Legitimation des Antragstellers als 13 Gläubiger als auch das Vorliegen von Insolvenzgründen zu prüfen.37 Sowohl die Gläubigerstellung als auch das Vorliegen eines Insolvenzgrundes sind glaubhaft zu machen. Maßgeblich ist § 294 ZPO (iVm § 4 InsO). Zur Glaubhaftmachung genügt die Vermittlung der „überwiegenden Wahrscheinlichkeit“38 des glaubhaft zu machenden Umstandes.39 Mittel der Glaubhaftmachung des Vorliegens eines Insolvenzgrundes ist daher die Vorlage von (auch privatschriftlichen) Urkunden, Belegen, Scheck- und Wechselprotesten usf. Im Falle gerichtsbekannter Insolvenzgründe ist der Eröffnungsbeschluss bei Vorliegen der übrigen Eröffnungsvoraussetzungen auch dann zu erlassen, wenn der Antragsteller keinen Insolvenzgrund glaubhaft gemacht hat.40 Als Voraussetzung für die Individualzwangsvollstreckung bedarf es der Titulierung 14 der Forderung. Ein Titel genügt dafür aber noch nicht einmal in allen Fällen. Ist er lediglich vorläufig vollstreckbar, so kann die Vollstreckung gemäß §§ 707, 719 oder 769 ZPO für unzulässig erklärt werden.41 Nach § 14 Abs 1 InsO hingegen hat der antragstellende Gläubiger das Bestehen seiner Forderung gegen den Schuldner lediglich glaubhaft zu machen. Die Voraussetzungen für die Individualzwangsvollstreckung müssen also nicht vorliegen.42 Entscheidend ist, dass der Gläubiger den Entstehungsgrund seiner Forderung darlegt und seinem Antrag Verträge, Rechnungen, Lieferscheine, Schuldscheine, Buchungsbelege, Wechsel und ggf, hat er diese erstritten, Urteile, die den Bestand der Forderungen belegen, beifügt. Die Darlegungslast liegt beim antragstellenden Gläubiger, wie der IX. Zivilsenat entschieden hat.43 Unabhängig davon, ob der Schuldner Gegenrechte gegen die erhobene Forderung geltend macht, scheitert die Glaubhaftmachung

_____ 36 BGH, 23.9.2010 – IX ZB 282/09, ZIP 2010, 2055. 37 Vgl K/P/B/Pape, Rn 71 f zu § 14 InsO. 38 BGH VersR 1976, 928, 929. 39 Zöller/Greger Rn 1 zu § 294 ZPO; Braun/Uhlenbruck S 224 f. 40 Vgl Uhlenbruck, Rn 65 f zu § 14 InsO; FK-InsO/Schmerbach § 14 InsO Rn 114; LSZ/Smid/Leonhardt Rn 32 zu § 14 InsO. 41 BGH ZIP 1992, 947; OLG Köln ZIP 1989, 789, 791. 42 KPB/Pape Rn 18 zu § 14 InsO. 43 BGH, 29.3.2007 – IX ZB 141/06, ZIP 2007, 1226.

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des Gläubigers deshalb bereits an tatsächlichen oder rechtlichen Zweifeln am Bestand der Forderung.44 Die dem Fremdantrag zugrundeliegende Gläubigerforderung muss sogar unter Beweis gestellt werden, wenn der glaubhaft gemachte Eröffnungsgrund allein auf ihr beruht.45 Regelmäßig kommt insoweit ein Urkundenbeweis in Betracht, der durch die Vorlage eines Titels geführt werden kann. Einwände hiergegen geltend zu machen, obliegt dem Schuldner, was bei rechtskräftig titulierten Forderungen auf die hierfür durch die §§ 578 ff ZPO gesetzten prozessualen Grenzen stoßen wird. Denn der Titel beseitigt die Ungewissheit über das Bestehen der geltend gemachten Forderung, aus der ein Eröffnungsgrund vom Gläubiger abgeleitet wird.

d) Nachlasspfleger 15 Nach § 317 Abs 1 InsO steht dem Nachlasspfleger die Befugnis zu, Antrag auf Eröffnung

des Insolvenzverfahrens zu stellen.46 Der Nachlasspfleger muss regelmäßig im Stande sein, die Vermögensverhältnisse in substantiierter und nachvollziehbarer Form im Falle der Stellung eines Eröffnungsantrages gem § 317 Abs 1 InsO darzulegen. Denn er hat insbes die Pflichten, den Nachlass an sich zu nehmen, um ihn zu erhalten und zu verwalten, und die Vermögensinteressen der festzustellenden Erben wahrzunehmen.47

e) Antragsrücknahme 16 Nach § 13 Abs 2 InsO kann sowohl der Eigen- als auch der Fremdantrag zurückgenom-

men werden, bis das Insolvenzverfahren eröffnet oder der Antrag rechtskräftig abgewiesen ist. Daran, ob ein nach § 15 Abs 2 InsO unter Glaubhaftmachung des Eröffnungsgrundes gestellter Antrag eines Organmitglieds wirksam nach dessen Abberufung von einem anderen Organmitglied zurückgenommen werden kann, lässt sich zweifeln. Für den Fall des § 15 Abs 1 InsO hat der BGH48 darauf verwiesen, dass der Dispositionsgrundsatz des Insolvenzverfahrens nicht zu Gunsten eines amtswegigen Betriebes deshalb in Frage gestellt werden kann, weil das Antrag stellende Organmitglied seines Amtes enthoben worden ist. Ausschlaggebend ist, dass durch den Antrag des organschaftlichen Vertreters nach § 15 Abs 1 InsO die Gesellschaft gehandelt hat. Es handelt sich also der Sache nach um einen Eigenantrag wie nach § 13 InsO.49

f) Zulässiger Neuantrag nach Freigabe 17 Der IX. Zivilsenat des BGH50 hält es für möglich, dass auf Antrag eines Neugläubigers ein

Insolvenzverfahren beschränkt auf das vom Insolvenzverwalter nach § 35 Abs 2 InsO freigegebene, aus selbständiger Tätigkeit des Schuldners erlangte Vermögen eröffnet werden könne, während noch das ursprüngliche Insolvenzverfahren läuft. Nun hat der BGH51 selbst schon früher dem Neugläubiger das rechtliche Interesse an der Einleitung

_____ 44 45 46 47 48 49 50 51

BGH, 29.3.2007 – IX ZB 141/06, ZIP 2007, 1226. BGH, 14.12.2005 – IX ZB 207/04, ZIP 2006, 247; 29.6.2006 – IX ZB 245/05, ZIP 2006, 1452. BGH, 12.7.2007 – IX ZB 82/04, ZIP 2007, 1868. BGH, 6.10.1982 – IVa ZR 166/81, NJW 1983, 226. BGH, 10.7.2008 – IX ZB 122/07, ZIP 2008, 1596. Vgl hierzu Smid, Handbuch Insolvenzrecht, Rn 49 f zu § 24. BGH, 9.6.2011 – IX ZB 175/10, ZIP 2011, 1326. BGH, 18.5.2004 – IX ZB 189/03, NZI 2004, 444.

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eines weiteren Insolvenzverfahrens abgesprochen.52 Der Senat will aber für die Fälle, in denen eine Freigabe nach § 35 Abs 2 InsO erfolgt ist, hiervon abweichen. Denn durch die Freigabe des Vermögens werde eine Haftungsmasse geschaffen, die der gewerblichen Tätigkeit des Schuldners, insbes der Befriedigung der dabei eingegangenen Vertragsverhältnisse, gewidmet sei.53 Die Neugläubiger, die aus dieser wirtschaftlichen Tätigkeit Forderungen herleiten, können nach Ansicht des BGH auf das bei der freigegebenen selbständigen Tätigkeit erwirtschafteter Vermögen daher Zugriff nehmen; da es damit eine entspr Haftungsmasse gebe, sei auch ein gesondertes zweites Insolvenzverfahren möglich, soweit dies nur der Befriedigung der Neugläubiger diene. Dem stehe § 89 Abs 1 InsO nicht entgegen, der für die Dauer des Insolvenzverfahrens die Zwangsvollstreckung auch in das nicht vom Insolvenzbeschlag erfasste Vermögen des Schuldners verbiete.54 Denn der erkennende Senat hat selbst die nach § 35 Abs 2 InsO vom Insolvenzverwalter freigegebenen Vermögensgegenstände als sonstiges Vermögen gem § 89 Abs 1 InsO qualifiziert.55 Die Eröffnung des weiteren Insolvenzverfahrens kann nicht als Zwangsvollstreckung zu Gunsten einzelner Insolvenzgläubiger qualifiziert werden.

2. Aufgaben des Insolvenzgerichts bei der Entscheidung über die Verfahrenseröffnung a) Charakter des Insolvenzverfahrens als Eilverfahren Sowohl beim Eröffnungsverfahren als auch beim eröffneten Verfahren handelt es sich 18 um Eilverfahren. Das folgt zwanglos aus den Aufgaben des Insolvenzverfahrens:56 Es geht darum, den Rahmen für die Verwertung der Masse oder die Sanierung des Schuldners zu schaffen; beides wird regelmäßig dadurch gefährdet, dass Zeit verstreicht.

b) Amtsermittlungsgrundsatz Das Insolvenzgericht nimmt aufgrund seiner Ermittlungen Verrichtungen vor, die nicht 19 notwendig darauf beruhen, dass der betroffene Schuldner am Verfahren bis zum Tätigwerden des Insolvenzgerichts „aktiv“ beteiligt wurde: Die Entscheidungen des Insolvenzgerichts können nach § 5 Abs 2 InsO ohne mündliche Verhandlungen ergehen. Zwar ist der Schuldner nach § 10 Abs 1 InsO anzuhören, doch kann diese Anhörung insbes bei Aufenthalt des Schuldners im Ausland gänzlich unterbleiben, wenn nicht der Schuldner dafür Vorkehrungen trifft, dass ein bevollmächtigter und sachkundiger Vertreter für ihn auftritt.57 Um die ihm obliegenden rechtsfürsorgerischen Aufgaben erfüllen zu können, hat das Insolvenzgericht die Voraussetzungen seines Tätigwerdens von Amts wegen zu ermitteln.58 Das Gericht hat daher ggf insbes die Voraussetzungen der Verfahrenseröffnung gem §§ 17–19 InsO – die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners oder seine Überschuldung oder beim Eigenantrag die drohende Zahlungsunfähigkeit – von Amts wegen zu ermitteln. Das Insolvenzgericht hat, wie oben dargestellt,59 das Verfahren erst zu eröffnen, wenn ein Insolvenzgrund glaubhaft gemacht worden ist. Es muss sich bei seiner

_____ 52 53 54 55 56 57 58 59

Vgl BGH, 3.7.2008 – IX ZB 182/07, ZIP 2008, 1976. LSZ/Smid/Leonhardt, Rn 31 f, insbes Rn 35 zu § 35 InsO. S LSZ/Smid/Leonhardt Rn 10 zu § 89 InsO. BGH, 12.2.2009 – IX ZB 112/06, ZIP 2009, 818. MK/Stürner Einl Rn 51; Uhlenbruck, Rn 1 u 5 zu § 1. Eingehend LSZ/Smid/Leonhardt Rn 6 f zu § 10 InsO; Braun/Uhlenbruck S 227. Smid Rechtsprechung S 258 f und 559 f; Braun/Uhlenbruck S 232. Rn 13 f.

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Sachverhaltsermittlung und -prüfung auf die vom Schuldner gem § 20 InsO vorzulegenden und ggf zu ergänzenden Verzeichnisse sowie die von den Gläubigern vorgelegten Beweismittel stützen.60 Als wesentliches Erkenntnismittel steht ihm insoweit die Möglichkeit offen, ein Gutachten über den wirtschaftlichen Zustand des Schuldners einzuholen, das regelmäßig vom vorläufigen Verwalter61 oder einem vom Gericht zu bestellenden Sachkundigen erstellt wird.62 Der IX. Zivilsenat des BGH63 erkennt darauf, dass Voraussetzung vorläufiger Anordnungen des Insolvenzgerichts nach den §§ 21 ff InsO grundsätzlich das Vorliegen eines zulässigen Eröffnungsantrages ist. Dieser Grundsatz soll aber bei grenzüberschreitenden Insolvenzen ausnahmsweise durchbrochen werden können. Dies leitet er im Rahmen der Prüfung der örtlichen Zuständigkeit des Insolvenzgerichts gem § 3 InsO daraus ab, dass hierfür der Eingang des Eröffnungsantrags maßgeblich sei. Dies gelte auch für die Anknüpfungsmerkmale zur Bestimmung der internationalen Zuständigkeit gem Art 3 Abs 1 S 1 EuInsVO, wobei sich der BGH auf die Judikatur des EuGH beruft.64 Daraus folgt zunächst, dass das mit Eingang des Insolvenzantrags angerufene Insolvenzgericht selbstverständlich für die Prüfung seiner internationalen und örtlichen Zuständigkeit zuständig ist. Die Prüfung seiner internationalen und örtlichen Zuständigkeit erfolgt durch die Ermittlung von Anknüpfungstatsachen (§ 5 Abs 1 InsO), sofern nicht diese Tatsachen dem Insolvenzgericht aufgrund der Aktenlage – dem Vortrag des im Fremdantrag des Gläubigers und dem eigenen Vortrag des Schuldners – vorliegen. In der Tat setzt § 21 Abs 1 InsO nicht das Vorliegen eines zulässigen Antrags voraus, so dass zB ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt werden kann, wenn der schuldnerische Geschäftsführer der deutschen Spedition zwar (noch) nicht die für einen zulässigen Antrag nach § 13 Abs 1 InsO erforderlichen Angaben machen kann, aber zum Schutz der Vermögenslage für die Rückholung von an der spanisch-französischen Grenze „gestrandeten“ Lkw nur ein vorläufige Verwalter Liquidität beschaffen kann. Der IX. Zivilsenat des BGH65 hat zu Recht darauf erkannt, dass der vorläufige Insolvenzverwalter durch das Insolvenzgericht mit den vorläufigen Anordnungen nach § 21 InsO nicht dazu ermächtigt werden kann, Räume eines am Eröffnungsverfahren nicht beteiligten Dritten zu durchsuchen. Auch wenn Amtsermittlungen des Gerichts iAllg die Zulässigkeit des Antrags voraussetzen, ist der Schuldner doch nach § 20 Abs 1 InsO mit der Eigenantragstellung auskunftspflichtig; einer ausdrücklichen Feststellung der Zulässigkeit seines Eröffnungsantrages durch das Insolvenzgericht bedarf es insoweit nicht, wie der IX. Zivilsenat des BGH festgestellt hat.66 Der Schuldner habe nach § 20 Abs 1 InsO dem Insolvenzgericht im Eröffnungsverfahren umfassend Auskunft über seine Vermögensverhältnisse zu erteilen, insbes ein Verzeichnis seiner Gläubiger und Schuldner vorzulegen und eine geordnete Übersicht seiner Vermögensgegenstände einzureichen. Dabei sei die Nennung der Gläubiger erforderlich, damit das Insolvenzgericht seine Pflicht aus § 30 Abs 2 InsO zur Zustellung des Eröffnungsbeschlusses an die Gläubiger erfüllen könne.

_____ 60 61 62 63 64 65 66

LSZ/Smid/Leonhardt Rn 9 f zu § 20 InsO; Uhlenbruck, Rn 3, 10 f zu § 20 InsO. Näher Braun/Uhlenbruck S 242 f; LSZ/Thiemann Rn 164 zu § 22 InsO. LSZ/Thiemann Rn 23 ff zu § 22 InsO; Braun/Uhlenbruck S 232; FK-InsO/Schmerbach § 22 InsO Rn 57. BGH, 22.3.2007 – IX ZB 164/06, ZIP 2007, 878. EuGH, 17.1.2006 – C-1/04 Susanne Staubitz-Schreiber, NZI 2006, 153 Rn 29. BGH, 24.9.2009 – IX ZB 38/08, ZIP 2009, 2068. BGH, 9.10.2008 – IX ZB 212/07, ZIP 2008, 2276.

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§ 9 Eröffnungsverfahren: Auswirkung der Antragstellung und gerichtl Maßnahmen | 441

Der Schuldner verletze seine mit der Einreichung eines zulässigen Insolvenzantrages einsetzende, gesetzliche Auskunftspflicht im Eröffnungsverfahren auch dann, wenn er unrichtige oder unvollständige Angaben mache und diese nachträglich nicht korrigiere oder ergänze.

II. Antragspflichten des Schuldners bzw der gesellschaftsrechtlichen Organe schuldnerischer Gesellschaften 1. Keine allgemeine gesetzliche Antragspflicht IAllg trifft einen zahlungsunfähigen (insolventen) Schuldner keine Pflicht zur Stellung 24 eines Insolvenzantrags.67 Der Insolvenzantrag ist dazu geeignet, den Schuldner gleichsam vor sich selbst zu schützen – er würde danach aufgrund vorläufiger Anordnungen des Insolvenzgerichts68 weitgehend gehindert, Insolvenzstraftaten der §§ 283 ff StGB zu begehen. Für Gläubiger ordnet das Gesetz im Übrigen keine Antragspflichten an.69 25

2. Insolvenzrechtliche Antragspflichten Von Gesetzes wegen werden in § 15 Abs 1 S 1 InsO Antragsbefugnisse für juristische Per- 26 sonen jeden Mitglieds des Vertretungsorgans, bei einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit oder bei einer Kommanditgesellschaft auf Aktien jedes persönlich haftenden Gesellschafters, sowie jedes Abwicklers statuiert. Nach § 15 Abs 1 S 2 InsO ist bei einer juristischen Person im Fall der Führungslosigkeit auch jeder Gesellschafter zur Antragstellung berechtigt. Strafbewehrte (§ 15a Abs 4 InsO) Antragspflichten normiert § 15a InsO: § 15a Abs 1 S 1 bestimmt, dass, wenn eine juristische Person zahlungsunfähig oder überschuldet wird, die Mitglieder des Vertretungsorgans oder die Abwickler verpflichtet sind, ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, einen Insolvenzantrag zu stellen.70 Nach § 15a Abs 1 S 2 InsO gilt das Gleiche für die organschaftlichen Vertreter der zur Vertretung der Gesellschaft ermächtigten Gesellschafter oder die Abwickler bei einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit, bei der kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist;71 dies gilt nicht, wenn zu den persönlich haftenden Gesellschaftern eine andere Gesellschaft gehört, bei der ein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist. Dies gilt sinngemäß nach § 15a Abs 2 InsO für die Vertreter der Gesellschaften, die Gesellschafter einer insolvenzschuldnerischen Gesellschaft sind (also namentlich die GmbH als Komplementärin und damit gesetzliche Vertreterin der KG). Nach § 15a Abs 3 InsO ist im Fall der Führungslosigkeit einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (§ 35 Abs 1 S 2 GmbHG) auch jeder Gesellschafter, im Fall der Führungslosigkeit einer Aktiengesellschaft (§ 78 Abs 1 S 2 AktG) oder einer Genossenschaft (§ 24 Abs 1 S 2 GenG) auch jedes Mitglied des Aufsichtsrats zur Stellung des Antrags verpflichtet,72 es sei denn, die-

_____ 67 68 69 70 71 72

FK-InsO/Schmerbach, Rn 9, 20 zu § 13 InsO. Vgl dazu unten Rn 41 f. Selbstverständlich, vgl nur HeiK-InsO/Kirchhof, Rn 13 zu § 13 InsO. LSZ/Smid/Leonhardt Rn 1 f zu § 15a InsO. LSZ/Smid/Leonhardt Rn 1 f zu § 15a InsO. LSZ/Smid/Leonhardt Rn 8 f zu § 15a InsO.

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ser oder dieses hat von der Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung oder der Führungslosigkeit keine Kenntnis.73 „Neugläubiger“, die nach Einsetzen der Antragspflicht in Geschäftsbeziehungen zur 27 Gesellschaft getreten sind, haben einen Schadensersatzanspruch gem § 823 Abs 2 BGB iVm § 15a InsO, der auf Ersatz des vollen negativen Interesses oder Ersatz des Vertrauensschadens wegen Verschuldens bei Vertragsschluss gerichtet ist. „Altgläubiger“, deren Ansprüche noch vor der (materiellen) Insolvenz entstanden 28 sind, haben lediglich einen Anspruch auf Ersatz des Schadens, um den sich ihre Quote durch Verletzung der Antragspflicht verringert hat. Der Anspruch kann bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Gesamtschaden allein vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden (§ 92 S 1 InsO).74

III. Eröffnungsgründe 1. Funktion a) Scheitern der privatautonomen Steuerung der Vermögensverhältnisse des Schuldners 29 Die Eröffnungstatbestände legen fest, ob und wann der Insolvenzschuldner mit der privatautonomen Steuerung seiner Vermögensverhältnisse gescheitert ist und bestimmt damit den Zeitpunkt, in dem die Verfügungsrechte über das Vermögen des Insolvenzschuldners auf die Gemeinschaft der Gläubiger – vertreten durch den Insolvenzverwalter – oder auf den eigenverwaltenden Schuldner als Sachwalter in eigenen Angelegenheiten übergehen sollen.75 Die Eröffnungsgründe haben die Aufgabe zu bemessen, wann in ein gemeinschaftliches Verfahren der Verteilung des Vermögens des Schuldners einzutreten ist. Daher bestimmt § 16 InsO, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens voraussetzt, dass ein Eröffnungsgrund gegeben ist.76

b) Numerus clausus der Eröffnungsgründe 30 § 16 InsO besagt zunächst, dass es einen numerus clausus der Eröffnungsgründe gibt.77

Ihre Bedeutung geht aber darüber hinaus: Der Satz, die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens setze das Vorliegen eines Eröffnungs- (nicht: Insolvenz-)grundes voraus, bricht ausdrücklich mit dem bisherigen Verständnis.78 An die Seite überkommener Gründe, die an eine materielle Insolvenz anknüpfen, tritt nunmehr ein solcher Eröffnungsgrund, der auch im Vorfeld wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit des Schuldners dazu dienen soll, ein die Ziele des Insolvenzverfahrens (§ 1 InsO: Gleichbehandlung der Insolvenzgläubiger) förderndes Procedere zu unterstützen. Mit dem Eröffnungsgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit verfolgt der Gesetzgeber die Absicht, dem Insolvenzschuldner frühzeitig den Zugang zu einem sanierenden Insolvenzverfahren zu eröffnen.79

_____ 73 74 75 76 77 78 79

LSZ/Smid/Leonhardt Rn 8 f zu § 15a InsO. MK/Brandes/Gehrlein Rn 1 f zu § 92 InsO; Braun/Kroth Rn 1 f zu § 92 InsO. K Schmidt/Uhlenbruck Rn 810. LSZ/Smid/Leonhardt Rn 1 f zu § 16 InsO. KPB/Pape/Radtke Rn 7 zu § 16 InsO; Uhlenbruck Rn 16 zu § 16 InsO. Unverständlich HeiK-InsO/Kirchhof Rn 1 zu § 16 InsO. Allg Begr zum RegEInsO, BT-Drs 12/2443, 84, 4b aa.

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2. Überschuldung Neben der Zahlungsunfähigkeit und der drohenden Zahlungsunfähigkeit kommt nach 31 § 19 Abs 1 InsO allein bei einer juristischen Person auch die Überschuldung als weiterer Eröffnungsgrund in Betracht. Sie liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Nicht berücksichtigt werden dabei gem § 19 Abs 2 S 2 InsO Forderungen auf Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen oder aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen, für die gemäß § 39 Abs 2 zwischen Gläubiger und Schuldner der Nachrang im Insolvenzverfahren hinter den in § 39 Abs 1 Nr 1 bis 5 bezeichneten Forderungen vereinbart worden ist.

3. Zahlungsunfähigkeit Für den Eröffnungsgrund der Zahlungsunfähigkeit80 gem § 17 InsO gilt wie im überkom- 32 menen Recht, dass er für alle betroffenen Schuldner gilt,81 wie die Formulierung des § 17 Abs 2 S 1 HS 1 InsO zeigt („der Schuldner“): Die Zahlungsunfähigkeit ist der allgemeine Insolvenzgrund; er ist sowohl für Beurteilung der Insolvenz von juristischen Personen als auch die natürlicher Personen und Personengesellschaften einschlägig. In § 17 Abs 2 S 1 InsO wird die Zahlungsunfähigkeit82 gesetzlich definiert. Zahlungs- 33 unfähigkeit ist Geldilliquidität.83 Der Schuldner ist demnach zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, seine nicht nachrangigen84 fälligen Zahlungsverbindlichkeiten zu erfüllen. Bereits der Tatbestand der Zahlungsunfähigkeit hat damit durch die Reform des Insolvenzrechts, wenn auch keine völlig neue Gestalt, wohl aber von seinem gesetzlichen Wortlaut her einen weiteren Anwendungsspielraum erhalten, was im Einzelfall durchaus folgenreich sein kann. In seiner Grundstruktur ist der Eröffnungsgrund der Zahlungsunfähigkeit indes unangetastet geblieben. Der Wortlaut des § 17 Abs 2 S 1 InsO ist aber selbst auslegungsbedürftig: Die Zahlungsunfähigkeit beschreibt herkömmlich einen Zustand, in dem der Schuldner nicht mehr genügend „flüssige“ Geldmittel zur Verfügung hat85 und deshalb den überwiegenden Teil seiner fälligen Zahlungsverpflichtungen nicht rechtzeitig erfüllen kann. „Geldmittel“ sind der Geldbestand in bar sowie neben dem Kassenbestand Bank- und Postgiroguthaben aller Art, Wechsel, Schecks und abrufbare Kredite.86 Vermögen, das zwar verwertbar ist, dies aber nicht kurzfristig, ist nicht liquide und daher nicht einzubeziehen.87 Solange der Wert des Schuldnervermögens die Gesamtverbindlichkeiten übersteigt, wird es dem Schuldner in der Regel jedoch möglich sein, drohende Liquiditätsprobleme durch Aufnahme von Beteiligungs- bzw Fremdkapital oder durch Liquidierung einzelner Vermögensgegenstände abzuwenden. Die Rspr bezeichnete unter der Geltung der KO Zahlungsunfähigkeit dadurch, dass der Schuldner iAllg und andauernd aufhört, seine fälligen Geldschulden zu begleichen, weil

_____ 80 81 82 83 84 85 86 87

Jäger DB 1986, 1441 f; Jaeger/Müller, Rn 13 f zu § 17 InsO. Temme S 2 f. Veit ZIP 1982, 273, 274; Kuhn/Uhlenbruck Rn 2 zu § 101 KO. NR/Mönning/Gutheil Rn 11 zu § 17 InsO; KPB/Pape Rn 2 zu § 17 InsO. Temme S 20, 22; aA einst Roth/Altmeppen-GmbHG3, § 63 Anm 3.1. Zum Nachrang s oben Rn 31. Temme S 7 f, 10; HeiK-InsO/Schröder, Rn 14 zu § 17 InsO; Andres/Leithaus/Dahl Rn 2 zu § 17 InsO. Vgl Temme S 12. Haas, in: Insolvenzrechtsforum 1998, 1, 4/5; Hess § 17 Rn 8.

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er wegen eines nicht nur vorübergehenden Mangels an Zahlungsmitteln dazu nicht mehr in der Lage ist.88 Die Zahlungsunfähigkeit bezog und bezieht sich dementspr auf alle gegen den 34 Schuldner gerichteten fälligen (= zu begleichenden, § 271 Abs 1 BGB) Forderungen, spiegelbildlich auf seine Verbindlichkeiten, soweit es sich um Geldschulden handelt. Es handelt sich nicht um eine fällige Forderung iSv § 17 Abs 2 InsO, wenn zwischen den Parteien des Schuldverhältnisses Einigkeit darüber besteht, dass zwar Forderungen entstehen, aber nicht beglichen werden sollen,89 zumindest noch nicht, zB aufgrund einer ausdrücklichen oder konkludenten Stundung.90 Zwar verzichtet § 17 InsO auf das Tatbestandsmerkmal eines ernsthaften Einforderns 35 der Forderung durch den Gläubiger,91 das unter Geltung der KO die Evidenz der Zahlungsunfähigkeit bei Ausbleiben der Leistung ausdrückte.92 Damit soll aber nur verhindert werden, dass die Fälligkeit aufgrund bloßer durch Leistungsunwilligkeit des Schuldners „erzwungener“ Stundung verneint wird. Die Rspr zur InsO betrachtet das „Eingefordert-Sein“ als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal, das aber bereits dann erfüllt ist, wenn der Gläubiger sein Erfüllungsbegehren ausdrückte, ohne es anschließend zurückzunehmen – das Stellen einer Rechnung genügt.93 Soll dagegen nach Willen des Gläubigers eine Forderung nur im Rahmen der jeweiligen finanziellen Möglichkeiten des Schuldners, also gewissermaßen nachrangig befriedigt werden, kann die Forderung nicht zur Begründung einer Zahlungsunfähigkeit herangezogen werden.94

4. Drohende Zahlungsunfähigkeit 36 Während Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung Eröffnungsgründe sind, die auch

vom fremdantragstellenden Gläubiger vorgetragen werden können, sieht § 18 Abs 1 InsO mit der drohenden Zahlungsunfähigkeit einen Eröffnungsgrund vor, der nach dem ausdrücklichen gesetzlichen Wortlaut und der erklärten Absicht des Gesetzgebers allein im Rahmen eines Eigenantrags des Schuldners vorgebracht werden kann. Schon der Eröffnungsgrund der Zahlungsunfähigkeit beruht nicht ohne weiteres auf einer Zeitpunktilliquidität; die drohende Zahlungsunfähigkeit legt als Beurteilungsmaßstab die Zeitraumilliquidität zugrunde.95 Das rückt die drohende Zahlungsunfähigkeit in die thematische Nähe zum Sanierungsverfahren der §§ 217 f InsO; in der Tat geht der Gesetzgeber96 davon aus, dass der Insolvenzschuldner die mit dem Tatbestand der drohenden Zahlungsunfähigkeit eröffnete Möglichkeit einer frühzeitigen Antragstellung zur Einleitung eines Sanierungsverfahrens nutzen könne. Anders als bei der (eingetretenen) Zahlungsunfähigkeit werden bei der drohenden 37 Zahlungsunfähigkeit auch diejenigen Zahlungspflichten des Schuldners in die Betrach-

_____ 88 BGH, 5.11.1956 – III ZR 139/55, KTS 1957, 12; 10.1.1985 – IX ZR 4/84, NJW 1985, 1785. 89 BGH, 19.7.2007 – IX ZB 36/07, ZIP 2007, 1666; KPB/Pape Rn 6 zu § 17 InsO; hierzu ausführl Uhlenbruck Rn 17 zu § 17 InsO. 90 Temme S 23; KPB/Pape § 17 InsO Rn 6. 91 Haas, in: Insolvenzrechtsforum 1998, 5/6; Uhlenbruck Rn 5 zu § 17 InsO. 92 KS2/Kirchhof S 288; Uhlenbruck Rn 15 zu § 17 InsO. 93 StRspr, zB BGH, 26.2.2013 – II ZR 54/12, Rn 12, GmbHR 2013, 482 ff; 6.12.2012 – IX ZR 3/12, Rn 26 und 29, NJW 2013, 940 ff. 94 BGH, 19.7.2007 – IX ZB 36/07, ZIP 2007, 1666. 95 LSZ/Smid/Leonhardt Rn 6 zu § 18 InsO. 96 So ausdr amtl Begr zum RegEInsO, Allg 4b) aa), BT-Drs 12/2443, 84.

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§ 9 Eröffnungsverfahren: Auswirkung der Antragstellung und gerichtl Maßnahmen | 445

tung einbezogen, die schon bestehen, aber noch nicht fällig sind.97 Der Wortlaut des Gesetzes ist insoweit freilich nicht hinreichend deutlich.98 Er würde ein Verständnis decken, demzufolge noch nicht begründete Zahlungsverbindlichkeiten überhaupt nicht in die Prognose einzustellen wären.99 Dies würde jedoch die wirtschaftliche Lage des Schuldners umso weniger korrekt abbilden, je mehr sie in die Zukunft reicht. Deshalb sind solche Verbindlichkeiten, die sicher oder zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs üblicherweise eingegangen werden müssen, zumindest im Hinblick auf die Antwort zu berücksichtigen, ob die bereits bestehenden Verbindlichkeiten bei Fälligkeit voraussichtlich erfüllt werden können. Ist damit zu rechnen, dass der Schuldner im Zeitpunkt der Fälligkeit dieser Pflichten zu ihrer Erfüllung nicht in der Lage sein wird, so ist der neue Eröffnungsgrund gegeben. Der Prognosezeitraum wird durch den spätesten Fälligkeitszeitraum der bestehenden betagten Forderungen begrenzt.100 Das Wort „voraussichtlich“101 in § 18 Abs 2 InsO ist dabei so zu verstehen, dass der 38 Eintritt der Zahlungsunfähigkeit wahrscheinlicher sein muss als deren Vermeidung. Sobald diese Voraussetzung vorliegt, ist die Befriedigung der Gläubiger so stark gefährdet, dass die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gerechtfertigt erscheint.102 Für den auf die drohende Zahlungsunfähigkeit gestützten Eigenantrag des Schuld- 39 ners gelten die allg Voraussetzungen des § 13 Abs 2 InsO.103 Der Gesetzgeber hat auf die Anordnung des Erfordernisses der Vorlage eines Liquiditätsplans deshalb verzichten können, weil der den Eigenantrag stellende Schuldner ohnedies seine wirtschaftlichen Verhältnisse offenlegen muss. Zu beachten ist aber, dass ein Liquiditätsstatus jedenfalls im Rahmen der Antragstellung nach § 270b InsO zur Einleitung eines Schutzschirmverfahrens vorgelegt werden muss.

IV. Auswirkung insolvenzgerichtlicher vorläufiger Anordnungen bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf die Stellung der Verfahrensbeteiligten Zu den im Folgenden zu behandelnden Fragen ist in den vergangenen Jahren seit In- 40 krafttreten der InsO unendlich viel geschrieben worden. Der Gesetzgeber mit der Einfügung eines § 55 Abs 3 InsO im InsÄndG 2001 und der IX. Zivilsenat des BGH mit seiner Entscheidung vom 18.7.2002104 haben das Recht der vorläufigen Verwaltung gleichsam vom Kopf auf die Füße gestellt und einer vernünftigen Behandlung zugänglich gemacht, mit der sich viel Spekulationen durch Wissenschaft und Praxis erledigt haben. Für die Auseinandersetzung mit den Rechtspflichten der Beteiligten im Eröffnungsverfahren,

_____ 97 Uhlenbruck KTS 1994, 169, 171; Temme S 56; Braun/Bußhardt Rn 9 zu § 18 InsO; NR/Mönning Rn 26 zu § 18 InsO; Bork § 10 Rn 107. 98 Jaeger/Müller Rn 8 zu § 18 InsO. 99 Jäger DB 1986, 1441, 1446; FK-InsO/Schmerbach Rn 12 zu § 18 InsO; wohl auch, wenngleich nicht eindeutig BGH, 5.12.2013 – IX ZR 93/11, Rn 10, ZInsO 2014, 77 ff; aA Braun/Bußhardt Rn 10 zu § 18 InsO; Jaeger/ Müller Rn 10 zu § 18 InsO, der zu begründende Verpflichtungen wie Steuern berücksichtigen will, wenn sie in den Prognosezeitraum fallen; BGH, 19.2.2013 – 5 StR 427/12, Rn 12, ZInsO 2013, 876 f. 100 KS2/Drukarczyk/Schüler S 95, 111; Jaeger/Müller Rn 7 zu § 18 InsO; Braun/Bußhardt Rn 7 zu § 18 InsO; NR/Mönning Rn 25 zu § 18 InsO. 101 Temme S 65 f; Jaeger/Müller Rn 14 zu § 18 InsO; Braun/Bußhardt Rn 5 zu § 18 InsO; MK/Drukarzcyk Rn 21 zu § 18 InsO. 102 LSZ/Smid/Leonhardt Rn 11 zu § 18 InsO. 103 Dazu oben Rn 3–7. 104 BGH DZWIR 2002, 470.

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aus denen sich strafrechtliche Konsequenzen ableiten lassen, dürfte es jedoch genügen, sich auf die folgenden Erwägungen zu beschränken.

1. Gesetzliche Regelung der §§ 21f InsO a) Schutz der Vermögenslage des Schuldners: Insolvenzgerichtliche Maßregeln vor Erlass des Eröffnungsbeschlusses aa) Aufgabe einstweiliger Maßnahmen 41 § 21 Abs 1 InsO ordnet an, dass das Insolvenzgericht zu prüfen hat, ob es einstweilige Maßnahmen zum Schutz der Vermögenslage des Schuldners zu erlassen hat, um eine Minderung der den Gläubigern im eröffneten Verfahren haftenden Masse zu verhindern. Der BGH ist in seiner Entscheidung vom 18.7.2002105 einer in der Literatur vom Verf106 und von Thiemann107 begründeten Meinung gefolgt, nach der das Gericht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der von ihm zu wählenden Maßnahmen zu beachten hat. Es darf daher keineswegs pauschal von einem vermeintlichen Regelfall weitreichender Maßregeln ausgehen, sondern hat sie den Notwendigkeiten anzupassen, die sich aus dem konkreten Fall ergeben.

bb) Gesetzliche Regelbeispiele insolvenzgerichtlicher vorläufiger Anordnungen 42 IE sieht § 21 Abs 2 InsO vor, dass das Insolvenzgericht geeignet erscheinende Maßnah-

men verhängen kann; das Gesetz nennt dabei ausdrücklich eine Reihe typischer Regelbeispiele: Danach kann das Insolvenzgericht entweder den Schuldner bereits vor Erlass des statusändernden Eröffnungsbeschlusses vollständig entmachten und an seiner Stelle einen mit der Rechtsmacht eines Insolvenzverwalters ausgestatteten vorläufigen Verwalter einsetzen (§ 22 Abs 1 InsO108), der insbes zur Betriebsfortführung berechtigt und verpflichtet ist (man spricht hier von der sog „starken vorläufigen Verwaltung“). Das Insolvenzgericht kann aber auch einen sog „schwachen“ vorläufigen Verwalter bestellen, der entweder allein gutachterliche Aufgaben zu erfüllen hat oder die Aufgabe hat, die vom Schuldner nach Erlass des Anordnungsbeschlusses getätigten Rechtsgeschäfte zu prüfen und ihnen Zustimmung zu erteilen oder zu versagen.109 Das Gesetz sieht in § 22 Abs 2 InsO noch eine „Mischform“ vor. Das Insolvenzgericht kann den vorläufigen Verwalter nämlich dazu ermächtigen, bestimmte Rechtshandlungen anstelle des Schuldners vorzunehmen und insoweit die Masse zu verpflichten, deren Vornahme dem Schuldner zugleich verboten wird,110 § 21 Abs 1 Nr 2, 2. Alt InsO iVm § 22 Abs 2 InsO (man spricht vom „halbstarken“ Verwalter). Der IX. Zivilsenat111 hat die Praxis der Insolvenzgerichte namentlich von Nordrhein-Westfalen als rechtswidrig erkannt, die vorläufigen Verwaltern pauschale Ermächtigungen zur Vornahme solcher Rechtshandlungen und Masseverpflichtungen nach Ermessen des vorläufigen Verwalters erteilt hatten.112

_____ 105 BGH aaO. 106 LSZ/Thiemann Rn 16 und 65 zu § 21 InsO. 107 LSZ/Thiemann Rn 36 zu § 21 InsO. 108 Engelhardt S 66 ff, 86 ff und 89 ff; MK/Haarmeyer Rn 46 zu § 21 InsO. 109 Engelhardt S 109 ff und 151 ff; MK/Haarmeyer Rn 48 ff zu § 21 InsO. 110 Engelhardt S 124. 111 BGH DZWIR 2002, 470. 112 Vgl zust Bespr Smid DZWIR 2002, 440, die abl Stellungnahme von Haarmeyer/Pape ZInsO 2002, 845, verkennt die Zielrichtung der Entscheidung des BGH.

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Des Weiteren kann das Insolvenzgericht Maßnahmen der Individualzwangsvollstre- 43 ckung in bewegliche Vermögensgegenstände untersagen (§ 21 Abs 1 Nr 3 InsO) und eine Postsperre anordnen (§ 21 Abs 1 Nr 4 InsO).

cc) Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in die Rechtsstellung des Schuldners Daraus folgt, dass das Insolvenzgericht die vorläufige Verwaltung unter Entzug der Ver- 44 waltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners (§§ 21 Abs 2 Nr 2, 1. Var, 22 Abs 1 InsO) nur dann anordnen darf, wenn dies zum Schutz der Vermögenslage des Schuldners, also der späteren bestmöglichen Befriedigung der Gläubiger geboten erscheint. IÜ muss das Insolvenzgericht seine Entscheidung nach § 21 InsO auf die Bedürfnisse des Masseschutzes hin unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit des damit gegen den Schuldner verhängten Zwangseingriffs abstimmen.113

b) Wirkungsweise des Verfügungsverbots gem. § 21 Abs 2 Nr 2, § 24 InsO Das Sicherungsmittel des Verfügungsverbots gem § 21 Abs 2 Nr 2, § 24 InsO stellt die 45 wirksamste Maßnahme zur Verhinderung manipulativer Eingriffe zum Nachteil der Masse dar.114 Es bewirkt noch vor dem Verlust der Verfügungsbefugnis des Schuldners durch die Beschlagnahme seines pfändbaren Vermögens aufgrund des Erlasses des Eröffnungsbeschlusses, dass verbotswidrige Verfügungen des Schuldners gem § 21 Abs 2 Nr 1 InsO absolut unwirksam sind.115 § 21 Abs 2 InsO verweist auf § 81 Abs 1 S 1 InsO, der bestimmt, dass eine Verfügung unwirksam ist, wenn der Schuldner nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über einen Gegenstand der Insolvenzmasse verfügt hat. Gem § 81 Abs 1 S 2 InsO bleiben die §§ 892, 893 BGB unberührt. Damit ist aber auch nach neuem Recht ein gutgläubiger Erwerb von Vermögensgegenständen über § 81 Abs 1 S 2 InsO iVm § 24 Abs 1 InsO möglich.116 Die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung unter Übergang der Verwal- 46 tungs- und Verfügungsbefugnis auf einen („starken“) vorläufigen Verwalter ist nach alledem die weitreichendste Form der insolvenzgerichtlichen vorläufigen Anordnung. Dass nach § 55 Abs 2 InsO Verbindlichkeiten, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter begründet worden sind, auf den die Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners übergegangen ist, nach der Eröffnung des Verfahrens als Masseverbindlichkeiten gelten, unterscheidet diesen Fall nicht von der Anordnung von Einzelermächtigungen nach § 22 Abs 2 InsO. Gem § 55 Abs 3 InsO sind allerdings auf die Bundesagentur für Arbeit im Falle einer Insolvenzgeldzahlung, die der vorläufige Insolvenzverwalter zum Zwecke der Vorfinanzierung der Betriebsfortführung organisiert, übergegangene Forderungen der Arbeitnehmer auf Arbeitsentgelt auch im Falle des § 22 Abs 1 InsO im eröffneten Verfahren Insolvenzforderungen nach § 38 InsO, die anzumelden und nur quotal zu berichtigen sind. Die Anordnung nach §§ 21 Abs 2 S 1 Nr 2, 1. Var, 22 Abs 1 InsO kann wegen der mit ihr 47 verbundenen vollständigen Entmachtung des Schuldners nicht den Regelfall darstellen;

_____ 113 114 115 116

So ausdrücklich BGH DZWIR 2002, 470. BGH, 20.3.1986 – III ZR 55/85, NJW-RR 1986, 1188; KS/Gerhardt S 159, 160. KS/Gerhardt S 159, 160; Häsemeyer Rn 7.36; Engelhardt S 83 ff. KS/Gerhardt S 159, 160; Häsemeyer Rn 7.38a.

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sie ist nur dann rechtmäßig, wenn sie verhältnismäßig, nämlich geboten ist, um eine den Gläubigern nachteilige Veränderung der Vermögenslage des Schuldners zu verhindern.117

2. Auswirkungen der vorläufigen Anordnung auf Rechte und Pflichten von Schuldner und vorläufigem Verwalter a) Inbesitznahme der (künftigen) Masse durch den vorläufigen Verwalter 48 Im Falle der Anordnung nach § 21 Abs 1 Nr 2, 1. Alt InsO iVm § 22 Abs 1 InsO ergreift der vorläufige Verwalter Besitz von der (künftigen) Ist-Masse.118 Er ist dem Schuldner ebenso wie den Gläubigern dafür verantwortlich, dass der Bestand des schuldnerischen Vermögens erhalten wird.

b) Durch den vorläufigen Verwalter begründete Masseverbindlichkeiten aa) § 55 Abs 2 InsO 49 § 55 Abs 2 InsO bestimmt, dass Verbindlichkeiten, die von einem nach § 22 Abs 1 InsO ernannten vorläufigen Insolvenzverwalter mit umfassender Verwaltungsbefugnis begründet worden sind, sowie Verbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen, soweit er für das von ihm verwaltete Vermögen die Gegenleistung in Anspruch genommen hat, als Masseverbindlichkeiten zu qualifizieren sind.119 Aber auch der vorläufige Verwalter, der zur Vornahme bestimmter masseverpflich50 tender Rechtshandlungen ermächtigt worden ist, handelt mit Wirkung für und gegen die Masse.

bb) Arbeitsrechtliche Fragen 51 Das BAG120 hat in einem Streit darüber, ob sich die Kündigungsfrist nach § 113 S 2 InsO

bemisst, dahingehend entschieden, dass die Vorschrift des § 113 InsO nicht auf den „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter anwendbar ist. Zwar ist auf den vorläufigen Insolvenzverwalter mit Verwaltungsverfügungsbefugnis die Rechtsmacht des Schuldners übergegangen. Der vorläufige Insolvenzverwalter hat aber auch im Fall des § 22 Abs 1 InsO eine mit der des endgültigen Insolvenzverwalters nicht vollständig deckungsgleiche Aufgabe und Befugnis. Dabei setzt sich das BAG mit dem Einwand auseinander, der vorläufige Insolvenzverwalter benötige zur Entlastung der Insolvenzmasse ein vorzeitiges Kündigungsrecht, da andernfalls nach § 55 Abs 2 InsO als spezielle Vorschrift auf die Rechtsfolgen von Handlungen des vorläufigen Insolvenzverwalters mit Verwaltungsverfügungsbefugnis nach § 22 Abs 1 InsO eine Haftung der Masse für Arbeitnehmerforderungen aus der Zeit der vorläufigen Insolvenzverwalter begründet wäre. Das BAG stellt aber fest, dass dies nicht notwendig nach § 55 Abs 2 S 2 InsO zu Masseverbindlichkeiten führt. Denn die Einordnung der Forderung der Arbeitnehmer als sonstige Masseverbindlichkeit iSv § 55 Abs 2 InsO setzt die tatsächliche Inanspruchnahme der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers durch den vorläufigen Insolvenzverwalter zu Gunsten der Masse vor-

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S oben Rn 45. Engelhardt S 94 ff. LSZ/Smid/Leonhardt Rn 50 f zu § 55 InsO. BAG, 20.1.2005 – 2 AZR 134/04, ZIP 2005, 1289.

§ 9 Eröffnungsverfahren: Auswirkung der Antragstellung und gerichtl Maßnahmen | 449

aus. Stellt der vorläufige Verwalter dagegen betriebsbedingt den Arbeitnehmer frei, wird die Masse nicht belastet. Eine ausdehnende „analoge“ Anwendung des § 113 InsO ist daher gesetzessystematisch nicht zulässig, aber auch aus pragmatischen Gründen nicht geboten. Eine durch einen vorläufigen Zustimmungsverwalter ausgesprochene Kündigung ist 52 unwirksam, da ihm keine (eigenen) Verwaltungsbefugnisse und damit auch keine arbeitsvertraglichen Gestaltungsrechte zustehen. Ob der vorläufige Verwalter später im eröffneten Verfahren Insolvenzverwalter wird, spielt für die Wirksamkeit seiner Handlungen keine Rolle. Eine Kündigung ist nur wirksam, wenn sie von dem zum Zeitpunkt ihres Ausspruchs arbeitsrechtlich zuständigen Rechtsträger erklärt wird. Das ist der Arbeitgeber auch dann noch, wenn er aufgrund des Anordnungsbeschlusses nur mit Zustimmung des vorläufigen Verwalters die Kündigung wirksam hätte erklären können.121 IÜ handelt der vorläufige Zustimmungsverwalter auch nicht als Vertreter des Arbeitsgebers, wenn die durch das vertretungsrechtliche Offenkundigkeitsprinzip des § 164 Abs 1 BGB normierten Voraussetzungen deshalb nicht vorliegen, weil der vorläufige Zustimmungsverwalter nicht im Namen des Arbeitgebers, sondern in eigenem Namen die Kündigung ausspricht.122

c) Vertrauensschutz der Vertragspartner des Schuldners Der BFH123 hat zutr festgestellt, dass ein vorläufiger Zustimmungsverwalter weder Ver- 53 mögensverwalter iSv § 34 Abs 3 AO noch Verfügungsberechtigter iSv § 35 AO ist. Daher kann er für Steuerschulden des Insolvenzschuldners nicht in Anspruch genommen werden. Hat ein solcher Zustimmungsverwalter unter Missachtung der ihm vom Insolvenzgericht auferlegten Beschränkungen tatsächlich über Gelder des Schuldners verfügt, macht ihn dies ebenfalls weder zum Vermögensverwalter noch Verfügungsberechtigten iS abgabenrechtlicher Vorschriften. Es kommt allein auf den Status an, den der vorläufige Verwalter nach seiner gerichtlichen Ermächtigung einnimmt. Das BAG124 hat zu der praktisch wichtigen Frage der persönlichen Haftung des vor- 54 läufigen Insolvenzverwalters wegen Garantieübernahme für die Erfüllung von Arbeitsgeldansprüchen entschieden, dass dessen Erklärungen auf einer Betriebsversammlung zur (angestrebten) Betriebsfortführung nicht als Garantieeintritt zu qualifizieren seien, so dass sie allein nicht zu einer vertraglichen Einstandspflicht des vorläufigen Insolvenzverwalters führten. Der IX. Zivilsenat des BGH hat in seinem Urteil vom 20.2.2003125 wegen Einziehung 55 von Beträgen aus sicherungszedierten Forderungen durch den Sicherungszessionar nach Erlass des Eröffnungsbeschlusses ausgeführt, dass es sich bereits aus einem Schluss a maiore ad minus ergibt, dass der Masse bezogen auf diese Beträge Feststellungskosten zustehen. Denn der Masse hätte die Erstattung der Feststellungkosten zugestanden, wenn die Einziehung in Übereinstimmung mit § 166 Abs 2 InsO – der IX. Zivilsenat spricht zutr von: „rechtmäßig“ – durch den Insolvenzverwalter erfolgt wäre; zieht unrechtmäßig der Sicherungszessionar die Forderung ein, gilt nichts anderes. Durch das objektiv rechts-

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LAG Hamm, 10.12.2003 – 2 Sa 1472/03, ZIP 2004, 727. Vgl auch LAG Hamm, 10.12.2003 – 2 Sa 1472/03, Rn 36, ZIP 2004, 727. BFH, 27.5.2009 – VII B 156/08, ZIP 2009, 2255. BAG, 25.6.2009 – 6 AZR 210/08, ZIP 2009, 1772. BGH, 20.2.2003 – IX ZR 81/02, BGHZ 154, 72.

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widrige Verhalten des Sicherungszessionars darf er nach Erkenntnis des BGH keine wirtschaftlichen Vorteile erlangen. Auch wenn der Insolvenzverwalter dem Sicherungszessionar die Forderungen zur Verwertung durch Einziehung oder Verkauf nach § 170 Abs 2 InsO überlassen hätte, wären der Masse die Feststellungskosten zu erstatten gewesen; dies ergibt sich, ohne dass es eines „Analogieschlusses“ bedürfte, unmittelbar aus dem Gesetz. In seiner Entscheidung BGHZ 154, 190 hat der IX. Zivilsenat126 dem Verwalter im er56 öffneten Verfahren für solche Rechtshandlungen des Schuldners im Eröffnungsverfahren die Deckungsanfechtung eingeräumt, mit denen der Schuldner gesetzliche Ansprüche oder Altverbindlichkeiten im Eröffnungsverfahren erfüllt hatte, ohne dass dies mit einer noch zu erbringenden eigenen Leistung in Zusammenhang stand. In dieser Entscheidung, die nachhaltige Aufmerksamkeit nach sich gezogen hat, war es um die Deckungsanfechtung durch den Insolvenzverwalter gegangen, der zuvor Zustimmungsverwalter gem § 21 Abs 2 Nr 2, 2. Var InsO war.127 In einem Urteil vom Ende des Jahres 2004 hat der IX. Zivilsenat128 an die Judikatur 57 des BGH unter Geltung der Konkursordnung angeknüpft, in der es unstreitig war, dass der Konkursverwalter solche Rechtshandlungen anzufechten berechtigt war, die er selbst in seiner Eigenschaft als Sequester vorgenommen hatte. Denn die Rechtshandlung des Sequesters vor Konkurseröffnung waren dem Gemeinschuldner „zuzurechnen“ und wurden deshalb in gleicher Weise wie die des Gemeinschuldners der Konkursanfechtung unterworfen.129 Der IX. Zivilsenat stellte fest, dass dies jedenfalls soweit auch nach Inkrafttreten der InsO gilt, als der vorläufige Insolvenzverwalter nicht mit allg Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis ausgestattet ist. Dabei parallelisierte der BGH die Anfechtungsbefugnis wegen der Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters zu Rechtshandlungen des Schuldners auf der einen Seite und die Reichweite der Haftung der Masse für Rechtshandlungen des vorläufigen Insolvenzverwalters in Ausübung seiner eigenen Verfügungsbefugnis gem § 55 Abs 2 InsO auf der anderen Seite. Nur soweit die Mitwirkung des vorläufigen Insolvenzverwalters an Schuldnerhandlungen zu Masseverbindlichkeiten führen würde, wäre die Anfechtung seiner Rechtshandlungen bzw der Rechtshandlungen, an die nach §§ 130, 131 InsO angeknüpft wird, ausgeschlossen. Diese Rspr des IX. Zivilsenats ist freilich für die Praxis hilfreich, da er sie in eine „Summe“ münden lässt, wonach der maßgebliche Unterschied zwischen der Rechtshandlung des vorläufigen Insolvenzverwalters mit vollständiger Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis gem § 22 Abs 1 InsO auf der einen Seite und großen Zustimmungsakten eines „Zustimmungsverwalters“ auf der anderen Seite besteht. Gleichwohl ist es missverständlich, wenn er von der Anfechtung „seiner“ (des vorläufigen Verwalters?) Rechtshandlungen spricht. Dabei meint der IX. Zivilsenat, der Schuldner habe ohne Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters nicht handeln können. Er übersieht aber, dass die Leistungshandlung des Schuldners auch ohne Zustimmung des vorläufigen Verwalters in diesen Fällen wirksam ist. Denn der Vertragspartner empfängt von dem Zuständigen die vertragsgemäße Leistung. Der IX. Zivilsenat knüpft dagegen bei der Zustimmungshandlung an und fragt, ob 58 durch die Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters ein Tatbestand geschaffen

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BGH, 13.3.2003 – IX ZR 64/02, BGHZ 154, 190; sa unten Rn 59. Näher ausgeführt in BGH, 9.12.2004 – IX ZR 108/04, BGHZ 161, 315. BGH, 9.12.2004 – IX ZR 108/04, BGHZ 161, 315. BGH, 11.6.1992 – IX ZR 255/91, BGHZ 118, 374.

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worden ist, der die spätere Anfechtung ausschließe. Dabei unterscheidet er zwei Fälle, in denen dies nicht der Fall ist und dem späteren Insolvenzverwalter im eröffneten Verfahren die Anfechtung möglich bleibt. Das ist zum einen dann der Fall, wenn er als vorläufiger Verwalter keinen Vertrauenstatbestand begründet hat, namentlich dadurch, dass er sich die spätere Anfechtung vorbehalten hat. Eine Anfechtungslage besteht zum anderen dann, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter einer Leistung des Schuldners zustimmt, die nicht mit einer noch vom Empfänger zu erbringenden Leistung im Zusammenhang steht,130 zB der Vertragspartner seinerseits die ihm obliegende Leistung bereits erfüllt und nur noch einen Anspruch gegen den Schuldner bzw gar keine unmittelbare Gegenleistung wie im Fall eines Sozialversicherungsträgers zu erbringen hatte. Die Inkongruenz wird in derartigen Fällen bei Erzwingung der Leistungshandlung deutlich. Allerdings verlässt der BGH damit die Maßstäbe und Kriterien des Anfechtungsrechts und verweist auf allg Vertrauenstatbestände – die im Insolvenzrecht aber durch das Anfechtungsrecht und die Tatbestände der kongruenten und inkongruenten Sicherung bzw Befriedigung überlagert werden. Die Einbindung des Zustimmungsverwalters in die entspr Erklärungen und Rechts- 59 handlungen des Schuldners schließt demnach regelmäßig eine spätere Entziehung der dem Gläubiger gewährten Vorteile aus, so dass der Empfänger damit rechnen darf, ein auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr entziehbares Recht erhalten zu haben.131 Der BGH begründet dies damit, dass ohne einen solchen Vertrauensschutz bei Betriebsfortführungen es kaum möglich wäre, geeignete Vertragspartner zu finden und daher der Erhalt des Unternehmens gefährdet wäre. Dabei bleibt freilich außer Acht, dass den Vertragspartnern des schuldnerischen Unternehmens die Formen des Bargeschäfts (§ 142 InsO132) zur Verfügung stehen. Der vom IX. Zivilsenat gewährte Schutz geht über diesen Bereich des Bargeschäfts indes hinaus und lässt das auf die Autorität der Zustimmung des vorläufigen Verwalters gegründete Vertrauen des Vertragspartners gegen eine Insolvenzanfechtung durchgreifen. Damit ist eine Regel formuliert: Erfüllt der Schuldner eine im Eröffnungsverfahren ursprünglich kreditierte Verbindlichkeit, so leistet er auch jenseits des Bereichs des § 142 InsO im Hinblick auf einen Vertrauensschutztatbestand. Dieser tritt jedoch in Fällen einer besonderen Position des Gläubigers, aus der er zur Druckausübung auf Schuldner und vorläufigen Verwalter in der Lage ist, nicht ein. Die ausnahmsweise zulässige Anfechtung der Erfüllung von Altverbindlichkeiten durch den Schuldner nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens setzt voraus, dass der Gläubiger die Zustimmung des vorläufigen Verwalters nur aufgrund seiner wirtschaftlichen Machtstellung gegen dessen zunächst erklärten Widerstand hatte durchsetzen können. Der Gläubiger kann nach Ansicht des BGH in derartigen Fallkonstellationen keinen Vorteil daraus ziehen, dass der vorläufige Verwalter den Widerstand, den er zunächst der Erfüllung von Altverbindlichkeiten entgegengesetzt hat, aufgrund wirtschaftlicher Zwänge wegen der besonderen Marktstärke bzw Machtstellung des Gläubigers aufgegeben hat und insofern auch auf die Erklärung eines ausdrücklichen Anfechtungsvorbehaltes verzichten „musste“.

_____ 130 Dazu bereits Rn 57. 131 BGH, 9.12.2004 – IX ZR 108/04, BGHZ 161, 315. 132 Vgl hierzu Bräuer.

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d) Zivilrechtliche Haftung für Verpflichtungen aus Rechtshandlungen während des Eröffnungsverfahrens aa) Haftung des Schuldners 60 Soweit der vorläufige Insolvenzverwalter infolge vollständiger oder teilweiser Entmachtung des Schuldners an dessen Stelle die Masse zu verpflichten allein berechtigt ist, trifft den Schuldner, wird das Insolvenzverfahren eröffnet, grundsätzlich keine persönliche Haftung dafür, dass die Masse ausreicht, um aus ihr die vom vorläufigen Verwalter eingegangenen Verpflichtungen zu befriedigen. Komplizierter liegen die Dinge, wenn das Insolvenzverfahren nicht eröffnet wird. Da 61 der vorläufige Verwalter in der in Rn 61 zugrunde gelegten Fallkonstellation durch insolvenzgerichtliche vorläufige Anordnung zur Verpflichtung der Masse berechtigt war, bleibt die durch ihn begründete Verpflichtung auch nach Aufhebung der vorläufigen Verwaltung bestehen. § 25 Abs 2 S 1 InsO ordnet daher an, dass der vorläufige Verwalter vor Aufhebung der Sicherungsmaßnahmen die von ihm berechtigt begründeten Verbindlichkeiten aus der Masse zu berichtigen hat. Hat die vorläufige Anordnung an einem Rechtsfehler gelitten, etwa weil das Gericht keine konkrete, sondern eine Pauschalermächtigung erklärt hatte133 oder wenn der seltene Fall vorliegt, dass es überhaupt an einem Antrag fehlt,134 sehen die Dinge anders aus. Denn dann fehlt es an dem die eingegangenen Verpflichtungen rechtfertigenden Grund. Es wird in einem solchen Fall danach zu unterscheiden sein, ob die Masse durch die aus dem nicht legitimierten vorläufigen Verwalter eingegangenen Rechtsgeschäft zugleich einen Vermögensvorteil erlangt oder – wie zB durch ungerechtfertigte Prozessführung, Bestellung von Sachverständigen usf – allein belastet worden ist. In letzterem Fall darf der vorläufige Verwalter die hierfür aufzuwendenden Mittel nicht dem schuldnerischen Vermögen entnehmen bzw hat diesem die, ohne hierzu berechtigt gewesen zu sein, entnommenen Mittel zu erstatten.135

bb) Persönliche Haftung des vorläufigen Verwalters 62 Anstelle des Schuldners hat der Insolvenzverwalter dafür einzustehen, dass eine

durch ihn begründete Masseverbindlichkeit befriedigt wird. Ihn trifft insoweit eine persönliche Haftung. § 21 Abs 2 Nr 1 InsO verweist auf § 61 S 1 InsO,136 der bestimmt, dass der Verwalter dem Massegläubiger zum Schadenersatz verpflichtet ist, wenn eine Masseverbindlichkeit, die durch eine Rechtshandlung des Insolvenzverwalters begründet worden ist, aus der Insolvenzmasse nicht voll erfüllt werden kann.137 Nach S 2 greift diese persönliche Haftung nicht, wenn der Verwalter bei der Begründung der Verbindlichkeit nicht erkennen konnte, dass die Masse voraussichtlich zur Erfüllung nicht ausreichen würde. Dies gilt gleichermaßen für den nach § 22 Abs 1 InsO wie für den nach § 22 Abs 2 InsO bestellten vorläufigen Verwalter.138 Dies gilt cum grano salis auch für den vorläufigen Zustimmungsverwalter. Denn 63 wenn dieser zB der Beurkundung eines Grundstücksverkaufs durch den Schuldner in

_____ 133 Wie im Fall BGH DZWIR 2002, 470. 134 Vgl zu solchem Fall des AG Charlottenburg in Berlin Smid InVo 2003, 1 ff. 135 Sogleich Rn 63. 136 Uhlenbruck Rn 222, 224 zu § 22 InsO; LSZ/Thiemann Rn 126 zu § 22 InsO; Braun/Böhm Rn 44 zu § 22 InsO. 137 Uhlenbruck Rn 224 zu § 22 InsO. 138 Uhlenbruck, Rn 222 zu § 22 InsO.

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gehörig notarieller Form zustimmt, trifft ihn die persönliche Haftung. Diese persönliche Haftung folgt nicht aus § 61 InsO iVm § 21 Abs 1 Nr 1 InsO wie in den in Rn 63 behandelten Fällen, sondern aus § 27 Nr 1 GNotKG (Entscheidungsschuldner). Ihn kann eine persönliche Haftung aber auch dann treffen, wenn und soweit er einem Vertragspartner Erklärungen abgegeben hat, aus denen dieser darauf vertrauen konnte, dass er aus dem schuldnerischen Vermögen bzw nach Verfahrenseröffnung aus der Masse vollständige Befriedigung erlangen werde.

e) Vorläufige Insolvenzverwaltung und gegenseitige beiderseits nicht erfüllte Verträge Der BGH139 hat überzeugend darauf erkannt, dass das Wahlrecht aus § 103 Abs 1 InsO 64 ausschließlich dem Insolvenzverwalter zusteht. Der vorläufige Insolvenzverwalter kann diese Befugnis noch nicht ausüben, da sie aus den allg Wirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens herrührt. Der vorläufige Insolvenzverwalter hat demgegenüber nur eine sichernde Funktion. Der Eröffnungsbeschluss wirkt also auch nicht dergestalt auf den vorläufigen Verwalter zurück, dass dieser – etwa als sog starker vorläufiger Verwalter – die Aufgabe habe, Erklärungen nach § 103 Abs 2 S 2 InsO zur Aufforderung an den Insolvenzverwalter bereits entgegenzunehmen. Denn auch im § 103 Abs 2 InsO geht es, wie der IX. Zivilsenat zutr feststellt, allein um den Insolvenzverwalter. Die Erklärung des anderen Teils setzt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens denknotwendig voraus. Damit wird der betroffene Gläubiger auch nicht schutzlos gestellt, da ihm Zeitpunkt der Eröffnung durch Zustellung des Eröffnungsbeschlusses gem § 30 InsO mitgeteilt wird. Nach Eröffnung des Verfahrens kann der Gläubiger die Rechte aus § 103 Abs 2 S 2 InsO geltend machen. Das BAG140 hat festgestellt, dass der Insolvenzverwalter nicht Gegner des Anspru- 65 ches des Arbeitnehmers ist, der nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses im schuldnerischen Betrieb Erteilung eines Arbeitszeugnisses gem § 630 BGB bzw § 109 Abs 1 S 1 und 3 GewO begehrt, wenn das Arbeitsverhältnis bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gekündigt worden ist. Dann ist der Insolvenzverwalter nicht zum Arbeitgeber des Klägers geworden. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 108 Abs 1 InsO, denn die gesetzliche Formulierung eines „Fortbestehens“ von Dienstverhältnissen verdeutlicht, dass vor dem Übergang des Verwaltungs- und Verfügungsrechts gem § 80 InsO auf den Insolvenzverwalter bereits beendete Dienstverhältnisse nicht erfasst werden. Insofern fingiert § 108 Abs 1 InsO nach der zutr Formulierung des BAG keine Arbeitgeberstellung des Insolvenzverwalters für bereits vor Eröffnung des Verfahrens beendete Arbeitsverhältnisse. Grundsätzlich sind solche Ansprüche, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden sind, als Insolvenzforderung gem § 38 InsO geltend zu machen. Der Anspruch auf Erteilung eines Zeugnisses ist jedoch kein Vermögensanspruch iSv § 38 InsO und kann auch nicht nach § 45 InsO in einen Geldanspruch umgewandelt werden. Vielmehr handelt es sich um die Vornahme einer unvertretbaren Handlung iSv § 888 ZPO, die schon deshalb keine Insolvenzforderung ist, weil sie vom Schuldner persönlich zu erfüllen und nicht auf eine aus seinem Vermögen beschaffbare Leistung gerichtet ist. Er und nicht der Insolvenzverwalter (zu Lasten der Masse) hat das Zeugnis zu erteilen. Allerdings kann der Insolvenzverwalter sich nicht erfolgreich gegen eine Inanspruchnahme auf Zeugniserteilung zur Wehr setzen, wenn das Arbeitsverhältnis zur Zeit

_____ 139 BGH, 8.11.2007 – IX ZR 53/04, ZIP 2007, 2322. 140 BAG, 23.6.2004 – 10 AZR 495/03, BAGE 111, 135.

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des Eröffnungsbeschlusses noch bestand. Die Arbeitgeberstellung des Insolvenzschuldners ist dann auf ihn übergegangen. Zur Erfüllung des Zeugnisanspruches ist er verpflichtet, sich ggf die hierfür erforderlichen Informationen beim Schuldner zu verschaffen, was ihm durch § 97 InsO möglich ist. Daraus ist der Schuldner verpflichtet, dem Insolvenzverwalter die erforderlichen Auskünfte zu erteilen. Im Eröffnungsverfahren ist dies nur dann der Fall, wenn dem (deswegen: starken) vorläufigen Insolvenzverwalter im Rahmen eines dem Schuldner auferlegten allg Verfügungsverbotes gem § 22 Abs 1 InsO die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis uneingeschränkt übertragen wurde. In diesem Fall rückt er in die Arbeitgeberstellung des Schuldners ein. Nach der Rspr des BAG genügt hierfür aber auch eine Einzelberechtigung gem § 22 Abs 2 InsO, wenn diese vorsieht, dass die arbeitsrechtlichen Gestaltungsbefugnisse allein dem vorläufigen Insolvenzverwalter zur Verfügung stehen sollen. Zutr hat das BAG weiter festgestellt, dass es sich bei dem Zeugnisanspruch eines Arbeitnehmers, der während des Laufs des Eröffnungsverfahrens kündigte, um keine Masseverbindlichkeit handelt, da er nicht durch eine Handlung des vorläufigen Insolvenzverwalters gem § 55 Abs 1 Nr 1 InsO herbeigeführt worden ist.

f) Geschützte Beteiligte aa) Dritte 66 Seine Pflichten treffen den vorläufigen Verwalter gegenüber den Gläubigern, mit denen er oder der Schuldner kontrahiert. Dies ist davon unabhängig, ob diese Vertragspartner nach § 55 Abs 2 InsO den Status von Massegläubigern erlangen oder sie als Vertragspartner aufgrund weiterer bürgerlich-rechtlicher Regelungen geschützt werden.

bb) Schuldner 67 Geschützt wird der Schuldner vor allen Rechtshandlungen des vorläufigen Verwalters,

soweit dieser schuldhaft dessen Vermögenslage verschlechtert oder schuldhaft den ihm obliegenden Schutz von dessen Vermögen unterlässt – selbstverständlich vorausgesetzt, dass es nicht der Schuldner selbst ist, der diese Verschlechterung herbeigeführt hat. Das folgt nicht allein daraus, dass bereits den vorläufigen Verwalter die Pflicht trifft, mit der Herstellung der Voraussetzungen für eine hohe Quote die „weitestmögliche“ Entschuldung des Schuldners (arg § 201 Abs 1 InsO) auch dessen Interessen zu schützen. Vielmehr ergibt sich diese Aufgabe des vorläufigen Verwalters unmittelbar aus der Funktion des Eröffnungsverfahrens, arg § 21 Abs 1 InsO: Danach soll die insolvenzgerichtliche Anordnung zwar eine den Gläubigern nachteilige Vermögenslage des Schuldners verhüten. Das wiederum schlägt aber direkt auf die Position des Schuldners durch.

cc) Sicherheitengläubiger 68 Der BGH141 hatte 2010 über das Absonderungsrecht des Sicherungszessionars nach Ein-

ziehung der Forderung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter in einem Fall zu entscheiden, der vor dem Inkrafttreten des § 21 Abs 2 Nr 5 InsO am 1.7.2007 spielt, und in dem daher eine derartige Anordnung noch nicht hat vorliegen können. Der IX. Zivilsenat

_____ 141 BGH, 21.1.2010 – IX ZR 65/09, ZIP 2010, 739.

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entschied, dass der vorläufige Insolvenzverwalter auch in einem Altfall den Erlös eingezogener, vom Schuldner sicherungszedierter Forderungen zu separieren und auszukehren hatte. Allerdings hatte der BGH im Jahr 2000 darauf erkannt, dass der Schuldner seine ihm regelmäßig in den Sicherungsvereinbarungen eingeräumte Befugnis zur Forderungseinziehung nicht verliere, wenn ein Eröffnungsantrag gestellt und die Einziehungsermächtigung vom Sicherungszessionar nicht widerrufen worden sei.142 Der BGH hatte bereits zur KO entschieden, dass die Befugnis des Sicherungszedenten, abgetretene Forderungen einzuziehen, nicht ohne Weiteres dadurch aufgehoben werde, dass ein Konkurseröffnungsantrag gestellt und Sequestrationsmaßnahmen durch das Konkursgericht angeordnet wurden. In seinem Urteil aus dem Januar 2010 meinte der IX. Zivilsenat jedoch, er habe in einer späteren Entscheidung offengelassen, ob dies unter der Geltung der InsO noch so sei. Ausgangspunkt aller Betrachtungen dieses und gleichgelagerter Fälle ist die mate- 69 riell-rechtliche Lage: Zahlt der Dritte, erlischt die Forderung (§ 362 Abs 1 BGB) und das Sicherungsrecht an ihr geht unter – und zwar de jure, dh ohne Zutun des Insolvenzschuldners oder gar des vorläufige Zustimmungsverwalters. Nach Inkrafttreten des § 21 Abs 2 Nr 5 InsO denkt der BGH daran, die Rspr aus dem Jahr 2000 zu ändern, so dass sich das Sicherungsrecht am Erlös der vom vorläufigen Insolvenzverwalter aufgrund einer Anordnung gem § 21 Abs 2 Nr 5 InsO eingezogenen sicherungszedierten Forderung fortsetzen würde. Für die Beibehaltung der Judikatur aus dem Jahr 2000 spricht, dass der vorläufige 70 Verwalter das Unternehmen häufig faktisch gar nicht weiterführen könnte, wenn ein wesentlicher Teil seines Umlaufvermögens aufgrund der Sicherungszessionen blockiert wäre. Dies war der tragende Grund des Urteils im Jahr 2000, und zwar nicht mit Blick auf die KO, sondern ausdrücklich mit Blick auf die InsO. Und es ist zu berücksichtigen, dass seinerzeit bereits insolvenzgerichtliche Anordnungen erlassen wurden, in denen der vorläufige Insolvenzverwalter zur Einziehung sicherungszedierter Forderungen ermächtigt wurde. An dem Grund, den der BGH 2000 ins Feld geführt hat, hätte sich aber allenfalls dann etwas geändert, wenn man sich auf den Standpunkt stellen wollte, § 21 Abs 2 Nr 5 InsO führe dazu, dass der Schuldner seine ihm rechtsgeschäftlich durch den Sicherungszessionar eingeräumte Einziehungsbefugnis einbüße.143 Ausschlaggebend ist, dass die Rechtsbeziehungen zwischen Sicherungszessionar, 71 zB der kreditierenden Bank, und dem Schuldner regelmäßig durch die Sicherungsabrede144 geregelt werden. Diese sieht iAllg vor, dass der Schuldner als Sicherungsgeber zur Vereinnahmung des Forderungsbetrages (zur „Einziehung“) berechtigt ist.145 In der „Krise“ des Sicherungsgebers hat der Sicherungsnehmer, etwa die Bank, die Befugnis,146 Darlehen und Sicherungsabrede zu kündigen und damit die materiell-rechtliche Einziehungsbefugnis des Schuldners aufzuheben.147 Der Schuldner bleibt daher solange zur „Einziehung“ sicherungszedierter Forderungen befugt, wie der Sicherungszessionar die hierzu erteilte Genehmigung nicht widerrufen hat. Denn solange dies nicht geschehen ist, hat sich die Rechtstellung des Schuldners auch nach Antragstellung gem §§ 13, 14

_____ 142 BGH, 6.4.2000 – IX ZR 422/98, BGHZ 144, 192, 198 ff. 143 IE sich mit dieser Entscheidung auseinandersetzend Smid DZWIR 2010, 397. 144 Bülow Rn 43 ff. 145 MK/Roth Rn 46 zu § 398 BGB. 146 Regelmäßig unter der Voraussetzung, dass der Sicherungsfall eingetreten ist; Bülow Rn 178; MK/ Roth, Rn 51 zu § 398 BGB. 147 Bamberger/Roth/Rohe Rn 70 zu § 398 BGB.

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InsO im Verhältnis zum Darlehensgeber und Sicherungsnehmer nicht verändert; der ihm zum Zwecke der Betriebsfortführung gegebene Kredit greift dann weiter. Dies gilt auch, wenn an des Schuldners Stelle ein vorläufiger Insolvenzverwalter handelt, da dieser materiell-rechtlich in die ihm durch den Schuldner hinterlassene Rechtslage einrückt.148 Widerruft dagegen der Sicherungsnehmer gegenüber dem Sicherungsgeber vor Er72 lass des Eröffnungsbeschlusses die diesem erteilte Ermächtigung, wird damit dessen Einziehungsbefugnis aufgehoben.149 anhängen

§ 10 Auswirkung des eröffneten Insolvenzverfahrens auf die Rechtsstellung und die Rechtspflichten der Beteiligten I. Die Funktion des Insolvenzverfahrens1 Smid § 10 Auswirkung des eröffneten Insolvenzverfahrens auf die Rechtsstellung

1. Gesetzliche Bestimmung des § 1 InsO a) Haftungsverwirklichung par conditio creditorum 1 Insolvenzrecht hat nach dem aus den Konkursrechtsordnungen des 19. Jahrhunderts stammenden Verständnis die Funktion, den Ausschluss der individuellen Rechtsverfolgung der Gläubiger zugunsten einer Bündelung der Gläubigerrechte in einem besonderen Insolvenzverfahren zu verwirklichen. 2 Die individuelle Rechtsverfolgung birgt die Gefahr ungerechter Ungleichheit, die darin liegt, dass der eine Gläubiger vollständige Befriedigung zu erlangen vermag, während andere völlig leer ausgehen. Durch den Zusammenschluss der Gläubiger und die Begrenzung der Durchsetzung ihrer Rechte auf spezifisch insolvenzrechtliche Rechtsbehelfe wird die Befriedigungs-3 und Gleichbehandlungsfunktion4 des Insolvenzrechts gewährleistet. Das Insolvenzrecht stellt damit ein Verfahren der Universalexekution (der Gesamtvollstreckung)5 bereit. Innerhalb des Privatrechts bildet das Insolvenzrecht eine besondere Haftungsord2 nung6 für den Fall der Insolvenz des Schuldners.7 Es tritt eine Ausgleichshaftung der Insolvenzgläubiger mit ihren Forderungen ein.8 Das Insolvenzrecht dient daher unter den Bedingungen der Insolvenz des Schuldners als Haftungsverwirklichungsinstrument. Seine Institutionen sorgen dafür, dass nicht einzelne Gläubiger infolge der Insolvenz des Schuldners leer ausgehen, während andere Gläubiger Zugriff nehmen können. Das Insolvenzrecht setzt eine allseitige Haftungsordnung an die Stelle des Prioritätsprinzips, das strukturbildend für das Individualvollstreckungsrecht ist9. Es dient damit dem Aus-

_____ 148 Vgl Smid Kreditsicherheiten in der Insolvenz, 3. Aufl. § 2 Rn 81 (allg zu den Folgen für die Rechte von Zedent, vorläufigem Verwalter, Insolvenzverwalter und Zessionar: § 2 Rn 76 ff). 149 Smid Kreditsicherheiten in der Insolvenz, 3. Aufl. § 13 Rn 36. 1 Zum Gesetzgebungsverfahren und der Abkehr von der Struktur der KO vgl Voraufl Rn 1 bis 4. 2 Allg zu den Funktionen des Insolvenzrechts Smid, § 1 Rn 12 ff. 3 Grundlegend Häsemeyer Rn 2.01, 2.13 ff; MK/Ganter Rn 51 f zu § 1 InsO. 4 Häsemeyer Rn 2.17 ff; Smid WR 1993, 256 ff; Uhlenbruck/Pape § 1 InsO Rn 2 f, 12; Braun/Kießner § 1 InsO Rn 2; MK/Stürner Einl InsO Rn 62. 5 Henckel FS Merz, S 197, 200; MK/Stürner Einl InsO Rn 64. 6 Häsemeyer Rn 1.05 f, 1.11. 7 Häsemeyer Rn 1.11 ff, 2.17 ff; Henckel FS Merz, S 197, 202 f. 8 Häsemeyer Rn 2.24 ff; Uhlenbruck/Pape § 1 InsO Rn 3. 9 Häsemeyer Rn 2.22 f.

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gleich der aus ökonomischem Übergewicht herrührenden vorkonkurslichen Einflussnahmen der Gläubiger auf den Schuldner.10 Diese idealtypische Fassung eines „Begriffs“ des Insolvenzrechts geht allerdings an der Wirklichkeit vorbei. Das im vorangegangenen geschilderte Bild hat sich gewandelt. Dies gilt insbes aufgrund der Abschaffung von Gläubigervorrechten, die in der Praxis dazu führt, dass nun nicht einmal mehr die bisher bevorrechtigten Gläubiger befriedigt werden. Neben der verfahrensrechtlichen Dimension der Beschränkung der Insolvenzgläubi- 3 ger darauf, ihre Forderungen ausschließlich nach den Vorschriften der Insolvenzordnung zu verlangen (§ 87 InsO, aber auch § 16 AnfG!), dem Ausschluss der Individualzwangsvollstreckung (§§ 88, 89 InsO) und der Einschränkung von Selbsthilferechten (vgl die Begrenzung der Aufrechnungsbefugnis des Insolvenzgläubigers gem § 96 InsO) bewirkt die besondere insolvenzrechtliche Haftungslage, dass die Gläubiger die Erfüllung gegenseitiger Verträge iAllg nicht mehr verlangen können (§§ 103 f InsO)11 und dass die den Kreditgebern des Gemeinschuldners vorkonkurslich bestellten Sicherheiten nicht unter dem Aspekt ihrer dinglichen Zuordnung, sondern spezifisch haftungsrechtlich betrachtet werden,12 so dass etwa das Sicherungseigentum insolvenzrechtlich als pfandrechtsgleiches Recht behandelt wird. § 1 S 1 InsO bezieht auch die absonderungsberechtigten Gläubiger in die gemeinsame Ausgleichshaftung in der Weise ein, dass sie an einem Verfahren gemeinschaftlicher Befriedigung teilnehmen (vgl die §§ 166 f InsO wegen der Stellung der absonderungsberechtigten Gläubiger). Die rechtlichen Folgerungen aus dieser haftungsrechtlichen Funktion des Insolvenz- 4 verfahrens sind nachfolgend eingehend darzustellen – wobei der Vorbehalt im Auge behalten werden muss, der sich aus dem Vordringen von Ordnungsaufgaben zu Lasten der Exekutionsaufgaben des Insolvenzverfahrens ergibt. Die gemeinschaftliche Haftungsverwirklichung soll nach der InsO wie bisher der „Hauptzweck“ des Insolvenzverfahrens sein.13 Diese Primärfunktion des Insolvenzverfahrens wird mittels Abwicklung des Vermögens des Schuldners verwirklicht.14 Man kann in diesem Zusammenhang auch davon sprechen, dass vom Insolvenzverfahren herkömmlich Exekutionsfunktionen (Aufgaben der Gesamtvollsteckung) zu erfüllen sind.15

b) Beschlagnahme des pfändbaren Vermögens des Insolvenzsschuldners Zur Verwirklichung der Haftung wird das Vermögen des Schuldners beschlagnahmt, um 5 so die rechtliche Voraussetzung dafür zu schaffen, dass seine Gegenstände – soweit es Sachen iSd § 90 BGB sind – vom Verwalter in Besitz genommen (§ 148 Abs 1 InsO) und verwertet (§ 159 InsO) werden können. Durch die Beschlagnahme als Folge des Eröffnungsbeschlusses gem § 27 InsO wird das pfändbare Vermögen des Schuldners zur Insolvenzmasse. § 35 InsO regelt, dass alle Vermögenswerte des Schuldners vom Insolvenzbeschlag 6 erfasst werden. Denn es können zB Dritte als Inhaber von Aussonderungsansprüchen nicht ohne vorherige Prüfung der Berechtigung durch den Insolvenzverwalter die Herausgabe von Sachen verlangen. Die Rechtszuständigkeit des Insolvenzverwalters (§ 80

_____ 10 11 12 13 14 15

Zu den drei Grundfunktionen des Insolvenzverfahrens Smid § 1 Rn 20 ff. Häsemeyer KTS 1973, 2 ff; Kreft ZIP 1997, 865. Häsemeyer Rn 1.14 f. Allg Begr RegE, BT-Drs 12/2443, S 83, abgedr bei Kübler/Prütting RWS-Dok 18 Bd I, S 105. Leipold/Gerhardt S 1, 2. Henckel FS Merz, S 197, 202; Smid KTS 1998, 313 ff.

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Abs 1 InsO) erstreckt sich daher auf die Ist-Masse, aus der er herkömmlich insbes durch die Bedienung der Aussonderungsrechte die zu verwertende Soll-Masse herstellt. Im Verbraucherinsolvenzver-fahren wird daher der an die Stelle des Insolvenzverwalters tretende Treuhänder (§ 313 InsO) zuständig dafür, die gesamten Bezüge des Schuldners vom Arbeitgeber (Drittschuldner) auch soweit zur Ist-Masse einzuziehen, wie sie nach § 850c ZPO unpfändbar sind,16 vgl § 36 InsO. Unter der Ist-Masse versteht man danach die Summe aller Vermögensgegenstände, 7 die der Insolvenzverwalter beim Schuldner vorfindet und die er gem § 148 InsO „in Besitz“ zu nehmen verpflichtet ist.17 Der Begriff der Ist-Masse verweist daher auf die Sicherungsfunktion des Eröffnungsbeschlusses und auf die vom Insolvenzverwalter wahrzunehmenden Sicherungsaufgaben, und zwar gerade auch gegenüber denjenigen dinglich berechtigten Gläubigern, die Ansprüche auf Herausgabe in der Ist-Masse befindlicher Gegenständen geltend machen. In dem über das Vermögen des Sicherungsnehmers eröffneten Insolvenzverfahren ist das Sicherungseigentum nicht Teil der Soll-, sondern der Ist-Masse und daher auszusondern18. Zur Ist-Masse zählen alle nach § 35 Abs 1 InsO nicht vom Insolvenzbeschlag erfassten Gegenstände. Zur Ist-Masse gehören zB unübertragbare Forderungen, §§ 399, 2. HS BGB, 851 ZPO, deren Sicherung besonders im Wege der Einziehung19 nach Verfahrenseröffnung in die Rechtszuständigkeit des Insolvenzverwalters fällt, nicht aber deren Verwertung. Die Soll-Masse steht begrifflich für die Aufgabe, das den Gläubigern haftende Ver8 mögen festzustellen und für sie zu verwerten; die Aufgabe des Insolvenzverwalters, „die Masse“ unverzüglich nach dem Berichtstermin zu verwerten, bezieht sich auf die SollMasse.20 Die Soll-Masse bezeichnet daher das Vermögen, das sowohl für die Verwaltung und Verwertung haftet,21 als auch den Gläubigern zur Haftung zugewiesen ist.22 Der Insolvenzverwalter hat die Aufgabe, aus der Ist-Masse diejenigen Gegenstände zu isolieren, auf die von den Gläubigern Zugriff genommen werden kann. Aus der Ist-Masse hat der Insolvenzverwalter diejenigen Gegenstände herauszugeben, an denen Gläubiger zu Aussonderung berechtigende Rechte haben sowie dem Schuldner diejenigen Gegenstände herauszugeben, die wegen ihrer Pfändungsfreiheit (insbes § 811 ZPO) dem Konkursbeschlag nicht unterliegen. Der Insolvenzverwalter hat die Pflicht, die „Masse“ für die Gläubiger zu verwerten, § 159 InsO. Eigene Verwertungsbefugnisse des Schuldners aufgrund seines Urheberrechts fallen gem. §§ 112, 113 UrhG nur mit seiner Zustimmung in die verwertbare Masse.23 Ansprüche des Schuldners auf Leistungen aufgrund von Versicherungsverträgen gehören nach Maßgabe der §§ 850b Abs 1 Nr 4, 850c ZPO zu seinem verwertbaren Vermögen.24 Im Einzelnen gehören zur Soll-Masse im Eigentum des Schuldners stehende 9 Sachen. Immobilien, die Eigentum des Schuldners sind, fallen in die Soll-Masse; sowie

_____ 16 Eingehend Smid FS Rolland, 1998, 355, 358 ff; NR/Andres, § 35 Rn 2. 17 Vgl insbes Jaeger, § 14, 1 (S 86 ff); ferner Uhlenbruck § 35 Rn 5; K/P/B/Holzer § 35 Rn 16; sinngemäß auch Baur/Stürner Rn 12.1. 18 KS/Gottwald/Adolphsen, S 1051. 19 BGH, 27.5.1971 – VII ZR 85/69, BGHZ 56, 233; NR/Andres § 35 Rn 44; allg MK/Peters § 35 Rn 19 f. 20 Jaeger § 14 II (S 87); vgl auch NR/Andres § 35 Rn 4; die Formulierung bei Baur/Stürner, 65 Rn 14.1, zur Konkursmasse („Sollmasse“) sei nur „das dem Schuldner gehörige Vermögen“ zu zählen, bringt die Haftungsfunktion der Sollmasse nicht hinreichend zum Ausdruck. 21 Smid § 13 Rn 11. 22 K/P/B/Holzer § 35 Rn 16 ff; Jaeger/Henckel § 35 Rn 7; Braun/Bäuerle § 35 Rn 1; MK/Peters § 35 Rn 19. 23 Ahlberg/Götting BeckOK-UrhR, Insolvenz, Rn 10 ff. 24 LSZ/Smid/Leonhardt § 35 Rn 13.

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Erbbaurechte nach Maßgabe der §§ 5, 8 ErbbauVO25. Zur Insolvenzmasse gehört auch Wohnungs- oder Teileigentum des Schuldners.26 Bewegliche Sachen, die im Eigentum des Schuldners stehen, auch Vorbehaltseigentum in der Insolvenz des Vorbehaltsverkäufers27 sowie Bruchteilseigentum. Es kommt insofern nicht darauf an, ob ein besitzloses Mobiliarpfandrecht an diesen Sachen begründet worden ist. Weiter wird vom Insolvenzbeschlag aufgrund der in § 36 Abs 1 S 2 Nr 2 InsO normierten Ausnahme auch das Zubehör von Apotheken und landwirtschaftlichen Betrieben erfasst. § 812 ZPO kommt zur Anwendung, wonach diejenigen zum Hausrat28 des Schuldners gehörenden Gegenstände nicht von der Beschlagnahme erfasst werden, die ersichtlich bei einer Verwertung nur einen Erlös erzielen werden, der zu ihrem Wert außer Verhältnis steht.29 Rechte und Forderungen: Weiter gehören Immaterialrechtsgüter, deren Inha- 10 ber der Schuldner ist, zur Soll-Masse. So sind vom Verwender erkennbar für den Verkehr bestimmte Geschmacksmuster Teil der Soll-Masse.30 Praxen von Ärzten oder Rechtsanwälten sind nur mit Zustimmung des Arztes oder Rechtsanwaltes zur Übernahme des Patienten- bzw Mandantenstamms durch Veräußerung verwertbar.31 Patente bei Verlautbarung der Verwertungsabsicht,32 Urheberrechte bei Einwilligung des Urhebers.33 Marken fallen in die Soll-Masse, §§ 27 Abs 1, 29 Abs 3 MarkG; sie können mit dem Geschäftsbetrieb des Schuldners veräußert werden, wobei es bei Verwendung der Firma des Schuldners darauf ankommt, ob der Name kapitalisiert worden ist.34 Das „know how“, das in einem Unternehmen gesammelt wird und sich zB in Kundenlisten verkörpert, ist Teil der Soll-Masse und damit durch den Insolvenzverwalter verwertbar.35 In die Soll-Masse fallen weiter Diensterfindungen der Arbeitnehmer des Schuldners, wenn der Schuldner sie vor Eröffnung des Verfahrens unbeschränkt für die Masse in Anspruch genommen hat, §§ 6, 7 Abs 1 ArbnErfG. In das dem Insolvenzbeschlag unterliegende Vermögen des Schuldners fallen ferner alle Ansprüche, soweit diese nicht dem Schuldner höchstpersönlich geschuldet sind (vgl § 664 Abs 2 BGB) oder ihre Übertragung nicht ausgeschlossen ist (§§ 851 ZPO, 399, 400 BGB). Bei der Beurteilung der Konkursbefangenheit von Honorarforderungen schweigepflichtiger Berufe kommt es darauf an, ob der Schutzzweck des (relativ wirkenden) Abtretungsverbotes erfasst ist oder nicht.36 Vom Insolvenzbeschlag werden danach erfasst: Freistellungsansprüche gegen Dritte, da diese im Insolvenzfall in einen Zahlungsanspruch umgewandelt werden, Steuererstattungsansprüche,37 grundstücksgleiche Rechte wie Grundschulden, Hypothekenforderungen, Eigentümerhypotheken, Eigentümergrundschulden,38 nicht aber beschränkte persönliche Dienstbarkeiten (§§ 1090 ff BGB) wegen § 1092 Abs 1 S 1 BGB iVm § 851 ZPO39, über-

_____ 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39

NR/Andres § 35 Rn 26; Uhlenbruck § 35 Rn 41. HambK/Lüdtke § 35 Rn 139; NR/Andres § 35 Rn 25. Uhlenbruck § 35 Rn 55; NR/Andres § 35 Rn 33. MK/Peters § 36 Rn 61. Vorwerk/Wolf/Forbriger BeckOK-ZPO, § 812 Rn 1. Kilger/K Schmidt KO § 1 Rn 6; Uhlenbruck § 35 Rn 55; K/P/B/Holzer § 35 Rn 95 ff. Kreft/Eickmann § 35 Rn 20; aA Uhlenbruck § 35 Rn 55; MK/Peters InsO, § 35 Rn 155. Jaeger/Henckel § 35 Rn 12 f; MK/Peters § 35 Rn 297; NR/Andres § 35 Rn 70. MK/Peters § 35 Rn 346; NR/Andres § 35 Rn 71. NR/Andres § 35 Rn 80; Jaeger/Henckel § 35 Rn 37; Hess §§ 35, 36 Rn 267. OLG Saarbrücken, 8.11.2000 – 1 U 513/00–115, ZIP 2001, 164. BGH, 25.3.1999 – IX ZR 223/97, InVo 1999, 205; Schörnig InVo 1999, 297 ff; Jaeger/Henckel § 35 Rn 12. MK/Peters § 35 Rn 422; Uhlenbruck § 35 Rn 68. Jaeger/Henckel § 35 Rn 80; Uhlenbruck § 35 Rn 70. BGH, 23.5.1962 – V ZR 187/60; Uhlenbruck § 35 Rn 72.

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tragbare (anerkannte oder rechtshängig gemachte) Pflichtteilsansprüche (vgl § 852 Abs 1 ZPO), Nutzungsbefugnisse aus Miet-, Pacht- und Leasingverträgen.40 Soweit – was regelmäßig der Fall ist – vertraglich die Unübertragbarkeit dieser Rechte vereinbart ist, kann außer der weiteren Nutzung durch den Verwalter (vgl §§ 148 ff) keine anderweitige Verwertung dieser Nutzungsrechte erfolgen.41 Software (EDV-Programme), über die der Schuldner aufgrund von Überlassungsverträgen (Lizenzen) verfügt, fallen im Rahmen der vertraglichen Vereinbarungen bzw des Urheberrechts in die Masse.42 11 Problematisch ist die Zugehörigkeit der Firma (des Handelsnamens, § 17 HGB) des Schuldners43 zu seinem dem Insolvenzbeschlag unterliegenden Vermögen.44 Einigkeit besteht darüber, dass der Verwalter das insolvente Unternehmen unter der bisherigen Firma fortführen kann (§ 32 HGB). Dagegen ist die Firma dann nicht verwertbar, wenn – etwa wegen des Familiennamens des Schuldners als Firmenbestandteil – Gesichtspunkte des Persönlichkeitsschutzes zum Tragen kommen.45 Daher wird man dem BGH iE insoweit zustimmen können, dass der kommerziell genutzte Name eines Einzelkaufmanns – iGs zur Firma der GmbH – nur mit Zustimmung des Schuldners vom Verwalter verwertet werden kann, da dem Schuldner sonst jede Möglichkeit genommen wird, eine neue Existenz aufzubauen.46 Somit gelten diese Bedenken allein bei der Insolvenz natürlicher Personen; in der Unternehmensinsolvenz ist dies anders: Ist die Firma nicht mehr auf eine natürliche Person bezogen, so greift auch im Rahmen der Insolvenz der handelsrechtliche Gesichtspunkt der Übertragbarkeit der Firma zusammen mit dem Unternehmen.47 Daran ändert auch die Neufassung des § 18 HGB nichts; der Schuldner ist zwar nicht mehr gezwungen, seinen Namen als Handelsnamen zu führen.48 Schon aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen kann ihm aber das kaufmännische Handeln unter seinem Namen nicht ausgeschlossen werden. Die Rechtsanwaltspraxis wird wegen ihres personalen Bezuges nicht vom Insolvenzbeschlag erfasst.49 Gestaltungsrechte des Schuldners werden regelmäßig nicht beschlagnahmt: Vor dem Hintergrund des Gesetzes zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge v 26.3.2007 (BGBl I 368)50 hält der BGH Gestaltungsrechte, die auf die Begründung oder Aufhebung der Mitgliedschaft an Alterversorgungswerken gerichtet sind, für unpfändbar.51 Daher fallen diese Befugnisse und Rechte nicht in die Masse. Der Verwalter kann nicht anstelle des berechtigten Schuldners eine Aufhe-

_____ 40 Baumgarte, passim; Jaeger/Henckel § 35 Rn 44; MK/Peters § 35 Rn 461 ff. 41 BGH, 22.5.1963 – IV ZR 224/62, NJW 1963, 2219; Uhlenbruck § 35 Rn 82. 42 LSZ/Smid/Leonhardt § 35 Rn 14. 43 Uhlenbruck ZIP 2000, 401; Uhlenbruck § 35 Rn 100; Jaeger/Henckel § 35 Rn 20; MK/Peters § 35 Rn 484. 44 BGH, 26.2.1960 – I ZR 159/58, BGHZ 32, 103; BGH, 27.9.1982 – II ZR 51/82, BGHZ 85, 221; OLG Düsseldorf, 26.10.1988 – ZIP 1989, 457 mAnm Schulz EWiR § 1 KO 2/89, 489; Raffel, 1995 passim; Kern BB 1999, 1717; NR/Andres § 35 Rn 35; Jaeger/Henckel § 35 Rn 20; MK/Peters § 35 Rn 484; Braun/Bäuerle § 35 Rn 50. 45 Uhlenbruck ZIP 2000, 401; MK/Peters § 35 Rn 488; ausf. NR/Andres § 35 Rn 76; Braun/Bäuerle § 35 Rn 50 ff; Jaeger/Henckel § 35 Rn 20. 46 Uhlenbruck § 35 Rn 100; ausf Jaeger/Henckel § 35 Rn 20 ff; NR/Andres § 35 Rn 76; MK/Peters § 35 Rn 484 ff. 47 BGH, 14.12.1989 – I ZR 17/88, ZIP 1990, 388 mAnm Lepsien EWiR § 6 KO 1/90, 491; OLG Koblenz, 17.10.1991 – 6 U 982/91, ZIP 1991, 1440 mAnm Ackmann EWiR § 6 KO 2/91, 1105; zutr diff Brandes, S 2; Jaeger/Henckel § 35 Rn 21; Braun/Bäuerle § 35 Rn 54; MK/Peters § 35 Rn 489. 48 Anders Uhlenbruck ZIP 2000, 401, 402 ff. 49 FG Düsseldorf, 24.3.1992 – 16 K 138/88 U, ZIP 1992, 635 mAnm Grub EWiR § 1 KO 1/92, 581; vgl MK/ Peters § 35 Rn 507 ff; Uhlenbruck § 35 Rn 50; Jaeger/Henckel § 35 Rn 14 ff. 50 Zu den Motiven des Gesetzgebers BT-Drs 16/886, S 7. 51 BGH, 10.1.2008 – IX ZR 94/06, ZIP 2008, 417.

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bung seiner Mitgliedschaft erklären. Eine auf ein vom vorläufigen Insolvenzverwalter eingerichtetes Treuhandkonto eingehende Zahlung fällt nicht in das Schuldnervermögen. Das Konto bzw die Forderung aus diesem Konto können auch nicht Teil der künftigen Masse werden, da die Insolvenzmasse erst als allg Folge des Erlasses des Eröffnungsbeschlusses konstituiert wird (§ 35 Abs 1 InsO).52 Die Arbeitskraft ist kein Teil des Vermögens des Schuldners. Sie unterliegt daher 12 nicht dem Konkursbeschlag; zivilprozessual ist „die Arbeitskraft“ schließlich auch zu Recht nicht der Pfändung unterworfen. Verweigert der Schuldner eine Berufstätigkeit, kann er iAllg nicht zu ihrer Aufnahme gezwungen werden. Daher spricht gegen eine konkursrechtliche Arbeitspflicht des Schuldners bereits § 36 Abs 2 Nr 2 InsO. Etwas anderes ergibt sich aus diesen Gründen auch nicht aus § 283 Abs 1 Nr 8 StGB: Der Schuldner verkürzt nicht in strafbarer Weise die Masse, wenn er seine Beschäftigung kündigt. Und schließlich hieße es die Mitwirkungspflichten des § 97 InsO überziehen, wollte man die Beibehaltung seiner Erwerbstätigkeit oder die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit als Teil seiner Pflicht zur Unterstützung des Insolvenzverwalters oder des Treuhänder bei der Mehrung der Masse begreifen, die im Falle der Verweigerung mit dem Sanktionsinstrumentarium des § 98 InsO erzwungen werden kann. Verschleiertes Arbeitseinkommen iSv § 850h ZPO wird nicht vom Insolvenzbeschlag erfasst, folgt man allein dem Wortlaut des § 35 InsO. Denn aus § 850h ZPO kann der Schuldner als Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber als Drittschuldner keine eigenen Rechte herleiten. Daher stellt sich das verschleierte Arbeitseinkommen auch nicht als Neuerwerb iSv § 35 Abs 1 InsO dar. Denn der Schuldner erlangt dieses Einkommen nicht in personam. Allerdings stellt das BAG zutreffend fest, dass die Verweisung des § 36 Abs 1 S 2 InsO auf die §§ 850 ff, 850g–850i ZPO zum einen dem Schutz des Schuldners vor Existenz vernichtendem Zugriff auf seinen Lohn als Neuerwerb in dem über sein Vermögen eröffneten Insolvenzverfahren dienen soll, wie § 36 Abs 1 S 1 InsO festlegt, dass Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, nicht zur Insolvenzmasse gehören. Zum anderen ist die damit beschriebene gegenständliche Beschränkung des Insolvenzbeschlags vom Gesetzgeber auch zum Schutz der Gläubiger vor Lohnverschiebungen getroffen, wie der Verweis des § 36 Abs 1 S 2 InsO auf § 850h ZPO zeigt. Daher kann der Insolvenzverwalter, wie das BAG ausführt, in „entspr Anwendung“ von § 850h Abs 2 S 1 ZPO verschleiertes Arbeitseinkommen zur Masse ziehen. Andernfalls wäre die Insolvenzmasse und wären damit die Insolvenzgläubiger in dem über das Vermögen des Schuldners eröffneten Insolvenzverfahren schlechter gestellt, als sie es bei der Eröffnung einer Einzelzwangsvollstreckung wären; dies käme iÜ ohne sachlichen Grund dem drittschuldnerischen Arbeitgeber des Schuldners zugute.53 In dem über das Vermögen von Personenhandelsgesellschaften eröffneten Insol- 13 venzverfahren sind die geleisteten Einlagen der Gesellschafter Teil der Insolvenzmasse.54 Gem § 859 Abs 1 S 1 ZPO ist der Anteil an Personengesellschaften pfändbar55 und unterliegt daher dem Gläubigerzugriff im Rahmen der Gesamtvollstreckung. Pfändbar ist ferner der Erbteil gem § 859 Abs 2 ZPO56.

_____ 52 BGH, 20.9.2007 – IX ZR 91/06, ZIP 2007, 2279. Vgl eingehend I 3. 53 BAG, 12.3.2008 – 10 AZR 148/08, ZIP 2008, 979. 54 Armbruster, S 26 f; Uhlenbruck § 35 Rn 104; MK/Peters § 35 Rn 179 ff. 55 Smid JuS 1988, 613 f; MK/Smid ZPO, § 859 Rn 3. 56 Vgl Uhlenbruck § 35 Rn 2; MK/Peters § 35 Rn 22; Jaeger/Henckel § 35 Rn 3; Braun/Kroth § 80 Rn 11; MK/Smid ZPO § 859 Rn 15.

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Die Teilungs-Masse, also der Erlös, der bei der Verwertung der Gegenstände der Soll-Masse erzielt wird, bezeichnet die Befriedigungsfunktion des Insolvenzverfahrens gem § 1 S 1 InsO.

c) Sanierung und Restschuldbefreiung 15 § 1 InsO hebt darüber hinaus die Trennung des Insolvenzrechts in ein Sanierung(vor)ver-

fahren des Vergleichs und ein liquidierendes Konkursverfahren auf. Diese Trennung war lange Gegenstand der Kritik. Mehr noch: Das vorgeschaltete Vergleichsverfahren galt als dysfunktional, denn seit langem wurden Vergleichsverfahren nur noch selten durchgeführt57 und endeten regelmäßig in Anschlusskonkursen. Das setzte ihre Eignung, ein Verfahren der Unternehmenssanierung bereitzustellen, ernsthaften Zweifeln aus.58 Die „Zweiteilung“ des Insolvenzrechts in sanierenden Vergleich und liquidie16 renden Konkurs wurde kritisiert, da ein „exekutorisch“ auf Liquidation des Schuldnervermögens ausgerichteter Konkurs vermeintlich unwirtschaftlich sei. Das Schlagwort vom Konkurs als „Wertevernichter“ ist bekannt.59 Das überkommene Konkurs- und Vergleichsrecht sei, so wurde gesagt, aufgrund dieser Trennung nicht geeignet, den Anforderungen eines modernen Insolvenzrechts der Unternehmen gerecht zu werden.60 Die Verwertung der Masse in der Unternehmensinsolvenz wird häufig im Wege übertragender Sanierungen61 vorgenommen, um Verluste bei der Zerschlagung des Unternehmens zu vermeiden und – als „Nebenaspekt“ – um Arbeitsplätze und Standortvorteile usf zu wahren. Der Gesetzgeber hat diese Option als „gleichwertig“ gegenüber der Liquidation und der Sanierung des Unternehmensträgers qualifiziert62 und mit den §§ 157 f InsO Regelungen für deren verfahrensmäßige Umsetzung geschaffen.63 § 1 InsO stellt die Reaktion des Gesetzgebers auf die Kritik dar. Mit der Insolvenz17 rechtsreform ist eine Einheitlichkeit64 des Insolvenzverfahrens statuiert.65 In einem einheitlich zu eröffnenden Verfahren soll neben der Haftungsverwirklichung durch Liquidation des schuldnerischen Vermögens „gleichrangig“ die Sanierung des schuldnerischen Unternehmensträgers stehen.66 Diese Einheitlichkeit des Insolvenzverfahrens, die zu einem vornehmlichen Ziel der Insolvenzrechtsreform stilisiert worden ist, hat aber nur für die einheitliche Einleitung eines Verfahrens Bedeutung, unter dessen einheitlichem „Dach“ sowohl die Liquidations-, als auch die Sanierungsoption Raum finden soll – was bei einer pragmatischen Betrachtungsweise angesichts knapper Insolvenzmassen zweifelhaft erscheinen muss. Allerdings kannte auch das bisherige Recht (bspw mit dem Nachlassverfahren) „Sonderinsolvenzverfahren“; das neue Recht kennt dagegen Sonderinsolvenzverfahren, die nicht durch materiell-rechtliche Besonderheiten veranlasst sind.

_____ 57 Baur/Stürner Rn 25.1; Uhlenbruck/Pape § 1 Rn 9. 58 S dazu allein K Schmidt, S 17 ff. 59 Jaeger, S 216. 60 K Schmidt, S 17 ff. 61 BGH ZIP 1988, 727; dazu Joost EWiR 1988, 811; K Schmidt ZIP 1980, 328, 336; ders, S 138; Leipold/ K Schmidt S 67 ff; sa Gottwald KTS 1984, 1, 16 ff Vgl ausführlich unten § 25 Rn 3 und 32 ff. 62 Allg Begr RegE, BT-Drs 12/2443, S 94, abgedr bei Kübler/Prütting RWS-Dok 18 Bd I, S 119. 63 Smid/Rattunde/Martini Rn 1.7. 64 Stürner RWS-Forum 3, S 41 ff; MK/Ganter InsO § 1 Rn 9; Uhlenbruck/Pape § 1 Rn 4. 65 Allg Begr RegE, BT-Drs 12/2443, S 82 ff sowie Begr zum RegE § 1 InsO, ebd, S 108 f, abgedr bei Kübler/ Prütting RWS-Dok 18 Bd I, S 104 f. bzw S 153 f; Leipold/Gerhardt, S 1, 2. 66 Allg Begr RegE, BT-Drs 12/2443, S 77, abgedr bei Kübler/Prütting RWS-Dok 18 Bd I, S 97 f; Braun/ Kießner Einf Rn 15.

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Das führt zu einer Zersplitterung des einheitlichen Insolvenzrechts. Der Regelfall des liquidierenden Verfahrens unterscheidet sich dabei vom Sanierungsverfahren mit Insolvenzplan nach den §§ 217 f InsO erheblich. Schließlich hat die Reform erhebliche Abgrenzungsprobleme auf den Plan gerufen. Mit dem für natürliche Personen eingerichteten Kleinverfahren nach den §§ 304 f InsO ist ein vom Regelfall erheblich abweichendes Verfahren geschaffen worden, dessen Abgrenzung vom Regelverfahren aber erhebliche Probleme aufweist. Die damit verbundenen Erwartungen des Gesetzgebers einer Deregulierung des In- 18 solvenzrechts durch Verlagerung von Regelungsbereichen des Sanierungsrechts in die Kompetenz der Verfahrensbeteiligten67 und die von einem „Wettbewerb“68 über die beste („marktkonforme“69) Verwertungsart haben sich schon kurz nach Inkrafttreten der Insolvenzordnung als illusorisch erwiesen; die Zahl präsentierter Insolvenzpläne ist minimal und bestimmt das Gesicht des neuen Insolvenzrechts in keiner Weise. § 1 S 1 HS 2 InsO ist für die im Rahmen des neuen einheitlichen Insolvenzverfahrens 19 abzuwickelnde Unternehmensinsolvenz als Statuierung eines weiteren, gegenüber dem Konkursrecht neuen Verfahrenszwecks der Entschuldung70 des schuldnerischen Vermögens von erheblicher Bedeutung. Hierzu dienen die Regelungen über das Insolvenzplanverfahren, die dem Schuldner verfahrensrechtliche Befugnisse zur Erreichung einer Sanierung bieten, die weitreichender sind als die bisher im Vergleichsrecht geregelten Möglichkeiten. Missbrauchsgefahren71 sind im Wege der Auslegung der §§ 217 f InsO zu berücksichtigen und möglichst auszuschließen.72 Durch die Einschränkung der Sanierungs- und Entschuldungsoption auf „redliche“ Schuldner durch die gesetzliche Funktionsbestimmung des Insolvenzverfahrens nach § 1 InsO wird einer solchen, ggf korrigierenden Auslegung Raum eröffnet.73 Die Unterscheidung zwischen Haftungsfunktion als Primäraufgabe des Insolvenzrechts und Sanierungs- und Entschuldungsfunktionen als Sekundäraufgaben ist iÜ hilfreich. Mit der in § 1 S 1 InsO angelegten „primären“ Funktion der Haftungsverwirklichung74 konkurrieren im neuen Recht also „Nebenziele“ des Insolvenzverfahrens. Der Gesetzgeber beabsichtigte mit dem einheitlichen Insolvenzverfahren, soweit möglich, das angeschlagene Unternehmen zu erhalten, wie § 1 S 1 HS 2 InsO zeigt. Der Erhalt des Unternehmens allerdings war bereits unter dem bisherigen Recht dann möglich, wenn in einer sog „übertragenden Sanierung“ als Verwertungsmaßnahme das Unternehmen veräußert wurde. Auch wenn der Erhalt von Industriestandorten und Arbeitsplätzen hoch erwünscht sein mag, kann die Verwirklichung solcher Wünsche doch nicht zu Lasten der Gläubiger gehen. Die Insolvenzgerichte haben daher nicht die generelle Aufgabe, das Gemeinwohl zu fördern.

_____ 67 Allg Begr RegE, BT-Drs 12/2443, S 78, abgedr bei Kübler/Prütting RWS-Dok 18 Bd I, S 98; dagegen krit Henckel KTS 1989, 477 ff; missverstanden von H/W/F Rn 1/38 Fn 8 f. 68 Allg Begr RegE, BT-Drs 12/2443, S 78, abgedr bei Kübler/Prütting RWS-Dok 18, Bd I, S 98; dagegen krit Smid/Rattunde, Insolvenzplan, 1. Aufl, Rn 160 ff; Smid Einl Rn 29. 69 Allg Begr RegE, BT-Drs 12/2443, S 77 f, abgedr bei Kübler/Prütting RWS-Dok 18 Bd I, S 97 f; hierzu Dorndorf FS Merz, S 31 ff. 70 Häsemeyer Rn 2.37 ff. 71 Smid/Rattunde/Martini Rn 12.1 ff. 72 Smid/Rattunde/Martini Rn 12.6 ff. 73 Damit ist die Frage verbunden, inwieweit die Grenzen des Vergleichsrechts nach den aufgrund der InsO derogierten §§ 17 f VerglO gleichwohl entspr anwendbar sind, vgl hierzu diff Smid/Rattunde, 1. Aufl, Rn 243 ff. Vgl auch Smid/Rattunde/Martini Rn 1.29, insbes 11.10 ff. 74 Vgl oben Rn 8 und unten Rn 18 ff.

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Mit der Statuierung von Verfahrenszwecken75 hat der Reformgesetzgeber schließlich in § 1 S 2 InsO die Möglichkeit der Erlangung einer Restschuldbefreiung vorgesehen, die dem „redlichen“ Schuldner mit Abschluss des Verfahrens zu gewähren sein soll. Die Bedeutung des § 1 S 2 InsO liegt im Wesentlichen auf dem Gebiet des neuen Verfahrens der Klein- und Verbraucherinsolvenz, das mit seinen vielfältigen Problemen im Folgenden aber weithin ausgeblendet bleiben soll. Der Wortlaut des § 1 S 2 InsO beschränkt seinen Geltungsbereich aber nicht auf Insolvenzverfahren über das Vermögen natürlicher Personen, sondern erfasst auch die Unternehmensinsolvenz, in der es regelmäßig um juristische Personen und Personenhandelsgesellschaften geht. Diese Unternehmensträger scheinen nur auf den ersten Blick keine Probleme im Hinblick auf das konkursliche Nachforderungsrecht zu haben, die durch eine Restschuldbefreiung ausgeschlossen werden sollen.76 Zwar werden sie regelmäßig mit Abschluss eines Insolvenzverfahrens aufgrund ihrer Liquidation gelöscht. Gleichwohl hat der Programmsatz der Gewährung von Restschuldbefreiung in § 1 S 2 InsO auch in diesem Bereich eine erhebliche Bedeutung, wie § 1 S 1 HS 2 InsO deutlich macht. Dort wird der Erhalt des Unternehmens insbes durch die Vorlage eines Insolvenzplans (§§ 217 f InsO77) angeboten, der regelmäßig zur Sanierung des schuldnerischen Unternehmensträgers ausgearbeitet werden wird. Mit der Sanierung durch Insolvenzplan wird regelmäßig wenigstens teilweise die Befreiung von den Verbindlichkeiten des Schuldners verwirklicht (vgl § 227 InsO).78

2. Aufgabe einer legislatorischen „Zweckbestimmung“ für das Insolvenzverfahren a) § 1 InsO als Programmsatz 21 Während in den älteren Verfahrensgesetzen (etwa den Reichsjustizgesetzen) darauf verzichtet wurde, explizit Verfahrenszwecke gesetzlich zu fixieren, hat der Gesetzgeber der InsO die Notwendigkeit einer solchen Statuierung gesehen. Die Auslegung des Regelungsgehalts des § 1 InsO macht deutlich, dass der Gesetzgeber mit dieser Vorschrift ua beabsichtigt, die Funktion eines einheitlichen Insolvenzverfahrens auch gegenüber möglichen Interpretationen durch die Verfahrensbeteiligten festzuschreiben.

b) Verfahrenszwecke als Auslegungsmaßstab bei der Beurteilung der Pflichtmäßigkeit des Handelns der Beteiligten 22 Um die Verfolgung insolvenzfremder Zwecke zu verhindern, waren vorbeugende legislative Maßnahmen geboten, denn regelmäßig sind größere Unternehmensinsolvenzen von der Intervention unterschiedlicher Interessenten und Interessengruppen geprägt – was die Abwicklung solcher Verfahren nicht zu erleichtern geeignet ist.79 Mit Ausnahme derjenigen Fälle, in denen nach den §§ 270 f InsO die Eigenverwaltung durch den Schuldner angeordnet wird, nimmt auch im neuen Recht der Insolvenzverwalter die zentrale Rolle des Insolvenzverfahrens ein. Die Verfahrensbeteiligten können sich jedoch an das Insolvenzgericht wenden, um sowohl Aufsichtsmaßnahmen (§ 58 InsO) auszulösen als auch haftungsrechtliche Inanspruchnahmen (§ 60 InsO80) vorzubereiten. Die gesetzliche

_____ 75 76 77 78 79 80

LSZ/Smid § 1 Rn 15 ff, 52 f. Leipold/Smid, S 139, 141. Hierzu eingehend Smid/Rattunde/Martini Rn 4.1 ff. Smid § 1 Rn 26 ff. Eingehend hierzu LSZ/Smid/Leonhardt § 1 Rn 23; Braun/Braun/Frank vor § 217 InsO Rn 6. KS/Smid S 337 ff.

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Bestimmung von Zwecken des Insolvenzverfahrens stellt den Maßstab dafür dar, welche Leistungen das Verfahren zu erbringen hat. Darüber hinaus dienen sie der Bestimmung der Reichweite der den Verwalter treffenden spezifischen insolvenzrechtlichen Pflichten, die wiederum die Grundlage für die Bestimmung des Umfangs seiner besonderen Haftung gem § 60 InsO bilden.81

c) „Konkurszweckwidrigkeit“ Die neuere Judikatur des IX. Zivilsenats des BGH82 hat in den Mittelpunkt ihrer Systema- 23 tisierungsbemühungen den aus den Aufgaben („Zwecken“) des Insolvenzverfahrens abgeleiteten Begriff einer Konkurszweckwidrigkeit gestellt. Maßnahmen des Insolvenzverwalters, die sich als insolvenzzweckwidrig darstellen, werden vom BGH als nichtig (§ 138 BGB) und damit unwirksam qualifiziert.83 Damit stellt der IX. Zivilsenat den Zusammenhang zwischen Verwalterpflichten und Insolvenzfunktion her.

II. „Einheitlichkeit“ des Insolvenzverfahrens 1. „Normalfall“ des Insolvenzverfahrens Zwar hat der Gesetzgeber der InsO die „Einheitlichkeit“ des Insolvenzverfahrens (§ 1 S 1 24 InsO)84 postuliert. Der typische Fall der Insolvenz ist aber auch nach neuem Recht ein Verfahren, das beim Vorliegen von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung des Schuldners eingeschlagen wird und auf die gerichtliche Zwangsliquidation des schuldnerischen Vermögens hinausläuft,85 was sich darin zeigt, dass rechtstatsächlich nur sehr wenige Insolvenzpläne als Sanierungspläne seit Inkrafttreten der Insolvenzordnung vorgelegt worden sind. Das Inkrafttreten des ESUG hat seit 2012 sowohl im Hinblick auf die Attraktivität von Insolvenzplänen als auch die Praktikabilität von Eigenverwaltungsverfahren eine Änderung gebracht.86 Die typischen Verfahren sind wie im bisherigen Recht durch die Entmachtung und 25 schließliche Enteignung des Schuldners gekennzeichnet, der seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis verliert (§ 80 Abs 1 InsO). Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens führt zur haftungsrechtlichen Zuweisung des pfändbaren Schuldnervermögens an seine Gläubiger und zu dessen Verwaltung (§ 148 InsO) und Verwertung (§§ 159 f InsO) durch den Verwalter. Anders als die Gesamtvollstreckungsordnung (§ 7 Abs 1 GesO), aber ebenso wie die Konkursordnung spricht die Insolvenzordnung allerdings nicht ausdrücklich von einem Konkursbeschlag – der Pfändung des Schuldnervermögens.87 Auch der vom Schuldner bis zum Abschluss des Insolvenzverfahrens erlangte Neuerwerb (§ 35 InsO) wird im Rahmen der Pfändungsgrenzen Teil der beschlagnahmten Masse. Zu bemerken ist, dass von einer „konkurslichen“ Beschlagnahme der Masse im Recht der InsO nur noch im „Normalfall“ der Liquidation des Schuldnervermögens gesprochen werden

_____ 81 KS/Smid S 337 ff; ders Rn 17 ff zu § 60 InsO. 82 Vgl insbes zur Entwicklung dieser Kategorie Jauernig FS Weber, S 307 ff. 83 Hier kann dahingestellt bleiben, ob in diesem Zusammenhang auf Grundsätze des erkennbaren Missbrauchs der Vertretungsmacht zurückzugreifen ist, vgl Spickhoff KTS 2000, 15 ff. 84 Dazu oben Rn 11 ff. 85 LSZ/Smid/Leonhardt § 1 Rn 1 ; Braun/Kießner § 1 InsO Rn 12. 86 Im Einzelnen Smid § 42 Rn 1 ff. 87 Kohler, S 99 ff; Henckel FS Weber, S 237 ff; Uhlenbruck, § 80 Rn 2.

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kann, während die konkurslichen Beschlagnahmewirkungen im Insolvenzplanverfahren und besonders unter der Eigenregie des Schuldners gem §§ 270 f InsO stark ausgedünnt sind. In diesem Grundtypus des Insolvenzverfahrens steht weiterhin die Abwicklung des Vermögens unter der Herrschaft der Gläubiger, die befugt sind, durch ihre Organe – Gläubigerversammlung (§§ 74 f, 156 f InsO) und Gläubigerausschuss (§§ 67 f InsO) – die maßgeblichen Entscheidungen zu treffen. Die InsO hat durchaus einzelne Bedingungen verbessert, unter denen das Sanie26 rungsverfahren durchgeführt wird, um die Gleichbehandlung der Gläubiger im Insolvenzverfahren zu gewährleisten.88 In diesem Überblick brauchen nur einzelne beispielhafte Reformmaßnahmen genannt zu werden, die für die Verbesserung der Lage der Verwaltung besonders hervorzuheben sind: Hierzu gehört, dass dem Verwalter im Falle der Insolvenz des Eigentumsvorbehaltskäufers gem § 107 Abs 2 S 1 InsO das Nutzungspotential der Sache bis kurz nach dem Berichtstermin zur Verfügung steht, dass die gesicherten Gläubiger einen Verfahrenskostenbeitrag zu entrichten haben (§ 171 InsO) und schließlich, dass mit der Anfechtbarkeit von Rechtshandlungen gleichstehenden Handlungen des Schuldners ein besonderer Rechtsbehelf gem § 132 Abs 2 InsO bereitgestellt worden ist. 27 Der Unternehmensverkauf bedarf über die erforderliche besondere Zustimmung des Gläubigerausschusses (§ 160 Abs 2 Nr 1 InsO) hinaus der Zustimmung durch die Gläubigerversammlung (§ 157 InsO).89 Liegt diese nicht vor, so kann gem § 161 InsO eine qualifizierte Minderheit von Gläubigern (§ 75 Abs 1 Nr 3 InsO), aber auch der Schuldner, einen Antrag auf einstweilige Untersagung des Unternehmensverkaufs (oder vergleichbarer Verwertungshandlungen!) durch das Insolvenzgericht stellen, wodurch neben einem Schutz der Gläubiger vor Aushöhlung der Masse die verfahrensrechtliche Befugnis des Schuldners zur Vorlage eines Insolvenzplans gem § 218 InsO geschützt werden soll. Verstößt der Verwalter gegen die Vorschriften der §§ 160–163 InsO, ordnet § 164 InsO an, dass die vom Verwalter dabei vorgenommenen Rechtsgeschäfte gleichwohl wirksam sind: Das ist vernünftig, wiewohl abzusehen ist, dass besonders § 163 InsO durchaus geeignet sein kann, erheblichen Streit auf das Feld einer haftungsrechtlichen Inanspruchnahme des Verwalters gem § 60 InsO zu verlagern. ZT wird daher in der Lit90 darauf hingewiesen, für den Verwalter sei die übertragende Sanierung wegen der besonderen betriebswirtschaftlichen Risiken mit erheblichen Haftungsproblemen verbunden, was durchaus nicht zu leugnen ist. Die Regeln der §§ 162 f InsO mildern diese Haftungsprobleme. Trotz der verbleibenden Haftungsrisiken ist doch nicht zu übersehen, dass die übertragende Sanierung gegenüber dem zeitraubenden und kostenintensiven Insolvenzplanverfahren oftmals die sinnvollere Handlungsvariante für den Insolvenzverwalter darstellen wird.

2. Das Insolvenzplanverfahren a) Sanierungsverfahren unter dem Dach des „einheitlichen“ Insolvenzverfahrens 28 Das Herzstück91 der Insolvenzrechtsreform stellen die Regelungen des Sanierungsverfahrens aufgrund eines Insolvenzplans (§§ 217 f InsO) dar. Das Insolvenzplanverfahren ist an

_____ 88 Zu dieser Zielvorgabe der Insolvenzrechtsreform Smid BB 1992, 507 ff; Uhlenbruck/Pape § 1 Rn 12. 89 LSZ/Smid § 157 Rn 3; Braun/Esser § 157 Rn 3. 90 H/W/F Rn 5/342 ff. 91 Kübler/Prütting RWS-Dok 18 Bd I, S 11; H/W/F Rn 1/31; Uhlenbruck/Lüer, vor §§ 217–269 Rn 32 : „Kernstück“.

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die Stelle des Vergleichsverfahrens nach der Vergleichsordnung und des Zwangsvergleichs (§§ 173 f KO, § 16 GesO) getreten. Wie bislang (§ 2 VglO, § 173 KO) hat der Schuldner auch nach neuem Recht die Befugnis zur Vorlage eines Insolvenzplans. Daneben steht ein Planinitiativrecht nach § 218 Abs 1 InsO aber auch dem Verwalter zu. Vorlagebefugnisse der Gläubiger hat der Gesetzgeber nicht vorgesehen; die Gläubiger können aber durch Beschluss der Gläubigerversammlung gem § 157 S 2 InsO den Verwalter verpflichten, einen Insolvenzplan auszuarbeiten, und ihm das „Ziel“ dieses Planes aufgeben.92 Durch die gegenüber dem bisherigen Vergleichsrecht höhere Flexibilität der Gestaltungsmöglichkeiten und die Eingriffsrechte aufgrund eines Insolvenzplans gewinnt das Verfahren an Attraktivität.93 Der Gesetzgeber ist freilich von der zunächst im Verlauf der Reformdiskussion geäu- 29 ßerten Ablehnung94 der übertragenden Sanierung und der Statuierung eines exklusiven gesetzlichen Verfahrens zur Reorganisation und Sanierung des Unternehmensträgers mit der Regelung der übertragenden Sanierung abgerückt, die, wie oben95 dargestellt, den Vorteil eines geringeren bürokratischen Aufwandes hat, während das Insolvenzplanverfahren nicht frei von Schwerfälligkeiten ist. Deshalb und weil es im Insolvenzplanverfahren im Wesentlichen um die Sanierung von Unternehmensträgern geht, ist zu erwarten, dass es im Wesentlichen von Schuldnern initiiert werden wird.96 Wesentlich für das Insolvenzplanverfahren ist, dass mit der Zulassung des Insol- 30 venzplans durch das Insolvenzgericht gem § 231 InsO die Gläubigerversammlung als Organ der Gläubigerselbstverwaltung ausgeschaltet wird. Deshalb wird dem Insolvenzgericht durch § 231 Abs 1 Nrn 2 und 3 InsO ein erheblich weiterer Spielraum zur Prüfung des vom Schuldner vorgelegten Insolvenzplans eingeräumt als im Falle der Insolvenzplaninitiative des Verwalters. Über die Annahme des Insolvenzplans dürfen nur diejenigen Gläubiger abstimmen, deren Rechte durch den Plan betroffen sind (§ 237 Abs 2, § 238 Abs 2 InsO). Aber auch die übrigen Gläubiger treten nicht als Gemeinschaft zusammen, sondern haben in Gruppen abzustimmen, die durch den Plan gebildet werden, was es im Unterschied zu Vergleich und Zwangsvergleich erlaubt, in Bezug auf die Rechte verschiedener Gläubigergruppen differenzierte Regelungen im Insolvenzplan vorzusehen (arg § 226 Abs 1 InsO).97 Das nach den allg gesetzlichen Regelungen durchzuführende Insolvenzverfahren 31 wird nur dann mit Bestätigung des Insolvenzplans beendet, wenn in allen Abstimmungsgruppen eine Mehrheit für die Annahme des Planes gestimmt hat. Der Plan gilt aber auch dann als angenommen und ist vom Insolvenzgericht zu bestätigen, wenn seine Ablehnung als „Obstruktion“ (Akkordstörung) zu werten ist. Hierfür hat der Gesetzgeber in § 245 InsO Tatbestände normiert, deren Auslegung nicht unerhebliche Probleme auslöst.98 Schuldnerinitiative und -eigenverwaltung, Stopp der individuellen Rechtsverfolgung (§§ 87 f

_____ 92 Smid WM 1996, 1249, 1252 f; Uhlenbruck § 157 Rn 2; Braun/Esser § 157 Rn 5. 93 Rattunde ZIP 2003, 589 ff, hat die aus der starren gesetzlichen Regelung folgenden Probleme des Verfahrens und die Möglichkeiten pragmatischer Abhilfen anhand des einzigen im Bereich eines operativ tätigen großen Handels- und Industrieunternehmens durchgeführten Insolvenzplans (PBS Herlitz AG in Berlin) eingehend dargestellt. 94 Eingehend Balz, S 26 f; MK/Eidenmüller, vor §§ 217–269 Rn 2. 95 Rn 10, 13 und unten 20. 96 LSZ/Rattunde § 218 Rn 2 ff u 11 ff. 97 LSZ/Rattunde § 222 Rn 5; Braun/Uhlenbruck, S 516 ff und 592 ff; Smid InVo 1997, 169 ff (insbes zur gerichtlichen Kontrolle der Gruppenbildung). 98 Smid InVo 2000, 1 ff (zur Auseinandersetzung mit der dt Judikatur zu § 245 InsO); ders FS Pawlowski, S 387 ff; aA Braun/Uhlenbruck, S 620 ff; Uhlenbruck/Lüer § 245 Rn 3.

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InsO) bei gleichzeitiger Aussetzung der Verwertung und Verteilung (§ 233 InsO), weitgehende Eingriffsmöglichkeiten in Rechte der gesicherten Gläubiger, Gruppenbildung und Obstruktionsverbot machen das Insolvenzplanverfahren zu einem Werkzeug des Schuldners gegenüber seinen Gläubigern, dem durchaus Gefahren innewohnen,99 das in seinen wünschenswerten Möglichkeiten100 indes noch nicht vollständig erfasst ist.

b) Sanierung durch den Schuldner 32 Der erhebliche Aufwand eines Insolvenzplanverfahrens hat nur dann einen Sinn, wenn

das Verfahren frühzeitig, dh noch vor dem durch Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung signalisierten Zusammenbruch des Schuldners, eingeleitet wird. Hierzu dient der Tatbestand der drohenden Zahlungsunfähigkeit gem § 18 InsO: Er erlaubt es dem Schuldner oder seinen Organen, frühzeitig einen Eigenantrag zu stellen. 33 Dem Schuldner ist es nämlich möglich, seinen auf drohende Zahlungsunfähigkeit gestützten Eigenantrag mit dem Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung gem § 270 InsO und der Vorlage eines Insolvenzplans zu verknüpfen.101 Er hat dann die Stellung eines Debtor in possession,102 dem die Fortsetzung der Geschäftstätigkeit (allerdings unter der Aufsicht eines Sachwalters, § 274 InsO) weiterhin möglich ist. Die Insolvenzgerichte haben Zurückhaltung bis Scheu bei der Anordnung der Eigen34 verwaltung an den Tag gelegt. Der Fall Kirch Media AG ist durch die Presse gegangen als Beispiel für dilatorische Abwicklung des Verfahrens; die Wahl des Sachwalters zum Vorstand einer hundertprozentigen Tochter der eigenverwaltenden Schuldnerin („Pro 7“) unter Ausbleiben von Aufsichtsmaßnahmen des Insolvenzgerichts dürfte die Skepsis gegenüber diesem Rechtsinstitut kaum reduzieren. Im Fall der Babcock AG hat bereits der Eröffnungsbeschluss des AG Duisburg103 Erstaunen hervorgerufen. Im Schrifttum wird vermutet, dass diese Verwerfungen darauf beruhen, dass das deutsche Recht den Zusammenhang zwischen Eigenverwaltung und Reorganisation aufgelöst hat.104

III. Beteiligte des Insolvenzverfahrens 1. Insolvenzfähigkeit des Schuldners a) Insolvenzverfahrensfähigkeit des Schuldners 35 § 11 Abs 1 InsO bestimmt, dass das Insolvenzverfahren über das Vermögen natürlicher und juristischer Personen eröffnet werden kann. Wie bereits bisher durch § 213 KO wird der nicht rechtsfähige Verein den juristischen Personen gleichgestellt (§ 11 Abs 1 S 2 InsO). An das bisherige Recht knüpft auch § 11 Abs 3 InsO an, der die Selbstverständlichkeit klarstellt, dass auch bei in Liquidation befindlichen juristischen Personen ein Insolvenzverfahren so lange eröffnet werden kann, wie deren Vermögen noch nicht (vollständig) verteilt worden ist. Für natürliche Personen macht die Insolvenzordnung ebenso

_____ 99 Smid InVo 1997, 169 ff. 100 Rattunde ZIP 2003, 598 ff (zum Insolvenzplan im Fall Herlitz). 101 Die Einzelheiten sind höchst str und komplex, vgl Huhn insbes Rn 35 ff, der die gesetzlichen Tatbestände und Motive des Gesetzgebers eingehend darstellt. 102 Zu dieser Institution des US-amerikanischen Insolvenzrechts vgl Smid/Rattunde/Martini Rn 18.20 ff; Braun/Uhlenbruck, S 499; Uhlenbruck § 270 Rn 1 ff; MK/Wittig/Tetzlaff, vor §§ 270–285 Rn 11. 103 AG Duisburg DZWIR 2002, 522; dazu eingehend Smid DZWIR 2002, 493. 104 Wehdeking §§ 3 und 8.

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wenig wie das bisherige Konkursrecht einen Unterschied zwischen Kaufleuten und Nichtkaufleuten.105 Das neue Recht unterscheidet aber insofern zwischen dem Verfahren der unternehmerischen Insolvenz und Kleinverfahren. Neben natürlichen Personen gem § 11 Abs 1 InsO sind iE also insolvenzfähig: der 36 rechtsfähige Verein, die AG, die GmbH, die KGaA, der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, die selbständige Stiftung und die eingetragene Genossenschaft. Das entspricht dem bisherigen Rechtszustand. Liegt ein Kleininsolvenzverfahren vor, greifen die besonderen Eröffnungsvorausset- 37 zungen des § 305 InsO. In Grenzbereichen kann dies insbes dann zu Problemen führen, wenn die Insolvenzgeldzahlung von der Verfahrenseröffnung abhängt.

b) Insolvenzverfahrensfähigkeit prozessunfähiger oder teilrechtsfähiger Schuldner Keine Änderung ergibt sich in Bezug auf Personenhandelsgesellschaften (OHG, KG), die gem § 11 Abs 2 Nr 1 InsO insolvenzfähig sind.106 Schließlich sind insolvenzfähig der Nachlass, das eheliche Gesamtgut oder die fortgesetzte Gütergemeinschaft gem § 11 Abs 2 Nr 2 InsO. Interessant am neuen Recht ist, dass § 11 Abs 2 Nr 2 InsO die Insolvenzfähigkeit der Partnergesellschaft, der Gesellschaft bürgerlichen Rechts, 107 der Europäischen Wirtschaftlichen Interessenvereinigung (EWIV) und der Partenreederei (§ 489 HGB) anordnet. Damit sind eine Reihe von Fragen geklärt, andere und neue Probleme aber erst aufgeworfen worden. Reine Innengesellschaften, die keine Rechtsbeziehungen zu Dritten begründen, sind demgegenüber nicht insolvenzfähig,108 da bei ihnen ein Grund für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nicht eintreten kann. Dies gilt auch für die stille Gesellschaft.109 Der Streit um die Insolvenzfähigkeit von Vorgründungsgesellschaften110 der künftigen GmbH oder Aktiengesellschaft braucht hier nicht aufgegriffen zu werden, er ist zugunsten ihrer Insolvenzfähigkeit entschieden worden. Denn diese Gesellschaftsformen sind jedenfalls im Vorfeld der Entstehung eines Unternehmensträgers wirtschaftlich tätig. Soweit eine GbR daher als Wirtschaftssubjekt auftritt, besteht an ihrer Insolvenzfähigkeit nach neuem Recht kein Zweifel.111 Schwierigkeiten bereitet die Bejahung der Insolvenzfähigkeit einer jeden GbR allein aufgrund des Wortlauts des § 11 Abs 2 Nr 2 InsO.112 Eine teleologische Reduktion der Vorschrift liegt nahe, weil die BGB-Gesellschaft zusammen mit der EWIV, der Partnerschaftsgesellschaft und der Partenreederei – also wirtschaftlich tätigen Gesellschaften – aufgeführt wird.113 Ein weiteres Problem der Insolvenzfähigkeit der GbR betrifft eher verfahrensrechtliche Erwägungen. Wenn bspw die Gesellschafter A, B und C im Grundbuch der Gemeinde

_____ 105 K/P/B/Prütting § 11 Rn 9; Braun/Bußhardt § 11 Rn 5; Uhlenbruck/Hirte § 11 Rn 7; MK/Ott/Vuia § 11 Rn 11. 106 LSZ/Leonhard/Smid § 11 Rn 9; Uhlenbruck/Hirte § 11 Rn 234; MK/Ott/Vuia § 11 Rn 42; Braun/Bußhardt § 11 Rn 8. 107 Hierzu Fehl FS Pawlowski, S 243 ff; Uhlenbruck/Hirte § 11 Rn 368; Braun/Bußhardt § 11 Rn 8; MK/Ott § 11 Rn 49. 108 KS/K Schmidt, S 1199, 1202 (Rn 7); Jaeger/Ehricke, § 11 Rn 68; MK/Ott/Vuia, § 11 Rn 53. 109 LSZ/Smid/Leonhardt § 11 Rn 11. 110 Hess § 11 Rn 26 ff u 68 ff; Uhlenbruck/Hirte § 11 Rn 241; MK/Ott/Vuia, InsO, § 11 Rn 14 u 24. 111 Braun/Uhlenbruck, S 68 f; FK-InsO/Schmerbach § 11 Rn 28. 112 Dazu LSZ/Smid/Leonhardt § 11 Rn 13. 113 Vgl K/P/B/Prütting § 11 Rn 10 u Rn 25.

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X und im Grundbuch der Gemeinde Y stehen, ist es für den Verwalter im Falle der Gesellschafterinsolvenz eindeutig, in welcher Weise er wegen des Gesamthandsanteils des Gesellschafters A die Eintragung eines Insolvenzvermerks (§ 32 Abs 1 InsO) in das Grundbuch zu veranlassen hat. Im Falle der Gesellschaftsinsolvenz ist das schon erheblich problematischer: Handelt es sich bei A, B und C um eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die mehrere Immobilien hält? Oder handelt es sich jeweils um mehrere Gesellschaften? An wen ist zuzustellen?

c) Insolvenzfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts 42 Das neue Recht bringt wegen der Insolvenzfähigkeit juristischer Personen des öffentli-

chen Rechts gegenüber dem bisherigen Rechtszustand keine Neuerungen: In § 12 Abs 1 Nr 1 InsO wird die Insolvenzfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts insoweit allg ausgeschlossen, wie es sich um den Bund oder ein Land handelt. In anderen Fällen sind juristische Personen des öffentlichen Rechts iAllg insolvenzfähig, es sei denn, durch Landesrecht ist die Insolvenzfähigkeit solcher juristischen Personen des öffentlichen Rechts, die der Aufsicht des Landes unterstehen, ausgeschlossen (§ 12 Abs 1 Nr 2 InsO).

2. Der Schuldner als Verfahrensbeteiligter im einheitlichen Insolvenzverfahren a) Im liquidierenden Verfahren aa) Entmachtung des Schuldners als Regelfall 43 Im herkömmlichen Insolvenzrecht war die Stellung des Schuldners durch seine Entmachtung gekennzeichnet: die Befugnisse zur Entscheidung über Art und Weise der Verwertung des Schuldnervermögens lagen im Wesentlichen bei der Gläubigerversammlung, die unter der Aufsicht des Insolvenzgerichts stand. Für das hier sog „Normalverfahren“ der Liquidation des schuldnerischen Vermögens gilt dies im Großen und Ganzen auch im neuen Recht. Dementspr beschränkt auf die Wahrung seiner Rechte waren und sind in diesem Fall die Verfahrensteilnahmerechte des Schuldners, der insbes von der Beschlussfassung über die Durchführung des Verfahrens ausgeschlossen ist, die allein bei der Gläubigerversammlung liegt. Diese Art der Beschreibung kann aber nach dem neuen Recht weder einen abschließenden Charakter haben noch Anspruch auf vollständige Richtigkeit erheben. Die Darstellung des verfahrensrechtlichen Reflexes der Entmachtung des Schuldners aufgrund des Konkurses korrespondierte im bisherigen Recht damit, dass sich die Stellung des Schuldners im Konkurs von derjenigen im Vergleichsverfahren grundlegend dadurch unterschied, dass die Eröffnung des Vergleichsverfahrens regelmäßig noch nicht die Entsetzung des Schuldners aus der Führung seiner Geschäfte mit sich brachte. Die Einrichtung eines einheitlichen Insolvenzverfahrens durch die Insolvenzrechtsreform hat auch insofern Folgen nach sich gezogen.

bb) Erklärungs- und Auskunftspflichten des Schuldners 44 Der IX. Zivilsenat des BGH114 hat darauf erkannt, dass der Schuldner die eidesstattliche

Versicherung der Vollständigkeit eines vom Insolvenzverwalter angefertigten Vermögensverzeichnisses nach § 153 Abs 2 InsO nicht unter Berufung darauf verweigern darf,

_____ 114 BGH, 21.10.2010 – IX ZB 24/10, ZIP 2010, 2306.

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das Verzeichnis sei unrichtig oder unvollständig. Da es dem Schuldner obliegt, Unrichtigkeiten oder Unvollständigkeiten des vom Verwalter erstellten Verzeichnisses zu korrigieren oder das Verzeichnis zu vervollständigen, ist er nicht dazu berechtigt, wegen gerade solcher Unstimmigkeiten der von dem Insolvenzverwalter gefertigten Vermögensübersicht die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zu verweigern. Denn das Verfahren der eidesstattlichen Versicherung dient gerade dazu, Unvollständigkeiten oder Unrichtigkeiten zu bereinigen.

cc) Wirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf berufliche Schweigepflichten des Schuldners Mit Beschluss vom 5.2.2009115 hat der IX. Zivilsenat des BGH seine Judikatur zum Ver- 45 hältnis der ärztlichen Schweigepflicht zum Schutz des Persönlichkeitsrechts der Patienten und seiner in dem über sein Vermögen eröffneten Insolvenzverfahren bestehenden Mitwirkungs- und Auskunftspflicht gegenüber dem Insolvenzverwalter weiter ausgebaut. Dort ging es um das Insolvenzverfahren, das über das Vermögen eines Facharztes für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychoanalyse eröffnet worden war, in dem naturgemäß die Auskunftspflichten des insolventen Arztes in besonderem Maße persönlichkeitsrechtliche Implikationen haben. Der IX. Zivilsenat hält aber auch in diesem Fall an seiner Judikatur fest, dass ein Vorrang des Bedürfnisses nach Offenlegung der Patientendaten gegenüber dem Insolvenzverwalter vor dem Anspruch des Patienten auf Schutz seiner Daten aus dem vorrangigen Interesse der Insolvenzgläubiger einer Transparenz der Einnahmen ihres Schuldners abzuleiten sei.116 Ansonsten wäre der insolvente Arzt in der Lage, seine Einkünfte dauerhaft vor seinen Gläubigern zu verschleiern. Dass er hierzu nicht berechtigt sein kann, ergibt sich im Übrigen ja bereits aus weiteren Vorentscheidungen der Rechtsordnung, wie namentlich § 283 StGB.

b) Im Sanierungsverfahren Im Insolvenzplanverfahren kehrt sich die Situation gegenüber der im „Normalfall“ des 46 liquidierenden Insolvenzverfahrens nachgerade um: Durch die Möglichkeit einer frühzeitigen Verfahrenseinleitung gem § 18 Abs 1 InsO, die Beantragung der Eigenverwaltung in jedem Stadium des Verfahrens und der verfahrensrechtlichen Entmachtung einer Gläubigerschaft durch die Gruppenbildung im Insolvenzplanverfahren, mit dem tiefe Einschnitte in die materielle Rechtsstellung der Gläubiger vorgenommen werden können, erhält der Schuldner daher im neuen einheitlichen Insolvenzverfahren eine gegenüber dem bisherigen Recht neue, starke Position. War der Schuldner im alten Konkursrecht von der Mitbestimmung bei der Festlegung der Form und der Ziele des Verfahrens ausgeschlossen, weil es zweifelsfrei ein in die Hand der Gläubiger gelegtes Exekutionsverfahren darstellte, liegen die Dinge heute anders und sind differenzierter zu betrachten.117 Der Schuldner hat die Möglichkeit, sich der prozessualen und exekutorischen Rechtsverfolgung seiner Gläubiger durch Stellung eines Eigenantrages weithin zu entledigen und zugleich bei Anordnung der Eigenverwaltung im Besitz der Verfügungsgewalt über sein Unternehmen zu bleiben. Überdies hat er weitaus größere Gestaltungsmög-

_____ 115 BGH, 5.2.2009 – IX ZB 85/08, ZIP 2009, 976. 116 BGH, 17.2.2005 – IX ZB 62/04, BGHZ, 162, 187, 194. 117 Darauf weist KS/Grub, S 513 Fn 1, zu Recht gegenüber Hess hin; Braun/Braun/Frank vor § 217 Rn 10.

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472 | 2. Kapitel: Die gesellschaftsrechtlichen Funktionsträger

lichkeit mit dem Ziel der Schmälerung der Position seiner Gläubiger als im bisherigen Recht. Damit korrespondieren eigene verfahrensrechtliche Teilnahmebefugnisse des 47 Schuldners, die über den Eigenantrag des überkommenen Rechts hinausgehen: Der gerade auch im Liquidationsverfahren zulässige Antrag auf Abstimmung über die Veräußerung des Unternehmens unter Wert (§ 162 InsO); der Antrag auf Zulassung eines Insolvenzplans (Vorlagerecht, § 218 Abs 1 InsO) mit den verfahrens- und materiellrechtlich dahinter stehenden Befugnissen zur Einteilung der Gläubiger in Gruppen und des Eingriffs in ihre Forderungen und Sicherheiten; Abänderungsbefugnisse gem § 240 InsO; der Antrag auf Versagung der Bestätigung des Insolvenzplans gem § 249 InsO. 48 § 217 InsO bestimmt, dass die Befriedigung der absonderungsberechtigten und der Insolvenzgläubiger, die Verwertung der Insolvenzmasse und deren Verteilung an die Beteiligten sowie die Haftung des Schuldners nach der Beendigung des Insolvenzverfahrens in einem Insolvenzplan abweichend von den Vorschriften dieses Gesetzes geregelt werden können. Typischer Fall eines Insolvenzplans ist der Sanierungsplan.118 Er zielt auf die Wiederherstellung der Ertragskraft des schuldnerischen Unternehmens und die Befriedigung der Gläubiger aus den Erträgen. Zugleich kann vorgesehen werden, dass der Schuldner das Unternehmen fortführen und die langfristig gestundeten Insolvenzforderungen im Laufe der Jahre berichtigen soll. 49 Der Plan stellt sich zum einen gegenüber dem Schuldner als Novation der Titel dar, soweit diese von Gläubigern vorkonkurslich erstritten worden sind. Soweit Dritte – Bürgschaftsgeber, aber auch Gesellschafter usf – sich ohne Vorbehalt der Vorausklage im Rahmen des Planes verpflichtet haben, ist der Plan nach § 257 Abs 2 InsO Vollstreckungstitel, wobei diese Dritten mit der Drittwiderspruchsklage gem § 771 ZPO geltend machen können, sie seien nicht am Verfahren beteiligt gewesen. Schließlich treten die Gestaltungswirkungen des Planes (vgl § 221 InsO) mit dessen Bestätigung gem § 254 Abs 1 S 1 InsO ein. IE sind darunter materiell-rechtliche Regelungen wie Erlass, Verzicht, Stundung, Fristverlängerungen usf zu verstehen.119

c) Unterwerfung unter Verfahrensdiktate; Wirkungen der Verfahrenseröffnung auf den Status des Schuldners 50 Neben den erheblichen personenrechtlichen Einschränkungen (Zwangsmaßnahmen zur Durchsetzung seiner Mitwirkungspflichten nach §§ 97, 98, 101 InsO; Postsperre gem § 99 InsO), die der Abwicklung des Insolvenzverfahrens selbst dienen, sind weitere Beschränkungen in seiner persönlichen oder beruflichen Stellung möglich. Unter Nachvollziehung verfassungsrechtlicher und rechtspolitischer Bedenken gegen die Vorläuferregelungen wurde die dem überkommenen Recht eigene formale Anknüpfung an die Eröffnung des Verfahrens überwunden.120 Dies betrifft insbes die Fälle der familienrechtlichen Vermögenssorge. Die Aufhebung von § 1670 und § 1781 Nr 3 BGB durch Art 33 Nr 28, 30 EGInsO belässt es bei der allg, von der Verfahrenseröffnung unabhängigen Möglichkeit des Vormundschaftsgerichts, über die Fähigkeit zur Vermögenssorge

_____ 118 Braun/Uhlenbruck, passim: „Reorganisationsplan“. 119 Leipold/Heinze/Stürner/Uhlenbruck/Bork, S 51, 52. 120 Vgl Begr zu Art 31 Nrn 28 f RegE EGInsO, BT-Drs 12/3803, S 75 ff, abgedr bei Kübler/Prütting RWS-Dok 18 Bd II, S 156 f; Häsemeyer Rn 24.01 ff; FK-InsO/Wimmer-Amend § 80 Rn 26; MK/Ott/Vuia § 80 Rn 12; Uhlenbruck § 80 Rn 18.

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§ 10 Auswirkung des eröffneten Insolvenzverfahrens auf die Rechtsstellung | 473

(§ 1667 Abs 1, 5 BGB) und die Eignung als Vormund (§§ 1778 Abs 1 Nr 4, 1779 Abs 2 S 1, 1886 BGB) zu entscheiden. Gleiches gilt für die Eignung als Betreuer (§§ 1897 Abs 1, 1908b Abs 1 BGB) und Pfleger (§ 1915 Abs 1 BGB). Die Regelungen betr die Eignung als Schöffe oder Handelsrichter wurden als Soll-Vorschriften ausgestaltet und knüpfen nunmehr an den Umstand des Vermögensverfalls an (vgl nur §§ 33 Nr 5, 109 Abs 3 S 2 GVG).121 Ähnliches gilt für die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft (§§ 7 Nr 9, 14 Nr 7 BRAO), die Stellung als Notar (§ 50 Abs 1 Nr 5 BNotO) oder als Steuerberater oder Steuerbevollmächtigter (§ 46 Abs 2 Nr 4 StBerG), wobei hier aber bei Verfahrenseröffnung ein Vermögensverfall vermutet wird. IÜ bleibt die personenrechtliche Stellung des Schuldners unberührt. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft 51 werden der rechtsfähige Verein (§ 42 Abs 1 BGB), die rechtsfähige Stiftung (§ 88 BGB), die AG (§ 262 Abs 1 Nr 3 AktG), die KGaA (§§ 289 Abs 2 Nr 1 AktG, 161 Abs 2, 131 Nr 3 HGB) die GmbH (§ 60 Abs 1 Nr 4 GmbHG) die GbR (§ 728 Abs 1 S 1 BGB), die OHG (§ 131 Nr 3 HGB), die KG (§§ 161 Abs 2, 131 Nr 3 HGB), die Partnergesellschaft (§§ 9 Abs 1 PartGG, 131 Nr 3 HGB), die EWIV (§ 131 Nr 3 HGB iVm § 1 EWIV-AusführungsG)122 und die Genossenschaft (§ 101 GenG) aufgelöst. Von der Auflösung der Gesellschaften durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen ist zu unterscheiden die Frage, welchen Einfluss die Verfahrenseröffnung über das Vermögen eines Gesellschafters hat. Die GbR wird in einem solchen Falle kraft Gesetzes aufgelöst (§ 728 Abs 2 S 1 BGB), wenn nicht der Gesellschaftsvertrag ausdrücklich oder durch eine Fortbestehensklausel gem § 736 Abs 1 BGB das Ausscheiden des insolventen Mitglieds vorsieht.123 Gleiches gilt für die stille Gesellschaft, auch sie wird kraft Gesetzes aufgelöst; eine Fortführung nach Ausscheiden des insolventen Gesellschafters ist bei der mehrgliedrigen stillen Gesellschaft möglich.124 Insbes Personenhandelsgesellschaften werden dagegen mit der Eröffnung des Verfahrens über das Vermögen eines Gesellschafters nicht kraft Gesetzes aufgelöst, sondern nur bei entspr Vertragsgestaltung. Das ergibt sich für die OHG und die KG aus § 131 Abs 2 S 1 Nr 2 iVm § 161 Abs 2 HGB, für die KGaA aus § 289 Abs 1 HGB, für die Partnergesellschaft aus § 9 Abs 2 PartGG und für die EWIV aus Art 30 EWIV-VO125 iVm § 8 EWIVAusführungsG.126

d) Anwaltliche Vertretung des Schuldners im Insolvenzverfahren Der IX. Zivilsenat des BGH127 hat darauf erkannt, dass die Vollmacht, die der Schuldner 52 im Eröffnungsverfahren zu seiner Vertretung im Insolvenzverfahren erteilt hat, durch den Erlass des Eröffnungsbeschlusses entgegen § 117 Abs 1 InsO nicht erlischt. Damit schließt sich der IX. Zivilsenat einer verbreiteten Auffassung in der Lit128 an.

_____ 121 Vgl Begr zu Art 12 Nrn 2–4 RegE EGInsO, BT-Drs 12/3803, S 63 f, abgedr bei Kübler/Prütting RWS-Dok 18 Bd II, S 82 f. 122 Gesetz zur Ausführung der EWG-VO über die EWiV vom 14.4.1988, BGBl I 514; MK/Ott/Vuia, InsO, § 11 Rn 60 ff. 123 Häsemeyer Rn 31.70 ff; HeiK-InsO/Marotzke § 118 Rn 6; MK/Ott/Vuia InsO § 118 Rn 5; Braun/Kroth § 118 Rn 5; Uhlenbruck/Hirte § 118 Rn 6. 124 HeiK-InsO/Marotzke § 118 Rn 6. 125 VO über die Schaffung einer EWiV, ABI Nr L 199/1 vom 25.7.1985. 126 Braun/Kroth § 118 Rn 5; Uhlenbruck/Hirte § 118 Rn 6. 127 BGH, 20.1.2011 – IX ZB 242/08, ZIP 2011, 1014. 128 Uhlenbruck/Sinz § 117 InsO Rn 8.

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3. Vermeidung des Verlusts der Einflussnahme auf die Verfahrensgestaltung und -abwicklung durch Beantragung der Eigenverwaltung gem §§ 270 ff InsO – Übersicht a) Voraussetzungen der Anordnung der Eigenverwaltung 53 Durch das ESUG ist die Eigenverwaltung des insolventen Schuldners, die in den Jahren zuvor eine nur marginale Rolle gespielt hat, in den Vordergrund der insolvenzrechtlichen Praxis getreten: § 270 Abs 1 S 2 InsO ordnet an, dass, wird auf Antrag des Schuldners durch insol54 venzgerichtlichen Beschluss die Eigenverwaltung des Schuldners angeordnet, die allg Vorschriften der InsO für das Verfahren gelten. Der 2. HS der zitierten Vorschrift macht davon eine Ausnahme: Nur soweit in dem 7. Teil der InsO (den besonderen Vorschriften über die Eigenverwaltung) nichts anderes bestimmt ist, greifen die allg Vorschriften ein. IE bestimmt § 270 InsO, dass der Schuldner berechtigt ist, unter Aufsicht eines Sachwalters die Insolvenzmasse zu verwalten und über sie zu verfügen, wenn das Insolvenzgericht in dem Beschluss über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Eigenverwaltung anordnet. Auf Verbraucherinsolvenzverfahren nach § 304 InsO sind die Vorschriften der §§ 270 f InsO nicht anzuwenden. Unten wird näher auf die Vorschrift des § 270 Abs 2 InsO einzugehen sein, die regelt, dass die Anordnung voraussetzt, dass sie vom Schuldner beantragt worden ist und dass keine Umstände bekannt sind, die erwarten lassen, dass sie zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird. 55 Ob die Anordnung der Eigenverwaltung insolvenzrechtliche Nachteile für die Gläubiger nach sich zieht, lässt sich allein durch die Fassung der Anordnungsvoraussetzungen des § 270 Abs 2 InsO durch das Insolvenzgericht nicht beantworten. Im Folgenden ist darzustellen, dass der Schuldner, der die Anordnung der Eigenverwaltung begehrt, deren Zulässigkeitsvoraussetzungen dadurch nachweisen muss, dass er einen Insolvenzplan vorlegt: An dessen Aussagen können Gericht und Gläubiger nachvollziehen, welche Maßnahmen der Masseverwaltung der Schuldner zu ergreifen beabsichtigt und welche Folgen die Anordnung der Eigenverwaltung haben wird.129

IV. Legislatorische Entscheidung gegen und systematische Bedeutung eines Junktims von Eigenverwaltung und Insolvenzplan 1. Die Entscheidung des historischen Gesetzgebers 1994/1999 56 Den Antrag nach § 270 InsO hat der Gesetzgeber der InsO 1994/1999 entgegen ursprüng-

lich formulierten anderslautenden Absichten130 nicht mehr – jedenfalls nicht ausdrücklich – an die gleichzeitige Vorlage eines Insolvenzplans geknüpft. Zudem geht die hL zutr davon aus, dass die Eigenverwaltung sowohl im Falle der Reorganisation als auch der Liquidation des schuldnerischen Vermögens angeordnet werden könne. Die Regelungen der Eigenverwaltung sind insofern auch deshalb von dem überkommenen Recht nachdrücklich unterschieden, weil der Gesetzgeber das Ziel verfolgt hat, in einem einheitlichen Insolvenzverfahren die programmatisch in § 1 S 1 InsO131 festgeschriebene Aufgabe der weitest möglichen Befriedigung der Gläubiger mit der Reorganisation des

_____ 129 Zu den gesetzgeberischen Überlegungen vor Einführung des ESUG Frind, ZInso 2010, 1473 ff und 1524 ff; Smid DZWIR 2010, 397 ff. 130 Flöther/Smid/Wehdeking Einführung Rn 5 mit Verweis auf Allg Begr zum RegEInsO BT-Drucks 12/ 2442, S 222 ff; vgl auch Smid/Rattunde/Martini Rn 3.19 ff. 131 Vgl zur näheren Bestimmung der Normqualität des § 1 InsO; LSZ/Smid, § 1 Rn 1, 20 ff.

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§ 10 Auswirkung des eröffneten Insolvenzverfahrens auf die Rechtsstellung | 475

Schuldners zu verknüpfen. Wenn die Sanierungsoption, die das neue Insolvenzrecht nach dem erklärten Willen des Reformgesetzgebers eröffnen soll, angesichts des schwerfälligen (und durch das ESUG eher noch schwerfälliger gewordenen132) Insolvenzplanverfahrens überhaupt einen angebbaren Sinn erhalten soll, dann liegt er in dem Verfahren der Eigenverwaltung des Schuldners begründet. Denn nur unter der Voraussetzung, dass der Schuldner sehr frühzeitig und unter Beibehaltung seiner Verwaltungsbefugnis die Sanierung seines Unternehmens in Angriff zu nehmen rechtlich in Stand gesetzt wird133, kann das Insolvenzrecht ihm eine Vielzahl von Sanierungshilfen bereitstellen, die über das bekannte Instrumentarium der übertragenden Sanierung hinausgehen.

2. Einführung eines Junktims von Vorlage eines Insolvenzplans und Anordnung der Eigenverwaltung durch das ESUG Obwohl die InsO bei Inkrafttreten kein Junktim zwischen Eigenverwaltung und Insol- 57 venzplan vorsah,134 wurde im Schrifttum darauf hingewiesen, dass gleichwohl die Eigenverwaltung nur unter der Voraussetzung nicht nachteilig für die Gläubiger ist, wenn der Schuldner substantiiert darlegt, dass er als debtor in possession „nicht weiterwurschteln“ wird, das aber regelmäßig die Vorlage eines Planes voraussetze.135 Dem hat der Gesetzgeber nunmehr mit § 270b InsO Rechnung getragen, der besagt, dass der Schuldner mit dem Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung die Bescheinigung eines Steuerberaters, Wirtschaftsprüfers oder eines in Insolvenzsachen erfahrenen Rechtsanwalts vorzulegen hat, aus der sich ergibt, dass Zahlungsunfähigkeit droht und die angestrebte Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist.136 Ergibt sich aus der Bescheinigung das Vorliegen der Anordnungsvoraussetzungen, bestimmt das Gericht eine Frist zur Vorlage des Plans und ernennt einen vorläufigen Sachwalter. Daraufhin bestimmt das Insolvenzgericht auf Antrag des Schuldners eine Frist zur Vorlage eines Insolvenzplans. Denn § 270b InsO sieht vor, dass das Insolvenzgericht im Eröffnungsverfahren dem Schuldner die Möglichkeit eröffnet, im Schutz eines besonderen Verfahrens in Eigenverwaltung einen Sanierungsplan zu erstellen, der anschließend durch einen Insolvenzplan umgesetzt werden soll. Das Verfahren des § 270b InsO soll dem Schuldner weitere Anreize zur frühzeitigen Antragstellung und zu der – schließlich kostenträchtigen – Ausarbeitung eines Insolvenzplans schaffen.

3. Nachteiligkeit der Eigenverwaltung bei Nichtzulassung des vom Schuldner vorgelegten Insolvenzplans Die Vorlage eines „Planes“ durch den Schuldner hat die Funktion, Gläubigern und In- 58 solvenzgericht Kriterien dafür an die Hand zu geben, die Vereinbarkeit der vom Schuldner begehrten Anordnung der Eigenverwaltung mit den Aufgaben der beantragten Eigenverwaltung darzutun.

_____ 132 133 134 135 136

Vgl hierzu Frind ZInsO 2010, 1525–1527. Statt aller Wehdeking Einl Rn 3 ff, 14 ff, 20 ff et passim. Eingehend hierzu Huhn Rn 278 ff, 1282; Vallender WM 1998, 2129, 2137; Wehdeking Kap 3 Rn 7. Wehdeking Einl Rn 146 (Nr 4). Smid DZWIR 2010, 398, 407.

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4. Pre-packaged-Plan137 59 Das Gericht kann nach alledem auf der Grundlage der Vorlage eines entspr Planes des Schuldners138 beurteilen, ob die begehrte Anordnung der Eigenverwaltung für die Gläubiger nachteilig sein werde. Bieten nämlich die Maßnahmen, die der eigenverwaltende Schuldner umzusetzen beabsichtigt, keine Aussicht auf Erfolg (vgl § 231 Abs 1 Nr 2 InsO), ist nicht zu erkennen, welchen Sinn die Anordnung der Eigenverwaltung haben könnte. Durch das faktische Junktim von Eigenverwaltung und Vorlage eines Insolvenzplans des die Eigenverwaltung beantragenden Schuldners kann nach alledem gewährleistet werden, dass das Insolvenzgericht aufgrund des ihm vorgelegten pre-packaged plans zu beurteilen vermag, ob die Masseverwaltung durch den insolventen Schuldner mit den in § 1 S 1 InsO normierten Aufgaben des Insolvenzverfahrens vereinbar sein kann. Nach überkommenen Recht war das unproblematisch: „Eigenverwaltung“ der Masse durch den Schuldner kannte auch das frühere deutsche Vergleichsrecht und kennt das dem früher geltenden deutschen Recht139 weitgehend entsprechende, noch geltende österreichische Ausgleichsrecht140 mit der Gewährung einer Mindestquote an die Gläubiger. Die Form der Eigenverwaltung, die das österreichische Ausgleichsrecht vorsieht und die das frühere deutsche Vergleichsrecht vorsah, hat damit aber eine andere Bedeutung als die Eigenverwaltung des Schuldners nach den §§ 270 ff InsO. Die Masseverwaltung durch den Ausgleichs- oder Vergleichsschuldner im Vergleichsverfahren stellte zwar eine Form der Eigenverwaltung dar, die Regelung der §§ 270 ff InsO betrifft indes nicht nur ein Insolvenzabwendungsverfahren. Unter der Überschrift der Einführung eines einheitlichen Insolvenzverfahrens hat der Gesetzgeber der Jahre 1994/1999 das Ziel verfolgt, dem Schuldner die Möglichkeit einer Eigenverwaltung gerade auch für liquidierende Verfahren der Unternehmensinsolvenz141 zu eröffnen. Das deutsche Recht geht damit über das US-amerikanische Recht hinaus, das für die Liquidationsverfahren des Chapter 7 zwingend die Einsetzung eines trustee vorsieht.142

5. Bericht an die Gläubigerversammlung als apokryphe Form des Insolvenzplans a) Alternativen zur Vorlage eines Insolvenzplans 60 Seine Gläubiger muss der Schuldner indes über die beabsichtigten Maßnahmen unterrichten. Spätestens im Berichtstermin hat er gem § 282 Abs 2 InsO (an Stelle des nicht bestellten Insolvenzverwalters) einen Bericht zu erstatten, § 156 InsO, auf dessen Grundlage die Gläubigerversammlung über die Abwicklung des Verfahrens gem § 157 InsO entscheidet. Berücksichtigt man die Berichtspflicht des insolventen Schuldners gem §§ 282 Abs 2, 61 156 InsO unbefangen, wird deutlich, dass ihm auch vor der Einführung des ESUG ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung vorgeschrieben wurde, jedenfalls insofern einen „Plan“ seiner Maßnahmen im Rahmen der Eigenverwaltung vorzulegen, als er nicht wortlos der Gläubigerversammlung die Fortdauer seiner Masseverwaltung zuzumuten berechtigt ist.

_____ 137 Smid Handbuch Insolvenzrecht § 26 Rn 9a; ausführlich Gottwald Insolvenzrechts-Handbuch § 68 Rn 1 ff; MK-InsO/Grauke/Youdelmann Bd 3 Anh Länderberichte Rn 43. 138 Wehdeking Kap 3 Rn 1 ff. 139 Wehdeking Kap 1 Rn 1 ff; Flöther/Smid/Wehdeking Einführung Rn 9. 140 Wehdeking Kap 1 Rn 13 ff; Flöther/Smid/Wehdeking Einführung Rn 9. 141 MK/Tetzlaff InsO vor §§ 270–285 Rn 20 ff. 142 MK/Tetzlaff InsO vor §§ 270–285 Rn 40.

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b) Bestellung eines Sachwalters Wird die Eigenverwaltung angeordnet, sieht § 270c InsO vor, dass anstelle des Insol- 62 venzverwalters ein Sachwalter bestellt wird. Die Forderungen der Insolvenzgläubiger sind beim Sachwalter anzumelden. Der Sachwalter hat nach § 274 Abs 2 InsO die wirtschaftliche Lage des Schuldners zu prüfen und die Geschäftsführung sowie die Ausgaben für die Lebensführung zu überwachen. Stellt der Sachwalter Umstände fest, die erwarten lassen, dass die Fortsetzung der Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird, hat er dies nach § 274 Abs 3 InsO unverzüglich dem Gläubigerausschuss und dem Insolvenzgericht anzuzeigen. Ist ein Gläubigerausschuss nicht bestellt, so hat der Sachwalter an dessen Stelle die Insolvenzgläubiger, die Forderungen angemeldet haben, und die absonderungsberechtigten Gläubiger zu unterrichten.

c) Bestellung eines vorläufigen Sachwalters im Eröffnungsverfahren § 270a Abs 1 InsO bestimmt, dass, wenn der Antrag des Schuldners auf Eigenverwaltung 63 nicht offensichtlich aussichtslos ist, das Gericht im Eröffnungsverfahren davon absehen soll, dem Schuldner ein allg Verfügungsverbot aufzuerlegen oder anzuordnen, dass alle Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind. Anstelle des vorläufigen Insolvenzverwalters wird nach § 270a InsO in diesem Fall ein vorläufiger Sachwalter bestellt.

d) Hinweispflichten des Insolvenzgerichts gegenüber dem antragstellenden Schuldner Sieht das Gericht die Voraussetzungen der Eigenverwaltung als nicht gegeben an, so hat 64 es seine Bedenken dem Schuldner mitzuteilen und diesem Gelegenheit zu geben, den Eröffnungsantrag vor der Entscheidung über die Eröffnung zurückzunehmen, § 270a Abs 2 InsO.

e) Schutzschirmverfahren § 270b eröffnet dem Schuldner den Weg in ein sog Schutzschirmverfahren. Hat der 65 Schuldner den Eröffnungsantrag bei drohender Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung gestellt und die Eigenverwaltung beantragt und ist die angestrebte Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos, so bestimmt das Insolvenzgericht auf Antrag des Schuldners eine Frist zur Vorlage eines Insolvenzplans. Die Frist darf höchstens drei Monate betragen. Wichtig ist: Nach § 270b Abs 1 S 3 InsO hat der Schuldner mit dem Antrag die Be- 66 scheinigung über Eröffnungsgrund und Sanierungsaussichten vorzulegen.

6. Bescheinigung a) Anforderungen an die fachliche Qualifikation des „Bescheinigers“ Nach § 270b Abs 1 InsO muss die Person, die die Bescheinigung erstellt (im Folgenden: 67 „Bescheiniger“), ein in Insolvenzsachen erfahrenen Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwalt oder eine Person mit vergleichbarer Qualifikation sein. Die Gesetzesbegründung143 führt dazu aus, dass als Person mit vergleichbarer Qualifikation insbes Steu-

_____ 143 BT-Drs 17/5712.

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erbevollmächtigte oder vereidigte Buchprüfer, die nach § 3 Nr 1 StBerG ebenso wie Steuerberater zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen befugt sind, aber auch Angehörige eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union oder eines Vertragsstaats des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum und Personen gelten, die in einem dieser Staaten ihre berufliche Niederlassung haben und über eine vergleichbare Qualifikation verfügen.144 Der Wirtschaftsprüfer muss vor Annahme des Auftrags feststellen, ob er die gesetzlich geforderten Voraussetzungen erfüllt; insbes muss er über entspr Erfahrung in der Bearbeitung von Insolvenzfällen verfügen. Das Gesetz schreibt nicht vor, welche konkreten Anforderungen an den Wirtschaftsprüfer zu stellen sind. Mit dem Zusatz „in Insolvenzsachen erfahren“ wird jedoch deutlich, dass den „Bescheiniger“ seine Berufsträgerschaft – dh die in der Berufsausbildung gewonnene Kenntnis als Rechtsanwalt, Buchprüfer, Steuerberater usf – allein nicht qualifiziert. Vielmehr ist in zeitlicher Hinsicht davon auszugehen, dass eine mehrjährige Befassung mit deutschen Insolvenz- oder Sanierungsfällen ausreichen wird. In sachlicher Hinsicht ist das Kriterium „in Insolvenzsachen erfahren“ bspw dann erfüllt, wenn der „Bescheiniger“ als Insolvenzverwalter tätig war oder berufliche Erfahrungen in der Sanierungsberatung oder in der Erstellung bzw Begutachtung von Sanierungskonzepten vorweisen kann. Auch ein Fachkundenachweis als Fachanwalt für Insolvenzrecht erfüllt die gesetzlichen Anforderungen. IÜ kann es ratsam sein, dass der Berufsträger vor Auftragsannahme Kontakt mit dem zust Gericht aufnimmt.145

b) Anforderungen an die Unabhängigkeit des „Bescheinigers“ 68 Weiter muss der „Bescheiniger“ nach § 270b Abs 2 S 1 InsO personenunabhängig von

dem vom Insolvenzgericht berufenen vorläufigen Sachwalter sein.

c) Ermächtigung des eigenverwaltenden Schuldners zur Begründung von Masseverbindlichkeiten im Schutzschirmverfahren 69 Von erheblicher Bedeutung ist § 270b Abs 3 InsO: Danach hat (keine Ermessensentscheidung!) auf Antrag des Schuldners das Insolvenzgericht anzuordnen, dass der Schuldner Masseverbindlichkeiten begründet. Das ist deshalb wichtig, weil diese Vorschrift dem eigenverwaltenden Schuldner die Befugnis eröffnet, einen Antrag auf Insolvenzgeldvorfinanzierung zu stellen. Dieser Antrag eröffnet während einer Frist von bis zu 3 Monaten nach Antragstellung die Möglichkeit, die Lohn- und Gehaltskosten zur Masse zu generieren.

7. Tatbestandsvoraussetzungen des § 270 Abs 2 Nr 2 InsO a) Regelungsgehalt der Vorschrift 70 Weiter setzt die Anordnung der Eigenverwaltung nach § 270 Abs 2 Nr 2 InsO voraus, dass dem Insolvenzgericht keine Umstände bekannt sind, die erwarten lassen, dass die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird. Hier bedarf es jedoch keiner Beweisführung über das Vorliegen der negativen Tatsache, dass keine Tatsachen bekannt sind, aufgrund derer sich die Anordnung der Eigenverwaltung als gläubigerbenachteili-

_____ 144 Vgl IDW PS 9 Nr 4. 145 IDW PS 9 Nr 5.

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§ 10 Auswirkung des eröffneten Insolvenzverfahrens auf die Rechtsstellung | 479

gend erweist. Denn nach der gem § 4 InsO zur Anwendung gelangenden Vorschrift des § 291 ZPO bedürfen Tatsachen, die bei dem Gericht offenkundig sind, keines Beweises.146 Die hier ausschlaggebende Tatsache ist gerichtskundig – denn das Gericht kennt seine Akten und weiß daher, dass keine Tatsachen bekannt geworden sind, aus denen darauf zu schließen ist, dass die Anordnung der Eigenverwaltung die Gläubiger benachteiligen würde: Gerichtskundig als Unterfall der Offenkundigkeit147 sind all diejenigen Tatsachen, die das erkennende Gericht – also hier: das Insolvenzgericht – in seiner amtlichen Eigenschaft – also hier: bei Entgegennahme von Erklärungen und Führung der Akten – selbst wahrgenommen hat und die bei Nachprüfung in den Akten zur Kenntnis genommen werden können.148

b) Judikatur des AG Hamburg Selbst unter der Voraussetzung, dass man sich der höchst restriktiven Rspr des AG Ham- 71 burg149 als dem größten norddeutschen Insolvenzgericht zur Anordnung der Eigenverwaltung des insolventen Schuldners anschließen wollte, liegen die Voraussetzung der Anordnung vor, wenn ein „geeigneter Ausnahmefall“ vorliege. Der sei gegeben, wenn ein vorbereitetet Antrage vorliege, ohne dass eine „Nachteilsprognose zum Eröffnungszeitpunkt“ vorliege. Diese Nachteilsprognose habe das Insolvenzgericht spätestens mit dem Eröffnungsbeschluss „nach freiem Ermessen“ zu treffen. Daraus folgert das AG Hamburg, das Eigenverwaltungsverfahren sei nur bei Betriebsfortführungsverfahren mit konkreter Sanierungsaussicht sinnvoll. Das AG Hamburg150 hat in einem zweiten Fall leitsatzartig formuliert, dass die An- 72 ordnung des Eigenverwaltungsverfahrens „wohl vorbereitete“ Insolvenzanträge voraussetze. In einem solchen habe die Geschäftsleitung deutlich zu machen, dass sie den speziellen rechtlichen Anforderungen, die sich im Insolvenzverfahren stellen, gewachsen sei. Es seien Kenntnisse zum Führen von Tabelle und Massenverzeichnis zur gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger und zur regelrechten Begründung von Masseverbindlichkeiten darzulegen.

8. Haftung des Beraters des eigenverwaltenden Schuldners a) Vertragliche Haftung: Pflichtverletzung, § 280 Abs 1 BGB Der Berater, der dem Schuldner beisteht und diesen vorbereitend durch das Eigenver- 73 waltungsverfahren begleitet, haftet für eine pflichtwidrig-fehlerhafte Beratung des eigenverwaltenden Schuldners über dessen insolvenzrechtliche Pflichten. Erstellt er ein fehlerhaftes Gutachten zu den sich aus der Anordnung der Eigenverwaltung ergebenden Pflichten, kommt eine Haftung aus den §§ 631 f, 280 Abs 1 BGB in Betracht, da in derartigen Fällen das fehlerfreie Gutachten als Erfolg geschuldet sein wird. Regelmäßig wird sich das Beratungs- aber als Dauermandat mit dienstvertraglichen Elementen darstellen. Die ordentliche Erfüllung seiner Pflichten aus §§ 611 f BGB setzt zunächst voraus, 74 dass der Berater prüft, ob die Inanspruchnahme und Entlohnung seiner eigenen Tätig-

_____ 146 147 148 149 150

Wieczorek/Schütze-Assmann ZPO § 291 Rn 17; MK-ZPO/Prütting § 291 ZPO Rn 18. Wieczorek/Schütze-Assmann ZPO § 291 Rn 11, 1. Abs. Wieczorek/Schütze-Assmann ZPO § 291 Rn 11, 2. Abs; MK-ZPO/Prütting § 291 ZPO Rn 9. AG Hamburg, 18.12.2013 – 67 c IN 410/13, NJW-Spezial 2014, 55. AG Hamburg, 19.12.2013 – 67 c IN 501/13, BB 2014, 150.

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keit zu einer Gefährdung der anzustrebenden nachhaltigen Sanierung führen kann. Es liegt auf der Hand, dass in Extremfällen sogar die Masse durch kollusives Zusammenwirken von Schuldner und Berater ausgehöhlt werden kann. Steht seine Vergütung dabei zwar in einem „angemessenen Verhältnis zu Leistung, Verantwortung und Haftungsrisiko“, kann der Berater aber absehen oder müsste er absehen können, dass durch ihre Zahlung eine nachhaltige Sanierung des Schuldners gefährdet wird, muss er ausdrücklich hierauf hinweisen und ggf sein Mandat kündigen. Geschieht dies nicht, haftet er auf den Ersatz der durch seine Inanspruchnahme ausgelösten Kosten. Hier sind Fälle denkbar, in denen vom Berater ein vom Schuldner vorgelegter Insol75 venzplan fehlerhaft ausgearbeitet worden und nach § 231 Abs 1 Nr 1 InsO vom Insolvenzgericht zurückgewiesen worden ist.

b) Deliktische Haftung 76 Wird durch die Honorarzahlung an den sanierungsberatenden Rechtsanwalt oder Steu-

erberater eine bestehende Überschuldungslage vertieft, kommt eine Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs151 nach § 826 BGB152 für den täterschaftlich handelnden Berater oder mittäterschaftlich neben dem gesetzlichen Vertreter des Schuldners oder diesen bestärkend wegen psychischer Beihilfe nach § 830 Abs 2 BGB in Betracht. Die Schadenersatzhaftung nach § 826 BGB stellt eine Ersatzhaftung iSd Einstehenmüssens für die durch den Entzug von Gesellschaftsvermögen herbeigeführte Insolvenzreife der Gesellschaft oder die Vertiefung ihrer Insolvenz dar. Wie der II. Zivilsenat des BGH im TrihotelUrteil153 ausgeführt hat, dient die Existenzvernichtungshaftung als solche und ihre Einordnung in § 826 BGB der Schließung einer Schutzlücke für die durch den Eingriff veranlassten Schäden „jenseits der Stammkapitalziffer“, worunter der erkennende Senat insbes die weitergehenden sog Kollateralschäden gefasst hat, die Folge des Eingriffs sind. Der Liquiditätsentzug durch Honorarzahlungen für Leistungen, die der Lage des Unternehmensträgers nicht zu Gute kommen, fallen hierunter. Solche Fälle können auftreten bei einem Scheitern des Sanierungskonzepts – etwa bei Zurückweisung des vom Berater ausgearbeiteten und vom Schuldner vorgelegten Insolvenzplans nach § 231 Abs 1 InsO: Weist das Insolvenzgericht den Insolvenzplan zurück, weil er keine Aussicht auf Annahme durch die Gläubiger hat (§ 231 Abs 1 Nr 2 InsO) oder weil die sich aus dem Plan ergebenden Ansprüche offensichtlich nicht erfüllt werden können (§ 231 Abs 1 Nr 3 InsO)154, mag dieser Plan „nachgebessert“ werden.

c) Schaden 77 Bei dem Schadenersatzanspruch, der gegen den Berater gerichtet ist, geht es um den

Ersatz von Vermögensschäden, sei es aus der Vertragsverletzung, sei es aus Schutzgesetzverletzungen. Der bei dem Mandanten eingetretene Vermögensschaden ist nach der sog Differenzhypothese zu ermitteln.155 Das ruft naturgemäß die Frage hervor, welcher Schaden bei dem krisenbefallenen Unternehmensträger angefallen sein kann. Zum einen

_____ 151 BGH, 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246. 152 Jüngst hat Stöber (ZIP 2013, 2295 ff) versucht, die Existenzvernichtungshaftung aus gesellschaftsrechtlichen Treupflichten abzuleiten und auf § 280 Abs 1 BGB zu gründen. 153 BGH, 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246. 154 Vgl BGH, 6.4.2006 – IX ZB 289/04; Smid, FS Wellensiek, S 665 ff. 155 MK/Oetker InsO § 249 Rn 18 f.

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tritt dabei das an den Berater gezahlte Honorar in den Blick – dessen Bezahlung iÜ auch der Insolvenzanfechtung aus dem Gesichtspunkt der inkongruenten Deckung bzw der vorsätzlichen Gläubigerbenachteiligung unterliegt.156 Wird keine vertragsgemäße Leistung erbracht, kann das Honorar zurückgefordert werden.

9. Prozessführungsbefugnis a) Im Folgeinsolvenzverfahren Im Falle des Scheiterns der Unternehmensreorganisation und -sanierung durch einen 78 von Gläubigern angenommenen und durch das Insolvenzgericht bestätigten Insolvenzplan ist in einem nachfolgend über das Vermögen der schuldnerischen Gesellschaft eröffneten Insolvenzverfahren nach allgemeinen Regeln (§§ 80, 85 f InsO) der dort bestellte Insolvenzverwalter zur Verfolgung von Schadenersatzansprüchen gegen Berater prozessführungsbefugt.157

b) Im laufenden „Eigenverwaltungsverfahren“ Problematisch ist es dagegen, wie die Prozessführungsbefugnis im laufenden „Eigen- 79 verwaltungsverfahren“ verteilt ist. Gegenüber den gesetzlichen Vertretern, die gem § 276a InsO für die schuldnerische Gesellschaft die Eigenverwaltung wahrnehmen, hätte, liest man § 280 InsO, „der Schuldner“ die Ansprüche aus Pflichtverletzung gem. §§ 611, 675, 280 Abs 1 BGB wahrzunehmen. Denn nach § 280 InsO kann der Sachwalter nur die Haftung nach den §§ 92 und 93 InsO für die Insolvenzmasse geltend machen und Rechtshandlungen nach den §§ 129 bis 147 InsO anfechten. Liest man diese Vorschrift als abschließende Auflistung der Prozessführungsbefugnisse des Sachwalters im Eigenverwaltungsverfahren, stellt sich die Frage, ob Schadenersatzansprüche ggf von einem Sonderverwalter (oder Sondersachwalter?) geltend zu machen wären – wie es ja in praxi zT geschieht.158 Ob ein Sonderinsolvenzverwalter bestellt werden darf, nachdem das Insolvenzverfahren unter Anordnung der Eigenverwaltung eröffnet worden ist, begegnet vor der eindeutigen gesetzlichen Kompetenzverteilung zwischen dem Schuldner als Sachwalter in eigenen Angelegenheiten auf der einen und dem Sachwalter auf der anderen Seite doch erheblichen Bedenken. Denn mit einem Sonderinsolvenzverwalter würde auf kaltem Wege die Anordnung der Eigenverwaltung und das Verfahren ihrer nachträglichen Aufhebung nach § 272 InsO unterlaufen. Nach alledem scheinen Schadenersatzansprüche im laufenden Eigenverwaltungs- 80 verfahren allein vom Schuldner geltend gemacht werden zu können – was schon deshalb ersichtlich wenig sinnvoll ist, weil der zum gesetzlichen Vertreter des Schuldners bestellte Berater keinen Insich-Prozess führen kann und wird. Nach alledem wäre die Geltendmachung von Ansprüchen dem Insolvenzverwalter in einem Folgeinsolvenzverfahren vorbehalten. Die überkommene Auslegung des § 280 InsO erscheint dabei, wie Lüke159 überzeu- 81 gend ausgeführt hat, zu kurz gegriffen. Sieht man nämlich, dass § 92 S 2 InsO die Verfol-

_____ 156 Vgl LG Hildesheim, BeckRS 2010, 12654 mwN; Meyer DZWir 2003, 6; Utsch DZWir 2013, 353. 157 MK/Ott/Vuia, InsO, § 80 InsO Rn 74. 158 AG Stendal 19.10.2012 – 7 IN 164/12, ZIP 2012, 2171; Anm hierzu Harbeck, jurisPR-InsR 09/2013 Anm 3. 159 Lüke ZZP Bd. 111, 296.

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gung von Schadenersatzansprüchen gegen den abgesetzten Insolvenzverwalter dem neu bestellten Insolvenzverwalter zuweist, erscheint eine entspr Anwendung des § 92 S 2 InsO richtig, die dem Sachwalter nach § 280 InsO die Prozessführungsbefugnis zu quasinegatorischen, masseschädigendes Verhalten abwehrenden Prozessen gewährt. Anders als einen Insolvenzverwalter im Regelinsolvenzverfahren (§ 59 InsO) kann das Insolvenzgericht freilich den eigenverwaltenden Schuldner nicht seines Amtes entheben; vielmehr ist, wenn Haftungsansprüche gegen den Schuldner oder dessen gesetzliche Vertreter (Gesellschaftsorganträger) bestehen, das Verfahren nach § 272 Abs 1 InsO zu beachten, so dass die Eigenverwaltung nur auf Antrag der Gläubigerversammlung (§ 272 Abs 1 Nr 1 InsO) oder unter Glaubhaftmachung der Nachteiligkeit der Eigenverwaltung von einer der in § 272 Abs 1 Nr 2 InsO genannten Gläubiger vom Insolvenzgericht aufgehoben und ein Insolvenzverwalter bestellt werden kann.

10. Die Gläubiger a) Insolvenzgläubiger 82 Unter den Insolvenzgläubigern versteht man diejenigen Personen, denen zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine persönliche Forderung gegen den Schuldner zusteht (§ 38 InsO: persönlicher Vermögensanspruch) und die an dem Verlust gleichmäßig dadurch teilnehmen, dass sie auf die Dividende (Quote) verwiesen sind. Bevorrechtigungen von Gläubigern, die das überkommene Recht (§ 61 KO) in weitem Umfang eingerichtet hatte und die zur Aushöhlung der Konkursmassen erheblich beigetragen haben, sind durch die Reform gestrichen worden. Eine Ausnahme stellt die Verstärkung der Position der Arbeitnehmer im Hinblick auf die Durchsetzung ihrer Sozialansprüche (§ 123 Abs 2 InsO) dar. 83 Die Aufzählung der nachrangigen Gläubiger in § 39 InsO weicht erheblich vom bisherigen Recht (§ 63 KO) ab: Nachrangig sind die Forderungen wegen der seit Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgelaufenen Zinsen der Forderungen der Insolvenzgläubiger (Nr 1), die Forderungen auf Ersatz der den Insolvenzgläubigern aus der Verfahrensteilnahme erwachsenen Kosten (Nr 2), Forderungen wegen Geldstrafen, Geldbußen, Ordnungsgeldern usf (Nr 3) sowie Forderungen aufgrund Freigebigkeit des Schuldners (Nr 4). 84 Grundsätzlich haben die Gesellschafter einen Auseinandersetzungsanspruch, der sich auf die von Ihnen erbrachte Einlage bezieht. Wegen dieses Anspruchs sind die Gesellschafter nach früherem Konkursrecht keine Konkursgläubiger gewesen;160 sie waren es aber dann, wenn sie ihre Forderung darauf stützten, dass sie der Gesellschaft Darlehen gewährt hatten. Die Judikatur hat den Gesellschaftern die Stellung von Konkursgläubigern aber dann abgesprochen und ihre Anträge für unzulässig gehalten, wenn das Darlehen einen kapitalersetzenden Charakter161 hatte. b) Absonderungsberechtigte Gläubiger162 85 Eine besondere Stellung im Insolvenzverfahren nehmen die gesicherten Gläubiger ein. Denn die Gläubiger, für deren Forderung Sicherheiten bestellt worden sind, können aufgrund ihrer Sicherheit die abgesonderte Befriedigung verlangen. Wegen der Proble-

_____ 160 Brandes Rn 32; Uhlenbruck/Hirte § 39 InsO Rn 9. 161 Vgl dazu oben § 7 sowie unten § 16. 162 Eingehend Smid § 17 Rn 1 ff.

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me, die sich aus den sachenrechtlichen Bestimmtheitserfordernissen ergeben, bedarf es zur Durchsetzung von Sicherheitenrechten im Fall der Insolvenz des Sicherungsgebers des Zusammenschlusses der Sicherheitengläubiger und der Aussonderungsberechtigten. Dieser Zusammenschluss zur gemeinsamen Rechtsausübung erfolgt in Gestalt der Abtretung oder Übereignung des Sicherungsgutes an einen die Sicherheiten treuhänderisch haltenden Poolführer.163 Sofern Gläubiger in – selteneren – Fällen Pfandrechte nach den §§ 1205 f BGB inne- 86 haben oder Grundpfandrechte zu ihren Gunsten begründet worden sind, sind sie dazu berechtigt, die abgesonderte Befriedigung aus der Masse zu verlangen. Die Absonderungsberechtigung begründet iÜ für die Fälle publizitätsloser Mobiliarsicherheiten keinen Herausgabeanspruch des Sicherungsnehmers, sondern ist auf den Verwertungserlös gerichtet (§ 166 InsO). Aufgrund der Bedürfnisse der Kreditsicherungspraxis haben sich Mobiliarpfandrechte in Formen publizitätsloser Sicherheiten herausgebildet: So wird zugunsten des Gläubigers nach §§ 929, 930 BGB dergestalt Sicherungseigentum an beweglichen Sachen begründet, dass aufgrund einer Sicherungsabrede der Kreditnehmer für den Kreditgeber den Besitz an der Sache mittelt. Betrachtet man das Sicherungseigentum sachenrechtlich, gibt es dem Kreditgeber „vollwertiges“ Eigentum mit der Folge, dass er im Rahmen einer Einzelzwangsvollstreckung gegen einen in die Sache pfändenden Gläubiger im Wege der Drittwiderspruchsklage gem § 771 ZPO vorgehen kann. Im Kontext des Insolvenzrechts zählt indessen die dingliche Rechtslage nicht unvermittelt.164 Vielmehr ist danach zu fragen, wie die haftungsrechtliche Zuordnung der Sache ausgestaltet ist. Die hL und stRspr.165 stellen mit Blick auf die Sicherungsabrede auf die Pfandfunktion des Sicherungseigentums ab und behandeln es als Absonderungsrecht. Die haftungsrechtliche Einordnung der zur abgesonderten Befriedigung berechti- 87 genden Sicherungsrechte zieht noch weitere Konsequenzen nach sich. Die vorkonkursliche Einflussnahme der Absonderungsgläubiger, die es im Falle des Sicherungseigentums rechtfertigt, deren dingliche Eigentümerstellung insolvenzrechtlich auf eine Pfandrechtsfunktion zu reduzieren, führt darüber hinaus dazu, dass diese Gläubiger zu Verfahrenskostenbeiträgen herangezogen werden (§ 171 InsO). Bislang konnten solche nicht von Gesetzes wegen verlangt werden. Dabei darf man aber nicht übersehen, dass schon nach bisherigem Recht die gesicherten Gläubiger regelmäßig ein erhebliches Interesse an einer ordnungsgemäßen Abwicklung im Konkurs hatten; gute Konkursverwalter konnten daher schon bislang erfolgreich mit Sicherungsnehmern über Verfahrenskostenbeiträge verhandeln. Im Zweifelsfall konnten die Verfahrenskostenbeiträge bei der Frage der Eröffnungsvoraussetzungen freilich nicht ohne Weiteres berücksichtigt werden. Diese Erwägungen rechtfertigen es iÜ über die Heranziehung zur Finanzierung des 88 Insolvenzverfahrens hinaus, in die Rechte der absonderungsberechtigten Gläubiger zum Zwecke der Sanierung des Gemeinschuldners eingreifen zu können (§ 217 InsO). Durch Insolvenzplan können Absonderungsrechte gewährende Sicherungen beschränkt, im Extremfall sogar vollständig aufgehoben werden.

_____ 163 Vgl genauer Smid § 26 Rn 1 ff. 164 Häsemeyer Rn 1.14 f, 2.22 ff, 2.24 ff; zur vorkonkurslichen Einflussnahme als Grund der Beschränkung dinglicher Sicherheiten; Uhlenbruck/Brinkmann § 51 InsO, Rn 3. 165 RGZ 124, 73, 75; KS/Gottwald/Adolphsen S 805, je mwN.

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c) Aussonderungsberechtigte Gläubiger 89 Nur soweit ein Eigentümer von in der Ist-Masse befindlichen Sachen dem Schuldner nur

das Nutzungspotential der Sache zur Verfügung gestellt hat, ist sein Eigentum unter Insolvenzbedingungen beachtlich: Der Vermieter, Verpächter, Verleiher usf kann daher im Wege der Aussonderung aus der Masse vom Verwalter die Herausgabe der Sache verlangen. Die hL begründet die Aussonderungskraft des Eigentums mit dem Schutz, den das Eigentum auch in der Insolvenz des Mieters, Pächters und Leihnehmers genieße. Das war so lange plausibel, wie besitzlose Pfandrechte nicht die Szene beherrschten. Nach der hM166 ist die rechtliche Position des Eigentumsvorbehaltsverkäufers auch mit der Position desjenigen vergleichbar, der eine im Eigentum eines Dritten stehende, beim Schuldner hinterlegte, durch ihn verwahrte, gemietete oder geliehene Sache aus der IstMasse herausverlangt. Nach der hM hat auch insofern die Aussonderung die Aufgabe, das Eigentum des die Sache herausverlangenden Dritten unter den Bedingungen der Insolvenz des Schuldners zu schützen.167 Das ist aber wenig plausibel. Dem wird von einer Mindermeinung168 entgegengehalten, die Begründung des Aussonderungsrechts mit dem Schutz des Eigentums könne nicht erklären, weshalb das Sicherungseigentum kein Aussonderungsrecht begründe, sondern nur zum Recht auf abgesonderte Befriedigung führe. Die Unterscheidung zwischen Aussonderungs- und Absonderungsrechten sei danach vorzunehmen, ob der Gemeinschuldner nur als Mieter, Pächter oder einem vergleichbaren Rechtsverhältnis über den Nutzungswert der Sache verfügen könne oder ob ihm der „Substanzwert“ der Sache durch ihren Eigentümer zur Verfügung gestellt werde. Im ersten Fall soll ein Aussonderungsrecht bestehen, im zweiten Fall nur ein Recht auf abgesonderte Befriedigung.169 Daraus folgert diese Mindermeinung, auch das Vorbehaltseigentum führe in jedem Fall allein zu einem Recht auf abgesonderte Befriedigung des Gläubigers und nicht zum Aussonderungsrecht.

11. Gläubigerpools a) Formen der Bündelung von Aus- und absonderungsberechtigten Gläubigern in Gläubigerpools170 90 In der Praxis werden verschiedene Formen von Poolvereinbarungen unterschieden. So können Lieferanten einen Pool bilden, was von der früheren Judikatur aus den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts171 insbesondere dann für sinnvoll erachtet und zulässig gehalten worden ist, wenn dadurch eine unter Verletzung der Sicherungsabreden durch den Schuldner herbeigeführte Darlegungsnot der einzelnen Poolmitglieder wegen der Bestimmtheit ihrer Rechte an den gelieferten Sachen vermieden werden und das rechtswidrige Verhalten des Schuldners vor Ausbruch von Krise und Insolvenz konterkariert werden konnte. Auf der anderen Seite stehen die behandelten Konsortialpoolverträge von Banken.172 Schließlich können Lieferanten und Banken in einem gemischten Pool im Wesentlichen ihr gemeinsames Engagement in Krise und Insolvenz des Schuldners ko-

_____ 166 167 168 169 170 171 172

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BGHZ 10, 69, 72; 54, 214, 218f; Staudinger/Beckmann, § 449 BGB, Rn 45. Vgl allg MK/Westermann § 455 BGB, Rn 85. Häsemeyer Rn 11.10. Häsemeyer Rn 11.10; Smid WR 1993, 256, 257 f. Eingehend hierzu Smid, Kreditsicherheiten in der Insolvenz, § 26 Rn 1 ff. BGH ZIP 1983, 98, 99 f; BGH ZIP 1985, 740, 741; BGH ZIP 1988, 1534, 1535. BGH v 2.6.2005 – IX ZR 181/03 – ZInsO 2005, 932.

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ordinieren und Sanierungs- bzw Verwertungsfragen gemeinsam zu lösen versuchen.173 So kann von vornherein von den gesicherten Gläubigern ein so genannter Bassinvertrag mit dem Schuldner geschlossen werden. In diesem Fall erlangt der einzelne Gläubiger keine Sicherheit. Vielmehr überträgt der Schuldner das gesamte Sicherungsgut auf einen Treuhänder, der die Sicherung für alle im Bassinvertrag gebundenen Gläubiger verwaltet und ggf. verwertet.174 Im Übrigen können insbesondere Lieferanten eigene, ihnen bereits vom Schuldner individuell übertragene, Sicherheiten in einen Sicherungspool einbringen.175 Für das Insolvenzverfahren ist strukturell von Bedeutung, dass sowohl im Falle des Bassinvertrages als auch im Falle eines Sicherungspools eine Reihe von besonderen Problemen auftreten, sobald das Verfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet worden ist. Hält176 ein Treuhänder aufgrund Bassinvertrages vorkonkurslich Sicherheiten für die gesicherten Gläubiger, dann führt ein Erwerb der Sicherheiten durch einen der Gläubiger in der Krise nicht selten zu anfechtungsrechtlichen Folgen, da dieser Erwerb nach den mit dem Schuldner geschlossenen vertraglichen Gestaltungen sich als inkongruent erweisen kann. Umgekehrt kann die Bündelung von Gläubigersicherungsrechten etwa bei Sicherungsabgrenzungsverträgen177 dann Probleme ergeben, wenn durch Vereinbarungen zwischen den Gläubigern über das Sicherungsgut der Sache nach verfügt wird. Die Bildung eines Sicherheitenpools in der kritischen Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann demgegenüber unbedenklich sein. In diesen Fällen des Sicherheitenpools wird von den Pfandrechtsgläubigern (den Sicherungseigentümern und Sicherungszessionaren) der jeweilige Sicherungsgegenstand auf die im Pool zur Verfolgung des Zwecks gemeinsamer Rechtsausübung in dem über das Vermögen des Schuldners eröffneten Insolvenzverfahren zu einer BGB-Gesellschaft zusammengeschlossenen Gläubiger übertragen.

b) Konsortialpools aa) Funktion Konsortialpools dienen dazu, die Risiken einer Kreditgewährung auf die Schultern meh- 91 rerer Banken zu verlagern. Bei Konsortialpoolkonstellationen kommt es zwischen dem Darlehensnehmer als Sicherungsgeber und jeder der beteiligten Banken zur Sicherungsgewährung namentlich durch Sicherungszessionen. Diese Sicherheiten können aufgrund ihres abstrakten Charakters selbst treuhänderisch gehalten werden.178 Eine der Konsortialbanken (als „Poolführerin“) oder auch eine Treuhandgesellschaft als Dritte kann dabei durch eine weitere Zession des Sicherungsgegenstandes „Forderung“ unter Abschluss eines Sicherheitenpoolvertrags, der als Treuhandvertrag fungiert, als Treuhänder auftreten und dabei alle an die Konsorten gewährten Sicherheiten bündeln.179 In diesem Sicherheitenpoolvertrag wird das Treuhandverhältnis geregelt und Regelungen über Verwertung und Erlösverteilung getroffen. Unter Einbeziehung des Sicherungsgebers (Darlehensnehmers) in das Vertragsverhältnis können weiterhin die in den

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Serick, Eigentumsvorbehalte und Sicherungsübereignung, Bd. 2, S 238 ff. Serick, Eigentumsvorbehalte und Sicherungsübertragung, Bd. 2, S 186 ff. Mitlehner, Mobiliarsicherheiten im Insolvenzverfahren, Rn 839. BGH v 2.6.2005 – IX ZR 181/03 – ZInsO 2005, 932. Zum Begriff Mitlehner, Mobiliarsicherheiten im Insolvenzverfahren, Rn 840 mwN. Vgl allein FCH-Sicherheitenkompendium/Steinwachs, Rn 133 ff. Steinwachs, aaO.

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ursprünglichen Zessionsverträgen getroffenen Sicherungszweckabreden erweitert werden.180

bb) Judikatur des BGH 92 Der IX. Zivilsenat des BGH hat in seiner Konsortialpoolentscheidung181 aus dem Jahr 2005

darauf erkannt, dass eine vorkonkurslich bei der Poolführerin liegende Sicherungszession – also das Verwertungs-/Pfandrecht an einer dem Schuldner gehörenden Forderung – in der kritischen Zeit nicht mehr unanfechtbar auf eine am Pool beteiligte Bank (zurück)übertragen werden könne. 93 Hat die verrechnende Bank in der kritischen Zeit in anfechtbarer Weise ein Vertragspfandrecht an den Forderungen des Schuldners gegen sie aus dem Kontovertrag erworben, wird diese Anfechtungslage nicht etwa durch die Zession der aus Sicherungszession abgeleiteten besitzlosen Pfandrechte auf die fragliche Bank durch bloßen Sicherheitenaustausch aufgehoben. Bereits in seinem Urteil aus dem Jahr 2005 hatte der BGH freilich auf den Ausschluss der Konzernverrechnung durch § 96 Abs 1 InsO verwiesen, um die Ratio seines Konsortialpoolurteils zu tragen. In einer weiteren Entscheidung aus dem Jahr 2008 geht der BGH aber davon aus, dass grundsätzlich ein Dritter an der Masse zugehörigen Forderung durch Weiterzession des besitzlosen aus einer Sicherungszession erlangten Pfandrechts auf ihn ein Absonderungsrecht in dem über das Vermögen des Zedenten eröffneten Insolvenzverfahrens erlangen könne; § 91 Abs 1 InsO, den der BGH in der Konsortialpoolentscheidung noch zitiert hatte, soll insofern keine Rolle spielen; dies verweist ua auch ein wenig auf die Judikatur des BGH zur treuhänderischen Verwaltung von Grundpfandrechten in der Insolvenz des Schuldners.182 Es liegt auf der Hand, dass diese Judikatur im Konzert mit dem Urteil von 2008183 zum einen in seinen praktischen Wirkungen den Interessen der beteiligten Kreditgeber des Schuldners im Rahmen einer Refinanzierung oder auch einer Umschuldung zB im Rahmen von Sanierungsbemühungen entgegenkommt. Ebenfalls im Hinblick auf die praktischen Folgen dieser Entscheidung liegt auf der Hand, dass sie aus Sicht der Gläubigergemeinschaft (der haftenden Masse) in dem über das Vermögen des Sicherungszedenten eröffneten Insolvenzverfahren neutral bleibt.

cc) Anfechtung und Unwirksamkeit von Verfügungen gem. § 91 Abs 1 InsO 94 In dem vom BGH 2005 entschiedenen Konsortialpoolfall führte die „Weiterzession“

dazu, dass die zuvor anfechtbar erlangte Absonderungsbefugnis wegen des Erwerbs des besitzlosen Pfandrechts an der sicherungszedierten Forderung sich plötzlich als eine unanfechtbare Verrechnungslage dargestellt hätte, wäre nicht dieser Erwerbsvorgang selbst der Insolvenzanfechtung unterworfen worden. Dies aber ist im vorliegenden Fall ebenso vom BGH von vornherein abgelehnt worden; an die Stelle der Verrechnung wäre nämlich bei dem Erwerb der gegen ihn selbst gerichteten Forderung durch den Drittschuldner die Konfusion eingetreten, mit der Konsequenz, dass die Masse ihre Befugnis, die Forderung gegen den Drittschuldner geltend zu machen, eingebüßt hätte. Dies ist

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Steinwachs, aaO. BGH, Urt v 2.6.2005 – IX ZR 181/03, ZInsO 2005, 932 f. BGH, Urt v 21.2.2008 – IX ZR 255/06, NZI 2008, 305 f. BGH, Urt v 21.2.2008 – IX ZR 255/06, NZI 2008, 305 f.

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aber nicht der Fall. Da der Drittschuldner nur ein besitzloses Pfandrecht an der eigenen Forderung erwirbt, bleibt deren Inhaberschaft unangetastet weiter in der Masse. dd) Konsequenzen184 Der Sache nach läuft diese neue Entscheidung des BGH auf folgende Konsequenzen hin: 95 – Über die massezugehörige Forderung des Schuldners gegen Dritte kann im eröffneten Insolvenzverfahren wegen § 91 Abs 1 InsO nicht verfügt werden. – § 91 Abs 1 InsO verbietet auch den Erwerb „neuer“ besitzloser oder vertraglicher Besitzpfandrechte an der massezugehörigen Forderung, die nicht zuvor bereits begründet worden sind. – Der Erwerb besitzloser Pfandrechte an massezughörigen Forderungen ist grundsätzlich im eröffneten Insolvenzverfahren nicht ausgeschlossen. Denn wie sich bereits aus der Rechtsnatur des besitzlosen Pfandrechts, das einem Gläubiger zusteht, ergibt, ist dieses Pfandrecht nicht Teil der Masse in dem über das Schuldnervermögen eröffneten Insolvenzverfahren, da es ja gerade dem Gläubiger ein Absonderungsrecht gewährt. – Wird ein in anfechtbarer Art und Weise erworbenes Absonderungsrecht erst durch den in kritischer Zeit oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vollzogenen Erwerb des besitzlosen Pfandrechts vom Gläubiger seitens eines Erstsicherungseigentümers oder Erstsicherungszessionars erworben, wird damit grundsätzlich gegen § 96 Abs 1 InsO verstoßen; auch dieser Erwerb unterliegt dann rechtlichen Schranken des Insolvenzverfahrens.

c) Lieferantenpools aa) Sachenrechtliche Probleme Bereits aus sachenrechtlichen Gründen erfordert die sinnvolle Verwertung von Siche- 96 rungsgut eine „Bündelung“ der dinglich gesicherten Gläubiger, ohne die Produkte wie zB Automobile in der Insolvenz des produzierenden Unternehmens kaum sinnvoll wirtschaftlich verwertet werden: So ist es seit dem Borgward-Konkurs 1960 bekannt, dass zB ungünstigstenfalls der unter Eigentumsvorbehalt gelieferte Motor aus einem Pkw auszubauen wäre, da er nicht zu den wesentlichen Bestandteilen zu rechnen wäre.185

bb) Verfahrensrechtliche Stellung eines Lieferantenpools Hintergrund der Bildung von „Pools“ ist, dass es den Aus- und Absonderungsberechtig- 97 ten bisweilen schwerfällt, ihr Recht an den in der vom Verwalter in Besitz genommenen Ist-Masse gegenüber dem Konkurs- oder Insolvenzverwalter nachzuweisen.186 Der Sicherheitengläubiger muss nämlich dartun und gegebenenfalls – vorkonkurslich in einem Herausgabeprozess, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Passivprozess auf abgesonderte Befriedigung aus dem Erlösanteil gem. § 170 InsO – beweisen, dass das Recht an dem Sicherungsgegenstand ihm, und keinem anderen zusteht.

_____ 184 Smid, Kreditsicherheiten in der Insolvenz, § 2 Rn 64. 185 MK/Stresemann, BGB, § 93 Rn 13. 186 Smid, Kreditsicherheiten in der Insolvenz, § 26 Rn 20 ff.

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Eine Bündelung aller Aus- und Absonderungsrechte hilft hier aber nicht weiter: Nur diejenigen Rechte, die nach dem sachenrechtlichen Bestimmtheitsprinzip Bestand haben, können in einen Pool eingebracht werden.187 Jedenfalls muss diese Individualisierung des dinglichen Rechtes nach einfachen äußeren Abgrenzungskriterien möglich sein, was insbesondere im Falle von Raumsicherungsverträgen gewährleistet wird. 188 Demzufolge muss der gesicherte Gläubiger den Gegenstand seines behaupteten Rechts dadurch individualisieren, dass zB der Ort des Verbleibs des Gegenstandes benannt wird.

cc) Rechtsformen eines Pools 99 Der Pool der Sicherungsgläubiger stellt sich materiellrechtlich als Gesellschaft bürgerli-

chen Rechts dar189, die den Zweck verfolgt, die Sicherheiten der Gesellschafter im Sicherungsfall zu realisieren, sei es dadurch, dass als neuer Inhaber der dinglichen Rechte zu 100% die Gesellschaft bürgerlichen Rechts, sei es, das ein Treuhänder (im Falle der Konstruktion einer unechten Treuhand190) auftritt.191 Die beabsichtigte Beweiserleichterung – und dies ist von ausschlaggebender Bedeutung für die Beurteilung des heutigen Rechtszustandes – setzt zwingend die Änderung der Rechtszuständigkeit für die dinglichen Rechte voraus, die im Verfahren geltend gemacht werden. Anders ausgedrückt: An die Stelle eines jeden der dinglich Berechtigten tritt mit einer „Bündelung“ dinglicher Rechte die Person eines Treuhänders als Inhaber der Gesamtheit der dinglichen Rechte oder die Gesamthand (Gesellschaft bürgerlichen Rechts), an die die dinglichen Rechte übertragen worden sind.192

dd) Insolvenzrechtliche Grenzen der Poolbildung nach oder vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens 100 Die Zugehörigkeit des im Besitz des Insolvenzverwalters befindlichen Absonderungsgutes zur Soll-Masse durch seine Unterwerfung unter die Verwertungsbefugnis des Insolvenzverwalters führt zwingend zur Anwendbarkeit des § 91 InsO193, der den Rechtserwerb an Massegegenständen ausschließt. Wie sich bereits gezeigt hat, erfasst die Vorschrift selbstverständlich nicht den Rechtserwerb an den Gegenständen, die vom Insolvenzverwalter aus der Ist-Masse an Berechtigte herauszugeben sind. Sie dient nicht dem Schutz seiner Sicherungsaufgaben, die ja possessorisch gewährleistet werden können. Denn § 91 Abs 1 InsO hat die Funktion, die Verwertung der den Gläubigern haftenden (Soll-) Masse durch den Insolvenzverwalter sicherzustellen.194 Die Absonderungsberechtigten können daher nicht mehr rechtlich wirksam ohne Mitwirkung des Insolvenzverwalters „außerhalb“ des Insolvenzverfahrens Verwertungspools bilden.

_____ 187 Gottwald/Adolphsen, § 44 Rn 19. 188 BGH v 20.3.1986 – IX ZR 88/85 – DB 1986, 2121; Bülow, Rn 1095; Prütting, Rn 23a ff. 189 BGH v 3.11.1988 – IX ZR 213/87 – WM 1988, 1784; Obermüller, Rn 6.127; FCH-Sicherheitenkompendium/Steinwachs, 5. Aufl. 2015, Rn 135. 190 Bohlen, Rn 10. 191 Einen Überblick über die Konstruktionen bietet Bülow, Rn 1 ff. 192 Smid, Kreditsicherheiten in der Insolvenz, § 26 Rn 25. 193 Unklar Berl Komm/Blersch/v. Olshausen, InsO, 56. Aufl. 2016, § 91 Rn 3. 194 Stürner, Die Sicherung der Pfandbrief- und Obligationengläubiger vor einer Insolvenz der Hypothekenbank, 1998, weist zutreffend daraufhin, dass Absonderungsberechtigte und ungesicherte Gläubiger in Ansehung ihrer insolvenzverfahrensrechtlichen Stellung einander erheblich angenähert seien.

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Für eine Zulässigkeit der Übertragung der Sicherheiten an einen Treuhänder oder an 101 die Gesamthand der Sicherheitengläubiger spricht demgegenüber nicht, dass damit nur bestehende Rechte durchgesetzt werden sollten. Für die Anwendbarkeit des § 91 Abs 1 InsO ist es daher im Ergebnis ausschlagge- 102 bend, dass zwischen dem Berechtigten und dem für die Summe der Berechtigten die Summe aller Sicherheiten geltend machenden „Pool“ – also dem Treuhänder oder der Gesamthand – ein insolvenzrechtlich verbotenes Verfügungsgeschäft stattfindet.

d) Stellung und Reaktionsmöglichkeiten des Insolvenzverwalters aa) Sprengung eines Sicherheitenpools195 Der Insolvenzverwalter kann den Pool gesicherter Gläubiger sprengen. Dies kann da- 103 durch geschehen, dass er die Sicherheiten eines der Poolmitglieder erwirbt. Dies geschieht dadurch, dass er die Sicherungsabrede, die der Schuldner vorkonkurslich eingegangen ist, gegenüber dem Vertragspartner (gesicherten Gläubiger) erfüllt. Dies könnte sich freilich einem Bedenken aussetzen. Denn der Insolvenzgläubiger muss, um die Sicherungsabrede zu erfüllen, die gesicherte Forderung – mithin eine Insolvenzforderung – vorab aus der Masse befriedigen. Dies scheint gegen das Grundprinzip eines jeden Insolvenzverfahrens zu verstoßen, nämlich gegen den Grundsatz par conditio creditorum. Ein derartiges insolvenzzweckwidriges Verhalten des Insolvenzverwalters wäre gar nichtig oder uU. anderen rechtlichen Einwendungen ausgesetzt. Der Sachverhalt liegt aber in diesen Lagen anders, als in dem vom BGH für den vorläufigen Verwalter entschiedenen Fall, in dem der vorläufige Verwalter Insolvenzforderungen befriedigt hatte, um dadurch den Gläubiger zu weiteren vertragsgemäßen Handlungen zu motivieren und Erwerbsexpektanzen für die Masse zu begründen.196 Da der Verwalter zur Verwertung beweglichen Sicherungsgutes berechtigt ist (§ 166 Abs 1 und Abs 2 InsO), muss er den gesicherten Gläubiger ggf. so stellen, wie dieser bei einer eigenen Verwertung stünde (§ 168 Abs 2, 3 iVm § 170 Abs 2 InsO). Diese Vorschriften zeigen, dass in Ansehung des Sicherungsgutes Verwalter von Gesetzes wegen weitgehende Verwertungsbefugnisse eingeräumt sind, um mit dem Sicherungsgut die Masseverwaltung zu betreiben. Durch den Erwerb der Rechtsposition eines der gesicherten Gläubiger, kommt der Insolvenzverwalter dann in die Lage, einen Sicherheitenpool sprengen zu können. Ein derartiges Verhalten wäre auch nicht nach § 138 Abs 1 BGB dem Verdikt der Sittenwidrigkeit ausgesetzt. Denn insoweit greift das allgemeine Recht der Koalitionsfreiheit ein. Die negative Koalitionsfreiheit überlässt es nämlich den betroffenen Sicherheitengläubigern, ob sie einem Pool beitreten oder nicht.

bb) Heilung unwirksamen Rechtserwerbs zur Erhaltung der Synergieeffekte eines Pools Einen nach § 91 Abs 1 InsO unwirksamen Rechtserwerb kann der Insolvenzverwalter da- 104 durch heilen, dass er nachträglich genehmigt197. Dabei liegt auf der Hand, dass dieser Akt der Genehmigung besonderer Gründe bedarf, um eine haftungsrechtliche Inanspruchnahme des Insolvenzverwalters gem. § 60 Abs 1 InsO zu vermeiden, etwa, wenn

_____ 195 Smid, Kreditsicherheiten in der Insolvenz, § 26 Rn 19. 196 So im Fall BGH, v 13.3.2003 – IX ZR 64/02 – DZWIR 2003, 291. 197 Leonhardt/Smid/Zeuner/Smid, § 91 Rn 14; Kuhn/Uhlenbruck, § 15 Rn 4 aE.

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durch den Pool gesicherter Gläubiger eine Betriebsfortführung finanziert wird, durch die zB eine übertragende Sanierung gewährleistet wird.198

cc) Entscheidungslage des vorläufigen Verwalters 105 Bereits der vorläufige Verwalter muss gegebenenfalls über die Zustimmung zur Konstitu-

tion eines Pools entscheiden. Als vorläufiger Verwalter, dem nach § 22 Abs 1 Nr 2 InsO die Betriebsfortführung obliegt, kann er darauf angewiesen sein, mit den gesicherten Gläubigern zu kooperieren und ist hierzu von Gesetzes wegen auch mit den erforderlichen Kompetenzen ausgestattet, soweit die Verwaltungskompetenz auf ihn als Partei kraft Amtes übergegangen ist.199 Zwar sind die Verfügungen der dinglich berechtigten Gläubiger über ihre Sicherheiten vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners nicht unwirksam. Durch seine Zustimmung zur Bündelung der Sicherheiten kann der vorläufige Verwalter aber die Poolbildung und damit die vor Eröffnung des Verfahrens verabredete Abwicklung absichern.200

12. Das Insolvenzgericht a) Übersicht 106 Nach § 2 Abs 1 InsO wird die Zuständigkeit für Insolvenzsachen bei einem Amtsgericht in jedem Landgerichtsbezirk konzentriert. Nicht anders als im überkommenen Recht obliegt dem Insolvenzgericht die Wahrnehmung von Aufgaben im Eröffnungsverfahren und im Wesentlichen die „Organisation“ des Verfahrens. In der Reformdiskussion zutage getretene Vorschläge für eine Erweiterung der Zuständigkeit des Insolvenzgerichts haben sich nicht durchgesetzt (so die verjährungsunterbrechende Feststellung der Zahlungsunfähigkeit gem. § 165 Abs 2 RegE InsO).201 Vielmehr ist nach dem Vorbild des § 11 Abs 1 GesO die Führung der Tabelle vom Insolvenzgericht weg auf den Verwalter verlagert worden (vgl §§ 28 Abs 1 S 1, 175 InsO).202

b) Insolvenzrichter und Insolvenzrechtspfleger 107 Nach § 18 RPflG hat der Insolvenzrichter die ausschließliche Zuständigkeit für alle Ver-

richtungen und Entscheidungen im Eröffnungsverfahren einschließlich des Erlasses des Eröffnungsbeschlusses, während dem Rechtspfleger, vorbehaltlich der Befugnis des Insolvenzrichters, diese Angelegenheiten an sich zu ziehen (§ 18 Abs 2 RPflG),203 alle Aufgaben anvertraut sind, die nach Erlass des Eröffnungsbeschlusses zu erledigen sind. Dazu gehört ua ggf die Zurückweisung des Insolvenzplans nach § 231 InsO.204

_____ 198 Smid, Kreditsicherheiten in der Insolvenz, § 26 Rn 43. 199 Thiemann, Der vorläufige Verwalter, 2000 (Diss. Halle 1999), passim. 200 Smid, Kreditsicherheiten in der Insolvenz, § 26 Rn 44. 201 Vgl Begr zu § 165 InsO-RegE, BT-Drs 12/4324, S 168 f; Rechtsausschuss zu §§ 165 und 157f InsO-RegE, BT-Drs 12/7302 S 15 und 178, abgedr bei Kübler/Prütting RWS-Dok 18 Bd I, S 364, 365 bzw 616. 202 S Rechtsausschuss zu §§ 32 und 202 InsO-RegE, BT-Drs 12/7302, S 15 und 178, abgedr bei Kübler/ Prütting RWS-Dok 18 Bd I S 196 f bzw 408; Braun/Herzig § 28 InsO Rn 1 ff; Uhlenbruck/Sinz § 175 InsO Rn 2. 203 H/W/F Rn 2/106; MK/Ganter/Lohmann § 2 InsO Rn 21. 204 Näher dazu LSZ/Rechel § 2 InsO Rn 8 ff; Uhlenbruck/Pape § 2 InsO Rn 4.

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c) Örtlich Zuständigkeit aa) Allgemeine Regelung Nach § 3 Abs 1 InsO ist ausschließlich das Insolvenzgericht, in dessen Bezirk der Schuld- 108 ner seinen allg Gerichtsstand hat, örtlich zuständig. Liegt der Mittelpunkt einer selbstständigen wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners an einem anderen Ort, so ist ausschließlich das Insolvenzgericht zuständig, in dessen Bezirk dieser Ort liegt (§ 3 Abs 1 S 2 InsO). Sind mehrere Gerichte zuständig, schließt das Gericht, bei dem zuerst die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt worden ist, gem § 3 Abs 2 InsO die übrigen aus.

bb) Konzerngerichtsstand Im Gleichklang zur Reform der EuInsVO arbeitet der deutsche Reformgesetzgeber an der 109 Einfügung von Vorschriften über einen Konzerngerichtsstand und eine Konzerninsolvenzverwaltung in die InsO. Der InsO-E knüpft ähnlich wie auch schon § 3 und Art 3 EuInsVO im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung an den Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit als zusätzliches Kriterium an. Ein Unternehmensverbund sei demnach immer dann ein Konzern, wenn der Schuldner der Unternehmensgruppe den Mittelpunkt seiner wirtschaftlichen Tätigkeit im Inland hat und entweder unmittelbar oder mittelbar beherrschenden Einfluss hat oder die Gesellschaften unter einheitlicher Leitung miteinander verbunden sind (vgl § 3a Abs 4 InsO-E). Die Regelung lässt somit, ähnlich wie § 290 Abs 1 HGB die Möglichkeit der Ausübung beherrschendem Einflusses ausreichen, aber deckt gleichzeitig auch Fälle ab, in denen Unternehmen entspr § 18 Abs 2 AktG nur über eine einheitliche Leitung zusammengefügt sind, ohne dass das eine Unternehmen von dem anderen in irgendeiner Weise abhängig ist.205 Dies macht den gewählten Konzernbegriff nicht nur relativ leicht händelbar, er wird so auch den Anforderungen der Praxis gerecht, indem er eine unter Umständen rasche, aber auch relativ einfache Prüfung der Frage, ob die konzerninsolvenzrechtlichen Regelungen Anwendung finden, zulässt. Stellt eines der konzernverbundenen Unternehmen einen Eigenantrag, so soll die 110 durch diesen Antrag begründete Zuständigkeit des jeweiligen Insolvenzgerichts unter näher bestimmten Voraussetzungen nunmehr auch für die übrigen Konzerngesellschaften gelten (sog Gruppen-Folgeverfahren). Entscheidend seien ein zulässiger Eröffnungsantrag, ein gemeinsames Interesse der Gläubiger an einer Verfahrenskonzentration beim angerufenen Insolvenzgericht sowie eine nicht offensichtlich untergeordneten Bedeutung des Schuldners für die Unternehmensgruppe (§ 3a Abs 1 InsO-E). Hat das angerufene Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen eines der Gruppe angehörigen Schuldners eröffnet, sich jedoch nicht auch als für die Gruppen-Folgeverfahren zuständig erklärt, so kann dies auf Antrag des Insolvenzverwalters unter den og Voraussetzungen geschehen. Erfolgt der Eröffnungsantrag eines konzernangehörigen Schuldners an einem anderen, als dem bereits bestimmten Gruppen-Gerichtsstand, so kann das angerufene Gericht an das des Gruppen-Gerichtsstandes verweisen. Liegt hingegen zunächst ein Gläubigerantrag vor und stellt der Schuldner daraufhin selbst unverzüglich einen mit einem Verweisungsantrag verbundenen Eigenantrag bei dem zuständigen Konzern-Gericht, so hat die Verweisung zu erfolgen (§ 3b Abs 1 InsO-E). Das Recht, die Verweisung zu beantragen, steht dabei vor Verfahrenseröffnung sowohl dem Schuldner als auch dem vorläufigen Insolvenzverwalter, auf den die Verfügungsbefugnis überge-

_____ 205 Leutheusser-Schnarrenberger ZIP 2013, 100.

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gangen ist, zu. Nach Verfahrenseröffnung ist dies hingegen ausschließlich dem Insolvenzverwalter vorbehalten (§ 3b Abs 2 InsO-E). Sind Verfahren mehrerer oder gar aller Gesellschaften eines Konzerns bei ein und 111 demselben Insolvenzgericht anhängig, entspricht die Bestellung derselben Person zum Verwalter in sämtlichen Verfahren bereits einer verbreiteten Praxis. Dies zeigt, dass eine einheitliche Verwalterbestellung de lege lata prinzipiell bereits möglich ist,206 es jedoch bisweilen an einer gesetzlichen Grundlage fehlt.

d) Amtshaftung 112 Sowohl Handlungen des Insolvenzrechtspflegers als auch die des Insolvenzrichters kön-

nen Amtshaftungsansprüche nach § 839 BGB iVm Art 34 GG auslösen. Denn die Verrichtungen des Insolvenzgerichts stellen sich nicht als spruchrichterliche Tätigkeiten iSv § 839 Abs 2 BGB207 dar, da sowohl das Eröffnungsverfahren208 als auch das eingeleitete Insolvenzverfahren zum Bereich nichtstreitiger Gerichtsverfahren zu zählen sind.

13. Der Verwalter a) Übersicht über die Stellung des Verwalters im „Normalfall“ des liquidierenden Verfahrens aa) Übersicht 113 Die Aufgaben des Verwalters werden eingehend nachfolgend209 dargestellt. Hier mögen folgende Bemerkungen genügen: Die zentrale Gestalt im „Normalfall“ eines (liquidierenden) Insolvenzverfahrens war und bleibt auch im neuen Recht der Verwalter. Ihm obliegt die umfassende Verwaltung der Masse. Der Verwalter tritt an die Stelle des Gemeinschuldners als Betriebsleiter in betriebsverfassungsrechtlicher Hinsicht, aber auch gegenüber den Behörden in polizeirechtlicher Hinsicht. Und nicht zuletzt trägt der Verwalter in abgabenrechtlicher Beziehung die Verantwortung für das schuldnerische Unternehmen. Gegenüber der KO hat die InsO eine Reihe von Aufgaben, die bisher dem Konkursge114 richt oblegen haben, zur Entlastung der Gerichte nach dem Vorbild der GesO auf den Verwalter übertragen, namentlich durch Auftrag des Insolvenzgerichts gem §§ 8 Abs 3, 21 Abs 2 Nr 1 InsO die Durchführung von Zustellungen sowie die Führung der Tabelle (§ 175 S 1 InsO).

bb) Kontenführung 115 Kommt es zu Irrläufern oder Doppelzahlungen oder aber auch zur Vereinnahmung

(„Einzug“) sicherungszedierter Forderungen, nachdem der Sicherungszessionar die dem Schuldner (Sicherungszedenten) vorinsolvenzlich erteilte Inkassobefugnis widerrufen hat, ist der vorläufige Insolvenzverwalter als Konteninhaber in personam bereichert, wenn die Zahlung auf ein Anderkonto erfolgt ist. Er haftet damit persönlich gegenüber dem Einzahler.

_____ 206 207 208 209

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Vgl Eidenmüller ZHR 169 (2005) 528, 540. Hierzu Smid Jura 1990, 225 ff; MK/Graeber, § 58 InsO Rn 62. S dazu oben § 8. Vgl §§ 23 und 24, auch 25 Rn 18 ff und 26 Rn 5 ff.

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Für das eröffnete Insolvenzverfahren ist daher nach Ansicht des IX. Zivilsenats des 116 BGH210 ein Sonderkonto für die Masse einzurichten, das kein Anderkonto ist, um auszuschließen, dass der Insolvenverwalter, der im Eröffnungsverfahren vorläufiger Insolvenzverwalter war, bereicherungsrechtlich wegen der auf dem Anderkonto gutgeschriebenen Beträge in Anspruch genommen wird. Denn der Insolvenzverwalter hat die Rechtsmacht, über die Masse kraft seiner Amtsgewalt aus § 80 Abs 1 InsO zu verfügen, mithin auch über ein für die Masse eingerichtetes Sonderkonto. Dagegen fallen auf einem Anderkonto des Insolvenzverwalters eingehende, für die Masse bestimmte Zahlungen – wie der IX. Zivilsenat zutreffend feststellt – nicht in die Masse. Solche Zahlungen können somit als ein rechtswidriger Abfluss von Masse angesehen werden. Der BGH hat zu seinem Begriffsverständnis des Sonderkontos aber nichts ausgeführt. Da Masseverbindlichkeiten direkt „aus der Masse“ gezahlt werden können, sind 117 Treuhandkontenkonstruktionen entbehrlich. Sofern ein besonderes Konto für sinnvoll erachtet werden sollte, empfiehlt es sich – wie in § 149 Abs 1 InsO vorgesehen – den Gläubigerausschuss eine Bestimmung darüber treffen zu lassen, bei welcher Stelle und zu welchen Bedingungen Geld, Wertpapiere und Kostbarkeiten hinterlegt oder angelegt werden sollen. Ist ein Gläubigerausschuss nicht bestellt oder ermangelt es an einem Beschluss des Gläubigerausschusses hierzu, kann das Insolvenzgericht anordnen, welches die Hinterlegungsstelle sein soll (§ 149 Abs 1 S 2 InsO). Diese Vorschrift ermöglicht es dem Verwalter ein offenes Treuhandkonto mit klarer Massezuordnung zu führen und dies auch nach außen transparent zu machen. Allerdings halten wenige Banken hierzu spezielle Vertragsmuster oder Sonderkonten-AGBs vor.211 Das Insolvenzgericht kann die Bank mit Eröffnung anschreiben und von dort die ausdrückliche Bestätigung erbitten, dass ein Hinterlegungskonto für die Masse geführt wird. Damit ist zugleich der Hinweis zu verbinden, dass dies nicht ein allg Anderkonto sein kann, sondern wie in der Organisation von mündelsicheren Anlagen im Betreuungs- oder Nachlassfällen, das Konto auf den Schuldner als Rechtsträger zu lauten hat, aber mit einem Sperrvermerk zu versehen ist, wonach nur der amtierende und namentlich zu benennende Insolvenzverwalter die Verfügungsbefugnis über das Konto hat.212 Für den Insolvenzverwalter empfiehlt es sich, die Art des Kontos und der Bezeichnung klar begrifflich zu unterscheiden, so dass während der vorläufigen Verwaltung ein echtes Anderkonto mit Begriffszusatz in der Bemerkungszeile „Treuhandkonto vorläufige Verwaltung im Verfahren ABC“ vorzunehmen ist. Nach der Eröffnung ist ein offenes allgemeines Treuhandkonto mit dem Begriffszusatz in der Bemerkungszeile „Hinterlegungskonto als Massekonto im eröffneten Verfahren ABC“ vorzunehmen. In der Insolvenz natürlicher Personen wird es nicht selten zur Wohlverhaltungsperiode kommen, in der ein echtes Anderkonto mit dem Begriffszusatz in der Bemerkungszeile „Treuhandkonto Restschuldbefreiungsphase im Verfahren ABC“ anzubringen ist. Denn mit der Aufhebung des Hauptverfahrens nach § 200 InsO ist der umfassende Massebeschlag beendet und die Befugnis des Treuhänders erfasst nur die gem § 287 Abs 2 InsO abgetretenen Einkünfte, nicht aber Kontenguthaben. Auch hier besteht zur besonderen Vorsicht des Treuhänders Anlass, da bei Irrläufern das Risiko der persönlichen Herausgabe wegen ungerechtfertigter Bereicherung besteht, ohne dass der Einwand der Masseunzulänglichkeit erhoben werden kann.

_____ 210 BGH, 18.12.2008 – IX ZR 192/07, ZIP 2009, 531; sa Rechel, S 436. 211 Vgl zu diesem Problem: Ringstmeyer, FS Runkel S 187, 191; Kuder ZInsO 2009, 584, 586. 212 Ringstmeyer, FS Runkel S 187.

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b) Der Verwalter im Sanierungsverfahren 118 Häufig fungiert der Verwalter als Leiter des schuldnerischen Betriebes;213 der Verwalter,

der das Unternehmen des Schuldners einfach schließt, gehört seit langem der Vergangenheit an. Da die Verwertung durch Zerschlagung des Schuldnervermögens regelmäßig wirtschaftlich wenig sinnvoll ist, muss der Verwalter im Rahmen von Modellen einer übertragenden Sanierung214 umfassend betriebsleitende Funktionen wahrnehmen. Damit wird die Ausdehnung seiner Aufgaben und Befugnisse aber in zweierlei Hinsicht zurückgedrängt: Zum einen kann die Gläubigerversammlung durch Mehrheitsentscheidung dem Verwalter iE die Maßnahmen einer Sanierung dadurch vorschreiben, dass sie ihm die Ausarbeitung eines Insolvenzplans aufgibt. Zum anderen können Gläubiger, aber eben auch der Schuldner durch einen Antrag nach § 270 InsO auf Anordnung der Eigenverwaltung die Befugnisse des Verwalters beenden und auf reine Aufsichtsbefugnisse eines Sachwalters gem § 274 InsO zurückführen.

14. Freigabe a) Übersicht 119 Der Insolvenzverwalter kann Massegegenstände aus der Insolvenzmasse freigeben und dadurch insoweit den Insolvenzbeschlag aufheben. Die Zulässigkeit der Freigabe eines Massegegenstandes wird durch § 32 Abs 3 S 1 InsO vorausgesetzt sowie durch § 35 Abs 2, 3 InsO für Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit des Insolvenzschuldners und in § 109 Abs 1 S 2 InsO für das Wohnungsmietverhältnis des Insolvenzschuldners ausdrücklich geregelt.215

b) Freigabe selbständige Tätigkeit – Haftung für Löhne und Gehälter 120 Wenn der Insolvenzgesetzgeber zur Vereinfachung schreitet und der Praxis das Leben

erleichtern will, liegt die Befürchtung nahe, dass das Verfahren sich nach der Gesetzesänderung als wesentlich komplizierter erweist als es zuvor war. Darauf ist frühzeitig im Zusammenhang der Reform des § 35 InsO mit der Regelung der Freigabe von Massegegenständen in der über das Vermögen natürlicher Personen eröffneten Insolvenz hingewiesen worden.216 Eine Entscheidung des BAG217 bestätigt dies. Das BAG stellt fest, dass die Insolvenzmasse für die Ansprüche aus den vom Schuldner begründeten Arbeitsverhältnissen weiterhaftet, wenn der Insolvenzverwalter mit dem Schuldner die Freigabe der Betriebsmittel und des Neuerwerbs mit Ausnahme des entspr § 850c ZPO pfändbaren Gewinns vereinbart, weil dann die vom Schuldner eingegangenen Arbeitsverhältnisse für die Mehrung der Insolvenzmasse in Anspruch genommen werden.218 Hieran ändert auch die Freigabe der Betriebsmittel nichts, die nur deklaratorischer Natur ist (unechte Freigabe), soweit von ihr Gegenstände erfasst werden, die nach § 811 Abs 1 Nr 5 ZPO unpfändbar und deshalb nach § 36 Abs 1 S 1 InsO nicht Bestandteil der Insolvenzmasse sind. Die Rechtslage ändert sich erst, wenn der Neuerwerb uneingeschränkt freigegeben und lediglich eine Abführungspflicht entspr § 295 Abs 2 InsO – wie es § 35 Abs 2 InsO nF vorsieht – vereinbart wird. Dann geht der Schuldner der selbständigen Erwerbstätigkeit

_____ 213 214 215 216 217 218

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Vgl nur Stüdemann FS KO S 401 ff. Vgl oben Rn 17 und 19, 45 sowie unten § 25. Ausführlich zum Rechtsinstitut der „Freigabe“ Leonhardt/Smid/Zeuner, § 35 InsO Rn 31 ff. Smid WM 2005, 625 ff. BAG, 10.4.2008 – 6 AZR 368/07, ZIP 2008, 1346. BAG, 10.4.2008 – 6 AZR 368/07, ZIP 2008, 1346, Rn 18.

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nicht mehr ausschließlich zugunsten der Insolvenzmasse nach, sondern führt seinen Betrieb in der Hoffnung auf ihm verbleibende Gewinne auf eigene Rechnung. Dann haftet nicht mehr die Insolvenzmasse für Ansprüche von Arbeitnehmern aus danach mit dem Schuldner neu begründeten Arbeitsverhältnissen.219 15. Massegläubiger Als Massegläubiger bezeichnet § 53 InsO diejenigen, die wegen der Kosten des Insol- 121 venzverfahrens (§ 54 InsO) oder aufgrund von Handlungen des durch Eröffnungsbeschluss ernannten Verwalters (§ 55 Abs 1 Nr 1 InsO) oder aufgrund der Erfüllung gegenseitiger Verträge (§ 55 Abs 1 Nr 2 InsO) einen Anspruch gegen die Masse geltend machen. Unechte Masseverbindlichkeiten, besonders die aufgrund sozialpolitischer Entscheidungen des Gesetzgebers als Masseverbindlichkeiten ausgestalteten Ansprüche wegen rückständiger Löhne aus dem Zeitraum vor Verfahrenseröffnung oder Sozialplanansprüche sind (abgesehen von § 123 Abs 2 S 1 InsO) durch die Reform beseitigt worden, was gewiss einen Beitrag zur Gleichbehandlung der Gläubiger leisten wird. Nach § 53 InsO gilt der Grundsatz, dass die Massegläubiger vorab aus der Masse 122 wegen der Kosten und der sonstigen Masseverbindlichkeiten zu befriedigen sind. Die Massegläubiger können daher jenseits der durch die §§ 87 f, 174 f InsO der Rechtsverfolgung durch die Insolvenzgläubiger gesetzten Schranken ihre Ansprüche gegen die Masse außerhalb des Insolvenzverfahrens geltend machen und auch im Wege der Individualzwangsvollstreckung (vorbehaltlich der Regelung des § 210 InsO) durchsetzen. Dieser allg eingreifende Grundsatz erleidet in Gestalt der Regelung des § 90 InsO ei- 123 ne Ausnahme, da in zwei Fallgruppen auch bei Masseverbindlichkeiten ein Bedürfnis für einen Vollstreckungsschutz auftreten kann. So ist nach § 210 InsO die Vollstreckung wegen einer Masseverbindlichkeit iSd § 209 Abs 1 Nr 3 InsO unzulässig, sobald der Insolvenzverwalter gem § 208 Abs 1 InsO die Masseunzulänglichkeit angezeigt hat. Weiter bestimmt § 90 Abs 1 InsO, dass Zwangsvollstreckungen wegen Masseverbindlichkeiten, die nicht durch eine Rechtshandlung des Insolvenzverwalters begründet worden sind, für die Dauer von sechs Monaten seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens unzulässig sind. Dies gilt freilich nicht für drei Fallgruppen, die § 90 Abs 2 InsO normiert, der damit Verbindlichkeiten vom Vollstreckungsverbot ausnimmt, die aus einem gegenseitigen Vertrag, dessen Erfüllung der Verwalter gewählt hat (Nr 1), aus einem Dauerschuldverhältnis für die Zeit nach dem ersten Termin, zu dem der Verwalter kündigen konnte (Nr 2) und aus einem Dauerschuldverhältnis, soweit der Verwalter für die Insolvenzmasse die Gegenleistung in Anspruch nimmt (Nr 3), stammen.

V. Konstitution der Masse 1. Insolvenzanfechtung a) Übersicht Grundsätzlich bleibt es bei der Anfechtung solcher vorkonkurslichen Rechtshandlungen, 124 die die Insolvenzgläubiger benachteiligen (§ 129 InsO).220 Für die Insolvenzanfechtung

_____ 219 BAG, 10.4.2008 – 6 AZR 368/07, ZIP 2008, 1346, Rn 19. 220 Begr zu § 144 RegE, BT-Drs 12/2443, S 157, abgedr bei Kübler/Prütting RWS-Dok 18 Bd I, S 336; MK/ Kayser § 129 InsO Rn 5.

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liegt die Zuständigkeit beim Insolvenzverwalter. Das Gesetz sieht eine Anfechtung der vorkonkurslichen Vornahme einer Sicherung der Forderung des Gläubigers sowohl dann vor, wenn der Gläubiger diese verlangen konnte (kongruente Deckung, § 130 InsO), als auch in den Fällen, in denen der Gläubiger keinen Anspruch auf die Sicherung hatte (inkongruente Deckung, § 131 InsO). Weiterhin sind vorgesehen die Anfechtung unmittelbar gläubigerbenachteiligender Rechtshandlungen (§ 132 Abs 1 InsO), insbes in Fällen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung (§ 133 InsO). Schließlich unterliegen gem § 134 InsO Fälle unentgeltlicher Leistungen des Schuldners der Insolvenzanfechtung. § 135 InsO trifft besondere Regelungen für die Anfechtung von Rechtshandlungen, durch die dem Gesellschafter wegen seiner Forderung auf Rückzahlung eines der Gesellschaft gewährten Darlehens Sicherung oder Befriedigung gewährt wurde. § 136 InsO regelt die Anfechtung solcher Rechtshandlungen, aufgrund deren dem Gesellschafter einer stillen Gesellschaft seine Einlage erstattet oder sein Verlustanteil erlassen worden ist. 125 § 138 InsO trifft eine weite Regelung des Kreises nahestehender Personen (von „Insidern“), zu deren Nachteil Beweislastregeln (§§ 130 Abs 3, 131 Abs 2 S 2, 132 Abs 3 InsO) die Insolvenzanfechtung erleichtern. § 137 InsO begrenzt die Reichweite der Anfechtung vorkonkurslicher Wechselzahlungen durch den Schuldner gem § 130 InsO; § 142 InsO die der Anfechtung von Bargeschäften (auf den Fall des § 133 InsO). § 141 InsO bestimmt wie das bisherige Recht, dass die Anfechtung nicht dadurch ausgeschlossen wird, dass der Gläubiger über („für“) die Rechtshandlung einen vollstreckbaren Titel erlangt hatte oder sie im Wege der Zwangsvollstreckung herbeigeführt hat. Eine wichtige Forderung, die an die Reform des Insolvenzrechts erhoben worden ist, 126 war darauf gerichtet, dass die Möglichkeiten zur Geltendmachung des Anfechtungsrechts durch den Verwalter verbessert werden. Das Hauptaugenmerk lag dabei im Wesentlichen auf zwei Schwerpunkten, nämlich zum einen auf der Verlängerung der Fristen, innerhalb deren das Anfechtungsrecht durch den Verwalter ausgeübt werden kann, und zum anderen auf einer weiteren Fassung derjenigen Insolvenztatbestände, mit denen besonderen Formen kollusiven Zusammenwirkens zwischen Schuldner und dem späteren Anfechtungsgegner begegnet werden soll. Die Reform hat die tatbestandlichen Zeiträume der Insolvenzanfechtung teilweise 127 erheblich erweitert:221 Während bspw bei inkongruenter Deckung nach § 30 Nr 2 KO ein Zeitraum von maximal zehn Tagen vor Eröffnungsantrag erfasst war, wird dieser durch § 131 InsO auf einen Monat (Nr 1) oder, wenn der Schuldner zum Zeitpunkt der Handlung bereits zahlungsunfähig (Nr 2) oder aber dem Gläubiger die Benachteiligung der Insolvenzgläubiger durch diese Handlung bekannt war (Nr 3), auf drei Monate verlängert. Die Anfechtungsfrist wegen vorsätzlich benachteiligender Rechtshandlungen (§ 133 Abs 1 InsO) und der Gewährung einer Sicherung für eine Forderung eines Gesellschafters (§ 135 Abs 1 Nr 1 InsO) wurde hingegen auf zehn Jahre verkürzt – die dreißigjährige Frist des § 41 Abs 1 S 3 KO sei nicht mehr zeitgemäß.222 Überdies war diese Frist wegen der mit Zeitablauf auftretenden Beweisschwierigkeiten zur Bedeutungslosigkeit herabgesunken.223 Erleichterung schafft darüber hinaus die Verlängerung der Frist zur Geltendmachung des Anfechtungsanspruchs von einem auf zwei Jahre ab Insolvenzeröffnung

_____ 221 Vgl die Übersichten bei Kirchhof ZInsO 1998, 3, 4 ff, und Obermüller Rn 1307; Uhlenbruck/Hirte, vor §§ 129 ff InsO Rn 5. 222 Begr zu §§ 148 und 150 RegE, BT-Drs 12/2443, S 160 f, abgedr bei Kübler/Prütting RWS-Dok 18 Bd I, S 347 bzw 349; dazu KS/Henckel insbes Rn 91. 223 Kirchhof ZInsO 1998, 3, 5.

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(§ 146 Abs 1 InsO) und die Ausgestaltung dieser Frist als Verjährungsfrist, was die unmittelbare Anwendbarkeit der Vorschriften über die Hemmung oder Unterbrechung der Verjährung (§§ 202 f BGB) nach sich zieht.224

b) Anfechtung wegen Benachteiligung der Gläubigergesamtheit durch Leistung an einen einzelnen Gläubiger aa) Suspektanfechtung im Zeitraum von Drei-Monaten vor Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Kunden (1) Inkongruenzanfechtung § 131 InsO regelt die besondere Insolvenzanfechtung bei sog inkongruenter Deckung. 128 Eine inkongruente Deckung wird in § 131 Abs 1 InsO definiert als eine Rechtshandlung, die dem Gläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht, die er nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte. Die Anfechtungsmöglichkeit trägt der Tatsache Rechnung, dass die Gewährung von inkongruenten Deckungen durch den Schuldner zugunsten einzelner Gläubiger den Verdacht nahe legt, einzelne Gläubiger sollten begünstigt werden bzw der Schuldner verfüge nicht mehr über ausreichende Geldmittel. Im 1. Fall gewährt (oder ermöglicht) der Schuldner eine Sicherung oder Befriedigung, die der Gläubiger nicht oder nicht zu der Zeit zu fordern hatte, im anderen eine solche, die in der Art nicht geschuldet war. Dies allein ist aber noch nicht anstößig. Der Verdacht wird jedoch verstärkt, wenn kurz darauf innerhalb einen Monats die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt wird oder zum Zeitpunkt der Handlung bereits beantragt war (§ 131 Abs 1 Nr 1 InsO), und zwar unabhängig vom Zeitpunkt des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO). Gleiches gilt innerhalb eines Zeitraums von 3 Monaten vor dem Eröffnungsantrag, wenn der Schuldner bereits zahlungsunfähig war (§ 131 Abs 1 Nr 2 InsO). Hat der begünstigte Gläubiger sogar Kenntnis von der Benachteiligung der übrigen Gläubiger, ohne dass der Schuldner zahlungsunfähig war, rechnet er damit, dass die übrigen Gläubiger ihre volle Deckung in absehbarer Zeit (bis zu 3 Monaten vor dem Eröffnungsantrag) nicht mehr erhalten werden. Der Anfechtungsberechtigte kann dann wegen des Wissens des Begünstigten um die drohende Zahlungsunfähigkeit anfechten (§ 131 Abs 1 Nr 3 InsO). Der begünstigte Gläubiger muss damit die Ausdehnung des Grundsatzes der par conditio creditorum auf einen Zeitraum bis zu 3 Monaten vor Stellung des Eröffnungsantrages in Kauf nehmen. Der Prioritätsgrundsatz wird demnach nach dem Willen des Gesetzgebers bereits in der drohenden Krise des Schuldners durch den Grundsatz der Gleichbehandlung der Gläubiger im Insolvenzverfahren verdrängt, weil er ungerecht wird.225

(2) Kongruenzanfechtung § 130 InsO gewährt eine Anfechtungsmöglichkeit auch in den Fällen, in denen eine Leis- 129 tung (Zahlung) in der Art und zu der Zeit erbracht worden ist, die zwischen den Vertragsparteien vereinbart war und die Rechtshandlung vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens bei Zahlungsunfähigkeit und Kenntnis des Gläubigers (§ 130 Abs 1 Nr 1 InsO) sowie nach Stellung des Eröffnungsantrags bei Zahlungsunfähigkeit und

_____ 224 Vgl KS/Henckel Rn 91; Kirchhof ZInsO 1998, 3, 6. 225 KS/Henckel2, S 813, 829 Rn 37.

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Kenntnis des Gläubigers von Zahlungsunfähigkeit oder Eröffnungsantrag (§ 130 Abs 1 Nr 2 InsO) vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 129 Abs 1 InsO) vorgenommen worden ist. § 130 Abs 2 InsO stellt der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit oder des Eröffnungsantrags die Kenntnis entspr Umstände gleich, welche zwingend auf die Insolvenz oder drohende Insolvenz des Kunden schließen lassen.

(3) Sog Absichtsanfechtung 130 Anders als in den Tatbeständen der §§ 130, 131 InsO, von denen die Anfechtung von

Handlungen der Befriedigung von Gläubigern im „Suspektzeitraum“ von drei Monaten vor Insolvenzantragstellung durch Vorverlagerung der Gewährleistung der insolvenzrechtlichen Gläubigergleichbehandlung geregelt werden, ist für die Zeitspanne vor diesem „Suspektzeitraum“ jeder Dritte grundsätzlich davor geschützt, dass der Erwerb von Rechten an Gegenständen des Gläubigervermögens rückgängig gemacht wird.226 Denn außerhalb des Suspektzeitzraums von drei Monaten vor Antragstellung greift das Prioritätsprinzip – und dh, dass derjenige, der Vermögensgegenstände des Schuldners oder Pfandrechte daran erworben hat, andere Gläubiger vom Zugriff darauf ausschließt. Für den diesem besonders verdächtigen Zeitraum von drei Monaten vor Antragsstellung vorangegangenen Zeitraum bis immerhin im längsten Fall zehn Jahre vor Antragstellung geht es bei der „Absichtsanfechtung“ darum, dass der Verschiebung von Vermögensgegenständen ein missbilligenswertes „Verhalten“ des Schuldners zugrundeliegt. Nun ist aber die Verfügung des – ja erst Jahre später materiell insolventen – Schuldners nicht deshalb missbilligenswert, weil der Gleichbehandlungsgrundsatz durchbrochen wird, oder: weil nach dem Prioritätsprinzip verfahren wurde,– also nicht aufgrund der objektiven Eignung, der Gläubigergemeinschaft ein Haftungsobjekt zu entziehen. Vielmehr kommt es auf die missbilligenswerte „Absicht“ des Schuldners (und die Kenntnis des Anfechtungsgegners hiervon) an. Das Vorliegen eines Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes beim Schuldner wird seit 131 der Judikatur des BGH zu § 31 KO natürlich immer dann bejaht, wenn die Benachteiligung der Gläubiger vom Schuldner als Erfolg seines Handelns gewollt war (dolus directus).227 Bereits die Rspr zu § 31 KO hat aber schon das Vorliegen eines dolus eventualis228 genügen lassen. Darunter ist zu verstehen, dass, wenn der Schuldner die Benachteiligung in Kauf genommen hat, ohne sich durch diese Vorstellung von seinem Vorhaben abhalten zu lassen, die Voraussetzungen des Benachteiligungsvorsatzes grds gegeben sind229. Es genügt danach, dass der Schuldner bei einem auf einen anderen Zweck gerichteten Handeln die Benachteiligung als mögliche Folge seines Handelns erkennt und billigend in Kauf nimmt230. Sie muss – negativ formuliert – nicht das Ziel, der Zweck oder Beweggrund des

_____ 226 Jaeger/Henckel § 133 Rn 2. 227 BGH, 18.2.1993, IX ZR 129/92, NJW 1993, 1640, 1641 mAnm Paulus EWiR 1993 § 31 KO 2/93, 389, 390 und Zoller WuB I F. 4. 3.93 zur KO. 228 BGH, 18.4.1991, IX ZR 149/90, NJW 1991, 2144, 2145; 12.11.1992, IX ZR 236/91, ZIP 1993, 276, 279 f mAnm Onusseit EWiR 1993 § 31 KO 1/93, 161 zur KO; 23.11.1995, IX ZR 18/95, NJW 1996, 461, 462 mAnm Gerhardt EWiR 1996 § 10 GesO 1/96, 119 zur GesO; Holzer WiB 1997, 729, 735. 229 BGH, 27.5.2003 – IX ZR 169/02, ZIP 2003, 1506; 18.4.1991 – IX ZR 149/90, NJW 1991, 2144, 2145 zur KO. 230 BGH, 8.12.2005 – IX ZR 182/01, ZIP 2006, 290; 13.5.2005 – IX ZR 190/03, ZIP 2004, 1512; 13.7.1995 – IX ZR 81/94, ZIP 1995, 1364 mAnm Gerhardt EWiR 1995 § 11 AnfG 1/95, 845 zum AnfG 1879; 23.11.1995 – IX ZR 18/95, NJW 1996, 461, 462 mAnm Gerhardt EWiR 1996 § 10 GesO 1/96, 119 zur GesO.

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Schuldnerhandelns sein231. Damit ist die Absichtsanfechtung bereits durch die Auslegung des entspr Tatbestandes des § 31 KO erheblich weiter gefasst, als es die unbefangene Lektüre des Wortlauts des § 31 KO bzw heute des § 133 Abs 1 InsO vermuten ließe. Diese Erweiterung des Geltungsbereichs der Absichtsanfechtung gewinnt zusätzliche Härte durch Erleichterungen, die der BGH für den Beweis der Gläubigerbenachteiligungsabsicht des Schuldners und der Kenntnis des Anfechtungsgegners hiervon Raum greifen lässt: Nach der Rspr des BGH ist eine Kenntnis des Gläubigers von drohender Zahlungsunfähigkeit des Schuldners und von einer Gläubigerbenachteiligung iSv § 133 Abs 1 S 2 InsO in der Regel anzunehmen, wenn die Verbindlichkeiten des Schuldners bei dem späteren Anfechtungsgegner über einen längeren Zeitraum hinweg ständig in beträchtlichem Umfang nicht ausgeglichen werden und diesem den Umständen nach bewusst ist, dass es noch weitere Gläubiger mit ungedeckten Ansprüchen gibt.232 Die Kenntnis von der drohenden Zahlungsunfähigkeit nach § 133 Abs 1 InsO entspricht der Kenntnis des Anfechtungsgegners von solchen Umständen, die zwingend auf eine bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit schließen lassen.233 Soweit es um den Nachweis der Kenntnis des Gläubigers von einer zumindest drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners geht, stellt der IX. Zivilsenat darauf ab, ob eine inkongruente Deckung vorgelegen hat, also ob sich die schleppende, möglicherweise erst unter dem Druck einer angedrohten Zwangsvollstreckung erfolgende oder auch zunächst ganz ausbleibende Tilgung der Forderung des Gläubigers bei einer Gesamtbetrachtung der ihm bekannten Umstände, insbes der Art der Forderung, der Person des Schuldners und des Zuschnitts seines Geschäftsbetriebs als ausreichendes Indiz für eine solche Kenntnis darstellt.234 Im Zusammenspiel der Auslegung der „Absicht“ als dolus eventualis führt die beschriebene Beweiserleichterung zu einer Ausdehnung der Absichtsanfechtung in eine weit über den Suspektzeitraum der §§ 130, 131 InsO hinausreichende (nämlich bis zu zehn Jahre währende) Zeitspanne. Den Ansatzpunkt des IX. Zivilsenats, diese Härte zu mildern, bildet eine Gesamtbetrachtung aller Umstände des Falles, mit der die Anforderungen an den Beweis gleichsam sollen feinabgestimmt werden können. Die Diskussion über eine Reform des Insolvenzanfechtungsrechts hat zu einem Ref-E des BMJV für ein „Gesetz zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtung nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz“ vom 16. März 2015 geführt. Wesentlicher Kern ist, dass sich künftig der Vorsatz des Schuldners darauf beziehen soll, seine Gläubiger unangemessen zu benachteiligen und der andere Teil – der Gegner – der Vorsatzanfechtung diese Unangemessenheit der Gläubigerbenachteiligung kennen muss. Dies soll im Bereich der kongruenten Deckungsanfechtung, in der eine Erfüllung einer bestehenden Verbindlichkeit vorliegt, tatbestandsbegrenzende Funktion erfüllen.

_____ 231 BGH, 13.7.1995 – IX ZR 81/94, ZIP 1995, 1364 mAnm Gerhardt EWiR 1995 § 11 AnfG 1/95, 845 zum AnfG 1879; 18.4.1991 – IX ZR 149/90, NJW 1991, 2144, 2145 zur KO; 23.11.1995 – IX ZR 18/95, NJW 1996, 461, 462 mAnm Gerhardt EWiR 1996 § 10 GesO 1/96, 119 zur GesO. 232 BGH, 24.5.2007 – IX ZR 79/06, ZIP 2007, 1511. 233 BGH, 24.5.2007 – IX ZR 97/06, ZIP 2007, 1511, 1513; 20.11.2008 – IX ZR 188/07, ZIP 2009, 189. 234 Ganter WM 2009, 1441, 1445.

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c) Bargeschäft 137 Nach § 142 InsO ist eine Leistung des Schuldners, für die unmittelbar eine gleichwertige

Gegenleistung in sein Vermögen gelangt, nur anfechtbar, wenn die Voraussetzungen des § 133 Abs 1 InsO gegeben sind. Die Gleichwertigkeit der erlangten Gegenleistung bemisst sich an objektiven Kriterien,235 denn ein objektiv wertäquivalenter Vermögenszufluss kann die spätere Haftungsmasse nicht schmälern. Es handelt sich dabei um eine „Vermögensumschichtung“,236 der es an der Gläubigerbenachteiligung fehlt. Dabei ist aber auf folgendes hinzuweisen: An einem gleichwertigen Zufluss von Vermögenswerten fehlt es, wenn sich Lieferanten nicht nur einen einfachen Eigentumsvorbehalt ausbedingen, sondern das Eigentum an der gelieferten Ware erst dann in das Eigentum des Schuldners übergeht, wenn sämtliche Ansprüche aus der Geschäftsverbindung ausgeglichen sind.237 Mangels Bargeschäftscharakters als gläubigerbenachteiligend anfechtbar ist dann aber nicht nur die Erweiterung des Eigentumsvorbehalts, sondern auch die Zahlung auf die jeweilige Lieferung. Die Annahme eines Bargeschäftes erfordert weiterhin, dass die gleichwertige Gegen138 leistung unmittelbar in das Vermögen des Schuldners gelangt. Neben der sachlichen Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung müssen beide in einem engen zeitlichen Zusammenhang stehen. Ein Leistungsaustausch Zug um Zug wird nicht für erforderlich gehalten.238 Insbes beschränkt sich der Anwendungsbereich des § 142 InsO nicht auf solche Fälle, in denen der Schuldner vorgeleistet hat.239 Wie der erforderliche zeitliche Zusammenhang zu bemessen ist, kann nicht generell ohne Rücksicht auf das zugrunde liegende Rechtsgeschäft entschieden werden. 139 Für den Einzug des Kaufpreises durch den Verkäufer im unmittelbaren Anschluss an eine von ihm erbrachte Leistung auf der Grundlage einer Einziehungsermächtigung ist auf den Zeitpunkt des Lastschrifteneinzugs, nicht den der Genehmigung abzustellen.240

d) Anfechtung wegen Benachteiligung der Gläubigergesamtheit durch Weggabe von Vermögensgegenständen (Vermögensverschiebung) 140 Die Anfechtung unentgeltlicher Leistungen (§ 134 InsO) dient nicht der Durchsetzung der Gleichbehandlung aller Gläubiger im Insolvenzverfahren,241 sondern dazu, die Gläubiger entgeltlich begründeter Rechte gegen die Folgen unentgeltlicher Leistungen des Schuldners innerhalb eines Zeitraums von vier Jahren vor Stellung des Insolvenzantrags zu schützen. Das Interesse des durch eine unentgeltliche Verfügung Begünstigten, das Empfangene zu behalten, hat dem Recht des Gläubigers auf Befriedigung seiner vollstreckbaren Forderung zu weichen.242 Der Anfechtung nach § 134 InsO liegt der dem das gesamte Zivilrecht beherrschenden Grundsatz der geringeren Schutzwürdigkeit des

_____ 235 Uhlenbruck/Hirte § 142 InsO Rn 7. 236 BGH, 9.6.2005 – IX ZR 152/03, ZIP 2005, 1245; MK/Kirchhof § 142 InsO Rn 9; Kreft § 142 InsO Rn 7. 237 Zur Zulässigkeit solcher Kontokorrentvorbehalte in AGB vgl BGH, 9.2.1994 – VIII ZR 176/92, NJW 1994, 1154; MK/Kirchhof § 142 InsO Rn 13d. 238 BGH, 17.11.1958 – II ZR 224/57, WM 1959, 28; 21.12.1977 – VIII ZR 255/76, WM 1978, 133, 135; 26.1.1977 – VIII ZR 122/75, WM 1977, 254; 11.6.1980 – VIII ZR 62/79, ZIP 1980, 618. 239 BGH, 10.5.2007 – IX ZR 146/05, ZIP 2007, 1162; 30.9.1993 – IX ZR 227/92, ZIP 1993, 1653. 240 BGH, 29.5.2008 – IX ZR 42/07. 241 Uhlenbruck/Hirte, § 134 InsO Rn 1. 242 BGH, 28.2.1991 – IX ZR 74/90, NJW 1991, 1610, 1611 mAnm Gerhardt EWiR 1991 § 32 KO 1/91, 331.

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unentgeltlichen gegenüber dem entgeltlichen Erwerbs zugrunde (zB §§ 528, 816 Abs 1 S 2, 822, 988, 2287, 2325 BGB).243 Unter Leistungen iSd § 134 InsO fallen Verpflichtungs- u Verfügungsgeschäfte al- 141 ler Art. Erfasst sind demnach auch formwirksame Schenkungsversprechen, die Erfüllung eines Schenkungsversprechens und die Handschenkung. Der Schenkungsbegriff der §§ 516 ff BGB beschreibt jedoch lediglich einen Unterfall der unentgeltlichen Leistung; letztere erfordert iGgs zur Schenkung keine Bereicherung des Begünstigten und keine Einigung über die Unentgeltlichkeit.244 Sog gemischte Schenkung bzw die sog gemischte Zuwendung liegt vor, wenn ein Rechtsgeschäft seinem Inhalt nach sowohl entgeltlich als auch unentgeltlich ist, weil die Parteien vereinbart haben, dass der Wert der Leistung des einen Teils den Wert der Gegenleistung des anderen übersteigen soll. Dabei müssen sich die Parteien über die Wertdifferenz bewusst sein; andernfalls kommt nur eine Anfechtung nach § 133 Abs 1 InsO in Betracht.245 Die gemischten Schenkungen sind anfechtbar, wenn der Hauptzweck des Geschäfts auf Freigiebigkeit gerichtet ist.246 Da das Interesse der Gläubiger des Insolvenzschuldners auf Rückgewähr des Wertüberschusses der Leistung des nachmaligen Insolvenzschuldners gerichtet ist, hat der Empfänger der anfechtbaren Leistung (nur) diesen der Masse zurückzugewähren, wenn die Leistung teilbar ist. Der andere Teil kann nur unter den Voraussetzungen des § 133 Abs 1 InsO zurückverlangt werden.247 Ist die Leistung unteilbar, so ist sie im Ganzen zurückzugewähren, wenn der unentgeltliche Charakter des Geschäfts überwiegt oder ein Interesse der Gläubiger an der Rückgewähr gerade dieser Leistung besteht.248 Die Tilgung fremder Schuld, die Schuldübernahme und auch die Erfüllungs- 142 übernahme sind unentgeltliche Leistungen iSd § 134, wenn der nachmalige Insolvenzschuldner zur Vornahme dieser Handlungen weder dem Schuldner, dem Gläubiger noch einem sonstigen Dritten gegenüber verpflichtet ist und er weder die Forderung des Gläubigers, einen Anspruch auf Abtretung noch sonst irgendein Entgelt erwirbt.249 Erhält dieser eine Forderung als Gegenleistung, ist diese aber wertlos, so kann sie nicht als Entgelt angesehen werden.250 Anfechtungsgegner im Falle der Erfüllung fremder Schuld ist idR nicht der Gläubiger, da er mit der Annahme der Leistung des Insolvenzschuldners seinen Anspruch gegen den Schuldner verliert, sondern der Forderungschuldner, da dieser von seiner Schuld frei wird.251 Anders ist es jedoch, wenn der Schuldner mit seinem Vertragspartner vereinbart hat, dass dieser den Kaufpreis an einen Dritten zahlen solle und diese Zuwendung für den Dritten als Leistung des Insolvenzschuldners erkennbar war, denn dann richtet sich der Anspruch ausschließlich gegen den Dritten.252 Hat die getilgte Forderung des Gläubigers gegen den Schuldner dagegen wirtschaftlich keinen Wert, so ist

_____ 243 BGH, 25.5.1992 – IX ZR 4/91, NJW 1992, 2421, 2423 mAnm Marotzke/Assmann EWiR 1992 § 3 AnfG 2/92, 841; vgl auch Holzer WiB 1997, 729, 735; Bork Rn 6/2. 244 RG, 19.2.1918 – Rep. VII 407/17, RGZ 92, 228; Holzer WiB 1997, 729, 735; Hess/Weis Rn 459; Uhlenbruck/Hirte § 134 InsO Rn 37; Zeuner Rn 212. 245 Vgl Jaeger/Henckel § 134 InsO Rn 20 mwN; Uhlenbruck/Hirte, § 134 InsO Rn 39. 246 Uhlenbruck/Hirte, § 134 InsO Rn 39. 247 Jaeger/Henckel, § 134 InsO Rn 28. 248 LSZ/Zeuner § 134 InsO Rn 14. 249 Uhlenbruck/Hirte § 134 InsO Rn 31; Jaeger/Henckel § 134 InsO Rn 24. 250 BGH, 3.3.2005 – IX ZR 441/00, ZIP 2005, 767, 768; 15.4.1964 – VIII ZR 232/62, BGHZ 41, 298, 302; Wittig NZI 2005, 606, 612. 251 BGH, 15.4.1964 – VIII ZR 232/62, BGHZ 41, 298, 302. 252 BGH, 16.9.1999 – IX ZR 204/98, ZIP 1999, 1764.

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ausnahmsweise der Gläubiger als Zuwendungsempfänger einer unentgeltlichen Leistung als Anfechtungsgegner anzusehen.253 Bei der Erfüllung einer eigenen Schuld ist zu differenzieren. Sie ist grundsätzlich 143 nicht als unentgeltlich zu qualifizieren, es sei denn, der Insolvenzschuldner hat eine Nichtschuld in Kenntnis ihres Nichtbestehens erfüllt.254

e) Zwangsvollstreckungssperre 144 Das Vollstreckungsverbot ist in §§ 88 f InsO geregelt (sog Rückschlagsperre). Gem. § 88

InsO sind solche Sicherungsmaßnahmen unwirksam, die nicht früher als einen Monat vor der Insolvenzeröffnung durchgeführt wurden. Die InsO sieht ein „anfechtungsrechtliches“ Modell der Behandlung laufender Indi145 vidualzwangsvollstreckungen vor. § 88 InsO besagt, dass solche Pfändungspfandrechte, die in einer dreißigtägigen Frist vor Zahlungseinstellung des Gemeinschuldners erworben worden sind, keine rangwahrende Wirkung entfalten. Seine Dreißigtagesfrist schließt eine zeitlich unbegrenzte Rückwirkung des Vollstreckungsverbots aufgrund Insolvenzeröffnung vordergründig aus.

2. Aufrechungsverbote 146 Die Grenzen der Aufrechnung im Insolvenzverfahren sind in §§ 9 f InsO kodifiziert. Ob

ein Gläubiger zur Aufrechnung berechtigt ist, bestimmt sich nach § 387 BGB, dh, es muss eine Aufrechnungslage zum Eröffnungszeitpunkt bereits bestanden haben. Danach haben die Forderungen bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegenseitig und gleichartig zu sein. Ein Bürge kann ebenso wenig mit der Forderung des Hauptschuldners aufrechnen255 wie der Gesamtschuldner mit der Forderung eines anderen Gesamtschuldners (§ 422 Abs 2 BGB). Die Gegenforderung, mit der aufgerechnet wird, muss voll wirksam, fällig und erfüllbar und die Aufrechnung darf durch ein Gesetz nicht ausgeschlossen sein.256 Eine Aufrechnung nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens setzt eine Aufrechnungserklärung gem § 388 BGB gegenüber dem Verwalter voraus. Sie ist eine einseitige und empfangsbedürftige Willenserklärung. Sie kann sowohl schriftlich als auch noch mündlich im Prozess, einschließlich des Revisionsprozesses,257 abgegeben werden, dh, sie ist nicht formgebunden,258 und die Abgabe der Erklärung ist an keine Frist gebunden. Die Aufrechnung bewirkt nach § 389 BGB das Erlöschen der Haupt- und der Gegenforderung, soweit diese sich decken.259 Aus den eben genannten Grundsätzen ergibt sich auch, dass der zur Aufrechnung 147 Berechtigte seine Forderung im Insolvenzverfahren nicht anzumelden hat. Er ist aber auch nicht daran gehindert, diese voll anzumelden und erst im Verfahren die Aufrechnung zu erklären, weil die Anmeldung nicht bedeutet, dass der Berechtigte auf sein

_____ 253 BGH, 30.3.2006 – IX ZR 84/05, ZIP 2006, 957, 958 mAnm Kayser WM 2007, 1; 15.4.1964, VIII ZR 232/ 62, BGHZ 41, 298, 302; Uhlenbruck/Hirte, § 134 InsO Rn 18. 254 LSZ/Zeuner § 134 InsO Rn 16. 255 Vgl RGZ 122, 146, 147. 256 Vgl zu den Voraussetzungen Palandt/Heinrichs § 387 BGB Rn 1 ff. 257 Vgl BGH ZIP 1983, 1473, 1474; Uhlenbruck/Sinz § 94 InsO Rn 6. 258 BGH ZIP 1983, 1473. 259 Vgl Palandt/Heinrichs § 389 BGB Rn 1 ff; Braun/Kroth § 94 InsO Rn 25; Uhlenbruck/Sinz § 94 InsO Rn 42.

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§ 10 Auswirkung des eröffneten Insolvenzverfahrens auf die Rechtsstellung | 503

Recht verzichtet.260 Unter entspr Anwendung von § 95 Abs 2 InsO sind auch Fremdwährungsforderungen soweit aufrechenbar, wie sie die allg Voraussetzungen der §§ 387 f BGB erfüllen und aufgrund der Konvertibilität der zugrunde liegenden Währung zum Kurswert umgerechnet werden können.

3. Gegenseitige Verträge a) Grundlagen Grundsätzlich durchbricht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht den Grundsatz, 148 dass eingegangene Verträge einzuhalten sind; dieser allg Satz erleidet indessen besondere Ausprägungen unter den Bedingungen der Insolvenz. Die Insolvenz des Schuldners erzwingt es, gegenüber Forderungen einzelner Gläubiger ein Regime der Gläubigergleichbehandlung zu statuieren.261 Daher wird der auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortbestehende, von beiden Seiten noch nicht erfüllte Vertrag zwischen dem Insolvenzschuldner und dem anderen Teil umgestaltet.262 Der Insolvenzschuldner hat seine Vermögensverwaltungsbefugnis verloren. Dem Verwalter steht gem § 103 InsO ein Wahlrecht zu, ob er den Vertrag erfüllen will oder die Erfüllung ablehnt. Dem entspricht es, dass der Vertragspartner in der Individualzwangsvollstreckung die eigene Leistung nur präsentieren, nicht aber aushändigen muss, um wegen der Gegenleistung vollstrecken zu können.263 Der IX. Zivilsenat264 hat 2002 die seit dem „Panzerbrückenfall“265 aufrechterhaltene 149 Ansicht aufgegeben, nach der durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Bestand des gegenseitigen Vertrages beseitigt werde. Damit hat er sich freilich nicht der Lehre angeschlossen, die davon ausgeht, durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens werde dem Insolvenzverwalter ein Gestaltungsrecht eingeräumt, das ihm die Beseitigung der Erfüllungsansprüche des anderen Teils erlaube. Vielmehr bleibe der Vertrag „ungeachtet der Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens und der Erfüllungsablehnung durch den [Insolvenzverwalter] bestehen“, er sei „rein insolvenzrechtlich abzuwickeln“. Das Anliegen des „Panzerbrückenfalls“, bei teilerfüllten Verträgen solche Aufrechnungen auszuschließen, die sich auf vorkonkurslichen Leistungsaustausch beziehen, kann so unter Verweis auf die Eigenständigkeit der Wertungen (Strukturen) des Insolvenzrechts weiter berücksichtigt werden. Zugleich unterwirft der IX. Zivilsenat alle materiell-rechtlichen Regelungen des Rechts beiderseits noch nicht erfüllter gegenseitiger Verträge nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines der Vertragspartner dem „konkurslichen Regiment“.

b) Einzelfragen Der Vermieter war nach bisherigem Recht berechtigt, sich wegen des eröffneten Insol- 150 venzverfahrens vom Vertrage zu lösen. Während der BGH266 Klauseln der Kontrolle nach

_____ 260 FK-InsO/Bernsau § 94 InsO Rn 26 ff; Braun/Kroth § 94 InsO Rn 25. 261 Zur Abstimmung der Gläubigergleichbehandlung mit dem funktionellen Synallagma Häsemeyer Rn 2.17 ff, 20.30; Braun/Kroth § 103 InsO Rn 1 ff. 262 BGHZ 74, 258, 271; KTS 1984, 288; ZIP 1987, 304, 305 (dazu v Gerkan EWiR 187, 267). 263 Jaeger/Henckel § 17 KO Rn 6. 264 BGH, 25.4.2002 – IX ZR 313/99, BGHZ 150, 353 f. 265 BGHZ 89, 189, 195. 266 ZIP 1987, 916, dazu Eckert EWiR 1987, 665.

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504 | 2. Kapitel: Die gesellschaftsrechtlichen Funktionsträger

§ 9 AGBG unterwirft, die eine fristlose Kündigung – auch im Insolvenzverfahren – ohne die strengen Voraussetzungen des § 554 BGB zulassen, waren bisher Klauseln möglich und wurden von der Rspr gehalten, die dem Vermieter ein Kündigungsrecht wegen Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Mieters267 gaben. Die Wirksamkeit268 derartiger Klauseln wurde aus § 321 BGB hergeleitet. Die Wirksamkeit von Auflösungsklauseln wird nunmehr ausdrücklich durch § 112 Nr 2 InsO ausgeschlossen.269 Umstritten ist, ob vorkonkurslich Auflösungsklauseln wie zB § 8 VOB/B durch § 119 InsO ausgeschlossen werden. § 119 InsO entspricht dem früheren § 137 Abs 1 RegE InsO; § 137 Abs 2 RegEInsO ordnete ausdrücklich die Unwirksamkeit von Umgehungsklauseln an – diese Vorschrift ist aber im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens auf Initiative des Rechtsausschusses270 nicht beschlossen worden. Sie sei sanierungsfeindlich(!), weil sie die Bereitschaft zur vertraglichen Bindung an konkursgefährdete Unternehmen herabsetzen würde. Daher meinen einige Autoren,271 die §§ 112, 119 InsO stünden der Wirksamkeit von Auslösungsklauseln nicht entgegen. Diese Auslegung ist aber nicht zwingend. Die – überzeugende – Gegenmeinung hat gezeigt, dass § 119 InsO für alle gegenseitigen Verträge gilt, während § 112 InsO lex specialis für die Miet- und Pachtverträge ist: Damit hat der Wegfall des § 137 Abs 2 RegE InsO nicht notwendig die Bedeutung, dass Auflösungsklauseln nicht von den §§ 112, 119 InsO erfasst würden.272

c) Kündigung von Beschäftigungsverhältnissen 151 § 113 Abs 1 InsO gibt dem Insolvenzverwalter das Recht, Dienstverhältnisse mit einer

Frist von drei Monaten, sofern nicht eine kürzere Frist maßgeblich ist, zu kündigen.

VI. Flucht des Schuldners in die Massearmut 1. Verfahrenskostendeckende Masse als Voraussetzung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens 152 Bereits die Eröffnung des Verfahrens ist gem § 26 Abs 1 InsO abzulehnen, wenn das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass das eröffnete Verfahren mangels Masse alsbald einzustellen sein würde,273 weil die Kosten des Verfahrens von dem beschlagnahmten Vermögen nicht würden gedeckt werden können (Massearmut). Dafür ist auf eine Prognose über den aufgrund der Verwertung der Masse zu erwartenden Erlös abzustellen.274

_____ 267 BGHZ 112, 288, dazu Martinek EWiR 1990, 1145. 268 Eckert ZIP 1996, 897, 898 f. 269 Beck/Depré1 Rn 922. 270 Begr Rechtsausschuss, BT-Drs 12/7302, S 170, abgedr bei Kübler/Prütting RWS-Dok 18 Bd I, S 315. 271 Hess/Pape Rn 340. 272 Vgl statt aller die Ausführungen bei: Braun/Kroth § 119 InsO Rn 9; allg auch AL/Andres § 119 InsO Rn 2 ff. 273 LG Darmstadt, 7.4.1981 – 5 T 258/81, ZIP 1981, 470; vgl HeiK-InsO/Kirchhof § 26 InsO Rn 4; Uhlenbruck § 26 InsO Rn 8; MK/Haarmeyer § 26 InsO Rn 11 ff. 274 KPB/Pape § 26 InsO Rn 7 ff; NR/Mönning/Zimmermann § 26 InsO Rn 11; Gottwald/Gundlach, Insolvenzrechts-Handbuch, § 16 Rn 4 ff; Uhlenbruck/Vallender, § 26 InsO Rn 8 ff; Braun/Herzig § 26 InsO Rn 14.

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§ 10 Auswirkung des eröffneten Insolvenzverfahrens auf die Rechtsstellung | 505

2. Massearmut a) Definition Massearmut liegt vor, wenn zu erwarten ist, dass die weiterhin voraussichtlich entste- 153 henden Kosten des Verfahrens nicht aus der vorhandenen Masse bestritten werden können.275 Nach der ausdrücklichen Regelung des § 207 Abs 1 S 1 InsO gehören die notwendigen Masseschulden (vgl § 55 Nr 1 und Nr 2 InsO)276 nicht zu den durch die Verwaltung hervorgerufenen Kosten und haben daher bei der Beurteilung des Eintritts der Masseinsuffizienz außer Betracht zu bleiben; aus der Sicht des Verwalters sind sie aber haftungsrechtlich riskant – § 61 InsO bestimmt nunmehr ausdrücklich, dass er den Massegläubigern wegen der Befriedigung solcher Forderungen persönlich haftet, die er mit Wirkung für die Masse eingegangen ist, obwohl er wusste oder wissen musste, dass er sie aus der Masse nicht würde befriedigen können.277

b) Fehlende Deckung der reinen Verfahrenskosten als Maßstab § 207 InsO markiert somit gleichsam den Zeitpunkt, zu dem das Insolvenzverfahren „völ- 154 lig tot“ ist. Insbes die durch die Fortführung des Unternehmens entstandenen Verwaltungsaufwendungen, aus denen Ansprüche Dritter gegen die Masse aufgrund zweiseitiger Geschäfte des Verwalters und aufgrund zweiseitiger Verträge entstehen, sind im Rahmen des § 207 Abs 1 InsO nicht in Ansatz zu bringen. Es geht nur um die Frage, ob die elementarsten Voraussetzungen der Masseverwaltung (noch) vorliegen. Sind die Kosten des Insolvenzverfahrens nicht gedeckt, führt dies dazu, dass der Insolvenzverwalter nicht mehr vergütet werden kann, was eine ordnungsgemäße Abwicklung ausschließt. Stellt sich heraus, dass die Insolvenzmasse nicht ausreicht, die Kosten des Verfahrens zu decken, hat der Insolvenzverwalter gem § 207 Abs 1 InsO das Insolvenzgericht hiervon unverzüglich zu unterrichten. Das Insolvenzgericht hat dann nach Anhörung der Gläubiger das Verfahren einzustellen. Es liegt auf der Hand, dass der Schuldner bzw die Vertreter von schuldnerischen Ge- 155 sellschaften im Wege die Herbeiführung der Massearmut insbes durch Verschleuderung oder Beiseiteschaffen des Vermögens einem Insolvenzverfahren und der damit verbundenen Aufklärung ihrer Vermögenslage entgegenwirken können.

c) Nachtragsverteilung Werden nach der Einstellung des Verfahrens Vermögensgegenstände des Schuldners 156 ermittelt, ordnet das Insolvenzgericht gem § 211 Abs 3 InsO entweder von Amts wegen oder auf Antrag des Insolvenzverwalters oder, im Falle der Einstellung nach § 211 Abs 1 InsO, eines Massegläubigers die Nachtragsverteilung gem § 203 InsO an.

3. Masseunzulänglichkeit a) Definition Sind dagegen die Kosten des Insolvenzverfahrens gedeckt, reicht die Insolvenzmasse 157 jedoch nicht aus, um die fälligen sonstigen Masseverbindlichkeiten zu erfüllen, ist das

_____ 275 H/W/F Rn 8/111; Bork Rn 326; Kuhn/Uhlenbruck 11. Aufl. 1994, § 107 KO Rn 1; Beck § 4 Rn 228 ff. 276 LSZ/Smid/Leonhardt § 55 Rn 2. 277 Eingehend hierzu KS/Smid S 265 f; Braun/Baumert § 61 Rn 1.

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506 | 2. Kapitel: Die gesellschaftsrechtlichen Funktionsträger

Insolvenzverfahren unter Fortsetzung der Verwertung der Masse fortzusetzen, § 208 Abs 3 InsO. Der Insolvenzverwalter hat dann nach § 208 Abs 1 S 1 InsO dem Insolvenzgericht anzuzeigen, dass Masseunzulänglichkeit vorliegt. Diese Anzeigepflicht trifft den Insolvenzverwalter nach § 208 Abs 1 S 2 InsO auch in dem Fall, dass die Masse voraussichtlich nicht ausreichen wird, um die bestehenden sonstigen Masseverbindlichkeiten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen. b) Folgen 158 Im Falle des Eintritts der Massunzulänglichkeit genießen grundsätzlich – unabhängig

von der Anzeige gem § 208 Abs 1 InsO, die Kosten des Verfahrens (und damit auch die Verwaltervergütung) Vorrang vor den anderen Masseverbindlichkeiten, § 209 Abs 1 InsO; unterläßt der Verwalter die Anzeige und befriedigt er nachrangige Masseverbindlichkeiten entgegen der Rangordnung des § 209 Abs 1 InsO, geht er des Vorrangs seines Vergütungsanspruchs verlustig und droht, leer auszugehen. VII. Grenzüberschreitende Insolvenzverfahren 1. Internationale Zuständigkeit

159 Art 3 Abs 1 EuInsVO bestimmt, dass für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Ge-

richte des Mitgliedsstaates zuständig sind, in welchem der Schuldner seine hauptsächlichen Interessen (center of a debtor’s main interests) hat.278Der Begriff des „Interesses“ soll einen weiten Anwendungsraum eröffnen; er ist weiter als in § 3 InsO angelegt.279 Umfasst werden Handels-, gewerbliche und andere beruflich-wirtschaftliche Aktivitäten, aber auch allg wirtschaftlich relevante Handlungen.280 Gemeint sind wirtschaftliche Tätigkeiten;281 der Begriff ist daher nicht auf gewerbliche oder berufliche Aktivitäten beschränkt.282 Der Begriff des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen wird zT als der Ort verstanden, an dem der Schuldner üblicherweise und für Dritte erkennbar der Verwaltung seiner Interessen nachgeht.283 Mit diesem Anknüpfungspunkt soll dem spezifischen Risiko des Gläubigers Rechnung getragen werden, sich im Falle der Insolvenz des Schuldners auf das Recht des Ortes einzulassen, an dem der Schuldner für ihn erkennbar üblicherweise wirtschaftlich agiert.284

2. Sitzverlegungen a) Sitzverlegungen in der Krise vor Antragstellung 160 Sitzverlegungen in der Krise werden keiner besonderen Regelung unterworfen; die hieran geübte Kritik285 erscheint aber nicht gerechtfertigt. Denn die bloße Sitzverlegung

_____ 278 Leonhardt/Smid/Zeuner Art 3 EuInsVO Rn 9; Moss/Fletcher/Isaacs N. 3.11; Morscher S 20; Schumacher ZIK 2002, 282, 183. 279 Ausführlich Uhlenbruck InsO Art 3 EuInsVO Rn 9 ff. 280 Fritz/Bähr DZWIR 2001, 221, 224. 281 Huber ZZP 114, 133, 140. 282 Stoll/Virgos/Schmit, Vorschläge und Gutachten, 1997, Nr 75 Abs 3. 283 Fritz/Bähr DZWIR 2001, 221, 224; Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art 3 EuInsVO Rn 12. 284 Stoll/Virgos/Schmit, Vorschläge und Gutachten, 1997, Nr 75, Abs 2; Duursma-Kepplinger/Duursma/ Chalupsky Art 3 EuInsVO Rn 12 aE. 285 Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky Art 3 EuInsVO Rn 17.

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§ 10 Auswirkung des eröffneten Insolvenzverfahrens auf die Rechtsstellung | 507

„hilft“ dem schuldnerischen Unternehmensträger nicht bei dem Versuch eines forum shoppings. Denn entweder verlagert sich iSd Art 3 Abs 1 EuInsVO tatsächlich der Mittelpunkt der Interessen – dann kommt es aber ggf auf die Sitzverlegung nicht an. Dies wird aber schon deshalb nicht oft der Fall sein, weil eine Verlagerung des Mittelpunkts der Interessen iSe faktischen Verlagerung der wirtschaftlichen Tätigkeit den Einsatz erheblicher finanzieller Mittel erfordern wird – woran derartiges in einer Liquiditätskrise regelmäßig scheitern wird. Wird dagegen eine Sitzverlegung mit Satzungsinstrumentarien vollzogen, und „zieht“ der Mittelpunkt der wirtschaftlichen Interessen nicht „nach“, bleibt es bei der ohnedies geltenden Regelung des Abs 1 und das forum shopping des schuldnerischen Unternehmensträgers ist ebenfalls leer gelaufen. Voraussetzung der Beachtlichkeit der Sitzverlegung für die internationale Zuständigkeit ist, dass der Ortswechsel nach den in der Eurofood-Entscheidung des EuGH beschriebenen Maßstäben286 tatsächlich zur Begründung des Mittelpunktes des hauptsächlichen Interesses führt. In der Fassung des Art 3 Abs 1 EuInsVO 2015 wird dies ausdrücklich gesetzlich normiert: Nach Art 3 Abs 1 Unterabs 2 S 2 EuInsVO gilt die Fiktion des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen des Schuldners nur unter der Voraussetzung, dass der Sitz nicht in einem Zeitraum von drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens in einen anderen Mitgliedstaat verlegt wurde – damit soll einem forum shopping auf der Ebene der Gesellschaften ein Riegel vorgeschoben werden. Im Falle natürlicher Personen greift diese Regelungstechnik Art 3 Abs 1 Unterabs 2 EuInsVO für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit im Falle der Insolvenz natürlicher Personen auf: Bei einer natürlichen Person, die eine selbständige gewerbliche oder freiberufliche Tätigkeit ausübt, wird bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass der Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen ihre Hauptniederlassung ist.

b) Wohnsitzwechsel bzw Sitzverlegung nach Antragstellung Erfolgt der Wohnsitzwechsel bzw die Sitzverlegung nach Antragstellung, hebt nach der 161 Judikatur des EuGH die Sitzverlegung innerhalb der Mitgliedstaaten der EU die internationale Zuständigkeit des Insolvenzgerichts nicht auf, bei dem der Eröffnungsantrag gestellt worden ist.287 Erledigt sich der zunächst die europäische Zuständigkeit des Insolvenzgerichts begründende Antrag, hatte das Insolvenzgericht aber vorläufige Anordnungen nach den §§ 21 ff InsO erlassen und diese nach Stellung weiterer Eröffnungsanträge aufrechterhalten, ist auch nach Erledigung des ersten Antrags die perpetuatio fori maßgeblich und hindert die Begründung einer anderweitigen europäischen Zuständigkeit durch Wegzug des Schuldners.288

c) Automatische europäisch-internationale Anerkennung Wird ein Hauptinsolvenzverfahren iSv Art 3 Abs 1 EuInsVO eröffnet, genießt der Ho- 162 heitsakt, mit dem dies geschieht, in den anderen Mitgliedsstaaten mit der Wirkung iSv Art 16 EuInsVO internationale „Anerkennung“ derart, dass grundsätzlich der Konkurs-

_____ 286 EuGH, 2.5.2006 – C-341/04, ZIP 2006, 907, 908. 287 EuGH, 17.1.2006, ZIP 2006, 188; Pannen-EUInsVO/Pannen Art 3 EuInsVO Rn 73; MK-InsO/Reinhart Art 3 EuInsVO Rn 47. 288 BGH, 2.3.2006 – IX ZB 192/04, ZIP 2006, 767 mit zT anderer Begründung.

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508 | 2. Kapitel: Die gesellschaftsrechtlichen Funktionsträger

beschlag auch in diesen anderen Mitgliedsstaaten Wirkung entfaltet.289 Die EuInsVO begründet damit die inländische Beschlagswirkung des Auslandskonkurses, obwohl der Eröffnungsakt in einem anderen EU-Mitgliedstaat erlassen worden ist.290

d) Befugnisse des Insolvenzverwalters 163 Der Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens erlangt im Rahmen seiner durch das In-

solvenzrecht des Eröffnungsstaates beschriebenen Rechtsmacht291 die Befugnis, in anderen Mitgliedstaaten belegene Vermögensgegenstände dort zu verwerten, den Erlös ins Gebiet des Eröffnungsstaates zu bringen oder Vermögensgegenstände selbst aus dem Gebiet des Belegenheitsstaates zu entfernen292 und in das Gebiet des Eröffnungsstaates zu verbringen.293 Die EuInsVO räumt ihm also sowohl sichernde als auch realisierende Befugnisse ein.294 Den Gläubigern im ursprünglichen Belegenheitsstaat steht dagegen allein die Beantragung der Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens zur Seite295, sofern dort eine Niederlassung des Insolvenzschuldners existiert. Das ergibt sich zwanglos aus der universellen Wirkung des Konkursbeschlages und der Anerkennung der Statuswirkung des im Eröffnungsstaat erlassenen Hoheitsaktes. Da die sich aus dem Recht des Eröffnungsstaates ergebenden Befugnisse des im Hauptinsolvenzverfahren eingesetzten Verwalters nicht im Recht des Mitgliedstaates, in dem der Verwalter handelt, umgesetzt296 werden, kann in dem anderen Mitgliedsstaat das Bedürfnis auftreten, die wirkliche rechtliche Reichweite der Kompetenz des ausländischen Verwalters zu klären. Soweit ein nationales Insolvenzrecht dem Verwalter die Befugnis zur Streitentscheidung einräumt297 oder ihn mit Zwangsbefugnissen ausstattet,298 bestimmt Art 18 Abs 3 S 2 EuInsVO,299 dass der Verwalter diese Befugnisse in anderen Mitgliedstaaten nicht ausüben darf.

3. Sekundärinsolvenzverfahren a) Partikularmasse 164 Art 3 Abs 3 S 1 EuInsVO ordnet ausdrücklich an, dass, wenn ein Insolvenzverfahren nach Art 3 Abs 1 EuInsVO als Hauptinsolvenzverfahren eröffnet wird, jedes zu einem späteren Zeitpunkt nach Art 3 Abs 2 EuInsVO eröffnete Insolvenzverfahren ein Sekundärinsolvenzverfahren iSv Art 27 EuInsVO ist. Voraussetzung dafür ist, dass der Schuldner in dem Mitgliedsstaat eine „Niederlassung“ unterhält, die durch den dauerhaften Ein-

_____ 289 Fritz/Bähr DZWiR 2001, 221, 225; Buchegger/Buchegger ZIK 2000, 149 ff, 150. 290 Leible/Staudinger KTS 2000, 561; Reinhart, S 282 ff. 291 Leible/Staudinger KTS 2000, 561; Lüke ZZP Bd. 111, 296. 292 Stoll/Virgos/Schmit Vorschläge und Gutachten, 1997, Nr 161, 2. Abs; Pannen-EUInsVO/Pannen/ Riedemann Art 18 EuInsVO Rn 21; vgl Paulus Art 18 EuInsVO Rn 12 ff. 293 Stoll/Virgos/Schmit Vorschläge und Gutachten, 1997, Nr 161, 2. Abs; Pannen-EUInsVO/Pannen/ Riedemann Art 18 EuInsVO Rn 21. 294 Potthast, S 107. 295 Stoll/Virgos/Schmit Vorschläge und Gutachten, 1997, Nr 161, 3. Abs; Pannen-EUInsVO/Pannen/ Riedemann Art 18 EuInsVO Rn 23, 25 f. 296 Lüke, ZZP Bd. 111, 296. 297 Stoll/Virgos/Schmit Vorschläge und Gutachten, 1997, Nr 164. 298 Stoll/Virgos/Schmit Vorschläge und Gutachten, 1997, Nr 164. 299 FK-InsO/Wenner/Schuster Anh I Art 18 EuInsVO Rn 1 f; Pannen-EUInsVO/Pannen/Riedemann Art 18 EuInsVO Rn 51; Paulus Art 18 EuInsVO Rn 21.

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§ 10 Auswirkung des eröffneten Insolvenzverfahrens auf die Rechtsstellung | 509

satz von Vermögenswerten und Personal gekennzeichnet ist, Art 2 lit h EuInsVO. Durch Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens wird das in dem Staat, der das Sekundäreröffnungsverfahren führt, belegene Vermögen des Schuldners beschlagnahmt und der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Sekundärinsolvenzverwalters unterworfen.

4. Antragsbefugnis Für das Sekundärinsolvenzverfahren bestehen besondere Antragsrechte,300 wobei insbes 165 das Antragsrecht des Verwalters bemerkenswert ist, der im Hauptinsolvenzverfahren eingesetzt worden ist (Art 29 lit a EuInsVO).301 Neben dem im Hauptinsolvenzverfahren eingesetzten Verwalter steht im Hinblick auf die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens gem Art 29 lit b EuInsVO aber auch jeder anderen Person oder Stelle das Antragsrecht zu, sofern das Recht des Mitgliedstaates dies vorsieht, in dessen Gebiet das Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet werden soll. Der im Hauptinsolvenzverfahren eingesetzte Verwalter stellt mit dem Antrag auf Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens hinsichtlich des in dem anderen Mitgliedstaat belegenen Vermögens des Insolvenzschuldners nach den bisherigen Überlegungen gleichsam einen Eigenantrag. Dies ist unabhängig von der im Einzelnen durch das nationale Insolvenzrecht des das Hauptinsolvenzverfahren eröffnenden Staates zu bestimmenden Rechtsmacht. Das macht deutlich, dass es insoweit „nicht auf das Vorliegen von Eröffnungsgründen ankommt“, somit auf deren Vortrag und so auch auf die Glaubhaftmachung verzichtet werden kann. Dies ordnen Art 29 lit b EuInsVO und Art 27 S 1 EuInsVO auch für Fremdanträge an.

5. Lex fori concursus Die Artt 4, 28 EuInsVO wählen als Anknüpfungspunkt der Rechtsgeltung die territoriale 166 Reichweite der Wirkungen des jeweiligen Eröffnungsdekrets, die im Falle eines Partikularkonkurses auf das jeweilige „Inland“ beschränkt sind. Dieser Begriff entbehrt freilich hinreichender Trennschärfe.302 Art 28 EuInsVO ordnet daher an, dass (auch verfahrensrechtlich) auf das Sekundärinsolvenzverfahren die Vorschriften des Mitgliedsstaates Anwendung finden, in dessen Gebiet das Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet worden ist.303 Nach Art 28 EuInsVO folgt dies für das Sekundärinsolvenzverfahren aus der in Art 4 Abs 1 EuInsVO statuierten „Grundregel“,304 der zufolge auf das Sekundärinsolvenzverfahren die lex fori concursus anzuwenden ist.305 Im Verhältnis von Sekundärinsolvenzverfahren zum Hauptinsolvenzverfahren lässt sich dies so ausdrücken, dass das Statut der Partikularinsolvenz jenes der Hauptinsolvenz verdrängt,306 was natürlich Abgrenzungsprobleme hervorruft.307

_____ 300 Leible/Staudinger KTS 2000, 568; Keppelmüller Rn 423; Spahlinger, S 325 f. 301 Stoll/Virgos/Schmit Vorschläge und Gutachten, 1997, Nr 226; Herchen, S 149 ff; eingehend hierzu iÜ Stoll/Thieme Vorschläge und Gutachten, 1997, S 229 f. 302 Bloching, S 145. 303 Lüke ZZP Bd 111, 302; Leible/Staudinger KTS 2000, 569; Gottwald, S 26. 304 Leible/Staudinger KTS 2000, 569. 305 Keppelmüller Rn 423; Gottwald § 131 InsO Rn 22; vgl auch Stoll/Thieme Vorschläge und Gutachten, 1997, S 212, 218 f; Stoll/Hanisch, Vorschläge und Gutachten, 1997, S 216. 306 Bloching, S 139 mwN. 307 Bloching, S 143 ff.

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510 | 2. Kapitel: Die gesellschaftsrechtlichen Funktionsträger

6. Geeignete Verfahren 167 Als Sekundärinsolvenzverfahren kann bislang ausschließlich ein Insolvenzverfahren iSv

Art 2 lit c iVm lit a EuInsVO eröffnet werden, das zur Liquidation des Schuldnervermögens führt. Um welche Verfahren es sich dabei handelt, ergibt sich aus Anhang B zur EuInsVO.308 IGgs dazu lässt Art 175 des schweizerischen IPRG zu, dass ein Partikularkonkurs auch zum Zweck der Sanierung des Schuldners im Wege eines dort sog Nachlassverfahrens eröffnet wird.309 Gleiches gilt für das Recht der USA.310 Grundlegendes Merkmal des partikular-territorial wirkenden311 Sekundärinsolvenzverfahrens ist die Konstitution einer auf dem Gebiet des eröffnenden Mitgliedstaates belegenen Masse (Art 27 S 3 EuInsVO).312 Der Entwurf einer Änderung der EuInsVO313 sieht nunmehr vor, dass als Sekundärinsolvenzverfahren auch reorganisierende Verfahren eröffnet werden können.

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_____ 308 309 310 311 312 313

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Spahlinger, S 254; vgl zur Problematik Reinhart, S 255 ff. Reinhart, S 259 ff. Reinhart, S 267 ff. Vgl Huber ZZP Bd 114, 133, 141 f. Stoll/Virgos/Schmit Vorschläge und Gutachten, 1997, Nr 224. EuZW 2015, 43; vgl auch die Ausführungen bei Wimmer, jurisPR-InsR 7/2015 Anm 1.

§ 11 Insolvenzverschleppung | 511

3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften 3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften

§ 11 Insolvenzverschleppung Bittmann § 11 Insolvenzverschleppung I. Allgemeines Wer seine Pflicht, Insolvenz anzumelden, nicht korrekt erfüllt, setzt die Rechtsordnung 1 außerstande, beizeiten einzuschreiten, um weiteren Schaden abzuwenden. Er verstößt damit nicht nur gegen das Zivilrecht mit zT erheblichen Haftungsfolgen,1 sondern begeht zudem eine Straftat der Insolvenzverschleppung, auch: Insolvenzverfahrensverschleppung genannt.2 Seit dem Inkrafttreten des MoMiG3 finden sich die einschlägigen Strafnormen rechtsformübergreifend in § 15a Abs 4 (Vorsatz) bzw Abs 5 (Fahrlässigkeit) InsO.4 Sie lösten mit Wirkung vom 1.11.2008 die rechtsformabhängigen Vorläuferbestimmungen ab (§§ 84 Abs 1 Nr 2, Abs 2 GmbHG, 401 AktG, 148 GenG sowie für die GmbH & Co OHG bzw KG §§ 130b und 177a HGB). Die Tat kann in drei Varianten begangen werden und zwar als (1) Unterlassung eines (Eigen-)Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, als (2) dessen Verspätung und im Wege (3) eines nicht richtig gestellten Antrags. Diese Bestimmungen beziehen sich jeweils auf Verantwortliche solcher Unterneh- 2 men, bei denen keine natürliche Person mit dem eigenen Vermögen unbeschränkt haftet, weshalb neben der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit auch die Überschuldung die Insolvenzantragspflicht auslöst, nicht jedoch die bloß drohende Zahlungsunfähigkeit. § 15a InsO gilt seiner Intention nach auch für Inlandsgesellschaften ausländischer Rechtsform5 und in diesem Sinne ubiquitär.6 Ob der deutsche Gesetzgeber dies

_____ 1 Allein im Standard-Kommentar von Scholz befassen sich K Schmidt und Bitter auf über 435 S mit Fragen des § 64 GmbHG. 2 Beide Begriffe sind sprachlich inkorrekt: Insolvenz als Zustand tritt unabhängig von der Einleitung eines Verfahrens ein, und verschleppt werden kann nur ein Verfahren, welches bereits eingeleitet ist. Demnach müßte die Rede sein von Insolvenzverfahrenseinleitungsverschleppung. Ist man sich dessen bewusst, so kann man getrost dieses Wortungeheuer durch die Kurzform Insolvenzverschleppung ersetzen, so auch das Gesetz, § 6 Abs 2 S 2 Nr 3 lit a GmbHG und § 76 Abs 3 Nr 3 lit a AktG (dazu unten Rn 16). 3 BGBl I, 2008. 4 Auflistung der betroffenen Gesellschaftsformen bei M/G/Rinjes Rn 273; auch bei MüKoGmbHG/Wißmann Rn 8 zu § 84 GmbHG. Der Gesetzgeber pflegt in Krisenzeiten die Pflichten zu erleichtern, zuletzt für Unwetterfälle im Frühling 2016; BGBl I, 2016, 1838; Hochwasser 2013 s Schmidt ZInsO 2013, 1463 ff, sa unten Rn 104. 5 Hefendehl ZIP 2011, 601 ff; M-G/Richter Rn 80/21 f; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 75 vor §§ 82 ff GmbHG; aA MK/Klöhn Rn 327 mit Rn 50 ff zu § 15a InsO. Eine nach ausländischem Recht entstandene, hier als solche anzuerkennende juristische Person ist im Inland nach Löschung im ausländischen Register nicht als Einzelhandelsgeschäft bzw oHG, sondern als Abwicklungsgesellschaft (ggf beschränkt auf das Inlandsvermögen: Spaltgesellschaft) zu behandeln, BGH, 22.11.2016 – II ZB 19/15, Rn 10–14; OLG Brandenburg, 27.7.2016 – 7 U 52/15, Rn 20 ff und 24 ff, ZInsO 2016, 2253 ff (mN auch zur Gegenauffassung in Rn 26); zumindest ähnlich OLG Jena, 22.8.2007 – 6 W 244/07, ZIP 2007, 1709 ff; OLG Nürnberg, 10.8.2007 – 13 U 1097/07, GmbHR 2008, 41 ff. Das KG, 17.3.2014 – 20 U 254/14, ZInsO 2014, 1618 verneinte demgegenüber sogar die Parteifähigkeit; das LG Duisburg, 20.2.2007 – 7 T 269/06, ZIP 2007, 926 ff jedenfalls die Insolvenzfähigkeit. 6 G/J/W/Reinhart Rn 17 zu § 15a InsO. Allerdings werden nach ausländischem Recht gegründete juristische Personen in Deutschland nur insoweit anerkannt, wie sie Niederlassungsfreiheit genießen, im übrigen gilt die Sitztheorie fort, BGH, 8.10.2009 – IX ZR 227/06, Rn 4 f, ZInsO 2009, 2154 f. Vor dem 1.11.2008, dem Inkrafttreten des MoMiG, bestand für panamaische Domzilgesellschaften keine strafbewehrte Insolvenzantragspflicht in Deutschland, AG Gera, 1.4.2004 – 720 Js 6677/02 – 10 DS, wistra 2004, 435; bestätigt

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512 | 3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften

für Gesellschaften, die nach dem Recht eines anderen EU-Staats gegründet wurden, wirksam anordnen konnte, hängt indes davon ab, ob die Insolvenzantragspflicht supranational als Gesellschafts-, Insolvenz- oder allgemeines Verkehrsrecht zu qualifizieren ist7. Aber nur dann, wenn sich dereinst der EuGH – entgegen seiner Rspr zu § 64 S 1 GmbHG8 – für die erste Variante entscheiden sollte, würde § 15a InsO mangels sich auf das ausländische Gesellschaftsrecht erstreckender Regelungskompetenz des nationalen Gesetzgebers nicht für Gesellschaften nach auswärtigem EU-Recht gelten. Die primäre Handlungspflicht trifft bei den deutschrechtlichen Formen der AG und der Genossenschaft den Vorstand, bei der GmbH den Geschäftsführer9 und bei der GmbH & Co OHG bzw KG die GmbH als persönlich haftende Gesellschafterin und dort gem § 35 Abs 1 S 1 und Abs 2 S 1 HGB den GmbH-Geschäftsführer.10 Für den Fall der Führungslosigkeit bestimmt § 15a Abs 3 InsO (nur für die aufgeführten Gesellschaftsformen, also nicht rechtsformübergreifend), dass an die Stelle des regelmäßigen, aber personell nicht besetzten Vertretungsorgans bei der GmbH die Gesellschafter und bei der AG und der Genossenschaft die Mitglieder des Aufsichtsrats treten.11

II. Pflicht zur Anzeige des Verlustes des hälftigen Stammkapitals 3 Im Vorfeld der Insolvenzverschleppung angesiedelt sind Bestimmungen, welche es unter

Strafe stellen, die Gesellschafter nicht rechtzeitig vom Verlust der Hälfte des Haftungskapitals in Kenntnis gesetzt zu haben. Sie finden sich rechtsformabhängig als Vorsatztaten in §§ 84 Abs 1 GmbHG, 401 Abs 1 AktG und 148 Abs 1 GenG,12 als Fahrlässigkeitsdelikte in den jeweiligen Abs 2.

_____ von LG Gera, 30.4.2004 – 1 Qs 165/04, wistra 2004, 435 f; auch nicht für englische Limiteds, LG Kiel, 20.4.2006 – 10 S 44/05, ZInsO 2006, 1227 ff. 7 Für Letzteres Bittmann/Gruber, GmbHR 2008, 867 ff; iE nicht abweichend, aber für insolvenzrechtliche Qualifikation W/J/Beck Rn 8/146; Böttger/Verjans Rn 4/147 und 161; W/J/Pelz Rn 9/13, 21 und 31–33; aA Dannecker/Knierim/Hagemeier/Smok Rn 592 ff (gesellschaftsrechtliche Qualifikation). Einzelheiten zum COMI oben Rn 10/159 ff, auch unten Rn 13. 8 EuGH, 10.12.2015 – C-594/14, JZ 2016, 571 ff (mAnm Ringe; dazu auch Mankowski NZG 2016, 281 ff; Schall ZIP 2016, 289 ff); Vorlagebeschl 2.12.2014, ZInsO 2015, 92 ff, Folgeentscheidung BGH, 15.3.2016 – II ZR 119/14, NJW 2016, 2660 f; zuvor bereits EuGH, 4.12.2014 – C 295/13, NZG 2015, 154 ff; ebenso zum früheren Eigenkapitalersatzrecht BGH, 21.7.2011 – IX ZR 185/10, BGHZ 190, 364 ff. 9 Zu Besonderheiten bei einer Komplementär GmbH s Krings/Otte NZG 2012, 761 ff. 10 Wohl unstr, dazu Grub S 85 ff, insbes 96 f. 11 Barthel ZInsO 2010, 1776 ff. N/R/Mönning Rn 28 zu § 15a InsO sieht darin einen Widerspruch zur Haftungsverfassung juristischer Personen und der daraus folgenden Aufgabenverteilung zwischen Organen und Gesellschaftern. Letztere betrachet er daher lediglich als verpflichtet, die Führungslosigkeit zu beenden. Das mag so sein, entbindet aber die in § 15a Abs 3 Genannten nicht von der Pflicht, selbst Insolvenzantrag zu stellen. Ist eine ebenfalls führungslose GmbH Gesellschafterin, so sind nach LG München, 29.7.2013 – 14 T 15462/13, ZInsO 2014, 1166, deren Gesellschafter für beide Gesellschaften antragsbefugt und -pflichtig; ebenso Löser ZInsO 2010, 799 ff. Allerdings stellt sich zusätzlich die Frage, wer die Gesellschaft vertritt. Das AG Oldenburg, 24.6.2016 – 65 IN 9/16, ZInsO 2016, 1712 f, verneinte sogar die Möglichkeit, bei einem Gesellschafterantrag überhaupt ein Insolvenzverfahren zu führen. Diese Konsequenz ist unzutreffend. Kann man der Insolvenzantragspflicht der Gesellschafter nicht die Annexkompetenz entnehmen, insoweit die Gesellschaft zu vertreten, so muss das Insolvenzgericht einen Prozesspfleger oder das Registergericht einen Notgeschäftsführer (Beipiel jenseits der Insolvenz: OLG Düsseldorf, 8.6.2016 – I-3 Wx 302/15, ZInsO 2016, 2492 ff) bestellen, Laroche NZI 2016, 926 f. 12 Für GmbH & Co OHG bzw KG gibt es keine entspr Bestimmungen; die Geltung für die persönlich haftende GmbH bleibt jedoch unberührt.

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§ 11 Insolvenzverschleppung | 513

1. Anzeigepflicht a) Pflichtenstellung § 84 Abs 1 GmbHG, betrachtet als pars pro toto, verpflichtet als Sonderdelikt13 in Ver- 4 stärkung der Pflicht aus § 49 Abs 3 GmbHG14 jeden15 Geschäftsführer,16 allen17 Gesellschaftern den hälftigen Verlust des Stammkapitals“ in einer frei wählbaren Form18 anzuzeigen. Das gilt nach hM aber wegen § 5a Abs 4 GmbHG (Informationspflicht bei drohender Zahlungsunfähigkeit – ohne Pönalisierung) nicht auch für die Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt).19 Es handelt sich um ein untreueähnliches echtes Unterlassungs- und um ein Gefährdungsdelikt,20 das keine Manipulation zum Zwecke der Verschleierung des Verlustes voraussetzt.21 Für die Anzeige ist kein bestimmter Wortlaut vorgeschrieben. Der Inhalt muss aber für den oder die Adressaten eindeutig sein.22 Die Anzeigepflicht setzt mit Eintritt des Verlustes ein23 und muss unverzüglich iSv § 121 BGB24 erfüllt werden. Geschieht das nicht, so ist die Tat vollendet. Beendigung tritt entweder dann ein, wenn aufgrund verbesserter wirtschaftlicher Lage wieder mehr als die Hälfte des Stammkapitals vorhanden ist oder alle Gesellschafter auf andere Weise von dem Verlust (verlässliche) Kenntnis erlangt haben. Daher kann der Tatbestand bei der Ein-Mann-GmbH, also im Fall der Personengleichheit von Alleingesellschafter und Alleingeschäftsführer, und allg gegenüber bereits vollständig informierten Gesellschaftern von vorn herein nicht verwirklicht werden.25 Die verspätete Anzeige ändert am eingetretenen Tatbestand nichts, wirkt aber strafmildernd.26 Musste der Geschäftsführer bei Amtsniederlegung die Gesellschafter noch nicht informieren, so ist er nicht verpflichtet, seinen Nachfolger zur Anzeige zu veranlassen.27 Die Anzeigepflicht gilt auch dann, wenn der Verlust vom Geschäftsführer selbst 5 zu verantworten ist. Muss er zur Erfüllung seiner Informationspflicht den Gesellschaf-

_____ 13 Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 11 zu § 84 GmbHG; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 52 zu § 84 GmbHG. 14 Kußmaul/Palm StB 2015, 104 ff; vgl dazu oben Rn 6 Rn 22 und 24 f. 15 Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 15 zu § 84 GmbHG. 16 Nicht auch den Liquidator, selbst im Fall der Personengleichheit, Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 12 zu § 84 GmbHG. 17 Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 34 und 44 zu § 84 GmbHG; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 103 zu § 84 GmbHG. 18 Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 35 zu § 84 GmbHG; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 6, 36, 91 und 103 f zu § 84 GmbHG. 19 Geißler GmbHR 2010, 457 ff, 459; Joost ZIP 2007, 2242 ff, 2247 f; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 3 und 8 zu § 84 GmbHG sowie Rn 64 zu § 5a GmbHG; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 1 zu § 84 GmbHG; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 44 zu § 84 GmbHG; aA (= ergänzende Geltung) Scholz/H P Westermann Rn 33 zu § 5a GmbHG mN. Aufgrund erhöhter Gefahr ihrer Frühsterblichkeit (Bayer/Hoffmann NZG 2012, 887 ff) liegt diese zusätzliche Kontroll- und Informationspflicht nahe. M Brand, oben Rn 6/25, sieht § 49 Abs 3 als von § 49 Abs 2 GmbHG verdrängt an. 20 MK/Hohmann Rn 4 zu § 15a InsO; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 7 und 9 zu § 84 GmbHG. 21 Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 38 zu § 84 GmbHG. 22 Vgl Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 35 zu § 84 GmbHG; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 106 zu § 84 GmbHG. 23 Vgl Scholz/Tiedemann/Rönnau, Rn 40 zu § 84 GmbHG, die aber zusätzlich den bilanziellen Ausweis verlangen. 24 MüKoGmbHG/Wißmann Rn 107 zu § 84 GmbHG; eingeschränkt auf das dort bejahte Bilanzerfordernis Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 41 zu § 84 GmbHG. 25 Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 10 und 44 zu § 84 GmbHG. 26 Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 43 zu § 84 GmbHG. 27 Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 31 zu § 84 GmbHG; A/R/R/Wegner Rn 7/2/56.

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514 | 3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften

tern gegenüber eine eigene Straftat offenbaren, so entbindet ihn selbst das ebenfalls nicht von seiner Anzeigepflicht.28 Seine Angaben sind aber in Anlehnung an den Gemeinschuldnerbeschluss des BVerfG29 in einem Ermittlungs- oder Strafverfahren nicht verwertbar. Auf ihrer Grundlage darf jedoch ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden, in welchem die darin gewonnenen Beweise, zB aus der Buchhaltung, zu seiner Verurteilung herangezogen werden dürfen.30

b) Kein Bilanzerfordernis 6 Nach einer verbreiteten, aber umstrittenen Auffassung enthält der Tatbestand als unge-

schriebenes, die Strafbarkeit einengendes Merkmal das Erfordernis der Ersichtlichkeit des Verlusts aus einer tatsächlich aufgestellten Bilanz.31 Das überzeugt nicht: Der Geschäftsführer hat zwar gemäß § 49 Abs 3 GmbHG eine Gesellschafterversammlung nur dann einzuberufen, wenn eine Jahres- oder sonstige Bilanz ausweist, dass mindestens das halbe Stammkapital verloren ist. § 84 GmbHG knüpft aber gerade nicht an die Verletzung von § 49 Abs 3 GmbHG an. Es genügt vielmehr die ausbleibende Information trotz Kenntnis oder fahrlässiger Unkenntnis (zB aufgrund Untergangs unversicherter Ware, der Insolvenz eines Großschuldners oder Fehlens bzw nicht genügend ausgewerteter betriebswirtschaftlicher Auswertungen, BWA). Dieses Verständnis deckt sich mit der Beseitigung des Bilanzerfordernisses im seinerzeitigen § 84 Abs 1 Nr 2 GmbHG durch das 2. Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität,32 das auch in § 15a Abs 4 InsO nicht wieder auflebte. Aufgrund der in Krisenzeiten verstärkten Pflicht sowohl zur Beobachtung der wirtschaftlichen Lage33 als auch zur Sanierung34 wird der Geschäftsführer allerdings selten umhinkommen, bei erkennbar eingetretenen, das Stammkapital bedrohenden Verlusten eine Zwischenbilanz aufzustellen bzw aufstellen zu lassen. Weiß er aber auch ohne eine solche, dass zumindest die Hälfte des Stammkapitals aufgebraucht ist, so würde es den Schutz des Rechtsguts nicht verstärken, trotzdem das Errichten einer Bilanz zu fordern. Am Grund für die gebotene Information der Gesellschafter ändert das Fehlen einer Bilanz jedenfalls nichts. Wer trotzdem das Bilanzerfordernis bejaht, privilegiert einen Verstoß des Geschäftsführers gegen dessen Pflicht, die wirtschaftliche Lage in der Krise besonders intensiv ins Auge zu fassen und Zwischenbilanz zu ziehen. Er müsste deswegen unter dem Gesichtspunkt der selbstverschuldeten Unfähigkeit zur Pflichterfüllung ebenfalls zur Strafbarkeit ausbleibender Information der Gesellschafter gelangen.35 Damit wäre der Gleichlauf zum materiellen Gesellschaftsrecht ebenfalls hergestellt.

_____ 28 AA für Extremfälle Scholz/Tiedemann/Rönnau, Rn 47 zu § 84 GmbHG. 29 BVerfGE 56, 41 ff. 30 Zum Parallelproblem bei § 97 InsO s oben § 1 Rn 16 ff, insbes Rn 20 f. 31 Vgl Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 3 f zu § 84 GmbHG mwN; wie hier KölnerK/Hess Rn 186 zu § 15a InsO; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 2 und 8 zu § 84 GmbHG; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 36, 91, 93 f und 103 zu § 84 GmbHG. 32 Vom 15.5.1986, BGBl I, 721. 33 Dazu unten Rn 142. 34 Dazu unten § 16 Rn 103. 35 Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 38 zu § 84 GmbHG bejahen eine Strafbarkeit nur dann, wenn der Geschäftsführer weiß, dass die Bilanz nur aufgrund seiner Manipulation den Verlust der Hälfte des Stammkapitals nicht ausweist.

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§ 11 Insolvenzverschleppung | 515

Maßgeblich sind nicht die Liquidations-, aber (ähnlich wie für die Überschuldung36) 7 auch nicht die für die Jahresbilanz gültigen Werte. 37 Vielmehr verlangen etwaige stille Reserven, noch nicht bilanzierte Rücklagen und einige weitere Besonderheiten (zB bei Rückstellungen für im Insolvenzfall nicht mehr anfallende zukünftige Verbindlicheiten) Berücksichtigung. Rechnet man das Gebot der Aufstellung von Krisen- und Insolvenzbilanzen nicht zum Handelsrecht, so stellt das Unterlassen von deren Erstellung kein Insolvenzdelikt nach § 283 Abs 1 Nr 7b oder § 283 Abs 1 Nr 3b StGB dar, weil diese Bestimmungen nur aufgrund Handelsrechts aufzustellende Bilanzen erfassen. Im Hinblick auf § 331 Nr 1 HGB gölte nichts Abweichendes, wohl aber iVm § 340a Abs 3 HGB für Kreditinstitute.

2. Rechtsgut Geschütztes Rechtsgut ist nicht etwa das Vermögensinteresse der Gläubiger, sondern 8 allein dasjenige der Gesellschafter.38 Seinem Wortlaut nach wäre der Tatbestand immer schon dann erfüllt, wenn unbeschadet der wirtschaftlichen Situation der Gesellschaft ein Verlust in der genannten Höhe eintritt. Strafbar wäre danach bei einer 25.000 €-GmbH ein Verlust von 12.500 € selbst dann, wenn sie über Rücklagen in Millionenhöhe verfügte. Das ist mit der Vorschrift aber ersichtlich nicht gemeint. Die Anzeigepflicht besteht vielmehr nur dann, wenn die Hälfte des Stammkapitals aufgezehrt ist.39 Da die Vorschrift allein den Gesellschaftern dient, können sie auf die Information 9 verzichten.40 Die Pflicht entfällt aber nicht bereits dann, wenn die Gesellschafter mangels weiterer liquider Mittel nicht zu Nachschüssen in der Lage wären,41 weil die Wahrnehmung ihrer Vermögensinteressen auch in der Weisung zur Einleitung bestimmter Sanierungsmaßnahmen oder der Stellung eines Insolvenzantrags wegen drohender Zahlungsunfähigkeit bestehen kann.42

3. Subjektiver Tatbestand Die Bestrafung setzt (bedingt43) vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln voraus. Ein 10 Irrtum über die Höhe des Verlustes ist Tatbestandsirrtum, § 16 StGB, führt aber, ist er

_____ 36 Vgl dazu oben Rn 8/30 ff sowie unten Rn 112 ff.; aA MüKoGmbHG/Wißmann Rn 95 ff zu § 84 GmbHG, der selbst stille Reserven ausschließt, Rn 100. 37 AA Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 33 zu § 84 GmbHG: Bilanzwerte. 38 Vgl Scholz/Tiedemann/Rönnau, Rn 5 zu § 84 GmbHG, der darüber hinaus auch das Informationsinteresse der Gesellschafter und die Gesellschaft in ihrem Bestandsinteresse geschützt sieht; ebenso MüKoGmbHG/Wißmann Rn 12 zu § 84 GmbHG. Es gibt aber jenseits der Untreue kein gegen die Gesellschafter wirkendes, rechtlich gestütztes Interesse der Gesellschaft an ihrem eigenen Bestand. Und die Information ist lediglich das vom Gesetz vorgesehene Mittel, mit welchem der Geschäftsführer die Gesellschafter in die Lage zu versetzen hat, ihre Vermögensinteressen bei Verlust der Hälfte des Stammkapitals zu verfolgen. 39 Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 32 zu § 84 GmbHG; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 92 zu § 84 GmbHG; zumindest unklar KölnerK/Hess Rn 186 zu § 15a InsO; zum Beurteilungsspielraum bei der Feststellung vgl Roth S 233 ff. 40 Vgl Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 45 zu § 84 GmbHG. Allerdings soll ein Verzicht im Gesellschaftsvertrag unbeachtlich sein, Rn 64 zu § 84 GmbHG; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 109 zu § 84 GmbHG hält einen Verzicht für unbeachtlich, da die Anzeigepflicht auch im öffentlichen Interesse bestehe. Diese Argumentation entfällt, betrachtet man wie hier allein die Interessen der Gesellschafter als geschütztes Rechtsgut. 41 Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 34 zu § 84 GmbHG. 42 Vgl Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 39 zu § 84 GmbHG. 43 Für die Kenntnis des Verlustes ist das str, vgl Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 51 zu § 84 GmbHG.

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selbst verschuldet, zu einer Strafbarkeit wegen fahrlässiger Begehungsweise.44 Bei unverschuldeten Bewertungsfehlern scheidet hingegen eine Bestrafung aus. Kennt der Geschäftsführer die Anzeigepflicht nicht, so unterliegt er einem – regelmäßig: vermeidbaren – Gebotsirrtum.45 Der Fahrlässigkeitsvorwurf kann nicht nur an das Vergessen der Mitteilung46 anknüpfen, sondern auch an die vorwerfbare47 Unkenntnis der Aufzehrung der Hälfte des Stammkapitals.

4. Praktische Bedeutung, Straferwartung, Konkurrenzen, Verjährung 11 In der Praxis spielt § 84 Abs 1 GmbHG keine so wesentliche Rolle wie die Insolvenzver-

schleppung. Die Insolvenzgutachten konzentrieren sich auf das Vorliegen zumindest eines Insolvenzauslösetatbestands im Zeitpunkt ihrer Erstellung. Haftungsansprüche gegen den Geschäftsführer wegen Insolvenzverschleppung, für die es darauf ankäme, wann die Insolvenz objektiv eingetreten ist und erkennbar war, werden der Strafjustiz selten bekannt. Die Bestimmung kann aber eine Auffangfunktion übernehmen. Bedürfte der Nachweis der Insolvenzverschleppung erheblichen Aufwands, so mag sich jenseits von Ein-Personen-Gesellschaften eine Nachfrage bei Gesellschaftern anbieten. Waren sie vom Insolvenzantrag überrascht worden oder hatten erst kurz zuvor von der Krise erfahren, so liegt die Erfüllung des Tatbestands des § 84 Abs 1 StGB sehr nahe. Denkbar ist ferner die Prüfung des Auslösers einer erfolgten Information der Gesellschafter. Es wird sich zuweilen mit relativ geringem Aufwand feststellen lassen, ob der Geschäftsführer unverzüglich gehandelt hat. Lässt sich das verneinen, so kann der genaue Zeitpunkt des Einsetzens der Informationspflicht ggf dahinstehen. Eine Einstellung nach Opportunitätsgesichtspunkten bietet sich zumindest dann nicht an, wenn sich auf eine vielleicht auch nur niedrige Geldstrafe hin andere Vorwürfe wegen unverhältnismäßigen Aufwands gemäß § 154 Abs 1 Nr 2 StPO einstellen lassen. Eine Tat nach § 84 Abs 1 GmbHG steht zu einer Insolvenzverschleppung ebenso wie 12 regelmäßig zu anderen (auch: Insolvenz-)Delikten im Verhältnis der Tatmehrheit,48 mit Kreditbetrug aber ggf in Tateinheit.49 Die Verjährungsfrist beginnt nicht schon mit dem Eintritt des Verlusts des halben Stammkapitals, sondern erst mit dem Entfallen der Anzeigepflicht zu laufen, also mit Tatbeendigung.50 Sie beträgt 5 Jahre für die Vorsatz-, 3 Jahre für die Fahrlässigkeitstat.

_____ 44 Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 49 zu § 84 GmbHG. 45 Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 50 zu § 84 GmbHG; gleiches gilt bei irriger Annahme, aufgrund alsbaldiger Besserung der wirtschaftlichen Lage auf die Anzeige verzichten zu dürfen, Rn 53. 46 Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 52 zu § 84 GmbHG. 47 Übernahmeverschulden genügt, Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 54 zu § 84 GmbHG. 48 Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 55 zu § 84 GmbHG; A/R/R/Wegner Rn 7/2/76; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 240 zu § 84 GmbHG, str. 49 Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 57 zu § 84 GmbHG. 50 MüKoGmbHG/Wißmann Rn 247 zu § 84 GmbHG.

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§ 11 Insolvenzverschleppung | 517

III. Insolvenzverschleppung, § 15a Abs 4 und 5 InsO 1. Zusammenhang mit § 15a Abs 1 InsO Die Strafbestimmungen der vorsätzlichen (Abs 4) und fahrlässigen (Abs 5) Insolvenzver- 13 schleppung knüpfen (im Kern akzessorisch51) an die in § 15a Abs 1 InsO normierte Pflicht zum Stellen eines Eröffnungsantrags an. Danach sind die Mitglieder des vertretungsberechtigten Organs einer juristischen Person (deutschen oder ausländischen Rechts mit wirtschaftlichen Hauptinteressen in Deutschland = center of main interests, COMI)52 verpflichtet, unverzüglich, spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung beim zuständigen Amtsgericht einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen. Nach Eintritt in die Liquidationsphase53 trifft die gleiche Pflicht die Liquidatoren. Erfasst sind nicht nur Kapitalgesellschaften,54 sondern sämtliche unter § 15a Abs 1 InsO fallende juristische Personen, soweit keine Sonderregelungen bestehen (zB § 54a KWG für Kreditinstitute).55 Die strafbewehrte Pflicht zum Stellen eines Eröffnungsantrags setzt mit der Existenz der juristischen Person ein, also ihrer Eintragung in das Handelsregister. § 15a Abs 4 und 5 InsO erfassen demnach nicht die VorGesellschaft.56 Die Antragpflicht erstreckt sich gemäß § 15a Abs 1 S 2 InsO auch auf andere als juristische Personen, aber nur auf Gesellschaften, und zwar auf solche, für deren Verbindlichkeiten keine natürliche Person unbeschränkt haftet, gemäß § 15a Abs 2 GmbH erweitert auf organschaftliche Vertreter ohne vollhaftende natürliche Person. Die Strafnormen beziehen sich aber nur auf die juristischen und ihnen gleichgestellten Personen, die nach § 15a Abs 1–3 InsO Insolvenzantrag stellen müssen. Das trifft für den eingetragenen Verein nicht zu. Die Pflicht, Insolvenzantrag über dessen Vermögen zu stellen, folgt aus § 42 Abs 2 S 1 BGB. Ihre Verletzung war und ist nicht strafbar. Das stellt mittlerweile § 15a Abs 6 InsO ausdrücklich klar.57

2. Rechtsgut Die strafbewehrte Insolvenzantragspflicht schützt die Interessen der Gläubiger.58 Sie 14 bezieht sich dabei sowohl auf die bestehenden, sog „Alt“-Gläubiger als auch auf neu

_____ 51 Näher unten Rn 70. 52 Vgl EuGH, 2.5.2006 – C-341/04, Rn 26 ff, ZIP 2006, 907 ff (zum COMI einer Tochtergesellschaft); 10.3.2011 – C-396/09, ZInsO 2011, 962 ff; 20.10.2011 – C 396/09, NZI 2011, 990 (mAnm Mankowski); auch 15.12.2011 – C 191/10, ZInsO 2012, 93 ff; sa Schlussantrag der Generalanwältin vom 10.9.2013 – C-328/12, ZInsO 2013, 2001 ff; BGH, 1.12.2011 – IX ZB 232/10, Rn 9 ff, ZIP 2012, 124 ff; AG München, 4.5.2004 – 1501 IE 1276/04, NZI 2004, 450 mAnm Mankowski; AG Offenburg, 2.8.2004 – 2 IN 133/04, NZI 2004, 673; AG Siegen, 1.7.2004 – 25 IN 154/04, NZI 2004, 673 f. Der vorübergehende Aufenthalt im Inland begründet nicht die örtliche und internationale Zuständigkeit (des deutschen Insolvenzgerichts), AG Düsseldorf, 9.6.2016 – 513 IK 175/15, ZInsO 2016, 2491 f. Vgl a oben Rn 2 und Rn 10/159 ff. 53 Dazu allg Schmelz NZG 2007, 135 ff. 54 Übersicht bei W/J/Pelz Rn 9/11 und 21–30. 55 Vgl C Brand WisteV-Vortrag, 29.11.2011, Berlin = KTS 2012, 195 ff; ders. ZVglRWiss 113 (2014), 142 ff; ihm folgend Wegner HRRS 2012, 68 ff; sa A/R/R/Wegner Rn 7/2/23; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 9 zu § 84 GmbHG; ferner Cichy/Cziupka/Wiersch ZGR 2013, 846 ff; Kasiske ZIS 2013, 257 ff; Goeckenjan wistra 2014, 201 ff. Zum SAG s Laudien ZIS 2015, 244 ff. 56 Zur Vor-GmbH: Altmeppen ZIP 1997, 273 ff; Bittmann/Pikarski wistra 1995, 91 ff; Deutscher/Körner wistra 1996, 8 ff; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 29 vor §§ 82 ff GmbHG; aA Böttger/Verjans Rn 4/150. 57 Poertzgen ZInsO 2012, 1697 ff. 58 G/J/W/Reinhart Rn 3 f zu § 15a InsO; A/R/R/Wegner Rn 7/2/5 (beide einschl Arbeitnehmer); MüKoGmbHG/Wißmann Rn 15 zu § 84 GmbHG. Zum Schutzzweck und seinen Grenzen aus zivilrechtlicher Per-

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hinzukommende. Altgläubiger will sie vor einer Minderung ihrer Insolvenzquote, Neugläubiger hingegen davor bewahren, überhaupt mit einem insolvenzreifen Unternehmen zu kontrahieren.59 Weil der Kreis der (potentiell) betroffenen Gläubiger offen ist und sich nicht wirksam beschränken lässt, entfaltet eine Einwilligung in die Insolvenzverschleppung des Geschäftsführers weder seitens der Gesellschafter noch der Gläubiger rechtfertigende Wirkung.60 Im Gegenteil: Die (ohne Erklärung des Nachrangs der eigenen Forderungen erfolgte61) Einwilligung der Gläubiger kann ebenso wie die Weisung zB der Gesellschafterversammlung gem § 37 GmbHG62 als Beihilfe zur Insolvenzverschleppung strafbar sein. Verstöße gegen die Insolvenzantragspflicht führen gem §§ 823 Abs 2 BGB iVm § 15a Abs 1 InsO zum Schadenersatzanspruch gegen den (oder die) Antragspflichtigen.63 Quoten- können iGgs zu Kontrahierungsschäden bei eröffnetem Insolvenzverfahren nur vom Verwalter geltend gemacht werden, § 92 S 1 InsO.

3. Tathandlung 15 Die Vorschrift begnügt sich mit einem Handlungsgebot, ist also nicht als Erfolgsdelikt

konzipiert.64 Sie ist ein abstraktes Gefährdungs- und Unterlassungsdelikt.65 Die Tathandlung besteht im Unterlassen der gebotenen Stellung des Insolvenz16 antrags und nicht etwa wie bei § 283 Abs 1 Nr 8 StGB66 in der Fortsetzung der wirt-

_____ spektive BGH, 21.10.2014 – II ZR 113/13, Rn 13, ZIP 2015, 267 ff; Ehlers BB 2013, 1539 ff. Weitere Rechtsgüter sehen als geschützt an M-G/Richter Rn 76/48 ff; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 30 vor §§ 82 ff GmbHG, die auch Gesellschaft (ebenso M/G/Rinjes Rn 277) und Gesellschafter (hinsichtlich beidem ebenso MK/ Hohmann Rn 1 zu § 15a InsO; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 16 zu § 84 GmbHG) als mit geschützt betrachten. Grube/Maurer GmbHR 2003, 1461, 1463, sehen (auch oder nur?) den Schutz des Wirtschaftslebens vor den Gefahren der Beschränkung der Haftung auf das Vermögen der juristischen Person als Rechtsgut an. 59 Deren Schutz sieht N/R/Mönning, Rn 8c zu § 15a InsO, angesichts der elektronischen Informationsmöglichkeiten an nicht mehr zeitgemäß und damit überholt an. Richtig daran ist, dass die wirtschaftliche Lage von Unternehmen wesentlich transparenter ist als früher. Warum das aber einseitig den Vertragspartner in die Pflicht nehmen soll, ist nicht einzusehen, denn auch und sogar vorrangig das Unternehmen profitiert von den schnelleren Reaktionsmöglichkeiten aufgrund besserer und schneller zur Verfügung stehender Informationen. 60 BGHZ 108, 134, 146; HeiK-InsO/Kleindiek Rn 12 zu § 15a InsO; M-G/Richter Rn 80/33; W/J/Pelz Rn 9/65; Richter GmbHR 1984, 113, 120; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 62 ff vor §§ 82 ff GmbHG; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 217 zu § 84 GmbHG. 61 MK/Hohmann Rn 102 zu § 15a InsO; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 63 vor §§ 82 ff GmbHG; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 217 zu § 84 GmbHG. 62 Sie befreit den Geschäftsführer nicht von seiner öffentlich-rechtlichen Pflicht zum Stellen des Insolvenzantrags, Uhlenbuck/Hirte Rn 12 zu § 15a InsO – das dürfte daraus folgen, dass eine derartige Weisung unwirksam ist; iE hM, zB FK-InsO/Schmerbach Rn 14 zu § 15a InsO; HambK/Borchardt Rn 27 zu § 15a InsO. 63 St Rspr, grundlegend BGH NJW 1994, 2220 ff; sa ZIP 2003, 1713 ff mAnm K Schmidt; ebenso Strohn NZG 2011, 1161 ff; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 17 zu § 84 GmbHG; aA wohl nur Altmeppen/Wilhelm NJW 1999, 673 ff; krit Freitag NZG 2014, 447 ff. Verfrühte Antragstellung kann gegenüber der GmbH schadenersatzpflichtig machen, OLG Naumburg, NZG 2001, 136 f (in concreto verneint); zur Strafbarkeit wegen Untreue s Rn 16/103. 64 Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 31 vor §§ 82 ff GmbHG. 65 Grube/Maurer GmbHR 2003, 1461, 1462 f; G/J/W/Reinhart Rn 5 f zu § 15a InsO; W/J/Pelz Rn 9/17; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 29 und 32 zu § 84 GmbHG; M-G/Richter Rn 80/6 spricht von einem unechten Unterlassungsdelikt. 66 Ebenso HeiK-InsO/Ransiek Rn 39 aE zu § 15a InsO; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 56 zu § 84 GmbHG; sa unten § 12 Rn 267.

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schaftlichen Aktivitäten trotz Insolvenzreife.67 Das ist jedenfalls die Position des Gesetzes, welches auch den Liquidator verpflichtet, Insolvenzantrag zu stellen, wenn er nicht mehr für den Ausgleich sämtlicher Verbindlichkeiten sorgen kann. Das zeigt, dass im Kern (jedenfalls auch) die Gleichbehandlung der Gläubiger gesichert werden soll. Als Insolvenzverschleppung, mittlerweile legaldefiniert in § 6 Abs 2 S 2 Nr 3 lit a GmbHG und in § 76 Abs 3 Nr 3 lit a AktG und dort jeweils beschränkt auf den Fall des nicht gestellten Insolvenzantrags,68 ist daher im Fall der Insolvenzreife auch die schlichte Einstellung der werbenden Tätigkeit der Gesellschaft strafbar.69 Selbst das erfolgreiche Weiterwirtschaften führt nicht zur Straflosigkeit, und zwar selbst dann, wenn auf diese Weise die Insolvenzlage überwunden wird.70 Das gilt ferner für die sog „stille“ Liquidation und dies selbst dann, wenn der Li- 17 quidator trotz ausbleibender Einschaltung des Insolvenzgerichts insolvenzrechtliche Grundsätze anlegte.71 Führte dies jedoch dazu, dass auf diese Weise die Altgläubiger besserstehen, weil die Masse nicht von den hohen Kosten des Insolvenzverfahrens geschmälert wird, so besteht insoweit kein materieller Strafgrund. Sogar das Fehlen eines geschädigten Neugläubigers führt aber angesichts des Charakters als abstraktes Gefährdungsdelikt juristisch nicht zu einer teleologischen Reduktion mit der Folge einer Einstellung gemäß § 170 Abs 2 StPO oder eines Freispruchs. Abgesehen davon wäre die tatsächliche Feststellung einer ausgebliebenen Schädigung oder gar Besserstellung der Gläubiger wegen des unterlassenen Eröffnungsantrags nicht nur mit einem erheblichen Ermittlungsaufwand verbunden, sondern angesichts hypothetischer Gestaltungsvarianten auch mit großen Unsicherheiten (zB Aufdecken, Aktivieren und Liquidieren stiller Reserven; Verfolgung von Anfechtungsansprüchen). Liegt es aber nahe, dass Gläubiger nicht oder nur geringfügig geschädigt wurden (gewisse Einbußen hätten sie ja auch bei rechtzeitiger Insolvenzanmeldung erlitten), so bietet sich die Prüfung einer Einstellung nach Opportunitätsgesichtspunkten an, sachverhaltsabhängig gemäß § 153a oder §§ 153 bzw 154 StPO. Bleibt der gebotene Insolvenzantrag auch nach einer (rechtskräftigen) Verurteilung 18 wegen Insolvenzverschleppung aus, so ist umstritten, ob eine neuerliche Strafverfolgung und ggf Verurteilung zulässig ist oder nicht. Im Anschluss an eine Entscheidung des BVerfG zu auch nach Verurteilung wegen Kindesentziehung, § 235 StGB, unterbliebener Herausgabe des Kindes72 wird man anzunehmen haben, dass die Erstverurteilung we-

_____ 67 Bittmann NZWiSt 2013, 270 ff; HeiK-InsO/Kleindiek Rn 39 zu § 15a InsO; MK/Hohmann Rn 75 zu § 15a InsO; aA Roth, S 239, der strafbares Unterlassen nur annehmen will, wenn zB Forderungen nicht beigetrieben werden; aA auch K Schmidt, ZGR 1998, 633, 655 f; und Scholz/K Schmidt, Rn 132 zu § 64 GmbHG, welcher die Insolvenzverschleppung sogar für allein durch aktives Tun begehbar erachtet; Graf-Schlicker/ Bremen Rn 15 zu § 15a InsO sieht den Schwerpunkt des Unrechts in der Fortsetzung werbender Tätigkeit. 68 Nach hM tritt die außerstrafrechtliche Rechtsfolge der Inhabilität aber auch bei einer Verurteilung wegen verspäteter oder nicht richtiger Antragstellung ein, OLG Celle 29.8.2013 – 9 W 109/13, Rn 2 f, ZWH 2013, 495 für Verspätungsfälle (dazu Bunnemann ZWH 2013, 495 ff; Floeth NZI 2013, 853 f); Scholz/ Uwe H und Sven H Schneider Rn 31 zu § 6 GmbHG mN; ebenso Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 145 mit Fn 4 zu § 82 GmbHG. Im Fall der Gesamtstrafenbildung stellte das LG Leipzig, 22.10.2016 – 15 Qs 148/16, ZInsO 2017, 41 ff, für die Berechnung der Jahresfrist auf die Addition der Einzelstrafen ab. 69 M-G/Richter Rn 80/6 und 45. 70 Altmeppen ZIP 2015, 949 ff, 952. 71 Vgl für die Genossenschaft KG KG-Report 2000, 321 ff (in concreto allerdings mit Abweichungen vom Gleichbehandlungsgrundsatz). Der Gleichbehandlungsgrundsatz gilt in der Liquidationsphase nach Abweisung eines Insolvenzantrags mangels Masse jedenfalls nicht kraft Gesetzes, W/J/Beck Rn 8/176; krit Scholz/K Schmidt/Bitter, Rn 28 ff m.N. 72 BVerfG 27.12.2006 – 2 BvR 1895/05, StraFo 2007, 369 f.

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gen Insolvenzverschleppung ebenfalls zum Strafklageverbrauch führt.73 Ob eine Ausnahme davon zu machen ist, wenn die weitere Unterlassung auf einem neuen Tatentschluss beruht, wie es teilweise angenommen wird,74 erscheint schon deshalb als zweifelhaft, weil ein solcher Entschluss nur dann unabhängig von dem früheren gefällt werden kann, wenn die Krise zwischenzeitlich überwunden war, damit aber gerade kein Fortsetzungsfall, sondern Tatmehrheit vorliegt. Für die Fahrlässigkeitsvariante kann ohnehin nicht auf einen neuen Tatentschluss abgestellt werden. Hingegen ist im Fall der Fortsetzung werbender Tätigkeit trotz Fortbestands derselben Krise nach der Erstverurteilung eine Verurteilung wegen Bankrotts, § 283 Abs 1 Nr 8 StGB, nicht gesperrt.75

a) Handlungspflicht 19 Die Handlungspflicht besteht darin, rechtzeitig einen (ggf auch erst aufgrund nachge-

reichter Angaben) zulässigen76 Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen. Pönalisiert ist allein das Unterlassen des Stellens eines Antrags auf Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens, also nicht auch eines Sekundär- oder Partikularinsolvenzverfahrens.77 Die Tat ist mit Fristablauf vollendet. Die Handlungspflicht besteht aber auch danach fort. § 15a Abs 4 InsO ist folglich ein Unterlassungsdauerdelikt.78 Beendigung tritt ein, wenn die Antragspflicht erlischt,79 sei es durch Entfallen der Insolvenzreife,80 sei es aufgrund eines verspäteten eigenen oder eines von einem anderen Berechtigten gem § 15 InsO auch bei alleinigem Handeln zulässigen Eigenantrags,81 der

_____ 73 BGH, 28.10.2008 – 5 StR 166/08, Rn 32, BGHSt 53, 24 ff (dazu Beckemper HRRS 2009, 64 ff); OLG München, 14.6.2012 – 3 Ws 493/12, wistra 2013, 75 f; dazu Bittmann NZWiSt 2013, 270 ff; Ebner NZWiSt 2013, 356 f; Fingerle ZWH 2013, 295 f); Große-Wilde wistra 2014, 130 ff (detailliert); Kring wistra 2013, 257 ff; G/J/W/Reinhart Rn 130 zu § 15a InsO; Weyand ZInsO 2013, 737 f; aA W/J/Pelz Rn 9/73; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 239 zu § 84 GmbHG. Lehnt man Strafklageverbrauch ab und hält den auch nach Verurteilung unterbleibenden Insolvenzantrag für strafbar, so stellt sich die Frage, ob der wegen einer Vorsatztat rechtskräftig Bestrafte noch tauglicher Täter ist, obwohl er aufgrund der Inhabilität, § 6 Abs 2 S 2 Nr 3a GmbHG, nicht mehr Geschäftsführer sein „kann“, dazu Ebner wistra 2013, 86 ff, der die Frage unter Hinweis auf die Stellung als faktischer Geschäftsführer bejaht. Hier gilt bereits § 14 Abs 3 StGB unmittelbar. Sa unten Rn 49 aE. 74 OLG Hamm, 4.12.2012 – III 5 RVs 88/12, Rn 3 ff, wistra 2014, 156 ff; OLG Frankfurt/M, 30.6.2015 – 2 Ss 106/15, ZInsO 2016, 1468 f; KölnerK/Hess Rn 173 und 181 zu § 15a InsO; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 239 zu § 84 GmbHG. 75 Bittmann NZWiSt 2013, 270 ff; skeptisch Weyand/Diversy Rn 150 mit Fn 109. 76 MK/Hohmann Rn 84 zu § 15a InsO weist zutr darauf hin, dass der Antrag auch richtig zu sein hat. Das ist aber kein zur Zulässigkeit hinzutretendes zusätzliches Erfordernis, s unten Rn 23 ff, str. 77 N/R/Mönning Rn 21 zu § 15a InsO. 78 Grube/Maurer GmbHR 2003, 1461, 1462; MK/Hohmann Rn 84 zu § 15a InsO; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 31 vor §§ 82 ff GmbHG; W/J/Pelz Rn 9/17. 79 MK/Hohmann Rn 86 und 101 zu § 15a InsO; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 53 vor §§ 82 ff GmbHG; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 248 zu § 84 GmbHG. Das damit verbundene Hinausschieben des Einsetzens der Verjährungsfrist beklagt HeiK-InsO/Kleindiek Rn 39 zu § 15a InsO, der dafür plädiert, die Frist mit Vollendung beginnen zu lassen. 80 MüKoGmbHG/Wißmann Rn 217 und 239 zu § 84 GmbHG; also nicht erst mit einem nachträglich gestellten Antrag, so aber MK/Hohmann Rn 101 zu § 15a InsO, denn ein solcher ist nach Überwindung nicht mehr geboten. 81 Vgl dazu unten Rn 49.

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Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgrund eines Gläubigerantrages82 oder der Löschung im Register von Amts wegen.83 Der Insolvenzantrag eines Gläubigers allein enthebt hingegen niemanden von 20 der Pflicht zum Stellen eines Eigenantrages.84 Zwar ist das Insolvenzgericht nach einem Gläubigerantrag in gleichem Maße wie bei einem Eigenantrag verpflichtet, die Insolvenzreife zu ermitteln und dazu befugt, Auskünfte eines Eigenantragspflichtigen (ggf mit Zwangsmitteln) einzuholen. Kein Gläubiger hat jedoch einen Einblick in die Verhältnisse der Gesellschaft wie deren Geschäftsführung bzw Vorstand. In einem zur Eröffnung oder Abweisung mangels Masse führenden Gläubigerantrag liegt demnach kriminalistisch bereits der Anfangsverdacht der Insolvenzverschleppung. 85 Überdies kann ein Gläubiger seinen Antrag jederzeit (zB nach Befriedigung) wieder zurückziehen und auf diese Weise das Insolvenzeröffnungsverfahren beenden. Es ist auch erst mit der Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder die Abweisung mangels Masse sicher, dass ein zulässiger Fremdantrag vorliegt. Zuvor kann sich der Eigenantragspflichtige nicht darauf verlassen, dass das von Gesetzes wegen Erforderliche auch ohne sein Zutun geschieht. Das von der Gegenauffassung befürwortete Wiederaufleben der Antragspflicht nach zB Rücknahme eines Fremdantrages genügt angesichts der damit notwendigerweise verbundenen Verzögerungen nicht. Besonders anschaulich ist das für die Fälle, in denen der Geschäftsführer inzwischen gewechselt hat oder die Gesellschaft nunmehr führungslos ist. An die Abweisung mangels Masse schließt sich de jure, selten aber auch de 21 facto, die Liquidationsphase an, falls noch verteilungsfähiges Vermögens vorhanden ist. Stellt sich nachträglich heraus, dass dieses Vermögen in Wahrheit doch die Kosten eines Insolvenzverfahrens deckt, zB wenn auf eine ausgebuchte Forderung gezahlt, eine Rente nachträglich bewilligt86 oder verschwundenes Vermögen (etwa eine gestohlene unversicherte Baumaschine) wieder aufgefunden wird,87 so lebt die Pflicht auf, (erneut) einen Eröffnungsantrag zu stellen.88 Allerdings verneinte der

_____ 82 HambK/Linker Rn 10 zu § 15a InsO; W/J/Pelz Rn 9/58. Aufgrund der damit möglicherweise verbundenen langen zeitlichen Streckung bejaht auch HeiK-InsO/Ransiek Rn 40 zu § 15a Inso das Zusammenfallen von Vollendung und Beendigung; abl MüKoGmbHG/Wißmann Rn 239 zu § 84 GmbHG. S sogleich Rn 20. 83 Dazu Kunkel/Lanzius Rpfleger 2016, 381 ff. Ein Insolvenzverfahren kann zulässigerweise auch nach Löschung beantragt werden, LG Hamburg, 6.5.2016 – 326 T 28/16, ZInsO 2016, 1266 f. 84 Seit BGH, 28.10.2008 – 5 StR 166/08, Rn 21 ff, BGHSt 53, 24 ff hM; vgl Böttger/Verjans Rn 4/171; De Angelis/Bodenbenner MDR 2003, 1145, 1148; FK-InsO/Schmerbach Rn 15 zu § 15a InsO; Grube/Maurer GmbHR 2003, 1461 ff; HambK/Linker Rn 10 zu § 15a InsO; MK/Hohmann Rn 87 zu § 15a InsO; v Onciul S 31; G/J/W/Reinhart Rn 120 zu § 15a InsO; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 60 f vor §§ 82 ff GmbHG (wenn auch erst für Anträge unter Geltung des ESUG); Vallender/Fuchs ZIP 2004, 829, 830, auch 832; Uhlenbuck/Hirte Rn 12 und 18 zu § 15a InsO; W/J/Pelz Rn 9/58; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 218 zu § 84 GmbHG – es sei denn, das Insolvenzverfahren wird auf Gläubigerantrag hin innerhalb der dreiwöchigen Antragsfrist eröffnet – eine rein theoretische Möglichkeit; aA tendentiell OLG Stuttgart ZIP 2004, 129, 132. 85 Kritik an der Verdachtsschöpfung bei PüschelParadissis ZInsO 2015, 1786 ff; Püschel FS Wessing, S 753 ff = ZInsO 2016, 262; wie hier die Entgegnung von Weyand ZInsO 2016, 441 ff. 86 Beispiel: BGH, 26.1.2012 – IX ZB 111/10, ZWH 2012, 333 ff mit Anm Bittmann. 87 Vgl BGH ZIP 2002, 1695 f. 88 Zumindest ist eine Nachtragsverteilung geboten, BGH, 11.2.2010 – IX ZB 105/09, NZI 2010, 259; 2.12.2010 – IX ZB 184/09, NZI 2011, 369 ff; 26.1.2012 – IX ZB 111/10, ZWH 2012, 333 ff (mit Anm Bittmann; dazu auch Heinze ZInsO 2012, 1606 ff); 20.6.2013 – IX ZB 10/13, ZInsO 2013, 1409; 10.10.2013 – IX ZB 40/13, Rn 8 ff, ZIP 2013, 2320 ff; 16.1.2014 – IX ZB 122/12, ZInsO 2014, 340; 12.2.2015 – IX ZR 186/13, Rn 2, ZInsO 2015, 634; 25.2.2016 – IX ZB 74/15, ZInsO 2016, 698 ff; sa BGH, 3.4.2014 – IX ZA 5/14, NZI 2014, 501 f mAnm Leithaus; 25.9.2014 – IX ZR 156/12, NZI 2014, 1046 ff mAnm Lange; 18.12.2014 – IX ZB 50/13, ZInsO 2015, 213 ff; 18.6.2015 – IX ZB 86/12, ZInsO 2015, 1396 ff; 3.3.2016 – IX ZR 119/15, ZIP 2016, 727 ff; auch 14.3.2016 –

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BGH89 unter Hinweis auf den Wortlaut (Wird … zahlungsunfähig oder überschuldet …) und vom Rechtsgut her betrachtet bedauerlicherweise die Strafbarkeit des Unterlassens eines derartigen Insolvenzantrags. Wenn und weil wie gezeigt allerdings eine Information des Insolvenzgerichts geboten ist, dürfte im Unterlassen eine Straftat des Bankrotts, § 283 Abs 1 Nr 1 StGB, in der Variante des Verheimlichens liegen.

b) Drei Alternativen der Tatbegehung 22 Insolvenzverschleppung kann in drei verschiedenen Varianten begangen werden. Den –

sinnlich leicht zu erfassenden – Alternativen des nicht und des verspätet gestellten Insolvenzantrags90 stellte das MoMiG als 3. Möglichkeit den nicht richtig gestellten Antrag zur Seite. Das Verständnis dieses neuen Tatbestands bereitet Schwierigkeiten. Es ist deshalb begrüßenswert, dass die Bundesregierung kurz vor Drucklegung überraschend einen Entwurf zur Neufassung dieser Variante vorlegte.91 Die Strafbarkeit des nicht richtigen soll danach ersetzt werden von der Bestrafung des auch nach verpasster Gelegenheit zur Nachbesserung nicht vollständigen Eröffnungsantrags. Damit entspricht die projektierte Neuregelung im wesentlichen dem hier vertretenen Verständnis des geltenden Rechts.92 Auf die Novelle wird daher lediglich an den von ihr betroffenen Stellen verwiesen. Die Suche nach dem richtigen Verständnis der bisherigen Strafbarkeit des

_____ 1 StR 337/15, Rn 8, wistra 2016, 277 ff; KG, 13.2.2007 – 1 W 272/06, DB 2007, 851 ff. Sie kann (zB für spätere Steuererstattungsansprüche) auch bewusst vorbehalten werden, Lissner BB 2013, 1495 ff. Die Nachtragsverteilung ist gegenüber der Anordnung der Nachtragsliquidation vorrangig, OLG Hamm, 5.5.2011 – 15 W 469/10, NZG 2011, 1309 f; und auch nach erteilter Restschuldbefreiung möglich, LG Dessau-Roßlau, 2.9.2011 – 1 T 193/11, NZI 2012, 281 f; nicht aber nach Abweisung mangels Masse, LG Kassel, 22.3.2013 – 3 T 141/13, ZInsO 2013, 2565 f. Zur Nachtragsliquidation bei einer Spaltgesellschaft (dazu oben Rn 2) BGH, 22.11.2016 – II ZB 19/15, Rn 15–19. Fortsetzung der GmbH nach Insolvenzeröffnung ist nur in den Fällen des § 60 Abs 1 Nr 4 GmbHG möglich, BGH, 28.4.2015 – II ZB 13/14, NZG 2015, 872 ff (dazu Miras ZGR 2015, 1349 ff; sa Engelmann ZInsO 2015, 1133 ff); weitergehend Galla GmbHR 2006, 635 ff; ein Insolvenzverfahren kann zwar sogar nach Löschung geführt werden, wenn noch verteilungsfähiges Vermögen vorhanden ist, BGH, 16.12.2004 – IX ZB 6/04, NZI 2005, 225 f; sa 2.12.2010 – IX ZB 151/09, ZInsO 2011, 94 f; LG Zweibrücken, 20.1.2005 – 4 T 230/04, NZI 2005, 397 f (Rechtsbeschwerde verworfen, BGH, 30.3.2006 – IX ZB 36/05); die Fortsetzung nach Abweisung mangels Masse, OLG Köln, 22.2.2010 – 2 Wx 18/10, NZI 2010, 409 ff, ist hingegen ebensowenig möglich wie nach Schlußverteilung selbst vor Löschung, OLG Celle, 29.12.2010 – 9 W 136/10, NZG 2011, 464 ff (Gleiches nahm das OLG München, 3.8.2005 – 31 Wx 4/04, DB 2005, 2185 f, für das Konkursverfahren bereits ab Eröffnung des Verfahrens an); auch nicht per amtswegiger Bestellung eines Nachtragsliquidators, OLG Bremen, 12.2.2016 – 2 W 9/16, NZG 2016, 626 f; erst recht nach Löschung, OLG Celle, 3.1.2008 – 9 W 124/07, GmbHR 2008, 211 f; sa OLG Düsseldorf, 20.5.2014 – I-12 U 96/12, ZInsO 2015, 99 (L); 30.4.2015 – I-3 Wx 61/14, ZInsO 2015, 2284 f; LG Dresden, 13.9.2010 – 5 T 712/10, ZInsO 2011, 302 f; BFH, 6.7.2011 – II R 34/10, Rn 11, ZInsO 2012, 232 f. Zur Liquidation allg Schmelz NZG 2007, 135 ff. 89 BGH, 28.10.2008 – 5 StR 166/08, Rn 29 ff; BGHSt 53, 24 ff; als weiteren Grund dafür führt MüKoGmbHG/Wißmann Rn 221 zu § 84 GmbHG an, dass mit der Löschung die Vertretungsbefugnis des Geschäftsführers, meist: des Liquidators, entfalle (allerdings sind Handlungspflicht und Vertretungsbefugnis nicht notwendig deckungsgleich); aA Böttger/Verjans Rn 4/170; Dannecker/Knierim/Hagemeier/Smok Rn 498; Maurer wistra 2003, 174, 176; Richter GmbHR 1984, 113, 121. 90 Zum Fristenlauf s unten Rn 65 ff. 91 Art 2 Ziff 1 und 2 des Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) 2015/848 über Insolvenzverfahren (Anlass: Neufassung der EuInsVO), BR-Drs 654/16 v 4.11.2016; zur Ausgestaltung sehr krit Frind ZInsO 2016, 2376 ff; Richter ZInsO 2016, 2372 ff. 92 Wohl anders Richter ZInsO 2016, 2372 ff, 2375, der de lege ferenda die Pönalisierung schlichten Verwaltungsunrechts befürchtet – eine Annahme, die nur zuträfe, würde man die zukünftig maßgebliche Vollständigkeit iS inhaltlichen Zutreffens (auch nach Auffassung Richters:) fehl-interpretieren oder die Antragspflicht nur mit einem vollständigen Antrag als erfüllt ansehen, beides Voraussetzungen, auf die es in Zukunft aber (zumindest nach hiesigem Verständnis) gerade nicht mehr ankommt bzw ankommen soll.

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nicht richtig gestellten Insolvenzantrags hat beim Wortlaut zu beginnen. Auch diese Alternative bezieht sich nicht auf alle Anträge nach § 13 InsO, sondern nur auf solche, zu denen der Schuldner verpflichtet ist.93 Daher führt die Unrichtigkeit eines Gläubigerantrags94 und eines allein bei drohender Zahlungsunfähigkeit gestellten Eigen- oder aus anderen Gründen freiwilligen Eröffnungsantrags ebensowenig zu einem strafbar unrichtigen Antrag wie im Fall eines gänzlich fehlenden Eröffnungsgrundes.95 Diese Tatbestandsalternative ist jedoch nicht ausgeschlossen, wenn zwar als Antragsgrund drohende Zahlungsunfähigkeit genannt wurde, in Wirklichkeit aber bereits wegen eingetretener Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung eine Pficht zum Stellen des Eröffnungsantrags bestand.96 Ob eine solche Fehlangabe tatsächlich erfasst ist, ist damit jedoch noch nicht gesagt.97

c) Anforderungen an einen dem Gesetz genügenden, also „richtigen“ Insolvenzantrag Im Gesetzgebungsverfahren war vorgeschlagen worden, auf die Zulässigkeit des (straf- 23 bewehrten) Insolvenzantrags abzustellen.98 Zu einer ausdrücklichen Klarstellung dahingehend konnte sich der Gesetzgeber jedoch nicht durchringen – zum Gegenteil allerdings ebensowenig. Es war deshalb voraussehbar, dass es zu unterschiedlichen Interpretationen kommen werde. Der weite Wortlaut steht keiner der in der Folge geäußerten Auffassungen entgegen: er erfasst die gesamte Palette zwischen richtig iS von bloß auf Zulässigkeit zielend bis hin zur materiellen Richtigkeit in jeder Hinsicht99 und das bereits im Zeitpunkt des Stellens des Antrags.100 Die Vorschrift ist deshalb nicht etwa unbestimmt: Soll die völlige Exaktheit sichergestellt werden, so deckt der Wortlaut selbst diese extremste Interpretation. Die Vorstellungen des MoMiG-Gesetzgebers sind allerdings nicht bekannt, findet sich doch zum Verständnis dieser neuen Variante in den Materialien kein einziges erklärendes Wort.

_____ 93 M-G/Richter Rn 77/9 und 80/4a; ders FS Beck, S 441 ff, 444. 94 A/R/R/Wegner Rn 7/2/29, schon weil der Gläubiger kein tauglicher Täter ist. 95 Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 58 vor §§ 82 ff GmbHG mit zutr Hinweis in Fn 2, dass eine denkbare Strafbarkeit wegen Betrugs oder Untreue dadurch unberührt bleibt. 96 Richter FS Beck, S 441 ff, 444. 97 Dazu unten Rn 32 und 43-45. 98 Schmahl NZI 2008, 6 ff, 8; de lege ferenda für ein Abstellen auf die trotz Gelegenheit zur Nachbesserung verbliebene Unzulässigkeit völlig sachgerecht Frind ZInsO 2016, 2376 ff, 2379. Die Zulässigkeit hat das zukünftige Recht im Blick, BR-Drs 654/16, S 24. Die Richtigkeit nach derzeitigem Recht auf die Zulässigkeit des Eröffnungsantrags beziehend wird von Richter FS Beck, S 441 ff, 443; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 55 vor §§ 82 ff GmbHG und Meier ZInsO 2016, 1499, 1501 als heute hM bezeichnet; zB Graf-Schlicker/Bremen Rn 15 zu § 15a InsO; HeiK-InsO/Ransiek Rn 45 zu § 15a InsO; FK-InsO/Schmerbach Rn 42 zu § 15a InsO (anders Rn 41); nicht eindeutig MüKoGmbHG/Wißmann Rn 215a zu § 84 GmbHG. G/J/W/Reinhart Rn 124 ff zu § 15a InsO; M/G/Rinjes Rn 293 und Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 57 f vor §§ 82 ff GmbHG betrachten sowohl Zulässigkeits- als auch inhaltliche Mängel als erfasst. A/R/R/Wegner Rn 7/2/12 sieht auch Formfehler als sanktioniert, erkennt aber keine dementspr Justizpraxis. 99 Übersichten bei C Brand KTS 2014, 1 ff, 10 ff; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 88 im Anh zu § 64 GmbHG; Uhlenbuck/Hirte Rn 64 zu § 15a InsO; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 215 zu § 84 GmbHG. Beispiel ad absurdum: orthographische Mängel, N/R/Mönning Rn 39a zu § 15a InsO; Rönnau/Wegner, ZInsO 2014, 1025. 100 Strafbar jedenfalls nach einer der Alt des § 15a InsO: Cymutta BB 2012, 3151 ff, 3153; Richter FS Beck, S 441 ff, 442 und 444.

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Richter,101 HambK/Borchardt,102 Cymutta103 und Weiß104 grenzen den nicht vom nicht richtig gestellten Insolvenzantrag nach vollkommener inhaltlicher Richtigkeit ab. Ihre Schlussfolgerung daraus ist ebenso logisch wie rigide, richtig oder falsch aber nur insoweit wie ihr Ausgangspunkt zutrifft: Da ein mit irgendeinem zulässigkeitsrelevanten Fehler behafteter Insolvenzantrag kein vom Gesetz verlangter, also ein unzulässiger und somit im juristischen Sinne nicht gestellter Antrag sei, folge die Strafbarkeit in solcher Lage aus der Alternative des nicht (erg: zulässig und rechtzeitig) gestellten Eröffnungsantrags.105 Daher stelle sich hier folglich die Frage nach dessen Richtigkeit gar nicht. Einen zwar rechtzeitig, aber in unzulässiger Weise gestellten und deswegen unrichtigen Antrag würde es danach gar nicht geben können. Damit gelangt diese Auffassung106 zu dem im Vergleich zu der Erwägung, die Unrichtigkeit auf die Zulässigkeit zu beziehen, genau umgekehrten Ergebnis. Konsequenterweise kann sie deshalb nur materiell-inhaltliche Fehler unter die neue Variante subsumieren, deren Relevanz Richter allerdings auf in Bezug auf die konkrete Möglichkeit des Insolvenzgerichts, seiner Massesicherungspflicht hinreichend nachzukommen,107 „erhebliche“ wie die Angabe unzutreffender Insolvenzgründe oder vorgespiegelte Sanierungsabsicht trotz Aussichtslosigkeit108 beschränken will. Für das Verhältnis der Varianten des nicht bzw nicht richtig gestellten Eröffnungs25 antrags hieße dies: Da pflichtgemäß nur ein in jeglicher Hinsicht formal korrekt gestellter Eröffnungsantrag wäre, hätte der Verantwortliche seine Pflicht solange nicht erfüllt, wie kein formell einwandfreier Antrag vorliegt. Weil sich nur mit einem solchen die Handlungspflicht erfüllt ließe, würde die Phase zwischen Herantreten des Pflichtigen an das Gericht und dem Vorliegen aller formalen Zulässigkeitsvoraussetzungen keinerlei Auswirkungen auf die Tatbestandsalternative des nicht gestellten Eröffnungsantrags zeitigen. Eine zuvor bereits begonne Insolvenzverschleppung wegen nicht gestellten Insolvenzantrags würde selbst nach Befassung des Gerichts mit der Angelegenheit fortdauern können.109 Damit aber noch nicht genug: Es wäre sogar denkbar, dass eine solche Tat erst nach Einschalten des Gerichts begönne, wenn und weil der Eröffnungsantrag (nur!) aufgrund mangelnder Erfüllung sämtlicher Formalien als nicht rechtzeitig gestellt angesehen würde. Folgte man dieser Auffassung, so führte dies iE dazu, dass es für einen Insolvenzan26 tragspflichtigen quasi unmöglich wäre, sich straflos zu verhalten: Bis zur Formvollen-

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_____ 101 M-G/Richter Rn 77/6, 80/45 und 47; ders FS Beck, S 441 ff, 442 ff. Erfreulich ist jedoch, dass Richter (ZInsO 2016, 2372 ff) diese extensive Auffassung nur de lege lata für richtig, aber davon losgelöst für unnötig hält, wie der Tatsache zu entnehmen ist, dass er öffentlich die Absicht der Novellierung der Alternative der Strafbarkeit des nicht-richtig-gestellten-Antrags begrüsst, ohne damit allerdings der konkreten Ausgestaltung des Entwurfs das Wort zu reden, im Gegenteil, er ist darüber erschreckt. 102 HambK/Borchardt Rn 7 zu § 15a InsO; sa Uhlenbuck/Hirte Rn 18 zu § 15a InsO. Ob MK/Hohmann Rn 84 zu § 15a InsO ebenso zu verstehen ist, bleibt offen, weil er die Konsequenzen der Pflicht, einen richtigen Antrag stellen zu müssen, nicht näher darlegt 103 Cymutta BB 2012, 3151 ff, 3153. 104 Weiß ZInsO 2009, 1520 ff. 105 M-G/Richter Rn 77/6 und 80/47. Dieselbe Konsequenz liegt für Uhlenbuck/Hirte Rn 18 zu § 15a InsO nahe, demzufolge ein als unzulässig abgewiesener Antrag den Lauf der 3-Wochen-Frist nicht beendet. 106 HambK/Borchardt, Rn 7 zu § 15a InsO, stellt nachfolgend aber doch auf die Zulässigkeit ab. 107 M-G/Richter Rn 80/56. 108 M-G/Richter Rn 77/19 und 55; ders FS Beck, S 441 ff, 445 f (hier: gravierend bzw evident genannt) wohl ebenso M/G/Rinjes Rn 293; auch MK/Klöhn Rn 333 zu § 15a InsO, der aber auch Zulässigkeitsmängel als erfasst ansieht. 109 So in der Tat M-G/Richter Rn 80/47.

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dung hätte er (häufig) längst die Alternative des nicht gestellten Antrags verwirklicht, bei der es sein Bewenden hätte, bliebe der Antrag unzulässig, die hingegen nach Eintritt der Zulässigkeit von der Variante des nicht rechtzeitig gestellten Antrags abgelöst und ggf ergänzt würde von der neuen Modalität des nicht richtig gestellten Antrags. Damit würde die Verletzung von Verhaltensanforderungen pönalisiert, die in legaler Weise nur theoretisch erfüllt werden könnten. Selbst wenn die Binnenlogik nicht angreifbar wäre, belegten aber ihre Ergebnisse die Unrichtigkeit des Ausgangspunkts dieser Überlegungen. Unbestritten zielt zwar die Antragspflicht nach § 15a InsO auf einen zulässigen Antrag. Das bezieht sich aber allein auf die Intention, beschränkt sich darauf und führt nicht dazu, den passiven, gar gleichgültigen oder manipulierenden, mit dem sich, wenngleich fehlsam bemühenden Pflichtigen gleichzusetzen. Die angeführte extreme Interpretation – wie wohl letztlich auch jede sonstige aus- 27 dehnende Auslegung110 – führt zu evident unverhältnismäßigen Ergebnissen111 bereits in der Vorsatz-, § 15a Abs 4 InsO, erst recht in der Fahrlässigkeitsvariante, § 15a Abs 5 InsO. Sie lassen sich allerdings nicht erst auf der Ebene des Verfassungsrechts, etwa mittels verfassungskonformer teleologischer Reduktion, vermeiden, sondern es ist möglich, bereits auf einfach-gesetzlicher Ebene ein angemessen restriktives Verständnis sicherzustellen.112 Trotz des Schweigens zum Verständnis der Variante des unrichtigen Antrags bieten 28 die Gesetzesmaterialien für das Verständnis der neuen Alternative wesentliche Hinweise. Das MoMiG wollte das GmbHG nicht nur modernisieren, sondern hatte auch Vorsorge gegen Missbräuche im Blick, ua die sog Unternehmensbestattung, dh die Liquidation unter für die Gläubiger weitgehender Unerreichbarkeit. In deren Anfängen in den 80iger Jahren des 20. Jahrhunderts blieben (seinerzeit noch:) Konkursanträge ganz aus. Damit gingen die neuen Strohgeschäftsführer ein relativ hohes Risiko ein, wegen Konkursverschleppung verurteilt zu werden, die Altgeschäftsführer wegen Anstiftung dazu. Die (auf Gesetzesumgehung zielende) Praxis ging deshalb schon im Laufe der 90iger Jahre dazu über, die Strohgeschäftsführer bereits mit ihrer Bestellung einen bis 1998 Konkurs-, seit 1999 Insolvenzantrag unterschreiben zu lassen, den sie an das für zuständig gehaltene Gericht weiterleiteten. Das war für die Organisatoren risikolos, weil die neuen Verantwortlichen mangels Kenntnis keine für die Altgeschäftsführer oder die Bestatter gefährlichen Informationen weiterzugeben vermochten. Ein solcher Insolvenzantrag versetzte das Insolvenzgericht zwar nicht in die Lage, 29 für eine geordnete Verteilung der Masse zu sorgen. Gleichwohl betrachteten die Strafgerichte derart rein formale Anträge als ausreichend, um einer Bestrafung wegen Konkursverschleppung zu entgehen.113 Es liegt deshalb nahe, dass der Gesetzgeber dieser Art materieller Entkernung der Insolvenzantragspflicht einen Riegel dadurch vorschie-

_____ 110 Auflistung in Betracht gezogener materieller Mängel bei Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 58 vor §§ 82 ff GmbHG; sa G/J/W/Reinhart Rn 126 zu § 15a InsO. 111 HeiK-InsO/Kleindiek Rn 15 und 41 zu § 15a InsO; Scholz/Bitter Rn 90 vor § 64 GmbHG. BR-Drs 654/16, S 14, spricht ausdrücklich vom Gebot der Beschränkung der Strafbarkeit auf das Strafwürdige. 112 AA Scholz/Bitter, Rn 90 vor § 64 GmbHG, unter Hinweis auf den im Gesetzgebungsverfahren zum ESUG hergestellten Zusammenhang zwischen den erweiterten Anforderungen an den Eröffnungsantrag und das Strafrecht. Diesem Hinweis kann allerdings keine Entscheidung für ein ausdehnendes Verständnis unter Einbeziehung inhaltlicher Fehler entnommen werden, bezieht er sich doch auf den Antrag und – jedenfalls nicht zwingend – nicht auch auf das Zutreffen der ergänzenden Angaben. 113 OLG Frankfurt/M GmbHR 1977, 279; BayObLG wistra 2000, 315 f; KG wistra 2002, 313, 315 f; zust (für die frühere Rechtslage) MüKoGmbHG/Wißmann Rn 213 aE zu § 84 GmbHG.

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526 | 3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften

ben wollte, dass er mit der neuen Alternative die Nichteinhaltung der Mindesterfordernisse für die Zulässigkeit des Eröffnungsantrags unter Strafe stellte.114 Allerdings verlangte das Gesetz bereits zuvor einen auf die Eröffnung eines Insol30 venz- und früher eines Konkursverfahrens abzielenden Antrag.115 Dementspr genügte es noch nie, lediglich die Vokabel „Konkurs- oder Insolvenzantrag“ in Hör- oder Sichtweite des Konkurs-, später Insolvenzgerichts fallen zu lassen. Das ist mit der neuen Variante nicht nur klargestellt, sondern auch dahingehend erweitert worden, dass nunmehr das Missachten der Zulässigkeitserfordernisse ebenfalls pönalisiert ist. Die Zulässigkeit eines Eröffnungsantrags richtet sich nach §§ 13–15 InsO.116 Aller31 dings sah der Gesetzgeber des MoMiG noch davon ab, die einen zulässigen Eröffnungsantrag konstituierenden Erfordernisse festzulegen. Dies geschah erst 4 Jahre später mit dem ESUG.117 Bis zum 28.2.2012 enthielt das Gesetz keine Regelung darüber, welche Informationen der Eigenantragsteller dem Insolvenzgericht zu übermitteln hatte. Mit dem BGH118 konnte lediglich in Anlehnung an § 253 Abs 2 S 2 ZPO eine substantiierte Schilderung der Tatsachen verlangt werden, welche die reale wirtschaftliche Lage des Schuldners aufzeigen und sich ggf, aber nicht notwendig unter einen Eröffnungsgrund subsumieren lassen, aber ohne Pflicht, diesen juristisch korrekt zu benennen.119 Insolvenzrechtlich war zudem unbestritten, dass ohne die Vorlage von Unterlagen, welche die Insolvenz plausibel erscheinen ließen, keine Prüfung des Antrags möglich ist. Deshalb verlangte bereits die seinerzeitige hM, dass dem Eigenantrag die maßgeblichen Angaben beigefügt würden.120 Blieben sie aus, so war der Antrag als unzulässig zu verwerfen.121 Zuvor war dem Schuldner jedoch die Gelegenheit zu ergänzender Darstellung einzuräumen, zB wurde von ihm verlangt einen umfangreichen Fragebogen auszufüllen. Zuweilen wurden Aufstellungen von Gläubigern und Schuldnern, Summen- und Saldenlisten ebenso wie offene-Posten-Listen oder Auszüge aus dem Buchwerk beigefügt. Maßgeblich war mangels konkreter Bestimmungen nicht die Form, sondern die Aussagekraft der Unterlagen und der sonstigen Angaben. Darauf kommt es auch weiter-

_____ 114 Zur Gefahr, dass die vorgeschlagene Neuregelung das Erreichen gerade dieses Ziels gefährdet s unten Rn 46 aE. 115 Nachweise in der Erstauflage Rn 11/29; zB BGH, 12.12.2002 – IX ZB 426/02, BGHZ 153, 205 ff, Rn 8; ebenso Böttger/Verjans Rn 4/165; M/G/Rinjes Rn 292; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 214 zu § 84 GmbHG. 116 Vgl dazu oben Rn 9/2 ff. Ist nach der EUInsVO ein ausländisches Gericht zuständig, so muss der Antrag dort gestellt werden, vgl AG Köln, 10.8.2005 – 71 IN 416/05, ZIP 2005, 1566 f (dazu Wagner ZIP 2006, 1934 ff); AG Mönchengladbach ZIP 2004, 1064 ff mAnm Bähr/Riedemann; Vallender/Fuchs ZIP 2004, 829 ff; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 217 zu § 84 GmbHG. Zum „Brexit“ vgl Rinze/Lehmann DB 2016, 2946 ff. 117 BGBL I 2011, 2582 ff. 118 BGH, 12.12.2002 – IX ZB 426/02, Rn 8, BGHZ 153, 205 ff; auch LG Hamburg, 8.7.2010 – 326 T 50/10, ZInsO 2010, 1560; ebenso Graf-Schlicker/Kexel Rn 20 zu § 13 InsO; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 57 vor §§ 82 ff GmbHG; Böttger/Verjans Rn 4/165; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 212 und 215 zu § 84 GmbHG. 119 Graf-Schlicker/Kexel Rn 21 zu § 13 InsO 120 LG Duisburg NZI 2002, 501; ZIP 2004, 1427 f; LG Potsdam NZI 2002, 555f; AG Dresden ZIP 2002, 862f (dazu Schmahl EWiR § 13 InsO 1/02, 721); AG Duisburg NZI 2002, 501 f; Haarmeyer/Wutzke/Förster Rn 3/28; ausführlich unter strafrechtlichen Gesichtspunkten Weyand ZInsO 2010, 359 ff, und MüKoGmbHG/Wißmann Rn 213 zu § 84 GmbHG; anders bei einem Gläubigerantrag, LG Arnsberg, ZInsO 2002, 680, bei welchem das Insolvenzgericht sogleich alle Erkenntnisquellen, erforderlichenfalls unter Einsatz von Zwangsmitteln, auszuschöpfen hatte (und hat). Auflistung bei Richter FS Beck, S 441 ff, 442: (1) auf Insolvenzverfahren gerichtet, (2) Eröffnungsgrund benennend (zw, jedenfalls nicht unstr), (3) zust Gericht, (4) schriftlich und (5) vom Schuldner bzw Schuldnervertreter stammend. 121 Beispiele: LG Hamburg, 7.6.2010 – 326 T 56/10; ZInsO 2010, 1651 f; LG Stendal, 28.6.2007 – 25 T 112/ 06, NZI 2008, 44; AG Duisburg, 2.1.2007 – 64 IN 107/06, ZIP 2007, 690 ff (sehr weitgehend); AG Köln, 1.12.2005 – 71 IN 564/05, NZI 2006, 57 f; 25.3.2008, 73 IN 227/07, NZI 2008, 315 f.

