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English Pages 184 [176] Year 2006
Alexandra Kreuzpointner/Ralf Reißer Praxishandbuch Beschaffungsmanagement
Alexandra Kreuzpointner/Ralf Reißer
Praxishandbuch Beschaffungsmanagement • Einkäufe kostenoptimiert tätigen • Anbieter richtig auswählen • Risiken bei der Auftragsvergabe vermeiden
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage Juli 2006 Alle Rechte vorbehalten © Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006 Lektorat: Michaela Kreuzpointner Der Gabler Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Digital Design Borgers GmbH, Hünstetten Druck und buchbinderische Verarbeitung: Wilhelm & Adam, Heusenstamm Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN-10 3-8349-0080-X ISBN-13 978-3-8349-0080-7
Vorwort
Häufig werden Mitarbeiter in klein- und mittelständischen Unternehmen neben ihrer Haupttätigkeit mit Beschaffungsaufgaben konfrontiert und stehen dann vor dem Problem, wie sie diese Beschaffungen effizient und kostengünstig für das Unternehmen umsetzen sollen. Dieser Zielgruppe wird dieses Buch lösungsorientierte Hilfestellung geben, diese Anforderungen schnell, sicher und kompetent zu bewältigen. Allein vermeintlich einfache Fragen – z. B. wie finde ich geeignete Anbieter, ab welchem Beschaffungsvolumen müssen Vergleichsangebote eingeholt werden, ist der angebotene Preis wirklich der bestmögliche Preis, was muss ich bei der Auftragsvergabe beachten und in welcher Form nimmt man sie am besten vor – sind schwer zu beantworten, wenn man nicht tagtäglich mit dieser Materie befasst ist. Es gibt eine Vielzahl von Fachliteratur, die sich mit dem Thema Beschaffungsmanagement auseinander setzt, zumal dieses Thema gerade in der momentanen Phase enormen Kostendrucks der Unternehmen, gleich welcher Größe, weiter an Bedeutung gewinnt. Häufig gehen diese Bücher sehr weit in die wirtschaftswissenschaftliche Theorie. Uns ist es jedoch wichtig, den Lesern eine Orientierungshilfe im Beschaffungsprozess zu geben, um sie schnell in die Lage zu versetzen, kompetent, effizient und gezielt die richtigen Maßnahmen in der Beschaffungspraxis umsetzen zu können. Daher werden Sie in unserem Buch eine Kombination finden aus einfachem Grundlagenwissen, kurzen theoretischen Exkursen, Hinweisen auf Trends und Entwicklungen in der Beschaffung, aber insbesondere Praxistipps und Beispiele für die verschiedenen Phasen des Beschaffungsprozesses, die jeweils mit Checklisten und Vorlagenmustern unterstützt werden. Das Buch erläutert zunächst die Relevanz eines formalisierten Beschaffungsprozesses. Dann folgt es dem Schema des Beschaffungsprozesses, das in den jeweiligen Prozessphasen auch Fallbeispiele beinhaltet, die Ihnen die Handlungsempfehlungen nachvollziehbar machen werden. Abschließend gehen wir auf den Umgang mit Vertragsstörungen ein. Aufgrund dieser Gliederung ist es dem Leser möglich, nur einzelne Kapitel zu lesen und trotzdem direkt verständliche Hilfe zu erhalten. Viel Spaß beim Lesen und Umsetzen wünschen Ihnen Alexandra Kreuzpointner und Ralf Reißer Wiesbaden, Juni 2006
Inhaltsverzeichnis
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort .................................................................................................................................... 5 Inhaltsverzeichnis .................................................................................................................... 7 Abbildungsverzeichnis........................................................................................................... 10 1. Der Beschaffungsprozess im Unternehmen ..................................................................... 11 1.1 Begriffsbestimmung Einkauf und Beschaffung ........................................................ 11 1.2 Notwendigkeit des Beschaffungsprozesses............................................................... 12 1.3 Anforderungen an den Einkäufer .............................................................................. 15 1.4 Exkurs: E-Commerce – eine kurze Erläuterung........................................................ 18 2. Bedarfsanalyse und Bedarfsanforderung.......................................................................... 19 2.1 Analyse und Unterteilung des Beschaffungsprogramms........................................... 20 2.2 Beschaffungsplanung ................................................................................................ 23 2.3 Werkzeug für den Einkäufer – die ABC-Analyse ..................................................... 25 2.4 Standardisierung und Bündelung .............................................................................. 28 2.5 Auslösen des Beschaffungsvorganges: Die Bedarfsanforderung .............................. 30 3. Die Anfrage...................................................................................................................... 35 3.1 Anfrage und Ausschreibung...................................................................................... 35 3.2 Notwendigkeit einer Anfrage .................................................................................... 36 3.3 Auswahl geeigneter Anbieter .................................................................................... 38 3.4 Leistungsbeschreibung.............................................................................................. 41 3.5 Aufbau und Inhalt einer Anfrage............................................................................... 43 3.6 Exkurs: Lieferantenmanagement .............................................................................. 47 3.6.1 Supply Chain .................................................................................................. 47 3.6.2 Lieferantenentwicklung.................................................................................. 48 3.6.3 Lieferantenreduzierung .................................................................................. 50 4. Angebotsvergleich ........................................................................................................... 53 4.1 Faktoren des Angebotsvergleichs.............................................................................. 53 4.1.1 Preis................................................................................................................ 53 4.1.2 Zeit ................................................................................................................. 61 4.1.3 Qualität........................................................................................................... 62 4.1.4 Menge............................................................................................................. 63 4.1.5 Sonstige Faktoren ........................................................................................... 63 4.2 Erstellen eines Angebotsvergleichs ........................................................................... 64 4.2.1 Verschiedene Angebote im Überblick ............................................................ 65
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Begriffsbestimmung Einkauf und Beschaffung
4.2.2 Zielpreisermittlung (partieller Preisvergleich) ................................................68 4.2.3 Exkurs: Total Costs of Ownership (TCO).......................................................70 5. Die Angebotsverhandlung ................................................................................................73 5.1 Vorbereitung der Verhandlung: Was will ich wie erreichen? .....................................74 5.1.1 Zielermittlung .................................................................................................74 5.1.2 Organisatorische Verhandlungsvorbereitung ..................................................79 5.1.3 Vorbereitung des Gesprächsablaufs ................................................................81 5.2 Verhandlungsführung ................................................................................................87 5.2.1 Tücken der Kommunikation ...........................................................................88 5.2.2 Die AIDA-Formel ...........................................................................................92 5.2.3 Aktives Zuhören und geschicktes Intervenieren .............................................93 5.2.4 Fragetechniken................................................................................................94 5.2.5 Die Telefonverhandlung..................................................................................98 5.3 Festhalten der Ergebnisse – Protokollerstellung bei Einkaufsverhandlungen .........100 6. Auftragsvergabe: Die Bestellung....................................................................................105 6.1 Grundlagen des Vertragsrechts ................................................................................105 6.2 Vertragsfreiheit ........................................................................................................106 6.3 Maßgebliche Quellen des Vertragsrechts.................................................................106 6.4 Wann kommt ein Vertrag zustande? ........................................................................107 6.5 Kaufmännisches Bestätigungsschreiben..................................................................109 6.6 Die Auftragsbestätigung (AB) ................................................................................. 111 6.7 Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB)................................ 113 6.8 Vertragsarten............................................................................................................120 6.8.1 Kaufvertrag (§ 433 ff. BGB).........................................................................121 6.8.2 Werkvertrag (§ 631 ff. BGB) ........................................................................ 121 6.8.3 Dienstvertrag (§ 611 BGB) ...........................................................................122 6.8.4 Abgrenzung Werkvertrag, Dienstvertrag und Arbeitnehmerüberlassung......123 6.8.5 Exkurs: Gültiger Dienstleistungsvertrag und Scheinselbstständigkeit ..........130 6.8.6 Rahmenvertrag..............................................................................................131 6.9 Erstellen einer Bestellung........................................................................................133 6.10Genehmigung der Bestellung – die Unterschriftenregelung....................................136 6.11Aufbewahrungsfristen .............................................................................................140 7. Kontrolle der Leistungserbringung.................................................................................143 7.1 Untersuchungs- und Rügepflicht beim Kaufvertrag ................................................143 7.2 Abnahme der Leistung aus einem Werkvertrag.......................................................146 7.3 Zahlungsvereinbarungen und Rechnungsprüfung ...................................................149 8. Umgang mit Vertragsstörungen ......................................................................................153 8.1 Mangel.....................................................................................................................153 8.2 Gewährleistungsansprüche im Kaufrecht ................................................................157
Inhaltsverzeichnis
8.3
8.4 8.5 8.6 8.7 8.8 8.9
9
8.2.1 Nacherfüllung (§ 437 Nr. 1 i. V. m. 439 BGB)............................................. 157 8.2.2 Minderung (§ 437 Nr. 2 i. V. m. § 441 BGB) ............................................... 158 8.2.3 Rücktritt (§ 437, Nr. 2. BGB) ....................................................................... 159 8.2.4 Schadensersatz (§ 437 Nr. 3 BGB)............................................................... 159 Gewährleistungsansprüche im Werkvertragsrecht .................................................. 161 8.3.1 Nacherfüllung (§ 635 BGB) ......................................................................... 162 8.3.2 Selbstvornahme (§ 637 BGB) ...................................................................... 162 8.3.3 Minderung (§ 638 BGB) .............................................................................. 163 8.3.4 Rücktritt (§ 634 Absatz 3 BGB) ................................................................... 163 8.3.5 Schadensersatz (§ 634 Absatz 4 BGB) ......................................................... 163 Verjährungsfristen im Kauf- und Werkvertragsrecht............................................... 164 Garantie und Gewährleistung.................................................................................. 165 Haftung und Versicherung....................................................................................... 166 Lieferverzug und Vertragsstrafe .............................................................................. 170 Pauschalfestpreis und Einheitspreis ........................................................................ 173 Preiserhöhung ......................................................................................................... 175
Literaturverzeichnis ............................................................................................................. 179 Stichwortverzeichnis............................................................................................................ 181
10
Begriffsbestimmung Einkauf und Beschaffung
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1:
Beschaffungsmanagement zwischen Absatz- und Beschaffungsmarkt..... 12
Abbildung 2:
Gewinnermittlung..................................................................................... 13
Abbildung 3:
Beschaffungsprozess der Muster GmbH .................................................. 15
Abbildung 4:
Bestimmungsfaktoren effizienter Beschaffungen..................................... 17
Abbildung 5:
Musterformular Bedarfsanforderung ........................................................ 32
Abbildung 6:
Musterformular Bedarfsanforderung, Anlage Dienstleistungen ............... 33
Abbildung 7:
Musteranschreiben Anfrage...................................................................... 46
Abbildung 8:
Supply Chain Management ...................................................................... 48
Abbildung 9:
Musterformular Lieferantenbewertung..................................................... 51
Abbildung 10:
Häufig angewandte Incoterms .................................................................. 59
Abbildung 11:
Schema Angebotsvergleich....................................................................... 66
Abbildung 12:
Sender-Empfänger-Modell ....................................................................... 90
Abbildung 13:
Beispiel eines Verhandlungsprotokolls................................................... 103
Abbildung 14:
Einkaufsbedingungen der Muster GmbH ............................................... 119
Abbildung 15:
Unterschiedliche Bezeichnung der Vertragspartner................................ 120
Abbildung 16:
Arbeitnehmerüberlassung....................................................................... 125
Abbildung 17:
Prüfkriterien für das Vorliegen eines Werkvertrags ................................ 128
Abbildung 18:
Prüfkriterien für das Vorliegen eines Werkvertrags ................................ 128
Abbildung 19:
Musterformular Bestellung, Seite 1........................................................ 137
Abbildung 20:
Musterformular Bestellung, Seite 2........................................................ 138
Abbildung 21:
Musteranschreiben Mängelrüge ............................................................. 145
Abbildung 22:
Musterformular Abnahme, Seite 1.......................................................... 147
Abbildung 23:
Musterformular Abnahme, Seite 2.......................................................... 148
Abbildung 24:
Bestimmungsfaktoren effiziente Beschaffung und Vertragsstörungen ... 153
Abbildung 25:
Handlungsoptionen des Käufers bei Auftreten eines Sachmangels ........ 161
Abbildung 26:
Musteranschreiben zu Reaktion auf Preiserhöhung................................ 178
Der Beschaffungsprozess im Unternehmen
1.
11
Der Beschaffungsprozess im Unternehmen
Beschaffungen sind in jedem Unternehmen, egal welcher Größe, unumgänglich. Ihr Wert kann von einigen wenigen Euro für Büromaterial bis hin zu hohen Summen für Werbekampagnen, Beraterleistungen, Maschinen, Geschäftsausstattungen u. Ä. betragen. Jedes Unternehmen plant für die unterschiedlich notwendigen Beschaffungen ein Budget pro Geschäftsjahr. Dieses Kostenbudget darf in der Regel nicht überschritten werden. Daher müssen auch die hinter diesem Budget stehenden Beschaffungen geplant und nach bestimmten Maßgaben vorgenommen werden. Die Einkäufer eines Unternehmens sind mit vielfältigen Beschaffungen beauftragt. Falls Sie ebenfalls mit dieser Aufgabe betraut sind, haben Sie sich unter Umständen bereits selbst gefragt, wie Sie die einzelnen hinter den Beschaffungen stehenden Prozesse optimieren können. In diesem Kapitel erhalten Sie zunächst einen Überblick über die grundlegenden Begriffe, die im Zusammenhang mit dem Beschaffungsmanagement verwendet werden, und was sie bedeuten. Die Notwendigkeit eines klar definierten Beschaffungsprozesses werden wir Ihnen im Anschluss daran erläutern. Welche Anforderungen an Sie als Einkäufer in diesem Zusammenhang gestellt werden, erfahren Sie am Ende des Kapitels.
1.1
Begriffsbestimmung Einkauf und Beschaffung
In der Fachliteratur wird in der Regel eine begriffliche Abgrenzung zwischen Einkauf und Beschaffung vorgenommen. Vereinfacht gesagt werden dem Einkauf vorrangig die reinen Abwicklungs- bzw. Verwaltungsaufgaben zugeordnet. Teilweise wird hier auch vom operativen Einkauf gesprochen. Der Beschaffung bzw. dem Beschaffungsmanagement hingegen wird die strategische Komponente der Einkaufstätigkeit zugesprochen, weshalb auch vom strategischen Einkauf gesprochen wird. Bei Letzterem geht es also nicht um die reine Bestellabwicklung, sondern es werden weitergehende Überlegungen miteinbezogen, wie Beschaffungsmarketing oder Lieferantenmanagement. Das Beschaffungsmanagement ist darauf ausgerichtet, einen wesentlichen direkten Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu leisten. Es finden in diesem Zusammenhang häufig die Begriffe Beschaffungsmarkt, Beschaffungsmarktforschung und Beschaffungsmarketing sowie Beschaffungsprozess Anwendung. Doch auch unter Fachleuten werden die Begriffe Einkauf und Beschaffung oft synonym verwendet. Beispielsweise gibt es in den Unternehmen in der Regel den Einkäufer statt den
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Notwendigkeit des Beschaffungsprozesses
Beschaffer. Im Folgenden orientieren wir uns an der geläufigen Praxis, wenn wir die beiden Begriffe Einkauf und Beschaffung verwenden. Neue Stellenbezeichnungen wie beispielsweise der Programm-, Procurement, Supply-ChainManager oder der Commodity Buyer beschreiben Funktionen, die ebenfalls Einkaufstätigkeiten umfassen, zum Teil jedoch mit einer anderen Ausprägung. Die Stelleninhaber dieser Funktionen sind demnach auf bestimmte Bereiche des Beschaffungsmanagements spezialisiert. Für unsere Darstellung haben wir einen eher globalen Ansatz gewählt, um möglichst vielfältig anwendbare Praxistipps geben zu können.
1.2
Notwendigkeit des Beschaffungsprozesses
Alle Aktivitäten eines Unternehmens richten sich an dessen grundlegender Zielsetzung aus: der Erwirtschaftung eines höchstmöglichen Umsatzes mit möglichst hohem Gewinn. Das Beschaffungsmanagement stellt vor diesem Hintergrund eine Verbindung her zwischen Absatz- und Beschaffungsmarkt. Diese Aufgabe erfüllt der Beschaffungsbereich nicht isoliert, sondern integriert hierbei auch alle anderen Funktionsbereiche im Unternehmen.
Unternehmen
Einkauf
– – –
–
Entwicklung Produktion Marketing ...
Vertrieb
Beschaffungsmanagement
Abbildung 1:
Beschaffungsmanagement zwischen Absatz- und Beschaffungsmarkt
Der Beschaffungsprozess im Unternehmen
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Wir wollen diesen Sachverhalt noch etwas genauer erläutern. Dem Umsatz eines Unternehmens steht ein Kostenblock entgegen, der sich vereinfachend gesprochen aus Kosten für Personal und sonstigen Kosten sowie fremdbezogenen Waren und Dienstleistungen (vereinfacht „Materialkosten“) ergibt. Im Kostenblock für fremdbezogene Waren und Dienstleistungen enthalten sind u. a. Kosten für Energie, Produktionsanlagen, Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe und Handelsware (Ware, die nicht weiter bearbeitet, sondern direkt vom beziehenden Unternehmen abgesetzt wird) sowie alle weiteren Kosten, die dem Unternehmen für fremdbezogene Waren und Leistungen in Rechnung gestellt werden. Der Erfolg eines Unternehmens wird in erster Linie am Gewinn, d. h. an der Differenz zwischen Umsatz und Kosten gemessen. Somit wird klar, dass dem Kostenblock und damit der Beschaffung eine enorme Bedeutung zukommt.
Gewinn
Umsatz
Gewinn
Materialkosten Materialkosten
Personalkosten + Sonstige Kosten
Abbildung 2:
Personalkosten + Sonstige Kosten
Gewinnermittlung
Trotz dieser Tatsache wird der Beschaffungsfunktion oft zu wenig Bedeutung beigemessen. Insbesondere in kleinen und mittelständischen Unternehmen werden Beschaffungen häufig nach wie vor Mitarbeitern übertragen, deren Kerntätigkeit in einem anderen Bereich liegt und die dadurch nur wenig Zeit für die Beschaffungen aufwenden können. Oder Einkäufer müssen noch weitere Aufgaben übernehmen, die nicht in den Bereich der Beschaffung fallen. Die Frage, inwieweit es Sinn macht, verschiedene Tätigkeitsbereiche zu kombinieren, wollen wir hier nicht diskutieren. Klar ist, dass die betroffenen Unternehmen die Personalkosten opti-
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Notwendigkeit des Beschaffungsprozesses
mieren müssen und keine eigene oder ausschließliche Beschaffungsfunktion einrichten wollen oder können. Doch in solchen Unternehmen ist es ebenfalls wichtig, einen effizienten Prozess für Beschaffungen zu definieren, der auch Raum für die beschriebene strategische Komponente der Beschaffung gibt. Werden Beschaffungen unorganisiert vorgenommen oder lediglich administrativ abgewickelt, verschenken diese Unternehmen einen Teil ihres Gewinns. Zudem können interne Regelungen die Einhaltung eines solchen Prozesses notwendig machen. Zum Beispiel müssen kleine Tochtergesellschaften den Konzernmüttern ihre Kosten offen legen und sicherstellen, dass diese nicht durch unautorisierte planlose Vorgänge verursacht wurden. Es ist daher wichtig, dass ein Unternehmen einen Beschaffungsprozess formuliert, bei dem alle notwendigen Autorisierungen und sonstigen Vorgaben der Unternehmensleitung berücksichtigt sind. Am folgenden Beispiel der fiktiven Muster GmbH wird die Formulierung eines solchen Prozesses erläutert.
Beispiel Bei der Muster GmbH existiert ein zentraler Einkauf bei der Konzernmutter im Ausland. Die Tochtergesellschaften in den einzelnen Ländern müssen ihre Beschaffungen jedoch selbstständig bewältigen. Als deutsche Tochtergesellschaft muss die Muster GmbH somit ihren Beschaffungsbedarf selbst analysieren und über den lokalen Markt abdecken. Konzernseitig gibt es genaue Vorschriften, wer autorisiert ist, bestimmte Zahlungen freizugeben. Also sollten diese Vorschriften bereits bei der Beschaffung berücksichtigt werden. Der Beschaffungsprozess in Abbildung 3 ist für die Muster GmbH sinnvoll. Er kann sehr leicht auch an die Anforderungen anderer Unternehmen angepasst werden. In der Muster GmbH dürfen Beschaffungsanforderungen und -aufträge nur von bestimmten Personen freigegeben werden. Ergänzend zu dieser Prozessbeschreibung gibt es daher bei der Muster GmbH ein so genannter Vollmachtenraster, eine Aufstellung, die angibt, wer bis zu welchem Wert einer Bestellung berechtigt ist, diese zu genehmigen. Kostenstellenleiter dürfen Bestellaufträge bis zu einem Wert von 1.000 Euro freigeben, Abteilungsleiter bis zu einem Wert von 10.000 Euro und der deutsche Geschäftsführer bis zu einem Wert von 25.000 Euro. Größere Aufträge müssen vom Mutterkonzern genehmigt werden.
Durch die Formulierung des Prozesses wird allen Beteiligten klar, nach welchem Verfahren Beschaffungen vorgenommen und welche Genehmigungen wann eingeholt werden müssen. Dadurch kann eine Beschaffung entsprechend vorbereitet werden, und die Umsetzung erfolgt ohne unnötige Abstimmungswege. Die einzelnen Prozessschritte sind in einer detaillierten Prozessbeschreibung innerhalb der Muster GmbH genauer erläutert. Der Einkäufer weiß daher, wann er den Auftrag vergeben
Der Beschaffungsprozess im Unternehmen
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darf, die Fachbereiche wissen, welche Informationen sie dem Einkäufer liefern müssen, damit er ihren Bedarf entsprechend bearbeiten kann. Und letztlich ist der Geschäftsführer abgesichert, dass keine Gelder des Unternehmens unberechtigterweise ausgegeben werden, er hat die Übersicht über die Beschaffungsvorgänge und sichert sich so gegenüber der Konzernmutter ab. Der Beschaffungsprozess führt also zum einen zu einer klaren und effizienten Arbeitsorganisation, zum anderen erfüllt er die unternehmensinternen Richtlinien und bewahrt so vor unkontrolliertem Ressourceneinsatz. Im Folgenden werden die einzelnen Schritte des Beschaffungsprozesses näher erläutert. Wir werden uns dabei immer wieder auf den hier dargestellten Beschaffungsprozess beziehen.
Bedarfsanalyse
Abbildung 3:
1.3
Bedarfsanforderung und Genehmigung
Anfrage
Angebots vergleich
Angebots verhandlung
Bestellung und Genehmigung
Leistungs kontrolle
Beschaffungsprozess der Muster GmbH
Anforderungen an den Einkäufer
Dieses Praxishandbuch ist für Personen geschrieben, deren Haupttätigkeit nicht im Bereich der Beschaffung liegt, die jedoch regelmäßig mit Beschaffungsthemen betraut werden. Die Anforderungen an diese Einkäufer innerhalb des Unternehmens können sehr unterschiedliche Ausprägungen haben. Produzierende Unternehmen und Unternehmen aus dem Handelsbereich müssen eine professionelle Einkaufsabteilung haben. Es müssen die für die Produktion und für den Verkauf notwendigen Waren und Dienstleistungen in geeigneter Qualität zu einem angemessenen Preis stets rechtzeitig zur Verfügung stehen. Solche Anforderungen können nicht „nebenbei“ erfüllt werden. Die Mitarbeiter des Einkaufsbereiches müssen neben der reinen operativen Bestellabwicklung auch strategische Gesichtspunkte im Hinblick auf die Versorgungssicherung des Unternehmens und weitere unternehmensspezifische Beschaffungsrichtlinien beachten. Aber auch wenn Sie als „Einkäufer“ eines Unternehmens wie unserer Muster GmbH nur
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Anforderungen an den Einkäufer
vereinzelt Beschaffungen vornehmen, sollten Sie neben der reinen Preisorientierung noch weitere Aspekte zur Kostenoptimierung beachten. Die vier entscheidenden Bestimmungsfaktoren für effiziente Beschaffungen sind Menge, Lieferzeitpunkt, Qualität und Preis. Die Tabelle in Abbildung 4 gibt einen Überblick über die Kostenauswirkungen der Faktoren. Die Anforderung für den Einkäufer besteht nun darin, diese Faktoren ideal aufeinander abzustimmen, so dass ein durchweg effizientes Ergebnis erzielt wird. Es wird deutlich, dass die reine Preisorientierung nicht ausreicht. Auch wenn Sie vornehmlich für die Beschaffungen von Büromaterial, -möbeln oder anderen Hilfsmitteln zuständig sind, die nicht direkt dem Produktions- oder Veräußerungszweck dienen, sollten Sie sich diese Faktoren immer wieder vor Augen führen. Die weiteren Kapitel werden Ihnen helfen zu bestimmen, welche Ausprägungen der Faktoren für Ihre Beschaffungen in Ihrem Unternehmen optimal sind. Schritt für Schritt wird der Beschaffungsprozess durchleuchtet, bis Sie für sich das optimale Ergebnis ermitteln können.
Der Beschaffungsprozess im Unternehmen
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Faktor
Realisierung
Kostenwirkung
Menge
richtig
Kostenoptimum
zu hoch
Lagerhaltungskosten steigen
zu niedrig
Kosten durch Fehlmengen (unter Umständen kann nicht weiter produziert werden) Zuschläge durch Bestellung geringer Stückzahl (z. B. bei Staffelpreisen) überhöhte Kosten der Bestellabwicklung für geringe Stückzahl
Lieferzeitpunkt
korrekt
Kostenoptimum
zu früh
Lagerhaltungskosten steigen
zu spät
Kosten durch Fehlmengen Preisaufschläge (z. B. für Express-Lieferungen bei kurzfristiger Bestellung) höhere Bestellabwicklungskosten für kurzfristige Bestellungen
Qualität
richtig
Kostenoptimum
zu hoch
überhöhte Anschaffungskosten
zu niedrig
Umarbeitungskosten können anfallen Kosten durch Fehlmengen können entstehen, wenn geringere Qualität zu höherem Materialverbrauch führt höhere Bestellabwicklungskosten, da geeignetes Ersatzmaterial beschafft werden muss
Preis
richtig
Kostenoptimum
zu hoch
zu hohe Anschaffungskosten
zu niedrig
Fehlmengenkosten sind zu erwarten, da das Produkt von vielen angefragt werden wird und es zu Lieferengpässen kommen kann
Quelle: vgl. Arnolds, Heege, Tussing (2000), S. 27. Abbildung 4: Bestimmungsfaktoren effizienter Beschaffungen
18
Exkurs: E-Commerce – eine kurze Erläuterung
1.4
Exkurs: E-Commerce – eine kurze Erläuterung
E-Commerce ist ein Thema, das auch im Bereich Beschaffung in aller Munde ist. Doch was steckt eigentlich genau dahinter? Eine eindeutige Antwort auf diese Frage gibt es nicht, da keine allgemein gültige und umfassende Definition für E-Commerce existiert. E-Commerce umfasst jegliche Art der Handelsaktivitäten, die über elektronische Medien abgewickelt werden. Diese Aktivitäten sind sehr spezifisch auf die einzelnen Unternehmensanforderungen und -gegebenheiten abgestimmt. Ziel der E-Commerce-Aktivitäten ist es, Prozesse zu vereinfachen und zu beschleunigen, um letztlich die Kosten im Unternehmen zu reduzieren.
Beispiel Die so genannten ERP-Systeme (Enterprise Resource Planning) großer Unternehmen sind beispielsweise zum Teil direkt miteinander vernetzt. Das kann je nach Vereinbarung bewirken, dass automatisch ein neuer Auftrag beim Lieferanten ausgelöst wird, wenn der Lagerbestand eines wichtigen Produktionsmaterials bei dem entsprechenden Hersteller eine Mindesthöhe unterschritten hat. Des Weiteren werden solche Lösungen im Handel verstärkt angestrebt, damit die Beschaffungsprozesse seitens der Handelsketten optimiert werden können. Durch die extrem gestiegene Angebotsvielfalt hat sich der Aufwand für die Handelsketten enorm erhöht, die Produkte verschiedenster Hersteller optimal zu bevorraten. Auch hier werden Vereinbarungen mit Herstellern getroffen, elektronische Schnittstellen zwischen den Unternehmen zu schaffen. In kleineren Unternehmen kann jedoch auch die regelmäßige Beschaffung von Büromaterial über das Internet als E-Commerce bezeichnet werden.
Die Beispiele verdeutlichen das Spektrum an Aktivitäten, das hinter dem Begriff E-Commerce steckt. Eine allgemein gültige Gestaltungs- und Handlungsempfehlung zu diesem Thema lässt sich kaum geben. Die grundlegenden Aufgaben und Problemstellungen im Beschaffungsbereich, die wir nachfolgend beschreiben, sind jedoch auch auf das Thema E-Commerce übertragbar. Interessieren Sie sich eingehend für das Thema, empfehlen wir die umfangreiche weiterführende Fachliteratur hierzu.
Bedarfsanalyse und Bedarfsanforderung
2.
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Bedarfsanalyse und Bedarfsanforderung
Bedarfsanalyse
Bedarfsanforderung und Genehmigung
Anfrage
Angebots vergleich
Angebots verhandlung
Bestellung und Genehmigung
Leistungs kontrolle
Der Ausgangspunkt jeder Beschaffung ist die Bedarfsanalyse. Sie müssen sich zunächst einen Überblick verschaffen, was alles von Ihnen beschafft werden soll. In Unternehmen mit einer gesonderten Einkaufsabteilung verschaffen sich die Einkäufer einen Überblick über die Bedarfe, die insgesamt vorhanden bzw. geplant sind. Auch Sie sollten einen umfassenden Überblick über die gesamt geplanten Beschaffungen haben. Dabei können Sie sich an folgenden Fragestellungen orientieren: Was soll alles beschafft werden (Beschaffungsobjekte)? Zu welchem Zeitpunkt? In welcher Häufigkeit? Welchen Wert haben die Beschaffungsobjekte (Beschaffungsvolumen)? Um diese Fragen Schritt für Schritt zu beantworten, werden wir Ihnen zunächst die wesentlichen Inhalte der Bedarfsanalyse erläutern. Dann werden Sie über die in der Praxis relevanten Aspekte der Beschaffungsplanung informiert. Und letztlich stellen wir Ihnen dann ein Beispiel einer Bedarfsanforderung vor, die den Beschaffungsprozess praktisch auslöst. Daneben geben wir Ihnen noch ein praktisches Werkzeug an die Hand, das Sie in dieser Phase des Beschaffungsprozesses unterstützen wird.
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2.1
Analyse und Unterteilung des Beschaffungsprogramms
Analyse und Unterteilung des Beschaffungsprogramms
Von A wie Aktenordner, B wie Bürostühle, C wie Computer über F wie Firmenwagen bis Z wie Zeitschriften – die Liste der Beschaffungsobjekte ließe sich beliebig fortsetzen. Letztlich muss alles beschafft werden, was ein Unternehmen für seine Geschäftstätigkeit braucht. Um einen besseren Überblick über die Arten der Bedarfe zu haben, ist eine Zusammenfassung in Warengruppen (oder Produktgruppen) sinnvoll. In der Wirtschaftsliteratur und in der Praxis gibt es eine Vielzahl von Ansätzen solcher Zusammenfassungen in Warengruppen. Letztlich orientieren sie sich in der Regel am Verwendungszweck und an den verschiedenen Ausprägungen der vier Bestimmungsfaktoren für die Beschaffungskosten – Menge, Lieferzeitpunkt, Qualität und Preis, die im vorangegangenen Kapitel erläutert wurden. Häufige Verwendung in den Unternehmen finden die folgenden, groben Gliederungsansätze:
Produktionsmaterial
Gebrauchs- und Verbrauchsgüter
RHB (Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe)
C-Teile
Fertigwaren oder Halbfertigwaren
Gemeinkostenmaterial
Handelswaren
Allgemeines Material
Investitionsgüter/Anlagegüter
Dienstleistungen
GWG (Geringwertige Wirtschaftsgüter)
Die Untergliederung nach Produktionsmaterial, Handelswaren, Gebrauchs- und Verbrauchsgütern sowie Dienstleistungen ist in vielen Unternehmen zu finden. In der Regel sind unterschiedliche Einkäufer mit der Beschaffung der Produkte aus diesen Produktgruppen betraut. Weitere hier genannte Ansätze orientieren sich sehr stark an Vorgaben aus dem Rechnungswesen. Dadurch sind sie allerdings für die Beschaffungsplanung und einkaufsrelevanten Überlegungen nur teilweise von Bedeutung. Sie werden die Problematik an folgendem Beispiel erkennen.
Bedarfsanalyse und Bedarfsanforderung
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Beispiel Ein Bürostuhl für 500 Euro Angebotspreis muss aufgrund seines Wertes in der Bilanzbuchhaltung zunächst als Investitions- oder Anlagegut behandelt werden (nach § 253 HGB). Gilt im betroffenen Unternehmen o. g. Gliederung, wird auch der verantwortliche Einkäufer den Stuhl zunächst in die Warengruppe Investitions-/Anlagegüter einordnen. Da er aber ein guter Einkäufer ist, verhandelt er einen Nachlass von 20 %. Der Stuhl kostet jetzt nur noch 400 Euro und erfüllt damit die Kriterien, um als GWG behandelt zu werden. Denn bei einem GWG müssen, neben anderen Kriterien, die Anschaffungs- oder Herstellkosten unter 410 Euro liegen. Somit müsste die Zuordnung der Warengruppe von Investitionsgut in die Warengruppe GWG verändert werden, und unter Umständen wäre dann ein anderer Einkäufer für diese Beschaffung zuständig.
