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English Pages 411 [390] Year 2006
Wolfgang Krüger/Gerhard Klippstein/ Richard Merk/Volker Wittberg Praxishandbuch des Mittelstands
Wolfgang Krüger/Gerhard Klippstein/ Richard Merk/Volker Wittberg
Praxishandbuch des Mittelstands Leitfaden für das Management mittelständischer Unternehmen
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 1980 . .. 1. Auflage April 2006 Alle Rechte vorbehalten © Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006 Lektorat: Maria Akhavan-Hezavei Der Gabler Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Nina Faber de.sign, Wiesbaden Druck und buchbinderische Verarbeitung: Wilhelm & Adam, Heusenstamm Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN-10 3-8349-0196-2 ISBN-13 978-3-8349-0196-5
Inhaltsverzeichnis
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Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis ................................................................................................................... 5 Vorwort ................................................................................................................................... 9
Teil I Was ist Mittelstand? Standortbestimmung – Wo steht der Mittelstand? ................................................................. 13 Wolfgang Krüger Daten und Fakten – Wie ist der Mittelstand strukturiert?....................................................... 33 Gunter Kayser Erfolgsfaktoren – Was zeichnet die „Stillen Stars“ im Mittelstand aus? ............................... 49 Hermann Simon Persönlichkeiten – Was macht den Mittelständler aus? ......................................................... 63 Klaus Schweinsberg Familienunternehmen – Auslaufmodelle oder Hoffnungsträger? ......................................... 71 Arnold Weissman, Björn Schultheiss Eckpfeiler – Brauchen wir eine Mittelstandspolitik? ............................................................ 89 Lena Strothmann
Teil II Der Lebenszyklus mittelständischer Unternehmen Vitalität – Wie lange leben Mittelstandsunternehmen? ....................................................... 107 Volker Wittberg
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Inhaltsverzeichnis
Start-up – Worauf kommt es zu Beginn an? ....................................................................... 121 Richard Merk Wachstum – Wie managt man Erfolg? ................................................................................ 137 Arnd Huchzermeier, Gerd Lenz Wendepunkte – Krisen- und Insolvenzmanagement als Chance? ....................................... 153 Stefan Steinberg Unternehmensnachfolge – Wie managt man den Generationswechsel? ............................. 169 Wolfgang Krüger Verkauf – Wie macht man Marketing in eigener Sache? .................................................... 185 Birgit Felden, Annekatrin Klaus
Teil III Die Führung mittelständischer Unternehmen Die Führung mittelständischer Unternehmen – Zwischen Defizit und Äquivalenz ........... 203 Albert Martin, Susanne Bartscher-Finzer Good Governance – Familienunternehmen zwischen Wert- und Werte-Orientierung ........ 219 Peter May, Arno Lehmann-Tolkmitt Strategie – Zwischen Flexibilität und langfristiger Orientierung ....................................... 233 Norbert Hans Technologien und Ressourcen – Chancen evaluieren und nutzen ...................................... 249 Thierry Volery Finanzierung – Rating, Mezzanine und Private Equity ...................................................... 261 Konstanze Kinne, Elke Kottmann Personalführung – Zwischen Distanz und persönlicher Nähe ............................................ 275 Fred. G. Becker Controlling – Zwischen Blindflug und sicherer Unternehmensführung ............................. 295 Gerhard Klippstein
Inhaltsverzeichnis
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Teil IV Die Leistung mittelständischer Unternehmen Innovationsmanagement – Tüftelei und systematische Entwicklung .................................. 313 Bernd Kriegesmann, Friedrich Kerka Beschaffungsmanagement – Just-in-Time und Supply-Chain-Management ....................... 329 Bernd Eichler Produktionswirtschaft – Zwischen Handwerkstradition und Technologie .......................... 345 Stefan Schweiger Marketing und Vertrieb – Kundennähe und Flexibilität ...................................................... 361 Eric Schirrmann Spiel ohne Grenzen – Mittelständler: Local und Global Player .......................................... 381 Martin Kannegiesser Autoren ............................................................................................................................... 397
Vorwort
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Vorwort
Kleine und mittlere Unternehmen bis zu einem Jahresumsatz von 50 Millionen Euro bzw. bis zu 500 Mitarbeitern werden in Deutschland dem Mittelstand zugerechnet. EU-weit sollen zukünftig aus ordnungspolitischen Gründen neben dem Jahresumsatz und einer Beteiligungsquote von 75 % am eigenen Unternehmen 250 Mitarbeiter als Bestimmungsmerkmal des Mittelstands gelten. Andererseits gibt es zahlreiche inhabergeführte Unternehmen in Deutschland mit Weltgeltung, die Milliarden Jahresumsätze vorweisen können und weit mehr Beschäftigte als die o.g. Mitarbeiterzahlen haben und deren Eigner sich selbstbewusst und selbstverständlich dem Mittelstand zurechnen. Dem Phänomen „Mittelstand“ kommt man also nicht mit mehr oder weniger willkürlichen Größendefinitionen bei. Auch die häufig zu hörende Aussage, in kleinen und mittleren Unternehmen in Familienbesitz sei eben alles etwas kleiner und unprofessioneller als in großen Konzernen und Publikumsgesellschaften, läuft auf eine nichts sagende und irreführende Tautologie hinaus. Aus einer eher funktionalen Betrachtungsperspektive muss man allerdings zu dem Ergebnis kommen, dass zwischen der Gewinnerzielungsabsicht eines Mittelstandsbetriebs und einer Konzerngesellschaft kein prinzipieller Unterschied besteht. Eine numerisch gesteuerte Werkzeugmaschine funktioniert nicht anders, nur weil sie in einem Fertigungsbetrieb mittlerer Größe oder in einem Industriekonzern aufgestellt wird. Eine Deckungsbeitragsrechnung folgt ein und derselben Logik ohne Abhängigkeit von Besitzverhältnissen und Größenordungen. Und im Vertrieb gelten Verkaufsabschlüsse und Umsatzzahlen als betriebsgrößenunabhängige Erfolgsindikatoren. Bei näherer Betrachtung fallen aber durchaus regelhafte, qualitative Unterschiede zwischen Mittelständlern und Konzerngesellschaften auf: In Familienunternehmen mit Tradition geht die Nachhaltigkeit der Unternehmensentwicklung meist vor kurzfristige Gewinnsteigerung. Die Finanzierung einer Werkzeugmaschine im Mittelstand steht in einem anderen Eigenkapital/Fremdkapital-Kontext als bei einer Aktiengesellschaft. Auch die Strukturen des Produktionsprozesses und die Führung des Bedienungs- und Wartungspersonals sehen hier wie da anders aus. Eine Deckungsbeitragsrechnung führt zu anderen Produktentwicklungs- und Absatzstrategien bei erfolgreichen Nischenanbietern im Mittelstand als bei Unternehmen, die der Logik der „Größenvorteile“ (Economies of scale) folgen. Schließlich ersetzt sehr häufig die persönliche Präsenz des mittelständischen Unternehmers beim Kunden und die jahrelange Beziehungspflege ein professionelles Kundenbeziehungs-Managementsystem.
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Vorwort
Bei der näheren Betrachtung des Phänomens Mittelstand geht es also um die spezifischen qualitativen Merkmale und den besonderen Kontext betriebswirtschaftlichen und persönlichen Handelns in mittelständisch strukturierten Betrieben. Mit dem hier vorgelegten Band wird erstmals im deutschsprachigen Raum der Versuch unternommen, den Mittelstand systematisch in Form eines Handbuchs in seinen Grundzügen darzustellen, aber auch praktisch umsetzbare Handlungsanweisungen zu geben. Der Teil 1 dient der grundlegenden gesellschaftlichen und politischen Standortbestimmung des Mittelstands sowie dessen quantitativer und qualitativer Beschreibung und Abgrenzung. Mittelstandsunternehmen werden zum einen durch Eigentümerpersönlichkeiten geprägt, denen hier eine Unternehmertypologie auf empirischer Basis gewidmet ist. Zum anderen folgen Familienunternehmen bestimmten Gesetzmäßigkeiten, die hier ebenfalls beschrieben werden. Damit einher geht der empirische Beleg von Erfolgstreibern, die seit Jahren konstant, Mittelständler zu weltweiten Marktführern werden lassen. Im Teil 2 wird idealtypisch der Lebenszyklus mittelständischer Unternehmen beschrieben. In den einzelnen Beiträgen werden Beispiele und praktische Handlungsanleitungen für die Unternehmensgründung und für das Managen des Wachstums und der Krise gegeben. Zu den zyklischen Besonderheiten von Familienbetrieben gehören die Optionen des familiären Generationswechsels, der außerfamiliären Nachfolge oder des Verkaufs, die hier systematisch und handlungsorientiert dargestellt werden. Dem Zusammenhang zwischen Wert- und Werteorientierung in der Führung familiärer Mittelstandsunternehmen wird zu Beginn des Teils 3 nachgegangen. Es schließen sich Beiträge zur instrumentellen Unternehmensführung von der Strategie bis zum Controlling an, wobei je nach Gegenstand mal mehr, mal weniger auf den spezifischen Mittelstandsaspekt eingegangen werden kann. Mit der Darstellung der unterschiedlichen Phasen der Leistungserstellung in mittelständischen Strukturen und der besonderen Herausforderung des Weltmarktes für den Mittelstand schließt Teil 4 das Handbuch ab. Dabei wird nicht ein Defizitansatz, sondern ein Kompensationsansatz im Vergleich zu den „Großen“ verfolgt. Die Beiträge dieses Handbuchs bewegen sich zwischen theoretischer Vergewisserung über den Gegenstand Mittelstand und praktischem Nutzen für den Mittelstand. Die Herausgeber verstehen dieses Handbuch als Beginn eines Dialogs mit Praktikern, Verbänden und Forschungseinrichtungen, zu dem wir als Lehrende und Forschende an der Fachhochschule des Mittelstands (FHM) herzlich einladen.
Wolfgang Krüger, Gerhard Klippstein, Richard Merk, Volker Wittberg
Bielefeld, im Frühjahr 2006
Vorwort
Teil I Was ist Mittelstand?
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Standortbestimmung – Wo steht der Mittelstand?
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Standortbestimmung – Wo steht der Mittelstand? Wolfgang Krüger
Zusammenfassung
Im Einleitungsbeitrag zu diesem Werk wird der Standort des Mittelstands in der Politik und in den Interessenorganisationen, in den Medien und in der Wissenschaft bestimmt. Es folgt eine theoretische Einordnung des „Gegenstands Mittelstand“ aus unterschiedlichen Perspektiven: Aus volkswirtschaftlicher Perspektive wird der Frage nachgegangen, wie sich der Mittelstand im Wirkungsgefüge nationaler und globaler Märkte bewegt und entwickeln wird. Aus betriebswirtschaftlicher Perspektive stellt sich die Frage, ob die Unternehmensführung und die Leistungserstellung in kleinen und mittleren Unternehmen im Vergleich zu Großunternehmen grundsätzlich als defizitär zu charakterisieren sind. Die Kapitalausstattung des Mittelstands mit einer durchschnittlichen Eigenkapitalquote von 20 % ist seine chronische Schwachstelle. Deshalb wird der Mittelstand hier auch aus finanzwirtschaftlicher Perspektive betrachtet. Wie das Wechselspiel zwischen Familiensystem und dem System Unternehmen funktioniert, welche Störungen an den Schnittstellen der Systeme entstehen können und wie man sie beseitigen kann, wird aus verhaltenswissenschaftlicher Perspektive erörtert. Existenzgründer sind per Definition als Eigner und Leiter ihres Unternehmens Mittelständler – von der Ich-AG bis zum Unternehmen mit 500 Mitarbeitern. In Anbetracht der wachsenden Zahl „not-motivierter“ Existenzgründer, aber auch der zahlreichen „chancen-orientierten Gründer“ mit einer zündenden Ausgangsidee ist die Frage von zentraler Bedeutung, ob unternehmerische Qualität eine Eigenschaft ist, die man hat oder nicht, oder ob man sich die Voraussetzungen für erfolgreiches unternehmerisches Handeln aneignen kann. Dieser Frage wird aus der Perspektive der Entrepreneurshipforschung nachgegangen. Bei der Beschäftigung mit dem Mittelstand aus ausgewählten wissenschaftlichen Perspektiven und der Erörterung von Grundsatzfragen wird immer auch der praktische Nutzwert erläutert, der sich für kleine und mittlere Unternehmen aus der Beantwortung dieser Fragen ergeben kann. Um den Zugang zu diesem Handbuch zu erleichtern, wird jeweils auf die folgenden Kapitel und relevanten Beiträge verwiesen.
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1.
Wolfgang Krüger
Mittelstands-Standortbestimmung
Der Mittelstand ist von zentraler Bedeutung für Deutschland: 3,3 Millionen mittelständische Unternehmen beschäftigen 20,1 Millionen Arbeitnehmer. Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) machen 98 % der steuerpflichtigen Betriebe in Deutschland aus. Sie erzielen 43,2 % der steuerpflichtigen Umsätze und beschäftigen 69,7 % aller Arbeitnehmer. 83 % aller Auszubildenden werden in kleinen und mittleren Unternehmen ausgebildet. Mittelständler erwirtschaften knapp die Hälfte der Bruttowertschöpfung in Deutschland. 1 Der Mittelstand in Deutschland ist also von eminenter gesellschafspolitischer Bedeutung. Unternehmen, die zu Teilen oder in Gänze in Familienbesitz sind und von Familienmitgliedern – z. T. über Generationen – geführt werden, sind mit ihrer ökonomischen Kraft und ihrer lokalen und regionalen Verwurzelung ein konstitutives Element der marktwirtschaftlichen Demokratie in Deutschland. Angesichts dieser faktischen Bedeutung des Mittelstands für die Gesellschaft stellt sich die Frage, welchen Stellenwert und welchen Standort der Mittelstand in Politik und Interessenvertretungen, in den Medien und in der Wissenschaft einnimmt. Dieser Frage wird im Folgenden nachgegangen.
Politik und Interessenvertretung Alle großen Parteien verfügen über Vereinigungen, Ausschüsse und Arbeitskreise, die sich mit Mittelstandsfragen beschäftigen, so die Mittelstandsvereinigung der CDU oder der Arbeitskreis Mittelstand in der SPD. Die FDP ist von ihrem Selbstverständnis her insbesondere an unternehmerischer Initiative und freiberuflicher Selbständigkeit orientiert. Bündnis 90 – Die Grünen weisen in ihrem Organigramm und ihren Arbeitskreisen keine spezifische Nennung des Mittelstands aus. Mit der KfW Mittelstandsbank als Teil der KfW Bankengruppe besteht ein Kreditinstitut des Bundes (80 %) und der Länder (20 %), das mittelständische Unternehmen, Gründer, Freiberufler und Start-ups mit Krediten, Nachrangdarlehen und Beratung unterstützt. Die Innungen, Kreishandwerkerschaften und die Handwerkskammern repräsentieren die kleinen und mittleren Handwerksbetriebe, die nahezu 80 % des Mittelstands ausmachen. Die Industrie- und Handelskammern repräsentieren vorwiegend die mittleren und großen Mittelstandsbetriebe bis 500 Mitarbeiter bzw. mit einem Umsatzvolumen bis zu 50 Mio. Euro.
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Die Fakten und Daten über den Mittelstand werden im folgenden Beitrag von G. Kayser erläutert.
Standortbestimmung – Wo steht der Mittelstand?
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Der Bundesverband des Mittelstands, die Arbeitsgemeinschaft selbständiger Unternehmer (ASU) und der Bund junger Unternehmer (BJU) nehmen sich der Fragen der Freiberufler, der Jungunternehmer bzw. der Selbständigen an. Darüber hinaus bestehen zahlreiche berufsständische und branchenspezifische Verbände, von Anwaltsvereinigungen über Orthopädiefachverbände bis zu Vereinigungen der Zimmerleute, die auch die gesellschaftspolitische und ökonomische Standortbestimmung und Perspektive ihrer Mitglieder im Mittelstand reflektieren und durch Willensbildung und Öffentlichkeitsarbeit transportieren.
Medien In den Tageszeitungen und Wirtschaftsmagazinen hat der Mittelstand einen festen Platz. Veränderungen der konjunkturellen, steuerlichen und wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen werden aus Mittelstandssicht reflektiert und kommentiert. Auch die Verlage haben längst den Mittelstand als „Absatzgebiet“ entdeckt und so entstehen immer mehr Publikationen mit Mittelstandsbezug, wobei der Anspruch, den spezifischen Anforderungen des Mittelstands auch gerecht zu werden, nur selten eingelöst wird. In den Unterhaltungsformaten der Fernsehsender werden mehrere mittelständische, zumeist negative Unternehmerstereotype produziert und gepflegt, die suggerieren, dass Unternehmer zu Lasten anderer handeln. Damit wird das Unternehmerbild verzerrt und der Nährboden für eine Kultur der Selbständigkeit verdorben.
Wissenschaft Auf wissenschaftlicher Ebene haben sich verschiedene Institute und Lehrstühle etabliert, die sich vorwiegend mit Mittelstandsfragen beschäftigen: Tradition auf diesem Gebiet hat das Institut für Mittelstandsforschung (IfM) in Bonn, das seit Jahren vorzügliche empirische Arbeiten über den Mittelstand vorlegt und regelmäßig die wichtigsten quantitativen und qualitativen Daten über den Mittelstand erhebt. 2 Institute für Mittelstandsforschung bestehen weiterhin an der Universität Mannheim mit einem reichhaltigen Tagungsangebot und Schrifttum und an der Universität Lüneburg, wo der Forschungsschwerpunkt im Bereich Führung, Personal und Organisation liegt. Mittelständische Unternehmen sind in der überwiegenden Anzahl familiengeführt. Dem trägt das Deutsche Bank Institut für Familienunternehmen seit Jahren Rechnung, das mit Gründung der Hochschule an der Universität Witten/Herdecke eingerichtet wurde.
2
Siehe den folgenden Beitrag von G. Kayser.
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Wolfgang Krüger
Neu seit dem Jahr 2000 ist die Fachhochschule des Mittelstands (FHM) in Bielefeld, die Mittelstandsfragen in den Mittelpunkt von Forschung und Lehre stellt, ein Institut für Unternehmensgründung und Unternehmenssicherung und ein Lehrgebiet Unternehmensführung mit dem Schwerpunkt Unternehmensnachfolge unterhält. An zahlreichen Hochschulen in Deutschland, der Schweiz und in Österreich werden zumeist im betriebswirtschaftlichen Bereich Lehr- und Forschungsgebiete mit einem Mittelstandsschwerpunkt ausgewiesen. 3 1996 begann mit der Einrichtung der ersten Stiftungsprofessur für Gründungsforschung an der European Business School im deutschsprachigen Raum die Institutionalisierung des akademischen Fachs „Entrepreneurship“. Im Jahr 2002 ließen sich bereits 50 Professuren ausmachen, die auf Entrepreneurship spezialisiert sind. 4 Die Zahl dürfte heute deutlich höher liegen. In der Disziplin „Entrepreneurship“ werden in Forschung und Lehre interdisziplinär die Voraussetzungen und die Bedingungen der Existenzgründung und der Unternehmenssicherung bearbeitet. Entrepreneurship ist somit zur eigentlichen Kerndisziplin der Mittelstandsforschung geworden. Einen Zusammenschluss der EntrepreneurshipForscher bildet auf Bundesebene der Förderkreis Gründungsforschung e.V. (FGF). 5 Die wissenschaftliche Theoriebildung zum Mittelstand ist eher noch bescheiden. Eine vorzügliche „Mittelstandsökonomie“, in der „Grundzüge einer umfassenden Analyse kleiner und mittlerer Unternehmen“ vorgenommen wird, hat W. Krämer (2003) vorgelegt. Mit dem 1. Band der „Perspektiven der Mittelstandsforschung“ (Merz, J., Wagner, J. 2004) ist eine Schriftenreihe eröffnet worden von der Einrichtung CREPS an der Universität Lüneburg, die aufgrund ihres spezifischen Forschungsschwerpunktes einen nachfrageorientierten Erkenntnisansatz vermuten lässt. 6 Eine besondere Form der anwendungsorientierten Erkenntnisgewinnung im Mittelstand erfolgt durch Beratungsunternehmen. Hier seien exemplarisch die Sozietät Hennerkes, Kirchdörfer & Lorz, Stuttgart, das Intes-Institut in Bonn und die TMS AG in Köln genannt, die aufgrund ihrer Beratungspraxis grundlegende Modelle und Konzepte insbesondere zu Familienunternehmen und der Unternehmensnachfolge entwickelt haben. 3
4 5
6
Beispielsweise: Uni. Bayreuth: Forschungszentrum für Fragen der mittelständischen Wirtschaft. FH Kaiserslautern: Studiengang Mittelstandsökonomie. Uni. Trier: Professur für Mittelstandsökonomie. FH Münster/FH Gelsenkirchen: Institut für mittelstandsorientierte BWL. Wirtschaftsuniversität Wien: Institut für BWL der KMU. Uni. St. Gallen: Schweizer Institut für Klein- und Mittelunternehmen. FGF Report: Gründungsprofessuren 2002. Zielsetzung des FGF ist es, die führende wissenschaftliche Vereinigung im Bereich der interdisziplinären Entrepreneurship-Forschung und -Lehre im deutschsprachigen Raum zu sein. Der FGF versteht sich als Interessensverwalter des Fachgebietes und sieht seine Kernaufgabe in der nachhaltigen Pflege und Stärkung der nationalen und internationalen Informations- und Kommunikationsbeziehungen interner und externer Akteure in diesem Bereich. Hierzu zählt auch die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Die Akteure tragen zur Generierung wissenschaftlicher Erkenntnisse bei. Durch den Transfer der gewonnenen Erkenntnisse werden innovative Unternehmensgründungen unterstützt sowie die Qualität und Überlebenschancen junger Unternehmen erhöht. CREPS: Center für Research in Entrepreneurship, Professions and Small Business Economics. CREPS nennt als besonderes Merkmal des Forschungsschwerpunktes die sowohl angebots- als auch nachfrageseitige Analyse der mittelständischen Wirtschaft.
Standortbestimmung – Wo steht der Mittelstand?
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Im folgenden Kapitel soll der Gegenstand Mittelstand in einen anwendungorientierten Rahmen mit wissenschaftlichem Hintergrund gestellt werden, um damit gleichzeitig auch die Beiträge dieses Handbuchs einordnen zu können.
2.
Mittelstand zwischen theoretischer Erkenntnis und praktischem Nutzwert
Eine Theorie des Mittelstands sollte nach Auffassung von Krämer folgende Grundstruktur aufweisen (Krämer, W. 2003, S. 13): „Die Ziele kleiner und mittlerer Unternehmen (ZKMU) müssen im Zusammenhang (f = Funktion) mit den Führungsaktionen der Personen im Unternehmen (FA), mit den Ressourcen (R) und mit dem Umfeld (U), mit der Organisationsstruktur (O) und mit der Entwicklung des Unternehmens (E) erklärt werden.“ 7 Krämer kommt jedoch selbst zu der Feststellung, dass sich eine solche Wirtschafttheorie nicht abzeichnet und dass in Forschung und Theoriebildung jeweils einzelne Phänomene und Wirkungszusammenhänge untersucht werden. In Anbetracht der Tatsache, dass 70 % der dem Mittelstand zugerechneten Unternehmen eine Betriebsgröße bis maximal fünf Mitarbeitern aufweisen, kann unterstellt werden, dass die Komplexität des wirtschaftlichen Geschehens doch recht überschaubar ist. Mittelstandsorientierte Forschung muss demnach – bei aller Legitimität der Suche nach Forschungsergebnissen mit einem hohen theoretischen Erkenntniswert – immer auch die Frage nach dem praktischen Nutzwert stellen. Im Folgenden werden deshalb aus ausgewählten wissenschaftlichen Perspektiven theoretische Grundsatzfragen zum Gegenstand Mittelstand gestellt und zugleich der praktische Nutzwert erläutert, der sich für kleine und mittlere Unternehmen aus der Beantwortung dieser Fragen ergeben kann. Die interdisziplinären wissenschaftlichen Perspektiven ergeben sich aus der nationalen Bedeutung des Mittelstands im globalen Zusammenhang; der Notwendigkeit der Unternehmensführung und der Steuerung des Wertschöpfungsprozesses unter den Bedingungen kleiner und mittlerer Unternehmen; dem chronischen Mangelleiden des deutschen Mittelstands an Eigenkapital und der sich daraus ergebenden Notwendigkeit der Fremdfinanzierung;
7
Die Formel lautet: Z KMU = f (FA, R, U, O, E).
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Wolfgang Krüger
der Besonderheit der generationsübergreifenden Weitergabe von Familienunternehmen und der sich daraus ergebenden Frage nach dem Einfluss von Erziehung und Sozialisation auf das Gründungs- und Nachfolgeverhalten junger Menschen; aus dem regen Gründungs- und Nachfolgegeschehen im Mittelstand, verbunden mit den Fragen nach den Rahmenbedingungen unternehmerischen Handelns und der persönlichen Voraussetzungen für Unternehmertum. In der folgenden Abbildung 1 werden die ausgewählten (wissenschaftlichen) Perspektiven, verbunden mit den leitenden theoretischen Fragestellungen und dem vermuteten praktischen Nutzwert, dargestellt. Perspektiven
Theoretische Fragestellungen
Praktischer Nutzwert
Volkswirtschaft
Der Mittelstand im Wirkungsgefüge nationaler und globaler Märkte und ordnungs- bzw. wirtschaftpolitischer Rahmenbedingungen.
Unternehmensaufstellung und Marktchancenoptimierung im nationalen und internationalen Kontext.
Betriebswirtschaft
Die Führung familiärer Mittelstandsunternehmen zwischen Defizit und Äquivalenz.
Hinweise für die Chancenoptimierung in der Unternehmensführung und der Wertschöpfung.
Finanzwirtschaft
Finanzierungsquellen und Finanzierungsmodelle und die Auswirkungen von Basel II.
Mittelbeschaffung und Eigenkapitalkonsolidierung.
Systeme und Verhalten
Mittelstandsunternehmen als Rollensysteme von Unternehmerfamilie und Familienunternehmen.
Vermeidung bzw. Lösen von familiären Konflikten mit Auswirkungen auf das Familienunternehmen.
Entrepreneurship
Rahmenbedingungen der Unternehmensgründung und persönliche Voraussetzungen von Unternehmertum.
Hilfestellung für die Existenzgründer und Unternehmensnachfolger.
Abbildung 1:
Perspektiven, theoretische Fragestellungen und praktischer Nutzwert anwendungsorientierter Mittelstandsforschung
In den folgenden Abschnitten werdenden die einzelnen Perspektiven des Mittelstands, sowohl im Hinblick auf eine Theoriebildung als auch bezüglich des praktischen Nutzwertes möglicher theoretischer Erkenntnisse, ausgeführt.
Standortbestimmung – Wo steht der Mittelstand?
2.1
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Volkswirtschaftliche Perspektive
Auf die quantitativen Eckwerte des deutschen Mittelstands wurde bereits zu Beginn dieses Kapitels eingegangen. Detaillierte Angaben finden sich in diesem Handbuch in dem folgenden Beitrag von G. Kayser. Aus volkswirtschaftlicher Perspektive stellt sich die Frage, wie sich der Mittelstand im Wirkungsgefüge nationaler und globaler Märkte und ordnungs- und wirtschaftpolitischer Rahmenbedingungen bewegt und entwickeln wird. Daraus kann als praktische Konsequenz abgeleitet werden, wie sich kleine und mittlere Unternehmen national und international aufstellen. Allgemein stellt sich die spezifische Shareholder- bzw. Stakeholderstruktur im deutschen Mittelstand folgendermaßen da:
Unternehmerfamilie Mitarbeiter
Öffentlichkeit
Staat/Kommunen
Mittelstand
Banken
Kunden
Lieferanten Investoren
Abbildung 2:
Stakeholder und Shareholder des Mittelstands
Im Einzelnen stellt sich die spezifische Shareholder- bzw. Stakeholderstruktur im deutschen Mittelstand unter Chancen- und Risikoaspekten folgendermaßen dar: Unternehmerfamilie: Mit 3,3 Millionen Mittelstandsbetrieben ist direkt oder indirekt ein Mehrfaches an Familienmitgliedern durch Teilhabe, Mitarbeit, Erbe oder Nachfolge beteiligt. Jährlich stehen 70.000 zur Übernahme an – eine kritische Phase für das Familienunternehmen und die Unternehmerfamilie (vgl. zur Nachfolgethematik auch den Beitrag von W. Krüger in diesem Handbuch). Mitarbeiter: Der Mittelstand in Deutschland beschäftigt insgesamt ca. 70 % aller Arbeitnehmer. Darüber hinaus werden dort 80 % der Jugendlichen ausgebildet. Während Groß-
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Wolfgang Krüger
unternehmen in den letzten Jahren ihren Personalbestand z. T. drastisch reduziert haben, ist der Personalstand im Mittelstand nahezu konstant geblieben. Kunden: Die Kunden des Mittelstands nehmen in erster Linie Dienstleitungen wahr, gefolgt von Produkten des produzierenden Gewerbes und schließlich als Kunden des Handels. KMU des produzierenden Gewerbes sind auch im Zusammenhang mit Großunternehmen zu sehen, da Mittelständler unterstützend für die Auslastung von Großunternehmen sorgen. Lieferanten: Im Mittelstand ist der Warenfluss von Lieferanten zu Kunden in ganz erheblichem Umfang ein Mittelstand-zu-Mittelstand-Geschäft. Da Mittelständler noch wenige Kooperationen eingehen, um ihre Einkaufsmacht zu stärken, ist das Liefergeschäft relativ margenträchtig bei einer durchschnittlich guten Zahlungsmoral. Investoren: Venture-Capital-Firmen engagieren sich in wachsender Zahl mittelfristig im Mittelstand mit der klaren Maßgabe eines ertragreichen Exits und der Veräußerung der Beteiligung. Banken: Die Banken sind und bleiben der wichtigste Kreditgeber des Mittelstands mit entsprechenden Erwartungen an ein Rating, an Sicherheiten und einer positiven Geschäftsentwicklung. Staat/Kommunen: Kleine und mittlere Unternehmen machen 98 % der steuerpflichtigen Betriebe in Deutschland aus. Mittelständler erwirtschaften knapp die Hälfte der Bruttowertschöpfung. Gegenüber Konzernen haben mittelständische Unternehmen keine Steuerprivilegien und die Möglichkeit, durch Bilanztransaktionen die nationale Steuerpflicht deutlich zu schmälern – es sei denn, sie verlegen ihren Hauptsitz ins Ausland, was ein durchaus ernst zu nehmender Trend in Deutschland ist. Öffentlichkeit: Mittelständler nehmen lokal und regional eine wichtig Rolle als Förderer von Kunst und Sport ein. Als potenzielle Sponsoren tauchen sie auf unzähligen Listen von Teilgruppierungen der Öffentlichkeit auf. Die Shareholder- und Stakeholderstruktur des Mittelstands unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich der Eignerstruktur von der von Publikumsgesellschaften. Vielmehr ist die Interessenlage der Kunden und Lieferanten unmittelbarer und persönlicher. Die Aufteilung des Mittelstands nach volkswirtschaftlichen Sektoren stellt sich wie folgt dar: Handel
19,7 %
Produzierendes Gewerbe
31,4 %
Dienstleistungen
48,9 % 8
8
Quelle: mind 04, 2005.
Standortbestimmung – Wo steht der Mittelstand?
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Der Dienstleistungsbereich dominiert also bei kleinen und mittleren Unternehmen und kennzeichnet einen seit Jahren zu beobachtenden Strukturwandel der Volkswirtschaft von der Produktion zur Dienstleistung. Diesem Trend entspricht auch die Betriebsgröße im Mittelstand: Bei Zugrundelegung der deutschen Definition von Mittelstand (bis 500 Mitarbeiter und bis 50 Millionen Euro Jahresumsatz) fallen die gravierenden Strukturunterschiede im Mittelstand zwischen Klein- und Mittelbetrieben auf: Mitarbeiterzahlen als Maßstab: 90 % der Betriebe beschäftigen bis zu maximal 19 Mitarbeiter. 10 % der Betriebe beschäftigen 20 bis 500 und mehr Mitarbeiter. Umsatzzahlen als Maßstab: 90 % der Betriebe erzielen einen Jahresumsatz zwischen 17.500 bis zu 1 Mio. Euro. 10 % der Betriebe erzielen einen Jahresumsatz zwischen 1 Mio. bis zu 50 Mio. Euro und mehr. Der Mittelstand in Deutschland hat sich in der strukturellen und konjunkturellen Krise zu Beginn des 21. Jahrhunderts als relativ robust erwiesen. Trotz der hohen Zahl an Insolvenzen ist die Zahl der gemeldeten Gewerbebetriebe seit der Jahrtausendwende angestiegen. Auch wenn viele Existenzgründungen innerhalb eines Zeitraums von drei bis fünf Jahren eingehen, blieb im Jahr 2004 ein positiver Saldo zwischen Gründungen und Liquidationen von 144.000 Existenzgründungen. Die Verlagerung der Produktion ins Ausland zur Kostenreduktion durch mittlere und große Mittelständler ist im vollen Gang. Aus volkswirtschaftlicher Perspektive ist allerdings dabei interessant, dass bei Nutzung der Chancen zur heimischen Standortoptimierung die Vorteile der deutschen Infrastruktur und der Netzwerke im Bereich Logistik, Produktion und Vertrieb von Mittelständlern zunehmend wieder als Standortvorteile geschätzt werden. 9 In Anbetracht des zunehmenden internationalen Standortwettbewerbs um den deutschen Mittelstand kommt der Gestaltung der nationalen wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen wachsende Bedeutung zu. 10 Aus volkswirtschaftlicher Sicht und aus dem praktischen betrieblichen Geschehen heraus wird es entscheidend sein, ob die Politik den Spagat zwischen gigantischen Haushaltslöchern und einer mittelstandsorientierten Wirtschaftpolitik einschließlich der Erbschafts- und Unternehmensbesteuerung schafft.
9
Vgl. hierzu den Beitrag von M. Kannegiesser in diesem Handbuch. 10 Vgl. hierzu den Beitrag von L. Strothmann in diesem Handbuch.
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Wolfgang Krüger
2.2
Betriebswirtschaftliche Perspektive
Aus betriebswirtschaftlicher Perspektive stellt sich die Frage, ob die Unternehmensführung und die Leistungserstellung in kleinen und mittleren Unternehmen im Vergleich zu Großunternehmen aufgrund der unterschiedlichen Ressourcenstärke und Professionalisierung per se defizitär sind. Aus systemtheoretischer Sicht kommen hierzu in diesem Handbuch A. Martin und S. Bartscher-Finzer zu dem Ergebnis, dass die Unternehmensgröße nichts über die Qualität der Unternehmensführung aussagt. Die Unternehmensgröße schafft zwar unterschiedliche Handlungsvoraussetzungen, aber die Möglichkeit, innerhalb eines kleineren Handlungsrahmens effiziente Handlungsstrukturen zu entwickeln, bleibt davon unberührt. Statt KMU mit einer „Defizitbrille“ mit Großunternehmen zu vergleichen, ist es in der Mittelstandstheorie und der Praxis kleiner und mittlerer Unternehmen fruchtbarer, die Äquivalenzen bzw. Kompensationsmechanismen zu untersuchen bzw. praktisch zu gestalten. Diese Äquivalenzen bzw. Kompensationsmechanismen sind insbesondere in der Einheit von Unternehmensführung und Unternehmensbesitz angelegt. In erfolgreichen, familiengeführten Unternehmen gelingt es, eine Balance zwischen Wert- und Werteorientierung herzustellen, wie P. May und A. Lehmann-Tolkmitt in ihrem Beitrag zu diesem Handbuch darlegen Der familiäre Geist, ein Unternehmen in Tradition zu führen und weiterzuführen, schafft eine Wertebasis, die diejenigen Familienmitglieder eint und stärkt, die sich zu dieser Wertebasis bekennen. Diese Wertebasis wird sehr häufig auch explizit erweitert durch das Bekenntnis, Arbeitsplätze zu erhalten, Mitarbeiter langfristig an das Unternehmen zu binden und einen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten. Auch wenn in Familienunternehmen die Unternehmensführung durch Fremdmanager wahrgenommen wird, „können Werte der Familie in konkrete Ziele umgesetzt werden, die dem Management als Vorgabe und den Eigentümern als Kontrollraster dienen“. Die Führungsund Kontrollstrukturen in Familienunternehmen mindern im Vergleich zu anonymen Publikumsgesellschaften die Gefahren eines kurzfristigen, spekulativen Strategiewechsels und von Grabenkriegen von Managern mit Zeitverträgen um die Gunst des Aufsichtsrates. Allerdings sind Familienunternehmen nicht vor Streitigkeiten gefeit, was die Notwendigkeit einer „Good Governance“ als eines Kodex für ordnungsgemäße Unternehmensführung unterstreicht. 11 Auf die Unterschiede zwischen Familienunternehmen und Kapitalgesellschaften geht A. Weissman in seinem Beitrag zu diesem Handbuch ausführlich ein. Als wichtigste Leitprinzipien und Erfolgstreiber der Unternehmensführung von Familienunternehmen nennt er die Wahrung der Einheit und Einigkeit der Familie, die Sicherstellung professioneller und objektiver Entscheidungen, 11 Vgl. hierzu den Beitrag von P. May und A. Lehmann-Tolkmitt in diesem Handbuch.
Standortbestimmung – Wo steht der Mittelstand?
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die werterhaltende Investitions- und Entnahmepolitik, die Wahrung der Unabhängigkeit. Aus der analytischen und klassifizierenden Beschäftigung mit den Unterschieden der Bedingungen und Möglichkeiten der Unternehmensführung in KMU und Konzernen lassen sich demnach durchaus praktische Hinweise für das Mittelstandsmanagement ableiten. Einen praktischen Nutzwert für die betriebswirtschaftlich fundierte Unternehmensführung haben auch die Forschungsarbeiten von H. Simon über die „Hidden Champions“ im Mittelstand. In diesem Handbuch bestätigt Simon seine im Jahr 1995 erstmals empirisch ermittelten „Erfolgsrezepte“ der deutschen „Stille Stars“, die darin bestehen, nach „psychologischer Marktführung“ zu streben, einzigartige Produkte für Nischenmärkte zu entwickeln, sich in den Produkten zu spezialisieren und in der Vermarktung zu globalisieren, Kundennähe zum gelebten Marketingprinzip zu machen, die Innovation „ganz groß“ zu schreiben, im Wettbewerb mehr durch Differenzierung denn durch Kostenvorteile zu bestehen, eine hohe Fertigungstiefe zu realisieren und Kernkompetenzen weiter auszubauen, eine leistungsorientierte Selektion und konstante Personalbindung zu praktizieren, bis zu 20 Jahre charismatische Führungskräfte an der Spitze zu haben. Die Optimierung der Leistungserstellung und der Wertschöpfung unter den Bedingungen mittelständischer Wirtschaft ist Gegenstand des 4. Teils dieses Handbuchs. Die Beiträge zum Beschaffungsmanagement von B. Eichler, zur Produktionswirtschaft von S. Schweiger, zur Innovation von B. Kriegesmann, zu Marketing und Vertrieb von E. Schirrmann und zur Internationalisierung von Fertigung und Vertrieb von M. Kannegiesser, geben hierzu Auskunft.
2.3
Finanzwirtschaftliche Perspektive
Die Kapitalausstattung des Mittelstands mit einer durchschnittlichen Eigenkapitalquote von 20 % ist seine chronische Schwachstelle. Anders als bei der Allokation anderer Ressourcen, wie Rohstoffen, Maschinen und Personal, steht dem Mittelstand bei der Ressource „Geld“ ein mächtiges und differenziertes System von Kreditinstituten und anderen Finanzdienstleistern gegenüber, die wiederum selbst nationalen und internationalen Regelungen unterworfen sind. Deshalb ist es bei einer Standortbestimmung des Mittelstands in Deutschland gerechtfertigt, gesondert die finanzwirtschaftliche Perspektive einzunehmen.
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Wolfgang Krüger
Auch wenn alternative Finanzierungsformen an Bedeutung zunehmen, so ist doch der klassische Kredit das zentrale Geschäftsfeld der Kreditwirtschaft im Mittelstand und ein komplexes und kompliziertes Interaktionsfeld zwischen Unternehmern und Bankern. Mit den ab dem Jahr 2006 wirksamen Eigenkapitalregelungen nach „Basel II“ ist dieses Interaktionsfeld komplexer geworden und stellt neue Anforderungen an beide Seiten. Im Verhältnis von Kreditwirtschaft und Firmenkunden hat Basel II bereits eine „neue Offenheit“ erzeugt. Mancher Mittelständler, für den Begriffe wie „Strategie“ und „Controlling“ mehr Worthülsen denn betriebliche Praxis waren, lernt durch die Anforderungen der Ratingkriterien (vgl. Abbildung 3) sich entsprechend aufzustellen. Insofern kann Basel II als Chance für den Mittelstand gewertet werden, wird doch ein heilsamer Zwang zur Einführung betriebswirtschaftlicher Standards ausgeübt, die viele Mittelständler lange ignoriert haben. Quantitative Faktoren
Harte qualitative Faktoren
Weiche qualitative Faktoren
Bilanzkennzahlen Erfolgskennzahlen Vermögenskennzahlen Branchenkennzahlen
Kontoführung Dauer der Kundenbeziehung Nachfolgeregelung Rechtsform
Branche Produkte und Fertigungsprozesse Management Controlling und Finanzen
Abbildung 3:
Ratingkriterien nach Basel II
Basel II stellt aber auch neue Anforderungen an die Banken und die Firmenkundenbetreuer: Gefragt ist nicht mehr der spezialisierte Kreditfachmann, sondern der vielseitige betriebswirtschaftliche Berater. Die Kreditwirtschaft in Deutschland – insbesondere die Sparkassenorganisation – war in den letzten Jahren der wichtigste Finanzpartner des Mittelstands. Das Diagramm in Abbildung 4 zeigt, wie sich mit Stand vom Dezember 2003 die Kreditvergabe von 1.252,2 Mrd. Euro an inländische Unternehmen und Selbständige auf die deutsche Kreditwirtschaft verteilt.
(1) Sparkassen und Landesbanken (2) Genossenschaftliche Zentralbanken, Kreditgenossenschaften (3) Realkreditinstitute (4) Sonstige Mittelstands-Finanzinstitute (5) Großbanken (6) Regionalbanken und sonstige Kreditbanken
Quelle: Deutsche Bundesbank, Bankstatistik August 2004 Abbildung 4:
Kredite an inländische Unternehmen und Selbständige. Stand 12/2003.
Standortbestimmung – Wo steht der Mittelstand?
25
Aus finanzwirtschaftlicher und betrieblicher Sicht stellt sich im Nachgang zu Basel II die Frage, welche Finanzierungsquellen der Mittelstand in Zukunft nutzen kann 12 und welche Finanzierungsquellen er nutzen wird. Dabei ist von entscheidender Bedeutung, ob die breite Anwendung von Basel II den Mittelstand als Ganzes in eine Kreditklemme führt, bei einem „schlechten Rating“ mit entsprechend teureren Krediten die Liquidität und Konkurrenzfähigkeit der KMU nachhaltig negativ beeinflusst, zu einer qualitativen Verbesserung in der Unternehmensführung beiträgt, zu einer veränderten Nutzung alternativer Finanzierungsformen führt (vgl. Abbildung 5). Eigenkapital
Fremdkapital
Mezzanines Kapital
Finanz-
Strategische
Strukturierte
Klassische
investoren
Investoren
Konzepte
Instrumente
Venture Capital; Private Equity; Initial Public Offering (IPO)
Mergers and Acquisitions (M&A)
Abbildung 5:
2.4
Genussscheine; Stille Beteiligungen; Wandel-/Optionsanleihen
Asset-Backed Finance; Akquisitions-
Darlehen Factoring Leasing
finanzierung
Alternative Finanzierungsformen für den Mittelstand
System- und Verhaltensperspektive
In Kapitel 2.2 wurde ausgeführt, dass die Orientierung an Werten und die auf Dauer angelegte persönliche Bindung der Akteure an das Familienunternehmen eine nachhaltige Unternehmensentwicklung begünstigen können. Eine erfolgreiche Unternehmensführung setzt aber voraus, dass in dem komplexen und komplizierten Bedingungs- und Wirkungsgefüge zwischen Unternehmerfamilie und Familienunternehmen keine „Störungen“ entstehen bzw. diese beseitigt werden können.
12 Vgl. hierzu den Beitrag von K. Kinne und E. Kottmann in diesem Handbuch.
26
Wolfgang Krüger
Unternehmerpersönlichkeit
Unternehmerfamilie
Abbildung 6:
Familienunternehmen
Das Gesamtsystem des Familienunternehmens
Das komplexe Gesamtsystem von Unternehmerpersönlichkeit, Unternehmerfamilie und Familienunternehmen mit den entsprechenden Schnittstellen lässt sich idealtypisch wie in Abbildung 6 gezeigt, darstellen. Aus der systemtheoretischen und verhaltenswissenschaftlichen Perspektive interessiert uns also, wie das Wechselspiel zwischen Familiensystem und dem System Unternehmen und den in ihnen handelnden Personen funktioniert, welche Störungen an den Schnittstellen der Systeme entstehen können und wie man sie beseitigen kann. Diesem theoretischen Interesse entspricht auch das praktische Interesse von Familienunternehmern an der Konfliktvermeidung und der Konfliktbewältigung. Dieser Systemzusammenhang – und die möglichen Störungen – lassen sich exemplarisch folgendermaßen interpretieren: 1. Die „Unternehmerpersönlichkeit“ ist für den Systemerhalt von Unternehmerfamilie und Familienunternehmen von entscheidender Bedeutung. Unternehmer spielen eine Doppelrolle, zum einen als Familienmitglied mit geschlechtsspezifischer Rollendifferenzierung, zum anderen als Chef im Familienunternehmen. Erfolgskriterien für die Unternehmerpersönlichkeit sind eine intakte Familie einerseits und ein wirtschaftlich prosperierendes Unternehmen andererseits. Das Unternehmen ist für den Unternehmer die ideale Umgebung, um die Grundbedürfnisse, die vom limbischen System 13 gesteuert werden, zu befriedi13 Die Hirnforschung geht davon aus, dass vom evolutionsgeschichtlich ältesten Teil des Gehirns drei Grundverhaltensweisen gesteuert werden: das Streben nach Dominanz, harmonischer Balance und Stimulanz (vgl. Roth, G. 2003).
Standortbestimmung – Wo steht der Mittelstand?
27
gen. Die Chefrolle verlangt nach Dominanz, erlaubt aber auch patriachalische Fürsorge und somit harmonische Balance. Die tägliche unternehmerische Herausforderung bietet reichlich Stimulanz. Diese exklusive Stellung gerät in Gefahr, wenn z. B. Mitgesellschafter aufgenommen werden, oder – ganz klassisch – wenn der eigene Sohn (weniger stark bei der Tochter) in den Betrieb eintreten will bzw. das Unternehmen übernommen hat und der Senior noch nicht seinen Abschied nahm. Dann bleiben Konflikte in Familie und Betrieb nicht aus. 2. Die „Unternehmerfamilie“ 14 hat – wie jede Familie – materielle und soziale Versorgungs- und Fürsorgefunktionen. Die Familie wird mit verteilten Rollen durch die sozialen Mechanismen Liebe, Vertrauen und Loyalität zusammengehalten. Erfolgskriterien für alle Beteiligten sind hier die subjektiv wahrgenommene Zufriedenheit im sozialen Zusammenhang. Dass das System Familie sehr störanfällig ist, belegt die hohe Zahl an Scheidungen. Bei Nicht-Unternehmerfamilien werden dabei aber keine anderen Systeme in Mitleidenschaft gezogen. Instabiltäten des Systems Familie haben aber mittelbare oder unmittelbaren Auswirkungen auf das Unternehmen bei überzogenen Finanzansprüchen oder bei einer Scheidung mit hohen Versorgungsund Erbansprüchen; familiären Streitigkeiten um die Nachfolge 15 und entsprechenden Erbregelungen und Unternehmensbeteiligungen, insbesondere bei verzweigten Familienclans oder verschiedenen Familienstämmen, die sich Besitz und Unternehmensführung teilen; familiärer Besetzung des Nachfolgers oder anderer Führungsposten, ohne ausreichende Eignung der Kandidaten. 3. Das „Familienunternehmen“ ist in der Regel auf Dauer angelegt und sein Lebenszyklus kann sich über mehrere Familiengenerationen erstrecken. 16 Unternehmen sind von ihrer Funktion her auf das Überleben im Wettbewerb angelegt. Der Erfolg lässt sich messen am Marktanteil, an Rentabilität und Liquidität. Die ökonomischen Mechanismen, die den Erhalt des Unternehmens gewährleisten sollen, sind Innovation, Verdrängung, Expansion und Kostenreduktion. Dass auch das System Unternehmen sehr störanfällig ist, lässt sich an der hohen Insolvenzrate der letzten Jahre ablesen. Der Lebenszyklus von „Familienunternehmen“ wird im Teil II dieses Buches mit den Phasen Start-up, Wachstum und Krise beschrieben. 17 Jede dieser Phasen ist durch spezifische Risiken und Chancen gekennzeichnet. Selbst in der Insolvenzphase besteht die Chance zum Neustart. Überlebenskrisen des Familienunternehmens oder gar dessen finaler Bankrott erschüttern die ganze Unternehmerfamilie, emotional und wirtschaftlich,
14 Empirische Befunde zur Sozialisierungsleistung von Unternehmerfamilien in Bezug auf die Nachfolgebereitschaft von Junioren finden sich bei Krüger, W. 2004. 15 Vgl. hierzu den Beitrag von W. Krüger in diesem Band und Krüger W. 2005. 16 Vgl. zum Lebenszyklus mittelständischer Unternehmen den Beitrag von V. Wittberg in diesem Handbuch. 17 Vgl. die Beiträge von R. Merk, A. Huchzermeier/G. Lenz und S. Steinberg.
28
Wolfgang Krüger
zumal wenn Privatvermögen als Unternehmensdarlehen gegeben wurde, oder Liquiditätsengpässe überbrückt oder Immobilien als Sicherheiten für Kredite gegeben wurden. Die Steuerung des komplexen und dynamischen Systems von Unternehmerpersönlichkeit, Unternehmerfamilie und Familienunternehmen stellt vor allem Herausforderungen an die Betroffenen, aber auch an die angewandte Forschung dar. Seit einigen Jahren haben sich hier Forschungskonzepte (vgl. Wimmer, R. 2004) und praktische Beratungsansätze (vgl. Holitzka, M./Remmert, E. 2000) auf systemischer Basis etabliert, die durchaus einen praktischen Nutzwert aufweisen.
2.5
Entrepreneurship-Perspektive
Zu Beginn dieses Beitrags wurde bereits darauf hingewiesen, dass EntrepreneushipForschung zugleich Mittelstandsforschung ist. Existenzgründer sind per Definition Eigner und Leiter ihres Unternehmens – theoretisch von der Ich-AG bis zum Unternehmen mit 500 Mitarbeitern. Eine zentrale Frage im Zusammenhang mit einer Existenzgründung ist, ob unternehmerische Qualität eine „Eigenschaft“ ist, die man hat oder nicht, oder ob man sich die Voraussetzungen für erfolgreiches unternehmerisches Handeln aneignen kann. Diese Frage ist für die wachsende Zahl der „not-motivierten“ Gründer mit Arbeitsplatzverlust, aber auch für die „chancen-orientierten Gründer“ mit einer zündenden Ausgangsidee von Bedeutung. 18 Für potenzielle Gründer und für die Verteiler knapper werdender staatlicher Fördermittel sollte idealerweise vor dem entscheidenden Schritt in die Selbständigkeit bzw. vor der Bewilligung von Fördergeldern ein Verfahren stehen, in dem die Befähigung eines Kandidaten zur erfolgreichen Gründung und langfristigen Unternehmenssicherung ermittelt wird. Ein solches Verfahren steht heute nicht zur Verfügung und wird es in dieser eindimensionalen Form auch zukünftig vermutlich nicht geben. Grundlagenforschungen zu diesem Thema gibt es reichlich, und auch die neuere Entrepreneurship-Forschung nimmt sich dieser Frage an. 19 Die Europäische Kommission geht von „Gründertypen“ aus, die über eine bestimmte Denkweise verfügen: den Unternehmergeist oder auch „Entrepreneurship“. Unternehmergeist beinhaltet die Motivation und Fähigkeit, Chancen zu erkennen, Ziele zu verfolgen und etwas Neues zu schaffen. Kreativität oder Innovation, gepaart mit einem soliden Management, sorgen dafür, dass eine Geschäftsidee erfolgreich wird (vgl. Europäische Kommission 2003). 18 Vgl. zur Unterscheidung zwischen not-motivierten und chancenorientierten Existenzgründern den KfW Gründungsmonitor 2005. 19 Zu nennen ist in diesem Zusammenhang das verhaltensorientierte Modell der Entrepreneurforschung von H. G. Gemünden 2004. In diesem Modell wird der Zusammenhang zwischen personalen Einflussfaktoren (Input), ausgelösten unternehmerischen Aktivitäten und Prozessen (Throughput) und den betriebswirtschaftlichen Ergebnissen (Output) verdeutlicht.
Standortbestimmung – Wo steht der Mittelstand?
29
Aber garantiert Unternehmergeist erfolgreiches unternehmerisches Handeln? Oder anders gefragt: Was tun die „not-motivierten“ Existenzgründer, die sich sagen müssen, dass sie hinsichtlich des idealen Gründer-Persönlichkeitsprofils Defizite aufweisen? Fakt ist, dass jede zweite Existenzgründung in Deutschland innerhalb der ersten fünf Jahre scheitert (vgl. Gründungsmonitor 2005). Die Gründe hierfür sind vielfältig. Blendet man schwer vorhersehbare gravierende Veränderungen in den Märkten und nachhaltige Konjunkturschwankungen aus, sind es im Kern vier Probleme, die zum Scheitern führen, die der bereits zitierte Gründungsmonitor 2005 nennt:
Gründe für das Scheitern von Existenzgründungen Unzureichende Produktidee und falsche Markteinschätzung. Zähe, bzw. erfolglose Markteinführung. Mangelnde Komplexitätsbewältigung in der Wachstumsphase. Probleme in der Mitarbeiterführung – zunehmend mit der Organisationsgröße.
Wenn sich dieser Befund als stabil erweist, müssen Forschungs-, Förderungs- und Beratungskonzepte für Gründer darauf abzielen, die in diesen vier Handlungsfeldern erforderlichen Aktivitäten und die ihnen zugrunde liegenden Verhaltensmuster zu identifizieren und zu stärken. Als Modellvorstellung dieses Ansatzes dient der „Entrepreneuship-Monitor“. Der Entrepreneurship-Monitor bildet idealtypisch einen positiven Zusammenhang zwischen bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen, daraus resultierenden Verhaltensmustern und vier zentralen Unternehmerfunktionen ab (vgl. Abbildung 7). Mit dem Entrepreneurship-Monitor sollen nicht nur die Voraussetzungen und die Wirkungen unternehmerischen Handelns beobachtbar, sondern auch die Verhaltens- und Performancebereiche steuerbar gemacht werden. Diesem Ansatz liegt die Annahme zugrunde, dass sich Unternehmertum zumindest in einigen typisierten Verhaltensmustern „lernen“ lässt.
Wolfgang Krüger
Bewerten von Informationen
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Kalkuliertes Risikomanagement
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Ergebnisorientiertes, konsequentes Handeln
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Versuch & Irrtum
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Beziehungsmanagement
Nachhaltige Ideen- & Chancensuche
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Abbildung 7:
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g
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Netzwerkbildung
Stabilität Selbstvertrauen Autonomie
Legende Persönlichkeit Verhaltsmuster Unternehmerisches Aktionsradius
Der Entrepreneurship-Monitor
Die Modellvorstellung des Entrepreneurship-Monitors kann folgende praktische Nutzanwendungen erfahren: 1. Potenzielle Gründer können an Hand des Modells ihr Persönlichkeitsprofil und ihr typisches Verhaltensspektrum auf unternehmerische Funktionalität hin überprüfen, Defizite ausgleichen bzw. nach Partnern suchen, die sie in ihrem Persönlichkeits- und Verhaltensprofil ergänzen. 2. Der Entrepreneurship-Monitor kann für die Instanzen, die öffentliche Fördermittel für Gründer vergeben und sich einer wachsenden Nachfrage gegenüber sehen, helfen, Auswahl- und Förderinstrumentarien effektiver zu gestalten als bisher. 3. Der Entrepreneurship-Monitor kann schließlich als heuristisches Modell, weitere eigenschafts- und verhaltensorientierte Entrepreneur-Forschung inspirieren.
Standortbestimmung – Wo steht der Mittelstand?
31
Literatur
Gemünden, H. G.: Personale Einflussfaktoren von Unternehmensgründungen, in: Achleitner, A.-K., Klandt, H., Koch, L. T., Voigt, K.-I., Hrsg.: Jahrbuch Entrepreneurship 2003/04, Berlin, Heidelberg 2004. Holitzka, M.; Remmert, E.: Systemische Organisationsaufstellung, Darmstadt 2000. KfW Gründungsmonitor, Bonn 2005. Krämer, W.: Mittelstandsökonomie, München 2003. Krüger, W.: Zehn Erfolgsfaktoren der familiären Unternehmensnachfolge, Forschungsbericht der Fachhochschule des Mittelstands, FHM, Bielefeld 2004. Krüger, W.: Unternehmensnachfolge – Aktivierung und Stabilisierung von Unternehmen im Wandel, Stuttgart 2005. Merz, J.; Wagner, J.: Perspektiven der Mittelstandsforschung, Münster 2004. Mind 04, 2005, Gruner + Jahr, Köln, Deutschen Sparkassen- und Giroverband, Berlin, Hrsg. Roth, G.: Fühlen, Denken, Handel, Frankfurt a. M. 2003. Wimmer, R.: Organisation und Beratung. Systemtheoretische Perspektiven für die Praxis, Heidelberg 2004.
Daten und Fakten – Wie ist der Mittelstand strukturiert?
33
Daten und Fakten – Wie ist der Mittelstand strukturiert? Gunter Kayser
Zusammenfassung
Der Mittelstand ist ein zentrales, ja konstitutives Element der sozialen Marktwirtschaft. Die üblichen Strukturdaten und Anteilswerte des Mittelstands, wie sie in der Öffentlichkeit gebräuchlich sind, werden dieser Tatsache nur unvollkommen gerecht. Der Mittelstand hat aber eine qualitative und eine quantitative Ausprägung und Bedeutung, was sich in zwei verschiedenen Definitionsansätzen niederschlägt. Die qualitative Definition, die an Einstellungen und Verhaltensweisen festmacht, weist – obwohl immer unvollkommen – deutlich stärkere Bezüge zum Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell der sozialen Marktwirtschaft auf als die quantitative Definition, die im Wesentlichen mit statistischen Daten auskommt. Im vorliegenden Beitrag werden diese beiden Herangehensweisen an das wirtschaftliche und gesellschaftliche Phänomen Mittelstand kurz diskutiert. Anschließend wird auf Grundlage statistischer Daten belegt, dass der Mittelstand zwar einen relativ konstanten Kern hat, sein Hauptmerkmal aber in der Verursachung und im Vollzug von Veränderungen besteht. Dies wird nachgewiesen am Beispiel der Veränderungen im Leitungs- und Kooperationsverhalten und der Eigentumsstruktur, initiiert durch Existenzgründungen sowie die Weitergabe von Unternehmen im Zuge des Generationenwechsels.
34
1.
Gunter Kayser
Mittelstand in der Marktwirtschaft
Der Mittelstand gilt seit jeher als zentrales, ja konstitutives Element der sozialen Marktwirtschaft, für viele Experten verkörpert er die Marktwirtschaft schlechthin (Albach, H. 1983, S. 1). Zum Beleg werden in aller Regel statistische Daten herangezogen, die aber lediglich einen quantitativen Nachweis dafür liefern, dass kleine und mittlere Unternehmen verhältnismäßig großen Anteil an den volkswirtschaftlichen Aggregaten: Gesamtumsatz/Gesamtwertschöpfung, Beschäftigung, Berufsbildung, Unternehmensbestand halten. Die Zusammenhänge zwischen der Wirtschaftsordnung mit ihren Funktionsmechanismen und dem selbständigen Mittelstand aus Industrie, Handel, Handwerk und Dienstleistungen lassen sich hieraus aber nur schwer ableiten. Sie erschließen sich erst, wenn sichtbar gemacht wird, dass hinter den statistischen Daten Unternehmerinnen und Unternehmer mit ihren Unternehmen stehen, die sich nicht nur bewusst und aktiv den Risiken und Herausforderungen der wirtschaftlichen Selbständigkeit stellen, sondern eigenverantwortlich planen, kontrollieren und entscheiden. Im unternehmerischen Handeln und Verhalten liegt nämlich die eigentliche Bedeutung des Mittelstands für die Marktwirtschaft als Wirtschaftsform, die u. a. auch über Jahrzehnte hinweg einen Damm bildete gegen sozialistische Planwirtschaften, Kollektivierung und Verstaatlichung. Natürlicherweise reagiert diese Wirtschaftsform und reagieren Unternehmerinnen und Unternehmer auch gerade deshalb negativ auf ein Zuviel an staatlicher Lenkung und Kontrolle, aber auch Fürsorge und Regulierung. Der wirtschaftliche Mittelstand ist somit auch Ausdruck eines der wichtigsten Postulate einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung, in der der Einzelne zunächst einmal die Vorsorge für seine Existenzsicherung selbst übernimmt und der Sozialstaat erst dort beginnt, wo es darum geht, den Einzelnen aus unverschuldeten Notlagen zu befreien bzw. das Entstehen solcher Notlagen zu vermeiden. Ein weiteres konstitutives Element der sozialen Marktwirtschaft ist der Wettbewerb, und nur er garantiert als Gestaltungskraft, dass der Mittelstand Schritt hält mit der technischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung und dass so genannte eherne Besitzstände gar nicht erst entstehen können; sie abzuschaffen kostet meist mehr Aufwand, als sie nicht entstehen zu lassen. Diese etwas grundsätzlichere Einleitung ist erforderlich, um zu unterstreichen, dass bei allen statistischen Definitions-, Strukturierungs- und Quantifizierungsversuchen der Mittelstand vor allem auch das Kennzeichen einer marktwirtschaftlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung ist. Dieses Element kommt bei einer rein quantitativ-statistisch ausgerichteten Betrachtung bzw. Argumentation häufig zu kurz.
Daten und Fakten – Wie ist der Mittelstand strukturiert?
2.
35
Mittelstand qualitativ
Die qualitative Beschreibung des Mittelstands trägt obigen Ausführungen Rechnung. Weitestgehend unabhängig von der Unternehmensgröße versteht man unter einem mittelständischen Unternehmen eine selbständige wirtschaftliche Einheit, die eng mit der Person des Unternehmers, der Unternehmerin verflochten ist, was erheblichen Einfluss auf die Eigentumsstruktur im Unternehmen hat. Vielfach spricht man auch von einer Identität zwischen Eigentum und Risiko. In mittelständischen Unternehmen laufen die unternehmerischen Tätigkeiten: Leitung, Entscheidung, Kontrolle und Übernahme von Verantwortung in der Regel bei einer Person, dem Unternehmer, der Unternehmerin, zusammen. Vielfach ist die wirtschaftliche Existenz des Unternehmens gleichbedeutend mit der wirtschaftlichen Existenz des Eigentümers und seiner Familie. Im Mittelstand ist der direkte Einfluss des Unternehmers, der Unternehmerin, in allen Unternehmensbereichen spürbar. Er charakterisiert die Beziehung zwischen Leitung und Beschäftigten ebenso wie die zwischen Unternehmen und Umfeld und beeinflusst überdies die Art der Finanzierung und die Wahl der Rechtsform (Kayser, G., Schwarting, U. 1981, S. 9 ff.). Eine stringente Größengrenze nach oben oder unten ist auf dieser Grundlage nicht zu ziehen. Im Allgemeinen geht man zwar davon aus, dass ein mittelständisches Unternehmen in seiner kleinsten Form dort noch vorliegt, wo ein volltätiger Eigentümer die Unternehmensleitung innehat. Doch vernachlässigt diese Sichtweise die wachsende Schar an Nebenerwerbs- oder Teilzeitgründungen, unter denen auch immer wieder solche sind, die binnen kurzer Zeit zu echten Unternehmen heranwachsen (Piorkowski, B., Stamm, Th. 2001, S. 45 ff.). Nach oben liegt die Grenze dort, wo der Inhaber allein nicht mehr in der Lage ist, das Unternehmen zu steuern. Insofern gehört das Einpersonenunternehmen ohne Beschäftigte ebenso zum Mittelstand wie ein Unternehmen mit vielen hundert Beschäftigten. Es ist klar, dass eine derartig breite Definition, so wichtig und berechtigt sie auch ist, für die Öffentlichkeit schwer zu verstehen ist. Eine schlagkräftige und einleuchtende Zahl ist eben leichter zu kommunizieren, nachzuvollziehen und gegebenenfalls auch im Zeitverlauf zu überprüfen als ein komplexes, z. T. auf schwer messbaren Sachverhalten aufbauendes, Paradigma, insbesondere, wenn es sich empirisch nur im Einzelfall nachweisen lässt. Aber zumindest hat die Empirie den Nachweis erbracht, dass der Mittelstand in Deutschland immer noch geprägt ist von Eigentümerunternehmen, denen u. a. die oben angeführten Besonderheiten zu Eigen sind. So konnte das Institut für Mittelstandsforschung Bonn im Jahre 2000 belegen, dass von allen deutschen Unternehmen immerhin 94,8 % nicht konzerngebunden, also eignergeführt, sind (Wolter, H.-J., Hauser H.-E. 2001). Gleichzeitig gehören alle eignergeführten Unternehmen auch zum Mittelstand nach der quantitativen Definition, auf die weiter unten eingegangen wird.
36
Gunter Kayser
100,0
4,5
3,2
5,2 14,4
20,1
80,0
71,7 60,0
100,0
95,5
96,8
94,8 85,6
40,0
79,9
20,0
28,3 0,0
EinzelGbR & OHG unternehmen
KG
GmbH & Co. KG
GmbH
AG
Insgesamt Angaben in %
Eigentümerunternehmen
Abbildung 1:
Managementgeführte Unternehmen
© IfM Bonn 00 61 023
Anteile des Mittelstands nach Rechtsform und Eigentumsstruktur 2000
Zu ähnlichen Befunden kommen weitere empirische Untersuchungen des Instituts für Mittelstandsforschung Bonn (IfM), z. B. über die Eigentumsstrukturen in der deutschen Industrie. So wurde in einer empirischen Erhebung aus dem Jahre 2001 festgestellt, dass von den insgesamt 107.094 reinen Industrieunternehmen in Deutschland 105.041 nicht nur mittelständisch nach geltender quantitativer Definition, sondern 90.431 auch gleichzeitig reine Familienunternehmen sind, womit eine weitere qualitative Komponente in die Betrachtung eingeführt wird (Backes-Gellner, U., Wallau, F., Kayser, G. 2001). Die Mehrzahl der industriellen Familienunternehmen ist zwar gleichzeitig auch Teil der – nach herrschender, quantitativ determinierter Auffassung – zum Mittelstand gehörenden Unternehmen, doch etliche industrielle Familienunternehmen liegen auch oberhalb der für die Mittelstandsdefinition geltenden Grenzziehung (500 Beschäftigte). Gleichwohl gelten die oben aufgeführten qualitativen Kriterien hier noch in vollem Umfange. So ist z. B. auch in größeren und großen Familienunternehmen die Verknüpfung zwischen Unternehmen und Familie eng (Klein, S. 2000, S. 8). Häufig sind Familien- und Unternehmenskultur identisch, entsprechen sich Familien- und Unternehmenstradition, bestimmt die Einstellung der Familie zu Risiken auch die Risikoneigung des Unternehmens. Nach den Beobachtungen des IfM Bonn nimmt vor allem im industriellen Bereich die Neigung von unmittelbaren Familienmitgliedern (Kindern, Enkeln) wieder zu, die Nachfolge in Familienunternehmen anzutreten, so dass davon auszugehen ist, dass das Familienunternehmen innerhalb des deutschen Mittelstands auch in Zukunft von überproportionaler Bedeutung bleiben wird und dass sich weiterhin Mittelstand und Familienunternehmen zwar begrifflich als auch statistisch zu großen Teilen überschneiden, aber eben nicht deckungsgleich sind. Hieraus
Daten und Fakten – Wie ist der Mittelstand strukturiert?
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ergeben sich deutliche Implikationen für jede ausschließlich auf die statistisch messbare und willkürlich festgelegte Unternehmensgröße reduzierte Diskussion oder Betrachtungsweise. Unternehmen mit ... bis ... Beschäftigten 1 bis 19 20 bis 49 50 bis 99 100 bis 199 200 bis 499 500 bis 999 1.000 und mehr Insgesamt
Unternehmen insgesamt 82.579 6.097 7.585 4.634 4.146 1.200 853 107.094
Familienunternehmen 73.924 5.138 5.873 2.910 1.947 491 148 90.431
Anteil in % 89,52 84,26 77,43 62,80 46,97 40,94 17,81 84,44
Schwankungsbreite in Prozentpunkten* ± 1,32 ± 1,14 ± 1,58 ± 1,43 ± 1,88 ± 1,51 ± 0,0** ± 1,04 © IfM Bonn
* 95 % Konfidenzintervall ** in dieser Größenklasse wurde eine Vollerhebung durchgeführt
Übersicht 1:
3.
Anzahl der Familienunternehmen in der deutschen Industrie
Mittelstand quantitativ
In den letzten Jahrzehnten ist die Öffentlichkeit dazu übergegangen, sich mit dem Thema Mittelstand pragmatisch, d. h. auf der Grundlage statistischer Kennzahlen, auseinander zu setzen. Selbständigenquote, Gründungsrate, Umsatz- und Beschäftigtenanteile, FuE-Anteile, um nur einige zu nennen, lassen sich natürlich einfacher darstellen, im Zeitverlauf verfolgen und zur Illustration bestimmter Sachverhalte heranziehen als komplexe Zusammenhänge. Für Ursache- und Wirkungsanalysen sind sie allerdings nur bedingt tauglich, einerseits weil sich viele dieser Daten auf Vergangenheitswerte (z. B. die Umsatzsteuererklärung des vorletzten Jahres) beziehen und andererseits, weil viele dieser Zahlen saldiert sind und die eigentlichen Prozesse, die die Grundlage der entsprechenden Endergebnisse sind, nicht sichtbar werden. So wird z. B. die Beschäftigtenstatistik der Bundesagentur für Arbeit jährlich, nach Betriebsgrößenklassen geschichtet, veröffentlicht. Aus den jeweiligen Jahresendergebnissen wird dann im Allgemeinen abgeleitet, ob Betriebe einer bestimmten Beschäftigtengrößenklasse Arbeitsplätze ab- oder aufgebaut haben. Es wird allerdings nicht gezeigt, dass sich hinter den Jahresendergebnissen z. T. erhebliche Fluktuationsprozesse verbergen. Per Saldo mag in einer Betrachtungsperiode am Ende, was die Entwicklung der Zahl der Arbeitsplätze betrifft, ein Zuwachs herauskommen. Ob sich dieser Zuwachs z. B. aber aus dem überproportionalen Arbeitsplatzaufbau einiger weniger Unternehmen bei gleichzeitigem Arbeitplatzabbau vieler Unternehmen ergibt, ob der Arbeitsplatzzuwachs möglicherweise auf neu in die Statistik aufgenommene Unternehmen (z. B. Existenzgründungen) zurückzuführen ist oder ob er einfach daraus resultiert, dass größere Unternehmen geschrumpft und aufgrund ihrer
38
Gunter Kayser
neuen Größe in eine andere Größenklasse gewechselt sind, hierüber sagt diese Statistik nichts (Ein Unternehmen mit 501 Beschäftigten gehört nach geltender Definition zu den Großunternehmen. Entlässt es nur zwei Beschäftigte, hat es 499 Beschäftigte und gehört damit zum Mittelstand. Hat der Mittelstand in diesem Fall 499 Arbeitsplätze geschaffen? Natürlich nicht.). Auf alle Fälle bedürfen die verfügbaren amtlichen Daten, will man sie für generelle Aussagen nutzen, zusätzlicher Kommentare, Berechnungen, häufig Sonderauswertungen und nicht selten ergänzender empirischer Untersuchungen. Hierauf ist beim Umgang mit den so genannten Schlüsselzahlen zum Mittelstand zu achten. Die Literatur bietet eine Fülle von Möglichkeiten, den Mittelstand zu definieren, wobei das Spektrum von den oben erwähnten qualitativen bis hin zu quantitativen Merkmalen verschiedenster Ausprägung reicht. Viele der quantitativen Ansätze scheitern an der Verfügbarkeit amtlicher Daten, z. B. über Gewinne, Marktanteile oder die Bilanzsumme. Deshalb hat sich ein pragmatischer Ansatz eingebürgert, der auf den beiden Variablen Jahresumsatz und jahresdurchschnittliche Zahl der Beschäftigten beruht. Im Einzelfall wird als weiteres erklärendes Merkmal die Eigentumsstruktur bzw. die Konzernunabhängigkeit hinzugefügt. In Deutschland gebräuchlich ist immer noch die nachstehend wiedergegebene Definition des IfM Bonn, wenngleich etliche Bundesländer und nationale oder regionale Förderprogramme inzwischen der weiter unten dargestellten Empfehlung der Europäischen Union folgen. Über kurz oder lang wird es deshalb nötig werden, über eine generelle Einführung der EUDefinition in Deutschland zu diskutieren. Unternehmensgröße
Zahl der Beschäftigten
Umsatz €/Jahr
klein
bis 9
bis unter 1 Million
mittel
10 bis 499
1 bis 50 Millionen
groß
500 und mehr
50 Millionen und mehr © IfM Bonn
Übersicht 2:
Mittelstandsdefinition des IfM Bonn
Die Europäische Union benutzt den Begriff Mittelstand ebenso wenig wie die meisten übrigen europäischen Mitgliedstaaten. Sie spricht vielmehr von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) und unterteilt diese noch einmal in Kleinst-, Klein- und Mittelunternehmen. Im Interesse einer europaweiten statistischen Vergleichbarkeit beschränkt sich auch die EU auf eine statistisch fundierte Definition, nämlich die Zahl der Beschäftigten und den Jahresumsatz oder die Bilanzsumme. Zwei der drei Kriterien müssen bei einer Größenbestimmung zu Grunde gelegt werden. Außerdem gehört zur EU-Definition der Beteiligungsaspekt. Ein mittelständisches Unternehmen darf höchstens zu 25 % im Besitz eines anderen Unternehmens sein. Die EU kleidet ihre Definitionsvorschläge in die Form einer Empfehlung. Die erheblichste Abweichung zwischen der Empfehlung der EU und der deutschen Praxis ergibt sich bei der Zahl der Beschäftigten, wo die EU die Grenze bei 250, die Bundesrepublik Deutschland jedoch bei 500 zieht. Eine Festlegung auf die Empfehlung der EU wäre im Hinblick auf die Datenlage kein Problem. Materiell hätte sie aber besonders für den indus-
Daten und Fakten – Wie ist der Mittelstand strukturiert?
39
triellen Mittelstand, der gemessen an der Gesamtwirtschaft überdurchschnittliche Größenstrukturen aufweist, deutliche Nachteile. So liegt zum Beispiel die Durchschnittsgröße eines mittelständischen Unternehmens in der Industrie um das Fünffache über der im Handwerk. Unternehmensgröße
Zahl der Beschäftigten
kleinst
bis 9
bis 2 Millionen
bis 2 Millionen
klein
bis 49
bis 10 Millionen
bis 10 Millionen
mittel
bis 249
bis 50 Millionen
bis 43 Millionen
250 und mehr
50 Millionen und mehr
43 Millionen und mehr
groß
und
Umsatz €/Jahr
oder
Bilanzsumme €/Jahr
© IfM Bonn
Übersicht 3:
Empfehlung der EU vom 1. Januar 2005 zur Definition von KMU
In den folgenden Tabellen und Übersichten wird ausschließlich die quantitative Definition des IfM Bonn zugrunde gelegt. Nach dieser Definition und unter Nutzung amtlicher Statistiken sowie eigens zu diesem Zwecke entwickelter Hochrechnungs- und Schätzverfahren entfallen auf den Mittelstand in Deutschland folgende Anteilswerte: Anteil des Mittelstands an Unternehmen (2004)
99,8 %
Umsatz (2003)
59,5 %
Beschäftigung (2003)
70,2 %
Ausbildung (in Betrieben) (2003)
81,9 %
Bruttowertschöpfung der Unternehmen (2003)
64,2 %
Bruttoinvestitionen der Unternehmen (2003)
51,5 % © IfM Bonn
Übersicht 4:
Schlüsselzahlen zum Mittelstand in Deutschland
Auch hier handelt es sich um Bestandsdaten, die sich zudem im Zeitverlauf nicht grundlegend ändern. Sie geben keine Auskunft über die Dynamik, die sich hinter den Zahlen verbirgt. So sind Marktein- und -austritte (Gründungen und Liquidationen) hierbei ebenso wenig zu identifizieren wie der Strukturwandel hin zur Dienstleistungswirtschaft. Auf die Besonderheiten bezüglich der Beschäftigtenanteile wurde oben schon hingewiesen. Erste Relativierungen erfahren die Bestandsdaten, die ja auch immer dazu verführen, von dem Mittelstand zu sprechen, ohne Berücksichtigung von Branchen- oder Größenbesonderheiten, wenn man die Variable Unternehmensgröße nach Umsatz oder Zahl der Beschäftigten einführt. Nach dem Merkmal „Zahl der Beschäftigten" aufbereitet, regiert im Mittelstand der Kleinbetrieb. Knapp 81 % aller Betriebe haben weniger als zehn, fast 70 % weniger als fünf Beschäf-
40
Gunter Kayser
tigte. Sie vereinigen zusammen aber nur 18,2 % des gesamten Beschäftigungsvolumens aller Betriebe auf sich. Nur 2 % aller Betriebe haben mehr als 500 Beschäftigte, stellen aber 21,4 % aller betrieblichen Arbeitsplätze. 0,6 % 0,2 % 3,3 % 5,9 %
1-5 Beschäftigte 6-9 Beschäftigte
9,3 %
10-19 Beschäftigte 20-49 Beschäftigte 11,8 %
50-199 Beschäftigte 200-499 Beschäftigte 68,9 %
500 und mehr
Gesamtzahl der Betriebe:
2.055.457
hiervon Betriebe mit 1-9 Beschäftigten:
1.659.806
Betriebe mit 10-499 Beschäftigten:
390.936
und Betriebe mit 500 und mehr:
4.715 © IfM Bonn 2004 00_al-11
Quelle: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der BA (2003) Abbildung 2:
Unternehmen in Deutschland 2004 nach Umsatzgrößenklassen
Ähnlich sieht es bei der Umsatzverteilung aus. Fast 90 % der Unternehmen weisen einen Jahresumsatz von weniger als 1 Mio. Euro aus, fast die Hälfte aller umsatzsteuerpflichtigen Unternehmen realisiert sogar nur Jahresumsätze, die die 100.000 Euro-Grenze nicht übersteigen. Je nach Sichtweise besteht also der Mittelstand sowohl aus überdurchschnittlich vielen kleinen bis sehr kleinen Betrieben bzw. Unternehmen, deren gesamtwirtschaftliche Bedeutung sich erst bei Aggregation ihrer Individualdaten ergibt. Durch Neugründungen mit deutlicher Dominanz von Ein-Personen-Unternehmen bewegt sich die durchschnittliche Unternehmensgröße in Deutschland weiter nach unten. Der Mittelstand besteht aber auch aus wenigen mittelgroßen bis großen Betrieben und Unternehmen, die zwar gering an der Zahl, doch vom Umsatz und Beschäftigung her betrachtet von überdurchschnittlichem Anteilsgewicht sind. In der erstgenannten Gruppe befinden sich, führt man die Branche in die Betrachtung ein, überdurchschnittlich viele Handwerksbetriebe und Freie Berufe, in der letztgenannten hingegen dominiert die Industrie. Handel und Dienstleistungssektor lassen sich nicht so eindeutig einem bestimmten Größensegment zuordnen.
Daten und Fakten – Wie ist der Mittelstand strukturiert?
41
805.697
17.500 - 50.000 584.450
50.000 - 100.000
659.142
100.000 - 250.000 344.391
250.000 - 500.000
225.084
500.000 - 1 Mio.
137.355
1 Mio. - 2 Mio. 2 Mio. - 5 Mio. 5 Mio. - 10 Mio. 10 Mio. - 25 Mio.
89,8 %
90.153 32.845 20.710
25 Mio. - 50 Mio.
7.657
50 Mio. und mehr
7.998 Insgesamt 2.915.482 Unternehmen © IfM Bonn 05 99 002
Abbildung 3:
Unternehmen in Deutschland 2003 nach Umsatzgrößenklassen
Die Zahl der umsatzsteuerpflichtigen Unternehmen in Deutschland wächst kontinuierlich, z. B. von 2,8 Millionen im Jahre 1994 auf 2,9 Millionen im Jahre 2003 (Statistisches Bundesamt, versch. Jahrgänge). Hinter dieser Bestandsveränderung verbergen sich – ebenso wie bei der Arbeitsplatzentwicklung – Fluktuationsprozesse erheblichen Ausmaßes. Vor allem Gründungen und Liquidationen sind für diese Fluktuation im Unternehmensbestand verantwortlich. Hinzu kommen andere Faktoren (z. B. Abspaltungen), die die Bestandszahl beeinflussen. Allein im Jahre 2004 wurden 573.000 Unternehmen gegründet, 429.000 wurden im gleichen Zeitraum geschlossen. Der Positivsaldo beläuft sich also rein rechnerisch auf 144.000 (IfM Bonn: www.ifm-bonn.org/dienste/gruend.htm). Ohne auf die Besonderheiten einzugehen, die sich daraus ergeben, dass unverhältnismäßig viele Gründungen Kleinst- und Nebenerwerbsgründungen sind, Gleiches gilt auch für die Liquidationen, beschert uns das Gründungsgeschehen eines Jahres eine nicht näher definierte Zahl an Neuzugängen im Unternehmensbestand, und das Liquidationsgeschehen des gleichen Jahres reduziert den Unternehmensbestand. Dass per Saldo der Unternehmensbestand wächst, ist neben anderen Faktoren auch auf einen positiven Gründungssaldo zurückzuführen. Da in Deutschland seit Mitte der achtziger Jahre die Gründungsbereitschaft steigt und der Saldo auch in den gründungsschwächeren Jahren stets noch positiv war, kam es gleichzeitig zu einer deutlichen Verjüngung im Unternehmensbestand. Dieser lässt sich aber mit den gebräuchlichen Globalzahlen ebenfalls nicht nachweisen. Empirische Untersuchungen, wie beispielsweise MIND Mittelstand in Deutschland, belegen jedoch, dass inzwischen in Deutschland etwa jedes fünfte Unternehmen jünger als
42
Gunter Kayser
sieben Jahre und fast 40 % aller Unternehmen jünger als zehn Jahre sind (impulse; Dresdner Bank 2004, S. 75). Dies hat spürbare qualitative Auswirkungen im Mittelstand. 573 531
528 494
486
507
493
507
513
509
493 472
407
418
405
413
455
452 438
423 394
372
429
389
386
339 312
308
223 182 147
144 121
121 89
102
100 70
78
69
63
71
1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997* 1998 1999 2000 2001 2002 2003** 2004
Gründungen
Liquidationen
Saldo
© IfM Bonn 04 57 20
Abbildung 4:
Das Gründungsgeschehen in Deutschland 1991bis 2004, in 1.000
Der deutsche Mittelstand durchlebt ständige Verjüngungskuren. Neben langjährig aktive, gewachsene und häufig in traditionellen Branchen tätige Unternehmen treten immer mehr junge, noch in ihrer ersten Wachstumsphase stehende Unternehmen, oft in neuen, ebenso oft aber auch in traditionellen Branchen. Sie forcieren den Wettbewerb, befriedigen neue Bedürfnisse, verändern gewachsene Strukturen und sind strategisch eher auf den Marktverbleib als auf Expansion oder Diversifikation ausgerichtet. Obwohl es auch hier Ausnahmen gibt. Im Aufbau unserer Volkswirtschaft schlägt sich dieses Phänomen auch strukturell nieder. Im Jahre 1993 z. B. waren 23,4 Millionen Menschen im Dienstleistungssektor beschäftigt, im Jahre 2003 sind es 26,9 Millionen (Statistisches Bundesamt, versch. Jahrgänge). Allein der Anteil der Dienstleistungen speziell für Unternehmen und der sonstigen privaten und öffentlichen Dienstleistungen an den Gewerbeanmeldungen stieg von 28,8 % im Jahre 1996 auf 35,4 % im Jahre 2004 (Statistisches Bundesamt, versch. Jahrgänge). Der Anteil der öffentlichen und privaten Dienstleistungen an der Bruttowertschöpfung stieg von knapp 22 % im Jahre 1994 auf 23,2 % im Jahre 2004 (destatis.de/indicators). Durch das Existenzgründungsgeschehen erhöht sich somit auch der Tertiarisierungsgrad der Wirtschaft, der Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft wird beschleunigt.
Daten und Fakten – Wie ist der Mittelstand strukturiert?
43
Den obigen Befunden ist somit ein weiterer hinzuzufügen: Die Unternehmen im deutschen Mittelstand werden im Schnitt nicht nur jünger und kleiner, sondern sind auch Förderer und Ausdruck des Strukturwandels und beschleunigen den Trend zur Dienstleistungswirtschaft. Aber selbstverständlich sind es nicht nur Existenzgründungen, die im Mittelstand neue Akzente setzen, auch in den gestandenen Unternehmen und traditionellen Branchen spielen sich erhebliche Veränderungen ab, sei es als Ergebnis des Wettbewerbsdrucks, sei es als Vorwärtsstrategie, um errungene Positionen zu sichern und nach Möglichkeit auszubauen, oder sei es als Folge des Generationenwechsels.
Übergabegrund Alter
Übergabegrund Wechsel in andere Tätigkeit
Übergabegrund Unerwartet
(z. B. Ehescheidung, Streit, Aussteiger)
(z. B. Krankheit, Unfall)
46.500 Unternehmen mit ca. 444.000 Beschäftigten
5.800 Unternehmen mit ca. 55.000 Beschäftigten
18.600 Unternehmen mit ca. 179.500 Beschäftigten
65,6 %
8,1 %
26,3 %
an Familienmitglieder: 31.000 Unternehmen mit ca. 351.000 Beschäftigten
70.900 übergabereife Unternehmen mit ca. 678.000 Beschäftigten
in den Verkauf: 15.000 Unternehmen mit ca. 114.000 Beschäftigten
43,8 %
Abbildung 5:
21,1 %
an Mitarbeiter:
Stillegung mangels Nachfolger:
an externe Führungskräfte:
7.300 Unternehmen mit ca. 72.500 Beschäftigten
5.900 Unternehmen mit ca. 33.500 Beschäftigten
11.700 Unternehmen mit ca. 107.000 Beschäftigten
10,2 %
8,3 %
16,5 %
Unternehmensübertragungen nach Übertragungsursachen und Nachfolgelösungen für das Jahr 2005
Jahr für Jahr werden fast 65.000 Unternehmen im Zuge der Nachfolge weitergegeben. Hierdurch kommen jüngere, meist gut und modern ausgebildete Unternehmerinnen und Unternehmer in die Leitung von z.T. seit mehreren Generationen bestehenden Unternehmen. Sie bringen neue Erfahrungen, Visionen und Führungstechniken in diese Unternehmen und ermöglichen ihnen, wenn der Nachfolgeprozess erfolgreich verläuft, eine Neupositionierung im Unternehmenslebenszyklus, indem sie die Zukunft dieser Unternehmen langfristig sichern (Freund, W., Kayser, G. 2004, S. 62). Auch die Studie MIND liefert den Beleg dafür, dass zwar, wie gezeigt, der Alleinunternehmer immer noch typisch für den Mittelstand ist, doch dass deutliche Anzeichen dafür sprechen, dass der früher für den Mittelstand so bezeichnende Herr-im-Hause-Standpunkt in dieser absoluten Form so heute nicht mehr gilt. Zwar ist der Eigentümer-Unternehmer auch heute
44
Gunter Kayser
noch ein zentrales Element im Mittelstand. Doch zeigen Analysen nach der Unternehmensgröße, dass bereits in Unternehmen mit mehr als zehn und weniger als 20 Beschäftigten in jedem vierten Falle zwei Inhaber bzw. Leitungspersonen aktiv sind. In Unternehmen mit zwischen 20 und weniger als 50 Beschäftigten wird mehr als jedes dritte von mindestens zwei, 8,1 % sogar von drei bzw. mehr als drei Entscheidern geleitet. Besonders im Produzierenden Gewerbe mit seinen überdurchschnittlichen Unternehmensgrößen ist eine mehrgliedrige Leitungsebene selbst in relativ kleinen Unternehmen schon keine Seltenheit mehr. Zahl der Beschäftigten
Zahl der Inhaber/Eigentümer 1
1-4
90,6
5-9
90,5
10 - 19
73,5
20 - 49
53,0
50 und mehr
2 8,2
3
mehr als 3 -
-
9,5
-
-
24,6
1,4
-
37,1
7,6
0,5
29,4
34,6
28,2
7,9
Produzierendes Gewerbe
69,2
22,9
5,3
2,1
Handel
78,6
17,3
3,7
-
Dienstleistungen
81,1
14,4
3,3
0,5
Insgesamt
76,5
18,0
4,1
0,9
Wirtschaftssektor
© IfM Bonn
Übersicht 5:
Eigentumsstruktur im Mittelstand – Zahl der tätigen Inhaber nach Größen und Branchen
Hieraus ergeben sich nicht nur Veränderungen in der Führungsstruktur, sondern auch im Finanzierungsverhalten. Zwar ist der Bankkredit nach wie vor das Hauptfinanzierungsinstrument im Mittelstand, doch bereits seit einiger Zeit wächst im Mittelstand die Offenheit auch für Finanzierungsmodelle, die auf der Eigenkapitalzufuhr von außen, z. B. qua Beteiligungsfinanzierung, beruhen. War noch Ende der 80er Jahre Deutschland in Sachen Beteiligungs- oder Wagniskapital ein weißer Fleck auf der Finanzierungslandkarte, so haben sich die Verhältnisse in den letzten zehn bis 15 Jahren fundamental verändert. Vor allem für junge und wachstumsstarke Unternehmen ist heute die Finanzierung durch die Hereinnahme von Beteiligungskapital(-gebern) wesentlich selbstverständlicher als noch vor zehn Jahren (Kokalj, L., Paffenholz, G; Moog, P. 2003, S. 43 ff.). Gleiches gilt für die Besitzverhältnisse. Zwar besitzen, wie in Abbildung 6 dargestellt, 89,3 % aller Unternehmer auch Anteile an ihren Unternehmen, die meisten von ihnen sogar zu 100 %. Doch 18,7 % der Unternehmer teilten sich bereits im Jahre 2002 mit weiteren aktiven Partnern das Eigentum des Unternehmens, 15,7 % beteiligten eine oder mehrere Privatpersonen am Unternehmenseigentum, 9,5 % andere Unternehmer und 12,4 % weitere Mitglieder der Familie.
Daten und Fakten – Wie ist der Mittelstand strukturiert?
45
Anteilshalter in ... % der Fälle 89,3
Unternehmen 18,7
Aktive Partner Privatperson
8,2
Mehrere Privatpersonen
7,7 9,5
Andere Unternehmen
12,4
Familie
n = 1.027
Mitarbeiter
2,5
Sonstige
3,0 © IfM Bonn 03 04 176
Quelle: mind '02 Abbildung 6:
Eigentumsstruktur im Mittelstand – Anteilsbesitz nach Anteilshaltern in % (Mehrfachnennungen)
Was für die Beteiligung aktiver oder inaktiver Partner an der Leitung und am Unternehmenseigentum gilt, nämlich das Prinzip einer Öffnung nach außen, gilt auch für die früher bei mittelständischen Unternehmern besonders ausgeprägte Eigenheit, alles allein machen zu wollen. Kooperation mit anderen Unternehmen ist mittlerweile heute für eine große Zahl von Mittelständlern zur Selbstverständlichkeit geworden. So zeigen z. B. die Untersuchungen des IfM Bonn über die deutsche mittelständische Industrie aus dem Jahre 2003, dass gut zwei Drittel aller mittelständischen Industrieunternehmen kooperieren, mehr als jedes Vierte hiervon auf der gleichen Wertschöpfungsstufe und jedes Dritte sogar in einem so sensiblen Bereich wie Forschung und Entwicklung (Kayser, G., Wallau, F. 2004, S.154).
46
Gunter Kayser
3,9
Verarbeitendes Gewerbe einschließlich Bergbau
37,0
40,8
18,3
2,3
Baugewerbe
9,6
Energie- und Wasserversorgung und Sonstiges
10,9
39,5
29,7
48,6
10,9
48,5
F&E ja, permanent
ja, fallweise
wir beauftragen nur Externe
nein © IfM Bonn 03 53 106
n = 1040
Abbildung 7:
Forschung und Entwicklungs-Kooperationen nach Branchen 2003, in %
Ähnliche Befunde zeigen sich übrigens im unternehmensbezogenen Dienstleistungssektor. Obwohl viele der Dienstleistungsunternehmen noch sehr jung sind, entwickeln sie schon früh eine ausgeprägte Kooperationskultur, die bis hin zur Clusterbildung reichen kann (Wimmers, S., Hauser, H.-E., Paffenholz, G. u. a. 1999).
4.
Fazit
Die Standardzahlen über die Anteile des Mittelstands am Wirtschaftsergebnis der Bundesrepublik Deutschland ermöglichen bestenfalls eine erste Annäherung an diesen elementaren Bereich. Sein wahres Wesen wird aber erst erkennbar, wenn durch ergänzende empirische Forschung sichtbar gemacht wird, dass Mittelstand nicht das Synonym für Erhaltung, Schutz oder Besitzstand, sondern in wachsendem Maße für Veränderung, aktive Gestaltung, aber auch Anpassung und wirtschaftliche sowie gesellschaftliche Verantwortung ist. Gerade letztgenannter Bereich steht im Augenblick im Zentrum des Forschungsinteresses (vgl. Maaß, F., Clemens, R. 2002, S. 62 ff.). Erste Ergebnisse belegen, dass mittelständische Unternehmen als gute Bürger (corporate citizens) Zeit und Ressourcen in erheblichem Umfang auch für gesamtgesellschaftliche Aufgaben einsetzen.
Daten und Fakten – Wie ist der Mittelstand strukturiert?
47
Literatur
Albach, H.: Die Bedeutung mittelständischer Unternehmen in der Marktwirtschaft, IfM Materialien Nr. 4, Bonn 1983. Backes-Gellner, U.; Wallau, F.; Kayser, G.: Das industrielle Familienunternehmen. Kontinuität im Wandel, Untersuchung im Auftrag des Bundesverbandes der Deutschen Industrie e.V. (BDI) und Ernst & Young, Berlin 2001. Freund, W.; Kayser, G.: Unternehmensnachfolgen in Deutschland, Neubearbeitung der Daten des IfM Bonn, in: Jahrbuch zur Mittelstandsforschung 1/2004, Schriften zur Mittelstandsforschung Nr. 106 NF, Wiesbaden 2004. impulse; Dresdner Bank (Hrsg.): mind, Mittelstand in Deutschland, Tabellenband, Köln 2004. Kayser, G.; Schwarting, U.: Definitorische Ansätze zur Klärung des Begriffs „kleine und mittlere Unternehmen", in: Unternehmensgrößenstatistik 1981/82, Daten und Fakten, hrsg. vom Bundesministerium für Wirtschaft. Bonn 1982, S. 1-15, Bonn 1982. Kayser, G.; Wallau, F.: Der industrielle Mittelstand – ein Erfolgsmodell, Untersuchung im Auftrag des Bundesverbandes der Deutschen Industrie e.V. (BDI) und Ernst & Young, Berlin 2004. Klein, S.: Familienunternehmen. Theoretische und empirische Grundlagen, Wiesbaden 2000. Kokalj, L.; Paffenholz, G.; Moog, P.: Neue Tendenzen in der Mittelstandsfinanzierung, Schriften zur Mittelstandsforschung Nr. 99 NF, Wiesbaden 2003. Maaß, F.; Clemens, R.: Corporate Citizenship: Das Unternehmen als „guter Bürger“, Schriften zur Mittelstandsforschung Nr. 94 NF, Wiesbaden 2002. Piorkowski, B.; Stamm, Th. (Mitarbeit): Existenzgründungsprozesse im Zu- und Nebenerwerb von Frauen und Männern. Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Bonn 2001. Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland, Erwerbstätigkeit, Wiesbaden, versch. Jahrgänge. Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland, Unternehmen, Gewerbeanzeigen, Wiesbaden, versch. Jahrgänge.
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Gunter Kayser
Statistisches Bundesamt: Sonderauswertung der Umsatzsteuerstatistik 2003 im Auftrag des IfM Bonn, Wiesbaden 2005. Wimmers, S.; Hauser; H.-E.; Paffenholz, G. u. a.: Wachstumsmarkt Dienstleistungen – Empirische Analyse der Marktzutritts- und Erfolgsbedingungen neuer unternehmensnaher Dienstleister in Deutschland, Schriften zur Mittelstandsforschung Nr. 82 NF, Bonn 1999. Wolter, H.-J.; Hauser, H.-E.: Die Bedeutung des Eigentümerunternehmens in Deutschland – Eine Auseinandersetzung mit der qualitativen und quantitativen Definition des Mittelstands, in: Jahrbuch zur Mittelstandsforschung 1/2001, Schriften zur Mittelstandsforschung Nr. 90 NF, Wiesbaden 2001.
Erfolgsfaktoren – Was zeichnet die „Stillen Stars“ im Mittelstand aus?
49
Erfolgsfaktoren – Was zeichnet die „Stillen Stars“ im Mittelstand aus? Hermann Simon
Zusammenfassung
Die „Stillen Stars“ im Mittelstand in Deutschland sind kleine und mittelständische Unternehmen, die mit unauffälligen Produkten den Weltmarkt beherrschen. Überwiegend als Familiengesellschaften geführt, erbringen sie einen wichtigen Beitrag zur Leistungsbilanz des Landes, haben einen hohen Exportanteil und sind äußerst überlebensfähig. Vor zehn Jahren habe ich die Erfolgsrezepte der Marktführer in Nischenmärkten, die „heimlichen Gewinner“ im Mittelstand aufgespürt. In meiner Beratungspraxis habe ich seitdem die Entwicklung weiterverfolgt. Dabei bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass die Globalisierung eher dazu beigetragen hat, dass die „Stillen Stars“ auf dem Vormarsch sind, und dass die folgenden Erfolgsrezepte ihre Wirkung beibehalten haben: 1. „Stille Stars“ beanspruchen die „psychologische“ Marktführung, sie wollen Nr. 1 sein. 2. „Stillen Stars“ definieren ihre Märkte eng. Sie schaffen sich Marktnischen, entwickeln einzigartige Produkte, die ihren eigenen Markt definieren. 3. Die enge Spezialisierung wird mit globaler Vermarktung kombiniert. 4. Kundennähe ist der Dreh- und Angelpunkt der Marktführerstrategie. 5. Innovation ist eines der Fundamente für Marktführerschaft. Viele „Stille Stars“ haben als Pioniere ein völlig neues Produkt eingeführt und ihre Pionierstellung beibehalten. 6. Heimliche Weltmarktführer agieren in oligopolistischen Märkten mit intensivem Wettbewerb. Wettbewerbsvorteile beruhen weniger auf Kostenvorteilen als auf Differenzierung. 7. Hohe Fertigungstiefe für Kernkompetenzen ist besser als Outsourcing, denn so wird das Kern-Know-how geschützt und hoch qualifizierte Mitarbeiter werden an Bord gehalten. 8. „Stille Stars“ sind team- und leistungsorientiert, aber intolerant gegenüber Faulenzern. 9. Die Führungskräfte haben Energie, Willenskraft, Schwung und Autorität. Die durchschnittliche „Amtszeit“ der Leiter von „Stillen Stars“ beträgt mehr als 20 Jahre.
50
1.
Hermann Simon
Ziele und Visionen
Am Anfang eines großen Erfolges stehen fast immer klare Ziele und Visionen. Für die meisten „Stillen Stars“ bildet das Ziel, Marktführer zu werden, idealerweise sogar Weltmarktführer, den Anfang und die Grundlage ihres Erfolges. Die Abbildung 1 zeigt eine Auswahl „Stiller Stars“ im deutschen Mittelstand: Stille Stars
Produkte
Umsatz 2004 €
Marktposition
Becker Marine Systems
Schiffsruder
20 Mio.
Nr. 1 Welt
Winterhalter Gastronom
Spülsysteme
120 Nio.
Nr. 1 Welt
Brita
Tischwasserfilter
180 Mio.
Nr. 1 Welt
Tetra
Aquaristik
200 Mio.
Nr. 1 Welt
Prominent
Dosierpumpen
215 Mio.
Nr. 1 Welt
Karl Mayer Textilmaschinen
Wirkmaschinen
423 Mio.
Nr. 1 Welt
Hauni Maschinenbau
Tabakverarbeitung
600 Mio.
Nr. 1 Welt
Wirtgen Group
Straßenbaumaschinen
710 Mio.
Nr. 1 Welt
Enercon
Windräder
1,7 Mrd.
Nr. 3 Welt
Claas
Landmaschinen
1,9 Mrd.
Nr. 1 Welt
Quelle: Eigene Recherchen Abbildung 1:
Beispiele für die „Stillen Stars“ im Mittelstand.
Die Marktpositionen, die diese Firmen innehaben, konnten nicht erreicht werden ohne ein klares Ziel, eine langfristige Vision, eine äußerst starke Entschlossenheit und den Willen, dieses Ziel über Jahrzehnte zu verfolgen. So hat sich ein Unternehmen für Spezialchemikalien, das ungenannt bleiben möchte, folgendes Ziel gesetzt: „Unser Ziel ist die weltweite Technologie- und Marktführerschaft in allen Anwendungen.“ Die Drägerwerk AG, weltführend auf dem Gebiet der Atemtechnik, formuliert: „Spitzenposition: Wir wollen vorn bleiben! Wir haben stets Spitzenplätze angestrebt und besetzt. Dies gilt sowohl für den Anspruch auf Technologie- als auch Marktführerschaft.“ Einhergehend mit derart ambitiösen Zielsetzungen beobachtet man den starken Willen, Marktführer nicht nur im Marktanteilssinne, sondern auch im psychologischen Sinne zu sein. So traten immer wieder Aussagen auf wie „Wir bestimmen die Spielregeln“, „Wir wollen der
Erfolgsfaktoren – Was zeichnet die „Stillen Stars“ im Mittelstand aus?
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psychologische Marktführer sein“. Zu Marktführerschaft gehören auch Führung und Bestimmung des Wettbewerbs.
Auswahl typischer Ziele der „Stillen Stars“ „Unser Ziel ist es, die Nr. 1 zu sein und zu bleiben.“ „Wir wollen in unserem Markt weltweit die Besten sein.“ „Wir streben Marktführerschaft an. Das Ziel: Beste Qualität zu wettbewerbsfähigen Preisen.“ „Marktführer – sonst nichts.“ „Von Anfang an war das erklärte Ziel, Marktführer zu werden.“
Klarheit und Formulierung der Ziele sind eine Seite. Die Umsetzung ist die andere. In der Realisierung ihrer Ziele sind die „Stillen Stars“ äußerst beharrlich und hartnäckig. Sie verfolgen ihre Ziele über Jahrzehnte und verlieren sie nie aus den Augen. Ein wichtiger Aspekt ist dabei die Vision, Marktführer oder Nr. 1 zu werden. Fast jeder Mitarbeiter identifiziert sich gerne mit dem Ziel, der Beste, die Nr. 1, der Marktführer zu sein. Und dieses Ziel ist einfach und leicht zu kommunizieren.
2.
Marktdefinition
Wenn man von Marktanteil spricht, vergisst man leicht, dass „Anteil“ stets auf einen Markt bezogen werden muss. Die Definition des Marktes ist oft schwierig. Die „Stillen Stars“ beziehen hier eine klare Position. Sie überlassen die Marktdefinition nicht externen Gegebenheiten oder gar der Konkurrenz, sondern betrachten diese Abgrenzung als ihre ureigene strategische Aufgabe. Sie neigen zu klarer Fokussierung und Konzentration. Typische Aussagen sind nachfolgend zusammengefasst.
Typische Aussagen zur Marktdefinition „Wir sind Spezialisten für …“ „Wir konzentrieren uns auf das, was wir können.“ „Groß in kleinen Märkten.“ „Keine Diversifikation.“ „Schuster, bleib bei deinen Leisten!“ „Die Marktdefinition ist Teil unserer Strategie und nicht extern vorgegeben.“
52
Hermann Simon
Die „Stillen Stars“ definieren ihre Märkte eng und bearbeiten diese Märkte mit hoher Fokussierung. Dabei werden sowohl Kundenbedürfnisse als auch Produkt- und Technologieaspekte berücksichtigt. Eine sehr interessante Beobachtung bestand darin, dass „Stille Stars“ in ihrer Marktbearbeitung eher tief als breit sind. Ein Beispiel: Der Markt für kommerzielle Spülmaschinen umfasst viele Segmente, die von Krankenhäusern über Schulen und Firmenkantinen bis hin zu öffentlichen Organisationen, Gefängnissen oder Kasernen reichen. Die Firma Winterhalter konzentriert sich jedoch nur auf das Segment Hotels und Restaurants. Hier bietet sie allerdings nicht nur die Spülmaschinen, sondern auch Wasseraufbereitungsanlagen und Spülmittel sowie einen umfassenden Service an. Sie verzichtet damit auf Geschäftschancen außerhalb dieses Segmentes, vertieft aber ihre Wertschöpfung innerhalb dieses Segmentes. Durch die Fokussierung ist es ihr gelungen, die weltmarktführende Position in diesem Nischenmarkt zu erreichen.
3.
Globalisierung
Die enge Marktfokussierung beinhaltet die Gefahr, dass der betreffende Markt zu klein wird. Dieser „Nischengefahr“ wirken die „Stillen Stars“ entgegen, indem sie den Markt in regionaler Hinsicht ausdehnen. Sie betrachten die ganze Welt als ihren Markt und handeln entsprechend. Die Zwei-Säulen-Strategie der Spezialisierung in Produkt und Know-how einerseits sowie der globalen Vermarktung andererseits beruht auf der Erkenntnis, dass Kunden in derselben Branche tendenziell über die Grenzen hinaus ähnlicher sind als Kunden in verschiedenen Branchen in einem Land. Durch globale Vermarktung werden sogar Marktnischen groß genug, um Größendegression und Erfahrungskurveneffekte zu ermöglichen. Die ZweiSäulen-Strategie ist in Abbildung 2 veranschaulicht. In ihrer Globalisierung achten die „Stillen Stars“ darauf, die Kundenbeziehungen möglichst nicht an fremde Firmen zu delegieren. Vielmehr streben sie an, in allen wichtigen Märkten eigene Niederlassungen zu errichten, um die Kundenkontakte direkt wahrnehmen zu können. So haben nahezu 100 % der „Stillen Stars“ eine eigene Firma in den USA. Über 80 % verfügen über Niederlassungen in wichtigen Märkten wie Großbritannien, Frankreich und Italien, und selbst in Japan sind mehr als die Hälfte dieser Firmen mit eigenen Tochtergesellschaften vertreten. Auch in mentaler Hinsicht sind die „Stillen Stars“ vorbildliche Globalisierer. So verlangt etwa Barth, Weltmarktführer bei Hopfen, dass die Führungskräfte drei Fremdsprachen beherrschen. Viele Managementmeetings, die ich selbst erlebt habe, werden in diesen Firmen
Erfolgsfaktoren – Was zeichnet die „Stillen Stars“ im Mittelstand aus?
53
regelmäßig in englischer Sprache abgehalten. Das ist bei Großunternehmen immer noch die Ausnahme.
Spezialisierung in Produkt und Know-how
Globale Vermarktung Abbildung 2:
4.
Die Strategie der „Stillen Stars“
Kundennähe
Die Beziehungen der „Stillen Stars“ zu ihren Kunden sind sehr eng, unabhängig davon, wo die Kunden in der Welt sitzen. Ein wichtiges Merkmal der Beziehung ist dabei die gegenseitige Abhängigkeit. Infolge ihrer engen Spezialisierung sind die „Stillen Stars“ von ihren – oft wenigen Kunden – abhängig. Gleichzeitig können die Kunden kaum ohne die Produkte der „Stillen Stars“ auskommen, weil diese häufig einzigartig und nur schwer zu ersetzen sind. Diese Situation bedeutet Verpflichtung für beide Seiten und bildet die Grundlage einer langfristigen Geschäftsbeziehung, die auf Vertrauen und Respekt – nicht jedoch auf Freundschaft – aufgebaut ist. Obwohl die „Stillen Stars“ eine hohe Kundennähe besitzen, sind sie dennoch keine Marketingspezialisten im Lehrbuchsinn. Sie betreiben weniger formale Marktforschung als große Firmen. Die Kundennähe umfasst alle Funktionen und Ebenen. So haben Mitarbeiter aus Forschung und Entwicklung oder Produktion häufig direkte Kundenkontakte. Diese resultieren zum einen aus einer engen Zusammenarbeit, zum anderen aus der Tatsache, dass solche
54
Hermann Simon
Mitarbeiter aufgrund der knappen Kapazitäten für Service- und Wartungseinsätze einspringen müssen. Auch bewirkt die überschaubare Größe dieser Firmen, dass die Mitarbeiter stärker als in arbeitsteiligen Großunternehmen in die Gesamtwertschöpfungsprozesse einbezogen sind. Die Kundennähe umfasst alle Hierarchieebenen. Würth, Weltmarktführer bei Montageprodukten, verlangt von allen Managern, dass sie wenigstens einmal im Monat einen Kunden „in Fleisch und Blut“ in dessen Betrieb sehen, und Reinhold Würth, jetzt Vorsitzender des Beirates, hat dieses Prinzip während seiner 40 Jahre an der Spitze des Unternehmens kontinuierlich vorgelebt. Als ein Problem in den Niederlanden auftauchte, dessen Ursache nicht klar war, verbrachte Reinhold Würth eine ganze Woche in den Niederlanden. Er begleitete seine Verkäufer und sprach selbst mit den Kunden. Dieses Verhalten liefert den Top-Managern nicht nur ungefilterte Information, sondern hat starken Vorbildcharakter für die Mitarbeiter. Besonders wichtig ist den Weltmarktführern die Nähe zu ihren Top-Kunden. Diese sind zwar unbequem und schrauben die Ansprüche ständig höher, jedoch werden die „Stillen Stars“ mit den Top-Kunden selbst an die Weltspitze katapultiert. Top-Kunden sind die besten Quellen für neue Ideen und Innovationen. Deshalb folgen ihnen die „Stillen Stars“ überallhin. Ein Beispiel liefert die Firma Grohmann Engineering, die Maschinen zum Zusammenbau mikroelektronischer Produkte herstellt. Sie definiert ihren Markt als die „30 führenden Kunden in der Welt“. Ein Rundgang in der Fabrik von Grohmann liefert den Beweis, dass dieser Anspruch gelebt wird. Man findet Projekte für Intel, Motorola, L. M. Ericsson, Nokia und andere. Interessanterweise sehen die „Stillen Stars“ Deutschland und Japan als die typischen Standorte der anspruchvollsten Kunden. Die „Stillen Stars“ verkaufen nicht primär über den Preis, sondern über Wert und Leistung. Ihre Strategien sind eindeutig kundennutzen- und nicht preisorientiert. Die langfristige Kundenbindung nimmt dabei einen hohen Stellenwert ein. Trotz der Premiumpreise legen diese Firmen großen Wert auf kostengünstige Produktion.
5.
Innovation
Weltmarktführer wird und bleibt man nicht, indem man andere imitiert oder Me-too-Produkte liefert. Eines der Fundamente, auf dem die Weltführerschaft der „Stillen Stars“ begründet ist, bildet die extrem hohe Innovationsdichte. Häufig haben die „Stillen Stars“ als Pioniere ein Produkt eingeführt oder einen neuen Markt geschaffen. Vielen von ihnen ist es gelungen, diese Pionierstellung in eine lang andauernde Überlegenheit umzuwandeln.
Erfolgsfaktoren – Was zeichnet die „Stillen Stars“ im Mittelstand aus?
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Interessant ist ein Vergleich mit Großunternehmen. An der Zahl internationaler Patente gemessen, ist Siemens das innovativste Großunternehmen der Welt. Siemens besitzt etwa zehn Patente pro einhundert Mitarbeiter. Viele der„Stillen Stars“, gemessen am Indikator „Zahl der Patente pro einhundert Mitarbeiter“ übertreffen Siemens um ein Mehrfaches. Nicht wenige dieser Firmen erzielen mehr als 75 % ihres Umsatzes mit Produkten, die jünger als fünf Jahre sind. Zu dieser Kategorie zählen z. B. RUD, der Weltmarktführer für Industrieketten, oder Kärcher, der Weltmarktführer für Hochdruckreiniger. Die Innovativität der Weltmarktführer beschränkt sich jedoch nicht auf die Produkte, sondern bezieht auch Prozesse ein. Würth hat Ordnung und systematische Bestandshaltung in die Ersatzteillager Tausender von Autoreparatur- und Tischlerwerkstätten gebracht. Barth, Weltmarktführer für Hopfen, vereinfachte den Brauprozess, indem er entsprechend dem vorgegebenen Gewicht und Geschmack Hopfen in Beuteln (ähnlich Teebeuteln) abpackte. Dies mag zwar nicht als radikale Innovation erscheinen, es bietet jedoch dem Brauer erhebliche Vorteile, weil das Wiegen und Konfektionieren des Hopfens überflüssig wird. Putzmeister, Weltmarktführer bei Betonpumpen, hat einen Roboter zum Waschen von Flugzeugen entwickelt, der für die Fluggesellschaft nicht nur die Kosten senkt, sondern auch die Zeiten für die Wartung reduziert. Die „Stillen Stars“ sind jedoch nicht einseitig technologiegetrieben, vielmehr gelingt es ihnen, Technik und Markt als gleichwertige Antriebskräfte zu integrieren. Die Stimme des Kunden dringt bei der Innovation weitaus besser durch als in den meisten großen Unternehmen.
6.
Wettbewerbsvorteile
Weltmarktführer wird man nicht, indem man weichen Wettbewerb betreibt. Nein, die „Stillen Stars“ sind ausgesprochen harte Wettbewerber. Ihre Wettbewerbsstrategie zielt eher auf Differenzierung als auf Kostenvorteile ab. Sie besitzen klare Wettbewerbsvorteile vor allem in Produktqualität und Service. Diese Wettbewerbsvorteile können dauerhaft aufrechterhalten werden, weil sie auf überlegenen internen Kompetenzen beruhen, die nur schwer nachgeahmt werden können. Abbildung 3 gibt die Wettbewerbsposition der „Stillen Stars“ wieder. Auf der vertikalen Achse ist die Wichtigkeit des jeweiligen Leistungsmerkmales für die Kunden abgetragen. Die horizontale Achse zeigt die relative Wettbewerbsleistung.
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Hermann Simon
Wichtigkeit für Kunden 1
2
3
Lieferpolitik
Preis
Abbildung 3:
4
5
Wettbewerbsvorteilsmatrix für die „Stillen Stars“
Produktqualität steht bei Wichtigkeit und Wettbewerbsleistung an erster Stelle. Insgesamt ist festzustellen, dass Wichtigkeit und Wettbewerbsleistung sehr gut aufeinander abgestimmt sind. Lediglich beim Preis gibt es eine Nachteilsposition, die jedoch durch Überlegenheit in mehreren wichtigeren Merkmalen ausgeglichen wird. Auffallend bei den führenden Firmen ist nicht nur die bereits erwähnte Kunden-, sondern auch eine ausgeprägte Konkurrenznähe. Die Weltmarktführer liefern sich einen direkten Head-On-Wettbewerb mit Spitzenkonkurrenten. Häufig findet man die führenden Firmen in einer Branche an einem Ort oder in regionaler Nähe. Dies legt einen Vergleich mit Spitzenathleten nahe, die ebenfalls oft an einem Ort gegeneinander trainieren. Die zwei weltführenden Firmen für Montageprodukte, Würth und Berner, sitzen beide in Künzelsau. TopWeltfirmen für chirurgische Instrumente wie Aesculap, Storz oder Martin befinden sich in Tuttlingen. Die beiden weltführenden Hersteller von Flaschenabfüllanlagen, Krones und KHS, liefern sich einen erbitterten Wettbewerb. Weltklasse scheint am ehestens durch einen solchen leistungssteigernden Wettbewerb erreichbar. Hierbei sollten allerdings ein ruinöser Preiswettbewerb vermieden und die Konkurrenz auf leistungssteigernde Merkmale konzentriert werden. Ein weiterer Aspekt der Wettbewerbsstrategie bezieht sich darauf, dass die Weltmarktführer nirgendwo in der Welt Wettbewerber in Ruhe lassen bzw. ihre Marktanteile verbissen vertei-
Erfolgsfaktoren – Was zeichnet die „Stillen Stars“ im Mittelstand aus?