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hin an, so dass der Rechtsgedanke des § 253 Abs 2 S 2 ZPO auch nach Inkrafttreten des ESUG für die Beurteilung der Zulässigkeit eines Insolvenzantrags ergänzend herangezogen werden kann.122 Die neue Variante, verstanden als Instrument zur Strafbewehrung eines zwar ge- 32 stellten (objektiv123) erforderlichen Eröffnungsantrags, dies aber in unzulässiger Weise, erfasst sowohl formwidrige als auch unvollständige Eröffnungsanträge. Unzulässig ist ein bedingter oder befristeter Antrag.124 IÜ lassen sich unter Geltung des ESUG die Anwendungsfälle danach differenzieren, ob der Pflichtantrag unter den Voraussetzungen des § 13 Abs 1 S 6 InsO (Eigenverwaltung, Mindestgrößen gem § 22a Abs 1 InsO, beantragte Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses) begehrt wird oder nicht.125 Letzterenfalls beschränkt126 sich der Anwendungsbereich der Variante des nicht richtig gestellten Eröffnungsantrags (zumindest im wesentlichen) auf Einschaltung eines (1) unzuständigen Gerichts,127 (2) fehlende Schriftlichkeit,128 (3) nicht vorgelegtes Gläubigerverzeichnis129 und (4) (gänzlich) versagte Richtigkeitsversicherung,130 § 13

_____ 122 Haarmeyer ZInsO 2016, 545 ff, 554. 123 Dazu oben Rn 30. 124 BGH, 11.2.2010 – IX ZB 110/09, ZIP 2010, 888 ff; G/J/W/Reinhart Rn 125 zu § 15a InsO; MüKoGmbHG/ Wißmann Rn 212 zu § 84 GmbHG; Ausnahme: innerprozessuale Bedingung, bejaht von BGH, 9.2.2012 – IX ZB 86/10, ZInsO 2012, 545 f, in Bezug auf Bejahung internationaler Zuständigkeit. 125 Trotz optischer Dreiteilung inhaltlich wie hier, wenngleich bezogen auf die Alt des nicht (rechtzeitig) gestellten Antrags M-G/Richter Rn 77/7. 126 Zumindest im Kern wie hier G/J/W/Reinhart Rn 125 zu § 15a InsO; M-G/Richter Rn 80/53; sa Fichtner ZWH 2012, 220 ff, 221 f; einführende Überblicke bei Cymutta BB 2012, 3151 ff; und Marotzke DB 2012, 560 ff, 563 ff. Zusätzlich verlangt Letzterer jedoch als begriffsimmanent auch die Angabe des Insolvenzgrundes, Rn 46 und 55, sa unten Rn 43, auch 32. Pönalisiert ist die fehlende Angabe (zumindest mangels Bestimmtheit) jedoch nicht. Allerdings sind Angaben vonnöten, die auf das Vorliegen eines Eröffnungsgrundes schließen lassen. Weitergehend verlangt MK/Hohmann Rn 81 f zu § 15a InsO sämtliche Angaben gemäß § 13 Abs. 1 S 4 Nrn 1-5 InsO (die zudem auch noch richtig, dh inhaltlich zutreffend sein müssten). Demgegenüber unterfallen lt Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 87 im Anh zu § 64 GmbHG nur Mängel an der Schriftform und der Darlegung der Insolvenzreife unter die Vorschrift, weil der ESUG-RegE die Bedeutung des § 13 InsO für § 15a InsO nur auf die Richtigkeitsversicherung, § 13 Abs 1 S 7 InsO, bezogen hatte. Demnach ist zumindest deren Fehlen (oder zudem gar deren Unrichtigkeit?) vom Tatbestand erfasst. In Zukunft sollen bei Antragstellung erforderlichenfalls auch Angaben zum Schwerpunkt der wirtschaftlichen Betätigung gemacht werden, § 5 EGInsO-E. Entgegen der Annahme in der Begründung, BR-Drs 654/16, S 25, kommt dieser Regelung aber keine strafrechtliche Relevanz zu, weil die Bestimmung nicht verpflichtend, sondern als Soll-Vorschrift ausgestaltet ist. Ein erschlichener Gerichtsstand, dazu unten Rn 33, bisher als nicht richtig gestellter Antrag strafbar, könnte nach Inkrafttreten der Änderung nur dann noch bestraft werden, verstünde man einen Antrag beim unzuständigen Gericht zumindest bis zum Stellen eines Verweisungsantrags oder der Eröffnungsentscheidung des unerkannt unzuständigen Insolvenzgerichts als zur Pflichterfüllung nicht genügend, also als nicht gestellten Antrag. 127 Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 57 vor §§ 82 ff GmbHG. Dieser Fall wäre nach § 15a Abs 4 in der Fassung der vorgesehenen Novellierung (oben Rn 22) nicht mehr strafbar. 128 Richter FS Beck, S 441 ff, 446; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 57 vor §§ 82 ff GmbHG. 129 AG Mönchengladbach, 4.10.2012 – 45 IN 90/12, ZInsO 2012, 2299 (auch bei einem vom Gesellschafter gestellten Antrag). Zu den Anforderungen LG Potsdam, 4.9.2013 – 2 T 58/13, ZInsO 2013, 2501; AG Hannover, 8.7.2015 – 909 IN 407/15 –0–, ZInsO 2015, 1693 ff. Zur Bedeutsamkeit ihres Fehlens für die Strafbarkeit C Brand ZInsO 2016, 2277 ff, 2279 mN zum Streitstand in Fn 30 und 31; sa unten Rn 42 aE. 130 LG Potsdam, 4.9.2013 – 2 T 58/13, ZInsO 2013, 2501; für Straflosigkeit Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 57 vor §§ 82 ff GmbHG, da sie lediglich der Warnung des Antragstellers diene; iE ebenso Richter FS Beck, S 441 ff, 446, für den maßgeblich die inhaltliche Richtigkeit der zugrundeliegenden Angaben ist (dagegen unten Rn 42 aE). Es handelt sich um eine höchstpersönliche Erklärung, hinsichtlich derer keine Vertretung zulässig ist, AG Essen, 2.1.2015 – 163 IN 199/14; aber iü formfrei, LG Hannover, 6.5.2016 – 11 T 2/16, NZI 2016, 734 f

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Abs 1 S 1, 3 und 7 InsO,131 und in den Fällen eines mehrköpfigen Vertretungsorgans beim Stellen des Eröffnungsantrags durch lediglich eines Mitglieds von ihnen der (5) Glaubhaftmachung eines (verpflichtenden) Insolvenzgrundes, § 15 Abs 2 S 1 InsO,132 bei Führungslosigkeit auch deren Glaubhaftmachung, § 15 Abs. 2 S 2 InsO. Fehlende Spezifizierung der Gläubiger133 (a), unterlassene Angaben zur Bilanzsumme (b), zum Umsatz (c) und zur durchschnittlichen Arbeitnehmerzahl (d), § 13 Abs 1 S 4 und 5134 InsO, sind hingegen nur ersterenfalls pönalisiert. Die Vorlage einer Liste offener Forderungen verlangt das Gesetz merkwürdigerweise für keine Antragsvariante, obwohl sie für die Entscheidung über den Bedarf nach etwaigen Sicherungsmaßnahmen, § 21 InsO, und die Ausgestaltung der Rechtstellung eines möglichen vorläufigen Insolvenzverwalters, § 22 InsO, wichtig wäre. Hält man es für straflos, wenn kein Eröffnungsgrund angegeben wurde,135 so ist ein Antrag nicht allein aufgrund der Angabe eines unzutreffenden Eröffnungsgrundes unrichtig iS von § 15a Abs 4 InsO,136 sondern nur dann, wenn er zusätzlich mit Mängeln behaftet ist, die zu seiner Unzulässigkeit führen. Anlass für das Stellen eines Eröffnungsantrags beim falschen Gericht bietet zum ei33 nen das Streben, Publizität am Wohn- und Unternehmenssitz zu vermeiden. Zum anderen kann ein schuldnerfreundlicheres ausländisches Recht Anreizwirkung ausüben.137 Der bewußt falsch ausgewählte Ort, erst recht der erschlichene Gerichtsstand (“Insolvenztourismus“) führt zu einem nicht richtig gestellten Eröffnungsantrag.138 Anders verhält es sich bei einem aufgrund Irrtums zu Unrecht angegangenen Gericht (zB bei mangelnder Kenntnis einer Konzentrationszuständigkeit). Hier bietet ein auf gerichtlichen Hinweis gestellter Verweisungsantrag Abhilfe. In solchen Fällen scheidet Strafbarkeit aus.139 Faktisch und zwar mangels erkennbaren Anfangsverdachts wird dies auch für bewusst beim falschen Gericht gestellte Anträge gelten, wenn der Verweisungsantrag zügig folgt. Nichts anderes wird wiederum anzunehmen sein, wenn das objektiv unzuständige, aber nicht bewusst getäuschte Gericht seine Zuständigkeit bejaht. Der Antrag auf Eigenverwaltung ist ebensowenig wie ein Antrag auf Durchführung 34 des Schutzschirmverfahrens140 ein Eröffnungsantrag. Das jedoch ist sub specie Insolvenzverschleppung unproblematisch, weil beide ohne einen gleichfalls gestellten Insolvenzantrag nicht denkbar sind, ihn vielmehr voraussetzen, § 270 Abs 1 S 1 InsO, noch deutlicher § 270b Abs 1 S 1 InsO.141 Tritt Zahlungsunfähigkeit während des laufenden

_____ 131 Frind ZInsO 2016, 2376 ff, 2376 mN in Fn 6; Weyand/Diversy Rn 149. 132 AA MK/Hohmann Rn 82 aE zu § 15a InsO. 133 Richter FS Beck, S 441 ff, 446; von Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 57 vor §§ 82 ff GmbHG hingegen für straflos erachtet, da nur der Arbeitserleichterung dienend. 134 Einschr Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 57 vor §§ 82 ff GmbHG: Könne das Insolvenzgericht die Voraussetzungen des § 22a InsO erkennen, so sei der Verzicht auf die in § 13 Abs 1 S 5 InsO aufgeführten Angaben straflos. 135 Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 57 vor §§ 82 ff GmbHG verlangen eine Darstellung, die die wesentlichen Merkmale eines Insolvenzgrundes erkennen lässt, nicht aber eine Übersicht über dessen Entstehung. 136 Dazu näher unten Rn 43–45. 137 Schwemmer NZI 2009, 355 ff; vgl bereits oben Rn 10/159 ff. Die mit Wirkung vom 27.6.2017 neugestaltete EuInsVo will dem mit Sperrfristen entgegenwirken, dazu Frind/Pannen ZIP 2016, 398 ff. 138 Rönnau/Wegner ZInsO 2014, 1025; Beispiele: BGH, 22.4.2010 – IX ZB 217/09, ZInsO 2010, 1013 f; 15.11.2010 – NotZ 6/10, ZInsO 2011, 2147 ff; AG München, 1.4.2005 – 1506 IN 356/04, ZIP 2005, 1052. Zu den Auswirkungen des Änderungsvorschlags s oben Rn 32. 139 Rönnau/Wegner ZInsO 2014, 1025, 1030. 140 Überblick und Vergleich zum Regelinsolvenzverfahren bei Waschbusch/Kakuk/Haupenthal/Weidle/ Birtel StB 2014, 108 ff. 141 Vgl Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 58 vor §§ 82 ff GmbHG; Meier ZInsO 2016, 1499, 1500.

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Schutzschirmverfahrens ein, so hat der Schuldner bzw sein Repräsentant dies dem Insolvenzgericht anzuzeigen, § 270b Abs 4 S 2 InsO. Unterlässt er dies, so begeht er jedoch keine Insolvenzverschleppung, weil er ja bereits einen Eröffnungsantrag (gemeinsam mit dem Begehren, ein Schutzschirmverfahren durchzuführen) gestellt hat.142 Denkbar bleibt jedoch eine Strafbarkeit gemäß § 283 Abs 1 Nr 8 StGB. § 15a Abs 4 InsO bezieht sich ausschließlich auf Eröffnungsanträge. Die Vorschrift 35 erstreckt sich nicht auf unrichtig gestellte Schutzschirm- und Anträge auf Eigenverwaltung.143 Das gilt auch, wenn die Anträge miteinander verbunden, ja wenn sie mit demselben Schriftsatz beantragt wurden. Soweit sich eine festgestellte Unrichtigkeit nicht speziell dem Eröffnungsantrag zuordnen lässt, besteht kein Anfangsverdacht. Denkbar bleibt allerdings die verspätete Antragstellung.144 Natürlich liegt der Anreiz auf der Hand, die eigene Herrschaft über das Unternehmen 36 dadurch sichern zu wollen, dass beim Antrag auf Führen oder während eines Schutzschirmverfahrens, § 270b InsO, entgegen den gesetzlichen Anforderungen die eingetretene Zahlungsunfähigkeit verschleiert wird. Die Prüfpflicht des Insolvenzgerichts im Hinblick auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 270b Abs 1 InsO und deren Fortbestand, § 272 InsO, und die mit dem Schutzschirmverfahren verbundene Bestellung eines Sachwalters (§§ 270 Abs 1, 270c, 274 f InsO), entfalten aber mit ihrer Kontrollwirkung bereits für sich eine gläubigerschützende Wirkung, die allerdings hinter derjenigen des „normalen“ Insolvenzeröffnungsverfahrens mit dem Beauftragen eines Insolvenzgutachters durchaus zurücksteht. Ein Bedürfnis, ein erschlichenes Schutzschirmverfahren als nicht oder nicht richtig gestellten Eröffnungsantrag anzusehen, besteht gleichwohl nicht: In den meisten Täuschungsfällen solcherart ist nämlich der Tatbestand des nicht rechtzeitig gestellten Insolvenzantrags bereits zuvor erfüllt. Falls das einmal nicht so sein sollte, stünde eine Verspätung von maximal 3 Wochen in Rede – eine Frist, die in praxi zur Einstellung gemäß § 153 Abs 1 StPO führt.145 Abgesehen davon ist solches Verhalten als Bankrott gemäß § 283 Abs 1 S 8 StGB (Verheimlichen, eher Verschleiern der wirtschaftlichen Verhältnisse) strafbar.146 Konnte der Nachweis des bloßen Scheins eines Insolvenzantrags bis zum Inkrafttre- 37 ten des ESUG regelmäßig nur in evidenten Fällen geführt werden, so hat sich die Lage für den Pflichtigen nunmehr deutlich verschärft: Ohne Präsentation der gebotenen147 schriftlichen Angaben fehlt es nunmehr fraglos an einem zulässigen Insolvenzantrag, so

_____ 142 Vgl C Brand KTS 2014, 1, 16; Rönnau/K Wegner ZInsO 2014, 1025, 1031; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 58 vor §§ 82 ff GmbHG; differenzierend (aber ohne die gemeinten Konstellationen deutlich werden zu lassen) Richter FS Beck, S 441 ff, 444: seiner Garantenstellung wegen müsse ein Schuldner (gemeint sein kann nur ein zum Antragstellen verpflichteter Vertreter des Schuldners) dann dafür sorgen, dass ein Antrag bis zur Entscheidung über ihn richtig bleibe, wenn er zuvor schuldlos falsche Angaben gemacht habe (Bei welcher Gelegenheit? Nicht erfasst ist der Schutzschirm- wie der Antrag auf Eigenverwaltung, so dass wohl nur der nicht einmal auf Fahrlässigkeit beruhende unrichtige ursprüngliche Eröffnungsantrag gemeint sein kann, wenn der Pflichtige nachträglich die Unrichtigkeit erkennt. Dann aber lag ursprünglich objektiv gar kein iS von Richter richtiger Antrag vor). 143 C Brand ZInsO 2016, 2277 ff, 2279 f; Meier ZInsO 2016, 1499, 1500 mit Fn 13; M-G/Richter Rn 77/9, 80/ 4a, 45 und 53; ders FS Beck, S 441 ff, 444 f. Zu Anforderungen an die Sanierungsbescheinigung Fuchsen Stgb 2012, 303 ff; Reinhardt/Lambrecht Stbg 2014, 71 ff; Steffan/Solmecke WPg 2015, 269 ff. 144 M-G/Richter Rn 77/9 und 80/4a, der allerdings falsche Tatsachenangaben im Fall in Wahrheit bestehender Überschuldung und/oder eingetretener Zahlungsunfähigkeit als nicht richtig gestellten Eröffnungsantrag ansieht. 145 Vgl Weyand/Diversy Rn 149. 146 C Brand KTS 2014, 1, 22. 147 Oben Rn 32.

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dass strafrechtlich kein richtiger Antrag gestellt wurde. Allerdings wird man die Tatbestandsmäßigkeit nicht bereits dann bejahen können, wenn im Zeitpunkt der Antragstellung die erforderlichen Angaben fehlen.148 In der Praxis werden Insolvenzanträge gerade bei sitzfernen Gerichten nicht selten per Brief gestellt, der die Bitte enthält, die erforderlichen Formulare zu übersenden. Enthält der Antrag eine Begründung, so fehlen nicht selten trotzdem erforderliche Angaben. In derartigen Konstellationen übersendet das Insolvenzgericht die auszufüllenden Formulare bzw bittet pflichtgemäß149 um ergänzende Angaben. Je nach Informationsstand verbindet es, wenngleich nur ausnahmsweise, die Bitte um Ergänzung auch bereits mit weiteren Aktivitäten.150 Füllt der Pflichtige in der Folgezeit die Formulare aus und bemüht sich, die benötigten Informationen und Unterlagen nachzureichen und sei es nur zögerlich oder unvollständig,151 so ist er jedenfalls dann nicht wegen nicht-richtig-gestellten Antrags strafbar,152 wenn die erforderlichen Informationen dem Insolvenzgericht in angemessener Zeit nachgereicht werden oder es bereits auf der Basis der vorgelegten (und ggf durch andere Quellen ergänzten) Informationen zu sachgerechtem Agieren in der Lage war. In der ursprünglichen Formwidrigkeit oder Unvollständigkeit bereits eine strafbare 38 Handlung sehen zu wollen, schreckte antragswillige Schuldner nicht nur davon ab, sich an das Insolvenzgericht zu wenden,153 sondern setzte Antragspflichtige einer unnötigen Pflichtenkollision aus,154 lässt sich doch die Rechtzeitigkeit rein faktisch und in der Praxis alles andere als selten nur unter Zurückstellung der Beachtung etlicher Formalien einhalten. Zur Wahrung der Zwecke der Insolvenzantragspflicht und aus Gründen der Rechtssicherheit setzt in diesen Fällen die Strafbarkeit daher erst ein, wenn der gestellte Antrag vom Insolvenzgericht tatsächlich als unzulässig abgewiesen wird.155 Stellt sich allerdings im Ermittlungs- oder Strafverfahren heraus, dass er nicht hätte zurück-

_____ 148 Ebenso HambK/Borchardt Rn 7 und 10 zu § 15a InsO; HeiK-InsO/Kleindiek Rn 15 und 41 zu § 15a InsO; HeiK-InsO/Ransiek Rn 45 zu § 15a InsO; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Rn 87 im Anh zu § 64 GmbHG; N/R/Mönning Rn 38, 41a und 42 zu § 15a InsO (sehr engagiert!); Rönnau/Wegner ZInsO 2014, 1025, 1027; Scholz/K Schmidt Rn 166 zu § 64 GmbHG („nur bei a-limine-Zurückweisung“); Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 56 vor §§ 82 ff GmbHG; wohl auch FK-InsO/Schmerbach Rn 42 zu § 15a InsO; aA W/J/Pelz Rn 9/60 aE. MK/Klöhn Rn 333 zu § 15a InsO befürwortet in Fällen der Nachholung der erforderlichen Angaben eine Regelung über den zur Straflosigkeit führenden Gedanken der tätigen Reue. 149 BGH, 12.12.2002 – IX ZB 426/02, Rn 8, BGHZ 153, 205 ff; Frind ZInsO 2016, 2376 ff, 2376 mN in Fn 9; A/R/R/Wegner Rn 7/2/48; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 212, auch Rn 215a aE zu § 84 GmbHG; sa Richter FS Beck, S 441 ff, 442; ders ZInsO 2016, 2372 ff, 2373 f. 150 Rönnau/Wegner ZInsO 2014, 1025, 1026. Das zukünftige Recht sieht eine Pflicht zur Fristsetzung von 3 Wochen vor, § 13 Abs 3 InsO-E. 151 Dann liegt allerdings regelmäßig eine Bankrottat gemäß § 283 Abs 1 Nr 6 StGB vor, vgl dazu unten § 12 Rn 157 ff. 152 MüKoGmbHG/Wißmann Rn 215 zu § 84 GmbHG. Unberührt bleibt eine etwaige Strafbarkeit wegen verspäteter Insolvenzanmeldung und ggf auch wegen Bankrotts gemäß § 283 Abs 1 Nr 6 StGB (Nichtvorlage von Geschäftsunterlagen). 153 Deshalb ist die Vollständigkeit des Antrags zwar zu erklären, § 13 Abs 1 S 7 InsO, nicht aber an Eides statt zu versichern, BR-Drs 654/16, S 25. 154 Ähnlich Rönnau/Wegner ZInsO 2014, 1025, 1027; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 56 vor §§ 82 ff GmbHG. 155 IE ebenso N/R/Mönning Rn 42 zu § 15a InsO; wohl auch Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 59 vor §§ 82 ff GmbHG. Das Änderungsgesetz verlagert den Zeitpunkt vor und zwar auf den Zeitpunkt des Ablaufs der Frist von 3 Wochen, § 13 Abs 3 InsO-E. Danach erfolgende Nachbesserungen, die zur Zulässigkeit des Antrags führen, sind zwar zukünftig strafbar, dürften aber der Einstellung gemäß § 153 StPO zugeführt werden.

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gewiesen werden dürfen, so ist die neue Variante nicht erfüllt.156 Die Entscheidung des Gerichts entfaltet insoweit also keine Tatbestandswirkung – iGgs zum Eintritt des nicht getäuschten Insolvenzgerichts in die Sachprüfung trotz an sich unzulässigen Antrags. Das mindert zwar nicht das Verschulden des Pflichtigen, so dass ihm die Großzügigkeit des Insolvenzgerichts eigentlich gar nicht zu Gute kommen dürfte.157 Die Strafbarkeit wegen unrichtig gestellten Antrags lässt sich hier aber trotz dessen Unzulänglichkeit mit dem Argument verneinen, angesichts der veranlassten Sachprüfung sei das Rechtsgut materiell nicht verletzt. Die Praxis wird sich mit der Anwendung des Opportunitätsprinzips behelfen. Ein Antragspflichtiger kann mangels eigener Kenntnisse und ihm nicht zugänglicher 39 Unterlagen außerstande sein, die wirtschaftlichen Verhältnisse im Eröffnungsantrag so darzulegen, dass er zulässig ist. Das kann unter dem Gesichtspunkt der Unmöglichkeit der Pflichterfüllung zum Verneinen der Strafbarkeit führen, denn auch in der Variante des nicht-richtig-gestellten Antrags handelt es sich bei der Insolvenzverschleppung um ein echtes Unterlassungsdelikt.158 Einschlägige Sachverhalte sind jedoch höchst selten. Zwar mag der nach dem Tod des Geschäftsführers bestellte Nachfolger oder der Erbe eines antragspflichtigen Gesellschafters (bei der AG: Aufsichtsrats) nicht sogleich oder auch nur fristgerecht einen allen Formerfordernissen genügenden Antrag zu stellen in der Lage sein. Setzt die Strafbarkeit aber erst ein, wenn das Insolvenzgericht trotz Gewährung der Gelegenheit zur Nachbesserung den Eröffnungsantrag als unzulässig abweist, so ist kaum ein Sachverhalt denkbar, aus dem sich die Unmöglichkeit der Pflichterfüllung ergeben kann (selbst bei einem Brand sind einschlägige Daten, wenngleich vielleicht nicht vollständig, extern abrufbar). Strafbar ist die Unterlassung hingegen, sofern dem Pflichtigen seine Unkenntnis 40 bzw Unfähigkeit zum Vorwurf gereicht. Anhaltspunkte dafür können auch vor dem Handlungszeitpunkt liegende Geschehnisse bieten. Anerkannt ist insoweit das (strukturell der actio libera in omittendo gleichende) Übernahmeverschulden. Wer sich sehenden Auges oder auch nur fahrlässig in eine Lage begibt, in welcher er die sich dort stellenden Pflichten nicht erfüllen kann, dem kann die Unmöglichkeit nicht zu Gute gehalten werden: Er hätte von vorn herein vermeiden können und müssen, sich in eine solche Lage zu begeben. So liegt es in den typischen „Bestattungsfällen“: wer sich von professionellen Erwerbern zum Geschäftsführer bestellen lässt, ohne die Geschäftsunterlagen erhalten zu sollen und tatsächlich zu erhalten,159 kann als eingetragener Strohmann zwar einen ernstgemeinten Antrag stellen wollen, ist aber nicht in der Lage, die dafür erforderlichen Informationen zu liefern. Das war, wenn nicht geplant, so doch zumindest absehbar – und vermag keine Straffreiheit zu verschaffen.160

_____ 156 Rönnau/Wegner ZInsO 2014, 1025, 1027; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 57 vor §§ 82 ff GmbHG; zust. Meier ZInsO 2016, 1499, 1501, Fn 25. 157 So noch Bork/Hölzle/Bittmann Rn 24/84. 158 G/J/W/Reinhart Rn 5, 123 und 127 zu § 15a InsO; W/J/Pelz Rn 9/17; HeiK-InsO/Ransiek Rn 45 zu § 15a InsO; MK/Hohmann Rn 3 und 100 zu § 15a InsO; M/G/Rinjes Rn 276; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 59 vor §§ 82 ff GmbHG; Uhlenbuck/Hirte Rn 64 aE zu § 15a InsO; aA M-G/Richter Rn 80/6; ders FS Beck, S 441 ff, 443; A/R/R/Wegner Rn 7/2/69. 159 Zu den Einzelheiten s unten § 30. 160 MK/Hohmann Rn 82 aE zu § 15a InsO; nicht ganz klar Böttger/Verjans Rn 166, zunächst Strafbarkeit verneinend, dies anschließend einschränkend auf die Fälle, in denen der neue Geschäftsführer keine Kenntnis von der Bestattung hatte und später auf Organisationsverschulden abstellend, Rn 4/174; zum zivilrechtlichen Übernahmeverschulden OLG Schleswig, 11.2.2010 – 5 U 60/09, Rn 62, ZInsO 2010, 530 ff.

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Ein über den beschriebenen hinausgehender Anwendungsbereich kommt dieser neuen Alternative, in welcher Insolvenzverschleppung begangen werden kann, nicht zu. Wer verlangt, dass die Angaben, die der Eigenantragsteller macht, sämtlich inhaltlich richtig und vollständig sein müssen, inkorporiert informationsbezogene Varianten des Bankrottatbestands (Verheimlichen, § 283 Abs 1 Nr 1 StGB; Vortäuschen oder Anerkennen Rechte Dritter, Nr 4; Erstellen und Vorlage von Geschäftsunterlagen und Bilanzen, Nrn 5, 6 und 7b; sowie Verschleierung der geschäftlichen Verhältnisse, Nr 8) in den § 15a Abs 4 und 5 InsO. Dafür ist weder ein Bedarf ersichtlich noch kann auf das Schweigen der Gesetzgebungsmaterialien eine derart weitgehende, quasi generalklauselartige Ausdehnung der Strafbarkeit gestützt werden. 42 Weitere rechtssystematische Erwägungen sprechen ebenfalls dagegen, die Variante des nicht richtig gestellten Insolvenzantrags beim Vorliegen anderer als die Annahme der Zulässigkeit hindernder Fehler zu bejahen. Die Bestrafung wegen Insolvenzverschleppung hängt anders als beim Bankrott, § 283 Abs 6 StGB, nicht vom Vorliegen einer Strafbarkeitsbedingung ab. Demgemäß wäre es denkbar, dass bei Rücknahme des Antrags aufgrund überwundener Insolvenzreife solche Verhaltensweisen unter Strafe stünden, die zwar von § 283 StGB tatbestandlich erfasst, aber als Bankrott dennoch nicht strafbar wären. Damit würde jedoch die strafbarkeitseinschränkende Wirkung des § 283 Abs 6 StGB partiell ausgehebelt. Gleiches gölte für die Entscheidung des Gesetzgebers, die Verletzung der Mitwirkungspflicht des Schuldners oder seines Organs, §§ 20, 97 und 101 InsO, allein für sich nicht zu pönalisieren.161 Hinzu kommt, dass in der Terminologie des Gesetzgebers irreführende Informationen als falsche Angaben, § 82 GmbHG, oder unrichtige Darstellung, § 331 HGB, bezeichnet zu werden pflegen. Ferner hat der Schuldner die Richtigkeit und Vollständigkeit seiner bisherigen Angaben nur dann an Eides statt zu versichern, § 98 Abs 1 S 1 InsO, wenn dies vom Insolvenzgericht angeordnet ist, weil diesem diese Maßnahme zum Herbeiführen wahrheitsgemäßer Aussagen als erforderlich erscheint, es also daran Zweifel hegt. Das Zutreffen der Vollständigkeitserklärung, § 13 Abs 1 S 7 InsO, ist gerade nicht an Eides statt zu versichern. Es führte zu einem Widerspruch zu dieser die Strafbarkeit unter bestimmte Voraussetzungen stellenden Rechtslage, wollte man ohne deren Vorliegen Strafbarkeit bereits zuvor wegen eines nur irgendwie unrichtigen oder gar nur zeitweise unrichtig gewesenen Insolvenzantrags bejahen. Weder für das Insolvenzgericht noch für den Insolvenzverwalter spielt es eine Rolle, 43 welcher Insolvenzauslösetatbestand im Eigenantrag aufgeführt ist.162 Maßgeblich ist allein, ob die Angaben dem Insolvenzgericht (schließlich) die Aufnahme amtswegi41

_____ Sa LG Saarbrücken, 26.6.2015 – 2 KLs 23/14, ZInsO 2016, 1115 ff, 1117: Verurteilung des neuen Geschäftsführers, der aber anders als in den typischen Bestattungsfällen das Unternehmen tatsächlich leitete. 161 Weyand/Diversy Rn 149 aE; sa W/J/Pelz Rn 9/63; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 215 zu § 84 GmbHG. 162 AA M-G/Richter Rn 80/55; für Fruchtbarmachung der Variante des „nicht richtig gestellten Insolvenzantrags“ bei der Auswahl des (vorläufigen) Verwalters Römermann ZInsO 2010, 353 ff; wie hier Scholz/ K Schmidt Rn 166 zu § 64 GmbHG; ähnlich Rönnau/Wegner ZInsO 2014, 1025, 1031; Scholz/Tiedemann/ Rönnau Rn 58 vor §§ 82 ff GmbHG, davon aber abgrenzend die falsche Darstellung der Vermögensverhältnisse (zB Schilderung lediglich drohender trotz längst eingetretener Zahlungsunfähigkeit), die die genannten Autoren für strafbar (auch) sub specie § 15a InsO erachten. Einschlägig ist jedoch nur § 283 Abs 1 Nr 8 StGB. Wegen der Bedeutungslosigkeit der Bezeichnung des Insolvenzgrundes im Eröffnungsantrag ist es konsequent, sie gar nicht zu verlangen, ihr Fehlen daher als straflos anzusehen, vgl dazu oben Rn 32 aE.

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ger163 Insolvenzermittlungen ermöglicht,164 also die Anforderungen an einen zulässigen Antrag erfüllen. Der Gutachter prüft im Insolvenzeröffnungsverfahren die gesamte wirtschaftliche Lage und kann sich damit begnügen, einen einzigen Eröffnungsgrund festzustellen. Stellt er eine die Kosten des Verfahrens deckende Masse fest, so kann er das Ermitteln aller weiterer Einzelheiten dem eröffneten Verfahren überantworten. Die Angaben im Eröffnungsantrag können ihm die Arbeit erleichtern, sie ihm aber weder abnehmen noch ausschlaggebend sein. Für die Fortführung des Unternehmens wären frühzeitig vorliegende weitere verlässliche Angaben natürlich förderlich. Sie aber gerade von jemandem zu erwarten, der die Insolvenzreife nicht zu vermeiden in der Lage war, hieße in einer Vielzahl von Fällen, von ihm etwas zu verlangen, zu dessen Erfüllung er sich gerade als unfähig erwiesen hat. Im Fall der Abweisung mangels Masse kommt es ebenfalls nicht auf die Angaben im Antrag an:165 Sind die Kosten nicht gedeckt, so wird das Insolvenzverfahren weder aufgrund von richtigen noch bei falschen Abgaben im Antrag eröffnet. Unvollständige oder verschleiernde Angaben sind als Bankrott auch jetzt bereits strafbar. Soweit Rönnau/Wegner166 auf mögliche Auswirkungen inhaltlich unrichtiger Angaben im Antrag auf das Insolvenzverfahren hinweisen, kann ihnen zwar die Richtigkeit nicht abgesprochen werden. Betroffen sind aber jeweils Details, die allein für sich gesehen mangels ernstlicher Gefährdung der Position der Gläubiger nicht als strafwürdig erscheinen. Letzteres trifft zwar nicht zu bei Verschleierung der Zahlungsunfähigkeit, um sich 44 die Vorteile des in Eigenverwaltung durchzuführenden Schutzschirmverfahrens, § 270b InsO, zu sichern. C Brand167 weist zutreffend darauf hin, dass darin eine Verlängerung der Insolvenzverschleppung unter dem Deckmantel eines geordneten Verfahrens liegt, so dass die Strafwürdigkeit derartigen Gebarens demgemäß nicht in Frage steht. Der Versuch, damit der Pönalisierung des nicht richtig gestellten Eröffnungsantrags einen materiellen Anwendungsbereich zu eröffnen, scheitert aber gleichwohl auch in dieser Konstellation, zwar nicht am Rechtsgut, wohl aber wie gezeigt168 an der Gesetzessystematik: Auch diese Variante setzt einen Pflichtantrag voraus und ihre Anwendbarkeit wird im übrigen zumindest vom vorrangigen Bankrottatbestand gesperrt. Ein darüber hinausgehendes Strafbedürfnis ist auch nicht ersichtlich. Die 45 (rechtswidrige) Täuschung fällt als Verschleierung der tatsächlichen geschäftlichen und damit auch der wirtschaftlichen Verhältnisse fraglos unter § 283 Abs 1 Nr 8 StGB. Dabei handelt es sich um die gegenüber § 15a Abs 4 InsO schwerere Straftat. Dessen Unrecht geht vollständig in der Bankrottvariante auf. Demnach ist von der neuen Alternative, der Pönalisierung des nicht richtig gestellten Eröffnungsantrags, nur der als unzulässig verworfene Antrag erfasst,169 während inhaltliche Mängel nach wie vor nicht als Insol-

_____ 163 Zu diesen Beth NZI 2014, 487 ff; an der Effizienz zweifelnd Frind NZI 2010, 749 ff. Ihrer Notwendigkeit wegen muss entgegen Römermann ZInsO 2010, 353 ff, nicht bereits der Antrag selbst alle Angaben enthalten, die es dem Insolvenzgericht ermöglichen, „den“ geeigneten Verwalter auszuwählen. 164 MüKoGmbHG/Wißmann Rn 215 zu § 84 GmbHG. 165 HeiK-InsO/Ransiek Rn 45 zu § 15a InsO; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 215 zu § 84 GmbHG; aA HeiKInsO/Kleindiek Rn 15 aE zu § 15a InsO. 166 ZInsO 2014, 1031. 167 KTS 2014, 1, 10–17; auch ders ZInsO 2016, 2277 ff, 2279 f; aA Rönnau/Wegner ZInsO 2014, 1025, 1031. 168 Rn 22 und 42. 169 Ebenso Böttger/Verjans Rn 4/141, sa 4/165; FK-InsO/Schmerbach Rn 42 zu § 15a InsO (anders Rn 41); HeiK-InsO/Kleindiek Rn 15 und 41 zu § 15a InsO; ähnlich auch HeiK-InsO/Ransiek Rn 45 zu § 15a InsO; weitergehend Rönnau/Wegner ZInsO 2014, 1025, 1027–1030 (sowohl Unzulässigkeit), 1031 (als auch grob unrichtige Angaben zu den wirtschaftlichen Verhältnissen; Erschleichen der Abweisung mangels Masse);

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venzverschleppung, sondern nur unter den Voraussetzungen der §§ 283–283c StGB bestraft werden können. Die frühere Rspr, derzufolge selbst ein schlichter und deswegen als unzulässig abge46 wiesener Antrag das Erfordernis der Rechtzeitigkeit der Konkurs-, nunmehr Insolvenzanmeldung erfüllte, verschaffte dem Pflichtigen allerdings regelmäßig sowieso nur eine vorübergehende Verschnaufpause. Spätestens mit der Abweisung als unzulässig stand fest, dass der Pflichtige weiterhin vollständig in der Verantwortung verblieben war. Demzufolge lebte die Pflicht, einen ernstgemeinten Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen, spätestens mit der Abweisung eines vorangegangenen als unzulässig wieder auf170 und zwar unbeschadet der Tatsache, ob die Geschäfte fortgesetzt wurden oder nicht.171 Der Zeitraum, ab dem die Strafbarkeit wegen Insolvenzverschleppung (erstmals oder wieder) einsetzte, verschob sich also zumeist allein um die Dauer des Insolvenzeröffnungsverfahrens. Straflosigkeit winkte nur bei Vorliegen auch weiterhin lediglich drohender Zahlungsunfähigkeit (allerdings blieb bei deren irrtümlicher Annahme das Risiko fahrlässiger Insolvenzverschleppung aufgrund längst eingetretener Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung bestehen) sowie in dem äußerst seltenen Fall der Überwindung der Insolvenzreife während des eingeleiteten Insolvenzeröffnungsverfahrens, weil mit Ausnahme dieser Konstellationen die Gründe, Insolvenz anmelden zu müssen, fortbestanden. Da das dem Geschäftsführer üblicherweise mindestens iS bedingten Vorsatzes bekannt war, hatte er folglich sofort und ohne jegliche Schonfrist mit Kenntnis von der Abweisung seines Antrags als unzulässig einen neuen Antrag zu stellen, falls nicht in der Zwischenzeit der erhoffte weiße Ritter auftrat, der nunmehr die vollständige Sanierung binnen 3 Wochen wirklich erwarten ließ. Das Unterlassen (regelmäßig:) sofortiger erneuter Antragstellung führte zur Strafbarkeit wegen Insolvenzverschleppung. Das gilt rechtlich auch heute noch unverändert. Allerdings ist das Strafbedürfnis insoweit aufgrund der veränderten Rechtslage deutlich gemindert: Der als unzulässig abgewiesene Eigenantrag ist nicht richtig (in Zukunft: nicht vollständig) gestellt und damit als Insolvenzverschleppung in der neuen Alternative strafbar. Das ändert de jure jedoch nichts daran, dass anschließend unter Strafdrohung ein auf Eröffnung zielender neuerlicher Insolvenzantrag gestellt werden muss.172

_____ ähnlich Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 58 vor §§ 82 ff GmbHG; Meier ZInsO 2016, 1499, 1501 mit Fn 20; W/J/ Pelz Rn 9/60 f (allg Grenze inhaltlicher Mängel: erschwerte Eröffnungsentscheidung); wohl noch darüberhinausgehend C Brand KTS 2014, 1, 10–17; HambK/Linker Rn 18 zu § 15a InsO; KölnerK/Hess Rn 175, 180 und 182 zu § 15a InsO; MK/Hohmann Rn 81 f zu § 15a InsO; G/J/W/Reinhart Rn 126 zu § 15a InsO (wiewohl für restriktive Interpretation, Rn 124). W/J/Beck Rn 8/153 verlangt gar einen sowohl inhaltlich als auch formell den gesetzlichen Anforderungen genügenden Antrag. 170 Lenger/Apfel WiJ 2012, 34, 36 mN und 101, 107. Laut Uhlenbuck/Hirte Rn 18 zu § 15a InsO beendet ein als unzulässig abgewiesener Antrag den Lauf der Frist nicht. 171 Maurer, wistra 2003, 174, 176, stellt darauf ab, ob die Gesellschaft neues Vermögen erhalten hat oder ob Aktiva neu bekannt wurden. 172 HambK/Linker Rn 10 zu § 15a InsO; HambK/Borchardt Rn 10 zu § 15a InsO; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 216 zu § 84 GmbHG. Im Hinblick auf die frühere Rspr, die nicht allein Straflosigkeit trotz unzulässigen Antrags annahm, sondern die Tatbestandsmäßigkeit auch verneinte, wenn nach Verwerfung des ersten Antrags als unzulässig kein weiterer und zwar zulässiger Antrag gestellt wurde, dazu oben Rn 29, wäre es sinnvoll, den vorgeschlagenen § 13 Abs 3 InsO-E um einen Satz 3 zu erweitern, der ausdrücklich besagt, dass ein als unzulässig verworfener Antrag, und zwar jeder solche, als nicht gestellt gilt. Das ist auch noch aus einem weiteren Grund nötig. Der Entwurf macht die Strafbarkeit wegen nicht vollständigen Insolvenzantrags nicht nur davon abhängig, dass dem Antragsteller eine Frist von 3 Wochen zur Nachbesserung gesetzt wird, § 13 Abs 3 S 1, sondern auch davon, dass ihm die Aufforderung dazu zugestellt wurde, § 15a Abs 4 Nr 2 iVm § 13 Abs 3 S 2 Inso-E. Gerade dies ist aber in Fällen der Unternehmensbestattung regelmäßig

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Der Geschäftsführer, der einen zulässigen Antrag gestellt hat und dem auch nicht 47 nachgewiesen werden kann, dass er in Wirklichkeit gar nicht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens erstrebte, macht sich dennoch wegen Insolvenzverschleppung strafbar, wenn er den Antrag ohne Entfallen der Insolvenzreife wieder zurücknimmt.173 Ihm steht für einen erneuten Antrag keineswegs die 3-Wochen-Frist des § 15a Abs 1 S 1 InsO noch einmal zur Verfügung.174 War bereits der zurückgenommene Antrag verspätet gestellt, so beginnt regelmäßig 48 mit der Rücknahme eine neue Tat. War sie aber von Anfang an geplant, so liegt nur eine Tat vor, sieht man entweder den zurückgenommenen Antrag als nie gestellt175 oder nimmt an, in Wahrheit habe es sich um einen Scheinantrag gehandelt bzw bejaht natürliche Handlungseinheit.

4. Sonderdelikt Insolvenzverschleppung ist ein Sonderdelikt.176 Den Kreis der tauglichen Täter177 be- 49 schreibt § 15a InsO nicht selbst. Die Bestimmung enthält eine dynamische Verweisung auf das Gesellschaftsrecht178 und erfasst nur Mitglieder des vertretungsberechtigten Organs, bei der GmbH die Geschäftsführer179 (einschließlich Strohleuten,180 auch Sanierungsgeschäftsführern, wie sie sich nach Inkrafttreten des ESUG in der Praxis herausbildeten181),

_____ nicht möglich. Damit würde das auch nach der geplanten Umgestaltung weiterhin angestrebte (Haupt-) Ziel des MoMiG, unzureichende Eröffnungsanträge in Bestattungsfällen unter Strafe zu stellen, aufgrund der Verfahrensgestaltung unerreichbar, abl daher auch Frind ZInsO 2016, 2376 ff, 2377 f; Richter ZInsO 2016, 2372 ff, 2375. Gölte aber ein als unzulässig verworfener Antrag als nicht gestellt, so wäre immerhin die Bestrafung wegen unterlassener Insolvenzanmeldung möglich. 173 MüKoGmbHG/Wißmann Rn 219 zu § 84 GmbHG; zur Rücknahmemöglichkeit Schmidt ZInsO 2015, 2168 ff; zur Rücknahme eines Antrags eines ausgeschiedenen Geschäftsführers BGH, 10.7.2008 – IX ZB 122/07, ZIP 2008, 1596 ff; zur Rücknahme seitens eines Mit-Geschäftsführers Horstkotte ZInsO 2017, 146 ff. 174 Böttger/Verjans Rn 4/170; sa MüKoGmbHG/Wißmann Rn 216 zu § 84 GmbHG. 175 MK/Hohmann Rn 85 zu § 15a InsO; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 216 zu § 84 GmbHG. 176 BGH wistra 1999, 459, 462; Dannecker/Knierim/Hagemeier/Smok Rn 505 mit Auflistung unter Bildung von 4 Fallgruppen, Rn 506 ff; MK/Hohmann Rn 5 zu § 15a InsO; G/J/W/Reinhart Rn 8 zu § 15a InsO; M/G/Rinjes Rn 276 mit Auflistung der Antragspflichtigen Rn 280 ff; M-G/Richter Rn 80/23; A/R/R/Wegner Rn 7/2/24 und 73; W/J/Pelz Rn 9/41. MüKoGmbHG/Wißmann, Rn 52 zu § 84 GmbHG, fasst den Geschäftsführer als Beschützergaranten der Gesellschaft auf, Rn 31 (das ist nicht falsch, lässt sich aber auch dann nicht allein aus § 15a InsO bzw früher § 84 Abs 1 S 2 GmbHG herleiten, wenn man die Gesellschaft als mitgeschützt betrachtet). 177 Auflistung der Verantwortlichen in den in Betracht kommenden Gesellschaftsformen bei MK/Hohmann Rn 16 ff zu § 15a InsO. 178 G/J/W/Reinhart Rn 7 zu § 15a InsO. 179 W/J/Pelz Rn 9/35; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 6 zu § 84 GmbHG; einbezogen sind stellvertretende Geschäftsführer, § 44 GmbHG (zur Funktion: v Venrooy GmbHR, 2010, 169 ff) und stellvertretende Vorstandsmitglieder, § 94 AktG (dazu G/J/W/Reinhart Rn 12 zu § 15a InsO). 180 BGH, 13.10.2016 – 3 StR 352/16, ZInsO 2016, 2483 f (mN unter Hinweis auf die Anknüpfung an die mit gesetzlichen Befugnissen verbundene Organstellung anstatt an den Anstellungsvertrag); OLG Naumburg JMBl LSA 1999, 113 (für das Zivilrecht); Maurer wistra 2003, 174, 175f; MK/Hohmann Rn 51 zu § 15a InsO; G/J/W/Reinhart Rn 9 zu § 15a InsO; Rönnau NStZ 2003, 525, 527; Uhlenbuck/Hirte Rn 64 zu § 15a InsO; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 57 zu § 84 GmbHG; aA KG wistra 2002, 313, 314f; OLG Hamm NStZ-RR 2001, 173, 174; Schulz StraFo 2003, 155, 157f. Vgl ausf oben Rn 6/158 ff. 181 OLG Brandenburg, 12.1.2016 – 6 U 123/13, ZInsO 2016, 852 ff. Ob evtl Haftungserleichterungen anzuerkennen sind, ist zivilrechtlich umstritten, die strafrechtliche Wirkung offen, vgl Poertzgen ZInsO 2015, 724 ff; Thiele ZInsO 2015, 877 ff, 977 ff und 1083 ff; Klein/Thiele ZInsO 2013, 2233 ff; Siemon/Klein ZInsO 2012, 2009 ff.

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bei der AG182 und der Genossenschaft die Vorstände,183 bei der Limited die Direktoren.184 In der Abwicklungsphase treten an ihre Stelle die Liquidatoren.185 Auf die Alleinvertretungsbefugnis kommt es nicht an.186 Mehrere Pflichtige sind demnach je für sich berechtigt und verpflichtet, Insolvenzantrag zu stellen,187 erfüllen mit ihrem Antrag aber auch die Pflicht der übrigen.188 Ist ein zB gemäß § 6 Abs 2 S 2 GmbHG Amtsunfähiger zum Geschäftsführer bestellt worden, so ist dieser Akt kraft Gesetzes unwirksam und der Bestellte formal kein Geschäftsführer. Er ist gleichwohl gemäß § 14 Abs 3 StGB tauglicher Täter189 und agiert sowieso regelmäßig als faktischer Geschäftsführer. Mit § 15a Abs 3 InsO wurde der Kreis der Antragspflichtigen für den Sonderfall der 50 Führungslosigkeit bestimmter juristischer Personen, also nicht rechtsformunabhängig, ausgeweitet. Bei der GmbH ist dann jeder Gesellschafter,190 bei der AktG und der Genossenschaft jedes Aufsichtsratsmitglied antragspflichtig. Führungslosigkeit liegt nur dann vor, wenn das vertretungsberechtigte Organ nicht besetzt ist, vgl zB § 35 GmbHG. Demgemäß genügt es nicht, wenn jemand Bestelltes das Amt lediglich nicht ausübt. Idealtypisch ist die Aufgabe mittels ausdrücklicher Niederlegung oder Rücktritts. Allerdings ist die Erklärung nicht formgebunden und kann deswegen konkludent erfolgen. Auf die Eintragung im Handelsregister kommt es nicht an. Für die Abgrenzung zwischen bloßer Passivität im fortbestehenden Amt und dessen 51 stillschweigender Beendigung gibt es bislang keine konsentierten Kriterien. Da der Gesetzgeber das reine Nichtausüben als ein zu wenig rechtssicheres Kriterium betrachtete, darf die Aufgabe des Amtes nicht voreilig angenommen werden, sondern man wird dafür regelmäßig ein Verhalten verlangen müssen, welches nicht ernsthaft anders inter-

_____ 182 Bei der KgaA gelten auch die persönlich haftenden Gesellschafter als Vorstandsmitglieder, G/J/W/ Reinhart Rn12 zu § 15a InsO – es ist aber zweifelhaft, ob sie trotz der persönlichen Haftung taugliche Täter sein können. 183 Vgl BGH, 1.2.2010 – II ZR 209/08, ZInsO 2010, 765 ff. 184 Vgl OLG Düsseldorf, 1.10.2015 – 6 U 169/14, Rn 16, NZI 2016, 642 ff (BGH, 22.11.2016 – II ZR 319/15 gewährte dem beklagten Director Prozesskostenhilfe für seine Verteidigung im Revisionsverfahren); LAG Baden-Württemberg, 12.2.2010 – 6 Ta 11/09, ZInsO 2010, 726 ff (zur Vertretung kraft Gesetzes). 185 BGH wistra 1999, 459, 462. 186 HM, zB AG Göttingen, 1.10.2010 – 74 IN 204/10, ZInsO 2011, 1114; Graf-Schlicker/Bremen Rn 5 und 14 zu § 15a InsO; K Schmidt ZGR 1998, 633, 654; W/J/Pelz Rn 9/47; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 67 zu § 84 GmbHG. S auch oben Rn 8/47 und Rn 9/2. 187 HambK/Linker Rn 10 zu § 15a InsO; HambK/Borchardt Rn 24 zu § 15a InsO; MK/Hohmann Rn 51 zu § 15a InsO; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 60 vor §§ 82 ff GmbHG; Uhlenbruck KTS 1994, 169, 172; W/J/Pelz Rn 9/46–48; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 67, auch Rn 119 zu § 84 GmbHG. 188 MK/Hohmann Rn 86 und 101 zu § 15a InsO; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 217 zu § 84 GmbHG, allerdings lebt die Antragspflicht für alle wieder auf, wenn der von einem der Mitgeschäftsführer allein gestellte Antrag als unzulässig verworfen wird, Rn 220. 189 Böttger/Verjans Rn 4/138, sa oben Rn 18. 190 Berger ZInsO 2009, 1977 ff. Auf die Eintragung eines Gesellschafterwechsels im Handelsregister kann es dabei nicht ankommen, aA W/J/Pelz Rn 9/40, weil § 16 Abs 1 S 1 GmbHG diese Voraussetzung nur für das Innenverhältnis normiert. Im insolvenzrechtlichen Schrifttum findet sich die Auffassung, im Fall der Insolvenz des Gesellschafters habe der Insolvenzverwalter über dessen Vermögen den Insolvenzantrag zu stellen, FK-InsO/Schmerbach Rn 21 zu § 15a InsO mN; HambK/Linker Rn 13 und 23 zu § 15a InsO. Strafbewehrt ist eine solche Pflicht, sollte sie bestehen, jedoch nicht, aA FK-InsO/Schmerbach Rn 43 zu § 15a InsO, weil die Erweiterung des § 15a Abs 3 InsO auf den Insolvenzverwalter die Wortlautgrenze überschreiten würde: er ist kein Gesellschafter. Anders ist es im Fall der insolventen Gesellschaft als Gesellschafterin einer ebenfalls insolvenzreifen antragspflichtigen Gesellschaft, idealtypisch: GmbH & Co KG: Hier kann eine Antragspflicht in den Fällen des § 15a Abs 3 InsO über § 14 Abs 2 StGB bestehen, Gundlach/Müller ZInsO 2011, 900 ff; Löser ZInsO 2010, 799 ff. Ob das Vorhandensein eines faktischen Geschäftsführers Einfluss auf die Antragspflicht der Gesellschafter hat, ist str, dazu C Brand/M Brand NZI 2010, 712 ff.

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pretiert werden kann191 (Mitnahme der „Papiere“, Rückgabe des Dienstwagens einschließlich der Schlüssel, Räumen des Büros und/oder der Wohnung am Unternehmenssitz, neue Arbeitsstelle, ggf allein schon mehrfaches Nichtwahrnehmen verabredeter Termine). Auch dem bloßen Zeitablauf wird man allerdings seine Bedeutung als Indiz für die Aufgabe der Funktion nicht gänzlich absprechen können. Er gewinnt sie jedoch erst nach einer gewissen Dauer, je früher, desto mehr weitere Anhaltspunkte müssen für die Beendigung des Amtes sprechen. Die bloße Abwesenheit für sich reicht selbst bei fehlender Erklärung und Erreichbarkeit oder aufgrund „Untertauchens“ nicht aus,192 weil es dafür verschiedene Gründe geben kann (Krankheit, Erledigung eilig erscheinender anderer Aufgaben, Kontemplativphase oÄ). Völlige Passivität kann aber nur zunächst als nicht ausreichend betrachtet werden. Den Zeitpunkt des Umschlagens in eine konkludente Niederlegung des Amtes wird man jedoch nicht für alle Fälle einheitlich, sondern in Abhängigkeit von der Bedeutung des Amtsinhabers für die Handlungsfähigkeit des Unternehmens zu bestimmen haben. Er wird bei Großunternehmen und beim „Macher“ eines Kleinbetriebs früher liegen als beim Vorhandensein weiterer vertretungsberechtigter Personen. Aber auch dann wird man nach Ablauf einer dem Jahresurlaub entsprechenden Frist, meist: 6 Wochen, in schweigender Passivität die Amtsniederlegung sehen müssen.193 Ist die Führungslosigkeit einem Gesellschafter einer GmbH bzw dem Aufsichtsrat 52 einer AG oder Genossenschaft ebenso bekannt wie die Insolvenzreife, so hat er Insolvenz anzumelden, § 15a Abs 3 InsO. Zivilrechtlich ist es an ihm, seine Unkenntnis zu beweisen. Strafrechtlich muss ihm hingegen Kenntnis in beiderlei Hinsicht nachgewiesen werden. Demnach genügt kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung fahrlässige Unkenntnis nicht. Die in § 15a Abs 5 InsO gleichwohl auch für die Fälle des Abs 3 normierte Fahrlässigkeitsstrafbarkeit beschränkt sich insoweit auf das Nichtwissen von der Handlungspflicht.194 Alle anderen Personen, welche sonst noch Einfluss auf die Aktivitäten der Gesell- 53 schaft zu nehmen pflegen (wie Prokuristen, Bänker, Steuer-,195 Unternehmens-, Sanierungs- und Rechtsberater196 ua) kommen nur als Anstifter oder Helfer in Betracht.197 § 14 Abs 2 Nr 2 StGB ist insoweit nicht anwendbar.198 Beihilfe liegt etwa in einem Rundschreiben an die Gläubiger mit der Bitte um Sanierungsvergleich, wenn Geschäftsführer und Berater wissen, dass die Antragsfrist längst abgelaufen ist. Auch der Gutachter, welcher ebenso auftragsgemäß wie fälschlich die Insolvenzreife verneint, begeht Beihlife zur

_____ 191 Ebenso W/J/Beck Rn 8/150 mN in Fn 379; wohl auch MüKoGmbHG/Wißmann Rn 70 zu § 84 GmbHG. MK/Hohmann Rn 68 zu § 15a InsO hält zwar Führungslosigkeit auch aus tatsächlichen Gründen für möglich, grenzt diese Fälle aber nicht zu den von ihm für nicht ausreichend angesehenen Konstellationen mangelnder Wahrnehmung der Geschäftsführerfunktion ab. 192 AG Hamburg, 27.11.2008 – 67c IN 478/08, NZG 2009, 157 f; zust G/J/W/Reinhart Rn 42 zu § 15a InsO; aA Weyand/Diversy Rn 146. Beispiel: Forschungsreise, AG Potsdam, 24.1.2013 – 35 IN 978/12, NZI 2013, 602 f. 193 Str, aA M/G/Rinjes Rn 288 mN zum Streitstand. 194 Bittmann NStZ 2009, 113 ff, 115; inhaltlich nicht abweichend MüKoGmbHG/Wißmann Rn 71 zu § 84 GmbHG. 195 Die schlichte Fortsetzung steuerberatender Tätigkeit ist als berufstypische neutrale Handlung keine strafbare Beihilfe zur Insolvenzverschleppung der Antragspflichtigen, OLG Köln, 3.12.2010 – 1 Ws 146/1028, ZInsO 2011, 288 ff, dazu Schmittmann ZInso 2011, 105 ff. 196 Zur strafrechtlichen Haftung von Beratern ausführlich MüKoGmbHG/Wißmann Rn 84 ff zu § 84 GmbHG. 197 Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 32 ff vor §§ 82 ff GmbHG; W/J/Pelz Rn 9/42–45; Wessing NZI 2003, 1, 3; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 75 ff zu § 84 GmbHG. 198 BGH wistra 1999, 459, 462 mN.

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Insolvenzverschleppung.199 Für Gesellschafter und Aufsichtsräte200 gilt, soweit kein Fall des § 15a Abs 3 InsO vorliegt, nichts Abweichendes (zB bei einer nicht von § 15a Abs 3 InsO erfassten Gesellschaft in- oder ausländischer Rechtsform), ebenso für Mitglieder eines freiwilligen Aufsichtsrats.201 Bei der GmbH & Co KG ist der Liquidator der GmbH regelmäßig verpflichtet, den Insolvenzantrag (auch) für die KG zu stellen. Ist jemand dagegen Liquidator nur der KG, so trifft ihn durchweg keine Pflicht, die Insolvenz auch für die GmbH anzumelden.202 Ist Liquidator eine juristische Person, so ist zusätzlich § 14 StGB anzuwenden. Die Rspr stellt seit jeher dem eingetragenen das faktische Organ gleich.203 Das gilt 54 auch im Hinblick auf die Insolvenzverschleppung. Es mehren sich jedoch aufgrund der mit Einführung des § 15a Abs 1 InsO verbundenen Änderung des Wortlauts zB gegenüber dem früheren § 84 GmbHG die ablehnenden Stimmen: Mitgliedschaft im Organ könne nur bei wirksamer Bestellung bejaht werden.204 Dem ist jedoch der BGH mit knapper Begründung entgegengetreten.205 Dazu lässt sich auch der Wortlaut des Gesetzes anführen: § 15a Abs 3 InsO nimmt Gesellschafter bzw Aufsichtsräte nicht in verdrängender Weise in die Pflicht, sondern kumulativ („auch“). Wenn aber bei Führungslosigkeit kein Geschäftsführer bzw Vorstand mehr formal im Amt ist, so kommt neben den in § 15a Abs 3 InsO Genannten nur ein faktisches Organ in Betracht (falls vorhanden). Voraussetzung ist jedoch die Anerkennung der Antragsbefugnis des faktischen Organs, die zivilrechtlich umstritten ist.206 Die Feststellung, ob der Beschuldigte tauglicher Täter ist, bereitet beim eingetrage55 nen (anders als beim faktischen207) Organ oder Liquidator regelmäßig keine Schwierigkeiten. Gewisse faktische Einschränkungen der Verantwortlichkeit bestehen jedoch bei einer Mehrheit von Geschäftsführern, wenn diese verschiedene Ressorts untereinander aufgeteilt haben. Es bleibt zwar jedes Mitglied für alle Angelegenheiten zuständig, welche die Gesellschaft als Ganzes angeht, Grundsatz der Allzuständigkeit.208 Die da-

_____ 199 MüKoGmbHG/Wißmann Rn 86 zu § 84 GmbHG. 200 Zur Beihilfe durch Unterlassen vgl MüKoGmbHG/Wißmann Rn 82 zu § 84 GmbHG. 201 BGH, 20.9.2010 – II ZR 78/09 – Doberlug, BGHSt 187, 60 ff; MK/Hohmann Rn 71 zu § 15a InsO. 202 Richter GmbHR 1984, 113, 120f. 203 BGH NJW 1984, 2958 (für die GmbH & Co KG); 11.7.2005 – II ZR 235/03, ZIP 2005, 1550 ff; Uhlenbuck/Hirte Rn 8 und 12 zu § 15a InsO; W/J/Pelz Rn 9/36; zweifelnd Haas DStR 2003, 423f; einschr Scholz/ Tiedemann/Rönnau Rn 32 vor §§ 82 ff GmbHG und Rn 17 ff zu § 84 GmbHG; A/R/R/Wegner Rn 7/2/30 ff, die einen zumindest faktischen Bestellungsakt seitens aller Gesellschafter verlangen, Rn 33f; aA HambK/ Borchardt Rn 33 zu § 15a InsO unter Berufung auf das fehlende (von den Insolvenzgerichten allerdings anerkannte) Antragsrecht des faktischen Organs; MK/Hohmann Rn 54 und 59 zu § 15a InsO; zumindest dahin tendierend G/J/W/Reinhart Rn. 9 und 22 ff zu § 15a InsO. Überblick bei Fleischer GmbHR 2011, 337 ff; und Strohn DB 2011, 158 ff. Vgl allg oben Rn 6/106 und 115 f. 204 Bergmann NZWiSt 2014, 81 ff; ders 2015, 143 f; Kudlich ZWH 2015, 64 f; Schröder FS Beulke S 535 ff; A/R/R/Wegner Rn 7/2/33. 205 BGH, 18.12.2014 – 4 StR 323 und 324/14 (dazu Kudlich ZWH 2015, 64 f); ebenso Böttger/Verjans Rn 4/ 156. 206 Bejahend AG Göttingen, 7.12.2011 – 74 IN 204/11, NZI 2012, 144 f (zum Verein); Gundlach/Müller ZInsO 2011, 1055 ff; W/J/Pelz Rn 9/37 mN. 207 Vgl dazu oben Rn 6/96 ff. 208 BGH, 19.12.1997 – 2 StR 420/97, Rn 23, wistra 1998, 177; zivilrechtlich: 11.6.2013 – II ZR 389/12, Rn 7, ZIP 2013, 1519 ff; 8.10.2007 – AnwZ (B) 92/06, Rn 13, NJW 2008, 517 ff; 9.1.2001 – VI ZR 407/99, Rn 17, NJW 2001, 969 ff; 15.10.1996 – VI ZR 319/95, Rn 19 und 21, NJW 1997, 130 ff; aus der Lit: KölnerK/Hess Rn 170 f zu § 15a InsO; Leuering/Dornhegge NZG 2010, 13 ff; Nietsch ZIP 2013, 1449 ff; G/J/W/Reinhart Rn 10 zu § 15a InsO; Peters GmbHR 2008, 682 ff; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 32 vor §§ 82 ff GmbHG; Uhlenbruck/Hirte Rn 7 zu § 15a InsO; W/J/Pelz Rn 9/46–48; A/R/R/Wegner Rn 7/2/28. Radtke ZIP 2016, 1993 ff, 1998 f, stellt

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mit verbundene Pflichtenstellung wandelt sich aber vom Gebot der Aufgabenwahrnehmung in ein solches der Kontrolle und Überwachung. In normaler wirtschaftlicher Lage dürfen jedoch alle Organmitglieder beim Fehlen 56 gegenteiliger Anzeichen darauf vertrauen, dass die übrigen ihre Pflichten ordnungsgemäß erfüllen.209 Über die genaue wirtschaftliche Lage müssen sich Ressortfremde regelmäßig nur einmal im Jahr aus Anlass der Bilanzierung Gewissheit verschaffen. In der übrigen Zeit reduziert sich ihre Pflicht darauf, ihre Aufmerksamkeit auf das etwaige Auftreten krisengeeigneter Umstände oder Entwicklungen zu richten. Sobald das jedoch der Fall ist und sich die Gesellschaft in einer existenzgefährdenden wirtschaftlichen Lage oder jedenfalls in deren Nähe befindet, verwandelt sich die Kontroll- und Überwachungspflicht der ressortfremden Mitglieder zurück zu voller Wahrnehmungsverantwortung. Diese kann nicht im Wege der Delegation suspendiert werden. In der Krise treffen sämtliche Organmitglieder verschärfte Pflichten.210 Sie müssen zB alle sicherstellen, dass die Insolvenzantragspflicht eingehalten211 und die Jahresbilanz rechtzeitig (auch bei einer kleinen GmbH in verkürzter Frist von höchstens 3 Monaten) erstellt wird sowie die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung fristgerecht abgeführt werden.212 Zwar verändert die Krise das Stimmrecht nicht. Ein in der Abstimmung Unterlegener ist jedoch nur dann exkulpiert, wenn er das ihm Mögliche getan hat, seine Position durchzusetzen. Wäre dies durch Nichtbeteiligung oder Rücktritt möglich gewesen, so bleibt seine tatbestandliche Verantwortlichkeit erhalten. Die Einzelheiten können aber sub specie Insolvenzantragspflicht dahinstehen, weil sowieso jedes verpflichtete Mitglied des vertretungsberechtigten Organs für sich allein in der Lage ist, Insolvenz anzumelden.213 5. Ausscheiden des Geschäftsführers zB durch Amtsniederlegung Scheidet ein Geschäftsführer vor Beginn der Insolvenzreife aus, so ist er unter dem Ge- 57 sichtspunkt der Insolvenzverschleppung straflos.214 Umgekehrt nutzt ihm das Ausscheiden nichts mehr, wenn es entweder nach Ablauf der 3-Wochen-Frist oder nach schuldhaftem Verzögern des Insolvenzantrags innerhalb der Frist geschah.215 Musste er hingegen innerhalb des Laufs der 3-Wochen-Frist noch keinen Antrag stellen, so ist er straffrei.216

_____ den Grundsatz nicht in Frage, weist aber zutr auf die notwendigen objektiven wie subjektiven Umstände hin, deren Vorliegen erst das Handeln im fremden Ressort erfordern und ermöglichen. Vgl allg oben Rn 6/44 und 46 f, auch unten Rn 16/74 ff. 209 Wohl im Kern allg Auffassung, vgl S/S/W/Saliger Rn 53 und 55 zu § 266 StGB; Timpe StraFo 2016, 11 ff: keine generelle Pflicht zum Misstrauen; arg vertrauensselig OLG München, 22.10.2015 – 23 U 4861/14, ZIP 2016, 621 ff. 210 BGH, 2.6.2008 – II ZR 27/07, Rn 10, ZInsO 2008, 740 f. Zu den Auskunftpflichten des Ressortleiters OLG Koblenz, 22.11.2007 – 6 U 1170/07, GmbHR 2008, 37 ff. 211 Vgl BGH DB 1994, 1351, 1352; sa Lütke wistra 2008, 409 ff; S/S/W/Saliger Rn 54 zu § 266 StGB zur Frage der Untreuerelevanz. 212 OLG Frankfurt/M, 23.1.2004 – 24 U 135/03, NZG 2004, 388 f. Zum Grundsatz der Allzuständigkeit allg vgl oben Rn 55 mN ff. 213 G/J/W/Reinhart Rn 13 zu § 15a InsO. 214 MK/Hohmann Rn 73 zu § 15a InsO; G/J/W/Reinhart Rn 44 zu § 15a InsO; v Onciul S 27; Scholz/ Tiedemann/Rönnau Rn 35 vor §§ 82 ff GmbHG; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 59 zu § 84 GmbHG. Gleiches gilt für die Fälle des § 84 Abs 1 GmbHG. 215 HambK/Linker Rn 11 zu § 15a InsO; MK/Hohmann Rn 73 f zu § 15a InsO; G/J/W/Reinhart Rn 44 zu § 15a InsO; v Onciul S 28; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 35 vor §§ 82 ff GmbHG; Uhlenbuck/Hirte Rn12 zu § 15a InsO; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 60 f zu § 84 GmbHG. 216 Zutr G/J/W/Reinhart Rn 45 zu § 15a InsO; W/J/Pelz, Rn 9/49–52; Böttger/Verjans Rn 4/137; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 62 zu § 84 GmbHG.

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Auf die fortbestehende Eintragung im Handelsregister kommt es dabei in keinem dieser Fälle an.217 Die Amtsniederlegung ist häufig das einzige dem Fremd- oder Minderheitengesellschafter-Geschäftsführer verbliebene Mittel zur Vermeidung seiner Strafbarkeit nach einer Weisung der Gesellschafter bzw deren Mehrheit, § 37 Abs 1 GmbHG, keinen Insolvenzantrag zu stellen.218 Eine derartige Anweisung ist ebenso wie ein dementspr Beschluss der Gesellschaf58 terversammlung oder die auf sonstige Weise zum Ausdruck gebrachte Einwilligung rechtswidrig und damit unwirksam. Derartiges bindet den Geschäftsführer nicht, befreit ihn deshalb aber auch nicht von seiner originären Pflicht zum Stellen eines Insolvenzantrages.219 Rechtliche Hindernisse, dieser Pflicht trotz gegenstehender Weisung der Gesellschafter nachzukommen, bestehen demnach nicht. Gleichwohl befindet sich der Geschäftsführer unter zT massivem Druck. Bei weisungswidrigem Handeln hat allein er für die Richtigkeit seiner Entscheidung einzustehen und trägt damit das alleinige Haftungsrisiko.220 Zudem erweisen sich manche Umstände als hinderlich (zB wirtschaftliche Abhängigkeit von den Gesellschaftern, manchmal auch deren massive Drohungen). Einen legalen Ausweg bietet hier die sofortige Amtsniederlegung. Beschreitet er ihn nicht, so macht er sich strafbar. Die genannten Umstände lassen sich lediglich strafmildernd berücksichtigen. Legt er das Amt dagegen sogleich nieder, dann ist er weder weiterhin verpflichtet, selbst Insolvenzantrag zu stellen,221 noch Dritte dazu anzuhalten.222 59 Die gegenteilige Auffassung223 war bereits früher nicht überzeugend. Sie erscheint heute vollends überholt, weil die rechtliche Möglichkeit, einen eigenen Eröffnungsan-

_____ 217 OLG Düsseldorf NZI 2003, 342 f (zu § 266a Abs 1 StGB). 218 Ebenso M/G/Rinjes Rn 285; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 235 zu § 84 GmbHG; anders wohl MK/Hohmann Rn 51 zu § 15a InsO; sa Dannecker/Knierim/Hagemeier/Smok Rn 515. OLG München, 22.5.2015 – 14 HK O 867/14, ZInsO 2015, 1349 ff, bejaht für den Fall der Weisung der Gesellschafter die zivilrechtliche Haftungsfreistellung der Geschäftsführung. 219 BGH DStR 2001, 1537, 1538 (in der Bearbeitung von Goette); OLG Frankfurt/Main ZIP 1997, 450, 451 f; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 63 vor §§ 82 ff GmbHG; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 235 zu § 84 GmbHG; sa W/J/Pelz Rn 9/42. 220 Ausführlich Dannecker/Knierim/Hagemeier Rn 1271 ff; Leinekugel/Skauradszun GmbHR 2011, 1121 ff; zu Haftungsvermeidungsstrategien Lange GmbHR 2015, 1009 ff, 1133 ff und 1254 ff; Nowak GmbHR 2012, 1294 ff; zu (auch: Missbrauchs-)Möglichkeiten Geißler ZInsO 2013, 919 ff; sa unten Rn 16/103. Anderes gilt im Fall lediglich drohender Zahlungsunfähigkeit, OLG München, 21.3.2013 – 23 U 3344/12, NZI 2013, 542 ff (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen, BGH, 11.2.2014 – II ZR 152/13). 221 AA MüKoGmbHG/Wißmann Rn 63 zu § 84 GmbHG mit dem Hinweis, dann sei mit keinen weiteren Sanierungsbemühungen zu rechnen und daher sofort Insolvenz anzumelden; iE auch Graf-Schlicker/ Bremen Rn 14 zu § 15a InsO. Das ist schon vom Tatsächlichen her fraglich und bürdet zudem dem Geschäftsführer das volle Haftungsrisiko auf, ohne ihm einen legalen und sicheren Ausweg zu bieten. 222 Richter GmbHR 1984, 113, 119; M/G/Rinjes Rn 285; MK/Hohmann Rn 74 zu § 15a InsO; G/J/W/Reinhart Rn 45 zu § 15a InsO; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 35 vor §§ 82 ff GmbHG; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 62 zu § 84 GmbHG; aA FK-InsO/Schmerbach Rn 32 zu § 15a InsO; Kohlmann Rn 22; HambK/Borchardt Rn 25 zu § 15a InsO; HeiK-InsO/Kleindiek Rn 38 zu § 15a InsO; Dannecker/Knierim/Hagemeier/Smok Rn 517; Böttger/Verjans Rn 4/136. 223 BayObLG BB 1999, 1782 f; OLG Düsseldorf NZI 2001, 97 f mN; OLG Frankfurt/M, 11.11.2014 – 20 W 317/11, Rn 15 und 17, sogar nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, Rn 22, ZIP 2015, 478 ff; OLG Köln, 1.2.2008 – 2 Wx 3/08, ZIP 2008, 646 ff; OLG München, 16.3.2011 – 31 Wx 64/11, NZG 2011, 432 f; 29.5.2012 – 31 Wx 188/12, NZG 2012, 739 f (bezüglich UG haftungsbeschränkt); OLG Zweibrücken, 15.2.2006 – 3 W 209/ 05, GmbHR 2006, 430 f (vorgehend LG Mainz, 5.9.2005 – 12 HK T 6/05, Rpfleger 2006, 131); Hauptmann/ Müller-Dott BB 2003, 2521, insbes 2526f; offengelassen von BGH NJW 2003, 3787, 3789 f. Uhlenbuck/Hirte Rn 12 zu § 15a InsO verlangt vom Geschäftsführer, vor Niederlegung seines Amtes innerhalb der laufenden 3-Wochen-Frist alles zu tun, um entweder den Insolvenzgrund zu beseitigen oder den Insolvenzantrag vorzubereiten und hält es für möglich, dass die Amtsniederlegung wegen Missbrauchs unwirksam ist.

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trag zu stellen, mit dem Einrücken der Gesellschafter bzw des Aufsichtsrats in die Pflichtenstellung des Geschäftsführers bzw Vorstands, § 15a Abs 3 InsO, gewährleistet ist.224 Auf die Beurteilung der Aktivitäten des früheren Geschäftsführers, der zB zugleich einziger oder Mehrheitsgesellschafter ist, als faktische Geschäftsführung, etwa bei nur formaler, also scheinbaren Niederlegung des Amtes bei unveränderter Fortsetzung der bisherigen Tätigkeit, kommt es dabei in Bezug auf die Sicherstellung des Vorhandenseins einer antragsberechtigten Person noch nicht einmal mehr an.

6. Wechsel des Geschäftsführers in und unmittelbar vor der Krise Krisenbehaftete Gesellschaften mit beschränkter Haftung wechseln zuweilen in kurzen 60 Abständen ihren Geschäftsführer. Das geschieht nicht immer aufgrund von Fehlern des Abgerufenen, sondern kann dem Zwecke der Insolvenzverschleppung unter Verschleierung der Verantwortlichkeiten dienen. Der jeweils neue Geschäftsführer trägt dann üblicherweise vor, bei Aufnahme seiner 61 Tätigkeit nichts von der wahren wirtschaftlichen Lage gewusst und Zeit benötigt zu haben, um sich kundig zu machen, erschwert aufgrund nicht ordnungsgemäßer Übergabe der Geschäfte seitens des Vorgängers. Eine derartige Einlassung ist juristisch erheblich, erweist sich jedoch in aller Regel als nicht von den Tatsachen getragen. Ein seriöser Geschäftsführer übernimmt sein Amt außer in Notfällen erst, wenn er 62 sich von den Möglichkeiten seiner Stellung überzeugt hat. Er wird sich die Bücher also nicht erst nach, sondern schon vor Beginn seiner Tätigkeit vorlegen lassen – er sei denn, er kannte die Lage, weil er aus dem Unternehmen stammt, so dass sich das Einarbeitungsargument aber schon deshalb als unbehelflich erweist. Im Amtsantritt trotz Unwissenheit liegt daher zumeist ein Übernahmeverschulden,225 welches die Verurteilung auch eines Unbedarften wegen (auch bei Gebotsirrtum, weil vermeidbar) vorsätzlicher Insolvenzverschleppung gestattet, und wenn nicht, zumindest zur Fahrlässigkeitshaftung führt. Ersterenfalls kann der Drahtzieher als Anstifter der Insolvenzverschleppung auch dann seiner verdienten, regelmäßig höheren als im täterschaftlichen Normalfall üblichen226 Strafe zugeführt werden, wenn das Verfahren gegen den unqualifizierten neuen Geschäftsführer nach § 153 StPO eingestellt wird. Inwieweit Aussagen des Nachfolgers Buchführungsverstöße des Vorgängers belegen oder umgekehrt der Vorgänger die Einlassung des Nachfolgers widerlegen kann, hängt vom Einzelfall ab.

7. Antragsfrist a) Fristbeginn Der Lauf der Frist beginnt objektiv mit Eintritt der Insolvenzreife227 und ist häufig nur 63 sehr schwer zu bestimmen, weil er von Unsicherheiten und Prognosen beeinflusst ist.

_____ Letzteres bezeichnet MüKoGmbHG/Wißmann Rn 63 zu § 84 GmbHG als trotz zunehmender Kritik richtig; iE ebenso Graf-Schlicker/Bremen Rn 14 zu § 15a InsO; wie hier hingegen OLG Düsseldorf, 10.6.2015 – I-25 Wx 18/15, ZInsO 2015, 1578 f; OLG Hamburg, 27.6.2016 – 11 W 30/16, NZG 2016, 1070; sa OLG Dresden, 18.12.2014 – 5 W 1326/14, ZInsO 2015, 702 ff. 224 W/J/Pelz Rn 9/50. 225 Dazu oben Rn 40 und unten Rn 143. 226 Vgl dazu unten Rn 145. 227 Bayer/Schmidt AG 2005, 644 ff; W/J/Beck Rn 8/145 (auch in subjektiver Hinsicht, da erwartet werde, dass der Pflichtige sich ausreichend informiere; ebenso HeiK-InsO/Kleindiek Rn 13 zu § 15a InsO; G/J/W/

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542 | 3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften

Aus diesem Grunde steht den Verantwortlichen ein gewisser Beurteilungsspielraum228 zu. Das bedeutet, dass Insolvenzreife in der Praxis nicht bejaht werden kann, solange ihre Verneinung noch vertretbar ist.229 Die Frist beginnt alternativ mit Eintritt von Zahlungsfähigkeit oder Überschuldung. Für den Fristbeginn ist maßgeblich, welcher dieser beiden Insolvenzauslösetatbestände zuerst verwirklicht wird. Ab diesem Zeitpunkt ist der Geschäftsführer verpflichtet, ohne schuldhaftes Zögern, also unverzüglich, § 121 Abs 1 S 1 BGB, spätestens jedoch nach 3 Wochen, einen eigenen Eröffnungsantrag zu stellen. Unterlässt er dies, so ist die Insolvenzverschleppung spätestens mit Ablauf der 3-Wochen-Frist vollendet, bei fehlender Aussicht auf Sanierung in laufender Frist auch schon zuvor.230 64 Voraussetzung einer Bestrafung ist aber auch das Vorliegen eines subjektiven Moments.231 Das führt iE dazu, dass die Frist für Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt zu unterschiedlichen Zeitpunkten zu laufen beginnt.232 Wegen ihres Charakters als Sanierungsfrist kann ihr Anfang im Hinblick auf das Vorsatzdelikt erst in der tatsächlichen Kenntnisnahme der Insolvenzreife liegen.233 Gläubigerschutzerwägungen stehen dem nicht entgegen, denn der Geschäftsführer ist nur dann straflos, wenn er die bereits zuvor eingetretene Insolvenzreife ohne Sorgfaltsverstoß verkannte. Andernfalls haftet er wegen fahrlässiger Insolvenzverschleppung, weil insoweit die Frist früher beginnt, allerdings ebenfalls nicht notwendig bereits mit objektivem Eintritt der Insolvenzreife, sondern erst mit ihrer Erkennbarkeit.234

_____ Reinhart Rn 114 zu § 15a InsO; M/G/Rinjes Rn 290; MK/Hohmann Rn 77 zu § 15a InsO; wohl auch GrafSchlicker/Bremen Rn 6 zu § 15a InsO); N/R/Mönning Rn 16 zu § 15a InsO; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 42 und 50 vor §§ 82 ff GmbHG; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 205 zu § 84 GmbHG; aA BGHSt 15, 306, 310; BGHZ 75, 96, 110 f: Fristbeginn mit Kenntnisnahme; FK-InsO/Schmerbach Rn 31 zu § 15a InsO; ebenso M Brand oben Rn 8/47; noch anders stellt HambK/Linker Rn 16 zu § 15a InsO auf die Erkennbarkeit eines zum Stellen eines Eröffnungsantrags verpflichtenden Insolvenzgrunds ab. S aber sogleich nachfolgende Rn 64. 228 BGHZ 126, 181, 199; Fischer NZI 2016, 665 ff, 667 f. Demgegenüber spricht Roth, S 224 ff, von „Ermessensspielraum“. Da es aber um die Feststellung eines Sachverhalts geht, ist in Anlehnung an die verwaltungsrechtliche Terminologie der die Rechtsfolgeseite betreffende Begriff des Ermessens fehl am Platze. 229 Roth S 229, 240 ff: Unterschiedliche, aber gleichwohl vertretbare Ergebnisse können sich zB bei der Fortbestehensprognose und beim Wertberichtigungsbedarf ergeben. 230 N/R/Mönning Rn 17 und 18 aE zu § 15a InsO; W/J/Pelz Rn 9/56. 231 Ebenso Uhlenbuck/Hirte Rn 14 zu § 15a InsO, ohne allerdings die hier sogleich gezogene Schlussfolgerung. 232 Dazu MüKoGmbHG/Wißmann Rn 197 und 204 zu § 84 GmbHG mN. 233 N/R/Mönning Rn 18 zu § 15a InsO; Roth S 236 f; aA M-G/Richter Rn 80/42; Ressmann, S 170 f; Scholz/ Tiedemann/Rönnau Rn 50 vor §§ 82 ff GmbHG; Uhlenbruck WiB 1996, 409, 414; ebenso für den Fall mutwilligen sich vor der Wirklichkeit Verschließens BGHSt 15, 306, 310; BGHZ 75, 96, 110f; BGH (Str) NJW 2003, 3787, 3788; v Onciul S 29 f (der sich der Beobachtungspflicht wegen kaum einen anderen Fall vorzustellen vermag); Roth S 236 f; sa Uhlenbruck GmbHR 1999, 313, 320; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 198 aE, 199 zu § 84 GmbHG, wobei Letztgenannter aufgrund der Maßgeblichkeit des Gläubigerschutzes kein Bedürfnis für das Hinausschieben sieht und deswegen auf den objektiven Eintritt der Insolvenzreife abstellt, Rn 205 f. Allerdings setzt die Möglichkeit der Verurteilung wegen Fahrlässigkeit immer erst mit Erkennbarkeit, wegen Vorsatztat systemgerecht erst mit deren Erkennen ein (zuvor bejaht MüKoGmbHG/Wißmann Rn 206 zu § 84 GmbHG § 16 StGB auch für die praxisferne Möglichkeit des verspäteten Erkennens bei gleichzeitiger Annahme, die Insolvenzreife sei nicht schon zuvor eingetreten). Die Differenz beschränkt sich daher praktisch darauf, ob nach Erkennen der objektiv bereits länger als 3 Wochen bestehenden Insolvenzreife noch die Chance legaler außergerichtlicher Sanierung binnen 3 Wochen eingeräumt wird oder nicht. Diesem Bedürfnis will allerdings auch MüKoGmbHG/Wißmann Rn 211 zu § 84 GmbHG, wenngleich nur aus pragmatischen Gründen, Rechnung tragen. 234 M-G/Richter Rn 80/42; aA Böttger/Verjans Rn 4/168 (Kennenmüssen genüge nicht – das allerdings widerspricht dem Wesen des Fahrlässigkeitsdelikts).

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§ 11 Insolvenzverschleppung | 543

b) Fristenlauf Die Vorschrift des § 15a Abs 4 InsO enthält zwei Fristen, deren Verhältnis zueinander auf 65 den ersten Blick unklar erscheint: Wieso sollen trotz Insolvenzreife 3 Wochen zur Verfügung stehen, auch wenn eine schnellere Antragstellung ohne weiteres möglich wäre? Der Sinn dieser Regelung besteht darin, dass der Geschäftsführer keineswegs verpflichtet ist, in jedem Fall ohne schuldhaftes Zögern Insolvenz anzumelden. Ihm soll vielmehr die Chance gewährt werden, die Insolvenzlage der Gesellschaft selbst zu überwinden: Schonfrist zum Zwecke der Sanierung. Dafür hat er allerdings nur höchstens drei Wochen Zeit: Maximalfrist.235 Zu beachten ist dabei jedoch, dass die Starrheit der Frist236 erst einsetzt, wenn wirklich bereits Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit eingetreten ist, beide Tatbestände jedoch von Prognoseelementen mitgeprägt sind und erst vorliegen, wenn die Fortführungsprognose nicht positiv ausfällt237 bzw die Zahlungslücke nicht binnen einer den Gläubigern zumutbaren Wartezeit geschlossen werden kann.238 Diese prognostischen Umstände hängen jedoch sehr wohl vom Stand etwaig bereits vor Eintritt der (rechnerischen) Insolvenzreife in Gang gesetzter Sanierungsbemühungen ab. Das bedeutet, dass der Geschäftsführer zwar im Grundsatz unverzüglich nach Ein- 66 tritt der Insolvenzlage den erforderlichen Antrag zu stellen hat. Er ist davon jedoch, allerdings nur für höchstens 3 Wochen, suspendiert,239 wenn und solange240 objektiv die Möglichkeit und subjektiv der (in freiem Ermessen stehende241) Wille vorhanden sind, die Krise in dieser Zeit durch eigene Maßnahmen zu überwinden Diese Befreiung greift nicht bereits beim Führen irgendwelcher Verhandlungen.242 Erforderlich ist vielmehr, dass sich der Geschäftsführer mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns243 auch tatsächlich um Sanierung bemüht. Dazu gehört ein schlüssiges, den tatsächlichen

_____ 235 BGHSt 15, 306, 311; BGHZ 75, 96, 107 ff; BGH (Str) NJW 2003, 3787, 3788; W/J/Pelz Rn 9/56; Böttger/ Verjans Rn 4/169; HambK/Linker Rn 17 zu § 15a InsO; MK/Hohmann Rn 79 zu § 15a InsO; G/J/W/Reinhart Rn 116 zu § 15a InsO; Poertzgen ZInsO 2008, 944 ff und 1196 ff; Roth S 239 f; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 51 vor §§ 82 ff GmbHG; Uhlenbruck BB 2001, 1641, 1644; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 196 zu § 84 GmbHG. OLG Frankfurt am Main, NZG 1999, 215 f, will auch spätere, aber mit Rückwirkung versehene Entschuldungsmaßnahmen berücksichtigen. Das kann von vorn herein nur für die Überschuldung zutreffen, ist dort aber nicht angebracht: Bestand eine Zusage in ausreichender Höhe, so konnte sie aktiviert und auf diese Weise Überschuldung vermieden werden. Bestand sie hingegen nicht, so handelte es sich um eine bloße Aussicht, die zwar de jure rückwirken, die seinerzeitige (ex-ante) Beurteilung aber gleichwohl nicht mehr verändern kann. OLG Hamburg, 25.6.2010 – 11 U 133/06, NZG 2010, 1225 f, hält eine Verlängerung bei Vorliegen besonderer Umstände für möglich; abl Geißler ZInsO 2013, 167 ff. Der Richtlinienvorschlag der EU, FAZ 24.11.2016, sieht hingegen das Ruhen der Insolvenzantragspflicht während der Verhandlungen über eine Restrukturierung vor; zu dem Entwurf Blankenburg ZInsO 2017, 241 ff; Gravenbrucher Kreis, ZInsO 2017, 203 f; Jacobi ZInsO 2017, 1 ff; Mock NZI 2016, 977 ff, 978 ff; Thole ZIP 2017, 101 ff. 236 Dafür zutr MK/Hohmann Rn 79 zu § 15a InsO. 237 BGHZ 126, 181 ff, 199; Fischer NZI 2016, 665 ff, 668 ff. Näher Rn 122 ff. 238 Dazu unten Rn 92. 239 Haas DStR 2003, 423, 426; v Onciul S 31 und 32; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 51 vor §§ 82 ff GmbHG. 240 Graf-Schlicker/Bremen Rn 7 zu § 15a InsO; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 62 und 196 zu § 84 GmbHG. Nach Fehlschlagen der Sanierungsbemühungen muss sofort Insolvenz angemeldet werden, BGHZ 75, 96, 111 ff; BGH NJW 2003, 3787, 3788; OLG Düsseldorf, NZG 1999, 1066, 1068; FK-InsO/Schmerbach Rn 27 zu § 15a InsO; HeiK-InsO/Kleindiek Rn 12 zu § 15a InsO; M-G/Richter Rn 80/41; Uhlenbuck/Hirte Rn 16 zu § 15a InsO; aA Dannecker/Knierim/Hagemeier/Smok Rn 522; Thilow S 66 ff. 241 MK/Hohmann Rn 79 zu § 15a InsO. 242 BGH, 5.12.2013 – IX ZR 93/11, Rn 14, ZIP 2014, 183 ff. Anders der Richtlinienvorschlag der EU, FAZ 24.11.2016. 243 BGH NJW 1994, 2220, 2224 mN; Obermüller ZInsO 2002, 597 ff; Roth S 238f; zur Sanierung allg vgl unten § 26.

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Gegebenheiten Rechnung tragendes Sanierungskonzept.244 Missrät es gleichwohl, so ist der Geschäftsführer nicht wegen Insolvenzverschleppung strafbar, wenn er den Insolvenzantrag innerhalb der 3-Wochen-Frist unverzüglich245 nach Erkennen des Scheiterns246 stellt.247 Zu beachten ist, dass ein Fremddarlehen nur geeignet ist, die Zahlungsunfähigkeit zu beeinflussen, aufgrund der Rückzahlungsverpflichtung aber die eingetretene Überschuldung nur bei qualifiziertem Rangrücktritt zu beseitigen vermag.248 Versucht der Geschäftsführer hingegen gar nicht erst, Sanierungsmaßnahmen zu ergreifen, zieht sich passiv zurück, baut ein Nachfolgeunternehmen auf, ist bestrebt, die verbliebenen Vermögenswerte für sich zu „retten“ oder „steckt den Kopf in den Sand“, führt also die Geschäfte ohne (ernsthafte) Sanierungsbemühungen wie zuvor fort, dann darf er mit dem Insolvenzantrag gerade nicht noch bis zu drei Wochen nach Eintritt der (erkannten bzw erkennbaren) Insolvenzreife warten. Vielmehr muss er unter den genannten Umständen unverzüglich, also sofort, Insolvenz anmelden.249 Diese Rechtslage ist va bedeutsam für die Fälle der Firmenbestattung.250 Der Geschäftsführer darf die 3-Wochen-Frist auch dann nicht für sich in Anspruch 67 nehmen, wenn er nach ernsthafter Prüfung erkennt, dass eine Sanierung nicht möglich ist,251 oder sie zwar verwirklicht werden kann, dies aber nicht binnen drei Wochen gelingen wird.252 Auch die – vielfach sowieso nur von Wunschdenken getragene, nicht aber realisti68 sche – Hoffnung auf Rettung entbindet den Geschäftsführer nicht von der Einhaltung

_____ 244 BGH, 8.12.2011 – IX ZR 156/09, Rn 11 ff, ZInsO 2012, 171 ff; 21.2.2013 – IX ZR 52/10, Rn 11, ZInsO 2013, 780 ff; 17.12.2015 – IX ZR 61/14, Rn 33, ZIP 2016, 173 ff; OLG Düsseldorf, 25.4.2013 – I-12 U 45/12, Rn 39, ZInsO 2013, 1195 ff; OLG München, 16.12.2014 – 5 U 1297/13, ZInsO 2015, 1848 ff (dazu v Wilcken DB 2015, 2680 ff); LG Hamburg, 10.1.2017 – 303 O 515/15, ZInsO 2017, 218 ff; Groß WPg 2011, S 35 ff; Hillebrand ZInsO 2013, 2356 ff; Jaroschinsky/Werner WPg 2016, 1195 ff; Huber NZI 2015, 489 ff; Steffan ZIP 2016, 1712 ff; Weber ZInsO 2011, 904 ff; sa Budde ZInsO 2010, 2251 ff; Groß ua WPG 2009, 231 ff. Unzureichend: auf fehlende Zusage eines Dritten bauendes Konzept, BGH, 23.2.2004 – II ZR 207/01, Rn 11 f, BB 2004, 1240 ff; KG, 11.4.2014 – 14 U 49/12, ZInsO 2015, 200 ff mAnm Bograkos; ebenso unzureichend im Fall LG Frankfurt/M, 7.5.2015 – 2-32 O 102/13, ZInsO 2015, 1688 ff; dazu auch LG Frankfurt/M, 21.4.2015 – 2-19 O 37/14 (n rkr), NZI 2015, 1022 ff mAnm Riewe – bestätigt von OLG Frankfurt, 19.10.2016 – 19 U 102/15, ZIP 2017, 187 ff; LG Dessau-Roßlau, 24.7.2015 – 2 O 480/14, ZInsO 2015, 2383 ff. Sozialwissenschaftlich belegte Erfolgsfaktoren bei Krystek/Lentz DB 2013, 768 ff. 245 MüKoGmbHG/Wißmann Rn 196 zu § 84 GmbHG, dh iE: sofort. 246 Der Fristenlauf beginnt nicht erst mit dem Scheitern, so dass der Geschäftsführer danach für das Stellen des Eröffnungsantrags keineswegs mehr 3 Wochen Zeit hat. Das kann beim Scheitern eines Sanierungsplans vor Eintritt der Insolvenzreife anders sein, wenn sie nicht mit dem Scheitern eintritt (zB weil dann die Banken Altkredite fällig stellen). 247 OLG Köln NZI 2001, 252, 253 (unter Anfechtungsgesichtspunkten); Goette ZInsO 2001, 529, 534 mwN. 248 Uhlenbuck/Hirte Rn 18 zu § 15a InsO. 249 BGH DStR 2001, 1537, 1538 (in der Bearbeitung von Goette); HambK/Linker Rn 17 zu § 15a InsO; HeiKInsO/Kleindiek Rn 12 zu § 15a InsO; MK/Hohmann Rn 80 zu § 15a InsO; Uhlenbuck/Hirte Rn 16 zu § 15a InsO; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 52 vor §§ 82 ff GmbHG (mit dem interessanten Hinweis, dass die Sichtweise als Sanierungsfrist dem historischen Gesetzgeber in der Interpretation des RG fremd war und die Frist allein dazu dienen sollte, den zulässigen Insolvenzantrag vorzubereiten; Sympathie, dies auf das geltende Recht zu übertragen bei MüKoGmbHG/Wißmann Rn 196 zu § 84 GmbHG). 250 Vgl dazu unten § 30. 251 BGH, 14.6.2012 – IX ZR 145/11, Rn 40, BGHZ 193, 297 ff; 24.1.2012 – II ZR 119/10, ZIP 2012, 723 ff; 6.6.2013 – IX ZR 204/12, Rn 16, NJW 2013, 2345 ff; v Onciul S 31; Uhlenbuck/Hirte Rn 16 zu § 15a InsO; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 196 und 238 zu § 84 GmbHG. 252 KG NZG 2000, 1228, 1231f; OLG Brandenburg NZG 2001, 766, 767 (beide zu § 99 GenG); FK-InsO/ Schmerbach Rn 27 zu § 15a InsO; v Onciul S 31 und 32; Uhlenbuck/Hirte Rn 16 zu § 15a InsO; MüKoGmbHG/ Wißmann Rn 196 zu § 84 GmbHG.

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der 3-Wochen-Frist.253 Erweist sie sich allerdings ausnahmsweise doch als begründet und gelingt die Sanierung verspätet, so wird dies zwar regelmäßig keine strafrechtlichen Folgen haben. Das gründet aber nur auf dem faktischen Umstand, dass dann üblicherweise kein Staatsanwalt etwas von der zwischenzeitlichen Insolvenzlage und der damit verbundenen Straftat erfährt. Das Vertrauen auf die „Rettung“, auch wenn es sich nachträglich als berechtigt erwiesen hat, stellt demgegenüber jedoch de jure keine Rechtfertigung für das Unterlassen der Insolvenzanmeldung dar. Erfährt die Strafjustiz davon, dann hängt die angemessene Rechtsfolge von den konkreten Gründen der erfolgreichen Sanierung ab. Gelang sie aufgrund eigenen Bemühens und auf eigenes Risiko, so liegt die Einstellung des Verfahrens gem § 153 Abs 1 StPO nahe. Da das Vertrauen auf die Überwindung der Krise jedoch nur innerhalb der Grenzen des § 15a Abs 1 InsO rechtlich geschützt ist, handelt der Geschäftsführer mit fruchtlosem Verstreichenlassen der Frist sowohl zivil- als auch strafrechtlich auf eigenes Risiko: Missrät die Überwindung der Krise, so liegt der Tatbestand der Insolvenzverschleppung mit allen Haftungsfolgen vor, ohne dass es darauf ankäme, ob den Geschäftsführer am mangelnden Sanierungserfolg ein Verschulden trifft oder nicht. Aber auch bei nachträglich erfolgreicher Sanierung kann die strafrechtliche Ahndung geboten sein, zB wenn sie nur auf Kosten öffentlicher Kassen gelang oder gar auf das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung und damit auf Zufuhr von Steuermitteln spekuliert wurde. Dies kann sowohl bei einem lokal bedeutsamen, als AG organisierten Sportverein (oder einer den Verein unterstützenden zB Marketing-GmbH) so sein als auch bei einem Unternehmen, das „to big to fail“ ist, falls entspr Informationen die Staatsanwaltschaft erreichen sollten. In Evidenzfällen können die genauen Verhältnisse innerhalb der maßgeblichen 69 3 Wochen ausgeblendet werden. Auch sonst kommt es auf sie in der forensischen Praxis nur höchst selten an, weil bei in Rede stehender nur kurzfristiger Verspätung das Verschulden meist so gemindert ist, dass die Staatsanwaltschaft eine Einstellung gemäß § 153 Abs 1 (oder § 154 Abs 1) StPO verfügen kann. Die strafrechtliche Praxis beschäftigen also Fälle kurzfristiger Überschreitung der Anmeldefrist entweder gar nicht oder aufgrund Einstellung nach §§ 153 Abs 1 oder 154 Abs 1 StPO nicht lange. Charakteristisch sind vielmehr Sachverhalte evidenter Fristverletzung.254 Ihre Dauer ist nicht für die Erfüllung des Tatbestands, sondern allein für die Strafzumessung relevant. Der genaue Zeitpunkt der Tatvollendung kann deshalb häufig offenbleiben: Lässt sich eine Verspätung von mindestens zB 6 Monaten nachweisen, so kann es in den allermeisten Fällen dahinstehen, ob die Frist nicht vielleicht gar um weitere 3 oder auch 6 Monate überschritten wurde. Die Verhältnisse aus der Zeit 9 oder 12 Monate vor Stellung des Eigenantrags oder Eröffnung aufgrund Gläubigerantrags als den Zeitpunkten der Tatbeendigung,255 können dann bei Beschränkung der Strafverfolgung gemäß § 154a Abs 1 StPO auf die letzten 6 Monate auf sich beruhen.

8. Insolvenzauslösetatbestände Die Insolvenzauslösetatbestände sind in §§ 17–19 InsO legaldefiniert.256 Die Antwort 70 auf die Frage, ob das insolvenzstrafrechtliche Verständnis mit dem insolvenzrechtlichen

_____ 253 254 255 256

W/J/Pelz Rn 9/56. Dannecker/Knierim/Hagemeier Rn 62. Vgl zum Zeitpunkt der Beendigung oben Rn 19. Zum Verständnis oben Rn 8/5 ff bzw 8/22 ff.

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übereinstimmt, fällt zwar nach wie vor unterschiedlich aus. Die Gerichte, auch Zivil- und Strafsenate des BGH, thematisieren zudem nicht immer Abweichungen voneinander. Gleichwohl hat sich eine recht breite hM herausgebildet, welche im Kern eine einheitliche Auslegung befürwortet, dabei aber strafrechtlichen Grundsätzen modifizierend Rechnung trägt, dies freilich in unterschiedlichem Maße und Korrekturen zT rein prozessual vornimmt.257 Die Insolvenzauslösetatbestände der Zahlungsunfähigkeit, § 17 InsO, der drohen71 den Zahlungsunfähigkeit, § 18 InsO, und der Überschuldung, § 19 InsO, stehen selbständig nebeneinander.258 Sie unterliegen unterschiedlichen Voraussetzungen, die sich wie folgt systematisieren lassen: Allg Insolvenzgrund für jedes insolvenzfähige Rechtssubjekt, § 11 InsO, ist die eingetretene Zahlungsunfähigkeit. Sie droht, wenn der Schuldner voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit zu erfüllen. Zur Feststellung bedarf es einer Prognose. Diese ist auf den Zeitraum von maximal einem Jahr zu erstrecken.259 Drohende und eingetretene Zahlungsunfähigkeit schließen einander aus, können folglich nur alternativ vorliegen. Eine Funktion der Überschuldung besteht in ihrer gesetzlichen Prognose zukünftiger Zahlungsunfähigkeit.260 Gleichwohl kann sie nicht nur vor, also zB während drohender, sondern auch neben eingetretener Zahlungsunfähigkeit bestehen. Von drohender Zahlungsunfähigkeit unterscheidet sie sich sowohl in der Art ihrer Feststellung als auch in der Prognosedauer. Sie erstreckt sich auf die Zeit bis zum übernächsten Bilanzstichtag, also auf maximal 2 Jahre.261 Zudem zielt die Überschuldung – trotz ihres auf die Zukunft vorausschauenden Elements der Fortführungsprognose – auf die Feststellung nur der gegenwärtigen Verhältnisse. Ein zahlungsunfähiger Schuldner ist nicht überschuldet, wenn sein Vermögen (= seine Aktiva) seine Verbindlichkeiten (= seine Passiva) übersteigen, er seine vorhandenen Sachwerte aber nicht in angemessener Zeit zu Geld zu machen in der Lage ist. Trotz Überschuldung fehlt es hingegen an der Zahlungsunfähigkeit, wenn der Schuldner ausreichend Kredit erhält, um seine Verbindlichkeiten zu erfüllen.

a) Zahlungsunfähigkeit 72 Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, seine fälligen

(Geld-262)Zahlungspflichten zu erfüllen, § 17 Abs 2 S 1 InsO.263 Sie ist in der Regel anzu-

_____ 257 ZB M/R/Altenhain Rn 7 zu § 283 StGB; W/J/Beck Rn 8/111-113 („funktionelle Akzessorietät“), 126-128; MAH/Böttger Rn 19/110-112; Böttger/Verjans Rn 14; M/G/Rinjes Rn 22; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 42 vor §§ 82 ff GmbHG; für ein rein zivilrechtsakzessorisches Verständnis M-G/Richter Rn 75/52 f; MK/Hohmann Rn 26 zu § 15a InsO; S/S/Heine/Schuster Rn 50a und 52 zu § 283 StGB; Weyand/Diversy, Rn 144; W/J/Pelz Rn 9/16; S/S/W/Bosch Rn 9 vor §§ 283 ff StGB; verbal auch MAH/Leipold Rn 19/46; LK/Tiedemann Rn 126 vor § 283 StGB (einschr. für die Überschuldung, Rn 149); für ein weitgehend strafrechtsautonomes Verständnis Dannecker/Knierim/Hagemeier Rn 55 ff, 62, 65 ff, 71 ff, 87 ff und 163 ff; sa MüKoGmbHG/Wißmann Rn 37 und 128 zu § 84 GmbHG. 258 Harz/Bornmann/Conrad/Ecker NZI 2015, 737 ff; aA Penzlin, S 113 ff, der drohende Zahlungsunfähigkeit mit Überschuldung gleichsetzt. 259 Bittmann wistra 1998, 321, 325. 260 Jauernig § 54 II 5. 261 Bittmann wistra 1998, 321, 325; 1999, 11, 14. 262 Vgl unten Rn 88. 263 Überblick W/J/Beck Rn 8/103 ff; ausführlich aus der Sicht des Zivilrechts Scholz/Bitter Rn 6 ff vor § 64 GmbHG. Zum IDW-Standard vom 8.4.2015 Steffan/Solmecke WPg 2015, 429 ff; dies ZInsO 2015, 1365 ff; Za-

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nehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat, § 17 Abs 2 S 2 InsO. Diese Vermutungswirkung hat strafrechtlich allerdings keine Bedeutung.264 Die Zivilrspr löst aber mit ihr die meisten einschlägigen Fälle265 und nimmt Zahlungsunfähigkeit ab dem Zeitpunkt an, zu dem die älteste bei Insolvenzeröffnung noch unbeglichene Verbindlichkeit fällig wurde. Bejahte Zahlungseinstellung macht danach die Feststellung einer quotalen Deckungslücke entbehrlich.266 Diese Rspr ist weder insoweit267 noch im übrigen auf das Strafrecht übertragbar. Gleichwohl enthalten einschlägige zivilrechtliche Judikate meist auch wertvolle, für das Strafrecht bedeutsame Hinweise.

aa) Zahlungseinstellung Zahlungseinstellung war unter Geltung der KO die nach außen in Erscheinung tretende 73 Manifestation der Zahlungsunfähigkeit.268 Geblieben ist ihr Charakter als nach außen erkennbarer Realakt.269 Die InsO hat aber zu einem in zweierlei Hinsicht anderen Begriffsinhalt geführt. § 17 Abs 2 S 2 InsO enthält lediglich die Vermutung der Zahlungsunfähigkeit. Das 74 bedeutet, dass die Zahlungseinstellung der Zahlungsunfähigkeit auch vorausgehen und auf anderen Gründen als dem Mangel liquider Mittel beruhen kann,270 nämlich auf Zahlungsunwilligkeit anstatt auf Zahlungsunfähigkeit. Für das strafrechtliche Tatbestandsmerkmal der Zahlungsunfähigkeit (sowohl in § 15a InsO als auch in den §§ 283 – 283d StGB) hat die Zahlungseinstellung deshalb ihre Bedeutung verloren. Behalten hat sie ihre Funktion allerdings als Strafbarkeitsbedingung zB in § 283 Abs 6 StGB. Dort ist sie rein zivilrechtlich zu verstehen, also strafrechtlich auch dann zu bejahen, wenn ihr Eintritt auf Zahlungsunwilligkeit zurückzuführen ist.271 Dem II.272 und dem IX. Zivilsenat

_____ bel/Pütz ZIP 2015, 912, 914–918; zu dessen Entwurf Weber/Küting/Eichenlaub GmbHR 2014, 1009 ff; zuvor bereits Frystatzki NZI 2010, 389 ff. 264 AllgM, zB Ressmann S 153; zum Thema generalisierend Puschke FS Schünemann S 647 ff; immerhin einen Indizcharakter bejahend MüKoGmbHG/Wißmann Rn 148b zu § 84 GmbHG. 265 ZB BGH, 8.1.2015 – IX ZR 203/12, Rn 13 ff, insbes 16, ZInsO 2015, 396 ff; 7.5.2015 – IX ZR 95/14, Rn 12 f, ZinsO 2015, 1262 ff; 24.3.2016 – IX ZR 242/13, Rn 7, ZIP 2016, 874 ff; 14.7.2016 – IX ZR 188/15, Rn 14, ZInsO 2016, 1749 ff. 266 BGH, 12.2.2015 – IX ZR 180/12, Rn 18, ZIP 2015, 585 ff; 17.12.2015 – IX ZR 61/14, Rn 18, ZIP 2016, 173 ff; 14.7.2016 – IX ZR 188/15, Rn 14, ZInsO 2016, 1749 ff; 17.11.2016 – IX ZR 65/15, Rn 17 f, ZInsO 2016, 2474 ff. 267 BGH, 21.8.2013 – 1 StR 665/12, Rn 17 f, wistra 2014, 28 ff; zust MüKoGmbHG/Wißmann Rn 148a zu § 84 GmbHG. 268 S Voraufl, Rn 11/55 mN in Fn 123. 269 StRspr, BGH, 8.1.2015 – IX ZR 203/12, Rn 15, ZInsO 2015, 396 ff; 12.2.2015 – IX ZR 180/12, ZIP 2015, 585 ff; BGH, 26.1.2016 – II ZR 394/13, Rn 14, ZInsO 2016, 1118 ff; 24.3.2016 – IX ZR 242/13, Rn 7, ZIP 2016, 874 ff; Bork/Hölzle/Bittmann Rn 24/52 mwN in Fn 43; M-G/Richter Rn 78/33; S/S/W/Bosch Rn 16 vor §§ 283 ff StGB; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 148 zu § 84 GmbHG. 270 Harz ZInsO 2001, 193, 195; v Onciul S 103f; M/G/Rinjes Rn 34; NK/Kindhäuser Rn 104 vor §§ 283 ff StGB; Röhm S 207ff; Fischer Rn 13 vor § 283 StGB; Weyand/Diversy Rn 57; aA Neuhof FS Beck, S 355 ff, 360. Strafrechtlich reduzieren Penzlin, S 177, und LK/Tiedemann Rn 144 vor § 283 StGB (anders aber Rn 125) den Begriff auf die Fälle, in denen außerdem Zahlungsunfähigkeit vorliegt; ebenso zivilrechtlich oben § 7 Rn 21 (evtl aber wie hier Rn 20). Dannecker/Knierim/Hagemeier Rn 66; M/G/Rinjes Rn 34; und LK/Tiedemann Rn 145 vor § 283 StGB weisen auf die Notwendigkeit hin, auch die Zahlungseinstellung zur Zahlungsstockung abzugrenzen. 271 AA Ressmann S 154. 272 BGH, 26.1.2016 – II ZR 394/13, Rn 14; ZInsO 2016, 1118 ff.

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zufolge kann ein einziges Beweisanzeichen genügen,273 im übrigen kommt es auf eine Gesamtschau an.274 Zahlungseinstellung kann danach bereits dann vorliegen, wenn der Schuldner eine einzige, dafür aber einen wesentlichen Teil seiner Gesamtverbindlichkeiten ausmachende Gläubigerforderung nicht begleicht.275 Die vereinzelte Erfüllung selbst größerer Verbindlichkeiten steht ebenfalls nicht zwingend entgegen,276 schon gar nicht die bloße (Teil-)Zahlung der jeweils drängendsten Verbindlichkeiten277 oder die verspätete Erfüllung zugesagter Raten.278 Jedoch erlaubt weder die Nichtzahlung allein279 noch die sich im Rahmen der Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs haltende Erklärung, eine fällige Verbindlichkeit nicht auf einmal zahlen zu können, den zwingenden Schluss auf die Einstellung der Zahlungen,280 wohl aber die Aussicht, aufgelaufene Rückstände (noch dazu im Falle eines bloß erhofften Liquiditätszuflusses) nur in (20) Monatsraten abtragen zu können,281 ebenso die Vereinbarung, frühere Verbindlichkeiten erst bei Neubestellung erfüllen zu müssen282 bzw die Erklärung, nicht zahlen zu können.283 Die einmal eingetretene Zahlungseinstellung dauert fort, bis der Schuldner seine Zahlungen allgemein, dh nicht nur gegenüber einem oder einigen, sondern gegenüber allen Gläubiger(n) wiederaufgenommen hat.284 75 Auch die zweite Änderung im Begriffsverständnis hat insolvenzstrafrechtlich nur für die Strafbarkeitsbedingung bei §§ 283–283d StGB Bedeutung. Während die Rspr zur KO und zur GesO Zahlungseinstellung dann bejahte, wenn der Schuldner Verbindlichkeiten nicht binnen Monatsfrist nach Fälligkeit erfüllte,285 kann es darauf unter Geltung der InsO nicht mehr ankommen. Zumindest bedarf es nunmehr einer Anpassung an die bereits nach regelmäßig 3 Wochen eintretende Zahlungsunfähigkeit.286 Die Zahlungen sind daher spätestens dann eingestellt, wenn Verbindlichkeiten binnen der auch für die Zahlungsunfähigkeit maßgeblichen Frist (= 3 Wochen) unbeglichen bleiben. Begriff-

_____ 273 BGH, 30.4.2015 – IX ZR 149/14, Rn 9, ZinsO 2015, 1441 ff; 7.5.2015 – IX ZR 95/14, Rn 12 f, ZinsO 2015, 1262 ff; 17.12.2015 – IX ZR 61/14, Rn 18, ZIP 2016, 173 ff; 24.3.2016 – IX ZR 242/13, Rn 7, ZIP 2016, 874 ff; 14.7.2016 – IX ZR 188/15, Rn 14, ZInsO 2016, 1749 ff; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 148 zu § 84 GmbHG. 274 BGH, 7.5.2013 – IX ZR 113/10, Rn 17 f, ZInsO 2013, 1419 ff; 21.1.2016 – IX ZR 32/14, Rn 12 und 17, ZInsO 2016, 507 ff; 24.3.2016 – IX ZR 242/13, Rn 7, ZIP 2016, 874 ff; 14.7.2016 – IX ZR 188/15, Rn 14, ZInsO 2016, 1749 ff; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 148 zu § 84 GmbHG; sa Neuhof FS Beck, S 355 ff, 362 ff. 275 StRspr, BGH, 19.11.2013 – II ZR 229/11, Rn 21, ZInsO 2014, 197 ff; BGH, 26.1.2016 – II ZR 394/13, Rn 14, ZInsO 2016, 1118 ff; 17.11.2016 – IX ZR 65/15, Rn 19, ZInsO 2016, 2474 ff; OLG Celle, 1.12.2016 – 16 U 127/16, ZInsO 2017, 278 ff; Bork/Hölzle/Bittmann Rn 24/52 mwN in Fn 44. 276 StRspr, zB BGH 26.1.2016 – II ZR 394/13, Rn 14, ZInsO 2016, 1118 ff; 17.11.2016 – IX ZR 65/15, Rn 19, ZInsO 2016, 2474 ff. Eindrucksvoll ist der Sachverhalt der Entscheidung BGH ZIP 2003, 488, 491 f: Trotz gerade gezahlter 4,8 Mio DM und zu erwartender Zahlungseingänge von 7,8 Mio DM bejahte der BGH angesichts auch dann noch ungedeckter Verbindlichkeiten von mindestens 10 Mio DM Zahlungseinstellung wie Zahlungsunfähigkeit. 277 BGH, Urt v 21.1.2016 – IX ZR 32/14, Rn 12–19, ZInsO 2016, 507 ff; 17.11.2016 – IX ZR 65/15, Rn 19, ZInsO 2016, 2474 ff. 278 BGH, 9.6.2016 – IX ZR 174/15, Rn 21, 23 und 27, ZIP 2016, 1348 ff. 279 BGH, 30.4.2015 – IX ZR 149/14, Rn 10, ZinsO 2015, 1441 ff. 280 BGH, 16.4.2015 – IX ZR 6/14, Rn 3 f, ZInsO 2015, 898; 30.4.2015 – IX ZR 149/14, Rn 10, ZinsO 2015, 1441 ff; 14.7.2016 – IX ZR 188/15, Rn 15 ff, ZInsO 2016, 1749 ff. 281 BGH, 16.6.2016 – IX ZR 23/15, Rn 18, ZIP 2016, 1388 ff. 282 BGH, 17.11.2016 – IX ZR 65/15, Rn 2, 23 f, 29 und 32, ZInsO 2016, 2474 ff. 283 OLG Dresden, 25.2.2002 – 13 W 27/02, Rn 4, InVo 2002, 366 f; Neuhof FS Beck, S 355 ff, 363 mN. 284 StRspr, zB 24.3.2016 – IX ZR 242/13, Rn 11, ZIP 2016, 874 ff; 17.11.2016 – IX ZR 65/15, Rn 25, ZInsO 2016, 2474 ff; zust. W/J/Beck Rn 8/107 aE; sa BGH, 18.12.2014 – IX ZB 34/14, Rn 10 ff, ZInsO 2015, 301 ff. 285 BGH NJW 2002, 1574, 1576; 512, 514; 515, 517; 1999, 645, 646; ZIP 2003, 488, 491f. 286 Vgl dazu unten Rn 78 ff.

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lich konstituierend ist das aber nicht. Vielmehr liegt Zahlungseinstellung ohne jegliche ihre Wirkungen aufschiebende Frist vor, wenn sie von anderen tatsächlichen Umständen belegt wird (zB Kundgabe, etwa im Wege der Schließung des Ladenlokals, oder Einstellung sämtlicher geschäftlicher Aktivitäten). Es handelt sich bei den genannten 3 Wochen daher lediglich um eines von mehreren alternativ möglichen Beweisanzeichen.

bb) Verständnis des Begriffs der Zahlungsunfähigkeit IGs zur früheren Rechtslage verzichtet die Legaldefinition der Zahlungsunfähigkeit in 76 § 17 Abs 2 S 1 InsO auf die Merkmale der „Wesentlichkeit“ und der „Dauer“ der unbeglichenen Verbindlichkeiten und stellt zudem auf die Fälligkeit und nicht mehr darauf ab, ob eine Forderung vom Gläubiger ernsthaft eingefordert wurde.287 Letzteres führte allerdings zu keiner (nennenswerten) Änderung der Praxis, weil die Rspr seit jeher eine einmalige Zahlungsaufforderung wie sie im Ausstellen einer Rechnung liegt, genügen ließ.288 Vom Erfordernis des ernsthaften Einforderns hat der IX. Zivilsenat (i Ggs zum 1. Strafsenat289) auch unter Geltung der InsO nicht gelassen.290 Es wirkt sich zugunsten des Schuldners aus, wenn und weil auf diese Weise die Konsequenz einer zivilrechtlichen Stundung, nämlich die Beseitigung der bereits eingetretenen Fälligkeit mittels ihres nachträglichen Hinausschiebens, auch insolvenzrechtlich anerkannt wird.291 Das gilt schon deshalb auch mit Wirkung für das Strafrecht,292 weil es aus Gründen der Normenhierarchie keine strengeren Anforderungen als das Zivilrecht stellen darf. Schwierig kann die Feststellung einer stillschweigenden oder konkludenten (auch genannt: tatsächlichen293) Stundung sein. Sie mag bei längerem Stillhalten des Gläubigers zu bejahen sein. Allerdings ist Zurückhaltung geboten,294 um den verständnisvollen Gläubiger

_____ 287 So noch für einen Fall unter Geltung der KO BGH StV 2000, 487, 489 mN. Vgl zu den Änderungen aufgrund der Ablösung der KO (und der GesO) durch die InsO im einzelnen Bittmann wistra 1998, 321 ff. 288 N in Voraufl, Rn 11/57 m Fn 131; ferner BGH 19.7.2007 – IX ZB 36/07, Rn 19, BGHZ 173, 286 ff; 14.5.2009 – IX ZR 63/08, Rn 22, BGHZ 181, 132 ff; 6.12.2012 – IX ZR 3/12, Rn 26, NJW 2013, 940 ff. Die Fälligkeit bleibt erhalten, wenn zwar die Vollstreckung einstweilen gegen Sicherheitsleistung eingestellt, diese aber nicht erbracht wurde, BGH, 14.1.2010 – IX ZB 177/09, Rn 6 f, NZI 2010, 225 f; Steuern werden mit Aussetzung der Vollziehung nicht mehr ernsthaft eingefordert, BGH, 22.5.2014 – IX ZR 95/13, Rn 11 ff, ZIP 2014, 1289 ff. Der schlichte Nachrang einer Verbindlichkeit nimmt ihr nicht die Fälligkeit (Fall PROKON: Genusscheine), Bitter/Rauhut ZIP 2014, 1005 ff gegen Bork ZIP 2014, 997 ff; verallgemeinert Bitter ZIP 2015, 345 ff; zur Untreuerelevanz s unten § 16 Rn 137. 289 BGH, 23.5.2007 – 1 StR 88/07, wistra 2007, 312; 21.8.2013 – 1 StR 665/12, Rn 13, auch 21 ff, wistra 2014, 28 ff. 290 BGH, 19.7.2007 – IX ZB 36/07, Rn 17 f, BGHZ 173, 286 ff (dazu Schröder EWIR 2007, 665 f); 14.5.2009 – IX ZR 63/08, Rn 22, BGHZ 181, 132 ff (dazu Schulz ZIP 2009, 2281 ff); 14.7.2011 – IX ZB 57/11, ZInsO 2011, 1742 f; 6.12.2012 – IX ZR 3/12, Rn 26 und 29, NJW 2013, 940 ff; 26.2.2013 – II ZR 54/12, Rn 12 mN, GmbHR 2013, 482 ff; zust Graf-Schlicker/Bremen Rn 8 f zu § 17 InsO; M-G/Richter Rn 78/23; W/J/Beck Rn 8/108; abl S/S/W/Bosch Rn 11 und 13 vor §§ 283 ff StGB; sa Erdmann NZI 2007, 695 ff; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 130 und 132 zu § 84 GmbHG. Lt AG Itzehoe, 1.5.2014 – 28 IE 1/14, ZInsO 2014, 1106 ff, reicht ein Rangrücktritt nicht aus, um die Fälligkeit zu beseitigen, vielmehr sei eine ausdrückliche oder konkludente Stundung zusätzlich erforderlich, zw. 291 BGH, 20.12.2007 – IX ZR 93/06, Rn 26, ZIP 2008, 420 ff; 19.7.2007 – IX ZB 36/07, Rn 19, BGHZ 173, 286 ff; bloße Duldung der Kontoüberziehung ist aber keine Stundung, BGH, 25.1.2001 – IX ZR 6/00, Rn 23, NJW 2001, 1650, 1651; 5.12.2013 – IX ZR 93/11, Rn 14, ZIP 2014, 183 ff; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 122 zu § 84 GmbHG. 292 Bittmann ZWH 2015, 373 ff, 376. 293 BGH, 24.3.2016 – IX ZR 242/13, Rn 10, ZIP 2016, 874 ff; 17.11.2016 – IX ZR 65/15, Rn 29, ZInsO 2016, 2474 ff. 294 BGH, 14.2.2008 – IX ZR 38/04, Rn 22, ZIP 2008, 706 ff.

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nicht zu benachteiligen. Die einmal eingetretene Fälligkeit wird deshalb nur bei Vorliegen eines actus contrarius wieder beseitigt.295 Ein solcher wird jenseits ausdrücklicher Erklärungen wohl nur bei entspr, zumindest unter den Beteiligten feststellbarer Verkehrssitte bejaht werden können. Denkbar ist das zB bei familiären Beziehungen, langjährigen wirtschaftlichen Kontakten oder fortgesetzten Geschäften, insbes bei Verflechtungen mit gegenseitigen Auf- oder Verrechnungsmöglichkeiten. Nicht genügend ist ferner eine sog erzwungene Stundung,296 wenn zB der Gläubiger seinen Anspruch nur aufgrund von Aussichtslosigkeit nicht mehr weiterverfolgt,297 ebensowenig eine Stundung nach Einstellung der Zahlungen.298 Der Wortlaut des § 17 Abs 2 S 1 InsO legt es im Einklang mit den Intentionen des Ge77 setzgebers nahe, dass es auf Dauer und Höhe der offenen Verbindlichkeiten nicht mehr ankommt. Davon kann jedoch in derartiger Strenge keine Rede sein. Am Tag nach mangelnder Begleichung einer (großen wie kleinen) Verbindlichkeit liegt lediglich eine Zahlungsstockung299 vor. Zahlungsunfähigkeit besteht demgemäß nach wie vor in, allerdings modifizierter Zeitraumilliquidität.300 Nachdem die im Insolvenzrecht hM zunächst nur eine geringe Toleranzbreite von 78 5–10% der Verbindlichkeiten befürwortete, die zudem nicht länger als 2–3 Wochen offenbleiben durften,301 und sich der BGH302 beiläufig für eine Frist von 4 Wochen ausgesprochen hatte, sorgte die Grundsatzentscheidung vom 24.5.2005303 für Klarheit. Seitdem

_____ 295 OLG Köln NZI 2001, 252, 253 (Stillhalten über 7 Wochen keine Stundung); Bittmann wistra 1998, 321, 322. MK/Hohmann Rn 31 zu § 15a InsO, Burger, DB 1992, 2149, 2151, und Burger/Schellberg, KTS 1995, 563, 568 f, und G/J/W/Reinhart Rn 60 zu § 15a InsO, anerkennen nur ausdrückliche Stundungen; großzügiger M-G/Richter Rn 78/24 (ausreichend Berechnung vertraglichen statt Verzugszinses); sa MüKoGmbHG/Wißmann Rn 130 und 132 zu § 84 GmbHG. 296 BGH, 14.2.2008 – IX ZR 38/04, Rn 22 f, ZIP 2008, 706 ff; 6.12.2012 – IX ZR 3/12, Rn 34, NJW 2013, 940 ff; 26.1.2016 – II ZR 394/13, Rn 14, ZInsO 2016, 1118 ff; 24.3.2016 – IX ZR 242/13, Rn 10, ZIP 2016, 874 ff; 17.11.2016 – IX ZR 65/15, Rn 29, ZInsO 2016, 2474 ff; Bremen EWiR 2013, 175; Hoops ZWH 2013, 161 ff; Gero Fischer, FS Ganter, S. 153, 156; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 133 zu § 84 GmbHG. 297 BGH, 14.2.2008 – IX ZR 38/04, Rn 22, ZIP 2008, 706 ff; W/J/Beck Rn 8/109. 298 BGH, 24.3.2016 – IX ZR 242/13, Rn 11, ZIP 2016, 874 ff; 17.11.2016 – IX ZR 65/15, Rn 29, ZInsO 2016, 2474 ff. 299 BGH, 21.8.2013 – 1 StR 665/12, Rn 13, wistra 2014, 28 ff; M-G/Richter Rn 78/11 und 13; sa GrafSchlicker/Bremen Rn 12 f zu § 17 InsO; MK/Hohmann Rn 35 zu § 15a InsO; Kamm/Köchling ZInsO 2006, 732 ff; G/J/W/Reinhart Rn 64 f zu § 15a InsO. 300 StRspr auch schon vor, erst recht seit BGH, 24.5.2005 – IX ZR 123/04, BGHZ 163, 134 ff; Bittmann wistra 1998, 321, 323 f mN; Harz ZInsO 2001, 193; Röhm S 108 ff; LK/Tiedemann Rn 145 vor § 283 StGB; NK/Kindhäuser Rn 98 vor § 283 StGB; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 43 vor §§ 82 ff GmbHG; MüKoGmbHG/ Wißmann Rn 125, auch 134 zu § 84 GmbHG; aA Bieneck StV 1999, 43, 44; Huntemann/Graf Brockdorff Rn 2/28; MAH/Leipold Rn 19/79; Moosmayer S 155ff; Reck Rn 90; ders GmbHR 1999, 276, 269; Ressmann S 65, 69 und 163; Uhlenbuck/Hirte Rn 16 zu § 15a InsO; der Sache nach auch Fischer Rn 9a vor § 283 StGB. W/J/Beck, Rn 6/72 und 78, nimmt eine der Zeitpunktilliquidität angenäherte Zeitraumilliquidität an. 301 S Voraufl, Rn 11/58 mN in Fn 134; noch immer Fischer Rn 9a vor § 283 StGB; MK/Hohmann Rn 29 zu § 15a InsO. Himmelsbach/Thonfeld NZI 2001, 11 ff weisen für den Fall eines zu engen Begriffs der Zahlungsunfähigkeit nicht nur auf Systembrüche mit anderen gesetzlichen Bestimmungen hin, sondern auch auf wirtschaftlich negative Folgen für Gläubiger; v Onciul S 100 hebt zutr hervor, dass die Frist, binnen derer die Deckungslücke geschlossen werden muss, nicht verwechselt werden darf mit der sich erst nach Bejahung der Zahlungsunfähigkeit anschließenden weiteren Frist von nochmals maximal 3 Wochen, binnen derer Insolvenzantrag zu stellen ist. 302 BGH ZIP 2003, 410, 411. 303 BGH, 24.5.2005 – IX ZR 123/04, BGHZ 163, 134 ff; ferner 12.10.2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222 ff; 19.7.2007 – IX ZB 36/07, BGHZ 173, 286 ff; 9.10.2012 – II ZR 298/11, Rn 8, BGHZ 195, 42 ff; 28.5.2013 – II ZR 83/12, Rn 18, ZIP 2013, 1718 ff; 26.1.2016 – II ZR 394/13, Rn 31, ZInsO 2016, 1118 ff; 17.11.2016 – IX ZR 65/15, Rn 17, ZInsO 2016, 2474 ff; Gero Fischer, FS Ganter, S 153 ff; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 134 ff zu § 84

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gilt insolvenzrechtlich folgendes flexible, den wirtschaftlichen Gegebenheiten Rechnung tragende Verständnis: Im Grundsatz folgt Zahlungsunfähigkeit aus der Tatsache, dass fällige und ernst- 79 haft eingeforderte Verbindlichkeiten in einer Quote von mindestens 10% aller fälligen Verbindlichkeiten über 3 Wochen unbeglichen blieben. Von diesen starren Grenzen ist jedoch in Anhängigkeit von den übrigen wirtschaftlichen Gegebenheiten abzuweichen. Eine geringere Quote genügt dann, wenn ersichtlich ist, dass die komplette De- 80 ckungsfähigkeit nicht mehr erreicht werden kann. Diese Ausnahme spielt in der strafrechtlichen Praxis innerhalb der 3-Wochen Grenze faktisch keine Rolle. Ist sie tatsächlich einmal mit einem solchen anstatt einem Evidenzfall beschäftigt, so gebietet die geringe Schuld eine Einstellung regelmäßig gemäß § 153 StPO. Anders verhält es sich jenseits der 3-Wochen-Grenze, weil keine bloß vorübergehende Zahlungsstockung vorliegt, wenn es dem Schuldner über mehrere Monate hinweg nicht gelingt, seine fälligen Verbindlichkeiten spätestens innerhalb von 3 Wochen auszugleichen und die Liquiditätslücke insgesamt nicht lediglich geringfügig ist.304 Eine genaue zeitliche Grenze nennt der BGH hier nicht.305 Es ist jedoch anzunehmen, dass es sich um höchstens 3 Monate handeln darf306 und zwar iS einer Gesamtdauer, so dass die Zeit nicht nur ganz geringfügiger Deckungslücken vor Erreichen der 10%-Grenze als auch nach deren Überschreitung (und damit Auslösung der 3-Wochen-Frist) mitzählen. Hat sich binnen der 3 Wochen des § 15a InsO die wirtschaftliche Lage immerhin so stabilisiert, dass die Deckungslücke wieder unterhalb der 10%-Grenze liegt, so schließt sich deshalb nicht etwa schlicht die Mindestfrist von 3 Monaten an. Die Antragsfrist kann trotzdem sogar bereits abgelaufen sein und zwar dann, wenn sich kein alsbaldiges und (nahezu) vollständiges Schließen der Deckungslücke abzeichnet. Die Grenze von 10% kann überschritten, eine größere Deckungslücke also toleriert 81 werden, wenn die große Wahrscheinlichkeit307 alsbald wieder erreichten (vollständigen oder fast vollständigen308) Deckungspotentials besteht und das weitere Zuwarten den Gläubigern zugemutet werden kann.309 Letzteres wirkt sich zu Gunsten eines Beschuldigten aus. Allerdings beschränkt sich diese Ausnahme auf das Vorliegen besonderer Konstellationen, zB das Vorliegen einer ausreichend hohen, aber erst nach einem Monat fällig werdenden Rechnung an einen potenten Schuldner, ggf auch im Fall von Schwankungen saisonal abhängiger Betriebe. Weil sich jedoch die 3-Wochen-Frist aus der (freilich sehr optimistischen) Annahme erklärt, ein im Kern gesundes Unternehmen sei in der Lage, binnen dieser Zeit einen Kredit aufzunehmen, ist bereits das bloße Überschreiten der Frist als ein deutliches Indiz für nicht mehr vorhandene Kreditfähigkeit und damit für bestehende, zumindest alsbaldige Zahlungsunfähigkeit anzusehen. Ohne ernsthafte tatsächliche Anhaltspunkte für die tatsächlich bevorstehende Überwindung

_____ GmbHG. Rspr-Übersichten bei Plagens/Wilkes ZInsO 2010, 2107 ff; und Staufenbiel/Baziuk ZinsO 2016, 1726 ff. Neu/Ebbinghaus ZInsO 2012, 2229 ff befürworten stichtagsbezogene Feststellungen am 1. und am 22. Tag. Zu den Auswirkungen auf das Strafrecht Arens, wistra 2007, 450 ff. 304 BGH, 10.1.2013 – IX ZR 13/12, Rn 16, NJW 2013, 611 ff; 7.5.2013 – IX ZR113/10, Rn 18, ZInsO 2013, 1419 ff; wN bei Bork/Hölzle/Bittmann Rn 24/50 m Fn 38. Die Vereinbarkeit dieser Ansicht mit der Bugwellen-Rechtsprechung, dazu unten Rn 90 und 92, ist zw. 305 BGH, 26.1.2016 – II ZR 394/13, Rn 31, ZInsO 2016, 1118 ff („in absehbarer Zeit“). 306 W/J/Beck Rn 8/105 mN in Fn 240; sa unten Rn 97. 307 Es handelt sich dabei um eine Prognose, MüKoGmbHG/Wißmann Rn 141 zu § 84 GmbHG. 308 BGH, 26.1.2016 – II ZR 394/13, Rn 31, ZInsO 2016, 1118 ff. 309 ZB BGH, 28.5.2013 – II ZR 83/12, Rn 18, ZIP 2013, 1718 ff; 26.1.2016 – II ZR 394/13, Rn 31, ZInsO 2016, 1118 ff.

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der aktuellen Unmöglichkeit zu zahlen, ist demnach Zahlungsunfähigkeit im Rechtssinne zu bejahen.310 Umstritten ist, ob dieser enge Begriff der Zahlungsunfähigkeit auch für das Strafrecht zu übernehmen oder ob er deswegen eigenständig zu definieren ist, weil andernfalls nicht strafwürdige Sachverhalte pönalisiert würden. Verf311 hatte vorgeschlagen, es für das Strafrecht bei den vom BayObLG 1988312 gezogenen Grenzen zu belassen. Zahlungsunfähigkeit setzte demnach eine wenigstens 3 Monate währende Unterdeckung von mindestens 25% voraus. Obwohl auch andere Autoren diesen Ansatz (tendentiell) teilten,313 folgte die im Strafrecht hM314 dem nicht. Wiewohl damit die Gefahr der Überpönalisierung einhergeht, ist zu konstatieren, dass der Zweck einer jeden Grenze mit einem Wirtschaften, welches sie zwar vielleicht streift, aber gerade noch nicht überschreitet, unterlaufen werden kann, die negativen Folgen für die Gläubiger jedoch umso gravierender auszufallen drohen, je höher man die Grenze ansetzt.315 Der flexible Ansatz des IX. Zivilsenats des BGH trägt daher der Problematik im Kern angemessen Rechnung. Das gilt auch für das Strafrecht. Aufgrund der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Zivilverfahren führt dort die Auslegung des IX. Zivilsenats zu einer (relativ) leichten Handhabbarkeit. Davon kann jedoch strafprozessual keine Rede sein, weil deutlich mehr tatsächliche Umstände als bei starren Grenzen der Ermittlung und Feststellung bedürfen. Allerdings belastet dieses Problem die strafrechtliche Praxis angesichts ihrer hauptsächlichen Befassung mit Evidenzfällen nur selten. Mit der Konzentration auf diese wird zugleich die Gefahr falscher Schwerpunktbildung durch Verfolgung vor allem klein(st)er Insolvenzdelikte gebannt. Darin liegt allerdings keine tatbestandliche Einschränkung. Die nach wie vor gebotene Konzentration der forensischen Praxis auf Fälle ernsthafter Insolvenzverschleppung lässt sich demnach nicht, jedenfalls nicht allein materiellrechtlich, wohl aber unter ergänzender Anwendung der prozessual zur Verfügung stehenden Möglichkeiten erreichen. Der dogmatische Ansatzpunkt liegt in den Unterschieden zwischen objektivem und subjektivem Tatbestand.316 Liegt Zahlungsunfähigkeit in objektiver Hinsicht grundsätzlich bereits bei einer dreiwöchigen Unterdeckung von 10% vor, so muss für die Bestrafung noch der Nachweis der subjektiven Tatseite hinzukommen. Ihr Vorliegen ist im engeren Bereich oberhalb der zeitlichen und quotenmäßigen Grenze keineswegs selbstverständlich und beruht dann zudem üblicherweise auf geringem Verschulden. Eine Scheidelinie kann gemäß vorsichtiger, der gesetzlichen Verschärfung Rechnung tragender Modifikation der unter der KO (bzw der GesO) maßgeblichen Kriterien gezogen werden. Erfahrungsgemäß bleibt einem originär Verantwortlichen – anders als in den Fällen des § 15a Abs 3 InsO – der Ernst der Lage nicht verborgen, wenn mehr als ein Viertel

_____ 310 Ressmann S 169 will dies für das Strafrecht nur annehmen, wenn das zukünftige Schließen der 15%Lücke ausgeschlossen ist: Das ließe sich nie bejahen, weil selbst ein hoher Lottogewinn nie auszuschließen ist. 311 wistra 1998, 321, 323, 324; einschr aber bereits StV 2002, 228, 229. 312 wistra 1988, 363 f. 313 S Voraufl Rn 11/59 mN in Fn 140. 314 BGH, 23.5.2007 – 1 StR 88/07, wistra 2007, 312 f (zust Natale/Bader wistra 2008, 413 ff; sa Wegner wistra 2007, 386 f); Bieneck StV 1999, 43, 44; ders wistra 2001, 53, 54; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 43 vor §§ 82 ff GmbHG; Weyand, 5. Aufl., Rn 50; wohl aber Dannecker/Knierim/Hagemeier Rn 73. 315 Möglich bliebe allerdings eine Strafbarkeit nach §§ 263 und 283 Abs 1 Nr 8 StGB. 316 Wohl vorsichtig zust Ressmann S 160; abl. M-G/Richter Rn 78/25 m Fn 5.

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(= 25%) der Verbindlichkeiten nicht mehr beglichen wird und diese wirtschaftliche Lage zumindest einen Monat anhält und die Quote danach gleichbleibt, weiter steigt oder in einer abfallenden Kurve über 20% nach 6 Wochen, 15% nach zwei Monaten nach einem Vierteljahr nicht wieder auf höchstens 10% gesunken ist. Oberhalb der angeführten Grenzen spricht eine tatsächliche Vermutung für das Vorliegen auch des subjektiven Tatbestands. Sie kann daher einer Verurteilung regelmäßig zu Grunde gelegt werden, es sei denn, es liegen konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Pflichtige die tatsächliche wirtschaftliche Situation in Wirklichkeit doch nicht kannte. Dogmatisch handelt es sich um die gleiche Konstruktion wie beim Vorliegen der Schuldfähigkeit. Bei den nachrangigen Verantwortlichen, die regelmäßig beruflich nicht in erster Linie mit Leitungstätigkeiten in der betroffenen Gesellschaft betraut sind, lässt sich dagegen eine solche Erfahrungsgrenze nicht feststellen. Für diesen Personenkreis bedarf es folglich der Feststellung des subjektiven Tatbestands anhand konkreter, auf den jeweiligen Einzelfall bezogener Tatsachen. Unterhalb der dargelegten Grenzen kommt zwar ebenfalls eine Strafbarkeit in Be- 86 tracht. Verurteilungen sollten aber auf Sonderfälle, zB Wiederholungstäter, beschränkt werden. Im übrigen sollte die staatsanwaltschaftliche Praxis die Strafjustiz im Wege genereller Annahme geringen Verschuldens vor Überschwemmung mit derartigen Bagatell-, aber gerade deswegen hinsichtlich des Nachweises sehr aufwendigen Verfahren bewahren. Meist wird es hier vor der Einstellung nach § 153 Abs 1 StPO nicht einmal der Zustimmung des Gerichts bedürfen, § 153 Abs 1 S 2 StPO. Im Ergebnis führen die aufgezeigten faktischen Restriktionen auf seiten des sub- 87 jektiven Tatbestands dazu, dass eine Bestrafung wegen Insolvenzverschleppung regelmäßig eine einen Monat lang andauernde Unterdeckung von mindestens 25% voraussetzt, die sich nach 3 Monaten noch nicht auf 10% verringert hat.

cc) Feststellung der Zahlungsunfähigkeit (1) Zu berücksichtigende Umstände Es genügt für die Annahme von Zahlungsunfähigkeit nicht, dass Verbindlichkeiten un- 88 beglichen bleiben. Hinzukommen muss vielmehr (anders als bei der Zahlungseinstellung317) ein Mangel an Zahlungsmitteln als Ursache dafür.318 Zahlungsunwilligkeit genügt folglich nicht.319 Zahlungsunfähigkeit ist reine Geldilliquidität.320 Maßgeblich sind neben der Liquidität 1. Grades (Kasse, Bank [einschließlich offener Kreditlinien 321 ], Schecks, diskontfähige Wechsel, fällige Forderungen) auch die in der maßgeblichen Frist (zB per Kredit oder Nachschüssen seitens der Gesellschafter) beschaff-322 oder liquidierbaren Mittel323 (zB mittels Vorfinanzierung später fällig werdender Forderungen

_____ 317 Dazu oben Rn 73 ff. 318 AllgM, s BGH, 24.3.2016 – IX ZR 242/13, Rn 8 mN, ZIP 2016, 874 ff; zB Harz ZInsO 2001, 193, 195; Röhm S 97 ff; sa oben § 8 Rn 6 und 11 ff. 319 MK/Hohmann Rn 33 f zu § 15a InsO. 320 LG Augsburg DZWIR 2003, 303 ff, 305; Graf-Schlicker/Bremen Rn 5 und 10 zu § 17 InsO; MK/Hohmann Rn 28 zu § 15a InsO; G/J/W/Reinhart Rn 55 und 62 f zu § 15a InsO; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 122 zu § 84 GmbHG. 321 Solange sie nach der allerdings fragwürdigen Rspr pfändbar sind, BGH NJW 2001, 1937 ff; aA Röhm S 104f. 322 BGH, 26.1.2016 – II ZR 394/13, Rn 31, ZInsO 2016, 1118 ff. 323 BGH, 26.1.2016 – II ZR 394/13, Rn 31, ZInsO 2016, 1118 ff.

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[etwa im Wege unechten Factorings], kurzfristigen Verkaufs nicht betriebsnotwenigen Anlage- bzw Umlaufvermögens [etwa Verkauf von Forderungen] oder Rückführung im Rahmen eines Cash-Pools der Poolführerin gewährter Darlehen 324),325 allerdings nur dann, wenn und solange deren Verflüssigung ernsthaft und mit Aussicht auf Erfolg betrieben wird – und ein liquider Überschuss erwartet werden kann.326 Ausreichend ist auch die kurzfristig realisierbare Möglichkeit des Rückgriffs auf denjenigen, der eine Patronatserklärung abgegeben hat.327 Das bloße Vorhandensein einer Patronatserklärung genügt jedoch ohne tatsächliche allg Wiederaufnahme der Zahlungen nicht.328 Bei Anwendung der betriebswirtschaftlichen Methode329 müssen deshalb auch etwaige kurzfristig veräußerungsfähige Aktiva zu den liquiden Mitteln gezählt werden, solange nicht als sicher feststeht, dass ihre Verflüssigung nicht gewollt oder nicht möglich war. Während Erlöse aus Straftaten ebenfalls zu den liquiden Mitteln zählen,330 rechnen beiseitegeschaffte oder verheimlichte Gegenstände nicht dazu.331 Bei der GmbH & Co KG ist die Haftung der Komplementär-GmbH nicht zu aktivieren, weil mit dieser Haftung kein Anspruch der KG korrespondiert.332 Im Umfang ihrer Werthaltigkeit333 aktiviert werden darf hingegen eine verbindliche, ggf auch stillschweigende Zusage der GmbH, der KG Mittel zuzuführen, mit denen sie die Anmeldung der Insolvenz vermeiden kann. Gleiches gilt auch bei einer umgekehrten Zusage der KG gegenüber der GmbH.

_____ 324 MüKoGmbHG/Wißmann Rn 143 zu § 84 GmbHG. 325 BGH, 21.8.2013 – 1 StR 665/12, Rn 14, NJW 2014, 164 ff; aus dem Zivilrecht: BGH, 30.6.2011 – IX ZR 134/10, Rn 10, ZIP 2011, 1416 ff; 29.3.2012 – IX ZR 40/10, Rn 8, ZInsO 2012, 976 ff; 6.12.2012 – IX ZR 3/12, Rn 19, NJW 2013, 940 ff; 7.5.2013 – IX ZR 113/10, Rn 15, ZInsO 2013, 1419 ff; NJW 1999, 645, 646 (zur Zahlungseinstellung); LG Augsburg DZWIR 2003, 303 ff, 304; M/R/Altenhain Rn 10 zu § 283 StGB; M/G/Rinjes Rn 18; Harz ZInsO 2001, 193, 195, auch 196; IDW ZIP 1999, 505, 507, Empfehlung 21; M-G/Richter Rn 78/16 f; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 123 und 143 zu § 84 GmbHG; vgl auch oben § 7 Rn 14 und 18; aA Bieneck StV 1999, 43, 44; Dannecker/Knierim/Hagemeier Rn 63; Haas Insolvenzrecht S 4f; Reck GmbHR 1999, 267, 268; v Onciul S 97; Röhm S 99 ff. 326 Das ist bei wertausfüllend belasteten Gegenständen, namentlich Grundstücken, BGH, 23.9.2010 – IX ZB 16/10, ZInsO 2010, 2101; 21.2.2013 – IX ZR 219/12, Rn 5, ZInsO 2013, 608 ff; 26.9.2013 – IX ZR 47/13, Rn 3; und bei zur Sicherheit abgetretenen Forderungen, BGH, 23.6.2015 – II ZR 366/13, Rn 15, BGHZ 206, 52 ff; LG Hildesheim, 13.2.2014 – 21a Ns 25 Js 34542/12, Rn 45, ZInsO 2015, 352 f, nicht der Fall. Das gilt selbst dann, wenn die Forderung erst in der Krise werthaltig wurde und deshalb anfechtbar ist („nachträgliche Wertschöpfung“, zB BGH, 11.6.2015 – IX ZR 110/13, ZIP 2015, 1398 ff; 3.12.2015 – IX ZR 131/15, ZIP 2016, 124; dazu aus haftungsrechtlicher Sicht, § 64 S 1 GmbHG, BGH, 23.6.2015 – II ZR 366/13, Rn 12 bzw 19, BGHZ 206, 52 ff; aufrechterhalten 8.12.2015 – II ZR 68/14, Rn 13 und 17, ZInsO 2016, 338 ff), weil das Bestehen des Anfechtungsrechts nicht binnen dreier Wochen geklärt zu werden verspricht. Vom Insolvenzverwalter freigegebene Vermögensgegenstände zählen nicht zu den Aktiva, BGH, 3.4.2014 – IX ZA 5/14, Rn 5 f, ZIP 2014, 1183 ff; Mansdörfer/Habetha, Rn 738; zu auszusondernden Gegenständen s unten Rn 113. 327 MüKoGmbHG/Wißmann Rn 143 zu § 84 GmbHG. Zur Bedeutung für die Überschuldung s unten Rn 119. 328 BGH, 11.2.2010 – IX ZR 104/07, Rn 48, ZInsO 2010, 673 ff; differenzierend BGH, 19.5.2011 – IX ZR 9/10, NZI 2011, 536 ff; dazu Krüger/Pape, NZI 2011, 617 ff. 329 Vgl dazu unten Rn 94 ff. 330 BGH wistra 1982, 189, 191; M-G/Richter Rn 78/19; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 45 vor §§ 82 ff GmbHG; sa unten Rn 12/59; aA BGH, 23.7.2015 – 3 StR 518/14, Rn 20 aE, ZWH 2015, 388 ff (dazu Bittmann ZWH 2015, 373 ff, 375 f); auch BGH, 5.7.2012 – 5 StR 380/11, ZWH 2012, 25 m abl Anm Bittmann. 331 BGH, 22.1.2013 – 1 StR 234/12, Rn.5, BGHSt 58, 115 ff; 22.2.2001 – 4 StR 421/00, NJW 2001, 1874 ff; M-G/Richter Rn 78/20; aA Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 45 vor §§ 82 ff GmbHG; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 124 zu § 84 GmbHG (für § 283 Abs 2 StGB dem BGH allerdings zust). 332 M-G/Richter Rn 78/46. 333 v Onciul S 153 f.

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Bestreiten (Dritt-)Schuldner Forderungen des (Gemein-)Schuldners, so zählen diese 89 bei Prüfung der Zahlungs(un)fähigkeit in aller Regel nicht zum kurzfristig liquidierbaren Vermögen,334 weil mit deren Titulierung und Durchsetzung nicht binnen der 3-Wochen-Frist gerechnet werden kann. Die umstrittene Frage, wie umgekehrt vom Schuldner bestrittene Verbindlichkeiten zu behandeln sind, hat der BGH dahingehend beantwortet, dass es auf das Maß der Wahrscheinlichkeit ihres Bestehens ankomme. Soweit die Annahme ihres Bestehens überwiege, sei die Schuld in nomineller Höhe zu passivieren.335 Einer Quotierung anhand des prognostizierten Ausgangs eines Zivilverfahrens erteilte er damit eine Absage. Ob das praktikabel ist, muss sich erst noch erweisen. Subjektiv wird nur ein Schwindler die Verbindlichkeit zu Unrecht bestreiten. Ist die objektive Lage maßgeblich, so stellt sich die Frage, wie anders als im Rechtsstreit sie festgestellt werden kann. Hier lauert nicht nur die Gefahr eines „Rückschaufehlers“, sondern ist in strafrechtlicher Hinsicht fraglich, ob das Gebot voller Passivierung einer mit guten Gründen bestrittenen Verbindlichkeit mit dem Schuldprinzip vereinbar ist. Weder dieses noch der Zweifelsgrundsatz verlangen allerdings, auf die Passivierung insgesamt zu verzichten, würde doch andernfalls das noch so aussichtslose Bestreiten, ggf garniert mit völlig unhaltbaren Argumenten, zu wundersamer Selbstheilung der Zahlungsunfähigkeit führen. Vorzugswürdig ist stattdessen eine aus dem Vorsichtsprinzip abgeleitete Pflicht zur Bildung einer Rückstellung. Deren Höhe bemisst sich nicht nach der Rechtsfrage des Bestehens der Verbindlichkeit, sondern nach dem tatsächlichen Prozessrisiko. Sie kann daher geringer ausfallen als der Nominalwert der vom Gläubiger behaupteten Forderung. Dieser Weg ist von der Rechtsprechung des IX. Zivilsenats des BGH für das Strafrecht nicht verbaut, weil er sich zu Gunsten des Beschuldigten auswirkt. Nach wie vor kontrovers wird die Frage beantwortet, ob für den Zeitraum des maß- 90 geblichen Fristenlaufs (regelmäßig: 3 Wochen; ggf auch darüber hinaus) nur die bei dessen Beginn bereits fälligen Verbindlichkeiten, die bis zum Fristablauf fällig werden, zu betrachten sind, oder ob es auf sämtliche bis zum Fristablauf fällig werdenden Verbindlichkeiten ankommt, also unter Einbeziehung solcher, die zum ursprünglichen Stichtag entweder zwar begründet, aber noch nicht fällig, oder gar noch nicht einmal begründet waren,336 dh auf die Summe des jeweiligen Forderungsbestands ohne Rück-

_____ 334 M-G/Richter Rn 78/18; aA in einem Sonderfall KG wistra 2002, 313, 315f; zutr dagegen Maurer wistra 2003, 174, 176. 335 BGH, 22.4.2014 – IX ZR 95/13, Rn 33, ZIP 2014, 1289 ff (Ansatz zum Nennwert bei überwiegender Wahrscheinlichkeit, keine Berücksichtigung bei ernsthaften Zweifeln am Bestehen, auch nicht mit einem Abschlag, jedenfalls nicht im Fall des Stillhaltens des Gläubigers bis zum Abschluss des deswegen geführten Rechtsstreits); anders und zwischen Zivil- und Strafrecht differenzierend Ressmann S 56–84, 169–188 (Zahlungsunfähigkeit), 219–223, 271–274 (Überschuldung), 281, 296–298 (drohende Zahlungsunfähigkeit), dessen Grundgedanke darin besteht, in objektiver Hinsicht die Lage zugrundezulegen, welche zivilrechtlich ausgeurteilt wurde, daraus insolvenzverschleppungsrechtlich aber nur (anders für § 283 StGB, S 187: Bankrotthandlungen seien wegen ihrer per se gläubigergefährdenden Wirkung schon dann zu vermeiden, wenn eine potentielle Verbindlichkeit zur Krise führe) einen Vorwurf zu stützen, wenn jemand eine unvertretbare Position einnahm (Vorsatz) oder sein Unterliegen erkennen musste (Fahrlässigkeit). Beides bietet für die Phase bis zur Rechtskraft keine Orientierung und im Fall unterbliebener zivilrechtlicher Klärung auch iE keine Lösung. S/S/Heine/Schuster Rn 52 zu § 283 StGB bejahen eine Passivierung nur bei zweifelsfreier Feststellung (wohl: im Strafverfahren) bzw nach rechtskräftigem Ausurteilen; frühere Befassungen: Henkel ZInsO 2011, 1237 ff; Küting/Kessler/Cassel/Metz WPg 2010, 315 ff. Stützt sich der Eröffnungsgrund nur auf eine unbeglichene Verbindlichkeit, so muss ihr Bestehen bewiesen sein, BGH, 14.12.2005 – IX ZB 207/04, Rn 3, ZIP 2006, 247. 336 Verneinend Harz ZInsO 2001, 193, 197; v Onciul S 97 f; Ressmann S 65, 69, 163; Röhm S 108 (einziger Unterschied zur drohenden Zahlungsunfähigkeit, S 137); vgl bereits oben Rn 80.

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sicht auf die Zusammensetzung und damit ohne Berücksichtigung der Spezifika jeder fälligen Einzelforderung. Letzteres entspricht im Zivilrecht nur für die drohende Zahlungsunfähigkeit der hM,337 während sie für die Feststellung eingetretener Zahlungsunfähigkeit allein die Entwicklung des Bestands der zu Fristbeginn bereits bestehenden Verbindlichkeiten betrachtet: einseitige Zeitraumilliqidität.338 Diese Reduzierung auf einen Teilausschnitt der wirtschaftlichen Lage führt zum einen dazu, dass die Verschärfung der Definition des Begriffs der Zahlungsunfähigkeit bereits insolvenzrechtlich begrenzt wird, ist zum anderen jedoch insoweit problematisch, als damit trotz der Notwendigkeit, für jeden Werktag eine neuerliche Bestandsaufnahme gesondert vorzunehmen, der gläubigergefährdende Weg eröffnet wird, eine revolvierende Bugwelle von 10% unbeglichener Verbindlichkeiten ohne insolvenzrechtliche Konsequenz vor sich herzuschieben zu können. Dass dies konsistent ist mit der Rspr, es liege bei mehrmonatigen nicht ganz geringfügigen Deckungslücken keine bloße Zahlungsstockung vor,339 erscheint als zweifelhaft. Der BGH in Strafsachen hat sich denn auch dahingehend positioniert, dass erst fällig werdende Verbindlichkeiten ebenfalls Berücksichtigung zu finden haben.340 91 Auch unter den Zivilsenaten besteht hier eine unausgetragene Diskrepanz zwischen der Rspr des für gesellschaftsrechtliche und damit auch Fragen der Haftung aus § 64 S 1 GmbHG zuständigen II. Zivilsenats des BGH und dessen IX., des Insolvenzrechtssenats.341 Sie wird jedoch nicht unter dem Stichwort „Zahlungsunfähigkeit“ geführt, sondern aufgrund der damit verbundenen spezifisch zivilrechtlich beweiserleichternden Gründe unter dem Aspekt der „Zahlungseinstellung“, bezieht sich aber inhaltlich auf das Verständnis des Begriffs der „Zahlungsunfähigkeit“ und ist deswegen auch für das Strafrecht bedeutsam, weil es insoweit auf die zivilrechtliche Vermutungswirkung des § 17 Abs 2 S 2 InsO nicht ankommt. 92 Nach der Grundsatzentscheidung vom 24.5.2005342 geht der 3-Wochen-Frist des § 15a Abs 1 InsO, innerhalb derer Insolvenz angemeldet werden muss, eine Frist von ebenfalls 3 Wochen voraus, die für die Entscheidung über das Vorliegen der Zahlungsunfähigkeit maßgeblich ist. Nach der Bugwellen-Rechtsprechung343 ist dafür, dh innerhalb der vorgelagerten 3 Wochen, nicht die gesamte Deckungslücke maßgeblich, sondern ob damit gerechnet werden kann, dass eine jede Verbindlichkeit für sich binnen 3 Wochen nach Eintritt zivilrechtlicher Fälligkeit beglichen werden wird. Erst wenn dies für mindestens 10% der Verbindlichkeiten über mindestens 3 Wochen zu verneinen ist, liegt rechnerisch Zahlungsunfähigkeit vor. Rechtlich schließt sich daran die Notwendigkeit, Insolvenz anzumelden, aber nur dann an, wenn nicht mit ihrer alsbaldigen Überwindung gerechnet und den Gläubigern (deswegen?) weiteres Zuwarten zumutbar ist. Demgemäß stellt

_____ 337 BGH, 29.3.2012 – IX ZR 40/10, Rn 8, ZInsO 2012, 976 ff; 6.12.2012 – IX ZR 3/12, Rn 19, NJW 2013, 940 ff; 7.5.2013 – IX ZR 113/10, Rn 15, ZInsO 2013, 1419 ff; Gero Fischer FS Ganter, S 153, 157 ff; ebenso v Onciul S 97 f. 338 Ressmann S 65. 339 Dazu oben Rn 77 ff. 340 BGH, 21.8.2013 – 1 StR 655/12, Rn 14 aE, NJW 2014, 164 ff; W/J/Beck Rn 8/106; zivilrechtlich: (der frühere Vorsitzende des Insolvenzrechtssenats des BGH) Ganter ZInsO 2011, 2297 ff; Graf-Schlicker/Bremen Rn 16 zu § 17 InsO und 9 zu § 18 InsO; Prager/Jungclaus FS Wellensiek, S 101 ff; aus ökonomischer Sicht ebenso und sehr überzeugend Krauß ZInsO 2016, 2361 ff. 341 Dazu ausführlich Bork/Hölzle/Bittmann, Rn 24/49 ff. 342 Dazu oben Rn 78. 343 Dazu oben Rn 90.

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sich nach Eintritt der rechnerischen Zahlungsunfähigkeit die Frage, welche Umstände die Prognose ihrer alsbaldigen Überwindung rechtfertigen. Während insoweit der II. Zivilsenat unter Hinweis auf die vom IX. Zivilsenat bejahte 93 rechnerische, für den Eintritt einer Situation der Zahlungsunfähigkeit maßgebliche Quote von 10% nicht nur für die Phase innerhalb der 3-Wochen-Frist des § 15a Abs 1 InsO, sondern auch für die Zeit nach deren Ablauf auf diese Quote abstellt,344 und damit die Fortsetzung der Bugwelle akzeptiert, setzt dem der IX. Zivilsenat den Aspekt der Zumutbarkeit für die Gläubiger deutlicher entgegen. Er bejaht deshalb die Annahme zukünftiger Überwindung der Zahlungsunfähigkeit erst dann, wenn zu erwarten ist, dass der Schuldner seine Zahlungen insgesamt entweder nach Ablauf der Frist des § 15a Abs 1 InsO (= 3 Wochen) wieder aufnimmt oder dies jedenfalls binnen einer für die Gläubigergesamtheit erträglichen, situationsabhängig zu bemessenen Zeit zu erwarten ist.345 Er verlangt zwar keine 100%ige Deckung, akzeptiert aber im Gegensatz zum II. Zivilsenat keinen Fortbestand einer Lücke von 10%, sondern allenfalls eine verbleibende Unterdeckung in ganz geringfügigem Umfang.346 In einer Bugwelle sieht der IX. Zivilsenat sogar umgekehrt ein Indiz für eingestellte Zahlungen.347 Er ist also mit seinem Ausblenden erst noch zu begründender Verbindlichkeiten für die Annahme rechnerischer Zahlungsunfähigkeit (zu) großzügig, begrenzt aber die damit eröffneten Missbrauchsgefahren für die Zeit nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und Ablaufs der Frist des § 15a InsO von 3 Wochen rigoros auf die Duldung bestenfalls minimaler Deckungslücken – und zwar nunmehr sämtlicher offener Verbindlichkeiten, während der II. Zivilsenat auch insoweit eine sich fortsetzende Deckungslücke von 10% als akzeptabel ansieht. Folgt man der Auffassung generalisierter geringer Schuld bei einer dreimonatigen Unterdeckung von 10%,348 so kommt es jedoch für die strafprozessuale Praxis auf diese Feinabgrenzung aus strafprozessualen Gründen sowieso nicht an.

(2) Feststellungsmethoden Die Zahlungsunfähigkeit kann auf zwei methodisch ganz unterschiedlichen Wegen festge- 94 stellt werden: bei der betriebswirtschaftlichen Methode wird ein Gutachten erstellt,349

_____ 344 BGH, 26.2.2013 – II ZR 54/12, Rn 14, GmbHR 2013, 482 ff; ebenso Gero Fischer, FS Ganter, S 153, 165. 345 Dazu bereits oben Rn 79 ff. 346 BGH, 11.2.2010 – IX ZR 104/07, Rn 43, ZInsO 2010, 673 ff; 30.6.2011 – IX ZR 134/10, Rn 13, ZIP 2011, 1416 ff; 15.3.2012 – IX ZR 239/09, Rn 9, NZI 2012, 416 ff; 29.3.2012 – IX ZR 40/10, Rn 11, ZInsO 2012, 976 ff; 6.12.2012 – IX ZR 3/12, Rn 31, NJW 2013, 940 ff; 7.5.2013 – IX ZR 113/10, Rn 19 ff, ZInsO 2013, 1419 ff; 18.7.2013 – IX ZR 143/12, Rn 10 und 12 f, ZIP 2013, 2015 ff; sa 17.11.2016 – IX ZR 65/15, Rn 17, ZInsO 2016, 2474 ff. Eine Annäherung bedeuten nunmehr BGH, 26.1.2016 – II ZR 394/13, Rn 31, ZInsO 2016, 1118 ff, da der II. Zivilsenat auch nur noch eine in absehbarer Zeit vollständig oder fast vollständig beseitigte Lücke akzeptiert, und umgekehrt BGH, 24.3.2016 – IX ZR 242/13, Rn 11 und 14, ZIP 2016, 874 ff, das Bedienen des wesentlichen Teils der Verbindlichkeiten genügen lässt. 347 BGH, 25.10.2012 – IX ZR 117/11, Rn 14, 19 und 22, ZIP 2012, 2355 ff; 6.12.2012 – IX ZR 3/12, Rn 21 und 23, NJW 2013, 940 ff; 7.5.2015 – IX ZR 95/14, Rn 15 und 19, ZinsO 2015, 1262 ff; 17.12.2015 – IX ZR 61/14, Rn 18, ZIP 2016, 173 ff; 17.11.2016 – IX ZR 65/15, Rn 17 aE und 19, ZInsO 2016, 2474 ff; ebenso Baumert NZI 2013, 919 ff. 348 Dazu oben Rn 82 ff. 349 W/J/Beck Rn 8/115; G/J/W/Reinhart Rn 65 f zu § 15a InsO; ausführlich Staufenbiel/Hoffmann ZInsO 2008, 785 ff, 838 ff; 891 ff; Harz/Bornmann/Conrad/Ecker NZI 2015, 737 ff (zu allen Insolvenzgründen); Koppel ZInsO 2017, 74 ff (zur Unterstützung mittels interaktiver Datenauswertung); inhaltlich abweichend Neu/Ebbinghaus ZInsO 2012, 2229 ff. In kleineren Fällen genügt die Sachkunde des Gerichts, BGH wistra 1993, 184 f; ebenso in Evidenzfällen; BGH NJW 2001, 1874, 1875; LG Köln wistra 92, 269 f; zust W/J/Beck Rn 8/116.

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558 | 3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften

während bei der kriminalistischen Methode Krisenanzeichen aufgelistet werden.350 Zwar betont die Rspr verbal den Vorrang des betriebswirtschaftlichen Gutachtens. Sie akzeptiert aber die kriminalistische Methode auch dann, wenn ein betriebswirtschaftliches Gutachten erstellt werden könnte. Damit stehen beide Möglichkeiten praktisch gleichwertig nebeneinander.351 Das betriebswirtschaftliche Gutachten352 hat zum Ziel, den genauen Grad der Un95 terdeckung ab einem vom Staatsanwalt (oder Gericht) bestimmten Zeitpunkt festzustellen. Das geschieht im in der Praxis seltenen Idealfall allein durch Auswertung der Buchhaltung und der Bilanz. Voraussetzung dafür ist aber, dass sich der Gutachter zuvor davon überzeugen konnte, dass beide ein getreues Abbild der Wirklichkeit darstellen. Zunächst ist dann in einem 1. Schritt ein stichtagsbezogener Liquiditätsstatus, auch Liquiditätsbilanz genannt, aufzustellen. Sie darf nicht mit der Handelsbilanz verwechselt werden.353 Als 2. Schritt folgt die nachträgliche, aber vom Stichtag ausgehende prospektive Aufstellung eines Finanz- oder Liquiditätsplans.354 Für die forensische Praxis ist dabei wichtig, dass sich der Gutachter nicht allein auf die Feststellung der objektiven Lage beschränkt, sondern zudem auch untersucht, ob und wenn ja, wann der Geschäftsführer (oder sonstige Verantwortliche) sie zur Kenntnis nahm (bzw im Hinblick auf das Fahrlässigkeitsdelikt, § 15a Abs 5 InsO) hätte zur Kenntnis nehmen können. Ohne Berücksichtigung auch dieser Aspekte genügt das Gutachten nicht zum Nachweis der subjektiven Tatseite. Allzu oft steht eine vollständige Buchhaltung aber nicht zur Verfügung, sei es, dass 96 sie schon gar nicht zuverlässig geführt, sei es, dass sie nachträglich (ganz oder teilweise) manipuliert, zerstört oder versteckt wurde. In einem solchen Fall sind die verbliebenen Unterlagen, die zum Verfahren gezogenen werden konnten, häufig nicht aussagekräftig genug, um auf sie betriebswirtschaftlich zuverlässige Aussagen stützen zu können. Gleiches kann geschehen, wenn Bilanzen fehlen oder fehlerhaft sind. Dann bleibt sowieso nur die kriminalistische Methode.355

_____ 350 LG Hamburg, 8.7.2016 – 340 O 321/15, ZInsO 2016, 1946 ff: 318 Rücklastschriften als Beleg für Zahlungseinstellung; W/J/Beck Rn 8/117; Neuhof FS Beck, S 355 ff, 362 ff; G/J/W/Reinhart Rn 67 ff zu § 15a InsO. Theoretische Bedenken aufgrund der Parallelität zur im Strafrecht bedeutungslosen Vermutungswirkung des § 17 Abs 2 S 2 InsO bei Ressmann S 154. 351 So nicht nur der Sache nach, sondern auch verbal BGH, 25.8.2016 – 1 StR 290/16, Rn 6, ZInsO 2016, 2032 f; sa 11.8.2016 – 1 StR 63/16; 21.8.2013 – 1 StR 665/12, Rn 14 f, wistra 2014, 28 ff (dazu Richter NZWiSt 2014, 34 f; Sering ZWH 2014, 109 f); LG Hamburg, 15.1.2016 – 316 O 404/14, ZInsO 2016, 2092 f; Dannecker/Knierim/Hagemeier Rn 75 ff; Fischer Rn 9b vor § 283 StGB; M-G/Richter Rn 78/37, auch 39; M/G/Rinjes Rn 28 ff; MK/Hohmann Rn 37 ff zu § 15a InsO; NK/Kindhäuser Rn 97 vor § 283 StGB; S/S/Heine/Schuster Rn 52 zu § 283 StGB; LK/Tiedemann Rn 133 vor § 283 StGB; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 44 vor §§ 82 ff GmbHG; Weyand/Diversy Rn 51; sa BGH(Z) NJW 2001, 2163ff; für den Vorrang des betriebswirtschaftlichen Gutachtens BGH, 23.7.2015 – 3 StR 518/14, Rn 17 f, ZWH 2015, 388 ff (dazu Bittmann ZWH 2015, 373 ff, 374 f); ebenso MAH/Leipold Rn 19/82 f; Böttger/Verjans Rn 4/25; S/S/W/Bosch Rn 13 vor §§ 283 ff StGB. 352 BGH wistra 2003, 232; Harz ZInsO 2001, 193, 196 f; W/J/Beck Rn 6/80 (mit Aufbauschema für einen Finanzplan; zu Letzterem auch Graf-Schlicker/Bremen Rn 15 f zu § 17 InsO; Paul StB 2008, 79 ff); LK/Tiedemann Rn 130 ff vor § 283 StGB. Zur Berücksichtigung eines Cash-Pools s Küting/Eichenlaub GmbHR 2014, 169 ff. 353 BGH, 5.2.2015 – IX ZR 211/13, Rn 12 mN; ZInsO 2015, 841 ff; 17.11.2016 – IX ZR 65/15, Rn 17, ZInsO 2016, 2474 ff; Neuhof FS Beck, S 355 ff, 356. 354 BGH, 21.8.2013 – 1 StR 665/12, Rn 14, wistra 2014, 28 ff; Harz ZInsO 2001, 196f; auch Penzlin S 80 ff Die iü unfruchtbare Kontroverse zwischen Lütke, wistra 2003, 52 ff sowie 295, und Weber, wistra 2003, 293 ff, zeigte immerhin auf, dass nicht allein auf betriebswirtschaftliche Liquiditätskennzahlen abgestellt werden darf, sondern eine Einzelbetrachtung aller Verbindlichkeiten wie Forderungen vorzunehmen ist. 355 BGH wistra 2003, 232; Harz ZInsO 2001, 193, 195 f; M-G/Richter Rn 78/41; W/J/Beck Rn 6/81.

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§ 11 Insolvenzverschleppung | 559

Sie besteht darin, die Krisenanzeichen, welche nach kriminalistischer, aber auch 97 nach betriebswirtschaftlicher Erfahrung auf das Vorliegen eingetretener Zahlungsunfähigkeit schließen lassen, in chronologischer Reihenfolge zusammenzustellen. In ihren einfachsten Varianten kann das sogar ohne sachverständige Hilfe geschehen. Zum einen kann die Feststellung genügen, dass Sozialversicherungsbeiträge356 nicht oder über einen längeren Zeitraum nicht rechtzeitig357 beglichen wurden. Der BGH in Zivilsachen anerkennt nicht nur die Indizwirkung offener Sozialversicherungsbeiträge,358 sondern hält es sogar für möglich, die Überzeugung von der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit allein auf das Bestehen von Beitragsrückständen zu stützen.359 Maßgeblich dafür ist nicht allein die Strafbarkeit der Beitragsvorenthaltung, sondern vor allem die Praxis der Sozialversicherungsträger, zügig Insolvenzantrag zu stellen, häufig schon dann, wenn die Sozialversicherungsbeiträge für 2 Monate nicht abgeführt wurden.360 Aus dieser den Arbeitgebern allgemein bekannten Praxis leitete der BGH den Erfahrungssatz ab, dass Beitragsrückstände über mehrere Monate hinweg nur bei eingetretener Zahlungsfähigkeit auflaufen. Deshalb ist anzunehmen, dass Zahlungsunfähigkeit iS von § 17 Abs 2 S 1 InsO eingetreten ist, wenn Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von mindestens 3 Monatsraten unbeglichen blieben. Zum anderen kommt die Auflistung weiterer nach außen hin sichtbar gewordener 98 Umstände in Betracht, von fruchtlosen Zwangsvollstreckungen über den Erlass von Haftbefehlen nach § 802g ZPO bis hin zur Vermögensauskunft, § 802c ZPO, evtl ergänzt um eine Aufstellung der M-Akten,361 Mahnungen, ja sogar monatelanges Schweigen auf Rechnungen.362 Diese Aufgabe kann einer Buchhaltungskraft der Staatsanwaltschaft oder der Polizei übertragen werden. Bei länger andauernder Insolvenzverschleppung lassen sich auf diese Weise ausreichend sichere Feststellungen treffen: Häufen sich die Maßnahmen ab einem bestimmten Zeitpunkt und tritt bis zum Insolvenzantrag keine Trendwende ein, so ist dieser Zeitpunkt dem Verfahren als derjenige des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit zugrunde zu legen. Regelmäßig führt die wirtschaftskriminalistische Methode zu einem späteren 99 Zeitpunkt nachgewiesener Zahlungsunfähigkeit als ein betriebswirtschaftliches Gutachten.363 Das findet seinen Grund darin, dass jeder Kaufmann versucht, Krisenanzeichen so lange wie möglich vor dem Publikum, dem Geschäftsverkehr, zu verbergen. Er fürchtet nicht nur den damit verbundenen Reputationsverlust, sondern auch die Verschärfung der Krise zB durch Verlangen weiterer Sicherheiten oder Lieferung nur noch

_____ 356 Sie stellen bei allg Anordnung seitens des Insolvenzgerichts im Schutzschirmverfahren Masseverbindlichkeiten dar, müssen also auch in dieser Phase beglichen werden, BGH, 16.6.2016 – IX ZR 114/15, ZIP 2016, 1295 ff. 357 OLG Hamburg, 26.8.2016 – 1 U 207/14, NZI 2016, 1003 ff. 358 BGH NJW 2002, 512, 515; 515, 517 f; 13.6.2006 – IX ZB 238/05, Rn 6 f, NZI 2006, 591 f; 5.2.2015 – IX ZR 79/13, Rn 2; 7.5.2015 – IX ZR 95/14, Rn 15 und 20, ZinsO 2015, 1262 ff; ebenso OLG Dresden NZI 2001, 261f; OLG Stuttgart ZIP 2004, 129 ff (mit zutreffendem Hinweis, dass nicht etwa auch umgekehrt aus dem fehlenden [Eigen-]Antrag auf die fortbestehende Zahlungsfähigkeit geschlossen werden könne). 359 BGH ZIP 2003, 1666, 1669, für einen Fall, in welchem 6 Monatsbeiträge offenstanden; die 6 Monate stellen nicht die Mindestfrist dar, Neuhof FS Beck, S 355 ff, 363. 360 BGH ZIP 2004, 319, 320. 361 Vgl dazu oben § 1 Rn 72. 362 BGH, 25.2.2016 – IX ZR 109/15, Rn 13 f, NZI 2016, 166 ff. 363 Dannecker/Knierim/Hagemeier Rn 77; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 44 vor §§ 82 ff GmbHG; Vorsicht ist allerdings geboten, wenn die Erträge die Aufwendungen übersteigen, vgl ua S/S/W/Bosch Rn 13 vor §§ 283 ff StGB.

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560 | 3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften

gegen Bar- oder gar Vorkasse. Nicht selten verhindert dann die (verständliche!) Angst der Gläubiger eine andernfalls mögliche Rettung. Allerdings ist es dem Schuldner kaum möglich, auf diese Weise legal zu agieren. Mag er auch noch nicht ganz insolvenzreif sein, so verschleiert er doch seine wahre wirtschaftliche Lage – und riskiert mit Eintritt der Insolvenz seine Bestrafung wegen Bankrotts gemäß § 283 Abs 1 Nr 8 StGB. Gleichwohl pflegen klamme Schuldner noch allzu gern den „schönen Schein“, obwohl intern schon längst die Krise, insbes die Zahlungsunfähigkeit, offenbar ist. Aus diesen Gründen kann mit der kriminalistischen Methode regelmäßig nur der Endzeitraum der vor der Insolvenz liegenden Krise betrachtet werden. Dem Angeklagten geschieht deshalb kein Unrecht, wenn er auf der Basis der gegenüber dem betriebswirtschaftlichen Gutachten gröberen wirtschaftkriminalistischen Methode verurteilt wird. Sind umgekehrt für diese Zeit keine äußeren Krisenanzeichen feststellbar, so muss in der Regel nicht mittels betriebswirtschaftlichen Gutachtens das Vorliegen von Zahlungsunfähigkeit nachzuweisen versucht werden, weil lediglich ein Ergebnis zu erwarten wäre, welches eine Einstellung, zumindest nach Opportunitätsgesichtspunkten nahelegte. Diese kann deshalb auch ohne Detailprüfung verfügt werden. 100 Anders mag zu entscheiden sein, wenn während dieser Zeit Bankrotthandlungen begangen wurden oder es sich um einen Wiederholungstäter handelt. Besteht dann noch der Verdacht, dass er es über längere Zeit verstand, die wenigen liquiden Mittel des Unternehmens zum Ausgleich der in die Zwangsvollstreckung geratenen Verbindlichkeiten einzusetzen, so bietet sich weiteres Prüfen an. Das muss nicht sogleich der Auftrag sein, ein betriebswirtschaftliches Gutachten zu erstellen. Davor liegt noch der Schritt, das Buchwerk, soweit es vorhanden ist, und parallel dazu die Geschäftsunterlagen – regelmäßig mit sachverständiger Hilfe – mit dem Ziel auszuwerten, nur für einen begrenzten Kreis erkennbare Krisenanzeichen aufzudecken als da wären364 Mahnungen, Ankündigungen von Zwangsmaßnahmen, Scheck- und Wechselproteste,365 aber auch rückständige Sozialversicherungsbeiträge,366 und Frühsignale wie die Ausdehnung von Zahlungszielen, Lieferantenwechsel, Umsatz- und Gewinnrückgang und Umstrukturierungen.367 Auch hier deckt sich das Ballen von Krisenanzeichen bei ausgebliebener Trendwende bis zum Insolvenzantrag mit dem spätesten Zeitpunkt des Eintritt der Zahlungsunfähigkeit. Häufig genügt zu deren Nachweis das Vorliegen einer Vielzahl von Frühsignalen – mangels Heimlichkeit typischerweise zugleich Beleg für das Vorliegen der subjektiven Tatseite, meist des Vorsatzes, mindestens aber der Fahrlässigkeit. Für die Praxis bietet es sich an, zunächst den Versuch zu unternehmen, die Zah101 lungsunfähigkeit mit der einfachsten und zugleich am wenigsten aufwendigen Variante der kriminalistischen Methode, der Auflistung der allg sichtbaren Krisenanzeichen, festzustellen. Misslingt dies, so ist es, wenn eine Einstellung des Verfahrens nach Opportunitätsgesichtspunkten ausscheidet, meist unumgänglich, einen betriebswirtschaftlichen Sachverständigen einzuschalten. Ob er sich mit der Zusammenstellung der nur einem beschränkten Kreis erkennbaren Krisenanzeichen begnügen kann oder erst durch

_____ 364 BGH, 24.4.2008 – II ZR 51/07, ZInsO 2008, 1019 f. Auflistungen bei Dannecker/Knierim/Hagemeier Rn 77; M-G/Richter Rn 78/42 f; NK/Kindhäuser Rn 100 vor §§ 283 StGB; G/J/W/Reinhart Rn 68 zu § 15a InsO; Weyand/Diversy Rn 51; A/R/R/Wegner Rn 7/1/87; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 150 ff zu § 84 GmbHG, der zudem in Rn 153 Indizien für eine geplante Insolvenz aufführt; Zöllner/App StbG 209, 505 ff; sa v Onciul S 69, 105 und 107. 365 Bittmann wistra 1999, 10, 15 mwN in Fn 113. 366 Vgl oben Rn 97. 367 Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 66 mit Rn 44 vor §§ 82 ff GmbHG.

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Erstellung eines den Grad der Unterdeckung genau ausweisenden Gutachtens zu einem sicheren Ergebnis zu gelangen vermag, ist abhängig vom Einzelfall. Generalisierungen sind hier nicht möglich. Bleiben auf allen Wegen Zweifel am Eintritt der Zahlungsunfähigkeit zu einem strafrechtlich relevanten Zeitpunkt, so wirkt sich dies zu Gunsten des Beschuldigten aus – je nach Sachlage in einer Einstellung gemäß § 170 Abs 2 StPO oder (bei Vorhandensein weiterer Aufklärungsmöglichkeiten) nach dem Opportunitätsprinzip.

b) Drohende Zahlungsunfähigkeit aa) Bedeutung und Begriffsverständnis Der Vorwurf der Insolvenzverschleppung kann nur darauf gestützt werden, dass trotz 102 eingetretener Zahlungsunfähigkeit oder bestehender Überschuldung kein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt wurde. Nach § 18 InsO bildet zudem bereits die drohende Zahlungsunfähigkeit einen Insolvenzauslösetatbestand.368 Darin liegt gem § 18 Abs 1 InsO aber nur die Möglichkeit eines zulässigen Eigenantrags. Weder kann ein Gläubiger seinen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgreich auf das Drohen der Zahlungsunfähigkeit stützen, noch schreibt § 15a InsO dem Verantwortlichen einer juristischen oder dieser gleichgestellten Person vor, bereits in dieser Lage Insolvenz anzumelden. Angesichts dessen ist es nur konsequent, dass es straflos ist, wenn es der Geschäftsführer trotz drohender Zahlungsunfähigkeit unterlässt, Insolvenz anzumelden. Der Gesellschaft steht es vielmehr frei, ob sie schon im Vorfeld eingetretener Zahlungsunfähigkeit Insolvenzantrag stellen will oder nicht. Anders als bei eingetretener Zahlungsunfähigkeit besteht hier Raum für Weisungen der Gesellschafter(versammlung) an die Geschäftsführung.369 Macht die Gesellschafterebene davon keinen Gebrauch und besteht keine satzungsmäßige Einschränkung, so darf allerdings der Geschäftsführer nach eigenem Ermessen entscheiden, ob er eine außergerichtliche Sanierung anstrebt, bis zum Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung abwartet oder sich schon jetzt der Möglichkeit einer Sanierung, theoretisch auch einer Liquidation, im staatlichen Insolvenzverfahren bedient. Allerdings muss er sachgerecht auf die bedrohliche wirtschaftliche Lage reagieren370 und die (auch strafbewehrten) Informationspflichten gegenüber den Gesellschaftern371 erfüllen. Es handelt sich bei der drohenden Zahlungsunfähigkeit demnach um einen fakultativen Insolvenzgrund. Zahlungsunfähigkeit droht nach der Legaldefinition des § 18 Abs 2 InsO dann, 103 wenn der Schuldner voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungsverpflichtungen im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit zu erfüllen. Dieser Insolvenzauslösetatbestand ist in Anlehnung an die Definition der (eingetretenen) Zahlungsunfähigkeit auszulegen. Für die strafrechtliche Praxis genügt es, drohende Zahlungsunfähigkeit dann zu bejahen, wenn mit Ausnahme der Dauer und des Grades der Unterdeckung (3 Wochen und 25%, bzw nach 3 Monaten noch immer 10%)372 die übri-

_____ 368 W/J/Beck Rn 8/119 ff; Drukarczyk/Schüler ZInsO 2017, 61 ff; Penzlin, S 113 ff, 115, setzen ihn mit der Überschuldung gleich; Röhm, NZI 2002, 134 ff, hält ihn im Eingangssatz des § 283 StGB für verfehlt; Scholz/Bitter Rn 72 ff vor § 64 GmbHG. Zum IDW-Standard vom 8.4.2015 Zabel/Pütz ZIP 2015, 912, 918; zur Bedeutung beim Schutzschirmverfahren gemäß § 270b InsO Ganter NZI 2012, 985 ff. 369 M-G/Richter Rn 80/33. 370 v Onciul, S 114 ff; Roth S 243; s oben § 7 sowie Rn 8/51 f. 371 Dazu oben Rn 4 ff. 372 Vgl dazu oben Rn 78 ff.

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562 | 3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften

gen Voraussetzungen der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit vorliegen und zudem die Überschreitung der genannten Grenzen an Dauer und Umfang wahrscheinlich ist.373 Zahlungsunfähigkeit kann sowohl drohen, wenn Liquiditätsschwierigkeiten schon 104 bestehen und nicht ersichtlich ist, dass und wie sie alsbald überwunden werden können, als auch dann, wenn sie erst für die Zukunft absehbar sind. Maßgeblich sind sowohl ein graduelles als auch ein zeitliches Moment. Zwar kann auch aufgrund eines Sondereinflusses die Zahlungsunfähigkeit drohen.374 Handelt es sich dabei um eine vorübergehende Belastung, so ist jedoch die Chance größer, ihr erfolgreich entgegenwirken zu können. Anders liegt es im Fall struktureller Unterfinanzierung. Nur wenn sie frühzeitig erkannt wird, besteht bei Bereitschaft, erforderliche Sanierungsmaßnahmen konsequent zu ergreifen,375 die Chance, die Liquidation außergerichtlich376 oder mittels eines Insolvenz(plan)verfahrens zu vermeiden.

bb) Feststellung der drohenden Zahlungsunfähigkeit 105 Ob und wenn ja, zu welchem Zeitpunkt der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit droht, lässt

sich durch das Aufstellen eines Liquiditätsplans feststellen.377 Weist ein solcher aus, dass Verbindlichkeiten zu einem späteren Zeitpunkt dauerhaft nicht mehr erfüllt werden können, dann droht (bereits jetzt) Zahlungsunfähigkeit. Maßgeblich ist dafür eine einfache Prognose. Sie hängt jedoch häufig von verschiedenen Ungewissheiten ab. Diese müssen nach betriebswirtschaftlichen Methoden bewertet werden.378 Nur wenn danach der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit überwiegend wahrscheinlich und nicht bloß möglich ist, kann von drohender Zahlungsunfähigkeit die Rede sein.379 Aufgrund der Unsicherheiten, die mit jeder Prognose notwendig verbunden sind, ist 106 es nicht sinnvoll, sie bis in alle Zukunft hinein zu erstrecken. Nach dem Gesetzeswortlaut ist auf den Zeitraum abzustellen, bis zu welchem die letzte der schon bestehenden Ver-

_____ 373 Bittmann wistra 1998, 321, 324 mN; NK/Kindhäuser Rn 99 vor §§ 283 ff StGB. Moosmayer, S 168 ff, stellt allein auf die Intensität der Drohung ab; unklar Plathner, S 182 ff. Er hält Verf eine Vermengung von drohender Zahlungsunfähigkeit und Zahlungsstockung vor. Darauf ist zu erwidern, dass letztere nur dann vorliegt, wenn prognostiziert werden kann, dass die Liquidität alsbald wiederhergestellt sein wird. Beides schließt sich allerdings in der Tat nicht aus: auch im Zustand drohender Zahlungsunfähigkeit kann es bereits vor dem erwarteten Eintritt der Zahlungsunfähigkeit zu vorübergehenden Zahlungsstockungen kommen. W/J/Beck, Rn 8/128, befürwortet im Hinblick auf den auf das Strafrecht nicht übertragbaren Zweck des § 18 InsO einen eigenen, engeren strafrechtlichen Begriff der „drohenden Zahlungsunfähigkeit“. 374 Beispiel: Naturkatastrophen wie die Fluten 2002 und 2013, auf die allerdings der Gesetzgeber mit vorübergehenden Erleichterungen im Insolvenzrecht reagierte, s bereits oben Rn 1. 375 Zum Strafbarkeitsrisiko des Beraters vgl Rönnau FS Kühl, 713, 732 ff; allg unten § 29. 376 Zu den Anforderungen BGH, 12.5.2016 – IX ZR 65/14, Rn 14 ff, 29 und 31 sowie 33 ff, ZInsO 2016, 1251 ff (dazu Lenger NZI 2016, 640 f). Im Fall der Einführung eines EU-impulsgesteuerten vorinsolvenzrechtlichen Sanierungs- oder Reorganisationsverfahrens stünde auch dieses zur Verfügung, wäre allerdings nicht außergerichtlich, sondern nur außerinsolvenzgerichtlich; dazu Albrecht ZInsO 2016, 2415 ff; Berger, ZInsO 2016, 2413; Leichtle/Schäffler/Wagner ZInsO 2016, 2420 ff. 377 Zum Liquiditätsstatus oben Rn 95. Er ist zum Zwecke der Feststellung drohender Zahlungsunfähigkeit allerdings erforderlichenfalls für einen längeren Zeitraum aufzustellen. Im Ansatz abw will NK/Kindhäuser, Rn 100 vor § 283 StGB, drohende Zahlungsunfähigkeit nur dann annehmen, wenn alle Berechnungsmethoden dies zum eindeutigen Ergebnis haben. 378 M-G/Richter Rn 78/54 befürwortet insoweit die Berücksichtigung des (für Prognosen aber ungeeigneten) Zweifelssatzes. 379 Zutr M-G/Richter Rn 78/54.

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bindlichkeiten fällig sein wird. Das kann allerdings Jahre dauern (zB bei Annuitätendarlehen für Bauvorhaben). Da sich die wirtschaftliche Entwicklung über einen derart langen Zeitraum aber nicht verläßlich überblicken lässt, muss die Frist kürzer bemessen werden. Regelmäßig wird die Betrachtung deshalb auf ein Jahr380 zu beschränken sein. Spätere Ereignisse können nur dann maßgeblich sein, wenn sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eintreten werden.381 Die Frist liegt allerdings unter einem Jahr, wenn die letzte der bereits begründeten Verbindlichkeiten früher fällig wird.382 Ein realistisches Bild der zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung setzt zudem voraus, dass nicht nur bereits bestehende Verbindlichkeiten berücksichtigt werden, sondern auch solche, die absehbar begründet werden (müssen), sofern sie nur vor Ablauf des Prognosezeitraums fällig (ggf.: gestellt383) werden.384 Geboten ist es ferner, nicht nur sicher fällig werdende Verbindlichkeiten zu berücksichtigen, sondern von Anfang an auch solche, deren Fälligwerden im Prognosezeitraum überwiegend wahrscheinlich ist.385 Ferner sind drohende Verluste anzusetzen386 und ist dem Ende eines Fördermittelzeitraums Rechnung zu tragen.387

_____ 380 Ebenso Röhm S 152ff; Dannecker/Knierim/Hagemeier Rn 85; aA Reck GmbHR 1999, 267, 270: Zeitpunktilliquidität, 30 Tage. Graf-Schlicker/Bremen Rn 11 zu § 18 InsO; Harz ZInsO 2001, 193, 197; v Onciul S 116f; Ressmann S 296; M/G/Rinjes Rn 32; LK/Tiedemann Rn 139 vor § 283 StGB: bis zum Ablauf des folgenden Geschäftsjahres. Insolvenzrechtlich will Burger, DB 1992, 2149, 2151, tatsächlich auf den Zeitpunkt abstellen, zu welchem die letzte der bestehenden Verbindlichkeiten fällig wird; ebenso Burger/Schellberg KTS 1995, 563, 572 f. Gegen jegliche Fristberechnung, stattdessen auf die Intensität der Drohung abstellend M-G/Richter Rn 78/53. 381 Zu den Einzelheiten vgl Bittmann wistra 1998, 321, 325. 382 Röhm S 154. 383 BGH, 5.2.2015 – IX ZR 211/13, Rn 13, ZInsO 2015, 841 ff. 384 BGH, 19.2.2013 – 5 StR 427/12, Rn 12, wistra 2013, 232 ff; MAH/Leipold Rn 19/87; Böttger/Verjans Rn 4/28; Harz ZInsO 2001, 193, 197; Fischer Rn 11 vor § 283 StGB mN; ausf Röhm, S 138 ff (mit berechtigter Kritik, S 146, an der mangelnden Präzision des Abstellens von Verf [wistra 1998, 321, 325 f] auf die „jeweils“ fälligen Zahlungspflichten); LK/Tiedemann Rn 139 vor § 283 StGB; tendentiell auch Reck, GmbHR 1999, 267, 270; aA BeckOK/Beukelmann Rn 27 zu § 283 StGB; auch Bieneck, StV 1999, 43, 45, der zwischen dem Stichtag einerseits und dem Prognosezeitraum andererseits unterscheidet. Für ersteren können (selbstverständlich) erst später entstehende Verbindlichkeiten nicht berücksichtigt werden, für letzteren hält Bieneck ebenfalls die erst noch einzugehenden Verbindlichkeiten für berücksichtigungsbedürftig, allerdings wie jetzt auch BGH, 21.1.2016 – IX ZR 84/13, Rn 18, NZI 2016, 355 ff (sa 5.12.2013 – IX ZR 93/11, Rn 10, ZIP 2014, 183 ff, mit weitergehender Formulierung, allerdings ohne zu thematisieren, ob der Senat tatsächlich auch die erst fällig werdenden Verbindlichkeiten meinte; nicht umfasst in BGH, 8.10.2009 – IX ZR 173/07, Rn 11, ZInsO 2009, 2148 ff) nur in Bezug auf die drohende Nichterfüllung bereits bestehender Verbindlichkeiten: Wenn deren Erfüllung bedroht ist, dann gilt dies jedoch auch für später begründete. So gesehen handelt es sich phänomenologisch um ein Scheinproblem, nicht aber juristisch: Wenn erst noch zu begründende Verbindlichkeiten ausgeblendet werden, mögen die Aktiva die übrigen Verbindlichkeiten abdecken, ohne dass sich allerdings die tatsächliche Liquiditätslücke mindern würde – die krisenhafte ökonomische Lage wäre nicht zu leugnen, warum sollte sie dann juristisch verneint werden? – Zum Parallelproblem bei der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit vgl oben Rn 90 und 92. 385 BGH 5.12.2013 – IX ZR 93/11, Rn 10, ZIP 2014, 183 ff (Prolongation der Kreditlinie unwahrscheinlich, selbst bei noch nicht abgebrochenen Verhandlungen, Rn 14). 386 Vgl zu beidem Bittmann wistra 1998, 321, 325f; aA Burger/Schellberg KTS 1995, 563, 572f; Uhlenbruck KTS 1994, 169, 171f; ders wistra 1996, 1, 4. 387 BGH, 21.1.2016 – IX ZR 84/13, Rn 14 f und 19, NZI 2016, 355 ff; Gleiches gilt bei befristeten Darlehen, BGH, 22.11.2012 – IX ZR 62/10, ZInsO 2013, 76 ff.

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c) Überschuldung aa) Begriffsverständnis 107 Während eine Unterbilanz388 schon dann vorliegt, wenn das Reinvermögen der Gesellschaft geringer ist als das gezeichnete Kapital, das Stammkapital also nicht mehr uneingeschränkt zur Verfügung steht, liegt Überschuldung389 gemäß § 19 Abs 2 S 1 InsO erst dann vor, wenn das Vermögen des Schuldners dessen bestehende Verbindlichkeiten nicht mehr abdeckt, das Stammkapital also gänzlich verbraucht ist. 108 „Überschuldung“ wird in der Betriebswirtschaft unterschiedlich verstanden. Eine gesetzliche Definition brachte erst die InsO mit sich. Zuvor waren die Einzelheiten heftig umstritten.390 Fortführungswerte391 sollten unter Rückgriff auf das steuerrechtliche Teilwertprinzip oder Ansatz der Reproduktionskosten, von Wiederbeschaffungs-, Ertrags-,392 Substanz- und Werten der Handelsbilanz bestimmt werden. § 19 Abs 2 S 2 InsO aF hatte ursprünglich vorgeschrieben, dass „jedoch“ bei der Bewertung des Vermögens die Fortführung des Unternehmens zugrunde zu legen sei, wenn diese nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich ist. Damit hatte der Gesetzgeber zweierlei ausgedrückt: zum einen hatte er nicht nur der historisch bereits zuvor überholten einstufigen oder statischen Methode der Überschuldungsprüfung eine Absage erteilt, sondern auch eindeutig die unter Geltung von KO und GesO entwickelte und vom BGH seit der DornierEntscheidung393 in stRspr394 angewandte sog modifizierte zweistufige (oder alternative = kumulative) Überschuldungsprüfung abgelehnt. Zum zweiten hatte er sich für den (ursprünglichen oder herkömmlichen) zweistufigen Überschuldungsbegriff entschieden, demzufolge das Risiko zwischen Gläubigern und Schuldner aufgeteilt wird: 395 seit 1.1.1999 waren bei positiver Fortführungsprognose going-concern-Werte anzusetzen, andernfalls Liquidationswerte.396 In beiden Fällen hing die Überschuldung davon ab, ob nachfolgend der Status positiv oder negativ ausfiel. Diese vom Gläubigerschutz geprägte Sicht gab der Gesetzgeber binnen Wochenfrist 109 in der Finanzkrise 2008 wieder auf, um zu verhindern, dass Unternehmen, deren Über-

_____ 388 Crezelius FS Uhlenbruck, S 619; Harz ZInsO 2001, 193, 198. 389 BGH wistra 2003, 232; W/J/Beck Rn 8/131 ff; Crezelius FS Uhlenbruck, S 619, 620; Götz KTS 2003, 1 ff (ausf auch zur Geschichte); Greil/Herden ZInsO 2010, 833 ff; Küting/Grau DB 2014, 729 ff; Scholz/Bitter Rn 20 ff vor § 64 GmbHG; Wuschek ZInsO 2011, 1734 ff. Zum IDW-Standard vom 8.4.2015 Zabel/Pütz ZIP 2015, 912, 918–920. Zur Sinnhaftigkeit und Zukunft rechtstatsächlich Bitter/Hommerich/Reiß, ZIP 2011, 1201 ff; dazu ergänzend K Schmidt ZIP 2013, 485 ff; vgl allg oben § 8 Rn 22 ff. Vermögenslosigkeit als Voraussetzung für eine Löschung gem § 394 Abs 1 FamFG ist demgegenüber erst gegeben, wenn überhaupt keine verteilungsfähigen Vermögenswerte mehr vorhanden sind, OLG Karlsruhe, 21.8.2014 – 11 Wx 92/13, ZInsO 2014, 2118 f. 390 Tiedemann Rn 158 vor § 283 StGB (Sonderdruck aus der 11. Aufl des LK) war der Auffassung, für das Strafrecht könne nur dann von einer Überschuldung unter Ansatz von Fortführungswerten die Rede sein, wenn sämtliche der dazu vertretenen Auffassungen dies Ergebnis trügen; auch Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 46 vor §§ 82 ff GmbHG, und v Onciul, S 148 ff, scheinen keine Auffassung für überzeugend zu halten; Förster, ZInsO 1999, 555 f, will Fortführungswerte aufgrund der Unsicherheit ihrer Feststellung schlicht „vergessen“. 391 Auf die kommt es seit der Neuregelung des § 19 Abs 2 InsO ab dem 18.10.2008 nicht mehr an. Die Probleme beim Versuch ihrer Bestimmung aufzeigend Eickes DB 2015, 933 ff; Kaiser ZIP 2012, 2478 ff; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 173-175 zu § 84 GmbHG. 392 Spliedt DB 1999, 1941f; abl Otto, NJW 1999, 554, 555, für den Ertragswerte nicht weit von „Kaffeesatzleserei“ entfernt sind; krit auch Höffner BB 1999, 198, 200, 201 sowie 252, 254. 393 BGHZ 119, 201, 214. 394 Nachweise bei Penzlin S 86, Fn 399. 395 Knapper Überblick über die Rechtsentwicklung bei Weyand/Diversy R 34–37. 396 Näher dazu sogleich Rn 112 und 116 f.

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lebensfähigkeit sich in einer positiven Fortführungsprognose ausdrückt, wegen allein aktuell, aber nur vorübergehend fehlenden Schuldendeckungspotentials in die Insolvenz getrieben würden. Seit dem 18.10.2008, Dauerrecht aber erst seit 12.12.2012,397 gilt demnach wieder, auch für das Strafrecht und mit Wirkung selbst für die Vergangenheit,398 der modifizierte zweistufige Überschuldungsbegriff. Seitdem liegt rechtliche Überschuldung erst und nur dann vor, wenn die rechnerische Überschuldung (auf der Basis von Liquidationswerten) mit dem Fehlen einer positiven Fortführungsprognose zusammentrifft, beides also kumulativ vorliegt. Bei positiver Fortführungsprognose, allerdings nur, wenn diese den gesetzlichen Anforderungen399 zumindest im Kern entspricht,400 scheidet demnach rechtliche Überschuldung aus. Erforderlich ist, dass die Prognose tatsächlich positiv ausfällt. Ein unklares Ergeb- 110 nis, gleiche Wahrscheinlichkeit für wirtschaftliche Überlebensfähigkeit und ihr Gegenteil, dh ein Patt, reichen nicht.401 Das gilt auch für das Strafrecht.402 Die seit Oktober 2008 umgestaltete Rechtslage vergrößert gleichwohl gegenüber dem in den Anfangsjahren der InsO geltenden herkömmlichen zweistufigen Überschuldungsbegriff den Handlungsspielraum des Schuldners. Der Gesetzgeber hat ihn jedoch damit „erkauft“, dass nunmehr wieder allein die Gläubiger das Risiko einer Fehlprognose tragen. Eine zwingende Prüfungsreihenfolge besteht nicht.403 Demnach kann der Schuld- 111 ner bzw sein Berater entweder mit dem Erstellen des Überschuldungsstatus oder der Fortführungsprognose beginnen. Die Entscheidung wird nach dem verhießenen geringeren Aufwand und deshalb meist zugunsten der Priorität der Prognose404 getroffen. Fällt eines der beiden Kriterien positiv aus, so braucht das zweite nicht mehr geprüft zu werden. Auf den Status kommt es nur bei negativer Prognose an. Diese weist in Richtung Liquidation. Dementspr sind im Überschuldungsstatus keine Fortführungs-, sondern eben Liquidationswerte anzusetzen. Ist unklar, ob Überschuldung besteht, insbes ob eine positive Fortführungsprognose gestellt werden kann, so hat der Pflichtige dies selbst oder durch Dritte (zB eine Beratungsgesellschaft) zu überprüfen. Geschieht dies unverzüglich und wird die Aufgabe selbst ebenfalls zügig durchgeführt, so darf der Schuldner ohne Insolvenzantrag solange weiterwirtschaften, wie sich die Insolvenzreife nicht abzeichnet (oder sie schon vor der Prüfung manifest war).405

_____ 397 Art 18 des (Omnibus-)Gesetzes zur Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess und zur Änderung anderer Vorschriften, BGBL I 2012, 2418 (2424). 398 W/J/Beck Rn 8/141; H Büttner ZInsO 2009, 841 ff (ausführlich); Ressmann S 268–270; aA Böttger/ Verjans Rn 4/157. 399 Dazu unten Rn 122 ff. 400 AA Püschel, FS Rissing van Saan, S 471, 481. 401 M-G/Richter Rn 79/22. 402 Näher dazu unten Rn 134. 403 Zur Reihenfolge beim herkömmlichen zweistufigen Überschuldungsbegriff s Voraufl, Rn 90 mN in Fn 226. 404 In systematischer Hinsicht sieht Böttger/Verjans Rn 4/21 in der rechnerischen Überschuldung eine Überschuldungsvermutung, die widerlegt werden kann mittels positiver Fortführungsprognose, letztere verstanden in objektiver Hinsicht wie drohende Zahlungsunfähigkeit. 405 Fischer NZI 2016, 665 ff, 668 ff. Zum Ansatz von Fortführungswerten s unten Rn 124.

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bb) Überschuldungsstatus 112 Ob rechnerische Überschuldung vorliegt, kann regelmäßig nicht der Jahresbilanz entnom-

men werden,406 weil dieser als Erfolgsbilanz407 die – typischerweise höheren – goingconcern-Werte zugrundeliegen, die Fortsetzung der werbenden Tätigkeit aber mit dem Stellen der Insolvenzfrage nicht nur in Zweifel steht, sondern angesichts negativer Fortführungsprognose sehr fraglich, ja ohne Umstrukturierung oder Sanierungsmaßnahmen dauerhaft gar nicht möglich ist. Die Bewertung ist deshalb ausschließlich unter Liquidationsgesichtspunkten vorzunehmen.408 Maßgebliches Ziel ist es sowohl aus Gründen des Gläubigerschutzes als auch um zu verhindern, dass marktgängige Unternehmen unnützerweise in ein Insolvenzverfahren gezwungen werden, das konkrete Schuldendeckungspotential des Unternehmens als Vermögensbilanz409 möglichst verlässlich festzustellen.410 Dies geschieht mittels Aufstellens einer Überschuldungsbilanz, auch genannt Überschuldungsstatus.411 Er fällt negativ aus, wenn die Vermögenswerte die Verbindlichkeiten nicht mehr abdecken, der Saldo also auf der Aktivseite als nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag ausgewiesen werden muss. Die Aussagekraft des Überschuldungsstatus‘ hängt ganz wesentlich von der „richtigen“ Bewertung ab, davon ob er „wahre“ Werte412 dokumentiert. Einen (einzigen), dh „richtigen“ Wert im mathematischexakten Sinne gibt es aber nicht.413 Tiedemann414 spricht seit langem drastisch, aber damit das Problem im Kern erfassend, von groben betriebswirtschaftlichen, notwendigerweise mit erheblichen Fehlern verbundenen Schätzungen. „Fehler“ darf dabei allerdings nicht als vorwerfbares Abweichen vom Richtigen missinterpretiert werden. Zutreffend ist dagegen, dass der „Wert“ immer von den konkreten Umständen abhängt und sich mit diesen ändert. Die wertbildenden Faktoren lassen sich aber weder sämtlich identifizieren und beschreiben, hängen sie doch zT sehr von subjektiven Vorlieben (Stichwort: Modemarke) ab, noch gar voraussehen. Die Begriffe Fortführungs- oder Liquidationswerte drücken daher (ebenso wie weitere Differenzierungen) keine unverrückbar feststehenden Größen aus, sondern bezeichnen lediglich die Leitlinie, begrifflich zusammengefasst, die

_____ 406 BGH, 8.3.2012 – IX ZR 102/11, Rn 4, ZInsO 2012, 732 f; 5.2.2015 – IX ZR 211/13, Rn 12, ZInsO 2015, 841 ff; M-G/Richter Rn 79/32; NK/Kindhäuser Rn 92 vor § 283 ff StGB; S/S/W/Bosch Rn 9 vor §§ 283 ff StGB; G/J/W/ Reinhart Rn 78 zu § 15a InsO; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 157 zu § 84 GmbHG. 407 MüKoGmbHG/Wißmann Rn 157 zu § 84 GmbHG. Zu Fortführungswerten s § 251 Abs 1 Nr 2 HGB sowie unten Rn 124. 408 Graf-Schlicker/Bremen Rn 11 und 24 zu § 19 InsO; G/J/W/Reinhart Rn 80 zu § 15a InsO; MüKoGmbHG/ Wißmann Rn 170 zu § 84 GmbHG; iE hM. S a unten Rn 124. 409 MüKoGmbHG/Wißmann Rn 157 und 172 zu § 84 GmbHG. 410 M-G/Richter Rn 79/7 und 33; G/J/W/Reinhart Rn 78 zu § 15a InsO. 411 BGH wistra 2003, 301 f; 7.3.2005 – II ZR 138/03, Rn 6, ZIP 2005, 807 f; 27.4.2009 – II ZR 253/07, Rn 9, ZInsO 2009, 1159 ff; 19.1.2016 – II ZR 303/14, Rn 26; S/S/Heine/Schuster Rn 51a zu § 283 StGB; Kußmaul/Palm StB 2015, 70 ff; S/S/W/Bosch Rn 9 vor §§ 283 ff StGB; G/J/W/Reinhart Rn 77 zu § 15a InsO; M-G/ Richter Rn 79/33 ff; Heni ZInsO 2008, 998 ff; MK/Hohmann Rn 43 zu § 15a InsO; NK/Kindhäuser Rn 93 vor §§ 283 ff; Fischer Rn 7d vor § 283 StGB; LK/Tiedemann Rn 151 vor § 283 StGB; A/R/R/Wegner Rn 7/1/20; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 157 zu § 84 GmbHG; Scholz/Bitter Rn 42 ff vor § 64 GmbHG; Weyand/Diversy Rn 38; W/J/Beck Rn 8/137 ff (mit Schema Rn 139 in Abgrenzung zur Insolvenzeröffnungsbilanz, Rn 140); MAH/Leipold Rn 19/48 f; Püschel, FS Rissing van Saan, S. 471, 481 ff. 412 So eine verbreitete und beliebte Formulierung, vgl MüKoGmbHG/Wißmann Rn 157 zu § 84 GmbHG; zur Bewertung von Sicherheiten bei Mithaftung Dritter vgl BGH, 11.2.2010 – 4 StR 433/09, Rn 13, wistra 2010, 219 f. 413 Die gegenteilige Annahme bezeichnet Becker NStZ 2016, 345 f, 346, als „naiv“. Zur betriebswirtschaftlichen Sicht auf Liquidationswerte s Wagner WPg 2016, 862 ff. Zum „Zeitwert“ von Fußballprofis s Handschin NZG 2012, 1281 ff. 414 LK/Tiedemann Rn 158 vor § 283 StGB mN.

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(Haupt-)Gesichtspunkte, die nach betriebswirtschaftlicher Erfahrung unter den jeweiligen Umständen zu berücksichtigen sind.415 Diese sind (immerhin) dem rationalen Diskurs und damit rechtstaatlichen Anforderungen genügender Konkretisierung zugänglich.416

(1) Korrektur der Bilanzansätze Für die Erstellung des Überschuldungsstatus muss nicht bei „Null“ angefangen werden. 113 Die Werte der Handelsbilanz können nämlich immerhin als Ausgangspunkt dienen, bedürfen aber der Korrektur.417 Anzusetzen sind einerseits sämtliche vermögenswerten und verwertbaren418 Aktivposten, andererseits nur die „echten“ Verbindlichkeiten,419 diese aber grundsätzlich unabhängig von ihrer Fälligkeit.420 Einige Bilanzpositionen entfallen demnach im Status gänzlich, verbleibende Aktivposten sind mit Abschlägen zu übernehmen.421 Bestehen Bilanzierungswahlrechte, so sind Vermögenswerte zu aktivieren, Verbindlichkeiten aber grundsätzlich nicht zu passivieren. Hinsichtlich der Höhe des Abschlags ist mathematische Gewissheit weder anzustre- 114 ben noch erreichbar. Für eine Evidenzprüfung kann es genügen, die Handelsbilanz zugrunde zu legen und nur um die stillen Reserven zu korrigieren.422 Iü richtet sich das Maß des Abschlags nach Erfahrungswerten, deren Spanne der Kaufmann in seiner Branche regelmäßig kennt. Zudem gibt es spezielle Verwertungsgesellschaften. Ihrer bedienen sich zuweilen Wirtschaftsprüfer bei der vorinsolvenzlichen Beratung, aber auch Gutachter im Insolvenzeröffnungsverfahren. Sie stehen auch der Strafjustiz zur Verfügung, wiewohl diese Aufgabe im Ermittlungs- und Strafverfahren zumeist einem Wirtschaftsreferenten oder externen Sachverständigen übertragen wird. Sie alle bedie-

_____ 415 ZB übertragende Sanierung, BGH, 26.1.2017 – IX ZR 285/14, Rn 27. Die objektiven Unsicherheiten dürfen aber nicht dazu führen, selbst die Beurteilungsrichtung offenzulassen, wie eine nicht entscheidungserhebliche Randbemerkung BGH, 19.1.2016 – II ZR 303/14, Rn 26, nahelegen könnte, in welcher der Senat für den Status „Verkehrs- oder Liquidationswerte“ für ansetzungsfähig erklärte. Übersicht zur Unternehmensbewertung in der Rspr bei Hachmeister/Ruthardt/Lampenius WPg 2011, 829 ff; Hachmeister/ Ruthardt WPg 2014, 894 ff; zur Bewertung kleiner und mittlerer Unternehmen Ballwieser/Franken/Ihlau/ Jonas/Kohl/Mackenstedt/Popp/Siebler WPg 2014, 463 ff; Gleißner WPG 2015, 908 ff (mit Blick auf die Insolvenzwahrscheinlichkeit). 416 Sa sogleich unten Rn 114. 417 BGH NJW 2001, 1136 mN; 1280 ff; ZIP 2001, 839 f; Bittmann wistra 1999, 10 ff, 12; Goette ZInsO 2001, 529 ff, 530; Haas DStR 2003, 423 ff, 424; Höffner BB 1999, 252 ff; NK/Kindhäuser Rn 92 f vor § 283 StGB; Weyand/Diversy Rn 38; sa Harz ZInsO 2001, 193 ff, 199; Penzlin S 84 f; Röhm S 186 ff; zu den Einzelheiten vgl unten Rn 116 f. 418 MüKoGmbHG/Wißmann Rn 178 zu § 84 GmbHG; s Auflistungen bei Weyand/Diversy Rn 40; und M/G/ Rinjes Rn 46. Die einem Aussonderungsrecht unterliegenden Vermögenswerte gehören lt v Onciul, S 145, 155 ff, nicht dazu. Das ist zumindest zweifelhaft, solange dadurch gesicherte Verbindlichkeiten passiviert werden und ein Anwartschaftsrecht (zB beim Kauf unter Eigentumsvorbehalt) oder eine Kaufoption (beim Leasingvertrag) besteht; zu freigegebenen Gegenständen s oben Rn 88. Erst nach Eröffnung entstehende Ansprüche zB aus Anfechtung gehören aber ebensowenig in den Status wie erst aufgrund des Insolvenzverfahrens entstehende Kosten, v Onciul S 145, 158f, einschließlich der Liquidationskosten, Ehlers DStR 1998, 1756, 1757; insoweit aA v Onciul S 159; sa Uhlenbruck, KTS 1994, 169, 173, der die Kosten ansetzen will, wenn die Liquidation feststeht – das soll ja aber auf der Basis der Überschuldungsbilanz gerade erst geprüft werden. 419 S/S/Heine/Schuster Rn 51a zu § 283 StGB; Auflistungen bei M/G/Rinjes Rn 48, s unten Rn 117. 420 V Onciul S 158. Anderes gilt hingegen im Fall positiver Fortführungsprognose für längerfristige Verbindlichkeiten, die eben ohne Insolvenz nicht sofort zu bedienen sind. Insoweit ist eine (umgekehrte) Wertberichtigung erforderlich, vgl Haas DStR 2003, 423, 425 mN. 421 Harz, ZInsO 2001, 193, 199, hält die Einzelveräußerungspreise für maßgeblich; v Onciul, S 148, befürwortet den Substanzwert als Untergrenze. 422 Bieneck wistra 2001, 53, 54.

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nen sich typischerweise Näherungswerten, gewonnen über Informationen aus der Bilanz und sonst in concreto zugänglicher Quellen, ergänzt mittels grober Schätzwerte unter großzügiger Anwendung des Zweifelsgrundsatzes. Dieser führt allerdings, wie allg bei Prognosen, nicht dazu, alle ernsthaft vertretenen Methoden durchprüfen und den beschuldigtenfreundlichsten Höchstwert zugrundelegen zu müssen.423 Der Abschlag kann selten für alle Positionen in gleicher Höhe angesetzt werden. 115 Maßgeblich ist vielmehr die konkrete, also auch konjunkturabhängige Marktgängigkeit – theoretisch jedes einzelnen Gutes. Unter dem Gesichtspunkt des Gläubigerschutzes müssten wegen Zeitdrucks und Veräußerungszwangs die schlechtesten Verwertungsmöglichkeiten angenommen, folglich minimale Zerschlagungswerte zugrundegelegt werden. Diese tragen aber den Interessen des Schuldners zu wenig Rechnung. Weil auch im Insolvenzverfahren selten eine sofortige Veräußerung geboten oder auch nur sachgerecht ist, dürfen die Preise angesetzt werden, welche bei einer geordneten Liquidation erwartet werden können.424 Sie liegen zwar oberhalb der Zerschlagungswerte, sind für gebrauchte Teile des Anlagevermögens regelmäßig425 aber noch immer arg niedrig und werden trotzdem häufig nicht erzielt. Der Bewertungsgegenstand (einzelne Vermögensstücke, Teile oder das Unternehmen als Einheit) hängt von den konkreten Umständen ab. Eine zumindest erste Orientierung bietet die Faustregel, dass die Bilanzwerte die Obergrenze bilden. Liegen höhere ernsthafte Angebote für einzelne Aktiva, das Gesamtunternehmen oder bestimmter seiner Teile vor, so sind diese maßgebend.426 Die Aktivseite427 erhöhen stille Reserven428 (zB aufgrund steuerrechtlicher Abschrei116 bungen über die tatsächliche Abnutzung hinaus, vgl § 254 HGB429), in der Jahresbilanz nicht aktivierungsfähige marktgängige immaterielle Vermögenswerte,430 zB Patente, Kundendatei.431 Der Firmenwert ist seit Inkrafttreten des BillMoG bilanziell nur aktivierbar, wenn er bei Übernahme des Unternehmens erworben wurde; er gilt zudem als zeitlich nur begrenzt nutzbarer Vermögensgegenstand, § 246 Abs 1 S 4 HGB, ist daher abzuschreiben.432 Im Status darf er dann angesetzt werden, wenn mindestens ein Erwerbsinteressent vorhanden ist, welcher ernsthaft bereit ist, dafür einen Preis zu zahlen433 und zudem gesichert ist, dass dieser Erlös dem Unternehmen, dh seinen Gläubigern, und

_____ 423 MüKoGmbHG/Wißmann Rn 170 zu § 84 GmbHG (anders aber Rn 162 und 177 aE); aA auch MAH/ Leipold Rn 19/56; LK/Tiedemann Rn 158 vor § 283 StGB. 424 W/J/Beck Rn 8/137; Bittmann wistra 1999, 10 ff, 11; Harz ZInsO 2001, 193, 198; ausf Höffner BB 1999, 198 ff, 199 f; Röhm S 190. 425 Anderes gilt zB für Spezialmaschinen insbes neuester Technik. 426 Röhm S 190 f. Zur übertragenden Sanierung s BGH, 26.1.2017 – IX ZR 285/14, Rn 27. 427 Auflistungen bei A/R/R/Wegner Rn 7/1/29 ff und Graf-Schlicker/Bremen Rn 27 zu § 19 InsO; G/J/W/Reinhart Rn 81 ff zu § 15a InsO. 428 BGH wistra 2003, 301, 302; 19.1.2016 – II ZR 303/14, Rn 26; BeckOK/Beukelmann Rn 8 zu § 283 StGB; M-G/Richter Rn 79/37; Reck BuW 1999, 823 ff, 827 und 829; LK/Tiedemann Rn 152 vor § 283 StGB. 429 BGH wistra 2003, 232; Nonnenmacher FS Moxter S 1315 ff, 1328 f; Reck BuW 1999, 823 ff, 829, für die Sachanlagen auf den Marktpreis abstellend; allg 865, 869. 430 Althoff BB 2016, 2017 ff; Berger ZInsO 2013, 569 ff; Fröhlich/Köchling ZInsO 2002, 478 ff; Harz ZInsO 2001, 193, 200; Reck BuW 1999, 823 ff, 828; Rohleder DB 2016, 1645 ff; C Schmidt DB 2014, 1273 ff. 431 OLG Saarbrücken NZI 2001, 41f. 432 Bittmann wistra 2008, 441 ff, 443; Harz ZInsO 2001, 193, 200; Reck BuW 1999, 823, 828; Steinbeck NZG 1999, 133 ff; Wertenbruch ZIP 2002, 1931. Da der Firmenwert im (potentiellen) Erlös oberhalb der Buchwerte besteht, ist er bei Verlustunternehmen negativ (jedenfalls nach Aufdeckung stiller Reserven und Vornahme der sonstigen Korrekturen der Jahresbilanz), s allg Preißer/Bressler BB 2011, 427 ff. Zur Betriebswirtschaft s Centrum für Bilanzierung und Prüfung (CBP), DB 2014, 1 ff. 433 OLG Frankfurt/Main NZG 2001, 173; Bork ZInsO 2001, 145 ff mwN; v Onciul S 154.

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§ 11 Insolvenzverschleppung | 569

nicht dem bisherigem Unternehmensträger zuflösse. Grundstücke sind trotz Belastung mit Grundpfandrechten dann zum vollen Verkehrswert anzusetzen, wenn die dinglichen Belastungen lediglich ohnehin passivierte Verbindlichkeiten der Gesellschaft sichern.434 Zu aktivieren sind auch Ansprüche gegen Gesellschafter und/oder Geschäftsführer,435 sofern sie werthaltig sind. Nicht ansatzfähig sind hingegen Rechnungsabgrenzungsposten, Aufwendungen für das Ingangsetzen des Unternehmens, eigene Geschäftsanteile436 und Forderungen gegen insolvenzreife Schuldner.437 Auf der Passivseite438 bedarf es zB des Eliminierens solcher Rückstellungen, die 117 sich auf zukünftige Verbindlichkeiten beziehen, welche im Liquidationsfall nicht mehr anfallen würden,439 zB Sonderrücklage für eigene Aktien oder Geschäftsanteile, Sonderposten mit Rücklagenanteil440 und evtl passivierte steuerliche Sonderabschreibungen.441 In den Status einer Komplementär-GmbH einer GmbH & Co KG müssen Rückstellungen in Höhe der KG-Verbindlichkeiten einfließen, für welche die GmbH aufgrund ihrer persönlichen Haftung voraussichtlich in Anspruch genommen werden wird.442 Keinen Eingang auf der Passivseite finden die nachrangigen, vgl § 39 Abs 1 Nr 5 InsO, Verbindlichkeiten wie Stammkapital und Rücklagen, wohl aber generell Rückstellungen für noch fällig werdende Verbindlichkeiten,443 auch für die voraussichtlichen Kosten der Liquidation, diejenigen eines Insolvenzverfahrens jedoch nur, wenn die Entscheidung für die Insolvenzanmeldung gefallen ist.444 Verpflichtungen aus einem beschlossenen, nicht aber einem noch ausstehenden Sozialplan445 sind ebenso zu passivieren wie unverfallbare im Gegensatz zu verfallbaren Pensionsanwartschaften.446 Drohverluste sind dann zu passivieren, wenn mit ihrem Eintritt auch im Liquidationsfall gerechnet werden muss.447 Gleiches gilt für Eventualverbindlichkeiten, für die Rückstellungen zu bilden sind.448

_____ 434 BGH wistra 2003, 301, 302. 435 AG Hamburg, 27.11.2007 – 67g IN 370/07, ZinsO 2007, 1283 (zust Marotzke ZinsO 2008, 57 ff; in concreto abl Heitsch ZinsO 2008, 793 ff) Bittmann wistra 1999, 10 ff, 13; Frystatzki NZI 2013, 161 ff; GrafSchlicker/Bremen Rn 29 zu § 19 InsO; Heitsch ZInsO 2015, 1375 ff; M-G/Richter Rn 79/37; v Onciul S 152 f; Sedemund DB 2003, 2423 ff (zum Regress bei Verfallanordnung). Das gilt auch für Forderungen gegenüber Gesellschaften ausländischer Rechtsform, Krüger ZInsO 2009, 2169 ff. 436 Lutter ZIP 1999, 641, 644. 437 BGH, 25.2.2016 – IX ZR 12/14, Rn 10, ZIP 2016, 581 ff. 438 Auflistung bei Weyand/Diversy Rn 41; ferner Graf-Schlicker/Bremen Rn 31 ff zu § 19 InsO; G/J/W/ Reinhart Rn 90 ff zu § 15a InsO; M-G/Richter Rn 79/38; BeckOK/Beukelmann Rn 9 zu § 283 StGB; LK/ Tiedemann Rn 152 vor § 283 StGB; A/R/R/Wegner Rn 7/1/42 ff. Zu bestrittenen Verbindlichkeiten s oben Rn 89. 439 KG NZG 2000, 479, 481; A/R/R/Wegner Rn 7/1/42; Bittmann wistra 1999, 10 ff, 12 ff. 440 BFH, 31.5.2005 – I R 35/04, GmbHR 2005, 1571 ff (dazu Beck EwiR 2006, 19 f); Reck BuW 1999, 865 ff, 867 f; sa AnwKStGB/Püschel Rn 17 vor §§ 283 StGB. 441 Zu allen drei Positionen Lutter ZIP 1999, 641 ff, 644. 442 M-G/Richter Rn 79/31. Die Haftung der Komplementär-GmbH ist in der Bilanz der KG aber kein Aktivposten, v Onciul S 153 f, wenn auch die GmbH insolvenzreif ist. 443 BGH, 22.9.2003 – II ZR 229/02, Rn 7, NJW 2003, 3629 ff (dazu Karsten NJ 2004, 129). Während der werbenden Tätigkeit gilt das ab dem Zeitpunkt, zu dem mit der Inanspruchnahme gerechnet werden muss. Das soll für Schadenersatzansprüche wegen betriebsbezogener Straftaten erst dann gelten, wenn mit der Entdeckung zu rechnen ist, BGH NJW 2003, 1821, 1823, zw. 444 Bittmann wistra 1999, 10 ff, 11 f; v Onciul S 160. 445 V Onciul S 159. 446 V Onciul S 160. 447 Zum Thema vgl Reck BuW 1999, 823 ff, 828; 865 ff, 866; auch Haas/Scholl ZInsO 2002, 645 ff. 448 Reck BuW 1999, 823 ff, 829.

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Die frühere Streitfrage449 nach der Passivierung unmittelbar kapitalersetzender Leistungen (aufgrund von § 32a GmbHG aF oder der inzwischen gesetzlich mit § 30 Abs 1 S 3 GmbHG außer Kraft gesetzten sog „Rechtsprechungsregeln“) stellt sich seit Inkrafttreten des MoMiG am 1.11.2008 nicht mehr. Hilfen von Gesellschaftern und ihnen Nahestehenden, § 138 InsO, sind wie Fremdkapital zu passivieren.450 Das gilt nicht für Verbindlichkeiten im Rang nach § 39 Abs 1 InsO, § 19 Abs 2 S 2 119 InsO. So verhält es sich, ohne dass dabei Unterschiede hinsichtlich der Person des Darlehensgebers (Gesellschafter/Nahestehender einerseits, Externer andererseits) gemacht würden, wenn hinsichtlich des Rückzahlungsanspruchs ein Rangrücktritt erklärt wurde.451 Liegt stattdessen eine gleichwertige und werthaltige Patronatserklärung452 vor, so ist die Passivierung des Darlehens mittels Aktivierung der daraus resultierenden (bedingten zukünftigen) Forderung in selbiger Höhe auszugleichen. Die Anforderungen an eine Rangrücktrittserklärung hat der BGH verändert. Während er im Jahre 2001453 die Passivierungspflicht nur bei einem Rücktritt hinter sämtliche anderen Gläubiger vernein-

118

_____ 449 BGH, 8.1.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264 ff; wN in Voraufl, Rn 11/88 m Fn 223–225; auch Bork/ Hölzle/Bittmann Rn 24/46 m Fn 30. 450 BGH, 1.3.2010 – II ZR 13/09, Rn 10, ZIP 2010, 1078 ff; G/J/W/Reinhart Rn 96 zu § 15a InsO; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 178 f, 187 und 189 f zu § 84 GmbHG (Rn 187 kann wohl nicht als Plädoyer verstanden werden, Leistungen Nahestehender auszunehmen); aA MAH/Leipold Rn 19/59. 451 BGH, Urt v 5.3.2015 – IX ZR 133/14, Rn 18, BGHZ 204, 231 ff (zu den Folgen Berger ZInsO 2015, 1938 ff; ders ZIP 2016, 1 ff; Grögler/Schneider ZInsO 2015, 1528 ff; Hoos/Köhler GmbHR 2015, 729 ff; Marotzke DB 2015, 2431 ff und 2495 ff [ausführlich]; Westpfahl/Kresser DB 2016, 33 ff; zur Bilanzierung: Kahlert BB 2016, 878 f versus W Müller BB 2016, 491 ff und 480; für das Strafrecht Hadamitzky ZInsO 2015, 1778 ff); auch bereits BGH, 1.3.2010 – II ZR 13/09, GmbHR 2010, 752 f; ferner OLG Celle 23.1.2014 – 2 Ws 347/13, Rn 24, ZInsO 2014, 1668 ff (verbal sogar einmal den Rang des § 39 Abs 1 Nr 5 InsO genügen lassend); BFH, 30.11.2011 – I R 100/10, ZGR 2012, 357 ff; de Bra/Weber, FS Eberhard Braun, S 1 ff; Graf-Schlicker/Bremen Rn 5 und 34 zu § 17 InsO; Haas DStR 2009, 326 f; MK/Hohmann Rn 28 zu § 15a InsO; NK/Kindhäuser Rn 93 vor §§ 283 ff StGB; Leithaus/Schaefer NZI 2010, 844 ff; G/J/W/Reinhart Rn 57 und 97 zu § 15a InsO; S/S/W/ Bosch Rn 10 vor §§ 283 ff StGB; Schwenker/Fischer DStR 2010, 1117 ff; Wazlawik NZI 2012, 988 ff; Westerburg/Schwenn BB 2006, 501 ff; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 147 und 178 f zu § 84 GmbHG. Dem Nachrangeinwand des Insolvenzverwalters über das Vermögen der Gesellschaft, § 39 Abs 1 Nr 5 InsO, kann der Insolvenzverwalter über das Vermögen des Gesellschafters („Doppelinsolvenz“) nicht die Anfechtung wegen Unentgeltlichkeit entgegensetzen, weil das der Gesellschaft gewährte Darlehen (oder die sonstige kapitalstützende Leistung) nicht ohne Gegenleistung erbracht wurde, sollte die Gesellschaft doch ihre (ggf: Rückgewähr-)Leistung lediglich erst in der Zukunft erbringen, BGH, 13.10.2016 – IX ZR 184/14, ZInsO 2016, 2479 ff; iE ebenso für einen Fall des Stehenlassens LG Potsdam, 14.9.2016 – 7 S 72/16, ZInsO 2016, 2488 ff; sa OLG Jena, 25.9.2015 und 18.11.2015 – 1 U 503/15, ZInsO 2016, 1366 und 1758: Nachrang gem § 39 Abs 1 Nr 5 InsO für den Darlehensrückzahlungsanspruchs eines nicht-mehr-Gesellschafters, aber vertraglich am Erfolg zu 80% Beteiligten; ferner LG Waldshut-Tiengen, 8.7.2016 – 2 O 229/15, ZInsO 2016, 1869 ff, zust Lenenbach ZInsO 2016, 1847 ff, zu einem Mischfall der Darlehensgewährung seitens eines Nichtgesellschafters, der den Betrag von anderen Nichtgesellschaftern, aber zum Teil auch von einem Gesellschafter zur Verfügung gestellt bekommen hatte, sowie BAG, 27.3.2014 – 6 AZR 204/12, Rn 15 ff, ZIP 2014, 927 ff (Vorinstanz: LAG Niedersachsen, 27.1.2012 – 6 Sa 1145/11, ZInsO 2012, 1079 ff), denen zufolge nicht geltend gemachte Lohnansprüche eines Arbeitnehmers, der zugleich (nicht nur kleinbeteiligter) Gesellschafter ist, ebenfalls nur im Rang des § 39 Abs 1 Nr 3 InsO zu befriedigen sind; ferner stellte BGH, 28.6.2012 – IX ZR 191/11, Rn 17, BGHZ 193, 378 ff (Vorinstanz OLG Köln, 27.10.2011 – 18 U 34/11, ZInsO 2012, 1081 ff) den stillen Gesellschafter den sonstigen Gesellschaftern insoweit gleich. 452 Eine solche kann nur ex nunc gekündigt werden, BGH, 20.9.2010 – II ZR 296/08, BGHZ 187, 69 ff (dazu Kaiser ZIP 2011, 2136 ff; Tetzlaff ZInsO 2011, 226 ff); Uhlenbuck/Hirte Rn 33 zu § 15a InsO. Keinen Einfluss auf die Überschuldung hat hingegen eine mit einem Regress verbundene Patronatserklärung, MüKoGmbHG/Wißmann Rn 178 zu § 84 GmbHG, es sei denn, bezüglich dieser Regressforderung besteht eine qualifizierte Rangrücktrittserklärung; zur Parallelsituation bei Darlehen MüKoGmbHG/Wißmann Rn 190 zu § 84 GmbHG. Sa oben Rn 88. 453 BGH, 8.1.2001 – II ZR 88/99, Rn 13, BGHZ 146, 264 ff.

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te,454 genügt nunmehr die Vereinbarung eines Ranges nach § 39 Abs 1 Nr 5 InsO.455 Nicht erforderlich ist die Vereinbarung eines durch die Insolvenz aufschiebend bedingten Erlasses der Rückforderung.456 Dahingehende Überlegungen im Gesetzgebungsverfahren sind aufgrund neuerer gesetzlicher und judikativer Entwicklungen überholt. Nicht gelockert hat der BGH das (früher aus der Eigenschaft als Kapitalersatz abge- 120 leitete) Gebot einer vorinsolvenzlichen Durchsetzungssperre457 ab Eintritt der Finanzierungskrise und bis zu deren nachhaltiger Überwindung, die währenddessen und auch schon zur Zeit ihres bloßen Drohens rechtsgeschäftlich allein durch Vereinbarung zwischen dem zurückgetretenen Gläubiger und dem Schulder nicht aufgehoben werden kann, sowie zudem als Rückzahlungssperre bis zur Überwindung der Krise zu wirken hat. Eine solche Rangrücktrittserklärung betrachtet der BGH als Vertrag zugunsten Dritter, nämlich der Gläubiger. Ihre Aufhebung verlange daher die Zustimmung aller Gläubiger. Damit verdinglicht der BGH die Rangrücktrittserklärung nach dem Vorbild des vereinbarten Abtretungsverbots, § 399 BGB. Unter Hinweis darauf, dass die Rangrücktrittserklärung nur den Geschäftsführer vor der Notwendigkeit der Insolvenzanmeldung bewahren solle, die Gläubiger aber immer nur über das rechtmäßige Verhalten der Geschäftsleitung mittelbaren Schutz genössen, lehnt K Schmidt 458 die Ausweitung der Durchsetzungssperre zu einem Zahlungsverbot ab. Zivilrechtlich hat seine Argumentation durchaus etwas für sich. Sie hat aber auch strafrechtliche Konsequenzen: Indem sie die Passivierungspflicht bereits unter erleichterten Voraussetzungen (= selbst bei Fehlen eines Zahlungsverbots) entfallen lässt, erleichtert sie die Möglichkeiten der Verantwortlichen, den Eintritt rechnerischer Überschuldung zu vermeiden, gelangt also (beschuldigtenfreundlich) nur unter Bejahung weiter verschärfter wirtschaftlicher Lage zur Insolvenzverschleppung, § 15a InsO. Gravierender noch sind die Auswirkungen auf die Strafbarkeit wegen Untreue, § 266 StGB,459 und Bankrotts, § 283 StGB,460 die nach der Auffassung von K Schmidt mangels Rückzahlungsverbots von vorn herein ausscheiden müssen. Bejaht man hingegen beide Tatbestände unter dem Aspekt des existenzvernich-

_____ 454 „Qualifizierte“ Rangrücktrittserklärung. Der Begriff ist jedoch nicht eindeutig. Der BGH verwendet ihn weiterhin, zB im Leitsatz 1 des Urt v 5.3.2015 – IX ZR 133/14, BGHZ 204, 231 ff, wenngleich mit anderem Inhalt, nämlich Rücktritt in den Rang nach § 39 Abs 1 Nr. 5 InsO. Demgegenüber beziehen C und M Brand, GmbHR 2015, 1125, 1126 f, Fn 23, den Begriff auf eine vorinsolvenzliche Durchsetzungssperre, die mit vereinbart werden kann, aber nur muss, soll die Passivierung vermieden werden. 455 MüKoGmbHG/Wißmann Rn 189 zu § 84 GmbHG. Zur rechtssicheren Gestaltung Henkel/Wentzler GmbHR 2013, 239 ff; sa Taplan/G Baumgartner/E Baumgartner GmbHR 2015, 347 ff; Leithaus/Schaefer NZI 2010, 844 ff, alle noch ohne Berücksichtigung der aktuellen Entscheidung des BGH v 5.3.2015; zu den dadurch eingetretenen Änderungen Hoos/Köhler GmbHR 2015, 729 ff. 456 BFH, 15.4.2015 – I R 44/14, ZInsO 2015, 1386 ff (gegen FG Niedersachsen NZG 2014, 1198 ff); 27.1.2016 – X R 33/13, Rn 47; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 179 zu § 84 GmbHG; aA BeckOK/Beukelmann Rn 11 zu § 283 StGB; Fischer Rn 7d vor zu § 283 StGB. 457 Ebenso Frystatzki NZI 2013, 609 ff; G/J/W/Reinhart Rn 99 zu § 15a InsO; Th Wolf ZWH 2014, 261 ff; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 189 zu § 84 GmbHG; aA Geiser NZI 2013, 1056 ff; Seidel/M Wolf, NZG 2016, 921 ff. Eine andere Frage ist, ob auch die Auszahlung der Verzinsungsansprüche gesperrt sein muss. In einem Fall, in dem Zinsen ausbezahlt wurden, sah das LG Stuttgart, 26.1.2015 – 6 KLs 34 Js 2588/10, Rn 24, wistra 2015, 485 ff, in der vorangegangenen Darlehensgewährung eine Handlung zum Verschleiern der eingetretenen Insolvenz. 458 K Schmidt ZIP 2015, 901, 906 ff; auch Beilage zu ZIP 22/2016; ders BB 2016, 2 ff; ferner Berger ZIP 2016, 1 ff. 459 S dazu unten § 16 Rn 138 f. 460 Differenzierend C und M Brand, GmbHR 2015, 1125 ff (Bankrott bei Rückzahlung trotz Rangrücktrittserklärung, ohne eine solche lediglich Gläubigerbegünstigung bei inkongruenter Rückgewähr bejahend).

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tenden Eingriffs, so steht die Rspr des IX. Zivilsenats in Übereinstimmung mit der Strafdrohung beider genannten Strafbestimmungen. Liegt keine Rangrücktrittserklärung vor, so ist die Leistung des Gesellschafters 121 oder eines Dritten in rückzahlungspflichtiger Weise erbracht und muss deshalb passiviert werden. Unabhängig von Parteivereinbarungen unterliegen jedoch Rückzahlungen, die im letzten Jahr vor der Insolvenzanmeldung an den Gesellschafter oder einen Nahestehenden461 erbracht wurden, der Anfechtung gemäß § 135 Abs 1 InsO. Rückzahlungen trotz Rangrücktritts sind jedoch nach § 134 InsO 4 Jahre lang anfechtbar.

(2) Fortführungsprognose 122 Mit der Fortführungsprognose ist die (objektive) Überlebensfähigkeit (des Unter-

nehmens) zu prüfen. Sie hängt ua sowohl von der (subjektiven462) Bereitschaft als auch der (objektiven) Fähigkeit der Finanziers ab,463 häufig anschaulich, aber nicht ganz präzise Überlebenswilligkeit genannt. Letztere fehlt regelmäßig bei Aushöhlungshandlungen, aber auch bei die Übersicht über den Vermögensstand erschwerenden Buchführungs- und Bilanzverstößen, und zwar selbst bei verbal gegenteiliger Bekundung. Die Fortführungsprognose soll klären, ob nach gegenwärtigem Erkenntnisstand die Zahlungsfähigkeit bis zum übernächsten Bilanzstichtag gesichert ist. Der Prognosezeitraum beträgt demgemäß maximal 2 Jahre.464 Mit einigen Aspekten der rechtlichen Anforderungen, denen eine Fortführungsprog123 nose genügen muss, hat sich der BGH in Zivilsachen bereits befasst.465 Sie stehen (zumin-

_____ 461 Zum Begriffsverständnis BGH, 15.11.2012 – IX ZR 205/11, Rn 9 ff, BGHZ 195, 358 ff (auch: Krisenberater). Zur Möglichkeit, Personen als nahestehend zu identifizieren Ruhnke/Kisseleva WPg 2012, 1079 ff. 462 BGH, 9.10.2006 – II ZR 303/05, Rn 3 aE, ZIP 2006, 2171 (Vorinstanz KG, 1.11.2005 – 7 U 49/05, ZInsO 2006, 437 ff); MüKoGmbHG/Wißmann Rn 160 zu § 84 GmbHG; G/J/W/Reinhart Rn 74 zu § 15a InsO; Fischer NZI 2016, 665 ff, 667, ordnet auch den im Hinblick auf zukünftige Entwicklungen bestehenden Beurteilungsspielraum der subjektiven Seite der Fortführungsprognose zu. 463 OLG Schleswig, 11.2.2010 – 5 U 60/09, Rn 54, ZInsO 2010, 530 ff; G/J/W/Reinhart Rn 74 zu § 15a InsO. 464 Haarmann/Vorwerk BB 2015, 1603 ff; Haas DStR 2003, 423,425; G/J/W/Reinhart Rn 75 zu § 15a InsO; Penzlin S 159; Schaub DStR 1993, 1483, 1486; NK/Kindhäuser Rn 94 vor § 283 StGB; S/S/Heine/Schuster Rn 51b zu § 283 StGB; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 160 und 183 zu § 84 GmbHG, auch Rn 171 mit zutr Hinweis auf die Notwendigkeit der Berücksichtigung etwaiger branchentypischer Besonderheiten; aA Bieneck StV 1999, 43, 44; Röhm S 184 f: Maximal 1 Jahr; A/R/R/Wegner Rn 7/1/56: 1–2 Jahre; Graf-Schlicker/Bremen Rn 15 zu § 19 InsO: 2 Jahre, branchenabhängig auch bis zu 3 Jahre. Zu pauschal sowohl OLG Saarbrücken NZG 2001, 414 f, welches im Fortbestand über 18 Monate eine positive Fortführungsprognose sieht, als auch v Onciul, S 119, der bei einer binnen 2 Jahren drohenden Zahlungsunfähigkeit eine negative Fortbestehensprognose annimmt. Für eine Sanierung kann der Zeitraum durchaus länger sein, Nonnenmacher FS Moxter S 1315, 1323 f. Das AG Hamburg, 2.12.2011 – 67c IN 421/11, ZInsO 2012, 183 f nahm eine negative Fortführungsprognose für den Fall absehbarer Zahlungsunfähigkeit binnen eines Zeitraums von 21/2 Jahren an. Für § 251 Abs 1 Nr 2 HGB beträgt die Prognose nur 1 Jahr, BGH, 26.1.2017 – IX ZR 285/14, Rn 24. 465 BGH, 23.2.2004 – II ZR 207/01, Rn 11, DB 2004, 1256, 1257; 9.10.2006 – II ZR 305/05, Rn 3, NZI 2007, 44 ff; 18.10.2010 – II ZR 151/09, Rn 13, ZIP 2010, 2400 ff; BGH, 26.1.2017 – IX ZR 285/14, Rn 24–28 (zu § 251 Abs 1 Nr 2 HGB); OLG Düsseldorf NZI 1999, 320 ff, 322; OLG Karlsruhe, DStR 2000, 1529; OLG Köln WM 2001, 1160 ff, 1161 f; LG Göttingen, 3.11.2008 – 10 T 119/08, ZInsO 2009, 382 ff; Übersicht bei Ganter NZI 2014, 673 ff; aus der übrigen Lit: Aleth/Harlfinger NZI 2011, 166 ff; Ehlers NZI 2011, 161 ff; Frystatzki NZI 2011, 173 ff; Görg, FS Streck, S 823, 825; Greil/Herden ZInsO 2011, 109 ff, 111 ff; Kring wistra 2013, 257, 258 ff; Kühne/Nickert ZInsO 2014, 2297 ff; Meyer-Löwy/Fritz, ZInsO 2011, 662 ff; G/J/W/Reinhart Rn 74 zu § 15a InsO; MG/Richter Rn 79/19 ff; MK/Hohmann Rn 46 zu § 15a InsO; Püschel, FS Rissing van Saan, S. 471, 480 f; v Onciul S 137 ff; Riegger/Spahlinger, FS Wellensiek, S 119 ff; Roth S 241 ff; Scholz/Bitter Rn 32 vor § 64 GmbHG; Sikora ZInsO 2010, 1761 ff; Veit, DB 2000, 1928, 1929; Wackerbarth NZI 2009, 145 ff; Wolf ZWH 2014, 94 ff (zu OLG München, 14.6.2012 – 3 Ws 493/12, wistra 2013, 75 f). M/G/Rinjes Rn 43 ist der Auffassung, die InsO

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dest im Kern) im Einklang mit der Auffassung des Fachausschuss Recht des Instituts der Wirtschaftsprüfer. Danach ist „die Fortführungsprognose … das qualitative, wertende Gesamturteil über die Lebensfähigkeit des Unternehmens in der voraussehbaren Zukunft bzw über dessen Verwertungsaussichten. Sie wird auf der Grundlage des Unternehmenskonzepts und der Finanzplanung getroffen.“466 Sie zielt nicht auf das Vorhandensein zur Wiederbeschaffung erforderlicher Werte, sondern dient (zumindest im ersten Schritt) der Prüfung und Feststellung zukünftiger Ertragsfähigkeit. Dabei wird man sich an den Daten der Vergangenheit (reine Anlaufverluste lassen sich leichter überwinden als dauerhafte Verkaufs-Dumpingpreise), den Ergebnissen einzelner Betriebsabteilungen, den betriebswirtschaftlichen Kennzahlen sowie den sonstigen mikro- und makroökonomischen Erkenntnissen zu orientieren haben (zB Innovations- und Investitionsbedarf, Marktdynamik, gesamtwirtschaftliche Entwicklung). Auch das benchmarking kann hilfreich sein. Daneben werden auch „weiche“ Kriterien wie zB der Ausbildungsstand des Personals und die Leistungsfähigkeit des Managements Berücksichtigung finden müssen.467 Maßstab ist der ordentliche Kaufmann, der eine gewissenhafte und sachkundige Prüfung aller erkennbaren wesentlichen Faktoren vornimmt.468 Trotz dieses Blicks auf die Ertragsfähigkeit ist die Fortführungsprognose nach hM469 124 eine reine Zahlungsfähigkeitsprognose, weil die Zahlungsfähigkeit und damit das wirtschaftliche „Überleben“ auf zweierlei Weise gesichert werden kann: Entweder aufgrund eigener Ertragsfähigkeit oder mittels Kapitalzufuhr von außen. Die betriebswirtschaftliche Fortführung ist nur bei vorhandener Ertragsfähigkeit gesichert, eine insolvenzrechtliche Fortbestehensprognose kann jedoch auch bei ausreichend sicherer Kapitalzufuhr positiv ausfallen. Selbst bei negativer Fortbestehensprognose sind jedoch in dem Umfang Fortführungswerte im Überschuldungsstatus anzusetzen, wie eine Fortführung (ggf teilweise) trotz Insolvenz (zB mittels übertragender Sanierung) realistisch ist.470

_____ habe die Anforderungen an eine Fortführungsprognose erhöht. Wem die Erstellung eines Jahresabschlusses übertragen wurde, der hat zudem die Fortführungsfähigkeit im Blick zu haben und muss die antragspflichtige Geschäftsleitung auf Gefahren hinweisen, BGH, 26.1.2017 – IX ZR 285/14, Rn 43–47; Harrison/Solmecke WPg 2016, 1266 ff. 466 OLG Schleswig, 11.2.2010 – 5 U 60/09, Rn 57, ZInsO 2010, 530 ff; Graf-Schlicker/Bremen Rn 15 ff zu § 19 InsO; Fischer NZI 2016, 665 ff; Höffner BB 1999, 198, 202 f und 204 f; Nonnenmacher FS Moxter S 1315, 1316 ff; Böttger/Verjans Rn 4/23; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 160 und 170 f zu § 84 GmbHG; sa LG Hildesheim GmbHR 2003, 1484 ff, 1485 f mAnm Blöse. S oben Rn 95. Ein Finanzplan ist entbehrlich, wenn die Fortführungsprognose aufgrund drohender Zahlungsunfähigkeit nicht anders als negativ ausfallen kann, LG Stuttgart, 26.1.2015 – 6 KLs 34 Js 2588/10, Rn 19, wistra 2015, 485 ff. 467 Bittmann wistra 1999, 10 ff, 14; Tiedemann Rn 160 f vor § 283 StGB. 468 OLG Schleswig, 11.2.2010 – 5 U 60/09, Rn 60, ZInsO 2010, 530 ff; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 160 zu § 84 GmbHG. 469 LG Stuttgart, 26.1.2015 – 6 KLs 34 Js 2588/10, Rn 19 mN, wistra 2015, 485 ff; Graf-Schlicker/Bremen Rn 14 zu § 19 InsO; Fischer NZI 2016 665 ff; MüKo/Drukarczyk/Schüler Rn. 59 zu § 19 InsO; Frystatzki NZI 2011, 173 ff; Ressmann S 207- 210, 261 mN; M/G/Rinjes Rn 37; N/R/Mönning Rn 15 zu § 15a InsO; Uhlenbruck/Mock Rn 213 f. zu § 19 InsO; iE ebenso MüKoGmbHG/Wißmann Rn 171 zu § 84 GmbHG; wohl auch W/J/Beck Rn 8/136 (zumindest keine „echte“ Ertragsfähigkeitsprognose); Weyand/Diversy Rn 37 („im Kern“ Zahlungsunfähigkeitsprognose); aA AG Hamburg, 2.12.2011 – 67c IN 421/11, ZIP 2012, 1776 ff (dagegen = pro Berücksichtigung der Ertragskraft als Faktor bei der Bestimmung zukünftiger Zahlungsfähigkeit Bitter/Kresser ZIP 2012, 1733 ff); inhaltlich wohl ebenso MAH/Leipold Rn 19/61; für Maßgeblichkeit der Ertragsfähigkeit (iS der Erwirtschaftung des Schuldendeckungspotentials, nicht auch von Gewinnen) Grube/Röhm wistra 2009, 81, 83; M-G/Richter Rn 79/25 ff; uneingeschränkt S/S/Heine/Schuster Rn 51b zu § 283 StGB. Die notwendige Differenzierung zwischen Übeschuldung und Zahlungsunfähigkeit, M-G/Richter Rn 79/25, bereitet regelmäßig keine Schwierigkeiten, aA Grube/Röhm wistra 2009, 81, 83. 470 BGH, 26.1.2017 – IX ZR 285/14, Rn 27 (zu § 251 Abs 1 Nr 2 HGB).

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574 | 3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften

§ 19 Abs 2 S 1 InsO stellt auf die Wahrscheinlichkeit der Fortführung ab. Gleichwohl ist der hM insoweit zu folgen, als der Sache nach auf die Fähigkeit zur Deckung gegenwärtiger und bis zum übernächsten Bilanzstichtag noch einzugehender, jeweils fälliger Verbindlichkeiten abzustellen ist. Die Prognose als Teil der Überschuldungsprüfung zielt daher auf die Feststellung des Schuldendeckungspotentials der Gesellschaft. Sie ist damit quasi die Kehrseite der Prüfung drohender Zahlungs-, dh zukünftiger Geldleistungsunfähigkeit.471 Maßgeblich ist für die Fortführungsprognose demnach in der Tat, ob die Zahlungsfähigkeit bis zum übernächsten Bilanzstichtag mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gesichert ist. Aus welchen Umständen die positive Wahrscheinlichkeit folgt, ist demgegenüber nachrangig. Sowohl Ertragsfähigkeit als auch Kapitalzufuhr genügen dafür jedoch nicht durchweg, sondern nur dann, wenn erstere ausreichend und letztere auch rechtlich gesichert ist, etwa aufgrund Vorliegens einer (werthaltigen) Patronatserklärung.472 Ertragsfähigkeit ist zu bejahen, wenn das Unternehmen leistungsfähig genug ist, 126 seine laufenden Verbindlichkeiten aus eigener Kraft zu erfüllen, wenngleich nicht unbedingt allein aus selbst erwirtschafteten Mitteln, sondern ggf auch im Wege der Vorfinanzierung per Kredit. Die Vermögenskrise im Vorfeld der Überschuldung ist jedoch dadurch gekennzeichnet, dass bereits Verbindlichkeiten in nahezu der Höhe des gesamten Aktivvermögens bestehen. Allein ausreichend für die Begründung einer positiven Fortführungsprognose ist die vorhandene oder zu erwartende Ertragsfähigkeit daher nur dann, wenn bis zum übernächsten Bilanzstichtag nicht nur die Tilgung der laufenden Verbindlichkeiten gesichert ist, sondern auch die Bezahlung der bereits bestehenden fälligen Schulden. Erscheint die Ertragsfähigkeit als ausreichend gesichert, so fällt die Fortführungsprognose positiv aus.473 Angesichts der zu konstatierenden krisenhaften Entwicklung ist diese Erwartung typischerweise auf der Basis der bestehenden Strukturen unrealistisch. Sie erfordert demnach regelmäßig einschneidende Sanierungsmaßnahmen mit massiver Kostensenkung.474 Sie zu realisieren kostet Zeit, nur allzu oft länger als die maximal 2 Jahre, die das Gesetz für außergerichtliche Maßnahmen einräumt. Die Liquidation ist dennoch nicht die zwingende Folge. Die Sanierung und notwendige Reorganisation kann von Gesetzes wegen in einem 127 Insolvenzverfahren angestrebt werden, evtl sogar in Eigenverwaltung und mittels Insolvenzplans, ggf vorgelagert in einem vom ESUG eingeführten, bei Überschuldung und lediglich drohender Zahlungsunfähigkeit zulässigen Schutzschirmverfahren, § 270b InsO (vielleicht de lege ferenda in einem eigenständigen vorgerichtlichen Reorganisationsverfahren). Die auch damit notwendigerweise verbundene Publizität kann nur dadurch vermie128 den werden, dass die Zahlungsfähigkeit bis zum übernächsten Bilanzstichtag auf andere Weise gesichert wird. Vage Hoffnungen, selbst realistisch erscheinende Planungen ge125

_____ 471 V Onciul S 141. 472 Zutr Graf-Schlicker/Bremen Rn 14 zu § 19 InsO; M-G/Richter Rn 79/27; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 171 zu § 84 GmbHG. 473 Penzlin S 85; ders NZG 2000, 464, 466 ff; Harz, ZInsO 2001, 193, 198, stellt umgekehrt vorrangig auf die zukünftige Zahlungsfähigkeit und erst darüber hinaus auf die Ertragskraft ab. Ausf zur Thematik Drukarczyk WM 1994, 1737, 1741 ff. 474 Sind Gläubiger nicht zum (Teil-)Verzicht bereit, hängt aber der Erfolg der Sanierung von diesem Verzicht ab, so ist die Fortführungsprognose negativ, BGH DB 2004, 1256, 1257.

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nügen dafür allerdings nicht. Die Zufuhr von Fremd- oder Eigenkapital,475 sei es zu Überbrückungs-, sei es zu Investitionszwecken, ist zwar bedeutsamer. Ihr kommt aber trotzdem nur eine Indizwirkung zu. Kapitalgeber erwarten in aller Regel eine angemessene Verzinsung, die zu erwirtschaften genügende Ertragskraft voraussetzt. Anderes kann allerdings für Zweckgesellschaften innerhalb einer Konzernstruktur (und für Liebhaberei, die jedoch im vorliegenden Zusammenhang nicht praxisrelevant ist), gelten. Dafür muss es aber zumindest konkrete und fallbezogene Anhaltspunkte geben. Der altruistische „weiße Ritter“ ist jedenfalls regelmäßig nur eine Schimäre. Der Einschuss kleinerer Beträge kann auf unrealistischer Selbstsuggestion, betrüge- 129 rischer Absicht oder schlichtem „Weiterwursteln“ beruhen, so dass es sein kann, dass er objektiv lediglich der Verlängerung des „Todes-“kampfes dient. Die Zahlungsfähigkeit ist allein damit bereits für den Prognosezeitraum noch nicht gesichert, erst recht nicht für die Zeit jenseits des nächsten Bilanzstichtags. Es bedarf demgemäß entweder der tatsächlichen Zufuhr von Kapital in einer Größenordnung, welche für sich den zu erwartenden Finanzbedarf innerhalb der jeweils betrachteten Frist abdeckt oder zumindest juristisch gesicherter liquider Zusagen – am verlässlichsten auf der Basis eines ehrlichen Sanierungsplans, bei Krediten: mit tragbaren Tilgungsraten. Das ist perspektivisch schon deshalb geboten, weil mit dem jeweiligen Ende des laufenden Geschäftsjahrs eine neue Prognose erstellt werden muss – bis zum Ablauf des dann nächsten Geschäftsjahres, also für insgesamt zwei und damit ein volles zusätzliches Kalenderjahr. Nur wenn auch diese neuerliche Prognose positiv ausfällt, ist weiterhin kein Insolvenzantrag wegen Überschuldung geboten. Das Ergebnis der Erst- kann zB dann von der Folgeprognose abweichen, wenn die Rückzahlung eines Kredits nach Ablauf des ersten Prognosezeitraums fällig wird. Die Prognose hat weniger den Verlauf als das Ende des zu betrachtenden Zeitraums 130 in den Blick zu nehmen. Sie kann also durchaus positiv ausfallen, selbst wenn sie bezogen auf das laufende Geschäftsjahr negativ,476 und umgekehrt negativ, wenn sie bis einen Tag vor dem übernächsten Bilanzstichtag positiv ausfällt, an diesem aber nicht mehr. Sie ist hingegen positiv, wenn die Erlöse des folgenden Geschäftsjahrs477 den Aufwand nicht decken, der Überschuss des laufenden Jahres diese Lücke aber zu füllen vermag (ebenso wie umgekehrt). Noch nicht konsentiert ist die Lösung der Konstellation, in der eine positive Fortfüh- 131 rungsprognose vorliegt, die rechnerische Überschuldung jedoch über das Ende des Prognosezeitraums hinaus fortbestehen wird. Das ist etwa dann der Fall, wenn sich die Ertragsfähigkeit erst zum Ende der Frist wieder positiv zu entwickeln verspricht, in der verbleibenden Zeit aber nicht ausreichend Gewinne generiert werden können, um den aktuell nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag am Ende des Folgegeschäftsjahres auszugleichen. In der Konsequenz des modifizierten zweistufigen Überschuldungsbegriffs liegt es jedoch, auch in dieser Lage Überschuldung zu verneinen. Die Aussicht auf einen den Aufwand übersteigenden Ertrag belegt das im Kern gesunde Geschäftsmodell. Zahlungsunfähigkeit liegt aktuell nicht vor – sonst müsste deshalb Insolvenz angemeldet werden und es käme auf die Überschuldung gar nicht an. Die positive

_____ 475 v Onciul S 137 ff. Die Wirksamkeit einer solchen Zusage kann allerdings vom Fortbestehen des Unternehmens abhängig sein, KG NZG 2001, 749f. 476 Graf-Schlicker/Bremen Rn 19 zu § 19 InsO; aA v Onciul S 143, der die Überwindung rechnerischer Überschuldung binnen drei Wochen verlangt; so auch Voraufl, Rn 102. 477 HM, zB Dannecker/Knierim/Hagemeier Rn 62.

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Fortführungsprognose belegt zudem, dass der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit im maßgeblichen Zeitraum nicht zu erwarten steht. Daran ändert der Fortbestand rechnerischer Überschuldung nichts. Hierin kommt die bewusste Entscheidung des Gesetzgebers zum Ausdruck, die 132 Gläubiger mit dem nunmehr wieder geltenden modifizierten zweistufigen Überschuldungsbegriff das Risiko einer Fehlprognose tragen zu lassen. Das gilt allerdings nicht undifferenziert, sondern uneingeschränkt nur im Hinblick auf die prognostizierte Ertragsfähigkeit. Soweit sie nicht ausreicht und es deshalb der Zufuhr von Kapital bedarf, müssen die Gläubiger das Risiko des in der rechnerischen Überschuldung dokumentierten Fehlens ausreichenden Schuldendeckungspotentials hingegen nicht tragen. Das Gesetz macht sie nicht vom Wohlwollen Dritter abhängig. Vielmehr fällt die Fortführungsprognose im Umfang ungenügender Ertragsfähigkeit nur dann positiv aus, wenn die Zahlungsfähigkeit auf andere Weise nicht nur gesichert werden soll, sondern wirtschaftlich und rechtlich gesichert ist. Das Gesetz stellt auf das Überwiegen der Wahrscheinlichkeit der Fortführung und 133 damit auf ein quantitatives Element ab. Das ist allerdings nicht gleichzusetzen mit einer mathematischen Wahrscheinlichkeitsrechnung. Niemand kann mit forensischer Sicherheit behaupten, der Fortbestand sei zu 50,01% wahrscheinlich und damit juristisch positiv. Das gaukelte eine unrealistische Scheingenauigkeit vor. Abzustellen ist vielmehr auf eine wertende Betrachtung der einschlägigen Parameter seitens eines Sachkundigen und (jenseits des Bereichs des Evidenten) auch Neutralen. Führt die Prognose zu keinem klaren Ergebnis, so ist die Fortführung nicht über134 wiegend wahrscheinlich, so dass es an der erforderlichen positiven Fortführungsprognose fehlt.478 Folglich steht eine unklare ebenso wie eine 50 zu 50 Prognose der Annahme vorliegender Überschuldung nicht entgegen. Das gilt auch im Strafrecht.479 Ein insolvenzrechtliches Begriffsverständnis ist nur dann zu korrigieren, wenn es mit strafrechtlichen oder strafprozessualen Grundsätzen kollidiert (wie bei der zivilrechtlichen Vermutung der Zahlungsunfähigkeit aufgrund eingestellter Zahlungen, § 17 Abs 2 S 2 InsO). Ein solcher Widerstreit besteht jedoch im Hinblick auf die zivilrechtliche Definition der Überschuldung nicht. § 19 Abs 2 S 1 InsO stellt tatbestandlich (nur) auf das Vorliegen einer positiven Fortführungsprognose ab. Das hält sich, auch mit Wirkung für das Strafrecht, innerhalb des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums. Eine Korrektur dahingehend, strafrechtlich genüge die nicht ganz ausgeschlossene Fortführung („Lottotheorie“480), kommt demnach nicht in Betracht.481 Das Gegenteil folgt auch nicht aus dem Grundsatz „in dubio pro reo“. Er stellt ausschließlich eine Entscheidungsregel des In-

_____ 478 Fischer NZI 2016, 665 ff, 666 f. 479 Wie hier M/R/Altenhain Rn 13 zu § 283 StGB; M-G/Richter Rn 79/22; M/G/Rinjes Rn 43 (anders aber Rn 37); MK/Hohmann Rn 46 zu § 15a InsO; aA W/J/Beck Rn 8/142; Böttger/Verjans Rn 4/23; Ressmann S 253–267, sich dabei ausdrücklich gegen Verf wendend, inhaltlich aber wohl nicht auf eine tatsächlich angestellte Fortführungsprognose, sondern auf die objektive Fortführungsfähigkeit während der Prognosedauer abstellend und in dieser eine dem Zweifelsgrundsatz unterworfene Tatsache sehend. Für solche gilt in der Tat der Zweifelssatz. Trotzdem bleibt die Aussage (S 255) falsch, 50%-Wahrscheinlichkeit genüge, sei aber auch erforderlich, weil halt die einen 50% die anderen 50% nicht überwiegen. 480 W/J/Beck Rn 8/143 aE; MAH/Leipold Rn 19/46; G/J/W/Reinhart Rn 78 zu § 15a InsO Rn 74 zu § 15a InsO; AnwKStGB/Püschel, Rn 15 vor §§ 283 ff; Böttger/Verjans Rn 4/23; Dannecker/Knierim/Hagemeier Rn 62 (zum Überschuldungsbegriff 1999 – 2008); LK/Tiedemann Rn 155 vor § 283 StGB; Scholz/Tiedemann/ Rönnau Rn 46 vor §§ 82 ff GmbHG; Wegner HRRS 2009, 32, 34. 481 Bittmann HRRS 2016, 38 ff, 53; BeckOK/Beukelmann Rn 15 zu § 283 StGB; S/S/Heine/Schuster Rn 51b zu § 283 StGB; Weyand/Diversy Rn 37 aE; referierend MüKoGmbHG/Wißmann Rn 176 zu § 84 GmbHG.

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halts dar, dass eine belastende Tatsache nicht angenommen werden darf, wenn an ihrem Vorliegen oder Fehlen trotz Ausschöpfens aller Beweismittel Zweifel verblieben sind.482 Für die Lösung von Rechtsfragen gilt der Zweifelssatz dagegen gerade nicht. Die Rechtslage erschließt sich mittels Auslegung. Erst das so gewonnene und damit maßgebliche Begriffsverständnis bestimmt die Tatsachen, die – positiv oder negativ – zum Bejahen oder Verneinen eines Tatbestandsmerkmals vorliegen müssen bzw nicht vorliegen dürfen. In Bezug auf die Frage, ob das der Fall ist, gilt hingegen am Ende des Erkenntnisprozesses der Zweifelsgrundsatz, dh uneingeschränkt im Hinblick auf die tatsächlichen Umstände, die vom Verantwortlichen oder in dessen Auftrag bei der angestellten und im Ermittlungs- oder Strafverfahren vorliegenden Fortführungsprognose zugrundegelegt wurden. Unklarheiten darüber, ob bestimmte Tatsachen wie geschehen zugrunde gelegt werden durften oder umgekehrt, hätten berücksichtigt werden müssen, wirken sich folglich zugunsten des Beschuldigten aus.483 Überdies ist zwar kein Ermessens-,484 aber selbstverständlich ein gewisser Beurteilungsspielraum des Geschäftsführers anzuerkennen.485 Fehlt es an einer positiven Fortführungsprognose, sei es, dass gar keine Prognose auf- 135 gestellt wurde, sei es, dass sie negativ oder zu Unrecht positiv ausfiel, so besteht allerdings bei (auf Basis von Liquidationswerten) positivem Status trotzdem keine rechtliche Überschuldung. Voraussetzung für eine Verurteilung ist demgemäß die Überzeugung vom Vorliegen einer negativen Überschuldungsbilanz. Erforderlichenfalls muss daher der Status (iGgs zur Fortführungsprognose) während des Verfahrens nachgeholt werden. Die Praxis kennt etliche Fälle, in welchen der Geschäftsführer der inzwischen insol- 136 venten GmbH trotz erkannter wirtschaftlicher Schwierigkeiten einfach weiterarbeitete,486 seine Anstrengungen evtl sogar vermehrte,487 ohne aber eine Fortführungsprognose im Rechtssinne anzustellen. Hier fehlt es daher an jeglicher, also wiederum an der erforderlichen positiven Fortführungsprognose. Des strafprozessualen Nachholens des vom Geschäftsführer Versäumten bedarf es deshalb – anders als beim Status – aus Rechtsgründen nicht.488 Erkannte der Geschäftsführer die Krise nicht, so fehlt es am Vor-

_____ 482 BGH, 16.8.2012 – 3 StR 180/12, Rn 9, NStZ-RR 2013, 20 f; 2.9.2009 – 2 StR 229/09, Rn 16, NStZ 2010, 102 f; Bieneck StV 1999, 43 ff, 44; Bittmann wistra 1999, 10 ff, 17; M-G/Richter Rn 79/23, der gleichwohl den nicht hinreichend sicheren Ausschluss des Überwiegens der Fortführungswahrscheinlichkeit genügen lässt, Rn 15 und 22; Röhm S 183 f. 483 M/R/Altenhain Rn 13 zu § 283 StGB; Bieneck StV 1999, 43, 44; Lackner/Kühl/Heger, Rn 8 zu § 283 StGB (zur Zahlungsunfähigkeitsprognose zwecks Prüfung drohender Zahlungunfähigkeit); MK/Hohmann Rn 46 zu § 15a InsO; S/S/Heine/Schuster Rn 51b zu § 283 StGB; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 177 und 186 zu § 84 GmbHG; wohl auch M-G/Richter Rn 79/22 f. 484 Demgemäß gilt die Business Judgement Rule nicht, Fischer NZI 2016, 665 ff, 667. Das bedeutet aber trotz der rechtlichen Bindung nur, dass der Bezugspunkt der (strafrechtlichen) Vertretbarkeitskontrolle ein anderer ist, nämlich zunächst, ob der Rechtsbegriff der Fortführungsprognose in vertretbarer Weise verstanden wurde, die erforderlichen Informationen zusammengestellt und in nicht sachwidriger Weise berücksichtigt wurden. 485 BGHZ 126, 181 ff, 199; OLG Schleswig, 11.2.2010 – 5 U 60/09, Rn 55, ZInsO 2010, 530 ff; Fischer NZI 2016, 665 ff, 667 f; Haas DStR 2003, 423 ff, 425; Roth S 241 ff. 486 M/G/Rinjes Rn 49 und 51 („Prinzip Hoffnung“); Beispiel: OLG Düsseldorf NZI 1999, 320, 322. 487 ZB kann er kapitalstützende Leistungen erbracht haben. Das genügt entgegen OLG Bremen, NZG 1999, 74, 75, aber keineswegs für das Vorliegen einer positiven Fortführungsprognose, weil ein solches Verhalten lediglich die subjektive Sicht des Leistenden dokumentiert, die objektive wirtschaftliche Lage, auf die es ankommt, aber eine ganz andere sein kann. 488 AA Ressmann S 259, 264. Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 49 vor §§ 82 ff GmbHG wollen eine nachträgliche Korrektur zulassen, falls sich bis zum Strafverfahren wertaufhellende Faktoren feststellen lassen.

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satz. Nahm er sie jedoch wahr, ohne allerdings zu wissen, dass er eine Fortführungsprognose anzustellen hatte, so unterlag er einem – regelmäßig: vermeidbaren – Gebotsirrtum, § 17 StGB. Praxisrelevant ist die nicht mit deren Vorlage verbundene Einlassung, es habe eine positive Fortführungsprognose gegeben. Lässt sich jedoch auch unter Anwendung des Zweifelssatzes kein bestätigender realer Anhaltspunkt dafür finden, so ist dieses Vorbringen nicht nur unplausibel,489 sondern kann als unwahre Schutzbehauptung und damit als irrelevant behandelt werden. Für das Urteil ist dann maßgeblich, dass es an der Feststellung der Negativ-Tatsache einer angestellten und positiv ausgefallenen und damit der Annahme eingetretener Überschuldung entgegenstehenden Fortführungsprognose gerade fehlt. Lässt sich hingegen trotz im Verfahren nicht vorliegender Fortführungsprognose und trotz Fehlens von Realkennzeichen für ihre Erstellung nicht ausschließen, dass sie gleichwohl erstellt wurde, so kann allerdings die Behauptung, die angestellte Prognose sei positiv ausgefallen, dahingehend im Wege einer nachträglichen ex-ante-Betrachtung490 überprüft werden, ob sie den feststellbaren Umständen nach tatsächlich hat positiv ausfallen dürfen.491

(3) Der Nachweis der Überschuldung im Ermittlungs- und Strafverfahren 137 Die Feststellung rechnerischer Überschuldung und ihr Erkennen seitens des Geschäfts-

führers bedarf mit Ausnahme der Evidenzfälle (zB hohe Deckungslücke, keine zur Bildung stiller Reserven geeigneter Bilanzpositionen) des Erstellens eines betriebswirtschaftlichen Gutachtens. Der Sachverständigen ist zwar methodisch frei. Weil ihm die Justiz jedoch insoweit nicht folgen muss, wie es sich um Rechtsanwendung handelt, ist ihm der rechtliche Rahmen bei Auftragserteilung vorzugeben. Eine andere Frage ist, ob überhaupt das Erstellen eines Gutachtens in Auftrag gegeben 138 werde soll. Das hängt davon, ob mit einem Ergebnis zu rechnen ist, welches für die anstehende Entscheidung über den Abschluss des Ermittlungs- oder Strafverfahrens von Bedeutung ist. Davon kann in Bagatellfällen selten die Rede sein. Selbst wenn der Nachweis objektiver Überschuldung und deren Kenntnisnahme gelingen sollte, bewegte sich der Schuldvorwurf doch regelmäßig auf einem Niveau, welches die Einstellung nach Opportunitätsgesichtspunkten erlaubt – dann aber kann dies auch ohne teures Gutachten geschehen. Der Gutachter hat es relativ leicht, liegen Buchführung und Bilanzen vollständig vor 139 und sind verlässlich. Er kann sich dann auf die für den Überschuldungsstatus erforderlichen Korrekturen konzentrieren.492 Die Voraussetzungen dafür fehlen in der insolvenzstrafrechtlichen Praxis jedoch nur allzu häufig. Bei solchem Befund muss der Sachverständige Mängel zunächst über Plausibilitätsprüfungen herauszufinden trachten und sie genau beschreiben, um anschließend seine Schlussfolgerungen darauf stützen zu können. Ob es nötig und überhaupt möglich ist, nachträglich die Buchführung zu vervollständigen und/oder einen Überschuldungsstatus aufzustellen, hängt von den konkreten Umständen ab. Bloßes Nachbuchen ist leicht, einzelne Manipulationen herauszu-

_____ 489 Bittmann wistra 1999, 10, 16. 490 OLG Koblenz NZI 2003, 463, 464; Groß WPG 2010, 119 ff. 491 Bittmann wistra 1999, 10 ff, 16. Dazu bedarf es der Einschaltung eines betriebswirtschaftlichen Gutachters, vgl dazu sogleich unten Rn 137 ff. 492 Vgl dazu oben Rn 116 f.

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rechnen schon aufwendiger,493 das Eliminieren verschiedener Mängel meist komplex. Je eindeutiger Fehler sind, desto sicherer deuten sie auf bewusstes Handeln hin. Eine Fortführungsprognose muss der Sachverständige nachträglich nicht erstellen.494

9. Der subjektive Tatbestand In subjektiver Hinsicht ist auch in Bezug auf die normativen Tatbestandsmerkmale 140 Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung495 (zumindest bedingter496) Vorsatz erforderlich. Zur Verantwortung gezogen werden kann nach § 15a Abs 4 InsO nur derjenige, der seine Pflichtenstellung und die Krise Gesellschaft kannte und die Frist missachtete,497 auch durch Passivität statt eines Sanierungsversuchs innerhalb der 3-Wochen-Frist.498 Begrifflich richtige Schlüsse musste er aus der Kenntnis der Tatsachen nicht ziehen,499 ihren Bedeutungsgehalt aber iS einer Parallelwertung in der Laiensphäre erkennen.500 Das kann der Kaufmann besser als der Jurist. Daher genügt der Nachweis der Kenntnis der pflichtbegründenden Tatsachen wie zB das Wissen um vergebliche Pfändungsversuche des Gerichtsvollziehers, unbeglichene Sozialversicherungsbeiträge, leere Konten und Kassen, in der Jahresbilanz aufgezehrtes Eigenkapital und um fehlende stille Reserven. Kannte der Täter die maßgeblichen Tatsachen nicht,501 bewertete er sie zB falsch oder stellte er eine unerkannt unrichtige Prognose an, so unterlag er einem Tatbestandsirrtum,502 der allein noch die Bestrafung wegen fahrlässiger Begehung offenlässt. Kannte der Verantwortliche die und damit seine Handlungspflicht nicht oder schloss er trotz vollständiger Tatsachenkenntnis nicht auf sie, so unterlag er einem (regelmäßig: vermeidbaren503) Gebotsirrtum.504 Im Fall der Delegation steht das vorsätzliche Unterlassen sachgerechter Anleitung und erforderlicher Kontrolle, sofern sie dem Deleganden wie regelmäßig bekannt ist, der Kenntnis der Insolvenzreife gleich. Die forensische Praxis ist zu Unrecht sehr zurückhaltend mit der Bejahung auch 141 nur bedingten Vorsatzes, nicht bedenkend, dass der seriöse Kaufmann iGgs zum Juristen immer den Ertrag des Unternehmens im Blick hat und deshalb sehr genau weiß, wie

_____ 493 Harz/Comtesse ZInsO 2015, 2050 ff zu einer an Hokus-Pokus erinnernden, als Plausibilitätsprüfung aber offenbar erfolgreichen Methode, auf der Basis der durchschnittlichen Buchstabenverteilung mögliche Insolvenzreife sowie Buchführungs- und Bilanzierungsmängel zu erkennen. Das ist solange rechtlich unproblematisch, wie der konkrete Nachweis unabhängig davon geführt werden muss. 494 Dazu oben Rn 135 f. 495 In der Vergangenheit wurde insoweit zT nur Wissen als genügend betrachtet. 496 Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 66 vor §§ 82 ff GmbHG; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 225 zu § 84 GmbHG. 497 MüKoGmbHG/Wißmann Rn 224 zu § 84 GmbHG. 498 MüKoGmbHG/Wißmann Rn 225 zu § 84 GmbHG. 499 BGH, 8.1.2015 – IX ZR 203/12, Rn 25, ZInsO 2015, 396 ff (zum Zivilrecht); bedeutsam zB für die Begriffstrias Fortführungswerte, -prognose und Fortbestehensprognose (oben Rn 124). Hier gilt es, Begriffsbedeutung und -verständnis exakt herauszuarbeiten. AA HambK/Borchardt Rn 11 f zu § 15a InsO; Scholz/ Tiedemann/Rönnau, Rn 65 vor §§ 82 ff GmbHG, die beide Bedeutungskenntnis für erforderlich erachten. Das ist unvereinbar mit der Auffassung, dass Zahlungsunfähigkeit auch mit der kriminalistischen Methode nachgewiesen werden kann, vgl dazu oben Rn 94 ff. 500 M/G/Rinjes Rn 294; MK/Hohmann Rn 104 zu § 15a InsO bejaht hingegen bei unzutreffender Schlussfolgerung aus vollständiger Tatsachenkenntnis einen Gebotsirrtum, § 17 StGB; zutr MüKoGmbHG/Wißmann Rn 230 zu § 84 GmbHG: § 16 StGB. 501 S/S/Heine/Schuster Rn 56 zu § 283 StGB (zur Buchführungs- und Bilanzierungspflicht). 502 MK/Hohmann Rn 92 zu § 15a InsO; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 65 vor §§ 82 ff GmbHG. 503 Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 67 vor §§ 82 ff GmbHG; W/J/Pelz Rn 9/69. 504 MK/Hohmann Rn 92 zu § 15a InsO; S/S/Heine/Schuster Rn 56 zu § 283 StGB.

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es um dessen wirtschaftlichen Verhältnisse steht. Wer hingegen „blind“ wirtschaftet, der nimmt auch Insolvenzverschleppung billigend in Kauf.505 Das MoMiG scheint die Zurückhaltung eher noch verstärkt zu haben. Der Grund könnte darin liegen, dass nur die Verurteilung wegen Vorsatztat zur Inhabilität, zB § 6 Abs 2 S 2 Nr 3 GmbHG, führt und diese Rechtsfolge zuweilen als übertrieben angesehen wird. Sachgerecht kann es hingegen durchaus sein, die Strafverfolgung zur Vermeidung aufwendiger Ermittlungen zum Vorsatz gemäß § 154a StPO auf das Fahrlässigkeitsdelikt zu beschränken.

10. Fahrlässige Insolvenzverschleppung, § 15a Abs 5 InsO 142 Weniger Zurückhaltung besteht bei der Annahme fahrlässiger 506 Insolvenzver-

schleppung. Trotz allem Verständnis für die zu vielfältigen Pflichten507 ist es der Geschäftsführung praktisch unmöglich, ohne vermeidbaren Sorgfaltsverstoß die Insolvenzreife zu verkennen. Die allg Pflicht zur Beobachtung der finanziellen Lage zwingt in wirtschaftlich ruhiger Zeit nicht zu ständiger Prüfung von Liquidität nebst Gewinn- bzw Verlustentwicklung.508 Sie verschärft sich aber eben dahingehend beim Auftreten von Krisenanzeichen.509 Solche vermag der Verantwortliche praktisch nicht zu übersehen,510 so dass gleichwohl bestehende Unkenntnis nur auf Fahrlässigkeit beruhen kann.511 Ihr Auftreten verlangt, sich einen genauen Überblick über den Vermögensstand der Gesellschaft zu verschaffen, regelmäßig512 die Quote offener fälliger Verbindlichkeiten festzustellen und zu beobachten, sowie eine Fortführungsprognose und ggf einen Überschuldungsstatus zu erstellen.513 Dem Pflichtigen steht dabei ein gewis-

_____ 505 Vgl Ehlers DStR 1998, 1756, 1757. 506 Scholz/Tiedemann/Rönnau, Rn 72 vor §§ 82 ff GmbHG, rät zwecks Eingrenzung der Strafbarkeit zu einer Beschränkung auf Fälle grober Fahrlässigkeit. Das Gesetz bietet dafür aber keinen Ansatzpunkt. Die von ihm angeführte „Schwäche zur Selbsterkenntnis“ entschuldigt auch andere Straftaten nicht. Fälle geringen Verschuldens sollten allerdings wie auch sonst ohne Umstände nach § 153 StPO eingestellt werden. 507 Übersicht bei Bittmann, ZWH 2012, 414 f; Merkt ZGR 2016, 201 ff. 508 So aber wohl BGH NJW 1994, 2220, 2224; BGH, 26.1.2016 – II ZR 394/13, Rn 33, ZInsO 2016, 1118 ff; Fischer NZI 2016, 665 ff, 666; Haas DStR 2003, 423, 424; Penzlin S 91 f; K Schmidt ZGR 1998, 633, 655; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 70 vor §§ 82 ff GmbHG; Uhlenbruck GmbHR 1999, 313 ff, 320; MüKoGmbHG/ Wißmann Rn 164, 195, 210 und 235 zu § 84 GmbHG. 509 BGHSt 15, 306, 311; BGH, 14.5.2007 – II ZR 48/06, Rn 16, NJW 2007, 2118 ff; 19.6.2012 – II ZR 243/11, Rn 11 und 13, ZIP 2012, 1557 ff; OLG Celle, 7.5.2008 – 9 U 191/07, GmbHR 2008, 1034 ff; OLG Düsseldorf NZI 1999, 156 ff; OLG Oldenburg, 24.4.2008 – 8 U 5/08, GmbHR 2008, 1101 ff; FK-InsO/Schmerbach Rn 30 zu § 15a InsO; Kebekus/Zenker, FS Maier-Reimer S 319, 332 ff; G/J/W/Reinhart Rn 105; Scholz/Tiedemann/ Rönnau Rn 42 vor §§ 82 ff GmbHG; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 170 aE, auch 195 und 210 zu § 84 GmbHG. 510 Zur Erkennbarkeit mittels Kennzahlen Slahor/Weber Stbg 2010, 410 ff; Wehrheim NZI 2008, 726 ff; Witte DB 2016, 2673 ff; bzw mittels Betriebswirtschaftlicher Auswertungen (BWA), Oehring Stbg 2015, 519 ff. 511 MüKoGmbHG/Wißmann Rn 234 zu § 84 GmbHG. OLG Oldenburg, 24.4.2008 – 8 U 5/08, ZInsO 2009, 154 ff, nimmt sogar bedingten Vorsatz an. 512 Ausnahmsweise entbehrlich zB im Fall OLG Hamburg, GmbHR 2003, 587 ff, m zust Anm Emde: Keine Notwendigkeit zur Aufstellung eines Überschuldungsstatus, weil der Geschäftsführer nach rechtlicher Beratung sicher mit dem später dennoch aus Rechtsgründen überraschend gescheiterten Eingang von Zahlungen rechnen durfte. 513 BGH NJW 1994, 2220, 2224; BGH, 26.1.2016 – II ZR 394/13, Rn 33 f, ZInsO 2016, 1118 ff; OLG Düsseldorf GmbHR 1999, 479 ff; OLG Köln WM 2001, 1160 ff, 1161 f; OLG Naumburg NZG 2001, 136, 137; Haas DStR 2003, 423 ff, 424; MK/Hohmann Rn 93 zu § 15a InsO; v Onciul S 30 und 84; Penzlin S 92; Roth S 250 ff; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 69 vor §§ 82 ff GmbHG; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 234 zu § 84 GmbHG. Wer entgegen Rn 140 für den Vorsatz die Parallelwertung in der Laiensphäre nicht ausreichen läßt, sondern den begrifflich richtigen Schluß auf das Vorliegen eines zur Antragspflicht führenden Insolvenzgrundes verlangt, wird regelmäßig zu fahrlässiger Begehungsweise gelangen, HambK/Borchardt Rn 15 zu § 15a

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ser Beurteilungsspielraum zu.514 Sorgfaltswidrig ist zudem regelmäßig die irrtümliche Annahme, eine erkannte Insolvenzlage sei (rechtzeitig) überwunden515 oder lasse sich überwinden.516 Gleiches gilt bei verspäteter Kenntnisnahme der Krise aufgrund schuldhafter Organisationsmängel.517 Fahrlässig handelt auch der Delegant, der zwar weiß, dass ihm Pflichten verblieben sind, sich aber nicht über ihren Umfang kundig macht, oder nur unzureichend instruiert, prüft und überwacht. Der gleiche Maßstab gilt für Rechtsirrtümer.518 Nicht vorwerfbar ist hingegen die Berufung auf eine günstige und vertretbare Rechtsauffassung, allerdings abzugrenzen gegen den (untauglichen, trotzdem zuweilen erfolgreichen) Versuch zu verschleiern, dass in Wahrheit der Rechtsverstoß sehr wohl rechtzeitig bekannt war.519 Vermag sich der Verantwortliche die gebotene Übersicht nicht selbst zu verschaffen, 143 so kann der Fahrlässigkeitsvorwurf520 bereits an ein Übernahmeverschulden521 anknüpfen. Geboten ist im Fall mangelnder eigener Fähigkeiten das Einschalten eines fachkundigen Beraters.522 Auswahlfehler begründen den Vorwurf mangelnder Sorgfalt.523 Der (meist) externe Dritte bedarf ausreichender Qualifikation, muss also fachkundig und – zwingend, wiewohl empirisch leider nicht selbstverständlich – unabhängig sein.524 Die Aufgabenstellung muss nicht begrifflich präzis erfolgen. Der Berater muss allerdings das einschlägige Thema erkennen können.525 Der Pflichtige hat ihn spätestens auf Nachfrage hin vollständig und richtig zu informieren.526 Ferner genügt es auch in strafrechtlicher Hinsicht nicht, bloß den Auftrag zu erteilen. Vielmehr ist der Eingeschaltete zu kontrollieren527 und es ist auf die unverzügliche Vornahme Prüfung und Übermittlung der Ergebnisse zu drängen.528 Das vorgelegte Ergebnis und die Empfehlungen des Beraters muss der Verantwortliche zur Kenntnis nehmen, sie, zumindest im Wesentlichen, zu verstehen versuchen, ggf mit dem Sachkundigen darüber in einen Dialog eintreten, sie

_____ InsO; das Verkennen auch eines zwingenden Eröffnungsgrunds als Ansatzpunkt für den Fahrlässigkeitsvorwurf betonend Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 65 und 68 f vor §§ 82 ff GmbHG. 514 OLG Naumburg NZG 2001, 136 f; Fischer NZI 2016, 665 ff, 667 f; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 210 zu § 84 GmbHG. 515 W/J/Pelz Rn 9/70. 516 MK/Hohmann Rn 94 zu § 15a InsO. 517 Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 72 vor §§ 82 ff GmbHG; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 195 zu § 84 GmbHG. 518 BGH, 20.9.2011 – II ZR 234/09, Rn 16, ZIP 2011, 2097 ff; einschr Kiefner/Krämer AG 2012, 498 ff. 519 Bittmann wistra 1999, 10 ff, 16; Fischer NZI 2016, 665 ff, 668 ff. 520 Nicht selten wird sogar Vorsatz vorliegen. 521 OLG Schleswig, 11.2.2010 – 5 U 60/09, Rn 62, ZInsO 2010, 530 ff; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 71 vor §§ 82 ff GmbHG. 522 BGH, 20.9.2011 – II ZR 234/09, Rn 16, ZIP 2011, 2097 ff (dazu Klöhn DB 2013, 1535 ff (speziell zur Frage normativer Qualität einer hauseigenen Rechtsabteilung); 26.1.2016 – II ZR 394/13, Rn 34 und 36, ZInsO 2016, 1118 ff. 523 BGH NJW 1994, 2220, 2224; 14.5.2007 – II ZR 48/06, Rn 16, NJW 2007, 2118 ff; 28.5.2013 – II ZR 83/12, Rn 21 ff, ZIP 2013, 1718 ff; 26.1.2016 – II ZR 394/13, Rn 34, ZInsO 2016, 1118 ff; OLG Schleswig, 11.2.2010 – 5 U 60/09, Rn 62, ZInsO 2010, 530 ff. 524 BGH, 14.5.2007 – II ZR 48/06, Rn 16, NJW 2007, 2118 ff; 20.9.2011 – II ZR 234/09, Rn 16, ZIP 2011, 2097 ff; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 235 zu § 84 GmbHG. 525 BGH, 27.3.2012 – II ZR 171/10, Rn 22, ZIP 2012, 1174 ff (dazu Bittmann ZWH 2012, 355 ff); 28.4.2015 – II ZR 63/14, Rn 30, ZIP 2015, 1220 ff (dazu Bayer/Scholz ZIP 2015, 1853 ff; Hirte NJW 2016, 1216 ff; Vetter NZG 2015, 889 ff). 526 BGH, 14.5.2007 – II ZR 48/06, Rn 16, NJW 2007, 2118 ff; 20.9.2011 – II ZR 234/09, Rn 18, ZIP 2011, 2097 ff. 527 OLG Schleswig, 11.2.2010 – 5 U 60/09, Rn 62, ZInsO 2010, 530 ff. 528 MüKoGmbHG/Wißmann Rn 195 zu § 84 GmbHG. Sa Müller NZG 2012, 981 ff.

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582 | 3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften

im Rahmen seiner Möglichkeiten, jedenfalls auf Plausibilität hin überprüfen,529 dh mit seinem Kenntnisstand abgleichen, und anschließend dem Empfohlenen unverzüglich Rechnung tragen. Nur unter diesen Voraussetzungen fällt ihm nicht zu eigener Last, folgt er etwaigen unzutreffenden Schlüssen des Beraters.530

11. Rechtswidrigkeit, Straferwartung und -rahmen, Verjährung, Konkurrenzen 144 Ein Rechtfertigungsgrund ist kaum denkbar. Das Interesse an der Erhaltung des Un-

ternehmens oder der Arbeitsplätze genügt dafür schon deshalb nicht, weil der Gesetzgeber diese Interessenkonflikte zugunsten der Pflicht, Insolvenzantrag zu stellen, selbst entschieden hat.531 Eine Tat der vorsätzlichen Insolvenzverschleppung ist mit Geldstrafe oder mit bis 145 zu drei Jahren Freiheitsstrafe zu ahnden. Im Fall fahrlässigen Handelns beträgt das Höchstmaß der Freiheitsstrafe ein Jahr. In der Praxis hält sich für den Ersttäter einer kleinen GmbH die Strafe regelmäßig in einer Spanne von meist 60 bis 100, in Ausnahmefällen auch mal 40 oder 120 Tagessätzen.532 Signifikante Unterschiede in der Strafhöhe zwischen Fällen vorsätzlichen und solchen fahrlässigen Handelns sind bei den Routinefällen nicht feststellbar. Bei einsichtigen Beschuldigten, denen nichts weiter zur Last zu legen ist, kommt, zumal bei Ersttätern, oft eine Einstellung nach § 153a StPO, durchaus auch nach § 153 StPO in Betracht. Bei bestreitenden Beschuldigten kann es sich zur Vermeidung aufwendiger Ermittlungen anbieten, die Strafverfolgung gemäß § 154 StPO auf andere Delikte als § 15a InsO (zB auf § 266a Abs 1, aber auch §§ 263, 266 und 283 oder 283b StGB) zu beschränken. Haben sich hingegen die unbeglichenen Verbindlichkeiten während der Phase der Insolvenzverschleppung wesentlich erhöht, so ist das nachhaltig strafschärfend zu berücksichtigen und daher konsequent zu ahnden. Nach Auffassung des VG München533 führt die Verurteilung wegen Insolvenzverschleppung zur Unzuverlässigkeit iS des Rechts zur Erlaubnis der Beförderung von Fahrgästen. Auch die Approbation eines Arztes ist in Gefahr.534 Das LG Stuttgart bejahte die Anordnung des dinglichen Arrests in Höhe während der Insolvenzreife ausgezahlter Geschäftsführergehälter, begründete dies aber mit ihrer Herkunft aus ursprünglich fremdnützigem Betrug zuguns-

_____ 529 BGH, 14.5.2007 – II ZR 48/06, Rn 16 ff, NJW 2007, 2118 ff; 20.9.2011 – II ZR 234/09, Rn 16, ZIP 2011, 2097 ff; 28.5.2013 – II ZR 83/12, Rn 21 ff, ZIP 2013, 1718 ff; 26.1.2016 – II ZR 394/13, Rn 34, ZInsO 2016, 1118 ff; OLG Schleswig, 11.2.2010 – 5 U 60/09, Rn 62, ZInsO 2010, 530 ff; LG Lüneburg, 30.5.2013 – 7 O 119/12, ZInsO 2013, 1322 ff (recht großzügig); Fleischer NZG 2010, 121 ff. Ergeben sich keine Zweifel an der Auskunft des Steuerberaters, so muss nicht zusätzlich anwaltlicher Rat eingeholt werden, OLG Stuttgart, 28.10.1997 – 12 U 83/97, NZG 1998, 232 f; aA MüKoGmbHG/Wißmann Rn 231 zu § 84 GmbHG. Zur Pflicht des Aufsichtsrats, ergänzende Informationen einzuholen, s BGH, 11.12.2006 – II ZR 243/06, Rn 11 ff, ZIP 2007, 224 ff. 530 MK/Hohmann Rn 93 aE zu § 15a InsO. Bis zum Zeitpunkt, zu dem sich Insolvenzreife für den Berater, der den Pflichtigen unverzüglich zu informieren hat, abzeichnet, darf Letzterer ohne Insolvenzantrag weiterwirtschaften, oben Rn 111. 531 W/J/Pelz Rn 9/64. 532 Zahlreiche strafzumessungsrelevante Gesichtspunkte bei Skauradzun wistra 2014, 41 ff; Gutfleisch NZWiSt 2016, 309 ff. 533 VG München, 2.9.2015 – 6b E 15.2962, ZInsO 2016, 582 ff mit glossenartiger Anm Weyand; zur Gewerbeuntersagung wegen Insolvenzverfahrens VGH München, 25.5.2016 – 22 ZB 16.837, ZInsO 2016, 1466 ff; VG Augsburg, 26.3.2015 – Au 5 K 14.1253, ZInsO 2015, 1290 ff; zum Widerruf der Bestellung zum Bezirksschornsteinfegermeister wegen Insolvenz OVG Magdeburg, 3.12.2015 – 1 L 27/14, ZInsO 2016, 796 ff. 534 BVerwG, 16.2.2016 – 3 B 68/14, ZInsO 2016, 795 f (Verfassungsbeschwerde nicht angenommen, BVerfG, 5.4.2016 – 1 BvR 665/16).

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ten der GmbH.535 Auch präventiv sehr wirksam wäre es, ließe sich der Verfall auf die Insolvenzverschleppung selbst stützen. Ein wesentlicher Unterschied zwischen der Vorsatz- und der Fahrlässigkeitstat 146 liegt in der unterschiedlichen Verjährung. Sie beginnt zwar in beiden Fällen erst mit Beendigung,536 beträgt aber für die vorsätzliche Begehungsweise 5 Jahre, § 78 Abs 3 Nr 4 StGB, im Fall bloßer Fahrlässigkeit dagegen lediglich 3 Jahre, § 78 Abs 3 Nr 5 StGB. Die absolute Verjährung beläuft sich demzufolge auf 10 bzw nur 6 Jahre, § 78c Abs 3 S 2 StGB. Angesichts der mitunter langen Dauer von Wirtschaftsstrafverfahren hängt die Verurteilung zuweilen von der Annahme vorsätzlichen oder lediglich fahrlässigen Handeln ab. Ein weiterer, für die wirtschaftliche Existenz des Geschäftsführers ggf ausschlaggebender Unterschied besteht darin, dass nur die Verurteilung wegen einer Vorsatztat Inhabilität gemäß § 6 Abs 2 S 2 Nr 3a GmbHG auslöst.537 Im Verhältnis zu anderen Delikten liegt regelmäßig Tatmehrheit vor.538 Das gilt 147 beim Zusammentreffen mit anderen Unterlassungsdelikten allerdings dann nicht, wenn die verschiedenen Pflichten durch dieselbe(n) Handlung(en) erfüllt werden müssten.539 Das ist jedoch für mehrere Antragspflichten verschiedener Gesellschaften, auch wenn es sich dabei um eine GmbH & Co KG und deren Komplementär – GmbH handelt, nicht der Fall.540 Im Verhältnis zu Begehungsdelikten soll Tateinheit anzunehmen sein, wenn die unterlassene Insolvenzanmeldung mindestens teilidentisch mit einer Ausführungshandlung ist. Das wird bejaht im Verhältnis zu einem Kreditbetrug,541 aber auch zu Untreue und zu Gläubigerbegünstigung,542 ist aber nicht überzeugend. Allein das zeitliche Zusammentreffen genügt nicht zur Verknüpfung mehrerer Delikte zu Tateinheit.543 Die gebotene Handlung, einen Eröffnungsantrag rechtzeitig und richtig (zukünftig: vollständig) zu stellen, weist mit gläubigerbegünstigendem oder die Gesellschaft bzw Dritte schädigendem Geschehen keine sachliche Überschneidung auf. Es liegt daher auch insoweit, wie iü in aller Regel anerkannt im Verhältnis zu §§ 283–283c, 266, 263, 267 und 266a StGB, aber auch zu § 370 AO, Tatmehrheit vor.544 anhängen

_____ 535 LG Stuttgart, 26.1.2015 – 6 KLs 34 Js 2588/10, Rn 44 ff, wistra 2015, 485 ff. 536 Vgl zur Beendigung oben Rn 19. 537 Das gilt auch für vor dem Inkrafttreten des MoMiG am 1.11.2008 begangene Taten, OLG München, 26.4.2016 – 31 Wx 117/16, ZInsO 2016, 1168 f; bei einer Auslandsverurteilungen nur wegen einer Straftat (nicht auch wegen einer Odnungswidrigkeit), OLG München, 18.6.2014 – 31 Wx 250/14, ZInsO 2014, 2177. 538 So für die unterlassene Anzeigepflicht nach § 84 Abs 1 GmbHG G/J/W/Reinhart Rn 153 zu § 15a InsO; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 55 zu § 84 GmbHG; A/R/R/Wegner Rn 7/2/76; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 240 zu § 84 GmbHG, ebenfalls im Verhältnis zu Untreue, Betrug und Unterschlagung. 539 Vgl Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 56 zu § 84 GmbHG (zB beim Zusammentreffen mit Untreue durch unterlassene Sanierung); sa Bittmann/Ganz wistra 2002, 130ff (zu § 266a StGB). 540 AA ohne nähere Begründung MK/Hohmann Rn 105 zu § 15a InsO; MüKoGmbHG/Wißmann Rn 240 zu § 84 GmbHG. 541 Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 57 zu § 84 GmbHG. 542 W/J/Pelz Rn 9/74. 543 Fischer Rn 25 vor § 52 mN. 544 Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 58 zu § 84 GmbHG; W/J/Pelz Rn 9/75.

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584 | 3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften

§ 12 Bankrott, §§ 283, 283a StGB und Verletzung der Buchführungspflicht, § 283b StGB C Brand § 12 Bankrott, §§ 283, 283a StGB u. Verletz. d. Buchführungspflicht, § 283b StGB

I. Einführendes zum Verständnis des Tatbestandes 1 Der strafbare Bankrott blickt auf eine abwechslungsreiche Geschichte zurück. Wie kaum

ein anderer Straftatbestand hat er überproportional häufig seinen Regelungsstandort gewechselt. War der Bankrott zunächst in den §§ 281 ff RStGB normiert, wechselte er mit Inkrafttreten der Konkursordnung in diese und kehrte durch das 1. WiKG 1976 in das StGB zurück. Auch inhaltlich hat der Bankrott sein Aussehen oft geändert. Während die konkursrechtlichen Straftatbestände noch zwischen dem einfachen (§ 240 KO) und dem sog betrüglichen, eine Gläubigerbenachteiligungsabsicht voraussetzenden Bankrott (§ 239 KO) unterschieden, dafür aber die Krisenmerkmale nicht kannten und dem Schuldner bereits Kriminalstrafe androhten, der eine Bankrotthandlung vornahm und irgendwann später fallierte, hat der Gesetzgeber des 1. WiKG den §§ 283 ff StGB das Krisenerfordernis hinzugefügt, um Bedenken auszuräumen, die sub specie Schuldgrundsatz gegen die §§ 239 ff KO erhoben worden waren.1 Seither sind gravierende Änderungen an den §§ 283 ff StGB nicht mehr erfolgt. Ihr 1999 geänderter Name – früher hießen die §§ 283 ff StGB Konkurs-, zwischenzeitlich heißen sie Insolvenzdelikte – ist lediglich kosmetischer Natur und hat keine Auswirkungen auf Verständnis und Reichweite dieser Tatbestände. Etymologisch stammt der Begriff des Bankrotts vom italienischen banco rotto bzw 2 banca rotta ab, womit der Brauch beschrieben wurde, einem Geldwechsler, der seine Zahlungen eingestellt hatte, seinen Wechseltisch, den er auf dem Marktplatz betrieb, zu zerbrechen.2 3 Va unter dem Regime der Konkursordnung erhoben zahlreiche Vertreter des bankrottstrafrechtlichen Schrifttums Bedenken an der Legitimität der §§ 283 ff StGB. Da sich die Gläubiger selbst vor den Gefahren eines schuldnerischen Konkurses sichern könnten – etwa indem sie verlangen, ihnen Sicherheiten zu bestellen oder Waren nur gegen Vorkasse liefern – und da Bankrotthandlungen des Schuldners angesichts der verschwindend geringen Befriedigungsquoten, die die Gläubiger zu erwarten hätten, das geschützte Rechtsgut allenfalls marginal tangierten,3 spreche viel dafür, die §§ 283 ff StGB zu Ordnungswidrigkeiten herabzustufen.4 Diese Legitimationsbedenken überzeugen indes nicht. Weder besitzen die Gläubiger die Möglichkeit, sich vor Bankrotthandlungen des Schuldners zu schützen,5 noch leisten die allgemeinen Eigentums- und Vermögensdelikte einen hinreichenden Gläubigerschutz, weil auf diese Weise lediglich

_____ 1 Dazu ausf u Rn 35. 2 Neumeyer (1891), S 26; Kuhn (1912), S 1; Stötter KTS 1963, 12, 15; teilw abw Kollmar, S 2. 3 Zu Recht skept gegenüber diesem Einwand Penzlin, S 48, der jedoch Legitimationsbedenken insofern hegt, als es – mangels vorhandener Masse – überhaupt nicht zu Eröffnung eines Insolvenzverfahrens kommt (aaO, S 49 f). Allerdings überzeugt dieser legitimatorische Bedenkenträger schon deshalb nicht, weil man auf diese Weise den besonders kriminellen Schuldner, der nicht nur einzelne, sondern nahezu sämtliche Bestandteile seines Vermögens beiseiteschafft, privilegierte. 4 Dafür, soweit es sich um die Buchführungsmodalitäten handelt, wohl v.d. Heydt, S 52 f, die insofern von einer Pönalisierung bloßen Verwaltungsungehorsams spricht; zu den Legitimationsbedenken s ferner AnwK/Püschel Vor §§ 283–283d Rn 2; Hörl, S 47 f; vgl auch Penzlin, S 54, dem zufolge sich die Bankrotttatbestände im Grenzbereich zwischen Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht bewegen; dezidiert gegen solche Bestrebungen aber Pfeiffer Gutachten, S 7. 5 Röhm, S 49.

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die aus- und absonderungsberechtigten Gläubiger eine strafrechtliche Absicherung erhalten, alle übrigen, nicht privilegierten Gläubiger hingegen schutzlos bleiben.6 Hinzu kommt: Selbst wenn die Gläubiger nur eine verschwindend geringe Insolvenzquote zu erwarten haben, konterkariert der Schuldner, der die präsumtive Masse beeinträchtigt, die vom Schutzzweck der §§ 283 ff mit umfassten7 insolvenzrechtlichen Gestaltungsrechte der Gläubiger.8 Der Tatbestand des § 283 Abs 1 StGB sanktioniert die Vornahme einer der in Nrn 1–8 4 abschließend gelisteten Tathandlungen während der Überschuldung bzw drohenden/ eingetretenen Zahlungsunfähigkeit, wohingegen § 283 Abs 2 StGB demjenigen Strafe androht, der durch eine Handlung iSd Nrn 1–8 seine Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit herbeiführt. Darüber hinaus setzen beide Tatbestände den Eintritt der von § 283 Abs 6 StGB näher umschriebenen objektiven Strafbarkeitsbedingung voraus.9 Da § 283 Abs 1 StGB somit keinen tatbestandlichen Erfolg vorsieht, jedoch die Begehung der aufgezählten Bankrotthandlungen nur dann bestraft, wenn sie der Täter im Stadium der Krise vornimmt, charakterisiert die hM den § 283 Abs 1 StGB – im Unterschied zu § 283b StGB, der keine Synchronität von Krise und Tathandlung kennt10 und deshalb den abstrakten Gefährdungsdelikten angehört11 – zu Recht als abstrakt-konkretes Gefährdungsdelikt (zum hiervon partiell abw Charakter der in §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b Abs 1 Nrn 1–3 StGB geregelten Buch- und Bilanzführungsdelikte als „abstrakte Gefährdungsdelikte mit Erfolgsmoment“ s die Ausführungen u unter Rn 98, 121).12,13 Dagegen rechnet § 283 Abs 2 StGB zur Kategorie der Erfolgsdelikte.14

_____ 6 S etwa Tiedemann ZIP 1983, 513, 514. 7 Dazu u Rn 7. 8 Moosmayer, S 140 f; sa schon Schlüchter, S 41 f. 9 Dazu ausf u Rn 220 ff. 10 Su Rn 97. 11 AllgM; s nur MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 20; Scholz/Tiedemann/Rönnau Vor §§ 82 ff Rn 27; Weyand/Diversy Rn 125; Niu, S 119; Tiedemann ZRP 1975, 129, 134. 12 Hierzu etwa SK/Hoyer § 283 Rn 5; Kribs-Drees, S 126; Harneit, S 102; Röhm, S 77 f m Fn 309; Bretzke, S 90 m Fn 5; Tiedemann ZRP 1975, 129, 134; ders NJW 1977, 777, 780; Schlüchter MDR 1978, 977, 980; Otto Bruns-GS, S 265, 268; Göhler/Wilts DB 1976, 1657, 1659; ähnl wohl Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 76, der von einem Gefährdungsdelikt mit Erfolgsmomenten spricht; ähnl Niu, S 119: abstrakte Gefährdungsdelikte mit Teilkonkretisierung; skept NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis 283d Rn 34; anders, ein abstraktes Gefährdungsdelikt annehmend, etwa S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 1; M/R/Altenhain § 283 Rn 2; W/J/Pelz 9/78; HambK/Borchardt § 283 StGB Rn 3; M/G/Rinjes 8/90; Hiltenkamp-Wisgalle, S 45 m Fn 1; Matzen, S 17; Schlüchter, S 59 (die aber aaO, S 137 von abstrakt-konkreten Gefährdungsdelikten spricht); Dohmen, S 65, 217; Ressmann, S 35; Tiedemann Schröder-GS, S 289, 303; Krause NStZ 1999, 161, 162; Dehne-Niemann wistra 2009, 417, 423; Hombrecher JA 2013, 541, 542; wieder anders Habetha, S 307 sowie Trüg/Habetha wistra 2007, 365, 370, die die §§ 283, 283b StGB wegen der objektiven Strafbarkeitsbedingung als konkrete Gefährdungsdelikte einstufen; eine noch weitergehende Differenzierung in konkrete, abstrakt-konkrete und abstrakte Gefährdungsdelikte findet sich bei G/J/W/Reinhart § 283 Rn 2. 13 Freilich nicht in dem Sinne, wie Schröder JZ 1967, 522 diese Deliktskategorie verstanden wissen wollte; danach bleibt es Aufgabe des Richters, die konkrete Gefährlichkeit einer Tathandlung festzustellen, er soll aber befugt sein, bestimmte, typische Situationen per se als gefährlich einzustufen, ohne jeden Aspekt des Einzelfalls zu würdigen; s dazu auch Brehm, S 21 ff. 14 S nur LK/Tiedemann § 283 Rn 179; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 2; S/S/W/Bosch § 283 Rn 1; W/J/Pelz 9/78; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 76; HambK/Borchardt § 283 StGB Rn 3; M/G/Rinjes 8/90, 132; Krause, S 417; ders NStZ 1999, 161, 162; Dohmen, S 64; wohl auch Ressmann, S 35; Erdmann, S 180 m Fn 774: Erfolgsdelikt mit Blick auf die Herbeiführung der Krise, abstraktes Gefährdungsdelikt hinsichtlich der geschützten Gläubigerinteressen; aA SK/Hoyer § 283 Rn 5: abstrakt-konkretes Gefährdungsdelikt; Dehne-Niemann wistra 2009, 417, 423, der auch hierin nur ein abstraktes Gefährdungsdelikt erblickt; ebenso S/S/Heine/ Schuster § 283 Rn 1; M/R/Altenhain § 283 Rn 2; Böttger/Verjans 4/44; indifferent Hombrecher JA 2013, 541,

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Will man die zahlreichen unterschiedlichen Tathandlungen der Nrn 1–8 nach sachlichen Gesichtspunkten ordnen, bietet es sich an, zwischen bestands- und informationsbezogenen Bankrotthandlungen zu differenzieren.15 Das Charakteristikum der bestandsbezogenen Begehungsweisen, zu denen Nr 1 Var 1 (beiseiteschafft) und Var 3 (zerstören etc) sowie Nrn 2, 3 und 8 Var 1 (verringern) gehören, gründet in dem Erfordernis, auf die Zusammensetzung der präsumtiven Masse gegenständlich einzuwirken und damit den Vermögenspool, der den Gläubigern zu Befriedigungszwecken offensteht, (partiell) auszutrocknen. 16 Die informationsbezogenen Tatmodalitäten, die die Nrn 1 Var 2 (verheimlichen), 4–7 und 8 (verheimlichen oder verschleiern) umfassen, sanktionieren ein schuldnerisches Verhalten, das dazu beiträgt, den Überblick über das Schuldnervermögen entweder ganz zu verhindern oder aber erheblich zu erschweren, wodurch der Schuldner zum einen sich selbst außerstande setzt, angemessen zu wirtschaften und zum anderen die Arbeit des späteren Insolvenzverwalters erheblich erschwert17.18 Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, zwischen krisenbezogenen und nicht krisenbezogenen Insolvenzdelikten zu unterscheiden. 19 Während die §§ 283, 283c, 283d StGB die Krise in unterschiedlicher Intensität fordern,20 sanktioniert § 283b StGB die Buch- und Bilanzführungsverstöße, die auch § 283 Abs 1 Nrn 5–7 StGB nahezu wortgleich enthält,21 unabhängig vom Bestehen oder Eintritt einer Krise.

II. Das Rechtsgut des § 283 StGB 6 Verständnis, Reichweite und Interpretation des § 283 StGB hängen maßgebend davon

ab, welche Rechtsgüter der Tatbestand schützt.22 Unstreitig sichert der Bankrotttatbestand die Befriedigungsinteressen der Gläubiger23 bzw – verdinglicht gesprochen – den

_____ 542, der einerseits von einem Erfolgsdelikt andererseits jedoch von einem abstrakten Gefährdungsdelikt spricht. 15 Zu dieser Differenzierung s Krause, S 35 ff; Habetha, S 172 f; Hörl, S 52; Erdmann, S 51; Reichelt, S 94; NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis 283d Rn 23; MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 31; D/K/H/Dannecker/ Hagemeier Rn 47. 16 Zum Ganzen MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 32 f. 17 Dazu ausf u Rn 99. 18 MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 34. 19 Ausf MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 36 ff. 20 Su Rn 35. 21 Zu den geringfügigen Unterschieden su Rn 97 und 158 ff. 22 S nur NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis 283d Rn 32; LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 54; ders ZIP 1983, 513, 519; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 35, 46; M-G/Richter § 81 Rn 1; Erdmann, S 47; Dohmen, S 91; allg dies/Sinn KTS 2003, 205, 207; ferner Geers, S 31. 23 BVerfG ZInsO 2004, 738, 739; BGH NStZ 2008, 401, 402; BGH NStZ 1987, 23; BGH/H GA 1955, 365; RGSt 68, 108, 109 = DRiZ 1934, 313, 314; AG Halle-Saalkreis NJW 2002, 77; LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 45; ders ZIP 1983, 513, 520; NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis 283d Rn 19, der von den „Vermögensinteressen der Gesamtheit der Gläubiger eines Schuldners“ spricht; SK/Hoyer Vor § 283 Rn 3; S/S/Heine/Schuster Vorbem §§ 283 ff Rn 2; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 1; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 36; M/R/Altenhain § 283 Rn 1; MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 11; Radtke Achenbach-FS, S 341, 356; ders JR 2010, 233, 234; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 3; M-G/Richter § 81 Rn 1; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 75; B/Quedenfeld/ Richter 5/181a; M/G/Rinjes 8/15; Kollmar, S 6, 84; Geers, S 63 f; Höfner, S 21 f; Habetha, S 61; HiltenkampWisgalle, S 48; Groth, S 99; Matzen, S 13 ff; Grub, S 6; Moosmayer, S 121 f; Röhm, S 48, 65 f; Penzlin, S 15 ff; Dohmen, S 63, 65, 95, 176; Erdmann, S 59 ff; Neumann, S 81; Niu, S 120; Kribs-Drees, S 51; Reichelt, S 78; Regner, S 17; v.d. Heydt, S 116 f; Nieberg, (1913), S 2; Püschel Rissing-van Saan-FS, S 471, 476; Otto Bruns-GS, S 265, 266; ders JURA 1989, 24, 32; Dehne-Niemann wistra 2009, 417, 421; Weyand StuB 1999, 178, 179; Jor-

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Zusammenhalt der Insolvenzmasse.24 Hier endet aber bereits die Einigkeit. Weder sind die zusätzlich genannten Individualrechtsgüter wie der Schutz der insolvenzrechtlichen Gestaltungsrechte,25 das Vertrauen der Gläubiger in die Leistungsfähigkeit des Schuldners26 oder das individuelle „Recht am Arbeitsplatz“27 noch die zT befürworteten Kollektivrechtsgüter wie der Schutz einer funktionierenden Kreditwirtschaft28 – verstanden als ein auf Vorleistung von Diensten, Waren und Geld gerichtetes System29 – oder gar der Gesamtwirtschaft30 allgemein anerkannt.31

_____ dan JURA 1999, 304, 305; Grub/Rinn ZIP 1993, 1583, 1585; Bärenz EWiR 2004, 1245, 1246; H.W. Schmidt NJW 1957, 1788; vgl auch Waßmer, S 14; Schlüchter JR 1979, 513, 515; Klug KTS 1962, 65, 66; s des Weiteren bereits Neumeyer, (1891), S 118, 154; skept aber Hammerl, S 106 m Fn 478, der auf den ausr Schutz der KO verweist. 24 So etwa BGHSt 55, 107, 115; ähnl schon BGHSt 28, 371, 373; BGH NJW 2001, 1874, 1875; Fischer Vor § 283 Rn 3; W/J/Beck 6/57; W/J/Pelz 9/76; HambK/Borchardt § 283 StGB Rn 1; MAH/Böttger § 19 Rn 106; Pape/ Uhländer/Hofmann § 283 Bankrott Rn 1; Plathner, S 146; Krause NStZ 2002, 42; Trüg/Habetha wistra 2007, 365, 366 m Fn 9; aA freilich LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 46, der die Masse nicht als Rechtsgut, sondern als Tatobjekt begreift; zust D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 37; NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis 283d Rn 30; MK/ Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 13; SK/Hoyer Vor § 283 Rn 3; Dohmen, S 64 f, 96 f; dies/Sinn KTS 2003, 205, 210; Nickmann, S 30 f; Habetha, S 62 f; ders NZG 2012, 1134, 1135 m Fn 8; wohl auch Neumann, S 81; vgl ferner Hagedorn, S 94 ff, der zwischen Masse- und Rechnungslegungsdelikten differenzieren will und ersteren den Schutz der potentiellen Insolvenzmasse, letzteren ganz allg den Schutz des Gläubigervermögens aufträgt. 25 Krause, S 162; zust NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis 283d Rn 25; Erdmann, S 61 ff; sympathisierend scheinbar auch LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 48, 88, der von einem Wahlrecht der Gläubiger als Teil des geschützten Rechtsgutes spricht; unklar Neumann, S 83. 26 Krause, S 168 ff. 27 So M-G/Richter § 81 Rn 4; MAH/Leipold § 19 Rn 10; in diese Richtung auch Geers, S 63 m Fn 135 und Matzen, S 14 f, denen zufolge die Arbeitnehmerschaft neben den Vermögensinteressen der Gläubigerschaft von § 283 StGB geschützt wird; für den Schutz der Arbeitnehmerschaft auch schon Bretzke, S 143. 28 Dafür BGH NJW 2003, 974, 975; LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 54, 56 f; ders NJW 1977, 777, 783; ders ZRP 1975, 129, 133; ders ZIP 1983, 513, 520; ders KTS 1984, 539, 558; S/S/Heine/Schuster Vorbem §§ 283 ff Rn 2; S/S/W/Bosch Vorbem §§ 283 ff Rn 1; M-G/Richter § 81 Rn 4; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 75; Pape/ Uhländer/Hofmann § 283 Bankrott Rn 1; Otto Bruns-GS, S 265, 266; ders JURA 1989, 24, 32; Labsch wistra 1985, 1, 9; Geers, S 63 m Fn 135; Waßmer, S 14; Moosmayer, S 78, 133 ff; Grub, S 6; Stracke, S 366 f, 434 f; Hagedorn, S 98; Hammerl, S 116 f; Bretzke, S 143; Regner, S 17; Hiltenkamp-Wisgalle, S 52 ff; Neumann, S 88, 125; Kribs-Drees, S 86, 99, 105 f, 129; Reichelt, S 78; Gosch, S 197; Stein AG 1987, 165, 168; Bieneck wistra 2001, 53; Arens wistra 2007, 450, 455; ähnl bereits Köstlin GA 5 (1857), 721, 722 (vgl aber auch aaO, S 731 f, wo es den Anschein hat, als sollten doch nur die Vermögensinteressen der Gläubiger geschützt werden); Hälschner GA 18 (1870), 665, 672; Neumeyer, (1891), S 154; angedeutet auch bei RGSt 9, 134, 135 ff; RG Rspr 5, 52, 53; hiergegen ausf Krause, S 176 ff, 263; Erdmann, S 84 f und passim; Habetha, S 67 ff; Penzlin, S 34 ff; ders WM 1999, 983 f; ders JURA 1999, 56; ferner Büttiker, (1914), S 16 f; Matzen, S 14 f; Dohmen/Sinn KTS 2003, 205, 216 f; Krüger wistra 2002, 52, 53 m Fn 4; NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis 283d Rn 23, der insofern nur von einem Schutzreflex sprechen will; abl auch Fischer Vor § 283 Rn 3; Ressmann, S 38 f. 29 So plakativ LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 58. 30 Dafür etwa Fischer Vor § 283 Rn 3; S/S/Heine/Schuster Vorbem §§ 283 ff Rn 2; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 1; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 44; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 3; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 75; Pape/Uhländer/Hofmann § 283 Bankrott Rn 1; Bretzke, S 12; Röhm, S 80 ff; Reichelt, S 78; Schlüchter JR 1979, 513, 515; Habetha NZG 2012, 1134, 1135 m Fn 4; Arens wistra 2007, 450, 455; Schulte ZInsO 2002, 265, 266; sympathisierend auch Waßmer, S 14; wohl ebenso Ogiermann/Weber wistra 2011, 206, 207; überzeugende Gegenargumente finden sich bei Krause, S 175 sowie Dohmen, S 110 f; dies/Sinn KTS 2003, 205, 217; Stracke, S 435 f; Penzlin, S 32; Erdmann, S 85; Moosmayer, S 131 f; Gosch, S 197; Habetha, S 63 ff; abl stehen einem Rechtsgut „Gesamtwirtschaft“ auch LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 55 sowie ders ZIP 1983, 513, 520, M-G/Richter § 81 Rn 4 und Hiltenkamp-Wisgalle, S 62; Matzen, S 14 f; Neumann, S 84; Regner, S 17; Hagedorn, S 99; Ressmann, S 38 gegenüber; vgl auch schon Hälschner GA 18 (1870), 665, 672 sowie v. Babo, (1908), S 4. 31 Anders freilich der Befund von Stracke, S 366 m Fn 1923, der zufolge die Anerkennung des überindividuellen Schutzgutes „Kreditwirtschaft“ heute „nahezu unbestritten“ ist.

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Die Ansicht, § 283 StGB schütze neben den Befriedigungsinteressen die insolvenzrechtlichen Gestaltungsrechte, überzeugt nicht. Zwar hat der Gesetzgeber der InsO die Mitwirkungsrechte der Gläubiger am Insolvenzverfahren gestärkt, indem er etwa die Position von Gläubigerversammlung und Gläubigerausschuss ausbaute (vgl etwa § 157 InsO) und das Ziel einer Unternehmenssanierung neben die Zerschlagung stellte. Hieraus aber ein weiteres Rechtsgut zu folgern, ginge zu weit, bezwecken doch auch die erweiterten Gläubigerrechte in letzter Konsequenz nichts anderes, als die ohnehin schon im Rang eines Schutzgutes stehenden Befriedigungsinteressen besser durchzusetzen.32 Noch weitaus größeren Bedenken sieht sich das Vorhaben ausgesetzt, ein „Recht am Arbeitsplatz“ zum zusätzlichen Schutzgut des § 283 StGB zu erheben, sofern damit der Versuch einhergeht, die Arbeitnehmerinteressen gegenüber den Interessen der übrigen Gläubiger zu bevorzugen. Natürlich sind die Arbeitnehmer genauso wie alle anderen Gläubiger geschützt, soweit ihr Befriedigungsinteresse – etwa in Form ausstehenden Lohns – angesprochen ist.33 Damit bewendet es aber. Dh: Eine schuldnerische Maßnahme entgeht bspw nicht dem Verdikt der Wirtschaftswidrigkeit,34 weil sie unter Hintanstellung der Gesamtgläubigerinteressen den Arbeitnehmern des kriselnden Unternehmens nützt.35 Andernfalls würde der von der InsO propagierte Gleichrang sämtlicher Gläubiger konterkariert.36 Obschon zwischenzeitlich auch der BGH ein Kollektivrechtsgut mit dem Namen 8 „Schutz des gesamtwirtschaftlichen Systems“ propagiert37 und sich die Ansicht, die dem § 283 StGB neben den Befriedigungsinteressen der Gläubiger ein Schutzgut „funktionierende Kreditwirtschaft“ entnimmt, weitgehender Zustimmung erfreut, bereitet die Annahme eines überindividuellen Rechtsguts Bauchschmerzen.38 Die Topoi, Unternehmenszusammenbrüche evozierten weitere, die Gesamt- bzw Kreditwirtschaft beeinträchtigende Insolvenzen,39 Insolvenzstraftaten begründeten die Gefahr von Nachahmungsef7

_____ 32 Ähnl MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 16; SK/Hoyer Vor § 283 Rn 4; S/S/Heine/Schuster Vorbem §§ 283 ff Rn 2; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 1; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 39; M-G/Richter § 81 Rn 3; Moosmayer, S 123 ff; Röhm, S 70; Dohmen, S 100; dies/Sinn KTS 2003, 205, 211; Nickmann, S 26 f; Habetha, S 61 f; Ressmann, S 39; iE ebenso Penzlin, S 27 f, freilich vom Standpunkt des von ihm präferierten personalen Vermögensbegriffs; wohl auch Hörl, S 59 m Fn 251. 33 LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 49 f; ders ZIP 1983, 513, 519; NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis 283d Rn 19; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 40; MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 12; M/R/Altenhain § 283 Rn 1; Hiltenkamp-Wisgalle, S 61; Moosmayer, S 125; Dohmen, S 97; Nickmann, S 25 f. 34 Dazu u Rn 26 ff. 35 Richtig LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 52, 118a, ders KTS 1984, 539, 547 sowie ders ZIP 1983, 513, 520, der zu Recht auf § 34 StGB verweist, der dazu aufgerufen ist, einen Konflikt zwischen Arbeitnehmer- und Gesamtgläubigerinteressen zu lösen; iE zust MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 12; D/K/H/Dannecker/ Hagemeier Rn 40; M/G/Rinjes 8/112; Krause, S 384; Hagedorn, S 98; Moosmayer, S 125; Röhm, S 66 f; Nickmann, S 25 f; aA aber Hiltenkamp-Wisgalle, S 174, der zufolge Differenzgeschäfte nicht wirtschaftswidrig seien, die dazu dienten, Arbeitsplätze zu erhalten; wohl auch NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis 283d Rn 75, 112. 36 Hierzu und zu weiteren Einwänden LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 51 f; vgl ferner MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 12; Neumann, S 81 m Fn 289. 37 BGHSt 55, 107, 115; zur Anerkennung überindividueller Interessen auch schon BGH NJW 2001, 1874, 1875. 38 Eine ausf Zusammenstellung der Argumente, die gegen die Annahme eines Kollektivrechtsgutes sprechen, findet sich bei Nickmann, S 32 ff; Habetha, S 63 ff; s ferner Dohmen, S 105 ff. 39 Dazu etwa LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 54; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 44; Hammerl, S 110; Hiltenkamp-Wisgalle, S 43, 51; ähnl bereits Neumeyer, (1891), S 137, 154; Hälschner GA 18 (1870), 665, 672; dagegen etwa Höfner, S 34; Mohr, S 149; skept auch schon Kuhn, (1912), S 4; Steinbrück, (1929), S 12 f.

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§ 12 Bankrott, §§ 283, 283a StGB u. Verletz. d. Buchführungspflicht, § 283b StGB | 589

fekten (sog Sogwirkung),40 Insolvenzstraftäter begingen zusätzliche, typische Begleitund Folgedelikte (sog Spiralwirkung)41 sowie der Hinweis auf die hohen (volkswirtschaftlichen) Schäden, die Insolvenzen verursachen, rechtfertigen jedenfalls nicht die Kreation eines Kollektivrechtsgutes,42 zumal Kreditinstitute angesichts der Möglichkeit, sich umfassend abzusichern, nicht zu den typischen Opfern des Bankrotteurs rechnen.43 Darüber hinaus gestatten selbst manche Apologeten eines Kollektivrechtsguts den Gläubigern, Bankrotthandlungen des Schuldners strafbarkeitsausschließend zu konsentieren,44 obschon die einzelnen Gläubiger eines Schuldners sicherlich nicht über das Rechtsgut „Gesamt-/Kreditwirtschaft“ disponieren können.45 Mehr spricht deshalb dafür, das Rechtsgut des § 283 StGB ausschließlich in den Befriedigungsinteressen der Gläubiger zu lozieren.46 Verfassungsrechtliche Bedenken ruft eine solche Rechtsgutskonzeption – entgegen teilweise geäußerter Ansicht – richtigerweise nicht hervor, da es dem Gesetzgeber einerseits nicht verwehrt ist, zum Schutz individueller Rechtsgüter auf die Kategorie der abstrakten Gefährdungsdelikte zuzugreifen und andererseits der von § 283 Abs 6 StGB geforderte Eintritt einer objektiven Strafbarkeitsbedingung bereits einen starken Rechtsgutsbezug impliziert. 47 Vor diesem Hintergrund überzeugt es schließlich auch nicht, aus dem Gefährdungsdeliktscharakter des § 283 StGB und der in § 283 Abs 5 StGB vorgesehenen Fahrlässigkeitsstrafbarkeit den Schluss zu ziehen, § 283 StGB schütze zusätzlich das Kollektivrechtsgut der funktionierenden Kreditwirtschaft.48

III. Das zeitliche Zusammenspiel von Bankrotthandlung und objektiver Strafbarkeitsbedingung Heute entspricht es nahezu einhelliger Meinung, dass die Vornahme einer Bankrotthand- 9 lung auch noch nach Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung die Strafbarkeit we-

_____ 40 D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 44; Hiltenkamp-Wisgalle, S 43; Stracke, S 434 f; abl Höfner, S 35 f; Habetha, S 66; skept, aufgrund fehlender empirisch-kriminologischer Untersuchungen Heinz GA 1977, 193, 203 f. 41 Hiltenkamp-Wisgalle, S 44; Stracke, S 435; dagegen mit überzeugenden Argumenten Höfner, S 36 ff. 42 Zutr NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis 283d Rn 33; SK/Hoyer Vor § 283 Rn 6; MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 18; Hörl, S 54 ff; Mohr, S 147 f; Dohmen, S 106 ff; dies/Sinn KTS 2003, 205, 212 ff; Püschel Rissingvan Saan-FS, S 471, 476 f. 43 Dohmen, S 112; sa Hammerl, S 64; Kribs-Drees, S 46 f, die aber gleichwohl Bankrotthandlungen die Eignung attestieren, das Kreditgefüge zu erschüttern (vgl Hammerl, S 65 f und Kribs-Drees, S 43 ff). 44 Dafür etwa LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 57, 108; zust Moosmayer, S 205; aA und somit konsequent aber Hammerl, S 130; Bieneck wistra 2001, 53. 45 Zu diesem Einwand Penzlin, S 45; AnwK/Püschel Vor § 283–283d Rn 1; ders Rissing-van Saan-FS, S 471, 477; nach Späth, S 198 f führt die Einwilligung sämtlicher Gläubiger dazu, dass auch das überindividuelle Schutzgut nicht tangiert wird, weil es in diesem Fall zu einem „Dominoeffekt“ nicht kommen könne. 46 MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 19; NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis 283d Rn 33; SK/Hoyer Vor § 283 Rn 6; M/R/Altenhain § 283 Rn 1; Hörl, S 57; Höfner, S 38; Penzlin, S 44 und passim; Dohmen, S 113, 189, 205, 214; dies/Sinn KTS 2003, 205, 217 f; Nickmann, S 40; Habetha, S 61 ff; v. Babo, (1908), S 4 f; Kuhn, (1912), S 4 f; Steinbrück, (1929), S 16 f; so wohl auch AnwK/Püschel Vor § 283–283d Rn 1; ders Rissing-van Saan-FS, S 471, 477: §§ 283 ff StGB dienen ausschließlich dem Vermögensschutz; skept freilich Hammerl, S 37. 47 MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 19; Habetha, S 69 f. 48 So aber Moosmayer, S 135 f, 139; ähnl v.d. Heydt, S 118; dagegen zutr Penzlin WM 1999, 983, 984; zu der Rechtfertigung, Täter, die überindividuelle Interessen beeinträchtigen, strenger zu bestrafen, s schon Köstlin GA 5 (1857), 721, 732.

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gen Bankrotts gem § 283 Abs 1 StGB zur Folge hat.49 Um dieses vom Standpunkt der hM prima vista seltsam anmutende Ergebnis – der allenthalben geforderte tatsächliche Zusammenhang zwischen Bankrotthandlung und objektiver Strafbarkeitsbedingung kann nämlich in solchen Konstellationen überhaupt nicht bestehen50 – zu begründen, verweisen die Verfechter dieser Ansicht auf Strafwürdigkeitserwägungen. So würde der von § 283 StGB anerkanntermaßen bezweckte Gläubigerschutz ad absurdum geführt, gestattete man dem Schuldner nach Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung den Rest seines Vermögens straflos zu verschleudern.51 – Ergebnis und Argumentation der hM überzeugen indes nur bedingt. Mehr spricht für einen differenzierten Lösungsansatz: Hat das Insolvenzgericht über das schuldnerische Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet und einen Insolvenzverwalter eingesetzt, nimmt dieser das schuldnerische Vermögen in Beschlag und sorgt damit für einen ausreichenden Gläubigerschutz. Der Schuldner hingegen verliert seine Verfügungsrechte und wird – bildlich gesprochen – aus seiner Vermögensposition verdrängt.52 Freilich bedeutet der Verlust der Verpflichtungs- und Verfügungsbefugnis nicht, dass der Schuldner nicht mehr faktisch auf sein zur Masse gehörendes Vermögen in einer die Gläubiger schädigenden Weise zugreifen kann. Jedoch verwirkt solches Verhalten kein Bankrottunrecht, da das eröffnete Insolvenzverfahren das Schuldnervermögen bereits zugunsten der Gläubiger „verstrickt“ und damit die Gefahr, durch unlautere Machenschaften des Schuldners geschädigt zu werden, erheblich gesenkt hat.53 Wer masseschädigendes Verhalten des Schuldners nach Insolvenzverfahrenseröffnung gleichwohl strafrechtlich ahnden will, der sei auf den Tatbestand der Pfandkehr (§ 289

_____ 49 BGHSt 1, 186, 191; BGH/H GA 1953, 74; BGH ZWH 2015, 31, 32 mAnm Brand ebd; BGH/H GA 1971, 38; BGH wistra 1982, 231; BGH LM Nr 13 zu § 239 KO; RGSt 27, 316, 318; RGSt 14, 221, 222 ff; RGSt 11, 386 f; RGSt 9, 134; RG Rspr 5, 52, 54; Fischer Vor § 283 Rn 16; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 29; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 50, 59; SK/Hoyer Vor § 283 Rn 19; MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 96; M-G/Richter § 77 Rn 13 und § 81 Rn 26, 86; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 105; W/J/Pelz 9/4, 360; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1015, 1020; MAH/Böttger § 19 Rn 182; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 88; B/Quedenfeld/Richter 5/116, 199; M/G/ Rinjes 8/62; Pape/Uhländer/Hofmann § 283 Bankrott Rn 53; Weyand/Diversy Rn 60; Wittig § 23 Rn 117; Bemmann, S 47 ff; Hiltenkamp-Wisgalle, S 338; Stracke, S 72; Reichelt, S 105; Habetha, S 219 f; Brackmann, S 405 ff; Niu, S 145; Kuhn, (1912), S 22, 37; Büttiker, (1914), S 13, 28 f; Steinbrück, (1929), S 46; Otto Bruns-GS, S 265, 282; Heidland KTS 1958, 161, 162; Böhle-Stamschräder KTS 1957, 17; Steinberg/Valerius/Popp/Hagemeier, S 129, 136 f; dies StV 2010, 26, 28; sowie Bittmann/Bittmann Voraufl Rn 26; implizit RGSt 55, 30; Nieberg, (1913), S 35; Kollmar, S 35, 43; Kribs-Drees, S 86; Moosmayer, S 186; Stracke, S 418; Röhm NZI 2002, 134, 136; diff HambK/Borchardt § 283 StGB Rn 36 f, dem zufolge die Organe von (Personen-)Verbänden nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen strafbaren Bankrott nicht begehen können, weil ihre Verfügungs- und Verpflichtungsbefugnis bzgl des schuldnerischen Vermögens auf den Insolvenzverwalter übergeht und deshalb die Voraussetzungen des § 14 StGB nicht mehr vorlägen. 50 Schon Neumeyer, (1891), S 137 folgert deshalb aus diesem Erfordernis, dass die Zahlungseinstellung der Bankrotthandlung nachfolgen muss, allerdings beschränkt auf den einfachen Bankrott (§ 210 KO aF). Beim betrügerischen Bankrott schade die Vornahme der Tathandlung nach Eintritt der Zahlungseinstellung hingegen nicht (aaO, S 168, 172); vgl aber die beachtlichen Erwägungen bei Habetha, S 308 f. 51 D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1020; so auch schon Kuhn, (1912), S 37. 52 Zu dieser Arg sa schon v. Babo, (1908), S 24, der daraus aber nicht die hier gezogene Konsequenz folgert, sondern gleichwohl auf dem Standpunkt steht, es sei einerlei, ob der Schuldner die Bankrotthandlung vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw Eintritts der Zahlungseinstellung vornimmt (aaO, S 39, 46); ähnl Kuhn, (1912), S 22 f; Büttiker, (1914), S 27; vgl auch Habetha, S 219. 53 Andeutungsweise findet sich diese Argumentation bereits bei Neumeyer, (1891), S 138; vgl ferner auch RGSt 14, 221, 223, das die Bestrafung des Schuldners, der eine Bankrotthandlung nach Zahlungseinstellung begeht, ua damit begründet, dass noch keine „geeigneten Sicherungsmaßregeln gegen ihn getroffen werden konnten“. Im Übrigen sind Verfügungen des Schuldners nach Insolvenzverfahrenseröffnung gem § 81 Abs 1 S 1 InsO unwirksam, so dass die Voraussetzungen des Zurechnungszusammenhangs „als“ nach dem hier vertretenen Ansatz (s Rn 19) ohnehin nie vorliegen.

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StGB) verwiesen. Die Pfandkehr schützt zwar nur Nutznießer, Pfandgläubiger sowie die Inhaber von Gebrauchs- und Zurückbehaltungsrechten. Angesichts der historischen Entwicklung des Insolvenzrechts, dem die Vorstellung eines Pfandrechts der Gläubiger am (Gesamt-)Vermögen des Schuldners nicht fremd war,54 stünde der Wortlaut dem Unterfangen, den Schuldner, der nach Insolvenzverfahrenseröffnung Bestandteile der Masse beiseiteschafft, gem § 289 Abs 1 StGB zu ahnden, nicht entgegen und spräche unter teleologischen Gesichtspunkten viel dafür, diesen Weg einzuschlagen, da die „klassischen“ Fallgestaltungen des § 289 Abs 1 StGB und die hier im Fokus stehenden Konstellationen frappierende Gemeinsamkeiten aufweisen. Hinzu kommt der Tatbestand des Verstrickungsbruchs (vgl § 136 Abs 1 StGB), den der Schuldner, der nach Insolvenzverfahrenseröffnung bspw Massebestandteile beiseiteschafft, ebenfalls verwirkt55 und dessen Strafrahmen auch gegenüber der Pfandkehr noch einmal deutlich abgesenkt ist, nämlich auf Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder auf Geldstrafe. Deshalb erscheint es nicht gerechtfertigt, den insolventen Schuldner schwerer – nämlich gem § 283 Abs 1 StGB – zu bestrafen. Anders liegen die Dinge hingegen, wenn der Schuldner seine Zahlungen einstellt bzw die beantragte Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels einer die Verfahrenskosten deckenden Masse (§ 26 Abs 1 InsO) abgewiesen wurde. Da es an einem Verfahren, das die Masse zugunsten der Gläubiger sichert, mehrt und zusammenhält, fehlt, der Schuldner vielmehr weiterhin schalten und walten darf, wie es ihm beliebt,56 wäre es in der Tat nicht angemessen, ihm straflos zu erlauben, die geringfügigen Reste seines Vermögens zu eigenen Zwecken statt zu (quotaler) Gläubigerbefriedigung einzusetzen. Positiver Nebeneffekt der hier vorgeschlagenen Lösung ist die Harmonisierung mit den Fällen, in denen die Bilanzierungsfrist erst nach Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung endet.57

IV. Die tauglichen Täter des § 283 StGB Zwar scheint § 283 StGB ausweislich seiner Formulierung („wer“) jedermann als taugli- 10 chen Täter zu erfassen. Ein Blick in die objektive Strafbarkeitsbedingung des § 283 Abs 6 StGB sowie auf die Struktur des § 283 StGB lehrt jedoch ein Besseres. Strafbar gem den §§ 283, 283a, 283b, 283c StGB ist danach zum einen nur, wer entweder seine Zahlungen eingestellt hat oder über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet bzw mangels Masse nicht eröffnet wurde. Zum anderen spricht etwa der Wortlaut des § 283 Abs 1 Nr 1 StGB davon, der Täter müsse Bestandteile seines Vermögens entweder während der Krise oder mit dem Potential eine solche herauf zu beschwören, beiseiteschaffen, vernichten etc. Damit verengt sich der Täterkreis auf den (Gemein-)Schuldner, der gem den §§ 283 Abs 1 Nrn. 5–7, 283b StGB zusätzlich noch Kaufmann iSd HGB sein muss58.59

_____ 54 S etwa K Schmidt Hellwig-FS, S 311, 322. 55 S nur W/J/Pelz 9/363. 56 Angedeutet hat diese Differenzierung bereits Kuhn, (1912), S 23; gegen eine Bankrottstrafbarkeit bei Abweisung des Antrags mangels Masse mit guten Gründen Brackmann, S 413 ff. 57 Dazu su Rn 200. 58 Dazu ausf u Rn 107 ff. 59 Ausf zum Ganzen LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 59; ders NJW 1977, 777, 779; ders KTS 1984, 539, 542; SK/Hoyer Vor § 283 Rn 7 und § 283 Rn 96, 98; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 2; M/R/Altenhain § 283 Rn 4; M-G/ Richter § 81 Rn 28 f; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 6; W/J/Pelz 9/82; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 76; Pape/ Uhländer/Hofmann § 283 Bankrott Rn 2; Geers, S 65 ff; Hiltenkamp-Wisgalle, S 64; Grosche, S 29 f; Matzen, S 18; Moosmayer, S 57; Röhm, S 240 f; Penzlin, S 55 f; Grub, S 5 f; Dohmen, S 66; Reichelt, S 103; Stracke, S 14 m

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Wer Schuldner ist, richtet sich streng akzessorisch nach dem Zivilrecht.60 Die allenthalben anzutreffende Präzisierung, wonach auch derjenige Schuldner im bankrottstrafrechtlichen Sinne sei, der für fremde Schuld hafte61 – etwa der Gesellschafter einer oHG oder der Ehegatte einer Gütergemeinschaft – trägt zum besseren Verständnis nicht viel bei, da der Gesellschafter/der Ehegatte erst dann Bankrottunrecht verwirkt, wenn er im Stadium der eigenen Krise Bankrotthandlungen vornimmt und anschließend bspw seine Zahlungen einstellt.62 Der Minderjährige, der ohne die erforderliche Genehmigung ein Erwerbsgeschäft betreibt (vgl § 112 BGB), rechnet nicht zu den Schuldnern iSd § 283 StGB, verhindert doch die fehlende Genehmigung schon den Abschluss wirksamer Rechtsgeschäfte.63 1. Reichweite der §§ 283, 283a, 283b, 283c StGB im Recht der Personenverbände 11 Enorme Schwierigkeiten bereiten die §§ 283, 283a, 283b, 283c StGB dem Rechtsanwender,

sobald nicht eine natürliche, sondern – wie in praxi zwischenzeitlich üblich64 – eine juristische Person oder Personenhandelsgesellschaft die (Gemein-)Schuldnerrolle bekleidet.65 Da das deutsche Recht de lege lata keine Verbandsstrafe kennt,66 die Organ-

_____ Fn 69; sa Gübel, S 152; Radtke JR 2010, 233, 235; ders GmbHR 2009, 875; Ogiermann/Weber wistra 2011, 206, 207; Schäfer wistra 1990, 81; Weber StV 1988, 16; Richter GmbHR 1984, 137, 142; Hombrecher JA 2013, 541, 543. 60 MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 39; Matzen, S 19; Ceffinato, S 78; Habetha, S 88; Hammerl, S 4 m Fn 10; Geers, S 65; Wehleit, S 56; Röhm, S 242; Grub, S 18, 22, 61; N Huber ÖJZ 22 (2010), 999, 1003; Tiedemann NJW 1986, 1842: „Das strafrechtliche Tatbestandsmerkmal ‚Schuldner‘ ist eben durch und durch zivilrechtlich geprägt […]“; anders wohl noch ders NJW 1977, 777, 780, wonach der neue § 283 StGB von der ausdrücklichen Bindung an den zivilrechtlichen Schuldnerbegriff gelöst sei; sa schon v. Babo, (1908), S 8; Kuhn, (1912), S 12; Nieberg, (1913), S 3; Büttiker, (1914), S 27; Kollmar, S 9, die zur Bestimmung des Täterkreises „Schuldner“ auf § 241 BGB verweisen; dezidiert aA freilich Bruns, (1938), S 238. 61 S etwa RGSt 68, 108, 109 = DRiZ 1934, 313, 314 am Bsp einer Gütergemeinschaft; ferner Kuhn, (1912), S 12 f; Nieberg, (1913), S 4; LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 60. 62 Das erkennt freilich auch LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 60; s des Weiteren Ceffinato, S 77. 63 Richtig Kuhn, (1912), S 12; Nieberg, (1913), S 3; Geers, S 85 f; offen gelassen von v. Babo, (1908), S 12 wegen der geringen praktischen Relevanz solcher Konstellationen; anders scheinbar, va mit Blick auf die Möglichkeit, deliktische Verbindlichkeiten zu begründen, Steinbrück, (1929), S 45. 64 Zu dieser Feststellung s nur MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 57; zur GmbH als der insolvenzanfälligsten Rechtsform s MAH/Leipold § 19 Rn 1; Scholz/Tiedemann/Rönnau Vor §§ 82 ff Rn 3; Peukert, S 73; Ulmer KTS 1981, 469; Stein AG 1987, 165, 171; Uhlenbruck GmbHR 2002, 941; Schüppen DB 1994, 197; v.d. Heydt, S 69, 87 f. 65 Vgl aber auch Wiesener, S 119 ff, der die Sonderdelikte als Pflichtdelikte kategorisiert und hieraus zunächst die Erkenntnis zieht, die Täterqualifikation beruhe auf einer besonderen Pflichtenstellung des Täters, die sich wiederum aus der besonderen Beziehung des Täters zum geschützten Rechtsgut ergebe (aaO, S 133). Sodann postuliert er einen doppelten Pflichtenbegriff, der einmal eine Relation zu einem Subjekt der Handlung, das andere Mal eine Relation zu einem Subjekt der Zurechnung ausdrücke (aaO, S 140). Da das Wesen der Sonderdelikte darin bestehe, bei den Handlungsdelikten die tatbestandsmäßige Handlung zu unterlassen und bei den Unterlassensdelikten die gebotene Handlung vorzunehmen, sie somit also eine „höchstpersönliche Pflicht“ statuierten (aaO, S 143), gehe es nicht an, die zivilrechtliche Vorstellung von einem Subjekt als Zurechnungsendpunkt einer Pflicht zum Definiens der Täterbeschreibungen des Strafrechts zu machen (aaO, S 145 f). In den Worten Wiesners kann „die das jeweilige Sonderdeliktssubjekt auszeichnende Pflichtenstellung als Entstehungsvoraussetzung einer höchstpersönlichen Verhaltenspflicht nicht von den außerstrafrechtlichen und der zivilistischen Begriffsbildung zugrunde liegenden Tatbeständen abhängen […], die auf ein Subjekt der Zurechnung als solches gestellt sind“. Für die Bankrottdelikte heißt das: Strafbar macht sich danach, wer den Aufgabenkreis des Schuldners übernommen und eine Bankrotthandlung begangen hat, sofern über das verwaltete Vermögen entweder das Insolvenzverfahren eröffnet bzw seine Eröffnung mangels Masse abgelehnt oder die Zahlungen aus diesem Vermögensbestand eingestellt wurden (aaO, S 184). 66 Zu den Bedenken gegenüber einer solchen Verbandsstrafe im Kontext der Insolvenzdelikte s Moosmayer, S 119 f; Röhm, S 245 ff.

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walter aber, die den Bankrotttatbestand verwirklichen, indem sie bspw Vermögen des kriselnden Verbandes beiseiteschaffen, nicht Schuldner und damit keine tauglichen Täter sind,67 liefen die §§ 283, 283a, 283b, 283c StGB auf dem praktisch relevanten Feld des Bankrotts juristischer Personen/Personengesellschaften leer.68 Identifiziert hat diese Gefahr bereits das Preußische Obertribunal, dessen freisprechende Entscheidung69 den Gesetzgeber dazu veranlasste, in mehreren Anläufen eine Vorschrift zu schaffen, die es erlaubt, den (Gemein-)Schuldnerstatus des Personenverbandes seinen handelnden Organen zuzurechnen.70 Den Schlusspunkt dieser gesetzgeberischen Bemühungen bildet der heute geltende § 14 StGB.71 Diese Vorschrift weist dem Organwalter, der im Stadium der Gesellschaftskrise Gesellschaftsvermögen bspw vor den Gläubigern verheimlicht oder zu spekulativen Zwecken einsetzt (vgl § 283 Abs 1 Nr 1 bzw 2 StGB), unter bestimmten, sogleich darzustellenden Voraussetzungen72 die Schuldnereigenschaft „seines“ Verbandes zu.73

a) § 283 Abs 6 StGB – Ein Hindernis der Organstrafbarkeit wegen Bankrotts? Probleme, die nicht an der Gestalt des § 14 StGB hängen, gleichwohl aber thematisch 12 zum hier behandelten Zurechnungskontext gehören, ergeben sich mit Blick auf die §§ 283 Abs 6, 283b Abs 3, 283c Abs 3 StGB. Die dort normierte bzw in Bezug genommene objektive Strafbarkeitsbedingung spricht nämlich nicht vom Schuldner, sondern vom Täter, der seine Zahlungen eigestellt haben bzw über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet oder mangels Masse abgelehnt worden sein muss. Vor diesem Hintergrund plädieren Teile des Schrifttums dafür, den Organwalter, der bspw das Vermögen „seiner“ fallierenden und später zusammengebrochenen Gesellschaft entgegen den Nrn 1–3, 8 eingesetzt hat, selbst dann vom Vorwurf des strafbaren Bankrotts freizusprechen, wenn ihm via § 14 StGB die Gemeinschuldnerposition anwächst, da die Gesellschaft und nicht er, der Täter, seine Zahlungen einstellte etc.74 Die extreme Gegenansicht schlägt vor, den § 283 Abs 6 StGB berichtigend dahingehend auszulegen, statt „Täter“

_____ 67 Zu diesem „Dilemma“ s schon die Begr zur KO v 1877 bei Hahn, S 406 f; ferner Roxin § 27 Rn 84; Röhm, S 247; Bittmann/Pikarski wistra 1995, 91, 92. 68 Diese Erkenntnis findet sich bereits in der Begr zur KO v 1877 bei Hahn, S 407 sowie iRd Entscheidung des Pr. Obertribunals GA 23 (1875), 31, 33, 36; s ferner Bruns DJ 1934, 1589, 1590; dens JZ 1954, 12; zum Ganzen am Bsp des § 266a StGB anschaul auch MK/Radtke § 14 Rn 6. 69 Pr. Obertribunal GA 23 (1875), 31, 45; sa RGSt 16, 121, 123 f sowie RGSt 60, 234 f am Bsp des § 288 StGB. 70 S schon die Aussage in RGSt 13, 235, 240; zu den gesetzgeberischen Bemühungen im Anschluss an die Entscheidung des Pr. Obertribunals s LK/Schünemann § 14 Rn 2; Geers, S 112 ff. 71 Ausf zur historischen Entwicklung Schäfer, Niederschriften, S 545, 546 ff; Amelung/Rogall, S 145, 147 ff; zu den Schwierigkeiten, die die über zahlreiche Gesetze verstreuten (vgl etwa § 83 GmbHG aF bzw § 244 KO aF) Zurechnungsvorschriften mit sich brachten, s RGSt 41, 309, 311 am Bsp der Liquidatoren einer GmbH. 72 Su Rn 15 ff. 73 AA aber jüngst Ceffinato, S 354 ff, dem zufolge § 283 Abs 1 Nrn 1–4, 6, 8 StGB lediglich ein Gemeindelikt mit beschränktem Adressatenkreis normiert, das von § 14 StGB nicht erfasst werde. Die hierdurch entstehende Lücke schließe § 283d StGB, dem Ceffinato ua die Aussage entnimmt, dass es sich bei dem in § 283 Abs 1 Nrn 1–4, 6, 8 StGB vertypten Unrecht nicht um Sonderunrecht handelt. Lediglich die §§ 283 Abs 1 Nrn 5 und 7, 283b StGB ordnet er in die Gruppe derjenigen Sonderdelikte ein, bzgl derer er die Vorschrift des § 14 StGB für anwendbar erachtet. 74 Labsch wistra 1985, 1, 4; sa AnwK/Püschel Vor § 283–283d Rn 4.

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einfach „Schuldner“ zu lesen.75 Der Einwand, eine solche „Uminterpretation“ verstieße gegen Art 103 Abs 2 GG, liegt auf der Hand,76 trifft aber den nicht, der wegen der Zurechnungsoperation des § 14 StGB den § 283 StGB als Vertretersondertatbestand mit dem Vertreter als Schuldner und Täter begreift.77 Summa summarum lässt sich festhalten: Der verunglückte Wortlaut des § 283 Abs 6 StGB hindert das Unterfangen nicht, den Organwalter, der die tatbestandlichen Voraussetzungen der §§ 283, 283a, 283b, 283c StGB erfüllt und gem § 14 StGB die Gemeinschuldnerrolle zugewiesen erhält, entsprechend zu bestrafen.

b) Die juristische Person in der Gemeinschuldnerrolle 13 Bekleidet eine juristische Person die Gemeinschuldnerrolle, hängt die Reichweite des

denkbaren Täterkreises von § 14 Abs 1 Nr 1 StGB ab. Danach kommen – entgegen dem missverständlichen Wortlaut, der zwischen Organen und deren Mitgliedern unterscheiden will, obschon das Organ einer juristischen Person konstruktiv ebenfalls keine natürliche Person und damit strafunfähig ist78 – als Zurechnungsadressaten der Gemeinschuldnerrolle nur die Mitglieder des vertretungsberechtigten Organs in Betracht. Beispielhaft seien die GmbH-Geschäftsführer, die Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft oder eG79 sowie der persönlich haftende Gesellschafter einer KGaA genannt.80 Außerhalb des § 14 Abs 1 Nr 1 StGB stehen somit Aufsichtsratsmitglieder,81 sofern ihr Gremium nicht ausnahmsweise die Funktion des vertretungsberechtigten Organs einnimmt (vgl etwa § 112 S 1 AktG),82 sowie die Gesellschafter, Genossen, Aktionäre und Kommanditaktionäre.83

_____ 75 Fischer Vor § 283 Rn 21; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 59a; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 26; NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis 283d Rn 43; M-G/Richter § 81 Rn 66; W/J/Pelz 9/86; M/R/Altenhain § 283a Rn 41; GKGmbHG/Ransiek Vor § 82 Rn 28; Weyand/Diversy Rn 25; Geers, S 128; Penzlin, S 55 f; Ceffinato, S 33 m Fn 58; Stracke, S 339 f; Kawan, S 209; Reichelt, S 18; Regner, S 47; Hagedorn, S 81; Habetha, S 90, 294; Grub, S 13 f, 83, 97; LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 63; ders NJW 1977, 780; ders Dünnebier-FS, S 519, 535, der aber gleichwohl auf die Problematik dieser Lesart hinweist; Grosche, S 31 f; Deutscher/Körner wistra 1996, 8, 12; Lampe GA 1987, 241, 249 m Fn 17; ferner Waßmer, S 16; wohl auch M/G/Rinjes 8/59 m Fn 135; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 55; Arloth NStZ 1990, 570, 574; Richter GmbHR 1984, 137, 142; Trüg/Habetha wistra 2007, 365, 368; nach Ransiek ZGR 1992, 203, 210 m Fn 35 ist eine solche berichtigende Lesart freilich unnötig. 76 So etwa Labsch wistra 1985, 1, 4; zust Matzen, S 20; Büning, S 63; sympathisierend Röhm, S 251; vgl aber auch Stöckel, S 85, dem zufolge eine Bindung an den Wortlaut dann nicht besteht, wenn die auszulegende Gesetzesbestimmung offensichtlich missglückt oder redaktionell fehlerhaft ist. 77 Zutr Wehleit, S 14 f; wohl auch Büning, S 63; ferner SK/Hoyer § 283 Rn 97; Mohr, S 42; MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 27 und Rn 98, obschon sie in Rn 98 der hM folgen, die statt Täter Schuldner liest; ähnl HambK/Borchardt § 283 StGB Rn 49; S/S/W/Bosch Vorbem §§ 283 ff Rn 5; Dehne-Niemann wistra 2009, 417, 418; abl Matzen, S 20; Stracke, S 339; Röhm, S 251. 78 Mehrheitlich versteht das einschlägige Schrifttum den Terminus „Organ“ freilich dahingehend, wonach das Gesetz hiermit Konstellationen bezeichnet, in denen das Vertretungsorgan nur aus einer einzigen Person besteht; statt vieler MK/Radtke § 14 Rn 79; KK-OWiG/Rogall § 9 Rn 43, 45; LK/Schünemann § 14 Rn 45. 79 Zu diesen und zu den juristischen Personen des öffentlichen Rechts sa S/S/Perron § 14 Rn 15; MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 45; ferner NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis 283d Rn 45. 80 Sa LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 64; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 50; M-G/Richter § 81 Rn 33. 81 MK/Radtke § 14 Rn 79; KK-OWiG/Rogall § 9 Rn 43; Roxin II § 27 Rn 116. 82 Dann unterfallen sie dem § 14 Abs 1 Nr 1 StGB; s nur NK/Böse § 14 Rn 24 sowie ausf Brackmann, S 308 ff. 83 Die Gegenansicht, die bspw auch dem GmbH-Gesellschafter die Schuldnerstellung zurechnen wollte (dafür W Fleischer NJW 1978, 96 f), hat sich zu Recht nicht durchgesetzt; überzeugende Kritik etwa bei

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§ 12 Bankrott, §§ 283, 283a StGB u. Verletz. d. Buchführungspflicht, § 283b StGB | 595

Wer mit der hM und entgegen dem hier verfochtenen Standpunkt die Ansicht ver- 14 tritt, die Vornahme der von § 283 Abs 1 Nrn 1–8 StGB inkriminierten Tatmodalitäten verwirke auch noch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Bankrottunrecht,84 sieht sich der kontrovers diskutierten Frage ausgesetzt, ob – und wenn ja unter welchen Voraussetzungen – der Geschäftsführer im eröffneten Insolvenzverfahren bzw im vorgeschalteten Insolvenzeröffnungsverfahren „als Organ“ handelt. Hat das Insolvenzgericht einen (vorläufig „starken“85 bzw „halbstarken“86) Insolvenzverwalter ernannt, vermögen sowohl faktische Handlungen, wie das Verbergen von Vermögensbestandteilen, als auch solche rechtsgeschäftliche Maßnahmen, die die Masse schuldrechtlich verpflichten, den Zurechnungsmechanismus des § 14 Abs 1 Nr 1 StGB zu aktivieren. Rechtsgeschäftliche Verfügungen, die wirksam nur der (vorläufig „starke“ bzw „halbstarke“) Insolvenzverwalter vornehmen kann, begründen den Zurechnungszusammenhang hingegen nicht.87 Freilich genügt die Mitgliedschaft im Vertretungsorgan nicht, um gem § 14 Abs 1 15 Nr 1 StGB in die Position des Gemeinschuldners einzurücken. Vielmehr muss der präsumtive Täter die Bankrotthandlung gerade „als“ Mitglied des vertretungsberechtigten Organs begangen haben. Die Auslegung dieser Partikel bereitet bis heute viel Kopfzerbrechen. 88 Rspr und Schrifttum haben zahlreiche Interpretationsansätze hervorgebracht, mithilfe derer sie dieses Merkmal näher bestimmen wollen. Die Folie, auf der sich die Debatte abspielt, bildet das Verhältnis von § 266 StGB einer- und § 283 StGB andererseits.89 Schafft bspw der Geschäftsführer einer kriselnden GmbH Vermögensgegenstände zu seinen Gunsten und ohne Wissen der Gesellschafter beiseite und kommt es schließlich zum wirtschaftlichen Kollaps dieser GmbH, steht keinesfalls nur eine Strafbarkeit wegen Bankrotts gem § 283 Abs 1 Nr 1 StGB im Raum, sondern darüber hinaus bzw stattdessen auch eine solche wegen Untreue. Von Nuancen im Detail einmal abgesehen – etwa der Ansatz, dem die Organmitgliedschaft genügt, damit § 14 Abs 1 Nr 1 StGB seine Zurechnungsoperation durchführt90 und der sich zu Recht nicht durch-

_____ Cadus, S 106; Hiltenkamp-Wisgalle, S 75; Geers, S 57 f; der Kritik iE zust Bruns GA 1982, 1, 11, der dieses Resultat aber bedauert. 84 Siehe o Rn 9. 85 Von einem „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter spricht man, wenn das Insolvenzgericht dem Schuldner zusätzlich zur Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt; vgl § 22 Abs 1 InsO. 86 Hierbei handelt es sich um Fälle, in denen das Gericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt, diesen mit einzelnen Kompetenzen ausstattet, ohne aber dem Schuldner zugleich ein allgemeines Verfügungsverbot aufzuerlegen; vgl § 22 Abs 2 InsO. 87 Ausf dazu Reichelt, S 105 ff; enger M-G/Richter § 81 Rn 44 und § 87 Rn 31 sowie W/J/Pelz 9/369: Geschäftsleiter juristischer Personen können dann täterschaftlich keinen Bankrott mehr begehen. 88 Nicht selten findet sich die Aussage, hierbei handele es sich um die umstrittenste Problematik im Zusammenhang mit der Vertreterhaftung; vgl nur Ceffinato, S 293. 89 MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 44, 57. 90 Dafür Wehleit, S 87 ff, 92 (sympathisierend wohl LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 85); ähnl Ransiek ZGR 1992, 203, 211; ferner Lampe GA 1987, 241, 252 f, der gem § 283 StGB bestrafen will, wenn das Organverhalten die Interessen der Gläubigerschaft verletzt und zwar unabhängig davon, ob der Organwalter im eigenen Interesse oder im Interesse der juristischen Person bzw in Ausübung oder lediglich bei Gelegenheit seiner Organtätigkeit handelt; ferner Gössel JR 1988, 256, 258, der entscheidend auf die Tatherrschaft des Organs über die Tathandlung abstellen will; vgl auch Deutsch-Spanisches Strafrechtskolloquium/dens, S 97, 103; auf dieser Linie auch Wiesener, S 165 ff, 178 vom Prinzip der Ersatzvertretung her kommend; ähnl jüngst Reichelt, S 196 f und passim, die danach differenziert, ob der Täter „beruflich, innerhalb der eingenommenen Rolle, oder privat gehandelt hat“, sich dabei aber mit dem hier und an anderer Stelle vertretenen organisationsbezogenen Ansatz überhaupt nicht auseinandersetzt, sondern im Gegenteil diesen Ansatz sowie das Radtke’sche Zurechnungsmodell systemwidrig dem objektiv-funktionalen Lager zuschlägt

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gesetzt hat91 – standen sich lange Zeit die sog Interessentheorie sowie der funktionale Ansatz gegenüber, bevor an deren Seite ein organisationsbezogenes Zurechnungsmodell trat. Jüngst gesellte sich diesem Triumvirat der Interpretationsvorschläge noch eine vermittelnde, sog pluralistische Sichtweise hinzu, die Elemente der Interessentheorie und des funktionalen Ansatzes verbindet und den Zurechnungszusammenhang „als“ bejaht, wenn der Organwalter mit seiner Tathandlung entweder die Interessen des Vertretenen verfolgen will oder aber zur Tatbegehung diejenigen Handlungsoptionen ausgenutzt hat, die ihm gerade seine Position offerierte.92 Insbes letzteres überzeugt jedoch aus denselben, iRd Kritik am funktionalen Ansatz näher ausgeführten Gründen nicht,93 weshalb dieser pluralistische Ansatz hier nicht weiter verfolgt wird.

aa) Die Interessentheorie und hiergegen gerichtete Einwände 16 Obschon der BGH seiner jahrzehntelang verfochtenen Interessentheorie zwischenzeit-

lich den „Todesstoß" versetzt hat, erscheint es gleichwohl – zum besseren Verständnis der Problematik – angezeigt, sich kurz des Inhalts dieser Theorie und der hiergegen vorgebrachten Einwände zu erinnern. Die Rspr94 und das ihr folgende Schrifttum standen seit den Zeiten des Reichsgerichts auf dem Standpunkt, ein Organwalter/Beauftragter agiere nur dann „als Organ“ bzw „auf Grund dieses Auftrags“ iSd § 14 Abs 1, 2 StGB, wenn die Tathandlung – zumindest auch95 – dem objektiv96 verstandenen wirtschaftlichen Interesse des Gemeinschuldners entspreche.97 Verfolge der Organwalter/Auftragnehmer hingegen ausschließlich eigene Interessen, scheitere die Zurechnungsoperation

_____ (aaO, S 150, 152) und fälschlich meint, die Einwände, die gegen den objektiv-funktionalen Ansatz sprechen, ließen sich eins zu eins auch dem organisationsbezogenen Ansatz und dem Zurechnungsmodell entgegenhalten. 91 S etwa Auer, S 43, der darauf hinweist, dass § 14 StGB auf der Grundlage solcher Interpretation keine eigenständige Bedeutung mehr besäße; ebenso Grub, S 151 f; Mohr, S 83 ff; ferner MK/Radtke § 14 Rn 68; Nickmann, S 244; Pohl, S 114, 129 f; Reiß wistra 1989, 81, 85 m Fn 34 und jüngst Rogall Paeffgen-FS, S 361, 370. 92 Zu diesem Ansatz grdl Pohl, S 136 und passim sowie dies wistra 2013, 329, 333. 93 Su Rn 18. 94 Zur Entwicklung s den Überblick bei Schwarz HRRS 2009, 341, 344 f. 95 Diese Einschränkung der Interessentheorie und die damit einhergehende Ausdehnung des Insolvenzstrafrechts erfolgte durch BGH GA 1979, 311, 313; BGHSt 28, 371, 372; BGHSt 30, 127; BGHSt 34, 221, 223; BGH NStZ 1984, 119 (Ls); BGH wistra 1986, 262; BGH NStZ 2000, 206, 207; OLG Karlsruhe NJW 2006, 1364, 1365 = wistra 2006, 352, 353 und avancierte zum allg akzeptierten Verständnis der Interessentheorie. Vorher hatte die Rspr noch gefordert, der Täter müsse die inkriminierte Bankrotthandlung im alleinigen Interesse des Schuldners begehen, um den Zurechnungszusammenhang „als“ zu begründen. 96 Zu den versch Interpretationsmöglichkeiten und ihrer unklaren Handhabung seitens der Verfechter der Interessentheorie s etwa Wehleit, S 62 f. 97 Zu dieser Interessentheorie s RGSt 42, 278, 282; RGSt 60, 234, 236; RGSt 73, 117, 120 (am Bsp des Merkmals „Aufwand“); BGHSt 6, 314 ff; BGH GmbHR 1955, 43 m zust Anm H Vogel; BGH/H GA 1961, 353, 356; BGH GA 1963, 307; BGH NJW 1969, 1494 f; BGH GA 1979, 311, 313; BGH/H MDR 1979, 806; BGH wistra 1982, 148, 149; BGH NStZ 1987, 279, 280; BGH wistra 2000, 136, 137 = NStZ 2000, 206, 207 (zu § 283 Abs 1 Nr 8 StGB); OLG München wistra 1994, 278, 279; indifferent aber BGHSt 28, 371, 374, insbes was rechtsgeschäftliche Schädigungshandlungen anbelangt; dagegen AG Halle-Saalkreis NJW 2002, 77 sowie RGSt 73, 68, 69 ff, das den Zurechnungszusammenhang bejaht, wenn der Geschäftsführer seine tatsächliche Machtstellung als Organ zur Tatbegehung ausgenutzt hat; aus dem Schrifttum s etwa LK/Schünemann § 14 Rn 50 f; W/J/Köhler3 7/109; Roxin § 27 Rn 122 f; Büning, S 61; Hiltenkamp-Wisgalle, S 167 f; Kollmar, S 15 f; Grosche, S 33, dem zufolge ein Handeln im ausschließlich eigenen Interesse des Täters nicht dem § 14 StGB unterfällt; zur Entwicklung der Rspr s ausf Nickmann, S 143 ff; Plädoyer für die Interessentheorie jüngst bei Rogall Paeffgen-FS, S 361, 373 ff.