Diese Gliederungsansätze sind also wenig praktikabel, weil sie sich nicht daran orientieren, welche Anforderungen die unterschiedlichen Warengruppen an die Einkaufstätigkeit als solche stellen. Neben der bereits genannten Untergliederung sind für die Beschaffungsplanung und -durchführung der Zeitpunkt und die Häufigkeit der Entstehung der Bedarfe sehr wichtig. Für den Einkäufer ist es wichtig zu wissen, handelt es sich um regelmäßig wiederkehrende Bedarfe, unregelmäßig wiederkehrende Bedarfe oder einmalige Bedarfe. Werden Sie zum Beispiel mit der Beschaffung von Büromaterial beauftragt, wohingegen eine Kollegin im Marketing entsprechende Dienstleistungen einkaufen muss, konzentriert sich jeder von Ihnen auf die besonderen Anforderungen, die an die zu beschaffende Warengruppe gerichtet werden. Die Kriterien für Ihre Beschaffungen von Büromaterial hinsichtlich Menge, Qualität, Lieferzeitpunkt und Preis variieren maßgeblich von der Beschaffung von Marketingleistungen. Für beide Gruppen von Beschaffungen und somit für Ihre jeweilige Einkaufstätigkeit ist es aber entscheidend, ob Sie gewisse Beschaffungen regelmäßig vornehmen müssen (z. B. Kopierpapier und Werbegeschenke), unregelmäßig (z. B. Ablagesysteme einer bestimmten Farbe und Druck von Sonderwerbeprospekten) oder einmalig (z. B. Kauf eines bestimmten Stiftes für den Geschäftsführer und Entwicklung einer Werbekampagne für ein neues Produkt). Sowohl Sie als auch Ihre Marketingkollegin sollten also die Beschaffungen nach der Regelmäßigkeit ihres Auftretens gliedern, wenn Sie dies nicht ohnehin schon tun. Ein weiterer maßgeblicher Faktor, der bei der Bedarfsanalyse zu bewerten ist, ist die Wertigkeit des Beschaffungsobjektes. Die ABC-Analyse, ist „das“ Werkzeug hierfür und wird Ihnen im weiteren Verlauf vorgestellt.
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Analyse und Unterteilung des Beschaffungsprogramms
Beschaffungsprogramm Die in Art und Umfang unterschiedlichen Beschaffungen in einem Unternehmen fasst man unter dem Begriff Beschaffungsprogramm zusammen. Hierunter werden alle Beschaffungen über alle Warengruppen und Beschaffungsobjekte hinweg verstanden, die von einem Unternehmen in einem bestimmten Zeitraum abgewickelt werden müssen.
Dieses Beschaffungsprogramm ist im Wesentlichen abhängig vom jeweiligen Unternehmenszweck. Das Beschaffungsprogramm eines Industriebetriebs ist sicherlich ein wesentlich anderes als das einer Bank oder eines Handelsunternehmens. Das Beschaffungsprogramm eines Industrieunternehmens der chemischen Industrie unterscheidet sich wiederum deutlich von dem eines Industrieunternehmens der Automobilindustrie. Die unterschiedliche Ausgestaltung der Beschaffungsprogramme führt letztlich zu einer unterschiedlichen Ausrichtung des Einkaufs auf dem Beschaffungsmarkt. Daher ist es für ein Unternehmen sehr wichtig, das eigene Beschaffungsprogramm zu analysieren und sich entsprechend am Markt auszurichten. Wir haben bereits festgestellt, dass die einzelnen Beschaffungen in der Regel von verschiedenen Einkäufern vorgenommen werden. Wie können Sie vorgehen, um die Art der Beschaffungen, für die Sie verantwortlich sind, sinnvoll und marktgerecht von den weiteren innerhalb des Beschaffungsprogramms Ihres Unternehmens abzugrenzen? Unsere Checkliste fasst die wesentlichen Punkte zusammen.
Checkliste 9 Welche Beschaffungen sollen Sie insgesamt vornehmen? 9 Gruppieren Sie die Produkte nach ähnlichem Verwendungszweck in einer Warengruppe z. B. Papier, Stifte, Aktenordner in eine Warengruppe Büromaterial oder PC, Notebooks, Software in eine Warengruppe EDV Hard- und Software. 9 Stellen Sie fest, welche Produkte innerhalb dieser Gruppe wie häufig beschafft werden müssen und nehmen Sie eine entsprechende Untergliederung in Einmalbedarf oder Wiederholbedarf vor. 9 Ihr persönliches Beschaffungsprogramm ist nun so gegliedert, dass es eine erste Orientierung am Beschaffungsmarkt ermöglicht. 9 Entscheidend für den Auftritt am Beschaffungsmarkt ist jedoch auch die Wertigkeit Ihres Beschaffungsprogramms. Prinzipiell gilt, je höher der Wert einer Beschaffung ist, umso höher ist das Beschaffungsrisiko und desto mehr Zeit sollte für den Einkaufsprozess verwendet werden.
Bedarfsanalyse und Bedarfsanforderung
23
Wenn Sie die Art der Bedarfe innerhalb Ihres Unternehmens kennen und insbesondere diejenigen, die Sie persönlich durch Beschaffungen abdecken müssen, haben Sie die Basis entwickelt, auf der die nachfolgend dargestellten Instrumente aufbauen.
2.2
Beschaffungsplanung
Die Beschaffungsplanung genau wie auch die Beschaffungsziele leiten sich aus der Unternehmensplanung bzw. den Unternehmenszielen ab. Kurz-, mittel- und langfristig werden auf Basis der Analyse des Absatzmarktes bestimmte Absatzziele geplant. Diese wirken sich direkt auf die Produktions- und folglich auch auf die Beschaffungsplanung aus. In einem produzierenden Unternehmen wird der Bedarf an Produktionsmaterial in der Regel elektronisch ermittelt und gesteuert. Auf Basis eines im EDV-System hinterlegten Produktionsprogrammes kann zum Beispiel der Bedarf an bestimmtem Produktionsmaterial automatisch ermittelt werden. In diesem Fall spricht man auch von einer programmgesteuerten Bedarfsermittlung. Unterhält ein Unternehmen ein Lager an Material für die Produktion, erfolgt häufig eine verbrauchsgesteuerte Bedarfsermittlung. Das System errechnet die zu beschaffende Materialmenge auf Basis der Entnahmen dieses Materials aus dem Lagerbestand. Beide Formen der Bedarfsermittlung basieren auf rechnergestützten Auswertungen. Dies ist nur möglich, da in beiden Fällen die Beschaffung einer gewissen Systematik unterliegt. Dem Unternehmen ist bekannt, welches Material es in welcher Qualität zu welchem Zeitpunkt und zu welchem Preis zur Herstellung seiner Produkte benötigt. Durch Festlegung der Absatzziele wird die Produktion entsprechend gesteuert. Der Bedarf an Produktionsmaterial ist somit planbar, so dass die Bedarfsermittlung jederzeit elektronisch erfolgen kann und die Bestimmungsfaktoren der Beschaffung jederzeit optimiert werden können. In der Praxis sind es jedoch die ungeplanten Bedarfe, die eine besondere Herausforderung für die Einkäufer darstellen. Dies gilt unabhängig von der Unternehmensgröße. Die vier Bestimmungsfaktoren kosteneffizienter Beschaffungen – Menge, Qualität, Lieferzeitpunkt und Preis – sind hier bei den ungeplanten Bedarfen nicht bekannt und müssen pro Einzelfall ermittelt werden. Ein weiteres Problem ist, wie in allen anderen Unternehmensbereichen auch, der Faktor Zeit. Je mehr Zeit dem Einkäufer für Anbieterauswahl, Anfragenbearbeitung usw. zur Verfügung steht, umso besser wird auch in der Regel das Ergebnis sein. Dies ist bereits für „hauptberufliche“ Einkäufer ein kritischer Faktor, für Mitarbeiter, die Beschaffungsvorgänge zusätzlich zu ihrer Hauptfunktion erledigen müssen, erst recht.
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Beschaffungsplanung
Leider ist es in der Praxis zudem oft so, dass gerade der Einkauf bzw. der beschaffende Mitarbeiter zu spät in den Beschaffungsvorgang eingebunden wird und die verbleibende Zeit für die Einkaufsarbeit sehr begrenzt ist. Welche Möglichkeiten gibt es nun für Sie, diese Situation zu verbessern? Entscheidend ist, dass Sie selbst aktiv werden. Folgende Checkliste gibt Ihnen einige Handlungsempfehlungen, die Sie entsprechend der Möglichkeiten in Ihrem Unternehmen umsetzen können.
Checkliste 9 Finden Sie heraus, ob es in Ihrem Unternehmen bereits einen formalisierten Beschaffungsprozess gibt. Falls nicht, versuchen Sie, mit dem Bereich Controlling oder der Administrationsleitung einen solchen zu erarbeiten (vgl. Abbildung 3). Existiert bereits ein Prozess, analysieren Sie, ab welchem Zeitpunkt Sie aktiv in den Beschaffungsvorgang involviert werden müssen. Dies sollte bereits in der Planungsphase der Fall sein. 9 Gehen Sie auf den Bereich Controlling oder Finanzen zu und bitten Sie um Informationen über geplante Investitionen und Gemeinkosten, die im erstellten Jahresbudget für Ihr Unternehmen enthalten sind. Unter Umständen können Sie bereits aus diesen Zahlen ablesen, welche Beschaffungen von Ihnen im Laufe des Jahres getätigt werden müssen, und können die entsprechenden Bereiche aktiv darauf ansprechen. Eventuell entdecken Sie dabei bereits Einsparpotenziale, die durch eine planvolle Beschaffung realisiert werden können.
9 Führen Sie Gespräche mit Ihren wichtigsten internen Kunden – also den einzelnen Abteilungen selbst – und erfragen Sie, welche Beschaffungen im laufenden Jahr noch geplant sind.
9 Vereinbaren Sie daraufhin auf Basis des vorliegenden Beschaffungsprozesses mit Ihren internen Kunden Spielregeln, die festlegen, − in welcher Form − welche Informationen − zu welchem Zeitpunkt Ihnen als Einkäufer zur Verfügung gestellt werden müssen. Musterformulare – beispielsweise für eine Bedarfsanforderung – stellen wir Ihnen in den nachfolgenden Abschnitten an der entsprechenden Stelle zur Verfügung. 9 Stellen Sie sich nun Ihren persönlichen Beschaffungsplan auf. Welche Beschaffungen sollen zu welchem Zeitpunkt erfolgen? Planen Sie dann, wie viel Vorlaufzeit Sie für diese Beschaffung benötigen und gehen Sie zu diesem Zeitpunkt wieder aktiv auf die Bereiche zu, falls sie Ihnen nicht rechtzeitig die benötigten Informationen zur Verfügung stellen.
Bedarfsanalyse und Bedarfsanforderung
2.3
25
Werkzeug für den Einkäufer – die ABC-Analyse
Selbst in kleinen Unternehmen sind oft einige hundert verschiedene Beschaffungsvorgänge zu bewältigen. In großen Unternehmen kann eine Einkaufsabteilung leicht mit der Beschaffung von vielen tausend einzelnen Beschaffungsobjekten betraut sein. Umfang und Vielfalt der zu beschaffenden Güter und Leistungen machen es für den Einkäufer deshalb notwendig, sich geeigneter Werkzeuge zu bedienen, die es ihm ermöglichen, seine Einkaufsarbeit effizient, planvoll und zielgerichtet auszuführen. Ein bewährtes Werkzeug, das den Einkäufer dabei unterstützt und im Folgenden vorgestellt wird, ist die ABC-Analyse. Die ABC-Analyse ist sehr vielseitig, einfach anwendbar und liefert eine wichtige Grundlage, um die Beschaffungsplanung zu optimieren. Die ABC-Analyse baut auf dem so genannten Pareto-Prinzip oder der 80/20-Regel auf. Diese Regel wird nicht nur im Rahmen der Einkaufstätigkeit, sondern ebenso bei der Absatzanalyse und anderen Analysen verwendet. Am Beispiel der Einkaufstätigkeit umschreibt die 80/20-Regel folgende Sachverhalte innerhalb des Unternehmens: 80 % des Jahreseinkaufsvolumens entfallen auf nur 20 % aller Beschaffungsobjekte bzw. 80 % aller Beschaffungsobjekte haben lediglich einen Anteil von 20 % am Jahreseinkaufsvolumen. 80 % des Jahreseinkaufsvolumens konzentrieren sich auf nur 20 % der Lieferanten bzw. auf 80 % der Lieferanten entfallen nur 20 % des Jahreseinkaufsvolumens. Die ABC-Analyse lässt sich für die unterschiedlichsten Fragestellungen nutzen. Die Methode selbst ist jedoch immer die Gleiche. Folgende Vorgehensweise liegt der ABC-Analyse im Bereich Beschaffung zugrunde: 1. Ermittlung des Einkaufsvolumens (wird auch als Umsatz bezeichnet) für jedes einzelne Beschaffungsobjekt pro Jahr nach folgender Formel:
Jahreseinkaufsvolumen Jahresbestellmenge x Nettopreis = Einkaufsvolumen p. a.
2. Sortieren der Beschaffungsobjekte nach Einkaufsvolumen absteigend und kumulieren der Einkaufsvolumina 3. Das Gesamteinkaufsvolumen (= 100 %) als Summe des Einkaufsvolumens aller Beschaffungsobjekte bilden
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Werkzeug für den Einkäufer – die ABC-Analyse
4. Prozentualer Anteil des Einkaufsvolumens je Beschaffungsobjekt am Gesamteinkaufsvolumen ermitteln und kumulieren 5. Festlegung und Zuordnung der Klassifikationsgrenzen für A-, B- oder C-Objekte
Beispiel Die Muster GmbH plant, 20 Notebooks, 3 Firmenwagen, 10 Bürostühle, 4 Bürotische und 10 Beratungseinheiten für das Management in einem Jahr zu beschaffen. Die Assistentin des Geschäftsführers, Frau Joost, die auch für Beschaffungen verantwortlich ist, hat sich diese Daten vom Finance & Administration Manager besorgt, da sie maßgeblich für die Beschaffung der Firmen-PKW und sonstiger Büroartikel inkl. Möbel zuständig ist. 1.
Jahreseinkaufsvolumen
Anhand von Vergangenheitsdaten kann Frau Joost das Einkaufsvolumen pro Produkt bestimmen. Preisveränderungen hat sie nicht berücksichtigt, was für das Ergebnis jedoch nicht maßgeblich ist. Notebooks:
20 x 1.500 Euro = 30.000 Euro
Firmenwagen: 3 x 25.000 Euro = 75.000 Euro Bürostühle:
10 x 365 Euro = 3.650 Euro
Bürotische:
4 x 600 Euro = 2.400 Euro
Beratung:
10 x 1.000 Euro = 10.000 Euro
2.
Sortieren
Kumulieren
Firmenwagen: 75.000 Euro
75.000 Euro
Notebooks:
30.000 Euro
105.000 Euro
Beratung:
10.000 Euro
115.000 Euro
Bürostühle:
3.650 Euro
118.650 Euro
Bürotische:
2.400 Euro
121.050 Euro
3.
Gesamteinkaufsvolumen: 121.050 Euro
4.
Anteil am Gesamteinkaufsvolumen
Kumulieren
Firmenwagen: 75.000 Euro : 121.050 Euro = 62 %
62 %
Notebooks:
30.000 Euro : 121.050 Euro = 25 %
87 %
Beratung:
10.000 Euro : 121.050 Euro =
8%
95 %
Bürostühle:
3.650 Euro : 121.050 Euro =
3%
98 %
Bürotische:
2.400 Euro : 121.050 Euro =
2%
100 %
Bedarfsanalyse und Bedarfsanforderung
5.
27
ABC-Klassifizierung
Frau Joost entscheidet sich für folgende Klassifizierung: A:
Firmenwagen, Notebooks
B:
Beratung
C:
Bürostühle und -tische
Sie weiß, dass sie für die einzelnen Produktklassen verschiedene Beschaffungsstrategien für sich entwickeln muss, um ein optimales Ergebnis zu erzielen. Dabei konzentriert sie sich auf Strategien für die Klasse A. Zunächst stellt sie ihr Ergebnis übersichtlich in einer Tabelle dar. Beschaffungs- Bestell- Preis Einkaufs- Anteil des objekt menge in Euro volumen in Einkaufsin Stück Euro pro volumens pro in % Jahr Jahr Firmenwagen Notebooks Beratung Bürostühle Schreibtische Summe
3 20 10 10 4
25.000 1.500 1.000 365 600
75.000 30.000 10.000 3.650 2.400 121.050
62 % 25 % 8% 3% 2% 100 %
Einkaufsvolumen in Euro kumuliert
75.000 105.000 115.000 118.650 121.050
Anteil des Einkaufsvolumens in % kumuliert
62 % 87 % 95 % 98 % 100 %
Weder die Festlegung der Grenzen der einzelnen Klassen noch die Einteilung in ABCKlassen selbst sind zwingend vorgeschrieben. Vielmehr richtet sich die Einteilung danach, welchem Zweck die Analyse dienen soll. Ob eine sinnvolle Grenze für die Klasse A bei 80 %, bei 75 % oder bei 90 % zu ziehen ist oder ob statt der Klassen A, B und C auch nur eine Einteilung in A und B sinnvoll ist, richtet sich ausschließlich nach dem Zweck der Analyse, der sich von den spezifischen Gegebenheiten des einzelnen Unternehmens ableitet. Allgemein gilt, dass der Einkäufer sich auf die Beschaffung der A-Positionen konzentrieren muss. Dies leuchtet ein, denn ineffizientes, unorganisiertes Vorgehen, das zu Fehlern führt, verursacht direkt hohe Kosten. Werden beispielsweise die Firmenwagen derselben Marke und Ausstattung einzeln und bei verschiedenen Händlern beschafft, verschenkt man Rabatte, die man bei Bündelung des Gesamtbedarfes mit einem Händler verhandeln kann. Aber auch für die B- und C-Positionen muss der Einkäufer entsprechende Strategien und Maßnahmen festlegen, um die Kosten der Beschaffung zu optimieren. Insbesondere bei CProdukten sollte nicht zu viel Zeit des Einkäufers auf den Beschaffungsprozess verwendet werden, da die Kosten durch den Personalaufwand zu hoch würden und nicht genügend Zeit für die Beschaffung der A-Artikel zur Verfügung stünde. Der so genannte Rahmenvertrag mit einem Lieferanten, der meist über einen längeren Zeitraum abgeschlossen wird, findet hier häufig Anwendung (vgl. auch Kapitel 3 und 6).
28
Standardisierung und Bündelung
2.4
Standardisierung und Bündelung
Im Rahmen der A-Klassifizierung haben wir das Thema Bündelung bereits kurz angesprochen. Was steckt eigentlich konkret dahinter? Häufig wird die Bündelung als „das“ einkäuferische Mittel der Preisreduzierung genannt. Man versteht darunter, dass das Jahresbeschaffungsvolumen eines Produktes möglichst zusammengefasst und als eine große Beschaffungseinheit von einem Lieferanten bezogen wird. Um die Produkte zusammenfassen zu können, müssen sie vergleichbar sein. Es muss also eine Ausführung oder Konfiguration eines Produktes gewählt werden, um die Bedarfe bündeln zu können. Man spricht hier auch von Standardisierung. Die Standardisierung kann der Einkäufer vorschlagen, wenn er hierdurch einen erheblichen Kostenvorteil herausarbeiten kann, der die Vorteile der einzelnen Nutzer durch individuelle Ausführungen überwiegt. Generell gilt für den Einkäufer folgender Ablauf: erst Standardisierung dann Bündelung. Die Vorgehensweise erläutern wir am Beispiel der Beschaffung von Notebooks.
Beispiel Bei der Muster GmbH handelt es sich um eine Vertriebsorganisation. Für die Vertriebsmitarbeiter, die von Home Offices aus über ganz Deutschland verteilt arbeiten, werden regelmäßig Notebooks beschafft. Frau Joost hat bereits mit der ABC-Analyse das Beschaffungsvolumen der Geräte errechnet. Sie analysiert die aktuelle Beschaffungspraxis. Bisher konnten die Vertriebsmitarbeiter selbst ein Angebot eines IT-Anbieters vor Ort vorlegen, auf dessen Basis er dann in der Regel die Freigabe für die Beschaffung erhielt. Dies verringerte zwar den Beschaffungsaufwand für Frau Joost, doch Einsparpotenziale durch die Beschaffung einer hohen Anzahl von Notebooks bei einem Händler konnten nicht realisiert werden. Frau Joost informiert den IT-Manager über ihre Analyse. Er lässt sich schnell überzeugen, denn auch für ihn ergeben sich Vorteile durch die Standardisierung hinsichtlich der Betreuung der Anwender. Um ein Angebot über 20 Notebooks anfordern zu können, müssen die beiden jedoch zunächst eine Standardkonfiguration festlegen, die jedes Notebook haben sollte. Mit dem gebündelten Bedarf von 20 Notebooks erstellt Frau Joost Anfragen, die sie an verschiedene Händler schickt. Die Angebote lassen deutlich erkennen, dass nicht nur die Kosten pro Notebook deutlich gesenkt werden können, sondern auch Folgekosten wie Wartung und Vor-Ort-Service reduzierbar sind.
Bedarfsanalyse und Bedarfsanforderung
29
Für die Mitarbeiter eines Unternehmens, die Beschaffungen vornehmen müssen, stellt sich die Frage, wie sich aktuelle Konditionen noch verbessern lassen durch Bündelung und Standardisierung und inwieweit dies möglich ist, ohne den Nutzen des Unternehmens einzuschränken. Das Mittel der Bündelung ist dann vollständig ausgeschöpft, wenn Sie alle Produkte einer Art über einen Lieferanten beziehen können. In unserem Beispiel wäre es derselbe IT-Anbieter. Bei der Standardisierung geht es darum, Ihren Bedarf für den Beschaffungsmarkt „attraktiv“ bzw. interessant zu machen. Denn letztlich sollte sowohl für Käufer als auch Verkäufer eine Win-Win-Situation entstehen, also beide Vorteile daraus ziehen. In unserem Fall ist die Auftragsmenge noch recht klein. Ein besseres Beispiel ist ein PKWHersteller, der ein Elektronikmodul zur Produktion eines PKW-Modells von einem bestimmten Lieferanten bezieht. Dieses Modul ist für eine Baureihe des PKW genau definiert. Somit weiß der Hersteller dieses Moduls genau, welches Modul in welcher Stückzahl er zu produzieren hat. Er wird seine Maschinen genau darauf einstellen und seine Mitarbeiter entsprechend schulen. Dies muss er jedoch nur einmal machen und produziert dann eine große Stückmenge dieses Moduls. Es leuchtet ein, dass diese Produktion für ihn weniger kostenintensiv ist als die Produktion kleinerer Mengen unterschiedlicher Module. Diesen Kosteneffekt nennt man Skaleneffekt. Der Lieferant aus unserem Beispiel wird dem PKW-Hersteller einen Teil seiner Ersparnis aus dem Skaleneffekt weitergeben, um einen Wettbewerbsvorteil zu realisieren. Beide Geschäftspartner gewinnen also im Rahmen dieser Geschäftsbeziehung. Standardisierung und Bündelung können auf verschiedenen Ebenen erfolgen: innerhalb des eigenen Beschaffungsprogramms, im Unternehmen mit mehreren Betriebsteilen, im Konzern mit mehreren Konzernunternehmen, mit anderen Unternehmen in Form von Einkaufsgenossenschaften.
Checkliste 9 Analysieren Sie den Beschaffungsbedarf in Ihrem Unternehmen, der für ein Jahr geplant ist – entweder bezogen auf Ihren persönlichen Beschaffungsbereich oder den gesamten Bedarf. 9 Gibt es weitere Tochterunternehmen Ihres Unternehmens, die teilweise ähnliche Bedarfe haben (z. B. ebenfalls Notebooks)? Wenn ja, regen Sie doch an, diese Bedarfe für Ihre Unternehmensgruppe zu standardisieren und zu bündeln. 9 Gehen Sie mit diesem aggregierten Beschaffungsbedarf auf relevante Lieferanten zu. Sie werden erkennen, dass Ihre Verhandlungsposition wesentlich besser ist.
30
2.5
Auslösen des Beschaffungsvorganges: Die Bedarfsanforderung
Auslösen des Beschaffungsvorganges: Die Bedarfsanforderung
Viele Unternehmen arbeiten mit so genannten ERP-Systemen (Enterprise Resource Planning) wie beispielsweise SAP. Solche Systeme bieten standardisierte Vorlagen für den Beschaffungsprozess, so auch für die Bedarfsanforderung. Der Vorteil dieser integrierten Systeme liegt unter anderem darin, dass der gesamte Prozess ohne Medienbruch abgebildet wird und jederzeit alle Informationen zur Verfügung stehen. Die Eingabemasken und Formulare dieser Systeme sind entsprechend aufgebaut und enthalten alle für den Einkauf wichtigen Informationen. Aber auch bei Nutzung anderer Systeme oder Formulare müssen dem Einkauf bestimmte Informationen seitens der Fachabteilung, die einen konkreten Bedarf hat, zur Verfügung gestellt werden. Diese Informationen werden in der Bedarfsanforderung formal aufbereitet. Folgende Angaben muss eine Bedarfsanforderung enthalten: Beschreibung des Produktes oder der Dienstleistungen (Spezifikation oder Lastenheft), benötigte Menge, gewünschter Liefertermin, Wunschlieferant, Alternativlieferant. Bei der Muster GmbH wird für die Beschaffungen in der Regel kein ERP-System angewendet. Um die Beschaffungen bestmöglich abwickeln zu können, entwirft Frau Joost ein Bedarfsanforderungsformular. Dieses soll einheitlich in der Organisation verwendet werden, damit sowohl die Beschaffung als auch die nachfolgenden Vorgänge (Wareneingangskontrolle, Rechnungsprüfung) bestmöglich abgewickelt werden können. Die Abbildungen 5 und 6 zeigen die Musterformulare der Muster GmbH. Dabei hat Frau Joost ein Formular zur generellen Beschaffung von Produkten und Dienstleistungen sowie eine Anlage speziell zur Beschaffung von Dienstleistungen entwickelt. Da Letztere wesentlich komplexer in ihrer Planung und Organisation sind, bietet es sich an, ein gesondertes Formular beizufügen. Die beiden Formulare lassen sich je nach den Gegebenheiten einzelner Unternehmen anpassen und anwenden. Folgende Checkliste fasst zusammen, worauf bei der Erstellung einer Bedarfsanforderung geachtet werden sollte. Wenn Sie ein Formular für die Bedarfsanforderung in Ihrem Unternehmen einführen, ergänzen Sie dieses mit einer Anwendungsbeschreibung und nehmen Sie diese Checkliste darin auf.
Bedarfsanalyse und Bedarfsanforderung
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Checkliste 9 Die anfordernde Abteilung inklusive Kostenstelle muss angegeben sein. 9 Die anfordernde Person sollte angegeben sein für eventuelle Rückfragen. 9 Eine hierzu autorisierte Person muss die Bedarfsanforderung freigegeben haben durch ihre Unterschrift. 9 Die Beschreibung des Produktes oder der Dienstleistungen muss so genau sein, dass gezielt Angebote eingeholt werden können. Bei zu ungenauer Beschreibung werden viele Angebote dem eigentlichen Bedarf nicht entsprechen. Ist die Beschreibung jedoch zu eng gefasst, könnte die Auswahl der Anbieter zu stark eingeschränkt werden. 9 Die Beschreibung von Dienstleistungen sollte in so genannte Meilensteine untergliedert werden. Diese legen die einzelnen Teilleistungen einer gesamten Dienstleistung fest. 9 Die Menge, der Liefertermin sowie ein Wunschlieferant müssen angegeben werden.
32
Abbildung 5:
Auslösen des Beschaffungsvorganges: Die Bedarfsanforderung
Musterformular Bedarfsanforderung
Bedarfsanalyse und Bedarfsanforderung
Abbildung 6:
Musterformular Bedarfsanforderung, Anlage Dienstleistungen
33
Die Anfrage
3.
35
Die Anfrage
Bedarfsanalyse
Bedarfsanforderung und Genehmigung
Anfrage
Angebots vergleich
Angebots verhandlung
Bestellung und Genehmigung
Leistungs kontrolle
Die Anfrage ist im Beschaffungsprozess der erste Schritt, über den sich das einkaufende Unternehmen direkt an den Markt wendet. Alle vorbereitenden Schritte verlaufen zunächst intern. Doch warum ist eine Anfrage notwendig? Welche Inhalte sollten erfasst sein? Und an welche Anbieter wende ich mich überhaupt mit meiner Anfrage? All diese Fragen werden wir klären und Ihnen Handlungsempfehlungen geben. Zunächst gehen wir kurz auf die in der Praxis auftauchenden Begriffe der Anfrage und Ausschreibung ein.
3.1
Anfrage und Ausschreibung
In der Beschaffungspraxis wird im Zusammenhang mit Anfragen auch oft der Begriff Ausschreibung gebraucht. Ob sie einen bestimmten Bedarf „anfragen“ oder „ausschreiben“, hat keinerlei Bedeutung für den Beschaffungsprozess. In der Regel wird aber von einer Ausschreibung gesprochen, wenn umfangreiche und komplexe Leistungen beschafft werden. Eine besondere Bedeutung hat die Ausschreibung im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe, beispielsweise wenn öffentliche Auftraggeber wie Städte und Gemeinden Aufträge für den Bau einer Straße zu vergeben haben. Bei der öffentlichen Ausschreibung sind Auftraggeber und Anbieter an eine Vielzahl genau festgelegter Verfahren und Regeln gebunden, deren Durchsicht bereits einen hohen Aufwand für den Lieferanten bedeutet. Er muss sich genau überlegen, ob sich dieser Aufwand für eine Angebotsabgabe für ihn rechnet. Doch all diese Vorschriften gelten nicht für die Ausschreibung von Unternehmen der privaten Wirtschaft. Aber natürlich wird jedes beauftragende Unternehmen eigene Ausschreibungskriterien und -verfahren entwickeln, die seitens der Lieferanten ebenfalls eingehalten werden
36
Notwendigkeit einer Anfrage
sollten. Die Unternehmen können dann frei entscheiden, an wen sie die Ausschreibung versenden wollen, nach welchen Kriterien sie ihre Vergabeentscheidung treffen usw. Im Zusammenhang mit der Anfrage werden auch häufig die Begriffe Inquiry oder Request for Quotation (RFQ) verwendet, die aber letztlich die gleiche Bedeutung wie der deutsche Begriff Anfrage haben. Wir werden im Folgenden bei der deutschen Bezeichnung bleiben und von der Erstellung einer Anfrage sprechen.
3.2
Notwendigkeit einer Anfrage
Durch die Anfrage tritt der Einkäufer direkt an den Beschaffungsmarkt heran. Der Zweck der Anfrage ist, bezüglich des eigenen Bedarfs konkrete Angebote von potenziellen Lieferanten einzuholen. Entscheidend für die Gestaltung einer Anfrage ist, dass der Einkäufer fähig ist, den Bedarf möglichst konkret zu definieren. Dazu ist die Bedarfsanforderung, wie im vorangegangenen Kapitel erläutert, eine wichtige Vorbereitung. Doch es stellt sich die Frage, ob immer eine Anfrage gestellt werden muss. Warum sollte Frau Joost beispielsweise nicht ohne weitere Vorarbeit die benötigten Büromöbel direkt aus einem Katalog bei dem Bürocenter um die Ecke bestellen? Die Antwort ist einfach und lautet: Jeder Beschaffung sollte eine Anfrage vorausgehen. Welche Notwendigkeit eine Anfrage für Sie als Einkäufer hat, werden wir nachfolgend Schritt für Schritt erläutern. Allerdings können die Art und Weise, der Zeitpunkt und der Umfang der Anfrage variieren. In jedem Fall soll der Aufwand für die Anfragetätigkeit in einem vernünftigen Verhältnis zu dem zu erwartenden Nutzen stehen. Hilfreich bei dieser Einschätzung sind die folgenden drei Bewertungskriterien: 1. Die Wertigkeit des Beschaffungsobjektes Hierfür können Sie auf das Ergebnis der ABC-Analyse zurückgreifen. 2. Beschaffungsrisiko Hier müssen Sie bewerten, ob die Beschaffung des Objektes mit einem Risiko für das Unternehmen verbunden ist.
Beispiel Kann beispielsweise ein geringwertiges Ersatzteil für eine Produktionsmaschine nicht oder nicht schnell genug beschafft werden, kann dies zu Produktionsausfall und hohen Kosten für das Unternehmen führen.
Die Anfrage
37
Bei einer Vertriebsorganisation kann die zu späte Beschaffung eines Leasing-PKW hohe Kosten verursachen, da übergangsweise ein Mietwagen bereitgestellt werden muss, der wesentlich teurer ist. Doch der entsprechende Fahrer – ein Außendienstmitarbeiter – ist auf den PKW angewiesen, weil er für die Betreuung seiner Kunden mobil sein muss.
3. Einmalbedarf oder Wiederholbedarf Bei einem Einmalbedarf ist entscheidend, wie Sie die Beschaffung nach den Punkten 1 und 2 bewertet haben. Entsprechend sollten Sie mehr oder weniger Zeit und Aufwand für die Beschaffung investieren. Der Wiederholkauf stellt nicht nur bezüglich der Anfrage eine Besonderheit dar. Beim Wiederholkauf besteht schon eine oder mehrere Lieferantenbeziehungen. In der Regel hat der Einkäufer die Rahmenbedingungen für die Abwicklung des Beschaffungsvorgangs bereits bei vorangegangenen Beschaffungen des Produktes oder der Dienstleistung mit dem Lieferanten vereinbart. Eine solche Vereinbarung kann in einem Rahmenvertrag fixiert werden. Inhalte eines Rahmenvertrages Folgende Kerninhalte werden in einem Rahmenvertrag festgehalten:
die Spezifikation des Beschaffungsobjekts, die in einer bestimmten Periode voraussichtlich zu liefernde Menge, der Preis, die Lieferzeit, die Liefer- und Zahlungsbedingungen. Existiert ein Rahmenvertrag, können bestimmte Mengen des wiederholt zu beschaffenden Produktes durch eine Bestellung direkt abgerufen werden. In diesem Fall ist eine Anfrage für den konkreten Beschaffungsvorgang nicht mehr notwendig. Dennoch ist auch hier dem Rahmenvertrag natürlich eine Anfrage vorausgegangen. Die rechtliche Gestaltung eines Rahmenvertrages wird in Kapitel 6 genauer erläutert. Den geringsten Aufwand bei der Anfrage wird man betreiben, wenn es sich bei der Beschaffung um ein geringwertiges Beschaffungsobjekt mit geringem Beschaffungsrisiko und um einen Einmalbedarf handelt.
38
Auswahl geeigneter Anbieter
Wenn auch nur eines der beiden ersten Kriterien hoch bewertet wird, muss der Einkäufer seine Einkaufsarbeit entsprechend intensivieren. In erster Linie betrifft das die Suche und Auswahl geeigneter Anbieter.