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digen. Weltmarktführer bleibt man nur, wenn man keine anderen Konkurrenten aufkommen lässt. Man muss Angreifer früh zurückschlagen.
7.
Strategische Allianzen und Outsourcing
Strategische Allianzen und Outsourcing sind Schlagworte, die sich in der modernen Managementliteratur und -lehre großer Beliebtheit erfreuen. Viele Unternehmen haben diese Wege gewählt, um Kosten zu reduzieren oder neue Märkte anzugehen. Was denken die Weltmarktführer über diese modernen Konzepte? In einem Satz: Nicht viel! Vielmehr halten sie eine hohe Wertschöpfungstiefe in der Produktion für sehr wichtig. Als Begründung werden vor allem die hohen Qualitätsstandards angeführt, die durch externe Lieferanten nicht sicherzustellen sind. So betreibt z. B. Heidelberger Druckmaschinen, Weltmarktführer bei Offset-Druckmaschinen, eine eigene Gießerei, weil man nur so die extrem hohe Qualität gewährleisten kann. Noch sensitiver sind die „Stillen Stars“ bezüglich der Tiefe in der Forschung und Entwicklung. Auf diesem Feld sind sie gegenüber Kooperationen äußerst verschlossen. Sie sehen das als eine entscheidende Voraussetzung, um ihr Know-how und ihre Kernkompetenz zu schützen. Die Neigung zum Selbermachen statt zum Outsourcen geht jedoch noch weiter. Viele der Weltmarktführer stellen sogar die Maschinen selbst her, auf denen sie ihre Endprodukte fertigen. Unter Kostengesichtspunkten ist eine solche Fertigungstiefe sicherlich kaum zu rechtfertigen. Hingegen wird sie als wirkungsvoller Weg angesehen, eine einzigartige Wettbewerbsstellung zu schaffen. Dies gilt exemplarisch bei Firmen wie Hoppe, Marktführer für Tür- und Fensterbeschläge, Brita-Wasserfilter, aber auch für Haribo. Die Grundlage von Wettbewerbsüberlegenheit liegt in den internen Kompetenzen. Und hier scheint jedes Unternehmen gut beraten, sich auf seine eigenen Stärken zu verlassen. Dies gilt primär für die Kernkompetenzen, weniger hingegen für Wertschöpfungsprozesse, die im Hinblick auf Wettbewerbsvorteile nicht essenziell sind. Hier outsourcen die „Stillen Stars“ auch sehr systematisch. Sie haben selten eigene Rechts- oder Steuerabteilungen, sondern geben solche Aufgaben lieber an externe Fachleute.
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8.
Mitarbeiter
Im Rahmen unseres Projektes haben wir mehr als einhundert Weltmarktführer besucht. Immer wieder fiel auf, dass in diesen Firmen eine Situation herrschte, die man mit „mehr Arbeit als Köpfe“ umschreiben kann. Damit ist gemeint, dass die Mitarbeiter vollbeschäftigt sind, herausgefordert und hochproduktiv eingesetzt werden. Die Krankenstände in den führenden Firmen liegen in der Regel unter 4 % und machen damit nur etwa die Hälfte des in der deutschen Automobilindustrie üblichen Prozentsatzes aus. Allein dieser niedrige Krankenstand bedeutet einen Kostenvorteil, der sich in einem mittelgroßen Unternehmen auf mehrere Millionen Euro beläuft. In der Stammbelegschaft gibt es bei den Weltmarktführern nur eine äußerst niedrige Fluktuation. Hingegen wird bei neuen Arbeitsverhältnissen scharf selektiert. Probezeit wird im eigentlichen Sinne und nicht als hohles Schlagwort verstanden. Die Gruppe übernimmt in diesem Selektionsprozess die entscheidende Rolle. Wie in einem Fußballteam beeinflussen leistungsschwache Spieler die Leistung negativ und werden deshalb vom Team nicht toleriert. Viele der „Stillen Stars“ befinden sich an ländlichen Standorten. Diese Situation fördert die Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen, macht aber auch das Unternehmen stark von den Mitarbeitern abhängig.
9.
Führungspersönlichkeiten
Wer sind die Personen, die hinter den Erfolgen der Weltmarktführer stehen? Hier kommen wir zu den eigentlichen Wurzeln der unglaublichen Erfolge. Wenn ich das auffallendste Merkmal der Weltmarktführer herausgreifen soll, so sind die Führungspersönlichkeiten zu nennen. Die unermüdliche Kraft und Energie dieser Personen an der Spitze haben mich stets tief beeindruckt. Es handelt sich um ausgeprägte Unternehmertypen, die durch fünf Merkmale geprägt sind: Einheit von Person und Aufgabe: So wird über Hans Riegel von Haribo gesagt: „Seine Person und sein Unternehmen waren immer eine Einheit.“ Zielstrebigkeit: Viele Gründer der „Stillen Stars“ und ihre heutigen Chefs sind von einer Idee besessen, die sie nie aus den Augen verlieren.
Erfolgsfaktoren – Was zeichnet die „Stillen Stars“ im Mittelstand aus?
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Furchtlosigkeit: Die Führungspersönlichkeiten haben nicht die gleichen Ängste und Befürchtungen, die andere empfinden. Sie sind weniger gehemmt durch Risikowahrnehmung, begrenztes Wissen oder unzureichende Kenntnis von Fremdsprachen. Viele haben den Sprung nach Amerika gewagt und haben dort ihre Firmen gegründet, ohne selbst Englisch zu sprechen. Vitalität und Ausdauer. Begeisterungsfähigkeit: Kein Gründer der „Stillen Stars“ konnte die Weltmarktführerschaft allein erringen. Jeder musste vielmehr ein Team begeistern. Das ist ihnen gelungen. Die Führungsstile sind ambivalent und manchmal widersprüchlich. Es geht autoritär, zuweilen sogar diktatorisch zu, wenn die Grundsätze und -werte des Unternehmens betroffen sind. Es gibt jedoch ausreichend Spielraum und Partizipation in der Art und Weise, wie diese Prinzipien ausgeführt und umgesetzt werden. Die Regelungsdichte bezüglich der Ausführung ist weitaus geringer als in großen Unternehmen. Ein herausragendes Merkmal bildet die hohe Führungskontinuität. Im Durchschnitt bleiben die Chefs der Weltmarktführer 22 Jahre an der Spitze ihres Unternehmens. Für ausgewählte ältere Unternehmen sind die Amtszeiten der Geschäftsführer jedoch noch weitaus höher. Die hohe Kontinuität muss im Zusammenhang mit den langfristigen Zielen gesehen werden, deren Verfolgung über Jahrzehnte zur heutigen Weltmarktstellung führte.
10.
Zusammenfassung und Diskussion
Fasst man die Erfolgsstrategien der Weltmarktführer zusammen, so fällt auf, dass sie Einseitigkeit vermeiden. Statt die Polarität von Aspekten der Unternehmensführung im Sinne eines „entweder ... oder“ einseitig zu gewichten, neigen sie dazu, jeweils beide Seiten der Medaille im Sinne eines „sowohl ... als auch“ zu berücksichtigen. Sie definieren ihren Markt also sowohl eng im Hinblick auf Produkt und Technologie als auch breit im Hinblick auf die regionale Dimension. Sie sind sowohl markt- als auch technologiegetrieben. Gutes Polaritätsmanagement besteht darin, solche scheinbar gegensätzlichen Orientierungen unter einen Hut zu bringen. Und diesen Grundsatz beherzigen die „Stillen Stars“ für fast alle Lektionen, die wir in diesem Artikel angesprochen haben. Abbildung 4 vermittelt einen Überblick zu diesen Aspekten des Polaritätsmanagements.
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Aspekte
Sowohl …
… als auch
Markt
Eng (Produkt, Technologie)
Breit (Welt, Region)
Antriebskraft/Innovation
Marktgetrieben
Technologiegetrieben
Strategie
Externe Chancen
Interne Ressourcen
Innovation
Produkt
Prozess
Zeithorizont
Kurz (Effizienz)
Lang (Effektivität)
Wettbewerbsvorteil
Produktqualität
Service/Beziehung
Ort der Wertschöpfung
Insourcing (Kernaktivitäten)
Outsourcing (Nebenleistung)
Fluktuation
Hoch in der Selektionsphase
Niedrig (Stammpersonal)
Führerschaft
Autoritär (Grundwerte, Ziele)
Partizipativ (Details, Prozess)
Abbildung 4:
Vom „Entweder ... oder“ zum „Sowohl ... als auch
Eine interessante Frage besteht darin, welche Lehren die Erfolgsstrategien der „Stillen Stars“ für große Unternehmen beinhalten. Meines Erachtens sind diese Lehren zweifacher Art. Zum einen unterstreichen sie die Notwendigkeit der Fokussierung und die Gefahren der Diversifikation. Wir werden deshalb in Zukunft auch bei Großunternehmen eine verstärkte Fokussierung erleben. Die aktuellen Beispiele wie etwa bei Schering, Hoechst, Daimler-Benz oder die Zerschlagung von AT&T unterstreichen diese Tendenz und Notwendigkeit. Doch auch in Zukunft wird es diversifizierte Großkonzerne geben. Diese müssen jedoch lernen, ihre Einheiten wie „Stille Stars“ zu führen. Jürgen Dormann, Vorstandsvorsitzender der Hoechst AG, sagt dazu: „Unsere einzelnen Geschäftsbereiche müssen wie eigenständige Unternehmen am Markt agieren, darum können wir von den „Stillen Stars“ viel lernen.“ Die schwierige Balance zwischen zentralen Synergien und dezentraler Fokussierung ist allerdings nicht leicht in den Griff zu bekommen. Doch nur dort, wo die Zusammenfassung von Geschäften in einem Konzernverbund echte Wertsynergien bringt, wird der diversifizierte Großkonzern seine Berechtigung behalten. Die Lektionen der Weltmarktführer eignen sich auch hervorragend für ein UnternehmensAudit. Wir haben zahlreiche solcher Audits durchgeführt. Hierbei wird zunächst die Wichtigkeit der einzelnen Strategiemerkmale festgelegt. Diese Wichtigkeit variiert von Markt zu Markt. In einem zweiten Schritt wird dann die Leistung des Unternehmens in Bezug auf das jeweilige Kriterium bewertet. Bei solchen Analysen stellen sich oft gravierende Mängel hinsichtlich der Beachtung der Marktführerlektionen heraus. Sicherlich kann man diese Lektionen nicht im Sinne von Patentrezepten anwenden. Andererseits zeigen sie die Wege auf, auf denen eine große Zahl von Unternehmen zu Weltmarktführern geworden ist. Und solche empirischen Lehren sollte man nicht gering schätzen.
Erfolgsfaktoren – Was zeichnet die „Stillen Stars“ im Mittelstand aus?
11.
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Fazit
Im Fazit bleibt zu sagen, dass die „Stillen Stars“ ihren eigenen Weg gehen. Sie machen vieles anders als andere Unternehmen, und als es populäre Management-Gurus unserer Zeit predigen. Sie haben keine geheime Erfolgsformel. Dagegen achten sie sehr auf gesunden Menschenverstand. Das klingt einfach, ist jedoch schwierig umzusetzen. Vielleicht ist dies die wichtigste Lektion.
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Hermann Simon
Literatur
Simon, H.: Die heimlichen Gewinner – Hidden Champions, Erfolgsstrategien unbekannter Weltmarktführe, Frankfurt 1996. Simon; H.: Think – Strategische Unternehmensführung statt Kurzfrist-Denke, Frankfurt 2004.
Persönlichkeiten – Was macht den Mittelständler aus?
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Persönlichkeiten – Was macht den Mittelständler aus? Klaus Schweinsberg
Zusammenfassung
Nichts ist beständiger als der Wandel. Das gilt auch für das Unternehmertum in Deutschland. Empirische Evidenz, welche Persönlichkeitstypen im Mittelstand den Ton angeben, liefert seit Jahren die Studie „MIND – Mittelstand in Deutschland“. Frauen sind, das zeigen die MIND-Studien seit 1999 deutlich, in deutschen Unternehmen auf dem Vormarsch: Inzwischen ist fast ein Viertel aller Entscheider in den Betrieben weiblich. Zugleich altert die Unternehmerschaft. Nur ein Viertel der Entscheider ist jünger als 40 Jahre, weit mehr als ein Drittel hat bereits das fünfzigste Lebensjahr überschritten, fast 10 % der Mittelständler sind über 60. Der Weg ins Unternehmertum führt immer noch über die Berufsausbildung. Jeder zweite Entscheider hat zumindest eine Lehre abgeschlossen. Jeder vierte besitzt einen Meisterbrief. In vielen mittelständischen Betrieben wird außerordentlich gut verdient. Jeder fünfte Mittelständler hat ein jährliches Bruttoeinkommen von mehr als 100.000 Euro. Zugleich zeigt sich beim Einkommen aber auch eine große Schere, denn etwa ein Viertel verdient weniger als 40.000 Euro im Jahr.
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1.
Klaus Schweinsberg
Unternehmer ändern sich
Der Typus des Patriarchen, der in der Nachkriegszeit seine Firma (wieder) aufbaute, ist längst passé. An seine Stelle tritt ein bunter Strauß verschiedener Unternehmertypen – denn nichts ist beständiger als der Wandel Empirische Evidenz, welche Persönlichkeitstypen im Mittelstand den Ton angeben, liefert seit Jahren die Studie „MIND – Mittelstand in Deutschland“, die von der Wirtschaftszeitschrift impulse, dem Deutschen Sparkassen- und Giroverband (DSGV) und dem Institut für Mittelstandsforschung Bonn (IfM) herausgegeben wird. Mit mehr als 1.100 befragten Unternehmern, die für 1,3 Millionen mittelständische Firmen (mindestens 100.000 Euro Jahresumsatz; weniger als 500 Mitarbeiter) bzw. 1,6 Millionen geschäftsführende Gesellschafter und Inhaber stehen, ist MIND die größte repräsentative Studie zum Mittelstand in Deutschland. Frauen sind, das zeigen die MIND-Studien seit 1999 deutlich, in deutschen Unternehmen auf dem Vormarsch: Inzwischen ist fast ein Viertel aller Entscheider in den Betrieben weiblich. Im Vergleich zur MIND-Erhebung vor vier Jahren stieg die Zahl der Frauen, die als Alleininhaber, Geschäftsführer oder leitende Angestellte im Mittelstand tätig sind, um fast 100.000 und erreicht nun fast eine halbe Million. Zugleich altert die Unternehmerschaft. Nur ein Viertel der Entscheider ist jünger als 40 Jahre, weit mehr als ein Drittel hat bereits das fünfzigste Lebensjahr überschritten, fast 10 % der Mittelständler sind über 60. Im Vier-Jahres-Vergleich hat der Anteil der Älteren deutlich zugenommen, trotz vieler Neugründungen. Auch in den jungen Unternehmen sind also viele ältere Semester an der Spitze: Erfahrung setzt sich offenbar auch bei Gründern durch. Der Weg ins Unternehmertum führt traditionell über die Berufsausbildung. Jeder zweite Entscheider hat zumindest eine Lehre abgeschlossen. Jeder vierte besitzt einen Meisterbrief. Und jeder fünfte hat eine Fachschule besucht. Der Akademiker-Anteil unter den Selbständigen schrumpft: Während im Jahre 2001 noch fast 43 Prozent angaben, einmal eine Hochschule besucht zu haben, lag der Anteil im Jahr 2005 nur noch bei 32 Prozent. In vielen mittelständischen Betrieben wird außerordentlich gut verdient. 421.000 Entscheider haben ein jährliches Bruttoeinkommen von mehr als 100.000 Euro – mithin jeder fünfte Mittelständler. Zugleich zeigt sich beim Einkommen aber auch eine große Schere, denn etwa ein Viertel verdient weniger als 40.000 Euro im Jahr. Entsprechend breit ist auch das monatliche Nettoeinkommen aufgefächert. Etwa 30 Prozent haben im Haushalt mehr als 5.000 Euro zur Verfügung, etwa ein Viertel der Haushalte verbucht unter 3.000 Euro pro Monat auf seinem Konto. Tendenziell steigt das Einkommen mit der Unternehmensgröße. Zudem verdienen Entscheider im Handel durchschnittlich besser als Unternehmer aus Dienstleistung und Produzierendem Gewerbe. Ein Trendwechsel ist nicht in Sicht. Damit haben sich in den letzten zehn Jahren die deutschen Unternehmensinsolvenzen mehr als verdoppelt. Betroffen sind prominente Großunternehmen wie Philip Holzmann oder KirchMedia, aber auch eine
Persönlichkeiten – Was macht den Mittelständler aus?
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Vielzahl kleiner und mittelständischer Unternehmen hat die Wende in der kritischsten Phase ihres Lebenszyklus nicht mehr vollziehen können.
2.
Vier Unternehmertypen
Der eine macht als traditioneller Allein-Entscheider am liebsten alles selbst. Die andere setzt auf Arbeitsteilung und Teamgeist. Den einen bewahrt eine gesunde Skepsis vor Fehlinvestitionen. Der andere springt umso schneller in neue Marktlücken. Es gibt viele Rezepte für den Geschäftserfolg – und doch handeln viele Unternehmer nach wiederkehrenden Mustern. Die psychologische Leitstudie in MIND 04 gibt Hinweise auf die Einstellungen und das Verhalten der 1,6 Millionen Inhaber und geschäftsführenden Gesellschafter im deutschen Mittelstand. Anhand von Aussagen über Planungen, Ziele und Führungsstil zeichnen sich vier grundlegende Unternehmertypen ab: Stratege, Pragmatiker, Patriarch und Macher. Sie handeln nach teilweise gegensätzlichen Überzeugungen – und sind doch allesamt erfolgreiche Mittelständler. Als solche beherzigen sie durchweg die klassischen Unternehmertugenden: Sie planen langfristig, geben klare Ziele aus, wollen wachsen und vermeiden unnötige Risiken.
Abbildung 1:
Unternehmertypen
Typ I: Der Stratege – Schnell und entschieden Er ist sehr gut ausgebildet und hat gegründet, weil er eine eigene Idee durchsetzen wollte: Der Stratege verkörpert einen modernen Unternehmertyp, der sich im Mittelstand zunehmend durchsetzt. Besonders häufig trifft man auf diesen Unternehmertyp in der Industrie und im Dienstleistungssektor. Dort haben sich viele eine Marktnische gesucht, etliche sind auf dem Sprung in neue Märkte im Ausland.
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Klaus Schweinsberg
Zu den Strategen zählen rund 354.000 Entscheider. Sie sind noch nicht lange im Geschäft, führen aber bereits jetzt überdurchschnittlich große Betriebe, die zudem oft freie Mitarbeiter und Aushilfen beschäftigen. Kein Wunder, dass Strategen besonders gut verdienen und längst eine Führungsmannschaft aufgebaut haben, die sie bei wichtigen Entscheidungen unterstützt: Professionelles Management ist für die Strategen ein entscheidender Wettbewerbsvorteil. Ihr Weltbild ist von Optimismus geprägt. Sie haben eine positive Einstellung zum Unternehmertum, glauben an die eigene Stärke und vertrauen auf den Erfolg. Ihr Rezept dafür: schnell und mutig entscheiden. Läuft ihr Geschäft gut, nutzen sie die Chancen zum schnellen, starken Wachstum und investieren kräftig – vor allem in Vertrieb und Marketing. Lahmt dagegen die Konjunktur, ziehen sie ebenso entschlossen die Bremse. Oder wechseln gleich in ein neues Geschäftsfeld.
Abbildung 2:
Beginn der Selbständigkeit – Vergleich aller Unternehmer versus Typ I
Typ II: Der Macher – Überzeugt und offen Er liebt seine Freiheit, sucht die Verantwortung und hat sich mit eigenen Ideen in einer Marktlücke etabliert: Der Macher ist ein Unternehmer aus voller Überzeugung. Zupackend und mit einem klaren Ziel vor Augen wollen die Macher ihre Betriebe zum Erfolg führen. Rund 429.000 Mittelständler arbeiten auf diese Art, und man trifft auf sie vor allem in technischen Berufen. Macher können besonders oft auf eine gute Ausbildung zurückgreifen: Mehr als ein Drittel von ihnen hat einen Meisterbrief in der Tasche, ein Viertel ein Studium abgeschlossen. Die Macher blicken ähnlich optimistisch in die Zukunft wie die Strategen: Das allgemeine Wirtschaftswachstum betrachten sie ebenso positiv wie die Chancen für ihr Unternehmen. In Führungsfragen unterscheiden sich ihre Einstellungen dagegen deutlich. Während die Strategen mit einem ausgefeilten Konzept punkten, sind die Macher überzeugt, dass der Geschäftserfolg auch mit noch so guten Plänen gar nicht immer planbar ist. Weil sie trotzdem auf alle
Persönlichkeiten – Was macht den Mittelständler aus?
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Fälle vorbereitet sein wollen, holen sie oft externen Sachverstand ein. Schließlich liegen ihre eigenen Stärken in einem Fach, in dem ihnen kaum jemand etwas vormacht. Führungsfragen und Management überlassen sie gern ihren Beratern.
Abbildung 3:
Ausbildung – Vergleich aller Unternehmer versus Typ II
Abbildung 4:
Gründe für die Selbständigkeit – Vergleich aller Unternehmer versus Typ II
Typ III: Der Pragmatiker – Vorsichtig und geschäftig Er arbeitet in einer traditionellen Branche, führt einen eher kleineren Betrieb und konzentriert sich ganz aufs Tagesgeschäft, statt Luftschlösser zu bauen: Der Pragmatiker stellt mit rund 464.000 die größte Gruppe unter den mittelständischen Entscheidern. Besonders viele Prag-
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Klaus Schweinsberg
matiker arbeiten im Handwerk – und gute Arbeit im erlernten Beruf abzuliefern ist ihnen wichtiger, als mit einer neuen Geschäftsidee den Markt zu erobern. Pragmatiker sind bescheiden und halten sich mit Zukunftsplänen lieber zurück, als später von allzu optimistischen Erwartungen enttäuscht zu werden. Ihr Geschäft führen Pragmatiker oft zu zweit, ein Viertel von ihnen ist weiblich, und die meisten sind zwischen 40 und 50 Jahre alt. Selbstbestimmung ist den Pragmatikern wichtig, vor zu viel Verantwortung für andere scheuen sie eher zurück. So fühlen sie sich in kleineren Betrieben häufig wohler und verzichten auf große Investitionen oder starkes Wachstum. Beim Einkommen können die Pragmatiker daher nicht ganz mit anderen Unternehmern mithalten. Typ IV: Der Patriarch – Familiär und erfahren Er arbeitet in einem bewährten Geschäft, ist schon älter und hat den Betrieb oft von den eigenen Eltern übernommen: Der Patriarch ist ein klassischer Familienunternehmer. In seinem Geschäftsfeld macht ihm niemand etwas vor. Und er will das, was er selbst in den zurückliegenden Jahren aufgebaut hat, lieber so erhalten, wie es ist, als es durch riskante Geschäfte aufs Spiel zu setzen. 375.000 Mittelständler gehören dieser Gruppe an. Patriarchen sind besonders häufig Alleininhaber von Personengesellschaften. Wichtige Entscheidungen etwa über Investitionen treffen sie allein, schließlich finanzieren sie ihr maßvolles Wachstum oft genug mit eigenem Geld. Auch bei der Nachfolgeplanung lassen sie sich ungern in die Karten schauen – wenn sie sich überhaupt schon darum gekümmert haben. Denn auch wenn bereits jeder fünfte Patriarch älter ist als 60 Jahre, weiß doch zugleich ein besonders großer Teil noch nicht, was nach seinem Abtritt aus der Firma werden soll.
3.
Fazit
Es gibt offenbar viele Wege zum Erfolg. Und wahrscheinlich ist es gerade der bunte Strauß verschiedenster Unternehmertypen, der den deutschen Mittelstand so flexibel macht. Über aller Euphorie für den deutschen Mittelständler als „Original“ darf allerdings die Analyse der Defizite nicht zu kurz kommen. Und hier stoßen wir auf eine eklatante Schwäche der deutschen Firmenchefs: ihre ausgeprägte Beratungsresistenz. Als Ratgeber akzeptieren die Unternehmer in ihrer Mehrheit nur ihren Steuerberater. Auch das zeigt die MIND-Studie seit Jahren. Hilfe von Seiten professioneller Unternehmensberater oder Coaches wird abgelehnt.
Persönlichkeiten – Was macht den Mittelständler aus?
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In Zeiten einer globalisierten und hoch arbeitsteiligen Volkswirtschaft wird aber jeder Unternehmer über die Zeit an Grenzen stoßen und sich Know-how in Form von Beratung zukaufen müssen. Die Notwendigkeit, hierfür zu sensibilisieren, ist im Mittelstand besonders groß. Die Unternehmertypologie im Rahmen der MIND-Studie ist ein erster Schritt in diese Richtung.
Familienunternehmen – Auslaufmodelle oder Hoffnungsträger?
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Familienunternehmen – Auslaufmodelle oder Hoffnungsträger? Arnold Weissman/Björn Schultheiss
Zusammenfassung
Im folgenden Beitrag soll der Frage nachgegangen werden, ob Familienunternehmen den sich immer schneller wandelnden Umfeldbedingungen und den immer komplexer werdenden Anforderungen an gute Unternehmensführung in der Zukunft gewachsen sind. Ist das Familienunternehmen eine aussterbende Spezies oder doch ein System mit großartigen Zukunftschancen? Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, sollen die speziellen Eigenschaften der Spezies Familienunternehmen und die wichtigsten Unterschiede zu Konzernen und großen Kapitalgesellschaften vorgestellt werden. Dabei wird auf die außergewöhnlichen Chancen und Kräfte, welche oft ganz nah bei den besonderen Gefahren und Risiken dieses besonderen Unternehmenssystems liegen, eingegangen. Es werden die typischen Fehler und insbesondere die Erfolgsrezepte von seit Generationen erfolgreichen Familienunternehmen herausgearbeitet, wie die Wahrung der Einheit und Einigkeit der Familie, die Sicherstellung professioneller und objektiver Entscheidungen, die Sicherstellung der Kapitalbasis, die werterhaltende Investitions- und Entnahmepolitik, die Wahrung der Unabhängigkeit.
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1.
Arnold Weissman/Björn Schultheiss
Familienunternehmen ticken anders
Familienunternehmen haben in der heutigen Zeit eine Schlüsselfunktion. Rund 80 % der in Deutschland ansässigen Betriebe befinden sich in Familienhand, und von ihrem Erfolg hängt fast alles ab, was in unserer Gesellschaft wichtig ist. Gäbe es keine Familienunternehmen, würden ca. 70 % der Arbeitsplätze fehlen und bis zu 80 % der Ausbildungsplätze. Zudem würde ein Anteil von rund 50 % an der Bruttowertschöpfung aller Unternehmen wegfallen. Familienunternehmen nehmen damit in Deutschland eine herausragende wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellung ein. Dabei stellen sie sich jeden Tag wieder unzähligen, die Existenz bedrohenden Herausforderungen, die die Zukunft dieser Unternehmensspezies, und damit den Wohlstand von Deutschland, unsicher werden lassen. Die Erscheinungsformen von Familienunternehmen in der Unternehmenslandschaft sind mindestens so mannigfaltig wie die Definitionsversuche diese besondere Unternehmensspezies treffend abzugrenzen. Der kleine Bäckerladen, gleich vorne am Eck, die regional bekannte Bierbrauerei, welche nun schon in der 4. Generation dem ältesten Sohn übergeben wird, oder die weltbekannten Milliardenunternehmen wie Aldi, Dr. Oetker oder Stihl. All diese Unternehmen können als Familienunternehmen charakterisiert werden, zeichnet sie doch eine Gemeinsamkeit aus: das Halten eines kapital- bzw. stimmenrelevanten Anteils, der es einer Familie (als Ganzes oder einzelnen Mitgliedern) erlaubt, einen maßgeblichen Einfluss auf die langfristige Strategie und Geschäftspolitik des Unternehmens auszuüben. Die Mitglieder einer Familie haben also den erklärten Willen, ein Unternehmen aus der Familie heraus zu gestalten. Ein weiteres typisches Wesensmerkmal ist das Zusammenwirken der vier Interessenfelder Unternehmer, Familie, Vermögen und Unternehmen. Die Felder überlappen sich gegenseitig bis hin zur ganzheitlichen Deckung. Diese Konstellation ist Ursprung der außergewöhnlichen Herausforderung an den Unternehmer, der diese sehr ungleichen Systeme aus Liebe, Macht und Mammon für sich und im Zusammenspiel managen muss. Die brisante Mischung bestimmt die Dynamik der Entwicklung von Familieunternehmen. Im Falle der vollständigen Überschneidung aller vier Felder geht es sprichwörtlich „ums Ganze“. Das persönliche Schicksal des Unternehmers und der Familie, die Zukunft der Firma und das Vermögen, alles steht auf dem Spiel. Ein typisches Familienunternehmen tickt anders. Sei es Strategie, Corporate Governance, Personalführung oder Corporate Finance. Die im Familienbesitz befindlichen oder maßgeblich von Familien beeinflussten Unternehmen unterscheiden sich fundamental von reinen Publikumsgesellschaften und Konzernen. Dies ist ihre Schwäche und Stärke zugleich. Die markanten Unterschiede, die Familienunternehmen unter den gegenwärtigen Wirtschaftsbedingungen einerseits so überaus erfolgreich machen können, sind zugleich auch die Wurzeln für ihren zahlreichen Niedergang. Die außergewöhnlichen Risiken liegen dicht neben den enormen Chancen.
Familienunternehmen – Auslaufmodelle oder Hoffnungsträger?
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In Familienunternehmen paaren sich Fokussierung, kurze Entscheidungswege, eine hohe Kundenorientierung und Stetigkeit mit Beschränkung, geringer Transparenz nach außen und limitiertem Kapitalzugang. Ihr Festhalten an langfristigen Zielen hat einen überaus positiven Nebeneffekt: Es fördert die Berechenbarkeit für alle Gruppen, die mit dem Familienunternehmen in einer Beziehung stehen. 24 Jahre beträgt die durchschnittliche Lebensdauer eines familien- oder eigentümergeprägten Unternehmens. Das liegt aber nicht daran, dass Familienunternehmen „hemdsärmlig“ geführt werden. Ganz im Gegenteil – bei der Mehrheit dieser Firmen kommen zahlreiche Instrumente zur Unternehmensführung zum Einsatz, die man eher mit Großunternehmen in Verbindung bringt. Woran liegt die hohe Sterblichkeitsrate also dann? Wieso jedoch soll die Führung eines Familienunternehmens, welche als Oberziel die Sicherung der Überlebensfähigkeit des Unternehmens gewähren soll, eine größere Herausforderung sein als die einer Publikumsgesellschaft? Müssen doch in beiden Systemen eine Organisationsstruktur aufgestellt, lang- und kurzfristige Ziele definiert und Strategien festlegt werden. Das ist natürlich soweit richtig, und dennoch unterliegen Familienunternehmen einer besonderen Problematik. Die enge Verbindung, gar Deckungsgleichheit der oben beschriebenen Felder aus Unternehmer, Familie, Vermögen und Unternehmen, tief greifende traditionelle Kulturmerkmale und Verhaltensweisen sind nur einige Beispiele für die speziellen Herausforderungen, die die Führung des „Modells Familienunternehmen“ extrem anspruchsvoll gestalten. Die Sicherung des Überlebens dieser Spezies kann dabei auf Dauer nur gemeistert werden, indem typische Stärken gestärkt und charakteristische, Existenz bedrohende Schwächen geschwächt werden. Wir kennen sie alle, die Vielzahl überaus bedeutender Familienunternehmen, die seit Generationen erfolgreich bestehen. Erfolgreiche Unternehmen wie Miele, Bertelsmann, Böllhoff oder C&A zeigen uns, dass familiengeführte Firmen nicht von Grund auf zum Scheitern verurteilt sind. Offensichtlich wissen diese Unternehmen, wie die komplexen Herausforderungen des ständigen Wandels zu bewältigen sind.
2.
Unterschiede zwischen Konzernen und Familienunternehmen
Um Stärken und Schwächen von Familienunternehmen besser verstehen zu können, gilt es, die Unterschiede zwischen den beiden Spezies näher zu beleuchten. Denn trotz vieler Gemeinsamkeiten unterscheiden sich Familienunternehmen in wesentlichen Punkten von Konzernen. Gleichzeitig sollen dabei immer wieder konkrete Handlungstipps gegeben werden, die inhärenten Talente weiter auszubauen und die den Familienunternehmen innewohnenden
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Arnold Weissman/Björn Schultheiss
Schwächen in Zukunft besser erkennen, kontrollieren und, letzten Endes, vermeiden zu können. Das konstituierende Element eines Familienunternehmens ist die Einflussmöglichkeit der Eigentümer auf das Unternehmen. Während bei Publikumsgesellschaften in der Regel „schwache“, oft wechselnde und schlecht organisierte Aktionäre einem „starken“ Management gegenüberstehen, ist es bei Familienunternehmen genau umgekehrt: Die Einheit von Entscheidungskompetenzen und Eigentum in einer Person, in einer Familie bzw. in einem familiären Personenverbund bietet die Möglichkeit, schnelle Entscheidungen zu fällen und diese konsequent durchzuziehen. Die Eigentümer haben das letzte Wort. Langwierige Entscheidungsketten, die in Konzernen üblich sind und zu starken zeitlichen Verzögerungen führen, können damit vermieden werden. Aufgrund der fehlenden Kontroll- und Überwachungsmechanismen steigt damit jedoch auch die Gefahr von Fehlentscheidungen in Familienunternehmen. Bestimmend für Familienunternehmen ist ihr limitierter Zugang zu Kapital. Zwar ist Kapital weltweit genügend vorhanden, doch fließt es zumeist indirekt über den Kapitalmarkt oder direkt von großen institutionellen Investoren in die globalisierten Konzerne und Publikumsgesellschaften. Ausgeschlossen aus diesem Kreislauf bleibt das Familienunternehmen. Folglich ist die Eigentümerfamilie weitgehend auf eigene Ressourcen angewiesen, um sich den in Familienunternehmen häufig anzutreffenden Wunsch erfüllen zu können, das Unternehmen langfristig im Besitz der Familie zu halten. Brun-Hagen Hennerkes beschreibt die Finanzierung des Familienunternehmens daher auch als dessen Achillesfers. So ist das Überleben von Familienunternehmen in Märkten stark gefährdet, in denen ein hoher Kapitalbedarf Erfolgsvoraussetzung ist. In Massenmärkten, in denen es am Ende um Marktmacht, Zukäufe und schiere Größe geht, scheiden Familienunternehmen früher oder später aus. An der Investitionsgüter-, Automobil- und Stahlindustrie lässt sich die These gut belegen. Wo sind die Familien Daimler, Thyssen, Krupp und Siemens heute? In Märkten der Nahrungsmittelindustrie und bei Bierbrauereien lässt sich derzeit dasselbe Phänomen beobachten. Seitdem auch hier der Verdrängungskampf zunehmend über einen massiven Kapitaleinsatz bestritten wird, muss sich der typische Mittelständler, der diese Märkte traditionell beherrscht hat, zunehmend zurückziehen. Zur konsequenten Begrenzung des Finanzbedarfs müssen Familienunternehmen stärker als bisher darauf achten, nicht betriebsnotwendiges Vermögen aus der Bilanz zu eliminieren. Gedanken wie Outsourcing, Leasing oder auch das Eingehen von Kooperationen ist Unternehmern allerdings noch zu oft sehr fremd. Good Finance bedeutet hier Entrümpelung der Aktiv-Seite. Zudem müssen Familienunternehmen zunehmend eine klare Strategie gegenüber den Finanzmärkten entwickeln. Die Grundsatzfrage lautet: Gates oder Stihl? Bevorzugt es ein Familienunternehmen, an einem möglichst großen, besonders schnell wachsenden Unternehmen einen kleinen Anteil zu halten (Gates), oder lautet die Strategie, an einem kleineren Unternehmen die 100-prozentige Mehrheit zu besitzen (Stihl)? Wer jenseits von Bankkrediten den Kapitalmarkt zur Finanzierung heranzieht, hat heute eine große Bandbreite an Optionen. Doch hier ist Vorsicht geboten: Während insbesondere Börsengänge so gestaltet werden können, dass, wie bei Henkel oder Porsche, die Familie die Kontrolle über das Unterneh-
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men nicht verliert, ist das derzeit populäre Beteiligungskapital nicht ohne Kontrollverlust zu bekommen. Der Umgang mit Kapital ist in Familienunternehmen von der grundsätzlichen Limitierung von Ressourcen geprägt. Weil erfolgreiche Familienunternehmen wissen, dass investives Kapital nicht im Überfluss vorhanden ist – und zwar unabhängig von der Frage, wie „reich“ die Unternehmerfamilie jenseits ihrer Unternehmensbeteiligung ist – folgen sie bestimmten haushalterischen Prinzipien. Dazu gehört die Sparsamkeit vieler Unternehmer. Dieses „Auf-den-Cent-achten“ ist legendär und oft Mythos. Der Firmenchef, der abends im gesamten Betrieb das Licht ausmacht, gehört noch zu den harmlosen Geschichten. Jenseits einzelner asketischer Exzesse hat dieses Verhalten jedoch System. Die Unternehmer wissen um ihre Vorbildfunktion, und dass ein sparsamer Ressourceneinsatz von Mitarbeitern nur dann verlangt werden kann, wenn diese Maxime auch durch die Unternehmensleitung vorgelebt wird. Erforderliche Einsparungen lassen sich nur dann durchsetzen, wenn der Unternehmer dabei auch bei sich selbst nicht Halt macht. Sparsamkeit in Familienunternehmen ist Finanzprinzip, nicht Knauserigkeit. Familienunternehmen droht ein erhöhter Kapitalentzug. Zum einen können Eigentümer auf hohe Gewinnentnahmen drängen, zum anderen gefährden Abfindungen für austrittswillige Gesellschafter oder die Folgen von Scheidungen die Kapitalreserven. Erfolgreiche Familienunternehmen handeln deshalb immer nach dem Grundsatz „Die Firma geht vor!“ und treffen Vorkehrungen, um das Unternehmen langfristig in Familienhand zu halten. Zudem stehen Familienunternehmen vor steuerlichen Sonderbelastungen, insbesondere der Erbschaftsteuer. Eine kluge Gestaltung der Erbschaftssteuer ohne abstruse rechtliche Konstrukte schließt beispielsweise eine vorweggenommene Erbfolge ein. Auch ein „Generation Scibbing“, bei dem jeweils eine Generation übersprungen wird, ist denkbar. Weitsichtige Unternehmer haben darüber hinaus frühzeitig ihren Wohnsitz ins Ausland verlagert. Eine weitere, innovative Absicherung gegen die Erbschaftssteuer ist eine Erbschaftssteuerversicherung. Dabei wird das Risiko verringert, dass Erbschaftsteuer zu einer Zeit anfällt, in der die Abgabe zur echten Last für das Unternehmen werden könnte. Mehr als Konzerne müssen Familienunternehmen grundsätzlich auf ein hohes Maß an Stabilität achten. Führungskennziffern in Familienunternehmen beschränken sich nicht nur auf Wachstum und Rentabilität, sondern auch auf stabilitätssichernde Kriterien wie die Eigenkapitalquote, Anlagendeckung oder Bankunabhängigkeit. Erfolgreiche Familienunternehmen ruhen bisweilen auf Eigenkapitalquoten von 35 %, nicht selten sogar auf Quoten von mehr als 50 %. Champions wie Aldi benötigen überhaupt keine Fremdfinanzierung. Genau über diese Frage, ob Kapital gegen Equity zur Finanzierung von schnellerem Wachstum aufgenommen werden soll, kam es zwischen der Familie Bertelsmann und dem früheren Vorstandsvorsitzenden Thomas Middelhoff zum Bruch. Middelhoff wollte Teile des Unternehmens an die Börse bringen, um in neuen Segmenten des Medienmarktes zu expandieren. Den damit vermutlich verbundenen Kontrollverlust wollte die Familie letztlich nicht hinnehmen.
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Viele anonyme Kapitalgesellschaften leiden derzeit am Principalagent-Konflikt und den daraus bisweilen resultierenden Entgleisungen und Exzessen einzelner Manager. Familienunternehmen müssen nicht vor Vorständen und Aufsichtsräten geschützt werden, die sich gerne in Zeitungsartikeln wiederfinden und anstatt der optimalen Ausrichtung der Firma nur ihre Gehälter optimieren wollen. Sind es bei den Kapitalgesellschaften Vorstände und Aufsichtsräte, so sind es bei Familienunternehmen unfähige, willkürliche und egoistische Eigentümer bzw. Familienmitglieder, gegenüber denen das Familienunternehmen besondere Schutzmechanismen etablieren muss. Familiengesellschafter verhalten sich anders als die Aktionäre eines Konzerns. Während für Aktionäre meist nur die kurzfristigen Gewinne zählen, sind sie eher an einer langfristigen, nachhaltigen Vermögensmehrung und der Sicherung der Überlebensfähigkeit ihrer Unternehmung interessiert. Gesellschafter von Familienunternehmen denken in Generationen und in Jahrzehnten anstatt in Quartalen, wie es wiederum in börsennotierten Unternehmen und in großen Konzernen üblich ist. Angestrebt wird eine nachhaltige Steigerung des Unternehmenswertes, um das Unternehmen möglichst langfristig im unabhängigen Besitz der Familie erhalten zu können. Unternehmerfamilien bestehen aus Menschen und die haben neben einer kapitalistischen Wertorientierung immer auch eine soziale Werteorientierung. Wie auch in intakten Familien beeinflussen innerfamiliäre Solidarität, Verantwortung für das Wohl der Mitglieder und Verantwortung gegenüber dem regionalen Umfeld sowie die Verpflichtung gegenüber einem religiösen oder ethischen Ideal auch das Miteinander in Familienunternehmen. Daraus ergeben sich ohne jeden Zweifel eine hohe Loyalität und Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen. Konzerne hingegen verfügen meist nur über ein sehr schwaches Wertesystem. Sie müssen daher viel Kapital, Mühen und Zeit einsetzen, um anhand von aufwändigen Mitarbeiter-Identifikationsprogrammen die Loyalität ihrer Mitglieder zu stärken. Während der Eindruck entsteht, dass bei Konzernen die Gestaltung von Organisationsstrukturen und die Entwicklung globaler Expansionsstrategien zum Selbstzweck werden, hat es den Anschein, dass diesen Unternehmen die Verbindung zum Kunden mehr und mehr entrückt. Aus Konzernkreisen der Siemens AG hörte man sogar, dass die Tatsache, „man verstehe den Endkunden nicht“ letztlich für den Verkauf der Handysparte ausschlaggebend gewesen war. In Familienunternehmen scheint die Kardinalfrage der Kundenorientierung: „Welches zentrale Problem meines Kunden löse ich besser als meine Wettbewerber?“, tiefer verankert zu sein. Für diese Unternehmer ist es auch selbstverständlich, „zum Kunden zu gehen“. Die besten Erfolgsgeschichten der deutschen Wirtschaft der letzten Jahrzehnte haben Unternehmer geschrieben, die genau diesem Ansatz der Erfüllung von Kundenbedürfnissen folgten. Die Würth-Gruppe ist dafür das beste Beispiel. Zumeist existiert in Familienunternehmen eine „Leitfigur zum Anfassen“, die menschliche Nähe schafft. Die Identifikation mit einem Unternehmen funktioniert, wie wir mit Sicherheit auch selbst schon erlebt haben, sehr viel besser, wenn man weiß, wer hinter einem
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Namen steckt. Dieser direkte Kontakt zum Namensträger bzw. dem geschäftsführenden Gesellschafter des Unternehmens ist auch in Bezug auf den Kunden von großem Vorteil. Die Chancen für Kunden, den Chef „persönlich“ zu sprechen, sind in Familienunternehmen meist relativ hoch. Und obwohl viele Konzerne heute dem Trend folgen, die E-MailAdressen ihrer Vorstände auch an Kunden zu kommunizieren, heißt das noch lange nicht, dass die Kunden tatsächlich eine Chance bekommen, mit dem „Chef des Hauses“ persönlich in Kontakt zu treten. Auch bezüglich der Transparenz bestehen grundlegende Unterschiede. In hohem Maße gesetzlich gefordert, verfügen Konzerne über eine hohe Transparenz nach innen und außen. Jahresabschlüsse, organisatorische Strukturen und seit Neuestem auch die Gehälter der Führungsriege müssen offen gelegt und kommuniziert werden. In Familienunternehmen hingegen ist Transparenz meist nur nach innen gegeben. Sie tendieren wegen ihrer Zurückhaltung gegenüber der Öffentlichkeit, ihrem Versuch zur Steueroptimierung und dem Wunsch, Wettbewerbern den Einblick in die Finanz- und Ertragslage möglichst zu erschweren, dazu, ihre organisatorischen Strukturen und wichtigen betriebswirtschaftlichen Kennzahlen „undurchschaubar“ zu halten. Diese mangelnde Transparenz wird spätestens dann zum Hemmschuh, wenn sich Familienunternehmen zur Diversifizierung ihrer Finanzstrukturen um moderne Kapitalmarktprodukte bemühen. Gerade unter den Gesichtspunkten von Basel II reicht vielen Kreditgebern die Bilanz des Vorjahres kaum noch aus. Beschäftigt man sich mit den Finanzzielen der beiden Unternehmensarten, stellt man fest, dass in Familienunternehmen Ziele zur Sicherung der Unternehmensstabilität einen hohen Stellenwert einnehmen. Während in Konzernen die Mentalität einer „Wertorientierung um jeden Preis“ herrscht, werden in Familienunternehmen durchaus unterschiedliche Renditen akzeptiert, wenn dadurch das Risiko des Unternehmens minimiert werden kann. Wie oben bereits erwähnt, sind Eigenkapitalquoten von 35 % und mehr durchaus keine Seltenheit. Dabei sollten Familienunternehmer jedoch immer bedenken: „Wer sein Risiko begrenzt, begrenzt auch immer seine Chancen.“ Ein weiteres Risiko in Familienunternehmen ist die häufig festgestellte Tendenz zur Überschätzung der Kompetenz auf Seiten der Familie und die Tendenz, Kompetenzdefizite bewusst oder unbewusst zu übersehen. „Blut über Kompetenz“ oder „Vetternwirtschaft“ wird dieses Vorgehen auch genannt. In Konzernen hingegen entscheidet einzig und allein die Qualifikation des Bewerbers. Bevorzugung aufgrund von verwandtschaftlichen Banden ist dort kaum ein Thema. Familienunternehmen sind nicht, wie die meisten Konzerne, ausschließlich von einem Shareholder-Value-Gedanken getrieben. Das kann jedoch auch eine Gefahr sein, denn die Wirkung des Kapitalmarktes, der ständig interne Reinigungsprozesse generiert, fehlt hier leider völlig. Als Familienunternehmer kennt man die Einzelschicksale im Unternehmen persönlich und fühlt eine starke soziale Verpflichtung in der Region. Schmerzhafte Einschnitte, wie Produktionsverlagerungen, Teilverkäufe oder auch betriebsbedingte Kündigungen werden vielfach lange hinausgezögert – manchmal auch zu lange. Während hier externe Manager emotional unbelastet betriebswirtschaftlich notwendige Entscheidungen
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treffen können, ist dies für die Familienunternehmer ein Wechselbad aus Emotion und Ratio und dadurch wesentlich schwieriger. Hier ist eine gewisse Fähigkeit zum Verdrängen oft hilfreich. Diese typischen emotionalen Bindungen haben sicher viele Vorteile bezüglich Identifikation, Motivation oder Teamdenken – wenn es aber um die Belegschaft oder den Standort betreffende, tief greifende Maßnahmen geht, kristallisiert sich heraus, dass eine typische Stärke auch durchaus zum echten Nachteil für das Familienunternehmen werden kann. Die persönliche Risikobereitschaft im Familienunternehmen ist um ein Vielfaches höher als in einem Konzern, in dem Fehlinvestitionen oder Investitionsentscheidungen wenig bis keinen Einfluss auf den Einzelnen haben. Während ein Aktionär bei negativen Renditen seine Aktien verkauft, schießt der Familienunternehmer Geld nach, um das Unternehmen am Leben zu erhalten. Dies rührt daher, dass sich Personen eines Konzerns in einer „geschützten Position“ befinden, während der Gesellschafter das persönliche Risiko trägt. Die familiäre Verbundenheit der Eigentümer ist für die Organisation des Familienunternehmens also insgesamt Gefahr und Stärke zugleich. Sind sich die Familienmitglieder einig und ziehen sie an einem Strang, sind die Unternehmen imstande, schnell und mit aller Konsequenz zu agieren. Gibt es jedoch Streit und Konflikte, die manchmal schon auf die gemeinsame Zeit im Sandkasten zurückgehen, könnten sich diese auf das gesamte Unternehmen übertragen, seine Beweglichkeit lähmen und damit die Existenz des Imperiums bedrohen. Diese elementaren Unterschiede und Kennzeichen sorgen dafür, dass sich Familienunternehmen anders aufstellen müssen als Konzerne und Publikumsgesellschaften, um die komplexen Aufgaben und Herausforderungen zu meistern. Beide Systeme haben ihre Vor-, aber auch ihre Nachteile. Es ist ein Kennzeichen guter Unternehmensführung in Familienunternehmen, die Vorzüge der beiden Systeme ideal miteinander zu verbinden und den größtmöglichen Nutzen daraus zu ziehen! Familienunternehmen müssen daher in den folgenden Bereichen aktiv handeln: Festlegung einer Familienstrategie Nachfolgeregelung Geschäftsleitung Aufsichtsgremium Transparenz Wahrung der Unabhängigkeit
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Strategische Besonderheiten von Familienunternehmen
In Familienunternehmen stellen Familie und Unternehmen – wie der Name schon sagt – eine untrennbare Einheit dar. Zwischen den beiden Systemen gibt es vielfältige netzwerkartige Verbindungen. Ich nenne dies auch das Dilemma von Familienunternehmen, das „Drama der verstrickten Systeme“. Diese Verstrickung hat strategische Konsequenzen. Verfügt ein Unternehmen normalerweise über eine klare Strategie für sein Unternehmen, seine Person und sein Vermögen, muss der Familienunternehmer darüber hinaus auch noch eine klare Strategie für seine Familie festlegen. Der langfristige Erfolg von Familienunternehmen beruht damit auf einer Balance zwischen vier Interessensfeldern: 1. der persönlichen Strategie des Unternehmers; 2. der Familienstrategie; 3. der Vermögensstrategie; 4. der Unternehmensstrategie. Die isolierte Erarbeitung der einzelnen Komponenten stellt dabei noch nicht die gesamte Strategie dar, denn das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Die einzelnen Felder mögen zwar für sich gesehen ganz interessant und spannend sein, doch erst die optimale Vernetzung und Synchronisation der vier Faktoren kann die Überlebenschancen dieser besonderen Spezies erhöhen. So müssen bei jeder Entscheidung, die ein Familienunternehmer trifft, immer alle vier Komponenten im Auge behalten werden und mögliche Auswirkungen abgeschätzt werden. Familienmitglieder können eine extreme Stärke, aber auch eine potenzielle Schwäche des Familienunternehmens sein. Sie zu ignorieren schwächt in jedem Fall das Unternehmen. Der Unternehmer Jörg Mittelsten Scheid stellte einmal fest: „Wenn das Familienunternehmen überhaupt etwas zu fürchten hat, so wohl am ehesten sich selbst bzw. die Unternehmer und die Familien, die dahinterstehen.“ Die wenigsten Unternehmen scheitern an Managementfehlern, meist sind es die Unternehmerfamilien, die für das Aus verantwortlich sind. Familieninterne Konflikte stellen die größte Bedrohung für das Familienunternehmen dar. Konflikte mit bedrohlichen Auswirkungen für das Unternehmen können sich ergeben aufgrund der Nachfolgeregelung; unterschiedlicher Vorstellungen von Familie und Unternehmen;
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der Entnahmepolitik; der Ausschüttungspolitik. Die Abwägung der Prioritäten zwischen dem Unternehmen und der Familie ist für jeden Unternehmer sehr schwierig. Dass die beiden Seiten nicht hundertprozentig voneinander getrennt werden können, muss jedem klar sein. Es ist daher wichtig, dass die Gesellschafter ein gemeinsames und verbindliches Wertesystem aufstellen, welches die Werte und die Ziele von Familie und Unternehmen gleichermaßen berücksichtigt. Im Wertesystem finden sich langfristig verbindliche Grundsätze für die Ausrichtung des Unternehmens und die immateriellen Ziele des wirtschaftlichen Handelns wieder. Folgende Punkte sollten in dem Dokument enthalten sein: Ein klares Bekenntnis zur Erhaltung des Unternehmens im Familienbesitz Die Wahrung der Familieneinheit und Familieneinigkeit Die Verpflichtung zur strikten Einhaltung der festgelegten Regeln und Leitlinien Der Vorrang der Unternehmensinteressen gegenüber den Interessen einzelner Familienmitglieder Der Ausschluss der Betätigung in bestimmten zu definierenden Geschäftsfeldern Das Bekenntnis zu sozialer und politischer Verantwortung, sowie zur Weiterentwicklung von Gesellschaft und Gemeinwesen Das Bekenntnis zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit und zum Vergleich mit anderen Unternehmen Die Verankerung des Oberziels der nachhaltigen Steigerung des Unternehmenswertes und der Vermögensmehrung Ein Familienunternehmen, in dem Familie und Unternehmen auf einem gemeinsamen Wertesystem beruhen, kann eine klare strategische Richtung einschlagen. Die Systeme unterstützen sich gegenseitig bei der Zielerreichung und bilden eine kaum zu schlagende Gesamtheit. Gelingt dieses Vorhaben nicht, wird das Unternehmen unweigerlich scheitern.
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Ziele von Familienunternehmen
Familienunternehmen steuern ihr Unternehmen entsprechend dem von ihnen aufgestellten Zielsystem. Entscheidungen innerhalb der Firma werden so getroffen, dass die Erreichung der Ziele zu jedem Augenblick sichergestellt ist. Selten geht es dabei in erster Linie darum, Geld zu verdienen. Folgende Zielsetzungen sind typisch für Familienunternehmen: Wahrung der Einheit und Einigkeit der Familie Wie wir wissen, sind Streitigkeiten innerhalb der Familie der Hauptgrund für das Scheitern von Familienunternehmen. Die Wahrung der Einheit und Einigkeit der Familie gehört damit zu den Zielen der meisten eignergeführter Unternehmen. Das bedeutet jedoch nicht, dass Konflikte totgeschwiegen werden sollen. Konflikte sind dazu da, gelöst zu werden! Die Lösung von Konflikten gehört zu den grundlegenden Aufgaben eines Familienunternehmens. In jedem Konflikt steckt die Chance zur Weiterentwicklung. Stärke äußert sich nicht in unbedingter allzeit vorhandener Harmonie. Denn wenn Konflikte ignoriert werden, entsteht mit der Zeit ein Vulkan, der nur darauf wartet auszubrechen. Mehr als ein Unternehmen ist daran zugrunde gegangen. Langfristige Einheit und Einigkeit entsteht nur dann, wenn die Familie in der Lage ist, auf Konflikte einzugehen und gemeinsam Lösungsansätze zu suchen. Sicherstellung professioneller und objektiver Entscheidungen Anders als in Publikumsgesellschaften liegt die Kontrollfunktion in den meisten Familiengesellschaften nicht bei einem gesetzlich geforderten Kontrollorgan, sondern bei den Gesellschaftern selbst. Erfolgreiche Unternehmen haben jedoch erkannt: Wer das Geld anderer Leute verwaltet, muss sich bei der Ausübung seiner Tätigkeit kontrollieren lassen. Die Gesellschafter des Unternehmens erwarten eine langfristige Sicherung ihres im Unternehmen gebundenen Vermögens. Auch wenn die operative Führung von Familienunternehmen nur durch eine Person ausgeführt wird, muss sie den gleichen professionellen Ansprüchen gerecht werden wie in jedem anderen Unternehmen. Es benötigt ähnliche oder auch gleiche Kontroll- und Überwachungsinstrumente, um das Risiko von Fehlentscheidungen möglichst gering zu halten und um falsche Entscheidungen durch Subjektivität und Einseitigkeit zu vermeiden. Sicherstellung der Kapitalbasis Im Unterschied zu börsennotierten Unternehmen steht Familienunternehmen Kapital meist nur begrenzt zur Verfügung. Daher ist die Sicherstellung der Kapitalbasis ein Ziel, das beinahe alle Familienunternehmen verfolgen. Haben kommt von Halten Dies ist die Leitmaxime derjenigen Unternehmer, die stets darauf bedacht sind, Sparsamkeit vorzuleben, die eine geregelte Dividendenpolitik betreiben und Eheverträge abschließen.
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Kein Wunder, denn Familienunternehmen sind meist auf die Mittel angewiesen, die vom Gewinn nach Ausschüttung und Steuern noch übrig bleiben. Finanzkünstlern unter den Familienunternehmen gelingt es, den Kapitaleinsatz möglichst gering und damit die Kapitalbasis stabil zu halten. Für die meisten Familienunternehmen ist die Wahrung der Unabhängigkeit ein, wenn nicht sogar das wichtigste Ziel überhaupt. Um Herr im eigenen Haus zu bleiben, werden starke Einschränkungen in Kauf genommen. Familienunternehmen stellen sich so auf, dass sie auch in Krisensituationen nicht weggefegt werden können. Die konservative Haltung gegenüber neuen Märkten, teueren Akquisitionen und expansiven Strategien ist folglich kein Zufall, sondern folgt einer strengen Zielsetzung. So verzichteten viele erfolgreiche Familienunternehmen auf den Gang an die Börse, um einem entsprechenden Kontrollverlust zu entgehen.
5.
Geschäftsleitung und Nachfolgeproblematik
Auch die Führung in Familienunternehmen funktioniert anders als in Konzernen, da hier, ebenso wie in anderen Bereichen, Familieneinflüsse eine große Rolle spielen. Eine besondere Herausforderung stellt die Übernahme der Geschäftsführung dar. An diesem Punkt scheitern viele Unternehmen, wie in dem Beitrag von G. Kayser in diesem Buch nachzulesen ist. Wie der Generationswechsel in Familienunternehmen erfolgreich gemanagt werden kann, wird in dem Beitrag von W. Krüger noch ausführlich dargestellt. Auf die spezifischen Herausforderungen und Risiken, die sich durch die Nachfolgefrage bei der Spezies Familienunternehmen stellen, soll deshalb hier nur noch knapp eingegangen werden. Der Volksmund sagt es auf seine Weise: „Der Vater erstellt’s, der Sohn erhält’s, beim Enkel zerfällt’s.“ Die Großväter haben als erfolgreiche Firmengründer einen Ehrenplatz in der Ahnengalerie sicher. Die Väter gelten im Betrieb und in der Familie in der Regel als die Superstars, weil sie in den zurückliegenden Boom-Zeiten Opas Start-up-Unternehmen zur wirtschaftlichen Blüte mit satten Renditen geführt haben. Was der Großvater gegründet und der Papa zum Erfolg geführt hat, muss in den schwierigen Märkten von heute mit allen Merkmalen und Begleiterscheinungen des Verdrängungswettbewerbs der Enkel sanieren. Und es macht bestimmt niemandem Spaß, einen verdienten Mitarbeiter, der einem womöglich noch als Steppke während eines Praktikums im elterlichen Betrieb auf die Sprünge geholfen hat, nun aus wirtschaftlichen Gründen entlassen zu müssen. Vielen ausscheidenden Unternehmern fällt es schwer, das Schicksal der Firma in die Hände des Nachfolgers zu legen. Natürlich ist jedem klar, dass es irgendwann an der Zeit ist loszulassen, das Zepter an die nächste Generation weiterzugeben. Es kostet jedoch Überwindung, diesen Schritt konsequent durchzuführen. Emotionen, Zukunftsangst und Unsicherheit spie-
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len dabei eine große Rolle. Viele Unternehmer haben Angst davor, sich ganz aus dem Unternehmen zurückzuziehen, und fühlen sich ohne die Unternehmensaufgaben plötzlich überflüssig und nutzlos. Ohne jeden Zweifel spielen auch Prestige- und Statusdenken häufig eine Rolle, denn mit dem Rückzug verliert der Senior seine Stellung als Leiter des Unternehmens. Dazu kommt die Sorge, der Nachfolger könne einiges anders machen, oder vielleicht auch die Angst davor, dass der Nachfolger den Herausforderungen des Unternehmens nicht gewachsen ist. Nicht zuletzt bangen abtretende Unternehmer um ihr geregeltes Einkommen. Trotz dieser Sorgen und Ängste müssen sich Unternehmer rechtzeitig aus der Firma zurückziehen. Die Gefahr ist groß, dass die verantwortlichen Menschen mit zunehmendem Alter die Fähigkeit zur permanenten Anpassung verlieren, an alten Erfolgsmustern festhalten und vergessen, dass sich die Welt um sie herum weiterdreht. Der Generationenwechsel bereitet aber nicht nur den ausscheidenden Führungskräften Kopfzerbrechen, auch der Nachfolger steht vor gewaltigen Herausforderungen. In ihn werden große Erwartungen gesetzt, die es zu erfüllen gilt, denn schließlich übernimmt er die Verantwortung für das gesamte Unternehmen. Dabei wird er in den meisten Fällen nach den Qualitäten des Vorgängers beurteilt. Häufig geht der Führungswechsel auch mit notwendigen strukturellen Anpassungen einher. Stagnierende, schnelllebige Märkte fordern die ständige Anpassung des Unternehmens an neue Gegebenheiten. Nicht selten stößt die Nachfolgegeneration bei solchen Vorhaben jedoch auf starken Widerstand innerhalb der Familie, und Sätze wie: „Der Großvater würde sich im Grabe umdrehen“, sind durchaus keine Seltenheit. Nicht nur Produkte, sondern auch Unternehmen unterliegen einem Lebenszyklus (s. hierzu die Ausführungen von V. Wittberg in diesem Buch). Wer sein Unternehmen langfristig in Familienhänden halten möchte, muss daher strukturelle Veränderungen zulassen. Unternehmen, die sich gegen diese Entwicklung sperren, werden scheitern. Damit der Jungunternehmer den Erwartungen gerecht werden kann, müssen Familienunternehmen dafür sorgen, dass nur die Besten an die Unternehmensspitze gelangen. Es bleibt natürlich der unbestrittene Traum jedes Familienunternehmers, das Unternehmen in die kompetente Hand der eigenen Kinder zu geben, jedoch sind Familienmitglieder nicht immer als Nachfolger geeignet. Familienunternehmen müssen dem verständlichen Willen widerstehen, die eigenen Familienmitglieder ohne Rücksicht auf deren tatsächliche Kompetenz im Unternehmen zu installieren. Für den Zugang zur Geschäftsführung eines Familienunternehmens dürfen allein die fachliche und persönliche Qualifikation des Einzelnen ausschlaggebend sein. Ob ein potenzieller Nachfolger kulturell in das Unternehmen passt, sollte bei der Auswahl des Nachfolgers eine besonders große Rolle spielen. Der zukünftige Unternehmensleiter, egal ob Familienmitglied oder externe Führungskraft, muss die Kultur des Unternehmens verstehen, um die Unternehmenswerte zu wahren und um zu wissen, wie der notwendige strukturelle Wandel durchgeführt werden kann.
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In ihrem Buch „Strategic planning for the family business“ beschreiben Ward und Carlock notwendige strategische Neuausrichtungen des Unternehmens als einen langsamen stetigen Prozess, der auf den Grundwerten des Unternehmens basiert. Dafür muss die Führungskraft die Kultur des Unternehmens kennen und verstanden haben. Eine Bevorzugung von Familienmitgliedern sollte auch bei der Ausgestaltung des Vertrages vermieden werden, insbesondere wenn es um die Festlegung der Vertragslaufzeiten geht. Vielleicht ist es an dieser Stelle sinnvoll, dem familieninternen Nachfolger keinen unbegrenzten Vertrag auszustellen, sondern die Laufzeit auf zum Beispiel fünf Jahre zu begrenzen. Niemand würde einem Konzernmanager eine unbefristete Vertragslaufzeit zusagen. Wieso sollte es in Familienunternehmen anders sein? Zur Professionalität und Objektivität in Führungsfragen gehört es jedoch nicht nur, einen fähigen Unternehmensleiter an der Spitze des Unternehmens zu haben. Auch die klare Trennung von Aufsicht und Führung spielt eine bedeutende Rolle. Da der Gesellschafter in der Regel mit der Ausübung der Kontrolle sachlich und emotional überfordert ist, führen erfolgreiche Familienunternehmen freiwillig ein qualifiziertes Aufsichtsgremium ein, dem echte Mitspracherechte eingeräumt werden. Dabei macht es keinen Unterschied, ob sich dieses Kontrollorgan Familienrat, Gesellschafterausschuss oder Aufsichtsrat nennt. Wichtig ist, dass Familienmitglieder, die mit der operativen Führung des Unternehmens betraut sind nicht gleichzeitig Mitglieder dieses Organs sein können. Idealerweise besteht das Gremium aus Familienmitgliedern und erfahrenen externen Personen, wobei es sinnvoll ist, externen Mitgliedern die zahlenmäßige Mehrheit einzuräumen. Durch die Integration familienfremden Sachverstandes soll sichergestellt werden, dass Entscheidungen objektiv im Sinne des Unternehmens getroffen werden. Zu den Aufgaben des Kontrollgremiums gehören unter anderem die Ausübung der Personalkompetenz über die Geschäftsführung, die Plausibilitätskontrolle und Verabschiedung der Unternehmensstrategie, die Festlegung eines einheitlichen Wertmaßstabs die Diskussion und Entscheidung zustimmungspflichtiger Geschäfte. Um eine effiziente Arbeit sicherzustellen, sollte das Kontrollorgan in seiner Mitgliederzahl tendenziell klein gehalten werden. Ebenso wie bei der Besetzung der Führungsposition spielen Qualifikation, Eignung und kulturelle Übereinstimmungen eine bedeutende Rolle bei der Berufung der Mitglieder.
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Transparenz in Familienunternehmen
Fehlende Transparenz nach außen entwickelt sich für Familienunternehmen zunehmend zu einem ernst zu nehmenden Problem. Mittlerweile reicht es nicht mehr aus, die Gesellschafter über die wirtschaftliche Lage des Unternehmens zu informieren, auch andere Interessengruppen fordern Transparenz in der Führung. Kreditgeber und Investoren vergeben Kredite und Beteiligungen nur noch, wenn sie nachweislich auf Stabilität und Renditechancen vertrauen können, Mitarbeiter haben ein Interesse daran, wie sicher ihre Arbeitsplätze sind, Lieferanten wollen Rechnungen bezahlt wissen, der Staat fordert Informationen, und auch die Kunden und die breite Öffentlichkeit erwarten Offenheit. Geheimniskrämerei der betroffenen Unternehmen kann schnell ein schlechtes Image erzeugen. Es ist daher durchaus im Sinne der Unternehmen, Transparenz zu schaffen. Hinter dem Begriff verbirgt sich weit mehr als die Offenlegung der Bilanzen der letzten Jahre. Umfassende Transparenz bedeutet, dass sich Führungskräfte, Kontrollorgane, Anleger und Investoren jederzeit umfassend über die strategische Position, über Finanz- und Ertragszahlen und die Stabilität des Unternehmens informieren können. Nicht nur in Verbindung mit Maßnahmen der Kapitalbeschaffung sollte sich ein Unternehmen einem Rating unterziehen. Die freiwillige Durchführung der Bonitätsprüfung eignet sich auch als Nachweis der finanziellen Glaubwürdigkeit des Unternehmens nach innen und außen. Dabei macht es keinen Unterschied, ob das Rating bankintern oder extern durch Agenturen durchgeführt wird. Darüber hinaus bietet es sich an einen Prüfungsausschuss zu berufen, der die finanzielle Entwicklung des Unternehmens verfolgt und überprüft. Die Herausforderungen, denen sich ein Familienunternehmen stellen muss, sind äußerst vielfältig und komplex. Erfolgreiche Unternehmen halten sich daher an „Corporate Governance“. Darunter ist allgemein die Gesamtheit aller Regeln und Gepflogenheiten der Unternehmensleitung und -aufsicht zu verstehen. Wird dieses Regelwerk an dem Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit und der langfristigen Wertsteigerung ausgerichtet, spricht man von „Good Governance“. Für börsennotierte Aktiengesellschaften ist Corporate Governance seit der Einführung des Cromme Kodex im Jahr 2002 ein Thema. Seitdem werden Strategien, Ertrags- und Finanzlage, Gehälter etc. verbindlich geregelt und offen gelegt. Gegliedert ist dieser Kodex in Muss-, Kann- und Sollregelungen. Mittlerweile ist ein Corporate Governance Kodex erarbeitet, der speziell auf die Bedürfnisse und Herausforderungen von Familienunternehmen zugeschnitten ist. Obwohl er nicht verbindlich ist, halten sich weitsichtige Unternehmen an die Regeln, denn Corporate Governance stärkt die Fitness des Unternehmens. Durch eine konsequente Anwendung lassen sich Streit, Zwist und Führungsfehler vermeiden. Die Philosophie der
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Corporate Governance für Familienunternehmen wird in diesem Handbuch durch deren Mitinitiatoren A. Lehmann-Tolkmitt und P. May dargestellt.
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Fazit
Elementare Unterschiede sorgen dafür, dass sich Familienunternehmen anders positionieren müssen als Publikumsgesellschaften. Gerade die enge Verstrickung von Familie und Unternehmen führt in vielen Fällen zu weit reichenden Konflikten, und in letzter Konsequenz zum Scheitern des Unternehmens. Kommen wir zurück zu unserer Ausgangsfrage: Wie ist es denn nun wirklich bestellt um die Zukunftsfähigkeit des Familienunternehmens? Ist es wirklich ein Auslaufmodell, ein Anachronismus und völlig passé? Oder ist es doch ein Hoffnungsträger, ein Bollwerk und Garant für prosperierenden Wachstum und Überlebensfähigkeit? Es ist keine Frage, dass sich der Druck auf Familienunternehmen in den nächsten Jahren erheblich erhöhen wird. Ungelöste Nachfolgeprobleme, Schwierigkeiten in der Familie, Führungsprobleme, aber auch die Verschiebung der Wettbewerbskräfte wirken hier zusammen. Auch Basel II wird für viele Familienunternehmen den finanziellen Spielraum weiter einengen und die für diese Unternehmungen oft überlebensnotwendige Flexibilität einschränken. Haben Familienunternehmen hierzulande noch eine Zukunft? Unsere Ausführungen machen deutlich, dass es wohl nicht das „Modell Familienunternehmen“ an sich ist, welches die Zukunftsfähigkeit maßgeblich beeinflusst. Daher lässt sich auch hier nicht abschließend beurteilen, ob es sich beim Familienunternehmen um ein Auslaufmodell oder um einen Hoffnungsträger handelt. In Zeiten von Verdrängungswettbewerb und höheren Anforderungen an die Führung von Familienunternehmen werden Schwachstellen viel schneller aufgedeckt. Es muss konsequenter, transparenter und entschlussfreudiger gehandelt werden. Dennoch brauchen diejenigen Familienunternehmen, welche die richtigen Strategien entwickeln, die auf die Besonderheiten dieser Spezies zugeschnitten sind und die besonderen Konstellationen und Rahmenbedingungen berücksichtigen und zudem durch die Einführung und Anwendung verbindlicher Family-Governance-Regeln die inhärenten Schwächen korrigieren und abfangen, die Zukunft und den Vergleich mit Nicht-Familienunternehmen kaum zu befürchten.
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Literatur
Carlock, R. S.; Ward, J. L.: Strategic Planning for the Familiy Business: Parallel planning to unify family and business, Mendham, Suffolk 2001. Gleißner, W.; Weissman, A.: Kursbuch Unternehmenserfolg: 10 Tipps zur nachhaltigen Steigerung des Unternehmenswertes, GABAL, Offenbach 2001. Habig, H.; Berninghaus J.: Die Nachfolge im Familienunternehmen ganzheitlich regeln, Springer Verlag Berlin, Heidelberg, New York 2004. Hengstmann, D.: Die Familiengesellschaft, Berlin 1935. Hennerkes, B.-H.: Die Familie und ihr Unternehmen. Strategie, Liquidität, Kontrolle, Campus, Frankfurt, New York 2005. Moos, A. v.: Familienunternehmen erfolgreich führen, Corporate Governance als Herausforderung, Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich 2003. Spencer, S.: Kontrollierte Macht und wertorientierte Unternehmensführung: Corporate Governance in erfolgreichen Familienunternehmen, Wiesbaden 2004. Ward, J.: Keeping the family business healthy: How to Plan for Continuing Growth, Profitability and Family Leadership, Jossey-Bass 1987. Weissman, A.: Das Drama der verstrickten Familien-Systeme, in: Form – Magazin für Risikomanagement, Bürgel 2005. Weissman, A.; May, P.: Lieber ein großer Fisch in einem kleinen Teich, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28. Februar 2005, S. 20. Wimmer, R.; Domayer, E.; Oswald, M.; Vater, G.: Familienunternehmen – Auslaufmodell oder Erfolgstyp?, Gabler, Wiesbaden 2005.
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Eckpfeiler – Brauchen wir eine Mittelstandspolitik? Lena Strothmann
Zusammenfassung
Mittelständische Unternehmen haben in jeder Marktwirtschaft eine zentrale volkswirtschaftliche Bedeutung. Sie sind die Garanten des Wettbewerbs, der Voraussetzung für eine funktionierende Marktwirtschaft ist. Mittelständische Unternehmen sorgen in ihrer Vielfalt für wirtschaftliche Stabilität und sind integraler Bestandteil einer ausgewogenen Unternehmensgrößenstruktur, die den Strukturwandel erleichtert, Innovationen fördert und damit letztlich zu mehr Wachstum und Wohlstand in einer Nationalökonomie beiträgt. Mit Blick auf die sich verschärfenden Wettbewerbsbedingungen in Europa und weltweit – Stichwort Europäisierung und Globalisierung – muss die Wirtschaftspolitik in Deutschland dem herausragenden Stellenwert mittelständischer Unternehmen gerecht werden. Das erfordert eine ressortübergreifende Mittelstandspolitik, die einen zentralen Raum im Regierungshandeln einnimmt. Ziele einer solchen Mittelstandspolitik sind niedrige Steuern und Abgaben, der Abbau überflüssiger Bürokratie, Finanzierungsmodelle und Liquiditätsförderung, die finanzielle Förderung innovativer Gründungen, eine stärkere Ausrichtung der Berufsausbildung an den Qualifikationsanforderungen der Zukunft.
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Mittelstand als wirtschaftliche Größe
Die deutsche Volkswirtschaft ist wie kaum eine andere durch kleine und mittlere Unternehmen geprägt. Das hat vor allem historische Gründe. Ein dezentralistisches Staatsgebilde und die von den Zünften ausgehende handwerkliche Kultur waren der Entwicklung kleiner und mittlerer Firmen förderlich. Die Tendenz zum Zusammenschluss von Unternehmen und zur Konzernbildung war daher nicht so ausgeprägt wie etwa in Frankreich und Großbritannien. Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) bereichern hierzulande ganz wesentlich das individuelle Güter- und Leistungsangebot. Zugleich stabilisieren sie aber auch die wirtschaftlichen Konjunkturen, weil sie erst mit Verzögerungen, weniger heftig und vor allem mit einem geringeren Abbau der Beschäftigtenzahlen auf Rezessionen reagieren. Auch wenn es darum geht, neue Wachstumsmärkte und Technologien zu erschließen, kommt kleinen und mittleren Unternehmen eine zentrale Bedeutung zu. Dass etwa zwei Drittel aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten inzwischen in mittelständischen Unternehmen arbeiten, zeigt ihren besonderen gesamtwirtschaftlichen Beitrag, der in den letzten Jahren noch stärker an Bedeutung gewonnen hat. Besonders ihr überproportionaler Anteil an der Schaffung neuer Arbeitsplätze macht das deutlich: Zwischen 1990 und 1995 schufen mittelständische Unternehmer knapp eine Million neue Stellen, wobei der Dienstleistungssektor sich besonders hervortat. In diesem Zeitraum gab es in Großunternehmen einen Abbau von rund 750.000 Arbeitsplätzen (Holtzmann, H.-D., Mitropoulos, S. 1997, S. 4). Aber nicht nur bei der Schaffung von Arbeitsplätzen, vielmehr auch bei der Bereitstellung von Ausbildungsplätzen führen die kleinen und mittleren Unternehmer das Feld an. Wenn 80 % aller Ausbildungsplätze von ihnen zur Verfügung gestellt werden, dann darf man den Mittelstand angesichts dieser hohen Ausbildungsbereitschaft mit Fug und Recht als „Schule der Nation” bezeichnen. Zum besonderen Stellenwert kleiner und mittlerer Unternehmen in Deutschland hat im Wesentlichen auch das deutsche Handwerk beigetragen. Ende 2004 arbeiteten in rund 890.000 Betrieben des Handwerks 4,96 Millionen Menschen, fast 490.000 Auszubildende erhielten dort eine qualifizierte Ausbildung. Damit waren 12,8 % aller Erwerbstätigen und rund 31 % aller Auszubildenden in Deutschland im Handwerk tätig. Zusammen erwirtschafteten sie einen Umsatz von rund 462 Milliarden Euro (ZDH -Daten und Fakten 2005). In diesem Zusammenhang darf aber nicht verschwiegen werden, dass weite Teile des Mittelstands wie des Handwerks, die hauptsächlich von der Binnenkonjunktur und der Konsumnachfrage hierzulande abhängig sind, seit fünf Jahren in Folge einen Rückgang bei Umsatz und Beschäftigung zu verzeichnen haben. Stagnierender Konsum, schwache Ausrüstungsinvestitionen und geringer Staatskonsum ließen bisher einen Aufschwung noch nicht zu, im Gegensatz zum exportgetriebenen Mittelstand, der von der boomenden Weltkonjunktur profitiert. Allein im Handwerk sind seit 1997 rund 1,5 Millionen Arbeitsplätze weggefallen, was
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den Reformdruck auf die politisch Verantwortlichen erhöht, gehört das Handwerk doch als Herz des Mittelstands zu den Grundpfeilern lokaler und regionaler Wirtschaftsstrukturen (ZDH -Jahresbericht 2004, S. 9). Auch bei den Mitgliedsbetrieben der Industrie- und Handelskammern führte die enttäuschende Binnenwirtschaft im Sommer 2005 dazu, dass exportorientierte Unternehmen sowie deren mittelständische Zulieferer ihre Geschäftslage zumeist besser beurteilten als der binnenorientierte Mittelstand (DIHK 2005, S. 1f.). Bei der Definition des „wirtschaftlichen Mittelstandes” spielt jedoch nicht nur der quantitative, sondern gerade auch der qualitative Aspekt eine große Rolle. Damit ist die enge Verbindung von Unternehmen und Inhaber gemeint, wie sie in der Einheit von Eigentum und Haftung, d. h. der Einheit bezüglich der Leitung des Unternehmens und der Verantwortlichkeit der Führungsperson für alle unternehmensrelevanten Entscheidungen, zum Ausdruck kommt. Der Eigentümer-Unternehmer setzt seine volle Arbeitskraft ein, trägt das alleinige Betriebsrisiko und haftet mit seinem privaten Vermögen. Die Frage also, was kleine und mittlere bzw. mittelständische Unternehmen ausmacht, ist nicht ausschließlich mit dem Hinweis auf ihre Größe zu beantworten, vielmehr kommt der Qualität unternehmerischen Handelns eine mindestens ebenso große Bedeutung zu. Insofern verdient der Hinweis Beachtung, dass die so genannte Eignergeführtheit als charakteristisches Merkmal und qualitatives Element den Mittelstand erheblich präziser und fundierter beschreibt als statistische Daten. Daneben ist es die Vielzahl der Branchen und der betrieblichen Organisationsformen – sprich das Schillernde und Heterogene – dieses Wirtschaftbereichs, das ihn in seinem Wesen ausmacht. Daran wird auch deutlich, dass die Mittelständler neben gemeinsamen Interessenlagen auch divergierende Vorstellungen davon haben, wie Mittelstandspolitik in ihrem Sinne auszusehen hat. Mittelstand ist also nicht gleich Mittelstand, weshalb es auch eine Vielfalt diverser Organisationen und Interessenverbände gibt, die ihre jeweiligen Mitglieder vertreten. Im Gegensatz zur Industrie und Gruppen der freien Berufe wie z. B. Ärzten oder Steuerberatern ist der Mittelstand zu breit gestreut, um immer eine einheitliche Position einzunehmen. Hierbei helfen die Industrie- und Handelskammern sowie die Handwerkskammern, die die Vertretung der Gesamtinteressen der gewerblich-technischen Wirtschaft bilden und als Klammer zwischen kleinen, mittleren und Großunternehmen dienen. Auch mit Hilfe dieser Institutionen gibt es im diversifizierten Mittelstand Grundübereinstimmung über wichtige Felder einer erfolgreichen, nachhaltigen Mittelstandspolitik, die Grundlage der sozialen Marktwirtschaft sein muss.
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Mittelstand und soziale Marktwirtschaft
„Mittelstand” in der Gesamtheit umfasst sowohl ökonomische als auch gesellschaftliche und psychologische Aspekte, weist also quantitative wie qualitative Merkmale auf, die für das Verhältnis von Motiven, Bedingungen, Besonderheiten und Auswirkungen einer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit von Bedeutung sind. So betonte Ludwig Erhard schon vor fünf Jahrzehnten, dass der Mittelstand nicht allein in materieller Sicht betrachtet werden dürfe, weil man damit seine tatsächliche Bedeutung für die Gesellschaft unterschätze: „Der Mittelstand kann materiell in seiner Bedeutung nicht voll ausgewogen werden, sondern er ist (...) viel stärker ausgeprägt durch Gesinnung und eine Haltung im gesellschaftswirtschaftlichen und politischen Prozess.” (Erhard, L. in Rüstow, A. 1956, S. 54) Der Mittelstand gilt damit nicht nur von seiner Wirtschaftskraft, sondern auch von seinem Unternehmerbild her als ein Erfolgsfaktor, mit dem der Start der sozialen Marktwirtschaft bewerkstelligt wurde und der heute noch ein sie tragender Pfeiler ist. Wenn man die vergangenen Jahrzehnte Revue passieren lässt, so zeigt sich, wie widerstandsfähig kleine und mittlere Unternehmen sind. Zu Beginn der sozialen Marktwirtschaft – in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts, die als „Wirtschaftswunder“ in der Bundesrepublik gelten – hatten Betrachter häufig die Befürchtung, der deutsche Mittelstand falle den Konzentrationsprozessen zum Opfer, die Wirtschaft werde längerfristig von den „Großen“ bestimmt sein. Dies trat dankenswerterweise nicht ein. Vielmehr gelangte man in den 70er Jahren zu der Erkenntnis: Mit Hilfe des Mittelstandes lässt sich der Strukturwandel vorantreiben. Verschiedene Untersuchungen belegten zudem in den 80er Jahren: Mittelständler sind die Innovationsmotoren. In den 90er Jahren wuchs dann die Erkenntnis: Der Mittelstand ist der Arbeitsplatzschaffer Nr. 1 in Deutschland. Denn in den 90er Jahren waren es immerhin die Kleinunternehmen, die eine Zeit lang einen Zuwachs an Beschäftigten verbuchen konnten, während in den Großunternehmen die Beschäftigtenzahlen abnahmen. Sie profitierten durchaus von dem Strukturwandel, der mit Begriffen wie „Outsourcing“ und „verlängerte Werkbank“ beschrieben wird. Wer also Wachstumssteigerung und Beschäftigungsförderung als seine zentrale Aufgabe sieht, muss dem Mittelstand seine volle Aufmerksamkeit widmen, besonders was die heimischen Standortfaktoren angeht. Kernziel einer effektiven Mittelstandspolitik sollte es sein, überflüssige Barrieren für freies Unternehmertum zu beseitigen und günstige Voraussetzungen für mehr Wachstum und Beschäftigung schaffen, unabhängig davon welches politische Lager gerade die Regierungsmehrheit innehat. Die stützende Rolle gerade von kleinen und mittleren Unternehmen für die wirtschaftliche Stabilität wird mittlerweile von allen politischen Parteien erkannt und hervorgehoben, wenn auch die Konsequenzen daraus für das jeweilige Regierungshandeln unterschiedlich sind. Immerhin wird keine Debatte mehr um die wahre Bedeutung des Mittelstands für nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung und Ausbildung in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts geführt, sondern nur um Maßnahmen und Mittel, also um den Weg und die Richtung von Reformen gerungen.
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Der Konsens darüber, dass ein ökonomisch gesunder Mittelstand eine tragende Säule der sozialen Marktwirtschaft ist, bedeutet in der Konsequenz immerhin, dass sich das Ansehen mittelständischer Unternehmer in der Gesellschaft verbessert. Das ist grundsätzlich von Vorteil, denn die soziale Marktwirtschaft ist eine Wirtschafts- und Gesellschaftsform mit vielen Selbständigen, mit einem großen Anteil mittelständischer Unternehmer. Ludwig Erhard und Alfred Müller-Armack, zwei Väter der sozialen Marktwirtschaft, haben wiederholt darauf hingewiesen, dass in einer funktionsfähigen Marktwirtschaft selbständige Unternehmer unentbehrlich sind. „Denn nur eine Mischung aus kleinen, mittleren und größeren Unternehmungen sorgt für einen Wettbewerb, der ausreicht, um die Verbraucher vor monopolistischer Ausbeutung zu schützen. Nur eine Vielzahl von Unternehmungen gewährt auch den Arbeitnehmern genügend Auswahl bei der Suche nach einem zusagenden Arbeitsplatz und verhindert es, dass sie einem bestimmten Arbeitgeber vollständig ausgeliefert sind.” (Erhard, L./Müller-Armack, A. 1972, S. 267) Angesichts der sozioökonomischen Bedeutung des Mittelstands erscheint daher eine Rückbesinnung auf die soziale Marktwirtschaft im Sinne einer den Mittelstand fördernden Politik, so wie sie von Ludwig Erhard verstanden wurde, notwendiger denn je. Grundlage der sozialen Marktwirtschaft ist die Freiheit, die es jedem Einzelnen ermöglicht, sich nach individuellen Vorstellungen zu verwirklichen. Sie hat ihre Grenzen in der Freiheit der Mitbürger und in der Gemeinwohlverpflichtung. Soziale Marktwirtschaft ist ferner auf den Wettbewerb angelegt, der Machtmissbrauch verhindert. Er verteilt Einkommen und Gewinn ausschließlich nach Leistungen und garantiert damit die Freiheitsrechte der Bürger. Um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, muss der Staat ordnungspolitisch gestalten. Er hat die Pflicht, einen intensiven und funktionsfähigen Leistungswettbewerb zu sichern. Zu seinen Aufgaben gehören aber ebenso der Schutz des Privateigentums, die Gewährleistung von Haftungsregelungen, die Wahrung konvertiblen und stabilen Geldes, einer freien Preisbildung und offener Märkte, von Vertrags- und Niederlassungsfreiheit, die Schaffung öffentlicher Infrastrukturen, eine mittelfristige Wachstums-, Regional- und eben Mittelstandspolitik. Nur so ist es möglich, Nachhaltigkeit in Zeiten des steigenden Anpassungsdrucks – verbunden mit den europäischen und globalen Herausforderungen im 21. Jahrhundert – zu erzeugen. Um den Schwachen und Bedürftigen ein lebenswertes Dasein zu garantieren, bedarf es ergänzender sozialpolitischer Maßnahmen. Sie müssen allerdings nach dem Prinzip der Subsidiarität orientiert sein, das heißt, sie dürfen erst dann greifen, wenn der Einzelne sich nicht mehr selbst helfen kann: „In der sozialen Marktwirtschaft muss dafür gesorgt sein, dass Risiken, Mühen und Chancen der unternehmerischen Tätigkeit in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen, damit sich genügend Menschen finden, die das Wagnis der Selbständigkeit und unternehmerischen Verantwortung eingehen (...). Eine sinnvolle Mittelstandspolitik muss in der Bewahrung dieses Gleichgewichts eine Hauptaufgabe sehen”, so haben Ludwig Erhard und Alfred Müller-Armack vor mehr als drei Jahrzehnten die Voraussetzungen für den Schritt hin zur wirtschaftlichen Selbständigkeit definiert (Erhard, L./Müller-Armack, A. 1972, S. 268 f.).
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Probleme des Mittelstands
Mittelständische Unternehmer sind nach wie vor auf einen ausreichenden Freiheitsspielraum angewiesen, ohne den sie nicht existieren können. Sie benötigen ein freies, auf Privatinitiative und Selbstverantwortung gegründetes Wirtschaftssystem, das sie durch ihr Tun wiederum im Sinne einer „Win-Win-Situation“ stabilisieren. Ein solches Wirtschaftssystem ist ideal für denjenigen, der Unternehmungsgeist hat. Er kann in dieser Wirtschaftsordnung mit dem nötigen Einfallsreichtum, Talent und der nötigen Initiative vorwärtskommen. Dieser Unternehmer hat allerdings nicht nur eine Gewinnchance, sondern er trägt wie in jeder Marktwirtschaft auch das Risiko des Verlustes. Speziell in Deutschland werden dabei an das Unternehmertum vielfältige Erwartungen und Forderungen gestellt: So soll es als Grundvoraussetzung ein optimales Produkt in ausreichender Stückzahl produzieren bzw. eine optimale Dienstleistung erbringen und gleichzeitig die Umwelt schonen. Unternehmer sollen Arbeitsplätze auf Dauer garantieren und die Produktion rationalisieren bzw. eine preisgünstige Dienstleistung zur Verfügung stellen. Die Löhne sollen in regelmäßigen Abständen steigen und die Preise konstant bleiben, wenn nicht gar sinken. Ebenso soll ein immer höherer Aufwand für soziale Fürsorge erbracht werden, ohne dass sich dies auf die Preise auswirkt. Im Grunde genommen wird vom Unternehmer eine Quadratur des Kreises abverlangt, denn er muss das Risiko tragen, gleichzeitig aber ständig eine positive Erfolgsbilanz vorweisen, um nicht von der in- wie ausländischen Konkurrenz vom Markt verdrängt zu werden. Damit ist ein Kernproblem unserer Tage angesprochen, mit dem sich die vielen selbständigen Existenzen im Mittelstand heutzutage konfrontiert sehen: Die wirtschafts-, finanz- und sozialpolitischen Rahmenbedingungen der vergangenen Jahrzehnte haben dem Mittelstand das erfolgreiche Wirtschaften zunehmend erschwert und damit seine Funktion als wichtigster Arbeitsplatzbeschaffer erheblich beeinträchtigt. Mittelständische Unternehmer kämpfen mit den Folgen einer wohlfahrtsstaatlichen Politik, die ursprünglich lediglich als soziales Ausgleichsprogramm und ordnungspolitisches Rahmenwerk der sozialen Marktwirtschaft gedacht war. Eine im ursprünglichen Sinne verstandene „soziale Marktwirtschaft“ verlangt jedoch weniger nach sozialstaatlichem Interventionismus als nach einem starken Staat, der für den Markt die Regeln setzt, ansonsten jedoch das Spiel der Kräfte so wenig wie möglich beeinträchtigt. Die soziale Marktwirtschaft – hier unterliegen viele einem Missverständnis – fußt tatsächlich auf liberalen Vorstellungen, von denen sie sich allerdings weit entfernt hat. Zuweilen wird – nicht zu Unrecht – argumentiert, das der Marktwirtschaft beigefügte Wort „sozial” habe sich als Einfallstor für sozialpolitische Maßnahmen erwiesen, welche die Funktionsfähigkeit der Marktwirtschaft gefährdeten (Lenel, H.-O. 1997, S. 85 - 97). Die soziale Marktwirtschaft entwickelte sich in der Tat in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend in Richtung einer „Staats“-Wirtschaft mit einer Staatsquote von fast 50 %, Ausgaben im Sozialwesen von mehr als einem Drittel des Bruttosozialprodukts, einer Sozialabga-
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benquote von nahezu 42 % und allen damit verbundenen negativen Folgen für ein freies Unternehmertum. Seitens der Wirtschafts- und der Sozialpolitiker wurde in den zurückliegenden Jahrzehnten der Anspruch erhoben, über immer umfassendere und detailliertere Eingriffe in den marktwirtschaftlichen Prozess für Wachstum und insbesondere auch einen hohen Beschäftigungsstand sorgen zu können. Im weiterhin gültigen Stabilitäts- und Wachstumsgesetz aus dem Jahr 1967 wurde der Anspruch des Staates postuliert, für Vollbeschäftigung sorgen zu können. Die tatsächliche Entwicklung seither bis hin zu den über fünf Millionen Arbeitslosen zu Beginn des Jahres 2005 hat wesentlich zu wachsender Enttäuschung und manifester Skepsis gegenüber diesem staatlichen Allmachtsanspruch geführt. Vertrauen kann unter solchem Vorzeichen nur dann zurückgewonnen werden, wenn sich die Politik von ihrem umfassenden Gestaltungsanspruch löst und wenn das staatliche Handeln wieder auf die tatsächlichen Kernaufgaben zurückgeführt wird (vgl. Arbeitsgemeinschaft Mittelstand 2005). In seinem Gesamtumfang betrifft gerade die steuerliche Belastung den deutschen Mittelstand besonders. Lösungen werden aktuell diskutiert, weil der europäische Wettbewerb es notwendig macht. Bei der effektiven Steuerlast nimmt Deutschland mit 36 % vor Frankreich den ersten Platz in Europa ein. Gerade im Vergleich zu den neuen EU-Mitgliedern ist Deutschland damit nicht mehr wettbewerbsfähig, denn hier fallen deutlich geringere Ertragssteuern für Unternehmen an. Die Effektivbelastung beträgt in den Beitrittsländern durchschnittlich nur 18,4 %. Die „alten“ EU-Mitglieder handeln ebenfalls: Österreich senkte mit Beginn des Jahres 2005 die Körperschaftsteuer von 34 auf 25 % und damit auf deutsches Niveau, eine zusätzliche Gewerbesteuer wie hierzulande fällt aber nicht an. Dies hat in aller Regel auch Folgen für die Investitionen in Forschung und Entwicklung (F&E): Verschiedene Innovationsindikatoren weisen auf ein Öffnen der Schere zu Ungunsten der kleinen und mittleren Unternehmen hin. Nahmen die Innovationsaufwendungen der Großunternehmen in den letzten Jahren spürbar zu, stagnierten diese bei den KMU. Auch der Anteil derjenigen Unternehmen, die Marktneuheiten hervorbringen, FuE betreiben und mit der Wissenschaft kooperieren, liegt bei den mittelständischen Unternehmen deutlich niedriger als bei den Großunternehmen. Dennoch leisten mittelständische Unternehmen mit einem Anteil von rund einem Drittel an den 94 Mrd. Euro Innovationsaufwendungen der Wirtschaft (2002) einen markanten Beitrag im deutschen Innovationssystem. Die Innovationsbedingungen für den Mittelstand müssen dennoch spürbar verbessert werden, um die internationale Konkurrenzfähigkeit zu erhalten und das Ziel der Lissabon-Strategie, Europa bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten und innovativsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen, erreichen zu können (KfW 2005, S. 5). Diesem Ziel entgegen steht allerdings etwas, das in Deutschland besonders kleine und mittlere Unternehmen besonders hart trifft: die überbordende Bürokratie. Neben der nominal hohen Steuerlast gibt es kein weiteres Hemmnis, das kleine und mittlere Unternehmen so belastend empfinden wie die staatliche Bürokratie. Dies hängt auch damit zusammen, dass sie sich in der Regel keine besondere Rechts- und Personalabteilung leisten, die nur mit diesen Belangen beschäftigt ist. Zweifellos hat die Regelungswut in der Vergangenheit zugenommen. Als Indikator dafür kann der Umfang des Bundesgesetzblattes dienen, der seit Gründung der
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Bundesrepublik Deutschland um jährlich 50 Seiten gewachsen ist. Auch der OECDBürokratie-Index stellt Deutschland kein gutes Zeugnis aus. Mit einem 16. Rang von 20 untersuchten Ländern kann der Wirtschaftsstandort Deutschland nicht zufrieden sein, wenn man einen Spitzenplatz unter den führenden Volkswirtschaften behalten will. Dabei ist es kein Geheimnis, dass folgende Gleichung weltweit gilt: Je mehr Bürokratie auf den Unternehmen lastet, desto geringer ist die Erwerbstätigenquote in den einzelnen Volkswirtschaften (IW 2003, S. 183). Mehr als 5.000 Gesetze und Verordnungen mit mehr als 85.000 Einzelvorschriften in Deutschland binden unternehmerische Kreativität und Gestaltungskraft. Eine Umfrage des Mittelstandsinstituts in Bonn hat zutage gefördert, inwieweit Bürokratie ganz konkret Kosten für den einzelnen Betrieb verursacht. Danach muss in Betrieben von bis zu neun Beschäftigten jeder Mitarbeiter jährlich im Durchschnitt 64 Stunden für Bürokratie aufwenden, was 4.361 Euro kostet. Das macht bei einem Acht-Mann-Betrieb 512 Stunden oder fast 35.000 Euro aus. Schätzungen gehen davon aus, dass die jährlichen Ausgaben, die die Gesamtwirtschaft der alltägliche „Bürokratiewahnsinn“ kostet, seit 1994 von 30 Mrd. auf nun 46 Milliarden Euro pro Jahr gestiegen sind. 84 % der Ausgaben, die Bürokratie verursacht, entfallen allein auf kleine und mittelständische Unternehmen. Gerade deswegen wollen Handwerk und Mittelstand, dass sich die Betriebe wieder mehr um Aufträge und Kunden kümmern können anstatt um Anträge und Formulare (vgl. IfM 2004). Unternehmen mit ... Beschäftigten
Interne Kosten je Beschäftigtem in €
Externe Kosten je Beschäftigtem in €
Gesamtkosten je Beschäftigtem in €
1 -9
3.326
1.908
5.234
10- 19
1.387
871
2.258
20-49
1.535
551
2.086
50-99
456
350
806
100-499
622
169
791
500 und mehr
155
48
203
Quelle: IfM Abbildung 1:
Durch bürokratiebedingte Leistungen verursachte Kosten je Beschäftigtem am Beispiel der unternehmensnahen Dienstleistungen (nach Größenklassen)
Ein wohlüberlegter Bürokratieabbau bedeutet dabei nicht das rücksichtslose Streichen von jeglichen Qualitätsstandards, sondern umfasst zweierlei Kriterien: das Abschaffen überflüssiger, weil doppelter oder sich widersprechender Verordnungen, die die Unternehmen belasten, sowie das Senken überhöhter Qualitätsstandards auf ein allgemein verbindliches Niveau, wie es beispielsweise die EU-Gesetzgebung im Arbeitsschutz- oder Umweltrecht vorgegeben hat. Diese Umsetzung von Vorgaben im Verhältnis 1:1 erfordert rückblickend eine umfassende
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und systematische Analyse, wo bereits in der Vergangenheit auf Landes- und Bundesebene EU-Richtlinien teilweise deutlich strenger umgesetzt wurden als in anderen EU-Mitgliedsstaaten bzw. Bundesländern. Egal, in welchen Bereich man auch schaut – Bürokratiekosten, Steuern, Sozialabgaben –, die aktuellen Belastungen der Betriebe führen häufiger zur Abschreckung denn zur Gewinnung eines neuen, freien Unternehmertums. Aus Politik und Gesellschaft müssen aber gerade Anreize für die kommen, die bereit sind, etwas zu unternehmen, wirtschaftlich zu gestalten, Risiken einzugehen, Unternehmen zu gründen. Die Politik vor allem muss denen, die sich engagieren wollen, den Weg frei machen. Sie muss für unternehmerische Anstrengungen werben und sie mit den in ihrer Macht stehenden Mitteln erleichtern. Das gilt umso mehr mit Blick auf den sich verschärfenden globalen Wettbewerb. Hier müssen die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft Geltung behalten. Es gilt deshalb, Anpassungsflexibilität auf Arbeits- und Gütermärkten zu gewinnen. Die zukünftigen Leitsätze müssen freies Handeln der Menschen, ein fairer Leistungswettbewerb, die Stärkung individueller Leistungsbereitschaft und eine abgestimmte Verbindung von Subsidiarität und Solidarität, mehr Selbständigkeit und Eigenverantwortung sein. Genau aus diesem Grunde darf der Reformprozess, der gerade erst in Ansätzen angegangen wurde, nicht erlahmen. Denn Vertrauen von Unternehmen und Bürgern in die Reformwilligkeit, konzeptionelle Konsistenz und Geradlinigkeit der Wirtschaftspolitik sind Voraussetzung für mehr Investitionen, Arbeitsplätze und steigende Nachfrage, damit auch für die Überwindung der binnenwirtschaftlichen Stagnation. Zunehmend zeigt sich, welche große Bedeutung Vertrauen in die Gradlinigkeit, Offenheit und Konsistenz staatlicher Reformpolitik als Standortfaktor für Investitionen, Beschäftigung und Wachstum hat. So wichtig einzelne Reformschritte für sich auch immer sind, verlieren sie doch an nachhaltiger Wirksamkeit, wenn Bürger und Unternehmen als „Adressaten“ dieser Maßnahmen letztlich doch keine klare konzeptionelle Linie und Verlässlichkeit der Wirtschaftspolitik erkennen können. Als Ermutigung für eine Fortsetzung der Reformpolitik, wie sie im Jahr 2004 in Gang gesetzt wurde, dient u. a. eine Studie der Weltbank, in der die Standortfaktoren für Unternehmen in 155 Ländern der Welt miteinander verglichen werden. Immerhin haben sich demzufolge die Rahmenbedingungen für Unternehmen in Deutschland danach so deutlich verbessert wie in keinem anderen hoch entwickelten Industrieland der Welt. Das bedeutet aber keinen Grund zum Ausruhen: Um dauerhafte Erfolge auf dem Arbeitsmarkt zu erzielen, dürfen die Reformanstrengungen nicht nachlassen. Von den Top-Standorten Neuseeland, Singapur und USA ist Deutschland immer noch weit entfernt. Auch die skandinavischen Länder bieten Unternehmen laut Weltbank bessere Rahmenbedingungen als Deutschland (Handelsblatt, 13.09.2005).
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Mittelstandspolitik als moderne Wirtschaftspolitik in Deutschland und Europa
Der Anpassungsdruck wird für den Mittelstand durch den intensiven internationalen Wettbewerb stärker. Eine Mittelstandspolitik hat hierbei vielfältige Aufgaben, dem Mittelstand bei seiner Bewährung zu helfen: Sie soll die Rahmenbedingungen für kleine und mittlere Unternehmen so gestalten und verbessern, dass sie ihr Entwicklungs- und Innovationspotenzial voll entfalten können. Mittelstandspolitik ist dabei immer eine Querschnittsaufgabe, die nur gemeinsam mit allen Beteiligten – Wirtschaft, Staat sowie Gruppen und Individuen der Gesellschaft – erfolgreich gestaltet und verwirklicht werden kann. Vorausschauende und nachhaltige Wirtschaftspolitik muss ein günstiges Umfeld für selbständige unternehmerische Betätigung, eben für die mittelständischen Unternehmer schaffen: Die Steuerpolitik soll mehr Beschäftigung und Wachstum fördern. Die Lohnzusatzkosten müssen reduziert werden. Die Deregulierungs- und Privatisierungsbemühungen sollten voranschreiten. Und nicht zuletzt müssen die Finanzierungsmöglichkeiten mittelständischer Unternehmer verbessert werden. Gerade auch vor dem Hintergrund der Herausforderung durch die Osterweiterung der Europäischen Union, was gleichzeitig günstige Absatz- und Einkaufsmärkte, aber auch verstärkten Wettbewerb bedeutet, muss eine auf den Mittelstand abzielende Politik ihre Hausaufgaben machen. Das bedeutet in der Konsequenz nicht Marktabschottung, sondern vor allem eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für die unternehmerische Betätigung in Deutschland selbst. In erster Linie schließt dies die Reform des Sozialstaats, den Abbau von obsolet gewordenen Regulierungen, die Modernisierung des Bildungssystems und die Stärkung der Forschungsinfrastruktur ein. Auf europäischer Ebene stellt sich die wohl nur langfristig zu lösende Frage einer Vereinheitlichung der Steuersysteme und der Angleichung der investitionsrelevanten Steuersätze. In diesem Zusammenhang ist auch die Frage nach einer Neuausrichtung der Strukturfondsförderung in der größeren Europäischen Union (EU) zu stellen. Problematisch wären insbesondere solche Anreizstrukturen für Investoren, bei denen staatliche Subventionen aus den Strukturfonds und niedrige Steuern etwa den Anlass zu Produktionsverlagerungen von West- nach Osteuropa gäben. Denn im Gegensatz zum Standort Deutschland haben die deutschen Unternehmen die Herausforderungen der Globalisierung mit ihrer Internationalisierungsstrategie erfolgreich angenommen und nutzen je nach Möglichkeit die neuen Absatz- und Produktionsmärkte, auch mit Hilfe staatlicher Unterstützung. Gerade deswegen sind aber strukturelle Reformen voranzutreiben, die hierzulande die Rahmenbedingungen verbessern und zur Stärkung der schwachen
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Eigenkapitalbasis des Mittelstands beitragen. Wichtig dabei ist, das Vertrauen des Mittelstands in den Standort Deutschland wieder herzustellen. Der Dreiklang aus Unternehmern, die etwas unternehmen können, Mitarbeitern, für die zu arbeiten sich wieder lohnt, und Kapitalgebern, die Zukunft finanzieren, steht im Sinne der sozialen Marktwirtschaft im Zentrum aller Reformvorhaben. Mittelstandspolitik im eigentlichen Sinne steht dabei generell immer vor der Frage, inwieweit sie mit ihren Maßnahmen die Rahmenbedingungen für die bestehenden Unternehmen oder den Zugang für neue Marktteilnehmer verbessern soll. Unternehmensfluktuation ist notwendig, hohe Turbulenz durch Marktein- und -austritte von Unternehmen aber kein Wert an sich und kann gesamtwirtschaftlich schädlich sein. Deshalb sind auch eine bestimmte oder eine möglichst hohe Gründungsintensität und Selbständigenquote nicht automatisch sinnvolle wirtschaftspolitische Ziele. Eine besondere staatliche finanzielle Förderung innovativer Gründungen wiederum ist angesichts der wertschöpfenden und beschäftigungsfördernden Wirkungen in Deutschland ökonomisch sicherlich sinnvoll. Hierfür spricht auch das spezielle Marktversagen der Finanzierungsmärkte in diesem Bereich. Ebenso notwendig und berechtigt ist es, das Gründungspotenzial durch geeignete Maßnahmen zu pflegen und die Kultur der Selbständigkeit weiter zu stärken. Letztlich beschreitet die Gründungsförderung aber eine Gratwanderung. Eine zu intensive, mit zu hoher Subventionsintensität betriebene allgemeine Gründungsförderung birgt die Gefahr, im Ergebnis volkswirtschaftlich unproduktive Fluktuation („Drehtür“- und Verdrängungseffekte) auszulösen (Mittelstandsmonitor 2005, S. 45 f.). Gerade hinsichtlich der Förderung der Gründungen aus der Arbeitslosigkeit (Stichwort „Ich-AG“) muss geprüft werden, ob durch eine Modifizierung des Förderinstruments und eine Verminderung der Subventionsintensität eine Reduktion der Mitnahmeeffekte bzw. ein effizienterer Mitteleinsatz erreicht werden kann, wenn sie nicht sogar gänzlich abzuschaffen sind. Weil Bildung und Ausbildung in einem ansonsten ressourcenarmen Land schon immer zu den wichtigsten Eckpfeilern für die Standortqualität Deutschlands zählen, muss es ebenso Teil einer nachhaltigen Mittelstandspolitik sein, die Berufsausbildung noch mehr auf die Arbeitsmarktqualifikationen der Zukunft vorzubereiten. Handlungskompetenz, Eigeninitiative und Lernbereitschaft der Fachkräfte bedürfen einer steten und ständigen Förderung. Die Ausbildungsberufe werden sich verändern, sie werden neue Ziele und Inhalte haben, gilt es doch moderne Technologien anzuwenden und Qualifikationen für den Arbeitsmarkt der Dienstleistungsgesellschaft zu erwerben. Insbesondere die mittelständischen Unternehmer profitieren von einer besseren Ausbildung, zumal sie aufgrund ihrer hohen Ausbildungsbereitschaft den ersten Zugriff auf die Absolventen des dualen Systems haben. Der wirtschaftliche Strukturwandel zu Dienstleistungen erfordert aber auch ein neues gesellschaftliches Leitbild für Erwerbsarbeit. Die Motivation für Selbständigkeit muss daher gestärkt werden, der Arbeitnehmer sollte sich als „Subunternehmer” seiner eigenen Arbeitskraft verstehen. Nicht zuletzt müssen die Innovationspotenziale der mittelständischen Unternehmer genutzt und gestärkt werden, denn die technologieorientierten Branchen sind Vorreiter der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Deutschlands. Internationale Wettbewerbsfähigkeit, nachhaltiges
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Wachstum und dauerhafte Arbeitplätze entstehen vor allem durch auf dem Markt erfolgreiche Innovationen. Vor dem Hintergrund einer ungünstigen demografischen Entwicklung in Deutschland und der zunehmenden Globalisierung wird die Entwicklung von Neuerungen und deren zügige Umsetzung in marktgängige Produkte und Prozesse zukünftig noch wichtiger werden. Verstärkte Innovationsanstrengungen, wie sie von den europäischen Staaten im Rahmen des „Lissabon“-Prozesses formuliert wurden – so unter anderem das Ziel, den Anteil der Forschungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) bis zum Jahre 2010 auf 3% zu erhöhen – sind daher erforderlich. Denn erst neue Technologien machen neue Dienstleistungsformen möglich. Bei der Entwicklung innovativer Unternehmen stellt sich leider der Mangel an Risikokapital oft als entscheidender Engpassfaktor heraus. Für die weitere Perspektive dieser Unternehmer ist es daher wichtig, dass die Rahmenbedingungen im Gesellschafts- und im Steuerrecht verbessert und die institutionellen Märkte für Aktien und Beteiligungskapital institutioneller Anleger bzw. Kapitalgesellschaften belebt werden. Zu schaffen macht den deutschen Mittelständlern in diesem Zusammenhang das Regelwerk Basel II, das ab dem Jahr 2007 das Finanzierungssystem in Europa ablösen soll, durch die vorsichtigere Kreditvergabe der Banken. Da gerade kleine und mittlere Unternehmen in der Regel über wenig Eigenkapital verfügen, müssen sie überdies höhere Zinsen zahlen oder erhalten gar kein Geld. Der Mittelstand ist deshalb in der Zwickmühle: Die Binnenkonjunktur kommt nicht in Fahrt, das Eigenkapital schrumpft, und Fremdkapital ist schwer zu bekommen. Für Mittelständler ist daher gerade der Mangel an Finanzierungsquellen ein häufiger Hinderungsgrund, ihr Innovationspotenzial umzusetzen, was für Großunternehmen dagegen nachrangig ist. Hier zeigt sich wieder, dass es kleineren Unternehmen schwerer fällt, die Innovationskosten, die häufig den Charakter von Fixkosten aufweisen, aus den laufenden Einnahmen zu bestreiten. Auch externe Finanzierungen gestalten sich aufgrund der hohen und für außenstehende Geldgeber kaum bzw. nur mit hohem Aufwand abzuschätzenden technischen und absatzmarktbezogenen Risiken häufig schwierig. Dies trifft besonders auf den Mittelstand zu, da kleine und mittlere Unternehmen häufig weniger in der Lage sind, ausreichend Sicherheiten zu stellen. Hier setzt eine fördernde Mittelstandspolitik an, indem sie Finanzierungsquellen auftut. Denn zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaft und zur Stärkung der Wachstumskräfte ist es unabdingbar, die Rahmenbedingungen sowohl für junge als auch für etablierte Unternehmen und im Besonderen für innovative Mittelständler und Gründer weiter zu verbessern. Denn häufig genug nennen sie neben dem hohen wirtschaftlichen Risiko sowie den Innovationskosten den Mangel an Finanzierungsquellen als ein bedeutendes Hemmnis für Innovationen. Mittelstandspolitik bedeutet hier, innovative Unternehmen zu fördern und deren finanzielle Liquidität sicherzustellen. Zur Stärkung der Innovationsaktivitäten im Mittelstand könnten im Einzelnen folgende Maßnahmen beitragen:
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Anschubförderung für Innovationsnetzwerke zwischen Mittelstand, Großunternehmen, Forschungseinrichtungen und Hochschulen; Entwicklung von Branchenclustern. Privatisierung der Wirtschaftsförderung: Die öffentliche Hand tritt nur noch als Kofinanzierer in Public-Private-Partnership-Konstruktionen (PPP) auf. Diese PPPs können auch in der Auflegung von Risikokapitalfonds aktiv werden. Die Bereitstellung von Risikokapital wird durch eine bessere steuerliche Behandlung von Risikokapital-Gebern stimuliert. „Innovationslotsen“ als One-Stop-Anlaufstellen zur Erklärung der komplizierten Förderprogramme für Innovationen, auch für EU-Forschungsförderung. Um künftig also Arbeitsplätze zu schaffen, ist eine Förderung des Mittelstands in der Summe die langfristig beste Beschäftigungspolitik. Die primäre Subventionierung von Kleinst- bzw. von Großunternehmen hingegen erzeugt häufig genug nur Strohfeuer, ohne dass daraus dauerhaft bestandsfeste Unternehmen bzw. wettbewerbsfähige Arbeitsplätze entstehen. Einen Beweis für die beschäftigungsfördernde Funktion von kleinen und mittleren Unternehmen liefern die Zahlen: Von 1996 bis 2003 wuchs die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in Unternehmen mit bis zu 499 Mitarbeitern um 1,5 %. Bei den rund 5.000 Großunternehmen (ab 500 Beschäftigte) gingen dagegen rund 15 % der Arbeitsplätze verloren (Handelsblatt, 19.11.2004). Wer den Mittelstand fördern will, gibt ihm „Luft zum Atmen“, also mehr Freiheiten, und richtet seine Fördermaßnahmen auf ihn aus, anstatt Großkonzerne zu subventionieren. Dies geschieht zum einen durch eine Politik zur Schaffung mittelstandsgerechter Rahmenbedingungen über die Länder- und Bundesgesetzgebung bis hin zu europäischen Gesetzesinitiativen, zum Beispiel durch Bürokratieabbau. Zum andern braucht es die gezielte Förderung insbesondere der beruflichen Aus- und Weiterbildung, der Gründung und Übernahme von Betrieben, der direkten Beratung von kleinen und mittleren Unternehmen, der Erschließung ausländischer Märkte über funktionierende Instrumente und Institutionen der Außenwirtschaftsförderung sowie der wirtschaftsnahen Forschung und technologischen Entwicklung.