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§ 12 Bankrott, §§ 283, 283a StGB u. Verletz. d. Buchführungspflicht, § 283b StGB | 597

des § 14 StGB und damit die Strafbarkeit wegen Bankrotts an den Merkmalen „als“, „auf Grund dieses Auftrags“. Straflosigkeit war freilich nicht die Folge, da der BGH den Geschäftsführer, der trotz Gesellschaftskrise das Gesellschaftsvermögen zu seinen oder zu Gunsten der Gesellschafter ausplünderte, gem § 266 Abs 1 StGB verurteilte.98 Selbst ein Einverständnis der – missverständlich so betitelten99 – wirtschaftlichen Eigentümer, also der Gesellschafter, vermochte ihn regelmäßig nicht vor der Untreuestrafbarkeit zu retten. Denn der BGH versagte und versagt dem Gesellschaftereinverständnis, das gegen § 30 Abs 1 S 1 GmbHG bzw das Existenzvernichtungsverbot verstößt, seine tatbestandsausschließende Kraft100.101 Strafbarkeitslücken verursachte die modifizierte Interessentheorie jedoch, sobald nicht eine GmbH, sondern eine Personenhandelsgesellschaft die Gemeinschuldnerrolle bekleidete. Erklären sich sämtliche Gesellschafter der Personenhandelsgesellschaft mit der Schädigung des Gesellschaftsvermögens einverstanden, scheitert auf dem Boden der Rspr, die lediglich die Gesellschafter und nicht die Personengesellschaft als taugliche Opfer einer Untreue anerkennt,102 sowohl eine Bestrafung gem § 266 StGB als auch – da die Schädigung nicht im Interesse der Gesellschaft erfolgte – wegen Bankrotts. Aus diesem Grund hat der BGH seine Interessentheorie durchbrochen und ein Handeln „als Organ“ auch dann bejaht, wenn der Täter die Tat mit dem Einverständnis der Gesellschafter begeht.103 Die große Mehrzahl des insolvenzstrafrechtlichen Schrifttums lief gegen diese Rspr 17 Sturm.104 Die vorgetragenen Einwände sind mittlerweile Legion105 und bedürfen deshalb sowie angesichts der vom BGH vollzogenen Kehrtwende106 nur einer kurzen Rekapitulation. Im Zentrum der Kritik stand der Vorwurf, die Interessentheorie lasse sich weder im Wortlaut des § 14 StGB noch in seiner Entstehungsgeschichte verankern107 und nehme zusätzlich dem § 283 StGB nahezu seinen kompletten Anwendungsbereich,108 ohne hier-

_____ 98 Zu diesem „Ausgleich“ s nur BGH wistra 1982, 148, 149; zu dieser Feststellung ferner Brand, S 218. 99 Zur Kritik an dieser Begriffswahl s Brand, S 258 ff; skept auch schon Tiedemann Dünnebier-FS, S 519, 527. 100 Dazu ausf § 16 Rn 105, 114 ff sowie erg § 5 Rn 29 im Kontext der Auslandsgesellschaften. 101 S nur BGHSt 49, 147, 157 ff; BGHSt 54, 52, 57 ff; BGH wistra 2003, 457, 460; BGH NZG 2011, 1238; BGHR StGB § 283 Abs 1 – Konkurrenzen 2; BGHR StGB § 283 Abs 1 – Konkurrenzen 3; BGHSt 3, 32, 40 (der freilich noch weiter ging und nur Entnahmen in den Grenzen des § 29 GmbHG gestattete). 102 Jüngst wieder BGH NStZ 2013, 38 f mwN zur Rspr sowie BGH NJW 2013, 3590, 3593 f m abl Anm Brand, ebd; vgl auch OLG Celle ZWH 2014, 21 m ebenfalls abl Anm Brand, ebd; ferner BGH NStZ 1987, 279. 103 BGHSt 34, 221, 223 f; ähnl BGH NStZ 1984, 119; vgl aber auch OLG München wistra 1994, 278, 279, das bei einer GmbH & Co. KG als Gemeinschuldnerin dem Einverständnis des einzigen Gesellschafters der Komplementär-GmbH dann nicht die Kraft beimisst, den Zurechnungszusammenhang zu begründen, falls dieses Einverständnis dem Kapitalerhaltungsinteresse der GmbH widerspricht. 104 Abgelehnt haben die Interessentheorie etwa Wehleit, S 76 und passim; Waßmer, S 19, 88; Louis, S 168 f; v.d. Heydt, S 79 f; Tiedemann NJW 1986, 1842, 1844; Reiß wistra 1989, 81, 85; Schäfer wistra 1990, 81, 83 f; Weber StV 1988, 16, 17; Labsch wistra 1985, 59; Gössel JR 1988, 256; Arloth NStZ 1990, 570, 572; Ransiek ZGR 1992, 203, 211; Deutscher/Körner wistra 1996, 8, 13; Lampe GA 1987, 241, 251 ff; Radtke GmbHR 1998, 361, 368; Rönnau NStZ 2003, 525, 528; Hagemeier NZWiSt 2012, 239; Bärenz EWiR 2004, 1245, 1246; sa Bottke wistra 1991, 81, 84. 105 S nur die Zusammenstellung bei Brand, S 229 ff und Dehne-Niemann wistra 2009, 417, 420 ff. 106 Ausf u Rn 20. 107 Dazu ausf Reichelt, S 173 ff, die anhand der zahlreichen Reformbestrebungen darlegt, dass ein Interessenkriterium nur im Kontext solcher „Sonderdelikte“ diskutiert wurde, die tatbestandlich eine Selbstbegünstigung voraussetzten und sich erledigte, nachdem der Gesetzgeber diesen Delikten eine Drittbegünstigungsmodalität hinzugefügt hatte; s zum Ganzen erg auch Grub, S 136 f; Wehleit, S 64 ff; Mohr, S 78; aA aber Rogall Paeffgen-FS, S 361, 370. 108 Va mit Blick auf die Modalitäten „Zerstören“ und „Unbrauchbarmachen“ iSd Nr 1; s nur LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 80; NK/Böse § 14 Rn 18; S/S/W/Bosch § 14 Rn 10; B/Quedenfeld/Richter 5/153; Mohr,

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für generell einen Ausgleich vorzusehen. Zwar drohe § 266 StGB immerhin demjenigen Strafe an, der mit dem Gesellschaftsvermögen in einer von § 283 Abs 1 Nrn 1, 2, 3 und 8 StGB verbotenen Weise verfahre. Der Notbehelf des § 266 StGB versage aber, sobald eine Strafbarkeit wegen Verstoßes gegen die Buch- und Bilanzführungsdelikte109 im Raum stehe. Da die unterbliebene Buch-/Bilanzführung nahezu nie im Interesse der Gesellschaft, sondern typischerweise mit der Intention erfolge, rechtswidrige Vermögensverlagerungen zugunsten von Geschäftsleitern oder Gesellschaftern zu verschleiern,110 und zudem, von wenigen Ausnahmen abgesehen, auch keinen Vermögensschaden bei der vertretenen Gesellschaft hervorriefe,111,112 blieben die Verantwortlichen sowohl sub specie §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b StGB113 als auch sub specie Untreue straflos.114 Genauso stehe es um die fahrlässigen Bankrotthandlungen, wie sie § 283 Abs 4, 5 StGB strafbewehre; die Interessentheorie passe nicht zum Fahrlässigkeitsvorwurf115 und die Strafbarkeit wegen Untreue erfordere zumindest dolus eventualis. Doch selbst dort, wo § 266 StGB kriminalpolitischen Ausgleich besorgte, fand die Interessentheorie keine Anhänger. Das Unterfangen, den Geschäftsführer statt wegen Bankrotts gem § 266 Abs 1 StGB zu bestrafen, sah sich dem Vorwurf ausgesetzt, unter dem Deckmantel des § 266 StGB Gläubigerschutz zu betreiben und dadurch den Schutzzeck des Untreuetatbestandes zu vertauschen.116

_____ S 52; Nickmann, S 227; Reichelt, S 189; Schäuble, S 171; Brackmann, S 266; Schweitzer, S 104, 120; Brand NStZ 2010, 9, 11; N Huber ÖJZ 22 (2010), 999, 1004; Grub, S 139, 147; Radtke JR 2010, 233, 236; ders GmbHR 2009, 875; Habetha NZG 2012, 1134, 1135 f; Habenicht JR 2011, 17, 20; Hagemeier NZWiSt 2012, 239; Schäfer wistra 1990, 81, 84; Richter GmbHR 1984, 137, 143; Ransiek ZGR 1992, 203, 211; Jordan JURA 1999, 304, 305; Uhlenbruck BB 1985, 1277, 1279; ferner NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis 283d Rn 52; Bosch JK 11/12, StGB § 14/3; zust jetzt BGHSt 57, 229, 234, 236 = NJW 2012, 2366, 2368. 109 Vgl §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b StGB und u Rn 97 ff. 110 Mohr, S 51 f; Deutscher/Körner wistra 1996, 8, 12; vgl ferner W/J/Pelz 9/177; Nickmann, S 216; Hagemeier NZWiSt 2012, 239. 111 MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 59; S/S/W/Bosch § 14 Rn 10; W/J/Pelz 9/177; Reichelt, S 155; Pohl wistra 2013, 329, 332; Richter GmbHR 1984, 137, 144; sa LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 80; MK/Dierlamm § 266 Rn 191, 227; Wessing/Krawczyk NZG 2014, 59, 60; großzügig bei der Annahme einer untreuerelevanten Pflichtverletzung sowie eines Vermögensschadens, sofern Dritte wegen der fehlerhaften oder unterbliebenen Bilanzierung unter erleichterten Voraussetzungen rechtswidrig auf das Treugebervermögen zugreifen, Perron Frisch-FS, S 857, 870; s des Weiteren Neumeyer, (1891), S 119 m Fn 2, dem zufolge das Fehlen von Handelsbüchern stets auch das Schuldnervermögen vermindert. 112 Dazu, dass die Pflicht, für eine ordnungsgemäße Buchführung zu sorgen, eine Vermögensbetreuungspflicht des Geschäftsführers begründet, s Reichelt, S 63. 113 Zum Leerlaufen dieser Vorschriften unter dem Regime der Interessentheorie s MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 59; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 2b; NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis 283d Rn 52; Grub, S 145; Schäuble, S 171; Deutscher/Körner wistra 1996, 8, 12; Arloth NStZ 1990, 570, 572; Richter GmbHR 1984, 137, 144; Bosch JK 11/12, StGB § 14/3; ferner Mohr, S 52; AnwK/Püschel Vor § 283–283d Rn 9; ders Rissing-van Saan-FS, S 471, 473; vgl des Weiteren Haug, S 200. 114 Zu den entstehenden Strafbarkeitslücken LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 80, 84; SK/Hoyer § 283 Rn 103; Grub, S 145; Schwarz HRRS 2009, 341, 343; Ogiermann/Weber wistra 2011, 206, 208; Hagemeier NZWiSt 2012, 239; Schmucker ZJS 2011, 30, 34. 115 AG Halle-Saalkreis NJW 2002, 77, 78; S/S/Perron § 14 Rn 26; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 2b; S/S/W/ Bosch § 14 Rn 10; M/R/Altenhain § 283 Rn 5; M-G/Richter § 81 Rn 57; Waßmer, S 19; Reichelt, S 155; Brackmann, S 267 f; LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 84; ders NJW 1986, 1842, 1844; Wehleit, S 71; Weber StV 1988, 16, 17; Achenbach BGH-FG, S 593, 604; Link NJW 2009, 2228; Ogiermann/Weber wistra 2011, 206, 208; Habetha NZG 2012, 1134, 1136; Hagemeier NZWiSt 2012, 239; Dehne-Niemann wistra 2009, 417, 419; AnwK/Püschel Vor § 283–283d Rn 9; ders Rissing-van Saan-FS, S 471, 473; Bosch JK 11/12, StGB § 14/3. 116 Arloth NStZ 1990, 570, 573; Labsch wistra 1985, 1, 7 f; Winkelbauer wistra 1986, 17 f; Wehleit, S 20 ff; Mohr, S 74 f; Schramm, S 128; Nickmann, S 227 ff; Schwarz HRRS 2009, 341, 343; Bosch JK 11/12, StGB § 14/3, dem zufolge § 266 StGB zum „Insolvenzdelikt ‘kleiner Münze’ verkam“; angedeutet bereits von Deutscher/Körner wistra 1996, 8, 12 sowie von Gössel JR 1988, 256, 257 und Winkelbauer wistra 1986, 17, 18; sa

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§ 12 Bankrott, §§ 283, 283a StGB u. Verletz. d. Buchführungspflicht, § 283b StGB | 599

Des Weiteren verwiesen die Gegner der Interessentheorie auf § 6 GmbHG aF, der im Unterschied zu seinem „MoMiG-Nachfolger“ an die Verurteilung wegen Untreue nicht die Konsequenz der Inhabilität knüpfte.117 Schließlich sah sich die Interessentheorie dem Einwand ausgesetzt, sie verbaue die Möglichkeit, bloß versuchte Bankrotthandlungen zu ahnden, da der meistens zur Pönalisierung berufene Untreuetatbestand anders als § 283 Abs 3 StGB118 die Versuchsstrafbarkeit nicht vorsehe.119 Keine Überzeugungskraft vermag hingegen das Argument zu beanspruchen,120 die Interessentheorie bedinge eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von Verbandsleitern und Einzelunternehmern,121 da die Organwalter eines Personenverbandes anders als ihre einzelkaufmännisch tätigen Kollegen eine ambivalente Stellung bekleiden, die ihnen zwar Willensbildungskompetenzen für ihren Verband zuweist, gleichwohl aber nichts an der Fremdheit des Verbandsvermögens ihnen gegenüber ändert.122

bb) Darstellung und Kritik des funktionalen Ansatzes Zur hM im Schrifttum avancierte ein funktionsbezogener Ansatz, auch Funktionstheo- 18 rie oder Lehre vom funktionalen Zusammenhang genannt, der danach fragt, ob das inkriminierte Verhalten des Organwalters/Beauftragten Ausdruck gerade dieser Position ist123 und dabei dem verfolgten Interesse zT Indizcharakter beimisst.124 Hier endet die Einigkeit unter den Verfechtern eines funktionsbezogenen Ansatzes aber schon. Über die Kriterien, mithilfe derer sich Organ- von Nichtorganhandeln abgrenzen lässt, konnten die Vertreter des funktionalen Ansatzes bislang keinen Konsens erzielen. Mehrheitlich schlagen sie vor, zwischen rechtsgeschäftlichen und faktischen Schädigungshandlungen zu

_____ Radtke JR 2010, 233, 237; Habenicht JR 2011, 17, 19 f; ferner Dehne-Niemann wistra 2009, 417, 422 f; sa Grub, S 149 f und Kawan, S 238, die solches Vorgehen deshalb für problematisch halten, weil die Gläubiger als die eigentlichen Geschädigten nicht im Schuldspruch erschienen. 117 Dazu etwa AG Halle-Saalkreis NJW 2002, 77, 78; LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 80; Wehleit, S 72 f; Mohr, S 50; Grub, S 146 f; Krause, S 100; Louis, S 165; Kawan, S 238; Moosmayer, S 62; Reichelt, S 162; Arloth NStZ 1990, 570, 574; Labsch wistra 1985, 1, 8; Deutscher/Körner wistra 1996, 8, 11, 13; Achenbach BGH-FG, S 593, 604; Dehne-Niemann wistra 2009, 417, 419; Jordan JURA 1999, 304, 305; Ogiermann wistra 2000, 250, 251; Bärenz EWiR 2004, 1245, 1246; vgl auch Tiedemann ZIP 1983, 513, 518 sowie dens Dünnebier-FS, S 519, 522 f, der deshalb vorschlug, den § 6 GmbHG de lege ferenda auch auf Verurteilungen wegen Untreue zu erstrecken. 118 Su Rn 252 ff. 119 Wehleit, S 70; Mohr, S 49. 120 So Pohl, S 132 f; wohl auch, allerdings in anderem Kontext, Ceffinato, S 248, 258. 121 Dazu bereits Uhlenbruck BB 1985, 1277, 1279; Gössel JR 1988, 256, 257; Richter GmbHR 1984, 137, 143; ferner aus dem jüngeren Schrifttum S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 2b; M/R/Altenhain § 283 Rn 5; W/J/Pelz 9/177; M/G/Rinjes 8/81; Grub, S 146; Reichelt, S 160; Brackmann, S 269; AnwK/Püschel Vor § 283–283d Rn 9; ders Rissing-van Saan-FS, S 471, 473. 122 Ähnl Pohl, S 107 f; dies wistra 2013, 329, 332 f. 123 Dafür etwa S/S/Perron § 14 Rn 26; LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 83; NK/Böse § 14 Rn 18; M-G/ Richter § 81 Rn 53; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 15; Fleischer/Spindler § 15 Rn 6; Grub, S 152 ff; Louis, S 170 ff; Kawan, S 226 ff; Achenbach BGH-FG, S 593, 604; Coimbra-Symposium/ders, S 283, 286; Kasiske wistra 2005, 81, 86; Arloth NStZ 1990, 570, 574; Labsch wistra 1985, 59, 60 ff; Gössel JR 1988, 256; Jordan JURA 1990, 304, 305; Weber StV 1988, 16, 17; Deutscher/Körner wistra 1996, 8, 13; Habetha/Klatt NStZ 2015, 671, 676; wohl auch Tiedemann NJW 1986, 1842, 1844, der darauf abstellen will, ob das Organ seine rechtlichen bzw tatsächlichen Wirkungsmöglichkeiten zur Tatbegehung einsetzt; ähnl S/S/W/Bosch § 14 Rn 10; Amelung/Rogall, S 145, 174; Schäfer wistra 1990, 81, 84. 124 S etwa LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 85; S/S/Perron § 14 Rn 26 (bei ambivalenten Tathandlungen); Grub, S 156; Schäfer wistra 1990, 81, 84; Winkelbauer JR 1988, 33, 35; KK-OWiG/Rogall § 9 Rn 61; Amelung/ders, S 145, 174.

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600 | 3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften

differenzieren,125 wobei sie rechtsgeschäftliches Verhalten immer,126 faktisches hingegen nur unter der zusätzlichen Voraussetzung, dass der Substitut seine Organstellung zur Tatbegehung ausgenutzt hat,127 als Ausdruck der Vertreterposition begreifen. Eine Gegenströmung verweist auf § 31 BGB und schlägt vor, den Zurechnungsmechanismus des § 14 StGB auf solches faktisches Verhalten zu beschränken, das „in Ausübung“ und nicht bloß „bei Gelegenheit“128 der Vertretertätigkeit129 begangen wurde.130 Während die Parallele zu § 31 BGB schon deshalb nicht passt, weil die Zurechnungsrichtung dieser Vorschrift konträr zu derjenigen des § 14 StGB verläuft – § 31 BGB rechnet Organverhalten dem Verband, § 14 StGB Statusmerkmale des Verbandes den Organwaltern zu –131 überzeugt auch die Mehrheitsfraktion der Funktionstheorie nur insoweit, als sie zwischen rechtsgeschäftlichen und faktischen Schädigungshandlungen differenziert. Hingegen geht es zum einen zu weit, sämtlichen rechtsgeschäftlichen Schädigungshandlungen ungeachtet ihrer zivilrechtlichen Wirksamkeit die Eignung zu attestieren, den Zurechnungsmechanismus des § 14 StGB auszulösen und bleibt der funktionale Ansatz zum anderen eine klare Antwort auf die Frage schuldig, wann faktische Schädigungshandlungen des Organwalters/Beauftragten eine Zurechnung der Gemeinschuldnerrolle gem § 14 StGB gestatten.132

_____ 125 Dazu bspw Labsch wistra 1985, 59, 60 f. 126 Dafür etwa S/S/Perron § 14 Rn 26; NK/Böse § 14 Rn 18; Grub, S 154 f; Labsch wistra 1985, 59, 61; KKOWiG/Rogall § 9 Rn 61; Amelung/ders, S 145, 174; Habetha, S 320; ders NZG 2012, 1134, 1137; iE auch Nickmann, S 245. 127 RGSt 73, 68, 70 f; S/S/Perron § 14 Rn 26; KK-OWiG/Rogall § 9 Rn 61; Grub, S 155; Kawan, S 228 und passim; Labsch wistra 1985, 59, 62 f, der den Zurechnungszusammenhang erst dann bejaht, wenn der Geschäftsführer Gelegenheiten zur Tatbegehung nutzt, die nur ihm als Organ offen stehen; ebenso Mohr, S 86 f; Habetha/Klatt NStZ 2015, 671, 676; ähnl Arloth NStZ 1990, 570, 574; Nickmann, S 252, die ein Handeln „nicht gleichsam einem Dritten“ fordert; Pohl, S 139, die vom Standpunkt ihres pluralistischen Ansatzes ein Handeln „als Organ“ bejaht, wenn der Vertreter entweder seine Position ausgenutzt hat oder aber mit seiner Handlung die Interessen des Vertretenen verfolgen wollte; Brackmann, S 269 ff, die keine „allzu große[n] Anforderungen“ an den Zurechnungszusammenhang stellen will; vgl auf dieser Linie ferner Habetha NZG 2012, 1134, 1137, dem zufolge die Zustimmung der Gesellschafter immer den Zurechnungszusammenhang begründen soll und zwar scheinbar ungeachtet ihrer gesellschaftsrechtlichen Wirksamkeit; zu Recht abl steht solchen Überlegungen Wehleit, S 90 ff gegenüber. 128 Auf diesen Aspekt hat auch BGHSt 6, 314, 317 im Rahmen seiner Interessenformel rekurriert. 129 Diese Unterscheidung hat stringent bereits R Merkel, (1895), S 195 ff herausgearbeitet. 130 Preisendanz/Bieneck § 283 Anm 4e; M-G/Richter § 81 Rn 53; NK/Böse § 14 Rn 16, 21; W/J/Pelz 9/178; Grub, S 153 f; Achenbach BGH-FG, S 593, 604; Hager, S 212; Deutscher/Körner wistra 1996, 8, 13; Weber StV 1988, 16, 17; Renkl JuS 1973, 611, 612; in diese Richtung ferner LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 83; Louis, S 170; Labsch wistra 1985, 59, 60; Winkelbauer wistra 1986, 17, 19 f. 131 Zum Ganzen SK/Hoyer § 283 Rn 105; Mohr, S 91 f; Brand, S 228; Pohl, S 127 f; ferner v. Bar KitagawaFS, S 279, 286, der den § 14 StGB als einen „umgekehrten § 31 BGB“ bezeichnet; Dehne-Niemann wistra 2009, 417, 421; Nickmann, S 249 f; ähnl Reiß wistra 1989, 81, 85 m Fn 34; skept auch S/S/W/Bosch § 14 Rn 10; aus demselben Grund überzeugt auch der Rekurs auf § 9 OWiG nicht (dafür wohl Deutscher/Körner wistra 1996, 8, 12 f), weil es auch dieser Vorschrift nur darum geht, pflichtwidriges Organverhalten zu Bebußungszwecken dem Verband zuzurechnen; vgl ferner Lampe GA 1987, 241, 253, der darauf hinweist, dass die §§ 831, 31 BGB auf das Außenverhältnis zugeschnitten sind und deshalb nicht passen; für verzichtbar hält den Rekurs auf § 31 BGB auch Kawan, S 234; skept schließlich auch Wehleit, S 83 f; parallele Strukturen bestehen jedoch zu § 30 OWiG; dazu s nur Siegmann/Vogel ZIP 1994, 1821, 1824. 132 Zur Kritik an der Funktionstheorie s etwa Brand, S 227 f; Pohl, S 116 f; NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis 283d Rn 57; MK/Radtke § 14 Rn 64 f; ders GmbHR 2009, 875, 876; ders GmbHR 1998, 361, 368 f; Reichelt, S 170 f; Helmrich ZInsO 2009, 1475, 1477; Ransiek ZGR 1992, 203, 211; Bosch JK 11/12, StGB § 14/3; abl auch Waßmer, S 19, der va die Möglichkeit kritisiert, zwischen Untreue und Bankrott Idealkonkurrenz anzunehmen; s ferner Reiß wistra 1989, 81, 85, der dem objektiv-funktionalen Ansatz vorwirft, die von ihm erzielten Ergebnisse seien willkürlich; ferner Bruns GA 1982, 1, 28, dem zufolge die Abgrenzungskriterien des funktionalen Ansatzes dunkel bleiben und zu einseitig auf die Konkursdelikte ausgerichtet sind.

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§ 12 Bankrott, §§ 283, 283a StGB u. Verletz. d. Buchführungspflicht, § 283b StGB | 601

cc) Das Zurechnungsmodell/der organisationsbezogene Ansatz Der dem Zurechnungsmodell133 gedanklich verpflichtete organisationsbezogene An- 19 satz greift die Unterscheidung der Funktionstheorie in faktische und rechtsgeschäftliche Schädigungshandlungen auf,134 verfeinert aber – ausgehend vom Deliktscharakter des § 283 StGB – die Zurechnungskriterien. Das Zentrum des organisationsbezogenen Ansatzes bildet die Erkenntnis, wonach die Bankrottdelikte letztendlich „Selbstschädigungsdelikte“ sind.135 Historisch betrachtet adressieren die Bankrottdelikte ihre Strafdrohung in erster Linie an den Einzelunternehmer,136 der seine Gläubiger – gleichsam mittelbar – dadurch schädigt, dass er sein Vermögen beeinträchtigt bzw seinen Informationspflichten etc nicht nachkommt.137 An dieser Struktur – das ist die zweite wichtige Erkenntnis des organisationsbezogenen Ansatzes – hat § 14 StGB nichts geändert,138 ging es ihm doch nur darum, die Lücken zu schließen, die die fehlende Verbandsstrafbarkeit va im Bankrottstrafrecht aufreißt.139 Stimmt man diesen beiden Prämissen zu, aktiviert den Zurechnungszusammenhang des § 14 StGB nur dasjenige Verhalten der Organwalter, das sich zugleich als solches des Personenverbandes präsentiert.140 Konkret: Rechtsgeschäftliche Verhaltensweisen müssen zivilrechtlich wirksam sein, um als eigene des Verbandes zu erscheinen,141 faktische Schädigungen müssen im Einvernehmen mit

_____ 133 Dazu Radtke GmbHR 1998, 361, 369; ders JR 2010, 233, 237; ders GmbHR 2009, 875, 876; abl LK/ Schünemann § 14 Rn 52, dem zufolge dem Zurechnungsmodell – nichts anders gilt dann für den hier und an anderer Stelle verfochtenen organisationsbezogenen Ansatz – grds Bedenken entgegenstehen, weil diese Ansätze in Konsequenz der „Pflichtentheorie“ einen Zurechnungszusammenhang zwischen Vertreter und Vertretenem verlangen, wohingegen die von ihm präferierte „Garantentheorie“ (aaO Rn 14 ff) eine Zurechenbarkeit zum jeweiligen Rechtsgut fordert (aaO Rn 18). 134 Zur Notwendigkeit einer solchen Unterscheidung s nur Radtke/Hoffmann NStZ 2012, 91, 92; dagegen aber Nickmann, S 238, 244, die dann aber doch wieder zwischen diesen beiden Schädigungsarten differenziert (aaO, S 245 ff). 135 Brand, S 235 ff; ders NStZ 2010, 9, 11; zust Ceffinato, S 355, 381, der aber § 14 auf § 283 Abs 1 Nrn 1–4, 6, 8 StGB nicht anwenden will (dazu siehe o unter Fn 73); zu dieser Charakterisierung sa NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis 283d Rn 56, der aufgrund dessen eine gewisse Sympathie für die Interessentheorie erkennen lässt; vgl ferner schon Krause, S 451, dem zufolge sich die bestandsbezogenen Bankrotthandlungen strukturell als durch Selbstgefährdung vermittelte Fremdgefährdungen begreifen lassen; s des Weiteren Schöne JZ 1973, 446, 449 im Kontext des § 288 StGB; andeutungsweise auch Dohmen, S 175 sowie Nieberg, (1913), S 2, der davon spricht, dass die schuldnerische Bankrotthandlung die Gläubiger nur mittelbar beeinträchtigt. 136 S etwa Pr. Obertribunal GA 23 (1875), 31, 32; ferner Nickmann, S 134; Moosmayer, S 58 f; W/J/Beck 6/54 spricht insoweit vom „Prototypen“; dazu, dass auch die Konkursordnung in erster Linie auf den Konkurs einer natürlichen Person zugeschnitten war, s K Schmidt Hellwig-FS, S 311, 322. 137 Wehleit, S 1; ähnl auch v.d. Heydt, S 25. 138 Anderes ergibt sich freilich von dem Standpunkt, der in § 14 StGB eine Norm erblickt, die neben einer tatbestandserweiternden auch eine tatbestandsmodifizierende Wirkung besitzt; so etwa Amelung/Rogall, S 145, 156 f. 139 Brand, S 249 ff. 140 So LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 83; MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 58; MK/Radtke § 14 Rn 14, 27, 32, 65, 94, 113; ders ZIP 2016, 1993, 1998; ders/Hoffmann NStZ 2012, 91, 92; NK/Böse § 14 Rn 18; KKOWiG/Rogall § 9 Rn 58; Schmucker ZJS 2011, 30, 34; ähnl bereits Radtke GmbHR 1998, 361, 369, Moosmayer, S 86; Achenbach BGH-FG, S 593, 603 f; sowie NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis 283d Rn 55; auch schon Amelung/Rogall, S 145, 172; Reiß wistra 1989, 81, 85; Hiltenkamp-Wisgalle, S 167, die jedoch iE der Interessentheorie zuneigt; vgl ferner bereits BGH GmbHR 1955, 43 m zust Anm H Vogel; dagegen wohl DehneNiemann wistra 2009, 417, 422; abl auch Ceffinato, S 296 m Fn 410; dezidiert aA ferner Mohr, S 90; Wiesener, S 37 f, 42, 48. 141 Brand, S 262; ders NStZ 2010, 9, 12 f; ders NZWiSt 2012, 64; ders NJW 2012, 2370; ders/Kanzler ZWH 2012, 1, 5; ebenso MK/Radtke § 14 Rn 67; ders/Hoffmann NStZ 2012, 91, 92; Steinberg/Valerius/Popp/ Nestler, S 139, 157; auch schon Mohr, S 93 allerdings von einem anderen Ansatz her kommend; ähnl

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dem Willensbildungsorgan des Verbands erfolgen142.143 Allerdings genügt nicht irgendeine zustimmende Entscheidung des Willensbildungsorgans, sondern bedarf es einer gesellschaftsrechtlich zurechenbaren Entscheidung. Wer also den Geschäftsführer einer GmbH, der Gesellschaftsvermögen in der Krise faktisch beiseiteschafft, gem § 283 Abs 1 Nr 1 StGB bestrafen will, kommt auf dem Boden des organisationsbezogenen Ansatzes nicht darum umhin, festzustellen, ob die Gesellschafter dieses Verhalten wirksam konsentierten.144 Fehlt es daran, verstieß das Einverständnis bspw gegen § 30 Abs 1 S 1 GmbH oder das Existenzvernichtungsverbot und war deshalb analog § 241 Nr 3 AktG nichtig, steht – da sich der Verband nicht selbst schädigte – „lediglich“ eine Strafbarkeit des Geschäftsführers wegen Untreue im Raum.145 Der hiergegen gerichtete Vorwurf, § 283 StGB erfahre im Unterschied zur Interessentheorie keinen nennenswerten Bedeutungszuwachs, liegt auf der Hand, trifft aber den organisationsbezogenen Ansatz nicht, der die §§ 283 ff StGB eben nimmt, wie sie sich präsentieren und kriminalpolitisch motivierten Umdeutungsversuchen eine klare Absage erteilt. dd) Die aktuelle Position des BGH146 20 Die Rspr des BGH, die zunächst nur obiter ankündigte, die Interessentheorie nicht mehr anwenden zu wollen,147 bevor auf einen Anfrageschluss des 3. Strafsenats148 hin sämtli-

_____ S/S/W/Bosch § 14 Rn 10: kollusives Zusammenwirken von Geschäftsführer und Vertragspartner löst den Zurechnungszusammenhang nicht aus, sondern begründet lediglich eine Strafbarkeit wegen Untreue; aA NK/Böse § 14 Rn 19, 23; Pohl, S 138; Habetha NZG 2012, 1134, 1137, die auch zivilrechtlich unwirksame Schädigungshandlungen zur Begründung des Zurechnungszusammenhangs genügen lassen wollen. Darüber hinaus evozieren zivilrechtlich wirksame Schädigungshandlungen zugleich den Vorwurf strafbarer Untreue, nämlich dann, wenn der Täter interne Bindungen überschreitet; aA freilich Weber StV 1988, 16, 18, dem zufolge § 266 StGB neben § 283 StGB deshalb nicht zur Anwendung kommen soll, weil im Zeitpunkt der materiellen Insolvenz die Gläubigerinteressen die Interessen des Schuldners an seinem Vermögen gleichsam absorbierten; ähnl wohl auch LK/Schünemann § 14 Rn 18 (hiergegen dezidiert DehneNiemann wistra 2009, 417, 423 f); vgl ferner Bruns GA 1982, 1, 28, dem zufolge es nicht darauf ankommt, ob der Täter innerhalb der Vertretungsmacht oder des Auftrags gehandelt hat. 142 Zu den Anforderungen des organisationsbezogenen Ansatzes im Kontext der Buch-/Bilanzführungsdelikte su Rn 102. 143 Skept stehen dem Zustimmungserfordernis etwa Pohl, S 127, Bosch JK 11/12, StGB § 14/3 gegenüber; ähnl Nickmann, S 238; abl gegenüber dem organisationsbezogenen Ansatz auch Habetha NZG 2012, 1134, 1137, dem zufolge die Gefahr vermögensmindernder und somit gläubigergefährdender Handlungen bereits in der Delegation von Leitungsmacht angelegt ist; für ein Einwilligungserfordernis spricht sich dagegen Waßmer, S 19 f aus, der jedoch offen lässt, ob das Einverständnis wirksam sein muss; s des Weiteren Reiß wistra 1989, 81, 84 f, der ebenfalls ein Zurechnungserfordernis postuliert, jedoch im Unterschied zum hier vertretenen Ansatz der Gesellschaft auch ein gesetzwidriges Einverständnis ihrer Gesellschafter zurechnen will. 144 So Brand, S 257 f, 262; ders NStZ 2010, 9, 12 f; Radtke ZIP 2016, 1993, 1998; ders/Hoffmann NStZ 2012, 91, 93 sowie bereits Radtke GmbHR 1998, 361, 369 mit Blick auf § 30 GmbHG; dezidiert aA NK/Böse § 14 Rn 19, der ein solches Verständnis als „geradezu widersinnig“ ansieht; iE ebenso HambK/Borchardt § 283 StGB Rn 43; Habetha/Klatt NStZ 2015, 671, 674. 145 Brand, S 258 f; ders NZWiSt 2012, 64, 65; ders NStZ 2010, 9, 13; ders NJW 2012, 2370; ders/Kanzler ZWH 2012, 1, 6; zust Steinberg/Valerius/Popp/Nestler, S 139, 158 f; ebenso bereits Radtke GmbHR 1998, 361, 369 sowie – jetzt wieder – MK/ders § 14 Rn 68; ders ZIP 2016, 1993, 1998. 146 Zusammenfassung etwa bei NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis 283d Rn 57a; sa Weyand ZInsO 2013, 1064, 1066. 147 BGH NJW 2009, 2225 mAnm Link = NStZ 2009, 437 m zust Anm Schwarz HRRS 2009, 341, 346; Radtke JR 2010, 233, 238; ders GmbHR 2009, 875; Bittmann wistra 2010, 8. 148 BGH NStZ 2012, 89 mAnm Radtke/Hoffmann = NZWiSt 2012, 62 mAnm Brand und Valerius; vgl ferner die Anm von Brammsen EWiR 2012, 399 f, der dem Handeln „als Organ“ keine Bedeutung beimessen will.

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che Senate der eingeschlagenen Linie des anfragenden 3. Senats beipflichteten,149 hatte mittlerweile mehrfach die Gelegenheit bekommen, aufzuzeigen, wohin die Reise künftig geht. Während es anfangs noch den Anschein hatte, als ob der BGH den funktionalen Ansatz präferiere, scheint er zwischenzeitlich diesen Weg wieder verlassen und sich dem Zurechnungsmodell zugewandt zu haben. Gleichwohl bereitet dem BGH das Vakuum, das die Interessentheorie hinterlassen hat, gelegentlich erhebliche Schwierigkeiten, wie eine jüngst im „Firmenbestattungs-Kontext“150 ergangene Entscheidung des 3. Strafsenats anschaulich belegt.151 Gegenstand dieser Entscheidung waren typische „Bestattungshandlungen“ wie die Sitzverlegung, die Firmenänderung sowie die Geschäftsführerabberufung, die der 3. Strafsenat sub specie § 283 Abs 1 Nr 8 StGB würdigte. Obschon der 3. Senat rechtsgeschäftlichen Schädigungen scheinbar nur dann die Kraft zugesteht, den Zurechnungsmechanismus des § 14 StGB auszulösen, wenn sie den Schuldner zivilrechtlich wirksam verpflichten, bejahte er die Voraussetzungen des § 14 Abs 1 Nr 1 StGB, ohne die hM im Gesellschaftsrecht zu würdigen, die über sämtliche der oben genannten Bestattungshandlungen zu Recht das Verdikt der Nichtigkeit fällt. Vielleicht aus Angst vor der eigenen Courage – andernfalls wäre nämlich sub specie § 283 Abs 1 Nr 8 StGB ein Freispruch nötig gewesen –,152 vielleicht aus Unsicherheit im Umgang mit dem neuen Zurechnungsmodell hat der 3. Strafsenat den Zurechnungszusammenhang nicht mithilfe der als Bankrotthandlungen iSd § 283 Abs 1 Nr 8 StGB identifizierten „Bestattungsmaßnahmen“, sondern auf der Grundlage anderer rechtsgeschäftlicher Schädigungen begründet.153 Dessen ungeachtet haben sich folgende Leitlinien bei der Interpretation des Merkmals „als“ herauskristallisiert: Rechtgeschäftliche Schädigungen der präsumtiven Masse setzen den Zurechnungsmechanismus in Gang, sofern sie zivilrechtlich wirksam sind,154 faktische Schädigungen bedürfen hierzu des Gesellschaftereinverständnisses,155 wobei bislang noch offen ist, ob dieses Einverständnis gesellschaftsrechtlich wirksam sein muss.156

c) Die Personengesellschaft in der Gemeinschuldnerrolle Schon der Überschrift dieses Abschnitts dürfte mancher Strafrechtler widersprechen. Bis 21 heute hält sich hartnäckig die Ansicht, die dem § 14 Abs 1 Nr 2 StGB lediglich deklaratorische Wirkung zubilligt bzw die Vorschrift als überflüssig deklariert157 und die Gesell-

_____ 149 BGH v 29.11.2011, 1 ARs 19/11; BGH v 22.12.2011, 2 ARs 403/11; BGH v 10.1.2012, 4 ARs 17/11; BGH v 7.2.2012, 5 ARs 64/11; vgl aber auch noch BGH wistra 2009, 273, 274, wo der 5. Strafsenat die Interessentheorie lediglich iRd § 283 Abs 1 Nr 5 Var 2 StGB nicht anwenden wollte, ansonsten aber keine weitere Stellungnahme diesbzgl abgab. 150 Ausf dazu u Rn 212 ff. 151 BGH NZI 2013, 365 = NZG 2013, 397. 152 Brand NZG 2013, 400. 153 BGH NZI 2013, 365, 368 mAnm Köllner = NZG 2013, 397, 399 f mAnm Brand. 154 BGHSt 57, 229, 237 f = NJW 2012, 2366, 2368 f mAnm Brand und Wessing EWiR 2012, 609 = ZWH 2012, 357 ff mAnm Kudlich. 155 Sa SK/Hoyer § 283 Rn 106 ff, der ebenfalls ein Einverständnis, abw vom hier vertretenen Standpunkt aber sowohl für faktische als auch für rechtsgeschäftliche Schädigungshandlungen fordert und zudem keine gesellschaftsrechtliche Wirksamkeit dieses Einverständnisses verlangt. 156 S nur BGHSt 57, 229, 238 = NJW 2012, 2366, 2369; dafür, dass auch ein Einverständnis, das gegen die Kapitalerhaltungsvorgaben verstößt, genügt, s etwa AnwK/Püschel Vor §§ 283–283d Rn 10; Krause, S 307 m Fn 100. 157 So etwa Weyand/Diversy Rn 24; Geers, S 95 f; ferner Grub, S 37 ff, 53, 95, der vor diesem Hintergrund sowohl den nicht vertretungs-/geschäftsführungsbefugten Komplementär (aaO, S 48 ff) als auch den gem

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schafter einer Personengesellschaft, die bspw Vermögen ihrer kriselnden Gesellschaft beiseiteschaffen, gem § 283 Abs 1 Nr 1 StGB bestrafen wollen, ohne den § 14 StGB zu bemühen, weil die Gesellschafter aufgrund ihrer persönlichen Haftung (vgl § 128 HGB bzw die Akzessorietätstheorie) selbst Schuldner seien.158 Das überzeugt jedoch nicht. Nachdem der BGH sämtliche Außengesellschaften zu rechtsfähigen Entitäten erhob159 und der Gesetzgeber der InsO diesen gem § 11 Abs 2 Nr 1 InsO die Insolvenzfähigkeit verlieh, haben die Personengesellschaften vermögensmäßig denselben Verselbstständigungsgrad erreicht, wie ihn juristische Personen seit jeher besitzen.160 Folglich muss den § 14 Abs 1 Nr 2 StGB bemühen, wer einen vertretungsberechtigten Gesellschafter, der den Nrn 1–8 zuwider agiert, wegen Bankrotts belangen will.161 Ob der präsumtive Täter die ihm vorgeworfene Bankrotthandlung „als vertretungsberechtigter Gesellschafter“162 begangen hat, richtet sich – folgt man richtigerweise dem organisationsbezogenen Ansatz – nach den o Rn 19 dargelegten Voraussetzungen.163 Etwas komplexer gestaltet sich die Zurechnungsoperation, wenn nicht eine „normale“ Personengesellschaft, sondern bspw eine GmbH & Co. KG den Gemeinschuldnerstatus einnimmt. Da die GmbH als typischerweise einzige Komplementärin der Kommanditgesellschaft deren Geschäfte leitet, dabei aber wiederum durch ihren Geschäftsführer handelt, erfolgt die Zurechnungsoperation richtigerweise zweistufig. Zunächst „überwälzt“ § 14 Abs 1 Nr 2 StGB den Gemeinschuldnerstatus der Kommanditgesellschaft auf die GmbH, von wo aus § 14 Abs 1 Nr 1 StGB diese Position an den GmbH-Geschäftsführer weiterreicht.164 Wenn Teile des Schrifttums hier-

_____ § 176 HGB unbeschränkt haftenden Kommanditisten (aaO, S 65 f, 83) zu tauglichen Tätern der §§ 283 ff StGB erklärt; noch weitergehend Winkelbauer wistra 1986, 17, 20, dem zufolge grds jeder Kommanditist tauglicher Täter der §§ 283 ff StGB ist. 158 Zu der Position, wonach die persönlich haftenden Gesellschafter im Konkurs der Gesellschafter die Schuldnerposition einnehmen, s etwa RGSt 69, 65, 66, 69; Kollmar, S 14; Geers, S 93 f; Grub, S 32 f und passim; MAH/Leipold § 19 Rn 95; Waßmer, S 16; Matzen, S 18 f; Skrotzki, S 4; Schulte NJW 1983, 1773, 1774; Weber StV 1988, 16; Winkelbauer JR 1988, 33 f; ders wistra 1986, 17, 18 f; Richter GmbHR 1984, 137, 143; ebenso wohl Fischer Vor § 283 Rn 19; implizit auch Grosche, S 33 ff; sympathisierend, die Frage jedoch offen lassend, auch schon RGSt 46, 77, 78 f; vgl ferner Tiedemann NJW 1986, 1842, 1844 sowie LK/Schünemann § 14 Rn 47, der aber § 14 Abs 1 Nr 2 StGB trotz aller hiergegen vorgebrachten Bedenken in seiner den Substitutenkreis stark verringernden Tendenz anwenden will. 159 BGHZ 146, 341 ff. 160 Zur sachenrechtlichen Verselbstständigung des Gesellschaftsvermögens s nur MK/K Schmidt § 741 Rn 4; Kießling Hadding-FS, S 477, 492 f; Hüffer/Koch S 22, 98, 105; Brand, S 210 ff. 161 Zutr LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 65; NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis 283d Rn 46; NK/Böse § 14 Rn 32; S/S/Perron § 14 Rn 20/21; MK/Radtke § 14 Rn 84; MK/ders/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 47; S/S/W/Bosch § 14 Rn 8; M-G/Richter § 81 Rn 37; KK-OWiG/Rogall § 9 Rn 50; M/G/Rinjes 8/67; Moosmayer, S 69; Ceffinato, S 330; Stracke, S 345; Louis, S 167; Röhm, S 248 f m Fn 833; Mohr, S 57 f; Reiß wistra 1989, 81, 86; wohl auch SK/Hoyer § 283 Rn 101; Hiltenkamp-Wisgalle, S 72, 108; Hörl, S 70; s ferner Roxin II § 27 Rn 118; Penzlin, S 58 f unter Hinweis auf die damals – § 14 Abs 1 Nr 2 StGB aF sprach nur von Personenhandelsgesellschaften – unklare Rechtslage die GbR betreffend (aaO, S 61 ff). 162 Für eine Gleichbehandlung der vertretungsberechtigten und der nicht vertretungsberechtigten Gesellschafter sub specie § 14 StGB spricht sich de lege ferenda Penzlin, S 65 f aus. 163 Weitergehend Winkelbauer JR 1988, 33, 34, dem sämtliche Einwirkungen auf das Gesellschaftsvermögen genügen, um den Zurechnungszusammenhang „als“ zu begründen, und zwar unabhängig davon, ob sich die übrigen Gesellschafter mit diesem Verhalten einverstanden erklären. Dieser Ansatz überzeugt jedoch nur vom Standpunkt der hier verworfenen Prämisse, wonach die Gesellschafter und nicht die Personen(handels)gesellschaft den Gemeinschuldnerstatus bekleiden. 164 BGH NStZ 1984, 119; BGH wistra 1989, 264, 267; OLG Stuttgart MDR 1976, 690, 691; MK/Radtke § 14 Rn 80; MK/ders/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 45; LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 65; NK/Böse § 14 Rn 33; NK/ Kindhäuser Vor §§ 283 bis 283d Rn 47; LK/Schünemann § 14 Rn 48; M-G/Richter § 81 Rn 38; KK-OWiG/ Rogall § 9 Rn 53; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 9; W/J/Pelz 9/87; M/G/Rinjes 8/67; Ransiek, S 92 f; O Schröder,

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gegen einwenden, es genüge bereits eine einfache Anwendung des § 14 Abs 1 Nr 1 StGB,165 erweist sich dieser Vorschlag als nicht zielführend. Ihm liegt nämlich die vor dem Hintergrund der §§ 11 Abs 2 Nr 1, 101 Abs 1, 227 Abs 2 InsO nicht (mehr) haltbare Prämisse zugrunde, wonach nicht die Kommanditgesellschaft, sondern die Komplementär-GmbH Gemeinschuldnerin in der Insolvenz der GmbH & Co. KG sei. Schließlich verfängt auch der Einwand nicht, die doppelte Zurechnung setze die Deliktsfähigkeit der GmbH voraus.166 Wie die Existenz des § 14 StGB zeigt, ist es dem Strafrecht durchaus nicht fremd, Pflichten an deliktsunfähige Personen zu adressieren. Ob diese Pflichtenzuweisung über § 14 StGB oder mithilfe der Vorschriften des Besonderen Teils erfolgt, kann dabei keine Rolle spielen.167

d) Sonstige Gesellschaftsformen Nicht unerhebliche Schwierigkeiten bereitet § 14 StGB demjenigen, der das geschäftslei- 22 tende Organ bspw einer Vor-GmbH wegen Bankrotts „dran kriegen“ will. Im Gesellschaftsrecht hat sich – nach langen Debatten – die Ansicht durchgesetzt, die die VorVerbände juristischer Personen weder den Personengesellschaften168 noch den nichteingetragenen Vereinen169 zuordnet, sondern sie als Gesellschaften sui generis begreift. Damit scheiden – bei gesellschaftsrechtsakzessorischem Verständnis der Merkmale – prima vista § 14 Abs 1 Nr 1 StGB170 und § 14 Abs 1 Nr 2 StGB171 als Zurechnungsvorschriften aus.172 Mit Blick auf älteres gesellschaftsrechtliches Schrifttum, das die Vor-Verbände noch den Personengesellschaften zuschlug, finden sich Stimmen, die gleichwohl § 14 Abs 1 Nr 2 StGB anwenden wollen. Ihnen zufolge ändere die gesellschaftsrechtliche Abkehr von der These, Vor-Verbände rechneten zu den Personengesellschaften, nichts an der Möglichkeit, diese Verbände weiterhin als Personengesellschaften iSv § 14 Abs 1 Nr 2 StGB einzustufen.173 Die extreme Gegenansicht kommt indes zu dem Ergebnis, der Wortlaut des § 14

_____ S 76 ff, 78; Reiß wistra 1989, 81, 86; Lesch ZUM 2003, 44, 47; krit aber Bottke wistra 1991, 81, 84; offen gelassen von S/S/Perron § 14 Rn 23. 165 So noch BGHSt 19, 174 ff zu §§ 240a KO aF, 83 GmbHG aF; Grub, S 95 f zu § 14 StGB; ebenso Richter GmbHR 1984, 137, 143; Winkelbauer wistra 1986, 17, 19; sa Grosche, S 35 f; Bruns GA 1982, 1, 12, dem zufolge der Geschäftsführer der GmbH als Organ der KG anzusehen ist; vgl ferner OLG Düsseldorf GewArch 1983, 154, das § 9 Abs 1 Nr 2 OWiG anwendet; ebenso wohl KG JR 1972, 121 f m iE zust Anm Göhler, ebd. 166 Das fordern aber Demuth/Schneider BB 1970, 642, 643; insoweit zust Grub, S 94; ähnl Ceffinato, S 376, 388, der deshalb zu dem Ergebnis gelangt, dass das Statusmerkmal der GmbH & Co. KG nicht auf den Geschäftsführer der Komplementär-GmbH übertragen werden kann; iE so bereits Bender ZfZ 1971, 239, 240 f; Pohl-Sichtermann NJW 1973, 2217, 2218. 167 O Schröder, S 79; vgl auch W Lange ZfZ 1971, 335. 168 Für Einstufung als GbR etwa RGZ 58, 55, 56; RGZ 83, 370, 373; RGZ 105, 228, 229; RGZ 151, 86, 91; OLG Celle NJW 1951, 36 f; Scholz JW 1938, 3149; Gottschling GmbHR 1953, 152, für Einstufung als oHG etwa BGHSt 3, 23, 26; OLG Oldenburg BB 1955, 713; OLG Frankfurt aM NJW 1948, 429; Heymann JherJb 75 (1925), 408, 422; Merkert BB 1951, 322 f; Möhring GmbHR 1951, 70. 169 So Flume Geßler-FS, S 3, 25, 27 f; ferner Kummer, S 25 mit Blick auf die Vor-KGaA. 170 Dazu s nur MK/Radtke § 14 Rn 77; NK/Böse § 14 Rn 34; KK-OWiG/Rogall § 9 Rn 42; GK-GmbHG/ Ransiek § 82 Rn 15; aA aber LK/Schünemann § 14 Rn 44; K Schmidt wistra 1990, 131, 134. 171 MK/Radtke § 14 Rn 85; NK/Böse § 14 Rn 34; KK-OWiG/Rogall § 9 Rn 51. 172 Vgl aber Geers, S 99 f, die (zu Unrecht; siehe o Rn 21) die Gesellschafter des Vor-Verbands als Gemeinschuldner einstuft und deshalb nicht auf § 14 StGB zurückgreifen muss. 173 Bittmann/Pikarski wistra 1995, 91, 93; iE so auch M-G/Richter § 81 Rn 37, 39; W/J/Pelz 9/84; M/G/ Rinjes 8/67; Weyand/Diversy Rn 24; anscheinend ebenso S/S/Perron § 14 Rn 22; MAH/Leipold § 19 Rn 94; vgl auch BGHSt 3, 23, 25, der allerdings offen lässt, ob er die Tätertauglichkeit des die Vor-GmbH leitenden Geschäftsführers mithilfe des § 83 GmbHG aF (einem der vielen Vorläufer des heutigen § 14 StGB) oder

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StGB eröffne keinen Spielraum, um dem Geschäftsführer des Vor-Verbandes die Gemeinschuldnerrolle „seines“ Verbands zuzuweisen; denkbar sei allenfalls eine Strafbarkeit wegen Untreue.174 Keiner der beiden aufgezeigten Wege überzeugt. Unter rechtsstaatlichen und kriminalpolitischen Gesichtspunkten erfolgsversprechender erweist sich § 14 Abs 1 Nr 3 StGB. Insbes der Wortlaut, der von gesetzlichen Vertretern spricht, steht dem Vorhaben nicht entgegen, die Geschäftsleiter der Vor-Verbände diesem Terminus zu subsumieren, apostrophieren das Zivil- und Gesellschaftsrecht doch selbst die Organwalter als gesetzliche Vertreter des Verbandes (vgl etwa § 26 Abs 1 S 2 HS 2 BGB). Zwar ließe sich systematisch einwenden, der Gesetzgeber habe in § 14 Abs 1 Nrn 1, 2 StGB abschließend geregelt, welche Organmitglieder er als Zurechnungsadressaten des § 14 StGB versteht. Dabei bliebe jedoch unberücksichtigt, dass der Gesetzgeber, als er den § 14 StGB schuf, die Vor-Verbände und die Auseinandersetzung um ihre rechtliche Klassifikation nicht im Blick hatte. Darüber hinaus hat sich die hM zwischenzeitlich darauf verständigt, auch die sog Parteien kraft Amtes, also bspw den Insolvenzverwalter oder den Testamentsvollstrecker, dem § 14 Abs 1 Nr 3 StGB zu unterwerfen,175 obschon die Vertretungsbefugnis dieser Personen nicht dem Gesetz, sondern einem Bestellungsakt entstammt.

2. Der Verbraucher als tauglicher Täter 23 Rspr und Teile des Schrifttums streiten bis heute darüber, ob auch Verbraucher taugli-

che Täter des § 283 StGB sein können, oder ob § 288 StGB insoweit eine abschließende Regelung markiert.176, 177 Der BGH und die ihm zust Autoren haben den Verbraucher ohne viel Federlesens zum tauglichen Täter eines Bankrotts erklärt, da – sieht man von §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b StGB ab – sich weder den §§ 283 ff StGB noch den §§ 11 Abs 2, 304 Abs 1 InsO eine Beschränkung auf gewerblich bzw kaufmännisch tätige Schuldner entnehmen lasse.178 Die Gegenansicht, die den Verbraucher von der Täterliste des § 283 StGB

_____ schlicht aus dessen Gesellschafterstellung ableitet (dem BGH zust Kollmar, S 16 f; für Ableitung aus der Gesellschafterstellung LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 62; Richter GmbHR 1984, 137, 143; ähnl anscheinend auch Fischer Vor § 283 Rn 19); s ferner RGSt 34, 412, 413, das die Leiter einer Vor-AG dem Terminus „Mitglied des Vorstandes“ iSd § 312 HGB (aktienrechtliche Untreue) subsumierte; ebenso RGSt 43, 407, 413 f; sa D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 50, die ohne weitere Problematisierung die vertretungsberechtigten Gesellschafter einer Vor-GmbH als Zurechnungsadressaten begreifen. 174 So Deutscher/Körner wistra 1996, 8, 14; iE zust MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 47; vgl aber auch MK/Radtke § 14 Rn 85, wo er auf die Möglichkeit einer Statusüberwälzung gem § 14 Abs 2 StGB hinweist. 175 LK/Schünemann § 14 Rn 49; LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 66; Scholz/Tiedemann/Rönnau Vor §§ 82 ff Rn 25; MK/Radtke § 14 Rn 89; NK/Böse § 14 Rn 35; S/S/W/Bosch § 14 Rn 9; KK-OWiG/Rogall § 9 Rn 56; Roxin § 27 Rn 121; M/G/Rinjes 8/70. 176 Zur Rechtslage vor Inkrafttreten der InsO s instruktiv Krüger wistra 2002, 52, 53 f. 177 Allerdings soll § 288 StGB angesichts der unter dem Regime der InsO häufigeren Insolvenzeröffnung nur noch selten zur Anwendung gelangen; vgl dazu Röhm ZInsO 2003, 535, 540. 178 BGH NJW 2001, 1874 f; zust BVerfG ZInsO 2004, 738; BGHSt 55, 107, 112; LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 85b; Fischer Vor § 283 Rn 18 und § 283 Rn 1; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 2; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 7a; S/S/W/Bosch Vorbem §§ 283 ff Rn 1, 3; ders JA 2011, 151; M/R/Altenhain § 283 Rn 3 f; AnwK/Püschel Vor § 283–283d Rn 6; W/J/Pelz 9/83; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 48; HambK/Borchardt § 283 StGB Rn 5; M/G/Rinjes 8/97; Pape/Uhländer/Hofmann § 283 Bankrott Rn 2; MAH/Böttger § 19 Rn 184; Böttger/ Verjans 4/36, 131; Reichelt, S 80; Habetha, S 66; Brackmann, S 173; Radtke Achenbach-FS, S 341, 355; Krause NStZ 2002, 42; vgl bereits RGSt 15, 277, 280; sa Stracke, S 359, 371 ff, die den Verbraucher ebenfalls auf der Täterliste des § 283 Abs 1 StGB führen, allerdings im Falle des Verbraucherbankrotts den § 283 Abs 5 StGB überhaupt nicht und den § 283 Abs 4 Nr 1 StGB nur unter erhöhten Voraussetzungen anwenden will (aaO, S 372 f).

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streichen will,179 verweist auf die Merkmale „Überschuldung“180 und „ordnungsgemäßes Wirtschaften“181 sowie die Tatmodalitäten des § 283 Abs 1 Nrn 5–7 StGB, die allesamt belegten, dass § 283 StGB nur unternehmerisch tätige Schuldner adressiere.182 Darüber hinaus konterkariere die Ziele des Verbraucherinsolvenzverfahrens, wer den Verbraucher, der seine Zahlungen einstelle, gem § 283 StGB verfolge, sofern er im Vorfeld der Zahlungseinstellung eine Tathandlung des Abs 1 begangen habe.183 Um letztgenanntes Argument zu verstehen, bedarf es einer Betrachtung der (Straf-)Rechtslage zur Zeit der KO. Obschon die Regelungen der KO nicht zwischen Verbrauchern und sonstigen Schuldnern differenzierten, sondern sämtliche Vermögensträger als „konkursfähig“ begriffen,184 kamen de facto Konkurse über das Vermögen von Verbrauchern nicht vor.185 Schafften sie im Stadium der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit Vermögensgegenstände beiseite, stand allenfalls eine Strafbarkeit wegen Vereitelns der Zwangsvollstreckung (§ 288 StGB) im Raum.186 Da der Tatbestand des § 288 StGB ein gegenüber § 283 StGB geringeres Strafmaß vorsehe, zudem zur Gruppe der Antragsdelikte rechne und die Haftung auf vorsätzliches Verhalten beschränke,187 nähme man dem Verbraucher, unterwürfe man ihn der Strafandrohung des § 283 StGB, mit der einen Hand, was man ihm zuvor mit der anderen Hand gegeben hat – nämlich die Erleichterungen des Verbraucherinsolvenzverfahrens.188 Sämtliche Argumente, die gegen eine Tätertauglichkeit des Verbrauchers sub specie 24 § 283 StGB ins Feld geführt werden, stechen nicht. Dem Umstand, wonach einzelne Tatbestandsmerkmale und Begehungsmodalitäten nur bestimmte Schuldner wie bspw die Kaufleute ansprechen, lässt sich die weitergehende Folgerung, diese Täterkreiseinschränkung beanspruche für den gesamten Tatbestand Geltung, nicht entnehmen.189 Insbes das Merkmal „ordnungsgemäßes Wirtschaften“ steht dem Unterfangen, den Verbraucher, der in seiner wirtschaftlichen Krise Bankrotthandlungen vornimmt, gem § 283 StGB zu bestrafen, nicht entgegen, gelingt es doch, dieses Merkmal auch im Kontext der

_____ 179 Für die Schaffung eines eigenen Tatbestandes sprechen sich auch M-G/Richter § 76 Rn 47 und Rönnau NStZ 2003, 525, 529 aus. 180 Dazu, dass das Merkmal „Überschuldung“ auf den Verbraucherbankrott nicht passt, LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 85c; M-G/Richter § 76 Rn 46; Penzlin, S 205 f; Röhm, S 265 f; s ferner ausf Dohmen, S 128 ff, die deshalb dafür plädiert, dieses Merkmal im Kontext des Verbraucherbankrotts zu streichen (aaO, S 137, 190 f); aA freilich Stracke, S 353 ff. 181 Dazu, dass auch dieses Merkmal zum Verbraucherbankrott nicht „passt“, s ausf Penzlin, S 203 f; Röhm, S 266 ff; Dohmen, S 168 ff, 192 ff, die de lege ferenda deshalb vorschlägt, iRd Abs 1 auf dieses Merkmal zu verzichten und bei Abs 2 zusätzlich das subjektive Erfordernis einer Gläubigergefährdungs- bzw Gläubigerschädigungsabsicht zu etablieren (aaO, S 184 und passim); s ferner schon Höfner, S 44; M-G/ Richter § 76 Rn 46; Bieneck StV 1999, 43. 182 Schramm wistra 2002, 55, 56; Röhm, S 266; ders ZInsO 2003, 535, 538 f; sa Wessing EWiR 2002, 125, 126; ferner Dohmen, S 186. 183 Schramm wistra 2002, 55, 56; Wessing EWiR 2002, 125, 126. 184 S nur Dohmen, S 21 mwN; ferner Neumann, S 43; Kribs-Drees, S 68. 185 W/J/Beck 6/60; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 2; Dohmen, S 17, 187; Moosmayer, S 27 f; Penzlin, S 199; Röhm, S 252 f; Stracke, S 182, 352; Bieneck StV 1999, 43; implizit etwa auch Schlüchter, S 9. 186 Zu diesem Befund ausf M-G/Richter § 76 Rn 45 und § 88 Rn 6; W/J/Beck 6/60; Dohmen, S 18 f, 187; Röhm, S 257 f; ders ZInsO 2003, 535, 536. 187 Zu diesen und weiteren Vorzügen des § 288 StGB gegenüber § 283 StGB s nur Weyand/Diversy Rn 30; Dohmen, S 187; Moosmayer, S 60; Röhm, S 257 f; ders ZInsO 2003, 535, 536. 188 Schramm wistra 2002, 55, 56; Röhm, S 260 f; ders ZInsO 2003, 535, 537; ähnl bereits Moosmayer, S 64. 189 Ausf dazu Radtke Achenbach-FS, S 341, 349 f; so wohl auch Dohmen, S 67, die konstatiert, dass der Wortlaut des § 283 StGB nicht zwingend verlangt, den Verbraucher von der Täterliste zu streichen.

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Verbraucherinsolvenz mit Leben zu erfüllen190.191 Des Weiteren überzeugt es nicht, aufgrund der bloßen Existenz des Verbraucherinsolvenzverfahrens de lege lata den § 283 StGB um die Tätergruppe der Verbraucher zu reduzieren. Denn der Verbraucher, der trotz (drohender) Zahlungsunfähigkeit Bankrotthandlungen vornimmt, indem er Vermögensgegenstände vor dem Zugriff seiner Gläubiger verbirgt, legt eine kriminelle Energie an den Tag, die es nicht rechtfertigt, ihn via § 288 StGB zu privilegieren.192 Schließlich scheint auch der Gesetzgeber der InsO gegenüber einer Tätertauglichkeit von Verbrauchern sub specie § 283 StGB aufgeschlossen gewesen zu sein, ergäben doch andernfalls die §§ 290 Abs 1 Nr 1, 297 InsO nur eingeschränkt Sinn.193 Obschon die Ansicht, die den Verbraucher wegen Bankrotts bestraft, der während 25 seiner Krise Tathandlungen iSd § 283 Abs 1 Nrn 1–4, 8 StGB begeht, de lege lata überzeugt, lohnt vertieftes Nachdenken, ob es dabei auch de lege ferenda bleiben soll. Das einschlägige Schrifttum hat zahlreiche Vorschläge hervorgebracht, die im Kern darauf hinauslaufen, einen an § 288 StGB orientierten, privilegierenden Tatbestand des Verbraucherbankrotts dem Vierundzwanzigsten Abschnitt als § 283e StGB hinzuzufügen.194 Was jedoch die nähere Ausgestaltung dieses Sondertatbestandes anbelangt, differieren die einzelnen Reformvorschläge zum Teil erheblich.195 Besonders kontrovers verläuft die Diskussion bei der Frage, ob der neu zu schaffende Tatbestand des Verbraucherbankrotts einer objektiven Strafbarkeitsbedingung bedarf und wie diese – bejahendenfalls – aussehen soll. Die vorgetragenen Positionen reichen von einer inhaltlichen Übernahme der objektiven Strafbarkeitsbedingung des § 283 Abs 6 StGB196 über die Idee, die Einleitung des gerichtlichen Schuldenbereinigungsverfahrens (vgl § 306 Abs 1 S 1 InsO) als objektive Strafbarkeitsbedingung auszugestalten,197 bis hin zu der These, dem Vorbild des § 288 StGB entsprechend ganz auf die objektive Strafbarkeitsbedingung zu verzichten.198 Mit Blick auf die erforderliche insolvenzstrafrechtliche Gleichbehandlung aller Schuldner und die geringen Schäden, die eine Verbraucherinsolvenz typischerweise verursacht,199 verdient der Ansatz den Vorzug, der die objektive Strafbarkeitsbedingung eines zukünftigen Tatbestandes „Verbraucherbankrott“ dem § 283 Abs 6 StGB entlehnen will.

_____ 190 Su Rn 32. 191 Sa Stracke, S 355 f; Radtke Achenbach-FS, S 341, 352 ff. 192 Zum Ganzen ausf Radtke Achenbach-FS, S 341, 356 f; sa Röhm ZInsO 2003, 535, 541, der deshalb dafür plädiert, einen mit Verbraucherbankrott überschriebenen § 283e in das StGB aufzunehmen. 193 So auch LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 85b; Dohmen, S 188; Stracke, S 371, 375; Brackmann, S 173; hierauf verweisen auch Moosmayer, S 114 und Röhm, S 278 f, die aber den Verbraucher gleichwohl nicht gem den §§ 283 ff StGB, sondern gem einem neu zu schaffenden Tatbestand des Verbraucherbankrotts bestrafen wollen (Röhm, S 287 ff und Moosmayer, S 115 ff). 194 Für diesen Regelungsstandort sprechen sich aus: Röhm, S 287, 303; Dohmen, S 202; ein anderer Vorschlag geht hingegen dahin, die Konstellationen des Verbraucherbankrotts in § 288 StGB zu integrieren und die §§ 283 ff StGB auf Kaufleute als Täter zu beschränken; dafür etwa Moosmayer, S 117; ähnl Penzlin, S 209 f; dagegen überzeugend Dohmen, S 199 f; ferner Röhm, S 284 ff. 195 Konkrete ausformulierte Vorschläge finden sich bei Dohmen, S 210 f; Röhm, S 287. 196 Röhm, S 310 ff. 197 Dafür Dohmen, S 153 ff, 192. 198 Moosmayer, S 118; Penzlin, S 206; hiergegen zu Recht Dohmen, S 151 f, 192. 199 Zu letzterem Befund s nur Dohmen, S 152, 180, 195, 209.

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V. Das ordnungsgemäße Wirtschaften Das Erfordernis, die Tathandlung „in einer den Anforderungen einer ordnungsgemäßen 26 Wirtschaft widersprechenden Weise“ vorzunehmen, verlangen die Nrn 1 Var 3 (Zerstören, Beschädigen und Unbrauchbarmachen von Vermögensbestandteilen),200 2 Var 1 (Verlust- und Spekualtions- sowie Differenzgeschäfte mit Waren), 3 und 8 Var 1 (Verringern des Vermögensstandes)201 des § 283 Abs 1 StGB sowie § 283d StGB. Darüber hinaus erstreckt die ganz hM das Merkmal der Ordnungswidrigkeit seit jeher auch auf das Beiseiteschaffen (Nr 1 Var 1) und die unwirtschaftlichen Ausgaben (Nr 2 Var 2).202 Vor diesem Hintergrund empfiehlt es sich, das Merkmal, quasi vor die Klammer gezogen, im Vorfeld der Ausführungen zu erörtern, die sich mit den einzelnen Bankrotthandlungen beschäftigen. Dabei variieren die Anforderungen an ein ordnungsgemäßes Wirtschaften, je nachdem, ob der Schuldner die Tathandlung während der Krise (Fall des Abs 1) oder außerhalb der Krise (Fall des Abs 2) begeht.203 Wie gesehen unterscheidet § 283 Abs 1 StGB zwischen bestands- und informationsbe- 27 zogenen Bankrotthandlungen.204 Im Unterschied zu den informationsbezogenen Bankrotthandlungen, deren Vornahme generell den Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft widerspricht,205 weisen die bestandsbezogenen Bankrotthandlungen insoweit einen ambivalenten Charakter auf.206 So verwirkt, wer im Stadium der Krise einen vollständig abgeschriebenen Gegenstand des Anlagevermögens vernichtet und durch einen neuen ersetzt, keinesfalls Bankrottunrecht iSd § 283 Abs 1 Nr 1 StGB.207 Um dieses sachgerechte Ergebnis zu erzielen, hat der Gesetzgeber das einschränkende Erfordernis statuiert,208 wonach die Tathandlungen der Nrn 1, 2, 3 und 8 Var 1 den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft zuwiderlaufen müssen. Genauere gesetzgeberische Vorstellungen vom Inhalt dieses Merkmals, die über die Lösung bestimmter Einzelfälle hinausgehen, lassen sich den Materialien indes nicht entnehmen. Vielmehr beschränkt sich die Gesetzesbegründung darauf, neben dem bereits erwähnten Beispiel zu Abs 1 Nr 1 weitere Konstellationen zu benennen, die das Verdikt ordnungswidrigen Wirtschaftens nicht

_____ 200 Vgl in diesem Kontext noch Schlüchter, S 130, die de lege ferenda einen groben Verstoß gegen die Regeln ordnungsgemäßen Wirtschaftens fordert. 201 Ob das Erfordernis einer den Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft grob widersprechenden Weise auch für das Verheimlichen und Verschleiern gilt, ist äußerst str; dagegen etwa Krause, S 41 f; Schlüchter MDR 1978, 977, 980; skept auch MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 68, die bereits bezweifeln, dass die informationsbezogenen Tatvarianten des § 283 Abs 1 Nr 8 StGB überhaupt einer Einschränkung in Form eines groben Verstoßes gegen die Anforderungen ordnungsgemäßen Wirtschaftens bedürfen, da der Täter, der seine geschäftlichen Verhältnisse verheimliche bzw verschleiere, regelmäßig per se die Gläubigerinteressen gefährde; dafür D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1092; HambK/Borchardt § 283 StGB Rn 31; M/G/ Rinjes 8/128; Höfner, S 77 f; Hiltenkamp-Wisgalle, S 203 f m Fn 1; Waßmer, S 15; implizit auch M-G/Richter § 83 Rn 79; ferner wohl Fischer § 283 Rn 30; zum Ganzen ausf u Rn 216. 202 BGHSt 55, 107, 114; BGHSt 34, 309, 310; BGH/H GA 1953, 74; Krause, S 40; Marxen EWiR 1987, 919; zum Beiseiteschaffen sa MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 14; Fischer § 283 Rn 4b; Mohr, S 124 f; Radtke Achenbach-FS, S 341, 352 sowie u Rn 63; nicht erfasst wird dagegen die Modalität des Verheimlichens; s dazu nur G/J/W/Reinhart § 283 Rn 20. 203 NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis 283d Rn 61; Krause, S 142, 218 f m Fn 122, 416 ff; Moosmayer, S 71; sa LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 104. 204 Zu dieser Einteilung s nur Krause, S 35 ff, 42 und o Rn 5. 205 NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis 283d Rn 62; ausf Krause, S 424 ff. 206 Krause, S 246 f. 207 BT-Drucks 7/3441, S 34. 208 Zum Charakter als Strafbarkeitseinschränkung Krause, S 43.

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tragen können sollen. So halte die Grenzen ordnungsgemäßen Wirtschaftens grds ein, wer zwar Verlustgeschäfte iSd Abs 1 Nr 3 eingehe, dies aber nur deshalb tue, um Arbeitsplätze während eines Konjunkturtiefs zu erhalten209.210 Die wenigen Stellungnahmen des Schrifttums, die sich darum bemühen, generalisierende Interpretationsansätze zu entwickeln,211 kranken zumeist daran, sich auf dem Weg zu einer abstrakt-generellen Definition dessen, was ordnungsgemäßes Wirtschaften bedeutet, in kaum weiterführenden Debatten zu verlieren. Beispielhaft sei die Diskussion erwähnt, inwieweit formelle bzw materielle Unterkapitalisierung geeignet sind, dem Merkmal „ordnungsgemäßes Wirtschaften“ erste (negative) Konturen zu verleihen.212 Da weder die formelle noch die materielle Unterkapitalisierung den Bankrotthandlungen des § 283 Abs 1 Nrn 1–8 StGB unterfällt213,214 erschöpfen sich die Ausführungen regelmäßig darin, auf den Allgemeinplatz hinzuweisen, wonach sich der Geschäftsleiter einer schwach kapitalisierten Gesellschaft risikoaverser zu verhalten hat, als sein Kollege, der eine angemessen kapitalisierte Gesellschaft leitet.215 Viel gewonnen ist damit freilich nicht.

1. Die Anforderungen ordnungsgemäßen Wirtschaftens iRd § 283 Abs 1 StGB 28 Was genau unter den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft zu verstehen

ist, wirft vielschichtige Probleme auf. Neben der Frage, ob Privatpersonen dieselben Maßstäbe ordnungsgemäßen Wirtschaftens wie Unternehmer einzuhalten haben,216 bildet den Dreh- und Angelpunkt die Auseinandersetzung um das zutreffende Vorgehen, mithilfe dessen sich ordnungsgemäßes von ordnungswidrigem Wirtschaften abschichten lässt. Einigkeit herrscht immerhin insoweit, als man die Ordnungswidrigkeit nicht ex post, sondern ex ante bestimmt.217

a) Konkretisierungsversuche im Schrifttum 29 Während die Rspr einzelfallabhängig entscheidet, ob ein bestimmtes Verhalten der Ka-

tegorie ordnungsgemäßem oder ordnungswidrigem Wirtschaften unterfällt,218 indem sie bspw danach fragt, ob bestimmte Ausgaben das Maß des Notwendigen und Üblichen

_____ 209 Dazu, dass die Sicherung von Arbeitsplätzen nicht zu den geschützten Rechtsgütern rechnet und deshalb die Reichweite des Merkmals „ordnungsgemäßes Wirtschaften“ nicht zu beeinflussen vermag, siehe o Rn 7. 210 BT-Drucks 7/3441, S 35; zust Fischer § 283 Rn 9 im Kontext der Differenzgeschäfte iSv Nr 2; KribsDrees, S 123. 211 S sogl Rn 29. 212 Dazu Krause, S 303 ff, 410. 213 Zu Nr 8 su Rn 204. 214 Richtig Krause, S 305 f sowie S 410, dort aber nur bzgl der materiellen Unterkapitalisierung. 215 Krause, S 306. 216 S einerseits LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 109 sowie dens ZIP 1983, 513, 521 und andererseits NK/ Kindhäuser Vor §§ 283 bis 283d Rn 69; Krause, S 405. 217 S nur LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 106 f; ders Dünnebier-FS, S 519, 528 f; ders ZIP 1983, 513, 520; NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis 283d Rn 72; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 21; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 11; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1045; M/G/Rinjes 8/112; Böttger/Verjans 4/49; Höfner, S 46; Hiltenkamp-Wisgalle, S 169; Krause, S 74 f, 324, 374, 396; Moosmayer, S 70; Reichelt, S 97; Habetha, S 179. 218 S etwa die Feststellung von Krause, S 29, 92, Habetha, S 178, Dohmen, S 162 und NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis 283d Rn 64; exemplarisch zu dieser Rspr-Praxis: RGSt 48, 217, 219: Verpfändung von Sachen ist unwirtschaftlich, wenn Schuldner von Anfang an damit rechnete, dass er die Sachen nicht werde auslösen können.

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übersteigen sowie sich zu Vermögen und Einkommen unangemessen verhalten,219 haben einzelne Vertreter des Schrifttums versucht, abstrakt-generelle Kriterien zu benennen, anhand derer man sämtliche vorstellbare Konstellationen einer der beiden Kategorien zuweisen kann. Dabei prägen va zwei Ansätze die Diskussion:220 Ein insbes von Tiedemann entwickelter Vorschlag nimmt die §§ 93 AktG, 43 GmbHG, 347 HGB zum Ausgangspunkt und fällt über diejenigen Bankrotthandlungen das Verdikt der Ordnungswidrigkeit, die der Täter nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters/Kaufmanns vornimmt.221 Dieser Weg habe den Vorteil, die Konkretisierungsbemühungen nutzen zu können, die das Gesellschafts- bzw Handelsrecht bereitstellt, um ordnungsgemäßes von ordnungswidrigem Wirtschaften abzugrenzen.222 Herrsche im Handels-/Gesellschaftsrecht Uneinigkeit über die Ordnungsgemäßheit einer bestimmten Maßnahme, könne das Strafrecht dem Schuldner nicht ordnungswidriges Wirtschaften vorwerfen. Erst wenn alle Sachkundigen zu dem Schluss gelangen, ein ordentlich handelnder Geschäftsleiter hätte die vermögensrelevante Entscheidung so nicht getroffen, sei das Merkmal des ordnungswidrigen Wirtschaftens erfüllt.223 Die Gegenansicht, die maßgebend auf der Monografie von Krause basiert, wirft diesem „gesellschafts-/handelsrechtsakzessorischen Ansatz“224 vor, die Wirtschaftswidrigkeit an Vorschriften auszurichten, die das Verhältnis des Geschäftsführers zur Gesellschaft und gerade nicht des Schuldners zu seinen Gläubigern regelten.225 Darüber hinaus begründe die Differenzierung zwischen Privaten und Kaufleuten/Unternehmern die Gefahr, erhebliche Strafbarkeitslücken aufzureißen, sofern man aufgrund dieser Differenzierung zu der Einsicht gelange, Private dürften nach Gutdünken wirtschaften226 und seien keinen

_____ 219 BGHSt 3, 23, 26; BGH GA 1974, 61; BGH GA 1964, 119; BGH NJW 1953, 1480, 1481; RGSt 73, 229, 230; RGSt 70, 260, 261; RGSt 42, 278, 280 f; RGSt 15, 309, 312 f; RGSt 7, 90, 91; RG GA 64 (1917), 115; sa schon ALR Titel 20, Teil II § 1459; vgl ferner RGSt 16, 238, 240, das diesen Aspekt der Übermäßigkeit des Aufwandes zuwies; vgl aber auch RGSt 48, 217, 218, das zur Konkretisierung der Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft auf den Maßstab der §§ 586 Abs 2, 1036 Abs 2 BGB verweist. 220 Ein weiterer Ansatz besteht bspw darin, zu fragen, ob die unternehmerische Maßnahme nach allen betriebswirtschaftlichen Theorien unvernünftig war, um über sie das Verdikt der Wirtschaftswidrigkeit zu fällen; so Schlüchter, S 48, 55, 130. Hiergegen streiten jedoch dieselben Einwände, wie sie gegen eine jüngst im Untreuekontext entwickelte Ansicht vorgebracht werden, die nur solche Entscheidungen als pflichtwidrig einstuft, die nach sämtlichen – etwa im Gesellschaftsrecht – vertretenen Ansichten gesetzliche Pflichten der Komplementärmaterie missachtet (zu den Einwänden s nur SK/Hoyer § 266 Rn 48, 66; Ransiek/Hüls ZGR 2009, 157, 172). 221 LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 111 f; andeutungsweise schon ders ZIP 1983, 513, 521; zust MAH/Böttger § 19 Rn 126; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1041; Böttger/Verjans 4/49; Moosmayer, S 77; wohl auch HambK/Borchardt § 283 StGB Rn 12; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 24; S/S/W/Bosch § 283 Rn 7; M/G/Rinjes 8/56; Brackmann, S 278 f, 280 ff; s ferner Hiltenkamp-Wisgalle, S 169, die ebenfalls auf die Maßstabsfigur des ordentlichen Kaufmanns rekurriert; skept hingegen Erdmann, S 83; Mohr, S 131; vgl auch Bretzke, S 134 f, der zufolge sich der Rückgriff auf das Handelsrecht angesichts des im Strafrecht geltenden Bestimmtheitsgebots als wenig hilfreich erweist. 222 LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 111 f; MAH/Böttger § 19 Rn 126. 223 LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 117; ders ZIP 1983, 513, 521; ders KTS 1984, 539, 547; zust Grosche, S 52; ähnl Schlüchter MDR 1978, 977, 978, der zufolge das Merkmal ein „nach allen betriebswirtschaftlichen Auffassungen unvernünftiges Verhalten verlangt“. 224 S aber auch schon RGSt 48, 217, 218, das bzgl der „Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft entsprechenden Weise“ auf die §§ 586 Abs 2, 1036 Abs 2 BGB verweist, denen dieses Merkmal nachgebildet sei. 225 Ausf zu diesem und weiteren Einwänden – so stellten etwa die §§ 93 AktG, 43 GmbHG, 347 HGB sämtlich keine Verhaltensmaßstäbe für die Unternehmenskrise bereit – Krause, S 84 ff; iE zust Habetha, S 185 f. 226 LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 110; zust Stracke, S 372.

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normativen Vorgaben unterworfen.227 Nicht die §§ 93 AktG, 43 GmbHG, 347 HGB, sondern ein – wenn man so will „strafrechtsautonomes“ – dreistufiges Modell übernimmt die Aufgabe, ordnungswidriges von ordnungsgemäßem Wirtschaften zu scheiden.228 Die erste Stufe benennt und bewertet das vom Schuldner verfolgte Interesse, wobei sie den Fokus auf die Vereinbarkeit der schuldnerischen Vermögensdisposition mit den Gläubigerinteressen legt.229 Des Weiteren müsse die Disposition in Relation zu dem verfolgten Zweck geeignet, erforderlich und angemessen230 – kurz: vertretbar – sein.231 Allerdings verfehle diese zweite Stufe nur und handle folglich ordnungswidrig, wer zweifelsfrei gegen eines der drei Kriterien verstieße.232 So evoziere eine unternehmerische Maßnahme den Vorwurf der Ungeeignetheit erst, wenn sie nahezu jeder Wahrscheinlichkeit entbehre, den verfolgten Zweck zu erreichen,233 ermangele es ihr frühestens an der Erforderlichkeit, wenn der Schuldner sein Ziel auch auf weniger gläubigergefährdende Weise hätte anpeilen können234 und agiere lediglich unangemessen, wer Risiken eingehe, die der Verkehrssitte bzw Branchenüblichkeit widersprächen.235 Die dritte Stufe schließlich fragt danach, ob die schuldnerische Maßnahme ausreichend informationsbasiert war.236 Jedoch besäßen unzureichende Informationen nicht die Kraft, eine objektiv ordnungsgemäße Entscheidung in eine ordnungswidrige zu transformieren,237 sondern gewännen Bedeutung erst im subjektiven Tatbestand, indem sie dem objektiv wirtschaftswidrig handelnden Schuldner den Einwand abschnitten, er habe die Zweckwidrigkeit bzw Unvertretbarkeit seiner Disposition nicht erkannt.238

b) Einwände und eigener Ansatz 30 Der Sieg im Streit um die richtige Lösung – sofern man in diesem Zusammenhang das

Substantiv „Streit“ überhaupt verwenden will, kommen doch die beiden Meinungslager regelmäßig zu denselben Ergebnissen und unterscheiden sich va nur im Begründungsgang239 – gebührt keinem der beiden Lösungsansätze. Das an den §§ 93 AktG, 43 GmbHG, 347 HGB orientierte Auslegungsmodell hat sowohl mit dem nicht ganz unberechtigten

_____ 227 NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis 283d Rn 69. 228 Zu diesen an der normativen Entscheidungstheorie angelehnten drei Stufen grdl Krause, S 330 f, der insoweit von den Kategorien der Information, der Zielsetzung und des Risikos spricht; sowie zusf aaO, S 365 f; abl steht diesem Ansatz etwa Dohmen, S 169 ff gegenüber, die va den Rekurs auf die Kategorie des erlaubten Risikos kritisiert. 229 Krause, S 364; so auch Habetha, S 187 f. 230 Nach LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 118 sind diese Kriterien heuristisch brauchbar. 231 Krause, S 364, 395 ff; NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis 283d Rn 76; zust Habetha, S 188 ff. 232 Krause, S 396; Habetha, S 189. 233 Krause, S 397 f. 234 Krause, S 400 f. 235 Krause, S 405 ff. 236 Krause, S 364, 412 ff; ähnl Habetha, S 188. 237 Krause, S 413; abl LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 113; anders wohl auch NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis 283d Rn 74, der zwar Krause im Grds zustimmt, Entscheidungen ohne sachgerechte Informationsgrundlage jedoch als wirtschaftswidrig einstuft. 238 Krause, S 412 ff. 239 Zu dieser Feststellung s etwa LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 113, der dem Ansatz von Krause vorwirft, dass er weder neue Einsichten noch eine schärfere Konkretisierung der Anforderungen ordnungsgemäßen Wirtschaftens brächte; vgl auch Krause, S 89 m Fn 90 sowie NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis 283d Rn 69, der dem Ansatz von Tiedemann, obschon er ihn ablehnt, attestiert, er komme zumeist zu sachgerechten Ergebnissen; s ferner Moosmayer, S 72 f.

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Vorbehalt zu kämpfen, es fehle den Referenzvorschriften trotz der §§ 93 Abs 5 S 1 AktG, 43 Abs 3 S 3 GmbHG ein hinreichender Gläubigerbezug als auch den Einwand zu ertragen, den §§ 93 AktG, 43 GmbHG, 347 HGB ließen sich keine Verhaltensmaßstäbe in der Unternehmenskrise entnehmen. Der strafrechtsautonome Ansatz hingegen kommt – wie so oft, wenn Strafrechtler den Topos „autonome Auslegung“ bemühen – bei genauerem Hinsehen eben doch nicht ohne Rückgriff auf zivilrechtliche Wertungen aus.240 Vorzugswürdig erscheint deshalb folgender Weg: Der Terminus des ordnungsgemäßen Wirtschaftens reicht unterschiedlich weit, je nachdem, ob insolvenzantragspflichtige oder sonstige (va private) Wirtschafter betroffen sind.

aa) Insolvenzantragspflichtige Schuldner Falliert ein insolvenzantragspflichtiger Schuldner – bspw eine GmbH oder Aktiengesell- 31 schaft –, bemisst sich der Inhalt ordnungsgemäßen Wirtschaftens anhand der §§ 64 S 2 GmbHG, 92 Abs 2 S 2 AktG, 99 S 2 GenG, 130a Abs 1 S 2 HGB.241 Diese Vorschriften binden den Geschäftsführer bzw Vorstand zwar an den Maßstab des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters – und weisen insofern eine frappierende Nähe zu dem soeben abgelehnten Ansatz von Tiedemann auf –, sie tun das aber – und hierin liegt der entscheidende Unterschied – ausschließlich im Gläubigerinteresse.242 Ordnungsgemäß sind danach nur solche Zahlungen, die der Gläubigergesamtheit ex ante mehr Vor- als Nachteile bringen.243 Den Maßstab, um das Merkmal „ordnungsgemäßes Wirtschaften“ mit Leben zu erfüllen, bildet folglich der auf die Gläubigerinteressen verpflichtete ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter in der Unternehmenskrise. Einen zusätzlichen Konkretisierungsgewinn erzielt, wer den Aussagegehalt der strafbewehrten Insolvenzantragspflicht des § 15a Abs 1 S 1 InsO (mit)bedenkt. Spätestens nach Ablauf von drei Wochen hat der Geschäftsleiter des antragspflichtigen sowie zahlungsunfähigen bzw überschuldeten Schuldnerunternehmens seine Tätigkeit aufzugeben und Insolvenzantrag zu stellen. Im Umkehrschluss heißt das: Führt er die Geschäfte entgegen der Vorgabe des § 15a Abs 1 S 1 InsO weiter, agiert er wirtschaftswidrig. Lediglich Transaktionen, die die Masse nicht schmälern, bleiben nach Ablauf der Dreiwochenfrist, die § 15a Abs 1 InsO dem Schuldner höchstens einräumt, um Sanierungsversuche zu unternehmen,244 sub specie § 283 StGB straflos. Darüber hinausgehende Entnahmen – auch solche, die dazu dienen, einen angemessenen Lebensunterhalt zu bestreiten – missach-

_____ 240 Des Weiteren weist Moosmayer, S 73 ff darauf hin, dass diesem Ansatz keine Aussagen entnommen werden können, ab wann Verbraucher, die de jure zum Täterkreis des § 283 StGB rechneten, wirtschaftswidrig handeln. 241 Sa schon Krause, S 308 ff, der freilich diese Vorschriften nur insoweit bemüht, als er in dem dort statuierten Zahlungsverbot eine gesetzliche Konkretisierung ordnungswidrigen Wirtschaftens erblickt. 242 Dazu, dass ab materieller Insolvenz der Beurteilungsmaßstab nicht mehr der Gesellschaftszweck, sondern die Gläubigerinteressen sind, s Baumbach/Hueck/Haas § 64 Rn 72; G/E/S/Sandhaus § 64 Rn 26; ferner Lutter/Hommelhoff/Kleindiek § 64 Rn 33 ff, der zusätzlich noch das öffentliche Interesse am Bestand überlebensfähiger Betriebe akzentuiert (hiergegen dezidiert Baumbach/Hueck/Haas § 64 Rn 73; BeckOKGmbHG/Mätzig § 64 Rn 55), gleichwohl aber vom „ordentliche[n] Geschäftsleiter in der Unternehmenskrise“ spricht. 243 Baumbach/Hueck/Haas § 64 Rn 72; G/E/S/Sandhaus § 64 Rn 26. 244 Zu dieser Zweckrichtung s etwa BGHZ 75, 96, 108; BGH NJW 1979, 1829, 1830; BFH GmbHR 2007, 999, 1001; MAH/Böttger § 19 Rn 198; K/P/B/Preuß § 15a Rn 55; HeiK-InsO/Kleindiek § 15a Rn 12; Graf-Schlicker/ Bremen § 15a Rn 7; Pfeiffer Rowedder-FS, S 347, 362; Pribilla KTS 1958, 1, 3; Ulmer KTS 1981, 469, 482; Uhlenbruck BB 1985, 1277, 1282; Spannowsky wistra 1990, 48, 49; Bisson GmbHR 2005, 843, 847; Fichtner ZWH 2012, 220.

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ten die Grds ordnungsgemäßen Wirtschaftens,245 bringt doch § 15a InsO deutlich zum Ausdruck, dass solche Entscheidungen nunmehr dem (vorläufigen) Insolvenzverwalter/ der Gläubigerversammlung (vgl § 100 InsO) obliegen sollen.246 Der Einwand, solchermaßen erführe das negative Tatbestandsmerkmal des ordnungswidrigen Wirtschaftens eine unsachgerechte Extension, zieht nicht, da der Schuldner bzw dessen Geschäftsleiter dieser belastenden Situation ohne weiteres entgehen können, indem sie schlicht den geforderten Insolvenzantrag stellen. Parallelen zur fortbestehenden Zahlungspflicht der Arbeitnehmeranteile am Sozialversicherungsaufkommen sind unübersehbar. Resümierend ergibt sich ein zweistufiges Ermittlungssystem: Im Stadium drohender Zahlungsunfähigkeit sowie vor Ablauf der Dreiwochenfrist – sofern der Schuldner diese ausschöpfen darf – konkretisieren die §§ 64 S 2 GmbHG, 92 Abs 2 S 2 AktG, 99 S 2 GenG, 130a Abs 1 S 2 HGB das Merkmal „ordnungsgemäßes Wirtschaften“. Mit Ablauf der Dreiwochenfrist präsentieren sich sämtliche vermögensrelevante Maßnahmen als wirtschaftswidrig, es sei denn, sie lassen den Bestand der präsumtiven Masse unangetastet.

bb) Sonstige Schuldner 32 Private Unternehmer sowie erst recht Verbraucher247 sind – nicht zuletzt aufgrund ihrer

persönlichen Haftung – geringeren Sorgfaltsanforderungen unterworfen als die insolvenzantragspflichtigen Schuldner. Im Ausgangspunkt dürfen sie nach freiem Belieben wirtschaften und haben nur solche Maßnahmen zu unterlassen, die evident den Gläubigerinteressen zuwiderlaufen.248 Ihnen dieselben Beschränkungen aufzuerlegen wie den insolvenzantragspflichtigen Schuldnern, hieße „Äpfel mit Birnen“ zu vergleichen.249 So belegt bereits der limitierte Adressatenkreis der Insolvenzantragspflicht die gesetzgeberische Sichtweise, wonach von diesen Teilnehmern des Rechtsverkehrs deutlich höhere Risiken ausgehen, es also sachgerecht erscheint, ihr Leitungspersonal in der Unternehmenskrise zu größerer unternehmerischer Zurückhaltung anzumahnen.250

2. Lösung konkreter Fälle 33 Ausgehend von dem hier favorisierten Verständnis verbleibt der Geschäftsleiter eines

insolvenzantragspflichtigen Schuldners im sicheren Hafen ordnungsgemäßen Wirtschaf-

_____ 245 Dezidiert aA aber Krause, S 301 m Fn 64; vgl auch Dohmen, S 181, 193 f, der zufolge Entnahmen zugunsten des angemessenen Unterhalts schon nicht zur Masse rechnen und deshalb keine tauglichen Tatobjekte sind. 246 Aus gesellschaftsrechtlicher Sicht s etwa Baumbach/Hueck/Haas § 64 Rn 73 f; ähnl BeckOK-GmbHG/ Mätzig § 64 Rn 55 f; aA wohl Roth/Altmeppen/Altmeppen § 64 Rn 28. 247 Zu ihrer Tätertauglichkeit siehe o Rn 23 f. 248 Beispielhaft seien Maßnahmen genannt, die mit der ausschließlichen Intention erfolgen, die Gläubiger zu schädigen, etwa indem Vermögenswerte beiseite geschafft oder verheimlicht werden, um sie dem Gläubigerzugriff zu entziehen; s dazu Radtke Achenbach-FS, S 341, 355; ähnl Stracke, S 372; wohl auch D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1041, die von mutwilligen Handlungen sprechen; weitergehend Moosmayer, S 80 und ihm zust Dohmen, S 180 ff, die iRd Verbraucherbankrotts auf das Korrektiv des ordnungswidrigen Wirtschaftens verzichten wollen; vgl ferner G/J/W/Reinhart § 283 Rn 24, der auf die diligentia quam in suis abstellen will, die auch außerhalb der Krise eingehalten werden muss, um den Eintritt von Rechtsnachteilen zu vermeiden. 249 Richtig S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 7a. AA SK/Hoyer § 283 Rn 40, der in der wirtschaftlichen Krise dem privaten Wirtschafter „ebenso enge Zügel“ anlegen will, wie dem kaufmännischen Wirtschafter; ebenso wohl S/S/W/Bosch § 283 Rn 7; sa AnwK/Püschel § 283 Rn 8. 250 Zum Ganzen sa instruktiv M/G/Rinjes 8/55; vgl ferner MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 22.

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tens, solange er die Grenzen der §§ 64 S 2 GmbHG, 92 Abs 2 S 2 AktG, 99 S 2 GenG, 130a Abs 1 S 2 HGB einhält. So begründet es kein Bankrottunrecht, wenn das Leitungsorganmitglied Zahlungen leistet, mithilfe derer es größere Nachteile für die Masse abwendet, indem es etwa die laufenden Wasser-, Strom- und Heizkostenrechnungen bedient.251 Zudem – und ungeachtet der Differenzierung zwischen insolvenzantragspflichtigen und sonstigen Schuldnern – geraten Vermögensabgänge nicht unter Verdacht, ordnungsgemäßem Wirtschaften zuwiderzulaufen, denen gleichwertige Vermögenszuflüsse gegenüberstehen.252 Da solches Verhalten die präsumtive Masse nicht schmälert, beeinträchtigt es auch nicht die Befriedigungsinteressen der Gläubiger.253 Genausowenig riskiert den Vorwurf, unwirtschaftliche Ausgaben getätigt und somit den Tatbestand des § 283 Abs 1 Nr 2 StGB verwirklicht zu haben, wer Bestandteile seines Vermögens zugunsten eines – ex ante – erfolgsversprechenden Sanierungsversuchs einsetzt. Im Einklang mit den Anforderungen ordnungsgemäßen Wirtschaftens agiert des Weiteren der Schuldner, der Vermögensdispositionen trifft, die ihm das Zivilrecht gestattet, da andernfalls der anerkannte Grds, wonach straflos bleibt, was zivilrechtlich erlaubt ist,254 missachtet würde. Vor diesem Hintergrund widerspricht die Befriedigung einzelner Gläubiger – sofern nicht bereits der Vertragsschluss wirtschaftswidrig erfolgte255 – nie ordnungsgemäßem Wirtschaften.256 Insoweit hat der Gesetzgeber den § 283c StGB auf Posten gestellt, der Kriminalstrafe erst androht, falls die Befriedigung inkongruent257 gewesen sein sollte. Auch Entnahmen zur Sicherung eines angemessenen und notwendigen Lebensunterhalts verwirken solange kein Bankrottunrecht, solange sie im Vorfeld der Insolvenzantragspflicht erfolgen.258 Entnimmt der Schuldner hingegen nach Eintritt der materiellen Insolvenzreife der präsumtiven Masse Vermögensbestandteile, um den (Familien-)Unterhalt zu bestreiten, verlässt er die Grenzen ordnungsgemäßen Wirtschaftens. Denn gem § 100 InsO trifft die Gläubigerversammlung die Entscheidung, ob und wenn ja in welchem Umfang dem Schuldner Unterhalt aus der Insolvenzmasse gewährt werden soll.259 Dem Verdikt, ordnungswidrig zu wirtschaften, unterfallen zweifelsohne solche ver- 34 mögensrelevante Maßnahmen, die der Schuldner bzw sein Repräsentant einzig mit dem

_____ 251 BGH ZIP 2008, 72, 73 zu § 64 Abs 2 S 2 GmbHG aF (= § 64 S 2 GmbHG); sa BGHZ 146, 264, 275 = GmbHR 2001, 190, 193. 252 So BGHSt 55, 107, 118; scheinbar auch BGH/H GA 1954, 310; sa RG LR 1913, 696, 697 f: Lebensversicherungsprämien, die nicht auf Verträge zugunsten eines Dritten bezahlt werden, begründen keinen Aufwand, da dem weggegebenen Vermögen ein gleichwertiger Zuwachs in Form der Lebensversicherungsforderungen gegenübersteht; zust RG HRR 1935, 157; aA wohl aber BGH NJW 1953, 1480, 1481, wonach es für die Feststellung von „Aufwand“ unerheblich ist, ob ein entspr Gegenwert in das Schuldnervermögen gelangt; ebenso BGH GA 1964, 119, 120; ferner bereits RG GA 64 (1917), 115 f. 253 RG JW 1934, 2472, 2473; NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis 283d Rn 82; vgl ferner, freilich zu § 288 StGB RGSt 71, 227, 230. 254 Dieser Grds findet sich bereits bei Alsberg Pinner-FS, S 215, 229. 255 Zu diesen Konstellationen NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis 283d Rn 85. 256 BGHSt 34, 309, 310; BGH/H GA 1953, 74; NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis 283d Rn 84. 257 Dazu § 14 Rn 30 ff. 258 Weitergehend die hM, der zufolge angemessene Entnahmen zugunsten des notwendigen Lebensunterhalts nie Bankrottunrecht begründen; dazu BGH MDR 1981, 510, 511; BGH GA 1964, 119; RGSt 15, 309, 313; NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis 283d Rn 84; Krause, S 109. 259 Auf die Vorgängervorschrift der KO verweist in diesem Kontext auch schon Schlüchter JR 1982, 29, 30, die allerdings nicht zu dem hier gefundenen Ergebnis gelangt, sondern dem Schuldner gestattet, der präsumtiven Masse Mittel zu seinem Lebensunterhalt zu entnehmen, die sich iRd § 850c ZPO halten; vgl erg u Rn 63.

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Ziel unternehmen, Vermögensbestandteile zu ihren oder zugunsten eines Dritten, der nicht die Position eines Gläubigers bekleidet (dann womöglich § 283c StGB), beiseitezuschaffen. Vergleichbar liegt der Fall, in dem der Schuldner eingehende Gelder nicht über sein eigenes, sondern das Konto eines nahen Angehörigen, auf das er rechtlich keinen Zugriff hat, einzieht, um mit diesen Geldern Neugläubiger zu befriedigen und somit den insolventen Betrieb – letztendlich auf Kosten der Altgläubiger – vorübergehend weiterzuführen.260 Wirtschaftswidrig verhält sich darüber hinaus der Geschäftsleiter eines insolvenzantragspflichtigen Schuldners, der Dispositionen vornimmt, die mit den §§ 64 S 2 GmbHG, 92 Abs 2 S 2 AktG, 99 S 2 GenG, 130a Abs 1 S 2 HGB kollidieren. Verwendet bspw der Geschäftsführer einer materiell insolventen GmbH, der das wirtschaftliche Ende „seiner“ Gesellschaft nicht wahrhaben will, die letzten vorhandenen Mittel zu einem offensichtlich aussichtlosen Sanierungsversuch, haftet er – die Voraussetzungen des § 14 Abs 1 Nr 1 StGB unterstellt – gem § 283 Abs 1 Nr 2 StGB (unwirtschaftliche Ausgaben). Unwirtschaftliche Ausgaben verursacht des Weiteren, wer Mittel der präsumtiven Masse etwa zu Bestechungszwecken einsetzt,261 da regelmäßig entweder der mit den Bestechungszahlungen intendierte Erfolg ausbleibt oder aber die Bestechung auffliegt und die zunächst erhaltenen Vorteile verlorengehen.262 Ob darüber hinaus – wie verschiedentlich behauptet – auch derjenige Schuldner bzw Schuldnervertreter unwirtschaftliche Ausgaben tätigt, der Baugeld entgegen den Vorgaben des § 1 BauFordSiG nicht den Baugläubigern, sondern dritten Gläubigern zuwendet, erscheint zumindest bedenklich. Das Unterfangen, Verstöße gegen § 1 BauFordSiG mithilfe des § 283 Abs 1 Nr 2 StGB zu ahnden,263 verursacht insbes mit Blick auf die Existenz des § 2 BauFordSiG Bauchschmerzen. Gem § 2 BauFordSiG macht sich der Baugeldempfänger strafbar, der Baugeld dem § 1 BauFordSiG zuwider einsetzt, sofern er seine Zahlungen einstellt oder aber über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wird. Wollte man dieses Verhalten zugleich dem § 283 Abs 1 Nr 2 StGB subsumieren, umginge man die Beschränkung des § 2 BauFordSiG auf Vorsatz.264 Denn den Tatbestand des § 283 Abs 1 Nr 2 StGB verwirklicht auch, wer die Tathandlung fahrlässig begeht (vgl § 283 Abs 5 Nr 1 StGB). Mehr spricht deshalb dafür, zwischen § 283 Abs 1 Nr 2 StGB und § 2 BauFordSiG ein Exklusivitätsverhältnis anzunehmen.

VI. Die Krisenmerkmale der §§ 283 ff StGB 35 Bis auf § 283b StGB setzen sämtliche Tatbestände der §§ 283 ff StGB das Bestehen bzw

Herbeiführen einer je nach Tatbestand unterschiedlich weit reichenden Krisensituation voraus. Während § 283 Abs 1 StGB die Vornahme einer Bankrotthandlung bei Überschuldung, drohender und eingetretener Zahlungsunfähigkeit – die zunächst noch angedachte drohende Überschuldung hat der Gesetzgeber des 1. WiKG aus Bestimmtheitsbedenken verworfen265 – bestraft, droht § 283 Abs 2 StGB nur demjenigen Schuldner Strafe an,

_____ 260 BGHSt 34, 309, 310 f. 261 S etwa BGH GA 1974, 61, 62 noch zum übermäßigen Aufwand. 262 AA aber wohl Tiedemann ZIP 1983, 513, 521. 263 Für Tateinheit mit Vorrang des § 2 BauFordSiG etwa MK/Wegner § 2 BauFordSiG Rn 43. 264 Dazu nur G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 12. 265 Skept gegenüber dem dadurch erzielten Bestimmtheitsgewinn aber Schlüchter, S 85 m Fn 1; s ferner Matzen, S 57 f, der in dieser Entscheidung einen Ausdruck gesetzgeberischer Inkonsequenz erblickt; der gesetzgeberischen Entscheidung indes zust Hiltenkamp-Wisgalle, S 300 f, die in einem Tatbestand der

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der durch eine Bankrotthandlung seine Überschuldung bzw (eingetretene) Zahlungsunfähigkeit verursacht, stellt die inkongruente Gläubigerbefriedigung nur im Falle eingetretener Zahlungsunfähigkeit strafbares Unrecht dar (vgl § 283c sowie § 14 Rn 1) und erfasst § 283d StGB neben der eingetretenen und drohenden Zahlungsunfähigkeit richtigerweise auch den Zustand der Überschuldung266.267 Sämtliche Bestandteile dieser Krisentrias rechnen zur Kategorie der objektiven Tatbestandsmerkmale, auf die sich der Vorsatz bzw die Fahrlässigkeit beziehen müssen.268 – Die Krisentrias bestehend aus Überschuldung, drohender und eingetretener Zahlungsunfähigkeit hielt mit dem 1. WiKG vom 29.7.1977269 Einzug in die §§ 283 ff StGB.270 Auf diese Weise trug der Gesetzgeber des 1. WiKG einer damals immer stärker anschwellenden Kritik gegen die §§ 239 ff KO – den Vorläufern der heutigen §§ 283 ff StGB – Rechnung, deren Kern darin bestand, den §§ 239 ff KO einen Verstoß gegen das Schuldprinzip vorzuwerfen, weil sie zahlreiche als neutral angesehene Handlungen des Schuldners bestraften, solange nur der Schuldner irgendwann einmal in Konkurs geriet.271 Erst das Zusammentreffen von Bankrotthandlung und Krise nehme ersterer ihren Alltagscharakter und erlaube es, solches Verhalten mit den Instrumenten des Strafrechts zu ahnden.272

_____ drohenden Überschuldung eine ineffiziente Regelung erblickt; vgl ferner Göhler/Wilts DB 1976, 1657, 1660, die auf die praktischen Schwierigkeiten eines Krisenmerkmals „drohende Überschuldung“ hinweisen; nach Brackmann, S 64 f wäre ein Krisenmerkmal „drohende Überschuldung“ auf „eine Prognose der Prognose“ hinausgelaufen. 266 § 23 Rn 11. 267 Zur Geltung des Überschuldungstatbestandes iRd § 283d StGB ausf Brand/Sperling ZStW 121 (2009), 281, 287 ff; sympathisierend jüngst Ceffinato, S 360 f; ausdrückl aA etwa W/J/Pelz 9/207; Wehleit, S 70; Grub, S 144; ferner jüngst Hombrecher JA 2013, 541, 545, freilich ohne auf die hier vertretene und an anderer Stelle entwickelte Gegenansicht einzugehen. 268 Schlüchter MDR 1978, 977, 978. 269 BGBl I, S 2034. 270 Zur Entwicklungsgeschichte der Krisenmerkmale instruktiv Achenbach Schlüchter-GS, S 257, 260 f. 271 Zu dieser Kritik grdl Rittler Frank-FG, S 1, 15, 22; Heidland KTS 1958, 161, 163 ff; s ferner BT-Drucks 7/ 3441, S 19; M-G/Richter § 81 Rn 77; Bemmann, S 48, 51; Klug KTS 1962, 65, 66 f, 72; Schöne JZ 1973, 446, 449 f; Göhler/Wilts DB 1976, 1657, 1659; sa Schlüchter, S 8, 46, 48, 50; dies MDR 1978, 265, 269; Kribs-Drees, S 2, 41, 90 u passim; Hiltenkamp-Wisgalle, S 4 f, 212 f; Bretzke, S 15; Matzen, S 56; Höfner, S 8; Grosche, S 6 f; Groth, S 100; Müller-Emmert/Maier NJW 1976, 1657, 1663; Heinz GA 1977, 193, 216; vgl des Weiteren Hammerl, S 21 m Fn 84, wo er der Ansicht zustimmt, die Zahlungseinstellung und Konkurseröffnung beim betrügerischen Bankrott als schuldbezogene Tatbestandsmerkmale qualifiziert; zusf. Neumann, S 20 f; Brackmann, S 61 ff; aA aber Pfeiffer Gutachten, S 9 ff. 272 BT-Drucks 7/3441, S 33; NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis 283d Rn 91; MAH/Böttger § 19 Rn 254; Hiltenkamp-Wisgalle, S 219; Groth, S 100; Penzlin, S 104; Dreher MDR 1978, 724, 725; Otto Bruns-GS, S 265, 267 f; Berz BB 1976, 1435, 1439; Krause NStZ 1999, 161, 164; M-G/Richter § 81 Rn 68; Bieneck wistra 1992, 89 f; Müller-Emmert/Maier NJW 1976, 1657, 1663; Rönnau NStZ 2003, 525, 527; Dohmen, S 71; ähnl Fischer Vor § 283 Rn 4,5; vgl auch Tiedemann Schröder-GS, S 289, 290, der von „einer besseren Verwirklichung des Schuldprinzips“ spricht, gleichwohl aber kritisiert, dass einzelne Bankrotthandlungen ungeachtet einer Unternehmenskrise abstrakt gefährlich und somit strafwürdig seien (aaO, S 304 f); krit ferner Schlüchter, S 34 f, 40, 44, 45 ff, 56 f, 129 ff, 137 und passim; dies MDR 1978, 977, 979 ff, die zwischen „an sich rechtswidrigen“ (Nrn 1, 4, 5–7) und „an sich rechtmäßigen“ (Nrn 2, 3, 8) Bankrotthandlungen unterscheidet (sa dies JR 1979, 513, 515; insoweit zust Harneit, S 100 f; Bretzke, S 216 ff; Hoffmann DB 1980, 1527, 1528; ähnl KribsDrees, S 85 ff, die zwischen Bankrotthandlungen mit fehlendem bzw geringem und solchen mit vorhandenem Gefährdungsgehalt unterscheidet; vergleichbar wohl Degener Rudolphi-FS, S 405 f; s ferner Hiltenkamp-Wisgalle, S 401 und passim, die zu den abstrakt-gefährlichen Bankrotthandlungen die Nrn 3, 5, 6 und 8 rechnet, ohne hieraus aber konkrete Konsequenzen für die Interpretation des § 283 StGB zu folgern; vgl aber auch die hiervon zT abw Kategorisierung bei Otto Bruns-GS, S 265, 267: Nrn 3, 5, 7 an sich, Nrn 1, 2, 4 an sich nicht gefährlich sowie bei Höfner, S 38 ff, 83 f: lediglich Nrn 5–7 sowie Nr 8 Var 2 [letztere allerdings nur, wenn Vermögen überbewertet wird] per se strafwürdig; s des Weiteren Büttiker, [1914], S 19,

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Im Zentrum der nachfolgenden Ausführungen, die sich mit der Krisentrias „Überschuldung, drohende und eingetretene Zahlungsunfähigkeit“ beschäftigen, geht es nicht darum, zu eruieren, was die Insolvenzordnung, die dieselben Krisentatbestände in ihren §§ 17–19 verwendet und dort sogar legaldefiniert, hierunter versteht. Insoweit sei auf die Erläuterungen bei § 7 Rn 4 ff verwiesen. Vielmehr beschränkt sich dieser Abschnitt darauf, die (insolvenz-)strafrechtlichen Besonderheiten darzulegen, die aus der begrifflichen Identität der von den §§ 283 ff StGB und den §§ 17 ff InsO verwendeten Krisenmerkmalen herrühren. Den Mittelpunkt bildet dabei die Frage, ob sich das Bankrottstrafrecht bei der Interpretation seiner Krisentrias akzessorisch zum Insolvenzrecht verhält oder eigene, strafrechtsautonome Wege geht.

1. Insolvenzrechtsakzessorische oder strafrechtsautonome Auslegung? 37 Va nachdem der Gesetzgeber der InsO die Krisentatbestände „Überschuldung“, „dro-

hende und eingetretene Zahlungsunfähigkeit“ in den §§ 17 ff InsO legaldefiniert hat, streiten Rspr und Schrifttum darum, welchen Einfluss diese insolvenzrechtlichen Legaldefinitionen auf die Interpretation der gleichlautenden bankrottstrafrechtlichen Krisenmerkmale nehmen. Obschon die Befürworter einer – in zahlreichen Nuancierungen vertretenen273 – strafrechtsautonomen Auslegung274 manches gute Argument auf

_____ dem zufolge die Bankrotthandlungen als solche keinen deliktischen Charakter haben und der deshalb Zahlungseinstellung und Eröffnung des Konkursverfahrens als Tatbestandsmerkmale einstuft; skept auch v.d. Heydt, S 59; abl zum Ganzen etwa Erdmann, S 105; Niu, S 110 f) und deshalb nach dem Vorbild des § 283b StGB den Vorschlag unterbreitet, die Tathandlungen der Nrn 1, 4 auch außerhalb einer bestehenden bzw ungeachtet einer herbeigeführten Krise zu bestrafen. Nur um die Nrn 2, 3 und 8 zu bestrafen, gebiete das Schuldprinzip das Krisenerfordernis. Skept auch Neumann, S 23, dem zufolge § 283b StGB – weil dieser keine Tatbegehung während der Krise voraussetzt – Bedenken sub specie Schuldprinzip ausgesetzt ist sowie Matzen, S 24, der zu dem Erg gelangt, die Einführung der Krisenmerkmale habe „alles andere als eine Harmonisierung mit dem Schuldprinzip erreicht“. 273 S etwa den Ansatz von Plathner, S 148 ff und passim, der ausgehend von der Differenzierung zwischen Primär- und Sekundärstrafrecht (aaO, S 111 ff) einer zivil- bzw insolvenzrechtsakzessorischen Interpretation nur dann das Wort redet, wenn strafrechtliche und außerstrafrechtliche Vorschrift einen gemeinsamen Normenkomplex bilden (aaO, S 125 ff), wofür insbes die Regelung beider Vorschriften in demselben Gesetz spräche (aaO, S 128 ff). Ließe sich ein Wille des Gesetzgebers, der dahin geht, bestimmte Straftatbestandsmerkmale strikt zivilrechtsakzessorisch zu interpretieren, nicht eindeutig feststellen, sei die Vorschrift dem Primärstrafrecht zuzuschlagen und könne der Rechtsanwender ihre Merkmale strafrechtsautonom auslegen (aaO, S 134). Da die Vorschriften der InsO und § 283 StGB keinen gemeinsamen Normenkomplex bildeten (aaO, S 149 ff), votiert Plathner zugunsten einer strafrechtsautonomen Lösung, die ihn aber nicht davon abhält, zur Auslegung der Krisentrias des § 283 Abs 1 StGB (partiell) auf die insolvenzrechtlichen Legaldefinitionen zurückzugreifen (aaO, S 152). Vor diesem Hintergrund konstruiert er die Zahlungsunfähigkeit iSd Bankrottstrafrechts als eine Melange aus überkommenem konkursrechtlichem Verständnis und Elementen des § 17 Abs 2 InsO, indem er die Dauerhaftigkeit konkurs- und die Wesentlichkeit insolvenzrechtsspezifisch bestimmt (aaO, S 159 ff, 173). Die drohende Zahlungsunfähigkeit will er hingegen anhand der Vorgaben des § 18 Abs 2 InsO (aaO, S 191), die Überschuldung anhand des § 19 Abs 2 InsO in der Form des damals noch gesetzlich angeordneten nicht modifiziert zweistufigen Überschuldungsbegriffs ermitteln (aaO, S 210). 274 Achenbach Schlüchter-GS, S 257, 268 f, 271, 273; Hiltenkamp-Wisgalle, S 239 f; Penzlin, S 160 ff, der auf diesem Weg allerdings zu dem auch hier präferierten modifiziert zweistufigen Überschuldungsbegriff gelangt (aaO, S 162); Stracke, S 420 und passim, die den traditionell zweistufigen Überschuldungsbegriff präferiert (aaO, S 439 ff); vgl ferner Bretzke, S 85 f, die das Krisenmerkmal „Zahlungsunfähigkeit“ im Bankrottstrafrecht strenger auslegen will als im Insolvenzrecht, indem sie strafrechtlich darauf verzichtet, eine wesentliche Unterdeckung festzustellen; für eine strafrechtsautonome Interpretation im Sinne einer funktionalen Insolvenzrechtsakzessorietät etwa Nickmann, S 75; Habetha, S 71 ff, 76; ders NZG 2012, 1134, 1135 m Fn 3.

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ihrer Seite haben, verdient den Vorzug ein insolvenzrechtsakzessorischer Interpretationsansatz,275 der jedoch die strafrechtlichen Besonderheiten wie das Gebot schuldangemessenen Strafens, den Bestimmtheitsgrundsatz sowie die Vorgaben des indubio-Grds integriert276 und gleichzeitig Vermutungstatbestände, wie sie die §§ 17 Abs 2 S 2, 19 Abs 2 S 1 („es sei denn“) InsO enthalten, eliminiert.277 Zwar streitet zugunsten des strafrechtsautonomen Lagers die Historie der §§ 283 ff StGB und ihrer konkursrechtlichen Vorläufer, die die Krisenmerkmale Überschuldung, drohende und eingetretene Zahlungsunfähigkeit schon kannten als das Konkurs-/Insolvenzrecht weder entsprechende Legaldefinitionen dieser Tatbestände bereithielt noch den Insolvenzeröffnungsgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit überhaupt nannte.278 Auch trifft der Einwand zu, wonach, wer die Auslegung der Krisentrias des Bankrottstrafrechts an den §§ 17 ff InsO orientiert, den Einzugsbereich der §§ 283 ff StGB deutlich erweitert.279 Gleichwohl überwiegen die Vorteile, die ein insolvenzrechtsakzessorisches Vorgehen mit sich bringt. Neben dem Gleichlauf, den ein insolvenzrechtsakzessorischer Ansatz zwischen Bankrott und strafbarer Insolvenzverschleppung280 herstellt,281 erzielt erhebliche Bestimmtheitsgewin-

_____ 275 Dafür etwa BGH NStZ 2007, 643 (bzgl Zahlungsunfähigkeit, aber lediglich im Kontext des § 84 Abs 1 Nr 2 GmbH aF); OLG Köln NStZ-RR 2005, 378 (bzgl Zahlungsunfähigkeit); SK/Hoyer § 283 Rn 10; S/S/W/ Bosch Vorbem §§ 283 ff Rn 10 f; M-G/Richter § 75 Rn 49 ff, § 76 Rn 16 und § 78 Rn 29 f, 50; Bieneck StV 1999, 43 f; MAH/Leipold § 19 Rn 46; HambK/Borchardt § 283 StGB Rn 6 f; Pape/Uhländer/Hofmann § 283 Bankrott Rn 4; Ceffinato, S 360; Reichelt, S 79; Natale/Bader wistra 2008, 413; Degener Rudolphi-FS, S 405, 415 f; Grube/Röhm wistra 2009, 81, 84; Hombrecher JA 2013, 541, 542; Martini jurisPR-InsR 15/2013, Anm 3; wohl auch NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis 283d Rn 92, 97; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 78; diff Neumann, S 67, 72, 75 ff, der zwar die insolvenzrechtlichen Legaldefinitionen der Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit, nicht aber der drohenden Zahlungsunfähigkeit in das Insolvenzstrafrecht transportieren will; skept gegenüber einer akzessorischen Lesart aber wohl Otto NJW 1999, 554, 555; ähnl AnwK/Püschel Vor § 283– 283d Rn 11: Maßstab sind die restriktiv gehandhabten Legaldefinitionen der InsO. 276 Richtig Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 5; M/G/Rinjes 8/21 f; MK/Janssen § 55 KWG Rn 10; Brackmann, S 167; Büttner ZInsO 2009, 841, 856; W/J/Beck 6/77 (zur Zahlungsunfähigkeit), Rn 100 f (zur Überschuldung), dem zufolge aber ein insolvenzrechtsakzessorisches Verständnis des Krisenmerkmals „drohende Zahlungsunfähigkeit“ nicht indiziert ist (aaO Rn 90); Röhm, S 85 ff, 89 (zur Zahlungsunfähigkeit), 122 ff, 133 (zur drohenden Zahlungsunfähigkeit), 155 ff, 165 (zur Überschuldung); Moosmayer, S 155 ff (zur Zahlungsunfähigkeit), 164 (zur Überschuldung), hingegen skept bzgl der drohenden Zahlungsunfähigkeit (aaO, S 168 ff); Kraatz JR 2013, 466, 468 (bzgl Zahlungsunfähigkeit); Ogiermann/Weber wistra 2011, 206, 209; sa schon Regner, S 94 (im Kontext der Überschuldung); wohl auch MAH/Böttger § 19 Rn 112. 277 Dazu, dass die Vermutungstatbestände im Strafprozess keine Geltung beanspruchen, s nur S/S/ Heine/Schuster § 283 Rn 50a, 52; K Schmidt/K Schmidt § 17 Rn 40 und § 19 Rn 17; Ressmann, S 153 f, 161; Brackmann, S 223; Bisson GmbHR 2005, 843, 844; Puschke Schünemann-FS, S 647, 657 f, 659. 278 AA aber Stracke, S 391 und passim, der zufolge die Historie weder zugunsten eines insolvenzrechtsakzessorischen Ansatzes noch zugunsten einer strafrechtsautonomen Lösung streitet; missverständl insoweit aber die Ausführungen auf S 420. 279 Dazu MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 5, 78; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 71; allg zur Ausdehnung des § 283 StGB bei Übertragung der §§ 17 ff InsO etwa Plathner, S 142; Moosmayer, S 152; M-G/ Richter § 75 Rn 50; Bieneck StV 1999, 43; Reck ZInsO 1999, 195, 198; Arens wistra 2007, 450, 453; aA aber Lenger/Apfel WiJ 2012, 34, 37, die aber das weitaus restriktivere Verständnis der Konkurseröffnungsgründe unter dem Regime der KO schlicht verkennen. 280 Vgl § 15a Abs 4, 5 InsO und o § 11 Rn 70 ff. 281 Zur Notwendigkeit einer einheitlichen Auslegung in den versch Strafvorschriften s S/S/Heine/ Schuster § 283 Rn 50a; G/J/W/Reinhart Vor §§ 283 ff Rn 35, 37; Pelz Rn 90; Kruse, S 80; sympathisierend auch Kudlich NStZ 2014, 109; aA Franzheim NJW 1980, 2500, 2501 f sowie ders wistra 1984, 212 f, der die Überschuldung im Kontext der Insolvenzverschleppung anhand von Fortführungswerten, hingegen im Kontext der §§ 283 ff StGB mithilfe von Zerschlagungswerten ermitteln will; ähnl auch Schlüchter wistra 1984, 43, 46, die das Vorliegen von Überschuldung bei den an sich rechtmäßigen Bankrotthandlungen und der Insolvenzverschleppung immer nach Fortführungswerten, bei den per se rechtswidrigen Bankrotthandlungen hingegen immer auf der Basis von Liquidationswerten ermitteln will; hiergegen überzeugend

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ne, wer die Krisenmerkmale der §§ 283 ff StGB im Lichte der insolvenzrechtlichen Legaldefinitionen interpretiert.282 Darüber hinaus steckt hinter den strafrechtsautonomen Auslegungsvorschlägen regelmäßig weit weniger Autonomie als gemeinhin angenommen. Die Bezeichnung „konkursrechtsakzessorisch“ träfe den Inhalt der meisten strafrechtsautonomen Modelle weitaus besser, erschöpft sich doch das autonome Moment darin, mehr oder weniger stark an den überkommenen konkursrechtlichen Vorstellungen festzuhalten,283 statt sich auf die insolvenzrechtlichen Neuerungen einzulassen. Schließlich überzeugt es nicht, strafrechtlich das Bestehen einer Krise dort zu negieren, wo das Insolvenzrecht die Verfahrenseröffnung erlaubt,284 zumal ein engeres strafrechtliches Verständnis die Gefahr evoziert, die Krise erst zu einem Zeitpunkt anzunehmen, zu dem bereits das Insolvenzverfahren längst eröffnet wurde.285

2. Überschuldung – Einführendes 38 Gibt man einem insolvenzrechtsakzessorischen Interpretationsansatz den Vorzug, be-

findet sich der Schuldner im Zustand der Überschuldung, wenn seine Passiva den Bestand an Aktiva übersteigen und die Fortführungsprognose negativ ausfällt286.287 Freilich darf hierbei nicht stehen geblieben werden, gebieten doch strafrechtliche Besonderheiten wie der Bestimmtheits- und in-dubio-Grds sowie das Schuldprinzip Korrekturen am übernommenen insolvenzrechtlichen Maßstab288.289 – Aufgrund der enormen Schwierigkeiten, die die Überschuldungsprüfung der Praxis bereitet290 sowie angesichts der gerin-

_____ Stracke, S 325 f; LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 149. Dass die Legaldefinitionen der §§ 17 ff InsO iRd § 15a Abs 4, 5 InsO Geltung beanspruchen, bestreiten auch die meisten Befürworter einer strafrechtautonomen Sichtweise nicht; vgl etwa Achenbach Schlüchter-GS, S 257, 258; Stracke, S 408 ff, 416, 423, 442; aA aber Penzlin, S 150 ff, 154 ff, der auch im Kontext der strafbaren Insolvenzverschleppung zugunsten einer strafrechtsautonomen Interpretation der Krisenmerkmale plädiert. 282 Dazu etwa S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 50a; Brand/Sperling ZStW 121 (2009), 281, 286 f; allg und in anderem Kontext Hiltenkamp-Wisgalle, S 96, derzufolge die von Art 103 Abs 2 GG geforderte Rechtssicherheit grds nur durch ein zivilrechtsakzessorisches Verständnis des Strafrechts gewährleistet werden könne. 283 So auch M-G/Richter § 75 Rn 52; MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 8. 284 LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 126 bzgl der Zahlungsunfähigkeit; sa Pelz Rn 90. 285 Zu diesem Arg sa Plathner, S 164, 209, obschon er grds einen strafrechtautonomen Interpretationsansatz präferiert. 286 Ausf zum Ganzen o § 7 Rn 28 ff. 287 Für die Übernahme des modifiziert zweistufigen Überschuldungsbegriffs in das Insolvenzstrafrecht spricht sich ungeachtet des methodischen Standpunktes (insolvenzrechtsakzessorisch oder strafrechtsautonom) aus: Erdmann, S 198 f; gegen ein zweistufiges Überschuldungsverständnis aber dezidiert Hiltenkamp-Wisgalle, S 232, der zufolge die situationsabhängige Bewertung des Schuldnervermögens auf der Grundlage von Fortführungs- bzw Liquidationswerten, je nachdem welchen Ausgang die Fortbestehensprognose genommen hat, mit dem Bestimmtheitsgebot nicht zu vereinbaren sei. 288 Siehe o Rn 37 und u Rn 42. 289 LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 149; Krause NStZ 1999, 161, 162. Das dürfte auch mit der von MK/Radtke/ Petermann Vor §§ 283 ff Rn 9 f präferierten insolvenzrechtsorientierten Auslegung gemeint sein; ähnl wie Radtke und Petermann wohl auch Püschel Rissing-van Saan-FS, S 471, 478 f, der sich zwar an die insolvenzrechtlichen Legaldefinitionen anlehnen, die Krisenmerkmale aber gleichwohl restriktiver auslegen will; auf dieser Linie liegen des Weiteren D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 87 f, die von einer indiziellen Bedeutung sprechen. 290 S etwa die Ausführungen bei Erdmann, S 201 ff; vgl ferner den Befund von Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 80; aA aber Reck ZInsO 1999, 195, 201 mit Blick auf § 19 Abs 2 InsO aF.

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gen praktischen Relevanz dieses Krisentatbestandes291 – die allermeisten Insolvenzverfahren betreffen zahlungsunfähige Schuldner – wirkt es kaum Wunder, dass der Ruf, den Überschuldungstatbestand ersatzlos zu streichen, immer lauter erschallt.292 Solange aber der Gesetzgeber diesen Ruf nicht erhört, besteht weiterhin die Notwendigkeit, Ausführungen zur Überschuldung zu tätigen.

a) Reichweite des Krisenmerkmals „Überschuldung“ Ausgehend von einem streng insolvenzrechtsakzessorischen Verständnis läge es nicht 39 fern, das Überschuldungsmerkmal iSd §§ 283 StGB auf die Insolvenz juristischer Personen und ihnen gleichgestellter Personengesellschaften zu beschränken. Obschon die §§ 283 ff StGB keine Anhaltspunkte geben, die zugunsten einer solchen restriktiven Interpretation streiten und obschon auch der Gesetzgeber des 1. WiKG keinen Anlass sah, generell zwischen den einzelnen Schuldnertypen zu differenzieren,293 findet sich die Ansicht, die das Merkmal der Überschuldung im Konkurs natürlicher Personen und gesetzestypischer Personengesellschaften nicht anwenden will.294 Zwar kommt die Position der hM der Gegenansicht zu, die sich auf die soeben genannten Argumente beruft und hieraus den Schluss zieht, die Überschuldung gelte für alle Schuldner gleichermaßen.295

_____ 291 S etwa die Feststellung bei Braun/Bußhardt § 19 Rn 2, 33; Degener Rudolphi-FS, S 405,422 f; Penzlin, S 78, 82 f; ders NZG 2000, 464; Groth, S 19 f; Niu, S 56; Brackmann, S 158 f; Römermann/Praß GmbHR 2012, 425, 426; Pape ZInsO 2011, 1033, 1041; Büttner ZInsO 2009, 841, 855; Grub ZIP 1993, 393, 395 m Fn 9, dem aus seiner Praxis nur ein einziges Insolvenzverfahren bekannt ist, das wegen Überschuldung eröffnet wurde; Ogiermann/Weber wistra 2011, 206, 210, denen zufolge dieser Befund verstärkt für den nicht modifiziert zweistufigen Überschuldungsbegriff gilt; vgl ferner die vorsichtige Feststellung bei Höfner, S 292; positiver aber die Einschätzung von Richter Schiller-FS, S 547, 550 f; sa MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 64, die der Überschuldung iRd § 283 StGB „erhebliche Bedeutung“ attestieren. 292 Zu dieser rechtspolitischen Kritik s schon Matzen Samson-FS, S 401, 420 ff; Rokas ZInsO 2009, 18, 21; Hölzle ZIP 2008, 2003, 2004 f; Beissenhirtz ZInsO 2011, 57, 71; Büttner ZInsO 2009, 841, 857; für Abschaffung des Überschuldungstatbestandes auch bereits Egner/Wolff AG 1978, 99, 106; Haack NJW 1981, 1353; zurückhaltender Beck KSI 2009, 61, 65; ferner Ahrendt/Plischkaner NJW 2009, 964, 966, die dafür plädieren, dem Geschäftsleitungsorgan etwa im Haftungsprozess die Beweislast dafür aufzuerlegen, ob eine positive Fortführungsprognose gestellt werden konnte; vgl auch Bitter/Hommerich/Reiß ZIP 2012, 1201, 1208 f; s ferner Penzlin, S 115 f, 134 ff, 140, 162 f und passim sowie dens NZG 2000, 464, 470, der den Gesetzgeber auffordert, sich zwischen Überschuldung und drohender Zahlungsunfähigkeit zu entscheiden; ähnl schon Harneit, S 111, der vorschlägt, de lege ferenda zwischen rechnerischer Überschuldung und drohender Zahlungsunfähigkeit zu unterscheiden; Identität zwischen Überschuldung und drohender Zahlungsunfähigkeit nimmt Groth, S 124 an; ebenso Gischer/Hommel BB 2003, 945, 949, denen zufolge die drohende Zahlungsunfähigkeit das Gleiche misst wie die Überschuldung; ein Plädoyer zugunsten des Überschuldungstatbestandes findet sich etwa bei K Schmidt/K Schmidt § 19 Rn 7 f; Stracke, S 80, 368 f; Ulmer KTS 1981, 469, 472; Kliebisch/Linsenbarth DZWIR 2012, 232, 234; Richter GmbHR 1984, 137, 139; s ferner Erdmann, S 204, dem zufolge aber das Merkmal der Überschuldung angesichts der weitreichenden Überschneidungen mit dem Tatbestand der drohenden Zahlungsunfähigkeit de lege ferenda gestrichen werden kann (aaO, S 208 ff). 293 BT-Drucks 7/3441, S 20; zu diesem Befund s etwa auch G/J/W/Reinhart Vor §§ 283 ff Rn 36; Otto Bruns-GS, S 265, 269, 273 f. 294 Grdl Otto Bruns-GS, S 265, 274 ff; ders JURA 1989, 24, 33; zust Neumann, S 89 f; Niu, S 54; wohl auch v.d. Heydt, S 30; de lege ferenda spricht sich dafür auch Moosmayer, S 165 f, 172 aus; undeutlich HambK/ Borchardt § 283 StGB Rn 7, dem zufolge das Merkmal der Überschuldung „nur eingeschränkt anwendbar“ ist. 295 LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 147; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 6; G/J/W/Reinhart Vor §§ 283 ff Rn 36; SK/Hoyer § 283 Rn 10; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 18; Pape/Uhländer/Hofmann § 283 Bankrott Rn 5; Grosche, S 38 m Fn 2; Stracke, S 348; Harneit, S 108; Groth, S 23; Bretzke, S 17; Regner, S 32, 34 ff; Mohr, S 30; Ressmann, S 227; Brackmann, S 174 f; Heinz GA 1977, 193, 217; wohl auch Tiedemann Schröder-GS, S 289, 293;

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Das überzeugt jedoch nur bedingt. Indem die InsO und vor ihr die KO bzw gesellschaftsrechtliche Sondergesetze wie das GmbHG (vgl § 64 Abs 1 S 1 GmbHG aF) die Überschuldung lediglich als Konkursgrund der haftungsbeschränkten Verbände einstuf(t)en, brachten bzw bringen sie die Annahme zum Ausdruck, wonach die Verursachung der Überschuldung nur in diesem Kontext gläubigergefährdend wirkt.296 Berücksichtigt man diese Erkenntnis bei der Auslegung des § 283 StGB, heißt das: Nimmt der Schuldner im Zustand der Überschuldung einzelne Bankrotthandlungen vor, verwirkt er ungeachtet seiner Rechtsform den Tatbestand des § 283 Abs 1 StGB. Anders steht es hingegen um § 283 Abs 2 StGB: Weil ausweislich des insolvenzrechtlichen Verständnisses das Herbeiführen einer Überschuldung die Gläubiger nur gefährdet, wenn ein haftungsbeschränkter Verband davon betroffen ist, erscheint es zumindest ungereimt, den (bankrott)strafrechtlichen Vorwurf auch dann erheben zu wollen, falls bspw eine natürliche Person ihre Überschuldung herbeigeführt hat. Deshalb spricht – trotz womöglich aufkommender Bedenken sub specie Bestimmtheitsgebot – viel dafür, jedenfalls das strafbare Herbeiführen einer Überschuldung auf haftungslimitierte Verbände zu beschränken.297 Schließlich dürfte eine solche Differenzierung zwischen § 283 Abs 1 StGB einer- und § 283 Abs 2 StGB andererseits auch mit dem gesetzgeberischen Willen harmonisieren, beschränken sich die Materialien doch auf die Aussage, dem zahlungsfähigen Schuldner müsste die Vornahme der gefährlichen bzw sinnlosen Bankrotthandlungen bei Strafe verboten sein, sofern er sie im Zustand der Überschuldung begehe.298 Angesprochen ist somit lediglich § 283 Abs 1 StGB, nicht aber § 283 Abs 2 StGB.299

b) Überschuldungsermittlung 40 Der Überschuldungsbegriff des Insolvenz-/Konkursrechts hat eine wechselvolle Ge-

schichte hinter sich.300 Die Insolvenzordnung, die zum 1.1.1999 die Konkursordnung ablöste, schrieb einen sog zweistufigen Überschuldungsbegriff fest, der danach fragt, ob der Schuldner auf der Grundlage von Liquidationswerten rechnerisch überschuldet ist, bejahendenfalls jedoch eine Korrektur dieses Ergebnisses gestattet, indem er anordnet, bei positiver Fortführungsprognose die Überschuldungsprüfung anhand von Goingconcern-Werten zu wiederholen301.302 Aufgrund der Weltwirtschaftskrise hat sich der Gesetzgeber jedoch entschlossen – zunächst befristet bis zum 31.12.2013, nunmehr aber

_____ Achenbach Schlüchter-GS, S 257, 263; Höfner, S 86 ff; vgl ferner Röhm, S 162 ff, der allerdings de lege ferenda den Anwendungsbereich des § 283 StGB auf solche Schuldner beschränken will, die mehr als nur geringfügig wirtschaftlich tätig sind (aaO, S 161). 296 Sa schon Otto Bruns-GS, S 265, 276; vgl ferner Matzen, S 23. 297 Ähnlich, iE aber weitergehend Stracke, S 375, die den § 283 Abs 2 StGB auf Private dann anwenden will, wenn diese den Entschluss gefasst haben, ein Insolvenzverfahren mit anschließender Restschuldbefreiung einzuleiten und im Anschluss hieran eine Bankrotthandlung vornehmen, die die Überschuldung herbeiführt. 298 BT-Drucks 7/3441, S 20. 299 AA aber Stracke, S 181. 300 Dazu s nur Pannen 3/11 ff; Bitter/Hommerich/Reiß ZIP 2012, 1201 f; Kliebisch/Linsenbarth DZWIR 2012, 232, 233 f; Püschel Rissing-van Saan-FS, S 471, 479 f. 301 Ausf zu diesem Überschuldungsbegriff und den damit erzielbaren Erg s § 7 Rn 26 f sowie das Schaubild bei Bittmann wistra 1999, 10, 11. 302 Pannen 3/14; Wittig § 23 Rn 48; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 58; Püschel Rissing-van Saan-FS, S 471, 480; Reck ZInsO 1999, 195, 200; Bieneck StV 1999, 43, 44; Bittmann wistra 1999, 10, 11; zum zweibzw dreistufigen Prüfungsverfahren s nur Stracke, S 200 ff; Röhm, S 173 f; A Fromm ZInsO 2004, 943, 946 f; Kliebisch/Linsenbarth DZWIR 2012, 232, 235.

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unbefristet – den rigiden zweistufigen Überschuldungsbegriff ab dem 18.10.2008 durch den – schon unter der Konkursordnung herrschenden303 – modifiziert zweistufigen Überschuldungsbegriff zu ersetzen304.305 Im Unterschied zum zweistufigen Überschuldungsbegriff des § 19 Abs 2 S 1 InsO aF misst der modifiziert zweistufige Überschuldungsbegriff der Fortführungsprognose eine weitaus größere Relevanz zu.306 Danach befindet die Fortführungsprognose nicht nur über den Ansatz von Liquidations- oder Going-concern-Werten, sondern hat „kriegsentscheidende“ Bedeutung, indem sie bei positivem Ausgang trotz rechnerischer Überschuldung der Annahme rechtlicher Überschuldung entgegensteht307.308 Den Dreh- und Angelpunkt des heute geltenden modifiziert zweistufigen Überschuldungsbegriffs bildet somit die Fortführungsprognose.309 Zu den Fragen, die aufkommen, sobald man sich daran macht, eine Fortführungsprognose zu erstellen, sei auf die Ausführungen unter § 7 Rn 29 ff verwiesen. Die dort gefundenen Lösungen beanspruchen – mit Blick auf das insolvenzrechtsakzessorische Verständnis der Krisenmerkmale310 – auch iRd §§ 283 ff StGB Geltung.311 Dh: Die Fortführungsprognose fällt positiv aus, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit (über 50%)312 dafür spricht, dass der Schuldner im laufenden und im kommenden Geschäftsjahr313 zahlungs-

_____ 303 S nur BGHZ 119, 201; BGHZ 126, 181, 199; BGHZ 129, 136 („Girmes“); BGH, NJW 1997, 3026, 3027; BGH, ZIP 1998, 776, 778 f; K Schmidt AG 1978, 334 ff; ders ZIP 1980, 233 ff; ders JZ 1982, 165, 170; ders ZIP 1985, 713; Ulmer KTS 1981, 469, 477 ff; ders GmbHR 1984, 256, 261. 304 Zu den Motiven s § 7 Rn 25. 305 BGBl I 2008, S 1982. 306 Anders aber die Einschätzung von Schüppen DB 1994, 197, 199, dem zufolge auch unter dem Regime eines nicht modifiziert zweistufigen Überschuldungsbegriffs der positive Ausgang der Fortführungsprognose regelmäßig zum Ausschluss von rechtlicher Überschuldung führt, weil aufgrund der positiven Fortführungsprognose Bewertungsspielräume bei der Vermögensbewertung voll ausgeschöpft würden; in diese Richtung bereits die Kritik bei Ulmer KTS 1981, 469, 474. 307 Dazu auch § 7 Rn 28. 308 MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 66; SK/Hoyer § 283 Rn 11b; Wittig § 23 Rn 44; D/K/H/ Dannecker/Hagemeier Rn 59; Ressmann, S 197; Degener Rudolphi-FS, S 405, 414; Püschel Rissing-van SaanFS, S 471, 480; Grube/Röhm wistra 2009, 81, 82; Wolf ZWH 2014, 94; Rokas ZInsO 2009, 18, 19; Kliebisch/ Linsenbarth DZWIR 2012, 232, 233; eine anschaul Gegenüberstellung der beiden Überschuldungsbegriffe findet sich bei M-G/B5/Bieneck § 76 Rn 23. Freilich scheidet Überschuldung auch dann aus, wenn trotz negativer Fortführungsprognose die nach Liquidationswerten bewerteten Aktiva die Passiva übersteigen; darauf weist zu Recht Schmitz wistra 2009, 369, 371 m Fn 22 hin. 309 Beachtliche Einwände gegen diese dynamische Überschuldungsermittlung finden sich bei Stypmann wistra 1985, 89, 90 f; skept gegenüber der Übernahme des modifiziert zweistufigen Überschuldungsbegriffs in das Strafrecht auch Erdmann, S 172 f, der eine Verschleifung mit dem Tatbestand der drohenden Zahlungsunfähigkeit befürchtet. 310 Rn 37. 311 Für den Zeitraum, den die Fortführungsprognose umfasst, so auch Bittmann wistra 1999, 10, 14; hingegen überzeugt es nicht, wenn Stracke, S 393 im Anschluss an Haffke KritV 1991, 165, 173 f behauptet, einem insolvenzrechtsakzessorischen Interpretationsansatz sei es verwehrt, zu den streitigen insolvenzrechtlichen Fragen Stellung zu beziehen. Folgte man dem, verwandelte man den insolvenzrechtsakzessorischen in einen insolvenzrechtlerakzessorischen Ansatz und verwehrte dem Strafrichter die Kompetenz, zivil- bzw insolvenzrechtliche Vorfragen selbst zu entscheiden. 312 K Schmidt/K Schmidt § 19 Rn 48; HeiK-InsO/Rüntz § 19 Rn 11; Graf-Schlicker/Bremen § 19 Rn 14; G/E/S/Gehrlein Vor § 64 Rn 26; so auch für das Strafrecht zu Recht M-G/Richter § 79 Rn 22; B/Quedenfeld/ Richter 5/136; Weyand/Diversy Rn 37; Erdmann, S 186; Röhm, S 183; Richter Schiller-FS, S 547, 553; wohl auch Ransiek, S 160; s ferner Wolf ZWH 2014, 94, 99, der erg darauf hinweist, dass es sich hierbei nicht um eine mathematische, sondern um eine argumentative Wahrscheinlichkeit handelt. 313 So etwa SK/Hoyer § 283 Rn 12; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 6; HeiK-InsO/Rüntz § 19 Rn 9; G/E/S/ Gehrlein Vor § 64 Rn 19; Weyand/Diversy Rn 37; Stracke, S 447 f; Ressmann, S 260 f; Ehlers Insbüro 2005, 60, 64; Skauradszun wistra 2014, 41, 43; wohl auch A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 56; M-G/Richter § 79 Rn 28; ders

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fähig314 bleibt und er zudem fortführungswillig ist315.316 Die Berechnung dieser mittelfristigen Zahlungsfähigkeit erfolgt typischerweise anhand von Finanz- und Ertragsplänen,317 während externe Faktoren – die Hausbank erklärt sich bereit, weitere Kredite zu gewähren – richtigerweise allenfalls zugunsten des Schuldners wirken und uU den Schluss auf eine positive Fortführungsprognose gestatten, ohne dass es eines Finanz-/Ertragsplans bedarf.318 Nach zutreffender Auffassung beeinflussen die Bankrotthandlungen des § 283 Abs 1 Nrn 1–8 StGB die Fortführungsprognose schließlich nicht dergestalt, als ihre Vornahme durch den Schuldner immer zu einem negativen Ausgang der Prognose führt, da andernfalls die Fortführungsprognose im Kontext des § 283 StGB ihre gesamte Bedeutung verlöre.319 41 Abweichend von dem unter Rn 40 soeben Ausgeführten entnehmen Teile des insolvenzstrafrechtlichen Schrifttums dem in-dubio-Grds die Aussage, eine positive Fortführungsprognose liege bereits dann vor, wenn das Überleben des Unternehmens nicht sicher ausgeschlossen werden könne, eine Fortführung also nicht ganz unwahrscheinlich sei.320 Das überzeugt allerdings schon deshalb nicht, weil der in-dubio-Grds ledig-

_____ Schiller-FS, S 547, 555; enger Röhm, S 185, der den Prognosezeitraum auf maximal ein Jahr begrenzt; deutl weiter Harneit, S 72 f, der grds auf den spätesten Fälligkeitstermin unter den im Zeitpunkt der Überschuldungsermittlung bestehenden Verbindlichkeiten abstellen will; ähnl Beck KSI 2009, 61, 62 f; s ferner MAH/ Leipold § 19 Rn 62: Zeitraum von zwei bis drei Jahren abhängig von den Eigenarten des konkreten Betriebs; diff K Schmidt/K Schmidt § 19 Rn 49: Vorzug verdient eine dynamische Betrachtung. 314 Für eine Zahlungs-, statt Ertragsfähigkeitsprognose etwa K Schmidt/K Schmidt § 19 Rn 48; GrafSchlicker/Bremen § 19 Rn 14; Weyand/Diversy Rn 37; Stracke, S 440, 444 f; Ressmann, S 261; Erdmann, S 200 f; Röhm, S 177 ff; Groth, S 34 ff, 118 f; Otto JURA 1989, 24, 33; Penzlin WM 1999, 983, 984; Gischer/ Hommel BB 2003, 945, 947; Ehlers Insbüro 2005, 60, 64; ferner wohl A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 56; M-G/ Richter § 79 Rn 26; HeiK-InsO/Rüntz § 19 Rn 9 f; für Ertragsfähigkeit hingegen Höfner, S 190 und passim; ebenso wohl Harneit, S 39, der aber aaO, S 46 im Kontext seiner Ausführungen zum modifiziert zweistufigen Überschuldungsbegriff mit einer Zahlungs(un)fähigkeitsprognose arbeitet; vgl ferner Wolf ZWH 2014, 94, 97: Ertrags- und Liquiditätsprognose erforderlich; gegen das (auch hier präferierte) Vorgehen, eine Prognose der künftigen Zahlungs(un)fähigkeit zum Ausgangspunkt zu wählen, aber Hiltenkamp-Wisgalle, S 230 f, die moniert, auf diese Weise versänke das Krisenmerkmal der Überschuldung in der Bedeutungslosigkeit, weil bei negativem Ausgang der Fortbestehensprognose immer auch schon der Tatbestand der drohenden Zahlungsunfähigkeit vorläge; vgl ferner Bretzke, S 196 f, 227 und passim, die im Kontext der drohenden Zahlungsunfähigkeit auch die Rentabilität der Unternehmung berücksichtigen will; ähnl auch MAH/Leipold § 19 Rn 61, der die Prognose an der (künftigen) Ertragskraft ausrichten will. 315 Ausf § 7 Rn 29 ff. 316 Dazu, dass iRd Fortführungsprognose auch erfolgversprechende, vom Schuldner ernsthaft ergriffene Sanierungsoptionen zu berücksichtigen sind, s grdl Harneit, S 50 ff, der die damit einhergehenden Prognoserisiken für die Gläubiger mithilfe der Regeln über das erlaubte Risiko (aaO, S 81 ff) sowie den Maßstab des ordentlichen Geschäftsleiters (aaO, S 90 ff) einhegen will. 317 § 7 Rn 29. 318 Zum Ganzen s Stracke, S 445 f. 319 Richtig Höffner BB 1999, 252, 253. 320 So etwa LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 155; Scholz/Tiedemann/Rönnau Vor §§ 82 ff Rn 46; Lackner/ Kühl/Heger § 283 Rn 6; Böttger/Verjans 4/23; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 56; S/G/ders Rn 684; ders HRRS 2009, 32, 34; ders wistra 2010, 438, 439; W/J/Beck 6/101; M/G/Rinjes 8/37; Pape/Uhländer/Hofmann § 283 Bankrott Rn 8; Reichelt, S 81 f; Groß, S 157; Habetha, S 85; AnwK/Püschel Vor § 283–283d Rn 15; ders Rissing-van Saan-FS, S 471, 481; MAH/Leipold § 19 Rn 46; Adick HRRS 2009, 155, 157 f; ebenso Stracke, S 322, 446 f, die dieses Erg jedoch nicht auf den in-dubio-Grds, sondern auf Art 103 Abs 2 GG stützt; ähnl wohl auch Lüderssen A. Kaufmann-GS, S 675, 685; Brackmann, S 167; ferner Schlüchter wistra 1984, 41, 45 f, obschon sie Prognosen so weit als möglich aus dem Überschuldungstatbestand heraushalten will, um nicht in Konflikt mit dem Bestimmtheitsgrundsatz zu geraten und deshalb etwa den modifiziert zweistufigen Überschuldungsbegriff ablehnt (aaO, S 42 f); dagegen zu Recht SK/Hoyer § 283 Rn 16; skept auch, trotz des von ihm favorisierten strafrechtsautonomen Interpretationsansatzes, Achenbach Schlüchter-GS, S 257, 267 f.

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§ 12 Bankrott, §§ 283, 283a StGB u. Verletz. d. Buchführungspflicht, § 283b StGB | 625

lich iRd Tatsachenfeststellung Geltung beansprucht, die Prüfung, ob das ermittelte Tatsachenmaterial eine positive Fortführungsprognose rechtfertigt, jedoch einen rechtlichen Wertungsakt erfordert.321 Des Weiteren besteht Streit über den Zeitraum, den die Fortführungsprognose abbilden soll. Aus Gründen der Tatbestandsbestimmtheit finden sich Ansichten, die die Zahlungsfähigkeitsprognose auf einen Zeitraum von drei Monaten322 bzw höchstens ein Jahr323 reduzieren wollen. Das Ziel, Prognoserisiken vollständig zu eliminieren, erreichen die Vertreter dieser Auffassungen indes genausowenig, wie der hier eingeschlagene Pfad,324 weshalb einem Zeitraum, der das laufende sowie das folgende Geschäftsjahr umfasst, strafrechtsautonome Gründe nicht entgegenstehen. Hinzu kommt: Verkürzte man den Prognosezeitraum auf drei Monate bzw höchstens ein Jahr, hätte diese Entscheidung zugleich eine reduzierte Datenbasis zur Konsequenz, mit womöglich nachteiligen Folgen gegenüber dem Schuldner. 325 Weitgehend Einigkeit herrscht hingegen darüber, dass eine ex ante negative Fortführungsprognose im Strafverfahren keine Geltung beansprucht, wenn sich ex post das Gegenteil herausstellt, die Fortführungsprognose also bei Vornahme der Bankrotthandlung positiv war.326 Fällt die Fortführungsprognose negativ aus, gelangt zur Annahme rechtlicher Über- 42 schuldung nur, wer auf der Basis von Liquidationswerten327 zusätzlich das Bestehen einer rechnerischen Überschuldung, also das Überwiegen der Passiva über die Aktiva feststellt. Die Bewertung sowohl der Aktiva als auch der Passiva wirft in praxi erhebliche Probleme auf. Einigkeit herrscht lediglich insoweit, als die unveränderte Handelsbilanz aufgrund ihrer andersartigen Zielrichtung keine bzw allenfalls marginale Aussagen328 hinsichtlich der Überschuldung des Unternehmens trifft,329 weshalb die Notwendigkeit

_____ 321 Zutr deshalb B/Quedenfeld/Richter 5/136; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 51b; Weyand/Diversy Rn 37; Ransiek, S 160, 390; Penzlin, S 99 m Fn 462; Ressmann, S 246, 254 ff; M-G/Richter § 79 Rn 29; Bieneck StV 1999, 43, 44; Hadamitzky ZInsO 2015, 1778, 1780; Bisson GmbHR 2005, 843, 845; Bittmann wistra 2009, 138, 140 f; ders wistra 1999, 10, 17, der dort die Auffassung vertritt, dass bei fehlender Fortführungsprognose diese im Strafverfahren nicht nachträglich erstellt werden muss; A Fromm ZInsO 2004, 943, 945; Stracke, S 432 f, die allerdings zu demselben Ergebnis gelangt, indem sie Art 103 Abs 2 GG bemüht; sa MK/Radtke/ Petermann Vor §§ 283 ff Rn 67; Franzheim wistra 1984, 212, 213; ferner Skauradszun wistra 2014, 41, 43, der zu Recht darauf hinweist, dass es sich bei der Frage, ob das ermittelte Tatsachenmaterial den Schluss auf eine negative oder positive Fortführungsprognose gestatte, um die schlichte Anwendung des § 261 StPO handelt. 322 Reck GmbHR 1999, 267, 273. 323 Dafür wohl AnwK/Püschel Vor § 283–283d Rn 16. 324 Siehe o Rn 40. 325 Zutr Stracke, S 448. 326 LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 159; ders ZIP 1983, 513, 521; ders Schröder-GS, S 289, 304; Scholz/Tiedemann/Rönnau Vor §§ 82 ff Rn 49; Stracke, S 335, 438 f, 459; Hiltenkamp-Wisgalle, S 269 ff; Regner, S 94; anders aber scheinbar SK/Hoyer § 283 Rn 17, dem zufolge in solchen Konstellationen allenfalls der Zusammenhang zwischen Bankrotthandlung und objektiver Strafbarkeitsbedingung fehlt; s ferner Richter GmbHR 1984, 137, 141. 327 Dazu nur K Schmidt/K Schmidt § 19 Rn 24. 328 S Gischer/Hommel BB 2003, 945, 949, die dem handelsbilanziellen Überschuldungsausweis die Vermutungswirkung einer rechtlichen Überschuldung zugunsten des antragsstellenden Gläubigers beilegen, die der Schuldner im Insolvenzeröffnungsverfahren widerlegen muss, will er die Insolvenzeröffnung verhindern. 329 BGHZ 146, 264, 268 = GmbHR 2001, 190, 191; BGH BB 1984, 1786; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 55; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 21 ff; Beck/Samm/Kokemoor/ders § 55 Rn 9; M/R/Altenhain § 283 Rn 12; W/J/Beck 6/94; MAH/Leipold § 19 Rn 48; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 79; M/G/Rinjes 8/35; Hiltenkamp-Wisgalle, S 221; Ransiek, S 154 f; Plathner, S 192; Höfner, S 107 ff; Harneit, S 11; Groth, S 28; Reichelt, S 80; Regner, S 96; Brackmann, S 98 f; LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 151; ders Schröder-GS, S 289, 296; Richter GmbHR 1984, 137, 139; Degener Rudolphi-FS, S 405, 408 f; Püschel Rissing-van Saan-FS, S 471, 481; Höß/Buhr

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besteht, einen eigenen Überschuldungsstatus zu erstellen.330 Welche Positionen in den Überschuldungsstatus gehören und wie die einzelnen Positionen zu bewerten sind, ist unter § 7 Rn 36 ff dargestellt;331 hierauf sei verwiesen. Abweichend vom insolvenzrechtlichen Procedere, das die anzusetzenden Liquidationswerte nach der Zeit bemisst, die zur Verfügung steht, um das Unternehmen abzuwickeln332 und deshalb im jeweiligen Einzelfall eine Wertspanne offeriert, die von Veräußerungswerten333 bis hin zu Zerschlagungswerten reicht,334 gebietet es im Insolvenzstrafrecht der Grds in dubio pro reo bei Nichterweisbarkeit der ungünstigeren Bewertungsoption, rechnerische Überschuldung erst dann zu bejahen, falls die Passiva die Preise, die sich bei einer Veräußerung des gesamten Unternehmens erzielen lassen, überwiegen.335 Allenfalls bei sicherem Ausschluss

_____ wistra 2007, 247, 248; A Fromm ZInsO 2004, 943 f; Wimmer NJW 1996, 2546, 2547; Hartung NJW 1995, 1186, 1188; Franzheim NJW 1980, 2500, 2501; Hoffmann MDR 1979, 93, 95; Berz BB 1976, 1435, 1440; Uhlenbruck BB 1985, 1277, 1280; Hirsch A. Hueck-FS, S 307, 308; Kerz DStR 2012, 204, 207; aA aber Stypmann wistra 1985, 89, 93 f; ferner wohl Reck ZInsO 1999, 195, 201 sowie ders GmbHR 1999, 267, 273 f, der bei positiver Fortführungsprognose ein Primat der Buchwerte befürwortet; ähnl scheinbar Bieneck StV 1999, 43, 44, der grds die Handelsbilanzwerte dem Überschuldungsstatut im Falle einer positiven Fortführungsprognose zugrunde legen möchte; ferner Höffner BB 1999, 252, 254: konsolidierte Handelsbilanz; zu Recht skept Bittmann wistra 1999, 10, 11. 330 BGHZ 146, 264, 268 = GmbHR 2001, 190, 191; BGH(Z) NZI 2013, 438, 440; BGH NStZ-RR 2015, 341, 342 = ZWH 2015, 388, 391; BGH NJW 2003, 546, 547 = wistra 2003, 232; BGHR StGB § 283 Abs 1, Überschuldung 1; OLG Düsseldorf wistra 1998, 360 = StV 1999, 28, 29 = DB 1998, 1856 = BB 1999, 149, 150; MK/ Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 69; SK/Hoyer § 283 Rn 14; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 51a; M-G/Richter § 79 Rn 32; W/J/Beck 6/97; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 55; B/Quedenfeld/Richter 5/119; MAH/Leipold § 19 Rn 49; M/G/Rinjes 8/35; Pape/Uhländer/Hofmann § 283 Bankrott Rn 6; HeiK-InsO/Rüntz § 19 Rn 12; Schlüchter, S 67; Höfner, S 115 f; Hiltenkamp-Wisgalle, S 241; Habetha, S 22, 84; Groth, S 27; Erdmann, S 157; Reichelt, S 80; LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 151; ders Schröder-GS, S 289, 291; Otto Bruns-GS, S 265, 269; Berz BB 1976, 1435, 1440; Richter GmbHR 1984, 137, 139; Matzen Samson-FS, S 401, 416; Püschel Rissingvan Saan-FS, S 471, 482; Ogiermann/Weber wistra 2011, 206, 210; Beck/Samm/Kokemoor/Wegner § 55 Rn 14; ders HRRS 2009, 32, 34; A Fromm ZInsO 2004, 943 f. 331 Eine anschaul Auflistung, welche Positionen auf der Aktiv- und der Passivseite in den Überschuldungsstatus gehören, findet sich auch bei W/J/Beck 6/98 f; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 29 ff; s des Weiteren M-G/Richter § 79 Rn 37 ff. 332 Zur Bedeutung des Veräußerungszeitpunktes und der Auflösungsgeschwindigkeit/-intensität für die Bewertung der schuldnerischen Vermögensgegenstände s schon Schlüchter wistra 1984, 41, 42; ferner Stracke, S 25, 133; Erdmann, S 158. 333 Der Ansatz von Veräußerungswerten hat etwa zur Konsequenz, dass auch ein Geschäftswert aktiviert werden kann; dazu nur A Fromm ZInsO 2004, 943, 949; s ferner B/Quedenfeld/Richter 5/124; HiltenkampWisgalle, S 224; Otto Bruns-GS, S 265, 270; vgl auch, freilich zum überkommenen nicht modifizierten Überschuldungsbegriff Bittmann wistra 1999, 10, 13, der einen Firmenwert bei positiver Fortführungsprognose allerdings nur dann aktivieren will, wenn ein das schuldnerische Unternehmen umfassendes Erwerbsangebot vorliegt, aus dem die Bereitschaft des präsumtiven Erwerbers hervorgeht, auch für den Firmenwert einen bestimmten Preis bezahlen zu wollen. 334 LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 156; AnwK/Püschel Vor § 283–283d Rn 18; M-G/Richter § 79 Rn 49; B/Quedenfeld/Richter 5/121; M/G/Rinjes 8/38; Ransiek, S 155; Kruse, S 57 f; Ressmann, S 200 f; Brackmann, S 113; Höfner, S 136, 144 f; Harneit, S 27 f; Stracke, S 109; Röhm, S 190 f; Penzlin, S 84; ders NZG 2000, 464, 465; Ulmer KTS 1981, 469, 478 ff; Degener Rudolphi-FS, S 405, 420; Bittmann wistra 1999, 10, 11; Burger/ Schellberg BB 1995, 261, 266; A Fromm ZInsO 2004, 943, 947 m Fn 50; Bisson GmbHR 2005, 843, 851; Büttner ZInsO 2009, 841, 842 m Fn 14; Wolf ZWH 2014, 94, 97. 335 Richtig LK/Tiedemann Vor §§ 283 Rn 156; B/Quedenfeld/Richter 5/121; ähnl Stracke, S 459; Ressmann, S 262 f; AnwK/Püschel Vor § 283–283d Rn 18; ders Rissing-van Saan-FS, S 471, 483; MAH/Leipold § 19 Rn 56; Bittmann wistra 1999, 10, 11 mit Blick auf die ansonsten drohenden erheblichen Nachweisschwierigkeiten va im Bereich des subjektiven Tatbestandes; aA aber Hiltenkamp-Wisgalle, S 237 f; weitergehend, allerdings hinsichtl der Ermittlung der bei positiver Fortbestehensprognose erforderlichen Fortführungswerte (auf dem Boden der modifiziert zweistufigen Überschuldungsprüfung wie sie heute wieder gilt, ist diese Rechenoperation hingegen nicht mehr nötig; dazu su Rn 43) OLG Düsseldorf wistra 1998, 360 = StV 1999,

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der Möglichkeit, das Unternehmen als Ganzes zu veräußern, geht es an, jeden einzelnen Vermögensgegenstand und Schuldposten separat zu bewerten.336 Dabei hat das Tatgericht den einzelnen Vermögensgegenständen den Wert zugrunde zu legen, der diesen im Tatzeitpunkt anhaftete. Keinesfalls darf es die schuldnerischen Vermögensgegenstände anhand des (meist niedrigeren) Veräußerungserlöses bewerten, den sie in einem Jahre später durchgeführten Insolvenzverfahren erzielten.337 Erhebliche Erleichterungen bringt der Rückgriff auf den modifiziert zweistufi- 43 gen Überschuldungsbegriff, als nunmehr die Anstrengungen entfallen, die entstanden, sobald man bei positivem Ausgang der Fortführungsprognose den schuldnerischen Aktivenbestand mithilfe von Fortführungswerten berechnen musste338 und die es nach teilweise vertretener Ansicht rechtfertigten, über einen nicht modifiziert zweistufig gebildeten Überschuldungsbegriff das Verdikt der Verfassungswidrigkeit zu fällen.339 Da dem modifiziert zweistufigen Überschuldungsbegriff zufolge die positive Fortbestehensprognose eine Überschuldung immer ausschließt, sind die schwierigen Rechenoperationen, zu denen der nicht modifizierte zweistufige Überschuldungsbegriff bei positiver Fortbestehensprognose zwang und bzgl derer schon theoretisch alles andere als Einigkeit

_____ 28, 29 = DB 1998, 1856 = BB 1999, 149, 150; MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 65, 74; LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 158; ders Schröder-GS, S 289, 297, 299; ders JuS 1989, 689, 696; A/R3/Wegner Kap 7/1 Rn 28; M/R/Altenhain § 283 Rn 13; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 80; W/J/Beck 6/102; MAH/Leipold § 19 Rn 56; K/P/B/Preuß § 15a Rn 74; Pape/Uhländer/Hofmann § 283 Bankrott Rn 8; Schlüchter, S 127 f; dies wistra 1984, 41, 43, Reichelt, S 82; Haffke KritV 1991, 165, 173 f; Schüppen DB 1994, 197, 203; Büttner ZInsO 2009, 841, 857, denen zufolge alle anerkannten Bewertungsmethoden (nach Tiedemann aaO, S 299 auch Außenseitermeinungen; insoweit abl Schlüchter, S 127 Bottke JA 1980, 93, 97) zur Bejahung von Überschuldung gelangen müssen, damit man dieses Ergebnis iRd §§ 283 ff StGB berücksichtigen kann (abl Ransiek, S 153 f; Hiltenkamp-Wisgalle, S 235; krit gegenüber dieser Ansicht ferner Höffner BB 1999, 252, 253; ihm zust Penzlin, S 98, 109, 157; Röhm, S 165; sa Ulmer KTS 1981, 469, 471, dem zufolge in Fällen, in denen alle Bewertungsmethoden zum Ergebnis „Überschuldung“ gelangen, regelmäßig zugleich Zahlungsunfähigkeit vorliegt; noch weitergehend Brackmann, S 168, 170, die diesen Ansatz anscheinend auch iRd modifiziert zweistufigen Überschuldungsbegriffs anwenden will); ebenso, nur negativ formuliert Otto Bruns-GS, S 265, 271; ähnl Stypmann wistra 1985, 89, 92, der in analoger Anwendung des in-dubio-Grds grds von Fortführungswerten ausgehen will; äußerst skept gegenüber diesen Folgerungen aus dem in-dubio-Grds aber Degener Rudolphi-FS, S 405, 421; Franzheim NJW 1980, 2500, 2503; zur theoretischen Basis des Ansatzes vom „Mindestgemeinsamen“ s schließlich Küchenhoff NJW 1959, 1254 ff. 336 AnwK/Püschel Vor § 283–283d Rn 18; ders Rissing-van Saan-FS, S 471, 483; vgl ferner LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 154 sowie dens Schröder-GS, S 289, 302, der bei der Bewertung jedes einzelnen Vermögensgegenstandes in dubio die für den Täter günstigste Methode heranziehen will; s des Weiteren Schlüchter wistra 1984, 41, 43, die auch hier ihre Differenzierung zwischen an sich rechtmäßigen und per se rechtswidrigen Bankrotthandlungen fruchtbar macht und im Falle der Vornahme einer an sich rechtmäßigen Bankrotthandlung das Schuldnervermögen nach Fortführungs-, hingegen im Falle einer per se rechtswidrigen Bankrotthandlung nach Zerschlagungswerten bewerten will (hiergegen dezidiert Stypmann wistra 1985, 89, 91); weniger großzügig M-G/Richter § 79 Rn 49; Röhm, S 191, die grds von Zerschlagungswerten und nur in Ausnahmefällen von Veräußerungswerten ausgehen wollen. 337 BGH wistra 2003, 301 f. 338 So etwa MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 70; Büttner ZInsO 2009, 841, 844 m Fn 54; sa schon Ulmer KTS 1981, 469, 478; Schüppen DB 1994, 197, 200; aA wohl M-G/B5/Bieneck § 76 Rn 38 wegen der notwendigen Fortführungsprognose. Dabei bleibt aber unberücksichtigt, dass beide Überschuldungsbegriffe eine Fortführungsprognose erfordern, der nicht modifiziert zweistufige Überschuldungsbegriff jedoch zusätzlich voraussetzt, die Fortführungswerte zu ermitteln, sofern die Prognose positiv ausfällt (zu diesem Einwand s schon Ransiek, S 157). 339 Höfner, S 237 ff, va S 251 ff, 270 f; Penzlin, S 158; skept gegenüber der Bestimmtheit auch des modifiziert zweistufigen Überschuldungsbegriffs A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 63; gegen die Annahme von Verfassungswidrigkeit Groth, S 126, der dem modifiziert zweistufigen Überschuldungsbegriff anhängt.

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herrschte340 – die vorgeschlagenen Modelle reichten von Substanzwertverfahren unter einem Teil- bzw Vollreproduktionsansatz über zahlreiche Gesamtbewertungsansätze, die in den Spielarten des Ertagswertverfahrens341 und der Discounted-Cashflow-Methoden vorkamen,342 bis hin zu Kombinationsansätzen,343 die versuchten Substanzwert- und Gesamtbewertungsverfahren miteinander zu verknüpfen344 – heute entbehrlich.

c) Behandlung von Altfällen 44 Beschäftigen Sachverhaltsgestaltungen, die vor dem 18.10.2008 und damit zu einer Zeit

spielen, als noch der nicht modifizierte zweistufige Überschuldungsbegriff galt, die Strafverfolgungsbehörden, steht die Frage im Raum, ob es § 2 Abs 3 StGB gebietet, diese Fälle entsprechend dem modifiziert zweistufigen Überschuldungsbegriff zu behandeln. Denn auf dem Boden des modifiziert zweistufigen Überschuldungsbegriffs tritt rechtliche Überschuldung seltener ein, weil die Existenz einer positiven Fortführungsprognose Überschuldung immer ausschließt und nicht lediglich – wie der nicht modifizierte zweistufige Überschuldungsbegriff – die Bewertung der Aktiva nach Fortführungswerten gestattet345.346 Damit statuiert § 19 Abs 2 S 1 InsO nF in den Worten des § 2 Abs 3 StGB das gegenüber § 19 Abs 2 S 1 InsO aF mildere Gesetz.347 Dh aber nicht, dass § 2 Abs 3 StGB die Anwendung des modifiziert zweistufigen Überschuldungsbegriffs für Altfälle ohne Weiteres erzwänge. Zwei Hürden muss vielmehr nehmen, wer Altfälle gem dem § 19 Abs 2 S 1 InsO nF behandeln will. Zunächst ist fraglich, ob § 19 InsO ein Gesetz iSd § 2 Abs 3 StGB darstellt. Unstreitig unterfallen dem Gesetzesbegriff des § 2 Abs 3 StGB alle Strafgesetze sowie solche Gesetze, die einen Blankettstraftatbestand ausfüllen.348 Beides trifft auf § 19 InsO ersichtlich nicht zu.349 Allerdings soll ganz hM zufolge § 2 Abs 3 StGB auch solche Gesetzesänderungen erfassen, die außerstrafrechtliche Vorschriften betreffen, zu denen sich die Merkmale eines Straftatbestandes strikt akzessorisch verhalten.350 Da die Krisenmerkmale der §§ 283 ff StGB richtigerweise akzessorisch an die Legaldefini-

_____ 340 Nach dem profunden Urteil von Stracke, S 275 ist „die Bilanzerstellung unter der Fortführungsprämisse […] heillos umstritten“. 341 Dafür etwa M-G/Richter § 79 Rn 45 ff; Röhm, S 187 ff; vgl ferner Harneit, S 38, der sich freilich iE zugunsten des modifiziert zweistufigen Ansatzes ausspricht (aaO, S 108 f, 112 und passim). 342 Sehr skept gegenüber der Möglichkeit, mithilfe von Substanz- bzw Ertragswertverfahren die Überschuldung zu ermitteln, Penzlin, S 86 f, 132. 343 Zu diesen Ansätzen und zur Kritik hieran Stracke, S 165 ff, 256. 344 Ausf zu diesen Methoden Stracke, S 131 ff, 243 ff, 449 ff; Brackmann, S 115 ff; Höfner, S 204 ff; Erdmann, S 162 ff; Harneit, S 29 ff; Groth, S 103 ff. 345 Dazu siehe o Rn 40 und ausf § 7 Rn 26 f. 346 Zum Ganzen auch Schmitz wistra 2009, 369, 370 f. 347 LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 161b; Scholz/Tiedemann/Rönnau Vor §§ 82 ff Rn 48; HeiK-InsO/Ransiek § 15a Rn 48; Pape/Uhländer/Hofmann § 283 Bankrott Rn 7; AnwK/Püschel Vor § 283–283d Rn 19; ders Rissing-van Saan-FS, S 471, 480; Schmitz wistra 2009, 369, 371; Fromm/Giertmühlen NZI 2009, 665, 666; Bach StraFo 2009, 368, 370; vgl auch Stracke, S 276; nur iE zust K Schmidt/K Schmidt § 19 Rn 57, der § 19 Abs 2 InsO nF nicht als Ausdruck laxerer Rechtspolitik, sondern als Resultat besserer Erkenntnis begreift und deshalb Zweifel an der Einschätzung hegt, § 19 Abs 2 InsO nF normiere das „mildere Gesetz“. 348 LK/Dannecker § 2 Rn 62, 77; MK/Schmitz § 2 Rn 26 ff, 34 ff; ders wistra 2009, 369, 371; T Walter Tiedemann-FS, S 969, 983; Bach StraFo 2009, 368, 370. 349 Dazu, dass § 283 StGB bzgl des Merkmals „Überschuldung“ kein Blankett normiert, s nur Schmitz wistra 2009, 369, 371; vgl aber auch Röhm, S 62, der die §§ 283 ff StGB insoweit als blankettartige Tatbestände bezeichnet und deshalb ebenfalls grds § 2 Abs 3 StGB anwendet. 350 MK/Schmitz § 2 Rn 39; ders wistra 2009, 369, 372; wohl auch LK/Dannecker § 2 Rn 87.

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§ 12 Bankrott, §§ 283, 283a StGB u. Verletz. d. Buchführungspflicht, § 283b StGB | 629

tionen der §§ 17 ff InsO anknüpfen und der revidierte § 19 Abs 2 S 1 InsO die Identität des § 283 StGB vor und nach der Änderung unangetastet lässt,351 ist der Anwendungsbereich des § 2 Abs 3 StGB eröffnet.352 Hat man diese Hürde erfolgreich überwunden, bereitet § 2 Abs 4 StGB das zweite, dogmatisch anspruchsvollere Hindernis. Mit Blick auf die ursprünglich vorgesehene befristete Geltungsdauer des modifiziert zweistufigen Überschuldungsbegriffs bis zum 31.12.2013, vertreten einige Autoren die Ansicht, § 19 Abs 2 S 1 InsO nF sei ein Zeitgesetz iSd § 2 Abs 4 S 1 StGB und folgern daraus, dass § 2 Abs 3 StGB deshalb keine Anwendung finde.353 Zwar dürfte es zutreffen, den § 19 Abs 2 S 1 InsO nF als ein Zeitgesetz zu qualifizieren354 – Zweifel könnten jedoch schon daran aufkommen, bedenkt man die zwischenzeitlich erfolgte Entfristung – keinesfalls überzeugt es aber, hieraus den Schluss zu ziehen, § 2 Abs 3 StGB sei unanwendbar. Richtigerweise trifft nämlich § 2 Abs 4 S 1 StGB zu der Frage, ob ein günstigeres Zeitgesetz auch Altfälle erfasst, mithin also § 2 Abs 3 StGB gilt, überhaupt keine Aussage, sondern beschränkt sich darauf, solche Konstellationen zu regeln, die sich ereigneten, als das Zeitgesetz noch galt, hingegen zur Aburteilung anstehen, nachdem das Zeitgesetz außer Kraft getreten ist.355 Ob § 19 Abs 2 S 1 InsO nF via § 2 Abs 3 StGB retrospektiv wirkt, hat folglich mit seinem Zeitgesetzcharakter nichts zu tun. Resümierend: Gem § 2 Abs 3 StGB unterliegen die Altfälle dem modifiziert zweistufigen Überschuldungsbegriff des § 19 Abs 2 S 1 InsO nF.356

_____ 351 Allg zu dieser Voraussetzung der „Kontinuität des Unrechtstyps“ MK/Schmitz § 2 Rn 28 ff, der darauf hinweist, dass die vom Täter verletzte Verbotsnorm mit der neuen identisch bleibt, wenn der Bereich des Strafbaren lediglich beschränkt wird (aaO Rn 33); speziell bzgl § 19 Abs 2 S 1 InsO nF wie hier Fromm/ Giertmühlen NZI 2009, 665, 666 f. 352 Anders gälte, wenn man mit Franzheim NJW 1980, 2500, 2502 (dagegen überzeugend schon die Erwiderung von Haack NJW 1981, 1353) sowie dems wistra 1984, 212, 213 (zust etwa Hiltenkamp-Wisgalle, S 233; Kruse, S 61) die Ansicht vertritt, die Überschuldung markiere kein normatives, sondern ein deskriptives Tatbestandsmerkmal (ebenso, allerdings bzgl der drohenden Zahlungsunfähigkeit Bretzke, S 29); aA B/Quedenfeld/Richter 5/143; M-G/Richter § 79 Rn 52; Schlüchter wistra 1984, 41, 42; ferner Tiedemann Schröder-GS, S 289, 291, der von einem vorwiegend normativ gefärbten Tatbestandsmerkmal spricht; ähnl Harneit, S 78; aA wiederum MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 68, die nur eine eingeschränkte Akzessorietät der §§ 283 ff StGB zu den insolvenzrechtlichen Krisentatbeständen anerkennen und denen zufolge deshalb bereits der Anwendungsbereich des § 2 Abs 3 StGB nicht eröffnet ist. 353 D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 60 f; SK/Hoyer § 283 Rn 11a; S/S/W/Bosch Vorbem §§ 283 ff Rn 10; Reichelt, S 84; Fromm/Giertmühlen NZI 2009, 665, 668; wohl auch LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 161b; Popp JURA 2012, 618, 624 m Fn 35; sa G/E/S/Boetticher Vor §§ 82 ff Rn 21, 23, der § 2 Abs 3 StGB anwendet, obschon er § 19 InsO als Zeitgesetz iSv § 2 Abs 4 klassifiziert. 354 So MK/Schmitz § 2 Rn 52; ders wistra 2009, 369, 372; Scholz/Tiedemann/Rönnau Vor §§ 82 ff Rn 48; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 60; S/S/W/Bosch Vorbem §§ 283 ff Rn 10; M/G/Rinjes 8/44; Eidam/ Weyand 7/921; Weyand/Diversy Rn 36; Niu, S 55; Fromm/Giertmühlen NZI 2009, 665, 667 f; aA aber S/S/ Heine/Schuster § 283 Rn 51; Adick HRRS 2009, 155, 157 mit dem Argument, maßgebend sei nicht die befristete Geltung des § 19 InsO, sondern die der gesamten InsO; skept gegenüber der Einstufung als Zeitgesetz auch K Schmidt/K Schmidt § 19 Rn 57. 355 Schmitz wistra 2009, 369, 372; zust AnwK/Püschel1 Vor § 283–283d Rn 19. 356 Zutr deshalb BGH wistra 2010, 219, 220; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 51; Scholz/Tiedemann/ Rönnau Vor §§ 82 ff Rn 48; MK/Hohmann § 15a InsO Rn 48; MK-GmbHG/Wißmann § 84 Rn 42; A/R3/Wegner Kap 7/1 Rn 65; S/G/ders Rn 684; ders HRRS 2009, 32, 34; ders wistra 2010, 438, 439; M/G/Rinjes 8/44; HeiK-InsO/Ransiek § 15a Rn 48; Pape/Uhländer/Hofmann § 283 Bankrott Rn 7; Ressmann, S 269 f; Schmitz wistra 2009, 369, 372 f; AnwK/Püschel Vor §§ 283–283d Rn 19; ders Rissing-van Saan-FS, S 471, 480; Adick HRRS 2009, 155, 157 f; Büttner ZInsO 2009, 841, 850 f; iE auch K Schmidt/K Schmidt § 19 Rn 57; ebenso Bittmann wistra 2009, 138, 140, der allerdings auf Gerechtigkeitserwägungen rekurriert, weil er § 2 Abs 3 StGB – ohne Begründung – nicht für anwendbar hält; aA Weyand/Diversy Rn 37 mit Blick auf Art 103d EGInsO.

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630 | 3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften

3. Zahlungsunfähigkeit – Einführendes 45 Gem § 17 Abs 2 S 1 InsO befindet sich der Schuldner im Zustand der Zahlungsunfähigkeit,

sobald er die fälligen Zahlungsverpflichtungen357 nicht mehr erfüllen kann,358 was umgekehrt bedeutet, der Schuldner ist zahlungsfähig, solange er seine Gläubiger – sei es auch mithilfe darlehensweise überlassenen Mitteln – zu bedienen vermag. 359 Bloße Zahlungsunwilligkeit genügt deshalb nicht.360 Gegenüber dem herkömmlichen, konkursrechtlichen Verständnis erweitert die Legaldefinition des § 17 Abs 2 S 1 InsO die Reichweite der Zahlungsunfähigkeit gleich in dreifacher Hinsicht: Während unter dem Regime der KO als zahlungsunfähig erst galt, wer dauerhaft außer Stande war, seine ernsthaft eingeforderten Verbindlichkeiten im Wesentlichen zu erfüllen,361 verzichtet die InsO auf die Einschränkungen der Dauerhaftigkeit sowie der Wesentlichkeit und berücksichtigt sämtliche fälligen Forderungen,362 nicht nur die ernsthaft eingeforderten363 (zur hier-

_____ 357 Freilich genügt es, wenn der Schuldner nur einen einzigen Gläubiger hat, den er nicht befriedigen kann. Das Merkmal der Zahlungsunfähigkeit erfordert richtigerweise nicht das Vorhandensein einer Mehrzahl von Gläubigern; grdl dazu RGSt 41, 309, 313 ff. 358 Sa schon RGSt 3, 190, 195; RGSt 41, 309, 314; RG LR 1913, 699, 700, das unter Zahlungsunfähigkeit das Unvermögen des Schuldners versteht, die bereiten Mittel zur Zahlung seiner Schulden herbeizuschaffen. 359 Grdl RGSt 3, 190, 195. 360 BGH (Z) WM 1957, 67, 68; K Schmidt/K Schmidt § 17 Rn 16; HeiK-InsO/Rüntz § 17 Rn 12; Graf-Schlicker/Bremen § 17 Rn 11; G/E/S/Gehrlein Vor § 64 Rn 8; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 52; W/J/Beck 6/76; Scholz/Tiedemann/Rönnau Vor §§ 82 ff Rn 43; Habetha, S 10; Kribs-Drees, S 127; Röhm, S 97 ff; Pfeiffer Rowedder-FS, S 347, 358; Burger/Schellberg BB 1995, 261, 262; Sundermeier/C Gruber DStR 2000, 929, 935; Bisson GmbHR 2005, 843, 844; diff Hartung wistra 1997, 1, 8 f, der Zahlungsunfähigkeit dann annehmen will, wenn sich der Schuldner bspw weigert, eine vorhandene Kreditlinie auszuschöpfen. 361 Dazu nur BGH wistra 2007, 308 = NStZ 2008, 415 (trotz des Rekurses auf § 17 Abs 2 S 1 InsO); BGH NJW 2001, 1874, 1875; BGH wistra 1991, 26 = MDR 1990, 1067; BGH NJW 1982, 1952, 1954 = wistra 1982, 189, 191; BGH (Z) WM 1959, 470, 471; BGH (Z) WM 1957, 67, 68; BayObLG GmbHR 1997, 453, 454; BayObLG wistra 1988, 363 = BB 1988, 1840; OLG Düsseldorf NJW 1988, 3166, 3167; OLG Düsseldorf wistra 1998, 360 = StV 1999, 28, 29 = DB 1998, 1856 = BB 1999, 149, 150; OLG Stuttgart NStZ 1987, 460 = Justiz 1988, 30,31; KG wistra 2002, 313, 316; OLG Frankfurt aM (Z) KTS 1973, 140; ähnl schon RGZ 50, 39, 41; RG JW 1935, 128; RG JW 1934, 841, 842; RG LR 1926, 492; enger aber der österreichische OGH ÖJZ 1969, 498, 499; aus dem Schrifttum s Schlüchter, S 71; Ransiek, S 152 f; Kribs-Drees, S 66; Höfner, S 91; Grosche, S 40; Bretzke, S 57 f, 79; Hiltenkamp-Wisgalle, S 276; Harneit, S 41 m Fn 188; Groth, S 26; Skrotzki, S 1; Otto Bruns-GS, S 265, 276; ders JURA 1989, 24, 33; Pfeiffer Rowedder-FS, S 347, 358; Göhler/Wilts DB 1976, 1657, 1659 f; Hoffmann MDR 1979, 713; ders DB 1980, 1527; Pribilla KTS 1958, 1; Papke DB 1969, 735; Wersdörfer BB 1952, 679; Franzheim NJW 1980, 2500, 2503; Hartung wistra 1997, 1, 2; Krause NStZ 1999, 161, 163; Doster wistra 1998, 326, 328; Berz BB 1976, 1435, 1440; für Beibehaltung im Insolvenzstrafrecht aber AnwK/Püschel Vor § 283–283d Rn 20; wohl auch Achenbach Schlüchter-GS, S 257, 271. 362 Lässt sich im Strafprozess nicht aufklären, ob der Gläubiger seine Forderung gestundet hat, darf diese Forderung im „Zahlungsunfähigkeitspanorama“ nicht berücksichtigt werden; zutr Erdmann, S 121; dazu, dass die Fälligkeit der Forderung genügt, um sie in den Zahlungsstatus einzustellen, s AG Nürnberg ZInsO 2012, 339, 341: Veruntreute Mandantengelder. 363 Zur Beschränkung auf die ernsthaft eingeforderten Forderungen unter dem Regime der KO s BGH, Urt v 17.3.1987, 5 StR 272/86 Rn 7 (juris; insoweit in NStZ 1987, 279 nicht abgedr); BayObLG wistra 1988, 363; Hiltenkamp-Wisgalle, S 277; skept schon damals Matzen, S 49 f; dazu, an dieser Beschränkung unter dem Regime der InsO nicht mehr festhalten zu wollen, s BGH NJW 2001, 1874, 1875; Fischer Vor § 283 Rn 9; M/R/Altenhain § 283 Rn 8; S/S/W/Bosch Vorbem §§ 283 ff Rn 11; Bieneck StV 1999, 43, 44; HeiK-InsO/Rüntz § 17 Rn 9; B/Quedenfeld/Richter 5/105; Erdmann, S 123; Röhm, S 107; Ogiermann/Weber wistra 2011, 206, 210; Matzen Samson-FS, S 401, 409; Bork KTS 2005, 1, 4 f; Bisson GmbHR 2005, 843, 844; Bittmann wistra 1998, 321, 322; MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 83, die aber am Fehlen von Vollstreckungsmaßnahmen uU die Annahme stillschweigender Stundungen festmachen wollen; ähnl schon SK/Hoyer § 283 Rn 18; für ein Festhalten am Kriterium des ernsthaften Einforderns aber A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 76; Habetha,

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§ 12 Bankrott, §§ 283, 283a StGB u. Verletz. d. Buchführungspflicht, § 283b StGB | 631

von abw neueren Judikatur des IX. Zivilsenats, der die Figur der „tatsächlich gestundeten Forderungen“ einführt, s die zu Recht krit Ausführungen unter § 7 Rn 10364) iRd „Zahlungsunfähigkeitspanoramas“.365 Gleichwohl verband der Gesetzgeber mit der Abkehr von den Kriterien der Dauerhaftigkeit und Wesentlichkeit nicht die Absicht, bereits jede Zahlungsstockung bzw ganz geringfügige Liquiditätslücken der neugeschaffenen Legaldefinition des § 17 Abs 2 S 1 InsO zu subsumieren.366 Wie dieser Vorbehalt und die erwähnten Neuerungen am insolvenzrechtlichen Zahlungsunfähigkeitsbegriff zusammenpassen, bildet den Gegenstand zahlreicher insolvenz- sowie insolvenzstrafrechtlicher Erörterungen.

a) „Passivseite“ des „Zahlungsunfähigkeitspanoramas“ Zwar erweckt § 17 Abs 2 S 1 InsO den Eindruck, die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners 46 lasse sich grds ohne Schwierigkeiten feststellen; jedoch trügt dieser erste Schein367.368 Schon die Frage, welche Verbindlichkeiten in das „Zahlungsunfähigkeitspanorama“ gehören – Konsens besteht nur insoweit, als Sach- und Dienstleistungsverpflichtungen erst erfasst werden, wenn sie in Schadensersatzforderungen umgeschlagen sind369 –, ist ungeklärt. Probleme bereiten va einrede-/einwendungsbehaftete bzw bestrittene Forderungen. Während einer Ansicht zufolge sich der Forderungenbestand, anhand dessen die Zahlungsunfähigkeit ermittelt wird, um die vom Schuldner substantiiert bestrittenen Verbindlichkeiten reduziert,370 ist nach anderer Ansicht dem Schuldner aufzugeben, das objektive Prozessverlustrisiko iRd Überschuldungsstatuts anzusetzen.371 Letzteres überzeugt schon deshalb nicht, weil das objektive Prozessverlustrisiko kaum realistisch prognostizierbar sein dürfte.372 Doch auch die Ansicht, die es dem

_____ S 76 f; Püschel Rissing-van Saan-FS, S 471, 485; zu den Schwierigkeiten, die Fälligkeit der Verbindlichkeiten zu ermitteln, s Burger/Schellberg BB 1995, 261, 263. 364 Zu Zurückhaltung bei der Annahme stillschweigender Stundungen mahnt auch LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 128; s ferner auch K Schmidt/K Schmidt § 17 Rn 12 f; positiv bewertet die stillschweigenden Stundungen Scholz/Tiedemann/Rönnau Vor §§ 82 ff Rn 43; ferner Ressmann, S 162 f. 365 Dezidiert abl steht dieser Legaldefinition Penzlin, S 129 und passim gegenüber, der die Hoffnung ausspricht, der BGH werde zu den Kriterien der Dauerhaftigkeit und Wesentlichkeit zurückkehren. 366 S nur BT-Drucks 12/2443, S 114. 367 Sa § 7 Rn 4. 368 Bork KTS 2005, 1. 369 LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 127; K Schmidt/K Schmidt § 17 Rn 7; Graf-Schlicker/Bremen § 17 Rn 5; HeiK-InsO/Rüntz § 17 Rn 5; Matzen, S 45 f; Erdmann, S 120; Röhm, S 105. 370 Für substantiiertes Bestreiten auch Höß/Buhr wistra 2007, 247, 249; Brete/Thomsen GmbHR 2008, 912, 916 f; ähnl Graf-Schlicker/Bremen § 19 Rn 31: Nichtberücksichtigung bei vernachlässigbarem Prozessrisiko; Weyand/Diversy Rn 49; noch weitergehend, allerdings im Überschuldungskontext Brackmann, S 103 f: keine Berücksichtigung streitiger Ansprüche; für Berücksichtigung, sobald mit endgültiger Fälligkeit zu rechnen ist, A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 79; skept scheinbar Hartung wistra 1997, 1, 5; aus insolvenzverfahrensrechtlichter Sicht s OLG Hamm Rpfleger 1970, 348, dem zufolge die vom Schuldner aussichtsreich bestrittene Forderung nicht Grundlage für die Annahme von Zahlungsunfähigkeit sein kann, sondern zunächst vor den ordentlichen Gerichten erfolgreich eingeklagt werden muss; zust OLG Frankfurt aM KTS 1973, 140, 141; vgl des Weiteren BGH NJW 2003, 1821, 1823 = BGHR StGB § 283 Abs 1, Überschuldung 3, wonach abstrakt bestehende Schadensersatzforderungen gegen den Schuldner nur in das Überschuldungs-/Zahlungsunfähigkeitspanorama aufgenommen werden müssen, wenn mit ihrer Geltendmachung ernsthaft gerechnet werden muss; aA aber K Schmidt/K Schmidt § 17 Rn 8: objektives Bestehen der Forderungen ist maßgeblich. 371 So wohl B/Quedenfeld/Richter 5/128; Graf-Schlicker/Bremen § 17 Rn 5; HeiK-InsO/Rüntz § 17 Rn 6; ähnl auch Braun/Bußhardt § 19 Rn 28. 372 So zu Recht Höß/Buhr wistra 2007, 247, 248.

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632 | 3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften

Schuldner gestattet, substantiiert bestrittene Verbindlichkeiten unberücksichtigt zu lassen, führt richtigerweise nicht weiter. Denn das Bestehen oder Nichtbestehen der bestrittenen Verbindlichkeit hat nichts mit einer Prognose gemein. Dh: Spricht ein Gericht die vom Schuldner oder seinem Organwalter bestrittene Forderung dem Gläubiger rechtskräftig zu, bestand diese Forderung von Anfang an und nahm mit ihrer Fälligkeit Einfluss auf die Zahlungsfähigkeit bzw Überschuldung des Schuldners.373 Sub specie § 283 StGB straflos geht der Schuldner, der eine ordnungsgemäßem Wirtschaften widersprechende Bankrotthandlung vornahm und glaubte, wegen der bestrittenen Verbindlichkeit sei er noch zahlungsfähig bzw nicht überschuldet, also nur aus, wenn er berechtigterweise die Forderung nicht berücksichtigte. Angesichts des wirtschaftswidrigen Verhaltens dürfte es daran aber regelmäßig fehlen, so dass dem Schuldner bzw seinem Organwalter zumindest Fahrlässigkeit (vgl § 283 Abs 4 Nr 1 StGB) zur Last fällt.374 – Gesellschafterdarlehen rechnen hingegen zum Kreis der Verbindlichkeiten,375 es sei denn, der darleihende Gesellschafter hat einen Rangrücktritt erklärt.376

b) „Aktivseite“ des „Zahlungsunfähigkeitspanoramas“ 47 Ausgehend von der Legaldefinition des § 17 Abs 2 S 1 InsO, wonach zahlungsunfähig ist,

wer seine fälligen Verbindlichkeiten nicht mehr erfüllen kann, erhebt sich des Weiteren die Frage, welche schuldnerischen Vermögensgegenstände zu den fälligen Verbindlichkeiten ins Verhältnis zu setzen sind. Da das Gesetz unter Zahlungsunfähigkeit Geldilliquidität versteht,377, 378 geht es konkret darum, ob nur flüssige Mittel wie Bargeld, Kontoguthaben, handelbare (kapitalmarktfähige) Wertpapiere etc379 sowie offene bzw sofort abrufbare Kreditlinien und durchsetzbare, werthaltige Forderungen380, 381 oder auch solche Vermögensgegenstände des Anlage- und Umlaufvermögens berücksichtigungsfähig sind, die der Schuldner etwa durch Veräußerung innerhalb kurzer Zeit verflüssigen kann.382 Der von §§ 283 ff StGB verfolgte Gläubigerschutz streitet für die zuerst genannte

_____ 373 Ressmann, S 80, 171 ff, 272 f. 374 Grdl zu diesem Ansatz Ressmann, S 187, 274, 297. 375 Ausf zu den damit verbundenen Fragen HeiK-InsO/Rüntz § 17 Rn 6. 376 Vgl § 39 Abs 2 InsO und o § 7 Rn 11. 377 Siehe o § 7 Rn 8. 378 MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 76; Scholz/Tiedemann/Rönnau Vor §§ 82 ff Rn 43; SK/Hoyer § 283 Rn 6; Weyand/Diversy Rn 49; Graf-Schlicker/Bremen § 17 Rn 10; Uhlenbruck BB 1985, 1277, 1281. 379 Zu Schecks, Wechseln und Forderungen, deren Werthaltigkeit von der Liquidität des Bezogenen abhängt, s instruktiv Matzen, S 33 f, 98 ff. 380 Vgl § 7 Rn 9. 381 So LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 131 f; M-G/Richter § 78 Rn 16; G/J/W/Otte § 15a InsO Rn 63; M/G/Rinjes 8/28 f; Braun/Bußhardt § 17 Rn 28 ff; Erdmann, S 115 ff; Reck ZInsO 1999, 195, 196; ders GmbHR 1999, 267, 268; wohl auch Penzlin, S 80; gegen die Einbeziehung offener Kreditlinien Hartung wistra 1997, 1, 4, der darauf hinweist, dass offene Kreditlinien von den Gläubigern nicht gepfändet und vom Insolvenzverwalter nicht zur Masse gezogen werden können, weshalb man sie bei der Prüfung, ob der Schuldner noch in der Lage ist, seine Verbindlichkeiten zu begleichen, auch nicht heranziehen dürfe. Kredite hingegen, die der Schuldner bereits valutiert erhalten habe, seien nur dann zu berücksichtigen, wenn das schuldnerische Unternehmen auf der Basis eines Finanzplans weiter fortbestehensfähig ist (aaO, S 10); ähnl Röhm, S 104 f. 382 Dafür MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 77; HeiK-InsO/Rüntz § 17 Rn 14; Erdmann, S 119 f; Püschel Rissing-van Saan-FS, S 471, 486; Hartung wistra 1997, 1, 3; wohl auch BGH/H MDR 1981, 454: „kurzfristig liquidierbare Mittel“; Uhlenbruck wistra 1996, 1, 5; s ferner SK/Hoyer § 283 Rn 20; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 75; Matzen, S 32 ff; Bittmann wistra 1998, 321, 324, beschränkt auf solche Vermögensgegenstände, deren Veräußerung die Betriebsfortführung nicht gefährdet; ähnl B/Quedenfeld/Richter 5/107; Brackmann, S 197 ff, der zufolge nur solche Veräußerungen statthaft sind, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen

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und hier unter § 7 Rn 9 vertretene Ansicht, da andernfalls der Schuldner solange weiterwirtschaften könnte, ohne einen Insolvenzantrag stellen zu müssen, bis er sein gesamtes Vermögen aufgezehrt hat383.384 Woher die Mittel stammen, mithilfe derer der Schuldner seinen Zahlungspflichten nachkommt, spielt hingegen keine Rolle.385 Selbst die aus einer Straftat herrührenden Vermögensgegenstände sind geeignet, das Verdikt der Illiquidität auszuschließen.386 Schadensersatzansprüche gegen den Schuldner aufgrund der begangenen Straftat beeinflussen seine Zahlungsfähigkeit richtigerweise nicht,387 geht es doch – im Unterschied zur Überschuldung – bei Zahlungsunfähigkeit nur um Geldilliquidität und nicht darum, dass die Passiva die Aktiva übersteigen. Allerdings dürfte die Zahlungsfähigkeit kaum einmal dauerhaft gesichert sein, sollte sich der Schuldner darauf verlegen, seine Einkünfte illegal zu erzielen.388 Außerdem diskutieren Rspr und Schrifttum darüber, ob vom Schuldner effektiv 48 beiseite geschaffte Vermögenswerte auf der „Aktivseite“ Berücksichtigung finden dürfen. Der BGH hat erst kürzlich wieder entschieden, solche Vermögenswerte bei der Überschuldung- bzw Zahlungsunfähigkeitsermittlung außen vor zu lassen.389 Ihm zufolge liefe § 283 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 1 StGB leer und würden die Gläubigerinteressen an einer gleichmäßigen Befriedigung erheblich beeinträchtig, ordnete man die verheimlichten bzw beiseite geschafften Vermögenswerte den Aktiva/liquiden Mitteln zu.390 Hinter dieser Argumentation des 1. Strafsenats steckt letztlich unausgesprochen die vom OLG Frankfurt aM ausdrücklich benannte These, wonach sämtliche Bankrotthandlungen des

_____ Geschäftsleiters vereinbar sind, was nur dann anzunehmen sei, wenn die Veräußerung den Zustand der Zahlungsstockung behebe; Hiltenkamp-Wisgalle, S 280; ferner M-G/Richter § 78 Rn 17, der zumindest solche Gegenstände erfassen will, die innerhalb von drei Wochen sicher zu Geld gemacht werden können; vgl des Weiteren RG GA 39 (1892), 230, 232, dem zufolge scheinbar auch solche Mittel die Zahlungsunfähigkeit ausschließen, die der Schuldner außerhalb eines geregelten Geschäftsbetriebs flüssig macht; skept LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 131, sofern Unternehmen lebensfähig und Liquidation nicht kurzfristig geplant ist; diff Ansatz bei Braun/Bußhardt § 17 Rn 34. 383 Zutr § 7 Rn 9. 384 Wie hier iE bereits Schlüchter, S 72; dies MDR 1978, 265, 267; ferner Moosmayer, S 156; Röhm, S 99 ff; Bieneck StV 1999, 43, 44, der seine Ansicht mit der Stichtagsbezogenheit des insolvenzrechtlichen Zahlungsunfähigkeitsbegriffs begründet; ebenso wohl Reck GmbHR 1999, 267, 268, der schon an der Existenz nicht betriebsnotwendigen Vermögens berechtigte Zweifel übt; vgl ferner, allerdings im Kontext der Überschuldung Harneit, S 25. 385 RG (Z) JW 1905, 157, 158; s ferner Kollmar, S 27 (im Kontext der Zahlungseinstellung). 386 BGH NJW 1982, 1952, 1954 = wistra 1982, 189, 191; BGH wistra 2007, 308 = NStZ 2008, 415, 416; LK/ Tiedemann Vor § 283 Rn 132; Fischer Vor § 283 Rn 9b; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 7; M/R/Altenhain § 283 Rn 8; S/S/W/Bosch Vorbem §§ 283 ff Rn 13; M-G/Richter § 78 Rn 19; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 75; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 81; Scholz/Tiedemann/Rönnau Vor §§ 82 ff Rn 45; HambK/Borchardt § 283 StGB Rn 7; HeiK-InsO/Rüntz § 17 Rn 16; G/E/S/Gehrlein Vor § 64 Rn 8; Böttger/Verjans 4/27; Grosche, S 42 m Fn 3; Brackmann, S 200; Pfeiffer Rowedder-FS, S 347, 359; Fischer ua /Trüg, S 217, 226; G Fischer Ganter-FS, S 153, 161. 387 Missverständlich aber AG Nürnberg ZInsO 2012, 339, 341; sa Brackmann, S 200. 388 BGH NJW 1982, 1952, 1954 = wistra 1982, 189, 191; so auch Hartung wistra 1997, 1, 3; Pfeiffer Rowedder-FS, S 347, 359. 389 BGHSt 58, 115, 117 = NJW 2013, 949, 950 m zust Anm Weyand ZInsO 2013, 1064, 1067 und Fauser ZWH 2013, 273 f sowie abl Anm Kraatz JR 2013, 466, 470 f; OLG Frankfurt aM NStZ 1997, 551, 552 = wistra 1997, 274; vgl auch schon BGH NJW 2001, 1874, 1875, der rechtlich wirksam beiseite geschaffte Mittel (hier: Übertragung vom Schuldner auf den Ehegatte) nicht einbeziehen will; aus dem Schrifttum so auch: Fischer Vor § 283 Rn 7d und § 283 Rn 2; M-G/Richter § 78 Rn 20; B/Quedenfeld/Richter 5/106 m Fn 170; HambK/ Borchardt § 283 StGB Rn 7; Weyand/Diversy Rn 49; ferner Martini jurisPR-InsR 15/2013, Anm 3, dem zufolge die beiseite geschafften Vermögensgegenstände nicht zum Nennwert angesetzt werden dürfen. 390 BGHSt 58, 115, 117 = NJW 2013, 949, 950; ebenso schon OLG Frankfurt aM NStZ 1997, 551, 552 = wistra 1997, 274; zust S/S/W/Bosch § 283 Rn 33.

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§ 283 Abs 1 Nrn 1–8 StGB den Erfolg des § 283 Abs 2 StGB – scil Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit – herbeiführen können.391 Diese Rspr überzeugt nur bedingt. Richtigerweise muss man differenzieren, ob der Schuldner die streitgegenständlichen Vermögensbestandteile rechtlich wirksam aus seinem Vermögen ausgegliedert hat – etwa indem er sie einem anderen Rechtsträger überträgt –, oder ob er sie in seiner Vermögenssphäre „lediglich“ vor dem Zugriff der Gläubiger verborgen hält. Während Vermögenspositionen, die den Rechtsträger gewechselt haben, dem Schuldner jedenfalls dann nicht mehr zur Verfügung stehen, um seine Verbindlichkeiten zu begleichen und deshalb den Zustand der Zahlungsunfähigkeit/Überschuldung nicht beeinflussen können, wenn er ein Rückholungsrecht nicht besitzt, steht der Schuldner, der Vermögenswerte beiseiteschafft, ohne die rechtliche Zuordnung zu seinem Vermögen zu ändern, dem zahlungsunwilligen Schuldner gleich, dessen Zahlungsunwilligkeit aber anerkanntermaßen keine Zahlungsunfähigkeit und erst recht keine Überschuldung begründet.392 Wollte man dies anders sehen, wäre die Konsequenz eine unterschiedliche Interpretation der Merkmale „Überschuldung“ und „Zahlungsunfähigkeit“, je nachdem, ob man das schuldnerische Verhalten sub specie § 283 Abs 1 StGB oder § 283 Abs 2 StGB würdigt.393

c) Quantitatives und temporäres Element der Zahlungsunfähigkeit 49 Decken die vorhandenen Mittel nicht sämtliche Verbindlichkeiten, bereitet es – angesichts

des gesetzgeberischen Diktums, wonach nicht jede marginale Deckungslücke Zahlungsunfähigkeit begründen soll –, erhebliche Schwierigkeiten, den prozentualen Grad der Unterdeckung anzugeben,394 ab dem die Zahlungsstockung in Zahlungsunfähigkeit umschlägt. Die unterbreiteten literarischen Konkretisierungsvorschläge sind deshalb – was kaum verwundert – entsprechend facettenreich und erstrecken sich von Forderungen nach einer Deckungslücke in Höhe von 50%395 über 25%,396 20%,397 15%,398 10%399 und

_____ 391 OLG Frankfurt aM NStZ 1997, 551 = wistra 1997, 274; skept etwa Rönnau NStZ 2003, 525, 532. 392 Zum Vgl mit dem zahlungsunwilligen Schuldner grdl Krause NStZ 1999, 161, 163 f; ebenso Brackmann, S 201 f; allg dazu, dass Zahlungsunwilligkeit keine Zahlungsunfähigkeit begründet, LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 132; B/Quedenfeld/Richter 5/105. 393 Krause NStZ 1999, 161, 163; zust A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 181. 394 Skept gegenüber solchen Prozentgrenzen aber Bretzke, S 85, die entscheidend nicht auf den Grad der Unterdeckung, sondern auf deren Dauer abstellen will und deshalb Zahlungsunfähigkeit bei einer kurzfristig bestehenden Unterdeckung in Höhe von 80% verneint, hingegen bei einer langfristigen, nicht mehr überwindbaren Unterdeckung von 5% bejaht. 395 So zum alten Recht Schlüchter MDR 1978, 265, 268. 396 Hierbei handelt es sich um die Quote, die zur Zeit der KO Geltung beanspruchte; s etwa BayObLG wistra 1988, 363 = BB 1988, 1840 m krit Anm Birner; Otto Bruns-GS, S 265, 278; Papke DB 1969, 735; dafür, diese Grenze in den insolvenzrechtlichen Zahlungsunfähigkeitsbegriff zu übernehmen, sprechen sich aus: Dohmen, S 143; Habetha, S 77 f; S/S/Heine28 § 283 Rn 52; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 73, 75; Bittmann wistra 1998, 321, 323; sympathisierend scheinbar auch Reichelt, S 87. 397 So etwa Penzlin, S 153 f, 162; ders NZG 1999, 1203, 1208; Hiltenkamp-Wisgalle, S 278 f, freilich zur Rechtslage unter dem Regime der KO; ferner MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 82, die eine Deckungslücke von 20% bis 25% fordern. 398 MAH/Böttger § 19 Rn 257: nicht unterhalb 15%; Hoffmann MDR 1979, 713, 714; ders DB 1980, 1527, 1528; wohl auch Richter GmbHR 1984, 137, 139. 399 LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 129a; so wohl jetzt auch Bittmann ZWH 2012, 355, 357; vgl ferner schon Regner, S 104, 106 f, der jedoch die Anforderungen an das Vorliegen von Zahlungsunfähigkeit danach differenziert, ob die Zahlungsunfähigkeit der einzige Konkursauslösungsgrund ist, oder ob neben sie noch zusätzlich das Krisenmerkmal der Überschuldung tritt. Falls konkursrechtlich nur die Zahlungsunfähigkeit

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5%400 bis hin zu der Annahme, eine 1-401 bzw 0,01%-ige402 Unterdeckung genüge, um den Schritt zur Zahlungsunfähigkeit zu gehen.403 Allerdings überzeugt es trotz dieses Wirrwarrs an Meinungen nicht, das schuldnerische Unvermögen, ganz geringfügige Verbindlichkeiten zu bedienen, bereits dem Merkmal „Zahlungsunfähigkeit“ zu subsumieren und folglich auf jedwede Wesentlichkeitsschwelle zu verzichten.404 Zwar vermeidet solche Lesart die Bestimmtheitsprobleme, die aufkommen, sobald man den Versuch unternimmt, Zahlungsstockung und Zahlungsunfähigkeit mithilfe starrer Prozentangaben gegeneinander abzugrenzen.405 Jedoch erkauft sie diesen Bestimmtheitsgewinn auf Kosten des präsumtiven Täters und um den Preis partiell unverhältnismäßiger Ergebnisse.406 Führt an einem Wesentlichkeitserfordernis somit kein Weg vorbei – insbes überzeugt die These nicht,407 wer kleinere Beträge nicht bezahlen könne, sei erst recht außerstande, größere Beträge zu begleichen408 –, muss man sich der Aufgabe stellen, aus den zahlreichen Vorschlägen den sachgerechten auszuwählen. Der für das Insolvenzrecht zuständige IX. Zivilsenat hat sämtlichen Ansichten, die starre Prozentangaben statuieren, um Zahlungsunfähigkeit und Zahlungsstockung voneinander abzuschichten, eine Absage erteilt und stattdessen die widerlegliche Vermutung aufgestellt, der zufolge Zahlungsunfähigkeit grds ab einer Deckungslücke von 10% vorliegt409.410 Mit Blick auf das o Rn 37 präferierte insolvenzrechtsakzessorische Verständnis der strafrechtlichen Krisenmerkmale bietet es sich an, diesen flexiblen Ansatz des IX. Zivilsenats auch im Strafrecht – freilich unter Verzicht auf das Vermutungselement – fruchtbar zu machen und – von besonders gelagerten Konstellationen abgesehen – ab einer 10%-igen Unterdeckung Zahlungsunfähigkeit anzunehmen.411 Dass diese Schwelle deutlich unterhalb der 25%Marke liegt, die zu Zeiten der KO galt, bereitet insolvenzstrafrechtlich gesehen keine

_____ dazu berechtige, das Konkursverfahren zu eröffnen, dürfe Zahlungsunfähigkeit bankrottstrafrechtlich erst angenommen werden, wenn alle ernsthaft vertretenen Auffassungen zu dem Ergebnis gelangen, dass die Schulden die vorhandenen Zahlungsmittel wesentlich und dauerhaft überwiegen. 400 Für eine Quote von 5% als Richtsumme spricht sich etwa K Schmidt/K Schmidt § 17 Rn 23 aus; sympathisierend Brackmann, S 185, 194, sofern die Unterdeckung nach Ablauf des Dreiwochenzeitraums 5% der bis dahin fälligen Verbindlichkeiten übersteigt und eine positive wirtschaftliche Performance des Schuldners nicht ausnahmsweise ein anderes Ergebnis nahelegt. 401 Bork KTS 2005, 1, 12; sa Wimmer NJW 1996, 2546, 2547: Deckungslücke kleiner als 100%. 402 Jäger BB 1997, 1575, 1577. 403 Franzheim NJW 1980, 2500, 2504 will die Wesentlichkeit anscheinend mithilfe der wirtschaftskriminalistischen Beweisanzeichen ermitteln. 404 So Moosmayer, S 156; Röhm, S 117 ff; Niesert ZInsO 2001, 735, 738 f; ferner Matzen, S 53, noch unter Geltung der KO; wohl auch Erdmann, S 126 ff; mit einem solchen Ansatz scheint ferner Bieneck StV 1999, 43, 44 zu sympathisieren, wenn er vorschlägt, die Abgrenzung zwischen Zahlungsstockung und Zahlungsunfähigkeit mithilfe einer dreiwöchigen Schonfrist zu bewerkstelligen; vgl aber auch M-G/B5/dens § 76 Rn 56b, wo er Sympathien mit der Entscheidung des IX. Zivilsenats erkennen lässt, der Zahlungsunfähigkeit grds erst dann annehmen will, wenn der Schuldner über einen Zeitraum von drei Wochen nicht in der Lage ist, 10% seiner fälligen Verbindlichkeiten zu decken. 405 Darin erblickt denn Röhm, S 119 f den wesentlichen Vorzug dieser auch von ihm geteilten Ansicht. 406 Zu dieser berechtigten Kritik s nur LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 129; iE ebenso Plathner, S 172. 407 Zutr BGHZ 163, 134, 143 = wistra 2005, 432, 435; Brackmann, S 183. 408 So aber Moosmayer, S 156; Röhm, S 118; Bieneck StV 1999, 43, 44; wohl auch B/Quedenfeld/Richter 5/107; Erdmann, S 127; Penzlin, S 125; ders NZG 1999, 1203, 1206. 409 Ausf zu dieser Rspr § 7 Rn 5, 12. 410 BGHZ 163, 134, 144 ff = wistra 2005, 432, 435; BGH Urt v 7.5.2013, IX ZR 113/10 Rn 15; zust OLG München NZI 2013, 542, 544; zusf HeiK-InsO/Rüntz § 17 Rn 20; G/E/S/Gehrlein Vor § 64 Rn 8. 411 NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis 283d Rn 98; G/J/W/Otte § 15a InsO Rn 58; Püschel Rissing-van Saan-FS, S 471, 485; so wohl auch LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 129a; abl Arens wistra 2007, 450, 452, der va die willkürliche Grenzziehung bei 10% rügt.

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Bauchschmerzen, benennen doch die Krisenmerkmale der §§ 283 ff StGB lediglich den Wendepunkt, ab dem der Schuldner sein Vermögen nicht mehr zu jedem beliebigen Zweck einsetzen darf, ohne ihm aber die Verfügungsbefugnis über sein Vermögen zu entziehen, wie es das eröffnete Insolvenzverfahren tut.412 Obschon § 17 Abs 2 S 1 InsO anders als sein konkursrechtlicher Vorgänger keine ge50 wisse Dauer der Zahlungsunfähigkeit fordert, steht die hM zu Recht und im Einklang mit dem Willen des Gesetzgebers auf dem Standpunkt, Zahlungsunfähigkeit solange zu verneinen, solange der Schuldner zwar zu einem bestimmten Stichtag nicht sämtliche Verbindlichkeiten befriedigen, aber alsbald mit Zahlungseingängen rechnen kann.413 Streit herrscht freilich darüber, wie lange der Zeitraum währen muss, innerhalb dessen der Schuldner nicht in der Lage ist, seine fälligen Geldschulden zu begleichen.414 Die Lösungsangebote erstrecken sich über Zeiträume von einer,415 zwei416 und drei417 Wochen bis hin zu einem,418 zwei,419 drei420 oder sogar vier421 Monaten.422 Während die Ansichten,

_____ 412 Zu dieser Arg LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 129; s ferner Plathner, S 165 ff. 413 LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 126; MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 81; Matzen Samson-FS, S 401, 405; aA aber MAH/Leipold § 19 Rn 79: Stichtagsilliquidität; Moosmayer, S 157 ff; ferner Erdmann, S 132 ff, dem zufolge die Befürchtung, eine Zeitpunktbetrachtung könne lebensfähige Unternehmen in die Insolvenz zwingen, nicht angebracht ist, weil es iRd § 283 StGB lediglich darum geht, den Sorgfaltsmaßstab zu verschärfen, den der Schuldner im Umgang mit seinem Vermögen einzuhalten hat. 414 Eine flexible Einzelfallbetrachtung will Matzen, S 39 ff anstellen, der anstelle von statischen Zeitangaben die Debitorenfrist – also den Zeitraum, innerhalb dessen der Schuldner durchschnittlich mit der Befriedigung seiner Forderungen rechnen kann – zum maßgebenden „Ausfüllungskriterium“ des Definitionselements „Dauerhaftigkeit“ kürt; hiergegen überzeugend Moosmayer, S 154. 415 Jäger BB 1997, 1575, 1576. 416 So Burger/Schellberg BB 1995, 261, 262 f; für einen Zeitraum von zehn Tagen, nach dessen Ablauf aber auch die unterbliebene Begleichung nur geringfügiger Verbindlichkeiten zur Zahlungsunfähigkeit führt, spricht sich K Schmidt/K Schmidt § 17 Rn 30 aus. 417 Für eine Dreiwochenfrist, die sich an der Frist orientiert, innerhalb der der Insolvenzantrag gestellt werden muss, BGH NStZ 2014, 107, 108; BGH NStZ 2007, 643, 644 (allerdings nur im Kontext des § 84 Abs 1 Nr 2 GmbHG aF); Röhm, S 114 f; Neumann, S 69 f; HeiK-InsO/Rüntz § 17 Rn 18; NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis 283d Rn 98; G/J/W/Otte § 15a InsO Rn 64; M-G/Richter § 78 Rn 26; Bieneck wistra 2001, 53, 54; ders StV 1999, 43, 44; AnwK/Püschel Vor §§ 283–283d Rn 21; ders Rissing-van Saan-FS, S 471, 485, der aber in best Ausnahmefällen auch eine längere Frist gestatten will; eine Dreiwochenfrist befürworten Natale/Bader wistra 2008, 413, 414; Bisson GmbHR 2005, 843, 844; iE auch Niesert ZInsO 2001, 735, 738 f; für eine Vierwochenfrist OLG Köln NStZ-RR 2005, 378; LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 134; Bork KTS 2005, 1, 7; auf den Gedanken, diese Frist fruchtbar zu machen, wies auch schon Papke DB 1969, 735, 736 hin, der sich aber iE zugunsten einer Sechswochenfrist aussprach. 418 MK1/Radtke Vor §§ 283 ff Rn 78; Dohmen, S 143; weitergehend scheinbar D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 74, die wohl eine Sechswochenfrist gewähren wollen, zumindest aber die Feststellung verlangen, dass über den gesamten Zeitraum von der Vornahme der Bankrotthandlung bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Deckungslücke bestand (s aber auch Rn 75, wo sich die Ausführung findet, die erforderliche Liquiditätsbilanz umfasse einen Zeitraum von drei Wochen); für Sechswochenfrist auch Habetha, S 78, 327; Papke DB 1969, 735, 736. 419 Penzlin, S 153 f, 162; ders NZG 1999, 1203, 1208. 420 So etwa Schlüchter, S 77 f; ähnl Hiltenkamp-Wisgalle, S 286, die aber bei einer Liquiditätslücke von 50% bereits einen Zeitraum von sechs Wochen genügen lassen will und die Dreimonatsfrist nur bei einer Liquiditätslücke von unter 50% gewährt; s ferner BayObLG wistra 1988, 363, 364 = BB 1988, 1840, das noch unter dem Regime der KO einen Zeitraum von drei bis sechs Monaten präferierte. 421 Dafür zum alten Recht Schlüchter MDR 1978, 265, 268, die hierin aber keine feste Grenze erblickt, sondern ggfls auch einen längeren Zeitraum anzuerkennen bereit ist. 422 So Bittmann wistra 1998, 321, 324; zust Plathner, S 169 f, ohne aber einen konkreten Zeitraum zu benennen; wohl auch Franzheim NJW 1980, 2500, 2504; ferner Otto Bruns-GS, S 265, 277 f, der sogar noch einmal drei Monate darauf schlagen möchte, sofern eine sichere, außergewöhnliche Liquiditätsentwicklung im Raum steht.

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die Zeiträume von zwei bis drei Monaten präferieren, dem konkursrechtlichen Begriffsverständnis verhaftet bleiben und damit den Willen des InsO-Gesetzgebers, die Zahlungsunfähigkeit vorzuverlagern und gleichzeitig die Masselosigkeit zurückzudrängen, 423 konterkarieren, 424 zeigt der Rekurs auf Ein- bzw Zweiwochenzeiträume kein Gespür für die wirtschaftliche Lage des Schuldners, dem es in ein bis zwei Wochen kaum einmal gelingen dürfte, sich die fehlenden Mittel zu leihen.425 Zu Recht haben deshalb der IX. Zivilsenat und ihm zustimmend der 1. Strafsenat einer Dreiwochenfrist den Vorzug gegeben.426 Zusammenfassend lässt sich von Zahlungsunfähigkeit iSd §§ 283 ff StGB somit dann 51 sprechen, wenn der Schuldner über einen Zeitraum von drei Wochen außer Stande ist, 10% seiner fälligen Verbindlichkeiten abzudecken.427 Keine Überzeugungskraft entfaltet hingegen ein vereinzelt gebliebener Ansatz, der weder quantitative noch temporäre Aspekte berücksichtigen, sondern Zahlungsunfähigkeit qualitativ bestimmen will, indem er danach fragt, ob sich der Schuldner mit der Bezahlung einer nicht unerheblichen Zahlungsverpflichtung im Rückstand befindet.428 Da jedoch offen bleibt, welches die Parameter sind, die qualitativ wichtige von qualitativ weniger wichtigen Verbindlichkeiten abschichten, sollte dieser Weg schon aus Bestimmtheitsgründen besser nicht beschritten werden.429

d) Feststellung der Zahlungsunfähigkeit Um festzustellen, ob der Schuldner, als er die Bankrotthandlung beging, zahlungsunfä- 52 hig war, er also nicht mehr die Mittel besaß, innerhalb von drei Wochen 10% seiner fälligen Verbindlichkeiten zu begleichen,430 hat die Strafverfolgungspraxis zwei Methoden zur Hand – eine betriebswirtschaftlich-mathematische und eine wirtschaftskrimina-

_____ 423 BT-Drucks 12/2443, S 72 ff. 424 Brand, S 221. 425 Zum Ganzen zutr BGHZ 163, 134, 139 f = wistra 2005, 432, 434; sa Bittmann wistra 1998, 321, 323; Haas DStR 2000, 1705, 1706; vgl aber auch Matzen Samson-FS, S 401, 413, dem zufolge auch der vom BGH festgelegte Dreiwochenzeitraum hierfür nicht ausr ist. 426 BGHZ 163, 134, 139 f = wistra 2005, 432, 434; BGH NZI 2013, 888, 890; zust OLG München NZI 2013, 542, 544; krit aber Matzen Samson-FS, S 401, 411 f; Penzlin NZG 1999, 1203, 1207; vgl ferner HiltenkampWisgalle, S 285 f, der zufolge selbst eine Vierwochenfrist nicht genügt, um die nötigen Kreditaktivitäten entfalten zu können. 427 So auch Hombrecher JA 2013, 541, 542; wohl auch M-G/Richter § 78 Rn 27; S/S/W/Bosch Vorbem §§ 283 ff Rn 12; Weyand/Diversy Rn 50; Niu, S 44 f; partiell enger Ressmann, S 158 ff, der zusätzlich noch den Nachweis fordert, dass die Zahlungsfähigkeit demnächst nicht hätte wieder hergestellt werden können; aA Arens wistra 2007, 450, 453 f, der insoweit einen Verstoß gegen das ultima-ratio-Prinzip moniert; diff Ogiermann/Weber wistra 2011, 206, 210, denen zufolge Zahlungsunfähigkeit einerseits auch schon vor Ablauf des Dreiwochenzeitraums eingetreten sein könne, wenn nur sicher feststehe, dass es zu einer 10%igen Unterdeckung komme, andererseits trotz Verstreichens der Dreiwochenfrist Zahlungsunfähigkeit dann nicht vorliege, wenn mit erheblichen Zahlungseingängen sicher zu rechnen sei; sehr skept gegenüber diesem Zahlungsunfähigkeitsverständnis auch K Schmidt/K Schmidt § 17 Rn 25 f. 428 Dazu B2/Quedenfeld/Richter 9/131; diese Auffassung findet sich allerdings in der 5. Aufl des Werkes nicht mehr; s dazu auch Bittmann/Volkmer wistra 2005, 167, 168 ff, die auf dem Boden dieses Ansatzes die These entwickeln, Zahlungsunfähigkeit liege grds vor, wenn der Schuldner drei Monate lang keine Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung abgeführt habe. 429 Zutr Kritik bei LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 129; Arens wistra 2007, 450, 453; sa bereits Burger/ Schellberg BB 1995, 261, 263 sowie Schlüchter MDR 1978, 265, 268. 430 Dazu siehe o Rn 49 ff.

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listische.431 Die betriebswirtschaftlich-mathematische Berechnungsmethode, deren sinnvolle Anwendung das Vorhandensein einer einigermaßen ordnungsgemäßen und aktuellen Buchhaltung verlangt,432 untersucht im Ausgangspunkt die Fähigkeit des Schuldners, die Verbindlichkeiten, die während des Dreiwochenzeitraums fällig werden, zu begleichen und berücksichtigt dabei auch die sicher erwarteten Vermögenszugänge (sog Passiva II und Aktiva II433).434 Da die Praxis die Schwierigkeiten scheut, die ein betriebswirtschaftlich-mathematisches Modell zeitigt, hat sie früh Auswege gesucht und gefunden, die unter dem Stichwort „wirtschaftskriminalistische Berechnungsmethode“ rangieren. Neben dem erst jüngst unterbreiteten Vorschlag, Zahlungsunfähigkeit immer dann anzunehmen, wenn feststeht, dass der Schuldner seine älteste Verbindlichkeit, deren Volumen nicht ganz unmaßgeblich ist, über drei Wochen hinweg trotz Fälligkeit nicht beglichen hat,435 steht der schon lange praktizierte Ansatz, der die Zahlungsunfähigkeit aus dem Vorliegen einzelner wirtschaftskriminalistischer Beweisanzeichen folgert. Solche kriminalistischen Beweisanzeichen, deren gehäuftes Auftreten die Zahlungsunfähigkeit indizieren, erblicken Rspr und hM im Schrifttum in der unterbliebenen Zahlung von Löhnen und Sozialversicherungsbeiträgen,436 dem Eingang von Mahn- und Vollstreckungsbescheiden, Scheck- und Wechselprotesten, Mahnungen, Zahlungsrückständen bei betriebsnotwendigen Aufwendungen wie Miete und Steuern sowie (fruchtlosen) Pfändungen.437 Die ermittelten Beweisanzeichen finden sodann Eingang in ein chronologisch aufgebautes Warnzeichendiagramm, das Auskunft darüber geben soll, wann genau Zahlungsunfähigkeit erstmals vorlag. Kulminieren mehrere Indizien zu

_____ 431 Zu den beiden Möglichkeiten s nur BGH NStZ-RR 2015, 341, 342 = ZWH 2015, 388, 390; BGH NStZ 2014, 107, 108; BGH NJW 2011, 3733, 3734; BGH NJW 2003, 546, 547 = wistra 2003, 232; BGH wistra 1993, 184; BGH wistra 1991, 26 = MDR 1990, 1067; OLG Düsseldorf StV 2007, 38, 39; BayObLG GmbHR 1997, 453, 454; OLG Düsseldorf NJW 1988, 3166, 3167; LG Köln wistra 1992, 269; Fischer Vor § 283 Rn 9b; Lackner/ Kühl/Heger § 283 Rn 7; M-G/Richter § 78 Rn 37; W/J/Beck 6/80 f; B/Quedenfeld/Richter 5/103; M/G/Rinjes 8/27; Bittmann/Volkmer wistra 2005, 167; Reck GmbHR 1999, 267; Ogiermann/Weber wistra 2011, 206, 210 f; Hartung wistra 1997, 1, 2; Hombrecher JA 2013, 541, 542; vgl ferner Arens wistra 2007, 450, 454 f, der für eine kumulative Anwendung dieser beiden Methoden plädiert und Zahlungsunfähigkeit grds annehmen will, wenn innerhalb eines Zeitraums von drei Monaten und einer 10%-igen Unterdeckung wirtschaftskriminalistische Beweisanzeichen gehäuft auftreten; skept gegenüber der wirtschaftskriminalistischen Betrachtungsweise Brackmann, S 211 f. 432 MAH/Leipold § 19 Rn 82; Hartung wistra 1997, 1, 2, 11; vgl ferner HeiK-InsO/Rüntz § 17 Rn 24; sa schon Hoffmann MDR 1979, 713, 716; zu den Erkenntnissen, die mithilfe von Bilanzen erzielt werden können, s instruktiv Brenner DRiZ 1981, 16 ff. 433 Ausf zum Ganzen und den schwierigen hierbei anzustellenden Prognosen § 7 Rn 13 f. 434 Dazu sa HeiK-InsO/Rüntz § 17 Rn 24; ferner MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 85. 435 Natale/Bader wistra 2008, 413, 415. 436 Sa BGH (Z) ZInsO 2008, 1019, wonach das halbjährige Nichtabführen der Sozialversicherungsbeiträge die Zahlungsunfähigkeit indiziere. 437 Zu diesen und weiteren Beweisanzeichen s die Aufstellung bei BGH NStZ-RR 2015, 341, 342 = ZWH 2015, 388, 390 f; BGH NStZ 2014, 107, 108; BGH wistra 1991, 26 = MDR 1990, 1067; BayObLG GmbHR 1997, 453, 454; LG Köln wistra 1992, 269; Fischer Vor § 283 Rn 9b; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 87; Weyand/Diversy Rn 51; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 77; M-G/Richter § 78 Rn 42; W/J/Beck 6/81; M/G/Rinjes 8/31; K Schmidt/K Schmidt § 17 Rn 47; K/P/B/Preuß § 15a Rn 73; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 52; Pape/Uhländer/ Hofmann § 283 Bankrott Rn 11; Eidam/Weyand 7/920; Hiltenkamp-Wisgalle, S 284; Grosche, S 43 f; Röhm, S 150 m Fn 546; Erdmann, S 153; Reichelt, S 90; Richter GmbHR 1984, 137, 138; Hartung wistra 1997, 1, 11 f; Ogiermann/Weber wistra 2011, 206, 210 f; vgl ferner LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 133; MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 86; SK/Hoyer § 283 Rn 21; Arens wistra 2007, 450; Bittmann wistra 1999, 10, 15; Reck GmbHR 1999, 267, 269; Hoffmann MDR 1979, 713, 716; ders DB 1980, 1527, 1528; Franzheim NJW 1980, 2500, 2504; skept gegenüber den hieraus gezogenen Schlussfolgerungen, allerdings im Kontext der drohenden Zahlungsunfähigkeit Matzen, S 111.

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einem bestimmten Zeitpunkt, steht der exakte Termin fest, an dem die krisenhafte Situation in Zahlungsunfähigkeit umschlug.438 Beschreitet man den Weg der wirtschaftskriminalistischen Berechnungsmethode, erspart man sich zwar die schwierigen Rechenoperationen der betriebswirtschaftlich-mathematischen Methode, erkauft diese Erleichterungen aber um den Preis eines regelmäßig späteren Eintritts der Zahlungsunfähigkeit, da Gläubiger zumeist nicht sofort auf die verzögerte Zahlung ihrer Forderungen reagieren, sondern erst einmal zuwarten, ob nicht der Schuldner doch noch freiwillig bezahlt.439 Um die Zahlungsunfähigkeit festzustellen, bedient sich die Praxis regelmäßig der 53 Hilfe von Sachverständigen.440 Zwingend ist das aber nicht. Insbes anhand wirtschaftskriminalistischer Beweisanzeichen kann das Gericht auch aufgrund eigener Sachkunde das Bestehen von Zahlungsunfähigkeit im Tatzeitpunkt beurteilen.441 Der Umstand, dass der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat, entbindet das Gericht hingegen nicht von der Aufgabe, die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners positiv festzustellen.442 Die Vorschrift des § 17 Abs 2 S 2 InsO, die an die Zahlungseinstellung die widerlegliche Vermutung der Zahlungsunfähigkeit knüpft, findet im Strafprozess keine Anwendung.443 Die Zahlungseinstellung begründet lediglich ein Indiz auf dem Weg, die Zahlungsunfähigkeit nachzuweisen.444

4. Drohende Zahlungsunfähigkeit Die drohende Zahlungsunfähigkeit war Krisenmerkmal der §§ 283 ff StGB lange bevor sie 54 § 18 Abs 2 InsO legaldefiniert hat.445 Gem der Legaldefinition des § 18 Abs 2 InsO droht die Zahlungsunfähigkeit, „wenn [der Schuldner] voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen“. Der Gesetzgeber verband ausweislich der Materialien mit dieser Definition die Hoffnung, auch dem Insolvenzstrafrecht künftig größere begriffliche Klarheit beim Umgang mit dem Merkmal der drohenden Zahlungsunfähigkeit zu bescheren.446 Diese Hoffnung dürfte sich jedoch trotz der hier präferierten insolvenzrechtsakzessorischen Interpretation der Krisenmerkmale447, 448 allenfalls449 bedingt erfüllt haben.450 – Im Alltag der Insolvenzgerichte

_____ 438 Dazu s MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 86; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 88; D/K/H/Dannecker/ Hagemeier Rn 77; M-G/Richter § 78 Rn 43; Ogiermann/Weber wistra 2011, 206, 211; verkannt von Ressmann, S 164. 439 LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 133; Scholz/Tiedemann/Rönnau Vor §§ 82 ff Rn 44; M/G/Rinjes 8/31; K/P/B/Preuß § 15a Rn 73; Ressmann, S 87; Hoffmann MDR 1979, 713, 717; Bieneck wistra 1992, 89, 90; Natale/Bader wistra 2008, 413, 416; Bittmann ZWH 2015, 373, 374. 440 Vgl etwa BGH NJW 2011, 3733, 3734; M/G/Rinjes 8/30. 441 S dazu LG Köln wistra 1992, 269 f. 442 Missverständlich indes M-G/Richter § 78 Rn 59. 443 K Schmidt/K Schmidt § 17 Rn 40; Scholz/Tiedemann/Rönnau Vor §§ 82 ff Rn 43. 444 K Schmidt/K Schmidt § 17 Rn 40. 445 K Schmidt/K Schmidt § 18 Rn 2; MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 87. 446 BT-Drucks 12/3803, S 100 und BT-Drucks 12/2443, S 114; zu den bis dato bestehenden Unsicherheiten s nur den Befund bei Uhlenbruck KTS 1994, 169, 172. 447 Für die drohende Zahlungsunfähigkeit ausdrückl so auch Bittmann wistra 1998, 321, 324. 448 Siehe o Rn 37. 449 Uhlenbruck wistra 1996, 1, 3 geht gar davon aus, dass sich die Schwierigkeiten mit der Schaffung des § 18 InsO noch vergrößern werden. 450 Penzlin, S 137; ders NZG 2000, 464, 468; Moosmayer, S 169; Reck GmbHR 1999, 267, 270; skept auch MAH/Leipold § 19 Rn 85; Hörl, S 60; zu der resignierenden Feststellung, wonach es bis heute nicht gelun-

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spielt die Vorschrift des § 18 InsO kaum eine Rolle. Insolvenzanträge, die der Schuldner oder seine Organwalter auf § 18 InsO stützen, erfolgen oft mit dem Ziel, eine bereits länger bestehende Zahlungsunfähigkeit und die damit einhergehende Insolvenzverschleppung zu kaschieren.451 Ob Insolvenzanträge wegen drohender Zahlungsunfähigkeit künftig zunehmen werden, um unter den Schutzschirm zu schlüpfen, den das Verfahren des § 270b InsO bereithält, bleibt abzuwarten.452 Insolvenzstrafrechtlich ist jedenfalls davor zu warnen, dem Gericht, das über das Schutzschirmverfahren entscheidet, trotz bereits eingetretener Zahlungsunfähigkeit drohende Zahlungsunfähigkeit vorzuspiegeln. Solches Verhalten verwirklicht sowohl den Tatbestand des § 15a Abs 4 InsO als auch den Tatbestand des § 283 Abs 1 Nr 8 StGB.453 55 Schwierigkeiten bei der Feststellung drohender Zahlungsunfähigkeit bereitet zum einen der anzusetzende Prognosezeitraum. Insoweit bietet es sich an, die voraussichtliche Zahlungsfähigkeit des Schuldners für das laufende sowie das folgende Geschäftsjahr zu untersuchen454,455 und dabei auch solche Zahlungsverpflichtungen zu berücksichtigen, die zwar noch nicht am Stichtag, wohl aber innerhalb des Prognosezeitraums entstehen.456 Die teilweise vertretene Auffassung, maßgeblich sei der Zeitraum, den die am Prognosestichtag zuletzt fällig werdende Verbindlichkeit markiert, 457 überzeugt schon deshalb nicht, weil auf diese Weise Zeitspannen von zehn bis fünfzehn Jahren

_____ gen ist, das Merkmal der drohenden Zahlungsunfähigkeit klar zu definieren, s Püschel Rissing-van SaanFS, S 471, 488; ähnl Achenbach Schlüchter-GS, S 257, 272 f; Tetzlaff ZInsO 2008, 226, 231; dazu, dass dieses Krisenmerkmal weiterhin strafrechtlich bedeutungslos bleiben wird, Reck ZInsO 1999, 195, 198; ders GmbHR 1999, 267, 274; aA aber Röhm, S 151; Plathner, S 180; positiver auch M-G/Richter § 78 Rn 50 sowie LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 139, der von „gewissen Klarstellungen“ spricht. 451 Dazu s nur K Schmidt/K Schmidt § 18 Rn 6. 452 Zu diesem Befund K Schmidt/K Schmidt § 18 Rn 6; Graf-Schlicker/Bremen § 18 Rn 1; vgl ferner Braun/Bußhardt § 18 Rn 2. 453 Ausf zum Ganzen Brand, KTS 2014, 1 ff; ders. ZInsO 2016, 2277 ff und u Rn 210; zust Scholz/Tiedemann/Rönnau Vor §§ 82 ff Rn 58; Meier ZInsO 2016, 1499, 1501 f, 1504. 454 Hierzu s § 7 Rn 22. 455 LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 139; M/G/Rinjes 8/32; Graf-Schlicker/Bremen § 18 Rn 11; HeiK-InsO/ Rüntz § 18 Rn 7; G/E/S/Gehrlein Vor § 64 Rn 15; sympathisierend S/S/W/Bosch Vorbem §§ 283 ff Rn 14; für doppelte Begrenzung Ressmann, S 293 f; aus der insolvenzrechtlichen Lit s Pannen 3/20; Hermanns ZInsO 2012, 2265, 2267; vgl ferner W/J/Beck 6/83, allerdings nur für das Insolvenzrecht; im Kontext des § 283 StGB will er den Prognosezeitraum auf ein Jahr beschränken, aaO Rn 90; ebenso, Prognosezeitraum von einem Jahr Bretzke, S 185; Brackmann, S 240 f, 249 f; Lenger/Apfel WiJ 2012, 34, 39; ähnl Bittmann wistra 1998, 321, 325, der im Ausgangspunkt einen Prognosezeitraum von zwölf Monaten präferiert, allerdings auch längere Zeiträume berücksichtigen will, sofern etwa sicher vorhergesehen werden kann, dass die Verbindlichkeiten auf Dauer unbeglichen bleiben; zust Habetha, S 81; vgl des Weiteren Erdmann, S 141 ff, dem zufolge derjenige Zeitraum maßgeblich ist, bzgl dessen sich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Aussage zur künftigen Zahlungsunfähigkeit treffen lässt; Röhm, S 152 ff, der den Prognosezeitraum bei maximal einem Jahr festmacht sowie HambK/Borchardt § 283 StGB Rn 6, dem zufolge der Prognosezeitraum ein Jahr nicht unter-, zwei Jahre aber auch nicht überschreiten soll; enger Dohmen, S 149, die einen Prognosezeitraum von sechs Monaten vorschlägt; vgl schließlich Braun/Bußhardt § 18 Rn 8: Länge des Prognosezeitraums hängt vom jeweiligen Einzelfall ab. 456 Zutr Röhm, S 140 ff; wohl auch Brackmann, S 232. 457 Dafür etwa BGH (Z) GmbHR 2014, 259, 260; OLG München NZI 2013, 542, 544; Braun/Bußhardt § 18 Rn 7; Fischer Vor § 283 Rn 11; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 8; MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 92; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 53; SK/Hoyer § 283 Rn 24; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 94; Bieneck StV 1999, 43, 45, der jedoch bei langfristigen Verbindlichkeiten den Prognosezeitraum im hier vertretenen Sinne beschränken will; wohl auch Uhlenbruck wistra 1996, 1, 4; Burger/Schellberg BB 1995, 261, 264.

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denkbar sind und es utopisch erscheint, die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners in zehn bis fünfzehn Jahren realistisch zu prognostizieren.458 Zum anderen hat das insolvenzstrafrechtliche Schrifttum bis heute keinen Konsens 56 in der Frage erzielt, wie es das „Drohen“ verstehen will. Einigkeit besteht mittlerweile nur insoweit, als Anleihen bei der „drohenden Zwangsvollstreckung“ iSv § 288 StGB nicht weiterführen, weil nicht der Wille der Gläubiger, sondern objektive Faktoren darüber entscheiden, ob dem Schuldner die Zahlungsunfähigkeit droht.459 Während die Gesetzesbegründung dem Rechtsanwender noch aufgab, sich bei der Interpretation des „Drohens“ an den Grundsätzen zu orientieren, „die für die Feststellung einer konkreten Gefahr maßgeblich sind“,460 hat sich zwischenzeitlich die Ansicht Bahn gebrochen, wonach ein konkreter Gefahrerfolg nicht zu § 283 Abs 1 StGB passt und iÜ der Intention des 1. WiKG zuwiderliefe, das ausdrücklich darauf verzichtete, dem Bankrotttatbestand das Erfordernis einer konkreten Gläubigergefährdung zu implementieren.461 Auch der Ansatz, der drohende Zahlungsunfähigkeit immer dann annehmen will, wenn einerseits ein konstitutives Element der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit fehlt – die Deckungslücke ist zwar wesentlich aber noch nicht dauerhaft oder dauerhaft aber noch nicht wesentlich – und andererseits keine berechtigte Hoffnung besteht, den Eintritt des fehlenden Elements zu verhindern,462 überzeugt mit Blick auf die schärfer gefasste Zahlungsunfähigkeitsdefinition nicht (mehr). Damit reduziert sich das Meinungsspektrum auf zwei Auslegungsvorschläge: Nach einem Teil der Lehre soll die anhand der Abgrenzungskriterien zwischen Vorbereitungs- und Versuchsstadium ermittelte Wahrscheinlichkeit des nahen Eintritts der Zahlungsunfähigkeit ausschlaggebend sein,463 wohingegen die überwiegende Ansicht das „Drohen“ bejaht, wenn die Wahrscheinlichkeit der Zahlungsunfähigkeit nahe liegt.464 Zwar gelangen die beiden Auffassungen meistens zu identischen Ergebnissen.465 Gleichwohl sind Konstellationen denkbar – die Prognose ergibt mit großer Wahrscheinlichkeit, dass Zahlungsunfähigkeit (erst) in einiger Zeit eintreten wird; hier droht nur nach hM die Zahlungsunfähigkeit466 – in denen die Auseinandersetzung um das richtige Verständnis des „Drohens“ eine Entscheidung erfordert. Mehr spricht

_____ 458 So HeiK-InsO/Rüntz § 18 Rn 7; Habetha, S 81; Bittmann wistra 1998, 321, 325; ähnl Püschel Rissingvan Saan-FS, S 471, 487; Brackmann, S 230; wohl auch K Schmidt/K Schmidt § 18 Rn 16; zur abnehmenden Aussagekraft einer solch langfristigen Prognose auch Bretzke, S 185; Hirte/Knof/Mock ZInsO 2008, 1217, 1222; Reck GmbHR 1999, 267, 270; Büttner ZInsO 2009, 841, 854; implizit Höfner, S 216; allg zum Ganzen Gischer/Hommel BB 2003, 945, 947. 459 LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 136; ders NJW 1977, 777, 781; Bretzke, S 89 ff; Hiltenkamp-Wisgalle, S 291 f; Matzen, S 59 f; Erdmann, S 136; Röhm, S 133 f; sa schon Göhler/Wilts DB 1976, 1657, 1660. 460 BT-Drucks 7/3441, S 34; zust Grosche, S 45; wohl auch Göhler/Wilts DB 1976, 1657, 1660. 461 Instruktiv Matzen, S 61; s ferner Erdmann, S 136 f; Tiedemann NJW 1977, 777, 781; sympathisierend freilich noch Pfeiffer Gutachten, S 8 ff. 462 Grdl dazu Regner, S 113 ff; wohl auch Weyand/Diversy Rn 54. 463 Dafür Fischer Vor § 283 Rn 10; Otto JURA 1989, 24, 33; wohl auch BGH wistra 1991, 26 = MDR 1990, 1067; Hiltenkamp-Wisgalle, S 294 ff; überzeugende Kritik an diesem Ansatz bei Matzen, S 64 f; s ferner Harneit, S 110. 464 LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 138; ders NJW 1977, 777, 781; M-G/Richter § 78 Rn 53; S/S/W/Bosch Vorbem §§ 283 ff Rn 14; W/J/Beck 6/89; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 83; Erdmann, S 138 f; Röhm, S 149; wohl auch Richter GmbHR 1984, 137, 139, der von drohender Zahlungsunfähigkeit spricht, wenn der Zustand der Zahlungsunfähigkeit mit einem hohen Grad von Wahrscheinlichkeit droht. 465 So schon Erdmann, S 138. 466 Zu diesem Bsp s Erdmann, S 138.

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dann dafür, der hM zu folgen und drohende Zahlungsunfähigkeit anzunehmen, sobald der Eintritt von Zahlungsunfähigkeit wahrscheinlich ist.467 Während das Insolvenzrecht drohende Zahlungsunfähigkeit annimmt, sobald eine 57 Wahrscheinlichkeit von über 50%468 dafür spricht, dass der Schuldner außer Stande sein wird, 10% der im Prognosezeitraum fällig werdenden Verbindlichkeiten über einen Dreiwochenzeitraum hinweg zu begleichen469,470 fordern Vertreter des strafrechtlichen Schrifttums entweder mit Blick auf den in-dubio-Grds, der Schuldner müsse einen „point of no return“ überschritten haben, der ein bis dato womöglich bestehendes berechtigtes Vertrauen, die Zahlungsunfähigkeit noch verhindern zu können, zerstört471 oder den Wahrscheinlichkeitsquotienten von der Länge des Prognosezeitraums abhängig zu machen.472 Mehr spricht aber auch hier dafür, die Wahrscheinlichkeitsanforderungen dem Insolvenzrecht zu entnehmen,473 da der Zweifelsgrundsatz – wie bereits zur Fortführungsprognose ausgeführt474 – lediglich auf der Tatsachen- nicht aber auf der Subsumtionsebene wirkt475 und die Abhängigkeit des Wahrscheinlichkeitsgrades vom Prognosezeitraum jedenfalls unter Bestimmtheitsgrundsätzen Bauchschmerzen hervorruft. Wie allerdings das Wahrscheinlichkeitsurteil beschaffen sein muss – ob also objektive Parameter den künftigen Eintritt der Zahlungsunfähigkeit nahelegen müssen476 oder ob es genügt, dass sich der Rechtsanwender auf der Grundlage objektiver Gegebenheiten subjektiv die Überzeugung bildet, die Zahlungsunfähigkeit stehe in naher Zukunft unmittelbar bevor477 – ist damit freilich noch nicht gesagt. Viel spricht aber dafür, dem subjektiven gegenüber dem objektiven Wahrscheinlichkeitsbegriff den Vorzug zu geben, zumal die „Subjektivisten“ keinem intuitiven, gleichsam willkürlichen Ermittlungsprozess das Wort reden, sondern sich im Gegenteil darum bemühen, ihr subjektives Wahrscheinlichkeitsurteil über die künftige Zahlungs(un)fähigkeit an objektive Tatsachen wie

_____ 467 Nach Matzen, S 112 f, 115 f und passim vermag keiner der beiden Wege die Schwierigkeiten im Umgang mit dem Krisenmerkmal der drohenden Zahlungsunfähigkeit aufzulösen, weshalb der Bankrotttatbestand insoweit nach wie vor mit dem Schuldgrundsatz unvereinbar, das Merkmal „drohende Zahlungsunfähigkeit mithin de lege ferenda zu streichen sei. 468 Grdl zu diesem Wahrscheinlichkeitsquotienten Bretzke, S 111 und passim; s ferner K Schmidt/ K Schmidt § 18 Rn 21; Braun/Bußhardt § 18 Rn 5; HeiK-InsO/Rüntz § 18 Rn 12; G/E/S/Gehrlein Vor § 64 Rn 15; Buchalik/Kraus KSI 2012, 60, 62; jüngst auch BGH (Z) GmbHR 2014, 259, 260: Zahlungsunfähigkeit droht, wenn der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit wahrscheinlicher ist als ihre Vermeidung. 469 S § 7 Rn 19 und den anschaul Zahlungsfähigkeitsplan bei Matzen, S 96 f. 470 Dafür etwa HeiK-InsO/Rüntz § 18 Rn 11; Bieneck StV 1999, 43, 45; wohl auch Dohmen, S 43; Burger/ Schellberg BB 1995, 261, 265; sehr skept mit Blick auf die Möglichkeiten der strafrechtlichen Ermittlungspraxis aber Uhlenbruck wistra 1996, 1, 3; sa Matzen, S 94 f, der von einer „Prognose einer Prognose“ spricht, die in praxi zu erheblichen Feststellungs- und Beweisschwierigkeiten führt; ebenso K Schmidt/ K Schmidt § 18 Rn 12: „Eine solche Doppelprognose ist unrealistisch“. 471 MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 91; AnwK/Püschel Vor §§ 283–283d Rn 26; ders Rissing-van Saan-FS, S 471, 487. 472 Dafür Bittmann wistra 1998, 321, 325: Wahrscheinlichkeitsgrad müsse mit der Länge der Prognosedauer steigen; zust Böttger/Verjans 4/29; dagegen K Schmidt/K Schmidt § 18 Rn 21, der zu Recht darauf hinweist, dass mit der Länge der Prognosedauer nur die Schwierigkeit wächst, eine valide Prognose zu erstellen. 473 Dafür etwa M-G/Richter § 78 Rn 54 f; Plathner, S 187 und passim; Erdmann, S 148, 156 m Fn 660; Ressmann, S 295 f. 474 Siehe o Rn 41. 475 Zutr M-G/Richter § 78 Rn 54; Bieneck StV 1999, 43, 45. 476 Die Praktikabilität solcher objektiver Wahrscheinlichkeitsmethoden bezweifelt Bretzke, S 93 ff. 477 Dafür Bretzke, S 99 ff.

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§ 12 Bankrott, §§ 283, 283a StGB u. Verletz. d. Buchführungspflicht, § 283b StGB | 643

einem starken Preisverfall wegen eines verschärften Wettbewerbs oder der unterbliebenen Entwicklung neuer Produkte rückzukoppeln.478

VII. Die Tathandlungen des § 283 Abs 1 Nr 1 StGB Neben den Buchführungsdelikten (§§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b StGB479) bilden die Bank- 58 rotthandlungen des Beiseiteschaffens und Verheimlichens iSv § 283 Abs 1 Nr 1 StGB die praxisrelevantesten Anwendungsfälle des § 283 Abs 1 StGB.480 Tatgegenstand der von § 283 Abs 1 Nr 1 StGB geregelten Tatmodalitäten ist die präsumtive Insolvenzmasse. Anders ausgedrückt: Der Schuldner muss, damit er gem § 283 Abs 1 Nr 1 StGB haftet, solche Bestandteile seines Vermögens beiseiteschaffen, verheimlichen, beschädigen etc, die in die Masse fallen, sofern das Insolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet wird.

1. Taugliche Tatgegenstände Den gegenständlichen Umfang der Insolvenzmasse regeln die §§ 35 ff InsO. Im Fokus 59 steht § 35 Abs 1 InsO, dem zufolge das Insolvenzverfahren zum einen das Vermögen des Schuldners erfasst, das diesem im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung gehört und sich zum anderen auch auf diejenigen Vermögensbestandteile erstreckt, die der Schuldner während des Verfahrens hinzuerwirbt. Freilich bleibt der Schuldner, der dem Insolvenzverwalter seinen Neuerwerb nicht anzeigt, nach dem hier vertretenen Ansatz sub specie § 283 StGB straflos,481 muss jedoch auf dem Boden der hM, die die Vornahme von Bankrotthandlungen im eröffneten Insolvenzverfahren genauso behandelt wie im Vorfeld der objektiven Strafbarkeitsbedingung, damit rechnen, wegen Bankrotts verurteilt zu werden.482 Selbst vom Standpunkt der hM keine Bankrottstrafbarkeit – etwa gem § 283 Abs 1 Nr 8 StGB – droht hingegen dem Schuldner, der es unterlässt, eine mögliche und zumutbare Erwerbstätigkeit zu ergreifen.483 Neben dem bereits genannten Bestand gehören des Weiteren zur Masse die Vermögenswerte, aus denen einzelne Gläubiger abgesonderte Befriedigung verlangen können (vgl §§ 49 ff InsO). Zusammengefasst sind

_____ 478 Ausf Bretzke, S 100 f; zu weiteren Indizien s S/S/W/Bosch Vorbem §§ 283 ff Rn 14 aE. 479 Dazu su Rn 120 ff. 480 Zu diesem Befund Brackmann, S 265; sa LK/Tiedemann § 283 Rn 14; ders KTS 1984, 539, 540, der wegen der enormen Reichweite, die die Rspr dieser Bankrotthandlung verschafft hat, von einer Generalklausel spricht. 481 Siehe o Rn 9. 482 In diesem Kontext s etwa LK/Tiedemann § 283 Rn 24; SK/Hoyer § 283 Rn 28. 483 LK/Tiedemann § 283 Rn 24; s ferner auch OLG Düsseldorf NJW 1982, 1712, 1713; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 13; M/R/Altenhain § 283 Rn 15; Weyand/Diversy Rn 64; Böttger/Verjans 4/46; Kollmar, S 46; Hörl, S 93; Grosche, S 59; Brackmann, S 254; Reichelt, S 96, denen zufolge die Arbeitskraft des Schuldners schon nicht zum geschützten Vermögen rechnet; einen hiervon diametral abw Ansatz vertritt hingegen Schulte ZInsO 2002, 265, 266 ff, dem zufolge sich der Schuldner, der eine ihm zumutbare Tätigkeit ohne Not aufgibt und deshalb in den Strudel der Insolvenz gerät, gem § 283 Abs 1 Nr 8 StGB durch Unterlassen strafbar macht. Die erforderliche Garantenstellung folgert er aus den Verträgen, die der Schuldner mit seinen Gläubigern eingegangen ist und die ihn verpflichten sollen, auf deren Interessen Rücksicht zu nehmen. Das überzeugt jedoch nicht. Neben den verfassungsrechtlichen Implikationen – das Damoklesschwert der Bankrottstrafbarkeit verwehrte es dem Schuldner, seinen ihm opportunen Lebensentwurf zu verfolgen und käme somit sogar in Konflikt mit Art 1 GG – verkennt diese Ansicht, dass es nicht Aufgabe des § 283 StGB ist, einen lückenlosen Gläubigerschutz zu gewährleisten. Weitere Gegenargumente bei Weyand ZInsO 2002, 270 f.

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taugliche Tatgegenstände somit sämtliche bewegliche und unbewegliche Sachen, egal ob sie im In- oder Ausland belegen sind, Forderungen, Anwartschaftsrechte sowie alle immateriellen Güter, etwa know-how,484 Geschäftsbücher (vgl § 36 Abs 2 Nr 1 InsO) – soweit sie einen eigenen Vermögenswert haben, andernfalls ihren Schutz die Nrn 6 und 8 bewerkstelligen485 – und Kundenkarteien.486 Eine materiellrechtliche Bagatellgrenze gibt es richtigerweise nicht.487 Auch die Firma des schuldnerischen Unternehmens kommt als Tatobjekt in Betracht, sofern sie selbstständig verkehrsfähig und der Insolvenzverwalter berechtigt ist, über sie zu verfügen. 488 Ohne Einverständnis des Schuldners kann der Insolvenzverwalter jedoch solche Firmen eines Einzelhandelskaufmanns bzw einer Personenhandelsgesellschaft nicht verwerten, die den Familiennamen des Schuldners (mit)enthalten.489 Grds keine Rolle spielt es, ob der Schuldner den beiseite geschafften Vermögenswert rechtmäßig oder unrechtmäßig erworben hat.490 Hat der Schuldner die beiseite geschaffte Sache allerdings zuvor gestohlen oder unterschlagen, scheidet eine Strafbarkeit gem § 283 Abs 1 Nr 1 StGB aus, da der Eigentümer der gestohlenen bzw unterschlagenen Sache ein Aussonderungsrecht besitzt und Gegenstände, an denen ein solches Recht besteht, nicht in die Masse fallen491.492 60 Keine tauglichen Tatgegenstände sind hingegen all diejenigen Vermögensbestandteile, die im Insolvenzverfahren nicht zugunsten der Gläubigergesamtheit verwertet werden dürfen. Hierzu rechnen neben dem pfändungsfreien Vermögen (vgl § 36 Abs 1 InsO, der aber insoweit enger gefasst ist als § 811 ZPO, als er die Pfändungsverbote des § 811 Abs 1 Nrn 4 und 9 ZPO nicht akzeptiert), das dem Schuldner verbleibt493 (s erg auch

_____ 484 S nur Hörl, S 285, 301 f, der aber eine umfassende Einzelfallprüfung anmahnt, inwieweit dem „knowhow“ ein Vermögenswert zukommt; vgl ferner Brackmann, S 253. 485 LK/Tiedemann § 283 Rn 18; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 15; Brackmann, S 254 ff; aA Hörl, S 105 ff, dem zufolge sämtlichen Geschäftsbüchern zumindest ein mittelbarer Wert zukommt, weshalb der Schuldner, der Geschäftsbücher beiseiteschafft, immer gem § 283 Abs 1 Nr 1 StGB haftet. 486 S iE LK/Tiedemann § 283 Rn 16, 19; NK/Kindhäuser § 283 Rn 9; SK/Hoyer § 283 Rn 27; M-G/Richter § 83 Rn 5, 8; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 15; Grosche, S 56 ff; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1025, 1027; Hörl, S 91 ff; zu gewerblichen Schutzrechten als Massebestandteil s näher Brackmann, S 252 f. 487 LK/Tiedemann § 283 Rn 17; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 15; MAH/Böttger § 19 Rn 120; Weyand/Diversy Rn 63; aA NK/Kindhäuser § 283 Rn 8. 488 LK/Tiedemann § 283 Rn 19; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 12; M/G/Rinjes 8/94; Hörl, S 137 und passim; Brackmann, S 253; aA noch BGH/H GA 1953, 73; skept gegenüber dieser Entscheidung Hammerl, S 17 m Fn 68. 489 Zum Ganzen ausf OLG Düsseldorf NJW 1982, 1712, 1713; LK/Tiedemann § 283 Rn 19; NK/Kindhäuser § 283 Rn 10; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 3a; S/S/W/Bosch § 283 Rn 3; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 12; Böttger/Verjans 4/46; aA aber Hörl, S 153; ferner mit guten Gründen auch Brackmann, S 316 ff. 490 BGH GA 1955, 149, 150; BGH/H GA 1953, 74: übermäßiger Verbrauch von durch Betrug erlangten Mitteln; RGSt 66, 175, 178 f; SK/Hoyer § 283 Rn 26; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 9; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 3a; M/R/Altenhain § 283 Rn 15; MAH/Böttger § 19 Rn 123; Pape/Uhländer/Hofmann § 283 Bankrott Rn 14; Böttger/Verjans 4/47; Kollmar, S 49; Grosche, S 58. 491 Su Rn 60. 492 BGH GA 1955, 149, 150; LK/Tiedemann § 283 Rn 20; NK/Kindhäuser § 283 Rn 9; SK/Hoyer § 283 Rn 26; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 11; MAH/Böttger § 19 Rn 123; Böttger/Verjans 4/47; Kollmar, S 50, 87; Hörl, S 81 f, 84 ff; Brackmann, S 263; wohl auch D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1025, die nur solche Vermögensgegenstände nennen, die der Schuldner qua Betrugs erlangt hat; aA, freilich im Kontext des § 288 StGB RGSt 61, 407, 409; ebenso M-G/Richter § 83 Rn 16. 493 Hierzu gehört iÜ auch der Eigentumsverschaffungsanspruch auf eine unpfändbare Sache; s dazu RGSt 73, 127 f; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 14; Kollmar, S 47; zur Pfändbarkeit von Rentenansprüchen s AG Nürnberg ZInsO 2012, 339, 341. Kein Pfändungsverbot besteht hingegen, wenn der Schuldner während des Insolvenzverfahrens unpfändbare Bestandteile seines Arbeitslohns auf ein eigens hierfür eingerichtetes Konto einbezahlt; solches Vermögen darf der Insolvenzverwalter zur Masse ziehen und an die Gläubiger

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§ 12 Bankrott, §§ 283, 283a StGB u. Verletz. d. Buchführungspflicht, § 283b StGB | 645

§ 36 Abs 3 InsO bzgl des Hausrates)494 sowie Forderungen, die dem Schuldner nur zur Einziehung abgetreten495 bzw Sachen, die ihm zur Sicherheit übereignet worden sind,496 solche Gegenstände, die entweder einen bloßen Affektionswert besitzen und somit wertlos sind 497 oder den Gläubiger zur Aussonderung berechtigen (vgl § 47 InsO).498 Kaufte jedoch der Schuldner eine Sache unter Eigentumsvorbehalt, besteht, obschon diese Sache aufgrund des dem Vorbehaltsverkäufer zustehenden Aussonderungsrechts nicht zur Masse rechnet,499 gleichwohl die Möglichkeit, an dieser Sache die Bankrotthandlung des § 283 Abs 1 Nr 1 Var 1 StGB zu begehen, indem der Schuldner sein (werthaltiges)500 Anwartschaftsrecht beiseiteschafft.501 Ob darüber hinaus sicherungsübereignete Gegenstände, die weniger wert sind als 61 die besicherte Forderung bzw Grundstücke, die bis zur Wertobergrenze mit Grundsicherheiten belastet sind,502 aus dem Kreis der Tatgegenstände herausfallen, ist unklar. Kein Streit herrscht jedenfalls insoweit, als wegen Beiseiteschaffens von Massebestandteilen haftet, wer sicherungsübereignete Gegenstände verbirgt, weil sich dadurch der Kreis der an der Masse partizipierenden Gläubiger erhöht und deshalb nicht nur der Sicherungsnehmer, sondern alle Gläubiger Schaden nehmen.503 Hingegen schmälert der Schuldner die Masse nicht, der einem Gläubiger zulasten eines wertmäßig bereits ausgeschöpften Grundstücks weitere Grundsicherheiten bestellt;504 allenfalls macht er sich wegen Betrugs gegenüber diesem Gläubiger, nicht aber gem § 283 Abs 1 StGB strafbar. Überlässt jedoch der Schuldner den sicherungsübereigneten Gegenstand dem Siche-

_____ verteilen. Gleiches gilt für pfändungsfreie Vermögensgegenstände, die der Schuldner mit unpfändbaren Mitteln seines Arbeitseinkommens erwirbt bzw für den Erlös, den der Schuldner aus der Veräußerung eines unpfändbaren Gegenstandes erzielt; ausf zum Ganzen BGH NZI 2013, 968. 494 BGH wistra 1994, 349; BGH/H GA 1953, 73; RG GA 47 (1900), 158, 159; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 3a; Hiltenkamp-Wisgalle, S 161 f; Büttiker, (1914), S 40. 495 RGSt 72, 252, 255; LK/Tiedemann § 283 Rn 22; SK/Hoyer § 283 Rn 29; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 12; Kollmar, S 46. 496 M-G/Richter § 83 Rn 15; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 11. 497 BGHSt 5, 119, 121; BGHSt 3, 32, 36; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 3; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 15; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 109; W/J/Pelz 9/112; Weyand/Diversy Rn 63; Hörl, S 91. 498 RGSt 72, 252, 255; RGSt 66, 175, 177 f; LK/Tiedemann § 283 Rn 17, 21; NK/Kindhäuser § 283 Rn 8; S/S/W/Bosch § 283 Rn 3; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 3a; Fischer § 283 Rn 3a; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1026; W/J/Pelz 9/112; M/R/Altenhain § 283 Rn 15; M/G/Rinjes 8/93; Kollmar, S 46; Hörl, S 91; Grosche, S 59; Dohmen, S 69; Reichelt, S 96; Habetha, S 212 ff; Brackmann, S 260 ff; H.W. Schmidt NJW 1957, 1788, 1789; Wersdörfer BB 1952, 679, 680; Richter GmbHR 1984, 137, 149; zu den Sachen, bzgl derer ein Aussonderungsrecht besteht und die deshalb nicht in die Masse fallen, s MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 12; skept aber Hammerl, S 17 m Fn 69. 499 BGHSt 3, 32, 36. 500 Zum Erfordernis der Werthaltigkeit, die entscheidend davon abhängt, ob und wie viele Raten der Schuldner bereits getilgt hat, s BGH GA 1960, 375, 376. 501 BGHSt 3, 32, 36; BGH LM Nr 5 zu § 239 KO; dazu ausf auch LK/Tiedemann § 283 Rn 21; ferner Fischer § 283 Rn 3a; SK/Hoyer § 283 Rn 29; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 3a; M-G/B/Bieneck5 § 78 Rn 10; G/J/W/ Reinhart § 283 Rn 12; Weyand/Diversy Rn 65; Kollmar, S 51; Brackmann, S 263, 293; Richter GmbHR 1984, 137, 149 m Fn 191; Krumme LM Nr 11 zu § 240 KO; H.W. Schmidt NJW 1957, 1788 f, der aber die praktische Relevanz bezweifelt. 502 Dazu sa LK/Tiedemann § 283 Rn 17, dem zufolge solche Objekte jedenfalls nicht durch eine zusätzliche Belastung beiseite geschafft, wohl aber verheimlicht oder zerstört werden können. 503 BGHSt 5, 119, 120 f; BGH GA 1960, 375, 376; BGH LM Nr 9 zu § 239 KO; M-G/Richter § 83 Rn 10; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1028; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 15; Habetha, S 216 f; zu diesem Arg sa schon Kollmar, S 48; Klug JZ 1957, 462, 463; aA aber noch BGHSt 3, 32, 36. 504 M-G/Richter § 83 Rn 11; MAH/Böttger § 19 Rn 121; vgl aber auch RG HRR 1932, 1404: Beachtet werden muss die Möglichkeit, dass der Grundstückswert steigt.

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rungsnehmer, obschon dieser darauf (noch) keinen Anspruch hat, ist fraglich, ob er auf diese Weise über ein Objekt der künftigen Masse verfügt. Den Vorzug verdient die Ansicht, die solche Vermögensbestandteile nicht erfasst, da diese Gegenstände nur einzelnen Gläubigern zustehen, ihre Verwertung also nicht der Gläubigergesamtheit zugutekommt.505 Ein hiervon abweichendes Ergebnis erzwingt insbes § 171 InsO nicht. Gem § 171 InsO hat zwar der absonderungsberechtigte Gläubiger neun Prozent des auf den abgesonderten Vermögensgegenstand entfallenden Verwertungserlöses der Masse zu überlassen, sofern sich der Insolvenzverwalter dazu entschließt, von seinem Recht Gebrauch zu machen, den Gegenstand selbst zu verwerten (vgl §§ 165, 166 InsO). Allerdings deckt die Feststellungs- und Verwertungskostenpauschale des § 171 InsO regelmäßig nur die Kosten, die der Masse daraus entstehen, dass der Insolvenzverwalter die Befugnis der §§ 165, 166 InsO wahrnimmt und ist somit ungeeignet, den Massebestand zu vergrößern.506

2. Die Tathandlung des Beiseiteschaffens 62 Der Schuldner, der den alsbaldigen Gläubigerzugriff durch (dinglich)rechtliche oder tat-

sächliche Verfügungen vereitelt bzw wesentlich erschwert, verwirklicht die Tatmodalität des Beiseiteschaffens.507 Ob die Tathandlung den Gläubigerzugriff rechtlich bzw tatsächlich erschwert, bestimmt sich nach den Zugriffsmöglichkeiten eines gedachten Insolvenzverwalters unter gleichzeitiger Berücksichtigung seiner gegenüber dem Schuldner bestehenden Auskunftsrechte (vgl § 97 InsO).508 Rechtsgeschäftlich schafft der Schuldner demnach Vermögen beiseite, der ohne adäquate Gegenleistung zB Gegenstände übereignet bzw verpfändet, Forderungen abtritt oder einen bestimmten Geldbetrag auf ein fremdes Konto überweist, wobei es auf die (zivil-)rechtliche Wirksamkeit dieser Handlungen nicht ankommt.509 Vor diesem Hintergrund hat die Rspr dem Schuldner, der seine

_____ 505 So W/J/Pelz 9/114; Habetha, S 214 ff, der aber nach Insolvenzverfahrenseröffnung mit Blick auf das Verfügungsrecht des Insolvenzverwalters ein Beiseiteschaffen bejaht (aaO, S 222); implizit auch M-G/ Richter § 83 Rn 10; sympathisierend Weyand/Diversy Rn 65; zw gegenüber der Annahme eines Beiseiteschaffens auch BGHSt 5, 119, 121; ferner Kollmar, S 58. 506 AA aber Bittmann/Bittmann Voraufl Rn 98; zust MAH/Böttger § 19 Rn 121. 507 BGHSt 55, 107, 113; BGH/H GA 1954, 310; BGH/H GA 1953, 74; OLG Frankfurt aM wistra 1997, 274; LG Hamburg ZIP 1997, 2091, 2092; RGSt 66, 130, 131; RGSt 64, 138, 140; RGSt 62, 277, 278; RGSt 61, 107, 108; RGSt 2, 118, 119 f; RG JW 1936, 3006 (Nr 51); LK/Tiedemann § 283 Rn 25; NK/Kindhäuser § 283 Rn 12; SK/ Hoyer § 283 Rn 30; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 4; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 13; Fischer § 283 Rn 4; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 10; M/R/Altenhain § 283 Rn 16; M-G/Richter § 83 Rn 17; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 16; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1029; M/G/Rinjes 8/102; Kollmar, S 54; Geers, S 158 f; Hörl, S 71; Reichelt, S 96 f; Schlüchter JR 1982, 29 f; Cyrus/Köllner NZI 2016, 288, 291; enger freilich das Verständnis von Haas wistra 1989, 259, 260 im Kontext des § 288 StGB. Erg und zur Abgrenzung zu den unwirtschaftlichen Ausgaben su Rn 78. 508 Grdl BGHSt 55, 107, 115, der zu Recht darauf hinweist, dass eine Erschwerung der Einzelzwangsvollstreckung iRd § 283 StGB irrelevant ist; zust Anm von Brockhaus NJW 2012, 2899; s ferner Lackner/Kühl/ Heger § 283 Rn 10; M/R/Altenhain § 283 Rn 17; Pape/Uhländer/Hofmann § 283 Bankrott Rn 16; Böttger/ Verjans 4/48; Weyand/Diversy Rn 66; Fauser ZWH 2013, 273; mit guten Gründen krit aber Bosch JA 2011, 151, 153. 509 BGHSt 55, 107, 114; zu weiteren Bsp su Rn 67; dazu, dass die rechtliche Wirksamkeit ohne Belang ist, s ferner NK/Kindhäuser § 283 Rn 12; SK/Hoyer § 283 Rn 30; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 16; aA aber RGSt 61, 107, 108; ferner wohl BGH LM Nr 2 zu § 239 KO, der wegen der unwirksamen Übereignung der inkriminierten Gegenstände lediglich Bankrott in der Variante des Vortäuschens fremder Rechte bejahte; ebenso W Fleischer NJW 1978, 96, 97, der eine wirksame dingliche Rechtsänderung fordert, andernfalls lediglich ein versuchtes Beiseiteschaffen vorliege; s des Weiteren auch LG Hamburg ZIP 1997, 2091, 2092, das im

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§ 12 Bankrott, §§ 283, 283a StGB u. Verletz. d. Buchführungspflicht, § 283b StGB | 647

Forderungen über das Konto eines Dritten, bzgl dessen er nicht verfügungsberechtigt war, einzog510 sowie dem Schuldner, der Gelder an von ihm beherrschte, rechtlich aber selbstständige Gesellschaften übertrug,511 ein Beiseiteschaffen zur Last gelegt. Ohne die rechtliche Zuordnung eines Vermögensgegenstandes zu verändern und damit tatsächlich schafft beiseite, wer „den Zugriff der Gläubiger auf [den Gegenstand] objektiv unmöglich macht oder zumindest wesentlich erschwert“.512 – Vollendet ist das rechtsgeschäftliche Beiseiteschaffen mit der Vornahme des Erfüllungsgeschäfts 513 bzw bei Verfügungen über Grundstücke schon mit der Eintragung einer Vormerkung.514 Der Abschluss eines auf das Beiseiteschaffen von Vermögensgegenständen gerichteten Verpflichtungsgeschäfts bzw die Abgabe der Auflassungserklärung überschreiten jedoch die Schwelle des § 22 StGB und geraten damit in das Fahrtwasser des versuchten Bankrotts515.516

a) Restriktive Interpretationsansätze Angesichts der ausufernden Interpretation, die das Merkmal „Beiseiteschaffen“ va in der 63 Praxis erfahren hat, verwundert der Befund nicht, dass der vorstehend genannten Definition auch solche schuldnerischen Verhaltensweisen unterfallen, die – jedenfalls sub specie § 283 StGB – nicht strafwürdig sind. So müsste der Schuldner, der zu seinem Lebensunterhalt Vermögen unterhalb des Pfändungsfreibetrags einsetzt bzw fällige Forderungen befriedigt, eine Strafbarkeit wegen Beiseiteschaffens von präsumtiven Massebestandteilen befürchten. Solche unbefriedigenden Ergebnisse lassen sich jedoch vermeiden, wenn man entweder das einschränkende Merkmal eines groben Verstoßes gegen die Anforderungen ordnungsgemäßen Wirtschaftens von § 283 Abs 1 Nr 8 Var 1 StGB auf § 283 Abs 1 Nr 1 Var 1 StGB überträgt517 oder aber (subjektiv) fordert, der Täter müsse mit finaler Gläubigerbenachteiligungsabsicht gehandelt haben.518 Da

_____ Kontext des § 283d StGB ein Beiseiteschaffen durch Auszahlung eines Kontoguthabens entgegen einer verbindlichen Untersagung des Sequesters nicht erblicken will, weil die Auszahlung aufgrund der fehlenden Sequesterzustimmung nicht mit befreiender Wirkung erfolgte und deshalb die Masse nicht mindern konnte. Solchermaßen bleibt jedoch der Charakter der §§ 283, 283d StGB als (abstrakt-konkrete) Gefährdungsdelikte unberücksichtigt, kommt es doch gerade deshalb nicht darauf an, ob die beiseite geschafften oder verheimlichten Gegenstände später wieder zur Masse zurückgeholt werden können. 510 BGHSt 34, 309, 310 f. 511 OLG Frankfurt aM NStZ 1997, 551. 512 BGHSt 55, 107, 114. 513 Der Abschluss des Verpflichtungsgeschäfts genügt somit zur Annahme eines vollendeten Beiseiteschaffens noch nicht; vgl dazu nur S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 4; Reichelt, S 96. 514 RG DRiZ 1934, Nr 315; Fischer § 283 Rn 4a; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 4; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1036; SK/Hoyer § 283 Rn 30. 515 Vgl § 283 Abs 3 StGB und u Rn 252 ff. 516 RGSt 61, 107, 109; zum Ganzen ferner M-G/Richter § 83 Rn 26; weitergehend RGSt 2, 118, 120: Auflassung als vollendetes Beiseiteschaffen. 517 So iE BGH/H GA 1953, 74; sa schon RGSt 62, 277, 278, das zudem ein Vereitelungsbewusstsein fordert; aus dem Schrifttum s W/J/Pelz 9/117; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 17, 23; MAH/Böttger § 19 Rn 125; Reichelt, S 97; NK/Kindhäuser § 283 Rn 15, der als subjektive Komponente des ordnungswidrigen Wirtschaftens die Absicht verlangt, die Befriedigungsinteressen der Gläubiger anderweitigen wirtschaftswidrigen Zwecken hintenanzusetzen (aaO Rn 16); sa Brackmann, S 278 ff, 438, der ein schlichter Verstoß gegen die Grds ordnungsgemäßen Wirtschaftens genügt; abl Brockhaus NJW 2010, 2899, der das ordnungsgemäße Wirtschaften als eine schwer zu fassende und einzelfallbezogene Floskel disqualifiziert; skept auch M-G/ Richter § 83 Rn 20. 518 LK/Tiedemann § 283 Rn 28 f; Habetha, S 194 ff.

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beide Vorschläge einer restriktiven Auslegung regelmäßig zu identischen Resultaten führen519 und zudem Hoyer exemplifiziert hat, dass selbst auf dem Boden der weiten Interpretation des Merkmals „Beiseiteschaffen“ die pathologischen, strafunwürdigen Verhaltensweisen nicht zwingend der Definition unterfallen,520 bedarf es keines Streitentscheids. Nur so viel: Mehr spricht dafür, die Restriktion des Merkmals „Beiseiteschaffen“ – so man sie überhaupt für erforderlich hält – mithilfe des (groben) Verstoßes gegen die Anforderungen ordnungsgemäßen Wirtschaftens zu bewerkstelligen,521 statt auf eine dem § 283 StGB im Unterschied zu § 239 KO aF unbekannte Gläubigerbenachteiligungsabsicht zu rekurrieren,522 zumal die Anforderungen ordnungsgemäßen Wirtschaftens einen Zentralbegriff des § 283 StGB bilden und es ohnehin ungereimt erscheint, warum der Gesetzgeber bei sämtlichen bestandsbezogenen Bankrotthandlungen außer dem Beiseiteschaffen und Verheimlichen diese einschränkende Voraussetzung statuierte. Resümierend: Den Tatbestand erfüllt weder der Schuldner, der eine fällige Leistung erbringt,523 noch der Schuldner, der Vermögen weggibt, dafür aber eine gleichwertige Gegenleistung erhält524 – möglich bleibt aber eine Strafbarkeit gem § 283 Abs 1 Nr 2 Var 4 StGB, sofern der wertäquivalente Gegenstand der präsumtiven Masse nicht nutzt525 – und schließlich auch nicht der Schuldner, der die präsumtive Masse schmälert, um damit seinen angemessenen Lebensunterhalt zu bestreiten526,527 solange er dadurch weder den Pfändungsfreibetrag (vgl § 850c ZPO) überschreitet528 noch – quasi auf Vor-

_____ 519 Zu diesem Befund MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 15; Fischer § 283 Rn 4b; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1031. 520 SK/Hoyer § 283 Rn 32 ff. 521 So auch iE MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 15. 522 Zu diesem Aspekt s bereits SK/Hoyer § 283 Rn 31; zu weiteren Einwänden gegen diesen subjektiven Ansatz sa G/J/W/Reinhart § 283 Rn 17, der zum einen auf die schwierige Beweisbarkeit und zum anderen auf die Indifferenz zahlreicher rechtlich und sozial missbilligter Verhaltensweisen hinweist, die – wie die Zahlung von Bestechungsgeld – keine Gläubigerschädigung bezwecken. 523 BGHSt 34, 309, 310; BGH/H GA 1953, 74; LK/Tiedemann § 283 Rn 29; SK/Hoyer § 283 Rn 34; S/S/ Heine/Schuster § 283 Rn 4; NK/Kindhäuser § 283 Rn 15; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 10; S/S/W/Bosch § 283 Rn 5; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 25; W/J/Pelz 9/117; MAH/Böttger § 19 Rn 127; M/G/Rinjes 8/102; Kollmar, S 72; Reichelt, S 97; Habetha, S 195 ff; wohl auch M/R/Altenhain § 283 Rn 18, sofern Vermögensverschiebung die präsumtive Masse nicht schmälert. 524 BGH/H GA 1954, 310; RGSt 66, 130, 131; RGSt 62, 152; RG JW 1936, 3006 (Nr 51); RG JW 1936, 3006 (Nr 52); RG HRR 1935, 158; LK/Tiedemann § 283 Rn 30; ders KTS 1984, 539, 545; SK/Hoyer § 283 Rn 33; S/S/W/Bosch § 283 Rn 5; ferner NK/Kindhäuser § 283 Rn 15; M/R/Altenhain § 283 Rn 18; M-G/Richter § 83 Rn 19; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1030; W/J/Pelz 9/117; MAH/Böttger § 19 Rn 125; M/G/Rinjes 8/102; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 25; Hörl, S 356; Habetha, S 195; Brackmann, S 275; Rönnau Kühl-FS, S 711, 728; Cyrus/Köllner NZI 2016, 288, 291; Alsberg Pinner-FS, S 215, 221; s ferner RGSt 71, 227, 230; RGSt 6, 100, 103 beide im Kontext des § 288 StGB; enger Kollmar, S 54 f, der solche Gegenwerte nicht berücksichtigen will, die der Schuldner einfacher beiseiteschaffen kann. 525 Su Rn 79. 526 S aber auch o Rn 33. 527 BGH JR 1982, 29 = MDR 1981, 510, 511 = NJW 1981, 1458 (Ls.), der mit Blick auf die veränderte Situation auf die Familienverhältnisse, den Haushaltszuschnitt sowie die bisherigen persönlichen Lebensverhältnisse abstellt, um anhand dieser Parameter den angemessenen Unterhalt zu errechnen; sa Kollmar, S 56; vgl ferner auch M/R/Altenhain § 283 Rn 18, der darauf hinweist, dass die wirtschaftliche Krise Einschränkungen im bisherigen Lebenszuschnitt nötig machen kann, weshalb sich der erforderliche Unterhalt nicht zwingend mit dem Lebenszuschnitt deckt, wie ihn der Schuldner und seine Familie vor Eintritt der wirtschaftlichen Krise gepflegt haben; ähnl S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 4, der zusätzlich noch darauf hinweist, dass die vom Schuldner zu verlangende Einschränkung seines Lebenszuschnitts von der Art der Krise abhängig sei; s auf dieser Linie auch schon RG JW 1935, 2061 f. 528 Wie hier Schlüchter JR 1982, 29, 30; SK/Hoyer § 283 Rn 34, 52; M-G/Richter § 83 Rn 22; D/K/H/ Dannecker/Hagemeier Rn 1031, 1047; ebenso wohl MAH/Böttger § 19 Rn 127: Angemessenheit hat sich an

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rat – Mittel entnimmt, die den Unterhalt für eine längere Zeitspanne sichern sollen.529 Ebenfalls kein bankrottstrafrechtlich relevantes Beiseiteschaffen liegt dem Schuldner zur Last, der während seiner Krise gem § 167 VVG eine Lebensversicherung in eine Versicherung umwandelt, die den Anforderungen des § 851c Abs 1 ZPO entspricht und damit der Pfändbarkeit entzogen ist.530

b) Besonderheiten bei Einzelunternehmern und Personen(handels)gesellschaften Schwierige Probleme stellen sich, sobald die Frage im Raum steht, ob ein Einzelhan- 64 delskaufmann bzw der persönlich haftende Gesellschafter einer Personen(handels-) gesellschaft, der Vermögensbestandteile des Unternehmens seinem Privatvermögen einverleibt, dadurch die Tatmodalität des Beiseiteschaffens begeht. Während der Einzelunternehmer, der Unternehmensvermögen privat verbraucht, dieses mangels einer rechtlichen Trennung zwischen Unternehmens- und Privatsphäre grds nicht beiseiteschafft531 – es sei denn der Transfer erschwert den Gläubigerzugriff erheblich –, liegen die Dinge prima vista anders, sobald dieselbe Handlung der persönlich haftende Gesellschafter einer Personen(handels)gesellschaft vornimmt, da sich auf diese Weise die rechtliche Zuordnung des Vermögensobjekts ändert – bspw von Gesamthandseigentum bzw Alleineigentum532 der Gesellschaft zu Alleineigentum des Gesellschafters. Hier ein Beiseiteschaffen zu verneinen, weil der Gesellschafter persönlich haftet, überzeugt schon vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Gläubigerkreise nicht – der Gesellschafter haftet nicht nur den Gesellschafts-, sondern auch seinen eigenen Gläubigern. Der Schutzzweck des § 283 StGB rechtfertigt es deshalb, solches Verhalten als Beiseiteschaffen zu qualifizieren, zumal die Gesellschaftsgläubiger, die, sofern es nicht gelingt, das entnommene Objekt zur Masse zurückzuholen, mit den Privatgläubigern des Gesellschafters konkurrieren, bereits gefährdet sind. Hat freilich der Gesellschafter den Gegenstand aufgrund wirtschaftlich nachvollziehbarer Erwägungen in sein Privatvermögen verschoben und folglich nicht gegen die Anforderungen ordnungsgemäßen Wirtschaftens verstoßen, bleibt er unter bankrottstrafrechtlichen Gesichtspunkten straflos. Da die Gesellschafter einer Personen(handels)gesellschaft – von den Kommanditis- 65 ten abgesehen (vgl § 171 Abs 1 HGB) – persönlich und unbeschränkt für die Gesellschaftsschulden haften (vgl § 128 S 1 HGB), erscheint es keineswegs unwahrscheinlich, dass sie Bestandteile ihres Privatvermögens beiseiteschaffen, sobald sie die wirtschaftlichen Schwierigkeiten „ihres“ Verbandes bemerken. Befindet sich zwar die Gesellschaft,

_____ der Krisensituation zu orientieren; sa MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 28, allerdings im Kontext des § 283 Abs 1 Nr 2 StGB („unwirtschaftliche Ausgaben“); ebenso im Kontext der Nr 2 Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 101; großzügiger LK/Tiedemann § 283 Rn 31, dem zufolge der Schuldner nicht darauf beschränkt ist, Entnahmen nur in Höhe des notdürftigen Unterhalts zu tätigen; ähnl wohl Fischer § 283 Rn 4a; enger NK/Kindhäuser § 283 Rn 13, der aber gleichwohl den Rekurs auf den Pfändungsfreibetrag für zu eng erachtet; auf dieser Linie auch Brackmann, S 300 ff; sa G/J/W/Reinhart § 283 Rn 25, dem zufolge der Schuldner sich einzuschränken hat. 529 BGH JR 1982, 29 = MDR 1981, 510, 511 = NJW 1981, 1458 (Ls); zust Fischer § 283 Rn 4a; S/S/W/Bosch § 283 Rn 5; Schlüchter JR 1982, 29, 30. 530 Grdl Kemperdick ZInsO 2009, 2099, 2100 ff; zust AnwK/Püschel § 283 Rn 6. 531 LK/Tiedemann § 283 Rn 31, der ein Beiseiteschaffen allenfalls im Verbrauch des entnommenen Geldes erblicken will, allerdings nur, sofern es um das Horten von Geldmitteln für die Zukunft geht. 532 Für die Zuordnung des Gesellschaftsvermögens zur Personengesellschaft als einem rechtsfähigen Verband sprechen sich aus: Kießling Hadding-FS, S 477, 492 f; ferner MK-BGB/K Schmidt § 741 Rn 4; Hüffer/ Koch, S 22, 98, 105; ebenso Brand, S 210 ff; zust Ceffinato, S 331.

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nicht aber der Gesellschafter, der sein Vermögen beiseiteschafft, im Stadium der materiellen Insolvenz, macht sich der Gesellschafter allenfalls – sofern ihm die Zwangsvollstreckung droht – gem § 288 Abs 1 StGB strafbar.533 Wegen der unbeschränkten und persönlichen Haftung dürfte aber die materielle Insolvenz der Gesellschaft häufig auf den Gesellschafter „durchschlagen“, der dann, falls er eigenes Vermögen beiseiteschafft, den Tatbestand des § 283 Abs 1 Nr 1 Var 1 StGB erfüllt.

c) Beiseiteschaffen durch Unterlassen 66 Der Schuldner kann die Bankrotthandlung des Beiseiteschaffens grds auch durch Unter-

lassen begehen,534 etwa wenn er einen Dritten nicht hindert, präsumtive Massebestandteile zu okkupieren. Freilich genügt die schlichte Untätigkeit des Schuldners nicht. Vielmehr muss zusätzlich eine Garantenstellung feststellen, wer den Vorwurf des § 283 Abs 1 Nr 1 Var 1 StGB erheben will. Keine Garantenstellung mit der Pflicht, Schädigungen der künftigen Masse zu verhindern, knüpft an die bloße Schuldnerposition.535 Jedoch sind Fallgestaltungen der Ingerenzgarantenstellung vorstellbar, in denen der Schuldner pflichtwidrig eine Situation schafft, vermöge derer ein Dritter Teile des Schuldnervermögens bspw pfändet und der Schuldner trotz Möglichkeit und Zumutbarkeit hiergegen nicht einschreitet.536

d) Beispiele 67 Abschließend seien einige Konstellationen aufgezählt, die die Rspr als Beiseiteschaffen

qualifiziert: Zahlung eines Schmiergeldes, um einen lukrativen Auftrag zu erlangen,537 die wirkliche oder scheinbare Übertragung von Vermögenswerten auf nahe Angehörige538 bzw ein tätereigenes Tochterunternehmen, das Verbringen von Gegenständen an einen anderen Ort,539 um sie entweder vor den Gläubigern zu verbergen oder leichter veräußern zu können, die Verpfändung von Sachen,540 der Verkauf eines Grundstücks541 bzw die Übertragung eines Miteigentumsanteils hieran, die Löschungsbewilligung für eine Grundschuld,542 die (wirtschaftswidrige) Bestellung einer Grundschuld543 bzw einer Hypothek trotz entgegenstehender Vormerkung,544 die Eintragung einer Auflassungsvormerkung,545 die Veräußerung eines übertragbaren Ankaufsrechts an einem Grund-

_____ 533 Zutr schon OLG Kassel GA 37 (1890), 314 f. 534 AA aber Geers, S 160 f, der zufolge ein Beiseiteschaffen durch Unterlassen generell ausgeschlossen ist. 535 AllgM; s nur LK/Tiedemann § 283 Rn 37; ders KTS 1984, 539, 544; NK/Kindhäuser § 283 Rn 14; SK/ Hoyer § 283 Rn 35, 49, 63; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 16; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 4; G/J/W/ Reinhart § 283 Rn 18; M/R/Altenhain § 283 Rn 35; MAH/Böttger § 19 Rn 129; Pape/Uhländer/Hofmann § 283 Bankrott Rn 17; Pohl, S 122; Brackmann, S 326 f. 536 So etwa MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 16; sa LK/Tiedemann § 283 Rn 37; NK/Kindhäuser § 283 Rn 14; SK/Hoyer § 283 Rn 35; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 115; undeutlich Brackmann, S 330 f. 537 G/J/W/Reinhart § 283 Rn 25, 32. 538 BGH/H GA 1971, 38: Übertragung eines Miteigentumsanteils an einem bis zum Verkehrswert belasteten Hausgrundstück auf die geschiedene Ehefrau. 539 BGHSt 11, 145 f. 540 RGSt 7, 237, 239 f, allerdings im Kontext des § 288 StGB. 541 RGSt 62, 152 f; RGSt 61, 107 f; RGSt 2, 118. 542 RGSt 62, 277 f; sa RG GA 40 (1893), 145 f: Aufgabe eines Nießbrauchs. 543 RGSt 66, 130, 131 f. 544 RGSt 38, 227, 231 f, allerdings im Kontext des § 288 StGB. 545 RG DRiZ 1934, 314.

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stück,546 die Verpachtung einer Gastwirtschaft an einen mittellosen Pächter,547 die Verbringung von Gegenständen, die zur Haftungsmasse einer Hypothek gehören,548 das Anerkenntnis einer eingeklagten, aber nicht bestehenden Forderung, um der Ehefrau einen Titel zu verschaffen, mithilfe dessen sie das verbliebene schuldnerische Vermögen zulasten der Gläubiger pfänden kann, das Einziehen einer Forderung vor Fälligkeit,549 das Ausschlagen einer (werthaltigen) Erbschaft, 550 das Verstecken einer Sache, die der Schuldner einem Dritten sicherungsübereignet hat, das Einziehen und Verbrauchen einer Forderung am Verwalter vorbei,551 die Entnahme von GmbH-Gesellschaftsvermögen durch den Geschäftsführer, um damit den eigenen Unterhalt zu bestreiten552 sowie die Umwandlung eines kapitalersetzenden Darlehens in eine Kaufpreisforderung. Kein Beiseiteschaffen fand die Rspr in Notverkäufen, die der Schuldner nach Zahlungseinstellung tätigte, um seine dringenden Lebensbedürfnisse zu decken,553 in einer gewerbeamtlichen Ummeldung mit dem Ziel, den Gläubigern vorzugaukeln, das schuldnerische Unternehmen habe seinen Inhaber gewechselt554 sowie im Transfer hoher Buchgeldpositionen von einem inländischen Konto des Schuldners auf ein ausländisches schuldnerisches Konto, sofern der Insolvenzverwalter ohne gewichtige Schwierigkeiten den dort befindlichen Geldbetrag zur Gläubigerbefriedigung nutzen kann, was wiederum maßgebend davon abhängt, welche Hürden das internationale Insolvenzrecht statuiert.555

3. Die Tathandlung des Verheimlichens Herkömmlicherweise verheimlicht, wer Massebestandteile vor den Gläubigern bzw 68 dem Insolvenzverwalter verbirgt.556 Da der Schuldner, der die räumliche Lage einzelner Vermögensgegenstände verändert – etwa indem er wertvolle Maschinen vom Betriebsgrundstück abholen und an einen anderen Ort verbringen lässt – bereits die Tatmodalität des Beiseiteschaffens verwirkt, genügt der Tatvariante „Verheimlichen“ jedes Verhalten, das gegenüber den Gläubigern oder dem Verwalter die Zugehörigkeit bestimmter Gegenstände zur Insolvenzmasse verschleiert. 557 Der Schuldner verheimlicht iSd § 283 Abs 1 Nr 1 Var 2 StGB, indem er bspw leugnet bzw verschweigt, dass ein Vermö-

_____ 546 BGH wistra 1994, 349. 547 RGSt 6, 100, 103 f, allerdings im Kontext des § 288 StGB; zust Kollmar, S 59 f. 548 RGSt 31, 22, 25 ff ebenfalls im Kontext des § 288 StGB. 549 RGSt 71, 227, 229. 550 RG JW 1902, 519 (zu § 288 StGB). 551 Vgl BGH/H GA 1961, 358. 552 BGH/H GA 1958, 47. 553 BGH LM Nr 4 zu § 239 KO; zust Kollmar, S 56. 554 RGSt 64, 138, 140. 555 BGHSt 55, 107, 114 ff, 117 ff (am Bsp von Liechtenstein). 556 RGSt 64, 138, 140; RG JW 1936, 3006 (Nr 51); OLG Frankfurt aM wistra 1997, 274; LK/Tiedemann § 283 Rn 38; Fischer § 283 Rn 5; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 10; SK/Hoyer § 283 Rn 36; NK/Kindhäuser § 283 Rn 24; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 5; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 17; M-G/Richter § 83 Rn 29; D/K/H/ Dannecker/Hagemeier Rn 1037; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 19; M/G/Rinjes 8/106; Uhlenbruck/Zipperer § 20 Rn 43; Hörl, S 72. 557 BGH/H GA 1954, 310; BGH/H GA 1956, 347: Abschluss eines Gütertrennungsvertrags, der fälschlicherweise Gegenstände des Schuldners als im Eigentum der Ehefrau stehend ausweist; SK/Hoyer § 283 Rn 36; Kollmar, S 62.

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genswert ihm und damit der Masse gehört558 oder aber behauptet, an einem Gegenstand bestünde ein Rechtsverhältnis, vermöge dessen der Gläubigerzugriff ausgeschlossen sei.559 Vollendet ist der Tatbestand, wenn es dem Schuldner gelingt, den Vermögensbestandteil zumindest vorübergehend zu verbergen.560 Um die zeitliche Grenze zu ermessen, von der ab der Schuldner den Vermögensbestandteil lange genug verstreckt und somit verheimlicht hat, bietet sich ein Rekurs auf die vergleichbare Problematik bei § 258 StGB an. Dort entspricht es hM, eine Straf- bzw Vollstreckungsvereitelung zu bejahen, sobald der Täter über einen Zeitraum von zwei Wochen hinweg die Strafverfolgungsbehörden daran gehindert hat, die Strafverfolgung bzw -vollstreckung gegen den Begünstigten einzuleiten.561 Die Tathandlung des Verheimlichens muss sich schließlich auf konkrete Vermögensbestandteile beziehen. Unzutreffende Angaben, die ganz allgemein die schuldnerischen Vermögensverhältnisse betreffen, erfasst § 283 Abs 1 Nr 2 StGB nicht; ggfs steht zur Ahndung solcher Verhaltensweisen aber § 283 Abs 1 Nr 8 StGB bereit562.563 Ebenfalls verheimlicht der Schuldner keine Vermögenswerte, der ein Verbraucherinsolvenzverfahren durchläuft und deshalb Forderungen an einen Treuhänder abtritt, womit dieser iRd außergerichtlichen Einigungsversuchs eine anteilige Gläubigerbefriedigung bewerkstelligen soll.564 Während die Vornahme von Bankrotthandlungen auf dem Boden des hier verfoch69 tene Ansatzes im eröffneten Insolvenzverfahren sub specie § 283 StGB generell straflos bleibt,565 verwirklicht der Schuldner, der entgegen § 97 Abs 1 S 1 InsO keine oder unzutreffende Auskünfte erteilt und dadurch vor dem Insolvenzverwalter Vermögenswerte verschweigt, nach ganz hM die Tathandlung des Verheimlichens.566 Neben den Einwänden, die ganz allgemein dagegen sprechen, den Schuldner, der Bankrotthandlungen im eröffneten Insolvenzverfahren begeht, gem § 283 Abs 1 StGB zu bestrafen,567 streitet ge-

_____ 558 S etwa den Fall bei RGSt 67, 365 ff: Dort hatte der Angekl einem Dritten an seinem Grundstück eine Hypothek bestellt, die im Wesentlichen aber nicht valutiert war. Deshalb entstand in Höhe des nicht valutierten Teils lediglich eine Eigentümerhypothek, die weiterhin dem Angekl und somit der Masse gehörte; ein Beiseiteschaffen schied somit aus. Da jedoch dieser Sachverhalt den Gläubigern und dem Insolvenzverwalter verborgen blieb, das Grundbuch vielmehr den Anschein erweckte, Inhaber der Hypothek sei der Dritte, bejahte das Reichsgericht ein Verheimlichen. 559 RGSt 64, 138, 141; RG JW 1936, 3006 (Nr 51); OLG Frankfurt aM wistra 1997, 274; LK/Tiedemann § 283 Rn 38, 40; NK/Kindhäuser § 283 Rn 24; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 17; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 5; Fischer § 283 Rn 5; S/S/W/Bosch § 283 Rn 6; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1037; SK/Hoyer § 283 Rn 36; M/G/Rinjes 8/108; Uhlenbruck/Zipperer § 20 Rn 43; Kollmar, S 63; Alsberg Pinner-FS, S 215, 232. 560 S etwa SK/Hoyer § 283 Rn 36 („zeitweilige Unkenntnis“); Fischer § 283 Rn 5; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 19 (Verheimlichen muss nicht dauerhaft sein); Uhlenbruck/Zipperer § 20 Rn 43. 561 Dazu s Rengier BT I § 21 Rn 8 mN zur Gegenmeinung, die ein Vereiteln erst ab einem Zeitraum von drei Wochen annehmen will; vgl ferner zum Ganzen Fischer § 258 Rn 8. 562 Su Rn 207 ff. 563 NK/Kindhäuser § 283 Rn 24. 564 OLG München ZIP 2000, 1841, 1842; zust Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 10; M/R/Altenhain § 283 Rn 19; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 19. 565 Rn 9. 566 BGH GA 1956, 123 f; BGH/H GA 1954, 310; BGH wistra 1982, 231; LK/Tiedemann § 283 Rn 38a; NK/ Kindhäuser § 283 Rn 24; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 5; SK/Hoyer § 283 Rn 37; M-G/Richter § 83 Rn 29; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 117; W/J/Pelz 9/119, 364; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 155, 1037; S/S/W/ Bosch § 283 Rn 6; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 19; M/G/Rinjes 8/107; MAH/Böttger § 19 Rn 129, 326; Böttger/ Verjans 4/51; Weyand/Diversy Rn 67; Uhlenbruck/Zipperer § 20 Rn 43; Uhlenbruck KTS 1997, 371, 379; Geers, S 156; Habetha, S 239; Wersdörfer BB 1952, 679, 680; Vallender ZIP 1996, 529, 533; Bittmann/Rudolph wistra 2001, 81, 84; Hohnel NZI 2005, 152, 153; Bader NZI 2009, 416, 420; Haarmeyer ZInsO 2016, 545, 547. 567 Dazu siehe o Rn 9.

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gen die These, der Schuldner, der seine insolvenzrechtliche Pflicht aus § 97 Abs 1 S 1 InsO missachte und Vermögenswerte nicht offenbare, verheimliche diese iSd § 283 Abs 1 Nr 1 Var 2 StGB, auch ein Blick auf § 98 Abs 1 S 1 InsO. Danach kann das Insolvenzgericht, wenn es erforderlich erscheint, um eine wahrheitsgemäße Aussage herbeizuführen, anordnen, der Schuldner möge an Eides statt versichern, seine Angaben vollständig und wahrheitsgemäß erteilt zu haben. Gibt der Schuldner diese Erklärung ab, obschon sie nicht der Wahrheit entspricht, macht er sich gem § 156 StGB wegen falscher Versicherung an Eides statt strafbar.568 Ein Grund, warum daneben tateinheitlich eine Strafbarkeit wegen Bankrotts treten muss,569 ist nicht ersichtlich. Tateinheitlich gem § 283 Abs 1 Nr 1 Var 2 StGB und gem § 156 StGB haftet hingegen der Schuldner, der im Zwangsvollstreckungsverfahren bei gleichzeitig drohender Zahlungsunfähigkeit570 sowie späterem Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung des § 283 Abs 6 StGB571 eine falsche Versicherung an Eides statt abgibt und dadurch das Auffinden von Massebestandteilen zumindest vorübergehend verhindert. – HM zufolge droht auch demjenigen Schuldner bankrottstrafrechtliches Ungemach, der nicht sämtlich Tatsachen mitteilt, die der Insolvenzverwalter benötigt, um schuldnerische Rechtshandlungen im Vorfeld der Insolvenzverfahrenseröffnung gem den §§ 129 ff InsO anzufechten.572 Darüber hinaus soll der Schuldner gem § 283 Abs 1 Nr 1 Var 2 StGB haften, der nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens und Verlust seiner Verfügungsbefugnis (vgl §§ 21 Abs 2 Nr 2, 80 Abs 1 InsO) eine massezugehörige Forderung einzieht;573 das nachfolgende Beiseiteschaffen des erhaltenen Geldbetrags präsentiere sich als mitbestrafte Nachtat.574 Aus den o Rn 9 genannten Gründen überzeugen diese Resultate jedoch nicht. Genauso wie die Modalität des Beiseiteschaffens ist auch die Bankrotthandlung des 70 Verheimlichens durch Unterlassen begehbar.575 Neben der Nichtanzeige von Vermögensbestandteilen im eröffneten Insolvenzverfahren, ein Verhalten, das die hM – wie gesehen576 – dem § 283 Abs 1 Nr 1 Var 2 StGB subsumiert, erfasst die Unterlassensvariante bspw den Schuldner, der in seinem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gutgläubig einen zu geringen Vermögensstand ausweist bzw dem Insolvenzverwalter irrtümlich nicht sämtliche Vermögenswerte nennt, es jedoch unterlässt, nachdem er den Irrtum bemerkt hat, das Insolvenzgericht/den Insolvenzverwalter entsprechend aufzuklären.577 Keinesfalls geht es aber an, die von §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b Abs 1 StGB

_____ 568 Dazu s nur BGH wistra 1982, 231; M-G/Richter § 87 Rn 37; W/J/Pelz 9/365; MAH/Böttger § 19 Rn 326; MK-InsO/Stephan § 97 Rn 47; Uhlenbruck/Zipperer § 20 Rn 43; Uhlenbruck KTS 1997, 371, 379; Richter KTS 1985, 443, 446 ff; Vallender ZIP 1996, 529, 533; Bader NZI 2009, 416, 420; Haarmeyer ZInsO 2016, 545, 547; Hohnel NZI 2005, 152; aA, allerdings unter dem Regime der KO OLG Stuttgart ZIP 1981, 254 f. 569 Dafür BGHSt 11, 145, 146 f; BGH/H GA 1971, 38 zu § 807 ZPO; RGSt 64, 42, 43; LK/Tiedemann § 283 Rn 38a; M-G/Richter § 83 Rn 31. 570 Dazu siehe o Rn 54 ff. 571 Dazu su Rn 220 ff. 572 RGSt 66, 152, 153; LK/Tiedemann § 283 Rn 39; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 19. 573 SK/Hoyer § 283 Rn 37. 574 Unklar LK/Tiedemann § 283 Rn 32, 40, der einmal ein Beiseiteschaffen, das andere Mal ein Verheimlich annimmt. 575 S etwa Geers, S 155 f; Vallender ZIP 1996, 529, 533; aA wohl noch v. Babo, (1908), S 25, der eine positive Tätigkeit verlangt. 576 Siehe o Rn 69. 577 Für Unterlassensstrafbarkeit in diesen Fällen BGH GA 1956, 123 f; BGH/H GA 1956, 347; LK/Tiedemann § 283 Rn 43; ders KTS 1984, 539, 545; NK/Kindhäuser § 283 Rn 26; SK/Hoyer § 283 Rn 37; MK/Radtke/ Petermann § 283 Rn 18; M/G/Rinjes 8/107; Geers, S 157.

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strafbewehrten Rechnungslegungspflichten mithilfe der Tatvariante des Verheimlichens durch Unterlassen auf Nichtkaufleute zu erstrecken.578

4. Die Modalitäten „zerstören, beschädigen oder unbrauchbar machen“ 71 Die mit dem 1. WiKG 1976 geschaffenen Tathandlungen des Zerstörens, Beschädigens

und Unbrauchbarmachens spielen in praxi so gut wie keine Rolle.579 Um nicht wirtschaftlich sinnvolle bzw übliche Maßnahmen – der Schuldner lässt bspw den vollständig abgeschriebenen und funktionsuntüchtigen Pkw verschrotten oder reißt die baufällige Lagerhalle ab, um ein neues Lager zu errichten580 – bankrottstrafrechtlich zu pönalisieren, verlangt der Gesetzgeber des 1. WiKG 1976 einschränkend einen Verstoß gegen die Anforderungen ordnungsgemäßen Wirtschaftens.581 Die Begriffe „zerstören“, „beschädigen“ und „unbrauchbar machen“ orientieren sich am Verständnis der strafbaren Sachbeschädigung (vgl § 303 StGB), greifen jedoch insofern weiter, als Tatobjekt nicht nur Sachen iSd § 90 BGB, sondern auch Sachgesamtheiten, Funktionseinheiten sowie ganze Betriebe sein können.582 72 Der Schuldner beschädigt ein Objekt, indem er dessen Brauchbarkeit durch Substanzeinbußen zwar mindert, aber nicht vollständig aufhebt, er macht es unbrauchbar, sobald er seine bestimmungsgemäße Verwendung beseitigt und zerstört es, indem er die Substanz vernichtet und dadurch vollständig und endgültig ausschließt, das Objekt bestimmungsgemäß zu nutzen.583 Die Modalität des Zerstörens präsentiert sich demnach als spezielle Form des Unbrauchbarmachens und Endkonsequenz des Beschädigens. Deshalb kann der Schuldner die Tatvariante „zerstören“ tateinheitlich nur mit der Modalität „unbrauchbar machen“ nicht aber mit der Modalität „beschädigen“ begehen. Zwischen den Varianten „beschädigen“ und „unbrauchbar machen“ ist ebenfalls Tateinheit möglich.

VIII. Die Tathandlungen des § 283 Abs 1 Nr 2 StGB 73 Der Tatbestand des § 283 Abs 1 Nr 2 StGB enthält verschiedene, iE benannte Arten von

Risikogeschäften sowie die Modalitäten „unwirtschaftliche Ausgaben“, „Spiel“ und „Wette“. Richtigerweise erfüllt den Tatbestand in der Risikogeschäftsvariante bereits,

_____ 578 Richtig NK/Kindhäuser § 283 Rn 26; Tiedemann KTS 1984, 539, 544 f. 579 Zu diesem Befund BT-Drucks 7/3441, S 34; LK/Tiedemann § 283 Rn 44; NK/Kindhäuser § 283 Rn 27; Fischer § 283 Rn 6; M-G/Richter § 83 Rn 80; M/G/Rinjes 8/109; S/S/W/Bosch § 283 Rn 7; MAH/Böttger § 19 Rn 131; Böttger/Verjans 4/59; Weyand/Diversy Rn 68; Pape/Uhländer/Hofmann § 283 Bankrott Rn 18; Hörl, S 72; Reichelt, S 97 f; krit auch schon Schöne JZ 1973, 446, 449; skept mangels vorhandener Statistiken aber Hiltenkamp-Wisgalle, S 164 f; für ein prakt Bedürfnis dieser Modalitäten Kollmar, S 61. 580 Bsp bei Göhler/Wilts DB 1976, 1657, 1660; sa BT-Drucks 7/3441, S 34. 581 Zum Ganzen s LK/Tiedemann § 283 Rn 49 f; NK/Kindhäuser § 283 Rn 28; Fischer § 283 Rn 6; M-G/ Richter § 83 Rn 80; Hiltenkamp-Wisgalle, S 168. 582 Zutr LK/Tiedemann § 283 Rn 45; NK/Kindhäuser § 283 Rn 27; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 21; enger wohl SK/Hoyer § 283 Rn 38: Sachen und Sachgesamtheiten; s ferner Fischer § 283 Rn 6; MAH/Böttger § 19 Rn 131 und M-G/Richter § 80 Rn 80, die nur Sachen bzw Wertpapiere als taugliche Tatobjekte anerkennen; auf dieser Linie wohl auch Pape/Uhländer/Hofmann § 283 Bankrott Rn 18. 583 LK/Tiedemann § 283 Rn 46 ff; NK/Kindhäuser § 283 Rn 27; SK/Hoyer § 283 Rn 38; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 20; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1040; M/G/Rinjes 8/109; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 6; ähnl Hiltenkamp-Wisgalle, S 163.

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wer im Stadium der Krise Verlust-, Spekulations- bzw Differenzgeschäfte, die den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft widersprechen, tätigt, ohne dass es darauf ankommt, ob das Geschäft einen Verlust verursacht oder einen Gewinn generiert.584 Die Gegenansicht, die § 283 Abs 1 Nr 2 StGB verneint, sofern der Schuldner das eingegangene Verlust-, Spekulations- oder Differenzgeschäft mit Gewinn abschließt,585 überzeugt nicht. So steht bereits der Charakter des § 283 Abs 1 StGB als eines abstrakt-konkreten Gefährdungsdelikts586 einer solch restriktiven Lesart entgegen. Darüber hinaus entstammt die These, der Schuldner, der seine Verlust-, Spekulations- bzw Differenzgeschäfte mit Gewinn abschließe, bleibe sub specie Bankrott straflos, aus einer Zeit, zu der die Differenzgeschäftsvariante – anders als heute – den Verbrauch übermäßiger Beträge vorsah, woran es naturgemäß fehlte, falls das Geschäft gewinnbringend endete.587 Zwar mag es prima vista ungereimt erscheinen, den Roulett-Spieler, der erfolgreich spielt, straflos zu lassen, den Börsen-Spekulanten, der wirtschaftswidrige Spekulationsgeschäfte tätigt, hingegen selbst dann zu bestrafen, wenn seine Spekulationen positiv ausgehen.588 Jedoch entspricht dieses Ergebnis zum einen dem Wortlaut des Gesetzes und trägt zum anderen dem Umstand Rechnung, wonach bestimmte Spekulationsgeschäfte aufgrund eines leverage-Effekts die Gefahr bergen, mehr als die eingesetzte Summe zu verlieren. Allenfalls vom Standpunkt derjenigen Rspr, die dem Buch-/Bilanzführungspflichtigen Straffreiheit gewährt, der seine zunächst unvollständig bzw unzutreffend geführten Bücher/Bilanzen vor Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung vervollständigt bzw berichtigt,589 ließe es sich hören, das gewinnbringende Verlust-, Spekulations- oder Differenzgeschäft sub specie § 283 Abs 1 Nr 2 StGB straflos zu stellen. Allerdings trägt diese Rspr schon im Kontext der §§ 283 Abs 1 Nrn 5 Var 2, 7a, 283b Abs 1 Nrn 1 Var 2, 3a StGB nicht,590 weshalb die dort angestellten Gedanken nicht auch noch auf § 283 Abs 1 Nr 2 StGB übertragen werden sollten. – Da der Tatbestand des § 283 Abs 1 Nr 2 StGB zahlreiche unbestimmte und konkretisierungsbedürftige Rechtsbegriffe enthält (zB unwirtschaftliche Ausgaben, übermäßige Beträge) herrscht Konsens darüber, die Merkmale des § 283 Abs 1 Nr 2 StGB restriktiv auszulegen.591

1. Verlustgeschäfte Wie der Wortlaut bereits nahelegt, geht Verlustgeschäfte ein, wer von vornherein, also 74 vor Vertragsschluss sicher absehen kann, dass das Geschäft für ihn nachteilig ausgehen wird,592 etwa weil der Kaufpreis die kalkulatorischen Kosten oder der Werklohn den

_____ 584 Zutr bereits RGSt 14, 80, 86; ferner Bittmann/Bittmann Voraufl Rn 120; sympathisierend auch S/S/W/ Bosch § 283 Rn 8 f. 585 So etwa LK/Tiedemann § 283 Rn 61; ders KTS 1984, 539, 549; NK/Kindhäuser § 283 Rn 34; MAH/ Böttger § 19 Rn 135; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 27; SK/Hoyer § 283 Rn 43 f, 46; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 12; M/R/Altenhain § 283 Rn 21; AnwK/Püschel § 283 Rn 10; M-G/Richter § 83 Rn 59; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 125; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 99; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 31; Weyand/Diversy Rn 74; Pape/Uhländer/Hofmann § 283 Bankrott Rn 22; Reichelt, S 99; wohl auch W/J/Pelz 9/126. 586 Siehe o Rn 4. 587 S dazu etwa RGSt 14, 80, 86 f. 588 Dazu s S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 12. 589 Su Rn 138. 590 S ausf u Rn 138, 187. 591 Ausf zu diesem Erfordernis LK/Tiedemann § 283 Rn 52; s ferner M/G/Rinjes 8/110. 592 BT-Drucks 7/3441, S 35; LK/Tiedemann § 283 Rn 54; NK/Kindhäuser § 283 Rn 29; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 24; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 12; M-G/Richter § 83 Rn 54; D/K/H/Dannecker/Hagemeier

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Aufwand nicht decken. Freilich erfüllen nicht sämtliche solcher Verlustgeschäfte per se den Tatbestand des § 283 Abs 1 Nr 2 Var 1 StGB. Vielmehr muss immer ein Verstoß gegen die Anforderungen ordnungsgemäßen Wirtschaftens hinzukommen. Daran fehlt es etwa, wenn ein Bauunternehmer einen Auftrag annimmt, der ihm zwar zunächst „unterm Strich“ Verluste beschert, es sich jedoch bei dem Bauwerk um ein Prestigeobjekt handelt, dessen Errichtung die berichtigte Hoffnung nährt, lukrative Folgeaufträge zu erhalten.593 – Da Schleuderverkäufe iSd § 283 Abs 1 Nr 3 StGB594 immer auch der Definition des Verlustgeschäftes unterfallen, stehen sie zu § 283 Abs 1 Nr 2 Var 1 StGB im Verhältnis der lex specialis.595

2. Spekulationsgeschäfte 75 Die Tatvariante des Eingehens von Spekulationsgeschäften geht auf das 1. WiKG 1976

zurück. Noch der Gesetzgeber der KO stand dem Unternehmen, „gewagte Handelsgeschäfte“ bzw „Handelsspekulationen“ bankrottstrafrechtlich zu sanktionieren, im Unterschied zum Entwurf eines Preußischen Strafgesetzbuchs von 1851, der es als einfachen Bankrott bestrafen wollte, wenn der Schuldner durch „Handelsoperationen, welche auf einen Zufall berechnet sind“, übermäßige Summen verbraucht oder schuldig geworden ist,596 ablehnend gegenüber,597 weil er befürchtete, den Geschäftsverkehr durch die Pönalisierung weitgehend üblicher Verhaltensweisen zu lähmen und unangemessen zu beeinträchtigen.598 Angesichts dessen hat es das Reichsgericht in st Rspr abgelehnt, spekulative Geschäfte den Bankrotthandlungen „Aufwand“,599 „Spiel“ bzw „Differenzhandel“ zu subsumieren.600 Vor diesem historischen Hintergrund hat sich der Gesetzgeber des 1. WiKG 1976 dafür ausgesprochen, den Terminus „Spekulationsgeschäfte“ restriktiv zu interpretieren und versteht hierunter nur solche Geschäfte, „bei denen [der Schuldner] ein besonders großes Risiko [eingeht] in der Hoffnung, einen größeren Gewinn als den sonst üblichen zu erzielen, und um den Preis, möglicherweise einen größeren Verlust hinzunehmen“.601 Beispielhaft nennt die amtliche Begründung den Fall der Beteiligung

_____ Rn 1043; SK/Hoyer § 283 Rn 43; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 9; Fischer § 283 Rn 7; M/R/Altenhain § 283 Rn 21; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 92; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 27; M/G/Rinjes 8/111; HiltenkampWisgalle, S 171; Reichelt, S 98; Göhler/Wilts DB 1976, 1657, 1660. 593 Dazu s etwa MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 27, die zudem noch die Verlustgeschäfte nennen, die dazu dienen, ein Konjunkturtief zu überbrücken; zust D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1045; S/S/ Heine/Schuster § 283 Rn 12; SK/Hoyer § 283 Rn 47; MAH/Böttger § 19 Rn 135; aA aber LK/Tiedemann § 283 Rn 62. 594 Dazu su Rn 85 ff. 595 LK/Tiedemann § 283 Rn 54; M-G/Richter § 83 Rn 55; M/G/Rinjes 8/111. 596 Dazu s RGSt 16, 238, 239; RGSt 15, 277, 280 f. 597 Zum Ganzen s die Ausführungen bei RGSt 16, 238, 239 sowie bei RGSt 15, 277, 281; zust etwa Köstlin GA 6 (1858), 291, 292. 598 Äußerst skept gegenüber der Aufnahme von Spekulationsgeschäften in den Katalog des § 283 Abs 1 StGB Schöne JZ 1973, 446, 450 f; hingegen skept gegenüber der alten Rechtslage, die wirtschaftswidrige Spekulationsgeschäfte nicht sanktionierte, Hammerl, S 7 m Fn 24. 599 Dazu sa BGH GA 1964, 119, 120, wonach ein kaufmännisches Wagnis, das nicht den erhofften Erfolg gezeitigt hat, nicht zu dem Vorwurf berechtigt, der Kaufmann habe strafbaren Aufwand getrieben. 600 RGSt 16, 238, 240; RGSt 15, 277, 280 f; RG GA 64 (1917), 115, 116; RG LR 1913, 696, 698; RG Rspr 4, 516, 518; s des Weiteren BGH/H GA 1954, 311; aus dem Schrifttum Nieberg, (1913), S 13. 601 BT-Drucks 7/3441, S 35; ferner NK/Kindhäuser § 283 Rn 30; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 25; S/S/ Heine/Schuster § 283 Rn 10; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 12; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 94; D/K/H/ Dannecker/Hagemeier Rn 1044; SK/Hoyer § 283 Rn 44; Fischer § 283 Rn 8; M/R/Altenhain § 283 Rn 21; M/G/ Rinjes 8/111; Hiltenkamp-Wisgalle, S 171; Göhler/Wilts DB 1976, 1657, 1660.

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an einem unseriösen Unternehmen, um „bereits eingetretene Verluste wieder wettzumachen“.602 Allgemein soll der Maßstab des faktisch Üblichen darüber entscheiden, ab wann Gewinnerwartung und Verlustwahrscheinlichkeit derart auseinanderklaffen, um von einem Spekulationsgeschäft zu sprechen. Allerdings zielt die Ansicht, die nur solche Geschäfte den Spekulationsgeschäften zuweist, die „vom reinen Zufalle abhäng[t]en“,603 über das Ziel restriktiver Auslegung deutlich hinaus und nimmt der Spekulationsgeschäftsvariante des § 283 Abs 1 Nr 2 StGB nahezu jeglichen Anwendungsbereich.604 Insbes lässt der Rekurs auf das Zufallskriterium, wie es bereits im Entwurf eines Preußischen Strafgesetzbuchs von 1851 enthalten war, die gewandelten tatsächlichen Gegebenheiten außer Acht. Während 1851 der Einzelunternehmer Prototyp des Konkursstrafrechts war und deshalb der Vorschlag, riskante Handelsoperationen bankrottstrafrechtlich zu ahnden, strafbarkeitsentscheidende Bedeutung besaß, tragen die Akteure des modernen Wirtschaftslebens überwiegend das Kleid juristischer Personen und droht dem Organwalter, der extrem risikoreiche Spekulationsgeschäfte tätigt, ohnehin die Strafbarkeit des § 266 StGB. Vor diesem entwicklungsgeschichtlichen Hintergrund besteht deshalb kein Bedürfnis, die Spekulationsgeschäfte des § 283 Abs 1 Nr 2 StGB auf Zufallsoperationen zu beschränken, zumal die Bankrottstrafbarkeit nicht zuletzt wegen des Erfordernisses des § 283 Abs 6 StGB zumeist später eintritt als die Strafbarkeit wegen Untreue.

3. Differenzgeschäfte Das Eingehen von Differenzgeschäften erfasste bereits § 240 Abs 1 Nr 1 KO aF als Bank- 76 rotthandlung. Im konkursstrafrechtlichen Schrifttum entsprach es darüber hinaus einhelliger Meinung, dem Tatbestandsmerkmal „Differenzhandel“ ausschließlich diejenigen Geschäfte zu subsumieren, denen der „Differenzeinwand“ des durch das 4. Finanzmarktförderungsgesetz vom 21.6.2002 gestrichenen605 § 764 BGB aF entgegengehalten werden konnte. 606 Den Ausgangspunkt bei der Interpretation des Merkmals „Differenzgeschäft“ bildet auch heute noch § 764 BGB aF. So besteht im Wesentlichen Einigkeit darüber, den Differenzgeschäften all diejenigen Verträge zu unterstellen, die gerichtet auf die Lieferung von Waren oder Wertpapieren607 den alleinigen Zweck verfolgen, dem verlierenden Vertragsteil die Pflicht aufzuerlegen, die Differenz zwischen dem vereinbarten Preis und dem Börsen-/Marktpreis der Lieferzeit an den gewinnenden Vertragsteil zu bezahlen.608 Charakteristikum solcher Verträge ist somit nicht der Wunsch,

_____ 602 BT-Drucks 7/3441, S 35. 603 Dafür LK/Tiedemann § 283 Rn 56; SK/Hoyer § 283 Rn 44; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1044; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 28; Böttger/Verjans 4/64; wohl auch Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 94. 604 So auch schon Bittmann/Bittmann Voraufl Rn 122. 605 Zu den Gründen hierfür s BT-Drucks 14/8017, S 131. 606 S etwa Hiltenkamp-Wisgalle, S 173; weitergehend aber RGSt 22, 12 f; RGSt 1, 282, 283 f; RG GA 60 (1913), 442; RG LR 1913, 696 f; RG Rspr 4, 516 f; RG Rspr 1, 563, 564, das auch all diejenigen Verträge dem Merkmal „Differenzgeschäft“ subsumierte, die zwar nicht dem § 764 BGB aF unterfielen, sondern zivilrechtlich vollgültig zustande gekommen, gleichwohl aber nur mit Intention abgeschlossen worden waren, die Differenz am Stichtag zu erwerben; zust etwa Nieberg, (1913), S 15 f. 607 Dazu su Rn 85. 608 AllgM; s nur RGSt 22, 12 f; RGSt 14, 80, 85 f; RGSt 1, 282, 283 f; RG LR 1913, 696; NK/Kindhäuser § 283 Rn 31; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 26; SK/Hoyer § 283 Rn 45; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 11; M-G/ Richter § 83 Rn 57; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 95; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1044; G/J/W/ Reinhart § 283 Rn 29; M/G/Rinjes 8/111; M/R/Altenhain § 283 Rn 21; Krause, S 131.

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die vertragsgegenständlichen Waren bzw Wertpapiere geliefert zu bekommen, sondern die Hoffnung, der Preis möge – je nachdem, ob der Akteur auf Käufer- oder Verkäuferseite steht – steigen bzw fallen und dadurch einen günstigen Differenzbetrag generieren.609 Der Modalität „Differenzgeschäft“ subsumiert die hM des Weiteren die ordnungsgemäßem Wirtschaften widersprechende Prolongation (die Vertragsparteien verlängern das Geschäft auf einen späteren Stichtag) eines ursprünglich ordnungsgemäßer Wirtschaft entsprechenden Differenzgeschäfts.610 Darüber hinaus erfasst die Differenzgeschäftsvariante Devisengeschäfte mit ausländischen Geldsorten, da es sich insoweit um Waren handelt.611 Hinzukommen muss schließlich ein Verstoß gegen die Anforderungen ordnungsgemäßen Wirtschaftens. 612 Solange die Krisenintensität den (insolvenzantragspflichtigen) Schuldner noch nicht dazu zwingt, Insolvenzantrag zu stellen,613 entscheidet va der mit den Differenzgeschäften verfolgte Zweck über ihre Wirtschaftlichkeit. Konkret bedeutet das: Dienen die Differenzgeschäfte lediglich dazu, das Preis-, Zins-, Kurs- oder Währungsrisiko abzusichern (sog Hedging), liegt die Annahme ordnungswidrigen Wirtschaftens fern, nahe hingegen, wenn der Schuldner solche Geschäfte abschließt, um zu spekulieren.614 Unvereinbar mit den Anforderungen ordnungsgemäßen Wirtschaftens agiert schließlich der Schuldner, der Differenzgeschäfte tätigt, um mithilfe der erhofften Gewinne sein Unternehmen (vorübergehend) fortzuführen.615 Neben diesen klassischen Fallgestaltungen sollen dem Merkmal „Differenzgeschäft“ 77 nach teilweise vertretener Ansicht zusätzlich die „offiziellen“ Finanztermingeschäfte616 unterfallen.617 Als Argument dient den Verfechtern dieser Auffassung einerseits der Befund, wonach der Finanzterminhandel aufgrund seiner technischen Perfektion höchst gefährliche Spekulation sei.618 Andererseits begründe gerade die rechtliche Wirksamkeit der Finanztermingeschäfte eine große Gefahr für die Gläubiger.619 Die Gegner, die den Finanzterminhandel nicht den Differenzgeschäften des § 283 Abs 1 Nr 2 StGB subsumieren wollen,620 bieten eine Phalanx an Argumenten auf: Zum einen stehe der Gleichsetzung von Finanztermin- und Differenzgeschäften die unterschiedliche wirtschaftliche Zwecksetzung, die Kontrolle des Finanzterminhandels und die grundrechtlich abgesi-

_____ 609 Krause, S 130; sa Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 12. 610 LK/Tiedemann § 283 Rn 60; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 11; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 29; M/R/Altenhain § 283 Rn 21; Krause, S 131. 611 LK/Tiedemann § 283 Rn 60; SK/Hoyer § 283 Rn 45; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 11; Lackner/Kühl/ Heger § 283 Rn 12; Fischer § 283 Rn 9; S/S/W/Bosch § 283 Rn 10; M-G/Richter § 83 Rn 57; D/K/H/ Dannecker/Hagemeier Rn 1044; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 29; Krause, S 131; Alsberg Pinner-FS, S 215, 224 f; zu den Gefahren, die der Devisenhandel mit sich bringen kann, s den Kurszusammenbruch der Rupie; dazu FAZ v 29.8.2013, Nr 200, S 17. 612 Dazu allg o Rn 26 ff. 613 Zu den Konsequenzen sub specie „ordnungsgemäßes Wirtschaften“ siehe o Rn 31. 614 Instruktiv zum Ganzen Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 97; sa AnwK/Püschel § 283 Rn 11 zum Hedgeing. 615 Fischer § 283 Rn 9; M-G/Richter § 83 Rn 61; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 97; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 30; in diese Richtung auch M/G/Rinjes 8/112. 616 Zum Begriff des Termingeschäfts instruktiv Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 96. 617 Dafür Krause, S 132 f; Fischer § 283 Rn 9; NK/Kindhäuser § 283 Rn 32; SK/Hoyer § 283 Rn 46; S/S/W/Bosch § 283 Rn 10; M-G/Richter § 83 Rn 57 f; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 123; M/R/Altenhain § 283 Rn 21; wohl auch Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 12; unentschieden MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 26. 618 So ausdrückl Krause, S 133; zust NK/Kindhäuser § 283 Rn 32; S/S/W/Bosch § 283 Rn 10. 619 SK/Hoyer § 283 Rn 46. 620 G/J/W/Reinhart § 283 Rn 29; MAH/Böttger § 19 Rn 134; Weyand/Diversy Rn 73; Reichelt, S 99; wohl auch S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 11; ferner AnwK/Püschel § 283 Rn 10: allenfalls Spekulationsgeschäfte.

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cherte Berufsfreiheit (vgl Art 12 GG) der Finanzterminhändler entgegen.621 Darüber hinaus sei es nicht hinnehmbar, den Händler, der zur Teilnahme am Finanztermingeschäft zugelassen sei, gem § 283 Abs 2 StGB zu bestrafen, sofern die Geschäfte seine Überschuldung bzw Zahlungsunfähigkeit und in letzter Konsequenz den Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung des § 283 Abs 6 StGB verursachten. 622 Allenfalls unter dem Blickwinkel des Tatbestandsmerkmals „Spekulationsgeschäft“ könnten Finanztermingeschäfte insolvenzstrafrechtliche Relevanz entfalten.623 Wägt man die vorgetragenen Argumente gegeneinander ab, spricht mehr zugunsten der Auffassung, die auch den inländischen Finanzterminhandel den Differenzgeschäften iSd § 283 Abs 1 Nr 2 StGB zuschlägt. Als ausschlaggebend dürfte sich die Tatsache erweisen, wonach es Differenzgeschäfte im herkömmlichen Sinne, also in Form von unvollkommenen Verbindlichkeiten nicht mehr gibt, seitdem der Gesetzgeber des 4. Finanzmarktförderungsgesetzes den § 764 BGB abgeschafft hat, sondern nunmehr alle Geschäfte dieser Art grds (vgl aber bspw § 37g Abs 2 WpHG) rechtlich wirksam sind. Warum dann aber zwischen Geschäften wie sie dem § 764 BGB aF vorschwebten und Finanztermingeschäften unterschieden werden soll, erschließt sich nicht, zumal der gewerblich tätige Finanzterminhändler hinreichend geschützt ist, als ihm Bankrottstrafbarkeit in der Differenzgeschäftsvariante nur droht, sofern er die Anforderungen ordnungsgemäßen Wirtschaftens missachtet.624

4. Unwirtschaftliche Ausgaben Während die Bankrottstraftatbestände der KO noch von Aufwand sprachen,625 hat der 78 Gesetzgeber des 1. WiKG 1976 den – seiner Meinung nach gleichbedeutenden626 – Begriff der (unwirtschaftlichen) Ausgaben gewählt. Um die Merkmale „unwirtschaftliche Ausgaben“ und „beiseiteschaffen“ sinnvoll voneinander abzugrenzen, bietet es sich an, all diejenigen Vermögensverschiebungen, die zwar den Gläubiger- nicht aber den Schuldnerzugriff vereiteln, sondern im Gegenteil den verschobenen Vermögensbestandteil in der Einflusssphäre des Schuldners belassen, exklusiv dem Merkmal „beiseiteschaffen“ und somit dem § 283 Abs 1 Nr 1 Var 1 StGB zuzuweisen,627 hingegen die endgültige, einen späteren Schuldnerzugriff ausschließende Vermögensweggabe grds den unwirtschaftlichen Ausgaben und folglich dem § 283 Abs 1 Nr 2 Var 4 StGB zu subsumieren.628 – Rspr und Schrifttum verstehen den Ausgabenbegriff ganz überwiegend weit. Neben Aufwendungen für Repräsentation, Geschäftsreisen, Werbung und Bestechung, die die ältere

_____ 621 LK/Tiedemann § 283 Rn 59. 622 LK/Tiedemann § 283 Rn 59; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 29. 623 LK/Tiedemann § 283 Rn 59 aE; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 29. 624 S dazu schon Krause, S 133. 625 S zum Merkmal „Aufwand“ etwa Nieberg, (1913), S 12. 626 BT-Drucks 7/3441, S 34; nach Tiedemann KTS 1984, 539, 540 ist die Formulierung „Aufwand“ tendenziell enger als der Begriff „Ausgaben“. 627 Anders S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 7, dem zufolge es unerheblich ist, ob der Täter oder ein Dritter den Zugriff auf den beiseite geschafften Gegenstand behält. 628 S bereits Bittmann/Bittmann Voraufl Rn 102; dezidiert aA Brackmann, S 275 ff; anders auch M-G/ Richter § 83 Rn 64, dem zufolge sich die Fälle unwirtschaftlicher Ausgaben dadurch auszeichnen, dass gleichwertige Waren oder Dienstleistungen in das Schuldnervermögen gelangen; s ferner OLG Frankfurt aM wistra 1997, 274, das § 283 Abs 1 Nr 1 StGB auch dann bejahen will, wenn der Schuldner keinen Zugriff mehr auf die in Rede stehenden Vermögensbestandteile hat; vgl des Weiteren RG HRR 1935, 158: Veräußerung von Gegenständen unter Wert erfüllt das Merkmal „beiseiteschaffen“.

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Rspr schon dem konkursstrafrechtlichen Merkmal „Aufwand“ des § 240 Nr 1 KO aF subsumierte, lassen sich mithilfe des Merkmals „Ausgaben“ ohne Weiteres sämtliche Geschäftsaufwendungen erfassen. Der Grund der Ausgabe – privat oder geschäftlich – spielt somit keine Rolle.629 Nicht unter den Ausgabenbegriff fallen dagegen Schenkungen. Sie können – da der Schuldner regelmäßig die Zugriffsmöglichkeit auf die verschenkten Vermögensbestandteile verliert und deshalb nach dem hier vertretenen Ansatz ein Beiseiteschaffen ausscheidet – bankrottstrafrechtlich allenfalls gem § 283 Abs 1 Nr 8 StGB sanktioniert werden. Die erforderliche Restriktion erfährt der weit verstandene Ausgabenbegriff durch das 79 ihm beigeordnete Attribut „unwirtschaftlich“. Dahinter verbirgt sich der Grds ordnungsgemäßen Wirtschaftens. 630 Nach herkömmlichem Verständnis unterfallen dem Verdikt „unwirtschaftlich“ solche Ausgaben, die das Maß des Notwendigen und Üblichen überschreiten und im Zeitpunkt ihrer Vornahme in keinem angemessenen Verhältnis zur schuldnerischen Gesamtvermögenslage stehen,631 die also ein rational handelnder Dritter in der wirtschaftlichen Lage des Täters so nicht getätigt hätte. Vor diesem Hintergrund schließt die Angemessenheit der Gegenleistung, die der Schuldner infolge der Ausgabe erhält, die Wirtschaftswidrigkeit nicht zwingend aus: So tätigt bspw unwirtschaftliche Ausgaben, wer trotz wirtschaftlicher Krise seines Unternehmens eine ihm nahestehende Person einstellt, die zwar eine dem Arbeitslohn äquivalente, nicht aber dem Unternehmen nützende Leistung erbringt.632 Hingegen sieht sich der Schuldner dem Vorwurf, unwirtschaftlich Vermögen ausgegeben zu haben, nicht ausgesetzt, der für seine Ausgaben gleichwertige Vermögensgegenstände erhält, sofern sie dem Gläubigerzugriff genauso gut offenstehen wie die weggegebenen Vermögensbestandteile.633 Allerdings genügt die Wirtschaftswidrigkeit der Ausgabe nicht, um den Tatbestand 80 des § 283 Abs 1 Nr 2 Var 4 StGB zu erfüllen. Vielmehr muss der Schuldner durch die wirtschaftswidrigen Ausgaben übermäßige Beträge verbrauchen bzw schuldig werden. Ob

_____ 629 Zu diesem Befund s etwa BGH GA 1964, 119, 120; BGH/H GA 1953, 74; BGH NJW 1953, 1480, 1481 = LM Nr 4 zu § 240 KO, der aber zutr darauf hinweist, dass sich der Beurteilungsmaßstab bzgl der Unangemessenheit der Ausgaben verschiebt, je nachdem, ob sie der Schuldner zu privaten oder geschäftlichen Zwecken tätigte; LK/Tiedemann § 283 Rn 65; Fischer § 283 Rn 11; s ferner SK/Hoyer § 283 Rn 52; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 101; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1047.; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 32; Lackner/Kühl/ Heger § 283 Rn 13; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 17; Weyand/Diversy Rn 75; Böttger/Verjans 4/66; Pape/ Uhländer/Hofmann § 283 Bankrott Rn 23; Nieberg, (1913), S 12. 630 So Krause, S 119 ff; enger aber wohl LK/Tiedemann § 283 Rn 65; ders KTS 1984, 539, 549, der zusätzlich nach der negativen Sinnlosigkeit der inkriminierten Maßnahme fragt; ihm zust MAH/Böttger § 19 Rn 136. 631 RGSt 10, 215, 216; RG GA 64 (1917), 115; BGH NJW 1953, 1480, 1481; BGH/H GA 1956, 347 f; BGH GA 1964, 119; BGH/H GA 1958, 47; BGH LM Nr 4 zu § 240 KO; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 28; S/S/Heine/ Schuster § 283 Rn 14; Fischer § 283 Rn 11; M-G/Richter § 83 Rn 62; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 101; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1047; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 32; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 13; M/R/ Altenhain § 283 Rn 22; M/G/Rinjes 8/115; Hiltenkamp-Wisgalle, S 174; Reichelt, S 99; skept gegenüber dieser Begriffsbestimmung MAH/Böttger § 19 Rn 136: auf diese Weise werde ein unbestimmter Rechtsbegriff durch einen anderen, genauso unbestimmten ersetzt. 632 Hierzu s LK/Tiedemann § 283 Rn 67; ders KTS 1984, 539, 553; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1048; Grosche, S 71 ff; sa M-G/Richter § 87 Rn 25. 633 LK/Tiedemann § 283 Rn 67; SK/Hoyer § 283 Rn 50, 52; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 28; Park/ Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 101; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1049; M/G/Rinjes 8/117; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 32; aA aber BGH NJW 1953, 1480, 1481; BGH GA 1964, 119, 120; BGH LM Nr 4 zu § 240 KO; RG GA 64 (1917), 115 f: Kauf eines zweiten Villengrundstücks; ebenso wohl der österreichische OGH ÖJZ 1969, 498, 499: Kauf zweier Pkw; zw auch S/S/W/Bosch § 283 Rn 13; einschr aber RG HRR 1935, 157.

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ein verausgabter Betrag übermäßig war, hängt von der Unverhältnismäßigkeit bzw Unangemessenheit der Ausgabe zum schuldnerischen Vermögen im Zeitpunkt ihrer Vornahme ab.634 Dabei hat das Tatgericht die gesamte Vermögenssituation des Schuldners samt seiner Einkünfte zu eruieren und insbes auch die künftigen Geschäftsaussichten zu berücksichtigen.635 Hat ein Einzelunternehmer oder ein persönlich haftender Gesellschafter einer Personen(handels)gesellschaft unwirtschaftliche Ausgaben mit Mitteln des Unternehmensvermögens getätigt, beschränkt sich der „Übermäßigkeitsvergleich“ nicht auf das Verhältnis „Ausgabe/Unternehmensvermögen“, sondern umfasst wegen der unbeschränkten Haftung des Einzelunternehmers bzw Gesellschafters zusätzlich das Privatvermögen dieser Personen.636 Tathandlungen der zweiten Gruppe des § 283 Abs 1 Nr 2 StGB sind das Verbrauchen 81 und das Schuldigwerden. Während man unter Verbrauch einhellig den Abfluss von Finanzmitteln bzw die Weggabe von Vermögensgegenständen versteht,637 herrscht über die Handlungsmodalität des Schuldigwerdens insofern Streit, als das Eingehen von Naturalobligationen (sog unvollkommener Verbindlichkeiten) in Rede steht. Richtiger Ansicht zufolge verwirkt, wer Naturalobligationen begründet, nicht den Tatbestand des § 283 Abs 1 Nr 2 StGB, da unvollkommene Verbindlichkeiten die Befriedungsaussichten der vorhandenen Gläubiger nicht verringern, können doch die Inhaber solcher Verbindlichkeiten diese nicht im späteren Insolvenzverfahren mit Erfolg geltend machen.638 Selbst der Schuldner, der einen auf sich ausgestellten Scheck begibt, um die unvollkommene Verbindlichkeit zu begleichen, erfüllt nicht die Variante des Schuldigwerdens. Denn die Scheckbegebung ändert am unvollkommenen Charakter der Naturalobligation nichts.639 Allenfalls via § 283 Abs 1 Nr 4 StGB kann solches Verhalten bankrottstrafrechtliche Relevanz erlangen.640 Zwischen Unterlassen und aktivem Tun changieren Fallgestaltungen, in denen der 82 Schuldner vor Eintritt der Krise Geschäfte mit Dauerschuldcharakter abschließt und diese nach Kriseneintritt trotz Zumutbarkeit und (rechtlicher) Möglichkeit zu kündigen unterlässt, obschon sich die Leistungen, die er infolgedessen zu erbringen hat, als unwirtschaftliche, übermäßige Ausgaben präsentieren. Mehr spricht dafür, solche Konstellationen dem Bereich des aktiven Tuns zuzuschlagen, da der Schwerpunkt der Vorwerf-

_____ 634 Fischer § 283 Rn 13; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 14; SK/Hoyer § 283 Rn 50; D/K/H/Dannecker/ Hagemeier Rn 1051; Hiltenkamp-Wisgalle, S 175 f; Hammerl, S 6; Nieberg, (1913), S 17; weiter AnwK/Püschel § 283 Rn 14: unwirtschaftliche Ausgaben sind immer zugleich auch übermäßig. 635 Grdl zum Ganzen LK/Tiedemann § 283 Rn 66, 68; sa BGH/H GA 1953, 74; BGH/H GA 1956, 348; RGSt 14, 80, 87; Fischer § 283 Rn 13; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 13; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 31; M/R/ Altenhain § 283 Rn 22. 636 Dazu und zu weiteren Konstellationen der vermögensmäßigen Einheit LK/Tiedemann § 283 Rn 66; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 104; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1051; Weyand/Diversy Rn 75. 637 S nur S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 15; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 105; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 34. 638 BGHSt 22, 360, 361; LK/Tiedemann § 283 Rn 69; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 15; Fischer § 283 Rn 13; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 13; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 30; SK/Hoyer § 283 Rn 48; D/K/H/ Dannecker/Hagemeier Rn 1050; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 34; S/S/W/Bosch § 283 Rn 14; M/R/Altenhain § 283 Rn 22; Pape/Uhländer/Hofmann § 283 Bankrott Rn 24; Geers, S 162; Reichelt, S 100; aA RGSt 22, 12, 14; Nieberg, (1913), S 16 f; M/G/Rinjes 8/117. 639 Zum Ganzen BGHSt 22, 360, 361; LK/Tiedemann § 283 Rn 69; M/R/Altenhain § 283 Rn 22; W/J/Pelz 9/130; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 34, der aber auf den Ausnahmefall des gutgläubigen Scheckerwerbs durch einen Dritten hinweist; aA, wegen der Möglichkeit gutgläubigen Erwerbs aber S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 15. 640 Su Rn 94 ff.

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barkeit nicht in der unterbliebenen Kündigung, sondern darin liegt, das Vertragsverhältnis einfach weiter laufen zu lassen.641 Hindert dagegen der Schuldner unwirtschaftliche Ausgaben bspw seiner Angestellten oder Familienangehörigen nicht, steht lediglich ein Unterlassen im Raum und bedarf es einer entsprechenden Garantenstellung, um den Schuldner gem § 283 Abs 1 Nr 2 Var 4 StGB zu bestrafen.642 Da die bloße Schuldnerstellung eine Garantenpflicht nicht begründet643 und die Garantenstellung des Betriebsinhabers vorrangig darauf gerichtet ist, Straftaten, die aus dem Unternehmen heraus begangen werden, zu verhindern,644 dürfte eine Unterlassensstrafbarkeit allenfalls einmal in den seltenen Fällen der Ingerenzgarantenstellung denkbar sein.645 Beispiele unwirtschaftlicher und übermäßiger Ausgaben sind: aussichtlose Investi83 tionen646 oder Sanierungsbemühungen, unangemessener Werbeaufwand (ein Fahrradhändler sponsert trotz wirtschaftlicher Krise ein Radrennteam647), Nutzung einer repräsentativen Villa (zu Werbezwecken oder zum luxuriösen Wohnen),648 Anmieten einer „zu teuren“ Wohnung „ohne zwingenden Grund“,649 teure Urlaubsreisen, Luxusanschaffungen (allerdings nur, falls diese Anschaffungen zu den Ausgaben nicht in einem wertmäßig ausgewogenen Verhältnis stehen),650 kostspielige Bar- und Restaurantbesuche651 sowie überhöhte Gehälter.652 Keine unwirtschaftlichen Ausgaben soll hingegen tätigen, wer die Bruttoeinnahmen zu seinem und seiner Familie notdürftigem Unterhalt verbraucht.653

5. Spiel und Wette 84 Die Bankrotthandlungen „Spiel“ und „Wette“ besitzen keine große praktische Rele-

vanz. Gem einhelliger Meinung folgt ihre Interpretation strikt akzessorisch dem zivilrechtlichen Verständnis dieser Begriffe,654 wie sie in § 762 BGB ihren Ausdruck gefunden

_____ 641 Grdl dazu Tiedemann KTS 1984, 539, 550; enger M/G/Rinjes 8/116, dem zufolge bereits der Abschluss des Dauerschuldverhältnisses pflichtwidrig gewesen sein muss. Jedoch sagt er nicht, welches der Maßstab ist, an dem sich die Pflichtwidrigkeit bemisst. 642 Eine Strafbarkeit bejahte ohne Umschweife RGSt 31, 151, 152, weil der Schuldner keine „energische[n] Gegenmaßregeln“ ergriffen hat, um die Ausgaben seiner Ehefrau und seiner Tochter zu stoppen; zust Nieberg, (1913), S 13; wohl auch Fischer § 283 Rn 11, der die Haftung schlicht an das Unterlassen der möglichen Beaufsichtigung knüpfen will; zu Recht aA A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 127; ferner Geers, S 163 f, der zufolge die Tathandlung des Verbrauchens allerdings schon nicht durch Unterlassen, sondern nur durch aktives Tun begangen werden kann. 643 Siehe o Rn 66. 644 S aber auch MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 32. 645 Ausf zum Ganzen LK/Tiedemann § 283 Rn 70; ebenso MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 32; wohl auch S/S/W/Bosch § 283 Rn 13; SK/Hoyer § 283 Rn 49; weitergehend Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 101; ebenso scheinbar M/G/Rinjes 8/117. 646 BGH GA 1964, 119, 120 m zahlr Bsp; BGH/H GA 1954, 311. 647 Bsp nach Tiedemann KTS 1984, 539, 550. 648 RG GA 64 (1917), 115 f, das allerdings zu Unrecht den Einwand des Schuldners nicht gelten lässt, durch die getätigten Ausgaben habe sein Vermögen einen gleichwertigen Vermögenszuwachs erfahren. 649 BGH/H GA 1954, 311. 650 Anders freilich (auf Gegenwert, der durch die Anschaffung in das Schuldnervermögen gelangte, kommt es nicht an): BGH NJW 1953, 1480, 1481 = LM Nr 4 zu § 240 KO: Kauf eines Herrenzimmers für 14.000 DM; s ferner RGSt 29, 347, 348; RGSt 10, 215 f. 651 RGSt 14, 221, 224; RGSt 10, 215, 217; BGH NJW 1953, 1480, 1481 = LM Nr 4 zu § 240 KO. 652 Grosche, S 71 f. 653 BGH GA 1964, 119. 654 Grdl RGSt 15, 277, 279.

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haben.655 Somit verwirklicht diesen Tatbestand beispielsweise, wer übermäßige Beträge bei einer Lotterie,656 beim Fußballtoto oder im Rahmen eines Schneeballsystems verbraucht.657 Das bloße Eingehen von Spiel- bzw Wettschulden erfüllt den Tatbestand hingegen noch nicht, da Spiel- und Wettschulden ausweislich des § 762 Abs 1 S 1 BGB lediglich unvollkommene Verbindlichkeiten darstellen.658

IX. Die Tathandlungen des § 283 Abs 1 Nr 3 StGB Der Tatbestand des § 283 Abs 1 Nr 3 StGB sanktioniert den sog Schleuderverkauf. Tatge- 85 genstand können im Unterschied etwa zu § 283 Abs 1 Nr 1 StGB nicht sämtliche Bestandteile der künftigen Masse, sondern lediglich Waren und Wertpapiere sein. Mangels einer eigenen strafrechtlichen Definition sind die beiden Tatbestandsmerkmale zivilrechtsakzessorisch zu verstehen. Freilich reißt diese enge Lesart keine Strafbarkeitslücken auf, da Verhaltensweisen, die den von § 283 Abs 1 Nr 3 StGB inkriminierten entsprechen, jedoch nicht Waren oder Wertpapiere, sondern sonstige Vermögensbestandteile betreffen, mithilfe des § 283 Abs 1 Nr 8 StGB geahndet werden können. Dem Terminus „Waren“ unterfallen demnach alle beweglichen Sachen (inkl ausländischer Geldsorten659), die Gegenstand des Handelsverkehrs sind bzw sein können (vgl § 1 Abs 2 Nr 1 HGB aF).660 Wertpapiercharakter iSd § 283 Abs 1 Nr 3 StGB soll nach ganz hM hingegen nicht sämtlichen Papieren zukommen, die das Zivil- und Handelsrecht dem Gattungsbegriff „Wertpapier“ unterstellen. Im Gegenteil: Mit Blick auf den Tatgegenstand „Waren“ erfasst das Merkmal „Wertpapiere“ nur solche Papiere, bei denen das verbriefte Recht dem Recht am Papier nachfolgt.661 Denn nur in diesen Konstellationen führt bspw die Veräußerung des Papiers zum Rechtsverlust und damit zu einer Schmälerung der Masse. Rektapapiere, zu deren Rechtsübergang der Inhaber die verbriefte Forderung abtreten muss, rechnen somit nicht zum Kreis der Tatgegenstände des § 283 Abs 1 Nr 3 StGB.662 Schließlich zählt § 283 Abs 1 Nr 3 StGB neben den Waren und Wertpapieren auch solche Gegenstände zu den tauglichen Tatobjekten, die der Schuldner mithilfe der auf Kredit beschafften Waren hergestellt hat.663 Dabei spielt es keine Rolle, ob der Schuldner zur Herstellung des neuen Gegenstandes ausschließlich kreditierte Waren oder zusätzlich

_____ 655 LK/Tiedemann § 283 Rn 63; Fischer § 283 Rn 12; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 18; SK/Hoyer § 283 Rn 51; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 29; M/R/Altenhain § 283 Rn 22; S/S/W/Bosch § 283 Rn 14; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 103; M/G/Rinjes 8/118; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 33; Weyand/Diversy Rn 75; Pape/Uhländer/Hofmann § 283 Bankrott Rn 24; Hiltenkamp-Wisgalle, S 175; Reichelt, S 100; Habetha, S 183; Nieberg, (1913), S 14; aA D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1050, die aber, was die erfassten Fallgruppen anbelangt, zum selben Umfang gelangen. 656 RGSt 27, 180, 182; Nieberg, (1913), S 14; vgl auch Fischer § 283 Rn 12; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 33. 657 Zu diesen Bsp s LK/Tiedemann § 283 Rn 63; ferner SK/Hoyer § 283 Rn 51; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 18; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 13. 658 Dazu, dass die Begründung unvollkommener Verbindlichkeiten nicht der Handlungsvariante „Schuldigwerden“ unterfällt, siehe o Rn 81. 659 Siehe o Rn 76. 660 SK/Hoyer § 283 Rn 54; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 35; Nieberg, (1913), S 18. 661 S schon Nieberg, (1913), S 18. 662 Grdl zum Ganzen LK/Tiedemann § 283 Rn 74; ebenso ferner SK/Hoyer § 283 Rn 54; S/S/Heine/ Schuster § 283 Rn 8; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 23; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1053; G/J/W/ Reinhart § 283 Rn 35; Weyand/Diversy Rn 77. 663 Anders noch die Fassung der Vorgängervorschrift des § 240 Abs 1 Nr 2 KO; vgl dazu auch RGSt 72, 187, 188 ff; zur Sinnesänderung s BT-Drucks 7/3441, S 35.

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sonstige, ihm gehörende Waren verwendet.664 Schließlich erfasst § 283 Abs 1 Nr 3 StGB sämtliche Waren und Wertpapiere ungeachtet ihres insolvenzrechtlichen Status.665 Denn der Tatbestand des § 283 Abs 1 Nr 3 StGB beschränkt sich richtigerweise nicht darauf, die Weggabe von Bestandteilen der präsumtiven Masse durch den Schuldner zu verhindern, da er ansonsten gegenüber dem Beiseiteschaffen des § 283 Abs 1 Nr 1 StGB überflüssig wäre.666 Vielmehr will § 283 Abs 1 Nr 3 StGB der Gefahr vorbeugen, dass der Schuldner, indem er die kreditierten Waren bzw Wertpapiere verschleudert, sich außerstand setzt, die erhaltenen Kredite zurückzuführen.667 Der Schuldner muss die Waren bzw Wertpapiere beschafft haben. Heute entspricht 86 es einhelliger Meinung das Merkmal „beschafft“ zu bejahen, sobald der Schuldner den Besitz an den Waren/Wertpapieren erlangt hat.668 Damit sind ältere Ansichten, die ein Beschaffen immer erst dann annehmen wollten, wenn der dingliche Rechtserwerb vollzogen und die Waren/Wertpapiere in das Eigentum des Schuldners gewechselt waren,669 überwunden und besteht nunmehr die Möglichkeit, auch den Schuldner, der unter Eigentumsvorbehalt stehende Waren verschleudert, gem § 283 Abs 1 Nr 3 StGB zu ahnden.670 Jedoch genügt der Abschluss eines schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäfts über die Lieferung von Waren/Wertpapieren den Anforderungen des Beschaffens noch nicht.671 „Auf Kredit“ beschafft sind Waren oder Wertpapiere, deren Lieferung entweder ein 87 Darlehensvertrag zugrunde liegt oder deren Bezahlung der Verkäufer gegenüber dem Schuldner bspw stundet. Mit anderen Worten und allgemeiner ausgedrückt: Kredit gewährt der Verkäufer, der keine Zahlung Zug um Zug fordert.672 Allerdings beschafft keine Waren auf Kredit iSd § 283 Abs 1 Nr 3 StGB, wer hierfür Mittel einsetzt, die er anderweitig darlehensweise erhalten hat.673 Erforderlich ist somit eine Kreditierung seitens des Lieferanten der Waren/Wertpapiere.674

_____ 664 LK/Tiedemann § 283 Rn 76a; SK/Hoyer § 283 Rn 56; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 35; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 35; M/G/Rinjes 8/122. 665 Dafür etwa SK/Hoyer § 283 Rn 54; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 33; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 36; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1054; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 132. 666 Ähnl G/J/W/Reinhart § 283 Rn 36. 667 G/J/W/Reinhart § 283 Rn 36; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 20. 668 LK/Tiedemann § 283 Rn 75; Fischer § 283 Rn 14; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 20; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 14; SK/Hoyer § 283 Rn 54; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1053; M/R/Altenhain § 283 Rn 23; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 36; M/G/Rinjes 8/121; Hiltenkamp-Wisgalle, S 176; Geers, S 165; Reichelt, S 101; dafür wohl auch schon RGSt 62, 257, 258; zust Bruns, (1938), S 239 f. 669 RGSt 72, 187, 188; RGSt 66, 175, 178. 670 Dazu, dass unter Eigentumsvorbehalt gelieferte Sachen dem Warenbegriff des § 283 Abs 1 Nr 3 StGB unterfallen, s grdl BGHSt 9, 84, 85 ff; zust Klug JZ 1957, 462, 464 f; H.W. Schmidt NJW 1957, 1788, 1789; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 33; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1053; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 36; M/G/Rinjes 8/121; Böttger/Verjans 4/68; Geers, S 165; Krumme LM Nr 11 zu § 240 KO; abl Hammerl, S 8 m Fn 30. 671 BGHSt 9, 84, 86; RGSt 62, 257, 258; LK/Tiedemann § 283 Rn 75; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 33; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 20; M/G/Rinjes 8/121; Hiltenkamp-Wisgalle, S 176; Klug JZ 1957, 462, 463. 672 S zum Ganzen auch SK/Hoyer § 283 Rn 55; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 34; D/K/H/Dannecker/ Hagemeier Rn 1053; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 37; M/G/Rinjes 8/121; weitergehend RGSt 66, 175, 179, dem zufolge auch betrügerisch erlangte Waren dem Merkmal „auf Kredit beschafft“ subsumierbar sind. 673 LK/Tiedemann § 283 Rn 76; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 37; W/J/Pelz 9/131; aA aber Grosche, S 81, dem zufolge es keinen Unterschied macht, ob der Verkäufer oder aber ein Dritter dem Schuldner den Kredit gewährt hat. 674 S erg Rn 90.

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§ 12 Bankrott, §§ 283, 283a StGB u. Verletz. d. Buchführungspflicht, § 283b StGB | 665

Die inkriminierten Tathandlungen fasst § 283 Abs 1 Nr 3 StGB denkbar weit. Neben 88 dem Veräußern, das richtiger Ansicht zufolge sowohl die entgeltliche als auch die unentgeltliche Eigentumsübertragung sowie die Aufgabe sonstiger dinglicher Rechte (etwa eines Anwartschaftsrechts) umgreift,675 sanktioniert § 283 Abs 1 Nr 3 StGB auch den Schuldner, der kreditierte Waren oder Wertpapiere erheblich unter Wert „sonst abgibt“. Auf diese Weise gelingt es, zusätzlich die Konstellationen bloßer Besitzaufgabe, etwa indem der Schuldner an der auf Kredit beschafften Ware ein Pfandrecht bestellt, dem Einzugsbereich des § 283 Abs 1 Nr 3 StGB zuzuschlagen.676 – Allerdings pönalisiert § 283 Abs 1 Nr 3 StGB nicht die Veräußerung bzw Abgabe kreditierter Waren/Wertpapiere schlechthin, sondern macht – einschränkend – den Strafbarkeitsvorwurf davon abhängig, dass die Veräußerung/Abgabe „erheblich unter Wert“ erfolgt und zudem den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft zuwiderläuft. Ob der Schuldner die kreditierten Waren/Wertpapiere erheblich unter Wert veräußert bzw abgegeben hat, bemisst sich ganz hM zufolge entscheidend an dem Marktpreis, den die Ware/das Wertpapier zum Zeitpunkt der Veräußerung/Abgabe hatte.677 Der Einkaufpreis, also der Preis, den der Schuldner aufwenden musste, um die Waren/Wertpapiere zu beschaffen, stellt lediglich ein Indiz für den Marktpreis dar.678 Lässt sich ein Marktpreis nicht feststellen, bildet der „übliche Preis“ den Vergleichsparameter.679 Welches der „übliche Preis“ der veräußerten/sonst abgegebenen Waren bzw Wertpapiere ist, wird sich in praxi jedoch kaum einmal ohne sachverständige Hilfe feststellen lassen. – Steht eine wertmäßige Abweichung zwischen Markt- bzw „üblichem Preis“ und Abgabe-/Veräußerungspreis fest,680 muss des Weiteren eruiert werden, ob diese Abweichung erheblich ist. Wenn das insolvenzstrafrechtliche Schrifttum zT die Ansicht vertritt, dem Erheblichkeitskriterium komme mit Blick auf die übrigen Bankrotthandlungen kein eigenständiger Gehalt zu,681 überzeugt das nicht. Schon methodisch geht es nicht an, unter mehreren Auslegungsoptionen diejenige zu wählen, die einem Merkmal keinen eigenen Anwendungsspielraum

_____ 675 RGSt 48, 217, 218; SK/Hoyer § 283 Rn 56; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 21; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 35; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1054; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 14; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 38; M/G/Rinjes 8/122; M/R/Altenhain § 283 Rn 23; sa Geers, S 165; Hiltenkamp-Wisgalle, S 177; Reichelt, S 101; enger, unentgeltliche Weitergabe nicht erfasst Fischer § 283 Rn 14; S/S/W/Bosch § 283 Rn 16. 676 RGSt 48, 217, 218; SK/Hoyer § 283 Rn 56; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 35; D/K/H/Dannecker/ Hagemeier Rn 1054; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 38; M/G/Rinjes 8/122; M/R/Altenhain § 283 Rn 23; S/S/Heine/ Schuster § 283 Rn 21; ferner Hiltenkamp-Wisgalle, S 177; zu diesen und weiteren Fällen sa Nieberg, (1913), S 19. 677 BGH/H GA 1955, 365; RGSt 72, 187, 190; RGSt 47, 61 f; LK/Tiedemann § 283 Rn 78; SK/Hoyer § 283 Rn 57; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 35; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 39; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1055; Hiltenkamp-Wisgalle, S 178. 678 LK/Tiedemann § 283 Rn 78; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 35; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 14; S/S/W/Bosch § 283 Rn 16; M/G/Rinjes 8/122; M/R/Altenhain § 283 Rn 23; vgl ferner BGH/H GA 1955, 365: Marktpreis setzt sich aus Einkaufspreis und Unkosten zusammen; ähnl bereits RGSt 47, 61, 62. 679 BGH/H GA 1955, 365; RGSt 72, 187, 190; LK/Tiedemann § 283 Rn 78. 680 Maßgeblich ist dabei das einzelne Kreditgeschäft und nicht sämtliche Geschäfte, die der Schuldner innerhalb eines bestimmten Zeitraums getätigt hat; vgl dazu RGSt 66, 175, 177. 681 In diese Richtung LK/Tiedemann § 283 Rn 78a, dem zufolge sich die Bedeutung des Erheblichkeitskriteriums im Wesentlichen darin erschöpft, zu verhindern, dass Unsicherheiten über den Marktpreis nicht zu Lasten des Täters gehen. Da aber der Markt- bzw „übliche Preis“ einer Ware/eines Wertpapiers zu den Tatsachen gehört, die im Prozess ermittelt werden müssen, schützt den Täter bereits der in-dubio-Grds vor dieser Gefahr. Des Erheblichkeitskriteriums bedarf es hierfür also nicht; s ferner MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 35, denen zufolge die Erheblichkeitsschwelle überschritten ist, wenn die Abweichung des Abgabe-/Veräußerungspreises vom Marktpreis einem sachkundigen Dritten ins Auge springt; zust M/G/Rinjes 8/122.

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belässt. Deshalb spricht viel dafür, die Erheblichkeitsschwelle erst dann als überschritten anzusehen, wenn der Veräußerungs-/Abgabepreis vom Markt- bzw „üblichen Preis“ um mehr als 25% abweicht.682 Strafbarkeitslücken entstehen dadurch nicht, weil Veräußerungen etc unterhalb dieser Marge den Nrn 2 bzw 8 subsumiert werden können. 89 Wie sämtliche bestandsbezogenen Bankrotthandlungen683 verlangt auch § 283 Abs 1 Nr 3 StGB einen Verstoß gegen die Anforderungen ordnungsgemäßen Wirtschaftens. Daran fehlt es, wenn die Veräußerung bzw Abgabe von Waren/Wertpapieren erheblich unter Wert auf sachgerechten Erwägungen beruht. Zulässig sind demnach Mischkalkulationen,684 Sonderangebote, Räumungsverkäufe (aber nicht zum Zweck der Geschäftsaufgabe), Unterwertverkäufe, um einem drohenden Verderb der Waren zuvorzukommen685 bzw die Lagerkosten zu reduzieren 686 sowie sog Lockvogelangebote.687 Auch darf der Schuldner, der von einem in nächster Zukunft erfolgenden Preissturz erfährt, seine kreditierten Waren/Wertpapiere erheblich unter Marktpreis veräußern, um einen noch größeren Verlust bei Eintritt des vorhergesehenen Preisverfalls zu verhindern.688 Den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft handelt hingegen grds zuwider, wer kreditierte Waren erheblich unter Wert veräußert, um den Konkurrenzkampf mit einem Mitbewerber durchzustehen.689 Nach dem Wortlaut des § 283 Abs 1 Nr 3 StGB verwirklicht selbst derjenige Schuldner 90 die Verschleuderungsvariante, der Waren bzw Wertpapiere, die er irgendwann einmal auf Kredit beschafft hatte, erheblich unter Wert veräußert bzw abgibt, obschon er im Zeitpunkt der Veräußerung/Abgabe das Darlehen/den Kaufpreis bereits bezahlt hat. Prima vista spricht zwar nichts dagegen, auch diesen Schuldner gem § 283 Abs 1 Nr 3 StGB zu bestrafen, haftet doch solchen Handlungen ein erhebliches Gläubigergefährdungspotential an. Allerdings liegen die Prototypen des § 283 Abs 1 Nr 3 StGB anders. Sie zeichnen sich – wie gesehen – dadurch aus, neben der Gläubigergesamtheit den kreditgewährenden Lieferanten der Waren/Wertpapiere zu schädigen. Deshalb, und um die Binnensystematik des § 283 Abs 1 StGB zu gewährleisten, verdient die Ansicht den Vorzug, die die eingangs geschilderte Konstellation nicht dem § 283 Abs 1 Nr 3 StGB,690 sondern der Verlustgeschäftsvariante des § 283 Abs 1 Nr 2 StGB subsumiert. – Ebenfalls haftet nicht gem § 283 Abs 1 Nr 3 StGB, wer die Waren/Wertpapiere zwar deutlich unterhalb

_____ 682 So der Vorschlag von Bittmann/Bittmann Voraufl Rn 137; tendenziell abw G/J/W/Reinhart § 283 Rn 39: 10% unterhalb des untersten üblichen Preises. 683 Zur Unterscheidung in bestands- und informationsbezogene Bankrotthandlungen siehe o Rn 5. 684 Fischer § 283 Rn 15; Tiedemann ZIP 1983, 513, 522. 685 Hammerl, S 9 m Fn 32; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 36; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 40. 686 Bretzke, S 107, 143; Tiedemann KTS 1984, 539, 548. 687 Zu diesen Bsp s SK/Hoyer § 283 Rn 58; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 23; M/R/Altenhain § 283 Rn 23; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1055; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 14; Hiltenkamp-Wisgalle, S 178; zu den Lockvogelangeboten G/J/W/Reinhart § 283 Rn 40; Göhler/Wilts DB 1976, 1657, 1660; Tiedemann ZIP 1983, 513, 522. 688 Klug JZ 1957, 462, 463; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1055; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 14; S/S/ Heine/Schuster § 283 Rn 23; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 40; M/R/Altenhain § 283 Rn 23; vgl auch schon Nieberg, (1913), S 19. 689 Ausf dazu und zu den Ausnahmen M/G/Rinjes 8/123; aA Fischer § 283 Rn 15; SK/Hoyer § 283 Rn 58; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 135; AnwK/Püschel § 283 Rn 15; ebenso wohl D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1055. 690 Für entspr teleologische Reduktion SK/Hoyer § 283 Rn 55; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 20; MK/ Radtke/Petermann § 283 Rn 34; ebenso wohl D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1053; M/R/Altenhain § 283 Rn 23; implizit auch schon RGSt 72, 187, 190.

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§ 12 Bankrott, §§ 283, 283a StGB u. Verletz. d. Buchführungspflicht, § 283b StGB | 667

des Marktpreises, jedoch über dem Einkaufspreis veräußert, da solches Verhalten die Gläubiger nicht beeinträchtigt.691

X. Die Tathandlungen des § 283 Abs 1 Nr 4 StGB Während § 283 Abs 1 Nrn 1–3 StGB Konstellationen erfasst, in denen der Schuldner ent- 91 weder den Aktivenbestand der präsumtiven Masse verringert oder seinen Schuldenbestand tatsächlich vergrößert (vgl „Schuldigwerden iSd § 283 Abs 1 Nr 2 StGB; dazu siehe o Rn 81), sanktioniert § 283 Abs 1 Nr 4 StGB Verhaltensweisen, die den Passivenbestand zum Schein erhöhen und somit die voraussichtliche Quote der aktuell vorhandenen Gläubiger schmälern.692 Im Unterschied zu § 283 Abs 1 Nrn 1–3 StGB rechnet § 283 Abs 1 Nr 4 StGB zu den informationsbezogenen Bankrottdelikten und weist folglich eine größere Nähe zu den – sogleich zu besprechenden693 – Buchführungsdelikten auf. Da die Tathandlungen des § 283 Abs 1 Nr 4 StGB nur dazu dienen, einen höheren Schuldenstand vorzuspiegeln, als es der Wirklichkeit entspricht, präsentieren sie sich häufig als Vorfeldhandlungen, die der Schuldner begeht, um bspw das Beiseiteschaffen von Vermögensbestandteilen oder das Eingehen von Verlust-, Spekualtions- bzw Differenzgeschäften sowie die Vornahme von Schleuderverkäufen zu verschleiern. 694 Selbstständige Bedeutung erlangt § 283 Abs 1 Nr 4 StGB deshalb nur dort, wo die ins Auge gefasste Vermögensverschiebung nicht stattfindet.695 Hat der Schuldner hingegen den fingierten Anspruch befriedigt, richtet sich seine Bankrottstrafbarkeit vorrangig nach § 283 Abs 1 Nr 1 bzw Nr 8 StGB; § 283 Abs 1 Nr 4 StGB tritt dahinter zurück.

1. Tatgegenstand des § 283 Abs 1 Nr 4 StGB Der Tatbestand des § 283 Abs 1 Nr 4 StGB spricht von Rechten, die der Schuldner entwe- 92 der vortäuscht oder anerkennt. Unstreitig rangieren unter dem Begriff der Rechte im Ausgangspunkt sämtliche dingliche und schuldrechtliche Positionen,696 sofern sie die insolvenzrechtliche Stellung des Begünstigten verbessern. Deshalb soll bereits den Tatbestand verwirklichen, wer ein Insolvenzvorrecht fingiert.697 Da aber die InsO die zahlreichen Vorrechte der KO gestrichen hat, spielen heute – vom Standpunkt der hM – lediglich Konstellationen eine Rolle, in denen der Schuldner vortäuscht, eine Forderung

_____ 691 G/J/W/Reinhart § 283 Rn 40 mwN zu den umstr Konstellationen, in denen der Schuldner ohne Mehraufwand sogar einen über dem Marktpreis liegendes Ergebnis hätte erzielen können, hierauf aber – aus welchen Gründen auch immer – verzichtet. 692 SK/Hoyer § 283 Rn 59; Fischer § 283 Rn 17; Böttger/Verjans 4/71; sa bereits v. Babo, (1908), S 26. 693 Vgl Rn 97 ff. 694 Sa LK/Tiedemann § 283 Rn 81; Weyand/Diversy Rn 79; Böttger/Verjans 4/34, 74 und Fischer § 283 Rn 18, allerdings nur mit Blick auf § 283 Abs 1 Nr 1 StGB; vgl ferner Steinberg/Valerius/Popp/Hagemeier, S 129, 130. 695 LK/Tiedemann § 283 Rn 81. 696 BGH GA 1955, 151; RGSt 64, 311, 312; RGSt 64, 42 f; LK/Tiedemann § 283 Rn 82; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 41; Pape/Uhländer/Hofmann § 283 Bankrott Rn 28; Fischer § 283 Rn 17; SK/Hoyer § 283 Rn 60; D/K/H/ Dannecker/Hagemeier Rn 1057; Bruns, (1938), S 239. 697 S nur BT-Drucks 7/3441, S 35; BGH/H GA 1955, 365; BGH LM Nr 14 zu § 239 KO; Fischer § 283 Rn 17; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 15; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 25; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 41; M-G/Richter § 83 Rn 42; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1057; MAH/Böttger § 19 Rn 139; Pape/Uhländer/Hofmann § 283 Bankrott Rn 28.

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rechne zum Kreis der Masseverbindlichkeiten (vgl §§ 53, 55 InsO) und sei deshalb vorrangig zu bedienen. Nach hier vertretenem Ansatz, dem zufolge die Vornahme von Bankrotthandlungen während des eröffneten Insolvenzverfahrens sub specie § 283 StGB straflos bleibt,698 kommt hingegen allenfalls eine Strafbarkeit wegen Betrugs in Betracht. Nicht unter § 283 Abs 1 Nr 4 StGB fallen Tathandlungen, die dem Begünstigten keinen Vorteil gewähren und deshalb auch nicht die Befriedigungschancen der übrigen Gläubiger tangieren.699 Aufgrund seines Gefährdungsdeliktscharakters setzt § 283 Abs 1 Nr 4 StGB allerdings weder voraus, dass die schuldnerische Tathandlung die Quote der präsumtiven Insolvenzgläubiger tatsächlich reduziert hat,700 noch dass der „Gläubiger“ des vorgetäuschten bzw erdichteten Rechts dieses im späteren Insolvenzverfahren angemeldet hat.701 Keine Einigkeit herrscht über die Frage, ob die vorgetäuschten Rechte der ersten Va93 riante denselben Umfang besitzen wie die erdichteten Rechte der zweiten Variante. Folgt man der hM und klammert die Anerkennung bestehender, aber nicht durchsetzbarer Rechte vom Anwendungsbereich der zweiten Variante aus,702 versteht man also unter erdichteten Rechten nur solche, die der Schuldner und sein vermeintlicher Vertragspartner völlig frei erfunden haben, scheint es, als ob der Rechtebegriff dieser zweiten Variante eine gewisse Ablösung vom Zivilrecht erfährt, wohingegen die Modalität des Vortäuschens sämtliche insolvenzrechtsrelevanten Aspekte eines Rechts betreffen können soll. Mehr spricht indes dafür, den Terminus „Rechte“ in beiden Varianten des § 283 Abs 1 Nr 4 StGB grds identisch zu interpretieren und die Fälle, in denen der Schuldner, der trotz bestehender, ihm bekannter Einreden diese nicht erhebt, sondern sich rechtskräftig verurteilen lässt, dort zu thematisieren, wo sie hingehören: nämlich iRd Problematik, inwieweit § 283 Abs 1 Nr 4 StGB durch Unterlassen begangen werden kann703.704

2. Die Tathandlungen des § 283 Abs 1 Nr 4 StGB 94 Das – auch konkludent mögliche – Vortäuschen eines Rechts erfordert ein Handeln mit

Außenwirkung gegenüber einem Dritten.705 Dabei herrscht insofern Konsens, als weder der Adressat des Vortäuschens im Vorhinein feststehen noch der Begünstigte an dem Täuschungsmanöver mitwirken muss. Vor diesem Hintergrund unterfällt die Aufnahme erdichteter Forderungen in die Geschäftsbücher, die später dem Insolvenzverwalter zugänglich gemacht werden, dem Tatbestand der ersten Variante.706 Kein Recht täuscht

_____ 698 Siehe o Rn 9. 699 Etwa weil der Gemeinschuldner Forderungen nur erdichtet, um so Einfluss auf die Abstimmung über ein Vergleichsverfahren zu erlangen; dazu BGH/H GA 1958, 48. 700 Wobei völlig ungeeignete Tathandlungen allerdings ganz hM zufolge aus dem Anwendungsbereich herausfallen; s nur G/J/W/Reinhart § 283 Rn 41. 701 Zu letzterem BGH LM Nr 2 zu § 239 KO; BGH LM Nr 14 zu § 239 KO; RGSt 62, 287, 288; LK/Tiedemann § 283 Rn 87; SK/Hoyer § 283 Rn 59; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 38; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 41; S/S/ Heine/Schuster § 283 Rn 24; S/S/W/Bosch § 283 Rn 18; ferner D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1062; Pape/ Uhländer/Hofmann § 283 Bankrott Rn 27; M-G/Richter § 83 Rn 36; Weyand/Diversy Rn 81; W/J/Pelz 9/133; aA aber noch RGSt 2, 337, 343. 702 Dafür wohl SK/Hoyer § 283 Rn 61. 703 Dazu su Rn 96. 704 Grdl und zutr dazu LK/Tiedemann § 283 Rn 83. 705 BT-Drucks 7/3441, S 35; LK/Tiedemann § 283 Rn 84; SK/Hoyer § 283 Rn 65; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1059; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 41; sa Hiltenkamp-Wisgalle, S 179. 706 BGH/H GA 1953, 74.

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§ 12 Bankrott, §§ 283, 283a StGB u. Verletz. d. Buchführungspflicht, § 283b StGB | 669

vor, wer zwar den Anspruch eines Dritten aufführt, gleichzeitig aber darauf hinweist, dass dieser Anspruch nicht durchsetzbar ist, etwa weil er die zugrunde liegende Forderung bereits erfüllt hat707 oder diese rechtskräftig abgewiesen wurde. Hingegen verwirklicht die Handlungsmodalität des (konkludenten) Vortäuschens, wer die rechtskräftige Abweisung der Forderung verschweigt, obschon er den Anspruch erwähnt.708 Straflos sub specie § 283 Abs 1 Nr 4 StGB bleibt der Geschäftsführer, der nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine ihm tatsächlich nicht zustehende Gehaltsforderung zur Insolvenztabelle anmeldet.709 Ungeachtet des hier vertretenen Standpunktes, wonach die Vornahme von Bankrotthandlungen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens den Tatbestand des § 283 Abs 1 StGB ohnehin nicht erfüllt,710 verwirklicht der Geschäftsführer weder die Modalität des Anerkennens711 noch täuscht er ein Recht vor, da die Geltendmachung einer eigenen Gehaltsforderung nach keiner zu § 14 Abs 1 Nr 1 StGB vertretenen Ansicht den Zurechnungszusammenhang „als“ begründet.712 Im Unterschied zum Vortäuschen setzt die Anerkennensvariante ein Zusammen- 95 wirken von Schuldner und Scheingläubiger voraus.713 Dh, der Scheingläubiger muss ein Recht behaupten und der Schuldner diese wahrheitswidrige Behauptung bestätigen. Zwischen Scheingläubiger und Schuldner darf keine Personenidentität bestehen, weshalb der GmbH-Geschäftsführer, der namens „seiner“ Gesellschaft eine ihm vermeintlich zustehende Gehaltsforderung anerkennt, den Tatbestand nicht erfüllt.714 Inhaltlich und formal erfordert § 283 Abs 1 Nr 4 Var 2 StGB kein Anerkenntnis iSd §§ 780, 781 BGB.715 Ob der Schuldner, der eine tatsächlich nicht bestehende Verbindlichkeit begleicht, den § 283 Abs 1 Nr 4 Var 2 StGB verwirklicht, kann dahinstehen, macht er sich doch vorrangig gem § 283 Abs 1 Nr 1 bzw Nr 8 StGB strafbar.716 – Der Scheingläubiger, der das Recht der Wirklichkeit zuwider behauptet, ist zwar – mangels Schuldnerstellung – kein Täter des Bankrotts, haftet aber regelmäßig wegen Beihilfe bzw Anstiftung zur Tat des § 283 Abs 1 Nr 4 StGB717.718

_____ 707 BGH/H GA 1953, 74; SK/Hoyer § 283 Rn 64; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 25; weitergehend aber S/S/W/Bosch § 283 Rn 17, M-G/Richter § 83 Rn 40 und M/R/Altenhain § 283 Rn 24: kein Erdichten bei Anerkennen nicht durchsetzbarer Rechte (etwa verjährter Forderungen), da ihre Existenz nicht bestritten ist. 708 LK/Tiedemann § 283 Rn 84; SK/Hoyer § 283 Rn 62; MAH/Böttger § 19 Rn 140; ähnl RG DR 1940, 793 bzgl einer einmal entstandenen, später aber durch Zahlung erloschenen Forderung; wohl auch v. Babo, (1908), S 27. 709 BGH/H GA 1954, 312; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 25; Fischer § 283 Rn 18, der aber zu Recht darauf hinweist, dass insoweit eine Strafbarkeit wegen Betrugs in Betracht kommt; weiter S/S/W/Bosch § 283 Rn 17: Anerkennen bei Bestätigung eigener Forderungen gegenüber GmbH; Nr 4 bejaht: M-G/Richter § 83 Rn 38. 710 Siehe o Rn 9. 711 Su Rn 95. 712 BGH LM Nr 8 zu § 239 KO; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 25; wohl auch Fischer § 283 Rn 18. 713 BGH/H GA 1953, 74; Fischer § 283 Rn 18; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 26; SK/Hoyer § 283 Rn 65; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 15; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1061; M/R/Altenhain § 283 Rn 24; MK/ Radtke/Petermann § 283 Rn 40; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 42; Hiltenkamp-Wisgalle, S 180; weitergehend wohl noch RGSt 62, 287, 288: Willenserklärung des Schuldners mit Außenwirkung genügt. 714 BGH LM Nr 8 zu § 239 KO. 715 S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 26. 716 Für die Annahme von § 283 Abs 1 Nr 1 StGB LK/Tiedemann § 283 Rn 86; Fischer § 283 Rn 18; nach dem hier o Rn 78 vertretenen Abgrenzungsansatz kommt hingegen nur eine Strafbarkeit gem § 283 Abs 1 Nr 8 StGB in Betracht, da der Schuldner, der eine nicht bestehende Forderung begleicht, auf die hierzu weggegebenen Vermögensstücke keinen Zugriff mehr hat, ein Beiseiteschaffen deshalb ausscheidet. 717 S erg u Rn 257 ff. 718 Ausf zum Ganzen LK/Tiedemann § 283 Rn 89.