3.3
Auswahl geeigneter Anbieter
Haben Sie nach der in Abschnitt 2.1 beschriebenen Methode festgestellt, dass die vorzunehmende Beschaffung intensiver Vorbereitung bedarf, kommt zunächst der Suche nach den richtigen Anbietern eine besondere Bedeutung zu. Für die Suche der richtigen Anbieter gibt es keine Pauschallösung. Der Arbeitsaufwand hängt auch maßgeblich davon ab, welche Netzwerkpartner Ihr Unternehmen bereits hat und welche Kontakte Sie persönlich haben. Zur vereinfachten Darstellung beschränken wir uns hier auf zwei konkrete Situationen: a)
Potenzielle Lieferanten sind bereits bekannt
Oft besteht bereits für ein bestimmtes Beschaffungsobjekt oder eine Warengruppe eine Lieferantenbeziehung zu einem oder mehreren Lieferanten. In diesem Falle sollte man auf Basis von eigenen, aber auch von Erfahrungswerten aus verschiedenen Fachabteilungen bestimmte Lieferanten auswählen, denen man eine Anfrage zukommen lassen will. Die Vorteile einer Zusammenarbeit mit bekannten Lieferanten sind: Man wird bei bereits bekannten Lieferanten auf vorangegangene Aufträge zurückgreifen können und hat daher eine recht gute Verhandlungsposition. Auf bestimmte Konditionen wird man zurückgreifen können. Will man sie verbessern, kann man berechtigterweise hervorheben, dass es sich nun um einen Folgeauftrag handelt. Dies ist jedoch nur dann zu empfehlen, wenn der vorangegangene Auftrag noch nicht so lange zurückliegt. Je nach Situation des relevanten Beschaffungsmarktes ist die Kundenbindung für den Lieferanten wichtiger oder weniger wichtig. Dies sollten Sie im Vorfeld analysieren. Häufig ist sie wichtig, so dass Sie entsprechende Vorteile aushandeln können. Liegt der vorangegangene Auftrag noch nicht lange zurück, wird man sich bei C-Gütern auf eine reine Preisanfrage beschränken können. Die weiteren Konditionen wurden gerade verhandelt. Ein hoher Zeitaufwand, um diese Konditionen zu verbessern, lohnt sich bei C-Gütern nicht. Bei A-Beschaffungsobjekten sollten Sie auch bei bekannten Lieferanten mehr Zeit auf die Auswahl verwenden. Sinnvoll ist es in dieser Warengruppe, bekannten Anbietern und ein bis zwei neuen Anbietern Anfragen zukommen zu lassen. Denn den bekannten Anbietern liegt
Die Anfrage
39
sicherlich etwas an der Bindung ihrer bestehenden Kunden, die neuen Anbieter möchten Sie als Neukunde gewinnen. Insofern ist es für Sie interessant, wie sich diese beiden Aspekte auf die Angebotsgestaltung auswirken. Sie vermeiden zudem, dass Sie sich von einem Anbieter abhängig machen, erhalten sich somit eine gewisse Flexibilität und bauen zwischen den Anbietern eine echte Wettbewerbssituation auf. Insbesondere bei Produkten und Dienstleistungen mit einem hohen Beschaffungsrisiko sollten Sie darauf achten, stets auch alternative Anbieter zu kennen. b)
Der Lieferant muss gesucht werden
Manche Einkäufer empfehlen bei wichtigen Beschaffungen eine breit angelegte Anfrageaktion mit vielen Anbietern. Tatsächlich kommt es aber nicht darauf an, möglichst viele Anbieter zu finden, sondern die richtigen. Legen Sie hierbei mehr Wert auf die Qualität als auf die Masse. Neben dem Faktor Zeit spielt der Faktor Information im Wirtschaftsleben eine entscheidende Rolle. Im besonderen Maße trifft das auch auf die Beschaffungsfunktion zu. Der Einkäufer ist ein Informationsmanager. Je besser er seine Informationen aufbereitet und verwaltet, desto effizienter wird er in der Bearbeitung von Beschaffungen. Im Folgenden werden weitere externe Informationsquellen vorgestellt, die von dem Einkäufer bei seiner Tätigkeit – wie etwa bei der Lieferantensuche – genutzt werden können. Da heute viele relevante Informationsquellen im Internet zu finden sind, haben wir die entsprechenden Internetdressen – sofern möglich – mit aufgeführt. Anbieterverzeichnisse − − − − − −
Wer liefert was? ABC der deutschen Wirtschaft Hoppenstedt Firmendatenbank Europages Kompass Branchenbücher
www.wlw.de www.abconline.de www.firmendatenbank.de www.europages.de www.kompass.com
Verbände und Kammern − Deutscher Industrie- und Handelskammertag e. V. (DIHK) − Handwerkskammern − Verband deutscher Maschinen- und Anlagenbau e. V. (VDMA) Messen
www.ihk.de
www.vdma.org
40
Auswahl geeigneter Anbieter
Fachzeitschriften − Beschaffung aktuell www.beschaffung-aktuell.de − Zeitschriften für spezielle Fachbereiche (z. B. Personalmagazin, working@office usw.) Informationsbroker (Datenbanken) Eine Vielzahl von Betreibern von Informationsdatenbanken bieten inzwischen auch gezielt Informationen für den Beschaffungsprozess an. Die Nutzung der Datenbanken ist in der Regel aber kostenpflichtig. Bekannte Anbieter sind z. B. Dun & Bradstreet oder Creditreform.
Suchmaschinen Die modernen Suchmaschinen, z. B. Google (www.google.de), Yahoo (www.yahoo.de) oder Web (www.web.de), bieten dem etwas geübten Anwender ausreichende Möglichkeiten der Informationsbeschaffung. Oft genügen zwei oder drei miteinander verknüpfte Schlagworte, um die gesuchte Information zu erhalten.
Wissensdatenbanken Oft sind Beschaffungen durchzuführen, die im Zusammenhang mit sehr spezifischem Fachwissen stehen. Als Einkäufer sollte man zu jedem Beschaffungsvorgang, sei er auch noch so fachspezifisch, zumindest ein Grundverständnis entwickeln. Inzwischen findet man im Internet zahlreiche Wissensdatenbanken, z. B. Wikipedia (www.wikipedia.org), die einen hierbei unterstützen.
Prospekte, Anrufe, Internet Wer kennt sie nicht die tägliche Flut von Prospektmaterial auf dem Schreibtisch oder die Anrufe von Verkäufern, die über das Telefon versuchen, Ihnen etwas anzubieten. Vielleicht bietet Ihr Unternehmen auch eine Möglichkeit für Lieferanten, sich über Ihre Internetseite bei Ihnen zu bewerben. Diese Methoden mögen für Sie teilweise störend und in jedem Fall zeitraubend sein, bedenken Sie aber stets, als Einkäufer leben Sie von Informationen. Nach unserer Erfahrung kann man aus fast jedem Kontakt eine Information für die eigene Tätigkeit gewinnen.
Die Anfrage
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Praxistipp Um Telefonkontakte möglichst effizient zu führen, verhalten Sie sich freundlich, aber bestimmt. Fassen Sie sich kurz und lassen Sie sich Informationsmaterial zusenden. Dadurch ersparen Sie sich lange Ausführungen am Telefon, und Sie können sich in Ruhe ein genaueres Bild davon machen, ob die Produkte des Anbieters für Sie von Interesse sind oder nicht.
Lieferantendatei/Lieferantengespräche Die eigenen Erfahrungen und im Unternehmen vorhandenes Wissen zählen zu den wertvollsten Informationsquellen. Man wird oft erstaunt sein, welches enorme Wissen, auch über den Beschaffungsmarkt, an verschiedenen Stellen im Unternehmen vorhanden ist. Die systematische Erfassung – etwa in Form einer Lieferantendatei – ist ein nützliches Werkzeug für den Einkäufer. Eine einfache Excel-Datenbank über bereits bekannte Lieferanten kann helfen, relevante Informationen innerhalb des Unternehmens zu verwalten. In dieser Datenbank sollten Sie nach Beschaffungsbereichen untergliedert folgende Informationen aufnehmen: − − − − −
Name des Lieferanten Anschrift Ansprechpartner mit Telefonnummer und E-Mail-Adresse Kurzer Vermerk auf bereits getätigte Beschaffungen Kurze Bewertung
Nehmen Sie durchaus auch negativ bewertete Lieferanten in die Datenbank auf, so dass Ihre Erfahrungen auch anderen entsprechend zur Verfügung stehen und diese vorsichtiger bei der Auswahl der Anbieter vorgehen.
3.4
Leistungsbeschreibung
Von zentraler Bedeutung im gesamten Beschaffungsprozess ist die genaue und eindeutige Beschreibung der zu beschaffenden Ware oder Leistung. Woher weiß der Lieferant eigentlich, was er zu liefern hat? Die relevanten Informationen hierzu kann er nur von Ihnen als Stellvertreter für das beschaffende Unternehmen erhalten. Sie als Einkäufer müssen dem Lieferanten die Informationen zur Verfügung stellen. In der Beschaffungspraxis erfolgt dies in Form einer Leistungsbeschreibung oder eines Leistungsverzeichnisses (LV).
42
Leistungsbeschreibung
Leistungsverzeichnis Ein Leistungsverzeichnis ist eine Leistungsbeschreibung in Katalogform. In diesem Leistungskatalog werden eine Vielzahl von einzelnen Leistungsarten aufgeführt und mit Preisen hinterlegt. Hauptsächlich werden Leistungsverzeichnisse bei der Beauftragung von Bauleistungen, Elektroarbeiten usw. zur Anwendung gebracht.
Die Begriffe Leistungsbeschreibung und Leistungsverzeichnis (LV) werden in der Beschaffungspraxis oft synonym verwendet. Diesem Ansatz werden wir ebenfalls folgen. Auch die Begriffe Spezifikation, Lasten- und Pflichtenheft werden in diesem Zusammenhang häufig synonym verwendet. Umfang und Inhalt der Leistungsbeschreibung sind abhängig vom Beschaffungsobjekt selbst. Ist beispielsweise der zu beschaffende Artikel von geringem Wert, bietet also kein Einsparpotenzial für Sie, und wird er vom Lieferanten in einem Katalog geführt, reicht als Leistungsbeschreibung Ihrer Anfrage die Angabe der im Katalog angegebenen Artikelnummer aus. Alle relevanten Informationen zum Artikel sind im Katalog des Lieferanten festgelegt. Das Beschaffungsobjekt ist damit genau und eindeutig beschrieben. In allen anderen Fällen müssen Sie selbst eine möglichst genaue und eindeutige Leistungsbeschreibung erstellen. Unvollständige oder mangelhafte Leistungsbeschreibungen sind häufigste Ursache für Streitigkeiten bei der Auftragsdurchführung. Fehler, die in der Phase der Leistungsbeschreibung gemacht werden, können während der Auftragsdurchführung oft nicht mehr oder nur mit einem hohen Mehraufwand beseitigt werden. Das Risiko, dass Sie als beschaffendes Unternehmen den Mehraufwand zu tragen haben, ist sehr hoch.
Beispiel Frau Joost erinnert sich nur ungern an den Umzug der Muster GmbH. Sie organisierte maßgeblich alle damit in Verbindung stehenden Aktivitäten. Die große Herausforderung war, den Umzug schnell, zuverlässig, aber auch möglichst kostengünstig abzuwickeln. Frau Joost holte sich Angebote verschiedener Umzugsfirmen ein. Es kamen Vertreter von zwei Umzugsfirmen zur Vorort-Besichtigung, um sich ein Bild über das anstehende Umzugsvolumen zu machen und darauf basierend ihr Angebot abzuliefern. Zu diesem Zeitpunkt hieß es, dass hauptsächlich Akten transportiert würden. Frau Joost wies darauf hin, dass für die neue Liegenschaft neue Möbel angeschafft würden. Jedoch könnten die einzelnen Abteilungen durchaus noch das ein oder andere Möbelstück mitnehmen. Hierüber gab es jedoch am Tag der Besichtigung noch keine eindeutigen Angaben. Der Vertrag wurde auf Basis des günstigsten Angebotes formuliert, das besichtigte Volumen wurde darin aufgeführt. Doch Frau Joost verließ sich bei dieser Angabe auf die
Die Anfrage
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Schätzung der Umzugsfirma. Kurz vor dem anstehenden Umzugstermin stand nun fest, welche alten Möbel die Abteilungen noch mitnehmen wollten. Die Überraschung war groß, da es sich um eine recht hohe Anzahl handelte. Die Umzugsfirma hatte einen erheblichen Mehraufwand durch die unerwartet hohe Anzahl abzubauender und zu transportierender Möbel, so dass sich der Rechnungsbetrag erheblich vom Auftragswert in der Bestellung unterschied. Die Muster GmbH hatte keine Chance, dieser Forderung zu widersprechen, da in der Tat ein erheblicher Mehraufwand eingetreten war. Im Vertrag war für diesen Fall eine Stundenpauschale festgelegt worden, die nun den Rechnungsbetrag überproportional zum zusätzlichen Volumen ansteigen ließ. Für Frau Joost war es der erste Umzug, den sie in diesem Umfang organisierte. Sie lernte daraus, dass sie in jedem Fall auf eine detaillierte Planung der Abteilungen bestünde, bevor sie ein Angebot einholen und darauf basierend einen Vertrag erstellen würde. Zudem würde sie selbst eine akribische Aufnahme des Umzugsvolumens vornehmen und die Angaben im Angebot einer Umzugsfirma genau hinterfragen.
3.5
Aufbau und Inhalt einer Anfrage
Grundsätzlich ist die Anfrage an keine Form gebunden, auch nicht bezüglich der eingesetzten Medien. Die E-Mail hat in den Einkaufsabteilungen die klassischen Medien Brief oder Telefax fast vollständig ersetzt. Neuerdings spielen aber auch internetbasierende Anfrageplattformen, die entweder durch das Unternehmen selbst oder durch Einkaufsdienstleister zur Verfügung gestellt werden, eine große Rolle. Für einfache Preisanfragen ist aber das Telefon weiterhin das effizienteste Medium. Egal welche Form der Anfrage man wählt, es ist stets Vorsicht geboten, damit auch wirklich alle Details der eigenen Anfrage durch das Angebot des Lieferanten wunschgemäß abgebildet werden. Gerade bei telefonischem Kontakt ist es notwendig, sich entsprechend auf das Gespräch vorzubereiten, auch wenn es sich um eine relativ kleine Beschaffung handelt. Legen Sie sich am besten einen Leitfaden mit Kriterien bereit, die Sie besprechen möchten, und notieren Sie die Antworten des Anbieters während des Telefonates entsprechend.
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Aufbau und Inhalt einer Anfrage
Wichtiger Hinweis Es ist ein einfacher Hinweis und dennoch kommt es häufig vor, dass er nicht befolgt wird. Vergessen Sie nicht, sich bei einer telefonischen Anfrage den Namen und die Kontaktdaten Ihres Gesprächspartners und das Datum zu notieren. Andernfalls kann es zu Missverständnissen kommen, falls Sie sich auf dessen telefonisches Angebot berufen. Bitten Sie außerdem um eine schriftliche Bestätigung des telefonischen Angebotes.
Zur einfachen Abwicklung der Anfrageaktionen und zur Vorbereitung auf einen vereinfachten Angebotsvergleich empfiehlt es sich, zur Anfrage ein Formular zu nutzen. Folgende Punkte müssen Inhalt einer Anfrage sein: genaue Bezeichnung des Beschaffungsobjektes (Angabe der Herstellerartikelnummer, falls möglich, oder genau Beschreibung in Form einer Leistungsbeschreibung), benötigte Menge bzw. Leistungseinheiten bei Dienstleistungen, gewünschter Liefertermin, Lieferbedingungen – falls bekannt (Verpackungs-, Transport- und sonstige Kosten), Angabe einer Frist, bis wann ein Angebot erwartet wird.
Neben diesen Inhalten muss eine Anfrage dringend folgende Hinweise enthalten: Es wird eine kostenfreie Ausarbeitung des Angebots erwartet. Das Angebot muss verbindlich sein. Der Lieferant muss eine Angebotsbindefrist mitteilen, bis wann er an das Angebot gebunden ist.
Weitere optionale Punkte, die eine Anfrage enthalten kann, sollten je nach Bedarf aufgenommen werden, z. B.: Welche Garantien und Garantiezeiten werden gewährt? Welche weiteren Dienstleistungen werden angeboten? Aufforderung, gleichwertige und preiswertere Alternativen anzubieten, falls man selbst nur eine Version des Beschaffungsobjektes kennt. Hinweis auf Ausschluss der allgemeinen Verkaufsbedingungen des Anbieters (vgl. hierzu auch Kapitel 6).
Die Anfrage
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Je mehr Informationen in der Anfrage abgefragt werden, desto einfacher und eindeutiger lassen sich später ein Angebotsvergleich erstellen, eine Einkaufsentscheidung treffen und umso weniger Missverständnisse gibt es. Der Erfolg einer Anfrage- bzw. Ausschreibungsaktion bemisst sich für den Einkäufer in der Anzahl von nutzbaren und vergleichbaren Angeboten. Um möglichst viele solcher Angebote zu erhalten, sollten auch seitens des Einkäufers gewisse Verhaltensregeln beachtet werden. Folgende Checkliste hilft Ihnen, sich selbst als Einkäufer einzuschätzen.
Checkliste 9 Wenn Sie neue Anbieter in den Bieterkreis aufnehmen, müssen Sie auch bereit sein, Aufträge an diese neuen Lieferanten zu erteilen. Bevorzugen Sie jedoch immer Ihre bisherigen Lieferanten („Hoflieferanten“) und fragen Sie dennoch stets auch bei anderen an, erhalten Sie irgendwann keine brauchbaren Wettbewerbsangebote mehr. 9 Bedenken Sie, dass auch die Erstellung eines Angebots für den Anbieter mit Aufwand verbunden ist. Er wird sich umso mehr bemühen, Ihnen ein attraktives Angebot zu unterbreiten, je mehr er den Eindruck hat, dass Sie ehrlich an einer Zusammenarbeit interessiert sind, sofern alle Konditionen stimmen. 9 Sie sollten sich über das Produktions- bzw. Leistungsprogramm der Anbieter Kenntnis verschaffen, um im Vorfeld sicherzustellen, dass der Anbieter überhaupt in der Lage ist, das nachgefragte Beschaffungsobjekt anbieten zu können. 9 Je eindeutiger die Bedarfsbeschreibung formuliert ist, desto weniger Rückfragen sind notwendig, und unnötiger Aufwand wird vermieden. Hierfür sollten Sie ruhig etwas mehr Zeit investieren. 9 Erarbeiten Sie gegebenenfalls zusammen mit der Fachabteilung, welches für Ihr Unternehmen die entscheidenden Leistungsmerkmale bei der Auftragsdurchführung sind, und fragen Sie diese Punkte in der Anfrage gezielt ab. Machen Sie sich jetzt schon Gedanken, an welchen Kriterien Sie später kontrollieren wollen, ob die Leistung mangelfrei erbracht wurde oder nicht.
In Abbildung 7 sehen Sie ein Beispiel eines Anfrageschreibens der Muster GmbH.
46
Aufbau und Inhalt einer Anfrage
Abbildung 7: Musteranschreiben Anfrage
Die Anfrage
3.6
47
Exkurs: Lieferantenmanagement
Das Lieferantenmanagement als ein Teil des Beschaffungsmanagements gewinnt in der Beschaffungspraxis zunehmend an Bedeutung. In diesem Exkurs geben wir Ihnen einen kurzen Überblick darüber, was man unter Lieferantenmanagement versteht, und gehen auf dessen entscheidende Elemente ein. Auch wenn Sie nicht direkt mit diesem Thema betraut sind, können Ihnen diese zusätzlichen Informationen helfen, den Bereich Einkauf und seine Funktion in einem umfassenden Unternehmenskontext zu verstehen. Die Bedeutung der so genannten Supply Chain und ihre Rolle werden wir dabei kurz erläutern.
3.6.1
Supply Chain
In der Fachliteratur findet man eine Vielzahl von Definitionen und Ansätzen, was unter Lieferantenmanagement zu verstehen ist. Zunächst ist es entscheidend, die Ziele dieser Aufgabe darzustellen.
Ziele des Lieferantenmanagements Das Lieferantenmanagement wird als ein Werkzeug der Beschaffung verstanden, um – die Ertragskraft des eigenen Unternehmens zu steigern, – sich als Unternehmen mit den eigenen Produkten oder Dienstleistungen von seinen Wettbewerbern zu differenzieren, um sich auf diese Weise Wettbewerbsvorteile zu sichern, – letztlich den Nutzen der eigenen Kunden zu steigern.
Beim Lieferantenmanagement geht es um die Gestaltung von unternehmensübergreifenden Wertschöpfungsketten – den so genannten Supply Chains. Durch effiziente Prozessgestaltung zwischen Lieferanten und eigenem Unternehmen sollen die eigenen Produkte noch kostengünstiger in gleicher oder höherer Qualität produziert werden können. Dieser Preiseffekt wird dann wiederum an die Endkunden weitergegeben. Das eigene Unternehmen kann Wettbewerbsvorteile realisieren und den Umsatz steigern. Letztlich führt dies auch zu einer besseren Auftragslage bei den Lieferanten, so dass für alle Seiten eine Win-Win-Situation entsteht. Der Begriff „Wertschöpfungskette“ beschreibt somit bildlich das Ziel der abgestimmten Maßnahmen. Je nach Komplexität der Produkte und Leistungen kann die Wertschöpfungskette beliebig lang sein. Häufig sind eine Vielzahl von Lieferanten und Vorlieferanten beteiligt, bis letztlich ein Produkt oder eine Leistung bei Ihnen im Unternehmen ankommt. Genau hier setzt das Lieferantenmanagement an und versucht, die einzelnen Elemente der Wertschöpfungskette zu optimieren bzw. die am besten geeigneten Elemente zu kombinieren (Best-Practice-Ansatz). Vereinfacht dargestellt kann man sagen, dass am Markt nicht mehr Untenehmen A mit Unter-
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Exkurs: Lieferantenmanagement
nehmen B konkurriert, sondern komplexe Wertschöpfungsketten im Wettbewerb stehen, Kunden zu gewinnen.
Lieferant A
Lieferant 1
Lieferant B
Lieferant 2
Lieferant I
Lieferant II
Unternehmen A Produkt A
Lieferant C
Lieferant A
Lieferant 3
Lieferant 1
Lieferant B
Lieferant 2
Lieferant III
Lieferant I
Lieferant II
Unternehmen B Produkt B
Lieferant C
Abbildung 8:
3.6.2
Lieferant 3
Lieferant III
Supply Chain Management
Lieferantenentwicklung
Die Lieferantenentwicklung beschreibt den Prozess, durch den ein beschaffendes Unternehmen versucht, weitere für sich notwendige Lieferquellen aktiv aufzubauen. Warum kann es notwendig sein, eine neue Lieferquelle aufzubauen bzw. zu entwickeln? Die Faktoren, die eine Lieferantenentwicklung notwendig machen, sind vielfältig. Beispielsweise kann es sein, dass ein bestimmtes Produkt, das Sie benötigen, bisher auf dem Beschaffungsmarkt noch nicht angeboten wird, oder das Produkt wird nur von einem Anbieter (Monopolist) angeboten, und Sie möchten sich aus dieser Abhängigkeit befreien. Die Notwendigkeit zum Aufbau neuer Lieferquellen ist offensichtlich. Je nach Ausgangslage des eigenen Beschaffungsbedarfs im Unternehmen kann sich die Lieferantenentwicklung sehr komplex gestalten. Aufgrund der vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten einer Lieferantenentwicklung lässt sich nur schwer eine generelle Vorgehensweise festlegen. Einige Aspekte sind jedoch grundlegend zu beachten. Zunächst muss man sich bewusst machen, dass die Kosten für ein Produkt zum größten Teil bereits in der Konzept- bzw. Entwicklungsphase festgelegt werden. Die Möglichkeiten, die Kosten in den darauf folgenden Phasen z. B. durch verbesserte Fertigungsverfahren oder durch die Möglichkeiten des kostengünstigen Einkaufs, noch maßgeblich zu beeinflussen,
Die Anfrage
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sind begrenzt. Der Lieferant ist vor diesem Hintergrund ein entscheidender „Wertschöpfungspartner“. Entsprechend sorgfältig muss daher die Auswahl der Vertragspartner sein, und entsprechend kooperativ muss bei der Vertragsgestaltung vorgegangen werden. In Kapitel 3.3 haben wir Ihnen Tipps zur Auswahl geeigneter Anbieter gegeben. Im Zusammenhang mit dem Lieferantenmanagement, wie z. B. bei der Auswahl eines Partners für die Lieferantenentwicklung, erfolgt die Lieferantenauswahl systematischer und strategischer, da die Geschäftsbeziehungen in der Regel langfristig ausgelegt sind. Ein Werkzeug hierfür ist die „Lieferantenselbstauskunft“ oder der „Lieferantenfragebogen“. Folgende Angaben sollten mit einem Lieferantenfragebogen erfasst werden: Angaben zur Firma (Anschrift) Angaben zur Branche und zu den Produkten Angaben zum Unternehmen Anzahl der Beschäftigten Angaben zum Umsatz Wichtige Kunden und Branchen Zertifizierung (DIN ISO 9001 usw.)
Weiter könnten Sie spezifische Fragen, die für Ihr Unternehmen wichtig sind, abfragen: Produktionskapazität für ein bestimmtes Produkt Art und Umfang von Serviceleistungen Hauptkunden Anzahl der Produktionsstandorte und Niederlassungen weltweit
Lieferanten, mit denen bereits eine Lieferanten-Abnehmer-Beziehung besteht, werden durch die Lieferantenbewertung systematisch und regelmäßig bewertet. Folgende Bewertungskriterien können Bestandteil der Lieferantenbewertung sein: Qualität Lieferzuverlässigkeit Serviceverhalten Flexibilität Preis
50
Exkurs: Lieferantenmanagement
Art und Umfang der Systeme, die zur Lieferantenbewertung eingesetzt werden sind abhängig von mehreren Faktoren wie der Unternehmensgröße oder der Bedeutung der Lieferanten für das eigene Unternehmen. In manchen Fällen kann eine Lieferantenbewertung wie im Beispiel in Abbildung 9 ausreichen.
Die Bewertungssumme errechnet sich in unserem Beispiel wie folgt: 1.
Bildung von Einzelbewertungen: Gewichtungsfaktor/100 x erreichte Punktzahl
2.
Aufaddieren der Einzelbewertungen zur Bewertungssumme
In den Einkaufsabteilungen großer Unternehmen kommen teilweise sehr umfangreiche EDVDatenbanksysteme zur Lieferantenbewertung zum Einsatz. Auch hier gilt, dass die Unternehmen sehr genau den Aufwand zur Erfassung und Pflege eines solchen Lieferantenbewertungssystems im Verhältnis zum erwartenden Nutzen kalkulieren. Falls Sie die Möglichkeit einer Lieferantenbewertung haben, können Sie darauf aufbauend Ihrem Lieferanten gezielt und sachlich Verbesserungspotenziale aufzeigen und gemeinsam geeignete Maßnahmen vereinbaren, um die Leistungsfähigkeit des Lieferanten und somit der Wertschöpfungskette zu verbessern.
3.6.3
Lieferantenreduzierung
Die Lieferantenreduzierung wird in fast allen Unternehmen thematisiert. In vielen Unternehmen findet man eine breite Lieferantenbasis von oft mehreren tausend Lieferanten. Zu Recht wird in diesen Fällen die Reduzierung der Anzahl der Lieferanten als ein strategisches Ziel der Beschaffung angesehen. Allerdings ist die Lieferantenreduzierung kein Selbstzweck. Vielmehr verbindet man mit der Lieferantenreduzierung ein Optimierungspotenzial, wie z. B. die Reduzierung des administrativen Aufwands, die Vielzahl der Lieferanten zu kontrollieren und zu steuern. Ein weiteres Potenzial ergibt sich durch die Bündelung des Beschaffungsvolumens, um Skaleneffekte zu nutzen. Eine extreme Ausprägung der Maßnahme der Bündelung ist das „Single Sourcing“ – die Beschaffung bei nur einem Lieferanten. Den oben genannten Vorteilen kann man der Beschaffungsstrategie des Single Sourcings auch Nachteile gegenüberstellen. Durch das Single Sourcing steigt für Ihr Unternehmen das Versorgungsrisiko, z. B. wenn der Lieferant (Single Source) nicht oder nur verspätet in der Lage ist zu liefern. Anhand dieser Beispiele wird klar, dass die optimale Anzahl der Lieferanten von einer Vielzahl von Faktoren abhängt und diese Faktoren einem permanenten Wandel unterliegen. Die Aufgabe des Lieferantenmanagements ist es, die Anzahl der Lieferanten permanent zu überprüfen und entsprechend steuernd einzugreifen.
Die Anfrage
Abbildung 9:
51
Musterformular Lieferantenbewertung
Angebotsvergleich
4.
53
Angebotsvergleich
Bedarfsanalyse
Bedarfsanforderung und Genehmigung
Anfrage
Angebots vergleich
Angebots verhandlung
Bestellung und Genehmigung
Leistungs kontrolle
Der Angebotsvergleich ist die Basis für die Einkaufsentscheidung. Die Hauptaufgabe in dieser Phase des Beschaffungsvorgangs besteht darin, die unterschiedlichen Angebote hinsichtlich der Bewertungsfaktoren vergleichbar zu machen. Je eindeutiger die Anfrage gestaltet war, desto weniger Aufwand ergibt sich an dieser Stelle. Zunächst gehen wir auf die für alle Angebote relevanten Vergleichsfaktoren ein und geben Hinweise, worauf Sie bei Überprüfung dieser Faktoren besonders achten sollten. Der zweite Teil dieses Kapitels befasst sich dann mit der konkreten Erstellung eines Angebotsvergleichs.
4.1
Faktoren des Angebotsvergleichs
Die Kriterien Preis, Menge, Liefertermin, Qualität, nach denen jede Beschaffung zu bewerten ist, um ein betriebswirtschaftliches Optimum zu erreichen, wurden in Kapitel 1 bereits kurz erläutert. Sie bilden die Grundlage eines jeden Angebotsvergleiches. Im Folgenden zeigen wir, wie die Faktoren im Einzelnen beurteilt werden und geben Vorschläge für verschiedene Arten des Angebotsvergleiches.
4.1.1
Preis
Als Ergebnis der Anfrageaktion erhalten wir von den Lieferanten unterschiedliche Angebote. In der Regel unterscheiden sich die eingegangenen Angebote auch im Preis. Jedoch gilt: Preis ist nicht gleich Preis.
54
Faktoren des Angebotsvergleichs
Nehmen wir an, dass alle Angebote in allen Kriterien außer im Preis und den Preisnebenbedingungen übereinstimmen. Der angebotene Preis für das Produkt oder die Dienstleistung ist einfach zu vergleichen. Entscheidender ist es, auf die weiteren Konditionen zu achten, die den finanziellen Aufwand für Sie als Käufer direkt beeinflussen. Hierbei handelt es sich insbesondere um Zuschläge, Rabatte, Kosten für Verpackung und Lieferung usw. Oft sind diese Preisnebenbedingungen in den Angeboten gar nicht oder nur unvollständig genannt. Dann gilt es, sie genau zu erfragen und sich schriftlich bestätigen zu lassen. Der Preis, der letztlich interessiert, ist der so genannte Einstandspreis.
Einstandspreis Der Einstandspreis eines Beschaffungsobjektes ist der Preis, der alle Preisbestandteile berücksichtigt, bis das Gut im Unternehmen eingegangen ist und zur Verwendung bereitsteht.
Der Zusammenhang zwischen Angebotspreis, den Preisnebenbedingungen und dem Einstandspreis lässt sich vereinfacht an folgendem Beispiel darstellen:
Beispiel Angebotspreis
Euro __________
+ Zuschläge
Euro __________
– Rabatt
Euro __________
+ Transport
Euro __________
+ Verpackung
Euro __________
+ Transportversicherung
Euro __________
– Skonto
Euro __________
Einstandspreis
Euro __________
Was versteht man nun unter den einzelnen hier angegebenen Faktoren genau?
Angebotsvergleich
55
Angebotspreis Jedes Unternehmen macht seinem Verkauf Vorgaben zu den Preisen, die den Kunden angeboten werden. Üblicherweise werden dem Verkäufer hierfür Preislisten zur Verfügung gestellt. In der Regel wird Ihnen der Verkäufer zunächst diesen Listenpreis als Angebotspreis anbieten. Diese Listenpreise spielen bei den Überlegungen zur Einkaufsentscheidung in der Regel nur eine untergeordnete Rolle, da im Rahmen individueller Angebote die folgenden Faktoren zu einer wesentlichen Veränderung des Preises führen können.
Zuschläge Es gibt verschiedene Arten von Zuschlägen, die ein Lieferant im Angebot ansetzen kann. Eine sehr geläufige Zuschlagsart tritt dann auf, wenn der Lieferant eine Mindestbestellmenge oder einen Mindestbestellwert verlangt. Bei Unterschreitung dieser beiden Kriterien wird dem Kunden ein Zuschlag in Rechnung gestellt.
VORSICHT Nicht selten übersteigen bei kleinen Bestellmengen oder geringem Bestellwert die Kosten für Zuschläge, Fracht etc. den eigentlichen Warenwert. Achten Sie also genau auf diese eher verdeckten Kostenfaktoren.
Solche Zuschläge können durch Standardisierung und Bündelung der Bedarfe im Unternehmen vermieden werden (vgl. hierzu Kapitel 2). Hier sollte man jedoch wieder den Aufwand für die Standardisierung und Bündelung und den Nutzen durch die Kosteneinsparungen genau in Relation setzen. Allerdings führen auch die zunehmenden Bestellungen über das Internet (E-Commerce) dazu, dass die Lieferanten ihre Abwicklungsprozesse auf Kleinbestellungen einrichten und auf Zuschläge dieser Art verzichten. Sie geben somit die Einsparungen an die Kunden weiter, die sie beispielsweise durch geringeren Personalaufwand bei E-Commerce-Bestellungen erzielen. Bei kleinen Bestellmengen lohnt sich folglich ein Blick ins Internet. Eine weitere recht häufige Zuschlagsart findet sich außerdem im Rahmen der Materialbeschaffung. In einigen Branchen ist es üblich, Zuschläge auf z. B. den Metallanteil im Produkt zu erheben. Ein typisches Beispiel ist ein Kupferzuschlag bei Elektrokabeln.