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Fazit
In Deutschland beschäftigen rund 3,3 Millionen mittelständische Unternehmen über zwei Drittel aller Arbeitnehmer, erwirtschaften etwa die Hälfte des Bruttoinlandprodukts, tätigen 46 % aller Investitionen und bilden den überwiegenden Teil des Berufsnachwuchses im dualen System aus. Es sind vielfach die mittelständischen Unternehmen, die an ihrem Standort zunehmend die öffentlichen Finanzen tragen, weil Großunternehmen mit ihren internationa-
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len Verflechtungen nicht mehr so stark am inländischen Steueraufkommen beteiligt sind und gleichzeitig den Staat mittels Subventionierung in Anspruch nehmen. Gerade die Zahl der mittelständischen Unternehmer beeinflusst damit die Ausstattung der öffentlichen Haushalte, die Höhe des Wirtschaftswachstums sowie des Einkommens und – nicht zuletzt – die Anziehungskraft jeder Region. Um diese Erkenntnisse reicher braucht es in Deutschland eine auf den Mittelstand gerichtete Wirtschaftspolitik, die ihn unterstützt und stärkt. Das trifft insbesondere auf die Bereiche „Niedrigere Steuern und Abgaben“, „Abbau von überflüssiger Bürokratie“ sowie „Finanzierungsmodelle und Liquiditätsförderung“ zu. Hierfür braucht es eine ressortübergreifende Mittelstandspolitik, die einen zentralen Raum im Regierungshandeln einnimmt. Denn nur wer auf diesen Feldern mittelstandspolitische Lösungen „aus einem Guss“ anbietet, der wird die Früchte seiner Anstrengungen – wirtschaftliches Wachstum, mehr Beschäftigung, kurze Innovationszyklen bei Produkten und Dienstleistungen sowie in der Summe eine hohe Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland in der Welt – ernten und dem Mittelstand zu seiner vollen Bestätigung als „Stabilitätsanker“ des Modells der sozialen Marktwirtschaft verhelfen.
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Literatur
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Teil II Der Lebenszyklus mittelständischer Unternehmen
Vitalität – Wie lange leben Mittelstandsunternehmen?
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Vitalität – Wie lange leben Mittelstandsunternehmen? Volker Wittberg
Zusammenfassung
Vitalität als elementarste Ausdrucksform des Lebens ist nicht nur eine der wichtigsten Erscheinungen in der Natur, sondern vermag auch, den Zustand eines Unternehmens treffend zu charakterisieren. Weniger vitale Unternehmen sterben jung, während die vitaleren mehrere hundert Jahre und älter werden können. Die überlebenswichtige Frage lautet daher: Wie schaffen die langlebigen Unternehmen Vitalität, die sie resistent gegen Verfall und Gefahr macht? "Die früher sterbenden Unternehmen verstehen sich lediglich als Geldmaschinen für ihre Kapitaleigner. Die langlebigen Unternehmen zeigen dagegen ein hohes Maß an Lern- und Anpassungsbereitschaft und nutzen ihre Gewinne und ihr Kapital für die Zukunftsvorsorge." (Leese, W., Deckert, K. 2000, S. 4). Triebfeder für die meist durch ihre Eigentümer geführten Unternehmen ist, gesund und häufig ungeteilt auf die nächste Generation überzugehen. Die Elemente der Führung vitaler Unternehmen, die in diesem Beitrag vorgestellt werden, sind das Ergebnis der Suche nach Mustern des Führungsverhaltens, die geeignet sind, ein Unternehmen zum Erfolg oder in die Krise zu führen.
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1.
Volker Wittberg
Geheimnis der Vitalität
Das Durchschnittsalter deutscher Unternehmen liegt bei etwa 20 Jahren. Älter als 100 Jahre sind laut Creditreform nur knapp 1,4 Prozent der deutschen Unternehmen. "Die hohe Sterblichkeitsrate bei Unternehmen erscheint unnatürlich, denn bei keiner lebenden Spezies gibt es eine so große Diskrepanz zwischen mittlerer und höchster Lebenserwartung. Zudem ist das Unternehmen prinzipiell unsterblich. Der individuelle Charakter von langlebigen Unternehmen äußert sich in Verhaltensweisen, die es ermöglichen, das Unternehmen über viele Generationen hinweg immer wieder zu erneuern. Das Patentrezept des Erfolges ist einfach. In einer Zeit, in der Veränderungen das einzig Dauerhafte sind, kann nur professionelles Vitalitätsmanagement eine wirksame Antwort auf die sich wandelnden Anforderungen bedeuten" (Leese, W., Deckert, K. 2000, S. 4). Die Vitalität eines Unternehmens zeigt sich in seinem Lebenszyklus. Er besteht aus den Phasen Entstehung, Wachstum, Reife und Wende (vgl. Abbildung 1). Vitalität
Marktpositionsverlust Umsatzrückgang Kapazitätsunterauslastung Ertragsverschlechterung
Liquiditätsmangel
Kapitalverzehr
Überschuldung
Zusammenbruch Zeit
Entstehung
Abbildung 1:
Wachstum
Reife
Wende
Lebenszyklus des Unternehmens (Deckert, K. 1990, S. 3)
Lang lebende, lebendige Unternehmen beherrschen das Management des Wandels. „So bietet die Oblaten- und Hostienbäckerei im bayrischen Miltenberg auch ein Monster-Esspapier für
Vitalität – Wie lange leben Mittelstandsunternehmen?
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Kinder an, Geschmack von Himbeer bis Tutti-Frutti. Und das ebenfalls bayrische Unternehmen Mayser nutzt sein Wissen aus der Hutproduktion in der Schaumstoff- und Textiltechnik, z. B. für BH-Cups." (Wirtschaftswoche 2005, S. 44 ff.) Die Natur macht es uns vor: Charles Darwin erkannte früh die Bedeutung der Anpassung mit „survival of the fittest“ (fit = (an-)passen). Vitale Unternehmen sind resistent gegen Insolvenzen, da sie das Geheimnis der Vitalität kennen und danach handeln. Es sind immer die gleichen Vitalitätsfaktoren, die ein Unternehmen erfolgreich machen oder seinen Erfolg verhindern: Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Ideen Bewusstsein der eigenen Identität Sensibilität gegenüber dem Umfeld Konservatives Finanzgebaren (Leese, W., Deckert, K. 2000, S. 4 f.) Vitalität offenbart sich grundsätzlich auf allen Unternehmensebenen: in den Führungsprozessen, den Wertschöpfungsprozessen und den Unterstützungsprozessen. Die Summe und das Zusammenwirken aller Führungs-, Wertschöpfungs- und Unterstützungsprozesse des Unternehmens macht dessen Verhalten und Existenz aus und entscheidet letztlich über den Erfolg oder Misserfolg des Unternehmens. Will man nun die wesentlichen Erfolgskriterien identifizieren, so wird man sich bei der Analyse auf die Prozesse konzentrieren müssen, die die Erfolgsposition des Unternehmens strategisch und damit langfristig beeinflussen. Deutlich abzugrenzen von echten Unternehmensrisiken sind die Störungen, die in jedem Unternehmen täglich vorkommen. Störereignisse sind z. B. ein Maschinenschaden, das verspätete Eintreffen einer Materiallieferung oder die Krankmeldung eines Mitarbeiters. In normalen Zeiten gefährden diese Störungen den Fortbestand des Unternehmens weder substanziell noch nachhaltig. Es ist davon auszugehen, dass Fertigungsprozesse mit isolierten Optimierungspotenzialen um nur einige Prozentpunkte nicht am Ende der Suche nach Ursachen nachhaltigen Unternehmenserfolges stehen. Die Suche nach Elementen vitaler Unternehmensführung ist eine Suche nach Mustern des Führungsverhaltens, die geeignet sind, ein Unternehmen zum Erfolg oder in die Krise zu führen. Dabei handelt es sich jedoch keineswegs um ein statisches Problem. Denn allzu häufig verliert das Management nach einer Phase großen Erfolges die Sensibilität für sich abzeichnende Veränderungen, ändert sein Führungsmuster nicht und stellt damit unbewusst die Weichen für die Fahrt in die Krise. Grundsätzlich steuert die Unternehmensführung die Unternehmung in den Dimensionen Kompetenz, Marktleistung, Organisation, Personal und Finanzen. In mittelständischen Unternehmungen liegt dabei die Führung in sämtlichen Dimensionen in wenigen, wenn nicht nur in einer Hand.
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Volker Wittberg
Wie Abbildung 2 zeigt, steht ihr dabei eine Reihe von Steuerungsvariablen zur Verfügung, mit deren Hilfe sich entsprechend der strategischen Ausrichtung die Geschicke des Unternehmens bestimmen lassen. Basis für diese Aussage ist die empirische Auswertung von 750 Projektberichten aus der Managementberatung. Diese sind im Wesentlichen für mittelständisch strukturierte Unternehmen erstellt worden (Wittberg, V. 2000, S 95 f.).
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Kompetenz
Finanzen
Abbildung 2:
Vitalität mit KOPF
Die Planung, Beeinflussung oder Kontrolle der einzelnen Steuerungsvariablen durch die Unternehmensführung bilden ein ganzes System von Teilprozessen, die das Führungsverhalten ganzheitlich ausmachen. Dessen vollständige Erfassung ist indes aufgrund der großen Anzahl der in Managementverantwortung stehenden Aspekte und deren Abhängigkeiten ohne eine Reduktion der Informationsfeinheit unmöglich. In einem Versuch eines integrierten Ansatzes lässt sich Führung als eine Reihe von Prozessen der Informationsverarbeitung verstehen, die den Input für die Willensbildung und Willensdurchsetzung generieren. Output des Willensbildungsprozesses ist die Führungsentscheidung, die unter dem Einfluss der Unternehmenskultur und -philosophie Planungs-, Steuerungs-, Koordinations-, Kommunikations-, Integrations-, Innovations- und Kontrollprozesse auslöst. Abbildung 3 visualisiert dieses Geflecht von Teilprozessen. Welche der Steuerungsvariablen und damit der korrespondierenden Teilprozesse allerdings im Mittelpunkt der jeweiligen Führungssituation stehen, ist Ergebnis des Kernprozesses der Unternehmensführung. Dieser Kernprozess besteht darin festzulegen, welche Einflussgrößen des Unternehmenserfolges für die Planungs-, Steuerungs- und Kontrollaufgaben besonders relevant sind und somit im Fokus des Führungsinteresses stehen.
Vitalität – Wie lange leben Mittelstandsunternehmen?
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Die Unternehmensführung entscheidet damit über die Prioritäten für die Ausführung der führungsrelevanten Geschäftsprozesse (Wittberg, V. 2000, S. 127 f.). Unternehmensphilosophie
Willensbildung
Informationsverarbeitung
Planung
Akquisition Kundenkontakt Innovation
Steuerung
Koordination Integration Kommunikation
Kontrolle
Organisation Finanzen Personal
Willensdurchsetzung
Abbildung 3:
Führungsprozesse in der Unternehmung
Wie bereits dargestellt, sind diese Prioritäten nur im ungünstigen Fall über die Zeit unverändert. Erfolgreiche Führung zeichnet sich nämlich dadurch aus, dass sie die sich dauernd ändernden relevanten Rahmenbedingungen sowie die Veränderungen innerhalb des eigenen Unternehmens wahrnimmt und den sich daraus möglicherweise ergebenden Gefährdungen durch Änderung des eigenen Verhaltens gezielt begegnet. Auch wenn z. B. ein neuer Wettbewerber noch klein und unbedeutend scheint – was diesem nicht selten zum Vorteil gereicht –, kann seine Marktlösung zu einem durchschlagenden Erfolg werden und damit zu einer Bedrohung des eigenen Produktes. Nicht selten liegt die Lösung in diesem Fall – neben verstärkten eigenen Innovationsbemühungen – in einem Kauf oder einer Kooperation mit dem kleinen Wettbewerber. Selbst erfolgreiche und stabil im Markt positionierte Unternehmen können im Wettbewerb nur bestehen, wenn ihre Lerngeschwindigkeit langfristig nicht kleiner ist als die Änderungsgeschwindigkeit ihrer Umwelt. Dies ist auf Dauer nur möglich, wenn Lernprozesse und Anpassungsprozesse institutionalisiert und stimuliert werden und schließlich gezielt Einfluss auf die Gestaltung der Informations- und Steuerungssysteme des Managements haben. Je besser aber die Vorausschau und Risikoabsicherung, um so erfolgreicher wird die Führung sein. Die Priorisierung der Steuerungsvariablen und ihr Erfolg sind insbesondere konkret davon abhängig, in welcher Lebenszyklusphase sich ein Unternehmen gerade befindet. Jede dieser Unternehmenskonfigurationen hat charakteristische Eigenschaften, die sich in den nachfolgend beschriebenen Stärken und Schwächen äußern (vgl. Abbildungen 4 bis 7).
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Volker Wittberg
z fehlende Erfahrung aller Beteiligten z geringer Eigenfinanzierungsgrad z tendenziell ungenügende Personalaus-
stattung z hohe Abhängigkeit von der Einzelperson
des Pionierunternehmers z ungenügende Risikodiversifikation z u. U. zu starke Techniklastigkeit
z der Pionier als treibende und richtungs-
weisende Kraft z innovations- und kreativitätsförderliche
Grundhaltung z hohes Maß an Flexibilität/Adaptivität z hoher Arbeitseinsatz und starkes Ver-
pflichtungsgefühl aller Beteiligten z rasche
Entscheidungsfindung und -umsetzung
z Unterschätzung bis Nichtbeachtung
durch die Konkurrenz
Quelle: C. Pümpin, J. Prange: Management der Unternehmensentwicklung Abbildung 4:
Merkmale des Pionier-Unternehmens
x komplexer werdende Managementaufgabe
x rasante, echte Nutzensteigerung für die Bezugsgruppen des Unternehmens
x Gefahr einer in Relation zu den verfügbaren Ressourcen (Finanzen, Humankapital, Infrastruktur) zu starken Expansion
x sinkende Stückkosten
x Gefahr des überoptimistischen Einstiegs in neue Geschäfte fernab des Stammgeschäftes
x hohe Motivation und Zufriedenheit unter den Mitgliedern x unternehmerische Eigendynamik x erste Stabilisierung, Routinisierung und Professionalisierung des Unternehmensgeschehens x Verbreiterung des Managements x bewusste Beschäftigung mit strategischen Fragen
Quelle: C. Pümpin, J. Prange: Management der Unternehmensentwicklung Abbildung 5:
Merkmale des Wachstums-Unternehmens
Vitalität – Wie lange leben Mittelstandsunternehmen?
z mangelnde Flexibilität bei der Anpasz z z z z z
sung an veränderte Umweltdaten Barrieren gegen Innovationen zunehmende Marktferne des Top-Managements steigende Risikoaversion zunehmende Kurzfrist- und quantitative Orientierung des Managements Mangel an Freiräumen für unternehmerisch veranlagte Mitarbeiter Ressourcenvergeudung in Machtkämpfen und Konflikten (Manager und Stäbe als „Nutzenvernichter” )
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z Existenz eines funktionsfähigen, einge-
spielten Apparates z hoher Free Cash-Flow z niedrige Stückkosten dank Economies
of Scale z Verfügbarkeit über beachtliche Ressour-
cen z Know-how und Erfahrungen mit Märk-
ten, Technologien, Distributionskanälen usw. z existente Verbindungen/Beziehungen zu Händlern, Kunden, Regierung usw. z Risikoausgleich über einen Geschäftsbereichs- und Entwicklungsprojekte-Mix z Stabilität in Bezug auf Geschäftsvolumen und finanzielle Ergebnisse
Quelle: C. Pümpin, J. Prange: Management der Unternehmensentwicklung Abbildung 6:
Merkmale des Reife-Unternehmens
z geringe Nutzenstiftung angesichts obso-
leter Produkte, ausgereizter Techniken usw. z Mittelabfluss (Cash-drain), Aufzehrung
der stillen Reserven z miserable Stimmung im Management
z vorübergehende Stützung durch den
Staat z vorübergehende Gewinne durch Ein-
schränkung des Wettbewerbs z Möglichkeit zur Bilanzkosmetik (Buch-
gewinne)
und bei den Mitarbeitern, niedrige Motivation, Brain-drain z Unbeweglichkeit, interne Erstarrung in
festgefügten Machtgruppen z allgemeiner Innovationsmangel z Marktferne des oberen Managements z Festhalten an illusorischen Vorstellun-
gen über die Zukunft
Quelle: C. Pümpin, J. Prange: Management der Unternehmensentwicklung Abbildung 7:
Merkmale des Wende-Unternehmens
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2.
Volker Wittberg
Geheimnis der Führung vitaler Unternehmen
Ohne alle denkbaren Geschäftsprozesse und Interaktionen, die sich im Zeitablauf ereignen können, in ihrer gesamten Komplexität zu erfassen und zu bewerten, bietet sich vor dem Hintergrund der dargestellten konzeptionellen Dimensionen der Führungsprozesse die Überlegung an, die systematische Abhängigkeit zwischen situationsspezifischen Führungsprioritäten und dem Unternehmenserfolg zum Erkenntnisobjekt bei der Beantwortung der klassischen Fragestellungen der Unternehmensanalyse zu machen. Sollte ein empirischer Test diesen Zusammenhang validieren, ließe sich die Komplexität des Analyseproblems auf der Basis von Führungsprozessen erheblich reduzieren. Die empirische Grundlage in dieser Arbeit zur Lösung der beschriebenen Problemstellung bilden insgesamt 53 Managementberatungsprojekte, die mit dem Ziel der langfristigen Unternehmenssicherung eine spezifische Ergänzung bzw. kapazitative Erweiterung der Managementfunktion des Klienten zum Inhalt hatten. Insofern werden Beratungshandeln und Führungshandeln gleichgesetzt. Die betrachteten Beratungsprojekte entstammen aus den Jahren 1992 bis 1997 und sind erfolgreich, d. h. mit andauerndem Fortbestand des Unternehmens und bestätigter Zufriedenheit des Klienten, abgeschlossen. Das Erkenntnisinteresse der Inhaltsanalyse dieser Projekte liegt im Detail in der Überprüfung der folgenden Hypothesen (H): H1: Zum Zeitpunkt der Beauftragung mit einem strategischen Projekt zur langfristigen Unternehmenssicherung gibt es typische Ausgangssituationen. H2: Bei der Erfüllung des Beratungsauftrages gibt es typische Strategien. H3: In den betrachteten erfolgreichen Beratungsprojekten gibt es Abhängigkeiten zwischen den typischen Ausgangssituationen und den typischen Strategien. Auf der Basis des ausgewerteten Datenmaterials führt die Untersuchung bei Anwendung geeigneter Methoden der empirischen Sozialforschung zu dem Ergebnis, dass die Hypothesen 1 bis 3 verifiziert werden können. Im Einzelnen gelingt es im ersten Schritt, unter Bezug auf ein Zustandsmodell, in dem jeweils mehrere Ausprägungen für die von der Unternehmensführung beeinflussbaren Kriterien aus den Führungsdimensionen Kompetenz, Organisation, Personal und Finanzen betrachtet werden, vier Gruppen (Cluster) von Unternehmen zu identifizieren, die die typischen Ausgangssituationen bei Beginn eines Beratungsprojektes repräsentieren. In der Abbildung 8 werden diese typischen Unternehmenssituationen 1 bis 4 beschrieben. Die Analyse der 53 Einzelprojekte im Detail ergibt zudem, dass sich in insgesamt 44 Fällen mindestens 21 von 25 Merkmalsausprägungen genau einer Situation zuordnen lassen.
Vitalität – Wie lange leben Mittelstandsunternehmen?
Kriterium
Unternehmenssituation
Pionier (1)
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Wachstum (2)
Reife (3)
Wende (4)
Programm
neues Unternehmertum
Expansionsdenken
Finanzorientierung
taktisches Reagieren
Marktpositionierung
junger Marktteilnehmer
Innovationskraft
radikale Innovation neue Nutzenpotenziale
alter, großer Teilnehmer Perfektionierung vorhandener Produkte gereifte Nutzenpotenziale
strikte Kostenorientierung
Nutzenpotenziale
neue Märkte, neue Regionen Neuprodukte ähnlich wie Urprodukt wachsende Nutzenpotenziale
Kundenkontakt
mit allen Kunden
mit Schlüsselkunden
durch Kundenreklamationen
Akquisitionsstärke
Wettbewerb um einzelne Kunden
Etablierung im Markt
wenig Kundenkontakt durch Management stochastischer Auftragseingang
Kundenorientierung
als unternehmerischer Antrieb
als Wachstumspotenzial
Kundenzufriedenheit
Kundenverwaltung Überkapazitäten in administrativen Funktionen bürokratisch fehlerhafte Standardisierungsunterlagen unangemessene Formalisierung
Organisationsstruktur
flache Einlinienorganisation
mehrere Hierarchieebenen
mehrdimensionale Organisation
Abläufe
problemorientiert
wiederholend
standardisiert
Koordination
keine Standardisierung
Kommunikation
Betriebsklima
keine formalen Hilfsmittel Detailverständnis des Managements Pioniergeist
Führungsstruktur
Einzelunternehmer
Isolation von der Umwelt
Niedergang der Nutzenpotenziale
Abhängigkeiten von Stammkunden
Führungsstil
Anweisen
Personalqualifikation
Fokussierung auf Kernkompetenz
Leistungsbereitschaft
Begeisterung
Handbücher/Arbeitsanweisungen schriftliche formale Kommunikationsstrukturen überwiegend Kommunikation institutionalisiertes Informationsformale Informationsstrukturen system Motivation aus Wachstum Machtkämpfe dominante Controller, Juristen, interdisziplinäres Management Stäbe Delegieren Fördern und Fordern Spezialisierung für komplexe Anpassungsdefizite Aufgaben persönliche Optimierung Karriereorientierung
Entlohnung
spontane Belohnung
Partizipation am Erfolg
systematisches Lohnsystem
Anreizsysteme
Belohnung von Kreativität
Belohnung von Arbeitsleistungen
Umsatz
gering
rasant steigend
Belohnung von Effizienzverbesserungen stagnierend
Ergebnissituation
instabil
schwankend positiv
stabil positiv
stark rückläufig
Liquiditätslage
ausgeglichen, aber schwankend
labil schwankend positiv
stabil positiv
stark abnehmend
Ressourcenallokation
Einzelentscheidungen
Projekte
Budgetierung
„Vorstandshobbies”
Kapitalstruktur
Mindestkapital
Kapitalinvestition
stille Reserven
Kapitalverzehr
Finanzplanung
kurzfristig
mittelfristig
langfristig
teilweise unkontrollierbar
Information
Abbildung 8:
wachsende Standardisierung
kritische Informationsverluste Misstrauen lange Betriebszugehörigkeit des Managements Anweisen Selbstüberschätzung Frustrationspotential vergütungsbedingte Weggänge von Mitarbeitern Gewinnbeteiligung rückläufig
Unternehmenssituationen
Die Überprüfung der zweiten Hypothese, die die Beantwortung der Frage nach Beratungsmustern und damit gleichzeitig nach der Priorisierung von Führungsaspekten zum Ziel hat, führt nach der Inhaltsanalyse der entsprechenden Beratungsberichte sowie der Befragung der Projektbeteiligten im Hinblick auf den in dieser Arbeit interessierenden Untersuchungsgegenstand der Führungsdimensionen zu der Erkenntnis, dass jeweils Elemente genau einer Dimension als „Engpass” der Unternehmensentwicklung identifiziert werden und die Durchführung des Beratungsprojektes nach der Analysephase in Konzeption und Realisierung auf diese Dimension personell und inhaltlich fokussiert wird. Gegenstand des dritten Schritts ist die Prüfung, ob es bei erfolgreichen Beratungsprojekten eine Abhängigkeit zwischen der Ausgangssituation und der Beratungsstrategie gibt. Die Unabhängigkeit zwischen den Variablen Ausgangssituationen – mit den Ausprägungen 1, 2, 3 und 4 – und Beratungsstrategie bzw. -prioritäten – mit den Ausprägungen Kompetenz, Organisation, Personal und Finanzen – wird durch den F ²-Unabhängigkeitstest abgelehnt. Geeignete Assoziationsmaße bestätigen zudem die Abhängigkeit der Variablen. Das Resultat der Untersuchung verifiziert einen Zusammenhang zwischen bestimmten Unternehmenssituationen sowie erfolgreichem Führungs- bzw. Beratungshandeln. Danach führt marktorientierte Führung in der Situation 1 zum Erfolg, während in der Situation 2 die Anpassung der organisatorischen Rahmenbedingungen an die Erfordernisse des Wachstums sowie der Multiplikation von Geschäftsaktivitäten als kritische Erfolgsfaktoren ermittelt werden. Die Dimension Personal verdient die höchste Aufmerksamkeit der Führung,
116
Volker Wittberg
wenn Anpassungsdefizite der Führungskräfte und Mitarbeiter durch verlängerte Reaktionszeiten des Unternehmens auf In- und Umweltveränderungen die Unternehmensentwicklung beeinträchtigen (Situation 3). Im Falle evidenter Risikoindikatoren sind zunächst alle latenten Einsparungspotentiale zur Bewahrung und Sicherung des finanziellen Gleichgewichts zu realisieren (Situation 4). Grundsätzlich vermittelt die in Abbildung 9 getroffene Zuordnung einen Leitfaden für erfolgreiche Führung, wobei die genaue Betrachtung der empirischen Daten insbesondere in den Situationen 1 und 4 – will man eine bestimmte Handlungsempfehlung ableiten – auch auf die verstärkte Berücksichtigung der Priorität aus der jeweils anderen Situation hinweist. Unternehmen befindet sich in der Situation Unternehmen hat mit hoher Priorität strategische Erfordernisse in der Dimension
Pionier (1)
Wachstum (2)
Reife (3)
Wende (4)
Kompetenz Organisation Personal
Finanzen
Abbildung 9:
3.
Unternehmenssituationen und Führungsprioritäten
Unternehmenserfolg durch Kompetenz, Organisation, Personal und Finanzen
Die Einordnung der Geschäftsprozesse in die Dimensionen Kompetenz, Organisation, Personal und Finanzen wird analog von der Zuordnung der entsprechenden Steuerungsvariablen abgeleitet. Dabei zeugt auch die Kategorisierung der Geschäftsprozesse nicht von einer strikten Trennung, sondern beschreibt die Blickrichtung, aus der auf die Geschäftsprozesse geschaut wird. Interdependenzen und Wechselwirkungen zwischen den Prozessen sind nicht nur erlaubt, sondern unabdingbar. Damit ergeben sich auch Korrelationen in der Beurteilung unterschiedlicher Führungs-Teilprozesse.
Vitalität – Wie lange leben Mittelstandsunternehmen?
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Im Sinne eines „Business (Re-)engineering“-Denkens auf der Führungsebene seien die relevanten Geschäftsprozesse in den Führungsdimensionen sowie deren kritische Stellen kurz charakterisiert, die im Zusammenhang mit den Kriterien für die Führung vitaler Unternehmen stehen: Kompetenz Erfolgreiche mittelständische Unternehmen zeichnen sich durch Merkmale aus, die durch den Kunden unmittelbar wahrgenommen werden. Sie sind kundennah, liefern eine ausgezeichnete Produktqualität und bieten dazu intensiven Service an. Fragen zur Akquisitionssteuerung, zum Kundenkontakt und zum Service zielen z. B. auf die Nutzung eines Informationssystems zur Marktpositionierung und -bearbeitung und die Sicherstellung eines kalkulierbaren und stabilen Auftragseingangs. Gepaart mit der Entscheidung für die Belohnung von Innovation lässt sich für marktseitig starke Unternehmen eine einmal errungene Marktposition nur sehr schwer streitig machen. Die Stimulation und Initiierung von Innovationsprozessen durch das Management verdienen daher erhöhtes Augenmerk. Worauf es am Anfang ankommt, beschreibt der Teil I in diesem Teil dieses Buches. Organisation Die Realisierung dessen, was das Unternehmen an Möglichkeiten und Können im Umfeld der Chancen und Risiken, die der Markt bereithält, besitzt, ist insbesondere in größeren Einheiten eine Organisationsaufgabe. Dabei entstehen sowohl Koordinations- und Integrationsals auch Informations- und Kommunikationsprozesse. Insbesondere die Angemessenheit bei Einsatz organisatorischer Hilfsmittel ist eine an den zentralen Erfolgsfaktoren dieser Dimension orientierte Frage. Messgrößen sind im Informationsbereich u. a. die Informationsfeinheit und -aktualität. Das Management von Erfolg im Wachstum ist Gegenstand des Teils II. Personal In praktisch jedem Unternehmensleitbild und jedem Geschäftsbericht trifft der Adressat auf die Aussage, der Mensch stelle das wertvollste Kapital im Unternehmen dar. Dem Erfordernis zu begegnen, die Leistungsfähigkeit und die Leistungsbereitschaft aller Organisationsmitglieder optimal sicherzustellen, ist Aufgabe des Personalmanagements. Die Prozesse der Personalbeschaffung, -führung, -entwicklung sowie der Gestaltung von Anreizen sind auf die optimale Ausschöpfung des Leistungspotentials im Führungs- und Ausführungsbereich der Organisation auszurichten. Dies setzt eine genaue Kenntnis der Qualifikations- und Motivationsdefizite voraus. Erweitert wird dieses Problem durch die Unternehmensnachfolge, die im Teil IV erörtert wird.
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Volker Wittberg
Finanzen Mit dem Fokus auf den Finanzbereich des Unternehmens sind die zentralen Führungsprozesse der Ressourcenallokation sowie der Planung, Steuerung und Kontrolle zu analysieren. Latente Einsparungspotentiale offenbaren sich in integrierten und transparenten Planungssystemen, die den Wettbewerb um Ressourcen institutionalisieren. Das Krisenmanagement ist Gegenstand des Teils III.
4.
Fazit
Fremdmanager wie aber auch Familienunternehmer folgen wider besseres Wissen allzu häufig nicht der Priorität eines permanenten Vitalitätsmanagements. Sie verlieren hingegen nach einer Phase des Erfolges die Sensibilität für Veränderungen und steuern ihr mittelständisches Unternehmen bewusst oder unbewusst in die Krise. Dabei dominiert zudem nicht selten die Befriedigung persönlicher materieller Bedürfnisse den Führungsprozess. Nur aber wenn die Entwicklungsgeschwindigkeit des eigenen Unternehmens mindestens so groß ist wie die Änderungsgeschwindigkeit der Umwelt, hat das Unternehmen eine Chance, dem eigenen Alterungsprozess zu begegnen. Lebendige, lernende Unternehmen schaffen sich dadurch nicht nur Überlebenschancen, sondern sie bestimmen ihre eigene Unternehmensentwicklung mit sicheren Arbeitsplätzen und respektablen Renditen. Mit professionellem Vitalitätsmanagement haben sich erfolgreiche mittelständische und insbesondere Familienunternehmen über Generationen etabliert, bewahrt und immer wieder zu neuem Wachstum aufgeschwungen. von der Revitalisierung Vitalität
zum Vitalitätsmanagement Vitalität
Zeit
Zeit
Vitalitätsmanagement gewährleistet – bei sich permanent verändernden Rahmenbedingungen – den dauerhaften Unternehmenserfolg.
Abbildung 10: Vitalität ist Chefsache (Deckert, K. 2000, S. 28)
Vitalität – Wie lange leben Mittelstandsunternehmen?
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Literatur
Die angewandten statistischen Methoden sind vollständig dargestellt in Backhaus, K.; Erichson, B.; Plinke, W.; Weiber, R.: Multivariate Analysemethoden: eine anwendungsorientierte Einführung, 8. Auflage, Berlin u. a. 1996. Deckert, K.: Ergebnisverbesserung durch (Re)vitalisierung, 1. Internationales Management-Forum, Köln, 19.-20. Februar 1990. Deckert, K. (Hrsg.): Vitalitätsmanagement mit KOPF – Zehn Strategien erfolgreicher Manager und Berater, Düsseldorf 1999. Gutenberg, E.: Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre, Erster Band, Die Produktion, 24. Auflage, Vorwort, Berlin 1983. Leese, W.; Deckert, K.: Vitalitätsmanagement mit KOPF, in: intra manager, Sommer 2000, S. 4-6. Pümpin, C.; Prange, J.: Management der Unternehmensentwicklung, Frankfurt a. M., New York 1991. Wirtschaftswoche, Exklusiver Club, in: Wirtschaftswoche Nr. 20, 12.5.2005, S. 44-57. Zur Vertiefung der Inhalte empfiehlt der Autor Wittberg, V.: Unternehmensanalyse mit Führungsprozessen, Instrumentarium zur Früherkennung von Risiken, Wiesbaden 2000. Alle empirischen Auswertungen dieses Beitrages finden Sie in Wittberg, V.: Unternehmensanalyse mit Führungsprozessen, Instrumentarien zur Früherkennung von Risiken, Wiesbaden 2000.
Start-up – Worauf kommt es zu Beginn an?
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Start-up – Worauf kommt es zu Beginn an? Richard Merk
Zusammenfassung
Das Gründungsgeschehen hat sich in den letzten Jahren in Deutschland rasant verändert. Nach einem kurzen Überblick über aktuelle Daten werden grundlegende Kriterien für den Erfolg eines Start-ups skizziert. Die Frage, worauf es beim Start ankommt, wird dahingehend beantwortet, dass die beste Vorbereitung auf die Selbständigkeit ein konsequent ausgearbeitetes Unternehmenskonzept in der Form eines „Businessplans“ ist. Dieser bildet die fachliche und mentale Grundlage, die das Mindestmaß an Vorbereitung auf eine erfolgreiche Gründung darstellt. Dabei wird der Businessplan als ein ganzheitliches Geschäftskonzept vorgestellt, der alle Bereiche eines Unternehmens von der Geschäftsidee über die Absatzprognose, das Marketing, die Finanzierung einschließlich der Gewinn- und Verlustrechnung sowie einer Liquiditätsvorschau beinhalten muss. Der Businessplan soll den Weg der Zielerreichung beschreiben. Er muss diejenigen Meilensteine benennen, die zum Erfolg der Geschäftsidee führen. Dabei muss die Geschäftsidee, also das „Was“ präzise als Leistung definiert werden. Diese soll in der Organisationsform eines Unternehmens als „Produkt“ oder „Dienstleistung“ vom Unternehmer im Wettbewerbsmarkt erfolgreich verkauft werden können. In dem folgenden Beitrag wird eine „Wissenslandkarte zum Businessplan“ vorgestellt. Beschrieben werden 14 Module als Basisbedingungen für ein erfolgreiches Start-up. Indem der zukünftige Unternehmer „seinen“ Businessplan ausarbeitet, findet eine fachliche und mentale Auseinandersetzung mit der sozialen und persönlichen Wirklichkeit der Selbständigkeit statt. Diese ist unverzichtbar für den unternehmerischen Erfolg. Ein Businessplan muss erkennen lassen, wie die Herausforderungen und Hürden in der sozialen Wirklichkeit genommen werden sollen.
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1.
Richard Merk
Zum aktuellen Gründungsgeschehen in Deutschland
Es gibt viele Gründe sich selbständig zu machen. 2004 gab es in Deutschland etwas mehr als drei Millionen Selbständige. Wurde das Thema der Unternehmensgründung jahrzehntelang vernachlässigt, so gibt es seit den neunziger Jahren eine zunehmende Diskussion um die Selbständigkeit. Entstehen Unternehmen einerseits aus der Dynamik der Wirtschaft und aus prosperierenden Unternehmen, so ist für die aktuelle Entwicklung in Deutschland symptomatisch, dass der größte Teil der selbständigen Jungunternehmer dies individuell als einzigen „Ausweg aus der Arbeitslosigkeit“ ansehen. Das Gründungsgeschehen entsteht damit einerseits endogen aus dem Wachstumspotenzial des Marktes und andererseits exogen – von außen gefördert – aus der individuellen „Zukunftssorge“, einen Weg aus der Arbeitslosigkeit zu finden. Der Sektor der endogenen Firmengründungen ist in Deutschland stark rückläufig. Die Zahl der Insolvenzen stellte mit über 40.000 Firmen im letzten Jahr einen negativen Rekord dar. Darunter sind überdurchschnittlich viele mittelständische Unternehmen, die dem globalisierten Markt nicht mehr standhalten. Die Zahl durch Insolvenzen verloren gegangener Arbeitsplätze geht in die Hunderttausende. Bei dem Sektor der exogenen Unternehmensgründungen fällt die quantitative Bilanz positiv aus. Die aktuelle Form der Gründung eines Unternehmens ist seit Januar 2003 die „Ich-AG“. Bis Ende 2004 wurden rund 268.000 Ich-AGs von der Bundesagentur für Arbeit mit einem Zuschuss gefördert. Finanziell unterstützt wurde die Selbständigkeit aus der Arbeitslosigkeit durch „Überbrückungsgeld“ oder einen „Existenzgründerzuschuss“. Die Charts geben den Anstieg der geförderten Arbeitslosen an. Von besonderem Interesse im Hinblick auf die Nachhaltigkeit einer Gründung ist dabei die Zahl der Abbrecher. Es stellt sich die Frage, wie tragfähig ist ein Start-up aus der Arbeitslosigkeit (vgl. Abbildung 1)? Da der Förderzeitraum von drei Jahren noch nicht abgeschlossen ist, kann gegenwärtig nur eine Zwischenbilanz gezogen werden. Bislang wurden 48.000 Abgänge gezählt, das ist ca. ein Fünftel (17 %) der Gründer. Dabei bedeutet die Geschäftsaufgabe nicht immer das Ende, der Förderabbruch nicht immer eine Pleite. Selbständigkeit kann auch wertvolle Erfahrungen vermitteln.
Start-up – Worauf kommt es zu Beginn an?
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Aus der Arbeitslosigkeit in die Selbstständigkeit Monatliche Zugänge/Bewilligungen in Überbrückungsgeld und Existenzgründungszuschuss, Januar 2001 bis Dezember 2004 - kumuliert im Jahresverlauf Fälle
ÜG 2004 Ich-AG 2004 ÜG 2003
180.000 160.000 140.000
ÜG 2002
120.000 100.000
ÜG 2001
80.000
Ich-AG 2003
60.000 40.000 20.000 0 Jan. Feb. März April Mai Juni Juli Aug. Sept. Okt. Nov. Dez. © IAB
Quelle: Bundesagentur für Arbeit Abbildung 1:
Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, IAB Kurzbericht 2/2005
Die Abbildung 2 aus der Studie des IAB zeigt, dass von den Abbrechern 54 % wieder arbeitslos wurden, 6 % anderweitig verblieben sind und 40 % erwerbstätig blieben. Die Daten können sicherlich dahingehend interpretiert werden, dass das Instrument der Förderung von arbeitslosen Existenzgründern weitaus mehr Arbeitslose in das Erwerbsleben eingliedern konnte als alle anderen arbeitsmarktpolitischen Instrumente. Wenn dann noch von den Abbrechern an die 40 % weiterhin erwerbstätig bleiben, sollte das Ergebnis als Erfolg gewertet werden. Dies auch deshalb, weil a) die Kritiker nichts Besseres anzubieten haben und b) die Insolvenzen nicht in ursächlichem Zusammenhang mit den Start-ups stehen. Abgebrochen – und was dann? Verbleib der Ich-AG-Gründer nach dem vorzeitigen Ende der Förderung
Abbrecher
Ich-AG
54 % arbeitslos 6% sonstiges 40 % erwerbstätig © IAB
Quelle: IAB-Stichprobe Abbildung 2:
Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, IAB Kurzbericht 2/2005
124
Richard Merk
Insgesamt hat der Gründerboom in Deuschland in den vergangenen Jahren trotz erhöhter Förderanstrengungen an Schwung verloren (vgl. Abbildung 3). So sind die Neugründungen bundesweit seit Ende 1990 rückläufig. Von einem Jahreshoch von 531.000 in 1991 sinken die Neugründungen in 2003 auf 250.000. Diese Zahl wäre zudem ohne geförderte Ich-AG nicht möglich. Existenzgründer in Deutschland 1986 bis 2003 - in 1000 531 482
302 307
494 486 493
528 507 507 513 493
472 455 452
452
326 337 249,8
5,6
10,1 17,9 11
12,7 13
31,6 25,8 37,3
97,8 98,1 92,6 95,7 70,6 89,7 78,8
123,3
03 20
86 987 988 989 990 991 992 993 994 995 996 997 998 999 000 001 002 2 2 2 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 19
Neugründungen insgesamt
geforderte Gründungen*
*1986 bis 2002 nur Überbrückungsgeld, 2003 einschließlich Existenzgründungszuschuss (Ich-AG)
© IAB
Quelle: Institut für Mittelstandsforschung Bonn, Bundesanstalt für Arbeit; Nicht-Geförderte geschätzt Abbildung 3:
Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, IAB Kurzbericht 2/2005
Wird das Gründungsverhalten in Deutschland weiter untersucht, so können die Gewerbeanmeldungen einen tieferen quantitativen Einblick über Start-ups geben. Dabei ist auf der Basis der Gewerbeanmeldungen seit dem Jahre 1995 ein bundesweiter Rückgang zu verzeichnen. (vgl. Abbildung 4) Wird das Jahr 2003 näher betrachtet, so werden 810.000 Gewerbe angemeldet und gleichzeitig 653.000 Gewerbe abgemeldet. Daraus ergibt sich ein Zuwachs von 157.000 Gewerbetreibenden. Entwicklung der Gewerbeanmeldungen 1995 - 2002 in den alten Bundesländern, in NRW und im Ruhrgebiet (Index 1995 = 100) 125 120 115 110 105 100 95 90 85 1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
Alte Bundesländer Nordrhein-Westfalen Ruhrgebiet
Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder, Internet www.statistik-portal.de Abbildung 4:
Gewerbeanmeldungen 2003
Start-up – Worauf kommt es zu Beginn an?
125
Über den unternehmerischen Erfolg der Existenzgründungen gibt es wenige Informationen. Aus vielen Beratungen der Starter-Initiativen, Wirtschaftsförderungsgesellschaften, den Industrie- und Handelskammern sowie den Handwerkskammern, den Arbeitsagenturen und den Gründern selbst wird jedoch eines ganz deutlich: Die Gründer sind und fühlen sich auf die Tätigkeit als Unternehmer nicht oder unzureichend vorbereitet. Während jeder Mitarbeiter in einem Betrieb eine Berufsausbildung oder gar ein Studium absolvieren muss, um überhaupt den Einstieg in ein Unternehmen zu bekommen, wird so getan, als sei der Unternehmer ein Do-it-yourself-made-man. Ein Vergleich des Gründergeschehens mit anderen Ländern verdeutlicht zudem, dass die Gründerkultur in Deutschland ungünstig ausgeprägt ist. Existenzgründung ist im Bewusstsein der Erwerbstätigen nicht oder nur unzureichend ausgebildet. Im Verhältnis zu anderen Ländern wollen sich in Deutschland nur 13 % selbständig machen. Demgegenüber steht überproportional mit 47 % die „Angst“ vor der Selbständigkeit.
2.
Wissenslandkarte zum Businessplan
Die Konsequenz aus den vorgenannten Daten müsste auf die Verbesserung der Rahmenbedingungen – allen voran eine professionelle Ausbildung – gerichtet werden. Dass, worauf es bei der Gründung eines Start-ups ankommt, lässt sich mit der Wissenslandkarte zum Businessplan fachlich spezifizieren. In der Wissenslandkarte werden die Module eines Businessplans dargestellt (vgl. Abbildung 5). Dabei wird davon ausgegangen, dass es unterschiedliche Anlässe und Motive für die Gründung eines Unternehmens gibt. In den Modulen werden die zentralen Begriffe eines Unternehmenskonzepts definiert, die Gegenstand der Erarbeitung durch den Gründer sein müssen. Einen Plan zu entwickeln setzt voraus, dass die Geschäftsidee durchdacht und mit Partnern oder Freunden diskutiert wird. Eigeninitiative und Marktrecherchen sind zwingende Voraussetzung, einen realitätsnahen Businessplan entwickeln zu können. Die Beschreibungen und Berechnungen müssen bei jedem Geschäftsplan individuell umgesetzt werden.
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Richard Merk
Wissenslandkarte zum Businessplan Anlässe für Businesspläne
Start-up / Ich-AG / Neugründung / Existenzgründung / Unternehmensnachfolge / Unternehmenskauf / Franchising / Projektbezogene Geschäftskonzepte
Modul 1
Modul 14 Chancen und Risiken
Zusammenfassung Executive Summary
Modul 2 Geschäftsidee & Leistungsbeschreibung
Modul 13 Modul 3 Plan-Bilanz/Jahresabschluss Leistungserstellung: Unternehmen & Management
Modul 12 Liquiditätsplanung
Modul 4
Businessplan ist ein Geschäftskonzept
Modul 11 Gewinn- & Verlustrechnung (GuV)
Markt & Wettbewerb Modul 5 Marketing & Vertrieb
Modul 10 Kapitalbedarfsrechnung Modul 9 Finanzplanung
Abbildung 5:
Modul 6 Modul 8 Kalkulation & Preisfindung
Modul 7
Absatzprognose & Umsatzplanung
Kostenplanung & Kostenrechnung
Wissenslandkarte zum Businessplan
Die Beschäftigung mit einem Businessplan mag Existenzgründern, Praktikern und auch Studierenden als aufwendig erscheinen. Einer der entscheidenden Erfolgsfaktoren gelungener Unternehmensgründungen besteht jedoch darin, die Umsetzung der Geschäftsidee in der rauen Wirklichkeit des Wettbewerbs so weit wie möglich vorausgedacht zu haben. Wenn der Start schon eine Bruchlandung ist, wird aus dem Geschäft nicht mehr viel.
3.
Gründungssituationen
Der Businessplan soll das Geschäfts- oder Unternehmenskonzept inhaltlich überzeugend, sachlich kompetent und mit wirtschaftlichem Sachverstand beschreiben. Das hat aus der Perspektive eines Unternehmers zu erfolgen. Unternehmer ist, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Sie muss auf Nachhaltigkeit gerichtet sein, am allgemeinen Wirtschaftsleben teilhaben und eine Gewinnabsicht beinhalten. Dabei kann der Unternehmer eine natürliche oder juristische Person sein. Businesspläne werden für verschiedene Anlässe und Arten von Geschäften benötigt. Den Anlässen liegen unterscheidbare wirtschaftliche Sachverhalte und Motive zugrunde.
Start-up – Worauf kommt es zu Beginn an?
127
Anlässe für Businesspläne Businesspläne für die Unternehmensgründung Start-up, Ich-AG, Existenzgründung, Neugründung, Businesspläne für die Unternehmensnachfolge Unternehmensnachfolge, Familiennachfolge, Unternehmenskauf Businesspläne für das Franchising Franchisegeber und Franchisenehmer Businesspläne für betriebliche Geschäftskonzepte Entwicklung neuer Geschäftsbereiche: Produkte, Dienstleistungen, neue Projekte und Geschäftsfelder Allen Businessplänen ist gemeinsam, dass sie die Erfolgsaussichten der Geschäftsidee im Markt begründen sollen. Zudem müssen sie so verfasst sein, dass sie überzeugen. Begründung der Erfolgsaussicht: a)
Inhaltliche Begründung: Das Geschäftskonzept muss marktfähig, plausibel und realistisch sein, es muss inhaltlich begründet werden.
b)
Überzeugende Präsentation: Das Geschäftskonzept muss selbstbewusst, qualifiziert und kompetent dargelegt werden, es muss überzeugen.
Der Businessplan muss die wichtigsten Annahmen für die Umsetzung des Geschäftskonzeptes treffen und begründen. Er muss beschreiben, wohin die Reise gehen soll und wie das Ziel erreicht werden kann. Er muss die Chancen und Risiken erfassen. Zugleich stellt jeder Businessplan eine Selbstpräsentation desjenigen dar, der ihn erstellt und der ihn vorstellt. Der Businessplan ist ein ganzheitliches Konzept einer Geschäftsidee. Er muss die einzelwirtschaftlichen Sachverhalte zu einem gemeinsamen Ganzen zusammenfügen. Ein Unternehmen funktioniert nur dann, wenn die Einzelteile zusammenpassen: Die Leistungsbeschreibung muss das Angebot bestimmen und die Qualität festlegen. Damit werden zugleich die Zielkunden definiert und Entscheidungen für das Marketing getroffen. Der Verkaufspreis muss den Marktpreis und den Kostenpreis berücksichtigen. Mit der Marktprognose werden die Grundlagen für die Umsatzziele gelegt. Mit der Finanzplanung wird festgelegt, wie die Kapitalstruktur des Unternehmens aussehen soll und in welchem Umfang investiert werden kann. Mit der Plan-Gewinn- und Verlustrechnung wird der wirtschaftliche Erfolg geplant. Schließlich ist anzugeben, wie die Liquidität des Unternehmens im „best case“ und „worst case“ sichergestellt werden soll. Ein Businessplan funktioniert nach dem Prinzip „kommunizierender Röhren“, jede Veränderung hat Wirkungen auf die anderen Teile. Die besondere Herausforderung besteht darin, den inneren Zusammenhang eines Unternehmens zu konzipieren.
128
4.
Richard Merk
Worauf es bei einem Unternehmenskonzept ankommt
Die Erarbeitung der Module kann für den Gründer als ein sich selbst organisierender Lernprozess begriffen werden. Derjenige, der sich mit einer Geschäftsidee ernsthaft beschäftigt und damit identifiziert, hat gute Voraussetzungen, erfolgreich zu sein. Dabei ist die Fähigkeit der zeitlichen Selbststeuerung eine der wichtigsten Eigenschaften als Unternehmer. Beschreibung der Module des Businessplans Modul 1: Zusammenfassung – Executive Summary Der Businessplan soll mit einer Zusammenfassung der wichtigsten Aussagen des Geschäftskonzepts beginnen. Entscheider, Geschäftsführer und Kapitalgeber wollen kurz und prägnant darüber informiert werden, was Gegenstand des Businessplanes ist. Sie sollen eine Vorstellung von der Wirtschaftlichkeit bekommen und eine Begründung, warum die Ziele erfolgreich vom Gründer verwirklicht werden können. Das Summary soll den Gegenstand der Geschäftsidee und des Unternehmens prägnant und zusammenfassend beschreiben. Mit dem Namen, der Rechtsform und dem Logo des Unternehmens wird die Geschäftsidee auf den Punkt gebracht. Der Charakter der Geschäftsidee soll getroffen werden. Wirtschaftliche Daten zum Unternehmen geben einen Überblick. Modul 2: Geschäftsidee & Leistungsbeschreibung Der Businessplan muss den Gegenstand des Geschäftskonzepts prägnant beschreiben: das ist die Geschäftsidee. Eine Geschäftsidee will eine Leistung – ein Produkt oder eine Dienstleistung – verkaufen. Die Leistung ist ein Angebot, das sich auf den konkreten Bedarf einer Zielgruppe bzw. an den Kunden richtet. Der Kundennutzen steht an oberster Stelle. Nur wenn eine Geschäftsidee vom Kunden angenommen wird, hat sie Erfolgschancen im Markt. Nur dann kann daraus ein profitables Geschäft werden. Nun ist der Markt keine Einbahnstraße. Es lassen sich Käufer- und Verkäufermärkte unterscheiden. Der Käufer entscheidet, ob er ein Angebot annimmt. Der Verkäufer entscheidet, ob er ein Angebot macht. So, wie ein neues Angebot auf ein Bedürfnis zielt und damit Bedarf erzeugen kann, so kann ein Wunsch ein Unternehmen inspirieren, für die Nachfrage ein Angebot zu erzeugen. Es gibt kein Patentrezept, wie ein Unternehmer eine Geschäftsidee findet.
Start-up – Worauf kommt es zu Beginn an?
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Erfolg wird in hohem Maße bestimmt vom persönlichen Engagement. Dieses Engagement entwickelt sich aus der individuellen Motivation, sich selbständig zu machen und – von der Qualität der Geschäftsidee, mit der der Gründer Geld verdienen will. Jedes neue Geschäft muss sich im Markt durch Alleinstellungsmerkmale auszeichnen. Die Alleinstellung kann sich auf alle Merkmale eines Produkts oder einer Dienstleistung beziehen. In jedem Fall muss die Geschäftsidee dem Kunden einen bisher nicht vorhandenen Nutzen bieten. Es kann sein: Das Angebot ist preiswerter, das Geschäft ist neu am Standort, der Service ist besser als der der Mitbewerber. Die Alleinstellungsmerkmale sind auf die konkrete Marktsituation des Unternehmens auszurichten. Was ist zu tun? Geschäftsideen suchen und entwickeln. Die Leistungen präzise beschreiben: Produkte und Dienstleistungen definieren nach Beschaffenheit und Güte, Stand der Entwicklung, Menge und Zusammensetzung, Kundennutzen, Preisgestaltung, gesetzliche Auflagen, Liefer- und Zahlungsbedingungen etc. Alleinstellungsmerkmale herausarbeiten. Patente und Schutzrechte einholen. Leistungsanspruch und Inhalt formulieren. Modul 3: Leistungserstellung Unternehmen und Management Für die Leistungserstellung ist die Unternehmensführung von ausschlaggebender Bedeutung. Nicht nur die Rechtsform und die Eigentumsverhältnisse sind wichtig, genauso entscheidend sind die Mitarbeiter mit ihren Qualifikationen und Kompetenzen. Die Betriebsorganisation bestimmt mit darüber, ob die Arbeitsprozesse reibungslos und effizient gestaltet werden. Der Unternehmer selbst muss die Ziele für sein Unternehmen festlegen. Im Managementprozess ist ein Fahrplan (Meilensteine) für die Umsetzung der Geschäftsidee vorzusehen. Managen bedeutet, Menschen in einem Geschäftssystem zielgerichtet zu führen. Die Leistungserstellung muss so geplant werden, dass die Kosten so niedrig wie möglich (Kostenminimierung) und der Gewinn so hoch wie möglich (Gewinnmaximierung) sein werden. Für den Unternehmer stellt sich die optimale Auslastung aller Ressourcen als die zentrale Herausforderung für das Management. Das beginnt bei der Terminplanung, wenn in vielen Unternehmen Zeit und damit Geld verschenkt werden, das reicht über die Delegation von Führungsverantwortung bis hin zur Mitarbeitermotivation und zum Controlling. Die Abstimmung der Arbeitsprozesse und Zeitabläufe ist in vielen kleinen Unternehmen kritischer Erfolgsfaktor. Bei der Beschreibung der Leistungserstellung kommt es auf die optimale Gestaltung des Geschäftsprozesses an. Im Businessplan soll dargelegt werden, wie das Unternehmen organisiert und geführt werden soll. Was ist zu tun? Rechtsform und Eigentumsverhältnisse festlegen. Geschäftssystem, Geschäftsführung, Unternehmensziele beschreiben. Personalplanung entwickeln; Stellen- und Funktionsprofil aufstellen. Form der Arbeitsverhältnisse bestimmen. Personalkosten berechnen. Kriterien für Standorte aufstellen, Logistik beachten. Zeitlichen und sachliche Planung der Realisierungsphase. Meilensteine definieren.
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Richard Merk
Modul 4: Markt & Wettbewerb Wer etwas verkaufen will, muss den Markt kennen. Er muss Bescheid wissen über Art und Umfang des Bedarfs, über Einstellungen und Gewohnheiten der Kunden, über die Mittel und Wege des Absatzes, über die Wettbewerber und über die Ursachen der ständigen Veränderungen des Marktgeschehens. Erst die Kunden geben einer Firma ihre Daseinsberechtigung. Sie entscheiden über den Erfolg beim Verkauf der Produkte und Dienstleistungen. Die gute Kenntnis des Marktes mit dem Kundenpotenzial und einer Wettbewerbsanalyse gehören zu den Erfolgsfaktoren des Unternehmens. Wer den Markt beschreiben will, muss eine Marktuntersuchung durchführen. Zunächst reicht eine Markterkundung. Das kann durch Gespräche mit möglichen Kunden, Lieferanten, auf Messen und Ausstellungen, durch Lesen von Wirtschaftsberichten, Fachzeitschriften oder eine Recherche im Internet erfolgen. Es geht um die Einschätzung der Absatzmöglichkeiten eines Leistungsangebots. Was ist zu tun? Marktuntersuchung durchführen. Wettbewerber ermitteln und die eigene Positionierung vornehmen. Marktbewegungen erkennen und beschreiben. Das eigene Markt- und Kundenpotenzial ermitteln. Kunden-Matrix aufstellen: die Zielkunden bestimmen und die Beschaffenheit der Produkte und Dienstleistungen beschreiben. Modul 5: Marketing & Vertrieb Das Marketing bezeichnet die wirtschaftliche Ausrichtung eines Unternehmens auf die Förderung des Absatzes. Dabei haben sich viele Märkte in den letzten Jahren grundlegend vom Verkäufer- zum Käufermarkt gewandelt. Das bedeutet, der Kunde entscheidet in weit höherem Maße über den Kauf als der Verkäufer. Es entscheidet weniger die Innovation als das richtige Marketing. Damit sind die richtige Marktstrategie, die Art und Weise der Markterschließung, der Marktpräsentation, der Preispolitik sowie der Vertrieb gemeint. Das Marketing entscheidet, ob ein Produkt verkauft wird oder als „Ladenhüter“ übrig bleibt. Das Marketing im Businessplan muss beschreiben, wie das Unternehmen auf den Markt und die Kunden ausgerichtet werden soll. Für die Marketingstrategie bieten sich die folgenden Kriterien an: Produktpolitik, Distributionspolitik, Preispolitik und Kommunikationspolitik. Mit den Marketinginstrumenten werden die absatzpolitischen Aktivitäten festgelegt. Was ist zu tun? Marketingstrategie marktorientiert und kundengerecht erarbeiten. Kommunikationsmittel und Marketing-Mix bestimmen. Werbeplan entwickeln. Werbe-Matrix mit Werbemitteln, Kosten und Zeitplan erstellen.
Start-up – Worauf kommt es zu Beginn an?
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Modul 6: Absatzprognose & Umsatzplanung Die Absatzprognose ist das strategische Kernstück eines Businessplanes. Sie entscheidet darüber, mit welchem Leistungsangebot das Unternehmen in den Markt gehen will. Die Absatzprognose beinhaltet also die Vorhersage und Entscheidung des Unternehmers, in welchem Umfang und Zeitraum sein Angebot eine Nachfrage finden soll. Sie gründet auf der Markt- und Wettbewerbsanalyse. Während das Markt- und Kundenpotenzial die qualitative und quantitative Größe des Marktsegments zu erfassen versucht, soll die Absatzprognose das tatsächliche Leistungsangebot – wie in der Markt-Matrix erarbeitet – bestimmen. Die Einschätzung der Nachfrage ist die wichtigste unternehmerische Entscheidung, weil damit die Annahme über den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens getroffen wird. Mit der Absatzprognose wird die betriebswirtschaftliche Grundlage für das Geschäftskonzept gelegt. Sie entscheidet über Wachstum, Konsolidierung oder Abbau. Mit der Bestimmung des Absatzes werden die Einnahmen bzw. Erlöse und damit der Umsatz bestimmt. Mit der Begründung der Absatzprognose steht die Einnahmequelle des Geschäfts zur Disposition. Die Art und Weise der Begründung und die vorgetragenen Argumente müssen plausibel, nachvollziehbar und realitätsnah sein. Was ist zu tun? Ermittlung des Angebots; Ermittlung der Absatzmengen. Absatzkurve begründen. Umsätze für drei Jahre berechnen. Absatzprognose und Umsatzplanung grafisch darstellen. Modul 7: Kostenplanung & Kostenrechnung Die Kostenplanung und Kostenrechnung sollen ermitteln, welche Kosten und in welcher Höhe Kosten bei der Realisierung des Geschäftskonzepts verursacht werden. Die Kostenplanung und -rechnung ist das kaufmännische Kernstück einer Geschäftsidee, bei dem es sich entscheidet, ob ein Produkt oder ein Projekt wirtschaftlich im Markt umgesetzt werden kann. Mit Hilfe der Kostenplanung wird entschieden, wie das Unternehmen wirtschaften kann und darf. Dabei wird die Kostenplanung bei einem Start-up einen anderen Erfassungsgrad haben als bei einem betrieblichen Geschäftskonzept, bei dem die Höhe vieler Kosten schon bekannt ist. Die Kostenplanung ist den Erfordernissen der jeweiligen Geschäftsidee entsprechend tief zu gliedern. Was ist zu tun? Die Kosten sind für das Gesamtunternehmen zu planen. Kostenpläne müssen aufgestellt werden. Grundlagen des Rechnungswesens und der Buchführung sind einzuhalten. Kostenstellen müssen definiert werden. Kostenarten sind zu berechnen. Die kalkulatorischen Kosten sind zu bestimmen. Steuern sind zu ermitteln.
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Richard Merk
Modul 8: Kalkulation & Preisfindung Kalkulation ist die Ermittlung der Kosten. In einem Unternehmen sind alle Kosten zu kalkulieren. Die Kalkulation dient insbesondere der Preisfindung, denn über den Verkaufspreis eines Produkts oder einer Dienstleistung müssen alle Kosten des Unternehmens gedeckt werden. Die Kalkulation dient im Businessplan der Preisberechnung. Zu kalkulieren bedeutet, sich dem Verkaufspreis schrittweise anzunähern. Das bedeutet: Der Marktpreis ist derjenige Preis, der im Markt von den Mitbewerbern erzielt wird. Dieser ist im Markt und den Mitbewerbern zu recherchieren. Der Kostenpreis (auch Vollkostenpreis genannt) ist derjenige Preis, der die Gesamtkosten des Unternehmens beinhaltet. Dieser ist zu berechnen. Der Verkaufspreis (auch Angebotspreis genannt) ist derjenige Preis, zu dem die Ware im Markt angeboten werden soll. Dieser muss unter Abwägung des Markt- und Kostenpreises bestimmt werden. Was ist zu tun? Feststellen des Marktpreises. Kostenpreis mit Hilfe verschiedener Kalkulationsverfahren berechnen. Deckungsbeitragsrechnung vornehmen, um Preisuntergrenze festzustellen. Verkaufspreis definieren und begründen. Preisentscheidung treffen. Modul 9: Finanzplanung Die Finanzplanung hat die Aufgabe, den Kapitalbedarf eines Unternehmens zu ermitteln und die Kapitalbeschaffung sicherzustellen. Die Bestimmung der Unternehmensziele muss mit den Zielen der Finanzplanung in Einklang gebracht werden. Kapitalbedarf entsteht dadurch, dass vom Unternehmen Investitionen und Ausgaben zu leisten sind, denen unmittelbar keine, zumindest gleich hohen Einnahmen gegenüberstehen. Die Kapitalbedarfsrechnung ermittelt, in welchem Umfang und zu welchem Zeitpunkt Kapital erforderlich ist. Die Finanzierung und Beschaffung des Kapitals ist für viele Unternehmer eine komplexe Herausforderung. Bei einem Unternehmensgründer geht es sowohl um die Investitionen der Erstausstattung als auch um die Liquiditätssteuerung. Was ist zu tun? Feststellen, wofür Kapital benötigt wird und wie hoch der Kapitalbedarf (Eigenkapital, Fremdkapital) ist. Fremdkapital beschaffen. Förderprogramme der Existenzsicherung und für Unternehmensgründungen nutzen. Kapitalkosten feststellen. Ziele der Finanzsteuerung definieren. Kennzahlen errechnen.
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Modul 10: Kapitalbedarfsrechnung Die Berechnung des Kapitalbedarfs wird durch die Art und Weise der Kapitalverwendung bestimmt. Es lassen sich unterscheiden: Anlagevermögen (z. B. Investitionen) erfolgt durch die Addition der für die Güter des Anlagevermögens verursachten Anschaffungskosten, z. B. Maschinen, Ausstattungen, Gründungsinvestitionen. Umlaufvermögen (z. B. Warenumschlag) wird ermittelt, indem die Bindungsdauer des Umlaufvermögens mit den dafür täglich anfallenden durchschnittlichen Ausgaben multipliziert und die Ergebnisse addiert werden. Gesamtkapitalbedarf (z. B. Liquiditätsvorschau) wird ermittelt aus der Differenz von Ausgaben und Einnahmen im zeitlichen Ablauf. Anders ausgedrückt, durch die Addition des Anlagekapitals und Umlaufkapitalbedarfs. Was ist zu tun? Anlagevermögen und Investitionen feststellen. Umlaufvermögen feststellen. Gesamtkapitalbedarf feststellen. Liquiditätslücke berechnen. Modul 11: Gewinn- & Verlustrechnung (GuV) Die Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) bzw. die Einnahmen-Überschuss-Rechnung sind Zeitraumrechnungen. Sie beziehen sich auf eine bestimmte Periode (Tag, Monat, Jahr). Der Erfolg wird als Saldo zwischen den in der Periode angefallenen Aufwendungen und Erträgen bzw. Kosten und Erlösen ermittelt. Durch die Aufgliederung der erfolgswirksamen Komponenten in der GuV werden die Quellen des Erfolgs sichtbar. Die GuV gibt die Ertragslage und Rentabilität des Unternehmens an. Als Ergebnis weist sie den Gewinn oder den Verlust aus. Ein Gewinn vermehrt das Eigenkapital und steigert damit die Rentabilität. Ein Verlust, der verkraftet werden muss, zehrt das Kapital auf. Was ist zu tun? Schema einer Gewinn- und Verlustrechnung für das Unternehmen aufstellen. Einnahmen und Ausgaben, Erträge und Aufwand berechnen. GuV bzw. Einnahmen-ÜberschussRechnung monatlich erstellen. Jahres-Gewinn-Verlustrechnung erstellen. Plan-GewinnVerlustrechnung für drei Jahre ermitteln.
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Richard Merk
Modul 12: Liquiditätsplanung Liquidität wird definiert aus dem Verhältnis der Verbindlichkeiten des Unternehmens zu den liquiden Vermögensbestandteilen. Das Unternehmen muss jederzeit in der Lage sein, seinen laufenden Verpflichtungen nachzukommen. Auch ein rentabel arbeitender Betrieb kann zahlungsunfähig – illiquide – werden. Das kann z. B. dann geschehen, wenn ein Hauptauftraggeber selber in Zahlungsverzug kommt oder ein Kredit nicht mehr pünktlich bedient werden kann. Liquiditätsschwierigkeiten gehören zu den größten Problemen und häufigsten Ursachen einer Insolvenz. Davon sind junge Unternehmen häufig betroffen, weil sie nicht genügend Eigenkapital zur Verfügung haben. Damit das vermieden werden kann, ist die Liquidität zu planen. Die Liquiditätsplanung hat systematisch zu erfolgen. Die Liquiditätsrechnung muss auf der Grundlage einer monatlichen betriebswirtschaftlichen Abrechnung (BWA) und der GuV erfolgen. Alle Einnahmen und Ausgaben sind gegenüberzustellen. Voraussetzung dafür ist eine aussagefähige Kostenrechnung. Aus der Differenz der Einnahmen und Ausgaben ergibt sich der monatliche Überschuss (Überdeckung) oder auch ein Fehlbetrag (Unterdeckung). Was ist zu tun? Liquiditätslücken müssen erkannt werden. Der Grad der Liquidität ist festzustellen. Die Liquidität muss sichergestellt werden. Eine Liquiditätsvorschau ist notwendig. Modul 13: Plan-Bilanz/Jahresabschluss Die Art und der Umfang des Jahresabschlusses werden durch die Rechtsform bestimmt. Bei Existenzgründern könnte die GuV und die Liquiditätsplanung hinreichend sein, bei Kapitalgesellschaften ist ein Geschäftsbericht erforderlich. Es ist sinnvoll, im Businessplan den möglichen Jahresabschluss in Form einer Plan-Bilanz des ersten Geschäftsjahres anzufertigen. Bei Kapitalgesellschaften wird das Geschäftsjahr mit dem Geschäftsbericht: der Jahresbilanz, einem Lagebericht und einer Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) abgeschlossen. Was ist zu tun? Festlegen, welche Art des Jahresabschlusses erforderlich ist. Plan-Bilanz erstellen. Kennzahlen berechnen.
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Modul 14: Chancen und Risiken Die Chancen und Risiken des Businessplanes sind herauszuarbeiten. Sie sollten schon bei der Beschreibung der Module thematisiert werden. Wichtig ist es, eine Vorstellung von den Chancen und Risiken im Businessplan zu entwickeln. Erkennbar zu machen ist, wie intensiv und professionell die Auseinandersetzung mit der Geschäftsgründung oder Geschäftsübernahme stattgefunden hat. Derjenige, der die Risiken bei der Planung erkennt, kann damit ganz anders umgehen als derjenige, der in der Wirklichkeit überrascht wird. Was sind die größten Risiken? Risiko: Produktbeschreibung und Absatzprognose Risiko: Markteinschätzung Risiko: Finanzierung und Kostenrechnung.
5.
Fazit
Worauf es beim Start-up ankommt, sind der persönliche Wille, die fachliche Qualifikation und die personale Kompetenz sowie günstige Marktchancen, denn gegen den Markt kann der größte Wunsch nichts ausrichten. Bei der Vorbereitung kommt es darauf an, sowohl das fachliche als auch das kaufmännische Know-how zu erlangen, das zumindest hinreichend sein muss. Beim Start kommt es auf den richtigen Zeitpunkt an, denn es gibt immer Zeitfenster, die besonders günstig sind. Nach dem Start gehören die kontinuierliche Beratung, Reflexion und kritische Auseinandersetzung mit sich selbst und dem Unternehmen dazu. Dabei ist es nötig, mobil und flexibel auf die Marktveränderungen zu reagieren. Aktiv mit neuen Angeboten auf die Wünsche der Kunden zu antworten bedeutet, die Nachfrage selbst zu erzeugen. Das Wichtigste ist jedoch, immer lernen zu wollen. Nur so kann die persönliche und unternehmerische Leistungsfähigkeit stets auf der Höhe der Zeit gehalten werden. Im Wettbewerb muss der Unternehmer mithalten können. Das ist vor allem eine mentale Einstellung.
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Richard Merk
Literatur
IAB Kurzberichte: Aktuelle Analysen aus dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit. IAB, 2005, www.iab.de., Nürnberg 2004. Haude, Th.: Bewertung des Erfolgsfaktors Beratungsqualität in der Existenzgründung. Abschlussarbeit im Modul 8 Unternehmensgründung an der Fachhochschule des Mittelstands (FHM), Bielefeld, Iserlohn 2005. Merk, R.: Handbuch zum Businessplan. Grundlagen der Betriebswirtschaft. FHM-Verlag Bielefeld, 2005.
Wachstum durch Industrielle Exzellenz – Managementqualität in der Produktion
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Wachstum durch Industrielle Exzellenz – Managementqualität in der Produktion Arnd Huchzermeier/Gerd Lenz
Zusammenfassung
Die Bedingungen für industrielle Wertschöpfung in Deutschland werden insbesondere vor dem Hintergrund des internationalen Wettbewerbs als zunehmend schwierig eingeschätzt. Der Kampf um den Status quo – nicht nur beim allgemeinen Wohlstandsniveau – überlagert mitunter die Frage, wie Unternehmen zu mehr nachhaltigem Wachstum in ihrem Lebenszyklus gelangen können. Im Zentrum dieser Frage steht die Suche nach organisatorischen Lösungen auf Struktur- und Prozessebene, die ohne Komplexitätserhöhung eine Multiplikation einmal erreichter profitabler Nutzenpotenziale bewirken können. In einem aktuellen Managementbuch „Industrial Excellence: Management-Quality in Manufacturing“ beschreiben die Autoren Loch, Van der Heyden, Van Wassenhove, Huchzermeier und Escalle (2003), wie Unternehmen zu anhaltendem Wachstum und Profitabilität gelangen können. Das Konzept der Managementqualität operationalisiert erstmalig das Konstrukt der Umsetzung und Erzielung von operativer Exzellenz auf der Ebene von Unternehmensprozessen. In der Literatur wurde bisher von operativer Exzellenz nur fallspezifisch gesprochen, ohne aber eine allgemeingültige Methodik anzubieten (Enders 2004). Das im vorliegenden Beitrag beschriebene Managementqualitätsmodell zielt auf die dauerhafte Einbindung der Mitarbeiter und auf ein optimales Zusammenspiel von Führungskräften und Mitarbeitern. Kleine und mittelständische Unternehmen haben oftmals einen Wettbewerbsvorteil, da sie stärker integriert sind. Somit können sie ihre internen und externen Ressourcen besser nutzen und passen sich schneller den Umweltveränderungen an. Unsere Untersuchungen haben zudem gezeigt, dass Unternehmen in dynamischen Märkten ein wesentlich ausgeprägteres Ressourcenmanagement betreiben als Unternehmen in statischen Industrien (Enders, Huchzermeier, Van Wassenhove 2005). Dies induziert, dass es möglicherweise zu Fehlallokation bei der Kreditvergabe unter Basel II kommen kann, denn naturgemäß sind Unternehmen mit kurzen Produkt- und Prozesslebenszyklen sowie vielen Wettbewerbern weniger profitabel.
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1.
Arnd Huchzermeier/Gerd Lenz
Unternehmenserfolg und Wachstum
Den Übergang von einer erfolgreich abgeschlossenen Pionier-Phase zu einer Phase nachhaltigen und profitablen Wachstums im Lebenszyklus des Unternehmens markiert stets die Multiplikation singulär geschaffener Nutzenpotenziale. Echte Nutzensteigerung entsteht vor dem Hintergrund komplexer werdender Managementaufgaben sowie der Gefahr der Überexpansion dann, wenn die hohe Motivation und Zufriedenheit im Unternehmen gepaart wird mit einer organisatorischen Professionalisierung des Unternehmensgeschehens sowie einer drastischen Verbesserung des Verhältnisses von Ertrag und Aufwand. Dabei geht es nicht um eine kurzfristig wirkende Daseinsvorsorge, sondern um die Etablierung nachhaltiger Wachstumsstrategien. Die strategische Orientierung kann ihren Fokus auf die Erschließung von Innovationspotenzialen, die Entwicklung von Kooperationen, die Risikovorsorge durch Finanzierung, die Nutzung von Kostensenkungspotenzialen durch Standardisierung usw. individuell legen. Individuell geprägte Exzellenz beweisen besonders zahlreiche mittelständische Unternehmen in ihren Wachstumsphasen. Beispiel dafür ist die 1859 gegründete Firma Glaskoch, die ursprünglich Glaswaren in den Niederlanden und Russland verkaufte. Bis zum Jahre 1967 prägte allein gute Qualität für vergleichsweise günstige Preise das Erscheinungsbild der Firma. Josef Kleine erweiterte den Vertrieb der bis dahin regional tätigen Firma auf ganz Deutschland, nahm Glasproduzenten in ganz Europa unter Vertrag und erfand die Marke Leonardo. Anfang der 90er Jahre avancierte Glaskoch zum Marktführer in Deutschland. Heute beschäftigt Glaskoch unter der Leitung von Oliver Kleine 500 Mitarbeiter, davon 362 in Deutschland. Diese arbeiten in Bad Driburg für ein global agierendes Unternehmen. Neben dem Asienengagement werden 75 % der Glaskoch-Waren in Deutschland produziert. Dies ist genauso ein Exzellenzfaktor wie die Verbundenheit mit dem Personal. Einzigartig ist die Markenbekanntheit von Leonardo von ungefähr 80 % ohne Werbeaktivitäten. Die Markenwahrnehmung erfolgt erstmalig am Point of Sale, dem eigentlichen Kunden von Glaskoch. Den nächsten Wachstumsschub im umkämpften Geschenkartikelmarkt sieht Glaskoch in Kooperationen. Esprit und BMW sind zwei Beispiele. Permanente Produktinnovation ist weiterhin von lebenswichtiger Bedeutung in der Unternehmensentwicklung (Gies 2005). Wie auch immer die individuelle Wachstumsstrategie aussieht, so berücksichtigt sie wie exemplarisch gezeigt in den erfolgreichen Fällen stets, dass im operativen Bereich signifikante Hebel zur Verbesserung der Unternehmensprofitabilität verfügbar sind (Huchzermeier 2005). Individuelle Exzellenz ist Grundlage der Erfolgsformel des Wachstums!
Wachstum durch Industrielle Exzellenz – Managementqualität in der Produktion
2.
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Operative Exzellenz und Unternehmenserfolg
Unternehmensziel in Wachstumsunternehmen ist es, die Mitarbeiter zur Verbesserung der Produktivität dauerhaft einzubinden. Investitionen in neue Technologien spielen daher eine untergeordnete Rolle, da sie nur für Routinearbeiten benötigt werden. Mitarbeiter können stattdessen Prozesse flexibel managen und gestalten, verbessern und gezielt auf Lieferantenund Kundenanforderungen hin dynamisch anpassen. Daher setzt das Managementqualitätsmodell auf das Zusammenspiel von Führungskräften und Mitarbeitern. Der vorliegende Beitrag befasst sich deshalb auch mit den Implikationen für Manager, Mitarbeiter, Gewerkschaften, Lieferanten, Kunden, Banken und Investoren sowie die Politik. Aus dieser Situation heraus wurde der Industriewettbewerb „Die Beste Fabrik/Industrial Excellence Award“ gemeinsam von der französischen Managementschule INSEAD und der WHU entwickelt. Dabei soll, basierend auf einem allgemeingültigen Unternehmensmodell und einem Managementmodell, die operative Performance eines Unternehmens erklärt werden können. Verbesserungen im operativen Bereich korrelieren erfahrungsgemäß mit einer hohen Unternehmensperformance, gemessen am Wachstum des Outputs einer operativen Einheit sowie dem Profit. Der Vorteil dieses Ansatzes ist zum einen die ganzheitliche Betrachtung, d. h., Unternehmenserfolg (Unternehmenswert) wird direkt mit Verbesserungsraten in den Prozessen verknüpft. Zum anderen lassen sich Kennzahlen, die nicht unternehmensspezifisch bzw. industriespezifisch sind, ableiten. Um den Nutzen des Managementqualitätsmodells entsprechend würdigen zu können, muss man wissen, dass der Erfolg einer Unternehmung sich prinzipiell aus drei Theorien ableiten lässt (vgl. Abbildung 1): der Marktorientierung, dem Ressourcenmanagement bzw. dem dynamischen Veränderungsmanagement. Die erste Theorie postuliert, dass sich Unternehmen auf die Kundenanforderungen einstellen und sich gegenüber dem Wettbewerb positionieren sollen, um langfristig erfolgreich zu sein. Eine konträre Sicht bietet das Ressourcenmanagement: Unternehmen sollen die drei wesentlichen Ressourcen Kapital, Mitarbeiter und Wissen effizient einsetzen, um Produkte und Dienstleistungen von hoher Qualität anbieten zu können. In turbulenten Industrien (u. a. gekennzeichnet durch die Einführung vieler neuer Produkte, das Auftreten einer Vielzahl an Wettbewerbern und/oder die permanente Entwicklung neuer Technologien) scheitern solche Unternehmen jedoch, wenn sie ihre Ressourcen nicht dynamisch an die veränderten Rahmenund Umweltbedingungen anpassen.
140
Arnd Huchzermeier/Gerd Lenz
Externe Sicht:
Interne Sicht:
Marktorientierung
Ressourcenmanagement
Dynamisches Veränderungsmanagement
Abbildung 1:
Theorien der Unternehmung
In der aktuellen Managementliteratur wird zunehmend davon ausgegangen, dass sich der langfristige Unternehmenserfolg nur aus einer Kombination dieser drei Theorien ableiten lässt. In einer aktuellen Studie wurde dies erstmalig empirisch überprüft (Enders 2004; Enders et al. 2005). Basis der Studie waren 168 Unternehmen aus der Elektronik- und Elektrotechnikindustrie sowie dem Maschinenbau aus Deutschland. Dabei wird folgende Klassifikation der internen und externen Ressourcen vorgenommen (vgl. Abbildung 2): Interne Ressourcen beziehen sich klassischerweise auf die Mitarbeiter, das Kapital und das Wissen. Bei Mitabeitern wird gemessen, inwieweit sie bereit und fähig sind, die geforderten Aufgaben zu erledigen. Das bedeutet, dass die Ziele von Managern und Mitarbeitern möglichst kongruent sein sollten und dass die Kompetenzen auf Mitarbeiterebene den Problemstellungen entsprechen. Statt Kapitalproduktivität wird hier die Effizienz der Prozesse untersucht: Dabei wird angenommen, dass ein Fokus auf autonome Produktionseinheiten, die nach dem Prinzip der Fliessfertigung gestaltet sind, eine maximale Performance aufweisen. Bei Wissen kommt es primär darauf an, dass i) Informationen systematisch erfasst werden, ii) den relevanten Mitarbeitern zu Verfügung stehen und iii) von diesen zur kontinuierlichen Verbesserung genutzt werden. Externe Ressourcen sind die Lieferanten und die Kunden einer Unternehmung. Auch diese Supply-Chain-Partner können zur Verbesserung des operativen Ergebnisses genutzt werden. So zeigt sich in den empirischen Untersuchungen, dass die Supply Chain Champions eine unternehmensübergreifende Integration der Informationssysteme nutzen, um Bestellungen und Prognosen häufig miteinander auszutauschen. Strategische Ressourcen beziehen sich darauf, inwieweit Unternehmen in der Lage sind, ein Verständnis für die Kunden- bzw. Marktanforderungen zu erlangen und kontinuierlich zu erneuern. Dazu ist es nötig, dass die strategische Planung eine Verknüpfung zwischen Opportunitäten im Markt und den Unternehmensressourcen und -kompetenzen formuliert.
Wachstum durch Industrielle Exzellenz – Managementqualität in der Produktion
141
Unternehmen, die wiederholt neue Kundensegmente bedienen und ihre Organisationsstruktur verändern, haben gezeigt, dass sie sich dynamisch anpassen können. Die operative Performance lässt sich ebenfalls in vier Dimensionen messen: Kosten, Qualität, Service und Flexibilität. Oftmals wird ein Tradeoff zwischen diesen Dimensionen postuliert, d. h., Unternehmen sind entweder kostenorientiert bzw. differenzieren sich entweder durch Service, Flexibilität oder Qualität im Markt. Dagegen steht die Sicht, dass erfolgreiche Unternehmen zunächst Kosten optimieren, dann die Qualität und den Service verbessern und als Letztes die Flexibilität umsetzen. In der empirischen Studie wurde Letzteres angenommen. Der Unternehmenserfolg lässt sich, wie oben erklärt, durch die Veränderung des EBIT (Bruttogewinnspanne) und dem Marktanteil messen.
I N R T E E S R S. N E
Humankapital
Operative Performance (Kosten, Qualität, Service, Flexibilität)
Wissen Prozessfokus Externe Ress.
Unternehmenserfolg (Veränderung in EBIT und Marktanteil)
Strategische Ress.
Abbildung 2:
Statistisch signifikant
Die Wirkung von internen, externen und strategischen Ressourcen auf das operative und das Geschäftsergebnis
Die Ergebnisse der empirischen Studie sind sehr aufschlussreich und bestätigen viele Vermutungen. Hauptaussage ist, dass ein direkter Zusammenhang zwischen dem Unternehmenserfolg und der operativen Performance besteht. Zum einen wirken die internen und externen Ressourcen unmittelbar auf die operative Performance (und nicht auf das Geschäftsergebnis). Dies bedeutet, dass die Verankerung des Ressourcenmanagements im operativen Bereich stattfindet und somit nur indirekt auf das Geschäftsergebnis wirkt. Zudem bewirkt die systemische Integration von Lieferanten und Kunden einen stark positiven Effekt auf Kostenreduzierungen und den Grad von Qualität, Service und Flexibilität. Zum anderen wirkt das strategische Ressourcenmanagement unmittelbar auf das Geschäftsergebnis. Mangelnder Kunden- bzw. Marktfokus und geringe Flexibilität in der Organisation wirken sich daher unmittelbar und stark negativ auf die Unternehmensperformance aus.
142
3.
Arnd Huchzermeier/Gerd Lenz
Qualitätsmanagement
Qualitätsmanagement in Unternehmen bezieht sich primär auf die Verbesserung der Produktqualität bzw. der Prozessqualität. Produktqualität wird primär durch den Einsatz von Business-Process-Reengineering-Werkzeugen erzielt. Beispielsweise werden funktionale Organisationen in horizontale Organisationsformen, z. B. Fließlinien oder Zellenfertigung, umgewandelt. Dadurch sollen die Durchlaufzeiten reduziert und planbar gemacht werden. Bei funktionalen Organisationen ergeben sich häufig Verzögerungen in den Durchlaufzeiten durch Blockierung von Engpasskapazitäten (Mitarbeiter oder Maschinen) bzw. eine erhöhte Anzahl von Rüstvorgängen. Nachteile horizontaler Organisationen sind die notwendigen Investitionen in Zusatzanlagen für einzelne Linien. Diese Kosten werden jedoch in der Regel durch die Möglichkeit der nachfragesynchronen Fertigung mehr als ausgeglichen. Bei der Verbesserung der Prozessqualität werden primär Total-Quality-Management-Werkzeuge zum Einsatz gebracht. Zum einen sollen die (möglichen) Auslöser von Problemen erkannt, analysiert bzw. eliminiert werden. Zum anderen sollen Störungen im laufenden Prozess frühzeitig erkannt und Gegenmaßnahmen getroffen werden. Beispielsweise werden Inspektionen nach dem Zufallsprinzip beim Wareneingang vorgenommen (wobei heute viele Unternehmen dazu übergehen, keinerlei Wareneingangskontrollen mehr durchzuführen), oder es werden Qualitätsregelkarten (control charts) eingesetzt, um Veränderungen im Mittelwert bzw. der Varianz der gefertigten Produkte zu messen. Das Produktionssystem von Toyota basiert auf den oben genannten Prinzipien und ermöglicht es diesem Unternehmen, weiterhin Marktanteile in der Automobilindustrie zu erobern. Seit Jahren führt das japanische Unternehmen die Qualitätsrankings von J. D. Power Associates in den USA souverän an. Innerhalb der nächsten drei bis fünf Jahre will Toyota das größte und profitabelste Automobilunternehmen der Welt werden. Dies setzt jedoch voraus, dass die Kunden eine geringe Möglichkeit der Auswahl von Produktfeatures tolerieren und allein der Preis (bei gegebener Qualität) entscheidet. Trotz der rapiden Diffusion der Managementprinzipien von Toyota auch außerhalb der Automobilindustrie stellt ein derartiger Erfolg einer Unternehmung eher die Ausnahme dar. Als eines der bekanntesten Qualitätsmanagementsysteme ist das Modell der European Foundation of Quality Management (EFQM) zu nennen (vgl. Abbildung 3). Hier wird ein direkter Zusammenhang zwischen dem Management von Prozessen und Mitarbeitern (Ressourcenmanagement) sowie der strategischen Planung und Führung (unklar ist, ob dies die Dimensionen Marktorientierung und Dynamik ausreichend abdeckt) zur Erreichung von überdurchschnittlichen Geschäftsergebnissen postuliert (siehe Kapitel 1). Ein formales bzw. allgemein-
Wachstum durch Industrielle Exzellenz – Managementqualität in der Produktion
143
gültiges Managementmodell wird nicht vorgegeben, noch lässt es sich durch Analyse der Siegerwerke ableiten.
People Result
People
Leadership
Policy & Strategy
Processes
Partnership & Resources
Abbildung 3:
4.
Customer Results
Key Performance Results
Society Results
Das EFQM-Modell
Managementqualität
Der von der WHU und der französischen Managementschule INSEAD alljährlich durchgeführte Industriewettbewerbs „Die Beste Fabrik/Industrial Excellence Award“ bedient sich des folgenden Modells der Unternehmung (vgl. Abbildung 4). Insgesamt werden fünf Kernprozesse betrachtet: die strategische Planung und Umsetzung im Unternehmen, die Neuproduktentwicklung, die Prozessentwicklung, die Erstellung von Dienstleistungen und von Produkten. Um Kunden ein größtmögliches Angebot offerieren zu können, bedienen sich Unternehmen zunehmend eines ausgewählten Pools von Industriepartnern. Damit verlieren sie nicht den Fokus auf der Entwicklung und der Produktion und können somit noch flexibler auf veränderte Kundenanforderungen bzw. Verfügbarkeit neuer Technologien reagieren. Ziel einer Unternehmung ist, eine hohe Kapitalrendite (Return-onCapital-Employed) zu erwirtschaften und Wachstum im Output der operativen Einheit zu erzielen. Betrachtet man lediglich die zumeist horizontal organisierten Prozesse einer Unternehmung, um den Unternehmenswert zu bestimmen, so lassen sich keine wesentlichen Performanceunterschiede ableiten.
144
Arnd Huchzermeier/Gerd Lenz
Strategie Neuproduktentwicklung
Prozessentwicklung Ressourcenmanagement
Wissensmanagement Partnerintegration
Dienstleistungsmanagement Backoffice-Effizienz
Agilität
Kundeninteraktion
Wachstum und Profitabilität
Supply Chain Management Lieferantenintegration
Abbildung 4:
Produktion
Kundenintegration
Die Kernprozesse der Unternehmung („Hard Facts“)
Unterschiede in den Verbesserungsraten innerhalb der Unternehmensprozesse lassen sich jedoch auf Basis des Modells der Managementqualität sehr gut statistisch und unabhängig von Industrien erklären. Insgesamt besteht das Modell aus sieben Prinzipien (vgl. Abbildung 5). Zielvereinbarung und -umsetzung fragt nach der Strategie eines Prozesses, die mit der Unternehmensstrategie abgestimmt sein muss. Delegation untersucht, inwieweit Mitarbeiter die Prozesse mitgestalten und eigenverantwortlich managen sollen bzw. dürfen. Partizipation fragt nach der Intensität und Häufigkeit der Rückkopplung von Informationen und Wissen über die Prozesse an das Management. Integration betrachtet die horizontale und vertikale Koordination und Kollaboration, d. h. zwischen Lieferanten und Kunden bzw. zwischen den Unternehmensprozessen. Prozesskontrolle ist das permanente Monitoring der operativen Performance gemessen durch Kennzahlen für Kosten, Zeit, Service, Qualität und Flexibilität. Mitarbeiterentwicklung ist eine notwendige Stellgröße, um die Qualifikation und Motivation der Mitarbeiter zu erhöhen. Kommunikationsintensität ist ein wesentliches Merkmal von sich stetig verbessernden Unternehmen.
Wachstum durch Industrielle Exzellenz – Managementqualität in der Produktion
145
Zielvereinbarung und -umsetzung
Abbildung 5:
Delegation
Partizipation
Integration
Mitarbeiterentwicklung
Prozesskontrolle
Kommunikation
Das Konstrukt der Managementqualität („Soft Facts“)
Erfolgreiche Unternehmen wenden das Konstrukt der Managementqualität konsistent und permanent auf alle Unternehmensprozesse an. Dies bedeutet, dass die Unternehmensstrategie ganz klar auf den Markt hin ausgerichtet ist. Betrachtet man jeden einzelnen Prozess, z. B. Supply Chain Management, so kennen alle Mitarbeiter die Strategie, nutzen Prozesswissen und Kontakte mit Lieferanten und Kunden für permanente Verbesserungen, kommunizieren intensiv mit dem Management über Prozess- und Produktverbesserungen und setzen sich permanent neue Ziele, die mit besonderer Entlohnungsstruktur oder Zusatzprämien vergütet werden.
Abbildung 6:
Managementqualität und ihre Wirkungen
146
5.
Arnd Huchzermeier/Gerd Lenz
Cherry GmbH, Auerbach: Europäischer Champion des Industrial Excellence Award 2005
Europäischer Gesamtsieger des Industriewettbewerbs „Die Beste Fabrik/Industrial Excellence Award 2005“ wurde das mittelständisch geprägte Werk in Auerbach der Cherry GmbH (Dürand 2005). Das Unternehmen hatte sich mit dem „relativ jungen“ Bereich Automobiltechnik beworben und nicht dem traditionellen Bereich Computertastaturen (Murmann 2005).
Abbildung 7:
Umsatzentwicklung im Bereich Automobilindustrie der Cherry GmbH
Das Unternehmen wurde im Jahr 1953 von Walter Cherry in Wisconsin in den USA gegründet. Im Geschäftsjahr 2004 machte die Cherry Corporation einen Umsatz in Höhe von 399 Mio. US-Dollar; 182 Mio. US-Dollar wurden allein im Bereich Automobilindustrie erzielt. In den 60er Jahren wurde das Werk in Auerbach eröffnet. Der Umsatz im Bereich Automobilindustrie wuchs in den vergangenen zehn Jahren von 25 Mio. Euro auf 105 Mio. Euro im Jahre 2004 an. Cherry versteht sich als Entwickler und Lieferant der 2. Ebene (2nd-tier supplier), der jedoch für große Automobilkonzerne (so genannte OEMs, original equipment manufacturers), kundenspezifische Lösungen anbietet. Cherry hat sich als mittelständisches Unter-
Wachstum durch Industrielle Exzellenz – Managementqualität in der Produktion
147
nehmen im Verlauf der Zeit ein umfangreiches Produkt- und Prozessportfolio angeeignet. Diese Lösungen werden an Lieferanten der 1. Ebene (1st-tier supplier) geliefert, die diese Bauteile und Komponenten in Modulen integriert beim Endabnehmer abliefern. In dieser Zeitspanne wurde die Entwicklungszeit von ca. 40 Monaten auf 20 Monate reduziert. Gleichzeitig wurden die Lieferquote auf 98 % gesteigert und die Lagerbestände auf 1,06 Tage reduziert. Die Kundenreklamationsrate liegt bei unter fünf ppm (Anzahl Defekte in 1 Million gefertigten Teile).
Abbildung 8:
Das Produktionssystem der Cherry GmbH
Die Strategie der Kundenorientierung durch Kundenbeziehungsmanagement und Entwicklungskompetenz mit effizientem Projektmanagement von Cherry wird durch ein exzellentes Produktivitätsmanagement in der Supply Chain effektiv unterstützt. Das Unternehmen misst dabei permanent die Performance in seinen Kernprozessen. Das Cherry Produktionssystem zielt auf eine hohe Flexibilität in der Kapazitätsauslastung ab, um Nachfrageschwankungen entsprechen zu können; eine stetige Reduktion der Kosten durch kontinuierliche Verbesserung; eine hohe Eigenverantwortung der Mitarbeiter, um Qualität und geringe Ausschussquoten bei Produktanläufen zu garantieren; eine hohe Anlagenverfügbarkeit, um Kostenvorteile in Asien und Osteuropa kompensieren zu können, und eine hohen Grad der Motivation und Flexibilität aller Mitarbeiter durch Schulungsprogramme und außergewöhnliche Entlohnungsmodelle zu erhalten.
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Arnd Huchzermeier/Gerd Lenz
Abbildung 9:
Kontinuierlicher Verbesserungsprozess der Cherry GmbH
Der Mitarbeiter (einschließlich Management) steht im Mittelpunkt des Produktionssystems. Durch eine Vielzahl bekannter Methoden und Systeme wird sichergestellt, dass kontinuierlich Verbesserungen erzielt werden. Cherry beschränkt sich jedoch nicht allein auf sein Werk, sondern bezieht aktiv Lieferanten und Kunden in seine Optimierung der Supply Chain mit ein.
6.
Fazit
6.1
Managementqualität
Unter dem Druck des globalen Wettbewerbs wird der Fokus auf Managementqualität stark zunehmen, da dies erwiesenermaßen der Kerntreiber für den finanziellen Erfolg einer Unter-
Wachstum durch Industrielle Exzellenz – Managementqualität in der Produktion
149
nehmung ist (Dorgan und Dowdy 2002). Zusammengefasst kann festgestellt werden: Managementqualität integriert eine Vielzahl von bekannten Managementtechniken über fünf Kernprozesse der Unternehmung (Strategie, Produktentwicklung, Prozessentwicklung, Dienstleistungsmanagement, Supply Chain Management) hinweg. Managementqualität ist kein neues Managementprogramm, sondern leitet sich direkt aus der Unternehmensdynamik ab. Dabei stehen im Vordergrund das Management der internen und externen Ressourcen und eine kontinuierliche Anpassung der Unternehmensstrategie und der operativen Prozesse sowie Produkte und Dienstleistungen an veränderte Marktbedingungen. Managementqualität muss konsistent und simultan auf alle Unternehmensprozesse angewandt werden. Unternehmen, ob klein oder groß, müssen darauf achten, dass sie Schwachstellen in ihrer Prozessorganisation bzw. ihrem Managementansatz kritisch hinterfragen und permanent ihre Performance (im Vergleich mit den Besten) messen. Es existieren unserer Meinung nach keine „plug-and-play“ Techniken, sondern jedes Werk entwickelt seinen eigenen Weg (dies dauert in der Regel drei bis vier Jahre). Gleichwohl verfügen viele Werke über elektronische Medien zur Unterstützung der strategischen Planung, des Managements ihrer Prozesse und des Aufbaus von effektiven Wissensmanagementsystemen. Managementqualität ist nur sehr schwer imitierbar. Ausschlaggebend für den Erfolg einer operativen Einheit ist das Zusammenspiel von Personen (nach bestimmten Regeln), d. h. Manager, Mitarbeiter, Lieferanten und Kunden. Ein Benchmarking von Technologien, Organisationsformen oder etwa Steuerungsmethoden und -instrumenten (z. B. Controlling) verfehlt daher diesen wichtigen Treiber von Unternehmensperformance und Unternehmenswert.
6.2
Die Fabrik der Zukunft
Das Werk oder mittelständische Unternehmen der Zukunft wird einen wesentlich stärkeren Fokus auf Prozessintegration, einschließlich Informations- und Wissensmanagement, und Partnerintegration nehmen. Als neue Managementprinzipien gelten: Der Unterschied zwischen einem Top-Werk und einem mittelmäßigen Werk ist nicht Technologie, sondern Management und Mitarbeiter. Routinearbeiten werden von Maschinen erledigt, während Mitarbeiter (und Manager) zunehmend Prozesse verändern, begleiten, unterhalten und verbessern. Von „Manager wissen und Mitarbeiter führen aus“ zu „Manager setzen Ziele und Mitarbeiter wissen und managen“.
150
Arnd Huchzermeier/Gerd Lenz
Das Werk ist zentraler Punkt in der Supply Chain: Der Mitarbeiter interagiert mit dem Kunden und die Lieferanten entwickeln Prototypen und Pilotprojekte.
6.3
Der Produktionsstandort Deutschland
Aus der oben angeführten Diskussion ergeben sich unmittelbar Erkenntnisse für die Stakeholder und Supply-Chain-Partner der Unternehmung: Manager, Mitarbeiter, Gewerkschaften, Lieferanten, Kunden, Investoren und Banken sowie die Politik. Im Grunde ist ein radikales Umdenken aller Parteien gefordert, um die Produktivität der Unternehmung langfristig über die globalen Benchmarks zu steigern. Manager. Oberstes Managementziel muss die Verbesserung der Produktivität einer operativen Einheit sein zur langfristigen Steigerung des Wachstums und der Profitabilität. Dies kann nur dann erfolgreich geschehen, wenn das Unternehmen über eine vollständige Umsetzung der Managementqualität verfügt. Dies verlangt ein stetiges Benchmarking mit den Besten und eine starke Delegation der Aufgaben und Partizipation der Mitarbeiter. Mitarbeiter. Arbeitnehmer tragen einen ganz wesentlichen Beitrag zur Produktivitätssteigerung bei. Dies geschieht primär durch Qualifikation sowie Flexibilität in Arbeitszeiten und Tätigkeitsbereichen. Kontinuierliche Verbesserung der Prozesse und Informationsmanagement muss als Kernaufgabe verstanden werden, gemessen werden und entsprechend dem Unternehmensergebnis entlohnt werden. Gewerkschaften. Die Forderungen der Arbeitnehmervertreter müssen weniger politischer Natur sein, sondern konkret an den Produktivitätskennzahlen der Unternehmen ausgerichtet sein. Schwächen in der Umsetzung von Managementqualität seitens des Managements sollten deutlich kommuniziert werden und somit opportunistisches Handeln seitens der Arbeitgeber beschränkt werden. Lieferanten. Die Integration der Informationssysteme (elektronische Bestellung, kontinuierliche Verbesserung von Prognosedaten, elektronische Avisierung von Lieferungen etc.) und eine verstärkte Koordination der Supply Chain sind wesentlicher Erfolgsfaktor für Unternehmen. Die Vorteile der langfristigen Kollaboration überwiegen oftmals die Nachteile kurzfristigen Handelns. Kunden. Kundenbeziehungsmanagement und Innovationsmanagement sind die effektivsten Hebel gegen den Preiswettbewerb. Unternehmen müssen dazu übergehen, die Informationsintegration mit ihren Lieferanten und Vorlieferanten aktiv zu betreiben. Auch hier überwiegen die Vorteile der langfristigen Kollaboration die möglichen Nachteile. Investoren und Banken. Unternehmen, die in turbulenten Industrien agieren, verfügen in der Regel über ein ausgeprägteres Ressourcenmanagement, eine stärkere Marktorientierung und eine dynamische Organisation. Gängige Bewertungsansätze bei Kreditinstituten
Wachstum durch Industrielle Exzellenz – Managementqualität in der Produktion
151
sind unfähig, diese Managementkompetenzen zu erfassen. Ein Unternehmensvergleich auf Basis der Branchenzugehörigkeit ist irreführend. Politik. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen müssen es den Unternehmen erlauben, ihre Produktivität und Rentabilität stetig erhöhen zu können. Dadurch sichern sie nachhaltig die Beschäftigung und das Interesse ausländischer Investoren. Die Erhöhung der Binnennachfrage erzeugt lediglich ein Strohfeuer von kurzer Dauer. Der Industriewettbewerb „Die Beste Fabrik/Industrial Excellence Award“ bietet eine ausreichende Anzahl von Beispielen, wie Unternehmen kontinuierlich und profitabel in Deutschland und Frankreich wachsen können. Der Schlüssel zum Erfolg, d. h. das Umsetzen von operativer Exzellenz, ist und bleibt das Management der Mitarbeiter eines Unternehmens. Benchmarking der Siegerwerke des Industriewettbewerbs „Die Beste Fabrik/Industrial Excellence Award“ garantiert hierbei den richtigen Fokus, nämlich auf relevante Führungsmethoden für das Management und die Übernahme von Verantwortung durch Mitarbeiter und Gewerkschaften zum Erhalt und Ausbau von Arbeitsplätzen im Hochlohnland Deutschland.
152
Arnd Huchzermeier/Gerd Lenz
Literatur
Dorgan, S. J.; Dowdy, J.: How Good Management Raises Productivity. McKinsey Quarterly, 4, 2002, S. 14-16. Dürand, D.: Die nächste Welle. Wirtschaftswoche, 7. April 2005. Enders, A.: Management Competence: Resource-Based Management and Plant Performance. Physica-Verlag, 204 S., 2004. Enders. A.; Huchzermeier, A.; Van Wassenhove, L.: The Effects of Management Competence on Operational Excellence, Financial Performance and Market Growth: Evidence from the German Electronics and Machine Tool Industry, 25 S. WHU, Otto-Beisheim-Hochschule, April, 40 S. Gies, V.: Erfolg ohne Werbung, in: Die Welt 15.Oktober 2005, S. 18 . Huchzermeier, A.: Management-Qualität und Industrielle Exzellenz: Die Beste Fabrik der Zukunft. CD-ROM zur Wirtschaftswoche Konferenz „Die Beste Fabrik 2005“, EUROFORUM, 2005. Loch, C. H.: Produktivität, Wachstum und Arbeitsplätze. CD-ROM zur Wirtschaftswoche Konferenz „Die Beste Fabrik 2005“, EUROFORUM, 2005. Loch, C. H.; Van der Heyden, L.; Van Wassenhove, L.; Huchzermeier, A.; Escalle, C.: Industrial Excellence: Management-Quality in Manufacturing. Springer, 248 S., 2003. Müller, M. W.: Vortrag an der WHU am 11. Oktober 2005, Lean Management Consulting. Murmann, G. F.: Wachstum am Standort Deutschland durch nachhaltige Umsetzung des Cherry-Produktionssystems. CD-ROM zur Wirtschaftswoche Konferenz „Die Beste Fabrik 2005“, EUROFORUM, 2005. Wittberg, V.: Vitalität – Wie lange leben Mittelstandsunternehmen?, in: Praxishandbuch des Mittelstands, Wiesbaden 2006.
Wendepunkte – Krisen- und Insolvenzmanagement als Chance?
153
Wendepunkte – Krisen- und Insolvenzmanagement als Chance? Stefan Steinberg
Zusammenfassung
Unternehmen, denen es an Vitalität mangelt, geraten in die Krise. In dieser für das Unternehmen entscheidenden Phase tut sich eine existenzielle Weggabelung auf. Der eine Weg führt zu einem neuen Vitalitätsschub und damit zu einem erneuten Aufleben des Unternehmenslebenszyklus, der andere Weg führt zum Absterben des Unternehmens, dem Ende der Geschäftstätigkeit, der Liquidation. Entscheidend für die Frage, welchen Weg das Unternehmen in dieser Phase nimmt, ist das Krisen- und Insolvenzmanagement. Krisen- und Insolvenzmanagement ist eine nicht zu unterschätzende Herausforderung. Dies belegt, dass es einer immer größer werdenden Anzahl an Unternehmen nicht mehr gelingt, durch Krisen- und Insolvenzmanagement das Ende abzuwenden. Anderen Unternehmen dagegen gelingt es, den Druck dieser Notsituation zu nutzen, um alte Verkrustungen aufzubrechen, den Kurs zu ändern, eine Revitalisierung durchzuführen. Nachfolgender Beitrag beleuchtet die kritischste Phase des Unternehmenslebenszyklus, den Weg aus ihr heraus und wie ein Unternehmen diesen Weg erfolgreich beschreitet.
154
1.
Stefan Steinberg
In die Krise geraten
Der Trend zur Unternehmenskrise ist ungebrochen. Seit Jahren steigt die Anzahl der Unternehmensinsolvenzen in Deutschland kontinuierlich an. Ein Trendwechsel ist nicht in Sicht. Damit haben sich in den letzten zehn Jahren die deutschen Unternehmensinsolvenzen mehr als verdoppelt (vgl. Abbildung 1). Betroffen sind prominente Großunternehmen wie Philip Holzmann oder KirchMedia, aber auch eine Vielzahl kleiner und mittelständischer Unternehmen hat die Wende in der kritischsten Phase ihres Lebenszyklus nicht mehr vollziehen können.
Abbildung 1:
Entwicklung der Unternehmensinsolvenzen
Viele Unternehmen kämpfen noch um diese Wende und befinden sich in der Krise. Schätzungen zufolge ist nicht einmal jedes fünfte deutsche mittelständische Unternehmen mit ausreichend Eigenkapital ausgestattet (Creditreform 2005). Auslöser der wachsenden Anzahl der Unternehmensinsolvenzen sind das anhaltend schwache Konsumklima in Deutschland, die schlechte Zahlungsmoral der Kunden und eine immer restriktivere Kreditvergabe der Banken. Daher sind neben dem Baugewerbe Dienstleistungs- und Handelsunternehmen besonders betroffen (Lipinski, G. 2005). Die externen Rahmenbedingungen treffen aber auf alle Unternehmen zu. Während einige Unternehmen diese Rahmenbedingungen erfolgreich für Vitalität und Wachstum nutzen können, geraten andere Unternehmen in die Krise. Schlüssel zum Unternehmenserfolg ist damit der erfolgreiche Einsatz der eigenen Unternehmensressourcen unter gegebenen Rahmenbedingungen. Somit liegen sowohl das Abgleiten in eine Krise als auch der Weg aus
Wendepunkte – Krisen- und Insolvenzmanagement als Chance?
155
menbedingungen. Somit liegen sowohl das Abgleiten in eine Krise als auch der Weg aus ihr heraus in der Hand des Managements. Eine Unternehmenskrise wird von drei Faktoren geprägt (Bea, F. X., Haas, T. 1994): Gefährdung Eine Unternehmenskrise gefährdet nachhaltig die Erfolgspotenziale eines Unternehmens, so dass die Befriedigung der Interessen der verschiedenen Stakeholder nicht mehr gewährleistet werden kann. Dabei wird zwischen folgenden Krisentypen differenziert: Sind der weitere Auf- und Ausbau dieser Erfolgspotenziale gefährdet, liegt eine strategische Krise vor. Ist die Erzielung des von den Eigenkapitalgebern geforderten Mindestgewinns gefährdet, ist eine Erfolgskrise eingetreten. Droht dem Unternehmen die Zahlungsunfähigkeit oder (bei Kapitalgesellschaften) die Überschuldung, liegt eine Liquiditätskrise vor. Prozesscharakter Eine Krise ist kein stichpunktartiges Ereignis, sondern ein sich über mehrere Stadien entwickelnder Prozess. Dieser Prozess lässt sich in vier Phasen unterteilen (Krystek, U. 1980):
Abbildung 2:
Krisenverlauf
Offenheit Die Krise kann entweder vom Unternehmen erfolgreich überwunden und für einen weiteren Vitalitätsschub genutzt werden oder unbewältigt zum Ende des Unternehmens und damit zu seiner Liquidation führen. Der Prozess der Unternehmenskrise ist damit grundsätzlich ergebnisoffen.
156
Stefan Steinberg
Diesen ergebnisoffenen Gefährdungsprozess „Unternehmenskrise“ erfolgreich zu überwinden, erfordert ein Krisenmanagement, das angepasst an die jeweilige Phase der Krise alle sich bietenden Potenziale im Unternehmen aufspürt und konsequent nutzt. Diese Potenziale sind die Chance des Unternehmens, eine Trendwende einzuleiten, aus der Krise herauszukommen und einen weiteren Vitalitätsschub einzuleiten. Doch wie findet man diese Chance des Unternehmens zum Turnaround und wie nutzt man sie?
2.
Die Chance suchen
Krisenmanagement lässt sich unterteilen in ein aktives Krisenmanagement und ein reaktives Krisenmanagement.
Abbildung 3:
Krisenmanagement
Die größten Überlebenschancen hat ein Unternehmen, das Krisen von vorneherein vermeidet. Daher kommt dem aktiven Krisenmanagement eine hohe Bedeutung zu. Ziel dieses aktiven Krisenmanagements ist es, Gefährdungspotenziale frühzeitig zu erkennen, Handlungsoptionen aufzuzeigen und Krisensituationen vorzubeugen. Diese Form des Krisenmanagements tritt in der Regel somit nicht offen als Krisenmanagement zu Tage. Vielmehr ist es eingebunden in die strategischen Planungs- und Steuerungsprozesse des Managements. Diese sollten auf fundierten Beobachtungen der Markt- und Wirtschaftstrends sowie den technologischen Veränderungen beruhen. Auf deren Basis wird der Einsatz der eigenen Unternehmensressourcen geplant und gesteuert. Hier kann Krisenmanagement, z. B. in Form der Szenariotechnik, angewendet werden (Bea, F. X., Haas, T. 1994). Das Unternehmen begegnet der Umweltdynamik so durch zukunftsoffenes, vernetztes und strategisches Denken und Handeln (Fink, A.,
Wendepunkte – Krisen- und Insolvenzmanagement als Chance?
157
Schlake, O., Siebe, A. 2000). Zur Früherkennung von Unternehmenskrisen haben sich daneben auch betriebswirtschaftliche Analysen der Abschlusskennzahlen bewährt (Baetge, J. 2002). Zusätzlichen Auftrieb erhält das aktive Krisenmanagement durch das KonTraG, das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich, das den Vorstand verpflichtet, ein Überwachungssystem einzurichten, um gefährdende Entwicklungen frühzeitig zu erkennen (Trauboth, J. 2002).
Abbildung 4:
Früherkennungstreppe
Kleine und mittlere Unternehmen sehen sich häufig nicht in der Lage, Kapazitäten für die Umfeldbeobachtung bereitzustellen und sich mit verschiedenen zukünftigen Szenarien auseinander zu setzen. Sie vernachlässigen daher das aktive Krisenmanagement. Diesen Unternehmen empfiehlt sich aber zumindest die intensive Auseinandersetzung mit der pragmatischen „Früherkennungstreppe“, die das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit empfiehlt (BMWA 2004, vgl. Abbildung 4). Das reaktive Krisenmanagement setzt beim Auftreten einer Krise ein. Dessen Ziel ist es, die aufgetretene Krise zu beherrschen und zu bewältigen, das Unternehmen also zu revitalisieren.
158
Abbildung 5:
Stefan Steinberg
Revitalisierung
In der Beratungspraxis hat sich das folgende dreistufige Revitalisierungsmanagement bewährt (Deckert, K. 1999): Schritt 1: Schnelle Diagnose Schritt 2: Konsequente Therapie Schritt 3: Zukunftsorientierte Strategie Die Schnelle Diagnose analysiert alle Unternehmensressourcen und das Marktumfeld. Während der Phase Schnelle Diagnose wird die Ausgangslage des Unternehmens transparent dargestellt. Dabei muss die Orientierung auf das Gesamtziel, das gefährdete Unternehmen vor dem Untergang zu bewahren und zu revitalisieren, ständig im Auge behalten werden. Daher ist in dieser Phase kein Platz für detailverliebte Analyseexzesse, sondern sie erfordert stattdessen eine rasche Aufbereitung der Unternehmenssituation in Form einer lösungsorientierten Analyse, die die wesentlichen Schwachstellen aufzeigt und vor allem Ansätze zu ihrer Beseitigung liefert. Die Schnelle Diagnose zeigt die Potenziale zur Bewältigung der Unternehmenskrise auf und ergreift erste liquiditätssichernde Maßnahmen. Ein praxiserprobter Rahmen für die Unternehmensanalyse ist die KOPF-Formel (Deckert, K. 1999).
Wendepunkte – Krisen- und Insolvenzmanagement als Chance?
Abbildung 6:
159
Unternehmensanalyse mit KOPF (Praxisbeispiel)
Einen Rahmen für die Suche nach Handlungsoptionen bieten die in der Abbildung 7 dargestellten Revitalisierungsfelder. Auf ihrer Basis wird ein unternehmensindividuelles ZehnPunkte-Programm erstellt, das den Handlungsrahmen für die Bewältigung der Unternehmenskrise darstellt. Gelingt es nicht, ein Erfolg versprechendes Maßnahmenpaket zu erstellen, da die Unternehmenskrise sich als nicht überwindbar herausstellt, muss mit dem liquidativen Krisenmanagement begonnen werden. Das liquidative Krisenmanagement sichert einen geordneten Rückzug des Unternehmens aus der aktiven Geschäftstätigkeit in die Insolvenz, um durch planvolle Liquidation letztmalig den Interessen aller Stakeholder entgegenzukommen (Krystek, U. 1980). In der zweiten Projektphase eines erfolgreichen Krisenmanagements, der Konsequenten Therapie, wird das beschlossene Zehn-Punkte-Programm abgearbeitet. Mit der Umsetzung des Zehn-Punkte-Programms sind geeignete Verantwortliche zu beauftragen, die gemeinsam mit einem ihnen zugeordneten Projektteam die erfolgreiche Realisierung sicherstellen. Aufgrund der hohen Bedeutung dieser Projekttätigkeit für das Unternehmen sind sie entsprechend um operative Routinetätigkeiten zu entlasten.
160
Abbildung 7:
Stefan Steinberg
Revitalisierungsfelder
Da dem Faktor Zeit in Unternehmenskrisen, insbesondere in Liquiditätskrisen, eine besondere Bedeutung zukommt, werden alle Potenziale priorisiert. Diejenigen Punkte, die große Effekte in kurzer Zeit ermöglichen, werden als Erstes umgesetzt. Liegt eine Liquiditätskrise vor, haben alle liquiditätssichernden Maßnahmen höchste Priorität. Anschließend folgen die anderen Maßnahmen. Als visuelles Hilfsmittel zur Priorisierung dient das Revitalisierungsportfolio (vgl. nachfolgende beispielhafte Abbildung 8). Die Konsequente Therapie muss durch ein transparentes Projektcontrolling begleitet werden, das Fortschritt und Status des Zehn-Punkte-Programms und der damit verbundenen Einzelmaßnahmen aufzeigt. Darüber hinaus besitzt das Projektcontrolling die Aufgabe, potenzielle Revitalisierungshindernisse frühzeitig zu erkennen und Gegenmaßnahmen einzuleiten. Eine weitere Aufgabe des Projektcontrollings ist es, den wirtschaftlichen Erfolg der konsequenten Therapie zu überprüfen. Hierzu sind durchgängige Gewinn- und Verlustrechungen mit Liquiditätsplänen und Planbilanzen zu erarbeiten. Dokumentieren die Finanzkennzahlen des Unternehmens den nachhaltigen Erfolg des Zehn-Punkte-Programms, kann das Unternehmen die Konsequente Therapie abschließen und die 3. Phase der Revitalisierung, die Erarbeitung einer Zukunftsorientierten Strategie, einleiten.
Wendepunkte – Krisen- und Insolvenzmanagement als Chance?