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670 | 3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften

3. § 283 Abs 1 Nr 4 StGB durch Unterlassen 96 Genauso wie die Nrn 1–3 des § 283 Abs 1 StGB kann der Schuldner auch den § 283

Abs 1 Nr 4 StGB durch Unterlassen begehen.719 Im Zentrum der Diskussion stehen Fallgestaltungen, in denen der Schuldner, den ein Gläubiger auf der Grundlage einer nicht bestehenden bzw nicht durchsetzbaren Forderung verklagt, es entweder unterlässt, im Prozess eine ihm zustehende Einrede (etwa die der Verjährung) zu erheben oder aber prozessuale Rechtsbehelfe (etwa den Einspruch gegen ein erstes Versäumnisurteil) nicht geltend macht und deshalb (rechtskräftig) verurteilt wird. Da die Schuldnerposition eine Garantenstellung nicht begründet,720 lehnt die ganz hM zu Recht eine Unterlassenshaftung des sich nicht ordnungsgemäß verteidigenden Schuldners ab.721 Der Einwand, die nachlässige Führung eines Zivilprozesses durch den Schuldner beruhe regelmäßig auf einer Absprache mit dem (Schein-)Gläubiger, weshalb ein aktives Tun und kein Unterlassen in Rede stehe, der so agierende Schuldner also gem § 283 Abs 1 Nr 4 Var 2 StGB hafte,722 mag zwar die Rechtswirklichkeit zutreffend abbilden. Lässt sich eine solche Absprache zwischen Schuldner und (Schein-)Gläubiger aber nicht nachweisen, scheitert die Annahme von aktivem Tun am in-dubio-Grds und bleibt nur der Weg über das Unterlassen, der jedoch mangels Garantenstellung kaum einmal zum Ziel – i.e. Strafbarkeit wegen Bankrotts – führen dürfte.

XI. Die Buchführungsdelikte, §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b StGB 97 Zu den praxisrelevantesten Vorschriften des Insolvenzstrafrechts gehören neben der

Insolvenzverschleppung (vgl § 15a InsO723)724 die – seit dem 1. WiKG 1976 aus Gründen der Generalprävention wieder im StGB verankerten725 – Tatbestände der §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b StGB.726 Die Tathandlungen, die § 283b Abs 1 Nrn 1–3 StGB sanktioniert, finden sich zwar nahezu identisch727 schon in § 283 Abs 1 Nrn 5–7 StGB,728 allerdings mit dem Unterschied, dass der Täter des § 283 StGB diese entweder im Zustand der Krise begangen oder die Krise durch diese herbeigeführt haben muss.729 Gem § 283b Abs 1 StGB macht sich demnach strafbar, wer entweder außerhalb oder in subjektiver Unkenntnis

_____ 719 AA aber Geers, S 167. 720 Siehe o Rn 66. 721 Zutr LK/Tiedemann § 283 Rn 88 sowie ders KTS 1984, 539, 544, der zu Recht darauf hinweist, dass allenfalls eine Garantenstellung aus Ingerenz die Unterlassensstrafbarkeit des Schuldners zu begründen vermag; zust MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 41; M/R/Altenhain § 283 Rn 24; S/S/W/Bosch § 283 Rn 17; AnwK/Püschel § 283 Rn 16; Geers, S 167; v.d. Heydt, S 35; ebenso wohl G/J/W/Reinhart § 283 Rn 42; iE für Straflosigkeit auch schon v. Babo, (1908), S 27; anders aber Büttiker, (1914), S 43; scheinbar auch M-G/ Richter § 83 Rn 44; Fischer § 283 Rn 18, der hierin wohl ein Anerkennen erblicken will. 722 So Bittmann/Bittmann Voraufl Rn 147; wohl auch S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 26. 723 Ausf zu diesem Tatbestand § 11. 724 Ogiermann/Weber wistra 2011, 206, 211; Haffke KritV 1991, 165, 171. 725 Zu dieser Zielsetzung der Standortverschiebung s BT-Drucks 7/3441, S 34; ferner Schüppen, S 83. 726 Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 1, 9; M-G/Richter § 85 Rn 1; M/G/Rinjes 8/210; v.d. Heydt, S 45; s ferner auch Richter GmbHR 1984, 137, 147; Stein AG 1987, 165, 171, 173; Weyand ZInsO 1999, 327; ders PStR 2004, 235; Hagemeier NZWiSt 2012, 105; zur enormen Praxisrelevanz des § 283b StGB kam auch die Expertenbefragung von Bitter/Hommerich/Reiß ZIP 2012, 1201, 1206. 727 Zu den zwischen § 283 Abs 1 Nr 6 StGB und § 283b Abs 1 Nr 2 StGB bestehenden Unterschieden su Rn 158 ff. 728 Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 1. 729 Dazu nur Schlüchter JR 1979, 513.

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der Krise730 eine der in den Nrn 1–3 genannten, inkriminierten Verhaltensweisen begeht, sofern er (später) seine Zahlungen einstellt oder über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet bzw dessen Eröffnung mangels Masse abgelehnt wird (vgl § 283b Abs 3 iVm § 283 Abs 6 StGB).731 Die Tatbestände der §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b StGB rechnen grds zur Kategorie der 98 abstrakten Gefährdungsdelikte,732 obschon nahezu sämtlichen Tatmodalitäten nicht die Vornahme bzw das Unterlassen einer bestimmten Handlung genügt, sondern sie zusätzlich das Erfolgsmoment fordern, wonach die Tathandlung dazu beigetragen haben muss, die Übersicht über den Vermögensstand des Schuldners zu erschweren. Deshalb kann man von „Gefährdungsdelikten mit Erfolgsmomenten“733 sprechen. Allerdings überwiegt das Gefährdungselement deutlich, da das Erfolgsmoment zum einen nur den erforderlichen Grad der Mangelhaftigkeit kennzeichnet und zum anderen selbst dann vorliegt, wenn der Täter seinen wahren Vermögensstand kennt.734 Darüber hinaus gehören §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b StGB zum Kreis der Blankettvorschriften,735 als die von ihnen pönalisierten Tatmodalitäten entweder an Handelsbüchern, zu deren Führung der Schuldner gesetzlich verpflichtet ist, begangen worden sein müssen oder ein Vorgehen entgegen dem Handelsrecht voraussetzen. Unter Schutzgutaspekten dienen die §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b Abs 1 Nrn 1–3 StGB 99 zum einen dazu, die Selbstinformation des Kaufmanns über seine Geschäfte zu gewährleisten,736 die ihm eine ordentliche Bilanz- und Buchführung vermittelt. Zum anderen und mit dem Aspekt der Selbstinformation eng zusammenhängend737 bezwecken die §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b Abs 1 Nrn 1–3 StGB Gläubigerschutz,738 da lediglich der Kaufmann, der seine Aktiv- und Passivbestände kennt, in der Lage ist, zu beurteilen, ob sein Unternehmen prosperiert oder aber der Insolvenz entgegensteuert und – sollte letzteres der Fall sein – die entsprechenden Maßnahmen zu ergreifen.739 Hinzu kommt: Wer quasi blind „vor sich hinwirtschaftet“, ohne um den Erfolg bzw Misserfolg seiner Geschäfte auch nur näherungsweise zu wissen, setzt eine entscheidende Ursache für den

_____ 730 Schlüchter JR 1979, 513; ferner MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 35; M-G/Richter § 85 Rn 65; MAH/Böttger § 19 Rn 167; Louis, S 175. 731 Grdl BGHSt 28, 231, 233. 732 S nur OLG Hamburg NJW 1987, 1342, 1343 = GmbHR 1987, 273, 274; Fischer § 283b Rn 2; M-G/Richter § 85 Rn 7; Louis, S 175; Weyand ZInsO 1999, 327, 332; Schlüchter JR 1979, 513, 514; Tiedemann ZRP 1975, 129, 133. 733 Formulierung von Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 7. 734 Zum Ganzen LK/Tiedemann § 283 Rn 105, 109. 735 Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 7. 736 Zu diesem Schutzgut s nur BGH v 13.2.2014, 1 StR 336/13, Rn 61 (insoweit in NStZ 2014, 469 nicht abgedr); OLG Hamburg NJW 1987, 1342, 1343 = GmbHR 1987, 273 f; NK/Kindhäuser § 283 Rn 59; S/S/W/ Bosch § 283 Rn 19; M-G/Richter § 85 Rn 4; AnwK/Püschel § 283 Rn 17; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1065; Böttger/Verjans 4/75; Weyand ZInsO 1999, 327, 328; skept Hauck, S 81 ff; v.d. Heydt, S 51 f. 737 Zu diesem Zusammenhang s LK/Tiedemann § 283 Rn 90, der instruktiv vom „Zwang zur Selbstinformation im Gläubigerinteresse“ spricht; ferner SK/Hoyer § 283 Rn 67; M-G/Richter § 85 Rn 4; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 15; Louis, S 35, 165; Weyand ZInsO 1999, 327, 328; Hennrichs K Schmidt-FS, S 581, 589; Hüttermann/Meinert BB 2007, 1436, 1440. 738 Zu den Schutzgütern „Selbstinformation“ und „Gläubigerschutz“ s nur BGH v 13.2.2014, 1 StR 336/13, Rn 61 (insoweit in NStZ 2014, 469 nicht abgedr); OLG Hamburg NJW 1987, 1342, 1343 = GmbHR 1987, 273 f; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 6; M/G/Rinjes 8/209; Krause, S 38; Regierer, S 60 f; Harneit, S 100 f; Höfner, S 71; Hartung Stbg 1991, 332. 739 S etwa BGH/H MDR 1981, 454; ferner S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 28, 36; Schlüchter, S 43; Louis, S 21; Geers, S 78; Kribs-Drees, S 64, 88 f; Neumeyer, (1891), S 132; vgl auch NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis 283d Rn 28.

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Konkurs seines Unternehmens.740 Denn um abzuschätzen, inwieweit die finanzielle Situation den Abschluss bestimmter Geschäfte zulässt, bzw ab wann Geschäftsabschlüsse einen existenzbedrohenden Umfang annehmen, bedarf es der hinreichenden Erkenntnis darüber, wo das Unternehmen gegenwärtig wirtschaftlich steht und wohin es sich künftig entwickelt.741 Auskunft hierüber geben die ordnungsgemäß geführten Bücher und Bilanzen. Darüber hinaus stehen Teile des Schrifttums auf dem Standpunkt, die §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b Abs 1 Nrn 1–3 StGB schützten vorrangig das staatliche Insolvenzverfahren. Dieses zusätzliche Schutzgut destillieren sie aus der enormen Bedeutung, die den Bilanzen und Büchern im Insolvenzverfahren zukommt.742 Unabhängig davon, ob man letzterem zustimmt, dienen die §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b Abs 1 Nrn 1–3 StGB jedenfalls erkennbar auch dazu, dem Insolvenzverwalter die Arbeit zu erleichtern.743 Denn auf der Grundlage ordnungsgemäß geführter Bücher und Bilanzen, kann er sich einfacher und schneller einen Überblick über das schuldnerische Vermögen (Aktiva und Passiva) sowie die Anzahl der vorhandenen Gläubiger verschaffen.744 Vor diesem Hintergrund erhellt: Die §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b Abs 1 Nrn 1–3 StGB verfolgen nicht die Aufgabe, das schuldnerische Vermögen zugunsten der Gläubigergesamtheit zusammenzuhalten, sondern statuieren ein informationsbezogenes Insolvenzdelikt.745 Einen gänzlich anderen, teleologisch-reduktiven746 Ansatz vertritt Regner. Aus100 gehend von der Annahme, § 283 Abs 1 Nr 5 StGB wolle die Gläubiger vor Konkursverschleppung bzw verspäteter Erkenntnis der Krise durch den Schuldner schützen,747 stellt er in das Zentrum seiner Untersuchung die These, dass nur solche buchhalterischen Mängel geeignet seien, die Vermögensübersicht zu erschweren bzw als Anknüpfungspunkt fahrlässiger Pflichtverletzung zu taugen, die dem späteren Unterfangen, mithilfe der Handelsbücher die Überschuldungsbilanz/den Zahlungsstatus zu erstellen, entgegenstehen.748 Das überzeugt jedoch nicht. Folgte man der Ansicht Regners, blieben zahlreiche Buchführungsverstöße, die den Aktivenbestand negativ beeinflussen, bankrottstrafrechtlich ungesühnt, weil sie dem kaufmännischen Schuldner seine Zahlungs-

_____ 740 Hierzu LK/Tiedemann § 283 Rn 90; ders ZIP 1983, 513, 522; MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 31; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 28; SK/Hoyer § 283 Rn 67 und § 283b Rn 3; Blumers, S 20, der von Konkursvermeidung durch Bilanzierung spricht; Louis, S 165; Erdmann, S 60 f, 105; Schlüchter MDR 1978, 977, 979; Siegmann/Vogel ZIP 1994, 1821, 1823; Ebner wistra 2010, 92, 96; Biletzki NStZ 1999, 537; Wilhelm NStZ 2003, 511, 512; vgl auch Bittmann wistra 2008, 441, 445. 741 S dazu schon BT-Drucks 7/3441, S 38. 742 Hierfür Hauck, S 93 f; ferner Schüppen, S 115 f, 121, der maßgebend den Schutz der Dokumentationsund Beweisfunktion akzentuiert; krit gegenüber diesem zusätzlichen Schutzgut aber LK/Tiedemann § 283 Rn 90, der auf die durch das Bilanzrichtlinien-Gesetz (BiRiLiG) getroffene Entscheidung verweist, die Selbstinformation des Kaufmanns in den Vordergrund der Buch-/Bilanzführungspflicht zu rücken. 743 S/S/W/Bosch § 283 Rn 19; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 28; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 55; AnwK/ Püschel § 283 Rn 17, 25; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1065; NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis 283d Rn 27; M/G/Rinjes 8/209; Krause, S 38, 424 f; Regierer, S 61 f; Regner, S 16 f; Weyand ZInsO 1999, 327, 329; Hartung NJW 1995, 1186, 1191; ders Stbg 1991, 332, 333; Wilhelm NStZ 2003, 511, 513; vgl auch schon v. Babo, (1908), S 28; ferner Neumeyer, (1891), S 136, der auch das Strafgericht als einen Interessenten an ordnungsgemäßer Buchführung nennt. 744 SK/Hoyer § 283 Rn 67, 81. 745 AllgM; s nur D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1065; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 42; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 4; Krause, S 37; vgl auch MAH/Böttger § 19 Rn 145, der von einem „Beweiserschwerungsdelikt“ spricht. 746 Zum teleologischen Aspekt seines Ansatzes s Regner, S 79. 747 Regner, S 17, 76 und passim. 748 Grdl Regner, S 81 f; zust Bittmann/Bittmann Voraufl Rn 186 f.

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unfähigkeit bzw Überschuldung nicht verschleiern.749 Auf diese Weise gehen indes die von § 283 Abs 1 Nr 5 StGB ebenfalls geschützten Aspekte, nämlich dem Insolvenzverwalter seine Arbeit zu erleichtern750 und den Gläubigern möglichst zeitnah einen Überblick zu verschaffen, welche Vermögensgegenstände ihrem Zugriff unterliegen, völlig unter.

1. Die tauglichen Täter der §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b StGB Die Tatbestände der §§ 283 Abs 1 Nrn 5, 7, 283b StGB limitieren den tauglichen Täterkreis 101 gleich in zweifacher Hinsicht: Kumulativ muss der präsumtive Täter der §§ 283 Abs 1 Nrn 5, 7, 283b StGB sowohl die Schuldner- als auch die Kaufmannseigenschaft entweder in eigener Person oder kraft Zurechnung via § 14 StGB besitzen.751 Während § 283b StGB seinen auf Schuldner ausgerichteten Sonderdeliktscharakter mit den §§ 283, 283c StGB teilt, folgt das Erfordernis, wonach Täter der §§ 283 Abs 1 Nrn 5, 7, 283b StGB nur Kaufleute sein können, zwangsläufig aus den von §§ 283 Abs 1 Nrn 5, 7, 283b Abs 1 Nrn 1– 3 StGB pönalisierten Tathandlungen, da die dort strafbewehrten Buch- und Bilanzführungspflichten ausschließlich Kaufleute adressieren.752 Die Schwierigkeiten, mit denen der Rechtsanwender aufgrund dieser doppelten Einschränkung des Täterkreises zu kämpfen hat, sind überschaubar, solange ein Einzelunternehmer, dessen Unternehmen den Kriterien des § 1 HGB genügt, die Tat begeht, potenzieren sich aber, sobald die Buchführung einer juristischen Person/Personengesellschaft betroffen ist.

a) Die (Gemein-)Schuldnereigenschaft Da im Strafverfolgungsalltag die Schuldner dominieren, die das Rechtskleid einer juristi- 102 schen Person/Personengesellschaft tragen, diese aber de lege lata nicht straffähig sind 753 – ob mangels Handlungs- oder Schuldfähigkeit 754 mag hier dahinstehen 755 – kommen va die Vertretungsorgane dieser Schuldner als taugliche Täter in Betracht. Die Strafbarkeit der Organwalter gem den §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b StGB setzt – wegen des Sonderdeliktscharakters der Vorschriften – indes die Möglichkeit voraus, ihnen die Schuldnereigenschaft des Verbandes zuzurechnen. Zu diesem Zweck hat der Gesetzgeber den § 14 StGB geschaffen, der die Voraussetzungen normiert, unter denen man ein

_____ 749 Ausf zu den Konstellationen, die deshalb nicht unter § 283 Abs 1 Nr 5 StGB fallen sollen, Regner, S 127 ff. 750 Diesen Aspekt erkennt zwar auch Regner, S 16 f, er unterlässt es aber, die Folgerungen zu thematisieren, die sich aus einem solchen Schutzgutbestandteil für seinen Ansatz ergeben. 751 Zu dieser „doppelten“ Einschränkung Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 7; M-G/Richter § 85 Rn 10. 752 S nur Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 11. 753 Da das Strafrecht die juristische Person als Rechtssubjekt nicht anerkennt, kommt Ceffinato, S 25 f zu diesem Ergebnis, ohne auf die fehlende Handlungs- bzw Schuldfähigkeit rekurrieren zu müssen. 754 Für Handlungsunfähigkeit der juristischen Personen im Strafrecht D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1070; MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 27 sowie § 283 Rn 44; Radtke JR 2010, 233, 234; (vgl aber auch MK/dens § 14 Rn 8, wo er ein wertend ermitteltes Eigenhandeln von Personenverbänden anerkennt); Tiedemann NJW 1977, 777, 780; Bruns JZ 1954, 12; Reiß wistra 1989, 81, 85; Valerius JURA 2013, 15, 16; Bosch JK 11/12, StGB § 14/3. 755 Richtigerweise sind juristische Personen/sonstige Personenvereinigungen auch im Strafrecht handlungsfähig; ausf hierzu Brand, S 237 ff; ebenso Hauck, S 110; wohl auch LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 63; hiergegen aber dezidiert Ceffinato, S 215 ff.

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besonderes persönliches Merkmal – hier die Schuldnereigenschaft756 – von der juristischen Person/Personenvereinigung auf ihr Vertretungsorgan „überwälzen“ kann757.758

aa) Die GmbH/GmbH & Co KG als Gemeinschuldnerin 103 Hat es der Geschäftsführer einer GmbH unterlassen, Handelsbücher zu führen, obschon

er hierzu gesetzlich verpflichtet ist, haftet er – das Vorliegen der objektiven Strafbarkeitsbedingung unterstellt (vgl § 283b Abs 3 StGB iVm § 283 Abs 6 StGB) – nur dann gem den §§ 283 Abs 1 Nr 5, 283b Abs 1 Nr 1 StGB, wenn es gelingt, ihm die Gemeinschuldnerstellung „seiner“ GmbH gem § 14 Abs 1 Nr 1 StGB zuzuweisen. Den Dreh- und Angelpunkt dieser Zurechnungsoperation bildet die Interpretation der Partikel „als“, um deren zutreffendes Verständnis zahlreiche Ansichten streiten.759 Allerdings spielt diese Kontoverse im Kontext der insolvenzstrafrechtlichen Buchführungsdelikte nur eine untergeordnete Rolle. Zwar hat der BGH seine früher vertretene Interessentheorie im Einzugsbereich der Buchführungsdelikte in wenigen Entscheidungen angewandt und den Geschäftsführer, der die Bücher im ausschließlich eigenen Interesse nicht bzw unordentlich führte, um bspw Vermögensverschiebungen zu seinen Gunsten zu verschleiern, „lediglich“ gem § 266 Abs 1 StGB verurteilt.760 Jedoch hat die jüngere, noch der Interessentheorie verpflichtete Rspr bereits eine Ausnahme hiervon angekündigt, sofern die Anklage einen Tatbestand der §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b StGB betrifft.761 Der hier vertretene organisationsbezogene Ansatz762 verlangt hingegen ohnehin nicht, dass die Gesellschafter den von §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b Abs 1 Nrn 1–3 StGB pönalisierten Tathandlungen wirksam zugestimmt haben763 und muss – im Unterschied zur Interessentheorie – noch nicht einmal eine systemwidrige Ausnahme statuieren, sondern kann – seiner Prämisse treu bleibend, wonach nur diejenigen Bankrotthandlungen den Mechanismus des § 14 Abs 1 Nr 1 StGB auslösen, die gesellschaftsrechtlich als solche der Gemeinschuldnerin „juristische Person“ erscheinen764 – schlicht auf den § 41 GmbHG und die darin zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Anordnung verweisen, die Buchführungspflicht in die Hände des Geschäftsführers zu legen. Diese gesetzliche Konstruktion erlaubt es nämlich, sowohl die unterbliebene wie auch die fehlerhafte bzw verspätete Buchführung als eine eigene Handlung der GmbH zu begreifen, die insoweit durch ihren Geschäftsführer

_____ 756 Dazu, dass diese Eigenschaft zu den besonderen persönlichen Merkmalen iSd § 14 StGB rechnet, s nur MK/Radtke § 14 Rn 54; NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis § 283d Rn 44. 757 Ausf hierzu o Rn 13 ff. 758 Zu diesem Vorgehen nur Otto StV 1984, 462. 759 Siehe o Rn 15 ff. 760 BGH wistra 1982, 148, 149 sowie BGH wistra 2000, 136, 137 (insoweit in NStZ 2000, 206 f nicht abgedr); monografisch zum Thema „Untreue durch unordentliche Buchführung“ Louis, S 55 ff. 761 S etwa BGH NZWiSt 2012, 237, 238 mAnm Hagemeier und Bittmann ZWH 2012, 63 f; implizit so auch bereits BGH NStZ 1995, 347 = wistra 1995, 146, 147, wo der 2. Senat die Verurteilung wegen Bankrotts bejaht, obschon einzelne Buchführungsmanipulationen keinesfalls im Interesse der Schuldnerin „GmbH“ erfolgten; vgl ferner BGH/H GA 1959, 337: Tateinheit zwischen Untreue und dem Konkursvergehen des § 240 Abs 1 Nr 3 KO. 762 Siehe o Rn 19. 763 S nur Brand, S 263 ff; so schon, noch vom Standpunkt des Zurechnungsmodells, MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 61. 764 Brand, S 252 f; zust MK/Radtke § 14 Rn 66; ähnl auch schon NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis § 283d Rn 55 f, der jedoch auf der Grundlage dieser Erkenntnis die Interessentheorie favorisiert, sofern nicht die Bilanzdelikte betroffen sind.

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agiert.765 Mithin genügt bereits das bloße Innehaben der von § 14 Abs 1 Nr 1 StGB umschriebenen Position, damit dem GmbH-Geschäftsführer auf dem Feld der §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b Abs 1 Nrn 1–3 StGB der Gemeinschuldnerstatus anwächst.766 Die Buchführungspflicht des Geschäftsführers endet mit seinem Ausscheiden, nicht aber bereits mit dem Niederlegen des Amtes, falls er weiterhin (faktisch) die Geschäfte der GmbH führt.767 Straflosigkeit erlangt dagegen der wirksam ausgeschiedene Geschäftsführer, der es unterlässt, seinen Nachfolger im Amt des Geschäftsführers dazu anzuhalten, die unter seiner Ära mangelhaft bzw unvollständig geführten Bücher zu berichtigen bzw zu komplettieren.768 Allerdings bleibt der Geschäftsführer, der während seiner aktiven Zeit den Tatbestand bspw des § 283 Abs 1 StGB verwirklicht, jedoch noch vor Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung sein Amt niederlegt, natürlich weiterhin bankrottstrafrechtlich verantwortlich.769 Zurechnungsadressat der Gemeinschuldnerposition kann grds auch der „faktische 104 Geschäftsführer“ sein, allerdings nur, sofern sein faktischer Status auf einem unwirksamen Bestellungsakt gründet.770 Terminologisch ist deshalb die Bezeichnung „fehlerhaft bestellter Geschäftsführer“ vorzuziehen und der Begriff des „faktischen Geschäftsführers“ für die Fallgestaltungen zu reservieren, in denen es an einem (unwirksamen) Bestellungsakt fehlt.771 Damit fällt der Usurpator, der ohne Einverständnis der Gesellschafter eigenmächtig das Amt des Geschäftsführers ergreift, 772 bzw der „Ge-

_____ 765 So Brand, S 264 f; ders NStZ 2009, 9, 13; ders NZWiSt 2012, 64, 65; zust MK/Radtke § 14 Rn 68 sowie MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 61; Radtke JR 2010, 233, 238; ders ZIP 2016, 1993, 1998; Steinberg/ Valerius/Popp/Nestler, S 139, 159 m Fn 117; ebenso, freilich vom Standpunkt ihres pluralistischen Ansatzes Pohl, S 138; iE so auch schon Mohr, S 51, 87; gegen die dieser Ansicht zugrunde liegende These von der strafrechtlichen Handlungsfähigkeit des Verbandes s etwa Wiesener, S 37, 47, 55, 61. 766 So wohl auch, freilich ohne den Standpunkt des organisationsbezogenen Ansatzes einzunehmen, LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 84; NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis § 283d Rn 54 sowie § 283 Rn 71; S/S/ Perron § 14 Rn 26; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 50; Schwarz HRRS 2009, 341, 346; Schmucker ZJS 2011, 30, 35; ferner bereits RGSt 13, 235, 241 f; Winkelbauer JR 1988, 33, 34; ebenso, vom Standpunkt der Funktionstheorie Louis, S 170 f. 767 BGH/H MDR 1981, 100; Fischer § 283 Rn 20; LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 67 und § 283 Rn 100; S/S/W/Bosch § 283 Rn 22; Weyand/Diversy Rn 87 m Fn 394; MAH/Böttger § 19 Rn 153; ähnl NK/Kindhäuser § 283 Rn 57 sowie Vor §§ 283 bis 283d Rn 40; s ferner auch Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 18; aA aber Stein, S 148, der zufolge in diesen Konstellationen angesichts der Existenz eines neuen Organwalters kein Bedürfnis besteht, das ausgeschiedene Organmitglied über die Grds des faktischen Organs weiterhin organschaftlich zur Verantwortung zu ziehen. 768 BGH/H MDR 1981, 100; LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 67; aA wohl Uppenbrink AUR 2010, 357, 358. 769 Grdl RGSt 39, 217, 218; ferner NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis 283d Rn 40; W/J/Pelz 9/100; MAH/Leipold § 19 Rn 100; M/G/Rinjes 8/64; sa RG GA 47 (1900), 170, 171: Schuldunfähigkeit nach Vornahme der Bankrotthandlung, aber noch vor Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung lässt Strafbarkeit nicht entfallen. 770 Ob sämtliche Gesellschafter den Bestellungsakt erklären müssen oder ob ein Mehrheitsbeschluss genügt, sofern dieser gesellschaftsintern ausreicht, um einen Geschäftsführer zu berufen, ist umstritten; letzterem steht etwa OLG Karlsruhe NJW 2006, 1364, 1365 = wistra 2006, 352, 353 sympathisierend gegenüber; dafür auch Fischer Vor § 283 Rn 23; aA etwa Arens wistra 2007, 35, 36 f; zum faktischen Vorstand s grdl BGHSt 21, 101, 104 f; allg skept gegenüber der Figur des faktischen Geschäftsführers im Bilanzstrafrecht Schüppen, S 148 f; dazu, dass nicht ein wie auch immer gearteter Bestellungsakt, sondern die tatsächliche Geschäftsführung maßgeblich ist, Schäfer wistra 1990, 81, 82, allerdings allg und nicht speziell im Kontext des § 14 Abs 3 StGB. 771 Richtig K Schmidt § 14 III 4a (= S 419); ders Rebmann-FS, S 419, 423 f; zust E/R/S/T/Brand § 82 GmbHG Rn 9; ähnl Stein, S 118, die im Falle eines unwirksam bestellten Organwalters terminologisch von „fehlerhafter Organstellung“ sprechen will; aA Büning, S 4, 12. 772 Dazu s nur MK/Radtke § 14 Rn 122; NK/Böse § 14 Rn 28; KK-OWiG/Rogall § 9 Rn 49; Amelung/ders, S 145, 166; M/G/Rinjes 8/72; Ceffinato, S 247, 263; Kawan, S 123 f; Plathner, S 50 f; Rönnau Kühl-FS, S 711, 716; aA aber wohl Lenger/Apfel WiJ 2012, 34, 36; offen gelassen von BGHSt 3, 32, 38.

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schäftsführer“, der wegen seiner Inhabilität (vgl § 6 Abs 2 GmbHG) erst gar nicht bestellt wird,773 aus dem Kreis der Kandidaten heraus, denen man via § 14 Abs 1 Nr 1 StGB die Gemeinschuldnerrolle zuweisen kann.774 Den Grund hierfür benennt § 14 Abs 3 StGB, der ausweislich seines eindeutigen Wortlautes einen unwirksamen Ernennungsakt voraussetzt, um das faktische Organ den Regelungen des § 14 Abs 1 und 2 StGB zu unterwerfen.775 Eine darüber hinausgehende Interpretation, die sämtliche faktische Organe dem § 14 Abs 1 StGB subsumiert776 oder einen tauglichen Bestellungsakt schon darin erblickt, dass alle Gesellschafter bzw eine Gesellschaftermehrheit mit dem Handeln des „faktischen Geschäftsführers“ einverstanden sind,777 verstößt angesichts dessen zum einen gegen das Analogieverbot des Art 103 Abs 2 GG778 und betreibt zum anderen – um mit den Worten K Schmidts zu sprechen – eine „Befreiung des Strafrechts vom zivilistischen Denken durch falsche Anwendung des Zivilrechts“,779 weil die Prämisse, die Bestellung zum Geschäftsführer könne schlüssig erfolgen, indem die Gesellschafter den „faktischen Geschäftsführer“ gewähren ließen, gegen die Geschäftsführung trotz fehlenden Bestellungsaktes also nicht einschritten, gesellschaftsrechtlich unzutreffend ist.780 Jedoch verbietet es Art 103 Abs 2 GG nicht, stattdessen den § 14 Abs 2 Nr 1 StGB zu bemühen.781 Mit der Tätertauglichkeit des faktischen Geschäftsführers eng verwoben ist die Fra105 ge, ob der neben einem faktischen Geschäftsführer ordnungsgemäß bestellte „Scheingeschäftsführer“, dem im Verhältnis zum faktischen Geschäftsführer keinerlei Befugnisse zustehen,782 strafrechtliche Sanktionen sub specie §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b Abs 1

_____ 773 Zu diesem Aspekt als Grund für eine unterbliebene Bestellung s Groß, S 38. 774 Zutr MK/Radtke § 14 Rn 119, 124 f sowie ders ZIP 2016, 1993, 1999; NK/Böse § 14 Rn 28, S/S/W/Bosch § 14 Rn 20; GK-GmbHG/Ransiek Vor § 82 Rn 59; Stein, S 195; Ransiek, S 94 ff; Groß, S 65, 89, 111, 119, 160; Büning, S 72 ff; Hagedorn, S 88; Ceffinato, S 84 f; SK/Hoyer § 283 Rn 100; ders NStZ 1988, 369; Grub, S 104 f, 117 f; Otto StV 1984, 462; Coimbra-Symposium/Achenbach, S 283, 285; Schmucker ZJS 2011, 30, 37; Wickel ZJS 2016, 189, 192, die es ausdrückl ablehnen, das Bestellungsmoment mithilfe der Zustimmung sämtlicher Gesellschafter zu begründen (hiergegen aber dezidiert LK/Schünemann § 14 Rn 71 f); ähnl wohl S/S/Perron § 14 Rn 42/43; Ceffinato, S 263 f, der einen „intentionalen Bestellungsakt“ fordert; vgl auch Tiedemann Dünnebier-FS, S 519, 530, der jedenfalls den herrschenden Mehrheitsgesellschafter nicht den Zurechnungsadressaten des § 14 StGB zuschlagen will; diff Regner, S 49: maßgebend sei die Intention des „Hintermanns“; weitergehend aber BGH/H MDR 1980, 453; OLG Düsseldorf NStZ 1988, 368; Fischer Vor § 283 Rn 23, NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis 283d Rn 49 sowie § 283 Rn 57, Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 12, LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 70; ders NJW 1986, 1842, 1845; W/J/Pelz 9/334, MAH/Leipold § 19 Rn 96; Weyand/Diversy Rn 29; M/G/Rinjes 8/67, die auch denjenigen als faktischen Geschäftsführer iSv § 14 Abs 3 StGB erfassen wollen, der bei Fehlen eines entspr Beschlusses von allen Gesellschaftern bzw einer gesellschaftsvertraglich genügenden Mehrheit akzeptiert wird; implizit auch BGH NZG 2013, 937, 939; indifferent Amelung/Rogall, S 145, 167. 775 Dazu schon Grub, S 104 f, 117 f; Otto StV 1984, 462; Coimbra-Symposium/Achenbach, S 283, 285; Biletzki NStZ 1999, 537, 538; sa S/S/W/Bosch § 14 Rn 20; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 44; Habetha, S 111 ff; Lindemann JURA 2005, 305, 312. 776 Dafür wohl Schäfer wistra 1990, 81, 82. 777 S die Nachw in Fn 773. 778 So überzeugend Regierer, S 54; MK/Radtke § 14 Rn 124; M/R/Altenhain § 283 Rn 6; Hagedorn, S 88; Habetha, S 114; Otto StV 1984, 462; Biletzki NStZ 1999, 537, 538; Lindemann JURA 2005, 305, 312; Schmucker ZJS 2011, 30, 37. 779 K Schmidt Rebmann-FS, S 419, 425; zust Büning, S 179. 780 K Schmidt Rebmann-FS, S 419, 425; zust Groß, S 64 f. 781 Zum Ganzen MK/Radtke § 14 Rn 125 sowie MK/ders/Petermann § 283 Rn 44; Groß, S 108, 119 f, 160 ff; Dinkhoff, S 182; Schmucker ZJS 2011, 30, 37; Wickel ZJS 2016, 189, 192; aA Ceffinato, S 265 ff; Büning, S 80. 782 Nach der Einschätzung von Stein, S 74 ist der Strohmanngeschäftsführer „von Hause aus unfähig, unwissend, unschuldig und unvermögend“.

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Nrn 1–3 StGB befürchten muss, falls weder er noch der faktische Geschäftsführer die erforderlichen Bücher und Bilanzen führen.783 Während Teile des Schrifttums dafür plädieren, auch den „Scheingeschäftsführer“ gem den §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b Abs 1 Nrn 1–3 StGB zu bestrafen,784 gelangt die wohl überwiegende Meinung zur Straflosigkeit des „Scheingeschäftsführers“, weil dieser wegen der überragenden Stellung des faktischen Geschäftsführers überhaupt nicht in der Lage sei, seiner Buch-/Bilanzführungspflicht nachzukommen, Unmögliches aber nicht verlangt werden könne.785 Letzteres überzeugt nicht. Zu Recht verweist die Gegenansicht auf die Verantwortlichkeit sowie die Möglichkeit des Scheingeschäftsführers, entweder den Aufgaben, die mit seinem Amt einhergehen, nachzukommen und den Einfluss des faktischen Geschäftsführers „zurückzustutzen“ oder aber sein Amt niederzulegen.786 Verhält er sich hingegen passiv und akzeptiert seine Bedeutungslosigkeit, geschieht dies eigenverantwortlich und rechtfertigt kein Absehen von Strafe.787 Bekleidet eine GmbH & Co KG die Gemeinschuldnerrolle, gilt im Grds nichts ande- 106 res, nur die Zurechnungsoperation, die nötig ist, um dem Geschäftsführer der Komplementär-GmbH die Schuldnerposition der GmbH & Co KG zuzuweisen, gestaltet sich etwas aufwändiger. Zu Recht plädiert die hM zugunsten einer doppelten Anwendung des § 14 StGB: Zunächst überwälzt sie die Gemeinschuldnerrolle der GmbH & Co KG gem § 14 Abs 1 Nr 2 StGB auf deren Komplementär-GmbH, bevor sie sie von dort gem § 14 Abs 1 Nr 1 StGB an den Geschäftsführer der Komplementärin weiterleitet788.789 Was das Merk-

_____ 783 Umstr ist zudem, ob neben einem ordnungsgemäß bestellten Geschäftsführer überhaupt Raum besteht, zusätzlich einen faktischen Geschäftsführer anzuerkennen, dem ebenfalls die Erfüllung der strafbewehrten Geschäftsleiterpflichten obliegt; dafür va die straf- und zivilrechtliche Rspr; s nur BGHSt 46, 62, 65; dagegen etwa Stein, S 134, die insoweit einen Verstoß gegen das Analogieverbot moniert. 784 Dafür NK/Kindhäuser § 283 Rn 57; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 47a; M-G/Richter § 81 Rn 51; Siegmann/Vogel ZIP 1994, 1821, 1822; Rönnau NStZ 2003, 525, 527; Maurer wistra 2003, 174, 176; ebenso, allerdings am Bsp der deliktsrechtlichen Insolvenzverschleppungshaftung bzw der Verletzung der Verlustanzeigepflicht iSv § 84 GmbHG K Schmidt § 14 III 4b (= S 420); Scholz/Tiedemann/Rönnau § 84 Rn 27; Bisson GmbHR 2005, 843, 850; Löffeler wistra 1989, 121, 125; Kaligin NStZ 1981, 90, 91; Madrid-Symposium/Vogel, S 151, 166, dem zufolge es unzulässig ist, mithilfe einer faktischen Betrachtungsweise strafrechtlich Scheinhandlungen anzunehmen, wo bspw das Zivil- und Gesellschaftsrecht von der Wirksamkeit entsprechender Rechtsgeschäfte ausgehen; ferner wohl auch Stein, S 133; Otto StV 1984, 462, 463; Schmucker ZJS 2011, 30, 37; zust scheinbar Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 12; S/S/W/Bosch § 283 Rn 22; sa Hillenkamp Tiedemann-FS, S 949, 958 m Fn 43; vgl ferner Groß, S 175 ff, der an der Tätertauglichkeit des formell ordnungsgemäß bestellten Scheingeschäftsführers ebenfalls keine Zweifel hegt, allerdings darauf hinweist, dass der Scheingeschäftsführer häufig nicht vorsätzlich agieren wird; ähnl Tsambikakis GmbHR 2005, 331, 334; aus zivilrechtlicher Sicht s Dinkhoff, S 32, 47 f, 60. 785 So KG wistra 2002, 313, 314 f; ferner OLG Hamm NStZ-RR 2001, 173, 174 zu § 266a Abs 1 StGB; G/J/W/ Reinhart § 283 Rn 44; Schulz StraFo 2003, 155, 158; wohl auch S/S/Perron § 14 Rn 16/17; Fischer Vor § 283 Rn 23a und § 283 Rn 20; W/J/Pelz 9/336; ebenso Ceffinato, S 262, der von seinem „Garantenansatz“ her kommend zu dem Schluss gelangt, der „Scheingeschäftsführer“ trete mangels eigenverantwortlicher Übernahme seines Ressorts schon nicht in die Pflichten der Sonderdeliktsvorschrift ein, weshalb ihm das fehlende Statusmerkmal auch nicht via § 14 Abs 1 StGB zugerechnet werden könne. 786 MünchKomm-GmbHG/Wißmann § 84 Rn 57; Siegmann/Vogel ZIP 1994, 1821, 1822; sa schon Bruns, (1938), S 277; im Kontext des § 266a StGB vgl auch Metz NStZ-RR 2013, 297, 299. 787 Ausf zu dieser Arg NK/Kindhäuser § 283 Rn 57; S/S/Heine28 § 283 Rn 47a; M-G/Richter § 81 Rn 51; Maurer wistra 2003, 174, 176; Rönnau NStZ 2003, 525, 527; wohl auch HambK/Borchardt § 283 StGB Rn 49; s zum Ganzen auch Rodemann, S 90 ff, der die Verantwortlichkeit des „Strohmann-Geschäftsführers“ damit begründet, dass dieser durch seine Berufung eine Garantenstellung gegenüber den Gläubigern/Gesellschaftern übernommen habe. 788 Siehe o Rn 21. 789 NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis 283d Rn 47.

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mal „als“ anbelangt, genügt auch hier das Innehaben der Geschäftsführerstellung, um den nötigen Vertretungsbezug zu begründen. Denn dem Komplementär obliegt gem § 161 Abs 2 HGB iVm § 114 HGB die Geschäftsführung und damit das Führen der Bücher und Bilanzen.

bb) Aktiengesellschaft, eG, Personenhandelsgesellschaften als Gemeinschuldner 107 Nehmen eine Aktiengesellschaft oder eine eingetragene Genossenschaft (eG) den

Gemeinschuldnerstatus ein, bereitet es vom Standpunkt des organisationsbezogenen Ansatzes ebenfalls keine Schwierigkeiten, den Vorständen dieser Verbände die Gemeinschuldnerposition gem § 14 Abs 1 Nr 1 StGB zuzuweisen.790 Regelungstechnisch mit § 41 GmbHG vergleichbar, auferlegen die §§ 91 Abs 1 AktG, 33 Abs 1 S 1 GenG den Vorständen von Aktiengesellschaft und eG die Pflicht, Buch- und Bilanzführung „ihrer“ Gesellschaft zu besorgen. Nichts anderes gilt schließlich für die Vertretungsorgane der Personenhandelsgesellschaften. Das Gesetz (vgl §§ 161 Abs 2, 114 HGB) weist den persönlich haftenden Gesellschaftern die Geschäftsführung und damit die Aufgabe zu, Bücher und Bilanzen der Vereinigung zu führen.791 Aus dem o Rn 103 Gesagten genügt also auch hier bereits die Mitgliedschaft im Vertretungsorgan, um den Zurechnungsmechanismus des § 14 Abs 1 Nr 1 bzw Nr 2 StGB zu aktivieren.

b) Die Kaufmannseigenschaft 108 Wie gesehen können Täter der §§ 283 Abs 1 Nrn 5, 7, 283b Abs 1 Nrn 1–3 StGB nur solche

Schuldner sein, die entweder als Kaufmann im Handelsregister eingetragen sind (vgl § 2 HGB) oder – ohne im Handelsregister eingetragen zu sein – einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Gewerbebetrieb unterhalten792 bzw bei denen beide soeben genannten Voraussetzungen kumulativ vorliegen (vgl § 3 Abs 2 HGB).793 Ob das schuldnerische Unternehmen den Anforderungen eines kaufmännischen Gewerbebetriebs genügt, bemisst sich anhand der §§ 1 ff HGB. Die Zentralvorschrift des Abschnitts über Kaufleute, der § 1 Abs 2 HGB, definiert das Handelsgewerbe, dessen Betrieb seinen Inhaber zum Kaufmann macht (vgl § 1 Abs 1 HGB), negativ, indem sie jeden Gewerbebetrieb den Handelsgewerben zuschlägt, es sei denn, das Unternehmen erfordert nach Art und Umfang keinen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb. Freilich können die dem Amtsermittlungs- und in-dubio-Grds verpflichteten Strafverfolgungsbehörden diese handelsrechtliche Vermutung nicht schlicht übernehmen und dem potentiellen Täter der §§ 283 Abs 1 Nrn 5, 7, 283b Abs 1 Nrn 1–3 StGB auferlegen, seine vermutete Kaufmannseigenschaft zu entkräften, sondern sie müssen, wollen sie aus den §§ 283 Abs 1 Nrn 5, 7, 283b Abs 1 Nrn 1–3 StGB verurteilen, dem Angeklagten seine Kaufmannseigenschaft nachweisen. Dh konkret: Die Strafverfolgungsbehörden haben zu ermitteln, ob das Unternehmen des Beschuldigten die Voraussetzungen des § 1 Abs 2 HGB erfüllt, ob es also nach Art und Umfang eines in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetriebs

_____ 790 Zur Wirkweise des organisationsbezogenen Ansatzes, sofern eine Aktiengesellschaft den Gemeinschuldnerstatus einnimmt, s Brand, S 267 ff. 791 Zur Buch-/Bilanzführungspflicht als Inhalt der Geschäftsführungskompetenz s Zöllner DB 1964, 795, 797; ferner Kanitz Rn 218; M-G/Wolf § 26 Rn 27; Hauck, S 106. 792 Siehe o Rn 101; zu den Fragen im Zusammenhang mit § 283 Abs 1 Nr 6 StGB su Rn 159 ff. 793 Zu den land- und forstwirtschaftlichen Betrieben s nur Beck’scher Bilanz-Kommentar/Winkeljohann/ Henckel § 238 Rn 25.

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bedarf.794 Indizien, die den Schluss auf einen solchen Geschäftsbetrieb nahelegen, sind die Höhe des Umsatzes, die Betriebsorganisation, Größe und Beschaffenheit der Betriebsräume, die Zahl der Beschäftigten, Umfang der Korrespondenz, die in Anspruch genommenen Kreditmittel, der Umfang an (unterschiedlichen) Geschäftsabschlüssen, sowie das – va aus letzterem folgende – Bedürfnis, Bücher und Bilanzen zu führen.795, 796 Freilich erfordert die Annahme des Kaufmannsstatusses nicht das Vorliegen sämtlicher soeben referierter Indizien. Vielmehr unterfällt bereits derjenige Betrieb den Handelsgewerben, der dem von den og Indiztatsachen gezeichneten Idealbild eines Handelsgewerbes zwar nicht entspricht, ihm aber – zumindest vorübergehend797 – nahekommt.798 Keine strafbewehrte Buchführungspflicht begründet hingegen die Kaufmannsfiktion des § 5 HGB,799 da ein Kaufmann kraft Fiktion schon handelsrechtlich nicht verpflichtet ist, Bücher zu führen.800 Gleiches gilt für den Minderjährigen, der ohne die hierfür erforderliche Genehmigung (vgl § 112 BGB) ein Handelsgeschäft betreibt.801 Spielt der Verstoß gegen die von §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b Abs 1 Nrn 1–3 StGB ge- 109 schützten Pflichten in einer Kapitalgesellschaft, bedarf es erneut des Rückgriffs auf § 14 Abs 1 Nr 1 StGB, da zwar die Kapitalgesellschaft gem § 6 Abs 1 HGB Kaufmann802 (für die eG s § 17 Abs 2 GenG) und damit buch-/bilanzführungspflichtig ist,803 nicht aber ihre Vertretungsorgane.804 Allerdings bereitet die Transformation dieser Position genauso wenige

_____ 794 BGH/H GA 1964, 136; BGH GA 1956, 356; OLG Karlsruhe GA 1975, 313, 314; RG LR 1916, 619; NK/ Kindhäuser § 283 Rn 56; LK/Tiedemann § 283 Rn 96a; S/S/W/Bosch § 283 Rn 21; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 43; sa schon RG LR 1913, 699, 700; Kuhn, (1912), S 30; Büttiker, (1914), S 52; Steinbrück, (1929), S 27; äußerst skept gegenüber diesem Merkmal sub specie Art 103 Abs 2 GG Raisch ZHR 128 (1966), 161, 165 f. 795 Den Rückgriff auf die Notwendigkeit, Bücher zu führen, um die Voraussetzungen des § 1 Abs 2 HGB zu ermitteln, halten Beck’scher Bilanz-Kommentar/Winkeljohann/Henckel § 238 Rn 8 für verfehlt; skept auch Staub/Oetker § 1 Rn 97. 796 Zu letzterem Aspekt und den Spannungen, die mit Blick auf die §§ 241a, 242 Abs 4 HGB aufkommen, Schulze-Osterloh DStR 2009, 63, 71; ders Hüffer-FS, S 917, 921; M-G/Wolf § 26 Rn 17b; allg zu den Indizien, deren Vorliegen den Rückschluss auf die Kaufmannseigenschaft gestattet, BGH LM Nr 7 zu § 240 KO (in NJW 1954, 1854 nicht abgedr); BGH/H GA 1964, 136; BGH BB 1960, 917; OLG Karlsruhe GA 1975, 313 f; OLG Stuttgart BB 1965, 517; OLG Oldenburg BB 1963, 324; KG HRR 1937, Nr 857; RG LR 1913, 703; NK/Kindhäuser § 283 Rn 56; Beck’scher Bilanz-Kommentar/Winkeljohann/Henckel § 238 Rn 8. 797 Dazu, dass es genügt, wenn die Kriterien während vier Monaten eines Jahres vorliegen, s AG Wyk BB 1958, 891. 798 Zum Ganzen LK/Tiedemann § 283 Rn 97; ferner BGH BB 1960, 917; OLG Oldenburg BB 1963, 324; OLG Stuttgart BB 1965, 517; BayObLG BB 1965, 517; OLG Karlsruhe GA 1975, 313, 314: entscheidend ist das Gesamtbild. 799 OLG Celle NJW 1968, 2119, 2120; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 29; LK/Tiedemann § 283 Rn 99; MK/ Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 41 sowie § 283 Rn 43; SK/Hoyer § 283 Rn 69; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 43; M/R/Altenhain § 283 Rn 25 m Fn 128; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 146; B/Quedenfeld/Richter 5/183; Weyand/ Diversy Rn 84; W/J/Pelz 9/139; HambK/Borchardt § 283 StGB Rn 22; M/G/Rinjes 8/213; Geers, S 69; Regner, S 43 f; Hüttermann/Meinert BB 2007, 1436, 1439, 1441; Hartung Stbg 1991, 332, 333; Richter NZI 2002, 121, 123. 800 HM; s nur OLG Celle NJW 1968, 2119, 2120; Staub/Oetker § 5 Rn 22; Baumbach/Hopt/Merkt § 238 Rn 7; Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Böcking/Gros § 238 Rn 6; ADS § 238 Rn 4; Kanitz Rn 107; aA aber Beck’scher Bilanz-Kommentar/Winkeljohann/Henckel § 238 Rn 22, sofern der Scheinkaufmann im Handelsregister eingetragen ist; diff Hüttermann/Meinert BB 2007, 1436, 1438 ff. 801 RGSt 45, 3, 5; RGSt 36, 357 f; RGSt 26, 93 f; Baumbach/Hopt/Merkt § 238 Rn 7; Ebenroth/Boujong/ Joost/Strohn/Böcking/Gros § 238 Rn 10; implizit Haag/Löffler/Gerner-Beuerle § 238 Rn 9. 802 Zur Reichweite des § 6 Abs 1 HGB und der von dieser Vorschrift erfassten Gesellschaften s nur Beck’scher Bilanz-Kommentar/Winkeljohann/Henckel § 238 Rn 28 ff; MK-BilR/Graf § 238 Rn 6; Thiel/LüdtkeHandjery Rn 85. 803 NK/Kindhäuser § 283 Rn 57. 804 Dazu nur Staub/Oetker § 1 Rn 86; Zöllner DB 1964, 795, 797; Schmucker ZJS 2011, 30.

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680 | 3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften

Probleme wie zuvor schon die Überwälzung des Gemeinschuldnerstatusses. Richtigerweise genügt dem Zurechnungszusammenhang „als“ auch hier die Mitgliedschaft im Vertretungsorgan; weitergehende Voraussetzungen – etwa das Vorliegen eines wirksamen Gesellschaftereinverständnisses oder das Handeln im Interesse des Verbandes – sind nicht erforderlich.805 Ob darüber hinaus der Geschäftsführer einer Vor-GmbH – vergleichbare „Vorformen“ kennen natürlich auch die übrigen Kapitalgesellschaften und die eG – tauglicher Täter der §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b Abs 1 Nrn 1–3 StGB sein kann,806 hängt – da § 6 Abs 1 HGB diesen Fall nicht erfasst – von den Voraussetzungen des § 1 Abs 2 HGB und somit vom jeweiligen Einzelfall ab807.808 Inwieweit den § 14 Abs 1 Nr 2 StGB auch bzgl des Merkmals „Kaufmann“ bemühen 110 muss, wer die geschäftsführenden809 Gesellschafter einer oHG bzw Kommanditgesellschaft gem den §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b Abs 1 Nrn 1–3 StGB bestrafen will, hängt davon ab, wen die Kaufmannseigenschaft trifft – nur die Personenhandelsgesellschaft oder zusätzlich die persönlich haftenden Gesellschafter. Während in Rspr und gesellschaftsrechtlichem Schrifttum über den Kaufmannsstatus der Personenhandelsgesellschaften Einigkeit herrscht – eine Personengesellschaft avanciert zur Handelsgesellschaft entweder mit ihrer Eintragung im Handelsregister (vgl § 123 Abs 1 HGB) oder mit der Aufnahme einer dem § 1 Abs 2 HGB entsprechenden Geschäftstätigkeit (vgl § 123 Abs 2 HGB) –, gehen die Meinungen auseinander, sobald die Rede auf die Kaufmannseigenschaft des persönlich haftenden Gesellschafters kommt. Zwar fällt die Position der hM wohl derjenigen Ansicht zu, die neben der Personenhandelsgesellschaft auch die persönlich haftenden Gesellschafter als Kaufleute begreift.810 Mit Blick auf die zwischenzeitlich erreichte Selbstständigkeit der rechtsfähigen Personenhandelsgesellschaften811 verdient jedoch die Gegenansicht den Vorzug, die sich dafür ausspricht, die persönlich haftenden Gesellschafter grds nicht zum Kreis der Kaufleute zu rechnen und hiervon nur unter Normzweckgesichtspunkten Ausnahmen zulässt, indem sie – im Wege der Analogie – einzelne für Kaufleute geltende Vorschriften auf die persönlich haftenden Gesellschafter erstreckt.812

_____ 805 So auch NK/Kindhäuser § 283 Rn 57. 806 Zu den Problemen sub specie § 14 StGB siehe o Rn 22. 807 Siehe o Rn 108. 808 BGHSt 3, 23, 26 = LM Nrn 2,3 zu § 240 KO (Ls) m zust Anm Geier; BGH LM Nr 6 zu § 239 KO; NK/Kindhäuser § 283 Rn 56; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 29; SK/Hoyer § 283 Rn 70; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 43; Fischer § 283 Rn 19; S/S/W/Bosch § 283 Rn 21; MAH/Böttger § 19 Rn 148; vgl auch schon K Schmidt JZ 1973, 299, 304; zum alten Recht noch BGHSt 3, 23, 26; weitergehend, kein Rückgriff auf § 1 Abs 2 HGB nötig, M-G/Wolf § 26 Rn 24; Kanitz Rn 115; Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Böcking/Gros § 238 Rn 17; ADS § 238 Rn 17; Böhle-Stamschräder KTS 1957, 17, 21; so wohl auch Beck’scher Bilanz-Kommentar/Winkeljohann/ Henckel § 238 Rn 30, 44; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 18; Richter GmbHR 1984, 137, 147 m Fn 174; Biletzki ZIP 1997, 9, 10; den Meinungsstand zusf Haag/Löffler/Gerner-Beuerle § 238 Rn 4. 809 Dafür, dass nur die geschäftsführungsbefugten persönlich haftenden Gesellschafter als taugliche Zurechnungsadressaten in Betracht kommen, s zB Louis, S 33. 810 So BGHZ 45, 282, 284; BGH NJW 1960, 1852; BGH NJW 2006, 917, 918; MK-BilR/Graf § 238 Rn 35; ferner RGSt 69, 65, 66. 811 Zur Entwicklung und zum erreichten Stand s nur Brand, S 153 ff mwN zum gesellschaftsrechtlichen Schrifttum. 812 Ausf zu diesem Ansatz Baumbach/Hopt/Roth § 105 Rn 19 ff; Staub/C Schäfer § 105 Rn 79; Staub/ Oetker § 1 Rn 67; vgl ferner bereits Landwehr JZ 1967, 198, 201 ff, der zwar noch von den Gesellschaftern als „Gemeinschaftskaufleuten“ spricht, damit aber letztendlich nichts anderes zum Ausdruck bringt, als dass die Kaufmannseigenschaft bei der Gesamthandsgemeinschaft liegt (aaO, S 204 f); ähnl Lieb DB 1967, 759, 761 ff; skept auch schon Zöllner DB 1964, 795, 796 f; K Schmidt JZ 1973, 299, 300; Kötter ZHR 137 (1973), 178, 179.

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§ 12 Bankrott, §§ 283, 283a StGB u. Verletz. d. Buchführungspflicht, § 283b StGB | 681

Fällt die Kaufmannseigenschaft nach Tatbegehung, aber noch vor Eintritt der ob- 111 jektiven Strafbarkeitsbedingung (vgl § 283b Abs 3 iVm § 283 Abs 6 StGB) weg, etwa weil das betriebene Gewerbe umfangmäßig auf ein Nichthandelsgewerbe herabsinkt oder der „Kannkaufmann“ (vgl § 2 HGB) seine Eintragung im Handelsregister löschen lässt, beseitigt dieser Umstand nicht die bereits verwirkte Strafbarkeit.813 Denn der Vollendungszeitraum der §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b Abs 1 StGB, innerhalb dessen der Täter die nötigen Tätermerkmale aufweisen muss, endet, sobald der Täter eine der drei Tatmodalitäten umgesetzt hat. Der Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung berührt die Deliktsvollendung nicht.814

c) Weitere taugliche Täter der Buchführungsdelikte Neben den Einzelkaufleuten und den Geschäftsleitern der Formkaufleute kommen des 112 Weiteren der Steuerberater bzw der Buchhalter sowie der Liquidator und der Insolvenzverwalter als taugliche Täter in Betracht. Während Steuerberater und Buchhalter allenfalls unter den Voraussetzungen des § 14 Abs 2 S 1 Nr 2 StGB die Täterposition einnehmen,815 adressieren die §§ 71 Abs 1 GmbHG, 155 InsO originäre Buch- und Bilanzführungspflichten an den Liquidator bzw den Insolvenzverwalter. Insgesamt muss man drei Punkte auseinanderhalten: Erstens: Im Unterschied zu Steuerberatern, Buchhaltern und Liquidatoren bereitet es erhebliche Schwierigkeiten, den Insolvenzverwalter als Täter eines Bankrottdelikts zu konstruieren. Zweitens: Mit letzterem Problem eng zusammen hängt die Frage, ob die Vornahme der in den Nrn 1–8 des § 283 Abs 1 StGB inkriminierten Bankrotthandlungen auch noch nach Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung strafbewehrt ist.816 Drittens: Um den pflichtvergessenen Steuerberater/ Buchhalter gem den §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b Abs 1 StGB zu bestrafen, müssen die Voraussetzungen bekannt sein, unter denen dem Steuerberater/Buchhalter die Täterposition anwächst. Gem § 155 Abs 1 S 2 InsO hat zwar der Insolvenzverwalter die Buch- und Bilanzfüh- 113 rungspflichten, soweit sie die Masse betreffen,817 zu erledigen.818 Kommt er diesen Pflichten jedoch nicht bzw nicht ordnungsgemäß nach, führt dies keinesfalls – quasi automatisch – dazu, ihn gem den §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b Abs 1 StGB zu bestrafen. Im Gegenteil: Da über das schuldnerische Vermögen ein Insolvenzverfahren bereits eröffnet, die objektive Strafbarkeitsbedingung der §§ 283 Abs 6, 283b Abs 3 StGB mithin eingetreten ist, kann die Pflichtvergessenheit des Insolvenzverwalters auf dem Gebiet der Buch- und

_____ 813 RG JW 1934, 841 f; LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 67; NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis 283d Rn 40; MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 43; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 48; W/J/Pelz 9/83; M/G/Rinjes 8/64 sowie Renkl JuS 1973, 611, 612; mit Blick auf die Gemeinschuldnereigenschaft; in diese Richtung wohl auch schon RGSt 4, 41, 42; vgl ferner RGSt 15, 64, 66, wonach der Wegfall der Kaufmannseigenschaft vor Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung nur dann nichts an der bereits verwirkten Strafbarkeit ändert, wenn sich die Zahlungseinstellung/das Insolvenzverfahren auch auf solche Forderungen bezieht, die im ursprünglichen kaufmännischen Betrieb entstanden sind; weitergehend aber RG LR 1913, 695, dem zufolge die Buch-/Bilanzführungspflicht auch nach Verlust der Kaufmannseigenschaft insofern fortbestehen soll, als Vermögensgegenstände betroffen sind, die noch aus dem kaufmännischen Gewerbe herrühren. 814 Su Rn 262. 815 S nur Fischer Vor § 283 Rn 25; M-G/Häcker § 96 Rn 3. 816 Ausf dazu o Rn 9. 817 Zu dieser Beschränkung s nur Uhlenbruck/Sinz § 155 Rn 11. 818 Ausf hierzu Weisang BB 1998, 1149 ff.

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Bilanzführung weder die Gefahr eines Unternehmenszusammenbruchs, vor dem die §§ 283, 283b StGB va schützen wollen,819 noch den allenthalben geforderten tatsächlichen Zusammenhang zwischen Bankrotthandlung und objektiver Strafbarkeitsbedingung820 begründen.821 Vor diesem Hintergrund überzeugt es deshalb nicht, den Insolvenzverwalter, der die Bücher/Bilanzen nicht bzw unsachgerecht führt, mithilfe der fragwürdigen822 These, wonach die Vornahme der Bankrotthandlungen auch und erst recht nach Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung strafbewehrt sei,823 gem den §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b Abs 1 StGB zu pönalisieren.824 Führen dagegen Steuerberater bzw Buchhalter die Bücher nicht bzw ordnungs114 widrig, haften sie gem den §§ 283 Abs 1 Nr 5, 283b Abs 1 Nr 1 StGB, sofern sich dem schuldnerischen Auftrag eindeutig die Pflicht entnehmen lässt, neben der steuerrechtlichen Buchführung auch die handelsrechtliche zu bewerkstelligen.825 Dann, aber auch nur dann, ist es ohne weiteres möglich, dem Steuerberater/Buchhalter die Tätermerkmale via § 14 Abs 2 S 1 Nr 2 bzw Nr 1 StGB zuzuweisen.826 Wegen Beihilfe hat sich der Steuerberater zu verantworten, der den Schuldner (kraft Zurechnung) dabei unterstützt, die Jahresabschlüsse zu fälschen, indem er in den Büchern tatsächlich nicht vorhandene Vermögenswerte aktiviert.827 – Das Verteidigungsvorbringen mancher Steuerberater, sie hätten keine Bücher geführt, weil ihr Auftraggeber sie nicht vertragsgemäß bezahlt habe, hilft ihnen nicht.828 Bedient der buchführungspflichtige Auftraggeber seine Zahlungspflichten gegenüber dem Steuerberater/Buchhalter nicht, muss dieser – will er nicht in bankrottstrafrechtliches Gefilde geraten – sein Leistungsverweigerungsrecht ausüben und die Unterlagen zurückgeben.829 Anders liegen die Dinge, wenn der Steuer-

_____ 819 Sa LG München I ZIP 2001, 2291, 2292. 820 Su Rn 223. 821 Ausf zu dieser Position Grub Runkel-FS, S 85, 87 ff; aA freilich die ganz hM LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 96, 100; Richter NZI 2002, 121, 124, dem zufolge Bankrotthandlungen nach Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung besonders gefährlich seien; vgl ferner BGH/H GA 1953, 74. 822 Dazu siehe o Rn 9. 823 Dafür etwa BGHSt 1, 186, 191; RGSt 27, 316, 318; RG Rspr 5, 52, 54; MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 96; B/Quedenfeld/Richter 5/116, 199; Wittig § 23 Rn 117; Otto Bruns-GS, S 265, 282; Heidland KTS 1958, 161, 162; Böhle-Stamschräder KTS 1957, 17 sowie Bittmann/Bittmann Voraufl Rn 26; implizit RGSt 55, 30; Kribs-Drees, S 86; Röhm NZI 2002, 134, 136; wohl auch schon Hälschner GA 18 (1870), 665, 669; sa zur umgekehrten Fragestellung, ob die Vornahme der Bankrotthandlung der Zahlungseinstellung nachfolgen muss, Pr. Obertribunal GA 23 (1875), 59 f, das die Frage verneint. 824 So aber W/J/Pelz 9/374; ferner wohl Richter NZI 2002, 121, 124; Bales ZInsO 2010, 2073, 2078; vgl des Weiteren die instruktiven Ausführungen von HambK/Borchardt § 283 StGB Rn 56, der darauf hinweist, dass dem § 155 InsO häufig bereits genügt, wer lediglich intern Rechnung legt. 825 HambK/Borchardt § 283 StGB Rn 52 f; M-G/Häcker § 96 Rn 5; Weyand/Diversy Rn 207; Hagedorn, S 89 f; Mühlberger DStR 1978, 211, 214; Sundermeier/C Gruber DStR 2000, 929, 933; Bittmann ZGR 2009, 931, 941; Bales ZInsO 2010, 2073, 2076; vgl aber auch Regierer, S 144, 149 ff, 162 ff, der dieses Erfordernis nur im Falle der Bilanzierung, nicht aber der Buchführung gelten lassen will; da sich steuer- und handelsrechtliche Buchführung entsprächen, sei der Steuerberaterauftrag generell dahingehend auszulegen, auch die handelsrechtliche Buchführung zu bewerkstelligen. 826 W/J/Pelz 9/92 ff; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 65; S/S/W/Bosch § 14 Rn 15; Pape/Uhländer/Hofmann § 283 Bankrott Rn 65; Schramm DStR 1998, 500, 501; Weyand ZInsO 1999, 327, 329 f; ders PStR 2004, 235; ferner Meilicke StbJb 1979/80, 447, 452; skept bzgl eigener Buchhaltungskräfte des Buchführungspflichtigen Regner, S 54, wegen deren Weisungsgebundenheit. 827 S dazu LG Freiburg DStRE 2012, 390, 391. 828 Vgl etwa Hillenkamp Tiedemann-FS, S 949, 965. 829 S zum Ganzen auch Regierer, S 171 f; HambK/Borchardt § 283 StGB Rn 53; Bales ZInsO 2010, 2073, 2077; vgl auch M-G/Häcker § 96 Rn 8; Hartung Stbg 1991, 332, 335; Sundermeier/C Gruber DStR 2000, 929, 936; aA aber MAH/Böttger § 19 Rn 162, der aus § 66 StBerG ein Zurückbehaltungsrecht an den Buchhal-

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§ 12 Bankrott, §§ 283, 283a StGB u. Verletz. d. Buchführungspflicht, § 283b StGB | 683

berater/Buchhalter zusätzlich die Aufgabe übernimmt, etwa die Jahresabschlussbilanz zu erstellen. Da es sich hierbei um eine höchstpersönliche Pflicht handelt, also nur der Kaufmann/Geschäftsleiter die Bilanz aufstellen kann – das erhellt ua aus dem Erfordernis der Unterschrift830 –, scheidet der Steuerberater/Buchhalter richtigerweise als tauglicher Täter aus. Konkret: Weder dem Steuerberater noch dem Buchhalter lässt sich die kaufmännische Pflicht, bspw am Ende des Geschäftsjahres Bilanz zu ziehen, gem § 14 Abs 2 StGB zurechnen. Sie haften allenfalls als Gehilfen eines vom bilanzpflichtigen Kaufmann/Geschäftsleiter begangenen vorsätzlichen Vergehens der §§ 283 Abs 1 Nr 7, 283b Abs 1 Nr 3 StGB.831 Strafrechtliche Risiken geht schließlich auch der Steuerberater ein, der die Bilanz auf der Grundlage falscher, ihm von seinem Auftraggeber übermittelter Zahlen erstellt, sofern er um die Fehlerhaftigkeit der Angaben weiß.832 Abschließend sei noch folgender Aspekt erwähnt: Beschließen die Gesellschafter ei- 115 ner GmbH deren Liquidation, hat der Liquidator nicht nur die Liquidationseröffnungssowie die jeweiligen Liquidationsabschlussbilanzen,833 sondern auch – sofern noch nicht geschehen – die letzte Jahresabschlussbilanz der werbenden Gesellschaft zu erstellen. Dabei beginnt die Frist, die das Gesetz einräumt, um die Jahresabschlussbilanz zu fertigen, nicht von neuem zu laufen. Dh, der Liquidator muss innerhalb des verbliebenen Zeitraums versuchen, die Jahresabschlussbilanz aufzustellen. Gelingt ihm das nicht, bleibt er freilich dann sub specie §§ 283 Abs 1 Nr 7b, 283b Abs 1 Nr 3b StGB straflos, falls die Bilanzierung in dieser Zeit unmöglich war.834

d) Buchführungspflichtigkeit der Zweigniederlassung Wer sich der Frage zuwendet, inwieweit Zweigniederlassungen eigenständig Bücher 116 und Bilanzen nach HGB führen müssen, hat mehrere Aspekte auseinanderzuhalten. Besondere Bedeutung gewinnt die Thematik für Zweigniederlassungen ausländischer Gesellschaften. Da die Buch- und Bilanzführungspflichten richtigerweise internationalprivatrechtlich nicht öffentlich-rechtlich, 835 sondern privatrechtlich anknüpfen, 836 treffen sie die Geschäftsleitungsorgane solcher Auslandsgesellschaften nicht, die zwar ihren satzungsmäßigen Sitz im EU-Ausland, ihren wirtschaftlichen Schwerpunkt aber im Inland haben. Diese Gesellschaften sind nach dem Recht ihres Sitzstaates rechnungslegungspflichtig. Mittelbar bestätigt dieses Ergebnis § 325a HGB, der die Geschäftsleiter dieser sog „Scheinauslandsgesellschaften“ dazu anhält, lediglich ihre nach ausländi-

_____ tungsunterlagen konstruiert (dagegen zutr Brenner BB 1984, 842, 846 und passim; iE ebenso W/J/Pelz 9/167a; Weyand/Diversy Rn 209). 830 Zu diesem und zu weiteren für die Höchstpersönlichkeit der Bilanzaufstellungspflicht streitenden Indizien Regierer, S 99 ff. 831 Grdl zu dieser Differenzierung Regierer, S 25, 105, 107 ff, 110 f, 115 ff und passim; zust LK/Tiedemann § 283 Rn 129; Ceffinato, S 354; wohl auch Rönnau Kühl-FS, S 711, 717; aA etwa Hagedorn, S 89; Mühlberger DStR 1978, 211, 215; Bittmann ZGR 2009, 931, 941; wohl auch Weyand StuB 1999, 178, 179 f, 181 f, der bei entspr Delegation von täterschaftlicher Haftung auszugehen scheint. 832 Dazu s Sundermeier/C Gruber DStR 2000, 929, 934. 833 Dazu su Rn 173. 834 Zum Ganzen BayObLG wistra 1990, 201 f; OLG Frankfurt/M BB 1977, 312 f; Marxen EWiR 1990, 503 f. 835 Dafür aber die wohl hM; vgl nur ADS § 238 Rn 2, 58; Beck’scher Bilanz-Kommentar/Winkeljohann/ Henckel § 238 Rn 46, 85; Kanitz Rn 105. 836 § 5 Rn 50.

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schem Recht erstellten Bücher und Bilanzen offenzulegen.837 Ob anderes gilt, sobald die Auslandsgesellschaft eine „echte“ Zweigniederlassung errichtet, sie also ihren satzungsmäßigen Sitz sowie ihren wirtschaftlichen Schwerpunkt in ihrem Herkunftsstaat belässt, erscheint fraglich. Zwar spricht sich die wohl überwiegende Meinung im bilanzrechtlichen Schrifttum dafür aus, sämtliche inländische Zweigniederlassungen einer ausländischen Hauptniederlassung der Buch- und Bilanzführungspflicht nach HGB zu unterwerfen838 und stimmt dem die insolvenzstrafrechtliche Literatur im Wesentlichen zu.839 Dem liegt jedoch – zumindest unausgesprochen – die hier nicht geteilte Prämisse zugrunde, wonach die §§ 238 ff HGB nicht dem Personal- bzw Gesellschaftsstatut angehören.840 Unterhält die ausländische Hauptniederlassung hingegen eine inländische Zweigstelle, die Bankgeschäfte betreibt oder Finanzdienstleistungen erbringt, verpflichtet § 53 Abs 2 Nr 2 S 1 und 2 KWG diese Zweigstelle dazu, entsprechend der §§ 238 ff HGB Bücher und Bilanzen zu führen. Ein etwas kurioser Fall lag dem OLG Karlsruhe Mitte der Achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts zur Entscheidung vor. Der angeklagte Deutsche betrieb in Basel eine Aktiengesellschaft Schweizer Rechts und hatte es unterlassen, gem dem einschlägigen Schweizer Obligationenrecht die Bücher dieser Gesellschaft zu führen. Obschon der erkennende Senat – zu Recht – der Ansicht beitrat, die es verneint, die von den §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b Abs 1 StGB angesprochenen Buch- und Bilanzführungspflichten dem ausländischen Recht zu entnehmen,841 hat er den Angeklagten gem § 283b Abs 1 Nr 1 StGB verurteilt und hierzu auf die Buchführungs- und Bilanzierungsvorschriften des HGB zurückgegriffen.842 Das überzeugt schon deshalb nicht, weil der Angeklagte eben nicht nach deutschem, sondern nach Schweizer Recht buchführungspflichtig war. Machte man mit der Ansicht des OLG Karlsruhe ernst, stünden sämtliche deutsche Geschäftsleitungsorgane ausländischer Gesellschaften mit einem Bein im Gefängnis, die zwar der ausländischen Rechtsordnung entsprechend ihre Bücher führen, dabei aber nicht den deutschen Standards genügen. Darüber hinaus erhebt sich die Frage, ob der Inhaber eines inländischen Unter117 nehmens zusätzlich über die seine Zweigniederlassungen betreffenden Geschäftsvorfälle Buch zu führen hat, andernfalls er gem den §§ 283 Abs 1 Nr 5, 283b Abs 1 Nr 1 StGB haftet. Da als Zweigniederlassungen nur solche Betriebe firmieren, die selbstständig am Geschäftsverkehr teilnehmen, spricht sich die hM zu Recht für eine gesonderte Buchführungspflicht aus. Allerdings steht es dem Inhaber der Haupt- und Zweigniederlassung frei, entweder die Bücher dezentral sowohl in der Haupt- als auch der Zweigniederlassung oder aber zentral nur in der Hauptniederlassung zu führen.843 Das Fehlen einer sog Filialbuchhaltung berührt die Ordnungsmäßigkeit der Gesamtbuchhaltung

_____ 837 Ausf zum Ganzen § 5 Rn 50. 838 So Beck’scher Bilanz-Kommentar/Winkeljohann/Henckel § 238 Rn 46; Staub4/Hüffer § 238 Rn 24; Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Böcking/Gros § 238 Rn 10; MK-BilR/Graf § 238 Rn 9; ADS § 238 Rn 18; aA aber Staub/Pöschke § 238 Rn 26. 839 S etwa S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 29; S/S/W/Bosch § 283 Rn 21; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 43. 840 Ausdrückl Staub4/Hüffer § 238 Rn 24; anders jetzt Staub/Pöschke § 238 Rn 26: Buch- und Bilanzführungspflichten sind Teil des Gesellschaftsstatuts. 841 Ausf § 5 Rn 52. 842 OLG Karlsruhe NStZ 1985, 317 = MDR 1985, 691 f; zust wohl S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 29; MK/ Radtke/Petermann § 283b Rn 30; M/G/Rinjes 8/214; zu Recht abl Pelz Rn 487. 843 Zum Ganzen Staub/Pöschke § 238 Rn 21; MK-BilR/Graf § 238 Rn 60; ähnl wohl auch M-G/Wolf § 26 Rn 17a; vgl ferner ADS § 238 Rn 9, wonach beim Betrieb mehrerer Firmen aus Gründen der Selbstinformation getrennte Buchungskreise angezeigt seien; vgl zum Ganzen auch RGSt 5, 407, 408 f.

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§ 12 Bankrott, §§ 283, 283a StGB u. Verletz. d. Buchführungspflicht, § 283b StGB | 685

mithin nicht.844 Verfügt ein inländisches Unternehmen über ausländische Niederlassungen, hat es entweder am Ort dieser ausländischen Niederlassung nach deutschem Recht Buch zu führen und später diese Bücher in die Buchführung der Hauptniederlassung zu integrieren oder aber sogleich die Geschäftsvorfälle der ausländischen Niederlassung in den Büchern der Hauptniederlassung zu buchen.845

e) Keine Buch-/Bilanzführungspflicht trotz Kaufmannsstatus Da die Tathandlungen der §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b Abs 1 Nrn 1–3 StGB die Pflicht zur 118 Buch-/Bilanzführung voraussetzen, bleiben solche Kaufleute sub specie dieser Vorschriften straflos, die das Gesetz von der Buch-/Bilanzführung freistellt. Mit dem Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts vom 25.5.2009 (BilMoG)846 haben ua die §§ 241a, 242 Abs 4 HGB Einzug in das HGB gehalten.847 Deren Sätze 1 befreien von der Buch-/ Bilanzführungspflicht die Betriebe solcher Einzelkaufleute,848 die an den Abschlussstichtagen zweier aufeinanderfolgender Geschäftsjahre kumulativ 849 nicht mehr als € 500.000 Umsatz und € 50.000 Jahresüberschuss erwirtschaften. Darüber hinaus entlassen die §§ 241a S 2, 242 Abs 4 S 2 HGB neu gegründete Gewerbe aus der Pflicht, Bücher/Bilanzen zu führen, deren Erträge am ersten Abschlussstichtag die og Beträge nicht überschreiten. Diese beiden Ausnahmen vom Buch-/Bilanzführungserfordernis dürften indes geringere Auswirkungen auf die Reichweite der §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b Abs 1 Nrn 1–3 StGB zeitigen, als gemeinhin angenommen.850 Das erhellt an folgendem Beispiel: Unterlässt es ein Existenzgründer nach Aufnahme seines Gewerbebetriebs Bücher iSd § 238 Abs 1 HGB zu führen, weil er glaubt, sein einen kaufmännischen Geschäftsbetrieb erforderndes Unternehmen werde die Schwellenwerte des § 241a S 2 HGB nicht erreichen, erfüllt er selbst dann den objektiven Tatbestand des § 283b Abs 1 Nr 1 Var 1 StGB, sofern seine Annahme zutrifft und Umsatz sowie Jahresüberschuss unterhalb der Schwellenwerte bleiben.851 Denn im bilanzrechtlichen Schrifttum hat sich die Lesart

_____ 844 Beck’scher Bilanz-Kommentar/Winkeljohann/Henckel § 238 Rn 45. 845 MK-BilR/Graf § 238 Rn 63; MK-HGB/Ballwieser § 238 Rn 38; vgl auch Haag/Löffler/Gerner-Beuerle § 238 Rn 12. 846 BGBl I, S 1102; instruktiver Überblick über die Änderungen bei Hagedorn, S 195 ff. 847 Sehr krit gegenüber diesen Vorschriften Schulze-Osterloh DStR 2009, 63, 71; ferner D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1069, die aus strafverfolgungsrechtlicher Perspektive erhebliche Schwierigkeiten etwa bei dem Nachweis der Krise monieren (allg zu den Nachweisschwierigkeiten bei fehlender Buchführung Weyand ZInsO 1999, 327); s des Weiteren Bittmann wistra 2008, 441, 444 f, der sogar Zweifel an der Legitimität der insolvenzstrafrechtlichen Buchführungsdelikte äußert; sympathisierend dagegen Herzig DB 2008, 1, 2; wohl auch Kußmaul/Meyering DB 2008, 1445, 1446 f; ferner Reck ZInsO 2011, 1969, 1970, der den Vorschriften einen Beitrag zu größerer Rechtssicherheit entnimmt; ausdrückl begrüßt werden die Vorschriften von Fülbier/Gassen DB 2007, 2605, 2607. 848 Zur Beschränkung der §§ 241a, 242 Abs 4 HGB auf Einzelkaufleute s BR-Drucks 344/08, S 100; BTDrucks 1610067, S 1; MK-HGB/Ballwieser § 241a Rn 1; Beck’scher Bilanz-Kommentar/Winkeljohann/Lawall § 241a HGB Rn 2; Baumbach/Hopt/Merkt § 241a Rn 1; Koller/Kindler/Roth/Morck/Morck § 241a Rn 1; C Theile § 241a Rn 2; Kanitz Rn 108; Aigner Rn 62; Hennrichs K Schmidt-FS, S 581, 588; M-G/Wolf § 26 Rn 17b; AnwK/Püschel § 283 Rn 18; Ebner wistra 2010, 92, 93 f; Bittmann wistra 2008, 441, 444. 849 Ausdrückl Beck’scher Bilanz-Kommentar/Winkeljohann/Lawall § 241a HGB Rn 4; Ebner wistra 2010, 92, 94; Reck ZInsO 2011, 1969, 1970. 850 D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1068 f sprechen von einer „Aufhebung der Buchführungs- und Bilanzierungspflichten für den weit überwiegenden Teil der Einzelkaufleute“; ebenso AnwK/Püschel § 283 Rn 18; S/S/W/Bosch § 283 Rn 19; Habetha, S 271 m Fn 154; Ebner wistra 2010, 92, 94. 851 AA Ebner wistra 2010, 92, 95: Straffreiheit.

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durchgesetzt, wonach § 241a S 2 HGB vom Buchführungserfordernis erst ab dem zweiten, § 241a S 1 erst ab dem dritten Geschäftsjahr dispensiert;852 die Pflicht, Bücher zu führen, entfällt somit für das erste Geschäftsjahr eines neu gegründeten bzw die ersten beiden Geschäftsjahre eines schon werbend tätigen Gewerbebetriebs nicht – freilich immer vorausgesetzt, das Unternehmen genügt den Kriterien des § 1 Abs 2 HGB. Die Pflicht, Bücher und Bilanzen zu erstellen, lebt mit Wirkung ex nunc wieder auf, sobald das einzelkaufmännische Unternehmen in einem Geschäftsjahr853 Erträge generiert, die oberhalb der von §§ 241a, 242 Abs 4 HGB genannten Schwellenwerte liegen.854 Um zu ermitteln, ob und wenn ja, ab wann der Unternehmensertrag die Schwellenwerte übersteigt, genügt es, Umsatz und Jahresüberschuss jährlich näherungsweise zu berechnen, da andernfalls die Befreiungsvorschriften praktisch nutzlos wären.855 Schwierigkeiten bereitet das Verhältnis der §§ 241a, 242 Abs 4 HGB zu den §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b Abs 1 Nrn 1–3 StGB in sog Altfällen, Fällen also, deren Geschehen vor Inkrafttreten der §§ 241a, 242 Abs 4 HGB begann, jedoch erst nach dem 25.5.2009 endete, etwa durch Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung oder durch rechtskräftige Aburteilung der begangenen Tat. Wegen des Blankettcharakters, der den §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b Abs 1 Nrn 1–3 StGB eignet, gelangt § 2 Abs 2, 3 StGB zur Anwendung, mit der Folge, dass die §§ 241a, 242 Abs 4 HGB auch für die Altfälle Geltung beanspruchen.856

f) Delegation und Verteilung der Strafbarkeitsrisiken 119 Weder die §§ 238, 242 HGB noch die §§ 41 GmbHG, 91 Abs 1 AktG, 33 Abs 1 S 1 GenG ver-

pflichten ihre Adressaten darauf, die Bücher und Bilanzen in eigener Person zu führen. Vielmehr steht es den Buchführungspflichtigen frei, Bücher und Bilanzen857 von Dritten, etwa einem Steuerberater oder eigenen Mitarbeitern, erstellen zu lassen.858 Allerdings

_____ 852 Ausf Beck’scher Bilanz-Kommentar/Winkeljohann/Lawall § 241a HGB Rn 8; Baumbach/Hopt/Merkt § 241a Rn 3; unklar aber MK-HGB/Ballwieser § 241a Rn 3; ausdrückl aA Ebner wistra 2010, 92, 96; vgl ferner M-G/Wolf § 26 Rn 17c mit dem beachtlichen Einwand, wonach § 242 Abs 4 HGB auch von dem Erfordernis dispensiere, eine Eröffnungsbilanz aufzustellen, eine Erleichterung, die keinen Sinn ergäbe, wollte man den Existenzgründer verpflichten, für das erste Geschäftsjahr Bücher und Bilanzen zu führen. 853 Nicht erforderlich ist das Überschreiten der Schwellenwerte in zwei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren, um die Buch-/Bilanzführungspflicht zu reaktivieren; so zu Recht Ebner wistra 2010, 92, 95, der insoweit einen Umkehrschluss zur Anordnung des § 267 Abs 4 S 1 HGB zieht; ebenso wohl auch Schulze-Osterloh Hüffer-FS, S 917, 923. 854 So Aigner Rn 71; Schulze-Osterloh Hüffer-FS, S 917, 923; Ebner wistra 2010, 92, 95. 855 Schulze-Osterloh Hüffer-FS, S 917, 923; ferner Aigner Rn 71. 856 Ausf zum Ganzen Hagedorn, S 211 f; Ebner wistra 2010, 92, 94 f; pauschal so auch LK/Tiedemann § 283 Rn 96; AnwK/Püschel § 283 Rn 18; M/G/Rinjes 8/212. 857 Zwar handelt es sich bei der Pflicht, Bilanzen zu erstellen, um eine höchstpersönliche und deshalb grds nicht delegationsfähige Angelegenheit (vgl nur Regierer, S 99 ff und passim mwN), weshalb Steuerberater und Buchhalter nicht als Täter der §§ 283 Abs 1 Nr 7, 283b Abs 1 Nr 3 StGB in Betracht kommen. Dh aber nicht, dass der Bilanzpflichtige, der die Bilanzaufstellung wie in praxi üblich einem Steuerberater/Buchhalter anvertraut, trotz ordnungsgemäßer Auswahl und Überwachung für sämtliche Fehler des Buchhalters/Steuerberaters einzustehen hätte. 858 RGSt 12, 78, 81; Baumbach/Hopt/Merkt § 238 Rn 10; LK/Tiedemann § 283 Rn 101; Fischer § 283 Rn 20; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 45; M/R/Altenhain § 283 Rn 25; S/S/W/Bosch § 283 Rn 22; D/K/H/ Dannecker/Hagemeier Rn 1071; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 16; NK/Kindhäuser § 283 Rn 58; S/S/Heine/ Schuster § 283 Rn 32; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 18; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 44; M-G/Wolf § 26 Rn 28; W/J/Pelz 9/143; AnwK/Püschel § 283 Rn 19; Weyand/Diversy Rn 85; HambK/Borchardt § 283 StGB Rn 23 M/G/Rinjes 8/216; Louis, S 35; Hauck, S 112; Gosch, S 199 f; Regner, S 51; Groß, S 145; Reichelt, S 63; Kanitz Rn 114; MK-BilR/Graf § 238 Rn 37; ADS § 238 Rn 47; Weyand ZInsO 1999, 327, 329; Reck ZInsO 2001, 633,

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kann der originär Buch-/Bilanzführungsverpflichtete seine Pflichten nicht in strafrechtlich relevanter Weise komplett „hinwegdeligieren“.859 Vielmehr hat er die Delegaten sorgfältig auszuwählen, sie während der gesamten Dauer ihrer Tätigkeit ordnungsgemäß zu überwachen860 sowie sie in technischer, zeitlicher und finanzieller Hinsicht angemessen auszustatten,861 andernfalls (auch) ihm für den Fall, dass sein Delegat aufgrund von Auswahl-, Überwachungsfehlern, etc die übernommenen Pflichten verletzt, strafrechtliche Sanktionen drohen.862 Kommt er seiner Auswahl- und Überwachungspflicht hingegen nach, indem er bspw einen anerkannten Steuerberater mit der Buch/Bilanzführung betraut, diesem die erforderlichen Unterlagen rechtzeitig zur Verfügung stellt sowie regelmäßig die Fortschritte kontrolliert, bleibt er sub specie §§ 283 Abs 1 Nrn 5, 7, 283b Abs 1 Nrn 1, 3 StGB straflos, sofern der Bilanzierungsfehler oder die unvollständige Buchführung aus der Sphäre des Steuerberaters stammt und auch bei gehöriger Aufsicht nicht hätte vermieden werden können.863 Zurechnungsprobleme entstehen zudem in Verbänden mit mehreren – etwa gem 120 § 41 GmbHG – buchführungspflichtigen Geschäftsleitern, wenn der verbandsinterne Geschäftsverteilungsplan die Buch-/Bilanzführungspflicht bei einem oder einigen wenigen Geschäftsleitern loziert. Da einer Delegation der Buch-/Bilanzführungspflicht nichts entgegensteht, gelten im Ausgangspunkt die vorstehend Rn 119 dargelegten Grds.864 Dh: Haben die gesellschaftsvertraglich von der Buch-/Bilanzführungspflicht befreiten Geschäftsleiter ihren mit der Buch-/Bilanzführung betrauten Kollegen nach sachlichen Kriterien ausgewählt – zB demjenigen von mehreren Geschäftsleitern das Ressort „Buch-/Bilanzführung“ zugewiesen, der über entsprechende Fachkenntnisse verfügt – und ihn regelmäßig überwacht,865 trifft sie für dennoch auftretende Mängel

_____ 634; ders GmbHR 2001, 424, 425; Maurer wistra 2003, 174, 175; Biletzki ZIP 1997, 9, 10; implizit BGHSt 15, 103, 106; RGSt 45, 387, 388; M-G/Richter § 85 Rn 19 ff; Schramm DStR 1998, 500, 501; Schäfer wistra 1986, 200, 204. 859 Grdl RGSt 4, 418, 421; vgl auch BGH/H GA 1959, 337 mit Blick auf die GmbH-interne Ressortverteilung sowie RGSt 43, 407, 419 zu den Pflichten eines Aufsichtsratsmitglieds; ferner Dinkhoff, S 30; Reck GmbHR 2001, 424, 425. 860 BGH NStZ 2000, 206; BGH/H GA 1953, 75; RG JW 1917, 859; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 32; Fischer § 283 Rn 20; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 18; M-G/Wolf § 26 Rn 28; AnwK/Püschel § 283 Rn 19; S/S/W/Bosch § 283 Rn 22; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 16; Böttger/Verjans 4/90; MK-BilR/Graf § 238 Rn 38; ADS § 238 Rn 48; MAH/Böttger § 19 Rn 162; MAH/Leipold § 19 Rn 98; HambK/Borchardt § 283 StGB Rn 23; M/G/Rinjes 8/66, 217; Louis, S 36; Hauck, S 112; Regierer, S 76, 79 f; Neumeyer, (1891), S 150; Reichelt, S 63; Groß, S 145; Reck GmbHR 2001, 424, 425; ders StuB 2000, 1281; Biletzki ZIP 1997, 9, 10; Wersdörfer BB 1952, 679, 680; skept gegenüber dieser Überwachungspflicht aber Regner, S 56 mit Blick auf die größeren Kompetenzen des Steuerberaters. 861 Zu letzterem Aspekt s M-G/Wolf § 26 Rn 28; Hillenkamp Tiedemann-FS, S 949, 965; vgl ferner BGH NStZ 1998, 247, 248. 862 BGH/H GA 1953, 75; RGSt 4, 418, 421; RG JW 1917, 859 f; LK/Tiedemann § 283 Rn 101; S/S/Heine/ Schuster § 283 Rn 32; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 45; NK/Kindhäuser § 283 Rn 58; SK/Hoyer § 283 Rn 71; M-G/Richter § 85 Rn 24; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 44; M/R/Altenhain § 283 Rn 25; Ehlers DStR 1998, 1756, 1758; Reck ZInsO 2001, 633, 634; implizit so auch BGH NStZ 1998, 247 f = StV 1999, 26 = BGHR StGB § 283 Abs 1 Nr 5 – Buchführung 2; krit wohl S/S/W/Bosch § 283 Rn 22. 863 BGH NStZ 2000, 206; Holzapfel Wahle-FS, S 16, 20 f; implizit Biletzki NStZ 1999, 537, 540. 864 LK/Tiedemann § 283 Rn 101a; Fischer § 283 Rn 20; M-G/Richter § 85 Rn 25; M/G/Rinjes 8/217; Biletzki NStZ 1999, 537, 540; ders ZIP 1997, 9, 10. 865 Zu den bestehenden Kontrollpflichten s BGHSt 47, 318, 325; OLG Celle wistra 2014, 109 (beide bzgl § 266a StGB); MK-BilR/Graf § 238 Rn 33; Haag/Löffler/Gerner-Beuerle § 238 Rn 11; S/S/W/Bosch § 283 Rn 22; Weyand/Diversy Rn 85; W/J/Pelz 9/142; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 147; MAH/Böttger § 19 Rn 152; Louis, S 34; Regierer, S 77 f; vgl ferner zu den Auswahl- und Überwachungspflichten BGH ZIP 1995, 1334, 1336, RG HRR 1941, Nr 132 sowie Lütke wistra 2008, 409, 410 f; Richter NZI 2002, 121, 122; äußerst skept gegenüber

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keine strafrechtliche Verantwortlichkeit.866 Im Umkehrschluss muss – für den Fall mangelhafter Buch-/Bilanzführung – strafrechtliche Sanktionen befürchten, wer diese Vorgaben nicht einhält und bspw den laut Gesellschaftsvertrag buch- und bilanzführungspflichtigen Geschäftsleiterkollegen nicht überwacht867 bzw einer Person den Aufgabenbereich „Buch-/Bilanzführung“ überträgt, die hierfür erkennbar ungeeignet ist.868 Darüber hinaus haben sich sämtliche Geschäftsleiter ungeachtet der geschäftsleitungsinternen Ressortaufteilung über die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung zu vergewissern, sobald sie von wirtschaftlichen Schwierigkeiten „ihrer“ Gesellschaft Kenntnis erlangen.869

2. Die Tatbestände des § 283 Abs 1 Nr 5 StGB = § 283b Abs 1 Nr 1 StGB 121 Die §§ 283 Abs 1 Nr 5, 283b Abs 1 Nr 1 StGB enthalten jeweils zwei Tatbestände, wovon der

erste ein echtes Unterlassensdelikt,870 der zweite hingegen ein „Gefährdungsdelikt mit Erfolgsmoment“871 oder nach aA ein schlichtes Tätigkeitsdelikt872 bzw ein abstraktkonkretes Gefährdungsdelikt873 normiert. Während die erste Modalität der §§ 283 Abs 1 Nr 5, 283b Abs 1 Nr 1 StGB demjenigen Kriminalstrafe androht, der es entgegen gesetzlicher Verpflichtung unterlässt, Handelsbücher zu führen,874 fällt die zweite Modalität das Verdikt strafbaren Unrechts über solche Personen, die Handelsbücher entweder unsorgfältig führen oder (nachträglich) verändern und dadurch die Übersicht über ihren Vermögensstand erschweren.875 Ohne schon an dieser Stelle auf die Einzelheiten einzugehen,876 sind Tatgegenstand 122 der §§ 283 Abs 1 Nr 5, 283b Abs 1 Nr 1 StGB ausschließlich Handelsbücher. Damit fallen freiwillig geführte sowie auf steuer- (vgl etwa § 141 Abs 1 S 1 AO) und gewerberechtlicher Grundlage erstellte Bücher aus dem Einzugsbereich der §§ 283 Abs 1 Nr 5, 283b

_____ solchen Kontrollpflichten aber Ceffinato, S 248 ff, 253 f, der nur das für den jeweiligen Ressortbereich zuständige Organ aus dem Sonderdelikt bestrafen will. 866 S etwa RGZ 91, 72, 77 sowie RGZ 138, 156, 164 (beide bzgl § 1 GSB aF = § 1 BauFordSiG); OLG Karlsruhe Justiz 1977, 206; aA wohl Weyand ZInsO 1999, 327, 329; sa W/J/Pelz 9/95, dem zufolge die Ressortverteilung keinen Geschäftsführer entlastet; ebenso wohl Dinkhoff, S 30. 867 Zu einem solchen Fall RG JW 1908, 604; OLG Karlsruhe Justiz 1977, 206; vgl ferner M-G/Richter § 85 Rn 25. 868 S etwa RGSt 13, 235, 242; anders noch RGSt 12, 78, 80 ff: Strafrechtlich haftet nur dasjenige Vorstandsmitglied, das die Bankrotthandlung selbst begangen hat. 869 BGH NStZ 1998, 247 = StV 1999, 26 = BGHR StGB § 283 Abs 1 Nr 5 – Buchführung 2; RGSt 64, 81, 85; zust etwa MAH/Böttger § 19 Rn 152; Holzapfel Wahle-FS, S 16, 28; vgl ferner am Bsp einer oHG RGSt 45, 387 f; allg zu den erhöhten Anforderungen in einer Unternehmenskrise sa BGHZ 134, 304, 314. 870 RGSt 13, 235, 241 noch zu § 210 Nrn 2, 3 KO 1877; BGH/H GA 1964, 136 zu § 240 Abs 1 Nr 3 KO 1898; BGH/H MDR 1981, 100; LK/Tiedemann § 283 Rn 103; Fischer § 283 Rn 22; NK/Kindhäuser § 283 Rn 59; SK/Hoyer § 283 Rn 66; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 33; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 42, 47; S/S/W/Bosch § 283 Rn 19; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 145; M/R/Altenhain § 283 Rn 26; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 46; AnwK/ Püschel § 283 Rn 20; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 20; Schäfer wistra 1986, 200, 203; Hagemeier NZWiSt 2012, 105; Beckemper JZ 2003, 806; allg gegen die Einteilung in echte und unechte Unterlassensdelikte, die „höchst streitig, jedoch wenig fruchtbar“ sei, spricht sich Maiwald JuS 1981, 473 m Fn 4 aus. 871 Siehe o Rn 98. 872 Dafür LK/Tiedemann § 283 Rn 109; vgl ferner Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 22, der die §§ 283 Abs 1 Nr 5 Var 2, 283b Abs 1 Nr 1 Var 2 StGB als Begehungsdelikte einstuft; ebenso MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 42; SK/Hoyer § 283 Rn 66. 873 Schüppen, S 174. 874 Dazu ausf u Rn 136 ff. 875 Su Rn 146 ff. 876 S dazu sogl u Rn 123 ff.

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Abs 1 Nr 1 StGB heraus.877 Ihre unterbliebene oder unsachgerechte Führung mag nach bestimmten Spezialgesetzen strafrechtlich relevant sein, Bankrottunrecht verwirkt sie nicht. Genausowenig unterfallen den Handelsbüchern iSd §§ 283 Abs 1 Nr 5, 283b Abs 1 Nr 1 StGB das Tagebuch des Handelsmaklers (vgl § 100 HGB),878 das Aktienregister (vgl § 67 AktG),879 Unterlagen zum Risikofrüherkennungssystem eines Unternehmens880 sowie das – zwischenzeitlich inexistente, weil vom BauFordSiG nicht übernommene881 – Baubuch (vgl § 2 GSB aF).882 Nicht zum Kreis der von den §§ 283 Abs 1 Nr 5, 283b Abs 1 Nr 1 StGB geschützten Handelsbüchern rechnet schließlich der Lagebericht einer Kapitalgesellschaft (vgl § 264 Abs 1 HGB iVm § 289 Abs 1 S 1 HGB), da dieser weniger die Selbstinformation des Kaufmanns „Kapitalgesellschaft“, als vielmehr die Information des Kapitalmarktes bezweckt.883 Dagegen soll das Verwahrungsbuch, das § 14 Abs 1 S 1 DepotG ausdrücklich als Handelsbuch bezeichnet und das der Verwahrer von Wertpapieren (vgl § 1 Abs 2 DepotG) führen muss, hM zufolge tauglicher Tatgegenstand der §§ 283 Abs 1 Nr 5, 283b Abs 1 Nr 1 StGB sein.884 Die Gegenansicht will hingegen nur das persönliche, auf den einzelnen Hinterlegern aufbauende (vgl § 14 Abs 1 S 1 DepotG), nicht aber das sachliche, nach Wertpapierarten differenzierende Verwahrungsbuch885 dem Schutz der §§ 283 Abs 1 Nr 5, 283b Abs 1 Nr 1 StGB unterstellen.886 Beides überzeugt nicht. Obschon das Verwahrungsbuch als Handelsbuch den Vorschriften der §§ 238 ff HBG folgt,887 spricht mehr dafür, seine unterbliebene bzw unsachgemäße Füh-

_____ 877 LK/Tiedemann § 283 Rn 91; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 29; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 16; Böttger/ Verjans 4/81; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 15, 18; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1067; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 43; M-G/Richter § 85 Rn 17; W/J/Pelz 9/137; Regierer, S 144; Louis, S 165 f; ders BC 2002, 18, 20; Höfner, S 70 bzgl der steuerrechtlichen Pflichten; aA bzgl freiwillig geführter Bücher BGHSt 4, 271, 275 zu § 239 Abs 1 Nr 4 KO; ferner bzgl der freiwillig geführten Bücher eines Minderkaufmanns BGH/H GA 1953, 74. 878 Dazu, dass es sich hierbei um kein Handelsbuch iSd § 238 HGB handelt, s nur Baumbach/Hopt/Merkt § 238 Rn 1; vgl ferner S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 30; Fischer § 283 Rn 19; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 16; Böhle-Stamschräder § 239 KO Anm 8c; v. Babo, (1908), S 34; Kuhn, (1912), S 31; Nieberg, (1913), S 22; Steinbrück, (1929), S 27; Louis, S 166. 879 Dazu nur Beck’scher Bilanz-Kommentar/Winkeljohann/Henckel § 238 Rn 114; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 30; Fischer § 283 Rn 19; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 16; M-G/Wolf § 26 Rn 41; Böhle-Stamschräder § 239 KO Anm 8c; v. Babo, (1908), S 34; Kuhn, (1912), S 31; Nieberg, (1913), S 22; Steinbrück, (1929), S 28. 880 So Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 17; aA aber Beck’scher Bilanz-Kommentar/Winkeljohann/Henckel § 238 Rn 115; M-G/Wolf § 26 Rn 15. 881 S etwa M-G/Richter § 85 Rn 18; s aber Weyand INF 2006, 436, 440, der jetzt fehlerhafte Aufzeichnungen gem § 283 Abs 1 Nr 5 StGB bestrafen will. 882 LK/Tiedemann § 283 Rn 91; Fischer § 283 Rn 19; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 30; M-G/Richter § 85 Rn 17; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 16; S/S/W/Bosch § 283 Rn 20; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 16; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 45; Böhle-Stamschräder § 239 KO Anm 8c; aA aber wohl noch Kuhn, (1912), S 31. 883 Zutr Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 17, der aber darauf hinweist, dass fehlerhafte Angaben im Lagebericht uU zur einer Bestrafung nach § 283 Abs 1 Nr 8 StGB führen können; iE zust S/S/W/Bosch § 283 Rn 20; sa Hadamitzky ZInsO 2015, 1778, 1784. 884 Dafür S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 30; Fischer § 283 Rn 19; S/S/W/Bosch § 283 Rn 20; M-G/Richter § 85 Rn 17; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 45; Böhle-Stamschräder § 239 KO Anm 8b; Kuhn, (1912), S 31; Louis, S 166. 885 Zu diesen beiden Formen s Baumbach/Hopt/Kumpan § 14 DepotG Rn 1; Böttcher § 14 Rn 1; MK/Bröker § 34 DepotG Rn 4; G/J/W/Waßmer § 37 DepotG Rn 12. 886 So LK/Tiedemann § 283 Rn 91. Freilich ist fraglich, ob damit überhaupt von der hM abgewichen wird. Denn § 14 Abs 1 DepotG regelt ohnehin nur das persönliche Verwahrungsbuch (allgM; s nur Baumbach/ Hopt/Kumpan § 14 DepotG Rn 1). 887 S nur Baumbach/Hopt/Merkt § 238 Rn 1; Baumbach/Hopt/Kumpan § 14 DepotG Rn 1; M-G/Wolf § 26 Rn 41; Beck’scher Bilanz-Kommentar/Winkeljohann/Henckel § 238 Rn 114; Erbs/Kohlhaas/Wehowsky § 14 DepotG Rn 2; MK/Bröker § 34 DepotG Rn 4; G/J/W/Waßmer § 37 DepotG Rn 12.

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rung nicht gem den §§ 283 Abs 1 Nr 5, 283b Abs 1 Nr 1 StGB zu pönalisieren. Betrachtet man nämlich die Intention, die § 14 DepotG verfolgt, etwas genauer, dient das Depotbuch nicht dazu, dem Kaufmann einen Überblick über sein Vermögen und damit die Einsicht zu verschaffen, welche Risiken er eingehen kann und welche er besser bleiben lässt,888 sondern dazu, einerseits dem Verwahrer der hinterlegten Papiere, seine Verwaltungs- und Überwachungsaufgaben zu ermöglichen und andererseits dem Hinterleger den einfachen Nachweis zu gestatten, welche Papiere er dem Verwahrer überlassen hat.889 Diese Aspekte haben mit der Zielsetzung der „klassischen“ von §§ 283 Abs 1 Nr 5, 283b Abs 1 Nr 1 StGB erfassten Handelsbücher wenig gemein, bezieht sich doch das Verwahrungsbuch gerade nicht auf das Vermögen des Kaufmanns. Hinzu kommt: Gem § 37 DepotG macht sich strafbar, wer bspw seinen Pflichten aus § 14 DepotG zuwiderhandelt, sofern er entweder seine Zahlungen eingestellt hat bzw über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wurde oder aber die ordnungswidrige bzw unterbliebene Führung des Verwahrungsbuches Nachweisschwierigkeiten der Hinterleger verursachte. Da § 37 DepotG denselben Strafrahmen vorsieht, ergäbe der zusätzliche Rückgriff auf § 283b Abs 1 StGB keinen Sinn, zumal § 283b Abs 1 StGB ohnehin hinter den spezielleren § 37 DepotG zurückträte. Gleiches gälte zwar nicht für den schwerer sanktionierten § 283 Abs 1 Nr 5 StGB.890 Jedoch differenziert § 37 DepotG nicht danach, ob der Täter die Tathandlung außerhalb oder während einer Krise vorgenommen hat, sondern bestraft beide Verhaltensweisen gleich, weshalb § 37 DepotG insoweit den Rekurs auf § 283 Abs 1 Nr 5 StGB sperrt.891, 892 Dafür spricht insbes auch ein systematischer Vergleich zu § 34 DepotG, der die sog Depotunterschlagung regelt. Während § 34 Abs 1 DepotG schon seinem Wortlaut nach den §§ 266, 246 StGB den Vortritt lässt, enthält § 37 DepotG eine vergleichbare Subsidiaritätsklausel893 nicht, obschon es für den Gesetzgeber mit Blick auf § 34 DepotG ein Leichtes gewesen wäre, den § 37 DepotG um die Wendung „abgesehen von den Fällen des § 283 StGB“ zu ergänzen.

a) Tatgegenstand: Das Handelsbuch 123 Sämtliche inkriminierte Verhaltensweisen der §§ 283 Abs 1 Nr 5, 283b Abs 1 Nr 1 StGB

müssen sich auf Handelsbücher beziehen. Die Reichweite der §§ 283 Abs 1 Nr 5, 283b Abs 1 Nr 1 StGB hängt somit entscheidend davon ab, was das Gesetz unter Handelsbüchern versteht. Wer sich, um diese Frage zu beantworten, dem – insoweit maßgebenden – HGB zuwendet, stößt schnell auf das mit „Handelsbücher“ überschriebene dritte Buch. Danach rechnen zu den Handelsbüchern die im zweiten Unterabschnitt des ersten Abschnitts geregelten Bilanzen. Ob ein solch weites Verständnis, das die Bilanzen dem

_____ 888 Dazu siehe o Rn 99. 889 Erbs/Kohlhaas/Wehowsky § 14 DepotG Rn 1; ferner G/J/W/Waßmer § 37 DepotG Rn 12, der zusätzlich noch auf den Zweck des Verwahrungsbuches hinweist, dem Depotprüfer die Überwachung des Verwahrers zu erleichtern. 890 Dafür aber Fischer § 283 Rn 43. 891 Zu einer vergleichbaren Sperrwirkung des § 2 BauFordSiG gegenüber § 266 StGB s G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 40 sowie ausf dens wistra 2012, 92 ff. 892 AA wohl Baumbach/Hopt/Kumpan § 37 DepotG Rn 1, dem zufolge die Strafbarkeit nach anderen Vorschriften denkbar bleibt. 893 Für die Einstufung der Formulierung „abgesehen von den Fällen der §§ 246 und 266 des Strafgesetzbuchs“ als Subsidiaritätsklausel die ganz hM; vgl nur A/R/R/Schröder Kap 3/10 Rn 162; G/J/W/Waßmer § 37 DepotG Rn 47; Park/Zieschang Teil 3, Kap 2 Rn 108; aA mit beachtlichen Gründen Hellmann/ Beckemper Rn 134.

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Terminus „Handelsbücher“ einverleibt, auch den §§ 283 Abs 1 Nr 5, 283b Abs 1 Nr 1 StGB zugrunde liegt, erscheint angesichts der §§ 283 Abs 1 Nr 7, 283b Abs 1 Nr 3 StGB indes fraglich. Letztere Tatbestände knüpfen ihren Strafvorwurf an die unterbliebene bzw unrichtige Bilanzierung und erheben damit ausdrücklich die Bilanz zum Tatobjekt der von ihnen verbotenen Verhaltensweisen. Wollte man in strenger Akzessorietät zum HGB die Bilanzen dem Tatbestandsmerkmal „Handelsbücher“ iSv §§ 283 Abs 1 Nr 5, 283b Abs 1 Nr 1 StGB subsumieren,894 wären die Vorschriften der §§ 283 Abs 1 Nr 7, 283b Abs 1 Nr 3 StGB überflüssig und erschöpften sich schlicht darin, das Unrecht der §§ 283 Abs 1 Nr 5, 283b Abs 1 Nr 1 StGB bezogen auf Bilanzen noch einmal zu wiederholen. Deshalb gebührt der Ansicht der Vorzug, die die Bilanzen aus dem Einzugsbereich der §§ 283 Abs 1 Nr 5, 283b Abs 1 Nr 1 StGB herausnimmt.895 Neben dem Bedeutungszuwachs, den die §§ 283 Abs 1 Nr 7, 283b Abs 1 Nr 3 StGB durch diese Interpretation gewinnen, streitet hierfür va folgendes Argument: Der Gesetzgeber sowohl des § 283 Abs 1 StGB als auch des § 283b Abs 1 StGB pönalisiert zwar das Verändern von Handelsbüchern, nicht aber von Bilanzen. Gem dem eindeutigen Wortlaut der §§ 283 Abs 1 Nr 7, 283b Abs 1 Nr 3 StGB erfüllt das Verändern von Bilanzen diese Tatbestände nicht. Man mag das unbefriedigend finden und teleologisch für verfehlt halten. Einem Rückgriff auf die §§ 283 Abs 1 Nr 5, 283b Abs 1 Nr 1 StGB, um den Täter, der Bilanzen verfälscht, zu bestrafen, steht jedoch vor diesem Hintergrund richtigerweise Art 103 Abs 2 StGB entgegen. Die eben896 erörterte Problematik kehrt wieder, sobald man die Frage aufwirft, ob 124 das Inventar, zu dessen Erstellung § 240 Abs 1, Abs 2 S 1 HGB den Kaufmann verpflichtet, den Handelsbüchern iSv §§ 283 Abs 1 Nr 5, 283b Abs 1 Nr 1 StGB angehört. Der Regelungsstandort des § 240 HGB legt ein solches Verständnis nahe, hat doch der Gesetzgeber den § 240 HGB im dritten mit „Handelsbücher“ überschriebenen Buch normiert. Hierbei darf aber nicht stehen geblieben werden. Vielmehr gilt es erneut, den Aussagegehalt der §§ 283 Abs 1 Nr 7, 283b Abs 1 Nr 3 StGB mit in die Betrachtung einzubeziehen. Gem den §§ 283 Abs 1 Nr 7b Var 2, 283b Abs 1 Nr 3b Var 2 StGB macht sich – die übrigen Voraussetzungen unterstellt – strafbar, wer es unterlässt, innerhalb der vorgeschriebenen Zeit ein Inventar aufzustellen. Hingegen bleibt derjenige Kaufmann sub specie §§ 283 Abs 1 Nr 7, 283b Abs 1 Nr 3 StGB straflos, der entweder ein unzutreffendes Inventar aufstellt oder aber ein zunächst richtiges Inventar nachträglich verfälscht. Deshalb plädiert ein Teil des Schrifttums dafür, das Inventar den Handelsbüchern zuzuschlagen und solches Verhalten mithilfe der §§ 283 Abs 1 Nr 5, 283b Abs 1 Nr 1 StGB zu sanktionieren.897 Die Systematik und Art 103 Abs 2 GG stünden diesem Vorgehen nicht entgegen, da den Tathandlungen des § 283 Abs 1 StGB kein logisches Gesamtkonzept eigne.898 Das überzeugt nicht: Hätte der Gesetzgeber das Inventar demselben Schutz unterstellen wollen wie die Handelsbücher iSd §§ 238 f HGB, hätte er davon abgesehen, das Inventar als zusätzlichen Tatgegenstand iRd §§ 283 Abs 1 Nr 7b, 283b Abs 1 Nr 3b StGB zu erwähnen. Indem er gem den §§ 283 Abs 1 Nr 7b, 283b Abs 1 Nr 3b StGB nur dem vollständigen Fehlen eines Inventars den Rang strafwürdigen Unrechts beilegt, bringt er zugleich zum

_____ 894 So aber noch BGH LM Nr 3 zu § 239 KO, freilich im Kontext des § 239 Abs 1 Nr 4 KO, der lediglich den Terminus „Handelsbücher“ kannte. 895 Dafür LK/Tiedemann § 283 Rn 93; SK/Hoyer § 283 Rn 68; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 16; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 16; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 148; M/S/M/Maiwald § 48 Rn 26; Regierer, S 134 f; Regner, S 71; wohl auch MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 46. 896 Rn 123. 897 Dafür etwa M-G/Richter § 85 Rn 54, Hauck, S 123 sowie Bittmann/Bittmann Voraufl Rn 167. 898 So Bittmann/Bittmann Voraufl Rn 167.

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Ausdruck, verfälschte oder unzutreffend geführte Inventare nicht nach den §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b Abs 1 Nrn 1–3 StGB bestrafen zu wollen.899 Allenfalls unter dem Blickwinkel des § 283 Abs 1 Nr 8 StGB könnte sich der Kaufmann, der ein Inventar unsachgemäß führt bzw verfälscht, strafbar machen.900 Den Umfang der §§ 283 Abs 1 Nr 5, 283b Abs 1 Nr 1 StGB legen somit in tatgegen125 ständlicher Hinsicht die §§ 238, 239 HGB fest. Hinzu kommen ergänzend Spezialvorschriften, etwa die §§ 150, 152 AktG, 41 ff GmbHG, 33 Abs 1 GenG sowie die §§ 1, 5, 11 PublG. Die §§ 238, 239 HGB differenzieren zwischen den äußerlichen und den inhaltlichen Anforderungen, denen ein ordnungsgemäß geführtes Handelsbuch genügen muss. Diese Unterscheidung liegt auch den nachfolgenden Ausführungen zugrunde.

aa) Die äußerliche Gestaltung des Handelsbuchs 126 Die Beschaffenheit, die den von §§ 283 Abs 1 Nr 5, 283b Abs 1 Nr 1 StGB geschützten Han-

delsbüchern eignen muss, lässt sich anhand des § 238 Abs 1 HGB iVm den dort genannten Grds ordnungsgemäßer Buchführung (GoB) ermitteln. Was zunächst das äußere Erscheinungsbild der Handelsbücher anbelangt, zwingt der Wortbestandteil „Buch“ – schon mit Blick auf die fortschreitende Technisierung – keinesfalls dazu, die Handelsbücher in gebundener Buchform vorzuhalten. 901 Mit dieser Erkenntnis beginnen die Schwierigkeiten aber erst. Bis heute ist unklar und umstritten, ab welchem Verfestigungsgrad eine lose, (un)geordnete Sammlung von Belegen zum Handelsbuch avanciert. Gem § 239 Abs 4 S 1 HGB genügt bereits die geordnete Ablage von Belegen902 bzw das Anfertigen eines EDV-gestützten Handelsbuchs,903 sofern diese Form den GoB entspricht. Mehr als ein erster Anhaltspunkt ist damit aber wegen der Bezugnahme auf die GoB nicht gewonnen. Deshalb verwundert es auch nicht, dass die Meinungen auseinandergehen, sobald Konvolute in Rede stehen, die nur unter erheblichen Mühen allenfalls einem äußerst weit verstandenen Buchbegriff subsumierbar sind.904 Die Probleme, die va dann entstehen, wenn die kaufmännische Buchführung sich darin erschöpft, die einzelnen Belege lose zu ordnen, sollen nach teilweise vertretener Ansicht lösbar sein, ziehe man die §§ 283 Abs 1 Nr 6, 283b Abs 1 Nr 2 StGB sowie den § 257 Abs 1 Nr 4 HGB zu Rate. § 257 Abs 1 HGB verpflichte den Kaufmann, bestimmte Unterlagen aufzubewahren, zu denen gem Nr 4 die Buchungsbelege rechneten, die die Grundlage der Handelsbücher iSv § 238 HGB bildeten. Missachte der Kaufmann diese handelsrechtliche Aufbewahrungspflicht, mache er sich unter den Voraussetzungen der §§ 283 Abs 1 Nr 6, 283b Abs 1 Nr 2 StGB strafbar. Vor diesem Hintergrund bestehe kein Bedürfnis, Belegsammlungen den Handelsbüchern und damit dem Schutz der §§ 283 Abs 1 Nr 5, 283b Abs 1 Nr 1 StGB

_____ 899 IE ebenso LK/Tiedemann § 283 Rn 128; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 16, SK/Hoyer § 283 Rn 68; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 46, M/G/Rinjes 8/236; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 148, allerdings ohne Begründung. 900 Dazu Rn 210. 901 Zur grds Zulässigkeit einer Speicherbuchhaltung s BGH NStZ 1998, 247 = StV 1999, 26 = BGHR StGB § 283 Abs 1 Nr 5 – Buchführung 2; s ferner MK-BilR/Graf § 238 Rn 57. 902 Ausf zu den Anforderungen an die Belegbuchführung ADS § 239 Rn 48 ff. 903 S dazu LK/Tiedemann § 283 Rn 95; ferner Fischer § 283 Rn 21. 904 Großzügig etwa BGHSt 14, 262, 264 am Bsp des Weinbuchs iSv § 19 Abs 1 WeinG sowie BGH BB 1955, 109 = LM Nr 10 zu § 239 KO: Lieferscheinblocks als Handelsbücher (insoweit zust Rowedder BB 1955, 109); enger dagegen RGSt 50, 131, 132: Kassenzettel können Handelsbücher nicht ersetzen; auf dieser Linie ferner RGSt 17, 301, 302 f sowie RG Rspr 3, 304 f: Tagenotizbuch ist kein Handelsbuch.

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zu überantworten.905 Dies überzeugt nur bedingt. Entspricht es nämlich im jeweiligen Geschäftsbereich den GoB, die Handelsbücher dadurch zu führen, dass der Kaufmann die Belege geordnet ablegt, widerspräche es dem anerkannten Grds, wonach strafrechtlich nicht geahndet werden darf, was zivil-, handels- oder gesellschaftsrechtlich erlaubt ist, wollte man hieran den Vorwurf unterlassener Buchführung knüpfen.906 Ins Allgemeine gewendet: Was Handelsbuch iSd §§ 283 Abs 1 Nr 5, 283b Abs 1 Nr 1 StGB ist, bestimmt sich – streng akzessorisch – anhand der §§ 238 f HGB.907 Danach rechnen zwar bloß vorbereitende Notizen, Zwischenablagen oder sonstige Aufzeichnungen nicht zu den Handelsbüchern. Geordnete Belegsammlungen können jedoch durchaus die Anforderungen erfüllen, die §§ 238 f HGB an ein Handelsbuch stellen.

bb) Inhaltliche Anforderungen an ein Handelsbuch Um die inhaltlichen Anforderungen zu ermessen, denen die Handelsbücher eines Kauf- 127 manns genügen müssen, ist es erneut notwendig, die GoB zu bemühen.908 Sie geben einerseits Auskunft darüber, wie viele Bücher der Kaufmann vorhalten muss – ob also bspw ein Grundbuch/Journal genügt oder ob er wegen der Komplexität der Geschäftsvorfälle zusätzliche Bücher zu führen hat909 – und konkretisieren andererseits die inhaltlichen Vorgaben, die § 239 Abs 2 HGB bereits rudimentär benennt. Da die GoB nirgends kodifiziert sind, ist es Aufgabe des Richters zu ermitteln, welche Aussagen die GoB im jeweils einschlägigen Fall treffen. Drei „Ermittlungsverfahren“ stehen hierfür zur Verfügung: ein deduktives, ein induktives und ein hermeneutisches.910 Während das deduktive Modell ua das Gesetz911 zum Ausgangspunkt nimmt und anhand der dort vorgefundenen Wertungen die GoB ermittelt,912 destillierte das induktive Modell die GoB zunächst aus der ständig geübten Geschäftspraxis ordentlicher und ehrenwerter Kaufleute913 um kurze Zeit später das Augenmerk darauf zu richten, was ordentliche und eh-

_____ 905 Auf dieser Linie bewegt sich die Argumentation von LK/Tiedemann § 283 Rn 94; vgl aber auch aaO, Rn 112a, wo die vollständige Belegsammlung genügen soll, sofern sie den GoB entspricht; nur ersterem zust SK/Hoyer § 283 Rn 68. 906 IE so auch Fischer § 283 Rn 21 unter Hinweis auf § 239 Abs 4 HGB; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 16; S/S/W/Bosch § 283 Rn 20; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 45; Weyand/Diversy Rn 88; aA, geordnete Ablage der Buchungsbelege genügt nicht dem Handelsbuchbegriff, SK/Hoyer § 283 Rn 68; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1066. 907 Für strenge Akzessorietät auch LK/Tiedemann § 283 Rn 94; ferner wohl Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 16. 908 Baumbach/Hopt/Merkt § 238 Rn 1, 11. 909 S nur Beck’scher Bilanz-Kommentar/Winkeljohann/Henckel § 238 Rn 111; MK-BilR/Graf § 238 Rn 68. 910 Vgl aber auch Körner BB 1986, 1742, 1746 ff, der zwischen GOB-Grds (Wahrheit, Klarheit, Vorsicht) und hieraus abgeleiteten GOB-Prinzipien unterscheidet. 911 Zu weiteren Anhaltspunkten, die Rückschlüsse auf die GoB gestatten, s Baumbach/Hopt/Merkt § 238 Rn 11; ferner M-G/Wolf § 26 Rn 33; zu den Problemen, die auf den deduktiven Ansatz durch das BilMoG zukommen, s Fülbier/Gassen DB 2007, 2605, 2610 f. 912 So etwa Regner, S 66, der allerdings die Zwecke des Jahresabschlusses mitberücksichtigen will und sich somit stark dem hermeneutischen Modell annähert; s ferner Biletzki ZIP 1997, 9; Döllerer BB 1959, 1217, 1220, der der kaufmännischen Übung aber einen gewissen Indizcharakter attestiert; letzterem zust etwa Havermann DB 1961, 985, 986; auf dieser Linie wohl auch Moxter ZGR 1980, 254, 262 ff, obschon er die Schwierigkeiten dieser Methode deutlich benennt; sehr skept gegenüber diesem Vorgehen Tiedemann Schaffstein-FS, S 195, 207; als hM bezeichnet dieses Modell Schüppen, S 156. 913 Dazu RGSt 41, 293, 299 f; RGZ 91, 408, 411; so wohl auch noch BFHE 86, 118, 119 f sowie BGHZ 34, 324 ff.

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renwerte Kaufleute für richtig halten914, 915 und verbindet der hermeneutische Weg ausgehend von den üblichen Methoden der Normauslegung deduktives und induktives Modell miteinander, ohne freilich der tatsächlich geübten Praxis die Kraft zuzugestehen, GoB rechtsschöpferisch zu gestalten.916 Die hM in Rspr und Schrifttum bestimmt den Inhalt der GoB mithilfe des hermeneutischen Verfahrens,917 orientiert sich also an den durch Auslegung gewonnenen, tragenden Bilanzrechtsgrundsätzen. Va folgende Aspekte bestätigen die Stimmigkeit dieser hM: Zum einen liefe der Gläubiger- und Gesellschafterschutz, den die Rechnungslegung intendiert, weitgehend leer, gestattete man den Kaufleuten iSd induktiven Methode darüber zu entscheiden, was ordentliche Buchführung ist.918 Der Verdacht, auf diese Weise den sprichwörtlichen Bock zum Gärtner zu machen, läge nicht ganz fern.919 Zum anderen versagt die induktive Methode, sobald neue Fragestellungen aufkommen, bzgl derer sich noch keine kaufmännische Übung herausgebildet hat.920 Die deduktive Methode, die mit dem Gesetzeszweck arbeitet, hat hingegen regelmäßig damit zu kämpfen, dass das Gesetz in seinen unterschiedlichen Normen nicht den einen, sondern zahlreiche verschiedene Zwecke verfolgt.921 Allen diesen Schwierigkeiten geht das hermeneutische Modell erfolgreich aus dem Weg. Unterscheiden lassen sich die GoB in einen formellen (Buchführungstechnik 922 ) und einen materiellen (allg Buchführungsgrundsätze 923 ) Teil.924 128 Schließt man sich der hM im Bilanzrecht an und ermittelt die GoB auf der Basis eines hermeneutischen Modells, überzeugt es nicht, die GoB im Strafprozess wie Tatsachen zu behandeln.925 Dh: Besteht über den Inhalt der GoB im konkreten Fall Streit, hat der Richter diesen Streit zu entscheiden, indem er sich der aus seiner Sicht überzeugenderen

_____ 914 Zu den beiden Modellen Baumbach/Hopt/Merkt § 238 Rn 11. 915 Zu dieser Akzentverschiebung innerhalb des induktiven Modells s MK-BilR/Graf § 238 Rn 51; dafür wohl Tiedemann Schaffstein-FS, S 195, 207 im Kontext der aktienrechtlichen Berichterstattungspflicht. 916 Ausf MK-BilR/Graf § 238 Rn 53 f; Baetge DB 1986 Beil 26, 1, 4 f; vgl ferner BFHE 89, 191, 194, wo aber die tatsächlich geübte Praxis noch als wichtige Erkenntnisquelle bezeichnet wird sowie BFHE 95, 31, 34; weitergehend noch BFHE 86, 118, 120. 917 Dafür Haag/Löffler/Gerner-Beuerle § 238 Rn 20; Kirsch StuB 2008, 453 f; wohl auch Baumbach/Hopt/ Merkt § 238 Rn 11 (obschon er nur von der deduktiven Methode spricht; der Sache nach dürfte er aber dem hermeneutischen Ansatz nahe stehen); ähnl MK-HGB/Ballwieser § 238 Rn 21, 23; LK/Tiedemann § 283 Rn 111; Louis, S 40; das deduktive Modell als hM bezeichnet etwa Schüppen, S 156. 918 Sa MK-HGB/Ballwieser § 238 Rn 21, der darüber hinaus zu bedenken gibt, dass der Hinweis auf den ehrenwerten Kaufmann zirkulär ist, folgt doch die Ehrenwertigkeit nicht zuletzt daraus, ob die GoB eingehalten werden; ähnl Louis, S 40; ferner Baetge DB 1986 Beil 26, 1, 3; vgl aber zu den Handelsbräuchen iSd § 346 HGB OLG Jena NJ 2003, 436. 919 S schon Bretzke, S 136; ebenso Regner, S 12, 65, der zudem den verfassungsrechtlichen Einwand ins Feld führt, wonach die Gruppe der „ehrenwerten Kaufleute“ keine demokratische Legitimation besäße, um verbindliche Rechtsregeln qua ihres Verhaltens hervorzubringen. 920 Zu diesen beiden Argumenten s MK-BilR/Graf § 238 Rn 51; ferner Kirsch StuB 2008, 453; sa schon Nelles, Diss. S 28; zu letzterem Aspekt Bretzke, S 136 f; dies KTS 1985, 413, 417 im Kontext der Sorgfaltspflicht ordentlicher Kaufleute. 921 Zu diesem und weiteren Einwänden gegen die deduktive Methode in ihrer Reinform MK-BilR/Graf § 238 Rn 52; Moxter ZGR 1980, 254, 262; Kirsch StuB 2008, 453; s ferner Louis, S 40. 922 Su Rn 129 ff. 923 Su Rn 132 ff. 924 S etwa MK-HGB/Ballwieser § 238 Rn 19; Hagedorn, S 36 f; Regner, S 66. 925 Zutr Döllerer BB 1959, 1217; aA aber Bittmann/Bittmann Voraufl Rn 168; ferner wohl D/K/H/ Dannecker/Hagemeier Rn 1070; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 22.

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Auffassung anschließt.926 Mithilfe des in-dubio-Grds kann er sich nicht „aus der Affäre stehlen“.927

(1) Buchführungstechnik Hinter dem Oberbegriff „Buchführungstechnik“ verbirgt sich va die Fragestellung, 129 wie viele Bücher der Kaufmann zu führen hat, damit er die Vorgaben der §§ 238, 239 HGB erfüllt. Herkömmlich unterscheidet man zwischen Grund-, Haupt- und Nebenbüchern. 928 Während das Grundbuch dazu dient, sämtliche Geschäftsvorfälle des Unternehmens chronologisch zu erfassen und als Kassen-, Wareneingangs-/Warenausgangs- sowie Bankbuch929 vorkommt, besteht das Hauptbuch aus verschiedenen Sachkonten, denen die einzelnen Positionen des Jahresabschlusses zugeordnet sind und verarbeiten die Nebenbücher etwa in Form der Kontokorrent-, Lager-, Anlagen- oder Lohn- bzw Gehaltsbuchhaltung930 bestimmte Einzelinformationen, deren Aufnahme im Grund- bzw Hauptbuch auf Kosten der Klarheit und Übersichtlichkeit ginge.931 Die Anzahl der im Hauptbuch vereinigten Sachkonten bemisst sich nach einem vom Kaufmann festgelegten und an den speziellen Gegebenheiten seines Unternehmens orientierten Kontenplan. In praxi greifen Kaufleute, die einen Kontenplan erstellen, häufig auf Standardkontenrahmen wie den Einzel- und Großhandeslskontenrahmen, den Industriekontenrahmen (IKR) oder den Handelskontenrahmen (HKR) zurück 932 und passen diese vorgefundenen Kontenrahmen den jeweiligen Besonderheiten ihres Unternehmens an.933 Welche der genannten Bücher ein Kaufmann vorhalten muss, hängt im Ausgangs- 130 punkt von Art und Umfang des jeweiligen Handelsgewerbes ab.934 So kommt der Kleingewerbetreibende, der nur wenige und zudem völlig gleichartige Geschäfte tätigt, bzw die echte Komplementär-GmbH grds dieser Pflicht nach, wenn er/sie der einfachen Buchführung folgend ein oder mehrere Grundbücher führt, in das er/sie sämtliche Verfügungsgeschäfte chronologisch geordnet und durch entsprechende Belege nachgewiesen einträgt.935 Von diesem Ausnahmefall abgesehen, hat sich jedoch zwischenzeitlich

_____ 926 Für den Zivilprozess so auch schon Döllerer BB 1959, 1217, 1220, dem zufolge der Grds gilt: „iura novit curia“; für den Strafprozess so scheinbar ebenfalls Regner, S 75, dem zufolge der Strafrichter im Einzelfall durch Auslegung die Kriterien ordnungsgemäßer Buchführung zu ermitteln habe, um zu eruieren, ob die vorliegende Buchführung die Vermögensübersicht erschwert. 927 So aber Bittmann/Bittmann Voraufl Rn 168 sowie NK/Kindhäuser § 283 Rn 61; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 22; unklar Tiedemann Lackner-FS, S 737, 747, der den in-dubio-Grds für den empirischen Teil der kaufmännischen Verkehrssitte anwenden will. 928 Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Böcking/Gros § 238 Rn 13; MK-HGB/Ballwieser § 238 Rn 34; Beck’scher Bilanz-Kommentar/Winkeljohann/Henckel § 238 Rn 111 ff. 929 Hierzu Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Böcking/Gros § 238 Rn 14. 930 Zu diesen Arten der Nebenbücher s Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Böcking/Gros § 238 Rn 16; Beck’scher Bilanz-Kommentar/Winkeljohann/Henckel § 238 Rn 113; MK-BilR/Graf § 238 Rn 70; ADS § 239 Rn 9; Kanitz Rn 118. 931 Instruktiv zu dieser Gliederung Kanitz Rn 117; s ferner MK-HGB/Ballwieser § 238 Rn 35 f; Ebenroth/ Boujong/Joost/Strohn/Böcking/Gros § 238 Rn 14 ff; Louis, S 36 f; Regierer, S 73 f. 932 Zu diesen und weiteren standardisierten Kontenrahmen s MK-HGB/Ballwieser § 238 Rn 35; anschaul auch Meyer/C Theile Rn 1385; vgl ferner auch schon Regner, S 124 m Fn 12. 933 Zum Ganzen ADS § 239 Rn 32; MK-BilR/Graf § 238 Rn 72; ferner Fink/Woring JuS 2001, 1067, 1072. 934 RG LR 1913, 695, 696; BGH LM Nr 6 zu § 240 KO; Louis, S 36. 935 Baumbach/Hopt/Merkt § 238 Rn 12; Staub/Pöschke § 239 Rn 7; Beck’scher Bilanz-Kommentar/Winkeljohann/Henckel § 238 Rn 120; MK-BilR/Graf § 238 Rn 67; Haag/Löffler/Gerner-Beuerle § 238 Rn 23; s ferner

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das Erfordernis einer doppelten Buchführung durchgesetzt.936 Dh: Der Kaufmann muss neben dem Grund- ein Hauptbuch einrichten, das verallgemeinernd aus Bestands- und Erfolgskonten besteht.937 Die Besonderheiten der doppelten Buchführung lassen sich bereits an ihrem Namen ablesen: Wer sich dieser Buchführungsform bedient, zeichnet zum einen sämtliche Geschäftsvorfälle sowohl im Grund- als auch im Hauptbuch auf und bucht zum anderen alle Geschäftsvorfälle doppelt – einmal im Soll und einmal im Haben.938 Anders gewendet interpretiert eine Buchführung, die die Regeln der Doppik anwendet, die Geschäftsvorfälle im Unternehmen als „Tauschakte“, die Wertbewegungen sowohl auf den Bestands- als auch den Erfolgskonten verursachen.939 Im Unterschied zu den Erfolgskonten, die den Ertrag bzw Aufwand des Unternehmens abbilden und damit die Grundlage der Gewinn- und Verlustrechnung (GuV; vgl § 242 Abs 2 HGB) darstellen,940 zeichnen sich die Bestandskonten, die wiederum in Aktiv- und Passivkonten zerfallen,941 durch ihre Erfolgsneutralität aus. Erwirbt ein Kaufmann bspw Vorräte zu einem Preis von 50, hat er auf der Sollseite des Aktivkontos „Vorräte“ einen Zugang von 50 und auf der Habenseite des Aktivkontos „Kasse“ einen Abgang von 50 zu verbuchen.942 Man spricht vom sog Aktivtausch.943 Das Gegenstück, der sog Passivtausch, betrifft Konstellationen, in denen etwa der Kaufmann, um eine bereits bestehende Verbindlichkeit iHv 50 zu begleichen, einen von ihm akzeptierten Wechsel in gleicher Höhe begibt. Buchungstechnisch verringert sich die Sollseite des Passivkontos „Verbindlichkeiten“ um 50, während die Habenseite des Passivkontos „Wechselverbindlichkeiten“ um 50 anwächst. Sowohl ein Aktiv- als auch ein Passivkonto sind betroffen, wenn der Kaufmann entweder Waren für 50 erwirbt, den Kaufpreis aber nicht sofort bezahlt, sondern sich stunden lässt, oder eine Verbindlichkeit iHv 50 aus der Kasse begleicht. Im ersten Fall erfahren der Sollbestand des Aktivkontos „Waren“ und der Habenbestand des Passivkontos „Verbindlichkeiten“ jeweils einen Zuwachs von 50, wohingegen im zweiten Fall der Sollbestand des Aktivkontos „Kasse“ und der Habenbestand des Passivkontos „Verbindlichkeiten“ beide einen Abgang von 50 zu verzeichnen haben. Der Fachjargon spricht von Bilanzverlängerung bzw von Bilanzverkürzung.944 Neben die Bestands-

_____ ua zur echten Komplementär-GmbH Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Böcking/Gros § 238 Rn 24; aus dem strafrechtlichen Schrifttum NK/Kindhäuser § 283 Rn 61; LK/Tiedemann § 283 Rn 112. 936 Dazu, dass die doppelte Buchführung mittlerweile dem praktischen Regelfall entspricht, s D/K/H/ Dannecker/Hagemeier Rn 1066; Weyand/Diversy Rn 89; MAH/Böttger § 19 Rn 149; BilR/Graf § 238 Rn 65; Baumbach/Hopt/Merkt § 238 Rn 12; Beck’scher Bilanz-Kommentar/Winkeljohann/Henckel § 238 Rn 119; ADS § 239 Rn 4; Haag/Löffler/Gerner-Beuerle § 238 Rn 22; LK/Tiedemann § 283 Rn 112; Louis, S 37; vgl ferner Thiel/Lüdtke-Handjery Rn 89, denen zufolge die doppelte Buchführung wegen der von allen Kaufleuten zu erstellenden GuV (vgl § 242 Abs 2 HGB) zwingend ist; ebenso bereits Schulze-Osterloh ZHR 150 (1986), 403, 410; zust Regierer, S 72; so iE wohl auch Großfeld/Luttermann Rn 63; Körner BB 1986, 1742, 1745; Weyand ZInsO 1999, 327, 328; ders PStR 2004, 235, ders StuB 1999, 178, 180 sowie Bittmann/Bittmann Voraufl Rn 169; aA wohl G/J/W/Reinhart § 283 Rn 45. 937 K Schmidt § 15 III 1c (= S 426); Weyand/Diversy Rn 89. 938 Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Böcking/Gros § 238 Rn 23; Baumbach/Hopt/Merkt § 238 Rn 12; MKBilR/Graf § 238 Rn 65; MK-HGB/Ballwieser § 238 Rn 31; K Schmidt § 15 III 1c (= S 426); Haag/Löffler/GernerBeuerle § 238 Rn 22; Regierer, S 71; Fink/Woring JuS 2001, 1067, 1071. 939 Baumbach/Hopt/Merkt § 238 Rn 12; Beck’scher Bilanz-Kommentar/Winkeljohann/Henckel § 238 Rn 119. 940 N Wolf JuS 2012, 486, 489. 941 Fink/Woring JuS 2001, 1067, 1071. 942 K Schmidt § 15 III 1c (= S 426). 943 S etwa das Bsp bei Fink/Woring JuS 2001, 1067, 1071. 944 Hierzu instruktiv Großfeld/Luttermann Rn 51 ff; N Wolf JuS 2012, 486, 489.

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konten treten – wie schon gesagt – in Gestalt der Aufwands- und Ertragskonten die Erfolgskonten. Sie geben Auskunft darüber, wie sich das Eigenkapital des Kaufmanns innerhalb eines Geschäftsjahrs entwickelt. Veräußert ein Kaufmann bspw Waren, die er zuvor für 50 gekauft hat, zu einem Preis von 100 und bezahlt er zudem Löhne und Miete iHv jeweils 100, erhöht sich die Sollseite der Aufwandskonten „Personal“, „Wareneinkauf“, „Miete“ um 100 bzw 50 und die Habenseite des Ertragskontos „Umsatz“ um 100. Handelt es sich hierbei um die einzigen Geschäftsvorfälle des Geschäftsjahrs, hat der Kaufmann einen Jahresfehlbetrag von 150 erwirtschaftet.945 Resümierend: Indem der Kaufmann Bestands- wie Erfolgskonten führt, kann er zum 131 einen den Erfolg seiner Unternehmung auf zweifache Art ermitteln, nämlich durch Vermögensvergleich und durch Vergleich von Aufwand und Ertrag.946 Zum anderen entspricht solches Vorgehen dem gesetzlichen Leitbild, zwingt doch § 242 Abs 3 HGB nicht nur dazu, eine Bilanz, sondern darüber hinaus auch eine GuV aufzustellen.

(2) Allg Buchführungsgrundsätze Gem § 238 Abs 1 S 3 HGB bezweckt das Handelsbuch sämtliche Geschäftsvorfälle in ihrer 132 Entstehung und Abwicklung so darzustellen, dass ein sachverständiger Dritter innerhalb angemessener Zeit einen Überblick über die Geschäftsvorfälle und die Lage des Unternehmens erlangen kann (vgl § 238 Abs 1 S 2 HGB). Die maßgebenden materiellen Vorgaben, denen ein ordnungsgemäß geführtes Handelsbuch entsprechen muss, listet stichwortartig § 239 Abs 2 HGB auf. Danach hat der Kaufmann die Eintragungen und sonst erforderlichen Aufzeichnungen vollständig, richtig, zeitgerecht und geordnet vorzunehmen. Diese vier Prinzipien, deren exakten Inhalt § 239 Abs 2 HGB im Dunkeln lässt, bedürfen zu ihrer näheren Konkretisierung ebenfalls der GoB.947 Das Vollständigkeitsprinzip fordert, alle baren und unbaren Geschäftsvorfälle 133 chronologisch sortiert in einem oder mehreren Grundbüchern einzeln948 festzuhalten und sodann sachlich geordnet auf Bestands- und Erfolgskonten zu verbuchen.949 Da Buch- und Bilanzführung – wie gesehen – die wirtschaftliche Lage des kaufmännischen Unternehmens darstellen wollen, rechnen zu den Geschäftsvorfällen, die die §§ 238, 239 HGB vor Augen haben, nur solche, die den Vermögensbestand wirtschaftlich betrachtet mehren oder mindern (sog Realisationsprinzip).950 Folglich findet das schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft solange keinen Eingang in das Buchwerk,951 solange nicht etwa der Kaufmann, indem er die versprochene Leistung erbringt, den Anspruch auf die Gegenleistung verdient.952 Anders gewendet: Erst Bestandsveränderungen – die aber keinesfalls dinglich wirken müssen953 –, wie der Empfang von Waren oder die Bezahlung von Rechnungen werden gebucht und zwar so, dass – dem Ordnungsprinzip entspre-

_____ 945 Zu diesem Bsp N Wolf JuS 2012, 486, 489 f; zu einem weiteren anschaulichen Bsp s Fink/Woring JuS 2001, 1067, 1073. 946 Beck’scher Bilanz-Kommentar/Winkeljohann/Henckel § 238 Rn 119; MK-HGB/Ballwieser § 238 Rn 31. 947 Ausf dazu o Rn 127. 948 Zur möglichen Vorverdichtung des Buchungsstoffes s ADS § 239 Rn 9, 18. 949 Thiel/Lüdtke-Handjery Rn 90; s ferner ADS § 239 Rn 6. 950 S nur Haag/Löffler/Gerner-Beuerle § 238 Rn 15; Baetge DB 1986 Beil. 26, 1, 11; N Wolf JuS 2012, 486. 951 G/J/W/Reinhart § 283 Rn 45. 952 Haag/Löffler/Gerner-Beuerle § 238 Rn 15. 953 Dazu am Bsp von Eigentumsvorbehalt und Sicherungsübereignung Haag/Löffler/Gerner-Beuerle § 238 Rn 15.

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chend – neben den Zahlen auch die zugrundeliegenden Geschäfte nach Art und Vertragspartner erkennbar sind.954 Eine Ausnahme vom strengen Realisationsprinzip besteht für Verluste, deren Eintritt die schwebenden Geschäfte nahelegen.955 Der Grds der Richtigkeit verlangt zum einen, ausschließlich die tatsächlich vorge134 fallenen Geschäfte zu erfassen, nichts wegzulassen und nichts hinzuzudichten sowie zum anderen, die Geschäftsvorfälle auf den sachlich zutreffenden Konten zu buchen.956 Hiermit eng verwoben ist das Belegprinzip, das den Kaufmann darauf verpflichtet, nur solche Geschäftsvorfälle zu buchen, bzgl derer er über die entsprechenden Belege verfügt („keine Buchung ohne Beleg“).957 Inhaltlich müssen die Belege Auskunft geben über die zu buchenden Beträge bzw die Mengen-/Wertangaben, den Zeitpunkt sowie den Gegenstand des Geschäftsvorfalls.958 Die Belege hat der Kaufmann, bevor er sie verbucht, zu nummerieren, abzuzeichnen, mit einem Hinweis auf den Buchungstag sowie das Buchungskonto zu versehen959 und geordnet aufzubewahren.960 Hiermit korrespondierend muss das Konto, das der Kaufmann benutzt, um die Belegangaben zu verbuchen, den jeweiligen Beleg und – bei doppelter Buchführung – zusätzlich noch das Gegenkonto verzeichnen.961 Ob die Verbuchung zeitgerecht erfolgte, hängt vom jeweiligen Geschäftsvorfall ab. 135 So erfordert der bare Zahlungsverkehr die tägliche Aufzeichnung (vgl für die steuerrechtliche Buchführung auch § 146 Abs 1 S 2 AO),962 wohingegen die übrigen Geschäftsvorfälle nicht zu solcher Eile drängen und – hM zufolge – auch noch einen Monat nach ihrem Entstehen verbucht werden dürfen,963 ohne deshalb als verspätet zu gelten.964 Starre Grenzen existieren freilich nicht.965 Ab wann ein Buchungsvorgang noch zeitgerecht erfolgt bzw ab wann ein Buchungsrückstand nicht mehr akzeptabel ist, hängt davon ab, welchen Zweck § 239 Abs 2 HGB mit dem Erfordernis verfolgt, die Geschäftsvorfälle zeitgerecht zu verbuchen. Neben der kaufmännischen Selbstinformation, die die §§ 238 ff HGB gewährleisten wollen und die gefährdet wäre, verbuchte der Kaufmann Geschäftsvorfälle erst Monate nach ihrem Eintritt, dient die Pflicht zur zeitgerechten Verbuchung va der Belegsicherung, deren Verlustwahrscheinlichkeit zunimmt, je länger die Belege unverbucht im Betrieb zirkulieren. Im Grds bedeutet das: Fallen nur wenige Belege an, kann die Spanne, innerhalb derer Verbuchungen zeitgerecht erfolgen, mehr als einen

_____ 954 BFHE 86, 118, 121. 955 Haag/Löffler/Gerner-Beuerle § 238 Rn 15. 956 Mösbauer DB 2002, 498 am Bsp des insoweit gleichlautenden § 146 Abs 1 S 1 AO. 957 BGH LM Nr 6 zu § 240 KO; MK-HGB/Ballwieser § 238 Rn 39; Haag/Löffler/Gerner-Beuerle § 238 Rn 24; Baetge DB 1986 Beil. 26, 1, 8; Mösbauer DB 2002, 498 am Bsp des § 146 Abs 1 S 1 AO; Fink/Woring JuS 2001, 1067, 1072; LK/Tiedemann § 283 Rn 112a; AnwK/Püschel § 283 Rn 21; Louis, S 41; Weyand ZInsO 1999, 327, 328; ders PStR 2004, 235; Biletzki NStZ 1999, 537, 539; ausf zur Belegfunktion ADS § 238 Rn 35 f. 958 ADS § 238 Rn 37. 959 Zu letzterem Aspekt s Fink/Woring JuS 2001, 1067, 1072. 960 Haag/Löffler/Gerner-Beuerle § 238 Rn 9; s zum Ganzen auch ADS § 238 Rn 37; vgl ferner LK/Tiedemann § 283 Rn 112a; NK/Kindhäuser § 283 Rn 62; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 23. 961 Haag/Löffler/Gerner-Beuerle § 238 Rn 9. 962 Ausdrückl BFHE 168, 527, 530; BFHE 86, 118, 122 f; Haag/Löffler/Gerner-Beuerle § 238 Rn 6; ferner ADS § 239 Rn 27; Lohmeyer GA 1972, 302, 304. 963 So BFHE 168, 527, 530; ebenso SK/Hoyer § 283 Rn 73; im Schrifttum finden sich darüber hinaus weitere Zeitangaben; so erachtet etwa Weyand ZInsO 1999, 327, 328 einen Zeitraum von sechs Wochen als das Maximum; dem zust M-G/Richter § 85 Rn 36; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 151; MAH/Böttger § 19 Rn 156; M/G/Rinjes 8/225; Beckemper JZ 2003, 806, 808. 964 Thiel/Lüdtke-Handjery Rn 90. 965 Mösbauer DB 2002, 498, 499 am Bsp des § 146 Abs 1 S 1 AO.

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Monat betragen, wohingegen Betrieben mit großem Belegaufkommen womöglich ein geringerer zeitlicher Spielraum zur Verfügung steht. Gleichwohl griffe die Formel, „je größer das Belegaufkommen, desto rigider die Anforderungen des Merkmals ‘zeitgerecht’“ zu kurz. Hat nämlich der kaufmännische Unternehmer ein geeignetes Sicherungssystem installiert, das die anfallenden Belege vor Verlust schützt, soll trotz hohen Belegaufkommens selbst eine Verbuchung binnen Monatsfrist unschädlich sein.966 Dessen ungeachtet hat der Kaufmann/Geschäftsführer mit Eintritt der Krise unverzüglich zu buchen.967 Darüber hinaus rechnet zum Inhalt des Merkmals „zeitgerecht“ das Erfordernis, den jeweiligen Geschäftsvorfall einem bestimmten Buchungstag zuzuordnen. Ob der Buchungstag den kalendarischen Tagen entspricht oder ein längeres bzw kürzeres Intervall umfasst, steht im Ermessen des Buchführungspflichtigen, solange er eindeutig benennt, was er unter einem Buchungstag versteht.968

b) Tathandlung des § 283 Abs 1 Nr 5 Var 1 StGB = § 283b Abs 1 Nr 1 Var 1 StGB Wie schon gesehen knüpfen die §§ 283 Abs 1 Nr 5 Var 1, 283b Abs 1 Nr 1 Var 1 StGB ihren 136 Strafvorwurf an das unterbliebene Führen von Handelsbüchern und sanktionieren damit ein Unterlassen.969 Hat der Kaufmann von mehreren notwendigen Büchern970 bspw nur eines erstellt oder die Buchführung vorübergehend ausgesetzt, hängt seine Bankrottstrafbarkeit häufig davon ab, ob solches Verhalten die erste Variante der §§ 283 Abs 1 Nr 5, 283b Abs 1 Nr 1 StGB erfüllt. Ansonsten bliebe nur die zweite Variante der §§ 283 Abs 1 Nr 5, 283b Abs 1 Nr 1 StGB, die jedoch das unvollständige Führen der Handelsbücher nicht genügen lässt, sondern darüber hinaus eine erschwerte Übersicht über den Vermögensstand des Kaufmanns verlangt. Die in Rspr und Schrifttum hM fordert gleichwohl zu Recht das vollständige Fehlen jeglicher Handelsbücher, bevor sie dem Täter den Vorwurf der §§ 283 Abs 1 Nr 5 Var 1, 283b Abs 1 Nr 1 Var 1 StGB macht. Dh, hat der angeklagte Kaufmann lediglich ein Journal geführt, obschon die Größe seines Betriebs eine umfangreichere Buchführung gebot,971 bzw hat er über einen längeren Zeitraum hinweg keine Eintragungen in den Büchern vorgenommen,972 bleibt er, da zumindest Ansätze einer Buchführung vorhanden sind, sub specie §§ 283 Abs 1 Nr 5 Var 1, 283b Abs 1 Nr 1 Var 1 StGB straflos.973 Ein Strafbarkeitsrisiko besteht allenfalls unter dem Blickwinkel der §§ 283 Abs 1 Nr 5 Var 2, 283b Abs 1 Nr 1 Var 2 StGB.

_____ 966 BFHE 168, 527, 530; vgl ferner Mösbauer DB 2002, 498, 499 am Bsp des § 146 Abs 1 S 1 AO. 967 Ganz hM; s nur M-G/Richter § 85 Rn 36. 968 S zum Ganzen ADS § 239 Rn 24. 969 Siehe o Rn 121. 970 Siehe o Rn 129. 971 Schäfer wistra 1986, 200, 202 spricht anschaul von einer horizontalen Lücke in der Buchführung, die er plakativ als ein Band bezeichnet. 972 Insoweit bemüht Schäfer wistra 1986, 200, 202 das Bild von der vertikalen Lücke. 973 HM; vgl nur RGSt 49, 276, 277; RGSt 39, 217, 218; RGSt 30, 170; RGSt 13, 235, 242 f; RGSt 11, 142, 144; RGSt 11, 161, 162; RG LR 1913, 695, 696; RG JW 1894, 502; BGHSt 4, 271, 274; BGH NStZ 1995, 347 = wistra 1995, 146, 147; BGH/H MDR 1980, 455; BGH/H GA 1961, 359; BGH BB 1957, 274; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 33; Fischer § 283 Rn 23; NK/Kindhäuser § 283 Rn 60; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 47; M/R/Altenhain § 283 Rn 26; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1072; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 17; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 20; M-G/Richter § 85 Rn 35; Preisendanz/Bieneck § 283 Anm 6e dd); M/R/Altenhain § 283 Rn 26; AnwK/Püschel § 283 Rn 20; M/G/Rinjes 8/224; Böttger/Verjans 4/82; Böhle-Stamschräder § 239 KO Anm 8c; ders KTS 1957, 17, 21; Mathieu GA 1954, 225, 229; Biletzki NStZ 1999, 537, 538; Kuhn, (1912), S 31; Nieberg, (1913), S 22 f; Büttiker, (1914), S 55; Louis, S 173; ders BC 2002, 18, 20; wohl auch M/S/M/Maiwald § 48 Rn 26; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 46; W/J/Pelz 9/145; Weyand/Diversy Rn 90; Weyand ZInsO 1999, 327, 330; ders

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700 | 3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften

Während § 242 HGB fordert, den gewöhnlichen Jahresabschluss zum Ende eines jeden Geschäftsjahres aufzustellen und dies für Kapitalgesellschaften § 264 Abs 1 Sätze 3 und 4 HGB noch einmal zeitlich konkretisiert, fehlen Regelungen darüber, bis wann der Kaufmann die Handelsbücher erstellt haben muss. Da die Handelsbücher die Grundlage der Bilanz bilden, letztere also aus ersteren entwickelt wird,974 sind die Voraussetzungen der §§ 283 Abs 1 Nr 5 Var 1, 283b Abs 1 Nr 1 Var 1 StGB spätestens zu dem Zeitpunkt erfüllt, zu dem die Bilanz hätte vorliegen müssen. Konkret bedeutet das: Hat der Kaufmann ein gesamtes Geschäftsjahr über keine Bücher geführt, macht er sich – das Vorliegen der übrigen Merkmale unterstellt – gem den §§ 283 Abs 1 Nr 5 Var 1, 283b Abs 1 Nr 1 Var 1 StGB strafbar.975 Ob die §§ 283 Abs 1 Nr 5 Var 1, 283b Abs 1 Nr 1 Var 1 StGB schon früher greifen, erscheint hingegen fraglich. Denkbar wäre es immerhin.976 Erblickt man nämlich den maßgeblichen Schutzgutaspekt der §§ 283 Abs 1 Nr 5 Var 1, 283b Abs 1 Nr 1 Var 1 StGB zu Recht ua darin, die Selbstinformation des Kaufmanns über seine Geschäfte zu gewährleisten,977 verfehlte jedenfalls diesen Zweck, wer bspw das Verbuchen von Geschäftsvorfällen erst Monate nach ihrem Eintritt sub specie §§ 283 Abs 1 Nr 5, 283b Abs 1 Nr 1 StGB gänzlich straflos stellte. Jedoch zwingen diese Konstellationen nicht dazu, den Anwendungsbereich der §§ 283 Abs 1 Nr 5 Var 1, 283b Abs 1 Nr 1 Var 1 StGB auszudehnen. Mit Blick auf die o Rn 136 getätigten Ausführungen verdient vielmehr die Ansicht den Vorzug, die in solchen Fällen verspäteter Verbuchungen „lediglich“ die §§ 283 Abs 1 Nr 5 Var 2, 283b Abs 1 Nr 1 Var 2 StGB bemüht.978 Die Intention der Buchführung, dem Kaufmann jederzeit seinen Vermögensstand 138 aufzuzeigen, beschränkt zugleich die Möglichkeit, die vorübergehend unterbliebene Buchführung in strafbarkeitsbeseitigender Weise nachzuholen. Unterblieb die Buchführung für die Dauer eines Geschäftsjahres, ist es ausgeschlossen, den bereits verwirkten Tatbestand der §§ 283 Abs 1 Nr 5 Var 1, 283b Abs 1 Nr 1 Var 1 StGB dadurch auszuräumen, dass der Täter die entsprechenden Bücher nachträglich anfertigt.979 Selbst wenn der Kaufmann sämtliche Bücher bis zum Unternehmenszusammenbruch retrospektiv erstellt, ändert dies richtigerweise nichts an seiner Haftung gem den §§ 283 Abs 1 Nr 5 137

_____ PStR 2004, 235; partiell aA Bittmann/Bittmann Voraufl Rn 152, der das Aufgeben der Buchführung im Stadium materieller Insolvenz als Fall der ersten Variante einstuft; offen gelassen von S/S/W/Bosch § 283 Rn 23; diff Schäfer wistra 1986, 200, 203, der zumindest für die von ihm als horizontale Lücke bezeichneten Sachverhaltsgestaltungen zu dem auch hier vertretenen Ergebnis gelangt; vgl auch M-G/Richter § 85 Rn 35. 974 BFHE 168, 527, 528; ADS § 239 Rn 34; M-G/Wolf § 26 Rn 4; Schüppen, S 4; Louis, S 35; sa Körner BB 1986, 1742, 1743: „Die Buchführung ist für den Jahresabschluss eine conditio sine qua non“; ferner Fink/ Woring JuS 2001, 1067, 1068. 975 NK/Kindhäuser § 283 Rn 59; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 47; SK/Hoyer § 283 Rn 72; D/K/H/ Dannecker/Hagemeier Rn 1072; M-G/Richter § 85 Rn 35; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 150; M/R/Altenhain § 283 Rn 26; enger wohl G/J/W/Reinhart § 283 Rn 46: Unterlassen erst, wenn Bücher mehr als zwei Geschäftsperioden nicht geführt wurden; undeutlich RGSt 49, 276, 277 f, das von einem längeren, deutlich unterscheidbaren Zeitraum spricht. 976 S etwa RG GA 61 (1914), 115: Unterlassen der Buchführung während eines Zeitraums von sechs Wochen mit der Tendenz, einer „Unterlassung bis ins Ungewisse“. 977 Siehe o Rn 99. 978 AA Schäfer wistra 1986, 200, 203, der die §§ 283 Abs 1 Nr 5 Var 1, 283b Abs 1 Nr 1 Var 1 StGB anwenden will, sofern der Kaufmann für einen längeren Zeitraum (die Grenze will er bei sechs Wochen ziehen) keine Bücher führt. 979 LK/Tiedemann § 283 Rn 104; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 33; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 17; S/S/W/Bosch § 283 Rn 23; M/R/Altenhain § 283 Rn 26; MAH/Böttger § 19 Rn 156; M/G/Rinjes 8/224; Weyand/ Diversy Rn 90; sa Weyand ZInsO 1999, 327, 330.

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§ 12 Bankrott, §§ 283, 283a StGB u. Verletz. d. Buchführungspflicht, § 283b StGB | 701

Var 1, 283b Abs 1 Nr 1 Var 1 StGB.980 Zwar tangiert ein solches Verhalten nicht die von §§ 283 Abs 1 Nr 5 Var 1, 283b Abs 1 Nr 1 Var 1 StGB (mit)geschützten Belange des Insolvenzverfahrens, da dem Insolvenzverwalter die vollständigen Bücher zur Verfügung stehen, er also seine Aufgabe, das schuldnerische Vermögen abzuwickeln und zu verteilen, ohne Schwierigkeiten beginnen kann. Gleichwohl hat der Kaufmann sein Unternehmen längere Zeit betrieben, ohne die erforderlichen Bücher zu führen und damit den vorrangigen Zweck der Buchführung, nämlich die Selbstinformation im Gläubigerinteresse,981 missachtet. Das genügt, um den Kaufmann gem den §§ 283 Abs 1 Nr 5 Var 1, 283b Abs 1 Nr 1 Var 1 StGB zu bestrafen.982 Allerdings kann der Kaufmann, der seine Bücher nachträglich erstellt hat, berechtigt darauf hoffen, dass sich dieses Verhalten günstig iRd Strafzumessung niederschlägt.983

c) Exkurs: Unmöglichkeit der Buchführung Der Kaufmann, der es unterlassen hat, seine Bücher zu führen, haftet aus den §§ 283 139 Abs 1 Nr 5 Var 1, 283b Abs 1 Nr 1 Var 1 StGB nur, sofern es ihm rechtlich und tatsächlich möglich war, seiner Pflicht nachzukommen.984 Wer außerstande ist, eine an ihn adressierte Pflicht zu erfüllen und deshalb untätig bleibt, dem kann das Recht und insbes das Strafrecht keinen Vorwurf machen. Dieser unbestrittene Grds wirft intrikate Probleme auf, sobald ein Kaufmann die Rolle des Angeklagten einnimmt, der weder aus eigener Kraft – etwa mangels entsprechender intellektueller Fertigkeiten985 oder wegen Krankheit – die Bücher führen noch – mangels finanzieller Mittel – die Pflicht zur Buchführung an einen kompetenten Dritten delegieren kann. Die Rspr hat in derartigen Konstellationen bislang vom Vorwurf der unterlassenen Buchführung freigesprochen.986

_____ 980 So scheinbar BGH/H GA 1954, 311; aA BGH LM Nr 6 zu § 240 KO; wohl auch BGH/H GA 1961, 359 im Falle unordentlicher, aber vor Konkurseröffnung berichtigter Buchführung. 981 Siehe o Rn 99. 982 IE so auch LK/Tiedemann § 283 Rn 104. 983 Weyand ZInsO 1999, 327, 330. 984 BGH NStZ 1998, 247, 248; BGH wistra 1998, 105 = NStZ 1998, 192, 193 = BGHR StGB § 283b, Bilanz 2; BGH NStZ 2000, 206; BGH NStZ 2012, 511; KG NStZ 2008, 406; KG wistra 2002, 313, 314; BayObLG wistra 1990, 201, 202; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 47; Fischer § 283 Rn 23a, 29b; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 20; LPK/Kindhäuser § 283 Rn 39; NK/Kindhäuser § 283 Rn 59; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 52; HambK/Borchardt § 283 StGB Rn 29; Renzikowski Weber-FS, S 333, 335; Maurer wistra 2003, 174, 176; Holzapfel Wahle-FS, S 16, 19; Hagemeier NZWiSt 2012, 105. 985 Die tatrichterliche Feststellung einer kaufmännischen Ausbildung genügt nicht, um hieraus per se den Schluss zu ziehen, der Angekl wäre intellektuell in der Lage gewesen, Bücher zu führen und Bilanzen zu erstellen; vgl dazu und zu den nötigen Feststellungen OLG Stuttgart NStZ 1987, 460 = Justiz 1988, 30, 31; ferner Holzapfel Wahle-FS, S 16, 28. 986 BGHSt 28, 231, 233; BGH wistra 2007, 308, 309; BGH NStZ 2003, 546, 548 = wistra 2003, 232, 233; BGH wistra 2001, 465, 466; BGH wistra 1998, 105 = NStZ 1998, 192, 193 = BGHR StGB § 283 Abs 1 Nr 7b – Bilanz 2; BGH NStZ 1992, 182 = wistra 1992, 145, 146 f = BGHR StGB § 283 Abs 1 Nr 7b – Bilanz 1; KG NStZ 2008, 406; OLG Düsseldorf wistra 1998, 360, 361 = DB 1998, 1856 f = BB 1999, 149, 150 = StV 1999, 28, 30; KG, v 5.5.2000, (5) 1 Ss 113/99 (49/99), Rn 12 (juris); OLG Stuttgart NStZ 1987, 460, 461 = Justiz 1988, 30, 31; vgl ferner OLG Düsseldorf StV 2007, 38, 39; im Grds zust Biletzki NStZ 1999, 537, 540, der aber darauf hinweist, dass der Geschäftsführer bzw Kaufmann, der weiterwirtschaftet, anstatt den Betrieb einzustellen, nachdem er seine Zahlungsunfähigkeit erkannt oder fahrlässig verkannt hat, gem § 283 Abs 1 Nr 8 StGB haftet; ebenso AnwK/Püschel § 283 Rn 20; dezidiert gegen diese Rspr-Praxis sprach sich indes schon früh Richter GmbHR 1984, 137, 147 aus.

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Während diese beschuldigtenfreundliche Linie wohl nach wie vor die Zustimmung der überwiegenden Kommentarliteratur findet,987 haben einzelne Vertreter des Schrifttums schon früh Bedenken an dieser Rspr-Praxis geäußert. So sei es nicht einsehbar, denjenigen Kaufmann (bankrott-)strafrechtlich freizuzeichnen, der in Kenntnis der Buch-/Bilanzführungspflicht seinen Geschäftsbetrieb aufgenommen, gleichwohl aber nicht dafür gesorgt habe, im Zeitpunkt der Krise über die Mittel zu verfügen, die erforderlich sind, um bei fehlender eigener Kenntnis Dritte mit der Aufgabe zu betrauen, die Bücher und Bilanzen zu erstellen.988 Zeichne sich am „wirtschaftlichen Unternehmenshorizont“ eine Krise ab, die die Befürchtung nähre, künftig den Buchhalter oder Steuerberater nicht mehr bezahlen zu können, müsse der Kaufmann seinen Geschäftsbetrieb eben einstellen, falls er die Bücher und Bilanzen nicht selbst ordnungsgemäß zu führen befähigt sei.989 Des Weiteren privilegiere diese Rspr denjenigen Kaufmann bzw Geschäftsführer, der über keinerlei Buch-/Bilanzführungskenntnisse verfüge und zudem unterkapitalisiert sei.990 Darüber hinaus konterkariere den Tatbestand des § 283 Abs 1 Nr 5 Var 1 StGB – nichts anderes gelte für § 283 Abs 1 Nr 7b StGB –, wer den Freispruch wegen unmöglicher Pflichterfüllung ausgerechnet an die eingetretene Zahlungsunfähigkeit knüpfe. Denn die eingetretene Zahlungsunfähigkeit bilde gemeinsam mit der drohenden Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung die „Krisentrias“ des § 283 Abs 1 StGB, innerhalb derer die unterbliebene Buch-/Bilanzführung gegenüber § 283b StGB stärkeres Unrecht verwirke. Auf dem Boden der Rspr begründe die Zahlungsunfähigkeit die Strafbarkeit (nach § 283 Abs 1 Nrn 5, 7b StGB) und beseitige sie sogleich wieder, ein Ergebnis, das dem gesetzgeberischen Willen widerspreche.991 Ein weiterer, jüngerer Bedenkenträger versteckt sich schließlich im Recht der strafbaren Beitragsvorenthaltung (vgl § 266a Abs 1 StGB).992 Dort entspricht es gefestigter Rspr, den GmbH-Geschäftsführer, der es bei Überschuldung unterlässt, die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung

_____ 987 MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 47; vgl auch NK/Kindhäuser § 283 Rn 59; Schramm DStR 1998, 500, 502; Brand ZWH 2016, 238, 239. 988 Schlüchter JR 1979, 513, 515; krit aber S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 47a; Gosch, S 214 f. 989 Auf dieser Linie etwa LK/Tiedemann § 283 Rn 120; Fischer § 283 Rn 23a; SK/Hoyer § 283 Rn 73; Weyand/Diversy Rn 86; Weyand ZInsO 1999, 327, 331; ders ZInsO 2011, 2228; ders ZInsO 2012, 770, 772; Schäfer wistra 1986, 200, 204; Doster wistra 1998, 326, 327; vgl auch Beckemper JZ 2003, 806, 808, die für eine Betriebseinstellung jedenfalls dann plädiert, wenn dem Täter die Buch-/Bilanzführung auf Dauer unmöglich ist; freilich sagt sie nicht, was sie hierunter versteht; ähnl D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1075; aA Pohl wistra 1996, 14, 16, dem zufolge „lediglich“ die Pflicht besteht, den Insolvenzantrag zu stellen, da ein Fall der Unmöglichkeit noch dann in Betracht komme, wenn das Ende der Bilanzierungsfrist und die Zahlungseinstellung zeitlich zusammen fielen; krit gegenüber der Forderung, den Geschäftsbetrieb einzustellen, sobald die Mittel fehlen, Externe mit der Buch-/Bilanzführung zu betrauen, M/R/Altenhain § 283 Rn 26; Gosch, S 229, der mit dem Charakter der §§ 283 Abs 1 Nrn 5, 7b, 283b Abs 1 Nrn 1, 3b StGB als echten Unterlassensdelikten argumentiert, die lediglich die Nichterstellung der Bücher/Bilanzen, nicht aber die Weiterführung des Unternehmens trotz fehlender Möglichkeit, Bücher und Bilanzen extern führen zu lassen, mit Strafe bedrohen; vgl auch W/J/Pelz 9/169, der für den Fall, dass der Kaufmann den Betrieb nicht einstellt, obschon ihm die Mittel fehlen, seinen Buch- und Bilanzführungspflichten nachzukommen, diesen aus dem § 283 Abs 1 Nr 8 StGB bestrafen will (dagegen etwa Gosch, S 236 f); unentschlossen A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 155. 990 Richter GmbHR 1984, 137, 147. 991 Eingehend zu dieser Arg Schäfer wistra 1986, 200, 203 f; zust M-G/Richter § 85 Rn 30; Weyand/Diversy Rn 86; Hagemeier NZWiSt 2012, 105, 108; ähnl schon Schlüchter JR 1979, 513, 515; vgl auch Renzikowski Weber-FS, S 333, 335; zu Recht krit Gosch, S 219. 992 Hierzu s Rönnau NStZ 2003, 525, 530; Beckemper JZ 2003, 806, 807; vgl auch MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 47, 63; AnwK/Püschel § 283 Rn 20; Weyand/Diversy Rn 86; ferner Fischer § 283 Rn 29c; s des Weiteren Renzikowski Weber-FS, S 333, 335 freilich mit gegenläufiger Intention.

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abzuführen, aus dem echten Unterlassensdelikt des § 266a Abs 1 StGB zu verurteilen, obschon ihm § 64 S 1 GmbHG die Vornahme der unterbliebenen Handlung ausdrücklich untersagt. Dieses Ergebnis begründet der BGH va mit dem Argument, wonach der Gesetzgeber, indem er das Nichtabführen der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung gem § 266a Abs 1 StGB strafbewehrte, den Vorrang dieser Verbindlichkeiten gegenüber allen anderen Verbindlichkeiten zum Ausdruck bringen wollte, das Verbot des § 64 S 1 GmbHG also überhaupt nicht greife. Auf dem Boden dieser „Vorrang-Rspr“ trifft den Geschäftsführer zum einen die Pflicht, sämtliche im Zeitpunkt der materiellen Insolvenz noch vorhandenen Gesellschaftsmittel dazu einzusetzen, die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung abzuführen und hat er zum anderen schon im Vorfeld der Krise dafür Sorge zu tragen, über die nötigen Mittel zur Tilgung der Arbeitnehmeranteile zu verfügen, andernfalls er iVm dem Grds „omissio libera in causa“ gem § 266a Abs 1 StGB haftet. Nichts anderes könne dann aber konsequenterweise im Rahmen von §§ 283 Abs 1 Nrn 5 Var 1, 7b, 283b Abs 1 Nrn 1 Var 1, 3b StGB gelten.993 Der Vorrang, der den Buch- und Bilanzführungspflichten gegenüber den anderen (Zahlungs-)Pflichten in der Krise zukomme, zeige sich anschaulich an der Existenz des § 283b StGB, der die eminente Wichtigkeit der Buch- und Bilanzführung dadurch zum Ausdruck bringe, dass er die Missachtung dieser Pflichten selbst außerhalb der Krise zu strafbarem Unrecht erkläre.994 Vor diesem Hintergrund sei der Pflichtige dazu angehalten, einerseits seine Leistungsfähigkeit während der gesamten Dauer des Betriebs aufrecht zu erhalten, etwa indem er Rücklagen bilde, aus denen er auch im Zeitpunkt der Krise einen mit der Buch- und Bilanzführung betrauten Steuerberater/Buchhalter bezahlen könne995 und andererseits sämtliche noch vorhandene Mittel vorrangig dafür einzusetzen, die Verbindlichkeiten des buch-/bilanzführenden Steuerberaters/Buchhalters zu begleichen.996 Zwischenzeitlich hat es den Anschein, als ob die o referierte Kritik des Schrifttums 141 beim BGH Gehör findet. So verwehrte der 2. Strafsenat mit Beschluss vom 30.8.2011 einem GmbH-Geschäftsführer, sich auf den Einwand zu berufen, ihm hätten die Mittel gefehlt, einen Steuerberater/Buchhalter zu mandatieren, der trotz sich abzeichnender Liquiditätsprobleme eingehende Gelder zu anderen als zu Zwecken der Rücklagenbildung für die Buch-/Bilanzführung einsetzte.997 Ähnlich argumentierte Ende der 90er Jahre bereits das OLG Frankfurt aM. In seinem Beschluss vom 22.9.1998 hielt es einem GmbHGeschäftsführer vor, er wäre sehr wohl in der Lage gewesen, einen Steuerberater zu bezahlen, hätte er die hierfür benötigten Gelder nicht dazu verwendet, andere Verbindlichkeiten zu begleichen.998 Zuletzt hat jüngst der 1. Strafsenat obiter erwogen, einen GmbHGeschäftsführer, der keine finanzielle Vorsorge trifft, um die Bücher und Bilanzen auch

_____ 993 Für einen Vorrang der Buch-/Bilanzführungspflichten Fischer § 283 Rn 29c; W/J/Pelz 9/168; B/Quedenfeld/Richter 5/194; Doster wistra 1998, 326, 327 unter Hinweis auf § 266a Abs 1 StGB; s ferner Beckemper JZ 2003, 806, 807; Weyand ZInsO 2011, 2228, 2229. 994 Floeth EWiR 2012, 221, 222. 995 W/J/Pelz 9/147; AnwK/Püschel § 283 Rn 20; Weyand/Diversy Rn 86; Floeth EWiR 2012, 221, 222; so auch schon Doster wistra 1998, 326, 327. 996 Rönnau NStZ 2003, 525, 530; Pohl wistra 1996, 14, 16; letzteren Aspekt bejahend LK/Tiedemann § 283 Rn 119; sa S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 33, 47a, dem zufolge sich auf Unmöglichkeit nicht berufen kann, wer die letzten freien Mittel nach den Maßstäben des § 283c StGB inkongruent eingesetzt hat. 997 BGH NJW 2011, 3733, 3734 m zust Anm Floeth EWiR 2012, 221, 222 und Weyand ZInsO 2011, 2228, 2229; zust auch S/S/W/Bosch § 283 Rn 31; sympathisierend ferner KG ZWH 2016, 235, 237; MK/Radtke/Petermann § 283b Rn 14. 998 OLG Frankfurt aM NStZ-RR 1999, 104, 105; Floeth EWiR 2012, 221, 222; sa schon Doster wistra 1998, 326, 327; Pohl wistra 1996, 14, 16; Richter GmbHR 1984, 137, 147.

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704 | 3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften

dann noch von einem Steuerberater/Buchhalter führen zu lassen, wenn „seine“ Gesellschaft in Zahlungsschwierigkeiten gerät, trotz fehlender Mittel und Fertigkeiten gem § 283 Abs 1 Nrn 5 Var 1, 7b StGB zu bestrafen.999 Wer sich in dem vorstehend nachgezeichneten „Wirrwarr“ der Meinungen zu Recht 142 finden will, muss folgende gedankliche Eckpfeiler einschlagen, von denen alle weiteren Überlegungen ausgehen: Erstens kann von Unmöglichkeit nicht schon bei Zahlungsunfähigkeit im rechtlichen Sinne, verstanden als die Unfähigkeit, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen (vgl § 17 Abs 2 S 1 InsO),1000 sondern erst dann die Rede sein, wenn dem Kaufmann/Geschäftsführer jegliche Mittel fehlen, um den Buchhalter/Steuerberater zu bezahlen.1001 Allerdings dürfte es zu weit gehen, dem Kaufmann bzw Geschäftsführer aufzugeben, neben den vorhandenen Mitteln noch – soweit kaufmännisch vertretbar – sämtliche Kreditlinien auszuschöpfen, bevor man ihm den Einwand der finanziellen Unmöglichkeit gestattet.1002 Zweitens mag es dem Kaufmann/Geschäftsführer zwar tatsächlich unmöglich sein, seiner Pflicht, die Bücher und Bilanzen zu führen, nachzukommen, weil er weder über die erforderlichen intellektuellen Fertigkeiten noch über die zur Delegation nötigen finanziellen Mittel verfügt; es erscheint jedoch nahezu ausgeschlossen, einen Fall der rechtlichen Unmöglichkeit zu konstruieren,1003 da selbst das Zahlungsverbot des § 64 S 1 GmbHG Zahlungen nicht hindert, die an den Steuerberater/ Buchhalter erfolgen, damit dieser die Bücher/Bilanzen weiterführt (vgl § 64 S 2 GmbHG). Drittens dürfte der Einwand, die Bilanz-/Buchführung sei mangels vorhandener Kenntnisse und Mittel unmöglich, in praxi nur iRd § 283 Abs 1 Nrn 5, 7b StGB, nicht hingegen bei § 283b Abs 1 Nrn 1, 3b StGB eine Rolle spielen, weil letzterer Tatbestand nicht greift, sobald Zahlungsunfähigkeit eintritt, Unmöglichkeit nach dem o Gesagten jedoch sogar noch mehr voraussetzt als bloße Zahlungsunfähigkeit.1004 Es bedarf schon der doppelten Anwendung des in-dubio-Grds – § 283 Abs 1 Nrn 5, 7b StGB scheitert an der in dubio nicht nachweisbaren, § 283b Abs 1 Nrn 1, 3b StGB an der in dubio unterstellten Zahlungsunfähigkeit und somit Unmöglichkeit der Bilanz-/Buchführung1005 –, damit die „Unmöglichkeits-Problematik“ bei § 283b Abs 1 Nrn 1, 3b StGB Virulenz entfaltet.1006 Viertens und letztens führt allenfalls der erstmalige Verstoß gegen die Buch-/Bilanzführungspflicht unter dem Gesichtspunkt der Rechtsparömie „impossibilium nulla obligatio est“ zur Straflosigkeit. Wirtschaftet der Kaufmann nach dem ersten Buch-/Bilanzführungsverstoß trotz des bestehenden finanziellen Engpasses weiter, als wäre nichts geschehen, muss er sich bzgl der nachfolgenden Buch-/Bilanzführungsverstöße richtigerweise den Vorwurf gefallen lassen, sein die Buchführungspflicht begründendes Gewerbe nicht eingestellt zu haben.

_____ 999 BGH NStZ 2012, 511. 1000 M-G/Richter § 85 Rn 30; Reck GmbHR 2001, 424, 428. 1001 OLG Dresden NZI 2003, 375, 376 = GmbHR 2003, 422, 423 (im Kontext des § 266a Abs 1 StGB); M-G/Richter § 85 Rn 30; W/J/Pelz 9/168; B/Quedenfeld/Richter 5/194; Gosch, S 209, 219; Hillenkamp Tiedemann-FS, S 949, 965 f; Doster wistra 1998, 326, 328; Pohl wistra 1996, 14, 16; Ehlers DStR 1998, 1756, 1758; Reck ZInsO 2001, 633, 638; Hagemeier NZWiSt 2012, 105, 108; Richter NZI 2002, 121, 127; Hartung Stbg 1991, 332, 335; Brand ZWH 2016, 238, 239; implizit auch schon Richter GmbHR 1984, 137, 147; so wohl auch BGH wistra 2007, 308, 309; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 47a; aA aber Holzapfel Wahle-FS, S 16, 27. 1002 So aber Hillenkamp Tiedemann-FS, S 949, 966; skept hingegen Renzikowski Weber-FS, S 333, 337 f. 1003 Zu diesem Erg gelangt etwa Hagemeier NZWiSt 2012, 105, 107. 1004 Vgl auch Holzapfel Wahle-FS, S 16, 30. 1005 Zu dieser doppelten Anwendung des in-dubio-Grds s schon Schlüchter JR 1979, 513, 515 m Fn 36. 1006 Ausf zum Ganzen Beckemper JZ 2003, 806, 807; ferner Hagemeier NZWiSt 2012, 105, 107; Holzapfel Wahle-FS, S 16, 30.

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§ 12 Bankrott, §§ 283, 283a StGB u. Verletz. d. Buchführungspflicht, § 283b StGB | 705

Akzeptiert man die soeben Rn 142 eingeschlagenen vier Pflöcke als Grundlage weite- 143 ren Nachdenkens, gelingt es, die „eigentliche“ „Unmöglichkeits-Problematik“ auf ihren Kern zurückzuführen. Dh: Nur falls dem zur Buch-/Bilanzführung unfähigen Kaufmann bzw Geschäftsführer erstmalig innerhalb eines Geschäftsjahres die Mittel ausgehen, um einen Steuerberater oder Buchhalter zu bezahlen, stellt sich die Frage, ob er Straflosigkeit erlangt, weil ihm die Pflichterfüllung unmöglich ist. Im Ausgangspunkt – und insoweit herrscht wohl auch kein Streit – lautet die Antwort auf diese Frage: ja.1007 Schwierigkeiten entstehen aber, sobald die Ermittlungen ergeben, dass der Kaufmann/ Geschäftsführer entweder keine Rücklagen zur Finanzierung seiner Buch-/Bilanzführungspflicht gebildet oder aber während der Krise die noch vorhandenen Mittel anderweitig ausgegeben hat und deshalb „seinen“ Steuerberater/Buchhalter nicht bezahlen kann. Die Vorschläge, die – mit mehr oder weniger großen Abweichungen im Detail – dahin gehen, einen solchen Geschäftsführer bzw Kaufmann gleichwohl gem den §§ 283 Abs 1 Nrn 5 Var 1, 7b, 283b Abs 1 Nrn 1 Var 1, 3b StGB zu bestrafen, überzeugen nicht, und zwar ungeachtet dessen, ob sie das Instrument der omissio libera in causa einsetzen1008 oder nicht.1009 Wer den Kaufmann/Geschäftsführer darauf verpflichten will, Rücklagen für die Buch-/Bilanzführung zu bilden sowie vorhandenes Vermögen zunächst dafür einzusetzen, seine Steuerberater-/Buchhalterverbindlichkeiten zu bedienen, muss von einem Vorrang der Buch- und Bilanzführungspflichten in der Krise ausgehen.1010 Außer der Strafbewehrung durch die §§ 283 Abs 1 Nrn 5 Var 1, 7b, 283b Abs 1 Nrn 1 Var 1, 3b StGB existieren jedoch keine Anhaltspunkte, die einen solchen Vorrang nahelegen. Zwar begründet der BGH seine „Vorrangrechtsprechung“ im Rahmen von § 266a Abs 1 StGB maßgebend mit dem Argument, wonach § 266a Abs 1 StGB das rechtzeitige Abführen der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung strafbewehre.1011 Allerdings überzeugt diese Rspr – worauf schon häufig hingewiesen wurde – schon bei § 266a Abs 1 StGB nicht,1012 weshalb es nicht angezeigt erscheint, die anfechtbaren Thesen zu § 266a Abs 1 StGB auch noch in die §§ 283 Abs 1 Nrn 5 Var 1, 7b, 283b Abs 1 Nrn 1 Var 1, 3b StGB hinein zu verlängern.1013 Zweifel erheben sich schließlich gegen die Ansicht, die den Kaufmann/Geschäftsführer dann gem den §§ 283 Abs 1 Nrn 5 Var 1, 7b, 283b Abs 1 Nrn 1 Var 1, 3b StGB bestrafen will, wenn er mit seinen letzten Finanzressourcen inkongruent

_____ 1007 S aus dem Schrifttum nur LK/Tiedemann § 283 Rn 119, 154; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 47a; M-G/ Richter § 85 Rn 28; Holzapfel Wahle-FS, S 16, 21 ff; Ehlers DStR 1998, 1756, 1758; implizit Hillenkamp Tiedemann-FS, S 949, 965 f. 1008 Dafür anscheinend Gosch, S 232, sofern sich der Buch- und Bilanzführungspflichtige vorsätzlich außer Stande setzt, seinen Pflichten nachzukommen. 1009 Zur Kritik an der Figur der „omissio libera in causa“ in diesem Kontext s nur M/R/Altenhain § 283 Rn 26; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 52. 1010 Dafür LK/Tiedemann § 283 Rn 119; W/J/Pelz 9/147; B/Quedenfeld/Richter 5/194; Richter NZI 2002, 121, 123, 127; ders GmbHR 1984, 137, 147; wohl auch AnwK/Püschel § 283 Rn 27; dagegen Hillenkamp Tiedemann-FS, S 949, 966 f. 1011 S nur BGHSt 47, 318, 321 f; BGH GmbHR 2005, 1419, 1420; BGH GmbHR 1997, 305, 306 f; OLG Dresden NZI 2003, 375, 377 = GmbHR 2003, 422, 425; für einen Vorrang auch OLG Karlsruhe NJW 2006, 1364, 1365 = wistra 2006, 352, 354. 1012 Vgl nur BGH (Z) GmbHR 2005, 874, 876; MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 12; Baumbach/ Hueck/Haas § 64 Rn 82; Dupper/Petzsche wistra 2016, 294, 299; Tag JZ 2005, 1118, 1120 sowie Brand WM 2010, 1783, 1785 mwN; ferner Gosch, S 190 und passim; Blank ZInsO 2013, 461, 469; skept auch Lutter/ Hommelhoff/Kleindiek § 43 Rn 94. 1013 So bereits Renzikowski Weber-FS, S 333, 345 f; Brand ZWH 2016, 238, 239; iE wie hier Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 52; äußerst skept gegenüber einem Vorrang der Buch-/Bilanzführungspflichten gegenüber anderen (Zahlungs-)Pflichten auch Holzapfel Wahle-FS, S 16, 25 ff.

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Gläubiger befriedigt.1014 Solches Verhalten sanktioniert § 283c StGB, dessen Privilegierungscharakter indes ausgehebelt würde, knüpfte man an die Inkongruenz der Leistung zudem den Vorwurf, die Unmöglichkeit der Buch-/Bilanzführung verschuldet zu haben. Kann sich der Kaufmann/Geschäftsführer nach dem o Rn 143 Gesagten berechtig144 terweise darauf berufen, ihm sei es unmöglich gewesen, seinen Buch- und Bilanzführungspflichten nachzukommen, erhebt sich abschließend die Frage, ob auch derjenige Kaufmann/Geschäftsführer Straffreiheit erlangt, der aufgrund fehlender finanzieller Mittel nicht die „Hände in den Schoß legt“ und schlicht untätig bleibt, sondern trotz seiner nicht vorhandenen Kenntnisse den Versuch unternimmt, die Bücher und Bilanzen selbst zu erstellen, dabei aber Fehler macht, die den Tatbestand der §§ 283 Abs 1 Nrn 5 Var 2, 7a, 283b Abs 1 Nrn 1 Var 2, 3a StGB erfüllen. Da der entstandene Mangel unmittelbar den zur Unmöglichkeit führenden Gründen entspringt und die §§ 283 Abs 1 Nrn 5 Var 2, 7a, 283b Abs 1 Nrn 1 Var 2, 3a StGB Unterlassungs- sowie Überwachungsmomente enthalten, spricht viel dafür, den Kaufmann/Geschäftsführer strafrechtlich freizuzeichnen.1015 Eine weitere Fallgestaltung, die dem Kaufmann/Geschäftsführer auf dem Boden der 145 höchstrichterlichen Rspr den Unmöglichkeitseinwand eröffnet, sei abschließend kurz erwähnt. Beauftragt der bilanzpflichtige Kaufmann/Geschäftsführer einen externen Steuerberater oder Buchhalter mit der Buchführung und übergibt er dem Steuerberater/Buchhalter hierzu sämtliche erforderliche Unterlagen, soll er aus dem Gesichtspunkt tatsächlicher Unmöglichkeit gem den §§ 283 Abs 1 Nrn 5 Var 1, 7b, 283b Abs 1 Nrn 1 Var 1, 3b StGB straflos ausgehen, sofern er die Unterlagen dem ordnungsgemäß ausgewählten Steuerberater/Buchhalter rechtzeitig zur Verfügung stellte, dieser es aber gleichwohl unterließ, innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Frist Bücher und Bilanz zu erstellen. Da der Kaufmann/Geschäftsführer die zur Buch- und Bilanzführung nötigen Unterlagen nicht mehr zur Hand habe, könne ihm – selbst wenn er intellektuell hierzu befähigt wäre – nicht zugemutet werden, die Bücher sowie die Bilanz selbst anzufertigen.1016 Ob diese beschuldigtenfreundliche Linie trägt, erscheint angesichts des Umstands, dass die erforderlichen Unterlagen dem Steuerberater grds nur als Duplikat zur Verfügung stehen sowie der Möglichkeit, sämtliche relevanten Informationen elektronisch zu speichern, zumindest zweifelhaft.1017

d) Tathandlung des § 283 Abs 1 Nr 5 Var 2 StGB = § 283b Abs 1 Nr 1 Var 2 StGB 146 Wie bereits erwähnt, statuiert die zweite im Unterschied zur ersten Variante der §§ 283

Abs 1 Nr 5, 283b Abs 1 Nr 1 StGB erhöhte Anforderungen an die Strafbarkeit. So gerät in das Fahrwasser des Tatbestandes nicht schon, wer die Handelsbücher unordentlich führt bzw verändert. Vielmehr muss die Tathandlung zusätzlich dazu führen, die Über-

_____ 1014 So Hillenkamp Tiedemann-FS, S 949, 966; wohl auch S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 47a; ähnl M-G/B5/Bieneck § 82 Rn 28a, der zusätzlich noch den Fall nennt, dass der Buch-/Bilanzführungspflichtige die letzten verbleibenden Mittel in einer Weise verwendet, die den Tatbestand des § 283 Abs 1 Nrn 1–3, 8 StGB erfüllt. Angesichts der dann bereits verwirkten Strafbarkeit gem § 283 Abs 1 StGB bedarf es aber des Rückgriffs auf § 283 Abs 1 Nrn 5, 7 StGB nicht mehr. 1015 Grdl zu dieser Ansicht LK/Tiedemann § 283 Rn 119. 1016 BGH NStZ 2000, 206 = wistra 2000, 136; zust etwa Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 52; A/R/R/ Wegner Kap 7/1 Rn 174; wohl auch MAH/Böttger § 19 Rn 162; HambK/Borchardt § 283 StGB Rn 29. 1017 S nur Reck GmbHR 2001, 424, 428; ders StuB 2000, 1281; ferner B/Quedenfeld/Richter 5/195, denen zufolge der Schuldner die Bücher in solchen Konstellationen zurückfordern muss, um die Bilanz selbst oder durch einen Dritten erstellen zu lassen.

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§ 12 Bankrott, §§ 283, 283a StGB u. Verletz. d. Buchführungspflicht, § 283b StGB | 707

sicht über den Vermögensstand zu erschweren. Allerdings normiert das Merkmal der erschwerten Übersicht keinen tatbestandlichen Erfolg,1018 sondern benennt richtigerweise lediglich einen Schweregrad, dem die Tathandlungen der zweiten Varianten genügen müssen.1019 Nachdem die Voraussetzungen der Modalitäten des unordentlichen Führens (sub aa; u Rn 147 ff) sowie des Veränderns (sub bb1020) dargestellt sind, gilt es zu eruieren, ab wann die Übersicht über den Vermögensstand erschwert ist (sub cc1021).

aa) Unordentliches Führen der Handelsbücher Die Tatmodalität des unordentlichen Führens von Handelsbüchern erfüllt im Aus- 147 gangspunkt, wer seine Bücher entgegen den Prinzipien der §§ 238 Abs 1, 239 Abs 2 HGB erstellt,1022 also entweder die Eintragungen unvollständig, nicht richtig, verspätet bzw ungeordnet vornimmt – wobei ein und derselbe Verstoß mehrere der genannten Prinzipien tangieren kann, – oder aber abweichend von den maßgebenden GoB zu wenige bzw vorübergehend überhaupt keine Bücher führt.1023 Erforderte die Größe des Betriebs Aufzeichnungen nach den Regeln der doppelten 148 Buchführung, hat der Kaufmann/Geschäftsführer jedoch lediglich einfach gebucht, fehlen einzelne erforderliche Bücher oder unterließ es der Kaufmann/Geschäftsführer, die Eintragungen im Kassenbuch auf die Konten des Hauptbuchs zu übertragen,1024 verwirklicht solches Verhalten die zweite Variante der §§ 283 Abs 1 Nr 5, 283b Abs 1 Nr 1 StGB.1025 Genauso gerät in das Fahrwasser der zweiten Variante, wer vorübergehend keine Bücher führt, solange der Zeitraum der unterbliebenen Buchführung ein Geschäftsjahr nicht überschreitet (dann greift die erste Variante1026). Ebenfalls der zweiten Variante unterfällt der fehlende bzw unübersichtliche Kontenplan. Praktisch am häufigsten gerät in Konflikt mit der zweiten Variante, wer den 149 Grundsätzen des § 239 Abs 2 HGB zuwider bucht. Der Phantasie sind hier keine Grenzen gesetzt.1027 Deshalb mag es dabei bewenden, einige besonders gängige Verstöße gegen § 239 Abs 2 HGB herauszugreifen, die auch die strafgerichtliche Rspr zu den §§ 283 Abs 1 Nr 5 Var 2, 283b Abs 1 Nr 1 Var 2 StGB schon beschäftigten: Sämtliche Grundsätze des

_____ 1018 S aber BGH/H GA 1964, 136, der insoweit von einem „tatbestandsmäßige[n] ‚Erfolg‘“ spricht; vgl ferner SK/Hoyer § 283 Rn 74, der ebenfalls vom Erfolg redet. 1019 LK/Tiedemann § 283 Rn 109, 135, der deshalb von einem schlichten Tätigkeitsdelikt spricht; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 22 stuft den Tatbestand hingegen als Begehungsdelikt ein. 1020 Su Rn 151 f. 1021 Su Rn 153 ff. 1022 Zur Bedeutung dieser Prinzipien iRd §§ 283 Abs 1 Nr 5 Var 2, 283b Abs 1 Nr 1 Var 2 StGB s LK/ Tiedemann § 283 Rn 112; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 34; SK/Hoyer § 283 Rn 73; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 48; M-G/Richter § 85 Rn 36; AnwK/Püschel § 283 Rn 21; Weyand/Diversy Rn 91. 1023 Zu letzterem siehe o Rn 136. 1024 Konstellation nach RGSt 47, 311. 1025 BGH NStZ 1995, 347 = wistra 1995, 146, 147; BGHSt 4, 271, 274 am Bsp des § 239 Abs 1 Nr 3 KO aF; RGSt 30, 170 f; RGSt 11, 142, 144; RGSt 11, 161, 162; s ferner AnwK/Püschel § 283 Rn 20; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 23; W/J/Pelz 9/148; vgl auch Regner, S 125 f, der trotz seines engeren Verständnisses – die Vermögensübersicht ist ihm zufolge erst dann erschwert, wenn aus den Büchern kein Überschuldungs- bzw Zahlungsunfähigkeitsstatus abgeleitet werden kann – bei entspr formellen Verstößen ebenfalls regelmäßig eine bankrottstrafrechtlich relevante Pflichtverletzung annimmt. 1026 Dazu o Rn 137. 1027 S etwa die Auflistung bei Louis BC 2002, 18, 19; vgl ferner die Feststellung bei Zirpins/Terstegen, S 196.

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§ 239 Abs 2 HGB kulminieren – wie gesehen1028 – im Belegprinzip, das eine Buchung nur gestattet, sofern der Vorgang belegmäßig erfasst ist. Fehlen Belege über gebuchte Geschäftsvorfälle oder hat der Kaufmann/Geschäftsführer die Belege nicht geordnet aufbewahrt, mangelt es an einer ordentlichen Buchführung und droht deshalb die Strafbarkeit aufgrund der §§ 283 Abs 1 Nr 5 Var 2, 283b Abs 1 Nr 1 Var 2 StGB.1029 Sowohl den Grds der Richtigkeit als auch den Grds der Vollständigkeit und damit die zweite Variante der §§ 283 Abs 1 Nr 5, 283b Abs 1 Nr 1 StGB verletzt, wer Geschäftsvorfälle bucht, die tatsächlich gar nicht erfolgten, etwa indem er zu viele Aktiva bzw zu wenige Passiva ausweist, um eine bestehende/drohende Überschuldung zu verheimlichen1030 oder aber indem er die Aktiva zu niedrig bzw die Passiva zu hoch ansetzt, mit dem Ziel, Steuern zu sparen.1031 Gleichfalls unrichtig bucht, wer die Art der Geschäfte etwa durch falsche Angaben über den Gläubiger unzutreffend darstellt und dies mithilfe falscher Belege verschleiert.1032 Freilich besteht für den Betreiber eines Einzelhandelsgeschäfts keine Pflicht, jeden einzelnen Geschäftsvorfall exakt nach Betrag und Kunden aufzuzeichnen.1033 Auf Kollisionskurs zum „RichtigkeitsGrds“ gerät des Weiteren der Kaufmann oder Geschäftsführer, der einzelne Vermögensgegenstände zu hoch bzw Verbindlichkeiten zu niedrig bewertet. Allerdings mündet keinesfalls jeder Bewertungsfehler in den Vorwurf, die Handelsbücher unordentlich geführt zu haben. Angesichts der zahlreichen Bewertungsspielräume, die das Bilanzrecht dem Kaufmann einräumt, führen nur solche Fehlbewertungen zu den §§ 283 Abs 1 Nr 5 Var 2, 283b Abs 1 Nr 1 Var 2 StGB, denen die Mangelhaftigkeit quasi auf die Stirn geschrieben steht, die also evident und willkürlich von den bilanzrechtlichen Vorgaben abweichen.1034 Konkret bedeutet das: Hat bspw ein Kaufmann einen Vermögensgegenstand über einen Zeitraum von vier statt – wie es richtig gewesen wäre – von fünf Jahren abgeschrieben, erscheint solches Verhalten nicht willkürlich und verstößt somit nicht gegen den Grds der Richtigkeit. Anders liegen die Dinge, wenn nach fünf Jahren überhaupt keine Abschreibungen erfolgten, der Gegenstand vielmehr immer noch zum Anschaffungspreis im Buchwerk erscheint. Ordnungswidrig führt seine Bücher schließlich auch, wer darin Forderungen zum Nennwert bucht, die er aufgrund des beim Schuldner eingetretenen Zahlungsverfalls teilweise oder sogar vollständig wertberichtigen müsste.1035 Mit den Vorgaben des § 239 Abs 2 HGB unvereinbar sind darüber hinaus verspätete 150 Buchungen. 1036 Hat bspw der Kaufmann/Geschäftsführer einzelne Geschäftsvorfälle nicht innerhalb eines Zeitfensters von vier, sondern erst nach sechs oder acht Wochen bzw noch später gebucht, erhebt sich die Frage, ob solches Fehlverhalten nach Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung (vgl §§ 283 Abs 6, 283b Abs 3 StGB) den Vorwurf ordnungswidriger Buchführung evoziert. Ausgehend vom Wortlaut der §§ 283 Abs 1 Nr 5 Var 2, 283b Abs 1 Nr 1 Var 2 StGB bestehen an der Strafbarkeit des verspätet buchenden Kaufmanns/Geschäftsführers eigentlich keine Zweifel, sofern nur die verspätete Buchung die Vermögensübersicht erschwert. Bedenken gegenüber diesem vermeintlich

_____ 1028 Siehe o Rn 134. 1029 BGH NJW 1954, 1010; BGH/H GA 1961, 358 f; BGH/H GA 1956, 348; Weyand PStR 2004, 235. 1030 Zu einer solchen Konstellation s BGHR StGB § 283 Abs 1 – Geschäftsführer 1; BGH wistra 1995, 146, 147 (insoweit nicht abgedr in NStZ 1995, 347) = BGHR StGB § 283 Abs 1 Nr 5 – Konkurrenzen 3. 1031 Louis BC 2002, 18, 19. 1032 BGH/H GA 1961, 358; LK/Tiedemann § 283 Rn 112. 1033 Grdl BFHE 86, 118, 121. 1034 LK/Tiedemann § 283 Rn 115; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 34; vgl auch Schüppen, S 167. 1035 Vgl zu einem solchen Fall OLG Hamburg NJW 1987, 1342, 1344 = GmbHR 1987, 273, 274. 1036 Zu den einzuhaltenden Zeiträumen siehe o Rn 135.

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§ 12 Bankrott, §§ 283, 283a StGB u. Verletz. d. Buchführungspflicht, § 283b StGB | 709

eindeutigen Ergebnis kommen aber auf, betrachtet man die Rspr des Reichsgerichts. Danach war der Tatbestand der §§ 283 Abs 1 Nr 5 Var 2, 283b Abs 1 Nr 1 Var 2 StGB erst mit dem Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung vollendet. 1037 Konsequenterweise blieb der Kaufmann/Geschäftsführer, der die Buchungen vor diesem Zeitpunkt nachholte, sub specie §§ 283 Abs 1 Nr 5 Var 2, 283b Abs 1 Nr 1 Var 2 StGB straflos. Das überzeugt aus zweierlei Gründen nicht: Zum einen tangiert die verspätete Buchung in erheblichem Maße den von §§ 283 Abs 1 Nr 5 Var 2, 283b Abs 1 Nr 1 Var 2 StGB vorrangig geschützten Zweck der Selbstinformation und kann deshalb nicht über weite Strecken ungesühnt bleiben.1038 Zum anderen rechnen die Voraussetzungen der §§ 283 Abs 6, 283b Abs 3 StGB nicht zum gesetzlichen Tatbestand. Vor diesem Hintergrund liefe es ihrer – heute unangefochtenen – Klassifikation als objektive Strafbarkeitsbedingung diametral zuwider, wollte man ihr die Aufgabe zuweisen, den Vollendungszeitpunkt der §§ 283 Abs 1 Nr 5 Var 2, 283b Abs 1 Nr 1 Var 2 StGB zu markieren.1039 Vollendung tritt demnach ein, sobald der Kaufmann/Geschäftsführer die Buchungsfristen überschreitet.1040 Allerdings dürften solche Verstöße kaum einmal praktische Relevanz entfalten. Sollten die Strafverfolgungsbehörden überhaupt Kenntnis von der verspäteten Buchung erlangen, spricht viel dafür, gem § 153 Abs 1 StPO zu verfahren, da der Kaufmann/Geschäftsführer, indem er nachbucht, seine Rückkehr in die Legalität zum Ausdruck bringt.1041

bb) Verändern von Handelsbüchern Die Modalität des Veränderns von Handelsbüchern erfüllt, wer den Büchern nachträg- 151 lich Geschäftsvorfälle hinzufügt oder aber bereits gebuchte Vorfälle wieder streicht und dadurch entweder den ursprünglichen Inhalt verdunkelt oder aber den Leser der Bücher darüber im Unklaren lässt, ob er die Eintragungen einem geordneten Geschäftsgang entsprechend vorgenommen hat.1042 Straflos bleibt hingegen der Kaufmann/Geschäftsführer, der zunächst irrtümlich falsch gebucht und, nachdem er den Fehler bemerkt, diesen berichtigt hat.1043 Ordnungsgemäß erfolgt die Korrektur jedoch nur, indem der Kaufmann/ Geschäftsführer die Fehlbuchung storniert1044 und die zutreffende Nachbuchung als solche kenntlich macht.1045 Unzulässig sind Radierungen, Streichungen sowie Überschreibungen, wobei solches Verhalten nicht notwendig strafbar ist. Wer Handelsbücher nachträglich verändert, verwirklicht regelmäßig neben den 152 §§ 283 Abs 1 Nr 5 Var 2, 283b Abs 1 Nr 1 Var 2 StGB tateinheitlich auch ein Urkundsdelikt.1046 Um sich gem den §§ 267 Abs 1, 274 Abs 1 Nr 1 StGB strafbar zu machen, kommt es entgegen der reichsgerichtlichen Rspr, der zufolge das Tatbestandsmerkmal „verfäl-

_____ 1037 RGSt 29, 222, 225; wohl auch RG JW 1936, 3007; so auch M/G/Rinjes 8/269. 1038 Vgl dazu auch LK/Tiedemann § 283 Rn 118. 1039 S dazu schon Heidland KTS 1958, 161, 164. 1040 HM; s nur LK/Tiedemann § 283 Rn 118; M-G/Richter § 85 Rn 69. 1041 Dazu schon Bittmann/Bittmann Voraufl Rn 184; sa M-G/Richter § 85 Rn 69. 1042 S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 35; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 49. 1043 Vgl auch BGH/H GA 1963, 106 f; zur Zulässigkeit der nachträglichen Fehlerbehebung s des Weiteren Mösbauer DB 2002, 498, 501. 1044 Allerdings können häufige Stornierungen ein kriminologisches Anzeichen für eine Manipulation der Bücher sein; s dazu Teufel Kriminalistik 1971, 630, 631. 1045 LK/Tiedemann § 283 Rn 107; M-G/Richter § 85 Rn 37; M/G/Rinjes 8/226; Louis, S 42. 1046 M-G/Richter § 85 Rn 37; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 18; AnwK/Püschel § 283 Rn 21; v. Babo, (1908), S 59; Kuhn, (1912), S 64 f; Büttiker, (1914), S 36; Biletzki NStZ 1999, 537, 541; sa Schäfer wistra 1990, 81, 85 mit weiteren Ausführungen zu Fragen der Wahlfeststellung zwischen Bankrott- und Urkundsdelikt.

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schen“ iSv § 267 Abs 1 StGB ein unberechtigtes Abändern voraussetzt, nicht darauf an, dass bspw ein Gläubiger des Kaufmanns im Zeitpunkt der Veränderung ein vertragliches oder gesetzliches (etwa nach § 810 BGB) Recht auf den unveränderten Fortbestand der Bücher erworben hatte.1047 Denn die Buchführungspflicht besteht – wie bereits ausgeführt1048 – nicht im alleinigen Interesse des Kaufmanns, weshalb dieser die Dispositionsbefugnis verliert, sobald er einen Geschäftsvorfall in seinen Büchern vermerkt.1049 Verzichtet der Kaufmann darauf, seine Bücher papieren zu führen und bedient sich stattdessen eines EDV-Programms (vgl § 239 Abs 4 S 1 HGB), bleibt er zwar sub specie §§ 267 Abs 1, 274 Abs 1 Nr 1 StGB straflos, wenn er nachträglich Veränderungen am Datenbestand vornimmt. Die entstehende urkundenstrafrechtliche Lücke schließen jedoch die §§ 269, 274 Abs 1 Nr 2 StGB.1050

cc) Erschwerte Übersicht über den Vermögensstand 153 Wie schon mehrfach erwähnt genügt die unordentliche Buchführung bzw das nachträg-

liche Verändern der Handelsbücher alleine nicht, um den Kaufmann/Geschäftsführer gem den §§ 283 Abs 1 Nr 5 Var 2, 283b Abs 1 Nr 1 Var 2 StGB zu bestrafen. Vielmehr muss die unordentliche Buchführung/die nachträgliche Veränderung ein Ausmaß erreichen, das die Übersicht über das kaufmännische Vermögen erschwert. An der erforderlichen Vermögensübersicht fehlt es, wenn die Buchführungsmängel derart schwer wiegen, „daß ein sachverständiger Dritter sich den erforderlichen Überblick über die Vermögenslage des Schuldners entweder überhaupt nicht oder doch nur mit erheblichen Schwierigkeiten, unter Anwendung besonderer Mühen zu beschaffen vermag“.1051 Diese Formel birgt va zwei Probleme: Zum einen muss Klarheit über die Maßstabsfigur des sachverständigen Dritten herrschen. Handelt es sich hierbei lediglich um einen idealtypischen Kaufmann/Geschäftsführer oder um einen „mit allen Wassern gewaschenen“ Steuerberater/Buchhalter? Zum anderen bedarf die Frage einer Antwort, ab wann die Schwierigkeiten, eine Vermögensübersicht zu erlangen, erheblich sind.

_____ 1047 So aber RGSt 69, 396, 398; RGSt 52, 88, 90 f; RGSt 50, 420, 421 f (Abänderungsbefugnis erlischt, sobald die Urkunde in den Rechtsverkehr eingeführt wurde); RGSt 5, 430, 431 f; RG JW 1936, 1538. 1048 Siehe o Rn 99. 1049 LK/Tiedemann § 283 Rn 107; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 23; aA aber Louis, S 182, dem zufolge der Kaufmann/Geschäftsleiter solange keine urkundenstrafrechtlichen Konsequenzen befürchten muss, als er entweder die Bücher noch nicht in den Rechtsverkehr eingeführt hat oder sie auf sonstige Weise eingesehen oder abgenommen wurden. 1050 Louis, S 187 f. 1051 RGSt 47, 311, 312; RGSt 4, 119, 121; RG DJ 1939, 1779; RG JW 1917, 859, 860; heute hM; s nur BTDrucks 7/3441, S 35; BGH wistra 2002, 225 = NStZ 2002, 327; BGH NStZ 1998, 247 = wistra 1998, 177, 178 = StV 1999, 26; BGH/H MDR 1980, 455; Fischer § 283 Rn 23; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 36; NK/Kindhäuser § 283 Rn 64; S/S/W/Bosch § 283 Rn 24; W/J/Pelz 9/149; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 153; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 50; AnwK/Püschel § 283 Rn 22; M-G/Richter § 85 Rn 36; M/R/Altenhain § 283 Rn 27; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 27; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1074; SK/Hoyer § 283 Rn 74; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 18; Weyand/Diversy Rn 92; Weyand ZInsO 1999, 327, 331; HambK/Borchardt § 283 StGB Rn 24; M/G/ Rinjes 8/227; Pape/Uhländer/Hofmann § 283 Bankrott Rn 36; Kuhn, (1912), S 34 f; Büttiker, (1914), S 57; Steinbrück, (1929), S 30; Höfner, S 71; Hiltenkamp-Wisgalle, S 182; Louis, S 173; ders BC 2002, 18, 20; Mathieu GA 1954, 225, 232; weiter diff Hauck, S 137 f, der bei Verstößen gegen ausdrückliche gesetzliche Gebote – etwa die Gliederungsvorgaben des § 266 HGB – immer eine Erschwernis bejahen, hingegen bei Verstößen gegen ungeschriebene GoB einen weniger strengen Maßstab anlegen will; enger als die vorstehend Genannten wohl Regner, S 80 ff, dem zufolge die Vermögensübersicht erst dann erschwert sein soll, wenn es der Buchführungsverstoß verhindert, mithilfe der Buchhaltungsunterlagen die Krisensituationen „(drohende) Zahlungsunfähigkeit“ bzw „Überschuldung“ festzustellen.

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§ 12 Bankrott, §§ 283, 283a StGB u. Verletz. d. Buchführungspflicht, § 283b StGB | 711

Wendet man sich zunächst der Maßstabsfigur zu, macht es einen großen Unter- 154 schied, welche Kenntnisse und Fertigkeiten ihr zur Verfügung stehen. Ein – auch idealtypischer – Kaufmann/Geschäftsführer wird deutlich früher vor der mangelhaften Buchführung kapitulieren und somit keine Vermögensübersicht erlangen als ein Steuerberater oder Buchhalter. Gleichwohl wollen Teile des Schrifttums angesichts des Umstands, dass die Buchführung ua der Selbstinformation des Kaufmanns dient, eine ex-ante-Betrachtung anstellen und aus der Sicht eines idealtypischen Kaufmanns eruieren, ob die festgestellten Buchführungsmängel geeignet sind, die Vermögensübersicht zu erschweren.1052 Das überzeugt jedoch nicht. Da die §§ 283 Abs 1 Nr 5 Var 2, 283b Abs 1 Nr 1 Var 2 StGB keinesfalls nur die Selbstinformationsfunktion der Buchführung schützen, sondern gleichrangig auch die übrigen Buchführungsaspekte1053 absichern, spricht mehr für die Ansicht, die den sachverständigen Dritten in Form des Steuerberaters/Buchhalters bemüht1054 und iÜ dadurch zu einer restriktiveren Handhabung der §§ 283 Abs 1 Nr 5 Var 2, 283b Abs 1 Nr 1 Var 2 StGB beiträgt. Hingegen – hierüber dürfte ungeachtet der vorstehend nachgezeichneten Kontroverse Konsens herrschen – kann sich der Kaufmann/Geschäftsführer nicht mit dem Vorbringen verteidigen, er habe trotz der festgestellten Buchführungsmängel sein bzw das Vermögen der Gesellschaft hinreichend übersehen.1055 Steht ein Fall der unordentlichen Buchführung zur Beurteilung an, dürfte es ange- 155 sichts der zumeist vorhandenen Buchführungsfragmente selten gänzlich ausgeschlossen sein, einen Überblick über das Schuldnervermögen zu erlangen. Damit gewinnt die Frage, ob dieser grds mögliche Überblick nur unter erheblichen Schwierigkeiten erlangt werden kann, regelmäßig strafbarkeitsentscheidende Bedeutung. Freilich existieren keine eindeutigen Antworten auf diese Frage, hängt es doch entscheidend von der Größe des Unternehmens und damit der Komplexität der Buchführung ab, welchen Zeitraum man normalerweise veranschlagen muss, um sich einen Überblick über den Vermögensstand zu verschaffen.1056 Vor diesem Hintergrund ist das Tatgericht dazu aufgerufen, mithilfe sachverständiger Unterstützung zunächst den Zeitraum zu ermitteln, der üblicherweise benötigt wird, um in dem konkreten Unternehmen anhand der Bücher eine Vermögensübersicht zu erstellen und hat es sodann die tatsächlich aufgewendete Zeit hierzu in Relation zu setzen. Weichen beide Größen nicht nur unerheblich voneinander ab, liegt das Merkmal der erschwerten Übersicht grds vor.1057 Dagegen fehlt es uU an einer erschwerten Übersicht, falls der Kaufmann/Geschäftsführer zwar nichts gebucht, wohl aber sämtliche Belege geordnet aufbewahrt hat, da die fehlenden Bücher auf der Basis einer solchen Belegsammlung zumeist ohne größere Schwierigkeiten re-

_____ 1052 Insbes Teile des bilanzrechtlichen Schrifttum verstehen iRd § 238 HGB unter dem sachverständigen Dritten jemanden, der Bilanzen lesen kann; vgl dazu Baumbach/Hopt/Merkt § 238 Rn 14; ADS § 238 Rn 45; weitergehend aber Koller/Kindler/Roth/Morck/Morck § 238 Rn 5, der auch Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Buchhalter einbezieht. 1053 Dazu siehe o Rn 99. 1054 Dass dies gängiger Praxis entspricht, darauf weist Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 27 hin; nicht eindeutig v. Babo, (1908), S 37, der von einer Person spricht, die mit der Technik der Buchführung vertraut ist; vgl auch S/S/W/Bosch § 283 Rn 24: bilanzkundiger sachverständiger Dritter. 1055 S nur RGSt 4, 119, 121 f; LK/Tiedemann § 283 Rn 118, 135; M/G/Rinjes 8/227; Louis, S 174 f; ferner Weyand/Diversy Rn 92 m Fn 411; Böhle-Stamschräder § 239 KO Anm 9d; Nieberg, (1913), S 24 f; Büttiker, (1914), S 57; Steinbrück, (1929), S 30. 1056 Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 27. 1057 In diese Richtung schon RGSt 47, 311, 312; vgl ferner LK/Tiedemann § 283 Rn 118, dem zufolge die Übersicht erheblich erschwert ist, wenn der Sachverständige mehrere Wochen benötigt, um sich einen Überblick zu verschaffen.

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konstruierbar sind.1058 Gleiches gilt für nicht gebuchte Aufwendungen, die im betreffenden Betrieb offensichtlich wiederkehrend in bestimmter Höhe anfallen und deshalb ohne Weiteres ergänzt werden können1059 sowie für einzelne nicht erfasste Geschäftsvorfälle, sofern die entsprechenden Belege vorliegen1060 oder aber ihr Fehlen nicht geeignet ist, Dritten ein falsches Bild vom kaufmännischen Vermögen zu vermitteln (zB Rechenfehler bei Bagatellbeträgen).1061 Was schließlich den Zeitpunkt anbelangt, zu dem die Übersicht über den Vermö156 gensstand erschwert sein muss, ist auf den Abschluss der Tathandlung und nicht – wie von der älteren Rspr verschiedentlich gefordert1062 – auf den Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung abzustellen.1063 Neben den bereits oben im Kontext der verspäteten Buchungen genannten Argumenten,1064 die hier gleichermaßen Geltung beanspruchen, streitet für dieses Ergebnis der Charakter der §§ 283 Abs 1 Nr 5 Var 2, 283b Abs 1 Nr 1 Var 2 StGB als abstrakte Gefährdungsdelikte (mit Erfolgsmoment).1065 Dieser würde konterkariert, forderte man einen erschwerten Vermögensüberblick auch noch nachdem das zuständige Gericht das Insolvenzverfahren eröffnet bzw die Eröffnung mangels Masse abgelehnt hat.1066 Jedoch kann die zunächst fehlende, später aber wieder hergestellte Vermögensübersicht den erforderlichen Zusammenhang zwischen Bankrotthandlung und objektiver Strafbarkeitsbedingung ausschließen1067.1068

3. Die Tatbestände des § 283 Abs 1 Nr 6 StGB = § 283b Abs 1 Nr 2 StGB 157 Große praktische Bedeutung erlangen die §§ 283 Abs 1 Nr 6, 283b Abs 1 Nr 2 StGB in

den mit „Firmenbestattung“ überschriebenen Konstellationen1069.1070 Um die Gläubiger

_____ 1058 Zu dieser Möglichkeit s BGH NStZ 1998, 247 = wistra 1998, 177, 178 = StV 1999, 26; vgl ferner bereits BGH/H MDR 1980, 455; Fischer § 283 Rn 23; SK/Hoyer § 283 Rn 74; Louis, S 174; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1074; MAH/Böttger § 19 Rn 161; S/S/W/Bosch § 283 Rn 24; ähnl NK/Kindhäuser § 283 Rn 64. 1059 S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 36; LK/Tiedemann § 283 Rn 118; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1074; NK/Kindhäuser § 283 Rn 64; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 50; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 27. 1060 BGH/H GA 1959, 341; LK/Tiedemann § 283 Rn 118; Louis, S 174; wohl auch Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 27. 1061 Zu letzterem s RGSt 29, 304, 308; Weyand ZInsO 1999, 327, 331; Louis BC 2002, 18, 20. 1062 RGSt 40, 105, 106; RGSt 39, 217, 219 (wobei die fehlende Buchführung über einen Zeitraum von sechs bis acht Monaten nicht mehr „ausgebügelt“ werden konnte); RGSt 29, 222, 225 (allerdings mit dem Hinweis, dass frühere, im Zeitpunkt der Zahlungseinstellung nicht mehr bestehende Mängel uU fortwirken können); RGSt 5, 415, 416; RG JW 1917, 859, 860; wohl auch noch BGH/H GA 1961, 359; dieser Rspr ausdrückl zust W/J/Pelz 9/100; v. Babo, (1908), S 47; Nieberg, (1913), S 26; Büttiker, (1914), S 58; Hauck, S 145 f; Mathieu GA 1954, 225, 232; wohl auch Böhle-Stamschräder KTS 1957, 17, 21. Hingegen soll ein zeitliches Zusammentreffen von Tathandlung und objektiver Strafbarkeitsbedingung im Falle der unterlassenen Buchführung nicht erforderlich sein; vgl RGSt 7, 391, 392 f. 1063 Grdl LK/Tiedemann § 283 Rn 118; ferner S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 36; NK/Kindhäuser § 283 Rn 65; SK/Hoyer § 283 Rn 75; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 50; M/R/Altenhain § 283 Rn 27; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 28; M/G/Rinjes 8/227; Weyand/Diversy Rn 92; Louis, S 175; Hammerl, S 16; vgl auch BGH/H GA 1954, 311; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 18. 1064 Vgl Rn 138. 1065 Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 28; S/S/W/Bosch § 283 Rn 24. 1066 Ausf hierzu S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 36. 1067 Dazu su Rn 223 f. 1068 Vgl auch LK/Tiedemann § 283 Rn 118 aE; NK/Kindhäuser § 283 Rn 65; SK/Hoyer § 283 Rn 75; M/R/ Altenhain § 283 Rn 27; M/G/Rinjes 8/227. 1069 S dazu auch u Rn 212 ff sowie § 29 Rn 61 ff. 1070 Zu diesem Befund auch Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 33; s ferner M-G/Richter § 87 Rn 45, 47, 49; HambK/Borchardt § 283 StGB Rn 25.

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§ 12 Bankrott, §§ 283, 283a StGB u. Verletz. d. Buchführungspflicht, § 283b StGB | 713

des insolvenzbedrohten Unternehmens erfolgreich abzuschütteln, genügt es regelmäßig nicht, die Geschäftsanteile an „Strohgesellschafter“ zu veräußern, die Firma zu ändern und irgendwelche „Strohgeschäftsführer“ zu bestellen.1071 Vielmehr entspricht es gängiger „Bestattungspraxis“ darüber hinaus das gesamte Buchwerk entweder zu vernichten oder vor dem Zugriff der Gläubiger/des Insolvenzverwalters zu verbergen.1072 Allerdings dürfte es häufig ganz erhebliche Schwierigkeiten bereiten, festzustellen, wer die Unterlagen vernichtet hat. Als taugliche Täter stehen grds sowohl der Alt- als auch der Neugeschäftsführer bzw die Hintermänner bereit – eine fast schon klassisch anmutende Konstellation für den Einsatz des in-dubio-Grds.1073 Abhilfe könnte allenfalls § 25 Abs 2 StGB schaffen, dessen Anwendung im Firmenbestattungskontext jedoch intrikate Probleme zeitigt1074.1075 Inwieweit die Vernichtung der Bücher und Bilanzen hingegen Untreueunrecht verwirkt, ist im einschlägigen Schrifttum umstritten.1076

a) Der Täterkreis der §§ 283 Abs 1 Nr 6, 283b Abs 1 Nr 2 StGB Anders als die §§ 283 Abs 1 Nrn 5, 7, 283b Abs 1 Nrn 1, 3 StGB, hat der Gesetzgeber die 158 §§ 283 Abs 1 Nr 6, 283b Abs 1 Nr 2 StGB nicht mit demselben Wortlaut ausgestattet. Zwar sanktionieren beide Tatbestände das Beiseiteschaffen, Verheimlichen, Zerstören oder Beschädigen von Handelsbüchern und sonstigen aufbewahrungspflichtigen Unterlagen. Während aber § 283 Abs 1 Nr 6 StGB sämtliche Unterlagen, die ein Kaufmann nach Handelsrecht aufbewahren muss, erfasst, spricht § 283b Abs 1 Nr 2 StGB schlichter von den Unterlagen, „zu deren Aufbewahrung er […] verpflichtet ist“. Inwiefern diese unterschiedlichen Sprachfassungen Auswirkungen auf die Reichweite der beiden Vorschriften zeitigen, darum debattieren Vertreter des Schrifttums und der Rspr seit langem.1077 Obschon § 283 Abs 1 Nr 6 StGB Unterlagen in Bezug nimmt, die ein Kaufmann aufzu- 159 bewahren hat und damit im Unterschied zu § 283b Abs 1 Nr 2 StGB nicht ausdrücklich an die Schuldnerposition anknüpft, herrscht insoweit Konsens, als Täter des § 283 Abs 1 Nr 6 StGB jedermann sein kann, der fremde (kaufmännische) Handelsbücher etc vernichtet, sofern er nur entweder selbst Schuldner ist oder für diesen gem § 14 StGB handelt.1078 Zum

_____ 1071 Zum typischen Ablauf einer Firmenbestattung s Hey/Regel Kriminalistik 1999, 258 ff; vgl ferner M-G/Richter § 87 Rn 44; W/J/Beck 6/55a; M/G/Rinjes 8/14; Böttger/Verjans 4/277; Ehlers Insbüro 2005, 60, 67 f; Habenicht JR 2011, 17, 19 und ausf Nickmann, S 99 ff. 1072 Dazu BGH NJW 2013, 1892, 1893 = NZG 2013, 397, 398 mAnm Brand; OLG Karlsruhe NZG 2013, 818; MK/Kiethe/Hohmann § 15a InsO Rn 53; Böttger/Verjans 4/277; Weyand/Diversy Rn 95; Schröder DNotZ 2005, 596, 597 f; Bittmann GmbHR 2007, 70, 71; Hey/Regel Kriminalistik 1999, 258, 260; Rattunde DZWir 1998, 271, 272; Werner NZWiSt 2013, 418, 422. 1073 Zur Bedeutung des in-dubio-Grds in diesen Konstellationen s MAH/Böttger § 19 Rn 282; Brand/ Reschke ZIP 2010, 2134; Ogiermann wistra 2000, 250; vgl ferner Pananis/Börner GmbHR 2006, 513 sowie Goltz/Klose NZI 2000, 108, 109. 1074 Su Rn 214. 1075 Zum Ganzen Brand/Reschke ZIP 2010, 2134, 2136 f. 1076 Dafür Hey/Regel Kriminalistik 1999, 258, 261; dagegen Ogiermann wistra 2000, 250, 251. Zivilrechtlich führt die Vernichtung der Bücher und sonstigen Unterlagen zu einer Umkehr der Beweislast, mit der Folge, dass der gem § 823 Abs 2 BGB iVm § 15a InsO auf Schadensersatz in Anspruch genommene Schuldner beweisen muss, im streitgegenständlichen Zeitpunkt nicht zahlungsunfähig gewesen zu sein; s dazu BGH NZG 2012, 464, 465 f. 1077 S Rn 159 ff. 1078 LK/Tiedemann § 283 Rn 121 f; NK/Kindhäuser § 283 Rn 67; SK/Hoyer § 283 Rn 77 f; MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 42; HambK/Borchardt § 283 StGB Rn 25; M/G/Rinjes 8/229; Pape/Uhländer/Hofmann § 283 Bankrott Rn 40; Dohmen, S 69; Habetha, S 274; vgl auch Kribs-Drees, S 125.

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Täterkreis des § 283 Abs 1 Nr 6 StGB rechnet mithin auch der Unternehmer, der zunächst die Voraussetzungen des § 1 Abs 2 HGB1079 erfüllte, deshalb gem den §§ 238 ff HGB Bücher führte und diese Bücher vernichtete, nachdem er seinen Kaufmannsstatus verloren hatte.1080 Genauso trifft die Aufbewahrungspflicht den Geschäftserwerber, die Erben eines Kaufmanns, den Testamentsvollstrecker sowie den Insolvenzverwalter, und zwar unabhängig davon, ob die Genannten selbst Kaufleute sind.1081 Die Schwierigkeiten beginnen erst, sobald ein Schuldner freiwillig geführte Bücher 160 beiseiteschafft, verheimlicht, zerstört oder beschädigt. Namentlich im Schrifttum findet sich die Ansicht, die etwa den Freiberufler, der seine Bücher nach Eintritt der Krise vernichtet, dann gem § 283 Abs 1 Nr 6 StGB bestrafen will, wenn die vernichteten Bücher qualitativ denjenigen entsprochen haben, die ein Kaufmann führt1082.1083 Die wohl überwiegende Meinung widerspricht dem zu Recht. Zwar soll der Wortlaut – teilweise geäußerter Auffassung zufolge – einer Interpretation nicht entgegenstehen, die auch freiwillig geführte Bücher dem Schutz des § 283 Abs 1 Nr 6 StGB unterstellt.1084 Zwingend ist aber schon das nicht. Denn wer nur solche freiwillig geführte Bücher erfassen will, die, hätte sie ein Kaufmann geführt, den Büchern iSv § 257 HGB unterfielen, gerät automatisch auf Kollisionskurs mit dem Wortlaut des § 283 Abs 1 Nr 6 StGB, der von den Unterlagen spricht, zu deren Aufbewahrung ein Kaufmann verpflichtet ist und gerade nicht den Konjunktiv „wäre“ verwendet.1085 Darüber hinaus erschiene es ungereimt, bliebe der Gewerbetreibende, der berechtigterweise keine Bücher führt, sub specie Bankrottstrafrecht straflos, wohingegen sein Kollege, der die freiwillig geführten Bücher später vernichtet, bankrottstrafrechtliche Konsequenzen gewärtigen muss.1086 Des Weiteren vermag sich die Ansicht, die den Gewerbetreibenden, der seine freiwillig erstellten Bücher vernichtet, gem § 283 Abs 1 Nr 6 StGB bestraft, auch nicht auf historische Kontinuitäten zu berufen. Im Gegenteil: Die höchstrichterliche Rspr hat zwar den Minderkaufmann,

_____ 1079 Siehe o Rn 108. 1080 LK/Tiedemann § 283 Rn 123; NK/Kindhäuser § 283 Rn 70; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 52; D/K/H/ Dannecker/Hagemeier Rn 1076; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 39; SK/Hoyer § 283 Rn 79; M/R/Altenhain § 283 Rn 28. 1081 LK/Tiedemann § 283 Rn 123; NK/Kindhäuser § 283 Rn 70; SK/Hoyer § 283 Rn 79. 1082 Vgl § 257 HGB und u Rn 162. 1083 Dafür Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 19; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 156; Weyand/Diversy Rn 93; Weyand StuB 1999, 178, 181; ebenso scheinbar S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 39; Preisendanz/Bieneck § 283 Anm 6f aa); Böhle-Stamschräder § 239 KO Anm 9a; indifferent BT-Drucks 7/3441, S 36, wo jedenfalls freiwillig geführte Bücher dem Schutzbereich zugeschlagen werden, ohne allerdings zu sagen, ob dies auch für Freiberufler gilt; ebenso Göhler/Wilts DB 1976, 1657, 1660; s ferner BGHSt 4, 271, 275; BGH/H GA 1953, 74; vgl auch M-G/Richter § 85 Rn 56 f, der zwar nicht die Freiberufler, wohl aber Kleingewerbetreibende sowie von der Buchführungspflicht gem § 241a HGB befreite Gewerbetreibende erfassen will (ebenso LK/Tiedemann § 283 Rn 122; AnwK/Püschel § 283 Rn 23; Grosche, S 92 f) sowie Fischer § 283 Rn 24, der sich zwar für ein Vernichtungsverbot im Krisenfall ausspricht, hingegen einer Aufbewahrungspflicht etwa von „empfangenen Handelsbriefen“ bei Nichtkaufleuten skeptisch gegenüber steht, da kaum einmal gesagt werden könne, welche Korrespondenz der Nichtkaufleute den Handelsbriefen entspreche; letzterem zust Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 107, dem zufolge auch die freiwillig geführten Bücher des Freiberuflers erfasst sind; ebenso G/J/W/Reinhart § 283 Rn 51; Hauck, S 66 ff; ähnl wohl S/S/W/Bosch § 283 Rn 25; s des Weiteren Kuhn, (1912), S 32 f, Büttiker, (1914), S 56 sowie Höfner, S 67, zumindest mit Blick auf die von einem Minderkaufmann iSd § 4 HGB aF freiwillig geführten Bücher; hiergegen aber Steinbrück, (1929), S 25: Taugliche Täter sind nur Kaufleute. 1084 MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 53. 1085 S dazu schon NK/Kindhäuser § 283 Rn 67; zust Habetha, S 275. 1086 NK/Kindhäuser § 283 Rn 68; ähnl schon v. Babo, (1908), S 35; dagegen dezidiert SK/Hoyer § 283 Rn 76.

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der seine Bücher beseitigte, wegen Verstoßes gegen § 239 Nr 4 KO verurteilt.1087 Diese Vorschrift sanktionierte jedoch ausschließlich den sog „betrüglichen Bankerutt“, den ein Schuldner beging, der die Tathandlungen des § 239 KO in der Absicht verwirklichte, seine Gläubiger zu benachteiligen. Gerade diese Benachteiligungsabsicht war es, die den BGH dazu veranlasste, eine extensive Interpretation des § 239 Nr 4 KO zu befürworten.1088 Da der gegenwärtige § 283 StGB dieses besondere subjektive Merkmal nicht kennt, spricht viel dafür, die Extension des § 239 Nr 4 KO nicht in § 283 Abs 1 Nr 6 StGB hinein zu verlängern. Schließlich stimmt es bedenklich, freiwillig geführte Bücher via § 283 Abs 1 Nr 6 StGB den handelsrechtlich vorgesehenen Aufbewahrungspflichten zu unterwerfen und damit womöglich strafrechtlich längere Fristen zu statuieren, als sie das einschlägige Zivil-, Gewerbe- oder Steuerrecht vorsehen.1089 Mit dem Grds, strafrechtlich nicht zu ahnden, was zivil-, gewerbe- oder steuerrechtlich erlaubt ist, wäre das nicht vereinbar. Resümierend erfasst § 283 Abs 1 Nr 6 StGB somit lediglich solche Unterlagen, die von einem Kaufmann herrühren.1090 Was dagegen den Täterkreis des § 283b Abs 1 Nr 2 StGB anbelangt, bleibt es bei der 161 oben 1091 schon angesprochenen doppelten Einschränkung. Täterschaftlich kann den § 283b Abs 1 Nr 2 StGB nur verwirklichen, wer zugleich Schuldner und Kaufmann ist,1092 wobei der spätere Wegfall der Kaufmannseigenschaft die Aufbewahrungspflicht genauso wie bei § 283 Abs 1 Nr 6 StGB unberührt lässt.1093

b) Die Tatgegenstände der §§ 283 Abs 1 Nr 6, 283b Abs 1 Nr 2 StGB Gegenüber den §§ 283 Abs 1 Nrn 5, 7, 283b Abs 1 Nrn 1, 3 StGB erweitern die §§ 283 Abs 1 162 Nr 6, 283b Abs 1 Nr 2 StGB den Kreis der geschützten Gegenstände von den Handelsbüchern auf sonstige aufbewahrungspflichtige Unterlagen. Zu den Handelsbüchern rechnen bspw die Journale, das Grundbuch, Kassenbücher sowie Sach- und Personenkontenblätter.1094 Was „sonstige Unterlagen“ sind, ergibt sich va1095 aus § 257 HGB.

_____ 1087 BGHSt 2, 386 f = NJW 1952, 898 f = LM Nr 2 zu § 239 KO; BGHSt 4, 271, 275; vgl auf dieser Linie auch schon RGSt 16, 426, 429. 1088 BGHSt 2, 386, 387 = NJW 1952, 898, 899 = LM Nr 2 zu § 239 KO. 1089 S etwa LK/Tiedemann § 283 Rn 122; ferner MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 53 am Bsp von steuerrechtlichen Aufzeichnungen. 1090 MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 42 und § 283 Rn 53; M/G/Rinjes 8/229, 233; M/R/Altenhain § 283 Rn 28; Böttger/Verjans 4/86; Dohmen, S 68 f; Habetha, S 274 ff; vgl auch SK/Hoyer § 283 Rn 78, der von Unterlagen spricht, die von einem Ist-, Kann- oder Formkaufmann herrühren; s des Weiteren Hiltenkamp-Wisgalle, S 185 ff, die jedoch die Minderkaufleute alten Rechts scheinbar erfassen will; vgl schließlich auch S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 39, der Privatleute nur bei Vorliegen besonderer Umstände als Täter erfassen will, ohne allerdings zu sagen, unter welchen Voraussetzungen solche besonderen Umstände vorliegen, die es rechtfertigen, Privatpersonen, die bspw freiwillig geführte Bücher vernichten, gem § 283 Abs 1 Nr 6 StGB zu bestrafen; aA A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 159. 1091 Vgl Rn 101. 1092 AllgM; s nur Fischer § 283b Rn 4; MK/Radtke/Petermann § 283b Rn 8; SK/Hoyer § 283b Rn 4; S/S/W/ Bosch § 283b Rn 2; S/S/Heine/Schuster § 283b Rn 3; NK/Kindhäuser § 283b Rn 2; Lackner/Kühl/Heger § 283b Rn 1; M-G/Richter § 85 Rn 56; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 30; W/J/Pelz 9/188; HambK/Borchardt § 283b StGB Rn 2; M/G/Rinjes 8/265; MAH/Böttger § 19 Rn 166; Böttger/Verjans 4/114; Weyand/Diversy Rn 126; Hagedorn, S 74. 1093 Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 30. 1094 M-G/Richter § 85 Rn 58. 1095 Fraglich ist etwa, ob der von § 264 HGB geforderte, in § 257 HGB freilich nicht erwähnte Anhang zu den sonstigen Unterlagen iSd §§ 283 Abs 1 Nr 6, 283b Abs 1 Nr 2 StGB rechnet; befürwortend etwa LK/ Tiedemann § 283 Rn 124.

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716 | 3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften

Nach dessen Abs 1 Nrn 1–4 gehören zu den „sonstigen Unterlagen“ etwa die Eröffnungsbilanzen, die Inventare, die Jahresabschlüsse, die Lageberichte und die zu ihrem Verständnis erforderlichen Arbeitsanweisungen sowie sonstige Organisationsunterlagen, die empfangenen Handelsbriefe, die Kopien der abgesandten Handelsbriefe (in Papierform oder Mikrokopie) und die Buchungsbelege. Mit Ausnahme der Eröffnungsbilanzen und der Abschlüsse dürfen sämtliche aufgezählte Unterlagen auch elektronisch etwa auf Datenträgern aufbewahrt werden (vgl § 257 Abs 3 HGB). Ob der Kaufmann daneben Ausdrucke der elektronisch (EDV-mäßig) gespeicherten Unterlagen aufbewahren muss, deren alleinige Vernichtung etc bankrottstrafrechtliche Konsequenzen zu zeitigen vermag,1096 erscheint angesichts der Regelung des § 257 Abs 3 HGB zweifelhaft. Jedenfalls dürfte die Vermögensübersicht nicht erschwert sein, sollte der Kaufmann/Geschäftsführer zwar die Ausdrucke, nicht aber die Datenträger vernichtet haben. Dagegen soll der umgekehrte Fall, in dem der Kaufmann/Geschäftsführer das Original vernichtet, nachdem er hiervon eine Abschrift gefertigt hat, dem Tatbestand der §§ 283 Abs 1 Nr 6, 283b Abs 1 Nr 2 StGB unterfallen, da später zum einen nicht mehr feststellbar sei, ob Original und Abschrift wirklich übereinstimmen und zum anderen Änderungen, die der Kaufmann/Geschäftsführer im Original vorgenommen hat, verloren seien.1097

c) Schutzdauer 163 Die Aufbewahrungsfrist beträgt für die in § 257 Abs 1 Nrn 1, 4 HGB genannten Unterla-

gen zehn, für die in § 257 Abs 1 Nrn 2, 3 gelisteten Unterlagen sechs Jahre (vgl § 257 Abs 4 HGB; zum Fristbeginn s § 257 Abs 5 HGB).1098 Probleme bereiten Konstellationen, in denen der kaufmännische Unternehmer ein Insolvenzverfahren durchlaufen hat und nach dessen Abschluss Unterlagen iSd §§ 283 Abs 1 Nr 6, 283b Abs 1 Nr 2 StGB vernichtet.1099 Je nachdem, ob das Insolvenzverfahren das Vermögen eines Einzelkaufmanns oder aber das Gesellschaftsvermögen einer Personengesellschaft/juristischen Person betraf, sind unterschiedliche Ergebnisse denkbar. Endet das Insolvenzverfahren über ein einzelkaufmännisches Unternehmen und erlangt der Kaufmann seine Verfügungsbefugnis zurück, soll er nach teilweise vertretener Ansicht nur dann gem den §§ 283 Abs 1 Nr 6, 283b Abs 1 Nr 2 StGB haften, falls die Gläubiger an den vernichteten Unterlagen weiterhin ein berechtigtes Aufbewahrungsinteresse hatten.1100 Die Gegenansicht wirft diesem Ansatz vor, er sei in praxi nicht handhabbar und letzten Endes zu unbestimmt. Weil die Unterlagen immer wieder und aus verschiedenen Anlässen von Bedeutung sein

_____ 1096 In diese Richtung tendiert scheinbar M-G/Richter § 85 Rn 58. 1097 Grdl RGSt 16, 426, 430. 1098 Nach Alsberg Pinner-FS, S 215, 230 soll sich auch gem § 239 Nr 4 KO aF strafbar machen, wer die Geschäftsbücher nach Ablauf der Aufbewahrungsfristen mit der Intention vernichtet, seine Gläubiger zu gefährden. Mit dem von ihm hochgehaltenen Grds, strafrechtlich nicht zu ahnden, was das Zivilrecht gestattet (aaO, S 229), ist diese Ansicht freilich nicht vereinbar. 1099 Bankrottstrafrechtliche Relevanz kann diese nach Abschluss des Insolvenzverfahrens erfolgende Zerstörung aber nur erlangen, wenn in ihrer Folge erneut die objektive Strafbarkeitsbedingung eintritt. An die vorangegangene Strafbarkeitsbedingung kann hingegen nicht angeknüpft werden; zutr RGSt 9, 134, 135 f; LK/Tiedemann § 283 Rn 123; SK/Hoyer § 283 Rn 79; wohl auch NK/Kindhäuser § 283 Rn 73; aA aber RGSt 11, 386 f. 1100 BGH/H GA 1954, 311; RGSt 22, 436, 437 f; LK/Tiedemann § 283 Rn 123, 125; zust S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 41; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 53; enger NK/Kindhäuser § 283 Rn 73, dem zufolge nach Abschluss des Insolvenzverfahrens die strafbewehrte Aufbewahrungspflicht in jedem Fall endet.

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könnten, bleibt es ihr zufolge bei den Aufbewahrungsfristen des § 257 Abs 4 HGB. Das durchlaufene Insolvenzverfahren verkürze diese Fristen nicht.1101 Den Vorzug verdient eine differenzierende Lösung, die im Übrigen auch mit den sogleich zu behandelnden, gleichgelagerten Sachverhaltsgestaltungen auf der Ebene der Personengesellschaften/ juristischen Personen harmoniert. Danach trifft den einzelkaufmännischen Unternehmer, der ein Insolvenzverfahren durchlaufen hat, die strafbewehrte Aufbewahrungspflicht unverändert, sofern er im Anschluss an das Insolvenzverfahren seinen Betrieb weiterführt bzw diesen aufgibt, ohne beim zuständigen Insolvenzgericht Antrag auf Restschuldbefreiung zu stellen. 1102 Verzichtet der einzelkaufmännische Unternehmer hingegen darauf, seinen Betrieb wieder aufzunehmen und schlägt er stattdessen den Weg der Restschuldbefreiung (vgl §§ 286 ff InsO) ein, spricht viel dafür, die Aufbewahrungspflichten enden zu lassen, sobald die Wohlverhaltensperiode (derzeit sechs Jahre, vgl § 287 Abs 2 S 1 InsO) komplikationslos verstrichen ist,1103 da ab diesem Zeitpunkt die Forderungen sämtlicher normaler (zu den ausgenommenen Forderungen s § 302 InsO) Insolvenzgläubiger erlöschen (s § 301 Abs 1 InsO), mithin niemand mehr existiert, der an den früheren Handelsbüchern und sonstigen Unterlagen noch ein Interesse haben könnte. Ersetzt man den einzelkaufmännischen Unternehmer durch eine Personengesellschaft/juristische Person, gelangt man richtigerweise zu ganz ähnlichen Ergebnissen: Schließt sich an das Insolvenzverfahren ein Liquidationsverfahren an oder beschließen die Gesellschafter, ihre Gesellschaft als werbende fortzuführen, bleibt die strafbewehrte Aufbewahrungspflicht bestehen. Führt das Insolvenzverfahren jedoch zur Vollbeendigung der Gesellschaft, soll die strafbewehrte Aufbewahrungspflicht endigen, obschon – insoweit parallel zum Widerruf der Restschuldbefreiung (vgl § 303 InsO) – die geringe Wahrscheinlichkeit besteht, dass noch Gesellschaftsvermögen auftaucht und deshalb – um diese Vermögensgegenstände zu verteilen –, ein Liquidationsverfahren nötig wird. – Einzelne Gesetze knüpfen an die Auflösung und Löschung der Gesellschaft erneute Aufbewahrungspflichten (vgl §§ 74 Abs 2 S 1 GmbHG, 273 Abs 2 AktG, 93 GenG). Einen Verstoß hiergegen erfassen die §§ 283 Abs 1 Nr 6, 283b Abs 1 Nr 2 StGB indes nicht.1104

d) Tathandlungen Die §§ 283 Abs 1 Nr 6, 283b Abs 1 Nr 2 StGB bestrafen das Beiseiteschaffen, Verheimli- 164 chen, Zerstören oder Beschädigen von Handelsbüchern und sonstigen aufbewahrungspflichtigen Unterlagen. Was die Interpretation der einzelnen Handlungsmodalitäten anbelangt, sei auf die Ausführungen zu § 283 Abs 1 Nr 1 StGB verwiesen.1105 Insoweit bestehen keine Unterschiede.1106 Allerdings schützen die §§ 283 Abs 1 Nr 6, 283b Abs 1 Nr 2

_____ 1101 So Bittmann/Bittmann Voraufl Rn 202. 1102 Die schlichte Betriebsaufgabe lässt die strafbewehrte Aufbewahrungspflicht schon deshalb nicht entfallen, weil der Schuldner nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens gem § 201 Abs 1 InsO für die nicht befriedigten Forderungen seiner Gläubiger weiter haftet, diese also ein Interesse an der Existenz der Bücher haben. 1103 Andeutungsweise schon Bittmann/Bittmann Voraufl Rn 202. 1104 HM; s nur LK/Tiedemann § 283 Rn 123; aA aber M-G/Richter § 81 Rn 88 für die Verwahrungspflicht des § 74 Abs 2 GmbHG. 1105 Siehe o Rn 62, 68 ff. 1106 SK/Hoyer § 283 Rn 76; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 52; M-G/Richter § 85 Rn 61.

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StGB nicht die Substanz, sondern den Inhalt der Bücher.1107 Vor diesem Hintergrund genügt bereits die irreparable Auflösung einer Loseblattsammlung den tatbestandlichen Anforderungen.1108 Auch setzt der Tatbestand nicht die Vernichtung sämtlicher geschützter Unterlagen voraus.1109 Vielmehr verletzt die §§ 283 Abs 1 Nr 6, 283b Abs 1 Nr 2 StGB schon, wer einzelne Tatobjekte vernichtet, etwa indem er elektronisch gespeicherte Daten löscht bzw sperrt.1110 Zerstört ein Dritter die Handelsbücher bzw die sonstigen Unterlagen oder fallen diese Dokumente einem zufälligen Ereignis zum Opfer, verpflichten die §§ 283 Abs 1 Nr 6, 283b Abs 1 Nr 2 StGB den Kaufmann/Geschäftsführer nicht dazu, die untergegangenen Dokumente wiederherzustellen.1111 Gleichwohl kann der Kaufmann bzw Geschäftsführer nach dem Untergang seiner Bücher nicht einfach untätig bleiben, ohne (bankrott-)strafrechtliche Konsequenzen befürchten zu müssen. Will er nicht in das Fahrwasser der §§ 283 Abs 1 Nrn 5, 7, 283b Abs 1 Nrn 1, 3 StGB geraten, hat er die zerstörten Bücher/Bilanzen innerhalb einer angemessenen Frist zu rekonstruieren.1112 Neben die Voraussetzung ein Handelsbuch etc zu zerstören usw stellen die §§ 283 Abs 1 Nr 6, 283b Abs 1 Nr 2 StGB das Erfordernis einer erschwerten Vermögensübersicht. Inhaltlich verläuft dieses Merkmal in denselben Bahnen wie bei §§ 283 Abs 1 Nr 5 Var 2, 283b Abs 1 Nr 1 Var 2 StGB1113.1114 Dieser Gleichlauf gilt insbes auch für den maßgebenden Zeitpunkt, zu dem die Vermögensübersicht erschwert sein muss. Dh: Hat der Täter bspw nicht die aktuellen Handelsbücher, sondern bereits Jahre zurückliegende Dokumente vernichtet, erschwert solches Verhalten im Zeitpunkt seiner Vornahme keinesfalls zwingend die Vermögensübersicht. Formelhaft ausgedrückt: Je älter die vernichteten Unterlagen sind, desto weniger dürfte ihre Zerstörung Auswirkungen auf die Vermögensübersicht zeitigen. Freilich ist diese Formel nicht in Stein gemeißelt. So erschwert etwa die Übersicht über sein Vermögen, wer Unterlagen vernichtet, die noch offene, unverjährte Forderungen betreffen. 165 Lässt sich im Nachhinein nicht mehr aufklären, ob der Kaufmann/Geschäftsführer die Handelsbücher vernichtet bzw erst gar nicht geführt hat, ergeben die ermittlungsbehördlichen Feststellungen also lediglich, dass keine Handelsbücher existieren, bestehen keine Bedenken gegenüber einer Wahlfeststellung zwischen § 283 Abs 1 Nr 5 StGB und § 283 Abs 1 Nr 6 StGB.1115 Allerdings bedarf es gem § 265 StPO eines diesbzgl Hinweises, sofern der Eröffnungsbeschluss dem Angeklagten lediglich unterlassene Buchführung vorgeworfen hat.1116

_____ 1107 NK/Kindhäuser § 283 Rn 71; Fischer § 283 Rn 24. 1108 BT-Drucks 7/3441, S 36; LK/Tiedemann § 283 Rn 125a; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 40; NK/Kindhäuser § 283 Rn 71; SK/Hoyer § 283 Rn 76; M-G/Richter § 85 Rn 61; Preisendanz/Bieneck § 283 Anm 6f cc); G/J/W/Reinhart § 283 Rn 52. 1109 S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 40; NK/Kindhäuser § 283 Rn 71; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 52; Park/ Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 34; Preisendanz/Bieneck § 283 Anm 6f cc); aA wohl Böhle-Stamschräder § 239 KO Anm 9b, f; ders KTS 1957, 17, 21 f; Mathieu GA 1954, 225, 229, alle freilich noch zu § 239 Abs 1 Nr 4 KO, der Zuchthausstrafe androhte und deshalb restriktiv gehandhabt wurde. 1110 Zum Ganzen LK/Tiedemann § 283 Rn 125b; ferner M-G/Richter § 85 Rn 61; M/G/Rinjes 8/230; zu Recht einschr A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 157, der jedenfalls dann eine vollendete Unterdrückung verneint, wenn die gelöschten Daten innerhalb angemessener Zeit wiederhergestellt werden können. 1111 RG JW 1899, 804; insoweit zust LK/Tiedemann § 283 Rn 127; NK/Kindhäuser § 283 Rn 72. 1112 S schon RG JW 1899, 804; NK/Kindhäuser § 283 Rn 72. 1113 Siehe o Rn 153 ff. 1114 S nur S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 42. 1115 LK/Tiedemann § 283 Rn 127; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 49a; W/J/Pelz 9/175; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 77; Bittmann ZGR 2009, 931, 976. 1116 BGH/H GA 1954, 312.

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4. Die Tatbestände des § 283 Abs 1 Nr 7a StGB = § 283b Abs 1 Nr 3a StGB Die Tatbestände der §§ 283 Abs 1 Nr 7a, 283b Abs 1 Nr 3a StGB sanktionieren – ähnlich 166 wie die §§ 283 Abs 1 Nr 5 Var 2, 283b Abs 1 Nr 1 Var 2 StGB – sämtliche Bilanzmängel, die geeignet sind, den Vermögensüberblick zu erschweren. Neben die Schwierigkeiten, die aufkommen, sobald man danach fragt, was das Gesetz unter einer Bilanz versteht,1117 tritt die Frage, welche Verstöße gegen das Bilanzrecht so schwer wiegen, dass sie ein (bankrott-)strafrechtliches Einschreiten erfordern.1118

a) Der Bilanzbegriff der §§ 283 Abs 1 Nr 7, 283b Abs 1 Nr 3 StGB Die Frage nach dem Bilanzbegriff, der den §§ 283 Abs 1 Nr 7, 283b Abs 1 Nr 3 StGB zu- 167 grunde liegt, berührt zwei Themenkreise. Zum einen geht es darum, ob die §§ 283 Abs 1 Nr 7, 283b Abs 1 Nr 3 StGB zusätzlich zu den Bilanzen iSv § 242 Abs 1 HGB auch die Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) sowie – bei Kapitalgesellschaften (vgl § 264 HGB) – den Anhang und den Lagebericht erfassen.1119 Zum anderen muss Klarheit darüber herrschen, welche Bilanzarten das Bilanzrecht kennt, hängen doch hiervon womöglich die Anforderungen ab, die ein Kaufmann bzw Geschäftsführer iRd Bilanzaufstellung zu beachten hat.1120

aa) Die Tatgegenstände der §§ 283 Abs 1 Nr 7, 283b Abs 1 Nr 3 StGB Völlig unstreitig erfassen die §§ 283 Abs 1 Nr 7, 283b Abs 1 Nr 3 StGB die Bilanzen iSv 168 § 242 Abs 1 HGB. Ob des Weiteren den Tatbestand verwirklicht, wer die GuV bzw den Anhang oder den Lagebericht unordentlich erstellt,1121 darüber lässt sich trefflich streiten. Die ganz hM verficht einen engen Bilanzbegriff und fasst hierunter lediglich die von § 242 Abs 1 HGB geregelten Bilanzen. Der fehlerhafte Anhang oder Lagebericht bzw die unsachgemäß errichtete GuV führen somit nicht zur Strafbarkeit gem den §§ 283 Abs 1 Nr 7a, 283b Abs 1 Nr 3a StGB.1122 Freilich evozierte die Gegenansicht, die unter den Bilanzbegriff der §§ 283 Abs 1 Nr 7, 283b Abs 1 Nr 3 StGB auch GuV, Lageberichte und Anhänge fasst,1123 nicht automatisch den Vorwurf, hierbei handele es sich um eine ganz abwegige Interpretation. Vielmehr könnte sie den Wortlaut der §§ 242 Abs 3, 264 Abs 1 HGB bemühen, wonach Bilanz und GuV bzw Bilanz, GuV, Anhang und Lagebericht eine Einheit bilden. Trotz dieser vom Bilanzrecht angeordneten engen Beziehung zwischen Bilanz, GuV, Anhang und Lagebericht verdient die enge Auslegung der hM den Vorzug. Zunächst ändert die gem den §§ 242 Abs 3, 264 Abs 1 HGB bewirkte Einheit nichts an der Tatsache, dass die Termini „GuV“, „Anhang“ und „Lagebericht“ schon nach dem HGB von der Bilanz abweichende Gegenstände benennen, die anderen Regelungen folgen

_____ 1117 Dazu s Rn 167 ff. 1118 S Rn 184 ff. 1119 S Rn 168. 1120 S Rn 169 ff. 1121 In praxi dürften solche Fälle freilich nur äußerst selten vorkommen, geht doch etwa die unrichtige GuV fast immer mit einer Manipulation der Jahresabschlussbilanz einher; dazu Nelles, Diss. S 145; ferner Schüppen, S 149 f. 1122 Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 37; SK/Hoyer § 283 Rn 82; M-G/Richter § 85 Rn 42; Schüppen, S 151 f; Hagedorn, S 76 ff; iE so auch Wolf/Nagel StuB 2006, 621, 623 f, die aber de lege ferenda vorschlagen, den von §§ 283 Abs 1 Nr 7, 283b Abs 1 Nr 3 StGB verwendeten Terminus „Bilanz“ durch „Jahresabschluss“ zu ersetzen; offen gelassen von Regierer, S 83. 1123 Hauck, S 122, 129 rechnet zu den Bilanzen iSd Nr 7 auch die GuV.

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und die deshalb – nicht zuletzt mit Blick auf Art 103 Abs 2 GG – nur schwer dem Merkmal „Bilanz“ iSd §§ 283 Abs 1 Nr 7, 283b Abs 1 Nr 3 StGB subsumierbar sind.1124 Darüber hinaus nährt ein Blick auf § 265b Abs 1 Nr 1a StGB Zweifel an der Stimmigkeit eines weiten Bilanzverständnisses.1125 Dort hat nämlich der Gesetzgeber als Täuschungsinstrument neben der Bilanz ausdrücklich die GuV erwähnt. Genauso hätte er iRd §§ 283 Abs 1 Nr 7, 283b Abs 1 Nr 3 StGB verfahren können, wäre es sein Ziel gewesen, auch denjenigen (bankrott-)strafrechtlich zu ahnden, der die erforderliche GuV, den nötigen Lagebericht oder Anhang unzutreffend erstellt. Schließlich streitet zugunsten des engen Bilanzbegriffs ein intrasystematischer Vergleich zu den §§ 283 Abs 1 Nr 7b, 283b Abs 1 Nr 3b StGB. Indem die Vorschrift der Bilanz das Inventar zur Seite stellt, zeigt sich deutlich: Wenn er will, nennt der Gesetzgeber die tauglichen Tatgegenstände ausdrücklich. Schweigt er hingegen und lässt GuV, Lagebericht sowie Anhang unerwähnt, bringt er damit nur einmal mehr den Grds der Fragmentarietät des Strafrechts zum Ausdruck. Schließlich drohen auf dem Boden eines engen Bilanzverständnisses auch keine unerträglichen Strafbarkeitslücken, lassen sich doch gravierende Missstände in der GuV, dem Anhang oder Lagebericht mithilfe des § 283 Abs 1 Nr 8 StGB ahnden1126.1127 Umgekehrt freilich können GuV, Anhang und Lagebericht durchaus Wirkung zeitigen, indem sie trotz ordnungswidrig erstellter Bilanz verhindern, dass ein sachverständiger Dritter sich keinen Vermögensüberblick verschaffen kann.1128

bb) Die gängigen Bilanzarten 169 Die Vorschrift des § 242 Abs 1 HGB verpflichtet den Kaufmann zu Beginn seines Handels-

gewerbes sowie für den Schluss eines jeden Geschäftsjahrs eine Bilanz aufzustellen. Damit sind die beiden wichtigsten Bilanzarten benannt: die Eröffnungs- und die Jahresabschlussbilanz (§ 242 Abs 1 S 1 HGB spricht insofern kurz von der Bilanz). Hinzu treten die Liquidations(eröffnungs)bilanz1129 sowie bestimmte Sonderbilanzen1130 – letztere bleiben hier ausgeklammert, da ihre bspw unterbliebene Aufstellung nicht den Vorwurf der §§ 283 Abs 1 Nr 7b, 283b Abs 1 Nr 3b StGB evoziert1131 – wie etwa die Überschuldungsbilanz oder die Bilanz, die einen Verstoß gegen § 30 Abs 1 GmbHG (sog Unterbilanz) ermittelt.

(1) Die Eröffnungsbilanz 170 Wer ein Unternehmen gründet, das einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Ge-

werbebetrieb erfordert1132 und die Schwellenwerte gem § 242 Abs 4 HGB iVm § 241a HGB überschreitet, hat eine Eröffnungsbilanz aufzustellen.1133 Dabei spielt es keine Rolle, ob

_____ 1124 LK/Tiedemann § 283 Rn 130. 1125 LK/Tiedemann § 283 Rn 130; Schüppen, S 152; Hagedorn, S 76. 1126 Su Rn 210. 1127 Schüppen, S 152 f. 1128 M-G/Richter § 85 Rn 42. 1129 Su Rn 173. 1130 Eine Aufzählung findet sich etwa bei Hoffmann MDR 1979, 93, 95; s ferner Hagedorn, S 38. 1131 Meilicke BB 1984, 893 am Bsp der nicht erstellten Überschuldungsbilanz. 1132 Vgl § 1 Abs 2 HGB und o Rn 108. 1133 S etwa den Sachverhalt bei RG GA 38 (1891), 351; Blumers, S 23; zum Zeitpunkt, ab dem die Pflicht entsteht, eine Eröffnungsbilanz zu ziehen, s instruktiv Schulze-Osterloh Hüffer-FS, S 917, 918 ff.

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das Unternehmen im Zeitpunkt der Bilanzerstellung überhaupt schon Vermögen besitzt.1134 Hat das Unternehmen also noch kein Vermögen erworben und keine Verbindlichkeiten begründet, weisen beide Seiten der Bilanz eben jeweils den Betrag „null“ aus.1135 Des Weiteren entsteht die Pflicht, eine Eröffnungsbilanz zu erstellen, für den Kleingewerbetreibenden, sobald er die Schwelle des § 1 Abs 2 HGB überschreitet1136 bzw sich gem § 2 HGB eintragen lässt1137 und zudem Umsatzerlöse und Jahresüberschüsse oberhalb der Grenzwerte des § 241a HGB erwirtschaftet sowie für denjenigen, der ein Handelsgewerbe entweder rechtsgeschäftlich1138 – wobei es nicht darauf ankommt, ob er die alte Firma weiterführt1139 – oder gesetzlich etwa im Wege des Erbgangs1140 erwirbt.1141 Gleiches gilt, wenn der Kaufmann einen Partner aufnimmt und sein Unternehmen zur oHG bzw Kommanditgesellschaft avanciert,1142 wenn der vorletzte Gesellschafter eine oHG/Kommanditgesellschaft verlässt, wodurch diese auf den Status eines einzelkaufmännischen Unternehmens herabsinkt,1143 oder wenn der minderjährige Betreiber eines Handelsgewerbes volljährig wird bzw ihm das Vormundschaftsgericht die entsprechende „Betriebsgenehmigung“ erteilt.1144 Wechsel im Gesellschafterbestand einer Personenhandelsgesellschaft nötigen hingegen nicht dazu, eine Eröffnungsbilanz zu ziehen, da sich der Rechtsträger im Unterschied zu den vorstehend genannten Konstellationen nicht ändert.1145

_____ 1134 RG LZ 1915, 897; RG JW 1908, 603; Staub/Pöschke § 242 Rn 24; Fischer § 283 Rn 26; S/S/W/Bosch § 283 Rn 28. 1135 RG Rspr 4, 316, 317; wohl auch RG JW 1890, 432; s ferner LK/Tiedemann § 283 Rn 132; M-G/Richter § 85 Rn 46; Schulze-Osterloh Hüffer-FS, S 917, 920, 927. 1136 BGH LM Nr 7 zu § 240 KO (in NJW 1954, 1854 nicht abgedr); RG DJZ 1906, 656; RG DJZ 1908, 875 f; ferner RGSt 45, 3, 6; Staub/Pöschke § 242 Rn 24; Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Böcking/Gros § 242 Rn 5; MK-HGB/Ballwieser § 242 Rn 2; ADS § 238 Rn 22; SK/Hoyer § 283 Rn 83; M-G/Richter § 85 Rn 46; M/G/Rinjes 8/244; Blumers, S 27 ff; Schulze-Osterloh Hüffer-FS, S 917, 921, dem zufolge es einer Eröffnungsbilanz jedoch nicht bedarf, wenn schon der Kleingewerbetreibende freiwillig den Anforderungen einer kaufmännischen Buchführung nachgekommen ist und der iRd §§ 283b Abs 1 Nrn 1, 7b, 283b Abs 1 Nrn 1, 3b StGB das Verschulden verneinen will, sofern dem „frischgebackenen“ Kaufmann aufgrund der Schwierigkeit, den Zeitpunkt festzustellen, zu dem sein Gewerbe einer kaufmännischen Einrichtung bedarf, kein Vorwurf gemacht werden kann (aaO, S 922). 1137 MAH/Böttger § 19 Rn 150; SK/Hoyer § 283 Rn 83; W/J/Pelz 9/164; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 59; Schulze-Osterloh Hüffer-FS, S 917, 923. 1138 Zur Pflicht, eine Eröffnungsbilanz zu erstellen bei Inhaberwechsel durch Veräußerung s RG GA 35 (1888), 312; Staub/Pöschke § 242 Rn 24; MK-HGB/Ballwieser § 242 Rn 2; Schulze-Osterloh Hüffer-FS, S 917, 924; sa Fischer § 283 Rn 26. 1139 S RGSt 26, 222, 224 f. 1140 RGSt 28, 428, 429 f; Staub/Pöschke § 242 Rn 24; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 45. 1141 LK/Tiedemann § 283 Rn 131; S/S/W/Bosch § 283 Rn 28; W/J/Pelz 9/164; HambK/Borchardt § 283 StGB Rn 27; Blumers, S 24 f; Nieberg, (1913), S 27. 1142 RG LZ 1914, 689; RG GA 43 (1895), 387, 388; MK-HGB/Ballwieser § 242 Rn 2; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 45; Fischer § 283 Rn 26; SK/Hoyer § 283 Rn 83; M-G/Richter § 85 Rn 46; W/J/Pelz 9/164; S/S/W/Bosch § 283 Rn 28; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 59; Blumers, S 30 f; Nieberg, (1913), S 27; Maul DB 1974, 697, 698, allerdings va unter Hinweis darauf, dass der Einzelkaufmann im Unterschied zu den persönlich haftenden Gesellschaftern auch sein Privatvermögen bilanzieren müsse. 1143 RGSt 26, 222, 223 f; RGSt 16, 55 f; ferner RGSt 45, 3, 6; Fischer § 283 Rn 26; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 45; SK/Hoyer § 283 Rn 83; S/S/W/Bosch § 283 Rn 28; W/J/Pelz 9/164; Blumers, S 33; Nieberg, (1913), S 27; zu beiden Konstellationen Staub/Pöschke § 242 Rn 25; LK/Tiedemann § 283 Rn 131; sa Schulze-Osterloh Hüffer-FS, S 917 f, 924. 1144 RGSt 45, 3, 5 f; Staub/Pöschke § 242 Rn 24; LK/Tiedemann § 283 Rn 131; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 59; Blumers, S 25; skept Meilicke BB 1984, 893. 1145 Staub/Pöschke § 242 Rn 25; Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Böcking/Gros § 242 Rn 5; MK-HGB/Ballwieser § 242 Rn 2; MAH/Böttger § 19 Rn 150; ausf ferner Blumers, S 39 ff.

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Da § 242 Abs 1 HGB zwischen einzelkaufmännischen Unternehmen und Kapitalgesellschaften nicht unterscheidet, sondern beide Gruppen gleichermaßen adressiert, haben bspw auch die Gründer einer GmbH eine Eröffnungsbilanz zu erstellen. Allerdings streitet das bilanzrechtliche Schrifttum über die Frage, innerhalb welchen Stadiums ihres Gründungsprozesses die Kapitalgesellschaft eine Eröffnungsbilanz ziehen muss.1146 Zutreffend erscheint ein vermittelnder Ansatz, der im Ausgangspunkt danach fragt, ob die Vor- bzw die Vorgründungsgesellschaft bereits ein kaufmännisches Unternehmen betreibt und bejahendenfalls schon dieses Vorgebilde verpflichtet, eine Eröffnungsbilanz aufzustellen.1147 Dabei bewendet es aber nicht. Hat das Registergericht die neu gegründete juristische Person im Handelsregister eingetragen, tritt sie – nach hM – im Wege der Universalsukzession das „Erbe“ ihres Vor-Verbandes an.1148 Mit anderen Worten: Das kaufmännische Unternehmen, das der Vor-Verband unterhielt, wechselt seinen Rechtsträger, weshalb § 242 Abs 1 S 1 HGB eine erneute Eröffnungsbilanz fordert.1149 Bilanzführungspflichtig ist schließlich auch die Komplementär-GmbH einer GmbH & Co. KG, selbst wenn sie selbst keine eigenen Geschäfte betreibt.1150

(2) Die Abschlussbilanz und die Liquidationsbilanz 172 Neben der Eröffnungsbilanz verlangt § 242 Abs 1 HGB vom Kaufmann/Geschäftsfüh-

rer zum Ende eines jeden Geschäftsjahres eine Abschlussbilanz anzufertigen. Dabei muss das Geschäftsjahr dem kalendarischen Jahr nicht entsprechen, sondern kann – bspw gesellschaftsvertraglich – hiervon abweichend festgelegt werden, darf jedoch zwölf Monate nicht über- (vgl § 240 Abs 2 S 2 HGB) wohl aber unterschreiten. Mit anderen Worten: Nach Ablauf einer Zeitspanne von zwölf Monaten hat der Kaufmann/Geschäftsführer seine Abschlussbilanz vorzulegen. Sinkt das kaufmännische Unternehmen während des Geschäftsjahres nicht nur vorübergehend unter die Anforderungen des § 1 Abs 2 HGB herab, betreibt der vormalige Kaufmann künftig also ein nichtkaufmännisches Gewerbe, oder gibt er seinen Betrieb vor Ablauf der Zwölfmonatsfrist auf, hat er auf diesen Zeitpunkt eine Abschlussbilanz zu erstellen.1151 Die wegen ihrer praktischen Relevanz gesondert erwähnte Liquidationsbilanz folgt 173 denselben Regeln wie Eröffnungs- und Abschlussbilanz, rechnet also – im Unterschied etwa zur Überschuldungsbilanz – nicht zum Kreis der Sonderbilanzen. Genaugenommen bildet die Liquidationsbilanz einen besonderen Typus der Eröffnungsbilanzen,1152 da der Beginn eines Liquidationsverfahrens immer ihre Aufstellung erfordert. Dh, führt bspw das Insolvenzverfahren über das Vermögen einer juristischen Person nicht zu deren

_____ 1146 Nachw zum Meinungsstand bei Staub/Pöschke § 242 Rn 37. 1147 Weitergehend wohl Th Wolf/Lupp wistra 2008, 250, die den § 6 Abs 2 HGB auch auf die Vor-GmbH anwenden und deshalb nicht nach dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs 2 HGB fragen müssen; vgl zur Bilanzierungsfrist der Gründungsgesellschaft auch Richter GmbHR 1984, 137, 147 m Fn 174. 1148 Zu dieser „Universalsukzessionslösung“ s nur K Schmidt § 34 III 4a (= S 1028 f). 1149 Grdl und ausf zu diesem Ansatz Staub4/Hüffer § 242 Rn 38; aA jetzt Staub/Pöschke § 242 Rn 38; wohl auch MK-HGB/Ballwieser § 242 Rn 14, dem zufolge es auf den Registereintrag nicht ankommt; ebenso wohl Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Böcking/Gros § 242 Rn 6; maßgebend auf die Registereintragung hebt dagegen RGSt 29, 222, 223 ab. 1150 BGH GA 1981, 518. 1151 BGH NJW 1954, 1854 = BGH LM Nr 7 zu § 240 KO; OLG Karlsruhe GA 1975, 313, 315; OLG Celle NJW 1968, 2119, 2120; LK/Tiedemann § 283 Rn 131; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 45; M-G/Richter § 85 Rn 46; Böhle-Stamschräder § 240 KO Anm 5a; ders KTS 1957, 17, 24; Blumers, S 35 ff. 1152 S etwa Th Wolf/Lupp wistra 2008, 250.

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Vollbeendigung,1153 findet sich, nachdem das Handelsregister die juristische Person gelöscht hat, noch Gesellschaftsvermögen1154 – war der Löschung ein Insolvenzverfahren vorausgegangen, liegt grds der Verdacht eines Bankrotts gem § 283 Abs 1 Nr 1 StGB nahe1155 – oder beschließen die Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft diese aufzulösen, müssen die geborenen Liquidatoren – das sind die (ehemaligen) Geschäftsleiter (vgl §§ 66 Abs 1 GmbHG, 265 Abs 1 AktG) bzw sämtliche persönlich haftende Gesellschafter (vgl § 146 Abs 1 S 1 HGB) – eine Liquidationseröffnungsbilanz errichten. Darüber hinaus haben die Liquidatoren, sobald das Gesellschaftsvermögen verteilungsfähig vorliegt, eine Liquidationsabschlussbilanz aufzustellen.1156

b) Inhaltliche Anforderungen an eine ordnungsgemäße Bilanzerstellung Nachfolgend kann es nicht darum gehen, sämtliche Anforderungen zu benennen, denen 174 eine ordnungsgemäße Bilanz in formeller und materieller Hinsicht genügen muss. Insbes die zahlreichen Streitfragen, die sich um die Bilanzierungsgegenstände sowie die zutreffende Wertermittlung ranken, können allenfalls partiell angerissen, keinesfalls aber umfassend beleuchtet werden. Insoweit sei auf die einschlägige bilanzrechtliche Literatur verwiesen. – Stark vereinfacht dient die Bilanz dazu, stichtagsbezogen (vgl § 252 Abs 1 Nr 3 HGB) das Vermögen des Kaufmanns darzustellen, indem sie auf der Aktivseite die Verwendung (va als Anlage- oder Umlaufvermögen; vgl § 266 Abs 2 HGB) und auf der Passivseite die Herkunft der Mittel (va in Form von Eigenkapital, Rückstellungen und Verbindlichkeiten; vgl § 266 Abs 3 HGB) ausweist.1157 Im Ergebnis müssen sich beide Seiten die Waage halten.1158 Drei Themenkreise bilden das Zentrum einer jeden Bilanzerstellung. Zum einen die Frage, welche Vermögensgegenstände überhaupt in die Bilanz gehören,1159 zum anderen – und ersterer nachgelagert – die Frage, wie diese Vermögensgegenstände zu bewerten sind.1160 Drittens steht der bilanzierende Kaufmann vor dem Problem, seine Bilanz formal-technisch ordnungsgemäß zu gestalten.1161 Antworten geben die §§ 242 ff HGB, wobei die §§ 242–263 HGB allgemeine Vorgaben normieren und die §§ 264–289a HGB spezielle Anforderungen festlegen, denen die Bilanzen juristischer Personen – mit Ausnahme der eG, für die die §§ 336 ff HGB zT abweichende Regelungen vorsehen – bzw solcher Personengesellschaften genügen müssen, deren persönlich haftende Gesellschafter keine natürlichen Personen sind (vgl § 264a HGB; sog haftungsbeschränkte Personenhandelsgesellschaften1162).1163

_____ 1153 Etwa im Falle der Insolvenzablehnung mangels Masse; in solchen Konstellationen ist das Aufstellen einer Liquidationseröffnungsbilanz zwingend erforderlich, wird aber in praxi oft vernachlässigt; dazu M-G/Richter § 85 Rn 46. 1154 Da die Löschung keine konstitutive, sondern lediglich deklaratorische Wirkung entfaltet, hat in solchen Fällen die Gesellschaft nie aufgehört zu existieren, weshalb die Liquidation als Nachtragsliquidation fortgesetzt werden muss; vgl dazu nur Kalter KTS 1983, 525, 526; s ferner Th Wolf/Lupp wistra 2008, 250, 252. 1155 Bittmann/Bittmann Voraufl Rn 221; zust LK/Tiedemann § 283 Rn 132. 1156 Blumers, S 10, 47; s ferner S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 45. 1157 K Schmidt § 15 III 3a (= S 428); Meyer/C Theile Rn 1040; Nelles, Diss. S 50; Fink/Woring JuS 2001, 1067, 1070. 1158 Meyer/C Theile Rn 1050; Fink/Woring JuS 2001, 1067, 1072. 1159 Su Rn 175 ff. 1160 Su Rn 178 ff. 1161 Su Rn 183. 1162 Formulierung von Kanitz Rn 155. 1163 Anschaul zu dieser Grobgliederung des Bilanzrechts Kanitz Rn 156 ff.

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aa) Der Bilanzinhalt – die zu bilanzierenden Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten1164 175 Gem § 242 Abs 1 S 1 HGB soll die Bilanz Aufschluss über das Vermögen und die Schulden geben. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die Vermögensgegenstände – Aktiva wie Passiva – feststehen, die in das Zahlenwerk „Bilanz“ eingehen. Den Ausgangspunkt markiert § 246 Abs 1 S 1 HGB, der den Vollständigkeitsgrundsatz normiert und die Forderung aufstellt, sämtliche wesentliche1165 Vermögensgegenstände, Schulden etc auszuweisen. Die Sätze 2 und 3 des § 246 Abs 1 HGB legen sodann ganz allgemein fest, welche Posten zu den Vermögensgegenständen und welche zu den Schulden rechnen. Mit dem Vollständigkeitsgrundsatz verwandt ist die Regelung des § 246 Abs 2 S 1 HGB, die es verbietet, Aktiva und Passiva miteinander zu verrechnen und damit das sog Saldierungsverbot zum Ausdruck bringt. Eng begrenzte Ausnahmen vom Saldierungsverbot bestehen lediglich unter den Voraussetzungen des § 246 Abs 2 S 2 HGB, der es bspw gestattet, die aus Pensionsverpflichtungen resultierenden Verbindlichkeiten mit den hierfür separierten Vermögenswerten zu verrechnen.1166 Neben den Vollständigkeitsgrundsatz und das Saldierungsverbot tritt der Einzelbewertungsgrundsatz, der sich in § 252 Abs 1 Nr 3 HGB sowie – andeutungsweise – in § 240 Abs 1 HGB geregelt findet. Danach sind die Vermögensgegenstände und Schulden zum Abschlussstichtag jeweils einzeln zu bewerten. Ein Abweichen hiervon erlaubt § 252 Abs 2 HGB nur in begründeten Ausnahmefällen. Darüber hinaus durchbricht § 240 Abs 3, 4 HGB den Einzelbewertungsgrundsatz. So darf der Unternehmer Vermögensgegenstände des Sachanlagevermögens bzw Roh-, Hilfs- oder Betriebsstoffe, die nur geringfügigen Mengen- und Wertschwankungen unterliegen und für den Gesamtwert des Unternehmens von nachrangiger Bedeutung sind (vgl § 240 Abs 3 HGB; sog Festwertverfahren) sowie gleichartige Vermögensgegenstände des Vorratsvermögens (vgl § 240 Abs 4 HGB; sog Gruppenbewertung) zusammengefasst bilanzieren und bzgl letzterer den gewogenen Durchschnittswert ansetzen.1167 Schließlich eröffnet § 254 HGB die Möglichkeit, Bewertungseinheiten zu bilden1168 und damit ebenfalls den Einzelbewertungsgrundsatz zu umgehen. Weitreichende Auswirkungen auf den Bilanzinhalt hat des Weiteren das sog Vorsichtsprinzip, dem zufolge Gewinne am Abschlussstichtag realisiert sein müssen,1169 um Einzug in die Bilanz zu halten (sog Realisationsprinzip), wohingegen Verluste und Risiken selbst dann zu bilanzieren sind, wenn sie erst zwischen dem Abschlussstichtag und dem Tag der Bilanzaufstellung bekannt wurden (sog Imparitätsprinzip; vgl § 252 Abs 1 Nr 4 HGB). 1170 In Vorstehendem erschöpft sich das Vorsichtsprinzip jedoch nicht, sondern nimmt Einfluss auch auf den Bewertungsansatz einzelner Vermögensgegenstände. Dh: Im Zweifel ge-

_____ 1164 Zur Behandlung von Altfällen unter dem Regime des BilMoG Reck ZInsO 2011, 1969, 1971. 1165 Zum Wesentlichkeitsgrundsatz als einem ungeschriebenen bilanzrechtlichen Prinzip s Kanitz Rn 368 ff. 1166 Zu den Voraussetzungen iE s Schulze-Osterloh DStR 2008, 63, 66. Eine weitere Ausnahme statuiert § 253 Abs 1 S 4 HGB, der vorschreibt, die verrechneten Vermögensgegenstände nach der Zeitwertmethode zu bilanzieren; dazu Kanitz Rn 312; skept gegenüber dieser Ausnahme vom Saldierungsverbot wohl Fülbier/Gassen DB 2007, 2605, 2610; gegen ein Saldierungsverbot RG GA 47 (1900), 171. 1167 Dazu Kanitz Rn 286 ff. 1168 Ausf zu den Voraussetzungen einer Bewertungseinheit iSd § 254 HGB Kanitz Rn 299 ff. 1169 Dies ist der Fall, sobald der Bilanzpflichtige seine Leistung erbracht und dadurch den Anspruch auf die Gegenleistung verdient hat; s dazu nur MK-BilR/Graf § 238 Rn 77; Münzinger, S 18 ff, 117, 166, 383. 1170 K Schmidt § 15 IV 2e (= S 434); Münzinger, S 22 f; Moxter Goerdeler-FS, S 361, 365; Fink/Woring JuS 2001, 1067, 1068.

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bietet das Vorsichtsprinzip, von zwei denkbaren Wertansätzen den niedrigeren zu bilanzieren.1171 Zu den Aktiva zählen gem § 246 Abs 1 S 2 HGB zunächst sämtliche Gegenstände, die 176 im Eigentum des Bilanzpflichtigen stehen, wobei der Gesetzgeber den Terminus „Eigentum“ insofern untechnisch verwendet, als hierzu natürlich auch sonstige immaterielle Rechte – soweit kein Ansatzverbot besteht – sowie die Forderungen gehören, die dem Bilanzierenden gegen seine Schuldner zustehen.1172 Darüber hinaus hat das am 1.1.2009 in Kraft getretene BilMoG den Kreis der Aktiva ausdrücklich1173 um solche Vermögensgegenstände erweitert, an denen der Bilanzierungspflichtige zwar kein Eigentum hat, die aber wirtschaftlich betrachtet Bestandteil seines Vermögens sind. Freilich bringt § 246 Abs 1 S 2 HS 2 HGB lediglich eine Ausnahme zum Ausdruck und lässt den grds bestehenden Vorrang des Zivilrechts unberührt. Nur wenn die Eigentumsposition über den Zustand einer rechtlich-formalen Hülle nicht hinauskommt, geht es an, den betreffenden Vermögensgegenstand bilanziell dem wirtschaftlich Berechtigten zuzuweisen.1174 Beispielhaft seien zum einen die sog „Mieterein- und -umbauten“ genannt, die der Mieter eines Ladenlokals seinen gewerblichen Bedürfnissen entsprechend vornimmt und die, obschon sie gewöhnlich als wesentlicher Bestandteil der Mietsache in das Eigentum des Vermieters wechseln, wirtschaftlich dem Mieter zustehen, der sie während der Dauer des Mietverhältnisses regelmäßig abnutzt und somit „wirtschaftlich verbraucht“.1175 Zum anderen sei der Sicherungsgeber erwähnt, der die sicherungsübereigneten Gegenstände trotz des ihm verloren gegangenen Eigentums zu bilanzieren hat, sofern sie ihm – was den Regelfall darstellt – zur weiteren Nutzung überlassen sind.1176 Erhebliche Schwierigkeiten bereiten der Praxis Forderungsübertragungen, die die hieran Beteiligten mit Nebenabreden wie bedingten Rückerwerbspositionen, Vorkaufsrechten oder „total return swaps“ verknüpfen. Maßgebend für die bilanzielle Zuordnung soll der Gesichtspunkt sein, wem die Verträge das Bonitätsrisiko zuweisen.1177 Ebenfalls große Probleme evoziert die bilanzielle Erfassung von geleasten Vermögensgegenständen. Während das Miet- oder Operating-Leasing die wirtschaftlichen Risiken beim Leasing-

_____ 1171 Kanitz Rn 325; zurückhaltender jetzt die 3. Aufl: es ist der wahrscheinlichste Verlauf zu unterstellen. 1172 Koller/Kindler/Roth/Morck/Morck § 246 Rn 2; zu den Forderungen, deren Bestand rechtlich zweifelhaft ist, s etwa Münzinger, S 123 ff. 1173 Vor Inkrafttreten der BilMoG-Änderungen entsprach es den GoB, die zugehörigen Vermögensgegenstände auf der Basis eines an § 39 AO orientierten „wirtschaftlichen Eigentumsbegriffs“ zu ermitteln; vgl dazu etwa Kanitz Rn 273; Herzig DB 2008, 1, 5. 1174 Kanitz Rn 272; vgl auch Herzig DB 2008, 1, 5, der betont, dass maßgebend für die Annahme von wirtschaftlichem Eigentum der Aspekt sein dürfte, wer die wirtschaftlichen Chancen und Risiken des Vermögensgegenstandes trägt; ebenso wohl Schulze-Osterloh DStR 2008, 63, 65. 1175 Kanitz Rn 275, 386; vgl aber auch Regner, S 142 ff, dem zufolge die unterbliebene Aufnahme solcher Vermögenspositionen in die Bücher/Bilanz nicht geeignet ist, den Vermögensüberblick zu erschweren. 1176 Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Böcking/Gros § 246 Rn 6; Kanitz Rn 274, 276 m Fn 39; Münzinger, S 72; allerdings muss der Sicherungsgeber in seiner Bilanz die Sicherungsübereignung kenntlich machen; vgl dazu RG LR 1916, 956, 957; s in diesem Kontext auch Regner, S 130 ff, der ausgehend von seinem Ansatz, wonach die fehlerhafte Buchführung bzw Bilanzerstellung die Übersicht über den kaufmännischen Vermögensstand nur dann erschwert, wenn es die Bücher nicht gestatten, aus ihnen den Überschuldungs-/Zahlungsunfähigkeitsstatus abzuleiten, die unterlassene Buchung der unter Eigentumsvorbehalt erworbenen Sache beim Vorbehaltskäufer als bankrottstrafrechtlich irrelevant erklärt, weil dieser Verstoß nicht geeignet sei, dem buchführungspflichtigen Vorbehaltskäufer seine Krise nicht bzw zu spät anzuzeigen; zur vergleichbaren Behandlung des Sicherungseigentums s aaO, S 138 ff. 1177 Kanitz Rn 278 sowie Rn 464 ff zum Factoring, zur Forfaitierung und Securitisation.

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geber belässt, die entsprechend „verleasten“ Gegenstände deshalb von diesem zu bilanzieren sind,1178 gestalten sich die Verhältnisse beim Finanzierungsleasing komplexer und hängen entscheidend von der jeweiligen Vertragsgestaltung ab.1179 Nicht zu den bilanzierungspflichtigen Vermögensgegenständen rechnet nach ganz hM das Privatvermögen des Einzelkaufmanns bzw des persönlich haftenden Gesellschafters einer Personenhandelsgesellschaft,1180 obschon diese beiden Personengruppen persönlich und unbeschränkt für die Unternehmensschulden haften und im Falle des Einzelkaufmanns Unternehmens- sowie Privatvermögen rechtlich eine Einheit bilden.1181 Für dieses Ergebnis streitet insbes § 5 Abs 4 PublG, der im Anwendungsbereich des PublG die Bilanzierung des Privatvermögens ausdrücklich untersagt. 1182 Weitere Ansatzverbote nennt § 248 Abs 1 HGB. Ein Bilanzierungswahlrecht räumt hingegen § 248 Abs 2 S 1 HGB bzgl selbst geschaffener immaterieller Vermögensgegenstände des Anlagevermögens ein, die nicht zur Kategorie der Marken, Drucktitel etc gehören1183 (vgl § 248 Abs 2 S 2 HGB sowie die Ausschüttungssperre des § 268 Abs 8 S 1 HGB1184).1185 Schließlich hat das BilMoG den entgeltlich erworbenen Geschäfts- oder Firmenwert1186 kraft Fiktion ausdrücklich dem Kreis der aktivierbaren Vermögensgegenstände zugeschlagen (vgl § 246 Abs 1 S 4 HGB).1187 Indem § 246 Abs 1 S 4 HGB lediglich den entgeltlich erworbenen Ge-

_____ 1178 Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Böcking/Gros § 246 Rn 31; Kanitz Rn 390; J Nelles, Diss. S 74 f; Hiltenkamp-Wisgalle, S 248. 1179 Ausf zur bilanziellen Erfassung des Finanzierungsleasing Kanitz Rn 390 ff; vgl ferner Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Böcking/Gros § 246 Rn 7, 32 ff; Nelles, Diss. S 76 sowie Schlüchter MDR 1978, 265, 266; s ferner Hiltenkamp-Wisgalle, S 248; zum Ganzen vom Standpunkt seines abw Ansatzes bei der Interpretation des Merkmals „beeinträchtigte Vermögensübersicht“ ausf auch Regner, S 148 ff. 1180 Grdl Muhler wistra 1996, 125, 126; s ferner LK/Tiedemann § 283 Rn 137; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 44; SK/Hoyer § 283 Rn 86; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 20; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 24, 43; M-G/Richter § 85 Rn 41; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 164; M/G/Rinjes 8/239; MAH/Böttger § 19 Rn 186; Pape/ Uhländer/Hofmann § 283 Bankrott Rn 43; Höfner, S 108 f; wohl auch RGSt 29, 347, 348. 1181 AA deshalb noch BGH/H GA 1963, 107; RGSt 5, 407, 409; wohl auch RG GA 35 (1888), 312; ferner und grdl RGSt 41, 41, 43 ff, dem zufolge zwar der Einzelkaufmann, nicht aber der persönlich haftende Gesellschafter sein Privatvermögen bilanzieren muss, wobei sowohl das Privatvermögen wie auch dasjenige Vermögen, das der Kaufmann einem zusätzlichen kleingewerblichen bzw land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb gewidmet hatte, nicht einzeln, sondern als Ganzes angeführt werden durfte (aaO, S 46 f); ebenso RG LR 1913, 698, 699; zust Nieberg, (1913), S 25; ähnl Böhle-Stamschräder § 240 KO Anm 4f. 1182 Zum Ganzen und zur Abgrenzung zwischen privater und unternehmerischer Vermögenssphäre MKHGB/Ballwieser § 242 Rn 7 ff sowie § 246 Rn 11. 1183 Letzteren Werten lassen sich Herstellungskosten nicht verlässlich zuordnen; zudem ist die Abgrenzung zum selbst geschaffenen Firmenwert nicht zweifelsfrei möglich, weshalb sie in der Bilanz außer Ansatz bleiben; dazu Kanitz Rn 410 unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien; krit gegenüber der Herausnahme von „vergleichbare[n] immaterielle[n] Vermögensgegenstände[n] aber Bittmann wistra 2008, 441, 443 unter Hinweis auf Manipulationsgefahren und vorgeschobene Irrtumsfragen. 1184 Zu den untreuestrafrechtlichen Konsequenzen dieser Ausschüttungssperre s Bittmann wistra 2008, 441, 442. 1185 Zu den selbstgeschaffenen immateriellen Vermögensgegenständen ausf Kanitz Rn 405 ff; sa Reck ZInsO 2011, 1969, 1972; zur früheren Rechtslage, die nur den Ansatz erworbener immaterieller Rechte gestattete, s Moxter Goerdeler-FS, S 361, 367; Schulze-Osterloh Hüffer-FS, S 917, 925 f; ferner Fülbier/Gassen DB 2007, 2605, 2609; Herzig DB 2008, 1, 5; Bittmann wistra 2008, 441, 442. 1186 Zur Rechtsnatur des know-how ausf Tiedemann v Caemmerer-FS, S 643, 646 ff. 1187 Inwieweit diese gesetzliche Fiktion Auswirkungen auf das Verständnis des Vermögensgegenstandes zeitig, ist derzeit streitig; zur Diskussion s Herzig DB 2008, 1, 4 mwN; gegen eine Änderung des Vermögensgegenstandsbegriffs Schulze-Osterloh DStR 2008, 63 f; zum früheren Ansatzwahlrecht Tiedemann v Caemmerer-FS, S 643, 644; Nelles, Diss. S 71 ff.

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schäfts-/Firmenwert anspricht, untersagt er im Umkehrschluss, einen selbst geschaffenen Geschäfts-/Firmenwert zu bilanzieren.1188 Im Unterschied zu den Aktiva bemisst sich der Schuldenbestand allein anhand 177 rechtlicher und nicht zusätzlich anhand wirtschaftlicher Maßstäbe.1189 Wer Verbindlichkeiten eingeht, muss sie bilanzieren (vgl § 246 Abs 1 S 3 HGB), egal ob ein Dritter sich intern verpflichtet, die Verbindlichkeit zu begleichen.1190 Allenfalls wenn der Gläubiger seine Forderung mit Sicherheit nicht geltend machen wird, kann ihr Ansatz im Passivenbestand unterbleiben.1191 Hingegen entgeht der Bilanzierungspflicht nicht, wer eine Verbindlichkeit bestreitet, sofern gehörige Prüfung und Bewertung ihren Bilanzausweis gebieten.1192 Darüber hinaus schreibt § 249 Abs 1 HGB in Ausprägung des Imparitätsprinzips1193 vor, Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten, drohende Verluste aus schwebenden Geschäften, freiwillig erbrachte Gewährleistungen sowie für solche Instandhaltungsaufwendungen zu bilden, die im vergangenen Geschäftsjahr unterblieben, jedoch innerhalb der ersten drei Monate des kommenden Geschäftsjahrs anfallen.

bb) Die Bewertung der zu bilanzierenden Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten Wer daran geht, die bilanzrelevanten Vermögensgegenstände iE zu bewerten, hat 178 sich zunächst Klarheit über die Bestandsprognose des bilanzpflichtigen Unternehmens zu verschaffen. Denn es macht einen erheblichen Unterschied, ob man die Vermögensgegenstände auf Fortführungs- oder Zerschlagungsbasis bewertet. Da zahlreiche Vermögensgegenstände nur der Unternehmer, dem sie gehören, sinnvoll nutzen kann, tritt der Vorteil eines Ansatzes zu Fortführungswerten klar zutage.1194 Das Bilanzrecht legt der Bewertung gem § 252 Abs 1 Nr 2 HGB Fortführungswerte zugrunde („Going-ConcernPrinzip“),1195 sofern dem nicht tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten entgegenstehen, es also – mit anderen Worten – nicht an der Fortführungsfähigkeit des Unternehmens fehlt. Zwar vermutet § 252 Abs 1 Nr 2 HGB die Fortführungsfähigkeit und spricht nichts dagegen, diese Vermutung auch im Strafrecht zu bemühen, weil sie den präsumtiven Täter begünstigt. Steht aber fest, dass das Unternehmen seine werbende Tätigkeit höchstwahrscheinlich innerhalb der nächsten zwölf Monate einstellen muss, fällt die Fortführungsprognose negativ aus und sind die Vermögensgegenstände zu Zerschlagungswerten anzusetzen.1196 Die maßgebenden Bewertungsvorgaben finden sich in den §§ 252–256a HGB. Über 179 allem stehen der Grds des formellen Bilanzzusammenhangs, dh, die Werte der letzten Bilanz bilden die Ausgangswerte der nächsten usw (vgl § 252 Abs 1 Nr 1 HGB)1197 sowie

_____ 1188 Kanitz Rn 407, 417; Bittmann wistra 2008, 441, 443. 1189 S schon Münzinger, S 298 f. 1190 Kanitz Rn 280; vgl auch RG Rspr 3, 304, 305 f am Bsp eines gefälligkeitshalber hingegebenen Wechselakzepts. 1191 Dazu s RG JW 1937, 3161; Münzinger, S 306. 1192 BGH BB 1958, 95; BGH/H GA 1959, 49. 1193 Dazu Kanitz Rn 335. 1194 Zum Ganzen Kanitz Rn 265. 1195 K Schmidt § 15 IV 2f (= S 435); Kilger/Nitze ZIP 1988, 957, 959. 1196 Ausf Kanitz Rn 266 f. 1197 K Schmidt § 15 IV 2b (= S 432); Kanitz Rn 358; Fink/Woring JuS 2001, 1067, 1069; Reck ZInsO 2001, 633, 636; ders GmbHR 2001, 424, 426.

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der Grds der Bilanzkontinuität, dem zufolge die einmal angewandten Ansatz- und Bewertungswahlrechte beizubehalten sind (vgl §§ 246 Abs 3, 252 Abs 1 Nr 6 HGB).1198 Gem § 253 Abs 1 S 1 HGB hat der Bilanzersteller die einzelnen Vermögensgegenstände mit ihren Anschaffungs- oder Herstellungskosten vermindert um die Abschreibungen anzusetzen.1199 Auf dem Boden dieser Vorgabe ist es freilich ausgeschlossen, Wertsteigerungen, die einzelne Vermögensgegenstände erfahren – das vor Jahren erworbene Ackerland avanciert zum Baugrund1200 –, bilanziell zu berücksichtigen. Es entstehen – vom Gesetz gewollt – sog „stille Reserven“.1201 Allerdings hat das BilMoG den Anschaffungs-/Herstellungskostengrundsatz an einigen Stellen perforiert, indem es etwa unter den Voraussetzungen des § 253 Abs 3 S 3, Abs 4 HGB außerplanmäßige Abschreibungen auf den niedrigeren Wert (zur Berechnung s § 255 Abs 4 HGB) fordert.1202 Darüber hinaus verpflichtet § 253 Abs 1 S 4 HGB dazu, die gem § 246 Abs 2 S 2 HGB verrechneten Vermögensgegenstände nach der Zeitwertmethode zu bilanzieren, wodurch die Gefahr entsteht, entgegen dem Realisationsprinzip Gewinne auszuweisen, die tatsächlich nicht erwirtschaftet wurden. Der Gesetzgeber hat hierauf mit der Ausschüttungssperre des § 268 Abs 8 S 3 HGB reagiert.1203 Forderungen des Umlaufvermögens weist die Bilanz entsprechend dem strengen Niederstwertprinzip zu dem Wert aus, der ihnen am Abschlussstichtag zukommt (vgl § 253 Abs 4 S 2 HGB). Ausfluss des Vorsichtsprinzips (§ 252 Abs 1 Nr 4 HGB) ist es schließlich, zweifelhafte Forderungen nur mit ihrem wahrscheinlichen Wert anzusetzen und uneinbringliche Forderungen ganz abzuschreiben.1204 Wertaufhellende Tatsachen, die sich erst nach dem Abschlussstichtag zeigen (etwa die Insolvenz des Schuldners, die zur Uneinbringlichkeit der Forderung führt) sind zu berücksichtigen.1205 Unter Anschaffungskosten versteht das Gesetz die Aufwendungen, die der Bilanz180 pflichtige geleistet hat, um einen Vermögensgegenstand zu erwerben (vgl § 255 Abs 1 S 1 HGB),1206 unter Herstellungskosten die Aufwendungen, die durch den Verbrauch von Gütern und die Inanspruchnahme von Diensten entstehen, um einen bestimmten Vermögensgegenstand zu schaffen bzw einen bereits vorhandenen Vermögensgegenstand qualitativ zu verbessern (vgl § 255 Abs 2 S 1 HGB).1207 Die Herstellungskosten erhöhen sich zum einen um Material-, Fertigungs-, Sonder- und angemessene Teile der Materialgemein- und Fertigungsgemeinkosten sowie um den durch die Fertigung veranlassten Wertverzehr des Anlagevermögens (vgl § 255 Abs 2 S 2 HGB). Zum anderen darf der bi-

_____ 1198 Das gilt iÜ auch für die planmäßigen Abschreibungen; dazu nur Moxter Goerdeler-FS, S 361, 367. 1199 Dies gilt richtigerweise auch für den Fall, dass ein kleingewerbliches Unternehmen im Laufe der Zeit entweder die Voraussetzungen des § 1 Abs 2 HGB erfüllt oder aber sich später gem § 2 HGB eintragen lässt. Die vorhandenen Vermögensgegenstände sind dann mit ihren Anschaffungs- bzw Herstellungskosten vermindert um die Abschreibungen anzusetzen, die erforderlich gewesen wären, hätte das Unternehmen von Anfang an bilanzieren müssen; dazu Schulze-Osterloh Hüffer-FS, S 917, 928. 1200 Vergleichbares Bsp bei Hauck, S 86. 1201 Zu den Gründen iE Kanitz Rn 308. 1202 Dazu Kanitz Rn 309. 1203 Ausf Kanitz Rn 312. 1204 Kanitz Rn 470. 1205 Kanitz Rn 470. 1206 Ausf insbes zu den Anschaffungsnebenkosten (§ 255 Abs 1 S 2 HGB), den nachträglichen Anschaffungskosten und den Anschaffungspreisminderungen (vgl § 255 Abs 1 S 3 HGB), deren vollumfängliche Berücksichtigung nötig ist, um der Ergebnisneutralität des Anschaffungsvorgangs gerecht zu werden, Kanitz Rn 314 f. 1207 Die Ermittlung der Herstellungskosten gehört nach Kanitz Rn 317 „zu den strukturell kompliziertesten Materien der Rechnungslegung“.

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lanzpflichtige Unternehmer den Herstellungskosten angemessene Teile der auf den Herstellungszeitraum entfallenden allgemeinen Verwaltungskosten und Ausgaben für soziale Leistungen etc hinzurechnen; vgl § 255 Abs 2 S 3 HGB, der ein Bewertungswahlrecht einräumt.1208 Ein weiteres Bewertungswahlrecht eröffnet § 255 Abs 3 S 2 HGB, dem zufolge Zinsen den Herstellungsaufwand erhöhen, sofern das zinspflichtige Fremdkapital dazu dient, einen bestimmten Vermögensgegenstand herzustellen. Dagegen erhöhen die Aufwendungen zugunsten von Forschung und Vertrieb die Herstellungskosten nicht (vgl § 255 Abs 2 S 4 HGB). Die Herstellungskosten selbst geschaffener immaterieller Vermögenswerte bemessen sich nach § 255 Abs 2a HGB,1209 die Abschreibung dieser Positionen richtet sich nach den allg Vorgaben des § 253 Abs 1, 3 HGB.1210 Eine Ausnahme vom Anschaffungs- und Herstellungskostenprinzip besteht richtigerweise für die Eröffnungsbilanz. Hat der Unternehmer in seinen kaufmännischen Betrieb einzelne Vermögensgegenstände eingebracht, sind diese iRd Eröffnungsbilanz mit ihrem Zeitwert anzusetzen.1211 Hat der Bilanzpflichtige die Anschaffungs- bzw Herstellungskosten ermittelt, muss 181 er in einem zweiten Schritt die erforderlichen Abschreibungen vornehmen. Je nachdem, ob der jeweilige Vermögensgegenstand zum Anlage- (vgl § 247 Abs 2 HGB)1212 oder zum Umlaufvermögen gehört, richtet sich die Abschreibung entweder nach § 253 Abs 3 HGB oder nach § 253 Abs 4 HGB. Die Anschaffungs- und Herstellungskosten hat der bilanzpflichtige Unternehmer entsprechend der voraussichtlichen Nutzungsdauer des zum Anlagevermögen rechnenden Vermögensgegenstandes planmäßig auf die einzelnen Geschäftsjahre zu verteilen, sofern die Nutzung des Gegenstandes zeitlich begrenzt ist (vgl § 253 Abs 4 Sätze 1, 2 HGB; dh, Grundvermögen [s § 266 Abs 2 A.II.1. HGB] sowie Gegenstände des Finanzanlagevermögens [s § 266 Abs 2 A.III. HGB] unterliegen mangels Abnutzbarkeit nicht der Pflicht zur planmäßigen Abschreibung1213). Dies gilt auch für den entgeltlich erworbenen Geschäfts-/Firmenwert, den der Gesetzgeber des BilMoG als begrenzt nutzbaren Vermögensgegenstand fingiert hat1214.1215 Da der Nutzungsdauer ein prognostisches Element eignet, sind Schätzungen unvermeidlich.1216 Erzwang die voraussichtlich dauerhafte Wertminderung eines zum Anlagevermögen gehörenden Vermögensgegenstandes dessen außerplanmäßige Abschreibung (vgl § 253 Abs 3 S 3 HGB), fielen diese Gründe indes später wieder weg, hat der Bilanzierende die außerplanmäßige Abschreibung rückgängig zu machen (vgl § 253 Abs 5 S 1 HGB, sog Wertaufholungsgebot).1217 Die Gegenstände des Umlaufvermögens sind hingegen nicht planmä-

_____ 1208 Kanitz Rn 321. 1209 Zu den Schwierigkeiten der dort vorgesehenen Differenzierung zwischen ansatzfähigen Entwicklungs- und nicht zu berücksichtigenden Forschungskosten s Kanitz Rn 411; ferner Bittmann wistra 2008, 441, 442 f, der zugleich auf die damit einhergehenden Manipulationsgefahren hinweist. 1210 Kanitz Rn 414. 1211 Schulze-Osterloh Hüffer-FS, S 917, 927. 1212 Zu den Einzelheiten s Kanitz Rn 385. 1213 Kanitz Rn 430, 439. 1214 Vgl § 246 Abs 1 S 4 HGB und o Rn 176. 1215 Zu den Schwierigkeiten diesbzgl eine „Nutzungsdauer“ festzulegen s Kanitz Rn 423; ferner Bittmann wistra 2008, 441, 443. 1216 Moxter Goerdeler-FS, S 361, 367: „[…]; die objektive Richtigkeit bestimmter Abschreibungsbemessungen ist nicht nachweisbar“; Nelles, Diss. S 101; Hax JuS 1964, 132, 134. 1217 Ausf zum Wertaufholungsgebot Kanitz Rn 352 ff; allerdings ist zweifelhaft, ob dies auch dann gilt, wenn der Grund für die außerplanmäßige Abschreibung zwar bestehen bleibt, der Vermögensgegenstand jedoch aus anderen Gründen einen Wertzuwachs erfährt; dazu Herzig DB 2008, 1, 7.

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ßig, sondern auf den sich zum Abschlussstichtag ergebenden niedrigeren Wert abzuschreiben (vgl § 253 Abs 4 S 1 HGB).1218 Verbindlichkeiten hat der Bilanzierende zu ihrem Erfüllungsbetrag,1219 Rückstel182 lungen hat er „in Höhe des nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendigen Erfüllungsbetrags anzusetzen“ (vgl § 253 Abs 1 S 2 HGB).1220

cc) Die formale Gestaltung der Handelsbilanz 183 Während § 243 Abs 2 HGB lediglich bestimmt, den Jahresabschluss klar und übersicht-

lich zu gestalten und § 247 Abs 1 HGB den gesonderten Ausweis des Anlage-/Umlaufvermögens, des Eigenkapitals, der Schulden sowie der Rechnungsabgrenzungsposten verlangt, statuieren die Vorschriften, die den Jahresabschluss der juristischen Personen und „haftungsbeschränkten Personenhandelsgesellschaften“ regeln, weitaus detailliertere Gliederungsvorgaben. So schreibt § 266 Abs 1 S 1 HGB zum einen zwingend die Kontoform vor – verbietet also die dem § 243 Abs 2 HGB genügende Staffelform1221 – und benennt zum anderen in Abs 2 das exakte Aussehen der Aktiv-, in Abs 3 dasjenige der Passivseite. Von der Größe der bilanzierungspflichtigen juristischen Person/„haftungsbeschränkten Personenhandelsgesellschaft“ hängt es ab, welche Tiefe die Gliederung erreichen muss (vgl §§ 266 Abs 1 Sätze 2, 3, 267 HGB). Obschon § 266 HGB Einzelkaufleute und idealtypische Personenhandelsgesellschaften ausweislich seiner Position im dritten Buch des HGB nicht adressiert, dient die dort vorgesehene Bilanzgliederung diesen Personengruppen – nicht zuletzt mit Blick auf § 247 Abs 1 HGB – gleichwohl häufig als Orientierungsmaßstab.1222

c) Die Tathandlung des § 283 Abs 1 Nr 7a StGB = § 283b Abs 1 Nr 3a StGB 184 Ihrem Wortlaut nach drohen die §§ 283 Abs 1 Nr 7a, 283b Abs 1 Nr 3a StGB demjeni-

gen Kaufmann/Geschäftsleiter Kriminalstrafe an, dessen Bilanzen die Übersicht über seinen Vermögensstand erschweren. Mit anderen Worten: Wer entgegen den einschlägigen Vorgaben des HGB sowie der gesellschaftsrechtlichen Spezialgesetze Bilanz zieht, muss – sofern die übrigen Voraussetzungen vorliegen – eine Bestrafung gem den §§ 283 Abs 1 Nr 7a, 283b Abs 1 Nr 3a StGB befürchten. Dabei entspricht das Erfordernis, aufgrund der Tathandlung die Vermögensübersicht zu erschweren, dem gleichlautenden Merkmal der §§ 283 Abs 1 Nr 5 Var 2, 283b Abs 1 Nr 1 Var 2 StGB.1223 Auf die dortigen Ausführungen sei folglich verwiesen (o Rn 153 ff). Unterscheiden lassen sich formelle und materielle Bilanzierungsverstöße, wovon die nachfolgend Dargestellten in praxi die größte Rolle spielen dürften:

_____ 1218 Instruktives Bsp bei Kanitz Rn 341. 1219 Kanitz Rn 662 spricht indes vom Nennwert, Schulze-Osterloh Hüffer-FS, S 917, 927 vom Rückzahlungsbetrag. 1220 Näher zum Ganzen Baetge DB 1986 Beil. 26, 1, 12 f. 1221 S nur Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Böcking/Gros § 247 Rn 4. 1222 K Schmidt § 15 IV 2a (= S 432); s etwa auch Kanitz Rn 367, dem zufolge ein dem § 266 HGB entsprechender Abschluss auch den Vorgaben der §§ 243 Abs 2, 247 Abs 1 HGB genügt; vgl ferner Fink/Woring JuS 2001, 1067, 1070 sowie Schulze-Osterloh ZHR 150 (1986), 404, 427, dem zufolge es einen Verstoß gegen das Gebot der Klarheit begründet, wenn der Einzelkaufmann in seinem Jahresabschluss Bezeichnungen des § 266 HGB verwendet, diesen aber einen abweichenden Inhalt beilegt. 1223 Dazu nur Pape/Uhländer/Hofmann § 283 Bankrott Rn 43.

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aa) Formelle Verstöße Wie gesehen1224 verpflichtet § 266 Abs 2, 3 HGB die Geschäftsleiter von juristischen Per- 185 sonen und „haftungsbeschränkten Personenhandelsgesellschaften“ dazu, ihre Bilanz entsprechend den dort niedergelegten detaillierten Gliederungsvorgaben zu erstellen. Im Lichte dieser Vorgaben begründet es einen formellen Verstoß, wenn der Geschäftsleiter Forderungen, die dem Verband bspw aus Veräußerungsgeschäften zustehen, nicht gem § 266 Abs 2 B.II.1. HGB unter dem Posten „Forderungen aus Lieferungen und Leistungen“, sondern stattdessen unter dem Posten „Kassenbestand“ (§ 266 Abs 2 B.IV. HGB) verbucht. Regelmäßig genügt solches Verhalten auch dem „Erschwernismerkmal“, da der Ausweis von Forderungen unter dem Posten „Kassenbestand“ suggeriert, es handele sich um flüssige und somit besonders werthaltige Mittel.1225 Weniger eindeutig liegen hingegen Sachverhaltsgestaltungen, deren Charakteristikum lediglich darin besteht, von den Gliederungsvorgaben des § 266 HGB abzuweichen, da dies nicht zwingend den Vermögensüberblick erschwert.1226

bb) Materielle Verstöße Zu den klassischen materiellen Verstößen zählen neben dem Aktivieren nicht vorhan- 186 dener Vermögensgegenstände, um etwa eine Überschuldung zu verschleiern oder höhere, tatsächlich aber nicht erwirtschaftete Gewinne auszuweisen, dem Passivieren nicht bestehender Verbindlichkeiten, um die Steuerbemessungsgrundlage oder die Gewinnanteile von Minderheitsgesellschaftern zu verkürzen1227 und dem Weglassen von Vermögensgegenständen,1228 die entgegen § 249 Abs 1 S 1 HGB unterbliebene Rücklagenbildung sowie die fehlende Einzelwertberichtigung solcher Forderungen, deren Durchsetzung am Stichtag mehr als zweifelhaft erscheint.1229 Materiell mangelhaft bilanziert des Weiteren, wer den Rangrücktritt eines seiner Gläubiger nicht erwähnt.1230 Allerdings begründet keinesfalls jeder materielle Verstoß die Gefahr, gem den §§ 283 Abs 1 Nr 7a, 283b Abs 1 Nr 3a StGB zu haften. Vielmehr entfaltet nur die gravierende Missachtung der bilanzrechtlichen Vorgaben bankrottstrafrechtliche Relevanz.1231 Insbes dort, wo das Bilanzrecht dem Bilanzpflichtigen Wertungs- und Ermessensspielräume einräumt – etwa bei der planmäßigen Abschreibung des Anlagevermögens; siehe o Rn 181 – kann der Strafrichter nicht seine Vorstellung zugrunde legen, sofern der Bilanzpflichtige den Wertungs- bzw Ermessensspielraum nicht eklatant und in eindeutiger Weise überschreitet. Straflos sub specie §§ 283 Abs 1 Nr 7a, 283b Abs 1 Nr 3a StGB bleibt auch, wer neben der ordnungsgemäß aufgestellten eine unzutreffende Bilanz fertigt, um letztere etwa Ge-

_____ 1224 Siehe o Rn 183. 1225 Reck GmbHR 2001, 424, 426. 1226 LK/Tiedemann § 283 Rn 142. 1227 S zu diesen beiden Aspekten im Kontext des Steuerstrafrechts Lohmeyer GA 1972, 302, 304; vgl ferner RGSt 67, 349, 350; RGSt 43, 407, 417. 1228 Zu einer solchen Konstellation s RGSt 62, 357, 359. 1229 Zu diesen und weiteren Verstößen LK/Tiedemann § 283 Rn 139; M-G/Richter § 85 Rn 43; MAH/ Böttger § 19 Rn 160; Reck GmbHR 2001, 424, 426 f; sa Weyand PStR 2004, 235; weitere Verstöße nennen Nelles, Diss. S 34 ff, Schüppen, S 19 f; zur unterbliebenen Abschreibung s RGSt 13, 354, 355 f. 1230 Hartung NJW 1995, 1186, 1190. 1231 RGSt 39, 222, 223, das gleichbedeutend von Willkür spricht; LK/Tiedemann § 283 Rn 138; A/R/R/ Wegner Kap 7/1 Rn 164; MAH/Böttger § 19 Rn 160; Schüppen, S 167; Ehlers DStR 1998, 1756, 1758; wohl auch Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 47; M-G/Richter § 85 Rn 43; Biletzki NStZ 1999, 537, 539.

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schäftspartnern oder Kreditgebern vorzulegen.1232 Insoweit kommt allenfalls eine Strafbarkeit wegen Betrugs (§ 263 StGB), Subventionsbetrugs (§ 264 StGB) oder Kreditbetrugs (§ 265b StGB) in Betracht.1233

cc) Erschwerte Übersicht über den Vermögensstand 187 Wie bereits erwähnt,1234 macht sich der Kaufmann/Geschäftsleiter gem §§ 283 Abs 1 Nr 7a,

283b Abs 1 Nr 3a StGB nur dann strafbar, wenn die ordnungswidrige Bilanzierung die Übersicht über seinen Vermögensstand erschwert. Differenzen zum gleichlautenden Merkmal der §§ 283 Abs 1 Nr 5 Var 2, 283b Abs 1 Nr 1 Var 2 StGB bestehen nicht, weshalb auf die dortigen Ausführungen verwiesen sei.1235 Insbes der Zeitpunkt, zu dem die Vermögensübersicht erschwert sein muss, fällt richtigerweise genauso wenig wie bei den §§ 283 Abs 1 Nr 5 Var 2, 283b Abs 1 Nr 1 Var 2 StGB auf den Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung.1236 Die Reichsgerichtsrechtsprechung, die va diesen Standpunkt einnahm,1237 überzeugt hier schon mit Blick auf die §§ 283 Abs 1 Nr 7b, 283b Abs 1 Nr 3b StGB nicht. Andernfalls begründete die verspätete, also immerhin nachgeholte Bilanz, den Strafbarkeitsvorwurf der §§ 283 Abs 1 Nr 7b, 283b Abs 1 Nr 3b StGB, wohingegen die manipulierte Bilanz straffrei bliebe, sofern sie der Kaufmann/Geschäftsleiter nur vor Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung berichtigte.1238 Maßgeblicher Zeitpunkt ist somit derjenige der Tathandlung.

dd) Teleologische Reduktion der §§ 283 Abs 1 Nr 7a, 283b Abs 1 Nr 3a StGB 188 Im Schrifttum findet sich der Vorschlag, strafrechtliche Konsequenzen nicht schon an

den ordnungswidrig aufgestellten, sondern erst an den festgestellten ordnungswidrigen Jahresabschluss zu knüpfen. Erst der von den zuständigen Gesellschaftsorganen für verbindlich erklärte und damit festgestellte Jahresabschluss (vgl §§ 42a GmbHG, 172, 173 AktG) gefährde die geschützten Rechtsgüter. Der zwar auf-, aber noch nicht festgestellte Jahresabschluss reiche hingegen über das Entwurfsstadium nicht hinaus.1239 Das überzeugt schon mit Blick auf den Wortlaut der §§ 283 Abs 1 Nr 7a, 283b Abs 1 Nr 3a StGB nicht, die ausdrücklich von auf- und nicht von feststellen sprechen. Hinzu kommt: Die §§ 283 Abs 1 Nr 7a, 283b Abs 1 Nr 3a StGB adressieren ihren Strafvorwurf an denjenigen,

_____ 1232 BGHSt 30, 186 f; LK/Tiedemann § 283 Rn 145; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 44 und § 283b Rn 4; MK/ Radtke/Petermann § 283b Rn 11 f; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 165; W/J/Pelz 9/188; Weyand/Diversy Rn 100; Richter GmbHR 1984, 137, 148; wohl auch Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 20, der dieses Ergebnis aber für zweifelhaft hält; aA Schäfer wistra 1986, 200, 201, der maßgebend darauf abstellt, es ließe sich nachträglich nicht eindeutig feststellen, welches die richtige und welches die falsche Bilanz sei; diff Grosche, S 100, der in solchen Konstellationen wegen § 283 Abs 1 Nr 8 StGB verurteilen will. 1233 LK/Tiedemann § 283 Rn 145; MK/Radtke/Petermann § 283b Rn 12; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 165; Weyand/Diversy Rn 100; vgl aber auch Tiedemann Dünnebier-FS, S 519, 539, der zusätzlich eine Strafbarkeit gem § 283 Abs 1 Nr 8 StGB erwägt; ebenso M/G/Rinjes 8/265. 1234 Siehe o Rn 184. 1235 Siehe o Rn 153 ff. 1236 M-G/Richter § 85 Rn 39; SK/Hoyer § 283 Rn 87. 1237 RGSt 29, 222, 225; RGSt 40, 105, 106; RG JW 1917, 859, 860; s aber auch noch BGH/H GA 1961, 359; zust Böhle-Stamschräder § 239 KO Anm 9e. und § 240 KO Anm 4c. 1238 Erkannt von RG JW 1917, 859, 860, das hieraus aber nicht die nötigen Schlüsse zog. 1239 Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 40; vgl auch Rose DB 1974, 1031, 1034; aA, Entwurf nur insoweit, als der aufgestellte, aber noch nicht festgestellte Jahresabschluss Aufsichtsrat und Hauptversammlung nicht bindet, Weiß WM 2010, 1010, 1014.

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§ 12 Bankrott, §§ 283, 283a StGB u. Verletz. d. Buchführungspflicht, § 283b StGB | 733

der verpflichtet ist, die Bilanz aufzustellen. Wollte man diesen Strafvorwurf davon abhängig machen, ob die zuständigen Gesellschaftsorgane den Jahresabschluss festgestellt haben, räumte man diesen Organen de facto und systemwidrig die Kompetenz ein, über Strafbarkeit oder Straflosigkeit des bilanzierenden Geschäftsleiters zu entscheiden. Richtigerweise bleibt es also dabei, bereits die ordnungswidrig aufgestellte Bilanz gem den §§ 283 Abs 1 Nr 7a, 283b Abs 1 Nr 3a StGB zu pönalisieren.1240

5. Die Tatbestände des § 283 Abs 1 Nr 7b StGB = § 283b Abs 1 Nr 3b StGB Parallel zu den §§ 283 Abs 1 Nr 5, 283b Abs 1 Nr 1 StGB bestrafen die §§ 283 Abs 1 Nr 7b, 189 283b Abs 1 Nr 3b StGB Kaufleute bzw Geschäftsleiter, die entweder verspätet oder überhaupt nicht Bilanz ziehen. Darüber hinaus erweitern die §§ 283 Abs 1 Nr 7b, 283b Abs 1 Nr 3b StGB den Tatgegenstand gegenüber den §§ 283 Abs 1 Nr 7a, 283b Abs 1 Nr 3a StGB insoweit, als sie auch demjenigen Kriminalstrafe androhen, der kein Inventar aufstellt bzw dieses nicht in der vorgesehenen Zeit errichtet.1241 Im Zentrum des Tatbestandes stehen somit die Fristen, innerhalb derer bilanziert/inventarisiert werden muss. Je nachdem, welche Bilanz oder welches Inventar der Kaufmann/Geschäftsleiter erstellt, hat er unterschiedliche Fristen einzuhalten.1242

a) Tatgegenstand Während sich die Bilanzbegriffe der §§ 283 Abs 1 Nr 7a, 283b Abs 1 Nr 3a StGB und der 190 §§ 283 Abs 1 Nr 7b, 283b Abs 1 Nr 3b StGB inhaltlich decken, erfassen die §§ 283 Abs 1 Nr 7b, 283b Abs 1 Nr 3b StGB zusätzlich das Inventar. Gem § 240 Abs 1, 2 HGB haben Kaufleute zu Beginn ihres kaufmännischen Unternehmens und am Ende eines jeden Geschäftsjahrs Inventur zu machen, indem sie sämtliche Vermögensgegenstände und Schulden genau verzeichnen sowie deren Wert angeben. Die exakte Angabe sämtlicher Vermögensgegenstände kann naturgemäß erhebliche Schwierigkeiten bereiten, etwa wenn ein Fertigungsbetrieb im Extremfall jede einzelne Schraube zählen müsste, um den Anforderungen des § 240 Abs 1, 2 HGB zu genügen. Deshalb sehen die §§ 240 Abs 3, 4, 241 HGB gewisse Erleichterungen vor. So dürfen unter den Voraussetzungen des § 240 Abs 3 HGB Vermögensgegenstände des Sachanlagevermögens bzw Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe mit einer gleichbleibenden Menge und einem gleichbleibenden Wert angesetzt und müssen lediglich alle drei Jahre einer körperlichen Bestandsaufnahme zugeführt werden. Darüber hinaus erlaubt § 240 Abs 4 HGB dem Kaufmann/Geschäftsleiter, bspw gleichartige Vermögensgegenstände des Vorratsvermögens gruppenmäßig zu erfassen und mit einem gewogenen Durchschnittswert anzusetzen. Schließlich eröffnet § 241 HGB Ausnahmen vom Erfordernis körperlicher Bestandsaufnahme, sofern das alternative Erfassungsverfahren – etwa aufgrund mathematisch-statistischer Methoden – den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung entspricht und es einen Aussagewert besitzt, der dem der körperlichen Bestandsaufnahme gleichkommt (vgl § 241 Abs 1 Sätze 2 und 3 HGB).

_____ 1240 IE wie hier A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 165; wohl auch Weiß WM 2010, 1010, 1014; vgl ferner Regierer, S 94 f. 1241 Unter Bestimmtheitsgesichtspunkten skept gegenüber dieser Erweiterung Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 53; als bloße Ordnungswidrigkeit will solches Verhalten Schöne JZ 1973, 446, 451 erfassen. 1242 Su Rn 195 ff.

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b) Die unterlassene Bilanz-/Inventarerstellung 191 Hat der Bilanzpflichtige keine oder nur einige wenige Bilanzen/Inventare aufgestellt,

verwirklicht er – je nachdem, ob er die Tathandlung inner- oder außerhalb der Krise beging – ohne Weiteres den Tatbestand der §§ 283 Abs 1 Nr 7b, 283b Abs 1 Nr 3b StGB. Finden sich im kaufmännischen Betrieb immerhin Bilanzentwürfe für einige oder gar sämtliche Geschäftsjahre, ändert dies – das Vorliegen der übrigen Voraussetzungen unterstellt – nichts an der Strafbarkeit gem den §§ 283 Abs 1 Nr 7b, 283b Abs 1 Nr 3b StGB. Nur ein Rechenwerk, das der Kaufmann eindeutig als seine Bilanz verstanden wissen will, erfüllt die handelsrechtliche Bilanzierungspflicht und schließt eine Haftung nach den §§ 283 Abs 1 Nr 7b, 283b Abs 1 Nr 3b StGB aus.1243 Allerdings darf man ein kaufmännisches Rechenwerk nicht vorschnell den Bilanzentwürfen zuschlagen. Insbes das Fehlen der von § 245 HGB geforderten Unterschrift führt nach st Rspr und ganz hM keinesfalls zwingend zur Annahme eines bloßen Bilanzentwurfs, sofern andere Tatsachen – etwa die eigenhändige Bilanzerstellung1244 oder die Weitergabe an Dritte1245 – den Schluss zulassen, der Kaufmann wolle mit dem nicht unterschriebenen Rechenwerk seiner Bilanzierungspflicht nachkommen.1246 Sieht die Bilanzurkunde jedoch ein besonderes Feld vor, das sie der Unterschrift des Kaufmanns/Geschäftsleiters widmet und bleibt dieses Feld leer, spricht viel dafür, lediglich von einem Bilanzentwurf auszugehen.1247 Ungeachtet dessen begründet die fehlende Unterschrift gem § 334 Abs 1 Nr 1a HGB eine Ordnungswidrigkeit. Des Weiteren erwogen das Reichsgericht und ihm folgend der BGH, einer an beson192 ders schwerwiegenden Mängeln leidenden Bilanz den Bilanzcharakter abzusprechen (sog Scheinbilanz).1248 Unter dem Regime des geltenden Rechts besteht für eine solche Extension eigentlich kein Bedürfnis mehr,1249 erfassen doch die §§ 283 Abs 1 Nr 7a, 283b Abs 1 Nr 3a StGB im Unterschied zu §§ 210 KO idF v 10.2.1877, 240 KO idF v 20.5.1898 heute sämtliche Fälle mangelhafter Bilanzierung. Lediglich im Lichte derjenigen (nicht überzeugenden1250) Rspr, die den Bilanzpflichtigen, der die Bilanzmängel vor Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung beseitigt, vom Vorwurf der §§ 283 Abs 1 Nr 7a, 283b Abs 1 Nr 3a StGB freispricht, weil im Zeitpunkt des § 283 Abs 6 StGB die Vermögensübersicht wieder besteht, macht es einen erheblichen Unterschied, ob das kaufmännische

_____ 1243 LK/Tiedemann § 283 Rn 150; W/J/Pelz 9/161; M/G/Rinjes 8/242. 1244 Hierzu RGSt 8, 424, 427. 1245 M-G/Richter § 85 Rn 44. 1246 RGSt 8, 424, 427; RGSt 7, 87, 88; BayObLG DJZ 1929, 926, das von einer „perfekten Rechtshandlung“ spricht; s ferner BGH wistra 2010, 219, 220; LG Koblenz WM 1990, 2078, 2079; aus dem Schrifttum LK/Tiedemann § 283 Rn 136; AnwK/Püschel § 283 Rn 26; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 165; M-G/Richter § 85 Rn 45; M/G/Rinjes 8/242; Weiß WM 2010, 1010, 1015; Wolf/Nagel StuB 2006, 621, 625; wohl auch Regierer, S 100 m Fn 305; skept freilich Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 41. 1247 Zu diesem Bsp M-G/Richter § 85 Rn 45; vgl aber auch SK/Hoyer § 283 Rn 87, der darauf hinweist, dass in den Fällen der fehlenden Unterschrift häufig der Überblick über die Vermögenslage nicht erschwert ist. 1248 RGSt 12, 78, 82; RGSt 13, 354, 357; RGSt 15, 174, 175 f; RG LR 1916, 956, 958; RG JW 1935, 2061; BGH/H GA 1953, 75; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 62; Fischer § 283 Rn 29a; Weyand/Diversy Rn 105; Böttger/ Verjans 4/89; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 46, dem zufolge es Tatfrage ist, wie die Mängel iE zu gewichten sind; M/G/Rinjes 8/242; Böhle-Stamschräder KTS 1957, 17, 24; Wolf/Nagel StuB 2006, 621, 622; aA W/J/Pelz 9/165; wohl auch Meilicke BB 1984, 893. 1249 Lediglich mit Blick auf Nr 7a, die nur fehlerhafte Bilanzen, nicht aber fehlerhafte Inventare erfasst, kann ein solches Bedürfnis noch angenommen werden; dazu s SK/Hoyer § 283 Rn 89. 1250 Dazu siehe o Rn 138.

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Rechenwerk als Bilanz firmiert.1251 Denn eine vergleichbare Möglichkeit, der Bestrafung zu entgehen, anerkennt die Rspr iRd §§ 283 Abs 1 Nr 7b, 283b Abs 1 Nr 3b StGB nicht.1252 Dh, fällt der kaufmännische Vermögensstatus wegen gravierender Mängel aus dem Kreis der Bilanzen heraus, erlangt der Bilanzierende selbst dann keine Straffreiheit, wenn er vor Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung eine zutreffende Bilanz vorlegt.1253 In das Fahrwasser der §§ 283 Abs 1 Nr 7b, 283b Abs 1 Nr 3b StGB gerät womöglich 193 auch, wer zwar eine Steuerbilanz, jedoch keine Handelsbilanz erstellt hat.1254 Damit ist ein Themenkomplex angesprochen, den das einschlägige Schrifttum unter dem Stichwort „Einheitsbilanz“ behandelt.1255 Va kleinere und mittlere kaufmännische Betriebe betrauen häufig einen Steuerberater mit der Aufgabe, ihre Handels- und Steuerbilanz zu fertigen. Um Kosten zu sparen und wegen des in § 5 Abs 1 S 1 HS 1 EStG verankerten Maßgeblichkeitsgrundsatzes – die Angaben der Handels- und Steuerbilanz entsprechen sich, solange das Steuerrecht keinen ausdrücklichen Abweichungsbefehl normiert (vgl § 5 Abs 1 S 1 HS 2 EStG) – entspricht es gängiger Praxis, statt zweier nur eine und zwar die Steuerbilanz zu erstellen.1256 Weist freilich diese Steuerbilanz die Unterschiede zwischen Steuer- und Handelsbilanzrecht besonders aus,1257 drohen dem Kaufmann keine bankrottstrafrechtlichen Gefahren. Anders liegen die Dinge, wenn die Steuerbilanz die Abweichungen gegenüber der Handelsbilanz nicht kenntlich macht. Da nämlich der Gesetzgeber des BilMoG den Grds der umgekehrten Maßgeblichkeit gestrichen hat,1258 steuerbilanzielle Wahlrechte also keine Geltung mehr für die Handelsbilanz beanspruchen, Steuer- und Handelsbilanz somit weiter auseinander driften,1259 genügt das Erstellen einer Steuerbilanz nicht, um einer Bestrafung gem den §§ 283 Abs 1 Nr 7b, 283b Abs 1 Nr 3b StGB zu entgegen.1260

c) Die verspätete Bilanz-/Inventarerstellung Gem §§ 283 Abs 1 Nr 7b, 283b Abs 1 Nr 3b StGB macht sich nicht nur strafbar, wer es gänz- 194 lich unterlässt Bilanzen zu ziehen, sondern auch derjenige Kaufmann/Geschäftsleiter gerät in den Strudel der Bankrottstrafbarkeit, der seine Bilanzen verspätet erstellt. Bis zu welchem Zeitpunkt die Bilanz vorzuliegen hat, ergibt sich mehr oder weniger deutlich aus dem HGB und differiert teilweise erheblich, je nachdem, welches Unternehmen die Bilanzierungspflicht trifft und welcher Kategorie – Eröffnungs-, Liquidationseröffnungs-1261 oder Jahresabschlussbilanz – die erforderliche Bilanz angehört. Komplexe Ab-

_____ 1251 Darauf weist etwa LK/Tiedemann § 283 Rn 152 hin. 1252 S etwa RG GA 48 (1901), 452, freilich noch zu § 240 Nr 4 KO. 1253 AllgM; s nur LK/Tiedemann § 283 Rn 152 f; Fischer § 283 Rn 29a; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 51; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 171; M/G/Rinjes 8/257. 1254 Reck ZInsO 2011, 1969, 1972. 1255 Schüppen, S 39; s ferner Regierer, S 147. 1256 Zu dieser Praxis s Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 38; M-G/Richter § 85 Rn 42; Schüppen, S 39; Louis, S 43; Muscat PStR 2001, 252. 1257 Zu den erheblichen Schwierigkeiten, unter dem Regime des BilMoG noch eine Einheitsbilanz zu erstellen, s Hennrichs K Schmidt-FS, 581, 598. 1258 Zum entspr Entwurf s Fülbier/Gassen DB 2007, 2605, 2607. 1259 Zu dieser Feststellung s Fülbier/Gassen DB 2007, 2605, 2612; ferner Hennrichs K Schmidt-FS, 581, 587. 1260 S etwa Reck ZInsO 2011, 1969, 1971; ferner Wolf/Nagel StuB 2006, 621, 625; vgl auch schon BöhleStamschräder § 240 KO Anm 5a. 1261 Ausf hierzu Th Wolf/Lupp wistra 2008, 250, 252 ff.

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grenzungsprobleme zwischen § 283 Abs 1 Nr 7b StGB einer- und § 283b Abs 1 Nr 3b StGB andererseits entstehen, wenn das Ende der Bilanzierungsfrist und die Tathandlung auf einen Zeitpunkt außerhalb der von § 283 Abs 1 StGB umschriebenen Krisentrias (bestehend aus Überschuldung, eingetretener und drohender Zahlungsunfähigkeit; zu den Einzelheiten siehe o Rn 37 ff) fallen, später aber die Krise doch noch eintritt, ohne dass der Kaufmann/Geschäftsleiter bis dato seiner Buchführungspflicht nachgekommen wäre. Von Nuancen im Detail abgesehen, stehen sich zwei Meinungslager gegenüber: Das Attribut der hM dürfte der Auffassung zufallen, die solche Fallgestaltungen ausschließlich gem § 283b Abs 1 Nr 3b StGB behandeln will,1262 indem sie den Standpunkt einnimmt, die Bilanzierungspflicht ende mit dem Fristablauf. Die Gegenansicht hebt entscheidend auf den Unterlassens- und Dauerdeliktscharakter der §§ 283 Abs 1 Nr 7b, 283b Abs 1 Nr 3b StGB ab und gelangt zur Tatbeendigung frühestens bei Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung. Auf dem Boden dieser Prämissen macht sich der Kaufmann bzw Geschäftsleiter, der nach Ablauf der Bilanzierungsfrist weiterhin untätig bleibt und keine Bilanzen fertigt, nicht nur gem § 283b Abs 1 Nr 3b StGB, sondern gem dem strengeren § 283 Abs 1 Nr 7b StGB strafbar, sofern das kaufmännische Unternehmen zwischenzeitlich in das Stadium der Krise geraten ist.1263 Obschon letztere Position gute Argumente auf ihrer Seite hat – so leuchtet es kaum ein, den Neu-Geschäftsführer, der sein Amt im Zeitpunkt der Krise antritt, gem § 283 Abs 1 Nr 7b StGB zu bestrafen, falls er die von seinem Vorgänger unterlassene Bilanzierung nicht nachholt, ohne einen solchen Geschäftsführerwechsel aber lediglich § 283b Abs 1 Nr 3b StGB anzuwenden1264 –, streitet der Wortlaut des § 283 StGB zugunsten der hM. Denn § 283 Abs 1 StGB fordert, dass es der Bilanzpflichtige „bei1265 eingetretener Zahlungsunfähigkeit […] entgegen dem Handelsrecht […] unterlässt, die Bilanz […] aufzustellen“.1266 Hinzu kommt: Wer die Bilanzierungsfrist während bestehender Krise verstreichen lässt, verwirkt schwereres Unrecht und bringt größere kriminelle Energie zum Ausdruck als der, der die Bilanz seines gesunden Unternehmens nicht fristgerecht erstellt und dies später – bei zwischenzeitlich eingetretener Krise – auch nicht nachholt.1267

aa) Die maßgebenden Fristen 195 Die erste Weiche auf dem Weg, die Bilanzierungsfristen zu ermitteln, stellt sich bei

den Bilanzarten. Während sämtliche bilanzierungspflichtige Unternehmen die Eröff-

_____ 1262 So BGH wistra 2003, 232, 233; BGH NStZ 2000, 206; BGH wistra 1998, 105; OLG Stuttgart NStZ-RR 2011, 277 f = ZWH 2011, 102; KG wistra 2002, 313, 314; Fischer § 283 Rn 25; Lackner/Kühl/Heger § 283b Rn 1; S/S/W/Bosch § 283 Rn 30; Pape/Uhländer/Hofmann § 283 Bankrott Rn 37, 41; Rönnau NStZ 2003, 525, 531; wohl auch Wilhelm NStZ 2003, 511, 512 f; Weyand ZInsO 2012, 770, 773; offen gelassen von OLG Hamburg NJW 1987, 1342, 1344 = GmbHR 1987, 273, 274; vgl ferner HambK/Borchardt § 283 StGB Rn 28, bei dem nicht deutlich wird, ob er solches Verhalten womöglich ganz straflos stellen will. 1263 M-G/Richter § 85 Rn 66 f, 76; S/S/W/Bosch § 283b Rn 4; B/Quedenfeld/Richter 5/187; Weyand/Diversy Rn 105; Reither, wistra 2014, 48, 49 f; Richter NZI 2002, 121, 123; Maurer wistra 2003, 174 f; Doster wistra 1998, 326, 327; wohl auch Schäfer wistra 1990, 81, 86, obschon er sich nur mit den §§ 283 Abs 1 Nr 5, 283b Abs 1 Nr 1 StGB beschäftigt. 1264 Zu dieser Argumentation s Doster wistra 1998, 326, 327; ferner B/Quedenfeld/Richter 5/187. 1265 Hervorhebung durch den Verf. 1266 OLG Stuttgart NStZ-RR 2011, 277 f = ZWH 2011, 102 m zust Anm Adick ebd; Hüls ZWH 2012, 233 f; Floeth EWiR 2011, 719, 720; ebenso S/S/W/Bosch § 283 Rn 30; aA Reither, wistra 2014, 48, 49 f. 1267 OLG Stuttgart NStZ-RR 2011, 277 f = ZWH 2011, 102; zust Hüls ZWH 2012, 233, 234.

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nungsbilanz „innerhalb der einem ordnungsgemäßen Geschäftsgang entsprechenden Zeit aufzustellen“ haben (vgl § 243 Abs 3 HGB),1268 der Buchstabe des Gesetzes also keine konkreten Fristen benennt, trifft § 264 Abs 1 Sätze 3, 4 HGB zwar nicht für jeden Bilanzpflichtigen, wohl aber für alle Kapitalgesellschaften sowie die „haftungsbeschränkten Personenhandelsgesellschaften“ iSv § 264a HGB konkrete Aussagen, bis zu welchem Zeitpunkt spätestens die Abschlussbilanz vorliegen muss.1269 Gehört das bilanzpflichtige Unternehmen zum Kreis der großen bzw mittelgroßen Kapitalgesellschaften (vgl die Voraussetzungen des § 267Abs 2, 3 HGB), verpflichtet § 264 Abs 1 S 3 HGB die gesetzlichen Vertreter dieses Unternehmens, den Jahresabschluss innerhalb der ersten drei Monate des auf das abgelaufene Geschäftsjahr folgenden Geschäftsjahrs zu erstellen, rechnet es zu den eingetragenen Genossenschaften beträgt die Frist fünf Monate (vgl § 336 Abs 1 S 2 HGB). Den Geschäftsleitern von kleinen Kapitalgesellschaften (vgl § 267 Abs 1 HGB)1270 räumt § 264 Abs 1 S 4 HGB eine sechsmonatige Aufstellungsfrist ein,1271 sofern dies einem ordnungsgemäßen Geschäftsgang entspricht. Das um Rechtssicherheit und Bestimmtheit bemühte Strafrecht gewährt hingegen – von Krisensituationen abgesehen; dazu sogl Rn 197 – generell die Sechsmonatsfrist und macht von dem Einschränkungsvorbehalt des ordnungsgemäßen Geschäftsgangs keinen Gebrauch.1272 Deutlich schwieriger gestaltet sich die Rechtslage, sobald die Eröffnungsbilanz ei- 196 nes Einzelkaufmanns bzw einer nicht unter § 264a HGB fallenden Personenhandelsgesellschaft in Rede steht. Sybillinisch spricht § 243 Abs 3 HGB insoweit lediglich von der einem ordnungsgemäßen Geschäftsgang entsprechenden Zeit, ohne einen konkreten Zeitraum anzugeben.1273 Freilich mangelt es nicht an Konkretisierungsbemühungen des bilanz- und strafrechtlichen Schrifttums.1274 Die Vorschläge reichen von einer Zehnwochenfrist1275 über einen Dreimonatszeitraum1276 bis hin zur Sechsmonatsfrist,1277 die § 264 Abs 1 S 4 HGB den kleinen Kapitalgesellschaften eröffnet bzw zu der Aussage, konkrete Fristen ließen sich dem Gesetz und seinen Zwecken nicht entnehmen,1278 es dürfe

_____ 1268 Zur hinreichenden Bestimmtheit dieser Regelung s BVerfGE 48, 48, 57, freilich noch zu §§ 240 Abs 1 Nr 4 KO, 39 Abs 2 S 2 HGB; skept mit Blick auf die §§ 283 Abs 1 Nr 7b, 283b Abs 1 Nr 3b StGB freilich Blumers, S 3, dem zufolge § 283 Abs 2, Abs 4, Abs 5 (soweit er den Abs 2 betrifft) und § 283b StGB iVm § 39 Abs 2 S 2 HGB aF verfassungswidrig sind (aaO, S 142 f). 1269 Unbeachtlich sind insofern aber Feststellungsfristen, wie sie etwa § 42a Abs 2 S 1 GmbHG vorsieht; vgl dazu nur Reck StuB 2000, 1281, 1282; ders ZInsO 2001, 633, 637; aA aber wohl BGH NStZ 2000, 206. 1270 Dazu, dass die Mehrheit der in Ermittlungsverfahren verwickelten Kapitalgesellschaften zu den kleinen gehören, s Mertes wistra 1991, 251, 252. 1271 Sehr krit äußerte sich zu einer Sechsmonatsfrist Rose DB 1974, 1031, 1035. 1272 Dazu s M-G/Richter § 85 Rn 49; Mertes wistra 1991, 251, 252 f. 1273 Vgl auch noch RGSt 2, 30, 33, das jede Bilanzerstellung, die nach Ablauf des Geschäftsjahres erfolgte, als verspätet ansah. 1274 Indifferent etwa Richter GmbHR 1984, 137, 148. 1275 BGH/H GA 1961, 359 noch zu § 240 KO; sympathisierend BVerfGE 48, 48, 62. 1276 BGH/H GA 1956, 348. 1277 OLG Düsseldorf DB 1979, 2317; LK/Tiedemann § 283 Rn 147; SK/Hoyer § 283 Rn 90; W/J/Pelz 9/161; HambK/Borchardt § 283 StGB Rn 28; M/G/Rinjes 8/245; Weyand/Diversy Rn 104; Hauck, S 132; Doster wistra 1998, 326; Weyand StuB 1999, 178, 182; Offerhaus BB 1976, 1622; Wolf/Nagel StuB 2006, 621; vgl auch BGH BB 1955, 109, wo die Bilanzerstellung des am 31.12. abgelaufenen Geschäftsjahres im Juli des Folgejahres als verspätet betrachtet wurde; s ferner Richter GmbHR 1984, 137, 148, dem zufolge eine sechsmonatige Verspätung der Bilanzerstellung regelmäßig Gegenstand des strafrechtlichen Schuldvorwurfs ist, allerdings auch schon vier Monate Verspätung genügen können; vgl auch Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 20: Sechsmonatsfrist gibt Anhaltspunkte auf die in concreto einzufordernde Frist. 1278 So scheinbar Hiltenkamp-Wisgalle, S 190 ff, die deshalb auf den jeweiligen Einzelfall abstellen will.

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jedoch keinesfalls länger als ein Jahr zugewartet werden.1279 Zustimmung gebührt keinem dieser Extremansätze, sondern einer vermittelnden, an § 267 HGB orientierten Lösung, die danach differenziert, ob das kaufmännische Unternehmen umfangmäßig eher den großen und mittelgroßen – die Frist beträgt dann drei Monate – oder eher den kleinen Kapitalgesellschaften – dann gilt die Sechsmonatsfrist – nahesteht.1280 Starre Fristen sind mit alldem aber nicht ausgedrückt. Insbes die Unternehmens197 krise zwingt regelmäßig dazu, die Bilanz zügiger, meist innerhalb weniger Wochen zu errichten,1281 andernfalls womöglich bereits vor Ablauf der Drei- bzw Sechsmonatsfrist ein Strafverfahren aufgrund der §§ 283 Abs 1 Nr 7b, 283b Abs 1 Nr 3b StGB droht.1282 Die Schwierigkeiten potenzieren sich schließlich, nimmt man die Eröffnungs- bzw 198 Liquidationseröffnungsbilanz in den Blick. Da spezielle Fristenregelungen nicht existieren, markiert § 243 Abs 3 HGB den einzigen Anhaltspunkt. Ob es der Anlass dieser Bilanzierungspflicht gebietet, unverzüglich nach Geschäftsbeginn Bilanz zu ziehen, wie verschiedentlich behauptet, erscheint angesichts einer Praxis fraglich, die das Erfordernis, die Abschlussbilanz zum Ende des jeweiligen Geschäftsjahres aufzustellen, auch nicht eben wortgetreu versteht.1283 Durchgesetzt hat sich zwischenzeitlich die Ansicht, die eine Eröffnungsbilanz innerhalb der ersten drei Monate nach Geschäftsaufnahme als rechtzeitig erstellt betrachtet,1284 sofern nicht Krisenanzeichen eine schnellere Bilanzierung erfordern.1285 199 Im Unterschied zum Steuerrecht kennt das Handelsbilanzrecht keine Möglichkeit, die Aufstellungsfristen zu verlängern (vgl aber den zwischenzeitlich gestrichenen § 41 Abs 3 GmbHG aF, der es erlaubte, gesellschaftsvertraglich die Frist zu verlängern). Dh auch: Hat die Steuerbehörde dem Steuerpflichtigen einen Aufschub gewährt, wirkt sich dies nicht auf die Fristen aus, innerhalb derer der steuerpflichtige Kaufmann bzw Geschäftsleiter handelsrechtlich Bilanz ziehen muss.1286

_____ 1279 Dazu Blumers, S 121 ff, 148 und passim; weitergehend Mittelbach DStR 1972, 486, der selbst einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten uU noch für ordnungsgemäß hält; insoweit zust MAH/Böttger § 19 Rn 157; s ferner Ehlers Insbüro 2005, 60, 66; vgl auch FG Düsseldorf EFG 1977, 421: Bilanzerstellung nach fünfzehn Monaten überschreitet die einem ordnungsgemäßen Geschäftsgang entsprechende Zeit. 1280 Dafür etwa M-G/Richter § 85 Rn 52; ders NZI 2002, 121, 123; sehr krit Blumers, S 74. 1281 Fischer § 283 Rn 29; M-G/Richter § 85 Rn 50; M/G/Rinjes 8/245; S/S/W/Bosch § 283 Rn 30; Mertes wistra 1991, 251, 252 f; Th Wolf/Lupp wistra 2008, 250, 251; Reck ZInsO 2001, 633, 637; Ehlers Insbüro 2005, 60, 66; Rowedder BB 1955, 109, 110; sa BVerfGE 48, 48, 61 sowie Blumers, S 114 ff, der aber zusätzlich darauf hinweist, dass eine schnellere Bilanzierung nicht gefordert werden kann, wenn der Bilanzpflichtige die Krise fahrlässig bzw leichtfertig nicht erkennt (aaO, S 132 f); vgl ferner LK/Tiedemann § 283 Rn 147, M/R/ Altenhain § 283 Rn 32, Mittelbach DStR 1972 und Reck ZInsO 2011, 1969, 1970 m Fn 5, denen zufolge kleine Kapitalgesellschaften in der Krise ihre Abschlussbilanz nicht in sechs, sondern in drei Monaten zu erstellen haben; noch restriktiver Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 20: unverzüglich. 1282 M-G/Richter § 85 Rn 52; sa Weyand/Diversy Rn 103. 1283 Sa schon Blumers, S 52 ff; Maul DB 1974, 697, 698. 1284 LK/Tiedemann § 283 Rn 148; Blumers, S 55; Th Wolf/Lupp wistra 2008, 250, 251; Weyand PStR 2004, 235; ders StuB 1999, 178, 182; Uppenbrink AUR 2010, 357 f; vgl des Weiteren RGSt 28, 428, 430, das einen Zeitraum von mehreren Monaten zwischen Geschäftsaufnahme und Errichten der Eröffnungsbilanz nicht mehr für fristgerecht erachtet; anders freilich Schulze-Osterloh Hüffer-FS, S 917, 931 ff, 934, der nach dem Aufwand differenziert, den das Aufstellen der Eröffnungsbilanz verursacht; ferner Richter NZI 2002, 121, 123, der nur zwei bis vier Wochen gewähren will. 1285 In diesem Kontext s LK/Tiedemann § 283 Rn 148; Blumers, S 56. 1286 LK/Tiedemann § 283 Rn 149; AnwK/Püschel § 283 Rn 38; M/G/Rinjes 8/247; Weyand/Diversy Rn 105; Pape/Uhländer/Hofmann § 283 Bankrott Rn 44; Richter GmbHR 1984, 137, 147; Weyand PStR 2004, 235; ders StuB 1999, 178, 182; Hartung Stbg 1991, 332, 334; Uppenbrink AUR 2010, 357; s ferner Wolf/Nagel StuB 2006, 621; Sundermeier/C Gruber DStR 2000, 929, 934.

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§ 12 Bankrott, §§ 283, 283a StGB u. Verletz. d. Buchführungspflicht, § 283b StGB | 739

bb) Fristablauf nach Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung Egal ob das Gesetz dem Kaufmann/Geschäftsleiter eine längere oder kürzere Aufstel- 200 lungsfrist einräumt,1287 erhebt sich die streitig diskutierte Frage, was gilt, wenn vor Fristablauf die objektive Bedingung der Strafbarkeit eintritt. Der BGH und die ihm folgenden Vertreter des Schrifttums sprechen vom Vorwurf der §§ 283 Abs 1 Nr 7b, 283b Abs 1 Nr 3b StGB frei, sofern es der Täter im Vorfeld der objektiven Strafbarkeitsbedingung nicht unterlassen hat, hinreichende Vorsorge zu treffen, um die Bilanz zu fertigen.1288 Die Gegenansicht nimmt einen differenzierenden Standpunkt ein und unterscheidet zwischen der Insolvenzeröffnung einer- und der Zahlungseinstellung bzw der Insolvenzablehnung mangels Masse andererseits. Habe das zuständige Gericht das Insolvenzverfahren eröffnet und ende die Bilanzaufstellungsfrist erst nach diesem Zeitpunkt, bleibe der bilanzpflichtige Kaufmann/Geschäftsleiter sub specie §§ 283 Abs 1 Nr 7b, 283b Abs 1 Nr 3b StGB entweder straflos oder hafte, falls er überhaupt nicht vorhatte Bilanz zu ziehen, allenfalls wegen Versuchs1289.1290 Keine Auswirkungen auf die Bilanzaufstellungspflicht zeitige hingegen die Zahlungseinstellung bzw die Verfahrensabweisung mangels Masse.1291

XII. Die Tathandlungen des § 283 Abs 1 Nr 8 StGB Der Gesetzgeber des 1. WiKG 1976 hat den Bankrotthandlungen des § 283 Abs 1 Nrn 1–7 201 StGB – trotz zT vehement geäußerter Bestimmtheitsbedenken1292 – den Auffang-1293 bzw nach anderer Ansicht Grundtatbestand1294 des § 283 Abs 1 Nr 8 StGB hinzugefügt, um zum damaligen Zeitpunkt noch nicht absehbare, gleichwohl sub specie § 283 StGB straf-

_____ 1287 Siehe o Rn 195 ff. 1288 BGH wistra 1992, 145, 146 f = NStZ 1992, 182; BGH MDR 1991, 1023 f; BGH/H GA 1959, 49; BGH/H GA 1956, 348; BGH GA 1956, 356, 357; BGH BB 1957, 274; BGH/H GA 1971, 38; OLG Düsseldorf StV 1999, 28, 30 = wistra 1998, 360, 361 = DB 1998, 1856 = BB 1999, 149, 150; KG NStZ 2008, 406 f; KG, v 5.5.2000, (5) 1 Ss 113/99 (49/99), Rn 12 (juris); vgl auch BGH NStZ 2009, 635, 636 = wistra 2009, 273, 274; zust etwa S/S/ Heine/Schuster § 283 Rn 47; W/J/Pelz 9/163; M/G/Rinjes 8/249; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 55; Weyand/Diversy Rn 105; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 20; M/R/Altenhain § 283 Rn 32; Böttger/Verjans 4/90; Rönnau NStZ 2003, 525, 530, dem zufolge sich die Pflichtverletzung nicht mehr auf den wirtschaftlichen Zusammenbruch auswirken kann; Uppenbrink AUR 2010, 357, 358; sa schon Böhle-Stamschräder § 240 KO Anm 5c sowie dens KTS 1957, 17, 25; ebenso wohl Ogiermann wistra 2000, 250, 251; aA aber D/K/H/ Dannecker/Hagemeier Rn 1020; weitergehend scheinbar trotz seines Rekurses auf OLG Düsseldorf StV 1999, 29 Fischer § 283 Rn 23a; ebenso wohl Pape/Uhländer/Hofmann § 283 Bankrott Rn 37, 45. 1289 Vgl § 283 Abs 3 StGB und u Rn 252 ff. 1290 Für Versuch auch B/Quedenfeld/Richter 5/188; ferner LK/Tiedemann § 283 Rn 151, der allerdings nicht zwischen den unterschiedlichen Varianten der objektiven Strafbarkeitsbedingung unterscheidet. 1291 So M-G/Richter § 85 Rn 47; ders NZI 2002, 121, 123 f; wohl auch Steinberg/Valerius/Popp/Hagemeier, S 129, 137; dies StV 2010, 26, 28 f. 1292 Schöne JZ 1973, 446, 450; als im Hinblick auf Art 103 Abs 2 GG nicht hinnehmbar bezeichnet den Tatbestand AnwK/Püschel § 283 Rn 28; sa dens Rissing-van Saan-FS, S 471, 474; skept ferner A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 177; Jahn wistra 2013, 41, 43; aA freilich Grosche, S 16; keine Bestimmtheitsbedenken sah auch der Gesetzgeber; vgl BT-Drucks 7/3441, S 36. 1293 OLG Düsseldorf NJW 1982, 1712, 1713; Fischer § 283 Rn 30; NK/Kindhäuser § 283 Rn 89; SK/Hoyer § 283 Rn 91; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 65; AnwK/Püschel § 283 Rn 28; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 8; S/S/W/Bosch § 283 Rn 32; M/R/Altenhain § 283 Rn 33; M-G/Richter § 83 Rn 74; W/J/Pelz 9/134; Weyand/ Diversy Rn 62; Pape/Uhländer/Hofmann § 283 Bankrott Rn 46; Pohl, S 134; Habetha, S 235. 1294 So Tiedemann KTS 1984, 539, 552; zust MAH/Böttger § 19 Rn 113, 164; Grosche, S 12 f.

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würdige Verhaltensweisen erfassen zu können.1295 Bedeutung erlangt § 283 Abs 1 Nr 8 StGB freilich erst dann, wenn sich die inkriminierte Verhaltensweise keiner anderen Nummer des § 283 Abs 1 StGB subsumieren lässt.1296 Sah es deshalb zunächst so aus, als ob § 283 Abs 1 Nr 8 StGB keine praktische Relevanz entfalten würde1297 – obschon Nrn 1–7 für ihren Bereich keine abschließenden Vorgaben normieren1298 –, sondern es vielmehr Aufgabe der Strafrechtswissenschaft sei, sich Fallgestaltungen auszudenken, die ausschließlich dem § 283 Abs 1 Nr 8 StGB unterfallen, hat die Rspr vor kurzem den Versuch unternommen, mithilfe des § 283 Abs 1 Nr 8 StGB das sog „Firmenbestattungsunwesen“ in den Griff zu bekommen1299.1300 – Der Tatbestand des § 283 Abs 1 Nr 8 StGB enthält zwei Varianten, wovon die erste Vermögensverringerungen erfasst, soweit diese nicht bereits die Nrn 1, 2 oder 3 verwirklichen, und die zweite das Verschleiern der wahren wirtschaftlichen Verhältnisse sanktioniert, soweit nicht bereits Nrn 4, 5 oder 7 eingreifen. Ob das, die Vermögensverringerungen der ersten Variante begrenzende Erfordernis des groben Verstoßes gegen die Anforderungen ordnungsgemäßen Wirtschaftens auch iRd zweiten Variante gilt, ist heftig umstritten.1301

1. Das wirtschaftswidrige Verringern des Vermögensstandes in anderer Weise (§ 283 Abs 1 Nr 8 Var 1 StGB) 202 Dem Merkmal „Verringern des Vermögensstandes“ lassen sich nicht nur Einwirkungen des Schuldners auf den Aktivenbestand seines Vermögens subsumieren, sondern auch die Erhöhung der Passiva durch das Eingehen wirtschaftswidriger Verbindlichkeiten.1302 Während ersteres den – auch unwirksamen – Vollzug des Erfüllungsgeschäfts erfordert, genügt letzterem der Abschluss des – selbst zivilrechtlich nichtigen – Verpflichtungsgeschäfts.1303 Interpretiert man wie hier das Beiseiteschaffen iSv § 283 Abs 1 Nr 1 Var 1 StGB restriktiv und fasst darunter nur solche Vermögensverschiebungen, die dem Schuldner den Zugriff auf die verschobenen Vermögensbestandteile belassen,1304 verringert seinen Vermögensstand in anderer Weise und verwirklicht somit – die grobe Wirtschaftswidrigkeit der Verfügung unterstellt – § 283 Abs 1 Nr 8 Var 1 StGB darüber hinaus, wem nach Weggabe der Vermögensgegenstände keine Zugriffsmöglichkeiten mehr verbleiben,1305 sofern nicht die Voraussetzungen des vorrangigen § 283 Abs 1 Nr 2

_____ 1295 BT-Drucks 7/3441, S 33, 36; ausf zur Entstehungsgeschichte dieses Auffangtatbestandes Hiltenkamp-Wisgalle, S 199 ff. 1296 MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 65. 1297 S etwa Tiedemann KTS 1984, 539, 552. 1298 Dazu s nur G/J/W/Reinhart § 283 Rn 8. 1299 Dazu su Rn 212 ff. 1300 S bereits die Prophezeiung von Richter GmbHR 1984, 137, 148, der schon früh darauf hinwies, dass § 283 Abs 1 Nr 8 StGB in Zukunft größere Bedeutung erlangen wird. 1301 Su Rn 216 und o Rn 26. 1302 AllgM; s nur LK/Tiedemann § 283 Rn 160; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 49; NK/Kindhäuser § 283 Rn 90; SK/Hoyer § 283 Rn 92; S/S/W/Bosch § 283 Rn 32; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 66; Lackner/Kühl/ Heger § 283 Rn 21; AnwK/Püschel § 283 Rn 28; M/R/Altenhain § 283 Rn 33; M-G/Richter § 83 Rn 76; D/K/H/ Dannecker/Hagemeier Rn 1093; MAH/Böttger § 19 Rn 164; Grosche, S 60; Geers, S 168. 1303 M/R/Altenhain § 283 Rn 33; sympathisierend auch Grosche, S 60 m Fn 3. 1304 Dazu siehe o Rn 78. 1305 Versteht man das Beiseiteschaffen iSd § 283 Abs 1 Nr 1 StGB hingegen weit, mag man wie Grosche, S 87 f, 156 f zu dem Ergebnis gelangen, dass die erste Variante des § 283 Abs 1 Nr 8 StGB keinen eigenständigen Anwendungsbereich besitzt, sondern im Gegenteil sämtliche schuldnerische Handlungen, die gemeinhin dem § 283 Abs 1 Nr 8 Var 1 StGB zugeschlagen werden, schon den übrigen Bankrotthandlungen –

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StGB vorliegen.1306 Neben solchen Einzelhandlungen, die einen bestimmten Vermögensbestandteil betreffen, sowie dem Vereiteln einer konkreten Vermögensmehrung, das nach teilweise vertretener Ansicht den Prototyp des § 283 Abs 1 Nr 8 Var 1 StGB bildet,1307 sollen dem § 283 Abs 1 Nr 8 Var 1 StGB des Weiteren auch Handlungskomplexe unterfallen, die sich aus zahlreichen – zT für sich allein betrachtet durchaus vermögensmehrenden – Einzelhandlungen zusammensetzen, sofern das Gesamtergebnis den Vermögensstand wirtschaftswidrig benachteiligt.

a) Tathandlungen auf der Aktivseite Wie bereits vorstehend Rn 202 gesehen, ahndet § 283 Abs 1 Nr 8 Var 1 StGB sämtliche 203 wirtschaftswidrige Einzelhandlungen des Schuldners, die den Aktivenbestand seines Vermögens verringern, ohne bereits eine Bankrotthandlung des § 283 Abs 1 Nrn 1–7 StGB zu verwirklichen. Die tauglichen Tatgegenstände, an denen der Schuldner die Bankrotthandlung des § 283 Abs 1 Nr 8 Var 1 StGB begehen kann, reichen deutlich über diejenigen des § 283 Abs 1 Nr 1 StGB hinaus. So rechnen zum Vermögensbestand iSv § 283 Abs 1 Nr 8 Var 1 StGB nicht nur die pfändbaren, der Masse zugehörigen Vermögensbestandteile, sondern auch nicht fassbare Vermögensgüter, sofern sie geldwert sind,1308 wie etwa der Kundenstamm, verfestigte Erwerbsexspektanzen, der feststehende Vertragsschluss mit einem Gelegenheitskunden, der Besitz von Beweismitteln sowie konkrete Absatz- und Gewinnerwartungen bei starrer Marktlage. Vor diesem Hintergrund erfüllt der Schuldner den Tatbestand des § 283 Abs 1 Nr 8 Var 1 StGB, der im Stadium der Krise den Ruf seines Unternehmens schädigt, der Waren ohne ausreichende Sicherheiten liefert, der Kredite zu überhöhten Kosten aufnimmt, der wirtschaftlich untragbare Investitionen tätigt, der ohne ausreichenden Überblick wirtschaftet und dadurch Verluste generiert,1309 der Kredite gewährt, ohne die Kreditwürdigkeit des Darlehensnehmers zu prüfen, der einen Kunden trotz erheblichen Zahlungsrückstandes weiter beliefert, der Exportlizenzen nicht ausnutzt,1310 der Waren mithilfe eines Darlehens beschafft und sodann verschleudert1311,1312 der es unterlässt bereits angebahnte Verträge zugunsten des strauchelnden Unternehmens abzuschließen, der den Kundenstamm bzw die Ausführung schon erteilter Aufträge unter Wert einem Nachfolgeunter-

_____ insbes aber den Nrn 1 und 2 des § 283 Abs 1 StGB – unterfallen, weshalb er dafür plädiert, die erste Variante ersatzlos zu streichen. 1306 Siehe o Rn 78. 1307 S etwa LK/Tiedemann § 283 Rn 158, 160; zust Grosche, S 60. 1308 LK/Tiedemann § 283 Rn 161; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1093; wohl auch NK/Kindhäuser § 283 Rn 90; skept aber Grosche, S 57 m Fn 1. 1309 Dafür wohl Tiedemann ZIP 1983, 513, 522, obschon er ausdrückl über solches Verhalten nur das Verdikt grober Wirtschaftswidrigkeit fällt; weitergehend aber ders KTS 1984, 539, 555; enger Grosche, S 65 f, 82, dem zufolge in solchen Konstellationen entweder schon eine Strafbarkeit gem § 283 Abs 1 Nr 2 StGB im Raum steht und es somit eines Rückgriffs auf die Generalklausel der Nr 8 nicht bedarf oder es aber an einem Verringern des Vermögensstandes ermangelt. 1310 NK/Kindhäuser § 283 Rn 90; aA Grosche, S 83 f, der hierin lediglich ein Unterlassen erblickt, das regelmäßig mangels Garantenstellung des Schuldners straflos bleibt. 1311 Dazu, dass § 283 Abs 1 Nr 3 StGB dieses Verhalten nicht erfasst und auch Nr 1 nicht greift, siehe o Rn 87. 1312 Vgl auch Fischer § 283 Rn 30a; AnwK/Püschel § 283 Rn 28; ferner LK/Tiedemann § 283 Rn 186, der auch das Verschleudern eigener, nicht kreditierter Waren erfassen will. AA aber Grosche, S 81, der auch hier § 283 Abs 1 Nr 3 StGB anwenden will; zust Habetha, S 279 f.

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nehmen überträgt,1313 der das günstigste Angebot in einem Vergabeverfahren grundlos zurückzieht1314 sowie der Schuldner, der qualifizierte Arbeitnehmer kündigt, um sie bei einem Nachfolgeunternehmen weiter zu beschäftigen und so dem kriselnden Unternehmen die Chance nimmt, durch den Einsatz dieser Arbeitnehmer einen Vermögenszuwachs zu erzielen. Hingegen verringert seinen Vermögensstand nicht, wer sein Unternehmen durch „Totschrumpfen“ aufgibt, dabei aber die Gläubigerinteressen beachtet.1315 Ebensowenig führen fehlerhafte unternehmerische Entscheidungen, die auf fachlicher Unzulänglichkeit beruhen, zur Strafbarkeit gem § 283 Abs 1 Nr 8 Var 1 StGB. Ob darüber hinaus der Schuldner, der ein Unternehmen gründet, ohne es mit dem 204 Kapital auszustatten, das erforderlich wäre, um den Unternehmenszweck zu erreichen (sog materielle Unterkapitalisierung), den Tatbestand des § 283 Abs 1 Nr 8 Var 1 StGB verwirklicht, wie verschiedentlich behauptet wird,1316 erscheint hingegen zweifelhaft.1317 Da der Tatbestand des § 283 Abs 1 Nr 8 Var 1 StGB ein Verringern des Vermögensstandes voraussetzt, dürfte schon mit dem Wortlaut und folglich mit Art 103 Abs 2 GG in Konflikt geraten, wer den Schuldner, der ein materiell unterkapitalisiertes Unternehmen gründet und betreibt, gem § 283 Abs 1 Nr 8 Var 1 StGB bestrafen will.1318 Zwar mag die Teilnahme solcher unterkapitalisierter Unternehmen am Rechtsverkehr Gläubigerinteressen beeinträchtigen. Diese Beeinträchtigung der Gläubigerinteressen rührt jedoch nicht aus Verringerungen des Vermögensstandes seitens des Schuldners, sondern daher, dass sich die Gläubiger womöglich über die zu geringe Kapitalausstattung des schuldnerischen Unternehmens irren und deshalb mit diesem Unternehmen kontrahieren.1319 Dh: Wenn überhaupt erfasst § 283 Abs 1 Nr 8 Var 2 StGB den Betrieb materiell unterkapitalisierter Unternehmen.1320 Richtigerweise beschränkt sich § 283 Abs 1 Nr 8 Var 1 StGB nicht darauf, wirtschafts205 widrige Einzelhandlungen zu ahnden, die den Vermögensstand verringern, sondern gestattet darüber hinausgehend eine Art Gesamtbetrachtung.1321 Diese Gesamtbetrachtung erlaubt es, ein grob wirtschaftswidriges Wirtschaften, das sich über einen längeren Zeitraum hinzieht, dem § 283 Abs 1 Nr 8 Var 1 StGB zu subsumieren. Beispielhaft genannt seien die je für sich wirtschaftsgemäßen zahlreichen Luxusaufwendungen, die jedoch in ihrem Zusammenspiel ein wirtschaftswidriges Ergebnis zeitigen bzw die wirtschaftsgemäße Erfüllung einer wirtschaftswidrig eingegangenen Verbindlichkeit. Allerdings darf

_____ 1313 Ob auch schon das Umleiten von Aufträgen vom Alt- auf ein Neuunternehmen dem § 283 Abs 1 Nr 8 Var 1 StGB unterfällt, ist streitig; dagegen Grosche, S 62. 1314 LK/Tiedemann § 283 Rn 161, der zudem eine Ausnahmekonstellation benennt, deren Vorliegen nicht zu § 283 Abs 1 Nr 8 Var 2 StGB führt; NK/Kindhäuser § 283 Rn 90; aA aber Grosche, S 87; dazu, dass solche Positionen Vermögenswert besitzen, s nur BGHSt 17, 147, 148. 1315 M-G/Richter § 87 Rn 27; Weyand/Diversy Rn 32; Tiedemann KTS 1984, 539, 553. 1316 Dafür etwa LK/Tiedemann § 283 Rn 163; ders KTS 1984, 539, 554 f. 1317 Gegen Bestrafung des Schuldners, der eine unterkapitalisierte Gesellschaft gründet bzw eine bereits bestehende Gesellschaft trotz fehlenden Kapitals erweitert, gem § 283 Abs 1 Nr 8 Var 1 StGB zutr Grosche, S 64 f. 1318 Vgl auch BGHZ 176, 204, 210 f, dem zufolge bei Unterkapitalisierung „schon begrifflich kein ‘Eingriff’’ in das zweckgebundene […] Vermögen“ vorliegt. 1319 S etwa den in Österreich spielenden Fall OGH ÖJZ 1969, 498, 499: Der Angeklagte gründete ohne genügendes Eigenkapital ein Unternehmen und war deshalb gezwungen, einen Kredit aufzunehmen, der seine wirtschaftlichen Verhältnisse überstieg. Würdigt man diesen Fall sub specie § 283 Abs 1 Nr 8 StGB, macht sich der Angeklagte danach allenfalls strafbar, wenn er dem Kreditgeber über seine wirtschaftliche Lage, insbes seine Eigenkapitalausstattung, täuscht. 1320 Dazu su Rn 211. 1321 Dezidiert hiergegen NK/Kindhäuser § 283 Rn 91; wohl auch A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 177.

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§ 12 Bankrott, §§ 283, 283a StGB u. Verletz. d. Buchführungspflicht, § 283b StGB | 743

die Gesamtbetrachtung nicht dazu führen, dem Beschuldigten strafprozessuale Rechte abzuschneiden. So bleibt der Einwand beachtlich, der Nachteilseintritt sei eine Folge unglücklicher, zufälliger Ereignisse, auf die der Schuldner keinen Einfluss gehabt habe und beruhe nicht auf grob wirtschaftswidrigen Verhaltensweisen. Dh: Wer die Verurteilung des Schuldners gem § 283 Abs 1 Nr 8 Var 1 StGB mithilfe der Gesamtbetrachtung bewerkstelligen will, muss den Nachweis führen, dass das grob wirtschaftswidrige Wirtschaften kausal eine zumindest billigend in Kauf genommene Vermögensverringerung herbeigeführt hat.1322 Fast schon einen Klassiker im Kontext des § 283 Abs 1 Nr 8 Var 1 StGB bilden die 206 Konstellationen, in denen der Schuldner eine Auffanggesellschaft gründet und dieser aus dem Bestand seines zahlungsunfähigen bzw überschuldeten Unternehmens eine sich wertmäßig entsprechende Menge an Aktiva und Passiva überträgt.1323 Da sich trotz des Passivaübergangs die Quote der Gläubiger, deren Forderungen beim Altunternehmen bleiben, typischerweise verringert1324, 1325 und zudem auch die Privilegierung des § 283c nicht greift,1326 steht eine Bankrottstrafbarkeit im Raum, sofern die Betriebsaufspaltung den Anforderungen ordnungsgemäßen Wirtschaftens zuwiderläuft.1327 Allerdings dürfte der Schuldner, der entgegen ordnungsgemäßem Wirtschaften seinen Betrieb aufspaltet, bereits die Tatvariante des Beiseiteschaffens von Vermögenswerten und somit § 283 Abs 1 Nr 1 Var 1 StGB verwirklichen, weil ihm regelmäßig der Zugriff auf das Vermögen der Auffanggesellschaft offen stehen wird;1328 eines Rückgriffs auf § 283 Abs 1 Nr 8 Var 1 StGB bedarf es dann nicht.1329 – Ob sich gem § 283 Abs 1 Nr 8 StGB strafbar macht, wer nachschussbereite Gesellschafter dazu bewegt, ihr Geld nicht dem überschuldeten/zahlungsunfähigen Unternehmen, sondern der Auffanggesellschaft zur Verfügung zu stellen, ist streitig. Jedenfalls bleibt der Gesellschafter straflos, der aus freien Stücken entscheidet, bei der Auffanggesellschaft zu investieren.

b) Tathandlungen auf der Passivseite Seinen Vermögensstand verringert auch, wer zwar die Aktiva unangetastet lässt, jedoch 207 durch grob wirtschaftswidriges Verhalten die Passiva erhöht. Im Zentrum der Debatte steht der Schuldner, der die künftige Masse belastet, indem er entgegen ordnungsgemäßem Wirtschaften Familienangehörige oder sonst nahestehende Personen kurz vor dem sich abzeichnenden Zusammenbruch seines Unternehmens anstellt bzw ihre Gehälter erhöht, um ihnen einen (höheren) Anspruch auf Insolvenzgeld zu verschaffen. Neben dem Betrug (vgl § 263 StGB), den solches Verhalten zu Lasten der Agentur für Arbeit dar-

_____ 1322 Zutr LK/Tiedemann § 283 Rn 162 aE; ders KTS 1984, 539, 553 f. 1323 S zum Ganzen etwa LK/Tiedemann § 283 Rn 164 sowie dens KTS 1984, 539, 555, der wohl mit § 283 Abs 1 Nr 8 StGB arbeiten will; vgl ferner zu einer solchen Konstellation AG Ingolstadt, Urt v 28.5.2004, 8 Ls 31 Js 5828/04 (juris; nur Ls); D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1097, die die zweite Variante heranziehen. 1324 Dazu s § 27 Rn 60. 1325 Sa NK/Kindhäuser § 283 Rn 91; Habetha, S 283. 1326 Dazu s § 28 Rn 60 sowie erg § 14 Rn 28. 1327 Nach hM soll sich solches Verhalten freilich nicht als wirtschaftswidrig präsentieren, da es sich hierbei um eine bloße Vermögensumschichtung handele; dazu s etwa LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 30; Rönnau Kühl-FS, S 711, 726. 1328 Zu diesem Abgrenzungskriterium siehe o Rn 78. 1329 So iE auch schon Grosche, S 67 f, der aber für Straflosigkeit votiert, sofern sich die übertragenen Aktiva und Passiva wertmäßig entsprechen (aaO, S 85); ähnl wie hier auch NK/Kindhäuser § 283 Rn 91.