56
Faktoren des Angebotsvergleichs
Rabatte und Boni Zunächst eine Warnung:
Vorsicht Lassen Sie sich nicht direkt von hohen Preisnachlässen in Form von Rabatten oder Boni beeindrucken.
Sicherlich ist es erfreulich, direkt einen Preisnachlass in Höhe von beispielsweise 20 % vorweisen zu können. Sie werden sich jedoch selbst schon einmal über ein solches Anbieterverhalten gewundert haben. Fest steht, dass ein solcher Rabatt nicht speziell Ihnen als besonderen Kunden angeboten wurde. In manchen Branchen ist es schlichtweg üblich, mit hohen Listenpreisen und entsprechend hohen Nachlässen zu operieren. Beispielsweise gewähren manche Lieferanten für Büromöbel bei kleinen Kunden gerne Nachlässe von 20 %. Jedoch erhalten große Kunden für die gleichen Möbel oft 50 % Nachlass oder mehr. Sicherlich ist es das gute Recht des Anbieters, seine eigenen Kostenvorteile bei großen Bestellungen ausschließlich dem entsprechenden Kunden weiterzugeben. Für Sie ist aber nicht die Höhe des Nachlasses entscheidend, sondern der tatsächliche Einstandspreis. Erstkundenrabatt, Stammkundenrabatt, Treueprämie, Wiedereinsteigerprämie, Sondernachlass, Projektrabatt, Mengenrabatt – diese Begriffe sind nur eine Auswahl möglicher Rabatte, durch die die Lieferanten ihre Angebote verschönern wollen. Wird Ihnen zunächst kein Nachlass angeboten, können Sie als Einkäufer entsprechend der konkreten Situation gezielt solche Rabatte nachfragen. Ein Bonus bzw. Boni werden häufig in Form von Umsatzbonus oder Jahresbonus gewährt. Der Lieferant räumt hierbei einen zusätzlichen Nachlass auf das gesamte getätigte Umsatzvolumen mit einem Kunden ein, wenn dieser ein vereinbartes Umsatzziel mit dem Lieferanten in einem festgelegten Zeitraum erzielt hat.
Beispiel Der Lieferant bietet einen Jahresbonus von 10 % an, wenn der Kunde ein Bestellvolumen von 100.000 Euro über ihn abwickelt. Der Kunde erhält dann am Jahresende eine Gutschrift über 10.000 Euro.
Oft sind diese Zielwerte gestaffelt. Ein Beispiel kann lauten:
Angebotsvergleich
57
Beispiel Wir gewähren einen Jahresbonus von 4 % bei einen Bestellvolumen von 20.000 Euro pro Jahr (= 800 Euro). Ab einem Bestellvolumen von 30.000 Euro gewähren wir einen Bonus von 5 % (= 1.500 Euro).
Transport (Lieferkonditionen) Die Vereinbarung zum Transport bzw. der Fracht hat zwei wesentliche Bedeutungen, hinsichtlich: des Preises und des Gefahrenüberganges. Selbst wenn Sie in Ihrer Anfrage explizit die Frachtkosten angefragt haben, werden Sie feststellen, dass die meisten Angebote keine oder nur lückenhafte Angaben hierzu machen. Die häufigste Formulierung in Angeboten lautet: Die Lieferung erfolgt ab Werk. Diese Formulierung bedeutet, dass die bestellte Ware beim Lieferanten zur Abholung bereitstehen wird. Der Transport der Ware vom Lieferanten zu Ihnen als Kunde muss Ihrerseits organisiert und gezahlt werden. Häufig veranlasst der Lieferant jedoch den Transport und stellt diesen dem Kunden in Rechnung. Einige Einkäufer übersehen dabei, dass sie die Lieferung durchaus selbst organisieren können. In der Regel verfügen aber die bestellenden Unternehmen nicht über die notwendigen Mittel, um eine entsprechende „Beschaffungslogistik“ durchzuführen, oder scheuen den weiteren administrativen Aufwand und überlassen deshalb den Transport dem Lieferanten. Umso wichtiger ist es, eine klare Vereinbarung auch bezüglich der Frachtkosten zu treffen. Ein Festpreis ist in diesem Falle zu empfehlen, der eindeutig im Bestellauftrag definiert werden muss. Aber Vorsicht: Es ergibt sich häufig der Trugschluss, dass der Gefahrenübergang vom Lieferanten auf den Kunden erst bei Anlieferung erfolgt, wenn die Lieferung vom Auftragnehmer organisiert wird. Dieser erfolgt jedoch bereits ab Werk.
Gefahrenübergang Der Begriff Gefahrenübergang meint den Übergang des Risikos für Beschädigung oder Verlust der Ware vom Lieferanten auf den Kunden.
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Faktoren des Angebotsvergleichs
Eine für Sie als Einkäufer günstigere Vereinbarung ist: Die Lieferung erfolgt frei Haus (oder frei Werk). Auch wenn Sie mit dieser Vereinbarung nicht die tatsächlichen Frachtkosten kennen, die im Angebot eingearbeitet sind, so haben Sie doch einen eindeutigen Vergleichswert und die Sicherheit, dass keine zusätzlichen Kosten für die Fracht auf Sie zukommen.
Vorsicht In der Praxis ist häufig nicht bekannt, dass die Vereinbarung frei Haus keinen eindeutig bestimmten Inhalt hat. Daher müssen Sie als Besteller im Zweifel davon ausgehen, dass der Lieferant die Kosten für den Transport trägt, jedoch das Risiko einer möglichen Beschädigung oder eines Verlustes der Ware auf dem Transportweg bei Ihnen liegt.
Praxistipp: Angabe des Erfüllungsortes Sicherer ist es, Sie vereinbaren mit dem Lieferanten den Erfüllungsort für seine Leistung oder Warenlieferung. Dann ist eindeutig geregelt, dass auch der Gefahrenübergang erst bei Ankunft der Ware bzw. bei der Erbringung der Leistung am von Ihnen definierten Ort erfolgt.
Beispiel Erfüllungsort für alle Lieferungen ist unser Werk in Musterhausen.
Neben den reinen Transportkosten können weitere Kosten für z. B. Versicherung der Ware, Zoll, Zertifikate u. Ä. anfallen. Auch hierauf sollten Sie besondere Aufmerksamkeit richten und Details erfragen, sofern sie nicht klar aus dem Angebot hervorgehen. Insbesondere bei internationalen Geschäften mit oft langen Transportketten (Landtransport, Schiffstransport oder Luftfracht) ist es sehr wichtig, eine eindeutige Regelung zwischen den Vertragspartnern zu Liefer- und Frachtbedingungen zu treffen. Hierbei kommen die international anerkannten „Incoterms 2000“ (International Commercial Terms) zur Anwendung. Durch die Festlegung von einheitlichen Lieferbedingungen durch die Incoterms ist klar geregelt: Wer zahlt den Transport? Wer trägt ab wann welches Risiko?
Angebotsvergleich
59
Folgende Klauseln kommen hierbei häufig zur Anwendung: Abkürzung Incoterm
Bedeutung
EXW
EXW ist eine so genannte Abholklausel.
ex works
Die Kosten für den Transport sind komplett durch den Käufer zu tragen. Der Gefahrenübergang vom Verkäufer auf den Käufer erfolgt ab dem Werk des Verkäufers. DDP
delivered duty paid
Ist eine so genannte Ankunftsklausel. Der Verkäufer trägt die kompletten Kosten inkl. den Kosten für Einfuhrzölle (duty) bis zum Bestimmungsort der Ware. Der Verkäufer trägt auch die Gefahr bis zum Bestimmungsort der Ware.
Abbildung 10: Häufig angewandte Incoterms
Vorsicht Oft werden auf Angeboten und Rechnungen bestimmte Preisbestandteile wie z. B. die LKWMaut gesondert ausgewiesen. Damit soll der Anschein erweckt werden, es handele sich um einen nicht durch den Unternehmer beeinflussbaren und somit nicht verhandelbaren Kostenfaktor. Allerdings ist es beispielsweise auch nicht üblich, den Steueranteil im Benzinpreis von rund zwei Drittel gesondert auszuweisen. Außerdem ist es Aufgabe des anbietenden Unternehmers, mögliche Entlastungen bei Steuern und sonstigen Abgaben zu realisieren.
Verpackung In Abhängigkeit vom Produkt, der Transportdauer und dem Transportweg wird der Lieferant für sein Produkt eine geeignete Verpackung auswählen. Es kann vorkommen, dass die Verpackungskosten die eigentlichen Produktkosten übersteigen. Als bestes Beispiel kann man hier Katalogbestellungen im Privatbereich anführen. Wahrscheinlich wird mindestens eine Ihrer Katalogbestellungen schon einmal an den teilweise extrem hohen Porto- und Verpackungskosten gescheitert sein. Sie sollten also auch auf diesen Aspekt Ihre Aufmerksamkeit richten und ihn gegebenenfalls nachverhandeln.
60
Faktoren des Angebotsvergleichs
Skonto (Zahlungskonditionen) Letztlich beeinflusst die Vereinbarung, wann und zu welchen Bedingungen eine Zahlung erfolgen soll, den Einstandspreis. Grundsätzlich wird das einkaufende Unternehmen versuchen, möglichst spät zu zahlen. Der Lieferant hingegen hat das Interesse, den Kaufpreis sofort zu erhalten. Eine klare Vereinbarung ist deshalb bei jedem Beschaffungsvorgang notwendig. Eine Vereinbarung, die häufig zur Anwendung kommt und versucht, die Interessen beider Geschäftspartner zu berücksichtigen, ist die Skontovereinbarung. Eine Skontovereinbarung kann beispielsweise lauten: Die Zahlung erfolgt innerhalb von 10 Tagen abzüglich 3 % Skonto oder innerhalb von 30 Tagen netto, ohne Abzug. Solche Skontovereinbarungen haben folglich für den Lieferanten und für das einkaufende Unternehmen Vorteile. Der Lieferant bietet dem einkaufenden Unternehmen durch die Einräumung des Skontos einen Anreiz zur schnellen Zahlung. Das Skonto ist demnach eine Art „Sofortzahlungsrabatt“. Nutzt das einkaufende Unternehmen die Skontozahlung, kann man die Skontovereinbarung auch als eine Art günstigen „Lieferantenkredit“ betrachten. Der „Preis“ eines solchen Kredits, den der schnell zahlende Kunde entrichtet, lässt sich am Jahreszins ablesen. Dazu vergleichen wir den Skontosatz mit dem Kreditzins, den wir bei einer Bank aufwenden müssen, um den Skontobetrag zu finanzieren. Der entsprechende Jahreszinssatz für unser Beispiel kann mit folgender Formel ermittelt werden:
Formel Skontoertragsrechnung Jahreszinssatz= 360 x 100 x Skontosatz/[(Zahlungsziel-Skontofrist) x (100-Skontosatz)] Jahreszinssatz = 360 x 100 x 3 / [(30-10) x (100-3)] = 55,7 %
Würden wir in unserem Beispiel das Skonto nicht nutzen und erst nach 30 Tagen zahlen, „kostet“ die Finanzierung des Skontobetrags einen Jahreszinssatz von 55,7 %. Die vergleichbaren Jahreszinssätze für einen Kredit beispielsweise bei Banken liegen je nach den aktuellen Kapitalmarktzinsen in jedem Fall deutlich günstiger. Auch wenn es sich oft nur um kleine Skontobeträge handelt, lohnt es sich immer, das Skonto zu nutzen und sich das Kapital anderweitig günstiger zu beschaffen. Je höher der Auftragswert ist, desto entscheidender ist dieser finanzielle Vorteil.
Mehrwertsteuer Die Mehrwertsteuer (eigentlich Umsatzsteuer) ist eine Verbrauchssteuer, die letztlich nur vom Endverbraucher an den Staat gezahlt wird. Für die Unternehmen ist deshalb die Mehrwertsteuer ein durchlaufender Posten und spielt somit für alle Überlegungen zu Kosten und
Angebotsvergleich
61
Preisen keine Rolle. In der Beschaffung wird immer nur über den Nettopreis, also den Preis ohne Mehrwertsteuer, gesprochen.
4.1.2
Zeit
„Zeit ist Geld.“ Dieses einfache Sprichwort findet besondere Bedeutung im Beschaffungsbereich. Beispielsweise ist mit der Entscheidung zur Investition in eine neue Maschine das unternehmerische Ziel verbunden, rationeller und damit kostengünstiger zu produzieren. Je schneller die Umsetzung der Investitionsentscheidung erfolgt, desto früher kann das Unternehmen den erhofften Erfolg realisieren. Natürlich ist es auch entscheidend, dass die Maschine zum geplanten Liefertermin eintrifft, damit die geplanten Produktionsprozesse entsprechend umgesetzt werden können. Eine Lieferverzögerung würde hier die Planungen stören und sich direkt finanziell auswirken. Der Faktor Zeit spielt in diesem Beispiel sogar in zweifacher Hinsicht eine entscheidende Rolle. In einigen Fällen wird in Verhandlungsgesprächen zwischen Verkäufer und Einkäufer daher härter um den Liefertermin als um den Einstandspreis gerungen. Noch bedeutsamer ist die Einhaltung des Liefertermins bei so genannten Just-in-TimeVereinbarungen. Kunden und Lieferanten sind vertraglich und organisatorisch sehr eng miteinander verbunden. Auch die EDV-Systeme sind hier direkt miteinander verlinkt. Denn hier gibt es so gut wie keine Lagerhaltung. Just-in-Time bedeutet, dass zu beschaffende Produkte genau dann geliefert werden, wenn beim Kunden der Bedarf auftritt. Beispielsweise benötigt ein produzierendes Unternehmen für seine Produktion bestimmte Materialien. Sobald ein minimaler Bestand dieser Materialien erreicht ist, wird der Lieferant informiert und liefert in der vertraglich fixierten Zeit kurzfristig neues Material. Die Produktion beim Kunden kann weiterlaufen, er benötigt keine großen Lagerbestände an Produktionsmaterial. Der Lieferant muss jedoch so aufgestellt sein, dass er diese Materialien sofort bei Abruf liefern kann. Bereits in Kapitel 1 haben wir die grundlegenden Konsequenzen von Lieferterminabweichungen dargestellt. Es entstehen Kosten durch erhöhte Lagerhaltung bei frühzeitiger Lieferung und Kosten durch gestörte Betriebsabläufe in der Produktion bei verspäteter Lieferung. Aber auch in anderen Bereichen des Unternehmens können verspätete Lieferungen negative Auswirkungen haben.
Beispiel Stellen Sie sich die Situation vor, dass Ihr Unternehmen an einer wichtigen Handelsmesse teilnimmt. Sie wollen wichtigen Kunden Informationsmaterial zur Verfügung stellen. Doch die beauftragte Druckerei hat den Termin für diese Broschüren nicht eingehalten. Sie stehen nun ohne aktuelles Informationsmaterial auf der Messe, was dem Image Ihres Unternehmens schaden kann.
62
Faktoren des Angebotsvergleichs
Entscheidend ist also, dass Sie bei einem Angebotsvergleich die Lieferflexibilität und Warenverfügbarkeit prüfen. Im nachfolgenden Bestellauftrag müssen dann gegebenenfalls entsprechende finanzielle Sanktionen für den Fall frühzeitiger oder verspäteter Lieferung hinterlegt sein (vgl. auch Kapitel 8).
4.1.3
Qualität
Als verantwortlicher Einkäufer wissen Sie, welches Produkt bzw. welche Dienstleistung Sie in welcher Qualität beschaffen müssen. Abweichungen von diesem Qualitätsstandard können ebenfalls finanzielle Auswirkungen haben. Besonders deutlich wird dies im Falle von Vorprodukten oder Komponenten für die Produktion. Werden qualitativ minderwertige Einzelteile verwendet, kann die Qualität eines insgesamt hochwertigen Produktes gefährdet sein. Bestes Beispiel ist die Produktion von PKW. Verwendet ein Hersteller billige und minderwertige Materialien, kann man davon ausgehen, dass die Fahrzeuge besonders störanfällig sind. Man denke nur an die zahlreichen Rückrufaktionen, die auch bei Verwendung qualitativ hochwertiger Teile auftreten können. Um die Qualität solcher Vorprodukte oder Komponenten beurteilen zu können, benötigt man eine Vielzahl von Fachleuten. Ein Einkäufer allein kann dies nicht bewältigen. Daher kümmern sich bei solchen Beschaffungsprojekten mehrere Fachleute um die Auswahl von Lieferanten sowie die Festlegung und Überwachung von Qualitätsstandards durch so genannte Qualitätsaudits. Doch auch wenn Sie einen Bürostuhl bestellen, sollten Sie sich vorab über gewisse Qualitätsstandards informieren, die z. T. sogar gesetzlich vorgeschrieben sind (vgl. Ausführungen in den so genannten Arbeitsstättenrichtlinien). Gesetzliche Regelungen, interne Richtlinien, TÜV-Zertifizierungen und weitere produktspezifische Zertifikate können hierbei hilfreiche Hinweise sein. In bestimmten Fällen spielen bei der Angebotsauswahl Faktoren eine Rolle, die im ersten Moment nicht unbedingt zu einem Optimum in der Beschaffung, jedoch zu einem betriebswirtschaftlichen Optimum für das Unternehmen führen.
Beispiel Am Beispiel des Bürostuhls lässt sich dies einfach erklären. Hochwertige Stühle mit einer Vielzahl von individuellen Einstellungsmöglichkeiten unterstützen eine rückenschonende Haltung der Nutzer besser, als minderwertige Stühle. Die Nutzer leiden weniger an Rückenschmerzen, können sich besser konzentrieren, sind weniger krank.
Angebotsvergleich
4.1.4
63
Menge
Der Faktor Menge sollte in einem Angebot klar festgelegt sein. Richten Sie zunächst Ihr Augenmerk auf die Mengeneinheit. Denn in der Regel richtet sich der Preis des Anbieters auf eine Mengeneinheit aus. Dementsprechend ist es wichtig, diese Bezugsgröße genau zu betrachten. Zudem verwenden einige Anbieter so genannte Preismengenstaffeln. Je mehr Mengeneinheiten Sie bestellen, desto günstiger wird der Preis pro Mengeneinheit. Jedoch ist es für Sie auch entscheidend, ob der Lieferant die gesamte angeforderte Menge en bloc liefern kann oder ob er Teillieferungen vorschlägt. Diesen Aspekt sollten Sie sehr genau prüfen und entsprechend des Bedarfs Ihres Unternehmens verhandeln. Handelt es sich um ein Angebot, das sich auf eine angefragte Dienstleistung bezieht, ist es schwieriger für Sie zu beurteilen, ob der Lieferant alle von Ihnen angefragten Leistungseinheiten (kurz: LE) in sein Angebot aufgenommen hat. Prüfen Sie auch hier genau, worauf sich die Angabe LE bezieht, die meistens als Mengeneinheit bei der Kalkulation von Dienstleistungen gewählt wird.
4.1.5
Sonstige Faktoren
Gegengeschäfte oder Kompensationsgeschäfte Unter Kompensationsgeschäften versteht man die Beauftragung eines Lieferanten, der zur gleichen Zeit Kunde des eigenen Unternehmens ist. Davon verspricht man sich auf der einen Seite einen Preisvorteil bei der eigenen Beschaffung. Zum anderen wird hierdurch in der Regel die Geschäftsbeziehung des Kunden bzw. Lieferanten zum eigenen Unternehmen gestärkt. So sollte man unter bestimmten Umständen als Einkäufer auch einen vergleichsweise höheren Preis bei der Beschaffung akzeptieren, wenn dadurch auf der anderen Seite weiterer Umsatz des eigenen Unternehmens mit dem „Lieferanten“ gesichert werden kann. Eine enge Abstimmung zwischen Ihrer Verkaufsabteilung und Ihnen als Einkauf sollte in diesen Fällen stattfinden.
Konzerngeschäfte Innerhalb einer Firmengruppe kommt es vor, dass zum Anbieterkreis für ein bestimmtes Beschaffungsobjekt auch ein konzernverbundenes Unternehmen zählt. Oft hat in diesen Fällen die Unternehmensführung „Spielregeln“ festgelegt, die dem konzernverbundenen Unternehmen gegenüber Drittanbietern bei der Einkaufsentscheidung Vorzüge einräumen. Z. B. bekommt das Konzernunternehmen die Möglichkeit des „letzten Wortes“, das heißt, es erhält die Möglichkeit, zu den ausgehandelten Bedingungen des bisher besten Angebots den Auf-
64
Erstellen eines Angebotsvergleichs
trag auszuführen. In der Regel sind diese Zusammenhänge am Beschaffungsmarkt bekannt. Das kann dazu führen, dass man von anderen Anbietern keine oder keine brauchbaren Angebote erhält. Eine Wettbewerbssituation aufzubauen und ein betriebswirtschaftliches Optimum zu erreichen ist, dann für das einkaufende Unternehmen kaum möglich.
Prestige Dieser Faktor fällt häufig ins Gewicht, wenn Beschaffungen für die Geschäftsleitung oder für repräsentative Zwecke vorgenommen werden müssen. Möbel und Ausstellungselemente müssen dann von einer ganz bestimmten Marke sein, um ein bestimmtes Image zu erhalten. Diese Möbel können viel teurer sein als solche mit gleicher Funktion und ähnlicher Optik. Der Einkäufer wird sich letztlich dem Imagegedanken beugen müssen, den das eigene Unternehmen mit einer solchen Beschaffung stützen will. Auch im Bereich der industriellen Beschaffung haben sich Markenprodukte etabliert. Durch die Verwendung von Markenprodukten als Komponenten des eigenen Erzeugnisses steigert man die Chancen des eigenen Produktes am Absatzmarkt. Ein typisches Beispiel in diesem Zusammenhang ist die Verwendung von Prozessoren in Computern der Marke pentium£ des Herstellers Intel („intel inside£“). Eine objektive Bewertung und Darstellung im Angebotsvergleich ist bei den Faktoren Gegengeschäfte, Konzerngeschäfte und Prestige oft nicht möglich. Wenn Vergleichsfaktoren dieser Art bei der Einkaufsentscheidung eine Rolle spielen, muss der Einkäufer über seinen Schatten springen und die übergeordneten Interessen gelten lassen, um für das Unternehmen ein optimales Ergebnis zu erzielen.
4.2
Erstellen eines Angebotsvergleichs
Angebotsvergleiche sollen dem Entscheider eine schnelle und sichere Entscheidung ermöglichen. Auch bei der Erstellung eines Angebotsvergleichs sollten Sie immer nur so viel Aufwand betreiben, dass Ihr eigener Nutzen dazu in einem sinnvollen Verhältnis steht. Beispielsweise kann es bei der einmaligen Beschaffung eines geringwertigen Gutes ausreichend sein, lediglich den Einstandspreis zu vergleichen. Bei komplexeren Beschaffungen sind weitere Vergleichsfaktoren notwendig (z. B. Liefertermin, Qualität usw.).
Angebotsvergleich
4.2.1
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Verschiedene Angebote im Überblick
Es ist sinnvoll, den Angebotsvergleich in einer standardisierten Form zu erstellen. Dadurch sind für Sie als Einkäufer die notwendigen Informationen leicht abzulesen, und Sie müssen sich nicht permanent an eine neue Darstellung der Inhalte gewöhnen. Je nach dem zu beschaffenden Produkt wird der Angebotsvergleich dann mehr oder weniger umfangreich ausfallen. Zunächst müssen die eingegangen Angebote einer formellen Prüfung unterzogen werden. Hierbei soll darauf geachtet werden, dass alle angefragten Punkte vollständig enthalten sind. Beispielsweise ist zu prüfen, ob auch Zahlungs- und Lieferbedingungen vollständig und eindeutig angegeben sind. In der Regel sind die Angebote nicht vollständig. Ob ein unvollständiges Angebot aus der weiteren Bearbeitung ausgeschlossen wird oder ob die fehlenden Angaben nachgeliefert werden können, müssen Sie im Einzelfall entscheiden. In der Regel wird man nur solche Angebote ausschließen, die bereits bei den angebotenen Vergleichsfaktoren nicht den Anforderungen entsprechen. Nach der formellen Prüfung sollen nun die Details der Angebote miteinander verglichen werden. Wir orientieren uns hier wieder an den Faktoren Preis, Menge, Qualität und Liefertermin. Das Schema in Abbildung 11 zum Angebotsvergleich schlagen wir vor. Dieses Schema soll jedoch kein starres und endgültiges Format sein. Es soll Ihnen lediglich eine Idee liefern, wie die Informationen verschiedener Angebote möglichst übersichtlich gegenübergestellt werden können. Unsere nachfolgende Checkliste hilft Ihnen, die einzelnen Kategorien zu bearbeiten.
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Abbildung 11: Schema Angebotsvergleich
Erstellen eines Angebotsvergleichs
Angebotsvergleich
67
Checkliste 9 Sofern die angefragte Leistung aus mehreren Teilleistungen besteht, listen Sie diese nochmals auf. Diese Information können Sie direkt aus der Anfrage übernehmen. 9 Versuchen Sie, die Preise für die einzelnen Teilleistungen bei den eingegangen Angeboten herauszuarbeiten. Diese Analyse wird immer dann schwierig, wenn die Inhalte der Teilleistungen von den Lieferanten unterschiedlich zugeordnet und/oder betitelt werden. Beispielsweise hat Lieferant A die Projektkoordination komplett Teilleistung A zugeordnet. Die anderen Lieferanten verteilen diese unter Umständen auf alle Teilleistungen gleichmäßig. Teilleistung A wird also bei Lieferant A sehr teuer sein, die weiteren Leistungen jedoch recht günstig. Bei den anderen Lieferanten ergibt sich ein preislich ausgeglicheneres Bild über die einzelnen Teilleistungen. 9 Ermitteln Sie nun den Gesamtpreis aus den einzelnen Teilleistungen. 9 Lesen Sie die Zahlungsbedingungen aus dem Angebot ab. Wird Ihnen z. B. 3 % Skonto bei einer Zahlung der Rechnung innerhalb von 7 Tagen gewährt, dann tragen Sie die „Ersparnis“ in die entsprechende Spalte ein. 9 Sind bereits Rabatte eingeräumt? Dann tragen Sie diese in die Tabelle ein. 9 Im nächsten Abschnitt der Tabelle tragen Sie die eventuell anfallenden Kosten für Transport und Verpackung ein. 9 Jetzt lässt sich der Einstandspreis auf Basis der aus dem Angebot abgelesenen Informationen ermitteln. 9 Der vom Lieferanten angegebene Liefertermin ist in der nächsten Zeile einzutragen. Nur Sie selbst können entscheiden, wie wichtig die Einhaltung des von Ihnen vorgegebenen Termins ist und wie problematisch eine Abweichung davon wäre. 9 Unter dem Punkt Qualität können Sie objektive Qualitätskriterien aufführen oder für sich selbst subjektive Qualitätskriterien (z. B. top, ausreichend oder fragwürdig) vermerken. Welche konkreten Begriffe Sie wählen, liegt bei Ihnen und ist abhängig von der Art der zu beschaffenden Produkte und Dienstleistungen. 9 Unter Sonstiges können Sie sich bereits Fragen und Anmerkungen eintragen, die bei der späteren Angebotsverhandlung geklärt werden sollten. Beispielsweise können Sie vermerken, ob die angefragte Menge eines Produktes komplett direkt verfügbar ist, oder ob sie in Teillieferungen erfolgt. Wie bereits ausgeführt, nutzen Sie das Schema in Abbildung 11 als Vorschlag und passen Sie sie Ihren eigenen Wünschen und Bedürfnissen an. In jedem Fall werden Sie einen sehr guten und pragmatischen Überblick über die einzelnen Angebote erhalten, wenn Sie sich an dieser Tabelle orientieren.
68
Erstellen eines Angebotsvergleichs
4.2.2
Zielpreisermittlung (partieller Preisvergleich)
Im vorangegangenen Abschnitt haben wir eine Tabelle erarbeitet, die uns einen Gesamtüberblick über unsere eingeholten Angebote gibt (vgl. Abbildung 11). Der erste Bereich der Tabelle, in dem wir die Preise von einzelnen Teilleistungen auf- und gegenüberstellen, wird auch als partieller Preisvergleich bezeichnet. Für jede Teilleistung kann durch die Gegenüberstellung der niedrigste Preis ermittelt werden. Der ideale so genannte Zielpreis für die Gesamtleistung ergibt sich daraus, dass man aus den einzelnen Angeboten die niedrigsten Preise der einzelnen Teilleistungen heraussucht und aufaddiert.
Beispiel Frau Joost von der Muster GmbH muss einen neuen Dienstleister für Reinigungsleistungen in den Büroräumen suchen, da die Geschäftsleitung mit dem aktuellen Anbieter nicht zufrieden ist. Drei potenzielle Lieferanten hat sich Frau Joost aus dem Branchenbuch ihrer Region herausgesucht, und zwar die Clean GmbH, die Firma Blitzblank und die Wisch&Weg GmbH1. Folgende Teilleistungen fragte Frau Joost gezielt an: – – –
Reinigung der Büroflächen von rund 600 qm (Leeren der Mülleimer täglich, Staubsaugen der Flächen 3x pro Woche, Staubwischen 3x pro Woche) Küchendienst (Reinigen des verschmutzten Geschirrs mit Geschirrspüler, Wegräumen des Geschirrs, Reinigen der Küche) Fensterreinigung als Sonderleistung, die bei Bedarf beauftragt wird
Nachdem alle Anbieter sich die Räumlichkeiten genau angesehen haben und die Angebote eingegangen sind, stellt Frau Joost eine Tabelle für den Preisvergleich auf Basis der Jahreswerte zusammen. Alle angegebenen Werte sind in Euro angegeben und Nettowerte.
1 Alle Namen sind frei erfunden.
Angebotsvergleich
69
Angebotsvergleich Reinigung Clean GmbH
Blitzblank
Wisch&Weg GmbH
Zielpreis
Büroreinigung
6.600,00 Euro 7.920,00 Euro
Küchendienst
1.400,00 Euro
960,00 Euro
1.200,00 Euro
960,00 Euro
800,00 Euro
900,00 Euro
700,00 Euro
700,00 Euro
Fensterreinigung Gesamtpreis
9.000,00 Euro 6.600,00 Euro
8.800,00 Euro 9.780,00 Euro 10.900,00 Euro 8.260,00 Euro
Auch wenn die Fensterreinigung nicht monatlich durchgeführt wird, hat Frau Joost sie in den Preisvergleich mit aufgenommen, um einen Gesamtüberblick zu erhalten. Sie hat dabei die Annahme getroffen, dass die Fensterreinigung 2-mal im Jahr durchgeführt wird. Die fett gedruckten Werte sind die minimalen Preise pro Dienstleistung und Jahr. Frau Joost hat nun eine gute Ausgangsgrundlage, um über den Gesamtpreis zu verhandeln. Jedoch weiß sie, dass der Preis nicht die einzige Entscheidungsgrundlage ist. Die Geschäftsleitung hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Reinigungskräfte sehr zuverlässig sein müssen und eine gute Koordination seitens deren Unternehmens vorhanden sein muss. Dies war nämlich bei dem vorherigen Anbieter nicht gegeben. Außerdem wird Frau Joost mit den Anbietern sprechen und vereinbaren, welche Leistungskriterien in welcher Qualität nun konkret von den Anbietern in den einzelnen Teilleistungen erbracht werden, um eine gemeinsame Ausgangsbasis zu haben.
Es lässt sich nicht immer der ideale Zielpreis in einer Preisverhandlung realisieren. In jedem Fall ist er aber eine Orientierungshilfe, welcher Preis bei dem konkreten Beschaffungsvorgang angestrebt werden kann. Letztlich ist jedoch auch entscheidend, dass der Lieferant darin überzeugt, seine angebotene Leistung auch in der angebotenen Qualität zu liefern. Der partielle Preisvergleich macht Sie zu einem kompetenten Verhandlungspartner und trägt zur Versachlichung der Verhandlung bei. Die gewonnenen Informationen und Transparenz werden Ihnen die notwendige Sicherheit für die Verhandlung geben. Sie haben sich durch die Erstellung der Tabelle intensiv in die Angebote eingearbeitet und sind daher in der Lage, Schwachstellen in den Angeboten zu erkennen und diese mit dem Anbieter zu besprechen. Stark voneinander abweichende Preise sind meistens auch ein Indikator dafür, dass die Leistungsinhalte unterschiedlich verstanden wurden oder eventuell in der Anfrage nicht eindeutig
70
Erstellen eines Angebotsvergleichs
beschrieben sind. Es gilt zu klären, ob der einzelne Anbieter die Aufgabe nicht ganz verstanden hat oder ob die Aufgabenbeschreibung nicht ausreichend ist. Denn letztlich ist eine entscheidende Aufgabe des Einkaufs, die Teilleistungen so voneinander abzugrenzen und zu beschreiben, dass sinnvolle und für den Beschaffungsmarkt attraktive Leistungspakete entstehen. In unserem Beispiel haben wir den Einstandspreis nach Abzug eventueller Lieferkosten und Preisvorteile durch günstige Zahlungskonditionen nicht berücksichtigt. Dies sollte natürlich entsprechend des Beispiels in Kapitel 4.1.1 nicht außer Acht gelassen werden. Denn hierdurch kann sich der erzielbare Einstandspreis pro Anbieter nochmals entscheidend verändern.
4.2.3
Exkurs: Total Costs of Ownership (TCO)
Mit steigender Komplexität des Beschaffungsobjektes und in Abhängigkeit davon, wie die konkrete Beschaffung das Unternehmensergebnis beeinflusst, ist auch eine intensivere Bearbeitung des Angebotsvergleichs notwendig. Diese reicht dann vom einfachen Vergleich des Einstandspreises bis hin zum umfassenden Vergleich unter Einbeziehung mehrerer Vergleichsfaktoren, wie z. B. Qualität oder Lieferzeit. In diesem Sinne versteht sich die Betrachtung der so genannten Total Costs of Ownership (kurz: TCO) als ein umfassender und ganzheitlicher Ansatz, der alle mit der Beschaffung im Zusammenhang stehenden Kostenfaktoren vom Anfang bis zum Ende der Beschaffungsprozesskette einbezieht. Neben dem Einstandspreis werden u. a. auch folgende Kosten betrachtet: Kosten für die Beschaffungsmarktforschung, Bestellabwicklungskosten, Finanzierungskosten, Wartungs- und Reparaturkosten, Kosten für Verbrauchsstoffe, Entsorgungskosten usw. Das folgende Beispiel verdeutlicht den TCO-Ansatz.