Abbildung 8:
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Revitalisierungsportfolio
Nachdem durch Schnelle Diagnose und Konsequente Therapie der Turnaround geschafft wurde, hat die Zukunftsorientierte Strategie das Ziel, einen Wachstumspfad für das Unternehmen zu beschreiben und den Rückfall in die Krise zu verhindern. Daher wird in dieser Phase ein zukünftiges erstrebenswertes Ziel für das Unternehmen entwickelt, werden Aktionen, die das Unternehmen zu diesem Ziel führen, beschrieben und Ressourcen, die hierfür notwendig sind, zugeordnet. Ausgangspunkt für die Zukunftsorientierte Strategie ist das Leitbild des Unternehmens. Dieses ist nach überwundener Krise zu überarbeiten und zu aktivieren. Auf seiner Basis werden die Strategie und die strategischen Maßnahmen erarbeitet (Flatken, U., Steinberg, S. 2004). Eine gute Strategie ist immer unternehmensindividuell, maßgeschneidert, nicht von der Stange. Sie gibt der Zukunft eine Form, ist aber kein Korsett, das keinen Raum lässt für die zukunftsimmanente Unsicherheit, der alle Strategien unterliegen. Daher erfordert ihre Entwicklung neben dem handwerklichen Rüstzeug für Analyse und Bewertung der aktuellen Situation und der zukünftigen Trends auch Kreativität und Intuition. Strategieentwicklung ist daher zugleich Kunst und Wissenschaft (Rall, W., König, B. 2005).
162
Stefan Steinberg
Zur Überleitung der Strategie in einen konkreten Handlungsrahmen hat sich die Balanced Scorecard bewährt (Kaplan, S., Norton, D. 1997). Mit ihrer Hilfe lassen sich aus der erarbeiteten Strategie konkrete strategische Ziele ableiten, Messgrößen zur Erfolgsmessung definieren und strategische Maßnahmen festlegen, um die Ziele zu erreichen. Durchläuft das Unternehmen erfolgreich die drei Phasen des Krisen- und Insolvenzmanagements – Schnelle Diagnose, Konsequente Therapie und Zukunftsorientierte Strategie – erreicht es sein Revitalisierungsziel, zukünftig besser zu leben. Dafür wurde durch Kostensenkung der Break-even gesenkt. Gemeinsam mit dem zusätzlich gesteigerten Umsatz schafft dies die Voraussetzungen, um die Ansprüche der Stakeholder auf hohem Niveau dauerhaft zu befriedigen. Das beschriebene Vorgehen ist das Rüstzeug für das Krisen- und Insolvenzmanagement. Doch nur seine erfolgreiche Anwendung lässt das Unternehmen das Revitalisierungsziel erreichen. Welche Faktoren die erfolgreiche Anwendung ermöglichen, soll nachfolgend dargestellt werden.
Abbildung 9:
Revitalisierungsziel
Wendepunkte – Krisen- und Insolvenzmanagement als Chance?
3.
163
Die Chance nutzen
Die Chance, die aufgetretene Krise zu bewältigen und einen weiteren Vitalitätsschub einzuleiten, kann nur ein Teil der in die Krise geratenen Unternehmen nutzen. Ihr Krisenmanagement war erfolgreich. Das Krisenmanagement derjenigen Unternehmen, die letztendlich liquidiert werden mussten, hat trotz aller Bemühungen versagt. Die Gründe hierfür sind vielfältig (Bergauer, A. 2003, Krystek, U. 1991). Zusammenfassend lässt sich aber feststellen, dass erfolgreiches Krisenmanagement offensiv, innovativ, konsequent, ganzheitlich und transparent ist.
Abbildung 10: Erfolgreiches Krisenmanagement Für eine erfolgreiche Rettung des Unternehmens ist es erforderlich, die Krise möglichst früh zu erkennen und, sobald sie erkannt wurde, zügig zu bekämpfen. Ein offensiver Umgang mit der Krise ist unabdingbar. Eine abwartende Haltung, das Ignorieren oder das Schönreden von auftretenden Warnsignalen (insbesondere durch Inhaber oder langjährig tätige Führungskräfte) gefährdet das Unternehmen. Zu spät begonnenes oder zögerlich vorangetriebenes Krisenmanagement reduziert die Erfolgsaussichten deutlich. Beginnt das Krisenmanagement erst im Insolvenzfall, wurde wertvolle Zeit vergeudet, und eine Sanierung ist nur noch sehr schwer möglich. Ein gut ausgeprägtes Frühwarnsystem unterstützt das Management dabei, Warnsignale zu erkennen und zu bewerten. Offensives Krisenmanagement bedeutet demnach auch, den aktu-
164
Stefan Steinberg
ellen Zustand und den weiteren Entwicklungspfad des Unternehmens jederzeit sachlich und nüchtern zu analysieren und zu bewerten, also aktives Krisenmanagement (Ziel: Krisenvermeidung) zu betreiben. Lässt sich trotz aller Früherkennung der Weg in die Krise nicht vermeiden, muss versucht werden, die aufgetretene Krise zügig zu bewältigen. Geschwindigkeit ist ein entscheidender Faktor der Revitalisierung, also des reaktiven Krisenmanagements. Den Weg aus der Krise heraus zu finden, erfordert Einfallsreichtum und Erfahrung. Diese fließen insbesondere in die Erarbeitung des Zehn-Punkte-Programms und die Formulierung der Zukunftsorientierten Strategie ein. Erfolgreiches Krisenmanagement ist innovativ. Es setzt nicht nur an den Schwächen des Unternehmens an, sondern vor allem auch an seinen Stärken. Viele Unternehmen suchen in dieser Situation die Unterstützung externer Berater, die über Erfahrung im Krisenmanagement verfügen (Perschel, M. 2003). Um das spezifische Know-how der Führungskräfte über ihr Unternehmen, die Produkte und den Markt einerseits und die Erfahrung und die Kreativität der Berater anderseits zu bündeln, hat sich nachfolgend dargestellte Projektorganisation bewährt (vgl. Abbildung 11). Sie unterstützt das Management ebenfalls bei der konsequenten Durchführung des Krisenmanagements.
Geschäftsführung
Lenkungsteam
Arbeitsteam Kompetenz
Arbeitsteam Organisation
Arbeitsteam Personal
Arbeitsteam Finanzen
Abbildung 11: Projektorganisation Die konsequente Bewältigung der Krise stellt hohe Anforderungen an die Führungskompetenz des Unternehmensmanagements. Die Unternehmensführung muss den notwendigen internen Druck aufbauen, um den im Zehn-Punkte-Programm beschriebenen Weg aus der Krise geradlinig und konsequent zu gehen. Interne Widerstände müssen überwunden werden. Der zusätzliche äußere Druck der Krise schafft oft erstmals die notwendigen Voraussetzungen, interne Widerstände überwinden zu können. Die Anforderungen an das Führungsverhal-
Wendepunkte – Krisen- und Insolvenzmanagement als Chance?
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ten wandeln sich in der Regel mit der Art der Krise. Solange die Liquidität gefährdet ist, ist ein sehr autoritäres Führungsverhalten erforderlich. In Erfolgskrisen und strategischen Krisen ist das Führungsverhalten kooperativer. In allen Phasen kann die Projektorganisation unterstützend wirken und das Management entlasten. Die Krise ist erst dann wirklich bewältigt, wenn ein neuer Vitalitätsschub eingesetzt hat. Erfolgreiches Krisenmanagement beendet den Krisenbewältigungsprozess daher nicht bereits dann, wenn erste liquiditätssichernde Maßnahmen greifen oder erste Kostensenkungspotenziale realisiert wurden, sondern erst dann, wenn die Zukunftsorientierte Strategie umgesetzt wurde. Die Ursache der Krise muss beseitigt werden, nicht nur ihre Symptome. Wird das Krisenmanagement frühzeitig beendet, droht ein Rückfall in die Krise. Erfolgreiches Krisenmanagement ist daher immer ganzheitlich. Ein in die Krise geratenes Unternehmen verunsichert: die Mitarbeiter, die Kunden, die Lieferanten, die Gesellschafter, die Banken. Um die Krise erfolgreich bewältigen zu können, ist eine offene Informations- und Kommunikationspolitik notwendig, die Transparenz schafft. Nur so können die Stakeholder eingebunden werden. Es reicht allerdings nicht aus, nur Zahlen und Fakten über Ist und Soll zu liefern. Das Commitment der Stakeholder kann deutlich gesteigert werden, wenn es der Unternehmensführung gelingt, eine Vision für die Zukunft des Unternehmens glaubhaft zu vermitteln, die die Krise als Chance begreift und die Leuchtfeuer für die zukünftige Route des Unternehmens in eine erfolgreiche Zukunft entfacht.
4.
Fazit
Die Anzahl der mittelständischen Unternehmen, die in Krisensituationen geraten sind, ist in den vergangenen Jahren deutlich gewachsen. Die Auswirkungen der Globalisierung und die schwache wirtschaftliche Situation Deutschlands lassen eine rasche Erholung nicht erwarten. Anders als konzerngebundene Unternehmen können mittelständische Unternehmen sich in diesen schwierigen Umweltbedingungen nicht auf die Unterstützung eines starken Konzernverbundes stützen. Andererseits haben sie im Umgang mit diesen Umweltbedingungen volle Handlungsfreiheit. Dauerhaft erfolgreiche Unternehmen vermeiden Krisen durch aktives Krisenmanagement. Sie beobachten genau Märkte und Umfeld, um das Unternehmen entlang eines stetigen Entwicklungspfades zu führen. Unternehmen, die aktives Krisenmanagement vernachlässigen oder denen der Mut oder die Kompetenz fehlen, auf die Frühwarnsignale adäquat zu reagieren, sind von Krisen bedroht.
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Stefan Steinberg
Gerät ein Unternehmen in die Krise, liefert das bewährte Vorgehen Schritt 1: Schnelle Diagnose Schritt 2: Konsequente Therapie Schritt 3: Zukunftsorientierte Strategie dem Unternehmen das notwendige Rüstzeug zum Krisen- und Insolvenzmanagement. Wird dieses Rüstzeug von der Unternehmensführung offensiv, innovativ, konsequent, ganzheitlich und transparent angewendet, wird das Unternehmen die Krise überwinden, den verkrusteten, abwärts gerichteten Pfad verlassen und vital einen neuen Wachstumspfad beschreiten. Unternehmen, denen das gelingt, haben die Krise nicht nur als Chance begriffen, sondern sie auch zur Revitalisierung genutzt.
Wendepunkte – Krisen- und Insolvenzmanagement als Chance?
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Literatur
Baetge, J.: Die Früherkennung von Unternehmenskrisen anhand von Abschlusskennzahlen. Rückblick und Standortbestimmung, in: Der Betrieb, Band 55 (2002) Heft 44. Bea, F. X.; Haas, T.: Möglichkeiten und Grenzen der Früherkennung von Unternehmenskrisen, in: WiSt Heft 10, Oktober 1994. Bergauer, A.: Führen aus der Unternehmenskrise. Leitfaden zur erfolgreichen Sanierung, Berlin 2003. Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit (BMWA): Früherkennung von Chancen und Risiken in kleinen und mittleren Unternehmen, Berlin 2004. Creditreform: Jahresbericht 2004/2005, Verband der Vereine Creditreform e. V., Neuss, 2005. Deckert, K. (Hrsg.): Vitalitätsmanagement mit KOPF – Zehn Strategien erfolgreicher Manager und Berater, Düsseldorf 1999. Fink, A.; Schlake, O.; Siebe, A.: Wie Sie mit Szenarien die Zukunft vorausdenken, in: Harvard Business Manager, Heft 2 2002. Flatken, U.; Steinberg, S.: Rolling to the top, in: Deckert, K. (Hrsg.), Vital mit Kopf, Wiesbaden 2004. Kaplan, R.; Norton, D.: Balanced Scorecard, Stuttgart 1997. Krystek, U.: Organisatorische Möglichkeiten des Krisen-Managements, in: ZFO, 49. Jg., Nr. 2 1980. Krystek, U.: Gefahren bei der Rettung von Unternehmungen: woran Sanierungen scheitern können, in: ZFO, 60. Jg., Nr. 5 1991. Lipinksi, G.: Deutschland steuert auf neuen Pleitenrekord zu, in: Handelsblatt 23.6.2005. Perschel, M.: Krisenmanagement in kleineren und mittleren Unternehmen, Renningen 2003. Rall, W.; König, B.: Aktuelle Herausforderungen an das strategische Management, in: Hungenberg, H., Meffert, J., Handbuch Strategisches Management, Wiesbaden 2005. Trauboth, J.: Krisenmanagement bei Unternehmensbedrohungen, Stuttgart 2002.
Unternehmensnachfolge – Wie managt man den Generationenwechsel?
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Unternehmensnachfolge – Wie managt man den Generationenwechsel? Wolfgang Krüger
Zusammenfassung
Unternehmen, die dem Mittelstand zugerechnet werden, sind in ihrer überwiegenden Anzahl familien- und eignergeführt. Im Lebenszyklus dieser Unternehmen stellen der Wechsel und der Übergang in den Besitzverhältnissen und in der Führungsverantwortung durchaus eine Phase erhöhter Instabilität für das Familienunternehmen und die Unternehmerfamilie dar. Dabei gibt es die spektakulären Fälle familiärer Generationskämpfe, wie z. B. bei Markenartiklern wie Bahlsen oder Tchibo, die durch die Medien einer breiten Öffentlichkeit bekannt werden. Doch viele kleine und mittlere Familienunternehmen verstehen es immer wieder, die Nachfolge im Stillen, ohne große Reibungsverluste, zu managen. In diesem Beitrag werden auf einer empirischen Basis die Phasen und Faktoren, die bei einem geplanten Nachfolgemanagement berücksichtigt werden sollen, systematisch dargestellt. Der Leser lernt ein anwendungsorientiertes Phasenmodell des generationsübergreifenden Nachfolgemanagements kennen. Dabei werden die notwendigen Aktionen und Aktivitäten erläutert. Wesentliche Erfolgsfaktoren sind dabei eine Familienstrategie, in der die Werte, Absichten und Ziele der familiären Unternehmensführung phasengerecht fortgeschrieben werden. Darüber hinaus erweisen sich eine unternehmensunabhängige Altersversorgung (der Senioren), die maßgeschneiderte Erbregelung und die systematische Auswahl familiärer oder außerfamiliärer Nachfolger als wesentliche Erfolgsfaktoren. Generationsübergreifendes Nachfolgemanagement muss auch „die Zeit danach“ einschließen, gehen doch die Umsatz- und Ertragszahlen häufig nach vollzogenem Generationswechsel nach unten. Auch hier werden entsprechende Handlungshinweise gegeben.
170
1.
Wolfgang Krüger
Risiken ungeregelter Unternehmensnachfolge
Das Thema Unternehmensnachfolge erfreut sich eines breiten öffentlichen Interesses. Über Streitigkeiten in Familienunternehmen, wer in der Führungsnachfolge das Sagen hat, wird genüsslich in der Presse berichtet. Bei Markennamen und traditionellen Firmen-FamilienDynastien ist der Aufmerksamkeitswert bei Generationswechseln generell groß, zumal wenn Differenzen erkennbar werden. Das ist verständlich, geht es doch schließlich um die Existenz von Unternehmen, mit denen Arbeitsplätze und persönliche Schicksale verbunden sind. Von einem verfehlten Nachfolgemanagement sind aber nicht nur die Unternehmerfamilie und die Mitarbeiter betroffen, sondern auch unmittelbar und mittelbar andere Personen und Institutionen (Shareholder und Stakeholder), wie Kunden, Lieferanten, Investoren und Banken. Bei der Risikobetrachtung kann von dem folgenden einfachen Modell ausgegangen werden.
RISIKO
sehr groß
groß
mäßig
gering
30
35
40
45
50
55
60
65
70
Lebensalter des Unternehmers
Abbildung 1:
Risikomodell eines vernachlässigten Nachfolgemanagements
Es besagt, dass bei vernachlässigtem Nachfolgemanagement mit zunehmendem Lebensalter des Unternehmers die Risiken für das Unternehmen, die Unternehmerfamilie und andere Gruppen (Stakeholder) wie Mitarbeiter, Banken, Kunden und Lieferanten nahezu linear zunehmen.
Unternehmensnachfolge – Wie managt man den Generationenwechsel?
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Die Risiken resultieren aus der Einmaligkeit der Planungs- und Entscheidungserfordernisse innerhalb einer Unternehmerbiografie. Anders als bei zyklisch wiederkehrenden Managementprozessen kann bei der Unternehmensnachfolge keine durch Routine begründete Erfahrung aufgebaut werden. Zu einem gewissen Zwang, in der Nachfolgefrage rechtzeitig und transparent zu handeln, führt das Rating der Firmenkreditkunden nach Basel II, durch das die Regelung der Unternehmensnachfolge im Zusammenhang mit der gesamten Unternehmensführung überprüft wird. Die Regelung der Nachfolge wird hier konsequent als Managementaufgabe verstanden. Viele „Stille Gewinner“ im Mittelstand (vgl. Beitrag Simon in diesem Band) machen auch ohne äußeren Zwang die Nachfolgeregelung zum wichtigen Punkt einer expliziten Familienund Unternehmensstrategie. Durch eine Befragung der Beteiligten an erfolgreichen Nachfolgeprozessen werden – bei aller Unterschiedlichkeit von Personen und Strukturen – Muster des Handelns erkennbar (vgl. Krüger 2004). Die Phasen und Faktoren erfolgreichen Nachfolgemanagements werden auf den kommenden Seiten dargestellt.
2.
Die Phasen des Nachfolgemanagements
Die langfristige Sicherung und Vitalität eines Unternehmens hängen – neben einer Reihe anderer Faktoren – ganz entscheidend auch davon ab, wie die generationsübergreifende personelle Kontinuität im Unternehmen und somit dessen Bestand gewährleistet wird. Erfolgskriterien sind dabei in besonderer Weise der reibungslose familiäre oder außerfamiliäre Generationswechsel in der Unternehmensführung, die für die familiären oder außerfamiliären Beteiligten faire Eigentumsübertragung einschließlich der damit verbundenen Erb- bzw. Finanzierungsmodalitäten, der erfolgreiche Start und die dynamische Fortführung des Unternehmens unter neuer Leitung.
172
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Übergabe & Übernahme
Neu-Startphase des Juniorunternehmers
Nachfolgeplanung Aufbau der Altersversorgung
Notfall- & Erbregelung
30
35
40
45
50
55
60
65 1
Lebensalter des Senior-Unternehmers
Abbildung 2:
2
3
4
Zeitjahre als Juniorunternehmer
Das Phasenmodell des generationsübergreifenden Nachfolgemanagements
Die Abbildung 2 verdeutlicht im idealtypischen Lebenslauf eines Unternehmers die thematischen Schwerpunkte des Nachfolgemanagements, ihre zeitliche Verteilung und ihre wachsende oder abnehmende Bedeutung im Laufe der Zeit. Nachfolgemanagement umfasst demnach einen längerfristigen Zyklus, der sich über zwei Generationen erstreckt, und der in vier Phasen unterteilt werden kann.
3.
Die Frühphase: Thema Daseinsvorsorge
Gleich mit der Übernahme unternehmerischer Verantwortung und somit zu Beginn der Frühphase des Nachfolgemanagements müssen die Rahmenbedingungen für die Existenzsicherung des Unternehmens und der Unternehmerfamilie geschaffen werden. Nicht selten sind Unternehmer mit dem täglichen operativen Geschäft so eingedeckt, dass die notwendigsten Maßnahmen für die Regelung von Ausnahme- und Notfallsituationen vergessen bzw. verdrängt werden. Das Gleiche gilt für die persönliche Daseinsvorsorge im Alter. Man ist jung und fühlt sich gesund, und der Aufbau und das „über die Runden kommen“ haben Priorität. Das „andere“ verschiebt man in die nebulöse Zukunft. Dabei sind in dieser Phase die flankierenden Maßnahmen und Weichenstellungen erforderlich, die die Existenz sichern und eine
Unternehmensnachfolge – Wie managt man den Generationenwechsel?
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Nachfolge bzw. eine Übergabe eines Betriebes zu einem späteren Zeitpunkt erst möglich machen. Mittelständler, die die Nachfolge strategisch angehen, haben schon sehr früh angefangen, für den Ausnahmefall, die Erbregelung und die Alterssicherung vorzusorgen.
3.1
Die Notfall- und Erbregelung
Familienunternehmern ist die Bedeutung der erb- und steuerrechtlichen Aspekte der Unternehmensnachfolge zwar bewusst. Die Vorstellungen sind aber nicht selten diffus, veraltet und oft an den Steuerberater delegiert, den man schon seit 20 Jahren kennt. Unternehmer sollten sich mit Beginn der Frühphase an einer Checkliste orientieren und die jeweils erforderlichen Regelungen mit Unterstützung von Fachleuten an die sich mit der Zeit sich wandelnden Gegebenheiten anpassen. Die folgende Checkliste dient der beispielhaften Orientierung in Fragen der Notfallplanung und Erbregelung. Regelungsbedarf
Beispiele
Absicherung für den Krankheitsfall
Regelung der Stellvertretung bei Abwesenheit durch Krankheit. Krankenhaustagegeld. Erwerbsunfähigkeits-Versicherung.
Absicherung für den Todesfall
Notfallplan für die Aufrechterhaltung des Betriebes (Sonderverwahrungen, Vollmachten usw.). Erhaltung des Kapitalstocks, z. B. durch Vermeidung von Erbauseinandersetzungen. Versorgung der Unternehmerfamilie.
Gesellschaftsrecht
Z. B. GbR, GmbH, GmbH & Co. KG, AG usw. je nach Familiensituation und Familienstrategie im Sinne der Nachfolgeregelung.
Erb- und Familienrecht
Regelung der Folgen des Erbfalls und Gestaltung der Erbfolge.
Steuerrecht
Erbschaftssteuer
Abbildung 3:
Überblick: Notfall- und Erbregelung
Zur permanenten Daseinsvorsorge gehört die Erbregelung, deren Grundstein in der Startphase gelegt wird und dann den Verhältnissen in regelmäßigen Abständen angepasst werden muss. Die Kommentare und Ausführungen zum Erbrecht im Zusammenhang mit der Unternehmensnachfolge sind umfänglich und differenziert und müssen im konkreten Fall mit
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Steuerberatern und Anwälten erörtert werden. 1 Deshalb erfolgt hier nur ein ganz knapper Überblick über die Alternativen: Das Unternehmenstestament ist eine sinnvolle Möglichkeit für die Familie, den Betrieb vor Erbstreitigkeiten zu schützen. Hier bestätigen alle Beteiligten die testamentarischen Verfügungen. Sogar der vertragliche Verzicht auf den Pflichtteil ist möglich. Ein solcher Vertrag ist von keinem Partner mehr einseitig rückgängig zu machen. Die mit solchem Erbvertrag verbundene Sicherheit ist wichtig, wenn z. B. der Sohn seinem Vater eine Versorgungsrente zahlt und dafür als Alleinerbe eingesetzt wird. Diese „gewillkürte“ Erbfolge durch Testament oder Erbvertrag hat Vorrang vor der gesetzlichen Erbfolge. Die vorweggenommene Erbfolge ermöglicht, dass Unternehmer bereits zu Lebzeiten Vermögensübertragungen auf ihre Kinder vornehmen, die sie voraussichtlich im Rahmen der späteren Erbfolge erhalten hätten. Folgende Vereinbarungen können in einem Übertragungsvertrag, der die vorweggenommene Erbfolge regelt, getroffen werden: Der Übernehmer erbringt Versorgungsleistungen an den Übergeber, dessen Ehepartner oder andere nahe Angehörige. Der Übernehmer verpflichtet sich, die Ansprüche der Miterben auszugleichen. Er könnte beispielsweise die übrigen Miterben mindestens bis zur Höhe ihres Pflichtteilanspruches – der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils – auszahlen. Oder er verpflichtet sich, höhere Ausgleichszahlungen, soweit dies für das Unternehmen wirtschaftlich vertretbar ist, an die Miterben zu zahlen. Der Übernehmer zahlt einen Teilkaufpreis. Die übrigen Erben sprechen einen gegenständlich beschränkten Pflichtteilsverzicht aus, d. h., bestimmte Gegenstände bleiben bei der Berechnung des Pflichtteilanspruches außer Betracht. Der Übernehmer verpflichtet sich, konkrete Verbindlichkeiten des Übergebers zu übernehmen. Eine lebzeitige Zuwendung des Erblassers an den Übernehmer wird auf dessen Pflichtteil angerechnet. Dem Übergeber wird ein Nießbrauch am Unternehmen eingeräumt. Der Übergeber überträgt gleichzeitig anderes Vermögen auf die übrigen Kinder. Welche Leistungen jeweils für die Übertragungen des Unternehmens in wirtschaftlich vertretbarer Weise vereinbart werden sollten, ist nur anhand des konkreten Einzelfalles zu beurteilen. Voraussetzungen sind eine gesicherte Bewertung des Unternehmens und eine Prognose der Erb- bzw. Pflichtteilansprüche der Miterben.
1
Exemplarisch wird auf das Handbuch der Unternehmensnachfolge von H. Sudhoff verwiesen, in dem alle Rechtsaspekte behandelt werden.
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Die letztwillige Verfügung, die die Übertragung eines Unternehmens auf einen bestimmten Nachfolger vorsieht, eröffnet zwei Möglichkeiten: Ein Vorausvermächtnis, wenn dem Vermächtnisnehmer zusätzlich zu seinem Erbteil ein Vermögensteil zugewendet wird. Die Einräumung von Übernahmerechten, d. h., der Erblasser räumt einem Erben das Recht ein, das Unternehmen gegen Zahlung eines bestimmten Betrages an die übrigen Erben von diesen zu erwerben.
3.2
Die Altersversorgung
Strategisch handelnde Unternehmer arbeiten frühzeitig auf eine eigenständige Altersversorgung hin – unabhängig davon, wie das Unternehmen fortgeführt werden soll. Viele Mittelständler befinden sich aber bei diesem Thema in einer Klemme: Zum einen wird in der Aufbauphase das verfügbare knappe Geld immer wieder ins Unternehmen gesteckt und Rücklagen werden kaum gebildet. Vielfach lässt die Unternehmensentwicklung – insbesondere bei kleinen Unternehmen – auch kaum einen privaten Vermögensaufbau zu. Andererseits wird häufig auch der Einstieg in die private Altersversorgung zu einem späteren Zeitpunkt verpasst, zu dem durchaus die Möglichkeit bestünde. In der verständlichen Erwartung, die Früchte der Arbeit könnten im Alter durch eine Betriebsrente oder einen Verkauf geerntet werden, wird auf ein wichtiges zusätzliches Sicherheitsnetz verzichtet. Doch je größer die zu erwartende Versorgungslücke im Alter ist, desto komplizierter und riskanter wird die finanzielle Planung für beide Seiten, sei es mit dem eigenen Sohn bzw. der Tochter oder einem fremden Investor. Die Entwicklung der letzten Jahre hat gezeigt, dass eine selbständige mittelständische Existenz aufgrund konjunktureller und weltwirtschaftlicher Einflüsse sehr fragil ist. Der Verzicht auf eine betriebsunabhängige Daseinsvorsorge ist deshalb äußerst gefährlich. Die Altersversorgung des mittelständischen Unternehmers ruht auf drei Säulen: das private Anlagevermögen: Immobilien, Wertpapiere und sonstige Sachgüter; die freiwillige (Fort-)Zahlung in die gesetzliche Altersversorgung bzw. private Rentenpläne oder Lebensversicherungen; der Veräußerungserlös oder die Betriebsrente nach vollzogener Betriebsübergabe. Sind die beiden ersten Säulen solide und konservativ strukturiert, kann von einem risikoausgewogenen Altersversorgungs-Portfolio gesprochen werden.
176
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Abbildung 4:
4.
Verkaufserlös bzw. Betriebsrente
Private o. Gesetzliche Rentenpläne
Privates Anlagevermögen
Altersversorgung
Die drei Säulen der unternehmerischen Altersversorgung
Die Planungsphase: Thema Familienstrategie
Diffuse Absichtserklärungen oder aktives Vermeidungsverhalten in Fragen der Unternehmensnachfolge sind gefährlich für das Familienunternehmen und die Unternehmerfamilie. Die Realisierung einer planvollen familiären Unternehmensnachfolge setzt voraus, dass in der Familie das Thema angesprochen und unter Einbeziehung aller Interessenlagen abgewogen wird. Dies geschieht nicht schlagartig, sondern vollzieht sich idealerweise als ein familiärer „Sozialisationsprozess“: Meilensteine dabei können sein die symbolische „Übernahme“ von Papas Chefsessel durch den sechsjährigen Junior, der Ferienjob mit 16 Jahren, die Ausbildungs- bzw. Studienwahl mit 18 Jahren und das Semesterferienpraktikum mit 24 Jahren. Am Ende der Planungsphase und zur Einleitung der Nachfolge in der Realisierungsphase muss aber eine Familienstrategie fixiert werden. Diese dient zur Orientierung und Stabilisierung von Familienunternehmen insbesondere dann, wenn die Anzahl der Beteiligten groß ist und die Gemengelage der Interessen unübersichtlich. Am Anfang einer gemeinsam mit Fachleuten zu erarbeitenden Familienstrategie steht die Bestandsaufnahme aller Dokumente, die den Status und die Zukunft der Familie und des Unternehmens betreffen: Gesellschafterverträge, Erb- und Eheverträge, Geschäftsordnung und Zusatzvereinbarungen (vgl. Baus 2004; 2006). In einem weiteren Schritt gilt es, die Wertvorstellungen und Interessen, die die Beteiligten mit der Zukunft des Familienunternehmens verbinden, im Sinne eines Leitbildes zusammenzuführen. In einer weiteren Konkretisierungsstufe geht es darum, die strukturellen
Unternehmensnachfolge – Wie managt man den Generationenwechsel?
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und strategischen Optionen des Familienunternehmens zu überprüfen und neu zu justieren. Dabei richtet die Familienstrategie „den Blick nicht auf die Personen, sondern konzentriert sich pragmatisch auf die Strukturen, die für den Erhalt von Unternehmen und Vermögen wichtig sind“ BAUS, 2004, S.70). Zentrale Alternativen einer Familienstrategie sind: Bleibt das Unternehmen im Besitz der Familie, oder wird eine Fremdbeteiligung bis hin zum Totalverkauf angestrebt? Wird das Unternehmen durch die Familie geführt, oder wird die Führungsaufgabe mit „Fremden“ geteilt oder ganz abgegeben? Fremd
Unternehmensverkauf – an Dritte – Management-Buy-out – Management-Buy-in
Eigentum
Beteiligungsgesellschaft
Erweiterung des Gesellschafterkreises
Unternehmerische Partner
Nachfolger aus der Familie
Familiengesellschaft mit gemischtem Management
Familienfremdes Management
Familie Familie Abbildung 5:
Führung
Fremd
Die sieben Alternativen der Unternehmensnachfolge
Die Unternehmensnachfolge bzw. die Fortführung des Unternehmens kann sich sowohl hinsichtlich der Eigentumsverhältnisse als auch in der Verantwortung für die Unternehmensführung graduell verändern (vgl. Abbildung 5). Damit eröffnen sich durchaus alternative Formen der Nachfolgeregelung in Abhängigkeit von den faktischen Gegebenheiten und den Absichten der Beteiligten. Je nach Familien- bzw. Unternehmenssituation, den Absichten der Beteiligten und der gewählten Alternative für die Nachfolgeregelung sind im nächsten Schritt die Leitziele zu formulieren und im Sinne einer Strategie schriftlich zu formulieren.
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Beispiele für Leitziele der Unternehmensnachfolge Wir führen die Tradition fort – Eigentum und Management bleiben in einer Hand. Wir führen die Familientradition fort und suchen professionelle Unterstützung. Wir suchen nach Partnern, die sich finanziell beteiligen und das Management stützen. Wir beteiligen Mitarbeiter am Unternehmen, die es auch weiterführen sollen. Wir wollen das Eigentum veräußern und die Leitung abgeben. Wir wollen das Unternehmen mit einer Minderheitsbeteiligung fortführen und durch Kapitalzufuhr und ein neues Management stärken. Diese Leitziele bedürfen in einem nächsten Schritt der Operationalisierung hinsichtlich konkreter Aktionen und Termine.
5.
Die Realisierungsphase
In der Realisierungsphase, die erfahrungsgemäß zwischen sechs Monaten (bei einer Veräußerung) und bis zu vier Jahren (bei einem langsamen Generationenwechsel) dauern kann, zeigt sich, ob die Aktivitäten in der Früh- und Planungsphase Früchte tragen. Dieses gilt insbesondere für die übergabegerechte Konsolidierung des Unternehmens, die abschließende Vorsorge für das Alter, die Überprüfung und gegebenenfalls die situationsgerechte Modifikation der bisher vorgenommenen Erbregelung, die Übergabe an den familiären Nachfolger, oder die Veräußerung des Unternehmens. Wurden diese Punkte nicht ausreichend bedacht, ist die Realisierungsphase eine Phase erhöhter Labilität: Familienzwist und die nicht enden wollende Geschichte zwischen Vater und Sohn, ungeeignete externe Kandidaten, unstrukturierte Verkaufsverhandlungen mit wechselseitig überzogenen Preisvorstellungen usw. können die Folge eines „Nachfolge-Missmanagements“ sein. Das bleibt nicht ohne Auswirkungen nach innen und außen. Die Unternehmensführung stagniert, es fehlt an unternehmerischen Impulsen. Entsprechend wächst die Unruhe unter Kunden, Mitarbeitern und Investoren.
Unternehmensnachfolge – Wie managt man den Generationenwechsel?
5.1
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Wirtschaftliche und rechtliche Feinjustierung
(1) Unternehmensbewertung Ertragswert
Veräußerungserlös
Discounted
Veräußerungsrente
Cash-Flow
Versorgungsrente
Stuttgarter Verfahren
Earn-out-Erlös
(5) (4)
(2)
Steuerliche
Erlös
Familiäre Erbregelung
Bewertung
Schenkung Vorweggenommene
Verkauf an Dritte:
Erbfolge. Letztwilliges
MBI/MBO
Vermächtnis incl.
Share Deal
privater Vermögens-
Asset Deal
werte (3) Verkauf
Abbildung 6:
Integriertes Modell der wirtschaftlichen und rechtlichen Unternehmensnachfolge
Bei der Beobachtung und Beurteilung der betriebswirtschaftlichen und erb- und steuerrechtlichen Realisierungsschritte und des entsprechenden Handlungsbedarfs kann das folgende integrierte Modell der Vermögensübergabe und Unternehmensnachfolge (vgl. Abildung 6) hilfreich sein. Die (1) „Unternehmensbewertung“ ist Ausgangspunkt entweder einer (2) „Familiären Erbregelung“, die durch Schenkung, eine vorweggenommene Erbfolge oder ein letztwilliges Vermächtnis einschließlich privater Vermögenswerte vollzogen werden kann. Oder es erfolgt ein (3) „Verkauf“, entweder an Dritte (Wettbewerber), an das Management (MBO) oder externe Manager (MBI), wobei die Übertragung im Sinne einer Gesamtrechtsnachfolge (Share Deal) oder der Teilrechtsnachfolge (Asset Deal) erfolgen kann.
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Die Eigentumsübertragung durch eine Erbregelung oder den Verkauf muss durch den Übernehmenden finanziert werden, wobei eine strukturierte Finanzierung durch Eigenkapital, Darlehen, mezzanine Finanzierung, eine Kapitalbeteiligung oder eine Earn-out-Finanzierung (erfolgsabhängige Ertragsprämie, die den Käufer in die Lage versetzt, den Kaufpreis laufend zu entrichten) umfassen kann. Der (4) „Erlös“ (und damit ein Teil der Altersversorgung) für die Übergebenden kann sich darstellen als Veräußerungserlös, eine Veräußerungsrente, eine Versorgungsrente oder durch die Beteiligung am zukünftigen Unternehmensgewinn (Earnout-Erlös). Alle Elemente der Vermögensübergabe und Unternehmensnachfolge müssen, auch in ihrer Interdependenz, (5) „einer steuerlichen Bewertung“ unterzogen werden.
5.2
Abschließende Auswahl des Nachfolgers
Die personelle Regelung der Unternehmensnachfolge erfordert die Auswahl des Nachfolgers für die Funktion der Unternehmensführung und die Förderung des Nachfolgers und seine Vorbereitung auf die Tätigkeit in der noch verbleibenden Zeit. Auswahl und Entwicklungsaspekt schließen vier Zielgruppen ein: das für die Nachfolge vorgesehene Familienmitglied (Tochter, Sohn, Neffe, Nichte, Schwiegersohn und Schwiegertochter usw.), den internen Mitarbeiter im Rahmen eines MBOs, externe Interessenten für ein MBI, externe Interessenten für eine Fremdgeschäftsführung. Bei der Auswahl eines Nachfolgers sollten folgende Grundsätze zur Anwendung kommen: 1. Es gelten die gleichen Auswahlkriterien für den Nachfolger von „innen“ wie für den von „außen“. 2. Nur die Qualifikation entscheidet und nicht die Präferenz der Eltern, die Erbfolge oder die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Familienstamm. Zur Erfüllung dieser Grundsätze ist es allerdings erforderlich, mehrere Kandidaten zu ermitteln und den Nachfolger nicht nur durch eine Person allein auswählen zu lassen. Für die Beobachtung und Gesprächsführung mit Nachfolgekandidaten und zur Einschätzung ihrer Erfolgschancen können die folgenden Persönlichkeitsmerkmale und Verhaltensweisen eine erste Orientierung geben.
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Autonomie (Eigenverantwortung, Eigeninitiative, kalkuliertes Risikoverhalten) Innovation (Neugier, Informationssuche, Durchsetzen und Umsetzen von Ideen) Kundennähe (Aktives Beziehungsmanagement, aktive Netzwerkorganisation) Gewissenhaftigkeit (Informationsbewertung, Planung & Kontrolle, Ergebnisorientierung)
6.
Die Neu-Startphase
Empirische Belege sprechen eine deutliche Sprache: In der Neu-Startphase des Nachfolgers zeigt die Leistungskurve des Unternehmens häufig nach unten, und erst nach zwei bis drei Jahren – wenn alles gut geht – tritt wieder eine Erholung ein. Der Neustart mit seinen unternehmerischen Herausforderungen, möglichen „Altlasten“ und finanziellen Belastungen stellt Anforderungen an den Jungunternehmer, denen nicht jeder gewachsen ist. Fehlende unternehmerische Potenz und Kompetenz oder überzogene finanzielle Abfindungsansprüche der Vorbesitzer oder der familiären Senioren und verfehltes Beziehungsmanagement des Juniorchefs mit dem Interessenumfeld können schnell dazu führen, dass auf die Nachfolge die Insolvenz folgt. Damit es nicht zur Nachfolgedelle kommt, müssen die ersten 100 Tage gemeistert werden, um dann eine strategische Stärkung und möglicherweise behutsame Neujustierung des Unternehmens einzuleiten. In den ersten 100 Tagen müssen das Vertrauen der Mitarbeiter gewonnen werden und der Kundenkontakt intensiviert werden. Auch wenn, oder gerade wenn der familiäre Juniorchef im Betrieb kein Unbekannter ist, und alt gediente Mitarbeiter ihn noch „in kurzen Hosen“ bzw. sie noch „mit Zöpfen“ erlebt haben, sind die ersten 100 Tage ganz entscheidend für die Akzeptanz und den Rückhalt des Neuen bei den Mitarbeitern und damit auch bei Kunden und Lieferanten. Wenn der Senior sich mehr oder weniger eindeutig zurückgezogen hat und der Wechsel auch symbolisch erfolgte, dann ist die Aufmerksamkeit für das, was der Juniorchef tut oder lässt, besonders groß. Hier gilt, wie immer der Nachfolger handelt, kommentiert wird es in jedem Fall. Dass diese Kommentare möglichst positiv bzw. neutral ausfallen, liegt nicht allein am Verhalten des Juniors, sondern am gesamten Betriebsklima, der Rolle von Meinungsmachern und dem Verhältnis der Mitarbeiter zum Seniorchef. Dennoch gibt es Verhaltensweisen, die den Neustart erschweren oder begünstigen. In den ersten 100 Tagen gilt ganz allgemein, die Balance zwischen Kontinuität und vorsichtiger Veränderung zu wahren. Es geht darum, Vertrauen aufzubauen. Sind die ersten 100 Tage gemeistert, kann „der neue Besen auch wirklich besser fegen“. Auch die Mitarbeiter erwarten insgeheim, dass der Junior jetzt Zeichen setzt und zeigt, dass er das Unternehmen in die Zukunft führen kann.
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Was der Nachfolger auf jeden Fall tun sollte:
Checkliste 9 Die wichtigsten Mitarbeiter (Führungskreis) regelmäßig zu kurzen Informationsrunden einladen. Fragen und zuhören, aber selbst auch Informationen geben. Ist der Führungskreis diese Kommunikationsform nicht gewohnt, ist sie sehr zu dosieren. 9 Über Zahlen führen: Den Führungskreis über die wichtigsten betrieblichen Kennziffern und deren Entwicklung informieren. Interpretationen und Handlungserfordernisse aufzeigen und vorsichtig Maßnahmen einleiten. Je nach bisheriger Praxis und dem „Reifegrad“ der Mitarbeiter gilt es, die Mitarbeiter stärker einzubinden und sie zu wirklichen Führungskräften zu machen. Aber auch hier muss dosiert werden, um die Führungskräfte nicht zu überfordern. 9 Ist das Unternehmen stark vertriebsorientiert und besteht ein Außendienst, so sollte zum Abschluss der ersten 100 Tage eine gut vorbereitete Klausurtagung unter Leitung des Juniorunternehmers stattfinden. 9 Die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat – sofern vorhanden – fortsetzen, ohne sich auf irgendwelche Grundsatzfragen bzw. Entscheidungen einzulassen. In Balance mit den internen Aktivitäten ist der Juniorchef gut beraten, in den ersten 100 Tagen die Schlüsselkunden zu besuchen, wichtige Lieferanten kennen zu lernen und Möglichkeiten des gelungenen öffentlichen Auftritts zu nutzen. Sind die ersten 100 Tage Erfolg versprechend gemeistert, geht vieles leichter. Die richtige Arbeit fängt aber erst an: die Überprüfung der strategischen Unternehmensaufstellung, damit auch die nächste Generation ein erfolgreiches Unternehmen übernehmen kann.
Unternehmensnachfolge – Wie managt man den Generationenwechsel?
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Literatur
Baus, K.: Die Familienstrategie, Wiesbaden 2004. Baus, K.: Strategische Zielsetzung von Familienunternehmen – Zwischen Unternehmenswerten und Unternehmenswert. In: Böllhoff, Ch Krüger, W., Berni, E.: Managementhandbuch Familienunternehmen – Erfolgstreiber und Praxisbeispiele, Stuttgart 2006. Felden, B.; Klaus, A.: Unternehmensnachfolge, Stuttgart 2003. Krüger, W.: Zehn Erfolgsfaktoren der familiären Unternehmensnachfolge, Forschungsbericht der Fachhochschule des Mittelstands, FHM, Bielefeld 2004. Krüger, W.: Unternehmensnachfolge – Aktivierung und Stabilisierung von Unternehmen im Wandel, Stuttgart 2005. Sudhoff, K.: Handbuch der Unternehmensnachfolge, München 1999.
Unternehmensverkauf – Wie macht man Marketing in eigener Sache?
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Unternehmensverkauf – Wie macht man Marketing in eigener Sache? Birgit Felden/Annekatrin Klaus
Zusammenfassung
Ein Unternehmensverkauf ist ein Prozess, der von vielen Betriebsinhabern als eine Herausforderung mit komplexen rechtlichen und steuerlichen Fragestellungen betrachtet wird. Diese Auffassung trägt jedoch häufig zur Verunsicherung der Verkaufenden bei, die sich zudem mit der Größe des Objekts und der Einmaligkeit des Vorgangs konfrontiert sehen. Dabei kann ein Unternehmer viele Erfahrungen aus seinem bisherigen Berufsleben produktiv nutzen – auch um seine ganz persönlichen Ziele und Vorstellungen zu realisieren. Vorliegender Beitrag zeigt, dass die Veräußerung eines Unternehmens in vielen Punkten ein Verkauf wie jeder andere ist: Es geht darum, das Produkt „Unternehmen“ attraktiv darzustellen, die richtige Zielgruppe auszuwählen, diese dann adäquat anzusprechen und den Verkauf erfolgreich abzuschließen. Zur konkreten Unterstützung abgebender Unternehmensinhaber wird erläutert, wie die Elemente des klassischen Marketing-Mixes auf den Prozess des Unternehmensverkaufs übertragen werden können und welche Konsequenzen sich daraus für die Darstellung, Prüfung und Bewertung des Unternehmens sowie für das Transaktions- und Kommunikationsverhalten des Verkäufers ergeben.
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Birgit Felden/Annekatrin Klaus
Der Marketing-Mix für den Unternehmensverkauf
Jeder Unternehmer muss bei seinem Vorhaben, die Unternehmensübergabe rechtzeitig und umfassend zu planen, damit rechnen, dass die eigenen Kinder – sofern vorhanden – den Betrieb nicht übernehmen wollen oder können. Die klassische Lösung in einem solchen Fall ist der Verkauf des Unternehmens z. B. an einen familienexternen Nachfolger oder an einen Wettbewerber. Doch wo findet sich ein geeigneter Nachfolger? Am einfachsten sucht der Übergeber zunächst im eigenen Unternehmen – unter Umständen befindet sich sogar unter den eigenen Mitarbeitern jemand, der sich für eine Unternehmensübernahme interessiert. Doch nicht jeder fähige Mitarbeiter ist auch ein guter Unternehmer oder möchte gar ein Unternehmen kaufen. Die Suche über das persönliche Umfeld, der Gang an eine Unternehmensbörse oder der Verkauf über spezielle M&A-Agenturen bleiben dann als Perspektive. Im Falle eines solchen Verkaufsvorhabens stellt sich die Frage, wie der Betrieb zu einem bestmöglichen Preis und zu bestmöglichen Bedingungen veräußert werden kann: Es gilt also, Marketing in eigener Sache zu machen. Im Gegensatz zum bisherigen Vertriebs-Engagement des Unternehmens sind es jedoch nicht mehr die Produkte oder Leistungen, die im Mittelpunkt des Interesses stehen, sondern der Betrieb selbst – eine Erfahrung, die die meisten Unternehmer wohl nur einmal in ihrem Leben machen. Vor diesem Hintergrund erscheinen die Elemente des klassischen Marketing-Mixes in einem neuen Licht: Produktpolitik: Die Kernfrage der Produktpolitik, welche Produkte bzw. Leistungen am Markt angeboten werden sollen, beantwortet sich im Fall des Unternehmensverkaufs von selbst. Es geht um den Betrieb, der jedoch für potenzielle Käufer erst noch fassbar gemacht werden muss. Der Blick in die Produktionsstätten oder die Büroräume hat zwar auch schon eine gewisse Aussagekraft, doch müssen diese offensichtlichen Informationen durch viele zusätzlichen Angaben vornehmlich aus dem Zahlenwerk des Betriebs ergänzt werden, um ein umfassendes Bild zu liefern. Aus diesem Grund ist ein Unternehmensprofil neben der eigentlichen Due Diligence des Erwerbers die entscheidende Unterlage im Prozess eines Unternehmensverkaufs. Preispolitik: Zu welchen Bedingungen (Preise und Konditionen) sollen die Produkte bzw. Leistungen angeboten werden? Um für das Produkt „Unternehmen“ einen Preis festlegen zu können, ist eine Unternehmensbewertung die verlässliche Grundlage. Sie kann – z. B. durch eine entsprechende Ertragsvorschau – darüber hinaus triftige Argumente liefern, warum ein bestimmter Preis (auch im Hinblick auf die spätere Finanzierung des Unternehmenskaufs aus dem Cash-Flow) gerechtfertigt ist, und dadurch die Preisspielräume des Verkäufers maximieren. Distributionspolitik: Auch die Antwort auf die Frage, an wen und auf welchen Wegen das Produkt „Unternehmen“ verkauft werden soll, ist eine klassische Marketing-Heraus-
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forderung. Um die richtigen Interessenten gezielt ansprechen zu können, sollten die Entscheidungen über die Verkaufsstrategie und -form bereits im Vorfeld getroffen werden. Kommunikationspolitik: Welche Maßnahmen sollen zur Information und positiven Beeinflussung eingesetzt werden, um das Produkt abzusetzen? Im Falle eines Unternehmensverkaufs ist diese Frage relativ einfach zu beantworten. Da die üblichen Wege in der Regel nicht beschritten werden (beispielsweise werden die sonst im Vertrieb und in der PR tätigen Mitarbeiter kaum als Verkäufer des Unternehmens auftreten), stehen hier das Unternehmensprofil, aber auch der Unternehmer selbst als zentrale Vertriebsperson im Mittelpunkt. Beide haben vor allem die Aufgabe, die akquisitionsstarken Attribute des Unternehmens herauszustellen. Wie immer im Marketing gehen die einzelnen Bereiche ineinander über und sind voneinander abhängig. Umso wichtiger ist es deshalb, dass das Konzept für die geplante Vorgehensweise aus einem Guss und in sich schlüssig ist. Auch Experten wie Unternehmens-, Rechts- oder Steuerberater, die zur Unterstützung hinzugezogen werden, sollten diese Maßgabe berücksichtigen und Hand in Hand arbeiten können und wollen. Im Folgenden werden die genannten Elemente eines „Marketing-Mixes für den Unternehmensverkauf“ vom Unternehmensprofil bis zu den typischen Verkaufsformen im Einzelnen erläutert. Ergänzt wird diese Darstellung, die sich am Prozessverlauf einer Betriebsveräußerung orientiert, durch Anmerkungen zu den Themen „Due Diligence“ und „Finanzierung“.
2.
Das Unternehmensprofil – die Basis für jeden Verkaufserfolg
Auf welchem Weg Übergeber und potenzielle Nachfolger auch zueinander finden – in einem ersten Gespräch muss der Unternehmer den Interessenten seinen Betrieb vorstellen können. Er benötigt dafür oftmals mehr Informationen, als ihm spontan einfallen. Außerdem soll die Präsentation möglichst attraktiv sein und neugierig auf den Betrieb machen. Ein professionelles Unternehmensprofil, das die Stärken und Schwächen des Unternehmens angemessen gewichtet und wiedergibt, ist deshalb das geeignete Mittel der Wahl für die ersten Verhandlungen zwischen Übergeber und Übernehmer. Eine solche Beschreibung eines Unternehmens umfasst sowohl qualitative als auch quantitative Faktoren, die zwar realistisch dargestellt sein müssen, allerdings im Sinne des häufig zitierten „halb vollen und nicht halb leeren Glases“ positiv auf den bzw. die Interessenten wirken sollten. Zu den qualitativen Eckdaten eines Betriebs zählen beispielsweise:
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Historie: Welchen Weg hat das Unternehmen seit der Gründung genommen? Es gilt, die Meilensteine zu beschreiben, die das Unternehmen geprägt und zu dem gemacht haben, was es heute ist. Tradition und Wandel charakterisieren gleichermaßen den im Laufe der Jahre erworbenen Ruf des Betriebs. Aus Marketing-Gesichtspunkten spielt hier vor allem der Gesamteindruck einer soliden Stabilität und Kontinuität eine entscheidende Rolle. Betriebsfläche: Die Angaben zur Betriebsfläche vermitteln einen ersten Überblick über die Größe und die funktionale Einteilung des Unternehmens. Erweiterungs- und Ausbaumöglichkeiten können für den potenziellen Käufer eine wichtige Entscheidungsgrundlage bei einer Übernahme sein. Wesentlich sind außerdem die Eigentumsverhältnisse der Grundstücke und Gebäude bzw. die Restlaufzeit von Miet- oder Pachtverträgen. Stellung im Markt: Wo steht das Unternehmen im Markt? Wo liegen die Vorteile seiner Produkte und Leistungen im Vergleich zum Wettbewerb? Das Unternehmensprofil muss die attraktiven Bereiche des geschäftlichen Umfelds herausstellen. Vor allem klare Wettbewerbsvorteile, die das Unternehmen im Vergleich zur Konkurrenz hat, sollten plastisch dargelegt werden. Kundenstruktur: Die Nachfrage nach den Leistungen und Produkten des Unternehmens muss auch in Zukunft gesichert sein. Eine anschauliche Charakterisierung der bestehenden Geschäftsbeziehungen und die Beschreibung einer attraktiven Kundenstruktur geben dem potenziellen Übernehmer Aufschluss über seine Perspektiven. Sitz: Die Standortbedingungen eines Betriebs sind in der Regel nur wenig beeinflussbar. Auch für den potenziellen Käufer stellen sie weitgehend fixe Rahmenbedingungen dar, die sich auf die Kosten und den Umsatz auswirken können. Wichtig ist es, die für den jeweiligen Verkaufsinteressenten einschlägigen Standortfaktoren herauszustellen – hier zeigt sich deutlich die Verzahnung mit dem Marketing-Mix. Mitarbeiterstruktur: Die Mitarbeiter eines Unternehmens tragen in hohem Maße zum Betriebserfolg bei. Vor allem in der Anfangsphase ist ein Übernehmer auf deren Erfahrung und unternehmensspezifisches Wissen angewiesen. Auch beim Verkauf an andere Unternehmen ist die bestehende Struktur ein wesentliches Verkaufsargument. Einzelne wichtige Angestellte, die mit besonderen Aufgaben betraut sind, sollten gesondert erwähnt und in ihrer Kompetenz im Unternehmensprofil beschrieben werden. Sonstiges: Weist die Struktur des Unternehmens Besonderheiten auf, die unter den bisher genannten Kategorien noch nicht erwähnt wurden, bei der Übergabe aber von wesentlicher Bedeutung sind? Erfasst werden sollten auch alle ergänzenden Informationen, die nach Meinung des Übergebers zum Profil dieses speziellen Unternehmens dazugehören. Die zweite wichtige Informationsquelle eines Unternehmensprofils sind die quantitativen Faktoren. Hierzu zählen die Gewinn- und Verlustrechnungen sowie die Bilanzen. Und auch wenn viele Unternehmer zögern, diese Zahlen preiszugeben – ein Erwerber muss sie doch kennen, um sich ein umfassendes Bild vom Unternehmen machen zu können. Eine höhere Sicherheit schafft hier eine Geheimhaltungserklärung der Erwerberseite, die sich damit zum Stillschweigen verpflichtet.
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So unüblich dies in Deutschland mit einer eng an den Gläubigerinteressen orientierten Bilanzpolitik auch noch ist: Auch die Aufbereitung des Zahlenmaterials ist unter MarketingGesichtspunkten vorzunehmen. Dabei geht es weniger darum, einzelne Zahlen herauszustellen, sondern vielmehr darum, ein in sich schlüssiges, den realen Gegebenheiten angepasstes Bild zu vermitteln. Unter Umständen sollte auch über eine den internationalen Gepflogenheiten angepasste Darstellung – z. B. nach IFRS-Standard – nachgedacht werden. Ausführlicher erläutert werden im Unternehmensprofil: Gewinn- und Verlustrechnungen: Welche Rendite wurde in den letzten Jahren erwirtschaftet? Die Ertragskraft des Unternehmens spielt für einen Interessenten neben Art und Inhalt der Geschäftstätigkeit eine herausragende Rolle. Es gilt deshalb, die Entwicklung der Erträge und Aufwendungen sowie die Entstehung des Ergebnisses darzustellen. Bilanzen: Woher kommen die finanziellen Mittel des Betriebs und wie wurden sie eingesetzt? Die Bilanz zeigt dem Nachfolger die Vermögensverhältnisse, den Kapitalaufbau und die Finanzierung des Unternehmens. Bereits aus einer Übersicht über die letzten drei Jahre wird ersichtlich, welche Entwicklung das Unternehmen genommen hat und wie es aller Voraussicht nach weitergehen kann. Planungsrechnungen: Hier zeigt sich die Notwendigkeit eines zielgerichteten Marketings besonders deutlich. Weder der berühmte „Hockey-Stick“ (in der Vergangenheit schlechte Zahlen, für die Zukunft sieht alles besser aus) noch eine zu vorsichtig eingeschätzte Entwicklung des Unternehmens wird potenzielle Erwerber begeistern. Marketing in diesem Zusammenhang bedeutet vor allem, die Plausibilität der vorgelegten Zahlen herauszuarbeiten. Warum ist die Entwicklung des Unternehmens so und nicht anders geplant? Eine nachvollziehbare Herleitung der zu erwartenden Ergebnisse gibt einem Interessenten Planungssicherheit und macht für ihn das risikoreiche Projekt eines Unternehmenskaufs kalkulierbarer.
3.
Unternehmensbewertung – die richtige Methode auswählen
Bei einer Unternehmensveräußerung ist der finanzielle Aspekt von besonderer Bedeutung. Dabei betrachten die Beteiligten die Transaktion allerdings aus unterschiedlichen Blickwinkeln: Ein Käufer sucht ausbaufähige strategische Potenziale, fragt, wohin sich das Unternehmen in Zukunft entwickelt, scheut überflüssige Kosten. Auch seine Ziele sind wichtig: Ist er ein Wettbewerber mit Interesse an den zusätzlichen Kunden, ein engagierter Existenzgründer oder langjähriger Angestellter mit Erfahrung in der Branche und Kenntnis des Unternehmens? Letztlich will jeder Käufer möglichst wenig bezahlen.
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Der Verkäufer nimmt einen völlig anderen Standpunkt ein. Für ihn geht es um die vergangenheitsorientierte Bewertung seines Lebenswerks und damit um die quantitative Beurteilung seines bisherigen Erfolgs. Er wird ihn – allein aufgrund der investierten Zeit und Mühen – in vielen Fällen zu hoch bewerten. Möglicherweise will er auch langjährige Mitarbeiter ungeachtet ihrer Leistungsfähigkeit absichern. Darüber hinaus stellt der Veräußerungspreis für eine Vielzahl mittelständischer Unternehmer die Altersversorgung sicher. Letztlich will jeder Verkäufer möglichst viel bekommen. Was aber ist der Wert eines Unternehmens? Und wie bewertet man? Diese Fragen beschäftigen sowohl Käufer als auch Verkäufer in den allermeisten Fällen sehr intensiv. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach einer fundierten Unternehmensbewertung, deren Antwort auf den ersten Blick banal erscheint: Ein Unternehmen ist so viel wert, wie sich am Markt damit erzielen lässt; es herrscht die Maßgabe der vollendeten Tatsachen. Damit ist jedoch weder dem Unternehmer geholfen, der wissen will, ob er aus dem Verkaufserlös seine Altersversorgung bestreiten kann, noch dem Kaufinteressenten, der abschätzen muss, ob er den Kaufpreis für die Übernahme des Unternehmens finanzieren kann. Deshalb gibt es eine Vielzahl von Bewertungsmethoden und nicht ein richtiges Verfahren für alle Fälle. Das Bewertungsverfahren gibt es also nicht. Jeder Betrieb muss individuell bewertet werden, wobei unterschiedliche Bewertungsmethoden richtig sein können. Während beim einen Betrieb die Gewinne ausschlaggebend sind, sind es beim anderen die hohen Vermögenswerte, die in den Maschinen gebunden sind. Der Unternehmer selbst wird auf die Frage, was sein Unternehmen wert ist, noch eine Reihe weiterer z. B. emotionaler Komponenten benennen, bis hin zu Macht und Status als wertschöpfende Faktoren. Die Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Verfahren richtet sich vor allem danach, ob es die geeigneten Argumente für die Rechtfertigung der individuellen Kaufpreisvorstellungen liefert. Die Wahl des Verfahrens und damit das Ergebnis der Bewertung hängen also von der Bewertungssituation und dem Bewertungsziel ab, was sogar dazu führen kann, dass Käufer und Verkäufer unterschiedliche Verfahren wählen. Nicht zuletzt deshalb empfiehlt es sich, für die Bewertung Experten zurate zu ziehen. Im Hinblick auf die Bewertung von mittelständischen Unternehmen muss ein erstes Fazit demnach lauten: Praxis vor Theorie, Erfahrung vor Literatur. Pragmatischen, aber anspruchsvollen Methoden ist der Vorzug zu geben vor mathematisch hoch komplexen, für die Verhandlung aber wenig hilfreichen Verfahren. Die Moderationsfunktion eines guten Beraters zwischen den Parteien hat dabei eine wichtige Funktion. Welche Orientierungsmöglichkeiten zur Kaufpreisfindung gibt es nun? Der Kaufpreis sollte sowohl den materiellen als auch den immateriellen (z. B. Know-how) Wert des Unternehmens widerspiegeln, aber auch individuelle Faktoren wie Branchenzugehörigkeit und regionale Unterschiede berücksichtigen. Anhand dieser Faktoren wird das Verfahren ermittelt, welches für den jeweiligen Vertragspartner am günstigsten ist. Im Rahmen des vorliegenden Beitrags ist es nicht zielführend, auf einzelne Details der verschiedenen Methoden einzugehen.
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Grundsätzlich sind jedoch u. a. kontinuierliche Erträge und Umsätze, ein plausibles Marktpotenzial, ein gutes Standing im Markt oder auch eine qualifizierte zweite Führungsebene Faktoren, die ein Unternehmen attraktiv machen und entsprechend bei einer Unternehmensbewertung gewichtet bzw. unter Marketing-Aspekten herausgestellt werden sollten. Hingegen sind stille Reserven auf Liegenschaften, protzige Verwaltungsgebäude oder hohe Lagerbestände eher nicht werterhöhend.
Was ein Unternehmen attraktiv macht ... ... und was nicht
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kontinuierliche Erträge und Umsätze plausibles Marktpotenzial gutes Standing im Markt Konkurrenzvorteile Kundenorientierung qualifizierte zweite Führungsebene
Abbildung 1:
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stille Reserven auf Liegenschaften nicht betriebsnotwendige Aktiva protzige Verwaltungsgebäude ungenutzte Kapazitäten und Maschinen hohe Lagerbestände kritiklose Mitarbeiter/Ja -Sager in der Führungsmannschaft
Attraktivitätsmerkmale des Unternehmens
Allerdings kommt an dieser Stelle die Interessenlage des potenziellen Erwerbers zum Tragen, die die Wahl eines bestimmten Bewertungsverfahrens zur Folge haben kann bzw. haben sollte, wenn der Verkäufer vor allem in Marketing-Kategorien denkt. Kommt es einem Erwerber z. B. auf die zukünftigen Potenziale des Unternehmens an, ist eine Form der Ertragswertmethode der richtige Weg, ist er hingegen an bestimmten materiellen Aspekten des Betriebs interessiert (einer modernen Produktionsanlage oder auch am Betriebsgrundstück in besonderer Lage), empfiehlt es sich, die Substanz des Unternehmens bei der Bewertung in den Vordergrund zu stellen. Auf diese Weise können die für den Käufer entscheidenden Attribute hervorgehoben und damit zu einer ihn überzeugenden Begründung der Kaufpreisvorstellung herangezogen werden.
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Verkaufsstrategien – das Unternehmen erfolgreich vermarkten
Anders als im klassischen Produktvertrieb geht es bei der Vermarktung des Objekts „Unternehmen“ nicht darum, möglichst viele Interessenten in möglichst kurzer Zeit zu erreichen. Der Verkauf eines Unternehmens ist ein sensibles Thema, und so müssen bei den Entscheidungen über den Vertriebsweg und den zu veranschlagenden Zeithorizont vor allem die Ausgangssituation des Betriebs und die Ziele des Verkäufers berücksichtigt werden. Verfügt das Unternehmen beispielsweise über Produkte mit einem deutlichen USP oder agiert es in einem Markt mit hohem Konkurrenzdruck? Eine frühzeitige und breite Veröffentlichung der Verkaufsabsichten könnten im zweiten Fall dafür sorgen, dass Kunden zur Konkurrenz abwandern, da sie nicht sicher sein können, wie sich ihr bisheriger Lieferant weiter entwickeln wird. Möchte der Unternehmer vor allem den Verkaufspreis maximieren, geht es ihm um die Fortführung einer bestimmten Tradition oder um die Sicherung der Arbeitsplätze seiner Angestellten? Maximierungsabsichten erfüllen sich in der Regel am ehesten, wenn durch eine breitflächige Bekanntgabe viele potenzielle Käufer unter einem bestimmten Zeitdruck zusammenkommen – die Erfüllung bestimmter Ideale hinsichtlich Traditionserhalt und Kontinuität lässt sich hingegen am ehesten erreichen, wenn mit ausreichend Vorlauf nur ausgewählte Interessenten angesprochen werden. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die Strategie der Interessenten-Ansprache zwischen den Polen „selber suchen“ und „durch einen Dritten anonymisiert suchen lassen“, zwischen einer gezielten, persönlichen Kontaktaufnahme und einer breiten Streuung der Information und schließlich zwischen den Möglichkeiten von Einzelverhandlungen und einem Bieterverfahren fein austariert werden sollte. Diese Eckpfeiler geben den Rahmen vor, in dem dann das Unternehmen mittels „Marketing“ bestmöglich platziert werden kann. Dazu zählt an erster Stelle das bereits geschilderte Unternehmensprofil. Ein Unternehmensprofil wird allerdings nur selten ohne eine vorher unterzeichnete Vertraulichkeitserklärung herausgegeben. Das Unternehmen will und muss sich vor der Weitergabe von internen Daten und Informationen schützen. Der Verstoß gegen die Vertraulichkeitserklärung wird deshalb auch durch eine entsprechend scharfe Vertragsstrafe sanktioniert. Allerdings darf der Wert einer Vertraulichkeitserklärung auch nicht überschätzt werden. Redliche Kaufleute werden sich an die Vereinbarungen halten, doch schwarze Schafe gibt es überall. Wer sich ernsthaft für den Betrieb interessiert, wird das Unternehmensprofil intensiv studieren. In den sich anschließenden Gesprächen mit den potenziellen Käufern trennt sich dann die Spreu vom Weizen. Durch das persönliche Kennenlernen von Veräußerer und Erwerber entscheidet sich häufig, ob unter den Interessenten passende Kandidaten sind und – wenn es mehrere Alternativen gibt – wer den endgültigen Zuschlag erhalten soll. Nach der Sichtung der ersten Informationen kommt es in der Regel zu einer Betriebsbesichtigung. Auch hier gilt unter Marketing-Gesichtspunkten die Strategie des „halb vollen Glases“
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– Missstände dürfen nicht verschleiert werden, Vorteile können und sollten jedoch mit Nachdruck hervorgehoben und vor der Betriebsbegehung entsprechend „in Szene“ gesetzt werden. Des Weiteren empfiehlt es sich, eine Absichtserklärung („Letter of Intent”) auszutauschen, in der die Verhandlungsgrundlagen, über die sich die Parteien geeinigt haben, und die bisherigen Vertragsmodalitäten fixiert werden. Der Letter of Intent enthält idealerweise einen Zeitplan für den Erwerbsvorgang und nennt die Gründe, die einen der Beteiligten zu einem Abbruch der Verhandlungen berechtigen. Diese frühzeitige Formulierung der Vertragsgrundlagen und Zielsetzungen des Unternehmensverkaufs durch Käufer und Verkäufer gemeinsam trägt entscheidend dazu bei, Missverständnisse im weiteren Verlauf der Verhandlungen zu vermeiden. Zugleich ist der Letter of Intent – als eine Art „Verlobung“ vor der eigentlichen Hochzeit – ein wichtiges Marketing-Instrument, um dem Käufer die nötige Sicherheit für alle weiteren Schritte zu geben und ihm seinen exklusiven Verhandlungsstatus zu signalisieren. Und auch für den Verkäufer bedeutet das Schriftstück Sicherheit, dokumentiert der potenzielle Käufer durch den Letter of Intent doch seinen ernsthaften Willen, das Unternehmen zu erwerben. Zumeist legt er in diesem Zusammenhang zudem ein Grobkonzept für die Fortführung des Unternehmens, ein indikatives Kaufpreisangebot sowie sein Modell für die Finanzierung des Kaufpreises vor. Die Kette der vorbereitenden Schritte, an deren Ende die Unterzeichnung des Kaufvertrags steht, schließt sich mit einer Due Diligence (mehr dazu in Kapitel 6). Zusammenfassend noch einmal der prozessuale Ablauf eines Unternehmensverkaufs im Gesamtüberblick:
Vorbereitungs-
Verhandlungs-
Umsetzungs-
phase
phase
phase
Vertragsvorbereitung Unternehmensdarstellung Unternehmensbewertung
Vertragsverhandlungen Geheimhaltungsvereinbarung Kandidatengespräch
Vertragsdurchführung Kaufpreiszahlung Unterstützung wie Beirat etc
Käufer-/Verkäufer -Analyse
Finanzierungsnachweis
Einführung des Nachfolgers
Verhandlungsgrundlagen
Due Diligence
Neuausrichtung d. Unternehmens
Käufersuche
Übernahmekonditionen Preisvereinbarungen Vertragsabschluss
Abbildung 2:
Phasenmodell der Due Diligence
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5.
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Typische Verkaufsformen
Um das Unternehmen als eigenes Gebilde zu erhalten, scheuen viele Unternehmer den Verkauf an einen Konzern oder gar an die eigene Konkurrenz. Wenn eine Übernahme schon außerhalb der Familie stattfinden muss, dann soll der Betrieb seinen mittelständischen Charakter behalten. In diesem Fall bietet sich ein so genanntes „Management-Buy-in“ (MBI) oder ein „Management-Buy-out“ (MBO) an. Nachfolgend sollen diese beiden Grundformen kurz unter Marketinggesichtspunkten beleuchtet werden.
Verkauf an Einzelpersonen oder Personengruppen Management-Buy-out – hinter diesem Begriff verbirgt sich eine bekannte und oftmals nahe liegende Form der Unternehmensübertragung: die firmeninterne Übernahme des Betriebs. Eine einzelne Führungskraft bzw. das existierende Management übernimmt die Mehrheit am Unternehmen. Sowohl der Besitz als auch die Leitung des Unternehmens gehen auf diese Person bzw. Personen über. Im Vergleich mit der Übernahme eines fremden Unternehmens hat ein Management-Buy-out einige Vorteile zu bieten – immer vorausgesetzt, dass das Betriebsklima stimmt. Zentrales Marketing-Argument im Falle eines MBO ist, dass der Übernehmer zumeist sehr genau weiß, worauf er sich einlässt: Er ist in das Unternehmen hineingewachsen und kennt es von innen, so dass eine langfristige Vertrauensbildung stattfinden konnte. Die bisherige Firmenleitung, der Führungsstil, die Organisation und die Beschäftigten sind dem Übernehmer bestens bekannt. Auch hat er ausreichend Zeit und genügend Informationen, um zu entscheiden, ob und wie er dieses Unternehmen in der Zukunft führen will. In Gesprächen hat er die Chance herauszufinden, wie es mit der Akzeptanz und Flexibilität der künftigen Belegschaft im Hinblick auf Veränderungen aussieht. Die Folgen einer Entscheidung für die Übernahme eines bekannten Unternehmens sind wesentlich leichter kalkulierbar als bei der Übernahme eines fremden Betriebes. Nachteilig für den Betrieb könnte sich bei einem MBO auswirken, dass der Übernehmer als interne Person automatisch zu Betriebsblindheit neigt. Wer „zu nah dran“ ist, verliert gelegentlich den Blick für das Ganze und die wesentlichen Belange einer Unternehmung. Völlig neue Impulse, die eher von externen Übernehmern zu erwarten sind, kann das Unternehmen von einem internen Übernehmer nur begrenzt erwarten. Die besondere Qualität eines MBO ist Kontinuität. Wichtig ist deshalb, dafür zu sorgen, den „frischen Wind“ auf andere Weise ins Unternehmen zu holen, um innovativ und wettbewerbsfähig zu bleiben. Nicht zu verwechseln ist ein MBO mit dem MBI, dem Management-Buy-in: Hier erwerben ein oder mehrere externe Manager das Unternehmen und übernehmen die Geschäftsführung. Eine Mischung aus beiden Formen, etwa wenn betriebsinterne Führungskräfte nicht genü-
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gend Kapital oder Management-Kompetenz aufbringen können und sich deshalb die Verstärkung von externen Managern ins Boot holen, wird als Buy-in/Management-Buy-out (BIMBO) bezeichnet. In beiden Fällen verläuft die Ansprache der externen Interessenten unter Marketing-Aspekten wie bisher geschildert: Es geht darum, das Interesse der potenziellen Käufer zu wecken und auf der Grundlage fachlich fundierter Informationen ausgewogene Verhandlungen zu führen.
Verkauf an andere Unternehmen Alternativ zum Verkauf an unternehmensinterne oder -externe Personen kann auch die Betriebsveräußerung an ein anderes Unternehmen in Betracht gezogen werden. Als potenzielle Interessenten kommen dann ehemalige Wettbewerber, Kunden oder Lieferanten in Frage, die durch den Erwerb des Unternehmens ihre Produktpalette, ihre Produktionsprozesse oder ihre Vertriebsmöglichkeiten optimieren möchten. Als intimer Kenner der Branche und der ehemaligen Geschäftspartner/Wettbewerber sollte es dem Unternehmer möglich sein zu antizipieren, wo das jeweilige Kaufinteresse liegen könnte. Bei aktiver Ansprache eines anderen Betriebs ist im Hinblick auf ein gutes Marketing dann vor allem in diese Richtung der „optimalen Ergänzung“ und der möglichen Synergieeffekte zu argumentieren; tritt der Kaufinteressent von selbst an das Unternehmen heran, sind diese Aspekte auf jeden Fall bei der Aufbereitung der Unterlagen, der Unternehmenswertbestimmung etc. zu berücksichtigen. Damit ist die Vorgehensweise bei einem Verkauf an andere Unternehmen deutlich von strukturellen und taktischen Überlegungen geprägt. Während bei einem MBO oder MBI auch die menschliche Komponente eine Rolle spielt und die richtige Chemie zwischen Verkäufer und Erwerber ein Marketingtrumpf sein kann, verläuft der Verkauf an einen anderen Betrieb eher professionell und dem rein unternehmerischen Kalkül folgend. Entsprechend strategisch sind die Marketing-Argumente zu wählen.
6.
Due Diligence – das Vertrauen des Käufers rechtfertigen
Hat der potenzielle Käufer mit dem Firmenprofil bereits eine ausführliche Beschreibung des Unternehmens vorliegen, muss er sich auch von der Richtigkeit aller Angaben und Informationen überzeugen können. Das heißt: Nach einem intensiven Studium des Kfz-Prospekts und aller technischen Daten des Wagens folgt nun die „Motorinspektion beim TÜV“.
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Dieser – als Due Diligence bezeichnete – Schritt bedeutet eine intensive ganzheitliche Unternehmensanalyse. Er stellt eine wesentliche Grundlage für die endgültige Kaufpreisermittlung des Unternehmens dar und zeigt die Problempunkte auf, die bei der Vertragsgestaltung, insbesondere bei den Gewährleistungen, Zusicherungen und Garantien berücksichtigt werden müssen. Durch eine Due Diligence erhält der Übernehmer Einblick in alle wichtigen Unternehmensdaten, der wesentlich tiefer geht als die Darstellungen im Unternehmensprofil. Unter Marketing-Aspekten entscheidend ist, alle Informationen offen und ohne Verzögerungen – die als Verschleppungstaktik missverstanden werden könnten – auf den Tisch zu legen. Dazu zählen neben den Jahresabschlüssen der letzten Jahre natürlich auch die aktuellen betriebswirtschaftlichen Auswertungen des Steuerberaters bzw. der Finanzbuchhaltung. Die Darstellung der Finanzierung ist dabei ebenso von Bedeutung wie eine vollständige Auflistung der vorhandenen Vermögenswerte (Grundstücke, Immobilien, Maschinen etc.). Aber auch die Marktdaten (Kundenstruktur, Wettbewerbsanalysen, Absatzzahlen einzelner Produktgruppen etc.) sollten den potenziellen Käufer interessieren. Mit sorgfältig aufbereiteten Analysen kann der Verkäufer signalisieren, dass das Management des Unternehmens bisher professionell gearbeitet hat. Schließlich sind alle längerfristigen Verträge von Interesse. Auch hier muss der Übernehmer wissen, was auf ihn zukommt: Wie sind die einzelnen Arbeitsverträge gestaltet? Welche Maschinen sind geleast? Aber auch: Wie lange läuft der Mietvertrag für die Produktionsstätte? Ist er vielleicht befristet, so dass in Kürze ein kostspieliger Umzug ansteht? Die Due Diligence wird in den meisten Fällen durch ein Team durchgeführt, das aus dem Erwerber und externen Beratern besteht. Als externe Berater kommen zumeist Unternehmensberater, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Rechtsanwälte, aber auch je nach Bedarf technische Sachverständige und Immobiliengutachter in Betracht. Allerdings ist durch eine entsprechende Organisation zu verhindern, dass die einzelnen Teammitglieder gleichzeitig und an verschiedenen Stellen des Unternehmens tätig werden: Der Unternehmer als Verkäufer muss die Kontrolle über den Prozess behalten und bestimmte Sachverhalte jederzeit erläutern und kommentieren können. Eine Prüfung während des normalen Tagesgeschäfts des Unternehmens empfiehlt sich ebenfalls nicht, da die Mitarbeiter gestört und unnötig verunsichert werden könnten. Ein kluges Marketing im Kontext einer Due Diligence verlegt die Prüfung auf neutrales Gebiet wie zum Beispiel in ein nahe gelegenes Hotel. Es sorgt außerdem dafür, dass die entscheidenden Informationen und Erläuterungen nur vom Unternehmer selbst und einigen wenigen ausgewählten Führungskräften weitergegeben werden. Unorganisierte Kontakte zu den Mitarbeitern können damit ebenso vermieden werden wie ein eventuelles Zerrbild des Unternehmens aus einzelnen subjektiven Perspektiven. Ist der potenzielle Käufer zugleich ein Wettbewerber, empfiehlt sich ein mehrstufiges Verfahren zur Weitergabe von Informationen. Zu Beginn der Verhandlungen erhält der Interessent nur die weniger vertraulichen Informationen, während die direkt wettbewerbsrelevanten
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Informationen erst in einem fortgeschrittenen Stadium der Verhandlungen zur Verfügung gestellt werden. Auch eine Anonymisierung von Due-Diligence-Informationen – z. B. bei der Angabe der wichtigsten Kunden des Zielunternehmens – kann helfen, wettbewerbsrelevante Informationen zurückzuhalten und den potenziellen Käufer trotzdem bei seiner Entscheidung zu unterstützen.
7.
Finanzierung – unerwartete Unterstützung durch den Verkäufer
In vielen Fällen ist die Finanzierung für den Erwerber eines Unternehmens eine der zentralen Herausforderungen. Wird er in diesem Punkt vom Unternehmensverkäufer unterstützt, so ist dies unter Umständen das entscheidende Marketing-Argument, das einen noch zögernden Käufer endgültig überzeugt. Die Finanzierung eines Unternehmenskaufs hat mehrere Dimensionen. Da ist zum einen die Frage, Wer das Kapital aufbringt: Neben dem Käufer selbst können dies auch Dritte sein, die den Kauf mit Fremd- oder Eigenkapital finanzieren. Private Darlehen aus der Familie oder dem Freundeskreis, Bankdarlehen, Fördermittel oder auch Kapital von Beteiligungsgesellschaften sind typische Beispiele. Der zweite Aspekt, der für eine Kaufpreisfinanzierung von Bedeutung ist, ist die Frage nach dem Wie(viel)? Wie hoch ist die Summe und wie soll sie gezahlt werden? Je nach Zahlungsart – ob nun sofort und in einer Summe, über einen bestimmten Zeitraum hinweg in Raten, in Abhängigkeit von der weiteren Entwicklung des Unternehmens oder eventuell über eine Anstellung bzw. einen Beratervertrag des AltEigentümers – sind die Belastungen für den Käufer sehr unterschiedlich und lassen ihm für die Jahre nach der Übernahme mehr oder weniger Liquiditätsspielraum. Der Verkäufer des Unternehmens kann in beiden Bereichen positive Impulse für den Käufer setzen. Wenn es um die Frage geht, wer das Kapital bereitstellen könnte, sind z. B. sehr gute Kontakte des Verkäufers zu seiner Hausbank ein nicht zu unterschätzender Vorteil für den Erwerber. Wenn das Institut von der Solidität und Substanz des Verkaufsobjekts überzeugt ist, wird es eher bereit sein, die Kaufpreisfinanzierung zu übernehmen. Auch mit guten Kenntnissen der öffentlichen Fördermöglichkeiten, die ein Unternehmensnachfolger als Existenzgründer – beispielsweise über die KfW Mittelstandsbank – in Anspruch nehmen könnte, kann der Verkäufer dem Käufer als Ratgeber zur Seite stehen und ihm unter Umständen den entscheidenden Tipp auf dem Weg zu seinem optimalen Finanzierungs-Mix geben. Schließlich kommt der Verkäufer selbst als Darlehensgeber in Betracht: Gerade im Falle eines MBO kann es aufgrund des Vertrauensverhältnisses zwischen Verkäufer und Käufer dazu kommen, dass der Alt-Eigentümer einen Teil des Erlöses aus dem Unternehmensverkauf
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direkt wieder in den Betrieb investiert. Dieser Vertrauensvorschuss an den Übernehmer kann dann auch wiederum die Hausbank überzeugen – rein finanziell, aber auch psychologisch –, eventuelle Vorbehalte aufzugeben. Auch in der Frage nach dem Kaufpreis und dem Zahlungsmodus kann der Verkäufer seinem Vertragspartner durch Zugeständnisse die Kaufentscheidung leichter machen. Diese Zugeständnisse können einerseits die Kaufpreishöhe betreffen (ein Fall, der wiederum häufig dann anzutreffen ist, wenn der Verkäufer einen bestimmten Erwerber unterstützen will, da er weiß, dass er das Unternehmen in seinem Sinne weiterführen wird), kommen aber andererseits vor allem dann zum Tragen, wenn sich der Alt-Eigentümer zum Beispiel mit einer Ratenzahlung einverstanden erklärt oder gar eine fortlaufende variable Vergütung akzeptiert, die sich am jeweiligen Erfolg des Unternehmens orientiert. Ein anderes Modell, von dem beide Seiten profitieren, ist die sukzessive Zahlung einer Teilsumme des Kaufpreises durch einen entsprechend dotierten Beratervertrag: Der Verkäufer steht dem Unternehmen auch nach der eigentlichen Übertragung als Berater zur Verfügung, das dadurch weiterhin von seinem Know-how profitieren kann. Der ehemalige Lenker des Betriebs hingegen verabschiedet sich nicht von heute auf morgen aus dem Berufsleben, sondern kann mit seinen Erfahrungen sein bisheriges Unternehmen und andere Betriebe unterstützen.
8.
Marketing ist möglich!
Die Ausführungen haben gezeigt: Selbst in den Phasen eines Unternehmensverkaufs, in denen scheinbar nur Zahlen das Geschehen dominieren, sind Überlegungen, wie der Unternehmer als Verkäufer seines Betriebs durch einen gezielten Einsatz des Marketing-Mixes und die Berücksichtigung der Besonderheiten seiner jeweiligen „Zielgruppe“ den Verkaufsprozess strategisch vorantreiben kann, äußerst sinnvoll. Der erfolgreiche Abschluss steht am Ende dieser Bemühungen. Doch dabei geht es nicht nur um die Unterschrift unter einen Kaufvertrag: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Unternehmensverkäufer mit Marketingambitionen seine weiteren Vorstellungen und Wünsche jenseits der monetären Zielgröße durchsetzen kann, ist ungleich größer als diejenige im Fall eines Verkaufs ohne Marketing-Strategien. Wie z. B. ein erfolgreicher Automobil-Verkäufer wird er seinen Käufer nicht nur vom Erwerb eines Basis-Modells überzeugen können, sondern Schiebedach, Nebelscheinwerfer und Metallic-Lackierung zur Zufriedenheit des Kunden gleich mit verkaufen.
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Literatur
Böcking, H.-J.; Nowak, K.: Marktorientierte Unternehmensbewertung, in: FinanzBetrieb, Jg. 1 (1999), S. 169-176. Drukarczyk, J.: Unternehmensbewertung, München 1996. Felden B.; Klaus A.: Unternehmensnachfolge, Stuttgart 2003. Felden, B.: Unternehmensbewertung, Neuwied 1998. Friedrich, A.: Erfolgreicher Unternehmensverkauf, Wiesbaden 1998. Juesten; v. Villiez: Cash-Flow und Unternehmensbeurteilung, Berlin 1992. Gemeinsames Jahrbuch der Venture-Capital- und Private-Equity-Verbände in Deutschland, Österreich und der Schweiz, Unternehmensfinanzierung, Jahrbuch 2004, Frankfurt a. M. 2004. Handelsblatt Köln: Management Buy Out – Dokumentation, 6. Kongress, Hotel Steigenberger Frankfurt Airport 1993. Hatzig, Ch.: Unternehmensbewertung und Kaufpreisfindung beim MBO, Hamburg 1995. Hering, Th.; Olbrich, M.: Unternehmensnachfolge, München, Wiesbaden 2003. Olbrich, M.: Unternehmensnachfolge durch Unternehmungsverkauf, Wiesbaden 2005. Picot, G.: Handbuch Mergers & Acquisitions, Stuttgart 2000. Schuler, A.: Der fremde Dritte: Alternative Wege der Nachfolgeregelung über MBO und MBI, in: FAZ Nr. 211, 11.09.2001, S. B4. Sernetz, J. M.: Diplomarbeit „Finanzierung von MBO zur Regelung der Nachfolge mittelständischer Unternehmen“, Bayreuth 2002. Weinländer, H.: Unternehmensnachfolge, München 1998. Wollny, P.: Unternehmens- und Praxisübertragungen, Herne, Berlin 2005.
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Teil III Die Führung mittelständischer Unternehmen
Die Führung mittelständischer Unternehmen – Zwischen Defizit und Äquivalenz
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Die Führung mittelständischer Unternehmen – Zwischen Defizit und Äquivalenz Albert Martin/Susanne Bartscher-Finzer
Zusammenfassung
Es ist ein verbreitetes Vorurteil, dass kleinere Unternehmen weniger gut geführt werden als größere Unternehmen. Empirische Unterstützung erfährt diese Auffassung durch Erhebungen, die zeigen, dass kleinere Unternehmen das vorhandene betriebswirtschaftliche Instrumentarium nicht in gleichem Umfang nutzen wie größere Unternehmen. Der vorliegende Beitrag zeigt, dass dieser Tatbestand nichts über die Qualität der Unternehmensführung aussagt. Die Unternehmensgröße schafft zwar unterschiedliche Handlungsvoraussetzungen. Die Fähigkeit, effiziente Handlungsstrukturen zu entwickeln, bleibt davon jedoch unberührt.
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Albert Martin/Susanne Bartscher-Finzer
Problembeschreibung
Mittelständischen Unternehmen werden wie selbstverständlich erhebliche Defizite in der Unternehmensführung bescheinigt. Angeführt werden Mängel in der Methodenkenntnis, Unzulänglichkeiten im Aufbau von Informationssystemen und ganz allgemein Schwächen in der Professionalität beim Umgang mit betriebswirtschaftlichen Problemen. Empirische Befunde scheinen diese Sachlage (die Defizithypothese) zu bestätigen. Eine nähere Betrachtung führt dagegen zu einem gegensätzlichen Ergebnis, sie belegt vor allem eine Voreingenommenheit in der empirischen Forschung, die sich auf die Betrachtung der instrumentellen Seite des Managements beschränkt, also darauf, welche Instrumente eingesetzt werden, ob mittelständische Unternehmen über Stäbe verfügen, Planungsverfahren einsetzen, Controlling betreiben usw. Aus einer derartigen Perspektive kommt man nahezu zwangsläufig zur Diagnose des Mangels. Dabei wird übersehen, dass die Dimensionen und Handlungssituationen von kleineren Unternehmen oft gänzlich anders sind als die von Großunternehmen etwa im Hinblick auf die Sortimentbreite, die Standorte, die Komplexität der Technologie und die Heterogenität der Belegschaft. Wenn in Großkonzernen dieselben Methoden zum Zuge kämen wie in Kleinunternehmen, dann wäre eben dies doch sehr merkwürdig. Berücksichtigen muss man aber auch ganz grundsätzlich, dass es selbst bei völliger Gleichheit der Handlungssituation keinen „one best way“ gibt: Auch zwei völlig gleichartige Unternehmen können auf sehr unterschiedlichem Weg zum Erfolg kommen. Was aber für identische Unternehmen gilt, gilt umso mehr, wenn man Unternehmen einander gegenüberstellt, die sich in ihrer Handlungssituation fundamental unterscheiden. Es ist daher nur plausibel, dass kleinere Unternehmen andere Handlungsstrategien verfolgen und andere Strukturen herausbilden als große Unternehmen, und damit nicht schlechter, sondern unter Umständen sogar besser fahren (Äquivalenzhypothese). Die Zielsetzung unseres Beitrags ergibt sich unmittelbar aus diesen Überlegungen. Geprüft werden soll, ob es nicht einfach nur in der Natur der Sache liegt, dass sich größere und kleinere Unternehmen in ihrem Verhalten unterscheiden. Um hierzu etwas Fundiertes sagen zu können, ist es notwendig, einen gemeinsamen Bezugspunkt des Vergleichs von kleinen und großen Unternehmen zu finden. Ein tragfähiger Bezugspunkt ergibt sich aus der Identifikation der grundlegenden Probleme, die von allen Unternehmen gleichermaßen gelöst werden müssen, und aus der Identifikation entsprechender Gestaltungsoptionen. Der Schwerpunkt unserer Betrachtung richtet sich auf die strukturelle Komponente dieser Gestaltungsoptionen. Wir betrachten einerseits Strukturen, die die Systemstabilität gewährleisten sollen, und zum anderen gehen wir auf Strukturen ein, die die Qualität von Führungshandlungen bestimmen. Daran anschließend referieren wir exemplarisch empirische Ergebnisse, die deutlich machen können, dass große und kleine Unternehmen zwar unterschiedliche, in ihrer Effektivität aber gleichwohl äquivalente Strukturen hervorbringen können. Zunächst wollen wir jedoch im folgenden Abschnitt einige Informationen über die quantitative Bedeutung von Unternehmen unterschiedlicher Größenordnungen geben.
Die Führung mittelständischer Unternehmen – Zwischen Defizit und Äquivalenz
2.
205
Empirische Bedeutung der Unternehmensgröße
Abbildung 1 gibt einen Eindruck von der wirtschaftlichen Bedeutung von Unternehmen unterschiedlicher Größe. Etwa 98,8 % aller Unternehmen in Europa sind kleine und mittlere Unternehmen. Bemerkenswert ist die Zahl der „Mikrounternehmen“: Immerhin 92 % aller Unternehmen in Europa haben weniger als zehn Mitarbeiter. Die Hälfte dieser Unternehmen wiederum beschäftigt überhaupt keine Mitarbeiter. Anteil Beschäftigte
Mikrountern. (bis 10 MA)
Kleine Untern. (11-49 MA)
Mittlere Untern. (50-249 MA)
Großuntern. (250 u. mehr MA)
Summe
Zahl der Unternehmen (in 1.000)
17.820
1.260
180
40
19.310
Beschäftigte (in 1.000)
55.040
24.280
18.100
42.300
139.710
Umsatz je Unternehmen (in Mio. Euro)
0,4
3,6
25,7
319,0
1,6
Exportanteil am Umsatz
9%
13 %
17 %
23 %
17 %
Wertschöpfung je Mitarbeiter (in 1.000 Euro)
40
60
90
120
75
Anteil der Arbeitskosten an der Wertschöpfung
57 %
57 %
55 %
47 %
52 %
Quelle: EU-Kommission 2004, 28. Die Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2003. Einbezogen sind die fünfzehn „alten“ Mitglieder der EU sowie die Schweiz, Island, Norwegen und Liechtenstein. Die Landwirtschaft ist nicht berücksichtigt, berichtet werden die in der Quelle angegebenen Zahlen, auch wenn sie sich nicht immer exakt zu den angegebenen Summen addieren. Abbildung 1:
Grundzahlen zu kleinen und mittleren Unternehmen in Europa
Angesichts dieser Zahlen ist es schon erstaunlich, dass sich der Großteil der betriebswirtschaftlichen Literatur auf die Situation in Großunternehmen bezieht. Die direkte Gegenüberstellung der verschiedenen Größenordnungen macht aber auch deutlich, wie schwer es im Einzelnen fallen mag, überhaupt Gemeinsamkeiten zu entdecken. So wird man die Managementprobleme eines kleinen Handwerksbetriebes kaum mit denen eines multinationalen Großkonzerns vergleichen wollen. Schwer zu vergleichen sind auch Unternehmen ganz unterschiedlicher Branchen (man denke nur an die geschäftlichen Besonderheiten von Bera-
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Albert Martin/Susanne Bartscher-Finzer
tungsunternehmen im Vergleich zu denen im Textileinzelhandel oder bei Maschinenbauunternehmen). Auch macht es für die Unternehmensführung einen erheblichen Unterschied, ob man es mit einem homogenen Leistungsprogramm zu tun hat oder mit weitgehend selbstständigen Geschäftsbereichen, die weder auf der Beschaffungs-, noch auf der Produktionsund der Absatzseite irgendwelche Verflechtungen aufweisen. Unterschiedliche Anforderungen an die Unternehmensführung ergeben sich auch aus dem technologischen Niveau, der Marktdynamik, der Kapitalausstattung, dem Qualifikationsniveau der Mitarbeiter und vielen weiteren Größen. Die vielen Unterschiede in der jeweiligen Handlungssituation von Unternehmen lassen es als schwierig bis unmöglich erscheinen, allgemein gültige Aussagen zur Unternehmensführung zu gewinnen. Dieser Eindruck trügt. Denn tatsächlich gibt es einen Kernbestand von Gemeinsamkeiten, die allen Unternehmen zu Eigen sind. Und aus der Betrachtung eben dieser Gemeinsamkeiten ergibt sich eigentlich erst die Möglichkeit, einen klaren Blick dafür zu gewinnen, welcher Stellenwert den jeweiligen Unterschieden für die Führung von Unternehmen zukommt. Wir machen allerdings eine Einschränkung, was die Zahl der Mitarbeiter angeht. Managementprobleme im üblichen Sinne ergeben sich eigentlich erst aus dem Zusammenwirken von mehreren Akteuren. Zwar haben Solo-Unternehmer ebenfalls das Problem, sich selbst zu koordinieren. Diese Problematik hat jedoch eine andere Qualität als die Aufgabe, gemeinsam mit Mitarbeitern in arbeitsteiliger Weise Güter und Leistungen zu erbringen. Aber auch innerhalb von Mehrpersonenunternehmen gibt es deutliche Unterschiede, was die soziale Komponente angeht. Man vergegenwärtige sich nur die Herausforderungen an die Zusammenarbeit in einem Unternehmen mit fünf Mitarbeitern und diejenigen, die sich in einem Unternehmen mit 100 Mitarbeitern ergeben. In kleineren Unternehmen spiegelt sich das soziale Zusammenwirken noch in einigermaßen überschaubaren gruppendynamischen Vorgängen, während in Unternehmen, die die Größenordnung von 20 bis 30 Mitarbeitern überschreiten, zum Teil gänzlich andersartige Steuerungsmechanismen zum Zuge kommen. Wir wollen daher im Folgenden bei unserer Gegenüberstellung die ganz kleinen Unternehmen ausblenden. Aber auch am anderen Ende wollen wir eine Einschränkung machen. So sind insbesondere große Konzernunternehmen nicht selten lediglich durch eine juristische Klammer verbunden, betriebswirtschaftlich agieren die unabhängigen Teilunternehmen aber weitestgehend selbstständig. Von Interesse sind hier nur Letztere.
3.
Defizitmodell versus Äquivalenzmodell
Die empirische Forschung bescheinigt kleineren Unternehmen erhebliche Defizite in der Nutzung der verfügbaren betriebswirtschaftlichen Gestaltungsmittel zur Führung eines Unternehmens. Eigentlich wäre daher zu erwarten, dass kleinere Unternehmen auch weniger
Die Führung mittelständischer Unternehmen – Zwischen Defizit und Äquivalenz
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erfolgreich agieren als größere Unternehmen. Dieser Nachweis steht allerdings aus (s. u.). Wenn aber hinsichtlich des Unternehmenserfolgs kein Unterschied besteht, dann kann es mit den vermeintlichen Defiziten der Unternehmenssteuerung nicht so schlimm bestellt sein. Der Schluss liegt nahe, dass kleinere Unternehmen einfach anders – aber deswegen nicht schlechter – geführt werden als größere. 1 Während die größeren Unternehmen das herkömmliche betriebswirtschaftliche Instrumentarium intensiv nutzen, tun dies kleinere Unternehmen eben nicht. Darin ein Defizit zu erblicken, offenbart nur ein Vorurteil. Systemtheoretisch lässt sich nachweisen, dass große wie kleine Untenehmen denselben Systemanforderungen und Anforderungen an die Handlungsqualität genügen müssen (ausführlich vgl. Martin/BartscherFinzer 2005). Gleichgültig, ob ein Unternehmen nun größer oder kleiner ist, die grundlegenden unternehmerischen Aufgaben bleiben dieselben. Weiterhin können dieselben Aufgaben sehr unterschiedlich gelöst werden, so dass große und kleine Unternehmen hier jeweils ganz eigene Akzente setzen können. Der Tatbestand, dass kleinere Unternehmen oft nicht auf das ausgefeilte betriebswirtschaftliche Instrumentarium der Großunternehmen zurückgreifen, ist kein Makel. Man kann in mancher Hinsicht sogar sagen, dass dieses Instrumentarium überhaupt keinen eigenständigen Wertschöpfungsbeitrag erbringt, sondern letztlich immer ein nur unzulängliches Hilfsmittel ist. Kleinere Unternehmen sind wegen der geringeren Komplexität ihrer Führungsaufgabe sogar im Vorteil und können entsprechend ungezwungener und mit einfacheren Mitteln agieren. Jedenfalls führt es in die Irre – so die zentrale Aussage unseres Beitrags – einseitig die relativen Nachteile zu betonen, die kleinere Unternehmen im Hinblick auf die Unternehmensführung besitzen mögen (Defizitmodell). Kleinere Unternehmen können den Problemen der Unternehmensführung in einer Weise gerecht werden, die dem Vorgehen größerer Unternehmen in nichts nachsteht (Äquivalenzmodell). Aus theoretischer Sicht spricht nichts dagegen, sehr unterschiedliche Gestaltungsoptionen zu realisieren. Selbst bei völliger Gleichheit der Handlungssituation gibt es keinen „one best way“: Selbst zwei völlig gleichartige Unternehmen (gleiche Größe, gleiche Märkte, gleiche institutionelle Bedingungen) können auf sehr unterschiedlichem Weg zum Erfolg kommen. In der Systemtheorie spricht man in diesem Zusammenhang von Äquifinalität. Was aber für identische Unternehmen gilt, gilt umso mehr, wenn man Unternehmen gegenüberstellt, die sich in ihrer Handlungssituation unterscheiden. Es wäre in diesem Fall nachgerade verwunderlich, wenn sich in diesem Fall nicht andere Strategien und Strukturen bewähren würden. Welche der vielen denkbaren Gestaltungsoptionen sich tatsächlich eignen, hängt – wie man sich leicht vorstellen kann – von einer ganzen Reihe sehr unterschiedlicher Bedingungen ab. Die Unternehmensgröße ist hierbei nur ein Faktor. Will man seine Bedeutung verstehen, dann muss man sich fragen, welche Mechanismen die Unternehmensgröße mit den Prozessen verbinden, die für die Herausbildung von Strukturen verantwortlich sind. Wir können die damit verbundenen Fragen an dieser Stelle nicht näher behandeln. Angemerkt sei immerhin so viel, dass in diesen Prozessen Variablen wie der Ressourcenzugang, die Komplexität und der Sozialcharakter zum Zuge kommen. Mit zunehmender Unternehmensgröße wächst der Ressourcenpool, d. h., es steigen nicht nur die Ressourcenmenge, sondern auch die Ressour1
Es soll natürlich nicht verkannt werden, dass es ebenso schlecht geführte wie gut geführte Unternehmen gibt. Dies gilt aber gleichermaßen für kleinere wie größere Unternehmen.
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cenvielfalt und insbesondere die Fähigkeit, im Bedarfsfall Ressourcenverlagerungen vorzunehmen. Andererseits gehen bestimmte Ressourcen (etwa bestimmte Handlungsbereitschaften und Verständigungspotenziale) im Zuge des Unternehmenswachstums auch verloren. Dass mit zunehmender Unternehmensgröße die Komplexität der Unternehmensprozesse zunimmt, kann beinahe als logische Konsequenz gelten. Nicht ganz so selbstverständlich ist, dass mit der Komplexität des Aufgabensystems normalerweise auch die Komplexität des Lösungssystems steigt (Ashby 1958, Kirsch 1978). Wie bereits oben angemerkt, entstehen aus dem Wachstum von Unternehmen auch neue Steuerungsnotwendigkeiten in der Sozialsphäre. Die unterschiedliche Ressourcensituation, die andere Komplexitätsdimension und auch der unterschiedliche Sozialcharakter kleinerer und größerer Unternehmen verändern die „Fitnesslandschaft“, in der sich Unternehmensstrukturen bewähren müssen. 2 Die Veränderungen in der Unternehmensgröße legen damit jedoch nach wie vor keine ganz bestimmte, „maximal effiziente“ Struktur fest. Es bleibt normalerweise immer noch hinreichend Raum für unterschiedliche Entwicklungen, eingeschränkt wird lediglich die Entwicklungsrichtung. Ein Beispiel: Wie beschrieben, verändert sich mit der Unternehmensgröße der Sozialcharakter, weil sich die Möglichkeiten zur Entwicklung persönlicher Beziehungen zwischen Führungspersonen und Mitarbeitern ganz zwangsläufig mit zunehmender Unternehmensgröße vermindern. Damit verschwindet aber auch ein bedeutsamer Verankerungspunkt für sozialintegrative Mechanismen. Große Unternehmen brauchen andere Verankerungspunkte. Zwar versuchen auch Großunternehmen nicht selten, sich der Vorteile persönlicher Verbundenheit zu vergewissern, indem sie die Idee der großen Betriebsfamilie forcieren. Dieser Begriff verkommt aber leicht zu einer Metapher, die eher zu Ironie als zu authentischer Zustimmung Anlass gibt. Sofern sie dennoch Wurzeln schlagen kann, macht sich ihre Wirkung weniger am Fürsorgeverhalten des Unternehmens als vielmehr an Größen wie Arbeitsplatzsicherheit und Reputation fest. Unterschiedliche Handlungsstrukturen ergeben sich aber nicht nur aufgrund der Veränderung des Sozialcharakters, sondern auch aufgrund der mit steigender Unternehmensgröße zunehmenden Komplexität. Hieraus ergeben sich unmittelbar Auswirkungen zum Beispiel auf die Möglichkeiten, flexibel auf „Störungen“ oder neue Anforderungen zu reagieren. Kleineren Unternehmen wird nicht selten von vornherein eine hohe Flexibilität zugesprochen. Dies ist aber eine häufig wenig begründete Auffassung. Zwar sind die strukturellen Voraussetzungen für flexibles Handeln in kleineren Unternehmen günstiger als in Großunternehmen, weil die Wirkungen einer Systemveränderung besser abgepuffert werden können. Anderseits verfügen größere Unternehmen normalerweise über größeren Slack (Überschussressourcen), der es ihnen möglich macht, wesentlich schneller und nachhaltiger auf Veränderungen zu reagieren als kleinere Unternehmen. Letztlich sind sowohl größere als auch kleinere Unternehmen gezwungen, im Spannungsfeld zwischen der Maximierung der Effizienz ihrer Prozesse einerseits und der Bewahrung ihrer Flexibilität andererseits eine angemessene Lösung zu finden. Welche konkreten Strukturen es möglich machen, diesen Balanceakt zu erbringen, ist durch die Unternehmensgröße nicht festgelegt. 2
Zu entsprechenden evolutionstheoretischen Überlegungen, die sich mit der Herausbildung von Strukturen befassen vgl. u. a. Kauffman 1998, Aldrich 1999.
Die Führung mittelständischer Unternehmen – Zwischen Defizit und Äquivalenz
4.
209
Empirische Erkenntnisse
Die meisten der einschlägigen empirischen Studien bescheinigen kleinen und mittleren Betrieben vor allem Defizite im Management. Ein wesentlicher Grund hierfür liegt darin, dass die entsprechenden empirischen Studien ihre Aufmerksamkeit in erster Linie auf die Frage richten, ob bzw. wie häufig in diesen Unternehmen betriebswirtschaftliche Standardinstrumente eingesetzt werden. Problematisch hieran ist, dass diese Defizitbetrachtung sich einer Argumentationslogik bedient, die bereits „großbetrieblich“ vorgeprägt und die besonderen Gegebenheiten von Klein- und Mittelbetrieben nur unzureichend berücksichtigt. Dessen ungeachtet gibt es auch empirische Belege, die sich gut in das Bild des Äquivalenzmodells fügen. Hierauf sei kurz und beispielhaft eingegangen. Dabei unterscheiden wir zwischen der Systemebene und der Handlungsebene. Auf der Systemebene geht es darum, die Wirkung von Strukturen auf die Erfüllung der grundlegenden – für das Überleben einer Organisation unabdingbaren – Funktionsanforderungen zu untersuchen. In Bezug auf einzelne Handlungen macht diese Frage weniger Sinn und zwar deswegen, weil die Auswirkungen einzelner Handlungen auf die Funktionserfüllung des Gesamtsystems normalerweise eher gering sind und weil diese Auswirkungen auch wiederum „strukturell vermittelt“ werden. Dennoch sind einzelne Handlungen, insbesondere wenn sie richtungweisend, also gewissermaßen „echte Führungshandlungen“ sind, von hoher Bedeutsamkeit für den Erfolg und die Entwicklung eines Unternehmens, und es ist daher auch angebracht, die Qualität dieser Handlungen zu beurteilen.
4.1
Systemsphäre
Fast in jeder empirischen Studie über das Unternehmensverhalten stecken Informationen über Unterschiede zwischen größeren und kleineren Unternehmen und zwar aus dem einfachen Grund, weil die Unternehmensgröße in diesen Studien fast immer (und sei es nur „nebenher“) mit erfasst wird. Ein verlässliches Bild ergibt sich aus der Zusammenstellung dieser Informationen allerdings nur sehr bedingt. Hierzu sind die Fragestellungen, die Konstrukte, die Methodik und die Zusammensetzungen der Stichproben zu unterschiedlich. Verlässliche und einigermaßen repräsentative Ergebnisse liefern lediglich großzahlige empirische Erhebungen, die allerdings den Nachteil haben, dass sie notgedrungen nur mit sehr grobkörnigen Indikatoren arbeiten. In der Summe bestätigen diese Studien jedenfalls, dass mit zunehmender Unternehmensgröße das eingesetzte Instrumentarium zur internen Unternehmenssteuerung vielfältiger und anspruchsvoller wird (Behrends/Martin 2005). Allerdings finden sich auch etliche Hinweise auf Vorzüge kleinerer und mittlerer Unternehmen. In Abbildung 2 sind einige Stär-
210
Albert Martin/Susanne Bartscher-Finzer
ken und Schwächen kleinerer Unternehmen in den verschiedenen Funktionsbereichen gegenübergestellt. Anreiz Leistung
–
Geringeres Lohnniveau
+
Geringerer Arbeitsdruck
Kontrolle –
Wenig Personalcontrolling
+
Größere Einflussmöglichkeiten
Sozialisation Kooperation
– +
Integration
Weniger Weiterbildung
– Geringere Beschäftigungssicherheit
Weniger Anonymität
+ Weniger Regulierung
Aufgaben Lernen
– +
Stärkere Arbeitsbelastungen Größere Arbeitsautonomie
Auswahl –
Keine internen Arbeitsmärkte +
Rekrutierung durch Mitarbeiter
Quelle: Behrends/Martin 2005 Abbildung 2:
Schwächen und Stärken der internen Unternehmenssteuerung von kleineren und mittleren Unternehmen im Vergleich zu größeren Unternehmen
Exemplarisch sei auf die Unterschiede in den Anreizstrukturen verwiesen, bei denen sich recht deutlich erhebliche Schwächen kleinerer Unternehmen offenbaren – und zwar schon ganz zentral beim Kernelement der materiellen Anreize: den Löhnen. Sie sind in größeren Unternehmen deutlich höher als in kleineren Unternehmen. Dies ergeben übereinstimmend sowohl die Auswertungen des sozioökonomischen Panels, der sich auf die Befragung der in Deutschland lebenden Personen stützt, 3 als auch die Statistiken der Arbeitskostenerhebungen, die sich aus den Angaben von Unternehmen herleiten. 4 Auch die Lohnzusatzkosten (in denen auch freiwillige Sozialleistungen stecken) sind in größeren Unternehmen deutlich höher als in kleineren Unternehmen (Statistisches Bundesamt 2004). Ebenso gilt, dass größere Unternehmen deutlich häufiger eine betriebliche Altersvorsorge anbieten als kleinere Unternehmen, so jedenfalls die Ergebnisse des Niedersachsen-Panels (Schnabel/Wagner 1999). Und
3
4
Die Arbeitnehmer in Unternehmen mit fünf bis 19 Mitarbeitern geben einen durchschnittlichen Bruttoarbeitslohn von 2.231 Euro an, während die Mitarbeiter in Unternehmen mit mehr als 2.000 Mitarbeitern (nach eigenen Angaben) im Durchschnitt 3.435 Euro verdienen (eigene Berechnungen für das Jahr 2002, Welle S des Sozioökonomischen Panels). Im Übrigen steigt nicht nur der objektive Lohn, sondern auch die Lohnzufriedenheit deutlich mit zunehmender Unternehmensgröße (eigene Berechnungen). Der Unterschied im monatlichen Bruttolohn zwischen Betrieben mit 10 bis 19 Mitarbeitern und Betrieben mit mehr als 5.000 Mitarbeitern beträgt danach etwa 1.000 Euro, vgl. Statistisches Bundesamt 2004.
Die Führung mittelständischer Unternehmen – Zwischen Defizit und Äquivalenz
211
– um eine weitere materielle Anreizkomponente zu benennen – auch der relative Anteil der Unternehmen, die Systeme der materiellen Mitarbeiterbeteiligung eingeführt haben, ist im Segment der Großunternehmen deutlich größer als in der Gruppe der kleineren Unternehmen. 5 Den offensichtlichen Nachteilen in der Anreizstruktur stehen aber auch einige positive Anreizaspekte gegenüber. Das European Survey on Working Conditions liefert hierzu einige Hinweise. Danach herrscht in kleineren Unternehmen häufig ein geringerer Arbeitsdruck als in größeren Unternehmen – sicher ein nicht unwichtiger Anreizaspekt. Und positiv ist sicher auch zu sehen, dass die Mitarbeiter in kleineren Unternehmen über relativ große Möglichkeiten verfügen, auf die Gestaltung ihres Arbeitsplatzes und ihrer Arbeitsbedingungen Einfluss zu nehmen (Martin 2003). Mit den angeführten Variablen sind die Anreizstrukturen sicher nicht vollständig beschrieben. Erstens stecken auch in den anderen in Abbildung 2 aufgeführten Punkten Anreizaspekte, zweitens gibt es eine ganze Reihe weiterer Anreizkomponenten, und drittens käme es auch auf die spezielle Kombination der Elemente eines Anreizsystems, also auf die Konfiguration der Anreize, an. Gesicherte empirische Ergebnisse hierzu liegen nicht vor. Allerdings ist klar (auch ohne dass man jeweils Repräsentativstudien bemühen müsste), dass eine wachsende Unternehmensgröße fast unvermeidbar strukturelle Vorteile hervorbringt, die z. B. ganz andere Möglichkeiten der Anreizgestaltung zulassen. Man denke nur an die Möglichkeiten der vertikalen und horizontalen Mobilität innerhalb des Unternehmens für die Mitarbeiter oder an die Fixkostenbelastungen bei der Etablierung von Sozialeinrichtungen. Andererseits gibt es aber auch strukturelle Vorteile von kleineren Unternehmen. Ein Beispiel sind die verbesserten Möglichkeiten, immaterielle Anreize zur Geltung zu bringen (enge soziale Beziehungen, gutes Sozialklima, eine verbindliche Personalpolitik usw.). Ob die jeweiligen strukturellen Vorteile auch genutzt werden, ist eine andere Frage. Diesbezüglich gilt wie für fast alle empirisch feststellbaren Unterschiede, dass diese innerhalb der Unternehmen einer Größenklasse meist größer sind als zwischen den verschiedenen Größenklassen.
4.2
Handlungssphäre
Die größte Aufmerksamkeit in der empirischen Strategieliteratur findet der Zusammenhang zwischen Strategie und Erfolg. Die einschlägigen Untersuchungen belegen in großer Übereinstimmung, dass größere Unternehmen wesentlich häufiger eine formale strategische Planung durchführen als kleinere Unternehmen. Auch ergeben sich mehrheitlich Zusammenhänge zwischen der Intensität, in der die strategische Planung durchgeführt wird, und dem finanziellen Unternehmensergebnis. Die mittlere Effektstärke ist zwar nicht sonderlich groß, aber auch nicht unbedeutend. Ein deutlicher Zusammenhang zwischen der Unternehmensgröße
5
Von den Unternehmen mit weniger als 100 Mitarbeitern haben lediglich 10 % eine materielle Mitarbeiterbeteiligung eingeführt, bei den Unternehmen mit mehr als 2.000 Mitarbeitern sind dies dagegen 40 % (IABBetriebspanel, eigene Auswertung in der Welle des Jahres 1998).
212
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und dem Unternehmenserfolg existiert dagegen nicht (vgl. die Metaanalysen und Studien von Gooding/Wagner 1985, Capon/Farley/Hoenig 1990, Boyd 1991, Löffler 1995, Leitner 2001). Die Größe eines Unternehmens fungiert eher als Moderator- denn als Kausalvariable. Löffler kommt zu folgendem Ergebnis: „Für Großunternehmen ergibt sich ein (...) kleiner (positiver) Effekt der strategischen Planung auf den Unternehmenserfolg. Kleine Unternehmen dagegen scheinen in weitaus geringerem Maße von der Durchführung einer strategischen Planung zu profitieren (...).“ (S. 136) Tatsächlich kommt Löffler sogar zu dem Schluss: „Für kleine Unternehmen wirkt sich die Durchführung einer strategischen Planung mit Unterstützung eines formalisierten Planungssystems sogar negativ auf den Unternehmenserfolg aus.“ (S. 192) 6 Wie immer man das beurteilen will, wichtiger als Planungssysteme (oder das sonst eingesetzte betriebswirtschaftliche Instrumentarium) sind die Grundstrukturen, die dem Unternehmenshandeln ihr Gepräge geben. Ein schönes Beispiel für diese These liefert die Studie von Miller (1987), die untersucht, inwieweit in kleinen und mittleren Unternehmen bestimmte – in der organisationstheoretischen Literatur maßgeblich diskutierte – Strukturgrößen auf die Qualität von Entscheidungsprozessen einwirken. Entgegen landläufiger Vorstellungen erweist sich die „Formalisierung“ von Vorgängen und Abläufen, die oft als Synonym für bürokratische Schwerfälligkeit gilt, nicht als behindernde, sondern als positiv wirkende Größe. Es ist, so das Ergebnis der Miller-Studie, also durchaus sinnvoll, sich auch in kleineren Unternehmen nicht auf die persönliche Selbstabstimmung zu verlassen, sondern formelle Maßnahmen zu ergreifen, die die strategische Entscheidungsfindung in geordnete Bahnen lenken. Ebenfalls anders, als oft behauptet wird, wirkt sich die „Zentralisierung“ der Entscheidungskompetenzen nicht unbedingt positiv auf das proaktive Handeln aus. Allgemein erwartet man ja von einer starken Zentralisierung (d. h. von einer Konzentration der Kompetenzen bei der Führungspersönlichkeit) positive Impulse für das Vorantreiben von Vorhaben. Tatsächlich erbringt die empirische Analyse das genaue Gegenteil. Eine zentrale unternehmerische Tugend wie Aktivität und Durchsetzungskraft ergibt sich demnach eher aus der Verteilung von Verantwortlichkeiten auf die Führungskräfte und nicht aus der Konzentration der Autorität auf die Leitungsperson. Allgemein betrachtet ergeben sich strategisch bedeutsame Führungsdimensionen aus der Ausbalancierung struktureller Gegensätze. Insbesondere zu nennen sind hier die Gegensatzpaare Differenzierung und Integration, Regulierung und Offenheit sowie Autonomie und Verantwortlichkeit. Soweit es einem Unternehmen gelingt, im Spannungsfeld dieser Gegensätze jeweils eine angemessene dialektische Balance zu finden, entwickeln sich hieraus nachhaltig wirksame Führungspotenziale (vgl. Martin 1995, 2004). Kleinere Unternehmen befinden sich diesbezüglich a priori in einer vorteilhafteren Lage als Großunternehmen. Das mag zunächst unplausibel erscheinen, denn betrachtet man z. B. die Dimension Differenzierung, dann haben große Unternehmen diesbezüglich doch ganz offensichtlich deutlich bessere Möglichkeiten. Großunternehmen verfügen ja schon rein quantitativ über mehr Führungspersonal. Entsprechend können sie Bereichsleiterstellen (für Finanzen, Absatz, Forschung und Entwicklung usw.) einrichten und diese qualifiziert besetzen. Große Unternehmen können 6
Allerdings gründet diese Aussage auf den Ergebnissen von lediglich drei Studien, die nicht näher benannt werden (vgl. z. B. auch Kömpf 1989).