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stellt, vergrößert sich das Volumen der Masseverbindlichkeiten, weil die Agentur für Arbeit kraft der cessio legis des § 169 S 1 SGB III den Arbeitsentgeltanspruch des Arbeitnehmers erwirbt. Allerdings ist diese Massezunahme grds nicht weiter bedenklich, fließt ihr doch im Gegenzug die Arbeitsleistung des Insolvenzgeld beanspruchenden Arbeitnehmers zu. Das gilt aber nicht, wenn die Arbeitsleistung – so sie die Familienmitglieder/nahen Angehörigen des Schuldners überhaupt erbringen – der Masse nichts nützt. Freilich erfasst § 283 Abs 1 Nr 8 Var 1 StGB diese Konstellationen nur, falls das Vorgehen des Schuldners nicht bereits einen spezielleren Tatbestand des § 283 Abs 1 StGB verwirkt. Hier dürfte regelmäßig § 283 Abs 1 Nr 2 StGB in der Variante des Schuldigwerdens übermäßiger Beträge durch unwirtschaftliche Ausgaben eingreifen.1330 Lassen sich jedoch die Arbeitslöhne nicht dem Merkmal „übermäßige Beträge“ 1331 subsumieren, bleibt Raum für § 283 Abs 1 Nr 8 Var 1 StGB. – Straflos sub specie § 283 StGB geht jedoch der Schuldner aus, der bspw mit einem Kreditinstitut und seinen Arbeitnehmern vereinbart, das Insolvenzgeld vorzufinanzieren, indem das Kreditinstitut den Arbeitnehmern ihre gegen den Schuldner zustehenden Nettolohnforderungen abkauft.1332 Im Unterschied zur Rechtslage unter dem Regime des alten Konkursausfallgesetzes (KAG) ist ein solches Vorgehen – wie § 170 SGB III belegt – heute nicht mehr missbräuchlich und können deshalb hieran nicht per se strafrechtliche Konsequenzen anknüpfen.1333

2. Das Verheimlichen/Verschleiern der wirklichen geschäftlichen Verhältnisse (§ 283 Abs 1 Nr 8 Var 2 StGB) 208 Obschon sich die zweite Variante des § 283 Abs 1 Nr 8 StGB auf die geschäftlichen Verhältnisse bezieht und somit den tauglichen Tatgegenstand gegenüber der ersten Variante enger fasst, kann Täter des § 283 Abs 1 Nr 8 Var 2 StGB nicht nur ein unternehmerisch tätiger Schuldner sein. Auch der Privatmann ist in der Lage, seine geschäftlichen Verhältnisse zu verheimlichen bzw zu verschleiern, etwa wenn er um einen Kredit nachsucht und dabei seine Kreditwürdigkeit unzutreffend – nämlich zu positiv – darstellt.1334 Die Tathandlungen „verheimlichen“ und „verschleiern“ setzen einen Adressaten voraus. Allerdings muss der Täter keine bestimmte Person ins Auge fassen, der gegenüber er seine geschäftlichen Verhältnisse verschleiert oder verheimlicht. Vielmehr genügt ein bestimmbarer Personenkreis, etwa die potentiellen Gläubiger, nicht aber die Allgemeinheit.1335 Medium des Verschleierns bzw Verheimlichens können neben verbindlichen Auskünften auch geschäftliche Mitteilungen in Werbebroschüren bzw sonstigen Prospekten1336 sowie Scheinbilanzen sein.

a) Geschäftliche Verhältnisse 209 Die Tathandlungen „verschleiern“ und „verheimlichen“ müssen die geschäftlichen

Verhältnisse des Täters betreffen. In Anlehnung an § 400 Abs 1 Nr 1 AktG unterfallen

_____ 1330 Richtig Grosche, S 71 ff. 1331 Dazu siehe o Rn 80. 1332 AA – Fall des § 283 Abs 1 Nr 2 StGB – Grosche, S 74 ff, freilich noch zum KAG. 1333 Zu den gleichwohl noch existierenden Strafbarkeitsrisiken in diesem Kontext su Rn 210. 1334 LK/Tiedemann § 283 Rn 171; NK/Kindhäuser § 283 Rn 94. 1335 Richtig LK/Tiedemann § 283 Rn 174. 1336 S etwa S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 49, der hierin die besondere Bedeutung der Nr 8 erblickt; insoweit aA NK/Kindhäuser § 283 Rn 95, da die Norm nur den Gläubigerschutz betrifft.

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§ 12 Bankrott, §§ 283, 283a StGB u. Verletz. d. Buchführungspflicht, § 283b StGB | 745

dem Terminus „geschäftliche Verhältnisse“ alle Informationen und Aspekte, die für die Teilnahme am Wirtschaftsverkehr wesentlich sind (zB Angaben zu Bonität und Kreditwürdigkeit,1337 zu Verkaufs- bzw Anlageobjekten, zur Höhe von Provisionen oder zur Verschachtelung von Gesellschaften1338).1339 Auf dem Boden dieses weiten Verständnisses meint, wer von geschäftlichen Verhältnissen spricht, nicht nur gegenwärtige Tatsachen, sondern auch Werturteile und Prognosen.1340 Deshalb verheimlich/verschleiert seine wirtschaftlichen Verhältnisse der Unternehmer, der während der Unternehmenskrise äußert, „er habe erfreuliche Ergebnisse erwirtschaftet“,1341 bzw der Schuldner, der falsche Angaben zu dem von ihm beabsichtigten Einsatz des nachgefragten Darlehens macht.

b) Die Tathandlung „verheimlichen“ Die Tathandlungen „verheimlichen“ und „verschleiern“ lassen sich zwar nicht strikt 210 voneinander abgrenzen; angesichts ihrer tatbestandlichen Gleichwertigkeit bereitet dieser Umstand jedoch keine Probleme.1342 Schwerpunktmäßig erfasst das Tatbestandsmerkmal „verheimlichen“ Konstellationen, die sich dadurch auszeichnen, dass der Schuldner in entscheidenden Punkten Unzutreffendes erklärt bzw darstellt und entspricht somit im Wesentlichen der Interpretation des gleichlautenden Merkmals bei § 283 Abs 1 Nr 1 StGB1343.1344 Darüber hinaus verheimlicht iSd zweiten Variante des § 283 Abs 1 Nr 8 StGB, wer das Thema einer geschäftlichen Mitteilung unvollständig behandelt, indem er wichtige Informationen weglässt und so einen falschen Eindruck hervorruft oder wer als Nichtbuchführungspflichtiger – ansonsten stehen §§ 283 Abs 1 Nr 6, 283b Abs 1 Nr 2 StGB bereit – Geschäftsunterlagen vernichtet1345 bzw manipuliert.1346 Hierher rechnen auch die Konstellationen, in denen der buchführungspflichtige Schuldner entweder das Inventar unsachgemäß aufstellt bzw verfälscht oder aber dem Lagebericht, der GuV bzw dem Anhang unzutreffende, seine tatsächliche wirtschaftliche Lage beschönigende Angaben hinzufügt.1347 Des Weiteren verheimlicht der Schuldner seine Vermögensverhältnisse, der gegenüber der Agentur für Arbeit wider besseres Wissen behauptet, der Vorgriff auf das Insolvenzgeld1348 ermögliche es, einen erheblichen Teil der

_____ 1337 Darauf rekurriert maßgebend BGH NJW 2013, 1892, 1893; BGH NStZ 2009, 635, 636; ferner Fischer § 283 Rn 30; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 67. 1338 Zu diesen Bsp LK/Tiedemann § 283 Rn 173; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1095; Steinberg/Valerius/Popp/Hagemeier, S 129, 132; dies StV 2010, 26, 27. 1339 Zur Anlehnung an § 400 Abs 1 Nr 1 AktG s LK/Tiedemann § 283 Rn 172; zust Grosche, S 89; vgl ferner D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1095; SK/Hoyer § 283 Rn 94; M/R/Altenhain § 283 Rn 33; Floeth EWiR 2010, 265; Steinberg/Valerius/Popp/Hagemeier, S 129, 132. 1340 LK/Tiedemann § 283 Rn 173; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1095; Grosche, S 89. 1341 RGSt 38, 195, 196, 199, freilich mit Blick auf die Vorgängerregelung zu § 400 AktG. 1342 LK/Tiedemann § 283 Rn 175. 1343 Dazu siehe o Rn 68. 1344 LK/Tiedemann § 283 Rn 174 f; M-G/Richter § 83 Rn 77; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 67; Grosche, S 90 f; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1096; Hagemeier StV 2010, 26, 27; sa BGH NStZ 2009, 635, 636 = wistra 2009, 273, 274. 1345 Zu letzterem LK/Tiedemann § 283 Rn 174a; zust SK/Hoyer § 283 Rn 94; Grosche, S 92 ff. 1346 NK/Kindhäuser § 283 Rn 93. 1347 Dazu, dass diese Verhaltensweisen nicht den Nrn 5–7 des § 283 Abs 1 StGB unterfallen, siehe o Rn 124 und 168. 1348 Zur zivilrechtlichen Gestaltung dieses Vorgriffs auf das Insolvenzgeld s K Schmidt/Uhlenbruck/ Kuder/Unverdorben Rn 5.383, 5.396 ff und jüngst ausf Cranshaw ZInsO 2013, 1493 ff; ferner Hunold NZI 2015,

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Arbeitsstellen zu erhalten (vgl § 170 Abs 4 S 2 SGB III)1349 bzw der Schuldner, der dem Insolvenzverwalter eine rückdatierte Abtretungsurkunde vorlegt, um dem Zessionar im Rahmen eines bevorstehenden Anfechtungsprozesses eine bessere Beweisposition zu verschaffen.1350 Eine neue denkbare Konstellation des Verheimlichens hat das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (kurz: ESUG) gebracht. Unter den Schutzschirm des § 270b InsO, der eine erleichterte Sanierung außerhalb des Insolvenzverfahrens ermöglicht, kann nämlich nur schlüpfen, wer noch nicht zahlungsunfähig ist und zudem eine Bescheinigung vorlegen kann, dass die angestrebte Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist (vgl § 270b Abs 1 Sätze 1 und 3 InsO).1351 Täuscht der Schuldner das Insolvenzgericht über die Umstände, die seine Zahlungsunfähigkeit begründen oder spiegelt er dem Sanierungsgutachter Tatsachen vor, die die angestrebte Sanierung in einem günstigen Licht erscheinen lassen, obwohl die wirtschaftliche Lage es gebietet, sofort Insolvenzantrag zu stellen, erfüllt dieses Verhalten neben dem Tatbestand der strafbaren Insolvenzverschleppung gem. § 15a Abs 4 InsO,1352 auch den Tatbestand des Verheimlichens und macht sich der Schuldner bei Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung zusätzlich gem. § 283 Abs 1 Nr 8 StGB strafbar.1353

c) Die Tathandlung „verschleiern“ 211 Sanktioniert das Verheimlichen zuvörderst unrichtige Darstellungen, erfasst das Ver-

schleiern Handlungen, die darauf abzielen, dem Erklärungsempfänger das zutreffend Mitgeteilte nicht kenntlich zu machen.1354 Beispielhaft seien die (beschönigende) Werbung für Kapitalanlagen, Warentermingeschäfte und steuerbegünstigte Bauvorhaben genannt.1355 Des Weiteren verschleiert seine Vermögensverhältnisse, wer entgegen seiner Zusage Kundengelder nicht auf einem Sonderkonto verwaltet, sondern sie zweckentfremdet. Praktisch dürften solche Fallgestaltungen va im Baugewerbe eine Rolle spielen.1356 Ob seine Vermögensverhältnisse auch der Gründer einer materiell unterkapitalisierten Gesellschaft verschleiert, erscheint hingegen zweifelhaft. Dafür wäre es nötig, den Handels-

_____ 785, 787 ff; Oppermann/Smid ZInsO 2012, 862, 864; Werres ZInsO 2005, 1233, 1234; Uhlenbruck KTS 1980, 81, 83 f, noch zum alten Konkursausfallgeld (kurz: Kaug). 1349 So wohl M-G/Richter § 87 Rn 23; sa, noch zur Rechtslage unter dem Regime des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) Hanau/Kappus ZIP 1988, 885, 890 f; zur ebenfalls denkbaren Betrugsstrafbarkeit s Uhlenbruck KTS 1980, 81, 86 f. 1350 AG Nürnberg ZInsO 2012, 339, 342 = NStZ-RR 2012, 208, 209 (Ls). 1351 Zu den Voraussetzungen eines Schutzschirmantrags iSv § 270b InsO s die geraffte Darstellung bei Brand, KTS 2014, 1, 3 ff mwN. 1352 Dazu Brand, KTS 2014, 1, 10 ff; zust Scholz/Tiedemann/Rönnau Vor §§ 82 ff Rn 58; Meier ZInsO 2016, 1499, 1501 f; ähnl M-G/Richter § 77 Rn 9; aA wohl HeiK-InsO/Kleindiek § 15a Rn 15, der falsche Angaben zum Insolvenzeröffnungsgrund nicht dem Merkmal „nicht richtig“ subsumieren will, solange der Schuldner nur (irgendeinen) Insolvenzeröffnungsgrund substantiiert vorträgt. 1353 Ausf zum Ganzen Brand KTS 2014, 1, 17 ff; zust Scholz/Tiedemann/Rönnau Vor §§ 82 ff Rn 58; Meier ZInsO 2016, 1499, 1504. 1354 LK/Tiedemann § 283 Rn 175, der zutr von irreführender Darstellung spricht; zust D/K/H/Dannecker/ Hagemeier Rn 1097; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 67; NK/Kindhäuser § 283 Rn 95; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 21; Steinberg/Valerius/Popp/Hagemeier, S 129, 132; dies StV 2010, 26, 27; Grosche, S 101; wohl auch BGH NStZ 2009, 635, 636 = wistra 2009, 273, 274. 1355 Zu diesen und weiteren Bsp LK/Tiedemann § 283 Rn 176; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1097; Grosche, S 101 ff. 1356 Ausf zu diesen Konstellationen Bittmann/Bittmann Voraufl Rn 264 f; vgl ferner LK/Tiedemann § 283 Rn 176; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1098; Grosche, S 98 f.

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§ 12 Bankrott, §§ 283, 283a StGB u. Verletz. d. Buchführungspflicht, § 283b StGB | 747

registereintragungen „Stamm-/Grundkapitalziffer“ und „Gesellschaftszweck“ die weitergehende Aussage zu entnehmen, das Stamm-/Grundkapital genüge, um den Gesellschaftszweck zu erreichen. Dass eine solche Interpretation des Handelsregisterinhalts über das Ziel hinausschießt, liegt auf der Hand, zumal der Gesetzgeber ausdrücklich an der starren Mindestkapitalziffer festgehalten und Vorschlägen, den Stamm-/Grundkapitalbedarf dynamisch anhand des angestrebten Unternehmenszwecks zu ermitteln, eine Absage erteilt hat.1357

d) Das „Firmenbestattungsunwesen“ – ein Fall des § 283 Abs 1 Nr 8 StGB? In jüngerer Zeit hatte der BGH gleich zweimal die Gelegenheit erhalten, das Phänomen 212 der Firmenbestattung (insolvenz-)strafrechtlich zu würdigen.1358 Hinter dem schillernden Begriff der Firmenbestattung verbergen sich – mit Abweichungen im Detail – folgende Fallgestaltungen: Der Inhaber einer überschuldeten bzw (drohend) zahlungsunfähigen GmbH scheut aufgrund des vermeintlichen Reputationsverlustes den Gang zum Insolvenzgericht1359 und beauftragt stattdessen einen sog Firmenbestatter damit, gegen eine Gebühr, die mehrere tausend Euro betragen kann, die GmbH geräuschlos zu entsorgen. Hierfür überträgt er seine GmbH-Anteile dem Firmenbestatter und lässt sich als Geschäftsführer abberufen. Der Firmenbestatter, der nunmehr die Rolle des einzigen Gesellschafters bekleidet, ernennt sodann einen neuen sog „Strohgeschäftsführer“ – meist handelt es sich um weitgehend mittellose Personen, die sich auf diese Weise etwas hinzuverdienen –, ändert die Firma der Gesellschaft, verlegt ihren Sitz1360 und vernichtet die noch vorhandenen Bücher und Bilanzen. Anschließend stellt der Geschäftsführer bei dem zuständigen Gericht am neuen Sitz der Gesellschaft Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, der – wiederum in aller Regel – mangels Masse abgewiesen wird.1361

aa) Die höchstrichterliche Rspr Die Sachverhalte, die dem BGH zur Entscheidung vorlagen, unterschieden sich vom so- 213 eben geschilderten typischen Ablauf einer Firmenbestattung dadurch, dass der abberu-

_____ 1357 S etwa Römermann GmbHR 2013, 337, 344, dem zufolge der BGH die materielle Unterkapitalisierung in seiner Entscheidung „GAMMA“ (BGHZ 176, 204, 212 ff) zu Recht in die „gesellschaftsrechtliche Mottenkiste“ verbannt hat. 1358 BGH NJW 2013, 1892 mAnm Köllner NZI 2013, 368, Bittmann ZWH 2013, 320 und Brand NZG 2013, 400; BGH NStZ 2009, 635 = wistra 2009, 273 mAnm Hagemeier StV 2010, 26. 1359 Zu diesem und weiteren Motiven s Schröder DNotZ 2005, 596, 598. 1360 Teilweise auch ins Ausland, was den Ermittlungsaufwand für Gläubiger und Insolvenzgericht weiter erhöht; s nur MAH/Böttger § 19 Rn 279; Goette WPg 2008, 231, 238; Werner NZWiSt 2013, 418, 419; ferner v.d. Heydt, S 38; zu der Möglichkeit, durch eine Sitzverlegung ins Ausland die Insolvenzantragspflicht des § 15a Abs 1 S 1 InsO „abzustreifen“, s Uhlenbruck/Hirte § 15a Rn 4. 1361 Zu einer hiermit vergleichbaren Sachverhaltskonstellation s BGH NJW 2013, 1892 f; vgl ferner die Ausführungen bei OLG Karlsruhe NZI 2013, 653, 654 = GmbHR 2013, 1090, 1091; aus dem Schrifttum s D/K/H/Knierim/Smok Rn 572 ff; M-G/Richter § 87 Rn 44 ff; M-G/Häcker § 96 Rn 19a f; Böttger/Verjans 4/ 277; MAH/Böttger § 19 Rn 279; W/J/Pelz 9/351; K Schmidt/Uhlenbruck/Uhlenbruck Rn 11.108; MünchKommGmbHG/Wißmann § 84 Rn 64; Reichelt, S 167; v.d. Heydt, S 38; Weyand ZInsO 2013, 1316; Werner NZWiSt 2013, 418 f; Schröder DNotZ 2005, 596, 597; Drygala ZIP 2005, 423, 427; Ogiermann wistra 2000, 250; Reck ZInsO 2000, 121, 126; Leonard/Hilger jurisPR-HaGesR 8/2013 Anm 2; zu einer weiteren Spielart der Firmenbestattung s Melchior GmbHR 2013, R305 f, der den Fall schildert, dass die bestattungsreife GmbH auf eine aus zwei Ltd gebildete Kommanditgesellschaft verschmolzen wird, die beiden Ltd sodann aus der Kommanditgesellschaft ausscheiden und im companys register gelöscht werden.

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fene Alt-Geschäftsführer weiterhin als faktischer Geschäftsführer tätig blieb. Da das strafrechtliche Standardrepertoire kaum einmal geeignet ist, das „Firmenbestattungsunwesen“ angemessen zu ahnden – der Vorwurf, Bücher und Bilanzen vernichtet zu haben, dürfte zumeist nicht nachweisbar sein, weil sich Alt- und Neu-Geschäftsführer wechselseitig belasten,1362 § 15a Abs 4 InsO sieht im Unterschied zu § 283 StGB einen deutlich geringeren Strafrahmen vor und § 266a Abs 1 StGB wirft, sobald eine GmbH beteiligt ist, schwierige, nach wie vor ungelöste Probleme auf1363 –, erwogen der 5. und der 3. Strafsenat den § 283 Abs 1 Nr 8 Var 2 StGB zu aktivieren. Indem die an der Firmenbestattung Beteiligten die Geschäftsanteile veräußern, den alten Geschäftsführer abberufen und einen Strohgeschäftsführer bestellen, den Sitz verlegen und die Firma ändern, verschleiern sie – so der BGH – ihre Absicht, das Unternehmen auf „kaltem Wege“ zu liquidieren und täuschen somit die Gläubiger über ihren Willen, das Unternehmen fortzuführen.1364 Dieses Bündel an Bankrotthandlungen, das das Merkmal „verschleiern“ erfüllt,1365 rechnet der 3. Strafsenat sodann beiden Hauptprotagonisten – dem Alt-Gesellschaftergeschäftsführer und dem Neu-Gesellschaftergeschäftsführer – gem § 25 Abs 2 StGB täterschaftlich zu: Wegen der faktischen Geschäftsführerstellung des Alt-Gesellschaftergeschäftsführers wachse sowohl ihm als auch dem Neu-Gesellschaftergeschäftsführer via § 14 Abs 1 Nr 1 StGB die (Gemein-)Schuldnerposition an. Den denkbaren Einwand, wonach der Alt-Gesellschaftergeschäftsführer lediglich seine Anteile veräußere und damit eine sub specie Bankrottstrafrecht neutrale Handlung vornehme, lässt der 3. Strafsenat mit Blick auf den zwischen Alt- und Neu-Gesellschaftergeschäftsführer gefassten gemeinsamen Tatplan nicht gelten.1366

bb) Einwände gegenüber dem Konzept der Rspr 214 So sehr die Aussagen des BGH überzeugen, soweit sie die Interpretation des § 283 Abs 1

Nr 8 Var 2 StGB betreffen und so sehr die Idee, dem „Firmenbestattungsunwesen“ via § 283 Abs 1 Nr 8 Var 2 StGB das Handwerk zu legen, Beachtung verdient, so wenig gelingt es dem BGH zu begründen, warum Alt- und Neu-Gesellschaftergeschäftsführer (mit-) täterschaftlich wegen Bankrotts haften.1367 Denn auf dem Boden des hier favorisierten organisationsbezogenen Ansatzes1368 lässt sich in den Firmenbestattungskonstellationen regelmäßig weder dem Alt- noch dem Neu-Gesellschaftergeschäftsführer gem § 14 Abs 1 Nr 1 StGB die (Gemein-)Schuldnereigenschaft der Gesellschaft zurechnen, und zwar unabhängig davon, ob der Alt-Gesellschaftergeschäftsführer wirksam von seinem

_____ 1362 Siehe o Rn 157. 1363 S zum Ganzen ausf nur Brand/Reschke ZIP 2010, 2134 mwN; zum unbefriedigenden Strafrahmenunterschied zw § 283 StGB und § 15a Abs 4 InsO s ferner Kümmel wistra 2012, 165. 1364 BGH NJW 2013, 1892, 1893; ähnl bereits BGH NStZ 2009, 635, 636 = wistra 2009, 273, 274; iE wohl zust Habetha, S 286 f. 1365 Zutr D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1095, 1097; Steinberg/Valerius/Popp/Hagemeier, S 129, 133; dies StV 2010, 26, 27; Kümmel wistra 2012, 165, 168 f; Werner NZWiSt 2013, 418, 422; Bittmann ZWH 2013, 320, 321: jede Maßnahme, die es für den Rechtsverkehr unmöglich macht, mit der fallierenden GmbH in Kontakt zu treten, begründet ein tatbestandliches Verschleiern; weitergehend wohl Floeth EWiR 2010, 265, 266, der bereits darin, dass der abberufene Alt-Geschäftsführer weiterhin – heimlich – als faktischer Geschäftsführer tätig bleibt, ein Verschleiern sehen will. 1366 Zu dieser Zurechnungsoperation s BGH NJW 2013, 1892, 1893 f; zust Werner NZWiSt 2013, 418, 422. 1367 S bereits die Kritik bei Brand NZG 2013, 400. 1368 Dazu siehe o Rn 19.

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Amt abrufen wurde oder weiterhin die Position eines faktischen Geschäftsführers inne hat. Folgt man dem organisationsbezogenen Ansatz, eröffnen nur solche Bankrotthandlungen den Zurechnungsmechanismus des § 14 Abs 1 Nr 1 StGB, die – sofern sie rechtsgeschäftlich erfolgen – den Schuldner rechtlich binden, oder die – sofern sie faktischer Natur sind – die Gesellschafter bzw das sonst zuständige Willensbildungsorgan gesellschaftsrechtlich wirksam konsentieren.1369 Daran fehlt es jedoch, da nach zutreffender hM „Bestattungshandlungen“ wie die Firmenänderung und Sitzverlegung sittenwidrig und somit nichtig sind, wenn sie mit der Intention erfolgen, ein kriselndes Unternehmen lautlos verschwinden zu lassen.1370 Allenfalls wer dem – hier abgelehnten – Funktionsmodell1371 den Vorzug bei der Interpretation der Partikel „als“ iSd § 14 Abs 1 Nr 1 StGB einräumt, kann sowohl den Alt- als auch den Neu-Gesellschaftergeschäftsführer gem § 283 Abs 1 Nr 8 Var 2 StGB verurteilen, allerdings auch nur, wenn der AltGesellschaftergeschäftsführer mehr getan hat, als seine Geschäftsanteile zu veräußern1372 und die tatrichterlichen Feststellungen ergeben, dass er trotz seiner Abberufung weiterhin als faktischer Geschäftsführer tätig blieb. Andernfalls macht der Alt-Gesellschaftergeschäftsführer sich lediglich wegen Beihilfe zum Bankrott des Neu-Gesellschaftergeschäftsführers strafbar,1373 weil seine Abberufung vom Amt des Geschäftsführers entgegen zahlreicher Stimmen in Literatur und instanzgerichtlicher Rspr1374 wirksam ist,1375 er also im Zeitpunkt der Firmenänderung und Sitzverlegung nicht mehr zum Kreis der tauglichen Zurechnungsadressaten des § 14 Abs 1 Nr 1 StGB gehört.

3. Grober Verstoß gegen die Anforderungen ordnungsgemäßen Wirtschaftens Im Unterschied zu den übrigen bestandsbezogenen Bankrotthandlungen des § 283 Abs 1 215 Nr 1 StGB setzt § 283 Abs 1 Nr 8 Var 1 StGB einen groben Verstoß gegen die Anforderun-

_____ 1369 S ausf o Rn 19. 1370 Zur Nichtigkeit solcher „Bestattungshandlungen“ KG RNotZ 2011, 562, 563: zur Sitzverlegung; OLG Zweibrücken GmbHR 2013, 1093 f; AG Memmingen NZG 2006, 70, 72; Baumbach/Hueck/Zöllner Anh § 47 Rn 55; BeckOK-GmbHG/C Jaeger § 4 Rn 36 und § 4a Rn 7; Kleindiek ZGR 2007, 276, 286, 308; Melchior GmbHR 2013, R305; Wachter GmbHR 2004, 955, 956; zust Brand/Reschke ZIP 2010, 2134, 2138; wohl auch Ogiermann wistra 2000, 250, 251, obschon sie sich vorrangig nur mit der Frage beschäftigt, ob der neue Geschäftsführer wirksam bestellt wurde; s des Weiteren auch Roth/Altmeppen/Roth § 4a Rn 8. 1371 Siehe o Rn 18. 1372 Dazu, dass die bloße Anteilsveräußerung niemals genügt, um den Zurechnungsmechanismus des § 14 Abs 1 Nr 1 StGB auszulösen, s AnwK/Püschel § 283 Rn 28; Brand/Reschke ZIP 2010, 2134, 2137; aA, ohne aber auf diese Aspekte einzugehen und damit den Kern der Problematik verfehlend, Kümmel wistra 2012, 165, 169. 1373 Zu diesem im Lichte der Funktionstheorie möglichen Ergebnis und dazu, dass kein Fall der notwendigen Teilnahme vorliegt, s Brand/Reschke ZIP 2010, 2134, 2139; vgl aber auch Schubert wistra 2013, 429, 430, die den Vorwurf strafbaren Bankrotts an die Initiierung der Firmenbestattung knüpfen will. 1374 Die von Nichtigkeit des Abberufungsbeschlusses analog § 241 Nr 4 AktG ausgehen; dazu LG Potsdam wistra 2005, 193, 195 f; AG Memmingen GmbHR 2004, 952, 954 f; Ries Rpfleger 2004, 226; Wachter GmbHR 2004, 955, 956; Kümmel wistra 2012, 165, 167 f; Schütz wistra 2016, 53, 54 f; wohl auch Werner NZWiSt 2013, 418, 421. 1375 So Roth/Altmeppen/Altmeppen § 39 Rn 21; MK-GmbHG/Wertenbruch § 47 Anh Rn 64; Brand/ Reschke ZIP 2010, 2134, 2136 f; Weng NZI 2013, 656, 657; zust Reul/Heckschen/Wienberg/Heckschen Kap N Rn 516; MAH/Böttger § 19 Rn 283; ebenso wohl schon Pananis/Börner GmbHR 2006, 513, 515 ff; wohl auch OLG Karlsruhe NZI 2013, 653, 655 = GmbHR 2013, 1090, 1092 (m krit Anm Weyand ZInsO 2013, 1316), obschon nicht recht deutlich wird, ob die Ausführungen des OLG nur die Bestellung des Neu-Geschäftsführers oder auch die Abberufung des Alt-Geschäftsführers betreffen.

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gen ordnungsgemäßen Wirtschaftens voraus.1376 Anders gewendet muss der Schuldner eindeutig unvertretbar1377 gehandelt und elementare bzw besonders gewichtige Pflichten missachtet haben, damit man über sein Verhalten das Verdikt „grob wirtschaftswidrig“ fällen kann.1378 Insbes beharrliche und wiederholte Verstöße gegen die allgemeinen Anforderungen ordnungsgemäßen Wirtschaftens gestatten den Schritt zur Annahme des Attributs „grob“.1379 Beispielhaft nennt das insolvenzstrafrechtliche Schrifttum va das „Weiterwirtschaften“ des Schuldners nach Eintritt der Insolvenzreife.1380 Das trifft sich mit der hier vertretenen Interpretation des ordnungswidrigen Wirtschaftens, der zufolge sämtliche schuldnerische Handlungen, die die präsumtive Masse schmälern, den Anforderungen ordnungsgemäßen Wirtschaftens zuwiderlaufen, sofern der Schuldner kraft Zurechnung Geschäftsleiter einer insolvenzantragspflichtigen Gesellschaft ist und die Tathandlung begeht, nachdem die Dreiwochenfrist des § 15a Abs 1 InsO abgelaufen ist.1381 Ob derselbe Maßstab auch für Schuldner gilt, die keine Insolvenzantragspflicht trifft,1382 erscheint hingegen zweifelhaft. Knüpft man nämlich an das bloße „Weiterwirtschaften“ trotz Insolvenzreife den Vorwurf grober Wirtschaftswidrigkeit, droht die Gefahr, das Erfordernis eines Handelns in der Krise (vgl § 283 Abs 1 StGB!) mit dem zusätzlichen restriktiven Merkmal des Verstoßes gegen die Anforderungen ordnungsgemäßen Wirtschaftens zu verschleifen. Wer also einen nicht insolvenzantragspflichtigen Schuldner gem § 283 Abs 1 Nr 8 Var 1 StGB bestrafen will, muss eruieren, ob der Verstoß gegen die allgemeinen Anforderungen ordnungsgemäßen Wirtschaftens1383 ein Ausmaß besitzt, das es rechtfertigt, ihn als grob zu bezeichnen. Obschon der Wortlaut des § 283 Abs 1 Nr 8 StGB dafür spricht, einen groben Verstoß 216 gegen die Anforderungen ordnungsgemäßen Wirtschaftens nur iRd ersten Variante zu fordern, verfechten zahlreiche Vertreter des insolvenzstrafrechtlichen Schrifttums den Standpunkt, auch die zweite Variante erfordere ein grob wirtschaftswidriges Verhalten.1384 Allerdings redet die Gegenansicht, der zufolge die zweite Variante keinen groben Verstoß gegen die Anforderungen ordnungsgemäßen Wirtschaftens voraussetzt,1385 nicht einer extensiven Interpretation des § 283 Abs 1 Nr 8 Var 2 StGB das Wort, sondern fordert stattdessen ein besonders verwerfliches oder gefährliches Verhalten.1386 Da diese Kriterien noch weniger Konturen aufweisen als das Merkmal „grob wirtschaftswidrig“,1387 verdient die Ansicht, die dieses Merkmal auf die zweite Variante überträgt, den Vorzug.

_____ 1376 Vgl aber auch NK/Kindhäuser § 283 Rn 92, dem zufolge das Adjektiv „grob“ keine spezifische Beschränkung ausdrückt. 1377 LK/Tiedemann § 283 Rn 167; Weyand/Diversy Rn 107; Grosche, S 53. 1378 LK/Tiedemann § 283 Rn 169. 1379 LK/Tiedemann § 283 Rn 169. 1380 LK/Tiedemann § 283 Rn 168, 170; ders KTS 1984, 539, 556. 1381 Siehe o Rn 31. 1382 Dafür etwa LK/Tiedemann § 283 Rn 170. 1383 Siehe o Rn 32. 1384 So S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 49; SK/Hoyer § 283 Rn 91; AnwK/Püschel § 283 Rn 28; Lackner/Kühl/ Heger § 283 Rn 21; M-G/Richter § 83 Rn 79; zwischenzeitlich wohl auch LK/Tiedemann § 283 Rn 177; ebenso scheinbar M/R/Altenhain § 283 Rn 33; skept aber MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 68. 1385 NK/Kindhäuser § 283 Rn 89; Habetha, S 285. 1386 Grosche, S 55 f. 1387 Bittmann/Bittmann Voraufl Rn 268.

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§ 12 Bankrott, §§ 283, 283a StGB u. Verletz. d. Buchführungspflicht, § 283b StGB | 751

XIII. Der Tatbestand des § 283 Abs 2 StGB Gem § 283 Abs 2 StGB macht sich strafbar, wer seine Überschuldung bzw Zahlungsunfä- 217 higkeit durch eine der in § 283 Abs 1 Nrn 1–8 StGB normierte Tathandlung kausal1388 und objektiv zurechenbar1389 herbeiführt.1390 Es gelten die allgemeinen Grundsätze. Dh, Handlungen eines Dritten, die lediglich an das Verhalten des Schuldners anknüpfen (bspw Kündigung eines Kredits wegen grober Misswirtschaft oder Erlass einer Übertragungsanordnung [vgl §§ 48a ff KWG] durch die BaFin, weil existenzgefährdende Geschäfte die Bank in eine Schieflage gebracht haben1391) unterbrechen weder den Kausalnoch den Zurechnungszusammenhang.1392 Lässt sich hingegen nicht sicher sagen, dass die Krise auch ohne Vornahme der Bankrotthandlung eingetreten wäre, entfällt der Tatbestand.1393 Verstärkt der Schuldner schließlich nur die bereits bestehende Krise, hängt seine Strafbarkeit sub specie § 283 Abs 2 StGB davon ab, ob seine Tathandlung den Eintritt von Überschuldung bzw Zahlungsunfähigkeit beschleunigt hat.1394 Freilich sind die Bankrotthandlungen des § 283 Abs 1 Nrn 1–8 StGB zur Herbeifüh- 218 rung der Krise unterschiedlich gut geeignet. Während es einerseits durchaus vorstellbar ist, dass der Schuldner seine Zahlungsunfähigkeit/Überschuldung verursacht, indem er entgegen den Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft Verlust-, Spekulationsoder Differenzgeschäfte (vgl Nr 2) tätigt bzw Vermögensbestandteile beiseiteschafft, scheint es andererseits – zumindest auf den ersten Blick – nahezu ausgeschlossen, dass die unterbliebene oder fehlerhafte Buchführung bzw Bilanzierung den Auslöser für Zahlungsunfähigkeit bzw Überschuldung bildet.1395 Bei genauerem Hinsehen erhellt aber: Unterbliebene bzw fehlerhafte Buchführung und Bilanzierung können sehr wohl die Krise auslösen, da der Schuldner, der seine Bücher nicht ordnungsgemäß führt, den Überblick über seine Geschäfte verliert und somit drohende Gefahren nicht oder zu spät erkennt bzw Risiken nicht hinreichend ernst nimmt1396.1397 Etwas anderes gilt hingegen, wenn der Schuldner seine (ordnungsgemäß) geführten Bücher zerstört oder sonst verheimlicht. Solches Verhalten dürfte kaum einmal geeignet sein, den Schuldner in den Zustand der Überschuldung bzw Zahlungsunfähigkeit zu versetzen – denkbar ist aber immerhin der Fall, dass der Schuldner aufgrund der zerstörten Bücher Forderungen

_____ 1388 S dazu die Entscheidung des OLG Frankfurt aM wistra 1997, 274. 1389 Einen Zurechnungszusammenhang fordern S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 1; Pape/Uhländer/Hofmann § 283 Bankrott Rn 1; Brand KTS 2012, 195, 207 f. 1390 S dazu den Fall BGH JZ 1979, 75, 76; allg zu den Nachweisschwierigkeiten s schon Zweigert DJZ 1907, 1112, 1114; vgl ferner AnwK/Püschel § 283 Rn 29; S/S/W/Bosch § 283 Rn 33; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 182; Richter Schiller-FS, S 547, 550. 1391 Zu letzterem Bsp ausf Brand KTS 2012, 195, 207 ff. 1392 LK/Tiedemann § 283 Rn 180. 1393 LK/Tiedemann § 283 Rn 180; sa BGH v 28.9.2016 – 4 StR 293/16 Rn 13. 1394 LK/Tiedemann § 283 Rn 180; sa SK/Hoyer § 283 Rn 112. 1395 So etwa AnwK/Püschel § 283 Rn 29; HambK/Borchardt § 283 StGB Rn 32; MAH/Böttger § 19 Rn 146; Weyand/Diversy Rn 110; Bemmann, S 48; selbst der Gesetzgeber steht auf dem Standpunkt, der Ursachenzusammenhang werde sich in diesen Konstellationen kaum einmal nachweisen lassen; s BT-Drucks 7/3441, S 37; in diese Richtung auch Fischer § 283 Rn 31; W/J/Pelz 9/173; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 66; Krause, S 37; v.d. Heydt, S 40 f; vgl auch schon Steinbrück, (1929), S 47. 1396 Dazu siehe o Rn 99. 1397 Zutr bereits Neumeyer, (1891), S 132; s ferner LK/Tiedemann § 283 Rn 181, der zudem das Bsp nennt, dass ein Kreditinstitut das bereits zugesagte Darlehen kündigt, weil es der Schuldner unterlässt, rechtzeitig eine zutr Bilanz vorzulegen; M/G/Rinjes 8/132, 252; Habetha, S 298 f; restriktiver S/S/W/Bosch § 283 Rn 33.

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nicht mehr durchsetzen kann – und deshalb sub specie § 283 Abs 2 StGB keine Rolle spielen.1398 Während die Interpretation der Nrn 1–8 iRd § 283 Abs 2 StGB denselben Bahnen folgt 219 wie bei § 283 Abs 1 StGB und insoweit auf die vorstehend getätigten Ausführungen verwiesen sei, ergeben sich Unterschiede, sobald die Frage im Raum steht, ob die außerhalb der Krise begangene Bankrotthandlung, die jedoch die Krise verursacht hat, den Anforderungen ordnungsgemäßen Wirtschaftens entsprach. Da die eingetretene Krise den Pflichtenstandard erhöht, den der Schuldner einzuhalten hat, um wirtschaftsgemäß zu handeln, unterfallen Bankrotthandlungen, die der Schuldner außerhalb der Krise vorgenommen hat, nicht automatisch dem Verdikt der Wirtschaftswidrigkeit, wenn sie dem innerhalb der Krise geltenden Pflichtenmaßstab widersprechen. Allerdings gilt es folgenden Aspekt zu beachten: In bankrottstrafrechtliches Fahrwasser geraten nur solche Bankrotthandlungen außerhalb einer Krise, die die schuldnerische Überschuldung bzw Zahlungsunfähigkeit – zumindest mitursächlich – herbeiführen. Solche existenzgefährdenden Handlungen entsprechen aber niemals ordnungsgemäßem Wirtschaften. Dh: Steht die Mitursächlichkeit einer Bankrotthandlung für den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit bzw Überschuldung fest, dürfte es nur ausnahmsweise angehen, dem schuldnerischen Verhalten die Vereinbarkeit mit den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft zu attestieren.1399 Hierzu rechnen Sanierungsmaßnahmen, die der Schuldner zB im Stadium der drohenden Zahlungsunfähigkeit berechtigterweise ergriffen hat, die aber wider Erwarten fehlgeschlagen sind und dadurch die Zahlungsunfähigkeit bzw Überschuldung verursacht haben.1400 XIV. Objektive Strafbarkeitsbedingung1401 220 Die Täter, die in den Krisensituationen der §§ 283 ff StGB eine der dort näher umschrie-

bene Tathandlung begehen, machen sich nur dann gem diesen Vorschriften strafbar, wenn sie entweder ihre Zahlungen einstellen oder aber das Insolvenzgericht über ihr Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet bzw die Verfahrenseröffnung mangels Masse ablehnt (vgl §§ 283 Abs 6, 283b Abs 3, 283c Abs 3, 283d Abs 4 StGB). Einhelliger Ansicht zufolge normieren die §§ 283 Abs 6, 283b Abs 3, 283c Abs 3, 283d Abs 4 StGB eine objektive Strafbarkeitsbedingung,1402 dh Vorsatz und Fahrlässigkeit müssen sich hierauf nicht erstrecken.1403 Da die §§ 283 ff StGB bis auf § 283b StGB nur solche Bankrott-

_____ 1398 Neumeyer, (1891), S 132 f, 161. 1399 IE so wohl auch SK/Hoyer § 283 Rn 3. 1400 Vgl auch LK/Tiedemann § 283 Rn 182; s ferner S/S/W/Bosch § 283 Rn 33. 1401 Zur Abgrenzung zu den Prozessvoraussetzungen s instruktiv und immer noch aktuell Bemmann, S 26 f. 1402 AA noch RGSt 27, 316, 318, das von Tatbestandsmerkmalen ausgeht, auf die sich der Vorsatz des Täters erstrecken muss; zust v. Babo, (1908), S 20 ff; Büttiker, (1914), S 13 ff; s ferner Neumeyer, (1891), S 128, der von „abgestorbenen Tatbestandsmerkmalen“ spricht; Bemmann, S 45 ff, der zu den §§ 239 f KO die Ansicht vertritt, Insolvenzverfahrenseröffnung und Zahlungseinstellung rechneten zu den objektiven Tatbestandsmerkmalen, der Schuldner müsse sie aber nicht vorwerfbar verursacht haben; zur Entwicklung der reichsgerichtlichen Rspr hin zu der Ansicht, dass Zahlungseinstellung und Konkurseröffnung objektive Strafbarkeitsbedingungen sind, s ausf Haß KTS 1971, 161, 162 ff; Kribs-Drees, S 4 ff, die darin ein Nachgeben gegenüber kriminalpolitischen Forderungen erblickt (aaO, S 30 ff und passim). 1403 BGHSt 1, 186, 191; BGH LM Nr 2 zu § 239 KO; RGSt 45, 88, 96; RG GA 47 (1900), 170, 171; LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 89; ders NJW 1977, 777, 782; MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 94; S/S/Heine/

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§ 12 Bankrott, §§ 283, 283a StGB u. Verletz. d. Buchführungspflicht, § 283b StGB | 753

handlungen inkriminieren, die die Schuldnerinsolvenz herbeiführen bzw während der wirtschaftlichen Krise des Schuldners stattfinden, präsentieren sich diese Handlungen bereits per se als strafrechtlich relevantes Unrecht, weshalb die Konstruktion der objektiven Strafbarkeitsbedingung1404 wie sie die §§ 283 Abs 6, 283b Abs 3, 283c Abs 3, 283d Abs 4 StGB vorsehen, mit dem Schuldgrundsatz harmonisiert1405.1406 Diese von §§ 283 Abs 6, 283b Abs 3, 283c Abs 3, 283d Abs 4 StGB geforderte Manifestation der Schuldnerkrise, die den Anwendungsbereich der §§ 283 ff StGB nicht unerheblich einschränkt, dient zum einen dazu, Denunziationen erfolgreich zu verhindern. So sähe sich insbes der unternehmerisch tätige Schuldner, dessen Unternehmen zwar schlecht läuft, aber keinesfalls unmittelbar der Insolvenz entgegensteuert, erheblichen Risiken ausgesetzt, sollte die Staatsanwaltschaft bspw wegen der Anzeige eines Konkurrenten Ermittlungen aufnehmen, die den Vorwurf des Bankrotts zum Gegenstand haben. Denn sobald die Geschäftspartner des beschuldigten Unternehmers hiervon Kenntnis erlangten, gewänne die Abwärtsspirale, die das schuldnerische Unternehmen ohnehin schon erfasst hat, zumeist erst richtig an Fahrt und triebe das Unternehmen endgültig Richtung Zusammenbruch; 1407 bereits eingeleitete Sanierungsbemühungen würden desavouiert. Zum anderen verfolgte der Gesetzgeber des 1. WiKG, indem er sich entschied, die objektive Strafbarkeitsbedingung beizubehalten, das Ziel, Nachweisschwierigkeiten abzubauen, da die Zahlungseinstellung bzw Eröffnung des Insolvenzverfahrens „im Allgemeinen geeignet [sind], das Vorhandensein einer Krise bei einer bestimmten Bankrotthandlung zu erhärten“.1408

1. Eröffnung des Insolvenzverfahrens/Ablehnung mangels Masse Im Unterschied zur Zahlungseinstellung, die ein faktisches Verhalten des Schuldners 221 benennt,1409 gründen die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw seine Nichteröffnung mangels einer die Verfahrenskosten deckenden Masse auf einem förmlichen

_____ Schuster § 283 Rn 59; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 30; AnwK/Püschel Vor § 283–283d Rn 27; M-G/Richter § 81 Rn 67; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 96; W/J/Pelz 9/100; HambK/Borchardt § 283 StGB Rn 34; M/G/Rinjes 8/59; M/R/Altenhain § 283 Rn 36; Weyand/Diversy Rn 56; Hiltenkamp-Wisgalle, S 324; Hörl, S 61; Grosche, S 19; Regner, S 86; Dohmen, S 70 f; Erdmann, S 177 f; Röhm, S 202; Reichelt, S 92; Nieberg, (1913), S 9 ff; Klug KTS 1962, 65, 68; Trüg/Habetha wistra 2007, 365; Matzen Samson-FS, S 401, 414; Hombrecher JA 2013, 541, 544; sa Sauer Mezger-FS, S 117, 120 f; anders wohl noch Hälschner GA 18 (1870), 665, 671 f, der aber gleichwohl keinen Kausalzusammenhang fordert, sondern auf dem Standpunkt steht, Kausalität zwischen Handlung und Zahlungseinstellung werde vermutet; skept auch Haß KTS 1971, 161, 166. 1404 Weitergehend noch das Verständnis etwa von Kohler GA 49 (1902), 1, 9 f, der den Strafbarkeitsbedingungen auch das Strafantragserfordernis bzw das Strafverfolgungshindernis „ne bis in idem“ zuschlug; grdl zum Ganzen auch Bemmann, S 19, der darauf hinweist, dass als objektive Strafbarkeitsbedingung „nur solche Umstände in Betracht kommen, die für das Unrecht der Tat ohne jede Bedeutung sind“. 1405 Sa o Rn 35. 1406 MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 94; Dohmen, S 71 f; Habetha, S 293. 1407 Zum Ganzen s BT-Drucks 7/3441, S 33; Pfeiffer Gutachten, S 19; LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 87; MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 94; Fischer Vor § 283 Rn 4,5; S/S/W/Bosch Vorbem §§ 283 ff Rn 15; M-G/Richter § 81 Rn 68; Pape/Uhländer/Hofmann § 283 Bankrott Rn 52; Hiltenkamp-Wisgalle, S 324; Grosche, S 18; Dohmen, S 72; Neumann, S 26 f; Plathner, S 210; Klug KTS 1962, 65, 68; Heinz GA 1977, 193, 218; skept mit Blick auf §§ 283 Abs 1 Nr 7b, 283b Abs 1 Nr 3b StGB Wilhelm NStZ 2003, 511, 513; ferner Trüg/ Habetha wistra 2007, 365, 369; insges abl Kribs-Drees, S 141; Habetha, S 301 f. 1408 BT-Drucks 7/3441, S 33. 1409 Su Rn 222.

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Gerichtsbeschluss. Gem § 27 Abs 1 InsO eröffnet das zuständige Gericht ein Insolvenzverfahren über das schuldnerische Vermögen, sofern ein Eröffnungsgrund vorliegt (vgl § 16 InsO) und das Schuldnervermögen ein Volumen aufweist, das die Verfahrenskosten deckt (vgl § 26 Abs 1 S 1 InsO). Fehlt letztere Voraussetzung, weist das Gericht den Antrag, ein Insolvenzverfahren zu eröffnen, zurück. Der Strafrichter, der ein Verhalten des Schuldners sub specie §§ 283 ff StGB würdigt, ist an den rechtskräftigen Eröffnungs-/ Nichteröffnungsbeschluss gebunden und darf nicht selbstständig nachprüfen, ob die Voraussetzungen, ein Insolvenzverfahren zu eröffnen bzw nicht zu eröffnen, vorgelegen haben.1410 Erlässt das Insolvenzgericht zunächst den Beschluss, ein Insolvenzverfahren zu eröffnen, hebt ihn aber auf die Beschwerde des Schuldners hin wieder auf, kann der Strafrichter an den früheren Eröffnungsbeschluss die Annahme der objektiven Strafbarkeitsbedingung nicht knüpfen, sondern hat, wenn sich keine Zahlungseinstellung feststellen lässt, sub specie §§ 283 ff StGB freizusprechen.1411 Keine Auswirkungen auf die Bankrottstrafbarkeit zeitigt hingegen die nachträgliche Einstellung des rechtskräftig eröffneten Insolvenzverfahrens.1412

2. Zahlungseinstellung 222 Weniger eindeutig präsentiert sich das Verständnis von dem Zustand, den das Merkmal

„Zahlungseinstellung“ umschreibt. Zwar kennt die Insolvenzordnung die Zahlungseinstellung ebenfalls – hier fungiert sie gem § 17 Abs 2 S 2 InsO als Indiz für die „Zahlungsunfähigkeit“. Jedoch bleibt auch die InsO eine Antwort darauf schuldig, was sie exakt unter Zahlungseinstellung versteht. Angesichts dieser Offenheit des Terminus „Zahlungseinstellung“ haben das Straf- und Insolvenzrecht zwei Meinungslager herausgebildet, die um die richtige Interpretation dieses Begriffs ringen. Im Kern geht es darum, ob die Zahlungseinstellung Fälle der Zahlungsunwilligkeit und der irrtümlichen Zahlungsverweigerung erfasst. Die Befürworter, die irrtümliche Zahlungsverweigerung und Zahlungsunwilligkeit dem Merkmal „Zahlungseinstellung“ subsumieren,1413 verwei-

_____ 1410 RGSt 26, 37; BGH/H GA 1955, 364 f; Fischer Vor § 283 Rn 14 f; NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis 283d Rn 106; SK/Hoyer Vor § 283 Rn 15, 16; MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 104; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 61; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 28; S/S/W/Bosch Vorbem §§ 283 ff Rn 17; M-G/Richter § 81 Rn 71; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 101; W/J/Beck 6/133; W/J/Pelz 9/101; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1016; M/R/Altenhain § 283 Rn 42; AnwK/Püschel Vor § 283–283d Rn 29; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 87; MAH/Böttger § 19 Rn 182; HambK/Borchardt § 283 StGB Rn 34; M/G/Rinjes 8/60; v. Babo, (1908), S 14; Kuhn, (1912), S 21; Nieberg, (1913), S 7; Büttiker, (1914), S 26; Steinbrück, (1929), S 32; Kollmar, S 32; HiltenkampWisgalle, S 306 f; Grosche, S 26 f, 28 f; Moosmayer, S 177; Dohmen, S 73; Penzlin, S 165, 176; Röhm, S 213; Stracke, S 42; Erdmann, S 102; Reichelt, S 94; Büttner ZInsO 2009, 841, 846. 1411 NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis 283d Rn 106; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 61; Fischer Vor § 283 Rn 14; M-G/Richter § 81 Rn 71; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 102; D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1016; Weyand/ Diversy Rn 58; sa RGSt 44, 48, 52 am Bsp eines vom Schuldner zurückgenommenen Antrags und im Kontext strafbarer Insolvenzverschleppung; ferner v. Babo, (1908), S 13 f; Kuhn, (1912), S 21; Nieberg, (1913), S 7; Büttiker, (1914), S 26; Steinbrück, (1929), S 32. 1412 Fischer Vor § 283 Rn 14; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 28; S/S/W/Bosch Vorbem §§ 283 ff Rn 17; Weyand/Diversy Rn 58; Kollmar, S 34; v. Babo, (1908), S 14; Kuhn, (1912), S 21; Büttiker, (1914), S 26; aA S/S/ Heine/Schuster § 283 Rn 61 und SK/Hoyer Vor § 283 Rn 15: Strafaufhebungsgrund. 1413 So BT-Drucks 7/3441, S 37 (bzgl Zahlungsunwilligkeit); BGH/H GA 1954, 312; BGH/H GA 1953, 73 (bzgl Zahlungsunwilligkeit); RGSt 41, 309, 312 f; RGSt 3, 294; RG JW 1934, 841, 842; RG LR 1913, 700, 702; wohl auch RG LR 1913, 699, 700; RG LR 1926, 492, 493; aus dem Schrifttum: Fischer Vor § 283 Rn 13; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 27; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 60; NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis 283d Rn 104; SK/Hoyer Vor § 283 Rn 12; MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 102; S/S/W/Bosch Vorbem §§ 283 ff Rn 16; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 99; S/G/ders Rn 687; B/Quedenfeld/Richter 5/102; M/R/Altenhain

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§ 12 Bankrott, §§ 283, 283a StGB u. Verletz. d. Buchführungspflicht, § 283b StGB | 755

sen auf den effizienten strafrechtlichen Gläubigerschutz, den die §§ 283 ff StGB bewerkstelligen wollen und der es gebiete, die §§ 283 Abs 6, 283b Abs 3, 283c Abs 3, 283d Abs 4 StGB weit auszulegen. Trotz dieser bestechenden Überlegung, haben die Gegner, die die Konstellationen der irrtümlichen Zahlungsverweigerung und Zahlungsunwilligkeit nicht der Zahlungseinstellung hinzuschlagen,1414 die besseren Argumente auf ihrer Seite. Gegen eine extensive Auslegung des Merkmals „Zahlungseinstellung“ spricht zunächst ein Vergleich zu den beiden anderen Situationen, deren Vorliegen die objektive Strafbarkeitsbedingung verwirklicht – die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw seine Nichteröffnung mangels Masse. Sowohl das eröffnete als auch das mangels Masse nicht eröffnete Insolvenzverfahren setzen den Eintritt eines Insolvenzgrundes voraus. Nichts anderes – so wäre der Gedanke fortzuspinnen – kann vor diesem Hintergrund für die Zahlungseinstellung gelten. Da aber Zahlungsunwilligkeit und irrtümliche Zahlungsverweigerung anerkanntermaßen nicht die Schwelle zur Zahlungsunfähigkeit überschreiten,1415 geht es nicht an, lediglich mithilfe dieser Aspekte die Zahlungseinstellung zu begründen. Des Weiteren ging der Gesetzgeber des 1. WiKG, als er die objektive Strafbarkeitsbedingung in ihrer heutigen Form schuf, davon aus, Merkmale statuiert zu haben, die „die Krise offen zutage treten“ lassen.1416 Daran fehlt es aber, solange der Schuldner lediglich zahlungsunwillig ist bzw irrtümlich seine Zahlungen verweigert, da sich sein wirtschaftlicher Zusammenbruch hieraus keinesfalls zwingend ergibt, er vielmehr noch leistungsfähig sein kann. 1417 Zusammenfassend: Zahlungsunwilligkeit und irrtümliche Zahlungsverweigerung begründen keine Zahlungseinstellung. – Allerdings ist damit noch nicht gesagt, ab welchem Grad der wirtschaftlichen Schwierigkeiten man Zahlungseinstellung annehmen darf. Eine enge Ansicht bestimmt die Zahlungseinstellung anhand der überkommenen konkursrechtlichen Definition von Zahlungsunfähigkeit und bejaht die Zahlungseinstellung, sobald der Schuldner dauerhaft den wesentlichen Teil seiner ernsthaft eingeforderten Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen kann.1418 Uneinigkeit unter den Befürwortern dieser engen Auslegungsspielart herrscht freilich darüber, welchen Prozentsatz die nicht gedeckten Verbindlichkeiten am Gesamtaufkommen der schuldnerischen Verbindlichkeiten erreichen müssen, damit sie den wesentlichen Teil ausmachen – die Vorschläge reichen von 25%1419 über

_____ § 283 Rn 42; Kollmar, S 30; Röhm, S 98 m Fn 377 und S 208 f; Neumeyer, (1891), S 136; v. Babo, (1908), S 15 ff; Kuhn, (1912), S 17 f; Nieberg, (1913), S 5 f; Reichelt, S 93; M-G/Richter § 81 Rn 70; Bieneck StV 1999, 43, 45; ders wistra 1992, 89 f; Pape/Uhländer/Hofmann § 283 Bankrott Rn 50; Weyand/Diversy Rn 57 (bzgl Zahlungsunwilligkeit); ferner wohl D/K/H/Dannecker/Hagemeier Rn 1015; Büttiker, (1914), S 21 f; Steinbrück, (1929), S 33; Bruns, (1938), S 304; diff Grosche, S 24 ff, der zwar die Fälle der Zahlungsunwilligkeit, nicht aber die Konstellationen irrtümlich angenommener Zahlungsunfähigkeit der Zahlungseinstellung subsumiert. 1414 Dafür LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 132, 144 mit Blick auf praktische Ungereimtheiten; AnwK/Püschel Vor § 283–283d Rn 28; Moosmayer, S 178 ff; Penzlin, S 171 f, 177; vgl auch Neumann, S.90 f bzgl der irrtümlich angenommenen Zahlungsunfähigkeit. 1415 Siehe o Rn 45. 1416 BT-Drucks 7/3441, S 33. 1417 Dazu Dohmen, S 78. 1418 Dafür BGH/H GA 1954, 312; MK1/Radtke Vor §§ 283 ff Rn 97 f; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 85; Kollmar, S 26; Dohmen, S 79 f; Reichelt, S 93; Bieneck StV 1999, 43, 45; ders wistra 1992, 89; Hoffmann MDR 1979, 713, 715; wohl auch S/S/W/Bosch Vorbem §§ 283 ff Rn 16; Neumann, S 79; weitergehend scheinbar Matzen Samson-FS, S 401, 416, der noch eine unzweideutige Erklärung des Schuldners fordert, seinen wesentlichen Zahlungspflichten nicht mehr nachkommen zu können. 1419 Stracke, S 50 m Fn 197; S/S/W/Bosch Vorbem §§ 283 ff Rn 16.

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756 | 3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften

50%1420 bis hin zu 75%1421 – sowie über den die Dauerhaftigkeit markierenden Zeitraum.1422 Die Gegenansicht favorisiert eine weite Interpretation und setzt die Zahlungseinstellung mit der insolvenzrechtlichen Zahlungsunfähigkeit gleich, verzichtet also auf die Elemente der Wesentlichkeit und Dauerhaftigkeit.1423

3. Zusammenhang zwischen Bankrotthandlung und objektiver Strafbarkeitsbedingung 223 Die ganz herrschende Auffassung in Rspr und Schrifttum fordert einen Zusammenhang

zwischen der inkriminierten Bankrotthandlung und der objektiven Strafbarkeitsbedingung. Während das (ungeschriebene) Erfordernis eines solchen Zusammenhangs heute kaum mehr jemand bestreitet,1424 bestehen erhebliche Divergenzen über die Beschaffenheit dieses Zusammenhangs. Einigkeit herrscht immerhin insoweit, als es zwar keines Kausalzusammenhangs bedarf,1425 ein bloß zeitlicher Zusammenhang jedoch eben-

_____ 1420 LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 145; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 60; MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 100; MAH/Böttger § 19 Rn 182; Böttger/Verjans 4/103; Penzlin, S 172, 178; Dohmen, S 80; Bieneck StV 1999, 43, 45; ders wistra 1992, 89, 90. 1421 SK/Hoyer Vor § 283 Rn 13; AnwK/Püschel Vor §§ 283–283d Rn 28. 1422 MK1/Radtke Vor §§ 283 ff Rn 98 favorisierte einen Zeitraum von drei Monaten, LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 145 und SK/Hoyer Vor § 283 Rn 14 lassen drei Wochen genügen (ebenso jetzt MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 101), wohingegen Bieneck StV 1999, 43, 45 fordert, dass die Zahlungseinstellung für voraussichtlich unbegrenzte Zeit bestehen bleiben muss. 1423 Weyand/Diversy Rn 57; Röhm, S 210 f, 219. 1424 AA aber Schäfer wistra 1990, 81, 87; wohl auch Blumers, S 144, dem zufolge das Erfordernis eines Zusammenhangs zwischen Bankrotthandlung und objektiver Strafbarkeitsbedingung nur dazu diente, die Bedenken gegen die Vorschrift des § 240 Abs 1 Nr 4 KO auszuräumen, die – im Unterschied zum heute geltenden § 283 Abs 1 StGB – kein Handeln in der Krise forderte. Mit der Schaffung des Krisenmerkmals iRd § 283 Abs 1 StGB sei das Bedürfnis nach einem solchen Zusammenhang entfallen und stelle sich allenfalls noch bei § 283b StGB (aaO, S 145); skept auch Schlüchter JR 1979, 513, 514, der zufolge auf diese Weise ein Teil der vom Gesetzgeber erstrebten Effizienz insbes des § 283b StGB verloren geht. 1425 S etwa BGHSt 1, 186, 191; BGHSt 28, 231, 232, 234; BGH v 13.2.2014, 1 StR 336/13, Rn 60 (insoweit in NStZ 2014, 469 nicht abgedr); BGH NStZ 2008, 401, 402; BGH/H MDR 1981, 454; OLG Düsseldorf DB 1979, 2317; OLG Hamburg NJW 1987, 1342, 1343 = GmbHR 1987, 273; auch schon RGSt 5, 415, 416; RGSt 6, 94, 97; RGSt 7, 391, 393; RGSt 9, 134, 135; RGSt 10, 215, 217; RGSt 13, 354, 359; RGSt 14, 80, 86; RGSt 14, 221, 223; RGSt 15, 64, 66; RGSt 16, 277, 278 f; RGSt 27, 316, 318; RG GA 47 (1900), 170, 171; RG GA 35 (1888), 312, 313; aus dem Schrifttum: NK/Kindhäuser Vor §§ 283 bis 283d Rn 34, 108; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 59; SK/Hoyer Vor § 283 Rn 19; S/S/W/Bosch Vorbem §§ 283 ff Rn 18; Fischer Vor § 283 Rn 17; D/K/H/Dannecker/ Hagemeier Rn 42, 1019 f; MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 106; B/Quedenfeld/Richter 5/197; M-G/ Richter § 81 Rn 11, 67; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 105; W/J/Pelz 9/100; MAH/Böttger § 19 Rn 183; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 57; HambK/Borchardt § 283 StGB Rn 34; M/R/Altenhain § 283 Rn 43; Weyand/ Diversy Rn 59; M/G/Rinjes 8/61; Böttger/Verjans 4/104; Kuhn, (1912), S 37; Nieberg, (1913), S 9; Büttiker, (1914), S 12; Steinbrück, (1929), S 46; Kollmar, S 43; Hiltenkamp-Wisgalle, S 328; Reichelt, S 92; Dreher MDR 1978, 724; Schlüchter JR 1979, 513, 515; Renkl JuS 1973, 611, 612; Offerhaus BB 1976, 1622, 1623; F-W Krause JURA 1980, 449, 455; Grub Runkel-FS, S 85, 89; Richter NZI 2002, 121, 124; ders GmbHR 1984, 137, 147; Wilhelm NStZ 2003, 511, 515; Biletzki NStZ 1999, 537, 540; Steinberg/Valerius/Popp/Hagemeier, S 129, 135; implizit auch schon Sauer Mezger-FS, S 117, 126; skept freilich Tiedemann Dünnebier-FS, S 519, 538 sowie ders NJW 1977, 777, 782, der darauf hinweist, dass die Figur der objektiven Strafbarkeitsbedingung nur davon entbindet, ein diesbzgl Verschulden in Form von Vorsatz oder Fahrlässigkeit festzustellen; aA Trüg/ Habetha wistra 2007, 365, 370, die einen Kausalzusammenhang fordern. Allerdings bleibt im Dunkeln, zu welchem Merkmal sich die objektive Strafbarkeitsbedingung kausal verhalten muss. Wenn es zunächst heißt, Kausalität müsse zwischen der Krise und dem Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung bestehen, mag dies zwar für § 283 Abs 1 StGB, nicht aber für § 283b StGB passen, der ein Krisenerfordernis gerade nicht kennt. Wahrscheinlich aus diesem Grund sprechen die Autoren einige Zeilen später vom Kausalzusammenhang zwischen der Tathandlung und der objektiven Strafbarkeitsbedingung; näher dazu jetzt Habetha, S 306 f.

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falls nicht genügt.1426 Insbes die Rspr bemüht geradezu formelhaft die Wendung vom tatsächlichen1427 bzw rein äußerlichen Zusammenhang,1428 der weniger als conditio sine qua non, aber mehr als bloß zeitliches Zusammentreffen von objektiver Strafbarkeitsbedingung und Bankrotthandlung sein soll, ohne freilich abstrakt-generell zu sagen, was sie hierunter versteht. Die Konkretisierungsbemühungen, die die Rspr der Formel vom tatsächlichen Zusammenhang bislang angedeihen ließ, erschöpfen sich deshalb auch darin, einzelfallbezogen zu judizieren, ob der Zusammenhang vorliegt oder nicht.1429 Habe etwa der Konkursverwalter die unterlassene Bilanzierung nachholen müssen oder seien dieselben Gläubiger sowohl durch die Bankrotthandlung als auch die spätere Zahlungseinstellung betroffen,1430 stehe der tatsächliche Zusammenhang fest.1431 Hingegen fehle es am tatsächlichen Zusammenhang, wenn die Ermittlungen ergäben, dass die Bankrotthandlung keinen Einfluss auf den Eintritt der Strafbarkeitsbedingung gezeitigt habe, etwa weil der Schuldner die Krise nachhaltig überwunden habe1432 – wobei die Voraussetzungen, unter denen man davon sprechen kann, dass die Krise überwunden ist, äußerst streitig sind1433 – oder er die unterlassene Bilanz bis zum Fällig-

_____ 1426 BGHSt 28, 231, 232; OLG Hamburg NJW 1987, 1342, 1343 = GmbHR 1987, 273; Dreher MDR 1978, 724; Schlüchter JR 1979, 513, 515. 1427 RGSt 9, 134, 135; sa S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 59; M/R/Altenhain § 283 Rn 43; Steinbrück, (1929), S 38; ferner S/S/W/Bosch Vorbem §§ 283 ff Rn 18 und AnwK/Püschel Vor §§ 283–283d Rn 30: zeitlicher und tatsächlicher Zusammenhang. 1428 BGHSt 1, 186, 191; BGH LM Nr 2 zu § 239 KO; BGH/H GA 1971, 38; BGH NStZ 2008, 401, 402; BGH NJW 2001, 1874, 1876; OLG Düsseldorf DB 1979, 2317; RGSt 55, 30; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 29; HambK/Borchardt § 283 StGB Rn 35; M/G/Rinjes 8/61; Kuhn, (1912), S 38; Büttiker, (1914), S 12; ähnl D/K/H/ Dannecker/Hagemeier Rn 42, die von einem zeitlichen und tatsächlichen Zusammenhang sprechen. 1429 Zu diesem Befund s etwa Moosmayer, S 189; vgl des Weiteren die implizite Feststellung von LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 92; ferner Penzlin, S 182 f, der deshalb den Versuch unternimmt, allgemeine Voraussetzungen des tatsächlichen Zusammenhangs zu beschreiben, indem er fordert, die Krisensituation müsse während der gesamten Tatdauer vorgelegen haben (aaO, S 183 f). 1430 Krit gegenüber zweiterem Otto Bruns-GS, S 265, 283; Heidland KTS 1958, 161, 164; Hammerl, S 15 m Fn 59; ferner Tiedemann NJW 1977, 777, 783 sowie ders NJW 1979, 254, mit Blick auf das von ihm befürwortete Universalrechtsgut „Schutz der Kreditwirtschaft“; ebenso M-G/Richter § 81 Rn 77; abl stehen dieser Einschränkung auch MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 109 gegenüber; ausdr gefordert wird eine Identität der Gläubiger im Zeitpunkt der Bankrotthandlung sowie im Zeitpunkt der Zahlungseinstellung von Neumeyer, (1891), S 139. 1431 BGHSt 1, 186, 191; BGHSt 28, 231, 232, 234; BGH NStZ 2008, 401, 402; BGH NJW 2001, 1874, 1876; BGH/H GA 1953, 73; BGH/H GA 1971, 38; zust Fischer § 283 Rn 25; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 29; M/R/ Altenhain § 283 Rn 43; Kollmar, S 31, 44; Dohmen, S 84 f; Weyand ZInsO 1999, 327, 330; vgl ferner schon Steinbrück, (1929), S 38; zu diesen und weiteren Aspekten sa B/Quedenfeld/Richter 5/198; zu ersterem ferner Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 57. 1432 BGHSt 28, 231, 233; BGH JZ 1979, 75, 77; zust OLG Hamburg NJW 1987, 1342, 1343 = GmbHR 1987, 273; Fischer Vor § 283 Rn 17; MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 106; SK/Hoyer Vor § 283 Rn 19; S/S/W/Bosch Vorbem §§ 283 ff Rn 18; M-G/Richter § 81 Rn 78; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 103; W/J/Pelz 9/102; HambK/Borchardt § 283 StGB Rn 35; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 85 („nicht nur kurzfristige Wiederherstellung der Liquidität“); Hiltenkamp-Wisgalle, S 330 f; Kribs-Drees, S 129; Geers, S 62; Röhm, S 226 ff; Dohmen, S 84 m Fn 189; Richter NZI 2002, 121, 124; Tiedemann NJW 1977, 777, 783; ders NJW 1979, 254. 1433 Ausf dazu MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 107; Weyand/Diversy Rn 59; Hiltenkamp-Wisgalle, S 332 ff; Penzlin, S 184 f; M-G/Richter § 81 Rn 78 fordert etwa eine nachhaltige Überwindung der Krise iS einer Konsolidierung, wohingegen es nach Richter GmbHR 1984, 137, 142 genügen soll, wenn es dem Schuldner gelingt, die Krisentatbestände auszuräumen.

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keitszeitpunkt der folgenden Bilanz nachgeholt habe.1434 Zweifel gingen zu Lasten des Beschuldigten.1435 Obschon das überwiegende Schrifttum der Rspr folgt und wie diese einen Zusam224 menhang zwischen Bankrotthandlung und objektiver Strafbarkeitsbedingung fordert, weil es ungerecht erscheint, die Vornahme solcher Bankrotthandlungen via § 283 StGB zu ahnden, die keine Beziehung zu den Modalitäten des Abs 6 aufweisen,1436 haben die früher hiergegen vorgetragenen Bedenken nichts von ihrer Überzeugungskraft eingebüßt. Historisch betrachtet stammt das Erfordernis eines tatsächlichen Zusammenhangs aus einer Zeit, zu der bereits wegen Bankrotts haftete, wer irgendwann einmal eine Bankrotthandlung beging und später fallierte. Um Bedenken seitens des Schuldgrundsatzes1437 auszuräumen und einer uferlosen Bankrottstrafbarkeit gegenzusteuern, „erfand“ die Rspr das ungeschriebene Merkmal eines tatsächlichen Zusammenhangs zwischen Bankrotthandlung und objektiver Strafbarkeitsbedingung.1438 Allerdings hat der Gesetzgeber des 1. WiKG die Bedenken sub specie Schuldgrundsatz beseitigt, indem er nur noch solchen Schuldnern Strafe androht, die die Bankrotthandlung entweder während der Krise begehen oder durch die Vornahme der Bankrotthandlung die Krise ursächlich herbeiführen.1439 Angesichts dessen spricht viel dafür, auf den Zusammenhang zwischen Tathandlung und Strafbarkeitsbedingung zu verzichten, soweit eine Strafbarkeit gem § 283 StGB im Raum steht,1440 hingegen am Zusammenhang zwischen Tathandlung und Strafbarkeitsbedingung festzuhalten, solange der Schuldner „lediglich“ den § 283b StGB verwirklicht, da die dort niedergelegten Bankrotthandlungen nicht „an sich“

_____ 1434 So AnwK/Püschel Vor §§ 283–283d Rn 30; ferner Wilhelm NStZ 2003, 511, 514, weil sich die Gefahr der Unkenntnis des Insolvenzverwalters jetzt nicht mehr realisieren könne. Das überzeugt jedoch nicht, da die Bilanzerstellung keinesfalls nur dazu dient, dem künftigen Insolvenzverwalter die Arbeit zu erleichtern, sondern vorrangig den Zweck verfolgt, ein Blindwirtschaften des Schuldners zu verhindern (dazu ausf o Rn 99); vgl ferner OLG Hamburg NJW 1987, 1342, 1343 = GmbHR 1987, 273, 274, das den Zusammenhang deshalb trotz nachgeholter Bilanzierung bejaht, wenn die Ermittlungen ergeben, dass die verzögerte Bilanzierung sich im Zusammenbruch des schuldnerischen Unternehmens niedergeschlagen hat. 1435 Zu dieser Position s grdl Schlüchter JR 1979, 513, 515; ferner OLG Düsseldorf DB 1979, 2317; OLG Hamburg NJW 1987, 1342, 1344 = GmbHR 1987, 273, 274; Krause, S 227; Hiltenkamp-Wisgalle, S 335; LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 92, 97; ders NJW 1977, 777, 783, der aber darauf hinweist, dass die Existenz von Zweifeln iRd Strafzumessung berücksichtigt werden kann; Fischer Vor § 283 Rn 17; SK/Hoyer Vor § 283 Rn 18; S/S/W/Bosch Vorbem §§ 283 ff Rn 18; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 104; W/J/Pelz 9/102; Park/Sorgenfrei Teil 3, Kap 5 Rn 58; B/Quedenfeld/Richter 5/116, 196 f; Richter NZI 2002, 121, 124; Wilhelm NStZ 2003, 511, 515; wohl auch M-G/Richter § 81 Rn 84; aA MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 108; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 29; AnwK/Püschel Vor §§ 283–283d Rn 30; Weyand/Diversy Rn 59; Penzlin, S 186 f; Habetha, S 307; Otto Bruns-GS, S 265, 282; Trüg/Habetha wistra 2007, 365, 370. 1436 Ausf LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 95; sa Penzlin, S 181 f. 1437 Siehe o Rn 35. 1438 Zu dieser Erkenntnis s schon andeutungsweise Heidland KTS 1958, 161, 165. 1439 Ausf o Rn 35. 1440 So schon Schäfer wistra 1990, 81, 87; zust Bieneck wistra 1992, 89, 91 (anders M-G/Richter § 81 Rn 84); Neumann, S 100 ff; dagegen dezidiert LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 98, der dem Ansatz von Schäfer vorwirft, er verkenne die strafbarkeitslimitierende Intention des § 283 Abs 6 StGB sowie die Grundsätze der objektiven Zurechnung (iE zust Moosmayer, S 190 f). Ins Schwarze treffen freilich beide Einwände nicht: Weder nimmt ein Ansatz, der keinen wie auch immer gearteten Zusammenhang zwischen Bankrotthandlung und objektiver Strafbarkeitsbedingung fordert, letzterer ihren strafbarkeitseinschränkenden Charakter noch missachtet der Verzicht auf den tatsächlichen Zusammenhang die Regeln der objektiven Zurechnung, da sich die objektive Strafbarkeitsbedingung gerade nicht als tatbestandlicher Erfolg präsentiert, ein Zurechnungszusammenhang deshalb überhaupt nicht nötig ist.

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strafwürdig sind und es deshalb des Zusammenhangs als eines Scharniers bedarf, der den Vorgaben des Schuldgrundsatzes Geltung verschafft.1441

4. Teleologische Reduktion/Änderungsvorschläge de lege ferenda Der Gesetzgeber der InsO hat die hergebrachten Insolvenzgründe „Überschuldung“ und 225 „Zahlungsunfähigkeit“ nicht nur legaldefiniert und gegenüber der KO neu gefasst, sondern zusätzlich den Insolvenzgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit kreiert. Die drohende Zahlungsunfähigkeit, die der KO unbekannt war, eröffnet dem Schuldner und zwar nur ihm die Möglichkeit, bereits im Vorfeld der materiellen Insolvenz freiwillig einen Insolvenzantrag zu stellen. Dahinter steckt die Intention, dem Schuldner die Gelegenheit zu geben, entweder sein Unternehmen mithilfe und unter dem Schutz des Insolvenzverfahrens zu sanieren oder ihm das Restschuldbefreiungsverfahren gem §§ 286 ff InsO zu eröffnen.1442 Freilich wird der Schuldner dieses Angebot umso seltener annehmen, je eher er deshalb mit staatsanwaltlichen Ermittlungen rechnen muss. Hat nämlich der Schuldner während der ihm drohenden Zahlungsunfähigkeit eine Bankrotthandlung begangen oder hält er dies zumindest für möglich, führte er, indem er Insolvenzantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit stellt, die letzte fehlende Bedingung seiner Strafbarkeit selbst herbei.1443 Um den Schuldner diesem Dilemma gar nicht erst auszusetzen, schlägt eine Ansicht vor, die Insolvenzeröffnung aufgrund drohender Zahlungsunfähigkeit sowie ihre Abweisung mangels Masse entweder via teleologischer Reduktion oder aber de lege ferenda1444 vom Anwendungsbereich der §§ 283 Abs 6, 283b Abs 3, 283c Abs 3, 283d Abs 4 StGB auszunehmen.1445 Den diametral entgegengesetzten Standpunkt nehmen die Vertreter derjenigen Auffassung ein, die den Konstellationen drohender Zahlungsunfähigkeit keine Sonderbehandlung angedeihen lassen wollen.1446 Ein vermittelnder Ansatz befürwortet die teleologische Reduktion nur, wenn es dem Schuldner gelingt, im Insolvenzverfahren mithilfe eines Insolvenzplans seine Krise zu überwinden.1447 Vorzugswürdig erweist sich die Ansicht, die eine teleologische Reduk-

_____ 1441 Weitergehend Schäfer wistra 1990, 81, 87 f, der auch im Kontext des § 283b StGB auf den Zusammenhang verzichten will, weil der Gesetzgeber, indem er die dort verankerten Handlungen ungeachtet einer bestehenden bzw herbeigeführten Krise strafbewehrte, zum Ausdruck brachte, dass er den so geschaffenen Tatbestand als mit dem Schuldgrundsatz vereinbar halte; in diese Richtung iE wohl auch Bieneck wistra 1992, 89, 91; skept auch Weyand/Diversy Rn 128. 1442 Ausf zu diesen schuldnerbegünstigenden Zielsetzungen Röhm NZI 2002, 134, 135. 1443 Fischer Vor § 283 Rn 11; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 8; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 53; S/S/W/ Bosch Vorbem §§ 283 ff Rn 14; W/J/Beck 6/65; W/J/Pelz 9/103; Böttger/Verjans 4/28; Hörl, S 61, der plakativ von einem „strafrechtlichen Bumerang“ spricht; Erdmann, S 110 f; Moosmayer, S 170; Röhm, S 130 f, 237; Reichelt, S 91; Habetha, S 294 f; Ressmann, S 291; Brackmann, S 227; AnwK/Püschel Vor § 283–283d Rn 25; ders Rissing-van Saan-FS, S 471, 487; Röhm NZI 2002, 134, 136; sa Uhlenbruck ZInsO 1998, 250, 251; Lenger/Apfel WiJ 2012, 34, 40. 1444 Röhm, S 229 ff; ders NZI 2002, 134, 136 ff; Neumann, S 106 ff, 132; Niu, S 173; wohl auch M-G/Richter § 81 Rn 82. 1445 So wohl Dohmen, S 88 ff, wobei aber nicht recht deutlich wird, ob sie diese Einschränkung de lege lata oder aber nur de lege ferenda befürwortet. 1446 B/Quedenfeld/Richter 5/115; Penzlin, S 194 ff. 1447 Dafür Moosmayer, S 191 ff; zust Uhlenbruck ZInsO 1998, 250, 252; ders NZI 1998, 33; wohl ähnl, aber unklar Brackmann, S 227; weitergehend noch Plathner, S 220, der jeder erfolgreich durchgeführten echten Sanierung die Kraft zugesteht, die einmal eingetretene Bankrottstrafbarkeit wieder zu beseitigen, weil ja die Gläubiger iE nicht geschädigt worden seien; dagegen überzeugend M-G/Richter § 81 Rn 80, 82; Neumann, S 106; ferner Röhm, S 235 ff; ders NZI 2002, 134, 137, der jedoch de lege ferenda noch deutlich weiter

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tion insgesamt ablehnt. Weder enthält der Wortlaut der §§ 283 Abs 6, 283b Abs 3, 283c Abs 3, 283d Abs 4 StGB Anhaltspunkte, die eine einschränkende Auslegung eröffnen1448 noch verdient der Schuldner Nachsicht, der Bankrotthandlungen iSd §§ 283 ff StGB begangen hat. Darüber hinaus gewährt die frühzeitige Verfahrenseröffnung die Chance, Sanierungsmaßnahmen, die wie die Umfirmierung oder Betriebsaufspaltung den Tatbestand des Beiseiteschaffens verwirklichen, ordnungsgemäß und im Einklang mit den Gläubigerinteressen durchzuführen.1449 226 Des Weiteren diskutiert das insolvenzstrafrechtliche Schrifttum, ob es sachgerecht ist, den überschuldeten bzw zahlungsunfähigen Schuldner, der sein Unternehmen unter Mitwirkung der Gläubiger im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens 1450 saniert, gleichwohl gem § 283 StGB zu bestrafen, falls er im Vorfeld der Insolvenzverfahrenseröffnung eine Bankrotthandlung begangen hat. Während de lege lata kaum jemand dem erfolgreich abgeschlossenen Insolvenzplan die Kraft zugesteht, die einmal eingetretene Strafbarkeit rückwirkend wieder zu beseitigen,1451 plädieren manche Autoren dafür, die §§ 283 ff StGB de lege ferenda zu verändern, um – scheinbare – Friktionen mit dem Instrument des Insolvenzplans zu verhindern. Die Bandbreite der Vorschläge reicht von der Idee, dem Schuldner, der sich mit seinen Gläubigern auf einen Insolvenzplan einigt, Strafrabatt zu gewähren, bis hin zu der Forderung, die Strafbarkeit gem § 283 StGB davon abhängig zu machen, dass die Mehrheit der Gläubiger einen Strafantrag stellt.1452

5. Europäische/Internationale Einflüsse 227 Die fortschreitenden gemeinschaftsrechtlichen Einflüsse haben auch vor dem Insol-

venzrecht nicht Halt gemacht. Wegen der zunehmenden Zahl grenzüberschreitender Insolvenzen hat der Gemeinschaftsgesetzgeber die EuInsVO geschaffen, die – stark vereinfacht gesprochen – die Voraussetzungen normiert, unter denen die Eröffnung eines (Haupt-)Insolvenzverfahrens in einem Mitgliedstaat für sämtliche andere Mitgliedstaaten gilt (vgl Artt. 16, 3 EuInsVO). Insolvenzstrafrechtlich erhebt sich die Frage, ob das von einem Mitgliedstaat eröffnete Hauptinsolvenzverfahren die objektive Strafbar-

_____ gehen will; s ferner A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 97, 106, der eine Lösung über die §§ 153 ff StPO vorschlägt; ebenso W/J/Pelz 9/104; HambK/Borchardt § 283 StGB Rn 35. 1448 So auch Röhm, S 235 f, der deshalb freilich für eine Änderung des Wortlauts eintritt (aaO, S 230 und passim); iE zust Ressmann, S 292. 1449 Zu diesem positiven Aspekt Uhlenbruck wistra 1996, 1, 4; zust Hörl, S 61. 1450 Vgl §§ 217 ff InsO und o § 10 Rn 28 ff. 1451 Dafür aber Plathner, S 218 ff, der von einem Strafaufhebungsgrund ausgeht; woher er freilich diesen nirgendwo normierten Strafaufhebungsgrund nimmt, sagt er nicht; noch weitergehend wohl SK/Hoyer Vor § 283 Rn 21, der dem Schuldner Straflosigkeit sub specie §§ 283 ff StGB gewähren will, dem es gelingt, im Eigenverwaltungsverfahren (§ 270 InsO) sein Unternehmen zu sanieren. 1452 Näher zu diesem Vorschlag Neumann, S 119 ff, 132, der das Strafantragserfordernis aber nur für diejenigen Konstellationen etablieren will, in denen ein Insolvenzverfahren eröffnet bzw Zahlungseinstellung festgestellt wurde. Kein Bedürfnis nach einem Strafantrag bestehe, wenn das Insolvenzgericht den Insolvenzantrag mangels Masse abgewiesen habe (aaO, S 127). Gesetzestechnisch sei – wegen des befürworteten überindividuellen Rechtsgüterschutzes durch die §§ 283 ff StGB – ein relatives Strafantragserfordernis zu schaffen, das der Staatsanwaltschaft die Gelegenheit gebe, die Tat zu verfolgen, sofern sie der Ansicht ist, das Interesse an einer funktionierenden Kreditwirtschaft gebiete ein Einschreiten (aaO, S 125); s ferner auch Niu, S 173. Historisch betrachtet sind solche Vorschläge kein Novum, kannten doch schon die Strafrechtsordnungen der norditalienischen Stadtstaaten zT die Möglichkeit, Straffreiheit zu erlangen, sofern der Schuldner seine Gläubiger nachträglich doch noch befriedigt hatte; vgl zum Ganzen Neumeyer, (1891), S 40.

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keitsbedingung der §§ 283 Abs 6, 283b Abs 3, 283c Abs 3, 283d Abs 4 StGB erfüllt. Da Art 16 EuInsVO – von hier nicht interessierenden Ausnahmen abgesehen – sämtliche Mitgliedstaaten an den Beschluss des verfahrenseröffnenden Staates bindet und der Wortlaut der §§ 283 Abs 6, 283b Abs 3, 283c Abs 3, 283d Abs 4 StGB kein inländisches Insolvenzverfahren fordert, spricht nichts gegen die im Schrifttum bereits vorgeschlagene Auslegung, wonach die Bedingung der §§ 283 Abs 6, 283b Abs 3, 283c Abs 3, 283d Abs 4 StGB eintritt, sobald ein Mitgliedstaat EuInsVO-konform das Hauptinsolvenzverfahren über das schuldnerische Vermögen eröffnet.1453 Richtigerweise nichts anderes gilt, wenn kein EU-Mitgliedstaat, sondern ein Drittstaat das Insolvenzverfahren eröffnet und das deutsche Recht diese Verfahrenseröffnung anerkennt (vgl § 343 InsO).1454

XV. Vorsatz und Irrtümer Die Strafbarkeit gem § 283 StGB setzt grds vorsätzliches Verhalten voraus, wobei dolus 228 eventualis genügt.1455 Allerdings erweitern die Abs 4 und 5 des § 283 StGB die Strafbarkeit erheblich. So macht sich nach § 283 Abs 4 StGB auch derjenige Schuldner gem § 283 Abs 1, 2 StGB strafbar, der vorsätzlich eine Bankrotthandlung begeht und dabei entweder fahrlässig das Bestehen einer Krisensituation verkennt (vgl § 283 Abs 4 Nr 1 StGB) oder aber leichtfertig die Krise verursacht (vgl § 283 Abs 4 Nr 2 StGB). Darüber hinaus droht § 283 Abs 5 StGB dem Schuldner Kriminalstrafe an, der fahrlässig die Bankrotthandlungen der Nrn 2, 5 und 7 begeht und fahrlässig verkennt, dass er sich im Zustand (drohender) Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung befindet (vgl § 283 Abs 5 Nr 1 StGB) bzw leichtfertig seine Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung herbeiführt (vgl § 283 Abs 5 Nr 2 StGB).

1. Bezugspunkt des Vorsatzes Der Vorsatz des Täters muss sich auf sämtliche objektive Tatbestandsmerkmale bezie- 229 hen. Im Kontext des § 283 StGB heißt das: Will man den Schuldner aus dem Vorsatzdelikt bestrafen, kommt man nicht umhin, zu eruieren, ob er bei Vornahme der Bankrotthandlungen sämtliche – zT extrem normativ gefärbte – Tatbestandsmerkmale in seinen Vorsatz aufgenommen hat. Ganz konkret muss sich der Vorsatz also erstrecken auf die Krisenmerkmale (Überschuldung, drohende und eingetretene Zahlungsunfähigkeit), die Schuldnerstellung, die jeweilige Bankrotthandlung, das ordnungswidrige Wirtschaften (sofern tatbestandlich relevant) sowie – falls dem Schuldner ein Verstoß gegen § 283 Abs 1 Nrn 5–7 StGB vorgeworfen wird – die Kaufmannseigenschaft und die Anforderungen einer ordentlichen Buch-/Bilanzführung. Angesichts dieser Phalanx von (normativen) Bezugspunkten des Vorsatzes verwundert es nicht, dass § 283 StGB geradezu ein Panoptikum an Irrtumsproblemen bietet.

_____ 1453 Grdl Dohmen, S 243 f, 250 f, die aber die Eröffnung eines von der EuInsVO unter bestimmten Voraussetzungen zugelassenen Partikularinsolvenzverfahrens mit beachtlichen Gründen nicht genügen lässt, um hieran die Annahme der objektiven Strafbarkeitsbedingung zu knüpfen (aaO, S 245 f, 251 f); ebenso Brackmann, S 419 f. 1454 Dazu grdl Dohmen, S 246 f, 252; s ferner Brackmann, S 419 f. 1455 S nur LK/Tiedemann § 283 Rn 188; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 56.

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2. Tatumstands1456- versus Verbotsirrtum a) Allgemeine Aussagen 230 Im Ausgangspunkt hängt die Reichweite eines vorsatzausschließenden Tatumstandsirrtums davon ab, ob sich der Irrtum des Täters auf ein deskriptives/normatives oder ein Blanketttatbestandsmerkmal bezieht.1457 Während – von Nuancen im Detail und „Ausreißern“ der Rspr einmal abgesehen – im Wesentlichen insoweit Einigkeit herrscht, als der Täter, der objektiv ein deskriptives/normatives Tatbestandsmerkmal verwirklicht, vorsatzlos handelt, wenn er entweder nicht sämtliche Tatsachen kennt, die den Subsumtionsschluss auf das Vorliegen dieses Tatbestandsmerkmals gestatten1458 oder aber trotz voller Tatsachenkenntnis den sozialen Sinngehalt eines normativen Tatbestandsmerkmals verkennt, weil er die rechtliche Wertung aus seiner Laienperspektive1459 – eine exakte juristische Subsumtion ist freilich unnötig1460 – nicht nachvollzieht und ihn somit die Appellfunktion des Tatbestandes1461,1462 nicht erreicht,1463 fehlt es an einem ver-

_____ 1456 Zur Begrifflichkeit s LK/Vogel § 16 Rn 14; Herzberg/Hardtung JuS 1999, 1073 m Fn 1. 1457 Eine klare Grenzziehung zwischen normativen und deskriptiven Merkmalen führt indessen nicht weiter, da es rein deskriptive bzw rein normative Merkmale nicht gibt (zu dieser Einschätzung s schon Bemmann, S 14; Herdegen BGH-FS, S 195, 197); instruktiv zum Ganzen SK/Rudolphi/Stein § 16 Rn 15; NK/Puppe § 16 Rn 41; dies GA 1990, 145, 149; KK-OWiG/Rengier § 11 Rn 12; Herzberg/Hardtung JuS 1999, 1073; B Heinrich Roxin-FS II, S 449, 456 f; T Walter Tiedemann-FS, S 969, 976; Papathanasiou Roxin-FS II, S 467, 473 m Fn 27; für Aufgabe der Unterscheidung auch Dopslaff GA 1987, 1, 24; aA freilich Kindhäuser JURA 1984, 465, 474 und passim, der aber zu anderen Erg gelangt als die üblichen Differenzierungen. 1458 S dazu nur KK-OWiG/Rengier § 11 Rn 13 mwN zur Rspr. 1459 Zur sog „Parallelwertung in der Laiensphäre“ s BVerfG BeckRS 2010, Nr 51332; BGHSt 3, 248, 255; BGHSt 4, 347, 352; BayObLGSt 1980, 146, 148; LG Ravensburg StV 2007, 412, 414; KK-OWiG/Rengier § 11 Rn 15; ders ZStW 101 (1989), 874, 884; AnwK/Püschel § 283 Rn 30; Zieschang, Rn 118; Mezger JZ 1951, 179, 180; Schaffstein OLG Celle-FS, S 175, 188; Arthur Kaufmann Lackner-FS, S 185, 191 f; Warda JR 1950, 546, 548; Otto Meyer-GS, S 583, 601; Herdegen BGH-FS, S 195, 203; Baumann NJW 1962, 16, 17; Blei JA 1973, 601, 602; Schlüchter JR 1982, 29, 31; Backes StuW 1982, 253, 257; Seibt/Schwarz AG 2010, 301, 310; Latzel wistra 2013, 334, 337; vgl auch Welzel JZ 1954, 276, 279, der den Terminus „Parallelbeurteilung im Täterbewusstsein“ präferiert; ferner Papathanasiou Roxin-FS II, S 467, 482 f, die auf eine „Wiederspiegelung im Verständnishorizont“ des jeweiligen Täters abstellt; nichts sei mit dieser Figur im Bereich von normativen bzw Blanketttatbestandsmerkmalen anzufangen; so Roxin Tiedemann-FS, S 375, 380; sehr skept gegenüber dieser Figur SK/Rudolphi/Stein § 16 Rn 15a, denen zufolge das zum objektiven Tatbestand gehörende Rechtsverhältnis so im Bewusstsein des Täters präsent sein muss, wie es rechtlich beschaffen ist; Jakobs Rudolphi-FS, S 107, 114; abl stehen der „Parallelwertung in der Laiensphäre“ auch gegenüber: NK/Puppe § 16 Rn 46: mit § 16 StGB unvereinbar sowie Rn 59; dies GA 1990, 145, 158; dies Herzberg-FS, S 275, 281 ff; Herzberg JZ 1993, 1017, 1019; J Schulz Bemmann-FS, S 246, 253; Dopslaff GA 1987, 1, 25; Schlüchter JuS 1993, 14, 17 f; dies JuS 1985, 373, 375; dies wistra 1985, 43, 44 f, die stattdessen auf eine teleologisch-reduzierte Sachverhaltssicht abstellt, der zufolge der Täter, um vorsätzlich zu handeln, den Rechtsgutsbezug seines Verhaltens erfasst haben muss (abl gegenüber dieser Konzeption Herzberg JZ 1993, 1017, 1019 f; sympathisierend hingegen Nierwetberg JURA 1985, 238, 241); Kindhäuser GA 1990, 407, 417 f, der die Abgrenzung zwischen Verbots- und Tatumstandsirrtum danach vornehmen will, ob der Täter bei Kenntnis des Verbotsbzw Gebotsinhalts auf der Grundlage seiner Sachverhaltseinschätzung das Motiv zur Unterlassung bzw Vornahme der Handlung hätte bilden müssen (abl gegenüber dieser Konzeption Herzberg GA 1993, 439, 447 ff). 1460 BayObLGSt 1980, 146, 148; KK-OWiG/Rengier § 11 Rn 15; NK/Puppe § 16 Rn 42 ff; MK/Joecks § 16 Rn 70; Zieschang, Rn 118; Welzel JZ 1954, 276, 279; Warda JR 1950, 546, 548; Mezger JZ 1951, 179 f; Roxin Tiedemann-FS, S 375, 384 f; Schlüchter JuS 1993, 14, 17; Nierwetberg JURA 1985, 238, 239; Backes StuW 1982, 253, 257; Bülte NStZ 2013, 65, 71. 1461 Zum Begriff s Naka JZ 1961, 210 f. 1462 Vgl aber auch Jakobs Rudolphi-FS, S 107, 111, dem zufolge auch jeder Fahrlässigkeitstäter einen Impuls verspüren sollte, der dahin geht, sein Verhalten nicht zu vollziehen. 1463 S etwa KK-OWiG/Rengier § 11 Rn 15; Tiedemann Schaffstein-FS, S 195, 210; BGHSt 2, 194, 197: Unkenntnis des Merkmals „fremd"; BGH GA 1977, 340, 341: Das wegen Kapitalerhöhungsschwindel (heute

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gleichbaren Konsens, sobald ein Irrtum über Blanketttatbestandsmerkmale in Rede steht. Der BGH geht in st Rspr davon aus, der Täter, der die Vorschrift nicht kennt, auf die das Blankett verweist und die es kraft dieser Verweisung strafbewehrt, oder der diese Vorschrift unzutreffend (zu seinen Gunsten) interpretiert, befinde sich im Verbotsirrtum.1464 Ohne die Diskussion hier iE nachzeichnen zu können, spricht viel für die Ansicht, die bei der Abgrenzung zwischen Tatumstands- und Verbotsirrtum keinen Unterschied zwischen normativen und Blanketttatbestandsmerkmalen macht. Schon ein Blick in das Steuerstrafrecht lässt daran zweifeln, dass es dem BGH gelingt, seine unterschiedlichen „Irrtumsverständnisse“, je nachdem, ob ein normatives oder ein Blanketttatbestandsmerkmal betroffen ist, widerspruchsfrei durchzuhalten. Gem § 370 Abs 1 Nr 1 AO macht sich strafbar, wer das staatliche Steueraufkommen verkürzt, indem er gegenüber den Finanzbehörden pflichtwidrig unrichtige oder unvollständige Angaben über steuerlich relevante Tatsachen macht. Glaubt der Steuerpflichtige jedoch, er sei zur Steuerzahlung nicht verpflichtet, weil er ein bestimmtes Einkommen für steuerirrelevant hält oder verkennt er irrtümlich das Bestehen eines gegen ihn gerichteten Steueranspruchs, soll er auf dem Boden der Rspr mangels Vorsatzes sub specie § 370 Abs 1 Nr 1 AO straflos bleiben1465 und das obschon die Rspr im Unterschied zur ganz hL1466 den § 370 AO zu den Blankettstraftatbeständen rechnet.1467 Warum aber der Täter in den Genuss des

_____ § 399 Abs 1 Nr 4 AktG) angekl Vorstandsmitglied ging trotz vorheriger Verpfändung der Einlagen davon aus, diese stünden zur freien Verfügung des Vorstandes. Der BGH wertet diesen Irrtum über das Merkmal „falsche Angabe“ als Tatumstandsirrtum; aA aber im Kontext des § 266a Abs 1 StGB BGH NStZ 2010, 337 f: Der 1. Strafsenat verneint das Vorliegen eines Tatumstandsirrtums, weil der Täter sämtliche Tatsachen, die seine Arbeitgeberstellung begründeten, gekannt und lediglich falsch subsumiert habe; ebenso OLG Celle wistra 2014, 109, 110; U Schulz NJW 2006, 183, 186. Das überzeugt nicht: Wenn im Kontext des Tatbestandsmerkmals „fremd“, derjenige, der sich trotz vollständiger Tatsachenkenntnis entgegen der sachenrechtlichen Rechtslage für den Eigentümer einer weggenommenen, zerstörten etc Sache hält, wegen eines Tatumstandsirrtums vorsatzlos handeln soll, kann für den Arbeitgeber, der die arbeits-/sozialrechtsakzessorisch verstandene Arbeitgeberstellung falsch interpretiert, richtigerweise nichts anderes gelten; zutr deshalb LG Ravensburg StV 2007, 412, 414; wohl auch I/M/Brettschneider § 2 Rn 52; ausf zum Ganzen schließlich Steinberg/Valerius/Popp/Popp, S 113, 116 ff. 1464 BGHSt 13, 135, 138: Täter weiß nicht, dass er aus Trester keinen Wein herstellen darf; BGHSt 9, 358, 360 f: Täter weiß nicht, dass der überlassene Wohnraum der Bewirtschaftung unterliegt; BGH wistra 2003, 65, 66 f = NStZ-RR 2003, 55, 56: Reichweite des Irak-Embargos; BGH NStZ 1993, 594, 595: Irrtum über die Merkmale „Kriegswaffen“ und „ohne Genehmigung“ iSv § 22a Abs 1 KrWaffG; aus dem Schrifttum s etwa Backes StuW 1982, 253, 254 f; Nestler NZWiSt 2014, 303, 306; Roger StraFo 2016, 497, 498 m Fn 8. 1465 Grdl BGHSt 5, 90, 92; ferner BGHSt 9, 358, 360; BGH wistra 1989, 262, 264; BGH wistra 1986, 220, 221; BGH wistra 1986, 174; BGH NJW 1980, 1005, 1006 (insoweit in BGHSt 29, 152 nicht abgedr); BGH DB 1977, 1776; BFH wistra 1987, 151, 152 f; BayObLG MDR 1990, 655; BayObLGSt 1980, 146, 148; BayObLGSt 1975, 109, 111; OLG Hamm BB 1957, 395; OLG Hamm BB 1964, 871, 872; sa RGSt 61, 259, 263; zust Kohlmann/Ransiek § 370 AO Rn 658 ff; MK/Joecks § 16 Rn 74; Blumers StbJb 1983/84, 319, 347; Welzel NJW 1953, 486 f; Otto MeyerGS, S 583, 603; Herdegen BGH-FS, S 195, 203; Herzberg JZ 1993, 1017, 1019; Schlüchter wistra 1985, 43, 49; Reiß wistra 1987, 161, 164; Backes StuW 1982, 253, 263; Meilicke BB 1984, 1885, 1887; K Thomas NStZ 1987, 260, 261 ff; Tiedemann Geerds-FS, S 95, 107; Roxin Tiedemann-FS, S 375, 378, 383; Nierwetberg JURA 1985, 238, 240; Bülte NStZ 2013, 65, 69; Roger StraFo 2016, 497, 500 f; Lenger/Apfel WiJ 2012, 100, 117; iE auch SK/Rudolphi/Stein § 16 Rn 19; implizit Latzel wistra 2013, 334, 338; abl aber F Meyer NStZ 1986, 443, 444 ff sowie ders NStZ 1987, 500 f; ferner Glöggler NJW 1953, 488, 489 mit Blick auf § 395 AO aF. 1466 Tatbestände der Steuer- und Zollhinterziehung sind keine Blankettgesetze: Tiedemann Geerds-FS, S 95, 107; Puppe Herzberg-FS, S 275, 294; Weidemann Herzberg-FS, S 299, 303; T Walter Tiedemann-FS, S 969, 990 und passim; Backes StuW 1982, 253, 261 ff; vgl aber auch Kohlmann/Ransiek § 370 AO Rn 24, dem zufolge es gleichgültig ist, ob man § 370 AO als Blanketttatbestand bezeichnet. 1467 BVerfG NJW 2011, 3778, 3779; BGH NStZ 2008, 408, 409: „blankettausfüllende[n] Steuernorm“; BGH StV 2007, 468: „Steuerstrafrecht ist Blankettstrafrecht“; BayObLGSt 1980, 146, 147; ebenso K Thomas NStZ 1987, 260, 261; offen gelassen aber von BVerfG BeckRS 2010, Nr 51332 und BGHSt 37, 266, 272; auf die mit

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Tatumstandsirrtums kommt, der keine oder zu wenige Steuern bezahlt, weil er die Vorschriften nicht kennt, die ihm eine Steuerzahlungspflicht auferlegen, hingegen der Täter, der bspw um ein lebensmittelrechtliches Verbot nicht weiß, die Lasten des Verbotsirrtums tragen soll1468 und seiner lebensmittelstrafrechtlichen Pönalisierung nur entgeht, falls dieser Irrtum unvermeidbar war – was kaum einmal der Fall sein dürfte –, erschließt sich nicht.1469 Hinzu kommt: Normative von Blanketttatbestandsmerkmalen abzugrenzen, gestaltet sich mitunter äußerst schwierig,1470 wie die Debatte um den Blankettcharakter des § 370 AO anschaulich belegt. Es vom Ausgang einer solchen – zumeist nicht sicher vorhersehbaren – Abgrenzung abhängig zu machen, ob der irrende Täter die Wohltat des Tatumstandsirrtums erhält oder die Belastung des Verbotsirrtums aufgebürdet bekommt,1471 überzeugt nicht, da der Einsatz eines normativen oder eines Blankettmerkmals häufig auf bloßem Zufall beruht.1472 Schließlich gerät das Vorgehen, den Blanketttatbestand umzuformulieren, indem die Aussage der Bezugsnorm einfach in den Blankettstraftatbestand implementiert und so der Bezugspunkt des Vorsatzes verändert wird,1473 auf Kollisionskurs zu Art 103 Abs 2 StGB.1474 Denn zum objektiven Tatbestand des Blanketts gehören eben nicht die einzelnen Merkmale der Bezugsnorm, sondern diese Norm selbst, auf die sich deshalb auch der Vorsatz des Täters erstrecken muss.1475 Resümierend heißt das: Sowohl der Täter, der die (außerstrafrechtliche1476) Bezugs231 norm bzw die sie ausfüllenden Tatsachen eines Blanketttatbestandsmerkmals nicht

_____ der Einstufung als Blankettvorschrift einhergehende Inkonsequenz weist etwa T Walter Tiedemann-FS, S 969, 972 hin; zu dieser und weiteren Inkonsequenzen s ferner Lindheim, S 231 ff. 1468 So für den Irrtum über die Ausfüllungsnorm KK-OWiG/Rengier § 11 Rn 26, der aber über die Figur der Parallelwertung in der Laiensphäre häufig zu ähnl Erg gelangt wie die hier präferierte Lösung; vgl etwa mit Blick auf die Unkenntnis über das Erfordernis einer Genehmigung dens ZStW 101 (1989), 874, 884. 1469 S schon Tiedemann Geerds-FS, S 95, 108; Herzberg JuS 2008, 385, 389 f; ferner ausf zum Ganzen Bülte NStZ 2013, 65, 66 ff; allg zu den Missständen, die eine unterschiedliche Irrtumsbehandlung mit sich bringt, je nachdem ob ein normatives oder ein Blanketttatbestandsmerkmal betroffen ist, Gómez GA 2010, 259, 273 und passim. 1470 Zu dieser Einschätzung s etwa KK-OWiG/Rengier § 11 Rn 28; ferner Peukert, S 223 ff; Hotz JuS 2016, 221, 223. 1471 Vgl etwa KK-OWiG/Rengier § 11 Rn 28, der konstatiert, dass die Annahme eines normativen Tatbestandsmerkmals für den Täter mit Blick auf die Irrtumsregeln günstiger ist. 1472 Bülte NStZ 2013, 65, 72; sa schon Stöckel, S 133, der zutreffend darauf hinweist, dass „die Grenze zum normativen Tatbestandsmerkmal […] flüssig“ ist. 1473 Für ein solches Vorgehen stehen: BGHSt 14, 223, 227; BGHSt 9, 358, 360 f; wohl auch BGH LRE 1, 105, 106; aus dem Schrifttum s nur KK-OWiG/Rengier § 11 Rn 25 f; Warda JR 1950, 546, 551; ähnl Dopslaff GA 1987, 1, 23 im Kontext der sog normativen Tatbestandsmerkmale, wo er vorschlägt, etwa das normative Tatbestandsmerkmal „Urkunde“ einfach durch die Elemente seiner Definition zu ersetzen und diese als Bezugspunkte des Vorsatzes ausmacht; diff Herzberg/Hardtung JuS 1999, 1073, 1075, die ein Zusammenlesen bei sog Sammelmerkmalen wie „Angehöriger“ iSv § 235 StGB (die Aufzählung findet sich in § 11 Abs 1 Nr 1 StGB) oder „Wild“ iSv § 292 Abs 1 Nr 1 StGB (die Aufzählung findet sich in § 2 BJagdG) befürworten und deshalb demjenigen, der zwar alle Tatsachen kennt, gleichwohl aber verkennt, dass er kein Angehöriger ist bzw Wild erlegt/gefangen hat, lediglich einen Verbotsirrtum attestieren; so wohl auch Backes StuW 1982, 253, 255. 1474 Zu diesem verfassungsrechtlichen Aspekt s LK/Tiedemann § 283 Rn 188a; ders Geerds-FS, S 95, 101; Gómez GA 2010, 259, 264; Bülte NStZ 2013, 65, 70; vgl auch Puppe Herzberg-FS, S 275, 280, 290; dies GA 1990, 145, 155 ff; Herzberg JZ 1993, 1017 f; ferner Weidemann Herzberg-FS, S 299, 303. 1475 Richtig deshalb Puppe Herzberg-FS, S 275, 291; Herzberg JZ 1993, 1017, 1019; Bülte NStZ 2013, 65, 70; Hotz JuS 2016, 221, 225. 1476 S aber auch Roxin Tiedemann-FS, S 375, 380, der von außertatbestandlichen Rechtsvorschriften spricht, um zu verdeutlichen, dass auch derjenige, der einem Straftäter Hilfe leistet, indem er ihn zB vor den Strafverfolgungsbehörden versteckt, mangels Vorsatzes straflos bleibt, wenn er glaubt, der von ihm unterstützte Straftäter habe keine Straftat begangen; zu diesen Konstellationen sa grdl BGHSt 15, 210, 213.

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kennt1477 als auch der Täter, dem der soziale Bedeutungsgehalt eines normativen Tatbestandsmerkmals verschlossen bleibt, weil er entweder um das von diesem Tatbestandsmerkmal in Bezug genommene konkrete Rechtsverhältnis nicht weiß, indem er bspw trotz vollständiger Tatsachenkenntnis die falschen Schlüsse zieht1478 (etwa glaubt, der abgeschlossene Kaufvertrag habe ihm das Eigentum am Kaufgegenstand verschafft),1479 oder aber die dem vorstrafrechtlichen Bereich entstammenden zivil- bzw öffentlichrechtlichen Wertungen falsch eingeschätzt hat,1480 befindet sich im Tatumstandsirrtum.1481 Auf den Punkt gebracht hat es Otto, indem er zwischen dem Täter unterscheidet,

_____ 1477 Zutr BGH GA 1962, 25: kein Vorsatz, weil Täter die blankettausfüllenden lebensmittelrechtlichen Vorschriften nicht kannten; OLG Celle NJW 1954, 1618, 1619: Tatumstandsirrtum, weil Täter die qua Verordnung festgelegte Dauer der Schonzeit nicht kannte; wohl auch BVerfG BeckRS 2010, Nr 51332; ferner aus dem Schrifttum: SK/Rudolphi/Stein § 16 Rn 18a, wonach es sich bei diesen Bezugsnormen typischerweise nicht um Normen handelt, die jedermann im Laufe seiner Sozialisation internalisiert; ebenso NK/Puppe § 16 Rn 65 ff; dies GA 1990, 145, 166 ff, 170; dies NStZ 1993, 595, 596; dies Herzberg-FS, S 275, 290 f; Herzberg GA 1993, 439, 455 f, 457 ff; ders JZ 1993, 1017 f; Dannecker ZLR 2000, 58, 64 f; Gómez GA 2010, 259, 269; Papathanasiou Roxin-FS II, S 467, 475; jetzt auch Roxin Tiedemann-FS, S 375, 378 f, 381; ebenso scheinbar Jakobs RW 2010, 283, 302 f; in diese Richtung gehen auch schon die Ausführungen von Arthur Kaufmann Lackner-FS, S 185, 188 ff; ferner Bülte NStZ 2013, 65, 71, dem zufolge zur Annahme von Vorsatz aber genügt, wenn der Täter ernstlich damit rechnet, dass sein Verhalten verboten ist; vgl auch Tiedemann ZStW 81 (1969), 869, 879; ders Geerds-FS, S 95, 106, dem zufolge das abstrakte Ge- oder Verbot zum Inhalt des objektiven Tatbestandes rechnen soll, wenn dieser entweder ungeachtet des Ge-/Verbots nur sozialadäquates Verhalten benennt (zu diesem Aspekt im Kontext des § 370 AO sa K Thomas NStZ 1987, 260, 262) oder aber auf untergesetzliche Normen bzw Einzelakte verweist; s des Weiteren Schaffstein OLG Celle-FS, S 175, 179 f m Fn 7, dem zufolge die Annahme eines Verbotsirrtums bei Irrtümern über ethisch neutrale, gleichwohl strafbewehrte Pflichten regelmäßig zum selben Ergebnis gelangt, wie der Tatumstandsirrtum, da solche Irrtümer häufig unvermeidbar seien; aA aber die wohl noch hM; danach führt die Unkenntnis der Ausfüllungsnorm lediglich zu einem Verbotsirrtum; vgl nur MK/Joecks § 16 Rn 76; KK-OWiG/Rengier § 11 Rn 26; wohl auch Kindhäuser GA 1990, 407, 421 f. 1478 SK/Rudolphi/Stein § 16 Rn 19, die zu Recht darauf hinweisen, dass hier der Vorsatz nicht die Kenntnis von den konkreten Normen, nach denen sich bspw der Eigentumsübergang vollzogen hat, erfordert; ebenso NK/Puppe § 16 Rn 50, 62; dies GA 1990, 145, 156 ff, 178 f; Tiedemann Geerds-FS, S 95, 107; Herzberg GA 1993, 439, 446 f; Baumann NJW 1962, 16, 17; vgl ferner BGH NJW 1989, 1939 = JZ 1989, 549, 550: Täter glaubt, das gegen ihn verhängte Berufsverbot entfalte wegen seines Widerspruchs keine Wirkung. 1479 S in diesem Kontext etwa BGHSt 3, 248, 255; vgl ferner auch Mezger JZ 1951, 179, 180. 1480 NK/Puppe § 16 Rn 48: Gast, der ohne zu bezahlen mit seinen Sachen aus dem Hotel verschwindet, handelt sub specie § 289 StGB vorsatzlos, wenn er nicht weiß, dass der Hotelier an diesen Sachen ein (gesetzliches) Pfandrecht erworben hat; dies Herzberg-FS, S 275, 281 f, 291; Roxin Tiedemann-FS, S 375, 380; Otto Meyer-GS, S 583, 603; Darnstädt JuS 1978, 441, 443 f, der anschaul von „institutionellen Tatsachen“ spricht; Bülte NStZ 2013, 65, 66, 72; Latzel wistra 2013, 334, 339 am Bsp des § 119 BetrVG; vgl auch BGH NJW 1989, 1939 = JZ 1989, 549 f: Tatumstandsirrtum, weil Täter des § 145c StGB glaubte, das gegen ihn ausgesprochene Berufsverbot entfalte wegen seines hiergegen eingelegten Einspruchs momentan keine Wirkung; OLG Schleswig SchlHA 1986, 117, 118: Tatumstandsirrtum, weil Täter Autowrack nicht als Abfall eingestuft hat; BayObLG GA 1956, 90, 91: Irrtum über Bewirtschaftung einer Wohnung; BayObLG GA 1961, 152, 153; ferner Haft JA 1981, 281, 284 f, der zwischen gegenstands- und begriffsbezogenem Irrtum unterscheiden will und auf dieser Grundlage zT zu abw Ergebnissen gelangt; enger wohl auch Herzberg GA 1993, 439, 446, 452; ders/Hardtung JuS 1999, 1073, 1076, der lediglich einen Verbotsirrtum annimmt, wenn der Inhaber eines Doktortitels diesen führt, obschon ihm seine Promotionsurkunde gestohlen bzw noch nicht ausgehändigt wurde, und er zwar um diesen Diebstahl bzw die unterbliebene Übergabe der Urkunde, nicht aber um die Vorschrift weiß, die ihm in solchem Fall die Führung des Doktorgrades bis zur Wiederausstellung/Erstausstellung der Promotionsurkunde verbietet. Das überzeugt jedoch nicht, erreicht doch den Täter die Appellfunktion des Tatbestandes nicht (zwischenzeitlich auch von Herzberg Otto-FS, S 265, 284 f und passim aufgegeben). 1481 Weitergehend – im Anschluss an Otto Meyer-GS, S 583, 601 ff; zust D Geerds JURA 1990, 421, 429 f; ähnl Dopslaff GA 1987, 1, 21 – etwa Herzberg Otto-FS, S 265, 284 f und passim sowie ders JuS 2008, 385, 388 ff, dem zufolge der Täter vorsatzlos handelt, der nicht erkennt, dass seine Handlung Unrecht verwirkt,

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„der sich des sozial negativen Sinnes seines Verhaltens bewusst ist (Vorsatztäter), demjenigen, dem dieses Bewusstsein zwar fehlt, der aber über die Möglichkeit verfügt, sich dieses Bewusstsein zu verschaffen (Fahrlässigkeitstäter), und demjenigen, der trotz Nutzung der ihm eigenen Möglichkeiten nicht im Stande ist, dieses Bewusstsein zu erlangen“.1482 Eine Besonderheit gilt es bei – um mit Welzel zu sprechen – offenen Tatbeständen 232 zu bedenken. Solche offenen Tatbestände unterscheiden sich von den geschlossenen dadurch, dass der vom Täter verwirklichte Deliktstatbestand die Rechtswidrigkeit nicht indiziert, sondern deren Vorliegen auf tatbestandlicher Ebene positiv festgestellt werden muss.1483 Nach heute hM soll der Täter bzgl dieser sog gesamttatbewertenden Merkmale bereits dann vorsätzlich handeln, wenn er sämtliche Tatsachen kennt, die das gesamttatbewertende Merkmal konstituieren. Die Wertung selbst braucht er nicht nachzuvollziehen. 233 Hat der Täter den objektiven Tatbestand eines Unterlassensdelikts verwirkt, richten sich die Anforderungen an seinen Vorsatz danach, ob ihm die Begehung eines echten oder eines unechten Unterlassensdelikts vorgeworfen wird. Nach hM handelt der Täter eines unechten Unterlassensdelikts vorsätzlich, der sämtliche Sachverhaltsaspekte kennt, aus denen sich seine Garantenstellung ergibt; den Schluss von diesen Sachverhaltsaspekten auf die Garantenpflicht muss er nicht gezogen haben.1484 Hieran anknüpfend verurteilt die Rspr aus einem vorsätzlich begangenen echten Unterlassensdelikt, wenn der Täter sein verbotenes Unterlassen und den vom Tatbestand umschriebenen Sachverhalt kennt; nicht erforderlich soll die Kenntnis des Gebots sein.1485 Nach dem hier zu den Blankettmerkmalen vertretenen Ansatz1486 überzeugt das jedenfalls insoweit

_____ etwa weil er um den Straftatbestand, der sein Verhalten sanktioniert, nicht weiß und der somit Ergebnisse erzielt, die der sog Vorsatztheorie entsprechen (anders aber noch Herzberg/Hardtung JuS 1999, 1073); s in diesem Kontext auch Jakobs Rudolphi-FS, S 107, 121; deutlich enger hingegen B Heinrich Roxin-FS II, S 449, 464 f und passim, der nur Irrtümer über tatsächliche Umstände dem § 16 Abs 1 S 1 StGB zuschlagen, alle anderen Irrtümer hingegen nach § 17 StGB behandeln will, wobei aber die Anforderungen an die Unvermeidbarkeit herabzusetzen seien (dagegen aber Jakobs RW 2010, 283, 299 m Fn 57). 1482 Otto Meyer-GS, S 583, 601. 1483 Grdl zur Unterscheidung in offene und geschlossene Tatbestände Welzel JZ 1952, 340, 344. 1484 Grdl BGHSt 16, 155, 158 ff; angedeutet bereits bei BGHSt 3, 18, 19 f; s ferner aus dem Schrifttum: SK/Rudolphi/Stein § 16 Rn 17; KK-OWiG/Rengier § 11 Rn 31; Schaffstein OLG Celle-FS, S 175, 192, 198 ff; Roxin Tiedemann-FS, S 375, 379; Puppe GA 1990, 145, 172; Herdegen BGH-FS, S 195, 199; Herzberg/Hardtung JuS 1999, 1073, 1076; Schlüchter JuS 1985, 373, 380; K Thomas NStZ 1987, 260, 263; nach Jakobs RudolphiFS, S 107, 115 f sowie dems RW 2010, 283, 302 scheint ein Irrtum über die Garantenpflicht wohl gar nicht möglich, wenn der Täter sämtliche Umstände kennt, die seine Garantenstellung begründen; zur Gegenansicht vgl R Schmitt JZ 1959, 432, 433 f, der auch die Sachverhaltselemente, die die Garantenstellung begründen, zur Garantenpflicht zieht und deshalb sowohl den Irrtum über die Garantenpflicht als auch über die maßgebenden Tatsachen dem Verbotsirrtum zuschlägt. 1485 Grdl BGHSt 19, 295, 298 f, der aber im Falle von Geboten, deren Einhaltung bzw Kenntnis keinesfalls selbstverständlich ist, den Täter großzügig entschuldigen will; BGH NJW 1981, 354, 355 zu § 283b Abs 1 Nr 3b StGB (insoweit in BGHSt 29, 396 nicht abgedr); zust etwa Herdegen BGH-FS, S 195, 198; Roxin Tiedemann-FS, S 375, 379 am Bsp der §§ 142, 323c StGB; aA noch, Kenntnis des Gebots erforderlich BGH GA 1959, 87, 89; sa BGHSt 46, 373, 379 = NStZ 2001, 600, 602 m insoweit zust Anm Lemme, wonach sich im Tatumstandsirrtum befinden und deshalb nur fahrlässig handeln sollte, wer seine Pflicht nicht kannte, gem dem (zwischenzeitlich gestrichenen) § 6 GSB ein Baubuch zu führen; ebenso BGH GA 1959, 87, 89: Tatumstandsirrtum, wenn Täter die Pflicht nicht kennt, bei Überschuldung bzw Zahlungsunfähigkeit Insolvenzantrag zu stellen; vgl ferner OLG Köln NJW 1981, 63, 64, wonach im Kontext des § 170 StGB die Handlungspflicht, scil die Pflicht, Unterhalt zu bezahlen, Tatbestandsmerkmal ist; ähnl Bemmann, S 18 f. 1486 Siehe o Rn 230.

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nicht, als die Rechtspflicht, deren Missachtung dem Täter zur Last liegt, außerhalb des Unterlassensdelikts wurzelt. Hierfür streitet erneut eine Parallele zum Steuerstrafrecht. Nach überzeugender Ansicht macht sich nämlich gem § 370 Abs 1 Nr 2 AO – einem echten Unterlassensdelikt1487 – nur strafbar, wer auch die Pflicht kennt, die steuerrelevante Tatsache zu offenbaren.1488 Folglich bleibt dem Täter solcher Tatbestände, der um das Gebot nicht weiß, dessen Nichtbeachtung das echte Unterlassensdelikt strafbewehrt, der soziale Sinngehalt seines Verhaltens verborgen. Ähnlich sehen das freilich auch diejenigen Autoren, die der Gebotsunkenntnis als solcher keine vorsatzausschließende Kraft bescheinigen. Ihnen zufolge muss der Täter, damit man ihm vorsätzliches Verhalten attestieren kann, „das aktuelle, konkrete (Mit-)Bewusstsein von der Möglichkeit [besitzen], durch eigene Aktivitäten (…) die Verwirklichung des Tatbestandes verhindern zu können“.1489 Allerdings befindet sich der Täter, der die ihm ungünstige Interpretation einer Blan- 234 kettvorschrift durch die Rspr kennt, jedoch glaubt, seine Argumente, die zu einem ihm günstigeren Verständnis führen, seien vorzugswürdig, gleichwohl aber die Möglichkeit erkennt, dass die Ansicht der Rspr die zutreffende sein könnte, nicht zwingend im Tatumstandsirrtum, sondern muss im Gegenteil den Vorwurf gewärtigen, die eingetretene Rechtsgutsverletzung mit dolus eventualis herbeigeführt zu haben.1490 Freilich handelt, wer eine bestimmte Möglichkeit bedenkt, nicht automatisch vorsätzlich, stimmen doch dolus eventualis und bewusste Fahrlässigkeit in der Möglichkeitsvorstellung überein.1491 Genausowenig überzeugt es aber, einem Täter, der es immerhin für möglich hält, ein Verhalten an den Tag zu legen, das auf dem Boden einer (höchstrichterlichen) Rspr dem Strafrecht zuwiderläuft, generell den § 16 Abs 1 S 1 StGB zuzubilligen.1492 Vielmehr kommt es entscheidend darauf an, ob der Täter zugunsten seiner Ansicht plausible Argumente vortragen kann.1493 Gelingt ihm das, steht der Annahme eines Tatumstandsirrtums nichts im Wege; andernfalls trifft ihn der Vorwurf vorsätzlichen Handelns zu Recht.1494 Ebenfalls vorsätzlich handelt, wer die Strafrechtswidrigkeit seines Verhaltens als möglich voraussieht und trotz dieser Erkenntnis von seinem Tun nicht Abstand nimmt, weil er es auch für diesen Fall – i.e. Strafbarkeit – in die Tat umsetzen will.1495

_____ 1487 S nur Backes StuW 1982, 253, 262. 1488 Richtig Schlüchter wistra 1985, 43, 49; aA aber Kohlmann/Ransiek § 370 AO Rn 668; vgl ferner Backes StuW 1982, 253, 263, der zwar den Irrtum über das Bestehen einer Mitteilungspflicht nicht dem § 16 Abs 1 S 1 StGB subsumiert, gleichwohl aber in solchen Fällen regelmäßig zum Vorsatzausschluss gelangt, weil der Täter, der die entsprechende Pflicht nicht kennt, nicht vorsätzlich unterlässt. 1489 KK-OWiG/Rengier § 11 Rn 34. 1490 S etwa OLG Stuttgart NJW 1953, 1848 (Ls): Täter handelt vorsätzlich iSd § 19 Abs 1 WiStG, wenn er mit der Möglichkeit der Unangemessenheit des Preises rechnet und diese billigend in Kauf nimmt; vgl ferner Blumers StbJb 1983/84, 319, 333 ff. 1491 Zieschang, Rn 123; Schlüchter wistra 1985, 43, 48. 1492 In diese Richtung aber Meilicke BB 1984, 1885, 1887 f, der Vorsatz nur annehmen will, wenn der Nachweis gelingt, dass der Steuerpflichtige seine Steuererklärung auf einer unvertretbaren Gestaltung aufgebaut hat. 1493 Wohl auch Latzel wistra 2013, 334, 340 im Kontext des § 119 BetrVG. 1494 Überzeugend zum Ganzen Schlüchter wistra 1985, 43, 47 f; vgl ferner Backes StuW 1982, 253, 264, der vorsätzliches Handeln annehmen will, wenn der Steuerpflichtige in rechtsfeindlicher Gesinnung einer höchstrichterlichen Rspr zuwider agiert. 1495 Welzel NJW 1953, 486, 487: Täter rechnet mit der Möglichkeit, dass sein Sparkassenguthaben steuerpflichtig ist, will es aber auch für diesen Fall nicht versteuern; enger BGH GA 1962, 25: Kein dolus eventualis, obschon die Täter glaubten, dass das von ihnen hergestellte Erzeugnis „irgendwie“ bestimmten lebensmittelrechtlichen Vorschriften widersprach.

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b) Tatumstands- und Verbotsirrtum im Kontext der §§ 283, 283b StGB 235 Ausgehend von den vorstehend dargestellten allgemeinen Grundsätzen, anhand derer

sich bemisst, was den Tatumstands- vom Verbotsirrtum unterscheidet, lassen sich im Folgenden die bei §§ 283, 283b StGB vorkommenden Irrtumsprobleme einer Lösung zuführen. Dabei kann es aber weder darum gehen, sämtliche denkbaren Irrtumskonstellationen zu würdigen, sind doch diese so vielgestaltig wie das Leben selbst, noch darum, die ausgewählten Irrtumskonstellationen unter dem Blickwinkel aller zur Abgrenzung von Tatumstands- und Verbotsirrtum in Rspr und Lehre unterbreiteten Vorschläge zu untersuchen. Vielmehr beschränken sich die nachfolgenden Ausführungen darauf, die gängigen, iRd §§ 283, 283b StGB immer wiederkehrenden Irrtümer auf der Basis des oben für richtig befundenen Abgrenzungsmodells zu behandeln. Freilich erfolgt ein Hinweis auf die abweichenden Ergebnisse, die man erzielt, wenn man den Vorsatzumfang bei Blanketttatbeständen und echten Unterlassensdelikten mit der hM bestimmt. – Zur besseren Aufteilung bietet es sich an, zunächst die Irrtümer über allgemeine Merkmale wie „Schuldner“, „entgegen den Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft“ sowie über die Krisenmerkmale zu behandeln, bevor man die gängigen Irrtümer über die Merkmale der einzelnen Bankrotthandlungen darstellt.

aa) Irrtümer über allgemeine Merkmale der §§ 283, 283b StGB 236 Der objektive Tatbestand der §§ 283, 283b StGB fordert zunächst einen tauglichen Täter,

der in jedem Fall Schuldner1496 und im Kontext der §§ 283 Abs 1 Nrn 5, 7, 283b Abs 1 StGB zudem noch Kaufmann1497 sein muss. Weiß der Täter, der objektiv gesehen Schuldner bzw Kaufmann ist, nicht um diese Eigenschaft, weil ihm entweder nicht sämtliche Tatsachen bekannt sind, die den Subsumtionsschluss auf die Merkmale „Schuldner/Kaufmann“ gestatten oder weil er trotz vollständiger Tatsachenkenntnis die strikt zivilrechtsakzessorisch verstandenen Täterumschreibungen falsch interpretiert, befindet er sich in einem vorsatzausschließenden Tatumstandsirrtum.1498 237 Schwieriger gestaltet sich die Rechtslage, falls der Täter den gesamten Sachverhalt kennt, der es erlaubt, über sein Verhalten das Verdikt der Wirtschaftswidrigkeit zu fällen, gleichwohl aber davon ausgeht, im Einklang mit den Anforderungen ordnungsgemäßen Wirtschaftens zu handeln. Klassifiziert man das Merkmal „entgegen den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft“ als ein gesamttatbewertendes, gelangt man lediglich zur Annahme eines Verbotsirrtums, da nach hM solche Merkmale bereits vorsätzlich verwirkt, wer die entscheidenden Tatsachen kennt.1499 Mehr spricht jedoch dafür – und zwar ungeachtet dessen, ob das Merkmal „ordnungswidriges Wirtschaften“ unter der Kategorie „normative oder gesamttatbewertende Merkmale“ rubriziert – dem Täter Vorsatz erst dann zur Last zu legen, wenn er neben der vollständigen Sachverhaltskenntnis das Bewusstsein von der Wirtschaftswidrigkeit seiner Maß-

_____ 1496 Zu den objektiven Anforderungen siehe o Rn 10. 1497 Dazu siehe o Rn 108. 1498 IE so auch bzgl der Kaufmannseigenschaft LK/Tiedemann § 283 Rn 188a; SK/Hoyer § 283 Rn 109 f; v.d. Heydt, S 48; aA aber RG LR 1913, 703; Regner, S 117 f bzgl der unzutreffenden rechtlichen Wertung; s ferner Wersdörfer BB 1952, 679, 680; zum Irrtum über die Organwaltereigenschaft s Lindheim, S 234 f. 1499 Dafür Fischer § 283 Rn 32; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 56; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 68; W/J/Pelz 9/180; Schlüchter JR 1982, 29, 31.

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nahmen erlangt hat.1500 Zugunsten dieses Ergebnisses streitet va folgendes Argument: Die Tathandlungen, die § 283 StGB nur bei Verstoß gegen die Anforderungen ordnungsgemäßen Wirtschaftens strafbewehrt, sind – selbst in der Krise – unrechtsneutral, sofern sie die Grenze ordnungsgemäßen Wirtschaftens einhalten. Vor diesem Hintergrund bleibt dem Schuldner, der glaubt, seine geschäftlichen Aktivitäten hielten sich innerhalb dieses Sorgfaltsmaßstabs, der soziale Sinn seines Verhaltens verschlossen. Er handelt mithin ohne den erforderlichen Vorsatz. – Gleiches gilt für das Merkmal des „übermäßigen“ Verbrauchs iSv § 283 Abs 1 Nr 2 StGB. Auch hier reicht der Hinweis nicht aus, der Täter habe sämtliche, das Merkmal „übermäßig“ konstituierende Tatsachen gekannt, um ihm Vorsatz nachzuweisen, sondern bedarf es zusätzlich der Feststellung, dass dem Täter bewusst war, übermäßige Beträge zu verbrauchen.1501 Ebenso wenig genügt schlichte Tatsachenkenntnis, um dem Täter Vorsatz bzgl der 238 Krisenmerkmale (drohende) Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung vorzuwerfen.1502 Vielmehr muss der Täter, dessen liquide Mittel nicht ausreichen, innerhalb der nächsten drei Wochen 10% der fälligen Verbindlichkeiten zu begleichen,1503 hierum sowie um die insolvenzrechtliche Wertung wissen, der zufolge ein solcher Zustand Zahlungsunfähigkeit bedeutet.1504 Nichts anderes gilt für den Krisentatbestand der Überschuldung. Damit der Täter erkennen kann, ob die Passiva die Aktiva überwiegen, muss er nicht nur wissen, welche Vermögensbestandteile zu den Aktiva und welche Verbindlichkeiten zu den Passiva rechnen, sondern darüber hinaus die nach dem heute geltenden Überschuldungsbegriff erforderliche negative Fortführungsprognose1505 sowie die liquidationswertbasierte Bewertung der Aktiva und Passiva1506 nachvollzogen haben.1507

bb) Irrtümer über die Begehungsmodalitäten der §§ 283, 283b StGB Begeht der Täter eine bestandsbezogene Bankrotthandlung, glaubt er dabei jedoch, 239 keine potentiellen Massebestandteile zu beeinträchtigen, handelt er ohne Vorsatz. Dabei ist es unerheblich, ob der Irrtum auf einer rechtlichen Fehlannahme beruht – zB meint der Täter, bestimmte Gegenstände rechneten zum pfändungsfreien Vermögen, weil er den § 811 ZPO entweder nicht kennt oder zu seinen Gunsten auslegt bzw den § 36 InsO falsch versteht und deshalb dem Missverständnis aufsitzt, der Insolvenzbeschlag umfasse nicht die Geschäftsbücher – oder ob der Täter den beiseitegeschafften Gegenstand irrtümlich für wertlos hält.1508 Bloß ein Verbotsirrtum liegt vor, wenn der Täter denkt,

_____ 1500 Zutr LK/Tiedemann § 283 Rn 189 aE, 193, 196; SK/Hoyer § 283 Rn 41, 110; v.d. Heydt, S 219; sa S/S/W/ Bosch § 283 Rn 34: laienhafter Nachvollzug nötig; iE wie hier wohl auch MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 73. 1501 LK/Tiedemann § 283 Rn 189, 192; Hammerl, S 11; v.d. Heydt, S 219; enger wohl Schlüchter JR 1982, 29, 30: Vorsatz bzgl Unangemessenheit der getätigten Ausgaben liegt vor, wenn der Täter erkennt, dass seine Entnahmen über das Existenzminimum hinausgehen; ähnl S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 56. 1502 So aber BGH/H GA 1954, 312; Habetha, S 326; Brackmann, S 221; ebenso anscheinend S/S/W/Bosch § 283 Rn 34; M-G/Richter § 79 Rn 52; Regner, S 89. 1503 Dazu siehe o Rn 49 ff. 1504 Wohl auch LK/Tiedemann § 283 Rn 189. 1505 Dazu siehe o Rn 40. 1506 Siehe o Rn 42 f. 1507 Ebenso wohl LK/Tiedemann § 283 Rn 189; B/Quedenfeld/Richter 5/142 f; weitergehend scheinbar Richter Schiller-FS, S 547, 557 f; unklar, zwischen den einzelnen Positionen widersprüchlich changierend Büttner ZInsO 2009, 841, 853, der einmal Tatsachenkenntnis für den Vorsatz genügen lassen will, um im selben Atemzug zu fordern, der Täter müsse auch die rechtliche Bewertung der erkannten Tatsachen nachvollzogen haben. 1508 Zum Ganzen LK/Tiedemann § 283 Rn 191; aA aber AG Nürnberg ZInsO 2012, 339, 342.

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unrechtmäßig erworbene Vermögensgegenstände dürfe er straflos beiseiteschaffen;1509 hingegen befindet er sich im Tatumstandsirrtum, wenn seine Fehlannahme dahin geht, gestohlene bzw betrügerisch erlangte Gegenstände fielen nicht in die Masse und seien deshalb keine tauglichen Tatobjekte. 240 Dem § 16 Abs 1 S 1 StGB unterfällt der Irrtum, das anerkannte, objektiv inexistente Recht iSv § 283 Abs 1 Nr 4 StGB bestehe in Wirklichkeit.1510 Ebenso agiert vorsatzlos, wer die Höhe des Verlustrisikos falsch einschätzt und deshalb bestimmte Spekulationsgeschäfte iSd § 283 Abs 1 Nr 2 StGB tätigt.1511 Im Verbotsirrtum (vgl § 17 StGB) befindet sich hingegen, wer zB glaubt, Spekulationsgeschäfte seien immer statthaft,1512 vermögenswerte Aussichten/Anwartschaften unterfielen nicht dem Vermögensbegriff des § 283 Abs 1 Nr 8 StGB1513 oder § 283 Abs 1 Nr 4 StGB betreffe nur dingliche Rechte.1514 Dass der Irrtum über die Reichweite des Vermögensbegriffs, wie ihn § 283 Abs 1 Nr 8 StGB verwendet, lediglich zu § 17 StGB führt, wohingegen der Irrtum über den gegenständlichen Umfang der Insolvenzmasse gem § 16 den Vorsatz entfallen lässt, hängt mit der unterschiedlichen Herkunft der Begriffe zusammen. Während der Vermögensbegriff des § 283 Abs 1 Nr 8 StGB dem Strafrecht entstammt, eine falsche Subsumtion also allenfalls bei Unvermeidbarkeit den Schuldvorwurf beseitigt, handelt es sich bei dem Merkmal „Insolvenzmasse“ um ein außerstrafrechtliches Merkmal, bei dem Subsumtionsirrtümer – man denke an das klassische Beispiel der Fehlinterpretation des Merkmals „fremd“ iSd § 242 StGB – regelmäßig dem § 16 StGB unterfallen. Schwierige Probleme bereiten Praxis und Wissenschaft sub specie Abgrenzung Tat241 umstands-/Verbotsirrtum schließlich die Buch- und Bilanzführungsmodalitäten der §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b Abs 1 StGB. Während der BGH dem Schuldner, der über seine handelsrechtliche Pflicht irrt, innerhalb eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs Bilanz zu ziehen, lediglich einen Verbotsirrtum zubilligt,1515 sehen Teile des Schrifttums hierin einen Tatumstandsirrtum.1516 Den Vorzug verdient die zweitgenannte Ansicht. Denn unabhängig davon, ob man die §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b Abs 1 StGB der Kategorie der Blanketttatbestände zuordnet oder aber die Termini „Handelsbücher“ und „entgegen dem Handelsrecht“ als normative Tatbestandsmerkmale begreift, muss der Täter, will er den sozialen Bedeutungsgehalt seines Tuns erfassen, die Pflichten und ihren Inhalt kennen, die ihn zur Buch- und Bilanzführung anhalten. Bloßes Tatsachenwissen – der Täter weiß, dass er keine Bücher und Bilanzen führt – ohne Pflichtenkenntnis – der Täter verkennt seine Verpflichtung zur Buch-/Bilanzführung – genügt richtigerweise nicht, um

_____ 1509 LK/Tiedemann § 283 Rn 191 aE; s des Weiteren S/S/W/Bosch § 283 Rn 34: Täter glaubt, der beiseite geschaffte Gegenstand sei nicht pfändbar. 1510 LK/Tiedemann § 283 Rn 194; vgl in diesem Kontext auch die Entscheidung RG DR 1940, 793. 1511 LK/Tiedemann § 283 Rn 192. 1512 LK/Tiedemann § 283 Rn 192. 1513 LK/Tiedemann § 283 Rn 196. 1514 LK/Tiedemann § 283 Rn 194. 1515 BGH NJW 1981, 354, 355 (insoweit in BGHSt 29, 396 nicht abgedr); ebenso S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 56; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 73; M-G/Richter § 85 Rn 33; W/J/Pelz 9/179; Weyand/Diversy Rn 111; Fischer § 283 Rn 32; S/S/W/Bosch § 283 Rn 34; Regner, S 118 ff; ferner Lemme NStZ 2001, 602, 603, weil es sich bei § 283b Abs 1 Nr 3b StGB im Gegensatz zu § 6 GSB aF nicht nur um eine Pflicht des Nebenstrafrechts handele; ferner bereits v. Babo, (1908), S 40 f; Kuhn, (1912), S 45; Steinbrück, (1929), S.50: Kenntnis von der Buchführungspflicht gehört nicht zum Vorsatz; anders aber im Kontext des § 6 GSB aF BGHSt 46, 373, 379. 1516 LK/Tiedemann § 283 Rn 188a; SK/Hoyer § 283 Rn 109 f; wohl auch AnwK/Püschel § 283 Rn 30; v.d. Heydt, S 48.

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ihm Vorsatz anzulasten.1517 Verallgemeinernd gesprochen verwirklicht somit nur derjenige Schuldner die §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b Abs 1 StGB vorsätzlich, der die dort in Bezug genommenen handelsrechtlichen Vorschriften und ihren Inhalt kennt.1518 So befindet sich bspw der kaufmännische Schuldner im Tatumstandsirrtum, der seine Bilanzen verspätet erstellt, weil er die Bilanzierungsfristen falsch versteht1519 und deshalb glaubt, ihm stünde ein längerer Zeitraum zur Verfügung.1520 Nichts anderes gilt, wenn der Schuldner objektiv seine Bücher bzw Bilanzen unvollständig bzw unzutreffend erstellt, jedoch meint, seine Bücher/Bilanzen entsprächen den materiell-rechtlichen Anforderungen, die das Handelsrecht an sie stellt.1521 Ebenfalls ohne Vorsatz handelt der Schuldner, der Handelsbücher bzw sonstige kaufmännische Unterlagen vernichtet (vgl §§ 283 Abs 1 Nr 6, 283b Abs 1 Nr 2 StGB) und dabei entweder nicht bemerkt, dass die vernichteten Schriftstücke zur Gattung der Handelsbücher/sonstigen kaufmännischen Unterlagen gehören oder aber sich über die Länge der Aufbewahrungsfristen irrt.1522

XVI. § 283 Abs 4 StGB Gem § 283 Abs 4 StGB macht sich auch derjenige Schuldner wegen Bankrotts strafbar, 242 der die Tathandlungen des § 283 Abs 1 Nrn 1–8 StGB vorsätzlich begeht, dabei aber entweder fahrlässig seine (drohende) Zahlungsunfähigkeit bzw Überschuldung verkennt (§ 283 Abs 4 Nr 1 StGB)1523 oder seine Zahlungsunfähigkeit/Überschuldung leichtfertig herbeiführt (§ 283 Abs 4 Nr 2 StGB). Während § 283 Abs 4 Nr 1 StGB ein Fahrlässigkeitsdelikt normiert, Teilnahme hieran und Versuch hierzu also ausscheiden,1524 regelt § 283 Abs 4 Nr 2 StGB gem § 11 Abs 2 StGB ein teilnahmefähiges Vorsatzdelikt.1525 In praxi besitzt § 283 Abs 4 StGB große Relevanz als Auffangtatbestand, falls der Vorsatznachweis angesichts der an ihn gestellten hohen Hürden1526 scheitert.1527

_____ 1517 So auch LK/Tiedemann § 283 Rn 188a; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 23; anders freilich M-G/Richter § 85 Rn 33. 1518 LK/Tiedemann § 283 Rn 188a; Hammerl, S 13. 1519 Zu deren Länge ausf Rn 195 ff. 1520 LK/Tiedemann § 283 Rn 188a; aA M-G/Richter § 85 Rn 33; MAH/Böttger § 19 Rn 179. 1521 LK/Tiedemann § 283 Rn 188b; aA freilich Regner, S 118 ff. 1522 LK/Tiedemann § 283 Rn 195. 1523 Vgl aber auch Bretzke, S 221 f, der zufolge die Kombination aus vorsätzlich begangener Bankrotthandlung und fahrlässig verkannter Krise, wie sie dem § 283 Abs 4 Nr 1 StGB vorschwebt, nur in Bezug auf § 283 Abs 1 Nrn 1 HS 2, 2, 3 und 8 StGB denkbar sein soll. In den Konstellationen des § 283 Abs 1 Nrn 1 HS 1, 4, 5, 6 und 7 StGB hafte der Schuldner immer aus dem Vorsatzdelikt, weil der Schuldner eines gesunden Betriebs keinen Grund habe, geschäftsschädigende Handlungen vorzunehmen, die Verteidigung, die Krise im Zeitpunkt der Vornahme der Bankrotthandlung fahrlässig nicht erkannt zu haben, also immer nur dazu diene, nicht gerechtfertigte Vorteile in Anspruch zu nehmen. Diese These beruht jedoch auf einer nicht stichhaltigen Prämisse, wie der Fall zeigt, dass der Geschäftsführer einer GmbH die Bilanz „frisiert“, um ungerechtfertigte Entnahmen aus dem Gesellschaftsvermögen zu seinen Gunsten vor den Gesellschaftern zu verschleiern. Daraus folgt: Bankrotthandlungen iSd Nrn 5 und 7 kommen durchaus auch außerhalb des Krisenstadiums vor. 1524 LK/Tiedemann § 283 Rn 204; NK/Kindhäuser § 283 Rn 102; SK/Hoyer § 283 Rn 116; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 74 f; Fischer § 283 Rn 34; S/S/W/Bosch § 283 Rn 38; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 4; Böttger/ Verjans 4/96. 1525 S nur LK/Tiedemann § 283 Rn 211; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 57; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 74; SK/Hoyer § 283 Rn 117; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 24; S/S/W/Bosch § 283 Rn 39; M/R/Altenhain § 283 Rn 45; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 3, 72; W/J/Pelz 9/97, 181; Böttger/Verjans 4/98. 1526 Siehe o Rn 236 ff.

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Da § 283 Abs 4 Nr 1 StGB die vorsätzliche Begehung einer Bankrotthandlung auch dann mit Kriminalstrafe belegt, wenn der Schuldner leicht fahrlässig seine Krise verkennt, sieht sich die Vorschrift von Seiten des insolvenzstrafrechtlichen Schrifttums dem Vorwurf ausgesetzt, es fehle ihr vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Übermaßverbotes die erforderliche Rechtfertigung.1528 Ob man freilich so weit gehen muss, erscheint (heute) eher fraglich. Zum einen steht nämlich in praxi die grobe Fahrlässigkeit (Leichtfertigkeit) im Vordergrund,1529 da sich angesichts der unsicheren und lediglich an Großunternehmen ausgerichteten betriebswirtschaftlichen Krisenforschung kaum je einmal sicher sagen lässt, dass der Schuldner zu einem bestimmten Zeitpunkt – bildlich gesprochen – die Schwelle zur einfachen Fahrlässigkeit überschritten hat.1530 Zum anderen entspricht es einer langen, historisch gewachsenen Tradition,1531 auch den fahrlässigen Bankrott strafrechtlich zu ahnden und stand das Reichsgericht vorübergehend sogar auf dem Standpunkt, der Täter eines Bankrotts hafte selbst dann gem den §§ 239, 240 KO aF, falls ihm weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit nachgewiesen werden könne.1532

1. Der Tatbestand des § 283 Abs 4 Nr 1 StGB 244 Wer dem Schuldner den Vorwurf machen will, er habe im Zeitpunkt, als er vorsätzlich eine

Bankrotthandlung vornahm, fahrlässig seine bereits bestehende Krise übersehen und deshalb den Tatbestand des § 283 Abs 1 iVm Abs 4 Nr 1 StGB erfüllt, muss den Nachweis führen, dass die Krise objektiv erkennbar war und der Schuldner pflichtwidrig hiervon keine Kenntnis hatte. Anders gewendet verzichtet der Schuldner also darauf, Anstrengungen zu unternehmen, um seine Krise festzustellen und das obschon er ihr Bestehen ahnt bzw sogar als möglich voraussieht.1533 Da die objektive Erkennbarkeit der Krise zumeist keine Probleme bereitet, konzentriert sich die Diskussion auf die Frage, ab wann die fehlende Kenntnis des Schuldners von seiner Krise pflichtwidrig ist. Neben die im Schrifttum weit verbreitete Ansicht, pflichtwidrige Unkenntnis erst anzunehmen, wenn sich für den Schuldner außerstrafrechtlich die Pflicht ergibt, seine Vermögenssituation zu beobachten und zu analysieren,1534 gesellte sich die These, dem Schuldner obliege eine generelle Beobachtungspflicht der Liquidität und Rentabilität seines Unternehmens schon aufgrund der in § 283 Abs 4 Nr 1 StGB angeordneten Fahrlässigkeitshaftung. 1535 Angesichts der Schwierigkeiten, Überschuldung bzw (drohende) Zahlungsunfähigkeit festzustellen,1536 spricht mehr dafür, dem Schuldner nur dann pflichtwidriges Verhalten vorzuwerfen, falls er seine wirtschaftliche Situation trotz entsprechender Warnanzeichen1537 nicht darauf-

_____ 1527 Zu diesem Befund LK/Tiedemann § 283 Rn 204; NK/Kindhäuser § 283 Rn 102; Weyand/Diversy Rn 113. 1528 So etwa AnwK/Püschel Vor § 283 – 283d Rn 2; ders Rissing-van Saan-FS, S 471, 477. 1529 Für eine Beschränkung auf die Schuldform „luxuria“ votierte schon Köstlin GA 5 (1857), 721, 733, 738. 1530 LK/Tiedemann § 283 Rn 207. 1531 Zu diesem Befund BGHSt 15, 103, 104 ff; LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 35 und § 283 Rn 205; s ferner auch Köstlin GA 5 (1857), 721, 727 f, 730. 1532 S etwa RGSt 4, 418, 419 f; RGSt 5, 407, 410; RG Rspr 4, 92, 93; zur weiteren Entwicklung s die anschaul Zusammenfassung bei RGSt 45, 88, 92 f; vgl ferner auch Hammerl, S 14 m Fn 50. 1533 Bretzke, S 126; sa den österreichischen OGH ÖJZ 1969, 498, 499. 1534 Tiedemann Schröder-GS, S 289, 293. 1535 Vorsichtig in diese Richtung Bretzke, S 127 ff, 139 f; dies KTS 1985, 413, 419, die zumindest einen faktischen Zwang zum Einsatz prospektiver Informationsinstrumente annimmt; diff SK/Hoyer § 283 Rn 116 für solche Verbände, die einer (strafbewehrten) Insolvenzantragspflicht unterliegen. 1536 Siehe o Rn 40 ff und 55 ff. 1537 Dazu sogl Rn 245.

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hin überprüft, ob er sich zwischenzeitlich im Zustand (drohender) Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung befindet. Wollte man hingegen aufgrund der von § 283 Abs 4 Nr 1 StGB angeordneten Fahrlässigkeitsstrafbarkeit jedem Schuldner aufgeben, bei Vornahme einer Handlung, die den Nrn 1–8 des § 283 Abs 1 StGB entspricht, zunächst einen Überschuldungs- bzw Zahlungsfähigkeitsstatus aufzustellen, verschärfte man zum einen die Voraussetzungen des Zivil-/Insolvenzrechts1538 und zwänge zum anderen jeden Schuldner unabhängig von seinem Kaufmannsstatus dazu, eine zumindest rudimentäre Buchführung vorzuhalten, um den Prüfpflichten nachzukommen. Im Zentrum des § 283 Abs 4 Nr 1 StGB steht somit die Frage, ab wann der Schuld- 245 ner pflichtwidrig seine Krise verkennt. Hierfür hat man die Anzeichen zu benennen, deren Vorliegen die schuldnerische Ausrede entkräftet, ihm sei im Zeitpunkt, als er die Bankrotthandlungen beging, die Krise nicht erkennbar gewesen. Eine allgemeingültige Antwort, die für den Verbraucher wie für das kapitalgesellschaftlich organisierte Großunternehmen gleichermaßen gilt, gibt es naturgemäß nicht und kommt es deshalb – wie so oft – auf den jeweiligen Einzelfall an. Dieser Befund bedeutet aber nicht, dass überhaupt keine generellen Aussagen getroffen werden könnten. So muss sich – egal ob Verbraucher oder Klein- bzw Großunternehmer – den Vorwurf gefallen lassen, seine Krise pflichtwidrig nicht bemerkt zu haben, wer ohne jede Übersicht und Planung wirtschaftet.1539 Ebenfalls pflichtwidrig handelt der Kaufmann, der seine Krise übersieht, weil er die Bücher nicht bzw mangelhaft führt.1540 Hält der Schuldner hingegen eine gewisse Übersicht und Planung ein und rechnet er auch nicht zum Kreis der buchführungspflichtigen Kaufleute, ist damit freilich noch nicht das Ergebnis präjudiziert, der Schuldner, der gleichwohl trotz nicht erkannter Krise eine Bankrotthandlung begangen hat, habe alles richtig gemacht, ein Fahrlässigkeitsvorwurf treffe ihn folglich nicht. Vielmehr haben Literatur und Praxis Anlässe herausgearbeitet, bei deren Eintritt der Schuldner – will er später nicht den Vorwurf des § 283 Abs 4 Nr 1 StGB gewärtigen – einen Finanzplan oder Überschuldungsstatus aufstellen sollte. Diese Anlässe lassen sich – einem Vorschlag Tiedemanns folgend – in exogene und endogene Störungen unterteilen.1541 Von exogenen Störungen spricht man bei erheblichen Vermögensverlusten infolge höherer Gewalt, Schädigungen Dritter oder Absatzrückgängen wegen des Ausfalls wesentlicher Abnehmer, von endogenen Störungen bei laufenden Verlusten ohne entsprechende Reserven, mehrfachen Ablehnungen von Kreditgesuchen oder häufigen Umgründungen.1542 Darüber hinaus muss sich der Schuldner, der wiederholt erhebliche Privatentnahmen tätigt, vergewissern, ob seine Vermögenssituation solche Entnahmen zulässt.1543 Schließlich agiert auch derjenige Schuldner hinsichtlich seiner Überschuldung/(drohenden) Zahlungsunfähigkeit fahrlässig, der trotz kriminologischer Krisenwarnanzeichen1544 keinen Finanzplan bzw Überschuldungsstatus erstellt.1545

_____ 1538 Zutr LK/Tiedemann § 283 Rn 208. 1539 BGH NJW 1981, 354, 355 (insoweit in BGHSt 29, 396 nicht abgedr); NK/Kindhäuser § 283 Rn 103; LK/Tiedemann § 283 Rn 206; SK/Hoyer § 283 Rn 116. 1540 LK/Tiedemann § 283 Rn 206; NK/Kindhäuser § 283 Rn 103; SK/Hoyer § 283 Rn 116; MK/Radtke/ Petermann § 283 Rn 75; MAH/Böttger § 19 Rn 179; M-G/Richter § 79 Rn 55. 1541 LK/Tiedemann § 283 Rn 207. 1542 Grdl zu dieser Unterscheidung LK/Tiedemann § 283 Rn 207; zust NK/Kindhäuser § 283 Rn 103. 1543 LK/Tiedemann § 283 Rn 207. 1544 Zu diesen siehe o Rn 52. 1545 So schon Bittmann/Bittmann Voraufl Rn 299; sa SK/Hoyer § 283 Rn 116; Bretzke, S 213; enger LK/ Tiedemann § 283 Rn 207; ders Schröder-GS, S 289, 295, der nur bei Vorliegen mehrerer Frühsignale eine Pflicht des Schuldners annehmen will, sich über seine Vermögenssituation Kenntnis zu verschaffen.

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Bestanden, als der Schuldner die Bankrotthandlung beging, objektive Anhaltspunkte, die das Bestehen einer Krise nahelegten, unterließ aber der Schuldner gleichwohl die gebotenen Nachforschungen und handelte deshalb objektiv pflichtwidrig iSv § 283 Abs 4 Nr 1 StGB, kann ihm jedenfalls grds dann kein Fahrlässigkeitsvorwurf gemacht werden, wenn er subjektiv entweder schon nicht in der Lage war, die objektiven Krisenanzeichen richtig zu deuten oder aber zwar die Krisenanzeichen zutreffend erkannte und verstand, jedoch nicht über die Fähigkeit verfügte, den gebotenen Zahlungs- bzw Überschuldungsstatus sachgerecht aufzustellen und deshalb darauf vertraute, eine Krise sei noch nicht eingetreten.1546 Allerdings irrt, wer glaubt, die intellektuelle Unfähigkeit, Überschuldung bzw (drohende) Zahlungsunfähigkeit zu erkennen, bewahre stets vor Strafbarkeit. So gestattet es nämlich nach hM die Figur des Übernahmeverschuldens auch demjenigen Schuldner Fahrlässigkeit anzulasten, der eine wirtschaftliche Unternehmung beginnt, obschon er voraussehen kann, dass ihm die Fertigkeiten fehlen, um einen Finanzstatus oder eine Überschuldungsbilanz anzufertigen.1547 Zu weit dürfte es jedoch gehen, den Fahrlässigkeitsvorwurf bereits an die Aufnahme der unternehmerischen Tätigkeit trotz Fehlens der hierfür erforderlichen Kenntnisse zu knüpfen1548 und auf den Nachweis zu verzichten, dass der Schuldner seine Unerfahrenheit in wirtschaftlichen Dingen kannte bzw hätte erkennen können.1549

2. Der Tatbestand des § 283 Abs 4 Nr 2 StGB 247 Gem § 283 Abs 4 Nr 2 StGB macht sich strafbar, wer vorsätzlich eine Bankrotthandlung

iSd § 283 Abs 1 Nrn 1–8 StGB begeht und dadurch leichtfertig entweder seine Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit herbeiführt. Obschon § 283 Abs 4 Nr 2 StGB zu den Vorsatzdelikten rechnet (vgl § 11 Abs 2 StGB), Teilnahme hieran also möglich ist,1550 verneint die ganz hM zu Recht die Konstruktion eines Versuchs des § 283 Abs 4 Nr 2 StGB, da sich § 283 Abs 3 StGB nach seiner systematischen Stellung ausschließlich auf die Abs 1 und 2, nicht aber auf Abs 4 bezieht.1551 248 Während dem § 283 Abs 4 Nr 1 StGB wie gesehen1552 jede Fahrlässigkeit genügt, fordert § 283 Abs 4 Nr 2 StGB Leichtfertigkeit und damit eine besonders gesteigerte Form der Fahrlässigkeit, die man mit grober Fahrlässigkeit übersetzen kann1553 und die sich dadurch auszeichnet, dass der Täter „in besonderem Maße die Sorgfalt, zu der er nach den Umständen und nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen verpflichtet und im Stande war, außer Acht gelassen“1554 hat. Übertragen auf die Situation des § 283 Abs 4 Nr 2 StGB heißt das: Der Schuldner muss beim Umgang mit seinem Vermögen hinsichtlich des Taterfolgs eine grobe Rücksichtslosigkeit an den Tag legen, die seine Ein-

_____ 1546 Zum Ganzen s etwa LK/Tiedemann § 283 Rn 210. 1547 LK/Tiedemann § 283 Rn 210. 1548 So bereits RGSt 4, 418, 421. 1549 LK/Tiedemann § 283 Rn 210; weitergehend Bittmann/Bittmann Voraufl Rn 301, der insoweit auf die Schuldfähigkeit des Täters abstellt. 1550 Siehe o Rn 242. 1551 LK/Tiedemann § 283 Rn 211; SK/Hoyer § 283 Rn 117; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 83; S/S/W/ Bosch § 283 Rn 39; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 3, 72; W/J/Pelz 9/184; Weyand/Diversy Rn 115. 1552 Siehe o Rn 243. 1553 Nahezu allgM; s nur BayObLGSt 1980, 146, 149 f; SK/Hoyer § 283 Rn 117; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 76; Weyand/Diversy Rn 113. 1554 BayObLGSt 1980, 146, 150.

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stellung in die Nähe des Vorsatzes rückt.1555 Beispiele für solchermaßen leichtfertiges Verhalten sind Privatentnahmen ohne Rücksicht auf die angespannte wirtschaftliche Situation, Investitionen ohne ausreichende Planung oder (bei Privaten) übermäßiges, dem Vermögen und den Einnahmen nicht entsprechendes Konsumieren.1556

XVII. Fahrlässige Bankrotthandlungen, § 283 Abs 5 StGB Der Tatbestand des § 283 Abs 5 sanktioniert die fahrlässige Vornahme der in § 283 Abs 1 249 Nrn 2, 5 und 7 StGB normierten Bankrotthandlungen,1557 sofern der Schuldner entweder die Krise im Zeitpunkt der Tat wenigstens fahrlässig nicht kennt (vgl Abs 5 Nr 1) oder aber seine Überschuldung bzw Zahlungsunfähigkeit durch die Bankrotthandlung wenigstens leichtfertig verursacht (vgl Abs 5 Nr 2). Die Formulierung „wenigstens“ zeigt an, dass dem Gesetzgeber neben „Fahrlässigkeit-Fahrlässigkeit- bzw FahrlässigkeitLeichtfertigkeit-Kombinationen“ auch Konstellationen vorschwebten, in denen der Schuldner fahrlässig handelt, gleichwohl aber seine Krise kennt oder diese vorsätzlich herbeiführt. Demgegenüber hat das Schrifttum schon früh auf die konstruktive Unmöglichkeit hingewiesen, mithilfe einer fahrlässig begangenen Bankrotthandlung vorsätzlich den Eintritt von Überschuldung/Zahlungsunfähigkeit iSv § 283 Abs 2 StGB zu bewerkstelligen.1558 1. Fahrlässige Begehung der Bankrotthandlung des § 283 Abs 1 Nr 2 StGB1559 Große Schwierigkeiten bereitet es dem Rechtsanwender, Fälle zu erdenken, in denen der 250 Schuldner die Handlungsmodalitäten des § 283 Abs 1 Nr 2 StGB fahrlässig begeht. Aufgrund ihrer finalen Tendenz erscheint es prima vista weder möglich, fahrlässig ein Differenz-, Spekulations- oder Verlustgeschäft einzugehen noch denkbar, fahrlässig übermäßige Beträge durch unwirtschaftliche Ausgaben, Spiel oder Wette zu verbrauchen. So müssen Operationen, damit sie dem Merkmal des Verlustgeschäfts unterfallen, von Anfang an auf Verlust angelegt sein, besteht das Handlungsunrecht der Modalität „Spekulationsgeschäft“ gerade darin, bewusst ein (zu) hohes Risiko einzugehen, um einen hohen Gewinn zu erzielen, erfordert das Differenzgeschäft einen – begrifflich schon nicht fahrlässig begehbaren – Vertragsschluss, der darauf gerichtet ist, dem verlierenden Vertragsteil die Pflicht aufzuerlegen, die Differenz zwischen dem vereinbarten Preis und dem Börsen-/Marktpreis der Lieferzeit an den gewinnenden Vertragsteil zu bezahlen und sind die Varianten „Spiel“, „Wette“ sowie „unwirtschaftliche Ausgaben“ nur vorstellbar, wenn sie der Schuldner bewusst vornimmt.1560 Vor diesem Hintergrund verwirklicht den § 283 Abs 1 Nr 2 StGB allenfalls fahrlässig, wer sich über die Wirtschaftswidrigkeit des

_____ 1555 Zutr und grdl zum Ganzen LK/Tiedemann § 283 Rn 213; skept gegenüber der postulierten Vorsatznähe Bittmann/Bittmann Voraufl Rn 302. 1556 Zu weiteren Konstellationen leichtfertigen Verursachens einer Krise s LK/Tiedemann § 283 Rn 213. 1557 Sehr skept demgegenüber Pfeiffer Gutachten, S 26: „kein kriminalpolitisches Bedürfnis“. 1558 LK/Tiedemann § 283 Rn 214; Fischer § 283 Rn 37; Weyand/Diversy Rn 114; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 5, der insoweit plastisch von „totem Recht“ spricht; zw auch MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 78; S/S/W/ Bosch § 283 Rn 40. 1559 Zur Strafwürdigkeit der fahrlässigen Vornahme einer der in § 283 Abs 1 Nr 2 StGB genannten Handlungen s BT-Drucks 7/3441, S 33. 1560 Ausf und grdl zum Ganzen LK/Tiedemann § 283 Rn 215 f.

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eingegangenen Verlust-, Differenz- oder Spekulationsgeschäfts bzw die Unwirtschaftlichkeit oder die Übermäßigkeit der getätigten Ausgabe in einem den Vorsatz ausschließenden Tatumstandsirrtum befindet,1561 bei gehöriger Anstrengung aber die Wirtschaftswidrigkeit, die Unwirtschaftlichkeit oder die Übermäßigkeit hätte erkennen können.1562

2. Fahrlässige Begehung der Bankrotthandlungen des § 283 Abs 1 Nrn 5, 7 StGB 251 Da das Führen von Büchern genauso wie das Eingehen von Geschäften nur bewusst er-

folgen kann, kommt eine fahrlässig unterbliebene Buchführung bzw Bilanzerstellung wiederum va in den Konstellationen des Tatumstandsirrtums vor. Verkennt der Schuldner seine Pflicht, Bücher zu führen und Bilanzen zu erstellen, weil er glaubt, nicht zum Kreis der buch-/bilanzführungspflichtigen Kaufleute zu gehören und erstellt er deshalb keine Bücher und Bilanzen, kann ihm zwar kein Vorsatz wohl aber – wenn ihm seine Buch-/Bilanzführungspflicht erkennbar war – Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden. Allenfalls fahrlässig vernachlässigt seine Pflicht zur rechtzeitigen Bilanzerstellung auch der Schuldner, der sich über die Länge der Bilanzierungsfrist irrt.1563 Darüber hinaus muss den Vorwurf fahrlässig nicht bzw nicht ordnungsgemäß geführter Bücher/Bilanzen gewärtigen, wer seine Buchführungs- und Bilanzierungspflicht bspw an einen Steuerberater oder Buchhalter delegiert,1564 dem beauftragten Steuerberater/Buchhalter aber das Mandat nicht entzieht, obschon er bei gehöriger Auswahl und Überwachung hätte erkennen können und müssen,1565 dass der Steuerberater/Buchhalter dem Auftrag nicht bzw nicht sorgfältig genug nachkommt.1566 Größere praktische Relevanz entfaltet die von § 283 Abs 5 StGB angeordnete Fahrlässigkeitsstrafbarkeit schließlich auf dem Gebiet der mangelhaften Buchführung bzw Bilanzierung.1567

XVIII. Der Versuch des § 283 StGB 252 Die Vorschrift des § 283 Abs 3 StGB eröffnet die Möglichkeit der Versuchsstrafbarkeit

sowohl für § 283 Abs 1 StGB als auch für § 283 Abs 2 StGB, nicht aber – das belegt die systematische Stellung – für die „Vorsatz-Leichtfertigkeits-Konstellation“ des § 283 Abs 4 Nr 2 StGB.1568 Allerdings fallen Versuchs- und Vollendungsstadium regelmäßig zusammen, wenn man mit einer hier abgelehnten1569 Ansicht meint, die Bankrotthandlungen des § 283 Abs 1 Nrn 5, 7 StGB seien nicht bereits mit ihrer Vornahme, sondern erst ab

_____ 1561 Siehe o Rn 237, 240. 1562 LK/Tiedemann § 283 Rn 215 f; zust etwa SK/Hoyer § 283 Rn 118; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 77. 1563 Zu diesen und weiteren Konstellationen s LK/Tiedemann § 283 Rn 217. 1564 Dazu siehe o Rn 119. 1565 Zu dem sehr rigiden Sorgfaltsmaßstab, der bei fehlender buchhalterischer Kenntnis den Pflichtigen dazu anhält, sich die erforderlichen Kenntnisse zu verschaffen, s OLG Karlsruhe Justiz 1977, 206; s ferner auch RG HRR 1941, 132; Bretzke, S 147. 1566 RGSt 58, 304, 305; RGSt 16, 277, 279; LK/Tiedemann § 283 Rn 218; SK/Hoyer § 283 Rn 118; MK/ Radtke/Petermann § 283 Rn 77; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 71. 1567 LK/Tiedemann § 283 Rn 217; Fischer § 283 Rn 35; nach Nieberg, (1913), S 32 bildet die fahrlässige Begehung hier den Regelfall; sa Hammerl, S 13, dem zufolge eine vorsätzliche unordentliche Buchführung ausgeschlossen ist, hier also nur Fahrlässigkeit in Betracht kommt. 1568 Dazu siehe o Rn 247. 1569 Siehe o Rn 156, 187.

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Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung vollendet.1570 – Angesichts des Gefährdungsdeliktscharakters, den § 283 Abs 1 StGB trägt und der den Beginn der Strafbarkeit ohnehin weit nach vorn verlagert, sieht sich § 283 Abs 3 StGB seit jeher erheblicher rechtspolitischer Kritik ausgesetzt. Freilich wird die Kritik, die in der Forderung gipfelt, § 283 Abs 3 StGB ganz zu streichen1571 bzw seinen Anwendungsbereich auf den Tatbestand des § 283 Abs 2 StGB zu beschränken, erheblich relativiert, wenn man bedenkt, dass der Versuch des § 283 StGB zum einen in praxi kaum eine Rolle spielt und zum anderen richtiger Ansicht gem ebenfalls den Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung voraussetzt.1572 Hinzu kommt: Fordert man entgegen der hier vertretenen Ansicht mit der ganz hM einen tatsächlichen Zusammenhang zwischen Bankrotthandlung und objektiver Strafbarkeitsbedingung, dürfte dem § 283 Abs 3 StGB ohnehin nur ein äußerst schmaler Anwendungsbereich verbleiben, da selbst aus der subjektiven Perspektive des Versuchs dieser Zusammenhang bei einem untauglichen Versuch nahezu immer fehlen, bei einem tauglichen hingegen regelmäßig nicht nachweisbar sein wird.1573 Vor diesem Hintergrund soll § 283 Abs 3 StGB praktische Bedeutung va in Sachverhaltsgestaltungen entfalten, die nach Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung spielen.1574

1. Der untaugliche Versuch des § 283 StGB Angesichts der zahlreichen normativen Tatbestandsmerkmale, die § 283 StGB enthält, 253 verwundert es nicht, dass die Frage, ob der Schuldner, der irrig meint, den Tatbestand des § 283 StGB zu verwirklichen, einen untauglichen Versuch oder ein strafloses Wahndelikt begeht, in der Diskussion um § 283 Abs 3 StGB besonders breiten Raum einnimmt. Während der Schuldner, der sich über die Tauglichkeit seiner Tathandlung oder die Tauglichkeit des Tatobjekts irrt, also etwa glaubt, der beiseite geschaffte Gegenstand sei pfändbar, richtigerweise einen untauglichen Versuch begeht,1575 herrscht erhebliche Unklarheit, sobald Fälle zur Beurteilung anstehen, in denen der präsumtive Täter einem Irrtum über seinen Status erliegt und sich infolge falscher rechtlicher oder tatsächlicher Einschätzung für einen Schuldner bzw einen Kaufmann hält. Weil die irrige Vorstellung, Kaufmann zu sein oder sich im Zustand der Krise zu befinden, nur die Rechtsgeltung nicht aber einen Tatumstand betreffe, steht nach der einen – früher ganz

_____ 1570 Ausf dazu Bittmann/Bittmann Voraufl Rn 275; skept wohl LK/Tiedemann § 283 Rn 202. 1571 So etwa NK/Kindhäuser § 283 Rn 100. 1572 Zu letzterem LK/Tiedemann § 283 Rn 197; SK/Hoyer § 283 Rn 113; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 82; AnwK/Püschel § 283 Rn 31; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 186; Kollmar, S 75; F-W Krause JURA 1980, 449, 454; vgl ferner NK/Kindhäuser § 283 Rn 100, dem zufolge damit aber keine Einschränkung des § 283 Abs 3 StGB einhergeht, da der Risikozusammenhang zwischen Bankrotthandlung und objektiver Strafbarkeitsbedingung beim Versuch naturgemäß entfalle; aA wohl noch OLG Kassel GA 37 (1890), 314, das einen strafbaren Versuch zum Bankrott auch dann annehmen will, wenn der Schuldner in der Erwartung künftiger Zahlungseinstellung Vermögen beiseiteschafft; ebenso v. Babo, (1908), S 51, der aber Konkurseröffnung und Zahlungseinstellung zum gesetzlichen Tatbestand rechnet. 1573 Dazu s nur LK/Tiedemann § 283 Rn 197; vgl ferner SK/Hoyer § 283 Rn 113, dem zufolge der Versuch, wäre er geglückt, zum Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung hätte beitragen können müssen; skept gegenüber dem Erfordernis eines Zusammenhangs insges deshalb S/S/W/Bosch § 283 Rn 35. 1574 LK/Tiedemann § 283 Rn 197 aE. 1575 LK/Tiedemann § 283 Rn 198; Fischer § 283 Rn 33; s ferner BGH wistra 1988, 193: Täter glaubte irrtümlich durch die Verwertung ihm zuvor sicherungsübereigneter Verlagsrechte die Masse zu schädigen.

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überwiegend vertretenen – Ansicht lediglich ein strafloses Wahndelikt im Raum.1576 Die heute wohl herrschende und überzeugende Meinung kommt hingegen zur Annahme eines untauglichen Versuchs.1577 Zwei Argumente sind es, die das Ergebnis – i.e. untauglicher Versuch statt strafloses Wahndelikt – tragen: Zum einen läge der Tatbestand des Bankrotts vor, träfe die Vorstellung des Täters zu; somit fehlt es an einem zentralen Merkmal des Wahndelikts, nämlich der Straflosigkeit auch bei zutreffender Sachverhaltskenntnis.1578 Zum anderen überzeugt es nicht, den Irrtum, kein tauglicher Täter des § 283 StGB zu sein, zwar richtigerweise gem § 16 Abs 1 S 1 StGB zu behandeln,1579 den umgekehrten Irrtum jedoch den straflosen Wahndelikten zuzuweisen.1580

2. Unmittelbares Ansetzen zum und Rücktritt vom Versuch des Bankrotts 254 Das unmittelbare Ansetzen richtet sich nach § 22 StGB und somit maßgebend danach,

welche Vorstellungen der Täter von seiner Tat hat. Unproblematisch setzt somit zur Tatbestandsverwirklichung unmittelbar an, wer bereits einzelne Tatbestandsmerkmale verwirklicht hat, etwa der Schuldner, der Waren oder Wertpapiere beschafft, um sie später zu verschleudern1581, 1582 oder Bücher beschädigt, ohne dadurch die Übersicht über seinen Vermögensstand zu erschweren.1583 Schwieriger gestaltet sich die Rechtslage, wenn der Täter kein Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes erfüllt hat. Ob eine Handlung, die der Täter mit der Intention vornimmt, eines oder mehrere Merkmale des anvisierten Tatbestandes zu begehen, bereits die Schwelle zum unmittelbaren Ansetzen überschreitet oder aber noch im Vorbereitungsstadium verharrt, hängt – wie so oft – vom jeweiligen Einzelfall ab. So setzt bspw der Schuldner unmittelbar zu § 283 Abs 1 Nr 1 StGB an, der die Auflassung für ein massezugehöriges Grundstück erklärt1584 oder der einen zur präsumtiven Masse gehörenden Gegenstand auf den Weg zu einem Bekannten bringt, um ihn dort vor den Gläubigern und dem Insolvenzverwalter zu verstecken. Hingegen begründet der Abschluss obligatorischer Verträge nicht stets ein unmittelbares

_____ 1576 Dafür etwa LK/Tiedemann § 283 Rn 199; ders Schröder-GS, S 289, 295 f; ders NJW 1979, 254; zust Geers, S 180 f; vgl ferner RGSt 8, 198, 199 f: Irrtum über die Beamteneigenschaft führt nicht zum untauglichen Versuch; Plädoyer für die „Wahndeliktslösung“ jüngst bei Hotz JuS 2016, 221, 223 ff. 1577 So BGH JZ 1979, 75, 77; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 64; NK/Kindhäuser § 283 Rn 101; MK/Radtke/ Petermann § 283 Rn 83; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 72; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 23; AnwK/Püschel § 283 Rn 31; Weyand/Diversy Rn 116; diff SK/Hoyer § 283 Rn 114, der weitergehend einen untauglichen Versuch auch dann annimmt, wenn der Täter irrig glaubt als nicht eingetragener Kleingewerbetreibender buchund bilanzführungspflichtig zu sein, hingegen enger nur ein strafloses Wahndelikt bejaht, wenn der Täter sich über seine Zahlungsunfähigkeit bzw Überschuldung irrt; s ferner Blei JA 1973, 601, 603: untauglicher Versuch nur, wenn sich Täter über die Tatsachengrundlage der Statuseigenschaft irrt. 1578 NK/Kindhäuser § 283 Rn 101; vgl auch Schünemann GA 1986, 293, 318 f, der mit Blick auf die Eindruckstheorie solche Irrtumskonstellationen über die Täterstellung den untauglichen Versuchen zuschlägt, bei denen das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit im Hinblick auf künftige situative Veränderungen bedroht ist. Dh, der Täter, der sich für den Schuldner hält und trotzdem (für ihn fremde) Vermögensgegenstände beiseiteschafft, avanciert unter anderen Umständen – scil sobald er selbst Schuldner ist – durchaus zu einer Gefahr für die Allgemeinheit; sein Irrtum führt somit zur Annahme eines untauglichen Versuchs. 1579 Dazu siehe o Rn 236. 1580 NK/Kindhäuser § 283 Rn 101. 1581 Vgl § 283 Abs 1 Nr 3 StGB und o Rn 85 ff. 1582 Zu diesem Bsp s LK/Tiedemann § 283 Rn 200. 1583 Vgl § 283 Abs 1 Nr 6 StGB und o Rn 164. 1584 RGSt 61, 107, 109; zust S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 64; Kollmar, S 76.

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Ansetzen zu § 283 Abs 1 Nr 1 StGB.1585 Vor diesem Hintergrund überzeugt es deshalb nicht, dem Schuldner ein unmittelbares Ansetzen zum Beiseiteschaffen anzulasten, der einen Brief mit dem Inhalt versendet, dem Adressaten einen Gegenstand der künftigen Masse schenken zu wollen.1586 Auch die Aufnahme unrichtiger Belege in die Buchhaltung führt nicht zwingend zur Annahme eines Versuchs, sondern kann sich durchaus nur als schlichte Vorbereitungshandlung präsentieren.1587 Zu den Unterlassensdelikten des § 283 Abs 1 Nrn 5 Var 1, 7b StGB setzt der Schuld- 255 ner unmittelbar an, sobald er die Frist, die ihm das Gesetz noch zur Verfügung stellt, um seinen Pflichten – der Buchführung und der Bilanzerstellung – nachzukommen, in der Absicht (weiter) verstreichen lässt, die notwendigen Handlungen auch bis zum Fristablauf nicht vorzunehmen. Allerdings genügt der rein innerlich gebliebene Vorbehalt, die Pflichten nicht erfüllen zu wollen, nicht, sondern muss der entsprechende Tatentschluss durch äußere Umstände objektiviert werden.1588 Unüberwindliche Hürden sind damit aber nicht aufgestellt. Vielmehr soll es die Annahme unmittelbaren Ansetzens bereits rechtfertigen, wenn der Täter trotz fortgeschrittenen Fristlaufs keine Anstalten trifft, seine Bücher zu führen bzw zu bilanzieren. Ebenso sollen vorausgegangene vergleichbare Pflichtverstöße den Schluss gestatten, der Schuldner werde auch künftig seine Pflichten verletzen. Der Rücktritt vom versuchten Bankrott richtet sich nach den allgemeinen Regeln 256 (vgl § 24 StGB) und ist selbst dann noch möglich, wenn der Entschluss, nicht weiter zu handeln, auf einer vom Täter nicht beeinflussten Verbesserung der wirtschaftlichen Lage beruht. So bleibt der Täter, der mit Verschleuderungsabsicht Waren bestellt, wegen Rücktritts vom Versuch straflos, der die Waren aufgrund günstiger Marktlage zum Normalpreis oder mit Gewinn verkauft.1589 Als weiteres Beispiel für einen strafbefreienden Rücktritt vom versuchten Beiseiteschaffen sei der Fall genannt, in dem der Täter ein massezugehöriges Grundstück an den Erwerber auflässt, die Eigentumsumtragung im Grundbuch jedoch verhindert, weil er die anfallenden Gebühren nicht bezahlt.1590

XIX. Täterschaft und Teilnahme Bis auf § 283d StGB1591 normieren die §§ 283 ff StGB Sonderdelikte. Dh, Täter kann nur 257 ein Schuldner bzw im Falle der §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b StGB ein Schuldner sein, der zugleich Kaufmann ist.1592 Hinzu kommen die „Schuldner kraft Zurechnung“, die gem § 14 StGB zu tauglichen Tätern der §§ 283 ff StGB avancieren1593.1594 Vor dem Hintergrund dieses limitierten Täterkreises spielt die mittäterschaftliche Begehung der §§ 283 ff StGB – von den wenig praxisrelevanten Konstellationen gesamtschuldnerischer Haftung

_____ 1585 LK/Tiedemann § 283 Rn 200; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 64; S/S/W/Bosch § 283 Rn 35; weitergehend aber Kollmar, S 76. 1586 So aber noch BGH/H GA 1954, 310; hiergehen überzeugend etwa LK/Tiedemann § 283 Rn 200. 1587 LK/Tiedemann § 283 Rn 200. 1588 LK/Tiedemann § 283 Rn 201. 1589 Zu diesem Bsp s LK/Tiedemann § 283 Rn 203. 1590 RGSt 61, 107, 109. 1591 S § 23 Rn 1. 1592 Siehe o Rn 10, 101. 1593 Zu den Voraussetzungen, unter denen die Zurechnungsoperation des § 14 StGB stattfindet, siehe o Rn 15 ff. 1594 Näher LK/Tiedemann § 283 Rn 225.

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einmal abgesehen1595 – regelmäßig nur dann eine Rolle, wenn mehrere Organmitglieder in ihrer Eigenschaft „als Organ“ arbeitsteilig eine Bankrotthandlung vornehmen.1596 Die Ansicht, die darüber hinaus Mittäterschaft zwischen dem Schuldner bzw den ihm gleichgestellten Personen (vgl § 14 StGB) und Externen konstruktiv für möglich hält, sofern eine Strafbarkeit gem § 283 Abs 2 StGB bzw gem § 283 Abs 4 Nr 2 StGB im Raum steht, überzeugt schon deshalb nicht, weil der Täterkreis der beiden Tatmodalitäten mit Blick auf die objektive Strafbarkeitsbedingung des § 283 Abs 6 StGB denselben Restriktionen unterworfen ist wie § 283 Abs 1 StGB.1597 Ist ein Beteiligter kein Schuldner und rückt er in diese Position auch nicht gem § 14 258 StGB ein, richtet sich seine Strafbarkeit – falls nicht ausnahmsweise die Voraussetzungen des § 283d StGB vorliegen1598 – nach den §§ 26, 27 StGB. Je nachdem, ob er den Schuldner bzw den ihm gem § 14 StGB Gleichgestellten zu der Bankrotttat bestimmt oder aber ihm „lediglich“ bei der Tat Hilfe leistet, haftet er entweder wegen Anstiftung oder wegen Beihilfe zum Bankrott. Der Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung braucht dabei vom Vorsatz des Teilnehmers nicht umfasst zu sein.1599 Keine Überzeugungskraft besitzt die früher gelegentlich vertretene, heute aber nicht mehr zu findende Ansicht, die Existenz der Schuldnerbegünstigung stehe einer Strafbarkeit wegen Beihilfe oder Anstiftung zum Bankrott entgegen.1600 Macht sich der Täter allerdings sowohl gem § 283d StGB als auch gem §§ 283, 26 (27) StGB strafbar, verdrängt § 283d StGB die Teilnahme am Bankrott.1601 Ob sich der Teilnehmer an einer Bankrotttat auf die obligatorische Strafmilderung 259 des § 28 Abs 1 StGB iVm § 49 Abs 1 StGB berufen kann, darüber streiten Rspr und Schrifttum. Herrschend dürfte im Schrifttum die Ansicht sein, die die Schuldnereigenschaft nicht zu den besonderen persönlichen Merkmalen iSv § 28 Abs 1 StGB zählt, sondern sie als sachbezogen klassifiziert.1602 Lediglich die Krisenbefangenheit im Zeitpunkt der Tat soll nach teilweise vertretener Ansicht zu den besonderen persönlichen Merkmalen rechnen, weshalb § 28 Abs 1 StGB zwar dem Teilnehmer an § 283 Abs 1 StGB nicht aber dem Teilnehmer an § 283 Abs 2, Abs 4 Nr 2 StGB zugutekommt.1603 Die überzeugende Gegenansicht, der sich der BGH angeschlossen hat,1604 qualifiziert bereits die Schuldnereigenschaft als besonderes persönliches Merkmal und wendet deshalb den

_____ 1595 Zu dieser Konstellation s etwa v. Babo, (1908), S 52; Kollmar, S 79. 1596 LK/Tiedemann § 283 Rn 226; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 65; NK/Kindhäuser § 283 Rn 110; Lackner/ Kühl/Heger § 283 Rn 25; M/R/Altenhain § 283 Rn 44; AnwK/Püschel § 283 Rn 34; sa G/J/W/Reinhart § 283 Rn 75. 1597 Richtig LK/Tiedemann § 283 Rn 226a. 1598 Dazu s § 23 Rn 14 ff. 1599 BGH JR 2013, 465, 466 (insoweit in BGHSt 58, 115 nicht abgedr); RGSt 45, 88, 91 f; LK/Tiedemann § 283 Rn 227; implizit auch schon v. Babo, (1908), S 53. 1600 Gegen solche Lesart sprach sich zutr schon v. Babo, (1908), S 53 aus; iE wie er: S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 65; NK/Kindhäuser § 283 Rn 111; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 81; Kollmar, S 78. 1601 LK/Tiedemann § 283 Rn 237; NK/Kindhäuser § 283 Rn 111; SK/Hoyer § 283 Rn 121; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 81; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 25; S/S/W/Bosch § 283 Rn 43; AnwK/Püschel § 283 Rn 34; W/J/Pelz 9/97. 1602 S/S/Heine28 § 283 Rn 65; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 25, anders aber in Rn 3, wo die Schuldnereigenschaft als besonderes persönliches Merkmal iSd § 28 Abs 1 StGB klassifiziert wird. 1603 So etwa Fischer60 § 283 Rn 38 (zwischenzeitl [seit 61. Aufl] aber aufgegeben vgl § 283 Rn 38); noch weiter differenzierend Brammsen/Ceffinato NZI 2013, 619, 622, die den § 28 Abs 1 StGB nur im Kontext des § 283 Abs 1 Nrn 5–7 StGB anwenden wollen. 1604 BGHSt 58, 115, 117 f = JR 2013, 465, 466 m zust Anm Fauser ZWH 2013, 273.

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§ 12 Bankrott, §§ 283, 283a StGB u. Verletz. d. Buchführungspflicht, § 283b StGB | 781

§ 28 Abs 1 StGB auf sämtliche Tatbestandsmodalitäten des § 283 StGB an.1605 Begründen lässt sich dieses Ergebnis mit dem Argument, wonach die Schuldnereigenschaft die rechtliche Pflichtenstellung des Handlungssubjekts kennzeichnet und nicht primär die Rechtsgutsverletzung betrifft.1606 – Steht lediglich Beihilfe gem § 27 StGB im Raum, ist die Strafe des Gehilfen doppelt, nämlich sowohl nach § 27 Abs 2 StGB als auch nach § 28 Abs 1 StGB zu mildern.1607 Die überwiegend vertretene Gegenansicht,1608 die eine doppelte Milderung jedenfalls dann ablehnt, wenn die Gehilfenstellung ausschließlich auf der fehlenden Tätertauglichkeit beruht,1609 überzeugt mit Blick auf § 50 StGB nicht.1610 Danach dürfen Milderungsgründe nur unberücksichtigt bleiben, sofern ein minder schwerer Fall mit einem besonderen gesetzlichen Milderungsgrund zusammentrifft. Das Zusammentreffen zweier besonderer gesetzlicher Milderungsgründe regelt § 50 StGB hingegen gerade nicht.1611 Beschränkt sich der Gehilfenbeitrag darauf, als Geschäftspartner bzw Mitspieler an 260 Verlust-, Spekulations- oder Differenzgeschäften bzw den sonstigen Tathandlungen des § 283 Abs 1 Nr 2 StGB iRd Geschäfts-/Spielüblichen mitzuwirken, bleibt solches Verhalten unter dem Gesichtspunkt der notwendigen Teilnahme straflos. Gleiches gilt für die Erwerber von Waren, die der Schuldner verschleudert, obschon er sie auf Kredit erhalten hat (vgl § 283 Abs 1 Nr 3 StGB).1612 Hingegen kann sich auf den Gedanken der notwendigen Teilnahme nicht der Scheingläubiger berufen, der mit dem Schuldner kollusiv zusammenwirkt, um die Existenz weiterer Verbindlichkeiten vorzutäuschen1613.1614 Unterstützt der Teilnehmer den Schuldner, nachdem dieser die Bankrotthandlung 261 vorgenommen hat, aber noch vor Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung, kommt richtigerweise „nur“ eine Strafbarkeit gem den §§ 257 ff in Betracht.1615 Die Annahme eines Beendigungsstadiums, das von der Vornahme der Bankrotthandlung bis hin zum Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung reicht und innerhalb dessen sukzessive Teilnahme möglich ist, überzeugt schon angesichts der enormen Länge nicht, die dieses Stadium erreichen kann.

_____ 1605 Dafür etwa LK/Tiedemann § 283 Rn 228; NK/Kindhäuser § 283 Rn 111; SK/Hoyer Vor § 283 Rn 7 und § 283 Rn 107; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 80; S/S/W/Bosch § 283 Rn 41; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 75; M/R/Altenhain § 283 Rn 45; AnwK/Püschel § 283 Rn 34; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 194; Weyand/Diversy Rn 22; Böttger/Verjans 4/42; Habetha, S 88; Kraatz JR 2013, 466, 472; Fauser ZWH 2013, 273, 274. 1606 LK/Tiedemann § 283 Rn 228. 1607 So schon – freilich im Kontext des § 2 BauFordSiG – G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 41. 1608 S etwa LK/Tiedemann § 283 Rn 228. 1609 NK/Kindhäuser § 283 Rn 111; allg dazu Schünemann GA 1986, 293, 341 f. 1610 Dazu s bereits G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 41. 1611 S/S/Stree/Kinzig § 50 Rn 6. 1612 Ausf zum Ganzen LK/Tiedemann § 283 Rn 229; s ferner MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 79; NK/Kindhäuser § 283 Rn 113; SK/Hoyer § 283 Rn 107; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 65; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 75; M/R/Altenhain § 283 Rn 45; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 194; W/J/Pelz 9/98; aA noch Bittmann/Bittmann Voraufl Rn 333. 1613 Vgl § 283 Abs 1 Nr 4 StGB und o Rn 95. 1614 NK/Kindhäuser § 283 Rn 113; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 75; großzügiger aber M-G/Richter § 83 Rn 45 in Fällen des Anerkennens. 1615 Zutr LK/Tiedemann § 283 Rn 230; SK/Hoyer § 283 Rn 108; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 75; M/R/Altenhain § 283 Rn 45; Stree JuS 1965, 365, 374; aA NK/Kindhäuser § 283 Rn 112; Bittmann/Bittmann Voraufl Rn 334.

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XX. Vollendung, Beendigung, Strafrahmen und Verjährung 1. Vollendung, Beendigung und Verjährung 262 Die Tat des § 283 Abs 1 StGB ist mit Vornahme einer Bankrotthandlung, die des § 283

Abs 2 StGB mit Eintritt des Krisenerfolgs vollendet. Steht der Vorwurf eines Unterlassens gem den §§ 283 Abs 1 Nrn 5 Var 1, 7b, 283b Abs 1 Nr 1 Var 1, 3b StGB im Raum, tritt Vollendung erst mit Ablauf der dem kaufmännischen Schuldner bzw seinem organschaftlichen Vertreter gewährten Aufstellungsfrist1616 ein.1617 Keine Auswirkungen auf den Vollendungszeitpunkt der §§ 283 ff StGB markiert der Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung.1618 263 Beendet sind die Taten der §§ 283 ff StGB grds mit Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung.1619 Dh, die Verjährung gem § 78a S 1 StGB fängt regelmäßig ab Zahlungseinstellung, Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw Abweisung des Eröffnungsantrags mangels Masse an zu laufen.1620 Etwas anderes gilt nur für die Fälle, in denen der Täter nach dem hier vertretenen Ansatz Handlungen des § 283 Abs 1 StGB auch noch nach Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung bankrottstrafrechtlich relevant begehen kann.1621 Der Verjährungslauf beginnt hier mit Vornahme der Bankrotthandlung.1622 Ist der Insolvenzschuldner eine natürliche Person und hat er einen Antrag auf Restschuldbefreiung gestellt, soll die Verjährungsfrist nach Ansicht des BGH erst zu laufen beginnen, nachdem das Gericht entschieden hat, dem Schuldner gem § 287a Abs 1 S 1 InsO die beantragte Restschuldbefreiung zu erteilen.1623 Der erste Strafsenat begründet sein Ergebnis zum einen mit der in der Wohlverhaltensperiode fortbestehenden Auskunftspflicht gem §§ 20, 97 InsO und zum anderen mit der These, das Tatunrecht sei vollständig erst verwirklicht, wenn das Insolvenzgericht die Restschuldbefreiung erteilt hat.1624 Beide Argumente überzeugen nicht.1625 Während die Pflicht der §§ 20, 97 InsO nur bis zum Abschluss des Insolvenzverfahrens, nicht aber für die Dauer der Wohlverhaltensperiode gilt,1626 erschließt sich anderseits nicht, warum in Verfahren ohne Restschuldbefreiung das vollständige Unrecht des Bankrotts schon mit Insolvenzverfahrens-

_____ 1616 Zu den maßgebenden Fristen siehe o Rn 137, 195 ff. 1617 LK/Tiedemann § 283 Rn 220; NK/Kindhäuser § 283 Rn 114; M/R/Altenhain § 283 Rn 46. 1618 S nur LK/Tiedemann § 283 Rn 220; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 63; M/R/Altenhain § 283 Rn 46; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 191; Böttger/Verjans 4/101. 1619 LK/Tiedemann § 283 Rn 221; NK/Kindhäuser § 283 Rn 115; S/S/W/Bosch Vorbem §§ 283 ff Rn 15; MAH/Böttger § 19 Rn 183; Böttger/Verjans 4/101. 1620 RGSt 16, 188, 190; RGSt 7, 391, 392; LK/Tiedemann § 283 Rn 221; Fischer § 283 Rn 33, 39; S/S/ Heine/Schuster § 283 Rn 70; NK/Kindhäuser § 283 Rn 115; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 31; S/S/W/Bosch Vorbem §§ 283 ff Rn 15 und § 283 Rn 36; M/R/Altenhain § 283 Rn 46; AnwK/Püschel § 283 Rn 32; A/R/R/ Wegner Kap 7/1 Rn 192; MAH/Böttger § 19 Rn 183; Böttger/Verjans 4/101; Oehmichen FD-StrafR 2016, 377451; allg so auch Stree JuS 1965, 465, 473; sehr skept aber F-W Krause JURA 1980, 449, 454. 1621 Siehe o Rn 9. 1622 S dazu auch, freilich von ihrem der hier vertretenen Ansicht entgegengesetzten Standpunkt LK/ Tiedemann § 283 Rn 221; NK/Kindhäuser § 283 Rn 115; Kemperdick ZInsO 2016, 1148, 1149 f. 1623 BGH NJW 2016, 1525, 1526 ff; zust Richter ZInsO 2016, 1346, 1347 f. 1624 BGH NJW 2016, 1525, 1526 f. 1625 So iE auch Oehmichen FD-StrafR 2016, 377451, ohne dies aber näher zu begründen. 1626 Richtig Kemperdick ZInsO 2016, 1148 f; aA, freilich ohne Begründung Daners NZI 2016, 422, 423; ähnl Richter ZInsO 2016, 1346, 1347 f, der die unterschiedlichen Auskunftspflichten während des Insolvenzverfahrens sowie im Stadium der Wohlverhaltensperiode zwar erkennt, darin jedoch keine rechtlich bedeutsamen Unterschiede erblickt.

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eröffnung ungeschmälert zu Tage treten soll.1627 Mit Blick auf die herrschende und entgegen der hier (Rn 9) vertretenen Meinung einfacher hätte der erste Strafsenat sein Ergebnis begründen können, hätte er den bis zum Ende des Insolvenzverfahrens andauernden Verstoß des Schuldners gegen die §§ 20, 97 InsO als Verheimlichen qualifiziert.1628 Sämtliche Tatmodalitäten des § 283 StGB, also sowohl § 283 Abs 1 und 2 StGB als auch der Versuch (§ 283 Abs 3 StGB) sowie die Tatbestände des § 283 Abs 4 und 5 StGB verjähren gem § 78 Abs 3 Nr 4 StGB in fünf Jahren. Die Verjährungsfrist für eine Tat gem § 283b Abs 1 StGB beträgt ebenfalls fünf (vgl § 78 Abs 3 Nr 4 StGB), die für eine Tat gem § 283b Abs 2 StGB hingegen nur drei Jahre (vgl § 78 Abs 3 Nr 5 StGB).

2. Strafrahmen Der einfache Bankrott des § 283 Abs 1, 2 StGB droht dem Täter Geldstrafe oder Freiheits- 264 strafe bis zu fünf Jahren an. Begeht der Täter hingegen „lediglich“ eine Tat gem § 283 Abs 4, 5 StGB, hat er maximal mit zwei Jahren Freiheitstrafe zu rechnen. In besonders schweren Fällen des Bankrotts reicht der Strafrahmen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren (vgl § 283a StGB). Verletzt der Täter außerhalb einer Krisensituation vorsätzlich seine Buch- bzw Bilanzführungspflicht, offeriert § 283b Abs 1 StGB einen Strafrahmen von Geldstrafe bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe, während der Täter, der fahrlässig seinen Buch-/Bilanzführungspflichten nicht nachkommt, nur Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe gewärtigen muss (vgl § 283b Abs 2 StGB). – Wird der Schuldner wegen einer Straftat gem. den §§ 283–283c StGB verurteilt, droht ihm zum einen die Versagung der Restschuldbefreiung (vgl § 290 Abs 1 Nr 1 InsO)1629 und ereilt ihn zum anderen die Inhabilität gem den §§ 6 Abs 2 S 2 Nr 3b GmbHG, 76 Abs 3 S 2 Nr 3b AktG, dh, er kann für die Dauer von fünf Jahren seit Rechtskraft der Verurteilung weder das Amt eines GmbH-Geschäftsführers bekleiden noch zum Mitglied eines Vorstands einer Aktiengesellschaft avancieren.

XXI. Konkurrenzen 1. Innerhalb von § 283 StGB Da der Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung nicht die Kraft besitzt, mehrere 265 Bankrotthandlungen, die der Schuldner gegenüber der (präsumtiven) Masse begangen hat, zu einer einzigen Tat zu verklammern,1630 bestimmen sich die Konkurrenzen nach allgemeinen Grundsätzen und stehen die einzelnen Bankrotthandlungen deshalb grds im Verhältnis der Tatmehrheit zueinander,1631 es sei denn, die Ausführungshandlun-

_____ 1627 Zu letzterem Kritikpunkt Brand NJW 2016, 1528. 1628 Zu diesem vom Standpunkt der hM möglichen Weg s Brand NJW 2016, 1528; Kemperdick ZInsO 2016, 1148, 1149 f. 1629 Näher etwa M-G/Richter § 76 Rn 77. 1630 BGHSt 1, 186, 190 ff; BGHSt 3, 23, 26; BGHSt 11, 145, 147; BGH/H GA 1971, 38; BGH wistra 1998, 105, 106 = NStZ 1998, 192, 193; LK/Tiedemann § 283 Rn 231; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 66; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 87; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 32; SK/Hoyer § 283 Rn 120; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 76; M/R/Altenhain § 283 Rn 47; S/S/W/Bosch § 283 Rn 42; AnwK/Püschel § 283 Rn 37; wohl auch Kollmar, S 84 f; ebenso, trotz gewisser Bedenken NK/Kindhäuser § 283 Rn 116. 1631 BGHSt 1, 186, 190 ff; BGH GA 1978, 185, 186; BGH/H GA 1971, 38; LK/Tiedemann § 283 Rn 235a; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 66; NK/Kindhäuser § 283 Rn 119; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 32; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 76; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 87; M/R/Altenhain § 283 Rn 47; S/S/W/Bosch § 283 Rn 42;

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gen überschneiden sich (dann Tateinheit gem § 52 StGB). Diese Grundsätze gelten auch für den Fall, dass der Schuldner hintereinander mehrere unwirtschaftliche Ausgaben (vgl § 283 Abs 1 Nr 2 Var 4 StGB) tätigt, sofern diese nicht aufeinander bezogen sind und deshalb eine Bewertungseinheit bilden (dann nur eine Tat).1632 Die gegenteilige Rspr, die hier generell nur einmal aus § 283 Abs 1 Nr 2 Var 4 StGB (bzw seinem Vorgänger) verurteilte,1633 hat sich mit der Aufgabe des Fortsetzungszusammenhangs1634 erledigt. Verheimlicht der Schuldner Massebestandteile, die er bereits zuvor strafrechtlich relevant verheimlicht hat, ein weiteres Mal, begeht er hingegen nur einen Bankrott gem § 283 Abs 1 Nr 1 StGB.1635 Schafft der Schuldner bzw sein Repräsentant (vgl § 14 StGB) Bestandteile der (präsumtiven) Masse beiseite, tritt ein vorangegangenes Vortäuschen bzw Anerkennen erdichteter Rechte als mitbestrafte Vortat, ein nachträgliches Verheimlichen des beiseite geschafften Vermögensbestandes als mitbestrafte Nachtat hinter § 283 Abs 1 Nr 1 Var 1 StGB zurück.1636 Bleibt das Beiseiteschaffen jedoch im Versuchsstadium stecken, treten die Tathandlungen des Vortäuschens bzw Anerkennens nicht zurück.1637 Eine mit der mitbestraften Nachtat tateinheitlich zusammentreffende weitere Tat steht zur „Haupttat“ in Tatmehrheit.1638 Der Auffang- bzw Grundtatbestand des § 283 Abs 1 Nr 8 StGB wird, sofern das schuldnerische Verhalten bereits eine Modalität der Nrn 1–7 erfüllt, als lex generalis von diesen Tatbeständen verdrängt.1639 Das Konkurrenzverhältnis der §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b Abs 1 StGB gestaltet sich 266 weitaus komplexer, als ein erster unbefangener Blick vermuten ließe. Wer glaubt, § 283b StGB trete, dem methodischen Grds „lex specialis derogat lex generalis“ folgend, generell hinter § 283 Abs 1 Nrn 5–7 StGB zurück,1640 der irrt.1641 Namentlich die Rspr hat das Verhältnis der §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b Abs 1 StGB zueinander geradezu feinsinnig austariert. So soll der Täter, der bspw die Bilanzen zweier Geschäftsjahre nicht erstellt hat, tatmehrheitlich gem § 283b Abs 1 Nr 3b StGB und gem § 283 Abs 1 Nr 7b StGB haften,

_____ dezidiert aA Stötter KTS 1963, 12, 14 ff; aA war ebenfalls die reichsgerichtliche Rspr; s nur RGSt 48, 117, 118 mwN; RGSt 16, 188, 190; so auch v. Babo, (1908), S 56; auf dieser Linie auch noch BGH JZ 1954, 56. Ein Formulierungsvorschlag der Urteilsformel, der den Bedenken von Stötter KTS 1963, 12, 14 gerecht zu werden versucht, findet sich bei LK/Tiedemann § 283 Rn 231. 1632 Zu dieser Einschränkung G/J/W/Reinhart § 283 Rn 76; NK/Kindhäuser § 283 Rn 117; S/S/W/Bosch § 283 Rn 42 aE; näher Bittmann/Bittmann Voraufl Rn 338; weitergehend wohl LK/Tiedemann § 283 Rn 234, der bei übermäßigem Aufwand in mehrfacher Hinsicht generell nur von einer Tat des § 283 Abs 1 Nr 2 StGB ausgeht. 1633 BGHSt 3, 23, 26, mit dem Hinweis, Aufwand erfasse auch schon sprachlich wiederholte ungerechtfertigte Ausgaben; so auch noch S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 17; andeutungsweise auch BGH/H GA 1956, 348; vgl ferner im Kontext der Buch- und Bilanzführungsmodalitäten BGHR StGB § 283 Abs 1 Nr 5, Konkurrenzen 1. 1634 BGHSt 40, 138, 145 ff. 1635 BGH wistra 1982, 231; LK/Tiedemann § 283 Rn 234; S/S/W/Bosch § 283 Rn 42; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 76. 1636 SK/Hoyer § 283 Rn 120; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 24, 66; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 87; S/S/W/Bosch § 283 Rn 42; vgl ferner BGHSt 11, 145, 146; LK/Tiedemann § 283 Rn 234; M-G/Richter § 83 Rn 39; Fischer § 283 Rn 41; NK/Kindhäuser § 283 Rn 120; Lackner/Kühl/Heger § 283 Rn 32; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 76; M/R/Altenhain § 283 Rn 47. 1637 LK/Tiedemann § 283 Rn 234. 1638 LK/Tiedemann § 283 Rn 234; aA, von ihrem Standpunkt aus aber konsequent die Rspr; vgl BGHSt 11, 145, 147; BGH/H GA 1971, 38. 1639 LK/Tiedemann § 283 Rn 233; SK/Hoyer § 283 Rn 120. 1640 So scheinbar Hagedorn, S 90 f. 1641 Zw gegenüber einem Spezialitätsverhältnis zwischen § 283b StGB einer- und § 283 Abs 1 Nrn 5–7 StGB andererseits Höfner, S 74, der aber hierzu keine Stellung nimmt.

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sofern die Aufstellungsfrist der ersten Bilanz außerhalb der Krise endete.1642 Weder der Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung noch die gleichzeitige dauerhafte Verletzung der Buchführungspflicht seien geeignet, die beiden Taten zu einer Bewertungseinheit zu verbinden.1643 Diese Aussagen leiten über zu drei von der Rspr geprägten Grundsätzen, die seit jeher das Konkurrenzverhältnis der einzelnen in §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7, 283b Abs 1 StGB normierten Buch- und Bilanzführungsverstöße zueinander bestimmen: Erstens: Zieht der bilanzaufstellungspflichtige Täter bspw vier Geschäftsjahre keine Bilanz, begeht er nicht nur eine Tat des § 283 Abs 1 Nr 7b StGB bzw des § 283b Abs 1 Nr 3b StGB, sondern derer vier.1644 Zweitens: Unterlässt es der Kaufmann/ Geschäftsleiter hingegen für mehrere Geschäftsjahre seine Bücher zu führen, verwirkt er nur eine Tat des § 283 Abs 1 Nr 5 StGB bzw des § 283b Abs 1 Nr 1 StGB,1645 wobei § 283b Abs 1 Nr 1 StGB qua Subsidiarität hinter § 283 Abs 1 Nr 5 StGB zurücktritt.1646 Drittens: Treffen ein Verstoß gegen § 283 Abs 1 Nr 5/§ 283b Abs 1 Nr 1 StGB sowie ein Verstoß gegen § 283 Abs 1 Nr 7b/§ 283b Abs 1 Nr 3b StGB aufeinander, liegt regelmäßig Tatmehrheit und nur in besonders gelagerten Konstellationen Tateinheit vor.1647 Eine solche besonders gelagerte Konstellation, die sowohl die unterbliebene Buch- und Bilanzführung als auch mehrere Taten des § 283 Abs 1 Nr 7b bzw § 283b Abs 1 Nr 3b StGB zur Tateinheit verknüpft, nimmt der BGH bspw an, wenn der vom Täter beauftragte, aber nicht ordnungsgemäß überwachte Steuerberater weder die Buch- noch die Bilanzführung fristgerecht erledigt.1648 Ebenfalls nur eine Tat des § 283 Abs 1 Nr 7b StGB bzw des § 283b Abs 1 Nr 3b StGB sei dem Geschäftsführer einer GmbH & Co. KG vorzuwerfen, der sowohl die Bilanz

_____ 1642 BGH wistra 1998, 105, 106 = NStZ 1998, 192, 193. 1643 BGHSt 1, 186, 192; BGH wistra 1998, 105, 106 = NStZ 1998, 192, 193; BGH/H GA 1971, 38; BGH LM Nr 1 zu § 240 KO; ebenso Fischer § 283 Rn 23; SK/Hoyer § 283 Rn 120; W/J/Pelz 9/150, 172; Böhle-Stamschräder KTS 1957, 17, 25; aA freilich noch RGSt 1, 101; RGSt 2, 337, 340; RGSt 6, 94, 97; RG Rspr 5, 52, 53; RG JW 1934, 841, 843; RG LR 1913, 703, 704, wonach gegenüber derselben Zahlungseinstellung etc das Delikt des strafbaren Bankrotts nur einmal begangen werden kann; zust etwa v. Babo, (1908), S 56; Nieberg, (1913), S 37; ferner Büttiker, (1914), S 33 f, der aber Zahlungseinstellung und Konkurseröffnung dem gesetzlichen Tatbestand zuschlägt; skept gegenüber der These, der Verstoß gegen die Buchführungspflicht sei nicht geeignet, Tateinheit mit der deshalb unterbliebenen Bilanzierung herzustellen, S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 37; S/S/W/Bosch § 283 Rn 42. 1644 BGH/H GA 1956, 348; OLG Frankfurt/M NStZ-RR 1999, 104; SK/Hoyer § 283 Rn 120; S/S/Heine/ Schuster § 283 Rn 48; W/J/Pelz 9/172; Pape/Uhländer/Hofmann § 283 Bankrott Rn 41; ähnl Böhle-Stamschräder § 240 KO Anm 5a; unklar OLG Karlsruhe GA 1975, 313, 315. 1645 BGHSt 3, 23, 26 f; BGH LM Nr 6 zu § 239 KO; BGH/H GA 1971, 38; BGH wistra 1998, 105 f = NStZ 1998, 192, 193; BGH NStZ 1995, 347 = wistra 1995, 146, 147; sa schon RGSt 49, 276, 277; zust Fischer § 283 Rn 23; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 37; S/S/W/Bosch § 283 Rn 42; W/J/Pelz 9/150, 175; M/G/Rinjes 8/259; Pape/Uhländer/Hofmann § 283 Bankrott Rn 37; Bittmann/Dreier NStZ 1995, 105, 108; Richter NZI 2002, 121, 123; Böhle-Stamschräder § 239 KO Anm 9d und § 240 Anm 4d; abl stehen dieser Differenzierung zwischen unterbliebener Buchführung und Bilanzierung etwa Doster wistra 1998, 326, 328; M-G/Richter § 85 Rn 76; B/Quedenfeld/Richter 5/190 sowie Bittmann/Bittmann Voraufl Rn 339 gegenüber. 1646 BGH wistra 1998, 105 f = NStZ 1998, 192, 193; W/J/Pelz 9/150, 190, der aber nicht Subsidiarität, sondern Spezialität annimmt. 1647 BGH GA 1978, 185, 186; so auch LK/Tiedemann § 283 Rn 236; M-G/Richter § 85 Rn 77; Doster wistra 1998, 326, 328; anders noch RGSt 13, 235, 242 f; RG LR 1913, 695, 696, das für den Fall, dass der Täter mehrere Modalitäten des § 210 Nrn 1–3 KO idF v 1877 bzw § 240 KO aF verwirklichte, nur eine Tat des § 210 KO idF v 1877 bzw § 240 KO aF annahm; sa OLG München wistra 1994, 278, 279, das Tateinheit zwischen § 283 Abs 1 Nr 5 StGB und § 283 Abs 1 Nr 7b StGB annahm, weil die Buchhaltungsmanipulationen bis Konkurseröffnung fortbestanden; vgl ferner W/J/Pelz 9/153, HambK/Borchardt § 283 StGB Rn 26, denen zufolge § 283 Abs 1 Nr 7 StGB lex specialis gegenüber § 283 Abs 1 Nr 5 StGB ist. 1648 BGH GA 1978, 185, 186; BGH/H MDR 1981, 100; zust S/S/Heine/Schuster § 283b Rn 10; S/S/W/ Bosch § 283b Rn 4; NK/Kindhäuser § 283 Rn 118; M-G/Richter § 85 Rn 75.

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der Komplementär-GmbH als auch die Bilanz der Kommanditgesellschaft nicht erstelle, da er die Bilanzierungspflicht gegenüber der Komplementär-GmbH nur erfüllen könne, wenn er zuvor das Vermögen der Kommanditgesellschaft bilanziert habe, mithin ein und dieselbe Unterlassung zu zwei Gesetzesverstößen führe.1649 Hingegen mache sich sowohl wegen unterbliebener als auch wegen mangelhafter Buchführung strafbar, wer zunächst über einen nicht unerheblichen Zeitraum keine Bücher, später zwar Bücher führt, dabei aber den Anforderungen des Handelsrechts nicht genügt.1650 Verletzt der Täter seine Pflicht zur Buchführung sowohl vorsätzlich als auch fahrlässig, geht der fahrlässige Verstoß in dem vorsätzlichen auf.1651 Tateinheit zwischen § 283 Abs 1 StGB und § 283 Abs 2 StGB besteht, wenn der 267 Schuldner eine Bankrotthandlung im Zeitpunkt drohender Zahlungsunfähigkeit vornimmt und dadurch gleichzeitig seine Überschuldung bzw Zahlungsunfähigkeit herbeiführt.1652 Ließe man hier § 283 Abs 1 StGB hinter § 283 Abs 2 StGB zurücktreten, brächte der Tenor nicht das gesamte vom Schuldner verwirkte Unrecht zum Ausdruck. Denn es macht einen erheblichen Unterschied, ob der Schuldner die Bankrotthandlung außeroder innerhalb einer Krisensituation vornimmt. Verursachen erst mehrere Bankrotthandlungen zusammen die Überschuldung bzw Zahlungsunfähigkeit, verwirkt der Täter nur eine Tat des § 283 Abs 2 StGB.1653

2. Verhältnis zu anderen Delikten 268 Zu Insolvenzverschleppung und Untreue stehen Taten nach den §§ 283 ff StGB grds

im Verhältnis der Tatmehrheit.1654 Tateinheit zwischen Untreue und Bankrott besteht hingegen, wenn dieselbe Handlung, etwa das Beiseiteschaffen von Gesellschaftsvermögen durch den gem § 14 StGB Verantwortlichen, ausnahmsweise beide Tatbestände erfüllt.1655 Begeht der Täter einen Bankrott gem. § 283 Abs 1 Nr 1 StGB, um einen zuvor betrügerisch erlangten Vorteil zu sichern, präsentiert sich der Bankrott nicht als mitbestrafte Nachtat des Betrugs, sondern tritt tatmehrheitlich zu § 263 StGB hinzu.1656 Verwirklicht der Schuldner neben § 283 StGB zusätzlich den Tatbestand des § 2 BauFordSiG, verhalten sich diese beiden Tatbestände richtigerweise tateinheitlich zuein-

_____ 1649 BGH/H MDR 1981, 454 = GA 1981, 518; NK/Kindhäuser § 283 Rn 118; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 48; W/J/Pelz 9/87, 172; M/G/Rinjes 8/260; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 76; M-G/Richter § 85 Rn 75; zu Buch- und Bilanzführungsverstößen in Konzernverhältnissen s Bittmann/Bittmann Voraufl Rn 340. 1650 Grdl RGSt 49, 276, 277; zust LK/Tiedemann § 283 Rn 235a. 1651 BGH/H GA 1956, 347; LK/Tiedemann § 283 Rn 234; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 37; G/J/W/ Reinhart § 283 Rn 78. 1652 BGH JZ 1979, 75, 77; NK/Kindhäuser § 283 Rn 118; SK/Hoyer § 283 Rn 3; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 87; AnwK/Püschel § 283 Rn 37; M-G/Richter § 81 Rn 76; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 195; aA LK/Tiedemann § 283 Rn 233: § 283 Abs 2 StGB verdrängt den gleichfalls verwirklichten § 283 Abs 1 StGB; zust S/S/W/Bosch § 283 Rn 42; so wohl auch G/J/W/Reinhart § 283 Rn 78. 1653 SK/Hoyer § 283 Rn 120; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 76; anders wohl LK/Tiedemann § 283 Rn 235a: Tatmehrheit. 1654 S etwa LK/Tiedemann § 283 Rn 238 bzgl § 15a Abs 4, 5 InsO. 1655 BGHSt 3, 23, 27; BGH wistra 1995, 146, 147 (Untreue infolge nicht ordnungsgemäßer Buchführung); LK/Tiedemann § 283 Rn 239 mw Bsp; aA SK/Hoyer § 283 Rn 122, der ein Exklusivitätsverhältnis zwischen § 266 StGB einer- und § 283 StGB andererseits annimmt. 1656 BGH/H GA 1955, 365; LK/Tiedemann § 283 Rn 240; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 68; Fischer § 283 Rn 43; SK/Hoyer § 283 Rn 122; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 81; wohl auch NK/Kindhäuser § 283 Rn 123; für Tateinheit bei Verschleudern betrügerisch erlangter Waren RGSt 66, 175, 180.

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ander.1657 Nichts anderes gilt für das Verhältnis von § 283 StGB zu § 37 DepotG.1658 Tateinheit soll des Weiteren zwischen § 246 StGB und § 283 Abs 1 Nr 1 StGB bestehen, falls der Schuldner eine unter Eigentumsvorbehalt gelieferte Sache beiseiteschafft1659.1660 Nebeneinander stehen schließlich auch Bankrott und Steuerhinterziehung (§ 370 AO), selbst wenn außer dem Fiskus ein weiterer Gläubiger nicht existiert.1661 Ob der zahlungsunfähige Schuldner, der im Zeitpunkt einer ihm drohenden Zwangsvollstreckung Vermögensgegenstände mit der Absicht beiseiteschafft, sie dem die Zwangsvollstreckung betreibenden Gläubiger zu entziehen und stattdessen anderen Gläubigern zuzuwenden, neben § 288 StGB zudem gem § 283c StGB haftet, falls später die objektive Strafbarkeitsbedingung eintritt (vgl § 283c Abs 3 StGB)1662 oder ob § 283c StGB den § 288 StGB verdrängt,1663 ist umstritten. Mehr dürfte für die Ansicht sprechen, die dem § 283c StGB den Vorrang einräumt, da der Schutz des einen, die Zwangsvollstreckung betreibenden Gläubigers, wie ihn § 288 StGB bezweckt, vom Schutzzweck der Bankrottdelikte – scil den Befriedigungsinteressen sämtlicher Gläubiger; siehe o Rn 6 – umfasst ist.1664

XXII. Internationales Strafrecht Da den (insolvenz-)strafrechtlichen Fragen, die aufkommen, sobald eine Auslandsge- 269 sellschaft das Kleid des Gemeinschuldners trägt, ein eigenes Kapitel gewidmet ist1665 und die Buchführungspflicht ausländischer Zweigniederlassungen bereits o Rn 116 f abgehandelt wurde, bleibt hier nur noch der Fall zu erörtern, dass ein Schuldner die inkriminierten Bankrotthandlungen im Ausland vornimmt, die objektive Strafbarkeitsbedingung jedoch im Inland eintritt.1666 Obschon die objektive Strafbarkeitsbedingung nicht den Erfolg der §§ 283 ff StGB umschreibt und deshalb § 9 Abs 1 StGB seinem Wortlaut nach eigentlich nicht einschlägig ist,1667 gelangt die hM gleichwohl zur Anwendung deutschen Strafrechts.1668 Zu Recht: Denn § 9 StGB meint nicht den Unrechts-, sondern

_____ 1657 Ausf G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 39; für Vorrang des § 2 BauFordSiG LK/Tiedemann § 283 Rn 241, falls Geschädigte der Tathandlung ausschließlich die Baugläubiger sind; s ferner NK/Kindhäuser § 283 Rn 122: § 2 BauFordSiG ist lex specialis zu § 283 StGB. 1658 Zutr LK/Tiedemann § 283 Rn 241; NK/Kindhäuser § 283 Rn 122; S/S/W/Bosch § 283 Rn 44; sa Kollmar, S 87; v. Babo, (1908), S 59; aA Fischer § 283 Rn 43: § 37 DepotG ist lex specialis. 1659 Zum Anwartschaftsrecht als Gegenstand des Beiseiteschaffens siehe o Rn 60. 1660 LK/Tiedemann § 283 Rn 240; MK/Radtke/Petermann § 283 Rn 89; Fischer § 283 Rn 43; SK/Hoyer § 283 Rn 122; M/R/Altenhain § 283 Rn 47; aA S/S/W/Bosch § 283 Rn 44 und Bittmann/Bittmann Voraufl Rn 342 unter Berufung auf die Subsidiaritätsklausel; vgl ferner schon RGSt 66, 175, 178: Bankrott und Unterschlagung schließen sich gegenseitig aus. 1661 BGH NStZ 1987, 23; LK/Tiedemann § 283 Rn 241; S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 68; Fischer § 283 Rn 43; NK/Kindhäuser § 283 Rn 124; S/S/W/Bosch § 283 Rn 44; G/J/W/Reinhart § 283 Rn 81. 1662 Für Idealkonkurrenz RGSt 20, 214, 215. 1663 Dafür LK/Tiedemann § 283 Rn 240. 1664 Richtig LK/Tiedemann § 283 Rn 240; zust S/S/W/Bosch § 283 Rn 44. 1665 S § 5. 1666 S den plakativen Fall RGSt 16, 188: Nachdem der Schuldner große Teile seines Vermögens in Monte Carlo verspielt hat, eröffnet ein deutsches Gericht das Konkursverfahren über sein Vermögen. 1667 F-W Krause JURA 1980, 449, 454. 1668 Dafür etwa BGHSt 42, 235, 242 f (am Bsp des Vollrauschtatbestandes); LK/Tiedemann § 283 Rn 242a; Brackmann, S 416 ff; ferner auch RGSt 16, 188, 190 und RGSt 43, 84, 85, freilich auf dem Boden seiner damaligen Ansicht, wonach Zahlungseinstellung und Konkurseröffnung Bestandteile des gesetzlichen Tatbestands seien; aA aber Stree JuS 1965, 465, 473 f; F-W Krause JURA 1980, 449, 454; wohl auch Schnorr v Carolsfeld Heinitz-FS, S 765, 769.

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den Gesamttatbestand, der für die Strafbarkeit maßgebend ist1669 und greift deshalb auch die objektive Strafbarkeitsbedingung ein, da erst ihr Eintritt die Gläubigerbeeinträchtigung plastisch zu Tage treten lässt.

XXIII. Regelbeispiele des Bankrotts, § 283a StGB 270 Die Strafzumessungsvorschrift des § 283a StGB enthält in Form der Regelbeispiels-

technik zwei benannte besonders schwere Fälle des Bankrotts, deren Vorliegen es gestattet, den Täter mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren zu bestrafen, hierzu aber nicht zwingt, sofern der zur Entscheidung anstehende Einzelfall so sehr vom Regelfall der Nrn 1 und 2 des § 283a S 2 StGB abweicht, dass es ungerechtfertigt erschiene, den Täter gleichwohl aus dem erhöhten Strafrahmen des § 283a StGB zu sanktionieren.1670 Daneben normiert § 283a S 1 StGB unbenannte besonders schwere Fälle; dh, der Richter darf auch dann aus dem erhöhten Strafrahmen des § 283a StGB verurteilen, wenn der Täter zwar nicht die Voraussetzungen des § 283a S 2 StGB erfüllt, sein Verhalten jedoch einen Unrechtsgehalt an den Tag legt, der zum einen demjenigen der Nrn 1 und 2 des Satzes 2 entspricht1671 und zum anderen mithilfe des von § 283 StGB vorgesehenen Strafrahmens nicht angemessen geahndet werden kann. Hat das Gericht einen besonders schweren Fall festgestellt, ist es regelmäßig ausgeschlossen, eine bloße Geldstrafe zu verhängen (vgl § 47 StGB).1672 Ausweislich seines eindeutigen Wortlauts gilt § 283a StGB nicht nur für den Täter, 271 der vorsätzlich einen Bankrott gem § 283 Abs 1 bzw Abs 2 StGB begeht, sondern auch für den Täter, der den Bankrott lediglich versucht (vgl § 283 Abs 3 StGB). Ob freilich der Täter, der einen Bankrott versucht und dabei ein Regelbeispiel des § 283a StGB erfüllt, aus dem nicht reduzierten Strafrahmen des § 283a S 1 StGB haftet, wie mehrheitlich behauptet wird,1673 erscheint hingegen äußerst zweifelhaft.1674 Zwar ordnet der Wortlaut des § 283a S 1 StGB denselben Strafrahmen an, unabhängig davon ob der Täter den Bankrott vollendet oder versucht hat. Hieraus aber den Schluss zu ziehen, ein Rückgriff auf § 49 StGB sei deshalb gesperrt, überzeugt nicht. Denn wie sich aus § 23 Abs 2 StGB ergibt, nimmt der strafbare Versuch immer den Strafrahmen des Vollendungsdelikts zum Ausgangspunkt der Strafzumessung und reduziert diesen dort, wo es unangebracht wäre, den Versuchstäter gleich einem Vollendungstäter zu bestrafen. Dass § 283a S 1 StGB hieran etwas ändern wollte, weil er im Unterschied zu § 23 Abs 2 StGB nicht ausdrücklich auf § 49 StGB verweist, wäre eine bloße Unterstellung.

_____ 1669 BGHSt 42, 235, 242 f; LK/Tiedemann § 283 Rn 242a. 1670 LK/Tiedemann § 283a Rn 2; S/S/Heine/Schuster § 283a Rn 2; MK/Radtke/Petermann § 283a Rn 1; NK/Kindhäuser § 283a Rn 1; SK/Hoyer § 283a Rn 3; M/R/Altenhain § 283a Rn 1; aA wohl A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 198. 1671 S dazu etwa LK/Tiedemann § 283a Rn 2; NK/Kindhäuser § 283a Rn 1; SK/Hoyer § 283a Rn 3; MK/ Radtke/Petermann § 283a Rn 1; M/R/Altenhain § 283a Rn 1. 1672 LK/Tiedemann § 283a Rn 1; Fischer § 283a Rn 1; AnwK/Püschel § 283a Rn 10. 1673 Etwa von LK/Tiedemann § 283a Rn 15; MK/Radtke/Petermann § 283a Rn 14; S/S/Heine/Schuster § 283a Rn 9 (der aber den „Versuchsaspekt“ innerhalb des Sonderstrafrahmens strafmildernd berücksichtigen will); ebenso S/S/W/Bosch § 283a Rn 1); NK/Kindhäuser § 283a Rn 3, 13; M/R/Altenhain § 283a Rn 1; Bittmann/Bittmann Voraufl Rn 351. 1674 Zw auch SK/Hoyer § 283a Rn 2.

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1. Das Regelbeispiel des § 283a S 2 Nr 1 StGB Das Regelbeispiel des § 283a S 2 Nr 1 StGB droht dem Täter, der die Bankrottat mit Ge- 272 winnsucht begeht, den erhöhten Strafrahmen des § 283a S 1 StGB an. Der Wortbestandteil „Sucht“ verdeutlicht, dass schlichtes Gewinnstreben nicht genügt, um den Schritt zu § 283a S 2 Nr 1 StGB zu gehen und bildet somit den gesetzgeberischen Versuch, der rechtspoltischen Kritik, die schon bei Einführung des § 283a S 2 Nr 1 StGB dieser Vorschrift entgegenschlug, den Wind aus den Segeln zu nehmen. Vor diesem Hintergrund versteht man unter Gewinnsucht das ungesunde, besonders rücksichtslose oder sichtlich anstößige Streben nach Gewinn um jeden Preis, ohne aber gleichzeitig einen Hang zu entsprechender Gewinnmaximierung zu fordern.1675 Vielmehr verwirkt das Regelbeispiel bereits, wer nur bei einer Gelegenheit die Bankrottat unter dem bestimmenden Motiv der Gewinnsucht begeht.1676 Mit Gewinnsucht agiert in erster Linie, wem es darum geht, sein Vermögen zu meh- 273 ren, nicht hingegen der, der durch die Bankrotthandlung lediglich den Zugriff der Gläubiger auf sein Vermögen verhindern will und somit vorrangig „Sicherungsinteressen“ verfolgt.1677 Prototypen des Regelbeispiels „Gewinnsucht“ sind somit Unternehmen, die der Täter zu dem einzigen Zweck ins Leben ruft, illegitime Gewinne zu erwirtschaften, indem er etwa betrügerisch Kapitalanlagen platziert oder es unterlässt, Steuern bzw Sozialabgaben zu bezahlen.1678 Bezwecken die Bankrotthandlungen wie die Nrn 1, 4 und 8 des § 283 Abs 1 StGB jedoch vorrangig die Abwehr des Gläubigerzugriffs und damit keine Vermögensmehrung, kommt § 283a S 2 Nr 1 StGB allenfalls in Betracht, wenn der Täter entweder überaus hohe Schäden verursacht1679 oder aber von Anfang an, also noch vor Eintritt der Krise, geplant hat, illegal erlangtes Vermögen auf diese Weise zu sichern. Kaum anders steht es um § 283 Abs 1 Nr 2 StGB iVm § 283a S 2 Nr 1 StGB, dürften doch die dort genannten Bankrotthandlungen nur bei gezieltem Aushöhlen des schuldnerischen Unternehmens oder bei Privatentnahmen, mithilfe derer der Täter ein neues Unternehmen aufzubauen gedenkt,1680 vorliegen.

2. Das Regelbeispiel des § 283a S 2 Nr 2 StGB Um den Täter aus dem Regelbeispiel des § 283a S 2 Nr 2 StGB zu bestrafen, muss er wis- 274 sentlich viele Personen entweder in die Gefahr des Verlustes ihrer ihm anvertrauten Vermögenswerte oder aber in wirtschaftliche Not gebracht haben. Der Wortlaut des § 283a S 2 Nr 2 StGB legt das Erfordernis eines Kausalzusammenhangs zwischen der inkriminierten Bankrotthandlung und dem Eintritt der Verlustgefahr bzw der wirtschaftlichen Notlage nahe. Allerdings herrscht wenig Einigkeit über die Beschaffenheit dieses Kausalzusammenhangs. Während einerseits der Vorschlag, der eine durchlaufende Kau-

_____ 1675 Ausf zum Ganzen LK/Tiedemann § 283a Rn 3; s ferner BT-Drucks 7/3441, S 37; S/S/Heine/Schuster § 283a Rn 4; NK/Kindhäuser § 283a Rn 4; MK/Radtke/Petermann § 283a Rn 4; Fischer § 283a Rn 2; S/S/W/ Bosch § 283a Rn 2; M/R/Altenhain § 283a Rn 2; Weyand/Diversy Rn 118; vgl in anderem Regelungskontext des Weiteren BGHSt 1, 388, 389 f; OGHSt 2, 369, 372; RGSt 60, 306, 307; RG DR 1940, 1941, 1943; RG HRR 1936, 1464; RG HRR 1936, 1018. 1676 LK/Tiedemann § 283a Rn 3; S/S/Heine/Schuster § 283a Rn 4; sa Böttger/Verjans 4/108. 1677 Anschaul SK/Hoyer § 283a Rn 4 sowie A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 200, der von „strategisch angelegte[r] Kriminalität“ spricht. 1678 Dazu s LK/Tiedemann § 283a Rn 4; Weyand/Diversy Rn 118. 1679 LK/Tiedemann § 283a Rn 4; sa S/S/Heine/Schuster § 283a Rn 4. 1680 Zu diesem Bsp s LK/Tiedemann § 283a Rn 4.

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salität von der Bankrotthandlung über die Zahlungseinstellung bzw Insolvenzeröffnung bis hin zum Eintritt der Verlustgefahr oder der wirtschaftlichen Not fordert,1681 schon deshalb nicht überzeugt, weil sich dadurch der Anwendungsbereich des § 283a S 2 Nr 2 StGB entgegen dem eindeutigen Wortlaut des § 283a S 1 StGB auf Konstellationen des § 283 Abs 2 StGB verengt,1682 spricht andererseits viel dafür, nicht jede Mitursächlichkeit des Täters für die eingetretene Verlustgefahr/wirtschaftliche Not genügen zu lassen, sondern im Gegenteil zumindest bei vorsätzlichem „Opfermitverschulden“ die Zurechnung der schweren Folge zum Täter auszuschließen.1683 Vor diesem Hintergrund soll der Kausalzusammenhang bspw auch entfallen, wenn sich die wirtschaftliche Not bzw die Vermögensgefährdung unabhängig von der Bankrotthandlung allein als Folge des Unternehmenszusammenbruchs präsentiert.1684 Allerdings bleibt unklar, ob solche Konstellationen – genannt wird der Fall des Unternehmenszusammenbruchs infolge des Ausfalls wichtiger Schuldner1685 – überhaupt den Tatbestand des § 283 StGB erfüllen, dürfte es doch regelmäßig an dem nach hM erforderlichen Zusammenhang zwischen Bankrotthandlung und objektiver Strafbarkeitsbedingung ermangeln. Im Unterschied zu § 283a S 2 Nr 2 Var 1 StGB, dem eine Gefährdung des dem Täter 275 anvertrauten Vermögens genügt, setzt § 283a S 2 Nr 2 Var 2 StGB einen Verletzungserfolg – nämlich den Eintritt einer wirtschaftlichen Notlage – voraus. Dh, überschneiden sich beide Varianten, gefährdet der Täter also ihm anvertrautes Vermögen und bringt dadurch zusätzlich viele Personen in wirtschaftliche Not, geht die zweite der ersten Variante des § 283a S 2 Nr 2 StGB vor.1686 Beide Varianten erfordern – anders als § 283a S 2 Nr 1 StGB, zu dessen Verwirklichung dolus eventualis ausreicht – Wissentlichkeit. Der Täter muss also die Verlustgefahr bzw die wirtschaftliche Not sicher voraussehen oder gar anstreben.1687

a) Gefahr des Verlusts von Vermögenswerten, § 283a S 2 Nr 2 Var 1 StGB 276 Die erste Variante des § 283a S 2 Nr 2 StGB erfasst vorrangig die Leiter bzw Inhaber von

Geldinstituten sowie die Betreiber von Kapitalanlagegesellschaften, weil Anleger ihnen typischerweise Vermögenswerte – etwa in Form von Darlehen1688 – anvertrauen,1689 ist hierauf aber nicht beschränkt. Das im Fokus des § 283a S 2 Nr 2 Var 1 StGB stehende Merkmal des Anvertrautseins interpretiert die ganz hM genauso wie bei § 246 Abs 2 StGB1690 und versteht hierunter somit die Hingabe bzw das Belassen von Vermö-

_____ 1681 S dazu Fischer § 283a Rn 4; sa NK/Kindhäuser § 283a Rn 6: Kausalität zwischen Handlung und Gefahrerfolg erforderlich. 1682 S bereits Bittmann/Bittmann Voraufl Rn 355. 1683 Überzeugend LK/Tiedemann § 283a Rn 5; ähnl S/S/Heine/Schuster § 283a Rn 6; weitergehend scheinbar SK/Hoyer § 283a Rn 7, der den Zurechnungszusammenhang wohl auch bei fahrlässigem Opfermitverschulden ausschließen will; ferner NK/Kindhäuser § 283a Rn 6: obliegenheitswidriges Opferverhalten trägt maßgeblich zur Gefahrverursachung bei. 1684 LK/Tiedemann § 283a Rn 5; sa S/S/Heine/Schuster § 283a Rn 6. 1685 LK/Tiedemann § 283a Rn 5. 1686 AllgM; s nur LK/Tiedemann § 283a Rn 5; NK/Kindhäuser § 283a Rn 9. 1687 LK/Tiedemann § 283a Rn 5; ferner SK/Hoyer § 283a Rn 5. 1688 Dazu, dass die Hingabe von Darlehen erfasst wird, s LK/Tiedemann § 283a Rn 6; aA aber SK/Hoyer § 283a Rn 6; M/R/Altenhain § 283a Rn 3. 1689 Ausf BT-Drucks 7/3441, S 37 f; LK/Tiedemann § 283a Rn 6. 1690 S/S/Heine/Schuster § 283a Rn 5; MK/Radtke/Petermann § 283a Rn 7; NK/Kindhäuser § 283a Rn 5.

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genswerten in dem Vertrauen, der Täter werde mit ihnen ausschließlich iSd Anvertrauenden verfahren.1691 Während derjenige Täter relativ unproblematisch aus dem erhöhten Strafrahmen des § 283a S 2 Nr 2 Var 1 StGB haftet, der durch eine Bankrotthandlung Vermögenswerte gefährdet, die er erhalten hat, um sie bspw gewinnbringend anzulegen, bereitet das Merkmal „anvertraut“ erhebliche Schwierigkeiten, sobald der Täter durch dieselbe Bankrotthandlung die Gefahr heraufbeschwört, Einlagen, die Kunden in die von ihm geleitete Gesellschaft investiert haben, zu entwerten. Folgende Leitlinie hat sich herausgebildet: Verfügt der Anleger, nachdem er seine Einlage erbracht hat, über nahezu keine Kontrollmöglichkeiten – etwa als Kommanditist einer Publikums-Kommanditgsellschaft – soll das Merkmal „anvertraut“ erfüllt sein, wohingegen der Aktienerwerb keinen Fall von anvertrauten Vermögenswerten darstellen soll.1692 Angesichts der zahlreichen Anforderungen, denen Publikums-Kommanditgesellschaften mittlerweile genügen müssen und eingedenk der ebenfalls nicht gerade umfassend ausgestalteten Kontrollmöglichkeiten der Aktionäre, scheint die soeben referierte Differenzierung kaum nachvollziehbar, erhellt jedoch, wenn man zweierlei bedenkt: Zum einen ist die Aktiengesellschaft trotz aller richterrechtlich entwickelter Vorgaben immer noch weit stärker „durchnormiert“ als die Publikums-Kommanditgesellschaft – so sieht das AktG bspw zwingend die Einrichtung eines Aufsichtsrates vor, der nicht zuletzt die Interessen der Aktionäre wahrzunehmen hat – zum anderen kann sich der Aktionär regelmäßig leichter von seiner Anlage lösen als der Anleger, der Anteile an einer Publikums-Kommanditgesellschaft zeichnet. Taugliche Tatobjekte des § 283a S 2 Nr 2 Var 1 StGB sind des Weiteren solche Vermögenswerte, die der Anleger bspw einer ausländischen Kapitalgesellschaft zur Verfügung stellt, hierfür jedoch keine gesellschaftsrechtliche Beteiligung, sondern sog Gewinnanteilsscheine erhält.1693 Ob § 283a S 2 Nr 2 Var 1 StGB schließlich auch die Beteiligung an Abschreibungsgesellschaften sowie Warenund Lieferantenkredite erfasst, ist im Schrifttum umstritten, richtigerweise aber zu bejahen. Weder überzeugt es nämlich, die einer Abschreibungsgesellschaft gewährte Einlage deshalb nicht zu den anvertrauten Vermögenswerten zu zählen, weil diese aus steuerlichen Gründen ohnehin verloren sei1694 und dem Täter somit einen Freibrief auszustellen, die eingebrachten Vermögenswerte zu anderen als den vereinbarten Zwecken einzusetzen,1695 noch geht es an, Waren- und Lieferantenkredite ohne jede Begründung vom Einzugsbereich des § 283a S 2 Nr 2 Var 1 StGB auszunehmen,1696 zumal sub specie § 246 Abs 2 StGB Vermögensgegenstände anvertraut, wer dem Täter Waren unter Eigentumsvorbehalt überlässt und auf sofortige Bezahlung verzichtet.1697

_____ 1691 Zu diesem Verständnis des Merkmals „anvertraut sein“ im Kontext des § 246 Abs 2 StGB s nur BGHSt 16, 280, 282; Fischer § 246 Rn 16. 1692 S zu dieser Linie LK/Tiedemann § 283a Rn 6; NK/Kindhäuser § 283a Rn 5; ferner SK/Hoyer § 283a Rn 6; unklar S/S/Heine/Schuster § 283a Rn 5 und M/R/Altenhain § 283a Rn 3, die scheinbar jede gesellschaftsrechtliche Kapitaleinlage erfassen wollen. 1693 LK/Tiedemann § 283a Rn 6. 1694 Dafür noch SK4/Samson § 283a Rn 4. 1695 Grdl zur Kritik hieran LK/Tiedemann § 283a Rn 7. 1696 So aber Fischer § 283a Rn 3; vgl auch S/S/W/Bosch § 283a Rn 3, der auf Benachteiligung bestimmter Branchen verweist, bei denen die Vereinbarung eines Eigentumsvorbehalts üblich ist sowie AnwK/ Püschel § 283a Rn 5, dem zufolge Warenkreditgeber durch die Eigentumsdelikte bereits hinreichend geschützt sind. 1697 LK/Tiedemann § 283a Rn 7; MK/Radtke/Petermann § 283a Rn 7; SK/Hoyer § 283a Rn 6; Weyand/ Diversy Rn 121; ebenso auf der Ebene der Unterschlagung BGHSt 16, 280, 282.

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Da dem § 283a S 2 Nr 2 Var 1 StGB eine konkrete Gefährdung der anvertrauten Vermögenswerte genügt, bedarf es keines Verlusts derselben, um den Täter aus dem erhöhten Strafrahmen des § 283a S 1 StGB zu belangen.1698 Weitergehend verwirklicht das Regelbeispiel des § 283a S 2 Nr 2 Var 1 StGB sogar, wer die Gefahr eines Teilverlusts evoziert, sofern nur der gefährdete Teil einen großen Ausschnitt des anvertrauten Vermögens repräsentiert.1699 Demzufolge fehlt es an einer konkreten Gefährdung iSd § 283a S 2 Nr 2 Var 1 StGB, wenn die Bankrotthandlung des Täters nur einen kleinen Teil des anvertrauten Vermögens gefährdet. Das Schrifttum nennt Schwellenwerte von (unter) einem Drittel bzw 25%,1700 die erreicht sein müssen, damit man dem Täter vorwerfen kann, er habe die ihm anvertrauten Vermögenswerte gefährdet. 278 Die durch die Bankrotthandlung geschaffene Gefahr, anvertraute Vermögenswerte zu verlieren, muss schließlich viele Personen betreffen. Mehrheitlich spricht sich das Schrifttum dafür aus, viele Personen erst ab einer Geschädigtenzahl von zehn und mehr anzunehmen.1701 Dh aber nicht, dass der Täter, der diese Schwelle unterschreitet, indes gleichwohl erhebliche ihm anvertraute Vermögenswerte gefährdet, nur aus dem Regelstrafrahmen des § 283 StGB haftet. Vielmehr liegt in solchen Konstellationen, deren Unrechtsgehalt an die vertypten Regelbeispiele des § 283a S 2 StGB heranreicht, die Annahme eines unbenannten besonders schweren Falls (vgl § 283a S 1 StGB) nahe.1702 277

b) Wirtschaftliche Not, § 283a S 2 Nr 2 Var 2 StGB 279 Wie schon gesehen setzt § 283a S 2 Nr 2 Var 2 StGB den Eintritt der wirtschaftlichen

Not1703 bei vielen Personen als Erfolg voraus; die Begründung einer – auch konkreten – Gefahr genügt somit nicht. Von wirtschaftlicher Not kann erst die Rede sein, wenn sich das Opfer in einer ernsten wirtschaftlichen Bedrängnis befindet, ohne dass allerdings das Existenzminimum bedroht sein müsste; vielmehr genügt es, wenn dem Opfer infolge der Bankrotthandlung die finanziellen Mittel fehlen, um durchschnittliche materielle und kulturelle Bedürfnisse zu befriedigen.1704 Der Zwang, den gewöhnten Lebensstil einzuengen oder geringfügige bzw kurzfristige wirtschaftliche Bedrängnis begründen hingegen keine wirtschaftliche Not. Versicherungsleistungen, auch öffentliche wie Arbeitslosen- oder Insolvenzgeld kommen dem Täter zugute, nicht aber der Bezug von Sozialhilfe.1705 Einen wesentlichen Anwendungsfall des § 283a S 2 Nr 2 Var 2 StGB bilden entlassene 280 und dadurch in wirtschaftliche Not geratene Arbeitnehmer.1706 Das Erfordernis, wissent-

_____ 1698 BT-Drucks 7/3441, S 38. 1699 LK/Tiedemann § 283a Rn 8; S/S/Heine/Schuster § 283a Rn 5. 1700 SK/Hoyer § 283a Rn 6; M/R/Altenhain § 283a Rn 3; AnwK/Püschel § 283a Rn 6; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 202; Böttger/Verjans 4/109. 1701 LK/Tiedemann § 283a Rn 9; NK/Kindhäuser § 283a Rn 7; MK/Radtke/Petermann § 283a Rn 9; AnwK/ Püschel § 283a Rn 4; Weyand/Diversy Rn 119; Böttger/Verjans 4/109; sa SK/Hoyer § 283a Rn 5. 1702 NK/Kindhäuser § 283a Rn 7; MK/Radtke/Petermann § 283a Rn 9; Weyand/Diversy Rn 119. 1703 Dazu siehe o Rn 275. 1704 Grdl zum Ganzen LK/Tiedemann § 283a Rn 10; SK/Hoyer § 283a Rn 7; S/S/Heine/Schuster § 283a Rn 6; ferner MK/Radtke/Petermann § 283a Rn 10; S/S/W/Bosch § 283a Rn 3; M/R/Altenhain § 283a Rn 4; Weyand/Diversy Rn 122; enger wohl NK/Kindhäuser § 283a Rn 8. 1705 NK/Kindhäuser § 283a Rn 8. 1706 BT-Drucks 7/3441, S 38; sa S/S/Heine/Schuster § 283a Rn 6; NK/Kindhäuser § 283a Rn 8; Lackner/ Kühl/Heger § 283a Rn 2; Weyand/Diversy Rn 122.

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lich viele Personen in wirtschaftliche Not zu bringen, sorgt für die nötige Restriktion und vermeidet es, jeden Unternehmenszusammenbruch, der mit der Entlassung mehrerer Arbeitnehmer einhergeht, zu einem besonders schweren Fall (hoch) zu stilisieren.1707 Bankrotthandlungen eines Veräußerers unfertiger Eigenheime erfüllen regelmäßig sowohl § 283a S 2 Nr 2 Var 1 StGB – die Erwerber vertrauen dem Veräußerer ihr Erspartes an, damit er das gewünschte Eigenheim errichtet – als auch § 283a S 2 Nr 2 Var 2 StGB, weil die anvertrauten Vermögenswerte zumeist den gesamten Besitz der Geschädigten bilden, ihr Verlust folglich eine wirtschaftliche Notlage herbeiführt.1708 Liegen beide Varianten vor, tritt nach dem o Rn 275 Ausgeführten die erste hinter der zweiten zurück. Das Regelbeispiel des § 283a S 2 Nr 2 Var 2 StGB soll hingegen nicht verwirklichen, wer durch seine Bankrotthandlung eine bereits bestehende wirtschaftliche Notlage lediglich verstärkt;1709 allerdings liegt die Annahme eines unbenannten besonders schweren Falles nahe.1710

3. Unbenannte besonders schwere Fälle, § 283a S 1 StGB Weist eine Bankrotttat denselben Unrechts- oder Schuldgehalt auf wie die in § 283a S 2 281 StGB benannten Fälle, ohne aber die Voraussetzungen der Nrn 1 und 2 des § 283a S 2 StGB zu erfüllen, steht gem § 283a S 1 StGB ein unbenannter besonders schwerer Fall im Raum. Nahe liegt die Annahme eines unbenannten besonders schweren Falls, wenn der Täter entweder besonders raffiniert vorgeht oder aber das durchschnittliche Maß kriminellen Handels wesentlich überschreitet, indem er eine Großinsolvenz verursacht bzw seinen Gläubigern oder unbeteiligten Dritten besonders hohe Schäden zufügt.1711 Trotz der Verwandtschaft, die zwischen den Regelbeispielen des § 283a S 2 StGB und den beispielhaft genannten Konstellationen eines unbenannten besonders schweren Falls besteht, erfordert § 283a S 1 StGB keine Ähnlichkeit mit den gesetzlich vertypten besonders schweren Fällen des § 283a S 2 StGB.1712

4. Subjektiver Tatbestand und Versuch Obschon die Regelbeispiele keinen Tatbestand, sondern Strafzumessungsregeln nor- 282 mieren, muss der Täter die Voraussetzungen des jeweiligen besonders schweren Falls vorsätzlich verwirklichen, wobei § 283a S 2 Nr 2 StGB anders als § 283a S 2 Nr 1 StGB Wissentlichkeit erfordert; dolus eventualis genügt folglich nicht. Was § 283a S 2 Nr 1 StGB anbelangt, braucht der Täter die Wertung, die sein Verhalten als gewinnsüchtig erscheinen lässt, nicht selbst nachvollzogen zu haben. Vielmehr genügt es, wenn er sämtliche Umstände kennt, die das Urteil eines gewinnsüchtigen Vorgehens begründen.1713 War dem Täter hingegen nicht bewusst, dass seine Bankrotthandlungen viele

_____ 1707 Dazu s LK/Tiedemann § 283a Rn 11. 1708 LK/Tiedemann § 283a Rn 11. 1709 MK/Radtke/Petermann § 283a Rn 11; Sturm JZ 1977, 84, 87 am Bsp des strafbaren Wuchers. 1710 Zum Ganzen Lackner/Kühl/Heger § 283a Rn 2; sa MK/Radtke/Petermann § 283a Rn 11. 1711 Näher S/S/Heine/Schuster § 283a Rn 7; MK/Radtke/Petermann § 283a Rn 12; NK/Kindhäuser § 283a Rn 11; Fischer § 283a Rn 5; s ferner auch MAH/Böttger § 19 Rn 181. 1712 LK/Tiedemann § 283a Rn 12; sa Lackner/Kühl/Heger § 283a Rn 2. 1713 LK/Tiedemann § 283a Rn 13; vgl des Weiteren MK/Radtke/Petermann § 283a Rn 13, die darauf hinweisen, dass dolus eventualis und Gewinnsucht regelmäßig nicht miteinander kompatibel sein werden.

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Personen in wirtschaftliche Not bringen würde, fehlt ihm die von § 283a S 2 Nr 2 Var 2 StGB geforderte Wissentlichkeit und haftet er – sofern kein unbenannter besonders schwerer Fall in Betracht kommt – lediglich aus dem Regelstrafrahmen des § 283 StGB.1714 Nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 283a S 1 StGB ist jedenfalls der Fall 283 eines versuchten Bankrotts iVm einem vollendeten Regelbeispiel konstruktiv möglich. Dh, versucht der Täter, eine Bankrotthandlung des § 283 Abs 1 Nrn 1–8 StGB vorzunehmen und handelt er dabei gewinnsüchtig bzw schwört er bereits durch den Versuch die Gefahr herauf, ihm anvertraute Vermögenswerte vieler Personen zu verlieren, richtet sich seine Bestrafung nach dem – fakultativ zu mildernden; vgl § 49 StGB1715 – Strafrahmen des § 283a S 1 StGB. Ob aus dem erhöhten Strafrahmen des § 283a S 1 StGB auch haftet, wer eine Bankrotthandlung versucht und dabei erkennt, dass diese – sollte der Versuch gelingen – eine Vielzahl von Personen in wirtschaftliche Not bringen kann, darüber herrscht keine Einigkeit. Angesichts des Strafzumessungscharakters, den die Regelbeispiele des § 283a S 2 StGB tragen, spricht mehr für die Ansicht, die hier § 283a S 2 StGB nicht anwendet.1716 Allerdings soll aufgrund einer Gesamtbetrachtung die Annahme eines unbenannten besonders schweren Falls denkbar sein, falls sich der Täter den Eintritt wirtschaftlicher Not immerhin vorstellt.1717

5. Teilnahme 284 Die Gewinnsucht iSd § 283a S 2 Nr 1 StGB bildet ein täterbezogenes Merkmal, das zur

Anwendung des § 28 Abs 2 StGB führt. Dh, der Mittäter oder Teilnehmer eines gewinnsüchtig verübten Bankrotts haftet nur dann aus dem erhöhten Strafrahmen des § 283a S 2 Nr 1 StGB, wenn ihm selbst Gewinnsucht zur Last liegt.1718 Verwirklicht hingegen der Mittäter bzw der Teilnehmer die Voraussetzungen des § 283a S 2 Nr 2 StGB nicht in eigener Person, können sie ihm, weil es sich hierbei um tatbezogene Merkmale (vgl § 28 Abs 1 StGB) handelt, zugerechnet werden, falls er um ihr Vorliegen weiß. Da § 283a S 2 Nr 2 StGB eine Strafzumessungsvorschrift normiert, die Akzessorietätsgrundsätze also nicht uneingeschränkt gelten, kann der Teilnehmer selbst dann aus dem Regelbeispiel des § 283a S 2 Nr 2 StGB belangt werden, sofern zwar er, nicht aber der Haupttäter den Eintritt der Verlustgefahr bzw der wirtschaftlichen Not erkennt.1719 anhängen

_____ 1714 S dazu nur LK/Tiedemann § 283a Rn 13. 1715 Dazu, dass der Strafrahmen gemildert werden darf, siehe o Rn 271. 1716 Zutr LK/Tiedemann § 283a Rn 14; aA freilich BGHSt 33, 370, 373 ff im Kontext des § 243 StGB. 1717 S dazu LK/Tiedemann § 283a Rn 14, der aber sogl relativierend festhält, dass es iRd Strafzumessung grds nur auf die tatsächlich eingetretenen, nicht hingegen auf bloß vorgestellte Folgen ankommt; vgl ferner NK/Kindhäuser § 283a Rn 13. 1718 LK/Tiedemann § 283a Rn 16; S/S/Heine/Schuster § 283a Rn 10; MK/Radtke/Petermann § 283a Rn 15; NK/Kindhäuser § 283a Rn 14; SK/Hoyer § 283a Rn 9; M/R/Altenhain § 283a Rn 5; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 208. 1719 LK/Tiedemann § 283a Rn 16; S/S/Heine/Schuster § 283a Rn 10; aA MK/Radtke/Petermann § 283a Rn 16; SK/Hoyer § 283a Rn 9: nur unbenannter besonders schwerer Fall denkbar; ebenso M/R/Altenhain § 283a Rn 5; NK/Kindhäuser § 283a Rn 14.

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§ 13 Gesetz über die Sicherung der Bauforderungen (Bauforderungssicherungsgesetz – BauFordSiG) Sperling § 13 Gesetz über die Sicherung der Bauforderungen (BauFordSiG)

I. Allgemeines und systematische Bedeutung 3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften Zweck des BauFordSiG ist es, dafür Sorge zu tragen, dass Baugeld nur zu Zwecken ver- 1 wendet wird, für die es bestimmt ist und dadurch an der Herstellung oder dem Umbau eines Baus beteiligte Bauunternehmer vor Forderungsausfällen zu schützen. 1 Neben §§ 648, 648a BGB2 und den Zurückbehaltungsrechten ist das BauFordSiG ein wichtiger Bestandteil der Forderungsrealisierung von Baugeldgläubigern und gewährt häufig die einzige Möglichkeit, Forderungen zur Durchsetzung zu verhelfen.3 Zwar könnte man auf den Gedanken verfallen, § 648 BGB alleine genüge diesem Anliegen bereits, jedoch ist dem nicht so. Denn Banken, als primäre Geldgeber, haben meist schon vor den Baugläubigern ihre Forderungen für die Baufinanzierung grundpfandrechtlich abgesichert. Obschon die Leistung der Baugläubiger durch § 946 BGB zu einer Erhöhung des Grundstückswerts und letztendlich der Haftungsmasse der Bank führt, ist die Sicherungshypothek von Baugläubigern daher oftmals wegen der schlechten Rangstelle wirtschaftlich faktisch wertlos.4 Um den Gesetzeszweck zu erreichen statuiert § 1 BauFordSiG eine zivilrechtliche 2 Baugeldverwendungspflicht und § 2 BauFordSiG einen – sofern es zum wirtschaftlichen Zusammenbruch des Baugeldempfängers kommt – Straftatbestand für vorsätzliche Zuwiderhandlungen. Der zivilrechtlichen Baugeldverwendungspflicht des § 1 BauFordSiG fällt dabei die Rolle zu, zum Wohle eines wirtschaftlichen Gleichlaufs zwischen Geldgeber und Bauunternehmer5 dafür Sorge zu tragen, dass Baugeld tatsächlich zur Befriedigung von Bauforderungen eingesetzt wird und die Baustelle nicht verlässt.6 In der Praxis spielt das BauFordSiG nur bei Verstößen gegen die Verwendungspflicht gem § 1 Abs 1 S 1 BauFordSiG eine Rolle, um eine Schadensersatzhaftung durchzusetzen;7 der Straftatbestand des § 2 BauFordSiG hingegen fristet in der Strafverfolgungspraxis ein Schattendasein.8 Gegen die Regelungssystematik des BauFordSiG in seiner derzeitigen Fassung bestehen laut BVerfG keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Sie ist vom Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers gedeckt.9 Da Bauhandwerker gem § 641 Abs 1 BGB wirtschaftlich gesehen vorleistungspflichtig 3 sind10 und nach § 946 BGB beim Einbau von Baumaterialien ihr Eigentum an den Grund-

_____ 1 BVerfG NJW 2011, 1578; BGHZ 143, 301, 304; BGH NJW 1986, 1104 und Hagelberg GSB § 1 Rn 4. Einen instruktiven Überblick zur Entstehungsgeschichte und Entwicklung des BauFordSiG verschaffen Stammkötter Einl Rn 1 ff, 53 ff und M/V/Wolff Vor § 1 BauFordSiG Rn 3 ff. 2 Aufgrund der fehlenden Identität zwischen Auftraggeber und Grundstückseigentümer verschließt sich für Nachunternehmer der Anwendungsbereich von § 648 BGB; dazu Palandt/Sprau § 648 BGB Rn 3a; Stammkötter Einl Rn 55 sowie ders BauR 1998, 954 f. 3 Siehe zu dieser Feststellung Stammkötter Einl Rn 55. 4 Statt aller Schulze-Hagen NJW 1986, 2403, der in diesem Zusammenhang von einer stumpfen Waffe spricht. 5 So schon I/K/Joussen Anh 1 Rn 256. 6 BGHZ 143, 301, 304; Lemme wistra 1998, 41, 42 f; A/R/R/Wegner 7/3 Rn 1, 4. 7 Zum Schadensersatzanspruch siehe sogleich Rn 3. 8 So G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 1; ders wistra 2012, 92; I/K/Joussen Anh 1 Rn 258; Stammkötter § 2 Rn 4; MK/Wegner § 2 BauFordSiG Rn 5; G/L/Busch § 49 Rn 11; G/J/W/Reinhart § 2 BauFordSiG Rn 1; Joussen NZBau 2009, 737. 9 BVerfG NJW 2011, 1578. 10 Siehe nur Palandt/Sprau § 641 BGB Rn 2. Freilich kann der Unternehmer ggf gem § 632a BGB Abschlagszahlungen verlangen.

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stückseigentümer verlieren, sind sie – wenn das vom Darlehensgeber zur Verfügung gestellte Baugeld nicht zur Befriedigung ihrer Forderungen verwendet wurde – von einem Forderungsausfall des Baugläubigers sehr stark betroffen. Weil die Rolle des Baugeldempfängers zudem häufig von Kapitalgesellschaften ausgefüllt wird und die damit einhergehende Haftungsbeschränkung einen Rückgriff auf Gesellschafter oder die handelnden Gesellschaftsorgane in der Regel verbietet, hat die Insolvenz dieser Baugeldempfänger meistens einen finanziellen Totalausfall für Bauhandwerker zur Folge. Als Schutzgesetz iSv § 823 Abs 2 BGB zugunsten der Baugeldgläubiger,11 schließen §§ 1, 2 BauFordSiG diese Lücke und ermöglichen bei Verstößen gegen die Verwendungspflicht via § 14 StGB auch die persönliche Inanspruchnahme der vertretungsberechtigten Organe und Hintermänner.12 Das bestimmungswidrige Verwenden von Baugeld führt ferner zu einem deliktischen Schadensersatzanspruch gem § 823 Abs 2 BGB iVm §§ 1, 2 BauFordSiG der Baugläubiger gegenüber den Baugeldempfängern.13 Ein persönliches Forderungsrecht iS eines unmittelbaren Anspruchs gewährt § 1 Abs 1 BauFordSiG den Gläubigern hingegen nicht.14 Gravierende Änderungen hat das BauFordSiG (ehemals GSB)15 durch das Gesetz zur 4 Sicherung von Werkunternehmeransprüchen und zur verbesserten Durchsetzung von Forderungen (Forderungssicherungsgesetz – FoSiG)16 erfahren. Neben der Erweiterung des Baugeldbegriffs in § 1 Abs 3 S 1 Nr 2 BauFordSiG,17 wonach nicht mehr nur noch grundpfandrechtlich abgesicherte Baudarlehen iSv § 1 Abs 3 S 1 Nr 1 BauFordSiG, sondern zusätzlich Eigenmittel erfasst werden, war die wichtigste Änderung die damit verbundene Ausweitung der nach dem Gesetz verpflichteten Personen.18 Zudem wurde durch § 1 Abs 4 BauFordSiG den Empfängern von Baugeld die Beweislast über die Baugeldeigenschaft bzw deren Verwendung übertragen.

II. Der Straftatbestand des § 2 BauFordSiG 5 Bei der sog „Baugeldveruntreuung“ des § 2 BauFordSiG handelt es sich, wie beim struk-

turverwandten § 283 StGB,19 um ein Sonderdelikt,20 das Verstöße gegen die in § 1 Bau-

_____ 11 Aus der Rspr: BGH NJW-RR 2013, 340, 341; BGH NJW-RR 2002, 740; BGH NJW-RR 1991,728; BGH NJW 1982, 1037, 1038; RGZ 84, 188, 190. Seitens der Lit: M/V/Wolff Vor § 1 BauFordSiG Rn 1, 63, 68; ders NJW 2014, 1712, 1714; G/v B/Bruns § 1 BauFordSiG Rn 3; MK/Wegner § 2 BauFordSiG Rn 2; Staudinger/Peters/ Jacoby § 648 BGB Rn 52; siehe ferner die Gesetzesbegründung BT-Drucks 16/511, S 24 sowie Stammkötter § 1 Rn 4, 138 und § 2 Rn 2, die aber nur von § 1 Abs 1 BauFordSiG sprechen. 12 Freilich ist dieser Anspruch nichts wert, wenn die Vertreter selbst das Schicksal des Unternehmens teilen und außerstande sind, Bauforderung zu erfüllen. Jedoch ist das vielfach nicht der Fall, weshalb die Gläubiger ein Druckmittel erhalten, ihre Forderung dennoch durchzusetzen, Stammkötter Einl Rn 54; A/R/R/Wegner 7/3 Rn 2. 13 Ausf zu den Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs, insb den Anspruchsberechtigten, Schadensersatzschuldnern, dem Schaden und zum Verschulden Vygen/Joussen Rn 3258 ff mwN; M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 60 ff; Stammkötter § 1 Rn 138 ff sowie K/K/Koeble 10 Teil Rn 247 ff. 14 Maritz BauR 1990, 401, 402; Hagelberg GSB § 1 Rn 37. 15 Gesetz zur Sicherung von Bauforderungen (GSB) vom 1.6.1909, RGBl I, S 449. 16 FoSiG vom 23.10.2008, BGBl I, S 2022. 17 Siehe unten Rn 31 ff. 18 Dazu unten Rn 11. 19 Diese Strukturverwandheit wurde bereits früh festgestellt, siehe nur RGSt 48, 117, 118; Kiese JW 1909, 382, 383; Meyer JZ 1954, 140, 141; Frank/Hecht § 5 GSB Rn 1; Harnier GSB § 5 Rn 1 sowie G/J/W/Reinhart § 2 BauFordSiG Rn 3. 20 G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 2; A/R/R/Wegner 7/3 Rn 8, 51; G/J/W/Reinhart § 2 BauFordSiG Rn 22.

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FordSiG auferlegte Pflicht pönalisiert.21 Täter kann alleine der sonderpflichtige Baugeldempfänger gem § 1 BauFordSiG sein; andere Personen scheiden von vornherein aus dem Täterkreis aus.22 Für eine Pönalisierung stets erforderlich ist das Vorliegen der objektiven Strafbarkeitsbedingung in Form von Zahlungseinstellung oder Eröffnung des Insolvenzverfahrens und Benachteiligung der Gläubiger des Baugeldempfängers beim Eintritt der Krise. Als Vergehen iSv § 12 Abs 2 StGB ist der Versuch entspr § 23 Abs 1 StGB mangels ausdrücklicher Bestimmung nicht strafbar.

1. Tauglicher Täter – Baugeldempfänger Tauglicher Täter des § 2 BauFordSiG ist nur der Baugeldempfänger. Baugeldempfänger 6 ist, wer Baugeld iSv § 1 Abs 3 BauFordSiG erhält, um die Kosten eines Baus zu begleichen und darüber tatsächlich und rechtlich verfügen kann.23 Anders ausgedrückt ist Baugeldempfänger immer derjenige, der die Verfügungsgewalt und Dispositionsbefugnis innehat und über die Baumittel ohne weiteres verfügen kann.24 Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn der Kreditgeber aus eigener Veranlassung über den auszuzahlenden Darlehensbetrag verfügt,25 was bspw bei einer Auszahlung der Bank ohne Absprache mit dem Kreditnehmer an Handwerker vorliegt.26 Anders liegen die Dinge freilich, sofern der Kreditgeber auf Anweisung des Kreditnehmers Mittel direkt an Dritte ausbezahlt.27 Der Begriff des Baugeldempfängers gem § 2 BauFordSiG ist streng zivilrechtsakzessorisch wie in § 1 BauFordSiG und zum Schutz der Baugläubiger grds weit zu interpretieren.28 So können auch Personen Baugeldempfänger sein, die selbst an der Herstellung beteiligt sind, vgl nur § 1 Abs 2 BauFordSiG. Der Eigentümer des Baugrundstücks und der Baugeldempfänger müssen nicht identisch sein.29 Baugeldempfänger kann eine natürliche bzw juristische Person oder Personen- 7 gesellschaft sein. Bei Baugeldzahlungen an Personengesellschaften und juristische Personen sind nicht die vertretungsberechtigten Gesellschafter/Organe,30 sondern die Vereinigungen selbst als Baugeldempfänger anzusehen.31 Das Merkmal „Baugeldemp-

_____ 21 Die Pönalisierung hat mit erheblichen Nachweisschwierigkeiten zu kämpfen, G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 8; MK/Wegner § 2 BauFordSiG Rn 33; G/L/Busch § 49 Rn 52. 22 Zur Anwendbarkeit von § 14 StGB siehe unten Rn 7 und 58. 23 BGH NJW-RR 2013, 340, 341; BGH NJW-RR 1991, 728, 729; BGH NJW-RR 1990, 88; Brand wistra 2012, 92, 93; Stammkötter § 1 Rn 13, 324; G/v B/Bruns § 1 BauFordSiG Rn 22. 24 BGH NJW-RR 2013, 340, 341; BGH NJW-RR 1990, 88. Siehe zudem unten Rn 29. 25 BGH NJW-RR 1990, 88; BGH NJW-RR 1989, 788, 789. 26 G/L/Busch § 49 Rn 44; Stammkötter § 1 Rn 13; MK/Wegner § 2 BauFordSiG Rn 8. 27 BGH NJW-RR 2013, 340, 341; G/v B/Bruns § 1 BauFordSiG Rn 5, 26. 28 BGHZ 143, 301, 305; BGH NJW 1982, 1037, 1038 sowie Stammkötter § 1 Rn 8. 29 G/v B/Bruns § 1 BauFordSiG Rn 23; Stammkötter § 1 Rn 13. 30 Die vertretungsberechtigten Organe/Gesellschafter selbst als Baugeldempfänger qualifizierend SchulzeHagen NJW 1986, 2403, 2407; Hammacher NZBau 2013, 294; Mergel, S 83, 86 f, 100. Diese Ansicht verkennt, dass damit die von § 14 StGB geschaffenen Restriktionen ausgehöhlt werden und Abgrenzungsschwierigkeiten derart entstehen, als nicht eindeutig bestimmbar ist, wer innerhalb der vertretungsberechtigten Gesellschafter/Organe die Rolle des Baugeldempfängers einnimmt. Instruktiv und ausf zum Ganzen G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 6. 31 BGH NStZ 2004, 284; OLG Hamm NJW 2015, 1391; 1392; OLG Stuttgart BauR 2012, 96, 101; OLG Dresden BauR 2002, 486, 488; M/V/Wolff § 2 BauFordSiG Rn 2; A/R/R/Wegner 7/3 Rn 9; G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 6; Floeth NJW 2015, 1393; Staudinger/Peters/Jacoby § 648 BGB Rn 52; in diese Richtung auch Stammkötter § 1 Rn 14 sowie § 2 Rn 8 f, der jedoch für die rechtsfähige (Außen-)GbR eine Ausnahme macht und jeden handelnden Gesellschafter ohne Rückgriff auf § 14 StGB als Baugeldempfänger ansieht.

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fänger“ ist ein besonderes persönliches Merkmal iSv § 14 StGB und § 28 Abs 1 StGB. Vertretungsberechtigte Gesellschafter/Organe, auch faktische, sind – obschon sie selbst ausdrücklich keine Baugeldempfänger sind – deshalb unter Zuhilfenahme der Zurechnungsnorm von § 14 StGB strafrechtlich zu belangen.32 Der Darlehensnehmer, der Baugeld von der finanzierenden Bank erhält und un8 streitig darüber verfügen kann, wird stets als Baugeldempfänger eingestuft; es macht keinen Unterschied, ob er gleichzeitig Bauherr ist.33 Auch der Bauherr ist Baugeldempfänger, wenn er an Stelle des Kreditnehmers über das Baugeld verfügt, der Darlehensgeber also Bescheid weiß.34 Dem Bauherrn eigentümlich ist seine wirtschaftlich und rechtlich verantwortliche Stellung als Herr des gesamten Baugeschehens; er tritt im eigenen Namen auf, betreibt den Bau für eigene oder fremde Rechnung und ist regelmäßig Eigentümer oder zumindest sonst Berechtigter des Grundstücks.35 Sobald ein Treuhänder die Dispositionsbefugnis im Hinblick auf Baugeld übertragen bekommt und die Treuhandauflage vorsieht, Baugläubiger zu befriedigen, ist auch er Baugeldempfänger.36 Baugeldempfänger ist ferner der Bauträger,37 den kennzeichnet, dass er selbst als 9 Bauherr auftritt, somit ein Bauwerk im eigenen Namen errichtet, und dem Auftraggeber – neben der Bauwerkerrichtung – zusätzlich das Eigentum am Grundstück verschafft.38 Ebenso sind Verkäufer schlüsselfertiger Häuser,39 der Generalunternehmer (GU)40 und Generalübernehmer (GÜ)41 Baugeldempfänger. Während der GU das werkvertraglich geschuldete Bauwerk im Gesamten erbringt, indem er einen Teil der Arbeiten selbst ausführt und für die restlichen Arbeiten Nach- bzw Subunternehmer beauftragt, verrichtet der GÜ selbst keinerlei Bauleistungen, sondern vergibt sämtliche Tätigkeiten zur Erstellung des Bauwerks im eigenen Namen an Nachunternehmer.42 Da sowohl der GU als auch der GÜ über das ihnen zur Verfügung gestellte Geld verfügen können und dazu berufen sind, dieses den nachfolgenden Baubeteiligten entspr des jeweiligen Vergütungsanspruches zukommen zu lassen, ist beiden bzgl des Baugeldes eine treuhänderische Funktion eigen.43 Nichts anderes gilt für den selbstständig verfügungsbefugten

_____ 32 Ausf und instruktiv zum Täterkreis im gesellschaftsrechtlichen Kontext unter Berücksichtigung der verschiedenen juristischen Personen und Personengesellschaften G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 29 ff mwN. Detailliert zur Überwälzung gem § 14 StGB § 12 Rn 13 ff. 33 Joussen NZBau 2009, 737, 740; G/L/Busch § 49 Rn 42; G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 5; OLG Dresden NZBau 2002, 393, 394. 34 OLG Dresden NZBau 2002, 393, 394; G/v B/Bruns § 1 BauFordSiG Rn 23 mwN; Joussen NZBau 2009, 737, 740. 35 BGH NJW 1978, 1054. 36 Stammkötter § 1 Rn 30; G/L/Busch § 49 Rn 43. 37 BGHZ 143, 301, 305; OLG Dresden BauR 2002, 486, 487; Schlenger ZfBR 1983, 104; aA aber Mergel, S 89. 38 Doerry ZfBR 1980, 166; Stammkötter § 1 Rn 329. 39 BGH NJW-RR 1990, 280; BGH NJW-RR 1989, 788, 789; BGH NJW-RR 1989, 1045, 1046; BGH NJW 1986, 1105, 1106; M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 25. 40 BGHSt 46, 373, 378; BGHZ 143, 301, 304 f mwN; BGH NJW-RR 1991, 728, 729; BGH ZfBR 1982, 75, 76; OLG Brandenburg NZBau 2012, 166, 168; I/K/Joussen Anh 1 Rn 277; G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 5; A/R/R/ Wegner 7/3 Rn 11; M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 25; Stammkötter § 1 Rn 26; Lemme wistra 1998, 41, 44; Mügel GruchotsB 54 (1910), 1, 10. AA Möller BauR 2005, 8, 13 ff sowie Schlenger ZfBR 1983, 104, 105. 41 BGHSt 46, 373, 378; BGHZ 143, 301, 304 f mwN; BGH wistra 2003, 301, 303; BGH NJW 1985, 134, 135; I/K/Joussen Anh 1 Rn 277. 42 BGH NJW 1975, 869, 870; Schlenger ZfBR 1983, 1054 f; Korsukewitz BauR 1986, 383 f. 43 BGHZ 143, 301, 305; MK/Wegner § 2 BauFordSiG Rn 9; G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 5; Grdl zur treuhänderischen Funktion Stammkötter BauR 2009, 1521, 1523 sowie ders § 1 Rn 17 ff, 27. AA Mergel, S 87 f, dem es auf die ausdrückliche Übernahme der Baugeldempfängerstellung vom Vordermann ankommt.

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Baubetreuer.44 Ihn kennzeichnet ein Auftreten im Namen und für Rechnung des Bauherrn. Er betreut den Bau aber technisch und wirtschaftlich selbstständig.45 Rechtsanwälte und Notare sind demgegenüber keine Baugeldempfänger, sofern sie Baugeld auf einem Anderkonto verwalten und damit nicht den Bau bestreiten.46 Banken die ihre Rolle als Kreditgeber nicht überschreiten bzw sich auf die Tätigkeit der Kontoführung iS einer Zahlstelle für den Baugeldempfänger beschränken47 und lediglich Anweisungen des Kontoinhabers ausführen, sind – aufgrund fehlender tatsächlicher und rechtlicher Verfügungsgewalt – ebenfalls keine Baugeldempfänger.48 Nichts anderes gilt für den Fall der Abtretung der Baugeldforderung an die Bank, denn die Zweckbestimmung von Baugeld wirkt nicht im Verhältnis von Zedent und Zessionar.49 Bei größeren Bauvorhaben ist es dem Bauherrn meist nicht möglich, nur einen End- 10 unternehmer mit allen Bauleistungen zu beauftragen. Es bedarf der Zwischenschaltung weiterer Personen oder Unternehmen, die entweder selbst Bauleistungen erbringen und für einen Teil der Arbeiten gleichermaßen Subunternehmer beauftragen oder die Ausführung des Auftrags insgesamt einem anderen Unternehmen übertragen. Alle derartig zwischengeschalteten Personen einer mehrgliedrigen Nachunternehmerkette kommen grds in gleicher Weise als Baugeldempfänger in Betracht, vgl nur § 1 Abs 3 S 1 Nr 2 BauFordSiG.50 Umstritten ist, ob Nachunternehmer, die selbst wiederum Subunternehmer beschäf- 11 tigen, als Baugeldempfänger einzustufen sind. Im Einzelnen dreht es sich um lediglich mit einem Teil des Baus bzw einzelnen Gewerken beauftragte Unternehmer. Während zu Zeiten des GSB einhellig anerkannt war, solche Nachunternehmer aufgrund der fehlenden vollen Verfügungsgewalt über die Finanzierungsmittel nicht als Baugeldempfänger einzuordnen,51 ist das seit der Einführung des erweiterten Baugeldbegriffs in § 1 Abs 3 S 1 Nr 2 BauFordSiG äußerst fraglich. Der Wortlaut von § 1 Abs 3 S 1 Nr 2 BauFordSiG und das gesetzgeberische Streben nach einem umfassenden Schutz der Baugläubiger52 streiten näm-

_____ 44 Siehe die Gesetzesbegründung BT-Drucks 16/511, S 23; G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 5 mwN; M/V/ Wolff § 1 BauFordSiG Rn 29; Stammkötter § 1 Rn 30; Schmidt BauR 2001, 150, 153; G/J/W/Reinhart § 2 BauFordSiG Rn 8; A/R/R/Wegner 7/3 Rn 12. AA Joussen NZBau 2009, 737, 740 und I/K/Joussen Anh 1 Rn 289, der den Baubetreuer nicht zu den Baugeldempfängern zählt, jedoch gem § 1 Abs 1 S 3 BauFordSiG einem solchen gleichstellt. Ebenfalls aA I/K/Joussen Anh 1 Rn 289 sowie Vygen/Joussen Rn 3255. 45 Stammkötter § 1 Rn 118; T/W/E/Ennuschat § 34c GewO Rn 44; Schlenger ZfBR 1983, 104, 105; Doerry ZfBR 1980, 166 f. 46 Stammkötter § 1 Rn 30; A/R/R/Wegner 7/3 Rn 13. 47 OLG Düsseldorf OLGR 1997, 2; LG Ravensburg BKR 2007, 387, 389 mwN; Stammkötter/Reichelt ZfBR 2005, 429 mit einer ausf Darstellung der verschiedenen Haftungsmöglichkeiten von Banken. 48 So auch § 28 Rn 78; OLG Karlsruhe IBR 2004, 140 mit Anm Stammkötter, wobei Gegenteiliges nur gelten soll, wenn die Bank eigenmächtig Verfügungen über Baugeld trifft; A/R/R/Wegner 7/3 Rn 13; in diese Richtung auch BGH NJW-RR 1990, 88 sowie G/v B/Bruns § 1 BauFordSiG Rn 25. Siehe zudem § 28 Rn 76a mit einer ausf Darstellung der verschiedenen Fallkonstellationen zur Teilnahmestrafbarkeit von Bankmitarbeitern. 49 § 28 Rn 78; Stammkötter/Reichelt ZfBR 2005, 429 sowie Breit JW 1909, 403, 404. 50 Su Rn 11 sowie A/R/R/Wegner 7/3 Rn 10 mwN. 51 BGHZ 143, 301, 303 ff mwN, nach dem eine treuhänderische Verwaltung des Baugelds für Subunternehmer abgelehnt wurde, denn sie erhielten die finanziellen Mittel von Dritten nicht zur Befriedigung anderer Bauleistungen, sondern für die Vergütung der eigenen Werkleistung; außerdem würde eine andersartige Auslegung gegen das strafrechtliche Analogieverbot verstoßen. Siehe ferner Schlenger ZfBR 1983, 104; Schmidt BauR 2001, 150, 153; Bruns NZBau 2000, 180, 181; H/K/Koppmann S 263; krit wohl Stammkötter BauR 1998, 954, 957. 52 Siehe die Gesetzesbegründung BT-Drucks 16/511, S 1, 23, die ausdrücklich davon spricht, Handwerksbetriebe in die Lage zu versetzten, ihre Werklohnforderungen effektiv zu sichern.

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lich für die gegenteilige Schlussfolgerung, wonach alle Nachunternehmer der Gruppe von Baugeldempfängern zuzuschreiben sind.53 Auch das Ausmaß ihrer Tätigkeit bzw die Anzahl der Gewerke kann nicht das entscheidende Kriterium sein.54 Ebenso ist irrelevant, ob der Nachunternehmer eine Treuhandfunktion für seine Nachunternehmer innehat.55 Obgleich die Rspr wohl noch immer zu einer restriktiven Auffassung tendiert,56 ist aus vorgenannten Gründen jeder Nachunternehmer – sofern er nur weitere Subunternehmer einsetzt – als Baugeldempfänger zu qualifizieren.57 Nach- bzw Subunternehmer, die selbst keine Bauunternehmer beauftragen, scheiden von vornherein aus; Baumittel, die sie erhalten, stellen die vertragliche Vergütung dar, weshalb sie keine Baugeldempfänger, sondern Endunternehmer sind.58

2. Tathandlung 12 Verstoßen Baugeldempfänger gegen die Verwendungspflicht iSv § 1 Abs 1 S 1 BauFord-

SiG, verwirklichen sie die Tathandlung des § 2 BauFordSiG.59 Demnach sind Baugeldempfänger – sobald sie die Verfügungsgewalt erlangt haben – dazu verpflichtet, Baugeld ausschließlich zur Befriedigung solcher Personen zu verwenden, die an der Herstellung oder dem Umbau des Baus aufgrund eines Werk-, Dienst- oder Kaufvertrages beteiligt sind. Zuwiderhandlungen gegen die Verwendungspflicht sind zu konstatieren, wenn Baugeld iSv § 1 Abs 3 BauFordSiG zu anderen Zwecken eingesetzt wird. Die Verwendungspflicht des § 1 Abs 1 S 1 BauFordSiG schützt die Gesamtheit der 13 Gläubiger und nicht das Interesse der Gläubiger an gleichmäßiger Befriedigung. Der Baugeldempfänger ist daher nicht dazu verpflichtet, das Baugeld quotal auf alle Gläubiger zu verteilen oder eine bestimmte Rangfolge bei der Befriedigung einzuhalten.60 Solange das Baugeld nur den Baugläubigern zugutekommt, kann er nach seinem Belieben entscheiden, welche (Teil-)Forderung er befriedigt.61 Die Verwendungspflicht bezieht sich immer auf sämtliches Baugeld, das der Bau14 geldempfänger erhalten hat; irrelevant ist, in welchem Bauabschnitt dieses ausbezahlt

_____ 53 Instruktiv und ausf zum Ganzen I/K/Joussen Anh 1 Rn 257, 279, 285 ff, 291 sowie ders NZBau 2009, 737, 739 ff, der als zusätzliche Begründung den neu geschaffenen § 1 Abs 1 S 3 BauFordSiG bemüht; K/K/Koeble 10 Teil Rn 233; G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 5; ders wistra 2012, 92, 93; Korbion/Wietersheim F 2.3; Staudinger/Peters/Jacoby § 648 Rn 55; M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 19, 25, 27; Vygen/Joussen Rn 3249, 3257; Derleder ZfIR 2011, 585, 588 f; K/W/Kainz 2/D Rn 147 f; Gartz NZBau 2009, 630, 631 ff sowie A/R/R/Wegner 7/3 Rn 16, dem zufolge Nachunternehmer „Baugläubiger und Baugeldempfänger zugleich“ seien; Leinemann NJW 2008, 3745, 3750; Spiller ZfIR 2013, 330 f. 54 Joussen NZBau 2009, 737, 740; so ferner Stammkötter § 1 Rn 20. 55 Stammkötter § 1 Rn 17, 335, der – wie zu Zeiten vor dem FoSiG – noch immer die Treuhandfunktion für das Einbeziehen von Nachunternehmern als maßgebliches Kriterium ansieht und in Rn 55 ff für eine weitere Einschränkung durch das sinngemäße Anwenden von § 19 Abs 2 des ehemaligen GSB plädiert. 56 LG Limburg NZBau 2014, 44, 45; in diese Richtung auch, aber letztlich offenlassend OLG München NJW-RR 2013, 212. 57 Gegen die Einbeziehung von Nachunternehmern Stammkötter BauR 2009, 1521, 1523; G/v B/Bruns § 1 BauFordSiG Rn 9, 24; G/J/W/Reinhart § 2 BauFordSiG Rn 8; Hochstadt NJW 2013, 1712, 1713; Heidland ZInsO 2010, 737. Offengelassen W/P/Pastor Rn 2379. 58 Dazu nur Schulze-Hagen NJW 1986, 2403, 2406. 59 Mit dem allg Verweis von § 2 BauFordSiG auf § 1 BauFordSiG ist lediglich der Verstoß gegen die Baugeldverwendungspflicht gemeint, wobei § 1 Abs 1 S 2 sowie § 1 Abs 2 und 3 BauFordSiG mitberücksichtigt werden müssen, Stammkötter § 2 Rn 12 f. 60 BGH NJW-RR 1989, 1045, 1046; RGZ 138, 156, 159; Stammkötter § 1 Rn 9; MK/Wegner § 2 BauFordSiG Rn 15. 61 Das gilt freilich nicht mit Blick auf § 283c StGB.

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wurde. Darüber hinaus nimmt § 1 Abs 1 S 1 BauFordSiG keine Rücksicht auf die Zuordnung der Baugläubigerleistung zu einer bestimmten Zahlungsrate des Darlehensgebers, sondern gilt uneingeschränkt für alle Baugläubiger unabhängig des Zeitpunkts, in dem Mittel gewährt wurden.62 Etwas anderes erlangt nur bei Vorliegen einer entspr Zweckvereinbarung zwischen Kreditgeber und Kreditnehmer Geltung.63

a) Geschützter Personenkreis: Baugläubiger Baugläubiger als berechtigte Baugeldempfänger sind alle Personen, die an der Her- 15 stellung oder dem Umbau eines Baus aufgrund eines Werk-, Dienst- oder Kaufvertrags64 beteiligt sind. Wegen eines Werkvertrags beteiligt ist jede Person, die sich durch den Abschluss eines Vertrags nach § 631 Abs 1 BGB dazu verpflichtet, bei der Herstellung oder dem Umbau eines Baus mitzuwirken (bspw Bauhandwerker, GU und GÜ, Bauleiter, Architekten, Bauingenieure, technische Betreuer, Nach- bzw Subunternehmer etc). Werklieferungsverträge gem § 651 BGB sind ebenfalls erfasst. Arbeitnehmer 65 der die Bauleistungen erbringenden Unternehmer gehören durch die entspr Dienstverträge nach §§ 611 ff BGB auch zum geschützten Personenkreis. Aufgrund eines Kaufvertrags beteiligt sind vor allem Lieferanten von Baumaterialien. Bauunternehmer müssen beim Abschluss des jeweiligen Vertrags keine Kenntnis von der Baugeldeigenschaft und ihrer Stellung als Gläubiger iSv § 1 Abs 1 S 1 BauFordSiG haben.66 Regelmäßig keine Baugläubiger sind hingegen die Bauherrn als Auftraggeber der jeweiligen Bauleistungen.67 Das Maß der erforderlichen Beteiligung, um zum Kreis der geschützten Baugläubi- 16 ger zu zählen, ist umstritten. Während einige Stimmen jeden Beitrag zur Herstellung oder zum Umbau genügen lassen, der zu einer Wertsteigerung des Baus führt,68 fordern andere eine engere Betrachtung in Form eines unmittelbar werterhöhenden Beitrags.69 Für letztgenannte Sichtweise soll – unter Rückgriff auf die Grundsätze der Parallelproblematik iRv § 648 BGB – maßgeblich sein, ob die Bauleistung in eine so enge Beziehung zum

_____ 62 BGH NJW-RR 1990, 914; BGH NJW-RR 1989, 1045, 1046 f. 63 Su Rn 25. 64 Zusätzlich für das Miteinbeziehen von Mietverträgen G/L/Busch § 49 Rn 24; dagegen siehe nur Stammkötter § 1 Rn 81. 65 Stammkötter § 1 Rn 184 ff; Hagenloch Rn 264. Dies gilt erst, sobald sich ihre Leistung zumindest mittelbar werterhöhend niedergeschlagen hat, siehe unten Rn 16. AA Heidland ZInsO 2010, 737, 738 f. 66 Vygen/Joussen Rn 3259. 67 LG Erfurt NZBau 2014, 296 ff mit Anm Floeth; Palandt/Sprau § 823 Rn 64. Etwas anderes gilt nur, wenn Bauherrn selbst vorleistungspflichtig Bauleistungen erbringen und auf diese Weise eine Werklohnforderung erlangen. 68 So schon OLG Hamburg BauR 1994, 123, 124, dem zufolge die „Werkleistung tatsächlich zu einer Wertsteigerung des Baugrundstücks geführt haben“ muss, jedoch mittelbare Bauwerkleistungen genügen; wohl auch BGH NJW-RR 1991, 728, 729, wonach zwar ein unmittelbarer Beitrag gefordert wird, es aber ausreicht, wenn er in der Schaffung von Mehrwert seinen Ausdruck findet und auch Bauüberwachungen, leitungen sowie Planungsleistungen erfasst sind. Stammkötter § 1 Rn 35 f, der es ausdrücklich ablehnt, auf das Merkmal der Unmittelbarkeit abzustellen und dem zufolge der Gerüstbauer oder Einrichter erfasst ist; G/L/Busch § 49 Rn 25; M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 33; noch weitergehend K/W/Kainz 2/D Rn 137, nach dem die Werterhöhung irrelevant und nur auf die Tätigkeit generell abzustellen ist. In diese Richtung wohl ebenso Bruns Jahrbuch BauR 2010, 1, 11 sowie G/v B/ders § 1 BauFordSiG Rn 14, 32, der eine Tätigkeit verlangt, die der unmittelbaren Planverwirklichung dient. 69 OLG Zweibrücken BauR 1981, 294, 295; OLG Dresden BauR 2002, 486, 487; OLG Celle BauR 2007, 410, 412; I/K/Joussen Anh 1 Rn 296; Vygen/Joussen Rn 3261.

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Grundstück gelangt ist, dass sich sein Wert dadurch vergrößert hat.70 Das wird bspw bei Vorbereitungsarbeiten wie der Errichtung eines Baugerüsts verneint. Zwar wird ein solches zwingend zur Errichtung eines Gebäudes benötigt, jedoch sei damit keine direkte Wertsteigerung des Baugrundstücks verbunden.71 Dem ist nicht zu folgen. Es ist nicht nachvollziehbar und mit dem Grundsatz von Treu und Glauben unvereinbar, einem Bauhandwerker den Gläubigerschutz des BauFordSiG nur deshalb zu verwehren, weil seine Tätigkeit nicht unmittelbar, sondern mittelbar werterhöhend wirkt.72 Mittelbar werterhöhende Leistungen sind den gleichen (Vergütungs-)Risiken ausgesetzt und ebenso schützenswert.73 Des Weiteren erscheint es willkürlich, die gleiche Leistung zu erfassen, wenn diese mit anderen unmittelbar werterhöhenden Herstellungsarbeiten einhergeht, sie jedoch auszuklammern, sobald ein Bauunternehmer nur mit Vorbereitungsarbeiten betreut wird. Schließlich fordern auch der Wortlaut von § 1 Abs 1 BauFordSiG und die Gesetzesbegründung keine derartige Einschränkung.74 Mithin genügt jede Beteiligung75 in Form einer Leistung, Lieferung oder Arbeit, die sich als Mehrwert im Bau niedergeschlagen hat bzw einen Beitrag zur Schaffung einer Wertsteigerung leistet.76 Zu nennen sind sog Vor- bzw Nebenarbeiten wie Maler-77 und Gerüstarbeiten78 – egal ob diese wegen eines separaten Vertrages ausgeführt werden – aufgrund derer weitere Baumaßnahmen erst beginnen können und deren Arbeitsleistung sich somit mittelbar werterhöhend niedergeschlagen hat.79 Ferner80 Abbrucharbeiten und das Einrichten einer Baustelle81, Entsorgungsarbeiten,82 Hilfsarbeiten83 sowie Planungsleistungen.84 Demgegenüber sind Lieferanten, die lediglich Baumaterialien anliefern, erst ab dem Zeitpunkt schutzbedürftig, in dem die Lieferung durch einen Eigentumsverlust gem § 946 BGB als Wertsteigerung im Grundstück aufgegangen ist;85 bis dahin kann sich jeder Liefe-

_____ 70 OLG Dresden BauR 2002, 486, 487; I/K/Joussen Anh 1 Rn 296. Vgl auch die Darstellungen zu dieser Ansicht vom OLG Hamburg BauR 1994, 123 f, nach dem die Befürworter der engen Sichtweise keinen unmittelbar werterhöhenden Beitrag im Aufstellen eines Baugerüsts sehen, das für sich selbständig nur der bloßen Vorbereitung der späteren Bauerrichtung dient. Mit der Gerüsterstellung sei eine Wertsteigerung des Baugrundstücks direkt nicht verbunden; siehe ferner Hagenloch Rn 261. 71 OLG Zweibrücken BauR 1981, 294, 295. Ausnahmen sollen aber gelten, wenn solche bloßen Vorbereitungshandlungen in einem Bau- oder Pauschalvertrage mit erfasst sind und nachfolgende, werterhöhende Maßnahmen auf ihnen aufbauen; dazu Siegburg BauR 1990, 32, 40 ff. 72 Zutr OLG Hamburg BauR 1994, 123, 124. 73 OLG Hamburg BauR 1994, 123, 124. 74 Stammkötter § 1 Rn 35. 75 Freilich muss es sich immer um eine Beteiligung handeln, die sich auf wesentliche Bestandteile eines Bauwerks bezieht, siehe Rn 19, weshalb isoliert vergebene, reine Hilfsarbeiten häufig trotzdem dem Anwendungsbereich des BauFordSiG entfallen. 76 Ausf zum Ganzen Stammkötter § 1 Rn 34 ff, 36. Zudem ist dieser Meinung M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 33; K/W/Kainz 2/D Rn 137 f; in die gleiche Richtung auch Lemme wistra 1998, 41, 44, dem eine Leistung direkt am Bau genügt sowie BGH NJW-RR 1991, 728, 729. Vgl, jedoch im Kontext zu § 1 Abs 2 BauFordSiG, Illies BauR 2010, 546 f. 77 BGH NJW 1988, 263, 264; OLG Dresden NZBau 2002, 393, 394; K/K/Koeble 10 Teil Rn 210; M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 33. Vgl zudem unten Rn 19. 78 Stammkötter § 1 Rn 35, 52 mwN; OLG Hamburg BauR 1994, 123. 79 Siehe nur Stammkötter § 1 Rn 35, 184 mwN. 80 Vgl die ausf Auflistung möglicher Baugläubigerleistungen von G/L/Busch § 49 Rn 27. 81 BGH BauR 1988, 107, 109; Stammkötter § 1 Rn 35, 39. 82 OLG Schleswig NZBau 2008, 646, 648. 83 K/W/Kainz 2/D Rn 139; Stammkötter § 1 Rn 79. 84 NJW-RR 1991, 728, 729. 85 Ausführ Stammkötter § 1 Rn 182, der ein solches Vorgehen präferiert aber zusätzlich auf § 20 Abs 2 des alten GSB und die darin enthaltene gesetzgeberische Wertung verweist. Dem zufolge genügt das Fertigstel-

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rant durch einen Eigentumsvorbehalt eigenständig absichern und ist auf den Schutz durch das BauFordSiG nicht angewiesen. Generell nicht erfasst werden Leistungen, die in keinem Zusammenhang mit der Errichtung eines Bauwerks stehen.86 Alle zwischengeschalteten Personen einer Vertragskette87 kommen ebenfalls als 17 Baugläubiger in Betracht; dabei bedarf es keiner unmittelbaren vertraglichen Verbindung zwischen dem ursprünglichen Baugeldempfänger und der vom BauFordSiG geschützten Person.88 Voraussetzung ist aber immer, dass der jeweilige Baugläubiger seine Tätigkeit auf Basis eines wirksamen Vertrages89 erbracht hat und eine ununterbrochene Kette wirksamer Verträge besteht,90 die nicht notwendigerweise aus Werk-, Dienst- oder Kaufverträgen bestehen muss;91 ein Bereicherungsanspruch wird vom BauFordSiG nach wohl hM nämlich nicht geschützt.92 Wenn innerhalb einer Vertragskette Unternehmer selbst weitere Subunternehmer beauftragen, sind sie Baugeldempfänger und Baugläubiger zugleich, weshalb sie einerseits den Schutz der Baugeldverwendungspflicht genießen und andererseits den Verhaltenspflichten von § 1 Abs 1 BauFordSiG unterstehen.93

b) Herstellung oder Umbau eines Baus Obschon das BauFordSiG nicht ausdrücklich bestimmt, was alles dem Begriff Bau iSv 18 § 1 BauFordSiG unterfällt,94 ist dieser nach ganz hM95 weit auszulegen.96 Es sind nicht

_____ len und Abliefern bzw Annahmeverzug des Bauunternehmers. Des Weiteren in diese Richtung G/L/Busch § 49 Rn 25. Freilich muss sich das zu liefernde Produkt zusätzlich auf wesentliche Bestandteile eines Bauwerks beziehen, siehe unten Rn 19. Weiter wohl Korbion/Wietersheim F 2.4.3, nach dem sich alle Lieferanten auf den Schutz des BauFordSiG berufen können. 86 Zur Parallelstreitigkeit bei § 648 BGB mit verschiedenen Meinungen vgl nur M/V/Hildebrandt § 648 BGB Rn 19 ff sowie MK/Busche § 648 BGB Rn 10 ff mwN. 87 Der zivilrechtliche Schadensersatzanspruch nachfolgender Personen reicht jedoch immer nur soweit, wie der übergeordnete Unternehmer seinerseits einen Anspruch hat, dazu BGH NJW-RR 1990, 342, 343; I/K/Joussen Anh 1 Rn 296; Stammkötter § 1 Rn 139, 58 ff. 88 K/W/Kainz 2/D Rn 140; M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 36; Hagenloch Rn 251. 89 M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 35 sowie Vygen/Joussen Rn 3260 und I/K/Joussen Anh 1 Rn 295, die zu Recht anmerken, dass bei unwirksamen Verträgen unklar ist, aufgrund welcher gesetzlicher Grundlage eine Miteinbeziehung von Bereicherungsansprüchen in den Schutzbereich von § 1 BauFordSiG gerechtfertigt wäre und zudem nachvollziehbar den Normzweck als Argumentationsstütze bemühen; Stammkötter § 1 Rn 75; Hagenloch Rn 250; MK/Wegner § 2 BauFordSiG Rn 14; Palandt/Sprau § 823 Rn 64; Mergel, S 70. Das Wirksamkeitserfordernis abl OLG Dresden BauR 2005, 1649, 1650; G/v B/Bruns § 1 BauFordSiG Rn 11, nach dem „nur der mit dem Anspruchsteller geschlossene (letzte) Vertrag wirksam sein“ muss; Orlowski BauR 2005, 1651. 90 G/L/Busch § 49 Rn 26; A/R/R/Wegner 7/3 Rn 16; M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 35; Stammkötter § 1 Rn 75; Hagenloch Rn 250; Handschumacher BauR 2005, 1649, 1650 f, dem zufolge der eindeutige Wortlaut von § 1 Abs 1 S 1 BauFordSiG einer anderen Auslegung im Weg steht; aA G/v B/Bruns § 1 BauFordSiG Rn 11, nach dem es für dazwischenliegende Verträge allein auf den Baugeldfluss ankommt; OLG Dresden BauR 2005, 1649, 1650; Orlowski BauR 2005, 1649, 1651 ff. 91 Stammkötter § 1 Rn 75; G/L/Busch § 49 Rn 26. 92 Statt aller Lemme wistra 1998, 41, 44; A/R/R/Wegner 7/3 Rn 34; M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 35; I/K/Joussen Anh 1 Rn 295; Mergel, S 70; Hagelberg GSB § 1 Rn 64. 93 MK/Wegner § 2 BauFordSiG Rn 14; Hagenloch Rn 252. 94 Ob die Begrifflichkeiten im Zusammenhang mit Baugeld gem § 1 Abs 3 BauFordSiG oder der Verwendungspflicht von § 1 Abs 1 S 1 BauFordSiG erörtert wird, spielt, da beide Begriffsbestimmungen identisch sind, keine Rolle, siehe nur M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 4. 95 Frühzeitig für „Bauwerke“ plädierend RGZ 84, 188, 192 und BGH NJW 1988, 263, die von jeder Art von Bau sprachen; ferner Mergel, S 67. 96 BGH NJW 2013, 393, 394; K/K/Koeble 10 Teil Rn 210; I/K/Joussen Anh 1 Rn 280; wohl auch A/R/R/ Wegner 7/3 Rn 15 mit Fn 30; Illies IBR 2013, 214; Bruns Jahrbuch BauR 2010, 1, 8 f.

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nur Gebäude gem § 94 Abs 1 BGB,97 sondern alle möglichen Bauwerke iSv § 648 Abs 1 BGB, mithin auch Brücken, Gleisanlagen und Tiefbauarbeiten wie Straßen98, Denkmäler und Brunnenarbeiten99, Bahngleise der Bundesbahn100 etc erfasst. Allg sind unter Bauwerk unbewegliche Sachen zu verstehen, die durch die Verwendung von Arbeit und Material iVm dem Erdboden hergestellt wurden.101 Spätestens seit Inkrafttreten des FoSiG102 und der damit einhergehenden Neuregelung des Baugeldbegriffs, wonach Baugeld nunmehr losgelöst von grundpfandrechtlichen Darlehensmitteln entsteht103 und nicht mehr davon gesprochen werden kann, das BauFordSiG beträfe nur Gebäude, ist eine aus dem Gesetzeszweck abgeleitete Begrenzung des Anwendungsbereiches von Baumaßnahmen auf Gebäude nicht mehr angebracht.104 Weder der Wortlaut des Gesetzes noch die Gesetzesmaterialien bieten irgendeinen Anhaltspunkt für eine solche Begrenzung.105 Streitig ist, ob sich die Baugläubigerleistung auf wesentliche Bestandteile eines 19 Bauwerks beziehen muss. Verwechselt werden darf diese Frage nicht mit der Vorangegangenen nach der Begriffsauslegung des Wortes Bau. Während es dort um die Identifizierung des grds Bauobjekts ging, ist an dieser Stelle vor allem umstritten, ob § 1 Abs 1 S 1 BauFordSiG Lieferungen von Zubehör und sonstigen Gegenständen abdeckt; an der Unterscheidung dieser beiden Anliegen hat das FoSiG nicht gerüttelt.106 Dem BGH107 und Teilen der Literatur108 zufolge hat sich der Gesetzgeber mit der Formulierung „Herstellung eines Baus“ bewusst an derjenigen des § 94 Abs 2 BGB angelehnt und die Verwen-

_____ 97 Wittjen ZfBR 2009, 418, 423 mit Fn 37; wohl auch BGH NJW-RR 1989, 1045, 1047 und Hagenloch Rn 203 f. Siehe zusätzlich Stammkötter § 1 Rn 32, der zwar von „Gebäuden“ iSv § 94 Abs 2 BGB spricht, den Begriff insg aber sehr weit fasst und in Rn 67 sogar Straßen der Begrifflichkeit des „Gebäudes“ zuschreibt. 98 BGH NJW-RR 1992, 849; M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 32; Stammkötter § 1 Rn 67. 99 Vygen/Joussen Rn 3250; G/v B/Bruns § 1 BauFordSiG Rn 10. 100 BGH MDR 1972, 410; M/V/Hildebrandt § 648 BGB Rn 18. 101 BGHZ 57, 60, 61; RGZ 56, 41, 43; M/V/Hildebrandt § 648 BGB Rn 18. 102 FoSiG vom 23.10.2008, BGBl I, S 2022. 103 Siehe unten Rn 31 ff. 104 Grdl mit detaillierter Begründung I/K/Joussen Anh 1 Rn 280; Vygen/Joussen Rn 3250; BGH NJW 2013, 393, 394; G/v B/Bruns § 1 BauFordSiG Rn 10. Im Ergebnis zust Stammkötter IBR 2011, 142. 105 BGH NJW 2013, 393, 394. Im Gegenteil, hatte der Gesetzgeber – ohne eine inhaltliche Änderung bezwecken zu wollen – ursprünglich sogar geplant, mit dem Gesetzt zur Änderung des BauFordSiG vom 29.7.2009, BGBl I, S 2436, aus Gründen der Klarstellung die Begriffe „Bau oder Umbau“ in „Herstellung oder Umbau von Bauwerken“ umzuformulieren, dazu BT-Drucks 16/13159, S 6. 106 Klarstellend BGH NJW-RR 2013, 393, 394, wonach die Begrenzung auf „wesentliche Bestandteile“ trotz der Festlegung auf die Begrifflichkeit „Gebäude“ nach wie vor Geltung beansprucht. Gegen eine Begrenzung auf wesentliche Bestandteile aufgrund der Erweiterung des Baugeldbegriffs I/K/Joussen Anh 1 Rn 280, 293 sowie Vygen/Joussen Rn 3250, 3259. Die Thematik vermischend K/W/Kainz 2/D Rn 132 ff, der im Vergleich zur Vorauflage (3. Aufl. 2011, 2/D Rn 135) nicht mehr ausdrücklich fragt, ob es einer Begrenzung auf wesentliche Bestandteile bedarf, sondern diese Frage als erledigt betrachtet. 107 BGH NJW-RR 2013, 393, 394, dem zufolge dies im Wortlaut des Gesetztes eindeutig zum Ausdruck kommt; BGH NJW-RR 1990, 914; BGH NJW-RR 1989, 1045, 1047; BGH NJW 1984, 2277, 2278. Aus der instanzgerichtlichen Rspr OLG Koblenz ZfIR 2011, 612, 614. 108 Aus der Lit Stammkötter § 1 Rn 32; ders BauR 1998, 954, 956; Korbion/Wietersheim F 2.5; M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 32; G/v B/Bruns § 1 BauFordSiG Rn 13; Palandt/Sprau § 823 Rn 64. Vgl zudem K/K/Koeble 10 Teil Rn 211 ff, der die Maßstäbe des Merkmals „Arbeiten bei Bauwerken“ von § 634a Abs 1 Nr 2 BGB heranziehen will und so zu teilw abweichenden Ergebnissen kommt. Unklar K/W/Kainz 2/D Rn 132, wonach § 1 BauFordSiG nicht für Zubehör und sonstige Gegenstände gilt, jedoch nicht klar wird, ob diese Aussage nur der Problemdarstellung dient.

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dungspflicht auf wesentliche Bestandteile begrenzt.109 Dem ist zuzustimmen, wobei freilich wesentliche Bestandteile von „Bauwerken“ und nicht „Gebäuden“ gemeint sind.110 Wann ein Leistungsbezug zu wesentlichen Bestandteilen vorliegt, ist einzelfallbezogen zu beurteilen.111 Jedoch haben Bauunternehmer, die Zubehör bzw sonstige Gegenstände liefern, bis zur vollständigen Kaufpreiszahlung die Möglichkeit, einen Eigentumsvorbehalt zu vereinbaren und verlieren darüber hinaus nicht zwingend gem § 946 BGB ihr Eigentum durch die reine Übergabe. Aufgrund dessen sind jedenfalls Zubehör und sonstige Gegenstände, die sich nicht auf wesentliche Bestandteile beziehen, vom Schutzzweck des BauFordSiG nicht erfasst und bleiben vollständig außen vor.112 Reine Mobiliarlieferungen113 genügen demnach genauso wenig wie Leistungen an Garten-114 bzw Außenanlagen.115 Baugeldempfängern ist es letztlich nur gestattet, Baugeld Personen zukommen zu lassen, deren Tätigkeit sich direkt auf wesentliche Bestandteile eines Bauwerks bezieht bzw die Materialien verbauen,116 die sich auf wesentliche Bestandteile des Bauwerks erstrecken.117 Es genügen daher auch Malerarbeiten im Zusammenhang mit größeren Sanierungs- bzw Bauarbeiten.118 § 1 Abs 1 S 1 BauFordSiG erfasst Leistungen für die Herstellung eines Bauwerks. Darun- 20 ter sind im Zusammenhang mit einem Neubau sowie Umbau119 stehende Tätigkeiten zu verstehen. Dem Begriff Umbau sind auch Modernisierungs-, Ausbau- und Sanierungs-

_____ 109 Schon zu Zeiten des GSB für eine derartige Auslegung: Hagelberg GSB § 1 Rn 53 ff, § 18 Rn 4; Frank/Hecht GSB 1909 § 18 Rn 1; Friedländer Zeitschrift für Rechtspflege in Bayern 1909, 281, 285; Harnier GSB 1912 § 18 Rn 1; Jacobi GSB 1910 § 18 Rn 2; Kretzschmar Seuffert’s Blätter für Rechtsanwendung 1909, 621, 625 f; Simon GSB 1909 § 1 Rn 3, § 18 Rn 2; aA Hillig/Hartung GSB 1911 § 1 Rn 3, nach denen auch Zubehör gem § 97 BGB erfasst sei. 110 Siehe oben Rn 18. 111 Es soll darauf ankommen, ob das Gebäude ohne die eingefügte Leistung nach der Verkehrsanschauung als noch nicht fertiggestellt anzusehen ist, weshalb vor allem Baumaterialien erfasst sind, BGH NJWRR 1990, 914, 915; BGH NJW 1984, 2277, 2278 mwN. 112 BGH NJW-RR 1989, 1045, 1047; BGH NJW-RR 1991, 728, 729; G/L/Busch § 49 Rn 25, der unter dem Begriff „Bau“ jedoch „Gebäude“ versteht; Mergel, S 68; G/v B/Bruns § 1 BauFordSiG Rn 13. 113 BGH NJW-RR 1989, 1045, 1047 und BGH NJW-RR 2013, 393, 394; M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 32. Etwas anderes gilt nur, wenn nach der Verkehrsanschauung die eingefügten Gegenstände dem Gebäude erst eine besondere Eigenart bzw ein besonderes Gepräge geben, ohne die das Gebäude nicht als fertiggestellt gilt, BGH NJW-RR 1990, 914, 915; BGH NJW 1984, 2277, 2278. 114 Daran hat auch der neu eingeführte Baugeldbegriff von § 1 Abs 3 S 1 Nr 2 BauFordSiG nichts geändert, siehe unten Rn 33. 115 BGHSt 46, 373, 377; wohl auch BGH NJW-RR 2013, 393, 394, dem zufolge „der Herstellung eines Baus nur solche Leistungen dienen, die sich auf wesentliche Teile des Gebäudes beziehen“ und diese Begrenzung nach wie vor Geltung beansprucht; BGH NStZ 2004, 284, 285; K/K/Koeble 10 Teil Rn 243; M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 32; G/v B/Bruns § 1 BauFordSiG Rn 27; so auch schon Friedländer Zeitschrift für Rechtspflege in Bayern 1909, 281, 285, der darin den ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers erblickt; unklar A/R/R/Wegner 7/3 Rn 15, 26; offengelassen OLG München BauR 1991, 482, 483; Dagegen aA und Garten-/ Außenanlagen miteinbeziehend K/W/Kainz 2/D Rn 134; Stammkötter § 1 Rn 32, 46, 345, der einen engen zeitlichen Zusammenhang mit den Bau- oder Umbaumaßnahmen fordert. Vgl dazu unten Rn 33. 116 Zum Maß der erforderlichen Beteiligung oben Rn 16. 117 Stammkötter § 1 Rn 182; grds die Problematik der „wesentlichen Bestandteile“ ähnlich handhabend, jedoch hier aA G/v B/Bruns § 1 BauFordSiG Rn 14 mit Fn 52. 118 BGH NJW 1988, 263, 264; OLG Dresden NZBau 2002, 393, 394; zust M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 32 und G/v B/Bruns § 1 BauFordSiG Rn 13. Zu einem weiteren Problemfeld in Bezug auf Malerarbeiten oben Rn 16. 119 Durch das FoSiG wird der Umbau nunmehr ausdrücklich im Gesetz genannt. Die Gesetzesänderung hatte lediglich klarstellende Funktion. Die weite Begriffsauslegung, nach der Umbaumaßnahmen schon zuvor erfasst waren, gilt noch immer fort, G/v B/Bruns § 1 BauFordSiG Rn 10.

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maßnahmen zuzuordnen.120 Insgesamt ist die Begrifflichkeit zum Schutz der Baugläubiger weit auszulegen.121 Die Baumaßnahme – auch der Umbau – muss folglich insb nicht in die Bausubstanz eingreifen oder eine wesentliche Umgestaltung des Bauwerks bewirken.122 Schon nach dem Wortlaut genügen reine Schönheitsreparaturen aber nicht.123

c) Baugeld iSv § 1 Abs 3 BauFordSiG 21 Einen Verstoß gegen die Verwendungspflicht von § 1 Abs 1 S 1 BauFordSiG begeht nur,

wer mit Baugeld widmungswidrig umgeht. Sofern es sich bei den eingesetzten Mitteln nicht um Baugeld handelt, greift § 1 Abs 1 S 1 BauFordSiG ins Leere. Der Baugeldbegriff des § 1 Abs 3 BauFordSiG hat durch das FoSiG eine erhebliche Erweiterung erfahren.124 Neben den schon zuvor erfassten Geldbeträgen aus grundpfandrechtlich abgesicherten Baudarlehen (§ 1 Abs 3 S 1 Nr 1 BauFordSiG) sind heutzutage in gleicher Weise von dinglichen Sicherungen abgekoppelte Geldbeträge der Bauunternehmerkette, insb Eigenmittel, erfasst (§ 1 Abs 3 S 1 Nr 2 BauFordSiG). § 1 Abs 3 S 1 Nr 1 BauFordSiG erlangt daher nur noch auf der ersten Stufe der Baugläubiger Geltung, als er Mittel betrifft, die der Darlehensnehmer für das Unterhalten der Baustelle direkt vom Darlehensgeber ausbezahlt bekommt.125 Für alle nachfolgenden Ebenen einer mehrgliedrigen Nachunternehmerkette (bspw GU und sonstige Bauunternehmer) ist der weiter gefasste Baugeldbegriff des § 1 Abs 3 S 1 Nr 2 BauFordSiG einschlägig.126 Zu beachten gilt, dass der Baugeldbegriff nicht zur Disposition der Parteien steht: Sobald Baugeld iSd § 1 Abs 3 BauFordSiG vorliegt, ist eine Vereinbarung der beteiligten Parteien darüber, es handele sich dennoch nicht um Baugeld, unwirksam.127

aa) Grundpfandrechtlich gesichertes Baugeld iSv § 1 Abs 3 S 1 Nr 1 BauFordSiG 22 Aufgrund des klassischen Schutzzwecks des BauFordSiG ist Baugeld iSd drei Baugeld-

merkmale von § 1 Abs 3 S 1 Nr 1 BauFordSiG jeder von einem dritten Geldgeber gewährte Geldbetrag, dessen Zweckbestimmung dahin geht, mit den Mitteln die Kosten eines Baus oder Umbaus zu bestreiten und der grundpfandrechtlich durch eine Hypothek oder Grundschuld an dem zu bebauenden Grundstück oder einen vereinbarten Eigentumsvorbehalt am Grundstück abgesichert ist. Nicht erfasst sind bspw Eigenmittel128 sowie Geldbeträge, die durch ein Darlehen ohne Zweckvereinbarung erlangt wurden.

_____ 120 Aus der Rspr: BGH NJW 1988, 263, 264; OLG Hamburg BauR 1994, 123, 125; ähnlich schon RGZ 84, 188, 192 (jede Art von Bau). Lit: K/K/Koeble 10 Teil Rn 210; I/K/Joussen Anh 1 Rn 267; Mergel, S 67 mwN. 121 BGH BauR 1988, 107, 108. 122 BGH NJW 1988, 263, 264; BGH BauR 1988, 107, 108; M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 34; G/v B/Bruns § 1 BauFordSiG Rn 10. 123 Siehe Korbion/Wietersheim F 2.5 mit verschiedenen Beispielen sowie Staudinger/Peters/Jacoby § 648 BGB Rn 54; M/B/S/Gribl § 3 Rn 85. 124 Dazu schon oben Rn 4. 125 M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 2, Stammkötter § 1 Rn 288. 126 I/K/Joussen Anh 1 Rn 263; M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 2; K/W/Kainz 2/D Rn 142; Stammkötter § 1 Rn 319. Sa G/v B/Bruns § 1 BauFordSiG Rn 9, wonach § 1 Abs 3 S 1 Nr 1 BauFordSiG sogar überflüssig erscheint. 127 Mergel, S 75; Hagelberg GSB § 1 Rn 21. Unbenommen ist den Parteien freilich der Inhalt der Zweckabrede, dazu unten Rn 24 ff. 128 BGH NJW 1987, 1196; BGH NJW 1985, 134; Stammkötter BauR 1998, 954, 956 sowie ausf I/K/Joussen Anh 1 Rn 266 sowie Vygen/Joussen Rn 3238.

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Streitig ist, ob der Darlehensvertrag wirksam sein muss.129 Dies ist – selbst wenn 23 der Vertrag als Grundlage der Baumittelauszahlung meistens wirksam sein wird – abzulehnen, denn die drei Baugeldmerkmale können selbst bei einem unwirksamen Darlehensvertrag vorliegen.130 Zudem wird der Schutzzweck des BauFordSiG in gleicher Weise tangiert: Unternehmen verlieren unabhängig davon, ob der Darlehensvertrag wirksam ist, gem § 946 BGB bei Einbau von Baumaterialien ihr Eigentum, was zu einer Erhöhung der grundpfandrechtlich gesicherten Haftungsmasse der Bank ohne wirtschaftliche Gleichstellung der Baugläubiger führt.131 Zusätzlich fordert der Wortlaut des § 1 Abs 3 BauFordSiG ein solch einschränkendes Merkmal nicht. Ferner ist fraglich, ob der Darlehensgeber mit der Anfechtungserklärung gewöhnlich gleichzeitig erklärt, in Zukunft nicht mehr Baugeld zur Verfügung zu stellen.132 Werden Mittel nämlich trotzdem – aus welchen Gründen ist irrelevant – weiter ausbezahlt, hat der Kreditgeber noch immer ein großes Interesse daran, dass diese Mittel alleine für den Bau verwendet werden und seine Haftungssumme erhöhen.

(1) Zweckabrede Die Mittel muss der Kreditgeber dem Darlehensnehmer zum Zweck der Bestreitung der 24 Kosten eines Baus oder Umbaus gewähren. Darunter sind einerseits Kosten für einen Neubau und andererseits Kosten für Modernisierungs-, Ausbau- und Sanierungsmaßnahmen zu verstehen.133 Eine andere Zweckabrede wie bspw der Grundstücks-134 oder Zubehörerwerb135 (nicht wesentlicher Bestandteil eines Bauwerks) bzw das Tilgen eines Grundstücksankaufkredites136, das Begleichen von Notarkosten und Maklergebühren137 oder Erschließungsbeiträgen138 erfüllt die Voraussetzung des Baugeldbegriffs nicht.139 Ebenso wenig sind regelmäßig Umsatzsteuererstattungen140 sowie Leistungen an Gartenbzw Außenanlagen141 dem Bau gewidmet. Für die Zweckabrede maßgeblich ist alleine der Darlehensvertrag.142 Eine Vereinbarung hierüber im Darlehensvertrag ist daher zwingend notwendig, jedoch genügt eine konkludente Zweckabrede.143 Entscheidend

_____ 129 Dagegen: Stammkötter § 1 Rn 394 ff mwN. Dafür: MK/Wegner § 2 BauFordSiG Rn 31 sowie Lemme wistra 1998, 41, 44. 130 Stammkötter § 1 Rn 395. 131 Zum Ganzen siehe oben Rn 1 ff. 132 So aber Stammkötter § 1 Rn 396 und G/L/Busch § 49 Rn 39. 133 Siehe oben Rn 20. 134 BGHSt 46, 373, 377; BGH NJW 1986, 1104; RGZ 91, 72, 77 f; OLG Dresden BauR 2007, 1067, 1068; Schmidt BauR 2001, 150, 154. 135 BGH NStZ 2004, 284, 285; siehe oben Rn 19. 136 BGH NJW-RR 1989, 788, 789. 137 OLG Celle BauR 2002, 1869, 1870; OLG Dresden BauR 2007, 1067, 1068; G/v B/Bruns § 1 BauFordSiG Rn 27. 138 BGH NJW 1987, 1196, 1197. 139 LG Hannover BauR 2011, 1376 (LS); M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 5; Stammkötter § 1 Rn 294; K/W/ Kainz 2/D Rn 145 mwN. 140 OLG Frankfurt BauR 2000, 1507, 1508; K/K/Koeble 10 Teil Rn 217. 141 BGH NStZ 2004, 284, 285; BGHSt 46, 373, 377; BGH NJW-RR 1990, 280; siehe darüber hinaus oben Rn 19. 142 BGH NJW-RR 1996, 976, 977; BGH NStZ 2004, 284, 285; A/R/R/Wegner 7/3 Rn 24 f; Stammkötter § 1 Rn 289; K/W/Kainz 2/D Rn 144; Hagenloch Rn 36. 143 BGHSt 46, 373, 377; I/K/Joussen Anh 1 Rn 265; MK/Wegner § 2 BauFordSiG Rn 26; G/L/Busch § 49 Rn 35 sowie Mergel, S 72, wonach – sofern der Vertrag nichts anderes ergibt – insb die Bezeichnung als Baugeldvertrag oder Baugeld genügt.

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ist das Vorliegen einer solchen rechtsgeschäftlich bindenden Vereinbarung im Darlehensvertrag, da es sich anderenfalls um kein Baugeld handelt.144 Das gilt sogar, wenn Mittel als Baugeld eingesetzt und tatsächlich Bauforderungen bezahlt werden.145 Eine einseitige Motivation, die Mittel als Baugeld zu nutzen, genügt nicht.146 Es besteht keine Verpflichtung eine Zweckabrede zu vereinbaren und Baugeld zu begründen. Vielmehr steht dies den beteiligten Parteien iSd Privatautonomie vollkommen frei.147 Die Verwendungspflicht wird inhaltlich durch die Zweckabrede bestimmt.148 25 Nur so weit, wie die Zweckvereinbarung Baugeld „zulässt“ und keine andere Verwendung auferlegt, kann gegen § 1 Abs 1 S 1 BauFordSiG verstoßen werden. Für den strafrechtlichen Verstoß gegen die Verwendungspflicht ist daher entscheidend, was die Zweckbestimmung im Detail regelt. So können bspw bestimme Modalitäten der Darlehensauszahlung – wie Bestimmungen zur vorrangigen Befriedigung bestimmter Gläubiger – die Pflicht nach § 1 Abs 1 S 1 BauFordSiG begrenzen; ein Zahlungsplan hingegen genügt hierfür nicht.149 Die Zweckbestimmung reicht daher immer nur so weit, wie „Vereinbarungen zwischen Kreditgeber und Kreditnehmer dessen rechtliche Möglichkeit, über die Gelder zu verfügen“, zulassen.150 26 Die Zweckbestimmung kann zudem vorsehen, dass gewährte Finanzmittel nicht im Ganzen den in § 1 Abs 1 S 1 BauForSiG genannten Zwecken, sondern teilweise einer anderen Verwendung (bspw dem Kauf des Baugrundstücks, der Hypothekenbeschaffung oder dem Begleichen sonstiger Kosten) dienen. Es handelt sich dabei um ein sog modifiziertes Baugelddarlehen, bei dem Baugeld nur insoweit begründet wird, als die Zweckvereinbarung die Nutzung gem § 1 Abs 1 S 1 BauFordSiG betrifft. Für den Teil der Mittel, deren Verwendung zu anderen Zwecken vorgesehen ist, wird kein Baugeld begründet und besteht kein Baugeldschutz.151 Das Vereinbaren von modifizierten Baugelddarlehen ist selbstredend zulässig.152 27 Entgegen aA153 ist es den Parteien des Darlehensvertrags nach hM richtigerweise auch dann unbenommen, die Zweckabrede nachträglich zu ändern, wenn die Änderung zu einer Schmälerung des Baugeldbestands führt.154 Wie für das ursprüngliche Be-

_____ 144 BGH NJW-RR 2013, 340, 341; BGHSt 46, 373, 377; Hagenloch Rn 36. 145 G/L/Busch § 49 Rn 35; Stammkötter § 1 Rn 289, wobei ihm zufolge besonders § 1 Abs 4 BauFordSiG beachtet werden muss. 146 BGHSt 46, 373, 377; OLG Schleswig BauR 2009, 1322; M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 5; G/L/Busch § 49 Rn 35. 147 BGH NJW-RR 1989, 788, 789, nach dem die Zweckbestimmung ihre Grenze in Vereinbarungen der Beteiligten findet; I/K/Joussen Anh 1 Rn 265. 148 G/v B/Bruns § 1 BauFordSiG Rn 17; Stammkötter § 1 Rn 286; BGH NJW-RR 1990, 914; BGH NJW-RR 1990, 88, nach dem § 1 III GSB der näheren Umschreibung des Verwendungsgebots iSv § 1 I GSB dient; RGZ 91, 72, 77. In dem Kontext vgl oben ferner Rn 14. 149 BGH NJW-RR 1990, 914; G/v B/Bruns § 1 BauFordSiG Rn 17. 150 BGH NJW-RR 1989, 1045, 1046; BGH NJW-RR 1990, 914; Mergel, S 74 f. 151 Ständige Rspr, siehe nur BGH NJW-RR 2013, 340,341; BGHSt 46, 373, 377 f; BGH NStZ 2004, 284, 285; BGH NJW-RR 1989, 788, 789; BGH NJW 1986, 1104, 1105; RGZ 91, 72, 77 f. Sowie aus der Lit: I/K/Joussen Anh 1 Rn 268 und Vygen/Joussen Rn 3239, nach denen der genaue Bestandteil im Zweifel durch Sachverständigengutachten ermittelt werden muss; A/R/R/Wegner 7/3 Rn 25; Stammkötter § 1 Rn 291. 152 BGH NJW-RR 1989, 788, 789 mwN sowie Glaser DJZ 1909, 1362, 1363. 153 G/v B/Bruns § 1 BauFordSiG Rn 18 mwN; Maritz BauR 1990, 401, 404 f; Hagelberg GSB § 1 Rn 13, nach dem die Verwendungspflicht den Baugläubigern gegenüber bestehen bleibt; wohl auch BGH NJW-RR 1986, 446, 447 f. 154 § 28 Rn 77; I/K/Joussen Anh 1 Rn 270; M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 6; Stammkötter § 1 Rn 383 ff, 389, 392, der zu Recht anmerkt, dass die Privatautonomie durch das BauFordSiG nicht eingeschränkt wird und „die Gefahr missbräuchlicher Abreden zum Nachteil der Baugläubiger“ gering ist. Denn der Darlehensge-

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gründen der Zweckabrede genügt hierfür eine konkludente Vereinbarung zwischen Kreditgeber und Kreditnehmer.155 Genauso wie die Zweckvereinbarung Baugeld überhaupt erst entstehen lässt, bleibt es den Parteien vorbehalten, diesen zuvor erklärten privatautonomen Rechtsakt – unabhängig davon, ob Baugeld bereits an den Darlehensnehmer ausbezahlt wurde156 – nachträglich zu ändern.157 Jedoch zeitigt eine Zweckänderung für schon an Baugläubiger ausgehändigte Geldbeträge keine Auswirkungen; die Änderung der Zweckabrede wirkt nur ex nunc.158 Es ist möglich, die Zweckabrede lediglich inhaltlich zu verändern oder ganz aufzuheben, mit der Folge, dass die Baugeldeigenschaft iSv § 1 Abs 3 S 1 Nr 1 BauFordSiG und die damit verbundene Verwendungspflicht für die Zukunft vollständig entfällt.

(2) Gewährung der Darlehensbeträge Die Finanzmittel müssen immer von einem Dritten darlehensweise zur Verfügung ge- 28 stellt werden, weshalb Eigenmittel ausscheiden.159 Öffentliche Fördermittel sind, selbst wenn sie bei Widerruf zurückgezahlt werden müssen und der Rückzahlungsanspruch grundpfandrechtlich abgesichert ist, kein Baugeld.160 Irrelevant ist, ob die Mittel durch ein betragsmäßig genau beziffertes Darlehen in Form eines Immobilienkredites gewährt werden, oder ein Bauträgerkredit auf Kontokorrentbasis bzw ein Überziehungskredit Grundlage der Baugeldgewährung ist.161 Identität zwischen Darlehensnehmer und Bauherr ist nicht notwendig.162 Baugeld entsteht, sobald der Baugeldempfänger die tatsächliche und rechtliche 29 Verfügungsgewalt163 über den Darlehensbetrag erlangt und somit die Dispositionsbefugnis innehat.164 Das ist nicht der Fall, wenn die Darlehenssumme lediglich bewilligt ist;165 vielmehr ist es erforderlich, dass der Baugeldempfänger – neben der rechtlichen Verfügungsbefugnis – über den Betrag tatsächlich auch verfügen kann, ihm das Geld

_____ ber hat selbst ein großes Interesse daran, dass die Mittel für den Bau verwenden werden und seine Haftungssumme erhöht wird; MK/Wegner § 2 BauFordSiG Rn 31; G/L/Busch § 49 Rn 39; Vygen/Joussen Rn 3241 m Bsp; Mergel, S 91; Hagenloch Rn 72. 155 M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 6; demgegenüber „eine klare Absprache“ fordernd I/K/Joussen Anh 1 Rn 270. 156 I/K/Joussen Anh 1 Rn 270; Vygen/Joussen Rn 3241. 157 Ausf zum Ganzen I/K/Joussen Anh 1 Rn 270 sowie Stammkötter § 1 Rn 383 ff. Siehe zudem unten Rn 36, 38. 158 Stammkötter § 1 Rn 386 f; vgl zur Kündigung A/R/R/Wegner 7/3 Rn 34. 159 Siehe nur BGH NJW-RR 2000, 1261, 1262 sowie I/K/Joussen Anh 1 Rn 266 mwN und ausf Begründung. 160 BGH NJW-RR 2000, 1261. 161 BGH NJW-RR 2013, 340, 341; BGH NJW-RR 1986, 446, 447; OLG Hamm NJW 2015, 1391, 1392; OLG Stuttgart BauR 2012, 96, 98 sowie M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 10 mwN. 162 OLG Dresden BauR 2002, 486, 487; MK/Wegner § 2 BauFordSiG Rn 26; I/K/Joussen Anh 1 Rn 272. 163 Zum Ganzen siehe oben Rn 6. 164 Lit: BGH NJW-RR 2013, 340, 341; BGH NJW-RR 1991, 728, 729; BGH NJW-RR 1990, 88. Rspr: M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 12; G/v B/Bruns § 1 BauFordSiG Rn 5. Demgegenüber aA Stammkötter § 1 Rn 378, nach dem das Bereitstellen des Geldes genügt. 165 Da die Tathandlung von § 2 BauFordSiG einen Verstoß gegen die Verwendungspflicht von § 1 Abs 1 S 1 BauFordSiG, mithin eine Auszahlung des Geldes verlangt, ist diese Frage für das Strafrecht sowieso irrelevant, dazu G/L/Busch § 49 Rn 38. Zu einem anderen Ergebnis gelangen wohl Vygen/Joussen Rn 3270, die einen strafrechtlich relevanten Verstoß gegen § 1 Abs 1 S 1 BauFordSiG auch ahnden wollen, wenn Mittel nicht abgerufen werden, obwohl sie alsbald nicht mehr zur Verfügung stehen. Vgl zudem unten Rn 40.

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also ausbezahlt oder auf seinem Konto gutgeschrieben wurde.166 Demgegenüber genügt es nicht, sofern Darlehensmittel trotz eines fälligen Anspruchs nicht abgerufen wurden.167 Es steht dem Kreditnehmer nämlich frei, welche Mittel er einsetzt; daher können bspw zunächst Eigenmittel eingesetzt werden, die nicht § 1 Abs 1 S 1 BauFordSiG unterliegen.168 Schließlich korreliert dieses Ergebnis mit der Baugeldverwendungspflicht von § 1 Abs 1 S 1 BauFordSiG. Zuletzt entsteht Baugeld in der Höhe nicht, in der Kreditgeber aus eigener Veranlassung über den auszuzahlenden Darlehensbetrag verfügen oder von der Darlehenssumme etwas einbehalten.169

(3) Grundpfandrechtliche Sicherung der Darlehensmittel 30 Die gewährten Finanzmittel müssen nach § 1 Abs 3 S 1 Nr 1 BauFordSiG stets durch eine

Hypothek bzw Grundschuld oder einen Eigentumsvorbehalt170 abgesichert sein.171 Ein mit einer Grundschuld belastetes Erbbaurecht genügt gleichermaßen.172 Nur in dem Umfang, in dem das Darlehen derart gesichert ist, kann überhaupt Baugeld entstehen.173 Identität zwischen Baugrundstück und belastetem Grundstück ist erforderlich,174 jedoch müssen Gläubiger der Grundschuld und Darlehensgeber sowie Darlehensnehmer und Schuldner der Grundschuld nicht ein und dieselbe Person sein.175 Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Darlehensgewährung, der Bestellung des Grundpfandrechts und dem damit gesicherten Anspruch des Geldgebers muss vorliegen;176 demgemäß muss der Darlehensvertrag in der Regel die grundpfandrechtliche Absicherung vorsehen oder vom Einräumen einer solchen Sicherheit abhängig gemacht werden.177 Sollte eine grundpfandrechtliche Sicherung eingerichtet werden, obschon der Darlehensvertrag eine derartige Klausel nicht enthält, so ist dies unschädlich;178 das tatsächliche Absichern des Darlehens mit einer Hypothek bzw Grundschuld stellt den notwendigen Zusammenhang her.179 Letztlich ist der Zeitpunkt der Auszahlung nicht relevant; es macht keinen Unterschied, ob das Darlehen vor oder nach Eintragung des Grundpfandrechts im Grundbuch ausbezahlt wird.180 Für den praktisch nicht bedeutenden Fall, dass

_____ 166 BGH NJW-RR 2013, 340, 341 f; BGH NJW-RR 1991, 728, 729; BGH NJW-RR 1990, 88. 167 So aber OLG Stuttgart BauR 2012, 96, 98; A/R/R/Wegner 7/3 Rn 30; Stammkötter § 1 Rn 378; OLG Hamm BauR 2006, 123, 125. 168 BGH NJW-RR 2013 340, 342, nach dem der Wortlaut „Empfänger von Baugeld“ für diese Auslegung spricht; OLG Hamm NJW 2015, 1391, 1392; G/v B/Bruns § 1 BauFordSiG Rn 5 sowie M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 12 und neuerdings I/K/Joussen Anh 1 Rn 264. 169 BGH NJW-RR 1990, 88; BGH NJW-RR 1989, 788, 789; M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 12. 170 Die Konstellation, in der Darlehensgeber und Grundstückverkäufer personenidentisch sind, spielt in der Praxis nur eine untergeordnete Rolle; siehe Stammkötter § 1 Rn 311. Zum Schutzbedürfnis vgl zusätzlich I/K/Joussen Anh 1 Rn 275. 171 BGH NJW-RR 1989, 788; Bürgschaften, Wechsel oÄ genügen nicht, Stammkötter § 1 Rn 299 und A/R/R/Wegner 7/3 Rn 27. 172 BGH NJW-RR 1990, 914, 915. 173 I/K/Joussen Anh 1 Rn 273. 174 Gesetzesbegründung BT-Drucks 16/511, S 23; Vygen/Joussen Rn 3244; MK/Wegner § 2 BauFordSiG Rn 28; Mergel, S 73. 175 Stammkötter § 1 Rn 301; G/v B/Bruns § 1 BauFordSiG Rn 8; Hagenloch Rn 32; Mergel, S 73. 176 BGH NJW-RR 2000, 1261 f. 177 BGH NJW-RR 1989, 788, 789; BGH NJW 1988, 263, 264; I/K/Joussen Anh 1 Rn 273. 178 So schon M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 14; wohl aA I/K/Joussen Anh 1 Rn 273. 179 Das ist zum Wohle des Gläubigerschutzes geboten, da anderenfalls eine Umgehung des Baugeldbegriffs und mithin der Verwendungspflicht von § 1 Abs 1 S 1 BauFordSiG drohen würde. 180 BGH NJW-RR 1991, 728, 729; BGH NJW 1988, 263, 264; OLG Dresden BauR 2002, 486, 487.

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der Kreditgeber gleichzeitig der Grundstücksverkäufer ist, genügt es auch, einen Eigentumsvorbehalt zu vereinbaren, womit die Übertragung des Eigentums an dem Grundstück erst nach gänzlicher oder teilweiser Herstellung des Baues oder Umbaus erfolgen soll.181

bb) Baugeld iSv § 1 Abs 3 S 1 Nr 2 BauFordSiG Der erweiterte Baugeldbegriff in § 1 Abs 3 S 1 Nr 2 BauFordSiG182 ist von der dinglichen 31 Sicherung abgekoppelt. Mithin kommen nicht nur grundpfandrechtlich gesicherte Geldbeträge, sondern auch Eigen-183 und Fördermittel184 in Betracht. Nach den Baugeldmerkmalen von § 1 Abs 3 S 1 Nr 2 BauFordSiG liegt dieses vor, wenn ein Empfänger von einem Dritten Geldbeträge erhält, hierfür dem Dritten Bauleistungen verspricht, und an diesen Leistungen des Empfängers noch andere Unternehmer beteiligt sind. MaW ist die vertragliche Vergütung eines jeden auf den Darlehensempfänger/Bauherrn folgenden Unternehmers – sofern er gleichfalls Nachunternehmer beauftragt – als Baugeld einzustufen.185 Ergo werden alle Finanzmittel einer mehrgliedrigen Nachunternehmerkette miteinbezogen, die nach unten weitergegeben werden sollen.186 Mit Ausnahme der ersten Ebene des Darlehensnehmers/Bauherrn, für den § 1 Abs 3 S 1 Nr 2 BauFordSiG nicht greift,187 und der letzten Ebene, an der kein weiterer Nachunternehmer beteiligt ist, sind alle zwischengeschalteten Ebenen einer Unternehmerkette erfasst.188 Empfänger iSv § 1 Abs 3 S 1 Nr 2 BauFordSiG ist gleichbedeutend mit Baugeld- 32 empfänger gem § 1 Abs 1 S 1 BauFordSiG.189 Insb ist jeder Nach- bzw Subunternehmer miteinbezogen.190 Er muss von demjenigen Dritten, dem er die Bauleistungen versprochen hat, Geldbeträge erhalten haben, wobei Schlusszahlungen, Teilzahlungen und Abschlagszahlungen gemeint sind;191 das Geld muss sich in der Verfügungsbefugnis des Empfängers befinden.192 Wer die Geldbeträge ausbezahlt, ist unerheblich; die Auszahlung kann auch eine finanzierende Bank oder ein Baubetreuer leisten.193 Dritter kann in einer Nachunternehmerkette jeder sein, der unter dem Darlehensempfänger steht, bspw der GÜ und GU sowie alle Nach- und Subunternehmer;194 er muss nicht der Bauherr sein.195 Eine Bauleistung nach § 1 Abs 3 S 1 Nr 2 BauFordSiG verspricht der Baugeldempfän- 33 ger, wenn es sich um eine im Zusammenhang mit der Herstellung des Baus oder Umbaus stehende Leistung handelt. Fraglich ist, ob die Begriffsbestimmung aufgrund des Formulierungszusatzes „im Zusammenhang mit“ einer extensiveren Auslegung un-

_____ 181 182 183 184 185 186 187 188 189 190 191 192 193 194 195

Stammkötter § 1 Rn 311; M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 13. Zu den gravierenden Änderungen des FoSiG siehe oben Rn 4. Gesetzesbegründung BT-Drucks 16/511, S 23. Krit Wittjen ZfBR 2009, 418, 421 f. Joussen NZBau 2009, 737, 738; G/v B/Bruns § 1 BauFordSiG Rn 9; Stammkötter § 1 Rn 318. Treffend I/K/Joussen Anh 1 Rn 257. M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 17; Stammkötter § 1 Rn 322. Für die „erste Ebene“ gilt freilich § 1 Abs 3 S 1 Nr 1 BauFordSiG, siehe oben Rn 21. MK/Wegner § 2 BauFordSiG Rn 25; Vygen/Joussen Rn 3249. Siehe oben Rn 6 ff. Zur Diskussion siehe oben Rn 11. K/K/Koeble 10 Teil Rn 232; M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 18; K/W/Kainz 2/D Rn 142. I/K/Joussen Anh 1 Rn 281; Stammkötter § 1 Rn 349 f. M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 18. Insb kann jeder Nachunternehmer selbst Baugeldempfänger sein, siehe oben Rn 11. I/K/Joussen Anh 1 Rn 279; Joussen NZBau 2009, 737, 740.

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terfällt196 als iRv § 1 Abs 1 S 1 BauFordSiG. Die Problematik thematisiert vor allem die Frage, ob sich wegen der gesetzgeberischen Neufassung von § 1 Abs 3 S 1 Nr 2 BauFordSiG die Leistung des Baugläubigers noch immer auf wesentliche Bestandteile eines Bauwerks beziehen muss oder § 1 Abs 3 S 1 Nr 2 BauFordSiG den Kreis der Baugeldempfänger erweitert und deshalb nunmehr bspw auch Leistungen an Garten- und Außenanlagen197 erfasst sind. Einer solchen Erweiterung ist zu wiedersprechen; Tätigkeiten die nicht auf wesentliche Bestandteile eines Bauwerks gerichtet sind, fallen von vornherein aus dem Anwendungsbereich der Norm. Daran vermag das FoSiG nichts zu ändern. Weder die Gesetzesbegründung noch die Norm selbst legen einen derartigen Schluss nahe.198 Es gelten die Ausführungen zu § 1 Abs 1 S 1 BauFordSiG gleichermaßen.199 34 An der Leistung des Baugeldempfängers müssen zwingend weitere Unternehmer aufgrund eines Werk-, Dienst- oder Kaufvertrags beteiligt sein,200 die ihrerseits einen Anspruch gegen den Baugeldempfänger haben. Gemeint sind Nach- und Subunternehmer genauso wie Zulieferer, nicht aber Arbeitnehmer des Empfängers.201

cc) Baugeld iSv § 1 Abs 3 S 2 BauFordSiG 35 § 1 Abs 3 S 2 BauFordSiG stellt eine unwiderlegbare Vermutung dahingehend auf, dass

Abschlagszahlungen und Zahlungen, die nach Maßgabe des Baufortschritts ausbezahlt werden, immer dem Bestreiten der Kosten eines Baus oder Umbaus dienen. Ohne den Beteiligten die Möglichkeit einzuräumen, die Vermutung zu widerlegen, legt der Gesetzgeber somit die normalerweise individualvertraglich zu vereinbarende Zwecksetzung der Finanzmittel fest.202 Das gilt sogar, falls eigentlich nur modifiziertes Baugeld vorliegt.203 Diese Vermutung erlangt strafrechtlich jedoch keine Beachtung. Als materiellrechtliche Vermutungsregel ist sie insb mit dem in dubio pro reo Grundsatz nicht vereinbar und kann „die strafrichterliche Überzeugungsbildung nicht ersetzen“.204 Nichts anderes gilt für die Beweislastumkehr von § 1 Abs 4 BauFordSiG.205

_____ 196 Stammkötter § 1 Rn 339 ff, der alle Leistungen erfasst, die inhaltlichen einen Bezug zum Bauvorhaben aufweisen; K/W/Kainz 2/D Rn 134. 197 Vgl dazu bereits oben Rn 19. Da eine Begrenzung des geschützten Personenkreises auf unmittelbar werterhöhenden Beiträge abgelehnt wird, ist zumindest das Maß der erforderlichen Beteiligung unstreitig, oben Rn 16. 198 IE in diese Richtung BGH NJW-RR 2013, 393, 394, nach dem die Begrenzung auf „wesentliche Bestandteile“ nach wie vor Geltung beansprucht und folglich Garten- und Außenanlagen nicht erfasst sein dürften. 199 Dazu oben Rn 16, 18 ff. 200 Dazu oben Rn 15. 201 K/K/Koeble 10 Teil Rn 233; M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 19; I/K/Joussen Anh 1 Rn 282. 202 Zur Diskussion, auf welche Variante von § 1 Abs 3 BauFordSiG sich § 1 Abs 3 S 2 BauFordSiG genau bezieht, siehe nur Stammkötter § 1 Rn 353 ff, 359 f und M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 8 f. 203 I/K/Joussen Anh 1 Rn 269; M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 8. Zur Darlegungs- und Beweislast K/W/ Kainz 2/D Rn 160 ff. 204 A/R/R/Wegner 7/3 Rn 29 mwN; MK/ders § 2 BauFordSiG Rn 29. Unzutreffend wohl aA Korbion/ Wietersheim F 9. 205 Diese gilt nur für den Zivilrechtsstreit, BGH NJW 2011, 1578, 1579; G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 8 mwN; MK/Wegner § 2 BauFordSiG Rn 29; G/J/W/Reinhart § 2 BauFordSiG Rn 5; Derleder ZfIR 2011, 585, 588; M-G/Richter § 83 Rn 103.

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dd) Wegfall von Baugeld Eine Pönalisierung wegen § 2 BauFordSiG scheitert, falls Finanzmittel nach dem Wegfall 36 der Baugeldeigenschaft206 zweckwidrig verwendet werden. Sobald eines der Baugeldmerkmale iSv § 1 Abs 3 S 1 Nr 1 bzw Nr 2 BauFordSiG entfällt, verliert Baugeld seine besondere Eigenschaft. Das ist bspw bei Zweckerreichung der Fall, wenn alle Baugläubiger vollständig befriedigt sind oder das Baugeld vollständig an Baugläubiger ausbezahlt wurde, die selbst nicht mehr Baugeldempfänger sind und das erlangte Geld als Vergütung für sich behalten dürfen.207 Gleiches gilt ex nunc,208 sofern die Zweckabrede geändert wird und zukünftig kein Baugeld mehr vorliegt,209 der Darlehensvertrag verändert bzw gekündigt wird,210 die grundpfandrechtliche Sicherung wegfällt211 oder bei Vereinigung von Kreditgeber und Kreditnehmer aufgrund einer Erbschaft der Darlehensanspruch durch Konfusion erlischt.212 Die Baugeldeigenschaft geht auch verloren, falls das Bauvorhaben endgültig scheitert und der Zweck demgemäß nicht erreicht werden kann213 oder der Baugeldempfänger iRv § 1 Abs 1 S 2 BauFordSiG eigene Mittel einsetzt und insoweit die Verwendungspflicht nicht mehr greift.214 Baugeld verliert seinen Charakter schließlich, nachdem es iSv § 2 BauFordSiG strafbewährt an Dritte geleistet wurde, die keine Baugläubiger sind.215

d) Verstoß gegen die Verwendungspflicht von § 1 Abs 1 S 1 BauFordSiG Ein Baugeldempfänger verstößt gegen die von § 1 Abs 1 S 1 BauFordSiG auferlegte Ver- 37 wendungspflicht, wenn er Baugeld nicht ausschließlich zur Befriedigung von Baugläubigern216 einsetzt, sondern Dritten zukommen lässt, die keine Baugläubiger sind. Potentiellen Tätern ist es somit bspw nicht erlaubt, Baugeld Personen zu übertragen, deren Tätigkeit sich nicht direkt auf wesentliche Bestandteile eines Bauwerks bezieht bzw die Materialien verbauen, die sich nicht auf wesentliche Bestandteile erstrecken.217 Da öffentlich-rechtliche Gebührenträger, die Gebühren für Genehmigungen und Ver- bzw Entsorgungsleitungen erheben, nicht zum Kreis der Baugläubiger gehören, stellt das

_____ 206 Zur Behandlung von Baugeld bei im Raum stehenden Minderungs- bzw Schadensersatzansprüchen oder einem Rücktrittrecht vgl A/R/R/Wegner 7/3 Rn 32; Hagenloch Rn 90 ff; Lemme wistra 1998, 41, 45 sowie G/L/Busch § 49 Rn 40. 207 MK/Wegner § 2 BauFordSiG Rn 31; G/L/Busch § 49 Rn 39; Stammkötter § 1 Rn 381. 208 BGH NJW-RR 2013 340, 343; Hagenloch Rn 89, 71. 209 Siehe oben Rn 27 sowie Lemme wistra 1998, 41, 44. 210 OLG Stuttgart BauR 2012, 96, 100; I/K/Joussen Anh 1 Rn 271; K/W/Kainz 2/D Rn 144; A/R/R/Wegner 7/3 Rn 34; Vygen/Joussen Rn 3242; Mergel, S 91; Stammkötter § 1 Rn 424 f. 211 Siehe MK/Wegner § 2 BauFordSiG Rn 31 mit weiteren Bsp; G/v B/Bruns § 1 BauFordSiG Rn 8 mit Verweis auf OLG Dresden vom 31.7.2002 – 18 U 3034/01 (nV); M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 15, nach dem zutr der Weg für einen ausreichenden Schutz über § 648 BGB sodann wieder eröffnet ist. AA wohl KG IBR 2004, 425; W/P/Pastor Rn 2377; Vygen/Joussen Rn 3243; I/K/Joussen Anh 1 Rn 273; sowie Stammkötter § 1 Rn 307. 212 MK/Wegner § 2 BauFordSiG Rn 31. 213 Hagenloch Rn 93; Lemme wistra 1998, 41, 44; MK/Wegner § 2 BauFordSiG Rn 31. 214 Dazu unten Rn 44. 215 Lemme wistra 1998, 41, 45; Stammkötter § 1 Rn 415 ff; Hagenloch Rn 74. Alle drei gehen ferner der Frage nach, ob die Baugeldeigenschaft wiederauflebt, wenn solche Mittel an den Baugläubiger zurückfließen. Dazu auch A/R/R/Wegner 7/3 Rn 33, nach dem diese Diskussion strafrechtlich unbedeutend ist. 216 Dazu oben Rn 15 ff. 217 Ausf zu dieser Abgrenzung siehe oben Rn 19.

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814 | 3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften

Begleichen solcher Gebühren keine zweckgerechte Verwendung dar, sondern strafbewehrtes Verhalten.218 Eine Pflichtverletzung ist ebenso im zweckentfremdeten Einsatz von Baugeld für 38 eigene Zwecke zu sehen. Darunter fallen der Einsatz für Büromieten und Gehälter sowie sonstige allg Kosten.219 Ebenfalls tatbestandlich erfasst ist das Verwenden für andere Zwecke, wie das Begleichen des Grundstückkaufpreises sowie Makler-, Notar- oder Gerichtskosten.220 Es ist eine Verwendung je Bauprojekt notwendig; nicht zulässig ist das Finanzieren sonstiger Bauvorhaben.221 Baugeld muss deshalb immer auf der Baustelle eingesetzte werden, für die es bestimmt ist. Die Einrede des Baugeldempfängers, er hätte die Mittel bei ordnungsgemäßer Verwendung für einen anderen Gläubiger verwendet greift ins Leere.222 Dagegen nicht pflichtwidrig und straffrei ist das nachträgliche Ändern der Zweckabrede iSv § 1 Abs 3 S 1 Nr 1 selbst dann, wenn dadurch der Baugeldbestand geschmälert wird; Mittel, die vor der Änderung Baugeld waren, können danach ohne rechtliche Konsequenzen zu beliebigen Zwecken genutzt werden.223 Für das Auszahlen von Baugeld an Baugeldgläubiger ist alleine der Vergütungs39 anspruch inkl Umsatzsteuer224 der am Bau beteiligten Unternehmer maßgeblich;225 zahlt der Baugeldempfänger einen darüber hinausgehenden Betrag, handelt er § 1 Abs 1 S 1 BauFordSiG zuwider. Ob der Vergütungsanspruch bzw die Beauftragung der Baugläubiger vor oder nach Entstehen der Baugeldeigenschaft entsteht, ist irrelevant.226 Ferner bleibt es den Baugeldempfängern unbenommen, mit Bauhandwerkern Vorauszahlungen zu vereinbaren und sie zu bezahlen, obwohl noch keine wertsteigernde Leistung erbracht wurde. Da das BauFordSiG nicht die Vertragsfreiheit einschränkt,227 ist ein solches Handeln nicht pflichtwidrig iSv § 1 Abs 1 BauFordSiG.228 Nichts anderes

_____ 218 Detailliert I/K/Joussen Anh 1 Rn 305; Vygen/Joussen Rn 3268; G/v B/Bruns § 1 BauFordSiG Rn 14; Stammkötter IBR 2008, 737; M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 36; aA OLG Schleswig NZBau 2008, 646, 647, das bei Ver- und Entsorgungsleitungen sowie Kosten für Baugenehmigungen für eine analoge Anwendung plädiert, wenngleich die Analogie im Rahmen der Strafnorm von § 2 BauFordSiG aufgrund des Analogieverbots freilich keine Geltung beansprucht. 219 NJW-RR 1986, 446, 447; RGZ 91, 72, 78; G/L/Busch § 49 Rn 46; K/W/Kainz 2/D Rn 150 mwN; K/K/ Koeble 10 Teil Rn 243. 220 BGH NJW-RR 1986, 446, 447; zum Ganzen mwN siehe zudem oben Rn 24. 221 BT-Drucks 16/13345, S 9; BVerfG NJW 2011, 1578, 1580; K/K/Koeble 10 Teil Rn 243; G/v B/Bruns § 1 BauFordSiG Rn 28. 222 RGZ 138, 156, 159; G/v B/Bruns § 1 BauFordSiG Rn 52; M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 81. 223 Dazu schon oben Rn 27. 224 OLG Schleswig NZBau 2008, 646, 648; Heidland ZInsO 2010, 737, 738; Bruns Jahrbuch BauR 2010, 1, 10; Vygen/Joussen Rn 3267. 225 Ausf, insb zur Frage, ob die Werterhöhung des Bauwerks durch den Baugläubiger im Verhältnis zur Baugeldzahlung stehen muss, I/K/Joussen Anh 1 Rn 303, der zudem prüft, ob die Bezahlung von Vergütungsansprüchen nach § 649 BGB zweckgerechte Verwendungen darstellen und dies positiv bescheidet. Im Hinblick darauf aA Bruns Jahrbuch BauR 2010, 1, 10. 226 G/v B/Bruns § 1 BauFordSiG Rn 26; I/K/Joussen Anh 1 Rn 302 sowie speziell zu sog Nachtragsleistungen OLG Jena BauR 2010, 1770, 1771. 227 Ausf Hagenloch Rn 108 und Hagelberg GSB § 1 Rn 24. 228 Instruktiv Hagenloch Rn 196, 193 und Stammkötter § 1 Rn 82. Nach beiden ist es den Kreditbeteiligten genauso selbst überlassen, eine Vorauszahlung zu vereinbaren, wie im Anwendungsbereich von § 1 Abs 3 S 1 Nr 1 BauFordSiG die notwendige Zweckabrede herbeizuführen. Das BauFordSiG schränkt die Privatautonomie nicht derart ein, als dem Baugeldempfänger ungünstige Vertragsgestaltungen verboten werden. Im Ergebnis so auch M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 46; G/v B/Bruns § 1 BauFordSiG Rn 30, 52; Vygen/ Joussen Rn 3271; I/K/Joussen Anh 1 Rn 303, 312; Mergel, S 70. AA K/K/Koeble 10 Teil Rn 243; Derleder ZfIR 2011, 585, 589.

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gilt,229 wenn die Bauforderung im Zeitpunkt des Verstoßes gegen die Verwendungspflicht noch nicht fällig war.230 Es bleibt dem Baugeldempfänger überlassen, nicht fällige Forderungen zu erfüllen. Der Darlehensnehmer ist nicht dazu verpflichtet, das seitens des Kreditgebers einge- 40 räumte Baugeld tatsächlich abzurufen.231 Er ist nur insoweit verwendungspflichtig, als er den Kredit tatsächlich in Anspruch nimmt.232 Bei der Befriedigung der Baugläubiger muss er keine bestimmte Reihenfolge oder Quote beachten.233 Ferner besteht – auch falls das Baugeld nicht zur Befriedigung aller Gläubiger ausreicht – keine Verpflichtung, vorrangig Eigenmittel einzusetzen und Baugeld nachrangig, nachdem das Eigenkapital vollständig aufgebraucht ist, zu verwenden.234 Die gegenteilige Ansicht235 geht zu weit und würde zudem den Gedanken von § 1 Abs 1 S 2 BauFordSiG unterlaufen. Eigenmittel, die kein Baugeld darstellen, unterliegen darüber hinaus ausdrücklich nicht den Bindungen des BauFordSiG. Der Kreditnehmer muss aber bei der Auswahl des nachfolgenden Baugläubigers, der ebenso Baugeldempfänger ist, insoweit Sorge tragen, als er alles Zumutbare unternimmt, um die nachfolgenden Baugläubiger zu schützen; insofern muss er den Baugeldempfänger, dem er die Mittel zukommen lässt, sorgfältig auswählen.236 Obwohl die genaue Reichweite dieser Sorgfaltspflicht unklar ist, muss er jedenfalls nicht darüber wachen, ob der nachfolgende Baugeldempfänger die erlangten Mittel selbst zweckgemäß einsetzt.237 Da § 1 Abs 1 S 1 BauFordSiG neben dem Verbot obendrein das Gebot enthält, Baugeld 41 zweckentsprechend zu verwenden, ist eine Verwirklichung durch Unterlassen möglich.238 Der Baugeldempfänger muss daher sicherstellen, dass ausgezahltes Baugeld nicht dem Zugriff Dritter – bspw in Form der Pfändung – unterliegt, sondern seiner Zweckbe-

_____ 229 OLG Hamburg OLGR 1997, 68, 69; OLG Jena bei I/K/Joussen Anh 1 Rn 303; I/K/Joussen Anh 1 Rn 303, 312; M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 46; Vygen/Joussen Rn 3271; G/v B/Bruns § 1 BauFordSiG Rn 30, 52; einschränkend Stammkötter § 1 Rn 9, 83, der zumindest eine Wertsteigerung am Grundstück fordert. AA BGH NJW-RR 1991, 141, 142 (aber in Bezug auf die Darlegungs- und Beweislast); wohl auch OLG Dresden BauR 2002, 1871; ebenso OLG Celle BauR 2007, 410, 411; W/P/Pastor Rn 2382 und K/K/Koeble 10 Teil Rn 243. Zur umgekehrten Konstellation, dass der Baugeldempfänger den Werklohn nicht zahlt, bevor dieser fällig geworden ist, siehe LG Magdeburg NJOZ 2011, 801. 230 Dem steht nicht entgegen, dass der Vergütungsanspruch freilich nicht vor Fälligkeit bezahlt werden muss. Folglich kann sich bspw ein Geschäftsführer nicht darauf berufen, davon ausgegangen zu sein, zum späteren Zeitpunkt der Fälligkeit genug liquide Mittel zur Verfügung zu haben; er muss diese vielmehr für den Zeitpunkt der Fälligkeit vorhalten; siehe I/K/Joussen Anh 1 Rn 312 mit Verweis auf OLG Bamberg Urteil vom 15.2.2001 – 1 U 49/00, IBR 2001, 310 (LS). 231 Siehe oben Rn 29; BGH NJW-RR 2013, 340, 342; Stammkötter § 1 Rn 1, 6. 232 Siehe oben Rn 29; BGH NJW-RR 2013, 340, 342 und G/v B/Bruns § 1 BauFordSiG Rn 26. 233 Oben Rn 13; M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 44 sowie G/v B/Bruns § 1 BauFordSiG Rn 37; OLG Dresden BauR 2002, 486, 488. 234 BGH NJW 2010, 3365, 3366; OLG Dresden OLG-NL 2000, 123; wohl ebenfalls OLG Naumburg OLGR 2001, 97; ausf zum Ganzen MK/Wegner § 2 BauFordSiG Rn 19 und Schmidt BauR 2001, 150, 151 f mwN; G/v B/Bruns § 1 BauFordSiG Rn 37; I/K/Joussen Anh 1 Rn 306. 235 OLG Dresden BauR 2000, 585, 587; OLG Düsseldorf NJW-RR 1996, 1363, 1364; Stammkötter § 1 Rn 9, 109 f sowie M/B/S/Gribl § 3 Rn 90, jedoch ohne jegliche Begründung. 236 BGH NJW 1982, 1037, 1038; RGZ 138, 156, 161 f; Schulze-Hagen NJW 1986, 2403, 2407; Schlenger ZfBR 1983, 104, 106. 237 BGH NJW 1982, 1037, 1038; RGZ 138, 156, 161; Schlenger ZfBR 1983, 104, 106, der aber zusätzlich verlangt, dass der Kreditnehmer nachfolgende Baugeldempfänger über die Baugeldeigenschaft unterrichtet. Dem ist zu widersprechen: Eine solche Pflicht lässt sich dem BauFordSiG nicht entnehmen. 238 BGH NJW 1988, 263, 265; K/W/Kainz 2/D Rn 157; Stammkötter § 1 Rn 9; Vygen/Joussen Rn 3270; Hagelberg GSB § 5 Rn 14.

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816 | 3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften

stimmung zugeführt wird.239 Für einen Verstoß gegen die Verwendungspflicht genügt es, Baugeld, das sich auf dem normalen Konto befindet, vorsätzlich der Einlagenpfändung durch die kontoführende Bank auszusetzen.240 Dem BGH zufolge ist das anzunehmen, wenn die Mittel nicht auf ein Treuhandkonto transferiert wurden, obwohl der Baugeldempfänger aufgrund seiner Vermögenslage mit einem Zugriff durch die Bank rechnen musste bzw diesen billigend in Kauf nahm.241 Eine generelle Pflicht, Baugeld grds je Bauvorhaben auf einem gesonderten Treuhandkonto zu verwahren, lässt sich dem Urteil indes nicht entnehmen;242 dem Baugeldempfänger bleibt es selbst überlassen, geeignete Maßnahmen gegen den Fremdzugriff zu errichten.243 Als Schutz vor der eigenen Bank kann eine solche Maßnahme in einer die AGB-Pfändung durch die Bank hindernden Mitteilung an die kontoführende Bank liegen,244 es handele sich bei eingehenden Zahlungen um treuhänderisch gebundenes Baugeld.245 Erst wenn eine Pfändung konkret droht, hat der Baugeldempfänger – die Pfändung darf sich nicht mehr anders abwenden lassen – das Baugeld zu separieren.246 Nicht pflichtgemäß ist es, abzuwarten, bis ein Vollstreckungstitel vorliegt.247 Um einen umfassenden Schutz vor dem Zugriff sonstiger Dritter zu gewähren und nicht selbst in den Sog des BauFordSiG zu gelangen, werden Baugeldempfänger – obwohl sie nicht dazu verpflichtet sind – dennoch dazu angehalten sein, für jede Baumaßnahme ein separates Treuhandkonto zu führen und darauf lediglich Baugeld iSv § 1 Abs 3 BauFordSiG zu verwalten. Damit wird zugleich eine Vermischung mit sonstigen Finanzmitteln verhindert und eindeutige Identifizierbarkeit von Baugeld ermöglicht. Ob § 1 Abs 1 S 1 BauFordSiG den Baugeldempfänger generell dazu verpflichtet, Bau42 geld insolvenzfest anzulegen, ist umstritten248 und muss an dieser Stelle nicht ent-

_____ 239 BGH NJW 1988, 263, 265; Heidland ZInsO 2010, 737, 738. 240 BGH NJW 1988, 263, 265. AA Schmidt BauR 2001, 150, 153 sowie Maritz BauR 1990, 401, 403. 241 BGH NJW 1988, 263, 265. 242 BT-Drucks 16/13345, S 9. Aus der Lit: ausf I/K/Joussen Anh 1 Rn 308 ff, 311; K/W/Kainz 2/D Rn 150; Stammkötter BauR 2009, 1521, 1523 f; Korbion/Wietersheim F 4.5; G/v B/Bruns § 1 BauFordSiG Rn 29. Unklar K/K/Koeble 10 Teil Rn 238, der zwar davon spricht, dass ein spezielles Treuhandkonto eingerichtet werden muss, aber „die Art und Weise des Schutzes [vor dem Zugriff Dritter] dem Baugeldempfänger überlassen“ will. Dagegen für eine solche Pflicht: K/W/Kainz 2/D Rn 157; Wittjen ZfBR 2009, 418, 421; Heerdt/Schramm BauR 2009, 1353, 1356 f; Kölbl NZBau 2010, 220, 222 f; Jänchen/Solle ZfIR 2009, 733, 737; M/B/S/Gribl § 3 Rn 90; Leidig NJW 2009, 2919, 2921, nach dem je Baustelle zumindest ein Sonderkonto eingerichtet werden muss; M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 47. 243 Da strafrechtliche Folgen und Schadensersatzansprüche erst auftreten, wenn Baugeld gepfändet wird, und Gläubiger in solchen Situationen immer mit einem Zugriff durch Dritte rechnen, ist die Frage, ob ein Treuhandkonto zwingend ist, nach Wolff nur von akademischem Interesse; siehe M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 48. Dem ist nicht zuzustimmen. Es sind nämlich Konstellationen vorstellbar, in denen ein liquider Baugeldempfänger durch ein Ereignis plötzlich finanziell ins Wanken gerät. Pfändet die Bank daraufhin unverzüglich Baugeld, musste der Baugeldempfänger weder damit rechnen, noch nahm er die Pfändung billigend in Kauf. Es kommt dann entscheidend darauf an, ob eine Pflicht zur separaten Anlage besteht, die verletzt wurde. 244 Eine solche Mitteilung kann durch den Baugeldempfänger oder zahlungspflichtigen Auftraggeber erfolgen; dazu I/K/Joussen Anh 1 Rn 309. 245 BGH NJW 1988, 263, 265; BGH NJW 1959, 142; I/K/Joussen Anh 1 Rn 309; Stammkötter § 1 Rn 434. Es genügt auch, wenn die Bank anderweitig davon Kenntnis erlangt; BGH NJW 1973, 1754. 246 Siehe BT-Drucks 16/13345, S 9 und Stammkötter BauR 2009, 1521, 1524 mwN. 247 G/v B/Bruns § 1 BauFordSiG Rn 29; I/K/Joussen Anh 1 Rn 311. Siehe zudem BT-Drucks 16/13345, S 9, wonach eine Separierung des Baugelds erst erforderlich ist, wenn eine konkrete Pfändung droht. AA Hagenloch Rn 120, 136. 248 Grdl zum Ganzen Brand ZInsO 2014, 1477, 1482 ff mwN. Dafür: Heerdt BauR 2009, 1353, 1357; Heidland ZInsO 2010, 737, 744 ff; Cymutta NZI 2012, 160 sowie Jänchen/Solle ZfIR 2009, 733, 736 nach denen die Pflicht dem § 2 BauFordSiG entstammt.

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schieden werden.249 Denn selbst wenn sich ein Verstoß gegen die Verwendungspflicht des § 1 Abs 1 S 1 BauFordSiG konstruieren lässt, scheitert eine strafrechtliche Pönalisierung gem § 2 BauFordSiG am Analogieverbot und Gesetzlichkeitsprinzip;250 § 1 BauFordSiG schafft nämlich keine Verpflichtung, Baugeld vom sonstigen Vermögen getrennt aufzubewahren.251 Eine strafrechtliche Pönalisierung iSv § 2 BauFordSiG zieht eine Vermischung deshalb keineswegs nach sich.252 Der Insolvenzverwalter253 ist nicht an die Verwendungspflicht des § 1 Abs 1 S 1 BauFordSiG gebunden;254 diese gilt nur bis zur Insolvenz des Baugeldempfängers und ruht währenddessen.255 Baugläubiger sind in der Insovenz anderen Insolvenzgläubigern gleichgestellt; ihnen steht kein Anspruch auf vorrangige Befriedigung zu. Laut BGH stellen Weiterbelastungen eines schon im Debit stehenden Baugeld- 43 kontos aufgrund der periodisch vorgenommen Saldierung der Bank eine Baugeldverwendung dar, falls weitere Baugeldeingänge zu erwarten sind, mit denen der eingeräumte Überziehungskredit wieder zurückgeführt werden soll.256 Das soll selbst dann gelten, wenn Baugeld, das sich zuvor auf dem Baukonto befand, vollständig pflichtgemäß verbraucht wurde. Werden also Mittel, die durch die Weiterbelastungen erlangt wurden, entgegen § 1 Abs 1 S 1 BauFordSiG eingesetzt, liegt ein strafrechtlich relevanter Verstoß gegen die Verwendungspflicht vor.257

e) Zulässige anderweitige Verwendung und Eigenleistung des Baugeldempfängers Nach § 1 Abs 1 S 2 BauFordSiG ist eine von § 1 Abs 1 S 1 BauFordSiG abweichende Ver- 44 wendung von Baugeld ausnahmsweise bis zu dem Betrag statthaft, in dem der Baugeldempfänger Baugläubiger bereits aus anderen Mitteln befriedigt hat. Da Baugläubiger insoweit nicht schutzbedürftig sind, wird der Schutzbereich des Gesetzes nicht beeinträchtigt.258 Woher die anderen Mittel rühren, ist unbeachtlich; es kommen Eigenkapital und sonstige Darlehensmittel in Frage. IRv § 2 BauFordSiG erlangt § 1 Abs 1 S 2 BauFordSiG Beachtung und ist bei der Auslegung und Anwendung zu berücksichtigen.259

_____ 249 Eine Erfüllung dieser Pflicht wäre vor dem Hintergrund der restriktiven BGH Rspr zum Themenkomplex Treuhandkonto (BGHZ 155, 227, 231; BGH ZInsO 2005, 879; BGH NJW 1993, 2622; BGH NJW 1959, 1223, 1225) überhaupt nicht möglich, da ein solches den Baugläubigern kein Aussonderungsrecht einräumt; dazu ausf Brand ZInsO 2014, 1477, 1483 f sowie OLG Naumburg WM 2003, 1668, 1669. 250 Brand ZInsO 2014, 1477, 1484. 251 Kölbl NZBau 2010, 220, 223; Brand ZInsO 2014, 1477, 1484; vgl BVerfG NJW 2011, 1578, 1580, 1582, wonach sich eine Anweisung, Baugeld zugriffssicher anzulegen, nicht zwingend aus dem Wortlaut des Gesetzes ergibt. Das Verneinen einer Verpflichtung zur insolvenzfesten Anlage würde den Schutzzweck mithin nicht vollkommen aushebeln; Hagelberg GSB § 1 Rn 25. AA M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 47 sowie G/v B/Bruns § 1 BauFordSiG Rn 28, dem zufolge gemischte Sammelkonten nicht eingerichtet werden „sollen“; Heidland ZInsO 2010, 737, 738. 252 So auch G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 7; A/R/R/Wegner 7/3 Rn 18 und MK/ders § 2 BauFordSiG Rn 16. 253 Ausf zum Themenkomplex Baugeld in der Insolvenz Stammkötter § 1 Rn 443 ff. 254 K/W/Kainz 2/D Rn 149; I/K/Joussen Anh 1 Rn 316; M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 30; Heidland ZInsO 2010, 737, 742 f. 255 OLG Hamm ZIP 2007, 240, 241; LG Magdeburg BeckRS 2010, 19943 = NJOZ 2011, 801; Stammkötter § 1 Rn 450; G/v B/Bruns § 1 BauFordSiG Rn 36 mwN. 256 BGH NJW-RR 1990, 280, 281; zust G/v B/Bruns § 1 BauFordSiG Rn 27. 257 Nach M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 12 soll das aber nicht bereits mit dem Weiterbelasten des debitorischen Kontos der Fall sein, sondern erst wenn „neues“ Baugeld tatsächlich eingeht. 258 Stammkötter § 1 Rn 101; M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 37. 259 A/R/R/Wegner 7/3 Rn 21.

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§ 1 Abs 2 BauFordSiG berechtigt den Baugeldempfänger, der selbst an der Herstellung oder dem Umbau beteiligt ist, Baugeld in Höhe des angemessenen Wertes der von ihm erbrachten Leistungen für sich zu behalten.260 Die Norm stellt eine weitere Ausnahme von der Verwendungspflicht gem § 1 Abs 1 S 1 BauFordSiG dar.261 § 1 Abs 2 BauFordSiG gilt sowohl für den Bauherrn als auch für den GU und alle folgenden Nachunternehmer. Beteiligt ist der Baugeldempfänger, wenn er eine Leistung aufgrund eines Werk-, Dienst- oder Kaufvertrags erbracht hat,262 bzw – sofern es um eigene Leistungen des Bauherrn geht – ein Werk-, Dienst- oder Kaufvertrag bestünde, falls er Dritte mit der Leistung beauftragt hätte.263 Die Beteiligung an der Herstellung oder dem Umbau264 muss sich in irgendeiner Weise als Mehrwert im Bau niedergeschlagen haben bzw einen Beitrag zur Schaffung einer Wertsteigerung erbringen.265 Abzugsfähig sind bei Vorliegen der Voraussetzungen nicht nur wertsteigernde Maß46 nahmen, sondern alle erbrachten Leistungen.266 Nach dem ausdrücklichen gesetzgeberischen Willen267 fallen alle Positionen darunter, solche, die keinen Mehrwert für das Bauwerk schaffen miteingeschlossen.268 Genannt sind bspw „allgemeine Geschäftskosten, Gemeinkosten sowie Wagnis und Gewinn, Umsatzsteuerlast an das Finanzamt, Löhne und Gehälter des eigenen Personals, Kosten für gemietete Gegenstände auf Baustellen“ etc.269 Notwendig ist immer ein baustellenspezifischer Bezug der Kosten, sodass Ausgaben einer anderen Baustelle nicht in Abzug gebracht werden können.270 Für das Bestimmen des angemessenen Werts ist der objektive Wert der Leistung inkl Umsatzsteuer271 entscheidend,272 der sich regelmäßig mit der üblichen Vergütung von § 632 Abs 2 BGB deckt.273 47 Liegen die Voraussetzungen einer Beteiligung nach § 1 Abs 2 BauFordSiG vor, darf der Baugeldempfänger die von ihm erbrachten Leistungen in Abzug bringen, ohne dabei 45

_____ 260 So schon BGHSt 46, 373, 378 und BGH NJW-RR 1991, 728, 729, freilich noch zum alten GSB. 261 Die vormals bestehende Beschränkung des Entnahmerechts auf die Hälfte des Wertes der vom Baugeldempfänger erbrachten Leistung ist mit dem Gesetz zur Änderung des BauFordSiG vom 29.7.2009, BGBl I, S 2436 weggefallen. Krit dazu G/v B/Bruns § 1 BauFordSiG Rn 31. 262 Vgl oben Rn 15. 263 I/K/Joussen Anh 1 Rn 314; Stammkötter § 1 Rn 256; Hagelberg GSB § 1 Rn 86. 264 Es gelten hierfür die iRv § 1 Abs 1 S 1 BauFordSiG aufgestellten Grds, vgl oben Rn 18 ff. 265 Siehe ausf oben Rn 16. AA Illies BauR 2010, 546, 547, der anscheinend vollkommen auf diese Verbindung verzichtet und keinen wertmäßigen Bezug zum eigentlichen Bau oder Umbau verlangt. 266 Vor der Gesetzesänderung vom 29.7.2009 waren zweifellos nur wertsteigernde Leistungen erfasst, Stammkötter § 1 Rn 257; BGH NJW-RR 1991, 728, 729 sowie OLG Stuttgart IBR 2005, 325, das bspw allg Verwaltungs- und Geschäftskosten als nicht abzugsfähig ansah. 267 BT-Drucks 16/13159, S 6. 268 Illies BauR 2010, 546, 547; wohl ebenfalls Leidig NJW 2009, 2919, 2920; M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 39, 41; in diese Richtung G/v B/Bruns § 1 BauFordSiG Rn 32, der aber Lohnnebenkosten nicht miteinbezieht; K/W/Kainz 2/D Rn 151; MK/Wegner § 2 BauFordSiG Rn 24; aA I/K/Joussen Anh 1 Rn 314, für den es entscheidend darauf ankommt, ob die Leistung an einen Dritten hätte vergeben werden können und somit allg Geschäftskosten nicht erfasst sein können; Heerdt/Schramm BauR 2009, 1353, 1358. Siehe obendrein K/K/Koeble 10 Teil Rn 242, nach dem es sich um die gleichen Maßnahmen wie bei § 1 Abs 1 S 1 BauFordSiG handelt. 269 Auch die Änderung des Wortlauts in „erbrachte Leistungen“ spricht für eine weite Auslegung. 270 Illies BauR 2010, 546 548. 271 OLG Dresden NZBau 2000, 136, 137; MK/Wegner § 2 BauFordSiG Rn 22; I/K/Joussen Anh 1 Rn 313. 272 Vygen/Joussen Rn 3272; Heerdt/Schramm BauR 2009, 1353, 1358; M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 40; Stammkötter § 1 Rn 257. Vgl zudem Illies BauR 2010, 546, 548 f. 273 MK/Wegner § 2 BauFordSiG Rn 22; M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 40 und I/K/Joussen Anh 1 Rn 313; G/v B/Bruns § 1 BauFordSiG Rn 33; aA Illies BauR 2010, 546, 548 ff.