Beispiel Toner für Drucker In fast keinem Büro darf ein Arbeitsplatzdrucker fehlen. Diese Drucker werden oft mit niedrigen Einstandspreisen angeboten. Jedoch verursachen die Drucker im laufenden Betrieb zum Teil erhebliche Folgekosten (Betriebskosten) etwa für Tinte oder Toner. Beispielsweise werden in vielen Fällen die neuen Drucker nur mit einer halbgefüllten Tintenpatrone ausgeliefert, und schnell ist man gezwungen, eine neue Tintenpatrone nachzukaufen. In manchen Fällen übersteigt dann sogar der Preis der Tintenpatrone den Einstandspreis des eigentlichen Druckers. Ganz davon abgesehen, dass es auch zwischen den verschiedenen Druckersystemen erhebliche Unterschiede in den Betriebskosten gibt.
Angebotsvergleich
71
Die TCO-Betrachtung findet hauptsächlich Anwendung bei der Beschaffung von Investitionsgütern, also z. B. Maschinen für Produktionsbetriebe. Der TCO-Gedanke hat deshalb in diesem Bereich zu neuen Formen der Zusammenarbeit zwischen Lieferant und einkaufendem Unternehmen geführt. Die Anbieter von Investitionsgütern bieten neben dem eigentlichen Produkt eine Vielzahl von zusätzlichen Leistungen an, z. B. 24-Stunden-Service, dreijährige Garantie etc., die den einwandfreien und wirtschaftlichen Betrieb des Investitionsgutes sicherstellen. In manchen Fällen geht die TCO-Überlegung auch in so genannte Betreibermodelle über, bei denen etwa die Bezahlung der Maschine auf Basis der mit der Maschine produzierten verkaufsfertigen Güter erfolgt. Das beschaffende Unternehmen zahlt also nicht die Maschine an sich, sondern einen Betrag pro mit dieser Maschine produziertem Gut.
Beispiel Preis pro Druck Trotz der heute vorhandenen technischen Möglichkeiten sind die meisten Unternehmen noch weit vom „papierlosen Büro“ entfernt. Die damit im Zusammenhang stehenden Kosten sind, wie in dem vorangegangenen Beispiel angedeutet, oft nicht transparent und in jedem Fall zu optimieren. Anbieter von Drucker- oder Kopiersystemen nutzen diesen Umstand und haben entsprechende Produkte oder vielmehr Leistungspakete im Angebot. Unter Begriffen wie „Outputmanagement“ oder „Dokumentenmanagement“ werden Betreibermodelle angeboten, bei denen der Kunde beispielsweise nur noch für den tatsächlich erstellten Ausdruck bezahlt. Die Kosten für Verbrauchsmaterial wie Toner oder Tinte, Reparaturen usw. sind in diesem Preis bereits enthalten.
Die Angebotsverhandlung
5.
73
Die Angebotsverhandlung
Bedarfsanalyse
Bedarfsanforderung und Genehmigung
Anfrage
Angebots vergleich
Angebots verhandlung
Bestellung und Genehmigung
Leistungs kontrolle
Verhandlungen sind in vielen Bereichen ein spannendes Thema. Wir geben Ihnen einige Tipps mit auf den Weg, die Ihnen ermöglichen, das Verhalten Ihres Gegenübers besser zu verstehen und entsprechend besser reagieren zu können. Es geht dabei nicht darum, Ihren Verhandlungspartner zu täuschen oder ihn über den Tisch zu ziehen. Aus Verhandlungen sollten immer beide Parteien als Gewinner herausgehen. Es gilt also, realistische Forderungen zu stellen, die in einer freundlichen Atmosphäre bestimmt durch Sie vertreten werden. Als Einkäufer haben Sie zunächst eine schwierigere Position. Sie müssen viele Produkte kennen, um deren Beschaffungen vorzunehmen. Der Verkäufer hat eine recht eingeschränkte Produktpalette zu vertreten und ist unter Umständen auch in der Gesprächsführung eingehender geschult als Sie. Führen Sie sich vor Augen, wie viele Vertriebsschulungen es gibt und wie viel Literatur sich mit dem Thema Verkaufsgespräch befasst. Im Gegensatz dazu findet sich für den Einkäufer nur wenig Hilfe, dem geschulten Verkäufer entsprechend entgegenzutreten. Auch hier können wir lediglich einen Einblick in Aspekte und Methoden rund um das Thema Verhandlung geben. Einzelne Themenbereiche lassen sich jedoch durch spezielle Fachliteratur vertiefen. Die Angebotsverhandlung – per Telefon oder durch ein persönliches Gespräch – ist kein zwingender Vorgang im Rahmen des Beschaffungsprozesses. Bei der einmaligen Beschaffung geringwertiger Güter reicht häufig der einfache Angebotsvergleich, um sich für einen Anbieter zu entscheiden. Sie werden schnell erkennen, wann sich durch eine Verhandlung einzelne Faktoren wie z. B. der Preis noch verbessern lassen oder nicht. Auch die Zuordnung der Beschaffungsobjekte in verschiedene Warengruppen, die wir in den vorangegangenen Abschnitten erarbeitet haben, wird Ihnen helfen zu entscheiden, wann eine Verhandlung Sinn macht und wann nicht bzw. wie viel Anstrengung Sie für eine Verhandlung aufwenden wollen. Per Telefon ist dieser Aufwand bereits deutlich reduziert. Dennoch gilt auch für Telefonverhandlungen, sich gut vorzubereiten.
74
5.1
Vorbereitung der Verhandlung: Was will ich wie erreichen?
Vorbereitung der Verhandlung: Was will ich wie erreichen?
Vor jeder Verhandlung müssen Sie genau wissen, was Sie erreichen wollen. Folgende Fragen sollten Sie vor einer Verhandlung geklärt haben: Was ist die konkrete Aufgabenstellung für das Verhandlungsgespräch? Was will ich erreichen (Ziel)? Wie komme ich zu meinem Ziel? Wie wird sich der Weg zu meinem Ziel gestalten? Wer übernimmt welche Aufgaben innerhalb der Verhandlung? Durch die Bearbeitung der vorangegangenen Schritte des Beschaffungsprozesses haben wir uns bereits eingehend mit den möglichen Inhalten der ersten Frage auseinander gesetzt. Bezüglich des Preises haben wir auch schon eine Idee als Antwort auf die Frage „Was will ich erreichen?“ entwickelt (vgl. Kapitel 4.2.2, partieller Preisvergleich). Die für uns relevanten Informationen haben wir in einer Tabelle zusammengetragen. Durch den partiellen Preisvergleich haben wir einen optimalen Zielpreis ermittelt, an dem wir uns in der Verhandlung orientieren können. In einer Angebotsverhandlung spielen aber auch die anderen Vergleichsfaktoren eine entscheidende Rolle, die nicht in erster Linie mit dem Preis zu tun haben. Auch hierfür liefern wir Ihnen Ansätze, damit Sie die Frage „Was will ich erreichen?“ umfassend beantworten können. Ziel dieses Kapitels ist es, dass Sie für sich selbst einen roten Faden entwickeln können, an dem Sie sich in der Verhandlung orientieren können und der Sie letztlich zu Ihrem Verhandlungsziel führt. Außerdem geben wir Tipps, wie Sie sich auf die Person Ihres Verhandlungspartners einstellen können und eine zielgerichtete Gesprächstaktik aufbauen können.
5.1.1
Zielermittlung
Der Preis wird immer eine entscheidende Rolle in Einkaufsverhandlungen spielen. Zur Orientierung haben wir den optimalen Zielpreis bereits in Kapitel 4 ermittelt. Wichtig ist jedoch auch, den Blick dafür offen zu halten, dass Faktoren, die nicht direkt mit dem Preis zu tun haben, letztlich einen entscheidenden Einfluss auf die Kosten haben können. Schauen wir uns unser vorangegangenes Beispiel wieder an.
Die Angebotsverhandlung
75
Beispiel Der ehemalige Anbieter von Reinigungsdienstleistungen bei der Muster GmbH führte seine Leistungen mangelhaft aus. Der Küchendienst wurde praktisch gar nicht geleistet. Was bedeutete das für die Muster GmbH? Die eigenen Mitarbeiter räumten den Geschirrspüler ein und aus, kümmerten sich um die Reinigung der Spülfläche etc. Es wird schnell klar, dass durch die mangelhafte Leistung des Dienstleisters zusätzliche Kosten für die Muster GmbH entstanden sind. Denn die Mitarbeiter wendeten einen Teil ihrer bezahlten Arbeitszeit für Tätigkeiten auf, für die ein anderes Unternehmen bezahlt wurde.
Doch wie können Sie als Einkäufer bei der Lieferantenauswahl sicherstellen, dass Sie den richtigen Lieferanten wählen? Unsere nachfolgende Auflistung von Entscheidungsfaktoren gibt Ihnen eine Hilfestellung, teilweise werden auch Faktoren aufgegriffen, die Sie bereits von den vorangegangenen Ausführungen kennen. Wichtig ist jedoch für Sie, dass Sie je nach einzukaufender Leistung – sei es ein Produkt oder eine Dienstleistung – diese Auflistung von Entscheidungsfaktoren für sich entsprechend den konkreten Anforderungen anpassen und erweitern. Haben Sie aber nicht an sich selbst den Anspruch, alle möglichen Faktoren in der Verhandlungsvorbereitung erschöpfend bearbeitet zu haben. Einiges wird sich noch in der Verhandlung ergeben. Wichtig ist jedoch immer, dass Sie Ihr grundsätzliches Ziel in der Verhandlung nicht aus den Augen verlieren. Bei der Vorbereitung der sachlichen Ziele stellen Sie sich immer wieder folgende Fragen: Welches Gesamtziel will ich erreichen? Welche Faktoren sind für mein Verhandlungsziel relevant? Was ist mein aktuelles Verhandlungsziel pro Faktor? In welcher Verhandlungsposition befinde ich mich? Bin ich ein A-, B- oder C-Kunde für den Lieferanten? Was kennzeichnet mein Gegenüber, den Lieferanten? Was kann bzw. wird er leisten? Gibt es zudem auch noch langfristige Ziele in der Zusammenarbeit mit dem Lieferanten? Welche Alternativen gibt es zu meinem Hauptziel, und auf welche Kompromisse kann ich mich einlassen?
Im Folgenden gehen wir auf einige Vergleichsfaktoren etwas genauer ein.
76
Vorbereitung der Verhandlung: Was will ich wie erreichen?
Qualität Welche Qualität erwarten Sie? Um diese Frage zu beantworten, können Sie zum einen intensiv mit dem entsprechenden Fachbereich zusammenarbeiten, der die Dienstleistung oder das Produkt benötigt. Scheuen Sie sich nicht, so lange zu fragen, bis Sie wirklich die entscheidenden Details des Beschaffungsobjektes verstanden haben. Des Weiteren sollte bei komplexen Beschaffungen immer ein Vertreter des Fachbereiches an der Verhandlung teilnehmen. Aber auch ohne fachmännische Unterstützung können Sie sich bei weniger komplexen Beschaffungen durch die Internetrecherche hilfreiche Informationen besorgen.
Praxistipp Qualitätsstandards lassen sich häufig durch bestimmte Zertifizierungen erkennen. Das TÜVZertifikat ist unter anderem bei Büromöbeln ein entscheidendes Qualitätskriterium. Bei Dienstleistern geben die DIN ISO-Zertifizierungen Aufschluss über die Qualitätsstandards des Unternehmens. Jedoch sind solche Zertifizierungen kein endgültiger Maßstab für Qualität. Der Lieferant und seine Produkte sollten immer umfassend geprüft werden.
Setzen Sie sich also eingehend mit der von Ihnen geforderten Leistung auseinander. Sie haben dies bereits getan, als Sie die einzelnen Teilleistungen definiert haben. Verfeinern Sie diese Analyse gegebenenfalls an dieser Stelle. In jedem Fall müssen Sie in der Lage sein, dem Dienstleister in der Verhandlung ganz klar Ihre Anforderungen darzulegen.
Menge Hier sollten Sie seitens des Anforderers klare Angaben erhalten haben. Handelt es sich bei den zu beschaffenden Produkten um geringwertige Güter, die voraussichtlich mehrfach im Jahr bestellt werden müssen, ist es sinnvoll, mit einem Lieferanten einen Rahmenvertrag zu schließen (vgl. Kapitel 3 und 6). Bei der Menge ist ebenfalls zu beachten, ob Sie gegebenenfalls Lagerfläche zur Verfügung haben müssen, wenn die zu beschaffenden Produkte nicht sofort verbraucht bzw. genutzt werden. So mag es beispielsweise aufgrund einer Preisstaffelung wesentlich günstiger sein, mehr Kopierpapier zu beschaffen als ursprünglich geplant. Jedoch sollten Sie vorher sicherstellen, dass die höhere Menge auch zwischengelagert werden kann. Bei produktionsrelevanten Beschaffungen spielt der Mengenfaktor eine sehr große Rolle. Die Auswirkungen von Fehlmengen haben wir in Abbildung 4 bereits aufgeführt. Bei Dienstleistungen sollten die einzelnen so genannten Meilensteine, also die Teilleistungen, genau beschrieben und mengenmäßig abgegrenzt sein. Im Beispiel aus Kapitel 4.2.2 konnte Frau Joost der Muster GmbH genau angeben, wie häufig pro Woche beispielsweise das Staubsaugen und Staubwischen als Teilleistungen der gesamten Reinigungsleistung gefordert sind.
Die Angebotsverhandlung
77
Lieferzeit Wann sollen gewisse Leistungen und/oder Produkte zur Verfügung stehen? Wurde die Lieferzeit im Angebot schon konkret genannt? Wenn Sie bereits die Tabelle für den Angebotsvergleich ausgearbeitet haben, sollte sich diese Frage schnell beantworten lassen. Vergewissern Sie sich bei einer Beschaffung, die in mehreren Teilleistungen erbracht bzw. geliefert wird, dass Liefertermine für alle Teilleistungen seitens des Anbieters angegeben sind. Falls nicht, sollten Sie dies in jedem Fall in der Verhandlung diskutieren. Bezüglich des Liefertermins sei auch wieder auf Abbildung 4 verwiesen, in der die Folgen einer Nichteinhaltung aufgeführt sind.
Serviceleistungen Benötigen Sie mit Bezug des Produktes weitere Serviceleistungen von dem Lieferanten? Muss beispielsweise ein neu angeschaffter Kopierer durch den Anbieter installiert werden oder kann dies Ihre eigene IT-Abteilung abwickeln? Wie steht es mit weiteren Serviceleistungen, wenn beispielsweise Störungen am Kopierer auftreten? Wie lange muss man dann auf einen Techniker warten? Erfolgt ein sofortiger Austausch bei einem Defekt des Gerätes vor Ort oder wird es vor Ort repariert?
Garantien, Gewährleistung, Haftung, Versicherung Diese Punkte sind zwar durchaus gesetzlich geregelt, aber beachten Sie, ob der Lieferant bereits in seinem Angebot auf seine Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) verweist, die für den Auftrag gelten sollen. Diese können unter Umständen abweichende Formulierungen enthalten. Besonders wichtig ist es, nicht nur Garantie, Gewährleistung und Haftung sowie ggf. eine Versicherung für die zu erbringende Leistung oder das zu liefernde Produkt selbst auszuhandeln. Es ist auch wichtig zu regeln, inwieweit der Lieferant gegen Schäden versichert ist, die seine Mitarbeiter an anderem Firmeneigentum des Kunden bei Lieferung oder Erbringung der Dienstleistung anrichten (vgl. auch Kapitel 8).
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Vorbereitung der Verhandlung: Was will ich wie erreichen?
Reisekosten und Spesen Diese Position gilt es insbesondere bei Dienstleistungen zu beachten, z. B. Beratungsleistungen. Gerne schreiben die Anbieter pauschal in ihre Angebote: „Die anfallenden Reisekosten und Spesen werden nach Aufwand in Rechnung gestellt.“ Dies bedeutet jedoch, dass letztlich alle Reisekosten und Spesen, die mit Ihrem Auftrag in Verbindung stehen, an Ihr Unternehmen weitergegeben werden können. Grenzen Sie diese Formulierung ein. Eine Möglichkeit ist es, den Anbieter zu einem Festpreis zu bewegen, mit dem dann alle Reiseaufwendungen und Spesen abgegolten sind. Formulierungsvorschlag: „Es wird ein Festpreis in Höhe von Euro XX netto vereinbart, mit dem alle Reiseaufwendungen und Spesen abgegolten sind.“ In diesem Fall sollten Sie eine Vorstellung davon haben, wie hoch die Reiseaufwendungen schätzungsweise sein werden. Denn sonst kann der vereinbarte Festpreis viel zu hoch ausfallen. Ihr Ziel ist es jedoch, diese Position möglichst günstig zu halten. Bereiten Sie also entsprechende Vorschläge für die Verhandlung vor und stellen Sie sich auf mögliche Einwände ein. Ein gutes Argument in diesem Falle ist immer, dass der Anbieter sicherlich durch Leistung überzeugen und sein Geld nicht über die Reisekosten verdienen will, zumal er während der Reisezeiten wenig Leistung erbringen kann. Eine Alternative, die Sie ebenfalls anbieten können, ist die genaue Definition, welche Reisekosten Sie überhaupt akzeptieren werden. Beispielsweise können Sie den Anbieter auf Ihre Reiserichtlinien verpflichten. Dann dürfte er Reisen und Übernachtungen lediglich zu den Konditionen wählen, wie Ihre Mitarbeiter es tun. Bei inländischen Reisen könnte dies die Beschränkung auf Bahnreisen sein, Flüge wären dann ausgeschlossen. Ebenso können Sie 1. Klasse-Reisen ausschließen und die Übernachtungskosten begrenzen. Formulierungsvorschlag: „Reisekosten und Spesen werden nur im Rahmen der gültigen Reiserichtlinien der [Name Ihres Unternehmens] anerkannt.“ Natürlich kann es auch gelingen, den Punkt der Reisekosten ganz aus dem Angebot herauszunehmen, so dass diese gar nicht anfallen würden. Doch hier bedarf es Ihres besonderen Fingerspitzengefühls. Diese Variante sollten Sie nur wählen, wenn Sie genau wissen, dass so gut wie keine Reisekosten und Spesen anfallen werden. Ansonsten wäre dies eine überzogene Forderung, die letztlich Sie selbst in ein schlechtes Licht rückt. Denn Sie sollten immer fair mit den Lieferanten umgehen und sich auf realistische Forderungen begrenzen.
Die Angebotsverhandlung
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WICHTIG Wenn Sie sich auf eine Verhandlung mit einem konkreten Lieferanten vorbereiten, vergessen Sie nicht, sich eingehend über das Unternehmen des Lieferanten zu informieren. Sammeln Sie Informationen zu Erfahrungen mit diesem Lieferanten aus Ihrem eigenen Unternehmen, schauen Sie sich seine Stammdaten an, sofern diese bereits in Ihrem System hinterlegt sind. Welche Liefer- und Zahlungsbedingungen hat er in der Regel? Liefert er pünktlich und in vereinbarter Qualität? Usw. Des Weiteren sollten Sie sich je nach Größe des zu vergebenden Auftrags vergewissern, dass sich der Lieferant in einer wirtschaftlich stabilen Situation befindet. Insbesondere wenn Sie Anzahlungen leisten müssen, ist dies von besonderer Relevanz.
5.1.2
Organisatorische Verhandlungsvorbereitung
Zu der Verhandlungsvorbereitung gehört selbstverständlich auch die Organisation der Verhandlung. Es gilt also folgende Fragen zu klären: Wer soll an der Verhandlung firmenseitig teilnehmen? Wen und wie viele Verhandlungspartner erwarten Sie seitens des Lieferanten? Wann soll die Verhandlung stattfinden? Wie lange wird sie voraussichtlich dauern? Wo soll sie stattfinden? Welchen Rahmen soll die Verhandlung haben? Welche Hilfsmittel werden benötigt? Je nach Anzahl und Art der Teilnehmer aus Ihrem eigenen Unternehmen müssen Sie Ihre eigene sachliche Vorbereitung mit diesen Personen sehr gut abstimmen und natürlich auch deren Standpunkte beachten. Nehmen andere Personen aus Ihrem Unternehmen an der Verhandlung teil, so sind dies sicherlich Vertreter aus der entsprechend anfordernden Fachabteilung. Diese Personen können Sie in der Verhandlung natürlich auf der Sachebene sehr gut unterstützen. Stellen Sie aber sicher, dass allen Verhandlungsteilnehmern die wesentlichen Ziele auf technischer und kaufmännischer Ebene klar sind. Dem Lieferanten gegenüber sprechen dann alle eine „Sprache“. Deshalb klären Sie dringend im Vorfeld ab, wer welche Rolle übernimmt. Wer ist der Verhandlungsführer? Wer führt das Protokoll?
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Vorbereitung der Verhandlung: Was will ich wie erreichen?
In Abhängigkeit des Verhandlungsobjektes und der Auftragsgröße werden Sie auf einen oder mehrere Verhandlungspartner seitens des Lieferanten treffen. Auch der Verkäufer wird unter Umständen die fachliche Unterstützung eines Kollegen benötigen. In vielen Bereichen ist dies häufig der Fall, z. B. IT Hard- und Software, Trainings und sonstige Dienstleistungen. Erfragen Sie auf jeden Fall bei der Terminabsprache, mit wie vielen Personen Sie rechnen dürfen und welche Funktion diese Personen haben, damit Sie entsprechende Vorbereitungen treffen können. Der Zeitpunkt der Verhandlung muss mit allen Beteiligten natürlich abgestimmt werden. In manchen Fällen kann man sich eher subjektive Einflussfaktoren bei der Termingestaltung zu Nutzen machen. Nach unserer Erfahrung sind Vergabegespräche am Freitagnachmittag sehr effizient, da beide Verhandlungspartner meistens ein Interesse haben, schnell zu einem Ergebnis zu kommen. Diesen Umstand können Sie beispielsweise nutzen, wenn Sie wissen, dass Ihr Gegenüber zu langatmigen Ausführungen neigt. Beachtenswert kann es auch sein, wenn beim Lieferant der Jahresabschluss oder Quartalsabschlüsse vor der Tür stehen. Denn zu dieser Zeit sind viele Vertriebler unter Umsatzdruck und unter Umständen zu Zugeständnissen bereit. Sie haben daher bessere Chancen, Ihre eigenen Ziele in der Verhandlung zu realisieren. Um das Verhandlungsgespräch möglichst effizient und zielgerichtet führen zu können, empfiehlt sich die Aufstellung einer Agenda. Diese Agenda gliedert kurz die zu besprechenden Inhalte. Wir empfehlen, dass Sie als Einkäufer die Agenda erstellen und Ihrem Verhandlungspartner zur Vorbereitung zukommen lassen. In der Verhandlung werden Sie dann automatisch die Rolle des Verhandlungsführers einnehmen. Sinnvoll ist es zudem, bei umfangreicheren Verhandlungen die Agenda mit einem groben Zeitplan zu versehen. Punkt für Punkt der Agenda wird in der Verhandlung abgearbeitet. Das Protokoll der Verhandlung wird daran ausgerichtet. Die Orientierung an der Agenda verhindert, dass die Verhandlungspartner vom eigentlichen Thema ihres Gespräches abweichen.
Agenda 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Begrüßung Vorstellung der Teilnehmer und der Unternehmen Klärung des Verhandlungsgegenstandes (z. B. technische Inhalte) Festlegung des Verhandlungsumfangs (Auftragsumfang) Klärung der kaufmännischen und vertraglichen Bedingungen Festlegung von Preis und Zahlungskonditionen Verabschiedung des Protokolls
10 min 10 min 30 min 20 min 60 min 30 min 30 min
Am Tag der Verhandlung sollten Sie sicherstellen, dass Ihre Verhandlungspartner an Ihrem Empfang bereits angemeldet sind und ggf. Besucherausweise bereitliegen. Lassen Sie Ihre Gesprächspartner möglichst nicht warten. Er wird sich dadurch ernst genommen und respektiert fühlen. Der Einstieg in die Verhandlung ist auf dieser Basis wesentlich angenehmer.
Die Angebotsverhandlung
81
Wenn Sie davon ausgehen, dass an der Verhandlung mehrere Personen teilnehmen, sollten Sie dringend einen Besprechungsraum hierfür reservieren. Die Verhandlung in einem Büro durchzuführen ist ungünstig, weil Sie durch Telefon oder andere Kollegen gestört werden können. Jede Störung kann Sie aus Ihrer Konzentration herausreißen. Daher versuchen Sie, diese Störfaktoren möglichst einzuschränken. Bei Verhandlungen über Beschaffungsobjekte von geringerer Relevanz können Sie natürlich auch ein Büro als Gesprächsort wählen. Gestalten Sie einen angenehmen Rahmen. Stellen Sie in jedem Falle kalte und warme Getränke zur Verfügung. Dies beweist dem Vertriebler, dass Sie ihn als Geschäftspartner schätzen. Bei langen Verhandlungen, die einen ganzen Tag dauern, sollten Sie sich rechtzeitig um Möglichkeiten für das Mittagessen kümmern. Laden Sie Ihren Gesprächspartner ein. In der Regel möchte der Verkäufer die Rechnung übernehmen. Aber Vorsicht, dadurch sind Sie unter Umständen weiteren Anbietern nicht mehr unvoreingenommen, weil Sie sich verpflichtet fühlen. Letztlich müssen die notwendigen Medien zur Verfügung stehen, die Sie eventuell während der Verhandlung benötigen. Hierzu können Beamer, Flipchart, Memo-Board etc. gehören. Stellen Sie sicher, dass alle notwendigen Gerätschaften zur Verfügung stehen, damit Sie sich nicht während der Verhandlung darum kümmern müssen und dadurch den Verhandlungsablauf unterbrechen und unter Umständen selbst unter Druck geraten. Je nach Art und Komplexität der Verhandlung werden Sie mehr oder weniger organisatorische Vorbereitungsarbeit leisten müssen. Nehmen Sie sich die zu Beginn dieses Abschnitts formulierten Fragen als Checkliste zur Hand und arbeiten Sie die Fragen systematisch ab. Dann werden Sie jede Verhandlung gut organisieren.
5.1.3
Vorbereitung des Gesprächsablaufs
In diesem Abschnitt wollen wir gezielt auf die Vorbereitung des Gesprächsablaufs eingehen. Dieser Ablauf lässt sich lediglich skizzieren, jedoch wird Ihnen diese Vorbereitung helfen, sich besser auf Ihr Gegenüber einzustellen und stets Ihren roten Faden beizubehalten. Analysieren wir zunächst, wie eine Verhandlung in der Regel aufgebaut ist. Folgende Phasen werden Sie durchlaufen:
Einleitungsphase
Analysephase
Problemlösungs-/ Voschlagsphase
Ergebnisphase
In der Einleitungsphase steht das erste Einschätzen des Verhandlungspartners stark im Vordergrund. Mit der Begrüßung beginnt die Einleitungsphase. Wichtig ist hier der erste persönliche Kontakt, der bereits beim Empfang der Besucher und dem Geleiten zum Besprechungsraum stattfindet. In der Regel sind Vertriebler geschult, diese Phase zu nutzen, um über ein
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Vorbereitung der Verhandlung: Was will ich wie erreichen?
bisschen Smalltalk ihre Verhandlungspartner einzuschätzen. Sie stellen Ihnen Fragen nach Ihrem Wohlbefinden, reden über das Wetter und beachten bei all dem, nicht zu viel von sich zu erzählen. Diese ersten Fragen bzw. die Antworten hierauf geben den Vertrieblern einen Einblick, wie sie Sie einzuschätzen haben, ob Sie ein sehr sachlich analytisch denkender Mensch sind, der mit knappen Antworten und wenig Gestik und Mimik nur wenig über sich verrät oder ob Sie ein extrovertierter lebenslustiger Typ sind, der bereitwillig Auskunft auch über sich selbst gibt. Entsprechend wird er versuchen, sich auf Sie einzustellen und eher faktenlastig und analytisch zu argumentieren oder Sie eher durch emotionale Argumente versuchen zu überzeugen. Sicherlich kann auch der beste Vertriebler durch einen kurzen Smalltalk Ihr Persönlichkeitsprofil nicht umfassend analysieren. Seine Erfahrung hilft ihm jedoch, es einzugrenzen. Und Sie sollten sich dessen bewusst sein. Es gibt verschiedene Tests zur Erarbeitung von Persönlichkeitsprofilen. Der MBTI® (Meyers Briggs Type Indicator), das DISG® Persönlichkeitsprofil oder das INSIGHTS Discovery® Modell sind drei der renommiertesten und weltweit am häufigsten angewendeten Typenmodelle. Ziel dieser Typenmodelle ist es, die Stärken und Schwächen des Einzelnen herauszustellen und diesem zu ermöglichen, sich entsprechend seines persönlichen Profils sowohl beruflich als auch privat ausrichten zu können. Auch bei der Personalauswahl werden z. T. solche Typentests angewendet. Es wird versucht, zwischen Bewerber- und Stellenprofil eine möglichst hohe Übereinstimmung zu erzielen, um so eine bestmögliche Leistung zu erhalten und die Motivation des Mitarbeiters zu fördern. An dieser Stelle können wir nicht umfassend auf diese Persönlichkeitsmodelle eingehen. Es gibt dazu ein umfassendes Literaturangebot, durch das Sie sich eingehend in dieses Thema einlesen können.
VORSICHT Lassen Sie sich in der Einleitungsphase nicht zu sehr aus der Reserve locken. Gelingt es dem Verkäufer recht schnell, eine vertraute Basis zwischen Ihnen und ihm zu schaffen, kann es passieren, dass er Ihnen bereits erste Informationen entlockt, die Sie erst zu einem späteren Zeitpunkt oder gar nicht preisgeben wollten.
Bisher sind wir jedoch lediglich auf die Situation eingegangen, dass die Verhandlung nur zwischen Ihnen und ein oder mehreren Mitarbeitern des Lieferanten stattfindet. Nehmen mehrere Personen aus Ihrem Unternehmen daran teil, werden Sie als Organisator und Moderator die Aufgabe haben, die Vorstellung aller Beteiligten einzuleiten. Entweder stellen Sie die Teilnehmer Ihres Unternehmens mit Name, Funktion und Grund der Teilnahme vor, oder Sie überlassen es den Teilnehmern selbst. Lassen Sie sich jedoch nie die Moderation der Verhandlung aus der Hand nehmen. Sie sollten sich grobe Zeitlimits gesetzt haben, die Sie einhalten wollen. Gehen Sie galant zur sachlichen Einleitung der Verhandlung über, indem Sie sich für das Kommen der externen Verhand-
Die Angebotsverhandlung
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lungspartner bedanken, das Thema der Verhandlung grob umreißen und kurz den geplanten Ablauf der Verhandlung skizzieren. Bei einer sehr komplexen Verhandlung empfiehlt es sich, diesen Ablauf, also die Agenda, zu Beginn per Beamer zu projizieren. Fragen Sie im Anschluss daran, ob alle Teilnehmer damit einverstanden sind. Bei Abarbeitung der einzelnen Punkte sollten Sie die Agenda wiederholt aufrufen, damit alle Gesprächsteilnehmer in der Lage sind, dem Verlauf zu folgen. Auch Pausenzeiten sollten bei der Agenda mit angegeben sein, sofern diese aufgrund des gesamten Zeitaufwandes notwendig sind. Eine letzte Aufgabe der Einleitungsphase ist es, eine positive Gesprächsatmosphäre zu schaffen. Und wie kann dies besser funktionieren, als dem Gegenüber Lob und Respekt auszudrücken. Dies sollte jedoch nicht übertrieben werden, um die eigene Glaubwürdigkeit und Kompetenz nicht in Frage zu stellen. Die Bezugnahme auf bereits mit dem Lieferanten erfolgreich abgewickelte Projekte der Vergangenheit oder die Angabe von Gründen, warum Sie sich zur Verhandlung mit dem Lieferanten entschlossen haben, können diese angenehme Atmosphäre schaffen. Beide Aspekte leiten die Verhandlung durch ein positives Feedback ein. Zum einen können Sie sagen: „Wir hatten ja bereits in der Vergangenheit mit Ihnen sehr positive Erfahrung gemacht. Das Projekt XY haben wir erfolgreich mit Ihnen abwickeln können.“ Eine Alternative wäre: „Ihre schnelle und präzise Reaktion auf unsere Anfrage hat uns wirklich beeindruckt.“ Zusammenfassend können wir die Einleitungsphase durch folgende Schritte beschreiben: Begrüßung Vorstellen der Teilnehmer Vorstellen und Verabschiedung der Agenda Positive Einleitung des Gesprächs
Einleitungsphase
Analysephase
Problemlösungs-/ Voschlagsphase
Ergebnisphase
Die Analysephase ist durch die Darstellung der Ausgangssituation gekennzeichnet, die Sie bzw. Ihre Firma dazu bewegt, die Beschaffung, um die es bei der Verhandlung geht, vorzunehmen. Sie vermitteln Ihrem Gegenüber, was Sie genau benötigen und wie Sie sich die Umsetzung dieser Beschaffung vorstellen. Nehmen an dem Gespräch auch Mitarbeiter aus den Fachabteilungen Ihres Unternehmens teil, ist es sinnvoll, diese Darstellung durch die Kollegen der Fachabteilung vornehmen zu lassen. In der Regel findet man auf der Ebene der
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Vorbereitung der Verhandlung: Was will ich wie erreichen?
technischen Inhalte schneller eine gemeinsame Basis als bei kaufmännischen Punkten. So schaffen Sie eine gemeinsame Basis für den weiteren Gesprächsverlauf und beseitigen inhaltliche Unklarheiten. Der Lieferant hat eventuell bereits von der eigentlichen Problemstellung ein anderes Verständnis. Durch die Analysephase können solche Missverständnisse direkt ausgeräumt werden.
Beispiel Ein einfaches Beispiel wäre, dass Ihre Firma umziehen muss und daher mit verschiedenen Umzugsfirmen über die Umzugsleistungen verhandelt. Durch eine nicht eindeutige Formulierung in der Anfrage geht die Umzugsfirma davon aus, dass Sie als umziehende Firma alle Unterlagen selbst verpacken. Sie jedoch erwarten, dass das Umzugsunternehmen diese Leistung ebenfalls übernimmt. Der Preisunterschied im Angebot wird enorm sein. Durch genaues Hinterfragen der Leistungsinhalte in der Analysephase können solche Unklarheiten beseitigt werden.