Die Führung mittelständischer Unternehmen – Zwischen Defizit und Äquivalenz
213
aufgrund ihrer größeren Personalsubstanz außerdem Stabsstellen einrichten und Ausschüsse mit Spezialaufgaben beauftragen. Dennoch sind kleinere Unternehmen nicht notwendigerweise im Nachteil. Unternehmensführung ist erstens in kleinen Unternehmen oft gar nicht notwendig, weil die Leistungserstellung einigermaßen übersichtlich bleibt und keinen so starken Führungsbedarf wie in Großunternehmen verursacht. Zweitens existieren auch für kleinere Unternehmen Gestaltungsoptionen. Eine Ausdifferenzierung der Führungsaufgaben muss sich nicht jeweils auf eine Person beziehen (Finanzchef, Personalchef, F&E-Chef usw.), man kann einer Person auch mehrere Ressorts zuweisen, was auch sinnvoll ist, soweit es damit nicht zu einer Aufgabenüberlastung kommt. Und man kann für bestimmte Funktionen auch die zweite Führungsebene einbeziehen. Wichtig ist, dass überhaupt Verantwortlichkeiten zugewiesen werden und nicht etwa der Unternehmensleiter alle Spezialaufgaben alleine und dann auch nur nebenher erledigt. Ähnliches gilt auch für andere Möglichkeiten, die Spezialisierungsvorteile einer Differenzierung zu nutzen: Statt Stabsstellen einzurichten, können fallweise externe Sachverständige herangezogen werden (etwa durch Kooperation mit Hochschulen). Oder es können Beiräte etabliert werden. Statt ständige Ausschüsse einzurichten, empfiehlt sich außerdem, bedarfsweise Projektgruppen ins Leben zu rufen, die sich nach Erledigung ihrer Aufgaben wieder auflösen. Drittens gestaltet sich in kleineren Unternehmen die Integrationsaufgabe wesentlich einfacher als in Großunternehmen. Während in größeren Unternehmen häufig aufwändige Planungsverfahren zum Zuge kommen (müssen), um eine Abstimmung der Führungstätigkeiten herbeizuführen, kommt man in kleineren Unternehmen normalerweise mit relativ einfachen Methoden aus. Wichtig ist allerdings, dass auch in kleineren Unternehmen methodisch vorgegangen wird, ein völlig ungeordnetes Vorgehen sollte sich niemand leisten. Der wesentliche Punkt ist, dass ein systematisches und planmäßiges Vorgehen oft auch mit Hilfe einfacher entscheidungsunterstützender Methoden möglich ist, die kein umfangreiches und spezialisiertes Know-how erfordern. Viertens wird die Wirksamkeit der formalen Mittel zur Differenzierung und Integration mit bestimmt von den informalen Regeln, die deren Anwendung ganz wesentlich unterstützen oder behindern. Auch diesbezüglich sind in kleineren Unternehmen die Ausgangsbedingungen eher besser als schlechter. Als gutes Beispiel kann auch hier die Integrationsproblematik gelten. In einem kleineren Unternehmen mit einer partizipativen Kultur, mit einer direkten und unkomplizierten Kommunikation und ohne ausgeprägte Rivalitäten kommen die Führungskräfte wesentlich schneller und besser zu gemeinsam getragenen Lösungen als in den oft schwerfälligen und von Machtinteressen geprägten Strukturen in Großunternehmen. Ähnliche Argumente lassen sich auch für die beiden anderen oben angeführten Strukturdimensionen vorbringen (vgl. Abbildung 3), worauf an dieser Stelle aus Platzgründen nicht weiter eingegangen werden kann.
214
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Differenzierung
Integration
GU
KMU
GU
KMU
Bereichsleiterstellen
Ressortzuweisungen
Planungsverfahren
Entscheidungsmethoden
Stabsstellen
Beiräte/ Sachverständige
Koordinierungsstellen
Task Forces
Ausschüsse
Schwerpunktprojekte
Vorstandskonferenzen
Lagebesprechungen
Autonomie
Verantwortlichkeit
GU
KMU
GU
KMU
Profit-CenterVerantwortung
Budgetverantwortung
G+VRechnung
Budgetverwendungsnachweis
Personalpolitikverantwortung
Personalverantwortung
Mitarbeiterbefragung
Mitarbeitergespräche
Richtlinienkompetenz
Ermessensspielräume
Tätigkeits- und Rechenschaftsbericht
Entscheidungsregeln
Regulierung
Offenheit
GU
KMU
GU
KMU
Berichtswesen
Dokumentation von Schlüsselzahlen
Spezial-/Sonderberichte
Spezial-/Sonderzahlen
Formularwesen
Belegwesen
Vorwegbelege
Nachträglichkeit
Verfahrensvorschriften
Verfahrensregeln
Ausnahmeregeln
Initiativrechte (z. B. Einberufung)
Abbildung 3 : Verankerung der Kerndimensionen von Führungsstrukturen – Formale Gestaltungsoptionen (GU = große Unternehmen, KMU = kleine und mittlere Unternehmen)
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5.
215
Fazit
Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die Äquivalenzhypothese wesentlich besser in der Lage ist, die Unterschiede im Verhalten kleinerer und größerer Unternehmen zu erklären, als die Defizithypothese. Die Unternehmensgröße ist zweifellos eine wichtige Strukturgröße, die die Verhaltensmöglichkeiten eines Unternehmens nachhaltig begrenzt. Innerhalb des jeweiligen Handlungsrahmens verbleiben aber nicht nur den größeren, sondern auch den kleineren Unternehmen hinreichend Optionen für ein Erfolg versprechendes Handeln. Begründen lässt sich dies nicht zuletzt aus der Fähigkeit von Organisationen, Strukturen zu entwickeln, die ihrer jeweiligen Handlungssituation angemessen sind. Diesbezüglich haben kleinere Unternehmen sogar einen gewissen Vorsprung, den allerdings nicht alle Unternehmen auch nutzen.
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Albert Martin/Susanne Bartscher-Finzer
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Good Governance – Familienunternehmen zwischen Wertund Werte-Orientierung Peter May/Arno Lehmann-Tolkmitt
Zusammenfassung
Wertsteigernde Unternehmensführung beruht auf dem erfolgreichen Management (Governance) von Struktur, Strategie, Finanzierung und Personal. In jedem dieser Bereiche unterscheidet sich das unternehmerische Verhalten von Familienunternehmen deutlich von dem anonymer Publikumsgesellschaften. Die Struktur von Familiengesellschaften birgt unbestreitbare Vorzüge, es drohen aber auch besondere Gefahren. Maßnahmen der Good Governance, der professionellen Optimierung der Führungs- und Kontrollstrukturen, sind daher auch für Familiengesellschaften ein Thema. Ein Weiteres kommt hinzu: Unternehmerfamilien verfügen neben einer kapitalistischen WertOrientierung in der Regel auch über eine starke Werte-Orientierung. Innerfamiliäre Solidarität, Verantwortung für das Wohl der Mitarbeiter, Verpflichtung gegenüber einem religiösen oder ethischen Ideal oder Ähnliches beeinflussen das Verhalten der Familie und wirken sich auf das Unternehmen aus. Familienunternehmen wie Miele, Henkel und Heraeus können auf eine über 100-jährige Geschichte zurückblicken; Haniel sogar auf über 200 Jahre. Betrachtet man die Verhaltensweisen dieser „Champions“ näher, lässt sich feststellen, dass sie viele Gemeinsamkeiten aufweisen. Ganz offenkundig gibt es Strukturen, die sich auf den dauerhaften Erfolg positiv auswirken. In diesem Beitrag werden Führungs- und Kontrollstrukturen vorgestellt, die im Governance Kodex für Familiengesellschaft entwickelt wurden, um den speziellen Interessen solcher Familiengesellschaften gerecht zu werden und ihr dauerhaftes Überleben zu sichern.
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1.
Peter May/Arno Lehmann-Tolkmitt
Wert- oder/und Werte-Orientierung?
Die Notwendigkeit eigener Regelungen für Governance-Strukturen in Familiengesellschaften hängt eng mit dem Wesen dieses Unternehmenstypus zusammen. Bestimmend für die Familiengesellschaft ist neben der ökonomischen in der Regel eine dynastische Zielsetzung, d.h. der Wille, das Unternehmen für einen längeren Zeitraum im Eigentum bzw. unter dem Einfluss der Familie zu halten. Die meisten Familiengesellschaften sind deshalb auch - mehr oder minder stark und mehr oder minder bewusst – durch die dominierende Eigentümerfamilie geprägt. Eine Wert- und zugleich Werte-Orientierung stellt dabei für sie keinen unüberbrückbaren Gegensatz dar. Vielmehr bringen sie diese scheinbar bipolaren Leitlinien in ein ausgewogenes Verhältnis, das letztlich sogar wechselseitig dienlich sein kann. So trägt ein ausgeprägtes Wertesystem der Familie zum langfristigen Erfolg des Unternehmens entscheidend bei. Es verhindert Auswüchse wie Korruption und Bereicherung, die bei anonymen Kapitalgesellschaften immer häufiger zu Tage treten. Es bindet die Gesellschafter näher an das Unternehmen, denn gerade der emotionale Mehrwert lässt die Eigentümer ein langfristiges Commitment abgeben. Vorgelebte Werte übertragen sich auch auf die Mitarbeiter des Unternehmens. So überrascht es nicht, dass in Umfragen regelmäßig Familienunternehmen zu den beliebtesten Arbeitgebern gewählt werden. Werte der Familie können in konkrete Ziele umgesetzt werden, die dem Management als Vorgabe und den Eigentümern als Kontrollraster dienen. Moralische Richtwerte haben eine Friedensfunktion, die helfen kann, Unsicherheiten und letztlich Misstrauen zu beschränken. Schließlich hilft ein Wertesystem, Krisen besser zu überstehen. Das gilt sowohl für Schwierigkeiten auf der Unternehmensseite als auch für Konflikte innerhalb der Familie. Klare Grundsätze geben eine Orientierung und helfen, schwierige Phasen durchzustehen.
Abbildung 1:
Familiengesellschaften gelingt die Balance zwischen Wert- und WerteOrientierung
Ethische und zwischenmenschliche Ideale können im Wirtschaftsalltag aber nur dann überleben, wenn sie sich auch mit einem klaren Bekenntnis zur Wertsteigerung verbinden lassen. Denn ohne angemessene Gewinnerzielung werden die Gesellschafter nicht bereit sein, ihr
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Kapital langfristig zur Verfügung zu stellen. Auch ein Familienunternehmen muss daher eine ausreichende Rendite erwirtschaften. Wenn die Familie den alleinigen Besitz des Unternehmens dauerhaft erhalten will, ist sie für Wachstum auf eigene Ressourcen angewiesen, denn der Zugang zu externen Kapitalquellen ist limitiert. In Familiengesellschaften erwachsen gerade aus dem Werteverständnis sehr ausgewogene Überzeugungen im Hinblick auf Ausschüttungs- und Finanzierungsfragen. Häufig schon hat etwa ein Verzicht auf Ausschüttungen dem Unternehmen die nötige Liquidität gesichert. Für die Kapitalreserven gefährliche Abfindungen austrittswilliger Gesellschafter oder die Folgen von Scheidungen können durch wohlüberlegte Regelungen eingedämmt werden. Wer sein Unternehmen langfristig in Familienhand halten will, sollte also Leitlinien für Familie und Unternehmen definiert und klare Aussagen getroffen haben, welche Wachstums-, Rentabilitäts- und Stabilitätserwartungen damit verbunden werden. Den „Champions“ gelingt dieser Balanceakt. Aber was bedeutet das konkret für die Führungsstrukturen? Antworten geben besondere Governance-Regeln, die auf verantwortungsvolle Eigentümer, ein leistungsfähiges Management und eine effiziente Kontrolle zielen.
2.
Verantwortungsvolle Eigentümer
Viele anonyme Kapitalgesellschaften leiden derzeit am Principal-Agent-Konflikt und den daraus resultierenden Entgleisungen und Exzessen einzelner Manager. Die klassische Governance-Diskussion kreist deshalb vor allem um die Frage, wie die Eigentümer vor ihren Managern geschützt werden können. Bei Familienunternehmen verhält es sich genau umgekehrt. Das Unternehmen muss weniger vor Vorständen und Aufsichtsräten geschützt werden, sondern (gegebenenfalls) vor unverantwortlich handelnden Eigentümern. Erfolgreiche Familienunternehmen haben deshalb im Feld der Corporate Governance eine Reihe von Regeln entwickelt, um der potenziellen Gefährdung des Unternehmens durch die Familie vorzubeugen. Grundsätzlich heißt verantwortungsvolles Unternehmertum, dass das Unternehmensinteresse im Zweifel Vorrang vor den individuellen Interessen des Einzelnen haben muss. Denn letztlich dient die konsequente Umsetzung des Grundsatzes „Firma geht vor“ gleichermaßen dem Schutz der Familie und dem Schutz vor der Familie. Diese Selbstbescheidung ist notwendig und betrifft eine ganze Reihe von Verhältnissen. Rechte und Pflichten der Eigentümer sind im Einzelnen zu regeln. Sonderrechte einzelner Gesellschafter sollten grundsätzlich auf ein Minimum begrenzt und stets durch sachliche Gründe gerechtfertigt sein. In der einheitlichen Stimmausübung liegt eine besondere Stärke von Familienunternehmen, da Entscheidungen schnell zu treffen und umzusetzen sind. Der Grundsatz „Firma geht vor“ verlangt daher in diesem Zusammenhang, dass Mehrheits- und Minderheitsrechte angemessen ausbalanciert werden.
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Inhaber einer Gesellschaftsbeteiligung zu sein bedeutet nicht gleichzeitig, ein Recht auf Mitarbeit im Unternehmen beanspruchen zu können. Manche Unternehmen schließen die Mitarbeit sogar grundsätzlich aus. Wie weit solche Beschränkungen auch gehen mögen, jedenfalls ist es ratsam, eine untergeordnete Position im Unternehmen nicht durch Eigentümer besetzen zu lassen, denn das verdreht notwendige Hierarchien. Genauso wenig sollten sich aus der Eigentümerstellung bevorzugte Dienstleistungen des Unternehmens ableiten lassen. Sowohl für Leistungsbeziehungen als auch für die Mitarbeit im Unternehmen sollte zumindest gelten, dass ein unabhängiges Gremium in einem formalisierten Verfahren über den jeweiligen Einzelfall entscheidet. Die Festlegung klarer und jedem zugänglicher Kriterien dafür obliegt den Eigentümern. Das gilt für Beraterverträge, Gehälter und sonstige Vertragsbeziehungen geschäftsführender Gesellschafter genauso wie bei Mietverträgen und Gärtnerdienstleistungen für nicht-aktive Gesellschafter. Häufig fehlt den Gesellschaftern in der Generationenfolge der Wille oder die Qualifikation, aktiv in der Geschäftsführung oder dem Kontrollorgan des Unternehmens tätig zu sein. Verantwortlich zu sein heißt aber, sich trotzdem umfassende Vorstellungen über die Entwicklung des Unternehmens und der Familie zu machen und diese gemeinsam zu erarbeiten. Es ist Aufgabe der Eigentümer, das beschriebene Werte-Wert-Verhältnis zu definieren. Nur so wird die enge Anbindung auf Dauer erhalten bleiben. Andererseits sollten bestimmte Rechte auch festgeschrieben werden. Das Stimmrecht und die Teilnahme an der Gesellschafterversammlung gehören zum unentziehbaren Kern gesellschaftsrechtlicher Positionen. Auch die Einbindung minderjähriger Anteilseigner oder unter Testamentsvollstreckung stehende Beteiligungen sollten daher durch Vertretungsregeln sichergestellt werden. Der Zugang zu Informationen ist häufig überhaupt nicht oder nur unzureichend geregelt. Hierin liegt ein Nährboden für Misstrauen, was häufig zu Streit führt. Teil einer Good Governance ist es daher, genauestens zu regeln, wer zu welcher Zeit und in welchem Umfang Informationen von der Gesellschaft erhalten kann. Aus dem Ziel des Erhalts des Unternehmens in Familienbesitz ergeben sich noch zusätzliche Anforderungen an die Governance-Strukturen, die über Fragestellungen kapitalmarktorientierter Unternehmen weit hinausgehen. Zu den wichtigsten Maßnahmen gehören die Festlegung des zukünftigen Gesellschafterkreises und Vorkehrungen gegen übermäßigen Mittelabfluss aus dem Unternehmen. Die Unternehmerfamilie muss die freie Übertragbarkeit der Anteile beschränken und genau festlegen, wer Anteile erwerben kann. Einerseits muss es einem Gesellschafter möglich sein, durch Kündigung zu fairen Bedingungen aus dem Unternehmen auszuscheiden, umgekehrt muss er aus wichtigem Grund auch aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden können. Auch Belastungen durch Scheidungen und Erbschaftsteuer bedürfen der gründlichen Vorsorge. All dies gilt besonders in finanzieller Hinsicht. Gerade hier müssen sich die Eigentümer rechtzeitig verantwortungsvoll beschränken. Neben der Festlegung einer ausgewogenen Thesaurierung der Gewinne sollten dazu gesetzliche Rechtsfolgen im Interesse des Unternehmens abgeändert werden. Teil einer Gemeinschaft zu sein bedeutet eben, dass man auf die grenzenlose Nutzung seines Vermögens verzichtet. Abfindungsregeln sind daher in ein ange-
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messenes Verhältnis zur tatsächlichen Liquiditätslage des Unternehmens zu bringen. In den meisten Fällen wird eine gewinnorientierte Abfindungsklausel (Ertragswertverfahren) in Kombination mit einer Ratenzahlung diesem Anliegen am besten gerecht. Bei der Berechnung ist zwischen den unterschiedlichen Gründen einer Abfindung zu differenzieren. Die Good-Governance-Empfehlung lautet auch hier, die Bewertung einem objektiven Dritten in einem durchsichtigen Verfahren zu übertragen.
3.
Leistungsfähiges Management
Die verantwortungsvolle Regelung der Führung und Führungsnachfolge ist die wohl größte Herausforderung des Unternehmers. Oft mangelt es aber gerade in diesem Punkt bei vielen Familiengesellschaften an der notwendigen Professionalität. Entscheidungen, die zwangsläufig auf sachlicher Basis getroffen werden müssen, werden allzu oft von emotionalen Erwägungen beeinflusst. Gute Corporate Governance bedeutet, die Vermischung von Interessen zu vermeiden und Vorsorge zu treffen, damit gerade die Unternehmensleitung den Qualitätsanforderungen des Wettbewerbs genügt. Die interne Führungsnachfolge ist die am häufigsten gewählte Form und leider auch regelmäßig Grund für ihr Scheitern. Daher sollte der Auswahlprozess professionalisiert und rechtzeitig Vorsorge für ein Fremdmanagement getroffen werden.
Abbildung 2:
Besetzung der Geschäftsführung
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3.1
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Regeln für die interne Führungsnachfolge
Bei der Zusammensetzung der Unternehmensführung heißt „Firma geht vor“, dass die fachliche Qualifikation ausschlaggebend sein muss. Nicht die Familienzugehörigkeit, sondern allein die Eignung der Führungskräfte sollte über die Einstellung entscheiden. Häufig finden sich in Gesellschaftsverträgen noch Sonderrechte, die ein professionelles Auswahlverfahren unterlaufen. Es ist aber nicht zwangläufig gewährleistet, dass der eigene Nachwuchs willens und fähig ist, die Nachfolge in der Unternehmensführung anzutreten. Entscheidend ist daher die Befolgung eines objektiven Auswahlprozesses (vgl. hierzu auch die Beiträge von Weissmann, A. und Krüger, W. in dieser Veröffentlichung). Mit der Beurteilung potenzieller Nachfolger sind Familienmitglieder häufig überfordert. Zum einen sind Väter, Mütter, Tanten und Onkel nur selten objektiv, wenn der Nachfolger aus den eigenen Reihen stammt, zum anderen fehlt ihnen häufig der fachliche Hintergrund, um die Eignung der Kandidaten sicher bewerten zu können. Gerade wenn es um die Beurteilung von Familienmitgliedern geht, ist es daher ratsam, familienfremde Personen in den Auswahlprozess einzubinden, bestenfalls die Beurteilung sogar gänzlich einem Gremium wie dem Beirat oder Aufsichtsrat zu übertragen. Das heißt nicht, dass – wie in einigen großen und alten Familiengesellschaften geregelt – die Bestellung von Familiengeschäftsführern vollständig untersagt sein sollte. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass ein Nachfolger wirklich die Talente und den Willen für die Nachfolge mitbringt, ist eher gering. Sicher ist jedenfalls, dass dies ein objektiver Dritter besser beurteilen kann. Andersherum kann man wohl sicher sein, dass sich kein Beirat gegen ein Familienmitglied ausspricht, wenn er von den notwendigen Qualifikationen überzeugt ist. Die Erfahrung zeigt, dass familieninterne Kandidaten häufig dann im eigenen Unternehmen erfolgreich sind, wenn sie zuvor außerhalb des Unternehmens reüssiert haben. Es wird dringend dazu geraten, die Marktüblichkeit der Anstellungsverträge sicherzustellen. Nur eine transparente Vergleichbarkeit kann Streit vermeiden. Denn aus der Sicht des geschäftsführenden Gesellschafters rechtfertigt sich ein hohes Gehalt bereits aus der Tatsache, dass er sich in besonderer Form für die Familie einbringt und dabei häufig noch Kritik und Vorwürfe aus deren Reihen erfährt. Die übrigen Gesellschafter werden aber in seiner Führungsrolle gerade ein Zugeständnis sehen, das umgekehrte Auswirkungen auf das Gehalt haben sollte. Laufzeit und Vergütung sollten daher allein am Markt und nicht an Einzelinteressen ausgerichtet werden. Oft fehlt für die Geschäftsführer eine Altersgrenze. Nichts fällt dem Unternehmer so schwer, wie von der eigenen Führungsposition loszulassen, insbesondere wenn er das Unternehmen über viele Jahre auf einem guten Weg gehalten hat. Doch die mit einer verspäteten und damit häufig verpassten Nachfolge verbundenen Probleme wiegen wesentlich schwerer und können letztlich das gesamte Lebenswerk zerstören. Das Problem beginnt bereits damit, dass die Stabübergabe meist als negativer Moment und schwerer Schritt des Seniors gesehen wird. Beispiele in der Praxis zeigen, dass dies nicht zwangsläufig sein muss. Gelingt es dem Seni-
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or, seine eigene Nachfolge als große unternehmerische Leistung zu sehen und sich rechtzeitig auf sein Leben danach vorzubereiten, kann aus der Übertragung der Führungsverantwortung sogar ein äußerst freudiges Ereignis werden. Wenn die Nachfolge beizeiten geregelt wird und sich alle Betroffenen langfristig darauf einstellen können, wird sie auch erfolgreich sein. Letztlich sollten die Verträge auch einen Notfallplan vorsehen. Nichts ist fataler, als wenn ein ohnehin überraschender und tragischer Ausfall der Unternehmensführung nicht nur die Familie betrifft, sondern auch das Unternehmen gänzlich lähmt. Handlungsvollmachten, Testamentsvollstreckung und entsprechende Vorsorgevollmachten können hier absichern.
3.2
Der Fremdmanager
Häufig wird der geeignete Nachfolger in der Familie nicht zu finden sein. Wenn nicht der Wunsch Einzelner, sondern das beschriebene Verfahren die Auswahl bestimmt, wird man in vielen Fällen zu dem Schluss gelangen, dass das Unternehmen von Dritten geführt werden sollte. So belegt eine Untersuchung, dass fast 60 % der Fremdmanager eingestellt werden, weil kein geeignetes Familienmitglied zur Verfügung stand.
Abbildung 3:
Gründe, die Führung an einen Fremdgeschäftsführer abzugeben
Auch bei der Einsetzung eines Fremdmanagers sind besondere Regeln zu beachten. Zunächst sollte die rechtliche Unternehmensstruktur die Bestellung von Fremdgeschäftsführern grundsätzlich zulassen. Gerade bei den in Familiengesellschaften noch vorherrschenden Rechtsformen der OHG und KG bedarf es einer entsprechenden Vorsorge. Denn in den Personengesellschaften gilt das Prinzip der Selbstorganschaft, nach dem lediglich persönlich haftende Gesellschafter zur organschaftlichen Vertretung der Gesellschaft ermächtigt sind. Dies ist aber nicht möglich, wenn der Dritte nicht am Unternehmen beteiligt werden soll. Probleme entstehen dann, wenn der einzige persönlich haftende Gesellschafter plötzlich ausfällt, ver-
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stirbt und kein Nachfolger bereit oder geeignet ist, in die persönliche Haftung zu treten. Deshalb empfiehlt es sich, das Unternehmen rechtzeitig in Mischformen wie die einer GmbH & Co. KG umzuwandeln. Ist eine Körperschaft als persönlich haftende Gesellschafterin aufgenommen, so kann die Personengesellschaft mittelbar auch von Fremdmanagern geführt werden. Die Vorgründung einer „schlafenden“ GmbH kann im entscheidenden Moment Blockaden vorbeugen. Sie wird erst bei Bedarf in den Organisationsstrukturen aktiviert. Kernaufgabe der Geschäftsführung ist die Entwicklung und Umsetzung der kurz-, mittel- und langfristigen Strategie. Sowohl die strategische Planung als auch die Jahresplanung sollte der Fremdmanager mit den Eigentümern abstimmen. Hierzu bietet sich das bereits dargestellte Werte- und Zielsystem an. Häufig werden die finanzielle Stabilität und der Erhalt des Unternehmens im Vordergrund stehen. Aber mit diesen Vorgaben wird eine kompetente Geschäftsführung arbeiten können und stets im Interesse der Eigentümer agieren. Zur Kontrolle wird empfohlen, die Planung eng mit dem Beirat beziehungsweise dem Kontrollorgan abzustimmen, diesem sogar entsprechende Mitwirkungsrechte einzuräumen. Entscheidend ist beim Fremdmanagement der richtige Auswahlprozess. Häufig reichen die eigenen Kapazitäten des Unternehmens zur Suche eines geeigneten Kandidaten nicht aus. Daher sollte man sich professioneller Hilfe bedienen und Personalberater oder „Headhunter“ einschalten. Auch die Auswahlentscheidung selbst sollte von Dritten unterstützt werden. Es wird empfohlen, einen mit Unternehmen, Unternehmer und der Familienvertrauten sowie in Auswahlentscheidungen erfahrenen Beirat oder Berater damit zu betrauen. Nur etwa jeder fünfte Fremdgeschäftsführer wird bisher von diesem neutralen Organ ausgesucht.
Abbildung 4:
Auswahl des Fremdgeschäftsführers
Schließlich sind die Familienmitglieder in den Prozess einzubinden, denn der neue Unternehmensführer braucht einen breiten Rückhalt in der Familie. Nur dem Fremdmanager, dem es gelingt, eine emotionale Bindung zu den Gesellschaftern aufzubauen, wird im Familienunternehmen auf Dauer Erfolg haben. Der neue Mann an der Spitze des Unternehmens sollte eine unternehmerische Persönlichkeit sein, die sich mit der Unternehmenskultur identifiziert. Die Erfolgsaussichten steigen, je stärker der Fremdgeschäftsführer an die gewachsenen
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Strukturen anknüpft. Eine enge und vertrauensvolle Kommunikation ist zur Vertrauensbildung unumgänglich. Ein guter Fremdgeschäftsführer muss zugleich führen und dienen können, denn er arbeitet mit dem Geld anderer Leute. Wer das Unternehmen mit der notwendigen Strenge leitet und trotzdem akzeptiert, dass die Familie in wesentlichen Entscheidungen das letzte Wort hat, ist als Unternehmensführer in einem Familienunternehmen am rechten Platz. Um entsprechende Persönlichkeiten zu finden und langfristig an das Unternehmen zu binden, sollten ihnen im Vergleich zu Konzernen höhere Freiräume für unternehmerische Gestaltung eingeräumt werden. Von ausschlaggebender Bedeutung ist auch die Vergütung. Wer als Unternehmer handelt, möchte auch an der Wertentwicklung teilhaben. Im Konkurrenzkampf um die besten Unternehmensführer ist neben Festgehalt und Tantieme eine Beteiligung heute üblich. Die Gestaltungspraxis bietet hierzu eine Vielzahl verschiedener Modelle, die allen Interessen Rechnung tragen. Letztlich wird es gelingen, den besten Fremdmanager zu verpflichten, wenn auch die übrigen Governance-Strukturen des Unternehmens professionellen Anforderungen entsprechen. Die Rolle der Eigentümer im Unternehmen und die nachfolgend zu behandelnde Struktur des Kontrollgremiums sind von ausschlaggebender Bedeutung für die Entscheidung Dritter, sich in einem Familienunternehmen einzubringen.
4.
Effektive Kontrolle
Wenn die Eigentümerstruktur des Familienunternehmens komplexer wird, d. h. wenn aus dem „Alleinherrscher“ eine Geschwister- oder gar Vetterngesellschaft wird, sich die für Familienunternehmen typischen Stämme herausbilden und die Gesellschafter sich in Tätige und Nichttätige spalten, wächst das Bedürfnis, die Unternehmensführung qualifiziert und vor allem emotionsfrei zu überwachen. Die in die Rolle eines Gesellschafters eintretenden Erben sind häufig zur Übernahme einer qualifizierten Kontrolle fachlich nicht in der Lage. Streitigkeiten und Rivalitäten, die ihren Ursprung in der Familie haben, dürfen aber gerade hier nicht auf die Unternehmensführung durchgreifen. Daher wird empfohlen, den vom Gesetz nur für Aktiengesellschaften vorgesehenen dreistufigen Organaufbau auf freiwilliger Basis zu übernehmen und auf Ebene der Holding einen freiwilligen Aufsichtsrat, einen so genannten Beirat, einzurichten. Diesem Beirat, Verwaltungsrat, Aufsichtsrat oder Gesellschafterausschuss sollen die Gesellschafter ihre Kontrollfunktion frühzeitig übertragen. Good Governance verlangt eine spezielle Ausgestaltung der Beiratsstatuten. Um möglichst effektiv zu arbeiten, sollte das Gremium in seiner Mitgliederzahl tendenziell klein sein, familienfremden Sachverstand integrieren, bei der Auswahl der Mitglieder Interes-
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senkonflikte vermeiden und sicherstellen, dass die einzelnen Personen die zur Ausübung des Amtes notwendige Zeit mitbringen. Zur Integration externern Sachverstandes wird dringend geraten. Das Verhältnis zwischen Familienmitgliedern und Dritten sollte sich dem Lebenszyklus der Gesellschaft anpassen. Solange der Gesellschafterkreis überschaubar ist und die verschiedenen Gesellschaftergruppen von starken „Stammesfürsten“ geprägt werden, tut sich die Familie in der Regel schwer damit, in größerem Umfang Familienfremde in das Beratungsgremium zu integrieren. Familienunternehmen der zweiten oder dritten Generation legen häufig fest, dass der Beirat zumindest überwiegend noch aus Gesellschaftern und/oder deren Angehörigen zu bestehen hat. Mit wachsendem Gesellschafterkreis und wachsender Entfremdung der Familie vom Unternehmen sollten dann zunehmend qualifizierte Außenstehende in den Beirat aufgenommen werden. Gewissermaßen in Umkehrung der vorherigen Situation bestimmt der idealtypische Gesellschaftervertrag des Familienunternehmens der dritten, spätestens jedoch ab der vierten Generation daher als Gebot, dass sich der Beirat in seiner Mehrzahl aus nicht zur Familie gehörenden Personen zusammensetzt. Fast drei Viertel aller Beiräte sind heute schon ausschließlich oder überwiegend von familienfremden Personen besetzt.
Abbildung 5:
Zusammensetzung des Beirats
Bei der Auswahl der Beiräte steht die Unparteilichkeit der Person allem voran. Ein Beirat sollte allein dem Wohle des Unternehmens verpflichtet sein; Interessenkonflikte sind zu vermeiden. Das gilt sowohl für die Unternehmens- als auch für die Familienseite. In Familienunternehmen geht es nie nur um das Unternehmen und nie nur um die Familie. Vielmehr wird das Unternehmen nicht selten zum Spielfeld, auf dem die familiären Konflikte um Geld, Macht und Liebe ausgetragen werden. Beiräte müssen daher unabhängig sein und sollten das Mandat auch nicht aus wirtschaftlichen Gründen oder aus reinem Prestige ausüben. Der ideale Beirat braucht bestimmte Eigenschaften der Persönlichkeit, allem voran Klarheit und Konsequenz und die Fähigkeit zum Ausgleich. Aus den gleichen Gründen wie für die Regeln der Geschäftsführung sollte auch für den Beirat eine Altersgrenze bestehen.
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Neben der speziellen Auswahl und Zusammensetzung fordert Good Governance auch, dass dem Beirat weitgehende Rechte und Pflichten eingeräumt werden. Die Mehrzahl der Beiräte ist immer noch ausschließlich oder zumindest überwiegend beratend tätig. Beratende Beiräte sollen der Geschäftsführung nur als Sparringspartner zur Seite zu stehen, um die Qualität unternehmerischer Entscheidungen durch Einbeziehung externen Wissens zu erhöhen. Diese Funktion ist aber nicht ausreichend. Die Beratung muss um eine echte Kontrolle ergänzt werden, die mit weitgehenden Kompetenzen einhergeht. Nur in vier von zehn Unternehmen nimmt der Beirat bisher solch kontrollierende Funktionen wahr.
Abbildung 6:
Aufgaben des Beirats
Den Kern der Überwachungsfunktion bilden dort weiterhin die aus den Denkstrukturen des aus § 164 HGB abgeleiteten Katalogs substanzsichernder außergewöhnlicher Geschäftsführungsmaßnahmen, d. h. mehr oder minder umfangreiche Kataloge von Rechtsgeschäften, die das Management nur vornehmen darf, wenn der Beirat der Maßnahme zuvor zugestimmt hat. Häufiger Auslöser für Streit unter den Gesellschaftern ist aber auch die Besetzung der operativen Führung. Daher sollten auch die Entscheidungen über die Bestellung, Abberufung, den Abschluss, die Beendigung und inhaltliche Gestaltung der Geschäftsführerverträge einschließlich der Fragen der Vergütung dem Beirat übertragen werden. Genauso sollte der Beirat über die Geschäftsordnungen, die Verteilung der Geschäfte sowie die Ernennung des Sprechers oder Vorsitzenden entscheiden. Konsequent ist auch die Übertragung der Vorbereitung und Beschlussfassung der Entlastung der Geschäftsführung. Der Beirat soll Controller im Sinne der modernen Betriebswirtschaft sein. Damit rücken auch die Zustimmung zur strategischen Unternehmensplanung, die Mitwirkung bei der Aufstellung und/oder Feststellung des Jahresabschlusses sowie ein umfassendes Berichtswesen in den Mittelpunkt der Beiratstätigkeit. Nicht nur zurückgewandtes Kontrollieren, sondern auch eine nach vorne gerichtete Kontrolle sollten Kern der Aufgaben des Beirates sein. Die Genehmigung der Unternehmensplanung macht zudem eine Vielzahl von Einzelgenehmigungen überflüssig.
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Um qualifizierte und fähige Mitglieder zu finden, sollte der Beirat eine angemessene Vergütung erhalten. Streit vermeidet, wer dies durch Gesellschafterbeschluss festlegen lässt. Nach Möglichkeit sind in den Vergütungsregeln erfolgs- und leistungsbezogene Elemente eingebaut. Demgegenüber sollte der Beirat in Fällen von Vorsatz und Fahrlässigkeit in die Haftung genommen werden. D & O-Versicherungen, die dieses Risiko abdecken, können zugelassen werden, soweit sie einen angemessenen Selbstbehalt vorsehen.
5.
Fazit
Familiengesellschaften verbinden eine notwendige Wert-Orientierung mit den Grundsätzen ihrer Unternehmenskultur. Durch besondere Governance-Regeln können sich Werte- und Wert-Orientierung sinnvoll ergänzen, zumindest in ein ausgewogenes Verhältnis gebracht werden. Eine verantwortungsvolle Regelung von Rechten und Pflichten der Eigentümer und eine ausbalancierte Führungs- und Kontrollstruktur können dem Unternehmen zu dauerhaftem Erfolg verhelfen. Dabei können und sollen die Besonderheiten des familiengeführten Unternehmens erhalten werden. Kurze Entscheidungswege, Flexibilität, Unabhängigkeit, Risikobereitschaft – schlicht alle Vorzüge, die ein eigentümergeführtes Unternehmen mit sich bringt. Andererseits kann auch den besonderen Gefahren begegnet werden. Die Führungsund Kontrollstrukturen müssen dazu professionellen Anforderungen entsprechen. Viele sehr alte und dauerhaft erfolgreiche Familiengesellschaften haben dazu vorbildliche Strukturen entwickelt. Sie wurden im Governance Kodex für Familienunternehmen zusammengetragen. Ihrem Beispiel kann gefolgt werden.
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Literatur
Zur Grundlage der Inhalte vgl. den „Governance Kodex für Familienunternehmen“. Der Kodex wurde von einer Kommission entwickelt, der einige der erfolgreichsten Familienunternehmer Deutschlands angehören. Er wurde im September des Jahres 2004 der Öffentlichkeit vorgestellt und steht zum download unter: www.Kodex-fuerfamilienunternehmen.de zur Verfügung. Zu den empirischen Untersuchungen vgl.: May, P.; Rieder, G.; Brose, T.: Ergebnisse einer umfassenden Studie zum Thema „Beiräte in Familienunternehmen“, 2002 unterstützt durch die INTES Akademie für Familienunternehmen und JP Morgan Private Bank. May, P.; Redlefsen M.; Kappe C.: Ergebnisse einer umfassenden Studie zum Thema „Fremdmanagement in Familienunternehmen“, 2005 unterstützt durch die INTES Akademie für Familienunternehmen und JP Morgan Private Bank.
Strategie – Zwischen Flexibilität und langfristiger Orientierung
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Strategie – Zwischen Flexibilität und langfristiger Orientierung Norbert Hans
Zusammenfassung
Strategisches Management fristet in kleineren und mittleren Unternehmen oft ein Stiefmütterchen-Dasein. Zu sehr stehen die Bewältigung des operativen Tagesgeschäfts im Mittelpunkt, die Sicherung des unmittelbaren Erfolgs und der Liquidität. Die Frage ist: Wie kann sich der Mittelständler strategisch aufstellen und eine auf Langfristigkeit angelegte Unternehmensentwicklung ins Auge fassen – und zugleich die für mittelständische Unternehmen typische und wichtige Flexibilität im operativen Tagesgeschäft beibehalten? In diesem Beitrag wird aufgezeigt, wie Mittelständler in drei Schritten zu einer zukunftsfähigen Strategie gelangen, und zwar durch eine Customer-Competition-Performance-Analyse (CCP), die Ableitung eines strategischen Leitsatzes aus der CCP, und der Umsetzung des strategischen Leitsatzes mit Hilfe der Balanced Scorecard. Weiterhin werden die Differenzierungsmöglichkeiten für Mittelständler im Wettbewerb durch erlebnisorientierte Strategien, serviceorientierte Strategien kundenbindungsorientierte Strategien und Bedarfsermittlungsstrategien dargestellt. Abschließend werden die Rollen definiert, die der Unternehmer, externe Coaches, StrategieProjektgruppen und die Mitarbeiter bei der Umsetzung der Strategie einnehmen können.
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1.
Norbert Hans
Die strategischen Wettbewerbsvorteile
Verlässlicher Parameter bei der Analyse der Wettbewerbsfähigkeit des mittelständischen Unternehmens sind die strategischen Wettbewerbsvorteile. Deren Beobachtung und Analyse müssen im Mittelpunkt stehen bei: der externen Unternehmensanalyse: Analyse der Chancen und Möglichkeiten, der Risiken und Gefahren für das Unternehmen mit Hilfe der Umweltanalyse, der Branchenanalyse, der Konkurrenzanalyse und vor allem der Kundenanalyse, und der internen Unternehmensanalyse: Analyse der Stärken und Schwächen, der kritischen Erfolgsfaktoren sowie der Kernfähigkeiten und Kernschwächen des Unternehmens.
Strategische Wettbewerbsvorteile erfüllen drei Merkmale: Sie betreffen ein für den Kunden wichtiges Leistungsmerkmal: Der strategische Wettbewerbsvorteil etwa eines Möbelgeschäfts kann in der Auslieferungsqualität liegen. Für das mittelständische Möbelgeschäft gilt: Es konkurrieren viele Anbieter um die Kunden mit Produkten, die allesamt eine ähnliche Qualität aufweisen. Wer freundliche Mitarbeiter hat, die beim Kunden nicht nur Dienst nach Vorschrift tun, sondern die Ware pünktlich anliefern und sie auch einmal eine steile Treppe hinaufschleppen, verschafft sich einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz. Strategische Wettbewerbsvorteile müssen von dem Kunden tatsächlich wahrgenommen werden: Die Kunden eines Möbelhauses erfahren die Qualität der Auslieferung direkt „am eigenen Leibe“, in den eigenen vier Wänden. Bei jedem Möbelkauf können sie sich von dem Nutzen und der Kundenorientierung der Auslieferungsfahrer überzeugen. Sie dürfen vom Wettbewerb nicht so leicht einholbar und kopierbar sein: Wenn der strategische Wettbewerbsvorteil in der Ausbildung und Einstellung des Personals zum Kunden liegt, hat das Möbelhaus Vorteile. Denn durch den raschen Besuch eines Seminars lässt sich der Vorsprung eines Wettbewerbers nicht aufholen, in dessen Unternehmensphilosophie die Kundenorientierung integraler Bestandteil ist und der auf die qualifizierte Ausbildung des Personals großen Wert legt. Gerade der „menschliche Faktor“, hier die grundsätzliche kundenfreundliche Einstellung der Fahrer, ist kaum imitierbar. Kundenrelevantes Merkmal, wahrnehmbarer Vorteil und Einzigartigkeit: Ein strategischer Wettbewerbsvorteil ist immer in Beziehung zum Wettbewerb zu setzen. Der hohe Auslieferungsstandard eines Möbelhauses ist kein Wert an sich; erst die Tatsache, dass es auf diese Weise einen Wettbewerbsvorsprung gegenüber dem Wettbewerb erreicht, lässt ihn zu einem strategischen Vorteil werden.
Strategie – Zwischen Flexibilität und langfristiger Orientierung
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Fazit: Jede Unternehmensplanung muss operative und strategische Überlegungen optimal miteinander verknüpfen, um strategische Wettbewerbsvorteile aufbauen und erhalten zu können. Die Unternehmensstrategie ist dabei auf grundsätzliche und langfristige Ziele ausgerichtet. Die strategische Planung hat das Ziel, den Bestand und die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens langfristig zu sichern. Dafür werden Erfolgspotenziale des Unternehmens geschaffen und/oder erhalten. Die operative Planung hingegen verfolgt das Ziel, den unmittelbaren Erfolg und die Liquidität – bezogen auf das laufende Tagesgeschäft – zu sichern. Die richtige Strategie steckt den Rahmen aller unternehmerischen Entscheidungen ab und stellt die Grundlage aller unternehmerischen Entscheidungen dar. Innerhalb dieses Rahmens sind die operativen Handlungen auf die Strategie ausgerichtet. Für den Mittelständler bedeutet dies: Er muss einen Weg finden, eine zukunftsfähige Strategie zu entwickeln (Kapitel 2), aus dem Strategiearsenal die geeignete Strategie auswählen (Kapitel 3) und Maßnahmen ergreifen, die eine optimale Verzahnung von langfristiger Strategieorientierung und Flexibilität im operativen Geschäft ermöglichen (Kapitel 4).
2.
In drei Schritten zur zukunftsfähigen Strategie
2.1
Die Customer-Competition-Performance-Analyse
Vor die Strategieentwicklung hat das strategische Management die detaillierte Bestandsaufnahme des Ist-Zustandes gesetzt. Die externe Unternehmensanalyse erlaubt eine Strategieentwicklung „Outside-Inside“, die auf den externen Marktchancen aufgebaut ist. Orientierungspunkt ist das äußere Umfeld, der Markt mit seinen Chancen und Möglichkeiten, Risiken und Gefahren. Diese Strategieorientierung kulminiert in dem Struktursatz „Struktur folgt der Strategie“. Wenn ein Unternehmen eine an den Marktchancen orientierte neue Strategie verfolgt, muss sich die Struktur des Unternehmens entsprechend anpassen. Die interne Unternehmensanalyse hingegen führt zu einer ressourcenbasierten Strategieentwicklung. Sie verfolgt eine Ausrichtung von innen nach außen. Die „Inside-Outside“Orientierung kehrt den erwähnten Struktursatz um: „Die Strategie folgt der Struktur“, die Struktur dominiert die Strategie, die neue strategische Ausrichtung eines Unternehmens baut auf den internen Ressourcen auf.
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Norbert Hans
Sinnvoll ist eine Kombination der beiden Ansätze, die durch die CCP-Analyse möglich wird. „CCP“ ist die Abkürzung für „Customer Competition Performance“. Ihr großer Vorteil: Sie unterstützt das Management bei der Schaffung von strategischen Wettbewerbsvorteilen, indem es sich auf diejenigen Unternehmensprozesse fokussiert, die in der Wahrnehmung des Kunden eine zentrale Rolle spielen. Der Kunde und seine Sicht auf das Unternehmen werden zum Leitstern, an dem sich Vision, Strategie und operatives Tagesgeschäft orientieren. Kriterium für die Analyse ist die „Wahrnehmungs-Brille“ des Kunden. Im Mittelpunkt der CCP-Analyse steht die Beantwortung folgender Fragen, die strikt aus der Sicht des Kunden gestellt und beantwortet werden: Welche Basisanforderungen stellt der Kunde an das Unternehmen, seine Produkte und Dienstleistungen? Welche Leistungsanforderungen sind für ihn wichtig? Welche außerordentlichen Anforderungen stellt er an das Unternehmen und sein Angebot? Die Basisanforderungen betreffen denjenigen Nutzen, den der Kunde beim Erwerb einer Ware oder Dienstleistung als Selbstverständlichkeit voraussetzt. Können diese Anforderungen nicht erfüllt werden, ist er äußerst unzufrieden – mit hoher Wahrscheinlichkeit wird er nie wieder bei diesem Unternehmen etwas kaufen, ja er wird diese Erfahrungen „in die Welt tragen“ und jedem von seinem negativen Erlebnis erzählen. Die Leistungsanforderungen umfassen den Kundennutzen, den ein Kunde beim Erwerb einer Ware oder Inanspruchnahme einer Dienstleistung erwartet. Ein Autokunde erwartet eine gewisse Funktionalität, eine schnelle Beschleunigung, einen geringen Benzinverbrauch – er ist zufrieden, wenn diese Leistungsanforderungen erfüllt sind, und je mehr dies der Fall ist, desto ausgeprägter ist sein Gefühl der Zufriedenheit. Die außerordentlichen Anforderungen sind erfüllt, wenn in dem Kunden ein Gefühl der Begeisterung, der emotionalen Zustimmung entsteht. Ein typischer Satz, mit dem der Kunde seine „Aha-Erlebnisse“ umschreibt, ist: „Einen so tollen und zuvorkommenden Service habe ich noch nie erlebt!“ Das Kriterium bei der Beantwortung der Frage, welche Anforderungen der Kunde (= Customer) bei einem Anbieter oder Dienstleister erfüllt sieht, ist der Grad seiner Zufriedenheit, die immer in Abhängigkeit steht von den Erfahrungen, die er bei Konkurrenten (= Competition) gemacht hat. Darum werden in der CCP-Analyse die Prozesse eines Unternehmens nie für sich betrachtet, sondern immer im Vergleich zum Mitbewerber. Ziel ist es, den Erfüllungsgrad (= Performance) der drei Anforderungsparameter festzustellen. Die für den Kunden wahrnehmbaren Prozesse werden danach unterteilt, ob er ihre Umsetzung als selbstverständlich voraussetzt oder ob mit dem Grad ihrer Umsetzung seine Zufriedenheit kontinuierlich steigt oder ob ihre Realisierung Begeisterung bei ihm erzeugt.
Strategie – Zwischen Flexibilität und langfristiger Orientierung
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Die notwendigen Informationen für die CCP-Analyse liefert eine Kundenbefragung, aus der ersichtlich wird, wie die Kunden die Unternehmensprozesse des mittelständischen Unternehmens wahrnehmen und beurteilen. Die Ergebnisse schaffen eine Grundlage, von der aus die kundenorientierte Optimierung der Unternehmensprozesse stattfindet. Das Management weiß nun, welche Prozesse aus Kundensicht wichtig sind und überarbeitet oder gar verändert werden müssen. Das bedeutet: Wenn es dem Management gelingt, innerhalb dieser Prozesse alle drei Anforderungskriterien zu optimieren, baut es einen strategischen Wettbewerbsvorteil auf. Dieser erfährt eine Verstärkung, wenn das Management zudem einen Vergleich der eigenen Unternehmensprozesse mit denen der größten Mitbewerber durchführt. Denn dieser Vergleich erlaubt eine Prioritätensetzung: Das mittelständische Unternehmen optimiert zunächst denjenigen Unternehmensprozess, durch den eine deutliche Differenzierung zum Hauptkonkurrenten möglich ist, weil dieser gerade bei diesem Prozess erhebliche Schwächen aufweist.
2.2
Mit CCP zum strategischen Leitsatz
Auf der Basis der CCP-Analyse entwickelt das Management eine Vision, die richtungsweisend für die nächsten Jahre ist. Aus der Vision werden die Unternehmensgrundsätze und unternehmerischen Leitlinien und -bilder abgeleitet. Nehmen wir als Beispiel ein Unternehmen aus der Versicherungsbranche, das aus der CCP-Analyse den strategischen Leitsatz entwickelt: „Als überregionaler Marktführer im Versicherungsbereich bieten wir unseren Kunden einen umfassenden Versicherungsschutz und begeistern sie durch Freundlichkeit und Fachkompetenz im professionell geführten Kundengespräch.“ Die Geschäftsleitung der Versicherungsagentur legt für jeden unternehmerischen Prozess die entsprechenden Ziele und strategischen Aktionen fest, die die Strategieumsetzung nach sich ziehen. Dazu bestimmt sie Messgrößen und Kennzahlen, denen sie jeweils einen Ist-Wert und den angestrebten SollWert zuordnet, der innerhalb eines bestimmten Zeitraums erreicht werden soll: strategischer Leitsatz: Umfassender Versicherungsschutz sowie Kundenbegeisterung und -zufriedenheit durch Fachkompetenz und Freundlichkeit im Kundengespräch strategisches Ziel: Reklamationen und damit Vertragsstornierungen minimieren strategische Aktion: Seminarbesuch Messgröße: Anzahl der eingehenden und in einer Kundenbefragung erhobenen Beschwerden Der Ist-Wert beträgt acht Beschwerden pro Monat. Der Ziel-Wert in drei Jahren beträgt null.
238
2.3
Norbert Hans
Die Umsetzung des strategischen Leitsatzes
Die Umsetzung erfolgt mit Hilfe der Balanced Scorecard (BSC). Das BSC-Konzept unterscheidet vier Perspektiven, die die Kernanforderungen widerspiegeln, die jedes Unternehmen, das strategieorientiert vorgehen möchte, berücksichtigen muss: finanzielle Perspektive: „Wie sollen wir gegenüber unseren Shareholdern (etwa Teilhabern/Eignern) auftreten, um den finanziellen Erfolg zu sichern?“ Kundenperspektive: „Wie können wir alle Erwartungen unserer Kunden bestmöglich erfüllen?“ Prozessperspektive: „Welche internen Geschäftsprozesse müssen wir optimieren, um Kunden und Shareholder zu begeistern?“ Mitarbeiterperspektive (Lern- und Entwicklungsperspektive): „Wie können wir auf Seiten der Mitarbeiter unsere Veränderungs- und Wachstumspotenziale verbessern, um zur Verwirklichung der Vision und Strategie zu gelangen?“ Mit welchen konkreten Messgrößen die strategischen Ziele unterlegt werden, ist vom jeweiligen Unternehmen und den angebotenen Produkten und Dienstleistungen abhängig. Doch immerhin lassen sich einige Punkte festlegen, die in den meisten Unternehmen eine Rolle spielen. Am ehesten ist dies bei der Finanzperspektive möglich, bei der branchenunabhängige Ziele und Messgrößen im Vordergrund stehen. Ziele wie „Marktdurchdringung erhöhen“ und „Kostenstruktur wettbewerbsorientiert entwickeln“ können mit Messgrößen verknüpft werden wie „Anzahl von Neukunden“, „Ertrag“ und „Verhältnis der Kosten zum Ertrag“. Bei der Kundenperspektive mit ihren Zielen wie „Steigerung der Kundenzufriedenheit“ und „Schaffung von Kundennähe durch Freundlichkeit“ dienen als Messgröße quantifizierbare Kundenaussagen, die das Untenehmen wiederum im Rahmen einer Kundenbefragung gewinnt. Das strategische Ziel „Ganzheitliche Kundenbetreuung forcieren“ lässt sich mit der Messgröße „Anzahl ganzheitlich betreuter Kunden“ messen. Bei der Prozessperspektive ist eine allgemeine Beschreibung schwierig, weil in jedem Unternehmen andere interne Geschäftsprozesse entscheidend sind. Bei der Versicherungsagentur sind die strategischen Ziele „Qualitätsmanagement vorantreiben“ (Messgröße: Reklamationsquoten), „Teamentwicklung forcieren“ (Messgröße: Anzahl von Mitarbeiterbeschwerden) und „Strategisches Kundenmanagement aufbauen“ (Messgröße: Anzahl der bewerteten Kunden) denkbar. Die Potenzialperspektive schließlich hebt auf die Mitarbeiterorientierung ab: Erhöhung der Fachkompetenz der Mitarbeiter – Messgröße: Anzahl der verkauften Versicherungspolicen
Strategie – Zwischen Flexibilität und langfristiger Orientierung
239
Erhöhung der Managementkompetenz der Führungskräfte – Messgröße: Summe der vereinbarten Ziele in Mitarbeitergesprächen Erhöhung der Beziehungs- und Verhandlungskompetenz – Messgröße: Kundenabgänge umfassende Service- und Reklamationsmentalität aller Mitarbeiter – Messgröße: Anzahl der verlorenen Kunden Für jedes strategische Ziel legt die Geschäftsleitung der Versicherungsagentur strategische Aktionen fest (vgl. Abbildung 1). Der erwähnte strategische Leitsatz soll in die Tat umgesetzt werden, indem vor allem im Unternehmensprozess „Service und Reklamation“ ein möglichst hoher Erfüllungsgrad bei den Kundenanforderungen erreicht wird. Im Mittelpunkt der strategischen Aktionen steht daher das Ziel einer ganzheitlichen Kundenbetreuung. Die Geschäftsleitung implementiert dazu ein computergestütztes CRM-Tool (CRM = Customer Relationship Management). Eine CRM-erfahrene Führungskraft der Agentur coacht und unterstützt ihre Mitarbeiter bei der Kundenberatung und im Verkauf. Messgröße ist die Anzahl der ganzheitlich betreuten Kunden – diese Anzahl soll innerhalb der nächsten zwei Jahre um 10 % gesteigert werden. Zudem werden die Mitarbeiter mit Hilfe individueller Coachingmaßnahmen befähigt, durch die Beherrschung der verschiedenen Fragetechniken in die Welt des Kunden einzutauchen und das Reklamationsgespräch kundennutzenorientiert zu führen. Die Anzahl der Kunden, die trotz einer Reklamation weiterhin die Dienste der Agentur in Anspruch nehmen, dient als Messgröße; angestrebt ist eine Steigerung von 5 % in einem Jahr. Leitsatz: Als überregionaler Marktführer im Versicherungsbereich bieten wir unseren Kunden einen umfassenden Versicherungsschutz und begeistern sie durch Freundlichkeit und Fachkompetenz im professionell geführten Kundengespräch
Strategische Ziele
Strategische Aktionen Finanzperspektive
Marktdurchdringung erhöhen
–
Erhöhung der Kundenkontakte
Kostenstruktur wettbewerbsorientiert entwickeln
–
Wettbewerb zur Kostenreduktion zwischen Versicherungsberatern
Kundenperspektive Steigerung der Kundenzufriedenheit
– Kundenbefragung durchführen – Veränderung der Aufbauorganisation
Schaffung von Kundennähe
–
Zusammenstellung von Team mit „Beziehungs“-Beratern
–
Intensivierung der Beratung durch Erhöhung der Kundenkontakte
240
Norbert Hans
Ganzheitliche Kundenbetreuung forcieren
Strategische Kommunikation mit Kunden
–
Aufbau eines CRM-Unterstützungstools zur Kundenbetreuung
–
Mitarbeitercoaching durch CRM-erfahrene Führungskraft
–
Seminare zur Kundenbetreuung
–
Visionsentwicklung und Strategieworkshop
Prozessperspektive Qualitätsmanagement vorantreiben
–
Einrichtung eines Qualitätszirkels
Teamentwicklung forcieren
–
Teamcoaching und Teamworkshops
Strategisches Kundenmanagement aufbauen
–
Workshops im Team
Potenzialperspektive Erhöhung der Fachkompetenz der Mitarbeiter
–
Interne Seminare
Erhöhung der Managementkompetenz der Führungskräfte
–
Besuch von speziellen Führungskräfteseminaren
Erhöhung der Beziehungs- und Verhandlungskompetenz
–
Coachingmaßnahmen
Umfassende Service- und Reklamationsmentalität alle Mitarbeiter
–
Internes Reklamationsmanagementsystem
Abbildung 1:
Strategische Ziele und Aktionen
Die Kunst bei der Erstellung einer BSC liegt darin, angemessene und überprüfbare Messgrößen zu finden. Dies ist besonders schwierig bei qualitativen Zielen – etwa wenn die Schärfung des strategischen Bewussteins der Führungskräfte und Mitarbeiter angestrebt wird. Die Anzahl der Reklamationen lässt sich genau erfassen, auch die Aktionen, die der Reklamation folgen. Die Qualität des Gesprächs hingegen, das der Mitarbeiter führt, der die Reklamation entgegennimmt, ist schon weitaus schwieriger messbar. Doch trotz dieser Problematik sollte ein Unternehmen nichts unversucht lassen, die „Soft Skills“ in die Zielvereinbarungen aufzunehmen und mit konkreten Messgrößen zu erfassen. Selbst bei so komplexen Themen wie Führungskompetenz und Motivation geben Indikatoren wie „Mitarbeiterbeschwerden“ und „Anzahl vereinbarter Ziele im Motivationsgespräch“ zumindest einen Hinweis, ob an dieser Stelle eine Verbesserung erreicht wurde oder nicht.
Strategie – Zwischen Flexibilität und langfristiger Orientierung
3.
241
Die wichtigsten Strategiearten für den Mittelständler
Gesättigte Märkte, Produkte und Dienstleistungen, die sich immer mehr ähneln – mehr denn je ist es wichtig, sich von den Wettbewerbern durch „Einzigartigkeit“ zu unterscheiden. Kerstin Friedrich nennt die Differenzierung durch Spezialisierung das wirkungsvollste Instrument zu mehr Marktmacht, weil sie zu überlegenen Problemlösungen für die Kunden führt. Sie spricht von drei Spezialisierungsrichtungen: die besonders enge Primär-Spezialisierung auf ein Produkt oder wenige Produkte, ein spezielles Know-how oder eine ganz besondere Dienstleistung, die Problem-Spezialisierung, bei der ein Unternehmen ein ganz spezielles Problem seiner Zielgruppe löst und die Zielgruppen-Spezialisierung durch Konzentration auf eine genau definierte Zielgruppe. Der Strategieexperte Michael E. Porter nennt Strategien der Nischenbildung sowie der Kosten- oder Preisführerschaft als weitere Strategiearten.
3.1
Wettbewerbsvorteil durch Differenzierung
Der große Vorteil einer Spezialisierungsstrategie liegt darin, dass das Unternehmen dem Kunden durch den Aspekt der Einzigartigkeit einen Nutzen bieten kann, den er nirgendwo sonst erhält. Für ein mittelständisches Unternehmen empfiehlt es sich, eine Differenzierungsstrategie zu erarbeiten. Der Grundsatz lässt sich zwar nicht verallgemeinern, bietet dem Mittelständler aber die besten Voraussetzungen, strategische Wettbewerbsvorteile aufzubauen. Der Grund: Im Rausch der „Geiz ist geil“-Bewegung und der Rabattschlachten sind zumeist die Großunternehmen die Sieger, denn in aller Regel sind gerade sie in der Lage, aufgrund niedriger Kosten und damit niedriger Preise sowie günstiger Einkaufspreise die Kostenführerschaft in ihrem Marktsegment anzustreben. Auch bei der Qualität der Produkte und Dienstleistungen sind die Großunternehmen im Vorteil, verfügen sie doch über die finanziellen und werblichen Möglichkeiten, innovative Produkte zu entwickeln und am Markt zu etablieren. Da den meisten mittelständischen Handelsbetrieben und Unternehmen die Übernahme der Preis- und Kostenführerschaft verwehrt ist, sollten sie sich auf eine Differenzierungsstrategie verlegen – und versuchen, eine regionale angebotsspezifische Nische zu besetzen, in der man relativ geringer Konkurrenz ausgesetzt ist. Dabei können mehrere Differenzierungsstrategien unterschieden werden.
242
3.1.1
Norbert Hans
Erlebnisorientierte Strategie: bei den Gefühlen packen
Kunden kaufen nicht einfach eine Ware oder eine Dienstleistung ein – viele Menschen erwarten mehr: Ein Event, ein tolles Erlebnis sollte der Einkauf schon sein. Bei der Erlebnisstrategie werden kompetente Verkäufer benötigt, die in der Lage sind, auch kaufunwillige Kunden zu begeistern, von der Faszination ihres Produktes zu überzeugen und bei ihren Gefühlen zu packen. Der Kunde kauft nicht, um ein schönes Möbelstück im Wohnzimmer stehen zu haben. Der Kunde kauft es, weil es sein Lebensgefühl ausdrückt, zu seinem Lifestyle passt, weil er mit dem Möbelstück bei anderen Menschen Aufmerksamkeit erregen kann. Erlebnisstrategen verfügen über Kreativität und Einfallsreichtum: Autohäuser dekorieren ihre Ausstellungsräume im Look des neuesten Modells, in Banken zeigt eine Digitaluhr an, um welchen Betrag eine Summe wächst, wenn man sie zu einem bestimmten Prozentsatz anlegt – und wie der Geldbetrag schrumpft, überlässt man ihn auf dem Girokonto der Inflationsrate. Der Möbelunternehmer kann seinen Kunden eine kleine Erlebnisgastronomie bieten: Er geht dazu eine Kooperation mit einem gastronomischen Auslieferungsservice ein, der eine Pizza oder einen Imbiss für den Möbelhauskunden anliefert. Wichtig ist: Das Produkt oder die Dienstleistung muss in einen ungewöhnlichen Zusammenhang gestellt werden.
3.1.2
Serviceorientierte Strategie: Serviceoasen kreieren
Die Dienstleistung bezahlt in der Regel der Kunde, ein Service hingegen ist eine GratisGarnierung der Dienstleistung: Der Verkauf des hochwertigen Möbelstücks gehört zur bezahlten Dienstleistung, ebenso wie die Anlieferung. Aber der Tipp des Verkäufers, der sich mit Feng Shui auskennt und den Kunden informieren kann, wie er sein Wohnzimmer nach den Prinzipien des Feng Shui einrichten kann, stellt ein Service-Sahnehäubchen dar. Der Gratis-Service muss für den Kunden eindeutig wahrnehmbar sein – ansonsten verpufft die Wirkung. Mittelständler sollten Serviceakzente dort setzen, wo man sie eigentlich nicht vermutet, und gerade dann, wenn die Gefahr droht, dass der Kunde unzufrieden wird. Ein unerwarteter Service zum richtigen Zeitpunkt – das vergisst der Kunde bestimmt nicht so schnell.
3.1.3
Kundenbindungsorientierte Strategie: Menschen ansprechen – Kunden binden
Im nordrhein-westfälischen Kürten, nordöstlich von Leverkusen, begeistert der Sanitär- und Heizungsfachmann Michael Montag seine Kunden durch eine ungewöhnliche Kundenbindungsidee. Jeder Kunde, der sich von Michael Montag morgens um acht Uhr die Heizung warten oder die Dusche verschönern lässt, erhält eine Tüte mit Brötchen und einem Croissant. Durch die nützliche Gabe haben sich die Acht-Uhr-Termine und die Anzahl begeisterter
Strategie – Zwischen Flexibilität und langfristiger Orientierung
243
Kunden erheblich gesteigert – der Service des einfallsreichen Mittelständlers spricht sich herum. Wer überleben will, muss sich in Sachen Kundenbindung einiges einfallen lassen – 08/15Aktionen helfen nicht weiter. Trotzdem gibt es auch traditionellere Maßnahmen als jenen „Brötchendienst“, durch die Kunden an ein Unternehmen gebunden werden können. Dazu gehören die regelmäßige Kommunikation mit dem Kunden durch Mailings, das Kundentelefon, die Kundenhotline per E-Mail, Internet-Chats, Kundenkarten, ein Unternehmens-Newsletter, die Kundenzeitschrift, Verkaufsveranstaltungen und Kundenseminare. Mit guten Ideen ist die Erhöhung der Kundenbindung und damit die Aussicht auf Mund-zu-Mund-Propaganda möglich. Entscheidend ist, mit dem Kunden in einen Dialog zu treten, denn die beste Kundenbindungsstrategie besteht in dem Aufbau eines persönlichen Verhältnisses zum Kunden. Freundlichkeit, Herzlichkeit und das ehrliche Bemühen, den „Menschen im Kunden“ zu sehen, bewirken oft mehr als groß angelegte Kundenbindungsoffensiven.
3.1.4
Bedarfsermittlungsstrategie: den Bedarf hinter dem Bedarf wahrnehmen
Dass ein Unternehmen den Bedarf seiner Kunden in den Mittelpunkt rücken muss, dürfte eine Selbstverständlichkeit sein. Dabei geht es allerdings nicht allein um den Bedarf an Produkten und Dienstleistungen, sondern um den Kundenbedarf an Problemlösungen. Bei der Bedarfsermittlungsstrategie ist kunden- und nutzenorientiertes Denken gefragt und der Versuch, dem „Problem“ des Kunden auf die Spur zu kommen, um ihm dann ein maßgeschneidertes Problemlösungsangebot zu unterbreiten. Der Mitarbeiter im Autohaus sollte nicht nur einen Wagen verkaufen, sondern eine Lösung für das spezifische Problem des Kunden anbieten: Der Familienvater benötigt das geräumige und sichere Gefährt und ist weniger an den technischen Finessen des Automobils interessiert. Der Statusbewusste will beeindrucken und nutzt den Wagen als Statussymbol und schönen Schein, der Pragmatiker legt Wert auf Effizienz, Effektivität, niedrigen Benzinverbrauch und Dachhalterungen für seine Skier.
3.2
Differenzierungsstrategie braucht Personalentwicklung
Der Kunde muss wahrnehmen, dass ein Unternehmen einen besonderen Nutzen, ein Einkaufserlebnis oder einen begeisternden Service bietet. Deswegen sollte jede Strategieart durch eine begleitende Kommunikationsstrategie unterstützt werden – und durch eine Personalentwicklungsstrategie. Bei der Kundenbedarfsstrategie oder der Servicestrategie versteht es sich von selbst, dass zu deren Verwirklichung gutes Personal notwendig ist. Bei einer Preisstrategie, bei der ein Unternehmen sich vor allem über den günstigen Preis zu etablieren
244
Norbert Hans
versucht, spielt gut ausgebildetes Personal eine untergeordnete Rolle. Im Gegenteil: Hohe Personalkosten würden ja letztendlich dazu führen, diese Kosten über den Preis auf den Kunden abzuwälzen. Bei den genannten Differenzierungsstrategien allerdings, bei denen der Verkäufer ein wichtiger strategischer Faktor ist, indem er die Serviceorientierung garantiert, wäre es fatal, den strategischen Faktor „Personal“ zu vernachlässigen. Denn zum einen würde so die Kundenbindungsstrategie oder die Servicestrategie ad absurdum geführt – ohne gutes Personal kein Service, keine ausführliche Bedarfsermittlung, keine Kundenfreundlichkeit. Und zum Zweiten droht die Gefahr, in eine reine Preisstrategie abzurutschen.
4.
Strategieorientierung und Flexibilität verknüpfen
Wie kann das Management des mittelständischen Unternehmens gewährleisten, so flexibel zu bleiben, dass es auf Veränderungen in den Rahmenbedingungen und auf Schwierigkeiten im operativen Geschäft rasch reagieren kann? Grundsatz ist: Es werden so viele Personen wie möglich in den Strategieprozess und die Strategieüberprüfung einbezogen. Rüdiger H. Jung und Meinolf Kleine schreiben in ihrem Standardwerk „Management“: „Um den Intentionen betrieblicher Strukturen zu genügen, ist eine bestimmte Denkhaltung und Einstellung erforderlich, ohne welche die Strategien erfolglos blieben. Strategisches Denken ist vor allem Richtungsdenken und Konzentration im Hinblick auf Sachverhalte außerhalb des eigenen Führungs- und Einflussbereiches sowie auf die oft schwer einzugrenzenden übergeordneten Ziele des Betriebes. Strategisches Denken ist aber auch Ganzheitsdenken, indem bei der Strategieentwicklung und Strategieverfolgung der Betrieb in ganzheitlicher Sicht thematisiert werden muss.“ Wie lässt sich diese strategische Denkhaltung nicht allein fordern, sondern erreichen?
4.1
Der Unternehmer als Strategieexperte
Strategisches Denken bedeutet Flexibilität im Denken – eine Flexibilität, die vor allem der mittelständische Unternehmer selbst beherrschen sollte. „Können Sie Ihre Unternehmensvision und Ihre unternehmerische Strategie in wenigen Sätzen beschreiben? Können Sie einen oder mehrere strategische Wettbewerbsvorteile benennen, über die Ihr Unternehmen verfügt? Ist Ihre Strategie schriftlich fixiert und wird sie an Ihre Mitarbeiter kommuniziert? Wer sind Ihre wichtigsten Wettbewerber, und über welche Kernkompetenzen verfügen Sie? Führen Sie regelmäßig eine Kundenanalyse durch?“ – Diese und viele weitere Fragen – die übrigens
Strategie – Zwischen Flexibilität und langfristiger Orientierung
245
größtenteils dem „Rating-Leitfaden für den Mittelstand“ entnommen sind – helfen dem Unternehmer, seine persönliche strategische Kompetenz zu überprüfen. Wenn er die Fragen nicht bejahen oder beantworten kann, muss er sich wahrscheinlich zugestehen, dass es um seine Strategie-Kompetenz nicht allzu gut bestellt ist. Dann allerdings sollte er in der Lage sein, Querdenker und Nein-Sager um sich zu versammeln, die den strategischen Prozess jederzeit kritisch hinterfragen und offen, neugierig und ohne Scheuklappen zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Fragen stellen: „Stimmt unsere strategische Ausrichtung noch? Ist angesichts der derzeitigen Situation eine Anpassung oder gar Änderung der Strategie notwendig?“ Wichtig ist, diesen permanenten Hinterfragungsprozess im Unternehmen zu institutionalisieren.
4.2
Externen Strategie-Coach einsetzen
Der externe Strategie-Coach hat den Vorteil, als unabhängiger Beobachter einen unbefangenen Blick von außen auf das Unternehmen werfen zu können und über einen prall gefüllten Werkzeugkasten erfolgreicher Strategieentwicklung zu verfügen. Zudem ist er darauf spezialisiert, sich schnell einen Überblick über die Struktur einer Organisation zu verschaffen. Er befindet sich nicht in der einengenden Black-Box des operativen Geschäfts und kann so strategisch relevante Zukunftsentwicklungen erkennen. Alternativ ist eine Tandem-Lösung möglich: Der Unternehmer übernimmt so weit wie möglich die Strategiearbeit und holt sich für einen befristeten Zeitraum einen externen StrategieCoach ins Untenehmen, der ihn unterstützt und seine strategische Kompetenz auf- und ausbaut, so dass er nach diesem Zeitraum eigenständig in der Lage ist, seine Firma strategisch zu lenken.
4.3
Strategie-Projektgruppe gründen
In der Strategie-Projektgruppe werden die genannten Fragen diskutiert und beantwortet. Diese Task Force sollte aus möglichst verschiedenen Mitgliedern bestehen – von der Fachkompetenz her, aber auch was Persönlichkeit und Problemlösungsorientierung anbelangt. Je nach Unternehmensgröße ist es ratsam, abteilungsbezogene Projektgruppen einzusetzen. Je überschaubarer die Gruppe, desto handlungsfähiger ist sie. Die Kommunikation zwischen den einzelnen Gruppen muss fließen, damit alle an einem strategischen Strang ziehen und in ein gemeinsames Fahrwasser geraten.
246
4.4
Norbert Hans
Das strategische Wissen der Mitarbeiter nutzen
Die Zeiten, in denen auf den Managementebenen die Strategien festgelegt worden sind, um „denen da unten“ die mühevolle Umsetzung zu überlassen, sollten vorbei sein. Vielmehr muss die Unternehmensleitung die Mitarbeiter wo immer möglich an der Strategieentwicklung beteiligen und deren strategisches Engagement fördern. Denn so wird zum einen brachliegendes strategisches Potenzial auf Seiten der Mitarbeiter aktualisiert: Der Spitzenverkäufer, der jeden Kunden von seinen Produkten überzeugt, ist vielleicht ein strategisches Talent, das es zu nutzen gilt. Zum anderen haben die Mitarbeiter Zugang zu Erfahrungswissen, über das das Management nicht verfügt. Ein Mitarbeiter, der tagtäglich am Point of Sales mit Kunden in Berührung kommt, mit ihnen kommuniziert, Probleme bespricht und löst, kann einen spezifischen strategischen Beitrag aus Mitarbeitersicht leisten. Je mehr Mitarbeiter in die Strategiearbeit integriert sind, desto besser. Deren strategisches Engagement ist am ehesten möglich, wenn die Unternehmenskultur auf Werten wie Selbstverantwortung und Eigenständigkeit gründet. Dann kann das Management den Mitarbeitern innerhalb eines festen Rahmens strategische Spielräume oder Spielplätze eröffnen, in denen sie sich strategisch betätigen können: Im Strategieworkshop und Strategiemeeting überprüfen Mitarbeiter mit Hilfe eines externen Experten strategische Leitlinien und die Stichhaltigkeit der Strategie. Hier können die Problemanalyse, der Dialog und der freie Meinungsaustausch zwischen allen Beteiligten stattfinden. Zudem können Partner, Kunden und Lieferanten eingeladen werden, ebenfalls ihren Input einzubringen. Strategische Mitarbeitertreffen: Das Management fördert formelle, aber auch informelle Mitarbeitertreffen – etwa einen Strategiestammtisch. Die Mitarbeiter tauschen ihre strategischen Ideen aus und diskutieren sie. Diese Stammtische können abteilungsbezogen organisiert werden, so dass mehrere strategische Stammtische entstehen. Schließlich wird je ein „Abgeordneter“ bestimmt, der am abteilungsübergreifenden Strategie-Stammtisch teilnimmt – so fördert und ermöglicht das Management die unternehmensinterne Kommunikation und den Informations- und Ideenaustausch. Projektteams: Hier wird die strategische Arbeit konkreter, die Mitarbeiter können eigenständig die Konsequenzen ihrer strategischen Idee über- und bedenken und zugleich erste Überlegungen zur Strategieumsetzung anstellen. Dazu werden ihnen die erforderlichen Ressourcen (zeitlich, räumlich etc.) zur Verfügung gestellt. Strategie-Vorschlagswesen: Das Verbesserungsvorschlagswesen wird in Richtung „Strategische Ideen“ ausgebaut, die Mitarbeiter erarbeiten kreative Ideen zum Thema „Strategie“. Die Einrichtung der Strategie-Spielplätze fördert das strategische Engagement der Mitarbeiter und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass möglichst viele Mitarbeiter strategischen Weitblick entwickeln und zum strategischen Denken fähig sind. Strategischer Weitblick auf der Ma-
Strategie – Zwischen Flexibilität und langfristiger Orientierung
247
nagementebene und strategische Kompetenz auch an der Basis erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass mittelständische Unternehmen jederzeit in der Lage sind, einen Strategiewechsel vorzunehmen und sich flexibel und schnell an veränderte Rahmenbedingungen anzupassen.
248
Norbert Hans
Literatur
Braun, P. (Hrsg.): Rating-Leitfaden für den Mittelstand. Augsburg 2001. Ederer, G.; Seiwert, L. J.: Der Kunde ist König. Das 1x1 der Kundenorientierung, Offenbach 2000. Friedrich, K.: Erfolgreich durch Spezialisierung. Frankfurt a. M. 2003. Hans, N.: Aufbruch im Mittelstand. Mehr Marktanteile durch strategischen Weitblick, Wiesbaden 2003. Jung, R. H.; Kleine, M.: Management. Personen – Strukturen – Funktionen – Instrumente, Müchen, Wien 1993. Kaplan, R. S.; Norton, D. P.: Die strategiefokussierte Organisation – Führen mit der Balanced Scorecard, Stuttgart 2001. Porter, M. E.: Wettbewerbsstrategie. Methoden zur Analyse von Branchen und Konkurrenten, Frankfurt a. M., New York 1999. Schrempp, J. E.: „Ich dulde keine Ja-Sager“. Interview in DER SPIEGEL 15/02, S. 98 ff.
Technologien und Ressourcen – Chancen evaluieren und nutzen
249
Technologien und Ressourcen – Chancen evaluieren und nutzen Thierry Volery
Zusammenfassung
Erfolgreiche Mittelständler zeichnen sich durch systematische Ideenfindung, einen hohen Umsetzungsgrad von Ideen und eine hohe Patentquote aus (vgl. Simon 2006 in diesem Band). Jedes unternehmerische Projekt beginnt mit einer Idee. Die Welt der Möglichkeiten ist weit und die Welt der Ideen sogar unbegrenzt. Einige Ideen stellen echte unternehmerische Gelegenheiten dar – jene Situationen, in welchen neue Produkte oder Dienstleistungen zu höheren Preisen als ihre Produktionskosten eingeführt und verkauft werden können. Aber die meisten Ideen werden nie durchführbar und profitabel sein. In diesem Beitrag wird zunächst der Prozess des Möglichkeitenscreenings betrachtet. Dabei handelt es sich um ein systematisches Vorgehen, um praktikable Ideen mit hohem kommerziellen Potenzial herauszufiltern, bevor der Unternehmer Zeit und Mühe in die Entwicklung der Idee investiert. Ist die Chance herausgefiltert, muss der angehende Unternehmer willig und fähig sein, die Ressourcen zusammenzubringen, die für die Realisierung der Chance nötig sind. Ressourcen spielen eine zentrale Rolle in der Entwicklung eines unternehmerischen Vorhabens. Ireland et al. (2001) definieren Entrepreneurship als einen „kontextabhängigen sozialen Prozess, durch den Individuen und Teams Wert generieren, indem sie einzigartige Ressourcenbündel zusammenbringen, um Marktchancen auszunutzen“. Ressourcen werden nicht nur gebraucht, um Chancen zu nutzen, sie sind gleichzeitig selbst Quelle von Möglichkeiten. Entrepreneurship-Forscher sind sich einig, dass unternehmerische Chancen in erster Linie existieren, weil verschiedene Akteure den relativen und potenziellen Wert von Ressourcen unterschiedlich einschätzen. Im zweiten Teil des Beitrags wird daher der ressourcenorientierte Ansatz von Entrepreneurship präsentiert. Der Unternehmer muss so der Erfolgsaussicht seiner Möglichkeit vertrauen, dass er bereit ist, sein Ansehen und seine persönlichen Ressourcen zugunsten der Realisierung einzusetzen. Er muss darüber hinaus in der Lage sein, Ressourcen von anderen Anspruchsgruppen (Investoren, Zulieferern, Angestellten, Kunden, Behörden) zu beschaffen.
250
1.
Thierry Volery
Chancen evaluieren
Jede Idee ist das Produkt menschlicher Fantasie, und manche sind dazu verdammt, dort zu bleiben. Ideen müssen auf Fatal Flaws – „tödliche Schwachstellen“ – getestet werden, bevor aus ihnen eine richtige Chance oder ein Konzept werden kann. Chancen oder Gelegenheiten sind eine Kombination aus einer Idee, ein Problem zu lösen, und einem praktischen Ansatz (zumindest in Kurzfassung), diese Lösung zu realisieren. Viele Ideen sind, wie im Folgenden diskutiert wird, fehlerbehaftet. In diesem Teil werden zunächst so genannte Fatal Flaws von Geschäftsideen skizziert. Anschließend wird ein systematischer Prozess dargestellt, um Ideen und Inventionen zu bewerten und daraus kommerziell nutzbare Chancen zu identifizieren. Fatal Flaws sind Eigenschaften einer Idee, die einen Erfolg des darauf basierenden Unternehmens unmöglich machen (Fueglistaller, U., Müller, C., Volery, T. 2004). Sie sollten jedoch nicht mit Stolpersteinen, Ablauf- oder Managementfehlern verwechselt werden, die zwar ein Produkt oder Geschäft ruinieren, aber im Nachhinein hätten vermieden werden können. Die folgende Liste potenzieller Fatal Flaws ist nicht erschöpfend, trotzdem könnten viel Enttäuschung und Misserfolg vermieden werden, wenn sie regelmäßig konsultiert werden würde, bevor Geld und Zeit in ein unternehmerisches Vorhaben gesteckt wird: Wissenschaftliche Machbarkeit Baut das Produkt oder die Dienstleistung auf der Außerkraftsetzung von Naturgesetzen auf, wie der Allgemeinen Relativitätstheorie, dem zweiten Gesetz der Thermodynamik oder den Gesetzen über Energieerhaltung und Momentum? Manche Erfinder sind sehr zurückhaltend, ihre Konzepte oder Prototypen von Experten überprüfen zu lassen. Allgemein gesagt, setzt ein Unternehmer oder Investor sein Kapital aufs Spiel, wenn er ein Projekt unterstützt, das so geheim ist, dass kein Experte es überprüfen darf. Technische Machbarkeit Kann das Produkt/die Dienstleistung mit derzeit verfügbaren, oder zumindest realisierbaren, Technologien hergestellt bzw. erbracht werden? Sind ungewöhnliche Materialien, Formen oder eine außerordentlich hohe Leistung zur Herstellung erforderlich, sollte das Projekt vorsichtig vorangehen, bis abgeklärt ist, ob die Anforderungen tatsächlich realisiert werden können Marketing-Machbarkeit Will es überhaupt jemand haben? Hat das Produkt/die Dienstleistung Charakteristika, die jemand den derzeit verfügbaren Produkten/Dienstleistungen vorziehen würde? Experten lassen sich, in der Annahme, dass jemand das Resultat haben will, oft hinreißen, etwas allein aus dem Grund zu realisieren, weil es möglich ist. Ingenieure haben oft die Neigung, sich in eine Technologie „zu verlieben“, und vergessen darüber, dass letztendlich die Anwendung der Technologie zählt, und nicht die Technologie selbst.
Technologien und Ressourcen – Chancen evaluieren und nutzen
251
Wirtschaftliche Machbarkeit Beinhaltet das Produkt eine ökonomische Absurdität, wie einen Verkaufspreis unter den Herstellkosten oder einen unter dem Einkommensminimum liegenden Lohn für einen Dienstleister?
2.
Fallbeispiel: Die ETeCH Technology Bridge
Ein Prozess, den Unternehmer nutzen können, um signifikante kommerziell nutzbare Anwendungen aus den ursprünglichen Innovationen zu identifizieren, ist die ETeCH Technology Bridge™. Die Bezeichnung ist aus der Brückenfunktion des Instruments für Technologien in Märkte abgeleitet. Dieses Instrument wurde Anfang 2000 von ETeCH entwickelt – einer Schweizer Firma, die sich auf Seedfinanzierung in sehr frühen Phasen spezialisiert hat, um Forschungsergebnisse europäischer Institutionen kommerziell nutzbar zu machen. Abbildung 1 stellt die ETeCH Technology Bridge™ dar und zeigt, wie eine neue Technologie anhand von vier Filtern (A - D) systematisch analysiert werden kann, um potenzielle Vorteile zu identifizieren und diese zu möglichen Anwendungen auszubauen. Letztlich bleiben nach einem Test der kommerziellen Relevanz nur signifikante, kommerziell nutzbare Anwendungen übrig. Zur Illustration sind drei Attribute und acht mögliche Anwendungen abgebildet. „X“ steht dabei für eine Anwendung, die einen Filter nicht erfolgreich passiert hat. In der Abbildung passieren nur die Anwendungen eins und fünf die ETeCH Technology Bridge™. Feedbackschleifen (feine Linien) deuten an, dass der Prozess später, nach entsprechenden Lernerfahrungen, angepasst wird. Der Prüfung der Technologie in der ETeCH Technology Bridge™ geht ein einfacher, aus drei Fragen bestehender, einleitender Schritt voraus: Ist sie neu? Wenige „Innovationen“ sind wirklich neu. – Erkenntnisse in einem Gebiet sind in einem anderen oft längst bekannt. Diese Undurchsichtigkeit wird durch einen fachbereichsspezifischen, wissenschaftlichen Jargon und Akronyme noch verstärkt. In der Realität wird daher das „Rad“ öfter neu erfunden. Eine Internetrecherche eines kompetenten Wissenschaftlers sollte schnell zeigen, ob eine „Innovation“ doch schon existiert. Die meisten führenden wissenschaftlichen Gruppen nutzen das Internet heute intensiv, um Informationen über sich selbst, ihre Arbeit und üblicherweise ihre neuesten Publikationen zugänglich zu machen. Eine Recherche anderer Publikationen zum Themengebiet – sowohl Artikel als auch Patente – wird die wichtigsten Referenzen zu Tage bringen.
252
Thierry Volery
Ist sie patentierbar? Patente werden nur für Innovationen gegeben, die neu sind und den Menschen, die die Technologie verstehen, noch nicht bekannt sind. Daraus folgt, dass der Erfinder das Recht auf Schutz verliert, wenn er vor der Patentanmeldung seine Innovation demonstriert, verkauft oder öffentlich diskutiert. Die Erteilung des Patentes ist an vier Voraussetzungen gebunden: Neuheit, erfinderische Tätigkeit, technischer Charakter und die gewerbliche Anwendbarkeit. Der Unternehmer muss also vorsichtig vorgehen und sich dieser Probleme bewusst sein, um die Möglichkeit der Patentierung zu erhalten. Ist sie kontrollierbar? Ein Schlüsselprinzip des Patentschutzes ist, dass der Patentinhaber sein eigener „Polizist“ sein muss. Es ist Aufgabe des Patentinhabers selbst, einen Verstoß gegen den Patentschutz, meist zivilrechtlich, zur Ahndung zu bringen. Manche Innovationen mögen zwar sehr nützlich sein, sind aber völlig unkontrollierbar. Ein aktuelles Beispiel ist, eine neue Art Beton zu modifizieren, um die schalldämmende Eigenschaft von Betonböden zu verbessern. Leider muss man, um herauszufinden, ob die Technik angewandt wurde, entweder beim Einbau dabei gewesen sein, oder den Boden hinterher wieder aufreißen.
Neue patentierbare kontrollierbare Technologie
Technische Attribute
Technische Vorteile
Anwendungen
Schnell
X 10
1
Klein
X 2
2
Neuer Effekt
X 1
3
Anwend. mit kommerziellenVorteilen
Signifikante kommerziell machbare Anwendungen
Kommerziell realisierbare Anwend.
X X X
4
5
X
6
Filter A: Vergleich rivalisierende Technologien
Brainstorm: potenzielle Anwendungen finden
Filter B: Technische Vorteile relevant?
Filter C: Potenzielle Käufer?
Filter D: Angemessene Rendite?
Quelle: Artley, R., Dobrauz, G., Plasoning, G., Strasser, R., Making Money out of Technology – Best Practice in Technology Exploitation from Academic Sources, Linde International, Wien 2003. Abbildung 1:
ETeCH Technology Bridge™
Technologien und Ressourcen – Chancen evaluieren und nutzen
253
Die vier Filter dienen nun dazu, eine Produktidee weiter zu evaluieren. 5. Filter: Vergleich mit rivalisierenden Technologien und Anwendungen suchen In diesem Stadium werden eine Auflistung der technologischen Attribute entwickelt und ein Vergleich mit rivalisierenden Technologien angestellt, um herauszuarbeiten, welche Attribute tatsächlich technische Vorteile oder Nutzen darstellen. Der nächste Schritt ist ein Brainstorming, um denkbare Anwendungen der Technologie zusammenzutragen. Für jeden der technischen Vorteile sollten die möglichen derzeitigen und zukünftigen Anwendungen, bei denen die Vorteile relevant sind/werden könnten, bedacht werden. Um eine solche Liste aufzustellen, bedarf es beträchtlichen Einfallsreichtums und tiefen Verständnisses – „denke breit und tief“. Denn es ist nicht ungewöhnlich, dass eine neue Technologie zu vielen neuen Ideen führt, wo sie angewendet werden könnte. Die Generierung von Anwendungen kann zwar mittels Brainstorming durchgeführt werden, aber um eine größtmögliche Anzahl von Möglichkeiten zu generieren, empfehlen sich im Allgemeinen strukturiertere Methoden. Diese strukturierten Methoden beinhalten zum Beispiel Diagramme, wie Mind Maps, oder Baumdiagramme, die auf der Unterschiedlichkeit von Menschen – jeder findet andere Metaphern und Modelle nützlich – aufbauen. Der Nutzen all dieser Methoden liegt darin, dass jeder technologische Vorteil gegen verschiedene Industriezweige und damit verbundene Applikationen getestet wird. Daher sollte jeder Erfolg versprechende Anwendungsbereich identifiziert und in größerem Detail betrachtet werden. 6. Filter: Sind die technischen Vorteile relevant? Dieser Filter evaluiert, ob die technischen Vorteile bezogen auf jede der Anwendungen relevant sind, d. h. ob sie in kommerzielle Vorteile oder Nutzen überführbar sind. Es gibt drei generische Typen kommerzieller Vorteile: Entweder sparen sie im Vergleich zu bestehenden Produkten/Dienstleistungen Zeit oder Kosten oder sie ermöglichen zukünftig nützliche Produkte/Dienstleistungen, die es heute noch nicht gibt. 7. Filter: Wer sind die potenziellen Käufer? Sind sie bereit, für den Nutzen zu zahlen? Mit Filter C wird gefragt, ob der Markt überhaupt willig ist, für die angebotenen Vorteile zu zahlen, d. h. ob die Anwendung brauchbar ist, oder ob der Markt die Vorteile ignorieren würde (als nett, aber nicht gebraucht) oder sie gern absorbieren würde (nähme sie gratis, würde aber nicht zahlen). Um das festzustellen, müssen die Marktgröße, die Offenheit des Marktes für das neue Produkt/Attribut und die Veränderungsgeschwindigkeit und -richtung im Markt abgeklärt werden. Das Ergebnis dieser Recherche wird als finanzielle Größe ausgedrückt, die den Mehrwert für den potenziellen Markt angibt. Zusätzlich werden potenzielle Käufer – Individuen oder Firmen – für die Anwendung identifiziert. Mit diesen potenziellen Käufern sollte Kontakt aufgenommen werden, um zu verifizieren, dass sie die Vorteile, die bei erfolgreicher Umsetzung winken, tatsächlich wünschen und wertschätzen. Außerdem sollten ihre kompletten Ansprüche eruiert werden. Ziel des Filters C ist es, kommerziell realisierbare Anwendungen zu identifizieren. Jeder potenzielle Käufer sollte, zumindest für B2B-Anwendungen, individuell kontaktiert werden. Bis nicht eine definitiv positive Antwort abgegeben wurde oder alle potenziellen Käufer ihr definitives
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Thierry Volery
Desinteresse ausgedrückt haben, kann die Anwendung in dieser Phase nicht als durchgefallen oder angenommen betrachtet werden. Es lohnt sich zu prüfen, warum eine Anwendung abgelehnt wurde. So können wahrgenommene und tatsächliche Mängel adressiert werden. 8. Filter: Ist eine angemessene Rendite zu erwarten? Im Filter D geht es um den wahrscheinlichen Preis und die wahrscheinlichen Kosten und Risiken, zu denen ein Exit, d. h. ein Ausstieg für Eigentümer und Kapitalgeber, mit angemessener Rendite bei jeder der Anwendungen erreicht werden kann. Das Ergebnis sind die signifikanten kommerziell nutzbaren Anwendungen. Im nächsten Schritt muss entschieden werden, wie diese signifikanten, kommerziell nutzbaren Anwendungen verwertet werden können. Es existieren mannigfaltige Nutzungsmöglichkeiten, wie zum Beispiel Verkauf, Lizenzvergabe, Joint Venture und Gründung eines Unternehmens, von denen jede einen spezifischen Wert für den Unternehmer generiert. Allgemein ist eine Firmengründung für Anwendungen in Märkten, die bereits Ziel großer Firmen sind, und/oder für Anwendungen, die erhebliche Infrastruktur erfordern, wenig weise. So ein Unternehmen müsste groß sein und würde daher zu schnell zu viele Ressourcen erfordern. In solchen Fällen ist der Verkauf (oder Lizenzvergabe), bevor praktische Aspekte der Fertigung zum Thema werden, fast immer günstiger. Es ist nicht unüblich, dass keine Anwendung die Technology Bridge erfolgreich passiert, oder klar wird, dass ein unverzüglicher Verkauf, ohne weitere Entwicklungsarbeit, die beste Alternative ist.
3.
Ressourcen
Für jede signifikante, kommerziell machbare Chance sollte nun eruiert werden, welche Ressourcen nötig sind, um sie bis zu einem erfolgreichen Produkt/Service zu entwickeln. Unter Ressourcen werden Faktoren verstanden, die im weitesten Sinne zur Leistungserstellung benutzt werden können. In der Tat sind selbst die kreativsten Ideen und Innovationen nicht genug, um ein Geschäft aufzubauen. Ohne Ressourcen kann selbst die beste Idee keinen Unternehmer hervorbringen. In diesem Abschnitt wird der ressourcenorientierte Ansatz von Entrepreneurship präsentiert. Im Anschluss werden die verschiedenen Ressourcenarten vorgestellt. Der ressourcenorientierte Ansatz geht davon aus, dass Unternehmen unterschiedlich mit Ressourcen ausgestattet sind (so genannte Ressourcenheterogenität) und dass einige Unternehmen diese nicht einfach so bekommen können (so genannte Ressourcenimmobilität). Neue Unternehmen verfolgen attraktive Geschäftsmöglichkeiten als Resultat einer bestimmten Ressourcenkombination unter der Leitung eines Unternehmers. In der Regel ist die Ressourcenausstattung eines Unternehmens beim Start eher gering, vor allem was den Bereich der strategischen Ressourcen betrifft. Nach dem ressourcenorientierten Ansatz müssen Unter-
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nehmen, wenn sie erfolgreich sein wollen, Unvollkommenheiten im Markt ausnutzen. Diese Unvollkommenheiten können Resultat unvollkommener Informationen oder unterschiedlicher Preiserwartungen sein. Dazu kann folgende, einfache Formel benutzt werden: Ressourcen günstig erwerben, in ein Produkt oder eine Dienstleistung umwandeln, anwenden und implementieren (Strategie) und teuer verkaufen (mehr, als man bezahlt hat – Wertgenerierung). Dies ist aber nur möglich, wenn günstige oder unterbewertete Ressourcen und Fähigkeiten existieren. Die Verfügbarkeit hängt von der Existenz unvollkommener Märkte ab, was aber eher die Ausnahme als die Regel ist. Der ressourcenorientierte Ansatz unterscheidet sechs Ressourcenarten: finanzielle, physische, humane, technologische, organisatorische sowie Reputation. Diese sechs Arten sind weit gefasst und beinhalten alle Gegenstände, Fähigkeiten, organisatorischen Prozesse, Firmenattribute, Informationen und alles Wissen. Finanzielle Ressourcen sind Geld, Vermögensgegenstände und Lagerbestände. Sie beinhalten die Kreditwürdigkeit, die Fähigkeit, Eigenkapital zu beschaffen, sowie die Innenfinanzierungskraft des Unternehmens. Sie sind selten Quelle nachhaltiger Wettbewerbsvorteile. Diese Ressourcen sind wertvoll, selten wirklich rar, sind nicht schwer imitierbar, und es existieren Substitute wie Anteile am Unternehmen als Gegenleistung für Arbeitsleistung (Sweat Equity). Zwar stellen finanzielle Ressourcen an sich meist keinen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil dar, das Management derselben jedoch schon. Physische Ressourcen sind das materielle Eigentum, das ein Unternehmen in der Produktion und Administration benutzt (z. B. Büroraum, Ausstattung, Grundstück). Eine komplexe physische Technologie kann aber kein nachhaltiger Wettbewerbsvorteil sein, da sie imitiert werden kann. Wenn jedoch die Methode zur Nutzung der Technologie schwer imitierbar ist (wenn sie rar und schwer substituierbar ist), können andere Ressourcen die Technologie vervollständigen, so dass ein nachhaltiger Wettbewerbsvorteil entsteht. Human Ressources schließen Wissen, Training und die Erfahrung des Unternehmers sowie seines Teams an Mitarbeitern und Managern ein. Das Humankapital schließt auch Beziehungskapital (Menschen, die Mitglieder einer Organisation) und deren Wissen ein. Durch Networking kann sich der Unternehmer Ressourcen erschließen, ohne sie kontrollieren zu müssen. Technologische Ressourcen werden in Prozessen, Systemen, oder physischen Transformationen verkörpert. Sie begründen physische oder rechtliche Einheiten, die der Organisation gehören. Beispiele technologischer Ressourcen sind Patente, spezielle Software-Produkte, oder eine maßgeschneiderte IT-Architektur. Technologisches Kapital ist nicht gleichzusetzen mit intellektuellem Kapital (Intellectual Capital), da Letzteres von Personen verkörpert wird und mobil ist.
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Thierry Volery
Organisatorische Ressourcen sind die Struktur, Routinen und Systeme des Unternehmens. Die Struktur eines Unternehmens ist eine immaterielle Ressource, die ein Unternehmen von seinen Wettbewerbern unterscheiden kann. Eine auf Schnelligkeit ausgerichtete Struktur kann die wertvollste Ressource eines Unternehmers sein. Geschichten, die in das kollektive Gedächtnis Eingang gefunden haben (Mythen), und aufgezeichnete Geschichte (Dateien und Archive) können auch als organisatorische Ressource aufgefasst werden. Die Fähigkeiten eines Unternehmens – was es als Ergebnis des Zusammenwirkens der Ressourcen fähig ist zu tun – sind auch Teil der organisationalen Ressourcen. Die Reputation umfasst die Wahrnehmung des Unternehmens in seinem Umfeld. Reputation kann auf Produkt- oder Firmenebene bestehen und, wenn einmal aufgebaut, von langer Dauer sein. Die wichtigsten Aspekte von Reputation sind Produktqualität, Integrität des Managements und finanzielle Gesundheit. Eine Möglichkeit für Start-ups, bereits in frühen Phasen eine gute Reputation aufzubauen, ist, mit etablierten Unternehmen zu kooperieren. Nicht alle Ressourcen sind für ein Unternehmen gleich wichtig. Strategische Ressourcen können zu Wettbewerbsvorteilen führen, wohingegen gewöhnliche Ressourcen für den Betrieb des Unternehmens notwendig sind, aber keine speziellen Vorteile bringen. Strategische Ressourcen sind wichtig für Gründungsunternehmen, um auf dem Markt Wettbewerbsvorteile erzielen zu können, die wiederum die Fähigkeit eines Unternehmens bestimmen, Gewinne zu erzielen (Wertgenerierung). Ein Wettbewerbsvorteil liegt dann vor, wenn ein Unternehmer eine Strategie umsetzen kann, welche zum einen Wert generiert und zum anderen nicht gleichzeitig von einem aktuellen oder potenziellen Konkurrenten umgesetzt wird. Für einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil ist aber noch ein weiteres Element notwendig: Aktuelle und zukünftige Unternehmen können die Vorteilhaftigkeit dieser Strategie nicht duplizieren. Der ressourcenorientierte Ansatz geht deshalb davon aus, dass ein Unternehmen über Ressourcen verfügen und diese auch nutzen muss, die folgende Eigenschaften aufweisen: Wertvoll: Ressourcen sind wertvoll, wenn sie einem Unternehmen helfen, dessen Strategie effektiv und effizient umzusetzen, indem Chancen ausgenutzt oder Risiken minimiert werden, die sich im Umfeld des Unternehmens befinden; Rar: Ressourcen sind schwer erhältlich, beispielsweise seltene Rohstoffe oder Mitarbeiter mit einem besonderem Know-how; Nicht substituierbar: Ausmaß, in welchem die Ressourcen des eigenen Unternehmens nicht mit raren und wertvollen Ressourcen eines anderen Unternehmens ersetzt werden können; Schwer imitierbar: Wenn eine Ressource nicht zu einem so günstigen Preis dupliziert werden kann, dass noch Gewinn übrig bleibt, spricht man von unvollkommener Imitierbarkeit. Unvollkommene Imitierbarkeit kann aus den folgenden Punkten entstehen:
Technologien und Ressourcen – Chancen evaluieren und nutzen
257
Historische Gegebenheiten: Der Weg, auf dem das Unternehmen seine Ressourcen über die Zeit akquiriert hat, spielt demnach eine Rolle. Die Anfangsbedingungen, unter denen das Unternehmen entstand, waren einzigartig. Firmen, die an einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit gegründet wurden, können diese Ressourcen nicht beschaffen, so dass sie nicht kopiert werden können. Unklare Ursachen und Wirkungen: Es ist nicht klar und manchmal doppeldeutig, wie die Ressourcen eines Unternehmens zu seinem Erfolg führen. Manchmal sind die UrsacheWirkungsbeziehungen nicht einmal für das Unternehmen selbst nachvollziehbar. Komplexe soziale Beziehungen: Solange ein Unternehmen Human Ressources und organisatorische Ressourcen verwendet, kann soziale Komplexität als Imitationsbarriere fungieren. Das soziale Phänomen mit der höchsten Komplexität ist die Organisationskultur, die eine Kombination aus den Werten des Gründers, Gewohnheiten, Glauben und der Interaktion dieser Elemente mit dem neuen Unternehmen und dem Markt erreicht. Wie in Abbildung 2 dargestellt, wird ein Unternehmen einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil aufbauen können, wenn es wertvolle, rare, nicht substituierbare und schwer imitierbare Ressourcen besitzt und kontrolliert, diese schützen kann und es gelingt, die vier Eigenschaften aufrechtzuerhalten. Verfügt eine Firma über Ressourcen mit diesen vier Eigenschaften, die aber nicht voll ausgeprägt sind oder nicht geschützt werden, wird der Wettbewerbsvorteil von kurzer Dauer sein, da Wettbewerber die Ressourcen imitieren werden. Schafft Wettbewerbsvorteil
Ressourceneigenschaft
Schafft keinen Wettbewerbsvorteil
Nutzt Chance Neutralisiert Gefahr
Wertvoll
Passt nicht zum Umfeld
Einzigartig Schwierige Beschaffung
Rar
Allgemein zugänglich Günstig
Nicht substituierbar
Substituierbar
Leicht Substituierbar
Spezielle Geschichte Mehrdeutig Sozial komplex
Imitierbar
Alltägliche Geschichte Eindeutig Sozial simpel
Quelle: In Anlehnung an Barney, J., Firm resources and sustained competitive advantage, Journal of Management, Nr. 17, 1991, S. 99-120. Abbildung 2:
Eigenschaften von Ressourcen und Wettbewerbsvorteilen
Für junge Unternehmen stellt die anfängliche Nichtduplizierbarkeit von Ressourcen (z. B. durch ein Patent geschützte Technologie) einen teilweisen Schutz gegen schnelle Imitation
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Thierry Volery
dar, ist aber andererseits auch eine Schwierigkeit beim Aufbau und Wachstum des Unternehmens. Der Bezug solcher Ressourcen über allgemein zugängliche Märkte ist entweder sehr teuer oder schlicht nicht möglich. Auch genügt es nicht, wenn sich ein junges Unternehmen auf diese anfänglichen Wettbewerbsvorteile verlässt, sondern es muss diese als Ausgangsbasis für die Weiter- respektive Neuentwicklung solcher Vorteile nutzen, um in einem dynamischen Wettbewerbsumfeld bestehen zu können.
4.
Fazit
Zur Auswertung von Gelegenheiten bietet sich die ETeCH™ Technology Bridge an. Mit diesem Instrument werden Technologien mittels vier Filtern auf ihre Markttauglichkeit geprüft. Zuvor müssen die Gelegenheiten auf Fatal Flaws sowie ihre Patentierbarkeit, Neuheit und Kontrollierbarkeit geprüft werden. Der ressourcenorientierte Ansatz ist eine theoretische Konzeption, die unterschiedliche Erfolge von Unternehmen auf Ressourcenheterogenität und Ressourcenimmobilität zurückführt. Strategische Ressourcen – Grundlage von nachhaltigen Wettbewerbsvorteilen – sind wertvoll, rar, nicht substituierbar und schwer zu kopieren. Allein der Fakt, dass ein Unternehmen über einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil verfügt, ist keine Garantie dafür, dass es ihm tatsächlich gelingt, diesen zu halten. Geheimnisse sickern nach außen, Patente laufen aus, und Konkurrenten erobern Märkte, die vorher als sicher galten. Überlegene Technologien und Prozesse sind immer auch Magnet für Nachahmer. Gleichzeitig muss das Unternehmen aufpassen, keine Wettbewerbsnachteile aufzubauen, die die Gewinne aus den Vorteilen aufzehren. Besonders neue Firmen sind mit einigen unausweichlichen Nachteilen konfrontiert. Sie sind klein, haben keine Bonitätsgeschichte und keine Glaubwürdigkeit am Markt – Entrepreneurship wäre keine Herausforderung, wenn es diese Probleme nicht gäbe. Der Strategieentwicklungsprozess geht für Gründer Hand in Hand mit der Erstellung des Businessplans (vgl. Merk 2006 in diesem Band). Jedoch ist die strategische Planung längerfristig ausgerichtet, während der Businessplan umsetzungsorientiert aufgestellt ist. Ein sehr einfaches, aber doch nützliches Ablaufmodell zur Entwicklung einer Strategie ist in vier Schritte eingeteilt: Analyse, Strategieentwicklung, -umsetzung und -kontrolle. Nachteilig an diesem Ablaufschema ist zu werten, dass es dazu verleitet, Strategieentwicklung als linearen Prozess zu betrachten, was ihr, wie oben gezeigt, nicht gerecht wird. So sind Entwicklung und Umsetzung nicht voneinander zu trennen, und auch die Kontrolle, im Sinne eines Lernens, sollte nicht allein als nachgeschaltet betrachtet werden. Ändern sich Rahmenbedingungen oder findet Lernen statt, sollte es auf seine Auswirkung auf die Strategie geprüft werden und ggf. Anpassungen vorgenommen werden.
Technologien und Ressourcen – Chancen evaluieren und nutzen
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Literatur
Artley, R.; Dobrauz, G.; Plasoning, G.; Strasser, R.: Making Money out of Technology – Best Practice in Technology Exploitation from Academic Sources, Linde International, Wien 2003. Barney, J.: Firm resources and sustained competitive advantage, Journal of Management, Nr. 17, 1991, S. 99-120. Fueglistaller, U.; Müller, C.; Volery, T.: Entrepreneurship: Modelle, Umsetzung, Perspektiven, Gabler Verlag, Wiesbaden 2004. Ireland, D.; Hitt, M.; Camp, S.; Secton, D.: Integrating entrepreneurship and strategic management thinking to create firm wealth, Academy of Management Executive, Jg. 15, Nr. 1, 2001, S. 49-63. Wenerfelt, B.: A resource-based view of the firm, Strategic Management Journal, Vol. 39, Nr. 6, 1984, S. 171-180.
Finanzierung – Rating, Mezzanine und Private Equity
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Finanzierung – Rating, Mezzanine und Private Equity Konstanze Kinne/Elke Kottmann
Zusammenfassung
Basel II und Ratings verändern die traditionellen Regeln der Mittelstandsfinanzierung. Erfolgte die Kreditvergabe lange auf der Basis vergangenheitsorientierter Kreditwürdigkeitsprüfungen und bildeten Leasing und Factoring die Finanzierungsalternativen zum Kredit, so stellen die neuen Eigenkapitalrichtlinien nach Basel II das Finanzmanagement von mittelständischen Unternehmen vor neue Herausforderungen. Je schlechter die Bonität des Kreditnehmers und je höher die Kreditausfallwahrscheinlichkeit, desto schlechter fällt das Rating aus und entsprechend höher sind die Finanzierungskosten der Unternehmen. Vor diesem Hintergrund wird Eigenkapital zunehmend zur Schlüsselkomponente bei der Kreditvergabe. Doch gerade daran krankt der Mittelstand schon seit Jahren. Eine Erhöhung der bislang im internationalen Vergleich niedrigen Eigenkapitalquoten mittelständischer Unternehmen ist zwingend erforderlich. Als Folge der Eigenkapitallücke vieler Unternehmer haben sich am Markt eigenkapitalähnliche Finanzierungsprodukte entwickelt und sind allerorts in der Diskussion. Licht- und Schattenseiten moderner Finanzierungsinstrumente wie MezzanineFinanzierungen und Private Equity sind Gegenstand dieses Beitrages.
262
1.
Konstanze Kinne/Elke Kottmann
Basel II und der Mittelstand
Die Diskussion über die Neufassung der internationalen Regeln zur Eigenkapitalunterlegung von Krediten schlagen seit 1999 hohe Wellen. Noch nie stand ein Thema der Bankenaufsicht so im Interesse der Öffentlichkeit. Hinter dem breiten Interesse an der Neuregelung verbirgt sich die Befürchtung, dass sich die Finanzierungskonditionen des Mittelstands als Folge von Basel II nachhaltig verschlechtern können. Zwar hat Basel II die Eigenkapitalanforderungen der Kreditinstitute und nicht die Kreditkonditionen des Mittelstands zum Gegenstand, jedoch sind die aufsichtsrechtlichen Vorschriften nach Basel II ein Bestimmungsfaktor für die Finanzierungskonditionen: Die Auswahl der Kreditnehmer, das Kreditvolumen, die Kreditzinsen und das Kreditvergabeverfahren (Sicherheiten, Informationen etc.) werden durch Basel II beeinflusst. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach dem aktuellen Stand der Mittelstandsfinanzierung bzw. der für den Mittelstand charakteristischen Finanzierungsstruktur. Status quo Mittelstandsfinanzierung Die Finanzierungsstrukturen von deutschen mittelständischen Unternehmen unterscheiden sich deutlich von den Strukturen der Unternehmen in anderen Ländern. So werden in Deutschland unternehmerische Aktivitäten überwiegend fremdfinanziert. Die Eigenkapitalquote deutscher Unternehmen sinkt seit den 60er Jahren deutlich. Während sie 1996 noch bei 30 % lag, erreichte sie 1996 nur noch 18 %. 1 Heute liegt die durchschnittliche EK-Quote bei klein- und mittelständischen Unternehmen (KMU) bei nur noch 7,5 %, mittelständische Kapitalgesellschaften erreichen immerhin noch eine Quote von 16 %. 2 . Die Eigenkapitalausstattung deutscher Unternehmen ist damit auch im internationalen Vergleich eher schwach. Unternehmen in Frankreich, Großbritannien oder den USA weisen häufig Eigenkapitalquoten zwischen 30 % und 40 % auf. Als Zielgröße für eine stabile Eigenkapitalausstattung gelten Werte zwischen 20 % und 30 %. Die klassische Außenfinanzierung des deutschen Mittelstands erfolgt nach wie vor über Bankkredite mit einer Laufzeit von fünf Jahren und länger. Die große Bedeutung der Kreditfinanzierung ist neben dem Leverage-Effekt und steuerlichen Gesichtspunkten auf die grundsätzlichen Merkmale der Kreditfinanzierung zurückzuführen: Denn Kreditgebern stehen keine unternehmerischen Stimmrechte zu, sie haben Anspruch auf eine Zinszahlung, aber nicht auf eine Gewinnbeteiligung. Zins- und Tilgungszahlungen lassen sich vergleichsweise sicher in der Finanzplanung kalkulieren. Daneben haben aber auch Leasing oder Factoring als Finanzierungsinstrumente noch nicht die Bedeutung, wie es nach den Veröffentlichungen in den letzten Jahren zu vermuten gewesen wäre. Lediglich Lieferanten- und Kundenkredite waren in der Vergangenheit von nennenswerter Bedeutung im Mittelstand. Die Dominanz der 1 2
Vgl. Nolte, B./Nolting, R./Stummer, F., Finanzierung des deutschen Mittelstands: Private Equity als Alternative, in: Die Sparkasse 08/2002, S. 345. Vgl. Plankensteiner, D./Rehbock, T., Die Bedeutung von Mezzanine-Finanzierungen in Deutschland, in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, 15/2005, S. 790.
Finanzierung – Rating, Mezzanine und Private Equity
263
Kreditfinanzierung hat zu einer ungleichgewichtigen Kapitalstruktur – einer so genannten Eigenkapitallücke – geführt, die sich nach den Ratinganforderungen von Basel II nachteilig auf die Finanzierungskonditionen der mittelständischen Unternehmen auswirken kann. Neue Herausforderungen für das Finanzmanagement Die neuen Eigenkapitalregeln fordern mithin gerade den Mittelstand heraus, sich mit neuen Finanzierungsformen auseinander zu setzen. Das Unternehmen hat somit zu prüfen, inwieweit durch zusätzliches Eigenkapital von bestehenden neuen Gesellschaftern die bestehende Kapitalstruktur verbessert und eine höhere finanzielle Flexibilität gewonnen werden kann; eigenkapitalersetzende Mittel zu einer Verbesserung der Kapitalstruktur und der Ratingnote beitragen können; durch Maßnahmen der Innenfinanzierung die finanziellen Spielräume erweitert werden können; Leasing oder Factoring geeignete Finanzierungsalternativen darstellen; Kapitalmarktprodukte genutzt werden können, die eine Aufteilung und Streuung des Risikos auf mehrere Investoren/Käufer ermöglichen.
2.
Aufbau bankinterner Ratings
Der Aufbau von bankinternen Ratingsystemen unterscheidet sich von Kreditinstitut zu Kreditinstitut. In den Banken und Sparkassen werden eigene Ratingsysteme eingesetzt. Die Ratingnote spiegelt das aggregierte Gesamtergebnis des Ratings wider, das sich wiederum aus gewichteten Teil-Ratingnoten zusammensetzt. Dabei wird in der Regel unterschieden zwischen quantitativen und qualitativen Ratingbereichen, wobei die qualitativen Ratingkriterien in harte und weiche Faktoren aufgeteilt werden (vgl. Abbildung 1). Unter den quantitativen Kriterien wird das so genannte Bilanzrating zusammengefasst, während die qualitative Ratinganalyse eine ganzheitliche Analyse des Unternehmens – eine so genannte SWOT-Analyse – darstellt.