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eine spezielle Vorgehensweise einhalten zu müssen. Der Zeitpunkt der Leistung, also ob sie vor oder nach dem Empfang von Baugeld erbracht worden ist, spielt keine Rolle.274 Der Baugeldempfänger muss keine bestimmte Rangfolge bei der Gläubigerbefriedigung einhalten,275 vielmehr ist es ihm sogar gestattet, Baumittel einzubehalten, obwohl andere Gläubiger nicht befriedigt werden.276 Zu klären ist, inwieweit sich die ältere Rspr des BGH277 zur Handhabung der Anrech- 48 nungsmöglichkeit bei ratenweiser Auszahlung von Baugeld nach Maßgabe des Baufortschritts auf die Neuregelung des § 1 Abs 2 BauFordSiG übertragen lässt. Danach darf der Baugeldempfänger von jeder Ratenzahlung nur so viel für sich behalten, als seine eigene Leistung der konkreten Rate zuzuordnen ist; § 1 Abs 2 BauFordSiG gilt für die jeweilige Rate und nicht im Allgemeinen.278 Einer Übertragung auf den geänderten § 1 Abs 2 BauFordSiG ist nicht zuzustimmen. Da das BauFordSiG Zweckbestimmungen für einzelne Bauabschnitte nicht kennt279 und durch das Gesetz zur Änderung des BauFordSiG vom 29.7.2009280 gerade die Liquidität der Bauwirtschaft verbessert werden sollte,281 ist die Abzugsmöglichkeit in unbegrenzter Höhe anzuerkennen.282

3. Die Gläubigerbenachteiligung Der Täter des § 2 BauFordSiG muss zum Nachteil der Baugläubiger283 gegen § 1 Abs 1 S 1 49 BauFordSiG verstoßen haben. Diese vom Vorsatz umfasste Gläubigerbenachteiligung darf nicht mit der Benachteiligung der Gläubiger beim Eintritt der Krise verwechselt werden, die eine objektive Bedingung der Strafbarkeit darstellt.284 Unter Nachteil ist das Gleiche zu verstehen, wie iRv § 266 StGB,285 somit eine Verschlechterung der Vermögenslage. Die Vermögenslage verschlechtert, wer die Geltendmachung von Ansprüchen gänzlich oder teilweise vereitelt bzw ihre Durchsetzbarkeit erschwert.286 Der Nachteil muss kausal auf dem Verstoß gegen die Verwendungsbeschränkung beruhen, mithin durch den pflichtwidrigen Einsatz von Baugeld entstanden sein und bei mindestens einem Gläubiger vorliegen.287

_____ 274 BGH NJW-RR 1991, 728, 729. 275 Siehe oben Rn 13, 40; Illies BauR 2010, 546, 549; M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 42. AA aber Stammkötter § 1 Rn 276. 276 M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 42 mwN. 277 BGH NJW 1986, 1105, 1106; BGH NJW 1988, 263, 264; BGH NJW-RR 1986, 446, 448; BGH NJW-RR 1989, 1045, 1047. 278 Statt aller G/v B/Bruns § 1 BauFordSiG Rn 35 und M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 43. 279 Zusätzlich wären wenn überhaupt die Darlehensparteien dafür zuständig; treffend zum Ganzen M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 43. 280 BGBl I, S 2436. 281 BT-Drucks 16/13159, S 6; BT-Drucks 16/13415, S 5. 282 M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 43. AA G/v B/Bruns § 1 BauFordSiG Rn 35, nach dem ansonsten die ersten Gewerke privilegiert würden. Warum dieses bei vereinbarter Ratenzahlung nicht tragbar sein soll, aber sofern Einmalzahlungen vorliegen keine bestimmte Rangfolge einzuhalten ist, überzeugt nicht. In beiden Fällen ist häufig nicht genug Baugeld vorhanden, um alle Baugläubiger zu befriedigen. Über die Rangfolge der Zahlungen sagt das BauFordSiG aber gerade nichts aus. 283 Dazu oben Rn 15 ff. 284 Siehe unten Rn 56. Ausf zur Unterscheidung G/J/W/Reinhart § 2 BauFordSiG Rn 17. 285 Siehe § 16 Rn 38 ff; A/R/R/Wegner 7/3 Rn 36; G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 9. 286 Zutr G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 11; G/J/W/Reinhart § 2 BauFordSiG Rn 18. Demgegenüber zweifelnd MK/Wegner § 2 BauFordSiG Rn 32. 287 G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 9; M/V/Wolff § 2 BauFordSiG Rn 5; Stammkötter § 2 Rn 16, 48.

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Kurzfristige Zahlungsstockungen genügen – selbst bei Zuwiderhandlungen gegen § 1 Abs 1 S 1 BauFordSiG – nicht.288

4. Subjektiver Tatbestand 50 Nach § 2 BauFordSiG ist nur strafbar, wer vorsätzlich der Norm zuwider handelt.289 Der

Täter muss Vorsatz bzgl aller objektiven Tatbestandsmerkmale haben. Darüber hinausgehende, zusätzliche Motive oder Absichten sind nicht erforderlich.290 Dolus eventualis genügt; es reicht aus, wenn der Täter die Tatbestandverwirklichung für möglich hält und insb den Gläubigernachteil billigend in Kauf nimmt.291 Wegen § 15 StGB zieht fahrlässiges Handeln allerdings keine Strafbarkeit nach sich.292 Ein Irrtum über die Baugeldeigenschaft, der zu der falschen Annahme führt, die 51 Mittel unterlägen nicht der Zweckbindung des BauFordSiG, führt zu einem vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum gem § 16 Abs 1 S 1 StGB.293 Aufgrund der rechtlichen Klassifizierung als normatives Tatbestandsmerkmal bleibt dem potentiellen Täter infolge der Fehlvorstellung nämlich dessen sozialer Bedeutungsgehalt verschlossen.294 Gleiches gilt für einen Irrtum über die Stellung als Baugeldempfänger bzw Baugläubiger.295 Zugegebenermaßen hat die Pönalisierung wegen des in dubio pro reo Grundsatzes mit erheblichen Nachweisschwierigkeiten zu kämpfen – der Baugeldempfänger wird sich zumeist dahin einlassen, von der Baugeldeigenschaft nichts gewusst zu haben.296 Eine Strafbarkeit ist jedoch nicht gänzlich ausgeschlossen. Denn bei größeren Bauvorhaben werden Bauunternehmer häufig ein grundpfandrechtlich abgesicherte Darlehen zumindest für möglich halten, sich mit der Zwecksetzung als Baugeld abfinden und dementsprechend in Bezug auf Baugeld gem § 1 Abs 3 S 1 Nr 1 BauFordSiG vorsätzlich handeln.297 Durch die Einführung von Baugeld gem § 1 Abs 3 S 1 Nr 2 BauFordSiG wird sich die Nachweisproblematik zukünftig noch weiter verringern. Denn bzgl der Tatbestandsvoraussetzungen hierfür – es ist nur notwendig, dass der Bauunternehmer davon Kenntnis hat, von einem Dritten für eine im Zusammenhang mit der Herstellung des Baus oder

_____ 288 G/J/W/Reinhart § 2 BauFordSiG Rn 18; MK/Wegner § 2 BauFordSiG Rn 32 sowie G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 10, der zu Recht anmerkt, dass dann meist auch die objektive Bedingung der Strafbarkeit nicht vorliegt. 289 BGH NJW 1986, 1105, 1106; BGH NJW 1982, 1037, 1038; RGSt 48, 117, 118; M-G/Richter § 83 Rn 104; Vygen/Joussen Rn 3277; G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 12 mwN. 290 Stammkötter § 2 Rn 24; A/R/R/Wegner 7/3 Rn 37; G/J/W/Reinhart § 2 BauFordSiG Rn 19. 291 BGH NJW-RR 2002, 740; OLG Hamm NJW 2015, 1391, 1393. 292 K/K/Koeble 10 Teil Rn 247; G/L/Busch § 49 Rn 51; Weyand INF 2006, 436, 438; G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 12 mwN sowie bereits Mügel GruchotsB 54 (1910), 1, 18. Der Schadensersatzanspruch gem § 823 Abs 2 BGB iVm §§ 1, 2 BauFordSiG erfordert gleichermaßen vorsätzliches Handeln, BGH NJW-RR 2002, 740 mwN; K/W/Kainz 2/D Rn 156 sowie Bruns Jahrbuch BauR 2010, 1, 2 f. 293 OLG München NJW-RR 2013, 212, 213; Stammkötter § 2 Rn 25, § 1 Rn 206; G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 13; M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 69; MK/Wegner § 2 BauFordSiG Rn 33; G/J/W/Reinhart § 2 BauFordSiG Rn 19; Hagelberg GSB § 5 Rn 21. 294 Ausf G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 13. 295 MK/Wegner § 2 BauFordSiG Rn 33; G/L/Busch § 49 Rn 52; G/J/W/Reinhart § 2 BauFordSiG Rn 19. 296 § 1 Abs 4 BauFordSiG ist aufgrund des in dubio pro reo Grundsatzes iRv § 2 BauFordSiG nicht anwendbar; siehe oben Rn 35. Andere Vermutungen greifen aus dem gleichen Grund ins Leere; G/J/W/ Reinhart § 2 BauFordSiG Rn 19 mwN. 297 BGH NJW 2002, 740; G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 13; MK/Wegner § 2 BauFordSiG Rn 33; Weyand INF 2006, 436, 439; vgl auch Hochstadt NJW 2013, 1712, 1713; daran zweifelnd Lemme wistra 1998, 41, 46. Zum Ganzen sa Floeth NJW 2013, 1393 f.

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Umbaus stehende Leistung Geld bekommen zu haben und er daran weitere Unternehmer beteiligt –,298 werden dem Darlehensnehmer nachgelagerte Personen einer mehrgliedrigen Nachunternehmerkette fast immer vorsätzlich handeln.299 Die Handhabung des Irrtums über die Pflicht des § 1 Abs 1 S 1 BauFordSiG ist um- 52 stritten. Weiß ein Baugeldempfänger nichts von der speziellen Baugeldverwendungspflicht des § 1 Abs 1 S 1 BauFordSiG, handelt es sich nach hM um einen – regelmäßig vermeidbaren – Verbotsirrtum iSv § 17 StGB.300 Dem ist zu widersprechen. Die Unkenntnis von der zur Strafbarkeit gem § 2 BauFordSiG führenden zivilrechtlichen Verwendungspflicht gem § 1 Abs 1 S 1 BauFordSiG führt vielmehr dazu, dass der Baugeldempfänger die „Appellfunktion des Tatbestades“301 nicht wahrnimmt.302 Dies ist aber mit der von der hM anerkannten Situation des Tatbestandsirrtums gem § 16 StGB vergleichbar,303 in der über normative Tatbestandsmerkmale konkretisierende, außerstrafrechtliche Vorgaben geirrt wird.304

5. Objektive Bedingung der Strafbarkeit § 2 BauFordSiG fordert wie § 283 StGB den Eintritt einer objektiven Bedingung der 53 Strafbarkeit. Der Vorsatz des Täters muss sich hierauf nicht erstrecken, weswegen Irrtümer unbeachtlich sind. Maßgeblich ist der Eintritt der Bedingung beim Täter. Der Baugeldempfänger muss seine Zahlungen eingestellt haben oder über sein Vermögen muss das Insolvenzverfahren eröffnet worden sein. Zudem müssen die Baugläubiger zu dieser Zeit benachteiligt sein. Zwischen der Tathandlung und der objektiven Strafbarkeitsbedingung ist keine Kausalität erforderlich.305 Entgegen der hM306 ist vielmehr auf jedweden Zusammenhang zwischen Tathandlung und Strafbarkeitsbedingung zu verzichten.307 Erfasst sind alle Fälle zweckwidriger Verwendungen von Baugeld ohne Rücksicht auf einen Zusammenhang zum Kriseneintritt. Vollendet ist die Tat bei Vorliegen der pflichtwidrigen Baugeldverwendung und darauf beruhender Gläubigerbenachteiligung;308 nicht relevant ist der Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung. Nicht bestraft wird, wer es schafft, Zahlungseinstellung oder Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu verhindern.309

_____ 298 Vgl ausf oben Rn 31 ff. 299 I/K/Joussen Anh 1 Rn 323 f; Vygen/Joussen Rn 3277; G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 13; G/v B/Bruns § 1 BauFordSiG Rn 51. 300 BGH NJW 1985, 134, 135; BGH NJW-RR 1991, 141, 142; Stammkötter § 2 Rn 25, § 1 Rn 207; A/R/R/ Wegner 7/3 Rn 39; MK/ders § 2 BauFordSiG Rn 33; G/L/Busch § 49 Rn 52; M/V/Wolff § 1 BauFordSiG Rn 69; Lemme wistra 1998, 41, 46; unklar G/J/W/Reinhart § 2 BauFordSiG Rn 19, wonach die Unwissenheit über die Gesetzwidrigkeit der Mittelverwendung einerseits ein Tatbestandirrtum gem § 16 StGB, jedoch das Nichtkennen der Verwendungspflicht ein Verbotsirrtum iSv § 17 StGB sei. 301 Dazu Naka JZ 1961, 210 f. 302 G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 14. 303 Instruktiv zur dieser Vorgehensweise G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 14. 304 KK-OWiG/Rengier § 11 Rn 15 mwN. 305 Stammkötter § 2 Rn 44; G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 20 mwN auch zu § 283 StGB; G/L/Busch § 49 Rn 17; Jacobi GSB § 5 Rn 3. 306 M-G/Richter § 83 Rn 101; A/R/R/Wegner 7/3 Rn 43; MK/ders § 2 BauFordSiG Rn 37; G/L/Busch § 49 Rn 17; Stammkötter § 2 Rn 43; Hagelberg GSB § 5 Rn 8. 307 Grdl G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 21 f; vgl Schäfer wistra 1990, 81, 87. Siehe zudem § 12 Rn 223 f sowie zu § 283d StGB § 23 Rn 26. 308 G/J/W/Reinhart § 2 BauFordSiG Rn 21. 309 A/R/R/Wegner 7/3 Rn 49; MK/ders § 2 BauFordSiG Rn 42.

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a) Zahlungseinstellung oder Eröffnung des Insolvenzverfahrens 54 Der Begriff der Zahlungseinstellung310 ist entspr § 283 Abs 6 StGB zu interpretieren.311

Danach ist Zahlungseinstellung ein faktisches Schuldnerverhalten,312 bei dem fällige und ernsthaft eingeforderte Verbindlichkeiten nicht bedient werden.313 Bezugspunkt ist das gesamte Vermögen des Täters, nicht nur ein einzelnes Bauprojekt.314 Umstritten ist, ob der Zahlungseinstellung auch Fälle der Zahlungsunwilligkeit und irrtümlichen Zahlungsverweigerung zuzuschreiben sind.315 Das Nichtbegleichen einzelner Schulden und nur vorübergehende Zahlungsstockungen führen jedenfalls keine Zahlungseinstellung herbei.316 Als kriminalistisches Beweisanzeichen kann ein Abweisungsbeschluss – genauso wie erfolglose Zwangsvollstreckungsmaßnahmen und das Nichtauffinden des Schuldners – ein Indiz für die Zahlungseinstellung sein.317 Im Gegensatz zur Zahlungseinstellung bedarf es für die Eröffnung des Insolvenzver55 fahrens als objektive Bedingung der Strafbarkeit eines formellen Eröffnungsbeschlusses durch das Insolvenzgericht gem § 27 InsO. Die formelle und materielle Rechtmäßigkeit des zivilgerichtlichen Beschlusses darf das Strafgericht nicht überprüfen; es ist an die vorangegangene Entscheidung genauso gebunden, wie sich ein Täter nicht auf Fehler im Zivilverfahren berufen kann.318 Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird gem § 26 Abs 1 S 1 InsO abgewiesen, wenn das Vermögen des Schuldners voraussichtlich nicht ausreicht, um die Kosten des Verfahrens zu decken; im Unterschied zu § 283 Abs 6 StGB genügt das aber für § 2 BauFordSiG nicht.319 Allerdings werden die meisten dieser Fälle schon von der Variante „Zahlungseinstellung“ umfasst sein.320

b) Zeitgleiche Benachteiligung der Baugläubiger 56 Zum Zeitpunkt der Zahlungseinstellung oder Eröffnung des Insolvenzverfahrens muss –

entgegen dem Wortlaut – lediglich ein Baugläubiger benachteiligt sein.321 Entspr dem Tatbestandsmerkmal der Gläubigerbenachteiligung322 ist eine Benachteiligung gegeben,

_____ 310 Oben § 12 Rn 222. 311 G/L/Busch § 49 Rn 20; Weyand INF 2006, 436, 438. 312 Bieneck wistra 1992, 89, 90; MK/Wegner § 2 BauFordSiG Rn 35. 313 Statt aller G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 16 und A/R/R/Wegner 7/3 Rn 41. Umstritten ist, ob einschränkend zusätzlich die Elemente der Wesentlichkeit und Dauerhaftigkeit nötig sind; dazu § 12 Rn 222. 314 Stammkötter § 2 Rn 35; G/L/Busch § 49 Rn 21. 315 Die hM bejaht dies, siehe nur Stammkötter § 2 Rn 32; A/R/R/Wegner 7/3 Rn 41; MK/ders § 2 BauFordSiG Rn 35; G/L/Busch § 49 Rn 21; aus dem Schrifttum zu § 283 Abs 6 StGB S/S/W/Bosch Vor § 283 ff StGB Rn 16; MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 102; M-G/Richter § 81 Rn 69 f mwN. Vgl zur aA § 13 Rn 222 mwN; G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 16 sowie im Kontext von § 283 StGB LK/Tiedemann Vor § 283 Rn 132, 144 und AnwK/Püschel Vor §§ 283 ff Rn 28. 316 MK/Wegner § 2 BauFordSiG Rn 35; A/R/R/ders 7/3 Rn 41. 317 G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 17; G/L/Busch § 49 Rn 21; Stammkötter § 2 Rn 34. 318 Stammkötter § 2 Rn 37; A/R/R/Wegner 7/3 Rn 42; G/L/Busch § 49 Rn 21; Hagelberg GSB § 5 Rn 6. 319 Ausf hierzu mit einem Änderungsappell an den Gesetzgeber G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 19; krit ebenfalls G/L/Busch § 49 Rn 17; ferner M/V/Wolff § 2 BauFordSiG Rn 9; MK/Wegner § 2 BauFordSiG Rn 36. 320 M/V/Wolff § 2 BauFordSiG Rn 9; G/L/Busch § 49 Rn 17; Stammkötter § 2 Rn 34; G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 19; Hagelberg GSB § 5 Rn 5. 321 G/L/Busch § 49 Rn 22; Stammkötter § 2 Rn 48. 322 Oben Rn 49.

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wenn Gläubigerforderungen iSv § 1 Abs 1 BauFordSiG323 nicht oder nicht ganz befriedigt sind bzw eine erschwerte Durchsetzbarkeit vorliegt. Die Einrede des Baugeldempfängers, der Gläubiger wäre ohnehin benachteiligt worden, da er die Mittel bei ordnungsgemäßer Verwendung für einen anderen Gläubiger eingesetzt hätte, trägt nicht.324 Nicht relevant ist, ob Gläubiger im folgenden Insolvenzverfahren tatsächlich mit einem Teil der Forderung ausfallen; die Außenstände müssen nur im Zeitpunkt der Zahlungseinstellung oder Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehen.325 Wird eine einmal bestehende Benachteiligung noch vor der Zahlungseinstellung bzw Insolvenzverfahrenseröffnung beseitigt, hemmt dies eine Pönalisierung sub specie Baugeldveruntreuung.

6. Rechtswidrigkeit § 2 BauFordSiG schützt die Individualinteressen von Baugeldgläubigern zum Zwecke 57 einer möglichst vollständigen Befriedigung.326 Die Zustimmung der Baugeldgläubiger lässt die Rechtswidrigkeit der Tat darum iS einer rechtfertigenden Einwilligung entfallen.327 Ferner kommt ein rechtfertigender Notstand gem § 34 StGB in Betracht, wenn der Baugeldempfänger Baumittel gem § 1 Abs 3 BauFordSiG entgegen der Verwendungspflicht des § 1 Abs 1 S 1 BauFordSiG einsetzt, um andere, vorrangig zu bedienende Forderungen zu begleichen.328 Das Abführen des Arbeitnehmeranteils an der Sozialversicherung mit Hilfe von Baugeld fällt wohl nicht darunter; das strafbewehrte Nichtabführen besagter Arbeitnehmeranteile iSv § 266a StGB überwiegt die vom BauFordSiG geschützten Rechtsgüter nämlich nicht.329 Auch die rechtfertigende Pflichtenkollision rechtfertigt in der Regel den zweckwidrigen Einsatz von Baugeld nicht.330

7. Beteiligung Als Sonderdelikt kann Täter des § 2 BauFordSiG nur der Baugeldempfänger sein. In der 58 Praxis werden häufig juristische Personen oder Personenhandelsgesellschaften diese Rolle einnehmen.331 Eine Strafbarkeit von Personenverbänden kennt das deutsche Recht

_____ 323 Dazu A/R/R/Wegner 7/3 Rn 46; G/L/Busch § 49 Rn 31; Stammkötter § 2 Rn 57. 324 Siehe bereits oben Rn 38 mwN sowie G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 24; Stammkötter § 2 Rn 51 und A/R/R/Wegner 7/3 Rn 45. 325 G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 25; Stammkötter § 2 Rn 63 f; MK/Wegner § 2 BauFordSiG Rn 38. 326 Siehe oben Rn 1 ff. 327 MK/Wegner § 2 BauFordSiG Rn 39; A/R/R/ders 7/3 Rn 47; M/V/Wolff § 2 BauFordSiG Rn 12; in diese Richtung auch OLG Hamm, NJW 2014, 1742, 1743. Die Einwilligungsmöglichkeit ablehnen muss freilich, wer als Schutzgut zusätzlich die Sicherung der Bauwirtschaft als öffentliches Rechtsgut anerkennt; so Bruns Jahrbuch BauR 2010, 1, 29 f; in diese Richtung wohl auch Stammkötter § 1 Rn 2, § 2 Rn 66 f, ohne sich dahingehend ausdrücklich zu äußern. Das Schutzgut iSd Öffentlichkeit erweiternd BGHZ 143, 301, 304; BGH NJW 1986, 1104. Vgl demgegenüber Schulze-Hagen NJW 1986, 240, 2404, der zutr daran zweifelt, ob heutzutage noch ein Schutz des öffentlichen Interesses gedeckt ist. 328 Grdl G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 26; M/V/Wolff § 2 BauFordSiG Rn 11. 329 Dazu G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 26, der zur Begründung anführt, dass – iGgs zum Zuwiderhandeln gegen § 64 GmbHG – genauso wie bei § 266a StGB ein Verstoß gegen § 1 Abs 1 S 1 BauFordSiG selbstständig strafbewehrt ist; Spiller ZfIR 2013, 330, 332; M/V/Wolff § 2 BauFordSiG Rn 11; vgl ferner Bruns Jahrbuch BauR 2010, 1, 30. 330 A/R/R/Wegner 7/3 Rn 47; ausf zur rechtfertigenden Pflichtenkollision iRv § 266a StGB G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 27. 331 Lemme wistra 1998, 41; Jänchen/Solle ZfIR 2009, 733, 736; G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 29.

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allerdings nicht. Jedoch ermöglicht § 14 StGB332 die Strafbarkeit, indem er die Eigenschaft als Baugeldempfänger auf natürliche Personen überwälzt.333 Für die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme gelten die allg Grds. 59 Eine Teilnahme iSv Anstiftung oder Beihilfe ist möglich, wobei die Strafe gem § 28 Abs 1 StGB zu mildern ist.334 Ob § 2 BauFordSiG ein Fall der sog notwendigen Teilnahme darstellt, ist umstritten.335 Es geht insb um die Frage, ob ein Gläubiger, der kein Baugläubiger iSv § 1 BauFordSiG ist, im Hinblick auf eine Teilnahmestrafbarkeit wegen §§ 2 BauFordSiG, 27 StGB straffrei bleibt, falls er Baugeld entgegen nimmt, obschon er um die Baugeldeigenschaft weiß.336 Die hM verneint eine Strafbarkeit wegen notwendiger Teilnahme, wobei sie verkennt, dass § 2 BauFordSiG gerade nicht begriffsnotwendig das Entgegennehmen von Baugeld durch Dritte verlangt, sondern der Baugeldempfänger sich in gleicher Weise strafbar macht, wenn er Baumittel ohne Fremdbeteiligung veruntreut.337 Infolgedessen macht sich – sobald die zusätzlichen Voraussetzungen der Beihilfe vorliegen – jeder Gläubiger, der kein Baugläubiger ist, strafbar.

8. Konkurrenzen 60 Tatmehrheit besteht zwischen mehreren Verstößen gegen § 2 BauFordSiG; der Eintritt

der objektiven Bedingung der Strafbarkeit ändert daran nichts.338 Aufgrund des unterschiedlichen Rechtsgüterschutzes besteht zwischen § 2 BauFordSiG und § 283 StGB Tateinheit gem § 52 StGB.339 Der von einem Teil der Literatur geforderte Vorrang von § 2 BauFordSiG gegenüber § 283 StGB340 ist nur zu gewähren, wenn lediglich Baugläubiger und keine baufremden Gläubiger beeinträchtigt sind.341 Ein zweckwidriger Baugeldeinsatz eines Baugeldempfängers der gleichzeitig Schuldner ist, um baufremde Gläubiger inkongruent zu befriedigen, kann sowohl § 2 BauFordSiG als auch § 283c StGB verwirklichen;342 zwischen den beiden Tatbeständen besteht Tateinheit.343 Umstritten ist das Verhältnis zwischen § 2 BauFordSiG und § 266 StGB.344 Das Problem dreht sich vor allem

_____ 332 In allen Einzelheiten darauf eingehend § 12 Rn 13 ff. 333 Siehe oben Rn 7. Zu den verschiedenen Normadressaten der unterschiedlichen Verbände siehe G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 29 ff. 334 MK/Wegner § 2 BauFordSiG Rn 41; A/R/R/ders 7/3 Rn 52. 335 Die hM bejaht die notwendige Teilnahme und kommt daher jedenfalls immer dann zur Straflosigkeit, wenn der Tatbeitrag des Zuwendungsempfängers nicht über das Entgegennehmen des Baugelds hinausgeht. Das Annehmen der Mittel durch den Gläubiger ist danach – mit Ausnahme des Beiseiteschaffens durch den Baugeldempfänger selbst – für die Verwirklichung des Tatbestands zwingend notwendig, so MK/Wegner § 2 BauFordSiG Rn 41; A/R/R/ders 7/3 Rn 52; G/J/W/Reinhart § 2 BauFordSiG Rn 23; vgl auch Mergel, S 105. 336 Eine Teilnahmestrafbarkeit bejahend: G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 38; M/V/Wolff § 2 BauFordSiG Rn 64; Schulze-Hagen NJW 1986, 2403, 2408; Hagelberg GSB § 5 Rn 27 sowie Harnier GSB § 5 Rn 1. 337 Das stellten schon G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 38 und Hagelberg GSB § 5 Rn 27 fest. 338 A/R/R/Wegner 7/3 Rn 53; MK/ders § 2 BauFordSiG Rn 43; G/J/W/Reinhart § 2 BauFordSiG Rn 24. 339 Siehe oben § 12 Rn 268; M-G/Richter § 83 Rn 105; G/L/Busch § 49 Rn 53. 340 G/J/W/Reinhart § 2 BauFordSiG Rn 25; MK/Wegner § 2 BauFordSiG Rn 43, der zudem darauf hinweist, dass ein solcher Vorrang insb auf die sog Inhabilität gem § 6 Abs 2 S 2 Nr 3 GmbHG Auswirkungen hätte. 341 Zutr G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 39. 342 Siehe dagegen Krause, S 296, der nach § 283 Abs 1 Nr 2 StGB pönalisiert. 343 Umfassend § 14 Rn 52; Fischer § 283c Rn 11; A/R/R/Wegner 7/3 Rn 53; MK/ders § 2 BauFordSiG Rn 43; AnwK/Püschel § 283c Rn 19; G/J/W/Reinhart § 2 BauFordSiG Rn 25. Dagegen aA LK/Tiedemann § 283c Rn 43, der für eine Bestrafung nur aus § 283c StGB plädiert. 344 Zum Streitstand mwN siehe G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 40.

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§ 13 Gesetz über die Sicherung der Bauforderungen (BauFordSiG) | 825

um Folgendes: Sofern in jeder Verletzung der Verwendungspflicht des § 1 Abs 1 S 1 BauFordSiG zugleich ein Verstoß gegen die untreuerelevante Vermögensbetreuungspflicht gegenüber Baugläubigern gesehen wird,345 besteht – falls die weiteren Voraussetzungen von § 266 StGB gegeben sind – die Gefahr einer Verwirklichung der Untreue unter Umgehung der objektiven Bedingung der Strafbarkeit des § 2 BauFordSiG. Auf diese Weise können die engeren Anforderungen des § 2 BauFordSiG missachtet werden.346 Die Annahme von Spezialität347 zwischen Untreue und Baugeldveruntreuung vermag vorgenannte Schwierigkeiten nicht zu beseitigen, denn Untreue läge gerade im Vorfeld von § 2 BauFordSiG zu einem Zeitpunkt vor, in dem die objektive Bedingung der Strafbarkeit noch gar nicht eingetreten ist. Zuzustimmen ist vielmehr der Auffassung, die – sollte nur der Verstoß gegen § 1 Abs 1 S 1 BauFordSiG zur untreuerelevanten Pflichtverletzung führen – solange für eine Sperrwirkung des § 2 BauFordSiG plädiert, bis die objektive Bedingung der Strafbarkeit eintritt; erst nach dem Eintreten der objektiven Strafbarkeitsbedingung kann § 266 StGB hinter § 2 BauFordSiG im Wege der Spezialität zurücktreten.348

9. Vollendung, Beendigung, Rechtsfolgen und Verjährung Die Tat des § 2 BauFordSiG ist bereits durch die pflichtwidrige Baugeldverwendung und 61 die darauf beruhende Gläubigerbenachteiligung vollendet.349 Das Zuwiderhandeln gegen § 2 BauFordSiG wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe pönalisiert. Nichts anderes gilt grds für Teilnehmer; jedoch muss ihre Strafe gem §§ 28 Abs 1, 49 Abs 1 StGB gemildert werden.350 Die Verjährungsfrist der Baugeldveruntreuung iSv § 2 BauFordSiG beginnt nach § 78a StGB mit Beendigung der Tat. Dafür sind alle objektiven Tatbestandsmerkmale mitsamt dem Taterfolg351 iSd Gläubigerbenachteiligung352 sowie der objektiven Bedingung der Strafbarkeit relevant.353 Der Baugeldempfänger führt allerdings zum Zeitpunkt der pflichtwidrigen Verwendung von Baugeld meist auch die objektive Bedingung der Strafbarkeit in Form von Zahlungseinstellung herbei, weswegen die Verjährung häufig schon dann beginnt.354 Nach § 78 Abs 3 Nr 4 StGB beträgt die Verjährungsfrist fünf Jahre.355 anhängen

_____ 345 Es ist umstritten, ob eine Vermögensbetreuungspflicht zu bejahen ist. Dafür: Brandenburgisches OLG OLG-NL 1999, 241 (LS); G/L/Greeve/Garbuio § 27 Rn 31; wohl auch G/J/W/Reinhart § 2 BauFordSiG Rn 25. Dagegen: Brand wistra 2012, 92, 94 ff; G/v B/ders § 2 BauFordSiG Rn 40; anscheinend ebenso G/L/ Busch § 49 Rn 53. 346 Brand wistra 2012, 92, 98; G/v B/ders § 2 BauFordSiG Rn 40. 347 So aber Brandenburgisches OLG OLG-NL 1999, 241 (LS); MK/Wegner § 2 BauFordSiG Rn 43; G/J/W/ Reinhart § 2 BauFordSiG Rn 25. 348 Instruktiv zu diesem Vorgehen Brand wistra 2012, 92, 98; G/v B/ders § 2 BauFordSiG Rn 40. 349 G/J/W/Reinhart § 2 BauFordSiG Rn 21. 350 Zur sog „doppelten Milderung“ im Zusammenhang mit der Beihilfe nach §§ 28 Abs 1, 49 Abs 1 StGB sowie § 27 Abs 2 S 2 StGB siehe nur G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 41. 351 Fischer § 78a Rn 2 mwN; S/S/Sternberg-Lieben/Bosch § 78a Rn 1. 352 Dazu oben Rn 49. 353 Stammkötter § 2 Rn 82 f; G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 42; A/R/R/Wegner 7/3 Rn 50; MK/ders § 2 BauFordSiG Rn 45. 354 G/v B/Brand § 2 BauFordSiG Rn 42; Stammkötter § 2 Rn 86. 355 Stammkötter § 2 Rn 87.

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§ 14 Gläubigerbegünstigung, § 283c StGB C Brand § 14 Gläubigerbegünstigung, § 283c StGB I. Einführendes zum Verständnis der Gläubigerbegünstigung 1 Nach § 283c Abs 1 StGB ist strafbar, wer trotz Zahlungsunfähigkeit1 (drohende Zah-

lungsunfähigkeit und Überschuldung genügen nicht2) einem Gläubiger Sicherheit oder Befriedigung gewährt, die dieser nicht (Var 1), nicht in der Art (Var 2) oder nicht zu der Zeit (Var 3) zu beanspruchen hat und ihn dadurch im Verhältnis zu den übrigen Gläubigern begünstigt. Diese Formulierung des tatbestandlichen Unrechts lässt im Dunkeln, dass eine Begünstigung des inkongruent befriedigten bzw besicherten Gläubigers nur um den Preis einer Benachteiligung der übrigen Gläubiger zu haben ist. Mit anderen Worten tritt zu den geschriebenen objektiven Tatbestandsmerkmalen des § 283c StGB das ungeschriebene Merkmal der Gläubigerbenachteiligung hinzu.3 Umgekehrt folgt daraus: Erlangt der Schuldner für seine inkongruente Tilgungs-/Sicherungsleistung eine vollwertige Gegenleistung, scheidet eine Bestrafung wegen Gläubigerbegünstigung aus.4 Deliktsspezifisch handelt es sich bei § 283c StGB um ein als Sonderdelikt ausgestal2 tetes Erfolgsdelikt,5 das nur der Schuldner begehen kann.6 Die Ratio dieses Tatbestandes, der auf den ersten Blick seltsam anmutet, erfüllt doch der Schuldner, der einzelne Gläubiger bevorzugt befriedigt, regelmäßig schon die Voraussetzungen des Bankrotts,7 erhellt, wenn man ausgehend von der ursprünglichen Zielgruppe – das ist die unternehmerisch tätige, natürliche Einzelperson8 – folgendes bedenkt: Der Täter der Gläubigerbegünstigung verwendet sein Vermögen anders als der Täter des Bankrotts immerhin nicht zu eigenen Zwecken, schädigt also nicht die künftige Masse, sondern lässt es – wenn auch unter Verstoß gegen den Grds „par conditio creditorum“ – einem Teil derjenigen Personen zukommen, denen es in der Schuldnerinsolvenz gebührt.9 Das verwirkte

_____ 1 Zum Begriff siehe o § 12 Rn 45 ff. 2 Für eine Ausdehnung auf die Überschuldungssituation spricht sich de lege ferenda Thilow, S 172 f aus. 3 Zum Nachteilserfordernis s BGH/H GA 1954, 312; LK/Tiedemann § 283c Rn 2, 12; ders ZIP 1983, 513, 519: ders KTS 1984, 539, 540. 4 LK/Tiedemann § 283c Rn 1; SK/Hoyer § 283c Rn 7; Vormbaum GA 1981, 101, 120; ders Jura 1980, 421, 424. 5 NK/Kindhäuser § 283c Rn 2; LK/Tiedemann § 283c Rn 2, 3; Fischer § 283c Rn 1; S/S/W/Bosch § 283c Rn 1; MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 24 sowie § 283c Rn 2, 3; AnwK/Püschel § 283c Rn 1; M-G/Richter § 84 Rn 36; Böttger/Verjans 4/116; HambK/Borchardt § 283c StGB Rn 1; M/G/Rinjes 8/91, 155; Wauschkuhn, S 21 f; v.d. Heydt, S 53; Vormbaum GA 1981, 101, 119. 6 S nur LK/Tiedemann § 283c Rn 3, 36; MK/Radtke/Petermann § 283c Rn 2, 5; M/R/Altenhain § 283c Rn 2; M-G/Richter § 84 Rn 4, 22; Wauschkuhn, S 22 f; Thilow, S 86. 7 Dazu RGSt 68, 368, 369; RGSt 6, 94, 95; LK/Tiedemann § 283c Rn 1, 39; Weyand/Diversy Rn 129; Thilow, S 97; Habetha, S 203; Ackermann, (1912), S 5 f; Vormbaum GA 1981, 101, 123; Hartwig Bemmann-FS, S 311, 317; Hombrecher JA 2013, 541, 544; aA und für die Einstufung des § 283c StGB als ein delictum sui generis Wauschkuhn, S 31 (widersprüchlich aber aaO, S 60 m Fn 3). 8 Zu diesem historischen Täterleitbild s Pr. Obertribunal GA 23 (1875), 31, 32; ferner Brand, S 235; zust Habetha NZG 2012, 1134, 1137 m Fn 37. 9 BGH NStZ 1996, 543, 544; BGH NJW 1969, 1494; LK/Tiedemann § 283c Rn 1; S/S/Heine/Schuster § 283c Rn 1; MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 33 sowie § 283c Rn 1; AnwK/Püschel § 283c Rn 1; M-G/Richter § 84 Rn 19; W/J/Pelz 9/197; HambK/Borchardt § 283c StGB Rn 1; MAH/Böttger § 19 Rn 169; M/G/Rinjes 8/155; Thilow, S 173; Pattberg, S 192; v.d. Heydt, S 53; Weyand/Diversy Rn 129; Pelz Rn 427; Hartwig Bemmann-FS, S 311, 318; Vormbaum GA 1981, 101, 106, 124 f; Sowada GA 1995, 60, 71; Hendel NJW 1977, 1943, 1945; Muhler wistra 1994, 283, 284; Renkl JuS 1973, 611, 612 (noch zu § 241 KO); Weyand ZInsO 2002, 851, 855; krit S/S/W/Bosch § 283c Rn 1, der die Aussage, wonach der Schuldner, der einen seiner Gläubiger inkongruent befriedige, „nur“ gegen den Gläubigergleichbehandlungsgrundsatz verstoße, als verharmlosend bezeich-

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§ 14 Gläubigerbegünstigung, § 283c StGB | 827

kriminelle Unrecht ist somit im Verhältnis zu § 283 StGB geringer,10 weshalb § 283c StGB den Täter privilegiert behandelt.11 Ob sich die Bedeutung des § 283c StGB in dieser Privilegierungswirkung erschöpft, ist damit freilich nicht gesagt. Der Privilegierungscharakter des § 283c StGB bringt es mit sich, dass er den § 283 3 StGB im Einzugsbereich der Gläubigerbegünstigung nicht nur verdrängt, sofern der Täter die Voraussetzungen beider Tatbestände verwirklicht, sondern begründet gleichzeitig eine Sperrwirkung, die es verbietet, einen Täter, der aus tatbestandsimmanenten Gründen nach § 283c StGB straflos bleibt, stattdessen wegen Bankrotts zu bestrafen. Gewährt also der Schuldner bzw sein Organ einem Gläubiger im Zeitpunkt drohender Zahlungsunfähigkeit bzw Überschuldung inkongruente Befriedigung, macht er sich weder wegen Gläubigerbegünstigung – insoweit fehlt es an der Koinzidenz zwischen Tathandlung und eingetretener Zahlungsunfähigkeit – noch wegen Bankrotts – andernfalls würde der Schuldner, der im gefährlicheren Stadium der Zahlungsunfähigkeit inkongruente Leistungen bewirkt, unsachgemäß privilegiert12 – strafbar.13 Genausowenig verwirkt Bankrottunrecht, wer Vermögen beiseiteschafft (vgl § 283 Abs 1 Nr 1 StGB), um damit einzelne seiner Gläubiger kongruent zu befriedigen.14 Wendet der Schuldner dem Gläubiger indes mehr zu als dieser zu fordern hat, begeht er bei eingetretener Zahlungsunfähigkeit eine Gläubigerbegünstigung in Tateinheit mit Bankrott,15 bei drohender Zahlungsunfähigkeit

_____ net; modifizierend Wauschkuhn, S 25, dem zufolge der Schuldner lediglich den von der KO (heute InsO) vorgesehenen Verteilungsmodus beeinträchtigt. 10 Zu dieser Feststellung RGSt 6, 94, 95; Kollmar, S 74; Hartwig Bemmann-FS, S 311, 318; Renkl JuS 1973, 611, 612; Hombrecher JA 2013, 541, 544; zust Thilow, S 98. 11 Zum Privilegierungscharakter des § 283c StGB allg: BT-Drucks 7/3441, S 34; BGHSt 8, 55, 56 (noch zu § 241 KO); BGHSt 35, 357, 359; LK/Tiedemann § 283c Rn 1; ders KTS 1984, 539, 540; MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 33 sowie § 283c Rn 1; M/R/Altenhain § 283c Rn 1; Lackner/Kühl/Heger § 283c Rn 1; AnwK/ Püschel § 283c Rn 1; M-G/Richter § 83 Rn 81; W/J/Pelz 9/191; MAH/Böttger § 19 Rn 169; Böttger/Verjans 4/116; B/Quedenfeld/Richter 5/200; M/G/Rinjes 8/87, 153; Weyand/Diversy Rn 129; Thilow, S 96 f; Geers, S 82; v.d. Heydt, S 53; Wittig § 23 Rn 145; Pelz Rn 427; D/K/H/Knierim Rn 897; HambK/Borchardt § 283c StGB Rn 1; Büttiker, (1914), S 37; Zweigert DJZ 1907, 1112, 1115; Winkelbauer JR 1988, 33, 35; Hartung NJW 1995, 1186, 1190; ders Stbg 1991, 476, 477; Niesert/Hohler NZI 2010, 127, 130; Hombrecher JA 2013, 541, 544; Otto JK 89, StGB § 283d/1. 12 Zu diesem Gedanken s Hendel NJW 1977, 1943, 1945. 13 Allg zu dieser Sperrwirkung des § 283c StGB gegenüber § 283 StGB: BGHSt 8, 55, 56 f (zum Verhältnis zwischen § 239 KO und § 241 KO); LK/Tiedemann § 283c Rn 5, 39; Fischer § 283c Rn 1; SK/Hoyer § 283c Rn 8; M/R/Altenhain § 283c Rn 1; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 220; M-G/Richter § 84 Rn 17, 52; Böttger/Verjans 4/ 121; Thilow, S 99 f; Geers, S 83; Maurer/Wolf wistra 2011, 327, 334 (keine Sperrwirkung gegenüber der Untreue wegen der unterschiedlichen Schutzgüter); Vormbaum GA 1981, 101, 126 f; gegen den Gedanken der Sperrwirkung Wauschkuhn, S 35 f, der bereits den Tatbestand des § 283 Abs 1 Nr 1 StGB bei der Befriedigung eines Gläubigers nicht als erfüllt ansieht. 14 MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 33; Tiedemann ZIP 1983, 513, 516. 15 BGH NJW 1969, 1494, 1495 = BGH/H GA 1971, 36; BGH/H GA 1953, 74; RGSt 63, 78, 81; RGSt 6, 94, 96; RG JW 1934, 1290, 1291 (noch zu §§ 239, 241 KO); S/S/Heine/Schuster § 283c Rn 22; NK/Kindhäuser § 283 Rn 121; SK/Hoyer § 283 Rn 121; MK/Radtke/Petermann Vor §§ 283 ff Rn 33 und § 283c Rn 7; S/S/W/Bosch § 283c Rn 13; M-G/Richter § 84 Rn 19, 52 W/J/Pelz 9/206; M/G/Rinjes 8/180; Böttger/Verjans 4/120; Büttiker, (1914), S 37; Kollmar, S 85; Dohmen, S 62; Nickmann, S 163; Renkl JuS 1973, 611, 612; Hombrecher JA 2013, 541, 544; vgl auch Krause, S 252 m Fn 84; ferner schon, allerdings zu den §§ 239, 241 KO Weber JW 1934, 1290, 1291; aA LK/Tiedemann § 283c Rn 40, der nur § 283 StGB anwenden und die teilweise bestehende Privilegierungssituation bei der Strafzumessung berücksichtigen will; modifizierend auch Vormbaum GA 1981, 101, 126, der Tateinheit zwischen Gläubigerbegünstigung und Bankrott nur annehmen will, wenn der Schuldner seinem Gläubiger neben der inkongruenten Befriedigung/Sicherung eine zusätzliche, andersartige Mehrleistung erbracht hat; hingegen soll es bei einer „bloßen“ Zuvielleistung bereits an der Gläubigerstellung fehlen; für einen Vorrang des § 283c StGB spricht sich auch das AG Siegen wistra 1985, 196, 197 aus, sofern im Rahmen einer „Firmengruppe“ eine „Firma“ Leistungen erbringt, die ihre Verbindlichkeiten

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828 | 3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften

bzw Überschuldung einen Bankrott in Bezug auf die den Anspruch des Gläubigers übersteigenden Mittel.16 Die Gläubigerbegünstigung schützt wie § 283 StGB das Interesse der Gläubiger 4 daran, ihre vermögenswerten Ansprüche befriedigt zu erhalten,17 akzentuiert aber die Verteilungsgerechtigkeit und somit das grundlegende insolvenzrechtliche Prinzip der par conditio creditorum.18

II. Gläubiger 1. Allgemeine Anforderungen an die Gläubigerstellung 5 Das Merkmal „Gläubiger“ ist das zentrale Tatbestandsmerkmal des § 283c StGB, legt

doch seine Reichweite den Umfang des § 283c StGB gegenüber § 283 Abs 1 Nr 1 StGB fest.19 Danach ist Gläubiger jeder Inhaber eines vermögenswerten Anspruchs gegen den Schuldner,20 und zwar ungeachtet dessen, ob der Anspruch öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Natur ist.21 Zu den Forderungen, deren überobligationsmäßige Bedienung seitens des Schuldners den Sanktionsmechanismus des § 283c StGB auslösen kann, rechnen sowohl Masse- als auch Insolvenzforderungen. Selbst der Bürge, der aus seiner Bürgschaftsverpflichtung noch nicht in Anspruch genommen wurde, gehört mit seinem zukünftigen Rückgriffsanspruch (vgl § 774 BGB) zu den Gläubigern iSd § 283c StGB.22 Gleiches gilt für die Inhaber aufschiebend23 sowie auflösend bedingter bzw betagter Forderungen. 6 Eindeutig nicht zu den Gläubigern gehören solche Personen, deren (vermeintliche) Forderungen gegen den Schuldner bspw wegen Verstoßes gegen die guten Sitten (§ 138 BGB) oder ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB iVm dem jeweiligen Verbotsgesetz) nichtig sind. Wendet der Schuldner ihnen Vermögenswerte der präsumtiven Masse zu, steht eine Strafbarkeit nach § 283 StGB im Raum.24 Zum selben Ergebnis gelangt, wer Konstel-

_____ übersteigen, alle Leistungen zusammengenommen jedoch den Gesamtverbindlichkeiten der „Firmengruppe“ entsprechen. 16 M/R/Altenhain § 283c Rn 9; Vormbaum GA 1981, 101, 127. 17 S § 12 Rn 6. 18 LK/Tiedemann § 283c Rn 1; Krause, S 155; Radischat NJW 1961, 1707; ähnl MK/Radtke/Petermann § 283c Rn 4: Interesse der Gläubiger an größtmöglicher Befriedigung ihrer geldwerten Ansprüche; ausf zum geschützten Rechtsgut unter Auseinandersetzung mit sämtlichen hierzu vertretenen Ansichten Wauschkuhn, S 7 ff; Thilow, S 112 ff; für den Schutz des Kreditverkehrs etwa Ackermann, (1912), S 2. 19 Wauschkuhn, S 34 f. 20 Fischer § 283c Rn 2; MK/Radtke/Petermann § 283c Rn 7; M/R/Altenhain § 283c Rn 4. 21 Zu letzterem s nur LK/Tiedemann § 283c Rn 6; M/G/Rinjes 8/157; Weyand/Diversy Rn 130; Wauschkuhn, S 55. 22 RGSt 30, 73, 75; LK/Tiedemann § 283c Rn 7; S/S/Heine/Schuster § 283c Rn 12; Fischer § 283c Rn 2; Lackner/Kühl/Heger § 283c Rn 2; NK/Kindhäuser § 283c Rn 3; M-G/Richter § 84 Rn 26; M/R/Altenhain § 283c Rn 4; Böttger/Verjans 4/118; M/G/Rinjes 8/157; Ackermann, (1912), S 13; zT abw Wauschkuhn, S 99 f, der die Gläubigerstellung des noch nicht in Anspruch genommenen Bürgen aus § 775 Abs 1 Nr 1 BGB folgert; vgl ferner RGSt 62, 277, 280, wonach der Sicherheitenbesteller nicht Zuwendungsempfänger ist, wenn der Schuldner den besicherten Anspruch befriedigt und dadurch die Sicherheit in Wegfall bringt. 23 AA, soweit aufschiebend bedingte Forderungen in Rede stehen, Wauschkuhn, S 97 f, mit dem Argument, wonach der Gläubiger eines solchen Anspruchs in der Insolvenz des Schuldners nichts fordern könne. Dies überzeugt nicht, da sämtliche Gläubiger, die inkongruent befriedigt/besichert wurden, in der Schuldnerinsolvenz bei fortbestehender „Inkongruenzlage“ nichts zu fordern hätten. 24 W/J/Pelz 9/195; G/J/W/Reinhart § 283c Rn 8; Wauschkuhn, S 54 f; Kruse, S 26; Vormbaum GA 1981, 101, 108.

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lationen sub specie Gläubigerbegünstigung beurteilt, die sich dadurch auszeichnen, dass die Erfüllung der (zumeist formunwirksamen) Forderung diese nachträglich (ex nunc) wirksam macht. Denn der so befriedigte Gläubiger hätte auch im Insolvenzverfahren nichts zu beanspruchen gehabt, weshalb seine Befriedigung nicht nur den Gläubigergleichbehandlungsgrundsatz, sondern den Massebestand tangiert.25 Anderes mag gelten, wenn der Schuldner über die Rechtswirksamkeit der betreffenden Forderungen irrt.26 Darüber hinaus fordert die ganz hM, dass die Gläubigerstellung bei Vornahme der 7 Tathandlung bereits bestanden hat und nicht erst gleichzeitig mit dieser Handlung entsteht.27 Überzeugend ist das freilich nicht: Im Lichte des von § 283c StGB verfolgten Schutzgutes spielt es keine Rolle, ob die inkongruente Befriedigung/Sicherung mit der Begründung der Forderung zusammenfällt oder erst – eine juristische Sekunde? – später erfolgt. Anderes – nämlich Strafbarkeit wegen Bankrotts – gilt, wenn der Abschluss und die gleichzeitige Erfüllung des Schuldverhältnisses allein dem Zweck dienen, die mit den Regeln ordnungsgemäßer Wirtschaftsführung kollidierende Vermögensverschiebung zu verschleiern. Nach wie vor umstritten ist die Frage, wann die Forderung begründet worden sein 8 muss, um ihren Inhaber als Gläubiger iSd § 283c StGB zu qualifizieren. Drei Ansichten stehen sich gegenüber: Während es nach der weitesten hM unerheblich ist, ob die Forderung vor oder nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit begründet wurde,28 will die engste Auffassung zur Einschränkung von Manipulationsmöglichkeiten die inkongruente Befriedigung/Sicherung nur solcher Forderungen via § 283c Abs 1 StGB privilegieren, die im Vorfeld der Zahlungsunfähigkeit entstanden sind.29 Zwischen diesen beiden Extremen steht eine Ansicht, die für das Stadium ab Zahlungsunfähigkeit danach differenziert, inwieweit die Begründung der Forderung den Anforderungen wirtschaftlichen Handelns genügt. Danach greift § 283 StGB, sofern die Forderung entgegen ordnungsgemäßer Wirtschaftsführung begründet wurde.30 Diese letztgenannte, differenzierende Ansicht verdient den Vorzug, da zwar das Eingehen ordnungsgemäßer Wirtschaft widersprechender Verbindlichkeiten im Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit und die anschließende Befriedigung/Sicherung dieser Verbindlichkeiten keinesfalls privilegierungswürdig ist,

_____ 25 Zutr Wauschkuhn, S 82 f; SK/Hoyer § 283c Rn 15; ferner wohl MK/Radtke/Petermann § 283c Rn 15; aA aber S/S/Heine/Schuster § 283c Rn 9; vgl auch G/J/W/Reinhart § 283c Rn 8, der Inkongruenz in Form der ersten Variante annimmt. 26 Dazu u Rn 46. 27 LK/Tiedemann § 283c Rn 8; S/S/Heine/Schuster § 283c Rn 12; SK/Hoyer § 283c Rn 9; G/J/W/Reinhart § 283c Rn 4; M/G/Rinjes 8/157; Wauschkuhn, S 73 ff; Ackermann, (1912), S 13; Vormbaum Jura 1980, 421, 423; Thilow, S 89 m Fn 301, der in Fällen des Barkaufs, die nicht der Sicherung des allg Lebensunterhalts dienen, § 283 StGB anwenden will. 28 Dafür Wauschkuhn, S 78 ff; Thilow, S 89; Fischer § 283c Rn 2; MK/Radtke/Petermann § 283c Rn 9; AnwK/Püschel § 283c Rn 6; M-G/Richter § 84 Rn 23; MAH/Böttger § 19 Rn 171; D/K/H/Knierim Rn 898; W/J/ Pelz 9/197; HambK/Borchardt § 283c StGB Rn 2; M/G/Rinjes 8/157; Wittig § 23 Rn 149; vgl auch BGHSt 35, 357, 361 für die Mandatierung eines Rechtsanwalts. 29 Grdl Vormbaum GA 1981, 101, 106 f, 118; so auch schon Ackermann, (1912), S 23; zust G/J/W/Reinhart § 283c Rn 4; sympathisierend Lackner/Kühl/Heger § 283c Rn 2; wohl auch Schäfer wistra 1990, 81, 89. 30 Dazu S/S/Heine/Schuster § 283c Rn 12; zust NK/Kindhäuser § 283c Rn 4; SK/Hoyer § 283c Rn 9; Krause, S 294, 317; wohl auch LK/Tiedemann § 283c Rn 9; ferner scheinbar Pelz Rn 430, obschon nicht ganz deutlich wird, ob der Vorbehalt ordnungsgemäßen Wirtschaftens nur für den Zeitraum nach oder sogar schon für das Stadium vor Eintritt der Zahlungsunfähigkeit gilt; gegen das Abstellen auf die Grundsätze ordnungsgemäßen Wirtschaftens, um § 283 StGB von § 283c StGB abzugrenzen, Hartwig Bemann-FS, S 311, 325 m Fn 69.

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eine pauschale Herausnahme von Forderungen, die nach Zahlungsunfähigkeit entstanden sind, aus dem Privilegierungstatbestand jedoch den Wertungen des § 283 Abs 1 StGB zuwiderliefe, der in der Krise nur wirtschaftswidrige Verhaltensweisen untersagt. Allerdings ginge es zu weit und belastete den Schuldner über Gebühr, wollte man – wie teilweise vorgeschlagen – den ordnungsgemäßer Wirtschaft widersprechenden Geschäftsabschluss gem § 283 StGB, die Tilgung/Sicherung der hieraus resultierenden Forderung zusätzlich gem § 283c StGB bestrafen.31

2. Aus- und Absonderungsberechtigte 9 Schwierigkeiten bei der Anwendung des § 283c Abs 1 StGB ergeben sich, sobald der

Schuldner nicht einen „normalen“ Masse-/Insolvenzgläubiger, sondern einen Aus- bzw Absonderungsberechtigten inkongruent befriedigt. Das liegt daran, dass in diesen Konstellationen neben der Gläubigerstellung des Aus-/Absonderungsberechtigten auch die Merkmale „Begünstigung“ und „Nachteil“ zweifelhaft sind. Deshalb wird zum besseren Verständnis die insolvenzstrafrechtliche Relevanz der inkongruenten Befriedigung von Aus- und Absonderungsberechtigten an dieser Stelle unter dem Blickwinkel sämtlicher problematischer Tatbestandsmerkmale des § 283c Abs 1 StGB abgehandelt. Gewährt der Schuldner den auszusondernden Gegenstand zurück, macht er sich 10 richtigerweise weder gem § 283 Abs 1 StGB noch gem § 283c Abs 1 StGB strafbar. Der Grund für seine Straflosigkeit liegt in dem Umstand begründet, wonach der weggegebene, mit einem Aussonderungsrecht belastete Gegenstand auch im eröffneten Insolvenzverfahren nicht zur Masse rechnet, seine vorherige Weggabe also nicht geeignet ist, die Interessen der Gesamtgläubigerschaft zu beeinträchtigen.32 Ob hiervon eine Ausnahme zu machen ist, sofern das Aussonderungsrecht wie im Falle des einfachen Vorbehaltseigentums33 de facto ausschließlich Sicherungszwecken dient,34 erscheint zweifelhaft. Zwar besteht in der Konstellation des Eigentumsvorbehalts zwischen Schuldner und Gläubiger ein Rechtsverhältnis, nämlich der Kaufvertrag über den Gegenstand, dessen Eigentum sich der Gläubiger vorbehält, und führt die Rückgabe des Gegenstandes zu einem Verlust des schuldnerischen Anwartschaftsrechts an diesem Gegenstand; mit Blick auf das Schutzgut der Gläubigerbegünstigung fehlt indes ein Bedürfnis, solches Verhalten generell zu bestrafen: So bleibt derjenige Schuldner sub specie § 283c Abs 1 StGB straflos, der den aufschiebend bedingt übereigneten Gegenstand dem Gläubiger zurückgewährt, dafür aber – Zug um Zug – die bis dahin gezahlten Raten auf den Kaufpreis erstattet bekommt. Wollte man diesen Schuldner wegen der „Zerstörung des An-

_____ 31 Dafür scheinbar Hartwig Bemmann-FS, S 311, 336 f. 32 Eine Einschränkung des Gläubigerbegriffs muss deshalb nicht vorgenommen werden; zutr Hartwig Bemmann-FS, S 311, 337; für Straflosigkeit der Rückgabe des mit einem Aussonderungsrecht belasteten Gegenstandes unter dem Blickwinkel des § 283c StGB s nur LK/Tiedemann § 283c Rn 6; MK/Radtke/Petermann § 283c Rn 8; S/S/W/Bosch § 283c Rn 2; AnwK/Püschel § 283c Rn 5; M-G/Richter § 84 Rn 31; A/R/R/ Wegner Kap 7/1 Rn 221; HambK/Borchardt § 283c StGB Rn 3; M/G/Rinjes 8/157; Wauschkuhn, S 11, 63; Thilow, S 88; Pelz Rn 428; Weyand/Diversy Rn 130; Weyand ZInsO 2002, 851, 855; zur Bedeutung der fehlenden Massezugehörigkeit eines Gegenstandes für die Reichweite des mit § 283c StGB insoweit identischen § 241 KO vgl schon RG bei Kloeppel JW 1910, 679. 33 Zum Aussonderungsrecht beim Vorbehaltseigentum s nur Windel JURA 1999, 1, 4 f mwN. Anderes gilt nach hM bei den Erweiterungs- und Verlängerungsformen des Eigentumsvorbehalts; wegen des im Vordergrund stehenden Sicherungscharakters soll insoweit nur ein Absonderungsrecht begründet sein; dazu Uhlenbruck/Brinkmann § 51 Rn 40. 34 So wohl Bittmann/Bittmann Voraufl Rn 7.

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wartschaftsrechts“ gem § 283c Abs 1 StGB bestrafen, sanktionierte man letztendlich nicht mehr als die Vereitelung des dem künftigen Insolvenzverwalter aus § 107 Abs 2 S 1 InsO zustehenden Rechts, im Anschluss an den Berichtstermin entweder für oder gegen die Durchführung des Kaufvertrags zu votieren.35 Dass der Insolvenzverwalter bei dieser Entscheidung ausschließlich darauf verpflichtet ist, im Interesse der Masse und damit der Gläubigerschaft zu handeln, zwingt selbst dann nicht dazu, den Schuldner gem § 283c Abs 1 StGB zu pönalisieren, falls die Rückgabe des unter Eigentumsvorbehalt erworbenen Gegenstandes für die Masse ungünstiger war als die Erfüllung des Kaufvertrags. Denn der Tatbestand der Gläubigerbegünstigung schützt die Gläubiger vor solchen Schuldnern, die bestimmte „Mitgläubiger“ durch die Gewährung einer diesen (so oder zu dieser Zeit) nicht gebührenden Leistung besserstellen. Dazu führt die Rückgabe des unter Eigentumsvorbehalt verkauften Gegenstandes an den Verkäufer-Gläubiger jedoch nicht, da dieser Gläubiger bei Insolvenzeröffnung ohnehin entweder Erfüllung oder Abwicklung beanspruchen kann. Vor dem Hintergrund dieser Erwägungen und der Notwendigkeit eines Nachteilseintritts bei den restlichen Gläubigern bleibt auch derjenige Schuldner wegen Gläubigerbegünstigung straflos, der nicht den Herausgabeanspruch des Vorbehaltsverkäufers erfüllt, indem er den unter Eigentumsvorbehalt erworbenen Gegenstand zurückgibt, sondern mit Mitteln der präsumtiven Masse die Kaufpreisforderung befriedigt und dadurch den massefremden Kaufgegenstand zur künftigen Masse erwirbt – freilich nur, sofern Leistung und Gegenleistung wirtschaftlich gleichwertig sind.36 Strafwürdig ist dagegen der Fall, in dem der Gläubiger „seinen“ Gegenstand zurückbekommt, ohne die vom Schuldner bezahlten Raten zu erstatten. Hier erhält der Gläubiger mehr als er von Rechts wegen beanspruchen kann, weshalb insoweit nicht § 283c Abs 1 StGB, sondern § 283 StGB greift. Gem § 283c Abs 1 StGB macht sich nach allgemeiner Meinung des Weiteren wohl der 11 Schuldner strafbar, der einem absonderungsberechtigten Gläubiger, etwa dem Sicherungseigentümer, im Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit den zur Sicherheit übereigneten Gegenstand herausgibt.37 Indes erweckt die pauschale Heranziehung des § 283c Abs 1 StGB in solchen Konstellationen Bedenken. Zwar ist der Absonderungsberechtigte Gläubiger iSd Tatbestandes38 und erfolgt die Rückgabe des Sicherungsgutes bzw die Tilgung der gesicherten Verbindlichkeit meist in inkongruenter Weise. Jedoch dürfte es regelmäßig an einer Bevorzugung des Gläubigers und damit spiegelbildlich an einer Benachteiligung der Gesamtgläubigerschaft fehlen. Denn der absonderungsberechtigte Gläubiger ist aus den Massegegenständen, auf die sich sein Absonderungsrecht bezieht, vorrangig zu befriedigen; nur soweit der Wert des Absonderungsgutes die Forderung des Absonderungsberechtigten übersteigt, fällt er in die Masse.39 Dh: Entsprechen sich der Wert des Absonderungsgutes und die Höhe der gesicherten Gläubigerforderung – was gegebenenfalls mit sachverständiger Hilfe zu ermitteln ist –, macht sich der Schuldner, der das Absonderungsgut herausgibt bzw den Absonderungsberechtigten befriedigt, nicht gem § 283c Abs 1 StGB strafbar.

_____ 35 Sa schon, freilich in anderem Kontext H.W. Schmidt NJW 1957, 1788, 1789, dem zufolge dieses Recht kein Vermögensstück darstellt. 36 AA wohl Krause, S 271 m Fn 160. 37 RGSt 16, 402, 407 f; LK/Tiedemann § 283c Rn 6; AnwK/Püschel § 283c Rn 5; S/S/W/Bosch § 283c Rn 2; HambK/Borchardt § 283c StGB Rn 2; Weyand/Diversy Rn 130; Ackermann, (1912), S 12; Vormbaum GA 1981, 101, 106 m Fn 21; Weyand ZInsO 2002, 851, 855. 38 S nur Wauschkuhn, S 62. 39 S zum Ganzen Foerste Rn 368; ferner RGSt 16, 402, 407 sowie Krause, S 252 m Fn 84 noch zur KO.

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3. Der Schuldner als Gläubiger? 12 Es entspricht ganz hM, dass der Schuldner nicht gleichzeitig Gläubiger iSd § 283c Abs 1

StGB sein kann.40 Unmittelbare Relevanz gewinnt diese Aussage aber nur, wenn der Schuldner entweder Träger zweier getrennter Vermögensmassen ist und ihm in seiner Eigenschaft als Inhaber der einen gegen die andere eine Forderung zusteht oder das Gesetz eine ausdrückliche Ausnahme von dem Grds vorsieht, wonach die Forderung erlischt, sobald sich Gläubiger- und Schuldnerstellung in einer Hand vereinigen (sog Konfusion). Prototyp der erstgenannten Konstellation ist der Erbe, der iRd Nachlassinsolvenzverfahrens eine Forderung gegen den Erblasser mit Mitteln der Masse inkongruent befriedigt oder besichert. Zur Ahndung dieses Verhaltens ist nicht § 283c Abs 1 StGB, sondern § 283 StGB aufgerufen, da die Stellung des „Gläubiger-Schuldners“ – insolvenzstrafrechtlich – von derjenigen der übrigen Gläubiger divergiert.41

4. Gesellschaftsrechtliche Besonderheiten 13 Besondere Schwierigkeiten bereitet die Anwendung des § 283c StGB, sobald eine juristi-

sche Person oder eine Personen(handels)gesellschaft die Schuldnerstellung bekleidet. Neben der Frage, ob und wenn ja wann Gesellschafter bzw Organmitglieder Gläubiger iSd § 283c StGB sein können, wird auch hier die Problematik virulent, welche Voraussetzungen vorliegen müssen, um die Schuldnerstellung auf das handelnde Organ zu „überwälzen“.42 Da juristische Personen und Personen(handels)gesellschaften unterschiedlichen Regelungsregimen unterliegen, wird im Folgenden – soweit sich die Unterschiede auswirken – zwischen diesen beiden Gruppen unterschieden.

a) Die Gesellschafter als Gläubiger iSd § 283c StGB aa) Die Rechtslage in der juristischen Person 14 Nähert man sich der Debatte um die Gläubigerstellung der Gesellschafter von der GmbH als der insolvenzanfälligsten Rechtsform her kommend,43 müssen folgende Aspekte auseinandergehalten werden: Der Gesellschafter kann als Gläubiger seiner Einlage (1), als Gläubiger eines der GmbH gewährten Darlehens (2) oder als Gläubiger eines mit der GmbH geschlossenen, einem Drittvergleich standhaltenden regulären Austauschvertrags (3) angesprochen sein. Alle drei Konstellationen können, müssen aber nicht sub specie Gläubigerbegünstigung gleichlaufen. 15 Gewährt der GmbH-Geschäftsführer einem Gesellschafter die geleistete Einlage nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit zurück, ist – von den Anforderungen des § 14 StGB einmal abgesehen – das Ergebnis eindeutig: Eine Privilegierung dieses Verhaltens gem

_____ 40 Zu diesem Grds s nur BGHSt 34, 221, 226; BGHSt 35, 357, 359; S/S/Heine/Schuster § 283c Rn 12; NK/ Kindhäuser § 283c Rn 3; MK/Radtke/Petermann § 283c Rn 9; G/J/W/Reinhart § 283c Rn 3; AnwK/Püschel § 283c Rn 7; M-G/Richter § 84 Rn 22, 28; MAH/Böttger § 19 Rn 171; Wittig § 23 Rn 150; Weyand/Diversy Rn 130; D/K/H/Knierim Rn 898; Maurer/Wolf wistra 2011, 327, 334; aA aber Hartwig Bemann-FS, S 311, 321 ff; Achenbach BGH-FG, S 593, 607 f; Wauschkuhn, S 136 f; Thilow, S 152. 41 Näher RGSt 68, 368, 370 f; LK/Tiedemann § 283c Rn 10; Habetha, S 228 f; ferner S/S/Heine/Schuster § 283c Rn 12; Winkelbauer JR 1988, 33, 36, der das Ergebnis mit der Fiktion des § 1976 BGB begründet; aA Wauschkuhn, S 138 f. 42 Dazu § 12 Rn 15 ff. 43 Zu diesem Befund s etwa Wietz, S 19 m Fn 24; Radtke GmbHR 2008, 729, 730.

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§ 283c Abs 1 StGB kommt nicht in Betracht.44 Der Grund für dieses Ergebnis liegt – wie so oft – in der Ratio des § 283c StGB: Der Tatbestand begünstigt Schuldner bzw deren Organe, weil sie die Mittel der künftigen Masse immerhin zugunsten eines Teils desjenigen Personenkreises verwenden, dem sie nach Verfahrenseröffnung ohnehin zustehen. Im Falle der Einlagenrückgewähr fehlt es hieran jedoch, da die Gesellschafter Zahlungen auf die geleisteten Einlagen erst beanspruchen können, nachdem sämtliche Gläubiger vollständig befriedigt wurden (vgl § 73 GmbHG)45 – ein Szenario, das im Rahmen eines Insolvenzverfahrens allenfalls theoretisch vorkommen dürfte.46 Anders gewendet mangelt es an einem Konkurrenzverhältnis zwischen Gesellschaftern und Gläubigern im Wettbewerb um die Verteilung des schuldnerischen Vermögens.47 Zu demselben Ergebnis – keine Privilegierung gem § 283c StGB – gelangte die über- 16 wiegende Meinung in Rspr und Schrifttum, wenn sie die Rückzahlung sog eigenkapitalersetzender Gesellschafterdarlehen unter insolvenzstrafrechtlichen Vorzeichen beurteilte.48 Mit dem Attribut „eigenkapitalersetzend“ belegte man solche Darlehen, die von Gesellschaftern oder ihnen nahestehenden Personen gewährt, unter bestimmten Voraussetzungen dem haftenden Gesellschaftsvermögen gleichgestellt wurden49 und deren vorzeitige Rückzahlung ua den Sanktionsmechanismus der §§ 30 f GmbHG auslöste.50 Durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vom 23.10.200851 hat der Gesetzgeber mit der Einfügung des § 30 Abs 1 S 3 GmbHG die Unterscheidung in eigenkapitalersetzende und „normale“ Gesellschafterdarlehen abgeschafft. Stattdessen hat er sämtliche Gesellschafterdarlehen und wirtschaftlich vergleichbare Rechtshandlungen52 via § 39 Abs 1 Nr 5 InsO einem Nachrang in der Insolvenz unterworfen. Dh: Die darlehensgewährenden Gesellschafter können eine (quotale) Befriedigung ihres Rückzahlungsanspruchs erst dann beanspruchen, nachdem alle anderen Insolvenzgläubiger und sonstigen nachrangigen Gläubiger (§ 39

_____ 44 IE ebenso LK/Tiedemann § 283c Rn 10; NK/Kindhäuser § 283c Rn 3; SK/Hoyer § 283c Rn 6; Fischer § 283c Rn 2; G/J/W/Reinhart § 283c Rn 3; M/R/Altenhain § 283c Rn 5; AnwK/Püschel § 283c Rn 7; M/G/Rinjes 8/158; Wauschkuhn, S 107 f; Kruse, S 43; Pattberg, S 191; Hendel NJW 1977, 1943, 1946; Hartwig Bemann-FS, S 311, 332; Maurer/Wolf wistra 2011, 327, 334; wohl auch Schäuble, S 197; Winkelbauer JR 1988, 33, 36. 45 S nur Kruse, S 36. 46 S etwa Maurer/Wolf wistra 2011, 327, 330 m Fn 33, die von einem „in der Praxis wenig wahrscheinlichen Fall“ sprechen; ferner Thilow, S 63. 47 Dazu Hendel NJW 1977, 1943, 1946. 48 Ausf Wauschkuhn, S 111 ff; ferner SK/Hoyer7 § 283c Rn 6; HambK/Borchardt § 283c StGB Rn 3; Weyand/Diversy Rn 70, 154; Thilow, S 100 f; Mohr, S 55 f; Habetha, S 209 f, 232; Bieneck StV 1999, 43, 45; Richter GmbHR 1984, 137, 146 f; Hendel NJW 1977, 1943, 1947; Muhler wistra 1994, 283, 285 f (allerdings nur für die Darlehen, die den sog „Rspr-Regeln“ unterfielen); indifferent – Gläubigerbegünstigung, Bankrott oder Untreue denkbar – aber Tiedemann ZIP 1983, 513, 515; zu dieser früheren Rechtslage vgl auch die Ausführungen bei M-G/Richter § 82 Rn 13 und § 84 Rn 28 f; zur Untreuerelevanz solcher Verstöße gegen die sog „Rechtsprechungsregeln“ s B/Quedenfeld/Richter 5/148; Maurer GmbHR 2004, 1549, 1555; angedeutet ferner schon bei Blankenbach/Richter wistra 1982, 222, 224; aA freilich Hartwig Bemmann-FS, S 311, 333 ff; diff Ansatz bei Kruse, S 35 ff, 48 ff, der zwischen „nennkapitalersetzenden“ Darlehen iSd „Rechtsprechungsregeln“ und (schlicht) eigenkapitalersetzenden Darlehen iSd §§ 32a, b GmbHG aF unterscheidet, und die Rückzahlung letzterer in der Krise nur über § 283c StGB sanktionieren will. 49 Näher zu den Voraussetzungen s § 8 Rn 54. 50 Ausf zu den Voraussetzungen Groth, S 38 ff; s ferner M-G/Richter § 82 Rn 3 ff. 51 BGBl I S 2026. 52 Etwa eine atypische stille Beteiligung, die in ihrer Ausgestaltung der Position eines Kommanditisten nahekommt; vgl BGHZ 193, 378, 387; zur Erstreckung des § 39 Abs 1 Nr 5 InsO auf Darlehen von NichtGesellschaftern s ferner BGHZ 188, 363, 365 ff.

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Abs 1 Nr 1–4 InsO) befriedigt wurden53.54 Die insolvenzstrafrechtlichen Konsequenzen, die aus dieser gesetzgeberischen Neuorientierung resultieren, sind noch nicht abschließend ausgelotet. Teilweise scheint sich die Ansicht Bahn zu brechen, wonach der darlehensgewährende Gesellschafter Gläubiger iSd § 283c StGB ist, die inkongruente Befriedigung seines Rückzahlungsanspruchs im Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit mithin der Privilegierung des § 283c Abs 1 StGB unterfällt.55 Das soll selbst bei fälligem Rückzahlungsanspruch gelten – die Inkongruenz der Leistung ergebe sich in diesem Fall regelmäßig aus dem Umstand, wonach die Rückzahlung der Darlehensvaluta gegen die Zahlungsverbote der §§ 64 S 3 GmbHG, 130a, 177a HGB verstieße.56 Eine andere Meinung im Schrifttum vertritt demgegenüber den Standpunkt, die Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen führe nicht zu § 283c StGB, sondern – soweit sie pflichtwidrig erfolgt – zu einer Bestrafung wegen Untreue bzw Bankrott.57 Vermittelnd wird zum Teil vorgeschlagen, die Darlehensrückzahlung an den Gesellschafter zumindest dann gem den §§ 266 Abs 1, 283 StGB zu pönalisieren, falls die Rückzahlung mit § 64 S 3 GmbHG bzw dem Existenzvernichtungsverbot kollidiert.58 Denkt man diese Argumentation konsequent zu Ende, bliebe es in allen anderen Fällen bei der Anwendung des § 283c Abs 1 StGB. Den Vorzug verdient keine der genannten Ansichten. Während die Bankrottlösung zu sehr den Umstand herausstreicht, wonach die Rückzahlungsansprüche aus Gesellschafterdarlehen wegen des gem § 39 Abs 1 Nr 5 InsO gesetzlich angeordneten Rangrücktritts regelmäßig nicht an der Verteilung der Insolvenzmasse teilnehmen,59 dabei aber den von § 39 Abs 1 Nr 5 InsO akzentuierten Fremdkapitalcharakter dieser Forderungen völlig aus dem Blick verliert, versperrt die Gläubigerbegünstigungslösung sich den Weg zu einer sachgerechten Lösung für die Fälle, in denen der Gesellschafter-Gläubiger trotz eines von ihm erklärten qualifizierten Rangrücktritts sein Darlehen bei bestehender Gesellschaftskrise abzieht.60 Die vermittelnde Ansicht schließlich verkennt, dass § 64 S 3 GmbHG bzw das Existenzvernichtungsverbot keine Antwort auf die Frage geben, ob ein Begünstigter Gläubiger iSd § 283c StGB ist.61 Ob der Geschäftsführer, der ein Gesellschafter-Darlehen bei eingetretener Zahlungsunfähigkeit der GmbH zurückführt, sich gem § 283 Abs 1 Nr 1 StGB oder

_____ 53 Näher § 8 Rn 57 ff. 54 Maurer/Wolf wistra 2011, 327, 334; Bittmann GmbHR 2007, 70, 74; zur alten Rechtslage Bieneck StV 1999, 43, 45. 55 OLG Celle BeckRS 2014, 14248; LK/Tiedemann § 283c Rn 10; M/G/Rinjes 8/158; AnwK/Püschel § 283c Rn 7; MAH/Böttger § 19 Rn 294; wohl auch S/S/Heine/Schuster § 283c Rn 12; G/J/W/Reinhart § 283c Rn 3; Pattberg, S 170, 191; offen gelassen von Fischer § 283c Rn 2. 56 LK/Tiedemann § 283c Rn 10; Schäuble, S 197; anscheinend zust G/J/W/Reinhart § 283c Rn 3; hiergegen dezidiert Weiß GmbHR 2011, 350, 354 f, der darauf hinweist, dass die Zahlungsverbote nur an den Geschäftsführer adressiert sind, der Gesellschaft jedoch gegenüber ihren Gläubigern kein Leistungsverweigerungsrecht einräumen; aA für die Rückzahlung fälliger eigenkapitalersetzender Darlehen wohl auch Kruse, S 9. 57 M/R/Altenhain § 283c Rn 5; HambK/Borchardt § 283c StGB Rn 3; Weyand/Diversy Rn 155; Schäuble, S 198 f; Bittmann wistra 2009, 102, 103; Maurer/Wolf wistra 2011, 327, 334; für Untreue ferner, allerdings ohne auf die Abgrenzung zu § 283c StGB einzugehen, Leplow wistra 2009, 351, 353; Maurer JR 2008, 389, 391; Klein BLJ 2014, 30, 32 f. 58 So M-G/Richter § 84 Rn 30 und § 82 Rn 32, 35; Rönnau Schünemann-FS, S, 675, 681 ff, 686 f. 59 Dazu, allerdings unter Geltung der alten Rechtslage, Hartwig Bemmann-FS, S 311, 328; vgl ferner Schäuble, S 198 f; Vallender MDR 1999, 280, 283. 60 Brand/Brand GmbHR 2015, 1125, 1130 f. 61 Näher zur Kritik an dieser Ansicht Brand/Brand GmbHR 2015, 1125, 1131 f. AA aber MAH/Böttger § 19 Rn 294, der mithilfe der Rückzahlungsverbote die Gläubigerstellung des darlehensgewährenden Gesellschafters iSv § 283c StGB begründet.

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aber „nur“ gem § 283c StGB strafbar macht, richtet sich vielmehr danach, ob der Gesellschafter für seinen Darlehensrückzahlungsanspruch einen qualifizierten Rangrücktritt erklärt hat. Fehlt es an einem solchen Rangrücktritt, haftet der Geschäftsführer lediglich gem § 283c StGB. Führt er das Darlehen, für das der Gesellschafter einen qualifizierten Rangrücktritt erklärt hat, trotz Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft inkongruent zurück, begeht er hingegen einen Bankrott.62 Abweichend von vorstehend Rn 16 Gesagtem gestaltet sich die Rechtslage, sobald 17 der Geschäftsführer Gesellschafterdarlehen bedient, die nur deshalb diesen Status besitzen, weil der Forderungsinhaber im Rahmen eines durch das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG)63 eingeführten debt-to-equityswap (vgl § 225a Abs 2 InsO) die Position eines Gesellschafters erworben hat. Gem § 39 Abs 4 S 2 InsO nehmen die Darlehen bzw vergleichbaren Rechtshandlungen solcher Gesellschafter solange nicht am Nachrang des § 39 Abs 1 Nr 5 InsO teil, bis die Gesellschaft nachhaltig saniert ist. Dh: Befriedigt der Geschäftsführer ein Darlehen iSv § 39 Abs 4 S 2 InsO, macht er sich lediglich bei Inkongruenz gem § 283c StGB strafbar; andernfalls – das rückgeführte Darlehen war fällig und durchsetzbar – bleibt er straflos. Mit der Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen eng zusammen hängt die Beglei- 18 chung solcher Drittdarlehen, für die sich ein Gesellschafter bspw verbürgt hat. Erfolgt die Befriedigung des Darlehnsgebers kongruent, aber in der Gesellschaftskrise – im Fall der Inkongruenz wäre § 283c StGB ohnehin einschlägig – stellt sich die Frage, ob dem zahlenden Geschäftsführer mit Blick auf die erloschene Bürgschaftsverpflichtung des Gesellschafters (insolvenz-)strafrechtliche Konsequenzen drohen. Was die Haftung wegen Gläubigerbegünstigung anbelangt, fehlt es bereits an einer unmittelbaren Leistung aus dem Schuldnervermögen, die nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut Voraussetzung für das Eingreifen des § 283c StGB ist.64 Nicht die darleihende Gesellschaft, sondern die gesetzliche Anordnung, wonach die Bürgschaftsverpflichtung mit der Hauptforderung erlischt, befreit den Gesellschafter von dieser Verbindlichkeit. Allerdings wäre es nicht überzeugend, stattdessen § 283 StGB zu aktivieren. Zwar ließe sich vor dem Hintergrund des § 135 Abs 2 InsO argumentieren, in erster Linie sei der bürgende Gesellschafter für die Befriedigung der getilgten Darlehensforderung zuständig, ihre Erfüllung mit Mitteln des Gesellschaftsvermögens beeinträchtige mithin die Interessen der Gesellschaftsgläubiger. Jedoch wäre es widersprüchlich, den Geschäftsführer, der aus Gesellschaftsmitteln inkongruent einen Gesellschafter befriedigt „nur“ wegen Gläubigerbegünstigung, hingegen denjenigen, der in kongruenter Weise ein Drittdarlehen tilgt und dabei eine Gesellschafterbürgschaft zum Erlöschen bringt, wegen Bankrotts haften zu lassen. Richtigerweise bleibt der Geschäftsführer straflos. Kaum behandelt wird die dritte o Rn 14 genannte Konstellation, in der der Gesell- 19 schafter „seiner“ Gesellschaft wie ein außenstehender Gläubiger gegenübersteht und eine Forderung aus einem gewöhnlichen Austauschvertrag geltend macht. Zur Lösung könnte auf die insolvenzstrafrechtliche Behandlung der Organwalter verwiesen werden, die sich bei Zahlungsunfähigkeit der von ihnen vertretenen Gesellschaft in inkongruenter Weise Befriedigung/Sicherung für ihre noch offenen Gehaltsforderungen gewähren.

_____ 62 Ausf zu dieser Lsg Brand/Brand GmbHR 2015, 1125, 1132. 63 RegE BT-Drucks 17/5712; Rechtsausschuss BT-Drucks 17/7511. 64 Ausf dazu und zu weiteren Arg gegen die Heranziehung des § 283c StGB in dieser Konstellation Kruse, S 32 ff; s ferner auch Alsberg Pinner-FS, S 215, 221.

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Nach hM soll hier wegen der Nähe zum Schuldner keine Privilegierung gem § 283c StGB stattfinden.65 Ob dies zutrifft, braucht an dieser Stelle noch nicht entschieden zu werden.66 Der Gläubiger-Gesellschafter jedenfalls rückt weder über § 14 StGB in die Gemeinschuldnerstellung noch ist seine Forderung aus einem regelmäßigen, mit den Grundsätzen ordnungsgemäßer Wirtschaftsführung vereinbaren Austauschvertrag in der Gesellschaftsinsolvenz nachrangig, weshalb die inkongruente Befriedigung/Sicherung lediglich die Verteilungsgerechtigkeit, nicht aber den Massebestand tangiert. Richtigerweise ist daher § 283c StGB anzuwenden.67

bb) Die Rechtslage in der Personen(handels)gesellschaft 20 Vorab gilt festzuhalten: Ein vermögenszuordnungstechnischer Unterschied zwischen

Personen(handels)gesellschaften und juristischen Personen besteht richtigerweise nicht, da die Promotion sämtlicher Personengesellschaften in ihrer nach außen auftretenden Variante zu rechtsfähigen Entitäten, dazu führt, das überkommene Gesamthandsprinzip zugunsten von Alleineigentum der Gesellschaft am Gesellschaftsvermögen aufzugeben.68 Dh für die Reichweite des § 283c StGB: Erstattet der Geschäftsführer in seiner Eigenschaft als „Schuldner kraft Zurechnung“ einem Gesellschafter nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit seine Einlage zurück, findet genausowenig wie im Recht der juristischen Personen die Privilegierung des § 283c StGB Anwendung,69 weil ein Anspruch auf Rückgewähr der Einlageleistung erst entsteht, sobald sämtliche Gläubiger befriedigt wurden. Anders gestaltet sich die Rechtslage hingegen auf dem Feld der Gesellschafterdarlehen: Da § 39 Abs 1 Nr 5 InsO hier nicht gilt – Ausnahmen bilden nur die GmbH & Co. KG sowie vergleichbare Gestaltungsformen, vgl § 39 Abs 4 S 1 InsO – stehen die darleihenden Gesellschafter mit den „normalen“ Gläubigern auf einer Stufe, weshalb ihre inkongruente Befriedigung/Sicherung allenfalls zu § 283c StGB und nicht zu den §§ 283, 266 StGB führt. Gleiches gilt für Forderungen, die dem Gesellschafter aus einem Rechtsverhältnis zustehen, das seine causa nicht im Mitgliedschaftsverhältnis, sondern in einer regulären Austauschbeziehung hat.

b) Die Organwalter als Gläubiger und taugliche Täter des § 283c StGB 21 Fast schon ein Klassiker der Gläubigerbegünstigung ist die Fragestellung, ob einem Ge-

schäftsführer, der sich im Stadium der Zahlungsunfähigkeit bspw für noch offene Gehaltsforderungen oder der Gesellschaft gegebene Darlehen inkongruente Befriedigung/Sicherung gewährt, die Privilegierung des § 283c StGB zur Seite springt. Während die Rspr und das ihr folgende Schrifttum eine solche Privilegierung unter Hinweis auf die autonome strafrechtliche Begriffsbildung,70 andernfalls entstehende Beweisschwie-

_____ 65 Zum Ganzen su Rn 21 ff. 66 Dazu s Rn 21 f. 67 So schon Wauschkuhn, S 106 f; in diese Richtung für den Kaufpreisanspruch eines oHG-Gesellschafters gegen „seine“ Gesellschaft auch Bittmann/Bittmann Voraufl Rn 14. 68 Ausf dazu Brand, S 198 f und passim; ders VersR 2009, 306, 311; ders NJW 2013, 3594 f; ders ZWH 2014, 23. 69 Winkelbauer JR 1988, 33, 36. 70 Krit gegenüber diesem Topos in der konkreten Situation der Auslegung des Merkmals „Gläubiger“ Thilow, S 151.

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rigkeiten71 und die erheblichen Manipulationsgefahren verneinen,72 wendet die Gegenansicht den § 283c StGB auch in diesen Konstellationen an.73 Zu Recht: Denn der Geschäftsführer steht – etwa in Bezug auf seine Gehaltsforderungen – einem „normalen“ Insolvenzgläubiger gleich; seine inkongruente Befriedigung/Sicherung tangiert nicht den Massebestand, sondern „lediglich“ die Gläubigergleichbehandlung.74 Auch der Hinweis auf die eigennützige Zielrichtung der Befriedigung/Sicherung vermag die Heranziehung des § 283c StGB nicht zu erschüttern, geben doch die §§ 283 ff StGB keinen Hinweis auf ein strukturelles Erfordernis (fehlender) Eigennützigkeit.75 Dagegen dürfte der Einwand, wonach die von der Rspr praktizierte Herausnahme der Organwalter aus dem Gläubigerbegriff des § 283c StGB zur – nicht gewollten – Straflosigkeit führe, weil die Ahndung gem § 266 StGB am Nachteil,76 diejenige gem § 283 Abs 1 Nr 1 StGB an der Hürde der Interessentheorie scheitere,77 nicht mehr greifen. Nachdem der BGH die Interessentheorie78 aufgegeben und sich weitgehend einem organisationsbezogenen Zurechnungsmodell zugewendet hat79,80 erscheint es zumindest möglich, den Geschäftsführer, der sich trotz Zahlungsunfähigkeit „seiner“ Gesellschaft inkongruent befriedigt, statt nach § 283c StGB gem § 283 Abs 1 Nr 1 StGB zu bestrafen. Richtig wäre das – aus den eben genannten Gründen – aber nicht. Der Geschäftsführer einer GmbH – für die Gesellschaftsformen AG, eG und die 22 Mischformen aus Personen(handels)gesellschaften und Kapitalgesellschaften, bei denen keine natürliche Person unbeschränkt persönlich haftet, gilt insoweit nichts anderes – sieht sich womöglich einem weitaus erheblicheren Strafbarkeitsrisiko als seine in Personen(handels)gesellschaften tätigen Kollegen ausgesetzt, wenn er einzelnen Gesellschaftsgläubigern im Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit inkongruente Befriedigung/Sicherung gewährt. Dieser Befund resultiert aus der bis heute nicht abschließend geklärten untreuestrafrechtlichen Bedeutung des § 64 S 1 GmbHG. Geht man mit einzelnen Stimmen im Schrifttum davon aus, dass bereits die kongruente Befriedigung eines

_____ 71 Zur Kritik an diesem Argument s Wauschkuhn, S 129; Thilow, S 153. 72 Grdl BGHSt 34, 221, 225 f; BGH NJW 1969, 1494, 1495 = BGH/H GA 1971, 33, 36; W/J/Pelz 9/202; M-G/ Richter § 84 Rn 22; HambK/Borchardt § 283c StGB Rn 2; M/G/Rinjes 8/158; Schäuble, S 196; Habetha, S 229 f; Brackmann, S 304; zust unter ausf Auseinandersetzung mit den Argumenten pro und contra LK/Tiedemann § 283c Rn 11; so wohl auch MAH/Böttger § 19 Rn 171; Schulte NJW 1983, 1773. 73 Dafür: SK/Hoyer § 283c Rn 6; Lackner/Kühl/Heger § 283c Rn 2; G/J/W/Reinhart § 283c Rn 3; AnwK/ Püschel § 283c Rn 7; Wauschkuhn, S 131 ff; Kruse, S 17 ff; Thilow, S 152; Achenbach BGH-FG, S 593, 607 f; Schäfer wistra 1990, 81, 88; Weber StV 1988, 16, 18; Renkl JuS 1973, 611, 613; ferner wohl Winkelbauer JR 1988, 33, 36; sympathisierend wohl auch M/R/Altenhain § 283c Rn 5, der aber der Gegenansicht mit Blick auf die bestehenden Manipulationsgefahren durchaus Sachgerechtigkeit attestiert. 74 So ausdrückl Wauschkuhn, S 132 f; Schäfer wistra 1990, 81, 88. 75 Zutr Weber StV 1988, 16, 18; Winkelbauer JR 1988, 33, 35; Hartwig Bemann-FS, S 311, 322; Wauschkuhn, S 27 f, 32, 123, 126; Kruse, S 16; Thilow, S 98 f, der aber de lege ferenda für die Fälle der Selbstbegünstigung die Schaffung eines Qualifikationstatbestandes vorschlägt (aaO, S 174); ferner schon Vormbaum GA 1981, 101, 124 f, der die altruistische resp egoistische Motivation in der Strafzumessung berücksichtigen will; vgl aber auch Böhle-Stamschräder KTS 1957, 177, 182, der die privilegierende Wirkung der Gläubigerbegünstigung aus deren altruistischer Zielrichtung ableiten will. 76 Dazu schon Kruse, S 18. 77 So noch Richter GmbHR 1984, 137, 146; verkannt wohl von Kruse, S 18, dem zufolge sich der Geschäftsführer auf dem Boden der von der Rspr und ihren Anhängern vertretenen Ansicht selbst im Falle kongruenter Deckung seiner Ansprüche gegen die Gesellschaft wegen Bankrotts strafbar machen könne, was unter dem Regime der Interessentheorie nicht zutreffen dürfte (vgl aber auch aaO, S 48). 78 Zur Bedeutung der Interessentheorie im Kontext des § 283c StGB s die Andeutungen von Kruse, S 35. 79 Dazu oben § 12 Rn 20. 80 BGHSt 57, 229 m krit Anm Brand NZWiSt 2012, 64 f.

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Gesellschaftsgläubigers während der von § 64 GmbHG umschriebenen Gesellschaftskrise bei fehlender Vereinbarkeit mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns (vgl § 64 S 2 GmbHG) einen Nachteil iSd § 266 StGB begründet und schließt man hiervon wegen des darin liegenden Verstoßes gegen das allgemeine Schädigungsverbot auf die Pflichtwidrigkeit dieses Handelns,81 dürfte die inkongruente Gläubigerbefriedigung erst Recht zur Untreuestrafbarkeit führen. Denn die Gewährung inkongruenter Leistungen entspricht niemals dem Maßstab des § 64 S 2 GmbHG, weshalb die Befreiung der Gesellschaft von einer solchen Verbindlichkeit ausnahmslos zu einem Schaden führen müsste. Dies zugrunde gelegt, machte sich der GmbH-Geschäftsführer, der bei Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft einen Gläubiger inkongruent befriedigt, neben § 283c Abs 1 StGB immer auch gem § 266 Abs 1 StGB strafbar. Die von § 283c Abs 1 StGB intendierte Privilegierung wäre somit durch die Hintertür einer extensiven Interpretation des Merkmals „Nachteil“ iSd § 266 Abs 1 StGB ausgehebelt. Das überzeugt nicht. Richtigerweise fehlt es schon an einem Nachteil, da die Gesellschaft immerhin die Befreiung von einer bestehenden Verbindlichkeit erhält. Diesen Befund dadurch zu überspielen, indem man den Nachteil mithilfe der Figur des individuellen Schadenseinschlags für all diejenigen Fälle begründet, in denen die (sogar kongruente) Tilgung der Verbindlichkeit nicht dem Sorgfaltsmaßstab des § 64 S 2 GmbHG entspricht, erscheint angesichts der notorischen Uferlosigkeit des § 266 StGB und den Anforderungen, die das BVerfG jüngst für den Schadensnachweis aufgestellt hat,82 wenig plausibel. Hinzu kommt: Verneint man wie hier bereits den Nachteil, bedarf es keiner – angesichts der unterschiedlichen Schutzzwecke von Untreue einer- und Gläubigerbegünstigung andererseits fragwürdigen83 – Erweiterung der Sperrwirkung des § 283c StGB auf § 266 StGB.84 Resümierend lässt sich mithin festhalten: Gewährt der GmbH-Geschäftsführer im Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit einzelnen Gesellschaftsgläubigern inkongruente Befriedigung, macht er sich – vorbehaltlich der Anforderungen des § 14 Abs 1 Nr 1 StGB – trotz des Verstoßes gegen § 64 S 1 GmbHG „nur“ gem § 283c Abs 1 StGB strafbar. Befriedigt er die Gläubiger in kongruenter Weise, bleibt er straflos.85 23 Offen geblieben ist bis jetzt, unter welchen Voraussetzungen dem geschäftsführenden Organwalter im Einzugsbereich des § 283c StGB die Gemeinschuldnerstellung zugerechnet werden kann. Obschon sich diese Zurechnung für den Geschäftsleiter einer juristischen Person nach § 14 Abs 1 Nr 1 StGB, für den Geschäftsleiter einer Personen(handels)gesellschaft hingegen nach § 14 Abs 1 Nr 2 StGB richtet, folgen beide, was die Auslegung der Partikel „als“ anbelangt, richtigerweise denselben Maßgaben.86 Geht man bei der Interpretation dieser Partikel von dem an anderer Stelle entwickelten87 und auch hier vertretenen organisationsbezogenen Ansatz aus,88 rückt nur derjenige Geschäftsleiter via § 14 Abs 1 Nrn 1, 2 StGB in die Gemeinschuldnerstellung ein, der eine

_____ 81 Für ein solches Vorgehen Weiß GmbHR 2011, 350, 353 f; ähnl, allerdings mit Blick auf § 64 S 3 GmbHG Schäuble, S 190 f; dezidiert aA Klein BLJ 2014, 30, 34. 82 BVerfGE 126, 170, 206 ff, das im Grds die Forderung aufgestellt hat, den eingetretenen (Gefährdung-) Schaden wertmäßig – nötigenfalls unter Zuhilfenahme der Bilanzrechtsgrundsätze – zu bestimmen. 83 Hartung NJW 1995, 1186, 1190; Klein BLJ 2014, 30, 34; Schäuble, S 199; diesen Skeptizismus teilen Rönnau/Becker NZWiSt 2014, 441, 443 m Fn 31. 84 Dafür aber, allerdings noch zum Rechtszustand vor dem MoMiG Bittmann GmbHR 2007, 70, 73; ders wistra 2007, 321, 325; ebenso wohl B/Quedenfeld/Richter 5/200. 85 So iE auch Bittmann GmbHR 2007, 70, 73; ders wistra 2007, 321, 325. 86 Ausf dazu Brand, S 285. 87 Brand, S 234 ff; ders NStZ 2010, 9, 12 f. 88 Dazu § 12 Rn 19.

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(zivil-)rechtlich wirksame Tilgung/Sicherheit leistet. Fehlt es daran, ist die auf Befriedigung bzw Sicherheitenbestellung gerichtete Rechtshandlung also nichtig, hat nicht der Gemeinschuldner „juristische Person/Personen(handels)gesellschaft“ selbst gehandelt, weshalb bei Vorliegen eines Nachteils Bestrafung nur wegen Untreue in Betracht kommt.89 Anders liegen die Dinge vom Standpunkt des Zurechnungsmodells bzw der Funktionstheorie: Da der Geschäftsleiter sowohl im Falle der inkongruenten Gläubigerbefriedigung als auch bei inkongruenter Sicherheitenbestellung rechtsgeschäftlich im Rechtskreis des Gemeinschuldners tätig wird, dürften diese beiden Interpretationsmodelle im Kontext des § 283c StGB immer zu einer Zurechnung der Gemeinschuldnereigenschaft gelangen. Der BGH fordert – wie bereits erwähnt90 – bei rechtsgeschäftlichen Schädigungshandlungen die wirksame Verpflichtung des Vertretenen und liegt somit ganz auf der Linie des organisationsbezogenen Ansatzes. Eine generelle Überwälzung der Gemeinschuldnerrolle – jedenfalls soweit § 283c StGB betroffen ist,91 – ist deshalb nicht zwingend.

III. Sicherung oder Befriedigung aus dem Schuldnervermögen Von einer Sicherheit iSd § 283c Abs 1 StGB spricht man, wenn der Schuldner seinem 24 Gläubiger eine Rechtsstellung verschafft, vermöge derer der Gläubiger „eher, besser, gewisser befriedigt [wird], als er zu beanspruchen hat“.92 Inhaltlich geht die ganz hM von einem weiten Verständnis des Terminus „Sicherheit“ aus und fasst hierunter keinesfalls nur die in § 232 BGB gelisteten Sicherungsmittel.93 Vielmehr unterfallen dem Merkmal „Sicherheit“ angesichts der vergleichbaren Gefährdungslage für die Gläubigerinteressen neben den rechtsgeschäftlich bestellten Sicherungsmitteln wie der Sicherungsübereignung/-abtretung, der Hypotheken- und Pfandrechtsbestellung sowie der Hinterlegung von Geld und Wertpapieren94 auch Realakte, die zu einem Abfluss künftigen Massevermögens führen – bspw die Übertragung des Besitzes an bestimmten Sachen.95 Allerdings genügt es nicht, wenn die intendierte Sicherungshandlung dem begünstigten Gläubiger im späteren Insolvenzverfahren einen besseren Rang verschafft96 oder die Beweislage zu seinen Gunsten verbessert.97 Deshalb erfüllt den Tatbestand nicht, wer einem Gläubiger eine vollstreckbare Urkunde98 oder einen anderen Vollstreckungstitel verschafft, etwa indem er gegen ein Versäumnisurteil keinen Ein-

_____ 89 Zum Ganzen, allerdings im Kontext der Abgrenzung zwischen § 266 StGB und § 283 Abs 1 Nr 1 StGB, Brand NStZ 2010, 9, 12 f. 90 Siehe o Rn 21 und § 12 Rn 20. 91 IE so aber HambK/Borchardt § 283c StGB Rn 2, allerdings vom Standpunkt der Interessentheorie. 92 AllgM; s nur RGSt 30, 261, 262; LK/Tiedemann § 283c Rn 13; MK/Radtke/Petermann § 283c Rn 10; S/S/ Heine/Schuster § 283c Rn 4; M/R/Altenhain § 283c Rn 6; SK/Hoyer § 283c Rn 10; NK/Kindhäuser § 283c Rn 6; S/S/W/Bosch § 283c Rn 4; AnwK/Püschel § 283c Rn 9; G/J/W/Reinhart § 283c Rn 5; HambK/Borchardt § 283c StGB Rn 4; M/G/Rinjes 8/161; Weyand/Diversy Rn 131; Wittig § 23 Rn 155; Thilow, S 87; Ackermann, (1912), S 24. 93 Zu letzterem s Wauschkuhn, S 46. 94 AllgM; s nur Thilow, S 87. 95 LK/Tiedemann § 283c Rn 14; MK/Radtke/Petermann § 283c Rn 10; NK/Kindhäuser § 283c Rn 6; G/J/W/ Reinhart § 283c Rn 5. 96 BGH LM Nr 14 zu § 239 KO. 97 LK/Tiedemann § 283c Rn 14; tendenziell aA wohl G/J/W/Reinhart § 283c Rn 5. 98 Zu einem solchen Fall s den Sachverhalt bei RGSt 30, 46.

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spruch einlegt99.100 Ob sich dieses Ergebnis – Straflosigkeit des Schuldners – ändert, sobald der Gläubiger von dem „inkongruent erlangten“ Titel Gebrauch macht und Vermögensbestandteile des Schuldners pfänden lässt,101 erscheint zumindest zweifelhaft. Zwar hat der Schuldner, indem er „inkongruent“ den Titel schuf, die Gefahr heraufbeschworen, dass sich der so begünstigte Gläubiger mithilfe des Titels selbst Sicherheiten beschafft, weshalb man daran denken könnte, ersterem die im Wege der Zwangsvollstreckung erwirkte Sicherung über die Regeln der objektiven Zurechnung zuzurechnen. Angesprochen ist insoweit die Anknüpfung an eine vom Täter geschaffene Erstgefahr, die durch die Handlung des Zweittäters nicht abbricht, sondern – gleichsam als Basis – im Enderfolg fortwirkt. Überzeugend ist dies jedoch nicht: Denn die Tathandlung des § 283c StGB gründet in der inkongruenten Bestellung von Sicherheiten bzw der Befriedigung einzelner Gläubiger, der Taterfolg in der Begünstigung des inkongruent besicherten/befriedigten Gläubigers und der Benachteiligung aller übrigen Gläubiger. Da der vom Schuldner geschaffene Vollstreckungstitel weder der Tathandlung „Sicherheitenbestellung“ unterfällt noch die Grenzen zum unmittelbaren Ansetzen hierzu überschreitet – erforderlich sind noch die Vornahme zahlreicher Zwischenschritte, ehe die Vollstreckungsorgane eine Pfändung von Schuldnervermögen bewirken102 –, leuchtet es nicht ein, an diese Vorfeldhandlung einen Strafbarkeitsvorwurf wegen vollendeter vorsätzlicher Gläubigerbegünstigung zu knüpfen. Dies gilt erst recht, wenn der Vollstreckungstitel entstand, als der Schuldner noch zahlungsfähig war, da andernfalls die Koinzidenz zwischen Tathandlung und Zahlungsunfähigkeit überspielt würde. Ob die bestellte Sicherheit werthaltig sein muss, diskutieren Rspr und Schrifttum 25 kontrovers. Herrschend ist die Ansicht, wonach selbst die Bestellung eines Grundpfandrechts an einem überbelasteten Grundstück dem Merkmal der Sicherung unterfällt,103 da für die übrigen Gläubiger die Gefahr besteht, dass der Inhaber dieses Pfandrechts bspw aufgrund von Rangveränderungen aufrückt und dadurch in den Genuss einer werthaltigen Sicherheit gelangt.104 Mit Blick auf das Begünstigungserfordernis genügt der Gegenansicht die Leistung einer wertlosen Sicherheit nicht, um den Schuldner gem § 283c Abs 1 StGB zu bestrafen.105 Dem ist zuzustimmen, sofern der Gläubiger die Wertsteigerung seiner zuvor wertlosen Sicherheit nicht unmittelbar dem Schuldner, sondern anderen Faktoren zu verdanken hat. 26 Die Variante der Befriedigung erfasst neben der Erfüllung iSd § 362 BGB auch Leistungen an Erfüllungs statt (vgl § 364 BGB).106 Zu einer Befriedigung kommt es hingegen

_____ 99 Zur Problematik der Begehung des § 283c StGB durch Unterlassen su Rn 42. 100 Dazu, dass solche Verhaltensweisen den Tatbestand der Gläubigerbegünstigung nicht verwirklichen, s S/S/Heine/Schuster § 283c Rn 4; SK/Hoyer § 283c Rn 10; M/R/Altenhain § 283c Rn 7; M/G/Rinjes 8/163. 101 Dafür aber RGSt 30, 46, 48; zust Ackermann, (1912), S 25 f; ferner wohl NK/Kindhäuser § 283c Rn 7. 102 AA RGSt 30, 46, 48; LK/Tiedemann § 283c Rn 34. 103 RGSt 30, 261 ff; S/S/Heine/Schuster § 283c Rn 4; MK/Radtke/Petermann § 283c Rn 19; NK/Kindhäuser § 283c Rn 6; M/R/Altenhain § 283c Rn 6; M/G/Rinjes 8/162; Ackermann, (1912), S 25; G/J/W/Reinhart § 283c Rn 5, der allerdings konstatiert, dass es in solchen Fällen nur selten zu einer Benachteiligung der Gläubiger kommen wird. 104 So die Argumentation von RGSt 30, 261, 262, das allerdings auf die Feststellung eines Nachteils bei den übrigen Gläubigern ausdrücklich verzichtete; zust Ackermann, (1912), S 25; vgl auch, freilich im Bankrottkontext, RG DRiZ 1934, 314. 105 SK/Hoyer § 283c Rn 7. 106 AllgM, s nur LK/Tiedemann § 283c Rn 16; MK/Radtke/Petermann § 283c Rn 13; SK/Hoyer § 283c Rn 11; AnwK/Püschel § 283c Rn 10; G/J/W/Reinhart § 283c Rn 6; M/R/Altenhain § 283c Rn 7; HambK/Borchardt

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nicht, wenn der Schuldner einem bestimmten Gläubiger einen Scheck/Wechsel auf sich ausstellt, weil er dadurch lediglich eine neue Verbindlichkeit begründet, ohne Vermögen aus dem Bestand der präsumtiven Masse wegzugeben.107 Damit darf indes nicht der Fall verwechselt werden, in dem der Schuldner seinem Gläubiger zur Tilgung einer Forderung Kundenschecks/-wechsel übergibt. Dieses Verhalten unterfällt bei vorbehaltloser Gutschrift zugunsten des Gläubigers dem Merkmal der Befriedigung, vorher dem Merkmal der Sicherheitsgewährung.108 Umstritten ist, ob die Rechtshandlung, mithilfe derer der Schuldner die inkongruen- 27 te Befriedigung/Sicherung leistet, (zivilrechtlich) wirksam sein muss. Drei Ansichten stehen zur Lösung des Problems bereit: Während sich die engste an den §§ 362 ff BGB orientiert und für die Tatbestandserfüllung rechtlich wirksame Sicherungs-/Tilgungsleistungen fordert, nimmt die weiteste den Standpunkt ein, wonach es auf die (zivilrechtliche) Wirksamkeit nicht ankommt.109 Der BGH hat eine vermittelnde Position bezogen: Ihm zufolge hindert die (zivil)rechtliche Unwirksamkeit der Befriedigung/Sicherung die Annahme einer vollendeten Gläubigerbegünstigung nur, wenn sie auf fehlender Bestimmtheit der Befriedigungs-/Sicherungsabrede beruht.110 Gründet die Nichtigkeit der Tilgungs-/Sicherungsabrede dagegen auf einem Verstoß gegen § 138 BGB oder § 134 BGB, soll dies am Vorliegen einer Befriedigung/Sicherung iSd § 283c StGB nichts ändern.111 Als zutreffend erweist sich die Auffassung des BGH – allerdings mit einer Einschränkung: Die Nichtigkeit der Tilgungs-/Sicherungsabrede gem den §§ 134, 138 BGB steht der Annahme einer vollendeten Gläubigerbegünstigung immer dann im Wege, wenn der Gegenstand, auf den sich die Abrede bezieht, das Schuldnervermögen – wie im Falle der Sicherungsübereignung üblich – nicht verlassen hat. In dieser Situation besteht angesichts des Umstandes, dass die Übereignung fehlgeschlagen ist, für die Gesamtgläubigerschaft keine Gefahr einer Benachteiligung.112 Möglich bleibt aber die Strafbarkeit wegen versuchter Gläubigerbegünstigung. Gründet der zahlungsunfähige Schuldner eine Auffanggesellschaft und überträgt 28 er auf diese sämtliche Aktiva, jedoch nur einige Passiva, macht er sich – soweit die Befriedigung der Gläubiger in Rede steht, deren Forderungen auf die Auffanggesellschaft übergeleitet wurden –, richtigerweise nicht nur gem § 283c Abs 1 StGB,113 sondern wegen

_____ § 283c StGB Rn 4; M/G/Rinjes 8/164; Weyand/Diversy Rn 131; Thilow, S 88; Weyand ZInsO 2002, 851, 856; zu einer Mischung der beiden Befriedigungsformen s den Sachverhalt bei RGSt 40, 105. 107 Ganz hM s nur BGHSt 16, 279, 280; RG (Z) LR 1918, 770; RG GA 39 (1892), 230, 231; LK/Tiedemann § 283c Rn 16; SK/Hoyer § 283c Rn 11; G/J/W/Reinhart § 283c Rn 6; M-G/Richter § 84 Rn 32; M/G/Rinjes 8/164; Bendix JW 1927, 1106. 108 Ausf zum Ganzen RG JW 1890, 400; LK/Tiedemann § 283c Rn 16; SK/Hoyer § 283c Rn 11; Weyand/Diversy Rn 131; sa Bendix JW 1927, 1106; ferner Wittig § 23 Rn 159. 109 Grdl RG JW 1934, 1289; ferner SK/Hoyer § 283c Rn 10; G/J/W/Reinhart § 283c Rn 5; M/R/Altenhain § 283c Rn 6; HambK/Borchardt § 283c StGB Rn 4; wohl auch AG Siegen wistra 1985, 196 f; Wauschkuhn, S 26. 110 BGH/H GA 1958, 45, 48; insoweit zust Lackner/Kühl/Heger § 283c Rn 4; M/R/Altenhain § 283c Rn 6; M-G/Richter § 84 Rn 38; M/G/Rinjes 8/162. 111 BGH/H GA 1958, 45, 48; zust LK/Tiedemann § 283c Rn 13; S/S/Heine/Schuster § 283c Rn 4; NK/ Kindhäuser § 283c Rn 6; Lackner/Kühl/Heger § 283c Rn 4; Vormbaum GA 1981, 101, 109 f; ders Jura 1980, 421, 422 m Fn 3. 112 Zu diesem Aspekt sa Vormbaum GA 1981, 101, 110, der aber der Nichtigkeit des Verfügungsgeschäfts nur dann tatbestandliche Relevanz attestiert, wenn diese auf einem Einigungsmangel beruht. 113 Dafür aber NK/Kindhäuser § 283c Rn 8; LK/Tiedemann § 283c Rn 23 und ders KTS 1984, 539, 545 f, der diese Konstellation allerdings unter dem Gesichtspunkt der Inkongruenz behandelt und hierin die Stellung einer Sicherheit erblickt, die der Gläubiger „nicht in der Art“ zu beanspruchen hatte; vgl des Weiteren

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des strengeren § 283 Abs 1 Nr 1 bzw Nr 8 StGB114 strafbar. Denn der Gläubiger erlangt unmittelbare Befriedigung von der zahlungsfähigen Auffanggesellschaft und nicht von seinem zahlungsunfähigen Schuldner.115 Zwar stammen diese Mittel aus dem Schuldnervermögen und haftete dieser „lediglich“ nach § 283c Abs 1 StGB, wenn er die Gläubiger, deren Forderungen auf die Auffanggesellschaft übergingen, ohne diesen Zwischenschritt direkt aus seinem Vermögen befriedigt/gesichert hätte. So aber liegen die Dinge gerade nicht, weshalb dieses hypothetische Geschehen unberücksichtigt bleiben muss, zumal es dem Schuldner, der die Auffanggesellschaft gründet, in erster Linie nicht darum geht, die Forderungen einzelner Gläubiger zu tilgen. Vielmehr verfolgt er mit der Auffanggesellschaft allein den Zweck, Teile seines kriselnden Unternehmens zu sanieren.116 29 Schließlich soll nach teilweise vertretener Ansicht der Schuldner, der seinen Betrieb mithilfe der Insolvenzgeldvorfinanzierung weiterführt, in das Fahrwasser des § 283c StGB geraten, falls die vorübergehende Betriebsfortführung diejenigen schuldnerischen Gegenstände veredelt, die der Schuldner zuvor der Bank sicherungsübereignet hat, die die Insolvenzgeldvorfinanzierung ermöglichte, indem sie den schuldnerischen Arbeitnehmern ihre Nettolohnforderungen abkaufte.117 Unter dem Regime des Konkursausfallgeldes mag diese These zwar eine gewisse Überzeugungskraft besessen haben, sollte doch das Konkursausfallgeld dem insolventen Arbeitgeber nicht als zusätzliches Finanzierungsinstrument zur Verfügung stehen.118 Nachdem aber der Gesetzgeber – aktuell unter den Voraussetzungen des § 170 Abs 4 SGB III – den Sanierungscharakter des Insolvenzgeldes anerkannt hat119, überzeugt es nicht (mehr), den an einer ordnungsgemäßen Insolvenzgeldvorfinanzierung Beteiligten mit der Strafbarkeit wegen Gläubigerbegünstigung zu drohen. Andernfalls könnten nur solche Banken die Insolvenzgeldvorfinanzierung begleiten, die bis dato in keinem geschäftlichen Kontakt zum Schuldner stehen, was den Einsatz dieses Sanierungsinstruments über Gebühr erschweren dürfte. Ungeachtet der Frage, ob insolvenzrechtlich ein Anfechtungstatbestand im Raum steht,120 spricht deshalb mehr dafür, dem Schuldner, der eine Insolvenzgeldvorfinanzierung initiiert und dabei die Voraussetzungen des § 170 Abs 4 SGB III einhält, selbst dann nicht den Vorwurf strafbarer Gläubigerbegünstigung zu machen, falls die aufgrund der Insolvenzgeldvorfinanzierung ermöglichte Betriebsweiterführung die Sicherheiten der Bank, die die Nettolohnforderungen der schuldnerischen Arbeitnehmer erworben hat, wertmäßig erhöht.

IV. Die Inkongruenz der Befriedigung/Sicherung 30 Sichtet man die vorhandenen Kommentierungen des § 283c StGB, hat es den Anschein,

als ob sich hinter dem Terminus der Inkongruenz eine Besonderheit des Tatbestandes

_____ Tiedemann ZIP 1983, 513, 517; ähnl G/J/W/Reinhart § 283c Rn 8, der Inkongruenz in Form der ersten Variante annimmt; eine abschließende Festlegung vermeiden MK/Radtke/Petermann § 283c Rn 12. 114 Zur Abgrenzung von Nr 1 und Nr 8 siehe o § 12 Rn 78, 202. 115 Hierauf stellt SK/Hoyer § 283c Rn 10 entscheidend ab, dem zufolge die Sicherheit/Befriedigung in solchen Fällen gerade nicht aus der (präsumtiven) Insolvenzmasse stammt. 116 S zum Ganzen ausf § 28 Rn 60. 117 Für die Anwendung des § 283c StGB in solchen Konstellationen grdl LK/Tiedemann § 283c Rn 15; sa M-G/Richter § 84 Rn 35. 118 Uhlenbruck KTS 1980, 81, 86. 119 S dazu etwa Hunold NZI 2015, 785, 788. 120 S etwa Uhlenbruck KTS 1980, 81, 84 f zur Rechtslage unter dem Regime der KO.

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verbirgt. Dem ist aber nicht so: Richtigerweise steht der Begriff „Inkongruenz“ nur als Abkürzung für die Modalitäten „nicht“, „nicht in der Art“ und „nicht zu der Zeit“.121 Anders gewendet: Ergibt die Prüfung, dass der Gläubiger die vom Schuldner erhaltene Leistung „nicht“, „nicht in der Art“ oder „nicht zu der Zeit“ zu beanspruchen hatte, erfolgte seine Befriedigung/Sicherung inkongruent.122 Mehr muss insoweit nicht ermittelt werden. Der häufig anzutreffende Hinweis auf den ähnlich gefassten § 131 InsO123 dürfte zur Erhellung weniger beitragen als gemeinhin angenommen,124 gestattet doch die Insolvenzordnung die Insolvenzanfechtung wegen inkongruenter Leistungen auch für Konstellationen, die im Lichte des § 283c Abs 1 StGB nicht als inkongruent erscheinen.125 Gleichwohl mag ein Blick in die umfangreiche Kasuistik zu § 131 InsO dann weiterhelfen, wenn es darum geht, in unbekannten Fallgestaltungen die schuldnerische Leistung unter dem Aspekt zu würdigen, ob diese dem Gläubiger „nicht“, „nicht in der Art“ oder „nicht zu der Zeit“ zustand, da diese Termini in beiden Vorschriften im Wesentlichen126 identisch ausgelegt werden.127 Der Schuldner, der seinen Gläubiger vertragsgemäß befriedigt/sichert, bleibt – 31 auch nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit – straflos, da § 283c Abs 1 StGB nur solche Verstöße gegen den Gläubigergleichbehandlungsgrundsatz mit Kriminalstrafe belegt, die dem Verdikt der Inkongruenz iSd § 283c Abs 1 StGB unterfallen. Ob die Befriedigung/Sicherung des Gläubigers kongruent oder inkongruent erfolgte, bestimmt sich ausschließlich nach den zwischen Schuldner und Gläubiger bestehenden vertraglichen Vereinbarungen.128 Ist hierin die Befugnis enthalten, konkrete Sicherheiten zu verlangen oder wird dem Schuldner das Recht eingeräumt, die Leistung auf andere Art und Weise zu bewirken als vorrangig vorgesehen (sog Ersetzungsbefugnis), führt ein entsprechendes Vorgehen nicht zur Inkongruenz.129 Anderes gilt aber, wenn die Ersetzungsbefugnis vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners vereinbart wurde. Solche Konstellationen legen den Verdacht nahe, Schuldner und Gläubiger hätten die Ersetzungsvereinbarung nur getroffen, um auf diese Weise das insolvenzrechtliche Prinzip der Gläubigergleichbehandlung zu umgehen. Wird dies iRd Ermittlungen bestätigt, ist der Ersetzungsvereinbarung die Wirksamkeit zu versa-

_____ 121 RGSt 71, 227, 231 vgl auch Ackermann, (1912), S 23; Vormbaum GA 1981, 101, 111; skept gegenüber diesem Erfordernis Zweigert DJZ 1907, 1112, 1115. 122 Ausf Kritik an der Beschränkung des Tatbestandes auf inkongruente Leistungen bei Thilow, S 165 f und passim, der deshalb de lege ferenda für eine Ausdehnung des § 283c Abs 1 StGB auf die Fälle kongruenter Deckung plädiert. 123 S schon RGSt 48, 18, 20 zur Vorgängerregelung des § 30 Nr 2 KO; vgl ferner exemplarisch Weyand/ Diversy Rn 131. 124 Krit etwa Ackermann, (1912), S 10, der auf den unterschiedlichen Adressatenkreis von Konkursanfechtung einer- und Strafbarkeit andererseits hinweist; skept auch M-G/Richter § 84 Rn 2 f. 125 S etwa RGSt 3, 190, 196 f. Auf die größere Reichweite des § 131 InsO weist auch Vormbaum GA 1981, 101, 113 hin. 126 Zu den Abweichungen, etwa bei der Befriedigung anfechtbarer oder verjährter Forderungen, die richtigerweise nicht unter § 283c Abs 1 StGB fallen, s Rn 34. 127 Für einen „Auslegungsgleichlauf“ s RGSt 48, 18, 20; so auch HambK/Borchardt § 283c StGB Rn 4; M/G/Rinjes 8/166; Thilow, S 90; Kruse, S 22; Vormbaum GA 1981, 101, 115; Bendix JW 1927, 1106. 128 Vgl auch BGH/H GA 1953, 75, wonach die Grds des bürgerlichen Rechts maßgebend sind; ebenso schon RGSt 40, 105, 108 sowie RGSt 5, 116, 118; s ferner W/J/Pelz 9/196; Lackner/Kühl/Heger § 283c Rn 5; Weyand/Diversy Rn 132. 129 RGSt 63, 78, 80; BGH v 13.2.2014, 1 StR 336/13, Rn 67 (insoweit in NStZ 2014, 469 nicht abgedr); LK/ Tiedemann § 283c Rn 22, 23; S/S/Heine/Schuster § 283c Rn 10; SK/Hoyer § 283c Rn 16; G/J/W/Reinhart § 283c Rn 9; Thilow, S 35; Bendix JW 1927, 1106.

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gen.130 Leistungen, die auf ihrer Grundlage gewährt werden, stellen sich dann als inkongruent dar.131 Kongruent und mithin straflos sind indes sog Bargeschäfte (vgl § 142 InsO), bei denen der Schuldner in unmittelbarer zeitlicher Nähe zum Erhalt der Leistung diese – auch unbar – vergütet.132 Allerdings treten – je nach Fallgestaltung – die §§ 266, 283 StGB auf den Plan, wenn Leistung und Gegenleistung in einem auffälligen Missverhältnis zueinander stehen, der Schuldner also mehr leistet, als er vertraglich bewirken müsste.133

1. Die Inkongruenzmodalität „nicht“ 32 Die Modalität „nicht“ bereitet deshalb einige Schwierigkeiten, weil sie den offensichtli-

chen Fall – der Leistungsempfänger ist kein Gläubiger des Schuldners und hat deshalb die Leistung „nicht“ zu beanspruchen – wegen des tatbestandlichen Erfordernisses der Befriedigung/Sicherung eines Gläubigers richtigerweise nicht erfasst.134 Mit Gewissheit unterfallen dieser Variante daher nur die unvollkommenen Verbindlichkeiten, die bei Eingehung eines „Spiel-“ oder „Wettvertrags“ (vgl § 762 BGB) entstehen.135 33 „Nicht“ zu beanspruchen hat der Gläubiger auch Sicherheiten, deren Stellung das Vertragsverhältnis zwischen ihm und dem Schuldner nicht vorsieht. Unter diesem Blickwinkel verdienen solche Konstellationen die besondere Aufmerksamkeit der Strafverfolgungsbehörden, in denen die Sicherheit eine vermeintlich neue Leistung des Gläubigers absichern soll, tatsächlich aber nur bereits bestehende Verbindlichkeiten sichert. Folglich macht sich gem § 283c Abs 1 StGB strafbar, wer seinem Gläubiger dafür Sicherheit gewährt, dass dieser bspw eine interne Kreditlinie nach deren Ausschöpfung auf eine vertragliche Grundlage stellt oder eine uneinbringliche Forderung stundet.136 34 Umstritten ist dagegen, ob auch diejenige Leistung inkongruent iSd ersten Variante ist, die der Schuldner erbringt, obschon er das zugrunde liegende Rechtsverhältnis anfechten bzw seiner Inanspruchnahme hieraus die Einrede der Verjährung oder des unerfüllten Vertrages entgegenhalten könnte. Die hM bejaht Inkongruenz und erblickt in diesen Fallgestaltungen einen Prototyp der ersten Variante.137 Zutreffend ist indes die Gegenansicht, die der hM vorwirft, mit ihrer Interpretation der Variante „nicht“ den

_____ 130 Krit gegenüber diesem Vorgehen aber Thilow, S 161 m Fn 559. 131 Zu einem solchen Fall s RGSt 63, 78, 79 ff; der Bewertung des Gerichts wie hier zust S/S/Heine/ Schuster § 283c Rn 8; SK/Hoyer § 283c Rn 15; G/J/W/Reinhart § 283c Rn 9; vgl auch M-G/Richter § 84 Rn 42. 132 Zu den Voraussetzungen s nur Thilow, S 27. 133 Sa o Rn 3. 134 LK/Tiedemann § 283c Rn 21; G/J/W/Reinhart § 283c Rn 8; M/G/Rinjes 8/167; Weyand/Diversy Rn 132; Böttger/Verjans 4/120; Vormbaum GA 1981, 101, 115 f; aA noch Ackermann, (1912), S 26. 135 Dazu LK/Tiedemann § 283c Rn 21; NK/Kindhäuser § 283c Rn 13; G/J/W/Reinhart § 283c Rn 8; M/R/Altenhain § 283c Rn 10; MAH/Böttger § 19 Rn 173; M/G/Rinjes 8/167; M-G/Richter § 84 Rn 45; Ackermann, (1912), S 26; vgl aber auch Wauschkuhn, S 84 f, der mit beachtlichen Gründen die These vertritt, wonach eine unvollkommene Verbindlichkeit keine Gläubigerstellung iSd § 283c StGB begründet, ihre Erfüllung daher zu § 283 StGB führt. 136 Dazu nur M-G/Richter § 84 Rn 42 f. 137 Dafür LK/Tiedemann § 283c Rn 21; S/S/Heine/Schuster § 283c Rn 9; MK/Radtke/Petermann § 283c Rn 14; Fischer § 283c Rn 6; Lackner/Kühl/Heger § 283c Rn 5; NK/Kindhäuser § 283c Rn 13; SK/Hoyer § 283c Rn 15; S/S/W/Bosch § 283c Rn 6; M/R/Altenhain § 283c Rn 10; W/J/Pelz 9/195 f; G/J/W/Reinhart § 283c Rn 8; MAH/Böttger § 19 Rn 173; M/G/Rinjes 8/167; Weyand/Diversy Rn 132; Wittig § 23 Rn 159; Habetha, S 225; Ackermann, (1912), S 26; Vormbaum GA 1981, 101, 116; wohl auch HambK/Borchardt § 283c StGB Rn 6; MG/Richter § 84 Rn 45; Weyand ZInsO 2002, 851, 856.

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Schuldner de facto zur Ausübung dieser Gestaltungsrechte zu zwingen.138 Das bedeutet aber keinesfalls, dass der Schuldner, der einen solchen anfechtbaren bzw einredebehafteten Anspruch erfüllt, wegen Untreue oder Bankrotts strafbar wäre;139 sofern sich die Inkongruenz der Leistung nicht aus einem anderen Umstand ergibt, bleibt er vielmehr straflos.

2. Die Inkongruenzmodalität „nicht in der Art“ Die Modalität „nicht in der Art“ ist einschlägig, wenn der Gläubiger eine Leistung er- 35 hält, die gegenüber der geschuldeten andersartig ist,140 wenn also die Ist-Leistung von der (vertraglichen) Soll-Leistung abweicht.141 Klassische Beispiele sind Leistungen erfüllungshalber (vgl § 364 Abs 2 BGB) oder an Erfüllungs statt (vgl § 364 Abs 1 BGB)142 – der Schuldner befriedigt eine Geldschuld, indem er zB Waren mit einem entsprechenden Wert übereignet143 bzw Forderungen in dieser Höhe abtritt144 oder indem er Kundenschecks/-wechsel145 begibt.146 Inkongruent iSd zweiten Variante handelt darüber hinaus, wer eine Sicherheit bestellt, obschon das zugrunde liegende Verpflichtungsgeschäft etwa wegen Verstoßes gegen die guten Sitten oder ein gesetzliches Verbot nichtig ist.147 Dies gilt selbst für den Fall, dass der Gläubiger gegen den Schuldner einen fälligen Erfüllungsanspruch hat, der Schuldner ihm statt Erfüllung aber nur Sicherung gewährt, da die Erfüllung die Leistung einer Sicherheit nicht als Weniger umfasst, sondern zu dieser im Verhältnis eines aliud steht.148 Allerdings wird es regelmäßig an einer Begünstigung mangeln.149 Die Schwierigkeiten bei der Abgrenzung einer „Minus-Leistung“ – dann keine Inkongruenz aufgrund der zweiten Variante – von einer „Aliud-Leistung“ – dann Inkongruenz iSd zweiten Variante – werden besonders anschaulich, wenn der Schuldner im Stadium der Zahlungsunfähigkeit den fälligen Anspruch seines Gläubigers bspw auf Übereignung von Möbeln mangels Fertigstellung derselbigen erfüllt, indem er entweder die unvollständigen Möbelstücke oder nur die zur Herstellung erforderlichen Rohstoffe übereignet. Während die überwiegende Meinung wohl zur Annahme von Inkongruenz

_____ 138 So Bittmann/Bittmann Voraufl Rn 35. 139 In diese Richtung zielen die Ausführungen von LK/Tiedemann § 283c Rn 21. 140 So LK/Tiedemann § 283c Rn 22; ferner Vormbaum GA 1981, 101, 112; Bendix JW 1927, 1106. 141 So der Wortlaut bei Bittmann/Bittmann Voraufl Rn 36. 142 S nur BGH/H MDR 1979, 454, 457; RGSt 2, 439; Lackner/Kühl/Heger § 283c Rn 5; M/R/Altenhain § 283c Rn 10; HambK/Borchardt § 283c StGB Rn 6; M/G/Rinjes 8/168; M-G/Richter § 84 Rn 46; Weyand/Diversy Rn 132. 143 RG Rspr 5, 449, 450. 144 Eine solche Konstellation lag der kürzlich ergangenen Entscheidung des AG Nürnberg, ZInsO 2012, 339, 341 f zugrunde; s ferner BGH Beschl v 13.2.2014 – 1 StR 336/13, Rn 67 (insoweit in NStZ 2014, 469 nicht abgedr). 145 Zu einem solchen Fall RG JW 1927, 1106. 146 AllgM; s nur BGHSt 16, 279 f = LM Nr 4 zu § 241 KO (Ls) mAnm Geier; RGSt 5, 116, 119; LK/Tiedemann § 283c Rn 22; S/S/Heine/Schuster § 283c Rn 10; NK/Kindhäuser § 283c Rn 14; G/J/W/Reinhart § 283c Rn 9; MG/Richter § 84 Rn 46; Thilow, S 35; Böhle-Stamschräder KTS 1957, 177, 182; Weyand ZInsO 2002, 851, 856. 147 LK/Tiedemann § 283c Rn 23. 148 AllgM; s nur RGSt 48, 18, 19 f; RGSt 5, 116, 120 f (freiwilliger Abschluss eines sofort vollstreckbaren Vergleichs; ähnl auch RG GA 45 [1897], 427, 428); RGSt 3, 190, 198; BGH/H MDR 1979, 454, 457; LK/Tiedemann § 283c Rn 23; S/S/Heine/Schuster § 283c Rn 8; SK/Hoyer § 283c Rn 15; G/J/W/Reinhart § 283c Rn 8; M/G/Rinjes 8/168; MAH/Böttger § 19 Rn 173; Ackermann, (1912), S 22; Vormbaum GA 1981, 101, 116 u Fn 60; ders Jura 1980, 421, 424; Weyand ZInsO 2002, 851, 856. 149 Zutr LK/Tiedemann § 283c Rn 26; SK/Hoyer § 283c Rn 7; aA Bittmann/Bittmann Voraufl Rn 41, wo aber immerhin für eine Heranziehung des § 153 StPO plädiert wurde.

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neigt150 – jedenfalls was das zuletzt genannte Szenario anbelangt151 – dürfte es schon unter Bestimmtheitsgesichtspunkten vorzugswürdig sein, sämtliche Erfüllungssurrogate, die mit der vertraglich versprochenen Leistung in einem wie auch immer gearteten Zusammenhang stehen, als kongruent einzustufen. 36 Gewährt der Schuldner seiner Bank Sicherheiten, die sie gem Nr 13 Abs 1 der AGBBanken beanspruchen kann, soll dies trotz des schuldrechtlichen Anspruchs zur Inkongruenz aufgrund der zweiten Variante führen, da wegen der pauschalen Formulierung der Klausel nicht ersichtlich sei, welche konkrete Sicherheit der Bank zustehe.152 Abweichend hiervon bewertet eine Minderheitsmeinung im Schrifttum die Sicherheitsleistung dann als kongruent, wenn dem Schuldner im Zeitpunkt ihrer Bestellung nur noch diese eine Sicherheit zur Verfügung stand.153 Beides überzeugt nicht. Richtigerweise hat die Bank, sofern Nr 13 Abs 1 der AGB-Banken wirksam in den Darlehensvertrag einbezogen ist und einer Klauselkontrolle gem den §§ 307 ff BGB standhält, einen umfassenden Anspruch auf („bankmäßige“) Sicherung, weshalb Inkongruenz unter dem Gesichtspunkt der zweiten Variante nicht in Betracht kommt154.155 Der Modalität „nicht in der Art“ unterfällt ferner das bewusste Herbeiführen einer 37 Aufrechnungslage.156 Dazu schließen Schuldner und Gläubiger bspw einen Kaufvertrag über einen Gegenstand der präsumtiven Masse, den der Schuldner sodann an den Gläubiger übereignet, der aber seinerseits die Zahlungspflicht nicht durch die Übergabe des Kaufpreises, sondern dadurch begleicht, dass er gegen die Kaufpreisforderung des Schuldners mit einer bereits bestehenden Verbindlichkeit aufrechnet.157 Wirtschaftlich betrachtet steht er damit so, als ob der Schuldner ihm den Gegenstand sogleich zur Befriedigung seiner älteren Forderung übereignet hätte;158 der Kaufvertrag dient mithin nur der Verschleierung dieses Vorgangs. Straflos sub specie Gläubigerbegünstigung bleibt hingegen der Schuldner, der sich gegenüber einer eigenmächtigen Verrechnung durch einen Gläubiger passiv verhält.159 Erteilt der Schuldner und Inhaber eines Urheberrechts im Stadium seiner Zah38 lungsunfähigkeit einem Gläubiger, der im Besitz eines vollstreckbaren Titels ist, die zur

_____ 150 RGSt 67, 1: „Die Erwägung, daß ein unfertiges Möbelstück immer nur eine geringere Leistung als ein fertiges sei, ist abwegig; […]“. 151 LK/Tiedemann § 283c Rn 22, der nach dem Grad der Fertigstellung differenzieren will und zumindest die Lieferung von Holz statt der versprochenen Möbel als inkongruent einstuft; ähnl S/S/Heine/ Schuster § 283c Rn 10; ferner Thilow, S 145 f; Weyand ZInsO 2002, 851, 856. 152 Grdl BGHZ 33, 389, 393 ff; bestätigt von BGH NJW 1969, 1718 f und BGH MDR 1968, 664; jüngst auch, bezogen auf Pfandrechte iSd Nr 14 Abs 1 AGB-Banken BGH NJW 2002, 1722, 1723; ferner Jaeger/Henckel § 131 Rn 32; M-G/Richter § 84 Rn 44; B/Quedenfeld/Richter 5/201; Weyand/Diversy Rn 132; Thilow, S 35; Weyand ZInsO 2002, 851, 856; wohl auch LK/Tiedemann § 283c Rn 22. 153 Ausf zu diesem Ansatz Vormbaum GA 1981, 101, 118 f. 154 Ausf dazu § 28 Rn 59. 155 So schon Krause, S 158 m Fn 19, noch zu § 19 Abs 1 AGB-Banken aF; ferner, freilich in Bezug auf das Konkursanfechtungsrecht Scholz NJW 1961, 2006 f; bzgl § 283c StGB wohl auch Gallandi wistra 1992, 10, 13. 156 Ganz hM; s nur RGSt 6, 149, 150 ff; BGH/H GA 1961, 359; S/S/Heine/Schuster § 283c Rn 10; SK/Hoyer § 283c Rn 11; M/R/Altenhain § 283c Rn 7; Krause, S 298 f; Weyand ZInsO 2002, 851, 856; Radischat NJW 1961, 1707, 1708; sa M/G/Rinjes 8/164. 157 Zu einem solchen Sachverhalt (Verkauf einer Tischlerei) s RGSt 6, 149, 150; s ferner Krause, S 298. 158 So wohl RGSt 6, 149, 151 f; ähnl Ackermann, (1912), S 27; in der Begründung abw Thilow, S 158 f, der in der Schaffung einer Aufrechnungslage im Zeitpunkt der schuldnerischen Zahlungsunfähigkeit die Gewährung einer inkongruenten Sicherheit erblickt. 159 BGH/H GA 1958, 45, 48; Wittig § 23 Rn 156.

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Zwangsvollstreckung in das Urheberrecht gem § 113 UrhG erforderliche Einwilligung, soll er dadurch nach teilweise vertretener Ansicht inkongruente Deckung iSd zweiten Variante leisten und somit den Tatbestand des § 283c Abs 1 StGB erfüllen.160 Nicht zur Inkongruenz iSd zweiten Variante führt die Begleichung einer Geldschuld 39 im Wege der Überweisung. Auch wenn eine ausdrücklich hierauf gerichtete Vereinbarung zwischen Schuldner und Gläubiger fehlt, überzeugt es nicht, die dennoch vorgenommene Überweisung als inkongruent einzustufen, rechnet doch diese Zahlungsmodalität zu den gängigen Formen der Forderungsbegleichung.161 Wollte man dies anders sehen und Inkongruenz bei fehlender (konkludenter) Vereinbarung bejahen, scheiterte die Bestrafung des Schuldners aus § 283c Abs 1 StGB jedenfalls am Merkmal der Benachteiligung.

3. Die Inkongruenzmodalität „nicht zu der Zeit“ Die Modalität „nicht zu der Zeit“ erfasst Befriedigungen/Sicherungen, die der Schuldner 40 seinem Gläubiger gewährt, obschon der hierauf gerichtete Anspruch im Zeitpunkt der Leistung nicht fällig bzw die zu seiner Entstehung erforderliche Bedingung noch nicht eingetreten ist.162 Beachtung erheischt auch hier die zivilrechtliche Rechtslage: So erfolgt die Befriedigung eines an sich vorleistungspflichtigen Gläubigers dann in kongruenter Form, wenn dieser aufgrund des schuldnerischen Zahlungsverfalls die Einrede der Kreditgefährdung (vgl § 321 BGB) erheben und damit seine Vorleistungspflicht beenden kann. „Nicht zu der Zeit“ und damit inkongruent erfolgt darüber hinaus die vorzeitige Ablösung eines Darlehens, das Schuldner und Gläubiger im Zeitpunkt der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit per Änderungsvertrag fällig gestellt haben.163 Nicht tatbestandsmäßig ist hingegen die verspätete Zahlung.

V. Das Merkmal „gewähren“ Der Schuldner muss dem Gläubiger die inkongruente Befriedigung/Sicherung gewäh- 41 ren. An diesem Merkmal entzündet sich die Frage, wie die Mitwirkungshandlung des Gläubigers an seiner inkongruenten Befriedigung/Sicherung beschaffen sein muss. Zu Recht begnügt sich eine im Vordringen befindliche Meinung mit den Anforderungen, die das Zivilrecht an die Mitwirkungshandlung stellt.164 Konkret heißt das: Der aktiven Mitwirkung des Gläubigers bedarf es bspw bei der Übereignung von Schuldnervermögen zu Erfüllungs- und Sicherungszwecken, wohingegen die reale Leistungsbewirkung etwa im Falle einer Überweisung ausreicht.165

_____ 160 Skauradszun DZWIR 2009, 279 ff; sa M/R/Altenhain § 283c Rn 6. 161 M-G/Richter § 84 Rn 46; Thilow, S 35. 162 S/S/Heine/Schuster § 283c Rn 11; MK/Radtke/Petermann § 283c Rn 17; SK/Hoyer § 283c Rn 16; G/J/W/ Reinhart § 283c Rn 10; HambK/Borchardt § 283c StGB Rn 6; M/G/Rinjes 8/170; M-G/Richter § 84 Rn 47; Weyand/Diversy Rn 132; Thilow, S 35; Vormbaum GA 1981, 101, 116. 163 Zu einem solchen Sachverhalt s BGH NZI 2013, 888, 889. 164 SK/Hoyer § 283c Rn 12; MK/Radtke/Petermann § 283c Rn 11; G/J/W/Reinhart § 283c Rn 11; M/G/Rinjes 8/165; in diese Richtung auch schon Ackermann, (1912), S 28. 165 So auch G/J/W/Reinhart § 283c Rn 11; aA in Bezug auf letzteres Weyand/Diversy Rn 131; Weyand ZInsO 2002, 851, 856: allenfalls Versuch des § 283c StGB.

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Mit dem Merkmal „gewähren“ eng zusammen hängt darüber hinaus die Diskussion, ob der Tatbestand des § 283c Abs 1 StGB auch durch Unterlassen begangen werden kann.166 Paradigmatisch für diese Fragestellung stehen Fallgestaltungen, in denen der Schuldner entweder den Insolvenzantrag in der Absicht nicht rechtzeitig stellt, dem Gläubiger Vollstreckungschancen zu erhalten bzw zu verschaffen167 oder er ein gegen ihn ergangenes Versäumnisurteil nicht angreift, damit der Gläubiger hieraus die Zwangsvollstreckung betreiben kann.168 Strafbar ist dieses Verhalten unter dem Blickwinkel des Unterlassens nur, wenn den Schuldner eine nach allgemeinen Grundsätzen zu ermittelnde Garantenpflicht trifft, die dahin geht, den Begünstigungserfolg etwa durch Stellen des Insolvenzantrags oder durch Einlegen eines Einspruchs zu verhindern.169 Jedoch folgt eine solche Garantenpflicht weder aus der Schuldnereigenschaft170 noch aus der Pflicht, unter den Voraussetzungen des § 15a Abs 1 InsO Insolvenzantrag zu stellen.171 Was die Pflicht des § 15a Abs 1 InsO anbelangt, ist diese via § 15a Abs 4 und 5 InsO selbstständig in Form eines echten Unterlassensdelikts strafbewehrt, weshalb ihr eine (weitergehende) Garantenpflicht nicht entnommen werden kann.172

VI. Die Begünstigung des inkongruent befriedigten/besicherten Gläubiger 43 Der von § 283c Abs 1 StGB vorausgesetzte tatbestandliche Erfolg ist die Begünstigung

des vom Schuldner inkongruent befriedigten/besicherten Gläubigers vor den übrigen Gläubigern.173 Hierzu wird ermittelt, ob der begünstigte Gläubiger mit Blick auf seine Befriedigungsaussichten besser steht, als er ohne die Bevorzugung stünde.174 Gelangt diese Operation zu einem positiven Ergebnis, hätte also der Gläubiger – denkt man die in Rede stehende inkongruente Befriedigungs-/Sicherheitsleistung des Schuldners hinweg – weniger, etwa nur eine Quote auf seine Forderung erhalten, muss das Merkmal „Begünstigung“ bejaht werden. Zur Ablehnung dieses Merkmals gelangt man dagegen, wenn der Gläubiger gleichzeitig oder Zug um Zug mit seiner Befriedigung/Sicherung durch den Schuldner eine äquivalente Gegenleistung erbringt175 sowie in dem eher theo-

_____ 166 Dagegen etwa Ackermann, (1912), S 28; Geers, S 171; dafür Richter GmbHR 1984, 137, 147. 167 Für Strafbarkeit in diesem Fall RGSt 48, 18, 19 f; S/S/W/Bosch § 283c Rn 9; Lackner/Kühl/Heger § 283c Rn 4; Weyand/Diversy Rn 131; Richter GmbHR 1984, 137, 147; Weyand ZInsO 2002, 851, 856; vgl ferner BGH WM 1973, 1354, 1355. 168 Zu diesen Konstellationen s nur MK/Radtke/Petermann § 283c Rn 11; SK/Hoyer § 283c Rn 13; s ferner Fischer § 283c Rn 4. 169 HM; s nur M-G/Richter § 84 Rn 33; Tiedemann KTS 1984, 539, 544. 170 Dazu grdl Tiedemann KTS 1984, 539, 541 ff; ferner SK/Hoyer § 283c Rn 13; MK/Radtke/Petermann § 283c Rn 11; M/R/Altenhain § 283c Rn 8; Böttger/Verjans 4/117. 171 Zu letzterem G/J/W/Reinhart § 283c Rn 12; M/R/Altenhain § 283c Rn 8; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 227; Tiedemann KTS 1984, 539, 541; eine Garantenpflicht insoweit aber bejahend (freilich noch zu § 84 GmbHG aF) Richter GmbHR 1984, 137, 147; ähnl S/S/Heine/Schuster § 283 Rn 10; sympathisierend wohl auch Krause, S 300 m Fn 63. 172 SK/Hoyer § 283c Rn 13; zust MK/Radtke/Petermann § 283c Rn 11; AnwK/Püschel § 283c Rn 11; krit auch schon Tiedemann KTS 1984, 539, 541 f: aus § 84 GmbHG aF kann „nicht ohne weiteres eine Garantenstellung für § 283c [StGB]abgeleitet werden“. 173 AllgM; s nur LK/Tiedemann § 283c Rn 26; S/S/Heine/Schuster § 283c Rn 13; Weyand/Diversy Rn 133. 174 LK/Tiedemann § 283c Rn 26; MK/Radtke/Petermann § 283c Rn 18; SK/Hoyer § 283c Rn 7; Lackner/ Kühl/Heger § 283c Rn 6; AnwK/Püschel § 283c Rn 13; G/J/W/Reinhart § 283c Rn 13; M/R/Altenhain § 283c Rn 11; Wittig § 23 Rn 163; Vormbaum GA 1981, 101, 120. 175 Siehe o Rn 1.

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retischen Fall, dass der Schuldner allen Gläubigern dieselbe Begünstigung einräumt.176 War der Gläubiger indes vorleistungspflichtig und hatte er seine Leistung bereits erbracht als der zahlungsunfähige Schuldner ihm hierfür inkongruent Befriedigung gewährte, entfällt der Vorteil nicht, da dem Gläubiger andernfalls nur eine Quote zugestanden hätte. Keinen Einfluss auf die Annahme eines Vorteils hat schließlich die Möglichkeit, die inkongruent weggegebenen Bestandteile des schuldnerischen Vermögens im Weg der Insolvenzanfechtung zur Masse zurückzuholen.177

VII. Die Benachteiligung der nicht bevorzugten Gläubigergesamtheit Als Kehrseite der Begünstigung des bevorzugten Gläubigers fordert der objektive Tatbe- 44 stand des § 283c Abs 1 StGB darüber hinaus die Feststellung eines Nachteils bei den übrigen Gläubigern.178 Zumeist genügt jedoch der Hinweis auf die Begünstigung des inkongruent befriedigten/besicherten Gläubigers, da diese regelmäßig mit einer Benachteiligung der Gläubigerschaft einhergeht.179 Sollte dies einmal anders sein,180 ermittelt die hM den Nachteil, indem sie die Befriedigungsaussichten der Gläubigerschaft mit und die ohne die Begünstigungshandlung des Schuldners vergleicht. Hätten die nicht bevorzugten Gläubiger ohne die inkongruente Befriedigung/Sicherung eine höhere Quote erhalten oder wäre ein absonderungsberechtigter Gläubiger in größerem Umfang befriedigt worden, liegt ein Nachteil iSd § 283c Abs 1 StGB vor. Hingegen ist es nicht erforderlich, dass sich der Nachteil auch tatsächlich, bspw in der Auszahlung einer geringeren Quote, realisiert;181 vielmehr genügt – wie sonst auch – die konkrete Gefährdung.182 Andernfalls könnte der Schuldner in den Fällen der Zahlungseinstellung und der Abweisung des Insolvenzantrags mangels Masse immer nur wegen Versuchs bestraft werden – eine Einschränkung, die im Tatbestand des § 283c StGB an keiner Stelle angelegt ist.183

VIII. Subjektiver Tatbestand und Irrtum In subjektiver Hinsicht muss der Schuldner den inkongruent befriedigten/besicherten 45 Gläubiger absichtlich oder wissentlich vor den übrigen Gläubigern begünstigen wol-

_____ 176 Zu letzterem s nur LK/Tiedemann § 283c Rn 26; G/J/W/Reinhart § 283c Rn 13; Thilow, S 92; Vormbaum GA 1981, 101, 120. 177 S G/J/W/Reinhart § 283c Rn 13; M/R/Altenhain § 283c Rn 11; Skauradszun DZWIR 2009, 279, 282. 178 Siehe o Rn 1. 179 Thilow, S 63; W/J/Pelz 9/198. 180 S die Konstellation bei BGH/H GA 1954, 312: Benachteiligungsabsicht zweifelhaft, weil der Schuldner mit der vorrangigen Befriedigung einzelner Gläubiger diese zum Stillhalten bewegen wollte, um die Mittel zu erwirtschaften, die zur Befriedigung sämtlicher Gläubiger nötig gewesen wären. 181 So aber Thilow, S 91 f, dem zufolge auch erst dann Vollendung eintritt. Bei seiner Kritik an der hM verkennt er jedoch, dass eine Gefährdung der Gesamtgläubigerinteressen einen Nachteil – nicht zuletzt auf dem Boden der neueren Rspr des BVerfG zum Gefährdungsschaden bei der Untreue – nur begründet, wenn die Gefährdung wirtschaftlich messbar ist. Versuchsunrecht wird somit gerade nicht zu Vollendungsunrecht „hochstilisiert“. 182 Ganz hM; s nur W/J/Pelz 9/198; Weyand/Diversy Rn 133; Vormbaum GA 1981, 101, 120. 183 Dazu überzeugend und ausf Bittmann/Bittmann Voraufl Rn 43.

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len, gleichzeitig ihre Benachteiligung als notwendige Folge seines Handelns zumindest erkannt haben und um seine Zahlungsunfähigkeit sicher wissen.184 Dabei reicht es aus, dass der Schuldner die Umstände kennt, die zu seiner Zahlungsunfähigkeit führen.185 Dolus eventualis genügt indessen nicht. Vor diesem Hintergrund bleibt derjenige Schuldner sub specie Gläubigerbegünstigung straflos, der ernsthaft darauf vertraute, durch die inkongruente Befriedigung/Besicherung eines Gläubigers bspw die Sanierung seines krisengeschüttelten Unternehmens und damit eine Begünstigung aller Gläubiger zu erreichen.186 Was die übrigen Merkmale des objektiven Tatbestandes insbes aber die Inkongruenz der gewährten Befriedigung/Sicherung anbelangt, begnügt sich die hM mit der Feststellung von dolus eventualis.187 Dem widerspricht eine Minderheitsmeinung im Schrifttum, die den subjektiven Tatbestand des § 283c StGB dahingehend reduzieren will, als derjenige Schuldner, der seinen Gläubiger „nur“ wissentlich begünstigt auch von der Inkongruenz seiner Begünstigung positive Kenntnis haben muss.188 Zur Begründung wird auf einen Gleichlauf zwischen Begünstigung und Inkongruenz verwiesen, der unterschiedlichen Vorsatzanforderungen entgegenstehe.189 Die hM ist dem zu Recht entgegengetreten: Zum einen enthält der Tatbestand des § 283c Abs 1 StGB keine Anhaltspunkte für eine solche Reduktion, zum anderen wird ein Gleichlauf der Vorsatzformen im Falle der absichtlichen Gläubigerbegünstigung systemwidrig gerade nicht gefordert.190 46 Gemäß § 16 Abs 1 S 1 StGB entfällt der Vorsatz und damit die Strafbarkeit, sofern der Schuldner glaubt, entweder zahlungsfähig zu sein, oder den begünstigten Gläubiger in kongruenter Art und Weise befriedigt zu haben. Erliegt der Schuldner einem solchen Irrtum, bleibt ihm der soziale Bedeutungsgehalt dieser normativen Tatbestandsmerkmale verschlossen. Anders gewendet misslingt ihm die zur Annahme des Vorsatzes zumindest erforderliche Parallelwertung in der Laiensphäre.191 Geht der Schuldner hingegen davon aus, aufgrund bestimmter Umstände zu inkongruenten Leistungen trotz der von ihm erkannten Zahlungsunfähigkeit berechtigt zu sein, erliegt er einem Verbotsirrtum,192 der gem § 17 S 2 StGB in der Regel lediglich den Weg zu einer fakultativen Strafmilderung nach § 49 StGB eröffnet.

_____ 184 RG GA 54 (1907), 306 f; LK/Tiedemann § 283c Rn 30 fordert wegen des engen Zusammenhangs zur Zahlungsunfähigkeit Wissentlichkeit auch bzgl der Gläubiger- und Schuldnerstellung; ähnl Vormbaum GA 1981, 101, 121 f, der darüber hinausgehend fordert, dass der Schuldner seine Leistung an den Gläubiger gerade in dieser seiner Gläubigereigenschaft erbracht hat, wodurch § 283c StGB zu einem Delikt mit „überschießender Innentendenz“ werde. 185 Zu letzterem Thilow, S 93 f. 186 BGH LM Nr 2 zu § 241 KO; Thilow, S 94; ebenso LK/Tiedemann § 283c Rn 30. 187 LK/Tiedemann § 283c Rn 30; G/J/W/Reinhart § 283c Rn 16; Thilow, S 95. 188 Vormbaum GA 1981, 101, 122; zust Fischer § 283c Rn 8; S/S/W/Bosch § 283c Rn 10; v.d. Heydt, S 54; Skauradszun DZWIR 2009, 279, 283. 189 Vgl die knappe Begründung bei Vormbaum GA 1981, 101, 122. 190 Dazu Thilow, S 95; sa v.d. Heydt, S 54. 191 Ganz hM; vgl nur LK/Tiedemann § 283c Rn 30; W/J/Pelz 9/200; Vormbaum GA 1981, 101, 128; aA wohl G/J/W/Reinhart § 283c Rn 15, der einen Tatumstandsirrtum nur annehmen will, wenn der Täter die Tatsachen verkennt, die seine Zahlungsunfähigkeit begründen, hingegen zu § 17 StGB gelangt, falls der Täter bei vollständiger Tatsachenkenntnis seine Zahlungs(un)fähigkeit falsch einschätzt. 192 LK/Tiedemann § 283c Rn 30; W/J/Pelz 9/200; G/J/W/Reinhart § 283c Rn 16; Vormbaum GA 1981, 101, 128; vgl auch M-G/Richter § 84 Rn 49: Irrige Annahme anstelle von Geld Gegenstände leisten zu dürfen.

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IX. Objektive Bedingung der Strafbarkeit Neben der Verwirklichung des objektiven und subjektiven Tatbestandes erfordert eine 47 Bestrafung wegen Gläubigerbegünstigung darüber hinaus den Eintritt einer objektiven Strafbarkeitsbedingung (vgl § 283c Abs 3 StGB iVm § 283 Abs 6 StGB). Hierfür ist erforderlich, dass entweder der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat oder das Insolvenzverfahren über das schuldnerische Vermögen eröffnet bzw seine Eröffnung mangels Masse abgelehnt wurde.193

X. Versuch Mit dem 1. WiKG hat der Gesetzgeber auch den Versuch der Gläubigerbegünstigung 48 unter Strafe gestellt (vgl § 283c Abs 2 StGB) und damit einen Ausgleich für die restringierende Umwandlung des Tatbestandes von einem Absichts- in ein Erfolgsdelikt geschaffen.194 Der Schuldner macht sich gem § 283c Abs 2 StGB wegen versuchter Gläubigerbegünstigung strafbar, sobald er unmittelbar dazu ansetzt (vgl § 22 StGB), einem Gläubiger inkongruente Befriedigung/Sicherung zu gewähren. Unter diesen Voraussetzungen überschreitet der Schuldner, der einen Überweisungsauftrag gegenüber seiner Bank erteilt oder einen Kundenscheck/-wechsel an seinen Gläubiger versendet, die Schwelle zum unmittelbaren Ansetzen.195 Dagegen verwirklicht der Schuldner, der es unterlässt, rechtzeitig Insolvenzantrag zu stellen, um dadurch einem Gläubiger inkongruente Vollstreckungsoptionen zu eröffnen, die Anforderungen des § 22 StGB nicht,196 da auf dem Weg zum tatbestandlichen Erfolg noch weitere wesentliche Zwischenschritte verwirklicht werden müssen, deren Erfüllung weder vom Schuldner selbst noch von einem durch ihn gesteuerten Werkzeug (vgl § 25 Abs 1 Var 2 StGB) abhängen. Der Hinweis, wonach der Schuldner das Geschehen in diesen Konstellationen „aus der Hand gegeben habe“, verfängt sub specie § 22 StGB mithin nicht. Erliegt der Schuldner dem Irrtum, eine Forderung zu erfüllen, obschon diese auf- 49 grund eines Gesetzesverstoßes nichtig ist, macht er sich entgegen der hM nicht wegen versuchter,197 sondern wegen vollendeter Gläubigerbegünstigung strafbar. Denn objektiv verwirklicht sein Verhalten den Tatbestand des § 283 Abs 1 Nr 1 StGB und nicht den des § 283c Abs 1 StGB. Träfe seine Fehlvorstellung zu, wäre er lediglich aus dem privilegierenden § 283c StGB zu bestrafen, weshalb § 16 Abs 2 StGB und nicht § 23 Abs 2 StGB Anwendung findet.198 Zu einem untauglichen Versuch des § 283c StGB führt hingegen die irrige Annahme des Schuldners, die von ihm gewährte Deckung sei inkongruent.199 Ebenso liegen die Dinge, wenn der Schuldner trotz zutreffender Tatsachenkenntnis

_____ 193 Zu den Einzelheiten, insbes zu dem Erfordernis eines tatsächlichen Zusammenhangs zwischen Taterfolg und Strafbarkeitsbedingung s § 12 Rn 220 ff. 194 LK/Tiedemann § 283c Rn 33. 195 LK/Tiedemann § 283c Rn 34; W/J/Pelz 9/204; G/J/W/Reinhart § 283c Rn 18. 196 AA aber und damit die Voraussetzungen des § 22 StGB bejahend LK/Tiedemann § 283c Rn 34; W/J/ Pelz 9/204; G/J/W/Reinhart § 283c Rn 18. 197 Dafür aber LK/Tiedemann § 283c Rn 35. 198 Zutr Vormbaum GA 1981, 101, 127; ebenso M/R/Altenhain § 283c Rn 14; wohl auch M-G/Richter § 84 Rn 40. 199 LK/Tiedemann § 283c Rn 35; W/J/Pelz 9/204; G/J/W/Reinhart § 283c Rn 16; AnwK/Püschel § 283c Rn 16; M/G/Rinjes 8/178; Vormbaum GA 1981, 101, 128; aA S/S/W/Bosch § 283c Rn 12: strafloses Wahndelikt.

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glaubt, er sei zahlungsunfähig. Richtiger Ansicht nach begründet diese Fehlvorstellung einen umgekehrten Tatumstandsirrtum,200 der als untauglicher Versuch strafbar ist.201

XI. Täterschaft und Teilnahme 50 Da § 283c StGB als Sonderdelikt ausgestaltet ist, dessen Täter nur der Schuldner bzw ein

für ihn Handelnder (vgl § 14 StGB) sein kann, machen sich Deliktsbeteiligte, die außerhalb dieses Kreises stehen, allenfalls wegen Anstiftung oder Beihilfe zur Gläubigerbegünstigung strafbar.202 Den Gegenstand einer Kontroverse bildet in diesem Zusammenhang die Frage, inwieweit der Gläubiger, der eine inkongruente Befriedigung/Sicherung entgegennimmt bzw fordert, eine Bestrafung wegen Teilnahme zur Gläubigerbegünstigung befürchten muss. Von Nuancen im Detail abgesehen, verläuft die Demarkationslinie zwischen strafloser und strafbarer Beteiligung an der Begünstigungstat des Schuldners in folgenden Bahnen: Straflos geht der Gläubiger aus, dessen Teilnahmehandlung sich auf die (notwendige; dazu siehe o Rn 41) Entgegennahme der inkongruent gewährten Leistung beschränkt.203 Dogmatisch gründet dieses Ergebnis in der Lehre von der notwendigen Teilnahme. Danach bleibt solches Verhalten unter dem Blickwinkel der Beihilfe straflos, ohne das der Tatbestand der Strafnorm überhaupt nicht erfüllt werden kann.204 Anderes gilt, wenn der Gläubiger seine tatbestandliche Rolle des „Entgegennehmenden“ verlässt und aktiv auf den Schuldner dahingehend einwirkt, ihn inkongruent vor den übrigen Gläubigern zu befriedigen/besichern – er haftet dann, der Intensität seiner Einflussnahme entsprechend, entweder wegen Anstiftung oder wegen Beihilfe.205 Allerdings ist seine Strafe gem § 28 Abs 1 StGB iVm § 49 Abs 1 StGB zu mildern, da dem Gläubiger die Schuldnereigenschaft fehlt, die richtigerweise ein täterbe-

_____ 200 Vgl erg § 12 Rn 238, 253. 201 Zutr Fischer § 283c Rn 9; S/S/W/Bosch § 283c Rn 12; W/J/Pelz 9/204; A/R/R/Wegner Kap 7/1 Rn 231; G/J/W/Reinhart § 283c Rn 15; M/G/Rinjes 8/178; aA LK/Tiedemann § 283c Rn 35; HambK/Borchardt § 283c StGB Rn 7; M-G/Richter § 84 Rn 51. 202 AllgM; s nur LK/Tiedemann § 283c Rn 36. 203 Ganz hM; s nur BGH NJW 1278, 1279; RGSt 20, 214, 216; RGSt 5, 435, 437; RGSt 2, 439, 440 f; RG JW 1890, 400; LK/Schünemann Vor § 26 Rn 26; LK/Tiedemann § 283c Rn 38; ders ZIP 1983, 513, 515; MK/Radtke/ Petermann § 283c Rn 26; S/S/Heine/Schuster § 283c Rn 21; NK/Kindhäuser § 283c Rn 21; Fischer § 283c Rn 10; Lackner/Kühl/Heger § 283c Rn 8; M-G/Richter § 84 Rn 24; W/J/Pelz 9/203; MAH/Böttger § 19 Rn 174; G/J/W/ Reinhart § 283c Rn 22; B/Quedenfeld/Richter 5/202; HambK/Borchardt § 283c StGB Rn 8; M/G/Rinjes 8/179; Böttger/Verjans 4/117; Weyand/Diversy Rn 135; Ackermann, (1912), S 40 f; Neumeyer, (1891), S 189 ff; Dohmen, S 62; Vormbaum GA 1981, 101, 131 f; ders Jura 1980, 421, 426; Renkl JuS 1973, 611, 614 m Fn 29; Wolter JuS 1982, 343, 345; Weyand ZInsO 2002, 851, 856; ders StuB 1999, 178, 183; Niesert/Hohler NZI 2010, 127, 130; aA Sowada GA 1995, 60, 70 f. 204 Zum Erfordernis der „Begriffsnotwendigkeit“ des Tatbeitrags s BGHE 126 IV, 5 ff; RGSt 61, 314, 316; Vormbaum GA 1981, 101, 131; Sowada GA 1995, 60, 60 sowie Brand/Sperling ZStW 121 (2009), 281, 316. 205 Ganz hM; s nur BGH NJW 1993, 1278, 1279; BGH/H GA 1953, 75 f; RGSt 5, 435, 437; RGSt 5, 275, 276 f; LK/Tiedemann § 283c Rn 38; ders ZIP 1983, 513, 515; MK/Radtke/Petermann § 283c Rn 26; NK/Kindhäuser § 283c Rn 21; Fischer § 283c Rn 10; M-G/Richter § 84 Rn 24; W/J/Pelz 9/203; G/J/W/Reinhart § 283c Rn 22; B/Quedenfeld/Richter 5/202; MAH/Böttger § 19 Rn 174; HambK/Borchardt § 283c StGB Rn 8; M/G/Rinjes 8/179; Weyand/Diversy Rn 135; Dohmen, S 62; Vormbaum GA 1981, 101, 132; ders Jura 1980, 421, 426; Otto Lange-FS, S 197, 214; Richter GmbHR 1984, 137, 146; Wolter JuS 1982, 343, 348 f; Weyand ZInsO 2002, 851, 856; ders StuB 1999, 178, 183; Niesert/Hohler NZI 2010, 127, 130; aA Ackermann, (1912), S 41 f; Neumeyer, (1891), S 190 f; weitergehend wohl noch RGSt 4, 1, 2, das den Fall der notwendigen Teilnahme nicht erwähnt.

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§ 14 Gläubigerbegünstigung, § 283c StGB | 853

zogenes und nicht lediglich ein tatbezogenes besonderes persönliches Merkmal umschreibt206.207

XII. Konkurrenzen und Verjährung Wie bereits ausgeführt, steht § 283c StGB zu § 283 Abs 1 StGB im Verhältnis der Privilegie- 51 rung.208 Darüber hinaus sperrt § 283c StGB die Heranziehung des Bankrotttatbestandes in all denjenigen Fällen, in denen sich die Tathandlung des Schuldners zwar strukturell im Kontext des § 283c StGB abspielt, er aber aus tatbestandsimmanenten Gründen nicht wegen dieser Vorschrift belangt werden kann, etwa weil er die inkongruente Deckung im Stadium der Überschuldung oder drohenden Zahlungsunfähigkeit erbrachte.209 Hierauf beschränkt sich die Sperrwirkung des § 283c StGB jedoch nicht. Richtigerweise hindert § 283c StGB auch den Rückgriff auf § 283d StGB, sofern der Schuldner, dem der Täter des § 283d StGB Hilfe geleistet hat, selbst nur wegen Gläubigerbegünstigung haftet.210 Der Vorschlag, den Dritten, der den Schuldner bei dessen Gläubigerbegünstigung unterstützt, zwar aus § 283d StGB zu verurteilen, das Strafmaß aber dem § 283c Abs 1 StGB zu entnehmen, überzeugt nicht, da die – insoweit von § 309 der Preußischen KO abweichende211 – Beschränkung des Täterkreises der Gläubigerbegünstigung auf Schuldner ansonsten ausgehebelt würde.212 Allenfalls unter Teilnahmegesichtspunkten kommt eine Strafbarkeit des Dritten in Betracht213.214 Tateinheit zwischen Gläubigerbegünstigung und Bankrott besteht, wenn der Schuldner dem bevorzugten Gläubiger quantitativ mehr zuwendet, als dieser ausweislich seiner Forderung zu beanspruchen hat.215 Gewährt er ihm hingegen qualitativ mehr, bestellt er etwa statt der geschuldeten zweitrangigen eine erstrangige Grundschuld an seinem Grundstück, soll dieses Zuviel nicht zu § 283 StGB, sondern lediglich zur Inkongruenz iSd zweiten Variante („nicht in der Art“) führen.216 Nach dem Grds in dubio mitius nur wegen § 283c StGB haftet derjenige Schuldner, 52 dessen Tathandlung insoweit nicht aufgeklärt werden kann, als offen bleibt, ob er seine

_____ 206 Näher und erg zum Ganzen § 12 Rn 259. 207 Dafür G/J/W/Reinhart § 283c Rn 21; aA Vormbaum GA 1981, 101, 133. 208 Siehe o Rn 2 f. 209 Hierzu und zu weiteren Anwendungsfällen der Sperrwirkung s BGH LM Nr 3 zu § 241 KO (strafloser Versuch der Gläubigerbegünstigung darf nicht als strafbarer Versuch des Bankrotts geahndet werden); LK/Tiedemann § 283c Rn 39; W/J/Pelz 9/205; M-G/Richter § 84 Rn 52; AnwK/Püschel § 283c Rn 19; G/J/W/ Reinhart § 283c Rn 24; M/G/Rinjes 8/174; Vormbaum GA 1981, 101, 126 f; Hombrecher JA 2013, 541, 545. 210 Ganz hM; BGHSt 35, 357, 359; Vormbaum GA 1981, 101, 130; Schäfer wistra 1990, 81, 89; Otto JK 89, StGB § 283d/1; wohl auch M-G/Richter § 84 Rn 52. 211 Krit zu § 309 der Preuß. KO, der dem Gläubiger, der an seiner Begünstigung durch den zahlungsunfähigen Schuldner mitwirkte, mit Strafe bedroht, s Goltdammer GA 1866, 538, 540 f. 212 Zu diesem Argument s nur Vormbaum GA 1981, 101, 130. 213 S erg § 23 Rn 4. 214 Dazu s BGHSt 35, 357, 360; G/J/W/Reinhart § 283d Rn 1; Otto JK 89, StGB § 283d/1; Hombrecher JA 2013, 541, 545. 215 S nur M-G/Richter § 84 Rn 52; Ackermann, (1912), S 45 und Böhle-Stamschräder KTS 1957, 177, 182. AA aber LK/Tiedemann § 283c Rn 40, der dafür plädiert, nur den § 283 StGB heranzuziehen, und die teilweise Privilegierungssituation, die daraus resultiert, dass bis zu einer bestimmten Höhe des weggegebenen Betrags immerhin ein Gläubiger befriedigt wurde, iRd Strafzumessung zu berücksichtigen; zust, jedenfalls was die Verdrängung des § 283c StGB durch § 283 StGB anbelangt, G/J/W/Reinhart § 283c Rn 24. 216 Zu der Unterscheidung in qualitative und quantitative Mehrleistungen s G/J/W/Reinhart § 283c Rn 8.

C Brand

854 | 3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften

(inkongruente) Leistung auf einen wirksamen (dann § 283c StGB) oder einen unwirksamen (dann § 283 StGB bzw § 266 StGB) Vertrag erbracht hat.217 Begeht der Schuldner mehrere Taten des § 283c StGB, stehen diese im Verhältnis der Tatmehrheit zueinander.218 Weitgehend ungeklärt ist das Konkurrenzverhältnis des § 283c Abs 1 StGB zu § 2 BauFordSiG. Verwendet der Baugeldempfänger und Schuldner Baugeld, um damit Gläubiger, die nicht zum Kreis der Baugläubiger rechnen, inkongruent zu befriedigen, verwirklicht er – die übrigen Voraussetzungen unterstellt – sowohl den Tatbestand des § 2 BauFordSiG als auch den Tatbestand der Gläubigerbegünstigung.219 Wenn zur Lösung des Konkurrenzproblems einerseits vorgeschlagen wird, diesen Schuldner nur gem § 283c StGB zu bestrafen,220 bzw andererseits für einen Vorrang des § 2 BauFordSiG plädiert wird,221 überzeugt das nicht. Richtigerweise stehen § 283c StGB und § 2 BauFordSiG im Verhältnis der Tateinheit zueinander222 und verdrängt § 283c StGB den § 2 BauFordSiG nicht im Wege des lex specialis bzw vice versa. Zur Begründung dieses Ergebnisses genügt ein Blick auf die Klarstellungsfunktion der Tateinheit, da im Geltungsbereich des BauFordSiG keinesfalls jede Gläubigerbegünstigung mit einem Verstoß gegen § 2 BauFordSiG einhergeht und nicht jede Missachtung der Baugeldverwendungspflicht (vgl § 1 BauFordSiG) zu einer Gläubigerbegünstigung führt. Die Verjährungsfrist einer Gläubigerbegünstigung beginnt erst mit dem Eintritt der 53 objektiven Strafbarkeitsbedingung zu laufen und richtet sich nach § 78 Abs 3 Nr 4 StGB. Danach verjährt die Tat in fünf Jahren. anhängen

§ 15 Betrug, § 263 StGB

C Brand/Schulze § 15 Betrug, § 263 StGB I. Die Bedeutung der Vorschrift in der Praxis 1 Die Insolvenz eines Kaufmanns, aber auch die eines Verbrauchers, wird nicht selten

von Betrugstaten begleitet. Wenn die Finanzlage sich ernstlich verschlechtert, dann verschließen sich die davon Betroffenen immer wieder der Einsicht in ihr wirtschaftliches Scheitern. Selbst wenn sie sich nicht in irreale Hoffnungen auf Besserung flüchten, so wollen sie sich ihren Geschäftspartnern doch häufig nicht offenbaren. Sie wirtschaften weiter und gehen neue Verpflichtungen ein, lösen zB neue Bestellungen aus, wohl (mindestens latent) wissend, dass sie sie nicht erfüllen können. Sie verschaffen sich auf diese Weise den Wert der Leistung ihres Opfers, ohne ihre eigene (Gegen-)Leistung erbringen zu können.

_____ 217 LK/Tiedemann § 283c Rn 40; W/J/Pelz 9/206; G/J/W/Reinhart § 283c Rn 24; M/G/Rinjes 8/180; iE ebenso BGH/H GA 1955, 365, der allerdings einer Verurteilung auf wahldeutiger Grundlage das Wort redet; zust Kollmar, S 85. 218 So LK/Tiedemann § 283c Rn 42; Fischer § 283c Rn 11; G/J/W/Reinhart § 283c Rn 23; M-G/Richter § 84 Rn 52; aA Ackermann, (1912), S 44, dem zufolge die Konkurseröffnung/Zahlungseinstellung die mehreren Begünstigungshandlungen zu einer juristischen Handlungseinheit zusammenfasst. 219 AA aber Krause, S 296, der den zweckwidrigen Einsatz von Baugeld nicht gem § 283c StGB privilegieren, sondern gem § 283 Abs 1 Nr 2 StGB als unwirtschaftliche Ausgabe bestrafen will. 220 Dafür aber unter Rekurs auf ein lex-specialis-Verhältnis zwischen § 283c und § 2 BauFordSiG LK/Tiedemann § 283c Rn 43. 221 So Bittmann/Bittmann Voraufl Rn 60. 222 Dafür MK/Wegner § 2 BauFordSiG Rn 43; A/R/R/ders Kap 7/1 Rn 234; Fischer § 283c Rn 11; AnwK/ Püschel § 283c Rn 19; ferner wohl G/J/W/Reinhart § 283c Rn 25.

C Brand/Schulze

§ 15 Betrug, § 263 StGB | 855

Daher ist bei der Beendigung eines Unternehmens durch Insolvenz der Schutz der 2 Gläubiger durch § 263 StGB von erheblicher Bedeutung: Kann der Kaufmann oder der für eine juristische Person in den Fällen des § 14 StGB Handelnde damit rechnen, dass seine unmittelbare Verantwortung in Form der Vermögenshaftung aufgrund der Insolvenz leer läuft, so kann ihn doch seine indirekte strafrechtliche Verantwortlichkeit davon abhalten, rücksichtslos auf Kosten seiner Gläubiger weiterzuwirtschaften. So bildet der generalpräventive Aspekt einer Strafbarkeit unredlichen Verhaltens als Betrug ein Gegengewicht zu der von der Krise ausgehenden Versuchung, vom gesetzgeberischen Leitbild des „redlichen Kaufmanns“ abzuweichen. Dass es nicht ausreicht, zeigt sich in einer Vielzahl von Strafanzeigen wegen Lieferantenbetrugs. Sie bilden das Schwergewicht der Ermittlungsverfahren wegen Betrugs bei den Strafverfolgungsorganen zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität. Schulze Diese Strafanzeigen dienen allerdings den Anzeigenden oft lediglich als Mittel, den 3 Druck auf den Schuldner zu erhöhen. Ziel ist es weniger, dessen Bestrafung zu erreichen als vielmehr, ihn zum Begleichen seiner offenen Verbindlichkeiten zu veranlassen. Begehrt wird in solchen Fällen ein strafrechtliches Quasi-Inkasso der ausstehenden Forderung. Führt diese Strategie zum Erfolg, so erreicht die Staatsanwaltschaft häufig ein Schreiben des Anzeigenden, in welchem er die Strafanzeige zurücknimmt. Teils wird derartiges bereits in der Strafanzeige selbst angekündigt oder darum gebeten, das Ermittlungsverfahren doch tunlichst nicht mit einer Bestrafung, sondern mit einer Schadenswiedergutmachungsauflage abzuschließen. So verständlich das Streben der Gläubiger ist, so deutlich muss hervorgehoben werden, dass seine Befriedigung de jure nur ein Nebeneffekt des Strafverfahrens sein kann. Der staatliche Strafanspruch unterliegt nicht der Disposition des Anzeigenden. Die Rücknahme der Strafanzeige führt daher nicht automatisch zu einer Einstellung des Verfahrens nach § 170 Abs 2 StPO. In geeigneten Fällen wird die Staatsanwaltschaft allerdings eine Einstellung unter Opportunitätsgesichtspunkten zu prüfen haben.

II. Die Tatbestandsvoraussetzungen Der Betrugstatbestand des § 263 StGB schützt ausschließlich das wirtschaftliche Ver- 4 mögen des Opfers als Ganzes vor Schädigung durch Täuschung. Auf die Verletzung eines bestimmten Gegenstandes kommt es im Gegensatz zu den Eigentumsdelikten nicht an. Die Dispositionsfreiheit als Ausfluss einer liberalen Wirtschaftsordnung1 für sich oder gar „Treu und Glauben“ im Rechtsverkehr erfasst der Schutzbereich nicht.

1. Der objektive Tatbestand Der objektive Tatbestand des Betrugs gem § 263 Abs 1 StGB setzt einen durch Täuschung 5 seitens des Täters hervorgerufenen Irrtum des Getäuschten voraus, der zu einer Vermögensverfügung und diese zu einem Vermögensschaden führt.2 Die genannten Merkmale müssen dabei in einem kausalen und funktionalen Zusammenhang stehen.

_____ 1 Vgl BGH NJW 2009, 89; Fischer Rn 3 zu § 263 StGB mwN. 2 S/S/Perron Rn 5 zu § 263 StGB.

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856 | 3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften

a) Die Täuschungshandlung 6 Täuschungshandlung ist die intellektuelle Einwirkung auf das Vorstellungsbild eines

anderen (durch ausdrückliches Vorspiegeln, konkludentes3 Verhalten oder Unterlassen4 der rechtlich gebotenen Aufklärung), um eine Fehlvorstellung über Tatsachen, also einen Irrtum, hervorzurufen. Die Vorschrift erfasst nur die Täuschung über Tatsachen. Das sind alle Vorgänge 7 oder Zustände der Gegenwart oder Vergangenheit, die die Außenwelt oder psychische Vorgänge betreffen und dem Beweis zugänglich sind.5 Unter diesen Tatsachenbegriff fallen sowohl äußere Tatsachen wie zB die Zahlungsfähigkeit, als auch innere Tatsachen wie zB die Zahlungswilligkeit.6 8 Den Gegensatz zur Tatsachenbehauptung bilden Meinungsäußerungen und Werturteile, die durch Elemente der subjektiv-persönlichen Stellungnahme geprägt sind. Die Abgrenzung ist vor allem bei übertreibenden Anpreisungen und offensichtlich überzogener Reklame schwierig.7 Da sowohl Verbraucher als auch Unternehmer wissen, dass Übertreibungen zum Zweck der Absatzförderung zulässig sind, wird nicht jede Werbeaussage als ernsthafte Behauptung iS einer nüchternen Information über ein Produkt verstanden. Es kommt darauf an, ob der Erklärungswert der Anpreisung nach Abzug des „Übertreibungszuschlags“ einen objektivierbaren, der Nachprüfung zugänglichen Tatsachenkern aufweist.8 Nur wenn dieser unrichtig ist, handelt es sich um eine Täuschungshandlung iS des § 263 StGB. Im Übrigen ist (nur) der Bereich der Selbstverantwortung des Teilnehmers am Rechtsverkehr tangiert.9 So begründet etwa das schlichte Stellen einer überhöhten Rechnung oder die Forderung eines überhöhten Preises für sich allein noch keine Täuschung über Tatsachen.10

aa) Täuschung durch positives Tun 9 Eine Täuschung durch positives Tun ist zunächst in der Weise möglich, dass der Täter

ausdrücklich die Unwahrheit sagt, also die unwahre Tatsache zum Gegenstand seiner Aussage macht,11 zB indem er dem Käufer nicht vorhandene Eigenschaften der Kaufsache zusichert. Dabei ist es gleichgültig, ob diese Zusicherung Bestandteil eines schriftlichen Vertrages geworden ist, oder nur mündlich abgegeben wurde.12 Eine Strafbarkeit wegen Betruges kommt hier auch in Betracht, wenn der schriftliche Vertrag die Klausel enthält, mündliche Abreden seien unbeachtlich.13 Weitere Beispiele für diese Tatbestandsalternative sind das Einsetzen falscher Pos10 ten in eine Rechnung, selbst wenn andere, tatsächlich geschuldete Beträge dort fehlen,14

_____ 3 Vgl BGH wistra 1998, 177. 4 Fischer Rn 14 ff zu 263 StGB mwN. 5 S/S/Perron Rn 8 zu § 263 StGB. 6 Vgl zB BGH wistra 1996, 32; 1998, 179. 7 Vgl BGH wistra 1992, 256. 8 S/S/Perron Rn 9 zu § 263 StGB mwN. 9 Vgl auch § 4 UWG. 10 BGH StV 2011, 728; OLG Frankfurt am Main NJW 1996, 2172 f – anders nur bei Geltendmachen von Listenpreisen oder Entgelten nach Gebührenordnungen, vgl BGH NStZ 2010, 88 f. 11 LK/Tiedemann Rn 24 zu § 263 StGB. 12 OLG Hamm NJW 1960, 643. 13 Vgl OLG München NJW 1978, 435. 14 RGSt 64, 347.

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§ 15 Betrug, § 263 StGB | 857

das so genannte „Krankfeiern“15 und die Täuschung eines Kreditinstituts über Vermögensverhältnisse zur Erlangung einer Scheckkarte.16 Die unrichtige Darstellung zukünftiger Absichten stellt eine Tatsachentäuschung dar, nämlich über die gegenwärtigen Absichten.17 Eine Täuschung durch positives Tun kann ferner durch konkludentes = schlüssi- 11 ges Verhalten begangen werden18, wenn der Täter die Unwahrheit zwar nicht expressis verbis zum Ausdruck bringt, wohl aber durch sein Verhalten miterklärt. Hier ist entscheidend, welcher objektive Erklärungswert dem Gesamtverhalten des Täters nach der Verkehrsanschauung zukommt. Die Verkehrsanschauung ist abhängig vom jeweiligen Geschäftstyp, der hierfür geltenden Risikoverteilung unter den Partnern unter Berücksichtigung eines Minimums an Redlichkeit. Eine Täuschungshandlung ist nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil sich der Täter – isoliert betrachtet – einer wahren Tatsachenbehauptung bedient.19 Zwar kann, ausgehend vom Wortlaut des § 263 StGB: „falschen Tatsachen“, mit inhaltlich „wahren“ Behauptungen nicht getäuscht werden; andererseits kann der Inhalt einer Behauptung, der isoliert betrachtet als wahr anzusehen wäre, durch das Hinzutreten bestimmter weiterer Momente, für die der Erklärende einzustehen hat, als insgesamt unwahr und damit als betrugsrelevant zu qualifizieren sein.20 Ein Verhalten wird in diesen Fällen zur tatbestandlichen Täuschung, wenn der Täter die Eignung der inhaltlich richtigen Erklärung, einen Irrtum hervorzurufen, planmäßig einsetzt und damit unter dem Anschein „äußerlich verkehrsgerechtem Verhaltens“21 gezielt die Schädigung des Adressaten verfolgt, die Irrtumserregung also nicht die bloße Folge, sondern der Zweck der Handlung ist. In dem zugrunde liegenden Fall hatte der Täter Angebotsschreiben planmäßig durch Verwendung typischer Rechnungsmerkmale wie zB die hervorgehobene Angabe einer Zahlungsfrist so abgefasst, dass der Eindruck einer Zahlungspflicht entstand, während die (rückseitig abgedruckten) kleingedruckten Hinweise auf den Angebotscharakter völlig in den Hintergrund traten (sog Insertionsofferte).22 Der BGH hat diese Grundsätze auch auf einen Fall übertragen, in dem der Täter vermeintliche Kreditverträge per Nachnahme an die Geschädigten versandte.23 So enthält das Eingehen einer Vertragsverpflichtung (zB zum Zweck des Warenbe- 12 zugs) konkludent die Erklärung der Zahlungsfähig- und -willigkeit.24 Dies gilt ohne Einschränkung zumindest bei erstmaliger Vertragsbindung oder wenn trotz ausstehender Zahlung bei demselben Lieferanten innerhalb der Zahlungsfrist neue Ware bestellt

_____ 15 Franke JuS 1982, 67. 16 BGH MDR 91, 105. 17 BGH NJW 1998, 1223. 18 LK/Tiedemann Rn 28 zu § 263 StGB. 19 BGH wistra 2001, 386 f; aA OLG Frankfurt NStZ 1997, 187. Das OLG hat seine abweichende Ansicht in NStZ-RR 2002, 47, 49 aufgegeben. 20 Geisler NStZ 2001, 86, 87. 21 BGH NJW 2001, 2187f. 22 AA Pawlik, StV 2003, 297 ff, der für ein restriktives Täuschungsverständnis und eine stärkere Eigenverantwortlichkeit des Adressaten eintritt. 23 BGH wistra 2001, 386. 24 Vgl BGH NJW 1954, 1414f; NStZ-RR 1998, 247; Fischer Rn 33 zu § 263 StGB mwN; aA Bosch, wistra 1999, 410 ff, der mit dogmatisch beachtlichen Argumenten als zusätzliche Voraussetzung hier eine Fehlvorstellung des Verfügenden über bestehende Sicherheiten des Schuldners oder tatsächliche Verwertungsmöglichkeiten verlangt.

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858 | 3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften

und ausgeliefert wird.25 Wenn allerdings trotz fälliger offener Rechnungen durch den Gläubiger weitere Warenlieferungen ausgeführt werden, bedarf es im Hinblick auf die Frage, ob diese späteren Lieferungen noch auf der Vorspiegelung der Zahlungsfähigkeit und -willigkeit beruhen, genauerer Feststellungen. Eine Fortwirkung der ursprünglichen Täuschungshandlung ist zB dann anzunehmen, wenn der Lieferant etwa aufgrund arbeitsteiligen Wirtschaftens oder im Fall echten Factorings keine Kenntnis von dem Zahlungsverzug erlangt und deshalb die späteren Bestellungen ausgeführt hatte.26 Des Öfteren täuscht der Täter seine Geschäftspartner zT mehrmals neu über seine Zahlungsfähigkeit und -willigkeit – ggf mit immer neuen Versprechungen und Erklärungen. Regelmäßig wird dann genau zu prüfen sein, welche Zahlungsmodalitäten (Fälligkeit mit Rechnungslegung, Zahlungsfristen und -ziele) vereinbart waren, ob eine Stundungsvereinbarung vorlag, die Gläubiger die Zahlung angemahnt oder gar Mahn- und Vollstreckungsbescheide erwirkt hatten.27 Denn kannte und wusste der Gläubiger um die Krise des Schuldners, hat letzterer ihm ggf sogar seine krisenhafte Situation dargelegt, so irrte er nicht, sondern nahm vielmehr einen Verlust aus einem riskanten Geschäft in Kauf. Dann entfällt aber die Basis für eine konkludente Zusicherung des Schuldners, so dass ohne Vorliegen einer erneuten, hier nur durch aktives Tun möglichen Täuschungshandlung, ein vollendeter Betrug ausscheidet.28 Je nach der im Verfahren zu ermittelnden Vorstellung des Schuldners ist aber auch eine Strafbarkeit wegen lediglich versuchten Betrugs denkbar.29 Das Einfordern einer Leistung enthält konkludent die Erklärung. dass eine entspre13 chende Verbindlichkeit besteht,30 unabhängig von der Tatsache, ob die Leistung in einem angemessenen Verhältnis zur Gegenleistung steht.31 Im Angebot einer Sache zum Kauf liegt die schlüssige Erklärung, zu ihrer Veräußerung befugt und zur Eigentumsverschaffung imstande zu sein. Als weiteres Beispiel der vielfältigen Fallgestaltungen ist hier schließlich das Verschweigen der zweckwidrigen Verwendungsabsicht hinsichtlich eines Investitionsdarlehens zu nennen.32 Nicht jedem Verhalten ist aber ein konkludenter Erklärungsinhalt und damit die 14 Möglichkeit einer Täuschungshandlung immanent. So ist mit der bloßen Entgegennahme einer Leistung nicht die Erklärung verbunden, dass diese auch geschuldet ist. Die Annahme von zuviel Wechselgeld begründet zB keinen Betrug, weil es allein in den Risikobereich des anderen Teils fällt, das Wechselgeld richtig abzuzählen.33 Bei Verfügung über den Betrag einer bankinternen Fehlbuchung oder einer Fehlüberweisung fehlt es schon an einer Täuschungshandlung, da mit der Fehlbuchung/Fehlüberweisung zunächst ein entspr Anspruch im Rahmen des Girovertrages entsteht34. Eine in einem Über-

_____ 25 Vgl BGH StV 1999, 24. 26 BGH NStZ 1993, 440. 27 BGH StV 1999, 24. 28 BGH wistra 1992, 298; 1996, 262, 263 f. 29 BGH wistra 1993, 224. 30 Vgl BGH NStZ 1994, 188. 31 Vgl oben Rn 8. 32 BGH JZ 1979, 75. 33 OLG Köln NJW 1980, 2366. 34 Die frühere Rspr hatte beim Abheben eines Guthabens, welches dem eigenen Konto durch eine Fehlbuchung (innerhalb der Bank) zu Unrecht gutgeschrieben wurde, einer Täuschung bejaht, vgl OLG Celle StV 1994, 188. Im Falle der auf einer Fehlüberweisung beruhenden unberechtigten Gutschrift zwischen zwei verschiedenen Banken wurde sie verneint, BGHSt 39, 397. Diese Unterscheidung wurde in BGHSt 46, 194, aufgegeben.

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weisungs- oder Auszahlungsauftrag liegende Behauptung eines sich aus den Kontounterlagen ergebenden Guthabens ist daher nicht unwahr.35 Das Auszahlungsrisiko trägt regelmäßig die Bank. Auch in der Vorlage blanko unterschriebener und abredewidrig ausgefüllter Überweisungsformulare bei der Bank liegt keine Täuschungshandlung, da Bankmitarbeiter regelmäßig nur formale Richtigkeit und Kontodeckung, nicht aber die sachliche Berechtigung der Überweisung prüfen.36 Selbiges gilt auch für die Vorlage eines Schecks bei nicht bestehender Schuld.37 Unabhängig hiervon kann allerdings schon bei Erlangung der Blankoformulare eine tatbestandsmäßige Täuschung als Teil einer umfassenden Betrugshandlung gegeben sein. Wer für eine Leistung oder Ware einen bestimmten Preis fordert, erklärt damit 15 grundsätzlich nicht, dass dieser Preis auch angemessen bzw üblich ist, da die Preisgestaltung der Vertragsfreiheit unterliegt.38 Dies gilt trotz § 632 Abs 2 BGB auch für Werklohnforderungen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist nur für die Fälle anerkannt, in denen der Preis öffentlich-rechtlich festgesetzt ist und der Leistungsempfänger die Forderung nicht ohne weiteres auf ihre Übereinstimmung mit dem amtlich festgesetzten Preis überprüfen kann. Wer hier die fehlende Sachkunde eines anderen zur Erzielung eines erhöhten Entgelts ausnutzt, begeht einen Preisgestaltungsbetrug.39

bb) Täuschung durch Unterlassen Eine Täuschung kann schließlich auch durch Unterlassen begangen werden, wenn eine 16 Garantenpflicht (= Rechtspflicht zum Einschreiten), dh eine Pflicht zur Aufklärung eines ohne Zutun des Täters entstandenen Irrtums besteht.40 Eine solche betrugsspezifische Rechtspflicht zur Aufklärung kann sich zunächst aus 17 einem außerstrafrechtlichen Gesetz ergeben, wenn im Einzelfall ein besonderes Vertrauensverhältnis41 besteht. Hierunter fallen zB die Anzeigepflicht des Sozialleistungsempfängers nach § 60 Abs 1 SGB I42 und die zivilrechtliche Auskunftspflicht nach § 666 BGB. Der BGH bejahte eine Aufklärungspflicht ferner in einem Fall, in welchem der Geschäftsführer einer Komplementär-GmbH den Übererlös aus dem im Einvernehmen mit dem Konkursverwalter vorgenommenen Verkauf von Gegenständen einer insolventen GmbH & Co KG der Masse plangemäß vorenthielt und ihn für sich (und andere Kommanditisten) behalten hatte.43 Die Pflicht zur Aufklärung folgte hier aus der Vereinbarung mit dem Konkursverwalter, der sich auf des Täters Fachkenntnisse gestützt hatte. Ferner kann eine Aufklärungspflicht aus einem geschlossenen Vertrag folgen, 18 wobei es nicht auf dessen zivilrechtliche Wirksamkeit ankommt. So besteht nach der Rspr selbst bei Vertragsverhandlungen, in denen die Parteien entgegengesetzte Interessen verfolgen, für jeden Vertragspartner die Pflicht, den anderen Teil über solche Umstände aufzuklären, die den Vertragszweck (des anderen) verei-

_____ 35 36 37 38 39 40 41 42 43

BGH wistra 2001, 20f; für die Fehlüberweisung BGH wistra 1994, 62, 63 f. BGH NStZ 2001, 375. BGH NStZ 2002, 144. BGH bei Holtz MDR 1989, 1053. RGSt 42, 150; vgl BGH NStZ 2010, 88 f. Fischer Rn 22 zu § 263 StGB mwN. Vgl BGHSt 39, 392, 399; NStZ 2010, 502 f. OLG Köln NStZ 2003, 374, NStZ-RR 2010, 79. BGH wistra 1991, 305 ff.

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teln können und daher für seinen Entschluss von wesentlicher Bedeutung sind, sofern er die Mitteilung nach der Verkehrsauffassung erwarten konnte.44 Beim Kauf von GmbHGeschäftsanteilen ist beispielsweise im Hinblick auf den für den Kaufpreis im Regelfall erheblichen Ertragswert insbes zu beachten, dass der am Kauf Interessierte sich ein einigermaßen zutreffendes Bild von den wertbildenden Faktoren in erster Linie nur anhand der Bilanzen, der laufenden betriebswirtschaftlichen Auswertungen, sonstiger Buchführungsunterlagen und ergänzende Auskünfte des Inhabers oder Geschäftsführers machen kann. Die besondere Abhängigkeit des Käufers von der Vollständigkeit und Richtigkeit der ihm erteilten Informationen vor allem zu Umsatz- und Ertragslage des Unternehmens sowie die regelmäßig weitreichenden wirtschaftlichen Folgen der Kaufentscheidung rechtfertigen es, dem Verkäufer eine gesteigerte Aufklärungspflicht aufzuerlegen und an die hierbei anzuwendende Sorgfalt einen strengen Maßstab anzulegen. Die Aufklärungspflicht erstreckt sich insbes auf alle Umstände, welche die Überlebensfähigkeit ernsthaft gefährden, insbes also drohende45 oder bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung des Unternehmens.46 Nicht ohne weiteres lässt sich eine solche Aufklärungspflicht allerdings allein aus dem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben iSv § 242 BGB herleiten.47 Sie kann sich nur aufgrund besonderer Umstände des jeweiligen Einzelfalles ergeben, zB wenn ein besonderes Vertrauensverhältnis oder eine auf gegenseitigem Vertrauen beruhende Verbindung zwischen den Vertragsparteien besteht.48 Die bloß sittliche Anstößigkeit des Schweigens genügt hier nicht. Auch kann im Hinblick auf das Bestimmtheitserfordernis des Art 103 Abs 2 GG nicht jede zivilrechtliche Aufklärungspflicht in das Strafrecht übertragen werden. Deshalb begründet selbst die Tatsache, dass ein Besteller mit einem Lieferanten wiederholt Verträge abgeschlossen hat, nicht notwendig ein für die Bejahung einer Aufklärungspflicht besonders intensives Vertrauensverhältnis.49 19 Auch aus dem nachträglichen Eintritt einer geänderten Sachlage folgt noch keine Verpflichtung zur Mitteilung. So ergibt sich aus der Tatsache, dass sich nach Auftragserteilung herausstellt, dass Zahlungen nicht vertragsgemäß vorgenommen werden können, noch keine strafbewehrte Aufklärungspflicht.50 Erst wenn weitere Umstände hinzutreten, die vom Schuldner erkennbar die Gläubiger in Sicherheit wiegen, ist eine solche Pflicht zu bejahen. Ein solcher Umstand ist insbes die Kenntnis eigener Zahlungsunmöglichkeit vor Entgegennahme der Leistung des anderen Vertragsteils. Anderenfalls könnte der insolvente Schuldner ohne jede Sanktion zB Warenlieferungen entgegennehmen, da zivilrechtliche Schadensersatz- und Rückgewähransprüche im Hinblick auf die finanzielle Situation regelmäßig ins Leere laufen. Andererseits schuldet der Verkäufer keine Aufklärung darüber, ob die Ware anderswo billiger zu haben ist, es sei denn, ein bestimmtes Entgelt wäre festgesetzt.51 20 Eine Garantenstellung kann auch auf Ingerenz beruhen.52 Erforderlich ist dazu ein objektiv pflichtwidriges, gefahrerhöhendes Vorverhalten, welches derart nachwirkt,

_____ 44 45 46 47 48 49 50 51 52

BGH NJW-RR 1996, 429. Einschr insoweit oben § 7 Rn 100. BGH NJW 2001, 2164. Vgl BGHSt 39, 392, 400; Fischer Rn 51 zu § 263 StGB mwN. Vgl BGH wistra 1988, 262. BGH wistra 1992, 298. BGH StV 1988, 386. BGH NJW 1990, 2006; s auch oben Rn 15. Fischer Rn 50 zu § 263 StGB.

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dass der Vertragspartner noch zur Zeit des Vertragsschlusses einer Fehlvorstellung unterliegt. Nur dann wird iS der Gleichstellungsklausel des § 13 StGB durch Unterlassen ein Irrtum erregt.53 In den bereits angesprochenen Fällen der Verfügung über Guthaben aus bankinterner, ohne Mitwirkung des später Verfügenden erfolgter Fehlbuchung besteht keine Garantenpflicht iSd § 13 StGB zur Offenlegung. Ingerenz scheidet aus, da die Kontoführung der hierzu aus dem Girovertrag verpflichteten Bank obliegt.54 Die Gefahr des Eintritts eines hohen Schadens führt hier ebenfalls nicht zu einem rechtlichen Einstehenmüssen. Die Frage der Garantenpflicht ist aus der Eigenart der zugrunde liegenden Rechtsbeziehung zu klären, die unabhängig von der auf Zufälligkeiten beruhenden Höhe möglicher Schäden beurteilt werden muss.55

b) Irrtum Zur Erfüllung des Tatbestandes ist weiterhin erforderlich, dass die Täuschungshandlung 21 beim Getäuschten einen Irrtum erregte oder unterhielt.56 Irrtum bedeutet eine Fehlvorstellung über Tatsachen. Nicht erforderlich ist dabei aktuelles Bewusstsein. Es genügt sachgedankliches Mitbewusstsein oder ständiges Begleitwissen.57 Nicht vom Irrtumsbegriff des § 263 Abs 1 StGB umfasst ist dagegen reines Nichtwissen ohne jede konkrete Fehlvorstellung (ignorantia facti).58 Meldet der Arbeitgeber zB keinen seiner Arbeitnehmer zur Sozialversicherung an, erhalten die Sozialversicherungsträger von dessen Verpflichtung zur Abführung keine Kenntnis und irren nicht, da keine konkrete Vorstellung über die (Nicht-)Beschäftigung vorliegt. Einschlägig ist in diesen Fallgestaltungen allerdings § 266a StGB mit seinen Abs 1 und 2.59. Auch, wenn nur ein Teil der Beschäftigten oder ein geringerer Bruttolohn gemeldet wird und der Sozialversicherungsträger davon ausgeht, dass die Angaben gemäß §§ 28a, 28f SGB IV in den Anmeldungen den tatsächlichen Verhältnissen entsprechen und irrt, wird der Betrugstatbestand im Wege der Spezialität verdrängt.60 In den Fällen kollusiven Zusammenwirkens eines Arztes mit den Patienten unterliegen die zuständigen Sachbearbeiter der Versicherungen/der Beihilfestelle regelmäßig einem mit Wissen und Wollen des Leistungserbringers herbeigeführten Irrtum über das tatsächliche Vorliegen eines zur Kostenerstattung verpflichtenden Versicherungsfalles. Bei Betrugsvorwürfen im Zusammenhang mit standardisierten, auf Massenerledigung angelegten Abrechnungsverfahren ist nicht erforderlich, dass der jeweilige Mitarbeiter hinsichtlich jeder einzelnen geltend gemachten Position die positive Vorstellung hatte, sie sei der Höhe nach berechtigt; vielmehr genügt die stillschweigende Annahme, die ihm vorliegende Abrechnung sei insgesamt „in Ordnung“. Daher setzt ein Irrtum nicht voraus, dass tatsächlich eine Überprüfung der Abrechnungen im Einzelfall durchgeführt wurde.61

_____ 53 54 55 56 57 58 59 60 61

S/S/Perron Rn 20 zu § 263 StGB. BGH wistra 2001, 20, 22. BGHSt 39, 392, 401. LK/Tiedemann Rn 76 zu § 263 StGB. S/S/Perron Rn 39 zu § 263 StGB. LK/Tiedemann Rn 78 zu § 263 StGB. Vgl unten § 21 Rn 136 ff. BGH wistra 2008, 180; Fischer Rn 37 zu § 266a StGB mwN. Vgl BGH wistra 2006, 421–425.

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Zwischen der Täuschungshandlung und dem Irrtum muss Kausalität, also ein Beruhenszusammenhang, bestehen. Naivität oder Leichtgläubigkeit beseitigen ihn ebensowenig wie mangelnder Selbstschutz.62 Auch der an der vorgetäuschten Tatsache Zweifelnde irrt solange, als er die Wahrheit noch für möglich hält. Der Getäuschte fällt der List des Täters auch dann zum Opfer, wenn er trotz aller Zweifel infolge der Täuschung die Vermögensverfügung vornimmt. Ein tatbestandsmäßiger Irrtum ist erst dann nicht mehr gegeben, wenn er zwar die vorgespiegelte Tatsache für möglich hält, jedoch zur Frage der Wahrheit innerlich nicht Stellung bezieht, dem Getäuschten der Wahrheitsgehalt gleichgültig ist und er die Vermögensverfügung unabhängig von ihrer Wahrheit trifft.63 Werden bspw. ungeachtet offen stehender Rechnungen weitere Warenlieferungen ausgeführt, bedarf es daher im Hinblick auf die Frage, ob auch die späteren Lieferungen auf einer Vorspiegelung der Zahlungsfähigkeit und – willigkeit beruhen, in der Regel näherer Feststellungen dazu, ob der Lieferant Kenntnis von der Zahlungssäumigkeit erlangt und weshalb er sich gleichwohl zu weiteren Lieferungen bereit gefunden hat.64 Erregen ist Hervorrufen der Fehlvorstellung, Unterhalten ist Bestärken einer vor22 handenen Fehlvorstellung oder Verhinderung bzw Erschwerung der Aufklärung,65 nicht dagegen bloßes Ausnutzen eines vorhandenen Irrtums.66

c) Ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal: Die Vermögensverfügung 23 § 263 Abs 1 StGB verlangt zudem, dass der Irrtums Grundlage einer Vermögensverfü-

gung wurde.67 Letztere ist ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal. Es erfasst jedes Handeln, Dulden oder Unterlassen mit Vermögensbezug, das unmittelbar, wenn auch evtl erst in der Zukunft, zu einer Vermögensminderung führt.68 Der Täter hat eine Vermögensminderung bewirkt, wenn das Opfer sie täuschungsbedingt ohne deliktische Zwischenakte des Täters veranlasste. An einer solchen Verfügung fehlt es, wenn der Täter mit der Täuschung eine Situation herbeiführte, die es ihm lediglich ermöglichte, sich selbst, dh durch eine weitere eigene Handlung, einer fremden Sache zu bemächtigen. In einem solchen Fall kann jedoch ein (Trick-)Diebstahl vorliegen. Schaltet der Täter einen Dritten ein, den er täuscht, um durch ihn eine fremde 24 Sache zu erlangen, sog Dreiecksbetrug, so kommt es nicht so sehr darauf an, ob der Dritte Mitgewahrsam an der Sache hat, als darauf, ob der Dritte, ohne seine Verfügungsmöglichkeit zu erkennen, Werkzeug für den Täter ist (dann Diebstahl) oder an Stelle des Eigentümers die Sache mit Verfügungsbewusstsein herausgibt (dann Betrug).69 Beim Dreiecksbetrug rechtfertigen nur solche täuschungsbedingten Vermögensverfügungen die Anwendung des § 263 StGB, die durch eine Person vorgenommen werden, die in einem Näheverhältnis zur Vermögenssphäre des Geschädigten stehen (Lagertheorie).70

_____ 62 63 64 65 66 67 68 69 70

S/S/Perron Rn 32 zu § 263 StGB mwN; Schünemann NStZ 1986, 439. BGH NJW 2003, 1198, 1199 mwN. BGH NStZ-RR 2012, 210. LK/Tiedemann Rn 95 zu § 263 StGB. Vgl BGH JZ 1989, 550. Vgl BGH NStZ 2006, 687. Vgl BGHSt 14, 171. Fischer Rn 79 ff zu § 263 StGB mwN. Vgl BGH NStZ 1997, 32f.

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Ein solches Näheverhältnis besteht zB nicht zwischen der Bank und einem Vermie- 25 ter im Hinblick auf eine auf einem Sparbuch angelegte Mietkaution, wenn der Bank die Zweckbestimmung nicht bekannt ist und nach außen allein der Mieter verfügungsberechtigt ist.71 Verfügt der Mieter, so scheidet eine Strafbarkeit wegen Betruges aus. Der Mieter verwirklicht allerdings durch Verfügung über den Betrag den Tatbestand der Untreue. Andererseits ist eine Nähebeziehung zwischen Insolvenzverwalter und Gemeinschuldner gegeben, so dass die unberechtigte Geltendmachung von Insolvenzforderungen gegenüber ersterem den objektiven Tatbestand des Betruges begründet. Ein Sonderfall des Dreiecksbetrug ist der sog Prozessbetrug durch Täuschung der 26 Gegenpartei bzw des Gerichts (Richter, Rechtspfleger, Gerichtsvollzieher), um so eine rechtswidrige Bereicherung auf Kosten des Prozessgegners zu erreichen. Ein Prozessbetrug setzt voraus, dass eine mittels Täuschung und Irrtumserregung veranlasste Verfügung einen Vermögensschaden als unmittelbare Folge der gerichtlichen Entscheidung herbeiführte.72 Zur Tatbestandsverwirklichung ist die Einwirkung des Täters auf Dritte, zB durch Veranlassung falscher Zeugenaussagen, ausreichend.73

d) Der Vermögensschaden Die Vollendung des Tatbestandes setzt schließlich noch voraus, dass unmittelbare 27 Folge der Vermögensverfügung ein Vermögensschaden ist. Er kann beim Getäuschten (= Verfügenden) selbst oder bei einem Dritten eintreten, sofern der Getäuschte in dessen Lager steht.74

aa) Vermögensbegriff Der Vermögensbegriff selbst ist in Rspr und Lit umstritten: Der ursprünglich von der 28 Rspr75 vertretene „wirtschaftliche Vermögensbegriff“ erfasst alle wirtschaftlichen Güter einer Person unabhängig davon, ob sie ihr rechtlich zustehen oder rechtlich anerkannt sind. Danach gibt es kein strafrechtlich ungeschütztes Vermögen. Erfasst wird auch widerrechtlich Erlangtes, zB der Besitz von Diebesbeute. Dieser Vermögensbegriff ist allerdings im Randbereich zunehmend normativ eingeschränkt worden.76 Nach dem in der strafrechtlichen Lit vertretenen juristisch-ökonomischem Ver- 29 mögensbegriff gehören zum Vermögen einschr nur solche Positionen mit wirtschaftlichem Wert, die daneben noch unter dem Schutz der Rechtsordnung stehen. Nicht erfasst sind danach der rechtswidrig erlangte Besitz77 sowie nichtige Forderungen. Diese Einschränkung des wirtschaftlichen Vermögensbegriffs wird mit dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung begründet: Dem Strafrecht sei es verwehrt, Güter im Widerspruch zur (übrigen) Rechtsordnung zu schützen.78 Wenn § 263 einen „rechtswidrigen“ Vermögensvorteil verlange, so werde dadurch gerade auf die fehlende Anerkennung der Vermö-

_____ 71 BayObLG wistra 1998, 157. 72 Vgl OLG Karlsruhe NStZ 96, 282. 73 Vgl BGHSt 43, 317. 74 Vgl dazu oben Rn 24. 75 StRspr, vgl zB BGH 16, 220; 26, 347 – sa LK/Tiedemann § 263 StGB Rn 127 ff. 76 BGH NStZ-RR 2011, 312–314; wistra 1989, 142; NJW 1995 1910 – vgl zu der differenzierten Rspr des BGH Fischer Rn 101 ff zu § 263 StGB. 77 Str, da gegen verbotene Eigenmacht geschützt. 78 Vgl BGH JZ 1987, 684.

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gensverschiebung durch das Privatrecht verwiesen. Dies sei bereits bei der Definition des Schadensbegriffs zu berücksichtigen. Anderenfalls werde aus dem Betrug als Vermögensdelikt ein konturenloser Unredlichkeitstatbestand. Diese strenge Auffassung verkennt, dass es zur Tatbestandverwirklichung auf die Rechtswidrigkeit des beim Täter erlangten Vorteils ankommt, nicht hingegen auf die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des Opfervermögens. Das KG79 hatte einen Fall zu entscheiden, in welchem sich der Täter mit dem vorgetäuschten Versprechen, die Ehefrau des Betrugsopfers umzubringen, einen Vorschuss auf den „Killerlohn“ erschwindelt hatte. Es bejahte das Vorliegen vollendeten Betruges mit folgenden Erwägungen: „Vermögen ist die Summe aller wirtschaftlichen Güter einer Person. Ein Vermögensschaden liegt in der Minderung der Wertsumme, ohne eine Gegenleistung dafür erhalten zu haben. Dies gilt auch, wenn es sich um eine rechtswidriges Geschäft handelt. Ein Vermögensverlust kann nicht deshalb schon verneint werden, weil das Verlorene gemäß § 817 S 2 BGB nicht im Rechtswege zurückverlangt werden kann. Im Gegenteil muss derjenige, der nicht die Möglichkeit hat, nachträglich einen Ausgleich seines Verlusts zu erreichen, erst recht als geschädigt gelten. Die zivilrechtliche Betrachtungsweise darf dabei nicht irre führen. Wenn § 817 S 2 BGB dem Leistenden den Rückforderungsanspruch vorenthält, so kann er damit die Tatsache des Verlustes nicht aus der Welt schaffen. … Die Verfolgung verbotener Zwecke durch den Getäuschten kann kein Freibrief für den Schädiger sein, sich die Vermögenswerte, die der Getäuschte zu unerlaubten Zwecke riskiert, zu eigenen Nutzen zu verschaffen.“ Auf der Grundlage des in der strafrechtlichen Praxis aufgrund seines weiteren Schutzbereiches vorzugswürdigen normativ wirtschaftlichen Vermögensbegriffs liegt ein Vermögensschaden immer dann vor, wenn durch die Vermögensverfügung der Gesamtwert des Vermögens – wirtschaftlich gesehen – gesunken ist. Ob eine Vermögensminderung eingetreten ist, kann durch einen Vergleich des Vermögenswerts vor und nach der Verfügung festgestellt werden.80 Selbst rein faktische Positionen, die von der Privatrechtsordnung nicht geschützt werden, namentlich nichtige oder unklagbare Forderungen, unterfallen dem Vermögensbegriff, sofern sie infolge ihrer tatsächlichen Realisierbarkeit einen Vermögenswert darstellen.81 Eine täuschungsbedingte Erfüllung von Naturalobligationen kann jedenfalls dann zu einem Vermögensschaden führen, wenn der Schuldner ohne die Täuschung nicht geleistet hätte. Anderes gilt bei vom Gläubiger lediglich schwer beweisbaren und somit gerichtlich kaum durchsetzbaren Forderungen. Hier mag zwar die fortbestehende Verfügungsmacht über den Forderungsgegenstand für den Schuldner vorteilhafter erscheinen als die Befreiung von einer Verbindlichkeit.82 Im Gegensatz zu nicht einklagbaren Forderungen besteht aber für fällige, einredefreie Verbindlichkeiten die rechtliche Verpflichtung, diese Forderungen unverzüglich zu erfüllen. Es führte zu einer Überspannung des sog wirtschaftlichen Vermögensbegriffs und uU zu unauflöslichen Wertungswidersprüchen, die Tilgung von Verbindlichkeiten, zu der die Rechtsordnung den Schuldner verpflichtet, als Vermögensschaden anzusehen.83 Weder die Verfügungsmacht über ein

_____ 79 80 81 82 83

BGH NJW 2001, 86. BVerfG NStZ 1998, 506; BGH wistra 1988, 188. S/S/Perron Rn 91 zu § 263 StGB. BGHSt 3, 160, 162. LK/Lackner Rn 155 zu § 263 StGB mwN.

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Wirtschaftsgut, das dem Inhaber wegen einer gegen ihn bestehenden fälligen einredefreien Forderung nicht (mehr) zusteht, noch eine günstige Beweissituation, die der wahren Rechtslage widerspricht, stellen für sich im Rahmen des § 263 StGB84 einen geschützten Vermögenswert dar. Ob ein Vermögensschaden iSd genannten Vorschriften eintritt, hängt also davon ab, ob die durch die Vermögensverfügung herbeigeführte tatsächliche Situation im Einklang mit der materiellen Rechtsordnung steht.85 Der Einsatz rechtswidriger Methoden – Nötigung, Täuschung, Überschreitung der eingeräumten Verfügungsmacht – mit denen der Täter die Erfüllung der Forderung durchsetzt, ist für die rechtliche Beurteilung des Vermögensschadens ohne Bedeutung.86 So liegt ein Betrug vor, wenn der mit dem Verkauf einer gestohlenen Sache beauf- 34 tragte Hehler dem Dieb einen geringeren Erlös vorspiegelt, um den Überschuss zu behalten.87 Die Realisierbarkeit der Restforderung trotz Sittenwidrigkeit des Geschäfts und damit der Vermögenswert folgt aus der grundsätzlichen Erfüllungsbereitschaft des Hehlers. Der wirtschaftliche Vermögensbegriff umfasst auch redlich Besessenes, also ,,gutes Geld“, das zur Erfüllung eines beiderseits unsittlichen Rechtsgeschäfts in der Regel durch Vorleistung aufgeopfert wird, zB Zahlung für ein unwirksames Abtreibungsmittel oder Betäubungsmittel.88 Geschützt sind zudem geldwerte Erwerbsanwartschaften,89 zB bei Bewerbungen, Ausschreibungen, Verlosungen oder einem erworbenen Kundenstamm. Ist für eine angebotene Leistung nur ein Abnehmer vorhanden, so bestimmt sich der wirtschaftliche Wert der Leistung nach dem von den Vertragsparteien vereinbarten Preis unter Berücksichtigung der für die Parteien des fraglichen Geschäfts maßgeblichen Faktoren; denn allein die Parteien sind dann Marktteilnehmer.90 Nur, wenn die vertraglichen Vereinbarungen keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Preisbildung bieten, sind allgemein anerkannte Bewertungsmaßstäbe zur Bestimmung des Wertes eines Unternehmens im Strafverfahren heranzuziehen. Danach war im zugrunde liegenden Fall des Kaufs eines Unternehmens durch ein anderes die aktuelle Geschäftsentwicklung und insbesondere die Umsatzentwicklung der zu kaufenden AG von ausschlaggebender Bedeutung, weil die Käuferin Wert darauf legte, ein Wachstumsunternehmen zu erwerben. Geschützt ist schließlich auch die menschliche Arbeitsleistung,91 nicht dagegen 35 die reine Arbeitskraft, die eine Fähigkeit, aber keinen Vermögensbestandteil darstellt.92 Die Arbeitsleistung gehört dann zum Vermögen iS des § 263 StGB, wenn für die erbrachten Leistungen üblicherweise auf der Basis eines Dienst-, Arbeits- oder Werkvertrages ein Entgelt zu entrichten ist.93 Die persönliche Arbeitsleistung wird so zum Gegenstand einer vermögensrechtlichen Beziehung, welche nach den allgemeinen Grundsätzen die Strafbarkeit wegen Eingehungs- und Erfüllungsbetrugs eröffnet. Der Vermögensschaden des Opfers ist darin begründet, dass es seine Arbeitskraft nicht anderweitig einsetzen konn-

_____ 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93

Gleiches gilt für §§ 253 und 266 StGB. BGH NStZ-RR 2000, 140. Vgl BGHSt 20, 136, 138; BGHR § 266 Abs 1 Nachteil 9, 14; BGH NStZ 1995, 185. Vgl BGHSt 2, 364. Vgl BGH NStZ 2003, 151. Vgl BGHSt 19, 42. BGH 1 StR 245/09, wistra 2010, 407. Vgl BGH NStZ 1998, 85. LK/Tiedemann Rn 138 zu § 263 StGB; Fischer Rn 100 zu § 263 StGB mwN. BGH NJW 2001, 981f.; wistra 2003, 232.

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te, wobei es unbeachtlich ist, ob die Möglichkeit dazu tatsächlich bestand.94 Werden hingegen Dienst- oder Arbeitsleistungen aufgrund einer verbotenen oder sittenwidrigen Vereinbarung erbracht, so kann diesen Leistungen kein rechtlich anerkennenswerter Marktwert zukommen (dienstpflichtwidrige95 Handlung/Auftragsstraftat); die Entgeltforderung dafür zählt daher nicht zum Vermögen.96 Täuscht der Täter seinen Mittäter darüber, dass dieser für seine Mitwirkung einen 36 Anteil an der beiseitegeschafften Insolvenzmasse erhalten solle, so ist eine Betrugsstrafbarkeit nicht gegeben. Handlungen solcher Art, die der Verwirklichung strafrechtlicher Tatbestände dienen, wohnt kein messbarer wirtschaftlicher Wert inne. Auch ein denkbarer Beuteanteil hat keinen Vermögenswert iSd § 263 Abs 1 StGB. Ein Tatbeteiligter erwirbt gegen seine Tatgenossen keinen vermögenswerten, rechtlich geschützten Anspruch. Bei gegenseitigen Verträgen liegt ein Schaden nur vor, wenn die Vermögensminde37 rung auf Seiten des Opfers nicht durch einen gleichzeitigen Vermögenszuwachs (Gegenleistung oder werthaltiger Anspruch) ausgeglichen wird.97 Es ist also eine Saldierung vorzunehmen (sog Saldotheorie). Der maßgebliche Zeitpunkt hierfür ist der der Verfügung.98 Die Vereitelung einer Vermögensmehrung führt aber nicht zu einem Schaden iS des § 263 StGB. Gewährt zB der Verkäufer einen Sonderrabatt infolge einer Täuschung über den Verwendungszweck der Ware, so reicht dieser Umstand allein für die Annahme eines Betrugsschadens in Höhe des erschlichenen Rabatts nicht aus. Nur wenn der Wert des Anspruchs auf die Leistung des Täuschenden hinter dem Wert der Verpflichtung zur Gegenleistung des Getäuschten zurückbleibt, ist der Getäuschte geschädigt. Bei der Bewertung der gekauften Ware kommt es nicht auf die Herstellungskosten, sondern auf den Verkaufspreis an, der auf der betreffenden Umsatzstufe am Markt normalerweise erzielt wird. Es dürfen daher nur die Gewinnaussichten berücksichtigt werden, die bei einem anderweitigen Verkauf der Ware wahrscheinlich zu realisieren gewesen wären.99 Auch nicht fällige Forderungen sind entsprechend ihrem Wert als Vermögensmehrung zu berücksichtigen. Eine geminderte Werthaltigkeit gegenüber dem Nominalbetrag kann nicht pauschal angenommen werden, sondern muss entsprechend den Umständen des Einzelfalls festgestellt werden. Bedarf es nur noch ‘eines Federstriches’ um die Fälligkeit herbeizuführen, dürfte der Nominalwert kaum unterschritten sein; anders ist es, wenn hierfür noch besonderer Aufwand zu betreiben ist.100 Ein Betrug zu Lasten des Sozialversicherungsträgers setzt voraus, dass dessen Anspruch noch werthaltig gewesen wäre. Befand sich der Betrieb des Täters in einer wirtschaftlich angespannten Lage und wurde er gar in der zeitlichen Abfolge insolvent, ist dies genau zu prüfen. Ein Vermögensschaden iSd § 263 StGB liegt nicht vor, wenn der Sozialversicherungsträger auf Grund der schlechten Finanzlage des Unternehmens auch bei zutreffender Meldung der Beschäftigungsverhältnisse seinen Beitragsanspruch nicht hätte realisieren können101.

_____ 94 BGH NJW 2001, 981 f. 95 BGH NStZ 2001, 534. 96 Fischer Rn 106 zu § 263 mwN. 97 Vgl BGH NStZ 1994, 341; NStZ 2014, 457–458. 98 Vgl BGH NStZ 1999, 353, 354; BGH NJW 2001, 981. 99 BGHSt 17, 147, 148; BGH NStZ 1991, 488 f. 100 BGH NStZ-RR 2011, 312–314. 101 BGH wistra 1993, 17; NJW 2003, 1821, 1824. S auch unten § 21 Rn 137.

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Das subjektive Schadensgefühl des Opfers ist unerheblich.102 Es kommt nicht da- 38 rauf an, dass der Getäuschte den Vertrag bei Kenntnis der wahren Sachlage nicht geschlossen haben würde, denn § 263 schützt nicht die Verfügungsfreiheit, sondern das Vermögen.

bb) Persönlicher und individueller Schadenseinschlag Die Wertdifferenz von Leistung und Gegenleistung ist bei der erforderlichen Saldierung 39 nach einem objektiven Maßstab zu ermitteln. Ausgangspunkt muss die objektive Bewertung durch den Wirtschaftsverkehr sein. Da jedoch ein und dieselbe Sache nicht für alle Menschen zwingend den gleichen Wert besitzt, sind die individuellen Verhältnisse des Betroffenen nach wirtschaftlich vernünftigen Gesichtspunkten mit zu berücksichtigen, wobei aber rein subjektive Wertschätzungen unbeachtet bleiben. Nach der Rspr des BGH ist trotz objektiver Gleichwertigkeit der Leistungen ein solcher sog „persönlicher oder individueller Schadenseinschlag“ zu bejahen, wenn der Gegenstand für die persönlichen Bedürfnisse des Opfers erkennbar unbrauchbar ist,103 es insbes die Gegenleistung nicht in der vertraglichen oder einer sonst zumutbaren Weise einsetzen kann. Einschlägig ist dies ua bei mangelnder individueller Verwendbarkeit einer erworbenen Sache (zB reicht die Kapazität der angepriesenen Melkmaschine nicht für alle 10 vorhandenen, sondern nur für 2–3 Kühe des Landwirts, der die Maschine bestellt104), wenn das Opfer aufgrund der eingegangenen Verpflichtung zu vermögensschädigenden Maßnahmen gezwungen ist (zB zur Aufnahme hochverzinslicher Darlehen, dem Unterwertverkauf von Sachwerten) oder seine wirtschaftliche Bewegungsfreiheit aufgrund des Liquiditätsverlusts unvertretbar stark eingeschränkt ist. Gegenrechte, die dem Opfer aus der Täuschung kraft Gesetzes erwachsen, bleiben 40 für die Schadensermittlung außer Betracht (zB Anfechtung gemäß § 123 BGB, Schadenersatz- oder Gewährleistungsansprüche, Werkunternehmer-, nicht aber ein vertraglich bestelltes Pfandrecht). Anderenfalls würde der seitens des Betrugstatbestandes intendierte strafrechtliche Vermögensschutz mit Hilfe des Zivilrechts aus den Angeln gehoben. Das widerspricht nicht dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung, sondern verwirklicht ihn, zumal da das Opfer ohne rechtliche Beratung seine Rechte häufig ebensowenig kennt oder durchsetzen kann wie ihm die ebenfalls außer Betracht bleibende Stornierungsbereitschaft des Täters105 bekannt ist. Auch ein nachträglicher Ausgleich des Schadens ist auf Tatbestandsebene irrelevant. Er ist aber bei der Strafzumessung mildernd zu berücksichtigen. Die Schadenswiedergutmachung muss nicht notwendig in einer Geldleistung bestehen. Sie liegt zB auch in der nachträglichen Leistung eines Vorschussbetrügers. Bei Schenkungen und allen bewusst wirtschaftlich negativen Geschäften (zinsloses 41 Darlehen, Transferleistung, Spende) liegt ein Schaden noch nicht in der irrtumsbedingten Hingabe des Vermögenswertes, sondern erst in der unbewussten Verfehlung des Zwecks, dem die Leistung dienen sollte.106

_____ 102 103 104 105 106

Vgl BGH wistra 1986, 169. Vgl BGHSt 16, 321 ff; BGH NStZ-RR 2001, 41f; sa S/S/Cramer Rn 122f zu § 263 StGB mwN. BGHSt 16, 346. Vgl BGHSt 23, 302. Vgl BGH NJW 1995, 539.

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Bei Fehlleitung von Subventionen gilt § 264 StGB, der bereits mit der Täuschungshandlung über subventionserhebliche Tatsachen vollendet ist. Es handelt sich insoweit um einen Sonderfall des allgemeinen Betrugstatbestandes107. Ein Schaden iSd § 263 StGB liegt auch in einer konkreten Vermögensgefährdung.108 Voraussetzung dafür ist, dass das Vermögen des Geschädigten – wirtschaftlich betrachtet – deshalb schon vermindert ist, weil eine endgültige Einbuße naheliegt.109 Die nur abstrakte Möglichkeit eines späteren Schadenseintritts genügt hingegen nicht.110 Die eine Vermögensgefährdung begründenden Tatsachen müssen feststehen, dh bei lebensnaher Betrachtung muss die Gefährdung der Wertminderung gleichkommen.111 Es bietet sich an, hier die aus der Buchhaltung bekannten Kriterien entspr anzuwenden: Ist mit dem Eintritt einer künftigen Verbindlichkeit zu rechnen, so muss eine Rückstellung passiviert werden. Vergleichbares gilt bei der Notwendigkeit, zweifelhafte Forderungen wertzuberichtigen. Bei Eingehung eines Risikogeschäfts – „mit einer täuschungs- und irrtumsbedingten Verlustgefahr über der vertraglich vorausgesetzten“ – gelten nach neurer Rechtsprechung des BGH die allgemeinen Regeln über die Gesamtsaldierung durch Vergleich des Vermögenswerts unmittelbar vor und unmittelbar nach der Verfügung und über die Irrelevanz späterer Entwicklungen wie Schadensvertiefung oder Schadensausgleich oder -wiedergutmachung. Der Begriff der konkreten Vermögensgefährdung beschreibe dies nur unzureichend und ist entbehrlich“112. Das eingegangene überhöhte Risiko und der dadurch verursachte Minderwert des im Synallagma Erlangten seien gemäß kaufmännischer Übung zu bewerten wie bei einer Einzelwertberichtigung, wie bei der Bildung von Rückstellungen für drohende Verluste oder beim Verkauf von Forderungen. Sind genaue Feststellungen zur Schadenshöhe zum Zeitpunkt der Vermögensverfügung nicht möglich, so sind Mindestfeststellungen zu treffen. Konkret ist die Vermögensgefährdung namentlich dann, wenn der endgültige Verlust nicht mehr wesentlich vom Zutun des Getäuschten abhängt. Hat dieser das zum Schaden führende Geschehen aber noch nicht endgültig aus der Hand gegeben und besteht noch eine mehr als nur theoretische Abwehrmöglichkeit, so ist der Betrug allenfalls versucht. Eine schadensäquivalente Gefährdung liegt zB vor, wenn der Gläubiger aufgrund seines Sicherungseigentums zwar de jure ausreichend gesichert, der zahlungsunwillige Schuldner ihm die Sache aber wie von Anfang an geplant vorenthält. Gleiches gilt, wenn Anlagebeträge überhaupt nicht oder jedenfalls nicht in vertragsgemäßer oder einer dem entsprechenden Weise angelegt werden.113 So begründet bereits die täuschungsbedingte Eingehung einer nachteiligen Verbindlichkeit und nicht erst der spätere Leistungsaustausch einen Betrugsschaden in Form einer schadensgleichen Vermögensgefährdung. Die zivilrechtlichen Abwehrmöglichkeiten bleiben dabei wiederum außer Betracht.114 Der BGH folgt nunmehr für die Bestimmung des Vermögensschadens beim sog Eingehungsbetrug der neuen Rechtspre-

_____ 107 108 109 110 111 112 113 114

S/S/Perron Rn 143 f zu § 263 StGB mwN; vgl dazu unten § 18. Vgl BVerfG NStZ 2009, 560 und NStZ 2010, 626 zur Verfassungsmäßigkeit der Kategorie. Vgl BGH NStZ 1995, 323; 1998, 570. Vgl BGH StV 1995, 24. BGH wistra 1995, 223. BGH NStZ 2009, 330 = wistra 2009, 232. Vgl BGH NStZ 2000, 376. Vgl dazu oben Rn 40.

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chung des BVerfG115, lässt aber Differenzierungen erkennen. Der Getäuschte ist geschädigt, wenn sich bei einem Vergleich zwischen dem Geldwert des erworbenen Anspruchs gegen den Täuschenden und dem Geldwert der eingegangenen Verpflichtung ein Negativsaldo zu seinem Nachteil ergibt116. Ist der Getäuschte ein Risikogeschäft eingegangen, so kommt es für die Schadensbestimmung maßgeblich auf die täuschungs- und irrtumsbedingte Verlustgefahr an, die über die vertraglich zu Grunde gelegte hinausgeht. Kommt es für die Schadensbestimmung auf eine Anknüpfung an die Grundsätze zu Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten und drohende Verluste aus schwebenden Geschäften iSv § HGB § 249 HGB § 249 Absatz I 1 HGB an, halten BVerfG und der 2. Strafsenat des BGH betriebswirtschaftliche Bewertungskriterien für ausschlaggebend. Der 4. Strafsenat gibt insoweit zu Bedenken, dass es hier um die Ermittlung eines Mindestschadens geht. Er führt aus: „Betriebswirtschaftliche sowie handels- und gesellschaftsrechtliche Bewertungsverfahren sind in erheblichem Maße von Grundsätzen geprägt (Vorsichtsprinzip), die im Zweifel zur Annahme niedrigerer Werte und zu einer Überbewertung von Verlustrisiken führen, was ihrer Anwendung auf einen strafrechtlichen Sachverhalt Grenzen setzt“117. Nachteilig ist der Vertragsschluss insbes dann, wenn der unredliche Vertragspartner 47 zur Leistungserbringung nicht willens oder imstande oder die von ihm versprochene Leistung nicht gleichwertig ist. Bei der Schadensermittlung ist allerdings auf das gesamte Geschäft abzustellen. Das hat zur Folge dass Betrug dann ausscheidet, wenn der Getäuschte vertraglich ausreichend gesichert,118 zB nicht vorleistungspflichtig, also entweder auf der Vorleistung des Täuschenden bestehen kann oder nur zur Zug-umZug Leistung verpflichtet119 ist. Es liegt allerdings versuchter Betrug vor, wenn nachgewiesen werden kann, dass der Täter trotz der vertraglichen Gestaltung die vom Vertragspartner geschuldete Leistung vor oder gar ohne Erbringung der eigenen Leistung erhalten wollte.120 Eingeschränkt gilt dies, wie bereits dargestellt, für Risikogeschäfte, wie der Darlehensgewährung. Der betrugsbedingte Vermögensschaden ist bei diesen Fallgestaltungen durch die Bewertung des täuschungsbedingten Risikoungleichgewichts zu ermitteln. Für dessen Berechnung ist maßgeblich, ob und in welchem Umfang die das Darlehen ausreichende Bank ein höheres Ausfallrisiko trifft, als es bestanden hätte, wenn die risikobestimmenden Faktoren vom Täter zutreffend angegeben worden wären.121 Hat der Verfügende eine Forderung auf Rückgewähr des durch Täuschung Verlore- 48 nen, so fehlt es an einem Vermögensschaden (Gefährdungsschaden), wenn eine ausreichende ,,Deckungsrücklage“ besteht, also werthaltige Sicherheiten gegeben sind, die das Ausfallrisiko abdecken und ohne finanziellen und zeitlichen Aufwand und ohne eine Vereitelungsmöglichkeit des Schuldners realisierbar sind.122 Hat beispielsweise eine Versicherungsgesellschaft einen Rückzahlungsanspruch hinsichtlich der an einem Versicherungsmakler geleisteten Provisionen, fehlt es an einem Vermögensschaden, wenn der Gläubiger über eine durchsetzbare selbstschuldnerische Bürgschaft verfügt.

_____ 115 Vgl BVerfGE 130, 1 ff = NStZ 2012, 496. 116 Vgl BGH wistra 2012, 143; ebenso BGH NJW 2013, 1460. 117 Vgl BGH wistra 2013, 186. 118 Vgl BGH wistra 1996, 33. 119 BGH wistra 1998, 59, 60. 120 Vgl BGH StV 1995, 255, 99, 24. 121 BGH NStZ 2014, 457–458. 122 BGH wistra 2013, 387–389; 3 StR 559/08, wistra 2009, 236; BGH NStZ 1999, 353; Fischer Rn 102 zu § 263 StGB.

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Eine Schädigungsvorsatz entfällt beim Darlehensbetrug aber nicht schon deshalb, weil der Täter beabsichtigt, hofft oder glaubt, den endgültigen Schaden abwenden zu können. Davon unberührt bleibt das Erfordernis, dass der Täter im Zeitpunkt der Kreditgewährung die Minderwertigkeit des Rückzahlungsanspruchs im Vergleich zu dem erhaltenen Geldbetrag gekannt hat. Dazu genügt seine Kenntnis aller die Vermögensgefährdung begründenden Umstände und das Wissen, dass die Forderung nach allgemeinen Bewertungsmaßstäben nicht als gleichwertig angesehen wird, mag er sie selbst auch anders bewerten.123 Auch das Fehlen einer, bei Vertragsschluss ausbedungenen Sicherheit führt nicht zu einer Vermögensgefährdung, wenn der Anspruch auf andere Weise hinreichend besichert ist.124 Dazu kann bereits das übrige Vermögen des Schuldners ausreichen.125 Die in der Erteilung einer Vorbehaltsgutschrift gemäß Nr 9 I 1 AGB-Banken bei betrügerischer Einreichung gefälschter Schecks liegende Vermögensverfügung der beauftragten Bank ist nach Ansicht der Rechtsprechung nur insoweit einer schadensgleichen Vermögensgefährdung gleichzusetzen, als der Kontoinhaber tatsächlich die Möglichkeit hat, auf den vorläufig gutgeschriebenen Scheckbetrag zuzugreifen – also weder eine Kontosperre noch sonstige Beschränkungen der Verfügungsmöglichkeit bestehen – und die Inkassobank durch das ihr zukommende Rückbelastungsrecht nicht hinreichend gegen eine Vermögenseinbuße gesichert ist126. Eine solche Sicherung ist insoweit gegeben, als das Konto ohnehin ein Guthaben aufweist und zu erwarten steht, dass die Rückbelastung des Scheckbetrags gemäß Nr 9 I 4 und 5 AGB-Banken wertmäßig abgedeckt sein wird, bzw in Fällen, in denen auf Grund der Rückbuchung mit einem Debetsaldo zu rechnen ist, soweit ein aus dem Wegfall der Vorbehaltsgutschrift resultierender Ausgleichsanspruch der Bank anderweitig – etwa durch das Pfandrecht aus Nr 14 AGBBanken – gesichert ist oder von der Bank ohne Schwierigkeiten realisiert werden kann, weil der Kontoinhaber zum Kontoausgleich willens und in der Lage ist. Die nachträglich vereinbarte Stundung einer Forderung führt nur dann zu einer 49 Vermögensminderung, wenn hierdurch die Aussichten für die Durchsetzung der Forderung verschlechtert werden.127 Dies ist nicht der Fall, wenn der Schuldner bereits zum Zeitpunkt der Vereinbarung der Stundung zahlungsunfähig war.128 Nimmt ein Gläubiger täuschungsbedingt den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zurück, so kann dies nur dann zu einem Vermögensschaden führen, wenn die Durchführung des beantragten Insolvenzverfahrens für den Gläubiger erfolgreich gewesen wäre, wenn also seine Forderung zumindest zum Teil aus der Insolvenzmasse hätte befriedigt werden können129 oder die Quote über der tatsächlich erzielten gelegen hätte. Übergibt der Täter seinen Gläubigern ungedeckte Schecks (Vertröstungsschecks), um diese „ruhig zu stellen“, und verzichten die Gläubiger – zumindest vorübergehend – darauf, ihre Forderungen weiter geltend zu machen, so ist (versuchter) Betrug nur gegeben, wenn die Vermögenslage der Gläubiger durch Verzicht auf vorübergehende Gel-

_____ 123 124 125 126 127 128 129

NStZ-RR 2001, 328 f. Vgl BGH 1 StR 292/87; BGH NStZ 1999, 353f; BGH wistra 1995, 28 f; 2001, 423 ff. BGH NStZ-RR 2000, 331 f. BGH 4 StR 669/11, wistra 2012, 267. Vgl BGH wistra 1993, 17. BGH wistra 2003, 232, 233; Fischer Rn 101 zu § 263 StGB mwN. BGH wistra 2001, 463f.

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tendmachung ihrer Forderungen verschlechtert worden wäre (oder der Täter in dieser Vorstellung gehandelt hätte). Das ist bei einem vermögenslosen Täter nicht der Fall.130 Beim Submissionsbetrug (Ausschreibungsbetrug) liegt zum einen durch die Aus- 50 schaltung des Wettbewerbs, auch bei freihändiger Vergabe mit Angebotsanfragen durch öffentliche und private Auftraggeber an zumindest zwei Unternehmer (Teilnahmewettbewerb),131 ein Schaden vor, wenn der Auftraggeber ein über dem Marktpreis liegendes Entgelt bezahlen muss. Aber auch bei Vergabe zu sonst angemessenen Preisen kann es zur Schädigung des Ausschreibenden in Form eines Gefährdungsschadens kommen (Eingehungsbetrug). Hierbei ist der über Angebot und Nachfrage gebildete Marktpreis (Wettbewerbspreis) maßgebend, der nach den Umständen des Einzelfalls hinsichtlich derselben Ware und Dienstleistung variieren kann.132 Bei Vorliegen von Preisabsprachen im Ausschreibungsverfahren ist ein „hypothetischer Wettbewerbspreis“ zu ermitteln. Dieser entspricht der Angebotsumme, die sich bei ordnungsgemäßer Durchführung des Ausschreibungsverfahrens, also ohne Kartellabsprache und ohne Täuschung des Auftraggebers gebildet hätte.133 Der Schaden liegt in der Differenz zwischen Zuschlag und Wettbewerbspreis. Ausreichend für dessen Feststellung können Indizien sein; die Zahlung von Schmiergeld und Ausgleichsbeträgen an Außenseiter sind „nahezu zwingende Beweisanzeichen dafür, dass der ohne Preisabsprachen erzielbare Preis den tatsächlich vereinbarten Preis unterschritten hätte“.134 Nach dieser Rspr besteht ein weiter Spielraum für Schadensfeststellung oder auch Schätzung desselben135. In der wettbewerbswidrigen Absprache zwischen einem Anbieter und einem Mitarbeiter des Ausschreibenden, zB zur nachträglichen Manipulation eines Angebots, liegt regelmäßig auch ein Eingehungsbetrug zu Lasten des sonst aussichtsreichsten Mitbewerbers.136 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass ein Betrugsschaden vorliegt, wenn der 51 wirtschaftliche Gesamtwert des betroffenen Vermögens durch die Verfügung des Getäuschten nach objektiv-individuellen Kriterien geschmälert wurde.

2. Der subjektive Tatbestand a) Vorsatz Die Bestrafung setzt Vorsatz voraus, dh Wissen und Wollen bezüglich der Verwirkli- 52 chung aller objektiven Tatbestandsmerkmale. Bedingter Vorsatz genügt, dh der Täter muss die Tatbestandsverwirklichung zumindest „billigend in Kauf nehmen“ (dolus eventualis). So ist bezüglich der konkreten Vermögensgefährdung ausreichend die Kenntnis der die Gefahr begründenden Umstände und das Wissen, dass die Forderung nach allgemeinen Bewertungsmaßstäben nicht als gleichwertig angesehen wird, mag der Täter selbst auch eine andere Wertung treffen137 und hoffen oder darauf vertrauen, dass die Gefährdung nicht zu einem Verlust führen werde.138 Nötig ist jedoch, dass er

_____ 130 131 132 133 134 135 136 137 138

BGH NStZ 1998, 85, 86. BGHSt 47, 83 ff. BGH wistra 2001, 103 f; NJW 1995, 737. BGHSt 38, 186, 196. BGHSt 47, 83, 88. BGH NStZ 2000, 260; wistra 2001, 103 f. BGH NJW 1997, 3034, 3037. Vgl BGH wistra 1991, 307. BGH NStZ 1981, 351.

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im Zeitpunkt der Täuschung die Minderwertigkeit des Anspruchs des Getäuschten kannte.139 In der Praxis bereitet der Nachweis einer Täuschung über die Zahlungsfähigkeit 53 dann keine besonderen Probleme, wenn der Täter oder das von ihm vertretene Vermögenssubjekt, zB eine GmbH, bereits bei Eingehung der Schuld (zB der Bestellung von Baumaterial) fällige Verbindlichkeiten in erheblichem Umfang nicht beglichen hatte. Trägt der beschuldigte Bauunternehmer im Verfahren vor, er habe die eingegangene Schuld aus dem Erlös des Vorhabens stets begleichen wollen, so ist genau zu hinterfragen, welche Vorkehrungen er zur Sicherung der Forderung seines Lieferanten getroffen hatte. 54 Die Feststellung der inneren Tatseite kann sehr aufwendig sein. Meist lässt sich der eines (Waren-)Eingehungsbetruges Beschuldigte entweder nicht zur Sache ein oder führt quasi formelhaft an, er habe angenommen, die wirtschaftliche Lage werde sich verbessern, so dass er in der Lage sein werde, die Verpflichtung zum Fälligkeitszeitpunkt zu erfüllen. Beliebt ist auch die Berufung auf – meist aus der Luft gegriffene – Mängel und damit auf angebliche Gegenrechte. In solchen Fällen kann und muss der erforderliche Vorsatz bezüglich der Täuschung aus den Umständen der Tatausführung ermittelt werden. So ist ggf festzustellen, in welchem Umfang tatsächlich realisierbare Aufträge vorlagen und ob die daraus zu erwartenden Einnahmen – unter Berücksichtigung der Altverbindlichkeiten – zum Zeitpunkt der Bestellung die (behauptete) Annahme des Geschäftsinhabers rechtfertigten.140 Vertrauen ins Blaue hinein hindert die Annahme eines Betrugsvorsatzes nicht. Die Strafverfolgungsbehörden müssen die Vermögensverhältnisse umfassend prüfen. Aus ihrer objektiven Feststellung lassen sich dann Rückschlüsse auf die subjektive Tatseite ziehen.141

b) Die Absicht rechtswidriger Bereicherung 55 Auf subjektiver Ebene ist weitere Voraussetzung die Absicht142 stoffgleicher Bereiche-

rung als jede günstigere Gestaltung des eigenen oder eines fremden Vermögens (zB Realisierung einer Forderung, Abwehr von Ersatzansprüchen). Die Stoffgleichheit als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal liegt vor, wenn Mehrung und Schaden auf derselben Verfügung beruhen und der Vorteil auf Kosten des geschädigten Vermögens gewonnen werden soll.143 § 263 StGB fordert also die Absicht des Täters, sich oder einem Dritten aus dem Schaden des Opfers einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen. Tatsächlich einzutreten braucht die Bereicherung nicht. Der erstrebte Vorteil ist also das auf das Subjektive beschränkte Gegenstück zum Vermögensschaden des Opfers. Immaterielle Vorteile, zB Befriedigung des Geltungsbedürfnisses; Schadenfreude dessen, der unter fremdem Namen Waren bestellt und an Dritte schicken lässt, scheiden von vorn herein aus. Auch sonstige eingetretene Schäden (zB Aufwendungen für Zinsen, Kosten für Ver56 packung und Versand der erschwindelten Warenlieferung) oder Vorteile von dritter Seite (zB die für die Schädigung zugesagte Belohnung) genügen mangels Stoffgleichheit nicht

_____ 139 140 141 142 143 650.

BGH NStZ 2001, 330. BGH wistra 1991, 218. Vgl ua BGH wistra 1984, 224; 1991, 218. Dazu unten Rn 57. Vgl BGHSt 34, 379; wistra 2003, 180; LK/Tiedemann Rn 256 zu § 263 StGB; vgl auch BGH NStZ 2001,

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zur Erfüllung des Tatbestands. Gleiches gilt, wenn ein Provisionsvertreter Aufträge durch Täuschung erschwindelt, um von dem Unternehmen, für welches er tätig ist, Provision zu erhalten.144 Statt des entfallenden eigennützigen Betrugs zum Nachteil des Kunden liegt jedoch ein fremdnütziger Betrug zugunsten der Firma vor, weil der schädigenden Bestellung die Gewinnanwartschaft seitens des Unternehmens entspricht. Diese strebt der Vertreter als Voraussetzung seines Provisionsanspruches an. Hinzu kommt noch ein eigennütziger Betrug zu Lasten des Unternehmens, wenn der Vertreter seine Provision für die anfechtbare und daher minderwertige Bestellung kassiert.145 Absicht ist zielgerichteter Wille. Es genügt, dass der Vorteil, auf den allein sie sich beziehen muss, als Neben- oder Zwischenziel für einen dahinter liegenden weiteren Zweck erstrebt wird.146 Nicht ausreichend ist aber eine Bereicherung als unvermeidbare und innerlich unerwünschte Nebenfolge eines anderen Beweggrundes. Ist die Verwirklichung der Bereicherung ein bei Verfolgung des Hauptziels unvermeidlich eintretender Nebeneffekt, so muss genau geprüft werden, ob der Täter auch diesen begrüßte oder zumindest billigend in Kauf nahm, oder ob er ihn – selten – eigentlich vermeiden wollte. Wer zB unter einem fremdem Namen Waren bestellt, um den Empfänger zu ärgern, erstrebt die für ihn unentgeltlichen Dienstleistungen des Lieferanten als notwendiges Zwischenziel. Der Besteller hat nichts von der Leistung, der Empfänger soll sich über die Zahlungs- oder Rückgabepflicht ärgern, nicht aber, das Empfangene unentgeltlich behalten, so dass ein betrugsrelevanter weiterer Zweck fehlt.147 Wer hingegen Reisekosten gegenüber seinem Dienstherrn oder Auftraggeber unrichtig abrechnet, um zu verheimlichen, dass er eine vorgeschriebene Dienstreise pflichtwidrig unterlassen hat, nimmt die Bereicherung nicht nur als notwendige Nebenfolge hin, ohne sie anzustreben. Hier vertuscht der Beamte sein Dienstvergehen um den Preis eines Betruges. Es fehlt an der Untrennbarkeit der Verbindung zwischen Vornahme der Dienstreise und der Abrechnung: Es gibt keine Pflicht, Reisekosten tatsächlich abzurechnen; man kann darauf verzichten. Die Vermögensverschiebung muss schließlich objektiv im Widerspruch zur Vermögensordnung stehen. Dabei muss der Täter Vorsatz – dolus eventualis genügt – bzgl des Widerspruchs zur Vermögensordnung haben. Der erstrebte Vorteil ist rechtswidrig, wenn auf ihn nach materiellem Recht kein fälliger und einredefreier Anspruch besteht.148 Die Durchsetzung eines begründeten Anspruchs mit unlauteren oder verbotenen Mitteln (zB gefälschten Beweisurkunden) macht den erstrebten Vorteil hingegen nicht rechtswidrig.149 Verweigert zB der Verkäufer die Übergabe des Kaufgegenstandes, da er das getätigte Geschäft bereut, so besteht ein fälliger Übereignungsanspruch, der wiederum bei täuschungsbedingter Verschaffung der Sache den Widerspruch zur Vermögensordnung und damit die Strafbarkeit entfallen lässt. Ebenso liegt kein Betrug im Erschleichen eines Darlehens, um damit aufzurechnen, es sei denn, dass ein Aufrechnungsausschluss zB durch Vereinbarung von Barzahlung vorliegt.

_____ 144 145 146 147 148 149

Vgl BGH NJW 1961, 684. S/S/Perron Rn 169 zu § 263 StGB mwN. BGHSt 16, 1. AA BayObLG JZ 1972, 25. BGH NStZ 2010, 391; st Rspr. Vgl BGH NJW 1983, 2648; 1990, 2476; wistra 2003, 383 f; OLG Düsseldorf wistra 1998, 69 f.

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Der aus dem betrügerischen Geschäft selbst stammende, nach § 123 BGB anfechtbare Leistungsanspruch kann den erstrebten Vermögensvorteil hingegen nicht rechtfertigen. Bezüglich der Rechtswidrigkeit des Vorteils reicht jede Form des Vorsatzes. Ab62 sicht wie bezüglich des Vermögensvorteils ist nicht erforderlich.150 Glaubt der Täter, es bestehe ein unbedingter Anspruch auf den Vorteil, so handelt er im Tatbestandsirrtum gemäß § 16 StGB,151 der vorsätzliches Handeln entfallen lässt. Eine Tat nach § 263 Abs 1 StGB ist mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit 63 Geldstrafe bedroht. Bei der Strafzumessung sind vor allem die Schadenshöhe,152 die kriminelle Energie des Täters, sowie die näheren Umstände der Tatbegehung153 wie zB ein besonderer Vertrauensbruch zu berücksichtigen.154 Ein Gefährdungsschaden kann im Rahmen der Strafzumessung hingegen nicht mit einem eingetretenen Schaden gleichgesetzt werden.155 61

III. § 263 Abs 3 StGB 64 § 263 Abs 3 StGB enthält eine Strafzumessungsregel für besonders schwere Fälle des Be-

truges. Die Vorschrift bestimmt eine Mindestfreiheitsstrafe von sechs Monaten. Die Verwirklichung des Regelbeispiels indiziert das Vorliegen eines besonders schweren Falles.156 Trotz der Verwirklichung eines der Regelbeispiele ist bei der Sanktionsfindung aber auf den normalen Strafrahmen zurückzugreifen, wenn in dem Tun oder in der Person des Täters Umstände vorliegen, die das Unrecht seiner Tat oder seine Schuld deutlich vom Regelfall abheben, so dass die Anwendung des erschwerten Strafrahmens als unangemessen erscheint.157 Bei den insolvenztypischen Warenkredit- und Lieferantenbetrugsfällen kommen vor 65 allem gewerbsmäßiges Handeln (Nr 1), ein Vermögensverlust großen Ausmaßes (Nr 2) und die Verursachung wirtschaftlicher Not Dritter (Nr 3) in Betracht. Gewerbsmäßigkeit ist gegeben, wenn der Täter sich aus wiederholter Tatbegehung 66 eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Umfang verschaffen möchte, ohne dass er daraus ein „kriminelles Gewerbe“ zu machen braucht.158 Gewerbsmäßigkeit wird durch ein subjektives Moment begründet, welches schon durch die erste der ins Auge gefassten gleichartigen Tathandlungen erfüllt ist.159 Ein Vermögensverlust großen Ausmaßes liegt vor, wenn die Schadenshöhe (nicht 67 notwendig der erlangte Vermögensvorteil) außergewöhnlich hoch ist. Die Grenze ist dabei objektiv zu bestimmen, da der besondere, opferbezogene Vermögensverlust über Nr 3 erfasst wird. Die Grenze liegt nach ständiger Rechtsprechung des BGH bei ca 50.000 €.160 Str ist, ob eine schadensgleiche Vermögensgefährdung ausreicht, oder ob

_____ 150 151 152 153 154 155 156 157 158 159 160

BGHSt 31, 181. LK/Tiedemann Rn 269 zu § 263 StGB mwN. BGHSt 36, 320, 325. Fischer Rn 207 zu § 263 StGB. BGH NStZ 1988, 408. Vgl BGHSt 53, 71 wistra 1999, 185 – anders BGHSt 53, 199. Vgl BGH wistra 2004, 339f. Vgl BGH StV 2009, 244; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2002, 333. Fischer Rn 120 zu § 52 StGB; BGHSt 1, 383. BGH StV 1998, 663. BGHSt 48, 360; wistra 2009, 236.

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der Verlust tatsächlich eingetreten sein muss.161 Nach dem Wortlaut des Gesetzes (… eine große Zahl von Menschen …), der insoweit die Grenze der Auslegung bestimmt, sind in den Fällen des Abs 3 Nr 2 nur die Beeinträchtigungen natürlicher, nicht auch juristischer Personen von diesem Qualifikationstatbestand umfasst.162 Wirtschaftliche Not iSv Nr 3 liegt vor, wenn der Geschädigte als Folge der Tat in 68 eine Mangellage gerät, die seine geschäftliche Daseinsgrundlage gefährdet oder auf Grund derer der notwendige persönliche Lebensunterhalt ohne Hilfe Dritter nicht mehr gewährleistet ist. Bloße wirtschaftliche Bedrängnis ist nicht ausreichend.163 Damit wird in den Schutzbereich der Vorschrift die Verursachung von Schäden einbezogen, die nicht stoffgleich iS des Betrugstatbestandes sind.164

IV. Konkurrenzen Bei Vorliegen mehrerer Betrugstaten scheidet ein Fortsetzungszusammenhang regelmäßig aus.165 Regelmäßig liegt Tatmehrheit vor. Dann ist für jede Tat eine Einzelstrafe festzusetzen und nach allgemeinen Regeln eine Gesamtstrafe zu bilden Bei deren Bildung ist ein enger sachlicher oder situativer Zusammenhang mildernd zu berücksichtigen ist. Es ist eine Beurteilung des Gesamtunrechts erforderlich. Die Konkurrenzfrage ist für jeden Beteiligten gesondert zu prüfen. Die Ergebnisse können durchaus unterschiedlich ausfallen. So begeht der Geschäftinhaber nur eine Tat, auch wenn seine Mitarbeiter aufgrund seiner Weisung zahlreiche und für sie in Tatmehrheit stehende betrügerische Verträge abschließen. Nur soweit er sich über die allgemeine Anordnung oder Einrichtung des Geschäftsbetriebes hinaus selbst an konkreten Vertragsverhandlungen beteiligt, liegen auch für ihn rechtlich selbstständige Taten vor.166 Im Verhältnis zu den Insolvenzstraftaten (Bankrott ua, §§ 283 ff StGB, insbes den Buchführungdelikten, §§ 283 Abs 1 Nrn 5–7 und 283b StGB und Untreue, § 266 StGB) besteht regelmäßig Tatmehrheit. Möglich ist aber auch ein tateinheitliches Zusammentreffen, etwa wenn Untreue mittels Täuschung begangen wird, zB Gelder durch eine Täuschungshandlung erlangt und sodann zweckwidrig verwendet werden,167 wenn also dem durch Betrug eingetretenen Nachteil durch das ungetreue Verhalten des Täters ein weiterer Schaden hinzugefügt wird.168 Die Täuschung begründet hier zusätzliches Tatunrecht.169 Anderes gilt aber, wenn eine Beitragsvorenthaltung gemäß § 266a Abs 1 StGB bei Täuschung der zuständigen Einzugsstelle über ihr vorenthaltene Arbeitnehmeranteile zur Gesamtsozialversicherung mit einem Betrug zusammentrifft. Grundsätzlich kommt beim Unterlassen der Meldung von Arbeitnehmern an den zuständigen Sozialversicherungsträger eine Verurteilung wegen Betruges in Betracht. Den Arbeitgeber trifft nach

_____ 161 162 163 164 165 166 167 168 169

Fischer Rn 216 zu § 263 mwN. BGH wistra 2001, 59. Fischer Rn 10 f zu § 291 StGB. LK/Tiedemann Rn 300 zu § 263 StGB. BGH(GS) wistra 1995, 102. BGH wistra 1999, 179f. BGHSt 8, 254, 260. BGH NStZ 2001, 195f. LK/Tiedemann Rn 315 zu § 263 StGB mwN.

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§ 28a SGB IV eine Meldepflicht, wonach er die Anknüpfungstatsachen zur Bemessung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages hinsichtlich aller bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer mitzuteilen hat. Verletzt er diese Pflicht, kann dies eine Täuschung nach § 263 StGB darstellen. Eine solche kann jedoch nur angenommen werden, wenn durch das Unterlassen der Meldung der Arbeitnehmer gegenüber einem Mitarbeiter der Einzugsstelle zumindest konkludent zum Ausdruck gebracht wird, dass keine oder lediglich die gemeldeten Arbeitnehmer bei dem Arbeitgeber beschäftigt sind.170 Grundsätzlich verdrängt aber nach der Rspr des BGH § 266 StGB nach Einführung seines Abs 2 in allen Fällen der Absätze 1 und 2 den Betrug im Wege der Spezialität.171 Bei einem ebenfalls verwirklichten Bankrottdelikt ist Tateinheit möglich insbes mit dem Verheimlichen von Vermögensbestandteilen gemäß § 283 Abs 1 Nr 1 StGB und der Verschleuderung kreditierter Ware nach Abs 1 Nr 3.172 Schwierigkeiten bereitet die Frage, ob ein erneuter Schaden eintritt, wenn der Täter, 73 der einen Vermögensvorteil durch ein Vermögensentziehungsdelikt, zB §§ 242 ff, 253, 263, 266 StGB, erlangt hat, durch Täuschung die Geltendmachung von Ersatzansprüchen verhindert. Bei einer juristisch-normativen Betrachtung ist dies zu bejahen. Bei wirtschaftlicher Betrachtung ist das Opfer dagegen nur dann geschädigt, wenn es sich seines Anspruches gegen den Täter bewusst ist und der Anspruch durchsetzbar ist. Dabei dürfte es sich in der Praxis jedoch um einen seltenen Fall handeln. Hier ist § 263 StGB tatbestandlich erfüllt, tritt jedoch als Sicherungsbetrug iS einer mitbestraften Nachtat zurück173. Dies gilt demgemäß nicht, wenn die durch beide Taten verursachten Schäden nicht deckungsgleich sind, zB wenn gestohlene Schecks betrügerisch verwendet werden.174

V. Der Täter im Unternehmen 74 Täter des Betruges kann grundsätzlich jedermann sein, der eine Täuschungshandlung

begeht. Es besteht kein Unterschied, ob der Täter Einzelhändler, Gesellschafter einer oHG oder KG ist, oder ob er über die Organhaftung (§ 14 StGB) als Geschäftsführer einer GmbH, GmbH & Co. KG oder Aktiengesellschaft zur Verantwortung gezogen wird. Bei mehreren Tatbeteiligten ist die Frage der Handlungseinheit oder -mehrheit für jeden Beteiligten nach der Art seines Beitrages selbstständig zu ermitteln.175 Im Falle von Mittäterschaft oder mittelbarer Täterschaft sind selbstständige Betrugstaten der unmittelbar gegenüber den Geschädigten Handelnden beim Mittäter oder Hintermann, dessen Handlung sich in nur einer Tätigkeit erschöpft, als einheitliche Tat anzusehen. Gerade in den Fällen des Warenbetrugs stehen dem späteren Opfer häufig (lediglich) die Angestellten eines Unternehmens gegenüber. Wissen sie von der desolaten wirtschaftlichen Lage, so sind sie Betrugstäter. Regelmäßig verfügen sie aber über keine Kenntnis von der finanziellen Situation des Unternehmens. Dann mangelt es an der subjektiven Tatseite, weil sie keinen Vorsatz bezüglich der Täuschung über die Zahlungsfähigkeit haben.

_____ 170 171 172 173 174 175

BGH, Beschluss vom 18.5.2010 – 1 StR 111/10. BGH NStZ-RR 2007, 236; wistra 2008, 180. LK/Tiedemann Rn 240 zu § 283 StGB. BGH wistra 1989, 60. Fischer Rn 233 zu § 263 StGB. BGH 3 StR 131/10, wistra 2011, 66.

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Eine Ausnahme im Hinblick auf die Strafbarkeit des Arbeitnehmers bildet der sog Beitragsbetrug gegenüber den Trägern der Sozialversicherung durch falsche Angaben hinsichtlich beitragsrelevanter Tatsachen, zB durch unrichtige Beitragsnachweise. Wie ausgeführt, setzt der Betrugstatbestand weder voraus, dass der Täter Arbeitgeber ist, noch dass er selbst den Vermögensvorteil erlangt hat. Daher kann iGgs zur Beitragsvorenthaltung gemäß § 266a StGB Täter auch der Arbeitnehmer, ggf im Zusammenwirken mit dem Arbeitgeber, sein. In der Praxis häufig anzutreffen ist diese Konstellation bei der Beschäftigung im Leistungsbezug der Arbeitsverwaltung stehender Arbeitsloser 176 mit Aushilfsarbeiten über die erlaubten Grenzen hinaus. Damit liegt grundsätzlich ein beitragspflichtiges Arbeitsverhältnis vor. Allerdings ist hier der Nachweis des Leistungsmissbrauchs, also des Betruges durch Unterlassen (§ 60 SGB I) gegenüber der Arbeitsverwaltung idR einfacher zu führen, so dass sich eine Beschränkung der Strafverfolgung hinsichtlich der Beitragsvorenthaltung nach § 266a Abs 1 StGB nach Opportunitätsgrundsätzen anbietet. Der Nachweis der Beitragsvorenthaltung ist hier – wenn überhaupt – häufig nur mit einem immens gesteigerten Ermittlungsaufwand zu führen, da es regelmäßig an einer genauen Dokumentation von Arbeitsumfang und dafür gezahltem Entgelt fehlt.

1. Der Geschäftsführer als Täter Wirtschaftlich interessanter für den Gläubiger ist aber die Verantwortlichkeit der Geschäftsleitung des Unternehmens, insbes des Geschäftsführers einer GmbH, der sehr häufig auch (Mit- oder gar Allein-)Gesellschafter ist. In der Regel tätigen sie Bestellungen für das Unternehmen nicht selbst. Gleichwohl tragen sie durchweg strafrechtliche Verantwortung. Ob sie Allein-, mittelbarer oder Mittäter sind oder lediglich wegen Anstiftung haften, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Bei einer Einzelanweisung an den die Bestellung auslösenden Mitarbeiter ist der Geschäftsführer mittelbarer Alleintäter, wenn er den Bestellenden über die wirtschaftliche Lage im Unklaren lässt. Klärt er ihn jedoch auf, so handeln beide gemeinschaftlich, sind Mittäter. Überlässt der Geschäftsführer trotz Besprechung einer bestimmten Bestellung die Entscheidung hingegen dem Mitarbeiter, dann ist letzterer unmittelbarer Alleintäter und ersterer Anstifter. Für von den Angestellten im Rahmen des laufenden Geschäftsbetriebes – des „Alltagsgeschäfts“ – getätigte betrügerische Bestellungen haftet der Geschäftsführer regelmäßig als mittelbarer Täter. Dafür ist noch nicht einmal erforderlich, dass er die Mitarbeiter in Kenntnis der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens aktiv zur Erteilung weiterer Aufträge (ausdrücklich oder konkludent) anhält,177 sondern es genügt, dass er der veränderten wirtschaftlichen Lage Rechnung tragende Weisungen unterlässt. Dabei hängt eine Strafbarkeit wegen Betruges nicht davon ab, ob die unmittelbar Handelnden gutgläubig waren oder ob sie die Bestellungen in Kenntnis der vorliegenden Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens vornahmen. Als Täter kraft Tatherrschaft kommt nämlich auch derjenige in Betracht, der durch Organisationsstrukturen be-

_____ 176 Es handelt sich um Betrug durch Unterlassen der geschuldeten Aufklärung – die Mitteilungspflicht über die gänderten tatsächlichen Verhältnisse des Leistungsempfängers ergibt sich aus § 60 Abs 1 Nr 2 SBG I. 177 Vgl BGH wistra 1998, 177.

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stimmte Rahmenbedingungen ausnutzt, die regelhafte Abläufe auslösen, die ihrerseits zu der vom Hintermann erstrebten Tatbestandsverwirklichung führen. Diese in der Politbüroentscheidung entwickelten Grundsätze hat der BGH auch auf unternehmerische Betätigungen übertragen.178 Beim Warenbetrug genügt zum Nachweis des subjektiven Tatbestandes der Nachweis, dass der Geschäftsführer nach Art und Umfang Kenntnis davon hatte, welche regelmäßigen Bestellungen zur Aufrechterhaltung der Produktion im normalen Geschäftsbetrieb ausgelöst wurden. Trägt er zur Beibehaltung des Geschäftsbetriebs im bisherigen Umfang bei, so will und weiß er, dass die weiteren Warenbestellungen durch die Mitarbeiter nur unter Täuschung der Lieferanten über die Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft erfolgen können.179 Die einzelnen Bestellungen vereinigen sich für den Geschäftsführer in einer Handlung im Rechtssinne, soweit sein Tatbeitrag sich in dem einmaligen Entschluss erschöpft, den Geschäftsbetriebs (im bisherigen Umfang) fortzuführen.180 Strafrechtlich verantwortlich ist nach allgemeiner Ansicht auch der faktische Geschäftsführer.181 Die Anweisung an den Geschäftsführer zu tatbestandlichem Handeln iSd § 263 StGB durch den/die Gesellschafter hat keine Rechtfertigungswirkung für den Täter. Auch die Annahme einer mittelbaren Täterschaft der Gesellschafter dürfte im Hinblick auf das eigenverantwortliche Handeln und die Möglichkeit der Ablehnung dieser Anweisung fern liegen.

2. Der Gesellschafter als Täter Durch die vorgenannte Anweisung an den Geschäftsführer kann der Gesellschafter eine strafbare Teilnahme am Betrug, insbes Anstiftung begehen. Eine Strafbarkeit der Gesellschafter wegen täterschaftlichen Betruges kommt wei83 ter neben der Täuschung über allgemeine unternehmensbezogene Tatsachen insbes bei der Übertragung von Geschäftsanteilen von Personen- oder Kapitalgesellschaften nach den vorgenannten Grundsätzen in Betracht, zB bei Täuschung über die Kapitalausstattung der Gesellschaft. Dies ist häufig im Vorfeld von Insolvenzen anzutreffen. Keine Besonderheiten gelten, wenn Gesellschafter und Geschäftsführer in der Person des Täters zusammentreffen. An die Stellung des Gesellschaftergeschäftsführers, auch des faktischen, knüpfen keine strafrechtlichen Anforderungen an. Es ist stets erforderlich zu prüfen, in welcher Rolle, als Gesellschafter oder als Geschäftsführer, der Beschuldigte handelte.182

VI. Ermittlungsansätze 84 In der Praxis der Wirtschaftsstaatsanwaltschaften kommt es relativ selten zu Verurtei-

lungen wegen (Eingehungs-)Lieferantenbetrugs. Wegen des meist erforderlichen Er-

_____ 178 179 180 181 182

BGHSt 40, 218, 236; NStZ 1996, 296, 297. Vgl BGH wistra 1998, 148, 150. Vgl dazu bereits oben Rn 70. Zusammenfassend oben § 6 Rn 118 ff. Vgl unten § 16 Rn 84f; zu den Fällen der Firmenbestattung vgl unten § 29 insbes Rn 107 ff.

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§ 15 Betrug, § 263 StGB | 879

mittlungsaufwands werden diese Delikte häufig gemäß § 154 Abs 1 StPO im Hinblick auf die einfacher nachzuweisenden Insolvenzverschleppungs- und Bankrottdelikte eingestellt. Zu berücksichtigen ist aber, dass durch Lieferantenbetrug in vielen Fällen ein hoher Schaden verursacht wird, der in der Folge auch zur Insolvenz des Lieferanten führt. Im Rahmen einer (drohenden) Unternehmensinsolvenz wird durch die Geschäftsführung regelmäßig zunächst versucht, fehlende Liquidität durch (unfreiwillige) Lieferantenkredite auszugleichen. Es wird in Kenntnis der drohenden Zahlungsunfähigkeit weiterhin Ware bezogen, um ausstehende Aufträge abzuarbeiten. Damit wäre grundsätzlich der Tatbestand des Betruges verwirklicht.183 Liegt objektiv eine Täuschung eines Lieferanten vor, so bestehen allerdings Schwierigkeiten insbes im Nachweis der subjektiven Tatseite, also des Vorsatzes bezüglich der Täuschung. Gerade in der Baubranche, in der ein Großteil der Ermittlungsverfahren angesiedelt 85 ist, ist hierzu häufig ein hoher Ermittlungsaufwand zu betreiben, da viele Unsicherheitsfaktoren eine Rolle spielen. Die Standardeinlassung des Bestellers geht dahin, der Täter habe entweder aus dem erwarteten Auftragserlös oder ggf aus weiteren Außenständen den Lieferanten habe bezahlen wollen. Hier ist anhand der Buchhaltung des Beschuldigten die Plausibilität der Angaben zu prüfen. Handelt der Täter auf eigene Rechnung zB als Bauträger, so besteht eine erhebliche Prognoseunsicherheit im Hinblick auf die mögliche Vermarktung der erstellten Bauvorhaben. Ist allerdings schon keine aussagekräftige Buchhaltung und Finanzplanung vorhanden, so dürfte es sich in der Überzahl der Fälle um eine Schutzbehauptung handeln.184 Mögliche Ermittlungsansätze zum Nachweis des Zeitpunkts des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit und der Kenntnis des Täters hiervon sind dann Serienbriefe mit ausformulierten Fragen an die Gläubiger, mit denen sich Bestellungs-, Rechnungs- und Mahndaten neben der Höhe der einzelnen Verbindlichkeiten erheben lassen, und Anfragen an das zuständige Vollstreckungsgericht. Ggf sind diese Einzelheiten auch durch Zeugenvernehmung der (Angestellten der) Lieferanten zu ermitteln. Von besonderem Interesse ist die (Original-)Kreditakte eines finanzierenden Bankinstituts. Zur Heranziehung derselben empfiehlt sich die Beantragung eines richterlichen Durchsuchungsbeschlusses gemäß § 103 StPO, der bei einer Verzögerungstaktik des Kreditinstituts vollstreckt werden kann. Die Abforderung einer Ablichtung der Akte im Wege eines staatsanwaltschaftlichen Herausgabeverlangens gem. § 95 Abs 1 StPO ist im Regelfall untunlich, da hier eine Veränderung der – bei Realisierung des Kreditrisikos häufig auch für die beteiligten Institute „unangenehmen“ – Unterlagen185 nicht ausgeschlossen werden kann. Ähnlicher Ermittlungsaufwand ist zu betreiben, wenn sich der Besteller einer Leis- 86 tung, der wegen möglicher Täuschung über seine Zahlungsfähigkeit unter Betrugsverdacht steht, Mängelrügen einwendet und die Zahlungen einstellt. So ist häufig nicht absehbar, ob dies begründet ist oder auf Dauer geschieht. Sofern diese nicht, wie häufig, gänzlich aus der Luft gegriffen sind, haben die Ermittlungsbehörden zunächst im Rahmen einer Plausibilitätsbetrachtung zu prüfen, ob bei objektiver Betrachtung ein sol-

_____ 183 Hat der Lieferant allerdings, wie oben (Rn 12) bereits dargelegt, zB durch unbeglichene Rechnungen und erfolglose Mahnungen Kenntnis von der schwierigen Lage seines Schuldners, so scheidet nach den dargelegten Grundsätzen eine konkludente Täuschung über die Zahlungsfähigkeit aus. 184 Insbes Einzelunternehmen, die häufig keiner Buchhaltungspflicht unterliegen – bei Kapitalgesellschaften führt die Kaufmannseigenschaft zur Buchführungspflicht nach HGB. 185 Nach den Umständen des Einzelfalles kommt zB eine Beihilfe zur Insolvenzverschleppung durch die Mitarbeiter des kreditierenden Bankinstituts in Betracht, vgl dazu unten § 27 Rn 79 (?).

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ches Recht bestehen könnte. Nur in den seltensten Fällen wird eine vollständige Zurückbehaltung der Gegenleistung berechtigt sein. In einem zweiten Schritt wird man dann auf den Wissenshorizont des Beschuldigten abzustellen haben. Auch hier lassen sich die Angaben des Beschuldigten durch Vernehmung der Vertragspartner und ggf von dessen Mitarbeitern widerlegen. anhängen

§ 16 Untreue, § 266 StGB Schulze/Bittmann § 16 Untreue, § 266 StGB I. Die Bedeutung der Vorschrift für die Praxis 1. Allgemeines, Rechtsgut 1 Obwohl das BVerfG1 die Vorschrift für verfassungsgemäß erklärt hat, wird sie in der An-

wendung weiterhin als schwierig2 angesehen. Selbst die Bestimmtheit, Art 103 GG, auch § 1 StGB, wird noch immer bezweifelt.3 Für die Praxis sind die großen Fragen inzwischen jedoch geklärt. Für die insolvenznahen Untreuefälle galt das allerdings auch schon früher. Sie sind im Kernbereich des § 266 StGB angesiedelt.4 Das am 1.11.2008 in Kraft getretene MoMiG5 begründete einen gewissen Anpassungsbedarf en detail, führte aber ebensowenig wie die Überführung der früheren Rspr der Zivilgerichte zur Haftung im qualifizierten faktischen Konzern in der Entscheidung Trihotel6 unter das Dach des § 826 BGB, Stichwort: Existenzvernichtung, zu grundstürzenden Veränderungen. Gleichwohl leidet die Überzeugungskraft gerichtlicher Entscheidungen wie literari2 scher Stellungnahmen nur allzu oft am Fehlen einer konsentierten allgemeinen Dogmatik der Untreue. Ein Vorstoß7 von Verf auf der Basis etlicher höchstrichterlicher Entscheidungen, die allerdings in jedem Einzelfall notwendigerweise nur vereinzelt bleibende Ergebnisse zu zeitigen vermögen, erntete zwar keinen Widerspruch, wohl aber (weitgehend8) Schweigen. Die wesentlichen Grundpfeiler seien hier in etwas modifizierter Form thesenartig wiederholt, weil jeglicher Positionierung ohne einen erkennbaren theoretischen Rahmen ein Stück innerer Überzeugungskraft abgeht.

_____ 1 BVerfG, 10.3.2009 – 2 BvR 1980/07, NJW 2009, 2370 ff und BVerfG, 23.6.2010 – 2 BvR 2559/08 ua, BVerfGE 126, 170 ff; für Verfassungsgemäßheit auch Jahn/Ziemann ZIS 2016, 552 ff, 557; LK/Schünemann Rn 24 ff zu § 266 StGB; M/G/Schramm Rn 14 ff zu § 266 StGB; M-G/Hadamitzky Rn 32/5 ff; S/S/Perron Rn 1a zu § 266 StGB; G/J/W/Waßmer Rn 16–16b zu § 266 StGB; verbal auch S/S/W/Saliger Rn 4, 66, 86 f und passim zu § 266 StGB, der aber allenthalben verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt oder überschritten sieht und nicht müde wird, eine restriktive (anstatt einer vorrangig rechtsgutsbezogenen) Auslegung anzumahnen; aA Stenzel S 57 ff; sa Neumann FS Beulke, S 197 ff. 2 ZB A/R/R/Seier Rn 5/2/19, auch 131; Seier/Martin JuS 2001, 874 ff; Stenzel S 41 ff und 142 ff; Theile ZIS 2011, 616 ff; bemerkenswert krit auch Perron ZGR 2016, 187 ff. 3 ZB Dierlamm NStZ 1997, 534 ff (recht polemisch); Böttger Rn 3/1 ff; MK/Dierlamm Rn 3 ff zu § 266 StGB; Jahn/Ziemann ZIS 2016, 552 ff, 561 (vorsichtig von Vagheit sprechend); M/R/Matt Rn 5 f, 17 ff, 84, 87–91 und 105 zu § 266 StGB; Volk FS Hamm, S 803 ff („Dschungelbuch“); dagegen deutlich LK/Schünemann Rn 3 f zu § 266 StGB; ders ZIS 2012, 183 ff. Theile ZIS 2011, 616 ff, insbes S 621, bejaht zwar (zähneknirschend?) die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift, hingegen (weitgehend) nicht auch die Praxis ihrer Anwendung. 4 Ebenso Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 7 und 8 vor §§ 82 ff GmbHG (für die Vermögensbetreuungspflicht). 5 BGBl I 2008, 2026 ff. 6 BGH, 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246 ff. 7 Bittmann NStZ 2012, 57 ff. 8 Darauf eingehend aber G/J/W/Waßmer in der 2. Auflage.

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§ 16 Untreue, § 266 StGB | 881

These 1: 3 Drei Tatbestandsmerkmale sind es, welche die Vorschrift hauptsächlich strukturieren und bei kausaler Verbindung die Strafbarkeit begründen: (1) Vorliegen einer Vermögensbetreuungspflicht, begründet durch Gesetz, behördlichen Auftrag Rechtsgeschäft oder (beim Treubruchtatbestand) auch (sonstiges9) Treueverhältnis. (2) Pflichtwidrigkeit, alternativ durch Verfügung bzw Verpflichtung einerseits oder in sonstiger Weise andererseits. (3) Nachteil. Sie sind in dieser Reihenfolge zu prüfen und aus der Sicht ex-ante zu beurteilen. These 2: Die Pflichtwidrigkeit bezieht sich (nur) auf qualitative Elemente. These 3: Erfasst ist nur die pflichtwidrige Verletzung einer spezifisch vermögensbezogenen Pflicht. These 4: Verstöße gegen nicht vermögensschützende Pflichten sind allerdings dann untreuerelevant, wenn ihre Einhaltung dem Täter im fremden Vermögensinteresse übertragen wurde. These 5: Nicht zu tatbestandlicher Pflichtwidrigkeit führt die Missachtung reiner Formalien, es sei denn, sie stehen selbst im Dienste einer vermögensbezogenen Pflicht. These 6: Inhaltlich nicht vorbestimmtes Handeln ist bei Wahrung aller formellen Anforderungen – dazu gehört auch die Orientierung am Interesse des betreuten Vermögens – pflichtgemäß. These 7: Der tatbestandliche Nachteil ist allein quantitativ zu bestimmen. These 8: Nachteil ist die wertmäßige Differenz des betroffenen Vermögens vor und nach Abschluss der Tathandlung. Bittmann These 9: Zu berücksichtigen sind dabei nur die Folgen der Verletzung der spezifischen Pflicht zur Betreuung des fremden Vermögens. These 10: Mitverursachung durch die Verletzung einer vermögensbezogenen Pflicht genügt. These 11: Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bestimmung des Nachteils ist derjenige des Abschlusses der Tathandlung, also des pflichtwidrigen Handelns oder Unterlassens. These 12: Die Vermögensminderung muss zum maßgeblichen Zeitpunkt (These 11) zwar angelegt, aber noch nicht vollständig eingetreten sein. These 13: Erst nach dem maßgeblichen Zeitpunkt (These 11) eintretende Ursachen, die nicht abzusehen waren, sind tatbestandlich irrelevant. Sie können aber als verschuldete Auswirkungen der Tat, § 46 Abs 2, 4. Gruppe, Var 2 StGB, strafschärfend berücksichtigt werden.

_____ 9 Ausführlich Reiß, Das „Treueverhältnis“ des § 266 StGB; dazu Bittmann WiJ 2016, 207 ff.

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These 14: Zwecks Quantifizierung des Nachteils sind demgegenüber die zwar erst in Zukunft eintretenden, aber typischen Tatfolgen zu berücksichtigen. These 15: Dies ist nur im Wege einer Prognose über den zum maßgeblichen Zeitpunkt (These 11) zu erwarteten zukünftigen Verlauf möglich – und nötig. These 16: Wahrscheinlich gewesene, aber dennoch nicht eingetretene Folgen mindern den tatbestandsrelevanten Nachteil nicht, sind aber strafmildernd zu berücksichtigen. These 17: Soweit der Täter den Eintritt der in seiner Tat angelegten Folgen selbst freiwillig verhindert hat, ist er in Gesamtanalogie zu den Vorschriften über tätige Reue straffrei.10 These 18: Es gibt keine tatbestandsrelevante schadens- oder nachteilsgleiche Vermögensgefährdung. These 19: Der Nachteil ist zu quantifizieren, in der Regel in Euro. These 20: Scheidet eine genaue Quantifizierung aus, so genügt eine vorsichtige Schätzung unter Beachtung des Zweifelsgrundsatzes. These 21: Selbst eine möglichst genaue verbale Beschreibung kann in Ausnahmefällen ausreichen.11 These 22: Soweit geschehen genießt die intersubjetive Wertbestimmung der Beteiligten den Vorrang vor (vermeintlich) objektiver Bestimmung des Nachteils.12

_____ 10 AA Ensenbach S 344. 11 Diese Möglichkeit anerkannte das BVerfG bislang nicht, thematisierte sie aber auch noch nicht fallbezogen. 12 Soweit die Rspr diesen (bei Preisbindung, zur HOAI s BGH, 10.11.2009 – 4 StR 194/09, wistra 2010, 181 ff, nicht möglichen, aber deswegen mit Fischer ua/Raum, S 150, ebenso ebd/Gaede S 257 ff, nicht zur Annahme der Wertlosigkeit einer vom Sozialrecht oder den ärztlichen Gebührenordnungen abweichenden Leistung zwingenden) Vorrang anerkannte, bezog sie sich bislang nur auf Fälle des Betrugs. Wenn eine Wertbestimmung zwischen Täter und Geschäftsherr oder begünstigtem Dritten aber stattgefunden hat, gibt es keinen Grund, für die Untreue anders als für den Betrug zu entscheiden. Die Unterschiede sind tatsächlicher, nicht rechtlicher Natur. Zum Thema einerseits BGH, 20.3.2013 – 5 StR 344/12, BGHSt 58, 205 ff (dazu Bittmann wistra 2013, 449 ff, 453 ff); 20.5.2015 – 5 StR 547/14, Rn 14, NStZ 2015, 461 ff, die Zeitbedingtheit des Werts betonend, Rn 16, und die Möglichkeit der Kaufpreistäuschung bis zur Grenze des Wuchers zutr in Abrede stellend, Rn 14; (anders, den Wert des vertraglichen Anspruchs als irrelevant behandelnd BGH, 19.2.2014 – 5 StR 510/13, Rn 22, NStZ 2014, 318 ff; zweifelnd 2.9.2015 – 5 StR 186/15, Rn 6 f, NStZ-RR 2015, 374 f); 11.6.2015 – 2 StR 186/15, NStZ 2016, 149 (kein Erpressungsschaden durch aufgenötigten Kauf von Wein sogar zum von den Tätern bestimmten Preis); BGH, 2.2.2016 – 1 StR 435/15, Rn 33, NJW 2016, 2434 ff (dazu Krehl NStZ 2016, 347 f; Rostalski JR 2016, 634 ff – sehr eingehend und überzeugend); BGH, 2.2.2016 – 1 StR 437/15, Rn 38 und 56 ff, wistra 2016, 271 ff (zugestandene Ausnahme unter Berufung, Rn 58, auf BGH, 14.7.2010 – 1 StR 245/09, NStZ 2010, 700: ein einziger Nachfrager); 28.4.2016 – 4 StR 317/ 15, wistra 2016, 398 ff (überhöhte Abrechnung von Kunstwerken gegenüber dem Lebensmittelhändler Albrecht, aufgrund angeblicher Besonderheiten der Konstellation, aber zutr auf den Wert der vertraglichen Forderung abstellend, nicht auf einen phantomartigen objektiven Wert, Rn 16; krit Becker NStZ 2016, 541 f, wohl offener noch ders HRRS 2012, 237 ff, 238 und JR 2012, 82 ff, 84); Achenbach FS C Roxin, S 1006 ff, 1010 ff; Bittmann HRRS 2016, 38 ff, 41 f und 44 ff; Ceffinato NZWiSt 2015, 90 ff; Hoyer FS Samson, S 339 ff, 348 ff; Krell NZWiSt 2013, 370 ff, 371; Kubiciel JZ 2014, 99 ff; Fischer ua/Kubiciel, S 164; Rostalski HRRS 2016,

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§ 16 Untreue, § 266 StGB | 883

These 23: Ohne erfolgte intersubjektive Wertfestlegung muss versucht werden, den Nachteil aufgrund objektiver Umstände zu quantifizieren. These 24: Für die Quantifizierung anhand objektive Kriterien sind betriebswirtschaftliche Grundsätze heranzuziehen. These 25: Für den subjektiven Tatbestand genügt im Hinblick auf den Nachteil eine ungefähre Vorstellung der Größenordnung. § 266 StGB enthält zwei Tatbestände, den Missbrauchs- und den Treubruchtatbe- 4 stand. Beide schützen das betreute Vermögen gegen Angriffe „von innen“,13 dh durch jemanden, in dessen Obhut es sich befindet, der eine Garantenstellung einnimmt, der Missbrauchstatbestand typischerweise14 in Bezug auf die Rechsbeziehung des betreuten Vermögens zu Dritten (aber trotzdem nie als Schädigung von außen), der Treubruchtatbestand va beschränkt auf das Binnenverhältnis zwischen Betreuer und und betreutem Vermögen. Als Vermögensdelikte sind sie deshalb nur dann erfüllt, wenn das Opfer eine Vermögenseinbuße erlitt, nicht aber bereits dann, wenn der Täter gegen Anweisungen verstieß oder allein die Dispositionsbefugnis des Trägers des zu betreuenden fremden Vermögens missachtete. Beides ist solange nicht untreuerelevant, wie sich das betreute Vermögen nicht minderte oder der Abfluss von einem mindestens gleichwertigen, auf demselben Geschehen beruhenden Zuwachs ausgeglichen wurde. Die Befugnis, mit eigenen Sachen nach Belieben zu verfahren, § 903 BGB, und damit die Dispositionsbefugnis ist allerdings integraler Bestandteil des Eigentums, dem Vermögenswert zu-

_____ 73 ff; andererseits BGH, 27.6.2012 – 2 StR 79/12, wistra 2012, 385 f (dagegen Bittmann ZWH 2012, 446 ff, 449 ff); BGH, 8.10.2014 – 1. StR 359/13, Rn 32 und 37, BGHSt 60, 1 ff; 16.6.2016 – 1 StR 20/16, Rn 35 f, NJW 2016, 3543 ff; Albrecht NStZ 2014, 17 ff; dies JZ 2015, 841 ff; C Dannecker NZWiSt 2015, 173 ff; ders, NStZ 2016, 318 ff; M-G/Hadamitzky Rn 32/191e ff; Heghmanns ZIS 2015, 102 ff; Sinn ZJS 2015, 625 ff; changierend Fischer ua/Raum, S 46: Die Objektivität, die der 1. Strafsenat (dessen Vorsitzender Raum ist) postuliert habe, könne deshalb immer nur eine Objektivität im Ablesen des Marktgeschehens sein, das seinerseits sehr subjektiv und wetterwendisch sei. G/J/W/Waßmer Rn 175f bestimmt das Regel-Ausnahme-Verhältnis umgekehrt: Nur dort, wo der objektive Wert nicht feststellbar sei, könne und müsse auf die intersubjektive Wertbestimmung rekurriert werden. Damit lässt sich immerhin das Affektionsinteresse schützen. Teixeira ZIS 2016, 307 ff, 313 ff, schlägt (dogmatisch und ergebnismäßig hochinteressant) eine Brücke zwischen der von ihm verbal abgelehnten intersubjektiven Wertbestimmung und dem individuellen Schadenseinschlag, den er (im Anschluss an Jakobs) bei idealen (iGgs zu wirtschaftlichen) Geschäften bejaht und dabei zu Ergebnissen gelangt, die (insoweit) denen bei Anerkennung der intersubjektiven Wertbestimmung zumindest nahekommen, weil er die subjektiven Beweggründe dann, wenn sie Vertragsinhalt geworden sind, als verobjektiviert versteht. 13 Näher unten Rn 21. S/S/W/Saliger Rn 3, auch 88 zu § 266 StGB; BeckOK/Wittig Rn 6 zu § 266 StGB; MK/ Dierlamm Rn 2 zu § 266 StGB, zur Ohhut Rn 41; NK/Kindhäuser Rn 28 und 54 zu § 266 StGB; LK/Schünemann Rn 1 aE, 29 und 201 (zum Missbrauchstatbestand,) Rn 30 f, zum Treubruch Rn 58 f und Beispielen Rn 61 ff) zu § 266 StGB. BGH, 26.11.2015 – 3 StR 17/15, Rn 132, BGHSt 61, 48 ff, ebenso BeckOK/Wittig Rn 3 und 5 zu § 266 StGB; Radtke ZIP 2016, 1993 ff, 1995; LK/Schünemann aaO; NK/Kindhäuser Rn 1 zu § 266 StGB; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 6 vor §§ 82 ff GmbHG; S/S/W/Saliger Rn 1 zu § 266 StGB; A/R/R/Seier Rn 5/2/63 und G/J/W/Waßmer Rn 20 f zu § 266 StGB bezeichnen die Vorschrift deshalb (auch) als Sonderdelikt. Das drückt allerdings nur die Notwendigkeit des Vorliegens einer Vermögensbetreuungspflicht aus und damit eines Tatbestandsmerkmals. Eine Einschränkung des Täterkreises ist damit nicht verbunden. Untreue ist ein Jedermann-Delikt. Zur Differenzierung Ceffinato S 120 ff. Rechtsvergleichend: Foffani FS Tiedemann, S 767 ff; Honsell FS Günter H Roth, S 277 ff; Rönnau ZStW 122, 299 ff (2010). 14 Strikte Abgrenzung bei LK/Schünemann Rn 21 zu § 266 StGB.

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kommt und der damit auch Vermögensschutz genießt.15 Der Treugeber muss daher nicht akzeptieren, was der Treunehmer anstatt des Gesollten pflichtwidrig seinem Vermögen zuwendet.16 Kommt es nach dem zugrundeliegenden Rechtsverhältnis nicht allein auf den wirtschaftlichen Wert an, sondern auch auf dessen Verkörperung, so vermag eine abweichende Zuwendung den Aufwand nicht zu kompensieren. Hierin liegt der Kern der Rechtsfigur des persönlichen (oder individuellen) Schadenseinschlags.17 Soweit allerdings der in das Vermögen des Treugebers gelangte Gegenstand wieder veräußert zu werden vermag, beläuft sich der Nachteil nicht auf den Nennwert der Leistung (meist: Zahlung), die zum Erwerb aufgewandt wurde. Vielmehr ist der (erforderlichenfalls zu schätzende) Betrag mindernd anzurechnen, der beim Weiterverkauf nach Abzug aller Kosten im Vermögen des Treugebers verbleibt.18 Anders als bei anderen Vermögensdelikten ist der Versuch der Untreue nicht mit Strafe bedroht. Auf eine Bereicherung des Täters oder eines Dritten kommt es nicht an.19 Rechtsgut ist allein der Schutz des fremden Vermögens, das der Täter zu betreuen hat.20 Daran ändert es nichts, wenn

_____ 15 A/R/R/Seier Rn 5/2/10; von S/S/W/Saliger Rn 1 und 66 zu § 266 StGB als „unselbständige“ Dispostionsbefugnis bezeichnet, die allein er iGs zur selbständigen als von der Untreue erfasst ansieht. Achenbach FS C Roxin, S 1005 ff, spricht von Nutzungschance, Hoyer FS Samson, S 339 ff von Tauschwert. In den mehr als 100 Jahren des Versuchs, die Dispositionsfreiheit in den Vermögensbegriff zu integrieren und so den Dualismus von gegenständlichem Eigentums- und wertmäßigen Vermögensschutz zu überwinden ist die dafür erforderliche Maßeinheit noch nicht gefunden worden, vgl dazu Fischer ua/Rönnau, S 34 ff sowie ebd/ Saliger, S 21 und 28 f und ebd/Kubiciel, S 164. 16 ZB BGH, 29.8.2008 – 2 StR 587/07, Rn 43, BGHSt 52, 323 ff (Siemens ENEL); Becker HRRS 2012, 237 ff, 241 f; ders NZWiSt 2015, 38 ff, 39: Bittmann NStZ 1998, 495 ff; S/S/W/Saliger Rn 70 zu § 266 StGB, aber nur als Ausnahme anerkennend, möglicherweise gerade auch bei aliud-Fällen, Rn 79; G/J/W/Waßmer Rn 191 zu § 266 StGB; übergangen von BGH, 16.6.2016 – 1 StR 20/16, Rn 35, NJW 2016, 3543 ff. BGH, 9.11.2016 – 5 StR 313/15, Rn 37, verneinte bei unberechtigter Verwertung eines Grundstücks zum Marktpreis (zu Unrecht) bereits die Pflichtwidrigkeit, korrigierte sich dann aber mittels Anerkennung der Verwertungskosten als Nachteil, Rn 46 (ohne dabei auf die Frage einzugehen, ob diesen Kosten nicht diejenigen entgegenzusetzen wären, die durch fortgesetzte Verwaltung und weitere Versuche, die Eigentümer zu ermitteln, angefallen wären); aA Lackner/Kühl/Heger Rn 17a zu § 266 StGB; MK/Dierlamm Rn 16 und 208 zu § 266 StGB, der bei „schwarzen Kassen“ jegliche Minderung des betreuten Vermögens in Abrede stellt, Rn 248; M/R/ Matt Rn 1 zu § 266 StGB, der erst den endgültigen Entzug jeglicher faktischer Dispositionsmöglichkeit als Nachteil anerkennen will – das sieht die Betriebswirtschaft mit der Anerkennung der AfA (= Abschreibung für Abnutzung) anders; sa BeckOK/Wittig Rn 2, 2.2 und 46.1 zu § 266 StGB; Velten FS Schünemann S 715 ff. 17 BGH, 19.2.2014 – 5 StR 510/13, Rn 14 ff, NStZ 2014, 318 ff; 2.7.2014 – 5 StR 182/14, Rn 10, wistra 2014, 403 ff; Verfassungsgemäßheit bezweifelnd Schlösser HRRS 2011, 254 ff; den Zusammenhang erkennend Teixeira ZIS 2016, 307 ff. Dem Fehlen einer angepriesenen Eigenschaft, auf die es dem Verbraucher ankommt („Bio-Waren“) bemisst Heghmanns ZIS 2015, 102 ff dann keine vermögensstrafrechtliche Bedeutung zu, wenn der Preis dem Wert entspreche. 18 BGH, 19.2.2014 – 5 StR 510/13, Rn 16, NStZ 2014, 318 ff; 2.7.2014 – 5 StR 182/14, Rn 12 und 13 aE, wistra 2014, 403 ff; 11.6.2015 – 2 StR 186/15, Rn 5, NStZ 2016, 149; S/S/W/Saliger Rn 79 zu § 266 StGB. 19 M-G/Hadamitzky Rn 32/4. Die Bezeichnung der Untreue als „Vermögensverschiebungsdelikt“, zu Recht abl BeckOK/Wittig Rn 2 zu § 266 StGB; NK/Kindhäuser Rn 2 zu § 266 StGB; Perron ZGR 2016, 187 ff, 197; A/R/R/Seier Rn 5/2/31; G/J/W/Waßmer Rn 10 zu § 266 StGB, ist insoweit nicht präzis, als Verschiebungen zB bei Unterlassungen gerade unterbleiben können (nicht wahrgenommene Geschäftschance); zutr MK/Dierlamm Rn 2 zu § 266 StGB; M/G/Schramm Rn 4 und 137 zu § 266 StGB; S/S/W/Saliger Rn 1 zu § 266 StGB. 20 BGH, 20.7.1999 – 1 StR 668/98, Rn 13, NJW 2000, 154 ff; 2.7.2014 – 5 StR 182/14, Rn 11, wistra 2014, 403 ff; 16.6.2016 – 1 StR 20/16, Rn 35 (für § 263 StGB), NJW 2016, 3543 ff; A/R/R/Seier Rn 5/2/10; BeckOK/ Wittig Rn 1 f zu § 266 StGB; Böttger Rn 3/9; Gribbohm ZGR 1990, 1, 25; Lackner/Kühl/Heger Rn 1 zu § 266 StGB; LK/Schünemann Rn 23 zu § 266 StGB; M/R/Matt Rn 1 zu § 266 StGB; MK/Dierlamm Rn 1 zu § 266 StGB; M/G/Schramm Rn 2 f zu § 266 StGB; M-G/Hadamitzky Rn 32/3; NK/Kindhäuser Rn 1 zu § 266 StGB; S/S/ Perron Rn 1 zu § 266 StGB; S/S/W/Saliger Rn 1 zu § 266 StGB; Fischer Rn 2 zu § 266 StGB; G/J/W/Waßmer

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§ 16 Untreue, § 266 StGB | 885

von der Bewahrung dieses betreuten Vermögens mittelbar auch die Gläubiger des Vermögensträgers profitieren,21 Gesellschafter und Geschäftsführer also in deren Interesse „diszipliniert“22 werden: Gläubiger werden zwar von den Insolvenzdelikten geschützt, sind aber nicht Verletzte einer Untreue.23

2. Die Bedeutung der Untreue in Fällen der Unternehmensinsolvenz § 266 StGB schützt wie allg so auch im Fall der Insolvenz einer juristischen Person das 5 Gesellschaftsvermögen gegen Minderungen von innen,24 bei juristischen Personen regelmäßig gegen das Verhalten eines Geschäftsführers bzw Vorstands, und soll nach möglicherweise im Aufgeben befindlicher bisheriger Auffassung der Rspr25 bei Personengesellschaften die Gesellschafter, nach deren evtl zukünftiger Meinung ebenfalls die Gesellschaft als solche, vor derartigen, seitens eines Mitgesellschafters oder eines Dritten verursachten Nachteilen bewahren. Weil das auf Dauer nur gewährleistet werden kann, wenn die Forderungen der Gläubiger vertragsgemäß erfüllt werden,26 wirkt sich § 266 StGB in der praktischen Anwendung allerdings häufig und zwangsläufig auch zugunsten der Gläubiger aus: Sie vermögen ihre Forderungen insbes gegen eine GmbH nur dann durchzusetzen, wenn deren Vermögen von den Gesellschaftern nicht ausgehöhlt wurde. Treffend formuliert Rönnau: Vermögensschutz im GmbH-Recht ist wesensmäßig stets (zumindest) auch Gläubigerschutz, weil das GmbH-Vermögen nicht zuletzt das von Gesetzes wegen zwingend im Interesse der Gläubiger vorzuhaltende Haftkapital ist.27 Ein Vertragspartner einer GmbH ist dann unmittelbar durch eine Untreuehandlung 6 verletzt, wenn die Gesellschaft selbst eine Pflicht zur Betreuung eines fremden Vermögens übernommen und missachtet hat.28 Zwar trifft die originäre Vermögensbetreuungspflicht gegenüber dem Vertragspartner nicht das Organ, in der GmbH & Co KG daher auch nicht den Geschäftsführer der GmbH in Bezug auf das Vermögen der KG(-Gesellschafter).29 Aber auch bei einer juristischen Person können solche Pflichten nur von einer natürlichen Person erfüllt werden. Nur eine solche kann auch strafrechtlich für die Verletzung haften. Die Brücke zwischen der Pflicht der Gesellschaft und deren Wahrnehmung seitens eines Mitglieds ihres vertretungsberechtigten Organs (oder eines sonst eingeschalteten Dritten) schlägt § 14 StGB. Die innerhalb der Gesellschaft zuständige Person, bei der GmbH zumindest der Geschäftsführer, hat unter den Voraussetzungen des § 14 StGB für die Verletzung der Pflicht der Gesellschaft strafrechtlich einzustehen.30 Mangelnde Pflichterfüllung ge-

_____ Rn 9 zu § 266 StGB; Wodicka S 27. Daher sind die Aktionäre nicht unmittelbar geschützt, LG Wiesbaden, 13.8.2015 – 9 O 286/14, ZIP 2015, 2018 ff. 21 M/G/Schramm Rn 3 zu § 266 StGB; sa Rönnau FS Schünemann S 675, 682 f; abl Perron ZGR 2016, 187 ff, 192; S/S/W/Saliger Rn 106 zu § 266 StGB; krit Kasiske JR 2011, 235 ff. Näher unten Rn 23. 22 So der Titel des Überblicksaufsatzes von Haas WM 2006, 1369 ff und 1417 ff. 23 BGH, 20.7.1999 – 1 StR 668/98, Rn 13, NJW 2000, 154, 155. 24 A/R/R/Seier Rn 5/2/10. 25 Näher unten Rn 59 und 62. 26 Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 8 vor §§ 82 ff GmbHG. 27 Rönnau FS Schünemann S 675 ff, 681 f. 28 Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 12 vor §§ 82 ff GmbHG; S/S/Perron Rn 32 zu § 266 StGB. 29 Dazu unten Rn 63. 30 BGH 29.9.1987 – VI ZR 300/86 Rn 10, NJW-RR 1988, 671f; 23.8.1995 – 5 StR 371/95 Rn 14, BGHSt 41, 224 ff; 13.5.2004 – 5 StR 73/03 Rn 55, BGHSt 49, 147 ff; 1.4.2008 – 3 StR 493/07, Rn 14 f, wistra 2008, 427 ff; M-G/Hadamitzky Rn 32/104; MK/Dierlamm Rn 287 zu § 266 StGB; Radtke ZIP 2016, 1993 ff, 1996; Scholz/

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genüber dem Vertragspartner kann zusätzlich auch zu einem Nachteil der Gesellschaft führen. Ist das der Fall, so handelt es sich dabei um eine eigenständige Tat der direkten Organuntreue, die nicht erst über § 14 StGB zur Strafbarkeit führt. Beide Taten treffen allerdings regelmäßig tateinheitlich zusammen. Die Rspr lässt es überdies zu, die eigene Vermögensbetreuungspflicht (der Gesellschaft) gegenüber fremdem Vermögen mittels Rechtsgeschäfts und unabhängig von den Voraussetzungen des § 14 Abs 2 StGB auf einen Dritten zu übertragen. Danach können selbst Erfüllungsgehilfen ihnen unbekannten Dritten gegenüber vermögensbetreuungspflichtig sein.31 Das ist in einer arbeitsteiligen Wirtschaft konsequent, gilt aber iS eines tatsächlichen Treueverhältnisses nur, wenn Stellung und Befugnis des Erfüllungsgehilfen den Anforderungen an eine Vermögensbetreuungspflicht genügen.32 Andernfalls kann er nur Anstifter oder (naheliegender) Gehilfe sein. Das schließt es jedoch nicht aus, dass er, je nach Stellung, ausnahmsweise zugleich Untreuetäter zum Nachteil des Unternehmens ist, das den Auftrag übernommen hat (denkbar, wenn ein Geschäftsführer bei ressortfremden Arbeiten sorgfaltswidrig hilft). § 266 StGB findet als Insolvenzbegleitdelikt auch nach Aufgabe der Interessentheo7 rie33 seitens des BGH unverändert Anwendung.34 Das erklärt sich aus zwei Gründen: Zum einen schützen § 266 StGB und § 283 Abs 1 Nr 1 StGB nicht dasselbe Rechtsgut, Ersteres die Gesellschaft, Letzteres die Gläubiger.35 Zum anderen hält die Rspr weiterhin daran fest, dass die allg Gesetze der Wirksamkeit der Einwilligung seitens der Gesellschafter rechtliche Grenzen setzen, zB § 30 GmbHG, so dass die Gesellschafter des Trägergesell-

_____ Tiedemann/Rönnau Rn 12 vor §§ 82 ff GmbHG; A/R/R/Seier Rn 5/2/72; G/J/W/Waßmer Rn 21b zu § 266 StGB; aA S/S/W/Saliger Rn 30 zu § 266 StGB; auch LK/Schünemann Rn 68 zu § 266 StGB, der nicht ohne Grund Strafbarkeitslücken außerhalb der Unternehmenskriminalität befürchtet (Beispiel: BGH, 9.11.2016 – 5 StR 313/15, insbes Rn 34 f und 54: Pflicht der Behörde zur Verwaltung von Grundstücken unbekannter Eigentümer durch Mitarbeiter des städtischen Rechtsamts). Sie wären allerdings geringer als von ihm angenommen, weil sie zT deckungsgleich mit denen wären, die aufgrund der auch für den Missbrauchstatbestand geforderten Vermögensbetreuungspflicht gerissen werden. Zudem wäre die persönliche Übernahme der Obhut für fremdes Vermögen nicht ausgeschlossen, so dass es für diese Konstellation der Brücke des § 14 StGB nicht bedürfte. Überdies schließt der BGH mit dem Hinweis auf § 14 Abs 1 StGB den potentiellen, von § 14 Abs 2 StGB umschriebenen Täterkreis nicht aus, da er mit Bedacht formuliert, für den Geschäftsführer folge die Pflicht bereits aus § 14 Abs 1 StGB. 31 BGH, 6.5.1952 – 1 StR 60/52 Rn 1 f, BGHSt 2, 324 f; 28.1.1983 – 1 StR 820/81, Rn 141 f, BGHSt 31, 232 ff; A/R/R/Seier Rn 2/5/70 und 317; LK/Schünemann Rn 66 ff zu § 266 StGB; M-G/Hadamitzky Rn 32/105; NK/ Kindhäuser Rn 40 zu § 266 StGB; S/S/Perron Rn 32 zu § 266 StGB G/J/W/Waßmer Rn 21b und 47 zu § 266 StGB. Der Sache nach nunmehr anders BGH, 9.11.2016 – 5 StR 313/15, Rn 33 und 43. Sa unten Rn 69. 32 So der Sache nach BGH, 9.11.2016 – 5 StR 313/15, Rn 33 und 43: Anders als beim Amtsleiter und seinem Stellvertreter keine eigene Vermögensbetreuungspflicht des ihnen bloß Zuarbeitenden. Auch S/S/W/Saliger Rn 25 zu § 266 StGB, verlangt eine eigene Vermögensbetreuungspflicht des untergeordneten Delegationsempfängers und rekurriert (nur) für eine solche Konstellation auf § 14 StGB. Dieser Weg, quasi von hinten herum, führt allerdings nicht weiter, denn entweder handelt es sich auf Basis der Annahme unmittelbarer Pflichtenstellung bei der vom Geschäftsführer oder dem zuständigen Mitarbeiter übernommenen Aufgabe um eine Vermögensbetreuungspflicht – oder eben nicht: dann wird sie es auch nicht über § 14 StGB, weil dieser zwar die Pflicht zu überwälzen, nicht aber deren Inhalt und damit die rechtliche Qualifikation zu beeinflussen vermag. Zur Möglichkeit faktischer Geschäftsführung gegenüber einer abhängigen Gesellschaft s BGH, 13.12.2012 – 5 StR 407/12, Rn 10 f, wistra 2013, 140 f. 33 Weiterhin für sie Sympathie hegend Rogall FS Paeffgen S 361 ff; LK/Schünemann Rn 211 f zu § 266 StGB. Vgl dazu ausführlich oben § 12 Rn 16 ff. 34 S BGH, 28.9.2016 – 4 StR 293/16, Rn 19, ZInsO 2016, 2249 f (wenn auch in concreto verneint). 35 S den Sachverhalt von BGH, 19.2.2013 – 5 StR 427/12, wistra 2013, 232 ff; dazu Wessing/Krawczyk NZG 2014, 59 ff.

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schaft des Unternehmens nicht unbeschränkt über ihr (zwar nur mittelbares, aber ihnen wirtschaftlich zustehendes) Vermögen verfügen dürfen.36

II. Die Tatbestände und ihre Merkmale 1. Missbrauchs- und Treubruchtatbestand Das Verhältnis der beiden Tatbestände des § 266 Abs 1 StGB bestimmt sich nach inzwi- 8 schen weit überwiegender, aber durchaus nicht immer von eigener Überzeugung über deren Richtigkeit getragener Auffassung nach der vom Schutzgut her gesehen lückenhaften und daher sehr zweifelhaften monistischen Theorie.37 Danach enthält die Vorschrift zwar zwei verschiedene Tatbestände, deren Verwirklichung aber jeweils das Vorliegen einer in derselben Weise zu bestimmenden Vermögensbetreuungspflicht voraussetzt, abzugrenzen gegen lediglich allgemeine,38 Neben- und solche Pflichten, die dem Schutz anderer Rechtsgüter als dem Vermögen dienen. In der Konsequenz stellt der Missbrauchstatbestand einen aus dem Treubruchtatbestand ausgestanzten Spezialfall dar, der ebensogut gestrichen werden könnte, weil die Verurteilung dann direkt auf den allg Treubruchtatbestand gestützt werden könnte:39 Das rechtliche Können übersteigt in beiden Varianten das rechtliche Dürfen.40 Die Scheidelinie zwischen beiden Tatbeständen bildet das Rechtsgeschäft als Tatmittel: Verfügt der Handelnde über das

_____ 36 S unten Rn 23. 37 ZB BGH, 9.11.2016 – 5 StR 313/15, Rn 33; 16.8.2016 – 4 StR 163/16, Rn 9 mN, NJW 2016, 3253 ff (zuweilen differenziert der BGH terminologisch trotzdem zwischen der Vermögensbetreuungspflicht beim Missbrauchs- und der Vermögensfürsorgepflicht beim Treubruchtatbestand, Beispiel: wistra 2002, 143, 144 f); OLG Düsseldorf, 29.4.2015 – III-1 Ws 429/14, wistra 2015, 482 ff; BeckOK/Wittig Rn 5, 12 und 29 zu § 266 StGB; Lackner/Kühl/Heger Rn 4 und 21 zu § 266 StGB; MK/Dierlamm Rn 25 f und 31 zu § 266 StGB; M/G/ Schramm Rn 13 zu § 266 StGB; S/S/W/Saliger Rn 6 f zu § 266 StGB; G/J/W/Waßmer Rn 29 f zu § 266 StGB; zur Rechtsgeschichte und Entwicklung bis heute LK/Schünemann Rn 6 ff zu § 266 StGB nebst Anschluss als von ihm sog „resignative Theorie“, Rn 13 f und 18, obwohl er von Resignation weit entfernt ist, wie sein Bestehen auf Differenzierungen bei den Anforderungen an die Vermögensbetreuungspflicht zeigt, Rn 12 f, 15 ff und 31 ff; sa Schünemann FS Frisch S 837 ff, 845 f; Sympathie erkennen lassend Fischer Rn 6 ff, insbes Rn 8, und 21 zu § 266 StGB mN in Rn 21–22; entgegengesetzt krit A/R/R/Seier Rn 2/5/42 und 53 ff, auch 151 (zudem vor unterschiedlichen Anforderungen an die Vermögensbetreuungspflicht und der Übertragung etwaiger Erleichterungen beim Mißbrauchs- auf den Treubrauchtatbestand warnend, Rn 56, Beispiele Rn 117); NK/Kindhäuser Rn 11 ff zu § 266 StGB (zur Geschichte, zur die monistische Theorie modifizierenden integrierten Untreuekonzeption Rn 19 und 22 ff und 31 ff, also ebenso wie Schünemann zwischen den beiden Tatbeständen differenzierend); S/S/Perron Rn 2 zu § 266 StGB. 38 BGH, 9.11.2016 – 5 StR 313/15, Rn 33; Beispiele: Rücksichtnahmepflichten unter Vertragspartnern, Treupflichten von Beamten, dazu G/J/W/Waßmer Rn 36 zu § 266 StGB, und unter Gesellschaftern, dazu unten Rn 101. Verdeckte mangelnde Rücksichtnahme kann eine Täuschungshandlung iSv § 263 StGB darstellen, allerdings nur dann, wenn in höchst seltenen (und jeweils ebenso umstrittenen) Ausnahmen eine Pflicht zur Offenbarung besteht, von BGH, 4.8.2016 – 4 StR 523/15, NZI 2016, 934 f m abl Anm Bauer; dagegen auch Pauka/Link/Armenat NZI 2016, 897 ff, bejaht für den Fall des mit der Leistung von 50.000 € als Darlehen an die GmbH verbundenen Einwerbens von Rechtsanwalts-Gesellschaftern trotz Nähe zur alsbald unvermeidlich gewordenen Insolvenz. 39 Zutr A/R/R/Seier Rn 5/2/55; aA S/S/W/Saliger Rn 7 zu § 266 StGB. 40 Diese Aussage wird zumeist nur auf den Missbrauchstatbestand bezogen, vgl zum Thema S/S/W/ Saliger Rn 18 und 21 zu § 266 StGB; A/R/R/Seier Rn 2/5/100; BeckOK/Wittig Rn 6 und 13 zu § 266 StGB; Lackner/Kühl/Heger Rn 6 zu § 266 StGB; MK/Dierlamm Rn 32 und 136 f zu § 266 StGB; M-G/Hadamitzky Rn 32/47; NK/Kindhäuser Rn 82 und 86 zu § 266 StGB; S/S/Perron Rn 17 zu § 266 StGB; Scholz/Tiedemann/ Rönnau Rn 7 vor §§ 82 ff GmbHG; G/J/W/Waßmer Rn 68 ff und 107 f zu § 266 StGB; Fischer Rn 9 und 25 zu § 266 StGB; differenzierend LK/Schünemann Rn 47 zu § 266 StGB.

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betreute Vermögen oder verpflichtet es, so hängt die Wirksamkeit nicht davon ab, ob er dabei auch all die Bedingungen einhält, die allein im Innenverhältnis wurzeln. Bindet der Täter das fremde Vermögen aufgrund seiner im Außenverhältnis (gegenüber dem Vertragspartner) bestehenden Vertretungs- oder Verfügungsmacht im Widerspruch zu den Grenzen des Innenverhältnisses (zum Vertretenen), so ist der Missbrauchstatbestand verwirklicht, wenn daraus ein Nachteil resultiert.41 Beruht letzterer hingegen auf einer sonstigen Pflichtwidrigkeit,42 so ist demgegenüber der Treubruchtatbestand einschlägig.43 Auch er dient dem Schutz des Dürfens vor der (faktischen) Überschreitung aufgrund Könnens.44 Die Abgrenzung im einzelnen ist streitig, wenn zB im Fall der Bindung kraft Rechtsscheins45 Außen- und Innenmacht zwar übereinstimmten, aber beide gebrochen wurden.46

2. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale a) Die Vermögensbetreuungspflicht 9 Das Erfordernis einer Vermögensbetreuungspflicht galt bis 1972 im Einklang mit dem Wortlaut der Bestimmung lediglich für den Treubruchtatbestand. Für den Missbrauchstatbestand genügte hingegen jede Möglichkeit zur Verfügung über fremdes Vermögen oder zu dessen Verpflichtung. Auf diese Weise war ein weitgehend lückenloser Vermögensschutz gewährleistet. So war zB der Griff in die Kasse seitens der Kassiererin als Untreue in Form des Missbrauchstatbestandes strafbar. Mit diesem Verständnis brach der BGH in der Entscheidung zum „Euroscheck“.47 Dessen Ausstellen trotz fehlender Deckung auf dem Konto verpflichtete die bezogene Bank bis zum 31.12.2001 aufgrund einer mit Ausgabe des Schecks verbundenen, auf 400 DM begrenzten Garantie zu dessen unbedingter Einlösung. Der BGH verneinte gleichwohl das Vorliegen einer Untreue und bejahte stattdessen den Betrugstatbestand. Begründet hat er dies damit, dass den Bankkunden nicht die Pflicht treffe, das Vermögen der Bank zu betreuen. Das ist richtig, führt aber nur dann zum richtigen Ergebnis, wenn man auch die Verwirklichung des Missbrauchstatbestands mit dem BGH vom Vorliegen einer Vermögensbetreuungspflicht abhängen lässt. Diese Auffassung entspricht trotz der berechtigten und ursprünglich vielfältigen Kritik inzwischen seiner st Rspr und der hM. 10 Der BGH stellt für beide Tatbestandsalternativen keine, jedenfalls keine grundsätzlich unterschiedlichen Anforderungen an das Vorhandensein einer Vermögensbetreuungspflicht. Ihr Vorliegen ist daher unabhängig davon zu beurteilen, ob der Missbrauchs- oder der Treubruchtatbestand in Rede steht.48

_____ 41 M-G/Hadamitzky Rn 32/2, 9, 11, 16, 18, 43 und 46, auch 142; Beispiele Rn 51 ff; NK/Kindhäuser Rn 53 zu § 266 StGB. 42 Das kann durchaus eine Verfügung sein, es sei denn, sie fällt unter den Missbrauchstatbestand (Beispiel: Unwirksamkeit, Folge: Treubruchtatbestand), Fischer Rn 51 und 53 zu § 266 StGB; G/J/W/Waßmer Rn 96 und 106 zu § 266 StGB. 43 LK/Schünemann Rn 106 ff zu § 266 StGB; M-G/Hadamitzky Rn 32/2, 8b, 9, 93 und 142. 44 NK/Kindhäuser Rn 28 und 61 zu § 266 StGB; G/J/W/Waßmer Rn 96 zu § 266 StGB. 45 Dazu unten Rn 36. 46 Abl S/S/W/Saliger Rn 18 und 21 zu § 266 StGB; sa Fischer Rn 26 aE und 27 zu § 266 StGB. 47 BGHSt 24, 386 ff; sa BGHSt 33, 244, 250f; zu den Folgen ausf LK/Schünemann Rn 10 ff zu § 266 StGB. 48 BGHSt 50, 331 ff, 341 f; BGH, 11.12.2014 – 3 StR 265/14, Rn 30, BGHSt 60, 94 ff; 26.11.2015 – 3 StR 17/15, BGHSt 61, 48 ff (dazu C Brand NZG 2016, 690 ff; Hotz ZWH 2016, 355 ff). Vgl A/R/R/Seier Rn 2/5/41 f (abl); S/S/W/Saliger Rn 7 zu § 266 StGB (abl); G/J/W/Waßmer Rn 67 zu § 266 StGB (krit); BeckOK/Wittig Rn 12 zu § 266 StGB; Fischer Rn 6 ff zu § 266 StGB mN.

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Eine Vermögensbetreuungspflicht besteht dann, wenn der Täter zur Fürsorge für 11 ein fremdes Vermögen, zB des Geschäftsherrn,49 verpflichtet ist, möglichst zu dessen Mehrung.50 Es muss sich dabei entweder um die Haupt-51 oder jedenfalls um eine für das Rechtsverhältnis wesentliche52 bzw typische53 oder herausgehobene,54 es zumindest mitbestimmende,55 jedenfalls prägende Pflicht, meist von einiger Dauer und gewissem Umfang56 handeln. Ihre Erfüllung darf zudem nicht im einzelnen (zB durch Weisungen57) vorgegeben sein,58 sondern der Täter muss über einen eigenverantwortlichen59 selbständigen Entscheidungsspielraum verfügen60 iS ursprünglichen Agierens ohne vorherige oder gleichzeitige (ins einzelne gehende) Kontrolle. 61 Nachträgliche Überprüfung hindert die Annahme der erforderlichen Selbständigkeit hingegen nicht.62 Diese einzelnen Kriterien sind allerdings nicht wie Tatbestandsmerkmale zu ver- 12 stehen. Sie müssen nicht sämtlich erfüllt sein, sondern stellen lediglich in eine Gesamtschau einzubeziehende Gesichtspunkte dar („Strauß von Indizien“63). Das Fehlen eines Aspekts kann deshalb durch eine besondere Ausprägung eines der anderen Um-

_____ 49 M/R/Matt Rn 20, 31 ff und 44 ff zu § 266 StGB; M-G/Hadamitzky Rn 32/24. 50 A/R/R/Seier Rn 5/2/151. 51 ZB BGH, 11.12.2014 – 3 StR 265/14, Rn 26 und 41, BGHSt 60, 94 ff; 26.11.2015 – 3 StR 17/15, Rn 52, BGHSt 61, 48 ff; 16.8.2016 – 4 StR 163/16, Rn 10 mN, NJW 2016, 3253 ff; 12.10.2016 – 5 StR 134/15, Rn 27, ZInsO 2017, 25 ff; 9.11.2016 – 5 StR 313/15, Rn 33; BeckOK/Wittig Rn 12 und 31 zu § 266 StGB; MK/Dierlamm Rn 45 und 65 zu § 266 StGB; M-G/Hadamitzky Rn 32/24 und 107; S/S/W/Saliger Rn 10 zu § 266 StGB; A/R/R/Seier Rn 5/2/148; G/J/W/ Waßmer Rn 34 zu § 266 StGB; abl S/S/Perron Rn 24 zu § 266 StGB; ähnlich Fischer Rn 21 zu § 266 StGB für den Missbrauchstatbestand, befürwortend aber für den Treubruchtatbestand Rn 36 zu § 266 StGB. 52 ZB BGH, 16.8.2016 – 4 StR 163/16, Rn 10, 18 und 24 mN, NJW 2016, 3253 ff; BeckOK/Wittig Rn 12 und 31 zu § 266 StGB; MK/Dierlamm Rn 45 und 65 zu § 266 StGB; NK/Kindhäuser Rn 33 zu § 266 StGB; S/S/Perron Rn 23 zu § 266 StGB; G/J/W/Waßmer Rn 34 zu § 266 StGB; Fischer Rn 21 zu § 266 StGB. 53 A/R/R/Seier Rn 5/2/148; S/S/W/Saliger Rn 10 zu § 266 StGB; G/J/W/Waßmer Rn 34 zu § 266 StGB; sa NK/Kindhäuser Rn 33 zu § 266 StGB. 54 BGH, 11.12.2014 – 3 StR 265/14, Rn 26 und 40, BGHSt 60, 94 ff; 26.11.2015 – 3 StR 17/15, Rn 52, BGHSt 61, 48 ff; G/J/W/Waßmer Rn 31 zu 266 StGB. 55 BGH, 11.12.2014 – 3 StR 265/14, Rn 26, BGHSt 60, 94 ff; 26.11.2015 – 3 StR 17/15, Rn 52, BGHSt 61, 48 ff; 16.8.2016 – 4 StR 163/16, Rn 10, 18 und 24 mN, NJW 2016, 3253 ff; BGH, 9.11.2016 – 5 StR 313/15, Rn 33. 56 LK/Schünemann Rn 89 zu § 266 StGB (allerdings relativierend); M-G/Hadamitzky Rn 32/112; NK/Kindhäuser Rn 35 zu § 266 StGB; S/S/Perron Rn 24 zu § 266 StGB; S/S/W/Saliger Rn 10 zu § 266 StGB. 57 BGH, 11.12.2014 – 3 StR 265/14, Rn 26, BGHSt 60, 94 ff; 26.11.2015 – 3 StR 17/15, Rn 52, BGHSt 61, 48 ff. 58 A/R/R/Seier Rn 5/2/148. 59 BGH, 11.12.2014 – 3 StR 265/14, Rn 26, BGHSt 60, 94 ff; 26.11.2015 – 3 StR 17/15, Rn 52, BGHSt 61, 48 ff; BGH, 9.11.2016 – 5 StR 313/15, Rn 33; A/R/R/Seier Rn 5/2/150; S/S/W/Saliger Rn 10 zu § 266 StGB; G/J/W/ Waßmer Rn 37 zu § 266 StGB. 60 ZB BGH, 11.12.2014 – 3 StR 265/14, Rn 26, BGHSt 60, 94 ff; 26.11.2015 – 3 StR 17/15, Rn 52, BGHSt 61, 48 ff; 16.8.2016 – 4 StR 163/16, Rn 10 und 29 mN, NJW 2016, 3253 ff; BGH, 9.11.2016 – 5 StR 313/15, Rn 33; BeckOK/Wittig Rn 32 zu § 266 StGB; MK/Dierlamm Rn 43, 45 und 52 ff, ferner Rn 232 zu § 266 StGB, beide auch die Notwendigkeit der Eigenverantwortlichkeit des Handelns betonend; S/S/W/Saliger Rn 10 zu § 266 StGB; M-G/Hadamitzky Rn 32/107; NK/Kindhäuser Rn 34, 47 ff, 54 f und 63 zu § 266 StGB; S/S/Perron Rn 23b, auch Rn 24 zu § 266 StGB; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 8 vor §§ 82 ff GmbHG; A/R/R/Seier Rn 5/2/ 148; G/J/W/Waßmer Rn 32 und 37 f zu § 266 StGB; Fischer Rn 34, 37 und 39 zu § 266 StGB; für den Missbrauchstatbestand einschr LK/Schünemann Rn 16 f zu § 266 StGB. 61 BGH, 5.3.2013 – 3 StR 438/12, Rn 11, NJW 2013, 1615 f (der Sache nach); 11.12.2014 – 3 StR 265/14, Rn 26, BGHSt 60, 94 ff; 26.11.2015 – 3 StR 17/15, Rn 52, BGHSt 61, 48 ff; BGH, 9.11.2016 – 5 StR 313/15, Rn 33; LK/ Schünemann Rn 21 und 82 ff zu § 266 StGB; zust Fischer Rn 37; S/S/Perron Rn 23b zu § 266 StGB; S/S/W/ Saliger Rn 10 zu § 266 StGB; krit A/R/R/Seier Rn 5/2/149 und 151. 62 BGH, 26.11.2015 – 3 StR 17/15, Rn 52, BGHSt 61, 48 ff; BGH, 9.11.2016 – 5 StR 313/15, Rn 33 (beide: keine gleichzeitige Steuerung und Überwachung); 16.8.2016 – 4 StR 163/16, Rn 26 f mN, NJW 2016, 3253 ff; LK/ Schünemann Rn 86 zu § 266 StGB. 63 C Brand/Seeland ZWH 2015, 258 ff, 259.

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stände ausgeglichen werden, zB die fehlenden Selbständigkeit von der besonderen Bedeutung der wahrzunehmen Aufgabe, zB der Höhe der betroffenen Vermögenswerte.64 Erst aufgrund einer typologisch-wertenden Würdigung der Verhältnisse des konkreten Sachverhalts lässt sich die Entscheidung treffen.65 Wesentlich ist dabei der Aspekt der Herrschaft über fremdes Vermögen:66 sie zieht die Treupflicht nach sich. Beides korrespondiert miteinander, wobei die Herrschaft der Treupflicht zwingend vorgelagert67 und zu bejahen ist, wenn das Innenverhältnis von einer Statthalterfunktion68 iS der Einwirkung auf das fremde Vermögen gekennzeichnet ist,69 etwa bei einer Verwaltungstreuhand,70 der Besorgung fremder Geschäfte71 und eingeräumter fremdnütziger Dispositionsbefugnis.72 Die Berücksichtigung der jeweiligen Spezifika und deren wertende Gewichtung nach den besondern Umständen ermöglicht das flexible Judizieren im Einzelfall. Damit lassen sich einige73 Strafbarkeitslücken ausgleichen, welche andernfalls die auch für den Mißbrauchstatbestand geforderte Vermögensbetreuungspflicht reißen würde. Der Rechtssicherheit ist damit allerdings weniger gedient als mit der dualistischen Theorie oder zumindest der Anerkennung geringerer Anforderungen an die Vermögensbetreuungspflicht beim Missbrauchstatbestand gegenüber deren Erfordernissen beim Treubruch.74 Der Inhalt der Pflichtenstellung richtet sich nach dem jeweiligen Rechtsverhältnis 13 zwischen dem Pflichtigen und dem zu betreuuenden Vermögen,75 ist aber nicht akzesso-

_____ 64 Beispiel: Geldtransporte, BGH, 1.4.2008 – 3 StR 493/07, Rn 10 ff, wistra 2008, 427 ff (Heros); dazu A/R/R/Seier Rn 5/2/148 (auf dem Boden krit Grundhaltung); sa G/J/W/Waßmer Rn 32 zu § 266 StGB. 65 Vgl zB BGHSt 41, 224, 229; A/R/R/Seier Rn 5/2/18 (krit); AnwK/Esser Rn 17 ff, 31 ff und 60 ff zu § 266 StGB; Böttger Rn 3/30; Dannecker/Knierim/Hagemeier/Smok Rn 653 f und 689 ff; LK/Schünemann Rn 20, 26, 74 und 88 zu § 266 StGB; M/R/Matt Rn 31 zu § 266 StGB; M-G/Hadamitzky Rn 32/113 ff; G/J/W/Waßmer Rn 32 f zu § 266 StGB; wohl auch M/G/Schramm Rn 93 ff zu § 266 StGB; krit A/R/R/Seier Rn 2/5/148 ff; BeckOK/ Wittig Rn 29 zu § 266 StGB; MK/Dierlamm Rn 52 ff zu § 266 StGB und passim; Fischer Rn 37 zu § 266 StGB; S/S/Perron Rn 24 zu § 266 StGB; eher distanziert auch S/S/W/Saliger Rn 10 f zu § 266 StGB, die Ursache jedoch im unterbestimmten Gesetzestext verortend. 66 LK/Schünemann Rn 21 f; sachlich ebenso G/J/W/Waßmer Rn 31, auch 41 zu § 266 StGB, wobei das Erfordernis eines gewissen Gewichts nicht Bagatellen aus dem Tatbestand fernhalten soll, sondern relativ zur jeweiligen Aufgabe interpretiert werden muss; S/S/W/Saliger Rn 11 zu § 266 StGB spricht von „interner Machtstellung“. 67 LK/Schünemann Rn 21, 22 je aE und 58 zu § 266 StGB; der Sache nach ebenso NK/Kindhäuser Rn 3 und 22 zu § 266 StGB. 68 A/R/R/Seier Rn 5/2/151. 69 LK/Schünemann Rn 21 und 58 zu § 266 StGB. 70 LK/Schünemann Rn 14 und 17 zu § 266 StGB. 71 S/S/W/Saliger Rn 10 und 11 zu § 266 StGB; A/R/R/Seier Rn 5/2/150; LK/Schünemann Rn 58 und 74; Abgrenzungen Rn 75 ff zu § 266 StGB; NK/Kindhäuser Rn 28 und 31 zu § 266 StGB; S/S/Perron Rn 23b zu § 266 StGB; G/J/W/Waßmer Rn 35 zu § 266 StGB; Fischer Rn 38 zu § 266 StGB. 72 S/S/Perron Rn 2 zu § 266 StGB. 73 S/S/W/Saliger Rn 10 zu § 266 StGB, der unter Hinweis auf BGH, 4.11.1988 – 1 StR 480/88, Rn 5, NStZ 1989, 72 f, sogar eine Übertragung auf an sich nicht fremdnützige Rechtsverhältnisse ausgemacht hat. Ein wesentlicher Unterschied bleibt jedoch in den Fällen der Ermächtigung zum Einzug von Forderungen („Forderungsunterschlagung“), bei denen BGH, 6.3.1984 – 5 StR 997/83, Rn 9 f, wistra 1984, 143, wegen der Befugnis zum Einzug keinen Missbrauch (zust G/J/W/Waßmer Rn 92 zu § 266 StGB: Absicht späterer Schädigung genüge nicht) und mangels Hauptpflicht zur Ablieferung keinen Treubruch (diesen für möglich haltend G/J/W/Waßmer Rn 92 zu § 266 StGB) sieht, aA LK/Schünemann Rn 51 f und 88, auch 103 zu § 266 StGB, der die darin liegende Ungleichbehandlung zwischen Forderungen und körperlichen Sachen beanstandet. 74 So LK/Schünemann Rn 12 f, 15 ff und 47 ff zu § 266 StGB; krit auch A/R/R/Seier Rn 2/5/148 ff; Fischer Rn 37 zu § 266 StGB; S/S/Perron Rn 2, 11 und 24 zu § 266 StGB; sa BeckOK/Wittig Rn 5.1 zu § 266 StGB. 75 Vgl Fischer Rn 54 und 58 zu § 266 StGB; auch S/S/W/Saliger Rn 37 zu § 266 StGB, wenngleich aufgrund seines Akzessorietätsdogmas zu weitgehend als allein vom Sachrecht her konstituiert angesehen.

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§ 16 Untreue, § 266 StGB | 891

risch zu bestimmen.76 Pönalisiert ist nicht das Verletzen der Normen anderer Rechtsgebiete, die das Rechtsverhältnis zwischen Betreuer und Betreutem konstituieren oder auf es einwirken (zB des BetrVG77, des PartG78 oder des KWG79). Tatbestandlich ist vielmehr nur die Verletzung der konkreten, fallspezifischen strafrechtlichen Vermögensbetreuungspflicht. Diese kann von außerstrafrechtlichen Normen mitbestimmt sein, muss es aber nicht, weil die Strafvorschrift die Primärnorm umfassen, also selbst begründen kann.80 Tatbestandlich relevant ist dabei immer die jeweils betroffene konkrete Pflicht. Es 14 genügt daher nicht, dass den Täter überhaupt irgendeine Pflicht zur Betreuung von Fremdvermögen trifft. Vielmehr ist maßgeblich, ob der in Rede stehende Verstoß gerade die spezifische Vermögensbetreuungspflicht verletzt.81 Das hängt von ihrem Umfang und ihrer Reichweite ab.82 Beim Bruch einer „Jedermann-Pflicht“, ie eine solche, die nicht nur den Vermögensbetreuungspflichtigen trifft, und rechtswidrigen, lediglich „bei Gelegenheit“ begangenen Pflichtwidrigkeiten, ist zu differenzieren: Verletzt das Geschehen die Obhutspflicht, so liegt Untreue auch dann vor, wenn ein Nicht-Vermögensbetreuungspflichtiger nicht oder zumindest nicht nach § 266 StGB bestraft würde. Die Zueignung von Eigentum der juristischen Person ist für deren Geschäftsführer Untreue,83 für einen besitzenden Mitarbeiter Unterschlagung und für einen Externen Diebstahl. Entgeht dem Unternehmen ein unterschriftsreifer lukrativer Auftrag, weil der Geschäftsführer ein Bild aus dem Büro des Geschäftspartners mitgehen ließ, so stehen Diebstahl und Untreue in Tateinheit. Der Diebstahl bei der Besichtigung des Betriebes eines NichtGeschäftspartners ist hingegen genausowenig Untreue wie der Führerscheinverlust nach privater Trunkenheitsfahrt, selbst wenn der Geschäftsführer während des Prozesses (oder gar nach Inhaftierung) dem Unternehmen nicht vertragsgemäß dienen kann bzw ein Fahrer für ihn eingestellt werden muss. Hat ein Rechtsanwalt zB von einer GmbH nur ein verkehrsrechtliches Mandat erhalten, etwa aufgrund eines Unfalls des Firmenwagens, so trifft ihn hinsichtlich seiner Aufgabe, Schadenersatzansprüche zu verfolgen und die überwiesene Versicherungssumme auszukehren, eine Vermögensbetreuungspflicht. Erfährt er jedoch in Ausübung seines Mandats zudem, dass die über Kontovollmacht ver-

_____ 76 S unten Rn 21. 77 BGH, 13.9.2010 – 1 StR 220/09, BGHSt 55, 288 ff, dazu C Brand JR 2011, 400 ff; G/J/W/Waßmer Rn 133b zu § 266 StGB. 78 BGH, 13.4.2011 – 1 StR 94/10, BGHSt 56, 203 ff (dazu krit Wagner ZIS 2012, 28 ff); sa S/S/W/Saliger Rn 39 zu § 266 StGB. 79 BGH, 6.4.2000 – 1 StR 280/99, BGHSt 46, 30 ff; 15.11.2001 – 1 StR 185/01, BGHSt 47, 148 ff; 21.12.2005 – 3 StR 470/04, BGHSt 50, 331 ff. 80 S unten Rn 21. 81 BGH, 12.12.2012 – 5 StR 380/12, Rn 3, wistra 2013, 104 f; 11.4.2013 – 2 StR 504/12, Rn 22 f, NStZ 2013, 536 f; 26.11.2015 – 3 StR 17/15, Rn 133 und 143, BGHSt 61, 48 ff; S/S/W/Saliger Rn 35 und 42, auch 44 und 46 zu § 266 StGB; A/R/R/Seier Rn 5/2/163 und 212; G/J/W/Waßmer Rn 104 und 109 zu § 266 StGB und mit Beispielen für den fehlenden Bezug zur Vermögensbetreuungspflicht in Rn 105; BeckOK/Wittig Rn 18a und 35a zu § 266 StGB; MK/Dierlamm Rn 170 und 185 zu § 266 StGB; S/S/Perron Rn 23a zu § 266 StGB; einschr im Hinblick auf sein Verständnis vom allg Schädigungsverbot LK/Schünemann Rn 185 zu § 266 StGB; aA Lackner/Kühl/Heger Rn 2 zu § 266 StGB, wie hM aber Rn 15. Zur Bedeutung beim GmbH-Geschäftsführer vgl unten Rn 70 f. 82 LK/Schünemann Rn 101 f zu § 266 StGB. 83 Fischer Rn 52 zu § 266 StGB; NK/Kindhäuser Rn 62 zu § 266 StGB; S/S/W/Saliger Rn 35, 42 und 105 zu § 266 StGB, der zutr betont, dass die Tat nicht nur bei Gelegenheit begangen worden sein darf, sondern lediglich dann erfasst ist, wenn der Täter als Vermögensbetreuer gehandelt hat, Rn 46; A/R/R/Seier Rn 5/ 2/165; G/J/W/Waßmer Rn 104 aE zu § 266 StGB; wohl auch Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 7 vor §§ 82 ff GmbHG; aA MK/Dierlamm Rn 185 zu § 266 StGB.

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fügende Sekretärin des im Krankenhaus liegenden Alleingesellschafter-Geschäftsführers ohne dessen Einverständnis private Ausgaben aus der Firmenkasse bestreitet, dann begeht er keine Untreue, wenn er sein Wissen für sich behält – und zwar selbst bei Bestehen einer zivilrechtlichen Pflicht zur Information des Geschäftsführers. Übernimmt hingegen der Firmenanwalt für den im Koma liegenden Geschäftsführer auch die Leitung des ansonsten (mangels Sachverstands) handlungsunfähigen (Klein-)Unternehmens, dann macht er sich wegen Untreue strafbar, wenn er solch Treiben der Sekretärin duldet und es unterlässt, die Ansprüche der GmbH gegen sie zu verfolgen. Als Täter kommen Organe, Vertreter, Beauftragte und Repräsentanten in Betracht.84 15 Den schlichten Boten trifft hingegen keine Vermögensbetreuungspflicht. In den typischen Fällen insolvenzbegleitender Untreue verletzen Vorstandsmitglieder einer AG, denkbar auch einer Stiftung85 und eines Vereins,86 GmbH-Geschäftsführer oder Liquidatoren87 ihre Vermögensbetreuungspflicht.88 Keine Vermögensbetreuungspflicht89 besteht zB aufgrund eines Konkurrenzver16 90 bots ; zwischen einem selbständigen, für eine Anlagegesellschaft tätigen Anlageberater und dieser bzw ihrem Kunden;91 einem Kaufmann und seinem Lieferanten;92 einem General- und einem Subunternehmer;93 einem Kreditgeber und einem Kreditnehmer94 und einem Bauherrn und einem Bauunternehmer,95 auch nicht bei privater Nutzung von Abgeordneten in Ausübung ihrer Mandate erworbener „Bonusmeilen“.96

_____ 84 Lesch/Hüttemann/Reschke NStZ 2015, 609, 611 f; Übersichten bei LK/Schünemann Rn 126 ff; MK/Dierlamm Rn 68 ff zu § 266 StGB; „Lexikon besonderer Untreue-Konstellationen im Wirtschaftsleben bei A/R/R/ Seier Rn 5/2/225 ff. 85 BGH, 24.6.2010 – 3 StR 90/10, wistra 2010, 445 ff; auch BGH, 20.11.2014 – III ZR 509/13, NZG 2015, 38 ff (dazu Burgard/Heimann NZG 2016, 166 ff); Werner ZWH 2013, 348 ff; ders ZWH 2015, 296 ff. 86 BGH, 10.12.2007 – II ZR 239/05, BGHZ 175, 12 ff (dazu C Brand/Sperling JR 2010, 473 ff); zu zurückhaltend OLG Köln, 6.5.2013 – III-2 Ws 254/13, wistra 2013, 357 ff; ausführlich Reschke, S 67 ff. 87 S unten Rn 80. 88 Näheres unten Rn 70 ff. 89 Auflistungen bei A/R/R/Seier Rn 5/2/154 ff; Böttger Rn 3/33; Lackner/Kühl/Heger Rn 12 zu § 266 StGB; NK/Kindhäuser Rn 57 zu § 266 StGB; S/S/Perron Rn 26 zu § 266 StGB; G/J/W/Waßmer Rn 50 und 74 zu § 266 StGB und Fischer Rn 49 zu § 266 StGB; sa BeckOK/Wittig Rn 34.1 zu § 266 StGB. Die Lösungen bei MK/Dierlamm Rn 67 ff und 190 ff zu § 266 StGB sind sehr von seiner eigenen, mit der Auffassung des BGH durchaus nicht durchweg konformen Ansicht geprägt. Keine Vermögensbetreuungspflicht begründet das zivilrechtliche Gebot zur Freigabe von Sicherheiten, OLG Celle, 18.7.2013 – 1 Ws 238/13, ZWH 2014, 21 ff mAnm C Brand. 90 OLG Frankfurt/M NStZ-RR 1997, 201 f. 91 BGH wistra 2002, 142 f. Der Anlageberater sollte frei gewordene Gelder entweder auszahlen oder sie mit Zustimmung des Kunden neu anlegen, verwendete sie aber für sich. Anlageverträge zwischen Kunden und Gesellschaft oder Anlageberater begründen hingegen Vermögensbetreuungspflichten; deutlich enger OLG München, 6.8.2004 – 2 Ws 660 und 694/04, ZIP 2004, 2438 ff m krit Anm Tiedemann; weitergehend Mölter wistra 2010, 53 ff. 92 BGHSt 22, 190 ff: Veräußerung unter einfachem Eigentumsvorbehalt gekaufter Ware mit Zustimmung des Lieferanten im normalen Geschäftsbetrieb, aber ohne den Erlös abzuführen. 93 BGH NJW 1978, 2105 ff: Endkunde zahlte an Generalunternehmer, dieser verwandte das Geld aber für andere geschäftliche Zwecke und nicht zum Bezahlen des Subunternehmers; hier kann aber bei Kreditfinanzierung eines Bauwerks ein Verstoß gegen das BauFordSiG oder bei Handeln nach Eintritt der Insolvenzreife ein Verstoß gegen § 283 Abs 1 Nr 8 StGB zu bejahen sein, vgl dazu oben § 12 Rn 211 und § 13. 94 BGH NStZ 1989, 72 f: Totalverlust nach Verwendung der Darlehenssumme für andere als vorgesehene Zwecke. 95 BGH, 25.5.2010 – VI ZR 205/09, NJW 2010, 2948 ff; S/S/W/Saliger Rn 11 und 23 zu § 266 StGB; Greeve FS Hamm, S 121 ff; Greeve/Müller NZBau 2000, 239 ff: entgegen § 17 VOB unterlassene Zahlung des Sicherungseinbehalts auf ein Sperrkonto; aA OLG München, 23.2.2006 – 2 Ws 22/06, wistra 2006, 192 ff. 96 Schwaben NStZ 2002, 636 f.

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Zu bejahen ist die von § 266 StGB geforderte Vermögensbetreuungspflicht97 17 hingegen – selbstverständlich – für GmbH-Geschäftsführer und Vorstände von Kapitalgesellschaften,98 für Insolvenzverwalter,99 und Mitglieder des Gläubigerausschus-

_____ 97 Auflistungen bei S/S/W/Saliger Rn 13 ff zu § 266 StGB; A/R/R/Seier Rn 5/2/160 f; G/J/W/Waßmer Rn 49, 71–73 und 75 (zum Missbrauchstatbestand), Rn 112 f (zum Treubruch) zu § 266 StGB; Böttger Rn 3/32; Lackner/Kühl/Heger Rn13 zu § 266 StGB; NK/Kindhäuser Rn 58 zu § 266 StGB; M/G/Schramm Rn 41 ff, 93 ff und 105 ff zu § 266 StGB; S/S/Perron Rn 25 zu § 266 StGB; sowie bei Fischer Rn 48 zu § 266 StGB. Clemente, wistra 2010, 249 ff, entnimmt der Rspr (im Anschluss an das zivilrechtliche Urteil des BGH, 30.3.2010 – XI ZR 200/09, BGHZ 185, 133 ff) die Bejahung einer Untreue durch treuwidrige Verwendung eines Sicherungsrechts (zB der zweckwidrigen Abtretung einer Sicherungsgrundschuld). 98 Dazu unten Rn 64. 99 S/S/W/Saliger Rn 19 zu § 266 StGB; ausführlich Diversy/Weyand ZInsO 2009, 802 ff, und Dannecker/ Knierim/Hagemeier Rn 1230 ff; ferner Fleischer BB 2010, 67 ff; Kiethe WM 2005, 2122 ff; Richter FS Beck, S 441 ff, 447 (auch für den Eigenverwalter geltend, s dazu unten Rn 57 mit gegenteiligem Ergebnis); Samson FS Braun, S 487 ff; Beispiele: LG Frankfurt/M, 15.11.2012 – 5/26 KLs 7640 Js 208746/10, rechtskräftig aufgrund Verwerfung der Revision seitens des BGH, ZInsO 2014, 1811 ff nebst Auszug aus der Stellungnahme des Generalbundesanwalts sowie BGH, 20.10.2016 – 2 StR 2/16 (gegen einen Helfer): Unterwertverkäufe aus der Masse an eigenes Unternehmen (auch: an einen Gläubiger: AG Göttingen, 20.11.2008 – 74 IN 11/01, ZInsO 2009, 527 ff); unterlassenes Beitreiben einer Forderung, BGH, 3.3.2016 – IX ZR 119/15, Rn 15 ff, ZInsO 2016, 687 ff; abl Holzer NZI 2016, 903 ff (für Auswahl eines mit dem Beitreiben beauftragten Rechtsanwalts haftet der Insolvenzverwalter zivilrechtlich gemäß § 278 BGB – daher liegt nicht nur bei fehlerhafter Auswahl [zivilrechtlich: § 831 BGB], sondern bereits bei fehlender Kontrolle zudem Untreue nahe); zu verspäteter Kündigung eines Dauerschuldvertrags BGH, 9.2.2012 – IX ZR 75/11, ZInsO 2012, 481 ff; OLG Celle, 28.2.2013 – 16 U 143/12, ZInsO 2013, 993 ff; zu einem nicht eingelegten aussichtsreichen Rechtsmittel OLG Düsseldorf, 25.7.2012 – 7 U 22/11, ZInsO 2012, 2296 f (Vorinstanz: LG Düsseldorf, 10.1.2011 – 7 O 193/09, ZInsO 2011, 236 ff); zu unterlassener Anfechtung s LG Krefeld, 6.2.2014 – 3 O 271/13, ZInsO 2014, 848 ff; LG Dresden, 31.5.2013 – 10 O 3091/12, ZInsO 2013, 1319 ff; unterbliebene zinsgünstige Anlage beigetriebener Gelder bis zur Schlussverteilung, BGH, 26.6.2014 – IX ZR 162/13, ZInsO 2014, 1558 ff; nicht genutzte günstige Verwertungsmöglichkeit, BGH, 4.7.2013 – IX ZR 264/12, ZInsO 2013, 1690 (auch BGH, 5.5.2011 – IX ZR 144/10, ZInsO 2011, 1463 ff – Zustimmungspflicht des vorl Insolvenzverwalters); überhöhte Preise für Aufträge der Masse an ein Unternehmen, an welchem der Insolvenzverwalter beteiligt ist, BGH, 26.4.2012 – IX ZB 31/11, ZInsO 2012, 1125 ff; unnötige Verwertungskosten, OLG Nürnberg, 11.12.2013 – 12 U 1530/12, ZInsO 2014, 206 ff; der Masse nachteilige Betreuung der steuerlichen Angelegenheiten, LG Düsseldorf, 10.1.2011 – 7 O 193/09, ZInsO 2011, 237 ff; unberechtigte und kostenträchtige Aufnahme eines Rechtsstreits, BAG, 15.5.2013 – 5 AZR 252/12 (A), ZInsO 2013, 1475; Unterwertverkauf eines Grundstücks, OLG Rostock, 8.4.2011 – 5 U 31/08, NZI 2011, 488 ff (rechtskräftig aufgrund Verwerfung der Nichtzulassungsbeschwerde seitens BGH, 16.5.2013 – IX ZR 60/11); unangemessene Beratungshonorare, wie sie im Vorfeld von Insolvenzen vorkommen (zB Luftgutachten), muss der Insolvenzverwalter zur Vermeidung eigenen ungetreulichen Handelns anfechten, Weyand ZInsO 2014, 1934 ff – einschr aber Ganter ZIP 2015, 1413 ff gegen LG Frankfurt/M, 7.5.2015 – 2/32 O 102, 13, ZIP 2015, 1358 (dazu auch LG Frankfurt/M, 21.4.2015 – 2-19 O 37/14, NZI 2015, 1022 ff, n rkr, mAnm Riewe; LG Dessau-Roßlau, 24.7.2015 – 2 O 480/14, ZInsO 2015, 2383 ff); Grenze der Treupflicht: vorinsolvenzliche wirksame Übertragung von Vermögen auf einen Treuhänder, so dass der Insolvenzverwalter aus Rechtsgründen nicht tätig werden kann, BGH, 24.9.2015 – IX ZR 272/13; Rn 34 ff, BGHZ 207, 23 ff. Zivilrechtlich bejaht BGH, 9.10.2014 – IX ZR 140/11, Leitsatz e bzw 5 und Rn 35 ff, BGHZ 202, 324 ff, einen Anscheinsbeweis rechtmäßigen Verhaltens, wäre sorgfältig überwacht worden; sa BGH, 8.12.2005 – IX ZB 308/04, ZIP 2006, 247 ff. Einen Fall überhöhter Festsetzung der aus der Masse zu entnehmenden Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters betrachteten das LG Aurich, 27.7.2015 – 15 KLs 1000 Js 17239/10/3/14, ZInsO 2015, 1809 ff, dazu Weyand ZInsO 2015, 1843 ff; Keramati juris PR InsR 3/2016, Anm 4, (verneinend) und das OLG Oldenburg, 25.4.2016 – 1 Ws 508/15, ZInsO 2016, 1659 ff, mAnm Weyand (bejahend) allein unter dem Gesichtspunkt des Betrugs. Bei Zugrundelegen der Maßstäbe der Entscheidung des BGH, 10.10.2012 – 2 StR 591/11, NJW 2013, 401 ff, in Sachen Telekom dürfte (auch oder nur) täterschaftliche Untreue nicht fernliegen (ohne dass sich hier das Problem der Kompensation, dazu G/J/W/Waßmer Rn 174a zu § 266 StGB, stellte). Zur (verneinten) Strafbarkeit des die Vergütung des Insolvenzverwalters festsetzenden Rechtspflegers s LG Aurich, 13.5.2013 – 15 KLs 2/13, ZInsO 2014, 343 ff mAnm Weyand. Zur Insolvenzzweckwidrigkeit des Handelns eines (vorläufigen) Insolvenzverwalters oder Sachwalters BGH, 20.3.2008 – IX ZR 68/06, ZIP 2008, 884 f; Pape ZinsO 2016, 2149 ff. Zum unternehmerischen Ermessensspielraum auch des Insolvenzverwalters Berger/Frege/

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894 | 3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften

ses,100 aber auch für den Aufsichtsrat einer AG101 sowohl hinsichtlich eigener Pflichten (zB keine Gelder für nicht wahrgenommene Sitzungen102) als auch an Dritte, etwa den Vorstand gerichteter Gebote (etwa Einhaltung des dem § 64 S 1 GmbHG entsprechenden § 92 Abs 2 S 1 AktG, wenn man darin ein Zahlungsverbot sieht;103 Reaktion auf ComplianceVerstöße104), deren Verletzung der Aufsichtsrat weder veranlassen noch dulden darf, soweit er sie aufgrund seiner Überwachungspflicht gerade umgekehrt verhindern muss,105 für Notare,106 inkassobevollmächtigte Versicherungsmakler,107 bei der Pflicht zum Einzug108 ebenso wie zur selbständigen Anlage fremder Gelder,109 bei der Überlassung von Scheckkarte und Geheimzahl,110 der Geschäftsbesorgung auf fremde Rechnung, wie zB der Kassenarzt bei der Verschreibung von Medikamenten, welche eine gesetzliche Krankenkasse zu bezahlen hat111 und der Filialleiter im Verhältnis zum Geschäftsherrn,112 der Übernahme eines komplizierten Geldtransfers aus dem Ausland,113 der Verwaltung des Mündelvermögens durch den Betreuer nach § 1890 BGB,114 der Nachlassverwaltung,115 der

_____ Nicht NZI 2010, 321 ff; aA Jungmann NZI 2009, 80 ff. Sa BGH, 25.9.2014 – IX ZB 11/14, ZInsO 2014, 2368 ff; OLG Jena, 29.1.2014 – 2 U 204/13, ZInsO 2014, 842 ff; OLG Karlsruhe, 12.8.2013 – 9 U 55/13, ZInsO 2014 155 ff (kein insolvenzzweckwidriger Forderungsverzicht in einem Vergleich, der zum Realisieren anderer, sonst nur schwer erreichbarer wirtschaftlicher Vorteile führte); LG Magdeburg, 10.1.2013 – 11 T 507/11, ZInsO 2013, 2578 ff; FG Niedersachsen, 26.11.2014 – 9 K 55/12, ZInsO 2015, 812 ff. Zur Aufsichtspflicht des Insolvenzgerichts s LG Saarbrücken, 26.11.2010 – 5 T 621/09, ZInsO 2011, 437 f. Diffizile wie differenzierte Untreuerisiken stellen sich beim Lastschriftwiderruf, insbes im Zusammenhang mit darauf bezogenen Abreden zwischen Insolvenzverwalter und beteiligten Banken, Momsen/Christmann NZI 2010, 121 ff. 100 A/R/R/Seier Rn 5/2/138; dazu zivilrechtlich OLG Celle, 3.6.2010 – 16 U 135/05, NZI 2010, 609 ff, als Vorinstanz zu BGH, 21.3.2013 – IX ZR 109/10, ZInsO 2013, 986 f (dazu Richter FS Beck, S 441 ff, 448 f); 9.10.2014 – IX ZR 140/11, Rn 15 ff, BGHZ 202, 324 ff (dazu Kühne NZI 2015, 172 f; Lind/Ellrich DB 2014, 2819 ff), mit einer Beschreibung der Pflichten, die strafrechtlich ohne weiteres eine Vermögensbetreuungspflicht begründen; 25.6.2015 – IX ZR 142/13, ZInsO 2015, 1563 ff (dazu Dönges NZI 2015, 802 f); LG Schwerin, 10.2.2006 – 1 O 120/04, ZIP 2006, 720 ff, bestätigt von OLG Rostock, 12.3.2007 – 3 U 45/06, ZIP 2007, 735 ff. 101 Dazu unten Rn 64. 102 Vgl BGH, 21.12.2005 – 3 StR 470/04, Leitsatz und Rn 80, BGHSt 50, 331 ff; BGH, 12.12.2013 – 3 StR 146/13, wistra 2014, 186 ff (dazu Bittmann NZWiSt 2014, 129 ff; Trück ZWH 2014, 361 ff, auch 15, 113); OLG Braunschweig, 14.6.2012 – Ws 44 und 45/12, wistra 2012, 391 ff. 103 BGH, 16.3.2009 – II ZR 280/07, Rn 12, ZInsO 2009, 876 ff; OLG Düsseldorf, 31.5.2012 – I-16 U 176/10, ZInsO 2013, 85 ff. Gegen die Annahme eines Zahlungsverbots unten Rn 134. 104 Fuhrmann NZG 2016, 881 ff; Reichert/Ott NZG 2014, 241 ff (sie sehen Vorstand und Aufsichtsrat in der Pflicht). 105 BGH, 6.12.2001 – 1 StR 215/01, Rn 51 ff mN, BGHSt 47, 187 ff (Sponsoring); dazu Gehrlein NZG 2002, 463 f; Sauer wistra 2002, 465 ff; krit Beckemper NStZ 2002, 324 ff; BGH, 21.12.2005 – 3 StR 470/04, Leitsatz und Rn 80, BGHSt 50, 331 ff (Vorstandsvergütung); allg Krause NStZ 2011, 57 ff; zur Garantenpflicht für das Handeln des Vorstands BGH, 26.11.2015 – 3 StR 17/15, Rn 53 und 56, BGHSt 61, 48 ff; Krause FS Wessing S 241 ff (bejaht nur im Hinblick auf das Gesellschaftsvermögen); Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 13 zu § 84 GmbHG. 106 BGH, 2.7.2014 – 5 StR 182/14, Rn 8, wistra 2014, 403 ff. 107 BGH, 3.12.2013 – 1 StR 526/13, ZWH 2014, 231 ff. 108 BGH ZIP 1999, 105, 106. 109 BGH wistra 1999, 339 f. 110 OLG Hamm wistra 2003, 356. 111 BGH, 25.11.2003 – 4 StR 239/03, Rn 20, BGHSt 49, 17 ff; 27.4.2004 – 1 StR 165/03, Rn 20 f, wistra 2004, 422 ff; 16.8.2016 – 4 StR 163/16, Rn 11 ff, NJW 2016, 3253 ff mN (sehr detailliert). 112 Vgl allg BGHSt 1, 186 ff; OLG Stuttgart NJW 1968, 1340, 1341; zum Filialleiter BGH wistra 2004, 105, 107. 113 BGH NJW-RR 1988, 671 f. 114 OLG Stuttgart NJW 1999, 1564 ff mAnm Thomas NStZ 1999, 622 ff; zivilrechtlich: BGH, 21.1.2010 – IX ZR 226/08, Rn 11 ff, ZInsO 2010, 479 ff. 115 BGH wistra 2003, 462 f.

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§ 16 Untreue, § 266 StGB | 895

Pflicht zur verzinslichen Anlage der Mietkaution,116 für den Vorsitzenden einer Landtagsfraktion,117 einer Landespartei,118 einen (Ober-)Bürgermeister,119 einen Landrat120 und einen (Landesfinanz-)Minister.121

b) Pflichtwidrigkeit aa) Anforderungen an die Tathandlung Die Tathandlung,122 die nur im Rahmen der Vermögensbetreuungspflicht, aber sowohl 18 durch aktives Tun als auch mittels Unterlassens123 begangen werden kann,124 besteht im Missbrauch der wirksam eingeräumten125 Befugnis (§ 266 Abs 1, 1. Alt StGB) bzw in der Verletzung der Pflicht (§ 266 Abs 1, 2. Alt StGB) zur Betreuung des fremden Vermögens, im Nicht- oder Fehlgebrauch eingeräumter Entscheidungsfreiheit.126 Während der Missbrauchstatbestand nur durch eine wirksame Verfügung oder Verpflichtung begangen werden kann,127 ist die Verwirklichung des Treubruchtatbestands prinzipiell auf jede denkbare Weise möglich, mittels sowohl rechtlichen als auch rein tatsächlichen Handelns,128 wobei rechtsgeschäftliches Handeln aus Konkurrenzgründen nur dann als Treubruch bestraft wird, wenn es nicht bereits vom Missbrauchtstbestand erfasst wird.129 Nicht erforderlich ist hingegen, dass der Handelnde für sich oder einen Dritten einen Vorteil erlangt oder auch nur erstrebt hätte. Die Untreue ist kein Bereicherungsdelikt.130 Das ermöglicht eine kriminologische Differenzierung zwischen eigenund fremdnütziger Untreue. Diese Unterscheidung wirkt sich allerdings nicht tatbestandlich, sondern hinsichtlich unterschiedlicher Anforderungen an den subjektiven Tatbestand und bei der Strafzumessung aus.131

_____ 116 BGH, 23.8.1995 – 5 StR 371/95, BGHSt 41, 224 ff (Vermieter); BGH, 2.4.2008 – 5 StR 354/07, Rn 9 f, BGHSt 52, 182 ff; BayObLG, 18.12.1997 – 5St RR 67/97, wistra 1998, 157 f (Mieter); beides zw. Für Gewerberaummiete verneinte der BGH das Vorliegen einer Vermögensbetreuungspflicht im Hinblick auf die Kaution, BGH, 2.4.2008 – 5 StR 354/07, Rn 11 ff, BGHSt 52, 182 ff. 117 BGH, 11.12.2014 – 3 StR 265/14, Rn 25 ff, BGHSt 60, 94 ff. 118 BGH, 11.12.2014 – 3 StR 265/14, Rn 40, BGHSt 60, 94 ff. Das ist in Bezug auf das Vermögen der Landespartei unproblematisch, bedürfte aber im Hinblick auf das Auslösen einer Sanktion auch zu Lasten der Bundespartei näherer Begründung, insoweit abl C Brand/Seeland ZWH 2015, 258 ff, 259. 119 BGH, 25.4.2006 – 1 StR 539/05, wistra 2006, 306 f; 13.2.2007 – 5 StR 400/06, Rn 15, wistra 2007, 259 ff; 24.5.2016 – 4 StR 440/15, Rn 10, NStZ 2016, 600 ff mAnm Eidam. 120 BGH, 26.4.2006 – 2 StR 515/05, Rn 2 und 16, wistra 2006, 307 ff. 121 BGH, 26.11.2015 – 3 StR 17/15, Rn 78, BGHSt 61, 48 ff. 122 Die Notwendigkeit, Vermögensbetreuungspflicht und Pflichtwidrigkeit auseinanderzuhalten betont S/S/W/Saliger Rn 41 f zu § 266 StGB. 123 G/J/W/Waßmer Rn 77 ff und 106 zu § 266 StGB mit Beispielen. 124 S/S/W/Saliger Rn 44 mN zu § 266 StGB. 125 Dazu unten Rn 36. 126 BeckOK/Wittig Rn 3 zu § 266 StGB; NK/Kindhäuser Rn 63 zu § 266 StGB. 127 Vgl zB MK/Dierlamm Rn 134 ff zu § 266 StGB; NK/Kindhäuser Rn 82 zu § 266 StGB; A/R/R/Seier Rn 5/ 2/43. 128 A/R/R/Seier Rn 5/2/139 ff; LK/Schünemann Rn 106 ff je mit Beispielen; NK/Kindhäuser Rn 64; S/S/W/ Saliger Rn 25 zu § 266 StGB; G/J/W/Waßmer Rn 43 und 98 zu § 266 StGB, Beispiele Rn 99 ff; missverständlich BGH, 26.11.2015 – 3 StR 17/15, Rn 52, BGHSt 61, 48 ff und BGH, 9.11.2016 – 5 StR 313/15, Rn 33 (erforderlich sei eine über rein tatsächliche Einwirkungsmöglichkeiten hinausgehende Stellung); einschr OLG Hamm, 30.6.2016 – 4 RVs 58/16, NZWiSt 2016, 479 mAnm Schumacher. 129 S oben Rn 8. 130 S bereits oben Rn 4. 131 Vgl dazu unten Rn 54 ff.

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896 | 3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften

Unter einer Verfügung ist in Anlehnung an die zivilrechtliche Terminologie eine rechtsgeschäftliche Handlung zu verstehen, welche unmittelbar zu einer Änderung der bestehenden dinglichen Rechtslage führt.132 Sie kann sowohl im Übergang des Eigentums als auch in seiner Belastung zB durch ein Pfandrecht bestehen. Ihr kann eine vom Missbrauchstatbestand ebenfalls erfasste Verpflichtung zu einer solchen dinglichen Rechtsänderung vorausgehen, muss es aber nicht, zB im Fall unberechtigter Entnahmen. Unter einer Verpflichtung ist ein Rechtsgeschäft zu verstehen, welches die verbindliche Zusage enthält, eine bestimmte Leistung zu erbringen.133 Letztere kann ebenfalls rechtsgeschäftlicher Natur sein wie etwa die Verpflichtung zur Eigentumsübertragung, muss es aber nicht. Erfasst ist daher auch die Begründung einer Verbindlichkeit zum Erbringen bestimmter Dienste oder eines Werks. In Betracht kommt auch die Vereinbarung ungünstiger Verrechnungspreise. Vom Treubruchtatbestand sind zB erfasst die Unterlassung, ein gewinnträchtiges 20 Geschäft abzuschließen, ohne dass es darauf ankäme, ob die dazu nötigen Verträge anstatt mit der GmbH mit dem Geschäftsführer persönlich abgeschlossen wurden; die Überlassung eines Kundenstamms ohne oder jedenfalls ohne gleichwertige Gegenleistung; die Verschleierung bestimmter Geschäftsvorgänge in der Buchhaltung, um die Durchsetzung bestehender Forderungen zu verunmöglichen, evtl gar die Unmöglichkeit der Rechtsverfolgung aufgrund von Buchungsmängeln134 oder nicht aufbewahrter Unterlagen, sowie die unterlassene Herabsetzung des Geschäftsführergehalts. 19

bb) Die Verletzung einer Vermögensbetreuungspflicht 21 Ein eingetretener Vermögensnachteil ist nur dann untreuerelevant, wenn er auf einer

(vorgelagerten) Pflichtwidrigkeit beruht.135 Es handelt sich dabei um ein komplexes normatives Tatbestandsmerkmal136 und nicht um eine Verweisung auf außerstrafrechtli-

_____ 132 LK/Schünemann Rn 46 zu § 266 StGB; M-G/Hadamitzky Rn 32/11; S/S/Perron Rn 15 zu § 266 StGB; S/S/W/Saliger Rn 20 zu § 266 StGB. 133 LK/Schünemann Rn 46 zu § 266 StGB; M-G/Hadamitzky Rn 32/11; S/S/Perron Rn 15 zu § 266 StGB; S/S/W/Saliger Rn 20 zu § 266 StGB. 134 BGHSt 20, 304; 33, 333, 336; GA 1956, 363; wistra 1996, 184; NStZ 2001, 432, 434 (abl dazu Mosenheuer NStZ 2004, 179 ff); BGH, 20.12.2002 – 2 StR 381/02, Rn 3, NStZ 2003, 545 f; 12.5.2004 – 5 StR 46/04, Rn 4, NStZ 2004, 559; A/R/R/Seier Rn 5/2/201 und 215; AnwK/Esser Rn 260 ff zu § 266 StGB; BeckOK/Wittig Rn 44.2 zu § 266 StGB; Böttger Rn 3/62 und 71; Gribbohm ZGR 1990, 1, 17 mN; Dannecker/Knierim/Hagemeier/Smok Rn 722; LK/Schünemann Rn 107 und 182 zu § 266 StGB; M/R/Matt Rn 133 zu § 266 StGB; M/G/Schramm Rn 103 und 140 zu § 266 StGB; M-G/Hadamitzky Rn 32/185 ff; MK/Dierlamm Rn 216 und 227 zu § 266 StGB; NK/Kindhäuser, Rn 110 zu § 266 StGB; S/S/Lenckner/Perron Rn 45b zu § 266 StGB; G/J/W/ Waßmer Rn 182a und 204 ff zu § 266 StGB (ausführlich); Fischer Rn 152 zu § 266 StGB; sa Scholz/Tiedemann/Rönnau 16 vor §§ 82 ff GmbHG; aus unterschiedlichen Gründen einengend Ensenbach S 24 f und 291 ff; S/S/W/Saliger Rn 38, 91 und 103, auch 57 zu § 266 StGB; aA Lackner/Kühl/Heger Rn 17a zu § 266 StGB, der die dazu ergangene Rspr für unvereinbar mit den Entscheidungen des BVerfG hält. Untreue scheidet jedoch aus, wenn der GmbH gar keine Forderung zusteht, BGH NStZ 2003, 545, 546. Aus der gläubigerschützenden Funktion der Buchführungs- und Bilanzdelikte schlussfolgert Haas, NZI 2004, Heft 3, S Vf, dass sie den dogmatischen Kern der Rspr zum existenzvernichtenden Eingriff bilden. 135 A/R/R/Seier Rn 5/2/117 mit Beispielen. 136 BVerfG, 23.6.2010 – 2 BvR 2559/08 ua, BVerfGE 126, 170 ff, Rn 96 (weshalb sich nicht auf das BVerfG berufen kann, wer wie MK/Dierlamm Rn 1 und 174 zu § 266 StGB; Loos FS Wessing, S 274 ff ua eine asymetrische Zivilrechtsakzessorietät verlangt, dazu umfassend Kraatz ZStW 2011, 447 ff; wie hier LK/Schünemann Rn 100 zu § 266 StGB); BGH, 13.9.2010 – 1 StR 220/09, BGHSt 55, 288 ff, Rn 35; Bittmann HRRS 2016, 38 ff, 50; AnwK/Esser Rn 140 und 142 zu § 266 StGB; LK/Schünemann Rn 94 und 99 zu § 266 StGB; M-G/ Hadamitzky Rn 32/8 ff; M-G/Richter Rn 82/23; inhaltlich ebenso, aber die Bindung an das Innenverhältnis

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§ 16 Untreue, § 266 StGB | 897

che Normen.137 Die Betreuungspflichtigen haben das betreute Vermögen zu wahren, zu mehren138 und vor Minderungen zu schützen. Sie selbst unterliegen dabei einem allg Schädigungsverbot.139 Es wird von (meist, aber nicht nur: außerstrafrechtlichen) Erlaubnissen begrenzt, weil nicht unter Strafe steht, was von der Rechtsordnung gestattet ist (negative Akzessorietät140). Das allg Schädigungsverbot wird von einschlägigen außerstrafrechtlichen Regeln ausgefüllt, dh konkretisiert, wenn solche vorhanden sind (Zivilrechtsaffinität,141 verallgemeinert: Sachrechtsaffinität). Ist beides aber nicht der Fall

_____ betonend M/G/Schramm Rn 104 zu § 266 StGB; verbal auch Böttger Rn 3/39, auch 40 f und 130; S/S/W/ Saliger Rn 7, 31, ausführlich 33, ausdrücklich 34 zu § 266 StGB, beide inhaltlich aber zumindest weitgehend Akzessorietät befürwortend; letzteres explizite vertretend BeckOK/Wittig Rn 18 zu § 266 StGB, aber einschr für den Treubruchtatbestand, Rn 27 (für Akzessorietät auch insoweit aber Rn 35); Fischer Rn 59 zu § 266 StGB; MK/Dierlamm Rn 173 zu § 266 StGB; NK/Kindhäuser Rn 63 zu § 266 StGB; M/R/Matt Rn 47, 49, 51 f, 55–83 und 91 zu § 266 StGB (allerdings asymetrisch zugunsten des Pflichtigen auf Evidenzverstöße reduzierend, von ihm „duale Prüfung“ genannt); Perron ZGR 2016, 187 ff, 194; G/J/W/Waßmer Rn 65a zu § 266 StGB, ebenfalls asymetrische Akzessorietät befürwortend, aber offenlassend, ob zwingend zwischen sachrechtlicher Rechts- und untreuerechtlicher Pflichtwidrigkeit ein Abstand erforderlich ist; die Normativität des Merkmals zwar anerkennend Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 77 f vor §§ 82 ff GmbHG, ihr aber nicht die Kraft zubilligend, Vermögensbetreuungspflichten innerhalb von Inlandsgesellschaften ausländischer Rechtsform zu begründen. Wie vielfältig der Begriff der Akzessorietät verwendet wird (dazu allg Schuster, Das Verhältnis von Strafnormen und Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten, 2012; Wagner, Die Akzessorietät des Wirtschaftsstrafrechts, 2016) zeigt sich deutlich im fundamentalen Lüderssen-Gedenkbeitrag von Jahn/Ziemann, ZIS 2016, 552 ff, die iE wie hier nur den Vorrang des Zivilrechts bejahen, S 558, indem sie § 266 StGB die Rolle zubilligen, Lücken im Sachrecht füllen zu können, S 555, die Konstruktion der Strafnorm gleichwohl als akzessorisch bezeichnen, S 553. Mit dem Verständnis der Pflichtwidrigkeit als normativem Tatbestandsmerkmal löst sich das Problem des kaum als stringent zu nennenden Abstellens auf die angebliche Notwendigkeit einer oberhalb der zivilrechtlichen Rechtswidrigkeit angesiedelten zusätzlichen Höhenmarke, bezeichnet als gravierende Pflichtverletzung, in Teilen der Rspr und Lit (s dazu abl unten Rn 25) ohne weiteres auf: Maßgeblich ist nicht die Schwere der Verletzung einer außerstrafrechtlichen Pflicht, sondern ob der Betreuer die Interessen des betreuten Vermögens in der vom Strafrecht erfassten Intensität verletzte. 137 Zu deren Bedeutung Krell NStZ 2014, 62 ff. 138 S unten Rn 38. 139 LK/Schünemann Rn 56, 94, 163, 185 und 188 aE zu § 266 StGB; G/J/W/Waßmer Rn 66, 66f, 107 und 110 zu § 266 StGB; sa A/R/R/Seier Rn 5/2/219 m Fn 457 sowie Rn 323; krit Thomas FS Hamm, S 767 ff; abl BeckOK/Wittig Rn 35a zu § 266 StGB; MK/Dierlamm Rn 186 ff zu § 266 StGB; speziell S/S/W/Saliger Rn 52 mit 33, auch Rn 31 und 32 zu § 266 StGB, der es mangels Anwendungsbereichs leugnet, aber beim Fehlen einer an sich von ihm für erforderlich gehaltenen Verletzung einer außerstrafrechtlichen Regel den allg Sorgfaltspflichten des zugrundeliegenden Rechtsverhältnisses den Handlungsmaßstab auch mit Wirkung für das Strafrecht entnehmen will. Von dort ist es allerdings nur noch ein minimaler Schritt, diesen Maßstab wie hier als auch von der Strafnorm beeinflusst anzusehen. Das verletzt nicht das Verschleifungsverbot, weil die Verhaltenspflicht hier wie sonst vorgelagert und der entstandene Nachteil nicht anders als in anderen Fällen nur den Anlass für die retrospektive Prüfung aus der ex-ante Perspektive bietet, aber nicht automatisch zum Bejahen der Pflichtwidrigkeit führt 140 Zutr G/J/W/Waßmer Rn 65a zu § 266 StGB; S/S/W/Saliger Rn 33 zu § 266 StGB, wenngleich beide auf Basis des von ihnen vertretenen allg Akzessorietätsdogmas zu weitgehend immer eine außerstrafrechtliche Normverletzung (auf der Primärebene) verlangen. Bei der negativen Akzessorietät handelt es sich allerdings keineswegs um ein Spezifikum des § 266 StGB, sondern sie gilt allg, wird jedoch bei der Untreue aufgrund der Abstraktheit des Tatbestandsmerkmals Pflichtwidrigkeit häufig praktisch. 141 LK/Schünemann Rn 70, 94 und 124 zu § 266 StGB; gleiches gilt für öffentlich-rechtliche Bestimmungen, Rn 94 (Beispiele: BGH, 9.11.2016 – 5 StR 313/15: Städtische Verwaltung von Grundstücken unbekannter Eigentümer; 27.11.2013 – 2 StR 279/13 nach erfolgreicher Nichtzulassungsbeschwerde, OLG Frankfurt, 2.10. 2012 – 1 Ws 38/12, ZWH 2013, 68 f, dazu Bittmann ZWH 2013, 55 ff, 58 f: Unzulässige Übernahme von Rechtsverfolgungskosten zur Abwendung eines Bürgerbegehrens; OLG Jena, 12.1.2011 – 1 Ws 352/10, ZWH 2011, 103 ff mAnm Göpfert: (Un-)Wirksames Einverständnis des Oberbürgermeisters mit der Übernahme der Haftung seitens einer 100%igen Eigengesellschaft der Kommune?); ebenso BeckOK/Wittig Rn 8.2 und 35 zu § 266

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(= weder ausdrückliche außerstrafrechtliche Erlaubnis- noch Verbotsnormen), so kann es als eigenständige, durch Auslegung unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Sachverhalts zu konkretisierende Pflichtenquelle iS einer Primärnorm dienen, deren Verletzung (auf Basis des zugleich als Sekundärnorm fungierenden Strafgesetzes) pönalisiert ist.142 Der an diese Pflichten anzulegende Maßstab deckt sich (jedenfalls:) weitgehend mit der Sorgfaltswidrigkeit, die für die Beurteilung fahrlässigen Handelns maßgeblich ist143 und stellt eine gegenüber § 13 Abs 1 StGB speziellere Garantenpflicht dar.144 Kraft Gesetzes sind Umstände, welche nach dem allg Verbrechensaufbau zur Rechtswidrigkeit gehören, Elemente des Tatbestandes.145 Besteht also die Befugnis zu einer bestimmten Handlung, so ist weder der Missbrauchs- noch der Treubruchtatbestand einschlägig. Es mangelt dann bereits an einem Tatbestandsmerkmal (Pflichtwidrigkeit) und damit an der Tatbestandsmäßigkeit, nicht erst an der Rechtswidrigkeit. Die Pflichtwidrigkeit ist immer am Innenverhältnis zu messen.146 Tatbestandlich ist nur die Verletzung einer (zumindest auch, und sei es mittelbar147) vermögensbezogenen Pflicht.148

_____ StGB; Fischer Rn 14, auch 10 zu § 266 StGB; MK/Dierlamm Rn 34 zu § 266 StGB; S/S/W/Saliger Rn 19 und 20 zu § 266 StGB; G/J/W/Waßmer Rn 66f zu § 266 StGB (sehr klar); ähnlich zur Fremdheit NK/Kindhäuser Rn 30 zu § 266 StGB. 142 Krell S 93; aA S/S/W/Saliger Rn 35 zu § 266 StGB, der deshalb einen nicht bestehenden Widerspruch zwischen der Ablehnung der Notwendigkeit der Verletzung einer außerstrafrechtlichen Norm und dem Befürworten des Erfordernisses einer vermögensbezogenen Pflichtverletzung konstruiert: letztere kann von der Strafnorm selbst konstituiert werden; aA auch (generalisierend) M/R/Renzikowski Rn 15 ff vor § 1 StGB. LK/Schünemann Rn 56, 94, 163, 185 und 188 aE zu § 266 StGB mN betrachtet das dem Merkmal der Pflichtwidrigkeit innewohnende allg Schädigungsverbot als generell und umfassend in dem Sinne, dass ein verursachter Nachteil unrechtsinduzierend, Rn 163, wirke und nur dann nicht auf einer Pflichtwidrigkeit beruhe, wenn das Verhalten des Betreuungspflichtigen ausnahmsweise erlaubt gewesen sei, etwa durch eine spezielle Bestimmung. Das wäre für die Rechtswidrigkeit als allg Erfordernis für die Bestrafung eines bestimmten Geschehens zutreffend, nicht aber für ein Tatbestandsmerkmal wie die Pflichtwidrigkeit in § 266 StGB. 143 A/R/R/Seier Rn 5/2/119, 209 und 211; M/G/Schramm Rn 102 zu § 266 StGB; MK/Dierlamm Rn 170 zu § 266 StGB; NK/Kindhäuser Rn 63 zu § 266 StGB. 144 BeckOK/Wittig Rn 4 und 15 zu § 266 StGB; LK/Schünemann Rn 54 und 202 zu § 266 StGB; S/S/W/ Saliger Rn 40 zu § 266 StGB; A/R/R/Seier Rn 5/2/79 (mit einem Katalog an Beispielen in Rn 75 ff, auch Rn 83); G/J/W/Waßmer Rn 11 zu § 266 StGB. Gleichwohl soll die Privilegierungsnorm des § 13 Abs 2 StGB Anwendung finden, hM, s unten Rn 55. 145 MK/Dierlamm Rn 143 zu § 266 StGB; Fischer Rn 57; S/S/Perron Rn 21 zu § 266 StGB (mN auch zur früher umstrittenen Einordnung als Merkmal des Tatbestands oder der Rechtswidrigkeit). Zu den damit verbundenen schwierigen Fragen der Einordnung eines Irrtums vgl Leite GA 2015, 517 ff; Marwedel ZStW 2011, 548 ff; für eine Lösung über das Erfordernis der Parallelwertung in der Laiensphäre A/R/R/Seier Rn 5/2/86; G/J/W/Waßmer Rn 223d zu § 266 StGB; dazu auch S/S/W/Saliger Rn 128 zu § 266 StGB, der meint, der Rspr die begrüßenswerte Faustformel entnehmen zu können, dass je komplizierter die Plichtwidrigkeit zu begründen sei, desto eher § 16 StGB zur Anwendung kommen müsse, während Irrtümer über eindeutige Pflichtwidrigkeiten über § 17 StGB zu lösen seien, inhaltlich wohl ebenso M/R/Matt Rn 151 zu § 266 StGB – dagegen erhebt Marwedel ZStW 2011, 548 ff, 569, den Vorwurf, das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit werde auf diese Weise entgegen §§ 16 f StGB zu einem Vorsatzelement erhoben (zweifelhaft ist aber, ob dieser zur allg Rechtswidrigkeit gehörende Aspekt auf das Tatbestandsmerkmal Pflichtwidrigkeit übertragen werden kann). 146 Sehr klar G/J/W/Waßmer Rn 66f, auch 110 zu § 266 StGB; sa unten Rn 29 (zum Risikogeschäft). 147 So die Formulierung der Rspr, zB BGH, 16.8.2016 – 4 StR 163/16, Rn 24, auch 31 mN, NJW 2016, 3253 ff. C Brand NZG 2016, 690 ff, 692 mN, plädiert dafür, an die Stelle des Gegensatzpaars vermögensschützend oder nicht das Kriterium des Einsatzes von Treugebervermögen zu setzen. 148 G/J/W/Waßmer Rn 110 zu § 266 StGB; zudem weist er unter dem Gesichtspunkt des Schutzzweckzusammenhangs, dessen Fehlen bei Verletzung einer nicht-vermögensschützenden Pflicht den Nachteil aus dem Tatbestand eliminiere, auf die mangelnde Relevanz aufgrund der vorgelagerten Bedeutung im Rahmen der Pflichtwidrigkeit hin, Rn 166. Bei konsequenter Prüfung der Pflichtwidrigkeit vor dem Nachteil

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Diese kann149 unmittelbar auf Gesetz beruhen.150 So verhält es sich, wenn eine vermögensbezogene Aufgabe (wie bei Vorstandsmitgliedern und Geschäftsführern die Wahrung der wirtschaftlichen Interessen der Gesellschaft, auch mittels Kontrolle151) mit der eingenommenen Stellung oder Funktion automatisch verbunden ist. Sie kann aber auch erst kraft Rechtsgeschäfts begründet, konkretisiert oder erweitert werden.152 Der Vorstand der Gliederung einer politischen Partei ist nicht per se ihr gegenüber verpflichtet,153 das Parteiengesetz einzuhalten. Wer aber das Einwerben von Spenden und das Erstellen des Rechenschaftsberichts übernimmt, der ist der begünstigten Partei gegenüber in der Pflicht, dies in einer Weise zu tun, die keine Strafzahlungen (oder sonstige Vermögensnachteile) auslöst. Verstöße dagegen verletzten eine Vermögensbetreuungspflicht.154 Im privatwirtschaftlichen Sektor gilt Paralleles: Verstößt die Geschäftsleitung (zB der Vorstand einer AG) mit Zahlungen an eine (gelbe) Gewerkschaft gegen die Pflicht zur Wahrung der Neutralität gegenüber im Betrieb vertretenen und zu den Betriebsratswahlen antretenden Koalitionen, meist Gewerkschaften, so ist das nach § 119 BetrVG strafbar.155 Diese Norm trägt keinen das Vermögen der Gesellschaft schützenden Charakter.156 Gleichwohl: Schädigt das das BetrVG verletzende Verhalten des vermögensbetreuungspflichtigen Zuständigen das Vermögen der Gesellschaft, so ist dies als Untreue

_____ gelangt man insoweit im Rahmen von dessen Prüfung gar nicht mehr zur Frage der Vermögensrelevanz der verletzten Pflicht. 149 Lackner/Kühl/Heger Rn 6 zu § 266 StGB; G/J/W/Waßmer Rn 110 zu § 266 StGB; aA BeckOK/Wittig Rn 18a.1 zu § 266 StGB: notwendige Verletzung einer mindestens mittelbar vermögensschützenden Vorschrift – sogar unmittelbaren Vermögensbezug fordernd Corsten StraFo 2011, 69 ff. 150 Bejahende und verneinende Beispiele aus der Rspr bei S/S/W/Saliger Rn 38 zu § 266 StGB; G/J/W/ Waßmer Rn 66b und 66c, sa 110 zu § 266 StGB. 151 S/S/W/Saliger Rn 39 zu § 266 StGB. 152 G/J/W/Waßmer Rn 110 zu § 266 StGB. 153 S/S/W/Saliger Rn 39 und 124 mN zu § 266 StGB bejaht den ausreichenden Vermögensbezug der einschlägigen Vorschriften des PartG. 154 BGH, 13.4.2011 – 1 StR 94/10, BGHSt 56, 203 ff (dazu G/J/W/Waßmer Rn 66d zu § 266 StGB, systematisch wie hier, Rn 66 f; krit hingegen Wagner ZIS 2012, 28 ff); 11.12.2014 – 3 StR 265/14, Rn 41 ff, BGHSt 60, 94 ff (dazu C Brand/Seeland ZWH 2015, 258 ff, 260); aA BeckOK/Wittig Rn 18a.1 zu § 266 StGB; MK/Dierlamm Rn 258 zu § 266 StGB; auch S/S/W/Saliger Rn 37 zu § 266 StGB, dem insoweit allerdings uneingeschränkt zuzustimmen ist, als es für das Bestehen der Pflicht nicht darauf ankommen kann, ob sie in der Satzung verankert ist oder nicht: sie kann aber allein aus dem Anstellungsverhältnis oder der Übertragung einer Aufgabe folgen. Das anerkennt auch, wenngleich auf der Basis des von ihm vertretenen Akzessorietätsdogmas, S/S/W/Saliger Rn 103 zu § 266 StGB: „Es ist unerheblich, ob der durch funktionale Pflichtverletzung ausgelöste Vermögensnachteil auf Normen zurückgeht, die primär und unmittelbar dem Vermögensschutz dienen“; andere Akzente Rn 124, wobei sich beide Passagen (und Rn 37) dann nicht widersprechen, wenn man letztere Ausführunen allein als Ablehnung einer satzungsmäßigen Festschreibung des Vorliegens einer Vermögensbetreuungspflicht auffasst. Über die Pflichten, die mit Übernahme einer Aufgabe oder Funktion allgemein verbunden sind, hinausgehende Gebote (zB des Deutschen Corporate Governance Kodex oder Compliance-Regeln) gelten (auch) in einem Betreuungsverhältnis nur auf Basis wirksamen Inkraftsetzens, S/S/W/Saliger Rn 37 zu § 266 StGB, sind aber selbst damit nicht automatisch untreuerelevant (G/J/W/Waßmer Rn 93e, auch 143e, sa allg 143c zu § 266 StGB, betrachtet Compliance-Regeln als Konkretisierungen der Vermögensbetreuungspflicht). Die Verletzung nicht vermögensschützender Bestimmungen scheidet sowieso aus, aber auch die mangelnde Einhaltung solcher vermögensbezogener Regeln, die nicht die normativ von § 266 StGB geforderte Qualität aufweisen. Jede andere Entscheidung führte zu dem grotesken und dem Rechtsgüterschutz Hohn sprechenden Ergebnis, dass eine Geschäftsführung, welche sich und den Mitarbeitern eine über die Strafrechtsnorm hinausgehende Vorsicht abverlangt, alle Betroffenen einem zusätzlichen Strafrechtsrisiko aussetzte; s Rotsch/Bittmann Rn 35 B/3 und (ausführlich) 12 ff; sa unten Rn 25, dort auch zum Kriterium einer gravierenden Pflichtverletzung. 155 BGH, 13.9.2010 – 1 StR 220/09, BGHSt 55, 288 ff, Rn 52 ff. 156 BGH, 13.9.2010 – 1 StR 220/09, BGHSt 55, 288 ff, Rn 39.