Den Einstieg in die Analysephase können Sie beispielsweise mit folgenden Fragen erreichen: „War unsere Anfrage für Sie verständlich?“ „Gibt es noch Fragen zu unserer Ausschreibung von Ihrer Seite?“ „Sind Sie bei der Bearbeitung unserer Anfrage auf Unstimmigkeiten gestoßen?“
Nutzen Sie also die Analysephase, um Ihre Ausgangssituation konkret zu beschreiben und Ihr Ziel der zu erbringenden Leistung genau darzustellen, Unklarheiten und Risiken zu erkennen und zu beseitigen.
Damit haben Sie den Verhandlungsgegenstand für alle Beteiligten klar festgelegt.
Die Angebotsverhandlung
Einleitungsphase
Analysephase
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Problemlösungs-/ Voschlagsphase
Ergebnisphase
Die Problemlösungsphase wird zunächst durch die Vorstellung des Angebotes seitens des Lieferanten geprägt sein. Angebote enthalten in der Regel mehrere Angebotspositionen. Welche Angebotspositionen für Ihre Beschaffung relevant sind und welche entfallen können, wird in dieser Phase festgelegt. Alle Beteiligten sollten eine Kopie des Angebots vor sich haben. Bitten Sie den Lieferanten, sein Angebot vorzustellen, und gehen Sie das Angebot Position für Position durch. Haken Sie die klaren Positionen des Angebots ab. Änderungen oder Ergänzungen stimmen Sie mit dem Lieferanten einvernehmlich ab und tragen diese handschriftlich in das Angebot ein. Der Anbieter wird versuchen, positive Merkmale des Angebots überdeutlich darzustellen, um damit von Schwächen im Angebot abzulenken. Z. B. wird ein Anbieter eines Produktes von minderer Qualität stets versuchen, Ihre Aufmerksamkeit auf den günstigen Preis zu lenken. Um aber den Preis bewerten zu können, müssen Sie auch die Qualität des angebotenen Produktes mit der Qualität der Produkte der anderen Anbieter vergleichen können. Das können Sie nur, wenn Sie den Verhandlungsgegenstand – in diesem Fall den Qualitätsstandard – genau geklärt haben. Für Sie als Entscheider kommt es darauf an, dass Sie zunächst alle Vergleichsfaktoren der verschiedenen Anbieter und Angebote wertfrei analysieren und festhalten. Erst wenn Sie alle Angebote geprüft und für sich bewertet haben, können Sie verhandeln, Kompromisse vorschlagen und eine Entscheidung treffen. Manche Angebote enthalten auch Optionen oder der Lieferant hat zu einem Anfragegegenstand eine zusätzliche Alternative angeboten. In diesen Fällen sollten Sie jetzt festlegen, welche Position des Angebots Sie auswählen und somit zum Verhandlungsumfang zählen. In manchen Fällen gibt es zu einem Verhandlungsumfang mehrere Angebote eines Lieferanten, oder das Angebot des Lieferanten ist Ihnen zu umfangreich oder zu unübersichtlich. Hier bietet es sich an, selbst eine Zusammenstellung des Leistungsumfangs z. B. in einer Exceltabelle vorzunehmen. In jedem Fall haben Sie am Ende dieses Vorgangs eine genaue Auflistung des Verhandlungs- bzw. Auftragsumfangs und natürlich auch einen Angebotspreis aus der Summe der Preise der Einzelpositionen. Damit haben Sie den Verhandlungsumfang für alle Beteiligten klar und eindeutig festgelegt. Jetzt sollten Sie zunächst mit dem Lieferanten festlegen, welches Dokument als Grundlage zur Verhandlung der kaufmännischen und vertraglichen Bedingungen gelten soll. In der Regel stehen hier zur Auswahl: das Angebot des Lieferanten, ein Vertragsentwurf (von Ihnen selbst oder vom Lieferanten vorgelegt).
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Vorbereitung der Verhandlung: Was will ich wie erreichen?
Bei umfangreichen Beschaffungen ist es ratsam, diese Unterlagen vor dem Verhandlungstermin an die Beteiligten zu verschicken. So können sich alle Beteiligten auf das Gespräch vorbereiten, und in der Verhandlung müssen nur noch die unklaren Punkte besprochen werden. Bei umfangreichen Angeboten oder Vertragsentwürfen sparen Sie hier leicht ein paar Stunden Gesprächszeit ein. Außerdem schafft es auch eine gemeinsame Basis, wenn man sich gut vorbereitet hat und die klaren Punkte gemeinsam zügig abhaken kann. Damit haben Sie die vertraglichen Bedingungen für alle Beteiligten klar und eindeutig festgelegt. Erst wenn Sie das Angebot des Lieferanten hinsichtlich des Vertragsgegenstandes, des Vertragsumfangs und der vertraglichen Bedingungen klar und eindeutig festgelegt haben, sollten Sie über Preis- und Zahlungsbedingungen verhandeln. Denn Sie müssen den angebotenen Preis im Zusammenhang mit diesen Faktoren bewerten. Das können Sie erst, wenn Sie überhaupt wissen, worüber verhandelt wird. Über den tatsächlichen Verlauf einer Verhandlung kann man im Vorfeld nur eine grobe Annahme treffen. Je nach Übereinstimmung des Angebotes mit Ihrer vorher definierten Zielsetzung wird der Lieferant mehr oder weniger Arbeit leisten müssen, Sie von seinen angebotenen Leistungen zu überzeugen. Bereiten Sie sich hierauf so vor, dass Sie jederzeit die Verhandlungsführung behaupten können. Beispielsweise sollten Sie in der Lage sein, eine zu weit von Ihrem Ziel abweichende Argumentation freundlich, aber bestimmt unterbrechen zu können. Außerdem sollten Sie den Verhandlungspartner durch geschickte Zwischenfragen immer wieder zum Kern des Verhandlungsobjektes zurückbringen.
Einleitungsphase
Analysephase
Problemlösungs-/ Voschlagsphase
Ergebnisphase
In der Ergebnisphase werden die Vereinbarungen der Verhandlung nochmals zusammengefasst. Entscheidend ist hierfür, wer als Protokollführer bestimmt wird. Der Protokollführer sollte in dieser Phase das Wort ergreifen, die von ihm notierten Ergebnisse zu den einzelnen Punkten der Agenda wiederholen und sie gegebenenfalls korrigieren, falls berechtigte Einwände vorliegen.
Die Angebotsverhandlung
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Praxistipp Folgen Sie in der Einkaufsverhandlung der folgenden und bereits in der dargestellten Agenda vorgeschlagenen Reihenfolge: 1. Klärung des Verhandlungsgegenstandes (z. B. technische Inhalte) 2. Festlegung des Verhandlungsumfangs (Auftragsumfang) 3. Klärung der kaufmännischen und vertraglichen Bedingungen 4. Festlegung von Preis und Zahlungskonditionen
Die vorgeschlagene Reihenfolge in der Einkaufsverhandlung hilft Ihnen, die Verhandlung effizient zu führen, die einzelnen Verhandlungsthemen geordnet und sachlich zu klären, Ihre Einkaufsentscheidung gezielt, sachlich und kompetent vorzubereiten
Wie bei all Ihren Aufgaben, sollten Sie auch bei der Verhandlungsvorbereitung und in der Verhandlung selbst Nutzen und Aufwand immer in einem ausgeglichenen Verhältnis halten. Versuchen Sie nicht bei geringwertigen einmaligen Beschaffungen, eine umfangreiche Verhandlungsvorbereitung und Verhandlung durchzuführen. Der Aufwand wäre nicht gerechtfertigt.
5.2
Verhandlungsführung
Vielleicht haben Sie die folgende Situation schon erlebt. Sie vereinbaren einen Termin mit einem Lieferanten zu einer kurzen Angebotsverhandlung. Sie haben sein Angebot genau studiert, sich einige Anmerkungen gemacht und wollen nur noch einige Details in einem persönlichen Gespräch klären, bevor Sie sich für dessen Angebot oder das Angebot des Wettbewerbers entscheiden. Der zuständige Verkäufer des Lieferanten erscheint zu dem vereinbarten Termin. Plötzlich wird aus dem kurzen Gespräch eine recht lange Abhandlung, die der Vertriebler nutzt, Ihnen sein Unternehmen im Ganzen und im Detail vorzustellen und die Vorteile einer Zusammenarbeit mit seiner Firma sehr genau zu erklären. Sie haben noch nicht ansatzweise über Ihre Fragen gesprochen, da ist bereits eine halbe Stunde vergangen. Allerdings wissen Sie nicht, wie Sie Ihr Gegenüber wieder in die von Ihnen gewünschte Richtung lenken können, ohne ihn abrupt zu unterbrechen.
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Verhandlungsführung
Denken Sie nicht, es sei ein Zeichen von Schwäche, wenn Sie sich in dieser Situation etwas ratlos fühlen. Sie wollen schließlich nicht unhöflich sein und Ihrem Verhandlungspartner ins Wort fallen. Der große Unterschied zwischen Ihnen beiden ist einfach, dass der Vertriebler wesentlich intensiver auf Verkaufsgespräche trainiert ist als Sie. Sofern Sie das Gespräch nicht aktiv steuern, wird er versuchen, sich und sein Unternehmen durch die eigenen Ausführungen in ein besonders gutes Licht zu rücken. Sie haben sich eingehend auf die Angebotsverhandlung vorbereitet. Die einzelnen Angebote sind Ihnen sehr gut bekannt, und Sie wissen, was Sie in der Verhandlung erreichen möchten. Dies sind die grundlegenden Voraussetzungen, um das Verhandlungsgespräch zu steuern und zu moderieren. Folgende Fragen werden Sie sich stellen, sofern Sie noch keine umfangreiche Verhandlungserfahrung gesammelt haben: Wie können Sie geschickt intervenieren, wenn Ihr Verhandlungspartner zu weit vom Thema abweicht? Welche Fragetechnik empfiehlt sich in den verschiedenen Situationen einer Verhandlung? Zudem stehen Ihnen unterschiedliche Verhandlungswege zur Verfügung. Zum einen die Telefonverhandlung und das direkte persönliche Gespräch. Die Telefonverhandlung wird gern gewählt, wenn es um eine eher kurze Verhandlung bei einer einmaligen Beschaffung von Produkten mit geringem Wert geht. Doch auch hier sollten einige Punkte beachtet werden. Daher werden wir hierauf kurz gesondert eingehen. Zum anderen werden in der Regel höherwertige Anschaffungen oder auch jährliche Rahmenverträge in einem persönlichen Gespräch verhandelt. Auf dieses persönliche Gespräch wollen wir ganz gezielt eingehen.
5.2.1
Tücken der Kommunikation
Das Dilemma der Kommunikation Wahr ist nicht, was man sagt, sondern was bei dem anderen ankommt.
Dieser Leitsatz bringt das Dilemma der Kommunikation auf den Punkt. Warum ist Kommunikation so schwierig? Wenn wir im Folgenden über Kommunikation sprechen, ist maßgeblich das gesprochene Wort gemeint. Doch viele andere Faktoren beeinflussen den verbalen Informationsaustausch. Auch diese Faktoren gehören zur Kommunikation.
Die Angebotsverhandlung
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Beispiel Sie diskutieren über ein recht belangloses Thema mit Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin. Plötzlich reagiert Ihr Gegenüber angesäuert und beendet das Gespräch mit dem Satz: „Es ist immer dasselbe. Du nimmst mich nicht ernst.“ Wie kam es zu dieser Reaktion? Ihr Partner/Ihre Partnerin schimpft über seinen/ihren Chef. Dieser Chef sei ein Ignorant. Er/sie hätte versucht, dem Chef bei dessen Rückkehr von einem externen Termin einen entscheidenden Verbesserungsvorschlag zu machen. Doch dieser habe lediglich geantwortet, er hätte jetzt keine Zeit für so etwas. Sie hören sich diese Geschichte an und antworten: „Ach, nimm das nicht so ernst. Er hatte bestimmt einfach anderes im Kopf.“ Dann platzt es wie oben erwähnt aus Ihrem Gegenüber heraus. Ihr Partner/Ihre Partnerin ist nun böse auf Sie. Sie sind völlig überrascht und fragen sich, was Sie falsch gemacht haben. Nun, er/sie hat in dieser Situation wahrscheinlich Zuspruch erwartet. Er/sie brauchte ein Ventil und hätte gerne von Ihnen gehört, dass das Verhalten des Chefs wirklich inakzeptabel sei. Sie hätten sich darauf geeinigt, Ihr Partner/Ihre Partnerin hätte sich den Ärger von der Seele geredet und wäre dann zufrieden gewesen, ohne dass wirklich eine Lösung im Hinblick auf das Verhalten des Chefs gefunden worden wäre. Sie haben allerdings die Geschichte gehört, haben sich in diesem Moment in die Rolle des Chefs versetzt und wollen Ihrem Partner/Ihrer Partnerin damit helfen, indem Sie für das Verhalten des Chefs Verständnis zeigen und es erklären wollen. Denn der externe Termin war eventuell für den Chef nicht besonders erfreulich und verlief nicht nach seinen Vorstellungen. Insofern wird er für die neue Idee nicht offen gewesen sein. Allerdings war er dies sicherlich nur nicht in diesem Moment. Doch Sie können diese weitergehenden Erklärungen gar nicht mehr abgeben, denn Ihr Partner/Ihre Partnerin hat das Zimmer bereits erbost verlassen.
Dieses Beispiel verdeutlicht eindrucksvoll, wie problematisch die zwischenmenschliche Kommunikation in der Regel ist. Denn Worte sind lediglich ein Medium zum Transport von Informationen. Doch viele andere Aspekte beeinflussen diese Informationsübertragung: Mimik, Gestik, Tonfall, die Verfassung Ihres Gesprächspartners sowie Ihre eigene, die Umgebung usw. Diese Problematik beschreibt das so genannte Sender-Empfänger-Modell (vgl. Abbildung 12). Es ist also entscheidend, bei jeglicher Art der Kommunikation zu beachten, dass eine Nachricht unter Umständen ganz anders beim Empfänger ankommt, als Sie es beabsichtigt haben.
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Verhandlungsführung
Sender
– Persönlichkeitstyp -Persönlichkeitstyp – PsychischeVerfassung Verfassung -Psychische – PhysischeVerfassung Verfassung -Physische – Einstellung,Interessen, Interessen, -Einstellung,
– Persönlichkeitstyp -Persönlichkeitstyp – PsychischeVerfassung Verfassung -Psychische – PhysischeVerfassung Verfassung -Physische – Einstellung,Interessen, Interessen, -Einstellung,
Neigungen Neigungen
Neigungen Neigungen
Nachricht
Empfänger
– Gesprächssituation -Gesprächssituation – ExterneEinflüsse -Externe Einflüsse – -Atmosphäre Atmosphäre
Abbildung 12: Sender-Empfänger-Modell
Der Persönlichkeitstyp bildet den Ausgangspunkt, der Kommunikation zum Problem werden lassen kann. Sind Sie beispielsweise ein sehr offener und lebhafter Mensch, der seine Stimmungen offen zeigt, und ist Ihr Kommunikationspartner eher verschlossen und macht die Dinge lieber mit sich selbst aus, kann es zu grundlegenden Missverständnissen kommen. Sie möchten eine Reaktion auf einen Vorschlag haben, aber der andere reagiert zunächst nicht. Sie fragen nach, wodurch sich der andere mehr und mehr unter Druck gesetzt fühlt, denn entgegen Ihrer Wahrnehmung setzt sich derjenige durchaus mit Ihrem Vorschlag auseinander, spricht aber zunächst nicht über seine Erkenntnisse. Es kann zum Streit kommen, wenn Sie ihm nicht ausreichend Zeit geben, zu einem Ergebnis zu gelangen, das er – sobald es endgültig ist – kommuniziert. Die psychische und physische Verfassung der einzelnen Gesprächspartner sind weitere Faktoren, die die zwischenmenschliche Kommunikation stören können. Insbesondere introvertierten Menschen merkt man in der Regel nicht an, ob sie etwas psychisch belastet. Auch wenn sich jemand körperlich müde fühlt, werden Sie dies im geschäftlichen Umfeld nicht direkt bemerken. Diese Zustände schränken jedoch die Aufnahmefähigkeit Ihres Gesprächspartners ein. Sie können nicht feststellen, inwieweit er Ihre Nachrichten so aufnimmt, wie Sie sie gesendet haben. Schließlich führen persönliche Interessen und Einstellungen dazu, dass wir Botschaften selektiv wahrnehmen. Sicherlich werden Sie es auch schon erlebt haben, dass Sie in eine Arbeit vertieft sind und in einiger Entfernung Kollegen ein Gespräch führen. Sie nehmen keine Inhalte des Gespräches wahr. Doch plötzlich hören Sie unvermittelt Ihren Namen. Da werden Sie hellhörig und hören nun, was gesprochen wird. Selbstverständlich interessiert es eine Person, was andere über sie sprechen. Doch es ist erstaunlich, wie unser Gehirn auf solche Reize reagiert. Genauso kann es sein, dass Sie plötzlich hinhören, wenn über Ihre Lieblings-
Die Angebotsverhandlung
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sportart, ein gutes Restaurant, das Sie kennen, oder über ein Thema gesprochen wird, das Sie auch gerade sehr beschäftigt. Diese selektive Wahrnehmung führt jedoch in einer Verhandlung dazu, dass Sie selbst oder Ihr Verhandlungspartner die für die jeweilige Partei relevanten Informationen stärker herausfiltert als vermeintliche Nebensächlichkeiten. Doch diese Nebensächlichkeiten können letztlich eine große Relevanz haben. Außerdem wird die Übertragung einer Nachricht durch die Gesprächssituation sowie die allgemeine Atmosphäre und externe Einflüsse beeinflusst. Beispielsweise werden die Informationen während einer Telefonverhandlung anders aufgenommen und verarbeitet als in einem persönlichen Gespräch, da Sie fast ausschließlich über das gesprochene Wort Informationen austauschen. Doch wir schreiben bewusst „fast“, denn auch über das Telefon kann beispielsweise wahrgenommen werden, ob der andere lächelt oder sehr ernst argumentiert. Entsprechend können Worte ironisch oder als Fakten aufgenommen werden. Die Atmosphäre, in der ein Gespräch stattfindet, beeinflusst ebenfalls die Kommunikation. Schaffen Sie beispielsweise keine angenehme Verhandlungsatmosphäre durch das Anbieten von Getränken und einen angenehmen Raum, hat Ihr Gegenüber unter Umständen das Gefühl, dass Sie sich notgedrungen die Zeit für die Verhandlung nehmen, aber kein besonderes Interesse daran haben. Er wird dann eventuell seine vorbereiteten Informationen möglichst kurz darstellen. Dies kann für Sie positiv sein, weil Sie wirklich nicht so viel Zeit aufwenden möchten. Allerdings kann es sein, dass er für Sie entscheidende Informationen außer Acht lässt, die Ihre Entscheidung maßgeblich beeinflussen würden. Externe Einflüsse, wie laute Nebengeräusche, permanente Störungen durch andere Personen usw. beeinflussen den Informationsaustausch direkt. Die Konzentration wird immer wieder gestört, die Wahrnehmungsfähigkeit eines jeden Gesprächspartners eingeschränkt. Daher sollten solche Störfaktoren nach Möglichkeit vermieden werden. Durch das Bewusstsein, wie Kommunikation funktioniert und warum es häufig zu unerwarteten Reaktionen kommen kann, ergeben sich konkrete Anforderungen an Sie innerhalb einer Verhandlung. Sie müssen sicherstellen, dass im Verhandlungsgespräch Ihre Anforderungen auch richtig verstanden werden. Versuchen Sie: die Persönlichkeit Ihres Gesprächspartners einzuschätzen. Haben Sie jedoch nicht den Anspruch an sich, eine absolute Einschätzung vornehmen zu können. Ihr Blick soll lediglich dafür geschärft werden, dass Ihr Gegenüber unter Umständen Ihre Nachrichten ganz anders verstehen könnte, als Sie es beabsichtigt haben. sich auf Ihr Gegenüber einzustellen und Inhalte auch seinem Blickwinkel heraus zu verstehen. störende Faktoren zu vermeiden.
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Verhandlungsführung
In jedem Fall ist es notwendig, abschließend verhandelte Einzelaspekte zusammenfassend wiederzugeben und schriftlich festzuhalten.
5.2.2
Die AIDA-Formel
Verkäufer orientieren sich in der Regel an der so genannten AIDA-Formel. Diese Abkürzung hat ihren Ursprung im Englischen und steht für A – Attention (Aufmerksamkeit erregen) I
– Interest (Interesse wecken)
D – Desire (Wunsch/Bedarf auslösen) A – Action (Abschluss tätigen) Aufmerksamkeit wird der Verkäufer bereits dadurch erregen, dass er bereits ganz zu Beginn des Gespräches versucht, Sie in ein Gespräch über persönliche Interessen und Hobbys zu verwickeln. Trifft er ins Schwarze, weiß er, wie er Sie immer wieder auf der persönlichen Ebene erreichen kann. Dadurch kann es für ihn leichter werden, Sie für seine Firma und deren Produkte zu interessieren. Sympathie spielt auch im Geschäftsleben eine wesentliche Rolle. Einen Wunsch oder Bedarf könnte er z. B. dadurch auslösen, dass er sie überzeugt, ein neues Produkt der Firma kostenlos und unverbindlich zu testen. Dadurch ist ihm sicher, dass er ein zweites Gespräch mit Ihnen führen kann. Lassen Sie sich auf einen solchen Vorschlag also keinesfalls ein, wenn Sie nicht wirklich einen Nutzen für Ihr Unternehmen darin sehen. Denn ein weiteres Gespräch kostet Ihre persönliche Arbeitszeit. Der Abschluss erfolgt dann in der Regel durch die Auftragsvergabe Ihrerseits. Wie können Sie sich das Wissen über eine solche Verhandlungstaktik zu Nutze machen? Versuchen Sie, dieses Schema ebenfalls anzuwenden. Verwickeln Sie den Verkäufer in ein Gespräch über persönliche Hobbys und lassen Sie kleine Andeutungen hierzu immer wieder einfließen. Wecken Sie das Interesse des Lieferanten an Ihrem eigenen Unternehmen. Sie haben sich ja bereits darauf vorbereitet, welche Verhandlungsposition Sie persönlich haben, ob Sie ein großer, kleiner oder neuer Kunde des Lieferanten sind. Gerade als Neukunde sollten Sie ruhig einige Sätze über Ihr Unternehmen sagen. Das Interesse des Vertrieblers, mit Ihnen ins Geschäft zu kommen und dafür gegebenenfalls mehr Zugeständnisse zu machen, kann dadurch gesteigert werden.
Die Angebotsverhandlung
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Praxistipp Fassen Sie sich kurz. Denn dann ist Ihr Verhandlungspartner fähig, möglichst alle Informationen aufzunehmen. Formulieren Sie prägnante Aussagen. Versuchen Sie, mit jedem Satz für die Verhandlung notwendige Inhalte zu vermitteln. Es ist nicht unhöflich, Ihr Gegenüber zu unterbrechen, wenn er bzw. sie zu weit vom Thema abweicht. Sie sind der Kunde und sollten sich die Gesprächsführung nicht nehmen lassen.
5.2.3
Aktives Zuhören und geschicktes Intervenieren
Wie hören Sie genau zu? Sie werden selbst schon erlebt haben, dass es schwer fällt, einem Gesprächspartner aufmerksam zuzuhören, der scheinbar unaufhörliche Monologe führt. Um dennoch sicherzustellen, dass Sie die notwendigen Informationen filtern können und dass sich Ihr Gesprächspartner möglichst auf die für Sie wichtigen Inhalte konzentriert, müssen Sie aktiv zuhören. Sie werden dann das Gespräch steuern. Dies kann man durch geschickte Zwischenfragen erreichen. Hierbei muss man darauf achten, den Gesprächspartner nicht bloßzustellen, sondern ihn auf eine freundliche Art zu lenken.
Beispiel Situation 1: Ein Politiker verfällt in einer politischen Diskussionsrunde im Fernsehen in endlose Ausführungen, was seine Partei bereits alles Positives erreicht hat. Die Moderatorin hatte aber die Frage gestellt, welche Ideen er denn hat, die hohe Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Sie muss ihn also dazu bringen, auf die Frage zurückzukommen. Häufig werden Sie erleben, dass Moderatoren wie folgt vorgehen: „Ja, in der Tat haben Sie in diesem Gebiet bereits große Erfolge erzielt. Aber lassen Sie uns noch einmal konkret auf das Problem der Arbeitslosigkeit zurückkommen. Welche Lösungsansätze schweben Ihnen hier vor?“ Die Moderatorin hat also durch die Bestätigung einer Aussage die Unterbrechung positiv eingeleitet. Ihr Gast wird sich nicht über den Mund gefahren fühlen. Situation 2: Ein Lieferant sitzt Ihnen gegenüber und berichtet Ihnen ausschweifend über erfolgreich abgewickelte Aufträge in der Vergangenheit. Ihre Frage war ursprünglich, welchen zusätzlichen Nutzen (Added Value) denn sein Unternehmen im Rahmen des zu verhandelnden Projektes liefern kann im Vergleich zur Konkurrenz. Diese Frage lädt zu solchen ausführlichen Berichten ein.
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Verhandlungsführung
Wie können Sie Ihr Gegenüber wieder höflich einfangen? Eine Möglichkeit wäre hier: „Das hört sich sehr beeindruckend an. Habe ich Sie eben auch richtig verstanden, dass Sie die Leistung XY zunächst kostenfrei erbringen und wir uns dann erst auf das weitere Vorgehen festlegen müssen?“
Versetzen Sie sich außerdem in Ihr Gegenüber. Welche Ziele wird der Verkäufer wohl versuchen zu erreichen? Welche Mittel wird er einsetzen? Wie wird er versuchen, Sie zu überzeugen? Durch solche Überlegungen können Sie die Aktionen der anderen Seite bereits einschätzen und werden sich automatisch teilweise mit ihm identifizieren. Selbstverständlich ist es hierbei wichtig, Ihr eigenes Ziel niemals aus den Augen zu verlieren, sondern den anderen nur proaktiv darauf hinzusteuern. Ein weiterer wichtiger Aspekt, durch den Sie eine angenehme Gesprächsatmosphäre schaffen, der aber auch möglichst hohe Aufmerksamkeit gewährleistet, ist Ihre eigene Gesprächshaltung. Achten Sie auf Ihr Auftreten. Wie können Sie durch Mimik und Gestik bereits Ihre eigene Aufmerksamkeit kundtun? Gehen Sie in jedem Fall respektvoll mit Ihrem Gesprächspartner um. Halten Sie den Blickkontakt zu Ihrem Verhandlungspartner. Auch wenn einer Ihrer Kollegen gerade spricht, lassen Sie Ihren Blick nicht ziellos durch den Raum schweifen. Sie werden dann definitiv nicht mehr aufmerksam zuhören. Und dem Verhandlungspartner verdeutlichen Sie Ihr Desinteresse. Richten Sie Ihre Körperhaltung so aus, dass Sie auf ihn bzw. sie zukommen. Lehnen Sie sich also nicht breitbeinig in Ihrem Stuhl zurück. Diese Haltung bedeutet, dass Sie Ihr Gegenüber von oben herab ansehen. Sie könnten denken: „Lass ihn/sie nur mal reden. Ich weiß es sowieso besser.“ Bekunden Sie durch Ihre Gestik und Mimik, dass Sie das Gespräch aufmerksam verfolgen. Nicken Sie zwischendurch, lassen Sie aber durchaus auch kritische Blicke zu bestimmten Aspekten zu. Entscheidend ist bei Gestik und Mimik natürlich, dass diese zu Ihrer persönlichen Art passen. Sie müssen immer Sie selbst bleiben. Verstellen Sie sich nicht.
5.2.4
Fragetechniken
Rhetorische Elemente innerhalb der Verhandlung lassen sich nur schwer abgrenzen. Sie sind eng miteinander verzahnt. Bereits beim aktiven Zuhören und bei der höflichen Intervention sind wir auf bestimmte Fragetechniken gestoßen. Bevor wir auf unterschiedliche Fragetypen eingehen, verinnerlichen Sie sich zunächst, dass es keinesfalls peinlich ist, Fragen zu stellen. Auch wenn Sie eine Frage zu einem vermeintlich einfachen Aspekt stellen, brauchen Sie sich nicht zu verstecken. Und seien Sie ehrlich zu sich selbst. Was ist peinlicher? Einmal eine Frage über einen Sachverhalt stellen, der allen anderen
Die Angebotsverhandlung
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klar zu sein scheint, oder improvisieren und über etwas verhandeln, das man nicht ganz verstanden hat? Sie wissen, aus letzterer Option können sich erst recht peinliche Situationen ergeben. Außerdem denken Sie nicht, dass die anderen wirklich immer alles verstanden haben. Sie sehen also, Sie haben nichts zu verlieren. Welche Funktionen haben die Fragen während der Verhandlung allgemein? Konkrete Informationen werden erfragt. Die Verhandlung wird in eine bestimmte Richtung bzw. auf ein bestimmtes Ziel gelenkt. Bestimmte Inhalte werden durch Fragen nochmals zusammenfassend dargestellt, um ein von allen Verhandlungspartnern gleich verstandenes Ergebnis festzuhalten.
Welche Fragekategorien gibt es und welche Funktion haben sie konkret?
Fragekategorie
Offene Frage
Fragewörter
Wie, Wie viel(e)/lang/oft ... Welche/s/r ... Wo, Wann, Wer, Was ...
Beispiele
Wie viel Zeit werden Sie benötigen, um die Planungsphase abzuschließen? Sie meinten gerade, dass diese Aufgaben Ihnen keine Probleme bereitet. Welche Schritte wollen Sie unternehmen, um sie zu lösen?
Funktion
Ausführliche Antwort Informationsgewinnung Hinweis auf Konkretisierung einer Aussage Ö
Offene Fragen fordern vom Gefragten, passende Informationen nach eigenem Ermessen zu liefern. Die Antwort ist offen und von seinem Wissen, seiner Kreativität und seiner Redegewandtheit abhängig.
Ö
Vorsicht: Lenken Sie den Gefragten so, dass er während seiner Antwort nicht in lange Monologe verfällt.
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Verhandlungsführung
Fragekategorie
Geschlossene Fragen
Fragewörter
Frage wird durch Inversion gestellt Frage wird durch veränderte Intonation gestellt
Beispiele
Aussage: Sie meinen nicht, dass ... Inversion: Meinen Sie nicht, dass ...? Aussage: Sie meinen, der Projektplan ist realistisch. (Betonung geht am Satzende nach unten.) Veränderte Intonation: Sie meinen, der Projektplan ist realistisch? (Betonung geht am Satzende nach oben.)
Funktion
Informationsgewinnung („Kennen Sie sich mit dieser Technik aus?“) Vergewisserung des Verstandenen („Verstehe ich Sie richtig, …?“) Provokation („Sie sind also der Meinung, dass ... Ist das realistisch?“) Ö
Geschlossene Fragen können sehr vielseitig eingesetzt werden. Sie könnten mit einem einfachen Ja oder Nein beantwortet werden, so dass der Informationsgehalt der Antwort gering sein kann. Je nach Einsatz der Frage wird der Antwortende seine Aussage jedoch erweitern.
Ö
Vorsicht: Nutzen Sie diesen Fragetyp zu häufig provokativ, wenn auch unabsichtlich, kann dies zu einer Verstimmung Ihres Verhandlungspartners führen. Denn dieser fühlt sich von oben herab behandelt.
Fragekategorie
Rhetorische Frage
Fragewörter
Wie in oben genannten Kategorien
Beispiele
Wer soll das bezahlen? Wie konnte ich das nur so missverstehen?
Funktion
Ironische Zwischenbemerkung, Auflockerung des Gespräches Verständnis gegenüber des Verhandlungspartners Verdeckter Hinweis auf gewisse Erwartungen hinsichtlich von Leistungen, Konditionen usw. Ö
Vorsicht: Eine falsch verwendete rhetorische Frage kann den Verhandlungspartner vor den Kopf stoßen. Auch hier können Sie etwas arrogant erscheinen, wenn Sie sie falsch anwenden.
Die Angebotsverhandlung
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Fragekategorie
Suggestivfrage
Fragewörter
Wie bei geschlossenen Fragen, Verwendung von bestätigenden Worten, wie z. B. doch, denn, denn nicht, auch
Beispiele
In dieser Angelegenheit sind wir doch einer Meinung? Meinen Sie nicht auch, dass ...? Ich bin mir sicher, dass Sie mir hier zustimmen, oder?
Funktion
Zustimmung bekunden Bestätigung geben und erhalten Eigenen Standpunkt untermauern Ö
Vorsicht: Wenn die Standpunkte weit auseinander liegen, kann diese Frage zu sehr provozieren. Sie geben Ihrem Gegenüber das Gefühl, keine Kompromisse eingehen zu wollen. Er wird sich in die Enge getrieben fühlen. Die Verhandlung kann aggressiver verlaufen als geplant.
Sicherlich kann man diese Hauptkategorien von Fragen noch weiter untergliedern. Wir wollen uns hier jedoch auf diese vier Kategorien begrenzen. Bei der Anwendung von Fragen egal welcher Form ist es wichtig, dass Sie ruhig und sachlich bleiben, eindeutige Fragen stellen, nicht in Polemik verfallen.
Letztlich gilt als Leitsatz der Verhandlungsführung:
Leitsatz zur Verhandlungsführung Wer fragt führt.
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Verhandlungsführung
5.2.5
Die Telefonverhandlung
Viele der bereits beschriebenen Aspekte gelten sowohl für das persönliche direkte Gespräch als auch für die Telefonverhandlung. Dennoch wollen wir auf Letzteres gesondert eingehen, denn einige maßgeblich Unterschiede ergeben sich dadurch, dass: die Verhandlung in der Regel recht kurz gehalten wird, keine visuellen Medien einsetzbar sind, das Verhalten des Verhandlungspartners nicht beobachtbar ist, der direkte Informationsaustausch lediglich über das gesprochene Wort erfolgt. Es kommt immer wieder vor, dass telefonische Verhandlungen nur schlecht vorbereitet werden, der Einkäufer keinem roten Faden folgt und unter Umständen sogar relevante Aspekte nicht direkt schriftlich notiert. Es wird aufgelegt und plötzlich stellt er fest, dass er bereits wieder einige Details vergessen hat. Auch für Telefonverhandlungen gilt: Eine gute Vorbereitung ist unabdingbar. Sie können dabei wie bereits im Kapitel 5.1 Verhandlungsvorbereitung beschrieben verfahren. Allerdings ist es hierbei noch entscheidender, einen kurzen prägnanten Leitfaden für das Gespräch zu entwickeln. Denn bei einer Telefonverhandlung ist die Zeit knapper als im persönlichen Gespräch und noch mehr konkrete Inhalte werden in dieser Zeit besprochen.