264
Konstanze Kinne/Elke Kottmann
Quantitative Faktoren
Harte qualitative Faktoren
Weiche qualitative Faktoren
Bilanzkennzahlen
Kontoführung
Branche
Erfolgskennzahlen
Dauer der Kundenbeziehung
Produkte und Fertigungsprozesse
Nachfolgeregelung
Management
Rechtsform
Controlling und Finanzen
Vermögenskennzahlen Branchenkennzahlen …
…
… Aggregiertes Gesamturteil
Abbildung 1:
Beispielhafter Aufbau interner Ratings
Im Rahmen des Ratings werden Schwächen im Finanzmanagement durch die sehr differenzierte Auseinandersetzung mit der Unternehmensplanung, dem Geschäftsprozess- und dem Liquiditätsmanagement aufgedeckt. Hierbei wird das Finanzmanagement durchaus in einem größeren Kontext beurteilt. In der Praxis haben viele mittelständische Unternehmen oft nur ein rudimentäres Finanzmanagement, das sich auf eine mehr oder minder grobe Planung des laufenden Finanzbedarfs, ein Reagieren auf die aktuelle Liquiditätssituation und das damit verbundene Beantragen von Investitionsdarlehen und Betriebsmittellinien beschränkt. Ein gutes Rating verlangt von mittelständischen Unternehmen ein professionelles Finanzmanagement, angefangen von der Planung über die Steuerung bis hin zur Liquiditätskontrolle. Schwächen werden im Rating aufgedeckt und führen zu einer schlechten Ratingnote. Das Rating setzt Rahmenbedingungen, da mit ihm Aussagen über Kreditkonditionen, Kreditverfügbarkeit und den potenziellen Einsatz anderer Finanzierungsinstrumente verbunden sind. Das Rating verlangt, dass das Unternehmen bisherige Finanzierungspräferenzen und Finanzierungsstrukturen in Frage stellt und vor dem Hintergrund strategischer Überlegungen eventuell neu gestaltet. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Finanzmanagement durch Basel II und das Rating endgültig zur strategischen Managementaufgabe wird. Bei vielen Unternehmen wird sich ein verstärkter Bedarf an intelligenten, ganzheitlichen Finanzierungslösungen zeigen, die vor allem darauf ausgerichtet sind, die Eigenkapitalprobleme des Mittelstands zu reduzieren.
Finanzierung – Rating, Mezzanine und Private Equity
3.
265
Finanzprodukte zur Schließung der Eigenkapitallücke: Private Equity und Mezzanine-Finanzierungen
Die Verfügbarkeit von Eigenkapital ist die Voraussetzung für den Zugang zu Fremdkapitalquellen, da das Eigenkapital für die Erfüllung aller Verbindlichkeiten des betreffenden Unternehmens haftet und damit die Kreditausfallwahrscheinlichkeit begrenzt. Im Zusammenhang mit der Diskussion um Ansätze zur Verbesserung der Finanzierungsstruktur sind vor allem zwei Instrumente in den Blickpunkt gerückt: Private Equity als eine Form der Eigenkapitalfinanzierung und Mezzanine-Kapital – als hybride Finanzierungsform zwischen Eigen- und Fremdkapital.
Finanzierungsphasen
In vielen Phasen der Unternehmensentwicklung ist die Verfügbarkeit von Eigenkapital eine zwingende Voraussetzung für die weitere Entwicklung. Zur Schließung der Eigenkapitallücke stehen den Unternehmen grundsätzlich verschiedene Eigenkapitalquellen zur Verfügung. Deren Einsatz wird im Wesentlichen durch die Lebenszyklusphase des betreffenden Unternehmens sowie das damit einhergehende Risiko und die Höhe des Kapitalbedarfs bestimmt.
seed financing
start-up financing
first-stage financing
second-stage financing
Grundlagenentwicklung
Produktionsreife
Markteinführung
Wachstum
Bridge
Wachstum Beteiligungen
IPO
langfristiges, stetiges Wachstum
Gewinn Finanzierungsformen
Verlust Kapitalbeteiligungsgesellschaften Private Equity Bankkredite Privatplazierung
Eigenmittel Öffentl. Fördermittel
Mezzanine-Finanzierung Business Angels
Abbildung 2:
Börsenemission von Aktien
Venture Capital
Unternehmenslebenszyklus und Finanzierung
Turnaround
266
Konstanze Kinne/Elke Kottmann
3.1
Beteiligungsfinanzierung – Private Equity
Eine häufige Antwort auf die Frage nach den Möglichkeiten des Mittelstands, die Eigenkapitaldecke zu schließen, lautet „Private Equity“. Darunter wird die befristete Bereitstellung von Eigenkapital für nicht börsennotierte Unternehmen verstanden. Es handelt sich um privates Beteiligungskapital, das typischerweise von Beteiligungsgesellschaften offeriert wird, und unterscheidet sich damit von Eigenkapitalprodukten, die über die Börsen beschafft werden können („Public Equity“). Private-Equity-Beteiligungsgesellschaften führen den betreffenden Unternehmen Kapital zu, ohne dass bankübliche Sicherheiten gestellt werden müssen. Sie treten als Gesellschafter „auf Zeit“ in das Unternehmen ein und erhalten Informations- und ggf. Mitwirkungsrechte. Häufig synonym gebraucht wird der Begriff „Venture Capital“. 3 Dieser bezeichnet eine spezielle Form des Private Equity, die sich auf die Beteiligung an jungen, in der Regel hochinnovativen – und damit sowohl chancen- als auch risikoreichen – Unternehmen konzentriert und zur Finanzierung in der Gründungsphase eines Unternehmens beitragen soll. Finanzierungen dieser Art bilden jedoch nicht die einzigen Einsatzfelder von Private Equity. Im Zusammenhang mit der Diskussion um die Folgen von Basel II ist Private Equity vor allem als Finanzierungsform für etablierte mittelständische Unternehmen in den Blickpunkt geraten. 4 Kapitalgeber von Private Equity gehen typischerweise Minderheitsbeteiligungen ein. Sie verfolgen – im Unterschied zu anderen potenziellen Investoren (z. B. Konzerne oder Holdinggesellschaften) – keine strategischen Interessen an der Beteiligung. Ihr Interesse konzentriert sich vielmehr ausschließlich auf die Gesamtrendite des eingesetzten Kapitals. Im Mittelpunkt ihres Kalküls steht die erzielbare Eigenkapitalrendite bzw. die profitable Veräußerung der erworbenen Unternehmensanteile. Im Regelfall ist mit der Beteiligung daher auch eine mehr oder weniger intensive Managementberatung des betreffenden Unternehmens verbunden. 5 Der deutsche Markt für Private Equity Private-Equity-Beteiligungen haben in den vergangenen Jahren weltweit an Bedeutung gewonnen. So hat sich auch der deutsche Markt für Eigenkapitalbeteiligungen in der zweiten Hälfte der 90er Jahre stürmisch entwickelt. Zwar kam es ab 2002 zu einem leichten Abschwung, der Vergleich mit der Entwicklung in anderen europäischen Volkswirtschaften zeigt aber ein hohes unausgeschöpftes Potenzial, so dass mit weiter steigendem Marktvolumen
3 4 5
Zur Frage der Abgrenzung beider Begriffe vgl. Gottschlag, O./Groh, A., Venture Capital and Private Equity aus Sicht der Wissenschaft. In: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, 1/2005, S. 26 f. Auf Private-Equity-Finanzierung als Gründungsfinanzierung (Venture Capital) wird hier nicht weiter eingegangen. Vgl. Frommann, H., Entwicklungen und Aussichten des Private-Equity-Marktes in Deutschland, in: FinanzBetrieb, 7/8 2005, S. 535.
Finanzierung – Rating, Mezzanine und Private Equity
267
gerechnet wird. 6 Es gibt speziell an den Mittelstand gerichtete Angebote von Beteiligungsgesellschaften der öffentlichen Hand bzw. öffentlich geförderte Beteiligungsgesellschaften. Darüber hinaus treten verstärkt private Beteiligungsgesellschaften an den Mittelstand heran.ȱ7 Das Geschäftsmodell der renditeorientierten Beteiligungsgesellschaften ist auf mittelständische Unternehmen mit ausgeprägt hohem Wertsteigerungspotenzial und einem Eigenkapitalbedarf ab 5 Mio. Euro gerichtet. Es zielt auf relativ kurze Anlagezeiträume mit einem möglichst schnellen „Exit“ – idealerweise durch Börsengang oder Weiterverkauf der Anteile an Dritte. Als öffentliche Beteiligungsgesellschaften treten überwiegend die Bürgschaftsbanken der Länder auf. Das Angebot richtet sich an mittelständische Unternehmen, die weniger attraktiv für private Beteiligungsgesellschaften sind und die nur einen geringeren Eigenkapitalbedarf (bis zu einer Höhe von 1,0 bis 1,5 Mio. Euro) haben. Typische Formen Die Aufnahme von Private Equity kann verschieden gestaltet werden. Die Übergabe von Gesellschaftsanteilen an eine Beteiligungsgesellschaft kann z. B. im Rahmen einer Kapitalerhöhung oder durch den Verkauf von Anteilen erfolgen. Alle Einzelheiten sind in einem Gesellschaftervertrag zu regeln. Außerdem ist eine Unternehmensbewertung für das betreffende Unternehmen durchzuführen, die in der Regel durch das Ertragswertverfahren erfolgt. Für die rechtliche Ausgestaltung einer Private-Equity-Beteiligung kommen vor allem folgende Formen in Betracht: Beteiligung als typischer oder atypischer stiller Gesellschafter Beteiligung als Kommanditist einer KG Offene Beteiligung in einer AG oder GmbH Eine besonders „diskrete“ Form der Kapitalzufuhr ist die Aufnahme der Beteiligungsgesellschaft als stiller Gesellschafter. 8 Der stille Gesellschafter erhält Kontrollrechte und hat Anspruch auf eine angemessene Verzinsung seiner Einlage. Er hat über den nominellen Wert seiner Einlage hinaus aber keinen Anspruch auf das Vermögen des Unternehmens. Die Ausübung von unternehmerischen Funktionen ist nicht vorgesehen. In der als „atypische“ stille Gesellschaft bezeichneten Form ist der stille Gesellschafter an den Gewinnen und Verlusten und am Vermögenszuwachs des Unternehmens beteiligt. Die Ausübung von unternehmeri6
7 8
In 2003 wurden weltweit 107 Mrd. US-Dollar Private Equity investiert, davon 60,2 in den USA, 27,1 in der EU und 17,5 im asiatisch-pazifischen Raum. Innerhalb der EU ist Großbritannien führend, gefolgt von Frankreich, Italien und Deutschland auf Platz 4. Deutschland hat einen vergleichsweise geringen Anteil von Private Equity am BSP. Ende 2004 umfasste das Gesamtvolumen der erfassten Private-Equity-Gesellschaften 20,3 Mrd. Euro investiert in 5.563 Unternehmen, d. h. durchschnittlich 3,65 Mio. Euro pro Engagement. Vgl. Frommann, H., Entwicklungen und Aussichten des Private-Equity-Marktes in Deutschland, in: Finanz-Betrieb, 7/8 2005, S. 538. 80 % der Beteiligungsgesellschaften sind im Verband Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften zusammengeschlossen. Für weitere Informationen vgl. www.bvk-ev.de. Vgl. §§ 335-342 HGB.
268
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schen Funktionen kann ggf. vereinbart werden. In beiden Fällen ist darauf zu achten, dass die Haftung der stillen Gesellschafter so gestaltet ist, dass die Einlagen als wirtschaftliches Eigenkapital gewertet werden. Auch die Aufnahme als Kommanditist in eine bestehende KG kann zu den diskreten Beteiligungsformen gerechnet werden. 9 Die Rolle der Kommanditisten ist mit der der stillen Gesellschafter vergleichbar. Auch sie haften nur mit ihrer Einlage. Sie haben Informations- und Kontrollrechte, sind von der Geschäftsführung aber grundsätzlich ausgeschlossen und haben keine Vertretungsbefugnis. Bei einer offenen Beteiligung ist die Beteiligungsgesellschaft als neuer Gesellschafter grundsätzlich auch im Außenverhältnis zu erkennen. Der neue Gesellschafter ist an den Gewinnen und Verlusten sowie an den Vermögenswerten (stille Rücklagen, Firmenwerte etc.) beteiligt. Die Ausübung unternehmerischer Funktionen bzw. Zustimmungsrechte im Hinblick auf bestimmte unternehmerische Entscheidungen sind üblich. Charakteristisch für Private-Equity-Investitionen ist der relativ kurze Anlagehorizont (oft nur drei bis sechs Jahre). Das zur Verfügung gestellte Kapital soll nach Ablauf der geplanten Anlagefrist wieder aus dem Unternehmen herausgelöst werden. Obwohl die Einlagen das wirtschaftliche Eigenkapital des betreffenden Unternehmens erhöhen können, unterscheiden sie sich von „echtem Eigenkapital“, das dem Unternehmen typischerweise unbefristet zur Verfügung steht. Private Equity als Eigenkapitalersatzprodukt für den Mittelstand Bei Prüfung von Private Equity zur Stärkung der Eigenkapitalausstattung sind nicht nur die Auswirkungen auf die Kapitalstruktur zu berücksichtigen, sondern auch die damit verbundenen Rechte und Pflichten der neuen Miteigentümer des Unternehmens. Private Equity erhöht das wirtschaftliche Eigenkapital. Das Bilanzrating verbessert sich und mithin die Ratingnote des Unternehmens. Durch die höhere Bonität des Unternehmens kann der Zugang zu weiteren Finanzierungsquellen (Aufnahme Fremdkapital) erleichtert werden. Private-Equity-Beteiligungen erfolgen im Regelfall nur bei sehr guten Ertragserwartungen und Entwicklungsperspektiven des Unternehmens. Aufgrund der hohen Renditeorientierung wird vielfach eine schnelle Expansion forciert. Die Aufnahme von Beteiligungskapital mit hohen Renditeerwartungen führt zu einer stärkeren Shareholder-Value-Orientierung, die sich positiv auf die Unternehmenssteuerung bzw. auf die langfristige Ertragsentwicklung auswirken kann.
9
Vgl. §§ 161-177 HGB.
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Die Beteiligungsgesellschaften erwarten, dass sie über die wirtschaftliche Situation des Unternehmens angemessen und aktuell informiert werden und in bestimmte strategische Entscheidungen einbezogen sind. Die Zusammenarbeit mit den neuen Gesellschaftern setzt die Schaffung von Transparenz über die aktuelle wirtschaftliche Situation des Unternehmens voraus. Dies erfordert die Bereitschaft zu mehr Offenheit gegenüber Externen und kann nicht zuletzt zu erhöhten Anforderungen an das Reporting führen. Im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen Beteiligungsgesellschaft und Unternehmensführung sind ein Know-how-Transfer, die Nutzung von Netzwerken u. Ä. möglich. Häufig bietet die Beteiligungsgesellschaft Unterstützung, z. B. im Hinblick auf Planung des Kapital- und Finanzbedarfs, Zugang zu öffentlichen Fördermitteln etc. Ziel der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Beteiligungsgesellschaft sollte eine (zeitlich befristete) Partnerschaft auf Basis eines fairen Interessenausgleichs sein. Das setzt eine gute und enge Kommunikation zwischen Unternehmen und Beteiligungsgesellschaft voraus. Ein an der Aufnahme von Private Equity interessiertes Unternehmen sollte daher viel Sorgfalt auf die Auswahl des „passenden“ Partners verwenden. Erste Anhaltspunkte können die Branchenerfahrung der Beteiligungsgesellschaft, ihre Investmentschwerpunkte und die geschäftspolitische Ausrichtung sein. Häufig werden sich nicht alle aufkommenden Fragen im Voraus vertragsrechtlich abschließend regeln lassen. Zudem müssen regelmäßig sensible Unternehmensdaten ausgetauscht werden. Neben der Frage der Erfahrung ist daher auch ein gemeinsames Grundverständnis von Bedeutung. Unterschiedliche Unternehmenskulturen erschweren die Zusammenarbeit und können den Erfolg einer Private-Equity-Beteiligung ernsthaft gefährden. Nicht zuletzt sollte auch die „Chemie“ zwischen den beteiligten Personen stimmen, um in vollem Umfang von den Vorzügen der Private-Equity-Beteiligung profitieren zu können.ȱ10
3.2
Mezzanine-Finanzierung
„Mezzanine-Produkte“ werden zurzeit von allen Banken als Allheilmittel zur Schließung der Eigenkapitallücke angepriesen. Als Mezzanine Finanzmittel werden bestimmte Formen der Finanzierung bezeichnet, die sowohl Merkmale von Fremdkapital als auch Merkmale von Eigenkapital aufweisen können.ȱ11 Mezzanine ist ein Sammelbegriff für verschiedene Finanzinstrumente, die einem Unternehmen wirtschaftliches Eigenkapital zuführen, ohne dass den Kapitalgebern umfangreiche Stimmrechte bzw. Einflussmöglichkeiten eingeräumt werden müssen. Dabei können die betreffenden Finanzierungsinstrumente eher eigenkapitalnah (Equity Mezzanine) oder eher fremdkapitalnah (Debt Mezzanine) konstruiert sein. 10 Vgl. Achleitner, A.-K./Poech, A./Burger-Calderon, M., Private Equity und Mittelstand – Wege zu einem konstruktiven Dialog, in: Mergers and Acquisitions, 2/2005, S. 61-64. 11 Der Begriff „Mezzanine“ stammt aus der Architektur und meint ein Zwischengeschoss („Mezzanino“) zwischen zwei Hauptetagen.
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Konstanze Kinne/Elke Kottmann
Zu den Merkmalen dieser Finanzierungsform gehört, dass 12 sich Mezzanine-Kapital nicht direkt am Eigenkapital bzw. Vermögen des Unternehmens beteiligt. Mezzanine-Kapital-Mittel mit einer Nachrangklausel versehen werden, so dass die Mezzanine-Geber im Insolvenzfall erst nach den übrigen Gläubigern aus der Konkursmasse bedient werden. 13 Mezzanine-Geber im Insolvenzfall aber noch vor den Eigenkapitalgebern bedient werden. zur Besicherung nur die zukünftigen Cash-Flows und zu vereinbarende Covenants zur Verfügung stehen. Mezzanine-Kapital dem Unternehmen zeitlich befristet überlassen wird. In der Regel wird Mezzanine-Kapital einem Unternehmen zwischen fünf und acht Jahren zur Verfügung stehen. Aus diesen Merkmalen folgt, dass die Mezzanine-Geber ein den Eigenkapitalgebern ähnliches Risiko übernehmen und damit für die vorrangigen Gläubiger de facto zusätzliche Sicherheiten stellen. Dieser Charakter des Mezzanine-Kapitals ist dafür verantwortlich, dass es in aller Regel zum wirtschaftlichen Eigenkapital gerechnet wird und damit das Rating verbessern kann. 14 Diese Stellung des Mezzanine-Kapitals ist einer der zentralen Vorteile dieser Finanzierungsvariante. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Zinsen für Mezzanine-Kapital steuerrechtlich Betriebsaufwand darstellen und mithin die Steuerlast verringern. 15 Mezzanine Finanzierungen richten sich an mittelständische Unternehmen, die eine Wachstumsfinanzierung suchen, über stabile Cash-Flows verfügen, aber eine dünne Eigenkapitaldecke aufweisen. Im Gegensatz zur Aufnahme von „echtem“ Eigenkapital (in Form von Beteiligungen) müssen die Gesellschafter des betreffenden Unternehmens keine Verwässerung ihrer Anteile befürchten. Eine Mitsprache der Mezzanine-Geber ist nicht vorgesehen, so dass die unternehmerische Unabhängigkeit gewahrt bleibt. Dies bildet aus Sicht vieler mittelständischer Unternehmen einen wesentlichen Vorteil dieser Finanzierungsform. Darüber hinaus handelt es sich um
12 Vgl. Nelles, M./Klusemann, M.: Die Bedeutung der Finanzierungsalternative Mezzanine-Kapital im Kontext von Basel II, in: Finanz Betrieb, Nr. 1/2003, S. 6 f. 13 Vgl. Broda, M., Finanzierungsalternativen für KMU zum Bankkredit?, in: Der Schweizer Treuhänder 6-7/2003, S. 463 ff. 14 Zu den Kriterien für die Zurechnung zum wirtschaftlichen Eigenkapital vgl. Plankensteiner, D./Rehbock, T., Die Bedeutung von Mezzanine-Finanzierungen in Deutschland, in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, 15/2005, S. 791 f. 15 Zu rechtlichen und steuerrechtlichen Aspekten vgl. Golland, F./Gehlhaar, L./Grossmann, K. u.a., MezzanineKapital, in: Betriebs-Berater, 13/2005 (Beilage).
Finanzierung – Rating, Mezzanine und Private Equity
271
eine sehr „diskrete“ Möglichkeit zur vorübergehenden Stärkung der Eigenkapitalbasis, da Mezzanine-Kapital nach außen nicht sichtbar ist. 16 Anbieter Neben privaten Investoren treten heute vor allem Banken, Beteiligungsgesellschaften, Venture-Capital-Gesellschaften und spezielle Mezzanine-Fonds als Anbieter auf. 17 Vor dem Hintergrund der Einführung von Basel II ist zu erwarten, dass die Attraktivität von Mezzanine-Kapital steigen wird. Mezzanine-Kapital wird vom Mittelstand vielfach dem reinen Beteiligungskapital vorgezogen 18 , da Mezzanine-Kapital flexibel einsetzbar ist. Angesichts des umfangreichen Marktangebots wird mit einem weiter starken Wachstum dieses Kapitalmarktsegments gerechnet. Dabei dominieren folgende Ausgestaltungsformen: Nachrangdarlehen, partiarische Darlehen und stille Beteiligungen werden die vorherrschenden Instrumente im typischen deutschen Mittelstandssegment sein. Die Größenordnungen werden zwischen 2 Mio. und 20 Mio. Euro in Abhängigkeit vom Verwendungszweck und der Unternehmensgröße liegen. Es wird sich teilweise ein Trend zur Standardisierung hinsichtlich Ausgestaltung und Abwicklung einstellen, da ansonsten der Aufwand der nötigen Due-Diligence-Prüfung im Vergleich zu den erwarteten Erträgen zu hoch ist. Dennoch wird die Individualität auch bei den mittelständischen Unternehmen ein wesentlicher Vorteil dieser Finanzierungsform bleiben. 19 Wahrscheinlich werden sich zukünftig verstärkt – auch staatlich geförderte – Mezzanine-Fonds für den Mittelstand herausbilden. Gestaltung der Finanzierungskonditionen Ein typisches Merkmal von Mezzanine-Finanzierungen ist die flexible Gestaltung von Laufzeiten, Kündigungsmöglichkeiten, Rückzahlung, Zins u. Ä. Mit der flexiblen Gestaltung des Kapitaldienstes kann den Umständen des Einzelfalls Rechung getragen werden, d. h., der Kapitaldienst kann dem prognostizierten Cash-Flow des betreffenden Unternehmens bzw. der getätigten Investition angepasst werden. Die Finanzierungskonditionen von MezzanineFinanzierungen setzen sich aus den folgenden Elementen zusammen: 20 Fixe Verzinsung: Aufgrund des Fremdkapitalcharakters müssen die Unternehmen für Mezzanine-Kapital ebenso einen festen Zinssatz zahlen wie für jedes andere Darlehen. 16 Vgl. Raupach, G., Kapital für den Mittelstand: Mezzanine-Fonds, in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, 1/2004, S. 19 ff. 17 Für einen aktuellen Überblick über Anbieter und Zielgruppen vgl: o.V., Instrumente der Mezzanine-Finanzierung, in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen 15/2005, S. 808 f. und Rehbock, T./Plankensteiner, D., Der deutsche Mittelstand entdeckt das Mezzanine-Kapital, in: Börsenzeitung vom 28.05.2005. 18 Vgl. KfW: Unternehmensfinanzierung in schwierigem Fahrwasser, Frankfurt a. M. 2003. 19 Vgl. Nelles, M./ Klusemann, M.: Die Bedeutung der Finanzierungsalternative Mezzanine-Kapital im Kontext von Basel II, in: Finanz Betrieb, Nr. 1/2003, S. 1-10. 20 Vgl. Breszki, E./Kinne, K., Finanzmanagement und Rating kompakt, Stuttgart 2004, S. 105 ff.
272
Konstanze Kinne/Elke Kottmann
Die Höhe der fixen Verzinsung orientiert sich zunächst an dem höheren Risiko der Mezzannine-Kapitalgeber und liegt zurzeit im Durchschnitt zwischen 8 % und 15 %. Grundsätzlich gilt aber, dass der Zinssatz umso höher ist, je länger die Laufzeit ist und je höher der eigenkapitalähnliche Charakter des Mezzanine-Kapitals ist. PIK-Komponente: Bei der PIK-Komponente handelt es sich um eine ZinseszinsKomponente, nach der bestimmte Zinsen nicht laufend, sondern erst am Laufzeitende bezahlt werden. Diese Komponente schont die Liquidität des Unternehmens. Equity-Kicker: Bei dem Equity-Kicker handelt es sich um die Einräumung von Gewinnbezugsrechten. Der Mezzanine-Geber profitiert dann von der Unternehmensentwicklung. Covenants: Für die Bedienung von Mezzanine-Kapital stehen nur die zukünftigen CashFlows zur Verfügung. Daraus ergibt sich eine eigentümerähnliche Risikoübernahme, die die Mezzanine-Geber durch die Vereinbarung von Covenants und Informationspflichten während der Vertragslaufzeit sicherstellen. So kann z. B. eine bestimmte Höhe der Eigenkapitalquote Gegenstand der Covenants sein. Werden die Covenants verletzt, stehen dem Mezzanine-Geber entweder Kündigungsrechte zu oder er wird für bestimmte Verletzungen so genannte „Penalties“ vereinbaren. Darunter versteht man Strafzahlungen, die durch Vertragsverletzungen ausgelöst und im Vertrag festgelegt werden.ȱ21 Mezzanine-Finanzierungen für den Mittelstand Bei den Mezzanine-Finanzierungen handelt es sich um eine interessante Finanzierungsform für mittelständische Unternehmen. Die größten Vorteile für deutsche Unternehmen sind neben der Möglichkeit zur flexiblen Anpassung an die spezifischen Notwendigkeiten vor allem die Anerkennung als wirtschaftliches Eigenkapital, das nicht mit einer Abgabe von Gesellschafteranteilen an Dritte verbunden ist. Da die Kapitalgeber ein höheres Risiko als bei einer reinen Kreditfinanzierung tragen, ist die Verzinsungsforderung meist entsprechend höher. Die Renditeforderung liegt – der Risikoposition entsprechend – deutlich über dem Fremdkapitalzins, jedoch noch unterhalb der Renditeforderung von Eigenkapitalgebern. 22 Da sich diese Finanzierungsform im Regelfall positiv auf das Rating auswirkt, kann sie zur Senkung der gesamten Finanzierungskosten im Unternehmen beitragen. Eine Mezzanine-Finanzierung stellt hohe Anforderungen an das Finanzmanagement des betreffenden Unternehmens und erfordert eine sehr sorgfältige und genaue Vorbereitung.
21 Für einen Überblick über Anbieter und Konditionen siehe o.V., Instrumente der Mezzanine-Finanzierung, in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen 15/2005, S. 808 f. und Rehbock, T./Plankensteiner, D., Der deutsche Mittelstand entdeckt das Mezzanine-Kapital, in: Börsenzeitung vom 28.05.2005. 22 Die Renditeforderung für Mezzanine lagen in 2004 bei 12 bis 15% p.a. vgl. Raupach, G., Kapital für den Mittelstand: Mezzanine-Fonds, in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, 1/2004, S. 20.
Finanzierung – Rating, Mezzanine und Private Equity
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Das Vorliegen einer validen Cash-Flow-Planung im Unternehmen ist eine Mindestvoraussetzung für die Vergabe von Mezzanine-Kapital. 23 Mezzanine ist geeignet, eine vorübergehende Eigenkapitallücke zu schließen. Da es dem Unternehmen aber nur befristet zur Verfügung steht und getilgt bzw. am Ende der Laufzeit refinanziert werden muss, ist es analog zum Private Equity kein dauerhafter Ersatz für Eigenkapital. Mezzanine Finanzierungen sind vor allem dann sinnvoll, wenn das finanzierte Umsatzwachstum bzw. die ausgelöste Ertragsentwicklung eine Gewinnthesaurierung zulässt. Mezzanine-Finanzierungen wirken sich positiv auf das Rating des betreffenden Unternehmens aus. 24 Mezzanine erhöht die Eigenkapitalquote und kann zu einer Verbesserung der Bilanzstruktur führen, wie z. B. Verbesserung der fristenkongruenten Finanzierung. Im Gegensatz zu Beteiligungskapital ist bei Mezzanine-Kapital aber die laufende Zinszahlung zu berücksichtigen, die sich sowohl auf den ROI als auch auf den Cash-Flow negativ auswirken kann. Zusammenfassend weist Mezzanine-Kapital im Vergleich zum Private Equity folgende Vorteile auf: Es muss keine Einigung über den Unternehmenswert erfolgen. Die bestehenden Anteilstrukturen werden nicht verwässert. Der „Familiencharakter“ des Unternehmens bleibt erhalten. Der Unternehmer erhält weitgehend seine Unabhängigkeit. Er muss in der Regel lediglich verschiedene Covenants erfüllen, wie sie heute aber auch bereits in normalen Kreditverhältnissen üblich sind. Laufzeit, Kosten und Exit werden mit dem Vertrag festgelegt und sind über die Laufzeit kalkulierbar.
23 Zu den Herausforderungen an mittelständische Unternehmen und ihre Planungsinstrumente vgl. Knaier, H./Mezzanine-Kapital als Finanzierungsbaustein, in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, 1/2004, S. 31 ff. 24 Vgl. Fallbeispiel in Breszki, E./Kinne, K., Finanzmanagement und Rating kompakt, Stuttgart 2004, S. 108 ff.
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Konstanze Kinne/Elke Kottmann
Literatur
Achleitner, A.-K.; Poech, A.; Burger-Calderon, M.: Private Equity und Mittelstand – Wege zu einem konstruktiven Dialog, in: Mergers and acquisitions, 2/2005, S. 61-64. Breszki, E; Kinne, K.: Finanzmanagement und Rating kompakt, Stuttgart 2004. Broda, M.: Finanzierungsalternativen für KMU zum Bankkredit?, in: Der Schweizer Treuhänder 6-7/2003, S. 463-472. F.A.Z.-Institut, Siemens Financial Services 2003, Unternehmensfinanzierung im Fokus, Frankfurt a. M. Frommann, H.: Entwicklungen des Private-Equity-Marktes in Deutschland, in: FinanzBetrieb, 7/8 2005, S. 535-538. Golland, F.; Gehlhaar, L.; Grossmann, K. u. a.: Mezzanine-Kapital, in: Betriebs-Berater, 13/2005 (Beilage). Gottschlag, O.; Groh, A.: Venture Capital and Private Equity aus Sicht der Wissenschaft, in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, 1/2005, S. 26-29. KfW: Unternehmensfinanzierung in schwierigem Fahrwasser, Frankfurt a. M. 2003. Knaier, H.: Mezzanine-Kapital als Finanzierungsbaustein, in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, 1/2004, S. 31-34. Nelles, M.; Klusemann, M.: Die Bedeutung der Finanzierungsalternative MezzanineKapital im Kontext von Basel II, in: Finanz Betrieb, Nr. 1/2003, S. 1-10. Nolte, B.; Nolting, R.; Stummer, F.: Finanzierung des deutschen Mittelstands: Private Equity als Alternative, in: Die Sparkasse 08/2002, S. 344-350. o.V.: Instrumente der Mezzanine-Finanzierung, in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen 15/2005, S. 808-809.
Plankensteiner, D.; Rehbock, T.: Die Bedeutung von Mezzanine-Finanzierungen in Deutschland, in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, 15/2005, S. 790-794. Raupach, G.: Kapital für den Mittelstand: Mezzanine-Fonds, in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, 1/2004, S. 19-21. Rehbock, T.; Plankensteiner, D.: Der deutsche Mittelstand entdeckt das Mezzanine-Kapital, in: Börsenzeitung vom 28.05.2005.
Personalführung – Zwischen Distanz und persönliche Nähe
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Personalführung – Zwischen Distanz und persönliche Nähe Fred G. Becker
Zusammenfassung
Wenn man den Umfrageergebnissen des Marktforschungsunternehmens Gallup – zumindest tendenziell í glaubt, dann liegt das wesentliche, ungenutzte Erfolgspotenzial von Unternehmen im Personalsektor. Gallup spricht von knapp 90 % unzufriedenen, wenig engagierten, ihren Arbeitgebern gegenüber nicht gebundenen Arbeitnehmern í mit wachsender Tendenz. Schuld am fehlenden Engagement und Commitment seien vor allem die Vorgesetzten: Sie „sparen“ an Anerkennung, an Förderung der persönlichen Entwicklung u. v. a. m. Konsequenzen dieser Unzufriedenheit sind hohe Kosten für krankheitsbedingte Fehlzeiten, Fluktuationen, notwendige Kontrollen sowie fehlende Kreativität und Innovationen. „Unternehmen können sich Geiz gegenüber Angestellten nicht leisten“, titelt dementsprechend beispielsweise die Fachzeitschrift „Personalführung“ im Mai 2004. Die Personalberatung HewittKienbaum spricht sogar vom potenziellen Wachstumsfaktor „Mitarbeiterengagement“. Empirische Studien unter Führungskräften (beispielsweise Wunderer, R., 2003) sprechen wohl auch deshalb von einer verstärkten Dominanz von „soft factors“ in der Unternehmensführung, veränderten Führungsbeziehungen (weg von rein hierarchischer Führung), der Sinnhaftigkeit eines „managing the boss”, der Notwendigkeit eines Demotivationsabbaus und einer -prophylaxe u. Ä. Trifft dies alles auch auf den Mittelstand zu? Sicherlich, mittelständische Unternehmen haben andere Führungssituationen: Sie sind naturgemäß kleiner, man behält (eher) die Übersicht, kennt viele bis alle Mitarbeiter persönlich, beschäftigt auch Ältere, formale Rollen und Regeln sind weniger stark vertreten, der Chef bzw. die Chefin ist selbst engagiert, die Verbundenheit zum Unternehmen und zu den Mitarbeitern ist in Familienunternehmen stärker ausgeprägt u. a. m. Aber dennoch, auch hier gibt es Probleme mit der und Veränderungen in der Personalführung, und diese sind in den grundsätzlichen Fragen gar nicht anders als in Großunternehmen. Ziel des Beitrages ist es, die Leser auf einige solcher bedeutsamen Stellgrößen einer modernen Personalführung hinzuweisen. Distanz und Nähe sind dabei immer wiederkehrende Anknüpfungspunkte der Diskussion.
276
1.
Fred G. Becker
Ausgangsprobleme der Personalführung
Personalführung gehört nicht nur im Mittelstand zu den unabdingbaren Aufgaben einer Führungskraft und zwar auf allen Managementebenen. Sie ist aber mit vielfältigen Problemen verbunden: 1. Um sich auf eine Leitungsposition vorzubereiten, gibt es eine Vielzahl an Qualifizierungswegen: zunächst Studium an einer Hochschule und/oder Berufsausbildung, später verschiedene Positionen verbunden mit einer Weiterbildung usw. Eines haben die Wege im Allgemeinen gemeinsam: Sie vernachlässigen die mit Führungspositionen verbundenen Aufgaben der Personalführung. Auch Unternehmer sind hier nicht ausgenommen. Mittelständische Unternehmen haben es da prinzipiell schwerer: Sie haben weniger personelle, zeitliche und teilweise auch finanzielle Ressourcen, um beispielsweise ausreichend Führungsseminare anbieten zu können. 2. Des Weiteren darf nicht verschwiegen werden, dass zumindest in manchen Unternehmen ein „guter“ Personalführer nicht unbedingt in der betrieblichen Hierarchie gut angesehen ist. Statt die damit verbundenen langfristig positiven Wirkungen zu beachten, wird oft eher der kurzfristig Erfolgreiche (im Sinne des Zahlenwerks) befördert. Human Resources als qualitativer Wettbewerbsvorteil zählt hier weniger. Allerdings, hier sind Großunternehmen deutlich stärker betroffen als Familienunternehmen. 3. Die Verdichtung sachlicher Arbeitstätigkeiten auf einzelne Positionsinhaber führt heutzutage noch stärker als früher dazu, dass die Aussage: „Ich habe so viel zu tun, da bleibt keine Zeit für das Personal!“ oft zu hören ist. Dabei haben Führungskräfte vor allem eine Hauptaufgabe, ihr Personal zu führen. 4. Führungsprobleme sind darüber hinaus Tabu-Themen. „Gute“ Personalführung wird quasi unausgesprochen als eine Selbstverständlichkeit angesehen. Vorliegende Schwierigkeiten werden gerne „unter der Decke“ gehalten, zum Nachteil aller Betroffenen. 5. Übersehen wird, dass Führungskräfte nicht autonom ihre Führungsaufgaben erledigen können. Sie selbst sind zum einen Getriebene ihrer Vorgesetzten und/oder Kunden. Zum anderen agieren sie nicht in einem frei zu gestaltenden Raum; ganz im Gegenteil: Die Managementkonzeption des Unternehmens gestaltet – ob bedacht oder nicht í eine Vielzahl an Rahmenbedingungen (Entscheidungskompetenzen, Mitwirkungsmöglichkeiten, Entgeltanreize etc.), innerhalb derer sie agieren müssen. Ohne dies alles inhaltlich weiter zu kommentieren sei angemerkt, dass die (angehende) Führungskraft darauf angewiesen ist, sich initiativ mit Führungsaufgaben auseinander zu setzen.
Personalführung – Zwischen Distanz und persönliche Nähe
2.
277
Zur Einordnung der Personalführung
Ein modernes Personalmanagement hat zum einen die Systemgestaltung und zum anderen die Verhaltenssteuerung als Aufgabenfelder zum Inhalt (vgl. Abbildung 1) (Berthel, J., Becker, F. G., 2003, S. 7 ff.; Becker, F. G., 2001, S. 433 f.). Dies bedeutet nicht, dass für jedes dieser Aufgabenfelder Stellen einzurichten sind, wie sich dies allenfalls Großunternehmen leisten können. Es handelt sich schlicht um Aufgabenfelder, die mal häufiger, mal seltener in jedem Unternehmen auf der Tagesordnung stehen – zunächst unabhängig davon, welche Führungskraft sie bearbeitet. Die Wirkung der Systemgestaltung als verhaltensbeeinflussende Größe (für Führungskräfte wie andere Mitarbeiter) wird dabei gerne übersehen, sowohl was die dadurch bedingte Einengung bzw. Freiheit für die Führungskräfte betrifft als auch die dadurch bereits institutionalisierten direkten Verhaltensstimuli. Gerade hier liegt auch für kleinere Unternehmen eine Chance, bewusster und nachhaltiger Personalarbeit betreiben zu können. Dies wird später an der Differenzierung in strukturelle und in direkte Führung noch deutlich gemacht.
Personalmanagement
Systemgestaltung
Verhaltenssteuerung
(= strukturelle Führung)
(= direkte Führung)
Primäre Systeme Personalforschung
Systemhandhabung Personalführung
Personalbedarfsdeckung (Beschaffung, Auswahl, Einführung,Entwicklung)
Personalfreisetzung Anreiz-/Entgeltsysteme Arbeitsbedingungen
Sekundäre Systeme Personalorganisation Personalplanung und -controlling Personalverwaltung
Abbildung 1:
Aufgabenfelder des Personalmanagements
Die Systemgestaltung betrifft zunächst und vor allem die Schaffung von Regeln und Bedingungen zur Umsetzung personeller Teilsysteme (beispielsweise Personalbedarfsdeckung, Personalentwicklung, Entgeltsysteme). Die Personalsysteme lassen sich dabei nach
278
Fred G. Becker
ihrer Bedeutung in primäre Systeme (unmittelbare Personalarbeit) und sekundäre Systeme (Unterstützungsbereiche wie Personalplanung und -controlling) aufgliedern. Insbesondere die primären Systeme beeinflussen nicht nur die Qualität der Personalarbeit unmittelbar den Mitarbeitern gegenüber, sondern sie bieten auch Stimuli zum individuellen Leistungsverhalten und dienen insofern der mittelbaren Verhaltensbeeinflussung. Sie stellen das allgemeine Gerüst dar, welches es in Einzelfällen konkret anzuwenden bzw. umzusetzen gilt. Verhaltenssteuerung meint nun die direkte Führung des Personals zum einen mittels der Vorgesetzten/Mitarbeiter-Beziehung (= Personalführung, synonym: Mitarbeiterführung; vor allem der direkte Beeinflussungsversuch der Nachgeordneten) und zum anderen der Handhabung der primären Personalsysteme durch die Vorgesetzten (Systemhandhabung; beispielsweise der Mitwirkung von Vorgesetzten bei der Personalauswahl, der Karriereberatung, der Rückkehrgespräche). Hier steht die situative Gestaltung der zwischenmenschlichen Beziehungen im Mittelpunkt í Einzelnen wie auch einer Gruppe gegenüber. Als Personalverantwortliche für die Aufgabenerfüllung gelten í im Mittelstand noch stärker als in Großunternehmen í die Leitungsspitze eines Unternehmens (Geschäftsleitung, Vorstand), insbesondere der für Personalfragen Zuständige, alle direkten Vorgesetzten, ggf. die Leitung und Mitarbeiter des Personalbereichs sowie in Teilen Ausbilder, Ausbildungsbeauftragte, Sicherheitsbeauftragte und der Betriebsrat. Personalarbeit ist nicht allein eine Angelegenheit der Personalabteilung. Gerade direkte Vorgesetzte sind die ersten Personalmanager. Als Ansatzpunkte für eine solchermaßen verstandene Personalarbeit dienen in Folge nicht allein die einzelnen Mitarbeiter (individuelle Perspektive), sondern ebenso Mitarbeitergruppen (interpersonelle Perspektive) und organisatorische Verhaltensstimuli (a-personelle Perspektive); vgl. Abbildung 2. Nur in einem solchen konsistenten Verbund und in einer gezielten Intervention auf alle drei Bereiche lässt sich effizient die Personalarbeit im Allgemeinen und Personalführung im Speziellen umsetzen. Einzelne Mitarbeiter können gezielt geführt werden, indem auf ihre Besonderheiten beispielsweise in einem Mitarbeitergespräch oder bei der spezifischen Aufgabendefinition eingegangen wird. Sie werden eingestellt, gefordert und gefördert etc. Die soziale wie fachliche Zusammensetzung, die Größe, das Alter der Gruppe, die Aufgabendefinition, der Umgang der Führungskraft mit der Gruppe als Ganzes, die Transparenz und Fairness des Führungsverhaltens u. a. sind wiederum eine besondere Determinante bei der Personalführung. Die Besonderheiten von Gruppenprozessen und ihren Phänomenen (beispielsweise Gruppenkohäsion, Gruppendruck, Gruppendenken) machen dies notwendig. Die Organisation, hier als Synonym für Stimuli durch die Gestaltung der Unternehmenskonzeption (Planung, Organisation, Kontrolle, Information, Führung) verstanden, übt quasi permanent durch die geltenden variablen Vergütungssysteme, das Modellverhalten der Unternehmensleitung, die Entscheidungsprozesse, die Unterschriftenregelungen u. a. Einfluss auf das Mitarbeiterverhalten aus. Dabei können sie unterstützend, neutral, aber auch verhindernd und konterkarierend wirken.
Personalführung – Zwischen Distanz und persönliche Nähe
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Die drei Ansatzpunkte der Personalführung bedürfen einer aufeinander abgestimmten Gestaltung. Hier haben es Mittelständler im Prinzip einfacher, ihr Unternehmen ist überschaubarer, es gibt weniger formale Regeln usw. Von daher besteht quantitativ weniger Gestaltungsbedarf.
Abbildung 2:
3.
Ansatzpunkte der Personalführung
Personalführung – jeder versteht es anders!
Was ist nun unter einer solchen Personalführung zu verstehen – inhaltlich wie von der Bedeutung her? Trifft das Zitat eines Unbekannten zu: „Personalführung ist die Kunst, den Mitarbeiter so schnell über den Tisch zu ziehen, dass er die Reibungshitze als Nestwärme empfindet.“? Es kann wohl aufgrund von Praxiserfahrungen nicht geleugnet werden, dass der Zitatinhalt in der Realität durchaus vorzufinden ist. Nun, Mitarbeiter sind nicht Mittelpunkt der Unternehmensführung, sondern Mittel zur Unternehmensführung (Neuberger, O., 1990). Insofern kommt es schon – oder nur? í auf einen letztendlich erfolgreichen Einsatz der Mitarbeiter an. Hier wird jedoch ein etwas anderes Verständnis zugrunde gelegt: Es wird davon ausgegangen, dass Reibungshitze allenfalls kurzfristig „hilft“. Die Art und Weise der Perso-
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Fred G. Becker
nalführung hat einen langfristigen Wirkungshorizont: „Betrogene“ Mitarbeiter werden zu „betrügenden“ Mitarbeitern (siehe hierzu Kapitel 10); dies gilt es zu vermeiden. Der Personalführung wird mittlerweile ein wesentlicher strategischer Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zugesprochen. Von daher wird heutzutage auch gerne von Human Resources und einer ressourcenorientierten Unternehmensführung gesprochen. Das genaue Verständnis zur Personalführung wird nicht nur in der Literatur kontrovers diskutiert. Ein gemeinsamer Nenner der Begriffsbestimmungen lässt sich wie folgt formulieren: Personalführung ist ein irgendwie gearteter Versuch der Einflussnahme oder Einwirkung auf das Verhalten anderer Personen in Unternehmen. Sie liegt demnach vor, wenn mindestens zwei Personen existieren (Führungsperson und Geführter), eine soziale Interaktion stattfindet, diese Interaktionsbeziehung asymmetrisch verläuft, d. h. die Möglichkeit zur Willensdurchsetzung aufgrund unterschiedlicher Machtverteilung (auch Expertenmacht) primär auf Seiten der Führer liegt, die Einflussnahme der Führungsperson zielorientiert erfolgt, im Führungsprozess eine Ausbildung von Rollen (Verhaltenserwartungen), Werten und Normen stattfindet sowie die Interaktion dynamisch ist, d. h. sich laufend entwickelt und Veränderungseinflüssen unterschiedlichster Art ausgesetzt ist. Darüber hinaus sind dann verschiedene Ausprägungen möglich (siehe Kapitel 6 und 8).
4.
Menschenbilder – der Ausgangspunkt
Hilfreich zur Mitarbeiterführung ist die Kenntnis von so genannten Menschenbildern. Menschenbilder sind vereinfachte und standardisierte Muster von menschlichen Verhaltensweisen und zwar bezogen auf bestimmte Personen („Schubladen“). Diese „Bilder“ erfassen, was der Mensch bzw. eine bestimmte Person „ist“, und determinieren so den eigenen Umgang mit ihnen. Sie dienen den Personalverantwortlichen hauptsächlich zur Komplexitätsreduktion. Die Verwendung nur einzelner Menschenbilder reduziert die Vielfalt der vorkommenden Menschentypen auf wenige Grundformen und erlaubt zwar so die schnelle Feststellung, auf welche Grundform eine gegebene Person zuordenbar ist. Beispielhaft wird eine übliche Differenzierung skizziert (Staehle, W. H., 1999, S. 191 ff.): Der rational-ökonomische Mensch maximiert seinen Nutzen, ist vor allem durch monetäre Anreize gesteuert; Emotionen werden ihm nicht unterstellt, sein Handeln ist rational. Dem sozialen Menschen sind soziale Bedürfnisse wichtig, daher bemüht er sich zu deren Befriedigung um soziale Beziehungen zu anderen, auch am Arbeitsplatz. Dadurch wird er durch soziale Normen seiner Arbeitsgruppe gelenkt.
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Der Sich-selbst-verwirklichende Mensch strebt nach Autonomie und bevorzugt SelbstMotivation und -Kontrolle. Es gibt keinen zwangsläufigen Konflikt zwischen Selbstverwirklichung und unternehmerischer Zielerreichung. Der komplexe Mensch hat rationale Züge, er sucht soziale Beziehungen, er versucht sich selbst zu verwirklichen und er gilt als wandlungsfähig. Die Dringlichkeit und die Inhalte der Motive unterliegen einem Wandel. In unterschiedlichen Systemen werden unterschiedliche Motive bedeutsam. Wenn man als Führungskraft „weiß“, welcher Mensch der Mitarbeiter nun ist, kann er entsprechend „passende“ Personalmaßnahmen umsetzen. Die Verwendung von Menschenbildern durch den Vorgesetzten wirkt sich also direkt auf dessen Führungsverhalten aus: Einerseits ist es zwar „hilfreich“, nur noch im Hinblick auf wenige „Schubladen“ seine Personalsysteme zu gestalten und zu handhaben, andererseits sind – trotz einer unter Umständen tatsächlich auch diesbezüglich funktionierenden Personalauswahl – Menschen unterschiedlicher, als dies vereinfachend angenommen wird. Nur eine Nähe im Rahmen der direkten Personalführung und eine Offenheit im Menschenbild gestatten es, hierauf tatsächlich treffend eingehen zu können: Allgemeine, statische Annahmen („Die sind nun einmal alle so!“) sind in aller Regel ein Fehler. Erst wenn sich Führungskräfte klar machen, dass Personen ebenso wie Umstände nie völlig gleich sind, es prinzipiell unterschiedliche Wege zur Führung gibt und es fast immer mehrere durchaus konkurrierende Ziele und Wege gibt, vermögen sie die Bandbreiten des Handelns, die für sie bestehen (können), bewusst in ihrem Sinne zu nutzen. Vorurteile in dieser Sicht sind allerdings üblich. Und wenn sie nicht stimmen, so helfen die kognitive Umdeutung von Gegebenheiten sowie die Wirkung der Sich-selbst-erfüllendenProphezeiung dem Einzelnen dabei, doch Recht zu haben. Im Mittelstand ist dies alles im Übrigen nicht anders als in anderen Unternehmen.
5.
Personalführung – nicht nur Vis a vis!
Der amerikanische Sprachgebrauch der Personalführung („Leadership“) ist traditionell auf die direkte Einflussbeziehung zwischen Führungspersonen und Geführten ausgerichtet. Dies hängt zum Ersten mit der stark „boss-orientierten“ Gesellschaftskultur zusammen: Einer der deutschen Führungsexperten, O. Neuberger (1995, S. 149) hat dies folgendermaßen auf den Punkt gebracht: „Lange Zeit haben offenbar Hollywood-Fantasien die Führungsforschung beherrscht: Der Führer wurde als der große Einzelne gesehen, der (als allein gelassener Marshall, als unbestechlicher Anwalt ...) allen Widerständen zum Trotz der guten Sache zum Sieg verhilft und der der Masse der Feiglinge, Korrupten und Verzweifelten zeigt, wozu ein echter Mann fähig ist.” Zum Zweiten konzentriert sich die aus den USA stark beeinflusste Führungspraxis und -publizistik gerne auf die Führungspersonen, ihre Eigenschaften, Funkti-
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Fred G. Becker
onen und Wirkungen. Denn über Personen lässt sich Führung leichter erfassen, beschreiben und erklären. Die Möglichkeiten der direkten Einflussnahme durch den „boss“ sind und bleiben unbestreitbar. Ohne sie ist auch der beste Ansatz einer Verhaltenssteuerung nicht realisierbar, sie bleibt aber unvollständig, wenn andere Teilphänomene ausgeblendet bleiben. Insbesondere höhere Vorgesetzte und Unternehmer sollten hier vorsichtig sein, ihre nachgeordneten Führungskräfte generell für Führungsprobleme verantwortlich zu machen: Im Allgemeinen haben sie – bewusst oder unbewusst – durch ihre indirekt wirkenden Rahmenbedingungen Ursachen für Probleme (aber auch gegebenenfalls für Erfolge) bewirkt. Die Funktion der Personalführung ist nicht allein auf ein „vis a vis“ beschränkt. Sie kann neben diesem unmittelbaren Kontakt zwischen Vorgesetzten und Untergebenen (= als direkte Mitarbeiterführung bzw. Führung durch Menschen) auch durch eine nur mittelbar wirkende Gestaltung der Bedingungen erfüllt werden (= strukturelle Personalführung). Die strukturelle Dimension (gerade die o. g. primären Personalsysteme) ersetzt, beeinflusst und substituiert dabei teilweise die direkte Führung et vice versa (Wunderer, R. 2003, S. 4 ff., von Rosenstiel, L. 2003, S. 3 ff.). Die strukturelle Verhaltenssteuerung soll den Rahmen, die Voraussetzungen, das fördernde Umfeld für das Wirken der Führungskräfte und zugleich für die eigenverantwortliche Leistung der Mitarbeiter schaffen. Es handelt sich um eine Führung mit einer strukturierten Arbeitssituation. Mit der damit verbundenen Rahmengestaltung übt sie mittelbaren Einfluss auf das Verhalten der Mitarbeiter aus. Hier ist Distanz angesagt, eine wohltuende allerdings: Unabhängig von Einzelfällen und vorzeitig lassen sich hier allgemeine Regeln für die Handhabung auch von Personalsystemen formulieren, lassen sich hier die Verhaltensstimuli, die von Organisationsformen, Projekten etc. ausgehen, vorab bedenken und gestalten. Die Hauptverantwortung liegt bei der Unternehmensleitung. Gesondert hervorheben kann man in diesem Zusammenhang die kulturelle Führung. Hierbei handelt es sich um die Einflüsse, die insbesondere von den weichen Faktoren der Unternehmenskultur ausgehen. Soweit gestaltbar, tragen symbolische Handlungen, habitualisierte Verhaltensmuster, zugrunde gelegtes Menschenbild, Vorgesetztenverhalten als Modelle u. Ä. mit zur Verhaltensbeeinflussung bei. Im mittelständischen Unternehmen wirkt dies vermutlich noch viel stärker durch die Nähe aller Mitarbeiter, Vorgesetzten und Unternehmer zueinander. Zu den Beeinflussungsmöglichkeiten der strukturellen Führung siehe Abbildung 3.
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Organisation Kompetenzregelungen dezentral teilautonom vernetzt auch virtuell ergebnisorientiert
Kultur Wertesteuerung Verhaltensmuster/Modelle innovative Problemlösung Vertrauensbildung offene Kommunikation Partizipations-/Delegationskultur Markt-/Kundenorientierung Ziel- und Ergebnisorientierung
Strategie Passende Führungspolitik kreative Nutzung/Erhaltung der Mitarbeiterpotenziale Konzentration auf unternehmerische Schlüsselkompetenzen gezielte Unterstützung durch Personalinstrumente (v. a. zu Auswahl, Entwicklung, Einsatz) und Empowerment Bezugsgruppenorientierung
qualitative Personalstruktur qualifizierte, identifizierte und motivierte Mitarbeiter Personalauswahl und -entwicklung
Quelle: Wunderer 2003 Abbildung 3:
Determinanten der strukturellen Führung
Die direkte Führung agiert nun in diesem geschaffenen Rahmen für eine unmittelbare, situationsspezifische, konkrete, Spielraum nutzende Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen. Es handelt sich um Führung in einer strukturierten Arbeitssituation durch Führungspersonen. Hier ist persönliche Nähe geboten, trotz der damit gegebenenfalls verbundenen Rollendilemmata (siehe Kapitel 9). Führungsaufgaben sind: wahrnehmen, reflektieren, informieren, kommunizieren, konsultieren, motivieren, entscheiden, koordinieren, delegieren, entwickeln, evaluieren u. Ä. Die Verantwortung für eine solche konstruktive und individualisierte Umsetzung der durch die strukturelle Führung gesetzten Bedingungen liegt bei den direkten Vorgesetzten. Der Spielraum zu dieser Feinsteuerung ist in kleineren und mittelständischen Unternehmen im Allgemeinen größer. Sie haben nicht schon in der Vergangenheit Präzedenzfälle und/oder Regeln geschaffen, die nun í eher schematisch – das Führungshandeln prinzipiell einschränken können. Zudem kennt „man“ wegen der überschaubaren Unternehmensgröße die Mitarbeiter auch schon länger und dadurch prinzipiell genauer. Dies gilt auch umgekehrt: Das eigene Führungsverhalten muss authentisch sein, da Verhaltensimpulse leicht durchschaut werden. Im Dunstkreis dieser beiden Führungsformen ist letztlich ungeklärt, wer oder was den Führungserfolg ausmacht. Es ist vermutlich müßig, darüber näher nachzudenken, da nur durch ein Fit der Ausprägungen und der jeweiligen Führungssituation dieser multifaktorielle Prozess erfolgreich zu bewältigen ist. Sicher ist allerdings, dass sich Personalführung nicht allein
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Fred G. Becker
strukturell und kulturell umsetzen lässt. Ein totaler Ersatz der direkten Führung ist im Hinblick auf die Unwägbarkeiten des betrieblichen Alltags und auf die Besonderheiten des Faktors „Mensch“ nicht möglich. Es würden die Flexibilität und die Individualität fehlen. Dies ist wiederum ein Vorteil in mittelständischen Unternehmen, da sie bei weitem nicht so weit „rationalisiert“ sind wie Großunternehmen.
6.
Führung – keine Einbahnstraße
Führung ist keine Einbahnstraße, d. h., sie wird nicht allein durch Vorgesetzte auf Nachgeordnete umgesetzt. Heutzutage differenziert man drei verschiedene Richtungen (vgl. Abbildung 4):
Richtungender der Mitarbeiterführung Mitarbeiterführung Richtungen
Hierarchische Hierarchische Führung Führung
Laterale Laterale Führung Führung
Führung Führung von von unten unten
zielorientierte soziale Einflussnahme zur Erfüllung gemeinsamer Aufgaben in/mit einer strukturierten Arbeitssituation durch eine hierarchisch höhergestellte Person
zielorientierte interpersonelle Verhaltensbeeinflussung von in etwa Gleichgestellten
gezielte Einflussnahme durch nachgeordnete MitarbeiterInnen auf das Denken und Handeln von Vorgesetzen
Subjekt direkte und nächst Subjekt: höhere Führungskraft
Subjekt Mitarbeiterin Subjekt:
Subjekt Geführte Subjekt:
Objekt: Geführte
Objekt: Gleichgestellte
Objekt: Vorgesetzte
Abbildung 4:
Führung ist keine Einbahnstraße
Allgemein wird in der Diskussion immer implizit von einer hierarchischen Mitarbeiterführung ausgegangen, d. h. der zielorientierten Einflussnahme eines Vorgesetzten auf einen Untergebenen. Sie steht auch nach wie vor im Mittelpunkt der theoretischen wie praktischen Auseinandersetzung. Daneben findet auch laterale Führung (zielorientierte, interpersonelle Verhaltensbeeinflussung von in etwa Gleichgestellten) und
Personalführung – Zwischen Distanz und persönliche Nähe
285
Führung von unten (gezielte Einflussnahme von Untergebenen auf das Denken und Handeln von Vorgesetzen via Informationsverhalten, Dienst nach Vorschrift, Know-how u. a. m.) statt. Dies sind nicht nur Realitäten für alle Unternehmensgrößen, sondern auch durchaus sinnvolle Erweiterungen des Führungsverständnisses (Wunderer, R., 2003). Gerade die Führung von unten ist im Rahmen moderner Personalführung nicht nur zu akzeptieren, sondern sogar zu fördern. Vor allem die „Schlanke Organisation“, flexible Strukturen wie Prozesse, Werte- und Technologiewandel sowie hohe Qualifikationsniveaus sind heutzutage in effizienzorientierten, wettbewerbsfähigen Unternehmen geradezu Notwendigkeiten, erst recht im Mittelstand. Diese Notwendigkeiten haben gleichzeitig zum Inhalt, dass Nachgeordnete höhere inhaltliche Verantwortungen übernehmen (müssen). Führungskräfte wären (noch mehr) überfordert, immer allein die Richtung zu bestimmen. Die moderne Personalführung einer Führungskraft bietet zumindest in qualifizierten Bereichen also systematisch Freiräume zur Fremdbestimmung durch Nachgeordnete an. Nicht gemeint ist damit selbstverständlich die rein egoistisch umgesetzte Mikropolitik (Neuberger, O., 2003) von Mitarbeitern.
7.
Führungstheorien – helfen sie?
Es liegt nun eine Vielzahl an verschiedenen, sich teilweise ausschließenden und/oder in ihren Kernaussagen veralteten, teilweise auch aufeinander aufbauenden theoretischen Ansätze vor. Auch hier hat wieder O. Neuberger (1995, S. 2 f.) ein wunderbares Zitat geprägt: „Will man sich auf dem Gebiet der Führung orientieren, so trifft man auf unübersichtliches Gelände: Es gibt beeindruckende Pracht-Straßen, die aber ins Nichts führen, kleine Schleichwege zu faszinierenden Aussichtspunkten, Nebellöcher und sumpfige Stellen. Auf der Landkarte der Führung befinden sich auch eine ganze Reihe Potemkinscher Dörfer, uneinnehmbare Festungen oder wild wuchernde Slums.“ Es gibt in der Tat inhaltlich und qualitativ sehr verschiedene führungstheoretische Thesen, die im Wesentlichen unterschiedliche Determinanten eines Führungsprozesses pointieren (Weibler, J., 2001, Wunderer, R., 2003). Diese Führungstheorien und ihre eher praktisch ausgerichteten Führungsmodelle haben dabei die Beschreibung, Erklärung und Prognose von Bedingungen, Strukturen, Prozessen und Konsequenzen der Mitarbeiterführung zum Inhalt. Ziel ist es letztlich, dass sie Gestaltungsempfehlungen für unternehmerische Führungsprozesse geben können. Wesentliche theoretische Ansätze sind:
286
Fred G. Becker
Eigenschaftsansätze (Führereigenschaften als wichtigste Determinante für Führungseffizienz; aber: keine empirischen Belege über eine sinnvolle Kombination und Ausprägung von bestimmten Eigenschaften – weder generell, noch für raum-zeitlich begrenzte Situationen), Verhaltensansätze (erfolgskritische Kombination zweier unabhängiger Verhaltensweisen: Mitarbeiter- und Aufgabenorientierung; weit in der Literatur verbreitet), Situationsansätze (Notwendigkeit einer situationsspezifischen Wahl des Führungsverhaltens, kein „one best way“; sinnvolle Ansätze, um auf die unterschiedlichen Führungsbedingungen wie Mitarbeiterzahl, -qualifikation, Aufgabenmerkmale, Unternehmensgröße etc. eingehen zu können; aber: keine hinreichenden Belege für eine theoretisch-gestützte Wahl), Attributionsansätze (individuell, durchaus auch fehlerhafte, erwartete Zurechnungen von Einflussfaktoren auf den Führungserfolg; beeinflussen antizipativ das Verhalten von Vorgesetzten wie Mitarbeitern; sinnvolle Ergänzung der Diskussion), Weg-Ziel-Theorie (Führungserfolg ist abhängig von den Erwartungen der Geführten hinsichtlich der Unterstützung durch den Vorgesetzten bei der Erreichung hoher Ziele), Theorie der Führungssubstitute (Ersetzen direkter Führung durch indirekte Steuerungsmechanismen; quasi alternativ, unterstützend und/oder konkurrierend zur direkten Führung wirken Strukturelemente des Führungssystems und interne Ressourcen, beispielsweise: Qualifikation der untergebenden Mitarbeiter, Aufgabencharakter, organisatorische Regelungen, Unternehmenskultur u. a.), u. a. m. Trotz der Vielfalt fehlen allerdings Führungstheorien, die erklären könnten, wie beispielsweise Vorgesetzte – gar im Mittelstand í in bestimmten Situationen ihre Mitarbeiter beeinflussen müssten, um vorher definierte Ziele zu erreichen. Mitarbeiterführung ist aber nun auch einmal ein multifaktorielles Geschehen, bei dessen Erforschung man bei jedem der relevanten Faktoren (Führer, Geführte, Unternehmensstrukturen und -prozesse, Aufgaben, externes Umfeld etc.) ansetzen kann. Insofern ist die Berücksichtigung einer Vielzahl von Variablen und deren Interaktionen eine conditio sine qua non im Rahmen der Führungsforschung, selbst wenn dies mit zur Verhinderung einer einheitlichen Führungstheorie beiträgt.
Personalführung – Zwischen Distanz und persönliche Nähe
8.
287
Führungsstile
Die Begriffe des Führungsstils und des Führungsverhaltens sind zu differenzieren (Wunderer, R., 2003, S. 203 ff.): Unter Führungsverhalten (als der weitere Begriff) werden alle Verhaltensweisen einer Person, die auf eine zielorientierte Einflussnahme zur Erfüllung von Aufgaben in oder mit einer Aufgabensituation fokussiert sind, verstanden. Unter Führungsstil wird dagegen die Art und Weise verstanden, in der Führungskräfte sich ihren Mitarbeitern gegenüber – innerhalb von Bandbreiten – relativ konsistent und wiederkehrend verhalten, d. h. ihre Führungsfunktion ausüben. Es handelt sich hierbei um ein zeitlich relativ überdauerndes und konstantes Führungsverhalten zur Aktivierung und Steuerung des Leistungsverhaltens der Mitarbeiter. Der Führungsstil bezieht sich nur auf die hierarchische Führung, während Führungsverhalten auch laterale Führung (Führung von Gleichgestellten) und Führung von unten (Führung von Vorgesetzten) mit einbezieht. Hinsichtlich der Beschreibung von Führungsverhalten und -stil existiert eine Reihe von Typologien, die im Kern jedoch auf eine Dichotomisierung des Führungsstils hinauslaufen (Berthel, J., Becker, F. G., 2003): So werden im Allgemeinen zwei Extremformen auf einem Kontinuum diskutiert (autoritärer versus kooperativer Führungsstil) und mit Zwischenformen dargestellt. Eine solche Differenzierung allein anhand unterschiedlicher Entscheidungskompetenzen ist unzureichend; sie vernachlässigt wesentliche Parameter der Führungssituation. Von daher ist eine Erweiterung zur Diagnose von Führungssituationen und zur Wahl eines geeigneten Führungsstils sinnvoll. Bei den Komponenten handelt es sich bspw. im Rahmen der strukturellen Aufgabe um den Formalisierungsgrad (bei der Auftragsannahme u. Ä.), Fremd- versus Selbstkontrolle (bei der Budgeteinhaltung u. Ä.), die Entscheidungskompetenz usw. sowie im Rahmen der direkten Führung um das geltende Menschenbild, die VorgesetztenMitarbeiter-Beziehung, Fähigkeiten und Motive der Mitarbeiter. Je weiter dabei die organisatorischen Regeln, je geringer der Entscheidungsdruck, je besser die Beziehungen und Qualifikationen, desto eher erscheint ein kooperativer Führungsstil angebracht et vice versa. Also: Nicht allein, wer die Entscheidung trifft, bestimmt den Führungsstil! Daneben werden vielfach die so genannten aufgabenorientierten und mitarbeiterorientierten Verhaltensweisen diskutiert. Während die erstgenannte stark die Effizienz der Aufgabenerfüllung in den Vordergrund stellt, konzentriert sich die letztgenannte auf die Vorgesetzten-Mitarbeiter-Beziehung – die zumindest in einer zeitlichen Distanz zur Effizienz stehen kann. Beide Verhaltensweisen gelten als unabhängig und daher kombinierbar zu einem spezifischen Führungsstil.
288
Fred G. Becker
Die Suche nach dem „richtigen“ Führungsstil ist dabei schwieriger, als dies die traditionelle Führungstheorie mit ihren sozialtechnologischen Modellen erscheinen lässt. Die Personalführung ist durch die Verschiedenartigkeit der Mitarbeitergruppen und der Aufgabensituation situationsspezifisch effizient und insofern differenziert umzusetzen. Beispielsweise verbringt das Außendienstpersonal einen erheblichen Teil seiner Arbeitszeit außerhalb des Unternehmens. Andere Mitarbeitergruppen, wie bspw. aus dem Werbebereich, benötigen ein überdurchschnittliches Maß an Kreativität, um ihre Aufgaben zu bewältigen. Die räumliche Nähe in mittelständischen Unternehmen ist in diesen Zusammenhängen eine gute Ausgangsbedingung. In der heutigen Zeit wird vielfach Abschied genommen von einem konkret gestalteten Führungsstil mit direktem Eingreifen. Authentische Führung, symbolische Führung und transformationale Führung, also Ehrlichkeit (nicht Ideale) im Verhalten, das Wirken von inspirierenden Symbolen sowie das Begeistern für eine Sache stehen im Mittelpunkt (Weibler, J., 2001). Die damit verbundenen Thesen für einen „leader“ sind sicherlich schwerer umzusetzen als How-to-do-Tipps für managende Führungskräfte, aber realitätsnäher. „Leader“ statt „Manager“ postuliert beispielsweise Mintzberg, H. (2004) in seiner Kritik an den amerikanischen MBA-Schools.
9.
Führungsrollen und Führungsdilemmata
Im Rahmen einer empirischen Studie ermittelte H. Mintzberg (1973) – ähnlich wie andere í zehn verschiedene Arbeitsrollen, mit denen die Arbeit einer Führungskraft beschrieben werden kann. Abbildung 5 demonstriert, welch heterogenes Bündel an Rollen in einer Position vereinigt ist. Insbesondere die kommunikativen, interpersonellen Aktivitäten wurden í trotz des kleinen Samples í verdeutlicht. Wenngleich ein solches Bündel sicherlich auf unterschiedlichen Managementebenen unterschiedlich konfiguriert ist und vielleicht in kleineren Unternehmen durch die dominante Rolle von Eigentümern nicht so umfassend auf die nachgeordneten Führungsebenen übertragen werden kann, so sind doch die vielfältigen Facetten einer Führungstätigkeit offensichtlich. Nicht zu vernachlässigen ist daher der mit der Führungsrolle im Allgemeinen und der Führung von Mitarbeitern im Speziellen vielfach verbundene psychische Stress der Vorgesetzten. Vorgesetzte sind auch im Mittelstand keine autonomen Persönlichkeiten, sondern Zwängen und Beeinflussungen ausgesetzt. Sobald dies sowie die Kollidierung mit persönlichen Motiven wahrgenommen werden, entsteht ein Dilemma bzw. ein Intrarollenkonflikt (Neuberger, O., 1995, S. 90 ff.). Vorgesetzte müssen notgedrungen und unabwendbar (allenfalls manchmal gemildert) im Rahmen der Personalführung mit Widersprüchen auskommen,
Personalführung – Zwischen Distanz und persönliche Nähe
289
aus denen heraus es für sie keinen eindeutigen Ausweg geben kann. Dabei entstehen Dilemmata der Führung für die jeweiligen Vorgesetzten. Interpersonal Rollen
Als Repräsentant handelt die Führungskraft als symbolische Spitze
der Organisationseinheit. Als Führer (Vorgesetze/r) werden Aufgaben im Rahmen der System-
handhabung und Personalführung ausgeführt. Als Koordinator werden die Kontakte vor allem innerhalb des Unter-
nehmens etabliert. Informationsrollen
Als Informationssammler sucht und verarbeitet man möglicherweise
für die Organisationseinheit wichtige Informationen, verarbeitet Gerüchte, Spekulationen etc. Als Informationsverteiler werden bestimmte Informationen an Nach-
geordnete weitergegeben. Als Sprecher der Organisationseinheit fungiert man nach innen wie
außen Als „Unternehmer“ ist Wandel zu initiieren und die Weiterentwicklung Entscheidungs- der Organisationseinheit zu gewährleisten. rollen Als Störungsregler beschäftigt man sich mit Problemen zwischen Personen innerhalb der Organisationseinheit. Als Ressourcenzuteiler entscheidet man über die Zuordnung von
Ressourcen an Personen und Gruppen. Als Verhandlungsführer repräsentiert man u. U. das Unternehmen
nach außen.
Abbildung 5:
Managerrollen nach MINTZBERG
Eine wirkliche Wahlfreiheit für ihr Führungsverhalten haben Führungskräfte selten, nicht nur wegen der strukturellen Führung. Sie treffen ihre diesbezüglichen Entscheidungen nach Abwägung zwischen verschiedenen, antizipierten Folgen, die oft mehrdimensionalen, nicht auf eine Ebene zurückzuführenden Charakter haben, zwischen Verstand und Gefühl, zwischen offenen wie latenten Widersprüchen, eingezwängt in unangenehme Bedingungen. Führungskräfte, die diese Unvollkommenheit und die damit verbundene Unsicherheit erleben, befinden sich in einem Dilemma: Es sind aufgrund der inneren Zwiespältigkeit des Führens anderer Personen Kompromisse zwischen als alternativ, in der Regel jedoch als unverzichtbar erscheinenden Aspekten notwendig. Einen Überblick über den Zwiespalt gibt Abbildung 6.
290
Fred G. Becker
Mittel Betrachtung des Einzelnen als „Kostenfaktor“, „Instrument“, „Mensch als Mittel“
ļ
Zweck Motivbefriedigung des Einzelnen als oberstes Ziel; „Mensch im Mittelpunkt
Gleichbehandlung aller Fairness, Gerechtigkeit, Anwendung von Regeln
ļ
Eingehen auf Einzelfälle Rücksichtnahme auf individuelle Besonderheiten
Distanz Unnahbarkeit, Statusbetonung
ļ
Nähe Gleichberechtigung, Freundschaft, Einfühlung
Fremdbestimmung Gängelung, Reglementierung, Kontrolle
ļ
Selbstbestimmung Autonomie, Handlungsfreiräume, Selbstständigkeit
Spezialisierung „Fachmann/-frau“ sein, um bei Sachproblemen kompetent entscheiden zu können
ļ
Generalisierung Zusammenhänge sehen und allgemeinen Überblick, jedoch keine Detailkenntnisse haben
Bewahrung Stabilität, Vorsicht, Regeltreue, Konformität
ļ
Veränderung Flexibilität, Experimentierfreude, Toleranz
Konkurrenz Rivalität, Konfrontation, Aggressivität
ļ
Kooperation Harmonie, Hilfeleistung, Solidarität
Aktivierung antreiben, motivieren, begeistern
ļ
Zurückhaltung nicht einmischen, Entwicklungen abwarten
Innenorientierung Konzentration auf interne Gruppenbeziehungen
ļ
Außenorientierung Außenkontakte pflegen
Zielorientierung Ziele vorgeben, kontrollieren
ļ
Verfahrensorientierung „Wege zum Ziel“ vorgeben, kontrollieren
Selbstorientierung Verfolgung eigener Interessen und Ziele
ļ
Gruppenorientierung übergeordnete Ziele anstreben
Quelle: Neuberger, O., 1995, S. 91 (Ausschnitt) Abbildung 6:
Rollendilemmata der Führung
Die skizzierten Dilemmata sind Begleiterscheinung der heutigen Form des Wirtschaftens: Dominanz des Wirtschaftlichkeitsprinzips, Rentabilität als oberster Bewertungsmaßstab, VerRegelung aufgrund von ISO etc., Arbeitsteilung, Individualisierung und Flexibilisierung, Stamm- und Randbelegschaften, „Sandwich-Position“ der meisten Führungskräfte usw. Widersprüchlichkeit und Unschärfe sind generelle Bestandteile einer Führungsrolle, ansonsten
Personalführung – Zwischen Distanz und persönliche Nähe
291
bräuchte man sie nicht. Die Personalisierung der Verantwortung im Umgang hiermit fördert allerdings den psychischen Stress und hat damit auch Einfluss auf die Effektivität und Effizienz des Führungshandelns. Das Ignorieren der vorliegenden Ambivalenzen durch die Führungskräfte selbst und ihre Vorgesetzten ist letztlich nachteiliger als die Friktionen, die bei der bewussten Auseinandersetzung mit den einzelnen Fragestellungen entstehen können. Da es zudem aus den Führungsdilemmata letztlich keinen reibungslosen und eindeutigen Ausweg gibt, erzeugen diese individuellen Leidensdruck bei den Führungskräften, der allerdings im beruflichen Alltag weitgehend tabuisiert wird. Von daher dürfte es umso wichtiger für alle Betroffenen sein, diesen Problemen nachzugehen. Dies ist im Mittelstand wegen der dafür in aller Regel notwendigen zeitlichen und personellen Ressourcen schwierig(er). Es zeigt sich jedoch in vielen Situationen, dass bereits ein Aussprechen von individuellen gefühlten Rollendilemmata, also ein Gespräch mit „Leidensgenossen“ und/oder Vorgesetzten, ein wesentlicher Schritt zur Problemhandhabung darstellt. Um dies umsetzen zu können, bedarf es allerdings einer Enttabuisierung – und die beginnt von oben.
10.
Distanz oder Nähe – was nun?
Scholz (SCHOLZ, Ch., 2003) beobachtet heutzutage in der Unternehmensrealität einen so genannten Darwiportunismus: Die Arbeitgeber praktizieren darwinistische Verhaltensregeln durch die Förderung allein der Besten, die Forderung absoluter Flexibilität u. Ä., die Arbeitnehmer (re-)agieren darauf opportunistisch mit mangelnder Bindung und ihrerseits mit Flexibilität ihrer Arbeitsbeziehungen. Mittelständische Unternehmen haben durch ihre prinzipielle Nähe zu allen Mitarbeitern, der damit verbundenen besseren Kenntnisse der Umstände, der größeren Flexibilität der direkten Führung sowie der relativ stärkeren Verbundenheit eine weitere Chance, sich gegenüber Großunternehmen positiv abzusetzen: Der Teufelskreis des Darwiportunismus wird gar nicht erst in Gang gesetzt. Dies bedeutet nicht, dass im Mittelstand nur noch Nähe angesagt ist. Gerade die zumindest zeitweilige Distanz hilft, sich mit den grundlegenden Aspekten der Personalführung auseinander zu setzen und hier die der Nähe zugrunde liegenden Regeln bewusst zu gestalten. Die Gewinner der verschiedenen Wettbewerbe zur besten Personalarbeit im Mittelstand zeigen, dass dies alles möglich ist, vor allem bei einer entsprechenden Einstellung der Unternehmensleitung. Was den Untertitel des Beitrags nun weiter betrifft, so ist er nach den Erkenntnissen der Führungsforschung umzuformulieren: „Distanz und Nähe“ statt „Distanz oder Nähe“. Die Erfordernisse des internationalen Wettbewerbs mit leanen, flexiblen, konzentrierten Arbeitsprozessen und hochqualifizierten Mitarbeitern fordern eine Distanz, Nähe wäre aufgrund der zusätzlichen Aktivitäten und einer eventuell zu starken Fremdkontrolle nur hinderlich. Die
292
Fred G. Becker
strukturelle Führung (von oben) von Mitarbeitern wie Mitarbeitergruppen drückt diese Distanz aus. Ohne Nähe verkommt allerdings eine Mitarbeiterführung, es fehlt das Flexibilisierungs- und Individualisierungspotenzial, die emotionale Schiene. Mittelständische Unternehmen haben hier einen großen Vorteil gegenüber größeren bürokratischen Unternehmen: Einerseits besteht die Möglichkeit der strukturellen Führung mit weit reichenden Freiräumen, die sich Großunternehmen nicht leisten können. Sie müssen einheitliche Regeln für eine Großzahl verschiedener Fälle vorgeben u. Ä. Andererseits ist die Kenntnis der einzelnen Mitarbeiter durch die Nähe prinzipiell größer, es gibt auch weniger Präzedenzfälle, so dass man freier im Umgang mit den Mitarbeitern agieren kann. Das macht die Personalführung nicht unbedingt einfacher, aber es bietet mehr Chancen. Voraussetzungen bleiben allerdings weiterhin eine Offenheit gegenüber dem Erfolgsfaktor „Personal“ und eine individuelle Bereitschaft zur Nähe.
Personalführung – Zwischen Distanz und persönliche Nähe
293
Literatur
Becker, F. G.: Lexikon des Personalmanagements, 2. Auflage, München 2002 Berthel, J.; Becker, F. G.: Personal-Management, 7. Auflage, Stuttgart 2003. Mintzberg, H.: The Nature of Managerial Work, New York 1973. Mintzberg, H.: Managers Not MBAs, San Francisco 2004. Neuberger, O.: Der Mensch ist Mittelpunkt: Der Mensch ist Mittel, in: Personalführung, o. Jg. 1990, Heft 1, S. 3-10. Neuberger, O.: Führen und geführt werden. 5. Auflage, Stuttgart 1995. Neuberger, O.: Mikropolitik. In: L. v. Rosenstiel/E. Regnet, M. E. Domsch (Hrsg.): Führung von Mitarbeitern, 5. Auflage, S. 41-49, Stuttgart 2003 Rosenstiel, v. L.: Führungswissen. In: L. v. Rosenstiel/E. Regnet, M. E. Domsch (Hrsg.): Führung von Mitarbeitern, 5. Auflage, S. 3-25, Stuttgart 2003. Scholz, Ch.: Spieler ohne Stammplatz-Garantie, Stuttgart 2003. Staehle, W. H.: Management. 8. Auflage, München 1999. Weibler, J.: Personalführung, München 2001. Wunderer, R.: Führung und Zusammenarbeit, 5. Auflage, München, Neuwied 2003.
Controlling – Zwischen Blindflug und sicherer Unternehmensführung
295
Controlling – Zwischen Blindflug und sicherer Unternehmensführung Gerhard Klippstein
Zusammenfassung
Im Mittelstand ist der Begriff Controlling nicht unbedingt ein Standardbegriff. Sowohl das strategische als auch das operative Controlling stehen in mittelständischen Betrieben nicht immer im Mittelpunkt des Interesses. Gleiches gilt für die Balanced Scorecard, die im Mittelstand bei weitem nicht die Bedeutung wie in Großunternehmen hat. Oft fehlt es in KMU am notwendigen Wissen, manchmal bestehen auch Vorurteile. Viele, insbesondere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, fürchten sich vor einer „internen oder externen Kontrolle“, es besteht auch manchmal das Vorurteil, dass es ja bisher auch ohne solche Systeme mehr oder minder gut ging. Viele glauben, dass ein externes (notwendiges Rechnungswesen) doch eigentlich ausreichend, ein internes Rechnungswesen mit einem Controlling hingegen nicht unbedingt notwendig sei. Außerdem besteht öfters das Phänomen des „Pseudocontrollings“, was bedeutet, dass es zwar ein Controllingsystem gibt, die Ergebnisse aber nicht in Handlungen umgesetzt werden. Durch „externe Zwänge“ wie Basel II hat sich die Situation aber schnell verändert. Seit insbesondere die Kreditvergabe grundsätzlich und die Höhe des Preises für die Kreditvergabe (Zinshöhe) u. a. auch vom Vorhandensein eines leistungsfähigen Controllings abhängig sind, hat die Bedeutung des Controllings zugenommen. Gleiche Wirkungen zeigt natürlich auch die verschärfte Wettbewerbssituation, was ebenfalls zu größerer Bedeutung des Controllings führt, um beispielsweise bei der „Vorwärts- oder der Rückwärtskalkulation“ angemessene Preise zu kalkulieren. Der Schwerpunkt dieses Beitrags wird deshalb auf das Kapitel über Kennziffern und Kennzahlensysteme gelegt!
296
1.
Gerhard Klippstein
Grundlagen des Controllings
Von einer einheitlichen Definition von Controlling kann nicht ausgegangen werden. Schließt man einmal die falsche Übersetzung mit „Kontrolle“ aus, so sind die Funktionen des Controllings und der Controller(innen) weit gefächert. Dabei kann auch nicht von einer eigenständigen Disziplin in der Betriebswirtschaftslehre ausgegangen werden, sondern im Sinne eines interdisziplinären Ansatzes von Funktionen des Controllings (vgl. Weber, J. 1999). Generell kann in Bezug auf Leitbild und Ziele folgender Katalog relevanter Teilbereiche aufgestellt werden:
Betriebswirtschaftlicher Service Kosten-, Ergebnis- und Strategietransparenz Ganzheitliche Koordination der Teilpläne des Unternehmens Organisation eines unternehmensübergreifenden Berichtswesens Steigerung der Wirtschaftlichkeit im Unternehmen Oberstes Ziel ist Gewinnerzielung(-maximierung) Hilfsmittel Rechnungswesen (Informationen über Umsätze, Deckungsbeiträge, Kosten, Investitionen, Mittelherkunft und -verwendung)
Controlling bedeutet steuern und regeln Führen zum praktischen Erreichen der vereinbarten Ziele Selbstkontrolle im Rahmen erarbeiteter Ziele und Pläne Controlling begleitet das Management bei Zielerreichung Management by objectives Führen durch Ziele Organisation des Controllings durch Tools Controlling als Prozess und Denkweise Methodik: Controlling als Team von Controllern und Management.
Controlling spricht als Aufgabe der Führungsebene sowohl die strategische als auch die operative Führungsebene an.
Controlling – Zwischen Blindflug und sicherer Unternehmensführung
2.
297
Strategisches Controlling
Die operative Planung ist naturgemäß stark determiniert von der strategischen Planung. Im Sinne eines Regelkreises (vgl. Vollmuth, H. 2003) besteht eine Interdependenz der beiden Bereiche. In der Praxis wird ein Unternehmen immer durch strategische und operative Entscheidungen gesteuert, wobei natürlich falsche strategische Entscheidungen nur sehr schwer durch operative Maßnahmen korrigiert werden können. Unabhängig von unterschiedlichen Zielsetzungen muss die langfristige Bestandssicherung des Unternehmens immer absoluten Vorrang haben. Das kurzfristigere operative Handeln kann dabei natürlich u. a. kurzfristige Gewinnmaximierung etc. in den Vordergrund stellen. Nach Vollmuth 2003 sind folgende strategische Ziele von großer Bedeutung: Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen Ausbau von Kapazitäten Verwendung neuer Technologien Systematische Schulung der Mitarbeiter(innen) Einsatz zusätzlichen Kapitals Erschließung neuer Märkte Verbesserung der Prozesse Ausbau von Marktanteilen Erschließung neuer Vertriebswege Speziell für KMU sind folgende strategische Controllinginstrumente zu empfehlen: Kennzahlensysteme Balanced Scorecard Outsourcing (Make-or-Buy) Konkurrenzanalyse Portofolioanalyse Potenzialanalyse Produkt-Lebenszyklusanalyse
298
Gerhard Klippstein
Prozesskostenmanagement Qualitätsmanagement SWOT-Analyse Szenariotechnik
3.
Operatives Controlling
3.1
Grundlagen
Natürlich muss sich das operative Controlling (quasi idealtypisch) aus den Prämissen des strategischen Controllings entwickeln, so wie dieses auf dem Leitbild der Unternehmung beruht. Selbstverständlich sind beim operativen Controlling die Elemente der Gewinnsteuerung, der Liquiditätssicherung angesiedelt. Neben der Planung der kommenden Perioden ist die Abweichungsanalyse (speziell der Vergleich der Plan-Daten und der Ist-Daten) von großer Bedeutung. Dass dabei auf den Daten des Rechnungswesens und der Kostenrechnung aufgebaut wird, muss nicht weiter dargestellt werden. Die Zielgrößen werden später im Kapitel „Kennzahlensysteme“ analysiert. Beim operativen Controlling ist neben der formalen Betrachtung der Abweichungen die Korrektivfunktion besonders wichtig, um „gegensteuern“ zu können, damit die festgelegten Ziele auch wirklich erreicht werden. Insofern sind die drei Elemente Planung („Kursfestlegung“), Kontrolle, Steuerung besonders wichtig. Folgende operative Controllinginstrumente sind dabei von besonderer Bedeutung: Kennzahlensysteme Kostenrechnung (Kostenarten-, Kostenstellen-, Kostenträgerrechnung) Deckungsbeitragsrechnung
Controlling – Zwischen Blindflug und sicherer Unternehmensführung
299
Grenzplankostenrechnung Prozesskostenrechnung Kostensenkungsmaßnahmen Break-even-Analyse (Gewinnschwellenanalyse) ABC-Analyse Bestellmengenoptimierung Deckungsbeitragsrechnung Engpassanalyse Losgrößenoptimierung
3.2
Kennzahlen
Kennzahlen werden immer bedeutender. Der zunehmende Wettbewerbsdruck, aber auch die Anforderungen von Basel II erfordern immer mehr Kennzahlen, die betriebswirtschaftlich relevante Daten zusammenfassen und in einen größeren Zusammenhang stellen. Sie bündeln dabei mehrere oder schwer überschaubare Daten zu einer greifbaren Größe. Dabei werden absolute, relative, inhaltliche, quantitative und zeitliche Kennzahlen gemessen.
3.2.1
Kennziffern und deren Unterscheidungsmerkmale
Kennziffern geben Hinweise, ob rationell gewirtschaftet wird. Sie beziehen sich auf betriebswirtschaftlich wichtige Tatbestände und stellen diese in konzentrierter Form dar. Sie lassen sich folgendermaßen unterscheiden: „Harte“ versus „weiche“ Kennzahlen: Zu den „harten“ Kennzahlen gehört traditionell die Messung finanzieller Tatbestände, während „Servicequalität“ und „Mitarbeitermotivation“ eher zu den „weichen“ Faktoren zählen. Gliederungszahlen: Sie zergliedern eine Gesamtgröße in Teilgrößen (z. B. Umsatz eines Gebiets/Gesamtumsatz). Beziehungszahlen: Sie setzen inhaltlich ungleiche Daten in sinnvolle Beziehung (z. B. Umsatz/Zahl der Beschäftigten). Messzahlen zeigen die relative Veränderung bestimmter Daten an (z. B. Umsatz des Jahres 200X/Umsatz Basisjahr).
300
3.2.2
Gerhard Klippstein
Kennzahlensysteme
Unter Kennzahlensystemen wird die Kombination verschiedener Kennzahlen verstanden. Auf diese Weise sollen Kennzahlen in eine sinnvolle Beziehung gebracht werden. Diesbezüglich gibt es verschiedene Möglichkeiten: Kennzahlen werden nach organisatorischen Strukturen zusammengefasst. Für derartige Systeme spricht, dass jeder Bereich getrennt betrachtet werden kann. Allerdings bedingt dies auch Überschneidungen, so fließen Marketingdaten in Personaldaten ein. Kennzahlen werden nach sachlogischen Strukturen zusammengefasst. Durch sachlogische Strukturen lassen sich Problembereiche gezielt untersuchen, und die Beobachtungen beziehen sich auf alle Bereiche. Kennzahlen werden nach Themen zusammengefasst. Die obige Kennzahlensystematik hat den Vorteil, dass die zu analysierenden umfangreichen Tatbestände thematisch zusammengefasst und so übersichtlicher werden. Zudem können in sich relativ abgeschlossene Untersuchungsbereiche gezielt analysiert werden. Bei den strategischen Kernkennzahlen wird ein Ziel formuliert und dieses Ziel mit diversen Kennzahlen unterlegt, die in sich rechnerisch verbunden sind. Auf diese Weise kann man die Entwicklung der Spitzenkennzahl bis auf deren Ursache hin verfolgen. Läuft die Spitzenkennzahl aus dem Ruder, hangelt man sich zu den Kennzahlen, die für die schlechte Spitzenkennzahl verantwortlich sind.
3.2.3
Empfehlungen für das Arbeiten mit Kennzahlen
Damit Kennzahlen ihre Funktionen erfüllen können – Frühwarnfunktion, Steuerung des Unternehmens – und im Unternehmen akzeptiert werden, sind beim Arbeiten mit Kennzahlen folgende Punkte zu beachten: Ihre volle Aussagekraft entfalten Kennzahlen erst im Vergleich. Konkurrenzdaten erhält man durch veröffentlichte Jahresabschlüsse oder Branchenverbände. Kennzahlen sind mit Maßnahmen zu verbinden: Zweck ist nicht das Messen, sondern das Finden von Maßnahmen, die Zahlen zu verbessern. Die Zielsetzung der Kennzahl muss klar erkennbar sein, d. h., es sollte klar sein, welcher Sachverhalt mit der einzelnen Kennzahl untersucht wird. Die Zahlen müssen relevant und aktuell sein: Ziel ist nicht der „Zahlenfriedhof“, stattdessen sollten einige wenige wichtige Kennzahlen ermittelt werden.
Controlling – Zwischen Blindflug und sicherer Unternehmensführung
301
Kennzahlen sollten sich auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft beziehen: Nur so sind Vergleiche im Zeitablauf und Prognosen für die Zukunft möglich. Das Arbeiten mit Kennzahlen muss organisiert sein und die Kennzahlen müssen gezielt in die betriebliche Arbeit eingebracht werden. Verantwortlichkeiten müssen festgelegt werden, um zu verhindern, dass Zahlen zwar ermittelt werden, jedoch nichts damit geschieht. Nicht wahllos Kennzahlen verteilen, sondern die richtigen Empfänger auswählen! Richtig rechnen, ansonsten fehlt das Vertrauen in die Zahlen und den Absender! Und ganz wichtig: Nicht ständig die Kennzahlen ändern!
3.2.4
Finanzkennzahlen als wichtige Kennzahlengruppe
In der Praxis gibt es eine Vielzahl von Kennzahlen für die unterschiedlichen Bereiche. Mit Kennzahlen kann beispielsweise der Vertrieb, der Personal- oder der Produktionsbereich analysiert werden. Im Mittelstand kommt es aber vor allem auf die klassischen Finanzkennziffern an. Auch die Banken achten vor allem auf diese Zahlen, verfügen die meisten doch über eine Frühwarnfunktion. Dreh- und Angelpunkt für diese Kennzahlen ist das interne und externe Rechnungswesen.
3.2.5
Erfolgsanalyse
Ergebnisanalyse Gewinn- oder Verlustentwicklung Berechnung: absolute Zahl; grundsätzlich: Ertrag – Aufwand Aussagekraft: zentrale Messgröße aller unternehmerischen Aktivitäten, Manipulationsmöglichkeiten, Unterscheidung in Gesamt-GuV, Betriebs- und Neutrales Ergebnis Datenherkunft: Bilanz und GuV Umsatzentwicklung Berechnung: absolute Zahl, Menge x Preis Aussagekraft: Entwicklung des Leistungsprozesses Datenherkunft: Buchhaltung, Vertrieb
302
Gerhard Klippstein
Kostenentwicklung Berechnung: absolute Zahl Aussagekraft: Veränderungen der Kosten im Zeitablauf. Folgende Bereiche sollten untersucht werden: Material, Personal, Abschreibungen Datenherkunft: Kostenrechnung
Cash-Flow-Analyse Cash-Flow
Er ist ein Indikator für die Finanzkraft des Unternehmens und gibt an, wie viel liquide Mittel erwirtschaftet wurden.
Beispiel Cash-Flow-Berechnung Berechnung: absolute Zahl, allerdings differenzierte Berechnung, Grundstruktur: Gewinn (Jahresüberschuss) + Abschreibungen +/- Rückstellungen
209.000 Euro 302.000 Euro 42.000 Euro
= Cash-Flow
533.000 Euro
Abbildung 1:
Cash-Flow-Berechnung
In der Praxis findet man eine Reihe weiterer Posten, so werden dem Gewinn häufig folgende Aufwendungen zugeschlagen/abgezogen: Einstellungen/Entnahme aus Rückstellungen Erhöhung/Verringerung des Gewinnvortrages Abschreibungen/Zuschreibungen Erhöhung/Verringerung von Wertberichtigungen Erhöhung/Verringerung von Rückstellungen Bestandsminderung/-erhöhungen aus fertigen und unfertigen Erzeugnissen
Controlling – Zwischen Blindflug und sicherer Unternehmensführung
303
Cash-Flow-Umsatzrendite Berechnung: Cash-Flow/Nettoumsatz x 100 Aussagekraft: Wie viel Geld wurde aus dem Umsatzprozess erwirtschaftet? Datenherkunft: Buchhaltung Cash-Flow-Leistungsrate Berechnung: Cash-Flow/Betriebsleistung x 100 Aussagekraft: Wie viel Geld wurde aus der gesamten Leistung erwirtschaftet? Datenherkunft: Buchhaltung Cash-Flow-Leistungsrate zur Bilanzsumme bzw. ROI Berechnung: Cash-Flow/Bilanzsumme Aussagekraft: Zeigt, welcher Cash-Flow aus dem Eigenkapital und Fremdkapital erwirtschaftet wurde.
Datenherkunft: Buchhaltung Gewerbe
Cash-Flow-Leistungsrate
Industrie (Erzeugung)
9 % bis 20 %
Gewerbe (Handwerk)
15 % bis 18 %
Großhandel
5 % bis 15 %
Einzelhandel
6 % bis 12 %
Abbildung 2:
Durchschnittliche Cash-Flow-Leistungsraten erfolgreicher Unternehmen
Rentabilitätsanalyse EK-Rentabilität Berechnung: Gewinn / EK x 100 Aussagekraft: Verzinsung des eingesetzten EK (sollte über risikolosem Zins liegen) GK-Rentabilität Berechnung: (Gewinn + FK-Zinsen) / (EK + FK) x 100 Aussagekraft: Verzinsung des GK (aussagekräftiger für Unternehmensvergleiche)
304
Gerhard Klippstein
Umsatzrentabilität Berechnung: Gewinn / Umsatz x 100 Aussagekraft: Wie viel Gewinn bringt der Umsatz? Return on Investment (vgl. dazu die Abbildung 3) Berechnung: Umsatzrentabilität x Kapitalumschlagshäufigkeit
Aussagekraft: Umsatzrentabilität (s. o.), Kapitalumschlag zeigen, wie intensiv das eingesetzte Kapital genutzt wird ROI
Gut
Mittel
Schlecht
Industrie (Erzeugung)
> 8,75 %
8,75-1 %
10 %
10-1 %
12,5 %
12,5-1,25 %
15 %
15-1,5 %
< 1,25 %
Abbildung 3:
3.2.6
Durchschnittlicher ROI nach Branchen
Finanzanalyse
Bei der Finanzanalyse werden die Relationen der Vermögens- und Kapitalpositionen untersucht.
Vermögensstrukturanalyse Anlageintensität Berechnung: Anlagevermögen / Bilanzsumme x 100 Aussagekraft: Wie hoch ist der Anteil des Anlagevermögens am Gesamtvermögen? Eine hohe Anlageintensität beinhaltet ein gewisses Risiko, denn sie verschlechtert die Anpassung des Unternehmens an neue Marktgegebenheiten; Leerkosten wirken sich aufgrund der Fixkosten stärker aus. Anteil von Anlagevermögen und Vorräten Berechnung: Anlagevermögen + Vorräte / Bilanzsumme x 100 Aussagekraft: siehe oben Vorräte: Problem, wenn diese wenig gängig sind.
Controlling – Zwischen Blindflug und sicherer Unternehmensführung
305
Kapitalstrukturanalyse Eigenkapitalquote Berechnung: Eigenkapital / Bilanzsumme x 100 Aussagekraft: Wie ist das Unternehmen finanziert? Verschuldungsgrad Berechnung: Fremdkapital / Bilanzsumme x 100 Aussagekraft: siehe oben Langfristiger Kapitalanteil Berechnung: Langfristiges Kapital / Bilanzsumme x 100 wobei: Langfristiges Kapital: EK + 50 % der Rückstellungen + Langfristige Verbindlichkeiten (Vbk).
Deckungsrelationen Anlagedeckung I (goldene Bilanzregel) Berechnung: Eigenkapital / Anlagevermögen x 100 Forderung: Langfristiges Anlagevermögen ist durch EK zu decken! Deckungsgrad sollte mindestens 50 bis 60 % sein. Anlagedeckung II Berechnung: Langfristiges Kapital / Anlagevermögen x 100 Forderung: siehe oben, Deckungsgrad sollte mindestens 100 bis 120 % sein. Anlagedeckung III Berechnung: Langfristiges Kapital / (Bilanzsumme + Vorräte) x 100
Liquiditätsanalyse Liquidität 1. Grades Berechnung: Flüssige Mittel / Kurzfristige VbK x 100 Aussagekraft: Kann das Unternehmen seine Verpflichtungen bezahlen?
306
Gerhard Klippstein
wobei: Flüssige Mittel: Kasse, Bankguthaben, Schecks, Wechsel; Kurzfristige VbK: Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen, Sonstige VbK, 50 % der Rückstellungen, Bilanzgewinn. Liquidität 2. Grades Berechnung: (Flüssige Mittel + kurzf. Forderungen) x 100 Kurzf. VbK Liquidität 3. Grades Berechnung: Umlaufvermögen / kurzf. VbK x 100
4.
Balanced Scorecard
Die Balanced Scorecard ist eine Management-Methode zur strategischen Führung eines Unternehmens mit Kennzahlen. Allerdings wird der in Kapitel 3 beschriebene Ansatz mit „harten Kennzahlen“ weit überschritten, indem, ausgehend von einem Leitbild, eine Unternehmensvision und eine Unternehmensmission entwickelt werden, die letztendlich zu einer ganzheitlichen Unternehmensstrategie führen. Der Begriff „balanced“ bedeutet Ausgewogenheit zwischen finanziellen und nicht finanziellen Kennzahlen, bzw. zwischen operativen und strategischen Zielen bzw. Perspektiven:
Perspektiven der Balanced Scorecard Finanzperspektive Kundenperspektive Interne Prozessperspektive Lern- und Entwicklungsperspektive
Die Balanced Scorecard zeichnet sich durch die vier verschiedenen Perspektiven des Unternehmens aus, die in einem kausalen Wirkungszusammenhang stehen, im Sinne von „bottomup“. Das heißt, eine gute Lern- und Entwicklungsperspektive fördert die interne Prozessperspektive, diese wiederum die Kundenperspektive und diese wiederum die Finanzperspektive. Somit besteht weiterhin die Dominanz der Finanzperspektive.
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Natürlich können diese vier Perspektiven erweitert werden, z. B. um eine öffentliche Perspektive, eine Lieferantenperspektive, eine Bankenperspektive, eine Umweltperspektive etc. 1. Finanzperspektive Hierbei werden traditionell die in Kapitel 3.2 beschriebenen Finanzkennzahlen in den Mittelpunkt gestellt. Speziell bedeutet dies insbesondere: Gewinn Cash-Flow Shareholder Value Dabei sind natürlich die Entwicklungsphasen der Unternehmen zu berücksichtigen, z. B. Wachstumsphase Reifephase Erntephase 2. Kundenperspektive Hierbei werden kundenspezifische Kennzahlen berücksichtigt, wie z. B. Kundentreue Marktanteil Kundenakquisition Kundenrentabilität 3. Interne Prozessperspektive Hierbei untersucht man interne Prozessdaten, wie z. B. Ausschussquoten in der Produktion Messzahlen beim Beschwerdemanagement Natürlich haben diese internen Unternehmenskennzahlen auch Auswirkung auf die Kunden. Generalisiert kann man unterscheiden zwischen Innovationsprozessen Betriebsprozessen Kundendienstprozessen
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Gerhard Klippstein
4. Lern- und Entwicklungsperspektive Man kann diesen Aspekt auch als die (interne) Potenzialperspektive bezeichnen, die quasi eine Mittlerfunktion zur Erreichung externer Ziele übernimmt. Häufig werden hierbei drei Hauptgruppen gebildet: Mitarbeiterpotenziale Mitarbeitertreue Mitarbeiterzufriedenheit Mitarbeiterproduktivität Informationspotenziale Neueste Informationen über das Wettbewerbsumfeld Neueste Informationen über Kunden Motivation und Zielausrichtung Schaffung eines guten Betriebs- und Arbeitsklimas Förderung von Selbständigkeit und Motivation
5.
Fazit
Eigentlich gibt es keine rationalen Gründe, die gegen die Umsetzung einer solchen Controllingkonzeption sprechen. Speziell bei der Balanced Scorecard haben aber Horvath und Partner 2001 folgende fünf Managementprobleme skizziert, die wahrscheinlich als repräsentativ anzusehen sind: Probleme in der Strategieumsetzung (Fehlen einer Strategie oder mangelnder Umsetzungswille oder -fähigkeit, bei Fehlen von Vision und Mission) Unzulänglichkeiten klassischer Messgrößenkonzeption (Häufig fehlen Kennzahlen völlig oder sind nur kurzfristige Finanzkennzahlen.) Verwirrendes internes Reporting (Das Berichtswesen fehlt völlig, ist unvollständig oder wird nicht analysiert.) Komplizierte Planungsprozesse (Die Planungsprozesse sind als suboptimal einzuordnen.)
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Unzureichende externe Berichterstattung (Nach „außen“ gibt es ähnliche Probleme wie nach „innen“.) Der Mittelstand hat lange eine zögerlichere Haltung gegenüber diesen Controllingprozessen eingenommen. Dies hat u. a. auch mit einer seiner Stärken, der Einheit von Unternehmensführung und Unternehmenseigentum, mit der Aufbauorganisation und damit auch mit dem Führungsstil zu tun. Das betrifft, wie beschrieben, auch die interne und externe Kommunikation. Aber erfreulicherweise ist ein „Umdenkungsprozess“ zu beobachten, der interne und externe Gründe hat (jüngere Unternehmensnachfolger und „Druck der Banken“). Allerdings werden (nicht nur idealtypisch) ein Leitbild, eine Vision, eine Mission und eine Strategie vorausgesetzt. Diese müssen intrinsisch, und nicht extrinsisch erarbeitet und „gelebt“ werden, von allen im Unternehmen Tätigen! Sie dürfen keine Alibifunktion haben, sondern sind zu verinnerlichen. Dann sind die „klassischen Controllinginstrumente“ notwendige Hilfsmittel, aber kein Selbstzweck!
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Gerhard Klippstein
Literatur
Cremer, U.: Kennzahlen für Klein- und Mittelbetriebe, Landsberg am Lech 2001. Horvarth, P.: Controlling, 9. Auflage, München 2003. Horvarth und Partner: Balanced Scorecard umsetzen, 2. Auflage, Stuttgart 2001. Kaplan, R. S.; Norton, D.: Balanced Scorecard – Strategien erfolgreich umsetzen (übersetzt von Horvarth, P.), Stuttgart 1997. Schroeter, B.: Operatives Controlling, Aufgaben, Objekte, Instrumente, Wiesbaden 2002. Vollmuth, H.: Controllinginstrumente, München 2003. Vollmuth, H.: Kennzahlen, München 2002. Weber, J.: Einführung in das Controlling, 8. Auflage, Stuttgart 1999. Wöhe, G.: Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 21. Auflage, München 2004.
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Teil IV Die Leistung mittelständischer Unternehmen
Innovationsmanagement – Tüftelei und systematische Entwicklung
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Innovationsmanagement – Tüftelei und systematische Entwicklung Bernd Kriegesmann/Friedrich Kerka
Zusammenfassung
Mittelständler gelten als flexibel und anpassungsfähig. Sie schaffen sich ihre Nischen und bauen ihre Kernkompetenz aus. Die „Stillen Stars“ unter ihnen (vgl. den Beitrag von H. Simon) verfügen darüber hinaus über eine hohe Innovationsrate, was sich an der Zahl angemeldeter Patente ablesen lässt. Aber Nischen und Kernkompetenzen bei gleichzeitiger Routine und ohne Blick zur Seite und in die Zukunft birgt Gefahren in sich. Wenn die Mitarbeiter dauerhaft zu 100 % im Routinegeschäft gebunden sind, fehlt Raum für neue Entwicklungen. Die eigene Orientierungsfähigkeit, sich in dynamischen Wirtschaftsstrukturen neu zu positionieren, bleibt auf der Strecke. Will man nicht dem „run“ der Lemminge auf überbesetzte und vom eigenen Kompetenzprofil gar nicht beherrschbare Felder folgen, sondern die bearbeitbare Zukunft erschließen, bedarf es eines Innovationsmanagements jenseits von Trends und Moden. Im Folgenden wird ausgeführt, wie progressive Unternehmen hier neue Wege gehen, indem sie sich eigene Orientierung verschaffen. Ausgangspunkt ihrer Innovationsbemühungen ist ein Abstimmungsprozess zwischen marktbedingten Neuorientierungserfordernissen, die sie aus der echten Innenkenntnis des Kunden ableiten, und verfügbaren bzw. entwickelbaren Potentialen, die echte Differenzierung im Wettbewerb ermöglichen. Doch die Entwicklung von Zukunftsideen macht noch keine Innovation. Fehleinschätzungen der Entwicklungsund Aufnahmefähigkeit bzw. -bereitschaft potenzieller Kunden, der Leistungs- und Überzeugungsfähigkeit der Neuerungen selbst, vor allem aber der eigenen Kompetenz zur Innovation führen oftmals zum Scheitern von Innovationsprojekten. Unternehmen können sich nicht allein auf die strategische Neuorientierung beschränken, sondern sie müssen auch die Umsetzung möglich machen. Die Schaffung eigener Orientierung, das Aufspüren sowie Überwinden von Innovationsbarrieren und die Übersetzung der Handlungsentwürfe zu Innovationsideen und Umsetzungsvarianten in reale Handlungsoperationen sind nicht technokratisch trennbar, sondern in einem Lernprozess zu organisieren.
314
1.
Bernd Kriegesmann/Friedrich Kerka
Innovation: Zwischen Wunsch und Wirklichkeit
Es ist wieder modern, über Innovationen zu reden. Manager, Politiker und Verbandsvertreter beschwören Innovationen als Garanten für Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit. Der Ausweis der eigenen Innovation wird zur Pflicht. Und selbst wer als Unternehmer in einem als „nicht innovativ“ apostrophierten Feld erfolgreich verdient und Arbeitsplätze hält, gerät unter Rechtfertigungszwang. Das war nicht immer so. Lange Zeit war der Begriff „Innovation“ in Deutschland nicht nur ungebräuchlich, sondern erzeugte Argwohn in einer saturierten Unternehmenslandschaft. Wenn man vor zwanzig Jahren das Wort „Innovation“ gebrauchte, so musste man gewärtig sein, danach gefragt zu werden, was dieser neumodische Begriff eigentlich bedeute. Das heißt jedoch nicht, dass Innovation ein völlig neues Phänomen ist. Erfindungen des Typs Dampfmaschine, Glühbirne oder Automobil lösten in der Vergangenheit zum Teil tiefgreifendere Entwicklungsschübe aus, als sie derzeit in Bereichen der Biotechnologie, Optoelektronik oder Mikrosystemtechnik diskutiert werden. Die Veränderung des Status quo bei Produkten, Verfahren, Organisationen etc. – und nichts anderes sind Innovationen – gehören zur Entwicklungsnormalität von Unternehmen. Dabei kann das Ausmaß der Veränderung von der „großen“ Erfindung bis zur kleinen Verbesserung oder von der objektiven Weltneuheit bis zur Umsetzung einer Neuerung, die in einer Branche längst als Standard gilt, variieren. Mit dem Empfinden eines erhöhten Innovationsdrucks und dem Erkennen, dass Innovationen nicht aus auf Routine getrimmten Organisationen sprudeln, setzte die Suche nach Patentrezepten für Innovationen ein. Wenn aber echte Innovationen anstehen, weichen die Bekenntnisse zur Veränderung der Angst um die eigene Position. Beim Innovieren wird sehr schnell klar, dass man bestehende Strukturen und Prozesse in Frage stellt, dass der Verlust lieb gewordener Privilegien droht, dass Bereiche aufgegeben werden müssen, in denen man kompetent ist. Das ist ein schmerzhafter Prozess, den viele meiden und dem sie die kurzfristig bequemere Alternative der Besitzstandswahrung vorziehen. Echte Innovationen werden verschoben, so lange es geht (Staudt 1985). Anstatt offensiv neue Optionen zu erschließen, verharren viele Unternehmen in schrumpfenden Nischen oder werden erst in aussichtsloser Position tätig. Bis der Aufbruch zu Neuem ernsthaft angegangen wird, dominieren Maßnahmen zur Optimierung des Bestehenden, stehen Rationalisierung und der Rückzug auf Kernkompetenzen im Vordergrund. Das entlastet kurzfristig vom Kostendruck, befriedigt Hoffnungen auf schnelle Gewinne und vermittelt sogar noch einen strategischen Anschein. Langfristig gehen aber die Potenziale für den Aufbau der Kernkompetenzen von morgen verloren (Staudt 1984). Die Abschöpfung der Überhangpotenziale bzw. „Slacks“ hat in vielen Unternehmen zum Abbau der letzten innovatorischen Freiräume geführt. Die eigene Orientierungsfähigkeit, sich in neu entstehenden Wirtschaftsstrukturen selbst zu positionieren, bleibt damit auf der Strecke. Der Versuch, in neue Felder vorzustoßen, wird – bei Verzicht auf eigene Entwicklungs-
Innovationsmanagement – Tüftelei und systematische Entwicklung
315
potenziale – an von außen vorgegebenen Trends aufgehängt. Das spiegelt sich in den gleichförmigen strategischen Ausrichtungen vieler Unternehmen wider. Die eigene Orientierung und potenzialorientierte Suche nach neuen Wertschöpfungspositionen wird durch Außensteuerung ersetzt. Der Glaube an Trends und vermeintliche Zukunftsmärkte verführt zur bloßen Imitation und sorgt im Ergebnis dafür, dass alle Wettbewerber nach einiger Zeit wieder gleich aussehen und sich auf den gleichen überbesetzten Märkten gegenüberstehen. Historisch betrachtet hat der Rückgriff auf derartige konfektionierte oder imitierende Strategien und Konzepte nie zu der erhofften Patentlösung für Innovationsprobleme geführt. Gigantische Verluste nach der Investition in von Marktauguren prognostizierte Wachstumsmärkte – auf die aber auch der Wettbewerb gesetzt hat – belegen das eindrucksvoll. Die Orientierung von Unternehmensentwicklungsprozessen an Trends, Moden und vermeintlichen Vorbildern bietet kaum Ansatzpunkte für eine Differenzierung im Wettbewerb, sondern führt auf Felder höchster Wettbewerbsintensität. Ohne die Orientierungsfrage geklärt zu haben, endet das fantasielose Trend-Hopping – im Extremfall ohne eigene Kompetenzbasis in diesen neuen Feldern – oftmals in neuen Sackgassen.
2.
Innovation erfordert eigene Orientierung
Innovation setzt eigene Positionierung voraus, das heißt, zur echten Profilierung im Innovationswettbewerb müssen sich die Fach- und Führungskräfte selbst orientieren und – jenseits ausgetretener Pfade – Entwicklungsmöglichkeiten aufdecken, die mit den aktuell verfügbaren bzw. entwickelbaren Kompetenzen und Kapazitäten des Unternehmens erschlossen werden können. Erst eine solche Orientierung verspricht Wettbewerbsvorteile und sichert zukunftsfähige Arbeitsplätze. In „wohlgeregelten“ Organisationen unterbleiben derartige Entwicklungsprozesse mit eigener Positionierung allzu oft. Ausbrüche aus gewohnten Bahnen sind ehrlich analysiert oft Organisationsversehen, das heißt, die Kontrollmechanismen versagten. Die Erfolge kamen zustande, weil sich in einer kritischen Phase einzelne Mitarbeiter „vorschriftswidrig“ verhalten haben und gegen den Mainstream agierten, sich also eigene Orientierung verschafften. Das war – und in diesem Punkt gleichen sich die Entwicklungspfade von bestehenden und neu gegründeten Unternehmen – nur möglich, weil sich zum rechten Zeitpunkt kompetente Personen außerhalb der eingefahrenen Bahnen engagierten und nicht fragten, was machen die anderen, sondern den Mut hatten, selbst etwas zu unternehmen, was noch kein anderer unternimmt. Wie kann man solche Ausbrüche aus gewohnten Bahnen reproduzieren oder sogar professionell ansteuern? Mit klassischen Verfahren der Unternehmensplanung und modischen Beraterrezepturen geht das nur sehr schwer. Ihr Einsatz liefert kaum Ansatzpunkte für eine Differen-
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Bernd Kriegesmann/Friedrich Kerka
zierung im Wettbewerb. Will man sich nicht weiter nur auf Kernkompetenzen von heute zurückziehen und sich auch nicht in Diversifikationsabenteuern, die man nicht beherrscht, aufreiben, muss man bestehende Wertschöpfungsketten auf zukunftsträchtige Entwicklungspotenziale abklopfen. Zwei Suchrichtungen strukturieren diesen kreativ-schöpferischen Prozess (Kerka 2002): 1. Wo kann man aus den bestehenden Kompetenzen und Kapazitäten des Unternehmens noch mehr machen? Das ist die erste Suchrichtung bei der Aufdeckung zukunftsträchtiger Innovationsfelder. Sie führt zu neuen Anwendungsmöglichkeiten für bestehende Kernkompetenzen und brachliegende Potenziale des Unternehmens, im außergewöhnlichen Fall sogar zu einer potenzialorientierten Wanderung in die Märkte von morgen quer über klassische Branchengrenzen hinweg (Business Migration). 2. Dazu kommt eine zweite Suchrichtung. Mittel- und langfristig reicht es nicht aus, aktuell verfügbare Kompetenzen auszuschöpfen. Selbst Kompetenzen, die zur Zeit noch Wettbewerbsvorteile gegenüber der Konkurrenz sichern, drohen durch Imitation oder Substitution sowie durch Änderungen der Kundenprobleme und Nachfragestrukturen entwertet oder relativiert zu werden. Deshalb müssen weitere Fragen angegangen werden: Welche Problemlösungsbedarfe des Kunden werden bisher nicht oder nur unzureichend befriedigt, und was sind die Kundenwünsche von morgen und übermorgen? Die Klärung dieser Fragen erfordert eine echte Innenkenntnis der Entwicklungsabsichten und -möglichkeiten des Kunden, eröffnet dann aber auch die Chance, mit innovativen (System-)Leistungen überzeugend auf die Problemlagen des Kunden einzugehen.