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strafbar – nicht wegen der Missachtung des BetrVG, sondern aufgrund der Verletzung seiner Pflicht der AG gegenüber.157 Im Fall Telekom stützte der 2. Strafsenat158 dies Ergebnis darauf, dass Zahlungen auf einen gem § 134 BGB nichtigen Vertrag nicht geschuldet sind. Pflichtwidrigkeit iS von § 266 StGB kann jedoch nicht in der Verletzung rein formaler Grenzen allein liegen.159 Die verbotene (private) Spekulation mit Vermögen der Gesellschaft ist daher nicht der Überschreitung der Kompetenz wegen strafbar, sondern weil der Spekulierende das Gesellschaftsvermögen nicht aus eigenem Recht einem solchen Verlustrisiko aussetzen durfte.160 Auch der satzungswidrig mit einem eigenen Unternehmen geschlossene Dienstleistungsvertrag161 ist nur dann und insoweit strafbar, wie die Vergütung den Marktwert übersteigt.

(1) Einverständnis 22 Pflichtwidrigkeit und damit der Tatbestand ist zu verneinen, wenn der Träger162 des be-

treuten (fremden) Vermögens mit der Handlung des Täters einverstanden ist. Wirksam ist ein solches Einverständnis aber nur, wenn es spätestens bei Begehung der Tathandlung vorliegt; nachträgliche Genehmigung genügt nicht,163 wohl aber die mut-

_____ 157 Diesen Schluss zog BGH, 13.9.2010 – 1 StR 220/09, BGHSt 55, 288 ff, noch nicht; s aber BGH, 17.9.2009 – 5 StR 521/08, BGHSt 54, 158 ff zur Untreuestrafbarkeit von Zuwendungen an Betriebsräte (Fall VW/Volkert); eindrücklich Pastor Muñoz/Coca Vila GA 2015, 284 ff, 291; iE auch G/J/W/Waßmer Rn 110 zu § 266 StGB; aA Böttger Rn 3/40 f und 130. 158 BGH, 10.10.2012 – 2 StR 591/11, Rn 31, wistra 2013, 99 ff; abl Cornelius NZWiSt 2013, 166 ff; G/J/W/ Waßmer Rn 174a und b zu § 266 StGB. Methodisch vergleichbar sah der 5. Strafsenat die Bonuszahlungen an einen Betriebsratsvorsitzenden wegen Gesetzesverstoßes als rechtsgrundlos und damit ungetreulich an, BGH, 17.9.2009 – 5 StR 521/08, BGHSt 54, 148 ff (dazu Bittmann NJW 2010, 98 f). 159 Vgl BGH, 9.11.2016 – 5 StR 313/15, Rn 33, 38 und 46 f, auch 52 (mit abweichender Terminologie): § 266 StGB bei unberechtigtem (aber vom Senat zu Unrecht als nicht pflichtwidrig angesehenem) Verkauf eines Grundstücks zum Marktwert nur in Höhe der Verwertungskosten bejaht; ausdrücklich wie hier Brammsen wistra 2009, 85, 89 f; S/S/W/Saliger Rn 60 zu § 266 StGB; M/G/Schramm Rn 90 zu § 266 StGB; S/S/Perron Rn 19b zu § 266 StGB; wohl auch G/J/W/Waßmer Rn 93a, 93e, 94c, 120 und 145a zu § 266 StGB. Daher ist die Missachtung von Entscheidungsregeln vor Eingehen eines Risikogeschäfts, unten Rn 33, nur strafbar, soweit sie dem materiellen Vermögensschutz dienen (zB dem Einbringen von Erfahrung oder der Kontrolle unter speziellen Gesichtspunkten); Gegenbeispiel bei A/R/R/Seier Rn 5/2/209 f und Fn 435 (unter dem Gesichtspunkt des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs): Verstoß gegen Vier-Augen-Prinzip nicht relevant, wenn die zweite Person zugestimmt hätte. 160 BGH, 26.11.2015 – 3 StR 17/15, Rn 113 – 122, BGHSt 61, 48 ff, für den Fall einer Eilentscheidung ohne Zustimmung des Aufsichtsrats (allerdings bemühte sich der Senat, eine satzungsmäßige Deckung zu bejahen), zur Übernahme einer Landesbürgschaft unter Verstoß gegen den Parlamentsvorbehalt und die Obergrenze eigener Entscheidungsbefugnis Rn 80. 161 OLG Naumburg, 23.1.2014 – 2 U 57/13, NZG 2014, 1148 (L). 162 S/S/W/Saliger Rn 58 zu § 266 StGB spricht vom „Vermögensinhaber und damit Dispositionsbefugten“. 163 BGH, 21.12.2005 – 3 StR 470/04, Rn 32, BGHSt 50, 331 ff; 11.12.2014 – 3 StR 265/14, Rn 231, BGHSt 60, 94 ff; OLG Hamm NStZ 1986, 119; A/R/R/Seier Rn 2/5/94; BeckOK/Wittig Rn 21 zu § 266 StGB; Fischer Rn 90 zu § 266 StGB; S/S/W/Saliger Rn 58 zu § 266 StGB, der überdies aber auch das hypothetische nachträgliche Einverständnis als Rechtfertigungsgrund anerkennen will; LK/Schünemann Rn 124 und 254 zu § 266 StGB; G/J/W/Waßmer Rn 145 aE zu § 266 StGB; M-G/Hadamitzky Rn 32/81; aA M/G/Schramm Rn 77 zu § 266 StGB – seine Intention, den Spielraum des Inhabers des betreuten Vermögens zu erhalten, ist anerkennenswert, seine Beispiele zeigen jedoch, dass ihr durch eine sachgerechte Gestaltung, ggf Auslegung, der dem Betreuer eingeräumten Befugnis ausreichend Rechnung getragen werden kann; für (ggf deutliche) strafmildernde Berücksichtigung Bock ZIS 2016, 67 ff.

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maßliche Einwilligung.164 Für die GmbH sind es die Gesellschafter, die auch außerhalb der Gesellschafterversammlung ihr Einverständnis erklären können.165 Bei Mehrheitsentscheidungen des für die Einwilligung zuständigen Organs ist zu unterscheiden. Abweichungen vom Gesellschaftsvertrag braucht ein Minderheitsgesellschafter nicht zu dulden, erst recht nicht, wenn sie sich erkennbar vermögensmindernd auswirken würden (zB Abschluss eines Vertrages zu überhöhten Konditionen mit einem anderen Unternehmen des Mehrheitsgesellschafters; abweichende Gewinnverteilung). Ein derartiger Mehrheitsbeschluss wäre zivilrechtlich treu- und damit rechtswidrig, strafrechtlich daher unwirksam.166 In solchen Konstellationen setzt die Wirksamkeit der Einwilligung Einstimmigkeit voraus.167 Soweit hingegen über ein innerhalb des Gesellschaftszwecks und des an sich vorhandenen (nicht nur unternehmerischen) Spielraums angesiedeltes, aber mit einem erhöhten Risiko verbundenes Vorhaben zu befinden ist (zB Investitionen in neue Geschäftsfelder, in einem instabilen Land, oder Vorleistungen ohne geschäftsübliche Sicherheiten), genügt die satzungsgemäße Mehrheit168 des zuständigen Organs. Allerdings müssen dessen sämtliche Mitglieder Kenntnis von dem Vorhaben erlangen und sich vor der Entscheidung mit dem Thema befassen können.169 Mit dieser Differenzierung lassen sich auch für die AG170 (und für die übrigen Kapitalgesellschaften) sach-

_____ 164 OLG Hamm, 21.8.2012 – III-4 RVs 42/12, Rn 25, ZWH 2012, 457 mAnm Tsambikakis (allerdings zu weitgehend, da spekulativ); BeckOK/Wittig Rn 21a zu § 266 StGB; Fischer Rn 29 und 90 zu § 266 StGB; M/R/Matt Rn 92 zu § 266 StGB; MK/Dierlamm Rn 145 zu § 266 StGB; S/S/W/Saliger Rn 58 zu § 266 StGB; LK/Schünemann Rn 198 zu § 266 StGB; A/R/R/Seier Rn 5/2/12, 91 und 211; G/J/W/Waßmer Rn 251 zu § 266 StGB (sie als Rechtfertigungsgrund betrachtend, darüber hinaus aber auch die hypothetische Einwilligung auf Tatbestandsebene anerkennend, Rn 144a); mit Einschr auch M/G/Schramm Rn 81 f und 151 zu § 266 StGB. NK/ Kindhäuser Rn 124 zu § 266 StGB sieht darin einen Rechtfertigungsgrund. Irrte der Täter, so ist er gleichwohl straffrei, wenn er aufgrund der Umstände annehmen durfte, dass der Berechtigte bei Kenntnis der Umstände mit seinem Handeln einverstanden gewesen wäre. Im Fall BGH, 11.12.2014 – 3 StR 265/14, Rn 31, BGHSt 60, 94 ff, fehlte die mutmaßliche Einwilligung, war jedenfalls nicht festgestellt, aA Altenburg NJW 2015, 1624 f. 165 S/S/W/Saliger Rn 58 zu § 266 StGB stellt materiell auf das oberste Willenbildungsorgan und formell auf die Handlungskompetenz ab, nicht aber auf die Einhaltung weiterer Formvorschriften, Rn 60. Entzieht ein Gesellschafter der GmbH eigenmächtig Geldeingänge, so liegt in der Duldung seitens des Geschäftsführers täterschaftliche Untreue, vgl OLG Celle. 21.12.2005 – 9 U 100/05, GmbHR 2006, 377 ff. 166 BGH wistra 2004, 25 f; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 10 vor §§ 82 ff GmbHG lässt hingegen einen Mehrheitsbeschluss der Gesellschafterversammlung genügen und verlangt nur außerhalb einer solchen Einstimmigkeit; A/R/R/Seier Rn 5/2/335 stellt unabhängig von den Umständen auf das Vorliegen einer (satzungsgemäß?) genügenden Mehrheit ab. 167 Fischer Rn 95 zu § 266 StGB; Lesch FS Wessing S 223 ff, 234; M/R/Matt Rn 93, 95 und 97 zu § 266 StGB (ohne Einschränkung); M-G/Hadamitzky Rn 32/82 ff, zum Fall Mannesmann, Rn 88a: Zustimmung des mit 98,66% einverstandenen Großaktionärs genügte nicht, BGH, 21.12.2005 – 3 StR 470/04, Rn 32, BGHSt 50, 331ff; aA G/J/W/Waßmer Rn 145a zu § 266 StGB, der Mehrheitsentscheidungen ohne Ausnahme genügen läßt; sa Böttger Rn 3/79. 168 BGH, 30.8.2016 – 4 StR 194/16, Rn 26 mN, spricht nur allg von der Gesamtheit der Gesellschafter als oberstem Willensbildungsorgan. Zuweilen wird für die AG durchweg auf die satzungsmäßige Mehrheit abgestellt, zB Lesch FS Wessing S 223 ff, 234 f; zumindest für die Hauptversammlung, der jedoch Fischer Rn 102 zu § 266 StGB mN jegliche Einwilligungskompetenz abspricht – das sieht das Zivilrecht zumindest partiell anders: Die Übernahme einer Geldstrafe, zu der ein Vorstandsmitglied wegen einer auch gegen die Gesellschaft gerichteten Tat verurteilt wurde, verlangt lt BGH, 8.7.2014 – II ZR 174/13, NZG 2014, 1058 ff die Zustimmung der Hauptversammlung; dazu G/J/W/Waßmer Rn 143a zu § 266 StGB. 169 BeckOK/Wittig Rn 22.1 zu § 266 StGB; M-G/Hadamitzky Rn 32/82a. 170 Vgl C Brand AG 2007, 681 ff; AnwK/Esser Rn 299 ff zu § 266 StGB; LK/Schünemann Rn 261 zu § 266 StGB; S/S/Perron Rn 21c zu § 266.StGB; Einwilligungsfähigkeit hingegen abl Fischer Rn 102 zu § 266 StGB im Anschluss an Rönnau FS Amelung, S 247 ff; Lackner/Kühl/Heger Rn 20b zu § 266 StGB; demgegenüber

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902 | 3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften

gerechte Ergebnisse erzielen. Zuständig ist nicht der Aufsichtsrat, sondern die Hauptversammlung. Erschlichenes, zB auf Täuschung beruhende Einverständnis ist hingegen bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen wirksam,171 so dass eine Strafbarkeit wegen Untreue nicht in Betracht kommt. Möglicherweise liegt allerdings eine Betrugshandlung vor. Außerdem sind der Wirksamkeit eines Einverständnisses rechtliche Grenzen ge23 setzt.172 Das Einverständnis der Gesellschafter darf nicht selbst rechtswidrig sein.173 Bezieht es sich etwa auf verbotene Handlungen des Geschäftsführers, so ist es sittenwidrig und damit unwirksam. Rechtliche Anerkennung findet es folglich nur, wenn, weil und soweit den Gesellschaftern oder dem zuständigen Organ die Dispositionsbefugnis zusteht.174 Juristisch ohne Bedeutung ist daher die Zustimmung (oder Weisung175) selbst sämtlicher Gesellschafter etwa zu einer Finanztransaktion des Geschäftsführers (praxisrelevant: zugunsten der Mutter- oder einer Schwestergesellschaft), welche das Stammkapital der GmbH176 oder das Grundkapital einer AG (einschl gesetzlicher Rücklagen)177 angreifen oder den bereits eingetretenen Verlust erhöhen würde, kurz: in einen existenzgefährdenden oder -vernichtenden Eingriff.178 Droht andernfalls eine Liquiditätskrise,179

_____ lässt MK/Dierlamm Rn 159 die Mehrheitsentscheidung der Hauptversammlung genügen zu § 266 StGB; wohl ebenso S/S/W/Saliger Rn 108 zu § 266 StGB; sa BeckOK/Wittig Rn 22.3 zu § 266 StGB. 171 AA BGH wistra 2003, 385, 387; NK/Kindhäuser Rn 67 zu § 266 StGB. 172 BGH wistra 2004, 25 (Kollusion); BGH, 30.8.2011 – 3 StR 228/11, Rn 13, wistra 2011, 463 ff (dazu krit Wessing/Krawczyk NZG 2011, 1297 f); BGH, 11.12.2014 – 3 StR 265/14, Rn 31, BGHSt 60, 94 ff (zweckwidrige Verwendung von Fraktionsgeldern, aA Altenburg NJW 2015, 1624 f; für strafmildernde Berücksichtigung Bock ZIS 2016, 67 ff; krit C Brand/Seeland ZWH 2015, 258 ff, 263, unter Hinweis auf einen Vergleich mit einem trotz Verstoßes gegen § 41 GmbHG, Buchführungspflicht, straflosen Abzug von Liquidität, sub specie Pflichtwidrigkeit durchaus erklärungsbedürftig, iE aber ist die Differenzierung zutr, weil in den einschlägigen Fällen die Verletzung von § 41 GmbHG zu keinem materiell unrechtmäßigen Abzug von Liquidität geführt hat – eine Bestätigung des Verständnisses als normatives Tatbestandsmerkmal); BGH, 17.3.2016 – 1 StR 628/15, Rn 5, ZInsO 2016, 916 ff; Fischer Rn 92 ff zu § 266 StGB; M-G/Hadamitzky Rn 32/80 und 84 ff; Lackner/Kühl/Heger Rn 20a zu § 266 StGB; NK/Kindhäuser Rn 67 zu § 266 StGB; Rönnau FS Amelung, S 247 ff; LK/Schünemann Rn 125 und 249 ff zu § 266 StGB; A/R/R/Seier Rn 5/2/325 ff; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 8 vor §§ 82 ff GmbHG; G/J/W/Waßmer Rn 116 und 144 ff zu § 266 StGB, zum Gesellschaftsrecht Rn 148 ff; Zieschang FS Kohlmann, S 351 ff; während S/S/W/Saliger Rn 106 zu § 266 StGB in diesem Ansatz eine Rechtsgutsvertauschung sieht; sa Hohn FS Samson, S 315 ff. 173 G/J/W/Waßmer Rn 146 zu § 266 StGB. 174 BGH, 26.10.2009 – II ZR 222/08, Rn 10 ff, ZIP 2009, 2335 ff (der Sache nach); LK/Schünemann Rn 125 zu § 266 StGB; NK/Kindhäuser Rn 71 zu § 266 StGB; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 9 vor §§ 82 ff GmbHG; G/J/W/Waßmer Rn 145 zu § 266 StGB. Dokumentation der Entwicklung der Rspr bei Fischer Rn 93 ff zu § 266 StGB; aA Kasiske wistra 2005, 81 ff; Dannecker/Knierim/Hagemeier/Smok Rn 679 ff; M/R/Matt Rn 99 f zu § 266 StGB; MK/Dierlamm Rn 148 ff zu § 266 StGB; S/S/Perron Rn 21a ff zu § 266 StGB. 175 BGH, 26.10.2009 – II ZR 222/08, NZG 2009, 1385 f (für die ein-Personen-GmbH). 176 BGH NJW 2000, 154, 155; ZIP 2004, 263, 265; Gribbohm ZGR 1990, 1, 23; LK/Schünemann Rn 125 und 249 ff zu § 266 StGB; M-G/Hadamitzky Rn 32/84; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 68 vor §§ 82 ff GmbHG; G/J/W/Waßmer Rn 151 zu § 266 StGB; krit Fischer Rn 99 zu § 266 StGB (mN zur Rspr in Rn 96); Wodicka S 203 ff und 208 ff; aA Lechner S 152 ff; M/G/Schramm Rn 87 zu § 266 StGB; S/S/Perron Rn 21b und c zu § 266 StGB: Uneingeschränkte Befugnis des Vermögensträgers zur Einwilligung, Gläubigerschutz allein über §§ 283 ff StGB; ähnlich Lesch FS Wessing S 223 ff, 235 ff, der zwar die Einwilligung in existenzgefährdende oder vernichtende Eingriffe sub specie § 266 StGB als wirksam ansieht, nicht aber in Schmälerungen des Stammkapitals; zur Position von Schweitzer, Eingriffe in das GmbH-Vermögen mit Zustimmung aller Gesellschafter – Strafbare Untreue?, 2016, s Rezension von C Brand GA (im Erscheinen). Sa unten Rn 84. 177 M-G/Hadamitzky Rn 32/88a. 178 Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 8 vor §§ 82 ff GmbHG; G/J/W/Waßmer Rn 152 zu § 266 StGB. 179 Beispiel: BGH, 17.3.2016 – 1 StR 628/15, Rn 5, ZInsO 2016, 916 ff.

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§ 16 Untreue, § 266 StGB | 903

so bejaht der BGH180 sogar die Pflicht eines Gesellschafters, einen (außergesellschaftlichen) Anspruch gegen die GmbH vorübergehend nicht geltend zu machen, auch nicht im Einverständnis der übrigen Gesellschafter.

(2) Unternehmerische Freiheit Unternehmerisches Handeln verlangt Flexibilität. Ohne Entscheidungsfreiheit kann 24 kein Kaufmann oder – für § 266 StGB relevant – Geschäftsführer bzw Vorstand seine Aufgabe in sinnvoller Weise erfüllen.181 Der notwendige weite182 Ermessenspielraum183 (insb bei zukunftsgerichteten Entscheidungen mit Prognosecharakter184) wird von der Untreuevorschrift nicht beschnitten, sondern, im Gegenteil, gerade vorausgesetzt. Wer mit Blick auf das Unternehmenswohl durchdachte und abgewogene Entscheidungen trifft, der muss keine Bestrafung fürchten, auch wenn sie im Ergebnis zu einem hohen Schaden führen.185 Allerdings ist der organschaftliche Vertreter ausnahmslos gehalten, die (kurz-, mit- 25 tel- oder langfristigen, also durchaus konfligierenden) finanziellen Interessen der Gesellschaft zu wahren.186 Für die AG ist dies (den Spielraum des Vorstands begrenzend187) in § 93 Abs 1 S 2 AktG mittelbar kodifiziert, sog Business Judgement Rule,188 gilt aber für andere Gesellschaftsformen und Fremdgeschäftsführer und damit allg für Untreue im Zusammenhang mit unternehmerischem Handeln ebenso.189 Pflichtwidrig ist erst das

_____ 180 BGH, 27.8.2003 – 5 StR 254/03, Rn 12, wistra 2004, 25, 26. 181 BGH, 26.11.2015 – 3 StR 17/15, Rn 57, BGHSt 61, 48 ff; BGH, 12.10.2016 – 5 StR 134/15, Rn 26, ZInsO 2017, 25 ff; Stenzel S 99 ff. 182 BGH, 13.8.2009 – 3 StR 576/08, Rn 27, wistra 2010, 21 ff; dazu Wessing BKR 2010, 159 ff; BGH, 12.10.2016 – 5 StR 134/15, Rn 25 und 27, ZInsO 2017, 25 ff. Sa G/J/W/Waßmer Rn 93a zu § 266 StGB. 183 Dazu ausführlich Roth S 8 ff; zur AG: Bosch/Lange JZ 2009, 225 ff; zur GmbH: Fleischer NZG 2011, 521 ff. 184 G/J/W/Waßmer Rn 93b zu § 266 StGB. 185 BGH, 28.5.2013, 5 StR 551/11, Rn 21 und 28 ff, NStZ 2013, 715 ff (Berliner Bankenkonsortium); Thomas FS Rieß S 795, 800 ff; verkannt von Altenburg BB 2015, 323 ff. 186 BGH, 26.11.2015 – 3 StR 17/15, Rn 57, auch 111, BGHSt 61, 48 ff; BGH, 12.10.2016 – 5 StR 134/15, Rn 29, ZInsO 2017, 25 ff; sehr anschaulich OLG Zweibrücken, 22.12.1998 – 8 U 98/98, Rn 61 ff, NZG 1999, 506 ff; G/J/W/Waßmer Rn 93a zu § 266 StGB; aA MK/Dierlamm Rn 270 f zu § 266 StGB in Bezug auf die Festsetzung der Vergütung. Zum Inhalt des Unternehmensinteresses Fleischer GmbHR 2010, 1307 ff; zur Berücksichtigungsfähigkeit von Gemeinwohlinteressen Keller FS Puppe, S 1189 ff; zur pflichtwidrigen Überschreitung des Unternehmenszwecks vgl BGH, 15.1.2013 – II ZR 90/11, NJW 2013, 1958 ff (spekulative ZinsderivatGeschäfte). 187 LK/Schünemann Rn 117 zu § 266 StGB. 188 Vgl BGH, 26.11.2015 – 3 StR 17/15, Rn 57, BGHSt 61, 48 ff; BGH, 12.10.2016 – 5 StR 134/15, Rn 26 ff, insbes Rn 28 ff, ZInsO 2017, 25 ff (sehr ausführlich); AnwK/Esser Rn 72 ff und 297 zu § 266 StGB; Jahn/Ziemann ZIS 2016, 552 ff, 556; Piel/Albert FS Wessing, S 209 ff, 213 ff; G/J/W/Waßmer Rn 93a zu § 266 StGB; zur Anwendbarkeit auf Prognoseentscheidungen BGH, 22.2.2011 – II ZR 146/09, NZG 2011, 549 ff. Böttger Rn 3/ 41 und 130 begrenzt die Tatbestandsmäßigkeit auf Verstöße gegen unmittelbar vermögensrelevante Pflichten. Zu den Sorgfaltspflichten vor dem Eingeghen existenzgefährdender Risiken Schmitz-Remberg BB 2014, 2701 ff. 189 BGH, 26.11.2015 – 3 StR 17/15, Rn 57 BGHSt 61, 48 ff; BGH, 12.10.2016 – 5 StR 134/15, Rn 29, ZInsO 2017, 25 ff; G/J/W/Waßmer Rn 93a zu § 266 StGB; einschr Jahn/Ziemann ZIS 2016, 552 ff, 556 (Begrenzungen aber im subj Tatbestand befürwortend, S 558). Zur zivilrechtlichen Haftung außerhalb des Anwendungsbereichs der Business Jugdement Rule BGH, 14.7.2008 – II ZR 202/07, NJW 2008, 3361 ff; von Falkenhausen ZGR 2012, 644 ff; Jungmann FS K Schmidt, S 831 ff; Kuntz GmbHR 2008, 121 ff (zur GmbH); innerhalb ihres Anwendungsbereichs BGH, 6.6.2013 – IX ZR 204/12, Rn 24, NJW 2013, 2345 ff; 18.6.2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 ff; dazu Bachmann NZG 2013, 1121 ff; 21.3.2006 – XI ZR 63/05, Rn 12, ZIP 2006, 891 f (für Anlageempfehlungen einer Bank).

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904 | 3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften

Überschreiten190 der weiten Grenzen eingeräumten Ermessens191 – allerdings eingebunden in einen Rahmen, der durchaus fixe Grenzen enthalten kann, die zwingend eingehal-

_____ 190 Es kommt dabei nicht darauf an, ob eine einzelne Pflicht evident und gravierend verletzt wurde, sondern ob die Entscheidung insgesamt „schlechthin unvertretbar“ war, so zutr BGH, 12.10.2016 – 5 StR 134/15, Rn 31, auch Rn 29 f, ZInsO 2017, 25 ff (in Bezug auf Vorstandshandeln im Konflikt zwischen Eilbedürftigkeit und informationsgestützter Prüfpflicht). 191 BGH, 26.11.2015 – 3 StR 17/15, Rn 57 BGHSt 61, 48 ff; BGH, 12.10.2016 – 5 StR 134/15, Rn 26, ZInsO 2017, 25 ff; M/G/Schramm Rn 52 zu § 266 StGB; G/J/W/Waßmer Rn 94 f zu § 266 StGB. Soweit die Rspr darauf abgestellt hat, die Pflichtverletzung müsse gravierend sein (BGH, 15.11.2001 – 1 StR 185/01, Rn 55, BGHSt 47, 148 ff; 6.12.2001 – 1 StR 215/01, Rn 33 f, BGHSt 47, 187 ff, verdeutlichte sie die Grenze der Vertretbarkeit, die auch im Zivilrecht sehr weit gezogen ist, zB BGH, 6.6.2013 – IX ZR 204/12, Rn 24, NJW 2013, 2345 ff, zum Begriff der Vertretbarkeit (nicht nur beim Ermessen, sondern auch beim Beurteilungsspielraum) BGH, 15.12.2016 – III ZR 387/14, Rn 14, 17 und 21, auch 15 und 18, und stellte kein eigenes strafrechtliches Kriterium auf, sehr deutlich BGH, 21.12.2005 – 3 StR 470/04, Rn 33 ff, BGHSt 50, 331 ff; 22.11.2005 – 1 StR 571/04, Rn 22, NJW 2006, 453 ff; direkt verbalisiert BGH, 26.11.2015 – 3 StR 17/15, Rn 60, BGHSt 61, 48 ff; inhaltlich ebenso BGH, 12.10.2016 – 5 StR 134/15, Rn 24 ff, ZInsO 2017, 25 ff. Auch das BVerfG, 23.6.2010 – 2 BvR 2559/08, Rn 111, BVerfGE 126, 170 ff, bestätigte lediglich die Eignung des Kriteriums, erhob es aber nicht (iS einer asymetrischen Zivilrechtsakzessorietät) zu einem Verfassungsgebot, Bittmann wistra 2013, 1 ff, 6 ff; auch ders HRRS 2016, 38, 50 f; Fischer Rn 61, 61a und 67 zu § 266 StGB; Hotz ZWH 2016, 355 ff, 356 f; Kubiciel NStZ 2005, 353 ff; Lechner S 102 ff; S/S/W/Saliger (trotz zT unverkennbarer Sympathie für die Annahme einer allg strafrechtlichen Höhenmarke, zB Rn 33) Rn 32, ausführlich Rn 47 ff zu § 266 StGB, dabei zwischen Pflichten mit und ohne Entscheidungsspielraum unterscheidend und trotz von ihm zT betonter Unterschiede (zB bei der von ihm eingängig sog „nicht starr indizienbasierten strafrechtsautonomen Schweretheorie“, Rn 50) zu im wesentlichen gleichen Ergebnissen wie hier gelangend (Letzteres dürfte auch auf die Ansicht von C Brand NZG 2016, 690 ff, 691 zutreffen); LK/Schünemann Rn 93 ff zu § 266 StGB; ders NStZ 2005, 473 ff; auch ders NStZ 2006, 196 ff; M/G/Schramm Rn 55 zu § 266 StGB; S/S/Perron Rn 19b zu § 266 StGB; A/R/R/Seier Rn 5/2/166; Stenzel S 61 ff; G/J/W/Waßmer Rn 94a und 94b zu § 266 StGB; wohl auch Lackner/Kühl/Heger Rn 20b zu § 266 StGB; aA AnwK/Esser Rn 75 ff, 297/297a und 304 zu § 266 StGB; Eidam NStZ 2016, 603 f (er sieht sich damit in – fraglichem, aber wohl von BGH, 16.8.2016 – 4 StR 163/16, Rn 32, NJW 2016, 3253 ff, gestütztem – Einklang mit BGH, 24.5.2016 – 4 StR 440/15, Rn 27, NStZ 2016, 600 ff (mAnm Eidam); MK/Dierlamm Rn 174 ff, auch 265 zu § 266 StGB; Jahn/Ziemann ZIS 2016, 552 ff, 558 ff; Theile ZIS 2011, 616 ff; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 15 vor §§ 82 ff GmbHG (der das Erfordernis, die Pflichtverletzung müsse gravierend sein, für inzwischen im Kern gefestigte Rspr ansieht; eine dahingehende Tendenz sieht auch S/S/W/Saliger Rn 48 zu § 266 StGB – sie dürfte in der Tat, wenngleich nicht durchgängig, bestehen, inhaltlich aber das Evidenzerfordernis betreffen, so deutlich bei BGH, 12.10.2016 – 5 StR 134/15, Rn 25 und 27, ZInsO 2017, 25 ff (1. Schritt: klare und deutliche Pflichtwidrigkeit, 2. Schritt: gravierend, wenn in genanntem Sinne evident, 3. Schritt: Verstöße gegen die Business Judgement Rule sind stets evident und damit gravierend), ebenso bei G/J/W/Waßmer Rn 94 f und 120 zu § 266 StGB, und nicht als zusätzliche Höhenmarke, so aber Theile ZIS 2011, 616 ff, 626 ff, obwohl er mit der Evidenz zu Recht ein Kriterium in den Vordergrund hebt, das gerade nicht zwischen Zivil- und Strafrecht unterscheidet, sondern bei Fehlen eines Handelns im Interesse des betreuten Vermögens auch – schon – allein zivilrechtlich begründet sein kann, dazu oben Rn 21. Die hier wiederholte Ablehnung des Erfordernisses einer gravierenden Pflichtverletzung als eine zwingende, über sachrechtliche Unvertretbarkeit hinausgehende zusätzliche strafrechtliche Höhenmarke bedeutet allerdings keinesfalls umgekehrt die automatische Übernahme der Wertung des betroffenen Sachrechts in das Strafrecht, sondern vermeidet zwar den (von der Gegenauffassung intendierten) Zwang zu weiterer Einschränkung, verbietet Letztere aber nicht (verkannt von Theile ZIS 2011, 616 ff, insb S 625; demgegenüber ähnlich wie hier, allerdings nur für Verletzungen von Pflichten ohne Handlungsspielraum S/S/W/Saliger Rn 51 zu § 266 StGB, der insoweit zwischen vermögensbezogenen und eher nebensächlichen marginalen formellen Pflichten differenziert; eine auf den Vermögensbezug abstellende generelle Interpretation des Kriteriums einer gravierenden Pflichtverletzung findet sich bei G/J/W/Waßmer Rn 94a und 94b, auch 120 zu § 266 StGB), sondern eröffnet vielmehr nur, aber immerhin die Möglichkeit weiterer strafrechtlicher Restriktion (sowohl rechtsgutsbezogen und damit die Verletzung nicht vermögensschützender sachrechtlicher Pflichten ausscheidend als auch im Hinblick auf die Bedeutung einer unvertretbaren und deshalb rechtsverletzenden Handlung mit Vermögensbezug, zB wenn der „Dienst nach Vorschrift“ zeitlich nicht zu bewältigen ist, deshalb Abstriche von abstrakt wünschenswerten Sorgfaltspflichten faktisch unvermeidlich sind, sie aber auf Pflichten mit den geringsten erkennbaren Risiken

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ten werden müssen.192 Die finanziellen Interessen der Gesellschaft definiert zwar der organschaftliche Vertreter, aber nicht immer allein. Gesellschafter, insbes innerhalb von Konzernstrukturen, dürfen zB einer juristisch selbständigen Einheit allein die Funktion einer Zweckgesellschaft zuweisen, allgemein: Geschäftsziele vorgeben, an die der Geschäftsführer gebunden ist. An ihnen darf er nicht nur seine Entscheidungen orientieren, sondern muss es – in den Grenzen des allg geltenden Rechts. Er ist gehalten, die innerhalb des skizzierten Rahmens liegenden Ziele weder aktiv noch passiv zu gefährden, hat also nicht nur bestimmte (idS) schädigende Handlungen zu unterlassen, sondern muss die Interessen der Gesellschaft positiv födern durch Erfüllen unterschiedlichster Pflichten, zB realistische Prognosen erstellen,193 für eine funktionsgerechte Organisationsstruktur194 und ausreichende Kontrollen195 sorgen, vorhandene, zumindest zwingende Geschäftschancen ergreifen,196 auf die günstige Gestaltung von Verträgen achten,197 darf also nicht ohne sachlichen Grund von marktüblichen Bedingungen zum Nachteil des betreuten Vermögens abweichen198 und auf die Durchsetzung bestehender Ansprüche nur im übergeordneten Interesse des Unternehmens verzichten.199 Der vorhandene Spielraum der Geschäftsführung bzw des Vorstands zeigt sich va 26 bei unternehmerischen Entscheidungen – und beweist sich an erfolglosen. So muss zB die Vergabe eines notleidend gewordenen Kredits seitens einer Bank nicht schon allein deshalb pflichtwidrig sein, weil keine Sicherheiten verlangt und bestellt wurden.200 Die Verletzung bankmäßiger, der Gewährleistung der Rückzahlung dienender Pflichten,201 nicht jedoch bereits die Missachtung von § 18 KWG als außerhalb des Treuverhältnisses stehender, dieses allerdings mitprägende Norm,202 ist hingegen pflichtwidrig. Der Nachteil besteht dann im meist nur im Wege der Schätzung zu bestimmenden (voraussehbar gewesenen) Wertberichtigungsbedarf. Selbst Aufwendungen ohne (unmittelbare) Gegenleistungen wie beim Sponsoring müssen nicht strafbar sein. Die entscheidenden Kriterien sind trotz erst einer einzigen Entscheidung des BGH203 (weitgehend) konsentiert. Er bestätigte die Verurteilung eines Vorstandsvorsitzenden einer Stadtwer-

_____ beschränkt wurden – hilfreich für die Vermeidung unmittelbarer und unabgestufter Untreuerelevanz der Verletzung von Compliance-Anforderungen, s o Rn 21). Umgekehrt betrachtet trotz seiner Kritik an der von ihm so empfundenen Ausdehnung des § 266 StGB seitens der Rspr Perron ZGR 2016, 187 ff, 194 die strafrechtliche Anerkennung des zivil- oder öffentlich-rechtlichen Entscheidungsspielraums und damit das Kriterium der Vertretbarkeit als zu starke Einschränkung des Tatbestands. 192 BGH, 12.10.2016 – 5 StR 134/15, Rn 26, ZInsO 2017, 25 ff (Bindung des Vorstands an Satzung, Geschäftsordnung und Zuständigkeiten); weiteres Beispiel: Keine Parteispende aus Fraktionsgeldern, BGH, 11.12.2014 – 3 StR 265/14, Rn 29, BGHSt 60, 94 ff; wohl verkannt von OLG Düsseldorf, 29.4.2015 – III-1 Ws 429/14, wistra 2015, 482 ff in Bezug auf zumindest korruptionsnahe Zuwendungen. 193 Roth S 110 f. 194 Roth S 112 ff. 195 Roth S 116 ff. 196 Roth S 109 f. 197 Roth S 129 f. 198 Roth S 131. 199 Roth S 119 ff. 200 BGH wistra 2001, 423, 424 mN; S/S/Perron Rn 20a zu § 266 StGB. 201 Je nach Gestaltung der Pflichtenstellung seitens der Geschäftsleitung kann die Vermögensbetreuungspflicht dessen, der den Kredit zu vergeben hat, sogar gänzlich entfallen, bejaht von BGH, 3.5.2012 – 2 StR 446/11, ZWH 2012, 461 ff (dazu Bittmann ZWH 2012, 446 ff): Minutenkredite unmittelbar nach Eingabe in ein Computerformular. 202 Vgl oben Rn 13. 203 BGH wistra 2002, 143, 145f; Fischer Rn 84 zu § 266 StGB; Sauer wistra 2002, 465 ff; krit Beckemper NStZ 2002, 324 ff; Kühne StV 2002, 198f.

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ke AG und deren Aufsichtsratsvorsitzenden (dem seinerzeitigen Landesverkehrsminister) wegen von Letztgenanntem gewünschter verschiedener Spenden an den Fußballverein seines Wohnorts, weil (1) der Zweck der Zuwendungen dem Unternehmensgegenstand ferngestand, (2) diese privatem Interesse gedient hatten, (3) sie im Hinblick auf die Finanzlage der AG unangemessen hoch ausgefallen und (4) innerbetriebliche Verschleierungshandlungen vorgenommen worden waren. Freiheit und Bindung gilt es auch im öffentlich-rechtlichen Sektor in rechtlichem Einklang zu halten.204 Obwohl die zweckwidrige Verwendung staatlich gewährter Fraktionszuschüsse nach Auffassung des Rheinland-Pfälzischen Verfassungsgerichtshofs,205 wenn überhaupt, dann nur in Fällen evidenten Missbrauchs als Untreue strafbar sein soll, verurteilte der BGH die deswegen Angeklagten.206 Pflichtwidrig ist auch der zweckwidrige Einsatz der Förderung des Wohnungsbaus vorbehaltener Mittel207 und die privatnützige Verwendung öffentlicher oder öffentlich garantierter Kreditmittel, die einer (später insolvent gewordenen) Gesellschaft für ein Infrastrukturvorhaben (Nürburgring) zur Verfügung gestellt worden waren.208 In jedem einschlägigen Fall muss entschieden werden, ob im Zeitpunkt des Han27 delns die weiten Grenzen eines bestehenden (nicht nur unternehmerischen) Ermessens eingehalten oder ob sie überschritten wurden. Das gilt allg, aber auch und gerade für Untreuefälle, die im Zusammenhang mit einer Unternehmensinsolvenz stehen. Verpflichtungsgeschäfte dürfen auch in krisenhaften Phasen zu Marktpreisen abgeschlossen werden, es sei denn, die Gegenleistung ist für das Unternehmen wertlos. Verfügungen bleiben selbst bei Verstoß gegen eine Weisung straflos, wenn sie der Erfüllung wirksam begründeter Verbindlichkeiten dienen.209 Das gilt auch für die laufenden210 Gehaltsansprüche des Geschäftsführers,211 selbst wenn diese allein aus § 612 BGB folgen.212

_____ 204 Beispiel: BGH, 9.11.2016 – 5 StR 313/15: Städtische Verwaltung von Grundstücken unbekannter Eigentümer; G/J/W/Waßmer Rn 61 zu § 266 StGB (öffentliche Hand als Vermögensinhaber); Zu Aufsichtsräten kommunaler Gesellschaften s Geerds FS Otto, S 561 ff; zum Loyalitätskonflikt zwischen Gesellschaft und Entsendendem Krause FS Hamm, S 341 ff. 205 RPfVerfGH NVwZ 2003, 75, 80. 206 BGH, 26.11.2015 – 3 StR 17/15, BGHSt 61, 48 ff. 207 OLG Rostock, 27.9.2012 – 1 Ws 133/12, ZWH 2013, 70 ff, dazu Bittmann ZWH 2013, 55 ff, 59 f. 208 BGH, 26.11.2015 – 3 StR 17/15, BGHSt 61, 48 ff. 209 Fischer Rn 165 zu § 266 StGB; S/S/Perron Rn 41 zu § 266 StGB; sa Bittmann ZWH 2012, 100 ff zu BGH, 12.1.2012 – IX ZR 95/11, ZIP 2012, 285 f. 210 Die Auszahlung stehengelassener, also rückständiger Gehaltsansprüche muss hingegen unterbleiben, soweit darin ein existenzgefährdender oder -vernichtender Eingriff läge, dazu unten Rn 91 f und 102 ff. 211 BGH wistra 1995, 114; M-G/Hadamitzky Rn 32/190; krit Fischer Rn 170, auch 165 zu § 266 StGB im Hinblick auf frühere Rspr, welche eigenmächtige Erfüllung ohne Belege beanstandete, BGH, 28.1.1983 – 1 StR 820/81, Rn 158, BGHSt 31, 232 ff, unter Berufung auf BGH, 15.2.1956 – 1 StR 475/55. Zur Situation nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Stiller ZinsO 2016, 2165 ff. 212 BGH wistra 1999, 340 f; A/R/R/Seier Rn 5/2/32 und 324; Ausnahme: Auch gegenüber der Gesellschaft bestehende, Kapitalgebern versprochene Pflicht zur während einer Sanierungsphase unentgeltlichen Tätigkeit, OLG Naumburg NZG 1999, 353, 354.

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(3) Eingehen von Risiken Ob es spezielle Risikogeschäfte213 überhaupt gibt,214 ist fraglich und nicht konsentiert 28 definiert, kann aber dahinstehen, weil sie – als kriminologische Kategorie ungesicherter Vorleistungen oder drohender zukünftiger Gefahren215 – keinen anderen Regeln und damit keiner anderen Beurteilung ihrer Pflichtwidrigkeit216 als Abgrenzungskriterium zwischen Erlaubnis und Verbot217 unterworfen sind bzw wären als sie für das Wirtschaften allg gelten. Das erforderliche angemessene Verhältnis zwischen dem Produkt aus Erfolgswahrscheinlichkeit und Gewinnfaktor einerseits und dem Aufwand andererseits lässt sich nur näherungsweise beurteilen.218 Gemeint sind mit Risikogeschäften solche, die typischerweise weder getätigt werden müssen noch generell verboten sind. Es handelt sich va um Transaktionen, die von einem mehr oder weniger hohen spekulativen Anteil gekennzeichnet sind, welche zwar, wenn sie gutgehen, zu (meist: hohen) Gewinnen führen, deren Eintritt aber noch unsicherer als sonst üblich ist, vielmehr in überdurchschnittlichem Maße von Umständen abhängt, die vom Geschäftsführer weder beeinflussbar noch vorhersehbar sind, jedoch häufig zunächst erhebliche Aufwendungen verlangen. Piel/Albert219 unterscheiden zwischen Vorleistungs- und Spekulationsgeschäften, Investitionsentscheidungen und Sanktionsfällen. Pracht und Elend der Strafbarkeit des Eingehens unvertretbarer Risiken zeigte sich in der Finanzkrise ab 2008.220 Wiewohl idealtypisch beschäftigte sie die Strafgerichte fast überhaupt nicht. Demgegenüber muss-

_____ 213 BGH, 4.2.2004 – 2 StR 355/03, Rn 8, StV 2004, 424 f (dazu Rose wistra 2005, 281 ff); 19.2.2014 – 5 StR 510/13, Rn 13, NStZ 2014, 318 ff (Inhaberschuldverschreibungen); A/R/R/Seier Rn 5/2/391 ff; AnwK/Esser Rn 123 ff zu § 266 StGB; BeckOK/Wittig Rn 19 zu § 266 StGB; Lackner/Kühl/Heger Rn 7 zu § 266 StGB LK/ Schünemann Rn 115 ff zu § 266 StGB; M/R/Matt Rn 106 zu § 266 StGB; M-G/Hadamitzky Rn 32/156 ff; MK/ Dierlamm Rn 228 ff zu § 266 StGB; NK/Kindhäuser Rn 73 ff zu § 266 StGB; Murmann JURA 2010, 561 ff; Piel/ Albert FS Wessing S 209 ff; Ransiek ZStW 2004, 634 ff; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 15 vor §§ 82 ff GmbHG; S/S/Perron Rn 20 und 20a zu § 266 StGB; Thomas, FS Rieß, S 795, 800; G/J/W/Waßmer Rn 114 ff zu § 266 StGB; Weber-Rey AG 2012, 365 ff; Fischer Rn 63 ff zu § 266 StGB. 214 So Böttger Rn 3/167 ff; Dannecker/Knierim/Hagemeier/Smok Rn 671 und 757 ff; LK/Schünemann Rn 115; M/R/Matt Rn 107 zu § 266 StGB; S/S/W/Saliger Rn 61 ff zu § 266 StGB; auch Voraufl Rn 29; verneinend Stenzel S 101 ff. A/R/R/Seier Rn 5/2/391 sieht darin eine „zentrale Problematik in der Untreuedogmatik“. 215 LK/Schünemann Rn 115 zu § 266 StGB. Musterbeispiel: BGH, 30.9.2010 – 5 StR 259/10, Rn 3, 12 und 17, wistra 2011, 22 f: Ungesicherte spekulative Anlage von 14 Mio € einer Wohnungsbaugesellschaft für versprochene Rendite von bis zu 300%. 216 Dezidiert Stenzel S 101 ff; iE ebenso zutr S/S/W/Saliger Rn 62 zu § 266 StGB; A/R/R/Seier Rn 5/21/392; LK/Schünemann Rn 115 zu § 266 StGB; G/J/W/Waßmer Rn 114 zu § 266 StGB; M/R/Matt Rn 106 ff zu § 266 StGB; MK/Dierlamm Rn 228 ff zu § 266 StGB. 217 S/S/W/Saliger Rn 61, auch Rn 62 zu § 266 StGB. 218 LK/Schünemann Rn 187 zu § 266 StGB. 219 Piel/Albert FS Wessing S 209 ff, 215 ff und 219 ff. Mülbert/Sajnovits WM 2015, 2345 ff betrachten Darlehen an Gesellschafter unter dem Gesichtspunkt des Risikogeschäfts. 220 OLG Düsseldorf, 9.12.2009 – I-6 W 45/09, ZIP 2010, 28 ff (dazu Spindler NZG 2010, 281 ff); LG Hamburg, 9.7.2014 – 608 KLs 12/11, ZWH 2015, 368 ff (HSH Nordbank), Freispruch von BGH 12.10.2016 – 5 StR 134/15, ZInsO 2017, 25 ff, aufgehoben); Balthasar/Hammelmann WM 2010, 589 ff; Becker/Endert ZGR 2012, 699 ff; Becker/Walla/Endert WM 2010, 875 ff; Binder ZGR 2016, 229 ff; Bittmann NStZ 2011, 361 ff; Brüning/ Samson ZIP 2009, 1089 ff; Cornacchia ZIS 2016, 255 ff; Fischer Rn 72a ff; ders ZStW 2011, 816 ff; Florstedt AG 2010, 316 ff; Göhler ZIS 2016, 219 ff; Jahn JZ 2011, 340 ff; ders wistra 2013, 41 ff; Krey FS Claus Roxin S 1073 ff; Kubiciel ZIS 2013, 53 ff; Lüderssen StV 2009, 486 ff; Redeke ZIP 2010, 159 ff; Reiner/Schacht WM 2010, 337 ff und 385 ff; Ransiek WM 2010, 869 ff; Rudolph ZGR 2010, 1 ff; Schäfer/Zeller BB 2009, 1706 ff; Schröder ZStW 2011, 771 ff; Schünemann ZStW 2011, 767 ff; Spindler AG 2010, 601 ff; Strate HRRS 2012, 416 ff; G/J/W/Waßmer Rn 129a–c zu § 266 StGB, restriktiv in subj Hinsicht, Rn 226a (zu gesetzgeberischen Reaktionen Rn 158b); Weißer ZIS 2016, 217 f; Wohlers ZStW 2011, 791 ff; je mN.

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ten sich zumindest Zivilgerichte häufiger, Strafgerichte vereinzelt aber immerhin mit riskanten kommunalen Anlagen in Swaps221 und mit Cross Border Leasing222 befassen – der Unterschied dürfte darin begründet sein, dass die Geschädigten nur bei Letzteren die individuelle Einbuße dauerhaft merkten. Die strafrechtliche Beurteilung des Eingehens von Risiken hängt vom (vereinbarten oder gesetzlich geregelten223) Rechtsverhältnis zwischen Betreuer und betreutem Vermögen ab.224 Innerhalb der Grenzen des (Ausnahmen zB für den Vorstand einer AG zulassenden) Rechts ist es allein Sache des Vertretenen, welches Risiko er eingehen will.225 Er bestimmt regelmäßig den Rahmen der Risiken, innerhalb dessen sich der Vertreter bewegen, dh frei entscheiden darf. Die Vorgaben und Weisungen des Geschäftsherrn oder sein Einverständnis entlasten im Fall ihrer Wirksamkeit den deshalb dann straffreien Vertreter.226 Die Grenzen dessen, was er an zulässigen Risiken eingehen (lassen) darf, ergeben sich für den Vertretenen aus (speziellen oder allg) Gesetzen.227 In der Krise sind zB Spekulationsgeschäfte verboten, § 283 Abs 1 Nr 2 StGB. Das Stammkapital einer GmbH darf nicht nur nicht aufgebraucht, § 283 Abs 2 StGB, ggf iVm § 266 StGB, sondern bereits nicht angegriffen werden.228 Selbst ohne spezielle gesetzliche Bestimmungen ist der wirtschaftliche Spielraum in der Krise aus Gläubigerschutzgründen enger als außerhalb und verbietet kostenträchtige Vorhaben, die nur abhängig von Zufällen lukrative Auswirkungen zu zeitigen vermögen. Damit unvereinbare Entscheidungen sind rechtswidrig, Anweisungen unwirksam. An die für den Vertretenen geltenden Grenzen ist auch der Vertreter gebunden – und zwar selbst dann, wenn der Vertretene sie bricht. Den Betreuer des fremden Vermögens trifft demgemäß nach rechtswidrigen Vorgaben – anders als bei rechtmäßiger Anweisung – eine eigene Prüf- und strafbewehrte Verhaltenspflicht – nichts für schwache Nerven, weil der Geschäftsführer persönlich für eine etwaige Fehlentscheidung verantwortlich, bei unzulässigem Widerstand zB schadenersatzpflichtig, bei gebotenem, aber unterlassenen (vorbehaltlich etwaiger Irrtümer) strafbar ist. Neben diesen allg Grenzen muss der Betreuer auch noch die darüber hinausgehenden Beschränkungen aus dem Innenverhältnis wahren,229 ohne dass ihr Bruch aller-

_____ 221 Zum strafrechtlichen Risiko Gehrmann/Lammers KommJur 2011, 41 ff; G/J/W/Waßmer Rn 129d zu § 266 StGB; allg zu Untreue aufgrund von Geschäften mit spekulativen Derivaten Bader/Wilkens wistra 2013, 81 ff. 222 Dazu G/J/W/Waßmer Rn 129f zu § 266 StGB. 223 G/J/W/Waßmer Rn 118 zu § 266 StGB. 224 Vgl BeckOK/Wittig Rn 19.1 zu § 266 StGB; LK/Schünemann Rn 116 zu § 266 StGB; MK/Dierlamm Rn 229 zu § 266 StGB; Piel/Albert FS Wessing S 209 ff, 212; S/S/Perron Rn 20 zu § 266 StGB; Scholz/Tiedemann/ Rönnau Rn 15 vor §§ 82 ff GmbHG; A/R/R/Seier Rn 5/2/394. 225 LK/Schünemann Rn 117 aE zu § 266 StGB; G/J/W/Waßmer Rn 115 ff, auch 190 f zu § 266 StGB, er spricht von „Risikopolitik“. 226 BGH, 4.2.2004 – 2 StR 355/03, Rn 8, StV 2004, 424 f (dazu Rose wistra 2005, 281 ff); OLG Zweibrücken NZG 1999, 506 ff; Fischer Rn 91 zu § 266 StGB. 227 Vgl dazu allgemein Roth S 108 ff. 228 Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 15 vor §§ 82 ff GmbHG; gleichgestellt sind Gefährdungen der Existenz und der Liquidität. 229 Fischer Rn 67a ff; S/S/W/Saliger Rn 62 zu § 266 StGB, der von Risikoabrede bzw (sehr anschaulich) von Risikokorridor spricht. Soweit sie bereits das Treuverhältnis konstituieren, dazu G/J/W/Waßmer Rn 86 f zu § 266 StGB mit Auflistungen Rn 88 und 90 ff, der von materiellen und formalen Vorgaben spricht, Rn 120, handelt es sich dabei nicht erst um eine Frage des Einverständnisses, aA A/R/R/Seier Rn 5/2/396; G/J/W/ Waßmer Rn 116 zu § 266 StGB.

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dings quasi-automatisch zur Strafbarkeit wegen Untreue führen würde.230 Sie können ebenfalls auf Gesetz,231 aber auch auf dem Geschäftsführer- oder Dienst-, auch Tarifvertrag,232 der Satzung233 oder einer Einzelweisung beruhen und müssen nicht einmal immer explizite vorgegeben sein. Absolute Grenzen solcher den Vertreter bindenden Beschränkungen können im Untersagen bestimmter Arten (etwa Grundstückskaufverträge), Größenordnungen (zB 10.000 €) oder Umstände (wie Parlamentsvorbehalt234 oder fehlender Versicherung bzw Sicherheitsleistung235) von Geschäften bestehen. Innerhalb der Grenzen, die Außen- wie Innenverhältnis setzen, ist dem Betreuer, bei- 33 spielhaft dem Geschäftsführer, das Eingehen von Risiken durchaus nicht verboten.236 Dies ist nicht nur erlaubt, sondern gerade im (auf Prognosen angewiesenen237) Geschäftsleben vielfach erwünscht, ja sogar notwendig,238 bedeutet nun jedoch keineswegs, sie unbedingt, in jedem Fall, also unbeschadet sonstiger Umstände auch tatsächlich eingehen zu dürfen.239 Im Gegenteil, das betreute Vermögen, die Gesellschaft, ihnen auszusetzen, ist nur in zu den absoluten hinzutretenden relativen Grenzen gestattet und erfordert nach Treu und Glauben das Einhalten der verkehrsüblich objektiv erforderlichen Sorgfalt240 zwecks Minimierung auch der Risiken, die eingegangen werden dürfen.241 Selbst im Rahmen der vorhandenen abstrakten Befugnisse darf Gesellschaftsvermögen nämlich nicht ohne sachlichen Grund, also nicht ohne die Möglichkeit einer mindestens wertgleichen (direkten oder zumindest mittelbaren) Gegenleistung oder Kompensation weggegeben werden.242 Ohne Einverständnis des Vertretenen darf der Vertreter ein Geschäft nicht eingehen, wenn nach einer Gesamtbetrachtung die Annahme unvertretbar ist, die Aussicht auf Gewinn übersteige die Gefahr eines Verlustes.243 Grob unverhältnismäßige soziale Aufwendungen sind ihm verboten.244 Bei den relativen Grenzen handelt es sich typischerweise um vorbereitende, das Risiko minimierende Verfahrensregeln,245

_____ 230 Zu Verstößen gegen rein formelle Pflichten s oben Rn 21, auch unten Rn 71. 231 Es bindet selbst dann, wenn seine Verletzung dem betreuten Vermögen förderlich wäre, Roth S 131 ff; Pastor Muñoz/Coca Vila GA 2015, 284 ff; 290 f. 232 BGH, 24.5.2016 – 4 StR 440/15, Rn 13 ff, NStZ 2016, 600 ff (mAnm Eidam). 233 BGH, 26.11.2015 – 3 StR 17/15, Rn 113–122, BGHSt 61, 48 ff. 234 BGH, 26.11.2015 – 3 StR 17/15, Rn 80, BGHSt 61, 48 ff 235 OLG Jena NZG 2001, 86 ff mN; zust Haas DStR 2001, 863 f; Fischer Rn 71 aE. 236 BGH, 28.5.2013 – 5 StR 551/11, Rn 17, NStZ 2013, 715 Berliner Bankenkonsortium (dazu Böttger Rn 3/ 90; Saliger ZWH 2014, 74 f; Trüg NStZ 2013, 717 f); Fischer Rn 63 und 158 zu § 266 StGB. 237 BeckOK/Wittig Rn 19 zu § 266 StGB. 238 BGH, 26.11.2015 – 3 StR 17/15, Rn 57, BGHSt 61, 48 ff: Gegenteil schlechterdings nicht denkbar; Beispiel zur Kreditvergabe: LG Arnsberg, 17.7.2013 – 6 KLs 1/13 mAnm Gutmann FD-StrafR 2013, 350087 und Kunkel jurisPR-StrafR 22/2013 Anm 2. 239 S/S/W/Saliger Rn 62 zu § 266 StGB. 240 S/S/W/Saliger Rn 63 zu § 266 StGB; G/J/W/Waßmer Rn 89 zu § 266 StGB, der als Maßstab die Verkehrsauffassung und ein Handeln gemäß den Anforderungen an einen ordentlichen und gewissenhaften Kaufmann befürwortet, Rn 119 f. 241 Vgl OLG Zweibrücken, 22.12.1998 – 8 U 98/98, Rn 67, NZG 1999, 506 ff. 242 Vgl dazu Roth S 108 f. 243 BGH NJW 1975, 1234, 1236 mN; MK/Dierlamm Rn 232 zu § 266 StGB; S/S/Perron Rn 20 zu § 266 StGB; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 15 vor §§ 82 ff GmbHG (mit zutr Hinweis, dass es keine starre Grenze bei 50%iger Wahrscheinlichkeit gibt). 244 Roth S 111 f. 245 LK/Schünemann Rn 117 zu § 266 StGB; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 15 vor §§ 82 ff GmbHG; sa G/J/W/Waßmer Rn 93b, 93e, 94c und 120 zu § 266 StGB (obwohl an diesen Stellen nicht ausdrücklich hervorgehoben, deutet sein Abstellen auf „eine Pflichtverletzung iSd § 266 StGB“, also eine Missachtung nicht anderer als vermögensbezogener Pflichten, und die Tatsache, dass er derartige formelle Verstöße lediglich

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denen gemäß zuvor zB Gutachten oder die Stellungnahme eines Wirtschaftsprüfers einzuholen sind.246 Maßgeblich ist das Treffen einer rationalen Entscheidung.247 Die (teils überlegene) 34 Intuition248 zu nutzen, ist damit keineswegs ausgeschlossen. Steht sie am Anfang eines Entscheidungsprozesses, so bedarf sie jedoch zunächst rationaler Kontrolle. Dazu gehört, dass sich der Pflichtige innerhalb des Rahmens seiner Befugnisse die der konkreten Entscheidungssituation angemessene249 bestmögliche250 Informationsbasis verschafft und auch alle übrigen Umstände sorgfältig iS einer Risikoanalyse251 prüft.252 Haas253 unterscheidet in diesem Zusammenhang die vier Pflichtenkreise der (1) umfänglichen Wahrnehmung der Aufgabe, ihrer (2) sorgfältigen Vorbereitung, der (3) Orientierung am Unternehmenswohl und der (4) Risikominimierung. Hält der Geschäftsführer die brachentypischen (nicht: branchenüblichen254) Regeln des Risikomanagements255

_____ als indizielle Anknüpfungspunkte ansieht, auf zumindest weitgehend deckungsgleiche Ergebnisse wie hier hin); zu Fehlern beim Vorgehen in der Krise vgl Roth S 249 ff. S allg oben Rn 21. 246 Vgl zu den damit verbundenen Pflichten oben § 11 Rn 143. 247 BGH, 12.10.2016 – 5 StR 134/15, Rn 34 aE, ZInsO 2017, 25 ff: vernünftigerweise. LK/Schünemann Rn 117 zu § 266 StGB; G/J/W/Waßmer Rn 93b zu § 266 StGB; der Sache nach auch S/S/W/Saliger Rn 112 zu § 266 StGB; A/R/R/Seier Rn 5/2/399. Was allerdings genau darunter zu verstehen ist, ist weder konsentiert noch zeitlos definierbar. Ob Erkenntnisse der Verhaltensökonomie oder anderer Wissenschaftszweige nun gleich eine „Neudefinition des Begriffs der Rationalität“ (Stenzel S 194) verlangen, darf mit Fug bezweifelt werden, wohl aber darf das Recht, zumal das Strafrecht, nicht mehr verlangen, als die Adressaten zu leisten in der Lage sind (Stenzel S 196). 248 Zum Nachdenken anregend Stenzel S 199 ff. 249 BGH, 12.10.2016 – 5 StR 134/15, Rn 34, ZInsO 2017, 25 ff. Das lässt die Berücksichtigung aller konkreten Umstände in einer Entscheidungssituation zu, also auch die Vernachlässigung der an sich gebotenen Informationsbeschaffungspflicht, Rn 30 ff, wenn die Folgen einer ausbleibenden sofortigen Entscheidung nachteiliger erscheinen als die mit dem Entscheiden auf vager Grundlage verbundenen Risiken: mangelhafte Grundlage, Rn 37 und 39 versus Kapitalmarkterfolg (Rn 50 – vom Senat allerdings erst thematisiert im Zusammenhang mit der Kompensation für den Fall bejahten Nachteils, worauf es nur bei angenommener Pflichtwidrigkeit ankommen kann). Maßgeblich ist danach allerdings keineswegs allein der Zeitdruck, sondern auch die Bedeutung der Entscheidung. Als Konsequenz folgt daraus, dass eine bedeutsame Entscheidung unter Zeitdruck nur getroffen werden darf, wenn sie aus zwingenden Gründen nicht verschoben werden kann. Dies lässt sich der durchaus beliebten Taktik entgegenhalten, ein beabsichtigtes Vorhaben den Mit-Entscheidungsgremien unter Hinweis auf die Eilbedürftigkeit erst so spät und mit moralischem Druck vorzulegen, dass keine der Bedeutung der Angelegenheit angemessene Prüfung mehr möglich erscheinen soll. 250 G/J/W/Waßmer Rn 93b zu § 266 StGB; Bittmann ZWH 2012, 355 ff. BGH, 14.7.2008 – II ZR 202/07, Rn 11, NJW 2008, 3361 ff, verlangte sogar Unmögliches, nämlich das Beiziehen aller verfügbaren Informationen; BGH, 12.10.2016 – 5 StR 134/15, Rn 34, ZInsO 2017, 25 ff, greift diese Formulierung zwar auf, nimmt sie jedoch lediglich als (idealen) Ausgangspunkt und verlangt ihre Erfüllung zutr lediglich in einem der konkreten Entscheidungssituation „angemessenen“ Umfang. Demgegenüber arg großzügig OLG Schleswig, 12.4.2016 – 9 U 58/15 (mangelndes Schädigungsmotiv für verlustreiches Wellenbad). 251 BGH, 13.8.2009 – 3 StR 576/08, Rn 28 aE, auch Rn 32 und 40, wistra 2010, 21 ff (dazu Wessing BKR 2010, 159 ff); Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 15 vor §§ 82 ff GmbHG; A/R/R/Seier Rn 5/2/399; sa Helmrich NZG 2011, 1252 ff. Von der prospektiven Betrachtung im Vorfeld einer Entscheidung zu unterscheiden sind die Reaktionspflichten nach Eintreten eines (bestandsgefährdenden) Risikos zwecks Vermeidung von dessen Realisierung, dazu Redeke ZIP 2010, 159 ff. 252 BGH, 13.8.2009 – 3 StR 576/08, Rn 27 f und 45, wistra 2010, 21 ff (dazu Wessing BKR 2010, 159 ff); 28.4.2015 – II ZR 63/14, Rn 28 ff mN, ZIP 2015, 1220 ff; Freitag/Korch ZIP 2012, 2281 ff; M-G/Hadamitzky Rn 32/167 ff; Piel/Albert FS Wessing S 209 ff, 214. Diese Frage spielte im Verfahren HSH Nordbank (BGH, 12.10.2016 – 5 StR 134/15, ZInsO 2017, 25 ff) eine wesentliche Rolle. 253 DStR 2001, 863, 864. 254 Darauf stellt S/S/W/Saliger Rn 63 zu § 266 StGB ab. 255 Dazu allg Drygala FS Hopt, S 541 ff; Helmrich NZG 2011, 1252 ff.

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ein, so darf er am Ende des Entscheidungsprozesses seiner auf Erfahrung beruhenden Intuition folgen – muss es sogar, denn alles noch so sorgfältige Abwägung des Fürs und Widers führt zu nichts mehr als einer Informationssammlung und nicht zu einem lediglich ablesbaren und damit vorgegebenen Ergebnis. Auch die Entscheidung unter Wahrung aller erforderlichen Sorgfalt ist demnach – iGgs zu ihrer Basis – notwendig subjektiv, nicht überprüfungsfähig und damit auch nicht (strafrechtlich) vorwerfbar. Bewegt sich der Geschäftsführer innerhalb dieser Grenzen unternehmerischen Ermessens,256 so macht er sich auch dann nicht der Untreue schuldig, wenn sich das Risiko verwirklicht, die Gesellschaft also einen Verlust erleidet. Missachtet er sie hingegen, so ist das Risiko selbst dann pflichtwidrig eingegangen, wenn sich der Geschäftsführer innerhalb der abstrakten Grenzen des Aussen- wie des Innenverhältnisses bewegte. Soweit der Täter nicht vollkommen außerhalb seines Aufgaben- und Zuständigkeitsbereichs agierte, lautet der Vorwurf zumeist keineswegs, er habe auf eine solche wie die betreffende Transaktion von vorn herein verzichten müssen. Vielmehr hat er sich für die Umstände zu verantworten, unter denen er sie veranlasst hat. Anschauliches Beispiel ist die Vergabe eines Kredites. Sie ist immer mit einem Risiko verbunden. Soweit es vertragstypisch ist, liegt der Abschluss in der Kompetenz des Kreditsachbearbeiters. Zu Absprachen mit höheren Risiken ist er jedoch nicht befugt. Pflichtwidrig ist in solcher Konstellation nur das Eingehen der Risikodifferenz.257 Die Regeln über die Befugnis zum Eingehen von Risiken gelten zwar umfassend, 35 also situations- und sachverhaltsunabhängig. Welche Grenzen sie aber für welche Geschäfte und sonstigen Entscheidungen konkret setzen, hängt unvermeidlich von den jeweiligen Umständen ab. Geld- oder Warenkredite müssen auch ohne Sicherheiten nicht notwendig pflichtwidrig vergeben worden sein.258 Selbst in der Krise verfügt der Geschäftsführer weiterhin über einen, wenngleich verengten Ermessenspielraum, der ihm zB Investitionen mit einem gewissen spekulativen Moment in neue, noch nicht anwendungsreife Techniken erlauben kann. Nur weil sich die Entwicklung eines neuen Flugzeugs verzögert hatte und die Banken deshalb die (horrenden) Kredite mit der Folge des Eintritts der Insolvenz kündigten (vgl den Fall „Dornier“259), war die Investitionsentscheidung, so sie auf seriöser Prüfung beruhte, selbst dann nicht ungetreulich getroffen worden, wenn ein solches Risiko von Anfang an erkannt, seine Realisierung aber als unwahrscheinlich angesehen worden war – und angesehen werden durfte. Umgekehrt kann aber auch die Weigerung, ein bestimmtes Risiko einzugehen, nicht als pflichtwidrig angesehen werden, wenn dem Geschäftsführer nach ernsthafter Prüfung das Risiko als zu hoch erschienen war. Hingegen ist Wirtschaften „ins Blaue hinein“ ebenso wie das Verwerfen einer (in etwa) gleichwerigen, aber sichereren Handlungsalternative260 selten pflichtgemäß. Die strafrechtliche Praxis sollte das Eingehen von Risiken regelmäßig nur in eindeutigen Fällen aufgreifen – und beweist auch durchweg Augenmaß.

_____ 256 Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 15 vor §§ 82 ff GmbHG. 257 Blassl wistra 2016, 425 ff, 429 f; Kasiske NZWiSt 2016, 302 ff. S/S/W/Saliger Rn 61 zu § 266 StGB sieht in der Gefahr der Entdeckung mit der Begründung kein Risikogeschäft, es fehle angesichts der eindeutigen Pflichtwidrigkeit an der Notwendigkeit der Abgrenzung von rechtmäßigem und unzulässigen Handeln – das trifft für das Entdeckungsrisiko zu, nicht aber für die vorgelagerte Frage, ob überhaupt eine Pflichtwidrigkeit vorliegt; zum Nachteil s unten Rn 44. 258 Roth S 125 ff, 127 ff. 259 BGHZ 119, 201 ff. 260 Roth S 245.

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c) Befugnis- bzw pflichtenbegründendes Verhältnis 36 Der Missbrauchstatbestand verlangt, dass die Möglichkeit zur Einwirkung auf fremdes

Vermögen auf einem Gesetz261 oder einem behördlichen, auch gerichtlichen Auftrag262 beruht oder kraft Rechtsgeschäfts263 (zB Vollmacht und Ermächtigung) besteht. In Betracht kommen auch Mischformen, in denen zB eine gesetzliche Pflicht erst kraft Rechtsgeschäfts, behördlichen oder wie beim Insolvenzverwalter gerichtlichen Auftrags entsteht.264 Das Rechtsverhältnis muss wirksam begründet worden und sich der Pflichtige im Rahmen seines rechtlichen Könnens halten. Selbst wenn man deswegen beim Eingreifen von Gutglaubensbestimmungen den Mißbrauchstatbestand für unanwendbar hält, bleibt ein Treubruch möglich.265 37 Beim Treubrauchtatbestand genügt daneben auch jedes sonstige Treueverhältnis.266 Es muss nicht durch Übertragung begründet werden,267 sondern kann auch durch eigenständige, dem (zB erkrankten oder urlaubsabwesenden) Vermögensinhaber möglicherweise sogar unbekannte Übernahme einer Aufgabe oder Tätigkeit durch den Handelnden zustandekommen. Daher ist es nicht erforderlich, dass die verletzte Vermögensbetreuungspflicht in dem das Treueverhältnis ursprünglich begründenden Rechtsverhältnis fußt. Auf diese Weise ist es möglich, die Verletzung tatsächlicher Einwirkungs-268 und Unterlassungsmöglichkeiten269, etwa bei unwirksamen oder erloschenen, ja sogar unsittlichen oder gesetzeswidrigen Rechtsverhältnissen,270 aber auch aufgrund bloß faktischer (zB: Organ-)Stellung als strafbare Untreue zu erfassen271 und damit zu verhindern, dass der über seinen Pflichtenkreis hinaus272 missbräuchlich handelnde Tä-

_____ 261 LK/Schünemann Rn 33 und 60 zu § 266 StGB. 262 LK/Schünemann Rn 34 und 60 zu § 266 StGB; Verstöße gegen das Gebot der Gleichmäßigkeit der Verteilung sind nicht tatbestandsmäßig, Rn 69 aE. 263 LK/Schünemann Rn 35 und 60 zu § 266 StGB. 264 A/R/R/Seier Rn 5/2/133 und 106 ff mit Beispielen sowie dem Hinweis, dass auch andere Quellen der Begründung anerkannt seien, würden Bürgermeister doch gewählt und Rechtsvertreter mittels Prozeßhandlung, § 81 ZPO, bestimmt (konsequent wäre für Vertreter, die vollständige zivilrechtliche Wirksamkeit zu verlangen und strikt zwischen beiden Tatbeständen zu trennen und deswegen insoweit allein den Treubruchtatbestand anzunehmen); BeckOK/Wittig Rn 8 zu § 266 StGB; S/S/W/Saliger Rn 12 zu § 266 StGB; LK/Schünemann Rn 36 zu § 266 StGB; MK/Dierlamm Rn 36 zu § 266 StGB; M-G/Hadamitzky Rn 32/14. 265 LK/Schünemann Rn 47 zu § 266 StGB neigt hier wie auch allg, Rn 50, zu einer Ausdehnung des Missbrauchs- gegenüber dem Treubruchtatbestand; zum Thema Rechtsschein Rn 37 ff, zu Duldungs- und Anscheinsvollmachten Rn 40 zu § 266 StGB; aA S/S/W/Saliger Rn 20 zu § 266 StGB; A/R/R/Seier Rn 2/5/47 und 115, auch 117; G/J/W/Waßmer Rn 84 zu § 266 StGB; BeckOK/Wittig Rn 9 zu § 266 StGB; MK/Dierlamm Rn 34 zu § 266 StGB; NK/Kindhäuser Rn 88 f zu § 266 StGB; S/S/Perron Rn 4 zu § 266 StGB; sa Fischer Rn 19 f zu § 266 StGB; frühe Arbeiten von Gribbohm ZGR 1990, 1, 21 ff; Radtke GmbHR 1998, 361, 367 f; grundlegend Wodicka S 249 ff, inbes S 306 ff. 266 LK/Schünemann Rn 61 zu § 266 StGB; ausführlich Reiß S 239 ff und 499 f sowie passim. 267 So aber der Sache nach BGH, 9.5.2012 – 4 StR 381/11, Rn 12, NStZ-RR 2012, 310 ff (zur Geschäftsführung ohne Auftrag) BeckOK/Wittig Rn 27 aE zu § 266 StGB; NK/Kindhäuser Rn 3 und 53 zu § 266 StGB; ebenso Reiß S 84 f, 88, 226 f, 286 und 508; wie hier M/G/Schramm Rn 100 zu § 266 StGB. Für den Missbrauchstatbestand bedarf es der (rechtswirksamen) Übertragung, Fischer Rn 14 und 21. 268 M-G/Hadamitzky Rn 32/93. 269 M-G/Hadamitzky Rn 32/142 und 143c. 270 BGH, 27.1.2010 – 5 StR 488/09, Rn 6, wistra 2010, 184 f. 271 LK/Schünemann Rn 62 ff zu § 266 StGB (mit etlichen Beispielen); M-G/Hadamitzky Rn 32/98 ff; S/S/ Perron Rn 35 zu § 266 StGB; sa F Schneider HRRS 2013, 297 ff. Für die Untreue stellt sich das allg Problem der Verantwortlichkeit eines faktischen Organs nur dort, wo die Vermögensbetreuungspflicht die Gesellschaft trifft und die Überwälzung auf die Leitungsebene in Rede steht, dazu oben Rn 6, wenn das faktische Organ keiner eigenen, von der Organstellung unabhängigen Treuepflicht unterliegt. 272 S/S/Perron Rn 36 aE zu § 266 StGB; aA NK/Kindhäuser Rn 62 zu § 266 StGB.

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ter straffrei ausgeht. Es genügt aber auch dann nicht jede faktische Einwirkungsmöglichkeit, so dass ein Handeln „bei Gelegenheit“ vom Tatbestand nicht erfasst wird. Voraussetzung ist demnach immer ein (tatsächliches) Verhältnis, welches eine Vermögensbetreuungspflicht auslöst. Ob es sich um ein solches handelt, ist eine Rechtsfrage.273

d) Der Nachteil Als Vermögensdelikte setzen beide Alt des § 266 Abs 1 StGB den Eintritt eines Nachteils274 38 im betreuten Vermögen voraus. „Nachteil“ iS von § 266 StGB wird in grundsätzlich gleicher Weise verstanden wie „Schaden“ iSv § 263 StGB,275 nach hM juristisch-ökonomisch.276 Ob der Vermögensschutz des § 266 StGB aber über den des § 263 StGB noch hinausreicht, weil er sich auch auf die Pflicht zur (ausschließlich: legalen277) Mehrung des betreuten Vermögens erstreckt, kann dahinstehen:278 Wird gegen diese Pflicht verstoßen, so kann nämlich ein Nachteil nur dann bejaht werden, wenn eine (zumindest: faktisch) sichere und (nur) deswegen vermögenswerte279 Aussicht auf den Vorteil bestand280 und nicht genutzt wurde. Es wird also auch insoweit nicht jede pflichtwidrig

_____ 273 S/S/Perron Rn 30 zu § 266 StGB; Fischer Rn 21a und 36 zu § 266 StGB. 274 LK/Schünemann Rn 164 ff zu § 266 StGB; NK/Kindhäuser Rn 94 ff zu § 266 StGB; M-G/Hadamitzky Rn 32/175 (mit Beispielen). 275 ZB A/R/R/Seier Rn 5/2/170; G/J/W/Waßmer Rn 161 zu § 266 StGB; für restriktiveres Verständnis bei der Untreue hingegen aufgrund dreier (von ihm wohl zu stark betonter) struktureller Unterschiede zum Betrug (Täterprofil als Angriff von innen; Nähe von Tathandlung und Taterfolg; fehlende Versuchsstrafbarkeit) S/S/W/Saliger Rn 69 zu § 266 StGB; zum Thema Perron FS Frisch, S 857 ff; näher oben § 15 Rn 28 ff. G/J/W/Waßmer Rn 57 zu § 266 StGB spricht von der Gleichheit des Vermögensbegriffs – inhaltlich liegt darin keine Abweichung, weil und solange untreuerelevant nur ein Vermögensnachteil ist. 276 Das Verständnis in Ansatz und Details ist durchaus heftig umstritten, zum Dispositionsschutz bereits oben Rn 4. 277 G/J/W/Waßmer Rn 176a zu § 266 StGB. Die Umleitung geschäftlich ertrogener Geldzahlungen in das Privatvermögen schädigt jedoch die GmbH, aA BGH, 5.7.2012 – 5 StR 380/11, ZWH 2013, 25 m abl Anm Bittmann. 278 BGH, 28.1.1983 – 1 StR 820/81 Rn 147 und 157, BGHSt 31, 232 ff; 20.1.1984 – 3 StR 520/83, wistra 1984, 109 f; 8.5.2003 – 4 StR 550/02, Rn 24, wistra 2003, 379, 381; A/R/R/Seier Rn 5/2/173 f sieht in der Pflicht zur Mehrung geradezu ein „belastbares Erkennungszeichen“ einer Vermögensbetreuungspflicht, Rn 5/2/151; BeckOK/Wittig Rn 43 zu § 266 StGB; Böttger Rn 3/53; LK/Schünemann Rn 164 und 178 zu § 266 StGB, zu Grenzen Rn 173; M/R/Matt Rn 118 ff zu § 266 StGB; M/G/Schramm Rn 126 zu § 266 StGB; MK/Dierlamm Rn 210 zu § 266 StGB; M-G/Hadamitzky Rn 32/180c; S/S/Perron Rn 36 und 46 zu § 266 StGB; Fischer Rn 116, auch 55, 120 und 158 zu § 266 StGB; Betrug schützt hingegen nach allgM allein den Vermögensbestand, vgl zB BGH NStZ 1991, 488 f. NK/Kindhäuser Rn 97 f zu § 266 StGB; S/S/W/Saliger Rn 40, auch 68, 70 und 80 zu § 266 StGB und G/J/W/Waßmer Rn 59, auch 174 und va 176 f zu § 266 StGB erreichen die Parallelität zwischen § 263 StGB und § 266 StGB dadurch, dass sie dem Anspruch des betreuten Vermögens gegen seinen Betreuer, die für Letzteren fremden Vermögensinteressen bestmöglich zu verfolgen, einen Vermögenswert für den Betreuten beimessen. Dem Hauptproblem, dem mit Verfassungsrang (BVerfGE 126, 170 ff) ausgestatteten Gebot der Quantifizierung läßt sich damit allerdings nicht entkommen. Es stellt sich vielmehr gleichermaßen, ob man nun die Aussicht auf zukünftige Mehrung betrachtet oder sie als bereits aktuellen Vermögensbestandteil ansieht: Untreuerelevant ist nur ihr gegenwärtiger Vermögenswert. Das Abstellen auf das Jetzt hat den Vorteil begrifflich-konstitutiven Gleichlaufs zum Betrug. Zur Geschäftschancenlehre unten Rn 72; zum Wert einer Anwartschaft auf den Maklerlohn BGH, 2.2.2016 – 1 StR 437/15, Rn 52, wistra 2016, 271 ff (im Zusammenhang mit einem Betrugsvorwurf); zur Untreue beim Verkauf von Treuhandunternehmen bei mehreren Handlungsalternativen vgl Reck wistra 1996, 127 ff; auch Reck/Hey NStZ 1996, 523 ff. 279 LK/Schünemann Rn 166 f zu § 266 StGB betont zu Recht die Reziprozität gegenüber der Vermögensgefährdung, dazu unten Rn 40 ff, und die Maßgeblichkeit der Gegenwärtigkeit der Aussicht, Rn 185. 280 Fischer Rn 116 zu § 266 StGB. A/R/R/Seier, Rn 5/2/174, will Wahrscheinlichkeit genügen lassen.

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unterbliebene Handlung als Untreue bestraft. Weil es nicht auf den (etwaig) erstrebten Vorteil ankommt, sondern auf den angerichteten Nachteil, sind Aufwendungen des Täters nicht abzugsfähig.281 Die Höhe des Nachteils wird im Wege des Vergleichs des Werts des Vermögens 39 vor und aufgrund, dh direkt nach der Tathandlung berechnet. Faktisch begnügt sich aber die Praxis mit einem Wertvergleich zwischen Leistung und Gegenleistung.282 Abzustellen ist dabei auf jede einzelne Pflichtwidrigkeit. Kein Nachteil tritt dann ein, wenn die Tathandlung zugleich, nach hM aber nur unmittelbar283 zu einer mindestens gleichwertigen284 Vermögensmehrung führt, die den Abfluss an Vermögen rechtsbeständig285 kompensiert:286 Prinzip der Gesamtsaldierung.287 Wegen des Abstellens auf jede

_____ 281 AA BGH wistra 2004, 25, 26 (ohne Begründung). 282 M/R/Matt Rn 140 zu § 266 StGB; ausdrücklich befürwortend Teixeira ZIS 2016, 307 ff, 307; S/S/W/ Saliger Rn 71 zu § 266 StGB (auf das Gesamtvermögen abstellend aber Rn 78); krit dazu Velten FS Schünemann S 715 ff, 716; den Vergleich des Gesamtvermögens betonend Fischer Rn 115a zu § 266 StGB; so auch die Formulierung in BGH, 16.8.2016 – 4 StR 163/16, Rn 34 mN, NJW 2016, 3253 ff. Ensenbach S 102 ff hält einerseits das Abstellen auf den Gegenstand für zwingend, da Vermögen als abstrakte Wertgröße nicht gefährdet werden könne (eine wohl unzutreffende These, denn der Verlust im Vermögen kann den Wert des einzelnen entzogenen Gegenstands deutlich übersteigen, wie das Beispiel des Entziehens einer für die Produktion notwendigen Maschine anschaulich zeigt), aber andererseits für eine Rechtsgutsverfehlung, da ein Vermögensdelikt keinen Gegenstand schütze (wohl aber dessen Wert). 283 ZB BGH, 9.11.2016 – 5 StR 313/15, Rn 49; Fischer Rn 166 zu § 266 StGB; Lackner/Kühl/Heger Rn 17b zu § 266 StGB; S/S/W/Saliger Rn 73 zu § 266 StGB; G/J/W/Waßmer Rn 167b aE zu § 266 StGB; sa unten Rn 44. Zur Vermögensverfügung beim Betrug vgl BGH, 10.8.2016 – 2 StR 579/15, Rn 30. 284 Besteht die Kompensation in einer Forderung, so muss sie werthaltig (zum Betrug: BGH, 26.11.2015 – 3 StR 247/15, Rn 8, wistra 2016, 343 ff; sa Schlösser wistra 2010, 164 ff) sein, woran es schon dann fehlt, wenn ihr Bestehen verheimlicht wird, sie also gar nicht erfüllt werden soll, BGH, 11.12.2014 – 3 StR 265/14, Rn 33, BGHSt 60, 94 ff; 15.5.2015 – 1 StR 337/14, Rn 22, NStZ 2015, 514 f; Fischer ua/Raum, S 148; iE auch Klemm NStZ 2015, 223 ff. Es dürfen ihr auch keine rechtlichen Risiken wie bestandsbezoene Gestaltungsrechte entgegenstehen, vgl Blassl wistra 2016, 425 ff, 428 und 430 f. 285 S/S/W/Saliger Rn 77 zu § 266 StGB; LK/Schünemann Rn 170 zu § 266 StGB, darauf, ob beim Zufluss sämtliche rechtlichen Vorschriften eingehalten wurden, kommt es hingegen nicht an, Rn 184, auch 185; so auch BGH, 12.10.2016 – 5 StR 134/15, Rn 51, ZInsO 2017, 25 ff – die vom Senat genannte Grenze der Legalitätspflicht muss aber wohl mit dem wirtschaftlichen Vermögensbegriff im jeweiligen Einzelfall in Übereinstimmung gebracht werden. Zu berücksichtigen ist ferner, dass es bei rechtswidrigen Zuflüssen an der Beständigkeit fehlen kann (übersehen von G/J/W/Waßmer Rn 172 zu § 266 StGB). Zur allg Legalitätspflicht s Bayer FS K Schmidt, S 85 ff; C Brand/Sperling AG 2011, 233 ff; Habersack FS Uwe H Schneider, S 429 ff; G/J/W/Waßmer Rn 93d zu § 266 StGB. 286 BGH NStZ 2003, 545, 546; 30.5.2013 – 5 StR 309/12, Rn 13, ZInsO 2013, 1350 ff (tief in das Zivil- und Arbeitsrecht einsteigend und einen Anspruch auf Gesamtschuldnerausgleich aufgrund Übergangs des Arbeitsverhältnisses gem § 613a BGB ebenso berücksichtigend wie Ansprüche aus dem für den vorliegenden Altfall noch anwendbaren früheren Kapitalersatzrecht); 12.10.2016 – 5 StR 134/15, Rn 50, ZInsO 2017, 25 ff (Kapitalmarkterfolg – die Frage nach der Quantifizierung jedoch nicht stellend); A/R/R/Seier Rn 5/ 2/175; NK/Kindhäuser Rn 102 zu § 266 StGB; S/S/Perron Rn 41 zu § 266 StGB; G/J/W/Waßmer Rn 169 zu § 266 StGB mit Beispiellisten für Kompensation (Rn 169a) und deren Fehlen (Rn 170); Fischer Rn 115a und 164 ff zu § 266 StGB. 287 BGH wistra 2004, 25; 2.7.2014 – 5 StR 182/14, Rn 12, wistra 2014, 403 ff; 2.2.2016 – 1 StR 437/15, Rn 33, wistra 2016, 271 ff; 28.4.2016 – 4 StR 317/15, Rn 15, wistra 2016, 398 ff; 16.6.2016 – 1 StR 20/16, Rn 33 mN, NJW 2016, 3543 ff; BGH, 9.11.2016 – 5 StR 313/15, Rn 45; Blassl wistra 2016, 425 ff, 427; BeckOK/Wittig Rn 40 und 40a zu § 266 StGB; Lackner/Kühl/Heger Rn 17 zu § 266 StGB; MK/Dierlamm Rn 202 zu § 266 StGB; NK/ Kindhäuser Rn 106 ff zu § 266 StGB; S/S/Perron Rn 40 zu § 266 StGB; ausführlich und detailliert S/S/W/ Saliger Rn 70 ff zu § 266 StGB; G/J/W/Waßmer Rn 168 zu § 266 StGB; einschr hingegen BGH, 26.11.2015 – 3 StR 17/15, Rn 89, BGHSt 61, 48 ff: bei in Anspruch genommener Bürgschaft sei nicht der bei Eingehung ursprüngliche Nachteil, sondern der materialisierte Erfüllungsschaden maßgeblich; allg BGH, 16.6.2016 – 1 StR 20/16, Rn 34, NJW 2016, 3543 ff, für die nach Vorleistung nicht oder nur teilweise erbrachte Gegenleistung.

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einzelne Pflichtwidrikeit genügt es dazu nicht, wenn das Vermögen lediglich nach Abschluss verschiedener selbständiger Handlungen mindestens den gleichen Wert wie vor dem Geschehen repräsentiert.288 Den Tatbestand unberührt lässt es ferner, wenn ein eingetretener Schaden erst durch eine weitere Handlung wieder ausgeglichen wird. Hier liegt nur eine allein für die Strafzumessung bedeutsame nachträgliche Wiedergutmachung des bereits eingetretenen Schadens vor.289 Keine idS verschiedenen Handlungen liegen jedoch vor, wenn mehrere Transaktionen Teil eines von vorn herein geplanten, nicht auf Schädigung angelegten, wenngleich jeweils für sich mit Risiken für das betreute Vermögen verbundenen Komplexes sind und sich eines der Risiken verwirklicht hat. Liegt solchem Handeln ein betriebswirtschaftlich vernünftiger Gesamtplan zugrunde,290 so wird in der Regel eine Strafbarkeit wegen Untreue bereits mangels Pflichtwidrigkeit291 und daher selbst dann ausscheiden, wenn sich einzelne Aktivitäten, die in Verfolgung des insgesamt rechtmäßigen Planzieles ergriffen wurden, für sich gesehen vermögensmindernd auswirkten, ja sogar absehbar und gewollt nachteilig wirken sollten. Ebenso wie beim Betrug292 kann ein Untreuenachteil bereits eingetreten sein, bevor 40 das vom Täter in Gang gesetzte Geschehen plangemäß zur Ruhe bzw zum Stillstand gekommen ist. Das ist immer dann der Fall, wenn die Pfichtwidrigkeit Veränderung des betreuten Vermögens (kausal) in Gang ge-, es aber noch nicht in seinen deswegen absehbaren293 und idS endgültigen „Aggregatszustand“ versetzt, gleichwohl jedoch bereits vermindert hat.294 Dafür bedarf es in den extremsten Ausprägungen noch nicht einmal einer physischen Veränderung, weil bereits eine einredefrei begründete Verbindlichkeit295 ebenso wie eine (nach erbrachter Leistung) nicht mehr werthaltige Gegenforde-

_____ 288 BGH wistra 2002, 300 ff; G/J/W/Waßmer Rn 171 zu § 266 StGB. Zivilrechtlich sind jedoch Gewinne aus einer Serie pflichtwidriger Spekulationsgeschäfte auf den Schadenersatzanspruch wegen der verlustreichen Verträge anzurechnen, BGH, 15.1.2013 – II ZR 90/11, Rn 26 f, NJW 2013, 1958 ff. 289 BGH NJW 1975, 1234, 1235; 1962, 973. 290 IE hM, A/R/R/Seier Rn 5/2/177; Böttger Rn 3/57; S/S/W/Saliger Rn 63, auch 73, 75 und 120 zu § 266 StGB; G/J/W/Waßmer Rn 172 zu § 266 StGB, der bei der Bildung schwarzer Kassen daraus (wohl zu allg) die Notwendigkeit der Gesamtbetrachtung von Auslagerung und Verwendung folgert, Rn 172a; BeckOK/Wittig Rn 40a.2 zu § 266 StGB; Lackner/Kühl/Heger Rn 17b zu § 266 StGB; M/R/Matt Rn 141 zu § 266 StGB; MK/ Dierlamm Rn 207 zu § 266 StGB, Beispiel: Sanierungskredit, Rn 239; M-G/Hadamitzky Rn 32/177; NK/Kindhäuser Rn 76 und 112 zu § 266 StGB; Thomas FS Rieß S 795, 800 ff. Ebenso Fischer Rn 59 aE zum vergleichbaren Problem zur beabsichtigten jederzeitigen Rückzahlbarkeit bereitgehaltener Mittel, dazu BGH, 29.1.2015 – 1 StR 587/14, Rn 17 mN, wistra 2015, 232 ff; auch A/R/R/Seier Rn 5/2/179 ff, insbes 182; G/J/W/ Waßmer Rn 179 und 179a zu § 266 StGB. 291 LK/Schünemann Rn 169 zu § 266 StGB; NK/Kindhäuser Rn 112 zu § 266 StGB; M-G/Hadamitzky Rn 32/ 177; S/S/Perron Rn 41 zu § 266 StGB, verneinen sämtlich (erst) den Nachteil; deutlich enger Fischer Rn 115a und b, auch 134 zu § 266 StGB. Zu welchen Schwierigkeiten es führt, dieses Thema erst auf Nachteilsebene anzusiedeln, zeigen die Ausführungen S/S/W/Saligers Rn 100 zu § 266 StGB, der es erst unter Rückgriff auf die (wenig griffige) Figur der objektiven Zurechnung und Betrachtung als mangels Gefahr lediglich objektiv untauglichen Versuch adäquat lösen kann (das provoziert nachteilsdogmatisch die Frage, wie denn fehlende Gefahr einen Nachteil begründen können soll, wohl nur als vermögensmindernder Schein). 292 G/J/W/Waßmer Rn 183 zu § 266 StGB. Vgl dazu oben § 15 Rn 43 ff. 293 Näher unten Rn 44. 294 BVerfG, 10.3.2009 – 2 BvR 1980/07, NJW 2009, 2370 ff; 23.6.2010 – 2 BvR 2559/08 ua, Rn 150, BVerfGE 126, 170 ff; BGH NJW 2003, 3717, 3718 f; wistra 2003, 457, 458 f; M-G/Hadamitzky Rn 32/176b; NK/Kindhäuser Rn 110 f zu § 266 StGB; S/S/Perron Rn 45 zu § 266 StGB; Fischer Rn 150 ff zu § 266 StGB (sehr auführlich auf die Entwicklung von Rspr und Lit seit BVerfGE 126, 170 ff eingehend). 295 Beispiel: Nichtvalutierte Grundschuld, BGH, 30.6.2011 – IX ZB 169/10, Rn 9 f, ZInsO 2011, 1471 f. Ausführlich Bittmann HRRS 2016, 38 ff, 42 ff. Selbst der Schein einer Forderung kann eine vermögenswerte Belastung darstellen: Das Erwirken eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses auf der Basis eines aufgehobenen Vollstreckungsbescheids entfalte zwar keine Rechtswirkungen, könne aber zu einem Scha-

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rung genügt, selbst wenn sie erst später, ggf (wie bei manchem Darlehen) erst nach Jahren fällig wird. Wirtschaftsdelikte sind (jenseits des einfachen „Griffs in die Kasse“) regelmäßig in dieser Weise strukturiert. Die Minderung kann sowohl darin bestehen, dass der eigene Anspruch einen geringeren Wert repräsentiert als nominell (zB Anspruch auf Rückzahlung eines ungesicherten Kredits gegenüber einem krisenhaften Darlehensnehmer) als auch in zu erwartender Inanspruchnahme des bestehenden Vermögens (zB aus Bürgschaft, aber auch auf Schadenersatz). Beide Konstellationen unterscheiden sich zwar in den jeweiligen Bezugspunkten, nicht aber in der juristischen Struktur und sind damit insoweit gleichzubehandeln. Beispielhaft seien erwähnt das Nichtausbuchungen296 einer (zB gegenüber dem 41 Fremdgeschäftsführer privat bestehenden) Verbindlichkeit (nebst der die Zahlung belegenden Spuren), um eine erfolgreiche Verteidigung gegen eine nochmalige Inanspruchnahme zu verhindern; die Lieferung von Waren auf ungesicherten Kredit an einen krisenbehafteten Empfänger oder die Übernahme einer Bürgschaft für einen leistungsunfähigen Schuldner.297 Zieht der Geschäftsführer eine Gesellschaftsforderung auf sein privates Konto ein, so hängt die Strafbarkeit wegen Untreue hingegen von den weiteren Umständen ab: Bei Verschleierung bzw Verbrauch zu eigenen Gunsten tritt im Gesellschaftsvermögen ein Nachteil im Nominalwert ein. Handelt er aber, um die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft trotz gepfändeten Geschäftskontos zu sichern, so macht er sich jedenfalls dann nicht wegen Untreue strafbar, wenn er die dazugehörigen Vorfälle einschließlich des Kredits an sich selbst ordnungsgemäß verbucht, er jederzeit über ausreichend liquide Mittel zur Rückführung des Geldes in die Verfügungsgewalt der Gesellschaft verfügt,298 ihm zB keine Zwangsvollstreckung in sein Privatvermögen droht, und er die Mittel anschließend tatsächlich zur Tilgung von Verbindlichkeiten der Gesellschaft einsetzt. Andernfalls, etwa bei Gefahr privater Zwangsvollstreckung oder Verheimlichen gegenüber anderen Verantwortlichen (Führen einer „schwarzen Kasse“)299 vermindert

_____ den aufgrund des Prozessrisiko führen (das allerdings nur, wenn es quantifiziert werden könne), BGH, 20.9.2016 – 2 StR 497/15, Rn 12 f. 296 Vgl dazu oben Rn 20 und unten Rn 103 f. 297 BGH, 26.11.2015 – 3 StR 17/15, Rn 71-76 und 79, BGHSt 61, 48 ff (zutr unter dem rechtl Gesichtspunkt des Risikos als – in concreto: verneinter – Nachteil thematisiert); LG Kleve, 21.10.2010 – 120 Qs 79/10, NStZ-RR 2011, 84; auch bereits BGH, 24.10.1990 – 3 StR 16/90, Rn 12 ff, wistra 1991, 107 ff; 17.8.2006 – 4 StR 117/06, Rn 7, wistra 2007, 21 f; 11.2.2010 – 4 StR 433/09, Rn 13, wistra 2010, 219 f; AnwK/Esser Rn 283 zu § 266 StGB; S/S/W/Saliger Rn 38 und 90 zu § 266 StGB, zu dinglichen Belastungen Rn 72; Th Schneider wistra 2015, 369 ff; G/J/W/Waßmer Rn 257b zu § 266 StGB (zum kollusiven Zusammenwirken mit dem Bürgschaftsgläubiger); BeckOK/Wittig Rn 44.2 zu § 266 StGB; auch A/R/R/Seier Rn 5/2/325; aA mangels Unmittelbarkeit M/R/Matt Rn 133 zu § 266 StGB. Zur Sicherheitenbestellung zugunsten der Obergesellschaft Bender BB 2005, 1492 ff; Komo GmbHR 2010, 230 ff; Mahler GmbHR 2012, 504 ff. 298 BGH wistra 2004, 61f; M-G/Hadamitzky Rn 32/177. 299 BGH, 14.12.1999 – 5 StR 520/99, Rn 8 ff, wistra 2000, 136, 137 (sehr zurückhaltend); 18.10.2006 – 2 StR 499/05, Rn 43 f, BGHSt 51, 100 ff (Kanther); 29.8.2008 – 2 StR 587/07, Rn 43, BGHSt 52, 323 ff (Siemens/ ENEL); 27.8.2010 – 2 StR 111/09, Rn 25 ff, BGHSt 55, 266 ff (Trienekens); 9.11.2011 – 1 StR 302/11, insbes Rn 41, NStZ-RR 2012, 523 ff (abl Saliger FS C Roxin, S 1053 ff); 27.4.2014 – 5 StR 181/14, Rn 6, NStZ 2014, 646 f; 27.8.2014 – 5 StR 181/14, NZWiSt 2015, 36 ff (dazu Becker NZWiSt 2015, 38 ff); 6.9.2016 – 1 StR 104/15, Rn 33 ff (Siemens/Argentinien); zum Thema ausführlich Ensenbach S 322 ff; Fischer Rn 74 ff und 130 ff; S/S/Perron Rn 45c zu § 266 StGB; S/S/W/Saliger Rn 95 ff zu § 266 StGB; A/R/R/Seier Rn 5/2/416 ff; G/J/W/ Waßmer Rn 135 ff und 196 ff, auch 172a zu § 266 StGB. LK/Schünemann, Rn 180, auch 231 ff zu § 266 StGB, verneint bereits einen Verstoß gegen eine Vermögensbetreuungspflicht und wirft dem BGH vor, seiner Rspr einen rein juristischen Vermögensbegriff zugrundezulegen, Letzteres ebenso S/S/W/Saliger Rn 77; ders HRRS 2012, 363 ff; Schlösser HRRS 2009, 19 ff; abl auch Kempf FS Volk S 231 ff; Saam HRRS 2015, 345 ff. Der BGH hat diesen Vorwurf aufgrund seiner verwendungszweckunabhängigen Betrachtung provoziert

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sich das Vermögen der Gesellschaft. Die nachfolgende Disposition zu Gunsten der Gesellschaft macht den Nachteil dann zwar wieder gut, ohne aber die Bestrafung verhindern zu können – es sei denn, man anerkennt eine unter bestimmten Umständen zu Gunsten des Täters sinnvolle Gesamtanalogie zu den Vorschriften über tätige Reue. Unabhängig von etwaiger Straflosigkeit gemäß § 266 StGB bleibt jedoch die Strafbarkeit wegen Bankrotts gem § 283 Abs 1 Nr 1 StGB (Beiseiteschaffen von Vermögenswerten) zu prüfen.300 Bis etwa 2010 war für derartig strukturierte Sachverhalte die auch heute teilweise 42 selbst vom BGH301 noch verwendete, aber sehr missverständnisträchtige Bezeichnung nachteils- = schadensgleiche Vermögensgefährdung üblich. Unabhängig von der Nomenklatur gilt es jedoch eindeutig klarzustellen, dass nur ein eingetretener Nachteil302 und nichts ihm irgendwie Gleichstehendes tatbestandsmäßig ist. Alles andere kollidierte mit Art 103 GG, § 1 StGB. Dafür kommt es jedoch allein auf die wertmäßige Verminderung des betreuten Vermögens an und nicht auch darauf, in welcher Form sie sich gegenständlich zeigt. Letzteres ist zwar Ausgangspunkt der Feststellung des Nachteils, aber insoweit variabel, als sich seine Verkörperung wandeln kann (zB von der Verbindlichkeit in ein Minus auf dem Konto; von der Forderung auf eine unbrauchbare Sache in deren Besitz; vom Entzug betriebsnotwendigen Vermögens über Schadenersatzansprüche bis hin zum wirtschaftlichen Zusammenbruch). Zwischen dem pflichtwidrigen Gebrauch einer der auf einem der im Gesetz aufge- 43 führten Verhältnisse beruhenden Befugnis und dem eingetretenen Nachteil muss eine

_____ (diese verteidigend Fischer Rn 140 zu § 266 StGB; Fischer ua/Hoven, S 208; abl S/S/W/Saliger Rn 96 f zu § 266 StGB; G/J/W/Waßmer Rn 201 zu § 266 StGB, aber mit der Ablehnung jeglichen Nachteils bei bloßer Absicht der Verwendung für Zwecke des Geschäftsherrn ihrerseits in die entgegengesetzte Richtung zu weitgehend (zutr ist jedoch das Verneinen der Strafbarkeit wegen Untreue im Fall jederzeitiger Rückführbarkeit – das betrifft jedoch die Durchführbarkeit, setzt folglich das Wissen der Leitungsebene vom Vorhandensein dieses Anspruchs voraus); differenzierend Schlösser HRRS 2009, 19 ff), denn die reale Aussicht auf Rückführung (oder auf noch zu erbringende Leistungen, BGH, 7.9.2011 – 2 StR 600/10, Rn 9 f, NJW 2011, 3528 f) verkörpert natürlich einen wirtschaftlichen Gegenwert, der das Unrecht mindert. Angesichts der bestenfalls schwer möglichen Quantifizierung trägt jedoch die Berücksichtigung im Rahmen der Strafzumessung den wirtschaftlichen Gegebenheiten und damit auch den verfassungsrechtlichen Anforderungen ausreichend Rechnung. Becker HRRS 2012, 237 ff; ders NZWiSt 2015, 38 ff, favorisiert gleichwohl (und systematisch selbstverständlich trotz der praktischen Schwierigkeiten bei der Bewertung: vorzugswürdig) eine Lösung auf Tatbestandsebene. Er zieht daraus eine bemerkenswerte Schlußfolgerung: Führt die Gefahr einen Nachteil unterhalb des Nennbetrags herbei, so bewirkt die spätere Verwendung entgegen den Interessen des betreuten Vermögens einen weiteren Nachteil, insoweit bis zum Nennwert. Diese zweite Tat lasse den Gefährdungsschaden als mitbestrafte Vortat erscheinen, NZWiSt 2015, 38 ff, 40. 300 Vgl dazu oben § 12 Rn 62 ff. 301 ZB BGH, 20.9.2016 – 2 StR 497/15, Rn 13; 30.8.2016 – 4 StR 203/16, Rn 23; 26.11.2015 – 3 StR 17/15, Rn 50, 68, 75, 92 und 138, BGHSt 61, 48 ff; 27.10.2015 – 1 StR 373/15, Rn 35, BGHSt 61, 28 ff; 30.5.2013 – 5 StR 309/12, Rn 9 f, ZInsO 2013, 1350 ff. Übersicht bei MK/Dierlamm Rn 211 ff zu § 266 StGB; sa BeckOK/Wittig Rn 44 zu § 266 StGB; Fischer Rn 150 ff; ders StraFo 2008, 269 ff; ders StV 2010, 95 ff; Hefendehl FS Samson, S 295 ff; A/R/R/Seier Rn 5/2/190 ff (krit); LK/Schünemann Rn 178 zu § 266 StGB für die Fälle verlorener Dispositionsmöglichkeit bei Fortbestand der formalen Rechtsposition; Schünemann NStZ 2008, 430 ff; ders StraFo 2010, 1 ff und 477 ff; G/J/W/Waßmer Rn 183 ff zu § 266 StGB. 302 Blassl wistra 2016, 425 ff, 428; MK/Dierlamm Rn 226 zu § 266 StGB; Ensenbach S 21 f, auch 87; Fischer NStZ-SH 2009, 8 ff; ders StraFo 2008, 269 ff; Hellmann FS Kühl, S 691 ff; Hinrichs wistra 2013, 161 ff, 162; Peglau wistra 2012, 368 ff; S/S/W/Saliger Rn 83 zu § 266 StGB; G/J/W/Waßmer Rn 184a zu § 266 StGB; LK/ Schünemann Rn 178 zu § 266 StGB, reziprok gegenüber der Exspektanz; dazu oben Rn 38. Von einer Vorverlagerung der Strafbarkeit kann daher im juristischen Sinn keine Rede sein (anders Hauck S 527 ff), auch nicht von einem Durchgangsschaden, wie ihn Fischer StV 2010, 95 ff, 101, sa bereits BGH, 15.12.2006 – 5 StR 181/06, Rn 52, BGHSt 51, 165 ff, (phänomenologisch allerdings zweifelsfrei zutreffend) beschreibt.

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918 | 3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften

Kausalbeziehung303 dergestalt bestehen, dass letzterer gerade auf den Verstoß gegen die konkret als solche qualifizierte Vermögensbetreuungspflicht304 zurückzuführen ist. Entgegen verbreiteter Stimmen in Rspr305 und Lit306 genügt eine solche Verbindungs44 linie. Des zusätzlichen Kriteriums der Unmittelbarkeit bedarf es nicht307 und zwar in beiderlei Richtung nicht: weder beim Vermögensabfluss noch in Bezug auf kompensierende Vermögenszuflüsse:308 Dafür kann es schon deshalb von vorn herein keinen Platz geben, weil es für die (auch verfassungsrechtlich gebotene309) Quantifizierung des Nachteils allein auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt bei Beendigung der Tathandlung, ie die Pflichtwidrigkeit, ankommt. Ist zu diesem Zeitpunkt das in Gang gesetzte Geschehen

_____ 303 S/S/W/Saliger Rn 71 zu § 266 StGB – mit bemerkenswerter Reichweite, Rn 104, das Verhältnis zu seinem Plädoyer für das Unmittelbarkeitsprinzip aber nicht klar erkennen lassend. Ob noch zusätzlich ein „Pflichtwidrigkeitszusammenhang“ dergestalt bestehen muss, dass der Nachteil bei pflichtgemäßem Handeln entfallen wäre, M/G/Schramm Rn 130 zu § 266 StGB; MK/Dierlamm Rn 202 zu § 266 StGB; NK/Kindhäuser Rn 99 zu § 266 StGB; A/R/R/Seier Rn 5/2/209 f; auch S/S/W/Saliger Rn 72 und 101 zu § 266 StGB, aber als Thema der objektiven Zurechnung verstehend; ist fraglich, weil damit hypothetischen Kausalverläufen (deutlich bei G/J/W/Waßmer Rn 165 zu § 266 StGB) eine ihnen im (sonstigen) Strafrecht (zB BGH, 7.9.2011 – 2 StR 600/10, Rn 10, NJW 2011, 3528 f; auch S/S/W/Saliger Rn 73 aE und 99 zu § 266 StGB) nicht zukommende Bedeutung beigemessen würde. Jedenfalls darf der Vermögenswert nicht wie in Kindhäusers Beispiel zu verschiedenen Zeitpunkten verglichen werden: pflichtwidriger Nichterwerb bestimmter Aktien, deren Wert anschließend überraschend verfällt; ebenso bei S/S/W/Saliger Rn 101 zu § 266 StGB, der den pflichtwidrig unterlassenen Verkauf eines Grundstücks zu einem über dem Marktwert liegenden Angebot nicht für ungetreu hält, wenn alsbald darunter ein Ölvorkommen entdeckt wird; sa BeckOK/Wittig Rn 39.2 zu § 266 StGB. Die angemessene Lösung (zB für das Beispiel S/S/W/Saliger Rn 101 zu § 266 StGB: Kreditrisiko, welches auch bei Bonitätsprüfung nicht erkannt worden wäre) dürfte darin liegen, reinen Formalverstößen keine tatbestandliche Bedeutung zuzumessen, sie also aus dem Merkmal „Pflichtwidrigkeit“ zu eliminieren, dazu oben Rn 21 aE. 304 Sie fehlt zB bei ungesicherter Darlehensvergabe, aber zu der Zeit noch bester Bonität des Darlehensnehmers, LK/Schünemann Rn 96 zu § 266 StGB; M/R/Matt Rn 1 zu § 266 StGB – aber wohl bereits mangels Pflichtwidrigkeit: das Vermögen des Darlehensnehmers versprach je gerade die sichere Rückgewähr; vgl dazu oben Rn 13 f und unten Rn 81. 305 BGH, 17.7.2009 – 5 StR 394/08, Rn 33, BGHSt 54, 44 ff; 7.9.2011 – 2 StR 600/10, Rn 8, NJW 2011, 3528 f; 15.5.2015 – 1 StR 337/14, Rn 16, NStZ 2015, 514 f; 28.4.2016 – 4 StR 317/15, Rn15, wistra 2016, 398 ff; nicht verbal, wohl aber der Sache nach aA, jedoch mit Besonderheiten des Sachverhalts begründend BGH, 26.11.2015 – 3 StR 17/15, Rn 90, BGHSt 61, 48 ff. 306 ZB S/S/W/Saliger Rn 71, 73, 85 und (nachdrücklich) 89 sowie 94 zu § 266 StGB, eine Ausnahme zulassend für den Fall eines auf die Eingehung zurückgehenden Erfüllungsschadens, Rn 78; einschr Rn 104; A/R/R/Seier Rn 5/2/175; Solka/Altenburg NZWiSt 2016, 212 ff; auch LK/Schünemann Rn 168 zu § 266 StGB mit einem abweichenden, inhaltlich dem hiesigen Verständnis nahekommenden Begriff der Unmittelbarkeit; in diesem Sinne dürfte auch Mosiek HRRS 2009, 565 ff und 2012, 454 ff zu verstehen sein; wohl ebenfalls (trotz unklarer Formulierungen) Hinrichs wistra 2013, 161 ff, 166. 307 Becker NStZ 2016, 345 f, 346; C Brand NZG 2016, 690 ff, 692; Ensenbach S 107 ff, auch S 217 ff (dessen „Sicherheitslösung“, S 245 ff, allerdings zu noch restriktiveren Ergebnissen führt als das Unmittelbarkeitsdogma); Fischer ua/Hoven, S 209 f; Krell NZWiSt 2013, 370 ff, 377 f; Perron FS Frisch S 857 ff, 860 ff; S/S/ Perron Rn 39, 41 und 45b zu § 266 StGB; G/J/W/Waßmer Rn 167–167b zu § 266 StGB (allerdings das Abstellen auf die Vermögensverhältnisse am Ende der Pflichtwidrigkeit als Unmittelbarkeitserfordernis bezeichnend, dazu unten Rn 44 aE; in der Diktion enger Rn 184a); aA Fischer Rn 166, auch 115a und 164 zu § 266 StGB; dezidiert M/R/Matt Rn 126 (und passim) zu § 266 StGB; auch Lackner/Kühl/Heger Rn 16 zu § 266 StGB. 308 Die Notwendigkeit beide Richtungen gleich zu behandeln, sieht auch A/R/R/Seier Rn 5/2/221, allerdings mit der umgekehrten Konsequenz, in beiderlei Hinsicht Unmittelbarkeit zu verlangen. 309 BVerfG, 23.6.2010 – 2 BvR 2559/08 ua, BVerfGE 126, 170, Rn 112 f; knappe Zusammenfassung bei G/J/W/Waßmer Rn 175d–175g, auch 184a zu § 266 StGB. Entgegen Blassl wistra 2016, 425 ff, 428, führte die Entbehrlichkeit der Quantifizierung allerdings nicht zum faktischen Verzicht auf das Tatbestandsmerkmal Nachteil, weil sich dieser zumeist durchaus auch verbal beschreiben lässt und dann kein Zweifel an dessen Vorliegen besteht – selbst ohne Bezifferung.

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noch nicht plangemäß zum Stillstand gekommen, so ist allerdings die zu erwartende weitere Entwicklung im betreuten Vermögen in die Nachteilsberechnung mit einzubeziehen. Diese zukünftigen Geschehnisse lassen sich jedoch nur iS einer Prognose berücksichtigen.310 In sie ist alles an positiven311 wie negativen Veränderungen im betreuten Vermögen einzubeziehen, was ohne das Hinzutreten außerhalb des betroffenen Rechtsverhältnisses liegender Ursachen, nach dem Tatplan312 oder jedenfalls bei „ungestörtem“ Lauf der Dinge, erwartungsgemäß eintreten wird.313 Dazu gehören einerseits kompensierend zB das Ausbleiben negativer Folgen, die andernfalls eingetreten wären, aber auch

_____ 310 BGH, 26.11.2015 – 3 StR 17/15, Rn 74 aE, auch 72 und 76, BGHSt 61, 48 ff; 15.4.2015 – 1 StR 337/14, Rn 17, NStZ 2015, 514 f; Blassl wistra 2016, 425 ff, 431; Fischer ua/Radtke S 238; Bittmann NStZ 2012, 57 ff, zur praktischen Handhabung ders NStZ 2013, 72 ff; inhaltlich auch LK/Schünemann Rn 168 zu § 266 StGB; ebenso Fischer NStZ-SH 2009, 8 ff, 12 (aber abweichende Konsequenzen ziehend); erkannt, aber den Zeitpunkt (beim Betrug:) der Vermögensverfügung ablehnend Becker NStZ 2016, 345 f, 346; eingehend und im Ansatz zutr Ensenbach S 59 f (obwohl das Prinzip der Gesamtsaldierung als Ursache für die verfehlte Differenzierung zwischen Gefährdungs- und endgültigem Schaden betrachtend, S 95 f, einschr aber S 99 f, das aber den Ausgangspunkt für die Unumgänglichkeit darstellt, den Nachteil per Prognose zu quantifizieren, und dort inkonsequent, wo er auf den tatsächlich eingetretenen Schaden abstellt, zB S 305 f bei Sanktionen und 328 ff für schwarze Kassen). A/R/R/Seier Rn 5/2/207 will selbst die Pflichtwidrigkeit mittels objektiv nachträglicher Prognose feststellen. Zumindest muss aber die Beurteilung aus der Sicht ex-ante erfolgen. Zum Zusammenhang zwischen Zukunftschancen und ihrer Enttäuschung als Schaden s Isfen FS C Roxin, S 989 ff. 311 Auch insoweit also nicht nur die nach hM (oben Rn 39) allein maßgeblichen unmittelbar eintretenden Zuwächse. 312 Darauf ist mit BGH, 16.8.2016 – 4 StR 163/16, Rn 37 und 39, NJW 2016, 3253 ff, vorrangig abzustellen. 313 Pastor Muñoz/Coca Vila GA 2015, 284 ff, 292 ff, sprechen inhaltsgleich von Vorhersehbarkeit; aA S/S/W/Saliger Rn 73, 89 und 91 zu § 266 StGB; und G/J/W/Waßmer Rn 175b und 203 zu § 266 StGB, die nicht zwischen vorhersehbaren Folgen und vom Tatgeschehen unabhängiger Einwirkungen differenzieren, sondern nur selfexecuting-Folgen anerkennen; damit zumindest weitgehend übereinstimmend Solka/ Altenburg NZWiSt 2016, 212 ff. Dem ähnelnd erfasst die aus der Unterlassungsdogmatik übernommene (S 267) „Sicherheitslösung“ Ensenbachs S 245 ff ausschließlich solche erwartbaren Vorkommnisse, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eintreten werden. Damit untergräbt Ensenbach allerdings gerade den Vorteil der von ihm geteilten Erkenntnis, den Nachteil im Wege einer Prognose bestimmen zu müssen. Er eliminiert sämtliche naheliegenden, ja selbst die auf der Hand liegenden Folgen, allein weil ihr Eintritt höchst selten „sicher“ ist. Gerade diese den Wert mindernde Unsicherheit soll ja aber mit der Prognose erfasst werden. Sein Ergebnis ist jedoch nicht nur aufgrund dieser utilitaristischen Erwägung abzulehnen, sondern va weil die Sachlage bei der Unterlassung von derjenigen der Entstehung eines Nachteils so sehr abweicht, dass eine Übertragung des Sicherheitskriteriums ausscheidet. Bei der Unterlassung stellt sich im Rahmen der Quasikausalität die Frage, ob das pflichtgemäße Handeln den Eintritt des Erfolgs verhindert, den tatsächlichen Kausalverlauf also rechtsgutsschützend unterbrochen hätte. Demgegenüber stößt die Pflichtwidrigkeit bei der Untreue eine reale Kausalkette an. Deswegen kann es hier nur darum gehen, welche kausalen Folgen dem Täter aus normativen Gründen ausnahmsweise nicht zugerechnet werden können. Dazu gehören jedenfalls nicht die erwartbaren bzw vorhersehbaren. Ensenbach sieht sich denn auch seines zu weitgehenden Restriktionskriteriums wegen zu Einschränkungen und Kompromissen gezwungen, die völlig unnötig seinen zutreffenden Ansatz diskreditieren, so zB wenn er drohende Sanktionen nicht als Untreuenachteil ansieht, wohl aber dann, wenn sie festgesetzt sind, S 305 f – ein für Täter wie Opfer nicht (immer, regelmäßig aber nur teilweise) beeinflussbares und idS Zufallskriterium – und für Risikogeschäfte keine Orientierung zu bieten vermögen, S 287. Der „Sicherheitslösung“ nahe kommt BGH, 11.12.2014 – 3 StR 265/14, Rn 49 f, BGHSt 60, 94 ff (zust C Brand/Seeland ZWH 2015, 258 ff, 263 f) mit der Betrachtung (zumindest) aller zwingenden Rechtsfolgen als unmittelbar. Aber auch dieser Weg löst weder das Problem, dass auch zwingende rechtliche Folgen, die aufgrund einer Pflichtwidrigkeit festgesetzt werden müssen, deren Bekanntwerden voraussetzen, noch erklärt er die Privilegierung, wenn statt einer festen Rechtsfolge (PartG: Zahlung des Dreifachen der unrechtmäßig nicht abgeführten Spende) eine zwar hinsichtlich des „Ob“ zwingende, in der Höhe, dh des „Wie“, aber nach den Umständen festzusetzende Sanktion droht.

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(Regress-)Ansprüche, soweit sie werthaltig sind,314 und andererseits, dh nachteilsbegründend oder -erhöhend das Eintreten rechtlicher Belastungen wie Schadenersatzansprüche, selbst seitens Drittbetroffener,315 oder Strafzahlungen.316 Unberücksichtigt, also nicht den Nachteil erhöhend, bleiben hingegen alle (bis zum Beurteilungszeitpunkt, dh der letzten Hauptverhandlung in einer Tatsacheninstanz) überraschend eingetretenen Ereignisse, sowohl nachteilserhöhend deliktische oder sonstwie rechtswidrige Handlungen Dritter bzw ein Natur- oder sonstiges überraschendes Geschehen, als auch nachteilsmindernd317 das den zu erwartenden weiteren Fortgang hindernde Eingreifen des Geschädigten, eines seiner Repräsentanten bzw eines Dritten (wenn zB eine lukrative Erfindung, der Wandel des Marktes oder ein überraschender Zufluss an Geld die Gegenleistung später doch ermöglicht oder die Börsenkurse nach einem Crash wieder steigen). Weil es auf diese Umstände tatbestandlich nicht ankommt, müssen sie für das Urteil (zumindest iS einer Korrektur der ex-post-Betrachtung)318 ausgeblendet werden. Der tatbestandlich relevante

_____ 314 A/R/R/Seier Rn 5/2/224 gegen BGH, 5.9.2012 – 1 StR 297/12, wistra 2013, 20 f. Zu berücksichtigen sind sämtliche bestehenden oder aufgrund der Tathandlung entstandenen Ansprüche, soweit sie werthaltig sind und nicht verheimlicht werden, G/J/W/Waßmer Rn 179a zu § 266 StGB, so dass zB dann kein Nachteil vorliegt, wenn die Realisierung eines Anspruchs selbst bei Aufgabe jeglicher Sicherheit gewährleistet ist, Rn 193a. 315 Fischer Rn 53 aE zu § 266 StGB; S/S/Perron Rn 45b zu § 266 StGB; sa S/S/W/Saliger Rn 78 und 93 f zu § 266 StGB (auf dem Boden seiner selfexecuting-Lehre, Rn 89). Beispiele: Die Gebührenzahler im Fall der Berliner Straßenreinigung, die benachteiligten Gewerkschaften bei unzulässiger Bevorzugung einer wohlgesinnten („gelben“) Vereinigung, vgl die Sachverhalte der jeweils anders entschiedenen Fälle BGH, 17.7.2009 – 5 StR 394/08, BGHSt 54, 44 ff, und 13.9.2010 – 1 StR 220/09, BGHSt 55 288 ff. 316 Etwa wegen wegen Kartellverstößen, Bayer FS K Schmidt, S 85 ff; verbotener Parteifinanzierung, BGH, 13.4.2011 – 1 StR 94/10, BGHSt 56, 203 ff (bestätigend 5.9.2012 – 1 StR 297/12, ZWH 2013, 17 f; krit Wagner ZIS 2012, 28 ff); 11.12.2014 – 3 StR 265/14, Rn 48 ff, BGHSt 60, 94 ff (zumindest bei nicht im Ermessen stehenden Rechtsfolgen) abl. Altenburg NJW 2015, 1624 f; oder Sanktionen gegen das Unternehmen zB nach § 30 OWiG, was für A/R/R/Seier Rn 5/2/213 den „Ausverkauf des Strafrechts perfekt“ machte (iE ebenso G/J/W/Waßmer Rn 175c zu § 266 StGB); allg wie hier jedoch, wenngleich einschr auf self-executingFolgen G/J/W/Waßmer Rn 203, auch 110 und 175b zu § 266 StGB; M-G/Hadamitzky Rn 32/141f (einschr aber Rn 179b). Soweit sie auch den Verfall einbezieht, wird man zumindest prüfen müssen, inwieweit er als Nachteil angesehen werden kann (zum ähnlichen Problem der Pflicht zum Abführen einer rechtswidrigen Parteispende vgl BGH, 11.12.2014 – 3 StR 265/14, Rn 50, BGHSt 60, 94 ff). Die rechtswidrige Bereicherung wäre ohne Straftat nicht erfolgt. Ihr Abzug kann daher schwerlich als Nachteil der Ausgangstat angesehen werden (zutr G/J/W/Waßmer Rn 175c aE zu § 266 StGB). Das zwingt allerdings zu Berechnungen, welche die Einführung des Bruttoprinzips gerade vermeiden wollte; Abhilfe bietet wohl nur eine Schätzung unter Beachtung des Zweifelssatzes. Pastor Muñoz/Coca Vila GA 2015, 284 ff, 293, streichen zutreffend heraus, dass der Verfall die Funktion hat, der Annahme einer Kompensation durch strafbare Vorteile entgegenzustehen. Sie arbeiten sehr deutlich die Pflichtwidrigkeit des Eingehens jeglichen Sanktionsrisikos heraus und wollen das Problem der Quantifizierung des Nachteils mittels eines Doppelschritts lösen: Den tatbestandsmäßigen Nominalschaden betrachten sie ganz oder teilweise als aufgrund der nachfolgenden Entwicklung rücktrittsfähig. Näher liegt eine Analogie zur tätigen Reue; zum Strukturgedanken Weber FS Tiedemann S 637 ff; dogmatische Bedenken geltend machend Fischer NStZ-SH 2009, 8 ff, 15 f. Auf der Basis der hM ist eine nachfolgende Minderung bei der Strafzumessung mildernd zu berücksichtigen, so BGH, 26.11.2015 – 3 StR 17/15, Rn 92, BGHSt 61, 48 ff. Piel/Albert FS Wessing S 209 ff, 217 und 220 f sehen das Hauptproblem ebenfalls nicht in der (wenig problematischen) Pflichtwidrigkeit. Demgegenüber gänzlich abl unter Berufung auf das (angeblich geltende) Unmittelbarkeitsprinzip M/R/Matti Rn 134 zu § 266 StGB; iE auch BeckOK/Wittig Rn 35b zu § 266 StGB, uneindeutig Rn 44; Lackner/Kühl/Heger Rn 16 zu § 266 StGB; MK/Dierlamm Rn 47 zu § 266 StGB; A/R/R/Seier Rn 5/2/169; differenzierend S/S/W/Saliger Rn 102 f und 123 f zu § 266 StGB; Solka/Altenburg NZWiSt 2016, 212 ff. Ausführlich zum Streitstand LK/Schünemann Rn 184 zu § 266 StGB. 317 AA Becker NStZ 2016, 345 f, 346. 318 Bittmann NStZ 2013, 72 ff; gemeint ist damit nur ein erster Schritt zu tatsächlicher Feststellung der mangels Vorhersehbarkeit auszugrenzenden tatsächlichen Umstände, nicht etwa eine normative Anforderung, wie S/S/W/Saliger Rn 71 zu § 266 StGB Verf interpretiert.

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Nachteil besteht nicht in einer später eintretenden Minderung, sondern ausschließlich in der Gefahr selbst: Gefahr als Nachteil.319 Die auch von der Rspr verlangte naheliegende Gefahr eines endgültigen Verlustes320 kann danach kein zusätzliches Postulat darstellen. Sie bildet aber einen wertbestimmenden Faktor. Fehlt sie, bleibt sie lediglich abstrakt oder erreicht sie keine greifbare Wahrscheinlichkeit, so mindert sie den Wert nicht: Mangels ausreichender Gefahr kein Einfluss auf den Wert, ohne Minderung kein Nachteil, ohne Nachteil keine Untreue.321 Daher ist für die Feststellung des Nachteils allein darauf abzustellen, ob sich die in Rede stehende Minderung des betreuten Vermögens quantifizieren lässt.322 Eine pflichtwidrig eingegangene Risikodifferenz ist im Wege des Vergleichs der Prognosen nach dem realen einerseits und bei rechtmäßigem Geschehen an-

_____ 319 Nachdrücklich ebenso Ensenbach S 81 f und 87 ff, von ihm „Prognoseschaden“ genannt, S 104 f, 275 und 383, näher ausgeführt S 187 ff. Präzise formuliert der 2. Senat (BGH, 24.3.2016 – 2 StR 36/15, Rn 23, wistra 2016, 404 ff), in diesen Fällen sei noch kein (erg.: zwingend) bleibender Vermögensschaden eingetreten, aber eben diese Gefahr liege so nahe, dass sie selbst eine Minderung des Vermögens begründe; der Sache nach wohl nicht abweichend Blassl wistra 2016, 425 ff, 428: Festzustellen sei, „ob ein vollendeter Vermögensschaden durch eine Vermögensgefährdung eingetreten“ sei. Allerdings wechselt er mit der zudem von ihm (S 429) geforderten mehr als 50%igen Wahrscheinlichkeit eines Schadens unerklärt die Perspektive (ähnlich Begemeier/Wölfel JuS 2015, 307 ff, 308 zu C II aE), denn maßgeblich ist nicht der (sowieso nie verlässlich feststellbare) Grad der Ausfall-Gefahr, sondern ob die (ggf vom Markt nur angenommene) Gefahr den Wert aktuell quantifizierbar mindert; sa Fischer Rn 160 insbes aE zu § 266 StGB. 320 ZB BGH, 15.4.2015 – 1 StR 337/14, Rn 17, NStZ 2015, 514 f; 16.8.2016 – 4 StR 163/16, Rn 34 mN, NJW 2016, 3253 ff; 20.9.2016 – 2 StR 497/15, Rn 9 und 12; auch Blassl wistra 2016, 425 ff, 427; Fischer Rn 150 zu § 266 StGB; G/J/W/Waßmer Rn 183 zu § 266 StGB, die Schwierigkeiten beim Ernstnehmen dieser Formulierung sehr deutlich werden lassend, Rn 191 aE, von ihm in Rn 201a genanntes Beispiel: BGH, 27.8.2010 – 2 StR 111/09, BGHSt 55, 266 ff (zutr daran ist, dass der Nachteil nicht im Nominalwert besteht); ähnlich und (unabhängig von der dogmatischen Einordnung: zutr) die Notwendigkeit bereits gegenwärtiger Vermögensminderung betonend S/S/Perron Rn 45 zu § 266 StGB. Ausführlich begründet plädiert Hinrichs wistra 2013, 161, 163 ff für die eigenständige Bedeutung des drohenden (außertatbestandlichen) Schadens iS einer endgültigen Vermögenseinbuße und verlangt dafür eine mindestens 51%ige Wahrscheinlichkeit: andernfalls sei die Gefahr nur abstrakt und nicht konkret. Abgesehen davon, dass es in sich konsequent wäre, jede oberhalb von 50% angesiedelte Wahrscheinlichkeit als ausreichend konkret anzusehen und nicht erst 51%, bleibt er die Antwort auf die Frage schuldig, ob und unter Einsatz welcher Mittel mit genügender Gewissheit, lt Hinrichs 99,5%, S 165, eine ausreichende Wahrscheinlichkeit von 51% festgestellt, also eine nicht genügende von lediglich 50,99% ausgeschlossen werden könnte. Seine (wie zumindest vergleichbar jede auf den endgültigen Verlust als eigenständiges Element rekurrierende) Auffassung führt zudem zu der merkwürdigen Folge, dass die Hälfte des Wertes straflos vernichtet werden könnte, also zB der Inhaber einer um 40% wertberichtigten Forderung diese nur um den Preis der Straflosigkeit seines Verwalters an einen Dritten zu 60% vom Nennwert zwecks Schaffung von Liquidität veräußern dürfte, er über § 823 Abs 2 BGB iVm § 266 StGB demgegenüber de jure besser dastünde, er verkaufte sie zu lediglich 49% des Nennwerts. 321 Fischer StraFo 2008, 269 ff, 275: Keine Wertminderung ohne Möglichkeit des Endschadens. 322 Vgl dazu bereits Bittmann HRRS 2016, 38 ff, 49. Die dort gestellte Aufgabe der Suche nach einem Kriterium, das berücksichtigungsfähige von unbeachtlichen Gefahren scheidet, findet demnach keine (rein) normative Antwort, sondern liegt in der Anerkennung der Empirie des Marktes. Damit steht im Einklang, dass der 1. Strafsenat des BGH 2008 die „schadensgleiche“ Vermögensgefährdung als Scheinproblem erkannte (Nack StraFo 2008, 277 ff; abl S/S/W/Saliger Rn 88 zu § 266 StGB; sa G/J/W/Waßmer Rn 194 f zu § 266 StGB), differenzierend und zum Teil weiterhin den Unterschied zwischen (faktisch natürlich nicht zu leugnendem) Gefährdungs- und Endschaden für relevant haltend Fischer Rn 160 ff mN; ders NStZ-SH 2009, 8 ff, 11 ff. A/R/R/Seier Rn 5/2/197 ff nimmt an, bei diesem Ansatz (und weiteren Restriktionskriterien) würden viele Sachverhalte nicht mehr als Untreue erfasst werden, weil in ihnen nur noch straflose Versuche gesehen werden könnten. Eine Tendenz dahingehend ist allerdings weder ersichtlich noch zu erwarten, weil zwar nicht mehr schlicht wegen „schadensgleicher Gefährdung“ verurteilt wird, jedenfalls werden darf, aber eine Quantifizierung, ggf im Wege vorsichtiger Schätzung, möglich ist. In den (äußerst seltenen) Konstellationen, in denen das nicht gelingen kann, ist das Verneinen des Tatbestands allerdings konsequent.

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dererseits zunächst beschreibend und anschließend mittels betriebswirtschaftlich geeigneter Methoden zu quantifizieren323 und ein etwaiger (potentieller) Verwertungserlös abzuziehen.324 Vom Nominalbetrag ist vielfach, aber nicht zwingend ein Abschlag vorzunehmen, dessen Höhe sich nach dem Grad an Unsicherheit des Eintritts der zukünftigen Ereignisse bemisst.325 Wenn man auf die Verhältnisse am Ende der Tathandlung abstellt und die zukünftige Entwicklung allein iS einer Prognse berücksichtigt, so kann man das durchaus als Maßgeblichkeit nur des unmittelbar eintretenden Nachteils bezeichnen.326 Ein Mehrwert an Erkenntnissen ist damit jedoch nicht verbunden. Ist der Nachteil hingegen mit Abschluss der Pflichtwidrigkeit bereits in seiner endgül45 tigen Form eingetreten, so kann er genau beschrieben und häufig recht exakt, zuweilen gar bis auf Euro und Cent beziffert werde. Das aber ist für wirtschaftsstrafrechtliche Untreuesachverhalte eher die Ausnahme. Meist wird die zukünftige Entwicklung zu prognostizieren und zu quantifizieren sein. Als Mittel dafür und damit auch für etwaige Abschläge vom Nominalwert bietet sich der Rückgriff auf Buchhaltungsgrundsätze an. Das ist nicht möglich iS einer 1:1-Übertragung aller (international durchaus verschiedenen, ja gegensätzlichen) Buchführungsregeln: keine Betriebswirtschafts-, Buchführungs- oder Bilanzrechtsakzessorietät.327 Das Vorsichtsprinzip passt zB nicht zum strafprozessualen Zweifelsgrundsatz. Wohl aber gibt es Buchführungs- und Bilanzierungsregeln, die in der Lage sind, dynamische Geschehnisse abzubilden und in Geldquantität auszudrücken. Sie können zumindest als Ausgangspunkt herangezogen werden, um bei vergleichbarem Sachverhalt einen trotz nicht erreichten Ruhezustands bereits eingetretenen Nachteil zu quantifizieren. In Banken und bei Buchhaltern ist es alltäglich, aufgrund neu bekanntgewordener tatsächlicher Umstände Wertberichtigungen bestimmter Bilanzpositionen zu prüfen und anschließend ggf vorzunehmen (zB bei dubios gewordenen Forderungen; bei nach Einbruch von Absatzmärkten schlechter absetzbaren Lagerbeständen). Der endgültige Zustand des Nachteils kann im Bedarfsfall als verschuldete Auswirkung der Tat, § 46 Abs 2 StGB, strafschärfend berücksichtigt werden. Die zu erwartende Entwicklung nach abgeschlossener Pflichtwidrigkeit gehört zu derselben Tat. Sie verliert ihre Identität iS von § 52 StGB nicht und ist erst beendet, wenn der vom Täter geplante Zustand erreicht ist oder (endgültig) nicht mehr erreicht werden kann.

_____ 323 ZB BGH, 4.2.2014 – 3 StR 347/13, Rn 9, wistra 2014, 226 f; 26.11.2015 – 3 StR 247/15, Rn 9, wistra 2016, 343 ff; M-G/Hadamitzky Rn 32/183 ff; sa Blassl wistra 2016, 425 ff, 429 f. 324 BGH, 19.2.2014 – 5 StR 510/13, Rn 17, NStZ 2014, 318 ff. Kasiske NZWiSt 2016, 302 ff, differenziert, sachlich nicht ohne Grund, definitorisch aber nicht durchweg überzeugend und terminologisch abweichend zwischen dem Differenz- und dem Risikoschaden, Ersteren verstanden als Minderwert der Gegenleistung (und damit nicht einmal abhängig von der Überschreitung des dem Täter erlaubten Risikos; verkannt auch von G/J/W/Waßmer Rn 190 zu § 266 StGB), Letzteren als Vermögensminderung aufgrund zukünftigen möglichen Wertverlusts – wohl zu verstehen wie hier iS von „Gefahr als Schaden“. 325 Dazu Blassl wistra 2016, 425 ff, 430. 326 So G/J/W/Waßmer Rn 167b zu § 266 StGB (das dokumentiert zugleich die inhaltliche Übereinstimmung mit der hier vertretenen Ansicht; in Fn 184a allerdings die Unmittelbarkeit stärker betonend). 327 Ebenso Begemeier/Wölfel JuS 2015, 307 ff, 308 (zu C II aE); Blassl wistra 2016, 425 ff; Fischer ua/ Radtke S 239; LK/Schünemann Rn 181 zu § 266 StGB; G/J/W/Waßmer Rn 175g zu § 266 StGB. Schlaglichter auf die Folgen der Gegenauffassung bei Salditt FS Schünemann S 705 ff; generelle Skepsis bei Ensenbach S 207 ff. Zur forensischen Feststellung Harz/Wagner/Meiers, Der täuschungsbedingte Vermögensschaden, 2016.

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3. Der subjektive Tatbestand Anders als § 263 StGB für den Betrug verlangt § 266 StGB in subjektiver Hinsicht ledig- 46 lich vorsätzliches Handeln. Bedingter Vorsatz genügt.328 Er kann häufig aus den Umständen und der Zielrichtung, aber auch aus dem Verheimlichen329 des Handelns geschlussfolgert werden. Das gilt insbes dann, wenn der Täter eigennützig handelte und die Tat zu seiner oder der Bereicherung ihm Nahestehender führte. Das sind bei Untreuetaten im Zusammenhang mit einer Insolvenz nur allzu häufig schon vor dem Zusammenbruch gegründete neue Unternehmen, welche mit den von der insolventen Gesellschaft ohne oder jedenfalls ohne marktgerechten Gegenwert übernommenen Aktiva, aber ohne die „sozialisierten“ Verbindlichkeiten unter gleicher Führung, ggf allerdings unter Einsatz eines „Strohmanns“,330 die früheren Geschäfte fortführen. In solchen Fällen lässt sich der Vorsatz ohne ernsthafte Schwierigkeiten beweisen. Wer so vorgeht, der handelt zielgerichtet und keineswegs ohne Bedacht, allenfalls im – vorgeschobenen oder zumindest vermeidbaren331 – Irrtum über das Verbotensein seines Tuns, schon das angesichts des Vorhandenseins eines vielfältigen, gern genutzten und zT durchaus niederschwelligen Marktes von Rechts-, Steuer-, Wirtschafts- und Sanierungsberatern höchst selten. Obwohl die Anforderungen an die Bejahung des (bedingten) Vorsatzes in derart kla- 47 ren Fällen gering sind, so muss er eben doch auch hier hinsichtlich aller jedes einzelne Merkmal des objektiven Tatbestands ausfüllender Tatsachen festgestellt werden, insbes getrennt für Pflichtwidrigkeit und Nachteil.332 Das gilt erst recht in komplexeren Konstellationen. Das Wissen über die Auswirkungen einer finanziellen Transaktion zugunsten der Gesellschafter oder verbundener Unternehmen mit Folgen für die eigene Gesellschaft bis hin zur Insolvenzreife (vgl § 283 Abs 2 StGB) ist ebensowenig selbstverständlich wie das Bewusstsein drohender Zahlungsunfähigkeit. Es ist zwar die Pflicht des Geschäftsführers, die wirtschaftliche Lage im Blick zu haben. Dass er diese Pflicht aber tatsächlich erfüllt hat, bedarf der Prüfung und Feststellung. Am subjektiven Tatbestand fehlt es etwa dann, wenn der Geschäftsführer annahm und damit rechnen durfte, dass die GmbH die Leistung verkraften würde, ihr dies aber nicht gelang, weil sich zusätzlich eine nennenswerte Forderung überraschend als uneinbringlich erwies. Der Vorsatz muss sich auch auf die Pflichtenstellung des Täters beziehen. Nicht er- 48 forderlich ist allerdings die zutreffende rechtliche Einordnung. Das Bewusstsein einer irgendwie gearteten vermögensbezogenen Pflichtverletzung genügt.333 Es kann bei Entscheidungen mehrköpfiger, arbeitsteilig organisierter Organe oder sonstiger Gremien nicht ohne weiteres bei jedem Mitglied angenommen, sondern nur nach Prüfung für jede Einzelperson individuell bejaht oder verneint werden.334

_____ 328 Details str, vgl Fischer Rn 171 ff zu § 266 StGB, der (Erwägungen über etwaige) Differenzierungen nachzeichnet. 329 BGH wistra 2002, 300 ff. 330 Vgl dazu oben § 6 Rn 158 ff. 331 A/R/R/Seier Rn 5/2/98; sa G/J/W/Waßmer Rn 231 zu § 266 StGB (zu den Anforderungen an eingeholten Rechtsrat Rn 231a; zu Letzteren zudem ausführlich Kudlich/Wittig ZWH 2013, 253 ff und 303 ff). 332 S/S/W/Saliger Rn 126 f zu § 266 StGB. Das ist va deshalb wichtig, weil das Wissenselement im Hinblick auf den Nachteil nur hinsichtlich des groben Rahmens vorhanden sein muss, oben Rn 3, These 25, auch Bittmann NStZ 2012, 57 ff, 61; ebenso G/J/W/Waßmer Rn 222 aE zu § 266 StGB. 333 Fischer Rn 173 zu § 266 StGB. 334 Vgl dazu oben § 6 Rn 42 ff und 48 ff sowie unten Rn 74 ff.

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Genauer Prüfung bedarf die Bejahung des Vorsatzes bei fremdnütziger Untreue,335 weil es sich nicht von selbst versteht, dass der Handelnde einen Nachteil anrichten will, wenn er davon nicht profitiert. Zwecks Klärung des Bewusstseins der Pflichtwidrigkeit ist seine Motivationslage im Zeitpunkt des Handelns festzustellen. Er darf zB keine höheren als bei angemessenem Bemühen erforderliche Kosten zum Erreichen eines bestimmten Ziels aufwenden, nur weil er die Kosten nicht selbst tragen muss. Der 2. Strafsenat des BGH hatte mit der Kanther-Entscheidung unter Billigung des 5. Strafsenats die Untreue in den Fällen einer Gefahr als Nachteil zu einem Delikt mit überschießender Innentendenz entwickelt: Es reiche nicht aus, wenn der Täter nur die Gefahr erkenne und ihren Eintritt billige, erforderlich sei dies vielmehr auch für deren Realisierung.336 Dem damit verbundenen Anliegen, der Wirtschaft mit der Risikofreude nicht die erforderliche Dynamik auszutreiben, wird aber ausreichend Rechnung getragen, wenn man wie hier die Gefahr selbst als Nachteil ansieht, Tatbestandsmäßigkeit nur bei einem eingetretenen Nachteil bejaht, dies von der Möglichkeit der Quantifizierung abhängig macht, und außerhalb des Erwarteten liegenden späteren Ereignissen jegliche Untreuerelevanz abspricht. Damit erübrigt sich eine auseinanderfallende Betrachtung von objektivem und subjektivem Tatbestand. Diese Position nimmt nunmehr auch der 2. Strafsenat des BGH (wieder) ein, beschränkt die Notwendigkeit des Vorsatzes auf das Risiko und lehnt eine Erstreckung auf einen weitergehenden Erfüllungs- oder Endschaden ausdrücklich ab.337 Auch für den bedingten Vorsatz ist es nicht erforderlich, ein Motiv festzustellen, 50 welches auch Dritte zur Tat veranlassen würde, etwa Rache. Gleichgültigkeit entlastet ebensowenig wie Abenteurertum. Ausreichend ist das Wissen des Täters um die Verhältnisse und die absehbaren Folgen. Kannte der Täter zB die Unvertretbarkeit des von ihm eingegangenen Risikos, so fehlt es beim blinden Vertrauen darauf, alles werde gutgehen und sich das Geschäft als höchst profitabel erweisen, regelmäßig nicht am subjektiven Tatbestand.338 Die Abgrenzung zwischen bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit ist normativ vorzunehmen ebenso die Subsumtion der Motivationselemente unter die Rechtsbegriffe. Bestand kein Anlass, auf den Erfolg zu vertrauen, so ändert die gegenteilige Hoffnung (ungeachtet ihrer semantischen Bezeichnung) nichts am Inkaufnehmen des sich bei Verwirklichung des Risikos manifestierenden und zuvor bereits mit Abschluss des Geschäfts eintretenden Gefahr-Nachteils. Gleiches gilt bei eigenmächtiger Gewährung eines kurzfristigen Kredits zwecks Finanzierung eines riskanten Eigengeschäfts, aus dessen Gewinn die Darlehenssumme zurückgeführt werden soll. Hier kennt der Täter das Risiko und wälzt es ganz bewusst auf das von ihm zu betreuende Vermögen

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_____ 335 In der Rspr nicht mehr gebräuchlich ist die Formel von den „besonders strengen Anforderungen“, zB BGH NJW 1990, 3219, 3220; 1991, 990, 991; 2002, 2801, 2803; wistra 2000, 60 f; 2003, 463, 464; NK/Kindhäuser Rn 122 f zu § 266 StGB; S/S/W/Saliger Rn 126 zu § 266 StGB; zu Recht krit A/R/R/Seier, Rn 2/5/88 ff; LK/Schünemann Rn 190 f; S/S/Perron, Rn 49 f zu § 266 StGB; G/J/W/Waßmer Rn 223 zu § 266 StGB (zum Gefährdungsschaden Rn Rn 224 ff: Bezugspunkt ist der Vollendungsnachteil), und Fischer, Rn 176 zu § 266 StGB. 336 BGH, 18.10.2006 – 2 StR 499/05, Rn 62 ff, BGHSt 51, 100; 28.5.2013 – 5 StR 551/11, NStZ 2013, 715 mN; nachgezeichnet und bejaht von Fischer Rn 181 ff zu § 266 StGB; ders NStZ-SH 2009, 8 ff, 13 ff; Sympathie bei Perron FS Tiedemann, S 737 ff; A/R/R/Seier Rn 5/2/192 ff; wie hier Hillenkamp FS Maiwald, S 323 ff; Scholz/ Tiedemann/Rönnau Rn 6 vor §§ 82 ff GmbHG mN in Fn 7; sa S/S/W/Saliger Rn 84 zu § 266 StGB, abl in Rn 127; ebenfalls abl G/J/W/Waßmer Rn 225 zu § 266 StGB; Hinrichs wistra 2013, 161 ff, 166, betrachtet diese Rspr des 2. Strafsenats des BGH als von BVerfGE 126, 170 ff überholt. 337 BGH, 24.3.2016 – 2 StR 36/15, Rn 25, wistra 2016, 404 ff. 338 Fischer Rn 177 zu § 266 StGB; krit S/S/W/Saliger Rn 127 zu § 266 StGB.

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ab. Auch wenn er keine bleibende Vermögensminderung anrichten will, wäre sie ihm wegen des damit verbundenen Entdeckungsrisikos doch im Gegenteil nichts als unangenehm, so kennt er doch das überwälzte und in Kauf genommene Risiko. Er weiß damit auch, dass es sich verwirklichen kann, er es selbst weder tragen will noch dazu in der Lage wäre, und deswegen der Rückgewähranspruch nicht seinen Nennwert repräsentiert. Ein Beschuldigter gesteht selten zu, mit dem Eintritt eines Nachteils gerechnet und 51 sich damit abgefunden zu haben. Der Nachweis des subjektiven Tatbestands kann in Fällen des Schweigens oder Leugnens daher nur aus den Umständen des Geschäfts, des Handelns allgemein, geschlossen werden. Lässt sich der Beschuldigte als eine üblicherweise sachkundig, abwägend und bewusst agierende Person charakterisieren, so spricht allzu wenig für ein bloß auf mangelnder Sorgfalt beruhendes Tatgeschehen und es kann, vorbehaltlich etwaiger gegenteiliger Hinweise, zumindest bedingter Vorsatz bejaht werden. Ein nahezu sicherer Beleg für den subjektiven Tatbestand ist das Eingehen für den Täter günstiger Geschäfte, die sich (nahezu zwangsläufig) zu Lasten des betreuten Vermögens auswirken müssen (zB Transfers auf eine Nachfolgegesellschaft). Die irrige Annahme vorliegenden wirksamen Einverständnisses ist in Bezug auf das 52 Einverständnis Tatbestandsirrtum, die Wirksamkeit betreffend hingegen Verbotsirrtum.339 Ein Tatbestandsirrtum liegt in Bezug auf die Pflichtwidrigkeit vor beim Handeln auf der Basis einer vertretbaren, vom Gericht aber nicht geteilten Rechtsauffassung.340

4. Vollendung, Beendigung, Verjährung, Konkurrenzen, Strafantrag Vollendung tritt mit dem Ende der Pflichtwidrigkeit und dem dadurch bewirkten 53 Nachteil ein. Beendet wird die Untreue hingegen erst, wenn der wertmäßig bereits entstandene Nachteil seine nach dem Tatplan zu erwartende endgültige Gestalt angenommen hat341 oder dies nicht mehr möglich ist.342 Entsteht der Nachteil in seiner endgültigen Gestalt bereits mit Abschluss der Tathandlung, ie Pflichtwidrigkeit, dann fallen Vollendung und Beendigung zusammenfallen. Eine aus mehreren pflichtwidrigen, aber ineinander verflochtenen Handlungen bestehende Tat ist erst mit Verwirklichung des letzten Nachteils beendet.343 Damit beginnt der Lauf der fünfjährigen Verjährungsfrist für den Täter, nach allg Regeln aber auch für einen Teilnehmer.344 Untreue kann mit anderen Straftatbeständen tateinheitlich zusammentreffen.345 Praktisch am

_____ 339 Ein Konsens darüber steht allerdings noch aus, zum Thema s BGH, 21.12.2005 – 3 StR 470/04, Rn 81 ff, BGHSt 50, 331 ff; Fischer Rn 173 f zu § 266 StGB mwN. 340 BGH, 9.11.2016 – 5 StR 313/15, Rn 57 ff, 64 und 68: Verkennen einer Verzinsungspflicht in einer rechtlichen Spezialmaterie. 341 BGH NStZ 2001, 650 f; wistra 2003, 379, 380; 25.4.2014 – 1 StR 13/13, Rn 60, BGHSt 59, 205 ff; 18.11.2015 – 4 StR 76/15, Rn 6, wistra 2016, 109 f (zum Betrug). 342 BGH NStZ 2001, 650 f; wistra 2003, 379, 380. 343 BGH NJW 2001, 2102, 2106; NStZ 2001, 650; Fischer Rn 187 zu § 266 StGB; zu den Fällen der Gefahr als Schaden Ensenbach S 366 ff. 344 BGHSt 20, 227, 228; NStZ 2001, 650; LK/Jähnke Rn 15 zu § 78a StGB. 345 Auflistung bei LK/Schünemann Rn 208 ff zu § 266 StGB; ausführlich G/J/W/Waßmer Rn 258–267c zu § 266 StGB. Nicht ganz eindeutig sind die Ausführungen BGH, 11.12.2014 – 3 StR 265/14, Rn 38, BGHSt 60, 94 ff, zum Konkurrenzverhältnis zwischen § 266 StGB und § 31d PartG. Die zweckwidrige Verwendung von Fraktionsgeldern durch eine Spende an die eigene Partei ist abgeschlossen, bevor der diese Spende verschweigende Bericht an den Landtag erstattet wird. Insoweit besteht Tatmehrheit. Bei Untreue durch Auslösen der Zahlungspflicht gem § 31c PartG aufgrund des falschen Spendenberichts treffen hingegen Ausführungshandlungen zusammen, so dass hier Tateinheit vorliegt (dafür allg C Brand/Seeland ZWH 2015,

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926 | 3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften

wichtigsten ist das nach Aufgabe der Interessentheorie häufige gleichzeitige Verwirklichen einer bestandsbezogenen Bankrottvariante.346 Betrachtet man als Geschädigte die juristische Person selbst, so kann es auf einen Strafantrag eines Gesellschafters, der Angehöriger iS von § 11 Abs 1 Nr 1 StGB ist, entgegen der Rspr347 nicht ankommen.348

5. Die Strafe 54 Wie bei § 263 StGB beträgt der Strafrahmen für den Normalfall des § 266 Abs 1 StGB

Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren.349 Er erfasst sowohl Fälle fremdnützigen Handelns als auch der Eigenbereicherung. Letztere kann deshalb (deutlich) strafschärfend berücksichtigt werden.350 Für benannte351 und unbenannte352 besonders schwere Fälle353 gilt über die Verweisung in § 266 Abs 2 StGB der in § 263 Abs 3 S 1 StGB normierte Strafrahmen von Freiheitsstrafe zwischen 6 Monaten und 10 Jahren. Die in „kapitaler gesetzgeberischer Fehlleistung“354 mitenthaltene Verweisung auf die Regelbeispiele des § 263 Abs 3 S 2 StGB355 entfaltet für die Untreue nur geringe Bedeutung. Einschlägig sind eigentlich nur die Herbeiführung eines Vermögensverlustes großen Ausmaßes,356 §§ 266 Abs 2, 263 Abs 3 S 2 Nr 2 StGB, und das Anrichten wirtschaftlicher Not,357 §§ 266 Abs 2, 263 Abs 3 S 2 Nr 3 StGB. Nach früherer Rspr genügte die bloße Gefährdung nicht: „Großes Ausmaß“ setzte vielmehr den Eintritt eines Nachteils358 voraus und zwar in Höhe von nicht unter 50.000 €.359 Da allerdings die Gefährdung nur dann tatbestandsmäßig ist, wenn ein quantifizierbarer Nachteil eingetreten ist,360 kann diese Differenzierung nicht aufrechterhalten bleiben.361 Maßgeblich ist in Fällen noch nicht zur Ruhe gekommenen

_____ 258 ff, 264 f). Jedenfalls handelt es sich bei § 31d PartG weder um einen Privilegierungstatbestand noch um eine mitbestrafte Nachtat, Rn 38 und 60. Auch die Zahlungspflicht aus § 31c PartG verdrängt § 266 StGB nicht, Rn 39. Tateinheit zwischen § 266 und § 263 StGB ist nur ausnahmsweise möglich, wenn der Täuschende bereits zur Zeit der Täuschungshandlung gegenüber dem Geschädigten vermögensbetreuungspflichtig war, BGH, 25.11.2008, 4 StR 500/08, Rn 2, wistra 2009, 106. 346 Dazu oben Rn 7 und oben Rn 12/16 ff. 347 BGH 22.5.2003 – 5 StR 520/02, Rn 29, NJW 2003, 2924 ff; 30.9.2004 – 4 StR 381/04, Rn 5, wistra 2005, 105 f; zust S/S/W/Saliger Rn 136 zu § 266 StGB. 348 Bittmann/Richter wistra 2005, 51 ff, 53; für existenzgefährdende bzw -vernichtende Eingriffe hM, BGH, 30.9.2004 – 4 StR 381/04, Rn 5, wistra 2005, 105 f; 10.1.2006 – 4 StR 561/05, Rn 5, wistra 2007, 229 f; Fischer Rn 193 zu § 266 StGB; A/R/R/Seier Rn 5/2/13. 349 Zu weiteren möglichen Rechtsfolgen s die Aufstellung von G/J/W/Waßmer Rn 284–291 zu § 266 StGB. 350 Fischer Rn 188 zu § 266 StGB; aA S/S/Perron Rn 53 zu § 266 StGB. 351 Zur Entkräftung der Indizwirkung eines Regelbeispiels vgl BGH NStZ-RR 2003, 297. 352 Beispiel: Tatserie, BGH NStZ-RR 2003, 297f (jede Einzeltat der Serie stellt einen besonders schweren Fall dar). Zur Gewerbsmäßigkeit vgl OLG Köln NStZ-RR 2003, 298 f (kennzeichnet nicht den Schuld-, nur den Strafausspruch; aA BayObLG NStZ-RR 2003, 209 f). Sie besteht auch bei Handeln zum Zwecke der Tilgung bereits bestehender Verbindlichkeiten, BGH NStZ-RR 2003, 297, 298; wistra 2003, 460, 461. Denkbar ist ein unbenannter besonders schwerer Fall auch bei krassem Eigennutz. 353 S dazu allg Peglau wistra 2004, 7 ff. 354 LK/Schünemann Rn 219 zu § 266 StGB; ähnlich S/S/Perron Rn 53 zu § 266 StGB; S/S/W/Saliger Rn 134 zu § 266 StGB; G/J/W/Waßmer Rn 234 zu § 266 StGB. 355 Vgl dazu oben § 15 Rn 64 ff. 356 Zum Inhalt vgl oben § 15 Rn 67 und unten § 21 Rn 153. 357 Zum Inhalt vgl oben § 12 Rn 279 f und § 15 Rn 68. 358 BGH NJW 2003, 3717 ff. 359 ZB BGH NJW 2004, 169 ff; diese Grenze bestimmt die Rspr heute nach wie vor; für 100.000 € als Grenze S/S/W/Saliger Rn 135 zu § 266 StGB. 360 Oben Rn 42. 361 Zutr Fischer Rn 216 f zu § 263 StGB mN.

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Sachverhalts die Höhe des unter Berücksichtigung der prognostizierten Entwicklung quantifizierten und damit bereits eingetretenen Nachteils. Wirtschaftliche Not kann nicht unter Hinweis auf die Insolvenz der GmbH bejaht werden, weil dies sowohl unter dem Gesichtspunkt des § 46 Abs 3 StGB, dem Verbot, zum Tatbestand gehörende Umstände nochmals bei der Strafzumessung zu berücksichtigen, bedenklich wäre, als auch nach der Rspr des BGH nur die Not einer natürlichen Person ausreicht.362 Bedenklich, aber vom BGH363 als verfassungsgemäß angesehen, ist die Schärfung gemäß § 266 Abs 2, 263 Abs 3 S 2 Nr 4 StGB bei Missbrauch der Befugnisse als Amtsträger. Dieser Aspekt konstituiert bei einem Handeln kraft behördlichen Auftrags bereits den Grundtatbestand. Das Vorliegen eines Regelbeispiels indiziert das Vorliegen eines besonders schweren Falls. Einer Gesamtabwägung bedarf es insoweit nicht364 – anders als bei Annahme eines unbenannten besonders schweren Falls.365 Obwohl bei einer Untreue durch Unterlassung366 § 13 Abs 2 StGB gilt,367 liegt eine 55 Strafmilderung mangels konkreter Schulddifferenz regelmäßig nicht nahe.368 Anderes mag gelten, wenn der Täter ausschließlich passiv blieb und keinerlei Maßnahmen zur Verschleierung unternahm.369 Das Bestehen einer Vermögensbetreuungspflicht ist ein strafbarkeitsbegründen- 56 des besonderes persönliches Merkmal iSd § 28 Abs 1 StGB.370 Die Strafe des Teilnehmers, also auch des Anstifters,371 ist deshalb zu mildern. Beim Gehilfen372 erfolgt aber keine doppelte Milderung, wenn seine strafrechtliche Haftung als Täter nur am Fehlen der Vermögensbetreuungspflicht scheitert.373 Das bloße Wissen eines Externen um die Untreue seines Verhandlungspartners ist noch keine Beihilfe dazu, auch wenn ihm dessen Tat wirtschaftliche Vorteile verschafft. Strafbar ist erst ein kollusives Zusammenwirken mit dem Pflichtigen.

_____ 362 BGH wistra 2001, 59. 363 BGH wistra 2000, 421 f; wohl zust G/J/W/Waßmer Rn 234 zu § 266 StGB. 364 BGH, 11.9.2003 – 4 StR 193/03, Rn 5 f, wistra 2003, 460 ff; 31.3.2004 – 2 StR 482/03, Rn 15 f, wistra 2004, 339 ff. 365 M/R/Saliger Rn 313 zu § 263 StGB; von BGH, 10.5.2001 – 3 StR 96/01, Rn 6, NJW 2001, 2485 f, zutr auch für die Wertgrenze für das „große Ausmaß“ als geboten erachtet. 366 A/R/R/Seier Rn 5/2/74 ff mit Beispielen. 367 BGH, 29.1.2015 – 1 StR 587/14, Rn 19, wistra 2015, 232 ff; Fischer Rn 101 zu § 13 StGB; A/R/R/Seier Rn 5/2/80; G/J/W/Waßmer Rn 282 zu § 266 StGB; aA S/S/W/Saliger Rn 40 zu § 266 StGB. 368 Fischer Rn 188 zu § 266 StGB; G/J/W/Waßmer Rn 282 zu § 266 StGB; sa A/R/R/Seier Rn 5/2/78 ff. 369 BGH StV 1998, 127. 370 StRspr, BGH, 26.11.2015 – 3 StR 17/15, Rn 141 mN, BGHSt 61, 48 ff. 371 BGH, 23.7.2013 – 3 StR 96/13, Rn 18, StV 2014, 684 f mN; LK/Schünemann Rn 203 zu § 266 StGB. 372 Psychische Beihilfe genügt, BGH, 25.10.2011 – 3 StR 206/11, NZWiSt 2014, 144 f, mAnm Hadamitzky/ Richter. 373 BGH, 1.3.2005 – 2 StR 507/04, Rn 7, wistra 2005, 260 f; 26.11.2008 – 5 StR 440/08, wistra 2009, 105; 26.11.2015 – 3 StR 17/15, Rn 141, BGHSt 61, 48 ff; 17.3.2016 – 1 StR 628/15, Rn 9, ZInsO 2016, 916 ff; Fischer Rn 186 zu § 266 StGB mN; S/S/W/Saliger Rn 130 zu § 266 StGB; A/R/R/Seier Rn 5/2/65; G/J/W/Waßmer Rn 281 zu § 266 StGB. Generell gegen doppelte Milderung S/S/Perron Rn 52 zu § 266 StGB, weil ein Vermögensbetreuungspflichtiger immer Täter und nie bloßer Teilnehmer, also auch nicht nur Helfer sein könne. Das ist zwar richtig, trifft aber auf den nicht selbst Vermögensbetreuungspflichtigen gerade nicht zu. Ein solcher kann deshalb durchaus ohne Tatherrschaft eine fremde Tat fördern und vereint in diesem Fall beide Milderungsgründe in sich und seiner Tat.

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III. Taugliche Untreuetäter in oder vor der Insolvenz 1. Fremdheit 57 § 266 StGB erfasst allein die Verletzung der Fürsorge für fremdes Vermögen. „Fremd-

heit“ lässt sich jedoch sowohl unter wirtschaftlichen als auch unter rein juristischen Gesichtspunkten verstehen – mit verschiedenen, ja zT gegensätzlichen Ergebnissen. Bei wirtschaftlicher Betrachtung gehört die ein-Personen-GmbH zum Vermögen ihres Alleingesellschafter-Geschäftsführers. Ihr Vermögen wäre danach für ihn nicht fremd. Solche Sicht ist jedoch zugunsten eines akzessorischen Verständnisses überholt.374 Maßgeblich ist, bei welcher Rechtsperson der Schaden eintritt.375 Das kann eine natürliche oder (unabhängig von der Beteiligung natürlicher Personen an ihr) eine juristische Person sein. Inzwischen betrachtet das Zivilrecht die sog rechtsfähigen Personengesellschaften, § 14 Abs 2 BGB, als eigenständige Rechtsträger, bei denen ein Schaden auf Gesellschaftsebene eintreten kann. Der Eigenverwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen einer natürlichen Person, §§ 270 ff InsO, betreut (iGgs zum typischen Insolvenzverwalter376) sein eigenes Vermögen. Anders als bei Eigenverwaltung über das Gesellschaftsvermögen, bei der wegen Personengleichheit von Geschäftsführer und Eigenverwalter die Vermögensbetreuungspflicht gegenüber dem Gesellschaftsvermögen fortbesteht, scheidet daher für den Eigenverwalter in der Insolvenz über sein Vermögen als natürliche Person zumindest der Missbrauchstatbestand aus. Dasselbe gilt für den Treubruch, es sei denn, man bejaht eine Differenzierung377 aufgrund des abgewandelten Wortlauts, fremde Vermögensinteressen, hier diejenigen der eigenen Gläubiger, wahrzunehmen.378

_____ 374 Vgl allg BGHSt 1, 186, 187 f; A/R/R/Seier Rn 5/2/103, auch Rn 319; BeckOK/Wittig Rn 11 zu § 266 StGB; Gribbohm DStR 1991, 248 ff; Lackner/Kühl/Heger Rn 3 zu § 266 StGB; LK/Schünemann Rn 72 zu § 266 StGB; Lesch FS Wessing S 223 ff, 224 ff; MK/Dierlamm Rn 35 und 48 zu § 266 StGB; NK/Kindhäuser Rn 30 zu § 266 StGB (er weist zutr darauf hin, dass auch öffentlich-rechtliche Normen maßgeblich sein können); Radtke GmbHR 1998, 361, 362 ff; S/S/Perron Rn 6 zu § 266 StGB; G/J/W/Waßmer Rn 60 zu § 266 StGB; Fischer Rn 11 zu § 266 StGB; Wodicka S 192 ff; Pfeifer GmbHR 2008, 1074 ff zum Alleingesellschafter einer GmbH. 375 BGH, 30.8.2016 – 4 StR 194/16, Rn 26; LK/Schünemann Rn 45 zu § 266 StGB; Überblicke bei Lesch/ Hüttemann/Reschke, NStZ 2015, 609 ff; G/J/W/Waßmer Rn 60 zu § 266 StGB. Für treuhänderische Verwaltung, die mit dinglichem Rechtsübergang verbunden ist (zB Überweisung von Geld), bedeutet dies, dass der Treuhänder ebenso wie der Sicherungseigentümer und Vorbehaltsverkäufer eigenes Vermögen verwaltet, Fischer Rn 12 zu § 266 StGB. 376 Er verwaltet demgegenüber selbstverständlich fremdes Vermögen, S/S/W/Saliger Rn 19 zu § 266 StGB. 377 Wie hier MK/Dierlamm Rn 35 zu § 266 StGB, wiewohl zwischen Vermögen und Vermögensinteresse unterscheidend, Rn 47; sa NK/Kindhäuser Rn 43 zu § 266 StGB, der als Beispiele auch Kontroll- und Beratungspflichten erwähnt, Rn 60. 378 So LK/Schünemann Rn 45 und 72 zu § 266 StGB; wie hier M/G/Schramm Rn 29 zu § 266 StGB; A/R/R/ Seier Rn 5/2/104: Die Schädigung eigenen Vermögens genügt selbst dann nicht, wenn sich der Täter mit der Selbstschädigung außerstande setzt, eigene Vermögensbetreuungs-, erst recht sonstige Pflichten zu erfüllen. Für die Maßgeblichkeit einer etwaigen Pflichtverletzung gegenüber einem Dritten spricht, dass in Personengesellschaften Untreue nur insoweit bejaht wird, wie die Anteile der Mitgesellschafter betroffen sind, also fremdes Vermögen; ferner dass zwar in der Krise die Wahrung der Interessen der Gläubiger den Vorrang genießt, die Vermögensbetreuungspflicht der Gesellschaftsorgane gleichwohl weiterhin nur gegenüber der juristischen Person besteht und natürliche Personen auch in der eigenen Krise keiner Vermögensbetreuungspflicht gegenüber ihren Gläubigern unterliegen. Das von Schünemann angeführte Gegenargument, der Eigenverwalter leite seine Verwaltungsbefugnis nicht (mehr) aus eigenem Recht ab, sondern sie bestehe kraft hoheitlicher Entscheidung des Insolvenzgerichts, ist zwar zweifelsfrei richtig, ändert aber nichts daran, dass er trotzdem eigenes Vermögen verwaltet, NK/Kindhäuser Rn 30 aE zu § 266 StGB, und die Pflicht zur Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen nicht die Struktur der sonstigen Fälle des Treubruchtatbestands aufweist.

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Juristische Personen sind zweifelsfrei Rechtsträger ihres eigenen Vermögens. Im 58 Fall der GmbH-Untreue werden daher nicht die Gesellschafter, sondern wird die GmbH selbst geschädigt.379 Der Nachteil tritt demgemäß auch dann in voller Höhe ein, wenn ein Gesellschafter bereichert ist.380 Im Anwendungsbereich des Prinzips der Einstimmigkeit381 kommt es nicht auf die Entscheidung des Willensbildungsorgans der juristischen Person an, sondern auf das Einverständnis jedes einzelnen (GmbH-)Gesellschafters. Soweit Gesellschaften ausländischer Rechtsform in Deutschland als solche Anerkennung finden,382 gelten keine prinzipiellen Besonderheiten. Die Pflichtenstellung als solche beurteilt sich jedoch nach dem für die Entstehung maßgeblichen fremden (Gesellschafts-) Recht.383 Die Zivilgerichte behandeln sog rechtsfähige Personengesellschaften bis hin zur 59 BGB-Gesellschaft tendenziell zunehmend als eigenständige Handlungs- und Rechtssubjekte, wenngleich sie im Verhältnis zu juristischen Personen nur teilrechtsfähig sind.384 Obwohl inzwischen selbst das StGB diesen missverständlichen Begriff aus § 14 Abs 2 BGB übernommen hat (zB ebenfalls in § 14), halten die Strafsenate des BGH bislang daran fest, dass Personenmehrheiten, die keine juristischen Personen sind, insbes also BGBund Personenhandelsgesellschaften, nicht selbst geschädigt sein könnten. Maßgeblich sei deshalb nur die Minderung des Vermögens der Gesellschafter,385 aber nicht der

_____ 379 W/J/Pelz Rn 9/249; G/J/W/Waßmer Rn 62 zu § 266 StGB. 380 Beispiel: BGH, 3.5.2006 – 2 StR 511/05, wistra 2006, 309 f. 381 Vgl dazu oben Rn 22. 382 Dazu oben § 5, Rn 7 ff und 15 ff. 383 BGH, 13.4.2010 – 5 StR 428/09, wistra 2010, 268 ff (dazu Bittmann wistra 2010, 303; Radtke NStZ 2011, 556 ff; Wegner GWR 2010, 267); Altmeppen FS Röhricht, S 3 ff; Bittmann ZGR 2009, 930 ff; Burg GmbHR 2004, 1379 ff; S/S/Perron Rn 21e zu § 266 StGB; Radtke GmbHR 2008, 729 ff; Rönnau ZGR 2005, 832 ff; Schlösser/Mosiek HRRS 2010, 424 ff; A/R/R/Seier Rn 5/2/341; G/J/W/Waßmer Rn 24 zu § 266 StGB (deutsches Recht als Sanktionshülle, ausgefüllt vom ausländischen Gesellschaftsrecht), auch Rn 60; Wilk/Stewen wistra 2011, 161 ff (mit zu Unrecht bejahter Ausnahme für Existenzgefährdung); aA Scholz/Tiedemann/ Rönnau Rn 78 vor §§ 82 ff GmbHG unter Hinweis auf die Nichtanwendbarkeit ausländischen Gesellschaftsrechts in Deutschland, dabei aber die allg Möglichkeit verkennend, die Rechtsbeziehungen in tatsächlicher Hinsicht so zu gestalten, dass sie die Voraussetzungen für die Annahme einer Vermögensbetreuungspflicht erfüllen; sa Ensenbach wistra 2011, 4 ff; sowie den verdienstvollen Hinweis von Jahn/Ziemann ZIS 2016, 552 ff, 557, Fn 42 auf BGH, 24.2.1978 – I ZR 79/76, Rn 18, NJW 1978, 1856 f, in Abgrenzung zu den dort zu findenden Erwägungen heben sie zutr hervor, dass das strafrechtliche Analogieverbot keine Anwendung auf das außerstrafrechtliche Primärrrecht findet. Allerdings unterliegt die einen strafrechtlichen Blankettatbestand ausfüllende Bezugsnorm ebenfalls dem Bestimmtheitsgebot, BVerfG, 21.9.2016 – 2 BvL 1/15, Rn 46 mwN; dazu Bülte BB 2016, 3075 ff, 3076. Haftungsvergleich Geschäftsführer/Director bei Fornauf/Jobst GmbHR 2013, 125 ff. 384 Krit dazu Beuthien JZ 2003, 715 ff; ders NJW 2005, 855 ff; ders NZG 2011, 481 ff; für das Mietrecht nunmehr einschr BGH, 14.12.2016 – VIII ZR 232/15, Rn 17 ff, ZIP 2017, 122 ff; abgrenzend zur BGB-Innengesellschaft Beuthien NZG 2011, 161 ff; Beispiel für eine solche: Tippgemeinschaft, dazu Fleischer/Hahn NZG 2017, 1 ff. 385 BGH, 9.8.2016 – 1 StR 121/16, Rn 20 und 25, wistra 2016, 486 ff (1. Durchgang: BGH, 23.2.2012 – 1 StR 586/11, Rn 10 und 19, NStZ 2013, 38 ff, dazu Soyka/Voß ZWH 2012, 348 ff); ebenso 10.7.2013 – 1 StR 532/ 12, Rn 42 f, wistra 2014, 18 ff (dagegen C Brand NJW 2013, 3594 f; Lindemann/Hehr NZWiSt 2014, 350 ff; K Schmidt JZ 2014, 878 ff); 13.1.2009 – 1 StR 399/08, wistra 2009, 273; Sympathie für einen Wechsel der Rspr erkennen lassend Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 23 vor §§ 82 ff GmbHG; ambivalent Wessing NZG 2014, 97 ff, 98 f); die bislang hM vehement verteidigend E Müller FS Beck, S 347 ff, 350 f und 353 f; sa Lesch FS Wessing S 223 ff, 225; S/S/W/Saliger Rn 69 und 109 zu § 266 StGB; M/G/Schramm Rn 33 zu § 266 StGB; G/J/W/Waßmer Rn 63 und 163 zu § 266 StGB. A/R/R/Seier Rn 5/2/69 und 360, warnt vor den Folgen einer Umstellung, weil er dadurch die Einwilligungsfähigkeit zu sehr eingeschränkt sieht, Rn 364 – im Hinblick auf den Wert des Anteils des Mitgesellschafters liegt aber gerade darin der Vorteil, während die Grenzen, die der Wirksamkeit des Einverständnisses bei der GmbH im Hinblick auf den Gläubigerschutz gezogen sind, keineswegs, schon gar nicht 1:1, auf Personengesellschaften übertragen werden müssen.

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handelnden oder zustimmenden. Zum Vermögen der Gesellschafter zähle allerdings auch der ideelle Anteil am Gesellschaftsvermögen. Fremd ist in dieser Sicht nur der Anteil anderer Gesellschafter.386 Werde dessen Wert geschmälert, so liege unter den übrigen tatbestandlichen Voraussetzungen Untreue vor. Damit wird eine doppelte Privilegierung beim Merkmal des Nachteils erreicht: Es kommt nur auf die kapitalmäßige Beteiligungsquote an, dies aber auch nur dann, wenn sich der Anteilswert selbst verringert hat. Erstmals am 9.8.2016 gab nunmehr jedoch der 1. Strafsenat ausdrücklich, wohl auf Vorarbeit seines Mitglieds Radtke,387 zu erkennen, dass er diese Rspr überprüft.388 Allerdings stellte der 3. Strafsenat des BGH bereits Ende 2014389 auf einen Nachteil im Vermögen einer Landtagsfraktion ab, ohne deren Rechtstellung zu thematisieren. Das einschlägige Landesgesetz bezeichnet eine Fraktion als rechtsfähige Vereinigung und Adressat eigener Rechte und Pflichten. Die Formulierungen decken sich (zumindest weitgehend) mit § 14 Abs 2 BGB und § 124 Abs 1 HGB. Die Rechtstellung einer Fraktion ähnelt demgemäß jedenfalls weit mehr der einer Personenhandelsgesellschaft als der einer juristischen Person. Wenn eine Fraktion Verletzte einer Untreue sein kann, dann spricht nichts dagegen, auch eine sog rechtsfähige Personengesellschaft strafrechtlich als Geschädigte anzusehen. Es liegt daher eine Angleichung an das Zivilrecht nahe. Zukünftig würde der Nachteil ebenfalls auf der Ebene der rechtsfähigen Personengesellschaften eintreten. Das erleichterte die Rechtsanwendung sehr. Eine Anhebung des Strafniveaus wäre damit jedoch nicht notwendig verbunden, da auf der Strafzumessungsebene bereits heute selbst bei der GmbH-Untreue wesentlich darauf abgestellt wird, ob und in welchem Maße unbeteiligte natürliche Personen wirtschaftlich geschädigt wurden.

2. Der Einzelhandelskaufmann 60 Der Einzelhandelskaufmann kann sich in der Krise nur in Ausnahmefällen wegen

Untreue strafbar machen, weil er nur auf eigene Rechnung handelt. Normale Kreditgeschäfte mit Banken oder Vorbehaltslieferanten begründen keine Vermögensbetreuungspflichten. Anders kann es aber in einem schmalen Raum enger wirtschaftlicher Zusammenarbeit mit Dritten liegen. Aber selbst dann wird eine Vermögensfürsorgepflicht nur unter besonderen Umständen bejaht werden können, zB bei Inkassobefunis auf Vertrauensbasis, fallabhängig wohl auch bei einer detaillierten Abrede über den Verwendungszweck eines eigennützig, aus Gewinnerzielungsabsicht gewährten Darlehens. In derartigen Fällen liegt allerdings meist bereits ein Eingehungsbetrug vor, so dass die Untreuehandlung keinen weiteren Nachteil anrichten kann.

_____ 386 Daher löst die hM diese Thematik über die Fremdheit des zu betreuenden Vermögens, BeckOK/Wittig Rn 1 zu § 266 StGB; Dannecker/Knierim/Hagemeier/Smok Rn 660 aE; Fischer Rn 113 zu § 266 StGB; Lackner/ Kühl/Heger Rn 3 zu § 266 StGB; MK/Dierlamm Rn 35 zu § 266 StGB; NK/Kindhäuser Rn 30 zu § 266 StGB; Folge: individuelles Einverständnis wirksam. 387 Radtke NStZ 2016, 639 ff. 388 BGH, 9.8.2016 – 1 StR 121/16, Rn 25, wistra 2016, 486 ff. 389 BGH, 11.12.2014 – 3 StR 265/14, insbes Rn 32, BGHSt 60, 94 ff (auf diese Verbindung machen C Brand/ Seeland ZWH 2015, 258 ff, 261 ff aufmerksam). Das OLG Koblenz, 14.6.1999 – 1 Ss 75–99, NJW 1999, 3277 f, verurteilte gar einen einzelnen Abgeordneten, weil er ein ihm zum Zwecke der parlamentarischen Öffentlichkeitsarbeit zugewiesenes Besucherkonto zur Finanzierung eines Theaterabends mit früheren Mitschülern missbraucht hatte. Als Geschädigte sah es allerdings das Land selbst an. Da der Abgeordnete das Geld aber nicht selbst verwaltete, sondern es bei der Landtagsverwaltung abrufen musste, wäre wohl § 263 StGB die einschlägige Strafnorm gewesen.

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3. Die Personengesellschaft In Personengesellschaften trifft den geschäftsführenden Gesellschafter (ebenso wie 61 einen Fremdgeschäftsführer) eine Vermögensbetreuungspflicht. Sie besteht allerdings nach bisher hM nicht gegenüber der Personengesellschaft390 als solcher, wohl aber gegenüber den einzelnen (Mit-)Gesellschaftern.391 Dazu gehören auch Kommanditisten bei der KG sowie stille Gesellschafter.392 Gleiches gilt bei Gewährung eines partiarischen Darlehens.

4. Die GmbH & Co KG Idealtypisch ist bei der GmbH & Co KG393 der Alleingesellschafter der GmbH auch deren 62 Geschäftsführer, während die GmbH als juristische Person, vertreten durch ihren Geschäftsführer, Komplementärin und damit geschäftsführende Gesellschafterin der KG ist. Untreuerechtlich ist deshalb zunächst zu prüfen, ob der Täter als GmbH-Geschäftsführer in Bezug auf das GmbH-Vermögen oder als Organ der GmbH mit Bezug auf das Vermögen der KG-Gesellschafter, zukünftig wohl das der KG selbst, handelte und in welchem Vermögen ein Nachteil eintrat. Untreue kann nur dann vorliegen, wenn der Täter als Geschäftsführer das Vermögen 63 der GmbH (direkt394 oder indirekt aufgrund der Haftung als Komplementärin der KG395) oder die GmbH, vertreten durch den Täter als ihr Organ, das Vermögen der Kommanditisten (oder wohl bald der KG) minderte, weil nur in diesen Verhältnissen Vermögensbetreuungspflichten bestehen,396 nicht aber unmittelbar zwischen GmbH-Geschäftsführer und der KG.397 Handelt die GmbH, vertreten durch den Täter, so ist sie mit dem Eintritt eines Untreuenachteils bei der KG bzw deren Gesellschaftern ebenso einverstanden wie der Täter als Kommanditist der KG. Untreue scheidet aber nur dann und soweit aus, wie das Einverständnis rechtlich wirksam ist. Das ist in dem Umfang nicht der Fall, wie die Zustimmung eines anderen Kommanditisten fehlt398 oder erklärte Einverständnisse aus Rechtsgründen bedeutungslos sind. Führt zB ein Geschäft oder Geldtransfer zur Zahlungsunfähigkeit der GmbH & Co KG und gefährdet oder vernichtet die dadurch eintretende Haftung der Komplementär-GmbH diese in ihrer Existenz, so ist das Einverständ-

_____ 390 AA für die kapitalistischen Personengesellschaften (zB GmbH & Co KG) Richter GmbHR 1984, 137, 146. 391 BGHSt 34, 221, 222 f; wistra 2003, 385, 387; A/R/R/Seier Rn 5/2/360 ff; M-G/Hadamitzky Rn 32/21a, 25a und 187a, b; S/S/Perron Rn 39a zu § 266 StGB; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 8 und 22 f vor §§ 82 ff GmbHG; Fischer Rn 93a zu § 266 StGB (die Zustimmung aller Gesellschafter verlangend); W/J/Pelz Rn 9/256. 392 Anders bei stiller Beteiligung an einer GmbH, Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 8 vor §§ 82 ff GmbHG; vom OLG Karlsruhe wistra 1992, 233, 234, auch für die Gründungsphase abgelehnt. 393 Beispiel: BGH wistra 2003, 385, 387 f; zu strafrechtlichen Risiken Maurer/Odörfer GmbHR 2008, 351 ff und 412 ff; A/R/R/Seier Rn 5/2/366 f; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 22 f vor §§ 82 ff GmbHG; Tsambikakis GmbHR 2005, 331 ff und 838 ff. 394 Das kann sogar bei einer Zahlung an die KG der Fall sein, OLG Celle, 20.6.2007 – 9 U 153/06, Rn 12, ZIP 2007, 2210 ff. 395 BGH, 9.12.2014 – II ZR 360/13, Rn 8, ZIP 2015, 322 ff; zur Differenzierung je nach bestehender oder fehlender Kapitalbeteiligung S/S/W/Saliger Rn 109 zu § 266 StGB; A/R/R/Seier Rn 5/2/366 f. 396 Zivilrechtlich haftet der GmbH-Geschäftsführer für eine Schädigung der KG unmittelbar analog § 43 Abs 2 GmbHG, KG, 24.2.2011 – 19 U 83/10, NZG 2011, 429 ff, bestätigt von BGH, 18.6.2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 ff, Rn 21 – Entscheidung gleichwohl aufgehoben aber, weil das KG nicht geprüft hatte, ob alle KGGesellschafter zugestimmt hatten. 397 Dazu oben Rn 6. 398 BGH, 18.6.2013 – II ZR 86/11, Rn 33, BGHZ 197, 304 ff.

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nis unwirksam399 und die GmbH Geschädigte einer Untreue.400 Mit derselben Handlung schädigt der Täter nicht nur als deren Geschäftsführer die GmbH, sondern zugleich auch, für die GmbH als Komplementärin handelnd, die KG(-Gesellschafter). Er haftet für den bei der GmbH eingetretenen Nachteil unmittelbar aus § 266 StGB und (vorbehaltlich wirksamem Einverständnisses) für den bei etwaigen personenverschiedenen Kommanditisten der KG, alsbald wohl der KG, angerichteten Schaden unter zusätzlicher Anwendung von § 14 Abs 1 Nr 1 StGB.401 In welcher Funktion der Beschuldigte handelte und welche Folgen er damit in welchem Vermögen anrichtete, ist exakt herauszuarbeiten, wiewohl dies bei Schachtelkonstruktionen durchweg sehr aufwendig ist. Bei Fragen nach der Wirksamkeit des Einverständnisses ist jeweils wiederum die Reichweite des Prinzips der Einstimmigkeit zu prüfen und zu berücksichtigen. Für juristische Personen gelten insoweit die allg Regeln.402 Sie werden auf Vorkommnisse innerhalb einer Personengesellschaft zu übertragen sein, soweit diese auch strafrechtlich als Vermögensträger und damit Verletzte einer Untreue Anerkennung finden. Solange die Rspr weiterhin die Gesellschafter als Geschädigte ansieht, kommt es nur auf das Einverständnis des jeweiligen Verletzten an, so dass im Umfang von dessen Zustimmung die Pflichtwidrigkeit und damit die Strafbarkeit wegen Untreue entfällt, während dies auf Gesellschaftsebene nur bei deren Akzeptanz und damit ggf bei Einstimmigkeit der Fall sein kann.

5. Kapitalgesellschaften a) Vertretungsberechtigte und Aufsichtsorgane 64 Bei Kapitalgesellschaften treffen Vorstandsmitglieder (zB einer AG403 oder Genossenschaft), Geschäftsführer der GmbH404 und Liquidatoren405 jeweils Vermögensbetreuungspflichten.406 Diese bestehen gegenüber der juristischen Person als solcher, nicht auch gegenüber deren Gesellschaftern,407 wie allerdings im Stadium der Vor-

_____ 399 BGH, 9.12.2014 – II ZR 360/13, Rn 13, ZIP 2015, 322 ff. 400 BGH wistra 2003, 385, 387 f; 9.12.2014 – II ZR 360/13, Rn 9 ff, ZIP 2015, 322 ff; M-G/Hadamitzky Rn 32/187b. Das gilt aber entgegen A/R/R/Seier Rn 5/2/367 nicht bereits bei jeder „willkürlichen Verschiebung des KG-Vermögens“, sondern nur dann, wenn – das allerdings dürfte in solchen Konstellationen die Regel sein, bedarf aber der Feststellung – sowohl der Ersatzanspruch gegenüber der KG als auch deren Anspruch gegenüber Gesellschaftern oder anderen Handelnden (zB dem Geschäftsführer der GmbH) nicht vollwertig ist oder gerade nicht erfüllt werden soll. Zum Zivilrecht Dubois/Schmiegel NZI 2013, 913 ff. 401 A/R/R/Seier Rn 21/73. 402 Vgl oben Rn 22. 403 BGH, 12.10.2016 – 5 StR 134/15, Rn 26, ZInsO 2017, 25 ff (HSH-Nordbank AG); Brammsen wistra 2009, 85 ff; M-G/Hadamitzky Rn 32/28; Seibt/Schwarz AG 2010, 301 ff; A/R/R/Seier Rn 5/2/235 ff. Zu den Pflichten des Vorstands bei Überschreitung der Kompetenzen seitens des Vorsitzenden des Aufsichtsrats Leyendecker-Langner NZG 2012, 721 ff. Forensisch bedarf die Feststellung der Pflichtenstellung ggf eines Sachverständigengutachtens, dazu Keul/Sawada ZWH 2013, 429 ff. Zur Haftung der Obergesellschaften bei Ordnungswidrigkeiten im Tochterunternehmen Pelz DB 2015, 2739 ff. 404 BGH, 26.11.2015 – 3 StR 17/15, Rn 109, BGHSt 61, 48 ff; LK/Schünemann Rn 245 f zu § 266 StGB; Lechner S 41 ff; umfangreiche Auflistung in Betracht kommender Untreuehandlungen bei Scholz/Tiedemann/ Rönnau Rn 16 vor §§ 82 ff GmbHG. 405 OLG Dresden NZG 2000, 259. 406 Aus der Sicht des Zivilrechts: Bachmann BB 2015, 771 ff; ders FS Beulke, S 1259 ff; Merkt ZGR 2016, 201 ff; zu weichenstellenden Einzelfälen aus der Rspr Gerst WiJ 2013, 178 ff. Die Verantwortlichkeit (auch des Aufsichtsrats) besteht bei der Eigenverwaltung fort, wobei zivilrechtlich das Verhältnis zum Kapitalerhaltungsgebot noch ungeklärt ist, dazu zB Bachmann ZIP 2015, 101 ff. 407 BGH, 25.4.2006 – 1 StR 519/05, Rn 8 ff, GmbHR 2006, 762; LK/Schünemann Rn 245 zu § 266 StGB; M-G/Hadamitzky Rn 32/25a; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 8 vor §§ 82 ff GmbHG.

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GmbH.408 In bestimmten Fällen trifft auch die Mitglieder des Aufsichtsrats (etwa einer AG) oder – je nach Ausgestaltung der Satzung – des (fakultativen) Beirats einer GmbH eine Vermögensbetreuungspflicht.409 Das gilt etwa für die Begleitung der Geschäftsleitung in der Krise410 bis hin zur Mithaftung für Zahlungen entgegen § 64 S 1 GmbHG,411 die Entscheidung über die Zustimmung zu riskanten Geschäften412 ebenso wie für die Durchsetzung von Haftungsansprüchen der Gesellschaft gegen Vorstand413 oder Geschäftsführung (bekannt aus Korruptionsfällen) und für das Unterbinden deren schädigendes Handelns, nicht aber für die (legale) Festlegung der eigenen Vergütung.414

b) GmbH-Gesellschafter Den GmbH-Gesellschafter trifft eine Vermögensbetreuungspflicht nur in ganz be- 65 grenztem Umfang, dafür dann aber in bedeutendem Maße.

_____ 408 Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 13 vor §§ 82 ff GmbHG. 409 BGH, 12.1.1956 – 3 StR 626/54, BGHSt 9, 203, 208 ff; BGH, 6.12.2001 – 1 StR 215/01, Rn 51 ff mN, BGHSt 47, 187 ff (Sponsoring); BGH, 21.12.2005 – 3 StR 470/04, Leitsatz und Rn 80, BGHSt 50, 331 ff (Vorstandsvergütung); auch BGH, 12.12.2013 – 3 StR 146/13, wistra 2014, 186 ff (dazu Bittmann NZWiSt 2014, 129 ff; Trück ZWH 2014, 361 ff, auch 15, 113); BGH, 26.11.2015 – 3 StR 17/15, Rn 51, 53 und 97, BGHSt 61, 48 ff; OLG Braunschweig, 14.6.2012 – Ws 44 und 45/12, wistra 2012, 391 ff; OLG Hamm NStZ 1986, 119 f; sa BGHZ 64, 238 ff; BGH, 11.12.2006 – II ZR 243/06, Rn 11 ff, ZIP 2007, 224 ff; 20.9.2010 – II ZR 78/09 – Doberlug, BGHZ 187, 60 ff (dazu krit Altmeppen ZIP 2010, 1973 ff; K Schmidt GmbHR 2010, 1319 ff; Schürnbrand NZG 2010, 1207 ff); Bayer/Lieder AG 2010, 885 ff; Brammsen ZIP 2009, 1504 ff; Fischer Rn 105 ff; M-G/Hadamitzky Rn 32/120 ff; Henze NJW 1998, 3309 ff; Krause NStZ 2011, 57 ff; Lesch/Hüttemann/Reschke NStZ 2015, 609, 612; Mosiek wistra 2003, 370, 374 f; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 13 f vor §§ 82 ff GmbHG; Schindler/Haußer WPg 2012, 233 ff; LK/Schünemann Rn 258 ff zu § 266 StGB; A/R/R/Seier Rn 2/5/138 und (ausführlich) Rn 243 ff; Thum/ Klofat ZGR 2010, 1087 ff; Vetter GmbHR 2012, 181 ff; G/J/W/Waßmer Rn 49 zu § 266 StGB, Stichwort Aufsichtsrat (sehr kompakt); Zwiehoff FS Eisenhardt, S 573 ff (einschränkend). Zu Compliance-Aufgaben OLG München, 5.3.2015 – 23 U 2384/14, ZIP 2015, 870 f (dazu Giorgis ZWH 2015, 376 ff); Werner ZWH 2014, 449 ff. Sa oben Rn 17. 410 OLG Stuttgart, 15.3.2006 – 20 U 25/05, BB 2006, 1019 ff; Hasselbach NZG 2012, 41 ff; Noack FS Goette, S 345 ff; Strohn NZG 2011, 1161 ff, 1163, 1167 f und 1169; Theisen/Probst DB 2016, 1 ff; Witte WPg 2016, 1246 ff. 411 OLG Hamburg, 6.3.2015 – 11 U 222/13, Rn 56 ff, ZInsO 2015, 1012 ff (insoweit von der Aufhebung seitens BGH, 14.6.2016 – II ZR 77/15, ZInsO 2016, 1934 ff, nicht berührt). 412 Grooterhorst NZG 2011, 921 ff; Beispiel: OLG Stuttgart 29.2.2012 – 20 U 3/11, ZIP 2012, 625 ff, dazu Selter NZG 2012, 660 (Revision nicht angenommen, BGH, 6.11.2012 – II ZR 111/12, ZIP 2012, 2438 f. 413 BGH, 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244 ff – ARAG/Garmenbeck (dazu zB Henze NJW 1998, 3309 ff; Kindler ZHR 162, 101 ff [1998]); auch 8.7.2014 – II ZR 174/13, BGHZ 202, 26 ff (dazu Mayer NZG 2014, 1208 ff); Bayer/Scholz, ZIP 2015, 149 ff; Bieder NZG 2015, 1178 ff; Helmrich/Eidam ZIP 2011, 257 ff; Koch AG 2012, 429 ff; Paefgen AG 2008, 761 ff; Reichert, FS Hommelhoff S 907 ff; ders ZIP 2016, 1189 ff. 18 Jahre Garmenbeck: Faßbender NZG 2015, 501 ff; 19 Jahre Garmenbeck: Habersack NZG 2016, 321 ff; zuvor hatte Koch NZG 2014, 934 ff, eine schleichende Einschränkung diagnostiziert, eine solche wohl differenziert befürwortend Goette ZHR 176, 588 ff (2012) bzw differenziert ablehnend Casper ZHR 176, 717 ff (2012); zur Stiftung: BGH, 20.11.2014 – III ZR 509/13, NZG 2015, 38 ff (dazu Burgard/Heimann NZG 2016, 166 ff); Gräwe/v Maltzahn BB 2013, 329 ff. Das Schließen von Vergleichen ist bis zur Grenze der Vertretbarkeit zulässig, G/J/W/ Waßmer 134a zu § 266 StGB (zum öffentlichen Dienst), zumal da die Werthaltigkeit von (Ersatz-)Forderungen in Millionenhöhe vielfach zweifelhaft sein dürfte. 414 BGH, 21.12.2005 – 3 StR 470/04, Rn 80, BGHSt 50, 331 ff; aber nur beim Agieren auf legalem Boden BGH, 12.12.2013 – 3 StR 146/13, Rn 32, wistra 2014, 186 ff (dazu Bittmann NZWiSt 2014, 129 ff, 129 f; Trück ZWH 2014, 361 ff; auch 2015, 113); OLG Braunschweig, Ws 44 und 45/12, wistra 2012, 391 ff (dazu Adick ZWH 2012, 496 f; Rübenstahl NZWiSt 2013, 267 ff); Fischer Rn 107 zu § 266 StGB. Zum Zivilrecht BGH, 28.4.2015 – II ZR 63/14, ZIP 2015, 1220 ff; zu strafrechtlich problematischen Aspekten Hiéramente NZWiSt 2014, 291 ff.

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Soweit er sich im Wesentlichen auf das Erteilen von Anweisungen im Rahmen des § 37 Abs 1 GmbHG sowie auf Zustimmungsentscheidungen beschränkt und am Tagesgeschäft bestenfalls mitwirkt, es aber nicht betreibt, kann er sich lediglich wegen Beihilfe oder Anstiftung zur Untreue seitens des Geschäftsführers strafbar machen, weil er insoweit keiner eigenen Vermögensbetreuungspflicht unterliegt.415 Veranlasst ein Mitgesellschafter den Geschäftsführer, ihm aus dem Gesellschafts67 vermögen nicht gebührende Vorteile zu gewähren, so hat er den Geschäftsführer zur Untreue angestiftet.416 Beihilfe leistet ein Mehrheitsgesellschafter, der außerhalb einer Krise der GmbH damit einverstanden ist, Waren ohne verlängerten Eigentumsvorbehalt auf Kredit zu liefern und beide von der Krise des Empfängers wissen, aufgrund derer Bezahlung nicht zu erwarten ist. Die Strafbarkeit entfällt dagegen, wenn auch das Einverständnis der anderen Gesellschafter vorliegt. Fehlt dieses, weiß jedoch nur der Mehrheitsgesellschafter, nicht aber auch der Geschäftsführer von der existenzbedrohenden Krise des Empfängers, dann handeln beide, Mehrheitsgesellschafter und Geschäftsführer, straflos, wenn die Leistung ohne die Krise des Kunden einem ordnungsgemäßen Geschäftsgang entsprochen hätte (zB innerhalb einer langjährig störungsfrei funktionierenden Geschäftsbeziehung oder an ein verbundenes Unternehmen): Der Geschäftsführer handelt ohne Vorsatz, so dass eine Beteiligung des Gesellschafters aus Rechtsgründen nicht strafbar ist (vgl §§ 26, 27 StGB).417 Der Gesellschafter agiert zwar wie ein mittelbarer Täter. Das führt aber nicht zu seiner Bestrafung, weil er mangels eigener Vermögensbetreuungspflicht kein tauglicher Täter ist. Ein Gesellschafter, allerdings nicht als solcher, kann jedoch ausnahmweise selbst 68 Täter einer Untreue sein – als faktischer Geschäftsführer418 oder wenn er sich über das von einem Gesellschafter üblicherweise ausgeübte Maß hinaus aktiv und bestimmend am Tagesgeschehen als sog „aktiver (Mehrheits-)Gesellschafter“ beteiligt.419 Aus rechtssystematischen Gründen wird man dafür jedoch nur der Geschäftsführertätigkeit entspr Aktivitäten von erheblicher Bedeutung genügen lassen können. Sie müssen deshalb entweder von einiger Dauer oder von erheblichem strategischen oder wirtschaftlichem Gewicht sein. Abstriche wird man nur insoweit machen können, als die Übernahme der gesamten Geschäftsführertätigkeit nicht erforderlich ist. Das gilt aber auch bei förmlich bestellter mehrköpfiger Geschäftsführung. Der Anwendungsbereich dieser Rechtsfigur ist demnach neben dem faktischen Geschäftsführer äußerst gering. Daher ist es nicht verwunderlich, dass der BGH auf sie im Anschluss an den Fall, in welchem er sie kreierte, nicht mehr zurückgriff. 66

_____ 415 AA Gribbohm ZGR 1990, 1, 21. 416 Vgl OLG Naumburg NZG 1999, 353 ff; A/R/R/Seier Rn 5/2/334 vermisst eine entspr Rechtspraxis. Ein gewisser Ausgleich liegt in der Annahme einer sogar zur Täterschaft führenden (begrenzten) eigenen Vermögensbetreuungspflicht des Gesellschafters, dazu unten Rn 94 ff, die A/R/R/Seier Rn 5/2/338 ff aber wiederum verneint. 417 So für einen Aushöhlungsfall durch den undolosen, vom faktischen Geschäftsführer der Alleingesellschafterin angewiesenen Geschäftsführer BGH StV 2000, 486 f. 418 Vgl allg oben § 6 Rn 96 ff und Rn 37. 419 BGH wistra 1996, 344 ff; LK/Schünemann Rn 247 zu § 266 StGB (die Grundsätze der faktischen Geschäftsführung anlegend); sa Wodicka S 315 ff.

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6. Sonstige Vermögensbetreuungspflichtige Untreue zum Nachteil des Anstellungsunternehmens können wie zB Innenreviso- 69 ren420 und Chief-Compliance-Officers421 andere Mitarbeiter sein, gehören sie zur Unternehmensleitung oder nicht. Maßgeblich ist jeweils die ihnen eingeräumte Pflichtenstellung. Hat sie selbständige Bedeutung, so können nicht nur Filialleiter, sondern selbst Erfüllungsgehilfen, zB einfache Arbeiter, treupflichtig sein.422 Die Vermögensbetreuungspflicht besteht in solchen Fällen nicht etwa gegenüber dem Delegierenden persönlich, sondern unmittelbar gegenüber dem (auch vom Delegierenden) zu betreuenden Vermögen, ohne dass es der Anwendung des § 14 Abs 2 StGB bedürfte. Hat jemand eine gegenüber einem Außenstehenden übernommene Vermögensbetreuungspflicht auf eine natürliche Person delegiert oder ist diese als Repräsentant gemäß § 14 Abs 1 StGB zur Erfüllung verpflichtet, so ist diese gegenüber dem originär Vermögensbetreuungspflichtigen vermögensbetreuungspflichtig, dem Außenstehenden gegenüber evtl aufgrund eines tatsächlichen Treueverhältnisses.423

IV. GmbH-Untreue 1. Personen(-kombinationen) a) Der Alleingeschäftsführer Ihr Geschäftsführer ist der GmbH (nicht den Gesellschaftern424) gegenüber vermö- 70 gensbetreuungspflichtig,425 selbst im Fall der Ein-Personen GmbH: Diese ist ebenso wie jede andere GmbH selbständig Trägerin von Rechten und Pflichten und ihr eigenes Vermögen auch für den Allein-Gesellschafter-Geschäftsführer fremd.426 Aufgrund der Personengleichheit handelt der Geschäftsführer allerdings immer mit Einverständnis des Gesellschafters. Nur soweit es unwirksam ist, kann folglich der Geschäftsführer Untreue begehen. Insoweit gelten die allg Regeln.427 Unwirksam ist das als Gesellschafter erklärte Einverständnis in eigene, als Geschäftsführer vorzunehmende existenzgefährdende Eingriffe.428 Den genauen Inhalt der auf Rechtsgeschäft gründenden Vermögensbetreuungspflicht bestimmen und konkretisieren sowohl das GmbHG (§§ 6 und 35) als auch der Gesellschaftsvertrag. Daneben existiert regelmäßig noch der Geschäftsführeranstellungsvertrag, der das Dienstverhältnis charakterisiert, durchaus aber auch Vermögensbetreuungspflichten festlegen kann. Zu beachten sind auch von den Gesellschaftern

_____ 420 Zumindest der Leiter der Innenrevision unterliegt einer Vermögensbetreuungspflicht, BGH, 17.7.2009 – 5 StR 394/08, Rn 22, BGHSt 54, 44 ff. 421 Angedeutet von BGH, 17.7.2009 – 5 StR 394/08, Rn 27, BGHSt 54, 44 ff. 422 LK/Schünemann Rn 66 ff zu § 266 StGB; S/S/Perron Rn 13 zu § 266 StGB; zum Filialleiter s BGH wistra 2004, 105, 107. 423 Dazu oben Rn 6. 424 OLG Hamm ZIP 2002, 1486, 1487; LK/Schünemann Rn 245 zu § 266 StGB; M-G/Hadamitzky Rn 32/25a. S aber unten Rn 86. 425 Lechner S 41 ff; Müller-Christmann/Schnauder JuS 1998, 1080, 1081f; ausführlich S/S/W/Saliger Rn 105 ff zu § 266 StGB, LK/Schünemann Rn 245 f zu § 266 StGB und A/R/R/Seier Rn 5/2/323 ff. Gleiches gilt für den Vorstand von AG und Genossenschaft. 426 BGH, 22.3.2006 – 5 StR 475/05, Rn 5, wistra 2006, 265 f; LK/Schünemann Rn 244 zu § 266 StGB; M-G/ Hadamitzky Rn 32/88; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 10 vor §§ 82 GmbHG; Fischer Rn 13 zu § 266 StGB; die Behandlung des Einverständnisses seitens der Rspr erachtet A/R/R/Seier Rn 5/2/337 als „schizophren“. 427 Vgl dazu oben Rn 22 f und unten Rn 105. 428 BGH, 26.10.2009 – II ZR 222/08, Rn 10 ff, NJW 2010, 64 f; M-G/Hadamitzky Rn 32/88.

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rechtmäßig festgelegte allg Grundsätze des Geschäftsgebarens und konkrete Weisungen.429 Der zivilrechtsaffine Maßstab findet sich in § 43 GmbHG. Die Vertretungsbefugnis des Geschäftsführers ist nach außen hin nicht beschränkungsfähig, § 37 Abs 2 GmbHG. Nicht jede vom Geschäftsführer begangene Pflichtverletzung ist gemäß § 266 StGB 71 strafbar. Untreue ist ein Vermögens- und kein Ungehorsamsdelikt. Darf zB der Geschäftsführer ohne Zustimmung der Gesellschafterversammlung lediglich Geschäfte mit einem Volumen bis zu 10.000 € allein tätigen, dann handelt er zwar rechtswidrig, wenn nur er einen Vertrag über 50.000 € schließt. Verspricht der Vertrag allerdings zur Wahrung oder gar Mehrung des Gesellschaftsvermögens beizutragen, so mangelt es an einem Nachteil – und zwar selbst dann, wenn aus einem nicht vorhersehbaren Grund doch eine Vermögensminderung eintritt. Auch die Überschreitung der Innenbindung einer Kontovollmacht bewirkt bei Tilgung einer Verbindlichkeit keinen Nachteil.430 Ein solcher kann allerdings selbst bei einem für sich gesehen ausgewogenen Vertrag entstehen, wenn die Gegenleistung für die GmbH nutzlos ist und auch nicht wieder mindestens zum Einstandspreis veräußert werden kann (zB übergroßer Posten Modeware). Dem GmbH-Geschäftsführer obliegt kraft seiner Funktion auch die Pflicht, für die 72 Gesellschaft günstige Geschäfte abzuschließen und ihr keine Gewinnchancen zu verstellen.431 Vermag er zB bestimmte Waren zu einem bestimmten Preis zu bekommen, dann darf er sie nicht von einem anderen Lieferanten teurer beziehen, nur um diesem einen Gefallen zu tun. Va darf er das lukrative Geschäft nicht auf eigene Rechnung durchführen und den Gewinn privat einstreichen.432 Das schließt allerdings private Geschäfte im Tätigkeitgebiet der Gesellschaft nicht völlig aus.433 Die Möglichkeit, öffentliche Fördermittel zu erhalten, hat er zu nutzen.434 An der gesetzlich bestimmten Pflichtenstellung ändert es nichts, wenn der bestellte 73 Geschäftsführer lediglich Strohmann435 ist.436 Treupflichtig ist auch der lediglich faktische Geschäftsführer.437

b) Mehrköpfige Organe und Arbeitsteilung 74 Bei mehrköpfigen Organen trifft grundsätzlich jedes Mitglied die volle Geschäftsfüh-

rerpflicht: Grundsatz der Allzuständigkeit.438 Er gilt uneingeschänkt allerdings nur für Umstände, welche die Gesellschaft als Ganzes betreffen (zB Wahrnehmung der Buchführungs- und Bilanzierungspflichten, als solche, nicht en detail; Insolvenzantrags-

_____ 429 LK/Schünemann Rn 248 zu § 266 StGB. 430 BGH wistra 2004, 25 f. 431 BGH, 4.12.2012 – II ZR 159/10, Rn 19 ff, ZIP 2013, 361 ff (dazu Fleischer ZGR 2013, 361 ff; Schuhr ZWH 2013, 286 f); OLG Koblenz NZG 2010, 1182 ff (als Vorinstanz). 432 Beispiel: KG NZG 2001, 129: Übertragung günstiger Mietverhältnisse auf eine andere Gesellschaft, in welcher der Geschäftsführer Prokurist war. 433 Zum Wettbewerbsverbot oben § 6 Rn 34. 434 OLG Hamm NJW-RR 1999, 1715 f. 435 Vgl dazu allg oben § 6 Rn 158 ff und Rn 37. 436 BGH ZIP 2004, 263, 265; LK/Schünemann Rn 246 zu § 266 StGB; G/J/W/Waßmer Rn 22a zu § 266 StGB; aA Sahan, FS I Roxin S 295 ff, 300 ff; A/R/R/Seier Rn 2/5/317; S/S/Lenckner/Perron Rn 33 zu § 266 StGB (anders aber bei tatsächlicher Betätigung als Geschäftsführer). 437 LK/Schünemann Rn 65 und 246 zu § 266 StGB; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 8 vor §§ 82 ff GmbHG; vgl dazu allg oben § 6 Rn 96 ff. 438 Vgl dazu oben § 6 Rn 42 ff, ferner § 11 Rn 56, dort auch zum Vertrauensgrundsatz; sa Fischer Rn 73d zu § 266 StGB; Ransiek ZGR 1999, 613 ff; S/S/W/Saliger Rn 53 zu § 266 StGB; G/J/W/Waßmer Rn 23 zu § 266 StGB.

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pflicht; aber auch bestimmte „wesentliche“, zB Produkthaftung auslösende Geschäfte439) und hindert weder eine (horizontale) Arbeitsteilung noch beschränkte Ressortzuständigkeiten. Im Tagesgeschäft darf sich das Mitglied darauf beschränken, „seinen“ Zuständigkeitsbereich ordnungsgemäß zu führen. Trotz dieses Vertrauensgrundsatzes treffen ihn aber gewisse ressortübergreifende Kontrollpflichten. Er muss sich deshalb auch ohne konkreten Anlass in einer allerdings von den jeweiligen Umständen abhängigen Weise vergewissern, dass vom zuständigen Ressort die die Gesellschaft als Ganzes treffenden Pflichten440 ordnungsgemäß erfüllt werden. Erfährt er dabei oder aber auf andere Weise von Unregelmäßigkeiten, so darf er sich keineswegs auf seine eigene abweichende Ressortzuständigkeit beschränken, sondern muss alles, was ihm eben möglich ist, daransetzen, entweder selbst die dem Organ als Ganzem obliegenden Pflichten zu erfüllen oder sie durch andere erfüllen zu lassen.441 Untreue begeht deshalb auch der Personalvorstand, der gegen ihm bekanntgewordene Produkthaftungsrisiken im Zuständigkeitsbereich des für die Technik zuständigen Vorstandsmitglieds nicht einschreitet (und umgekehrt). In solchen Fällen ist allerdings sehr genau zu prüfen, welche Zuständigkeiten be- 75 standen, wie sie gehandhabt und ob die verbliebenen Prüfungs- und Kontrollpflichten wahrgenommen wurden. In aller Regel bedarf es dazu neben Vernehmungen auch der Sicherstellung der Protokolle der Sitzungen des Gesellschaftsorgans. Sie können Aufschluss über den Wissensstand der Organmitglieder geben und dienen daher wesentlich auch der Klärung des subjektiven Tatbestands. Worin der Vorsatz bestand und ob er sich wirklich auf sämtliche Tatbestandsmerkmale bezog, ist für jeden einzelnen Beschuldigten zu klären. Ein Mitglied des Vorstands oder der Geschäftsführung kann im Fall vertikaler Ar- 76 beitsteilung auch dann als Täter und nicht zwingend nur als Anstifter oder Helfer belangt werden, wenn ein Nachgeordneter (zB ein Prokurist442) ebenfalls deliktisch handelt (Täter hinter dem Täter). Hatte er die „Fäden in der Hand“, gestaltete die Tatsituation, wenn vielleicht auch nur geistig oder iS des Schaffens einer günstigen Gelegenheit wesentlich mit, dann ist auch er iS der Geschäftsherrenhaftung443 (Untreue-)Täter. Es finden insoweit dieselben Grundsätze Anwendung, die der BGH in der Politbüroentscheidung444 für politische Leitungsgremien entwickelt hat.

_____ 439 Vgl grundlegend BGH, 6.7.1990 – 2 StR 549/89, BGHSt 37, 106 ff. 440 S/S/W/Saliger Rn 53 f zu § 266 StGB; M-G/Schmid/Fridrich Rn 30/90. Bei sonstigen Vorgängen, dh bei solchen, die nicht das Unternehmen als Ganzes betreffen, muss ohne besonderen Anlass keine ressortübergreifende (Kontroll-)Aktivität entfaltet werden, wohl aber bei zutage tretenden Unzulänglichkeiten, M-G/Schmid/Fridrich Rn 30/91; einschr auf Offensichtlichkeit, S/S/W/Saliger Rn 55 zu § 266 StGB. 441 G/J/W/Waßmer Rn 23 zu § 266 StGB; sa MK/Dierlamm Rn 288 ff zu § 266 StGB, der allerdings, jedoch zu Unrecht, die Pflichtenstellung in Kollegialorganen im wesentlichen auf die Pflicht zum Gegenstimmen reduzieren will, Rn 297. Die Ablehnung aus Verantwortungsscheu bei inhaltlicher Befürwortung verletzt die gesellschaftsrechtliche Treupflicht entgegen OLG München, 14.8.2014 – 23 U 4744/13, NZG 2015, 66 (dazu Hennrichs NZG 2015, 41 ff) nur bei Gefahr für die Erhaltung wesentlicher Werte, BGH, 12.4.2016 – II ZR 275/14, Rn 10, NZG 2016, 781 ff. 442 BGH NJW 2001, 3123 ff. 443 Dazu ausführlich Bülte, Vorgesetztenverantwortlichkeit im Strafrecht. G/J/W/Waßmer Rn 143c zu § 266 StGB betrachtet Compliance als ihren Ausdruck (sie ist sicherlich eine ihrer Quellen, markiert aber nicht ihren alleinigen Ursprung). 444 BGH NJW 1994, 2703, 2705 ff; zust Bottke FS Gössel S 235 ff; abl Donna FS Gössel S 261 ff; Überblick bei Timpe StraFo 2016, 237 ff; sa Zaczyk GA 2006, 411 ff. Bei A/R/R/Seier Rn 5/2/82 f findet sich der stringente Hinweis, selbst ein Mitglied, welches in einer Abstimmung gegen die schädigende Maßnahme gestimmt

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c) Rollenmehrheit: Der Gesellschafter-Geschäftsführer 77 Treffen die Rollen von Gesellschafter und Geschäftsführer in einer Person zusammen,

so ist für die rechtliche Bewertung immer nur und ausschließlich auf die Pflichten abzustellen, welche in Ausübung der wahrgenommenen Rolle zu erfüllen sind: Handelte der Betreffende als Gesellschafter, dann hatte er (lediglich) die Gesellschafterpflichten zu erfüllen, auch wenn er daneben auch noch Geschäftsführer war, es sei denn, die Gesellschafterpflicht knüpft wie zB § 43a GmbHG, dem Verbot der Gewährung eines Darlehens aus dem Stammkapital, nicht an ein Handeln, sondern an die Stellung.445 Zu klären ist daher zunächst, in welcher Funktion der Beschuldigte handelte.446 78 Das herauszufinden kann in tatsächlicher wie in rechtlicher Hinsicht durchaus schwierig sein. Angesichts der Personengleichheit ist die wahrgenommene Rolle von außen nicht immer erkennbar und eine Auskunft des Beschuldigten nicht ohne weiteres verlässlich. Meist wird auf objektive Umstände und damit auf die jeweils wahrgenommene Aufgabe abzustellen sein, die wiederum relativ sicher einem der beiden Funktionskreise zugeordnet werden kann. Rechtlich kann offen sein, ob und wenn ja, in welchem Ausmaß zB ein Gesellschafter seinen privaten Vermögensinteressen auch dann nachgehen darf, wenn sie im Widerspruch zu den von ihm als Geschäftsführer wahrzunehmenden wirtschaftlichen Interessen der Gesellschaft stehen. Insoweit wird es va auf die Satzung und die vertraglichen Abreden ankommen. Sie können ein Wettbewerbsverbot enthalten, müssen es aber nicht. Im Falle kollidierender Interessen wird man aber angesichts der umfassenden Vermögensbetreuungspflicht zumindest verlangen müssen, dass der Betroffene mit „offenen Karten spielte“, das Einverständnis der Gesellschafterversammlung beantragte, sich ihrer Entscheidung unterwarf und nicht heimlich seine eigenen Interessen über die der Gesellschaft stellte. Nur wenn ihm das Einverständnis wirksam erteilt wurde, kann es ihn vor Strafe bewahren.

d) Zeitliche Grenzen 79 Die Vermögensbetreuungspflicht gegenüber der GmbH setzt nicht erst mit der Eintra-

gung ein. Sie besteht bereits während des Bestehens der Vor-GmbH, also mit Abschluss des Gesellschaftsvertrages.447 Sie bezieht sich zum einen wie bei Personengesellschaften auf das Vermögen der Mitgesellschafter, in Fällen, in denen sich der Verstoß erst nach Errichtung der GmbH, also ihrer Eintragung, nachteilig auf ihr Vermögen auswirkt, aber auch bereits auf das (zukünftige) Vermögen der juristischen Person. Eine Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht in der Vor-GmbH kann deshalb als Untreue zum Nachteil der GmbH nur dann bestraft werden, wenn die juristische Person tatsächlich entstanden ist und soweit der Nachteil sie traf. Während der Zeit des Bestehens der Vor-GmbH, aber auch schon in der Vorgründungsphase begangene Treupflichtwidrigkeiten zu Lasten der (Mit-)Gesellschafter setzen hingegen weder die Gründung noch die wirksame Entstehung der GmbH voraus. 80 Die Vermögensbetreuungspflicht endet frühestens mit der Vollbeendigung der juristischen Person, also nicht bereits mit der Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzver-

_____ habe, sei (Unterlassungs-)Täter, wenn er nicht seine weiteren Abwendungsmöglichkeiten (Information Aufsichtsrat, Gesellschafter etc) genutzt habe (vielleicht auch Klage). 445 BGH ZIP 2004, 263, 264; zur GmbH & Co KG BGH, 18.6.2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 ff. 446 Instruktiv BGH, 26.9.2012 – 2 StR 553/11, ZWH 2013, 66 ff (dazu Bittmann ZWH 2013, 55 ff, 57 f). 447 Im Einzelfall mag sie sogar schon in der Vorgründungsphase vorhanden sein.

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walters,448 der Eröffnung des Insolvenzverfahrens449 oder der Abweisung eines Insolvenzantrages mangels Masse.450 Sie besteht auch im von Gesetzes wegen nachfolgenden Liquidationsverfahren.451 Allerdings wandelt sich ihr Inhalt mit der Einschränkung von Befugnissen und Aufgaben. Es gibt aber keinen Grund, deswegen den Fortbestand der Vermögensbetreuungspflicht in toto zu verneinen. Das allg Schädigungsverbot zeitigt Nachwirkungen, die sich zB dahingehend auswirken, dass eigennützige Transfers in das Privatvermögen (auch der Gesellschafter) zu Lasten der Gläubiger in all den genannten Stadien als Untreue strafbar sind, im ersten Jahr nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens sogar die Beendigung unentgeltlicher Gebrauchsüberlassung.452 Bei der Eigenverwaltung besteht die Vermögensbetreuungspflicht der Organe fort, soweit die Handlungsfähigkeit nicht durch insolvenzrechtliche Regelungen (zB Sachwalter, Aufsicht des Insolvenzgerichts) beschränkt ist. Die Einzelheiten sind diesbezüglich zivilrechtlich noch offen und strafrechtlich nicht einmal ansatzweise geklärt.

2. Pflichtverstöße a) Abgrenzung zu nicht treuwidrigem Handeln Das Vorhandensein einer Vermögensbetreuungspflicht bedeutet nicht, dass die Verlet- 81 zung einer jeden den Geschäftsführer treffenden Verpflichtung als Untreue strafbar wäre.453 Wie allg so ist auch für jede Einzelpflicht des Geschäftsführers konkret zu prüfen und zu entscheiden ist, ob gerade für sie die Voraussetzungen einer Vermögensbetreuungspflicht iS des § 266 Abs 1 StGB erfüllt sind oder nicht.454 Fallbezogen kommt es darauf an, ob eine solche Pflicht vom Täter, typisch: vom Geschäftsführer, verletzt wurde. Das ist dann zu bejahen, wenn zwischen Tatgeschehen und Vermögensbetreuungspflicht ein innerer = funktionaler Zusammenhang besteht.455 Die Pflichtenstellung und damit der Inhalt der strafbewehrten Vermögensbetreuungspflicht wandelt sich mit der wirtschaftlichen Lage. Mit der Krise steigern sich die Beobachtungs- und Existenzsicherungspflichten. Der Geschäftsführer der werbenden GmbH hat ganz andere Aufgaben

_____ 448 AA Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 7 vor §§ 82 ff GmbHG für den Fall der Berufung eines starken vorläufigen Insolvenzverwalters. 449 Laroche ZInsO 2015, 1469 ff, 1476; aA Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 8 vor §§ 82 ff GmbHG; G/J/W/ Waßmer Rn 44 zu § 266 StGB. Zivilrechtlich bleiben die gesellschaftsinternen Aufgaben unberührt: „insolvenzneutraler Schuldnerbereich“, OLG Düsseldorf, 11.4.2013 – I-3 Wx 36/13, NZI 2013, 504 ff. 450 BGH, 14.8.2013 – 4 StR 255/13, Rn 12 f, ZWH 2014, 69 f (zust Bittmann ZWH 2014, 70 ff; abl Kraatz JR 2014, 241 ff); Bittmann/Rudolph wistra 2000, 401 ff; Bittmann ZWH 2013, 25, 26; Böttger Rn 3/34; Henssler ZInsO 1999, 121, 122 ff; M/G/Schramm Rn 100 zu § 266 StGB; Uhlenbruck GmbHR 1995, 195, insbes 205; aA AnwK/Esser Rn 282 zu § 266 StGB. LK/Schünemann Rn 39 und 62 zu § 266 StGB erkennt eine Nachwirkung an, dabei jedoch die Reichweite offenlassend, sie jedenfalls nicht auf die Zeit nach Insolvenzeröffnung erstreckend, Rn 103 und 245; ebenso S/S/Perron Rn 23a und 34 zu § 266 StGB; G/J/W/Waßmer Rn 46 zu § 266 StGB; sa BeckOK/Wittig Rn 12.2 zu § 266 StGB; NK/Kindhäuser Rn 89 zu § 266 StGB; S/S/W/Saliger Rn 25 ff zu § 266 StGB. 451 BGH, 30.9.2009 – 2 StR 300/09, Rn 15, wistra 2010, 70 ff; OLG Dresden NZG 2000, 259 ff; Dannecker/ Knierim/Hagemeier/Smok Rn 494 und 498 (allg zu den Insolvenzdelikten: maßgeblich ist der Bestand der Gesellschaft). Die Haftung für existenzvernichtenden Eingriff im (normalen) Liquidationsverfahren ist zivilrechtlich anerkannt, BGH, 9.2.2009 – II ZR 292/07, Rn 39 f, BGHZ 179, 344 ff (vom Senat selbst ohne Insolvenzlage an das mittelbare Interesse der Gläubiger gebunden); 23.4.2012 – II ZR 252/10, Rn 13 und 17, BGHZ 193, 96 ff 452 Unten Rn 129. 453 Vgl dazu allg bereits oben Rn 14. 454 Gribbohm DStR 1991, 248, 249. Vgl dazu allg oben Rn 9 ff. 455 S/S/Perron Rn 23a zu § 266 StGB; Fischer Rn 60 zu § 266 StGB.

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als zB nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu erfüllen.456 Auch der Liquidator, sei es nach Abweisung eines Insolvenzantrags mangels Masse, sei es nach einem unabhängig von einer Insolvenzlage getroffenen Liquidationsbeschluss, ist ebenso wie im Insolvenzverfahren der Treuhänder und der (ggf vorläufige457) Sachwalter,458 tauglicher Untreuetäter, nicht aber der Eigenverwalter im Insolvenzverfahren459. Auch innerhalb einer bestehenden Vermögensbetreuungspflicht ist nicht jede das 82 GmbH-Vermögen bewusst mindernde Handlung des Geschäftsführers pflichtwidrig.460 Das gilt zumal für die Gewinnausschüttung – den Hauptantrieb allen Wirtschaftens. Um Gewinne machen zu können, sind zuvor sachgerechte Investitionen = Aufwendungen nötig. Für die Verteilung von Überschüssen gibt es Regeln. Diese werden allerdings nicht immer eingehalten – und es werden nicht immer nur Gewinne verteilt, sondern manchmal auch Substanz. Die sub specie § 266 StGB geltenden Maßstäbe für die Zulässigkeit von Entnahmen unterscheiden sich außerhalb und innerhalb einer Krise. Während ruhiger Zeit sind sie ebenso wie die Einwilligung dazu weit(er)gehend zulässig, während in der Krise das Gebot der Existenzsicherung beidem engere Grenzen setzt. Ein förmlich beschlossener Gewinnausschüttungsanspruch der Gesellschafter darf (regelmäßig461) erfüllt werden. Verdeckte Entnahmen, meist verkürzend als verdeckte Gewinnausschüttungen (= vGA) bezeichnet (und der Üblichkeit des Begriffs wegen auch hier so genannt), können hingegen als Untreue und/oder Steuerhinterziehung, ggf verbunden mit Buchführungs- oder Bilanzierungsdelikten, §§ 283b Abs 1 StGB oder 331 HGB,462 strafbar, jedoch durchaus auch völlig legal sein. Persönliche Vorteile, die der Gesellschafter causa societas erhält, unterliegen neben der Einkommensteuer (beim Gesellschafter) auch der Körperschaftssteuer (auf der Ebene der Gesellschaft). VGA liegen zB vor, wenn an einen Gesellschafter ausgezahltes Geld nicht verbucht 83 oder dieser Mittelabfluss in der Buchhaltung verschleiert wird; er dadurch Vorteile erhält, dass die Gesellschaft für seine Leistungen zu hohe Vergütungen erbringt (zB Extravergütung für Leistungen, die er aufgrund Anstellungsvertrag zu erbringen hat, die also mit der monatlichen Vergütung bereits abgegolten sind, höhere Bezugspreise als Fremdfirmen gezahlt werden); oder er für Leistungen der Gesellschaft an ihn zu geringes Entgelt entrichtet (zB GmbH baut ohne Vergütung Haus des Gesellschafters, begleicht privaten Erwerb aus Gesellschaftsmitteln, finanziert privates Personal des Gesellschafters,463 tilgt private Schulden des Gesellschafters464 und/oder bucht und bilanziert Forderungen

_____ 456 Dazu oben Rn 80. 457 Zu dessen Stellung s Kampshoff/Schäfer NZI 2016, 941 ff. 458 M-G/Richter Rn 77/12 und 15. Zwar verwaltet der Schuldner sein Vermögen weiterhin selbst. Das hindert jedoch ebensowenig wie bei Einschaltung eines Rechtsanwalts oder eines Vermögensverwalters außerhalb des Insolvenzverfahrens die Annahme einer originären Treupflicht des Mandatsträgers. In Betracht kommt das Begründen von unnötigen Masseverbindlichkeiten, aber auch ungenügende Kontrolle bei Zustimmung zu Transaktionen des Schuldners, sachwidrige Ausübung des Widerspruchsrechts, unzureichende Überprüfung der wirtschaftlichen Lage und Verletzung der Pflicht zur Anzeige bei Gefahr der Gläubigerbenachteiligung, wohl ebenso bei versäumtem Veranlassen der Anzeige des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit. 459 AA LK/Schünemann Rn 47 zu § 266 StGB. 460 Dazu oben Rn 39. 461 Einschränkungen bestehen, wenn sich die wirtschaftliche Lage nach einem erfolgreichen Geschäftsjahr bis zum Zeitpunkt möglicher Ausschüttung krisenhaft zugespitzt hat, s zB § 64 S 3 GmbHG. 462 Vgl Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 9 vor §§ 82 ff GmbHG. 463 Beispiele jeweils aus BGH, 29.5.1987 – 3 StR 242/86, Rn 15 und 20, BGHSt 34, 379 ff. 464 Vgl BGH(Z) MDR 1968, 663 f.

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an einen Gesellschafter ebensowenig wie sie sie geltend macht465). Vergleichbares gilt für Leistungen an verbundene Gesellschaften.466 Prüfungsmaßstab ist dabei der Fremdvergleich, also ob das Geschäft zu gleichen Konditionen auch mit einem fremden Geschäftspartner abgeschlossen worden wäre. Besonders schwierig ist die Prüfung, wenn entweder Verbindungen (zB durch Treuhandverträge) verschleiert oder der Vorteil erst am Ende einer Leistungskette, evtl sogar unter Beteiligung von Drittunternehmen, bei dem Gesellschafter oder dem verbundenen Unternehmen ankommt. Die eigenmächtige Entnahme finanzieller Mittel der GmbH durch den Fremdge- 84 schäftsführer erfüllt (unabhängig von der wirtschaftlichen Lage, also auch außerhalb einer Krise) ebenso den Tatbestand der Untreue wie die nicht konsentierte Nutzung ihr gehörender Gegenstände.467 VGA sind (für den Gesellschafter-Geschäftsführer oder den Fremdgeschäftsführer als Täter und den Nur-Gesellschafter als – meist – Anstifter) grundsätzlich gemäß § 266 StGB strafbar, wenn sie entweder nicht vom Einverständnis aller Gesellschafter gedeckt sind oder sie einen (nicht einwilligungsfähigen) existenzgefährdenden Eingriff darstellen,468 zB das Stammkapital bereits nicht mehr ungeschmälert vorhanden ist, durch den Mittelabzug angegriffen wird oder der Gesellschaft existenznotwendige Mittel fehlen. Die Auszahlung von Gesellschaftsvermögen stellt hingegen bei Einverständnis sämtlicher Gesellschafter keine untreuerelevante Pflichtverletzung gegenüber der Gesellschaft dar, soweit die Dispositionsbefugnis469 der Gesellschafter gegenüber der GmbH reicht, also die Grenzen der §§ 30 f, 33, 43 Abs 3, 64 Abs 2 GmbHG und der Schutz vor existenzvernichtenden Eingriffen gewahrt sind.470 Entnimmt der Alleingesellschafter Mittel außerhalb einer Krise (als Geschäfts- 85 führer selbst oder über einen Fremdgeschäftsführer), so begeht er selbst dann keine Untreue, wenn eine ordnungsgemäße Verbuchung unterbleibt. Bei der GmbH tritt in solchem Fall zwar ein Vermögensnachteil ein. Der Liquiditätsentzug ist aber nicht als Untreue strafbar, weil er mit wirksamem Einverständnis des (Allein-)Gesellschafters geschieht. Vorabausschüttungen im Vorgriff auf einen Auszahlungsanspruch sind nicht 86 zwangsläufig pflichtwidrig. Sie sind (regelmäßig, dh vorbehaltlich nachträglicher krisenhafter Entwicklung) zulässig im Hinblick auf einen sicher zu erwartenden zukünftigen Anspruch auf Auskehr eines Gewinns.471 Untreuerechtlich kommt es dabei nicht darauf an, ob der Leistung ein gesellschaftsrechtlich ordnungsgemäßer Beschluss zugrundeliegt, die Auskehr im Vorfeld eines Gewinnverwendungsbeschlusses oder im wirksamen472 Einverständnis der Mitgesellschafter erfolgte. Ist das Einverständnis hingegen unwirksam, zB täuschungsbedingt erwirkt, weil doch nicht sicher war, ob Gewinne zu erwarten waren

_____ 465 Vgl BGH, 7.11.1988 – 3 StR 258/88, Rn 11 aE, BGHSt 36, 21 ff. 466 Zum Konzern s näher unten Rn 108 ff. 467 Zum Fall Middelhoff (Privatreisen auf Unternehmenskosten) vgl LG Essen, 14.11.2014 – 35 KLs 14/13, bestätigt von BGH, 17.2.2016 – 1 StR 209/15, aufbereitet von Köllner/Lendermann NZI 2016, 476 ff. 468 S oben § 7 Rn 62 ff und unten Rn 90 ff und Rn 94 ff. 469 Darin dürfte mit A/R/R/Seier Rn 5/2/333 das maßgebliche Kriterium zu sehen sein. 470 S oben Rn 23. 471 M-G/Hadamitzky Rn 32/89; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 8 aE vor §§ 82 ff GmbHG; aber bei NichtEintritt anfechtbar, OLG Koblenz, 15.10.2013 – 3 U 635/13, ZInsO 2013, 2168 ff (rechtskräftig aufgrund Verwerfung der Revision BGH, 18.2.2014 – IX ZR 252/13). Gegenbeispiel: Ausschüttung aufgrund drohender Zahlungsunfähigkeit gar nicht zu erwartender Gewinne (= Untreue): LG Stuttgart, 26.1.2015 – 6 KLs 34 Js 2588/10, Rn 9, ZInsO 2015, 2286 ff. 472 BGH, 19.2.2013 – 5 StR 427/12, Rn 5, NStZ-RR 2013, 345 f; Böttger Rn 3/80; zu den Folgen bei Unwirksamkeit vgl oben Rn 22 f und unten Rn 95 f.

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oder die inzwischen eingetretene Krise aufgrund Gefährdung des Stammkapitals oder mangelnder Liquidität ausgeblendet wurde, so kann ersterenfalls ein Nachteil zumindest in Höhe des entgangenen Zinsvorteils und letzterenfalls unter dem Gesichtspunkt eines existenzgefährdenden Eingriffs473 vorliegen. Fehlt das Einverständnis gänzlich, erfolgt die Entnahme also heimlich, so ist sie (selbst im Vorgriff auf einen Auszahlungsanspruch) jedenfalls dann pflichtwidrig, wenn sie nicht (korrekt) verbucht wurde, weil die Verrechnung mit den endgültigen Gewinnverwendungsansprüchen nicht gesichert ist. Damit ist aber noch nicht, schon gar nicht automatisch ein Nachteil verbunden. Er tritt, wie gezeigt, bei Begünstigung des Alleingesellschafters außerhalb der Krise nicht ein. Bereicherung auf Kosten der Mitgesellschafter wäre keine Untreue zu ihren Lasten, 474 weil GmbH-Gesellschafter untereinander nicht vermögensbetreuungspflichtig sind (aber betrogen werden können). Ein Nachteil kann aber der GmbH entstehen.475 Ob er bereits mit der heimlichen Entnahme eintritt, ist fraglich, weil der zunächst unverbuchte oder verschleierte Mittelabzug bei Bilanzierung (oder vor einem vorherigen Beschluss vorschussartiger Verteilung) offengelegt und anschließend korrekt (und verzinst) auf den Gewinnverteilungsanspruch angerechnet werden kann. Die Antwort hängt von den Umständen ab. Lässt sich nicht widerlegen, dass eben dies geplant war, insbes wenn der begünstigte Gesellschafter zu einer etwaig erforderlichen Rückgewähr in der Lage wäre, so mag ein Nachteil zu verneinen sein. Eine derartige Konstellation liegt jedoch nur ausnahmsweise vor, weil die Rückkehr zu pflichtgemäßem Handeln nicht nur allein im Belieben des Gesellschafters steht, sondern der Grund für eine derartige Heimlichkeit in aller Regel darin besteht, dass ein solcher Gesellschafter aufgrund seiner angespannten finanziellen Lage handelte. Spätestens476 jedoch in dem Moment, in dem das Verheimlichen nicht mit der Bilanzierung endet, führt die fortdauernde, in der Nichtverbuchung liegende Pflichtwidrigkeit477 zweifelsfrei zu einem Nachteil – mangels Einverständnisses selbst dann, wenn der von einem Gesellschafter entnommene Gewinn im gleichen Maße die an die übrigen Gesellschafter zu verteilenden Gewinne verringert, weil deren restlicher Gewinnanspruch gegen die GmbH de jure erhalten bleibt, selbst wenn er unerkannt ist, und folglich deren Vermögen mindert. Der Rückforderungsanspruch gegen den zu Unrecht Begünstigten stellt schon deshalb keine Kompensation dar, weil seine (keineswegs sichere) Erfüllung in dessen Tatplan nicht vorgesehen war.478

b) Treuwidriges Handeln unmittelbar vor und in der Krise 87 Untreue während finanziell entspannter Zeiten beruht typischerweise auf dem Stre-

ben nach einem Gewinn, der höher und schneller ausfallen soll als er bei legalem Wirtschaften erzielt werden kann. Hier steht folglich der Sondererlös, der Eigennutz, vielleicht die Gier im Vordergrund. Vergleichbares ist in Krisennähe nicht ausgeschlossen, die Gelegenheit aber der knapperen Kassen wegen seltener und weniger attraktiv. Es

_____ 473 Näher dazu unten Rn 90 ff. 474 Vgl oben Rn 70; s aber unten Rn 86. 475 BGH, 30.6.1992 – 1 StR 136/92, wistra 1992, 340 f. 476 Ob zuvor bereits ein Nachteil entstanden ist (etwa bei Entnahme eines überhöhten Gewinnanteils bei fehlender Leistungsfähigkeit), ist Tatfrage. 477 Die unterlassene Offenbarung ist zwar ebenfalls pflichtwidrig, steht aber nicht selbständig, sondern ist Teil und Abschluss der mit unverbuchter Entnahme begonnenen Pflichtwidrigkeit. 478 Ansprüche, die der Täter nicht erfüllen will, sind generell nicht kompensationsgeeignet, vgl A/R/R/ Seier Rn 5/2/179 ff; s oben Rn 39.

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nimmt jedoch ein anderer Anreiz zu: Der Versuch, das Abgleiten in die Krise zu vermeiden, aus der Krise herauszukommen oder persönlich die Krise des (eigenen) Unternehmens möglichst unbeschadet zu überstehen. Derart veranlasste Taten sind kriminologisch mit einem Wandel auf der Opferseite 88 verbunden: Während geschädigt von der Untreue bei laufendem Geschäft juristisch wie wirtschaftlich das (eigene) Unternehmen ist, treten in der Krise die Gläubiger als wirtschaftlich Geschädigte hinzu, wiewohl sie angesichts des Rechtsguts auch dann nicht unmittelbar „Verletzte“ der Untreue im tatbestandlich-strafrechtlichen Sinne sind. Diese Veränderung spiegelt sich auch in der Tatmotivation: Der Versuch der Siche- 89 rung der persönlichen Existenz (mit oder ohne das Unternehmen) kann auch von Dritten unmittelbar verstanden werden, wird aber (nicht wie in wohlsituierten Phasen zu Lasten eines einzigen Vermögens, das des gut dastehenden Unternehmens, sondern) auf Kosten Externer erstrebt. Solche Untreuetäter zählen meist zum Kreise der Verantwortlichen. Dazu gehören wie während der gesamten Existenz der GmbH die Geschäftsführer, ggf auch ein (fakultativer) Beirat. Anders als in krisenfernen Zeiten kann sich vor und in der Krise aber auch ein Gesellschafter als Täter einer Untreue strafbar machen.

aa) Der Geschäftsführer Der BGH in Strafsachen verurteilt seit spätestens 1988479 Geschäftsführer, wenn ein von 90 ihnen vorgenommener Eingriff die Existenz der GmbH gefährdet oder vernichtet. Diese von ihm rein strafrechtlich entwickelte dogmatische Figur blieb seitdem mit den erforderlichen Anpassungen im Detail iE unangefochten.480 Währenddessen erfuhr das Zivil- und Gesellschaftsrecht verschiedene Wandlungen, von der Entwicklung der Rspr zum qualifizierten faktischen Konzern bis zu ihrer Aufgabe, der Übernahme der strafrechtlichen Begrifflichkeit, ihrer Anbindung an das Gesellschafts-, später das Deliktsrecht und seit der Entscheidung Trihotel481 bis heute an § 826 BGB.482 Auch die umfangreiche No-

_____ 479 BGHSt 35, 333 ff. Damit korrigierte er im Wege der Fortführung die 5 Vierteljahre zuvor ergangene Entscheidung BGHSt 34, 379 ff, in der er aus Buchführungsverstößen und der damit einhergehenden Verschleierung die Sittenwidrigkeit des Handelns des Geschäftsführers und zudem aus der missbräuchliche Ausnutzung seiner Stellung die Unwirksamkeit des vom Gesellschafter erklärten Einverständnisses abgeleitet hatte; Übersichten bei A/R/R/Seier Rn 5/2/327 ff (die Verfolgung der Gesellschafter wegen Teilnahme vermissend, Rn 334); Dannecker/Knierim/Hagemeier/Smok Rn 679 ff und 760 ff. Sa Scholz/Tiedemann/ Rönnau Rn 17 vor §§ 82 ff GmbHG. 480 ZB BGH, 19.2.2013 – 5 StR 427/12, wistra 2013, 232 ff; 28.9.2016 – 4 StR 293/16, Rn 19, ZInsO 2016, 2249 f; sa 9.12.2014 – II ZR 360/13, Rn 8, ZIP 2015, 322 ff; der Hinweis auf die Auslegung des früheren § 81a GmbHG bei A/R/R/Seier Rn 5/2/327 verdeutlicht, dass es sich bei BGHSt 34, 379 ff um einen (einmaligen) Ausreißer handelt. Idealtypisch: OLG Stuttgart, 14.4.2009 – 1 Ws 32/09, wistra 2010, 34 ff (dazu Maurer/ Wolf wistra 2011, 327 ff mit Berechnungsbeispielen). Krit zur Rspr zB Kasiske JR 2011, 235 ff. Zur Frage der Beteiligung des Geschäftsführers an einem existenzvernichtenden Eingriff des Gesellschafters s Sven H Schneider, FS Uwe H Schneider, S 1177 ff. 481 BGH, 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246 ff. Livonius (wistra 2009, 91 ff) entnimmt sowohl der Umstellung des zivilrechtlichen Haftungskonzepts auf § 826 BGB als auch dem Ausbau der Verantwortung des Geschäftsführers im MoMiG die Aufgabe der Rspr, die dem Gesellschafter eine (begrenzte) Vermögensbetreuungspflicht zuerkannte; wie hier (unten Rn 94 ff) jedoch BeckOK/Wittig Rn 22 und 22.1 zu § 266 StGB; MK/Dierlamm Rn 148 zu § 266 StGB; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 17 vor §§ 82 ff GmbHG). 482 Nachgezeichnet von LK/Schünemann Rn 250 ff zu § 266 StGB mit strafrechtlichem, von Kurzwelly, FS Goette, S 277 ff, mit bürgerlich-rechtichem Bezug; sa Dauner-Lieb ZGR 2008, 34 ff; Habersack ZGR 2008, 533 ff; Hölzle DZWIR 2007, 397 ff; Schaefer/Steinmetz WM 2007, 2265 ff; Wazlawik NZI 2009, 291 ff (zivilrechtlich für Rückbesinnung auf Konzernhaftung); krit auch Stöber ZIP 2013, 2295 ff; zu Lockerungen für „Aschenputtel-Gesellschaften“ BGH, 28.4.2008 – II ZR 264/06 (Gamma), BGHZ 176, 204 ff (dazu Hennrichs

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velle des GmbHG durch das MoMiG vermochte die strafrechtliche Sicht – zu Recht! – nicht zu erschüttern. Die Attribute „existenzgefährdend“ und „-vernichtend“ bezeichnen allein die wirt91 schaftliche Folge des Eingriffs. Davon zu unterscheiden ist der tatbestandliche Untreue-Nachteil. Er kann sich in dreierlei Hinsicht zeigen und dabei jeweils in zwei unterschiedlichen Varianten auftreten:483 Angriffsobjekte sind das Stammkapital,484 das Vermögen und die Liquidität485 (sei es mittels direkten Transfers zB sämtlichen Anlageund Umlaufvermögens486, sei es im Wege des Entzugs notwendiger Arbeitsmittel wie Computer, Fertigungsmaschinen oder auch Räume). Erfasst werden Tathandlungen sowohl bei bereits nicht mehr ungeschmälert vorhandenem Stammkapital,487 bestehendem Negativvermögen488 oder eingetretener Zahlungsunfähigkeit (regelmäßig ab Unterdeckung 10%489), aber auch dann, wenn solche Lage erst herbeigeführt, also das Stammkapital erst durch die Tat angegriffen wird, eine Unterbilanz entsteht oder Zahlungsunfähigkeit eintritt (oder, anders als bei § 283 Abs 2 StGB, gar nur droht). Parallelen zu § 283 Abs 1 und 2 StGB sind nicht zufällig, sondern angesichts derselben Gefährdungslage unvermeidlich. Der Unterschied zwischen beiden Vorschriften besteht im Rechtsgut und im Umfang ihres jeweiligen Anwendungsbereichs. Der Nachteil bedarf auch hier der Quantifizierung490 und zwar unabhängig davon, 92 ob die Existenz der GmbH erhalten blieb oder nicht. Die Mindesthöhe lässt sich meist relativ leicht berechnen. Sie besteht im Wert dessen, was an Vermögen direkt entzogen wurde oder an Zuwachs ausblieb, der bei pflichtgemäßem Handeln eingetreten wäre, und im Unterschied zu wirtschaftlich gesunden Zeiten auch nicht mittels Einverständnisses legalisiert werden konnte bzw legalisiert worden wäre. Insoweit handelt es sich um eine rein rechnerische Differenz, die an die Abweichungen im wirtschaftlichen Umfeld anknüpft. Eine Ausnahme besteht im Fall des Angriffs auf das zuvor noch vollständig vorhandene Stammkapital: Bei wirksamem Einverständnis ist die Vermögensminderung oberhalb der Kapitalziffer nicht als Untreue strafbar, so dass der Nachteil allein in der Minderung oder im Verbrauch des Stammkapitals liegen kann.

_____ FS Uwe H Schneider, 489). Die zivilrechtliche Existenzvernichtungshaftung erfüllt lediglich lückenfüllende Funktion, BGH, 15.9.2014 – II ZR 442/13, Rn 9, ZInsO 2015, 1216 ff, während sie strafrechtlich den Grundtatbestand bildet, in welchem die unterschiedlichen zivilrechtlichen Anspruchsgrundlagen aufgehen. Strafrechtlich ist bereits die Existenzgefährdung relevant. Zivilrechtlichen Schadenersatz kann es aber nur bei Existenzvernichtung geben. Das führt entgegen Hinrichs wistra 2013, 161 ff, 163, nicht dazu, dass der „strafrechtliche Vermögensschutz über den zivilrechtlichen hinausgeht“. Die nicht zur Existenzvernichtung führende Verminderung des (betreuten) Vermögens wird zivilrechtlich lediglich über andere Rechtsgrundlagen ausgeglichen (zB über § 43 GmbHG). 483 S/S/W/Saliger Rn 106 zu § 266 StGB; abweichend verlangt LK/Schünemann Rn 253 zu § 266 StGB sowohl einen Angriff auf das Stammkapital als auch kumulativ eine Existenzgefährdung. 484 Näher unten Rn 114 ff. 485 BGH, 17.3.2016 – 1 StR 628/15, Rn 5, ZInsO 2016, 916 ff. 486 BGH, 30.5.2013 – 5 StR 309/12, Rn 4, ZInsO 2013, 1350 ff, unter zutr Verweis auf die Notwendigkeit, für die Prüfung eines etwaigen Nachteils die wirtschaftlichen Auswirkungen in toto zu betrachten, Rn 6 ff. 487 BGH, 22.10.2010 – II ZR 12/08, Rn 49, BGHZ 185, 44 ff. 488 BGH, 9.12.2014 – II ZR 360/13, Rn 8, ZIP 2015, 322 ff; A/R/R/Seier Rn 5/2/330. Die Entscheidung BGH, 11.5.1999 – 4 StR 110/99, Rn 9, wistra 1999, 381 ff, derzufolge eine GmbH nicht über das noch vorhandene Aktivvermögen hinaus geschädigt werden könne, ist zu Recht ein Ausreißer geblieben; s unten Rn 105; krit dazu Fischer Rn 114 zu § 266 StGB; Mosiek HRRS 2016, 404 ff; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 6 vor §§ 82 ff GmbHG; zust jetzt jedoch G/J/W/Waßmer Rn 163a zu § 266 StGB. 489 Dazu oben § 11 Rn 76 ff. 490 G/J/W/Waßmer Rn 221a zu § 266 StGB.

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Ob sich die zusätzlich absehbaren Folgen der Tat (höhere Kreditzinsen; Vergütung 93 für Sanierungsberater;491 entgangene Gewinne bis hin zu den Kosten der Insolvenz), die ebenfalls tatbestandsmäßig sind, quantifizieren lassen, ist eine Frage des Einzelfalls. Eine Kompletterfassung ist weder möglich, noch wäre sie wirklich justitiabel. Zeichnen sie sich einzelne Posten ab und lässt sich deren Wert zügig feststellen, so liegt es daher nahe, den Verfahrensstoff darauf zu erstrecken, aber zugleich unter Anwendung von §§ 154 Abs 1 und 154a Abs 1 StPO auch zu beschränken.

bb) Der Allein- oder Mehrheitsgesellschafter Auch eine Konzernobergesellschaft darf keine existenzgefährdenden oder -vernich- 94 tenden Eingriffe vornehmen.492 Erstmals in seiner Entscheidung des Falls „Bremer Vulkan“ stellte auch der BGH in Zivilsachen auf die Verletzung des Bestandsintereresses der abhängigen Gesellschaft ab, markierte damit den Beginn seiner im Kern noch heute aktuellen Position493 und stellte damit zunächst für Geschäftsführer den Gleichklang mit der strafrechtlichen Judikatur her,494 den er anschließend auf Mitglieder der Organe von Obergesellschaften erweiterte, was wiederum die Rspr in Strafsachen in ihrer Entscheidung zum Bremer Vulkan übernahm. Dass die Rspr die Vermögensbetreuungspflicht bislang noch nicht für Gesellschafter 95 als natürliche Personen, sondern nur für Organe von Obergesellschaften, die Anteilseigner einer (krisenbehafteten) Gesellschaft sind, bejaht hat, erklärt sich zwanglos aus dem Umstand, dass eine Gesellschaft als Gesellschafterin eher geneigt und in der Lage ist, die Interessen der abhängigen Gesellschaft hinter die eigenen zurückzustellen als ein passiver Gesellschafter ohne operatives Engagement. Juristisch kann es aber des Schutzguts wegen keinen Unterschied machen, ob es sich bei dem Gesellschafter, der den existenzgefährdenden oder -vernichtenden Eingriff vorgenommen oder veranlasst hat, um

_____ 491 Zur Anfechtbarkeit bei unzulänglichem Konzept LG Frankfurt/M, 7.5.2015 – 2-32 O 102/13, ZInsO 2015, 1688 ff; dazu auch LG Frankfurt/M, 21.4.2015 – 2-19 O 37/14, NZI 2015, 1022 ff (n rkr) mAnm Riewe; LG Dessau-Roßlau, 24.7.2015 – 2 O 480/14, ZInsO 2015, 2383 ff; zu den Anforderungen an ein Sanierungskonzept sa BGH, 8.12.2011 – IX ZR 156/09, Rn 11 ff, ZInsO 2012, 171 ff; 21.2.2013 – IX ZR 52/10, Rn 11, ZInsO 2013, 780 ff; 17.12.2015 – IX ZR 61/14, Rn 33, ZInsO 2016, 214 ff; OLG Düsseldorf, 25.4.2013 – I-12 U 45/12, Rn 39, ZInsO 2013, 1195 ff; OLG München, 16.12.2014 – 5 U 1297/13, ZInsO 2015, 1848 ff (dazu v Wilcken DB 2015, 2680 ff); Jaroschinsky/Werner WPg 2016, 1195 ff. Sozialwissenschaftlich belegte Erfolgsfaktoren bei Krystek/ Lentz DB 2013, 768 ff. 492 Zum Zivilrecht zB Altmeppen NZG 2010, 401 ff; Haas WM 2003, 1929 ff; Kramer WM 2004, 305 ff. Für das Strafrecht gänzlich abl A/R/R/Seier Rn 5/2/381 ff. Joecks, Voraufl § 31 Rn 13 ff, bejahte in diesen Fällen eine täterschaftliche Untreue hingegen nur für den „aktiven Mehrheitsgesellschafter“ iS von BGH wistra 1996, 344 ff; der Sache nach wohl auch S/S/W/Saliger Rn 114 zu § 266 StGB; ebenso LK/Schünemann Rn 255 und 265 zu § 266 StGB, der eine Lösung über die Anstiftung befürwortet. Das OLG Rostock, ZIP 2004, 118 ff, dehnte die Treuepflicht auf den „mittelbaren faktischen Gesellschafter“ aus, einen Ehemann, der anstatt seiner Ehefrau, die (formal?) Gesellschafterin war, handelte. Er war aber gewiss faktischer Geschäftsführer. Treugeber unterliegen als „mittelbare Gesellschafter“ dem Rückzahlungsverbot des § 30 GmbHG (dazu unten Rn 114 ff), BGH ZIP 2004, 263, 264 mN. Sa unten Rn 94 ff und allg oben § 7 Rn 62 ff und 67 f. 493 BGH NJW 2001, 3622 ff; aufrechterhalten und weiterentwickelt NJW 2002, 1803 ff und 3024 ff; nunmehr auch für das Strafrecht übernommen, BGH, Urteil vom 13.5.2004, 5 StR 73/03, BGHSt 49, 147 ff (Bremer Vulkan); BGH, 31.7.2009 – 2 StR 95/09, BGHSt 54, 52 ff – Refugium (dazu Bittmann GmbHR 2009, 1206 ff; C Brand Der Konzern 2010, 285 ff; Leimenstoll ZIS 2010, 143 ff; Wessing/Krawczyk NZG 2009, 1176 ff), BGH, 30.5.2013 – 5 StR 309/12, Rn 8, ZInsO 2013, 1350 ff; schon früher ebenso Wodicka S 249 ff und S 306 ff. 494 A/R/R/Seier Rn 5/2/331.

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eine juristische oder eine natürliche (kaufmännische wie nur private) Person handelt.495 Daher lässt sich verallgemeinernd festhalten: Auch einem Gesellschafter ist ein existenzgefährdender, erst recht -vernichtender Eingriff untersagt. Dem Gesellschafter gegenüber ist das GmbH-Vermögen rechtlich selbständig und damit „fremd“ iS des § 266 StGB. Die Pflicht zum Unterlassen existenzgefährdender oder -vernichtender Eingriffe besteht der GmbH gegenüber,496 auch wenn sie wirtschaftlich va den Interessen der GmbH-Gläubiger dient, denen sie mittelbar zugutekommt. Das Gebot ist ergebnisbezogen. Seine Geltung hängt nicht davon ab, ob der Gesellschafter mittels Weisungen agiert oder auf Basis einer (generellen, beschränkten, Einzel- oder Duldungs-)vollmacht.497 Die GmbH hat gegen ihre Gesellschafter kein Recht auf Erhaltung ihrer Existenz. Sie dürfen vielmehr jederzeit ihre Liquidation beschließen. Das Recht der Gesellschafter, die juristische Person aufzulösen, beschränkt sich jedoch auf die vom Gesetz dafür zur Verfügung gestellten Wege. Im Insolvenzfall ist das der Eröffnungsantrag. Ihn zu stellen verpflichtet sind die Geschäftsführer, § 15a Abs 1 InsO, bei Führungslosigkeit auch die Gesellschafter, § 15a Abs 3 InsO. Im übrigen sind Gesellschafter nur als externe Gläubiger antragsberechtigt. Sie können aber den Geschäftsführer anweisen, das Insolvenzgericht einzuschalten. Außerhalb der Insolvenz steht es den Gesellschaftern frei, das (außergerichtliche) Liquidationsverfahren einzuleiten. Solange sie das jedoch nicht tun, genießt die GmbH auch gegen ihre Gesellschafter einen, wenngleich keinesfalls umfassenden Bestandsschutz. Er beschränkt sich auf das Verbot, die GmbH durch eigenes Handeln oder Dulden von Aktivitäten Dritter (handele es sich um Mitgesellschafter, Geschäftsführer, Mitarbeiter oder Externe) in eine wirtschaftliche Lage zu versetzen, in welcher sie nicht mehr fähig wäre, ihre fälligen Verbindlichkeiten zu erfüllen oder in der das Stammkapital nicht mehr ungeschmälert zur Verfügung stünde.498 Untersagt ist also (nur, aber immerhin) die Liquidation „auf kaltem Wege“. Garantiert ist demnach zwar weder die Existenz der GmbH noch deren gesamte (tatsächlich vorhandene) Liquidität. Geschützt aber ist sowohl (bis zur Höhe des Stammkapitals) deren aktuelles Vermögen als auch die Zahlungsfähigkeit. Soweit der Schutz reicht, verschließt er dem Gesellschafter das Disponieren über sein Vermögen, bewirkt also faktisch indisponibles Fremdvermögen.499 Vergleichbares wird auch für die Zeit nach einem Liquidationsbeschluss anzunehmen sein. Hier kann es zwar nicht mehr um Bestandsschutz gehen, wohl aber ist das noch vorhandene Vermögen in dem Umfang geschützt, wie es zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger benötigt wird.

_____ 495 Beckemper GmbHR 2005, 592 ff; Ransiek wistra 2005, 121 ff; aA Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 13 und 17 ff vor §§ 82 ff GmbHG; Lesch/Hüttemann/Reschke NStZ 2015, 609 ff, 612 ff, die auf die Leitungsmacht abstellen, die aus § 308 Abs 1 AktG oder dem abgeschlossenen Beherrschungsvertrag folge; daher soll zumindest einem nicht kaufmännischen Gesellschafter als natürliche Person ein existenzgefährdender oder vernichtender Eingriff nicht verwehrt sein. 496 Rönnau FS Schünemann S 675, 681 f. 497 Zum Rechtsschein in Bezug auf den Missbrauchtatbestand s oben Rn 36. Frühe Arbeiten von Gribbohm ZGR 1990, 1, 21 ff; Radtke GmbHR 1998, 361, 367 f; grundlagend Wodicka S 249 ff, inbes S 306 ff. 498 Beispiel: BGH, 7.1.2008 – II ZR 314/05, ZIP 2008, 308 ff – Einzug von Gesellschaftsforderungen in das Privatvermögen; eine Vermögensbetreuungspflicht bereits bejahend Richter GmbHR 1984, 137, 144; aA M/R/Matt Rn 100 zu § 266 StGB. LK/Schünemann Rn 255 zu § 266 StGB weist zu Recht darauf hin, dass die Beschränkung der Insolvenzantragspflicht der Gesellschafter auf die Situation der Führungslosigkeit nicht als Erlaubnis zur Herbeiführung der Insolvenzreife missdeutet werden darf. 499 Radtke GmbHR 1998, 361, 367.

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Gesellschafter haben kraft ihrer Stellung das (aus ihrer Sicht: fremdnützige) Verbot 100 der Existenzgefährdung oder gar -vernichtung zu achten. Es prägt ihr Verhältnis zur Gesellschaft ganz wesentlich. Darüber, wie sie es wahren, haben sie eigenständig zu befinden. Ihnen steht insoweit ein Spielraum zu, innerhalb dessen sie selbständig entscheiden. Damit handelt es sich um eine (engbegrenzte und sich nicht auf weitere, keineswegs auf sämtliche Ausprägungen des Verhältnisses zwischen Gesellschaft und Gesellschafter erstreckende) Vermögensbetreuungspflicht iS des Untreuetatbestands.500 Zivilrechtlich trifft den Gesellschafter eine weitergehende Treuepflicht auch gegen- 101 über den Mitgesellschaftern. Eine solche hat der BGH501 sogar im Verhältnis von Aktionären untereinander bejaht. Derartige Treuepflichten erfüllen aber nicht die Voraussetzungen der Vermögensbetreuungspflicht iS des § 266 StGB. Ihre Verletzung ist deshalb jedenfalls nicht als Untreue strafbar. Ob sich ein Minderheitengesellschafter wegen Untreue verantworten muss, wenn überhöhte Verrechnungspreise zugunsten eines ihm verbundenen Unternehmens zur Insolvenzreife der GmbH führen (wofür er zivilrechtlich haftet502), hängt davon ab, ob er über seine Gesellschafterstellung hinaus innerhalb der GmbH eine Funktion einnahm, die eine Vermögensbetreuungspflicht auslöste. Das hängt von den tatsächlichen Umständen ab.

cc) Unzulässige existenzgefährdende oder -vernichtende Eingriffe und sonstiges ungetreuliches Handeln De jure hat der Geschäftsführer sein Handeln in der Krise (und in deren Vorfeld) an den 102 (Erfüllungs-)Interessen der Gläubiger zu orientieren, hat zusätzliche Pflichten zu erfüllen und hat manches zu unterlassen, was ihm in wirtschaftlich gesunden Zeiten gestattet ist. Faktisch steht hingegen häufig die Gestaltung und möglichst Sicherung der eigenen wirtschaftlichen Zukunft im Vordergrund: zB Errichtung einer neuen Gesellschaft unter (auch in der Buchhaltung verschleierter) Aushöhlung der insolvenzgeweihten GmbH mittels Finanzierung eines Neufahrzeugs auf deren Kosten; Transfers von Barvermögen und Forderungen (im Wege der Mitteilung an die verbliebenen Gläubiger, nur die Kontonummer habe sich geändert); „Verschwindenlassen“ von Rückforderungen von Gesellschaftsdarlehen; Nutzung von know how, Kundendatei und der brauchbaren Teile ihrer Geschäftsausstattung sowie ergänzender Neuanschaffungen: alles untreuerelevant. Aber selbst ohne Spekulation auf einen Unterwerterwerb für das Nachfolge-

_____ 500 AA BGH StV 2000, 486 f (vor der Bremer-Vulkan-Entscheidung und ohne nähere Prüfung); M/R/Matt Rn 100 zu § 266 StGB; MK/Dierlamm Rn 274 ff zu § 266 StGB („Zirkelschluss“, Rn 280); Livonius wistra 2009, 91 ff, unter Hinweis auf das MoMiG und die Umstellung des Haftungskonzepts auf § 826 BGB; Letzterem entnimmt AnwK/Esser Rn 288 zu § 266 StGB hingegen zu Recht gerade umgekehrt den Beleg dafür, dass das Verbot existenzgefährdender oder -vernichtender Eingriffe gerade gegenüber der Gesellschaft besteht; wie hier auch M-G/Hadamitzky Rn 32/151; M-G/Richter Rn 82/34; Richter GmbHR 1984, 137, 144 f; Dannecker/Knierim/Hagemeier/Smok Rn 682; Tiedemann ZStrW 111 (1999), 693 ff; G/J/W/Waßmer Rn 51 ff zu § 266 StGB, wie nach anfänglicher Betonung des Fehlens einer generellen Vermögensbetreuungspflicht der Hinweis auf das Gebot der Wahrung des der eigenen Disposition entzogenen Bereichs zeigt, Rn 55; Wodicka S 292 ff; referierend S/S/W/Saliger Rn 107, auch 114 zu § 266 StGB, der eine Vermögensbetreuungspflicht kraft faktischer Herrschaftsmacht für denkbar hält. Für eine Lösung über die Anstiftung Tiedemann JZ 2005, 45 ff. 501 BGHZ 129, 136, 144 ff. Übersicht über aktuelle Rechtsprechung zur zivilrechtlichen Treuepflicht in der GmbH bei Hippeli GmbHR 2016, 1257 ff. 502 BGH, 15.10.2007 – II ZR 243/06, Rn 6 f, DStR 2007, 2270 f.

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unternehmen503 sind Investitionen pflichtwidrig, die sich angesichts der Krise nicht amortisieren können. Bereits bei heraufziehenden Krisenanzeichen, erst recht mit Beginn der Krise muss 103 der Geschäftsführer Sanierungsmaßnahmen prüfen und möglichst durchzusetzen.504 Den richtigen Zeitpunkt und das rechte Maß zu finden ist schwierig. Pflichtwidrigkeit und damit Untreue wird daher nur bei eklatantem Versagen bejaht werden können, zumal da auch ein verfrühter Insolvenzantrag ungetreu sein kann.505 Der Geschäftsführer hat in der Krise allerdings dafür Sorge zu tragen, dass etwaige noch ausstehende Einlagen erbracht werden.506 An Gesellschafter gewährte Darlehen hat er (ggf zu kündigen und) zurückzufordern.507 104 Regelmäßig wird er dabei und insgesamt das Einvernehmen mit den Gesellschaftern zu suchen haben. Vielleicht gelingt es ihm noch allein, den Eintritt von Insolvenzreife durch Umstrukturierungen, ggf unter Anmeldung von Kurzarbeit508 zu vermeiden. Ist es dafür jedoch zu spät, so hat er zu eruieren, ob eine Sanierung im Schutzschirm-, § 270b InsO, oder zumindest in einem eigenverwalteten Insolvenzverfahren, §§ 270, 270a InsO, aussichtsreich erscheint. In der Krise nicht akribisch geführte Gesellschafterkonten und die deswegen fehlende Durchsetzbarkeit von Rechten der Gesellschaft gegen Gesellschafter führen bereits im Zeitpunkt des Buchführungsmangels zur Strafbarkeit wegen Untreue.509 Die Erfüllung bestehender, wenn auch schlecht beweisbarer Verbindlichkeiten stellt hingegen keinen Nachteil dar.510 Sogar die tatsächliche Ausschüttung, selbst wenn es sich um die bloße Durchfüh105 rung eines ordnungsgemäßen Gewinnverwendungsbeschlusses der Gesellschafterversammlung handelt, erst recht verdeckt, ist für den Geschäftsführer dann als Untreue strafbar, wenn sie (unabhängig von § 64 S 3 GmbHG als rein zivilrechtliche Teilkodifizierung des existenzvernichtenden Eingriffs) aufgrund der im Zeitpunkt der Leistung veränderten wirtschaftlichen Situation zu einer konkreten Gefährdung oder gar Vernich-

_____ 503 Richter GmbHR 1984, 137, 145. 504 Übersicht bei Bork ZIP 2011, 101 ff. Es handelt sich dabei um unternehmerische, also nur auf Vertretbarkeit hin justitiable Entscheidungen – auch hinsichtlich der Kosten für einen Berater, BGH, 18.6.2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 ff; dazu Bachmann NZG 2013, 1121 ff. Zu in Betracht kommenden Vereinbarungen mit Banken s Sutter/Fiedler ZInsO 2011, 552 ff; 12 Tipps bei Uwe H Schneider GmbHR 2010, 57 ff. Allg zu den Pflichten bei Krisenanzeichen Veil ZGR 2006, 374 ff 505 Zivilrechtlich: OLG München, 21.3.2013 – 23 U 3344/12, GmbHR 2013, 590 ff; Roth S 246 ff. Verspätete Insolvenzanmeldung rechtfertigt die außerordentliche Kündigung des Geschäftsführers, BGH, 20.6.2005 – II ZR 18/03, NJW 2005, 3069 ff, und er haftet erst recht, zumindest gegenüber den Gesellschaftsgläubigern, § 823 Abs 2 BGB iVm § 15a InsO, mag sein auch gegenüber den Gesellschaftern, Übersicht bei Strohn NZG 2011, 1161 ff, nach einer Mindermeinung zumindest gegenüber der Gesellschaft, vgl Scholz/K Schmidt Rn 197 zu § 64 GmbHG; Roth, S 235 ff, 255, auch 269 f. Würde dem die Rspr folgen, so läge strafrechtlich in etlichen Fällen eines Vergehens nach § 15a Abs 4 GmbHG tateinheitlich auch Untreue (mit einem deutlich höheren Strafrahmen) vor. Ausführlich zum Konflikt zwischen Sanierung und Insolvenzantragspflicht Dannecker/Knierim/Hagemeier Rn 1271 ff. 506 BGH bei Herlan GA 1958, 368 f; Gribbohm DStR 1991, 248, 249; ders ZGR 1990, 1, 18; M-G/Hadamitzky Rn 32/141e; Richter GmbHR 1984, 137, 145; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 16 vor §§ 82 ff GmbHG. 507 Richter GmbHR 1984, 137, 145. Gleiches gilt gemäß § 43a S 2 GmbHG auch für Darlehen an Geschäftsführer. 508 BGH, 4.11.2002 – II ZR 224/00, Rn 13, BGHZ 152, 280 ff. 509 S oben Rn 20. 510 BGH NStZ 2001, 432, 434 mN – es wäre ja auch noch schöner, Wahrheitsliebe zu bestrafen! Sa BGH, 14.4.2010 – 5 StR 72/10, Rn 4, wistra 2010, 303 f.

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tung der Existenz der GmbH führt,511 dh sie entweder das Stammkapital (erstmals oder weiter) angreift (§ 30 GmbHG),512 zu einer Überschuldung führt bzw eine solche vertieft513 (auch während der Liquidation514), der Gesellschaft notwendige Produktions- bzw sonstige zum Betrieb erforderliche Grundlagen entzieht,515 oder (zumindest drohende) Zahlungsunfähigkeit 516 bzw sonstige Liquiditätslücken herbeiführt. 517 Letzteres liegt dann sehr nahe, wenn besonders hohe Entnahmen zu verzeichnen waren und die Insolvenz alsbald nachfolgte.518 Dann bedarf es noch nicht einmal der Aufstellung einer Vermögensbilanz.519 Eine entgegenstehende Weisung gesellschafterseits steht vorbehaltlich etwaiger Irrtümer einer Bestrafung ebensowenig entgegen wie das Einverständnis, weil beide wegen Gesetzesverstoßes unwirksam sind.520 Gesellschafts- oder arbeitsrechtlich kann der Geschäftsführer gehalten sein, sich in 106 der Krise mit einer geringeren Vergütung zu bescheiden.521 Das Vorstandsmitglied einer AG ist in Bezug auf die von der Gesellschaft ihm gegenüber zu erbringenden Leistungen allerdings nicht vermögensbetreuungspflichtig.522 Vertretungsbefugt ist insoweit der Aufsichtsrat, der die Vermögensinteressen der AG gegenüber dem Vorstand wahr-

_____ 511 BGH, 24.8.1988 – 3 StR 232/88, Rn 19, BGHSt 35, 333 ff; 31.7.2009 – 2 StR 95/09, BGHSt 54, 52 ff, Rn 24 ff (dazu Bittmann GmbHR 2009, 1206 ff); 30.9.2009 – 2 StR 300/09, Rn 14, wistra 2010, 70 ff; 19.2.2013 – 5 StR 427/12, Rn 5, wistra 2013, 232 ff (dazu Trück ZWH 2013, 367 f; missverständlich AnwK/Esser Rn 283 zu § 266 StGB, denn der Senat verlangt bei Auskehr in der Krise gerade keine über den existenzgefährdenden oder -vernichtenden Eingriff selbst hinausgehenden Folgen); A/R/R/Seier Rn 5/2/223 ff (mit umfassender Dokumentation der Entwicklung der Rspr); Gribbohm ZGR 1990, 1, 18 f; Scholz/Tiedemann/ Rönnau Rn 8 f vor §§ 82 ff GmbHG; Fischer Rn 96 ff zu § 266 StGB (inzident, da unter dem Gesichtspunkt der Einwilligung behandelt); so § 7 Rn 62 ff und 67 f. 512 Einzelheiten unten Rn 114 ff. 513 BGH, 5.2.1990 – II ZR 114/89, Rn 4 f, NJW 1990, 1730 ff; 20.9.2004 – II ZR 302/02, Rn 23, NJW 2005, 145 ff; KG NZG 2000, 1224, 1225; M-G/Hadamitzky Rn 32/84a; Fischer Rn 97 zu § 266 StGB. Das wird von einer späteren Entscheidung des BGH (wistra 1999, 381 ff) nicht in Frage gestellt, obwohl der Leitsatz zu Missverständnissen führen könnte: Der Untreuenachteil ist danach auf den Wert der freien Vermögenswerte einschließlich konkreter Erwerbsaussichten beschränkt, bezieht sich aber nicht auf die Belastung mit aufgrund der Haftungsbeschränkung sowieso nicht durchsetzbaren Verbindlichkeiten. In den Gründen stellt der 4. Senat aber klar, dass das nur für den Fall zutrifft, dass keine Aussicht auf Gesundung der GmbH besteht. Diese Rspr ist zudem für Fälle, in denen der GmbH konkrete Vermögenswerte entzogen wurden, von vorn herein ohne Bedeutung. S oben Rn 91. 514 Vgl oben Rn 80. 515 M-G/Hadamitzky Rn 32/85 f. 516 Bei lediglich drohender Zahlungsunfähigkeit kann es sein, dass noch kein Nachteil eingetreten (oder quantifizierbar) ist. Von vorn herein ausschließen lässt sich das aber nicht. 517 BGHSt 35, 333 ff. Radtke, GmbHR 1998, 361, 364, bejaht hingegen nur die von § 30 GmbHG normierte Grenze, das Verbot, Stammkapital auszuzahlen. Dem kann nicht gefolgt werden, weil es aus der Sicht der Gläubiger wesentlich auf die Sicherung der Liquidität ankommt. Selbst die Überschuldung ist als prognostizierte Zahlungsunfähigkeit zu verstehen, vgl dazu oben § 11 Rn 71. Der Schutz des § 30 GmbHG greift mit der Sicherung des vollen Stammkapitals sogar schon deutlich früher als bei Überschuldung ein. Wird daher die Liquidität in einer den Bestand der GmbH gefährdenden Weise geschmälert, dann liegt darin erst recht ein nach § 266 Abs 1 StGB verbotener existenzgefährdender Eingriff. 518 BGH NJW 1989, 112, 113. 519 M-G/Hadamitzky Rn 32/85e. 520 Dazu oben Rn 23. 521 BGH wistra 1995, 144: Anspruch (nur) auf angemessenes Gehalt. 522 BGH, 21.12.2005 – 3 StR 470/04, Rn 80, BGHSt 50, 331 ff; BGH, 12.12.2013 – 3 StR 146/13, Rn 32, wistra 2014, 186 ff (dazu Bittmann NZWiSt 2014, 129 ff, 129 f; Trück ZWH 2014, 361 ff), das gilt aber nur, soweit es um legales Handeln geht – Selbstbedienung fällt damit nicht aus dem Tatbestand, Rn 32; ebenso OLG Braunschweig, 14.6.2012 – Ws 44 und 45/12, Rn 29 ff, wistra 2012, 391 ff (für die Auszahlung von Sitzungsgeldern eines Aufsichtsratsmitglieds trotz Nichtteilnahme); LK/Schünemann Rn 80 zu § 266 StGB.

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zunehmen und erforderlichenfalls eine Kürzung vorzunehmen hat, vgl § 87 Abs 2 AktG.523 Zumindest dort, wo kein Beirat existiert, lässt sich diese Rspr nicht (direkt) auf die GmbH übertragen. In Betracht kommt als Gegenpart für den Geschäftsführer am ehesten noch die Gesellschafterversammlung. Diese könnte unter dem Gesichtspunkt des existenzgefährdenden Eingriffs gehalten sein, das Geschäftsführergehalt zu kürzen. Bei der ein-Personen-GmbH mit Gesellschafter-Geschäftsführer mag dieses Modell 107 zwar formell Anwendung finden. Auf beiden Seiten sitzt dann aber dieselbe Person. Das Zusammenlaufen der gegenteiligen Interessen in ihr löst anders als bei der Konfusion von Gläubiger- und Schuldnerstellung die beiderseitigen Pflichten allerdings nicht auf. Sie sind vielmehr uneingeschränkt zu erfüllen. Jedenfalls bei Personengleichheit muss der Einpersonengesellschaftergeschäftsführer seine Vergütung zur Vermeidung eines Treubruchs selbst angemessen herabsetzen.524

c) Konzernfälle 108 Für Konzerngesellschaften525 und sonstige verbundene, ineinander verschachtelte

(Schwester-, Mutter-, Enkel oder sonstige Anteils-)Unternehmen gelten keine insolvenzstrafrechtlichen Privilegien. Die verschiedenen, (nur) rechtlich selbständigen Einheiten sind strikt auseinanderzuhalten und es bedarf genauer Klärung, welche durch welches Geschehen wie betroffen wurde. In aller Regel führt die Schädigung einer Konzerngesellschaft nicht zugleich auch zu einem Schaden der Holding.526 Ihre Verzahnung verlangt jedoch auch rechtlich nach Berücksichtigung. Rein tatsächlich stellen sie die strafrechtliche Praxis der Fülle der zu berücksichtigenden Informationen wegen vor besondere quantitative Schwierigkeiten. Sie können dramatische Dimension annehmen, wenn die maßgeblichen Aspekte wie häufig aus einem nahezu unbegrenzt erscheinenden Wust an Material herausfiltriert werden müssen. Dies kann zwar häufig EDV-gestützt

_____ 523 Zum Zivilrecht: BGH, 28.4.2015 – II ZR 63/14, ZIP 2015, 1220 ff; 27.10.2015 – II ZR 296/14, BGHZ 207, 190 ff; strafrechtlich M-G/Hadamitzky Rn 32/122a; Hiéramente NZWiSt 2014, 291 ff (für die Vergütung des Aufsichtsrats selbst sind vorrangig Satzung und Hauptversammlung maßgeblich, S 292 f); sa MK/Dierlamm Rn 267 ff zu § 266 StGB. 524 AA MK/Dierlamm Rn 49 zu § 266 StGB, der mehrseitige Loyalitätspflichten für nicht möglich, dh von vorn herein nicht von § 266 StGB geschützt betrachtet; IE wohl ebenso Thomas FS Rissing-van Saan, S 669 ff. Dieser Auffassung steht aber die Pflicht des Geschäftsführers entgegen, in der Krise auch Forderungen gegen sich selbst eintreiben zu müssen, vgl Weiß GmbHR 2011, 350 ff, 357, und die Zulässigkeit der Geschäftsführertätigkeit eines Vorstandsmitglieds einer AG in der Tochter-GmbH, Cramer NZG 2012, 765 ff; sa Binder ZGR 2013, 801 ff; zur Eigenverwaltung im Insolvenzverfahren über das Vermögen einer GmbH s Richter FS Beck, S 441 ff, 447. Sogar die faktische Geschäftsführerstellung ist gegenüber einem abhängigen Unternehmen möglich, BGH 13.12.2012 – 5 StR 407/12, Rn 10 f, wistra 2013, 140 f. Überdies bürdet BGH, 28.7.2011 – 4 StR 156/11, Rn 15 f, NJW 2011, 2819 ff, dem Rechtspfleger im Zwangsverwaltungsverfahren Pflichten zur Betreuung sowohl des Vermögens des Schuldners als auch des Gläubigers auf (zur dienstrechtlichen Seite OVG Sachsen-Anhalt, 18.11.2014 – 10 L 3/14, ZInsO 2015, 697 ff); ebenso dem Gerichtsvollzieher, BGH, 14.8.2013 – 4 StR 255/13, Rn 12, ZWH 2014, 69 f mAnm Bittmann; gleichfalls das KG, 19.2.2013 – (4) 121 Ss 10/13 (20/13), DGVZ 2014, 65; weitere Beispiele bei A/R/R/Seier Rn 5/2/136; zum Doppelmakler S/S/W/Saliger Rn 55 aE zu § 266 StGB; zum insolvenzrechtlichen Modell der Doppeltreuhand abl Römermann/Funke Gavilá, NZI 2012, 481 ff. Auch G/J/W/Waßmer Rn 47a zu § 266 StGB erkennt „doppelspurige“ Treupflichten ausdrücklich an. 525 A/R/R/Seier Rn 5/2/368 ff; LK/Schünemann Rn 250 ff zu § 266 StGB (die Vermögensbetreuungspflicht der Obergesellschaft mit Ausnahme der Cash-Pool-Fälle aber verneinend); M-G/Hadamitzky Rn 32/145 ff; sa S/S/W/Saliger Rn 16 und ausführlich Rn 113 f zu § 266 StGB. 526 Lesch/Hüttemann/Reschke NStZ 2015, 609 ff, 614 ff; aA M-G/Hadamitzky Rn 32/187; wohl auch Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 20 vor §§ 82 ff GmbHG; sa BeckOK/Wittig Rn 32.2 zu § 266 StGB.

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erfolgen. Die Bedeutung der Informationen muss sich jedoch (zumindest auch) menschlichen Gehirnen erschließen. Herausforderungen in tatsächlicher Hinsicht zeigen sich häufig schon auf personaler Ebene, wenn Abhängigkeitsverhältnisse zwischen den rechtlich selbständigen Gesellschaften, im Konzern zwischen ihnen und ihrer „Mutter“(-gesellschaft), ihren Ausdruck in der Personengleichheit der Mitglieder ihrer Organe finden. Es ist daher äußerlich nicht immer erkennbar, welche Rolle(n) dieselbe natürliche Person bei welcher Gelegenheit einnahm. Die Verbindung kann sich zudem in einer Vielzahl von Geschäften untereinander ausdrücken. Manche abhängige Gesellschaft wird nur deshalb gegründet oder erworben, weil sie eine bestimmte (zB Verwaltungs-, Produktions- oder spezielle Geschäfts-)Aufgabe im Gesamtkonzern erfüllen soll. Im Extremfall beschränken sich ihre Aktivitäten auf ein Projekt oder sie schließt mit Dritten keinerlei Geschäfte ab, sondern nur im Binnenbereich der Konzernunternehmen. Abhängige Konzerngesellschaften dienen ihrer Natur nach auch, vorrangig oder sogar nur den Vermögensinteressen ihrer „Mutter“. Gewinnverlagerungen, nicht marktgerechte Verrechnungspreise und Vermögensverlagerungen sind demnach Alltag und strafrechtlich nicht ohne weiteres relevant. Die Verschiebung von Vermögensgegenständen kann der wesentliche legale Zweck der Konzernierung sein und begegnet deshalb anders als die Fälle der Übertragung der Aktiva des vor der Insolvenz stehenden Unternehmens auf eine Nachfolgegesellschaft nicht von vorn herein (straf-)rechtlichen Zweifeln. Was den Gesellschaftern erlaubt ist, dafür dürfen Geschäftsführer nicht bestraft werden. Abhängige Gesellschaften dürfen daher Vermögenswerte bis zur Grenze ihrer Existenzgefährdung527 auf ihre Gesellschafter übertragen. Bei einer 100%igen Tochter genügt die Weisung der Muttergesellschaft. Bei bloßer Mehrheitsbeteiligung kommt es auf die Satzung und ggf sonstige Vereinbarungen oder Beschlüsse an. Mehrheitsentscheidungen genügen nicht, soweit das Einstimmigkeitsprinzip gilt.528 Es reicht jedoch aus, das Einverständnis vor Durchführung der Entscheidung gesondert einzuholen. Die Geschäftsführer der abhängigen Gesellschaft, in deren Vermögen eingegriffen werden soll, ebenso die Gesellschafter dieser Gesellschaft, im Falle juristischer Personen deren Geschäftsführer oder Vorstandsmitglieder, aber auch alle weiteren Verantwortlichen auf höheren Ebenen bis hin zur Konzernspitze,529 die den Eingriff betreiben und denen Existenzgefährdungen verboten sind, haben zum Vermeiden ihrer Strafbarkeit peinlich genau darauf zu achten, die rechtlichen Grenzen zu wahren. Sie müssen also selbst im Fall ihrer Abhängigkeit530 Widerstand gegen etwaige existenzgefährdende Eingriffe leisten. Dazu bedarf es eines genauen Überblicks über die wirtschaftliche Lage – ggf in mehreren der verbundenen Unternehmen oder gar im Gesamtkonzern, weil Liquiditätssicherungszusagen, Verlustausgleichsansprüche und Patronatserklärungen nur soviel wert sind, wie ihr Urheber sie einzuhalten nicht nur willens, sondern auch in der Lage ist. Um Schwierigkeiten möglichst von vorn herein zu vermeiden und nicht unter Zeitdruck ggf weitreichende Entscheidungen treffen zu müssen, hat die Praxis verschiedene Instrumente entwickelt wie zB die Vereinbarung von Grenzen für insbes Liquida-

_____ 527 Altmeppen NZG 2010, 401 ff. Sa oben Rn 90 ff und Rn 94 ff. Zivilrechtlich sind ggf weitere Erfordernisse einzuhalten, zB das gleichzeitige Beschließen eines Nachteilsausgleichs, BGH, 26.6.2012 – II ZR 30/11, NZG 2012, 1030 ff. 528 Vgl dazu oben Rn 22. 529 M-G/Hadamitzky Rn 32/10a. 530 Zum Spannungsfeld Geißler GmbHR 2015, 734 ff.

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tionsverlagerungen (limitation language531). Ein Hauptanwendungsfall zeigt sich bei der Bildung eines Cash-Pools532 (wie im Fall Bremer Vulkan) als zentrale Geldverwaltungseinheit im Konzern durch einen Poolführer, der die Zahlungsvorgänge der anderen Poolgesellschaften als Darlehensgeschäfte verbucht. 113 Auch sonstige existenzgefährdende oder -vernichtende Eingriffe lassen sich als Darlehensgewährung verbuchen. Damit erkennt der Gesellschafter seine Einstandspflicht (zumindest im Grundsatz) an. Außerhalb krisenhafter Entwicklungen dürfte es daher meist an einem Nachteil fehlen. Das ändert sich im Fall einer (heraufziehenden) Krise des Gesellschafters, weil die gegen ihn gerichtete Forderung nun nicht mehr vollwertig ist, also wertberichtigt werden muss. In der Krise allein der Tochtergesellschaft führt der Eingriff nur dann nicht zur Existenzgefährdung, wenn der Gesellschafter sowohl Schuldendeckung zugesagt hat und seiner Verpflichtung auch nachzukommen in der Lage ist, als auch die Liquidität tatsächlich sichert.

d) Untreue durch Auszahlung von Stammkapital, § 30 GmbHG 114 Die Auszahlung des Stammkapitals (oder eines Teils davon) an einen Gesellschaf-

ter oder eine ihm nahestehende (natürliche oder juristische533) Person, § 138 InsO, ist gemäß § 30 GmbHG534 immer (auch während der Liquidation535 und selbst bei Vorhandensein einer mithaftenden natürlichen Person, zB einem Kommanditisten536) unzulässig und als Unterfall des existenzgefährdenden oder -vernichtenden Eingriffs nach § 266 StGB strafbar.537 § 30 GmbHG richtet sich nur an den Geschäftsführer. Ein Prokurist kann aber in gleichem Maße nach den Grundsätzen positiver Forderungsverletzung zivilrechtlich und wegen Untreue strafrechtlich haften,538 genauso wie ein Gesellschaf-

_____ 531 LG Darmstadt, 25.4.2013 – 16 O 195/12, NZI 2014, 367 ff, Berufung zurückgewiesen: OLG Frankfurt, 8.11.2013 – 24 U 80/13, NZI 2014, 363 ff, Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen: BGH, 9.12.2014 – XI ZR 440/13; Freitag WM 2003, 805 ff; Undritz/Degenhardt NZI 2015, 348 ff; sa Kollmorgen/Santelmann/ Weiß BB 2009, 1818 ff; Winkler/Becker ZIP 2009, 2361 ff. 532 Dazu Altmeppen ZIP 2009, 49 ff; Arens GmbHR 2010, 905 ff; Bork/Hölzle/Bittmann Rn 24/151 ff; Krause JR 2006, 51 ff; S/S/Perron Rn 19b zu § 266 StGB; Rönnau FS Samson, S 423 ff; Rönnau/Krezer ZIP 2010, 2269 ff; Wattenberg StV 2005, 523 ff; aus zivilrechtlicher Sicht: BGH, 13.6.2013 – IX ZR 259/12, ZInsO 2013, 1898 ff (dazu Kamm/Kropf ZInsO 2014, 689 ff); OLG Düsseldorf, 20.12.2013 – I-17 U 51/12, GmbHR 2015, 303 ff (dazu Beck GmbHR 2015, 287 ff); v Marwyk, ZInsO 2015, 335 ff; Neumann GmbHR 2016, 1016 ff; Reuter NZI 2011, 921 ff; Saenger/Koch GmbHR 2010, 113 ff; Strohn DB 2014, 1535 ff; Weitzel/Socher ZIP 2010, 1069 ff; Willemsen/Rechel BB 2009, 2215 ff; dies GmbHR 2010, 349 ff; Zahrte NZI 2010, 596 ff; sa unten § 26 Rn 95 f. Die Einrichtung eines Cash-Pools führt auch nach LK/Schünemann Rn 255 und 266 zu § 266 StGB und Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 18 vor §§ 82 ff GmbHG zu einer Vermögensbetreuungspflicht des Poolführers; sie reicht nach G/J/W/Waßmer Rn 55, auch 51 zu § 266 StGB für sich aus, um eine Vermögensbetreuungspflicht des Poolführers für das Vermögen der übrigen Poolgesellschaften zu begründen. 533 Zu deren Kreis Ropohl NZI 2006, 425 ff 534 Diese Vorschrift verdrängt zivilrechtlich die Bestimmungen der §§ 134 und 812 ff BGB, BGH NJW 1997, 2599 ff; vgl allg zu § 30 GmbHG oben § 7 Rn 3 ff. 535 Vgl oben Rn 80. 536 BGH, 9.12.2014 – II ZR 360/13, Rn 9 ff, ZIP 2015, 322 ff. Allerdings kann die Beeinträchtigung des Stammkapitals von der Werthaltigkeit des Rückgriffsanspruch gegen einen Kommanditisten abhängen, Rn 8, 11 und 13. 537 BGH wistra 1990, 99; 1996, 344, 347; Scholz/Tiedemann/Rönnau Rn 8 f vor §§ 82 ff GmbHG; Wodicka S 229 ff und 266 ff; aA LK/Schünemann Rn 253 zu § 266 StGB: Untreue nur bei Angriff auf das Stammkapital und kumulativer Existenzgefährdung. 538 BGH NJW 2001, 3123 ff.

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ter539 auch. Überwindet die GmbH ihre Krise ohne Rückführung des entgegen § 30 GmbHG Ausgezahlten, so ist das nur, aber trotz fortbestehenden Ausgleichsanspruchs gegen den (oder auch andere) Gesellschafter540 für die Strafzumessung relevant. Der Begriff der „Auszahlung“ iSd § 30 GmbH (Gleiches gilt für § 64 GmbHG) ist weit 115 zu fassen,541 wird vom Erfolg, dem unzulässigen Eingriff in das Stammkapital, gekennzeichnet, und iSv „Leistung“ ausgelegt. Der Verzicht auf eine zur Deckung des Stammkapitals benötigte Forderung gegen einen Gesellschafter ist ebenso eine verbotene Auszahlung iSd § 30 GmbHG,542 wie die Leistung der Gesellschaft an einen Dritten für Rechnung eines Gesellschafters543 bei zumindest anschließend nicht mehr ungeschmälert vorhandenem Stammkapital. Es genügt allerdings nicht jeder Abzug von Liquidität, sondern nur ein solcher 116 causa societas.544 Die Erfüllung ausgewogener, einem Drittvergleich standhaltender vertraglicher Vereinbarungen ist selbst bei angegriffenem Stammkapital auch gegenüber einem Gesellschafter gestattet.545 Buchungstechnisch handelt es sich um erfolgsneutrales Handeln, weil mit der Zahlung (= Verminderung der Aktivseite) die Ausbuchung der entspr Verbindlichkeit (= Verminderung der Passivseite) einhergeht. Eine solche Leistung hat keinen Einfluss auf die Stammkapitalziffer. Ob (iGgs zu externen Gläubigern546) anderes gilt, wenn die Durchsetzung des Anspruchs des Gesellschafters aufgrund der wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft gefährdet war, er also im Fall der Aktivierung als dubiose Forderung hätte wertberichtigt werden müssen, ist in der Rspr (wohl) noch nicht entschieden. Leistung und Gegenleistung standen dann nicht mehr gleichwertig gegenüber, so dass das Maß der Wertberichtigung als Auszahlung iSd § 30 GmbHG angesehen werden könnte. Von einer Leistung causa societas kann aber nur dann die Rede sein, wenn der Gesellschafter vor anderen Gläubigern bevorzugt wurde. Schon die Bestellung eines aufgrund von § 251 HGB noch nicht bilanzwirksamen Si- 117 cherungsrechts am Vermögen der Gesellschaft für Verbindlichkeiten eines Gesellschafters (oder auch des Geschäftsführers, ja eines jeden Dritten) kann eine „Auszahlung“ von Stammkapital darstellen.547 Sind nicht alle Gesellschafter mit der Belastung einverstanden, so erfolgt sie ungetreulich sogar unabhängig von der wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft. Trotz Einverständnisses erleidet das Gesellschaftsvermögen einen Untreue-

_____ 539 Deshalb ist auch dessen Einverständnis mit einer das Stammkapital schmälernden Zahlung des Geschäftsführers unwirksam, oben Rn 23 und 94 ff; aA Böttger Rn 3/81 aE unter der hM widersprechenden Berufung auf das MoMiG. 540 BGH, 29.5.2000 – II ZR 118/98, Rn 11 ff, BGHZ 144, 336 ff; 22.9.2003 – II ZR 229/02, Rn 13, NJW 2003, 3629 ff; 23.4.2012 – II ZR 252/10, Rn 29, BGHZ 193, 96 ff. Vgl dazu oben § 7 Rn 55. 541 BGH, 16.3.2009 – II ZR 32/08, Rn 12, ZInsO 2009, 1104 ff; OLG Schleswig, 11.2.2010 – 5 U 60/09, Rn 47, ZInsO 2010, 530 ff; Porzelt ZInsO 2013, 2145 ff; Scholz/K Schmidt Rn 28 ff zu § 64 GmbHG. 542 BGHZ 122, 333, 338; das soll nicht gelten, wenn ein solcher Anspruch aufgrund der vertraglichen Gestaltung zwischen der GmbH und dem Gesellschafter gar nicht erst zur Entstehung gelangte, BGH NJW 2000, 1571 f; dazu abl Altmeppen DB 2000, 657 ff. 543 BGH 22.9.2003 – II ZR 229/02, NJW 2003, 3629 ff (Abführen von Steuern des Gesellschafters an das Finanzamt). 544 Rohwedder/Schmidt-Leithoff/Pentz Rn 31 zu § 30 GmbHG. 545 Vgl zB OLG Dresden NJ 2003, 151 f: ausgewogener Vergleichsschluss; OLG Jena OLG-NL 2001, 18, 19; Scholz/Verse Rn 19 zu § 30 GmbHG. 546 Vgl dazu unten Rn 131 ff und 134 ff: Missachtung von § 64 S 1 GmbHG strafrechtlich irrelevant iGgs zu existenzvernichtenden Zahlungen an Gesellschafter (und Nahestehende) in und außerhalb des Geltungsbereichs des § 64 S 3 GmbHG. 547 Dazu oben Rn 41.

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Nachteil, wenn mit der Inanspruchnahme zu rechnen und das Stammkapital entweder bereits angegriffen ist oder es danach wäre.548 Die strafrechtliche Praxis gelangt allerdings selten zu einer Verurteilung wegen sol118 cher Handlungen, weil sich der erforderliche Nachweis kaum führen lässt, der Geschäftsführer habe bereits im Bestellungszeitpunkt sowohl mit der Inanspruchnahme der Sicherung als auch damit gerechnet, dass zumindest danach Insolvenzreife bestehen werde. Die Feststellung, die Leistung habe das Stammkapital berührt, lässt sich ebenfalls 119 nicht immer leicht treffen, wird es doch nirgendwo als solches (zB auf einem Konto) aufbewahrt und unangetastet gelassen. Das Stammkapital stellt kein Sondervermögen dar, sondern muss lediglich bei Errichtung der Gesellschaft gegenständlich oder auf einem Bankkonto, und das noch nicht einmal immer vollständig, vgl § 7 Abs 2 GmbHG, vorhanden gewesen sein. Anschließend handelt es sich um nichts anderes als um eine Rechengröße. Es genießt lediglich wertmäßigen Schutz.549 Das Auszahlungsverbot gem § 30 GmbHG stellt sich in der Praxis daher als Verbot von Auszahlungen bei – sei es schon zuvor, sei es jedenfalls danach – geschmälerter Stammkapitalziffer dar. Im sog „November-Urteil“ hatte der BGH in Zivilssachen550 den wertmäßigen Schutz 120 materialisiert: Weil bereits der Austausch liquider Haftungsmasse gegen eine zeitlich herausgeschobene schuldrechtliche Forderung die Vermögenslage der Gesellschaft und damit die Befriedigungsaussichten ihrer Gläubiger verschlechtere, sei im Fall der Unterbilanz die reale Substanz des Gesellschaftsvermögens zu wahren, so dass die Gewährung eines Kredits an einen Gesellschafter selbst im Fall der Werthaltigkeit des Rückforderungsanspruchs unzulässig sei. Diese Auffassung teilte der Gesetzgeber des MoMiG nicht und der BGH kehrte auch für die Vergangenheit zur bilanziellen Betrachtung zurück.551 Ob die auf der Basis des November-Urteils zu bejahende zivilrechtliche Treuwidrigkeit auch zur Strafbarkeit wegen Untreue führte (Nachteil?), kann dahinstehen. Angesichts der nunmehr klargestellten Zulässigkeit sind aus dem Stammkapital gewährte Darlehen jetzt straflos und auch für die Vergangenheit nicht mehr strafbar. Voraussetzung ist natürlich, dass der Rückzahlungsanspruch werthaltig ist.552 Für die Beurteilung maßgeblicher Zeitpunkt ist derjenige der Gewährung des Kredits. Verliert die Forderung gegen den Gesellschafter aufgrund nachträglicher Umstände an Wert, so ist dies untreuerechtlich irrelevant,553 es sei denn, die Minderung selbst beruht auf strafrechtlich

_____ 548 Vgl dazu oben Rn 90 f und unten Rn 123. 549 BGH, 24.11.2003 – II ZR 171/01, Rn 11, BGHZ 157, 72 ff; Crezelius FS Uhlenbruck S 619, 623. 550 BGH, 24.11.2003 – II ZR 171/01, BGHZ 157, 72 ff. 551 BGH, 1.12.2008 – II ZR 102/07, Rn 12, BGHZ 179, 71 ff (MPS); Bayer/Lieder, AG 2010, 885 ff; Bormann juris PR-HaGesR 1/2009, Anm 1; Kiefner/Theusinger, NZG 2008, 801 ff; Kollmorgen/Santelmann/Weiß BB 2009, 1818 ff; Mülbert/Leuschner NZG 2009, 281 ff; Mülbert/Sajnovits WM 2015, 2345 ff; Schickerling/Blunk GmbHR 2009, 1294 ff; Theusinger/Kapteina, NZG 2011, 881 ff; Tillmann NZG 2008, 401 ff; Winkler/Becker ZIP 2009, 2361 ff. 552 LK/Schünemann Rn 253 zu § 266 StGB; M-G/Richter Rn 82/24. Das gilt auch im Fall der ersten Alternative des § 30 Abs. 1 S 2 GmbHG, dem Bestehen eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrags, Altmeppen NZG 2010, 361 ff; sa Rothley/Weinberger NZG 2010, 1001 ff; zum Parallelproblem beim betrügerischen Erlangen eines Kredits zB BGH, 26.11.2015 – 3 StR 247/15, Rn 8, wistra 2016, 343 ff. A/R/R/Seier Rn 5/ 2/378 sieht darin eine Abkehr von BGHSt 35, 333 ff. Das aber setzt logisch voraus, für die Zeit vor dem MoMiG Untreue nach den Grundsätzen des November-Urteils zu bejahen. Eine solche Annahme liegt aber bei werthaltigem Rückzahlungsanspruch alles andere als nahe, denn dann fehlt es bereits (und das ist gegenüber G/J/W/Waßmer Rn 155 zu § 266 StGB hervorzuheben) an einem Eingriff in das Stammkapital, so dass Untreue nur noch unter einem anderen Gesichtspunkt, nämlich der Entziehung der Produktions- oder sonstigen betriebsnotwendigen Grundlagen, in Betracht kommen kann. 553 Livonius wistra 2009, 91 ff, 94.

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relevanten Umständen. Ist der Rückzahlungsanspruch hingegen bei Darlehensgewährung minderwertig, so erleidet die Gesellschaft bei nicht mehr ungeschmälertem Stammkapital einen Untreue-Nachteil. Er beläuft sich auf (zumindest) den Nominalwert, wenn das Stammkapital bei Darlehensgewährung bereits nicht mehr vollständig vorhanden war, andernfalls auf die anschließende Deckungslücke. Er kann noch deutlich höher ausfallen, wenn das Darlehen der Gesellscaft zum Fortbestand nötige Mittel entzog. Weil zumeist von selten eindeutigen Bewertungen abhängig, ist häufig bereits in objektiver Hinsicht schwierig zu entscheiden, ob Stammkapital ausgezahlt wurde. Das Poblem stellt sich für den Geschäftsführer in der Handlungssituation ebenso wie bei der späteren (ex-ante-)Beurteilung in einem Ermittlungs- oder Strafverfahren. Hier kann die nachträgliche Aufstellung einer Bilanz zum Geschehenszeitpunkt erforderlich sein, wenn die Tatsache, dass das Stammkapital nicht mehr ungeschmälert vorhanden war, nicht aufgrund anderer Umstände, zB einer vorausgehenden Jahresbilanz ohne vorhandene stille Reserven, feststellbar ist. Zuvor sollte jedoch geprüft werden, ob der Tatnachweis nicht in subjektiver Hinsicht sowieso auf unüberwindliche Hürden stößt. Die bilanziellen Ansätze sind zwar zivilrechtlich ohne Veränderung maßgeblich. Es gelten also nicht die Modifikationen wie beim Überschuldungsstatus.554 Dafür, dies auf das Strafrecht zu übertragen, spricht, dass es diesseits der Insolvenzreife nur die Handelsbilanz ist, welche den Vermögensstand der Gesellschaft abbildet und nach der Konzeption des GmbHG mindestens das darin ausgewiesene Stammkapital den Gläubigern als Haftungsgrundlage zur Verfügung stehen soll. Gleichwohl wird man aber strafrechtlich zumindest stille Reserven zu den Aktiva hinzuzurechnen haben, weil deren Vorhandensein in einem zur Deckung des Stammkapitals genügenden Maße eine Gefährdung der Gläubiger ausschließt555 und die Gesellschaft damit über ein genügendes Schuldendeckungspotential556 verfügt. Um dies zu wahren, wird hingegen der Firmenwert nur ausnahmsweise aktiviert werden können.557 Der Ersatzanspruch aus § 31 Abs 1 GmbHG bleibt bei der Berechnung des Nachteils außer Betracht. Der Geschäftsführer hat ihn aber unter Strafdrohung gem § 266 StGB einzufordern. Obwohl eine Aufrechnung analog § 19 Abs 2 S 2 GmbHG (auch nach dessen Neufassung) unwirksam ist,558 vermag sie, wurde sie gleichwohl erklärt und als wirksam behandelt, keinen Untreue-Nachteil anzurichten, wenn damit die Befreiung von einer durchsetzbaren Verbindlichkeit einherging. Nachteilig und als existenzgefährdender Eingriff (für Geschäftsführer und Gesellschafter) strafbar ist jedoch der Abzug, ebenso die fehlende Rückforderung zum Fortbestehen notwendiger finanzieller Mittel oder Gegenstände. In der Praxis werden Transfers auf einen Gesellschafter meist als Darlehen bezeichnet. Untreue durch Angriff auf das Stammkapital liegt darin dann, wenn – wie typischerweise – der Rückzahlungsan-

_____ 554 BGH, 29.9.2008 – II ZR 234/07, Rn 11, NJW 2009, 68 ff; G/J/W/Waßmer Rn 221a zu § 266 StGB (allg für existenzgefährdende Eingriffe). Der Firmenwert darf nicht aktiviert werden, OLG Celle, 3.12.2003 – 9 U 119/03, BB 2004, 713. Zum Überschuldungsstatus s oben § 11 Rn 112 ff. Für die Werthaltigkeit des Rückgriffsanspruchs der GmbH gegenüber der KG nach einem existenzgefährdenden oder -vernichtenden Eingriff kommt es aber lt BGH, 9.12.2014 – II ZR 360/13, Rn 17, ZIP 2015, 322 ff auf die Bewertung des KGVermögens nach Liquidationswerten an. 555 So M-G/Richter Rn 82/29, der überdies allg für den existenzgefährdenden Eingriff die Regeln für den Überschuldungsstatus anwenden will; aA Böttger Rn 3/81. 556 M-G/Hadamitzky Rn 32/85. 557 OLG Celle BB 2004, 713. 558 BGH NJW 2001, 830 f (insoweit nicht überholt von BGH, 26.1.2009 – II ZR 217/07, BGHZ 179, 285 ff).

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spruch aufgrund der desolaten wirtschaftlichen Lage des Gesellschafters wertberichtigt werden muss. Fälle, in denen nur das Stammkapital iS des § 30 GmbHG angegriffen wird, beschäfti125 gen die Praxis selten. Anders ist es hingegen, wenn hohe Entnahmen, oft in verschleierter Weise, nicht nur zum Unterschreiten der Stammkapitalziffer, sondern, damit verbunden, zum Eintritt der Krise führten. Noch häufiger sind die unmittelbaren oder phantasievoll gekennzeichneten Entnahmen zu einer Zeit, zu welcher das Stammkapital schon längst nicht mehr ungeschmälert vorhanden war. Hier zeigt sich die kriminogene Wirkung des sich abzeichnenden wirtschaftlichen Zusammenbruchs: Solange mit dem Fortbestand des Unternehmens gerechnet wird, bleibt das Geld im Unternehmen. Muss aber mit dessen alsbaldigem Ende gerechnet werden, so steigt die Versuchung, die Insolvenz des Unternehmens nicht zum persönlichen wirtschaftlichen Kollaps führen zu lassen.

e) Untreue durch Abzug kapitalstützender Mittel 126 Mit Inkrafttreten des MoMiG am 1.11.2008 änderte sich das Recht der kapitalstützenden

Mittel tiefgreifend. An die Stelle des bis dahin praktizierten dualen Eigenkapitalersatzrechts der va §§ 32a und b GmbHG einerseits und der sog Rechtsprechungsregeln andererseits trat neben einer ausdrücklichen gesetzlichen Nichtanwendungsregelung letzterer in § 30 Abs 1 S 3 GmbHG die generelle Anfechtbarkeit559 im letzten Jahr vor dem Insolvenzantrag an Gesellschafter zurückgewährter, gemäß § 39 Abs 1 Nr 5 InsO subordinierter Leistungen, § 135 Abs 1 Nr 2 InsO. Über diese Vorschrift werden ua auch Nahestehende iS von § 138 InsO den Gesellschaftern gleichgestellt.560 Das Wesen kapitalstützender Leistungen besteht darin, der GmbH561 als juristi127 scher Person zur Sicherung der Stammkapitalziffer Mittel zur Verfügung zu stellen oder trotz Abzugsmöglichkeit562 zu belassen, welche die andernfalls bestehende Notwendigkeit, einen Eröffnungsantrag stellen zu müssen, beseitigen soll, auch in der Liquidationsphase.563 Diese Mittel werden meist von Gesellschaftern (oder ihnen nahestehenden Dritten) bereitgestellt oder als Fremdmittel von ihnen besichert. Kapitalstützende Mittel erfüllen denselben Zweck wie das (nicht mehr vorhande128 ne) Stammkapital und nahmen deshalb bis zum 31.10.2008 an dessen Bestandsschutz in gleicher Weise teil. Ihre – direkte oder verschleierte – Rückgewähr durch den (ggf bereits ausgeschiedenen564) Geschäftsführer oder eine sonstige an die Kapitalersatz-

_____ 559 Übersicht bei Dahl/Schmitz NZG 2009, 325 ff; Hirte WM 2008, 1429 ff. Ausnahme: Kleinbeteiligungsprivileg bis 10% des Haftkapitals, dazu Bittmann NStZ 2009, 113, 116 f; zivilrechtlich: Tettinger NZI 2010, 248 ff. 560 Zivilrechtlich BGH, 17.2.2011 – IX ZR 131/10, ZInsO 2011, 626 ff; 17.3.2011 – IX ZA 3/11, ZInsO 2011, 784; Uhlenbruck/Hirte Rn 2 zu § 138 InsO; sa N/R/Nerlich Rn 25 f zu § 135 InsO. Zur Frage möglicher Umgehung mittels Forderungsverkaufs s d’Avoine NZI 2013, 321 ff. 561 Für andere juristische Personen gilt nichts anderes. 562 Rechtlich kommt es seit dem MoMiG darauf zwar nicht mehr an, weil jede Leistung, die im Jahr vor der Insolvenz an einen Gesellschafter zurückerstattet wurde, angefochten werden kann, § 135 Abs 1 Nr 2 InsO. Als Möglichkeit, die wirtschaftliche Lage zu stabilisieren, sie zumindest nicht zu verschlechtern, besteht die Zulässigkeit der Belassung einer Kapitalhilfe allerdings fort. Sie wirkt nach der Rspr zum Rangrücktritt als Zahlungsverbot, abl K Schmidt ZIP 2015, 901, 906 ff; auch Beilage zu ZIP 22/2016; ders BB 2016 2 ff; DB 2015, 600 ff; ferner Berger ZIP 2016, 1ff. Möglich sind auch weiterhin Überbrückungskredite. 563 Vgl oben Rn 80. 564 BGH, 24.9.2013 – II ZR 39/12, Rn 24, ZIP 2013, 2400 ff.

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regeln gebundene Person (wie zB der Gesellschafter selbst) war deshalb regelmäßig als Untreue strafbar.565 An dem wirtschaftlichen Phänomen als solchem hat sich nichts geändert. Es gibt 129 nach wie vor finanzielle Stützungsmaßnahmen, welche den Fortbestand der Gesellschaft sichern, aber nicht an der festen Bindung als Eigenkapital teilhaben sollen. Das war legal und ist auch jetzt erlaubt. Nur es wird nicht mehr von Eigenkapitalersatz gesprochen. Der Bedarf, diese Mittel in einer Phase, in der ohne sie Insolvenz angemeldet wer- 130 den müsste, im Unternehmen zu halten, ist ebenfalls unverändert geblieben. Gesetzlich geschützt566 wird er über das insolvenzrechtliche Anfechtungsrecht. Es wirkt freilich indirekt, indem es erfolgten Abzug wieder rückgängig machen soll. Der Findige kann allerdings durchaus versuchen, entnommenes Geld mittels Weitertransfers dem Zugriff des Insolvenzverwalters zu entziehen. Das geschieht nicht ganz selten und nicht durchweg erfolglos. Der vorausgehende Abzug derartiger Mittel aus der Gesellschaft ist ua aus diesem Grunde nicht grenzenlos zulässig, sondern nur in dem Maße gestattet, wie er nicht zur Zahlungsunfähigkeit der GmbH führen würde, § 64 S 3 GmbHG. Die Vorschrift enthält ein Leistungsverweigerungsrecht der Gesellschaft, 567 begrenzt die Durchsetzbarkeit der Forderung des Gesellschafters und bürdet ihm damit wegen dieser Stellung ein finanzielles Opfer auf.568 Eine Sonderregelung gilt für Gegenstände, insbes Grundstücke, die der (nicht nur kleinbeteiligte) Gesellschafter der Gesellschaft zum Gebrauch überlassen hatte. Nach § 135 Abs 3 und 4 InsO569 ruht der Aussonderungsanspruch für die Zeit von einem Jahr nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens – aber nur, soweit die Gegenstände betriebsnotwendig sind.570 Hatte der Gesellschafter im letzten Jahr vor Insolvenzeröffnung keine Gegenleistung für die Gebrauchsüberlassung erhalten, so hat er auch für das Jahr nach der Insolvenzeröffnung keinen Anspruch auf Vergütung. Eine vorinsolvenzliche Rückgabe ist unter den erleichterten Voraussetzungen des § 135 Abs 1 Nr 2 InsO anfechtbar. Entzieht der Gesellschafter den Gegenstand der Gesellschaft oder im ersten Jahr nach Verfahrenseröffnung der Masse, so ist das als Untreue

_____ 565 Detailliert Voraufl, Rn 118 ff; sa BGH, 6.5.2008 – 5 StR 34/08, NStZ 2009, 351 ff, dazu Bittmann wistra 2009, 102 ff; Leplow wistra 2009, 351 ff; M-G/Richter Rn 82/13; LK/Schünemann Rn 253 zu § 266 StGB; Fischer Rn 97a zu § 266 StGB. 566 Eidenmüller/Engert FS K Schmidt, S 305 ff; Marotzke DB 2015, 2431 ff und 2495 ff (ausführlich); K Schmidt, ZIP 2015, 901 ff. 567 BGH, 9.10.2012 – II ZR 298/11, Rn 18, BGHZ 195, 42 ff; zust. Rönnau FS Schünemann S 675 ff, 684 (Leistungsverweigerungsrecht und Zahlungsverbot synonym verwandt); sa Rönnau/Becker NZWiSt 2014, 441 ff, 447. Der nach Inkrafttreten des MoMiG aufgekommene, dem Gläubigerschutz verpflichtete Vorschlag, die Gesellschafterforderung als subordiniert bei Prüfung der Vermögenslage der Gesellschaft vor der Rückzahlung auszublenden, Spliedt ZIP 2009, 149 ff, hat sich zivilrechtlich nicht durchgesetzt. Der Nachrang wird also nicht vorausgesetzt. Danach ist nicht bereits die Zahlung auf die Gesellschafterforderung als solche untreuerelevant, M-G/Richter Rn 82/32, sondern nur wenn und soweit in der Folge die Existenz der Gesellschaft gefährdet ist, dazu sogleich Rn 131; ausf zum Zivilrecht oben § 7 Rn 32 ff. 568 Als spiegelbildliche Folge besteht in Höhe des Leistungsverweigerungsrechts ein Wertberichtigungsbedarf auf der Passivseite der Bilanz, BGH, 23.4.2012 – II ZR 252/10, Rn 25, BGHZ 193, 96 ff. 569 Den Anwendungsbereich einschränkend, zumindest konturierend BGH, 29.1.2015 – IX ZR 279/13, Rn 44 ff, BGHZ 204, 114 ff (dazu Lind DB 2015, 1033 f); restriktiv auch OLG Schleswig, 13.1.2012 – 4 U 57/11, ZIP 2012, 885 ff (dazu krit Haas NZI 2012, 601 ff): wurden die Mietzinsverpflichtungen vorinsolvenzlich erfüllt, so sind die fällig werdenden weiteren Ansprüche in der Insolvenz nicht gemäß § 39 Abs 1 Nr 5, Abs 3 InsO nachrangig; sa Schäfer NZI 2010, 505 ff. 570 BGH, 29.1.2015 – IX ZR 279/13, Rn 42, BGHZ 204, 83 ff.

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strafbar,571 je nach den Umständen für den Gesellschafter, den Geschäftsführer oder für beide. Untreuerechtlich hat sich iü mit diesem neuen zivilrechtlichen Schutzmechanismus 131 nichts Wesentliches geändert. Strafgrund war und ist iGs zu § 283 Abs 1 StGB nicht der Abzug kapitalersetzender Mittel. § 266 StGB ist nicht zivilrechtsakzessorisch. Was das Zivilrecht ausdrücklich erlaubt, darf das Strafrecht zwar nicht unter Strafe stellen. Solange es sich nicht um eine Verweisungs- oder Blankettnorm handelt, folgt die Strafbarkeit aber nur aus der Strafnorm selbst.572 Sie trägt – trotz Sachrechtsaffinität – ihren Strafgrund in sich. Demnach war und ist der existenzgefährdende oder gar -vernichtende Eingriff strafbar. Auf § 64 S 3 GmbHG kommt es dabei überhaupt nicht an.573 Deswegen ist es unschädlich, dass es eine Parallelvorschrift im GenG nicht gibt: auch eine Genossenschaft darf ebensowenig ausgehöhlt werden wie zB eine GmbH oder AG. Der Strafrechtsschutz ist rechtsformübergreifend – und gilt daher auch für Inlandsgesellschaften ausländischer Rechtsform.574 Strafbar ist aber nicht nur das Herbeiführen von Zahlungsunfähigkeit, sondern sind zB auch Leistungen nach bereits eingetretener Zahlungsunfähigkeit, ebenso solche, die das Stammkapital angreifen, zu Überschuldung führen oder das bereits nicht mehr vollständig vorhandene Stammkapital weiter aufzehren bzw die Überschuldung vertiefen.575 Der Nachteil beschränkt sich allerdings wie auch sonst auf die Folgen, die das Verbot des existenzgefährdenden oder -vernichtenden Eingriffs vermeiden soll, also auf (höchstens) den Nominalwert576 und die (schwer quantifizierbaren) sonstigen Folgen, insbes im Fall tatsächlich eintretender Insolvenz.577 Soweit hingegen eine Leistung an den Gesellschafter auf die Existenz der Gesellschaft keinen Einfluss hat, ist sie rechtmäßig. Das kann dazu führen, dass sie teils rechtmäßig und teils in strafbarer Weise578 erbracht wurde. Bei der Bestellung von Sicherheiten kann durch vorsorgende Limitation Language der Herbeiführung eines Nachteils entgegengewirkt werden.579 Dem Gesetzgeber war das klar. Er verzichtete auf eine vollständige (zivil- wie straf132 rechtliche) Kodifikation des existenzgefährdenden oder -vernichtenden Eingriffs, beließ der Praxis auf diese Weise die erforderliche Flexibilität, auch auf dynamische Neuentwicklungen sachgerecht reagieren zu können und stellte in der Begründung des MoMiG ausdrücklich klar, mit § 64 S 3 GmbHG nur einen Teilbereich des existenzgefährdenden oder -vernichtenden Eingriffs zivilrechtlich in Gesetzesform zu gießen. Von den strafrechtlichen Folgen ist dabei an keiner Stelle der Materialien die Rede, dh auch nicht von einer Einschränkung der Strafbarkeit. Das Gesetzgebungsverfahren diente vielmehr auch dem Bemühen, Missbräuche einzudämmen. Entkriminalisierung hatte dabei niemand im Sinne.

_____ 571 Bittmann NStZ 2009, 113, 116 f. 572 Vgl Brammsen wistra 2009, 85 ff, 87 f; allg oben Rn 21. 573 Ebenso G/J/W/Waßmer Rn 152 zu § 266 StGB; sa Bittmann ZWH 2013, 445 f. Trotz aA bejaht Lechner S 96 ff auch die Strafbarkeit der Vertiefung der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, aber wohl nur unter (hier abgelehntem) Rückgriff auf § 64 S 1 GmbHG. 574 Dazu oben Rn 58 aE. 575 Dazu oben Rn 105. 576 Zumindest terminologisch nicht durchweg ebenso Rönnau FS Schünemann S 675, 686 f; Weiß GmbHR 2011, 350 ff, 356 f. 577 Weiß GmbHR 2011, 350 ff, 357 f, bejaht insoweit einen Nachteil unter dem Gesichtspunkt des individuellen Schadenseinschlags. 578 Neben § 266 StGB ist ohne Rangrücktrittserklärung auch § 283c StGB erfüllt, mit einer solchen § 283 StGB, C Brand/M Brand GmbHR 2015, 1125 ff, 1132; ferner unten Rn 139. 579 Komo GmbHR 2010, 230 ff; Mahler GmbHR 2012, 504 ff.

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Angesichts des für sich gesehen eindeutigen Verständnisses der Untreue wegen 133 existenzgefährdenden und -vernichtenden Eingriffs, den die Rspr 2008 längst erreicht hatte, und unter Berücksichtigung der skizzierten Gesetzgebungsgeschichte ist es verwunderlich, dass gleichwohl die Auffassung vertreten wird, selbst das Herbeiführen der Zahlungsunfähigkeit, also die Situation, die zivilrechtlich § 64 S 3 GmbHG verhindern will, sei für den Gesellschafter nicht (mehr) strafbar.580 Davon kann jedoch keine Rede sein. Der BGH hatte sich zwar noch nicht mit einem einschlägigen Fall unter Geltung des MoMiG zu befassen. Da er aber seine Untreue-Rspr im übrigen nicht änderte, wie die Bestätigung der Entscheidung zum Bremer Vulkan im Urteil in Sachen Refugium581 zeigt, gibt es keinerlei Grund, nun gerade den deutlichsten Fall eines existenzvernichtenden Eingriffs aus dem Tatbestand herauszuhalten. Demgegenüber ist die von § 64 S 1 GmbHG geregelte Situation strafrechtlich irre- 134 levant.582 Zivilrechtlich geht danach zwar die Bestandssicherung der Erfüllung fälliger Verbindlichkeiten vor. Selbst wenn man dem Geschäftsführer ein Leistungsverweigerungsrecht zubilligt,583 handelte es sich dabei aber nicht um ein Zahlungsverbot.584 Die Vorschrift dient zuvörderst als Anreiz, in der Krise rechtzeitig Insolvenz anzumelden, widrigenfalls der Geschäftsführer erbrachte Leistungen (ohne Saldierung!585) der Gesellschaft, in praxi: der Masse, aus seinem Privatvermögen zurückzugewähren hat. Externe Gläubiger stehen jedoch iGgs zu Gesellschaftern586 in keinem Verhältnis zur Gesellschaft, das sie vorinsolvenzlich zu finanzieller Rücksicht oder gar Opfern verpflichten würde.587 Der Geschäftsführer erbringt daher eine Leistung, die zu erbringen die Gesellschaft von Rechts wegen verpflichtet ist. Da ihr in derselben Höhe die Befreiung von einer Verbindlichkeit gegenübersteht, erleidet die Gesellschaft keinen Nachteil. Damit liegt keine Untreue vor.588

_____ 580 So Livonius wistra 2009, 91, 94 f. Sogar für den Geschäftsführer schränkt AnwK/Esser Rn 283 zu § 266 StGB die Strafbarkeit dadurch ein, dass er zudem noch einen Verstoß gegen das allg Schädigungsverbot verlangt. Wie hier M-G/Hadamitzky Rn 32/151. 581 BGH, 13.5.2004 – 5 StR 73/03, BGHSt 49, 147 ff; 31.7.2009 – 2 StR 95/09, BGHSt 54, 52 ff; 30.5.2013 – 5 StR 309/12, Rn 8, ZInsO 2013, 1350 ff; ebenso OLG Stuttgart, 14.4.2009 – 1 Ws 32/09, wistra 2010, 34 ff (dazu Maurer/Wolf wistra 2011, 327 ff mit Berechnungsbeispielen); aus zivilrechtlicher Sicht: BGH, 9.12.2014 – II ZR 360/13, Rn 8, ZIP 2015, 322 ff. 582 AnwK/Esser Rn 283 zu § 266 StGB; Bittmann wistra 2015, 223 ff, 224 f; G/J/W/Waßmer Rn 152 aE zu § 266 StGB; aA Lechner S 76 ff und 147 ff; Rönnau/Becker NZWiSt 2014, 441 ff. Zur Haftungsvermeidung im Zivilrecht s Geissler GmbHR 2016, 1130 ff. 583 So ausdrücklich entgegen der hM im Zivilrecht zutr Rönnau/Becker NZWiSt 2014, 441, 447. 584 AA Weiß GmbHR 2011, 350 ff, 350 und 351, wiewohl zugestehend, dass der GmbH kein Leistungsverweigerungsrecht zustehe, S 353 und die Straflosigkeit vor Inkrafttreten des MoMiG unstreitig war, S 357. 585 Der II. Zivilsenat des BGH, 18.11.2014 – II ZR 231/13, BGHZ 203, 218 ff (dazu Altmeppen ZIP 2015, 949 ff); auch 23.6.2015 – II ZR 366/13, Rn 12 ff, BGHZ 206, 52 ff; 8.12.2015 – II ZR 68/14, ZInsO 2016, 338 ff; 26.1.2016 – II ZR 394/13, Rn 38 ff, ZInsO 2016, 1118 ff, hat allerdings in letzter Zeit vorsichtige Ausnahmen zugelassen, wenn die Gesellschaft zeitlich nach der Zahlung einen Ausgleich erhalten hat. Die bloße Befreiung von der Pflicht zum Begleichen einer erhaltenen Leistung genügt dafür aber nicht. Ob sich die Ausnahme auch auf Fälle der Vorleistung bezieht, ist noch nicht entschieden. 586 Dazu oben Rn 130. 587 Rönnau/Becker NZWiSt 2014, 441 ff, 447, wollen Externe auf das Stellen eines Insolvenzantrags und das Erstatten einer Strafanzeige wegen Insolvenzverschleppung verweisen. In der Konsequenz dieser Auffassung läge die Pflicht zum Rückerstatten wegen ungerechtfertigten Bereicherung (unabhängig von den Voraussetzungen der Insolvenzanfechtung). 588 Auch insoweit bejaht Weiß GmbHR 2011, 350, 353 ff, im Hinblick auf die übrigen negativen Folgen für die Gesellschaft einen (erg: zu quantifizierenden) Nachteil unter dem Gesichtspunkt des individuellen Schadenseinschlags.

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960 | 3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften

Das steht im Einklang mit der gesetzlichen Wertung, die in § 283c StGB zum Ausdruck kommt: In der Krise sind zwar Leistungen an Gläubiger strafbar, welche diese nicht, nicht zu dieser Zeit oder auf diese Weise zu fordern hatten. Im Gegenschluss bedeutet dies jedoch, dass die Erfüllung fälliger Forderungen trotz Insolvenzreife nicht als Gläubigerbegünstigung strafbar ist, auch dann nicht, wenn der insolvenzreife Schuldner seine Gläubiger ungleich behandelt und einen von ihnen (ggf massiv) bevorzugt. Des unterschiedlichen Rechtsguts wegen schließt § 283c StGB zwar die Strafbarkeit 136 derartigen Verhaltens unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt nicht zwingend aus, damit auch nicht wegen Untreue.589 Die auch in anderen Fällen vorhandene Parallelität der Wertungen der Insolvenzdelikte ieS mit § 266 StGB spricht jedoch dafür, untreuerechtlich keinen Nachteil dadurch anzunehmen, dass der Gläubiger seine Forderung angesichts der Krise des Schuldners wertzuberichtigen hatte.590 Dabei handelt es sich um eine Vorsichtsmaßnahme zum Schutze der Gläubiger des Gläubigers, die dessen Schuldner weder berechtigt noch veranlasst, weniger als den Nominalwert zu leisten. Wollte man darin einen Nachteil des Gesellschaftsvermögens sehen, so würde man entgegen den zivilrechtlichen Regeln den insolvenzrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz auf die Zeit vor dem Insolvenzverfahren ausdehnen – und damit Verhalten pönalisieren, welches das Zivilrecht (trotz § 64 S 1 GmbHG) erlaubt. Neben den zwingenden zivilgesetzlichen Vorschriften, welche den Abzug kapital137 stützender Mittel verhindern oder wieder rückgängig machen können sollen, hat die Praxis vielfältige Instrumente entwickelt, die dasselbe Ziel kraft Parteiabrede erreichen sollen.591 Zu nennen sind etwa Finanzplankredite, die einer Gesellschaft zu Sanierungszwecken zur Verfügung gestellt und ihr deshalb nicht ohne weiteres wieder entzogen werden dürfen.592 Unbeschadet der Wirksamkeit ihrer Kündigung müssen sie der Gesellschaft daher belassen werden, wenn mit Abzug Insolvenzreife einträte.593 Vergleichbares gilt für Patronatserklärungen.594 Das rechtliche Schutzmuster ist hier wie in allen anderen Fällen (trotz aller Varian138 ten im Detail) dasselbe: Die Gesellschaft erhält zur Vermeidung ihrer Insolvenzreife 135

_____ 589 Anders noch Voraufl Rn 12/68 ff und 14/58. 590 Ebenso Rönnau FS Schünemann S 675 ff, 684; Rönnau/Becker NZWiSt 2014, 441 ff, 446; Weiß GmbHR 2011, 350 ff, 353. 591 K Schmidt ZIP 2015, 901. Ob eine solche Bindung bestand, prüfte BGH, 18.6.2013 – II ZR 217/12, Rn 9 ff, GmbHR 2013, 1321 ff (dazu Bittmann ZWH 2013, 445 f), trotz Rückzahlung an den GesellschafterGeschäftsführer im Vorfeld der Insolvenz nicht. Zum Füllen möglicher Schutzlücken durch die Rspr Hölzle ZIP 2011, 650 ff. Zu Crossborder-Gesellschafterdarlehen OLG Naumburg, 6.10.2010 – 5 U 73/10, ZIP 2011, 677 ff (dazu Schall ZIP 2011, 2177 ff). Zur Frage der Subordination trotz Besicherung seitens der Gesellschaft BGH, 18.7.2013 – IX ZR 219/11, ZIP 2013, 1579 ff; Altmeppen ZIP 2013, 1745 ff; ders ZIP 2016, 2089 ff; Bitter ZIP 2013, 1497 ff und 1998 ff; Hölzle ZIP 2013, 1992 ff; Thole ZIP 2015, 1609 ff. 592 BGH, 6.7.2004 – XI ZR 254/02, 19 ff, ZIP 2004, 1589 ff; Buschmann NZG 2009, 91 ff; Kiethe KTS 2005, 179 ff; v Onciul S 88; Waldburg ZInsO 2014, 1405 ff; Wallner/Neuenhahn NZI 2006, 553 ff; G/J/W/Waßmer Rn 128 zu § 266 StGB. BGH, 14.9.2004 – XI ZR 184/03, ZIP 2004, 2131 ff, ließ Kündigung für die Zukunft bei wesentlicher Verschlechterung der Finanzlage gegenüber der Zeit der Gewährung zu. Zu den von Sanierungskrediten zu unterscheidenden Überbrückungskrediten s BGH, 20.12.2002 – 2 StR 381/02, Rn 2 aE, NStZ 2003, 545 f; sehr eng, allerdings (ebenfalls) in einem vor-MoMiG-Fall BGH, 17.7.2006 – II ZR 106/05, Rn 9 f, NZI 2007, 63 f; sa D M Weiß/v Jeinsen ZIP 2016, 2251 ff; zu verschiedenen Formen Bitter/Laspeyres ZInsO 2013, 2289 ff. 593 BGH, 28.6.1999 – II ZR 272/98, insb Rn 18, BGHZ 142, 116 ff; dazu Altmeppen NJW 1999, 2812 ff; K. Schmidt ZIP 1999, 1241 ff. 594 BGH, 20.9.2010 – II ZR 296/08, Rn 23 ff, BGHZ 197, 69 ff (dazu Heeg BB 2011, 1160 ff; Raeschke-Kessler/ Christopeit NZG 2010, 1361 ff; Tetzlaff ZInsO 2011, 226 ff); OLG München, 22.7.2004 – 19 U 1867/04, ZIP 2004, 2102 ff, teilweise abweichend von OLG Celle, 28.6.2000 – 9 U 54/00, NdsRpfl 2000, 309 f.

Bittmann

§ 17 Kreditbetrug, § 265b StGB | 961

finanzielle Mittel, deren Rückforderung erst nach Befriedigung der übrigen Gläubiger oder nach Überwindung der Krise verlangt werden kann. Sie sind demgemäß mit einer Rangrücktrittserklärung versehen. Eine Kündigung595 ist zwar, sofern nicht ausdrücklich ausgeschlossen, für die Zukunft möglich, wirksam aber nicht zu Lasten bestehender Gläubiger. Nur deshalb besteht gemäß § 19 Abs 2 InsO keine Passivierungspflicht. Entziehen Geschäftsführer oder Gesellschafter der Gesellschaft derartige Mittel, so 139 führen sie nicht nur die Insolvenzreife und damit die Insolvenzantragspflicht herbei, sondern machen sich außerdem wegen Untreue596 strafbar.597 Als unter dem Schutz des § 266 StGB stehend wird der Gesamtbetrag der von der Rangrücktrittserklärung erfassten kapitalstützenden Leistung angesehen. Das ist insoweit problemlos, wie die Erklärung flexibel gefasst ist, sich daher sowieso an die wirtschaftliche Lage anpasst. Dann sind nur die existenzberührenden Teile erfasst. Das hat allerdings im laufenden Geschäft den Nachteil mangelnder Planungssicherheit und kann zudem zu Zufallsergebnissen führen, wenn am Tag des Abzugs keine Existenzgefährdung bestand, aufgrund einer am Folgetag fällig werdenden hohen Verbindlichkeit aber gleichwohl. Daher ist jedenfalls bei starren Rangrücktrittserklärungen die gesamte Zahlung nachteilig iSv § 266 StGB. Gleiches dürfte für § 283 Abs 1 S 1 StGB zutreffen. anhängen

§ 17 Kreditbetrug, § 265b StGB

Bittmann/Schulze § 17 Kreditbetrug, § 265b StGB I. Die Bedeutung der Vorschrift für die Praxis Praktische Konsequenz erlangt die Strafbarkeit nach § 265b StGB im Insolvenzstrafrecht 1 bereits zu Beginn der Krise eines Unternehmens. Hier hat der um Erhöhung der Liquidität und Abwendung der Insolvenz durch Kredite bemühte Unternehmer bei der (regelmäßig verlangten) Vorlage der Bücher über darüber hinaus eingetretene Verschlechterungen aufzuklären. Häufig verkannt wird hier aber, dass die Kreditvergabeentscheidung grundsätzlich Risiko des Kreditierenden ist, § 265b StGB gerade nicht dessen unternehmerisches Wagnis absichert. Liegen die Fakten das Unternehmen betreffend klar auf dem Tisch, fehlt es an dem erforderlichen Täuschungselement. Eine Strafbarkeit wegen Kreditbetrugs scheidet aus.

_____ 595 Nicht jeder Nachrang verhindert zu jeder Zeit die Einordnung als fällige Verbindlichkeit iS der Zahlungsunfähigkeit, Fall PROKON: Genusscheine, dazu Bitter/Rauhut ZIP 2014, 1005 ff gegen Bork ZIP 2014, 997 ff und oben § 11 Rn 76; verallgemeinert Bitter ZIP 2015, 345 ff. 596 M-G/Richter Rn 82/34 f; ebenso Bittmann wstra 2009, 102 ff, 104 (entgegen dem Zitat bei M-G/Richter Rn 82/35, Fn 1); auch K Schmidt ZIP 2015, 901, 905 f, der diese Konsequenz zieht aus der von ihm selbst allerdings abgelehnten Rspr des BGH (insbes 5.3.2015 – IX ZR 133/14, BGHZ 204, 231 ff; dazu oben § 11 Rn 119). 597 Außerdem auch noch wegen Bankrotts, § 283 Abs 1 Nr 1 StGB, C Brand/M Brand GmbHR 2015, 1125 ff, 1132; aA OLG Celle, 23.1.2014 – 2 Ws 347/13, Rn 40, ZInsO 2014, 1668 ff: wegen Gläubigerstellung nur § 283c StGB (ohne Befassung mit § 266 StGB).

Bittmann/Schulze

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II. Allgemeines 2 Rechtsgut des Kreditbetruges gem § 265b StGB ist das Vermögen des Kreditgebers,

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welches bereits im Vorfeld des Betruges geschützt wird.1 Ein überindividuelles Allgemeininteresse an der Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft, dh an der Aufrechterhaltung von Grundregeln der Marktgerechtigkeit, ist allenfalls mittelbar geschützt.2 Der Kreditbetrug gem § 265b StGB erfasst nicht Kredite von oder an Private, sondern nur solche bei denen sowohl Kreditgeber als auch Kreditnehmer Betriebe oder Unternehmen sind.3 Maßgebend ist insoweit eine wirtschaftliche Betrachtungsweise. Unanwendbar ist die Vorschrift deshalb, wenn einem Unternehmer ein Kredit zu privaten Zwecken gewährt wird, zB zur Anschaffung eines Privatwagens oder zum Bau eines Einfamilienhauses. Durch Abs 3 Nr 1 der Vorschrift wird klargestellt, dass auch die Betriebe von freiberuflich Tätigen erfasst werden. Andererseits werden im Unterschied zu § 264 StGB Kleinbetriebe und kleine Unternehmen, welche nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb nicht erfordern, ausgeschieden.4 Für den „in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb“ sind Einrichtungen wesentlich, wie sie ein Kaufmann zum Zwecke ordentlicher und zuverlässiger Geschäftsführung schaffen muss.5 Indizien sind vor allem die geordnete Kassen- und Buchführung einschließlich der Bilanzerrichtung und das Bestehen einer Bankverbindung.6 Im Einzelfall muss die Notwendigkeit einer entspr Einrichtungen nach Art und Umfang bestehen, wobei beide Kriterien kumulativ erfüllt sein müssen. Schulze Das Unternehmen, für welches der Kredit beantragt wird, muss mit den in Abs 3 Nr 1 genannten Eigenschaften bereits im Zeitpunkt der Antragstellung bestehen; dass ein entspr Betrieb erst geschaffen werden soll und der Kredit für diesen gedacht ist, genügt nicht, weil der Grund für die Beschränkung auf Betriebe gerade darin liegt, dass bei diesen die Prüfung der Kreditwürdigkeit mit wesentlich größeren Schwierigkeiten verbunden ist als bei einem Privaten oder einem Kleinbetrieb.7 Auf der Kreditnehmerseite genügt zur Erfassung von Schein- und Schwindelunternehmen auch ein vorgetäuschter Betrieb. In solchen Fällen wird darüber getäuscht, dass ein Betrieb iSd Abs 3 Nr 1 gerade nicht vorliegt.8 Der dem Schutzbereich des § 265b StGB unterfallende Kredit ist in Abs 3 Nr 2 legaldefiniert. Zu den Gelddarlehen gehören alle auf die Hingabe, zeitweise Belassung und Rückzahlung von Geld gerichteten Verträge unabhängig von Laufzeit und Verzinslichkeit, ob der Kredit als Personal- oder Realkredit, als Kontokorrentkredit mit vereinbarter Fälligkeit oder als Tilgungsdarlehen gewährt wird.9 Erfasst wird aber auch die Stundung

_____ 1 Die Gegenansicht sieht mit dem Gesetzgeber des 1. WiKG als Rechtsgut (auch) die „Funktionsfähigkeit des Kreditwesens“, vgl S/S/Lenckner/Perron Rn 3 zu § 265b StGB; LK/Tiedemann Rn 9f zu § 265b StGB; OLG Stuttgart NStZ 1993, 545. 2 Fischer Rn 3 zu § 265b StGB. 3 BGH v 16.11.2010 – 1 StR 502/10, NStZ 2011, 279. 4 In Anlehnung an § 1 Abs 2 HGB. 5 Anders als § 2 HGB kommt es nicht auf kaufmännische Geschäfte an. 6 S/S/Perron Rn 10 zu § 265b StGB. 7 S/S/Perron Rn 5 zu § 265b StGB. 8 BGH v 16.11.2010 – 1 StR 502/10, NStZ 2011, 279. 9 LK/Tiedemann Rn 38 ff zu § 265b StGB.

Schulze

§ 17 Kreditbetrug, § 265b StGB | 963

einer Geldforderung. Dabei handelte sich um das auf einer Abrede beruhende Hinausschieben der Fälligkeit einer Forderung bei bestehenbleibender Erfüllbarkeit.10 Das gilt unabhängig davon, ob sie schon bei Vertragsschluss oder später vereinbart worden ist und ob sie auf bestimmte oder unbestimmte Zeit erfolgt.11 Da die Stundung jeder beliebigen Geldforderung genügt, ist auch die Einräumung eines Warenkredits erfasst.12 Eine bestimmte Höhe des Kredits ist dabei nicht erforderlich. Dem Kreditbegriff des § 265b unterfallen auch geldwerte Mittel die dem Kreditnehmer vorübergehend zur Verfügung gestellt werden, zB bei der Einreichung von Lastschriften, wenn nach den getroffenen Vereinbarungen zwischen dem Zahlungsempfänger und seiner Bank der vorläufig gutgeschriebene Betrag zur freien Verfügung des Kontoinhabers gestellt wird.13 Erfasst sind letztendlich auch die Übernahme von Bürgschaften (§§ 765 ff BGB), Garantien und sonstigen Gewährleistungen, womit letztlich alle Rechtsgeschäfte erfasst sind, die zur (Mit-)Haftung für fremde Verbindlichkeiten führen. Hierunter fallen der Kreditauftrag (§ 778 BGB), die Wechsel- und Scheckbürgschaft (Art. 32 WechselG, Art. 27 ScheckG), die Schuldmitübernahme (der Schuldbeitritt) sowie die Stellung von Sicherheiten für fremde Verbindlichkeiten.14

III. Die Tathandlung Tathandlung ist eine besonders qualifizierte Täuschungshandlung gem § 265b Abs 1 7 Nr 1 und 2 StGB gegenüber einem Betrieb oder Unternehmen im Zusammenhang mit einem Antrag auf Gewährung, Belassung oder Veränderung der Bedingungen eines Kredits für einen Betrieb. Im Gegensatz zu § 263 StGB ist nicht erforderlich, dass die Täuschung tatsächlich zu einem entspr Irrtum geführt hat, insbes braucht es auch nicht zu der Kreditgewährung gekommen zu sein.15

1. § 265b Abs 1 Nr 1 StGB Abs 1 Nr 1a der Vorschrift erfasst die Vorlage von unrichtigen oder unvollständigen 8 Unterlagen betreffend die wirtschaftlichen Verhältnisse. Unterlagen sind neben den im Gesetz genannten sämtliche verkörperte Beweismittel, die gegenüber den Angaben im Kreditantrag eine unterstützende Funktion aufweisen.16 Sie sind unrichtig, wenn sie einen Sachverhalt wiedergeben, der keine Entsprechung in der Wirklichkeit findet. Unvollständig sind sie, wenn sie Teile des Sachverhalts weglassen, die üblicherweise und nach Erwartung des Kreditgebers gemeinsam mit dem mitgeteilten Sachverhalt hätten offengelegt werden müssen.17 Im Unterschied zu §§ 263, 264 StGB, die eine Täuschung über Tatsachen voraussetzen, können hier die unrichtigen Angaben über die wirtschaftlichen Verhältnisse auch in

_____ 10 11 12 13 14 15 16 17

BGH NJW 2000, 2580, 2582. MüKoBGB/Krüger Rn 20 ff zu § 271 BGB. S/S/Perron Rn 15 zu § 265b StGB. Vgl BGH v 22.1.2013 – 1 StR 416/12. MK-StGB/Wohlers/Mühlbauer Rn 23 zu § 265b StGB mwN. BGH v 27.3.2003 – 5 StR 508/02, NStZ 2003, 539. Nur mündliche Falschangaben sind tatbestandlich nicht erfasst. MK-StGB/Wohlers/Mühlbauer Rn 33 zu § 265b StGB mwN.

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964 | 3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften

unrichtigen oder unvollständigen Bewertungen (zB in Bilanzen) bestehen. Häufig existiert gerade bei Bilanzansätzen ein verhältnismäßig breiter Gestaltungsspielraum. Hier kann der objektiven Tatbestand nur bejaht werden, wenn die Unrichtigkeit nach fachmännischem Urteil eindeutig ist, eine gegenteilige Auffassung also nicht als vertretbar erscheint.18 Anders als in §§ 283 Abs 1 Nr 7a, 283b Abs 1 Nr 3a StGB und § 331 HGB werden durch § 265b StGB nur Verstöße gegen die Bilanzrichtigkeit und -vollständigkeit, also sachliche Unrichtigkeiten, sanktioniert, nicht aber solche gegen die Bilanzklarheit. Beispiele für solche ergebnisverändernden Darstellungen sind das Einstellen falscher Posten19 wie die Aufnahme überhöhter oder nicht vorhandener Aktiva, das Weglassen von Posten, wie das Nichtaufführen von Verbindlichkeiten und die Vornahme bewusst unzutreffender Wertansätze.20 Abs 1 Nr 1b erfasst schriftliche Angaben des Täters im Rahmen der Kreditvergabe. 9 Eine körperliche Urheberschaft ist nicht erforderlich. In beiden Alternativen müssen Unterlagen oder Angaben vorteilhaft oder erheblich sein. Erheblich sind Unterlagen oder Angaben, wenn sie in generalisierender Betrachtung üblicherweise bei Anträgen dieser Art von Bedeutung sind.21 Dabei kommt es auf die Sicht eines „verständigen, durchschnittlich vorsichtigen Dritten“22 an. Vorteilhaft sind Angaben, wenn sie bei objektiver ex-ante-Betrachtung die Entscheidung des Kreditgebers möglicherweise zu Gunsten des Antragstellers zu beeinflussen in der Lage sind.

2. § 265b Abs 1 Nr 2 StGB 10 Die Tatbestandsalternative des Abs 1 Nr 2 sanktioniert als echtes Unterlassungsdelikt die

unterbliebene Aufklärung über eine inzwischen eingetretene Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation bei der Vorlage von zu einem früheren Zeitpunkt angefertigten Unterlagen. Die Aufklärungspflicht gilt aber nur für eine Verschlechterung speziell der in den Unterlagen dargelegten wirtschaftlichen Verhältnisse, soweit sie für die Kreditgewährung erheblich sind.

IV. Vollendung, tätige Reue, Konkurrenzen 11 Die Tat ist vollendet mit Zugang der unrichtigen Unterlagen bzw Angaben. Eine Ver-

suchsstrafbarkeit ist nicht normiert. Eine versuchte Täuschung über Tatsachen kann aber ggf von § 263 StGB erfasst werden. Auf Grund der weiten Vorverlagerung des Handlungserfolges eröffnet § 265b Abs 2 12 StGB die Möglichkeit tätiger Reue bei vollendeter Tat. Dazu muss der Täter die Erbringung der beantragten Leistung verhindern. Dies ist zB bei einem Gelddarlehen nicht der Vertragsschluss, sondern erst die Auszahlung der Darlehenssumme, bei in Raten zu erbringenden Kreditleitungen der Zeitpunkt der ersten Leistung. Bei Stundungen oder der Einräumung von Warenkrediten genügt andererseits der Abschluss der entsprechenden Vereinbarung.

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Vgl Fischer Rn 28 zu § 265b; LK/Tiedemann Rn 68 zu § 265b StGB. BGHSt 30, 285. Vgl LK/Tiedemann Rn 70 ff zu § 265b StGB. BGH wistra 1982, 71. BGHSt 30, 285, 292; sa BGH StV 2003, 444f.

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§ 18 Subventionsbetrug, § 264 StGB | 965

Auf Konkurrenzebene tritt, wenn es zumindest zum Versuch des Betruges kommt, 13 § 265b hinter § 263 StGB zurück.23 Anders als bei § 264 StGB, der § 265b StGB verdrängt, handelt sich um keine dem § 263 vorgehende Sonderregelung. Das ergibt sich schon aus der geringeren Strafandrohung und daraus, dass § 265b StGB weder einen Schädigungsvorsatz noch einen tatsächlich eingetretenen Schaden voraussetzt oder letztgenannten auch nur mit abgölte. Beim Zusammentreffen von Abs 1 Nr 1a und b oder von Nr 1 und Nr 2 liegt nur eine Tat nach § 265b StGB vor. Tateinheit ist möglich mit §§ 267, 269 StGB, während mit §§ 332 und 334 StGB idR Tatmehrheit bestehen dürfte. anhängen

§ 18 Subventionsbetrug, § 264 StGB Schulze § 18 Subventionsbetrug, § 264 StGB

I. Die Bedeutung der Vorschrift für die Praxis Bedeutung im Insolvenzstrafrecht erlangt § 264 StGB insbes in Förderfällen, in denen in 1 einem Subventionsantrag über die Insolvenzreife eines Unternehmens – so es sich um eine subventionserhebliche Tatsache handelt – getäuscht wird. Teilweise wird in Förderbescheiden der nachträgliche Eintritt der Insolvenz für subventionserheblich erklärt und so eine betrugsrelevante nachträgliche Mitteilungspflicht begründet. Nicht selten sind die Fälle, in denen im Subventionsbescheid als Förderungsvoraussetzung die Einbringung weiteren Kapitals durch den Beantragenden nachzuweisen ist. Dieses „geistert“ aus Nachweisgründen kurzzeitig durch die Bücher, steht dem Unternehmen aber real nicht zur Verfügung. In der Folge wird dann die Subvention zur Seite geschafft und „insolviert“. § 264 dient daneben dem Schutz des Vermögens der öffentlichen Hand (Schutzgesetz) und ist zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen iVm § 823 Abs 2 BGB – insbesondere des Fiskus – geeignet.1 Während sich ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch nur gegen den Adressaten des Bewilligungsbescheides oder den Subventionsempfänger richten kann – bei einer Kapitalgesellschaft mit beschränkter Haftung wird im Falle der Insolvenz die Rückforderung ins Leere gehen – ist auf diesem Wege eine Rückgriffshaftung eröffnet2. Der Nachweis des Subventionsbetruges ist in der Regel wegen der im Allgemeinen 2 vorliegenden umfangreich dokumentierten Fördervorgänge nicht schwer zu führen. Aufgrund des formalen Charakters der Vorschrift ist es aber im Ermittlungsverfahren ratsam, große Sorgfalt auf die Prüfung der subventionserheblichen Tatsachen zu verwenden. Sind diese nicht hinreichend beschrieben oder erkennbar, kommt wegen der Täuschung (nur) eine Strafbarkeit wegen Betruges in Betracht. In der Praxis steht und fällt die Strafbarkeit nach § 264 StGB daher mit Gestaltung und Inhalt des Zuwendungsbescheids.

_____ 23 BGH v 16.11.2010 – 1 StR 502/10, NStZ 2011, 279; BGH v 21.2.1989 – 4 StR 643/88, BGHSt 36, 130 (131) = NJW 1989, 1868 – die Gegenansicht nimmt Idealkonkurrenz an, vgl MK-StGB/Wohlers/Mühlbauer Rn 53 zu § 265b StGB mwN. 1 Vgl BGH v 13.12.1988 – VI ZR 235/87. 2 MK-StGB/Wohlers/Mühlbauer Rn 2 zu § 264 StGB.

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966 | 3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften

II. Allgemeines 3 Der Missbrauch von Subventionsleistungen im Rahmen wirtschaftlicher Betätigung tritt

immer häufiger zutage, so dass eher von einem allgemeinen Phänomen als von einem Ausnahmedelikt gesprochen werden kann. Gerade in der Krise des Unternehmens wächst der Anreiz, die fehlende Liquidität durch (unberechtigte) Subventionen auszugleichen. Zum Schutz des Vermögens des Subventionsgebers wurde daher der Tatbestand des Subventionsbetrugs gem § 264 StGB geschaffen.3 Im Vergleich zu § 263 StGB ist die Strafbarkeit erheblich vorverlagert. Die Tat ist 4 vollendet schon mit einer Täuschung durch Handeln oder Unterlassen, die Verwirklichung weiterer Deliktsmerkmale ist nicht erforderlich. In subjektiver Hinsicht reicht bereits bloße Leichtfertigkeit aus (§§ 264 Abs 1 Nr 1, 2 iVm Abs 3 StGB). Die Vorschrift gilt nur im Rahmen der Vergabe oder Verwendung von Subventionen, 5 die in Abs 7 für das gesamte öffentliche Recht legaldefiniert werden. Nach § 264 Abs 7 S 1 Nr 1 StGB ist Subvention eine Leistung aus öffentlichen Mitteln, dh eine geldwerte direkte Zuwendung an den Empfänger aus Mitteln der öffentlichen Hand, also von Bund, Ländern oder Gemeinden, außerhalb regelmäßiger Haushaltszuweisungen. Indirekte Subventionen durch Steuernachlässe wie Tarifermäßigungen und Abschreibungsvergünstigungen oder nach steuerrechtlichen Vorschriften gewährte Zahlungen werden strafrechtlich hingegen ausschließlich von den §§ 370 ff AO geschützt.

III. Die Tatbestandsmerkmale 1. Subvention 6 Das Gesetz definiert den Begriff der Subvention in § 264 VII StGB. Die Leistung muss zu-

nächst ohne marktmäßige Gegenleistung gewährt werden, die Gegenleistungsfreiheit kann ganz oder teilweise (zB Darlehen zu verbilligten Zinsen) bestehen. Hauptform der Subvention ist der sog verlorene Zuschuss, bei dem eine Geld- oder geldwerte Leistung ohne Verpflichtung des Empfängers zur Rückzahlung erbracht wird. Er findet sich vor allem in Bereichen, in denen es nicht um die individuelle Prüfung und Lenkung der Belange des Empfängers geht, sondern um Unterstützung eines großen Personenkreises.

2. Leistungsempfänger 7 Als Leistungsempfänger werden ausschließlich Betriebe und Unternehmen erfasst.4

Damit scheiden kraft ausdrücklicher Regelung des Gesetzes Privathaushalte als Subventionsempfänger aus. Die sog Sozialsubventionen, zu deren Empfängern unterstützungsbedürftige Einzelpersonen wie Arbeitslose, kinderreiche Familien usw gehören, sind deswegen aus dem Anwendungsbereich des Tatbestandes ausgeschlossen, obwohl diese Subventionen teilweise auch der Wirtschaftsförderung dienen sollen. Dies gilt auch für alle arbeitsmarktbezogenen Zuwendungen der öffentlichen Hand.5 Der Begriff des Betriebes ist dabei nicht auf den Bereich der gewerblichen Wirtschaft beschränkt. Er

_____ 3 Fischer Rn 2a f zu § 264 StGB. 4 LK/Tiedemann Rn 38 zu § 264 StGB. 5 Zur Problematik Kurzarbeitergeld vgl MK-StGB/Wohlers/Mühlbauer Rn 57 zu § 264 StGB.

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§ 18 Subventionsbetrug, § 264 StGB | 967

umfasst auch Arzt- und Anwaltspraxen, Forschungseinrichtungen uÄ.6 Für das Vorliegen eines Unternehmens ist ausreichend jede auf eine gewisse Dauer angelegte organisatorische Zusammenfassung von sachlichen und persönlichen Mitteln mit dem Zweck der Hervorbringung von Gütern oder Leistungen materieller oder immaterieller Art.7

3. Subventionserhebliche Tatsachen Subventionserheblich sind solche Tatsachen, die der Subventionsgeber durch Gesetz 8 oder auf Grund eines Gesetzes als subventionserheblich bezeichnet hat (§ 264 Abs 8 Nr 1 StGB).8 Diese Bezeichnung muss angesichts der vielen Normativbegriffe des Subventionsrechts grundsätzlich der Tat vorausgehen. Der Pflicht des Subventionsgebers zur Bezeichnung der Subventionserheblichkeit einer Tatsache kommt eine große Bedeutung zu, da einerseits der Antragsteller die Vergabevoraussetzungen klar erkennen und andererseits der Subventionsgeber etwaige Täuschungshandlungen schnell und eindeutig feststellen können muss.9 § 2 Abs 1 SubvG verpflichtet daher den Subventionsgeber zu dieser ausdrücklichen Bezeichnung. Diese kann auch mündlich erfolgen.10 Wird sie erst nach Gewährung des Subvention vorgenommen, so kann bei Feststellung der Subventionserheblichkeit im Wege der Auslegung des Subventionsgesetzes § 264 Abs 1 Nr 2 StGB einschlägig sein. § 264 VII Nr. 2 StGB erfasst Sachverhalte, in denen die – gemäß § 2 SubvG eigentlich erforderliche – ausdrückliche Bezeichnung der subventionserheblichen Tatsachen durch den Subventionsgeber fehlt oder unwirksam ist, dem gewährenden Gesetz aber sonst entnommen werden kann, unter welchen Voraussetzungen die Subvention gewährt wird. Die erforderliche gesetzliche Abhängigkeit wird nur begründet, wenn das Gesetz selbst mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck bringt, dass die Subventionierung unter der im Gesetz genannten Voraussetzung erfolgt, ohne die entsprechende Tatsache ausdrücklich mit der Erklärung als subventionserheblich zu verbinden. Daran wird es idR fehlen, wenn die gesetzliche Vorschrift der Verwaltung einen Ermessensspielraum einräumt. Der pauschale Hinweis auf die §§ 3–5 SubvG reicht nicht aus. 11

4. Die Tathandlungen Die Vorschrift des § 264 StGB beschreibt in Abs 1 Nr 1 bis 4 sich teilweise überschneiden- 9 de tatbestandliche Handlungen.

a) § 264 Abs 1 Nr 1 StGB Strafbar ist nach § 264 Abs 1 Nr 1 StGB die Angabe unrichtiger oder unvollständiger 10 Tatsachen, die für die Gewährung der Subvention von Bedeutung sind. Tatbestandlich sind dabei nur solche Angaben, die für den Täter oder einen anderen vorteilhaft sind.12 Damit werden unrichtige Angaben ausgeschlossen, die zu einer Verringerung oder

_____ 6 S/S/Perron Rn 22 zu § 264 StGB. 7 LK/Schünemann Rn 54 zu § 14 StGB. 8 Nicht ausreichend ist die Benennung in Verwaltungsvorschriften, Richtlinien usw – BGHSt 44, 237. 9 OLG München NJW 1982, 457f. 10 BGH v 8.3.2006 – 5 StR 587/05. 11 BGH 5 StR 61/10, wistra 2011, 67; BGHSt 44, 233. 12 BGHSt 34, 270.

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Nichtgewährung der erstrebten Subvention führen. Im Tatbestand nicht ausdrücklich erwähnt, aber als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal anzusehen ist das Erfordernis, dass der Täter mit seinen Erklärungen vorspiegeln muss, die Angaben seien richtig bzw vollständig.13 Damit handelt derjenige nicht tatbestandsmäßig, der erklärt, er müsse bestimmter Angaben, die objektiv falsch sind, noch auf ihre Richtigkeit prüfen oder seine Angaben seien noch ergänzungsbedürftig. Dieser Überprüfungsvorbehalt muss aber deutlich erklärt sein. Unrichtig sind Angaben, die mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmen.14 Dazu gehören auch diejenigen, die ein unvollständiges Gesamtbild vermitteln. Erfasst sind weiter unvollständige Angaben. Nach § 4 Abs 1 S 1 SubvG sind bei Gewährung von Subventionen des Bundes Scheingeschäfte und Scheinhandlungen unerheblich,15 so dass ihre Angabe als Nichtscheingeschäft und das Verschweigen des durch die Scheinhandlungen verdeckten Sachverhalts eine unvollständige und damit tatbestandsmäßige Angabe ist. Zu den subventionsrechtlich relevanten Scheingeschäften zählen zB der fiktive Export von Gütern zur Erlangung von EG-Ausfuhrerstattungen und Mehrwertsteuererstattung insbes an eine Scheinfirma. Als Täter kommen sowohl hier als auch bei Abs 1 Nr 4 neben dem Inhaber des Unternehmens vor allem seine Angestellten, aber auch außerhalb des Betriebs stehende Personen wie Rechtsanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Berater der Landwirtschaftskammer in Betracht, sofern sie (für sich oder) „für“ das Unternehmen Angaben über subventionserhebliche Tatsachen machen.

b) § 264 Abs 1 Nr 2 StGB 11 Die Tatbestandsalternative des § 264 Abs 1 Nr 2 StGB erfasst bereits den bloßen Verstoß

gegen eine Verwendungsbeschränkung des Subventionsgebers. Täter kann hier nicht nur der Subventionsempfänger, sondern auch ein Dritter sein, bei abgeleitetem Erwerb von Gegenständen iSv Nr 2 jedoch nur, wenn die Verwendungsbeschränkung fortbesteht.

c) § 264 Abs 1 Nr 3 StGB 12 Das Unterlassen der Aufklärung iSd § 264 Abs 1 Nr 3 StGB ist ein Fall der Täuschung

durch Unterlassen, da der Subventionsgeber über eine Tatsache in Unkenntnis ist.16 Der Täter muss auf Grund von Rechtsvorschriften zur Aufklärung verpflichtet sein. Solche sind insbes in § 3 Abs 1 und 2 SubvG normiert. Die Regelung der Nr 3 findet erst Anwendung, wenn ein Antrag mit positiven Angaben gestellt ist, vor allem aber nach Abschluss des Subventionsverfahrens, wenn eine entspr Mitteilungspflicht nach dem SubvG besteht. Dies ist insbes der Fall bei Luft- und Karussellgeschäften, bei denen formelle Subventionsvoraussetzungen dem Subventionszweck zuwider künstlich geschaffen werden. Erfasst wird aber zB auch die Fehlleitung verbilligt erhaltener Ware oder der nachträg-

_____ 13 LK/Tiedemann Rn 80 und 86 zu § 264 StGB. 14 BGH 5 StR 136/09, NStZ 2010, 327 = wistra 2010, 100 m. AnmBittmann; BGHSt 34, 115. 15 Die Landessubventionsgesetze ordnen überwiegend global die Anwendbarkeit der §§ 2–6 SubvG des Bundes an, Nachw bei LK/Tiedemann Rn 103 zu § 264 StGB. 16 Vgl OLG Jena v 11.6.2010 – 1 Ss 338/09.

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§ 18 Subventionsbetrug, § 264 StGB | 969

liche Wegfall der Vergabevoraussetzung von Flächenstillegungsprämien bei Neubewirtschaftung. In subjektiver Hinsicht betont die Rechtsprechung die besonderen Anforderung an die Leichtfertigkeit gemäß § 264 Abs 4 StGB in § 264 Abs 1 Nr 3 StGB.17 Diese sei „eine vorsatznahe Schuldform, die eine besondere Gleichgültigkeit oder grobe Unachtsamkeit voraussetzt“. Bei dem leichtfertigen In-Unkenntnislassen der Subventionsbehörde über subventionserhebliche Tatsachen sei deshalb maßgeblich, ob der Täter nach seinen individuellen Fähigkeiten die an sich gebotene Handlung ohne Weiteres hätte erkennen können. Leichtfertigkeit müsse insoweit in einer groben Verkennung der Umstände liegen, die eine Unterrichtung der Subventionsbehörde geboten hätten. Täter iS dieser Tatbestandsalternative kann nur der Subventionsnehmer sein, da § 3 SubvG als in Bezug genommene Vergabevorschrift nur den „Subventionsnehmer“ verpflichtet, dem Subventionsgeber unverzüglich die genannten Tatsachen mitzuteilen.18

d) § 264 Abs 1 Nr 4 StGB § 264 Abs 1 Nr 4 StGB regelt einen Spezialfall der Täuschung durch aktives Tun. Beschei- 13 nigung ist jede schriftliche Äußerung eines anderen als des Täters, dessen Äußerung bereits von der Tatbestandsalternative der Nr 1 erfasst werden. Soweit sie eine Subventionsberechtigung bescheinigt, muss sie von einer Stelle stammen, die über die Berechtigung verbindlich entscheiden kann. Auch die Bescheinigung muss für den Subventionsnehmer vorteilhaft sein.

IV. Strafe, Regelbeispiele, tätige Reue, Konkurrenzen Der Regelstrafrahmen des § 264 Abs 1 StGB sieht Geldstrafe und Freiheitsstrafe bis zu 14 5 Jahren vor. Darüber hinaus droht § 264 Abs 2 Nr 1–3 StGB für besonders schwere Fälle des Subventionsbetrugs eine erhöhte Strafe an und typisiert diese im Rahmen einer Strafzumessungsregel zum Zwecke der stärkeren Bindung des richterlichen Ermessens als Regelbeispiele.19 Eine Subvention großen Ausmaßes, auf die Abs 2 Nr 1 abstellt, dürfte erst ab einer Größenordnung von ca 50.000 € gegeben sein.20 Hinzukommen muss, dass der Täter die Subvention entweder aus grobem Eigennutz oder unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege erlangt. Die Nrn 2 und 3 sanktionieren die Mitwirkung eines Amtsträgers, der seine Befugnisse missbraucht, an der Subventionsvergabe. Über die aufgeführten Regelbeispiele hinaus kommt ein besonders schwerer Fall zB in Betracht bei der Erschleichung extrem hoher Subventionen, auch ohne die zusätzlichen Voraussetzungen der Nr 1, bei einer besonders raffinierten Begehungsweise oder wenn sich der Täter durch die bestimmungswidrige Verwendung der Subvention erhebliche Wettbewerbsvorteile verschafft und dadurch andere schwer schädigt.21

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BGH 5 StR 542/12; wistra 2013, 149. Sonderdelikt, vgl BayObLG NJW 1982, 2202. Vgl § 370 Abs 3 Nr 1–3 AO. Vgl BGH v 10.5.2001 – 3 StR 96/01; LK/Tiedemann Rn 147 zu § 264 StGB. S/S/Perron Rn 72 zu § 264 StGB.