WICHTIG Auch für eine Telefonverhandlung sollten Sie eine positive interessierte Ausstrahlung bzw. Einstellung haben. Denn selbst über das Telefon wird beispielsweise ein Lächeln wahrgenommen. Sie wirken konstruktiv und interessiert, wenn Sie freundlich auftreten. Lustlosigkeit oder auch Unsicherheit am Telefon übertragen sich entsprechend. Ihr Verhandlungspartner wird das sehr schnell bemerken und dies für seine Zwecke ausnutzen. Erkennt er Ihre Unsicherheit am Telefon, wird er eventuell versuchen, Sie zu schnellen Zugeständnissen zu bewegen, denn er geht davon aus, dass Sie das Telefonat schnell beenden möchten. Treten Sie auch nicht zu selbstbewusst und kompromisslos auf, wenn Sie in einem persönlichen Gespräch nicht ebenso agieren können. Allerdings gilt auch: Seien Sie Sie selbst.
Eine Telefonverhandlung lässt sich in nachfolgende Abschnitte untergliedern. 1. Gesprächsvorbereitung Nehmen Sie sich Zeit für das Telefonat. Je nachdem, welche Relevanz die Beschaffung bzw. die Verhandlung hat, vereinbaren Sie im Vorfeld einen konkreten Termin mit dem Lieferanten für das Telefonat. Klären Sie, ob Kollegen von Ihnen bei der Verhandlung anwesend sein sollen.
Die Angebotsverhandlung
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Legen Sie Ihren Gesprächsleitfaden und alle notwendigen Unterlagen zurecht. Halten Sie einen Stift in der Hand, um direkt mitschreiben zu können. Vermeiden Sie einen direkten Blick auf Ihren PC-Bildschirm, der Sie ablenken könnte. Versuchen Sie störende Nebengeräusche so weit wie möglich zu vermeiden (z. B. Radio).
2. Einleitung des Telefonats Nennen Sie Ihrem Gesprächspartner deutlich den Namen Ihrer Firma und dann Ihren eigenen Namen. Sofern Sie bereits mit Ihrem Verhandlungspartner sprechen, stellen Sie auch mithörende/ -sprechende Personen vor, die Ihrerseits an der Verhandlung teilnehmen. Erläutern Sie kurz den von Ihnen geplanten Ablauf des Gespräches. Nennen Sie dabei auch Nummer und Datum des zu verhandelnden Angebotes oder stellen Sie einen anderen eindeutigen Bezug zum Verhandlungsthema her.
3. Verhandlung Diskutieren Sie alle Ihrerseits notierten Punkte genau. Fassen Sie die Ergebnisse zu einem Aspekt immer kurz zusammen und notieren Sie sich diese. Sollte Ihr Gesprächspartner bereits auf weitere Aspekte eingehen, bitten Sie freundlich, aber bestimmt um einen Moment Geduld, damit Sie alles notieren können. Mit einem einfachen: „Einen Moment bitte, ich möchte mir diesen Punkt noch kurz notieren“, können Sie Ihren Gesprächspartner höflich unterbrechen. Streuen Sie Zwischenfragen ein, um sicherzustellen, dass Sie alles richtig verstehen. Beispiel: „Sie meinen also, dass Sie die Projektvorbereitung innerhalb von zwei Wochen abschließen können.“ Bestätigen Sie durch Zwischenlaute, dass Sie den Ausführungen des Verhandlungspartners genau folgen.
4. Gesprächsabschluss Wiederholen Sie nochmals alle von Ihnen notierten Punkte. Haben Sie nur Stichworte notiert, führen Sie sie in vollständigen Sätzen aus, und zwar so, wie Sie sie im Zusammenhang verstanden haben. Sind alle Punkte im Einvernehmen festgehalten, erklären Sie, wie die weitere Bearbeitung des Vorganges Ihrerseits aussieht. − Wer entscheidet über die Auswahl des Lieferanten?
100
Festhalten der Ergebnisse – Protokollerstellung bei Einkaufsverhandlungen
− Wann wird die Entscheidung voraussichtlich getroffen? − Wer wird dem Gesprächspartner wie die Entscheidung mitteilen (telefonisch, schriftlich, per E-Mail)? Bedanken Sie sich für das Gespräch. Sprechen Sie dabei Ihren Gesprächspartner nochmals deutlich mit Namen an.
Sie sehen, dass in einer Verhandlung eine Vielzahl zwischenmenschlicher Aspekte eine Rolle spielen. Im Rahmen der Kommunikation haben wir viele Einflussfaktoren diskutiert. Die Funktion und Interpretation von Körperhaltungen haben wir nicht konkret angesprochen. Dies ist jedoch ganz bewusst geschehen. Denn jeder schätzt – ob bewusst oder unbewusst – sein Gegenüber maßgeblich auch aufgrund dessen Körperhaltung ein. Sie leiten sich bereits ein Bild über die Person auf dieser Basis ab. Das Spektrum Körpersprache im Detail zu diskutieren ist uns hier nicht möglich. Es nur kurz anzusprechen, wird den Interpretationsmöglichkeiten nicht gerecht. Wir empfehlen spezielle Fachliteratur, wenn Sie sich mit diesem Thema eingehend befassen wollen.
5.3
Festhalten der Ergebnisse – Protokollerstellung bei Einkaufsverhandlungen
Wir haben bereits immer wieder darauf hingewiesen, während der Verhandlung wichtige Details zu notieren, Ergebnisse zusammenfassend zu wiederholen und schriftlich festzuhalten. Für einen Einkäufer sollte dies eine unabdingbare Vorgehensweise sein. Befasst man sich jedoch nur hin und wieder mit Beschaffungen zusätzlich zu der eigentlichen beruflichen Funktion, ist es schwer, die entscheidenden Details im Gespräch zu erkennen und festzuhalten.
Funktion des Protokolls Vereinbarungen werden unmissverständlich festgehalten, damit im Nachhinein keine Unstimmigkeiten auftreten.
Ein Protokoll kann als Basis für einen Vertrag angefertigt werden. Ein Verhandlungsteilnehmer muss die Funktion des Protokollanten übernehmen. Er verfasst das Protokoll ausführlich in einzelnen Paragrafen, verliest es am Ende der Verhandlung, und beide Verhandlungsparteien unterzeichnen dieses Protokoll.
Die Angebotsverhandlung
101
Eine andere Möglichkeit ist, dass Sie sich selbst als Einkäufer Stichworte während der Verhandlung machen und diese im Anschluss an das Gespräch zu einem ausführlichen Protokoll ausarbeiten. Dieses Protokoll lassen Sie dann Ihrem Verhandlungspartner zur Ratifizierung zukommen. Die beste Möglichkeit zur Ratifizierung besteht nach wie vor in der persönlichen Unterschrift. Ein einfaches Einverständnis per E-Mail kann dann problematisch sein, wenn die zu bestätigenden Aspekte als Datei angehängt sind. Es ist dann in der elektronischen Form nicht genau ersichtlich, welchen Ausführungen Ihr Verhandlungspartner zugestimmt hat. Denn die Datei ist nur mit ihrem Namen aufgeführt. Sie kann zwischenzeitlich jedoch verändert worden sein. In beiden Fällen der Protokollerstellung wird deutlich, dass auch die Protokollerstellung einer gewissen Vorbereitung bedarf. Erstellen Sie sich daher vor der Verhandlung ein Formular mit den Ihrerseits zu besprechenden Details, in das Sie die Ergebnisse direkt eintragen können. Sie können Abbildung 13 als Anregung nutzen, wie ein solches Formular aufgebaut sein kann. Hier wurde die Beschaffung eines neuen Multifunktionsgerätes (Fax, Scanner, Drucker, Kopierer in einem) als Beispiel unterstellt. Wir gehen davon aus, dass ein Angebot vorliegt. Folgende Fragen stellen sich dem verantwortlichen Einkäufer noch. Neben den Antworten zu offenen Fragen enthält ein Protokoll jedoch alle Vereinbarungen, die während einer Verhandlung getroffen wurden. Dies kann auch bedeuten, dass einige Aspekte fixiert werden, die bereits im Angebot angegeben sind. Ein Verweis auf die Formulierung des Angebotes ist dann ausreichend. Allerdings sollte der Verweis ganz genau auf das Angebot hindeuten. Sie sollten dann z. B. schreiben: „Wie im Protokoll Nr. 123 vom 05.05.2005 unter § 4 Absatz 3 Nr. 2 beschrieben ...“ Entscheidend für Sie ist es, stets im Kopf zu behalten, dass bei jeglicher Form des Protokolls, die Ausführungen so genau und umfassend sein müssen wie möglich, denn letztlich bildet das Protokoll die notwendige Basis für die Bestellung. Je nachdem, um welche Höhe eines Bestellauftrags es sich handelt, kann ein enormer finanzieller Schaden für Ihr Unternehmen entstehen, wenn Einzelaspekte wie z. B. Haftung und Gewährleistung nicht eindeutig geklärt sind.
VORSICHT Oft werden bei sehr aufwändigen und umfangreichen Leistungen diese nicht nur durch den Lieferanten selbst ausgeführt. Er beauftragt für gewisse Teilleistungen einen Subunternehmer. Insbesondere bei Bau-, Umzugs- oder Renovierungsarbeiten ist dies häufig üblich. Um nicht Gefahr zu laufen, dass Ihnen ein Schaden entsteht, weil der Subunternehmer, den Sie nie persönlich kennen gelernt haben, mangelhafte Arbeit leistet, sollten Sie hier besonders genau aufpassen bei der Vertragsgestaltung. Legen Sie genau fest, mit welchen Unternehmen Ihr Lieferant zusammenarbeitet. Nehmen Sie Details wie verwendete Hilfsmittel (z. B. Transportfahrzeuge, Umzugshilfsmittel etc.) in das Protokoll und anschließend in den Auftrag auf. Und letztlich sollten Sie sich einen Nachweis über eine entsprechende Versicherung geben lassen, die in diesen Fällen bei Transportschäden oder sonstigen Schäden an Gebäuden etc. haftet.
102
Festhalten der Ergebnisse – Protokollerstellung bei Einkaufsverhandlungen
Verhandlung mit _______________ (Name des Lieferanten)
Verhandlung zu Angebot Nr. ______________ vom ________________ Datum der Verhandlung:
Uhrzeit:
Teilnehmer:
Protokollant: Offene Punkte 1. Warenbeschaffenheit – Welche Materialien werden verwendet? – Wo erfolgt die Produktion? – Ist das Gerät mit anderen gängigen Marken kompatibel? – Welche Teile müssen regelmäßig ausgetauscht werden? – Wie hoch sind die Kosten für Verbrauchs- und Zusatzmaterial? – Was sind die wichtigsten Leistungsmerkmale des Gerätes (z. B. Speicherkapazität)? – Welche Voraussetzungen zur Installation müssen gegeben sein? 2. Service – Wie sieht ein Standardservicefall aus? – Wird ein Vorort-Austausch angeboten? – Wenn ja, in welchem Zeitrahmen? – Gibt es einen 24h-Reparaturservice? – Wer stellt die Servicetechniker?
Antwort/Vereinbarung
Die Angebotsverhandlung
– Wie hoch sind die Kosten für den Servicetechniker? – Wie hoch sind die Kosten der Ersatzteile? – Woher kann man die Ersatzteile beziehen? 3. Lieferung – Erfolgt die Lieferung frei Haus? – Durch wen erfolgt die Installation? – Wann kann geliefert werden? 4. Kosten – Preis – Welche Zusatzkosten fallen bei der Beschaffung an? (Versand, Verpackung, Versicherung, etc.) – Ist die Installation im Preis mit enthalten? – Welche Kosten fallen für die Hotline an? – Zahlungsbedingungen 5. Garantie/Gewährleistung – Wie lange wird Garantie gewährt? – In welchem Umfang wird Garantie gewährt? – Kann man die Garantie kostenpflichtig verlängern? – Gibt es eine über die gesetzlich fixierte hinausgehende Gewährleistung? Abbildung 13: Beispiel eines Verhandlungsprotokolls
103
Auftragsvergabe: Die Bestellung
6.
105
Auftragsvergabe: Die Bestellung
Bedarfsanalyse
Bedarfsanforderung und Genehmigung
Anfrage
Angebots vergleich
Angebots verhandlung
Bestellung und Genehmigung
Leistungs kontrolle
Haben Sie eine Einkaufsentscheidung getroffen, findet diese ihren Abschluss mit der Auftragsvergabe. In der Beschaffung erfolgt die Auftragsvergabe in der Regel in Form einer schriftlichen Bestellung.2 Es kommt zu einem Vertragsabschluss zwischen Ihnen als einkaufendem Unternehmen und dem Lieferanten. Doch folgende Fragen stellen sich in diesem Zusammenhang: Wann genau kommt ein Vertragsabschluss zustande? Welche Vertragsarten sind zu unterscheiden? Welche rechtliche Konsequenz hat ein solcher Vertragsabschluss? Welche Bedeutung haben in diesem Zusammenhang Angebot, Bestellung und Auftragsbestätigung?
6.1
Grundlagen des Vertragsrechts
Wir alle unterliegen einer umfassenden Rechtsordnung, aus der für jeden einzelnen Rechte und Pflichten erwachsen. In vielerlei Hinsicht kommt dem Vertrag in unserer Rechtsordnung eine besondere Bedeutung zu. Gerade im kaufmännischen Umfeld ist der Vertrag das wirkungsvollste und gebräuchlichste Element, um zwischen den Vertragspartnern gegenseitige Rechte und Pflichten zu begründen.
2
Die Begriffe Auftrag und Bestellung werden im Folgenden synonym verwendet.
106
Vertragsfreiheit
Unabhängig von der Vertragsart, ob Sie beispielsweise einen Kauf-, Werk-, Arbeits- oder Dienstleistungsvertrag abschließen wollen, kommen Sie immer mit geltenden Gesetzesregelungen in Berührung, die für die Gestaltung des Vertrags relevant sind. Wir werden uns im Folgenden auf die Erläuterung der generell notwendigen Vorschriften beschränken, die im Bereich der Beschaffung häufig Anwendung finden.
6.2
Vertragsfreiheit
Im deutschen Recht gilt das Prinzip der Vertragsfreiheit. Die Bedeutung dieser Vertragsfreiheit lässt sich an den folgenden wesentlichen Merkmalen verdeutlichen: Abschlussfreiheit: Jeder ist frei in der Entscheidung, ob er einen Vertrag schließen will oder nicht. Partnerwahlfreiheit: Jeder ist frei in der Wahl des Vertragspartners. Inhaltsfreiheit: Die Inhalte des Vertrags können frei bestimmt werden. Formfreiheit: Grundsätzlich gibt es keine bestimmten Formvorschriften für einen Vertrag. Aufhebungsfreiheit/Rücktritt: Man kann sich auch wieder von Verträgen lösen. Die Vertragsfreiheit findet ihre Grenzen in den Vorschriften des geltenden Rechts, in gesetzlichen Verboten oder bei einem Verstoß gegen die guten Sitten. Beispielsweise ist die Inhaltsfreiheit eines Vertrages dadurch begrenzt, dass durch den Vertrag ein Vertragspartner oder Dritte nicht geschädigt werden dürfen. Bezüglich der Formfreiheit gibt es in bestimmten Anwendungsbereichen besondere Vorschriften. Beispielsweise ist für Grundstückskäufe eine gesetzlich festgelegte Form vorgeschrieben. Diese Einschränkungen der Vertragsfreiheit dienen letztlich einem einzigen Zweck: dem Schutz der Vertragsschließenden.
6.3
Maßgebliche Quellen des Vertragsrechts
Die Gesetze, die den rechtlichen Rahmen im Beschaffungsprozess vorgeben, sind im Wesentlichen das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) und das Handelsgesetzbuch (HGB).
Auftragsvergabe: Die Bestellung
107
Das BGB besteht aus fünf Büchern, wobei für die Beschaffung nur die ersten drei Bücher relevant sind: 1.
Allgemeiner Teil
2.
Recht der Schuldverhältnisse
3.
Sachenrecht
BGB und HGB traten im Jahre 1900 in Kraft und waren bis zur so genannten Schuldrechtsreform im Jahre 2002 nahezu unverändert gültig. Mit der Schuldrechtsreform erfuhr das BGB seine bis dahin größte Veränderung. Vereinfacht ausgedrückt kann man sagen, dass die Regelungen des BGB sehr „käuferfreundlich“ sind. Die Schuldrechtsreform hat in diesem Sinne sogar die Rechte der „Kunden“, insbesondere der Endverbraucher, noch gestärkt.
6.4
Wann kommt ein Vertrag zustande?
Diese Frage stellt sich häufig auch im Alltag. Jeder Einkauf im Supermarkt stellt ein Rechtsgeschäft dar, bei dem ein Vertrag geschlossen wird. Wann genau kommt dieser zustande? In der Regel erfolgen diese Einkäufe unproblematisch. Aber es kommt regelmäßig zu Diskussionen, wenn in einem Markt ein Produkt falsch ausgezeichnet ist. Der Kunde geht an die Kasse, dort wird der Preis des Produktes über den Strichcode eingelesen, und dieser Preis weicht von dem ausgezeichneten Preis ab. Welcher Preis ist nun der maßgebliche? Analysieren wir diesen Vorgang auf Basis juristischer Gegebenheiten. Ein entscheidender juristischer Begriff ist im Zusammenhang mit Vertragsabschlüssen ist die Willenserklärung.
Willenserklärung Eine Willenserklärung ist eine auf einen rechtlichen Erfolg gerichtete Willensäußerung. Der rechtliche Erfolg ist dann gegeben, wenn sich die beiden Vertragspartner einig sind – also ihre Willenserklärungen übereinstimmen – und der Vertrag abgeschlossen wird. Die Willenserklärung ist dabei ein unverzichtbarer Bestandteil dieses Rechtsgeschäfts.
In der Sprache der Juristen kommt ein Vertrag durch Antrag und Annahme zustande. Antrag und Annahme müssen dabei zwei gleich lautende Willenserklärungen sein.
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Wann kommt ein Vertrag zustande?
Antrag
Annahme
Im kaufmännischen Geschäftsverkehr werden die Begriffe Antrag und Annahme in der Regel nicht verwendet. Daher besteht für uns als Einkäufer die Schwierigkeit zu erkennen, wann ein solcher Antrag und die Annahme vorliegen und somit ein Vertrag zustande gekommen ist. Übertragen wir diesen juristisch formulierten Vorgang in unseren Beschaffungsprozess, gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie ein Vertrag zustande kommen kann.
Möglichkeit 1 Auf unsere Anfrage hin oder aus eigener Initiative heraus lässt uns ein Lieferant ein Angebot zukommen. Auf Grundlage dieses Angebots bestellen wir ein bestimmtes Produkt oder eine Dienstleistung. In diesem Fall entspricht der juristische Begriff Antrag dem kaufmännischen Begriff Angebot und die Annahme ist unsere Bestellung bzw. der Auftrag. Ein Vertrag ist zustande gekommen.
Möglichkeit 2 Unsere Bestellung unterscheidet sich von dem ursprünglichen Angebot. Der Vertrag ist erst dann geschlossen, wenn die Auftragsbestätigung des Lieferanten unsere Bestellung bestätigt. Ein Vertragsabschluss ist erfolgt.
Möglichkeit 3 Wie ist die Situation zu beurteilen, wenn der Lieferant keine Auftragsbestätigung schickt, den Auftrag aber entsprechend unserer gegenüber dem Angebot abgeänderten Bestellung ausführt? Dieses Verhalten des Lieferanten wird als stillschweigende Annahme gewertet, mit der er auf unseren erneuten Antrag (die vom Angebot abweichende Bestellung) reagiert. Man spricht in diesen Fällen von „konkludentem Handeln“.
Konkludente Handlung Eine konkludente Handlung (lat. schlüssig) ist eine die ausdrückliche Erklärung ersetzende Handlung, die auf einen bestimmten Willen schließen (konkludieren) lässt.
Auftragsvergabe: Die Bestellung
109
Möglichkeit 4 Selbstverständlich können wir auch eine Bestellung ohne Vorliegen eines konkreten Angebotes erteilen. Wiederum ist es so, dass ein Vertrag zustande kommt, wenn wir eine zu der Bestellung gleich lautende Auftragsbestätigung vom Lieferanten erhalten. Der juristische Begriff Antrag entspricht diesmal unserer Bestellung und die Annahme erfolgt durch die Auftragsbestätigung. Erhalten wir vom Lieferanten eine inhaltlich in wesentlichen Punkten abweichende Auftragsbestätigung, ist kein Vertrag zustande gekommen. Vielmehr ist diese Auftragsbestätigung wieder ein Antrag des Lieferanten, der unserer Annahme bedarf. Wir müssen also nachverhandeln und gegebenenfalls ganz von unserem Auftrag zurücktreten und einen anderen Lieferanten beauftragen, falls der ursprünglich ausgewählte unseren Anforderungen nicht nachkommen kann.
Beispiel Wie beurteilen wir nun abschließend die Situation in unserem Supermarkt? Ich wähle ein Produkt, das zu einem bestimmten Preis ausgezeichnet ist. An der Kasse wird der ScanCode eingelesen, und plötzlich erscheint ein anderer Preis im Display der Kasse. Ist der Markt nun verpflichtet, mir das Produkt zum ausgezeichneten Preis zu verkaufen? Die Antwort ist Nein. Denn eine solche Auszeichnung kann fehlerhaft sein, eventuell durch ein früheres Sonderangebot. Prinzipiell gilt, dass die Auslage der Ware in einem Supermarkt rechtlich nicht als verbindliches Angebot (bzw. als ein Antrag) gilt. Ich habe also in diesem Fall einen Antrag gestellt, die Ware zu dem ausgezeichneten Preis zu kaufen. Der Verkäufer kann dies jedoch ablehnen und stellt wiederum durch Einlesen des Scannercodes einen Antrag (bzw. macht ein erneutes Angebot), mir die Ware zu einem höheren Preis zu verkaufen. Ich bin jedoch auch nicht gezwungen, das Produkt dann zu erwerben und kann es an der Kasse zurücklassen. Somit hat sich keine übereinstimmende Willenserklärung ergeben. Es kommt also kein Vertrag zustande.
Entscheidend ist jedoch, dass dieses Beispiel nicht einfach auf andere Situationen, insbesondere hinsichtlich Vertragsabschlüssen zwischen Unternehmen, übertragbar ist. Angebote, die von Lieferanten auf eine Anfrage hin erstellt werden, sind für den Verkäufer verbindlich.
6.5
Kaufmännisches Bestätigungsschreiben
Häufig hört man das Argument, das Schweigen eines Verhandlungspartners gelte als Zustimmung. Ist das korrekt?
110
Kaufmännisches Bestätigungsschreiben
Wichtig Es gilt der Grundsatz: Schweigen gilt im Rechtsverkehr grundsätzlich nicht als Zustimmung, auch nicht unter Kaufleuten. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ergibt sich durch das kaufmännische Bestätigungsschreiben. Das Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben gilt als Einverständnis.
Es stellt sich nun die Frage, was als kaufmännisches Bestätigungsschreiben zu werten ist. In der Beschaffung kommt es häufig vor, dass der eigentliche Vertrag mündlich, häufig am Telefon geschlossen wird. Dabei werden in der Regel nur die wesentlichen Vertragsinhalte wie Preise, Mengen, Termine, Liefer- und Zahlungskonditionen vereinbart. Lässt im Anschluss an diese Verhandlung die eine Verhandlungspartei der anderen Partei ein Schriftstück mit den Inhalten der Verhandlung zukommen, handelt es sich dabei um ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben. An dieser Stelle muss man sich darüber im Klaren sein, dass nicht das kaufmännische Bestätigungsschreiben einen Vertrag zum Abschluss bringt, sondern es bestätigt einen bereits im Vorfeld telefonisch geschlossenen Vertrag. Dennoch ist es natürlich möglich, diesem Schreiben zu widersprechen, falls die Formulierungen des Bestätigungsschreibens Ihrer Meinung nach nicht genau die Inhalte Ihres Verhandlungsgespräches wiedergeben. Denn auch hier müssen die Willenserklärungen übereinstimmen, um einen Vertrag wirklich geschlossen zu haben.
Aspekte des kaufmännischen Bestätigungsschreibens Der Grundgedanke zum kaufmännischen Bestätigungsschreiben ist der, dass bei Geschäften unter Kaufleuten beide Verhandlungspartner ein Interesse an einer schnellen Vertragsabwicklung haben. Deshalb wird ihnen auch zugemutet, abweichende oder ergänzende Formulierungen zu den vorangegangenen mündlichen Absprachen in einem kaufmännischen Bestätigungsschreiben aufzudecken und gegebenenfalls unverzüglich zu widersprechen. Das Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben gilt daher als Zustimmung zu dem Inhalt des Schreibens und der Vertrag gilt als geschlossen.
Auftragsvergabe: Die Bestellung
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Dafür müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein: Die Vertragsparteien müssen Kaufleute sein. Dem Schreiben müssen Vertragsverhandlungen vorausgegangen sein. Das Schreiben bestätigt den Vertragsschluss unter Wiedergabe des Vertragsinhalts. Oft ist es in der täglichen Praxis nur schwer zu beurteilen, ob es sich bei dem erhaltenen Schriftstück um einen Antrag, eine Annahme oder um ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben handelt. Um hier sicherzugehen, sollten Sie als Einkäufer Folgendes beachten.
Praxistipp 1. 2.
3.
6.6
Behalten Sie das „Heft in der Hand“, und verfassen Sie nach einer mündlichen oder fernmündlichen Verhandlung das kaufmännische Bestätigungsschreiben. Erhalten Sie ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben vom Lieferanten, müssen Sie es unverzüglich prüfen und bei Abweichungen zu den vereinbarten Inhalten unverzüglich widersprechen. Dies gilt auch für den Fall, dass Sie ebenfalls zeitgleich ein Bestätigungsschreiben versendet haben. Auch bei Überschneidung von zwei Bestätigungsschreiben kann im Zweifel der Inhalt, den der Lieferant Ihnen mitgeteilt hat, verbindlich sein, wenn Sie nicht nochmals ausdrücklich seinem Schreiben widersprochen haben. Gehen Sie also nicht davon aus, dass automatisch Ihr zeitgleich verschicktes Schreiben verbindlich wird, sondern erstellen Sie im Zweifel ein weiteres, das gezielt dem Schreiben des Lieferanten widerspricht, sofern notwendig. Falls Sie sich nicht sicher sind, ob es sich bei einem Schriftstück des Lieferanten um einen Antrag, eine Annahme oder um ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben handelt, sollten Sie Inhalten, mit denen Sie nicht einverstanden sind, unverzüglich widersprechen und den Sachverhalt klarstellen. Insbesondere wenn Sie vorab bereits telefonisch über diesen Sachverhalt gesprochen haben, sollten Sie unverzüglich reagieren.
Die Auftragsbestätigung (AB)
Auf Ihre Bestellung hin wird der Lieferant in der Regel immer eine Auftragsbestätigung an Sie schicken. Als eines der wichtigsten Dokumente im Beschaffungsprozess erfüllt die Auftragsbestätigung mehrere Funktionen. Für Sie als Besteller ist die Auftragsbestätigung zunächst einmal eine Bestätigung, dass Ihre Bestellung beim Lieferanten eingegangen ist und der Lieferant Ihre Bestellung in seinen Geschäftsprozess aufgenommen hat und bearbeitet. Die rechtliche Bedeutung der Auftragsbestätigung als wichtiges Vertragsdokument haben wir bereits dargestellt. Sie kann entweder die Annahme einer Willenserklärung sein (Ihrer Bestellung), oder sie stellt einen neuen Antrag in Reaktion auf Ihre Bestellung dar, den Sie wiederum annehmen müssen, damit ein Vertrag zustande kommt.
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Die Auftragsbestätigung (AB)
Praxistipp Auftragsbestätigung Aufgrund der Bedeutung der Auftragsbestätigung als Vertragsdokument ist es ratsam, den Eingang von Auftragsbestätigungen terminlich zu überwachen und das Fehlen von Auftragsbestätigungen beim Lieferanten anzumahnen. Die modernen ERP-Systeme (EnterpriseResource-Planning-Systeme, wie z. B. SAP) verfügen über entsprechende Funktionen und zeigen Ihnen automatisch an, wann eine Auftragsbestätigung zu einer bestimmten Bestellung überfällig ist. Ansonsten empfehlen wir, sich alle Bestellungen ohne Auftragsbestätigung auf Wiedervorlage zu legen und spätestens nach fünf bis zehn Werktagen das Fehlen der Auftragsbestätigung beim Lieferanten anzumahnen.
Worauf sollten Sie bei der Prüfung der Auftragsbestätigung unbedingt achten?
Checkliste zur Prüfung einer Auftragsbestätigung 9 Bezeichnung des Liefergegenstandes 9 Qualitätsangaben 9 Liefertermin 9 Bestellmenge 9 Preis je Mengeneinheit und Gesamtpreis 9 Lieferbedingung 9 Zahlungsbedingung 9 Allgemeine Geschäftsbedingungen
Bearbeitung von Auftragsbestätigungen Prüfen Sie jede Auftragsbestätigung genau und widersprechen Sie Abweichungen zu Ihrer Bestellung. Achten Sie besonders auf Formulierungen im Zusammenhang mit den Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Lieferanten, und stellen Sie im Zweifel schriftlich klar, welche Bedingungen gelten sollen (vgl. auch Kapitel 6.7). Auftragsbestätigungen sind Vertragsdokumente und haben Beweiskraft. Legen Sie Auftragsbestätigungen deshalb geordnet und sicher ab.
Der Aufwand zur Bearbeitung von Auftragsbestätigungen kann erheblich sein. Die Auftragsbestätigungen der verschiedenen Lieferanten unterscheiden sich oft deutlich im Aufbau und dem Umfang der Angaben. Die Angaben, die Sie zur Zuordnung der Bestellung und zur
Auftragsvergabe: Die Bestellung
113
Bearbeitung der Auftragsbestätigung brauchen, sind oft an unterschiedlichen Stellen in dem Dokument aufgeführt oder fehlen im schlimmsten Fall komplett. Am einfachsten lässt sich für Sie die Auftragsbestätigung bearbeiten, wenn Sie Ihrer Bestellung eine Bestellkopie als Auftragsbestätigung beifügen und dem Lieferant auftragen, dass er genau diese Bestellkopie als Auftragsbestätigung gegengezeichnet wieder an Sie zurückschickt. In diesem Fall können Sie ganz sicher sein, dass genau die vereinbarten und in der Bestellung angegebenen Bedingungen zur Anwendung kommen. Allerdings wird sich diese Methode nur in ausgewählten Einzelfällen durchführen lassen.
Formulierungsvorschlag Formulierungsbeispiel für eine Bestellkopie als Auftragsbestätigung: Bitte lassen Sie uns die beigefügte Kopie der Bestellung mit einer rechtsverbindlichen Unterschrift wieder als Auftragsbestätigung zukommen.
Um den Beschaffungsprozess weiter zu optimieren, zeichnen sich im Zusammenhang mit Auftragsbestätigungen in der industriellen Beschaffung zwei Trends ab: Die Geschäftspartner vereinbaren z. B. in einem Rahmenvertrag, dass Auftragsbestätigungen nur noch dann versendet werden, wenn Abweichungen von der Bestellung vorgenommen werden sollen. Durch die Vernetzung der ERP-Systeme von Kunden und Lieferanten werden die Daten der Auftragsbestätigung automatisch in Ihr ERP-System eingespielt und dem zuständigen Einkäufer die Abweichungen von der Bestellung elektronisch zur Freigabe vorgelegt.
6.7
Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB)
Im Geschäftsverkehr unter Kaufleuten, aber auch gerade bei Geschäften mit dem Endverbraucher kommen regelmäßig vorformulierte Vertragsbedingungen, die so genannten Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB), zur Anwendung. Derjenige, der mit vorformulierten Vertragsbedingungen konfrontiert wird, ist im Nachteil gegenüber demjenigen, der die Bedingungen wohl bedacht und vielleicht zu seinen Gunsten vorformuliert hat. Der Gesetzgeber hat diesem Umstand Rechnung getragen und hat gesetzliche Regelungen entwickelt, die an vorformulierte Vertragsbedingungen bestimmte Anforderungen stellen und sie einer strengen inhaltlichen Kontrolle unterwerfen. Diese Anforderungen wurden bis zur Schuldrechtsmodernisierung im Jahr 2002 im „Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB-Gesetz)“ festgelegt. Seitdem sind diese Regelungen in den
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Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB)
§§ 305 bis 310 BGB geregelt. Nicht alle Regelungen, die das BGB an dieser Stelle aufführt, sind auf Kaufverträge zwischen Unternehmen anwendbar. Viele sollen insbesondere den Endverbraucher vor der Willkür der Verkäufer schützen. Kommen wir zurück auf unsere Beschaffungspraxis im Unternehmen. Sie werden sich sicherlich schon einmal gefragt haben, ob die AGB des Lieferanten, die auf der Rückseite seiner Formulare klein aufgedruckt sind, auf Ihren mit ihm geschlossenen Vertrag Anwendung finden. Einige Details, die dort konkret geregelt sind, haben Sie entweder gar nicht oder abweichend diskutiert. Was ist nun gültig?
Wann sind Allgemeine Geschäftsbedingungen gültig? Um Allgemeine Geschäftsbedingungen in Verträgen wirksam werden zu lassen, müssen sie einbezogen werden. Das bedeutet, dass sich die Vertragsparteien darüber einig sind, dass die Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Einkäufers, des Verkäufers oder beide dem Geschäft zugrunde liegen sollen. Ein reines Beilegen der Geschäftsbedingungen oder das „Kleingedruckte“ auf der Rückseite von kaufmännischen Dokumenten wie Auftragsbestätigungen, Rechnungen und Lieferscheinen reichen nicht aus, um sie einzubeziehen. Vielmehr muss auf der Vorderseite der Vertragsdokumente ein deutlicher Hinweis erfolgen, dass bestimmte Geschäftsbedingungen gelten sollen.
Beispiel „Es gelten ausschließlich unsere Ihnen bekannten Einkaufsbedingungen.“
Hinweis Im kaufmännischen Geschäftsverkehr ist es nicht notwendig, dass die Allgemeinen Geschäftsbedingungen beigefügt werden. Es ist ausreichend, wenn die Bedingungen bereitgehalten und auf Anforderung dem Interessierten zur Verfügung gestellt werden.