Kunden/Märkte/Anwendungsbereiche
Abbildung 1:
aktuell neu
Produkte/Dienstleistungen/ Potenziale
aktuell Rückzug auf Kernkompetenzen
Bedarfsbasierte Diversifikation/ Innovative Systemleistungen
neu
Potenzialbasierte Diversifikation/ Business Migration
Wahllose Diversifikation
Innovation erfordert eigene Orientierung: Strategische Suchrichtungen jenseits des Rückzugs auf Kernkompetenzen und der Mode der wahllosen Diversifikation
Innovationsmanagement – Tüftelei und systematische Entwicklung
2.1
317
Potenzialbasierte Aufdeckung von Innovationsmöglichkeiten – die Kunden und Märkte von morgen entdecken
Während sich viele Unternehmen auf der Suche nach neuen Wertschöpfungspositionen von viel versprechenden Marktstudien auf neue Felder locken lassen, gehen progressive Unternehmen andere Wege, indem sie sich fragen, wo sie aus ihren Kompetenzen und Kapazitäten mehr machen können. Intelligente Innovatoren suchen nach lukrativen Feldern, sind dabei auch bereit, die Grenzen der angestammten Branche zu überschreiten, orientieren sich hierbei jedoch an ihren Potenzialen und machen für den Aufbruch zu Neuem zur Bedingung, dass die Kompetenzen und Kapazitäten für die Erschließung und Bearbeitung neuer Felder im Unternehmen verfügbar sind. Sie fragen also nicht, was andere erfolgreich unternehmen, sondern danach, was man mit den aktuellen Kernkompetenzen und brachliegenden Potenzialen noch unternehmen kann. Bislang sind potenzialorientierte Wanderungsbewegungen in neue Märkte jenseits der angestammten Branche aber die Ausnahme. Statt offensiv bisher noch nicht bearbeitete Märkte und Anwendungsfelder mit den bestehenden Unternehmenskompetenzen zu erschließen, operieren viele Unternehmen derzeit noch aus der Defensive. Potenzialorientierung wird häufig mit dem Rückzug auf Kernkompetenzen gleichgesetzt und zielt damit allein darauf ab, noch erfolgreiche Restgeschäfte zu sichern. Für personale oder organisatorische Potenziale und Kapazitäten wird der kreative Prozess der Aufdeckung innovativer Anwendungsmöglichkeiten bislang kaum aktiv vollzogen. Wenn überhaupt wird die Frage nach neuen Einsatzbereichen nur für bestehende Produkte und darin eingesetzte Technologien gestellt. Viele Unternehmen sind sich ihrer Kompetenzen und Entwicklungspotenziale dabei gar nicht bewusst und übersehen so die Chancen der Migration in die Anwendungsfelder und Märkte von morgen. Da optimieren beispielsweise Großteile der Hersteller von „Gummierungen“ für Druckwalzen über Jahrzehnte ihr Kerngeschäft, ohne zu hinterfragen, ob ihre Technologien nicht zusätzlich in ganz anderen Anwendungsbereichen wirtschaftlich verwertet werden können, und müssen dann mit ansehen, wie ein innovativer Branchenkonkurrent mit dem Wissen und den Erfahrungen aus dem traditionellen Geschäft Marktanteile für Handläufe von Rolltreppen erobert. Da kaprizieren sich traditionelle Druckbetriebe auf klassische Printprodukte und müssen in der Folge feststellen, wie entwicklungsdynamische Unternehmen aus ihrer Branche, aber auch branchenfremde Softwarehäuser und Copyshops mit ihren jeweiligen Kompetenzen in das Multimedia-Zeitalter aufbrechen. Da werden schließlich zukunftsträchtige Innovationsprojekte abgebrochen, weil die Potenziale und Anwendungsbereiche neu entwickelter Produkte nur bruchstückhaft wahrge-
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Bernd Kriegesmann/Friedrich Kerka
nommen und die Vermarktungsmöglichkeiten aufgrund eines zu engen Blickwinkels unterschätzt werden. So wäre beinahe auch der Einstieg von Intel in die Produktion und Vermarktung des „Produktes 4004“, dem ersten Mikroprozessor, um ein Haar an der negativen Beurteilung der Vermarktungschancen durch das Intel-Marketing gescheitert, weil man den Mikroprozessor sehr eng als Computer charakterisiert und dort der Untergruppe Minicomputer zugeordnet hatte. Die Beispiele sind prototypisch für weitere Bereiche der Wirtschaft. Viele Mittelständler denken derzeit noch zu stark in herkömmlichen Produktkategorien und tradierten Fach- und Branchengrenzen. Ohne sich des Problemlösungscharakters und der Anwendungspotenziale ihrer Produkte und der darin eingesetzten Technologien im Klaren zu sein, ohne zu hinterfragen, was man aus den technischen, personellen und organisatorischen Potenzialen in anderen Anwendungsbereichen noch machen kann, orientiert man sich vornehmlich an bestehenden Marktstrukturen, historischen Rollenverteilungen und gewachsenen Funktionsaufteilungen in der Wertschöpfungskette. Im Ergebnis werden die aktuellen Kernkompetenzen nicht ausgeschöpft, warten brachliegende Potenziale weiter auf ihre Entdeckung, bleiben in Summe Chancen der kreativen Neupositionierung in Wertschöpfungsketten ungenutzt. Wer mehr aus seinen Kompetenzen machen will, darf sich nicht von außen steuern lassen und allein auf Innovationsimpulse aus seinem Umfeld reagieren, der muss vielmehr beim Aufbruch zu Neuem seine eigenen Kompetenzen in den Vordergrund rücken und aktiv nach neuen Anwendungsfeldern und Verwertungsmöglichkeiten suchen. Erhebliche Chancen der kreativen Neupositionierung in Wertschöpfungsketten lassen sich erschließen, wenn auf der Basis bestehender Potenziale – egal ob Markenname oder Produkttechnologie, ob Vertriebsnetz oder Personalkompetenz – systematisch hinterfragt wird, welche Funktionen bzw. Problemlösungsbedarfe mit diesen Potenzialen noch erfüllt werden können und welche konkreten Anwendungsfelder und Kundengruppen damit noch erschlossen werden können. Ein modernes Innovationsmanagement beginnt mit dieser Analyse entwicklungsfähiger Potenziale im personellen, technischen und organisatorischen Bereich. Die Frage nach potenziellen Anwendungsfunktionen für derzeitige Kernkompetenzen und aktuell noch ungenutzte Unternehmensressourcen hebelt tradierte Begrenzungen aus und eröffnet Entwicklungschancen, die vor dem Hintergrund der eigenen Umsetzungsmöglichkeiten, aber auch der Entwicklungsabsichten und -möglichkeiten des potenziellen Kunden realistisch beurteilt werden müssen. Innovationsaktive Unternehmen nutzen diese Methode der Potenzialanalyse sehr erfolgreich als Werkzeug zur kreativ-schöpferischen Aufdeckung der Anwendungsfelder und Märkte von morgen. Der entscheidende Vorteil dieser Methode liegt darin, dass das Denken in Anwendungsfunktionen zwischen zwei getrennten Welten – zwischen der Potenzialsphäre (Technologie) und der Bedarfsphäre (Kunde) – vermittelt. Die Frage nach den Funktionen, die ein technisches Problemlösungspotenzial prinzipiell in unterschiedlichen Anwendungen erfüllen
Innovationsmanagement – Tüftelei und systematische Entwicklung
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kann, überwindet die einseitige Ausrichtung auf eine Hauptanwenderbranche und wird so zum entscheidenden Impuls, aus gewohnten Bahnen auszubrechen und innovative Anwendungsfelder für bestehende oder neu entwickelte Problemlösungspotenziale zu entdecken. Aufgrund des Potenzials dieser Methodik, die auf alle technischen, personellen und organisatorischen Kompetenzen und Kapazitäten von Unternehmen angewendet werden kann und wohl auch als Reaktion auf eine häufig falsch verstandene Kunden- bzw. Marktorientierung, wird in jüngster Zeit in Wissenschaft und Beratung immer häufiger gefordert, mehr aus den im Unternehmen vorhandenen Ressourcen und Kernkompetenzen zu machen und konsequent neue Anwendungsfelder und Märkte mit diesen Potenzialen zu erschließen (Prahalad, Hamel 1990).
2.2
Bedarfsbasierte Aufdeckung von Innovationsmöglichkeiten – die Kundenprobleme und Lösungsmöglichkeiten von morgen entdecken
Zur Ausschöpfung der aktuellen Potenziale muss für die Weiterentwicklung im Strukturwandel aber noch etwas anderes hinzukommen, das in der Richtung nach vorne zeigt. Eine zusätzliche Orientierung für die zukunftsorientierte Kompetenzentwicklung ist erforderlich, um aus den Begrenzungen der – eventuell noch erfolgreichen – Kernkompetenzen auszubrechen. Damit wird die Aufdeckung der Kundenprobleme und Lösungsmöglichkeiten von morgen zum zentralen Element des Innovationsmanagements. Doch was heißt Kundenorientierung derzeit vielfach noch in der Unternehmenspraxis? Sie wird in der Regel mit der Ausrichtung an den gegenwärtigen Bedürfnissen des Kunden gleichgesetzt. Marginale Verbesserungen bestehender Produkt- und Dienstleistungsprogramme und Rationalisierungen in kleiner werdenden Marktnischen sind dann die Folge. Als höchste Form der Kunden- oder Marktorientierung gelten aufwendige Customer-Relationship-Management-Programme und „ausgefeilte“ Marketinginstrumente. Durch Marktforschung glaubt man, nicht nur die aktuellen Kundenwünsche, sondern auch die zukünftigen Problemlösungsbedarfe und Lösungsmöglichkeiten von morgen, die der Kunde selbst nicht kennt, „abfragen“ zu können. Doch das Bild von der Nachfrage, die über eine derartige, naivempirische Marktforschung abgebildet werden kann, ist falsch. Wenn aktuelle oder potenzielle Kunden zum Teil noch nicht einmal in der Lage bzw. bereit sind, ihre aktuellen Problemlösungsbedarfe – in schriftlichen Befragungen – zu spezifizieren und zu dokumentieren, wie kann man dann erwarten, dass sie etwa konkrete Aussagen darüber treffen, welche Technologien (die sie noch nicht kennen) zukünftig zur Lösung ihrer Probleme (die sie noch nicht haben) in Frage kommen könnten? Die Ergebnisse dieser Kundenbefragungen sind nicht selten von ähnlicher Aussagekraft wie „wissenschaftlich-fundierte“ Prognosen, wo mit aufwendiger Methodik „Blinde Blinde“ nach dem Weg in die Zukunft befragen.
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Die Risiken dieser falsch verstandenen Kundenorientierung liegen darin, dass viele Unternehmen die Gefahren des Eindringens branchenfremder Newcomer in die derzeit noch sehr erfolgreich bearbeiteten Märkte unterschätzen. Die aktuellen Problemlagen und Entwicklungsabsichten des Kunden kennen sie oftmals nur in Ausschnitten. Welche innovativen Lösungsmöglichkeiten eine Bedrohung ihrer Kernkompetenzen darstellen könnten, wird dann zumeist erst erkannt, wenn neue Anbieter mit technisch und/oder wirtschaftlich überlegenen Produkten auf die Problemlösungsbedarfe des Kunden eingehen und Wertschöpfungsanteile in scheinbar gesicherten Märkten erobern. Gerade etablierte Technologieunternehmen definieren sich vielfach über spezifische technologische Kernkompetenzen und verstehen sich in der Folge dann als Anbieter von Produkten, die auf diesen Kernkompetenzen basieren. Ohne die Funktion bzw. den Problemlösungscharakter der von ihnen angebotenen Produkte und damit das Wesen des Bedarfs ihrer Kunden genauer zu betrachten, unterliegen solche Unternehmen dann häufig dem Trugschluss, es gebe auch künftig keine echten Alternativen zu ihren Produkten. Das ist auch einer der entscheidenden Gründe dafür, dass Großteile klassischer Anbieter aus der Kamera-, Uhren- und Druckindustrie die Mikroelektronik zu spät als funktional-äquivalentes Problemlösungspotenzial zu ihren eigenen mechanischen Technologien wahrgenommen haben und von branchenfremden Newcomern aus den Märkten verdrängt oder in Nischenpositionen zurückgedrängt wurden. Die Innovationsaktivitäten erstreckten sich vielfach allein auf Verbesserungen der aktuellen Produkt- und Verfahrenstechnologien. Der hinter der jeweiligen Nachfrage stehende Problemlösungsbedarf wurde als Bedarf an der jeweils angebotenen, spezifischen technischen Problemlösung (fehl-)interpretiert. Die Kunden wurden zur gezielten Marktbearbeitung zwar sogar in unterschiedliche Kundengruppen bzw. Marktsegmente unterteilt. Dass die Problemlösungsbedarfe durch ganz andere Technologien in überlegener Weise befriedigt werden könnten, geriet dabei jedoch aus dem Blickfeld. Die Hoffnung, dass solche (Substitutions-)Prozesse aufgehalten und Kunden dauerhaft an das eigene Unternehmen gebunden werden könnten, indem man bestehende Leistungen arrondiert oder Sachleistungen um zusätzliche Dienstleistungsanteile ergänzt, wurde in der Vergangenheit immer wieder enttäuscht. Fantasielose Leistungsbündel und Schlagworte wie „Alles aus einer Hand“ reichen weder zur Erhöhung der Kundenbindung noch zur kundenbzw. bedarfsorientierten Neupositionierung in Wertschöpfungsketten aus. Die Ergänzung bestehender Kernleistungen um „verkaufsfördernde“ Dienstleistungen oder die rein angebotsorientierte Leistungsbündelung zu so genannten „Cross-Selling-Strategien“ schafft aus Kundensicht kaum überzeugendes Problemlösungspotenzial. Die weit hinter den Erwartungen zurückbleibende Diffusion von „Komplettangeboten“ in Feldern wie Multi Utility oder Facility Management belegt das eindrucksvoll. Wer potenzielle Gefahren für seine aktuellen Geschäftsfelder frühzeitig erkennen und offensiv mit innovativen Leistungen auf sich ändernde Probleme und Wünsche des Kunden eingehen und so die Märkte von morgen „machen“ will, muss sich intensiver mit den Gegebenheiten sowie den Entwicklungsabsichten und -möglichkeiten des Kunden auseinander setzen. Dazu sind die aktuellen Kundenprobleme in enger Zusammenarbeit mit Know-how-Trägern des Kunden aufzudecken und zukünftige Entwicklungen des Kunden sowie damit in Zusam-
Innovationsmanagement – Tüftelei und systematische Entwicklung
321
menhang stehende Problemveränderungen vorauszudenken. Erst diese kreative Aufdeckung der Kundenprobleme von morgen und übermorgen schafft die Voraussetzung, die zukünftige Passfähigkeit bestehender Problemlösungen zu überprüfen, innovative Lösungsansätze zu entdecken und Neuentwicklungen an sich verändernden Problemlagen des Kunden zu orientieren. Echte Systemleistungen im Sinne einer intelligenten Integration von Leistungsbeiträgen entstehen nur aus dieser „Innenkenntnis“ der Problemlagen des Kunden. Erhebliche Chancen der kreativen Neupositionierung in Wertschöpfungsketten lassen sich erschließen, wenn sich Unternehmen diese Innenkenntnis über die Kundenprobleme von morgen verschaffen, um dann zu hinterfragen, wie diese Kundenprobleme in Zukunft gelöst werden können und welche Kompetenzen zur Bearbeitung dieser neuen Felder erforderlich sind. Ein modernes Innovationsmanagement umfasst neben der potenzialorientierten Erschließung neuer Anwendungsfelder und Märkte diese kunden- bzw. bedarfsbasierte Aufdeckung von Innovationsmöglichkeiten. Die Frage nach den Kundenproblemen und Lösungsmöglichkeiten von morgen deckt Lücken im derzeitigen Kompetenzprofil auf und wird damit zu einem zentralen Orientierungspunkt für die zukunftsorientierte Kompetenzentwicklung (Kriegesmann; Kerka 2001).
3.
Von der Vision zum machbaren Entwicklungssprung – die Zukunft schrittweise erschließen
Wenn Unternehmen innovieren wollen, liegen dem häufig große Zukunftsentwürfe mit hohen Erwartungen zugrunde. Der Verlauf vieler Innovationsideen skizziert jedoch ein ernüchterndes Bild. Nur ca. 10 % aller Neuproduktideen erreichen nach vorliegenden Innovationsstudien das Stadium der Markteinführung, und von den neu am Markt lancierten Produkten und Dienstleistungen sind es häufig wiederum nur 50 bis 70 %, die die in sie gesetzten Erwartungen zumindest in Teilen erfüllen. Gleichzeitig bleiben echte „big ideas“ sehr frühzeitig in rigiden Kontrollschleifen hängen oder werden erst Jahre später von anderen aufgegriffen. Der Großteil aller Innovationsideen stellt sich als unerreichbare Vision heraus und endet – nach zum Teil aufwändiger Forschung und Entwicklung – als Flop. Der hohe Anteil gescheiterter Innovationsvorhaben macht deutlich: In aller Regel werden sowohl die Leistungs- und Überzeugungsfähigkeit von Neuerungen als auch die Innovationsfähigkeit und -bereitschaft der an Veränderungsprozessen direkt oder indirekt Beteiligten überschätzt und werden Widerstände gegen Neuerungen in technokratischer Euphorie übersehen. Unter Missachtung dieser Widerstände verkürzt man Innovationsmanagement oft auf den Entwurf neuer unternehmerischer Zielsetzungen und Visionen und verkennt dabei die
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Probleme der Um- und Durchsetzung von Innovationen. Es besteht dann die Gefahr, dass der Innovationsaktivismus eher innovationsverhindernd als innovationsfördernd wirkt. Knappe Ressourcen und Kapazitäten werden in Diversifikationsabenteuern verschwendet, sie stehen für wirklich zukunftsträchtige Innovationsvorhaben nicht mehr zur Verfügung und blockieren so die Entwicklung. Will man den Mitteleinsatz für Innovationen auf einige Projekte bündeln und dabei zu Aussagen über die Aussichten des Innovationserfolgs kommen, reicht es daher nicht aus, sich auf die Produkt- oder Dienstleistungsidee allein zu fokussieren, sondern man muss sich mit der Umsetzbarkeit im eigenen Unternehmen und der Nachfragewirksamkeit beim Kunden auseinander setzen. Spiegelt man den Verlauf von Innovationsideen an diesen Kriterien, wird deutlich, dass nur 10 % als überzeugende Geschäftsideen zu klassifizieren sind bzw. dass bei etwa 90 % der Ideen mindestens eine der beiden Bedingungen nicht erfüllt ist: Ein breites Segment „vorprogrammierter Flops“ kann weder im eigenen Unternehmen realisiert werden noch am Markt überzeugen. Ein weitaus schmalerer Bereich bleibt trotz überzeugender Marktargumente eine „unerreichbare Vision“, die von der Produkt- oder Fertigungstechnologie, der Vertriebsorganisation, der Finanzverfügbarkeit etc. nicht beherrschbar ist. Ein großer Anteil an „Innovationsideen ohne Markt“ ist zwar im Unternehmen umsetzbar, stößt beim Kunden aber auf keine Akzeptanz. Wer die Erfolgsaussichten von Innovationsideen im Vorfeld realistisch abschätzen und damit die größten Fehler und Innovationsflops vermeiden will, muss sich vor diesem Hintergrund intensiver mit den Problemen auseinander setzen, die den Erfolg seiner Innovation behindern bzw. sogar verhindern könnten. Der Weg von der Idee zur Innovation gleicht angesichts der hohen Komplexität vielfach einem Hindernislauf, und wenn man ernsthaft an der Erschließung neuer Wertschöpfungspositionen interessiert ist, wird man sich mit der gleichen Kreativität, mit der man Zukunftsvisionen entwirft, auch den möglichen Widerständen zu widmen haben. Da die Überwindung dieser Barrieren Voraussetzung einer erfolgreichen Innovation ist, liefern sie die wesentlichen Entscheidungskriterien für die (Vor-)Selektion von Innovationsideen. Die Beschäftigung mit Innovationsbarrieren wird so zum Pflichtenheft des Innovationsmanagements.
Innovationsmanagement – Tüftelei und systematische Entwicklung
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Nachfragewirksamkeit
+ Unerreichbare Visionen
Überzeugende Geschäftsideen
Vorprogrammierte Flops
Innovationen ohne Markt
-
Abbildung 2:
Umsetzbarkeit
+
Die Nachfragewirksamkeit und die Umsetzbarkeit entscheiden über den Erfolg von Innovationen
In der Innovationsforschung wurden derartige Innovationsbarrieren in den letzten Jahren immer wieder untersucht. Dabei zeigte sich, dass personell, technisch und organisatorisch bedingte Innovationswiderstände bei der Umsetzung von Ideen in Innovationen oftmals übersehen werden und nicht berücksichtigte oder unterschätzte, extern bedingte Innovationswiderstände dafür verantwortlich sind, dass die Nachfragewirksamkeit von Innovationen vielfach weit hinter den Erwartungen zurückbleibt (Staudt, Kriegesmann 1994, Staudt, Kerka, Krause 1996). Personell bedingte Innovationswiderstände: Im Regelfall besteht in Unternehmen nur vordergründig Einigkeit über die Notwendigkeit von Innovationen. Da Innovationen für ihr Umsystem immer eine Veränderung des Status quo implizieren, führen Akzeptanzprobleme oft zu erheblichen Friktionen. Die betroffenen Mitarbeiter sind nicht willens, die Optionen von Innovationen zu nutzen, und verschließen sich der Entwicklung zur Absicherung der eigenen Position. Doch nicht nur mangelnde Bereitschaft, sondern auch überholte oder unzureichende Fähigkeiten begrenzen Entwicklungen. Oft werden Veränderungen vorangetrieben, die heute noch nicht vorhandene Kompetenzen voraussetzen, und gleichzeitig werden Personalentwickungsmaßnahmen an der Technik oder den Geschäftsfeldern von gestern ausgerichtet. Der vorbeugenden beziehungsweise flankierenden Personalentwicklung für Innovationen kommt daher eine Schlüsselrolle zu. Nur wenn es gelingt, das mit der jeweiligen Innovation befasste Personal sowohl auf der ausführenden als auch auf der Führungsebene rechtzeitig auf entsprechende Neuerungen vorzubereiten, ergibt es einen ökonomischen Sinn, sich überhaupt mit Innovation zu befassen.
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Technisch bedingte Innovationswiderstände: Oftmals scheitert die Umsetzung von Innovationen neben mangelnden Mitarbeiterkompetenzen an fehlenden oder inkompatiblen Fertigungstechnologien. Die vielfach geforderte, unter Begriffen wie Simultaneous Engineering populär gewordene parallele Entwicklung von Produkt- und Prozesstechnologien stellt im betrieblichen Alltag noch lange keine Selbstverständlichkeit dar. Die verspätete Auseinandersetzung mit Produktionsproblemen führt unter Zeitdruck dann oftmals zu suboptimalen Lösungen. Entscheidend ist deshalb, sich frühzeitig mit der erforderlichen Produktionstechnik auseinander zu setzen. Im Vordergrund steht dabei die Kompatibilität der Technologien. Mit der horizontalen Kompatibilität ist abzuklären, inwieweit sich die jeweilige Fertigungs- bzw. Verfahrenstechnologie für die Integration in das vorhandene Personal-, Technik- und Organisationssystem eignet. Und mit der vertikalen Kompatibilität ist abzusichern, dass nicht durch übereilte Entschlüsse einseitige Abhängigkeiten auftreten, die den weiteren Entwicklungsprozess behindern. Organisatorisch bedingte Innovationswiderstände: Organisatorisch bedingte Innovationswiderstände ergeben sich aus der Betroffenheit des gesamten innovierenden Systems bei Änderungen. Oftmals wird Innovation auf F&E-Aktivitäten begrenzt, ohne zu reflektieren, dass sich Innovation auf das Zusammenwirken unterschiedlicher Akteure und Abteilungen erstreckt. Sowohl die Entwicklung und Produktion als auch die Vermarktung einer Innovation erfordern in hohem Maße eine Neuordnung von Prozessen, Strukturen und Regelungen des jeweiligen innovierenden Systems. Der Betrieb wird nicht einfach ergänzt oder umarrangiert, der Übergang etwa auf eine neue Produkttechnologie verlangt vielmehr einen „Neubau“ des Unternehmens. So erfordert beispielsweise der Wechsel von Mechanik auf Elektronik nicht nur neue Fertigungstechnologien bzw. Änderungen im Maschinenpark und neue Mitarbeiterkompetenzen, sondern auch einen Wandel des Workflows und oft auch eine Reorganisation der unterstützenden Prozesse. Extern bedingte Innovationswiderstände: Jeder Betrieb ist gezwungen, seine Marktverhältnisse mit der jeweiligen Innovation neu zu ordnen. Auf der Input-Seite entstehen erhebliche Veränderungen im Bereich der Material- und Halbzeugbeschaffung, aber auch veränderte Lieferantenbeziehungen und Änderungen des dazugehörigen Service- und Wartungssystems. Auf der Output-Seite muss der Anbieter in den jeweiligen Anwendungsfeldern verstehen, welche Probleme und Anwendungsbedingungen beim Kunden vorliegen und mit welchen alternativen Entwicklungen die Konkurrenz darauf reagiert. Oftmals scheitern Innovationen, weil die Integrationsfähigkeit der eigenen Angebote in die personellen, organisatorischen und technischen Konfigurationen des Kunden nicht ausreichend bedacht wird. Da die Entwicklung neuer Produkte vielfach eine Domäne von Entwicklungs- und Konstrukteursfachleuten ist und häufig bis zur Markteinführung auch bleibt, wird der gesamte Prozess der Produktentwicklung wesentlich durch die technische Machbarkeit bestimmt und oft erst zu spät auf die Marktgegebenheiten ausgerichtet. Eine überstürzte Markteinführung ohne ausreichende Vorbereitung des Kunden auf die Innovation führt dann zu folgenschweren Flops, weil die Innovation die Bedürfnisse des Kunden nicht trifft.
Innovationsmanagement – Tüftelei und systematische Entwicklung
325
Die beschriebenen Barrieren behindern die innerbetriebliche Umsetzung und Marktdiffusion von Neuerungen. Sie stellen die Problembereiche dar, mit denen sich jedes innovierende Unternehmen zu beschäftigen hat. Da ihre Überwindung den Erfolg einer Innovation bestimmt, stellen diese Barrieren eine Art Regulativ für die Aufgaben des Innovationsmanagements dar. Die Ursachenanalyse legt entsprechende Defizite offen und liefert daher die wesentlichen Entscheidungsgrundlagen, um Misserfolge zu vermeiden, das heißt auch, Innovationen ggf. kompetent zu unterlassen, wenn eine Überwindung dieser Barrieren nicht möglich oder ökonomisch nicht sinnvoll ist. Dieses Vorgehen schafft keine Sicherheit, die kann es in entwicklungsoffenen Prozessen nicht geben. Unternehmen, die sich jedoch intensiver mit der Frage beschäftigen, was ihre Innovation behindern könnte, schaffen damit die Voraussetzung, mit geeigneten flankierenden Maßnahmen auf im Prozessverlauf variierende Problemlagen einzugehen. Progressive Unternehmen beschränken sich dabei nicht darauf, potenzielle Innovationswiderstände im Vorfeld vorzusimulieren, sondern nutzen zu ihrer eigenen Orientierung frühzeitig den direkten Erfahrungsaustausch vor Ort und testen ihre neuen Ideen und Konzepte in Pilotprojekten zusammen mit potenziellen Kunden, um ein Gespür für noch zu lösende Probleme und zu überwindende Widerstände zu bekommen. Der ganze Innovationsprozess hat so weit mehr experimentellen denn analytischen Charakter. Die Unternehmen „fräsen“ sich mit ersten Versionen ihres Produktes in Märkte hinein, die noch keiner kennt, lernen aus den Erfahrungen, modifizieren ihr Produktkonzept und versuchen es erneut. 1 Dabei stoßen sie auf weitere Probleme, die nichts mehr mit dem Produkt zu tun haben, sondern in Logistik, Weiterverarbeitung oder Vermarktung begründet liegen und zusätzliche Ansatzpunkte für Innovationen liefern. Statt Trends, Moden oder vermeintlichen Vorbildern hinterherzulaufen, erfinden sie Zukunftsmärkte, indem sie einen Lern- bzw. Kompetenzentwicklungsprozess zusammen mit ihren Kunden organisieren. Das Ergebnis ist dann nicht der „Run“ der Lemminge auf moderne, aber überbesetzte und vom eigenen Kompetenzprofil gar nicht beherrschbare Felder, sondern das schrittweise Erschließen der bearbeitbaren Zukunft.
4.
Entfaltung innovativer Kräfte – Experimente fördern und aus Erfahrungen lernen
Die Schaffung eigener Orientierung, das Aufspüren sowie Überwinden von Innovationsbarrieren und die Übersetzung der Handlungsentwürfe zu Innovationsideen und Umsetzungsvarianten in reale Handlungsoperationen ist nicht technokratisch trennbar, sondern in einem 1
Vgl. Lynn, G. S.; Morone, J. G.; Paulson, A. S.: Wie echte Produktinnovationen entstehen, in: Harvard Business Manager, Heft 2/1997, S. 12 f.
326
Bernd Kriegesmann/Friedrich Kerka
Lernprozess zu organisieren (Staudt, Kriegesmann 2002). Innovationsideen werden in Handlungsentwürfen konkretisiert, an Umsetzungsmöglichkeiten im Unternehmen und am Markt gespiegelt, mit Realexperimenten verzahnt, gegebenenfalls modifiziert, wieder getestet bis hin zur breiten Markteinführung. Erfahrungen zeigen, dass viele Unternehmen die Chancen dieses Orientierens, dieses schrittweisen Testens neuer Geschäftsfelder auslassen. Ihr Innovationsmanagement ist noch sehr stark von Konzepten der klassischen Strategielehre geprägt. Durch systematische Analyse der Wettbewerber und Kunden, Vorhersage künftiger naturwissenschaftlich-technischer Entwicklungen und Verknüpfung all dieser Analyse- und Prognoseergebnisse zu Handlungsentwürfen für die Zukunft glaubt man, das Innovationsphänomen planend bewältigen zu können. Wirkliche Ausbrüche aus gewohnten Bahnen verlaufen nach anderen Mustern (MINTZBERG, WESTLEY 2001). Innovationen sind häufig nicht das Ergebnis der Durchführung zentral entwickelter Pläne, sondern entstehen vielmehr aus Versuchen und Irrtümern sowie aus Lernprozessen dezentraler Innovationskräfte, die häufig im Untergrund arbeiten und erst an die Oberfläche kommen, wenn sie vom Erfolg überzeugt sind. Es sind immer Einzelne bzw. kleine Gruppen, die auch gegen den Mainstream Ideen entwickeln und gegen Widerstände umsetzen. Innovationsprojekte entfalten nur Dynamik, wenn sie an Personen mit (Eigen-)Interesse am Projekterfolg gebunden sind. Diese „Partisanengruppen“ brauchen Rahmenbedingungen, unter denen sie ihre Potenziale zur Entfaltung bringen können: Zunächst sind Handlungsfreiräume zu sichern, indem innovative Kräfte von Routinearbeiten entlastet, aus den verkrusteten alten Netzwerken entkoppelt, Ressourcen ohne die kontraproduktiven Kontrollschleifen der eingefahrenen Regulierungssysteme bereitgestellt und Projektschritte durch die Unternehmensleitung abgesichert werden. Handlungsfreiräume allein stellen aber nicht sicher, dass etwas passiert. Ohne daran gekoppelte Erwartungen geraten sie schnell zu „Spielwiesen“. Neben die gewährten Freiräume müssen daher noch Handlungsanreize durch die Art der Aufgabenstellung selbst, durch mit dem Projekt verbundene Karrierechancen oder durch die Aussicht auf herausfordernde Folgeprojekte treten. So aufgestellt meiden die „Partisanen“ runde Tische, an denen der Konsens für Veränderungen gesucht wird, Entscheidungen für echte Innovationen aber nicht zustande kommen. Diese Trupps überwinden Hindernisse und gehen Risiken ein, die in Gremien gar nicht diskutierbar sind. Auf sich selbst gestellt, haben sie den „Unternehmergeist“, der in gut kontrollierten Organisationen nicht mehr aufkommen kann. Die Ermutigung und Befähigung, selbstständig zu handeln und ohne zentrale Planvorgaben neue Wege zu beschreiten, ist in Altorganisationen der einzig mögliche Weg, das Potential dezentraler Innovationskräfte jenseits von Trends und Moden zu entfalten.
Innovationsmanagement – Tüftelei und systematische Entwicklung
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Literatur
Kerka, F.: Strukturierung von Innovationsaufgaben – Ein Beitrag zur Beschreibung und Erklärung betrieblicher Veränderungsprozesse, Bochum 2002. Kriegesmann, B.; Kerka, F.: Kompetenzentwicklung – Neue Aufgaben für die Gestaltung und Umsetzung von Innovationsprozessen, in: Bellmann, L.; Minssen, H.; Wagner, P. (Hrsg.): Personalwirtschaft und Organisationskonzepte moderner Betriebe, S. 133-162, Nürnberg 2001. Lynn, G. S.; Morone, J. G.; Paulson, A. S.: Wie echte Produktinnovationen entstehen, in: Harvard Business Manager, Heft 2/1997, S. 9-19. Mintzberg, H.; Westley, F.: Entscheiden läuft oft anders als Sie denken, in: Harvard Business Manager, Heft 6/2001, S. 9-14. Prahalad, C. K.; Hamel, G.: The Core Competence of the Corporation, in: Harvard Business Review, 3/1990, S. 79-90. Staudt, E.: Die Führungsrolle der Personalplanung im technischen Wandel, in: Zeitschrift Führung und Organisation, Heft 7/1984, S. 395-399. Staudt, E.: Innovation und Unternehmensführung – Zur Situation des Innovationsmanagements: Innovationen werden verwaltet, in: Zeitschrift Führung und Organisation, Heft 2/1985, S. 75-79. Staudt, E.; Kerka, F.; Krause, M.: Innovationsmanagement, in: Franz, O. (Hrsg.): RKWHandbuch Führungstechnik und Organisation, II/1996, Kennzahl 2603, S. 1-29. Staudt, E.; Kriegesmann, B.: Erfolgs- und Misserfolgsfaktoren von Produktinnovationen, in: Corsten, H. (Hrsg.): Handbuch Produktionsmanagement: Strategie – Führung – Technologie – Schnittstellen, S. 131-150, Wiesbaden 1994. Staudt, E.; Kriegesmann, B.: Innovationsmanagement – neue Wege bei der Umsetzung, in: Knauth, P.; Wollert, A. (Hrsg.): Human Resource Management, 35. Ergänzungslieferung, Neuwied 2002, Gruppe 8, Beitrag 8.30, S. 1-24.
Beschaffung – Von der Warenorder zum Supply Chain Management
329
Beschaffung – Von der Warenorder zum Supply Chain Management Bernd Eichler
Zusammenfassung
Traditionell besitzt die Beschaffung im Mittelstand eine eher geringe Bedeutung. Während die zentralen Beschaffungsgüter oft sogar vom Inhaber persönlich „nebenbei“ eingekauft werden, beschränkt sich die Einkaufsabteilung oft auf einen „Einzelkämpfer“. Aufgrund ihres relativ geringen Nachfragevolumens werden KMU von den Lieferanten oft nicht als gleichwertige Geschäftspartner angesehen und sind zu einem passiven Beschaffungsmanagement verdammt, das neben Lieferantenauswahl und Nachfrageausübung kaum aktive Gestaltungsmöglichkeiten bietet. Die internationale Beschaffung bietet insoweit Chancen, wenn dabei die „Total Cost of Ownership“ beachtet werden. Auch die elektronische Beschaffung („E-Procurement“) kann dem Mittelstand Vorteile bringen, die aus der Informationsgewinnung („Markttransparenz“) und der Prozessoptimierung („Effizienz“) resultieren. Der Beschaffungsmanagementprozess lässt sich in die Phasen Bedarfsmanagement, Lieferantenmanagement, Verhandlungsmanagement, Liefer- und Versorgungsmanagement und Abrechnungsmanagement gliedern. Für den Mittelstand hat das Lieferantenmanagement, speziell die Lieferantenauswahl, Priorität vor den anderen Gestaltungsfeldern. In vielen Beschaffungsbereichen empfehlen sich Sortimente bündelnde Zwischenhändler, besonders wenn sie für ihre Kunden lagern und flexibel ausliefern und ihnen optimale IuK-gestützte Abwicklungssysteme bieten. Im Zeitalter des „Supply Chain Management“ (SCM) muss auch der Mittelständler seine Rolle in Beschaffungsketten und Wertschöpfungsnetzwerken finden. Dabei kann er den „Kleinen Partner“ in Kundennetzwerken oder das „Zahnrad“ im mittelständischen Netzwerk spielen. In beiden Fällen sind aber die Absicherung der Logistikkompetenz und Offenheit gegenüber den Entwicklungen der IuK-Technologie (z. Zt. E-Business) unabdingbar!
330
1.
Bernd Eichler
Mittelstand und Beschaffungsorganisation
Es ist davon auszugehen, dass im Mittelstand, der sich traditionell und unternehmenspolitisch schon immer stark auf die Kunden konzentriert hat, die Bedeutung der Beschaffung mit zeitlichem Verzug gegenüber der wissenschaftlichen Anerkennung (vgl. Hahn/Kaufmann 2003, S. 256 ff.) und dem hierarchischen Aufstieg in Großunternehmen entwickelt hat. Vielfach ist zu beobachten, dass die hochwertige – heute oft als „strategisch“ bezeichnete – Beschaffung in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) vom Inhaber selbst durchgeführt und verantwortet wird. Dies gilt speziell für industrielle Mittelständler, die einen oder wenige verwandte Grundstoffe verarbeiten und von zwei, drei Lieferanten beziehen, aber auch für Händler, die die Produkte weniger Hersteller vermarkten. In diesen Fällen wird es sich der Inhaber kaum nehmen lassen, diesen Kostenblock von oft mehr als 50 % der Gesamtkosten oder gar des Umsatzes persönlich zu beeinflussen und zu verhandeln. Er kann sich dabei von professionellen Einkäufern unterstützen lassen, wenn sie in seinem Unternehmen überhaupt existieren, ansonsten sind externe Helfer oder Intermediäre einzuschalten, die aber wieder der Inhaber selbst aussuchen dürfte. Das eher operative Beschaffungsgeschäft jenseits der strategischen A-Materialien oder zentralen Warensortimente, also vor allem die Beschaffung von C- bzw. MRO-Material und Nebensortimenten wird in sehr kleinen Unternehmen von Mitarbeitern, die eigentlich andere Funktionen innehaben und schwerpunktmäßig andere Aufgaben erledigen, quasi nebenbei besorgt. Sekretariate, Verkaufs-Innendienste, Entwickler, Techniker oder Qualitätsfachleute sind hier beispielhaft zu nennen. Dann sind aber neben der einschlägigen Qualifikation oft auch die Professionalität und Motivation zu vermissen. Bei etwas größeren Mittelständlern wird der Einkauf oft durch den einsamen „Einzelkämpfer“ repräsentiert, dessen Ansehen im eigenen Unternehmen und bei den Lieferanten stark von seiner individuellen Persönlichkeit geprägt wird. So hängt die Qualität des Beschaffungsmanagements letztlich von dessen Qualifikation, Motivation und vor allem der tagtäglichen Belastung ab. Manchmal ist dieser Einkäufer nicht einmal für die wichtigsten AMaterialien zuständig, sondern wird durch unzählige dispositive Kleinaufgaben ausgelastet, so dass kaum Zeit für ein „richtiges“ Beschaffungsmanagement bleibt. Über eine arbeitsteilig aufgestellte Einkaufsabteilung mit systematischem Beschaffungsmanagement (wie in Großunternehmen) verfügen dagegen nur sehr große oder besonders inputorientierte Mittelständler. Im Folgenden soll aber der „Einzelkämpfer“ als typisch unterstellt werden. Um diese größenabhängige Differenzierung noch durch eine dynamische Perspektive zu ergänzen, soll die Entwicklung der Beschaffung im Lebenszyklus von KMU analog zu den Phasen der Abbildung 9 des Beitrages von Wittberg in diesem Band betrachtet werden:
Beschaffung – Von der Warenorder zum Supply Chain Management
331
Pioniere als Gründer erfolgreicher mittelständischer Unternehmen müssen Beschaffungskompetenzen besitzen, die die Produktqualität absichern und das kundennahe Kerngeschäft unterstützen. Der Gründer beherrscht oft intuitiv das Beschaffungsmarketing, er kennt seine Beschaffungsquellen und verlässt sich hinsichtlich der Lieferlogistik auf seine Lieferanten. In der Wachstumsphase ist eine Beschaffungsorganisation aufzubauen, indem Mitarbeiter mit Beschaffungsaufgaben betraut werden. Im Mittelpunkt der überwiegend operativen Arbeit stehen Abstimmung und Koordination mit den anderen Funktionen und Abteilungen. Meist müssen in dieser Phase aber außerdem der Aufbau und die Integration leistungsfähiger Informations- und Kommunikations-(IuK)-Systeme bewältigt werden. In der Reifephase setzt eine Professionalisierung der Beschaffung ein, die gleichermaßen auf die Beschaffungsmärkte wie auf die Entwicklung einer leistungsfähigen Beschaffungslogistik zielt. Personalentwicklung bzw. die Akquisition ausgebildeter Experten werden hier zum Thema. Nur eine qualifiziert aufgestellte Beschaffung ist dann auch in der Wendephase in der Lage, sowohl effektive Konzepte zur Senkung der Materialkosten umzusetzen als auch die Kosten der Beschaffungsprozesse in Grenzen zu halten. Weniger effiziente Beschaffungsorganisationen können bei verkrusteten Strukturen und rückgängigem Markt relativ zu hohe Kosten verursachen und das Ergebnis mindern. Spätestens dann stellt sich die Frage nach dem Outsourcing der mittelständischen Beschaffungsprozesse.
2.
Mittelstandsspezifische Beschaffungsprobleme
Um die im Mittelstand auftretenden Beschaffungsprobleme differenziert angehen zu können, sollen hier zunächst die drei Ebenen des Beschaffungsmanagements (vgl. Eichler 2003, S. 7 ff.) unterschieden werden (vgl. Abbildung 1). Anschließend werden noch kurz die Probleme der Globalisierung beleuchtet.
332
Bernd Eichler
Abbildung 1:
2.1
Ebenen des Beschaffungsmanagements
Beschaffungsmarketing
Aufgabe des Beschaffungsmarketings ist die Beeinflussung bzw. Gestaltung der Beschaffungsmärkte und Lieferbeziehungen. Zwar stellt der Mittelstand in toto eine wichtige Kundengruppe für die meisten Anbieter dar, der einzelne Mittelständler wird aber nicht immer als ernst zu nehmender Partner wahrgenommen. Vor allem wenn der Mittelständler sogar mit seinem A-Material mangels Potenzial für Materialkonsolidierung und Mengendegression von großen Lieferanten nur als C-Kunde eingestuft wird, ist seine Verhandlungsposition als ausgesprochen schwach anzusehen. Natürlich gibt es auch Lieferbeziehungen zwischen Mittelständlern, was dann zu „mittelständischen Lieferketten“ führt, die aber meist irgendwann auf große Rohstoffanbieter stoßen. Ebenfalls aufgrund seines aus Sicht vieler Anbieter bescheidenen Nachfragevolumens steht in vielen Fällen für den Mittelständler der Direktbezug vom Hersteller – als dem eigentlichen Lieferanten – nicht als Beschaffungsmöglichkeit zur Verfügung. Mindestmengen oder diskriminierende Konditionen führen dazu, dass Mittelständler in vielen Bereichen auf Zwischenhändler („Intermediäre“) angewiesen sind. Inwieweit deren Entgelte und Konditionen günstig sind, hängt zunächst von deren Einkaufspreisen und der Handelsspanne ab, die wiederum durch die beim Händler entstehenden Prozesskosten geprägt ist.
Beschaffung – Von der Warenorder zum Supply Chain Management
333
Da für sie Verhandlungen selten Erfolg versprechen, können einzelne Mittelständler am Beschaffungsmarkt kaum optimale Beschaffungskonditionen erzielen, was zu vergleichsweise hohen Materialkosten führt – einem der höchsten Aufwandsblöcke in den meisten Unternehmen. Diesem Wettbewerbsproblem kann nur durch die richtige Lieferantenauswahl und ggf. Kooperationen entgegengewirkt werden.
2.2
Beschaffungsabwicklung
Die Beschaffungsabwicklung unterstützt Beschaffungsmarketing und Beschaffungslogistik mit ihren Informations-, Kommunikations-, Dispositions- und Steuerungsprozessen. Die im Mittelstand eher zurückhaltende Automatisierung und geringe Durchdringung mit IuKTechnologie (siehe Hudetz et al. 2005, S. 5 ff.) führt zu relativ aufwändigen Beschaffungsprozessen, die oft durch Medienbrüche, viel Papier und wenig effiziente und noch weniger effektive Abläufe gekennzeichnet sind (vgl. z. B. BMWA 2005, S. 2 f.). Die meist fallweise auftragsbezogene Disposition erhöht die Prozesshäufigkeit, was gerade bei mengendegressiven Prozesskosten diese Problematik verschärft und die Beschaffungskosten erhöht. Da Mittelständler ihren Lieferanten gegenüber nur selten Abwicklungsvorschriften durchsetzen können, droht ihnen darüber hinaus eine teure Prozess- bzw. Systemvielfalt, wenn sie sich nur nach den Vorgaben ihrer Lieferanten richten bzw. verschiedene Lieferantensysteme integriert werden müssen. Daher ist es gerade für Mittelständler wichtig, sich an verbreitete und eingeführte Standards (vgl. z. B. BMWA 2003) anzulehnen und zu versuchen, bevorzugt mit Lieferanten zusammenzuarbeiten, die ihren Standard bedienen können. Auch vor dem Hintergrund der typischerweise bei KMU stark beschränkten Beschaffungskapazitäten („Einzelkämpfer“) ist sehr darauf zu achten, dass der Abwicklungsaufwand in Grenzen bleibt. Die Reduzierung der Lieferantenzahl und Verlagerung von Abwicklungsaufgaben zum Lieferanten (IuK-Service) wirken hier positiv. Insgesamt dürften die Beschaffungskosten zwar absolut niedrig, im Verhältnis zu Bedarfsmengen und Materialkosten aber häufig zu hoch sein!
2.3
Beschaffungslogistik
Die Beschaffungslogistik hat mit der Raumüberwindung und Zeitüberbrückung die beiden strategischen Probleme der Logistik zu lösen, und zwar hinsichtlich der Güterflüsse, die das Unternehmen mit Beschaffungsobjekten versorgen. Auch dabei wirkt das vergleichsweise niedrige Nachfrage- und dann auch Transportvolumen kostenerhöhend. Es verhindert außer-
334
Bernd Eichler
dem eine aktive gestaltende Beschaffungslogistik (vgl. Eichler 2005), die meist nicht durchsetzbar ist: Mittelständler „werden beliefert“, müssen die von Lieferanten „übergewälzten“ Logistikkosten tragen und sich auch dispositiv nach dem Lieferanten bzw. seinem Logistikdienstleister richten. Insoweit rücken die Lieferkonditionen („frei Werk“?) und die Lieferfrequenzen, die ja den Aufwand beim Wareneingang und die Lagerkosten (wenn Lieferung > Bedarf) bestimmen, in den Fokus des Interesses. Um Lagerhaltung zu vermeiden, neigen KMU dann zur auftragsbezogenen Beschaffung, was tendenziell die Lieferzeiten erhöht und Flexibilität raubt. Hier bieten Logistikdienstleister und Zwischenhändler, soweit sie für ihre Kunden lagern, bedarfsgerecht Sortimente bündeln und kurzfristig liefern, spürbare Kostenvorteile. Allerdings können Mittelständler, wenn sie über einen kleinen Fuhrpark, z. B. einen Lieferwagen, verfügen, bei näher gelegenen Lieferanten den Bedarf auch abholen. Dabei sind aber die Wartezeiten und die Fahrzeugauslastungen (Leerfahrten, Teilladungsanteile) sehr kritisch zu beleuchten, da eine effiziente Auslastung und Tourenplanung nur dann wahrscheinlich, wenn regelmäßige und stabile Lieferrelationen zu bedienen sind oder Synergieeffekte mit der Distribution zu Kunden existieren. Hierbei handelt es sich aber um die einzige Möglichkeit einer aktiven Beschaffungslogistik
2.4
Globalisierung und globale Beschaffung
Obwohl viele Mittelständler weltweit Kunden bedienen, bestellen sie ihren Bedarf oft nur bei Lieferanten aus der Nähe (vgl. z. B. IMI 2004), betreiben also „Local Sourcing“. Gerade die Entwicklung der modernen Kommunikationsmedien, aber auch die zunehmende Öffnung der Märkte und Entwicklung des freien Welthandels fördern auch für Mittelständler die Möglichkeiten eines „Global Sourcing“, also der Auswahl des „weltweit besten Lieferanten“ (vgl. Eichler 2003, S. 60 u. 68). Hinsichtlich der im Inland steigenden Beschaffungsentgelte und bzgl. der technologischen Entwicklung und Innovation wird eine globale Markttransparenz inzwischen sogar zur Notwendigkeit. Denn der Optimierungsdruck durch die globalisierungsbedingte Wettbewerbsverschärfung auf den Absatzmärkten wirkt auch auf die Beschaffung als strategische Herausforderung. Die Nachteile der globalen Beschaffung liegen dagegen in der operativen Umsetzung, speziell in steigenden Beschaffungskosten durch weitere und internationale Lieferrelationen, die gegen die meist günstigeren Preise abzuwägen sind. Neben der Berücksichtigung dieser Logistikkosten sind aber auch die höheren allgemeinen Risiken und vor allem der Mehraufwand in der Beschaffungsorganisation, in die hier relevanten „Total Cost of Ownership“ einzurechnen. Gerade für den „Einzelkämpfer“ ist die globale Beschaffung aber eine kaum zu bewältigende Herausforderung, wenn verschiedene Kulturen, Sprachen und Rechtsrahmen zu
Beschaffung – Von der Warenorder zum Supply Chain Management
335
beachten sind. Daher sollten sich Mittelständler beim Global Sourcing durch Importeure, Kooperationen oder so genannten IPOs (Int. Purchasing Offices) helfen lassen oder sich auf einzelne Länder bzw. Regionen konzentrieren, insbesondere wenn Synergien mit dem Absatz in diesen Märkten erkennbar sind.
3.
E-Business und E-Procurement
Die neueren Entwicklungen der Informations- und Kommunikationstechnologie haben neben den bekannten Möglichkeiten für eine elektronische Kundenbeziehung („E-Commerce“, „B2C“, „CRM“) auch neue elektronische Formen der zwischenbetrieblichen Kommunikation und Zusammenarbeit geschaffen („B2B“ = business to business). Teil dieser E-BusinessSysteme ist auch die elektronische Beschaffung („E-Procurement“), die neben Kommunikations- und Kooperationsformen auch die internen Beschaffungsabläufe stark verändert. Nach neueren Untersuchungen (Hudetz et al., IBM, Techconsult) nutzen zwar 99 % der Mittelständler das Internet, ein Einsatz der elektronischen Beschaffung wird aber nur von 40 % angegeben. Insoweit besteht hier sicherlich noch Handlungs- und Aufklärungsbedarf. Als Haupttendenzen des E-Procurements sind anzuführen: Steigerung der (globalen) Markttransparenz durch schnelle Verfügbarkeit aktueller Informationen über Produkte und Technologie, Lieferanten und Rahmenbedingungen; Dezentralisierung der operativen Beschaffungsabläufe durch so genannte „Desk-TopPurchasing“-Systeme („DTP“), die aber im Gegenzug eine Zentralisierung der Strategien und Systeme, Bedarfsdefinitionen und Rahmenvereinbarungen voraussetzen; Veränderung der Kommunikation mit Lieferanten durch neue Möglichkeiten der Informationsgewinnung und des Austauschs „elektronischer Erklärungen“, deren Dokumentationsprobleme aber ein Hauptproblem des E-Business darstellen; Outsourcing von Beschaffungsaufgaben, was zur Entlastung des Einkäufers und zur Reduzierung der Beschaffungskosten führen kann; Abbildung von vertikalen und horizontalen Kooperationen in virtuellen Netzwerken, um über konsolidierte Nachfragemengen Entgelt- und Konditionenverbesserungen zu erzielen. Zentrale Kriterien, an denen die Vorteile des E-Procurements – durchaus kritisch – zu messen sind, sind Informationsgewinnung und Prozessoptimierung. Die Informationsgewinnung bestimmt über Transparenz und Marktübersicht die Effektivität des Einsatzes von E-Procurement und basiert vor allem auf:
336
Bernd Eichler
Beschaffungsmarktforschung, incl. Produktforschung, Lieferantensuche über Suchmaschinen, Kataloge und Marktplätze, Lieferantenansprache auf Beschaffungs-Homepages und Marktplätzen, Beschaffungsinformationssysteme als für alle aktueller Wissensspeicher. Die Prozessoptimierung sichert die Effizienz des E-Procurements und vereinfacht vor allem die folgenden Teilprozesse: Ausschreibungen, Auktionen und Vergabeverhandlungen, Bedarfsermittlung, Beschaffungsanforderung und Bestellung, Transportaufträge und Lieferüberwachung, Rechnungs- und Zahlungsabwicklung. Grundsätzlich ergeben sich für die Umsetzung des E-Procurements zwei Möglichkeiten: Zum einen können Systeme implementiert werden, die Beschaffungsaufgaben automatisieren, übernehmen oder unterstützen. Die damit verbundenen Investitionen in Soft- und Hardware binden Kapital und bergen Risiken. Sie sind aber nicht zwingend erforderlich, die Anwendungen lassen sich auch mieten und von Dritten betreiben (ASP – Application Service Provider), was eher nutzungsabhängige Kosten verursacht und technologische Änderungen vereinfacht. Zum anderen lassen sich Dienstleister finden, die Beschaffungsaufgaben für andere Unternehmen übernehmen, indem sie einen elektronischen Marktplatz betreiben, auf dem Lieferanten und Abnehmer zusammengebracht werden. Unabhängig davon, wer diesen Marktplatz betreibt (Sell-side, Buy-side, Händler), und wie er im Einzelnen funktioniert, handelt es sich dabei um einen Intermediär, der in der Beschaffungskette eine (Handels-)Stufe darstellt und für sein eigenes Überleben Erlöse in diesem Geschäft erzielen muss. Dabei ist – wie beim traditionellen Großhandel – zu fragen, welche Vorteile der E-Marktplatz bietet, die der von ihm abzuschöpfenden Marge, Provision oder Gebühr gegenüberzustellen sind. Insofern stellt sich also auch bei elektronischer Beschaffung die Frage, ob man indirekt über Intermediäre beschaffen soll oder sich direkt an die Hersteller der Bedarfsobjekte wendet. Obwohl bei den Herstellern im Zuge der Elektronisierung des Geschäftsverkehrs eine Öffnung gegenüber neuen – auch kleineren – Kunden zu beobachten ist, kann auch im EBusiness für den einzelnen Mittelständler oft nur der Weg über bündelnde Intermediäre oder Netzwerkkooperationen führen.
Beschaffung – Von der Warenorder zum Supply Chain Management
4.
337
Beschaffungsmanagementprozess
Um die Ansätze eines Beschaffungsmanagements für Mittelständler zu skizzieren, soll den Phasen des Beschaffungsmanagementprozesses gefolgt werden (vgl. dazu und zu weiteren Details: Eichler 2003, S. 115 ff.).
Bedarfsmanagement
Abrechnungsmanagement
Lieferantenmanagement
Liefer-und Versorgungsmanagement Verhandlungsmanagement
Quelle: Eichler 2003, S. 37 Abbildung 2:
4.1
Beschaffungsmanagementprozess
Bedarfsmanagement
Im Bedarfsmanagement wird der Objektbereich der Beschaffung – nach Art und Menge – abgegrenzt. So stehen hier die Bedarfsdefinition (Art) und die Bedarfsermittlung (Menge) im Mittelpunkt der Betrachtung, wobei im E-Procurement eine Tendenz zur Zentralisierung der Bedarfsdefinition und zur Dezentralisierung der Bedarfsermittlung zu beobachten sind. Da der Einfluss auf die Produktgestaltung der Lieferanten meist beschränkt ist, stehen für KMU die Suche nach Standard- und Lieferantenprodukten und die Auswahl der richtigen Lieferanten im Vordergrund. Die bedarfsbestimmenden Techniker und Sortimentsgestalter
338
Bernd Eichler
sollten die Produktrecherche als Teil der Beschaffungsmarktforschung ernst nehmen und dabei – möglichst bereits in elektronischen Katalogen zusammengestellte – geeignete Sortimente bevorzugen. Auch spezielle Anforderungen an die Produktqualität sind nur bedingt gegenüber größeren Lieferanten durchzusetzen. Mittelständler sollten bei aller Flexibilität eine strategische Bedarfsermittlung versuchen, wobei die A-Güter für Weiterverarbeitung und Handel streng von den C- bzw. MROSortimenten zu unterscheiden sind. Bei der meist auftragsbezogen am Absatz ausgerichteten A-Bedarfsermittlung kann eine konditionenverbessernde Mengenkonsolidierung – vor allem bei mehreren Standorten oder über Kooperationen – versucht werden. Ansonsten sollte – wie im B- und C-Bereich – eine geschickte volumenerhöhende Sortimentsbildung dazu beitragen, bei den Lieferanten „wichtiger“ zu werden. Zugleich lassen sich dabei über eine Zusammenfassung in elektronischen Katalogen (als Lieferantenservice) im operativen Geschäft Suchund Bestellkosten (s. u.) sparen.
4.2
Lieferantenmanagement
Das Lieferantenmanagement widmet sich der Lieferbeziehung und dem Umgang mit dem Geschäftspartner „Lieferant“: Im Einzelnen sind dabei Suche (auch im Internet und auf elektronischen Marktplätzen), Bewertung, Auswahl und Betreuung von Lieferanten zu betrachten. Im Beschaffungsmanagement der Mittelständler hat das Lieferantenmanagement absolut im Mittelpunkt zu stehen: Sie können und müssen in der cleveren Suche und Auswahl der richtigen Lieferanten strategische Vorteile gewinnen. Sie verbinden die richtigen Quellen mit ihren Kunden, um ihre Wettbewerbsposition zu sichern. Eine systematische Lieferantenbewertung ist als Controllinginstrument und zur Unterstützung flexibler Auswahlentscheidungen wichtiger als die Lieferantenbetreuung, die sich oft auf die Kommunikation mit (mächtigeren) Lieferanten reduziert. Für standardisierte A-Güter, bei geringer Nachfragemacht und im gesamten B- und C-TeileBereich sowie bei Nebensortimenten sollte stets eine Beschaffung über leistungsfähige Intermediäre angestrebt werden. Diese bieten meist wesentlich breitere Sortimente von sehr vielen Herstellern und entlasten insoweit auch die beschränkten Einkaufskapazitäten, wenn der Kontakt nur noch mit wenigen Anbietern gepflegt werden muss. Sie sollten aber in der Lage sein, möglichst viele der folgenden Aufgaben für die Mittelständler kostengünstig zu übernehmen: Konsolidieren und Aufteilen von Mengen; Bündelung passender Sortimente; Lagerhaltung und schnelle wie flexible Auslieferung („Logistik“); Beratung, Dokumentation und Qualitätsprüfungen;
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Effiziente Abwicklung und problemlose Anbindung an die IuK-Systeme. Insofern stellen bei der Lieferantenauswahl weniger die Einkaufspreise das relevante Auswahlkriterium dar: Wenn Lieferanten durch kompetenten E-Business-Einsatz und flexible Distribution dem Mittelständler nachweisbare Kostenvorteile in Abwicklung und Logistik bieten, sind diese bei den entscheidungsrelevanten „Total Cost of Ownership“ ebenso zu berücksichtigen wie zusätzliche Logistikkosten bei internationaler Beschaffung.
4.3
Verhandlungsmanagement
Im Verhandlungsmanagement werden die eher formalen Aspekte der Lieferverhältnisse, die Bestellprozesse und Verhandlungsmöglichkeiten betrachtet. Die Abwägung der Verhandlungskosten gegen die mögliche Reduzierung der Entgelte führt zur Frage nach der Vorteilhaftigkeit von Verhandlungen, die im Mittelstand oft verneint werden muss, da die Entgeltund Konditionenvereinbarungen tendenziell vom Lieferanten diktiert werden. Über Kooperationen lassen sich durch unternehmensübergreifende Mengenkonsolidierungen die Verhandlungsposition und damit Entgelte und Konditionen meist spürbar verbessern. Dieser empfehlenswerte Ansatz wurde mit Einkaufsgenossenschaften schon im vorletzten Jahrhundert genutzt und hat in letzter Zeit durch virtuelle Provider und Marktplätze eine Renaissance erfahren. Diese Kooperationen neigen allerdings langfristig zur Institutionalisierung, wodurch sie sich kaum von klassischen Intermediären, wie z. B. Großhändlern, unterscheiden, die ihre Marge abschöpfen, ihre Kosten weitergeben und damit die Entgeltreduzierungen erfahrungsgemäß wieder ausgleichen. Obwohl die Lieferantenauswahl also für KMU wesentlich wichtiger ist als Verhandlungen, müssen die Möglichkeiten der Entgeltpolitik (z. B. Skonto, Bonus, Entgelt für Nebenleistungen, seltener Rabatte) genutzt werden und die Konditionen kritisch beobachtet werden. Dabei sind im Sinne der „Total Cost of Ownership“ stets Kosten und Leistungen zu beachten. Entgelte und direkte Kosten bei verminderter Leistung zu senken, ist keine Kunst und rächt sich dann später meist beim – leider oft unterschätzten – internen Aufwand. Die interne Bestellabwicklung vom Bedarfsträger bis zum Lieferantenkontakt lässt sich durch Desk Top Purchasing und Katalogsysteme ausgesprochen effizient gestalten. Auch die externen Bestellprozesse werden durch E-Procurement mit Hilfe von Katalog- und Marktplatzsystemen zunehmend automatisiert, was den Austausch „elektronischer Erklärungen“ bedeutet. Dabei können Probleme auftreten, die durchaus mit den bei globaler Beschaffung typischen Rechts- und Sprachproblemen vergleichbar sind.
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4.4
Bernd Eichler
Liefer- und Versorgungsmanagement
Das Liefer- und Versorgungsmanagement optimiert vor allem die Beschaffungslogistik, wobei die Gestaltung und Steuerung der Lieferrelationen sowie die Wahl der Lieferkonditionen und Transportmittel als Kostenfaktoren Schwerpunkte bilden. Nur im Kernbereich der zu verarbeitenden A-Rohstoffe oder wichtigsten Handelssortimente kann versucht werden, mit den Lieferanten effizienzsteigernde Anlieferkonzepte (wie „Just-in-Time“) zu vereinbaren, so dass auftragsbezogene Liefermengen, geringe Lagerhaltung und kurze Lieferzeiten vereinbar werden. Ansonsten dürfte ein Outsourcing der Beschaffungslogistik an kompetente Logistikdienstleister und Intermediäre spürbare Kostenvorteile bieten, wenn sie für ihre Kunden lagern, kommissionieren und bedarfsgerecht liefern. Das lassen sie sich natürlich auch bezahlen, was gegen die eigenen Logistikkosten – die nicht unterschätzt werden dürfen – abzuwägen ist! Da sich nur virtuelle Produkte online liefern lassen; bleiben die Lieferungen sogar bei E-Procurement weitgehend unverändert. Daher ist bei elektronischer Beschaffung stets zu fragen, wie die Lieferleistung erbracht wird; denn wenn nur virtuell gebündelt wird, ergeben sich in der Beschaffungslogistik keinerlei Vorteile. Nur die Lieferabwicklung lässt sich durch elektronische Transportmittelaufträge, Erledigung von „Formalitäten“ (Frachtpapiere, Zollabwicklung etc.) und Überwachung („tracking&tracing“) stark vereinfachen und verkürzen. Dies gilt besonders auch für die „transkontinentalen“ Lieferrelationen, bei denen die zusätzlichen Kosten aber richtig eingeschätzt werden müssen, weswegen nach Ansicht von Experten die unmittelbaren Entgelte mindestens 20 bis 50 % unter den Inlandspreisen liegen sollten.
4.5
Abrechnungsmanagement
Das Abrechnungsmanagement schließt den Beschaffungsprozess ab und umfasst neben den Rechnungs- und Zahlungsabläufen auch alle Beziehungen nach der Lieferung, wie z. B. die Reklamationen. Die Effizienz der Rechnungs- und Zahlungsabwicklung lässt sich durch die Vereinbarung monatlicher Sammelrechnungen und die Integration der Abrechnung in die Bestellsysteme steigern. E-Procurement fördert die Automatisierung der Rechnungsprüfung, des Zahlungsverkehrs und der Reklamationsbearbeitung. Eine besondere Aufmerksamkeit sollten Mittelständler den Zahlungskonditionen der Lieferanten widmen. Großzügige Zahlungsziele erfüllen eine wertvolle Finanzierungsfunktion, so dass Lieferantenkredite als willkommene Alternative zu Bankdarlehen zu sehen sind, die im Hinblick auf „Basel II“ und schlechte Eigenkapitalquoten immer schwieriger zu erlangen sind.
Beschaffung – Von der Warenorder zum Supply Chain Management
5.
341
Supply Chain Management und Netzwerke
Supply Chain Management (SCM) bedeutet eine strategische Optimierung der inner- und zwischenbetrieblichen Lieferketten über mehr als zwei Wertschöpfungsstufen (Arnold 2000, S. 42) unter Betrachtung aller drei Prozessebenen. SCM hat durch die jüngsten Fortschritte der IuK-Technologie an Bedeutung gewonnen und wird inzwischen nicht nur auf lineare Beschaffungsketten, sondern auch auf komplexe Zuliefernetzwerke übertragen. Insoweit basiert SCM auf den Bausteinen (s. Zäpfel 2001, S. 9 ff.): integrale Logistikkonzeption, Daten- und Planintegration mit Hilfe der IuK-Systeme sowie Partnerintegration (Partnerschaft?). Daraus ergeben sich auch für den Mittelständler, der in Deutschland typischerweise in der Lieferkette zwischen großen internationalen Rohstoffkonzernen auf der Anbieterseite und auf der Abnehmerseite seinen mächtigen Kunden wie z. B. den Einzelhandelsgruppen oder Markt bestimmenden Weiterverarbeitern („OEM“) steht, große strategische Herausforderungen: Wenn seine Kunden ihn in ihre SCM-Strukturen einbinden, gilt es, eigene Logistikkompetenz, Lernbereitschaft und Vertrauen zu zeigen: Ein Produktionsbetrieb muss flexibel fertigen und die Anforderungen seiner Kunden auch in die ihn versorgende Beschaffungskette tragen, indem er z. B. die richtige Mischung aus auftragsbezogener und prognosegetriebener Disposition findet. Der mittelständische Händler muss seine Kunden mit den richtigen Lieferanten verbinden und die passenden Sortimente schnell und flexibel liefern können. Das setzt natürlich auch Offenheit und Investitionsbereitschaft hinsichtlich der notwendigen IuK-Systeme und insbesondere der Integration in die von Kunden und Lieferanten betriebenen E-Business-Netzwerke voraus. Hier scheint sich der Mittelstand zu spalten, in eine (knappe) Hälfte (siehe IBM, S. 10; TechConsult, S. 28, auch Hudetz et al., S. 22), die diese Herausforderung bereits aktiv angenommen hat, und eine noch zurückhaltende Mehrheit, die hier noch Nachholbedarf hat, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Denn da der einzelne Mittelständler aufgrund seiner mehrfach erwähnten fehlenden Nachfragemacht von den „Großen“ im Markt selten als ernst zu nehmender Partner wahrgenommen wird, bleiben eigentlich nur zwei Wege: Er kann in seinen strategischen (technologischen oder marktspezifischen) Nischen Kompetenz zeigen und zugleich durch exzellente Integration (Logistik und IuK) in die strategischen Zuliefernetzwerke seiner Kunden versuchen, einen unbestrittenen Platz einzunehmen, eine „unersetzbare“ Rolle zu spielen und so zumindest als „kleiner Partner“ akzeptiert zu werden.
342
Bernd Eichler
Oder er kann sich mit anderen Mittelstandsbetrieben zu regional-kulturellen, professionalisierten oder virtuellen Wertschöpfungsnetzwerken (vgl. Bach et al. 2003, S. 5 ff.) verzahnen, um über vertikale Beziehungen Effizienz und über horizontale Kooperationen Marktmacht zu gewinnen, und dann als mittelständisches Netzwerk in toto zum wichtigen und vollwertigen Partner im Beschaffungsmarkt zu werden. Die effektive Integration der IuK-Prozesse wird dabei zentral, da diese nicht nur nach draußen funktionieren müssen, sondern auch das Netzwerk selbst tragen. Will der Mittelstand also nicht zwischen den Mühlsteinen der Anbieter- und Kundenseite gedreht und zermahlen werden, muss er mit Kompetenz und Flexibilität seine verbindende Rolle neu definieren und in Netzwerken „Größe gewinnen“!
Beschaffung – Von der Warenorder zum Supply Chain Management
343
Literatur
Arnold, U.: Beschaffung am Scheidewege: Orientierungen auf dem Weg zum modernen Supply Chain Management, in: Beschaffung aktuell (ba), 8/2000, S. 42-44. Bach, N.; Buchholz, W.; Eichler, B.: Geschäftsmodelle für Wertschöpfungsnetzwerke. Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen, in: Bach/Buchholz/Eichler: Geschäftsmodelle für Wertschöpfungsnetzwerke, S. 1-20, Wiesbaden 2003. BMWA (Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit; Hrsg.): E-Standards, e-f@cts – Informationen zum E-Business, Ausgabe 15/2003. BMWA (Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit; Hrsg.): Elektronischer Einkauf, e-f@cts – Informationen zum E-Business, aktualisierte Ausgabe 4/2005. Eichler, B.: Beschaffungsmarketing und -logistik, Herne/Berlin 2003. Eichler, B.: Beschaffungslogistik, in: Häberle, S.G.(Hrsg.): Lexikon der BWL, München 2006 (im Druck). Hahn, D.; Kaufmann, L.: Im Einkauf liegt der Gewinn – Entwicklungslinien und Managementinnovationen, in: Matzler., K./H. Pechlaner/B. Renzl (Hrsg.): Werte schaffen – Perspektiven einer stakeholderorientierten Unternehmensführung, S. 253-282, Wiesbaden 2003. Hudetz, K.; Mörsheim, A.; van Baal, S. (DLR): Elektronischer Geschäftsverkehr in Mittelstand und Handwerk, Ergebnisse einer Befragung, o. O. (DLR) 2005. IBM Deutschland/Impulse (Hrsg.): Internet und E-Business im Mittelstand, Kassel 2004. IFM Bonn: Mittelstand – Definition und Schlüsselzahlen, auf: ifm-bonn.org/dienste/daten/ 17.6.2005). IMI: Verkaufspreise dürfen nicht das einzige Kriterium sein, auf: ECIN.de/strategie/ globalsourcing (22.7.2004). Kayser, G.: Was sind eigentlich kleine und mittlere Unternehmen? Diskussionsbeitrag, IFM Bonn 2003. Techconsult: Internet und E-Business-Einsatz im bundesdeutschen Mittelstand, o. O. 2004, download von ECC-Handel.de. Wittberg, V.: Unternehmensanalyse mit Führungsprozessen, Instrumentarium zur Früherkennung von Risiken, Wiesbaden 2000.
344
Bernd Eichler
Zäpfel, G.: Bausteine und Architekturen von Supply-Chain-Management-Systemen, in: PPSManagement, 6. Jg. 2001, S. 9-16.
Produktionsmanagement – Zwischen Handwerk und Hochtechnologie
345
Produktionsmanagement – Zwischen Handwerk und Hochtechnologie Stefan Schweiger
Zusammenfassung
Im Zuge der Globalisierung agieren auch kleine und mittlere Unternehmen zunehmend in einem internationalen, kompetetiven Marktumfeld. Dieses ist für viele Unternehmen gekennzeichnet durch Stagnation bzw. geringes Wachstum, Überkapazitäten und daraus resultierenden Preiswettbewerb sowie kundenseitige Anforderungen, die eine Individualisierung des Leistungsangebotes erforderlich machen. Für das strategische Produktionsmanagement bedeutet dies, dass sämtliche Optimierungshebel bezüglich Kosten, Qualität und Flexibilität angesetzt werden müssen. In der Leistungsstrategie müssen das Primärproduktspektrum sowie das Spektrum industrieller Dienstleistungen definiert werden. Traditionell stehen dabei in vielen Fällen die physischen Produkte des Unternehmens im Zentrum der Überlegungen. Zusätzliche Marktchancen werden bei diesem Ansatz durch immer neue Produkte erschlossen – mit der Folge überproportional wachsender Komplexitätskosten, die es zu reduzieren gilt. Qualitatives und quantitatives Wachstum werden in zunehmendem Maße durch produktbegleitende Dienstleistungen generiert, die ebenfalls in der Leistungsstrategie enthalten sind. Bei der Prozessstrategie geht es zum einen darum, die Make-or-Buy-Frage strategisch sinnvoll zu beantworten, und zum anderen darum, die im Unternehmen verbleibende Wertschöpfung in optimierten Prozessen zu organisieren. Outsourcing und Prozessoptimierung sind dementsprechend die beiden im vorliegenden Beitrag thematisierten Aspekte der Prozessstrategie.
346
Stefan Schweiger
1.
Wettbewerbsorientierte Produktionsstrategie
In der Vergangenheit hat sich die Aufmerksamkeit, die industriellen Produktionsprozessen gewidmet wurde, erheblich verändert. In den siebziger Jahren wurde der Produktion aus strategischer Sicht nur eine untergeordnete Rolle beigemessen. Das Optimierungsproblem wurde im Wesentlichen in operativen Fragestellungen wie der Reduktion von Ausschuss, der Verbesserung der Termineinhaltung und der Steigerung der Produktivität gesehen. Der Produktionsprozess galt primär als Kostenverursacher und musste reibungslos funktionieren. In den achtziger Jahren begannen insbesondere Großunternehmen mit der Verlagerung ihrer Wertschöpfung in Niedriglohnländer. Der besondere Fokus lag dabei auf der Produktion. Darüber hinaus hat sich das Bewusstsein dahingehend geändert, dass Wettbewerbsvorteile in innovativen Formen der Organisation des Produktionsbereiches gesehen wurden. Total Quality Management, Gruppenarbeit und Just-in-Time sind einige Beispiele, die diesen Bedeutungswandel dokumentieren.
Innovative Produktionsorganisation
Kostenminimierung Qualität Termineinhaltung Produktivität Kosten
1970
Abbildung 1:
1980
Mitarbeiterintegration Kontinuierliche Verbesserung Umfassende Qualitätskonzepte
1990
Prozessoptimierung
Internationalisierung
Ablaufoptimierung Durchlaufzeitminimierung Flexibilität
Optimierung Produktionsverbund Produktion als global verteilte Dienstleistung
2000
2010
Zeitliche Entwicklung produktionsstrategischer Zielsetzungen
Die neunziger Jahre sind durch eine mehr prozessbezogene Sichtweise gekennzeichnet. Mit einer konsequenten Prozessorientierung wurden die Abläufe in allen direkten und indirekten Bereichen konsequent am Kunden ausgerichtet, bisherige funktionale Strukturen wurden zumindest teilweise aufgegeben (vgl. Abbildung 1). Gegenwärtig sind Unternehmensstrategien in starkem Maße durch Internationalisierung gekennzeichnet – sowohl auf der Absatzals auch auf der Beschaffungs- und Produktionsseite. Dabei liegen die Gestaltungsfelder einer wettbewerbsorientierten Produktionsstrategie in den beiden Feldern Leistungsstrategie und Prozessstrategie.
Produktionsmanagement – Zwischen Handwerk und Hochtechnologie
2.
347
Leistungsstrategie
In der Leistungsstrategie müssen sowohl das Primärproduktspektrum als auch das Spektrum industrieller Dienstleistungen definiert werden. Damit steht die Leistungsstrategie im Mittelpunkt produktionsstrategischer Überlegungen.
2.1
Primärproduktspektrum
Das Produktionsprogramm ist grundsätzlich im Einklang mit der definierten Unternehmensstrategie festzulegen. Wird die Kostenführerschaft angestrebt, so wird das Produktionsprogramm tendenziell von geringer Breite sein. Die angebotenen Produkte weisen einen eher niedrigen Komplexitätsgrad auf und werden weitgehend standardisiert für einen wenig kundenindividuellen Markt erbracht. Die realisierbaren hohen Stückzahlen ermöglichen eine gute Kapazitätsnutzung und hohe Lernkurveneffekte. Es entstehen solide Basisprodukte, die für Standardanwendungen einsetzbar sind. Die Strategie der Differenzierung bedeutet für das Produktspektrum hingegen eine zunehmende varianteninduzierte Komplexität. Losgrößen sinken und Kosten, insbesondere auch Gemeinkosten, steigen. Diese strategische Option der Nutzenführerschaft setzt voraus, ein Preispremium am Markt erzielen zu können, welches die höheren Herstellkosten rechtfertigt. Gelingt dies nicht, so gerät das Unternehmen in eine Position der Mitte („stuck in the middle“): Individuelle Problemlösungen werden zu Preisen von Standardprodukten angeboten, das Unternehmen gerät zunächst in eine strategische Krise, aus der eine Ergebnis- und letztendlich eine Liquiditätskrise entstehen können. Damit wird die Bedeutung eines umfassenden Variantenmanagements deutlich, das die Aspekte Nutzen sowie Kosten von Varianten optimiert. Vielen Unternehmen gelingt es trotz zunehmender Umsätze nicht, die Ergebnissituation substanziell zu verbessern. Eine wesentliche Ursache hierfür liegt in einem nicht optimierten Variantenmanagement. Insbesondere in schwierigen Geschäftsjahren wird versucht, die Umsätze in einem zunehmend internationalen und kompetitiven Umfeld zumindest annähernd zu halten, indem praktisch alle Kundenwünsche bedient werden. So entsteht eine breite und tiefe Produktpalette mit unzähligen Varianten, aufgrund derer die Komplexität in allen wesentlichen Prozessen deutlich zunimmt. Die exakten Kosten der Variantenvielfalt sind aber nur in den wenigsten Unternehmen transparent. Die klassische Kostenrechnung führt tendenziell zu einer ungewollten Quersubventionierung von Exoten zu Lasten der Standardprodukte. Die Schere zwischen einer überproportional wachsenden Variantenvielfalt und ständig sinkenden Stückzahlen wird auf Kosten der Prozesseffizienz immer größer.
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Stefan Schweiger
Probleme der Variantenvielfalt betreffen alle Funktionsbereiche Das zentrale Problem der Variantenvielfalt besteht darin, dass aus der marktseitigen Angebotskomplexität unternehmensintern sowohl eine erhöhte Produktstruktur- als auch eine ausgeprägte Geschäftsprozesskomplexität resultieren, welche letztlich insbesondere die Gemeinkosten zu- und das Unternehmensergebnis abnehmen lassen. Die Variantenvielfalt erhöht den Aufwand in allen betrieblichen Prozessen, wobei sowohl die Produktentstehungsals auch die Vermarktungs- und Entsorgungsphase betroffen sind.
Wertpotenziale Kosten/Nutzen
Nutzen
Bereinigung bzgl. – Kunden – Leistungsbreite – Leistungstiefe Substitution durch Basisvarianten Vorfeldmarketing Erschließung neuer Segmente ...
Kosten
Abbildung 2:
Variantengerechte Konstruktion Optimierung Aufbau-, Ablauforganisation Projektmanagement Sourcingstrategie Late-fit-Strategie Standardisierung, Modularisierung C-Teilemanagement ...
ntze rung u N ig e ste
Kosten
Nutzen n
nste g Ko nkun se
Vielfalt
Wertpotenziale durch Nutzensteigerung und Kostensenkung ausschöpfen
Lösungsansätze: Nutzensteigerung und Kostensenkung Im Variantenmanagement sollten alle Stellhebel zur Steigerung des Unternehmenswertpotenzials geprüft werden. Grundsätzlich geht es dabei um die Stellhebel Nutzensteigerung und Kostensenkung (vgl. Abbildung 2). Um eine Nutzensteigerung umzusetzen, ist zunächst eine eventuell notwendige Bereinigung hinsichtlich Kunden- sowie Leistungsbreite und -tiefe durchzuführen. Als Tools können in diesem Zusammenhang unter anderem die Kunden- bzw. Produktprofitabilitätsanalyse, die Prozesskostenrechnung und die klassische ABC-Analyse angewandt werden. Durch die somit verbesserte Ergebnissituation können neue Marktchancen erschlossen werden. Ebenfalls sind alle Möglichkeiten, Exoten durch Basisvarianten zu substituieren, auszuschöpfen – ein Ansatz, der durch Vorfeldmarketing und eine strategiekonforme Preisstrategie flankiert werden kann. Eine Senkung und Flexibilisierung der Kosten erreicht man unter anderem durch eine variantengerechte Konstruktion, eine Optimierung der Sourcingstrategie (Outsourcing, Single, Modular, System Sourcing), eine prozessorientierte Ausrichtung und Optimierung der Auf-
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349
bau- und Ablauforganisation, ein schlagkräftiges Projektmanagement, die Implementierung einer Late-fit-Strategie und die Umsetzung eines C-Teilemanagements. Sind alle strategischen, organisatorischen und mitarbeiterbezogenen Potenziale des Variantenmanagements ausgeschöpft, kann durch Einführung eines Variantenkonfigurators weiteres Potenzial erschlossen werden. Wichtig ist hierbei die Einhaltung der richtigen Reihenfolge. Es gilt die bewährte Faustregel „Erst organisieren, dann programmieren“. Neben der Senkung der Kosten ergeben sich aus der umfassenden Optimierung des Variantenmanagements eine Reduzierung von Lieferzeiten, die Verbesserung der Termineinhaltung, eine Steigerung der Qualität, teilweise erhebliche Bestandssenkungen und eine gesteigerte Transparenz in den Prozessen.
2.2
Spektrum industrieller Dienstleistungen
In vielen Segmenten der produzierenden Industrie wird gegenwärtig intensiv über Umsatzund Ergebnispotenziale industrieller Dienstleistungsangebote diskutiert. Die Unternehmen haben in der Vergangenheit erkannt, dass Erfolge am Markt nicht ausschließlich auf die technische Überlegenheit des Primärproduktes zurückzuführen sind, sondern das Angebot industrieller Dienstleistungen zunehmend wettbewerbsentscheidend wird. Auslöser dieser Diskussion sind sowohl strukturelle als auch konjunkturelle Faktoren: Gesättigte Märkte führen zu stagnierendem Primärproduktabsatz. Produkte werden immer austauschbarer. Eine dennoch notwendige Differenzierung am Markt erfolgt entweder über den Preis – mit der Folge margenzehrenden Preisverfalls – oder über das Angebot von differenzierenden Dienstleistungen. In vielen Industriezweigen kommt es zu Verschiebungen von Kernkompetenzen, in deren Folge Unternehmen ihr Leistungsangebot näher am Kunden ausrichten. Logische Konsequenz ist hierbei das weiterhin zunehmende Outsourcing von Nicht-Kernaktivitäten. So wird beispielsweise in der Automobilindustrie das Geld zu einem großen Teil nicht mehr im Neu- und Gebrauchtwagengeschäft, sondern mit ergänzenden Leistungsangeboten verdient. Ein nennenswerter Anteil der bisher im Hause des Herstellers erbrachten Wertschöpfung wird indes an Lieferanten bzw. Performance Contractors ausgelagert. Die Nutzer von Investitionsgütern tendieren beispielsweise zunehmend dazu, eigene Geschäftsrisiken auf die Hersteller abzuwälzen – z. B. in Form von Betreibermodellen, bei denen ein Teil des Auslastungsrisikos vom Hersteller getragen wird. Aufgrund der Volatilität vieler Primärproduktmärkte suchen Unternehmen konjunkturresistente „sichere Häfen“. Da Dienstleistungsumsätze im Regelfall geringeren Schwankungen unterliegen als Primärproduktumsätze und – zumindest im Falle der planbaren, präventiven Dienstleistungen – oft in gewissen Grenzen zeitlich verschiebbare Arbeitspuffer darstellen, beschleunigt sich hierdurch der Trend zur Ausweitung des Dienstleistungsge-
350
Stefan Schweiger
schäftes. Der Fokussierung auf industrielle Dienstleistungen kommt vor diesem Hintergrund eine zentrale strategische Bedeutung zu, da mit dem Angebot solcher Dienstleistungen wesentliche unternehmerische Ziele verfolgt werden. Ersatzteile Montage Inbetriebnahme Wartung, Reparatur Betrieb Logistik Reinigung 0
20 40 60 80 Anteil Unternehmen mit entsprechendem Leistungsangebot
100
Derzeitiges Angebot Geplante Angebotserweiterung
Abbildung 3:
Gegenwärtige Leistungsangebote und geplante Angebotserweiterungen
Betrachtet man die gegenwärtige Praxis, so stellt man fest, dass Unternehmen mit ihrem Leistungsspektrum oft noch sehr konservativ aufgestellt sind. Während beispielsweise in der Investitionsgüterindustrie „traditionelle“ Leistungen wie Ersatzteilmanagement, Montage und Inbetriebnahme in den meisten Fällen angeboten werden, sind Betreibermodelle eher noch die Ausnahme. Erstaunlich ist dabei insbesondere auch, dass in dieser Hinsicht in nächster Zeit wohl nur wenig Veränderung zu erwarten ist. Vermutlich werden die anbieterseitigen Risiken bezüglich Wirtschaftlichkeit, technischer Erfüllung und Abschätzung des Nachfrageverhaltens immer noch höher gewichtet als die diesen Risiken gegenüberstehenden Chancen wie Kundenakquisitions- und -bindungspotenzial oder die Gewinnung von Innovationsimpulsen. Zentrale Bedeutung bei der Ableitung von industriellen Dienstleistungen aus der Unternehmensstrategie kommt deren Umsetzbarkeit mit vorhandenen bzw. aufzubauenden Ressourcen zu. Liegen die notwendigen Fremdsprachenkenntnisse vor? Sind die Servicemitarbeiter zu – eventuell auch längeren – Auslandsaufenthalten bereit? Gibt es eine „unbürokratische“ Kundenorientierung? Verfügen die Servicemitarbeiter – auch mobil vor Ort – über alle relevanten Kunden- und Anlagendaten? Oft bleibt der gewünschte Erfolg aufgrund fehlender Kompetenzen oder technischer Unterstützung aus.
Produktionsmanagement – Zwischen Handwerk und Hochtechnologie
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Nutzer von Investitionsgütern interessieren sich primär für die mit diesem Investitionsgut zu erzeugenden Leistungen und die hierfür aufzuwendenden Kosten während der Nutzungszeit. Betrachtet man beispielsweise die Lebenszykluskosten eines Lackierungsprozesses in der Automobilindustrie, so stellt man fest, dass die Abschreibung für die Anlage lediglich ein Viertel der gesamten Lebenszykluskosten verursacht. Weitere 25 bis 30 % entfallen jeweils auf Personal und Lack bzw. Chemikalien. Den Rest bilden Instandhaltung, Wartung, Energie und diverse weitere Positionen. Bei einer derartigen Lebenszykluskostenverteilung besteht prinzipiell ein gutes Vermarktungspotenzial für produktbegleitende Dienstleistungen, Verbrauchsmaterialien bzw. ein Betreibermodell, bei dem der Kunde nur für produzierte Gutteile zahlt. Aus einem vorhandenen Potenzial wird allerdings nur dann auch ein gutes Geschäft, wenn der Anbieter sich profunde Kenntnisse über die Wertschöpfungskette seines Kunden erarbeitet und auf dieser Basis aus der Lebenszyklusbetrachtung eine schlüssige Nutzenargumentation ableitet.
3.
Prozessstrategie
Die Produktionsprozesse im Unternehmen vollziehen sich in einem organisatorischen Rahmen zur Erfüllung betrieblicher Ziele und sind charakterisiert durch eine wiederholbare Folge verketteter Teilaktivitäten mit messbarem Input, messbarer Wertschöpfung sowie messbarem Output. Aus strategischer Sicht steht zunächst die Frage nach der optimalen Fertigungstiefe im Mittelpunkt, da hierdurch Art und Umfang der Produktionsprozesse determiniert werden. Auf operativer Ebene müssen die internen Produktionsprozesse optimiert werden.
3.1
Outsourcing
Produktion und Absatz von Gütern werden zunehmend in attraktive Wachstumsregionen in Osteuropa sowie Ostasien verlagert. Standorte mit im internationalen Vergleich hohen Personalkosten und starren Tarifregelungen verlieren hingegen an Attraktivität. Nicht zuletzt durch massive Unterstützung von Unternehmen aus reifen Volkswirtschaften holen andere Standorte weiter auf. Mitarbeiterqualifikation, Produktivität und Produktqualität haben immer häufiger westliches Niveau. Waren es früher eher die großen Unternehmen, die ihre Wertschöpfung internationalisierten, so eröffnen neue Rahmenbedingungen wie die EU-Osterweiterung jetzt auch den kleinen und mittleren Unternehmen die Option der Verlagerung.
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Stefan Schweiger
Um vor diesem Hintergrund auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen westeuropäische Unternehmen daher die internationale Verteilung von Produktion und Absatz neu überdenken und den veränderten Erfordernissen anpassen.
1) Chancen und Risiken abschätzen
2) Verlagerbare Funktionen festlegen
3) Zielregionen lokalisieren
5) Rechts- bzw. Partnerschaftsform wählen
10) Umsetzung begleiten
9) Know-howTransfer sicherstellen
Abbildung 4:
4) Verlagerungsumfang festlegen
8) Prozesse umgestalten
7) Leistungsverrechnung klären
6) Team bilden
Handlungsfelder bei der Verlagerung
Chancen und Risiken der Verlagerung abschätzen Grundsätzlich gilt: Verlagerungen sind in jedem Falle risikobehaftet. Bewährte Zulieferstrukturen und Teile der internen Organisation werden mitunter kaum reversibel zerstört. Es sind hohe Anlaufinvestitionen erforderlich. Managementkapazität wird gebunden, die eigentlich am Heimatstandort benötigt wird. Transporte verteuern sich und führen zu längeren Durchlaufzeiten, Reisetätigkeiten nehmen rapide zu, Prozesse werden störanfälliger. Eine eventuelle Durchlaufzeitverlängerung aufgrund der komplexeren Supply Chain führt zu höheren Kapitalbindungskosten. Sprachliche Hürden, kulturelle und mentale Unterschiede sowie ein uneinheitliches Qualitätsverständnis können zu Qualitäts- und Terminproblemen führen. Der Koordinationsaufwand zwischen den Standorten erhöht sich. Teile der Kosteneinsparung werden durch erhöhte Zölle und Abgaben sowie die steigenden Logistikkosten wieder zunichte gemacht. Kommen überdurchschnittliche Lohnkostensteigerungen am Low-CostStandort hinzu, verringert sich der Kostenvorteil überdies in der dynamischen Betrachtung. Diesen Risiken stehen jedoch große Chancen gegenüber. Eines der zentralen Motive für eine Verlagerung ist die Möglichkeit einer – nach Berücksichtigung kostensteigernder Effekte immerhin noch – 5- bis 15-prozentigen Kosteneinsparung, welche es vielfach ermöglicht, neue Kundensegmente zu bedienen. Durch die Verlagerung wird darüber hinaus die Kostenstruktur variabilisiert – ein Vorteil, der insbesondere bei konjunkturellen Schwächephasen in
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volatilen Branchen Ergebnisprobleme zu reduzieren hilft. Ein weiterer wesentlicher Vorteil ist im Kunden- bzw. Marktzugang zu sehen, den ein lokaler Outsourcingpartner öffnen kann. Economies of Scale, Effizienzvorteile und Fokussierung auf das eigene Kerngeschäft sind weitere Vorteile des Outsourcings. Verlagerbare Wertschöpfungsfunktionen festlegen Bei den Überlegungen zur Verlagerung von Wertschöpfung steht oft die Produktion im Mittelpunkt. Darüber hinaus sind Forschung und Entwicklung, Konstruktion, Montage sowie administrative Overheadfunktionen auf dem Prüfstand. Die Verlagerung von F&E sowie Konstruktion ist oft dann sinnvoll, wenn in diejenigen Absatzregionen verlagert wird, welche bei großem Marktvolumen gleichzeitig spezifische Anforderungen an die Produkte stellen, wie beispielsweise Nordamerika und China. Eine oft praktizierte Arbeitsteilung sieht in diesem Zusammenhang vor, dass Standards zentral entwickelt und konstruktiv umgesetzt, zeitund damit lohnintensive marktspezifische Detail- bzw. Anpassungskonstruktionen hingegen dezentral vorgenommen werden. Die Verlagerung administrativer Overheadfunktionen ist insbesondere bei wenig wertschöpfenden Tätigkeiten, beispielsweise bei Buchführung oder IT-Support, eine sinnvolle Option. Zielregionen lokalisieren Die Fragestellung, in welche Region bzw. welches Land verlagert werden soll, muss einer detaillierten Analyse unterzogen werden. Bei der Entscheidungsfindung sind unter anderem Arbeitskostenniveau, Qualifikation der Fachkräfte, Stabilität von Logistik bzw. Infrastruktur und die Möglichkeiten bzw. Potenziale des Ausbaus der Marktregion zu berücksichtigen. Wesentliches Augenmerk muss der Qualität und Verfügbarkeit lokaler Lieferanten gewidmet werden, um planbare Zulieferkosten sowie hohe -zuverlässigkeit zu gewährleisten. Viele Regionen in Osteuropa und Ostasien verfügen mittlerweile über entsprechende Zulieferer, die ihre Abnehmer kosten-, lieferzeit- und qualitätsoptimal beliefern können. Verlagerungsumfang festlegen Bei der Verlagerung von Fertigungs- und Montageumfängen gibt es einige produktbezogene Kriterien, die die grundsätzliche Eignung zur Verlagerung charakterisieren: Standardisierte Teile, Baugruppen und Produkte sind leichter verlagerbar als Sonderprodukte. Komplett verlagerbare Baugruppen sind gegenüber dem Outsourcing von Einzelteilen zu bevorzugen. Neuprodukte sind aufgrund des noch geringen technischen Reifegrades kritischer als ausgereifte. Ein hoher Personalkostenanteil an den Herstellkosten ist Voraussetzung für die betriebswirtschaftliche Logik der Verlagerung, stehen den Kostensenkungen im Personalbereich doch höhere Logistikkosten und eine komplexere Supply Chain gegenüber. Als pragmatische Vorgehensweise hat sich die Verlagerungsentscheidung auf Basis eines Outsourcing-Portfolios herausgestellt. Dabei werden die strategische Bedeutung der Baugruppe sowie der potenzielle Vorteil eines Outsourcingpartners betrachtet.
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Rechts- bzw. Partnerschaftsform wählen Bei einer strategischen, längerfristig angelegten Verlagerung muss eine geeignete Rechtsbzw. Partnerschaftsform gefunden werden. Die Intensität der Bindung kann von einer Partnerschaft ohne Kapitalverflechtung bis zur eigenständigen Investition reichen. Letztere kann in Form einer Mehrheitsbeteiligung, Akquisition oder Neugründung erfolgen. Als Motive für eine eigenständige Investition gelten im Allgemeinen die geringeren Koordinations- und Organisationskosten, größere Unabhängigkeit, das reduzierte Risiko des Know-howVerlustes, die leichtere Integrierbarkeit in das Gesamtportfolio des Unternehmens und eine ausgeprägtere Kundennähe. Dem steht allerdings in aller Regel ein größeres Risiko gegenüber. Für eine Partnerschaft ohne Kapitalverflechtung spricht neben der schnelleren Umsetzbarkeit der geringere Einsatz finanzieller und personeller Ressourcen. Diese Kooperationsform ist jedoch weniger stabil und eine vollständige Interessenparallelität mit dem Partner nicht immer herstellbar. Team bilden Da eine Outsourcingentscheidung direkt oder indirekt alle wesentlichen Prozesse bzw. Bereiche des Unternehmens betrifft, ist es erforderlich, Schlüsselmitarbeiter aus allen relevanten Funktionsbereichen in das Outsourcingteam zu integrieren. Wo dies nicht möglich ist, muss durch eine konsequente Kommunikationspolitik sichergestellt werden, dass ein durchgängiger Informationsfluss vorliegt. Es gilt, Veränderungsbereitschaft zu erzeugen und Ängste bzw. eine „Wir-können-alles-selber-und-besser-Mentalität“ abzubauen. Nur eine umfassende Einbeziehung der wichtigen Funktionsträger – auch beim Outsourcingpartner – gewährleistet eine erfolgreiche Umsetzung der neuen Prozesse. Verrechnung von Leistungen klären Bei der Wahl der geeigneten Leistungsverrechnung muss eine Entscheidung zwischen Dienstleistungs-, Kompensations- und Kauf-/Verkauf-Geschäft getroffen werden. Bei einem Dienstleistungsgeschäft werden vom verlagernden Unternehmen die beim Outsourcingpartner benötigten Teile beigestellt. Beschaffungs-, Lagerhaltungs- und Transportkosten belasten damit weiterhin das abgebende Unternehmen. Der Outsourcingpartner stellt nur die erbrachte Dienstleistung, z. B. vorher definierte Montageumfänge, in Rechnung. Die Beschaffungskompetenz und -hoheit bleiben beim abgebenden Unternehmen. Allerdings sind Beistellungen in gängigen PPS-Systemen mitunter aufwändiger darstellbar als Ein- und Verkäufe und erhöhen damit die Abwicklungskosten. Kompensationsgeschäfte, bei denen Waren nicht gegen Devisen, sondern gegen andere Waren geliefert werden, werden aufgrund der oft schwierigen Verwertbarkeit der Tauschobjekte durch den Empfänger nur selten abgewickelt. Ein Kauf-/Verkauf-Geschäft stellt eine relativ einfache Verrechnungsmöglichkeit dar. Das verlagernde Unternehmen verkauft Vorprodukte an den Outsourcingpartner, der diese zu Zwischen- oder Endprodukten weiterverarbeitet und an das verlagernde Unternehmen zurückverkauft. Dieser Ablauf ist verhältnismäßig einfach und transparent.
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Wertschöpfungsprozess umgestalten Stücklisten, Arbeits- und Terminpläne sind an die neuen Prozesse anzupassen. In diesem Zusammenhang muss dem Änderungsdienst im Falle redundanter Datenbestände besonderes Augenmerk gewidmet werden. Schnittstellen müssen neu programmiert werden, wobei zwischen automatischer und manueller Datenübertragung zum Outsourcingpartner entschieden werden muss. In der Anlaufphase ist die manuelle Übertragung oft der schnellere, im Dauerbetrieb die automatische Übertragung der effizientere Weg. Bei einer retrograden Terminierung müssen die zusätzlichen Transportzeiten berücksichtigt werden. Oft wirkt sich das Outsourcing durchlaufzeitverlängernd aus. Kow-how-Transfer sicherstellen Eine Sollbruchstelle im Verlagerungsprozess ist der Know-how-Transfer. Die über einen längeren Zeitraum aufgebaute Kompetenz beim verlagernden Unternehmen muss auf den Outsourcingpartner übertragen werden. Dieser Transfer muss durch eine umfassende Dokumentation von Abläufen und Know-how, beispielsweise in Form von Montageanleitungen, sichergestellt werden. Montagehilfsmittel und Prüfmittel müssen detailliert vorgegeben, die wertschöpfenden und unterstützenden Prozesse müssen nachvollziehbar erklärt werden. Oft ist es erforderlich, Mitarbeiter des Outsourcingpartners für eine im Voraus definierte Zeit im eigenen Unternehmen anzulernen. Umsetzung begleiten Die im Zuge des Outsourcings zu erledigenden Aufgabenpakete müssen in einer Projektplanung hinsichtlich ihrer Zielsetzungen, Inhalte, Verantwortlichen und der Meilensteine detailliert werden. Kurz-, mittel- und langfristige Ziele sind mit den dazugehörigen Messpunkten festzulegen. Bei der Umsetzung der Aufgabenpakete sind einige Erfolgsfaktoren zu beachten: Klare Rollenverteilung und Verantwortlichkeiten im Rahmen der Projektorganisation schaffen (Management, Umsetzungsteams aus den Funktionsbereichen, Projektteam) Eindeutige und messbare Ziele (Wirtschaftlichkeit, Personalstand etc.) sowie deren konsequente Fortschrittskontrolle vereinbaren Regelmäßige, kurze Arbeitssitzungen durchführen Wesentliche Veränderungen in einfachen Verhaltensregeln zusammenfassen, die von allen Mitarbeitern aufgenommen werden können Organisationsänderungen durch Teambildungsprozesse und intensive Einbindung der Mitarbeiter in der Umsetzungsphase unterstützen
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3.2
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Prozessoptimierung
Die prozessuale Betrachtungsweise steht dem in vielen Unternehmen immer noch vorherrschenden funktionalen Denken in Abteilungen gegenüber. Um für die Unternehmung zu einem Gesamtoptimum hinsichtlich Kosten, Qualität und Zeit zu kommen, ist es notwendig, eine funktionsübergreifende Betrachtung vorzunehmen. Hierdurch werden auch Schnittstellen zwischen einzelnen Organisationseinheiten, die wie Blockaden, Verzögerer oder Informationsfilter wirken, aufgedeckt und minimiert. Im Vordergrund des gesamten unternehmerischen Wirkens steht – und auf dieser Zielsetzung ist die ganzheitliche Prozessoptimierung aufgebaut – die Orientierung am Kundennutzen. Die Prozesse müssen so gestaltet werden, dass die Kundenaufträge und sonstigen Leistungen an die Kunden fehlerfrei, rechtzeitig und kostengünstig abgewickelt werden. Neben der Optimierung der innerbetrieblichen Prozesse kommt insbesondere bei den Unternehmen, die eine geringe eigene Wertschöpfungstiefe haben und damit in hohem Maße von Zulieferungen abhängig sind, der unternehmensübergreifenden Wertschöpfungskette ein hoher Stellenwert zu. Die Optimierung der unternehmensübergreifenden Supply Chain ist gegenüber einer innerbetrieblichen Prozessoptimierung erheblich komplexer und schwieriger, weil wesentlich mehr Prozessbeteiligte koordiniert werden müssen. Darüber hinaus erfordert Supply Chain Management die Definition eines „Channel Masters“, der übergeordnete Entscheidungen treffen kann. Dies setzt voraus, dass die beteiligten Unternehmen einen Teil ihrer Planungsautonomie an ein „Kollektiv“ abgeben – ein denkbar schwieriges Unterfangen. Wenn ein Unternehmen die Wertschöpfungstiefe zur Erhöhung der Flexibilität bzw. Reduzierung der Kapitalbindung verringert, dann muss es in vernetzten Systemen arbeiten, um seine Leistung erbringen zu können. Es ist abhängig von externen oder konzernverbundenen Lieferanten oder Abnehmern. In diesem Fall reicht es nicht mehr aus, die eigenen Geschäftsprozesse zu optimieren; auch die organisatorische und informationstechnische Vernetzung aller am Wertschöpfungsprozess Beteiligten avanciert zum wesentlichen Erfolgsfaktor. Hier ermöglicht insbesondere die Informations- und Kommunikationstechnologie eine Optimierung der unternehmensübergreifend ablaufenden Prozesse. Dabei ist grundsätzlich zu unterscheiden zwischen vertikaler Optimierung, die die gesamte Wertschöpfung vom Rohstoff über sämtliche Wertschöpfungs-, Planungs- und Logistikprozesse der Produktentstehung bis zur Auslieferung des Produktes an den Kunden (bzw. im Rahmen des After Sales auch darüber hinaus) abdeckt (Supply Chain Management) sowie horizontaler Optimierung, bei der mehrere Unternehmen der gleichen Wertschöpfungsstufe eine virtuelle Partnerschaft eingehen. Die Optimierung eines Geschäftsprozesses setzt zunächst die Definition eines Zielsystems voraus. Dies wird notwendig, da verschiedene Optimierungsziele zueinander konfliktär sind,
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d. h. nicht gleichzeitig optimiert werden können. So lässt sich z. B. die Lieferzeit für ein Produkt dadurch senken, dass durchlaufzeitkritische Teile bzw. Baugruppen oder sogar das gesamte Produkt auftragsunabhängig auf Lager gelegt und dann kurzfristig zur Bedienung eines Kundenauftrages abgerufen werden können. Hierdurch verschlechtern sich jedoch die Faktoren Kapitalbindung, Wertberichtigung im Lager und ggf. erzielbarer Preis am Markt. Nicht einzelne Kostensenkungsprogramme, sondern vielmehr ständige Optimierungen in sämtlichen Prozessen sind es, die ein Unternehmen dauerhaft in der Gewinnzone halten können. Als Optimierung ist hier nicht nur Verbesserung eines Produktes gemeint, sondern auch Verbesserung aller Vorgänge, die zur Fertigstellung und Vermarktung dieses Produktes führen, wie Forschung und Entwicklung, Beschaffung, Produktion. Darüber hinaus bedeutet dies aber auch die permanente Verbesserung der Qualifikation der für dieses Produkt arbeitenden Mitarbeiter (organizational learning). Grundsätzlich sind unterschiedliche Optimierungsansätze anwendbar, die miteinander kombiniert werden können: Parallelisierung bisher sequenziell abgearbeiteter Aufgaben, Integration von qualitätssichernden Tätigkeiten in die Prozesse, Pull-Prinzip (z. B. Kanban) anstelle des mit höheren Lagerbeständen und Zwischenzeiten behafteten Push-Prinzips, Abbau von Schnittstellen durch Einrichtung gesamtverantwortlicher Teams bzw. „Komplettbearbeitung aus einer Hand“, Reduzierung der Aufgabenhäufigkeit (z. B. quartalsweise statt monatliche Berichte), zeitliche Verschiebung von Aufgaben (z. B. Verschiebung von Aufträgen in auslastungsschwache Zeit). Bei der Optimierung von Geschäftsprozessen gibt es einige Grundprinzipien, die einen reibungslosen Ablauf sicherstellen sollen: Einbindung der betroffenen Führungskräfte und Mitarbeiter; Auswahl der „richtigen“ Prozesse: Der Nutzen der Optimierung muss erkennbar sein; Benennung des „richtigen“ Teams: Querschnitt-Zusammensetzung, Einräumung von Freiräumen, Schulung; Bewertung der Prozesse am Kundennutzen, nicht an internen Maßstäben: Wichtig ist die Definition von Schlüsselkunden, deren Betrachtung im Vordergrund stehen muss; Konzentration auf die wesentlichen Defizite: „Prozessprüfstand“, auf dem qualitative (z. B. Servicefreundlichkeit) und quantitative (z. B. Kosten, Durchlaufzeit) Parameter analysiert werden: Definition klarer, messbarer und nachvollziehbarer Ziele je (Teil-)Prozess und regelmäßige Feststellung der Zielerreichung;
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Stefan Schweiger
Ernennung von Prozessverantwortlichen und verfügbaren Ressourcen; Definition verbindlicher Meilensteine der Umsetzung; Schrittweise Umsetzung der Veränderungen zunächst in (ggf. zeitlich und thematisch begrenzten) Pilotprojekten, später flächendeckend. Erfahrungen zeigen, dass mit einer ganzheitlichen Geschäftsprozessoptimierung im industriellen Bereich die Herstellkosten für ein Produkt um bis zu ca. 25 % gesenkt, Lagerbestände (und damit die Kapitalbindung) um bis zu ca. 50 % reduziert, die Termineinhaltung bei der Produktauslieferung an den Kunden um bis zu ca. 30 % verbessert sowie die Durchlaufzeiten erheblich reduziert, teilweise sogar halbiert werden können.
4.
Fazit
Im strategischen Produktionsmanagement geht es für kleine und mittelständische Unternehmen darum, die richtigen Dinge zu tun sowie die Dinge richtig zu tun. Die richtigen Dinge zu tun bedeutet, das Produktspektrum strategisch sinnvoll festzulegen, mit möglichst geringer Komplexität zu erzeugen und durch produktbegleitende Dienstleistungen zu ergänzen. Die Dinge richtig zu tun heißt, durch eine strategische Make-or-Buy-Entscheidung die Wertschöpfungstiefe richtig zu dimensionieren. Konkret bedeutet dies, einerseits ein professionelles Outsourcing zu betreiben und andererseits die verbleibende Wertschöpfung in optimierten Prozessen kosten-, zeit- und qualitätsoptimal zu organisieren.
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Literatur
Corsten, H.; Friedl, B.: Produktionscontrolling, Schriften zum Produktionsmanagement, Kaiserslautern 1999 Schneider, H. (Hrsg.): Produktionsmanagement in kleinen und mittleren Unternehmen, Stuttgart 2000. Schuh, G.; Schwenk, U.: Produktkomplexität managen – Strategien, Methoden, Tools, München, Wien 2001. Schweiger, S.; Müller, M.: Empirische Studie zu CRM und Servicemanagement im Maschinen- und Anlagenbau, Konstanz, 2004. Wildemann, H.: Komplexitätsmanagement in Vertrieb, Beschaffung, Produkt, Entwicklung und Produktion, München, 5. Auflage, 2004.
Marketing und Vertrieb – Unternehmenserfolg durch Kundennähe und Flexibilität
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Marketing und Vertrieb – Unternehmenserfolg durch Kundennähe und Flexibilität Eric Schirrmann
Zusammenfassung
Die Wirtschaftsstruktur in Deutschland ist wie in kaum einem anderen europäischen Land von kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) geprägt. Trotzdem existieren wenige Veröffentlichungen, die sich explizit mit praxisorientierten Ansätzen für die Ausgestaltung von Marketing und Vertrieb in KMU beschäftigen. Aus diesem Grund wird im vorliegenden Beitrag ein Überblick über KMU-spezifische Marketing- und Vertriebsansätze gegeben. Die Ausgangspunkte bilden neben der Grunddefinition des Marketings die Darstellung einer Analyse zur Bestimmung der Unternehmenssituation sowie die Ausführungen zu Möglichkeiten der Marktforschung als entscheidungsunterstützende Funktion im Rahmen der strategischen Unternehmensführung. Anschließend wird auf dieser Basis die Entwicklung einer Marketingkonzeption für KMU mit Zieldefinition, Strategieentwicklung und Maßnahmenplanung vorgenommen. Im Fokus stehen dabei die Ausgestaltung des Marketing-Mix und im Besonderen die Herausarbeitung der Erfolgsfaktoren klein- und mittelständischer Unternehmen. In diesem Zusammenhang steht bei der Diskussion insbesondere die Praxisrelevanz der erläuterten Maßnahmen im Mittelpunkt. Es wird deutlich, dass beim Marketing im Mittelstand mitunter eindeutige Unterschiede im Vergleich zur Anwendung in Großunternehmen bestehen. Als bedeutsame Erfolgsfaktoren können auf Basis verschiedener empirischer Untersuchungen die Kundennähe sowie die Flexibilität klein- und mittelständischer Unternehmen identifiziert werden. Deshalb erfolgt eine isolierte Betrachtung dieser Erfolgsfaktoren, mit deren Hilfe KMU ihre Wettbewerbssituation im Markt stärken können.
362
1.
Eric Schirrmann
Marketing und Vertrieb im Mittelstand
Die Bedeutung und das Verständnis von Marketing im Allgemeinen, aber auch in Bezug auf KMU haben sich in den vergangenen Jahrzehnten drastisch verändert. Die Gründe dafür sind vielschichtig und resultieren einerseits aus der mittlerweile deutlich dynamischeren, komplexeren und stärker vernetzten Umwelt, andererseits aber auch aus der Erkenntnis der Unternehmen, dass der Kunde durch sein Kaufverhalten letztendlich über den Erfolg oder Misserfolg eines Unternehmens entscheidet. Das zeigt auch die Tatsache, dass Unternehmen im Wettbewerbsumfeld marktorientiert operieren und nicht mehr – wie früher – produktionsoder verkaufsorientiert sind (vgl. Wai-sum und Kirby 1998). Aus der Forderung nach verstärkter Markt- und Kundenorientierung seitens der Abnehmer resultiert für KMU die Notwendigkeit, sich selbst nicht mehr ausschließlich als Hersteller von Leistungen zu sehen, sondern vielmehr als Anbieter von Problemlösungen mit der Aufgabe, ganz gezielt die Kundenbedürfnisse zu befriedigen. Deshalb gilt die Markt- und Kundenorientierung inzwischen als der wichtigste Erfolgsfaktor bei KMU (vgl. Behrends und Schier 2000) und steht darum – als zentrale Voraussetzung für den Unternehmenserfolg und die Unternehmensexistenz – im Mittelpunkt der strategischen Unternehmensführung (vgl. Verhees und Meulenberg 2004, Pelham und Wilson 1996). Damit wird deutlich, dass auch bei KMU der Absatzmarkt als Ausgangspunkt jeglichen unternehmerischen Handelns gesehen wird, und somit stellt Marketing – gemäß moderner Auffassung – nicht mehr eine isolierte Funktion neben anderen im Unternehmen dar. Vielmehr ist Marketing bei allen Unternehmensaktivitäten zu berücksichtigen, weil alle Funktionen und Prozesse in den verschiedenen Bereichen eines Unternehmens durch Marketingentscheidungen beeinflusst werden. Deshalb ist Marketing als Konzept der strategischen Unternehmensführung zu verstehen und bezeichnet die bewusste marktorientierte Führung des gesamten Unternehmens, im Zentrum derer der Kunde steht (vgl. Grönroos 1990). Letzteres trifft in besonderer Form für KMU zu, weil der Kontakt zum Kunden ohnehin eine Kernkompetenz des Mittelstands ist. Schlussendlich kann auch für KMU Marketing als die Planung, Koordination sowie Kontrolle aller auf die aktuellen und potenziellen Märkte ausgerichteten Unternehmensaktivitäten mit dem Ziel, die Bedürfnisse der Konsumenten zu befriedigen, verstanden werden (vgl. Meffert 2000). Das umfasst auch Entscheidungen über den optimalen Vertrieb der Produkte und Dienstleistungen, denn in KMU ist die Grenze zwischen Marketing und Vertrieb oft fließend. In der Praxis kann festgestellt werden, dass sich im Mittelstand die Schwachstellen im Marketing insbesondere im Marketingdenken, im Fehlen einer Organisationsstruktur und in der Vernachlässigung der Planung zeigen (vgl. Pfohl 1997). Deshalb erscheint es wichtig, ein professionelles Marketing für KMU herauszuarbeiten, weil dieses die zentrale Voraussetzung für die erfolgreiche Schaffung eines Mehrwertes für die Kunden ist, der unternehmensseitig die nachhaltige Basis für Rentabilität und Wachstum darstellt. Die Erarbeitung einer allumfassenden, mittelstandsspezifischen Marketingplanung ist indes schwierig, weil bei KMU im
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Gegensatz zu Großunternehmen zu berücksichtigen ist, dass sie sich untereinander – beispielsweise in ihrer Größe oder geografischen Marktbearbeitung – sehr stark unterscheiden. Mitunter wird davon ausgegangen, dass es mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten im Marketing von KMU gibt (vgl. unter anderem Brauchlin und Hauser 2000, Carson und Cromie 1989). Die Bedeutung professionellen Marketings wird im Mittelstand aber zunehmend wahrgenommen, wenngleich in diesem Bereich von den Unternehmen selbst Kapazitätsengpässe gesehen werden. So beurteilen, gemäß einer empirischen Untersuchung, circa 64 % der KMU ihre Marketingressourcen als zu gering, um die zukünftig anstehenden Aufgaben bewältigen zu können (vgl. Travella und Belz 1999). Gerade vor dem Hintergrund der knappen finanziellen Ressourcen ist es für klein- und mittelständische Unternehmen bedeutsam, ihre spezifischen Fähigkeiten optimal herauszuarbeiten und für den Aufbau von Wettbewerbsvorteilen zu nutzen (vgl. Grothus 2000). Die mit der Erarbeitung einer mittelstandsspezifischen Marketingplanung verbundenen Aufgaben sind vielfältig. Sie beginnen mit einer systematischen Informationsgewinnung bezüglich der bestehenden Marktgegebenheiten, um auf der so gewonnenen Basis Aussagen über die Marktauswahl und -abdeckung machen zu können. Darüber hinaus ist es zwingend notwendig, Entscheidungen über Marketingziele, Strategien und die damit verbundene Gestaltung der Marketing-Mix-Instrumente, also Entscheidungen bezüglich des Produktangebots, der Preisfestsetzung, der Kommunikation sowie der Distribution zu treffen. Darin enthalten sind Maßnahmen wie Zielgruppendefinitionen, Marktsegmentierungen und Unternehmensbeziehungsweise Produktpositionierungen. Das alles muss vor dem Hintergrund geschehen, dass Marketing in KMU einigen Besonderheiten unterliegt. So sind – neben der im Vergleich zu Großunternehmen geringeren finanziellen Ausstattung – deren Absatzmärkte beispielsweise häufig durch kleine Absatzmengen gekennzeichnet, wobei den Unternehmen kundenseitig zudem individuelle Leistungen in kleinen Losgrößen abverlangt werden. Daraus resultiert die Notwendigkeit, den kundenspezifischen Anforderungen in besonderer Art und Weise zu entsprechen, wobei das flexible Eingehen auf Kundenwünsche letztendlich – auch durch die damit erforderlichen individuellen Abstimmungsprozesse – zu einer intensiveren Kundenbetreuung führt, die sich wiederum in einer verstärkten Kundennähe ausdrückt. Hilfreich ist dabei, dass KMU in der Regel über besonders gute Marktkenntnisse verfügen (vgl. Meyer und Schwering 2000). Daraus ergibt sich, dass es für KMU strategisch besonders aussichtsreich ist, vor allem Märkte mit hohem individuellen Bedarf oder ausgeprägten Serviceansprüchen zu bedienen, denn diese Märkte erfordern ein hohes Maß an Flexibilität, die neben der Kundennähe eine der Kernkompetenzen des Mittelstands darstellt. In der Praxis kann vielfach festgestellt werden, dass Führungskräfte im Mittelstand zwar die gängigen Marketing-Definitionen kennen, aber in vertiefenden Gesprächen dazu neigen, Marketing im eigenen Unternehmen eher auf Verkaufsförderung und Werbung zu reduzieren (vgl. Schirrmann 2005). An dieser Stelle werden Verbesserungspotenziale im Rahmen der strategischen und operativen Marktbearbeitung bei KMU sichtbar. Dazu gehören eindeutige Zieldefinitionen und Strategiefestlegungen, aber auch die Optimierung des Marketing-Mix.