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Abs 3 der Vorschrift enthält eine Qualifikation für die gewerbsmäßige Tatbegehung durch Bandenmitglieder. Der Versuch des § 264 StGB ist nicht strafbar, da schon der Grundtatbestand die Strafbarkeit in den (abstrakten) Gefährdungsbereich vorverlagert und ein weitergehendes Strafbedürfnis nicht besteht. Vollendet ist die Tat nach Nr 1, sobald die falschen Angaben dem Subventionsgeber gegenüber gemacht sind, nach Nr 2, sobald die Leistung entgegen der Verwendungsbeschränkung tatsächlich eingesetzt wird, zum Beispiel durch Überweisung auf ein hierfür genutztes Konto. Das Unterlassungsdelikt nach Nr 3 ist vollendet, sobald bei bestehender Offenbarungspflicht die erste Möglichkeit verstrichen ist, die Pflicht zu erfüllen; Nr 4, sobald der Täter die Bescheinigung der zuständigen Stelle vorlegt, diese also Kenntnis nehmen kann. Beendet mit der Wirkung des Beginns des Laufs der Verjährungsfrist ist eine Tat nach Nummern 1, 2 und 4 mit der Erlangung der letzten auf der unrichtigen Angabe beruhenden Subventionsleistung oder bei endgültiger Versagung der Subvention.22 Auf Grund der weitgehenden Vorverlegung der Deliktsvollendung sieht Abs 5 tätige Reue als persönlichen Strafaufhebungsgrund vor. Die Regelung entspricht konstruktiv den Voraussetzungen des Rücktritts vom beendeten Versuch, wobei an Stelle der Vollendung der Tat die Gewährung der Subvention tritt. Ist sie gewährt, so besteht kein Raum für tätige Reue mehr. Auf der Ebene der Konkurrenzen ist zu beachten, dass der Subventionsbetrug gegenüber § 263 StGB einen Sondertatbestand darstellt, der dem allgemeinen Betrugstatbestand vorgeht. Ist § 264 Abs 1 StGB hingegen nicht anwendbar, liegen aber die Voraussetzungen eines versuchten oder vollendeten Betruges vor, so ist der Täter nach § 263 StGB zu bestrafen. Die zur wirksameren Bekämpfung der Subventionskriminalität eingeführte Vorschrift des § 264 StGB soll nicht durch eine Sperrwirkung zu einer Privilegierung des Täters in solchen Fällen führen, in denen zwar die Voraussetzung des Betruges, nicht aber die des Subventionsbetrugs gegeben sind.23 Schwieriger ist die Abgrenzung zu § 370 AO. Unterliegt der in Frage stehende Sachverhalt einer steuerrechtlichen Regelung, so sind nur die §§ 370 ff AO einschlägig. § 264 StGB scheidet schon auf Tatbestandsebene aus, da dieser bloße Ergänzung für die Fälle ist, in denen nicht bereits die steuerstrafrechtlichen Tatbestände eingreifen.24 Zu beachten ist weiterhin, dass gem § 6 SubvG Gerichte und Behörden des Bundes, der Länder und von kommunalen Trägern der öffentlichen Verwaltung Tatsachen, die sie dienstlich erfahren und die den Verdacht eines Subventionsbetrugs begründen, den Strafverfolgungsbehörden mitzuteilen haben. Die Anzeigepflicht trifft den für die Behörde Vertretungsbefugten. Im Falle des Unterlassens der Mitteilung ist der Verpflichtete ggf wegen Strafvereitelung gemäß § 258 StGB, Strafvereitelung im Amt gemäß § 258a StGB oder Begünstigung gemäß § 257 StGB strafbar.25 anhängen

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BGH wistra 2008, 116f; Fischer Rn 38 zu § 264 StGB mwN. BGHSt 44, 243. LK/Tiedemann Rn 161 zu § 264 StGB. S/S/Stree/Hecker Rn 17 zu § 258 StGB.

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§ 19 Unterschlagung, § 246 StGB | 971

§ 19 Unterschlagung, § 246 StGB Schulze § 19 Unterschlagung, § 246 StGB I. Allgemeines Systematisch gehört die Unterschlagung zu den Eigentumsdelikten und dort zu den 1 Zueignungsdelikten. In der Krise des Schuldners oder des vom Verantwortlichen nach § 14 StGB vertretenen Vermögensträgers erfüllt § 246 StGB eine allerdings nur sehr lückenhafte Auffangfunktion. Tatobjekt der Unterschlagung ist eine fremde bewegliche Sache, also ein körperlicher Gegenstand. Damit scheiden Rechte, insbes Forderungen, als Schutzobjekte aus.

II. Die Tatbestandsmerkmale 1. Fremde, bewegliche Sache Fremd ist eine Sache, die wenigstens auch einem anderen als dem Täter gehört.1 Demgemäß sind solche Gegenstände nicht von dem tatbestandlichen Schutz umfasst, die entweder im Alleineigentum des Täters stehen oder herrenlos sind. Es besteht eine strenge Akzessorietät zum Zivilrecht.2 Dies gilt auch für das Sicherungseigentum als unverzichtbarem Sicherungsrecht im Wirtschaftsleben und für Pfandrechte.3 Bei der Vereinbarung von Vorbehaltseigentum gemäß § 455 BGB bleibt der Verkäufer Eigentümer der Sache mit der Folge, dass der Erwerber sie unterschlagen kann.4 Weil eine Sache auch dann fremd iSv § 246 StGB ist, wenn sie nicht im Alleineigentum des Täters steht, kann Täter einer Unterschlagung auch der Mit- oder Gesamthandseigentümer (wie bei der OHG oder der KG5) sein. Für den Gesellschafter einer Ein-MannGmbH sind deren Sachen im Rechtssinne, wenn auch nicht wirtschaftlich, fremd.6 Zu einer Bestrafung wegen Unterschlagung kommt es in solchen Fällen gleichwohl in den meisten Fällen nicht. Es fehlt bei alleiniger Vertretungsbefugnis, insbes in der Ein-MannGmbH, aufgrund wirksamer Einwilligung schon an der Tatbestandsmäßigkeit.7 Soweit dies nicht der Fall ist, etwa aufgrund der Unwirksamkeit der Einwilligung in den Fällen der Gefährdung der Existenz der GmbH,8 der Tatbestand also vorliegt, scheitert die Anwendung dieser Vorschrift aber gleichwohl an ihrer Subsidiarität, wenn die Tat wie in solcher Lage regelmäßig als Untreue gemäß § 266 StGB zu bestrafen ist. Beweglich ist eine ortsveränderliche Sache. Dabei kommt es nicht darauf an, ob ihr Fortschaffen ohne Beschädigung oder Loslösung möglich ist. Auf den Gewahrsam des Täters an der Sache kommt es nicht an. Ein Exklusivitätsverhältnis zwischen Diebstahl und Unterschlagung besteht somit nicht mehr.9 Entscheidend sind jeweils allein die Eigentumsverhältnisse zu dem Zeitpunkt, in dem der Täter in das Ausführungsstadium der Tat eintritt.

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BGHSt 6, 377. SK/Hoyer Rn 11 zu § 242 StGB. eingehend hierzu Hauck wistra 2008, 241 ff. LK/Ruß Rn 6 zu § 246 StGB. BGH NJW 1992, 250. S/S/Eser/Bosch Rn 14 zu § 242 StGB; LK/Vogel Rn 12. Fischer Rn 3 zu § 246 StGB. Scholz/Tiedemann Rn 15 vor §§ 82 GmbHG. Gropp JuS 1999, 1041, 1045.

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2. Die Zueignung 6 Tathandlung ist das rechtswidrige Sich- oder einem Dritten Zueignen. Während beim

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Diebstahl gemäß § 242 StGB die Absicht rechtswidriger Zueignung ausreichend ist, muss sich der Täter der Unterschlagung die Sache tatsächlich zugeeignet haben. Dazu ist ein wirksamer Eigentumserwerb nicht erforderlich. Bei der Prüfung der notwendigen Enteignungskomponente sind ggf auch hier hilfsweise die Grundsätze der Sachwerttheorie heranzuziehen.10 § 246 StGB verlangt auch weder zwingend eine dauernde Enteignung des Berechtigten noch notwendig den tatsächlichen Eintritt einer zumindest vorübergehenden Aneignung durch den Täter oder einen Dritten.11 Erforderlich ist aber, dass der Täter seinen Zueignungswillen nach außen zu erkennen gibt, sich also wie ein Eigentümer des Gegenstandes geriert (Manifestationstheorie).12 Tauglich sind dafür alle Verhaltensweisen, in denen sich der Zueignungswille objektiviert. Eine Zueignung liegt damit vor, wenn ein objektiver Beobachter die Handlung als Betätigung des Willens ansieht, die Sache sich oder einem Dritten anzueignen.13 Ausreichend ist hierzu das Vorenthalten einer Sache, insbes das Verschweigen des Besitzes auf ausdrückliche Nachfrage nach der Sache.14 Das bloße Unterlassen der Herausgabe genügt dagegen nicht.15 Die abredewidrige Weiterbenutzung einer überlassenen Miet-16 oder Leasingsache17 stellt nur dann eine Zueignung dar, wenn die Sache durch den weiteren Gebrauch erheblich an Wert verliert.18 Ein Teil der Lit wendet sich gegen die weite Subjektivierung der Zueignung durch die Einbeziehung formell ordnungsgemäßen Verhaltens. Er fordert, mehrdeutige Handlungen auszuschalten und nur solche Handlungen genügen zu lassen, aus denen ein alle Umstände des Falles kennender Beobachter auf einen Zueignungswillen schließen würde.19 Nach dem Verzicht auf das Gewahrsamserfordernis besteht in der Tat die Gefahr der uferlosen Ausweitung des Unterschlagungstatbestandes. Nach seinem Wortlaut ist eine Beziehung zwischen Täter und zugeeigneter Sache nicht erforderlich. Verlangt man aber keine Beziehung des Täters zur Sache und begnügt man sich mit der Manifestation des Zueignungswillens, so kann eine Unterschlagung vorliegen, obwohl sich keinerlei Veränderung in der Außenwelt ergeben hat. Der Tatbestand der Unterschlagung wäre zB erfüllt, wenn der in München weilende A dem B in Halle telefonisch die dem C gehörende Produktionsmaschine in Leipzig „sicherungsübereignet“. Der Wortlaut der Vorschrift ist also zu weit geraten. Die Bestimmung muss daher einschränkend ausgelegt werden. § 246 StGB erfasst auch nach der Neufassung nur solche Sachverhalte, in denen der Täter zum Zeitpunkt der Zueignungshandlung oder kurz davor zumindest mittelbaren Besitz innehatte. Auf diese Weise wird verhindert, dass bloße Vorbereitungshandlungen zu anderen Eigentums- und Vermögensdelikten als vollendete Unterschlagung strafbar sind. Dieses restriktive Verständnis beeinträch-

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MK-StGB/Hohmann zu § 246 StGB Rn 15. Fischer Rn 7f zu § 246 StGB: Anbieten fremder Sache zwecks Pfändung seitens des Gerichtsvollziehers. BGHSt 14, 39; SK/Hoyer Rn 11 ff zu § 246 StGB. Fischer Rn 6 zu § 246 StGB mwN. BayObLG 55, 72. BGHSt 34, 312; OLG Koblenz StV 1984, 288. OLG Hamm wistra 1999, 112. OLG Hamburg StV 2001, 577 f. BGHSt 34, 309. SK/Hoyer Rn 11 ff zu § 246 StGB; Samson JA 1990, 5, 7 f; zum Streitstand s T/Fischer Rn 10 zu § 246 StGB.

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§ 19 Unterschlagung, § 246 StGB | 973

tigt den Schutzzweck des § 246 StGB nicht. Er erstreckt sich sowohl auf die formale Rechtsstellung als auch auf die in § 903 BGB gewährte Freiheit des Eigentums. Die Bestimmung will den Eigentümer vor Beeinträchtigungen seitens Dritter schützen, die sich die Verfügungsmacht über seine Sachen anmaßen wollen. Um aber die Verfügungsmacht in einer den Eigentümer beeinträchtigten Weise zu erhalten, ist die Möglichkeit, auf die Sache selbst einwirken zu können, zwingende Voraussetzung.20 Vom Tatbestand nicht erfasst sind nach dieser Auslegung die Fälle, in denen der Täter die Sache erst erlangen oder unmittelbar einem Dritten verschaffen will. Überwiegend sind in insolvenzstrafrechtlichen Fallgestaltungen umfangreiche Ermittlungen erforderlich. Wird zB dem GmbH-Geschäftsführer vorgeworfen, er habe der Gesellschaft eine im Eigentum eines Dritten stehende Produktionsmaschine kurz vor Anmeldung der Insolvenz durch Verkauf zugeeignet, so ist zu prüfen, ob eine tatbestandsauschließende Zustimmung des Eigentümers vorlag. In anderen Fällen ist zu berücksichtigen, dass der Verkauf vor Erwerb über Veräußerungsketten mit verschiedenen beteiligten Unternehmen durchaus branchenüblich sein kann. Bleibt das Erfüllungsgeschäft wegen der erforderlichen, aber ausgebliebenen Genehmigung des Eigentümers unwirksam, so begründet dies ggf nur einen Schadenersatzanspruch des Käufers. In der Vereinbarung eines Übergabesurrogats liegt dann aber noch keine Manifestation der Zueignung, so dass eine Bestrafung des Verkäufers wegen Unterschlagung ausscheidet. Eine vollendete Zueignung verlangt also nach wie vor, dass die tatsächliche Lage 11 des Berechtigten verschlechtert wird. Das kann geschehen durch Verbrauch, Verzehr, Verarbeitung, Veräußerung unter Weggabe der Sache oder im Wege tatsächlicher Eingliederung in das Vermögen des Täters oder eines Dritten.21 Nicht einschlägig sind aber Fälle, in denen der Täter die Sache erst in Zukunft erlangen oder einem Dritten verschaffen will. Auch rein verbale Gefährdungen ohne tatsächliche Einwirkung auf die Sache oder – bei entsprechender Handlungspflicht – ein das Eigentumsrecht entziehendes Unterlassen22 vermögen eine vollendete Unterschlagung nicht zu begründen. Nach den Umständen des Einzelfalles kommt hier allenfalls der untaugliche Versuch einer Unterschlagung in Betracht, welcher über § 246 Abs 3 StGB strafbewehrt ist. Verkaufsangebote an Dritte, Ableugnen des Besitzes oder die Berühmung des Eigentums können daher auch nach der Neufassung des Gesetzes für sich nicht als vollendete Zueignung angesehen werden.23 Es verbleibt lediglich bei einer Indizwirkung für eine vollzogene Zueignung.

3. Qualifikation gem § 246 Abs 2 StGB Qualifiziert wird die Unterschlagung gem § 246 Abs 2 StGB, wenn die unterschlagene 12 Sache dem Täter anvertraut worden war. Das ist dann der Fall, wenn die Sache dem Täter mit der Maßgabe überlassen ist, mit ihr im Interesse oder nach Weisung des Eigentümers zu verfahren oder sie dem Eigentümer zurückzugeben.24 Eine Vermögensbetreuungspflicht wie bei § 266 StGB ist dafür nicht erforderlich. Ein Anvertrauen liegt zB vor

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Cantzler JA 2001, 567, 569. Fischer Rn 8 zu § 246 StGB. ZB Schweigen auf die Frage des Gerichtsvollziehers nach dem Eigentum an einer (fremden) Sache. SK/Hoyer Rn 27 zu § 246 StGB mwN. Samson JA 1990, 5, 10.

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beim Kauf unter Eigentumsvorbehalt oder bei Überlassung von Werkzeugen oder Arbeitsmaterialien an die Arbeitnehmer eines Betriebes. Häufig nehmen in Insolvenzfällen Geschäftsführer oder sonstige Mitarbeiter, die 13 noch offene Entgeltforderungen besitzen, aber auch Lieferanten mit ausstehenden Forderungen, Firmeninventar mit. Dabei handeln sie, um entweder eine Sicherung für ihre tatsächlich bestehenden Forderungen zu bekommen oder – weitaus häufiger – um sich aus diesen Gegenständen Befriedigung für ihre offenen Forderungen zu verschaffen. Ersterenfalls liegt keine Straftat vor, es sei denn, sie handelten im Einvernehmen mit dem dann nach § 283c StGB strafbaren Verantwortlichen, während sie sich letzterenfalls, abhängig von der Gewahrsamssituation, wegen veruntreuender Unterschlagung oder wegen Diebstahls strafbar machen. Hat der Geschäftsführer für die GmbH Ware unter Eigentumsvorbehalt erworben (oder zur Sicherheit übertragen), so führt die Missachtung des Vorbehalts zur Strafbarkeit wegen veruntreuender Unterschlagung, weil eine Vermögensbetreuungspflicht iSd § 266 Abs 1 StGB nicht besteht und damit eine Bestrafung wegen Untreue ausscheidet25. Das gilt für die Aneignung von Sicherungsgut oder des Anlagevermögens (Verpfändung, Übertragung von Sicherungseigentum, Verkauf oder Einverleibung in ein Nachfolgeunternehmen) grundsätzlich hinsichtlich aller Gesellschaftsformen ebenso wie beim Einzelhandelskaufmann. Tatbestandlich ist schließlich auch die Ansichnahme von Aktiva bei der KG durch den Kommanditisten.26

III. Konkurrenzen 14 Ausweislich des Wortlautes des § 246 Abs 1 StGB ist die Unterschlagung als Auffang-

tatbestand mit gesetzlich angeordneter Subsidiarität gegenüber gleichzeitig verwirklichten, mit schwererer Strafe bedrohten Delikten konzipiert. Maßgeblich ist die Tat im materiellrechtlichen Sinne. Erforderlich ist, dass die Tathandlung des ebenfalls verwirklichten Delikts mit der Zueignungshandlung im Rahmen des § 246 StGB zusammenfällt. Betroffen sind also die Gleichzeitigkeitsfälle, wobei Teilidentität genügt. Der Zueignungsakt muss folglich nicht allein den Tatbestand der primär eingreifende Norm, sondern auch den des § 246 StGB erfüllen.27 In der Lit wird vielfach angenommen, schwereres Delikt könne nur ein solches mit 15 gleicher Schutzrichtung sein, also ein solches, das sich gegen Eigentum oder Vermögen richtet,28 da nur solche Normen das im Unterschlagungstatbestand enthaltene Zueignungsunrecht miterfassen.29 Der BGH trat dieser Ansicht entgegen, da eine solche Einschränkung der Subsidiaritätsklausel mit dem Wortlaut des Gesetzes, dessen möglicher Wortsinn die äußerste Grenze der Auslegung strafrechtlicher Bestimmungen zum Nachteil des Angeklagten markiere, unvereinbar sei.30

_____ 25 BGHSt 22, 191f. 26 Beim Komplementär dürfte im Hinblick auf die Vermögensbetreuungspflicht § 266 StGB vorliegen. 27 Cantzler JA 2001, 567, 571 mwN. 28 S/S/Bosch/Eser Rn 32 zu § 246 StGB; Jäger JuS 2000, 1167, 1171. 29 AA BGHSt 43, 237 für die Subsidiaritätsklausel des § 125 StGB. 30 BGHSt 47, 243¸ 3 StR 188/14 – Kritik an der Gesetzesfassung auch bei Otto Jura 1998, 550, 551 – aA Freund/Putz NStZ 2003, 24 ff: Sie legen die formelle Subsidiaritätsklausel als bloße (materielle) Konkurrenzregel aus und sehen in der „Tat“, von der die Subsidiaritätsklausel spricht, die Unterschlagung.

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§ 19 Unterschlagung, § 246 StGB | 975

Die Subsidiaritätsklausel greift auch ein, wenn Vermögensgegenstände einer GmbH 16 beiseitegeschafft werden und zwar unabhängig davon, ob man der zwischenzeitlich aufgegebenen Interessentheorie des BGH31 folgt oder nicht, weil entweder mit der älteren Rechtsprechung § 266 StGB oder andernfalls § 283 Abs 1 Nr 1 StGB tatbestandlich erfüllt ist. Hat der Geschäftsführer einer GmbH dieser gehörende Gegenstände vor Anordnung vorläufiger oder endgültiger Insolvenzverwaltung in der Absicht, sie für sich zu verwenden, in einen nur ihm zugänglichen Kellerraum verbracht, so hat er sich wegen Untreue strafbar gemacht. Die Unterschlagung tritt tatbestandlich zurück. Die InsO hat die Pflichtenstellung des Geschäftsführers so ausgestaltet, dass ihn iGgs zu früher nunmehr unabhängig von den Entscheidungen des Insolvenzgerichts auch weiterhin eine Vermögensbetreuungspflicht trifft und er auch nach Berufung eines vorläufigen und/oder endgültigen Insolvenzverwalters tauglicher Untreuetäter ist.32 Voraussetzung dafür ist jedoch, dass er seine ihm verbliebene Stellung zu Handlungen missbraucht, welche sich der Gesellschaft gegenüber nachteilig auswirken. Eine Subsidiarität der Unterschlagung ist entgegen dem missverständlichen Wort- 17 laut der Klausel („bedroht“) allerdings nur gerechtfertigt, wenn der Täter wegen der vorrangigen Tat zumindest schuldig gesprochen wird.33 Es handelt sich hier also um einen Fall der Anwendungssubsidiarität. Die Nachrangigkeit gilt auch für die versuchte und die veruntreuende Unter- 18 schlagung nach Abs 2 und 3 der Vorschrift.34 Nicht erfasst werden von der Subsidiaritätsklausel dagegen die Fälle mehrmaliger Zueignung. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut („die Tat“) und der Formulierung „anderen Vorschriften“. Der BGH hat zur alten Fassung der Norm entschieden,35 dass der Täter in Fällen, in denen er sich die Sache zugeeignet hat, den Tatbestand nicht noch einmal erfüllen kann, weitere Zueignungsakte also tatbestandslos sind (sog „Tatbestandslösung“36). Eine weitere tatbestandsmäßige Zueignung kommt nur dann in Betracht, wenn der Täter die angemaßte Verfügungsmacht auf einen Dritten übertragen oder sonst verloren hat und danach erneut seinen entsprechenden Willen dokumentiert.37 Diese Rspr dürfte auch nach der Neufassung des Unterschlagungstatbestands fortgelten. In den Gleichzeitigkeitsfällen ist die Tatbestandslösung seit Inkrafttreten der Subsidiaritätsklausel hingegen unanwendbar.38 anhängen

_____ 31 Vgl BGH, Beschluss vom 15. Mai 2012 – 3 StR 118/11, BGHSt 57, 229; BGH, Beschluss vom 13. Februar 2014 – 1 StR 336/13. 32 Bittmann/Rudolph wistra 2000, 401 ff mwN. 33 Mitsch ZStW 111 (1999), 96. 34 Vgl BGH 2 StR 137/12; Fischer Rn 29 zu § 246 StGB mwN. 35 BGH (GS) 14, 38. 36 BGH NStZ-RR 1996, 132. Im Schrifttum wird hingegen überwiegend vertreten, dass in einer wiederholten Betätigungen des Herrschaftswillen eine erneute Zueignung liegt, diese aber als mitbestrafte Nachtat gegenüber dem ersten Zueignungsakt zurücktritt (sog „ Konkurrenzlösung“); vgl Mitsch JuS 1998, 307, 312 mwN. 37 MK-StGB/Hohmann zu § 246 StGB Rn 40. 38 Mitsch ZStW 111 (1999), 92; T/Fischer Rn 15 zu § 246 StGB mwN.

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976 | 3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften

§ 20 Vereitelung der Zwangsvollstreckung, § 288 StGB Schulze § 20 Vereitelung der Zwangsvollstreckung, § 288 StGB I. Die Bedeutung der Vorschrift für die Praxis 1 Der Tatbestand der Vereitelung der Zwangsvollstreckung dient dem Recht des Gläubi-

gers auf Durchsetzung seines bestehenden, nicht notwendig bereits titulierten Anspruchs, also seiner Befriedigung aus dem Schuldnervermögen.1 § 288 StGB bezieht sich nur auf die Einzelzwangsvollstreckung.2 Die Vorschrift dehnt jedenfalls bei der Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen3 den Gläubigerschutz bereits auf das Vorfeld der Insolvenz aus. Für Vereitelungshandlungen in der wirtschaftlichen Krise, insbes für den Fall der Insolvenz, enthält § 283 StGB eine spezielle Regelung.4 Weil Taten nach § 288 StGB zumeist nicht von Kaufleuten begangen werden, wird in Verfahren wegen Insolvenzdelikten selten wegen § 288 StGB ermittelt. Anders ist dies in Verbraucherinsolvenzverfahren, mit denen sich die Staatsanwaltschaften immer mehr zu befassen haben.

II. Der Tatbestand 1. Drohen der Zwangsvollstreckung 2 Der objektiver Tatbestand erfordert, dass der Täter bei einer ihm drohenden Zwangsvoll-

streckung Bestandteile seines Vermögens veräußert oder beiseiteschafft. Der die Zwangsvollstreckung begründende Anspruch muss effektiv bestehen,5 bereits entstanden oder einem bereits bestehenden Anspruch gleichgestellt6 und durchsetzbar sein. Das Bestehen des Anspruchs unterliegt der selbständigen Prüfung des Strafrichters.7 An der Rechtsbeständigkeit und Durchsetzbarkeit eines Anspruchs fehlt es nicht nur, wenn das die Anspruchsgrundlage bildende Rechtsgeschäft nichtig oder wirksam angefochten ist, sondern auch, wenn der Schuldner sich auf eine Einrede wie zB die Verjährung der Forderung beruft. Das Drohen der Zwangsvollstreckung als Tatbestandsmerkmal beschreibt die Tatsi3 tuation, die den Beginn der strafrechtlichen Schutzwürdigkeit des materiellrechtlichen Anspruchs bestimmt. Die Auslegung der Rspr ist extrem weit. Die gebotene Einschränkung auf sozialschädliche Handlungen erfolgt erst über den Gefährdungserfolg und eine strikte Interpretation der Vereitelungsabsicht.8 Eine Zwangsvollstreckung iSd § 288 StGB ist die zwangsweise Durchsetzung eines Anspruchs durch die zuständigen staatlichen Organe.9 Sie droht dem Täter,

_____ 1 BGH NJW 1991, 2420; S/S/Hecker/Heine Rn 1 zu § 288 StGB. 2 BGH v 29.4.2010 – 3 StR 314/09. 3 Anders zB bei der Herausgabevollstreckung. Sie kann gem § 288 StGB unabhängig von der wirtschaftlichen Lage des Schuldners vereitelt werden. 4 MK-StGB/Maier Rn 1 zu § 288 StGB. 5 AA wohl SK/Hoyer Rn 6f zu § 288 StGB. 6 ZB rechtlich begründete Anwartschaft wie der Rückfall des zur Sicherung des Gläubigers übereigneten Gegenstandes nach Erfüllung der Verbindlichkeit. 7 S/S/Hecker/Heine Rn 7 zu § 288 StGB. 8 LK/Schünemann Rn 15 zu § 288 StGB. 9 Unanwendbar ist § 288 StGB, wenn der rechtskräftig zu Geldstrafe oder Vermögenssanktion Verurteilte die Vollstreckung nach §§ 459 ff StPO vereitelt, da der Staat in Ausübung der Strafrechtspflege und nicht

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§ 20 Vereitelung der Zwangsvollstreckung, § 288 StGB | 977

wenn objektiv anzunehmen ist, dass der Gläubiger demnächst zur zwangsweise Durchsetzung seines Anspruchs schreiten wird,10 wenn er den ernstlichen Willen hat, seinen Anspruch nötigenfalls und sobald als möglich durch Zwangsvollstreckung zu verwirklichen. Nicht erforderlich ist, dass die Zwangsvollstreckung schon begonnen hat.11 Ausreichend soll es zB sein, dass der dazu objektiv erkennbar entschlossene Gläubiger mit Klageerhebung droht, um den Schuldner zur freiwilligen Leistungen zu veranlassen.12 Hier ist jedoch eine zeitliche Grenze für das „Drohen der Zwangsvollstreckung“ kaum noch erkennbar. Dadurch wird zwar grundsätzlich ein starker Gläubigerschutz erstrebt, der aber in der strafrechtlichen Praxis aufgrund der Schwierigkeit des Nachweises jedenfalls des subjektiven Tatbestandes, der Vereitelungsabsicht und des Vorsatzes, nicht erreicht wird. Das Drohen der Zwangsvollstreckung kann sich auch aus der Natur der konkreten Forderung, zB einem Wechselanspruch,13 ergeben oder aus den Umständen des zugrunde liegenden Lebenssachverhalts hervorgehen. Beispiele sind die Vollstreckungsvereitelung im Wege der Geschäftsveräußerung oder die Verschiebung von Waren- und Inventarbeständen. Dabei ist es ohne Bedeutung, wenn der Gläubiger die Zwangsvollstreckung mangels Kenntnis der wahren Sachlage noch nicht betreibt, aber diese Absicht bei vollständiger Sachverhaltskenntnis anzunehmen wäre.14 Die bloße Fälligkeit einer Forderung reicht noch nicht aus.15 Eine bereits begonnene Zwangsvollstreckung droht solange, wie noch nicht alle Vollstreckungsmaßnahmen abgeschlossen sind.16 Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens tritt nach § 89 Abs 1 InsO für Gläubiger grd. eine Einzelzwangsvollstreckungssperre in Kraft. Dies bedeutet, dass ab diesem Zeitpunkt eine Zwangsvollstreckung nicht mehr drohen kann. Die Anwendung des § 288 StGB scheidet aus. Vermögensverschiebungen werden aber ggf über § 283 Abs 1 Nr. 1 erfasst.

2. Täterqualität Täter kann regelmäßig nur der Vollstreckungsschuldner sein.17 Bei juristischen Perso- 4 nen oder Personenhandelsgesellschaften gilt die Zurechnungsnorm des § 14 StGB. Die Schuldnereigenschaft ist kein persönliches Merkmal iSd § 28 Abs 1 StGB.18 Handelt allerdings ein sonstiger gewillkürter Vertreter, so ist der Schutzbereich des § 288 StGB nicht eröffnet.19 Bedient sich der Schuldner eines Dritten als Werkzeug, so ist er mittelbarer Täter gem § 25 Abs 2 StGB mit der Folge, dass ihm die Handlung des Dritten zugerechnet wird.

_____ als Gläubiger eines materiellen Befriedigungsrecht handelt und der Grundsatz der Straflosigkeit der Selbstbegünstigung einer Tatbestandsmäßigkeit entgegensteht. 10 RGSt 63, 341. 11 Fischer Rn 2 zu § 288 StGB. 12 Vgl BGH MDR 1977, 638. 13 RGSt 20, 256. 14 RGSt 23, 177. 15 Fischer Rn 4 zu § 288 StGB. 16 RGSt 35, 63. 17 RGSt 68, 108. 18 LK/Roxin Rn 56 zu § 28 StGB. 19 Fischer Rn 5 zu § 288 StGB.

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3. Bestandteile des Vermögens 5 Bestandteile des Vermögens sind alle Sachen und Rechte einer Person, in die eine wirk-

same Einzelzwangsvollstreckung betrieben werden kann. Darunter kann auch der Besitz fremder Sachen zB des Vorbehaltskäufers fallen, gegen den der Verkäufer die Vollstreckung seines Herausgabeanspruchs oder Geldvollstreckung in seine eigene Sache betreibt.20

4. Die Tathandlungen a) Veräußern 6 Veräußern iSv § 288 StGB ist jede Handlung, welche einen dem Gläubiger haftenden Vermögenswert rechtlich aus dem Vermögen des Schuldners ausscheidet, ohne dass der volle Gegenwert in das Schuldnervermögen gelangt,21 zB die Erfüllung22 eines Verkaufs zum Schleuderpreis. Ausreichend ist auch die Dereliktion von Sachen, die Bewilligung der Eintragung einer Vormerkung23 auf Auflassung und der Verkauf sämtlicher Geschäftsanteile einer GmbH ohne Erhalt einer Sicherheit für den Kaufpreisanspruch.24 Hat der befriedigte Gläubiger hingegen einen unanfechtbaren Anspruch auf gerade den bestimmten Forderungsgegenstand oder besteht Wertgleichheit des Anspruchs zum Forderungsgegenstand, sog kongruente Erfüllung, so liegt eine Veräußerung iSv § 288 StGB nicht vor.25 Seine fällige Schuld bei einem anderen Gläubiger darf der Schuldner stets befriedigen.26 Eine strafbare Vereitelung der Zwangsvollstreckung ist nicht gegeben, wenn der Schuldner seinem anwaltlichen Vertreter (als Treuhänder) Forderungen mit dem Ziel abtritt, die Einzelzwangsvollstreckung einzelner Gläubiger während der Dauer eines außergerichtlichen Schuldenbereinigungsverfahrens zu verhindern, um mit allen Gläubigern im Wege außergerichtlicher Verhandlungen zu einer Schuldenbereinigung zu gelangen. Hier fehlt es an einer Veräußerung iSd § 288 StGB, da die Zwangsvollstreckung durch Maßnahmen berührt wird, die der insolvenzrechtlich geforderten und gewollten gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger dienen.27

b) Beiseiteschaffen 7 Beiseiteschaffen ist jede Handlung, welche einen Gegenstand der Vollstreckung des

Gläubigers tatsächlich entzieht.

_____ 20 BGHSt 16, 330; Fischer Rn 6 zu § 288 StGB mwN. 21 Geppert Jura 1987, 429. 22 Die schuldrechtliche Vereinbarung begründet idR noch kein Ausscheiden aus dem Vermögen; anders aber bei einer Verpachtung, da sich das Eigentum an den Früchten ändert, RGSt 6, 100. 23 RGSt 59, 314. 24 OLG Dresden MDR 2001, 884. 25 S/S/Hecker/Heine Rn 13 zu 288 StGB. 26 Fischer Rn 9 zu § 288 StGB. 27 LG München II ZinsO 2000, 677 ff Nach Ansicht des OLG München scheitert eine Strafbarkeit jedenfalls am Mangel des subjektiven Tatbestands, da eine Gläubigerbenachteiligungsabsicht nicht anzunehmen sei, ZIP 2000, 1841f.

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Tatbestandlich ist zB das Verstecken28 oder Zerstören29 einer Sache, die Scheinveräußerung, das Einziehen einer Forderung vor Fälligkeit30 und eine in Täuschungsabsicht rückdatierte nachträgliche Sicherungsübereignung.31 Nicht ausreichend für ein Beiseiteschaffen ist hingegen der unangekündigte Auszug des säumigen Mieters sofern dem Vermieter die Nachfolgeadresse bekannt ist. Einschlägig ist wegen „Vereitelung“ des Vermieterpfandrechts aber § 289 Abs 1 StGB.32 Dabei ist die Feststellung eines „Beiseiteschaffens“ durch den Täter in der Praxis regelmäßig mit einer Sachverhaltswertung verbunden. Exemplarisch sei dies an einem Beispiel verdeutlicht:33 Der Täter, ein österreichischer Gastronom, ist an einem mit einem Freund in einer GbR betriebenen Restaurant in der Bundesrepublik beteiligt. Nachdem der Betrieb in eine wirtschaftliche Krise gerät, entfernt er die Masse der Einrichtungsgegenstände, verbringt sie offen nach Österreich und baut sie in seinen dortigen Betrieb ein. Das Eigentum an den Gegenständen war nicht zu klären. Handelt es sich um Eigentum der GbR, besteht dieses fort, sofern nicht fest in der österreichischen Gaststätte verbaut. Selbiges gilt auch bei Alleineigentum des Täters. Dann können die Gegenstände zwar der hypothekenrechtlichen Zubehörhaftung unterfallen, gehörten aber nicht unmittelbar in die Insolvenzmasse der selbständig insolvenzfähigen GbR. § 288 StGB wäre jedenfalls einschlägig, wenn man in dem Verbringen ins Ausland ein Beiseiteschaffen sieht, was zumindest bei dauerhaftem Einbau in den Gasthof gegeben sein dürfte. Bei lediglich verbrachten Gegenständen dürfte es im Hinblick auf den gemeinsamen Wirtschaftsraum und die Freizügigkeit in der EU hingegen abzulehnen sein.

5. Vereitelungsabsicht und Vorsatz Der subjektive Tatbestand erfordert Absicht iS eines bestimmten Vorsatzes34 bezüglich 8 der (zumindest zeitweisen) Vereitelung der Befriedigung des Gläubigers.35 Der Schuldner muss eine Vereitelung der Befriedigung des Gläubigers wollen. Ausreichend ist, dass der Täter die Benachteiligung des Gläubigers als sichere Nebenfolge voraussieht.36 Bleiben hingegen noch genügend andere Vermögensgegenstände übrig, in welche erfolgreich vollstreckt werden könnte, so fällt die Entziehung eines bestimmten Gegenstandes nicht unter § 288 StGB, es sei denn, der Gläubiger hätte einen Anspruch auf Herausgabe gerade dieser Sache. Eine Vereitelungsabsicht wird weiter dann fehlen, wenn sich der Schuldner vorgestellt hat, sein Vorgehen könne zur Folge haben, dass dem Gläubiger, von dem ihm die

_____ 28 RGSt 35, 63. 29 RGSt 19, 25. 30 RGSt 71, 229. 31 BGH wistra 2000, 311. 32 Liegt ein Fall des „Versteckens“ vor, so kommt Idealkonkurrenz in Betracht. 33 Zum Beiseiteschaffen unter dem Gesichtspunkt des Bankrotts vgl oben § 12 VII. 34 Dolus directus 2. Grades. Bei anderer Sichtweise müsste der Beweggrund des Täters darin liegen, die Befriedigung gerade dieses Gläubigers zu vereiteln. IdR wird es dem Täter aber nur darauf ankommen, sich den Vermögensbestandteil für seine eigenen Bedürfnisse zu erhalten. 35 RGSt 59, 315; S/S/Eser/Heine Rn 19 ff zu 288 StGB; T/Fischer Rn 12 zu § 288 StGB. 36 MK-StGB/Maier Rn 40 zu § 288 StGB.

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Zwangsvollstreckung droht, später bessere Zugriffsmöglichkeiten geboten werden. Ebenso ist die Vereitelungsabsicht zu verneinen, wenn sich der Schuldner vorgestellt hat, dass der Gläubiger auch ohne die Veräußerung der Bestandteile seines Vermögens eine Zugriffsmöglichkeit nicht gehabt hätte.37 Im Übrigen genügt dolus eventualis in Bezug auf die drohende Zwangsvollstreckung und die weiteren Tatbestandsmerkmale.

III. Antragsdelikt, § 288 Abs 2 StGB 9 Nach Abs 2 der Vorschrift handelt es sich um ein absolutes Antragsdelikt. Antragsbe-

rechtigt ist der Gläubiger, von welchem dem Täter die Zwangsvollstreckung drohte, dessen Befriedigung also vereitelt werden sollte.38 Fällt der Gläubiger selbst in Insolvenz, so besteht sein Antragsrecht neben dem des Insolvenzverwalters fort.39 Im Falle der Verbraucherinsolvenz verliert das Antragserfordernis des § 288 Abs 2 aber seine Bedeutung, da die Einführung des Verbraucherinsolvenzverfahrens den Täterkreis für § 283 und damit für ein Offizialdelikt erweitert hat.40

IV. Konkurrenzen 10 Auf Konkurrenzebene besteht zwischen dem Vereiteln der Zwangsvollstreckung und den

Insolvenzdelikten regelmäßig Tatmehrheit, allerdings ist auch Tateinheit möglich, wenn zum Tatbestand des § 288 StGB nachträglich Zahlungseinstellung oder Konkurseröffnung hinzu kommen. Bezüglich § 289 StGB kommt mit § 288 StGB schließlich Idealkonkurrenz in Betracht.41 anhängen

§ 21 Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen und Veruntreuen von Arbeitsentgelt, § 266a Schulze/Weiß § 21 Vorenth. v SozVers-Beitr. u. Veruntreuen v Arbeitsentg., § 266a StGB

I. Allgemeines 1. Die Bedeutung der Vorschrift für die Praxis 1 § 266a StGB enthält drei Tatbestände. Nach Abs 1 macht sich der Arbeitgeber strafbar,

wenn er der Einzugsstelle vom Arbeitnehmer zu tragende Beiträge zur Sozialversicherung vorenthält, dh nicht oder nicht rechtzeitig zahlt. Demgegenüber stellt Abs 2 das Vorenthalten vom Arbeitgeber zu tragender Beiträge zur Sozialversicherung unter Strafe, verlangt aber über das bloße Vorenthalten hinaus, dass der Arbeitgeber gegenüber der für den Einzug der Beiträge zuständigen Stelle unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht (Nr 1) oder sie pflichtwidrig in Unkenntnis gelassen hat (Nr 2). Schließ-

_____ 37 38 39 40 41

BGH NJW-RR 1991, 467, 468. RGSt 17, 45. S/S/Hecker/Heine Rn 20 zu 288 StGB. BGH v 22.2.2001 – 4 StR 421/99. Fischer Rn 9 zu § 289 StGB.

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§ 21 Vorenth. v SozVers-Beitr. u. Veruntreuen v Arbeitsentg., § 266a StGB | 981

lich stellt Abs 3 unter Strafe, als Arbeitgeber sonstige Teile des Arbeitsentgelts pflichtwidrig nicht an einen Dritten zu zahlen und den Arbeitnehmer nicht darüber zu unterrichten. Die amtliche Überschrift des § 266a StGB erweckt den Eindruck, der Kern aller drei 2 Tatbestände wäre das Nichtzahlen von Teilen des Arbeitsentgelts. Dieser Eindruck täuscht. Aufgrund der heutigen Ausgestaltung des Beitragsrechts können die vom Arbeitnehmer zu tragenden Beiträge kaum noch als Teil des Arbeitsentgelts bezeichnet werden; die vom Arbeitgeber zu tragenden Beiträge sind ohnehin nicht Teil des Arbeitsentgelts. Vielmehr steht im Vordergrund, dass Abs 1 und 2 das Vorenthalten von Beiträgen zur Sozialversicherung zum Gegenstand haben. Demgegenüber betrifft Abs 3 zwar Teile des Arbeitsentgelts, hat aber grundsätzlich keinen Bezug zum Sozialversicherungsrecht. Gerade deswegen hat dieser Tatbestand neben Abs 1 und 2 in der Praxis nur eine verschwindend geringe Bedeutung und stellt letztlich einen Fremdkörper dar. Der Bezug des § 266a StGB zum Insolvenzstrafrecht ergibt sich erst, wenn man die 3 üblichen Gründe für das Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen betrachtet, nämlich Zahlungsunwilligkeit oder Zahlungsunfähigkeit. 1 Der zahlungsunwillige Arbeitgeber muss jedoch der Einzugsstelle über die Höhe der zu zahlenden Beiträge unrichtige Angaben machen oder sie über die Beitragspflicht in Unkenntnis lassen – kurz: Arbeitnehmer „schwarz“ beschäftigen –, wenn er sich auf Dauer der Pflicht zur Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge entziehen will; andernfalls würde die Einzugsstelle die Beiträge schlicht zwangsweise beitreiben. In den auf Zahlungsunwilligkeit beruhenden Schwarzarbeitsfällen des § 266a StGB sind daher regelmäßig sowohl Abs 1 als auch Abs 2 verwirklicht. Dagegen geht es dem zahlungsunfähigen Arbeitgeber üblicherweise nicht um die dauerhafte Ersparnis der Sozialversicherungsbeiträge, sondern er will sich durch das Vorenthalten lediglich Kredit verschaffen, um für die Fortführung des Unternehmens wichtigere Gläubiger befriedigen zu können. Zu falschen Angaben oder einem Inunkenntnislassen der Einzugsstelle kommt es dabei nicht. In diesen Insolvenzfällen des § 266a StGB ist daher regelmäßig nur Abs 1 verwirklicht.2 Weiß Mit den Schwarzarbeitsfällen und den Insolvenzfällen hat § 266a StGB zwei in je- 4 der Hinsicht verschiedene Anwendungsbereiche. Die Unterschiede beginnen damit, wie üblicherweise der Anfangsverdacht gewonnen wird, welcher Behörde sich die Staatsanwaltschaft bei den Ermittlungen bedient, wie und mit welchen Schwerpunkten die Sachverhaltsaufklärung erfolgt und wo die rechtlichen Schwierigkeiten liegen. Ganz unterschiedlich sind auch die zu erwartenden Begleitdelikte, nämlich in den Schwarzarbeitsfällen Steuerhinterziehung und Arbeitsmarktdelikte bzw in den Insolvenzfällen „echte“ Insolvenzstraftaten, Betrug und Untreue.3 Dass die Schwarzarbeitsfälle regelmäßig zu höheren Strafen führen als die Insolvenzfälle, liegt nicht nur an der Höhe der vorenthaltenen Beiträge, sondern auch an den im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigenden Beweggründen: Während Schwarzarbeit Ausdruck von Gewinnstreben ist und sogar der organisierten Kriminalität zuzuordnen sein kann, sind die Insolvenzfälle

_____ 1 Ein dritter – für die Strafrechtspraxis allerdings nicht bedeutender – Grund sind unzureichend geregelte Arbeitsabläufe beim Arbeitgeber, die trotz Zahlungswilligkeit und -fähigkeit zu verspäteten Meldungen, Nachweisen und Zahlungen führen, insbes bei der Neueinstellung von Arbeitnehmern. 2 Nach der Definition in § 1 Abs 2 Nr 1 SchwarzArbG handelt es sich zwar auch in den Insolvenzfällen um Schwarzarbeit (Nichterfüllen der sozialversicherungsrechtlichen Beitragspflichten), dieses weite Verständnis von Schwarzarbeit wird hier aber nicht zugrunde gelegt. 3 Bei Insolvenzen von Einzelunternehmern ist § 266a Abs 1 StGB jedoch häufig der einzige verwirklichte Straftatbestand.

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des § 266a StGB nicht selten nur der hilflose Versuch, auf Kredit der Einzugsstellen ein Unternehmen fortzuführen und mit den erhofften Gewinnen die Zahlungsunfähigkeit überwinden zu können. Schließlich unterscheiden sich die Schwarzarbeits- und Insolvenzfälle dadurch, von welchen Gerichten die maßgeblichen Entscheidungen stammen: Die Rspr zu den Schwarzarbeitsfällen wird im Wesentlichen von dem für Steuerstrafsachen zuständigen 1. Strafsenat (früher: 5. Strafsenat) des BGH geprägt, während eine Vielzahl von Entscheidungen der Zivilsenate des BGH und der Oberlandesgerichte zu § 823 Abs 2 BGB iVm §§ 266a Abs 1, 14 Abs 1 StGB und § 64 GmbHG ergangen sind, denen Insolvenzfälle zugrunde liegen.4 Wenig überzeugend ist es, dass die Strafbarkeit des Vorenthaltens der von Arbeit5 nehmer und Arbeitgeber zu tragenden Beiträge an unterschiedliche Voraussetzungen geknüpft ist, so dass § 266a StGB in den Insolvenz- und in den Schwarzarbeitsfällen nicht einheitlich angewandt werden kann. Der im Gesetzgebungsverfahren dafür angeführte Grund, dass die Strafbarkeit des Nichtzahlens einer eigenen Schuld – gemeint sind die Beiträge des Arbeitgebers – dem deutschen Strafrecht grundsätzlich fremd sei,5 überzeugt nicht. Denn auch die vom Arbeitnehmer zu tragenden Beiträge als Bestandteil des Gesamtsozialversicherungsbeitrags schuldet gem § 28e Abs 1 S 1 SGB IV allein der Arbeitgeber. Das angeblich nicht strafwürdige Nichterfüllen einer eigenen Schuld ist also bereits strafbar. Richtigerweise ist die Strafbarkeit des Vorenthaltens von Beiträgen des Arbeitnehmers nach Abs 1 schon durch die besondere Schutzbedürftigkeit der Aufbringung der Mittel zur Sozialversicherung gerechtfertigt,6 was für das bloße Vorenthalten der Beiträge des Arbeitgebers in gleicher Weise gilt.7 Nicht zuletzt die misslungene Fassung des Abs 2 sollte Anlass für eine Erweiterung des Abs 1 um die vom Arbeitgeber zu tragenden Beiträge und Aufhebung des Abs 2 sein.8

2. Entwicklung 6 Die Wurzeln des § 266a StGB reichen bis in das 19. Jahrhundert zurück. Die damaligen

Strafvorschriften zum Schutz des Beitragsaufkommens waren als klassisches Nebenstrafrecht verstreut über die für die Zweige der Sozialversicherung maßgeblichen Einzelgesetze. Eine grundlegende Änderung brachte am 1.8.1986 die Einführung des § 266a StGB, der die zuvor geltenden Vorschriften des Nebenstrafrechts9 ersetzte.10 Geändert wurde § 266a StGB erstmals zum 1.8.2002 durch einen klarstellenden Zusatz in Abs 1, wonach das Vorenthalten nicht von der Zahlung des Nettoarbeitsentgelts abhängig ist.11 Zudem

_____ 4 Zur Verdeutlichung sind Entscheidungen von Zivilgerichten im Folgenden mit dem Zusatz „(Z)“ gekennzeichnet. 5 Vgl BTDrs 14/8221, 18; 15/2573, 28. 6 Vgl BTDrs 10/5058, 31; BGH (Z) NJW 2000, 2993, 2995; ZIP 2014, 394, 396. 7 Nach § 1429 Abs 1 RVO beging eine Ordnungswidrigkeit, wer als Arbeitgeber für die von ihm beschäftigten Versicherungspflichtigen die Beiträge, also sowohl Arbeitnehmer- als auch Arbeitgeberanteile, nicht rechtzeitig abführte. Die Vorschrift trat zum 1.1.1989 außer Kraft. 8 Ebenso Krack, wistra 2015, 121, 127; Rönnau/Kirch-Heim wistra 2005, 321, 326 f. 9 Nämlich § 529 (auch iVm § 1428) Reichsversicherungsordnung (RVO), § 13 Abs 6 Hüttenknappschaftliches Zusatzversicherungsgesetz (HZvG), § 234 Reichsknappschaftsgesetz (RKG), § 150 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG), § 225 Arbeitsförderungsgesetz (AFG). 10 Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (2. WiKG) vom 15.5.1986 (BGBl I 721). Materialien: Entwurf BTDrs 10/318; Ausschussbericht BTDrs 10/5058. 11 Gesetz zur Erleichterung der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit vom 23.7.2002 (BGBl I 2787). Materialien: Entwurf BTDrs 14/8221; Ausschussbericht BTDrs 14/8625.

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§ 21 Vorenth. v SozVers-Beitr. u. Veruntreuen v Arbeitsentg., § 266a StGB | 983

wurde als neuer Abs 4 eine Vorschrift für besonders schwere Fälle eingefügt, wodurch die früheren Abs 4 und 5 die heutigen Abs 5 und 6 wurden. Die letzte Änderung erfolgte zum 1.8.2004 und brachte den heutigen Abs 2 hervor, so dass der frühere Abs 2 zum heutigen Abs 3 wurde; der frühere Abs 312 war sozialversicherungsrechtlich überholt und wurde aufgehoben.13 Weil die Strafbarkeit nach § 266a Abs 1 und 2 StGB ganz wesentlich von den Vorga- 7 ben des Sozialversicherungsrechts abhängt, haben Änderungen des Sozialversicherungsrechts häufig große Folgen für die Strafbarkeit. Lässt man die ständigen Anhebungen und Absenkungen der Beitragssätze außer Betracht, sind folgende Änderungen des Sozialversicherungsrechts wegen ihrer Auswirkungen auf § 266a StGB hervorzuheben: Zum 1.8.2002 wurde die Fiktion einer Nettolohnvereinbarung bei Schwarzarbeit eingeführt.14 Am 1.4.2003 traten umfangreiche Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung (sog Minijobs) in Kraft, insbes wurde die bis dahin bestehende Arbeitszeitgrenze von 15 Wochenstunden aufgehoben und die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See zur alleinigen Einzugsstelle für die Beiträge bestimmt; zudem wurde jenseits der Entgeltgrenze für Minijobs von damals 400 € eine Gleitzone bis 800 € geschaffen (sog Midijobs), in der die Beitragstragung besonderen Regeln folgt.15 Nicht weniger bedeutend war die Vorverlegung der Fälligkeit des Gesamtsozialversicherungsbeitrags ab dem 1.1.2006,16 mit einer geringfügigen Entschärfung zum 26.8.2006.17 Zum 1.1.2009 wurde ein einheitlicher Beitragssatz in der Krankenversicherung eingeführt.18 Zum 1.1.2013 wurden die Entgeltgrenzen für geringfügig entlohnte Beschäftigungen und für die Gleitzone auf 450 € bzw 850 € angehoben, ferner eine grundsätzliche Rentenversicherungspflicht der geringfügig entlohnten Beschäftigten eingeführt.19 Die neuesten Änderungen betreffen insbes die Beitragstragung in der Krankenversicherung und gelten seit dem 1.1.2015.20

_____ 12 Strafbarkeit des Ersatzkassenmitglieds, dh des Arbeitnehmers, bei Vorenthalten der ihm vom Arbeitgeber zum Zweck des Weiterleitens an die Ersatzkasse ausgezahlten Teils des Arbeitsentgelts. 13 Gesetz zur Intensivierung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und damit zusammenhängender Steuerhinterziehung vom 23.7.2004 (BGBl I 1842). Materialien: Entwurf BTDrs 15/2573; Ausschussbericht BTDrs 15/3079. 14 Gesetz zur Erleichterung der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit, siehe oben Fn 11. 15 Zweites Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002 (BGBl I 4621). Materialien: Entwurf BTDrs 15/26; Ausschussbericht BTDrs 15/91. 16 Gesetz zur Änderung des Vierten und Sechsten Buches Sozialgesetzbuch vom 3.8.2005 (BGBl I 2269). Materialien: Entwurf BTDrs 15/5574; Ausschussbericht 15/5705. 17 Erstes Gesetz zum Abbau bürokratischer Hemmnisse insbesondere in der mittelständischen Wirtschaft vom 22.8.2006 (BGBl I 1970). Materialien: Ausschussbericht BTDrs 16/2017. 18 Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG) vom 26.3.2007 (BGBl I 378). Materialien: Entwurf BTDrs 16/3100; Ausschussbericht 16/4247. 19 Gesetz zu Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung vom 5.12.2012 (BGBl I 2474). Materialien: Entwurf BTDrs 17/10773; Ausschussbericht BT-Drs 17/11174. 20 Gesetz zu Weiterentwicklung der Finanzstruktur und der Qualität in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-FQWG) vom 21.7.2014 (BGBl I 1133). Materialien: Entwurf BTDrs 18/1307; Ausschussbericht BTDrs 18/1657.

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II. Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen, § 266a Abs 1 und 2 StGB 1. Geschütztes Rechtsgut 8 Geschütztes Rechtsgut des § 266a Abs 1 und 2 StGB ist jedenfalls das Interesse der Soli-

dargemeinschaft an der Sicherstellung des Aufkommens der Mittel für die gesetzliche Sozialversicherung.21 Dabei geht es nur um die Mittel für die deutsche gesetzliche Sozialversicherung,22 wie sich aus der Entstehungsgeschichte und den auf das deutsche Sozialversicherungsrecht zugeschnittenen Tatbestandsmerkmalen ergibt. Mit dem Schutz des Mittelaufkommens geht der Schutz des Vermögens der betroffenen Träger der gesetzlichen Sozialversicherung einher.23 Weitere Rechtsgüter schützt § 266a Abs 1 und 2 StGB nicht.24 Insbes schützt § 266a Abs 1 StGB nicht das Vermögen des Arbeitnehmers.25 Dies ergibt sich aus Folgendem: Gem § 28e Abs 1 S 1 SGB IV ist der Arbeitgeber zur Zahlung des Gesamtsozialversi9 cherungsbeitrags an die Einzugsstelle verpflichtet, und zwar auch zur Zahlung des vom Arbeitnehmer zu tragenden Anteils (sog Arbeitnehmeranteil). Im Gegenzug hat der Arbeitgeber gem § 28g S 1 SGB IV einen Anspruch gegen den Arbeitnehmer auf die von diesem zu tragenden Beiträge, wobei dieser Anspruch unabhängig davon besteht, ob der Arbeitgeber die Beiträge des Arbeitnehmers überhaupt an die Einzugsstelle zahlt. § 266a Abs 1 StGB beschreibt demnach kein untreueähnliches Verhalten.26 Etwas anderes lässt sich auch nicht aus dem zum 1.1.2008 in Kraft getretenen § 28e Abs 1 S 2 SGB IV ableiten,27 der dazu dienen sollte, die Insolvenzanfechtung von Zahlungen an die Einzugsstellen einzudämmen.28 Zahlt der Arbeitgeber weder das ungekürzte Bruttoarbeitsentgelt an den Arbeitnehmer noch den Arbeitnehmeranteil an die Einzugsstelle, wird der Arbeitnehmer nicht um einen werthaltigen Vermögensgegenstand gebracht. Zwar kann er den vorenthaltenen Arbeitnehmeranteil als Teil des Bruttoarbeitsentgelts einklagen, im Fall einer erfolgreichen Vollstreckung des zusprechenden Urteils müsste er den Arbeit-

_____ 21 Ganz hM, vgl nur BVerfG NJW 2003, 961; BGH NStZ 2006, 227, 228; 2010, 216; BGH (Z) ZIP 2014, 394, 396; ferner BTDrs 10/5058, 31; 15/2573, 28. 22 LK/Möhrenschlager Rn 8 zu § 266a; MK/Radtke Rn 4 zu § 266a; S/S/Perron Rn 2 zu § 266a; M-G/Thul Rn 38/11a; W/J/Richtarsky Rn 19/47; Jofer/Weiß StraFo 2007, 277, 283; Radtke GmbHR 2009, 915, 918; in diese Richtung auch G/J/W/Wiedner Rn 5 zu § 266a; aA Hauck NStZ 2007, 218, 222. 23 OLG Saarbrücken, 27.5.2015 – 1 U 89/14, juris Tz 25; LK/Möhrenschlager Rn 8 zu § 266a; MK/Radtke Rn 4 f zu § 266a; I/M/Pananis Rn 6/8; G/K/R/Gercke Rn 2/5; A/R/R/Gercke Rn 12/2/8; wohl auch W/J/ Richtarsky Rn 19/47; aA S/S/Perron Rn 2 zu § 266a. Ausschließlich für den Schutz des Vermögens der Sozialversicherungsträger SK/Hoyer Rn 4, 10 zu § 266a; M/R/Matt Rn 1, 3 zu § 266a. 24 Zutr gegen den Schutz der Wettbewerber des Arbeitgebers oder der Wettbewerbsordnung G/J/W/ Wiedner Rn 3 zu § 266a; S/S/Perron Rn 2 zu § 266a. Vgl aber den Hinweis auf die Benachteiligung der Wettbewerber in der Begründung des Regierungsentwurfs, BTDrs 10/318, 25. 25 Ebenso KG NStZ 1991, 287; OLG Köln NStZ-RR 2003, 212, 213; MK/Radtke Rn 4 zu § 266a; G/J/W/ Wiedner Rn 3 zu § 266a; M/R/Matt Rn 5 zu § 266a; SK/Hoyer Rn 9 zu § 266a, 10; S/S/Perron Rn 2 zu § 266a; M-G/Thul Rn 38/11; W/J/Richtarsky Rn 19/47; G/K/R/Gercke Rn 2/6; aA NK/Tag Rn 8 ff zu § 266a; LK/ Gribbohm, 11. Aufl Rn 5 zu § 266a (einschr jetzt LK/Möhrenschlager Rn 10 zu § 266a); M-G/B/Heitmann, 4. Aufl. Rn 36/13 (Schutz des Vermögens des Arbeitnehmers durch § 266a Abs 1 und 2 StGB); wohl auch Ranft DStR 2001, 132, 134. 26 BGH NJW 2003, 1821, 1823; BGH (Z) NJW 2000, 2993, 2995; 2001, 969, 970; ZIP 2014, 394, 396; OLG Celle NStZ-RR 1997, 324, 325. Zum Fehlen eines Treuhandverhältnisses hinsichtlich der Arbeitnehmeranteile auch BGH (Z) ZIP 2007, 541, 542; anders zB SK/Hoyer Rn 14 zu § 266a (treueähnliche Pflicht). 27 So aber NK/Tag Rn 9 zu § 266a; offen gelassen von LK/Möhrenschlager Rn 10 zu § 266a. Die Vorschrift lautet: „Die Zahlung des vom Beschäftigten zu tragenden Teils des Gesamtsozialversicherungsbeitrags gilt als aus dem Vermögen des Beschäftigten erbracht.“ 28 Näher zu diesem fehlgeschlagenen Versuch BGH (Z) NJW 2010, 870 ff.

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nehmeranteil jedoch selbst an die Einzugsstelle zahlen oder dem Arbeitgeber erstatten, sofern dieser an die Einzugsstelle zahlt.29 Im Übrigen beeinträchtigt ein Vorenthalten durch den Arbeitgeber den Schutz des 10 Arbeitnehmers in der gesetzlichen Sozialversicherung grundsätzlich nicht. Die Krankenund Pflegeversicherung sowie die Arbeitsförderung knüpfen an das (frühere) Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses an und sind damit unabhängig von Beitragszahlungen. Lediglich für die Rentenversicherung kommt es idR auf Beitragszahlungen an, weil sich nach diesen gem § 55 Abs 1 S 1 SGB VI die Beitragszeiten bestimmen, die wiederum für Rentenversicherungsansprüche maßgeblich sind. Allerdings werden nach § 199 SGB VI für ordnungsgemäß gemeldete Beschäftigungszeiten Beitragszahlungen vermutet und nach § 203 Abs 2 SGB VI gelten Beiträge als gezahlt, sofern der Arbeitnehmer glaubhaft macht, dass der Beitragsanteil vom Arbeitsentgelt abgezogen worden ist, er also nur das Nettoarbeitsentgelt erhalten hat. Aus einer demnach nur ganz ausnahmsweise möglichen Beeinträchtigung des Arbeitnehmers durch tatbestandsmäßiges Verhalten des Arbeitgebers kann nicht abgeleitet werden, der Tatbestand diene gerade (auch) dem Schutz des Arbeitnehmers.30 2. Anwendbarkeit deutschen Sozialversicherungsrechts Die Strafbarkeit nach § 266a Abs 1 oder 2 StGB setzt voraus, dass Sozialversicherungsbei- 11 träge nach deutschem Recht geschuldet werden.31 Demnach muss deutsches Sozialversicherungsrecht überhaupt anwendbar sein.32 Welches Sozialversicherungsrecht auf ein Beschäftigungsverhältnis anwendbar ist, ergibt sich aus den Vorschriften des Internationalen Sozialversicherungsrechts. Ist deutsches Sozialversicherungsrecht nicht anwendbar, ist die Strafbarkeit nach § 266a Abs 1 oder 2 StGB selbst dann ausgeschlossen, wenn nach den Vorschriften des Internationalen Strafrechts deutsches Strafrecht anwendbar ist. Das für die Anwendbarkeit maßgebliche Internationale Sozialversicherungsrecht 12 kann deutsches, ausländisches, über- oder zwischenstaatliches Recht sein. Die Grundlagen des deutschen Internationalen Sozialversicherungsrechts ergeben sich aus den §§ 3 bis 6 SGB IV. Nach § 3 Nr 1 SGB IV ist deutsches Sozialversicherungsrecht grundsätzlich dann auf ein Beschäftigungsverhältnis anwendbar, wenn der Arbeitnehmer in Deutschland beschäftigt ist. § 4 Abs 1 SGB IV dehnt den Anwendungsbereich deutschen Rechts auf solche Beschäftigungsverhältnisse aus, bei denen der Arbeitnehmer zwar grundsätzlich in Deutschland beschäftigt ist, aber zeitlich begrenzt ins Ausland entsandt wird (sog Ausstrahlung), während § 5 Abs 1 SGB IV die Anwendbarkeit ausschließt, wenn ein Arbeitnehmer grundsätzlich im Ausland beschäftigt ist, aber zeitlich begrenzt nach Deutschland entsandt wird (sog Einstrahlung).33 Entscheidend ist also nicht die Staats-

_____ 29 LAG Berlin BB 1991, 628 (LS). 30 Nicht berücksichtigt von LK/Möhrenschlager Rn 10 zu § 266a. 31 BGH NJW 2007, 233, 234; G/J/W/Wiedner Rn 23 zu § 266a; M/R/Matt Rn 34 zu § 266a; BeckOK/Wittig Rn 10.3 zu § 266a; G/K/R/Gercke Rn 2/29; Rübenstahl NJW 2007, 3538, 3539; Zimmermann ZIS 2007, 407, 411 ff; Radtke GmbHR 2009, 915, 918; aA Hauck NStZ 2007, 221 f (auch Beiträge nach ausländischem Sozialversicherungsrecht). 32 BGH NJW 2007, 233, 234; I/M/Pananis Rn 6/23; AnwK/Esser Rn 52 zu § 266a; Radtke GmbHR 2009, 915, 917. 33 Zur Behandlung der Entsendungsfälle näher die von den Spitzenorganisationen der Sozialversicherung veröffentlichten „Richtlinien zur versicherungsrechtlichen Beurteilung von Arbeitnehmern bei Ausstrahlung (§ 4 SGB IV) und Einstrahlung (§ 5 SGB IV)“, derzeit idF vom 2.11.2010.

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angehörigkeit, der Wohn- bzw Geschäftssitz des Arbeitnehmers oder des Arbeitgebers, sondern der (nicht nur vorübergehende) Beschäftigungsort.34 Aus § 6 SGB IV ergibt sich jedoch, dass über- oder zwischenstaatliche Regelungen Vorrang vor den §§ 3 bis 5 SGB IV haben können. 13 Überstaatliche Regelungen enthält insbes die am 1.5.2010 in Kraft getretene VO (EG) Nr 883/2004,35 deren Anwendungsbereich durch die VO (EU) Nr 1231/201036 ausgedehnt wird. Für den Fall, dass ein Arbeitnehmer aus einem EU/EWR-Staat nach Deutschland entsandt wird, bestimmt sich das anwendbare Recht grundsätzlich nach Art 12 Abs 1 VO (EG) Nr 883/2004,37 der im Kern den §§ 4 Abs 1, 5 Abs 1 SGB IV entspricht. Schwierigkeiten bereitet nicht die VO (EG) Nr 883/2004 selbst, sondern die zu ihrer Durchführung erlassene VO (EG) Nr 987/2009.38 Nach deren Art 19 Abs 2 stellt der zuständige Sozialversicherungsträger des Entsendestaats auf Antrag des Arbeitgebers oder Arbeitnehmers eine Bescheinigung aus, in der er bestätigt, dass und bis wann das Recht des Entsendestaats anwendbar ist, die sog Entsendebescheinigung.39 Dazu wird der Vordruck „Bescheinigung A1“ (auch: „portable document A1“ bzw „PD A1“) verwendet.40 Gem Art 5 Abs 1 VO (EG) Nr 987/2009 hat diese Entsendebescheinigung für die Sozialversicherungsträger anderer Mitgliedstaaten Bindungswirkung,41 dh ihnen ist es verwehrt, sich über eine sachlich unzutreffende Bescheinigung hinwegzusetzen und das anwendbare Recht selbst (zutreffend) zu bestimmen.42 Das gilt auch im Strafverfahren.43 Die Bindungswirkung einer sachlich unzutreffenden Bescheinigung soll sogar dann bestehen, wenn sie missbräuchlich oder betrügerisch erlangt worden ist.44

_____ 34 Zur Bestimmung des Beschäftigungsorts näher § 9 SGB IV. 35 Vom 29.4.2004 (ABl EU L 166/1 vom 30.4.2004). Zuvor galt die VO (EWG) Nr 1408/71 vom 14.6.1971 (ABl EG L 149/2 vom 5.7.1971, sog Wanderarbeitnehmerverordnung), deren Anwendungsbereich durch die VO (EG) Nr 859/2003 vom 14.5.2003 (ABl EU L 124/1 vom 20.5.2003) ausgedehnt wurde. Die Wanderarbeitnehmerverordnung gilt gem Art 90 Abs 1 S 1 Buchst c VO (EG) Nr 883/2004 für bestimmte Drittstaatensachverhalte weiterhin, nämlich iVm dem Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2.5.1992 (ABl EG L 1/1 vom 3.1.1994) und dem Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit (AüF) vom 21.6.1999 (ABl EG L 114/6 vom 30.4.2002). 36 Vom 24.11.2010 (ABl EU L 344/1 vom 29.12.2010). 37 Bzw zuvor Art 14 Nr 1 Buchst a der VO (EWG) Nr 1408/71. 38 Vom 16.9.2009 (ABl EU L 284/1 vom 30.10.2009). Bis zum 1.5.2010 galt die VO (EWG) Nr 574/72 vom 21.3.1972 (ABl EG L 74/1 vom 27.3.1972), sog Wanderarbeitnehmerdurchführungsverordnung. 39 Bzw zuvor Art 11 Abs 1 Buchst a der VO (EWG) Nr 574/72. 40 Unter Geltung der VO (EWG) Nr 574/72 war der Vordruck „E 101“ zu verwenden, weshalb die Entsendebescheinigungen auch „E101-Bescheinigungen“ genannt wurden. 41 So unter Geltung der VO (EWG) Nr 574/72, die die Bindungswirkung nicht ausdrücklich anordnete, EuGH EuZW 2000, 380, 384; 30.3.2000 – C-178/97, BeckRS 2004, 74712 Tz 46; 26.1.2006 – C-2/05, BeckRS 2006, 70078 Tz 31. 42 Stattdessen ist nach Art 5 Abs 2 VO (EG) Nr 987/2009 der Widerruf der Bescheinigung durch den ausstellenden Sozialversicherungsträger zu betreiben. 43 So zur fr Rechtslage BGH NJW 2007, 233, 235 f. Die sozialversicherungsrechtlichen Auswirkungen einer sog Fahrerbescheinigung für Drittstaatenangehörige nach Artt 3 Abs 1 und 3, 4 Abs 2 der VO (EG) Nr 881/92 vom 26.3.1992 (ABl EG L 95/1 vom 9.4.1992) idF der VO (EG) Nr 484/2002 vom 1.3.2002 (ABl EG L 76/1 vom 19.3.2003) konnten in BGH, 21.11.2012 – 1 StR 239/12, juris Tz 5, offenbleiben. 44 LK/Möhrenschlager Rn 32 zu § 266a; MK/Radtke Rn 28 zu § 266a; G/J/W/Wiedner Rn 24 zu § 266a; Fischer Rn 9b zu § 266a; M-G/Thul Rn 38/111; W/J/Richtarsky Rn 19/52. Ebenso unter Geltung der VO (EWG) Nr 574/72 BGH NJW 2007, 233, 236; I/M/Pananis Rn 6/23; Jofer/Weiß StraFo 2007, 277, 280 f; Rübenstahl NJW 2007, 3538, 3539; Heger JZ 2008, 369, 371; Radtke GmbHR 2009, 915, 919; im Ergebnis auch Zimmermann ZIS 2007, 407, 410 f; zutreffend aA unter Hinweis auf die Rspr des EuGH bei Vorliegen von Missbrauch und Betrügereien Wank EuZW 2007, 300, 303 f. Nach EuGH NJW 2012, 1641, 1642, steht das Gemein-

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Wird dagegen ein Arbeitnehmer aus einem Nicht-EU/EWR-Staat nach Deutsch- 14 land entsandt, ist zu prüfen, ob ein zwischenstaatliches Abkommen besteht und welche Bedeutung eine Bescheinigung danach hat.45 Jedenfalls kommt ihr eine geringere Bindungswirkung zu, als der Bescheinigung aus einem EU/EWR-Staat.46 Keine Bindungswirkung entfaltet zB der türkische Berechtigungsschein zur Inanspruchnahme von Krankenversicherungsleistungen im Ausland (sog A/T 11-Schein).47 Der vor dem EUBeitritt Ungarns verwendeten ungarischen Bescheinigung (sog D/H-101-Bescheinigung) kam ebenfalls keine Bindungswirkung zu.48 Fehlt es an einer Entsendebescheinigung oder fehlt einer Bescheinigung die Bin- 15 dungswirkung, ist das anwendbare Recht nach deutschem bzw vorrangigem über- oder zwischenstaatlichen Internationalem Sozialversicherungsrecht zu ermitteln.49 Deutsches Recht ist insbes anwendbar, wenn zur Vereitelung der Beitragsansprüche deutscher Sozialversicherungs-träger eine Arbeitnehmerentsendung lediglich vorgetäuscht wird und der Arbeitnehmer tatsächlich in den Betrieb des inländischen Auftraggebers des vermeintlichen Entsenders eingegliedert ist. Der inländische Auftraggeber ist dann entweder faktischer Arbeitgeber oder er gilt nach § 10 Abs 1 AÜG als Arbeitgeber.50

3. Täterkreis Täter des § 266a Abs 1 und 2 StGB kann nur sein, wer Arbeitgeber ist, wer gem § 266a 16 Abs 5 StGB einem Arbeitgeber gleichsteht oder wem die Arbeitgebereigenschaft – bei der es sich um ein besonderes persönliches Merkmal handelt – nach § 14 StGB zuzurechnen ist. Es handelt sich also um ein echtes Sonderdelikt.

a) Arbeitgeber Der Begriff des Arbeitgebers wird weder im StGB definiert noch im SGB, aus dem sich die 17 durch § 266a Abs 1 und 2 StGB strafbewehrten Pflichten des Arbeitgebers ergeben. Maßgeblich ist das sozialversicherungsrechtliche Verständnis des Arbeitgeberbegriffs.51 Aus der Definition der Beschäftigung in § 7 Abs 1 SGB IV als „nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis“ lässt sich ableiten, dass jedenfalls der nach

_____ schaftsrecht einer Strafbarkeit nach § 95 Abs 6 AufenthG, der ein durch arglistige Täuschung einer ausländischen Behörde eines anderen EU-Mitgliedstaats erlangtes und noch nicht annulliertes Visum einem fehlenden Visum gleichstellt, nicht entgegen. 45 Die zahlreichen bilateralen Sozialversicherungsabkommen sind im Internet zu finden: http://www. dvka.de/de/informationen/rechtsquellen/f_bilaterales_abkommen/bilaterales_abkommen.html. 46 BGH NJW 2008, 595, 596 f; Fischer Rn 9c zu § 266a; AnwK/Esser Rn 54 zu § 266a; D/D/R/Beukelmann Rn 14 zu § 266a; W/J/Richtarsky Rn 19/52; Heger JZ 2008, 369, 371 f; einschr MK/Radtke Rn 33 zu § 266a; ders GmbHR 2009, 915, 922; aA Jofer/Weiß StraFo 2007, 277, 281 ff; ferner Rübenstahl NJW 2007, 3538, 3540, der sich auf die Entscheidung BSGE 85, 240 ff, beruft, in der aber gerade für den Fall, dass die Entsendebescheinigung auch nach ausländischem Rechtsverständnis offensichtlich unrichtig ist, keine Bindungswirkung angenommen wird. 47 BGH NJW 2007, 1370, 1372. 48 BGH NJW 2008, 595, 596 f. 49 BGH NJW 2007, 1370, 1371; 2008, 595 f. 50 Nach Ulber ZESAR 2015, 5, 7 ff, und Wilde NZS 2016, 48, 51, soll eine Bescheinigung A1 zwar nicht dem Zustandekommen des Arbeitsverhältnisses nach § 10 Abs 1 AÜG entgegenstehen, wohl aber der inländischen Sozialversicherungspflicht. 51 BGH NStZ 2013, 587; 2014, 321, 322; NJW 2014, 1975, 1976; LK/Möhrenschlager Rn 14 zu § 266a; MK/ Radtke Rn 12 zu § 266a; G/J/W/Wiedner Rn 9; S/S/Perron Rn 11 zu § 266a; NK/Tag Rn 19 zu § 266a.

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Arbeitsrecht (§§ 611 ff BGB) Dienstberechtigte auch Arbeitgeber iSd § 266a Abs 1 und 2 StGB ist.52 Das wesentliche Merkmal eines Arbeitsverhältnisses besteht darin, dass jemand 18 während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält.53 Ob ein Arbeitsverhältnis vorliegt, hängt von der Gesamtheit der Umstände ab, die die Beziehungen zwischen den Beteiligten kennzeichnen, zB von der Verteilung des Unternehmerrisikos, der Weisungsgebundenheit, der Vergütung nach festen Stundensätzen, der Eingliederung in einen Betrieb, der Gestaltung der (täglich) Arbeitszeit und der Urlaubszeit sowie vom Einsatz eigener Hilfskräfte.54 Die Gewinnerzielung oder Gewinnerzielungsabsicht ist keine Voraussetzung der Arbeitgebereigenschaft.55 Der Abschluss eines schriftlichen oder mündlichen Arbeitsvertrags ist nicht erforderlich.56 Auch auf die Wirksamkeit des Vertrags kommt es nicht an.57 Maßgeblich sind die tatsächlichen Gegebenheiten.58 In Zweifelsfällen kann im Anfrageverfahren nach § 7a SGB IV eine Statusfeststellung durch die Deutsche Rentenversicherung Bund erfolgen. Die Weisungsgebundenheit ist auch ausschlaggebend dafür, ob ein für die GmbH tä19 tiger Gesellschafter, insbes ein geschäftsführender Gesellschafter, als sozialversicherungspflichtig Beschäftigter der GmbH gilt, dh die GmbH seine Arbeitgeberin ist. Die Rspr geht dabei von folgenden Grundsätzen aus: Wer mindestens die Hälfte des Stammkapitals hält, insbes also der Allein- oder Mehrheitsgesellschafter, ist weisungsfrei und daher nicht sozialversicherungspflichtig.59 Dagegen ist der Minderheitsgesellschafter weisungsgebunden und daher sozialversicherungspflichtig,60 auch wenn ihm tatsächlich keine Weisungen erteilt werden.61 Wenn der Minderheitsgesellschafter aufgrund einer Sperrminorität62 oder einer Stimmbindungsvereinbarung63 Weisungen verhindern kann, ist er jedoch nicht weisungsgebunden. 20 Die Maßgeblichkeit der tatsächlichen Gegebenheiten führt dazu, dass ein Arbeitsverhältnis vorliegen kann, obwohl die Beteiligten den Eindruck eines Arbeitsver-

_____ 52 BGH NStZ 2013, 587; 2014, 321, 322; NJW 2014, 1975, 1976; MK/Radtke Rn 12 zu § 266a; G/J/W/Wiedner Rn 9 zu § 266a; S/S/Perron Rn 11 zu § 266a; NK/Tag Rn 19 zu § 266a; I/M/Pananis Rn 6/10. 53 BGH NJW 2012, 471, 472; OLG Frankfurt/Main, 7.3.2014 – 1 Ws 179/13, juris Tz 15; Thum/Selzer wistra 2011, 290, 291. Ausführlich BSGE 87, 53 ff. Zur Abgrenzung von Selbständigkeit und Arbeitsverhältnis sa das Rundschreiben der Spitzenorganisationen der Sozialversicherung „Statusfeststellung von Erwerbstätigen“ vom 13.4.2010, mit zahlreichen Abgrenzungsbeispielen in den Anlagen. 54 BGH NStZ 2001, 599, 600; 2010, 337; 2013, 587; 2014, 321, 323; 2016, 348, 349; NJW 2012, 471, 472; 2014, 1975, 1976; wistra 2013, 277, 279. Sa die Aufstellung von Abgrenzungsmerkmalen bei Metz NStZ-RR 2013, 333 f. 55 BVerfG NJW 2003, 961. 56 LK/Möhrenschlager Rn 15 zu § 266a; MK/Radtke Rn 12 zu § 266a; G/J/W/Wiedner Rn 9 zu § 266a. 57 LK/Möhrenschlager Rn 15 zu § 266a; AnwK/Esser Rn 17 zu § 266a; Fischer Rn 4 zu § 266a; NK/Tag Rn 20 zu § 266a; Thum/Selzer wistra 2011, 290 f. Zur Sittenwidrigkeit näher BSGE 87, 53 ff. 58 BGH NStZ 2001, 599, 600; 2010, 337; 2013, 587 f; 2014; 321, 322; NStZ 2016, 348, 349; NJW 2011, 3047; 2012, 471, 472; 2014, 1975, 1976; wistra 2013, 277, 279. Krit Floeth NZS 2014, 207, 208, der vertraglich eingeräumte, aber tatsächlich nicht ausgeübte Befugnisse (dennoch) berücksichtigen will. 59 Vgl BSG, 12.11.1974 – 1 RA 251/73, juris Tz 12 ff; 24.6.1982 – 12 RK 43/81, juris Tz 14 ff (auch bei weisungsbefugtem Beirat); GmbHR 1990, 300 f (auch bei untergeordneter Tätigkeit); 1991, 461, 462. Zum Ganzen auch Bernsdorff DB 2014, 1551 ff; Bross DB 2014, 2651 ff. 60 Vgl BSG GmbHR 2004, 494, 496 f. 61 Vgl BSG DStR 2013, 770, 772 f. 62 Vgl BSG GmbHR 1991, 461, 462; 1992, 172, 173 f; einschr zuletzt LSG Berlin-Brandenburg GmbHR 2016, 164, 167 f. 63 Vgl dazu BSG GmbHR 2016, 528, 530 ff; 533, 535 f.

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§ 21 Vorenth. v SozVers-Beitr. u. Veruntreuen v Arbeitsentg., § 266a StGB | 989

hältnisses gerade vermeiden wollen (zB bei Scheinselbständigkeit64), aber auch dazu, dass Arbeitgeber ein anderer sein kann, als der, der den Eindruck eines Arbeitgebers erwecken soll (zB bei Strohleuten65 und Scheinunternehmen66 sowie bei Werkverträgen67). Arbeitgeber und Arbeitnehmer können die aus einem tatsächlich gegebenen Arbeitsverhältnis folgenden sozialversicherungsrechtlichen Pflichten nicht durch eine abweichende vertragliche Gestaltung beseitigen.68 Arbeitgeber ist demnach auch derjenige, in dessen Betrieb der Arbeitnehmer organisatorisch eingegliedert ist, wenn dem als vermeintlichem Arbeitgeber eingesetzten Nachunternehmer die betriebliche Organisation fehlt.69 Bei der Überlassung von Arbeitnehmern ist zu unterscheiden:70 Bei zulässiger 21 Überlassung ist der Verleiher Arbeitgeber. Der Entleiher haftet lediglich gem § 28e Abs 2 S 1 und 2 SGB IV wie ein selbstschuldnerischer Bürge. Diese Haftung begründet keine Arbeitgeberstellung des Entleihers iSd § 266a StGB.71 Bei Überlassung ohne die nach § 1 AÜG erforderliche Erlaubnis, zB im Fall eines zum Schein abgeschlossenen Werkvertrags,72 ist der Arbeitsvertrag nach § 9 Nr 1 AÜG unwirksam und der Entleiher gilt gem § 10 Abs 1 AÜG als Arbeitgeber. Zahlt der Verleiher trotz der Unwirksamkeit des Vertrags das Arbeitsentgelt oder Teile davon an den Leiharbeitnehmer, hat er nach § 28e Abs 2 S 3 SGB IV auch den darauf entfallenden Gesamtsozialversicherungsbeitrag an die Einzugsstelle zu zahlen. Hinsichtlich dieses Gesamtsozialversicherungsbeitrags gilt gem § 28e Abs 2 S 4 SGB IV neben dem Entleiher der Verleiher als Arbeitgeber und haftet gesamtschuldnerisch mit ihm. Insoweit ist auch der Verleiher Arbeitgeber iSd § 266a StGB.73

b) Gleichgestellte (§ 266a Abs 5 StGB) Ohne nennenswerte praktische Bedeutung stellt § 266a Abs 5 StGB den Auftraggeber ei- 22 nes Hausgewerbetreibenden (§ 12 Abs 1 SGB IV), eines Heimarbeiters (§ 12 Abs 2 SGB IV) oder einer diesen gleichgestellten Person (§ 12 Abs 5 SGB IV iVm § 1 Abs 2 S 1 Buchst a, c

_____ 64 Vgl BGH NJW 2014, 1975 ff (vermeintlich selbständige Kurierfahrer mit vom Arbeitgeber gemieteten Fahrzeugen); NStZ 2016, 348 ff (Betreiben von Waschstraßen auf „Provisionsbasis“); 2016, 460 ff (vermeintlich selbständige Kükensortierer aus China und Südkorea); OLG Celle wistra 2014, 109 ff (Weiterbeschäftigung der bisherigen Arbeitnehmer als vermeintlich selbständige „Honorarkräfte“); OLG Frankfurt/Main, 7.3.2014 – 1 Ws 179/13 (Selbständigkeit bejaht für Ganztagsbetreuung durch ausländische Pflegekräfte bei „Franchisevertrag“ mit dem Vermittler). 65 Vgl OLG Braunschweig, 27.5.2015 – 1 Ss 14/15. 66 Vgl BGH NStZ 2013, 587 f (Kolonnenführer als Arbeitgeber, während gegenüber den Auftraggebern eine GmbH auftrat). 67 Vgl BGH NJW 2012, 471 f („Werkverträge“ mit von ausländischen Arbeitnehmern gegründeten GbRs); NStZ 2014, 321 ff („Werkverträge“ mit ausländischen Einzelunternehmern, die und deren vermeintliche Arbeitnehmer in den Vorjahren als Saisonarbeiter beschäftigt worden waren). 68 BGH NJW 2009, 528, 530; 2011, 3047; 2012, 471, 472; 2014, 1975, 1976; NStZ 2010, 337; 2014, 321, 322. 69 BGH NJW 2007, 1370, 1371. 70 Zur Überlassung von Scheinselbständigen Lanzinner/Nath NZS 2015, 210 ff; 251 ff. 71 LK/Möhrenschlager Rn 17 zu § 266a; MK/Radtke Rn 17 zu § 266a; S/S/Perron Rn 11 zu § 266a; Erbs/Kohlhaas/Ambs Rn 8 zu 266a. 72 Vgl die Sachverhalte zu BGH NStZ 2001, 599; NJW 2007, 1370; 2014, 1975. Ob eine Arbeitnehmerüberlassung vorliegt, richtet sich also nach den tatsächlichen Verhältnissen, nicht nach der (zur Verschleierung) gewählten Bezeichnung des Vertrags. 73 BGH NStZ 2001, 599, 600; NJW 2014, 1975, 1976; LK/Möhrenschlager Rn 19 f zu § 266a; grds auch Bürger wistra 2016, 169, 170. Abw MK/Radtke Rn 17 zu § 266a, der den Verleiher unabhängig von der Entgeltzahlung neben dem Entleiher als Arbeitgeber ansieht.

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und d HeimArbG) sowie den Zwischenmeister (§ 12 Abs 4 SGB IV) dem Arbeitgeber gleich.

c) Zurechnung der Arbeitgebereigenschaft (§ 14 StGB) 23 § 14 StGB erweitert nicht den Kreis der Arbeitgeber, sondern regelt die Zurechnung der

Arbeitgebereigenschaft als besonderes persönliches Merkmal. Die Anwendung des § 14 StGB ist nicht auf Fälle beschränkt, in denen der Arbeitgeber selbst sich nicht strafbar machen kann, insbes weil er eine juristische Person ist. Vielmehr können durch § 14 StGB neben dem Arbeitgeber weitere Personen zu Tätern werden.74

aa) § 14 Abs 1 Nr 1 und 2 StGB 24 Gem § 14 Abs 1 Nr 1 StGB wird dem vertretungsberechtigten Organ bzw werden den

Mitgliedern des vertretungsberechtigten Organs einer juristischen Person die Arbeitgebereigenschaft zugerechnet. Unter die Vorschrift fallen zB die Geschäftsführer einer GmbH, die Mitglieder des Vorstands einer AG, die Directors einer englischen Private Company limited by Shares75 und die Mitglieder des Vereinsvorstands iSd § 26 BGB. Werden bei einem Verein aufgrund der Satzung besondere Vertreter iSd § 30 BGB bestellt – häufig als Geschäftsführer oder Hauptgeschäftsführer bezeichnet –, sind auch diese von § 14 Abs 1 Nr 1 StGB erfasst,76 sofern die Erfüllung der sozialversicherungsrechtlichen Pflichten des Vereins zu ihrem Geschäftskreis gehört. 25 Auch faktische Organe werden von § 14 Abs 1 Nr 1 StGB erfasst.77 Die Verantwortlichkeit der ordentlich bestellten Organe entfällt nicht schon wegen der (Mit-)Verantwortlichkeit der faktischen Organe.78 Dass die ordentlich bestellten Organe als bloße Strohleute auf die Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge tatsächlich keinen Einfluss haben, entlastet sie nicht,79 denn sofern in derartigen Fällen nicht bereits die Übernahme des Amts ein Vorverschulden iSd omissio libera in causa begründet,80 könnten die Strohleute jedenfalls durch Amtsniederlegung ihre Verantwortlichkeit beenden. Bei Zweifeln am Vorliegen der Voraussetzungen eines faktischen Organs ist zu prüfen, ob nicht zumindest eine Beauftragung iSd § 14 Abs 2 StGB vorliegt.81

_____ 74 Ebenso NK/Tag Rn 32 zu § 266a. 75 Allg werden auch die vertretungsberechtigten Organe ausländischer Gesellschaften erfasst. Zum Presidente della Direzione einer schweizerischen AG vgl BGH (Z) NJW 2013, 3303, 3304. 76 Da § 30 BGB im GmbH-Recht entsprechend gilt, können auch bei einer GmbH aufgrund der Satzungsfreiheit neben den Geschäftsführern weitere organschaftliche Vertreter iSd § 14 StGB bestellt werden. 77 BGH NJW 2002, 2480, 2482; 2007, 1370, 1372 f; BGH (Z) NJW 2013, 3303, 3305; LK/Möhrenschlager Rn 22 zu § 266a; G/J/W/Wiedner Rn 14 zu § 266a; Fischer Rn 5 zu § 266a; NK/Tag Rn 30 zu § 266a; aA MK/Radtke Rn 36 zu § 266a; A/R/R/Gercke Rn 12/2/16; I/M/Pananis Rn 6/12. 78 Vgl BGH, 13.10.2016 – 3 StR 352/16; OLG Hamm NStZ-RR 2001, 173, 174; OLG Rostock (Z) NJW-RR 1998, 688; KG (Z) GmbHR 2003, 591, 594; OLG Koblenz (Z) NZI 2010, 308 f; M-G/Thul Rn 38/32; I/M/Pananis Rn 6/ 12; Stein DStR 1998, 1055, 1058. 79 BGH, 13.10.2016 – 3 StR 352/16; OLG Braunschweig, 27.5.2015 – 1 Ss 14/15; M-G/Thul Rn 38/32; in diese Richtung auch Metz NStZ-RR 2013, 297, 298 f; aA OLG Hamm NStZ-RR 2001, 173, 174; LK/Möhrenschlager Rn 21 zu § 266a; G/J/W/Wiedner Rn 14 zu § 266a; Fischer Rn 5 zu § 266a; NK/Tag Rn 30 zu § 266a; BeckOK/ Wittig Rn 6.3 zu § 266a; AnwK/Esser Rn 32 zu § 266a; HambK/Borchardt Rn 10 zu § 266a StGB; Krumm wistra 2012, 211, 212. 80 Abl Metz NStZ-RR 2013, 297, 299. 81 Vgl BGH (Z) NJW 2013, 3303, 3305; OLG Karlsruhe NJW 2006, 1364, 1365 f; M-G/Thul Rn 38/30; MK/ Radtke Rn 36 zu § 266a.

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§ 14 Abs 1 Nr 2 StGB regelt die Zurechnung der Arbeitgebereigenschaft bei einer 26 rechtsfähigen Personengesellschaft, dh einer Außen-GbR82, oHG, EWIV, KG83 oder ausländischen Gesellschaft entspr Rechtsform. Nur den vertretungsberechtigten Gesellschaftern wird die Arbeitgebereigenschaft zugerechnet, dh bei einer oHG grundsätzlich sämtlichen Gesellschaftern (§ 125 Abs 1 HGB), bei einer KG jedoch nicht den Kommanditisten (vgl § 170 HGB).84 Eine oHG in Liquidation wird von den Liquidatoren vertreten (§ 149 S 2 HGB), zu denen grundsätzlich sämtliche Gesellschafter berufen sind (§ 146 Abs 1 S 1 HGB). Bei einer GmbH & Co KG ist § 14 Abs 1 Nr 1 und 2 StGB anzuwenden, um die Geschäftsführer der Komplementär-GmbH zur Verantwortung zu ziehen. Durch eine interne Zuständigkeitsregelung zwischen mehreren nach § 14 Abs 1 27 Nr 1 oder 2 StGB Verantwortlichen entfällt für keinen von ihnen die Pflicht, für die Erfüllung der sozialversicherungsrechtlichen Pflichten des Arbeitgebers – insbes die Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge – Sorge zu tragen (sog Allzuständigkeit).85 Folge einer Zuständigkeitsregelung ist lediglich, dass die Verantwortlichen ihrer Pflicht durch die sorgfältige Auswahl und Überwachung eines von ihnen genügen können,86 wobei sich die Anforderungen an die Auswahl und Überwachung nach den Umständen des Einzelfalls richten.87 Grundsätzlich darf die Zuständigkeit niemandem zugewiesen werden, der im Wirtschaftsleben bereits durch Gesetzesverstöße – insbes durch die Verletzung sozialversicherungsrechtlicher Pflichten – aufgefallen oder sogar entspr vorbestraft ist,88 wie es bei faktischen Organen oft der Fall ist. Auch wenn später Zweifel an der Zuverlässigkeit des zuständigen Verantwortlichen aufkommen,89 ist die Zuständigkeitsregelung hinfällig. Aber nicht nur solche in der Person eines Verantwortlichen liegenden Umstände zwingen die übrigen Verantwortlichen zum Einschreiten, sondern auch eine besondere Lage der juristischen Person bzw Personengesellschaft als Arbeitgeberin, zB Zahlungsschwierigkeiten oder ungeordnete Verhältnisse im Geschäftsablauf.90 Noch höher sind die Anforderungen bei Delegation auf Dritte,91 zB auf Angestellte, 28 ein Buchführungsbüro oder einen Steuerberater. Bei Delegation auf Angestellte sind zunächst Maßnahmen zu treffen, die ihnen die Erfüllung der sozialversicherungsrechtlichen Pflichten ermöglichen (zB Kontovollmacht, Zugriff auf Geschäftsunterlagen, Datenübermittlung an Einzugsstellen); hinzu kommt die Anleitung bzw Einarbeitung.92 Anleitung und Einarbeitung entfallen zwar bei Delegation auf qualifizierte externe Unternehmen, allerdings ist dann – mangels Einsicht und Eingriffsmöglichkeit in die Ab-

_____ 82 Vgl OLG Celle wistra 2016, 334, 335. 83 Vgl OLG Zweibrücken (Z) OLGR Zweibrücken 2005, 799 ff. 84 Nach KG (Z) GmbHR 2003, 591, 593 f, soll im Fall einer Treuhandvereinbarung nicht dem Gesellschafter, sondern dem Treugeber die Arbeitgebereigenschaft zuzurechnen sein. 85 Vgl OLG Celle wistra 2014, 109; 2016, 334, 335; BGH (Z) NJW 1997, 130, 132; 2001, 969, 971; ZIP 2008, 1275, 1276; LK/Möhrenschlager Rn 21 zu § 266a; MK/Radtke Rn 35 zu § 266a; G/J/W/Wiedner Rn 15 zu § 266a; Fischer Rn 5 zu § 266a; M-G/Thul Rn 38/31. Unzutr OLG Frankfurt/Main (Z) ZIP 1995, 213, 214 f, wonach die Zurechnung nach § 14 Abs 1 Nr 1 StGB voraussetzt, dass das Organ für den Aufgabenbereich „Personal/ Sozialversicherung“ zuständig oder tatsächlich damit befasst ist. 86 OLG Celle wistra 2014, 109; 2016, 334, 335; BGH (Z) NJW 1997, 130, 132; 2001, 969, 971. 87 BGH NJW 2002, 2480, 2482; vgl auch BGH (Z) NJW 2013, 1304, 1305. 88 Vgl G/J/W/Wiedner Rn 15 zu § 266a. 89 Wofür nach BGH NJW 2002, 2480, 2482, die Erkenntnis ausreichend ist, dass „die Handlungsweise in einem rechtswidrigen Gesamtzusammenhang steht“. Vgl auch BGH (Z) ZIP 2016, 1283, 1285. 90 Vgl BGH wistra 1998, 177, 178; NJW 2003, 3787, 3789; OLG Braunschweig, 27.5.2015 – 1 Ss 14/15; BGH (Z) NJW 1997, 130, 132; 2001, 969, 971; ZIP 2008, 1275, 1276; NJW 2013, 1304, 1305; ZIP 2016, 1283, 1285. 91 Vgl zur Delegation auf Prokuristen einer GmbH BGH (Z) NJW 1997, 130, 132. 92 BGH NJW 2002, 2480, 2482.

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läufe im fremden Unternehmen – eine besonders sorgfältige Auswahl und Überwachung erforderlich. Sofern der Dritte aufgrund der Delegation seinerseits nach § 14 Abs 2 StGB verantwortlich wird, befreit das den Arbeitgeber bzw dessen nach § 14 Abs 1 Nr 1 oder 2 StGB Verantwortliche nicht von ihren Pflichten.

bb) § 14 Abs 1 Nr 3 StGB 29 Im Zusammenhang mit Taten nach § 266a StGB stellt sich insbes beim vorläufigen und

beim endgültigen Insolvenzverwalter die Frage, ob er gesetzlicher Vertreter iSd § 14 Abs 1 Nr 3 StGB ist und somit als Täter in Betracht kommt. 30 Zwar ist der Insolvenzverwalter nach st zivilgerichtlicher Rspr Partei kraft Amtes und nicht gesetzlicher Vertreter des Schuldners, der Gläubiger oder der Insolvenzmasse.93 Dieses enge Verständnis des Begriffs „gesetzlicher Vertreter“ liegt § 14 Abs 1 Nr 3 StGB jedoch nicht zugrunde.94 Entscheidend ist, dass mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers gem § 80 Abs 1 InsO die Befugnis, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Verwalter übergeht. Daher wird dem Verwalter nach zutreffender hM die Arbeitgebereigenschaft gem § 14 Abs 1 Nr 3 StGB zugerechnet.95 Nach aA soll die Zurechnung nach § 14 Abs 2 Nr 1 StGB erfolgen,96 oder der Verwalter soll selbst Arbeitgeber sein.97 Dass der Insolvenzschuldner Arbeitgeber bleibt, hat insofern Bedeutung, als er Mittäter – nicht lediglich Gehilfe – des Verwalters sein kann, wenn jener sich bei der Fortführung des Unternehmens der Unterstützung des Insolvenzschuldners bedient. 31 Auch dem starken vorläufigen Insolvenzverwalter, der bei Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung und Auferlegung eines allgemeinen Verfügungsverbots gem § 21 Abs 1, 2 Alt 1, § 22 Abs 1 InsO bestellt werden muss, wird die Arbeitgebereigenschaft nach § 14 Abs 1 Nr 3 StGB zugerechnet.98 Denn nach 22 Abs 1 S 1 InsO geht die Verfügungsbefugnis auf ihn über. Nach aA erfolgt die Zurechnung über § 14 Abs 2 StGB99 oder der starke vorläufige Insolvenzverwalter soll Arbeitgeber sein.100 32 Dagegen lässt die Anordnung der vorläufigen Verwaltung und Bestellung eines schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters die Arbeitgebereigenschaft des Schuldners unberührt, und zwar auch dann, wenn das Insolvenzgericht gem § 21 Abs 2 S 1 Nr 2 Alt 2 InsO anordnet, dass Verfügungen nur mit Zustimmung des vorläufigen Verwalters wirksam sind (sog Zustimmungsvorbehalt). Dem schwachen vorläufigen Verwalter mit

_____ 93 So zB BGH (Z) NZI 1999, 450. 94 Ausdrücklich für die Anwendung auf den Konkursverwalter BTDrs V/1319, 63 (zu § 50a Abs 1 Nr 3 StGB aF als Vorgängervorschrift). 95 LK/Möhrenschlager Rn 22 zu § 266a; BeckOK/Wittig Rn 7 zu § 266a; G/J/W/Wiedner Rn 14 zu § 266a; SK/Hoyer Rn 28 zu § 266a; NK/Tag Rn 32 zu § 266a; G/K/R/Gercke Rn 2/17; A/R/R/Gercke Rn 12/2/15; I/M/ Pananis Rn 6/11; grundsätzlich auch Wüchner S 63. Zum Konkursverwalter OLG Zweibrücken wistra 1995, 319, 320. 96 Biermann S 99 f, 161, 219; Richter NZI 2002, 121, 122. 97 HambK/Borchardt Rn 7 zu § 266a StGB; Branz S 17; Bollacher S 102; wohl auch MK/Radtke Rn 37 zu § 266a; widersprüchlich Fischer Rn 4b und 6 zu § 266a. 98 LG Berlin, 7.3.2016 – 536 Qs 13/15; LK/Möhrenschlager Rn 22 zu § 266a; SK/Hoyer Rn 28 zu § 266a; W/J/ Pelz Rn 9/263; grundsätzlich auch Wüchner S 63; wohl auch Brückl/Kersten NZI 2001, 288, 289; ohne Festlegung auf § 14 Abs 1 Nr 3 oder Abs 2 Nr 1 StGB Röpke/Rothe NZA 2004, 430, 432; Laroche/Wollenweber ZInsO 2016, 2225, 2227. Dagegen Dupper/Petzsche wistra 2016, 294, 296 f. 99 Flöther/Bräuer DZWIR 2005, 441, 447; Richter NZI 2002, 121, 122; Schäferhoff/Gerster ZIP 2001, 905, 907. 100 HambK/Borchardt Rn 7 zu § 266a StGB; Branz S 14; Bollacher S 101 f; Plagemann NZS 2000, 8, 10.

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oder ohne Zustimmungsvorbehalt wird die Arbeitgebereigenschaft nicht nach § 14 Abs 1 Nr 3 StGB zugerechnet.101 Er kann sich allenfalls wegen Beteiligung an den Taten des Schuldners strafbar machen, insbes wegen Beihilfe. Dem vorläufigen Sachwalter iSd § 270a Abs 1 S 2 InsO und – im eröffneten Insol- 33 venzverfahren – dem Sachwalter iSd § 270c InsO werden weder die Arbeitgebereigenschaft nach § 14 StGB zugerechnet noch werden sie selbst Arbeitgeber.

cc) § 14 Abs 2 StGB § 14 Abs 2 StGB ermöglicht es in Fällen, in denen die Erfüllung der sozialversicherungs- 34 rechtlichen Pflichten auf Dritte delegiert worden ist, auch diesen die Arbeitgebereigenschaft zuzurechnen. Daneben kann § 14 Abs 2 StGB als Auffangvorschrift herangezogen werden, sofern der Arbeitgeber ein nicht unter § 14 Abs 1 Nr 1 oder 2 StGB fallender Rechtsträger ist, insbes eine rechtsfähige Vorgesellschaft.102 § 14 Abs 2 Nr 1 StGB stellt darauf ab, dass der Dritte mit der Leitung eines Betriebs 35 oder Unternehmens bzw eines Teils davon – nicht zwingend ausdrücklich103 – beauftragt worden ist, wobei ein Betriebs- bzw Unternehmensteil räumlich (zB Zweigniederlassung) oder sachlich (zB Verwaltung, Lohnbuchhaltung) abgegrenzt sein kann.104 Dagegen verlangt § 14 Abs 2 Nr 2 StGB eine ausdrückliche, zweifelsfreie und konkrete Beauftragung,105 lässt aber die Wahrnehmung von (einzelnen) Aufgaben in eigener Verantwortung ausreichen, also gerade auch die Erfüllung der sozialversicherungsrechtlichen Pflichten des Arbeitgebers. Jedenfalls setzt § 14 Abs 2 StGB voraus, dass dem mit Aufgaben des Arbeitgebers Betrauten eigene Entscheidungsfreiheit zukommt, während die bloße Einräumung von Leitungsbefugnissen oder die Einbeziehung in eine unternehmerische Mitverantwortung nicht ausreichend ist.106

4. Beiträge zur Sozialversicherung a) Allgemeines Strafbar ist nach § 266a Abs 1 und 2 StGB nur das Vorenthalten der aufgrund eines Ar- 36 beitsverhältnisses geschuldeten Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung, die vom Arbeitnehmer (Abs 1) oder Arbeitgeber (Abs 2) zu tragen und vom Arbeitgeber zu zahlen sind. Daher sind folgende Beiträge von vornherein nicht erfasst: Bei den sog Sozialkassenbeiträgen, die aufgrund des Tarifvertrags über das Sozial- 37 kassenverfahren im Baugewerbe (VTV) vom 18.12.2009 an die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes AG (ZVK), die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft (ULAK)107 – bzw in Bayern die Gemeinnützige Urlaubskasse des Bayerischen Baugewerbes eV (UKB) und in Berlin die Sozialkasse des Berliner Baugewerbes (Soka-Berlin) – und

_____ 101 LK/Möhrenschlager Rn 22 zu § 266a; SK/Hoyer Rn 28 zu § 266a; HambK/Borchardt Rn 7 zu § 266a StGB; I/M/Pananis Rn 6/11. Für möglich halten die Arbeitgebereigenschaft des schwachen vorläufigen Verwalters oder die Zurechnung nach § 14 Abs 2 StGB Richter NZI 2002, 121, 123; Bollacher S 101 f. 102 Dazu, dass die Vor-GmbH nicht von § 14 Abs 1 Nr 1 oder 2 StGB erfasst wird, KG (Z) ZIP 2002, 438, 439; GmbHR 2003, 591, 592 f. Für eine Zurechnung nach § 14 Abs 1 Nr 2 StGB jedoch Wüchner S 30. 103 BGH NJW 2012, 3385, 3387; BGH (Z) NJW-RR 1989, 1185 f. 104 BGH (Z) NJW-RR 1989, 1185, 1186. 105 BGH NJW 2012, 3385, 3387; NStZ 2016, 460, 462; vgl auch OLG Frankfurt/Main wistra 2003, 236. 106 BGH NJW 2012, 3385, 3387. 107 Gemeinsam treten beide als „SOKA-BAU“ auf.

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die Sozialkasse des Dachdeckergewerbes (Soka Dach) zu zahlen sind, handelt es sich nicht um Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung oder nach dem Recht der Arbeitsförderung.108 Bei unrichtigen Angaben und zu geringen Zahlungen kommt eine Strafbarkeit nach § 263 StGB in Betracht.109 Das bloße Nichtzahlen der Beiträge an die ULAK, UKB, Soka-Berlin oder Soka Dach ist eine Ordnungswidrigkeit nach § 23 Abs 1 Nr 1 iVm § 8 Abs 1 AEntG.110 Bei der Künstlersozialabgabe nach § 24 KSVG beruht die Abgabepflicht nicht auf 38 dem Bestehen eines Arbeitsverhältnisses, sondern auf der Unternehmereigenschaft. Über die Künstlersozialabgabe wird von bestimmten Unternehmen ein Teil der Beiträge zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung der selbständigen Künstler und Publizisten aufgebracht, vgl §§ 1, 14, 23 KSVG. Sie ist gem § 27 KSVG an die Unfallversicherung Bund und Bahn111 als Künstlersozialkasse zu zahlen. Wer der Künstlersozialkasse die Bemessungsgrundlage entgegen §§ 27 Abs 1 S 1, 25 KSVG vorsätzlich oder fahrlässig nicht, nicht rechtzeitig oder nicht richtig meldet, begeht eine Ordnungswidrigkeit nach § 36 Abs 2 Nr 1 KSVG. Wird aufgrund unrichtiger Angaben eine zu geringe Künstlersozialabgabe geltend gemacht, kommt eine Strafbarkeit nach § 263 StGB in Betracht.

b) Beitragspflicht aufgrund eines Arbeitsverhältnisses 39 Die gesetzliche Sozialversicherung umfasst die Versicherungszweige der Kranken-, Pfle-

ge-, Renten- und Unfallversicherung sowie die Arbeitsförderung (ungenau: Arbeitslosenversicherung), vgl § 1 Abs 1 SGB IV. Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung können aus verschiedenen Gründen geschuldet werden. Für § 266a Abs 1 und 2 StGB sind jedoch nur die aufgrund eines Arbeitsverhältnisses geschuldeten Beiträge von Bedeutung. Das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses führt grundsätzlich zu einer Versicherungspflicht des Arbeitnehmers, die wiederum die Beitragspflicht auslöst. Nur ausnahmsweise besteht die Beitragspflicht auch ohne Versicherungspflicht des Arbeitnehmers. In der Krankenversicherung sind gem § 5 Abs 1 Nr 1 SGB V Arbeiter, Angestellte 40 und die gegen Arbeitsentgelt zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten versicherungspflichtig. Versicherungsfrei sind insbes hauptberuflich selbständig Erwerbstätige iSd § 5 Abs 5 SGB V sowie Arbeitnehmer und Angestellte, deren Jahresarbeitsentgelt die Versicherungspflichtgrenze112 übersteigt, § 6 Abs 1 Nr 1 SGB V. Versicherungsfrei sind auch geringfügig Beschäftigte iSd § 8 Abs 1 SGB IV,113 dh geringfügig entlohnte Beschäftigte (Nr 1) und kurzzeitig Beschäftigte (Nr 2), soweit sie sich nicht in einer betrieblichen Berufsausbildung befinden, § 7 Abs 1 SGB V.114 Für die Feststellung, ob die Entgeltgrenze des § 8 Abs 1 Nr 1 SGB IV von 450 € gewahrt ist, sind grundsätzlich die Entgelte aus allen

_____ 108 BAG NJW 2005, 3739, 3740; LAG Kiel NZA-RR 2005, 316, 317; M-G/Thul Rn 38/195; D/D/R/Beukelmann Rn 23 zu § 266a. 109 M-G/Thul Rn 38/197; Metz NStZ-RR 2013, 333, 336. 110 Ast/Klocke wistra 2014, 206, 208. 111 Bis zum 31.12.2014: Unfallkasse des Bundes. 112 56.250 € für das Jahr 2016. 113 Vgl dazu die von den Spitzenorganisationen der Sozialversicherung veröffentlichten „Richtlinien für die versicherungsrechtliche Beurteilung von geringfügigen Beschäftigungen (Geringfügigkeits-Richtlinie)“, derzeit idF vom 12.11.2014. 114 Nach der Übergangsregelung des § 7 Abs 2 S 1 SGB V bestand die Versicherungspflicht bis zum 31.12.2014 für diejenigen Beschäftigten fort, die bis zum 31.12.2012 keine geringfügig Beschäftigten gewesen waren, deren Arbeitsentgelt aber durch die Anhebung der Entgeltgrenze von 400 € auf 450 € zum 1.1.2013 in den Bereich einer geringfügigen Beschäftigung fiel.

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Arbeitsverhältnissen des Beschäftigten zusammenzurechnen; lediglich bei einer einzigen geringfügig entlohnten Beschäftigung neben einer nicht geringfügigen Beschäftigung erfolgt keine Zusammenrechnung, vgl § 8 Abs 2 SGB IV. Bei Versicherungsfreiheit des geringfügig entlohnten Beschäftigten ist der Arbeitgeber nach § 249b S 1 SGB V beitragspflichtig. In der Pflegeversicherung ist nach § 1 Abs 2 SGB XI versicherungspflichtig, wer in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherungspflichtig ist.115 Die Umlagepflicht nach dem AAG, die der Aufbringung der Mittel für die Erstattung von Entgeltfortzahlungen im Krankheitsfall bzw bei Beschäftigungsverbot wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft (U1- und U2-Verfahren) dient, trifft mit gewissen Einschränkungen jeden Arbeitgeber, vgl §§ 7 Abs 1, 11 AAG. In der Rentenversicherung sind gem § 1 S 1 Nr 1 SGB VI die gegen Arbeitsentgelt 41 oder zur Berufsausbildung Beschäftigten versicherungspflichtig. Versicherungsfrei sind nach § 5 Abs 4 Nr 1 SGB VI insbes Rentner; allerdings ist der Arbeitgeber bei Beschäftigung eines Rentners wegen § 172 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB VI beitragspflichtig. Auf Antrag sind nach § 6 Abs 1 Nr 1 SGB VI auch bestimmte angestellte Freiberufler, die Pflichtmitglieder einer berufsständischen Versorgungseinrichtung sind, versicherungsfrei. Gegen Arbeitsentgelt oder zur Berufsausbildung in der Seefahrt beschäftigte Seeleute sind gem § 137b Abs 2 Nr 1 SGB VI zusätzlich in der Seemannskasse versichert.116 Bei geringfügig Beschäftigten iSd § 8 Abs 1 SGB IV117 ist zu unterscheiden: Bis zum 31.12.2012 waren sie wegen § 5 Abs 2 Nr 1 SGB VI aF grundsätzlich nicht versichert, konnten jedoch nach § 5 Abs 2 S 2 SGB VI auf die Versicherungsfreiheit verzichten und damit eine Versicherungspflicht – nicht etwa eine freiwillige Versicherung – herbeiführen.118 Seit dem 1.1.2013 sind geringfügig entlohnte Beschäftigte versicherungspflichtig, können jedoch – was tatsächlich die Regel ist – schriftlich über den Arbeitgeber bei der Einzugsstelle die Befreiung von der Versicherungspflicht beantragen, § 6 Abs 1b, 3 S 2, 4 S 2 ff SGB VI nF.119 Ist der geringfügig entlohnte Beschäftigte nicht versicherungspflichtig, besteht für den Arbeitgeber dennoch eine Beitragspflicht aus § 172 Abs 3 SGB VI. Für kurzzeitig Beschäftigte hat sich zum 1.1.2013 nichts geändert. Nach dem Recht der Arbeitsförderung ist gem § 25 Abs 1 S 1 SGB III versicherungs- 42 pflichtig, wer gegen Arbeitsentgelt oder zu seiner Berufsausbildung beschäftigt ist; geringfügig Beschäftigte sind jedoch aufgrund § 27 Abs 2 S 1 SGB III versicherungsfrei. Die Winterbeschäftigungs-Umlagepflicht, die der Aufbringung der Mittel für das Wintergeld nach §§ 102, 133 SGB III als ergänzender Leistung nach dem Recht der Arbeitsförderung

_____ 115 § 20 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB XI nennt dennoch ausdrücklich die Arbeiter, Angestellten und gegen Arbeitsentgelt zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten. 116 Zweck ist nach § 137b Abs 1 SGB VI die Gewährung eines Überbrückungsgelds bei Ausscheiden aus der Seefahrt nach Vollendung des 55. Lebensjahrs. Die Aufbringung der Mittel zur Seemannskasse richtet sich nach § 137c Abs 3 SGB VI iVm der Satzung der Seemannskasse. 117 Nach der Übergangsregelung des § 7 Abs 2 S 1 SGB VI bestand die Versicherungspflicht bis zum 31.12.2014 für diejenigen Beschäftigten fort, die bis zum 31.12.2012 keine geringfügig Beschäftigten gewesen waren, aber durch die Anhebung der Entgeltgrenze von 400 € auf 450 € zum 1.1.2013 diese Stellung eingebüßt hätten. 118 Folge: Strafbarkeit nach § 266a Abs 1 StGB ist möglich, vgl G/J/W/Wiedner Rn 21 zu § 266a; AnwK/ Esser Rn 47 zu § 266a; W/J/Richtarsky Rn 19/66; G/K/R/Gercke Rn 2/33; I/M/Pananis Rn 6/21; Wüchner S 19. 119 Wurde eine geringfügige Beschäftigung vor dem 31.12.2012 aufgenommen, besteht die Versicherungsfreiheit wegen § 230 Abs 8 S 1 SGB VI fort. Nach der Übergangsregelung des § 231 Abs 6 SGB VI konnten Beschäftigte, die bis zum 31.12.2012 keine geringfügig Beschäftigten gewesen waren, deren Arbeitsentgelt aber aufgrund der Anhebung der Entgeltgrenze von 400 € auf 450 € zum 1.1.2013 in den Bereich einer geringfügigen Beschäftigung fiel, bis zum 31.12.2014 die Versicherungsfreiheit nicht beantragen.

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dient, hängt gem § 354 SGB III, § 1 WinterbeschV120 davon ab, ob der Betrieb des Arbeitgebers einem bestimmten (Bau-)Gewerbe zuzuordnen ist. Für die Insolvenzgeldumlagepflicht wird allein an die Arbeitgebereigenschaft angeknüpft, wobei Körperschaften des öffentlichen Rechts, über deren Vermögen das Insolvenzverfahren nicht eröffnet werden kann, ausgenommen sind, vgl § 358 Abs 1 SGB III.121 In der Unfallversicherung sind gem § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII alle Beschäftigten versi43 chert. Für die Beitragspflicht kommt es nicht auf die Wirksamkeit des Arbeitsvertrags an, sondern auf eine tatsächliche Beschäftigung gegen Entgelt. Daran fehlt es, wenn die Beteiligten ein Arbeitsverhältnis lediglich vortäuschen, insbes um dem angeblichen Arbeitnehmer auf diese Weise Vorteile zu verschaffen, zB eine günstige Krankenversicherung, einen Aufenthaltstitel, die Aussetzung des Vollzugs der Untersuchungshaft, Strafaussetzung zur Bewährung oder offenen Vollzug. Ist der angebliche Arbeitnehmer einer GmbH der Angehörige eines Gesellschafters, muss an eine verdeckte Gewinnausschüttung als Grund für den Arbeitsvertrag gedacht werden. Allein die Anmeldung als Arbeitnehmer bei einer Einzugsstelle und die (zeitweilige) Zahlung angeblich geschuldeter Sozialversicherungsbeiträge begründen keine Versicherungspflicht. Im Umkehrschluss aus § 7 Abs 3 S 1 SGB IV fehlt es an einer tatsächlichen Beschäfti44 gung gegen Entgelt und damit an einer Beitragspflicht, wenn der Arbeitnehmer einvernehmlich ohne Entgeltanspruch für mehr als einen Monat von der Arbeit freigestellt ist. Das zivilrechtliche Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses ändert daran nichts. Im Fall der Insolvenz des Arbeitgebers soll die einvernehmliche Freistellung allerdings nicht zur Beendigung des sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses führen, wenn der Arbeitnehmer weiterhin dienstbereit ist.122

c) Versicherungsträger 45 Träger der Krankenversicherung sind die Krankenkassen, also die in § 4 Abs 2 SGB V

genannten Ortskrankenkassen (§§ 143 ff SGB V), Betriebskrankenkassen (§§ 147 ff SGB V), Innungskrankenkassen (§§ 157 ff SGB V), Landwirtschaftlichen Krankenkassen (§ 166 SGB V) und Ersatzkassen (§§ 168 ff SGB V), ferner die Deutsche Rentenversicherung Bund Knappschaft-Bahn-See (§ 167 SGB V), die in ihrer Eigenschaft als Krankenkasse die Bezeichnung „Knappschaft“ führt. Die Krankenkassen verwalten auch die Mittel für das U1und U2-Verfahren, § 8 Abs 1 AAG. Der Arbeitnehmer kann die Krankenkasse in den Grenzen der §§ 173, 174 SGB V wählen und ist nach § 175 Abs 4 SGB V grundsätzlich 18 Monate an diese Wahl gebunden. § 175 Abs 1 SGB V verlangt für die Wahl eine Erklärung gegenüber der Krankenkasse. Die Krankenkasse stellt eine Mitgliedsbescheinigung aus, die der Arbeitnehmer nach § 175 Abs 3 S 1 SGB V dem Arbeitgeber vorzulegen hat. Wird dem Arbeitgeber nicht spätestens zwei Wochen nach Beginn der Versicherungspflicht die Mit-

_____ 120 Verordnung über ergänzende Leistungen zum Saison-Kurzarbeitergeld und die Aufbringung der erforderlichen Mittel zur Aufrechterhaltung der Beschäftigung in den Wintermonaten (Winterbeschäftigungs-Verordnung) vom 26.4.2006 (BGBl I 1086). 121 Außerdem kann der Arbeitgeber ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen nicht mehr zur Insolvenzgeldumlage herangezogen werden, vgl BSG MDR 1978, 963. 122 Vgl zum Ganzen die Niederschrift der Besprechung der Spitzenorganisationen der Sozialversicherung über Fragen des gemeinsamen Beitragseinzugs am 5./6.7.2005, Tagesordnungspunkt 4 „Fortbestand des versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses bei Verzicht des Arbeitgebers auf die Arbeitsleistung unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts“.

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gliedsbescheinigung vorgelegt, meldet er den Arbeitnehmer gem § 175 Abs 3 S 2 SGB V bei dessen letzter Krankenkasse an, hilfsweise wählt der Arbeitgeber eine Krankenkasse.123 War der Arbeitnehmer bislang weder Mitglied einer Krankenkasse noch ist das Wahlrecht vom Arbeitgeber oder Arbeitgeber ausgeübt worden, wie es insbes bei der Schwarzbeschäftigung ausländischer Arbeitnehmer vorkommt, bestimmt sich die zuständige Krankenkasse nach den vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen auf Grundlage des § 175 Abs 3 S 3 SGB V festgelegten Regeln;124 maßgeblich sind die Betriebsnummer und der Sitz des Arbeitgebers.125 Träger der Pflegeversicherung sind gem §§ 3 Abs 1, 46 Abs 1 S 1 SGB XI die Pflegekassen. Nach § 46 Abs 1 S 2, Abs 2 SGB XI ist bei jeder Krankenkasse eine rechtlich selbständige Pflegekasse eingerichtet. Lediglich bei der Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See ist keine Pflegekasse eingerichtet, sondern sie ist als Krankenkasse zugleich Trägerin der Pflegeversicherung, § 46 Abs 1 S 3 SGB XI. Krankenversicherungspflichtige Arbeitnehmer können die Pflegekasse nicht wählen; zuständig ist die bei der Krankenkasse eingerichtete Pflegekasse, § 48 Abs 1 S 1 SGB XI. Träger der Rentenversicherung sind gem § 125 SGB VI die Deutsche Rentenversicherung Bund (früher: Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, BfA) und die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See als Bundesträger sowie derzeit 14 Regionalträger (früher: Landesversicherungsanstalten), zB die Deutsche Rentenversicherung Rheinland. Bei welchem Träger ein Arbeitnehmer versichert ist, wird grundsätzlich bei Vergabe seiner Versicherungsnummer unter Berücksichtigung örtlicher Bezüge nach einem bestimmten Schlüssel entschieden, §§ 127 Abs 1 S 1, Abs 2, 128 SGB VI. Ist der Arbeitnehmer in einem knappschaftlichen Betrieb beschäftigt, folgt die Zuständigkeit aus § 133 SGB VI. Verwaltungsträger nach dem Recht der Arbeitsförderung ist gem § 368 Abs 1 S 1 SGB III die Bundesagentur für Arbeit. Sie verwaltet auch die Insolvenzgeldumlage und die Winterbeschäftigungs-Umlage. Vom Verwaltungsträger zu unterscheiden sind die (privatrechtlichen) Maßnahmenträger iSd § 21 SGB III, die Maßnahmen der Arbeitsförderung durchführen oder durchführen lassen. Träger der Unfallversicherung sind die Berufsgenossenschaften und Unfallkassen iSd § 114 SGB VII. Welcher Träger für das Unternehmen des Arbeitgebers zuständig ist, ergibt sich aus den §§ 121 ff SGB VII. Maßgeblich ist grundsätzlich der Gegenstand des Unternehmens.

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d) Beitragsbemessung Die Bemessung der Sozialversicherungsbeiträge erfolgt dergestalt, dass zunächst die 50 Bemessungsgrundlage ermittelt und darauf dann der Beitragssatz angewandt wird, vgl

_____ 123 Die Frist von zwei Wochen ist trügerisch: Beginnt das Beschäftigungsverhältnis nach dem 15. eines Monats, darf die Frist nicht ohne weiteres ausgeschöpft werden, da sonst die Anmeldung des Arbeitnehmers und Zahlung der Beiträge nicht mehr rechtzeitig erfolgen kann. 124 Zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit im Strafverfahren vgl OLG Düsseldorf wistra 2014, 38, 39. 125 Der Schlüssel für die Zuordnung zu den Krankenkassen wird in regelmäßigen Abständen anhand der Mitgliederzahlen neu ermittelt und ergibt sich aus den Niederschriften der Besprechungen der Spitzenorganisationen der Sozialversicherung über Fragen des gemeinsamen Beitragseinzugs zum Tagesordnungspunkt „Zuordnung nicht gemeldeter Arbeitnehmer im Rahmen der Durchführung des Versicherungs- und Beitragsrechts in der Sozialversicherung“.

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§ 223 Abs 2 SGB V, § 54 Abs 2 S 1 SGB XI, § 157 SGB VI, § 341 Abs 1 SGB III. Abweichend davon wird in der Unfallversicherung statt mit einem Beitragssatz mit einem Gefahrtarif und Beitragsfuß gearbeitet, § 167 Abs 1 und 2 SGB VII. Die §§ 1, 2 BVV126 enthalten Einzelheiten zum Berechnungsvorgang.

aa) Bemessungsgrundlage 51 In der Kranken-, Pflege-, Renten- und Unfallversicherung sowie nach dem Recht der Ar-

beitsförderung ist grundsätzlich das geschuldete (Brutto-)Arbeitsentgelt die Bemessungsgrundlage, vgl § 226 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB V, auch iVm § 57 Abs 1 S 1 SGB XI, § 162 Nr 1 SGB VI, § 167 SGB VII bzw § 342 HS 1 SGB III.127 Unberücksichtigt bleibt das die jeweilige Beitragsbemessungsgrenze übersteigende Arbeitsentgelt, vgl § 223 Abs 2 SGB V, auch iVm § SGB 55 Abs 2 XI, § 157 HS 2 SGB VI, § 342 HS 2 SGB III. In der Kranken- und Pflegeversicherung gilt eine bundesweit einheitliche Bemessungsgrenze von 50.850 € für das Jahr 2016. Demgegenüber gilt in der Renten- und Arbeitslosenversicherung für Beschäftigte im Beitrittsgebiet eine niedrigere Bemessungsgrenze, nämlich von 64.800 € statt von 74.400 € für das Jahr 2016.128 Bei einem Arbeitsentgelt in der durch § 20 Abs 2 SGB IV festgelegten sog Gleitzone von mehr als 450 € bis zu 850 € wird für die Berechnung der Beiträge nur ein Teil des Arbeitsentgelts herangezogen,129 vgl § 226 Abs 4 S 1 SGB V, auch iVm § 57 Abs 1 S 1 SGB XI, § 163 Abs 10 SGB VI, § 344 Abs 4 SGB III. Eine niedrigere Bemessungsgrundlage gilt ferner, soweit Kurzarbeitergeld gezahlt wird, vgl § 232a Abs 2 SGB V, auch iVm § 57 Abs 1 S 1 SGB XI, § 163 Abs 6 SGB VI. 52 Nach § 14 Abs 1 S 1 SGB IV sind Arbeitsentgelt „alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden“. Auch Sachleistungen kommen als Arbeitsentgelt in Betracht.130 Bestimmte Leistungen sind jedoch nicht als Arbeitsentgelt zu behandeln. Zum einen gelten nach § 14 Abs 1 S 3 SGB IV steuerfreie Aufwandsentschädigungen und steuerfreie Einnahmen iSd § 3 Nr 26, 26a EStG nicht als Arbeitsentgelt. Zum anderen bleiben die in § 1 SvEV131 genannten Leistungen unberücksichtigt oder Leistungen werden nach §§ 2, 3 SvEV pauschaliert.132 Abgesehen von den damit verbundenen „Gestaltungsmöglichkeiten“ können

_____ 126 Verordnung über die Berechnung, Zahlung, Weiterleitung, Abrechnung und Prüfung der Gesamtsozialversicherungsbeiträge (BVV) vom 3.5.2006 (BGBl I 1138). 127 Das gilt auch für die Insolvenzgeldumlage und die Umlagen U1 und U2, § 358 Abs 2 S 1 SGB III bzw § 7 Abs 2 S 1 AAG. Zur Bemessungsgrundlage der Winterbeschäftigungs-Umlage näher § 3 Abs 3 WinterbeschV. 128 In der knappschaftlichen Rentenversicherung beträgt die Beitragsbemessungsgrenze 79.800 € bzw 91.800 €. 129 Das von mehreren Arbeitgebern bezogene Arbeitsentgelt eines Arbeitnehmers ist zusammenzurechnen. 130 Vgl S/S/Perron Rn 9 zu § 266a. Zu Sachbezügen als Arbeitsentgelt auch § 107 Abs 2 GewO. 131 Verordnung über die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung von Zuwendungen des Arbeitgebers als Arbeitsentgelt (SvEV) vom 21.12.2006 (BGBl I 3385). Bis zum 31.12.2006 galt die Verordnung über die Bestimmung des Arbeitsentgelts in der Sozialversicherung (ArEV). 132 Vgl BSG, 7.5.2014 – B 12 R 18/11 R, juris Tz 27 ff, zur Ermittlung der Beiträge bei Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschlägen unter Geltung der ArEV.

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Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht bestimmen, welche Leistungen bei der Beitragsbemessung zugrunde zu legen sind.133 Bei Geltung eines Tarifvertrags ist wegen des im Sozialversicherungsrecht geltenden 53 Entstehungsprinzips das tarifvertragliche Arbeitsentgelt für die Beitragsbemessung heranzuziehen,134 nicht ein niedrigeres gezahltes oder (wegen § 4 Abs 3 TVG: unwirksam) vereinbartes Arbeitsentgelt.135 Bei Unwirksamkeit eines für den Arbeitgeber günstigen Tarifvertrags, zB weil der vermeintlich die Arbeitnehmerinteressen vertretenden Gewerkschaft die Tariffähigkeit fehlt,136 ist zu unterscheiden: Ist der Arbeitgeber auf dem Gebiet der Arbeitnehmerüberlassung als Verleiher tätig, schuldet er nach § 10 Abs 4 S 1 AEntG ein Arbeitsentgelt, das mit dem vergleichbar ist, welches der Entleiher seinen Arbeitnehmern schuldet. Außerhalb des Bereichs der Arbeitnehmerüberlassung wird die übliche Vergütung iSd § 612 Abs 2 BGB als Arbeitsentgelt geschuldet; ggf kann das in einem (wirksamen) Flächentarifvertrag vereinbarte Entgelt übernommen werden.137 Ab dem 1.1.2015 wird grds ein Arbeitsentgelt mindestens in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns iSd § 1 Abs 1, 2 MiLoG geschuldet.138 Haben Arbeitgeber und Arbeitnehmer ein Nettoarbeitsentgelt vereinbart, muss 54 zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage zunächst eine sog Hochrechnung erfolgen: Gem § 14 Abs 2 S 1 SGB IV gilt als Bemessungsgrundlage das Arbeitsentgelt, das abzüglich darauf entfallender Steuern und vom Arbeitnehmer zu tragender Sozialversicherungsbeiträge zu dem vereinbarten Nettoarbeitsentgelt führt. Die praktische Bedeutung dieser Vorschrift ergibt sich aus § 14 Abs 2 S 2 SGB IV, der für „illegale Beschäftigungsverhältnisse“ – insbes für die Schwarzarbeitsfälle – die Vereinbarung eines Nettoarbeitsentgelts fingiert, soweit Steuern und Sozialversicherungsbeiträge nicht gezahlt werden.139 Weil in den Schwarzarbeitsfällen nicht anzunehmen ist, dass dem Arbeitgeber eine Lohnsteuerkarte vorliegt bzw ihm die steuerliche Identifikationsnummer des Arbeitnehmers mitgeteilt worden ist, kann bei der Hochrechnung von der ungünstigen Lohnsteuerklasse VI ausgegangen werden, wie es § 39c Abs 1 S 1 EStG vorschreibt.140 Das

_____ 133 BGH NStZ 2009, 528, 530; wistra 2009, 438, 439. Zur Einordnung des „Tellergelds“ für Reinigungskräfte in Toiletten BGH NJW 2012, 3385, 3386. 134 Eine Übersicht der geltenden Mindestlöhne stellt die Zollverwaltung im Internet bereit: www.zoll. de/DE/Fachthemen/Arbeit/Mindestarbeitsbedingungen/mindestarbeitsbedingungen_node.html. Vgl ferner die Aufstellung der allgemeinverbindlichen bzw allgemeingültigen Tarifverträge bei I/M/Andorfer/ Rothenhöfer Rn 7/17–162. 135 BGH NJW 2012, 3385, 3386; OLG Naumburg, 8.7.2009 – 2 Ss 90/09, BeckRS 2011, 14021; LK/Möhrenschlager Rn 39 zu § 266a; MK/Radtke Rn 60 zu § 266a; AnwK/Esser Rn 48 zu § 266a; G/J/W/Wiedner Rn 26 zu § 266a; BeckOK/Wittig Rn 9 zu § 266a; Metz NZA 2011, 782, 783; NStZ-RR 2013, 297, 299; Thum/Selzer wistra 2011, 290, 293; Ast/Klocke wistra 2014, 206 ff. 136 Insbes war die Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personal-ServiceAgenturen (CGZP) nicht tariffähig, BAG NZA 2011, 289, 295 ff Zur arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Aufarbeitung der CGZP-Fälle vgl Schüren/Wilde NZS 2009, 303 ff; Ferme NZA 2011, 619 ff; Plagemann/ Brand NJW 2011, 1488 ff; Zeppenfeld/Faust NJW 2011, 1643; Rieble BB 2012, 2177 ff; Steinheimer/Haeder NZA 2012, 903 f. 137 Zum geschuldeten Arbeitsentgelt in den CGZP-Fällen zB Park/Riederer Frfr v Paar/Schüren NJW 2008, 3670, 3673. 138 Zum MiLoG Spielberger/Schilling NJW 2014, 2897 ff; Olbertz GWR 2014, 521 ff; Schiefer/Köster/Pöttering DB 2014, 2891 ff; Pötters/Krause NZA 2015, 398 ff; Jung/Deba NStZ 2015, 258 ff. 139 Vor dem 1.8.2002 war von einer Bruttoentgeltvereinbarung auszugehen, so dass als Arbeitsentgelt lediglich das versprochene bzw tatsächlich gezahlte Entgelt zugrunde zu legen war, vgl BGH wistra 2010, 408, 409. Zur Gesetzesänderung ausführlich BGH NJW 2009, 528, 529 f. Zur Hochrechnung des Arbeitsentgelts bei Scheinselbständigkeit BGH NJW 2014, 1975, 1977; NStZ 2016, 348, 349. 140 BGH NJW 2009, 528, 530; NStZ 2016, 348, 349; M-G/Thul Rn 38/269.

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gilt jedoch nicht, wenn lediglich ein Teil des Arbeitsentgelts „schwarz“ gezahlt wird,141 weil dann eine Lohnsteuerkarte vorliegen bzw die Identifikationsnummer mitgeteilt worden sein wird. Auch bei einer geringfügigen Beschäftigung schied bisher eine Hochrechnung nach § 14 Abs 2 S 2 SGB IV aus,142 weil Brutto- und Nettoarbeitsentgelt wegen der allein vom Arbeitgeber zu tragenden Pauschalbeiträge übereinstimmten. Daran kann seit dem 1.1.2013 nicht mehr festgehalten werden, weil der Arbeitnehmer nun grundsätzlich rentenversicherungspflichtig ist und eine schriftliche Befreiung von der Versicherungspflicht – ähnlich wie die Vorlage einer Lohnsteuerkarte bzw Mitteilung einer Identifikationsnummer – in den Schwarzarbeitsfällen nicht zu erwarten ist. Ob und in welcher Höhe das Arbeitsentgelt vom Arbeitgeber gemeldet und in den 55 Beitragsnachweisen berücksichtigt wird, ist unerheblich. Das versteht sich bei der Meldung und dem Nachweis zu niedriger Beträge, also in den Schwarzarbeitsfällen, von selbst. Es kommt jedoch auch vor, dass vom Arbeitgeber bewusst zu hohe Beiträge nachgewiesen werden, um ein hohes Arbeitsentgelt vorzutäuschen. Dafür sind verschiedene Gründe denkbar: Der Arbeitgeber kann sich auf diese Weise von der Bundesagentur für Arbeit einen höheren Eingliederungszuschuss nach §§ 88 ff SGB III oder von der Krankenkasse eine höhere Erstattung für eine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall oder bei Mutterschaft nach § 1 Abs 1 AAG erschleichen wollen, weil diese Leistungen von der Höhe des Arbeitsentgelts abhängen. Oder der Arbeitgeber will künftige Ansprüche des Arbeitnehmers auf Arbeitslosengeld oder Insolvenzgeld, deren Höhe sich gem §§ 149 ff bzw § 167 SGB III ebenfalls nach dem Arbeitsentgelt bemisst, in die Höhe treiben, weil der Arbeitnehmer im Gegenzug auf Ansprüche gegen den Arbeitgeber verzichtet. Oder mit dem zu hohen Arbeitsentgelt soll ein gesicherter Lebensunterhalt als Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels (vgl §§ 5 Nr 1, 9 Abs 2 S 1 Nr 2 AufenthG) oder der Einbürgerung (vgl § 8 Abs 1 S 1 Nr 4 StAG) vorgespiegelt werden. In diesen Fällen liegt beim Nichtzahlen der Beiträge, die auf den Unterschiedsbetrag zwischen geschuldetem und angeblichem Arbeitsentgelt entfallen, kein Vorenthalten vor. Stattdessen ist die Strafbarkeit von Arbeitgeber und Arbeitnehmer nach anderen Vorschriften zu prüfen, insbes nach § 263 Abs 1 StGB oder § 95 Abs 2 AufenthG.

bb) Schätzung der Bemessungsgrundlage 56 Steht die Beitragspflicht als solche fest, kann die Höhe der geschuldeten Beiträge in den

Schwarzarbeitsfällen ausnahmsweise unter Zugrundelegung einer Schätzung ermittelt werden. Geschätzt werden dabei nicht die Beiträge selbst, sondern deren Bemessungsgrundlage, also entweder unmittelbar das Arbeitsentgelt oder zunächst die Anzahl der Arbeitnehmer, deren Arbeitsstunden und Stundenlöhne. Voraussetzung einer Schätzung ist nicht, dass die genaue Ermittlung der Bemessungsgrundlage auf andere Weise ausgeschlossen ist, vielmehr kann auch zur Verfahrensvereinfachung geschätzt werden, nämlich wenn der sonst erforderliche Aufwand gegenüber der Schätzung voraussichtlich zu nicht erheblich abweichenden Beträgen führen würde.143

_____ 141 BGH NStZ 2011, 645. 142 So BGH StV 2011, 347, 348; LK/Möhrenschlager Rn 42 zu § 266a; M-G/Thul Rn 38/275; Thum/Selzer wistra 2011, 290, 293. 143 BGH NStZ 2010, 635, 636; StV 2011, 347, 348; wistra 2013, 277, 280.

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§ 21 Vorenth. v SozVers-Beitr. u. Veruntreuen v Arbeitsentg., § 266a StGB | 1001

Eine Schätzung ist insbes geboten, wenn keine Belege, Handelsbücher oder sonsti- 57 gen Aufzeichnungen vorhanden sind.144 Eine nicht ordnungsgemäße Buchhaltung hat nicht zur Folge, dass die Geschäftsunterlagen des Arbeitgebers als Erkenntnisquelle ausscheiden.145 Gerade in den Fällen, in denen sich die Unrichtigkeit der Buchhaltung aus offensichtlich nicht erfassten Schwarzlohnzahlungen ergibt, zB bei abwegig hohen Kassenbeständen oder bei angeblichen Barzahlungen auf „Abdeckrechnungen“, können die Geschäftsunterlagen zur Schätzung der Arbeitsentgelte herangezogen werden.146 Letztlich kann ein prozentualer Betrag des nicht mit Nachunternehmern erzielten Nettoumsatzes zugrunde gelegt werden, wobei in Einzelfällen 66% oder 70% des Nettoumsatzes nicht beanstandet worden sind.147 Eine Schätzung ist nicht deshalb zu verwerfen, weil nach einer Hochrechnung iSd § 14 Abs 2 S 2 SGB IV Bruttoarbeitsentgelte erreicht werden, die den Wert der Arbeitsleistung übersteigen, also für den Arbeitgeber unwirtschaftlich wären.148 Bei Schwarzarbeit kann eine höhere Nettolohnquote zugrunde gelegt werden, als sie bei ordnungsgemäßer Beschäftigung üblich ist.149 Zudem ist der Zweifelssatz (erst) im Rahmen der Gesamtwürdigung des Schätzergebnisses zu beachten,150 nicht bei jedem Zwischenschritt. Von solchen in Schwarzarbeitsfällen gebotenen Schätzungen sind die in den Insol- 58 venzfällen immer wieder festzustellenden Schätzungen gem § 28f Abs 3 S 2 SGB IV durch die Einzugsstellen wegen unterlassener Übermittlung von Beitragsnachweisen zu unterscheiden. Dabei schreiben die Einzugsstellen die ihnen zuletzt nachgewiesenen Beiträge häufig nur fort oder unterstellen gar ein Arbeitsentgelt an der Versicherungspflichtgrenze. Reißt die Übermittlung von Beitragsnachweisen durch den Arbeitgeber bei erkennbaren Zahlungsschwierigkeiten ab, ist schon das Fortbestehen der Beschäftigungsverhältnisse und damit das Vorenthalten dem Grunde nach zweifelhaft.

cc) Beitragssätze Der allgemeine Beitragssatz in der Krankenversicherung wird seit dem 1.1.2009 durch 59 § 241 Abs 1 SGB V für alle Krankenkassen einheitlich festgelegt und betrug bis zum 31.12.2014 15,5%,151 seit dem 1.1.2015 beträgt er 14,6%. Jede Krankenkasse kann (und muss ggf) nach § 242 SGB V in ihrer Satzung einen kassenindividuellen Zusatzbeitrag zur Krankenversicherung festsetzen.152 Die Beitragssätze für die Umlagen U1 und U2 sind den Satzungen der Krankenkassen zu entnehmen, wobei von bis zu 3,5% (U1) bzw 0,5% (U2)

_____ 144 BGH wistra 2007, 220, 221; NJW 2009, 528, 529; NStZ 2010, 635, 636 f; StV 2011, 347, 348. Die Arbeitnehmer scheiden als Zeugen idR aus, weil wegen ihrer Tatverstrickung (wahrheitsgemäße) Angaben kaum zu erwarten sind. 145 BGH NStZ 2010, 635, 637. 146 Zu den verschiedenen Vorgehensweisen näher BGH NStZ 2001, 599; 2010, 635, 637; wistra 2016, 363, 364 f; M-G/Thul Rn 38/250 ff; Klemme/Schubert NStZ 2010, 606, 607 ff; Stuckert, wistra 2014, 289 ff. 147 BGH NJW 1983, 1334, 1335; NStZ 2010, 635, 636; StV 2011, 347, 348; wistra 2011, 344; wistra 2013, 277, 280; zust G/J/W/Wiedner Rn 28 zu § 266a; Bader wistra 2010, 121, 123; Klemme/Schubert NStZ 2010, 606, 608 f. Für deutlich geringere Prozentsätze Röthlein wistra 2009, 113; Joecks JZ 2009, 531. 148 BGH NJW 2009, 528, 530; NStZ 2010, 635, 636 f; wistra 2011, 344; Bader wistra 2010, 121, 124; aA Röthlein wistra 2009, 113; Trüg DStR 2011, 727, 729 f. 149 BGH NStZ 2010, 635, 636 f; wistra 2013, 277, 280. 150 BGH NStZ 2010, 635, 636. 151 Seit dem 1.1.2011, zuvor 14,9% (1.7.2009 bis 31.12.2010) bzw 15,5% (1.1.2009 bis 30.6.2009). Vor dem 1.1.2009 ergaben sich die Beitragssätze aus den Satzungen der Krankenkassen. 152 Die Zusatzbeiträge aller Krankenkassen werden gem § 242 Abs 5 SGB V im Internet veröffentlicht: https://download.gkv-ag.de.

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auszugehen ist. Der Beitragssatz in der Pflegeversicherung ergibt sich aus § 55 Abs 1 S 1 SGB XI und beläuft sich derzeit auf 2,35%.153 Für Kinderlose, die das 23. Lebensjahr vollendet haben und nicht vor dem 1.1.1940 geboren sind, gilt gem § 55 Abs 3 S 1 SGB XI ein um 0,25%-Punkte erhöhter Beitragsatz. Der Beitragssatz in der allg Rentenversicherung wird gem § 160 Nr 1 SGB VI durch Rechtsverordnung festgelegt, derzeit gilt ein Satz von 18,7%.154 Der Beitragssatz nach dem Recht der Arbeitsförderung ergibt sich aus § 341 Abs 2 SGB III und beträgt 3,0%.155 Die Insolvenzgeldumlage beläuft sich gem § 360 SGB III auf 0,12%.156 Für die Winterbeschäftigungs-Umlage beträgt der Beitragssatz zwischen 1% und 2%, vgl § 3 Abs 1 WinterbeschV. Für eine geringfügig entlohnte Beschäftigung gelten nach § 249b S 1 SGB V, § 172 60 Abs 3 S 1 SGB VI Beitragssätze von 13% zur Krankenversicherung bzw 15% zur Rentenversicherung. Bei der nicht von § 266a StGB erfassten Beschäftigung in einem Privathaushalt iSd § 8a SGB IV sinken die Beitragssätze auf jeweils 5% zur Kranken- und Rentenversicherung, § 249b S 2 SGB V, § 172 Abs 3a SGB VI. Verzichtet der geringfügig entlohnte Beschäftigte ausnahmsweise nicht auf die Rentenversicherungspflicht, gilt für die Rentenversicherung der allgemeine Beitragssatz von derzeit 18,7%.

e) Beitragstragung 61 Vom Beitrag zur Krankenversicherung trug bis zum 31.12.2014 gem § 249 Abs 1 S 1

SGB V aF grundsätzlich der Arbeitgeber die Hälfte des Beitrags nach dem um 0,9%Punkte verminderten allgemeinen Beitragssatz, den verbleibenden (höheren) Anteil trug der Arbeitnehmer. Seit dem 1.1.2015 tragen Arbeitgeber und Arbeitnehmer den Beitrag zu gleichen Teilen. Einen von der Krankenkasse erhobenen Zusatzbeitrag iSd § 242 SGB V aF trug bis zum 31.12.2014 nach § 250 Abs 1 aE SGB V aF allein der Arbeitnehmer. Seit dem 1.1.2015 schließt der Beitrag zur Krankenversicheung begrifflich den Zusatzbeitrag ein (vgl § 220 Abs 1 S 1 HS 2 SGB V) und § 250 Abs 1 aE SGB V aF wurde aufgehoben, so dass eigentlich auch für den Zusatzbeitrag § 249 Abs 1 S 1 SGB IV mit der dort vorgesehenen hälftigen Tragung gelten sollte. Allerdings lässt sich aus § 242 Abs 1 S 1 SGB V ableiten, dass der Arbeitnehmer den Zusatzbeitrag allein trägt. Die Umlagen U1 und U2 hat der Arbeitgeber zu tragen. Den Beitrag zur Pflegeversicherung tragen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer nach § 58 Abs 1 S 1 SGB XI je zur Hälfte, allerdings trägt der kinderlose Arbeitnehmer nach § 59 Abs 5 SGB XI den Zuschlag iSd § 55 Abs 3 SGB XI allein. Den Beitrag nach dem Recht der Arbeitsförderung tragen Arbeitgeber und Arbeitgeber gem § 346 Abs 1 S 1 SGB III je zur Hälfte.157 Die Insolvenzgeldumlage trägt allein der Arbeitgeber, § 358 Abs 1 SGB III. Die Winterbeschäftigungs-Umlage trägt – abhängig vom Gewerbe – entweder allein oder überwiegend der Arbeitgeber, vgl § 3 Abs 2 WinterbeschV. Den Beitrag zur Rentenversicherung tragen der Arbeitgeber und der Arbeit-

_____ 153 Seit dem 1.1.2015, zuvor 2,05% (2013 und 2014), 1,95% (1.7.2008 bis 31.12.2012) bzw 1,7% (1.1.2008 bis 30.6.2008). 154 Seit dem 1.1.2015, zuvor 18,9% (2013 und 2014), 19,6% (2012) bzw 19,9% (2007 bis 2011). Der Beitragssatz in der knappschaftlichen Rentenversicherung ist höher. 155 Seit dem 1.1.2011, zuvor 2,8% (2009 und 2010), 3,3% (2008) bzw 4,2% (2007). 156 Seit dem 1.1.2016, zuvor 0,15% (2013 bis 2015) bzw 0,04% (2012) gem Verordnung auf Grundlage von § 361 Nr 1 SGB III. 157 Nach § 418 SGB III ist der Arbeitgeber von der auf ihn entfallenden Hälfte des Beitrags befreit, sofern das Beschäftigungsverhältnis bereits vor dem 1.1.2008 mit einem damals über 55 Jahre alten Arbeitnehmer begründet worden ist.

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§ 21 Vorenth. v SozVers-Beitr. u. Veruntreuen v Arbeitsentg., § 266a StGB | 1003

nehmer nach § 168 Abs 1 Nr 1 SGB VI grundsätzlich zu gleichen Teilen.158 Die Umlage zur Unfallversicherung trägt allein der Arbeitgeber, § 150 Abs 1 S 1 SGB VII. Daneben bestehen zahlreiche Sonderregelungen, zB: Bei einem Arbeitsentgelt in der 62 Gleitzone trägt der Arbeitgeber die Hälfte des Beitrags, der sich bei Anwendung des Beitragssatzes auf das Arbeitsentgelt ergeben würde, den verbleibenden (geringeren) Teil trägt der Arbeitnehmer, § 249 Abs 4 S 1 SGB V, auch iVm § 58 Abs 1 S 2 SGB XI, § 168 Abs 1 Nr 1d SGB VI, § 346 Abs 1a SGB III. Bei einer geringfügig entlohnten Beschäftigung ohne Rentenversicherungspflicht des Arbeitnehmers trägt der Arbeitgeber den Pauschalbeitrag zur Rentenversicherung von 15% oder 5%, § 172 Abs 3 bzw 3a SGB VI.159 Besteht dagegen eine Versicherungspflicht, trägt der Arbeitgeber gem § 168 Abs 1 Nr 1a SGB VI zwar ebenfalls einen Beitrag von 15% bzw 5% des Arbeitsentgelts, den restlichen Beitrag trägt jedoch der Arbeitnehmer, dh derzeit 3,9% bzw 13,9%. Bei einem nicht geringfügig beschäftigten und nicht rentenversicherungspflichtigen Rentner trägt der Arbeitgeber nach § 172 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB VI die Hälfte des bei unterstellter Rentenversicherungspflicht zu zahlenden Beitrags zur Rentenversicherung. Den Gesamtsozialversicherungsbeitrag für einen zur Berufsausbildung Beschäftigten, dessen monatliches Bruttoarbeitsentgelt 325 € nicht übersteigt, trägt nach § 20 Abs 3 S 1 Nr 1 SGB IV der Arbeitgeber allein. Bei einem Bruttoarbeitsentgelt von mehr als 325 € gelten weder die Sondervorschriften für geringfügig entlohnte Beschäftigungen noch für die Gleitzone. Den Gesamtsozialversicherungsbeitrag für einen Beschäftigten, der ein freiwilliges soziales oder ökologisches Jahr oder Bundesfreiwilligendienst leistet, trägt gem § 20 Abs 3 S 1 Nr 2 SGB IV der Arbeitgeber allein. Die auf Kurzarbeitergeld iSd §§ 95 ff SGB III entfallenden Kranken-, Pflege- und Rentenversicherungsbeiträge trägt nach § 249 Abs 2 SGB V, § 58 Abs 1 S 2 SGB XI, § 168 Abs 1 Nr 1a SGB VI allein der Arbeitgeber; diese Beiträge kann sich der Arbeitgeber ggf nach § 419 Abs 1 SGB III erstatten lassen.

f) Beitragszahlung Grundsätzlich sind Sozialversicherungsbeiträge von demjenigen zu zahlen, der sie zu 63 tragen hat. Das ergibt sich für die Beiträge zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung aus § 252 Abs 1 S 1 SGB V, § 60 Abs 1 S 1 SGB XI, § 173 SGB VI bzw § 348 Abs 1 SGB III, für die Unfallversicherungsumlage aus § 168 Abs 1 SGB VII. Abweichend davon ist nach § 28e Abs 1 S 1 SGB IV der Gesamtsozialversicherungsbeitrag allein vom Arbeitgeber zu zahlen,160 iVm § 356 Abs 1 S 2 HS 2 SGB III auch die Winterbeschäftigungs-Umlage. Der Gesamtsozialversicherungsbeitrag setzt sich gem § 28d S 1 und 2 SGB IV zusammen aus den Beiträgen für einen kraft Gesetzes versicherten Beschäftigten zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung. Er umfasst demnach nicht die Beiträge zur freiwilligen

_____ 158 Wer knappschaftlich rentenversichert ist, trägt die Beiträge nach § 168 Abs 3 SGB VI nur in der Höhe, als wäre er in der allgemeinen Rentenversicherung versichert, im Übrigen trägt der Arbeitgeber die Beiträge. 159 Fehlen in den Schwarzarbeitsfällen Anhaltspunkte für eine nur geringfügige Beschäftigung, kann eine Beschäftigung „ohne besondere Merkmale“ zugrunde gelegt werden, was zur Strafbarkeit nach § 266a Abs 1 und 2 StGB führt, vgl BGH wistra 2013, 277, 279. 160 Dass § 28e Abs 1 S 1 SGB IV Vorrang hat, ergibt sich aus den für die einzelnen Versicherungszweige geltenden Vorschriften: § 253 SGB V (auch iVm § 60 Abs 1 S 2 SGB XI), § 174 SGB VI, § 348 Abs 2 SGB III. Nur in den praktisch unbedeutenden Fällen des § 28m Abs 1 SGB IV ist der Arbeitnehmer zur Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags, dh auch des Arbeitgeberanteils, verpflichtet.

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1004 | 3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften

Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung eines Arbeitnehmers,161 so dass insoweit keine Zahlungspflicht des Arbeitgebers aus § 28e Abs 1 S 1 SGB VI besteht und ein Vorenthalten iSd § 266a Abs 1 StGB ausgeschlossen ist.162 Ein vom Arbeitnehmer zu tragender Zusatzbeitrag iSd § 242 SGB V aF war bis zum 31.12.2014 nicht Teil des Gesamtsozialversicherungsbeitrags und daher nicht vom Arbeitgeber zu zahlen. Ob der Zusatzbeitrag seit dem 1.1.2015 zum Gesamtsozialversicherungsbeitrag gehört, wofür § 220 Abs 1 S 1 HS 2 SGB V spricht, kann dahinstehen, denn jedenfalls gilt § 28e SGB IV wegen der Verweisung in § 242 Abs 4 SGB V jetzt auch für den Zusatzbeitrag. Dass der Arbeitnehmer einen Anteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag zu tra64 gen, der Arbeitgeber jedoch den Gesamtsozialversicherungsbeitrag in voller Höhe zu zahlen hat, macht einen Ausgleich erforderlich: § 28g SGB IV gewährt dem Arbeitgeber gegen den Arbeitnehmer einen Anspruch auf den von diesem zu tragenden Anteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag, den der Arbeitgeber nur durch Abzug vom Bruttoarbeitsentgelt geltend machen kann (sog Beitragsabzug).163 Erhält der Arbeitnehmer im Wege der Zwangsvollstreckung das Bruttoarbeitsentgelt, muss er den von ihm zu tragenden Anteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag ausnahmsweise selbst an die Einzugsstelle zahlen.164

g) Zusammenfassung 65 Beiträge iSd § 266a Abs 1 StGB sind:

– –

der vom Arbeitnehmer zu tragende Anteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag (sog Arbeitnehmeranteil) bei einer nicht nur geringfügigen Beschäftigung und bei einer geringfügig entlohnten Beschäftigung mit Rentenversicherungspflicht, der vom Arbeitnehmer zu tragende Anteil an der Winterbeschäftigungs-Umlage.

66 Beiträge iSd § 266a Abs 2 StGB sind:



– – – – –

der vom Arbeitgeber zu tragende Anteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag (sog Arbeitgeberanteil) bei einer nicht nur geringfügigen Beschäftigung und bei einer geringfügig entlohnten Beschäftigung mit Rentenversicherungspflicht, die Pauschalbeiträge des Arbeitgebers bei einer geringfügigen Beschäftigung, die Umlagen U1 und U2, die Insolvenzgeldumlage, der vom Arbeitgeber zu tragende Teil der Winterbeschäftigungs-Umlage, die Unfallversicherungsumlage.

67 Nicht erfasst von § 266a Abs 1 oder 2 StGB sind:



die Beiträge zur freiwilligen Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung des Arbeitnehmers,

_____ 161 Dass der Arbeitnehmer diese Beiträge trägt, folgt aus § 250 Abs 2 SGB V, § 59 Abs 4 S 1 SGB XI, § 171 SGB VI. 162 LK/Möhrenschlager Rn 34 zu § 266a; G/J/W/Wiedner Rn 21 zu § 266a; Fischer Rn 9 zu § 266a. Es kommt jedoch § 266a Abs 3 StGB in Betracht, wenn der Arbeitgeber sich gegenüber dem Arbeitnehmer verpflichtet, die Beiträge aus dem Arbeitsentgelt an die Krankenkasse bzw an den Rentenversicherungsträger zu zahlen. 163 Gleiches gilt wegen der Verweisung des § 356 Abs 1 S 2 HS 2 SGB III für die WinterbeschäftigungsUmlage. 164 LAG Berlin BB 1991, 628 (LS).

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§ 21 Vorenth. v SozVers-Beitr. u. Veruntreuen v Arbeitsentg., § 266a StGB | 1005

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die kassenindividuellen Zusatzbeiträge iSd § 242 SGB V idF bis zum 31.12.2014, die Säumniszuschläge iSd § 24 SGB IV und Auslagen der Versicherungsträger,165 die Beiträge angestellter Freiberufler zu berufsständischen Versorgungseinrichtungen, die Künstlersozialabgabe, die sog Sozialkassenbeiträge.

5. Einzugsstelle § 266a Abs 1 StGB stellt das Vorenthalten gegenüber der Einzugsstelle unter Strafe, 68 § 266a Abs 2 StGB das Vorenthalten gegenüber der für den Einzug der Beiträge zuständigen Stelle. Die Einzugsstelle wird in § 28h Abs 1 S 1 SGB IV als für den Einzug des Gesamtsozialversicherungsbeitrags zuständige Stelle definiert. Vermutlich fiel bei § 266a Abs 2 StGB die Entscheidung auf einen weiter gefassten Begriff als in Abs 1, weil die Unfallversicherungsumlage nicht Teil des Gesamtsozialversicherungsbeitrags ist und dementspr nicht an eine Einzugsstelle iSd § 28h Abs 1 S 1 SGB IV gezahlt wird. Einzugsstelle für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag ist gem § 28i S 1 SGB IV 69 die Krankenkasse, bei der der Arbeitnehmer versichert ist. Von dieser Krankenkasse werden auch die Umlagen U1 und U2 sowie die Insolvenzgeldumlage eingezogen.166 Im Fall eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses ist nach § 28i S 5 SGB IV stets die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See Einzugsstelle, die in dieser Eigenschaft die Bezeichnung „Minijob-Zentrale“ führt. Als Krankenkasse und Einzugsstelle für den Gesamtsozialversicherungs-beitrag aus einer nicht geringfügigen Beschäftigung tritt die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See dagegen als „Knappschaft“ auf. Für den Einzug der Unfallversicherungsumlage ist der jeweilige Unfallversicherungsträger zuständig. Die Winterbeschäftigungs-Umlage wird gem § 356 SGB III, § 4 WinterbeschV grundsätzlich an eine gemeinsame Einrichtung des Wirtschaftszweigs des Arbeitgebers bzw eine Ausgleichskasse gezahlt,167 ausnahmsweise – von den sog Direktzahlern – unmittelbar an die Bundesagentur für Arbeit.168 Eine Besonderheit ist die beauftragte Stelle iSd § 28f Abs 4 SGB IV. Nach dieser Vor- 70 schrift kann ein Arbeitgeber, der Gesamtsozialversicherungsbeiträge an mehrere Orts-, Innungs- oder Betriebskrankenkassen zu zahlen hat, bei dem Bundesverband der jeweiligen Kassenart oder – im Fall mehrerer Orts- oder Innungskrankenkassen – bei einer der Orts- bzw Innungskrankenkassen beantragen, nur bei dieser die Beitragsnachweise für die entspr Kassen einreichen zu müssen. Wird dem Antrag stattgegeben, sind gem § 3 Abs 1 S 3 BVV auch die Beiträge an die beauftragte Stelle zu zahlen. Die beauftragte Stelle ist zwar eine für den Einzug der Beiträge zuständige Stelle, aber keine Einzugsstelle iSd § 28h Abs 1 S 1 SGB IV. Daraus folgt jedoch nicht, dass der Arbeitgeber durch die Einschaltung einer beauftragten Stelle seine Strafbarkeit nach § 266a Abs 1 StGB vermeiden

_____ 165 BGH (Z) NJW 2008, 3557, 3358; LK/Möhrenschlager Rn 34 zu § 266a; G/J/W/Wiedner Rn 22 zu § 266a; BeckOK/Wittig Rn 9 zu § 266a; W/J/Pelz Rn 9/266. 166 Bis zum 31.12.2008 wurde die Insolvenzgeldumlage nach § 359 Abs 1 SGB III aF von den Unfallversicherungsträgern eingezogen. 167 Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes AG (ZVK), Sozialkasse des Berliner Baugewerbes (SokaBerlin), Sozialkasse des Gerüstbaugewerbes, Lohnausgleichskasse für das Dachdeckerhandwerk, Einzugsstelle Garten- und Landschaftsbau (EWGaLa). Diese in § 4 WinterbeschV als Einzugsstellen definierten Einrichtungen leiten die Beiträge an die Bundesagentur für Arbeit weiter. 168 Zuständig ist die Agentur für Arbeit Frankfurt am Main.

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kann. Denn ein Vorenthalten gegenüber der Einzugsstelle liegt auch dann vor, wenn der Arbeitgeber die Zahlung an eine andere Stelle zu leisten hat, zB an eine beauftragte Stelle oder ein Hauptzollamt, solange sie letztlich für die Einzugsstelle bestimmt sind. IÜ hat die beauftragte Stelle nach § 28f Abs 4 S 4 Nr 1 SGB IV die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge an die Einzugsstellen weiterzuleiten, so dass jedenfalls diese Teile des Gesamtsozialversicherungsbeitrags bei Nichtzahlung auch den Einzugsstellen vorenthalten würden.

6. Vorenthalten a) Allgemeines 71 Beiträge werden vorenthalten, wenn sie bei Fälligkeit nicht an die Einzugsstelle gezahlt werden.169 Die Absicht, die Beiträge auf Dauer nicht zu zahlen, ist für das Vorenthalten nicht erforderlich.170 Die nachträgliche Zahlung vorenthaltener Beiträge lässt die bereits eingetretene Strafbarkeit nicht rückwirkend entfallen, sofern nicht die Voraussetzungen des § 266a Abs 6 S 2 StGB vorliegen.171 Das Vorenthalten dauert an, solange die Beiträge trotz Fälligkeit nicht gezahlt 72 werden.172 Demnach macht sich auch strafbar, wer zwar nicht bei Eintritt der Fälligkeit, aber zu einem späteren Zeitpunkt sämtliche Tatbestandsmerkmale des § 266a StGB verwirklicht und die fälligen Beiträge nicht zahlt.173 Das gilt zB dann, wenn es bei bestehenden Beitragsrückständen zu einem Wechsel in der Person des Verantwortlichen iSd § 14 StGB kommt und der neue Verantwortliche nicht für die Zahlung der Beitragsrückstände sorgt.174 Oder wenn dem Arbeitgeber die Zahlung der Beiträge bei Eintritt der Fälligkeit nur vorübergehend unmöglich ist.175 Ferner dann, wenn dem Arbeitgeber zunächst verborgen bleibt, dass eine Beitragszahlung noch nicht erfolgt ist, er diesen Irrtum aber später erkennt.176 Das entspricht der gefestigten sozialgerichtlichen Rspr zum Vorenthalten von Beiträgen iSd § 25 Abs 1 S 1 SGB IV.177

_____ 169 BGH NStZ 1990, 587; so schon RGSt 28, 5, 6; 50, 133, 134; vgl auch BTDrs 10/318, 26, 28 f. 170 BGH NStZ 1990, 587; BGH (Z) NJW 1997, 130, 133. 171 Vgl BGH NStZ 1990, 587; BayObLG wistra 1988, 238, 240. 172 Gegen § 266a Abs 1 StGB als Dauerdelikt jedoch Bachmann FS Samson, S 233, 238, mit der nicht überzeugenden Begründung, dass der Arbeitgeber andernfalls unter Strafandrohung verpflichtet wäre, mit der verspäteten Zahlung zugleich das strafbare Vorenthalten zu offenbaren. Wie hier schon RGSt 25, 104, 105 (Strafbarkeit gem § 82b KVG nach dessen Inkrafttreten am 1.1.1893 wegen andauernden Vorenthaltens der Beiträge für 11/1892 und 12/1892). 173 Verkannt in der Entscheidung des KG (Z) ZIP 2002, 438, 439, in der allein auf den Zeitpunkt des Eintritts der Fälligkeit abgestellt wird. Eine andere Frage ist es, ob derjenige, der erst nach Eintritt der Fälligkeit den Tatbestand verwirklicht, sich nach § 823 Abs 2 BGB iVm § 266a Abs 1 StGB ersatzpflichtig macht. 174 Ebenso Pelz Rn 527; Haase GmbHR 2002, 210, 212 f; aA LG Berlin, 3.5.2002 – 10 Qs 17/02; wohl auch NK/Tag Rn 29 zu § 266a. Unklar BGH (Z) ZIP 2001, 419, 420; NJW 2002, 1122. 175 OLG Dresden (Z) NStZ 2001, 198, 199; OLG Naumburg (Z) NZI 2010, 874, 876; LK/Möhrenschlager Rn 57 zu § 266a; Lackner/Kühl/Kühl Rn 10 zu § 266a; W/J/Pelz Rn 9/283. 176 G/J/W/Wiedner Rn 79 zu § 266a. 177 Vgl BSG, 30.3.2000 – B 12 KR 14/99 R, juris Tz 20: „Vorsätzlich sind Beiträge auch dann vorenthalten, wenn der Schuldner von seiner bereits früher entstandenen und fällig gewordenen Beitragsschuld erfährt oder er diese erkennt, die Entrichtung der rückständigen Beiträge aber dennoch willentlich unterläßt. Das Verstreichen des Fälligkeitstermins beseitigt weder das Bestehen der Beitragsforderung noch ihre Fälligkeit. Der Beitragsschuldner bleibt auch in solchen Fällen verpflichtet, bisher unterlassene Meldungen nachzuholen, unrichtige, weil unvollständig erstattete Meldungen zu berichtigen und die bisher unterlassene Beitragszahlung nachzuholen […].“

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§ 21 Vorenth. v SozVers-Beitr. u. Veruntreuen v Arbeitsentg., § 266a StGB | 1007

Die Vorgängervorschriften des § 266a Abs 1 StGB setzten ein Vorenthalten von ein- 73 behaltenen Beitragsteilen voraus, wobei das Einbehalten so verstanden wurde, dass das Nettoarbeitsentgelt zumindest teilweise an den Arbeitnehmer gezahlt worden sein musste.178 § 266a Abs 1 StGB stellt dagegen bewusst nicht auf das Einbehalten ab.179 Die Strafbarkeit nach § 266a Abs 1 StGB tritt somit unabhängig von der Zahlung des Nettoarbeitsentgelts an den Arbeitnehmer ein.180 Das war lange Zeit umstritten – Lohnpflichttheorie gegen Lohnzahlungstheorie –, ist jedoch durch den zum 1.8.2002 eingefügten HS „unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird“ klargestellt worden. Bei § 266a Abs 2 StGB kann es auf ein Einbehalten schon deshalb nicht ankommen, weil die vom Arbeitgeber zu tragenden Beiträge von vornherein nicht Teil des Bruttoarbeitsentgelts sind.

b) Fälligkeit Die Fälligkeit laufender Beiträge richtet sich grundsätzlich nach den Satzungen der 74 Krankenkassen und den Entscheidungen des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen, § 23 Abs 1 S 1 SGB IV.181 Für laufende Beiträge, die nach dem Arbeitsentgelt zu bemessen sind, schreibt jedoch § 23 Abs 1 S 2 SGB IV vor, wann die Beiträge spätestens fällig sind. Die Vorschrift gilt für die Beiträge zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung (dh insbes für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag), wegen der Verweisungen in § 359 Abs 1 S 2 SGB III und § 10 AAG auch für die Insolvenzgeldumlage und die Umlagen U1 und U2. Seit dem 1.1.2007 sind diese Beiträge „in voraussichtlicher Höhe der Beitragsschuld“ am drittletzten Bankarbeitstag des Beschäftigungsmonats fällig,182 dh des Monats, in dem die Beschäftigung, mit dem das Arbeitsentgelt erzielt wird, ausgeübt wird oder als ausgeübt gilt.183 Nach § 23 Abs 1 S 2 und 3 SGB IV idF bis zum 31.12.2006 waren die Beiträge am 25. des Beschäftigungsmonats fällig, sofern das Arbeitsentgelt bis zum 15. gezahlt worden war, andernfalls am 15. des Folgemonats. Als Übergangsvorschrift sah § 119 Abs 2 SGB IV aF vor, dass die Beiträge für 1/2007 bei Nichtzahlung bis zum 27.1.2007 in sechs gleichen Teilen zwischen dem 24.2.2007 und dem 27.7.2007 fällig wurden. Beiträge zur Unfallversicherung werden gem § 23 Abs 3 SGB IV am 15. des auf den 75 Monat der Bekanntgabe des Beitragsbescheids folgenden Monats fällig.184 Die Beiträge werden jährlich nach Ablauf des Kalenderjahrs durch Bescheid festgesetzt, §§ 152 Abs 1 S 1, 168 Abs 1 SGB VII. Die Winterbeschäftigungs-Umlage ist gem § 5 Abs 1 S 1 WinterbeschV bis zum 15. des Folgemonats zu zahlen.185

_____ 178 Vgl nur BGH NStZ 1982, 118 f. 179 BTDrs 10/5058, 31. Auch begrifflich setzt das Vorenthalten kein Einbehalten voraus, vgl KG NStZ 1991, 287; BGH (Z) NJW 2000, 2993, 2994 f. 180 Dazu BGH NJW 2002, 2480 f; BGH (Z) NJW 2000, 2993 ff; ebenso schon KG NStZ 1991, 287 f. 181 Sieht eine Satzung einen Fälligkeitstag und einen „später liegenden Zahltag“ vor, soll nur dieser Zahltag für die Fälligkeit maßgeblich sein, vgl BGH (Z) NJW 1998, 1306, 1307. 182 Der drittletzte Bankarbeitstag kann von – auch landesrechtlichen – Feiertagen beeinflusst werden; maßgeblich sind die Feiertage am Sitz der Einzugsstelle. 183 Einzelheiten ergeben sich aus dem Gemeinsamen Rundschreiben der Spitzenorganisationen der Sozialversicherung „Fälligkeit des Gesamtsozialversicherungsbeitrags“ vom 25.8.2006, idF vom 2.10.2006. 184 § 168 Abs 3 HS 2 SGB VII, der der Satzung des Unfallversicherungsträgers die Bestimmung der Fälligkeit überlässt, wird insoweit verdrängt. 185 Abweichend davon lässt § 5 Abs 3 WinterbeschV unter besonderen Voraussetzungen die Zahlung „in Abrechnungesintervallen bis zu längstens sechs Monaten“ zu.

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1008 | 3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften

Die Fälligkeit des Gesamtsozialversicherungsbeitrags „in voraussichtlicher Höhe“ beruht darauf, dass er mitunter erst im Folgemonat genau ermittelt werden kann, insbes wenn das Bruttoarbeitsentgelt von den tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden abhängt. Etwaige Restbeiträge sind dann am drittletzten Bankarbeitstag des Folgemonats fällig, § 23 Abs 1 S 2 letzter HS SGB IV. Sofern die Entgeltabrechnungen regelmäßig von Mitarbeiterwechseln oder variablen Entgeltbestandteilen betroffen sind, kann der Arbeitgeber von einer in § 23 Abs 1 S 3 SGB IV geregelten Erleichterung Gebrauch machen: Er zahlt am drittletzten Bankarbeitstag des Beschäftigungsmonats einen Betrag in Höhe der für den Vormonat berechneten Beiträge (sog Vormonatssoll), ermittelt im Folgemonat die genaue Höhe der Beiträge (sog Echtabrechnung) und zahlt den entspr Betrag – zuzüglich etwaiger Restbeiträge bzw abzüglich Überzahlung – am drittletzten Bankarbeitstag jenes Folgemonats. Bestehen Zweifel, ob überhaupt ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungs77 verhältnis vorliegt, und ist deshalb ein Anfrageverfahren nach § 7a SGB IV eingeleitet worden, wirkt sich das auf die – noch ungewisse – Zahlungspflicht aus: Nach § 7a Abs 6 S 2 SGB IV wird der Gesamtssozialversicherungsbeitrag abweichend von § 23 Abs 1 SGB IV erst fällig, sobald die Entscheidung, dass eine Beschäftigung vorliegt, unanfechtbar geworden ist. Gleiches gilt bei Klage oder Widerspruch gegen die Entscheidung einer Einzugsstelle nach § 28h Abs 2 S 1 SGB IV oder des Rentenversicherungsträgers im Zuge einer Betriebsprüfung nach § 28p Abs 1 S 5 SGB IV, weil diesen Rechtsbehelfen gem § 7a Abs 7 S 1 SGB IV aufschiebende Wirkung zukommt, soweit es die Feststellung einer Beschäftigung betrifft.186 78 Die Fälligkeit des Gesamtsozialversicherungsbeitrags ist unabhängig von der Fälligkeit des Arbeitsentgelts.187 Daher wirkt sich eine Stundung des Arbeitsentgelts durch den Arbeitnehmer nicht aus.188 Wenn in § 23 Abs 1 S 2 SGB IV im Zusammenhang mit der Fälligkeit die Erzielung des Arbeitsentgelts erwähnt wird, so ergibt sich daraus nichts anderes. Der Begriff „erzielt“ meint nicht „fällig“ oder gar „gezahlt“, sondern „verdient“,189 so dass allein die entgeltliche Beschäftigung maßgeblich ist. IÜ spricht die Vorverlegung der Fälligkeit des Gesamtsozialversicherungsbeitrags auf den drittletzten Bankarbeitstag – an dem das Arbeitsentgelt noch nicht fällig sein muss – gegen eine Abhängigkeit von der Fälligkeit des Arbeitsentgelts. 79 Durch eine Stundung der Beiträge wird deren Fälligkeit aufgeschoben. Folglich schließt eine Stundung vor Eintritt der Fälligkeit ein Vorenthalten aus.190 Eine Stundung nach Eintritt der Fälligkeit beendet bzw unterbricht das Vorenthalten lediglich. Endet eine Stundung, werden die Beiträge (wieder) fällig und können vorenthalten werden. Gem § 76 Abs 2 S 1 Nr 1, Abs 3 S 1 SGB IV darf die Einzugsstelle Gesamtsozialversicherungsbeiträge jedoch nur stunden, wenn die sofortige Einziehung mit erheblichen Härten für den Arbeitgeber verbunden wäre und der Anspruch durch die Stundung nicht 76

_____ 186 Die aufschiebende Wirkung von Widersprüchen gegen Bescheide im Rahmen von Betriebsprüfungen nach § 28p Abs 1 S 5 SGB IV ist umstritten, vgl zum Streitstand LSG Schleswig-Holstein DStR 2015, 2678, 2679 ff. 187 LSG Baden-Württemberg ZIP 2015, 396, 399; LK/Möhrenschlager Rn 37 zu § 266a; G/J/W/Wiedner Rn 34 zu § 266a; M-G/Thul Rn 38/157; SK/Hoyer Rn 40 zu § 266a; Groß ZIP 2001, 945, 947; Wüchner S 78. 188 AnwK/Esser Rn 43 zu § 266a; MK/Radtke Rn 53 zu § 266a; aA G/K/R/Gercke Rn 2/44; A/R/R/Gercke Rn 12/2/30; Gercke/Leimenstoll HRRS 2009, 642, 645 f; I/M/Pananis Rn 6/26; Bittmann Voraufl Rn 21/67 f; wohl auch NK/Tag Rn 50 zu § 266a und Fischer Rn 12 zu § 266a. 189 Zur Bedeutung des Begriffs „erzielt“ BGH (Z) NJW 2000, 2993; BSGE 75, 61, 66. 190 M-G/Thul Rn 38/156; MK/Radtke Rn 51 zu § 266a; W/J/Pelz Rn 9/274; Pelz Rn 498.

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§ 21 Vorenth. v SozVers-Beitr. u. Veruntreuen v Arbeitsentg., § 266a StGB | 1009

gefährdet wird. Weil die Einzugsstelle mit der Stundung über Dritten zustehende Beträge entscheidet, verlangt § 76 Abs 3 S 2 SGB IV für eine länger als zwei Monate gewährte Stundung von Beiträgen bestimmter Höhe eine Unterrichtung der zuständigen Träger der Rentenversicherung und der Bundesagentur für Arbeit; eine weitere Stundung setzt gem § 76 Abs 3 S 3 SGB IV sogar das Einvernehmen der Behörden voraus. Zudem soll eine Stundung nur gegen angemessene Verzinsung und Sicherheitsleistung erfolgen, § 76 Abs 2 S 2 SGB IV. Wegen der engen Voraussetzungen des § 76 SGB IV ist eine Stundung in den Insol- 80 venzfällen des § 266a StGB nahezu ausgeschlossen.191 Möglich ist aber eine Vereinbarung, durch die die Einzugsselle bzw Vollstreckungsbehörde die Vollstreckung wegen bereits vorenthaltener Beiträge aussetzt, solange der Arbeitgeber regelmäßige Teilzahlungen darauf leistet und die laufenden Beiträge rechtzeitig zahlt. Anders als eine Stundung berührt eine solche Zahlungsvereinbarung die Fälligkeit nicht.192 Wenn die Einzugsstelle wenige Tage verspätete Zahlungen stillschweigend duldet, liegt darin keine Stundung mit Auswirkungen auf die Fälligkeit.193 Erst recht berührt der bloße Stundungsantrag eines Arbeitgebers die Fälligkeit nicht.194 Ein solcher Antrag erfüllt auch nicht ohne weiteres die Anforderungen an eine Mitteilung iSd § 266a Abs 6 StGB.

c) Zahlung Der Zahlung der Beiträge kommt für die Frage der Strafbarkeit nach § 266a Abs 1 und 2 81 StGB entscheidende Bedeutung zu: Zum einen schließt die rechtzeitige Zahlung der Beiträge ein Vorenthalten aus, zum anderen beendet eine verspätete Zahlung das Vorenthalten.

aa) Zahlung durch den Arbeitgeber Zahlungen werden idR unbar geleistet, nämlich durch Überweisung oder Lastschrift.195 82 Als Tag der Zahlung gilt bei einer Überweisung gem § 3 Abs 1 S 2 Nr 2 BVV der Tag der Wertstellung bzw bei rückwirkender Wertstellung das Datum des Kontoauszugs des Kreditinstituts der Einzugsstelle. Der bloße Überweisungsauftrag genügt also nicht. Dagegen gilt bei einer (erfolgreichen) Lastschrift der Tag der Fälligkeit als Tag der Zahlung, § 3 Abs 1 S 2 Nr 3 BVV.196 Beim Lastschriftverfahren muss der Arbeitgeber lediglich dafür Sorge tragen, dass bei Fälligkeit – und solange der Betrag nicht tatsächlich eingezogen worden ist – das Konto ein ausreichendes Guthaben aufweist bzw eine Kreditlinie einge-

_____ 191 Stundungen kommen eher bei hohen Nachforderungen aufgrund von Betriebsprüfungen in Betracht. 192 OLG Düsseldorf (Z) GmbHR 1999, 717; OLG Brandenburg (Z) GmbHR 2003, 595, 596; W/J/Pelz Rn 9/ 274; Pelz Rn 499. 193 BGH (Z) NJW 1992, 177, 178; MK/Radtke Rn 50 zu § 266a; M/R/Matt Rn 28 zu § 266a; BeckOK/Wittig Rn 13 zu § 266a; AnwK/Esser Rn 42 zu § 266a; G/K/R/Gercke Rn 2/44; NK/Tag Rn 52 zu § 266a; W/J/Pelz Rn 9/274; Pelz Rn 499; I/M/Pananis Rn 6/26. 194 Tag JZ 2005, 1118, 1119; NK/Tag Rn 52 zu § 266a; Pelz Rn 498. 195 Für die Arbeitnehmer der Kranken- und Rentenversicherungsträger sowie der Bundesagentur für Arbeit gilt nach § 28e Abs 1 S 3 SGB IV der dem jeweiligen Versicherungszweig entsprechende Anteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag als gezahlt. 196 Nach OLG München (Z) NZI 2007, 466, 467, tritt Erfüllung zivilrechtlich noch nicht einmal mit der Gutschrift des Betrags auf dem Konto der Einzugsstelle ein, sondern erst mit Genehmigung des Einzugs durch den Arbeitgeber oder Verstreichenlassen der Widerspruchsfrist.

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räumt ist; vorenthalten iSd § 266a StGB werden Beiträge erst, wenn das Konto bei Fälligkeit keine ausreichende Deckung aufweist oder die Lastschrifteinzugsermächtigung bereits widerrufen ist.197 Das Vorenthalten beginnt jedoch von neuem, wenn der Lastschrift nachträglich widersprochen und der Betrag dem Konto des Arbeitgebers wieder gutgeschrieben wird. Barzahlungen, wie sie vor allem an die Vollziehungsbeamten der Einzugsstellen und Hauptzollämter sowie bei deren Zahlstellen geleistet werden, gelten nach § 3 Abs 1 S 2 Nr 1 BVV als am Tag der Wertstellung bzw des Geldeingangs gezahlt. Bei Scheckzahlung gilt nach § 3 Abs 1 S 2 Nr 2 BVV der Tag der Wertstellung des Betrags auf dem Konto der Einzugsstelle bzw bei rückwirkender Wertstellung das Datum des Kontoauszugs als Tag der Zahlung. 83 Dass der Arbeitgeber der Einzugsstelle Sicherheiten gewährt hat, schließt ein Vorenthalten nicht aus.198 Auch ein Vorschuss iSd § 28e Abs 5 SGB IV ist keine rechtzeitige Zahlung, weil er nicht zur Verrechnung mit den nächsten fälligen Beiträgen bestimmt ist, sondern als Sicherheit geleistet wird und allein die Einzugsstelle bestimmt, mit welchen Beiträgen der Vorschuss verrechnet wird. Für die Aufrechnung durch den Arbeitgeber gelten die §§ 387 ff BGB.199 Forderun84 gen des Arbeitgebers können sich aus dem Sozialversicherungsrecht ergeben, zB bei einem Apotheker aus der Abgabe von Arzneimitteln, bei einem Krankengymnasten aus Behandlungen oder bei einem Heimbetreiber aus Pflegeleistungen.200 Denkbar sind aber auch Forderungen des Arbeitgebers ohne jeden Bezug zum Sozialversicherungsrecht, zB wegen Werkleistungen für einen Versicherungsträger. Keinesfalls handelt sich jedoch um Forderungen gegen eine Einzugsstelle als solche, vielmehr um Forderungen gegen einzelne Versicherungsträger, zB eine Krankenkasse, eine Pflegekasse oder einen Rentenversicherungsträger. Diese sind – soweit es den Gesamtsozialversicherungsbeitrag betrifft – nicht Gläubiger des Arbeitgebers, so dass es an der von § 387 BGB vorausgesetzten Gegenseitigkeit der Forderungen fehlt.201 Daher kann der Arbeitgeber mit solchen Forderungen nicht gegen den Gesamtsozialversicherungsbeitrag aufrechnen.202 Die Aufrechnung ist dem Arbeitgeber selbst im Fall einer Überzahlung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen nicht möglich, denn der Erstattungsanspruch des Arbeitgebers richtet sich dann nicht gegen die Einzugsstelle als solche, sondern gegen die einzelnen Versicherungsträger, an die die Einzugsstelle die Beiträge weiterzuleiten hat.203 Aller-

_____ 197 OLG Düsseldorf StV 2009, 193, 194; M/R/Matt Rn 41 zu § 266a; AnwK/Esser Rn 57 zu § 266a. 198 OLG München (Z) NZI 2010, 943. 199 AA LG Gießen (Z), 17.1.2007 – 1 S 244/06, juris Tz 9 f, das eine Aufrechnung gegen die Forderung der Einzugsstelle auf Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags mit der Begründung ablehnt, dass § 28e Abs 1 S 1 SGB IV gerade die Zahlung des Beitrags vorschreibe. 200 Diese Leistungserbringer rechnen unmittelbar mit den Kranken- bzw Pflegekassen ab. Anders Ärzte, Zahnärzte und Psychotherapeuten, bei denen die Kassenärztlichen bzw Kassenzahnärztlichen Vereinigungen zwischengeschaltet sind. 201 Zur Unzulässigkeit der Aufrechnung durch eine Pflegekasse mit dem auf sie entfallenden Anteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag gegen die Forderung eines Heimbetreibers nach SGB XI siehe BSGE 101, 1 ff. 202 Unabhängig davon wird jedenfalls der Arbeitnehmeranteil nach Fälligkeit meist aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung (§ 823 Abs 2 BGB iVm § 266a Abs 1 StGB) geschuldet, so dass § 393 BGB einer Aufrechnung entgegensteht. 203 Das ergibt sich aus § 26 Abs 2 SGB IV, der unter Verzicht auf das Gegenseitigkeitserfordernis die Aufrechnung (nur) durch die Einzugsstelle zulässt, ferner aus den darauf bezugnehmenden Sondervorschriften § 351 Abs 2 SGB III und § 211 SGB VI.

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dings gestatten die Einzugsstellen unter engen Voraussetzungen die Verrechnung einer Überzahlung mit laufenden Beiträgen.204 Anders als der Arbeitgeber können die Sozialversicherungsträger nach verschiede- 85 nen Vorschriften unter erleichterten Voraussetzungen gegen Forderungen des Arbeitgebers aufrechnen. Von praktischer Bedeutung ist § 6 Abs 2 Nr 1 AAG, der es den Krankenkassen erlaubt, mit dem Anspruch auf Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags gegen einen Erstattungsanspruch des Arbeitgebers bei Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall bzw bei Beschäftigungsverbot wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft gem § 1 Abs 1 und 2 AAG aufzurechnen.

bb) Zahlung durch einen Dritten Beiträge können auch durch einen Dritten aus dessen Vermögen gezahlt werden. Als Dritte kommen insbes ein Verantwortlicher des Arbeitgebers iSd § 14 StGB, ein anderer Arbeitgeber oder ein Arbeitnehmer in Betracht. Leistet der Dritte auf eine Beitragsschuld des Arbeitgebers bei der Einzugsstelle, gilt § 267 BGB. Die Einzugsstelle kann also die Zahlung nur ablehnen, wenn der Arbeitgeber der Zahlung durch den Dritten widerspricht. Widerspricht der Arbeitgeber der Zahlung nicht, hat sie Tilgungswirkung. Trotz Widerspruchs des Arbeitgebers erlischt die Beitragsschuld, wenn der Dritte an die Einzugsstelle zahlt, weil er neben dem Arbeitgeber haftet, insbes aus § 823 Abs 2 BGB iVm §§ 266a, 14 StGB oder nach § 28e Abs 2 bis 3a SGB IV. Anders liegt es, wenn der Dritte auf eine vermeintlich eigene Beitragsschuld zahlt, obwohl er nicht Arbeitgeber und damit Beitragsschuldner ist. Das ist zB der Fall, wenn ein Nachunternehmer aufgrund einer mit dem Arbeitgeber getroffenen Vereinbarung dessen Arbeitnehmer zu Unrecht auf sich anmeldet und die Sozialversicherungsbeiträge zahlt.205 Oder wenn der Dritte ein nicht angemeldeter Arbeitnehmer (zB ein Scheinselbständiger) ist, der seine Beiträge zur freiwilligen Mitgliedschaft in der Krankenversicherung durch den Arbeitgeber vom Arbeitsentgelt abziehen und an die Einzugsstelle zahlen lässt.206 Es geht also um Schwarzarbeitsfälle, in denen die Arbeitgeberstellung oder das Beschäftigungsverhältnis verschleiert wird, aber dennoch Zahlungen geleistet werden. Nur wenn ausgeschlossen ist, dass der Dritte den zu Unrecht gezahlten Betrag gem § 26 Abs 2 SGB IV erfolgreich zurückfordert und der Arbeitgeber dann auf den Anspruch der Einzugsstelle nicht zahlt, kann die Zahlung durch den Dritten beachtlich sein und den Arbeitgeber auch strafrechtlich entlasten.207 Erforderlich ist, dass der Dritte die Zahlung zu dem gegenüber dem Arbeitgeber bestehenden Anspruch der Einzugsstelle in Beziehung bringt, wofür es genügen kann, dass Beiträge für den richtigen Arbeitnehmer für den richtigen Zeitraum gezahlt werden. Nicht um die Zahlung eines Dritten idS handelt es sich, wenn die Bundesagentur für Arbeit wegen § 175 Abs 1 S 1 SGB III die noch offenen Gesamtsozialversicherungsbeiträge für den Insolvenzgeldzeitraum an die Einzugsstelle zahlt. Denn wie sich aus § 175

_____ 204 Vgl Ziffer 3.1 der Gemeinsamen Grundsätze der Spitzenorganisationen der Sozialversicherung für die „Verrechnung und Erstattung zu Unrecht gezahlter Beiträge zur Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung“ vom 21.11.2006. 205 BGH wistra 2001, 464, 465. 206 So der Sachverhalt bei BGH wistra 2005, 458, 459. 207 Vgl zum ähnlichen Fall des fehlenden Vermögensschadens beim Betrug durch Vortäuschen eines nicht bestehenden Anspruchs unter Aufgabe eines bestehenden Anspruchs BGH NStZ-RR 2011, 312, 313 f. Für die Erheblichkeit jeglicher Zahlungen durch Dritte MK/Radtke Rn 49 zu § 266a.

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Abs 2 S 1 SGB III ergibt, erlischt die Zahlungspflicht des Arbeitgebers dadurch gerade nicht. Vielmehr ist die Einzugsstelle nach § 175 Abs 2 S 2 SGB III verpflichtet, der Bundesagentur für Arbeit deren Zahlungen zu erstatten, soweit der Arbeitgeber nachträglich seine Zahlungspflicht erfüllt. Der Arbeitgeber kann sich also wegen des Vorenthaltens der Beiträge, die rückblickend betrachtet für den Insolvenzgeldzeitraum geschuldet werden, strafbar machen.208 Dagegen wird der Arbeitgeber gem § 335 Abs 3 S 2, Abs 5 SGB III von der Pflicht zur 90 Zahlung der Beiträge zur Kranken-, Pflege und Rentenversicherung an die Einzugsstelle frei, sobald und soweit die Bundesagentur für Arbeit nach § 157 Abs 3 S 1 SGB III wegen ausbleibender Entgeltzahlung durch den Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Arbeitslosengeld zahlt (sog Gleichwohlgewährung) und die darauf entfallenden Beiträge zur Kranken-, Pflege und Rentenversicherung an die Einzugsstelle abführt.209 Da jedoch die von der Bundesagentur für Arbeit zu zahlenden Sozialversicherungsbeiträge hinter denen des Arbeitgebers zurückbleiben,210 kann § 335 Abs 3 S 2, Abs 5 SGB III ein Vorenthalten nicht ganz ausschließen.

cc) Teilzahlung 91 Die Insolvenzfälle des § 266a StGB sind häufig dadurch gekennzeichnet, dass der Arbeit-

geber – bevor er gar keine Zahlungen mehr leistet – die Beiträge zunächst über Monate hinweg verspätet zahlt und die geleisteten Zahlungen nicht zur Tilgung sämtlicher Beiträge ausreichen.211 Zwei Fallgestaltungen sind bei solchen Teilzahlungen zu unterscheiden: Ist der Gesamtsozialversicherungsbeitrag für nur einen Monat offen, stellt sich allein die Frage, ob mit dem gezahlten Betrag vorrangig der von § 266a Abs 1 StGB erfasste Arbeitnehmeranteil getilgt wird oder ob Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteil zu gleichen Teilen getilgt werden. Sind dagegen die Gesamtsozialversicherungsbeiträge für mehrere Monate offen, so ist zusätzlich zu klären, für welchen Monat die Beiträge getilgt werden. 92 Für Leistungen des Arbeitgebers im Vollstreckungsverfahren gilt, dass die Schulden getilgt werden, derentwegen die Vollstreckung erfolgt.212 Die Einzugsstelle gibt also durch den Vollstreckungsauftrag oder die Pfändungs- und Einziehungsverfügung die Tilgung vor. Das soll allerdings nicht für „freiwillige“ Zahlungen des Arbeitgebers nach Androhung der Vollstreckung gelten.213

_____ 208 Ebenso bei Zahlung von Konkursausfallgeld OLG Celle NStZ-RR 1997, 324, 325; OLG Düsseldorf NJWRR 1998, 689, 691; implizit BGH (Z) ZIP 2001, 419, 422; OLG Naumburg (Z), 17.12.1998 – 7 U 76/98, juris Tz 6; OLG Dresden (Z) NStZ 2001, 198, 199; anders noch BGH (Z) NJW-RR 1989, 1185, 1186. Vgl auch Branz S 54; Plagemann NZS 2000, 8, 10. 209 Soweit die Bundesagentur für Arbeit Sozialversicherungsbeiträge zahlt, erlangt sie zwar gem § 335 Abs 3 S 1 SGB III einen Ersatzanspruch gegen den Arbeitgeber, die Nichterfüllung dieses Ersatzanspruchs ist jedoch kein Vorenthalten iSd § 266a StGB. 210 Zum einen ist Bemessungsgrundlage nur das Arbeitslosengeld (vgl zu dessen Höhe § 149 SGB III), zum anderen zahlt die Bundesagentur für Arbeit keine Beiträge zur Arbeitsförderung. 211 Zu den straf- und zivilrechtlichen Interessen des Arbeitgebers in einem solchen Fall Esser/Keuten wistra 2010, 161 ff. 212 BGH NStZ 1990, 587; NJW 1991, 2917, 2918; BayObLG, wistra 1988, 238, 239; BGH (Z) NJW 2002, 1122; LK/Möhrenschlager Rn 44 zu § 266a; MK/Radtke Rn 64 zu § 266a; G/J/W/Wiedner Rn 40 zu § 266a; S/S/ Perron Rn 10a zu § 266a; Pelz Rn 506; Wegner wistra 1998, 283, 288. 213 BGH NJW 1991, 2917, 2918; BayObLG wistra 1999, 119, 120.

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Im Übrigen kann der Arbeitgeber eine Tilgungsbestimmung treffen, wie § 4 S 1 BVV 93 klarstellt. Eine Tilgungsbestimmung durch schlüssiges Verhalten setzt jedoch voraus, dass sie greifbar in Erscheinung tritt, und kann nicht vermutet werden.214 Von einer Tilgungsbestimmung ist insbes auszugehen, wenn der gezahlte Betrag mit einem bestimmten Betrag aus einem Beitragsnachweis übereinstimmt oder ihm nahe kommt.215 Eindeutig zuordnen lassen sich auch Zahlungen, die zeitlich und der Höhe nach einer Ratenzahlungsvereinbarung entsprechen.216 Dagegen enthält nicht jede Zahlung ohne weiteres die Erklärung, dass vorrangig der von § 266a Abs 1 StGB erfasste Arbeitnehmeranteil getilgt werden solle.217 Trifft der Arbeitgeber keine Tilgungsbestimmung, gilt die Tilgungsreihenfolge des 94 § 4 BVV.218 Gem § 4 S 2 iVm 1 BVV werden zunächst Auslagen, dann Gebühren und erst danach Gesamtsozialversicherungsbeiträge getilgt. Schulden gleicher Art werden nach Fälligkeit getilgt (dh die am längsten fälligen Beiträge zuerst), bei gleicher Fälligkeit (zB zeitgleich fällig gewordene Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile) anteilsmäßig, § 4 S 3 BVV. Die Heranziehung des § 4 BVV ist nicht unumstritten. Nach der Gegenansicht soll sich aus dem mutmaßlichen Willen des Arbeitgebers eine stillschweigende Tilgungsbestimmung ergeben, die zu einer für den Arbeitgeber günstigeren Tilgungsreihenfolge – insb der vorrangigen Tilgung des Arbeitnehmeranteils – führen soll.219 Mutmaßungen über den Willen des Arbeitgebers sind aber nicht geeignet, aus einer fehlenden eine stillschweigende Willenserklärung zu machen. Zudem würde sich vielfach die Frage stellen, welche Tilgungsreihenfolge für den Arbeitgeber die günstigere ist. Durch eine die Strafbarkeit nach § 266a Abs 1 StGB ausschließende Zahlung vor Fälligkeit könnte der Arbeitgeber sich nämlich wegen Gläubigerbegünstigung nach § 283c Abs 1 StGB strafbar machen, während eine Zahlung nach Fälligkeit die Strafbarkeit nur im seltenen Ausnahmefall des § 266a Abs 6 StGB beseitigen kann, also idR nur für die Strafzumessung Bedeutung hat. Schließlich sind die Folgen unterschiedlicher Tilgungsreihenfolgen im Sozialversicherungs- und Strafrecht zu bedenken,220 zB wenn der Arbeitgeber unter Zugrundelgung einer Rückstandsaufstellung der Einzugsstelle mit einer eindeutigen Tilgungsbestimmung auf Beiträge zahlt, die nach einer vermeintlich günstigeren strafrechtlichen Tilgungsreihenfolge bereits getilgt wären, oder wenn eine Einzugsstelle wegen solcher Beiträge vollstreckt.

_____ 214 BGH (Z) NJW-RR 1989, 1185, 1186; ZIP 2001, 419, 420; 1474, 1475; NJW 2001, 967, 968; NJW 2009, 2599; M-G/Thul Rn 38/158; AnwK/Esser Rn 60 zu § 266a; Groß ZIP 2001, 945, 949; Diversy ZInsO 2006, 130, 133. 215 Vgl BGH (Z) WM 1982, 1032; BayObLG wistra 1988, 238, 239; Wegner wistra 1998, 283, 287. 216 Vgl Pelz Rn 506. 217 BGH (Z) NJW-RR 1989, 1185, 1186; Diversy ZInsO 2006, 130, 133. 218 BGH (Z) NJW 2009, 2599; ZIP 2011, 422, 424; M-G/Thul Rn 38/158; BeckOK/Wittig Rn 11 zu § 266a; AnwK/Esser Rn 60 zu § 266a; D/D/R/Beukelmann Rn 19 zu § 266a; Lackner/Kühl/Kühl Rn 6 zu § 266a; Diversy ZInsO 2006, 130, 132 f; Bollacher S 129 f. Vor Inkrafttreten des § 4 BVV schon BGH (Z) NJW-RR 1989, 1185, 1186; 2001, ZIP 2001, 419, 420; 1474, 1475 f; NJW 2001, 967, 968; Wegner wistra 1998, 283, 287. 219 Vgl LK/Möhrenschlager Rn 44 zu § 266a; MK/Radtke Rn 63 zu § 266a; G/J/W/Wiedner Rn 39 zu § 266a; HambK/Borchardt Rn 14 zu § 266a StGB; S/S/Perron Rn 10a zu § 266a; NK/Tag Rn 64 zu § 266a; SK/Hoyer Rn 43 zu § 266a; G/K/R/Gercke Rn 2/46; A/R/R/Gercke Rn 12/2/35; W/J/Pelz Rn 9/278; Gercke/Leimenstoll HRRS 2009, 442, 446; Wüchner S 90 ff. Vor Inkrafttreten des § 4 BVV war mit gleichem Ergebnis auf § 366 Abs 2 BGB bzw § 4 BZVO abzustellen, vgl BGH NStZ 1990, 587; NJW 1991, 2917, 2918; BayObLG wistra 1988, 238, 239 f; wistra 1999, 119, 120; Klam ZInsO 2005, 1250, 1252. 220 Vgl dazu BayObLG, wistra 1988, 238, 239: „kaum verständlich, um nicht zu sagen schwer erträglich“.

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Dass die Frage der Tilgungsreihenfolge mit Einführung des jetzigen § 266a Abs 2 StGB weitgehend bedeutungslos geworden ist,221 trifft nicht zu. Denn auf die Tilgungsreihenfolge kommt es praktisch nur in den Insolvenzfällen des § 266a StGB an, in denen dem Arbeitgeber idR keine Strafbarkeit nach § 266a Abs 2 StGB droht, so dass ihm weiterhin an der vorrangigen Tilgung der Arbeitnehmeranteile gelegen sein wird.

d) Möglichkeit der Zahlung 96 Die Strafbarkeit nach § 266a Abs 1 StGB setzt voraus, dass der Arbeitgeber die tatsächli-

che und rechtliche Möglichkeit hat, die Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen.222 Von der Vielzahl denkbarer Umstände, die zur Unmöglichkeit der Beitragszahlung führen können, haben nur zwei in der Strafrechtspraxis eine nennenswerte Bedeutung, nämlich der Mangel an Zahlungsmitteln und die Beschränkung der Verfügungsbefugnis nach Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung oder Eröffnung des Insolvenzverfahrens.223 Dementspr stellt sich die Frage nach einer die Strafbarkeit ausschließenden Unmöglichkeit der Beitragszahlung praktisch nur in den nach § 266a Abs 1 StGB zu ahndenden Insolvenzfällen.224 Welche Auswirkungen die Unmöglichkeit in den Schwarzarbeitsfällen auf die Strafbarkeit nach § 266a Abs 1 und 2 StGB hat, kann daher offen bleiben.225

aa) Zahlungsunvermögen 97 Grundsätzlich kommt ein strafbares Vorenthalten nur dann in Betracht, wenn der

Arbeitgeber bei Fälligkeit über ausreichende Zahlungsmittel zur Tilgung des Arbeitnehmeranteils verfügt.226 Ist der Arbeitgeber eine natürliche Person, muss bei der Feststellung der vorhandenen Zahlungsmittel neben dem Betriebsvermögen auch das Privatvermögen berücksichtigt werden. Bei einer Personengesellschaft als Arbeitgeberin ist neben deren Vermögen auch das Betriebs- und das Privatvermögen der persönlich haftenden Gesellschafter maßgeblich.227 Bei einer juristischen Person soll nur auf deren Vermögen abzustellen sein,228 nicht aber auf das Vermögen ihrer vertretungsberechtigten Organe.229 Mittelbar wirken sich jedoch auch die Vermögensverhältnisse der vertretungsberechtigten Organe und sogar der Anteilsinhaber aus, nämlich wenn die juristi-

_____ 221 So Fischer Rn 11a zu § 266a; BeckOK/Wittig Rn 11.1 zu § 266a; in diese Richtung auch S/S/Perron Rn 10a zu § 266a. 222 Vgl nur BGH NJW 2002, 2480, 2481. 223 Auch unzureichend geregelte Arbeitsabläufe beim Arbeitgeber können der rechzeitigen Beitragszahlung entgegenstehen, insbes bei der Neueinstellung von Arbeitnehmern. Diese Fälle werden aber mangels Strafanzeigen der Einzugsstellen und fehlenden Insolvenzzusammenhangs kaum Gegenstand von Ermittlungsverfahren. 224 Ebenso Bittmann NJW 2011, 3047, 3048. 225 Nach BGH NJW 2011, 3047 f, idR nicht tatbestandsausschließend. Ablehnend dazu Krack wistra 2015, 121, 126; Wittig HRRS 2012, 63, 66 f; BeckOK/Wittig Rn 16.1 zu § 266a; krit auch LK/Möhrenschlager Rn 54 zu § 266a. 226 Jetzt allgA, vgl nur BGH NJW 2002, 2480, 2481; aA noch OLG Celle NStZ-RR 1997, 324, 325; NStZ 1998, 303, 304. 227 BGH NJW 2002, 2480, 2481; G/J/W/Wiedner Rn 44 zu § 266a; AnwK/Esser Rn 63 zu § 266a. 228 Vgl BGH NJW 2002, 2480, 2481. 229 Vgl LK/Möhrenschlager Rn 57 zu § 266a; MK/Radtke Rn 66; AnwK/Esser Rn 63 zu § 266a; S/S/Perron Rn 10 zu § 266a; G/K/R/Gercke Rn 2/52, 442, 446; Hellmann JZ 1997, 1005, 1006; Wegner wistra 1998, 283, 288; Gercke/Leimenstoll HRRS 2009.

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sche Person Forderungen gegen ihre Organe bzw Anteilsinhaber hat, von deren Durchsetzbarkeit die Zahlungsfähigkeit der juristischen Person abhängt. Den Zahlungsmitteln sind die fälligen Arbeitnehmeranteile gegenüberzustel- 98 len. Sonstige Verbindlichkeiten bleiben bei dieser Gegenüberstellung grundsätzlich außer Betracht. Denn nach zutr Rspr sind die Arbeitnehmeranteile wegen der Strafbewehrung der Zahlungspflicht durch § 266a Abs 1 StGB vor anderen Verbindlichkeiten zu begleichen.230 Dieser Vorrang der Arbeitnehmeranteile kam schon in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck.231 Jetzt spricht auch der (versuchte) Schutz der Zahlung des Arbeitnehmeranteils vor Insolvenzanfechtung durch § 28e Abs 1 S 2 SGB IV für den Vorrang.232 Dass nach § 4 BVV bei einer Zahlung ohne Tilgungsbestimmung nicht der Arbeitnehmeranteil zuerst getilgt wird, steht einer vorrangigen Zahlungspflicht nicht entgegen.233 Wegen des Vorrangs liegt ein die Strafbarkeit ausschließendes Zahlungsunvermögen nicht schon bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung iSd §§ 17 Abs 2, 19 Abs 2 InsO vor,234 für deren Feststellung auch sonstige Verbindlichkeiten zu berücksichtigen sind. Weil der Vorrang aus der Strafbewehrung der Zahlungspflicht abzuleiten ist, können 99 die Arbeitnehmeranteile allerdings nicht gegenüber solchen Verbindlichkeiten vorrangig sein, die der Arbeitgeber eingehen bzw erfüllen muss, um anderen strafbewehrten Pflichten nachzukommen.235 Gleichrangig und bei der Feststellung des Zahlungsunvermögens zu berücksichtigen sind daher zB Verbindlichkeiten, ohne deren Zahlung der Arbeitgeber seinen strafbewehrten Pflichten zur Führung von Handelsbüchern und zur Aufstellung von Bilanzen nicht nachkommen kann,236 oder zur Anmeldung von Steuern und Abgabe von Steuererklärungen. Gleichrangig könnten auch Umsatz- und Lohnsteuerschulden sein, deren Nichtzahlung Ordnungswidrigkeiten darstellen. Den Arbeitgeber entlastet jedoch nicht schon das Bestehen solcher gleichrangigen Verbindlichkeiten, sondern er muss die knappen Zahlungsmittel auch tatsächlich für sie aufwenden, nicht für nachrangige Verbindlichkeiten. Ergibt die Gegenüberstellung von Zahlungsmitteln und Arbeitnehmeranteilen – ggf 100 zuzüglich gleichrangiger Verbindlichkeiten – ein Zahlungsunvermögen des Arbeitgebers bei Fälligkeit, schließt das die Strafbarkeit nach § 266a Abs 1 StGB noch nicht aus. Vielmehr ist ein Vorenthalten auch dann gegeben, wenn den Arbeitgeber ein Vorverschulden trifft, weil er durch vorausgegangenes pflichtwidriges Tun das Zahlungsunvermögen herbeigeführt hat (omissio libera in causa) oder durch vorausgegangenes

_____ 230 Vgl BGH NJW 2002, 2480, 2481; 2005, 3650, 3652; KG wistra 2010, 158; BGH (Z) ZInsO 2012, 646, 647; DStR 2012, 2451; dagegen OLG Celle (Z) wistra 1996, 114 f; MK/Radtke Rn 70; G/K/R/Gercke Rn 2/54; NK/Tag Rn 70 f § 266a; Wegner wistra 1998, 283, 289 f; Stein DStR 1998, 1055, 1060 f; Kiethe ZIP 2003, 1957, 1960; Radtke NStZ 2003, 1454, 156; krit Fischer Rn 16 zu § 266a. 231 S BTDrs 10/318, 31, wonach „den Beitragszahlungen grundsätzlich Vorrang vor den sonstigen zivilrechtlichen Verpflichtungen eingeräumt werden muß“. 232 Zu § 28e Abs 1 S 2 SGB IV näher BGH (Z) NJW 2010, 870 ff. 233 So aber NK/Tag Rn 71 zu § 266a. 234 Vgl BGH (Z) NJW 1997, 133, 134; OLG Dresden (Z) ZIP 2003, 360, 361; OLG Naumburg (Z) NZI 2010, 874, 875 f; LK/Möhrenschlager Rn 55 zu § 266a; MK/Radtke Rn 66 zu § 266a; G/J/W/Wiedner Rn 43 zu § 266a; AnwK/Esser Rn 63 zu § 266a; SK/Hoyer Rn 46 zu § 266a; W/J/Pelz Rn 9/280; Brückl/Kersten NZI 2001, 288, 290; wohl verkannt von Krumm wistra 2012, 211, 214; ausdrücklich aA Wüchner S 141 f. 235 Vgl G/J/W/Wiedner Rn 50 zu § 266a; Fischer Rn 16 zu § 266a; BeckOK/Wittig Rn 17 zu § 266a; W/J/Pelz Rn 9/280. 236 Bittmann DStR 2001, 855, 856.

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pflichtwidriges Unterlassen das Zahlungsunvermögen nicht abgewendet hat (omissio libera in omittendo).237 Ein Vorverschulden durch pflichtwidriges Herbeiführen des Zahlungsunvermö101 gens liegt vor, wenn vom Arbeitgeber Zahlungen auf Verbindlichkeiten geleistet werden, die nicht den gleichen (Vor-)Rang wie Arbeitnehmeranteile genießen, obwohl erkennbar ist, dass es dadurch zum Zahlungsunvermögen bei Fälligkeit des Arbeitnehmeranteils kommen wird. Die Pflichtwidrigkeit einer Zahlung ergibt sich schon aus der Herbeiführung des Zahlungsunvermögens. Es ist nicht erforderlich, dass die Zahlung auch aus einem anderen Grund pflichtwidrig ist, zB weil der Zahlung keine bzw keine fällige Verbindlichkeit zugrunde liegt (sog inkongruente Deckung). Daher sind grundsätzlich auch solche Zahlungen pflichtwidrig, die auf fällige, einredefreie und durchsetzbare Verbindlichkeiten geleistet werden (sog kongruente Deckung).238 Insbes darf der Arbeitgeber nur einen Teil des Nettoarbeitsentgelts auszahlen, wenn er andernfalls sein Zahlungsunvermögen herbeiführen würde.239 Dass dadurch die Unternehmenstätigkeit zum Erliegen kommen wird, liegt nahe. Es gibt jedoch kein Recht auf Fortführung eines Unternehmens unter Inkaufnahme von Gesetzesverstößen wie der Nichtzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen. Um ein pflichtwidriges Unterlassen der Abwendung des Zahlungsunvermögens 102 handelt es sich, wenn Maßnahmen nicht ergriffen werden, durch die das Zahlungsvermögen aufrechterhalten oder hergestellt werden kann. Vor allem hat der Arbeitgeber Rücklagen zu bilden,240 was ihn jedoch nicht dazu berechtigt, Vermögenswerte dem Zugriff anderer Gläubiger zu entziehen, die wegen ihrer Forderungen die Vollstreckung betreiben.241 Zudem muss der Arbeitgeber zur Abwendung des Zahlungsunvermögens etwaige Forderungen durchsetzen.242 Bei einer juristischen Person als Arbeitgeberin besteht insbes die Pflicht, Ansprüche gegen die vertretungsberechtigten Organe und Anteilsinhaber zu prüfen und ggf geltend zu machen. Ein Kreditrahmen ist grundsätzlich auszuschöpfen.243 Das Ausschöpfen eines bewilligten Kreditrahmens bzw die Aufnahme

_____ 237 St Rspr, s BGH NJW 2002, 2480, 2481; 2003, 1821, 1824; wistra 2008, 384; NJW 2009, 157, 158; 2011, 3047, 3048; OLG Hamm ZInsO 2003, 35; OLG Düsseldorf StV 2009, 193, 194; OLG Brandenburg, 30.4.2008 – 1 Ss 31/08, juris Tz 9; KG wistra 2010, 158; ebenso BGH (Z) NJW 1997, 1237 f; 2002, 1122; 1123, 1125; ZIP 2007, 541, 543; ZInsO 2012, 646, 647; DStR 2012, 2451. Dagegen Renzikowski FS Weber S 333, 341 ff; DehneNiemann GA 2009, 150, 165 ff Krit MK/Radtke Rn 67 zu § 266a. 238 OLG Naumburg (Z), 17.12.1998 – 7 U 76/98, juris Tz 8; LK/Möhrenschlager Rn 60 zu § 266a; HambK/ Borchardt Rn 17 zu § 266a StGB; AnwK/Esser Rn 66 zu § 266a; S/S/Perron Rn 10 zu § 266a; W/J/Pelz Rn 9/ 281; Hellmann JZ 1997, 1005, 1006; Groß ZIP 2001, 945, 949. Dagegen Kiethe ZIP 2003, 1957, 1960. Einschr MK/Radtke Rn 71 zu § 266a und Plagemann NZS 2000, 8, 11 f, die Zahlungen für zulässig halten, sofern sie Sanierungsbemühungen erkennen lassen. Nach Tag JZ 2005, 1118, 1120, und NK/Tag Rn 77 zu § 266a, sollen sämtliche iSd § 64 S 2 GmbHG mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbaren Zahlungen nicht pflichtwidrig sein. Gegen ein Vorverschulden durch Zahlungen in kongruenter Deckung OLG Düsseldorf (Z) NJW-RR 1993, 1448, 1449. Bollacher S 175 ff, geht zwar von einem Vorrang des Arbeitnehmeranteils aus, sieht aber Zahlungen an bestimmte Gläubiger als entschuldigt an. 239 St Rspr, s BGH (Z) NJW 1997, 1237, 1238; 2001, 967, 968; 2006, 3573; ZIP 2007, 541, 543; NJW 2011, 1133, 1135; OLG Naumburg (Z) NZI 2010, 874, 875; OLG Koblenz (Z) NZI 2010, 308, 309. 240 St Rspr, s BGH NJW 2002, 2480, 2481; OLG Brandenburg, 30.4.2008 – 1 Ss 31/08, juris Tz 9; BGH (Z) NJW 1997, 1237, 1238; NJW 2001, 967, 968; 2006, 3573; ZIP 2007, 541, 543; NJW 2011, 1133, 1135; OLG Hamburg (Z) ZIP 2007, 725, 726; OLG Koblenz (Z) NZI 2010, 308, 309; OLG Naumburg (Z) NZI 2010, 874, 875. 241 BGH NJW 2002, 2480, 2482; LK/Möhrenschlager Rn 57 zu § 266a; AnwK/Esser Rn 66 zu § 266a; NK/ Tag Rn 78; S/S/Perron Rn 10 zu § 266a. 242 LK/Möhrenschlager Rn 57 zu § 266a. 243 Vgl BGH (Z) NJW 1997, 133, 134; 2000, 2993; OLG Naumburg (Z), 17.12.1998 – 7 U 76/98, juris Tz 9.

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eines neuen Kredits ist jedoch dann nicht geboten, wenn die Rückzahlung des Kredits nicht gewährleistet ist.244 Führen die genannten Maßnahmen nicht zu einem ausreichenden Zahlungsmittelbe- 103 stand, muss der Arbeitgeber dafür Sorge tragen, dass der geschuldete Arbeitnehmeranteil dem Zahlungsmittelbestand angepasst wird. Dazu kann mitunter eine Herabsetzung des Bruttoarbeitsentgelts im Wege einer betriebsbedingten Änderungskündigung ausreichend sein. Im äußersten Fall ist der Arbeitgeber jedoch verpflichtet, das Beschäftigungsverhältnis zu beenden,245 damit keine weiteren Beiträge fällig werden.246 Der Arbeitgeber darf keinen Arbeitnehmer beitragspflichtig weiterbeschäftigen, wenn die Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge nicht sichergestellt ist.247 Unter Berücksichtigung der Kündigungsfristen des § 622 BGB liegt daher ein Vorverschulden des Arbeitgebers nahe, sobald für mehr als drei Monate die Beiträge nicht oder nicht rechtzeitig gezahlt worden sind. In zeitlicher Hinsicht gilt, dass der Arbeitgeber sein Verhalten auf die Sicherstellung 104 der Zahlung des Arbeitnehmeranteils bei Fälligkeit ausrichten muss, sobald erkennbar ist, dass das Zahlungsvermögen bei Fälligkeit gefährdet ist.248 Demnach kann die Pflicht zur Vorsorge bereits einsetzen, wenn sich der Arbeitgeber zwar noch nicht in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindet, diese aber absehbar sind.249 Der Arbeitgeber darf sich nicht darauf beschränken, erst ab Fälligkeit250 oder Zahlung251 des Nettoarbeitsentgelts Vorsorge für die Zahlung des Arbeitnehmeranteils zu treffen. Das folgt schon daraus, dass der Arbeitnehmeranteil am drittletzten Bankarbeitstag des Beschäftigungsmonats und damit in vielen Fällen vor dem Nettoarbeitsentgelt fällig wird.252 Die Vorsorgepflicht setzt auch nicht frühestens mit Beginn des Beschäftigungsmonats ein, in dem – täglich – die Beiträge entstehen.253 Vielmehr handelt es sich beim Arbeit-

_____ 244 BGH NJW 2002, 2480, 2482; MK/Radtke Rn 66 zu § 266a; G/J/W/Wiedner Rn 45 zu § 266a; AnwK/Esser Rn 66 zu § 266a; NK/Tag Rn 78 zu § 266a; S/S/Perron Rn 10 zu § 266a; SK/Hoyer Rn 50 zu § 266a; G/K/R/ Gercke Rn 2/52; W/J/Pelz Rn 9/282. 245 G/J/W/Wiedner Rn 45 zu § 266a; aA S/S/Perron Rn 10 zu § 266a. 246 Anders BGH (Z) NJW 2002, 1123, 1126: „Diese Bestimmung [gemeint: § 266a Abs 1 StGB] sanktioniert allein die Nichtzahlung der geschuldeten Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung. Sie erfasst hingegen nicht den Fall, dass der Arbeitgeber in der wirtschaftlichen Krise des Unternehmens davon absieht, die Sozialversicherungspflicht seiner Arbeitnehmer durch sofortige Auflösung sämtlicher Beschäftigungsverhältnisse zu beenden.“. 247 M-G/Thul Rn 38/167; Brückl/Kersten NZI 2001, 288, 293; dies NJW 2003, 272, 273. IE schon RGSt 25, 194, 195: „Wenn also ein Arbeitgeber versicherungspflichtige Personen mit dem Bewußtsein beschäftigt, daß seine Mittel zur Deckung der für jene zu entrichtenden Eintrittsgelder oder Beiträge nicht ausreichen, oder wenn er dabei auch nur im Zweifel hierüber war, so ist die aus der Unzulänglichkeit seiner Mittel verschuldete Nichterfüllung seiner Zahlungspflicht an die Kasse iSd Gesetzes ebenso als ein gewolltes und vorsätzliches Vorenthalten anzusehen, wie das Nichtabführen der wirklich abgezogenen Beiträge.“. 248 Vgl BGH NJW 2002, 2480, 2481: „Eine Pflicht, besondere Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen, setzt sich abzeichnende Liquiditätsprobleme in dem Unternehmen voraus.“. 249 A/R/R/Gercke Rn 12/2/37: „bei Anzeichen von Liquiditätsproblemen“; enger SK/Hoyer Rn 53 zu § 266a, der eine „unmittelbar bevorstehende Zahlungsunfähigkeit“ verlangt. 250 So Bittmann Voraufl Rn 21/82. 251 So aber Pelz Rn 519. 252 Nicht erst seit der Vorverlegung der Fälligkeit, sondern bereits seit der Entscheidung für die Lohnpflichttheorie ist das Abstellen auf den Zeitpunkt der Zahlung des Nettoarbeitsentgelts nicht mehr schlüssig, vgl Wegner wistra 1998, 283, 289; Bittmann wistra 1999, 441, 450. Zu Recht vorsichtig BGH (Z) NJW 1997, 1237 f: „rechtzeitig, jedenfalls in dem kurzen und regelmäßig überschaubaren Zeitraum, der zwischen Fälligkeit des Arbeitsentgelts und der Fälligkeit der Arbeitnehmerbeiträge liegt“. 253 Auf das Entstehen der Beitragsschuld stellt Hellmann JZ 1997, 1005, 1006, ab.

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nehmeranteil um eine nach §§ 23 Abs 1, 28e Abs 1 S 1 SGB IV von Entstehen und Fälligkeit des Bruttoarbeitsentgelts zeitlich losgelöst zu behandelnde Verbindlichkeit des Arbeitgebers, die ihn nach § 28g SGB IV lediglich zur Einbehaltung eines Teils des Bruttoarbeitsentgelts berechtigt.254 Der Arbeitnehmeranteil wird also gerade nicht „aus“ dem Bruttoarbeitsentgelt gezahlt, was für einen zeitlichen Zusammenhang zwischen Vorsorgepflicht und Entstehen bzw Fälligkeit des Entgeltanspruchs sprechen würde. Wegen dieser strengen und früh einsetzenden Verhaltenspflichten ist ein objektives 105 Vorverschulden nur selten zu verneinen. Zu einer uferlosen Ausdehnung der Strafbarkeit kommt es dennoch nicht. Denn strafbar macht sich der Arbeitgeber letztlich nur, wer er auch den zumindest bedingten Vorsatz hat, durch sein Verhalten das Zahlungsunvermögen bei Fälligkeit herbeizuführen bzw nicht abzuwenden.

bb) Fehlende Verfügungsbefugnis 106 Die Zahlung der Beiträge ist dem Arbeitgeber auch dann nicht möglich, wenn er über

sein Vermögen nicht wirksam verfügen kann, ihm also die Verfügungsbefugnis fehlt, insbes im Zusammenhang mit einem Insolvenzverfahren. Die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung und Bestellung eines vor107 läufigen Verwalters (§ 21 Abs 2 S 1 Nr 1 InsO) oder eines vorläufigen Sachwalters (§ 270a Abs 1 S 2 InsO) führt noch nicht zu einem Verfügungsverbot. Wird jedoch als Sicherungsmaßnahme gem § 21 Abs 2 S 1 Nr 2 Alt 2 InsO angeordnet, dass Verfügungen nur mit Zustimmung des vorläufigen Verwalters wirksam sind (sog Zustimmungsvorbehalt), kann der Arbeitgeber ohne diese Zustimmung die Beiträge nicht wirksam tilgen, §§ 24 Abs 1 iVm 81 Abs 1 S 1 InsO. Der Arbeitgeber bzw dessen Verantwortliche iSd § 14 Abs 1 Nr 1 und 2 StGB machen sich daher grundsätzlich nicht strafbar, solange keine Zustimmung zur Zahlung der Beiträge vorliegt.255 Mangels Haupttat des Arbeitgebers kann sich der vorläufige Verwalter nicht wegen Teilnahme strafbar machen, wenn er die Zustimmung zur Zahlung der Beiträge verweigert.256 Nach den Grundsätzen der omissio libera in causa gelangt man jedoch zur Strafbarkeit, wenn Arbeitgeber und vorläufiger Verwalter rechtsmissbräuchlich übereinkommen, dass der vorläufige Verwalter die Zustimmung nicht oder nicht rechtzeitig erteilen soll. Der Arbeitgeber kann sich auch dann strafbar machen, wenn er den vorläufigen Verwalter über sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse in Unkenntnis lässt und der vorläufige Verwalter bei Kenntnis die Zustimmung zur Zahlung der fälligen Beiträge erteilt hätte. 108 Wird dem Arbeitgeber gem § 21 Abs 2 S 1 Nr 2 Alt 1 InsO ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt und ein starker vorläufiger Verwalter bestellt, ist dem Arbeitgeber die Zahlung der Beiträge unmöglich.257 In Betracht kommt jedoch die Strafbarkeit des

_____ 254 Damit unterscheidet sich das Beitragszahlungs- und Beitragsabzugsverfahren nach §§ 28e Abs 1, 28g SGB IV grundlegend vom Lohnsteuerzahlungs- und Lohnsteuerabzugsverfahren nach § 38 EStG. 255 HambK/Borchardt Rn 25 zu § 266a StGB; W/J/Pelz Rn 9/284; Pelz Rn 509; Wüchner S 98; Hunsalzer ZInsO 2014, 1748, 1749. Für Strafbarkeit im Fall missbräuchlichen Zusammenwirkens jedoch Laroche/ Wollenweber ZInsO 2016, 2225, 2229. 256 Pape/Graeber/Laws, Rn 3/1135; Flöther/Bräuer DZWIR 2005, 441, 447; Branz S 141. W/J/Köhler, 3. Aufl, Rn 8/225 und Richter NZI 2002, 121, 123, nehmen wegen §§ 13, 14 Abs 2 Nr 2 StGB eine Strafbarkeit des vorläufigen Verwalters an. 257 LK/Möhrenschlager Rn 56 zu § 266a; MK/Radtke Rn 72 zu § 266a; W/J/Pelz Rn 9/284; Hoyer, FS Reuter S 541, 542; Brückl/Kersten NZI 2001, 288, 289; Plagemann NZS 2000, 8, 10; Wüchner S 98; Branz S 141. Entspr unter Geltung der KO bzw GesO BGH NJW 1998, 1306; OLG Zweibrücken wistra 1995, 319; OLG Celle

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§ 21 Vorenth. v SozVers-Beitr. u. Veruntreuen v Arbeitsentg., § 266a StGB | 1019

vorläufigen Verwalters, dem die Arbeitgebereigenschaft nach § 14 Abs 1 Nr 3 StGB zuzurechnen ist.258 Je nach Gewicht seines Tatbeitrags und seines Tatinteresses kann der Arbeitgeber Teilnehmer oder – weil er die Arbeitgebereigenschaft nicht verliert – Mittäter des starken vorläufigen Verwalters sein. Auch mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht die Verfügungsbefugnis gem 109 § 81 Abs 1 S 1 InsO grundsätzlich auf den Verwalter über, so dass dem Arbeitgeber die Zahlung der Beiträge unmöglich ist.259 Gibt der Verwalter jedoch nach § 35 Abs 2 S 1 InsO die selbständige Tätigkeit des Arbeitgebers frei, hat dieser insoweit weiterhin bzw wieder die Verfügungsbefugnis und muss für die Zahlung der Beiträge Sorge tragen. Wird gem § 270 Abs 1 InsO mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Eigenverwaltung angeordnet, behält der Arbeitgeber die Verfügungsbefugnis; die Aufsicht des Sachverwalters stellt keinen Zustimmungsvorbehalt dar.

7. Machen unrichtiger oder unvollständiger Angaben bzw Inunkenntnislassen (nur Abs 2) Für die Strafbarkeit nach § 266a Abs 2 StGB ist mehr als das bloße Vorenthalten er- 110 forderlich, nämlich dass der Arbeitgeber gegenüber der für den Einzug der Beiträge zuständigen Stelle unrichtige oder unvollständige Angaben über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen macht (Nr 1) oder sie pflichtwidrig über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt (Nr 2). Der Begriff der Tatsachen in § 266a Abs 2 StGB ist wie in § 263 Abs 1 StGB und § 370 111 Abs 1 AO zu verstehen, erfasst also keine rechtlichen Beurteilungen. Soweit die sozialversicherungsrechtlichen Melde- und Nachweispflichten – ähnlich wie die steuerlichen Erklärungspflichten – dem Arbeitgeber eine rechtliche Beurteilung abverlangen, ist auf den Tatsachenkern abzustellen. Tatsachen sind sozialversicherungsrechtlich erheblich, wenn sie für das Bestehen der Beitragspflicht oder die Höhe des Beitrags maßgeblich sind,260 ferner wenn sie Bedeutung für die Fälligkeit oder Durchsetzbarkeit des Beitrags haben.261 Für die Erheblichkeit kommt es nicht darauf an, ob eine sozialversicherungsrechtliche Melde- oder Nachweispflicht besteht.262 Ein Machen unrichtiger bzw unvollständiger Angaben liegt vor, wenn die mitge- 112 teilten Tatsachen nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmen bzw einen wesentlichen Teil der Wirklichkeit nicht wiedergeben. Ist eine rechtliche Beurteilung durch den Arbeitgeber erforderlich, muss er dabei entweder die Rspr und die Verlautbarungen der Spitzenorganisationen der Sozialversicherung zugrundelegen oder – was bei der vorge-

_____ NStZ-RR 1997, 324, 325; NStZ 1998, 303, 304; BayObLG wistra 1999, 119, 120; OLG Dresden (Z) NJW-RR 2000, 1199, 1200. 258 LG Berlin, 7.3.2016 – 536 Qs 13/15; Laroche/Wollenweber ZInsO 2016, 2225, 2227 f; aA Dupper/Petzsche wistra 2016, 294 ff. 259 Vgl OLG Dresden NStZ 2011, 163 f; LK/Möhrenschlager Rn 56 zu § 266a; S/S/Perron Rn 10 zu § 266a; W/J/Pelz Rn 9/284; Plagemann NZS 2000, 8, 10; Kiethe ZIP 2003, 1957, 1959; Wüchner S 97 f; Branz S 141. Zur Eröffnung des Konkursverfahrens schon BGH (Z) VersR 1968, 964. 260 BTDrs 15/2573, 28; G/J/W/Wiedner Rn 61 zu § 266a; AnwK/Esser Rn 76 zu § 266a; Fischer Rn 20 zu § 266a; S/S/Perron Rn 11c zu § 266a; SK/Hoyer Rn 74 zu § 266a. 261 Erfasst ist daher auch das Vorenthalten im Beitreibungsverfahren, zB durch Erschleichen von Zahlungserleichterungen oder durch Verheimlichen von Vermögen gegenüber dem Vollziehungsbeamten. Zur Strafbarkeit nach § 370 Abs 1 AO wegen Angaben im Beitreibungsverfahren und im finanzgerichtlichen Verfahren vgl BGH wistra 2012, 482 ff mwN, bzw OLG München wistra 2012, 490 f. 262 G/J/W/Wiedner Rn 61 zu § 266a; S/S/Perron Rn 11e zu § 266a.

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1020 | 3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften

schriebenen elektronischen Datenübertragung schwierig ist – den zu beurteilenden Sachverhalt mitteilen, um der Einzugsstelle eine eigene rechtliche Beurteilung zu ermöglichen und den Vorwurf unrichtiger oder unvollständiger Angaben zu vermeiden.263 Zur Strafbarkeit können nicht nur Angaben unmittelbar gegenüber der Einzugsstelle führen, sondern auch Angaben gegenüber Dritten, derer sich die Einzugsstelle zur Erfüllung ihrer Aufgaben bedient, zB gegenüber einer beauftragten Stelle iSd § 28f Abs 4 SGB IV, einer Arbeitsgemeinschaft oder juristischen Person des Privatrechts iSd § 197b SGB V bzw § 94 Abs 1a SGB X oder gegenüber einem Hauptzollamt als Vollstreckungsbehörde. Die Abgrenzung zwischen dem Machen unrichtiger bzw unvollständiger Angaben 113 und dem pflichtwidrigem Inunkenntnislassen ist in der Praxis dadurch vorgezeichnet, wie der Arbeitgeber seine Melde- und Nachweispflichten verletzt. Dabei ist zwischen den Pflichten in Bezug auf den Gesamtsozialversicherungsbeitrag und die Unfallversicherungsumlage zu unterscheiden: 114 Der für den Einzug des Gesamtsozialversicherungsbeitrags zuständigen Stelle muss der Arbeitgeber nach § 28a Abs 1 Nr 1 (auch iVm Abs 9) SGB IV bei Beschäftigungsbeginn die Anmeldung des Arbeitnehmers übermitteln, und zwar gem § 28c Nr 1 SGB IV iVm § 6 DEÜV264 spätestens sechs Wochen nach Beschäftigungsbeginn.265 Endet das Beschäftigungsverhältnis oder ändert sich die Beitragspflicht, muss der Arbeitgeber der Einzugsstelle nach § 28a Abs 1 Nr 2 bzw 5 (auch iVm Abs 9) SGB IV die Ab- bzw Ummeldung des Arbeitnehmers übermitteln. Nach § 28a Abs 2 SGB IV ist für jeden am 31.12. eines Jahres Beschäftigten eine Jahresmeldung zu machen, und zwar gem § 28c Nr 1 iVm § 10 Abs 1 DEÜV spätestens bis zum 15.2. des Folgejahres.266 Unabhängig von diesen Meldungen muss der Arbeitgeber der Einzugsstelle nach § 28f Abs 3 S 1 SGB IV monatlich zwei Tage vor Fälligkeit des Gesamtsozialversicherungsbeitrags einen Beitragsnachweis übermitteln.267 Der Beitragsnachweis wird im Gegensatz zu den genannten Meldungen nicht je Arbeitnehmer übermittelt, sondern je Einzugsstelle, dh er weist die geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge für alle bei der Einzugsstelle versicherten Arbeitnehmer nach. Dem Beitragsnachweis lässt sich aber weder die Höhe der Arbeitsentgelte unmittelbar entnehmen, noch lassen sich die Beiträge den einzelnen Arbeitnehmern zuordnen oder in Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile trennen. Grundsätzlich erfährt die Einzugsstelle nur durch den Beitragsnachweis von der Höhe der ihr geschuldeten Beiträge, nicht durch die Meldungen nach § 28a SGB IV.268 Der Beitragsnachweis gilt daher gem § 28f Abs 3 S 3 SGB IV für die Vollstreckung als Leistungsbescheid der Einzugsstelle,269

_____ 263 Vgl zu § 370 Abs 1 Nr 1 AO BGH NStZ 2000, 203, 204 mwN. 264 Verordnung über die Erfassung und Übermittlung von Daten für die Träger der Sozialversicherung, neugefasst durch Bekanntmachung vom 23.1.2006 (BGBl I 152). 265 Für Beschäftigungsverhältnisse in bestimmten Wirtschaftszweigen besteht gem § 28a Abs 4 SGB IV eine Pflicht zur Sofortmeldung, dh nach § 28c Nr 1 SGB IV iVm § 7 DEÜV zur Meldung spätestens am Tag des Beschäftigungsbeginns. 266 Für die Jahre bis einschließlich 2012: bis zum 15.4. des Folgejahrs. 267 Statt monatlich Beitragsnachweise zu übermitteln, kann ein besonders gekennzeichneter sog Dauerbeitragsnachweis übermittelt werden, wenn die Beiträge sich in der Folgezeit nicht ändern. Erst mit Änderung der Beiträge ist dann ein neuer (Dauer-)Beitragsnachweis einzureichen. 268 Die An- und die Ummeldung enthalten nicht einmal das geschuldete Arbeitsentgelt. Allenfalls lässt sich den Meldungen entnehmen, dass das Arbeitsentgelt im Bereich einer geringfügig entlohnten Beschäftigung bzw in der Gleitzone liegt, vgl § 28a Abs 3 S 1 SGB IV. Lediglich die Ab- und die Jahresmeldung enthalten das in der Rentenversicherung oder nach dem Recht der Arbeitsförderung beitragspflichtige Arbeitsentgelt für den jeweiligen Zeitraum, vgl § 28 Abs 3 S 2 Nr 2 SGB IV. 269 Ähnlich wie eine Steueranmeldung, die nach § 168 S 1 AO einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht.

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§ 21 Vorenth. v SozVers-Beitr. u. Veruntreuen v Arbeitsentg., § 266a StGB | 1021

was ihr nach § 67 Abs 1 bzw 3 SGB X iVm (L)VwVG die zwangsweise Beitreibung ermöglicht. Den Schwächen dieser sog Selbstveranlagung des Arbeitgebers wird entgegengewirkt, indem der Rentenversicherungsträger nach § 28p Abs 1 SGB IV mindestens alle vier Jahre eine Prüfung beim Arbeitgeber durchzuführen hat. Daraus folgt für § 266a Abs 2 StGB in Bezug auf das Vorenthalten des Arbeitgeberan- 115 teils am Gesamtsozialversicherungsbeitrag, dass ein pflichtwidriges Inunkenntnislassen iSd Nr 2 nur vorliegt, wenn der Einzugsstelle der Beitragsnachweis für einen Beschäftigungsmonat nicht rechtzeitig oder gar nicht übermittelt wird. Dagegen liegt ein Machen unrichtiger oder unvollständiger Angaben iSd Nr 1 vor, wenn der Einzugsstelle rechtzeitig ein Beitragsnachweis übermittelt wird, der jedoch zu niedrige Beiträge enthält, weil entweder nicht sämtliche der Einzugsstelle zuzuordnenden Arbeitnehmer berücksichtigt sind oder weil zwar sämtliche Arbeitnehmer berücksichtigt sind, aber zu niedrige Arbeitsentgelte zugrunde gelegt sind.270 Der für den Einzug der Unfallversicherungsumlage zuständigen Stelle muss der 116 Arbeitgeber innerhalb von sechs Wochen nach Jahresende die Arbeitsentgelte und Arbeitsstunden aller Versicherten nachweisen (Lohnnachweis), § 165 Abs 1 S 1 SGB VII. Daneben ist für die Kalenderjahre ab 2009 zu jedem Arbeitnehmer eine Jahresmeldung an dessen Krankenkasse zu übermitteln, von der die maßgeblichen Daten über die Datenstelle der Träger der Rentenversicherung an den Unfallversicherungsträger weitergeleitet werden.271 Demnach liegt ein pflichtwidriges Inunkenntnislassen iSd § 266a Abs 2 Nr 2 StGB in Bezug auf den Unfallversicherungsbeitrag nur vor, wenn der Arbeitgeber gar keine Jahresmeldungen oder sämtliche Jahresmeldungen nicht rechtzeitig macht, während unrichtige Meldungen oder Meldungen nur zu einem Teil der Arbeitnehmer zu unrichtigen bzw unvollständigen Angaben iSd § 266a Abs 2 Nr 1 StGB führen.

8. Ursächlichkeit Vereinzelt wird in den Insolvenzfällen des § 266a Abs 1 StGB gegen die Strafbarkeit ein- 117 gewandt, dass die Beitragsschuld selbst im Fall der rechtzeitigen Zahlung (wieder) bestehen würde, weil die Zahlung nach den §§ 129 ff InsO anfechtbar gewesen wäre.272 Tatsächlich werden Zahlungen an die Einzugsstellen in Insolvenzverfahren häufig angefochten, so dass die Beitragsforderungen gem § 144 Abs 1 InsO rückwirkend wiederaufleben. Die Anfechtbarkeit steht sogar Ersatzansprüchen der Einzugsstellen aus § 823 Abs 2 BGB iVm § 266a Abs 1 StGB entgegen.273 Der Einwand der nachträglichen Anfechtbarkeit der Beitragszahlung zielt auf die Ursächlichkeit des Nichtzahlens ab.274 Ein Unterlassen ist dann ursächlich und der Erfolg dem Täter zuzurechnen, wenn bei Vornahme der ge-

_____ 270 In diesen Fällen tritt die Verwirklichung der Nr 2 durch die unterlasssene Anmeldung nach § 28a Abs 1 Nr 1 SGB IV hinter dem Übermitteln eines unrichtigen Beitragsnachweises als mitbestrafte Vortat bzw Nachtat zurück. 271 Für die Kalenderjahre 2009 bis 2014 musste die vom Arbeitgeber für jeden Arbeitnehmer innerhalb von sechs Wochen nach Jahresende zu erstattende Jahresmeldung iSd § 28a Abs 2 SGB IV einen zusätzlichen „Datenbaustein Unfallversicherung“ enthalten, dessen Weiterleitung an den Unfallversicherungsträger zum Zweck der Berechnung der Umlage in § 28a Abs 3a SGB IV aF geregelt war. Dieses Verfahren erwies sich als so fehleranfällig, dass für die Kalenderjahre 2015 bis 2017 der Arbeitgeber spätestens zum 16.2. des Folgejahrs eine besondere Jahresmeldung zur Unfallversicherung erstatten muss, § 28a Abs 2a SGB IV. 272 So Fischer Rn 14 zu § 266a; Plagemann NZS 2000, 8, 12. 273 Vgl BGH (Z) NJW 2001, 967, 969; 2002, 1123, 1124; 2005, 2546, 2548; 2011, 1133, 1134 f. 274 AA Fischer Rn 14 zu § 266a (Tatbestandsmäßigkeit).

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1022 | 3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften

botenen Handlung der Erfolg nicht eingetreten wäre.275 Soweit bei § 266a Abs 1 und 2 StGB überhaupt von einem Erfolg die Rede sein kann, besteht er darin, dass die Beitragsforderung bei Fälligkeit nicht erlischt.276 Die Anfechtbarkeit ändert jedoch nichts daran, dass durch eine rechtzeitige Zahlung die Beitragsforderung zunächst erloschen wäre. Zudem ist zum Zeitpunkt der Zahlung ungewiss, ob eine Anfechtung später tatsächlich Erfolg hat. Daher entlastet es den Arbeitgeber strafrechtlich nicht, dass eine Zahlung nachträglich möglicherweise angefochten werden kann.277 Andererseits führt die erfolgreiche Anfechtung einer Beitragszahlung durch den Insolvenzverwalter und das damit verbundene rückwirkende Wiederaufleben der Beitragsforderung nicht dazu, dass der Arbeitgeber sich wegen Vorenthaltens des Beitrags strafbar gemacht hat; eine zunächst rechtzeitige Zahlung bleibt tatbestandsausschließend. Auch der Insolvenzverwalter macht sich aufgrund der erfolgreichen Anfechtung nicht wegen Vorenthaltens strafbar.278 118 In eine ähnliche Richtung geht der Einwand, der Arbeitgeber wäre bei pflichtgemäßer Zahlung der Beiträge früher in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten und hätte das Beschäftigungsverhältnis dementspr früher beendet, so dass die Einzugsstelle die für die Zeit nach dem zu unterstellenden Beschäftigungsende geschuldeten Beiträge ohnehin nicht erhalten hätte. Die hypothetische Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses bei pflichtgemäßer Beitragszahlung ist jedoch unerheblich. Denn bei der Prüfung des Ursachenzusammenhangs ist an die tatsächlichen Vorgänge anzuknüpfen und kein nur hypothetischer, gänzlich anderer Geschehensablauf zugrunde zu legen.279 Schließlich scheint bei § 266a Abs 2 StGB Ursächlichkeit erforderlich zu sein, weil die 119 Strafbarkeit des Arbeitgebers voraussetzt, dass dieser gegenüber der für den Einzug zuständigen Stelle unrichtige bzw unvollständige Angaben macht oder sie pflichtwidrig in Unkenntnis lässt und „dadurch“ Beiträge vorenthält. Diese Wendung ist dem Umstand geschuldet, dass § 266a Abs 2 StGB dem § 370 Abs 1 AO nachgebildet ist,280 welcher voraussetzt, dass der Täter gegenüber einer Finanzbehörde unrichtige bzw unvollständige Angaben macht bzw sie in Unkenntnis lässt und „dadurch“ Steuern verkürzt. Im Schrifttum wird aus dem Begriff „dadurch“ abgeleitet, dass der Arbeitgeber sich nicht nach § 266a Abs 2 StGB strafbar mache, wenn die Beiträge unabhängig von den unrichtigen bzw unvollständigen Angaben oder dem Inunkenntnislassen – zB wegen Zahlungsunvermögens – nicht gezahlt oder nicht geltend gemacht würden.281 Oder dass die Einzugsstelle eine Vermögensverfügung treffen müsse, die allerdings auch in einem Unterlassen beste-

_____ 275 Zur Ursächlichkeit bei den Unterlassungsdelikten Fischer Rn 39 vor § 13. 276 Zum „Erfolg“ bei § 266a StGB näher Krack wistra 2015, 121 f; Rönnau/Kirch-Heim wistra 2005, 321, 323 ff. Das bloße Ausbleiben einer Veränderung der Außenwelt zum Erfolg zu erklären, würde aber jedes Unterlassungsdelikt zum Erfolgsdelikt machen. 277 Vgl BGH NJW 2005, 3650, 3652; OLG Hamm ZInsO 2003, 35; BGH (Z) NJW 2011, 1133, 1134; OLG München (Z) NZI 2010, 943, 944; AnwK/Esser Rn 68 zu § 266a; Kutzner NJW 2006, 413, 414; Wüchner S 123; krit Rönnau NJW 2004, 976, 980; Rönnau wistra 2007, 81, 82. Für Unzumutbarkeit jedoch Pelz Rn 526. Strafmildernd zu berücksichtigen nach Bittmann wistra 2004, 327, 330. 278 Ebenso Pelz Rn 676. 279 Vgl BGH wistra 1987, 290, 292. 280 BTDrs 15/2573, 28. Bezeichnenderweise war das BMF das federführende Ministerium, nicht das BMJ. 281 MK/Radtke Rn 83 zu § 266a; M/R/Matt Rn 58 zu § 266a; Lackner/Kühl/Kühl Rn 12a zu § 266a; BeckOK/ Wittig Rn 24 zu § 266a; Wittig HRRS 2012, 63, 65; G/K/R/Gercke Rn 2/60; A/R/R/Gercke Rn 12/2/43; I/M/ Pananis Rn 6/37.

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§ 21 Vorenth. v SozVers-Beitr. u. Veruntreuen v Arbeitsentg., § 266a StGB | 1023

hen könne.282 Vereinzelt wird sogar ein Irrtum auf Seiten der Einzugsstelle verlangt.283 Diesen Ansichten liegt ein zu enges Verständnis des Begriffs „dadurch“ zugrunde. Mehr als dass der Arbeitgeber die von ihm nicht angegebenen Beiträge284 anschließend vorenthält, ist nicht erforderlich.285 Zugegebenermaßen hätte dies durch einen anderen Wortlaut besser zum Ausdruck gebracht werden können. Angesichts der abweichenden Bedeutung der Begriffe „Vorenthalten“ und „Verkürzen“ sowie zwischen Beitrags- und Steuererhebung wäre es ohnehin sinnvoller gewesen, § 266a Abs 2 StGB nicht dem § 370 Abs 1 AO nachzubilden.

9. Rechtswidrigkeit a) Allgemeines Die Rechtswidrigkeit des in § 266a Abs 1 und 2 StGB beschriebenen Verhaltens ergibt sich 120 aus dem Verstoß gegen ausdrücklich normierte sozialversicherungsrechtliche Pflichten, nämlich in den Insolvenzfällen gegen die Zahlungspflicht aus § 28e Abs 1 S 1 SGB IV, in den Schwarzarbeitsfällen zusätzlich gegen die Melde- und Nachweispflichten aus §§ 28a Abs 1, 28f Abs 3 SGB IV. Es ist kaum denkbar, dass allgemeine Rechtfertigungsgründe greifen. Insbes rechtfertigen der Erhalt von Arbeitsplätzen und der Fortbestand des Unternehmens das Vorenthalten nicht.286 Auch die Einwilligung des Arbeitnehmers in das Vorenthalten der von ihm zu tragenden Beiträge schließt die Rechtswidrigkeit nicht aus.287 Umstritten ist jedoch, ob und ggf wie sich ein bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung des Arbeitgebers einsetzendes Zahlungsverbot, die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung und die Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf die Zahlungspflicht aus § 28e Abs 1 S 1 SGB IV und damit auf die Rechtswidrigkeit des Nichtzahlens auswirken.288

_____ 282 MK/Radtke Rn 83 zu § 266a; S/S/Perron Rn 11h zu § 266a; SK/Hoyer Rn 76 zu § 266a; Rönnau/KirchHeim wistra 2005, 321, 325 f; dagegen LK/Möhrenschlager Rn 71 zu § 266a; krit M-G/Thul Rn 38/227. 283 MK/Radtke Rn 83 zu § 266a; S/S/Perron Rn 11h zu § 266a; dagegen LK/Möhrenschlager Rn 71 zu § 266a; G/J/W/Wiedner Rn 60 zu § 266a; Fischer Rn 21a zu § 266a; Lackner/Kühl/Kühl Rn 12 zu § 266a; G/K/R/Gercke Rn 2/67 (zu Nr 2); Gercke/Leimenstoll HRRS 2009, 442, 448. Für Unkenntnis Krack wistra 2015, 121, 125. Gerade für die Fälle, in denen es an dem von § 263 Abs 1 StGB vorausgesetzten Irrtum fehlt, wurde § 266a Abs 2 StGB geschaffen, vgl BTDrs 15/2573, 28. 284 Bzw die aufgrund der angegebenen Bemessungsgrundlagen nicht festzustellenden Beiträge. 285 IE ebenso BGH NJW 2011, 3047; G/J/W/Wiedner Rn 64 zu § 266a; M-G/Thul Rn 38/226. 286 LK/Möhrenschlager Rn 78 zu § 266a; G/J/W/Wiedner Rn 82 zu § 266a; BeckOK/Wittig Rn 34 zu § 266a; S/S/Perron Rn 18 zu § 266a. Anders Brand GmbHR 2010, 237, 241 ff, der eine Rechtfertigung nach § 34 StGB wegen des „Interesses an einer Sanierung des krisengeschüttelten Unternehmens“ für möglich hält. Das ist nicht haltbar. Zum einen überwiegt dieses Interesse Einzelner gegenüber dem öffentlichen Interesse am Beitragsaufkommen nicht, schon gar nicht wesentlich. Zum anderen sind zahlungsunfähige Unternehmen ggf durch Einleitung eines Insolvenzverfahrens zu sanieren und nicht durch Gläubigerschädigung nach eigenem Gutdünken, so dass das Vorenthalten auch kein angemessenes Mittel ist. 287 LK/Möhrenschlager Rn 77 zu § 266a; MK/Radtke Rn 93 zu § 266a; G/J/W/Wiedner Rn 82 zu § 266a; M-G/Thul Rn 38/180; Fischer Rn 24 zu § 266a; BeckOK/Wittig Rn 34 zu § 266a; G/K/R/Gercke Rn 2/89; S/S/ Perron Rn 18 zu § 266a; SK/Hoyer Rn 57 zu § 266a; NK/Tag Rn 83 zu § 266a. Das einvernehmliche Zusammenwirken von Arbeitnehmer und Arbeitgeber ist sogar strafschärfend zu berücksichtigen, vgl BGH NStZ 2010, 216. 288 Da der Streit allein die Insolvenzfälle betrifft, hat er für die Strafbarkeit nach § 266a Abs 2 StGB keine Bedeutung.

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1024 | 3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften

b) Zahlungsunfähigkeit, Überschuldung 121 Der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung löst bei bestimmten juristi-

schen Personen und Personenhandelsgesellschaften ein Zahlungsverbot aus, insbes bei einer GmbH, AG, Genossenschaft oder Personenhandelsgesellschaft iSd § 264a Abs 1 HGB, aber auch bei einer entspr ausländischen Gesellschaft. Wie sich ein solches Zahlungsverbot auf die Strafbarkeit nach § 266a StGB auswirkt, ist umstritten.289 Für den praktisch häufigsten Fall, nämlich die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung einer GmbH, stellt sich der Streit wie folgt dar: Gem § 64 S 1 GmbHG290 ist der Geschäftsführer verpflichtet, der GmbH die nach Ein122 tritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung geleisteten Zahlungen zu ersetzen. Diese Ersatzpflicht besteht jedoch gem § 64 S 2 GmbHG nicht, soweit die Zahlungen mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar sind. Aus der Ersatzpflicht wird zutreffend ein Verbot abgeleitet, nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung Zahlungen zu leisten.291 Bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung einer GmbH stehen sich also das aus § 64 S 1 GmbHG abzuleitende Zahlungsverbot und die Pflicht zur Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge aus § 28e Abs 1 S 1 SGB IV gegenüber.292 Bei Verletzung des Zahlungsverbots ist der Geschäftsführer nach § 64 S 1 GmbHG ersatzpflichtig, bei Verletzung der Zahlungspflicht macht er sich nach §§ 266a Abs 1, 14 Abs 1 Nr 1 StGB strafbar und iVm § 823 Abs 2 BGB ersatzpflichtig. Die Frage ist, ob das Zahlungsverbot Vorrang hat oder die Zahlungspflicht. Hätte das Zahlungsverbot Vorrang, wäre das Nichtzahlen der Beiträge bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung grundsätzlich nicht rechtswidrig. 123 Der 5. Strafsenat des BGH geht von einem Vorrang der Zahlungspflicht aus, allerdings soll das Nichtzahlen des Arbeitnehmeranteils während des Laufs der für die Stellung des Eröffnungsantrags nach § 15a Abs 1 InsO293 geltenden Frist von höchstens drei Wochen vorübergehend gerechtfertigt sein.294 Der Vorrang wird abgeleitet aus der Strafbewehrung der Zahlungspflicht durch § 266a Abs 1 StGB, aus der in § 266a Abs 6 StGB vorausgesetzten Strafbarkeit des Vorenthaltens trotz Zahlungsunfähigkeit und aus dem Zweck des § 266a Abs 1 StGB, das Beitragsaufkommen gerade bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu schützen. Für den Vorrang spricht auch der am 1.1.2008 in Kraft getretene § 28e Abs 1 S 2 SGB IV, der die Anfechtung von Zahlungen auf Arbeitnehmeranteile verhindern und damit die Einzugsstellen besserstellen sollte.295

_____ 289 Bei Arbeitgebern, die keinem Zahlungsverbot unterliegen, stellen sich die Frage nach den Auswirkungen des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung von vornherein nicht. AA aus Gründen der Gleichbehandlung Rieger NZI 2004, 370, 371; NK/Tag Rn 73 zu § 266a; Wüchner S 141 f. 290 Entspr § 64 Abs 2 S 1 und 2 GmbHG idF bis zum 31.10.2008. 291 Ausdrücklich sind diese Zahlungsverbote in § 92 Abs 2 S 1 AktG, § 99 S 1 GenG und § 130a S 1 HGB geregelt. Eine entspr Anwendung auf den Verein soll ausgeschlossen sein, vgl BGH (Z) ZIP 2010, 985 f. 292 Richtig SK/Hoyer Rn 59 zu § 266a; Hoyer FS Reuter S 541, 542 f; Radtke NStZ 2004, 562; Rönnau wistra 2007, 81. § 266a StGB und § 64 S 1 GmbHG ordnen jeweils nur Rechtsfolgen an und stehen sich nicht unmittelbar gegenüber. 293 Entspr § 64 Abs 1 GmbHG idF bis zum 31.10.2008. 294 BGH NJW 2003, 3787, 3788; 2005, 3650, 3652; ebenso M-G/Thul Rn 38/178 f; S/S/Perron Rn 10 zu § 266a; Raum FS Tolksdorf, S 355, 362 f; Sinn NStZ 2007, 155 ff. 295 Dass § 28e Abs 1 S 2 SGB IV nach BGH (Z) NJW 2010, 870 ff, praktisch leerläuft, steht dem nicht entgegen. Wie hier Brand GmbHR 2010, 237, 240 f.

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§ 21 Vorenth. v SozVers-Beitr. u. Veruntreuen v Arbeitsentg., § 266a StGB | 1025

Demgegenüber nahm der 2. Zivilsenat des BGH zunächst einen Vorrang des Zah- 124 lungsverbots an.296 Dies wurde mit dem Zweck des Zahlungsverbots begründet, die verteilungsfähige Vermögensmasse im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger zu erhalten und eine zu ihrem Nachteil gehende, bevorzugte Befriedigung einzelner Gläubiger zu verhindern. Schließlich urteilte der 2. Zivilsenat jedoch, dass die Zahlung des Arbeitnehmeranteils mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar sei, „weil einem Geschäftsführer mit Blick auf die Einheit der Rechtsordnung nicht angesonnen werden kann, fällige Leistungen an die Sozialkasse nicht zu erbringen, wenn er dadurch Gefahr liefe, strafrechtlich verfolgt zu werden“.297 Das gilt unabhängig davon, ob der Gesamtsozialversicherungsbeitrag vor oder erst nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit bzw Überschuldung fällig geworden ist.298 Dagegen ist die Zahlung des Arbeitgeberanteils sorgfaltswidrig.299 Unter Zugrundelegung der Entscheidung des 2. Zivilsenats gibt es während des 125 Laufs der Antragsfrist keine Rechtfertigung für das Nichtzahlen (mehr),300 wie sie der 5. Strafsenat angenommen hatte.301 Denn in der Praxis lassen sich der Beginn und die Länge der Frist von höchstens drei Wochen nur selten genau ermitteln, so dass der Geschäftsführer auch wegen des Nichtzahlens in diesem Zeitraum Gefahr läuft, strafrechtlich verfolgt zu werden. Und schon die Gefahr der Verfolgung führt dazu, dass die Zahlung des Arbeitnehmeranteils mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar ist.302 Der 2. Zivilsenat geht zwar in späteren Entscheidungen überraschenderweise ebenfalls von einer Rechtfertigung innerhalb der Antragsfrist aus, nimmt aber – unter unzutreffendem Verweis auf den 5. Strafsenat – an, dass der Rechtfertigungsgrund rückwirkend entfalle, wenn der Antrag nicht rechtzeitig gestellt werde.303 Ein solches rückwirkendes Entfallen ist mit strafrechtlichen Grundsätzen unvereinbar, führt aber im

_____ 296 BGH (Z) NJW 2001, 1280, 1282, 2005, 2546, 2548. Dafür auch MK/Radtke Rn 77 zu § 266a; Rönnau wistra 1997, 13, 15 f; Wegner wistra 1998, 283, 290; Kiethe ZIP 2003, 1957, 1960; Radtke NStZ 2004, 562, 563; Rönnau NJW 2004, 976, 978 f; ders wistra 2007, 81, 82; Heinze DZWIR 2009, 244, 246 f; Branz S 163 f; Ischebeck S 178; Wüchner S 144. 297 BGH (Z) NJW 2007, 2118, 2120; im Anschluss daran BGH (Z) ZIP 2008, 1275 f; NJW 2009, 295; 2599; 2011, 1133, 1135; ZIP 2011, 422, 424. Für eine Lösung über § 64 Abs 2 S 2 GmbHG aF bereits zuvor OLG Hamm ZInsO 2003, 35, 36; OLG Dresden (Z) ZIP 2003, 360, 364; Hellmann JZ 1997, 1005, 1006; Bittmann wistra 1999, 441, 451; ders wistra 2004, 327 f; Branz S 163. Dagegen noch BGH (Z) NJW 2001, 1280, 1282; 2005, 2546, 2548; Rönnau wistra 1997, 13, 15; Kiethe ZIP 2003, 1957, 1960; Radtke NStZ 2004, 562 f; Rönnau wistra 2007, 81 f; weiterhin ablehend MK/Radtke Rn 77 zu § 266a; Rönnau JZ 2008, 46, 48; Radtke GmbHR 2009, 673, 678. 298 BGH (Z) ZIP 2011, 422, 424; OLG Frankfurt/Main (Z) ZIP 2009, 2293, 2294. 299 BGH (Z) NJW 2009, 2599 f; ZIP 2011, 422, 424. 300 OLG Düsseldorf (Z) wistra 2015, 861, 865; Bittmann wistra 2007, 406, 407; Lübbersmann StRR 2010, 14, 15; SK/Hoyer Rn 69 zu § 266a; iE auch Brand GmbHR 2010, 237, 241. Weiterhin für den zeitlich begrenzten Rechtfertigungsgrund OLG Braunschweig, 27.5.2015 – 1 Ss 14/15; M-G/Thul Rn 38/178 f; G/K/R/Gercke Rn 2/56; S/S/Perron Rn 10 zu § 266a; Lackner/Kühl/Kühl Rn 10 zu § 266a; Raum FS Tolksdorf, S 355, 360 f; Waszczynski ZIS 2009, 596, 600. 301 Weshalb nur in der für die Prüfung der Sanierungsfähigkeit vorgesehenen Antragsfrist das Nichtzahlen von Sozialversicherungsbeiträgen gerechtfertigt sein sollte, erschließt sich ohnehin nicht. Krit zu dieser Erfindung des 5. Strafsenats auch MK/Radtke Rn 95 zu § 266a; Rönnau NJW 2004, 976, 979 f; Radtke NStZ 2004, 562, 563; Gross/Schork NZI 2004, 358, 360 ff; Schröder GmbHR 2005, 736, 740; Kutzner NJW 2006, 213, 214 ff; Rönnau wistra 2007, 81, 83; Radtke GmbHR 2009, 673, 678; Heinze DZWIR 2009, 244, 247; Brand GmbHR 2010, 237, 241; Ischebeck S 171; Wüchner S 120 ff. 302 Nicht berücksichtigt von Rönnau JZ 2008, 46, 49; G/K/R/Gercke Rn 2/56; Waszczynski ZIS 2009, 596, 600. 303 BGH (Z) NJW 2009, 295 f; ZIP 2011, 422, 425.

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1026 | 3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften

Regelfall des nicht rechtzeitig gestellten Eröffnungsantrags zu demselben Ergebnis, wie wenn von vornherein kein Rechtfertigungsgrund bestanden hätte. Für die in der Praxis häufigen Fälle, in denen der Zeitpunkt des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung unklar bleibt, lässt sich somit festhalten, dass nicht vorsorglich zu Gunsten des Geschäftsführers von der Bestrafung des Vorenthaltens der innerhalb von drei Wochen vor Stellung des Eröffnungsantrags fällig werdenden Arbeitnehmeranteile abgesehen oder der Beginn jedes Vorenthalten erst drei Wochen nach Fälligkeit angesetzt werden muss.304 Die Aufmerksamkeit, die dem Streit um den Vorrang im Schrifttum geschenkt wor126 den ist, steht in keinem Verhältnis zu seiner geringen praktischen Bedeutung. Denn selbst bei einem Vorrang des Zahlungsverbots wäre das Nichtzahlen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung kaum je straflos: Zum einen kann ein Geschäftsführer sich zur Rechtfertigung nicht geleisteter Zahlun127 gen ohnehin nur dann auf das Zahlungsverbot berufen, wenn ihm lückenlos nachgekommen wird.305 Demnach dürften während der Dauer des Vorenthaltens keinerlei Zahlungen entgegen der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns geleistet werden.306 Das ist selten,307 weil GmbH-Geschäftsführer sich erfahrungsgemäß nicht von dem Zahlungsverbot leiten lassen, sondern bei Zahlungsunfähigkeit schlicht diejenigen Gläubiger nicht befriedigen, die für die Fortführung des Unternehmens von geringerer Bedeutung sind, also insbes die Einzugsstellen. Dagegen werden an andere Gläubiger Zahlungen geleistet, auch wenn es der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns widerspricht. In solchen Fällen ist für eine Rechtfertigung durch das Zahlungsverbot kein Raum. 128 Zum anderen könnte es dem Geschäftsführer nach den Grundsätzen der omissio libera in causa bzw omittendo (Vorverschulden) verwehrt sein, sich auf das Zahlungsverbot zu berufen. Daran wäre – ähnlich wie beim tatbestandsausschließenden Zahlungsunvermögen – zu denken, wenn ein Geschäftsführer pflichtwidrig die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung herbeigeführt oder nicht abgewendet hätte. Die Strafbarkeit könnte auch damit begründet werden, dass der Geschäftsführer nach § 15a Abs 1 S 1 InsO die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hätte beantragen müssen und sich dadurch der Zwangslage hätte entziehen können.308 Weil die Stellung des Eröffnungsantrags die Pflicht aus § 28e Abs 1 S 1 SGB IV nicht entfallen lässt, müsste dann aber zusätzlich nachgewiesen werden, dass umgehend die vorläufige Insolvenzverwaltung und ein allg Verfügungsverbot angeordnet oder das Insolvenzverfahren eröffnet worden wäre.309

_____ 304 Vgl zu Letzterem Bittmann wistra 2004, 327, 329. 305 BGH (Z) NJW 2009, 295; ZIP 2010, 368, 369. 306 Mit anderem Ansatz, aber ähnlichem Ergebnis Hoyer FS Reuter S 541, 552. 307 Zutr die Einschätzung des OLG Hamburg (Z) ZIP 2007, 725, 727, „dass die betreffenden Mittel im Fall einer Fortführung des insolvenzreifen Unternehmens an andere, nicht bevorrechtigte Einzelgläubiger fließen“. 308 So BGH NJW 2005, 3650, 3652; OLG Dresden (Z) ZIP 1997, 1428, 1429; OLG Hamburg (Z) ZIP 2007, 725, 727; Brückl/Kersten NZI 2001, 288, 293; Gross/Schork NZI 2004, 358, 362; Schröder/Faust GmbHR 2005, 1422, 1424. Krit Kutzner NJW 2006, 413, 414 f; Rönnau wistra 2007, 81, 84; Pelz Rn 509; Wüchner S 121. 309 Vgl OLG Celle NStZ-RR 1997, 324, 325; Kutzner NJW 2006, 413, 415; Rönnau wistra 2007, 81, 84; Heinze DZWIR 2009, 244, 247.

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§ 21 Vorenth. v SozVers-Beitr. u. Veruntreuen v Arbeitsentg., § 266a StGB | 1027

c) Vorläufige Insolvenzverwaltung, Insolvenzverfahren Allein der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, gleich ob vom Arbeitgeber als 129 Schuldner oder von einem Gläubiger gestellt, lässt die Pflicht aus § 28e Abs 1 S 1 SGB IV zur Zahlung der bereits fälligen und der fällig werdenden Beiträge noch nicht entfallen.310 Auch durch die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung und Bestellung eines starken vorläufigen Verwalters ändert sich an der Zahlungspflicht nichts.311 Es ist nicht gerechtfertigt, das von einem vorläufigen Verwalter geführte Unternehmen im Wettbewerb zu begünstigen, indem die Sozialversicherungsbeiträge als Aufwand außer Ansatz bleiben können.312 Das gilt in gleicher Weise für einen Arbeitgeber, dem nach Stellung des Eröffnungsantrags nur ein vorläufiger Sachwalter gem § 270a Abs 1 S 2 InsO zur Seite gestellt wird.313 Auch der künftige Rang der Beitragsforderungen im eröffneten Verfahren – dazu sogleich – wirkt sich nicht auf die Zahlungspflicht während der Dauer der vorläufigen Insolvenzverwaltung aus. Und schließlich ist es für die Zahlungspflicht unerheblich, ob die vorläufige Insolvenzverwaltung in den dreimonatigen Insolvenzgeldzeitraum des § 165 Abs 1 SGB III fällt.314 Denn wie sich aus § 175 Abs 2 S 1 SGB III ergibt, entfällt die Pflicht zur Zahlung der Sozialversichungsbeiträge gerade nicht dadurch, dass die Bundesagentur für Arbeit die im Insolvenzgeldzeitraum entstandenen Beiträge an die Einzugsstelle zahlt. Sozialversicherungsbeiträge, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entste- 130 hen, sind Masseverbindlichkeiten iSd § 55 Abs 1 Nr 1 oder 2 InsO,315 und zwar unabhängig davon, ob die Arbeitsleistung der Arbeitnehmer in Anspruch genommen wird oder nicht.316 Weil Masseverbindlichkeiten gem § 53 InsO vorweg zu berichtigen sind, muss der Zahlungspflicht aus § 28e Abs 1 S 1 SGB IV hinsichtlich dieser Beiträge nachgekommen werden.317 Dagegen sind die vor Verfahrenseröffnung entstandenen Sozialversicherungsbeiträge im eröffneten Insolvenzverfahren grundsätzlich nur einfache Insolvenz-

_____ 310 OLG Dresden (Z) NJW-RR 2000, 1199, 1200; Laroche/Wollenweber ZInsO 2016, 2225, 2227; Rönnau wistra 2007, 81, 84; Wüchner S 121; aA AG Hamburg (Z) ZInsO 2014, 2390. Für Straflosigkeit ab Antragstellung jedoch G/J/W/Wiedner Rn 54 zu § 266a; M/R/Matt Rn 53 zu § 266a; Brückl/Kersten NJW 2003, 272, 273. 311 LG Berlin, 7.3.2016 – 536 Qs 13/15; Pelz Rn 676; Branz S 134; Laroche/Wollenweber ZInsO 2016, 2225, 2228; Buchalik/Kraus ZInsO 2014, 2354, 2355; grundsätzlich ebenso Richter NZI 2002, 121, 126. Pape/ Graeber/Laws Rn 3/1156 geht zwar von einer Zahlungspflicht des vorläufigen Verwalters gem § 28e Abs 1 SGB IV aus, lehnt aber deren Vorrang ab. Gegen eine Zahlungspflicht des vorläufigen Verwalters Biermann S 146, 161 f; Dupper/Petzsche wistra 2016, 294 ff. Für Unzumutbarkeit der Zahlung Schäferhoff/Gerster ZIP 2001, 905, 909 f. Zum Ganzen auch Röpke/Rothe NZI 2004, 430, 432 f. 312 Vgl Richter NZI 2002, 121, 127. Schon durch das Insolvenzgeld und dessen Vorfinanzierung kommt es zu einer Wettbewerbsverzerrung. 313 Zutr für eine Zahlungspflicht des Arbeitgebers in diesem Verfahrensabschnitt Lau DB 2014, 1417, 1422; Buchalik/Kraus ZInsO 2014, 2354, 2356; dagegen AG Hamburg (Z) ZInsO 2014, 2390. Hunsalzer ZInsO 2014, 1748, 1753, sieht die Zahlung des Arbeitnehmeranteils als „faktisch unmöglich und unzumutbar“ an, hält aber – wegen fehlender Rspr zu der Frage – auch die Zahlung und spätere Anfechtung für zulässig. 314 Gegen eine Zahlungspflicht im Insolvenzgeldzeitraum Richter NZI 2002, 121, 126. Einschr Pape/ Graeber/Laws Rn 3/1153, der im Insolvenzgeldzeitraum lediglich den Vorrang der Zahlungspflicht aus § 28e Abs 1 SGB IV verneint. Für Straflosigkeit im Insolvenzgeldzeitraum HambK/Borchardt Rn 26 zu § 266a StGB; Röpke/Rothe NZI 2004, 430, 433. 315 Die Abgrenzung richtet sich danach, ob das Beschäftigungsverhältnis nach (Nr 1) oder vor (Nr 2) Verfahrenseröffnung begründet wurde. 316 BHZ (Z) NJW 2016, 2572. 317 Vgl Pape/Graeber/Laws Rn 3/1104; Biermann S 138 f. HambK/Borchardt Rn 27 zu § 266a StGB hält ausnahmsweise eine Rechtfertigung des Vorenthaltens aufgrund der Betriebserhaltungs- und Fortführungspflicht des Verwalters für möglich. Zutr für Zahlungspflicht bei Anordnung der Eigenverwaltung Buchalik/Kraus ZInsO 2014, 2354, 2358.

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1028 | 3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften

forderungen iSd § 38 InsO und dürfen erst im Rahmen der Verteilung nach §§ 188 ff InsO befriedigt werden.318 Insoweit ruht die Zahlungspflicht aus § 28e Abs 1 S 1 SGB IV bis zur Verteilung bzw Einstellung oder Aufhebung des Insolvenzverfahrens. Eine Ausnahme besteht für Beiträge, die zwar nach der Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots aber außerhalb des Insolvenzgeldzeitraums entstanden sind.319 Insoweit handelt es sich gem § 55 Abs 2 und 3 S 2 InsO nicht um Insolvenzforderungen, sondern um vorweg zu berichtigende Masseverbindlichkeiten.320 Masseverbindlichkeiten sind unter den Voraussetzungen des § 270b Abs 3 InsO auch die ohne Anordnung der vorläufigen Verwaltung im Eröffnungsverfahren entstandenen Beiträge. Bei Freigabe der selbständigen Tätigkeit durch den Insolvenzverwalter gem § 35 Abs 2 S 1 InsO nehmen die nach der Freigabe entstehenden Beiträge nicht am Insolvenzverfahren Teil. Der Arbeitgeber ist insoweit ohne Einschränkungen nach § 28e Abs 1 S 1 SGB IV zur Zahlung verpflichtet.

10. Vorsatz 131 Strafbar ist nur die vorsätzliche Verwirklichung des § 266a StGB. Ausreichend ist be-

dingter Vorsatz.321 Fahrlässigkeit kann die Strafbarkeit nicht begründen, aber in Fällen interner Zuständigkeitsregelung oder Delegation mitunter als Verletzung der Aufsichtspflicht nach § 130 Abs 1 OWiG geahndet werden. 132 Der Vorsatz muss sich jedenfalls auf die tatsächlichen Umstände beziehen, aus denen sich die Pflicht zur Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen ergibt.322 Wird dem Arbeitgeber hinsichtlich seines Zahlungsunvermögens ein Vorverschulden vorgeworfen, muss für den Zeitpunkt, zu dem das Zahlungsunvermögen herbeigeführt worden ist bzw noch hätte abgewendet werden können, festgestellt werden, dass der Arbeitgeber zumindest bedingten Vorsatz bezüglich des späteren Zahlungsunvermögens bei Fälligkeit – als Folge seines Verhaltens – hatte.323 Ist die Erfüllung der sozialversicherungsrechtlichen Pflichten durch eine interne Zuständigkeitsregelung oder Delegation einem anderen zugewiesen, muss der Vorsatz sich auf die Umstände beziehen, die das Einschreiten gebieten, insbes auf die Zahlungsschwierigkeiten oder die Unzuverlässigkeit des anderen.324

_____ 318 Ebenso Pelz Rn 676. Das sog Konkursvorrecht der Einzgusstellen aus § 61 Abs 1 Nr 1 Buchst e KO, dh die bevorzugte Befriedigung hinsichtlich der offenen Beiträge für das letzte Jahr vor Verfahrenseröffnung, ist mit der InsO weggefallen. 319 Das Insolvenzverfahren müsste zB erst mehr als drei Monate nach Anordnung des allgemeinen Verfügungsverbots eröffnet werden, was unwahrscheinlich ist. 320 Gerade wegen dieser Rechtsfolge wird der vorläufige Verwalter darauf hinarbeiten, dass die Dauer des allgemeinen Verfügungsverbots drei Monate nicht übersteigt. 321 Allg A, vgl nur BGH NJW 2002, 2480, 2482; OLG Düsseldorf StV 2009, 193, 194; BGH (Z) NJW 1992, 177, 178; 1997, 130, 132 f; 1237, 1239; 2001, 967, 969; 969, 970; 2002, 1122, 1123; ZIP 2008, 1275, 1276. 322 OLG Hamburg (Z) ZIP 2007, 725, 727; MK/Radtke Rn 90 zu § 266a; G/J/W/Wiedner Rn 79 zu § 266a; M-G/Thul Rn 38/171; S/S/Perron Rn 17 zu § 266a; Lackner/Kühl/Kühl Rn 16 zu § 266a. Zur – zu verneinenden – Frage, ob der Vorsatz sich auch auf die Zahlungspflicht (aus § 28e SGB IV) beziehen muss vgl Meyer NZWiSt 2015, 169, 170 mwN. 323 Vgl BGH NJW 2002, 2480, 2482; BGH NJW (Z) 1997, 1237, 1239; 2002, 1123, 1125; LK/Möhrenschlager Rn 79 zu § 266a; MK/Radtke Rn 92 zu § 266a; G/J/W/Wiedner Rn 79 zu § 266a; M-G/Thul Rn 38/172; M/R/ Matt Rn 63 zu § 266a; Fischer Rn 23 zu § 266a; SK/Hoyer Rn 52 zu § 266a; NK/Tag Rn 80 zu § 266a; W/J/Pelz Rn 9/291; Pelz Rn 530; G/K/R/Gercke Rn 2/74; Raum FS Tolksdorf, S 355, 357; Thum/Selzer wistra 2011, 290, 294; Meyer NZWiSt 2015, 169, 172. 324 BGH (Z) NJW 1997, 130, 133; 2001, 969, 971; ZIP 2016, 1283, 1285; OLG Brandenburg (Z), 31.3.2009 – 6 U 150/07, juris Tz 19; OLG Düsseldorf (Z) wistra 2015, 861, 864; G/J/W/Wiedner Rn 79, 81 zu § 266a; Kiethe ZIP 2003, 1957, 1964.

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§ 21 Vorenth. v SozVers-Beitr. u. Veruntreuen v Arbeitsentg., § 266a StGB | 1029

Die irrige Annahme von Umständen, bei deren tatsächlichem Vorliegen es an der 133 Tatbestandsmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit fehlen würde, schließt den Vorsatz aus. Das ist zB der Fall, wenn der Arbeitgeber davon ausgeht, die Einzugsstelle habe einem Stundungsantrag entsprochen, die Bank werde einen Scheck wie gewohnt einlösen,325 das Geschäftskonto weise ein für den vereinbarten Lastschrifteinzug ausreichendes Guthaben auf bzw eine Kreditlinie sei noch nicht ausgeschöpft,326 oder die Beitragszahlung sei von einem Angestellten bereits veranlasst worden. Anders liegt es, wenn bei voller Tatsachenkenntnis lediglich eine unzutr rechtliche 134 Beurteilung durch den Arbeitgeber erfolgt. Nach § 17 StGB berührt zwar die fehlende Unrechtseinsicht nicht den Vorsatz, sondern die Schuld, und führt nur bei Unvermeidbarkeit zur Straflosigkeit. Bei normativen Tatbestandsmerkmalen – hier: Arbeitgebereingeschaft, Einzugsstelle, Sozialversicherungsbeiträge und Vorenthalten – können sich aber unzutr Beurteilungen schon auf den Vorsatz auswirken. Denn insoweit verlangt der Vorsatz nicht allein die Kenntnis der tatsächlichen Umstände, sondern der Täter muss darüber hinaus (zumindest) im Wege einer „Parallelwertung in der Laiensphäre“ die soziale Bedeutung der Merkmale erfassen.327 Fehlt die Bedeutungskenntnis, fehlt auch der Vorsatz. Hat der Täter dagegen diese Bedeutungskenntnis, kommt bei einer unzutr rechtlichen Beurteilung allenfalls ein Gebotsirrtum iSd § 17 StGB in Betracht, der aber idR vermeidbar ist.328 In den Schwarzarbeitsfällen kann der Vorsatz bezüglich der Arbeitgebereigen- 135 schaft und der Höhe Sozialversicherungsbeiträge streitig sein. Kennt der Täter sämtliche seine Arbeitgeberstellung begründenden Umstände und nimmt dennoch an, nicht Arbeitgeber zu sein, liegt lediglich ein den Vorsatz nicht berührender Gebotsirrtum vor, sofern der Täter – wie regelmäßig – Bedeutungskenntnis hat.329 Ebenso verhält es sich bei Kenntnis der Umstände, die zur (Un-)Anwendbarkeit eines bestimmten Tarifvertrags führen und somit für die Höhe des beitragspflichtigen Arbeitsentgelts bestimmend sind.330 Bereits bedingte Unrechtseinsicht schließt einen Gebotsirrtum aus, erfordert jedoch, dass der Täter nicht nur mit der Möglichkeit rechtswidrigen Verhaltens rechnet, sondern diese Möglichkeit in derselben Weise wie beim bedingten Vorsatz in seinen Willen aufnimmt, also zumindest billigt.331 Die Einlassung, trotz rechtlicher Beratung einem Irrtum erlegen zu sein, schließt nicht ohne weiteres den Vorsatz oder die Schuld aus. Eine Beratung spricht eher dafür, dass die Strafbarkeit zunächst zumindest für möglich

_____ 325 BGH (Z) NJW 1992, 177, 178 f. 326 Das Vertrauen auf ausreichende Zahlungsmittel erst nach Eintritt der Fälligkeit ändert jedoch am Vorsatz nichts, vgl BGH (Z) NJW 1997, 130, 133. Nach BGH (Z) ZIP 1980, 430 f, soll vorsätzlich handeln, wer darauf vertraut, die Beiträge bei Fälligkeit aus einem Kredit zahlen zu können. 327 Vgl M-G/Thul Rn 38/231 f; NK/Tag Rn 81 zu § 266a; Weidemann wistra 2010, 463, 465; Bürger wistra 2016, 169, 172; Floeth NZS 2016, 771, 772 f. 328 Insoweit sind insbes die Beratungs- und Auskunftspflicht der Einzugsstellen (§§ 14, 15 SGB I) und das Anfrageverfahren (§ 7a SGB IV) zu berücksichtigen. 329 Vgl BGH NStZ 2010, 337; 2014, 321, 323; OLG Celle wistra 2014, 109, 110; G/J/W/Wiedner Rn 80 zu § 266a; M-G/Thul Rn 38/235; SK/Hoyer Rn 54 zu § 266a; S/S/Perron Rn 17 zu 266a; Weidemann wistra 2010, 463, 465. Die Frage ist nur, welche Anforderungen an die Bedeutungskenntnis zu stellen sind; überzogen LG Ravensburg StV 2007, 412, 413 f. Einschr Bürger wistra 2016, 169, 173, der Vorsatz bereits ablehnt, wenn der Arbeitgeber bei „vertretbarer laienhafter Bewertung“ zu dem Ergebnis kommt, der Tatbestand sei nicht erfüllt. Vgl auch die Anhaltspunkt zur Abgrenzung von bewuster Fahrlässigkeit und bedingtem Vorsatz bei Floeth NZS 2016, 771, 773 f. 330 Zum Vorsatz in Fällen unwirksamer Tarifverträge (CGZP-Fälle) Park/Riederer Frfr v Paar/Schüren NJW 2008, 3670, 3675. 331 Vgl BGH NStZ 2016, 460, 462.

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1030 | 3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften

gehalten wurde.332 Die Frage ist dann, welche Auswirkungen die Beratung auf das Vorstellungsbild hatte, was sich insbes an Änderungen in den Abläufen, bei den Vertragsgestaltungen usw zeigt.333 Weil die sozialversicherungsrechtlichen Pflichten aus den tatsächlichen Gegebenheiten folgen, deuten ausgefallene Gestaltungen zB in Bezug auf die Arbeitgeberstellung oder die Höhe des beitragspflichtigen Arbeitsentgelts weniger auf Tatsachen-, Bedeutungs- oder Rechtsirrtümer, sondern vielmehr auf gezielte Verschleierung und somit Vorsatz hin.334 Wer als Arbeitgeber einem langjährig für ihn tätigen Rechtsanwalt nicht die maßgeblichen tatsächlichen Umstände zur Beschäftigung von Scheinselbständigen mitteilt und auch nicht mit der Beratung zur Frage der Arbeitgebereigenschaft beauftragt, so dass der Rechtsanwalt untätig bleibt, kann sich weder auf einen vermeidbaren Verbotsirrtum berufen noch wirkt sich das Untätigbleiben des Rechtsanwalts strafmildernd aus.335 Dagegen werden in den Insolvenzfällen immer wieder Irrtümer in Bezug auf die Fäl136 ligkeit und die Verrechnung von Zahlungen eingewandt. Einzugsstellen pflegen jedoch zeitnah durch (automatisierte) Schreiben an die Zahlung der Beiträge zu erinnern. Bei Geltendmachung von Säumniszuschlägen ist für den Arbeitgeber auch unschwer zu erkennen, dass keine Stundung erfolgt ist. Ob die irrtümliche Annahme einer Stundung den Vorsatz ausschließt,336 kann daher meist offenbleiben. Das Vertrauen auf die Gewährung einer beantragten Stundung führt ohnehin nur zu einem Gebotsirrtum.337 Zahlungserinnerungen und Vollstreckungsankündigungen der Einzugsstellen und Hauptzollämter lässt sich entnehmen, wie Zahlungen verrechnet wurden bzw werden sollen,338 so dass auch insoweit ein Tatbestandsirrtum eher fernliegt. Ein Irrtum über die Erforderlichkeit von Maßnahmen zur Herstellung bzw Aufrechterhaltung des Zahlungsvermögens steht der Annahme zumindest bedingten Vorsatzes nicht entgegen, wenn es bereits zuvor zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist,339 insbes wenn sich das Vorenthalten – einschließlich „nur“ verspäteter Zahlungen – über mehrere Monate erstreckt. Die Unkenntnis vom Vorrang der Arbeitnehmeranteile vor anderen Verbindlichkeiten stellt einen bloßen Gebotsirrtum dar.340 Wird im Fall einer internen Zuständigkeitsregelung oder Delegation aus Zahlungsschwierigkeiten, Unregelmäßigkeiten oder Unzuverlässigkeit nicht der zutreffende Schluss gezogen, einschreiten zu müssen, liegt darin nur ein Gebotsirrtum.341 Dass

_____ 332 Ähnlich M-G/Thul Rn 38/243. 333 Vgl auch LG Oldenburg wistra 1995, 321, 322; M-G/Thul Rn 38/242. 334 Ähnlich zu § 370 AO BGH NStZ 2012, 160, 162. 335 Vgl BGH NJW 2014, 1975, 1977 f. 336 So OLG Frankfurt/Main (Z) ZIP 1995, 213, 218; LK/Möhrenschlager Rn 80 zu § 266a; AnwK/Esser Rn 87b zu § 266a; M/R/Matt Rn 63 zu § 266a; Fischer Rn 23 zu § 266a; I/M/Pananis Rn 6/38; Pelz Rn 531; G/K/R/Gercke Rn 2/76; Gercke/Leimenstoll HRRS 2009, 442, 448; Meyer NZWiSt 2015, 169, 172. Richtigerweise handelt es sich nur um einen Gebotsirrtum, wenn eine Erklärung der Einzugsstelle als Stundung fehlgedeutet wird. Wie hier OLG Hamburg (Z) ZIP 2007, 725, 728; G/J/W/Wiedner Rn 81 zu § 266a. 337 BGH (Z) NJW 1997, 130, 133; aA vorinstanzlich OLG Frankfurt/Main (Z) ZIP 1995, 213, 217 f. 338 Zutreffend, aber praxisfern daher BGH (Z) NJW 2002, 1122, 1123, wonach der Vorsatz fehlt, wenn dem Arbeitgeber die Kündigung einer Ratenzahlungsvereinbarung nicht bekannt und daher die Verrechnung geleisteter Zahlungen mit Rückständen nicht bewusst ist. 339 BGH (Z) NJW 1997, 1237, 1239. 340 OLG Dresden (Z) NJW-RR 2000, 1199, 1201; G/J/W/Wiedner Rn 81 zu § 266a; S/S/Perron Rn 17 zu § 266a; SK/Hoyer Rn 56 zu § 266a. 341 Vgl BGH NJW 2002, 2480, 2482; BGH (Z) NJW 1997, 130, 133; 1237, 1239; 2001, 969, 971; ZIP 2008, 1275, 1276; OLG Frankfurt/Main (Z) GmbHR 2009, 939, 940; OLG Düsseldorf (Z) wistra 2015, 861, 864; G/J/W/ Wiedner Rn 81 zu § 266a; M-G/Thul Rn 38/174.

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§ 21 Vorenth. v SozVers-Beitr. u. Veruntreuen v Arbeitsentg., § 266a StGB | 1031

ein Strohmann einem anderen die Geschäftsführung überlässt und auf Überwachung verzichtet, spricht für zumindest bedingten Vorsatz.342

11. Vollendung, Beendigung, Verjährung Eine Tat nach § 266a Abs 1 oder 2 StGB ist vollendet, sobald sämtliche Merkmale des 137 objektiven und subjektiven Tatbestands verwirklicht sind. Meist tritt Vollendung bereits ein mit Ablauf des Tages, an dem der Sozialversicherungsbeitrag fällig wird. Fehlt zu diesem Zeitpunkt ausnahmsweise der Vorsatz hinsichtlich eines Tatbestandsmerkmals, ist die Tat erst mit nachträglicher Kenntniserlangung vollendet, sofern der objektive Tatbestand dann noch erfüllt ist. Eine Tat nach § 266a Abs 1 StGB ist beendet, sobald die Pflicht zur Zahlung des Bei- 138 trags entfällt.343 Auch bei § 266a Abs 2 StGB ist auf das Entfallen der Beitragspflicht abzustellen,344 so dass allein die Berichtigung oder Nachholung einer Meldung bzw eines Beitragsnachweises noch nicht zur Beendigung führt. Die Rspr zu § 370 AO im Fall der Nichtabgabe einer Umsatzsteuererklärung, nämlich Beendigung schon bei Fälligkeit,345 kann nicht auf § 266a Abs 1 oder 2 StGB übertragen werden,346 da es sich bei § 370 AO nicht um ein Dauerdelikt handelt. Beendigung tritt demnach insbes ein, sobald die Beitragsschuld erlischt,347 zB 139 durch Zahlung. Die Verjährung der Beitragsschuld führt zwar ebenfalls zur Beendigung, allerdings verjähren vorsätzlich vorenthaltene Beiträge gem § 25 Abs 1 S 2 SGB IV erst 30 Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind.348 Auch die Niederschlagung oder der Erlass gem § 76 Abs 2 S 1 Nr 2 bzw 3 SGB IV haben praktisch keine Bedeutung. Häufig ist demgegenüber die Tatbeendigung durch endgültige Unmöglichkeit der Beitragszahlung.349 Das gilt insbes, wenn der Täter, dem die Arbeitgebereigenschaft gem § 14 StGB zugerechnet wird, diese Stellung verliert.350 Das bloße Zahlungsunvermögen beendet eine Tat jedoch noch nicht.351 Zur Tatbeendigung wegen Unmöglichkeit kommt es auch mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens.352 Schließlich beendet der Wegfall des Bei-

_____ 342 Vgl M-G/Thul Rn 38/174; W/J/Pelz Rn 9/289; aA OLG Brandenburg (Z), 31.3.2009 – 6 U 150/07, juris Tz 19. 343 BGH wistra 1992, 23; NJW 2009, 157, 160; wistra 2010, 408, 409; NStZ 2012, 510, 511; OLG Jena NStZRR 2006, 170; OLG Dresden NStZ 2011, 163; G/J/W/Wiedner Rn 84 zu § 266a; M-G/Thul Rn 38/277; S/S/ Perron Rn 31 zu § 266a; W/J/Richtarsky Rn 19/78; BeckOK/Wittig Rn 31 zu § 266a; Thum/Selzer wistra 2011, 290, 294; Metz NStZ-RR 2013, 297. 344 BGH wistra 2010, 408, 409; G/J/W/Wiedner Rn 84 zu § 266a; S/S/Perron Rn 31 zu § 266a; W/J/ Richtarsky Rn 19/78; Metz NStZ-RR 2013, 297 f. Bezogen auf § 266a Abs 2 Nr 2 StGB auch BGH NStZ 2012, 510, 511. 345 BGH wistra 2009, 189, 190; NJW 2009, 2546 f. 346 So aber LK/Möhrenschlager Rn 114 zu § 266a; Bachmann FS Samson, S 233, 237 ff; Reichling/Winsel JZ 2014, 331, 341; iE auch A/R/R/Gercke Rn 12/2/79. Wie hier demgegenüber MK/Radtke Rn 117 zu § 266a. 347 BGH wistra 1992, 23; NJW 2009, 157, 160; NStZ 2012, 510, 511; OLG Jena NStZ-RR 2006, 170; OLG Dresden NStZ 2011, 163; MK/Radtke Rn 116 zu § 266a; G/J/W/Wiedner Rn 84 zu § 266a; M-G/Thul Rn 38/278; Fischer Rn 21b zu § 266a. 348 Vgl dazu OLG Jena NStZ-RR 2006, 170. 349 OLG Dresden NStZ 2011, 163; S/S/Perron Rn 31 zu § 266a; Hüls/Reichling StraFo 2011, 305, 306. 350 BGH wistra 2014, 180, 182; OLG Jena NStZ-RR 2006, 170; OLG Dresden NStZ 2011, 163; MK/Radtke Rn 116 zu § 266a; AnwK/Esser Rn 111 zu § 266a; G/J/W/Wiedner Rn 84 zu § 266a; S/S/Perron Rn 31 zu § 266a; Hüls/Reichling StraFo 2011, 305, 306. 351 OLG Jena NStZ-RR 2006, 170. 352 OLG Dresden NStZ 2011, 163; KG, 30.1.2015 – 4 Ws 3/15; MK/Radtke Rn 116 zu § 266a; AnwK/Esser Rn 111 zu § 266a; G/J/W/Wiedner Rn 84 zu § 266a; Hüls/Reichling StraFo 2011, 305, 306. Einschränkend

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1032 | 3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften

tragsschuldners eine Tat.353 Dazu ist bei juristischen Personen auf deren Vollbeendigung abzustellen, nicht allein auf die Auflösung oder Löschung im Handelsregister.354 Ein Anwendungsfall ist die Löschung einer GmbH wegen Vermögenslosigkeit nach Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse. 140 Spätestens mit der Verurteilung ist eine Tat beendet.355 Allerdings würde in der Verurteilung zugleich eine Zäsur liegen, so dass das andauernde Vorenthalten desselben Beitrags nach der Verurteilung als neue Tat im prozessualen Sinn anzusehen wäre.356 Beschränkt sich jedoch das Vorenthalten auf das bloße Nichtzahlen aufgrund eines einmal gefassten Entschlusses, ist eine Zäsur zu verneinen, so dass wegen des andauernden Vorenthaltens eine erneute Verurteilung ausgeschlossen ist.357 Wird dagegen über das bloße Nichtzahlen hinaus, zB durch unrichtige Angaben, die Durchsetzung des Beitragsanspruchs zu vereiteln versucht, so ist von einer Zäsurwirkung der Verurteilung und anschließend von einer neuen Tat im prozessualen Sinn auszugehen. 141 Mit Beendigung der Tat beginnt die Verjährung,358 die hier gem § 78 Abs 3 Nr 4 StGB nach fünf Jahren eintritt. Gelegentlich werden bei der Auswertung von Insolvenzakten von früheren Einzelunternehmern Taten nach § 266a Abs 1 StGB bekannt, die seit deutlich mehr als fünf Jahren vollendet sind, deren Verfolgung aber mangels Beendigung noch nicht verjährt ist. In solchen Einzelfällen muss das ungewöhnlich lange Zurückliegen der Vollendung bei der Strafzumessung oder durch großzügige Anwendung des § 153 StPO berücksichtigt werden.359

12. Absehen von Strafe und Straffreiheit (Abs 6) 142 § 266a Abs 6 StGB regelt, unter welchen Voraussetzungen von Strafe abgesehen werden

kann (S 1) bzw ein Strafaufhebungsgrund vorliegt (S 2). Erforderlich ist jedenfalls, dass der Arbeitgeber „spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach der Einzugsstelle schriftlich die Höhe der vorenthaltenen Beiträge mitteilt und darlegt, warum die fristgemäße Zahlung nicht möglich ist, obwohl er sich darum ernsthaft bemüht hat“. Für den Strafaufhebungsgrund müssen darüber hinaus die vorenthaltenen Beiträge innerhalb einer von der Einzugsstelle gesetzten angemessenen Frist gezahlt werden.

_____ M-G/Thul Rn 38/277c, der Beendigung bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer natürlichen Person ablehnt, sofern die Beiträge nicht von der Restschuldbefreiung erfasst werden. 353 BGH wistra 1992, 23; NJW 2009, 157, 160; wistra 2010, 408, 409; NStZ 2012, 510, 511; OLG Jena NStZRR 2006, 170; OLG Dresden NStZ 2011, 163; MK/Radtke Rn 116 zu § 266a; G/J/W/Wiedner Rn 84 zu § 266a; S/S/Perron Rn 31 zu § 266a. 354 M-G/Thul Rn 38/278a. Ungenau BGH wistra 2010, 408, 409 (Löschung im Handelsregister). Mit Löschung der juristischen Person im Handelsregister verliert jedoch der letzte organschaftliche Vertreter auch bei noch vorhandenem Vermögen sein Amt, so dass sein Vorenthalten aus diesem Grund beendet ist, sofern er nicht als faktisches Organ weiterwirkt. 355 Vgl M-G/Thul Rn 38/296 f. 356 Allerdings geht der Senat für Wirtschaftsprüfersachen beim BGH von Strafklageverbrauch aus und setzt den Fall mit der andauernden Nichtabgabe einer Steuererklärung gleich, vgl NJW 2012, 3251, 3254. Diese Gleichsetzung überzeugt jedoch nicht. 357 So zur andauernden Insolvenzverschleppung nach einer Einstellung gem § 153a StPO OLG München, wistra 2013, 73 f; KG, 20.12.2007 – (1) 1 Ss 46/07 (9/07); dagegen Weyand ZInsO 2013, 737 f; Ebner NZWiSt 2013, 356 f; Kring wistra 2013, 257 ff; einschr OLG Hamm wistra 2014, 156. 358 Für Verjährungsbeginn mit Vollendung jedoch Bittmann Voraufl Rn 21/103; Reichling/Winsel JZ 2014, 331, 341; Hüls/Reichling StraFo 2011, 305, 308. 359 Dies zumal die Verfolgung ähnlich lange zurückliegender Taten von GmbH-Geschäftsführern vielfach bereits verjährt wäre.

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§ 21 Vorenth. v SozVers-Beitr. u. Veruntreuen v Arbeitsentg., § 266a StGB | 1033

§ 266a Abs 6 StGB hat in der Praxis keine Bedeutung.360 Das hat verschiedene Grün- 143 de. Zum einen steht dem Täter hier – anders als für eine strafbefreiende Selbstanzeige nach § 371 AO – von vornherein nur ein sehr enges Zeitfenster für die Mitteilung an die Einzugsstelle offen. Späte Reue hilft also nicht. In den Schwarzarbeitsfällen liegt es zudem fern, dass der Täter einerseits gegenüber der Einzugsstelle unrichtige Angaben macht bzw sie in Unkenntnis lässt, ihr aber andererseits zeitnah eine Mitteilung macht. Der Anwendungsbereich des § 266a Abs 6 StGB beschränkt sich also auf die Insolvenzfälle und insoweit auf die Fälle des vorsätzlich herbeigeführten Zahlungsunvermögens.361 Es ist jedoch kaum zu erwarten, dass der Täter der Einzugsstelle freiwillig die Umstände offenlegt, die seine Strafbarkeit nach § 266a Abs 1 StGB erst begründen, zumal diese Umstände auch auf Straftaten nach § 15a Abs 4 InsO, §§ 266, 283 Abs 1 Nr 1, Abs 2, 283c Abs 1 StGB schließen lassen können. Schließlich hat nur derjenige Veranlassung für eine Mitteilung nach § 266a Abs 6 StGB, der diese fragwürdige Vorschrift überhaupt kennt. Falls die Voraussetzungen des § 266a Abs 6 StGB ausnahmsweise doch vorliegen,362 144 gilt Folgendes: In den Fällen des § 266a Abs 6 S 1 StGB steht es im Ermessen des Gerichts, von Strafe abzusehen, dh ohne Rechtsfolgenausspruch schuldig zu sprechen. Näher liegt es dann jedoch, das Verfahren bereits gem § 153b Abs 1 bzw 2 StPO einzustellen. Demgegenüber enthält § 266a Abs 6 S 2 StGB in Anlehnung an § 371 Abs 3 AO363 einen zwingenden Strafaufhebungsgrund, so dass eine Einstellung gem § 170 Abs 2 StPO bzw ein Freispruch zu erfolgen hat.

13. Rechtsfolgen a) Strafe § 266a Abs 1 und 2 StGB droht für jede Tat Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahre oder Geldstrafe 145 an. Bei der Bestimmung des Strafrahmens für Teilnehmer ist zu beachten, dass die Ar- 146 beitgebereigenschaft bei § 266a Abs 1 und 2 StGB zwar ein besonderes persönliches Merkmal iSd § 14 StGB ist, aber nicht iSd § 28 Abs 1 StGB.364 Von § 28 Abs 1 StGB werden nur täterbezogene persönliche Merkmale erfasst, welche durch eine vorrechtliche Pflichtenstellung oder eine besondere Pflichtenstellung höchstpersönlicher Art gekennzeichnet sind, nicht tatbezogenepersönliche Merkmale.365 Das Tatbestandsmerkmal „Arbeitgeber“ in § 266a Abs 1 und 2 StGB greift die durch §§ 28a, 28e, 28g SGB IV begründete Stellung des

_____ 360 § 266a Abs 6 StGB gibt auch keinen Anlass, über Einstellungen nach §§ 153 ff StPO zu „verhandeln“. So aber Fischer Rn 30 zu § 266a; AnwK/Esser Rn 98 zu § 266a. 361 Vgl BTDrs 10/318, 26 (Zahlung der vollen Nettoarbeitsentgelte, statt der Sozialversicherungsbeiträge, um die Einstellung des Geschäftsbetriebs zu verhindern); LK/Möhrenschlager Rn 98 zu § 266a; Fischer Rn 31 zu § 266a; für ein weite(re) Auslegung MK/Radtke Rn 119 zu § 266a; G/J/W/Wiedner Rn 103 zu § 266a. 362 Zu den Voraussetzungen iE LK/Möhrenschlager Rn 98 ff zu § 266a; MK/Radtke Rn 122 ff zu § 266a; G/J/W/Wiedner Rn 100 ff zu § 266a. 363 Vgl BTDrs 10/318, 26. 364 Ebenso S/S/Perron Rn 20 zu § 266a; M/S/M/Maiwald Rn 45/66; aA BGH NJW 2011, 2526; 6.3.2013 – 5 StR 66/13, juris; LK/Möhrenschlager Rn 82 zu § 266a; MK/Radtke Rn 98 zu § 266a; G/J/W/Wiedner Rn 86 zu § 266a; M/R/Matt Rn 68 zu § 266a; AnwK/Esser Rn 103 zu § 266a; Fischer Rn 3 zu § 266a; NK/Tag Rn 18 zu § 266a; SK/Hoyer Rn 18 zu § 266a; A/R/R/Gercke Rn 12/2/12; Erbs/Kohlhaas/Ambs Rn 5 zu § 266a; Lackner/Kühl/Kühl Rn 2 zu § 266a (anders noch in der 27. Aufl); Thum/Selzer wistra 2011, 290, 294 f; Metz NStZRR 2013, 297, 298; offen gelassen von BeckOK/Wittig Rn 33 zu § 266a. Auf BGH wistra 1984, 67, kann sich die Gegenansicht nicht stützen, vgl BGH NStZ 1995, 405, 406. 365 Vgl BGH NStZ 1995, 405 f.

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Arbeitgebers im Sozialversicherungssystem auf, die nicht höchstpersönlich ist. Dementspr hat der BGH zu § 370 Abs 1 Nr 2 AO ausgeführt, dass die Pflicht des Arbeitgebers zur Lohnsteueranmeldung kein täterbezogenes persönliches Merkmal sei, denn „[d]iese Pflicht knüpft an die nach sachlichen, nicht persönlichen Kriterien umschriebene Arbeitgeberstellung und an die einzubehaltende (nicht die tatsächlich einbehaltene) Lohnsteuer an“.366 Dass „der Arbeitgeber eine besondere sozialversicherungs- und arbeitsrechtliche Stellung innehat, die ihn einerseits zum Lohnabzug berechtigt und aus der andererseits die Pflicht zur Beitragsabführung resultiert“,367 passt bei § 266a Abs 2 StGB von vornherein nicht als Begründung für die Anwendung des § 28 Abs 1 StGB. Ohnehin würde es nicht zu einer doppelten Strafrahmenverschiebung kommen, wenn die Strafbarkeit (nur) als Gehilfe allein auf dem Fehlen der Arbeitgebereigenschaft beruht.368 Die Tatherrschaft kann sich nicht nur aus dem Machen unrichtiger Angaben gegenüber der Einzugsstelle ergeben, sondern aus der „gesamte[n] Organisation der Arbeitnehmertätigkeit, die letztlich die Grundlage für das Vorenthalten der Sozialversicherungsbeiträge bildet“.369 Bei Taten nach § 266a Abs 1 und 2 StGB besteht grundsätzlich keine Milderungsmög147 lichkeit durch einen Täter-Opfer-Auslgeich gem § 46a StGB. Eine Milderung nach § 46a Nr 1 StGB scheidet aus,370 weil der dafür erforderliche „kommunikative Prozess“ angesichts des geschützten Rechtsguts ausgeschlossen ist. Eine Milderung nach § 46a Nr 2 StGB wird nur ausnahmsweise in Betracht kommen, weil die bloße Nachzahlung der vorenthaltenen Beträge nicht ausreichend ist.371 Eine Milderung nach der Kronzeugenregelung des § 46b Abs 1 StGB kommt bei besonders schweren Fällen iSd § 266a Abs 4 StGB zwar in Betracht, allerdings ist die Hilfe zur Aufklärung weiterer Taten nach § 266a StGB nicht ausreichend, weil dessen Tatbestände nicht in der Aufzählung des § 100a Abs 2 StGB enthalten sind.372 148 Für die Strafzumessung hat das Ausmaß der Gefährdung des Anspruchs der Einzugsstelle wesentliche Bedeutung.373 Dementspr ist insbes auf die Höhe der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge und die Dauer des Vorenthaltens abzustellen.374 Einfluss hat auch, ob es sich um eine Einzeltat oder eine von vielen Taten bezüglich mehrerer (aufeinanderfolgender) Monate handelt.375 Strafmildernd ist zu berücksichtigen, wenn der Arbeitgeber für eine freiwillige 149 Krankenversicherung seiner scheinselbständigen Arbeitnehmer gem § 9 SGB V sorgt und die entspr Beiträge vom Arbeitsentgelt einbehält und abführt.376 Dass der Arbeitgeber

_____ 366 BGH NStZ 1995, 405. IE auch BGH NJW 2011, 2526. 367 So aber MK/Radtke Rn 98 zu § 266a. 368 Vgl BGH NJW 2011, 2526; 6.3.2013 – 5 StR 66/13, juris. 369 Vgl BGH, 6.3.2013 – 5 StR 66/13, juris. 370 Ebenso MK/Radtke Rn 106 zu § 266a; G/J/W/Wiedner Rn 89 zu § 266a StGB; aA OLG Dresden wistra 2001, 277 (§ 46a Nr 1 StGB bei vollständiger Schadenswiedergutmachung). Zur Unanwendbarkeit des § 46a Nr 1 StGB bei Taten nach § 370 AO vgl BGH NStZ 2001, 200, 201. 371 Zu § 370 AO vgl BGH wistra 2010, 152, 153; offen gelassen von BGH NStZ 2001, 200, 201. 372 Denkbar ist aber zB die Hilfe zur Aufklärung im Rahmen von Schwarzarbeit begangener bandenmäßiger Umsatzsteuerhinterziehung durch Verwendung von „Abdeckrechnungen“ (§ 370 Abs 1 und 3 S 2 Nr 5 AO). 373 BGH NStZ 2006, 227, 228. 374 BayObLG wistra 1999, 119, 120; KG, 8.1.2013 – (4) 121 Ss 210/12 (333/12), juris Tz 6; LK/Möhrenschlager Rn 83 zu § 266a; MK/Radtke Rn 104 zu § 266a; G/J/W/Wiedner Rn 88 f zu § 266a; S/S/Perron Rn 29 zu § 266a. 375 Vgl LK/Möhrenschlager Rn 83 zu § 266a; S/S/Perron Rn 29 zu § 266a. 376 BGH NStZ 2006, 227, 228; LK/Möhrenschlager Rn 83 zu § 266a; Fischer Rn 25 zu § 266a.

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sein Einzelunternehmen retten will und nicht aus Gewinnsucht handelt, stellt jedenfalls dann keinen besonderen Milderungsgrund dar, wenn er nicht auch seine Privatausgaben der wirtschaftlichen Schieflage des Unternehmens anpasst.377 Erlangt der Täter wegen nur teilweiser Erfüllung der Voraussetzungen des § 266a Abs 6 StGB keine Straffreiheit, so wirken sich seine dahingehenden Bemühungen dennoch strafmildernd aus.378 Bei einem Vorenthalten von Beiträgen für wenige Tage oder Wochen ohne Gefährdung der Ansprüche der Einzugsstellen wird – vorbehaltlich in der Person des Täters liegender Umstände, insbes einschlägiger Vorstrafen – regelmäßig eine Einstellung nach § 153 Abs 1 StPO erfolgen. Dass der Täter gem § 823 Abs 2 BGB iVm §§ 266a, 14 StGB ersatzpflichtig ist, kann grundsätzlich nicht strafmildernd berücksichtigt werden.379 Die Gewerbsmäßigkeit ist zwar kein Tatbestandsmerkmal des § 266a StGB, mit der Folge, dass sie gem § 46 Abs 3 StGB bei der Strafzumessung von vornherein unberücksichtigt bleiben müsste. Gleichwohl kann sie grundsätzlich nicht strafschärfend berücksichtigt werden.380 Denn die Fälligkeitsregelungen des Sozialversicherungsrechts führen regelmäßig zu einer wiederholten Begehung und das Vorenthalten zu einer Bereicherung des Arbeitgebers, so dass die Gewerbsmäßigkeit dem Tatbestand innewohnt. Nur wenn das gewerbsmäßige Vorenthalten nicht Begleiterscheinung, sondern gerade Ziel der Beschäftigung ist, kommt eine strafschärfende Berücksichtigung in Betracht.381 Strafschärfend wirken sich Verhaltensweisen aus, wie sie häufig die Schwarzarbeit begleiten, nämlich die Verletzung von Buchführungs- oder Aufzeichnungspflichten und die tateinheitliche Begehung von Ordnungswidrigkeiten zur Ermöglichung oder Verschleierung von Taten nach § 266a StGB.382 Gleiches gilt für das Zusammenwirken von Arbeitgeber und Arbeitnehmer.383 Zudem ist schon bei der Zumessung der Einzelstrafen nicht nur der jeweils durch die Einzeltaten verursachte Schaden entscheidend, sondern auch der durch eine Tatserie verursachte hohe Gesamtschaden in den Blick zu nehmen.384 IÜ kann die in den Schwarzarbeitsfällen übliche Verwirklichung des Abs 2 neben der des Abs 1 strafschärfend berücksichtigt werden.385 Dass die Beiträge gar nicht statt nur verspätet gezahlt worden sind, darf nicht strafschärfend berücksichtigt werden.386 Für besonderes schwere Fälle des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt sieht der zum 1.8.2002 in Kraft getretene § 266a Abs 4 StGB einen Strafrahmen von 6 Monaten bis zu 10 Jahren Freiheitsstrafe vor. Die in Abs 4 S 2 genannten drei Regelbeispiele besonders schwere Fälle, die unbenannte besonders schwere Fälle nicht ausschließen, lehnen sich an § 264 Abs 2 S 2 Nr 1 Alt 1, Nr 3 StGB, § 370 Abs 3 S 2 Nr 1, 3 und 4 AO (aF) an. Nr 1 (Vorenthalten von Beiträgen großen Ausmaßes aus grobem Eigennutz): Der grobe Eigennutz, bei dem es sich um ein besonderes persönliches Merkmal iSd § 28

_____ 377 Vgl BGH wistra 1984, 66, 67. 378 LK/Möhrenschlager Rn 83 zu § 266a; MK/Radtke Rn 106 zu § 266a; G/J/W/Wiedner Rn 89 zu § 266a; S/S/Perron Rn 29 zu § 266a. Zu weit geht es, bei wiederholten verspäteten Zahlungen strafmildernd zu berücksichtigen, dass die Einzugsstelle nicht auf die Möglichkeit des § 266a Abs 6 StGB hingewiesen hat; so aber BayObLG wistra 1999, 119, 120. 379 Vgl zur Haftung nach § 71 AO bei Steuerhinterziehung BGH wistra 2013, 67, 69. 380 BGH NStZ 2007, 527. 381 In diese Richtung auch G/J/W/Wiedner Rn 91 zu § 266a. 382 BGH wistra 2010, 148, 152; MK/Radtke Rn 105 zu § 266a. 383 BGH NStZ 2010, 216. Vgl auch AnwK/Esser Rn 90a zu § 266a: jedenfalls nicht entlastend. 384 BGH wistra 2013, 346, 347; KG, 30.1.2015 – 4 Ws 3/15. 385 BGH NStZ 2015, 648, 649; NStZ-RR 2016, 244, 245. 386 KG, 30.12.2015 – (1) 121 Ss 223/15 (30/15). Vielmehr wirkt sich ein nur verspätetes Zahlen strafmildernd aus.

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Abs 1 StGB handelt,387 ist gegeben, wenn der Täter sich vom Streben nach eigenem Vorteil in besonders anstößigem Maße leiten lässt.388 Am groben Eigennutz fehlt es, wenn wirtschaftliche Schwierigkeiten des Arbeitgebers das Vorenthalten bedingen,389 so dass sich der Anwendungsbereich des Regelbeispiels grundsätzlich auf Schwarzarbeit beschränkt. Das Zusammenwirken von Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei einvernehmlicher Schwarzarbeit spricht für groben Eigennutz.390 Wann vorenthaltene Beiträge ein großes Ausmaß erreichen, ist umstritten. Vereinzelt wird ein „Schaden in Millionenhöhe“ verlangt,391 während andere von 100.000 €392, von deutlich mehr als 50.000 €393, oder zutr – wie vom BGH zu vergleichbaren Regelbeispielen vertreten394– von 50.000 €395 ausgehen. Berücksichtigt man, dass bei § 266a StGB das Vorenthalten je Einzugsstelle und Monat eine Tat darstellt, so ist schon ein Betrag von 50.000 € je Tat nur selten zu erreichen. Nr 2 (Fortgesetztes Vorenthalten unter Verwendung nachgemachter oder ver154 fälschter Belege): Die Merkmale „nachgemacht“ und „verfälscht“ sind so auszulegen, wie „unecht“ und „verfälscht“ in § 267 StGB in Bezug auf Urkunden.396 Dh die Belege dürfen nicht von dem hergestellt worden sein, der ihnen als Aussteller zu entnehmen ist, weil dieser sie entweder gar nicht oder – wegen späterer unbefugter Veränderungen – nicht so ausgestellt hat. Die Herstellung oder Veränderung eines Belegs durch einen Dritten reicht für das Regelbeispiel nicht aus, wenn sie mit Kenntnis und Einverständnis der dem Beleg als Aussteller zu entnehmenden Person erfolgt.397 Ist ein Beleg lediglich inhaltlich unrichtig („schriftliche Lüge“), so ist er nicht nachgemacht oder verfälscht.398 In Betracht kommen insbes Rechnungen nicht bestehender oder unbeteiligter Unternehmen, die den Verbleib der tatsächlich für Schwarzlohnzahlungen verwendeten Beträge erklären sollen („Abdeckrechnungen“),399 aber auch gefälschte Kontoauszüge, die Zahlungen vortäuschen und Vollstreckungsmaßnahmen abwenden sollen. Dass die Belege ein unrichtiges Bild über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen ergeben müssen,400 ist zwar zutreffend, aber – wie das Beispiel der „Abdeckrechnungen“ zeigt – weit zu verstehen. Für

_____ 387 G/J/W/Wiedner Rn 94 zu § 266a; SK/Hoyer Rn 86 zu § 266a. 388 BGH NStZ 1990, 497; wistra 2013, 471, 472 (jeweils zu § 370 AO); wistra 1991, 106 (zu § 264 StGB); G/J/W/Wiedner Rn 94 zu § 266a; S/S/Perron Rn 29b zu § 266a. 389 Ähnlich LK/Möhrenschlager Rn 87 zu § 266a; MK/Radtke Rn 111 zu § 266a; S/S/Perron Rn 29b zu § 266a. 390 BGH NStZ 2010, 216; auch BeckOK/Wittig Rn 38 zu § 266a. 391 Ignor/Rixen NStZ 2002, 510, 512; BeckOK/Wittig Rn 38 zu § 266a; in diese Richtung auch NK/Tag Rn 100 zu § 266a. 392 MK/Radtke Rn 110 zu § 266a; G/J/W/Wiedner Rn 94 zu § 266a. 393 S/S/Perron Rn 29b zu § 266a. 394 Vgl BGH wistra 1991, 106 (zu § 264 Abs 2 S 2 Nr 1 StGB); NJW 2004, 169, 170 f (zu § 263 Abs 3 S 2 Nr 2 Alt 1 StGB); 2009, 528, 531 f (zu § 370 Abs 3 S 2 Nr 1 AO). 395 AnwK/Esser Rn 90 zu § 266a; SK/Hoyer Rn 85 zu § 266a; Lackner/Kühl/Kühl Rn 16b zu § 266a; Pelz Rn 535. 396 LK/Möhrenschlager Rn 89 zu § 266a; MK/Radtke Rn 112 zu § 266a; G/J/W/Wiedner Rn 96 zu § 266a; SK/Hoyer Rn 87 zu § 266a; BeckOK/Wittig Rn 39 zu § 266a; S/S/Perron Rn 29c zu § 266a; Erbs/Kohlhaas/ Ambs Rn 28 zu § 266a; I/M/Pananis Rn 6/41. 397 Erbs/Kohlhaas/Ambs Rn 28 zu § 266a. 398 Statt aller LK/Möhrenschlager Rn 89 zu § 266a. 399 AA wohl M-G/Thul Rn 38/284. Solche „Abdeckrechnungen“ erfüllen aber trotz inhaltlicher Unrichtigkeit dann nicht das Regelbeispiel, wenn sie tatsächlich von dem als Aussteller angegebenen Unternehmen oder mit dessen Einverständnis hergestellt worden sind. 400 So LK/Möhrenschlager Rn 89 zu § 266a; G/J/W/Wiedner Rn 96 zu § 266a; S/S/Perron Rn 29c zu § 266a; SK/Hoyer Rn 88 zu § 266a.

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die Verwendung der Belege ist es nicht ausreichend, sie zu den Geschäftsunterlagen zu nehmen oder die ausgewiesenen Beträge in den Handelsbüchern zu erfassen, vielmehr müssen die Belege gegenüber einem Dritten verwendet werden,401 zB gegenüber einer Einzugsstelle, einem Vollstreckungsbeamten oder einem Prüfer des Rentenversicherungsträgers.402 Dass der Dritte den Beleg zur Kenntnis nimmt, ist dagegen nicht erforderlich.403 Fortgesetztes Vorenthalten erfordert, dass mindestens zwei Taten begangen werden,404 nicht aber, dass bei jeder dieser Taten andere Belege verwendet werden oder dass überhaupt mehrmals Belege körperlich verwendet werden.405 Nr 3 (Ausnutzen der Mithilfe eines Amtsträgers, der seine Befugnisse oder seine 155 Stellung missbraucht): Erforderlich ist die Teilnahme (idR Beihilfe)406 eines Amtsträgers iSd § 11 Abs 1 Nr 2 StGB. Amtsträger sind zB die Bediensteten der Träger der gesetzlichen Sozialversicherung und der Hauptzollämter, gleich ob sie Beamte oder Angestellte sind. In Betracht kommen ferner Bedienstete von Behörden, die zwar nicht der Sozialversicherung zuzuordnen sind, deren Tätigkeiten oder Entscheidungen aber sozialversicherungsrechtlich erheblich sind.407 Der Amtsträger missbraucht seine Befugnisse, wenn er sich innerhalb seines Zuständigkeitsbereichs rechtswidrig verhält, und er missbraucht seine Stellung, wenn er sich außerhalb seines Zuständigkeitsbereichs, aber unter Ausnutzung der ihm durch sein Amt gegebenen Möglichkeiten, rechtswidrig verhält.408 Unerheblich ist, zu wessen Vorteil der Amtsträger tätig wird.409 Der Täter muss sich des vorsätzlichen Amtsmissbrauchs durch den Amtsträger bewusst sein.410 Einen unbenannten besonders schweren Fall hat der BGH bei einem Mindest- 156 schaden von 780.000 € durch eine einzelne Tat angenommen.411 Ein solcher soll auch bei einer bewussten und nachhaltigen Manipulation von Lohnunterlagen unter Verstoß gegen gesetzliche Aufzeichnungspflichten zum Zweck der Verschleierung von Schwarzarbeit „bei namhaften Hinterziehungsbeträgen“ naheliegen.412 Gewerbsmäßigkeit kann dagegen idR keinen unbenannten besonders schweren Fall begründen.413

_____ 401 LK/Möhrenschlager Rn 89 zu § 266a; Erbs/Kohlhaas/Ambs Rn 28 zu § 266a; I/M/Pananis Rn 6/41; BGH NJW 1983, 1072 (zu § 370 Abs 3 S 2 Nr 4 AO). 402 Enger G/J/W/Wiedner Rn 96 zu § 266a; MK/Radtke Rn 112 zu § 266a (gegenüber Einzugsstelle bzw den dort handelnden Personen). 403 LK/Möhrenschlager Rn 89 zu § 266a; G/J/W/Wiedner Rn 96 zu § 266a; S/S/Perron Rn 29c zu § 266a; wohl auch SK/Hoyer Rn 87 zu § 266a. 404 G/J/W/Wiedner Rn 96 zu § 266a; SK/Hoyer Rn 89 zu § 266a; S/S/Perron Rn 29c zu § 266a; Erbs/Kohlhaas/Ambs Rn 29 zu § 266a. 405 G/J/W/Wiedner Rn 96 zu § 266a; S/S/Perron Rn 29c zu § 266a; abweichend SK/Hoyer Rn 89 zu § 266a (ausreichend, wenn sich das mit der ersten Verwendung verbundene Risiko erneut niederschlägt); LK/ Möhrenschlager Rn 89 zu § 266a (bei dritter Tat Bezugnahme ausreichend). 406 Vgl LK/Möhrenschlager Rn 90 zu § 266a; MK/Radtke Rn 113 zu § 266a; G/J/W/Wiedner Rn 97 zu § 266a; SK/Hoyer Rn 91 zu § 266a; S/S/Perron Rn 29d zu § 266a. 407 Enger MK/Radtke Rn 113 zu § 266a („in die Abwicklung der Beitragsabführung einbezogen“). 408 G/J/W/Wiedner Rn 97 zu § 266a; SK/Hoyer Rn 90 zu § 266a. 409 Erbs/Kohlhaas/Ambs Rn 29 zu § 266a. 410 G/J/W/Wiedner Rn 97 zu § 266a; MK/Radtke Rn 113 zu § 266a; SK/Hoyer Rn 91 zu § 266a; Erbs/Kohlhaas/Ambs Rn 30 zu § 266a. 411 BGH, 20.12.2007 – 5 StR 481/07, juris Tz 8. 412 BGH wistra 2010, 148, 152. 413 BGH NStZ 2007, 527.

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b) Sonstige Folgen 157 Da es sich bei den Pflichten aus §§ 28a Abs 1, 28e Abs 1 SGB IV um mit dem Beruf oder

Gewerbe verbundene Pflichten handelt, kommt bei Verurteilung wegen einer Tat nach § 266a Abs 1 oder 2 StGB auch die Anordnung eines Berufsverbots gem § 70 StGB in Betracht.414 Ist der Arbeitgeber eine juristische Person, ein nicht rechtsfähiger Verein oder eine rechtsfähige Personengesellschaft, kann gem § 30 OWiG eine Geldbuße gegen den Arbeitgeber festgesetzt werden, sofern ein Vertreter oder Beauftragter des Arbeitgebers sich durch Vorenthalten der vom Arbeitgeber geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge nach § 266a StGB strafbar gemacht hat.415 Auf Dauer vorenthaltene Sozialversicherungsbeiträge sind ersparte Aufwendungen 158 des Arbeitgebers und damit aus Taten nach § 266a StGB erlangtes Etwas iSd § 73 Abs 1 S 1 StGB. Allerdings steht der Anordnung des Verfalls von Wertersatz in Höhe der vorenthaltenen Beiträge in aller Regel § 73 Abs 1 S 2 StGB entgegen, denn die Sozialversicherungsträger sind Verletzte iSd Vorschrift.416 Die Bedeutung des § 73 StGB bei Taten nach § 266a StGB besteht darin, dass gem §§ 111b Abs 2 und 5, 111d Abs 1 S 1 Alt 1 StPO ein dinglicher Arrest zur Sicherung der Ansprüche der Sozialversicherungsträger aus den Taten angeordnet werden kann (Zurückgewinnungshilfe). 417 Nach § 6 Abs 2 S 2 Nr 3 Buchst e GmbHG kann für die Dauer von fünf Jahren nicht 159 Geschäftsführer einer GmbH sein, wer wegen einer oder mehrerer Taten nach § 266a StGB zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, wobei die Frist mit Rechtskraft der Entscheidung beginnt. Gleiches gilt iVm § 66 Abs 4 GmbHG für den Liquidator einer GmbH und gem § 76 Abs 3 S 2 Nr 3 Buchst e bzw § 265 Abs 2 S 2 AktG für den Vorstand bzw Abwickler einer AG. Die Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr kann auch eine Gesamtfreiheitsstrafe sein.418 Auch ohne Verurteilung nach § 266a StGB können offene Sozialversicherungsbeiträge die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit begründen und somit eine Gewerbeuntersagung gem § 35 Abs 1 und 7 GewO rechtfertigen.419 Gem § 21 Abs 1 S 1 Nr 4 SchwarzArbG sollen Auftraggeber iSd § 98 Abs 1 bis 3 und 5 160 GWB vom Wettbewerb um Bauaufträge solche Bewerber ausschließen, die oder deren Vertreter nach § 266a Abs 1 bis 4 StGB zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten oder einer Geldstrafe von mehr als 90 Tagessätzen worden sind. Dies gilt gem § 21 Abs 1 S 2 SchwarzArbG schon dann, wenn „im Einzelfall angesichts der Beweislage kein vernünftiger Zweifel an einer schwerwiegenden Verfehlung nach S 1 besteht“. Vergleichbar wirken sich in Nordrhein-Westfalen § 5 Abs 1 Nr 1, Abs 2 KorruptionsbG420, in Berlin § 3 Abs 1 S 2 Nr 8, Abs 2 KRG421, in Hamburg § 2 Abs 2 S 2 Nr 1 Buchst f, Abs 3 GRfW422, in

_____ 414 Erbs/Kohlhaas/Ambs Rn 33 zu § 266a; W/J/Pelz Rn 9/292; Gercke/Leimenstoll HRRS 2009, 442, 451. 415 Dazu Zieglmeier NJW 2016, 2163 ff. 416 Vgl BGH wistra 2010, 148, 152; NStZ 2013, 403. 417 Zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Anordnung BVerfG, 17.4.2015 – 2 BvR 1986/14. 418 Einzelheiten bei Weiß wistra 2009, 209, 211 ff; ders GmbHR 2013, 1076, 1078 f. 419 Siehe nur BVerwGE 23, 280 ff Zur Bindungswirkung strafgerichtlicher Entscheidungen für das Untersagungsverfahren vgl § 35 Abs 3 GewO. 420 Gesetz zur Verbesserung der Korruptionsbekämpfung und zur Errichtung und Führung eines Vergaberegisters in Nordrhein-Westfalen (Korruptionsbekämpfungsgesetz – KorruptionsbG) vom 16.12.2004 (GVBl 2005, 8). 421 Gesetz zur Einrichtung und Führung eines Registers über korruptionsauffällige Unternehmen in Berlin (Korruptionsregistergesetz – KRG) vom 19.4.2006 (GVBl S 358). 422 Gesetz zur Errichtung eines Registers zum Schutz fairen Wettbewerbs (GRfW) vom 17.9.2013 (HmbGVBl 2013, 417).

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Schleswig-Holstein § 2 Abs 2 S 2 Nr 1 Buchst f, Abs 3 GRfW423 und in Bremen § 3 Abs 1 S 2 Nr 1, Abs 2 BremKorG424 aus, die eine Eintragung ins Vergabe- bzw Korruptionsregister bei einer Verurteilung nach § 266a StGB unabhängig vom Strafmaß und sogar bei einer Einstellungen des Verfahrens nach § 153a StPO vorschreiben.425 § 266a Abs 1 StGB ist Schutzgesetz iSd § 823 Abs 2 BGB.426 Bei Forderungen nach 161 § 823 Abs 2 BGB iVm § 266a StGB handelt es sich um solche aus unerlaubter Handlung, die nicht der Restschuldbefreiung unterliegen (§ 302 InsO) und die Zwangsvollstreckung in das Arbeitseinkommen erleichtern (§ 850f Abs 2 ZPO).

14. Konkurrenzen Für § 266a Abs 1 StGB gilt, dass das Vorenthalten von Beiträgen, die gegenüber einer 162 Einzugsstelle zu einem Zeitpunkt fällig werden, nur eine einheitliche Tat darstellt, nicht mehrere tateinheitliche Gesetzesverletzungen iSd § 52 StGB.427 Daran ändert sich nichts, wenn Beiträge für mehrere Arbeitnehmer oder zu mehreren Zweigen der Sozialversicherung geschuldet werden.428 Das Vorenthalten von Beiträgen gegenüber mehreren Einzugsstellen oder gegenüber einer Einzugsstelle zu mehreren Fälligkeitszeitpunkten führt zu Tatmehrheit iSd § 53 StGB,429 aber auch zu mehreren Taten im prozessualen Sinn.430 Kurz: Je Einzugsstelle und Fälligkeitszeitpunkt je eine Tat im materiellen und prozessualen Sinn. Gleiches gilt für § 266a Abs 2 StGB.431 Verwirklicht das Vorenthalten gegenüber einer Einzugsstelle zu einem Fälligkeitszeitpunkt § 266a Abs 1 und 2 StGB, liegt nur eine einheitliche Tat vor.432 Der Annahme einer einheitlichen Tat steht nicht entgegen, dass unter den einer Ein- 163 zugsstelle zuzuordnenden Arbeitnehmern sowohl solche sind, deren Beschäftigungsver-

_____ 423 Gesetz zur Errichtung eines Registers zum Schutz fairen Wettbewerbs (GRfW) vom 13.11.2013 (GVOBl 2013, 405). 424 Bremisches Gesetz zur Errichtung und Führung eines Korruptionsregisters (Bremisches Korruptionsregistergesetz – BremKorG) vom 17.5.2011 (BremGBl 2011, 365). 425 Zu untergesetzlichen Vorschriften anderer Länder, die die Auftragsvergabe bei Verurteilungen nach § 266a StGB einschränken vgl I/M/Greeve Rn 17/24 Fn 68. 426 St Rspr, vgl nur BGH (Z) NJW 2005, 2546, 2547. 427 BGH wistra 2007, 307; OLG Frankfurt/Main NStZ-RR 1999, 104 f; LK/Möhrenschlager Rn 108 zu § 266a; G/J/W/Wiedner Rn 116 zu § 266a; M/R/Matt Rn 70 zu § 266a; Fischer Rn 36 zu § 266a; NK/Tag Rn 141 zu § 266a; Erbs/Kohlhaas/Ambs Rn 24 zu § 266a; Thum/Selzer wistra 2011, 290, 294. Soweit im Schrifttum von Tateinheit ausgegangen wird, dürfte es sich um eine begriffliche Unschärfe handeln, vgl zB AnwK/ Esser Rn 104 zu § 266a; Lackner/Kühl/Kühl Rn 20 zu § 266a; BeckOK/Wittig Rn 49 zu § 266a. 428 Ebenso LK/Möhrenschlager Rn 108 zu § 266a; G/J/W/Wiedner Rn 116 zu § 266a; NK/Tag Rn 141 zu § 266a; Erbs/Kohlhaas/Ambs Rn 24 zu § 266a. Ausdrücklich für Tateinheit MK/Radtke Rn 99 zu § 266a. 429 BGH NJW 2003, 3787, 3789; wistra 2010, 483, 484; LK/Möhrenschlager Rn 109 zu § 266a; MK/Radtke Rn 99 zu § 266a; G/J/W/Wiedner Rn 116 zu § 266a; M-G/Thul Rn 38/292; AnwK/Esser Rn 105 zu § 266a; Fischer Rn 36 zu § 266a; BeckOK/Wittig Rn 49 zu § 266a; Bittmann/Ganz wistra 2002, 130, 131; Krumm wistra 2012, 211, 214. 430 OLG Jena, 26.8.2011 – 1 Ss 40/11, juris Tz 12 ff; OLG Frankfurt/Main NStZ-RR 1999, 104 f; wistra 2003, 236 f; OLG Celle NStZ 1991, 554; NStZ-RR 1997, 324; Bittmann/Ganz wistra 2002, 130, 131 f; Krumm wistra 2012, 211, 214; aA OLG Hamm wistra 2001, 238 (sofern das „Tatbestandsmerkmal der Leistungsfähigkeit“ das Vorenthalten „innerlich verknüpft“); Pelz Rn 544. 431 LK/Möhrenschlager Rn 108 zu § 266a; Fischer Rn 36 zu § 266a. 432 BGH wistra 2010, 408; NStZ 2014, 321, 323; NStZ-RR 2016, 244, 245; Lackner/Kühl/Kühl Rn 20 zu § 266a; einschr G/J/W/Wiedner Rn 116 zu § 266a (Tateinheit bei Zusammentreffen von § 266a Abs 1 und 2 Nr 1 StGB). Nach aA soll Tateinheit vorliegen, jedenfalls soweit dieselben Arbeitnehmer betroffen sind, vgl MK/Radtke Rn 99 zu § 266a; AnwK/Esser Rn 106; Fischer Rn 36 zu § 266a; S/S/Perron Rn 28 zu § 266a; SK/Hoyer Rn 106 zu § 266a; BeckOK/Wittig Rn 49 zu § 266a; W/J/Pelz Rn 9/294.

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1040 | 3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften

hältnisse auf Verträgen mit dem Arbeitgeber beruhen, als auch solche, deren Beschäftigungsverhältnisse kraft Gesetzes (§ 10 Abs 1 AÜG) als zustande gekommen gelten.433 Auch wenn der Arbeitgeber mehrere Betriebsnummern hat, so dass eine Einzugsstelle mehrere Beitragskonten zu ihm führt, liegt gegenüber dieser Einzugsstelle je Fälligkeitszeitpunkt nur eine einheitliche Tat vor. Hat der Arbeitgeber gem § 3 Abs 1 S 3 BVV die Gesamtsozialversicherungsbeiträge statt an mehrere Einzugsstellen an eine beauftragte Stelle iSd § 28f Abs 4 SGB IV zu zahlen, liegt im Vorenthalten der auf mehrere Einzugsstellen entfallenden Beiträge je Fälligkeitszeitpunkt nur eine einheitliche Tat. Eine einheitliche Tat stellt das Vorenthalten der zu verschiedenen Zeitpunkten fällig gewordenen Beiträge auch dar, soweit der Täter erst nach diesen Fälligkeitszeitpunkten Verantwortlicher iSd § 14 StGB wird oder Vorsatz bzgl des Vorenthaltens hat. Dagegen führt die Vereinigung von Einzugsstellen nach Vollendung mehrerer Taten nicht nachträglich zu einer einheitlichen Tat oder Tateinheit. Tatmehrheit soll in Schwarzarbeitsfällen auch dann vorliegen können, wenn der Arbeitgeber zwar die Übermittlung unrichtiger Beitragsnachweise von einem Gehilfen erledigen lässt, aber durch Beschaffung der Schwarzlöhne an der Vorbereitung jeder einzelnen Tat beteiligt ist.434 164 Im Verhältnis zum (Beitrags-)Betrug gem § 263 StGB zum Nachteil einer Einzugsstelle oder eines Unfallversicherungsträgers sind § 266a Abs 1 und 2 StGB die spezielleren Tatbestände.435 Nur wenn die Strafbarkeit nach § 266a Abs 2 StGB bei geringfügig Beschäftigten in Privathaushalten kraft Gesetzes (§ 111 Abs 1 S 2 SGB IV, § 209 Abs 1 S 2 SGB VII) ausgeschlossen ist, kommt wieder Betrug in Betracht.436 Die Spezialität gilt sogar dann, wenn unrichtige Angaben iSd Abs 2 Nr 1 durch eine Person gemacht werden, die nicht Arbeitgeber ist und der die Arbeitgebereigenschaft auch nicht gem § 14 zugerechnet wird.437 Ist in Altfällen aus der Zeit vor Inkrafttreten des § 266a Abs 2 StGB am 1.8.2004 der Tatbestand des Betrugs erfüllt,438 muss geprüft werden, ob nun die Verurteilung nach § 266a Abs 1 und 2 StGB als dem milderen Gesetz iSd § 2 Abs 3 StGB zu erfolgen hat, weil die gebotene konkrete Betrachtungsweise ergibt, dass ein besonders schwerer Fall iSd § 263 Abs 3 StGB – insbes Gewerbsmäßigkeit – gegeben wäre, aber kein besonders schwerer Fall iSd § 266a Abs 4 StGB.439

_____ 433 G/J/W/Wiedner Rn 116 zu § 266a; vgl auch BGH NJW 2003, 1821, 1824; NStZ 2006, 227 f (jedenfalls nicht Tatmehrheit). 434 BGH wistra 2011, 344, 345. 435 Ganz hM, vgl BTDrs 15/2573, 28; BGH NStZ 2007, 527; StraFo 2008, 219; wistra 2008, 180, 181; aA nur M/S/M/Maiwald Rn 45/71 und Bollacher S 200. Krit wegen des damit verbundenen Wegfalls der Gewerbsmäßigkeit als Regelbeispiel eines besonders schweren Falls Steinberg wistra 2009, 55, 57. 436 Vgl BTDrs 15/2573, 28; SK/Hoyer Rn 73 zu § 266a; Lackner/Kühl/Kühl Rn 20 zu § 266a; S/S/Perron Rn 28 zu § 266a; NK/Tag Rn 141 zu § 266a; zweifelnd G/J/W/Wiedner Rn 58 zu § 266a; krit MK/Radtke Rn 79 zu § 266a. Dann erfolgt wegen § 21 Abs 1 S 1 OWiG grundsätzlich keine Ahndung wegen der Ordnungswidrigkeiten nach § 111 Abs 1 S 1 Nr 2a SGB IV und § 209 Abs 1 S 1 Nr 5 SGB VII. Eine Strafbarkeit wegen Betrugs wird aber häufig mangels Irrtums der Einzugsstelle bzw des Unfallversicherungsträgers ausscheiden. 437 AA wohl OLG Bamberg, 16.6.2016 – 3 OLG 6 Ss 16/16, für den dort nicht gegebenen Fall, dass dem Täter die faktische Geschäftsführung nicht nachzuweisen ist. 438 Vor dem 1.8.2004 sollte § 266a Abs 1 StGB hinter § 263 Abs 1 StGB zurücktreten, soweit der vorenthaltene Arbeitnehmeranteil mit dem übereinstimmte, den die Einzugsstelle täuschungsbedingt nicht geltend machte. Die Strafbarkeit nach § 266a Abs 1 StGB lebte jedoch wieder auf, soweit es für die Strafbarkeit nach § 263 Abs 1 StGB zB am Irrtum oder am Schaden fehlte. Dazu näher BGH NJW 2003, 1821, 1824; wistra 2006, 425, 426. 439 Vgl BGH NStZ 2007, 527; StraFo 2008, 219 f; wistra 2008, 180, 181; auch wistra 2010, 408, 409.

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§ 21 Vorenth. v SozVers-Beitr. u. Veruntreuen v Arbeitsentg., § 266a StGB | 1041

In den Insolvenzfällen kann sich die Frage stellen, ob Tateinheit besteht zwischen 165 dem Vorenthalten nach § 266a Abs 1 StGB und Straftaten, durch die das Zahlungsunvermögen iSd omissio libera in causa verursacht worden ist, insbes also Taten nach §§ 283 Abs 1 Nr 1, 283c Abs 1, 266 Abs 1 StGB.440 Mit dem Veruntreuen von Arbeitsentgelt nach § 266a Abs 3 StGB besteht auch dann Tatmehrheit, wenn derselbe Arbeitnehmer betroffen ist oder die Zahlung der Beiträge und des Entgeltteils zu demselben Zeitpunkt erfolgen muss.441 Ob § 266a Abs 1 StGB gegenüber § 266 StGB (zum Nachteil der Einzugsstelle oder des Arbeitnehmers) spezieller ist,442 kann dahinstehen, weil es unter den Voraussetzungen des § 266a StGB schon an einem Treueverhältnis iSd § 266 StGB fehlt. In den Schwarzarbeitsfällen werden idR weitere Straftatbestände verwirklicht. Um- 166 satz- und Lohnsteuerhinterziehung nach § 370 AO und Taten nach § 266a Abs 1 und 2 StGB stehen im Verhältnis der Tatmehrheit zueinander,443 zugleich bilden sie mehrere Taten im prozessualen Sinn.444 Dagegen können bei einem Beteiligten die Beihilfe zum Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen und die Beihilfe zur Steuerhinterziehung tateinheitlich zusammentreffen, wodurch aber die Beihilfehandlungen für mehrere Monate nicht zwingend zu einer Tat verschmelzen.445 Auch der Betrug zum Nachteil des Trägers einer tarifvertraglichen Versorgungskasse führt zu Tatmehrheit und einer anderen Tat im prozessualen Sinn.446 Tatmehrheit liegt ferner vor, wenn aufgrund der Beschäftigungsbedingungen neben § 266a StGB ein weiterer Straftatbestand – zB §§ 10, 10a, 11 SchwarzArbG,447 § 291 StGB,448 §§ 15, 15a AÜG449 – verwirklicht ist. Haben sich mehrere Täter zusammengeschlossen, um Unternehmen zu gründen, über die Dritten entgeltlich Arbeitnehmer zur Schwarzarbeit bereitgestellt werden, ist die Annahme einer kriminellen Vereinigung nicht von vornherein ausgeschlossen,450 so dass die Besonderheiten der Verklammerung durch § 129 StGB zu berücksichtigen sein können.451

_____ 440 Für Tatmehrheit SK/Hoyer Rn 106 zu § 266a; grundsätzlich auch Bollacher S 201. Tateinheit soll möglich sein nach LK/Möhrenschlager Rn 110 zu § 266a; MK/Radtke Rn 102 zu § 266a; S/S/Perron Rn 28 zu § 266a; Gercke/Leimenstoll HRRS 2009, 442, 451. 441 OLG Celle NStZ 1991, 554; LK/Möhrenschlager Rn 110 zu § 266a; MK/Radtke Rn 100 zu § 266a; S/S/ Perron Rn 28a zu § 266a; Erbs/Kohlhaas/Ambs Rn 24 zu § 266a; BeckOK/Wittig Rn 49 zu § 266a; NK/Tag Rn 141 zu § 266a. 442 Dafür LK/Möhrenschlager Rn 110 zu § 266a; G/J/W/Wiedner Rn 117 zu § 266a; Fischer Rn 37 zu § 266a; Erbs/Kohlhaas/Ambs Rn 22 zu § 266a; BeckOK/Wittig Rn 50 zu § 266a. 443 BGH NStZ 2006, 227; BayObLG NJW 1989, 2142, 2143; LK/Möhrenschlager Rn 110 zu § 266a; MK/ Radtke Rn 103 zu § 266a; Fischer Rn 37 zu § 266a; BeckOK/Wittig Rn 51 zu § 266a; Erbs/Kohlhaas/Ambs Rn 24 zu § 266a; S/S/Perron Rn 28 zu § 266a; Lackner/Kühl/Kühl Rn 21 zu § 266a; Thum/Selzer wistra 2011, 290, 294. 444 AA noch OLG Zweibrücken NJW 1975, 128, 129; OLG Düsseldorf NStZ 1987, 375, 376. 445 BGH NStZ 2013, 587, 588. Für nur eine Tat BGH, 12.3.2014 – 1 StR 605/13, Tz 69. Auch die Beihilfe des Arbeitnehmers zur Verwirklichung beider Tatbestände kann eine Tat darstellen, vgl BayObLG NJW 1989, 2142, 2143. 446 OLG Saarbrücken, 23.7.2010 – Ss (B) 50/2010 (82/10), BeckRS 2011, 14022; W/J/Richtarsky Rn 19/79; Metz NStZ-RR 2013, 333, 336. 447 BGH NStZ 2014, 321, 322; LK/Möhrenschlager Rn 110 zu § 266a; MK/Radtke Rn 103 zu § 266a; M-G/Thul Rn 38/295; W/J/Richtarsky Rn 19/79; S/S/Perron Rn 28 zu § 266a; Metz NStZ-RR 2013, 333, 336 f. Nach OLG Stuttgart NStZ 1982, 514, soll bei unerlaubter Beschäftigung und Vorenthalten von Arbeitsentgelt zwar Tatmehrheit, aber eine Tat im prozessualen Sinn vorliegen. 448 LK/Möhrenschlager Rn 110 zu § 266a. 449 LK/Möhrenschlager Rn 110 zu § 266a; MK/Radtke Rn 103 zu § 266a; W/J/Richtarsky Rn 19/79. 450 BGH NJW 1983, 1334 f (dort aber verneint). 451 Zur Klammerwirkung des § 129 StGB näher Fischer Rn 50 f zu § 129.

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1042 | 3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften

167

Die Ordnungswidrigkeit einer unterlassenen, verspäteten oder unrichtigen Meldung an die Einzugsstelle oder den Unfallversicherungsträger (§§ 111 Abs 1 S 1 Nr 2 iVm 28a Abs 1 bzw 2 SGB IV, §§ 209 Abs 1 S 1 Nr 5 iVm 165 Abs 1 S 1 SGB VII) tritt gem § 21 Abs 1 OWiG hinter einer zugleich verwirklichten Straftat nach § 266a Abs 2 StGB zurück. Mit den Ordnungswidrigkeiten des Nichtzahlens des Mindestlohns oder des Beitrags zu einer tarifvertraglich vereinbarten Urlaubskasse (§ 23 Abs 1 Nr 1 iVm §§ 8 Abs 1, 5 Nr 1 bzw 3 AEntG, § 21 Abs 1 Nr 9 iVm § 20 MiLoG) besteht weder Tateinheit noch liegt eine Tat im prozessualen Sinn vor.452 Gleiches gilt im Verhältnis zur Ordnungswidrigkeit der Beitragsüberhebung, dh wenn der Arbeitgeber vom Bruttoarbeitsentgelt einen zu hohen Betrag als Arbeitnehmeranteil einbehält (§ 111 Abs 2 SGB IV), und im Verhältnis zur unbefugten Beschäftigung eines Ausländers (§ 404 Abs 2 Nr 3 SGB III)453.

15. Verfahrensfragen a) Anfangsverdacht 168 Überragende Bedeutung für die Gewinnung des Anfangsverdachts haben in den Insolvenzfällen des § 266a StGB die Insolvenzakten, die die Staatsanwaltschaft aufgrund einer Mitteilung des Insolvenzgerichts zur Auswertung anfordert.454 Ist der Eröffnungsantrag mangels Masse abgewiesen worden, so können sich Anhaltpunkte für Taten nach § 266a Abs 1 StGB daraus ergeben, dass eine Einzugsstelle die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt hat, ferner aus dem bei den Akten befindlichen Gutachten eines vom Insolvenzgericht beauftragten Sachverständigen. Ist das Insolvenzverfahren eröffnet worden, können auch die Forderungsanmeldungen der Einzugsstellen auf Taten nach § 266a Abs 1 StGB schließen lassen, insbes wenn die Forderungen als solche aus unerlaubter Handlung – nämlich § 823 Abs 2 BGB iVm § 266a Abs 1 StGB – zur Tabelle angemeldet worden sind. Vorsicht ist bei der Auswertung der Insolvenzakten jedoch geboten, wenn der Schuldner eine natürliche Person ist. Dann beruhen die Insolvenzanträge und Forderungsanmeldungen der Einzugsstellen möglicherweise nicht darauf, dass der Schuldner als Arbeitgeber Gesamtsozialversicherungsbeiträge vorenthalten hat, sondern dass er – straflos – Beiträge für seine nach §§ 5 Abs 1 Nr 13 oder 9 SGB V bestehende „freiwillige“ Krankenversicherung nicht gezahlt hat. 169 Ist bereits ein Ermittlungsverfahren anhängig, können Feststellungen bei der Auswertung von Kontounterlagen, Handelsbüchern oder sonstigen sichergestellten Geschäftsunterlagen eines Arbeitgebers Anlass dazu geben, die Ermittlungen von Amts wegen auf Taten nach § 266a Abs 1 StGB zu erstrecken: Pfändungs- und Einziehungsverfügungen der Einzugsstellen oder der Hauptzollämter als Vollstreckungsbehörden der bundesunmittelbaren Körperschaften begründen einen Anfangsverdacht, ebenso Überweisungen an Einzugsstellen oder Hauptzollämter mit Überweisungstexten wie „Rate“, „Rest“, „SZ“ (für Säumniszuschlag) oder den Namen zurückliegender Monate als Tilgungsbestimmung. Bei den Handelsbüchern sind die Konten „Verbindlichkeiten im Rahmen der sozialen Sicherheit“ (Nr 1742 beim SKR 03 bzw Nr 3740 beim SKR 04) in den

_____ 452 Vgl BGH NStZ 2012, 2051, 2053; Pötters/Krause NZA 2015, 398, 401; aA Ast/Klocke wistra 2014, 206, 211. 453 OLG Nürnberg, wistra 2012, 450; OLG Hamm, 14.7.2009 – 3 Ss OWi 355/09, juris Tz 14; Metz NStZ-RR 2013, 333, 336. 454 Auch die Anordnung der Haft zur Erzwingung der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung ist mitzuteilen und kann auf Vollstreckungsversuche der Einzugsstellen wegen vorenthaltener Sozialversicherungsbeiträge zurückzuführen sein.

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§ 21 Vorenth. v SozVers-Beitr. u. Veruntreuen v Arbeitsentg., § 266a StGB | 1043

Blick zu nehmen. Unter den Geschäftsunterlagen befinden sich regelmäßig Ordner, die sämtlichen Schriftverkehr mit den Einzugsstellen beinhalten, ggf auch Erinnerungen, Mahnungen und Auszüge der Beitragskonten. Bei Strafanzeigen von Arbeitnehmern gegen ihre wirtschaftlich angeschlagenen 170 Arbeitgeber wegen nicht gezahlter Löhne bzw Gehälter wird durch Polizeidienststellen, die mit Wirtschaftsstrafsachen nicht vertraut sind, aus der amtlichen Überschrift des § 266a StGB immer wieder der unzutreffende Schluss gezogen, die Vorschrift stelle das Nichtzahlen des Nettoarbeitsentgelts an den Arbeitnehmer unter Strafe, so dass Ermittlungsverfahren wegen Taten nach § 266a StGB eingeleitet werden. Im Ergebnis, nicht in der Begründung, ist dies häufig sogar richtig. Denn erfahrungsgemäß zahlen Arbeitgeber erst Recht keine Sozialversicherungsbeiträge, wenn sie schon zur Zahlung der Nettoarbeitsentgelte nicht mehr in der Lage sind. Strafanzeigen von Einzugsstellen wegen Taten nach § 266a Abs 1 StGB sind – ge- 171 messen an der Anzahl von Taten, von denen die Einzugsstellen Kenntnis erlangen – selten. Dies obwohl die Krankenkassen nach § 197a Abs 4 SGB V die Staatsanwaltschaft unverzüglich unterrichten sollen, „wenn die Prüfung ergibt, dass ein Anfangsverdacht auf strafbare Handlungen mit nicht nur geringfügiger Bedeutung für die gesetzliche Krankenversicherung bestehen könnte“. Die Handhabung durch die Einzugsstellen ist uneinheitlich. Dagegen folgt die Gewinnung des Anfangsverdachts in den Schwarzarbeitsfällen des 172 § 266a StGB anderen Regeln. Die Verfahrenseinleitung kann anlässlich von Prüfungen der Zollverwaltungsbehörden gem § 2 Abs 1 Nr 1 SchwarzArbG, nämlich der Arbeitsbereiche Finanzkontrolle Schwarzarbeit der Hauptzollämter, oder aufgrund (anonymer) Strafanzeigen von Wettbewerbern des Arbeitgebers sowie ehemaliger Arbeitnehmer erfolgen. Mitunter ergibt auch die Auswertung von Geschäftsunterlagen wegen Verdachts der Untreue oder des Bankrotts, dass vermeintlich unberechtigte Entnahmen tatsächlich zur Zahlung von Schwarzlöhnen verwendet wurden. Oder die Durchsicht von Unterlagen fördert „Abdeckrechnungen“ zur Verschleierung von Schwarzlohnzahlungen zutage.

b) Ermittlungen aa) Auskünfte der Rentenversicherungsträger Ist nicht bekannt, welche Arbeitnehmer der Arbeitgeber in welchem Zeitraum beschäftigt 173 hat und welche Einzugsstellen zuständig gewesen sind, empfiehlt sich zunächst ein Auskunftsersuchen an den zuständigen Träger der Rentenversicherung, nämlich entweder die Deutsche Rentenversicherung Bund als Bundesträger der Rentenversicherung oder den für den Betriebssitz des Arbeitgebers zuständigen Regionalträger. Die Abgrenzung erfolgt nach der Endziffer der Betriebsnummer (BBNR) des Arbeitgebers. Die Deutsche Rentenversicherung Bund ist für Betriebsnummern mit den Endziffern 0 bis 4 zuständig, der Regionalträger am Betriebssitz für die Endziffern 5 bis 9. Bei der Betriebsnummer handelt es sich um eine achtstellige Ziffernfolge, die bundesweit genau einem Arbeitgeber zugewiesen wird, und zwar grundsätzlich durch die Bundesagentur für Arbeit – Betriebsnummern-Service.455 Einem Arbeitgeber können mehrere Betriebsnummern zugewiesen sein, insbes bei Niederlassungen in mehreren Gemeinden.

_____ 455 Bei Anwendung des Haushaltsscheckverfahrens vergibt nach § 28h Abs 3 S 1 SGB IV die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See die Betriebsnummer.

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1044 | 3. Kapitel: Die Strafbarkeit nach den verschiedenen Strafvorschriften

Das Ersuchen an den Rentenversicherungsträger ist zumindest gerichtet auf Auskunft über die Personalien aller Arbeitnehmer, deren Beschäftigungszeiträume und die zuständigen Einzugsstellen. Die Auskunft enthält üblicherweise eine nach Arbeitnehmern geordnete Aufstellung. Die für einen Arbeitnehmer zuständige Einzugsstelle ergibt sich aus der achtstelligen Betriebsnummer der Einzugsstelle (KKNR), die entweder bereits vom Rentenversicherungsträger entschlüsselt worden ist oder anhand einer mitübersandten – auch im Internet zu findenden – Liste entschlüsselt werden kann. Zudem wird zu jedem Arbeitnehmer mitgeteilt, wann und aus welchem Grund für ihn eine Meldung zur Sozialversicherung erfolgt ist, wobei sich der Grund der Meldung aus einer zweistelligen Ziffernfolge ergibt (zB 10 = Anmeldung wegen Beginns einer Beschäftigung, 30 = Abmeldung wegen Endes einer Beschäftigung, 50 = Jahresmeldung). Schließlich ergibt sich aus einer dreistelligen Ziffernfolgen die Personengruppe des Arbeitnehmers (zB 101 = sozialversicherungspflichtig Beschäftigte ohne besondere Merkmale, 102 = Auszubildende, 109 = geringfügig entlohnte Beschäftigte iSd § 8 Abs 1 Nr 1 SGB IV). Die Daten ruft der Renteversicherungsträger bei der gem § 145 Abs 1 SGB VI einge175 richteten und von der Deutsche Rentenversicherung Bund verwalteten Datenstelle der Träger der Rentenversicherung (DSRV) ab. Die dort gespeicherten Daten beruhen insbes auf den Meldungen der Arbeitgeber. Die Zollverwaltung kann in Ermittlungsverfahren wegen Schwarzarbeit gem § 2 Abs 2 S 1 Nr 4 SchwarzArbG, § 150 Abs 5 S 1 SGB VI eine sog Prüfhilfe mit den in § 28p Abs 8 S 3 SGB IV genannten Daten – insbes: sämtliche Beschäftigte mit den für sie zuständigen Einzugsstellen, (Jahres-)Arbeitsentgelte, Beschäftigungszeiträume – bei der Datenstelle automatisiert abrufen.

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bb) Auskünfte der Einzugsstellen 176 In den Insolvenzfällen ist es idR unumgänglich, Auskünfte der betroffenen Einzugs-

stellen einzuholen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich in den letzten Jahren zahlreiche Krankenkassen vereinigt haben und es laufend zu weiteren Vereinigungen von Krankenkassen kommt.456 Im Fall einer Vereinigung empfiehlt es sich, das Auskunftsersuchen an die Geschäftsanschrift der Krankenkasse zu richten, deren Mitglied der Arbeitnehmer vor der Vereinigung war, weil die Bearbeitung weiterhin dort erfolgen kann. Dementspr können von derselben Einzugsstelle Auskünfte mehrerer Geschäftsstellen einzuholen und abzuwarten sein, weil die Auskünfte inhaltlich voneinander abweichen können, sofern es Beschäftigungsmonate vor der Vereinigung betrifft. Bedient sich eine Einzugsstelle zur Erledigung von Auskunftsersuchen bekanntermaßen einer Arbeitsgemeinschaft oder einer juristischen Person des Privatrechts,457 kann das Auskunftsersuchen unmittelbar an diese gerichtet werden. Dass eine Krankenkasse aufgelöst ist und abgewickelt wird, steht einem Auskunftsersuchen an sie nicht entgegen. Die Einzugsstellen verfügen über eine Fülle von Daten, die Aufschluss über Taten 177 nach § 266a StGB geben können. Welche Auskünfte erforderlich sind, ist je nach Verfahren unterschiedlich: Liegen die Geschäftsunterlagen des Arbeitgebers vor, kann ein Auskunftsersuchen ausnahmsweise entbehrlich sein oder sich auf die Frage nach Stundungen

_____ 456 Vgl §§ 144, 150, 160, 168a, 171a SGB V. Eine Aufstellung der vom Bundesversicherungsamt genehmigten Vereinigungen von Betriebs- und Innungskrankenkassen sowie Ersatzkassen ist im Internet zu finden: http://www.bundesversicherungsamt.de/aufsicht/krankenversicherung/vereinigungen-von-krankenkas sen.html. 457 Rechtsgrundlagen sind § 197b SGB V bzw § 94 Abs 1a SGB X.

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oder Ratenzahlungsvereinbarungen beschränken.458 Ist bekannt, dass aus jüngerer Zeit hohe Beitragsrückstände bestehen, kann auf Auskünfte über lange zurückliegende Beschäftigungsmonate oder über „nur“ verspätete Beitragszahlungen verzichtet werden, wenn insoweit ohnehin nach § 154 Abs 1 StPO verfahren werden soll. Allerdings können selbst lange zurückliegende verspätete Zahlungen von Bedeutung sein, wenn daraus die von anderen Tatbeständen vorausgesetzte (drohende) Zahlungsunfähigkeit abgeleitet werden soll. Keinesfalls sollte ohne zeitliche Eingrenzung nach nicht oder nicht rechtzeitig gezahlten Beiträgen gefragt werden, denn erfahrungsgemäß kommt es unabhängig von Zahlungsunwilligkeit und Zahlungsunfähigkeit laufend zu geringfügig verspäteten Zahlungen, deren strafrechtliche Verfolgung aber – sofern es nicht ohnehin am Vorsatz fehlt – idR nicht im öffentlichen Interesse liegt. Vielmehr sind Auskunftsersuchen von vornherein auf bestimmte Beschäftigungsmonate zu beschränken, wobei die Festlegung der Monate pauschal (zB die letzten 18 Monate vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens) oder an den bisherigen Ermittlungen ausgerichtet (zB nur für die Monate, die den Forderungsanmeldungen im Insolvenzverfahren zugrunde liegen) erfolgen kann. Letztlich ist zu bedenken, dass viele Einzugsstellen Auskünfte weitgehend unabhängig vom Inhalt der an sie gerichteten Ersuchen erteilen. Das kann zu überschießenden Auskünften führen, eher aber zur Unterschlagung von Taten, bei denen nur verspätet gezahlt worden ist. In einem durchschnittlichen, auf Forderungsanmeldungen im Insolvenzverfahren 178 gestützten Ermittlungsverfahren ohne Sicherstellung von Geschäftsunterlagen können die Einzugsstellen wie folgt Auskünfte zu einem mit Name bzw Firma sowie Betriebsnummer(n) bezeichneten Arbeitgeber ersucht werden: 1. Welche Arbeitnehmer waren in welchem Zeitraum bei dem Arbeitgeber angemeldet und welcher Personengruppe (Beschäftigte ohne besondere Merkmale, Auszubildende, geringfügig Beschäftigte usw) gehörten sie an? 2. Wie hoch waren die monatlichen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteile an den Gesamtsozialversicherungsbeiträgen ab dem Beschäftigungsmonat X?459 3. Worauf beruhen die Auskünfte zur Höhe der Beiträge (Beitragsnachweise, Betriebsprüfung, Beitragsschätzung)? 4. Wann, in welcher Höhe und wie (zB Überweisung, Pfändung, Umbuchung, Verrechnung) wurden Zahlungen auf die Gesamtsozialversicherungsbeiträge geleistet, ggf mit welchen Tilgungsbestimmungen?460 5. Wurden Beiträge gestundet, ggf für welchen Beschäftigungsmonat, in welcher Höhe und wie lange? 6. Wurde spätestens bei Fälligkeit oder unverzüglich danach schriftlich die Höhe der Beiträge mitgeteilt und dargelegt, warum die fristgemäße Zahlung nicht möglich war, obwohl der Arbeitgeber sich darum ernsthaft bemüht hatte, und wurden die Beiträge dann nachträglich innerhalb einer bestimmten Frist gezahlt (§ 266a Abs 6 StGB)?

_____ 458 Den gem § 28f Abs 1 SGB IV vom Arbeitgeber aufzubewahrenden Entgeltunterlagen, deren Umfang sich aus §§ 8, 9 BVV ergibt, lassen sich die Daten entnehmen, die den Einzugsstellen übermittelt wurden und die die Einzugsstellen auf ein Auskunftsersuchen hin mitteilen würden. Vom Arbeitgeber geleistete Zahlungen sollten sich den Handelsbüchern oder Buchungsbelegen entnehmen lassen. 459 In den vom Arbeitgeber übermittelten Beitragsnachweisen werden Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile nicht gesondert ausgewiesen. Eine zumindest ungefähre Aufteilung ist den Einzugsstellen aber unter Berücksichtigung der Angaben in den Meldungen nach § 28a SGB IV möglich. 460 Die Beantwortung der Fragen 2 und 3 macht eine Gegenüberstellung von geschuldeten Beiträgen und Zahlungen möglich, wie sie auch einem Auszug des bei der Einzugsstelle geführten Beitragskontos zu entnehmen ist, um dessen Übersendung zusätzlich ersucht werden kann.

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Wie hoch war der kassenindividuelle Zusatzbeitragssatz iSd § 242 Abs 1 SGB V ab dem Beschäftigungsmonat X (nach dem 1.1.2015)?

cc) Sonstige Ermittlungen 179 Die Vernehmung der Arbeitnehmer als Zeugen ist in den Insolvenzfällen grundsätz-

lich nicht erforderlich. Anders liegt es, wenn eine Einzugsstelle die Beiträge für die letzten Beschäftigungsmonate geschätzt hat oder Beiträge für Monate nach Einstellung des Geschäftsbetriebs geltend macht. Dann ist möglicherweise nur die gebotene Abmeldung der Arbeitnehmer nicht erfolgt, zB weil der damit beauftragte Steuerberater nicht mehr bezahlt wurde. Anhand der Aussagen der Arbeitnehmer ist dann zu klären, bis wann die sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse bestanden. Ergiebig wären wahrheitsgemäße Aussagen der Arbeitnehmer in den Schwarzarbeitsfällen. Allerdings würden die Arbeitnehmer idR wegen Beihilfe zu den Taten des Arbeitgebers oder wegen eigener Taten (insbes bei gleichzeitigem Bezug von Sozialleistungen) als Beschuldigte zu vernehmen bzw als Zeugen gem § 55 StPO zu belehren sein. Mit wahrheitsgemäßen Aussagen ist daher in den Schwarzarbeitsfällen eher nicht zu rechnen. In den Schwarzarbeitsfällen besteht die eigentliche Ermittlungstätigkeit in der 180 Feststellung der Bruttoarbeitsentgelte als Bemessungsgrundlage der Sozialversicherungsbeiträge. Dazu sind die Geschäftsunterlagen des Arbeitgebers auszuwerten, notfalls auch die seiner Lieferanten, Kunden, Auftraggeber und Nachunternehmer. Auf diese Weise werden zunächst die gezahlten Nettoarbeitsentgelte ermittelt und auf Bruttoarbeitsentgelte hochgerechnet. Bei Tariflöhnen sind die die geleisteten Arbeitsstunden zu ermitteln. Ggf muss geschätzt werden. Für die Berechnung der vorenthaltenen Beiträge kann dann auf den Rentenversicherungsträger zurückgegriffen werden, der auch die Weiterleitung der Ergebnisse an die Einzugsstellen übernimmt, damit diese die vorenthaltenen Beiträge geltend machen.

dd) Ermittlungsbehörden 181 Nach § 14 Abs 1 SchwarzArbG sind die Beamten und (mit Einschränkungen) die Ange-

stellten der Zollverwaltungsbehörden Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft, soweit es die Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten betrifft, „die mit einem der in § 2 Abs 1 genannten Prüfgegenstände unmittelbar zusammenhängen“. § 2 Abs 1 SchwarzArbG nennt zwar Verstöße gegen die Meldepflicht aus § 28a SGB IV, nicht aber gegen die Zahlungspflicht aus § 28e SGB IV. Demnach sind die Bediensteten der Zollverwaltungsbehörden in den Schwarzarbeitsfällen des § 266a StGB Ermittlungspersonen,461 nicht aber in den Insolvenzfällen, in denen nicht gegen die Meldepflicht verstoßen wird.462 Hinsichtlich der in den Schwarzarbeitsfällen häufig zugleich begangenen Steuerstraftaten sind die Bediensteten der Zollverwaltungsbehörden gem §§ 14 Abs 1 iVm 2 Abs 1 S 4 SchwarzArbG zwar ebenfalls Ermittlungs-personen. Insoweit sind aber nach § 402 Abs 1 AO vorrangig die Beamten der Finanzbehörden der Länder (also der Finanz-

_____ 461 Dagegen Büttner wistra 2006, 251, 255, weil er einen Zusammenhang zwischen § 28a SGB IV und § 266a StGB verneint. Zuständig sind die Bediensteten des Arbeitsbereichs Finanzkontrolle Schwarzarbeit, die in den Hauptzollämtern insbes im Sachgebiet E tätig sind. 462 Ebenso W/J/Richtarsky Rn 19/12. Die weite Definition von Schwarzarbeit in § 1 Abs 2 Nr 1 SchwarzArbG, die auch die Insolvenzfälle des § 266a StGB erfasst, ist also für die Stellung der Zollverwaltungsbeamten als Ermittlungspersonen nicht maßgeblich.

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ämter) Ermittlungspersonen, sofern die Finanzbehörden nicht ohnehin die Ermittlungen gem §§ 386 Abs 2, 399 Abs 1 AO anstelle der Staatsanwaltschaft selbst führen. Dagegen sind in den Insolvenzfällen die Polizeibehörden der Länder (also die Kriminalpolizeibehörden) heranzuziehen.

ee) Grenzen Das Sozialgeheimnis (§ 67d Abs 1 SGB X) bereitet im Rahmen der Ermittlungen wegen 182 Taten nach § 266a StGB keine Schwierigkeiten. Die für die Erteilung von Auskünften in Betracht kommenden Sozialversicherungsträger dürfen nach § 69 Abs 1 Nr 2 iVm Nr 1 SGB X Daten für die Durchführung eines Strafverfahrens übermitteln, das mit der Erfüllung ihrer Aufgaben – zu denen insbes die Sicherung des Beitragsaufkommens gehört – zusammenhängt. Eine gerichtliche Anordnung der Auskunftserteilung gem § 73 Abs 3 iVm 1 SGB X ist daher nicht erforderlich. Die in einem Anfrageverfahren nach § 7a SGB IV vom Arbeitgeber gemachten, ihn 183 möglicherweise dem Verdacht von Taten nach § 266a Abs 1 und 2 StGB aussetzenden Angaben sind im Ermittlungs- und Strafverfahren uneingeschränkt gegen ihn verwendbar.463 Es besteht kein unmittelbar aus Art 2 Abs 1 GG abzuleitendes Verwertungsverbot als Ausgleich für einen ausnahmsweise zulässigen Zwang zur Selbstbezichtigung,464 weil der Arbeitgeber gem § 21 Abs 3 S 3 SGB X iVm § 384 Nr 2 ZPO zu ihn belastenden Angaben gar nicht verpflichtet ist.465 Arbeitgeber und Auftragnehmer sowie bei ihnen angetroffene Dritte (insbes Arbeit- 184 nehmer) sind nach § 5 Abs 1 S 2 SchwarzArbG verpflichtet, im Zuge von Prüfungen durch die Zollverwaltungsbehörden (Finanzkontrolle Schwarzarbeit) Unterlagen vorzulegen, aus denen Umfang, Art und Dauer von Beschäftigungsverhältnissen sowie die Vergütungen von Dienst- und Werkleistungen hervorgehen. Diese Mitwirkungspflicht besteht auch, wenn sich aus den Unterlagen der Anfangsverdacht von Straftaten ergibt. Denn § 5 Abs 1 S 3 SchwarzArbG sieht nur ein Recht zur Verweigerung von belastenden Auskünften vor, nicht aber allgemein zur Verweigerung der Mitwirkung. Die Mitwirkungspflicht entfällt erst dann, wenn sich der Anfangsverdacht einer Straftat ergibt, so dass vom Prüfungs- in das Ermittlungsverfahren übergegangen werden muss. Die im Prüfungsverfahren rechtmäßig erlangten Beweismittel sind im Ermittlungsverfahren verwendbar.

c) Abschluss der Ermittlungen, Hauptverhandlung, Urteil Bei Insolvenz ehemaliger Einzelunternehmer oder früherer GmbH-Geschäftsführer ent- 185 halten die Insolvenzakten nicht selten Forderungsanmeldungen, die auf mehrere Jahre zurückliegende Taten nach § 266a Abs 1 StGB schließen lassen. In diesen Fällen muss genau geprüft werden, ob die Taten nicht bereits geahndet worden sind, so dass das Verbot der Doppelverfolgung eine Einstellung nach § 170 Abs 2 StPO gebietet. Entspr Verurteilungen sind aber möglicherweise schon im Bundeszentralregister bzw die nach § 153a StPO eingestellten Verfahren sind in den staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregistern gelöscht worden. Ähnliches gilt für Einstellungen nach §§ 153, 154 StPO, auch

_____ 463 AA AnwK/Esser Rn 21c zu § 266a; Schulz NJW 2006, 183, 185 f. 464 Vgl dazu grundlegend BVerfGE 56, 37 ff. 465 Übersehen von AnwK/Esser Rn 21c zu § 266a, der allein auf die Mitwirkungspflicht abstellt.

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wenn sie grundsätzlich kein Verfahrenshindernis darstellen. Über solche Verurteilungen bzw Einstellungen können neben den Beschuldigten selbst häufig auch die Einzugsstellen Auskunft geben. Aus mehreren Gründen bietet es sich bei Taten nach § 266a StGB an, von § 154 Abs 1 StPO großzügig Gebrauch zu machen, sofern – wie üblich – eine Vielzahl von Taten festgestellt wird: Zunächst kann das Verfahren hinsichtlich Taten zum Nachteil derjenigen Einzugsstellen (vorläufig) eingestellt werden, die nicht innerhalb angemessener Zeit die an sie gerichteten Auskunftsersuchen beantworten. An die Möglichkeit der Verfolgungsbeschränkung ist auch zu denken, wenn die Verrechnung von Zahlungen mit Beitragsrückständen tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufwirft sowie bei Beitragsschätzungen seitens der Einzugsstellen. Schließlich kann § 154 StPO eingesetzt werden, um in Fällen „nur“ verspäteter Zahlung von der Anklageerhebung abzusehen, sei es wegen des deutlich geringeren wirtschaftlichen Schadens oder um eine andernfalls erforderliche nachträgliche Gesamtstrafenbildungen zu vermeiden. Ob bei einem nicht oder nicht wegen Wirtschaftsstraftaten vorbestraften Beschuldigten ausnahmsweise eine Einstellung nach §§ 153, 153a StPO erfolgt, wird üblicherweise an der Höhe der dauerhaft vorenthaltenen Beiträge festgemacht. Die Grenzen sind bundesweit nicht einheitlich. Die Einzugsstellen geben sich üblicherweise mit einer Einstellung zufrieden, wenn der Beschuldigte die ihm erteilte Auflage erfüllt, den Schaden wiedergutzumachen (§ 153a Abs 1 S 2 Nr 1 StPO). In den Insolvenzfällen des § 266a StGB ist zu beachten, dass die Auflage, einen Geldbetrag zu zahlen (§ 153a Abs 1 S 2 Nr 2 StPO), unzulässig sein soll, wenn Staatsanwaltschaft und Gericht Kenntnis von einer – bei insolventen Arbeitgebern naheliegenden – Gläubigerbenachteiligung durch die Zahlung haben.466 IÜ führt schon eine Einstellung nach § 153a StPO in einigen Ländern zur Eintragung des Beschuldigten und ggf des betroffenen Unternehmens in ein Vergabe- oder Korruptionsregister.467 Bei Strafanzeigen von Einzugsstellen ist vor einer Einstellung an die nach Nr 90 Abs 1 RiStBV gebotene Anhörung zu denken. Einstellungsbescheide an anzeigende Arbeitnehmer werden mangels Verletzteneigenschaft ohne Rechtsbehelfsbelehrung erteilt. War eine Zollverwaltungsbehörde mit den Ermittlungen befasst und besteht keine automatisierte Datenübermittlung, muss die nach § 482 Abs 2 StPO gebotene Mitteilung über den Verfahrensausgang schriftlich erfolgen. Sofern Einstellungen gem § 153a StPO nach Landesrecht in ein Vergabe- bzw Korruptionsregister einzutragen sind, ist auch an die entsprechenden Mitteilungen zu denken.468 Für die Anklageschrift gilt, dass Ausführungen zur Berechnung der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge – anders als die Beiträge selbst – nicht in den konkreten Anklagesatz gehören, sondern ggf in das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen.469 Unschädlich ist die Schätzung der Beiträge in der Anklageschrift, obwohl eine genauere Berechnung möglich ist, denn allein auf eine nach Ansicht des Gerichts unzureichende Schätzung kann die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens nicht gestützt werden.470 Die Ar-

_____ 466 So BGH (Z) NJW 2008, 2506, 2507. 467 Dazu oben Rn 160. 468 § 6 Abs 1 KorruptionsbG in Nordrhein-Westfalen bzw § 4 KRG in Berlin. Zum fehlenden Ermessen bei der Erfüllung einer solchen Mitteilungspflicht vgl OVG Berlin-Brandenburg StraFo 2011, 513, 514. 469 BGH wistra 2012, 489, 490; aA unter Verkennung der Funktionen der Anklageschrift G/K/R/Gehrke Rn 2/128. 470 BGH wistra 2012, 489, 490.

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beitnehmer müssen nicht namentlich bezeichnet werden,471 was in den Schwarzarbeitsfällen ohnehin häufig nicht möglich ist, weil die eingesetzten Arbeitnehmer gar nicht oder nur mit ihren den Schwarzlohnaufzeichnungen zu entnehmenden Vornamen bekannt sind. Sinnvollerweise werden die Taten in der Anklageschrift zunächst nach Einzugsstellen und dann aufsteigend nach Fälligkeitszeitpunkten (meist gleichbedeutend mit Beschäftigungsmonaten) geordnet und zu jeder Tat werden der geschuldete Beitrag und etwaige Zahlungen darauf angegeben. Taten zum Nachteil nicht in der Anklageschrift genannter Einzugsstellen können selbst dann nicht durch einen bloßen Hinweis iSv § 265 StPO zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht werden, wenn für denselben Zeitraum Taten zum Nachteil anderer Einzugsstellen angeklagt sind.472 In die Zuständigkeit der Wirtschaftstrafkammern fallen Taten nach § 266a StGB 190 nur dann, wenn zur Beurteilung besondere Kenntnisse des Wirtschaftslebens erforderlich sind, § 74c Abs 1 Nr 6 Buchst a GVG. Darauf kommt es aber dann nicht an, wenn in den Insolvenzfällen auch wegen „echter“ Insolvenzstraftaten (§ 74c Abs 1 Nr 5 GVG) bzw in den Schwarzarbeitsfällen auch wegen Steuerhinterziehung (§ 74c Abs 1 Nr 3 GVG) Anklage erhoben wird. Die örtliche Zuständigkeit kann auf den Sitz des Arbeitgebers oder den Sitz einer betroffenen Einzugsstelle gestützt werden.473 Am Geschäfts- bzw Satzungssitz des Arbeitgebers hätte dieser iSd § 9 Abs 1 Alt 2 StGB handeln müssen, weil nach §§ 269 Abs 1 und 2, 270 Abs 4 BGB474 bei Geldschulden der Sitz des Schuldners der Leistungsort ist. Am Sitz der Einzugsstelle tritt iSd § 9 Abs 1 Alt 3 StGB der zum Tatbestand gehörende Erfolg ein.475 Als Sitz der Einzugsstelle ist nur der satzungsgemäße Sitz anzusehen. Dass der Beitragseinzug einer andernorts ansässigen Stelle übertragen ist, hat keine Bedeutung.476 Für die Hauptverhandlung gilt, dass die Höhe der geschuldeten Sozialversiche- 191 rungsbeiträge nach der Rspr „im Kern nicht dem Urkunden- oder Zeugenbeweis zugänglich, sondern unter Anwendung von Rechtsnormen zu klären“ ist.477 Daran ist richtig, dass grundsätzlich die für die Beitragsbemessung maßgeblichen Umstände festzustellen sind – wozu selbstverständlich Urkunden und Zeugen herangezogen werden können – und darauf aufbauend die Sozialversicherungsbeiträge durch Rechtsanwendung zu bestimmen bzw zu berechnen sind. Das Gericht kann aber auch auf andere Weise die Überzeugu