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Eric Schirrmann
Großunternehmen setzen ihrerseits bereits seit vielen Jahren Maßnahmen der strategischen Planung ein, zu denen auch Marktanalysen und die Entwicklung marktorientierter Unternehmensstrategien gehören. Weniger verbreitet sind diese Methoden der strategischen Planung dagegen in KMU (vgl. Sattes 1995). Um klein- und mittelständische Unternehmen insgesamt zu einer Effizienzsteigerung zu führen, muss eine systematische und professionelle Marketingplanung durchgeführt werden, wobei die zwingende Voraussetzung dafür ist, dass sich Führungskräfte die notwendige Zeit für deren Umsetzung nehmen. Ist diese Grundvoraussetzung erfüllt, kann mit der Entwicklung einer strategischen Planung in KMU begonnen werden.
2.
Strategische Marketingplanung in KMU
Ein marktorientiertes und gleichermaßen kundengerechtes Verhalten von Unternehmen setzt genaue Kenntnisse über den Markt beziehungsweise über die Marktsituation voraus. Für eine erfolgreiche Marktpositionierung von Unternehmen und deren Produkten muss zunächst im Rahmen der Marketingplanung eine systematische Untersuchung der gegenwärtigen, aber auch der zukünftig erwarteten Situation, bezogen auf Unternehmen und Märkte, erfolgen (vgl. Becker 2001). Diese Vorgehensweise bei der Marketingplanung stellt zwar kein Charakteristikum klein- und mittelständischer Unternehmen dar, ist aber im Besonderen auch für KMU wichtig und praktisch problemlos anwendbar. Die Praxis im Mittelstand zeigt dagegen, dass nach wie vor Entscheidungen von Führungskräften vielfach auf Basis persönlicher Einschätzungen und nicht auf Grundlage systematischer Planung getroffen werden (vgl. Schirrmann 2005, Canon und Cromie 1990), so dass Fehlentscheidungen eher möglich sind. Diese Handlungsweise von Führungskräften in KMU basiert auf dem Vorurteil, wonach professionelles Marketing nur in Großunternehmen praktikabel durchgeführt werden kann. Die Notwendigkeit beziehungsweise der Kernnutzen einer guten Marketingplanung im Mittelstand wird häufig von den handelnden Entscheidungsträgern nicht gesehen. Deshalb sollen im Folgenden die verschiedenen Phasen einer mittelstandsorientierten Marketingplanung beschrieben werden, wobei zunächst die Durchführung von Situationsanalysen und die Möglichkeiten der Marktforschung in KMU erläutert werden, bevor detailliert auf die Entwicklung einer Marketingkonzeption eingegangen wird. Dabei wird der Fokus auf die mittelstandsspezifischen Besonderheiten gerichtet. Darüber hinausgehende, für alle Unternehmensgrößen relevante Vorgehensweisen, werden nicht weiter vertieft (vgl. dazu beispielsweise Welge und Al-Laham 2003, Becker 2001 und Meffert 2000).
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2.1
365
Situationsanalyse
Die wesentliche Grundlage für eine gute Marketingkonzeption besteht in einer guten systematischen Analyse und Bewertung der Unternehmenssituation. In diesem Zusammenhang existieren für die Durchführung von Situationsanalysen verschiedene Verfahren, die sich durch einen unterschiedlichen Komplexitätsgrad auszeichnen. In klein- und mittelständischen Unternehmen erscheint wegen ihrer guten Praktikabilität die Anwendung der StärkenSchwächen/Chancen-Risiken-Analyse (SWOT-Analyse) 1 gut geeignet zu sein (vgl. Panagiotou 2003). Dabei werden einerseits die gegenwärtigen unternehmensinternen Stärken und Schwächen auf Basis einer Potenzial- und einer Konkurrenzanalyse, andererseits die unternehmensexternen Chancen und Risiken mittels einer Markt- und einer Umweltanalyse untersucht. Die Zusammenführung beider Untersuchungen zur SWOT-Analyse ergibt die Möglichkeit einer detaillierten Bestimmung der Unternehmenssituation im Wettbewerbsumfeld, wobei die daraus resultierende Vier-Felder-Matrix der systematischen Ableitung von Handlungsstrategien dient (vgl. Welge und Al-Laham 2003). So werden in dieser Untersuchung bereits Veränderungen der Konsumgewohnheiten und der Einstellungen der Kunden berücksichtigt, die mit Hilfe der Marktforschung (vgl. Kapitel 2.2) identifiziert werden können.
2.2
Marktforschung in KMU
Systematische Marktforschung ist die Basis für die Diagnose und Prognose von Produkt- und Marktentwicklungen und dient somit als solide Grundlage für Entscheidungen bezüglich der Planung strategischer, aber auch operativer Marketingmaßnahmen im Sinne einer guten Marketingkonzeption. Ohne Marktforschung kann es zu einer erheblichen Fehlinvestition von Finanzmitteln kommen (vgl. Krämer 2003). Wenngleich davon auszugehen ist, dass kleinund mittelständische Unternehmen wegen ihrer in der Regel übersichtlichen Marktbearbeitung und der Tatsache, den Kunden, aber auch den Konkurrenten bekannt zu sein (und sie selbst auch zu kennen), eine vergleichsweise gute Marktübersicht besitzen, ist auch bei KMU die Marktforschung – neben einer guten Situationsbestimmung – eine Grundvoraussetzung für effizientes Marketing (vgl. Althaus 1997). Gleichwohl ist zu berücksichtigen, dass in KMU häufig Engpässe in der personellen Besetzung bestehen und vielfach Schwächen bei der Methodenkompetenz der Mitarbeiter existieren (vgl. Pickle 1971). Zudem reduzieren häufig finanzielle Restriktionen die Möglichkeiten einer umfangreichen, auch externen Marktforschung (vgl. Günter, Helm und Schlei 2000).
1
Dieses Instrument wird auch in der deutsprachigen Literatur häufig als SWOT-Analyse bezeichnet (Strengh, Weakness, Opportunities, Threats).
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Eric Schirrmann
In der angewandten Marktforschung besitzen KMU deutliche Unterschiede gegenüber Großunternehmen. Während in Großunternehmen vorwiegend das Gesamtunternehmen und das damit verbundene Umfeld analysiert wird, setzen sich KMU im Wesentlichen mit der Lösung von Einzelfragen auseinander. Zwar ist festzustellen, dass in KMU auch Untersuchungen zu Kunden, zur Konkurrenz oder zu sich verändernden Umweltbedingungen angestrengt werden, allerdings weniger permanent, sondern eher anlass- beziehungsweise situationsbezogen. Häufiger wird dagegen aus Kostengründen Rückgriff auf unternehmensinterne Daten genommen, beispielsweise aus dem Rechnungswesen oder aus Außendienstberichten (vgl. Schirrmann 2005). In der Praxis setzen KMU sowohl die Primär- als auch die Sekundärforschung ein. Der Sekundärforschung kommt in diesem Zusammenhang die Aufgabe zu, bereits am Markt vorhandenes Material zu beschaffen und zu analysieren. Das ist erheblich kostengünstiger, als eigene empirische Untersuchungen durchzuführen, so dass die Sekundärforschung für KMU besonders relevant ist. Zudem wird wegen der schnelleren Informationsbeschaffung weniger Zeit bis zur Ergebnisermittlung in Anspruch genommen. Primärforschung wird eher dann notwendig, wenn es um Fragestellungen wie beispielsweise die Bestimmung der optimalen Zielgruppe und die Ermittlung einstellungs- oder einkaufsrelevanter Eigenschaften geht, auf Basis derer weitreichende Unternehmensentscheidungen wie zum Beispiel Markterschließungen oder Neuproduktplanungen und -positionierungen getroffen werden. Darüber hinaus können mit ihrer Hilfe auch verhaltenswissenschaftliche Konstrukte wie Einstellungen, Motive oder Images erhoben werden. Insgesamt produzieren die durch Marktforschung generierten Informationen Kosten, auf der anderen Seite ergibt sich dadurch ein höherer Grad an Planungssicherheit. Deshalb ist es für KMU zwingend erforderlich, im Einzelfall genau abzuwägen, welcher Informationszuwachs im Sinne einer ökonomischen und letztendlich gewinnmaximierenden Sichtweise welchen Preis wert ist. Somit dienen sowohl die Situationsanalyse als auch die Marktforschungsergebnisse den KMU als Ausgangsbasis für eine erfolgreiche Marktbedienung.
2.3
Entwicklung einer Marketingkonzeption
Auf Basis der Ergebnisse der Situationsanalyse und der Marktforschung kann nunmehr eine unternehmensindividuelle, professionelle Marketingkonzeption entwickelt werden. Eine erfolgreiche Konzeption besteht aus den drei Bestandteilen: Zieldefinition, Strategieentwicklung und Maßnahmenplanung. Unter einer Marketingkonzeption wird definitionsgemäß ein schlüssiger, ganzheitlicher Handlungsplan verstanden, der sich an angestrebten Zielen orientiert, geeignete Strategien für ihre Realisierung definiert und auf dieser Grundlage die adäquaten Marketinginstrumente bestimmt (vgl. Becker 2001). Die praktische Relevanz liegt darin, dass eine markt- und kundenorientierte Unternehmensführung nur auf Basis unternehmensindividueller Marketingkonzeptionen umsetzbar ist, denn ein nicht bewusst gesteuerter
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Marketingprozess besitzt wenig Chancen auf Erfolg. Das liegt vor allem an den komplexen Markt- und Unternehmenskonstellationen sowie den vielfältigen Möglichkeiten beim Einsatz der operativen Marketing-Mix-Instrumente. Die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Implementierung in KMU sind vielfältig. So muss die Unternehmensleitung die Marketingkonzeption für alle Mitarbeiter als verbindlich erklären. Zudem sollte deren Akzeptanz für jeden Mitarbeiter als Eintrittsvoraussetzung ins Unternehmen dienen. Damit bei allen Beteiligten Einigkeit bezüglich der getroffenen Vereinbarungen besteht, sollte eine schriftliche Konkretisierung vorgenommen werden. Zu berücksichtigen ist, dass die marketingkonzeptionelle Leitplanung dynamisch ist und demzufolge regelmäßige Überprüfungen mit gegebenenfalls notwendigen Anpassungen stattfinden müssen. Mittel- bis langfristig orientierte Marketingkonzeptionen ermöglichen Unternehmen und Produkten den Aufbau spezifischer Kompetenzen, die auf in der Regel kleiner werdenden Käufermärkten zur Generierung von Wettbewerbsvorteilen genutzt werden können. Zuerst erfolgt die Festlegung der aus den Unternehmenszielen abgeleiteten Marketingziele, denn Erfolg versprechendes Agieren am Markt kann nur bei vorher festgelegten Zielen konsequent erfolgen. Deren Kernfunktionen bestehen in der Koordination, Steuerung und Kontrolle des unternehmerischen Handelns (vgl. Becker 2001). Bei der Entwicklung des marktorientierten Zielsystems ist grundsätzlich zwischen ökonomischen und psychografischen Marketingzielen zu unterscheiden, wobei zu deren wesentlichen Anforderungen die genaue Festlegung von Inhalten, Ausmaßen, Zeitbezügen und regionalen Geltungsbereichen, aber auch die Beurteilung von Alternativen und die Kontrolle der Zielerreichung gehören. Weil es nicht möglich ist, die festgelegten Ziele direkt in operatives Handeln im Sinne des Marketing-Mix umzusetzen, muss eine strategische Lenkungsfunktion zwischengeschaltet werden. Denn nur strategiegeleitet lässt sich ein konsequenter Marketing-Mix festlegen und erfolgreich realisieren. Marketingstrategien legen demzufolge den Weg fest, wie die strategischen Marketingziele eines Unternehmens zu erreichen sind, und beinhalten Entscheidungen bezüglich der Marktwahl und Marktbearbeitung. Sie werden in Form bedingter, mittel- bis langfristiger globaler Verhaltenspläne für das Gesamtunternehmen oder strategische Geschäftseinheiten des Unternehmens fixiert. In diesem Kontext stehen KMU mit Marktfeld-, Marktstimulierungs-, Marktparzellierungs- und Marktarealstrategien vier verschiedene Strategiebausteine zur Verfügung, wobei die zieladäquate Ableitung und Formulierung von Strategien eine wesentliche Bedingung für konsequente Unternehmensführung darstellt. Eine strategiegeleitete Unternehmensführung ist indes nur möglich, wenn eine Festlegung auf mehreren Strategieebenen erfolgt. Je vollständiger ein Strategieplan ist, desto besser ist die daraus resultierende Steuerungsleistung. Ein komplettes Strategieprogramm wird durch die Verknüpfung der unterschiedlichen Bausteine auf allen vier Strategieebenen festgelegt und stellt damit im Rahmen des strategischen Managements die Basis für die Bestimmung des optimalen Maßnahmen-Mix dar. Als letzte Ebene einer Marketingkonzeption ist die operative Umsetzung im Sinne der Auswahl und Budgetierung bestimmter Maßnahmenbündel im Marketing-Mix zu beachten. Nur durch eine zielorientierte und strategieadäquate Kombination der vier Mix-Instrumente Pro-
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duktpolitik, Preispolitik, Kommunikationspolitik und Distributionspolitik können die strategischen Zielvorgaben erreicht werden. Die damit verbundenen, in der Praxis auftretenden, typischen Problemfelder liegen hauptsächlich in der jeweiligen Budgetfestsetzung sowie in der Gewichtung und Harmonisierung der einzelnen Mix-Instrumente. Gerade bei der operativen Umsetzung von Marketingstrategien existieren im Mittelstand deutliche Unterschiede zu Großunternehmen. Das lässt sich im Wesentlichen auf die geringere finanzielle Ausstattung klein- und mittelständischer Unternehmen zurückführen. Im Folgenden werden die einzelnen Mix-Bereiche in knapper Form KMU-spezifisch diskutiert, weil der Marketing-Mix in KMU so vielfältig ist, dass an dieser Stelle nur auf eine kleine Auswahl eingegangen werden kann. In der Praxis muss ein jeweils unternehmensindividuelles Marketing-Mix-Programm entwickelt werden. Aus der geringeren finanziellen Ausstattung resultieren bei KMU im Bereich der Produktpolitik beispielsweise – wenn überhaupt vorhanden – schwächer ausgeprägte Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten (vgl. Acs und Audretsch 1988). Auch werden zur Ideengenerierung nur in seltenen Fällen die aus der Marktforschung kommenden Methoden eingesetzt – selbst wenn diese zum Teil vergleichsweise kostengünstig sind. So wird die Ideengenerierung mittels anspruchsvoller Kreativitätstechniken wie zum Beispiel dem morphologischen Kasten nur von einem geringen Teil der KMU eingesetzt. Die Gründe dafür sind vielfältig, wesentlich erscheinen allerdings die häufig fehlende Bekanntheit der Verfahren, aber auch die Unbekanntheit anderer Methoden zur Bewertung neuer Produktideen (vgl. König und Völker 2003). Während festgestellt werden kann, dass sich die von KMU angebotenen Produkte häufig auf einem qualitativ sehr hohen Niveau befinden und in der Regel den technischen Anforderungen überdurchschnittlich entsprechen, muss auf der anderen Seite konstatiert werden, dass die Bedeutung einer stark kundenorientierten Ausrichtung der Unternehmensaktivitäten nur langsam in das Bewusstsein der Entscheidungsträger rückt. So sind KMU häufig im Bereich der Kommunikationspolitik gezwungen, aufgrund der geringen finanziellen Mittel, auf klassische Werbung zu verzichten und stattdessen den Schwerpunkt auf den persönlichen Kundenkontakt zu legen. Das wird häufig als Nachteil herausgestellt, kann aber gleichermaßen als Vorteil klein- und mittelständischer Unternehmen gesehen werden, denn der Aufbau persönlicher Kundenbeziehungen ermöglicht eine stärkere Kundenbindung (vgl. Kapitel 4). Im Rahmen der Preispolitik besitzen KMU bei der Preissetzung, im Gegensatz zu vielen Großunternehmen, ebenfalls engere Grenzen. Das liegt an der Produktherstellung zu höheren Selbstkosten aufgrund der mitunter kleineren Absatzmengen und den damit verbundenen geringeren Kostendegressionseffekten. Eine genaue Analyse des Preisfindungsprozesses in KMU führt zu dem Schluss, dass diese sich eher an den Selbstkosten oder an den Preisen der Wettbewerber orientieren. Dabei kommen so genannte „Kosten-Plus“-Methoden zur Anwendung, die den Selbstkosten einen pauschalen Betrag für das Unternehmensrisiko beziehungsweise für den Gewinn zuschlagen. Die Preisfestsetzung, die sich an den Konkurrenzpreisen orientiert, kann als ähnlich defensiv bezeichnet werden. Letztere setzt allerdings das Vorhandensein vergleichbarer Produkte auf dem Markt voraus, und das ist nicht zwingend der Fall. Sinnvoller erscheint dagegen die Preisbestimmung, die sich an der Preiszahlungsbe-
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reitschaft der Kunden orientiert. Hier ist abermals die Marktforschung gefordert, um Preise zu identifizieren, mit deren Hilfe maximale Gewinne erzielt werden können. Zudem sollten KMU versuchen, nicht primär über den Preis zu verkaufen, sondern über Wert und Leistung, denn KMU sind strategisch eher kundennutzen- und nicht preisorientiert. Bei der Distribution der Produkte können sich die wenigsten KMU aus Kostengründen ein eigenes, geografisch weit agierendes Vertriebsteam leisten. Gleichermaßen ungünstig ist ein mehrstufiges Absatznetz mit Zwischenhändlern, denn jede dieser Vertriebsstufen muss an der Preisspanne beteiligt werden und schmälert damit den Gewinn. Zudem besteht die Gefahr, dass sich der persönliche Kontakt zum Kunden durch die Inanspruchnahme von Absatzmittlern verringert, wodurch ein negativer Einfluss auf die Kundenbindung entstehen kann. In der Praxis gibt es durch die hohe Anzahl an Kombinationsmöglichkeiten eine Vielzahl operativer Marketing-Mix-Programme. Bei der Implementierung aller Bestandteile der Marketingkonzeption ist neben der zeitlichen Planung und den Zuständigkeiten die Erfolgskontrolle der eingesetzten Maßnahmenbündel zu beachten. Um den Marketing-Mix hingegen optimal zu gestalten, sollten die wesentlichen Erfolgsfaktoren von KMU in die Maßnahmen integriert werden.
3.
Erfolgsfaktoren von KMU – Ergebnisse empirischer Untersuchungen
Zur Stärkung der Wettbewerbsposition und Optimierung der Marketingplanung ist es für KMU wichtig, ihre unternehmensindividuellen Erfolgsfaktoren zu kennen und anschließend optimal für den Unternehmenserfolg einzusetzen. Aufgrund der Tatsache, dass keine allgemein gültigen Erfolgsfaktoren für Unternehmen existieren, beschäftigt sich die empirische Forschung mit deren Identifikation. Dazu gibt es verschiedene Untersuchungen, wie beispielhaft die PIMS-Studie oder die Arbeiten von Peters und Waterman (1986), Berth (1991) sowie Weissmann (1992). Im Ergebnis kommen alle der genannten Untersuchungen zu dem Schluss, dass es verschiedene Erfolgsfaktoren mit grundlegender Bedeutung gibt, die in den einzelnen Unternehmen in Abhängigkeit ihrer jeweiligen Kombination zueinander verschieden wirken (Bussiek 1996). Konkret werden von Peters und Waterman (1986) unter anderem die Kundennähe und unter der Bezeichnung „Primat des Handelns“ auch die Flexibilität als Erfolgsfaktoren genannt. Berth (1991) hingegen differenziert in seiner Untersuchung den Faktor Kundennähe und kommt zu dem Ergebnis, dass es wichtig ist, Kundennähe und Kundenkooperation „bis zum Exzess“ zu betreiben. Kundennähe müsse dabei mit außerordentlicher Intensität betrieben werden, um als besonderer Erfolgsfaktor zu erscheinen, da Kundennähe als Durch-
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schnittsleistung von den Abnehmern als selbstverständlich angesehen werde. Auch Weissmann (1992) identifiziert die konsequente Kundenorientierung und Konsequenz bei der Umsetzung – neben drei weiteren – als Erfolgsfaktoren. Insgesamt ermitteln alle der vorgenannten Studien die Erfolgsfaktoren durch objektive Wechselbeziehungen zum Gewinn oder Cash-Flow. Eine Besonderheit stellt die 1988 durchgeführte STRATOS-Studie (Strategy Orientations of Small and Mediumsized Enterprises) wegen des speziellen KMU-Fokus dar. Dabei wurden die persönlichen Einschätzungen der Unternehmer zu den für sie wichtigsten Erfolgsfaktoren erhoben, so dass bei der Ergebnisbetrachtung nicht ausgeschlossen werden kann, dass subjektive Fehleinschätzungen oder Vorurteile mit eingeflossen sind und zu einer Verzerrung führten. Dennoch zeigt die Untersuchung kaum Unterschiede zu den Ergebnissen der zuvor dargestellten Untersuchungen, so dass stabile Ergebnisse vermutet werden können. Im Einzelnen konnten die Produktqualität, die Lieferzuverlässigkeit, ein guter Ruf des Unternehmens, die Qualität der Mitarbeiter, die Flexibilität und die Qualifikation des Managements als Erfolgsfaktoren identifiziert werden. Das zeigt, dass vor allem qualitative Faktoren übereinstimmend als besonders wichtig erachtet werden, während quantitative Erfolgsdeterminanten wie Kosten und Finanzen nicht in den vorderen Rängen zu finden sind. Der Großteil dieser Erfolgsfaktoren ist von KMU sehr gut umzusetzen. Wichtig ist in diesem Kontext, dass die Unternehmen ihre eigenen, spezifischen Erfolgspotenziale erkennen und daraus Erfolgsfaktoren entwickeln (vgl. Bussiek 1996). Die Ergebnisse der INTERSTRATOS-Studie, einer Längsschnittuntersuchung aus den Jahren 1991 und 1995, zeigen, dass die Lieferbereitschaft, die Produktqualität, die Kundennähe, der Kundendienst und die Flexibilität bei der Befriedigung von Kundenwünschen die Erfolgsfaktoren Schweizer KMU darstellen (vgl. Pleitner 1996). Diese Ergebnisse konnten in einer 1999 durchgeführten Validierungsstudie bestätigt werden (vgl. Zanger 2000). Nach der Untersuchung von Travella und Belz (1999) bestehen die herausragenden Marketingvorteile von KMU vor allem in der Kundenbeziehung (74 %) und dem Ruf beziehungsweise dem Image des Unternehmens (72 %). Zwar deutlich abgestuft zu den beiden vorgenannten Eigenschaften, aber mit 58 % immer noch sehr wichtig, wird von den 301 befragten Unternehmen die Reaktionsgeschwindigkeit, also die Flexibilität, schnell auf Kundenwünsche zu reagieren, genannt. Weitere Marketingstärken liegen in der Verkaufsfähigkeit der Mitarbeiter (52 %), dem hohen Bekanntheitsgrad im Kernabsatzgebiet (51 %) sowie in den Beziehungen zu den Lieferanten (50 %). Insgesamt wird deutlich, dass das Management von Kundenbeziehungen im Mittelpunkt der Marketing-Bemühungen steht. Das unterstreicht auch Menzl (1998), der Anforderungen an KMU definiert und unter anderem auf die Bedeutung der Kundensegmentierung und die Pflege der Kundennähe hinweist. In einer weiteren Untersuchung werden die Kundennähe und Flexibilität neben der Liefertermintreue und Innovationsfähigkeit als wesentliche Erfolgsfaktoren von KMU identifiziert (vgl. Schirrmann 2005). Darüber hinaus optimieren und bereinigen erfolgreiche Mittelständler regelmäßig ihre Sortiments- und Kundenstruktur sowie ihre Leistungstiefe und streben bei der Neuproduktent-
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wicklung eine Integration der daran beteiligten Abteilungen wie Entwicklung, Einkauf, Produktion und Vertrieb an (vgl. Bussiek 1996). Schenk (2000) geht in seinem so genannten Vier-Märkte-Ansatz davon aus, dass KMU ihr Leistungspotenzial nicht nur auf Kundenbeziehungen ausrichten sollen, sondern vielmehr versuchen sollten, dieses Potenzial auch systematisch und simultan in die Gestaltung der Lieferanten, Konkurrenz- und Mitarbeiterbeziehungen einzubringen. Das führe beim Gelingen der Harmonisierung aller Marketingaktivitäten zu einer deutlichen Abhebung von Großunternehmen und damit zu einer effizienten Behauptung im Wettbewerb. Große und kleine Unternehmen unterscheiden sich allerdings nicht nur durch ihre Größe, sondern auch durch die Art der zur Verfügung stehenden Ressourcen. KMU besitzen in der Regel eine breite Kompetenz, agieren schnell und flexibel am Markt, zeichnen sich durch eine besondere Kundennähe aus und setzen ihre eigenen Ressourcen effektiv und effizient ein. Dabei verfolgen die Unternehmen einen problem- und prozessbezogenen Ansatz. Demzufolge gehen KMU vom spezifischen Kundenproblem aus und konfigurieren daraus eine problemlösende Leistung. Hierin liegt eine besondere, positive Abgrenzung zu Großunternehmen, die durch ihre Arbeitsteilung dazu teilweise nicht in der Lage sind (vgl. Belz 2000). Insgesamt zeigen die vorgenannten empirischen Untersuchungen, dass Kundennähe und Flexibilität zu den Erfolgsfaktoren von KMU gehören. Sie werden deshalb im nächsten Abschnitt detaillierter diskutiert.
4.
Unternehmenserfolg durch Kundennähe und Flexibilität als strategische Wettbewerbsvorteile
Die vorangegangenen Ausführungen haben gezeigt, dass der Wettbewerbsvorteil kleiner und mittelständischer Unternehmen gegenüber Großunternehmen unter anderem darin besteht, näher am Kunden zu sein und flexibler auf deren Wünsche eingehen zu können. Peters und Waterman (1986) betonen, dass „Spitzenunternehmen (…) ihren Kunden wirklich nahe“ sind. Das belegt Simon (1997) für Hidden Champions, die zwar keine Marketing-Spezialisten seien, wohl aber Spezialisten für – alle Funktionen und Ebenen umfassende – Kundennähe. Wobei das Gegenteil für Großunternehmen gelte. Das wirft zwangsläufig die Frage auf, was unter dem Begriff Kundennähe zu verstehen ist. In der Praxis existieren unterschiedliche Definitionen, wobei Homburg (2000) neue Impulse gab, die eng mit der Kundenzufriedenheit zusammenhängen. Nach Stauss und Seidel (2002) ergibt sich Kundennähe aus dem Grad der physischen und psychischen Distanz zum Kunden. Albers, Bauer und Eggert kommen bei einer Unternehmensbefragung zu dem Ergebnis, dass Kundennähe einerseits durch auf Kunden bezogene Maßnahmen wie flexibler Service, indi-
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viduelle Problemlösungen, zufrieden stellende Beschwerdeabteilungen und andererseits durch produktspezifische Eigenschaften wie schneller und guter Kundendienst, zuverlässige und aktuelle Produkte hoher Qualität beschrieben werden kann (vgl. Albers 1989). Bestimmte produktimmanente Eigenschaften können dagegen nicht zwingend mit Kundennähe in Verbindung gebracht werden, weil diese als kundenindividuell unterschiedlich anzunehmen sind. Die Aufgabe besteht nunmehr darin herauszuarbeiten, in welcher Form Kundennähe in KMU als strategisches Erfolgsinstrument eingesetzt werden kann, um letztendlich als Erfolgsfaktor zu wirken. Zwar kann Kundennähe nicht eindeutig definiert werden; eindeutig ist jedenfalls, dass sich die zu befriedigenden, in der Regel heterogenen Kundenwünsche im Zeitverlauf verändern. Daraus kann abgeleitet werden, dass es kundenseitig verschiedene Idealvorstellungen von Produkten gibt, mit der Konsequenz, dass jedes undifferenziert angebotene Produkt – auch wenn es qualitativ hochwertig und zuverlässig ist – nicht kundennah sein kann, weil andere Kunden möglicherweise das Entgegengesetzte wünschen (vgl. Laß 2002). Streben Unternehmen eine breite Marktbedienung an, müssen die Märkte segmentiert und letztendlich verschieden bearbeitet werden. Das bedingt ein Angebot differenzierter, segmentspezifischer Produkte. Um die (potenziellen) Kunden möglichst ohne Streuverluste zu erreichen, ist eine zielgruppenspezifische Kundenansprache sinnvoll. Kundennähe kann dann als erreicht angesehen werden, wenn durch eine differenzierte Marktbearbeitung viele verschiedene Kunden mit individuell zugeschnittenen Leistungspaketen zufrieden gestellt werden können. Ein komplettes Maß an Kundennähe herzustellen wird indes nicht möglich sein, denn es wird immer Kunden geben, denen das angebotene Programm nicht ausreicht. Möglicherweise existieren diesbezüglich unternehmensintern Informationsdefizite, weil KMU vielfach nicht wissen, welche Produkte mit welchen Eigenschaften von den Kunden bevorzugt werden. Ein besonderes Maß an Kundennähe kann in diesem Zusammenhang durch die Berücksichtigung von Kundenwünschen bei der Gestaltung des Produktprogramms, aber auch durch die Erfüllung von Sonderwünschen bei bestehenden Produktangeboten generiert werden (vgl. Laß 2002, Filip 1997). Diese Maßnahmen bezeichnen Albers, Bauer und Eggert als Strategie der Flexibilität gegenüber Kundenwünschen (vgl. Albers 1989). Das Zuhören und anschließende Umsetzen der Kundenwünsche wird damit zu einem besonderen Vorteil von KMU (vgl. Power und Reid 2005), denn „Top-Kunden sind die besten Quellen für neue Ideen und Innovationen“ (Simon 1997). Zur Kundennähe gehört auch das Angebot der richtigen Leistung zum richtigen Zeitpunkt. Darum ist es notwendig, die sich wandelnden Kundenwünsche zeitnah und möglichst umfassend zu identifizieren, um darauf schnell mit Neuprodukten reagieren zu können (vgl. Laß 2002, Albers und Eggert 1988). Erneut zeigt sich, dass zur Entscheidungsunterstützung das Kundenverhalten analysiert werden sollte (vgl. Griffin und Hauser 1993), denn zentrale Voraussetzungen für das Treffen richtiger Entscheidungen sind Kenntnisse bezüglich der aktuellen Kundenzufriedenheit und -wünsche. Deren Ermittlung beginnt bereits im Kundengespräch. Durch den häufig sehr guten, persönlichen Kontakt zum Kunden können KMU diese Gespräche als Quelle für Neuproduktideen und Verbesserungsvorschläge nutzen. Allerdings
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kann festgestellt werden, dass der Außendienst von KMU häufig Probleme beim aktiven Zuhören und interessierten Hinterfragen besitzt und demzufolge verschiedene Kunden- und Marktinformationen nicht aufnehmen kann (vgl. Schirrmann 2005). Zudem ist eine sehr flexible Anpassung des Leistungsspektrums an die jeweiligen Kundenanforderungen wichtig. Schließlich könnten Kunden wünschen, zunächst nur kleine Bestellmengen zu ordern mit der Option, anschließend im Bedarfsfall größere Nachbestellung vornehmen zu können. So gesehen schafft Flexibilität Wettbewerbsvorteile und kann damit gleichermaßen als wichtige Voraussetzung für gelebte Kundennähe in KMU verstanden werden. Unklar ist, ob Kundennähe einen Erfolgsfaktor für KMU darstellt. Albers, Bauer und Eggers sind der Frage nachgegangen, ob sich Kundennähe lohnt, und haben mittelständische Unternehmen dazu befragt. Ziel war es, die Beeinflussung des Umsatzes, der Umsatzrendite und der Wachstumsrate durch die Kundennähe festzustellen (vgl. Albers 1989). Die Operationalisierung der Kundennähe erfolgte über Indikatoren der drei Bereiche differenzierte Marktbearbeitung, Flexibilität und Reagibilität, wobei unter Flexibilität in diesem Kontext die Kompetenz des Außendienstes, Berücksichtigung von Sonderwünschen der Kunden, permanente und kurzfristige Anpassung des Leistungsangebots an die Kundenwünsche und der flexible Personaleinsatz an Kapazitätsnotwendigkeiten verstanden wurde. Insgesamt konnte festgestellt werden, dass es einen eindeutigen – positiven – Zusammenhang zwischen Kundennähe und Erfolg gibt und dass KMU mit Kundennähe häufiger zum Erfolg gelangen als Kundenferne. Zudem konnte ein positiver Zusammenhang zwischen Flexibilität und Erfolg nachgewiesen werden (vgl. Power und Reid 2005; Kuratko, Goodale und Hornsby 2001). Als konkrete Maßnahmen zur Erreichung von Kundennähe sollten KMU besonderen Wert auf kostengünstige produkt- und kommunikationspolitische Maßnahmen legen. Letztere beinhalten auch die wesentlichen Vertriebsaspekte. Zu den produktpolitischen gehören verschiedene Maßnahmen. Insbesondere bei heterogenen Kundenwünschen besteht die Ideallösung darin, dass jeder Konsument das Produkt nach seinen persönlichen Präferenzen mit Sonderkomponenten zusammenstellen kann, so wie es bereits in der Automobil- und Möbelindustrie möglich ist. Diese individuelle Produktzusammenstellung sollte – wenn realisierbar – ohne Aufpreis erfolgen. Das führt bei KMU zu kundenindividueller Produktion (so genanntes Customization), bei der die unterschiedlichen Bedürfnisse der Konsumenten befriedigt werden. Dieser Individualisierungsprozess dient dem Aufbau einer dauerhaften Beziehung zu den Abnehmern (Piller 1998). Das setzt bei KMU eine große Produktionsflexibilität bei der Herstellung kundenindividueller Produkte voraus. Wichtig erscheinen bei der Leistungserstellung zudem angemessene Fertigungszeiten und die Einhaltung versprochener Lieferzeiten. Auch könnte die Entwicklung eines modularen Angebots, das auch während des Gebrauchs erweiterbar ist, sinnvoll sein, denn häufig entsteht der Wunsch nach zusätzlichen Funktionen erst bei der Produktnutzung. Daraus resultiert die Gewöhnung des Kunden an das System und diese wiederum führt zu langfristiger Kundenbindung mit einer relativ geringen Gefahr einer schnellen Kundenabwanderung. Zudem sollten KMU neben einem qualitätsdifferenzierten Produktangebot professionelle, aber differenzierte Kundendienstpakete zur Befriedigung der individuellen Kundenbedürfnisse anbieten. Schließlich ist nicht jeder Kunde an einer hohen Qualität beziehungsweise einer
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Rundumbetreuung interessiert, wenn dafür ein hoher Preis zu zahlen ist. Die Zuverlässigkeit der Leistungen muss allerdings gewährleistet sein. Ein Differenzierungsmerkmal könnte in diesem Kontext eine zeitlich unterschiedlich lang gewährte Herstellergarantie sein. Die Neuproduktentwicklung aus Kundenideen wird häufig in KMU vernachlässigt. Als Ideenquelle sollten deshalb Gruppendiskussionen, Interviews mit Hauptverwendern oder Kundenbefragungen durchgeführt werden, aber auch Ideenwettbewerbe stellen eine alternative Informationsquelle dar. Zwingende Voraussetzung für eine differenzierte Marktbearbeitung ist die Bekanntheit der individuellen Kundenzufriedenheit und -wünsche. Regelmäßige Analysen ermöglichen KMU eine schnelle Reaktion auf Schwachstellen bei Produkten oder Serviceleistungen sowie auf Wünsche. Zudem fühlen sich Kunden durch diese Untersuchungen ernst genommen und wichtig für ein Unternehmen. Wenn bekannt ist, ob die Kundenwünsche in das eigene Leistungsspektrum integrierbar sind, kann die Produktionsflexibilität von KMU unter Beweis gestellt werden. Für die Kundennähe von KMU bedeutet dies einerseits, dass zur Kundenerreichung geeignete Kommunikationskanäle gefunden werden müssen, und andererseits, dass auch unternehmensintern der Informationsfluss der Daten aus der Marktforschung, aber auch aus der – kostengünstigeren – Informationssammlung, sichergestellt sein muss. Ein weiterer, wichtiger Aspekt ist ein gut funktionierendes, übergeordnetes Beschwerdemanagement mit der Aufgabe, aus unzufriedenen Kunden wieder zufriedene zu machen. Werden die Kundenerwartungen bei der Beschwerdebehandlung übertroffen, kann das zu einem gutem Weiterempfehlungsverhalten seitens der Kunden führen. Zusätzlich lassen sich aus Beschwerden Rückschlüsse auf konkrete Verbesserungspotenziale der eigenen Leistungen ableiten (vgl. Stauss und Seidel 2002). Darüber hinaus gibt es verschiedene kommunikationspolitische Maßnahmen. Besonders wichtig zum Aufbau von Kundennähe ist die Nähe durch Direktkontakte (vgl. Winkelmann 2000). Neben dem Außendienst sollten darüber hinaus auch die am Entwicklungsprozess beteiligten Mitarbeiter oder die Unternehmensleitung in bestimmten zeitlichen Abständen in Kontakt zum Kunden treten. Bedeutende Voraussetzung ist dabei, dass der im Direktkontakt stehende Personenkreis in der Lage ist, dem Kunden zuzuhören, um kunden- und marktrelevante Informationen aufzunehmen, denn im Vordergrund dieser Besuche steht die Identifikation der Kundenwünsche und nicht eine Selbstdarstellung des Unternehmens. Als Vorbild könnten die Hidden Champions dienen, bei denen nach einer Schätzung von Simon (1997) 20 bis 25 % der Mitarbeiter mehr oder weniger regelmäßig Kunden besuchen, im Gegensatz zu knapp zehn % in Großunternehmen. KMU sollten versuchen, eine zielgruppenspezifische und wenn möglich personalisierte Kundenansprache zur Minimierung von Streuverlusten vorzunehmen. Grundbedingung dafür ist allerdings ein aktueller Kundendatensatz. Darüber hinaus kann Kundennähe über gelegentliche gemeinsame Abendessen, persönliche Geschenke, periodische Übersendung interessanter Informationen, beispielsweise in Form elektronischer Newsletter, oder durch einen geschützten Bereich auf der Unternehmenshomepage aufgebaut werden. Aber auch im Unternehmen durchgeführte – vielleicht jährlich stattfindende – Kundentage bieten neben der gezielten
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Einladung von Entscheidungsträgern auf Messen eine gute Möglichkeit zum Aufbau von Kundennähe (vgl. Schirrmann 2005). Unternehmensintern ist im Sinne einer guten Kundenbetreuung sicherzustellen, dass neben quantitativen Kennzahlen wie Umsatz, Kosten oder Deckungsbeiträgen qualitative Informationen über die Kunden auch an Personen weitergegeben werden, die nicht im Direktkontakt mit dem Kunden stehen, um die Sensibilität für Kundenwünsche zu erhalten beziehungsweise zu verbessern. Dazu sind persönliche Besprechungsrunden geeignet. Zusätzlich sollte die Archivierung dieser Informationen in einer Datenbank erfolgen, um den permanenten Zugriff durch alle am Verkaufsprozess beteiligten Mitarbeiter sicherzustellen. Weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Kundennähe bieten sich KMU durch gute Öffentlichkeitsarbeit, die Nutzung von Call Centern mit langen Servicezeiten sowie die Ausnutzung der Vorteile durch E-Commerce und Weblogs im Internet. Nähe kann zudem durch Promotions erreicht werden (vgl. Winkelmann 2000). Ein sinnvolles Instrument stellen bei KMU Marketing- oder Vertriebskooperationen nicht konkurrierender Unternehmen mit gleichen Zielgruppen dar. Durch Verweise auf die jeweiligen Angebote der Kooperationsunternehmen können leichter neue Kunden akquiriert werden. Einige der vorgenannten Maßnahmen werden in KMU bereits durchgeführt und als Selbstverständlichkeit erachtet. Das ist vor allem bei Unternehmen der Fall, die eher klein organisiert sind oder sich auf Marktnischen konzentrieren. Da die Individualisierungstendenz auch bei Produkten von Nischenanbietern steigt, sollte ihr zwingend gefolgt werden. Vielleicht ergeben sich durch Produktindividualisierungen Möglichkeiten, neben Massenmärkten weitere Marktnischen zu identifizieren und erfolgreich zu bearbeiten. Zusammenfassend kann dargestellt werden, dass Kundennähe, aber auch Flexibilität als die schnelle Reaktionsgeschwindigkeit eines Unternehmens, im Marketing-Mix klein- und mittelständischer Unternehmen eine besondere Bedeutung besitzen. Im Mittelstand wird häufig das Fehlen klassischer Kommunikation über die persönliche Nähe zum Kunden ausgeglichen. Diese gelebte Kundennähe zeigt in besonderer Weise, dass sich Unternehmen um den Kunden bemühen und an einer dauerhaften Beziehung interessiert sind. Weil sowohl Kundennähe als auch Flexibilität klein- und mittelständischer Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil darstellen, sollten KMU diese Eigenschaften konsequent zur Verbesserung der Wettbewerbsposition einsetzen. Gerade im Hinblick auf die teilweise existierende Austauschbarkeit von Produkten kann Kundennähe eine wichtige Abgrenzung zum Wettbewerb darstellen. KMU sollten den Kunden genauso nahe sein, dass diese weder Zeit besitzen noch Lust empfinden, sich mit Konkurrenzprodukten auseinander zu setzen (vgl. Winkelmann 2000). Die Verbesserung beziehungsweise der Aufbau eines hohen Maßes von Kundennähe kann durch unterschiedliche Marketing- und Vertriebsmaßnahmen erreicht werden, wobei der Grad der erreichten Kundennähe durch die verschiedenen, zum Teil genannten Maßnahmen beeinflusst werden kann. Dazu gehören insbesondere die persönliche Nähe des Außendienstes oder der Vertriebsleitung zum Kunden. Insgesamt erscheint ein optimaler Mix aus persönlichen und damit auch kostspieligen und eher unpersönlichen Kontakten beispielsweise über Di-
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rektmarketing-Maßnahmen sinnvoll. Kundennähe und Flexibilität führen dann zu einer guten Profilierung im Wettbewerb und tragen damit positiv zum Unternehmenserfolg bei.
5.
Fazit
In den vorangegangenen Ausführungen konnte gezeigt werden, dass es auch in klein- und mittelständischen Unternehmen zunehmend wichtiger wird, sich mit professionellem Marketing auseinander zu setzen. Das beginnt mit einer systematischen Untersuchung der Unternehmenssituation, wobei wegen der hohen Praxisrelevanz an dieser Stelle die SWOTAnalyse eingesetzt werden kann. Darüber hinaus wurde aufgezeigt, dass die Marktforschung auch für KMU eine besondere Bedeutung besitzt und nicht nur für Großunternehmen geeignet ist. Ein Verzicht auf Marktforschung kann bei KMU zu erheblichen Fehlinvestitionen von Finanzmitteln führen. Aufbauend auf diesen systematischen Grundlagen wurde skizziert, wie im Mittelstand eine erfolgreiche Marketingkonzeption mit Zielbestimmung, Strategiedefinition und Maßnahmenplanung erstellt werden kann. Darüber hinaus wurden auf Basis empirischer Analysen die Kundennähe und die Flexibilität als besondere Erfolgsfaktoren von KMU identifiziert und deshalb detailliert diskutiert. Kundennähe und Flexibilität beeinflussen demnach den Unternehmenserfolg positiv und verschaffen KMU Wettbewerbsvorteile im Markt. Kundennähe zeigt sich dabei nicht ausschließlich in Form von Produktqualität, Zuverlässigkeit und Serviceleistungen, sondern bedeutet vielmehr, den Abnehmern physisch und psychisch möglichst nah zu sein und ihnen viele und dabei individuell an ihre jeweiligen Bedürfnisse angepasste Produkte anzubieten. Die Erfüllung heterogener, zielgruppenspezifischer Wünsche muss indes auf Basis einer differenzierten Marktbearbeitung erfolgen, so dass flexible Produktanpassungen an Sonderwünsche sowie das permanente Wissen bezüglich der Veränderung von Kundenwünschen zunehmend bedeutsamer werden. KMU sollten insbesondere Kundennähe und Flexibilität als Erfolgsfaktoren verstärkt zur Profilierung im Wettbewerbsumfeld sowie zur Abgrenzung gegenüber Großunternehmen und damit zur Steigerung des Unternehmenserfolgs nutzen. Darüber hinaus sollte zukünftig eine systematische Erfolgsmessung der einzelnen Maßnahmen angestrebt werden.
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Spiel ohne Grenzen – Mittelständler: Local und Global Player
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Spiel ohne Grenzen – Mittelständler: Local und Global Player Martin Kannegiesser
Zusammenfassung
Mittelständische Betriebe, die in Deutschland das Rückgrat regionaler Wirtschaftskraft bilden, geraten seit Mitte der 90er Jahre immer stärker in den Sog der Globalisierung. Das hat zum einen mit der Entwicklung von Märkten und den veränderten Anforderungen der Kunden zu tun, zum anderen aber auch mit den Chancen, die sich weltweit durch die Öffnung von Grenzen und durch die Aufnahme der mittel- und osteuropäischen Staaten in die Europäische Union ergeben haben: Standortalternativen mit günstigeren Kostenbedingungen liegen nun gleichsam vor der Haustür und in einem verwandten Sprach- und Kulturbereich. Damit zusammenhängend hat auch das Kostenmotiv als Triebfeder für die Standortverlagerung ins Ausland an Bedeutung gewonnen. Die Mischkalkulation von inländischer und ausländischer Produktion sichert vielen mittelständischen Betrieben das Überleben und damit auch die heimischen Arbeitsplätze. Allerdings sollte der Gang ins Ausland aus Kostengründen Ergebnis einer wohlüberlegten Vorwärtsstrategie sein – auf der Basis eines rationalen Kostenvergleichs – und nicht ein Ergebnis des Herdentriebs. Wer sein Heil nur in einer Produktionsverlagerung sucht, der greift zu kurz. In vielen Fällen stellt sich nämlich heraus, dass auch am heimischen Standort noch längst nicht alle Potenziale zur Optimierung der Abläufe ausgeschöpft sind. Viele mittelständische Betriebe sind in funktionierende lokale und regionale Netzwerke eingebunden – auch das ist eine Chance zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit. An dieser Stelle gilt es zunächst anzusetzen. „Standortoptimierung“ muss die unternehmerische Aufgabe lauten, nicht Verlagerung ins Ausland als Wert an sich.
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1.
Martin Kannegiesser
Von der Bundesliga in die Weltliga
Treiber der Globalisierung waren lange Zeit die multinationalen Unternehmen. Wenn die 30 DAX-Unternehmen in Deutschland inzwischen fast drei Viertel ihrer Umsätze im Ausland erwirtschaften, dann ist das nicht über den Export allein zu bewältigen, sondern verlangt eine starke Präsenz im Ausland. Die großen Unternehmen sind längst international aufgestellt. Sie verfügen zudem über die notwendigen Ressourcen, um die erforderliche Integrationsleistung zu vollbringen und von der Strategie der Internationalisierung zu profitieren. Kleine und mittelständische Betriebe, die meist durch die Inhaber geführt werden, galten dagegen lange als bodenständig und in ihrer Region verwurzelt. Die Bindung an die Region, das Gefühl der Verantwortung für die Menschen in der Region, aber auch die Einbettung in bewährte, funktionierende regionale Netzwerke mögen die Gründe dafür gewesen sein, dass der Mittelstand die Verlagerung von Wertschöpfung ins Ausland als strategische Option eher zurückhaltend genutzt hat. Ausländische Märkte wurden vor allem vom heimischen Standort aus über Exporte erschlossen und bedient und in einer späteren Phase möglicherweise über eigene Vertriebs- und Service-Niederlassungen. Seit Mitte der 90er Jahre verändern sich die Internationalisierungsstrategien des Mittelstandes. Seit diesem Zeitpunkt – und verstärkt am Ende des Jahrzehnts – schalten sich die mittelständischen Industriebetriebe auch über Direktinvestitionen und die Gründung von Tochterunternehmen immer mehr in den Globalisierungsprozess ein. Der Anstoß dazu kam durch die Märkte und die Kunden: Viele mittelständische Zulieferer mussten ihren Abnehmern ins Ausland folgen. Die Automobilunternehmen selbst, aber auch die großen Systemlieferanten in der Autoindustrie liefern Beispiele dafür: Sie erwarten, dass sich die Zulieferer unmittelbar bei den ausländischen Werken ansiedeln. So lässt sich die Sicherheit der Lieferung gewährleisten, und nicht zuletzt spart die Produktion im Ausland Logistikkosten in einem erheblichen Umfang. Für andere Branchen gilt das Vorgehen entsprechend: Auch ein Maschinenbauer kann zum Auswandern gezwungen sein, wenn seine Kundschaft das Land verlässt. Hinter dieser Entwicklung stehen auch die gravierenden Veränderungen der politischen Rahmenbedingungen und die gewaltigen Fortschritte in der Informationstechnik und im Transportwesen: Mit dem Fall der Mauern nach dem Zusammenbruch des Kommunismus und den Öffnungen von China und Indien haben sich drei Milliarden Menschen neu in die Weltmärkte eingeklinkt. Immer stärker bekommen die Betriebe die tektonischen Auswirkungen dieser Welle überall in der Welt zu spüren. Es entstehen gewaltige neue Absatz- und gleichzeitig Beschaffungsmärkte. Der weltweite Wettbewerb hat neue Dimensionen angenommen. Durch die weltweite Vernetzung der Märkte ist ein neuer Wirtschaftsraum entstanden.
Spiel ohne Grenzen – Mittelständler: Local und Global Player
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Deutschland ist nach wie vor ein wichtiger Absatz- und Beschaffungsmarkt – aber eben nur noch einer von vielen. Das darf man nicht moralisierend bewerten, das ist vielmehr eine notwendige und zwangsläufige wirtschaftliche Konsequenz der Globalisierung. Einen zusätzlichen Schub brachte die Erweiterung der Europäischen Union zum 1. Mai 2004. Das Wegfallen der letzten politischen Restrisiken in diesen Regionen macht diese Standorte auch für bislang zaghafte Investoren lukrativ. Mit diesen Ländern in der unmittelbaren Nachbarschaft haben sich gerade für kleine und mittelständische Unternehmen in Deutschland die Standortalternativen erhöht. Gleichzeitig – und durchaus im Zusammenhang damit – gewinnt das Kostenmotiv bei Auslandsinvestitionen deutscher Unternehmen immer mehr an Bedeutung. In diesem veränderten Umfeld müssen die mittelständischen Betriebe ihre Position neu finden, sie müssen ihre Produkte, Prozesse, Strukturen und nicht zuletzt ihre Produktionsstandorte auf den Prüfstand stellen. Vor allem wenn der Lohnkostenanteil in der Produktion deutlich im zweistelligen Bereich liegt, kommt ein Unternehmer eigentlich nicht daran vorbei, sich mit der Frage der Verlagerung zu beschäftigen. Die Unternehmen haben sich auf diese neue Situation eingestellt. Sie haben sich international aufgestellt, sie haben ihre Sortimente umgestellt, ihre Wertschöpfungsketten verändert und den Anteil der Vorleistungen ausgeweitet – sie arbeiten verstärkt in Leistungsverbünden. Manche Unternehmen und Unternehmensführer sind in ihren jeweiligen Segmenten sozusagen von der Bundesliga in die Weltliga aufgestiegen. Der Prozess der Europäisierung und in vielen Fällen einer echten Internationalisierung bedeutet die volle Einbindung der Unternehmen in die neuen Märkte mit den Funktionen Absatz, Produktion und Beschaffung. Die Unternehmen stellen differenzierte Standortbetrachtungen an und fragen, welche Leistungen sich wo am günstigsten erbringen und am besten absetzen lassen. Diese Thematik steht in allen Industrieländern auf der Tagesordnung – nicht nur in Deutschland. Diese Entwicklung hat nicht zuletzt erhebliche Konsequenzen für die nationale Wirtschaftsund Standortpolitik, denn unter dem Diktat der Globalisierung sind das Wohl des Unternehmens und das Wohl des Standortes nicht mehr eins zu eins identisch, wie das vielleicht früher einmal war. Die nationale Wirtschafts-, Steuer-, Sozial- und Tarifpolitik sind gefordert, attraktive Standortbedingungen zu liefern, zur Sicherung der Wertschöpfung und der Beschäftigung an den heimischen Standorten.
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2.
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Fakten zum Auslandsengagement: Umfang, Motive und Zielregionen
Lässt sich die wachsende Internationalisierung des Mittelstandes auch an Zahlen belegen? Oft genug basieren Aussagen zur Internationalisierung bislang eher auf Einzelbeispielen oder ausgewählten Unternehmensberichten. Wie viele Betriebe produzieren bereits im Ausland, wer plant eine Verlagerung der Produktion? Eine Reihe von aktuellen Umfragen geben erste Antworten: 1. Eine Studie der Fachhochschule Albstadt/Sigmaringen (Prof. Sommer) aus dem Jahr 2004 kommt zu dem Schluss, dass fast jeder zweite mittelständische Betrieb aus Deutschland heute schon in den Ländern Osteuropas oder Südostasiens produziert (Sommer/Haug
2004). 2. Das Fraunhofer ISI in Karlsruhe hat eine Rate von knapp 40 % der mittelständischen Betriebe (100 bis 499 Mitarbeiter) ermittelt, die in den Jahren 2001 bis 2003 Teile der Produktion ins Ausland verlagert haben (Fraunhofer ISI 2004). 3. Eine Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) hat im Frühjahr 2005 ergeben, dass 34 % der mittelständischen Betriebe (bis 500 Mitarbeiter) zu Auslandsinvestitionen bereit sind, im Vergleich zu 69 % der Großunternehmen (DIHK 2005). Weil das Fraunhofer ISI die Tendenzen der Internationalisierung schon längerfristig abfragt, lässt sich auch die zunehmende Beteiligung des Mittelstandes nachweisen: Bei der Umfrage im Jahr 1995 berichteten 24 % des Mittelstandes, dass sie in den zwei Jahren zuvor Produktionsverlagerungen ins Ausland vorgenommen hatten. Bei der gleichen Umfrage im Jahr 2003 war der Anteil der Verlagerer im Mittelstand bereits auf knapp 40 % gestiegen. Von den Auslandsverlagerungen betroffen waren bisher vor allem die Produktion sowie der Aufbau von Vertriebsstrukturen oder des Kundendienstes. Zunehmend werden Unternehmen künftig aber auch verstärkt wissensintensive bzw. humankapitalintensive Bereiche auslagern: Forschung und Entwicklung, Konstruktion, Beschaffung und administrative Funktionen. Interessant ist auch die Frage, welche Arten von Produktionen bevorzugt verlagert werden: Die Betriebe verlagern seltener, wenn sie entweder sehr einfache oder sehr komplexe Erzeugnisse herstellen. Der Anteil der verlagernden Firmen liegt höher bei Produkten mittlerer Komplexität (vgl. Abbildung 1). Umgekehrt gilt, dass die Produktion in Deutschland international wettbewerbsfähig ist, wenn entweder einfache Produkte hoch automatisiert (und weniger personalintensiv) hergestellt werden oder wenn der Betrieb für seine Produktion die Potenziale der Mitarbeiter hinsichtlich Qualifikation, Innovation und Flexibilität nutzen kann.
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35 %
30,2 % 30 %
26,4 %
25 %
22,1 %
20,2 % 20 % 15 % 10 % 5% 0% Einteilige Erzeugnisse
Einfache mehrteilige Erzeugnisse
Komplexe mehrteilige Erzeugnisse
Komplexe Anlagen
Quelle: Fraunhofer ISI, Produktionsverlagerungen und Rückverlagerungen ..., S. 12 Abbildung 1:
Komplexität der Produkte und Anteil der Auslandsverlagerungen; Basis: Betriebe aller Größenklassen;
Diese Überlegungen können zum Teil auch die Branchenmuster der Internationalisierung und die dahinterstehenden Motivationsstrukturen erklären. Unter den industriellen Branchen gehören die Automobilindustrie und ihre – auch mittelständischen – Zulieferer zu den Vorreitern der Internationalisierung. Die deutsche Automobilindustrie ist heute mit rund 2.000 Fertigungsstätten im Ausland präsent, mit Schwerpunkt in Westeuropa (VDA 2005, S. 14). Die deutschen Unternehmen produzieren mittlerweile nahezu 50 % ihrer Gesamtfertigung im Ausland (VDA 2005, S. 8). Für die elektrotechnische Industrie – ebenfalls stark internationalisiert – spielt das Argument hoher inländischer Produktionskosten eine besonders wichtige Rolle. Die Betriebe des Maschinenbaus müssen nach ihren großen Exporterfolgen verstärkt in den Aufbau und weiteren Ausbau von Vertriebs- und Kundennetzen investieren. In der Vergangenheit richteten sich die Auslands-Investitionen vor allem auf die Erschließung neuer oder auf die Sicherung bestehender Märkte. Das Motiv der Markterschließung spiegelt sich auch in der regionalen Verteilung der Direktinvestitionen wider: Nach Berechnungen der Deutschen Bundesbank halten die deutschen Unternehmen gut 85 % des Bestandes an Di-
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Martin Kannegiesser
rektinvestitionen in einer Gesamthöhe von etwa 670 Mrd. Euro (2003) in anderen Industrieländern. Investitionen in China sind zwar schlagzeilenträchtiger, aber der Bestand an Direktinvestitionen aus Deutschland liegt erst bei knapp 8 Mrd. Euro, in Russland sind es etwas mehr als 2 Mrd., in Indien knapp 2 Mrd. Euro (Deutsche Bundesbank 2005). Gleichwohl entwickeln sich in den letztgenannten Ländern die Direktinvestitionen besonders dynamisch. Denn dort liegen derzeit die Wachstumsmärkte – also in Osteuropa, in Asien oder im Nahen Osten. Dort ist folglich auch ein enormes Wachstumspotenzial zu erwarten, das nicht allein über Exporte abgeschöpft werden kann. Diese neuen Wachstumsmärkte müssen von den Unternehmen rechtzeitig besetzt werden. Gerade für mittelständische Unternehmen kann das Engagement im Ausland auch Element einer betrieblichen Wachstumsstrategie sein, wenn die Firma in eine Größe hineinwächst, die größere Absatzzahlen und große Märkte für rentable Produktionen braucht. Mittelständische Unternehmen sind häufig Nischenanbieter, die Spezialbereiche bedienen, die einem raschen Wandel unterliegen. In solchen Spezialmärkten muss man zu den Champions gehören, also weltweit die Nummer eins oder zwei sein, weil die Nummer drei schon gefährdet ist.
Kosten der Produktionsfaktoren
84 %
Markterschließung
45 %
Flexibilität, Lieferfähigkeit
35 %
Kapazitätsengpässe
30 %
Nähe zu Großkunden
29 %
Steuern, Abgaben, Subventionen
25 %
0%
10 %
20 %
30 %
40 %
50 %
60 %
70 %
80 %
90 %
Quelle: Kinke/Lay/Maloca: „Produktionsverlagerungen ins Ausland und Rückverlagerungen“, S.17 Abbildung 2:
Die wichtigsten Motive für die Auslandsinvestitionen des Mittelstandes 2001 bis 2003; (Mehrfachnennungen)
Mit der verstärkten Internationalisierung des Mittelstandes seit Mitte der 90er Jahre beginnt sich die Motivationslage zu verschieben: Das Motiv der Kostensenkung tritt immer stärker in den Vordergrund (vgl. Abbildung 2).
Spiel ohne Grenzen – Mittelständler: Local und Global Player
387
Die besondere Ausrichtung der Produktionsverlagerung auf die Senkung der Faktorkosten hat auch mit der Erschließung der Standorte in den Nachbarländern Mittel- und Osteuropas zu tun, wie leicht nachzuvollziehen ist: Einerseits steht bei kleinen und mittelständischen Unternehmen das Ziel der Wettbewerbsstärkung im Vordergrund. Aus vielen Untersuchungen und Befragungen zeigt sich: Je kleiner das Unternehmen, desto wichtiger werden bei Auslandsinvestitionen die Motive der Kostenersparnis sowie der Unterstützung der Exporttätigkeiten durch den Aufbau von Vertrieb und Kundendienst. Andererseits ermöglichen es die Öffnung und Integration der östlichen Nachbarstaaten gerade dieser Unternehmensgruppe, die Hürden zu einer Auslandsinvestition leichter zu überspringen. Die EU-Beitrittsländer sind deshalb für die mittelständischen Unternehmen in Deutschland zur Zielregion Nummer eins bei den Direktinvestitionen im Ausland geworden (vgl. Abbildung 3).
EU-Beitrittsländer
40 %
Asien
33 %
Westeuropa
33 %
Osteuropa
16 %
Nord- und Mittelamerika Südamerika
14 %
2%
0%
5%
10 %
15 %
20 %
25 %
30 %
35 %
40 %
Quelle: Kinke/Lay/Maloca: „Produktionsverlagerungen ins Ausland und Rückverlageungen“, S.14 Abbildung 3:
Zielregionen für die Auslandsinvestitionen des Mittelstandes 2001 bis 2003; (Mehrfachnennungen)
388
3.
Martin Kannegiesser
Internationalisierung und Wettbewerbsfähigkeit
Für die kleinen und mittelständischen Firmen kann die Internationalisierung Teil einer Strategie zur Kostensenkung sein. Die Kostenvorteile aus der Produktion von Teilen im Ausland helfen dabei, die Wettbewerbsfähigkeit und die heimischen Arbeitsplätze – wenigstens zum Teil – zu sichern („Mischkalkulation“). Werden solche Strategien offensiv angelegt, bietet die Einbindung von ausländischen Standorten mit hinreichend motivierten und qualifizierten Arbeitskräften sowie mit deutlich günstigeren Personalkosten eine Chance für die mittelständischen Unternehmen, sich wettbewerbsfähiger zu positionieren. Wenn dieses Ziel erreicht wird, muss der Aufbau einer Auslandsproduktion nicht zulasten der Inlandsbeschäftigung gehen, sondern er dient ganz im Gegenteil der Sicherung der heimischen Arbeitsplätze, wie das viele Unternehmen in den vergangenen Jahren immer wieder nachgewiesen haben. So hat der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) in einer Umfrage unter auslandsaktiven Unternehmen im Jahr 2005 ermittelt, dass die international tätigen Unternehmen ihren Umsatz und ihren Personalbestand an den heimischen Standorten sogar erhöht haben. Das gilt, so das Fazit des DIHK, zunehmend auch für kleine und mittelständische Unternehmen. In Zahlen ausgedrückt: 55 % der Unternehmen haben seit Beginn ihres Auslandsengagements ihren Umsatz in Deutschland erhöht, nur 19 % verringert. Im Inland Beschäftigung aufgebaut haben 37 % der Betriebe, abgebaut hingegen nur 22 %. Auf dem Weg der Internationalisierung haben zahlreiche Unternehmen bisher in Deutschland erwirtschaftete Wertschöpfung ins Ausland verlagert. Ein Beispiel: Die Metall- und ElektroIndustrie (M&E) in Deutschland – mit rund 22.700 Betrieben und durchschnittlich knapp 3,5 Millionen Mitarbeitern im Jahr 2004 der größte Bereich der Industrie – hat die Fertigungstiefe im Inland zwischen 1995 und 2002 von 37 % auf 33 % reduziert. Das hat auf der einen Seite mit der verstärkten Integration von Dienstleistungen zu tun („Tertiarisierung“) aber eben auch mit mehr und mehr Zulieferungen aus Niedriglohnstandorten. Mitte der 90er Jahre nutzten etwa 25 % der M&E-Unternehmen das Instrument der Re-Importe für die heimische Fertigung. Am Ende des Jahrzehnts waren es bereits 50 %. Allerdings sind Standortverlagerungen ins kostengünstigere Ausland nicht immer der beste Weg, um die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen zu verbessern. Es hängt von der Firmengröße, von der Art des Know-hows, von den Sortimenten und von der Struktur der Wertschöpfungskette ab,
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ob sich Verlagerung oder Neuaufbau von Leistungseinheiten in neuen Regionen überhaupt lohnt. Wer sein Heil nur in einer Produktionsverlagerung sucht, der greift zu kurz. Denn der Weg der Kostenersparnis durch Verlagerung ist sicher für eine Zeit lang gangbar. Aber er ist keine Dauerlösung. Wenn die Strukturen erst einmal im Ausland aufgebaut sind, geht der Prozess der Verlagerung immer weiter. Dann ist auch nicht sichergestellt, dass wenigstens hochkomplexe Fertigungsprozesse in Deutschland verbleiben. Die Erfahrungen verschiedener Branchen sollten ein warnendes Beispiel für andere sein: Seit 1970 hat die Textilindustrie in Deutschland etwa 1 Million Arbeitsplätze verloren. In der Bearbeitung und Verarbeitung des Werkstoffes Holz wurden in den letzten 30 Jahren fast 300.000 Arbeitsplätze in Deutschland abgebaut, in der Unterhaltungselektronik waren es 80.000. Deren Produkte werden in Asien gefertigt. Die einstmals bedeutende Uhrenindustrie ist bis auf einen kleinen Rest verschwunden. Wer eine Verlagerung angeht, muss die hohen und langfristigen Investitionen sehr sorgfältig planen. Er muss unter Umständen hohe Betreuungskosten und lange Anlaufzeiten zur Sicherung der benötigten Qualität und erhofften Produktivität veranschlagen. Das Unternehmen muss bei der Wahl der Partner und der Integration ausländischer Standorte nicht nur die verschiedenen Technik-Kulturen und die Firmenkulturen zusammenführen, sondern auch die Länderkulturen (vgl. auch Abbildung 4).
73 %
Produktqualität Wahl des richtigen Partners im Zielmarkt
61 %
Gründliche Marktkenntnis
49 %
Preis
44 %
Service
44 %
Technologievorsprung
30 %
Spez. Geschäftskonzept für den Zielmarkt
29 %
Räumliche Nähe zum Kunden
20 %
0%
Abbildung 4:
10 %
20 %
30 %
40 %
50 %
60 %
70 %
80 %
Erfolgsfaktoren im Auslandsgeschäft; Quelle: Umfrage des DIHK 2005, „Going International“
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Martin Kannegiesser
Bei Produktionsverlagerungen ins Ausland werden erfolgskritische Standortfaktoren oft nicht ausreichend bedacht (vgl. dazu auch Kinkel 2004): Einbußen bei Flexibilität und Liefertreue: Firmen, die ihren Standort ins Ausland verlagern, müssen Flexibilitätseinbußen einkalkulieren, vor allem längere Lieferzeiten oder zusätzliche Kosten für die Einrichtung von Puffern. Die in diesem Bereich auftretenden Mängel und Schwierigkeiten sind die am häufigsten genannte Ursache für eine Rückverlagerung der Produktion an den heimischen Standort. Schwächen bei Qualität und Produktivität: Oftmals stellt sich heraus, dass die Anlaufschwierigkeiten zur Sicherung der notwendigen Qualität und Produktivität gravierender sind, als die verlagernden Firmen kalkuliert haben. Weil sie die geforderte Qualität und Produktivität nicht oder nicht schnell genug erreichen, müssen sich die Firmen wieder aus dem Ausland zurückziehen – das zweithäufigste Rückverlagerungsmotiv! Zusätzliche Overhead-Kosten: Die verlagernden Firmen unterschätzen die zusätzlichen Overhead-Kosten. Weil die Gemeinkosten für Aufbau, Betreuung, Koordination und Kontrolle des ausländischen Standorts die erhofften Kostenvorteile zunichte machen, brechen Firmen das Auslandsengagement wieder ab. Das ist das dritthäufigste Rückverlagerungsmotiv. Netzwerke neu aufbauen: Als möglicher Schwachpunkt in den Verlagerungsstrategien und bei der Planung von Verlagerungen erweist sich immer wieder, dass die betroffenen Unternehmen die Rolle ihrer eingespielten Netzwerke aus Lieferanten, Kunden, Dienstleistern, Forschungseinrichtungen, Ingenieurbüros und der Verwaltung am heimischen Standort unterschätzen und den Aufwand für den Aufbau eines neuen Netzwerkes am ausländischen Standort nicht richtig einordnen. Gerade für mittelständische Unternehmen kommt es im Ausland darauf an, sich neue Netzwerke aufzubauen – auch Netzwerke an Beziehungen. Dynamische Entwicklung der Kostenfaktoren: China, Indien und die neuen EU-Länder in Mittel- und Osteuropa entwickeln sich sehr dynamisch – und damit verändern sich auch die Standortbedingungen laufend. Wer dort Investitionen plant, muss auch die Kostenfaktoren dynamisch bewerten und Szenarien künftiger Entwicklungen erarbeiten, etwa zu den Lohn- oder Marktbedingungen. An vielen Einzelbeispielen zeigt sich nämlich, dass schon relativ geringe Kostensteigerungen im Ausland den Vorteil zunichte machen, weil die Differenzen zwischen den heimischen Kosten und allen Kosten für den Aufbau der Produktion am ausländischen Standort am Ende eher gering ausfallen. Wer Fertigung ins Ausland verlagert, muss den erwarteten niedrigeren Lohnkosten im Ausland die Kosten der Neuinvestition und des Wissenstransfers sowie den Koordinationsaufwand gegenrechnen. In vielen Fällen gleicht das die Kostenvorteile des Auslandes sogar aus, in anderen Fällen verbleibt noch eine Differenz, die abgebaut werden muss. Hier sind auch die Belegschaften gefordert, ihren Beitrag zur Anpassung und Neustrukturierung zu leisten. Das kann zum Beispiel durch eine Kopplung von Lohnbestandteilen an das Betriebsergebnis geschehen oder durch eine längere Arbeitszeit ohne Lohnausgleich.
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4.
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Unternehmerische Gesamtkonzepte entwickeln – die Vorteile des Standortes nutzen
Um dem enormen Wettbewerbsdruck der Globalisierung zu begegnen, müssen die Betriebe ihre Wertschöpfungsketten und ihre Standorte optimieren. In vielen Disziplinen überwiegen für die mittelständischen Unternehmen die Vorteile der gewachsenen deutschen Standorte, wenn man vor dem Hintergrund des neuen Wirtschaftsraumes Europa konkrete Strategien gemeinsam mit den Belegschaften entwickelt. Diese Strategien können die Einbindung des Betriebes in internationale Netzwerke und den Aufbau bestimmter Leistungsstufen außerhalb Deutschlands einschließen, aber als nach vorn gerichtete, offensive Strategie und nicht defensiv. Der Aufbau von Produktionen und vorgelagerten Wertschöpfungsstufen setzt jeweils unternehmerische Gesamtkonzepte voraus, in denen zunächst auch der Grad der Optimierung der vorhandenen Standorte in Deutschland zu analysieren ist. Dazu gehört auch, dass Firmen ihre bislang unausgeschöpften Modernisierungs- und Optimierungspotenziale erschließen, von der Arbeitszeitflexibilisierung über die Personalentwicklung und die Aufbau- und Ablauforganisation bis zur Automatisierung oder dem Qualitätsmanagement. Gerade mittelständische Unternehmen haben ihre Optimierungsmöglichkeiten in Deutschland nicht immer ausgeschöpft, bevor sie ins Ausland gehen wollen, und sich von nominalen Lohnkostenvorteilen oder Stimmungen gelegentlich auch blenden lassen. Wer dagegen die Vorteile des heimischen Standortes zu nutzen weiß, kann unter Umständen besser fahren: Zu den besonderen Stärken des Standorts Deutschland gehört die Bewältigung von Komplexität. Unsere Unternehmen können komplizierte Technik, gut ausgebildete Mitarbeiter, hochqualitative Fertigung und zuverlässige Organisation und Lieferprozesse zusammenführen. Viele Investoren betonen auch, dass die Geschwindigkeit der Prozesse für Deutschland spricht. Das gilt für den Aufbau der Produktionsanlagen ebenso wie für die Entwicklung der Produkte und selbst für Planungs- und behördliche Genehmigungsprozesse. Nicht zuletzt setzen die Unternehmen auf ihre Mitarbeiter, auf deren Beweglichkeit, Motivation und ihr übergreifendes Denken. In Deutschland werden auch künftig solche Produkte und Sortimente eine hervorragende Chance haben, die übergreifendes Denken und eingeübte Kommunikation verschiedener Fachbereiche miteinander verlangen. Solche Leistungen sind in vielen Ländern nach wie vor sehr schwer organisierbar. Häufig wird dies noch Jahrzehnte in Anspruch nehmen, denn es setzt nicht nur die Beherrschung von Technologien, sondern auch bestimmte Kulturen und Beziehungsgeflechte voraus.
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Martin Kannegiesser
Damit kommt die Netzwerkbildung als Erfolgsfaktor ins Spiel. Gerade aus dem Zusammenspiel vieler Querschnittsdisziplinen ergibt sich die besondere Stärke erfolgreicher Unternehmen in Deutschland. Wer etwa im Maschinen- oder Automobilbau nur die zweifellos noch vorhandene und notwendige mechanische Kunst sieht, der weiß nicht, dass sich zum Beispiel erst aus dem Zusammenspiel von Software-Entwicklung, Finanzdienstleistungen, Handwerk, Elektronik und arbeitsorganisatorischer Innovation mit den vielen neuen Technologien Wettbewerbsfähigkeit herausbildet. Die moderne Wachstumstheorie hat erkannt, dass die nachhaltigen Wettbewerbsvorteile in einer globalisierten Wirtschaftsordnung zunehmend in den lokalen Faktoren liegen: bei Wissen, Motivation und Beziehungen. Die räumliche Nähe zwischen Finalisten und Lieferanten spielt trotz moderner Kommunikationssysteme immer noch eine wichtige Rolle im Innovationsprozess. Auf die daraus erwachsenden Synergien können die Betriebe langfristig nicht verzichten. In Deutschland verfügen die mittelständischen Unternehmen immer noch über solche Netzwerke verschiedenster Technologielieferanten, Hochschulen und Dienstleiter. Innovation und Fortschritt lassen sich in diesen Clustern nach wie vor deutlich schneller und risikoärmer verwirklichen als in den neuen Beschaffungsmärkten, zumindest im Bereich von Kleinserien, Systemtechnik und Einzelfertigung.
Spezialisierung
Leitunternehmen
Cluster
Technologie
Netzwerk
Ressourcenpool
Humankapital
Abbildung 5:
Informationen
Elemente eines Clusters
F&E
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Werden betriebliche Leistungsprozesse gemeinsam erbracht, kann mit hoch spezialisierten regionalen Partnern die Kostenstruktur oft stärker verbessert werden als mit einer Verlagerung ins Ausland. Bei gut gestalteten Netzwerken können sich außerdem „Spill-over-Effekte“ ergeben, das heißt, das regionale Netz zieht weitere Kunden und Zulieferer an. Außerdem locken Innovationsvorteile und bessere Rekrutierungsmöglichkeiten von Fachpersonal. Solche Netzwerke müssen im Ausland erst mühsam aufgebaut werden – und viele unterschätzen die Bedeutung der Cluster für eine moderne Wirtschaft. Cluster schaffen beste Voraussetzungen für eine anhaltende wirtschaftliche Dynamik. Wissenschaftliche Untersuchungen am Beispiel der Metall- und Elektro-Industrie haben auch gezeigt, dass die Beschäftigungsbilanz von Regionen mit Clustern deutlich besser ist als in Regionen ohne Cluster (vgl. Lichtblau/Neligan 2005) Deshalb ist auch die Sicherung der Netzwerke für die Betriebe von großer Bedeutung. Denn Abwanderung wird ab einem bestimmten Punkt ansteckend und entfaltet eigene Energien. Werden einmal strategische Knoten der Wertschöpfungskette herausgebrochen und ins Ausland verlagert, dann breitet sich die Abwanderung schnell über alle Bereiche aus. Häufig ist es auch betriebswirtschaftlich unsinnig, die Kraft gewachsener Strukturen und Wurzelwerke verpflanzen oder umlagern zu wollen. So gesehen bleiben viele Unternehmen mit den gewachsenen Standorten verbunden, sind trotz stärksten eigenen Bemühens auf Anpassungs- und Entwicklungsfähigkeit der Standortbedingungen angewiesen. Im Prozess der politischen Öffnung und der wirtschaftlichen Globalisierung sind politische und technische Grenzen gleichermaßen obsolet geworden. Damit wird es für die Betriebe immer schwieriger, die Kosten der hohen sozialen Standards in Deutschland in den Preisen der Produkte und Leistungen beim Kunden durchzusetzen. Für die Betriebe ist es darum lebensnotwendig, ein Stück unserer Produktionskosten abzusenken. Allerdings muss jedes Unternehmen darauf achten, seine Wurzeln nicht zu beschädigen. Die wichtigsten Wurzeln sind der Mitarbeiterstamm und die Beziehungsgeflechte. Man darf als Unternehmen von Mitarbeitern nicht mehr fordern, als betriebswirtschaftlich und technologisch wirklich notwendig ist, und gutes Wirtschaften heißt immer auch Berücksichtigung der Möglichkeiten und der Motivationen seiner Mitarbeiter. Für die Unternehmen und ihre Mitarbeiter am Standort Deutschland heißt das: Die Chance liegt auf Dauer darin, alle Kosteneinsparpotenziale auszuloten und in einem wettbewerbsfähigen Verhältnis von Leistung und Einkommensanspruch effektiv zu nutzen. Auf dieses Ziel müssen alle Beteiligten in den nächsten Jahren hinarbeiten. Die Unternehmen müssen sich aber auch verstärkt auf ihre eigenen Kräfte besinnen. Dazu gehört der Ausbau der Innovationsfähigkeit bei Produkten, Prozessen und bei neuen Serviceleistungen, mit einer entsprechenden Steuerung der Qualifizierung der Mitarbeiter. Erfolgreiche Unternehmen leben von optimaler Beherrschung der Schnittstellen im Informations- und Materialfluss. Die ständige Verbesserung und Minimierung von Kommunikationsund Koordinierungsaufwand von der Kundenberatung bis zur Inbetriebnahme sind entschei-
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Martin Kannegiesser
dende Übungen für die Unternehmen. Dazu gehören Beweglichkeit, Motivation und übergreifendes Denken der Belegschaften. Ständige Innovationen, Kreativität und Flexibilität sind die notwendigen Voraussetzungen, um den Herausforderungen zu begegnen, die der neue Wirtschaftsraum mit seinen weltweit vernetzten Märkten an die Unternehmen stellt. Es sind das gerade die Eigenschaften, die unsere mittelständischen Unternehmer und Unternehmen auszeichnen. Wenn sie sich auf ihre Stärken besinnen, haben sie deshalb beste Chancen, auch die Herausforderung der Internationalisierung erfolgreich zu meistern und sich als Local und als Global Players zu bewähren.
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Literatur
Deutsche Bundesbank: Kapitalverflechtung mit dem Ausland; Statistische Sonderveröffentlichung Nr. 10, Frankfurt April 2005. Deutscher Industrie- und Handelskammertag, DIHK (Hrsg.): Investitionen im Ausland, Ergebnisse einer DIHK-Umfrage bei den Industrie- und Handelskammern Frühjahr 2005, Berlin 2005. Deutscher Industrie- und Handelskammertag, DIHK: „Going International – Erfolgsfaktoren im Auslandsgeschäft“, Pressestatement vom 31. August 2005, Berlin 2005. Kinkel, St. (Hrsg.): Erfolgsfaktor Standortplanung, Berlin, Heidelberg, New York 2004. Kinkel, St.; Lay, G.: „Produktionsverlagerungen unter der Lupe“, in: Fraunhofer Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung (Hrsg.), Mitteilungen aus der Produktionsinnovationserhebung, Nr. 34, Oktober 2004. Kinkel, St.; Lay, G.; Maloca, S.: „Produktionsverlagerungen ins Ausland und Rückverlagerungen“, in: Fraunhofer Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung (Hrsg.), Ergebnisse aus der Erhebung „Innovationen in der Produktion“, Karlsruhe Oktober 2004. Lichtblau, K.; Neligan, A.; Richter, I.: „Erfolgsfaktoren von M&E-Clustern in Deutschland“, in: IW-Trends, Vierteljahresschrift zur Wirtschaftsforschung aus dem Institut der deutschen Wirtschaft Köln, Jg. 32, 2005, S. 31-44. Sommer, L.; Haug, M.: Expansionsaktivitäten kleiner und mittlerer Unternehmen in internationalen Märkten – Potenziale und Barrieren, Mittelstandsforschung 2004, Hochschule Albstadt-Sigmaringen in Zusammenarbeit mit dem Bundesverband Mittelständische Wirtschaft (Hrsg.), Albstadt 2004. Verband der Automobilindustrie e.V. (Hrsg.): Globalisierung der deutschen Automobilindustrie und Standort Deutschland – eine „Win-Win-Situation“, Frankfurt a. M. 2005.
Autoren
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Autoren Susanne Bartscher-Finzer Prof. Dr. Susanne Bartscher-Finzer, 1964 geboren, Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Universität Mannheim. Promotion zum Thema „Die Akademisierung der Wirtschaft und ihre Implikationen für das betriebliche Personalwesen“ an der Universität Mannheim. Betriebliche Praxisaufgaben in personalwirtschaftlichen Stabs- und Linienfunktionen bei der ABB AG Mannheim und Ladenburg. Seit 1996 Professorin an der Fachhochschule Kaiserslautern mit den Lehrgebieten Personalwirtschaft und Organisation. Forschungs- und Praxisprojekte u.a. in den Bereichen Organisationaler Wandel, Personalentwicklung, Entscheidungsforschung.
Fred G. Becker Prof. Dr. Fred G. Becker, 1955 im Kölner Raum geboren, studierte Betriebswirtschaftslehre an der Universität-Gesamthochschule Wuppertal sowie der Universität zu Köln. Während seiner Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Hochschulassistent an der Universität-Gesamthochschule-Siegen wurde er mit einer Dissertation zu „Anreizsysteme für Führungskräfte“ 1985 promoviert sowie mit einer Habilitationsschrift zu „Grundlagen betrieblicher Leistungsbeurteilungen“ 1991 habilitiert. Während dieser Zeit absolvierte er Forschungsaufenthalte v. a. an der University of Urban-Champaign, Illinois, und der University of Philadelphia (Wharton School), Pennsylvania. Im Herbsttrimester 1991 vertrat er den Lehrstuhl für internationales Management an der Universität der Bundeswehr in Neubiberg/München. Von 1992 bis 1996 war er als Lehrstuhlinhaber für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre sowie Personal- und Organisationslehre an der Friedrich-Schiller-Universität Jena am Aufbau der dortigen wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät beteiligt. Seit 1996 leitet er den Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insb. Organisation, Personal und Unternehmungsführung, an der Universität Bielefeld. Zwischenzeitlich war er Gastprofessor an der Universität Wien.
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Autoren
Bernd Eichler Prof. Dr. Bernd Eichler, M.O.R., 1954 geboren, studierte Betriebswirtschaftslehre sowie Informatik und Operations Research an der RWTH Aachen und der Universität Dortmund, promovierte zum Thema „Machtaspekte der Unternehmungsfinanzierung“ und absolvierte Studienaufenthalte in Alpbach, Innsbruck, London und Oxford. Er war mehr als fünfzehn Jahre als Unternehmensberater, Projektleiter und Gesellschafter vor allem in der Automobilindustrie, bei deren Zulieferern sowie in der Kunststoffverarbeitenden Industrie und im Handel tätig und betreute dabei sowohl Großkonzerne wie auch mittelständische und kleine Unternehmen. Seit 1990 ist er Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule Dortmund, Aufbau und Leitung des Fachgebietes „Supply Chain Management und Logistik“. Lehr- und Forschungsschwerpunkte: Analyse und Gestaltung von Lieferbeziehungen und -netzwerken, Beschaffungsmarketing und -logistik, E-Business, Komplexitätsmanagement, Prozessorientierte Organisation, Kreislaufwirtschaft, Technologie- und Qualitätsmanagement.
Birgit Felden Dr. Birgit Felden, 1967 in Köln geboren, hat nach ihren betriebswirtschaftlichen und juristischen Studien an der Universität zu Köln und einem Masterstudiengang an der ESADE in Barcelona ihre universitäre Ausbildung mit einer juristischen Promotion an der Rheinischen Friedrich-WilhelmsUniversität in Bonn zum Thema Unternehmensbewertung beendet. Seit rund fünfzehn Jahren ist die Unternehmensberaterin mit den Schwerpunkten Unternehmensnachfolge, Unternehmensführung und Finanzierung tätig. Sie ist international anerkannte Unternehmensberaterin CMC/BDU nach den Prüfungskriterien des ICMCI. Dr. Felden ist in zahlreichen Gremien ehrenamtlich als Mitglied der Vollversammlung der IHK zu Köln und seit 2003 als Initiatorin und aktuelle Vorsitzende des Forums Netzwerk Mittelstand der IHK zu Köln engagiert. 1996 ist sie für ihre unternehmerischen Aktivitäten in einem internationalen Wettbewerb als deutsche Nachwuchs-Managerin ausgezeichnet worden. 1995 hat sie die TMS Unternehmensberatung AG Köln, Hamburg, München gegründet. Zahlreiche Publikationen und Vorträge zu betriebswirtschaftlichen Themen runden das Angebot für den Mittelstand und deren Partner ab.
Autoren
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Norbert Hans Prof. Dr. Norbert Hans ist 1948 geboren und hat Betriebswirtschaftslehre studiert. Bereits während seiner Tätigkeit in mehreren Managementpositionen lernte er die Bedeutung der strategischen Ausrichtung für die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen kennen. Seine Praxiserfahrungen konnte er als Leiter des MSH-Instituts in Beckum einbringen, das er 1981 gegründet hat und als Geschäftsführer leitet. Er ist seit über 20 Jahren als Trainer und Berater sowie Unternehmens- und Personalentwickler tätig. Sein Schwerpunkt liegt in der Beratung und dem Training im Bereich der strategischen Unternehmensentwicklung, der Managemententwicklung und der Personalentwicklung. Seine Kompetenz als Stratege und seine Fähigkeit zum strategischen Weitblick haben bereits zahlreiche mittelständische Unternehmen und Kleinunternehmen aus den Bereichen Handel, Banken und Industrien genutzt. Prof. Dr. Norbert Hans lehrt zudem an der Fachhochschule, University of Cooperative Education, Mosbach, Unternehmensführung und ist Dozent an der Comenius Universität Bratislava.
Arnd Huchzermeier Prof. Dr. Arnd Huchzermeier, 1961 in Heidelberg geboren, studierte Wirtschaftsingenieurwesen an der Universität Karlsruhe und verfasste seine Diplomarbeit bei Siemens Corporate Research, Princeton (USA). Daran anschließend absolvierte er ein Ph.D. Studium an der Wharton School der University of Pennsylvania, Pennsylvania (USA) mit Forschungsaufenthalten am INSEAD, Fontainebleau (Frankreich) und der Stanford University, Palo Alto (USA). Mit 28 Jahren wurde er als Assistant Professor in Production Management an die University of Chicago (USA) berufen. Seit 1993 leitet er den Lehrstuhl für Produktionsmanagement an der Wissenschaftlichen Hochschule für Unternehmensführung in Vallendar. Er wurde u.a. mit dem Management Science Strategic Innovation Award 2003 und dem ISMS Practice Prize 2003 des Marketing Science Institutes ausgezeichnet. Er fungiert u.a. als Akademischer Direktor des Industriewettbewerbs ‚Die Beste Fabrik / Industrial Excellence Award’, der gemeinsam von INSEAD und der Wirtschaftswoche veranstaltet wird., sowie als Akademischer Direktor des International Commerce Institutes von ECR Europe, welches 151.000 Unternehmen des internationalen Handels und der Markenartikelindustrie repräsentiert.
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Martin Kannegiesser Diplom-Kaufmann Martin Kannegiesser, geboren 1941 in Posen, ist Geschäftsführender Inhaber der Herbert Kannegiesser GmbH in Vlotho. Bereits während seines Studiums der Betriebs- und Volkswirtschaftslehre in Köln (1961-1965) arbeitete er in der von seinem Vater geführten Maschinenfabrik. Nach dem Staatsexamen 1966 trat er als Vertriebsleiter in das Unternehmen ein. Vier Jahre später übernahm Martin Kannegiesser die Geschäftsführung. 1974 wurde er Inhaber der Firma und baute den Betrieb zu einer der führenden Marken in der Bekleidungstechnik und zum Marktführer für Fixiermaschinen aus. Heute ist KANNEGIESSER weltweit einer von insgesamt zwei Anbietern für die komplette Welt der industriellen Wäschereitechnik: von der Waschschleudermaschine über die Waschstrasse bis zur automatischen Sortiertechnik. KANNEGIESSER beschäftigt 1.100 Mitarbeiter und erwirtschaftet einen Jahresumsatz von 190 Mio. Euro (2005). Martin Kannegiesser ist seit September 2000 Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall in Berlin. Der Verband vertritt die Interessen der Metall- und Elektro-Industrie, des größten Industriebereichs in Deutschland, mit rund 22.000 Betrieben und etwa 3,4 Millionen Beschäftigten.
Gunter Kayser Dr. Gunter Kayser, wissenschaftlicher Geschäftsführer im Institut für Mittelstandsforschung Bonn (IfM Bonn). Studium der Volkswirtschaftslehre an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Promotion zum Dr. rer. pol. 1969 - 1970 Mitarbeiter bei der Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer ASU. 1970 Eintritt in das IfM Bonn, Sachverständiger im BundLänder-Ausschuss Mittelstand, Mitglied in der Lenkungsgruppe "Mittelstand" beim Ministerium für Wirtschaft und Arbeit des Landes Nordrhein-Westfalen. Mitglied in zahlreichen Beiräten: Institut für Mittelstandsökonomie an der Universität Trier e.V. (INMIT), Unternehmerinstitut e.V., ASU/UNI, Change/Chance, Deutsche Ausgleichsbank DtA, Bonn (Beiratsvorsitz). Mitglied in der Redaktionskommission Internationales Gewerbearchiv. Für das Institut Partner in der Initiative "Nexxt" des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit, Mitarbeit in nationalen und internationalen Gremien zur KMUForschung und -Politik, z. B. KfW, ENSR, emfd, EU, OECD, Projektleiter und wissenschaftlicher Betreuer von zahlreichen nationalen und internationalen Forschungsprojekten des IfM Bonn, Eigen- und Drittmittelprojekte, u.a. auch MIND.
Autoren
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Friedrich Kerka Prof. Dr. Friedrich Kerka, 1966 in Dortmund geboren, studierte Wirtschaftswissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum, promovierte zum Thema „Strukturierung von Innovationsaufgaben – Ein Beitrag zur Beschreibung und Erklärung betrieblicher Veränderungsprozesse“ an der RuhrUniversität Bochum (Prof. Dr. Erich Staudt). Er war von 01/1994–09/1997 wissenschaftlicher Mitarbeiter und Projektleiter am Institut für angewandte Innovationsforschung (IAI) Bochum e.V. und von 10/1997–09/2001 am Institut für Arbeitswissenschaft, Lehrstuhl Arbeitsökonomie an der Ruhr-Universität Bochum. Seit Oktober 2001 ist er Geschäftsführer des IAI, seit 05/2004 geschäftsführender Gesellschafter der Prof. Staudt Innovation-Consulting GmbH Bochum und seit September 2005 Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule Gelsenkirchen. Herr Kerka ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichungen und Studien insbesondere zum Innovationsmanagement und behandelt seine Forschungsthemen in Vorträgen auf zahlreichen Kongressen und Symposien. Arbeitsschwerpunkte: Technologie- und Innovationsmanagement, Technologietransfer und Innovationspolitik.
Konstanze Kinne Dr. Konstanze Kinne, 1969 in Alfeld/Leine geboren, studierte Volkswirtschaftslehre an der Georg-August Universität Göttingen und an der Université Clermont Ferrand (Frankreich), promovierte zum Thema „Effizienzvorteile in der Zusammenschlusskontrolle. Eine vergleichende Analyse der deutschen, europäischen und US-amerikanischen Wettbewerbspolitik“ an der Universität Hamburg (Prof. Dr. E. Kantzenbach) und arbeitete als Referentin am HWWA-Institut für Wirtschaftsforschung Hamburg an verschiedenen Forschungsprojekten aus dem Bereich Handel und Wettbewerb mit. Seit mehreren Jahren ist sie in verschiedenen Positionen bei der Norddeutschen Landesbank in Hannover tätig. Zu ihren Schwerpunkten gehört das mittelständische Corporate Finance Geschäft sowie die Ratingberatung. Derzeit arbeitet sie als Beteiligungsmanagerin für die NORD/LB. Zahlreiche Publikationen und Vorträge sind in den Bereichen Rating und Finanzmanagement erschienen. Seit 2001 ist sie als Dozentin an der Leibniz-Akademie Hannover für Finanzwissenschaft und an der Fachhochschule Hildesheim für das Fach Finanzwirtschaft tätig.
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Autoren
Annekatrin Klaus Dr. Annekatrin Klaus, 1965 in Soltau geboren, absolvierte eine Ausbildung zur Verlagskauffrau bei der Bertelsmann AG in Gütersloh. Anschließend studierte sie Germanistik und Volkswirtschaftslehre und promovierte an der Universität zu Köln. Seit 1999 ist die ehemals freie Lektorin und Texterin Leiterin der Unternehmenskommunikation bei der TMS Unternehmensberatung AG, die mit inzwischen zwanzig Mitarbeitern bundesweit von Köln, Hamburg und München aus operiert, beschäftigt. Die Beratungserfolge der TMS AG beruhen vor allem auf der genauen Kenntnis der Zielgruppe Mittelstand und ihrer speziellen Bedürfnisse. Zahlreiche Publikationen und Vorträge zu betriebswirtschaftlichen Themen runden das Angebot für den Mittelstand und deren Partner ab. Dr. Klaus ist verantwortlich für die PR-und Marketingaktivitäten des Unternehmens sowie die didaktische Konzeption und redaktionelle Umsetzung von Medienprojekten.
Gerhard Klippstein Prof. Dr. Gerhard Klippstein, 1945 in Mannheim geboren, studierte Wirtschaftswissenschaften an der Universität (Wirtschaftshochschule) Mannheim. Abschluss als Dipl.-Volkswirt 1969. Promotion zum Dr. rer. pol. an der Universität (Wirtschaftshochschule) Mannheim 1973. Studium der Berufspädagogik an der Berufspädagogischen Hochschule, Stuttgart von 1969 bis 1970, Abschluss mit dem 2. Staatsexamen für das Lehramt an berufsbildenden Schulen 1970. Schulleiter als Oberstudiendirektor an einer berufsbildenden Schule in Bielefeld von 1986 bis 1994. Hauptamtlicher Bürgermeister der Stadt Herford von 1994 bis 1999 (zuvor ehrenamtlicher Bürgermeister von 1984 bis 1994). Gesellschafter der NordWestConsult GbR und der NordWest empirica in Bielefeld seit 1999, beteiligt an zahlreichen Gutachten für Unternehmen, speziell der mittelständischen Wirtschaft. Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Fachhochschule des Mittelstands (FHM) in Bielefeld seit 2000. Dekan des Fachbereichs Wirtschaft an der FHM seit 2000. Seit dem 1. Oktober 2002 Rektor der Fachhochschule des Mittelstands.
Autoren
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Elke Kottman Prof. Dr. Elke Kottmann, 1964 in Detmold geboren, studierte Betriebswirtschaftslehre an der Universität Hamburg und promovierte zum Thema „Räumliche Abgrenzung relevanter Märkte in der Europäischen Zusammenschlusskontrolle“ bei Prof. Dr. E. Kantzenbach. Sie arbeitete am HWWAInstitut für Wirtschaftsforschung Hamburg an verschiedenen Forschungsprojekten aus dem Bereich Handel und Wettbewerb mit. Die gelernte Industriekauffrau war zunächst einige Jahre als Geschäftsführerin in einem mittelständischen Unternehmen tätig und wechselte dann in die Organisationsberatung. Danach verantwortete sie die fachliche und organisatorische Umsetzung der aufsichtsrechtlichen Anforderungen nach Basel II bei der HSH Nordbank AG. Seit 2004 ist sie als Professorin an der Fachhochschule Lippe und Höxter (Lemgo) tätig und vertritt im Fachbereich Produktion und Wirtschaft die Fächer Investition, Finanzierung und Organisation.
Bernd Kriegesmann Prof. Dr. Bernd Kriegesmann, 1963 in Bochum geboren, studierte Wirtschaftswissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum, promovierte zum Thema „Innovationsorientierte Anreizsysteme“ an der Ruhr-Universität Bochum (Prof. Dr. Erich Staudt). Er war von 1989 bis 1991 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für angewandte Innovationsforschung (IAI) Bochum e.V., von 1991 bis 1993 Fachreferent beim Bundesministerium für Forschung und Technologie (Innovationsförderung) und von 1993 bis Februar 2000 Geschäftsführer des IAI. Seit März 2000 ist er Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule Gelsenkirchen und seit Juli 2002 Vorstandsvorsitzender des IAI. Er ist Mitglied in verschiedenen Arbeitskreisen und Beiräten, Autor zahlreicher Fachpublikationen, Herausgeber der „Berichte aus der angewandten Innovationsforschung“ sowie der Reihe „Innovation: Forschung und Management“. Arbeitsschwerpunkte: Innovationsmanagement, Personal- und Organisationsentwicklung
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Wolfgang Krüger Prof. Dr. Wolfgang Krüger, 1950 in Hannover geboren, studierte Sozialwissenschaften an den Universitäten Hannover und Hamburg. Er ist Dekan des Fachbereichs Wirtschaft an der Fachhochschule des Mittelstands (FHM) in Bielefeld. Seine Schwerpunkte in Forschung und Lehre sind Unternehmensführung in der mittelständischen Wirtschaft, Unternehmensnachfolge und Entrepreneurship. Darüber hinaus trainiert er Studierende im „Selbstmanagement & Selbstmarketing“. Mit der Dr. Krüger Managementberatung in Hannover ist er insbesondere auf den Gebieten der Personal- und Organisationsentwicklung tätig. Krüger war in leitender Position in der Bank- und Versicherungswirtschaft tätig. Veröffentlichungen liegen vor u.a. zu den Gebieten Personal, Teamentwicklung, Business-Coaching und Unternehmensnachfolge.
Arno Lehmann-Tolkmitt Dr. Arno Lehmann-Tolkmitt, 1975 in Würzburg geboren, studierte Rechtswissenschaften an den Universitäten Tübingen, Lausanne und Mainz, promovierte im Stiftungsrecht an der Paris-Lodron-Universität, Salzburg und absolvierte sein Referendariat am Oberlandesgericht in Hamburg. Als Rechtsanwalt ist er Mitarbeiter der INTES May Ebel Rechtsanwaltsgesellschaft, Bonn. Er ist in der Beratung von Familienunternehmen in konzeptionellen Fragen tätig. Sein Schwerpunkt liegt im Bereich der Corporate Governance, insbesondere in der Optimierung der Unternehmensstrukturen. Er betreute die Erstellung des Governance Kodex für Familienunternehmen in Deutschland und Österreich und begleitet Familienunternehmen bei der Umsetzung seiner Regelungen.
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Gerd Lenz Gerd Lenz, 1961 in Schleiden geboren, studierte Diplom-Wirtschaftsingenieurwesen an der Technischen Universität in Karlsruhe mit den Schwerpunkten Operations Research und Volkswirtschaft. Nach dem Examen 1987 war er für die Ford Motor Company in England in diversen Bereichen tätig und wechselte später zu einer Unternehmensberatung in Düsseldorf. Dort leitete er Projekte im In- und Ausland und entwickelte als Teamleiter das Geschäftsfeld Information Technology (IT). Seit 2001 ist er geschäftsführender Gesellschafter der Deckert Management Consultants GmbH in Düsseldorf mit den Beratungsschwerpunkten Strategie- und Organisationsberatung und Informationsmanagement bei Industrie- und Dienstleistungsunternehmen.
Albert Martin Prof. Dr. Albert Martin, 1949 geboren, Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Universität Mannheim. Promotion zum Thema „Die Integrationschancen von ausländischen Jugendlichen im Betrieb“ an der Universität Paderborn. Habilitation zum Thema „Die empirische Forschung in der Betriebswirtschaftslehre“. Lehrstuhlvertretungen an den Universitäten Bamberg und Mannheim. Seit 1991 an der Universität Lüneburg Professor für Betriebswirtschaftslehre. Leiter des Instituts für Mittelstandsforschung der Universität Lüneburg. Forschungsschwerpunkte u.a. Empirische Entscheidungsforschung, Führungsstrukturen mittelständischer Unternehmen, Personalpolitik.
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Peter May Prof. Dr. Peter May zählt zu den führenden Unternehmerberatern in Deutschland. Er ist Rechtsanwalt, Professor für Betriebswirtschaftslehre mittelständischer Unternehmen und stammt selbst aus einem Familienunternehmen, das er mehrere Jahre erfolgreich führte. Seit der Gründung der INTES unterstützt er namhafteste Unternehmer und Unternehmerfamilien bei individuellen Problemlösungen, begeistert als Referent zahlreicher Veranstaltungen und publiziert regelmäßig zu zentralen Fragestellungen des Familienunternehmens. Darüber hinaus ist Peter May Vorsitzender der Kommission „Governance Kodex für Familienunternehmen“, Geschäftsführender Vorstand des Family Business Network (Deutschland) und Vorsitzender des Beirates des INTES Zentrums für Familienunternehmen an der WHU in Vallendar. Alle drei Initiativen wurden von ihm ins Leben gerufen.
Richard Merk Prof. Dr. Richard Merk, 1951 in Soest geboren. Nach einer Verwaltungsausbildung tätig für die Bundesanstalt für Arbeit (mit mehrjährigem Auslandsaufenthalt). Studium der Erziehungs- und Wirtschaftswissenschaften sowie der Psychologie an der Universität Münster. Führungspositionen im Bildungsmarkt, u. a. bei der IHK zu Ostwestfalen. Geschäftsführer des Bildungswerkes der ostwestfälisch-lippischen Wirtschaft und der Wirtschaftsjunioren Ostwestfalen, Landesgeschäftsführer der Wirtschaftsjunioren von NRW sowie Geschäftsführer der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie Ostwestfalen-Lippe. Geschäftsführer des „Überbetrieblichen Ausbildungszentrums“ der Wirtschaft in Elmshorn. Eintritt in die Kreishandwerkerschaft Paderborn als Bildungskoordinator und Geschäftsführer des Instituts für Betriebsorganisation und Informationstechnik (InBIT). Geschäftsführung der Rackow Schule in Hamburg und der Fachhochschule des Mittelstands (FHM), Bielefeld. Mitglied des Vorstandes der Stiftung Bildung & Handwerk, Paderborn. Seit vielen Jahren Lehrbeauftragter an Hochschulen in Deutschland. Professor für Existenzgründung und -sicherung sowie für Unternehmensführung an der FHM.
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Eric Schirrmann Prof. Dr. Eric Schirrmann, 1969 in Bielefeld geboren, studierte Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Marketing an der Universität in Bielefeld und promovierte berufsbegleitend zum Thema „Lokale Produktherkunft und Konsumentenverhalten“ am Lehrstuhl für Marketing an der Universität in Dortmund. Zahlreiche Studien- und Forschungsprojekte begleiteten diesen Prozess. Er besitzt durch seine mehrjährige Tätigkeit in leitenden Marketing- und Vertriebspositionen in Unternehmen der Konsumgüterindustrie sowie als selbstständiger Unternehmensberater mit den Schwerpunkten Marketing und Vertrieb weitreichende Erfahrungen mit klein- und mittelständischen Unternehmen. Zudem ist er seit 2001 an der Fachhochschule des Mittelstands (FHM) in Bielefeld tätig und leitet dort den Studienschwerpunkt Marketing.
Björn Schultheiss Diplom-Kaufmann (Univ.) Björn Schultheiss ist Berater für Strategieentwicklung, strategische Steuerung und Strategieumsetzung in Familienunternehmen bei Weissman & Cie. Nach seiner Berufsausbildung zum Bankkaufmann studierte er Betriebswirtschaftslehre an der Universität Passau. Seit dem ist er als Berater tätig, wobei er seine Schwerpunkte auf die strategische Markenführung und Markenmanagement in Familienunternehmen und im B-2-B Segment gesetzt hat. Er ist Autor von mehreren Artikeln zu den Themen Prozessbenchmarking, Strategische Steuerungsinstrumente, Strategische Markenführung und zur Spezies der Familienunternehmen.
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Stefan Schweiger Prof. Dr.-Ing. Stefan Schweiger, 1967 in Hamburg geboren, studierte Maschinenbau an der Technischen Universität Darmstadt und promovierte zum Thema „Qualitätsmanagementsysteme im produzierenden Gewerbe“ an der Universität Bremen (Prof. Dr.-Ing. F.J. Heeg). Er ist seit 1992 als Unternehmensberater mit den Schwerpunkten Strategie und Prozessmanagement tätig. Derzeit ist er Partner der Deckert Management Consultants GmbH in Düsseldorf. Zahlreiche Publikationen und Vorträge sind zu den Themen Prozessoptimierung, Strategie, Servicemanagement, Qualitätsmanagement sowie Varianten-/Komplexitätsmanagement erschienen. Seit 2003 ist er Professor für Industrielle Projektplanung und Prozessmanagement im Studiengang Betriebswirtschaftslehre der Hochschule Konstanz. Von 2002 bis 2003 war er Dozent für technische BWL an der Fachhochschule des Mittelstands (FHM) in Bielefeld. Darüber hinaus ist er Gesellschafter der FHK-Start-GmbH, einer Gesellschaft zur Förderung von Existenzgründungen.
Klaus Schweinsberg Dr. Klaus Schweinsberg, 1970 in Lindau am Bodensee geboren, studierte Volkswirtschaftslehre an den Universitäten Fribourg (Schweiz), Siena (Italien) und St. Andrews (Schottland). Während seiner Promotion arbeitete er am Lehrstuhl für Finanzwissenschaft der Universität Fribourg. Seine Ausbildung zum Journalisten erfolgte am Seminar für Journalismus der Universität Fribourg. Er ist Chefredakteur der Wirtschaftsmagazine Capital und impulse. Capital ist mit 1,12 Mio. Lesern der meistgelesene Wirtschaftstitel für Entscheider in Deutschland. impulse ist das führende deutsche Unternehmermagazin. Bis 2001 arbeitete Schweinsberg für die „Financial Times Deutschland“. Dort gehörte er zum Gründungsteam und verantwortete als Ressortleiter den Aufbau des Internet-Angebots. Davor war der promovierte Volkswirt Assistent des heutigen Vorstandsvorsitzenden der Gruner+Jahr AG, Dr. Bernd Kundrun.
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Hermann Simon Prof. Dr. Hermann Simon, 1947 in Hasborn/Eifel geboren, ist Vorsitzender der Geschäftsführung der Simon-Kucher & Partners Strategy & Marketing Consultants in Bonn, Boston, Frankfurt, London, Mailand, München, Paris, San Francisco, Tokio, Warschau und Zürich. Simon ist Experte für Strategie, Marketing und Pricing. Er berät Unternehmen weltweit. Im Jahr 2005 wurde er hinter dem verstorbenen Peter Drucker zum einflussreichsten Managementdenker gewählt. Simon war und ist Mitglied der Herausgeberbeiräte zahlreicher Fachzeitschriften, unter anderem International Journal of Research in Marketing, Management Science, Recherche et Applications en Marketing, Décisions Marketing, European Management Journal sowie mehrerer deutschsprachiger Zeitschriften. Bevor Simon sich ganz der praktischen Unternehmensberatung widmete, war er Professor für Betriebswirtschaftslehre und Marketing an den Universitäten Mainz (1989-1995) und Bielefeld (1979-1989). Simon lehrte als Gastprofessor an internationalen Hochschulen: Harvard Business School, Stanford, London Business School, INSEAD, Keio-Universität Tokio und Massachusetts Institute of Technology. Von 1985 bis 1988 leitete er das Universitätsseminar der Wirtschaft (USW), Schloß Gracht/Köln. Simon studierte Volks- und Betriebswirtschaft an den Universitäten Köln und Bonn. Seine Promotion und seine Habilitation legte er bei Prof. Dr. Drs. h.c. Horst Albach an der Universität Bonn ab.
Stefan Steinberg Diplom-Kaufmann Stefan Steinberg, 1971 in Coesfeld geboren, studierte Betriebswirtschaftslehre an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und an der University of Edinburgh, Schottland, mit der Fachrichtung Internationales Marktmanagement. Ab 1997 war er als Assistent eines Vorstandsmitglieds der Dyckerhoff AG, Wiesbaden, tätig und wechselte 1999 zu einer Unternehmensberatung in Düsseldorf. Seit 2002 ist er Gesellschafter der Deckert Management Consultants GmbH, Düsseldorf. Seine Beratungsschwerpunkte liegen im Bereich der (Re-)Vitalisierung von Unternehmen und der Optimierung des Beschaffungsmanagements.
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Lena Strothmann Lena Strothmann, 1952 geboren, absolvierte nach einer Lehre zur Damenschneiderin ein Modedesign-Studium, das sie 1977 mit der Meisterprüfung beendete. Im Anschluss war sie als Designerin und Ausbilderin in einem Bekleidungsunternehmen in Gütersloh tätig. 1983 eröffnete sie ein Modeatelier in Gütersloh, seit 1993 ist sie Geschäftsführerin der Firma Kleegräfe und Strothmann "Die Couturiers". Seit 2002 ist sie zudem Dozentin an der Fachhochschule des Mittelstands in Bielefeld. Im Jahr 1998 wurde Lena Strothmann zur Präsidentin der Handwerkskammer OstwestfalenLippe zu Bielefeld gewählt. Seit 1999 ist sie Mitglied des Mittelstandsbeirates beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie. Von 2002 bis 2004 war sie Stellvertretende Vorsitzende des Westdeutschen Handwerkskammertags, seit 2005 gehört sie dem Präsidium des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) an und ist dort Vorsitzende des Planungsausschusses Europa. Lena Strothmann gehörte von 1999 bis 2003 dem Rat der Stadt Gütersloh an. Seit 2003 ist sie Mitglied im Landesvorstand der Mittelstandsvereinigung der CDU in Nordrhein-Westfalen (MIT.NRW). Im Juli 2003 wurde sie Mitglied des Deutschen Bundestages, wo sie u.a. im Wirtschaftsauschuss für Handwerk, Mittelstand und Europafragen zuständig ist.
Thierry Volery Thierry Volery, 1966 geboren, ist Professor für Unternehmensführung und Entrepreneurship an der Universität St. Gallen und geschäftsführender Direktor des Nachdiplomstudienlehrgangs Intensivstudium KMU. Er ist zudem Direktor des Schweizerischen Instituts für Klein- und Mittelunternehmen an der Universität St. Gallen (KMU-HSG). Sein Doktorat erlangte er an der Universität Fribourg, wo er unter anderem von 1992 bis 1995 als Assistent tätig war. Danach folgte ein Aufenthalt an der Curtin University of Technology in Perth (Australien). Während dieser Periode unterrichtete er in verschiedenen Programmen der Curtin University auch in Singapur und Hong Kong. Von 1999 bis 2002 war er Professor an der EM Lyon, eine der großen französischen Managementschulen. In 2000 und 2001 war er zudem Gastprofessor an der China Europe International Business School (CEIBS) in Shanghai. Seine zuletzte veröffentlichte Bücher tragen den Titel „Entrepreneurship and Small Business: A Pacific Rim Perspective“ (John Wiley & Sons, 2004) und "Entrepreneurship: Modelle, Umsetzung, Perspektiven" (Gabler Verlag, 2004).
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Arnold Weissman Prof. Dr. Arnold Weissman, 1955 geboren, ist Inhaber des Lehrstuhls für Unternehmensführung an der University of Applied Sciences in Regensburg, Leiter des Kompetenz-Centers Strategie am St. Galler ManagementProgramm. Während seines Studiums musste er aus gesundheitlichen Gründen die Firma seiner Eltern (Heizungsbau, Mineralölgroß- und Einzelhandel mit Tankstellen sowie einen Textil- Einzel- und Großhandel) übernehmen. Seit dieser Zeit ist Prof. Dr. Weissman als selbständiger Unternehmer und Berater tätig. Bekannt wurde er durch seinen strategischen Ansatz der "10 Stufen zum Erfolg", dem heutigen »System Weissman« speziell konzipiert für Familienunternehmen mit ihren spezifischen Herausforderungen. Er ist Gründer des Beratungs- und Trainingsunternehmens Weissman & Cie. mit Büros in Nürnberg, München, Frankfurt, Salzburg und Zürich. Arnold Weissman ist Autor zahlreicher Fachbücher und praxisorientierter Fachartikel. Als Beirat, Mentor und Coach begleiten er und sein Team zahlreiche verschieden große mittelständische Familienunternehmen.
Volker Wittberg Prof. Dr. Volker Wittberg, 1970 in Gelsenkirchen geboren, studierte Betriebswirtschaftslehre an der Universität in Bielefeld und an der Purdue University (USA), promovierte zum Thema „Unternehmensanalyse mit Führungsprozessen“ an der Universität Göttingen (Prof. Dr. h. c. J. Bloech) und absolvierte Studien- und Forschungsprojekte an den Universitäten Genf und Magdeburg sowie an der Stellenbosch University (Südafrika). Er ist mehr als zehn Jahre als Unternehmensberater mit den Schwerpunkten Strategie und Organisation tätig. Derzeit ist er geschäftsführender Gesellschafter der Deckert Management Consultants GmbH in Düsseldorf. Zahlreiche Publikationen und Vorträge sind in den Bereichen Unternehmensführung, Organisation und Personal erschienen. Seit 2001 ist er zudem Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule des Mittelstands (FHM) in Bielefeld und Leiter des Instituts für den Mittelstand Lippe (IML).