In der Regel enthalten sowohl die Allgemeinen Einkaufsbedingungen des Einkäufers wie auch die Allgemeinen Verkaufsbedingungen des Verkäufers so genannte qualifizierte Abwehrklauseln, die verhindern sollen, dass die Allgemeinen Bedingungen der jeweils anderen Vertragspartei zur Anwendung kommen sollen.
Auftragsvergabe: Die Bestellung
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Beispiel „Andere Bedingungen, z. B. Verkaufs- und Lieferbedingungen, werden nicht Vertragsinhalt, auch wenn wir ihnen nicht ausdrücklich widersprechen.“
Enthalten die Allgemeinen Verkaufsbedingungen des Lieferanten eine ähnliche Klausel, stellt sich natürlich die Frage, welche AGB nun überhaupt zum Tragen kommen und ob der Vertrag letztlich zustande gekommen ist. Denn zu jedem Unterpunkt in den Einkaufsbedingungen wird ein gegensätzlich formulierter Unterpunkt in den Verkaufsbedingungen stehen. Der Gesetzgeber hat für dieses Problem in § 306 BGB eine praktikable Lösung gefunden.
Welche AGB gelten? § 306 Absatz 1 BGB: „Sind Allgemeine Geschäftsbedingungen ganz oder teilweise nicht Vertragsbestandteil geworden oder unwirksam, so bleibt der Vertrag im Übrigen wirksam.“
Welche Regelungen kommen dann zur Anwendung? 1.
Vorrangig gelten zunächst die zwischen den Vertragsparteien individuell getroffenen Vereinbarungen.
2.
Danach gelten solche Regelungen, die in den Allgemeinen Bedingungen beider Parteien zufällig übereinstimmen.
3.
In allen anderen Fällen richtet sich der Vertrag nach den gesetzlichen Regelungen des BGB und HGB.
Diese Vorgehensweise setzt jedoch wie bereits erläutert voraus, dass die AGB keiner der beiden Vertragsparteien im Vertrag ausdrücklich miteinbezogen wurden. Im Zusammenhang mit den gesetzlichen AGB-Regelungen weisen wir an dieser Stelle noch auf einen bei der Beschaffung häufig vorkommenden Umstand hin. Aufgrund der Vielzahl von gleichartigen Geschäften bei der Beschaffung kann man davon ausgehen, dass oft auch gleiche Vertragsbedingungen zur Anwendung kommen. Vielleicht haben Sie sich für Ihre Bestellungen oder Verträge eine Vorlage entwickelt, die Sie für Ihre Bestellungen immer wieder verwenden. Einige Punkte Ihrer Vorlage werden Sie dann sicher dem konkreten Beschaffungsfall anpassen, andere Vertragsbedingungen werden Sie unverändert aus Ihrer Vorlage übernehmen. Im Sinne einer effizienten Vertragsgestaltung ist diese Vorgehensweise sicher richtig. Allerdings besteht dann die Gefahr, dass es sich im konkreten Fall nicht um einen Individualvertrag, sondern um vorformulierte Vertragsbedingungen handelt, die inhaltlich der Kontrolle der AGB-Regelungen unterliegen. Die Folge kann z. B. sein, dass einzelne Klauseln oder der
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Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB)
gesamte Vertrag nicht oder nur in veränderter Form gelten. Ein in diesem Zusammenhang immer wieder genanntes Beispiel sind Vereinbarungen von Vertragsstrafen in Bauverträgen. Bei der Auslegung, ob es sich beim vorliegenden Vertrag um einen vorformulierten Vertrag handelt, sind die zur Anwendung kommenden gesetzlichen Kriterien sehr streng. Für das Gesetz handelt es sich bereits um eine AGB-Klausel, wenn der Verwender die Klausel in der Absicht erstellt, sie mehrfach zu verwenden (vgl. § 305 BGB). Will man sicher sein, dass einzelne Vertragsklauseln nicht den gesetzlichen AGB-Regelungen unterliegen, müssen diese Klauseln zwischen den Vertragsparteien individuell ausgehandelt werden. Auch an das Aushandeln sind strenge Kriterien geknüpft. Es reicht demnach nicht aus, wenn die jeweilige Klausel etwa in einem Vergabegespräch nur angesprochen wird. Vielmehr verlangt das Gesetz, dass der Verwender der Klausel diese ernsthaft anspricht und aktiv zum Gegenstand der Verhandlung macht. Dadurch hat der Verhandlungspartner die Möglichkeit, diese inhaltlich abzuändern.
Praxistipp Die Vertragsunterlagen müssen eine qualifizierte Abwehrklausel enthalten (s. o.). Die für den Vertrag wichtigen Punkte sollten individuell ausgehandelt und schriftlich vereinbart werden.
Wie können Allgemeine Geschäftsbedingungen aussehen? Frau Joost hat gemeinsam mit einem Fachanwalt für Vertragsrecht die folgenden Einkaufsbedingungen für die Muster GmbH erarbeitet.
1.
Rechtsbeziehung Für die Rechtsbeziehungen zwischen dem Auftragnehmer und der Muster GmbH gelten diese Einkaufsbedingungen. Hiervon abweichende Bedingungen gelten nur, wenn wir diese schriftlich anerkannt haben. Entgegenstehende Bedingungen des Auftragnehmers gelten auch dann nicht, wenn wir ihnen im Einzelfall nicht widersprechen. Sollte eine Bestimmung dieser Einkaufsbedingungen unwirksam sein oder werden, so wird dadurch die Gültigkeit der sonstigen Bestimmungen nicht berührt.
2.
Widerruf Nimmt der Auftragnehmer die Bestellung nicht innerhalb von zwei Wochen an, so sind wir zum Widerruf berechtigt.
Auftragsvergabe: Die Bestellung
3.
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Schriftform Nur schriftlich erteilte Bestellungen sind für uns verbindlich. Änderungen und/oder Ergänzungen dieser Bedingungen und der getroffenen weiteren Vereinbarungen bedürfen der Schriftform. Auf dieses Formerfordernis kann nur schriftlich verzichtet werden.
4.
Termine und Fristen Vereinbarte Fristen und Termine sind verbindlich. Sind Verzögerungen zu erwarten oder eingetreten, so hat der Auftragnehmer die Muster GmbH unverzüglich zu benachrichtigen. Auf eine vom Auftragnehmer nicht zu vertretende Verzögerung kann sich der Auftragnehmer nur dann berufen, wenn er seiner Anzeigepflicht nachgekommen ist. Vorzeitige Lieferung sowie Teillieferungen bedürfen unserer vorherigen Zustimmung. Von Unterlieferanten des Auftragnehmers zu vertretende Verzögerungen gelten als vom Auftragnehmer zu vertreten.
5.
Unterbeauftragung Unterbeauftragte dürfen nur nach schriftlicher Zustimmung durch die Muster GmbH zur Auftragsdurchführung eingesetzt werden.
6.
Vorschriften Der Auftragnehmer wird bei der Leistungserbringung die am Verwendungsort der Lieferung geltenden Normen, Gesetze und Vorschriften wie z. B. DIN, Sicherheits- und Unfallverhütungsvorschriften einhalten. Der Auftragnehmer ist verpflichtet, der Muster GmbH unverzüglich schriftlich mitzuteilen, ob und inwieweit für die Lieferung staatliche Ausfuhrgenehmigungen erforderlich oder ähnliche gesetzliche oder behördliche Auflagen zu erfüllen sind.
7.
Preise Die vereinbarten Preise sind Festpreise und schließen alle zur Auftragsdurchführung notwendigen Aufwendungen ein.
8.
Zahlung Zahlungen bedeuten keine Anerkennung der Lieferung oder Leistung als vertragsgemäß. Die Zahlungsfrist beginnt mit dem Eingang der prüfbaren Rechnung bei uns oder mit Übernahme der Lieferung oder Leistung, je nachdem welches Datum das spätere ist. Rechnungen mit fehlerhafter Angabe der Bestellnummer sind für uns nicht prüfbar. Unsere Zahlungen erfolgen mit einem Zahlungsmittel unserer Wahl.
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Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB)
Aufrechnungs- sowie Zurückbehaltungsrechte stehen der Muster GmbH im gesetzlichen Umfang zu. Der Auftragnehmer ist nicht berechtigt, Forderungen, die ihm gegen uns zustehen, abzutreten oder durch Dritte einziehen zu lassen. Die Regelung des § 354a HGB bleibt davon unberührt. 9.
Beistellungen Von der Muster GmbH beigestellte Waren, Werkzeuge, Vorrichtungen oder Ähnliches bleiben unser Eigentum. Bei Verarbeitung, Verbindung, Vermischung von Beistellungen erhalten wir im Verhältnis des Wertes der Beistellung zum Wert des Gesamterzeugnisses Miteigentum an dem neuen Erzeugnis.
10.
Betriebsordnung Alle Personen, die Arbeiten auf dem Gelände der Muster GmbH ausführen, haben die Bestimmungen der Betriebsordnung und die Sicherheitsbestimmungen zu beachten.
11.
Gewährleistung für Sach- und Rechtsmängel Der Auftragnehmer leistet Gewähr, dass seine Lieferungen und Leistungen dem Stand der Technik entsprechen, die vereinbarten Beschaffenheiten aufweisen, die garantierten Eigenschaften haben und sach- und rechtsmängelfrei sind. Die Muster GmbH kann nach ihrer Wahl vom Auftragnehmer Nachbesserung oder Neulieferung verlangen. Der Auftragnehmer trägt alle uns durch die mangelhafte Leistung mittelbar und unmittelbar entstehenden Schäden und Aufwendungen. Die Muster GmbH ist auch berechtigt, auf Kosten und Risiko des Auftragnehmers die Mängelbeseitigung selbst vorzunehmen oder durch Dritte vornehmen zu lassen, falls Gefahr in Verzug ist, zur Schadensminderung, zur Beseitigung geringfügiger Mängel oder eine angemessene Nachfrist zur Mängelbeseitigung erfolglos verstrichen ist oder eine Nacherfüllung fehlgeschlagen ist. Die Gewährleistungsfrist beträgt 24 Monate ab Gefahrenübergang. Die Gewährleistungsfrist für Arbeiten an Grundstücken und für Bauwerke beträgt fünf Jahre ab Abnahme. Für Nachbesserungen oder Ersatzlieferungen gelten die vorliegenden Gewährleistungsbestimmungen. Die Gewährleistungsfrist von 24 Monaten bzw. fünf Jahren bei Bauwerken für Nachbesserungen oder Ersatzlieferungen beginnt mit Entgegennahme der mangelfreien Lieferung oder Leistung erneut zu laufen. Die uns zustehenden gesetzlichen Ansprüche und Rechte bleiben im Übrigen unberührt.
Auftragsvergabe: Die Bestellung
12.
119
Schutzrechte Dritter Der Auftragnehmer garantiert, dass sämtliche Lieferungen frei von Schutzrechten Dritter (z. B. Patente, Lizenzen) sind und durch die Lieferung und Nutzung der Liefergegenstände Schutzrechte Dritter nicht verletzt werden. Der Auftragnehmer stellt die Muster GmbH von sämtlichen Ansprüchen von Dritten, gleich aus welchem Rechtsgrund, frei.
13.
Vertraulichkeit Der Auftragnehmer wird die ihm von der Muster GmbH überlassenen Informationen und Gegenstände wie Zeichnungen, Modelle, Muster, Beistellungen u. Ä. geheim halten, Dritten nicht ohne unsere schriftliche Zustimmung überlassen oder zugänglich machen und nicht für andere als die von uns bestimmten Zwecke verwenden. Die Vervielfältigung solcher Informationen und Gegenstände ist nur im Rahmen der Auftragsdurchführung für die Muster GmbH unter Beachtung der urheberrechtlichen Bestimmungen zulässig. Befugte Dritte (z. B. Unterauftragnehmer) sind entsprechend zu verpflichten. Der Auftragnehmer hat die ihm überlassenen Informationen und Gegenstände sowie deren Vervielfältigungen mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns zu verwahren und nach Auftragsdurchführung oder auf unser Verlangen hin jederzeit zurückzugeben bzw. zu vernichten. Der Auftragnehmer darf nur mit unserer vorherigen schriftlichen Zustimmung mit der Geschäftsverbindung zur Muster GmbH werben. Der Auftragnehmer darf den Firmennamen und die Marke der Muster GmbH nicht ohne schriftliche Zustimmung der Muster GmbH verwenden.
14.
Kündigung Unbeschadet der gesetzlichen Kündigungs- und Rücktrittsrechte sind wir berechtigt, bei Vorliegen eines wichtigen Grundes von dem Vertrag ganz oder teilweise zurückzutreten. Im Falle einer Kündigung durch uns erhält der Auftragnehmer höchstens den Teil der Vergütung, der der bis dahin vertragsgemäß erbrachten Leistungen entspricht.
15.
Erfüllungsort Erfüllungsort für alle Lieferungen und Leistungen ist der jeweils angegebene Bestimmungsort.
16.
Recht, Gerichtsstand Es gilt deutsches Recht. Ausschließlicher Gerichtsstand ist Musterstadt. Wir sind jedoch berechtigt, den Auftragnehmer auch an einem anderen zuständigen Gericht zu verklagen.
Abbildung 14: Einkaufsbedingungen der Muster GmbH
120
Vertragsarten
Praxistipp Auch wenn Sie nicht direkt planen, für Ihr Unternehmen Allgemeine Einkaufsbedingungen zu erstellen, können Sie die hier aufgeführte AGB nutzen, um sich eine Checkliste für wichtige Verhandlungspunkte zu erstellen. Die ABG der Muster GmbH umfassen wesentliche bereits von uns im Einzelnen erläuterte wichtige Vertragsbestandteilen wie z. B. Vereinbarung der Schriftform, Beauftragung von SubUnternehmern, Regelung des Gefahrenübergangs, Definition des Erfüllungsortes usw.
6.8
Vertragsarten
Obwohl im deutschen Recht Vertragsfreiheit herrscht, gibt es einige Vertragstypen, die gesetzlich geregelt sind und somit den Vertragspartnern eine gewisse Sicherheit bieten. Die im Beschaffungsprozess am häufigsten verwendeten Vertragstypen sind im BGB geregelt. Nachfolgend werden wir die wesentlichen Kriterien dieser ausgewählten Vertragstypen näher erläutern. Im Zusammenhang mit den nachfolgenden Erläuterungen zu den Vertragsarten werden oft unterschiedliche Begriffe wie Besteller und Lieferant usw. verwendet. Leider gibt es weder in der Beschaffungspraxis noch in den Rechtsquellen (z. B. BGB) eine eindeutige „Sprachregelung“ zur Verwendung der Begriffe. In der Abbildung 15 haben wir zur Orientierung die relevanten Begriffspaare so zusammengestellt, wie sie in der Regel verwendet werden.
In Beschaffungsverträgen allgemein
Auftragnehmer (AN)
Auftraggeber (AG)
Juristischer Begriff im Kaufvertrag
Verkäufer
Käufer
Juristischer Begriff im Werkvertrag
(Werk-) Unternehmer
Besteller
In der Beschaffungspraxis
Lieferant
Kunde, Besteller
Abbildung 15: Unterschiedliche Bezeichnung der Vertragspartner
Auftragsvergabe: Die Bestellung
6.8.1
121
Kaufvertrag (§ 433 ff. BGB)
Rechte und Pflichten aus dem Kaufvertrag Durch den Kaufvertrag wird der Verkäufer einer Sache verpflichtet, dem Käufer die Sache zu übergeben und das Eigentum an der Sache zu verschaffen. Dabei muss die Sache frei von Sach- und Rechtsmängeln sein. D. h., die zu übergebende Sache darf nicht beschädigt oder mangelhaft sein. Zudem darf keine weitere Person neben dem Verkäufer noch Rechte daran haben. Der Käufer ist verpflichtet, dem Verkäufer den vereinbarten Kaufpreis zu zahlen und die gekaufte Sache abzunehmen.
Sowohl für jeden Einzelnen von uns als Endverbraucher als auch für den Einkaufsprofi im Unternehmen ist der Kaufvertrag sicher der am häufigsten geschlossene Vertrag. Zu beachten ist allerdings, dass die Vertragsfreiheit auch gerade beim Kaufvertrag gegenüber dem Endverbraucher stark eingeschränkt ist. Positiv ausgedrückt, werden wir als Endverbraucher durch die Vorschriften des Verbrauchsgüterkaufs (§§ 474 ff. BGB) stärker geschützt. Diese Vorschriften gelten in der Beschaffungspraxis bei Kaufverträgen zwischen Unternehmen nicht.
6.8.2
Werkvertrag (§ 631 ff. BGB)
Von besonderer Bedeutung in der Beschaffungspraxis ist neben dem Kaufvertrag der sehr häufig abgeschlossene Werkvertrag.
Rechte und Pflichten aus dem Werkvertrag Durch den Werkvertrag wird der Unternehmer zur Herstellung des versprochenen Werkes, der Besteller zur Entrichtung der vereinbarten Vergütung verpflichtet. Gegenstand des Werkvertrags kann sowohl die Herstellung oder Veränderung einer Sache als auch ein anderer durch Arbeit oder Dienstleistung herbeizuführender Erfolg sein.
Im Unterschied zum Kaufvertrag wird beim Werkvertrag konkret eine Abnahme des Werkes verlangt. Der Besteller ist also per Gesetz verpflichtet, die erbrachte Leistung – „das Werk“ – abzunehmen. Als Voraussetzung für die Abnahme muss das Werk als „im Wesentlichen vertragsgemäß“ beurteilt werden. Fehlen wesentliche vertraglich vereinbarte Merkmale des Werkes, muss der Besteller die Abnahme nicht erteilen. Der Auftragnehmer hat somit seine Vertragspflicht noch nicht erfüllt.
Typische Werkverträge sind alle Arten von Handwerkerleistungen, Bauverträge, Reparaturaufträge usw.
122
Vertragsarten
Beispiel Der Vertrag zur Erstellung einer Werbebroschüre durch eine Agentur ist beispielsweise ein Werkvertrag. Denn es geht nicht nur darum, dass die Agentur eine bestimmte Anzahl von Stunden mit der Konzeption und Erstellung der Broschüre verbringt. Die Ideen des Auftraggebers, welche Produkte beworben werden sollen, welche Fotos verwendet werden sollen usw., müssen durch die Agentur umgesetzt werden. Doch diese Leistungen müssen auch konkret im Auftrag beschrieben sein, damit die Mitarbeiter der Agentur wissen, was sie umsetzen müssen. Daraus müssen auch die Kriterien für die „Erfolgsmessung“ hervorgehen, also was seitens der Agentur geleistet werden muss, damit eine Leistungsabnahme erfolgreich verläuft.
6.8.3
Dienstvertrag (§ 611 BGB)
Im Unterschied zum Werkvertrag, durch den der Werkunternehmer einen Erfolg schuldet, schuldet der Dienstleister beim Dienstvertrag lediglich die Erbringung des Dienstes.
Rechte und Pflichten aus dem Dienstvertrag Durch den Dienstvertrag wird derjenige, der Dienste zusagt, zur Leistung der versprochenen Dienste, der andere Teil zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet. Gegenstand des Dienstvertrags können Dienste bzw. Dienstleistungen jeder Art sein.
Beispiel Der Vertrag mit einem Steuerberater ist beispielsweise ein Dienstleistungsvertrag. Sofern Ihr Unternehmen auf dessen Beratung zurückgreift, um einzelne Sachverhalte bewerten zu lassen, wird der Steuerberater die von ihm benötigte Anzahl von Arbeitsstunden zur Klärung dieser Sachverhalte in Rechnung stellen. Zu welchem Ergebnis er dabei kommt, ist für Sie ungewiss.
Dienstverträge werden üblicherweise z. B. mit Rechtsanwälten und Beratern geschlossen. Sie schulden dann eine Beratungsleistung, die nach Stundensätzen abgerechnet wird. Ein Erfolg im Sinne eines konkret gelieferten Werkes wird hier nicht erwartet, denn dieses „Werk“ – also das Beratungsergebnis – ist nicht im Vorhinein definierbar.
Auftragsvergabe: Die Bestellung
6.8.4
123
Abgrenzung Werkvertrag, Dienstvertrag und Arbeitnehmerüberlassung
In vielen Unternehmen wird die Abgrenzung von Werkvertrag, Dienstvertrag und Arbeitnehmerüberlassung nicht ausreichend vorgenommen. Vielen Mitarbeitern, die verschiedene Beschaffungen vornehmen, aber auch Personalern ist diese Abgrenzung häufig nicht klar. Doch die Stichworte „Verdeckte Arbeitnehmerüberlassung“ und „Scheinselbstständigkeit“ tauchen immer häufiger auf. Sie beschreiben den Umstand einer rechtswidrigen Beschäftigung von Fremdkräften. Ist ein solcher Einsatz von Fremdkräften nicht rechtskonform gestaltet, kann es für das Unternehmen im Rahmen von Betriebsprüfungen zu unerwarteten Geldstrafen und Nachzahlungen kommen. Es ist durchaus normal, dass in den Unternehmen fremdes Personal zur Durchführung eines bestimmten Auftrags eingesetzt wird. Für die Beschaffung dieses fremden Personals gibt es mehrere vertragliche Gestaltungsmöglichkeiten. Im Folgenden grenzen wir die Beauftragungen auf Basis von Werkverträgen, Dienstverträgen und Arbeitnehmerüberlassungen voneinander ab. Die besondere Problematik für die Beschaffung liegt hierbei in der sauberen Abgrenzung und Beurteilung, welche vertragliche Variante im konkreten Beschaffungsvorgang vereinbart ist. Denn in vielen Fällen ist nicht eindeutig festzumachen, ob ein Dienstleistungsvertrag als Dienstvertrag oder als Werkvertrag vereinbart ist oder ob es sich gar um illegale (so genannte „verdeckte“) Arbeitnehmerüberlassung handelt. Bei der Beschaffung von Dienstleistungen ist der Einkäufer regelmäßig mit der Aufgabe konfrontiert zu entscheiden, ob er die Dienstleistung als Dienstvertrag oder Werkvertrag beauftragen soll.
124
Vertragsarten
Zum besseren Verständnis stellen wir die relevanten Unterschiede gegenüber.
Kriterium
Werkvertrag
Dienstvertrag
Erfolg/Ergebnis
Konkret definiert
Nicht definiert
Vergütung
Erfolgsabhängig
Nur für erbrachte Dienste
Nur wenn die Leistung vereinbarungsgemäß erbracht wurde, muss gezahlt werden
Leistungen werden erbracht, deren Ergebnis nicht eindeutig definiert ist
Übernimmt Werkunternehmer/Auftragnehmer
Keine Gewährleistung durch Auftragnehmer
Gewährleistung
Aufwand zur Recht hoch Vertragsgestaltung Die zu erbringenden Leistungen (der Erfolg) müssen genau spezifiziert werden
Recht gering Konkreter Erfolg pro Teilleistung muss nicht definiert werden
Es wird deutlich, dass der Werkvertrag aus Einkäufersicht klare Vorteile hat.
Praxistipp Wann immer möglich sollte eine Dienstleistung als Werkvertrag vereinbart werden.
Die Ausarbeitung eines Werkvertrages ist jedoch durchaus zeitaufwändig. Aufwand und Nutzen hinsichtlich der Vorbereitung eines solchen Werkvertrages müssen deshalb sorgfältig abgewogen werden. In keinem Fall ist es ausreichend, wenn der Vertrag als „Werkvertrag“ bezeichnet wird. Vielmehr ist entscheidend, dass die Inhalte des Vertrags und die Vertragsabwicklung die typischen Merkmale des Werkvertrags deutlich erkennen lassen. Von besonderer Bedeutung ist diese Beurteilung im Zusammenhang und zur Abgrenzung mit der so genannten Arbeitnehmerüberlassung. Zeitarbeitsverhältnisse bzw. Arbeitnehmerüberlassungen sind im Gesetz zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung (AÜG) geregelt.
Auftragsvergabe: Die Bestellung
125
Arbeitnehmerüberlassung Bei der Arbeitnehmerüberlassung überlässt ein Arbeitgeber (Verleiher/Zeitarbeitsunternehmen) einem Dritten (Entleiher = Besteller) einen oder mehrere Arbeitnehmer (Leiharbeitnehmer) zur Arbeitsleistung (vgl. § 1 Absatz 1 AÜG).
Das AÜG dient dem Schutz des Leiharbeitnehmers. Die Einhaltung der arbeitsrechtlichen und sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften unterliegen in diesem „Dreiecksverhältnis“ einem besonderen Regelungsbedarf.
Entleiher
Überlassungsvertrag
Verleiher
Kein direkter Vertrag
Leiharbeitnehmer Anstellungsvertrag
Abbildung 16: Arbeitnehmerüberlassung Verstöße gegen das AÜG haben auch gerade für das Unternehmen des Bestellers weitgehende rechtliche Konsequenzen. Daher haben Sie als Einkäufer die besondere Verantwortung, einen Werk- oder Dienstvertrag von einer Arbeitnehmerüberlassung zu unterscheiden. Dies ist unkritisch, wenn Sie direkt mit einer Zeitarbeitsfirma eine Arbeitnehmerüberlassung vereinbaren.
126
Vertragsarten
Hierbei sollten Sie allerdings Folgendes beachten:
VORSICHT Wer gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung betreiben will, braucht nach § 2 AÜG eine entsprechende Erlaubnis, die nach den strengen Kriterien des AÜG durch die Bundesagentur für Arbeit geprüft und erteilt wird. Besitzt der Verleiher diese Erlaubnis nicht, ergibt sich aus dem AÜG, dass zwischen dem Unternehmen des Bestellers und dem Leiharbeitnehmer ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen ist. Das bedeutet u. a. auch, dass der Besteller die Sozialversicherungsbeiträge des Leiharbeitnehmers zu entrichten hat. Im Übrigen ist der Leiharbeitnehmer den Arbeitnehmern des Bestellunternehmens gleichzustellen und ihm sind alle Vergünstigungen und Vergütungen zu gewähren. Weiter wird dieser Sachverhalt nach § 16 Absatz 1 Nr. 1 und 1a AÜG als Ordnungswidrigkeit gewertet. Die Geldbußen nach § 16 AÜG können bis zu 25.000 Euro betragen.
Wichtig Lassen Sie sich also immer eine Kopie der Überlassungslizenz aushändigen und legen Sie diese Ihren Auftragsunterlagen bei.
Unproblematisch ist seit dem 1. Januar 2004 die Dauer einer Arbeitnehmerüberlassung. Es gibt kein Begrenzung mehr, so dass Sie einen Leiharbeitnehmer über 24 Monate hinweg (frühere Höchstgrenze für Arbeitnehmerüberlassungen) in Ihrem Unternehmen einsetzen können. Als Hilfe zur Beurteilung und Abgrenzung der unterschiedlichen Vertragsarten hat die Bundesagentur für Arbeit in einem Merkblatt Abgrenzungsmerkmale definiert. Wir haben sie in den nachfolgenden Checklisten zusammengefasst
Checkliste: Typische Merkmale des Werkvertrags 9 Vereinbarung und Erstellung eines konkret bestimmten Werkergebnisses bzw. Veränderung einer Sache 9 Eigenverantwortliche Organisation aller sich aus der Vertragsannahme ergebenden Handlungen durch den Werkunternehmer (unternehmerische Dispositionsfreiheit, auch in zeitlicher Hinsicht; keine Einflussnahme des Bestellers auf Anzahl und Qualifikation der am Werkvertrag beteiligten Arbeitnehmer; in der Regel keine Arbeitsmittel)
Auftragsvergabe: Die Bestellung
127
9 Weisungsrecht des Werkunternehmers (nicht des Bestellers) gegenüber seinen in Betrieben des Bestellers tätigen Arbeitnehmern, keine Eingliederung in die Arbeitsabläufe oder den Produktionsprozess des Bestellerbetriebs 9 Tragen des Unternehmerrisikos durch den Werkunternehmer, insbesondere Gewährleistung für Mängel des Werkes, Erlöschen der Zahlungspflicht des Bestellers bei zufälligem Untergang des Werkes 9 Ergebnisbezogene Vergütung, grundsätzlich keine Abrechnung nach Zeiteinheiten
Checkliste: Typische Merkmale des Dienstvertrags 9 Der Auftragnehmer führt die beauftragten Dienste unter eigener Verantwortung aus (Organisation der Dienstleistung, zeitliche Disposition, Zahl der Erfüllungsgehilfen, Eignung der Erfüllungsgehilfen usw.). 9 Die Erfüllungsgehilfen sind in Bezug auf die Ausführung der zu erbringenden Dienstleistungen im Wesentlichen frei von Weisungen seitens der Repräsentanten des Bestellunternehmens. Schwierig wird es nun, wenn eine Fachabteilung eine Dienstleistung beauftragen will, die nicht eindeutig als Werk- oder Dienstvertrag formuliert werden kann.
Beispiel Frau Joost von der Muster GmbH wird von ihrem Kollegen, dem IT-Manager, um Rat gefragt. Die Computer der Muster GmbH sollen allesamt im Rahmen eines Roll-OutProjektes ausgetauscht werden. Da hierdurch jedoch die Mitarbeiter so wenig wie möglich in ihrem Arbeitsablauf gestört werden sollen, benötigt er Unterstützung durch eine Aushilfe, die ihm hilft, die Rechner aufzusetzen und bei den Mitarbeitern anzuschließen. Der ITManager hat gute Kontakte zu einem IT-Dienstleister, dessen Mitarbeiter bei akuten ITProblemen in den Unternehmen seiner Kunden zum Einsatz kommen. Diese Techniker werden dann zu einem vorher definierten Stundensatz abgerechnet. Kann nun solch ein Mitarbeiter auf Basis eines Werk- oder Dienstvertrages als Hilfskraft für das Roll-OutProjekt beauftragt und entsprechend der aufgewendeten Stunden entlohnt werden? Der Einsatz würde vom IT-Manager koordiniert, der dem Techniker je nach akutem Bedarf Aufgaben zuweisen würde.
128
Vertragsarten
Frau Joost schätzt die Situation auf Basis der erläuterten Merkmale ein:
Liegt ein Werkvertrag vor? Definition eines bestimmten Werkergebnisses
Nein, bedarfsorientierter Einsatz des Fremdmitarbeiters
Eigenverantwortliche Organisation durch Werkunternehmer
Nein, Organisation durch IT-Manager
Weisungsrecht des Werkunternehmers hinsichtlich seines Mitarbeiters
Nein, IT-Manager weist an
Unternehmerrisiko bei Werkunternehmer
Nein, Verantwortung des Roll-OutProjektes bei Muster GmbH
Ergebnisbezogene Vergütung
Nein, Vergütung nach Stundenaufwand
Ö Ein Werkvertrag liegt in unserem Beispiel nicht vor. Abbildung 17: Prüfkriterien für das Vorliegen eines Werkvertrags
Liegt ein Dienstvertrag vor? Eigene Verantwortung für Dienstleistung
Nur teilweise: IT-Dienstleister wählt Mitarbeiter aus, den er Muster GmbH zur Verfügung stellt, Zahl der Hilfskräfte und Stundenaufwand gibt Muster GmbH vor
Mitarbeiter des Auftragnehmers im WeNein, IT-Manager der Muster GmbH erteilt sentlichen weisungsungebunden gegenüber Weisungen Mitarbeitern des Auftraggebers Ö Ein Dienstvertrag liegt in unserem Beispiel nicht vor. Abbildung 18: Prüfkriterien für das Vorliegen eines Werkvertrags
Auftragsvergabe: Die Bestellung
129
Lösung In unserem Beispiel handelt es sich eindeutig um eine Arbeitnehmerüberlassung. Da der IT-Dienstleister jedoch keine Arbeitnehmerüberlassungslizenz hat, kann er der Muster GmbH keinen Mitarbeiter zur Unterstützung im Roll-Out-Projekt zur Verfügung stellen. Frau Joost schlägt jedoch vor, die Gesamtverantwortung für das Roll-Out-Projekt dem ITDienstleister zu übertragen. Durch einen Werkvertrag können die Anforderungen bzw. Ergebnisse des Projektes genau festgelegt werden. Die konkrete Umsetzung liegt dann allein in der Verantwortung des IT-Dienstleisters, dessen Vergütung vom Erfolg des Projektes abhängt. Natürlich ist diese Entscheidung nur vor dem Hintergrund eines ausreichend zur Verfügung stehenden Budgets für solche Projekte möglich. Die voraussichtlich günstigere Variante ist ansonsten, über einen Personaldienstleister einen Arbeitnehmerüberlassungsvertrag zu schließen. Auf diesem Wege kann dann ein Leiharbeitnehmer für die Zeit des Roll-Out-Projektes beschäftigt werden. Die Schwierigkeit bei dieser Lösung liegt in der Suche der entsprechenden Fachkraft. Doch mittlerweile können sehr hoch qualifizierte Leiharbeitnehmer über den Weg der Arbeitnehmerüberlassung beschäftigt werden.
In der Regel dienen die Beschaffungsvorgänge im Zusammenhang mit Werk- und Dienstverträgen sowie der Arbeitnehmerüberlassung zur Unterstützung der eigenen betrieblichen Funktionen. Wie in unserem Beispiel sollen dadurch Kapazitätsspitzen abgedeckt oder die Durchführung von konkreten Projekten unterstützt werden. Zunehmende Bedeutung gewinnt in diesem Zusammenhang in den Unternehmen das „Outsourcing“, d. h. die Verlagerung bestimmter betrieblicher Funktionen oder ganzer Betriebsteile an einen Dritten. Im Fokus stehen hierbei betriebliche Funktionen, die die Unternehmen nicht zu ihrem Kerngeschäft zählen und für die es einen entsprechenden Markt mit Unternehmen gibt, deren Kernfunktion die Erbringung solcher Leistungen ist. Neben den „klassischen“ Funktionen wie Reinigungsleistungen, Catering usw. werden zunehmend komplexere Vertragsleistungen, wie etwa der Betrieb eines Rechenzentrums, an externe Partner übertragen. Bezogen auf die Vertragsgestaltung stellt sich jedoch auch bei solchen umfangreichen und komplexen Vertragsleistungen die Frage, ob ein Werk-, Dienstvertrag oder eine Arbeitnehmerüberlassung die geeignete Vertragsvariante ist. Meistens werden Sie feststellen, dass Merkmale des Werk- oder Dienstvertrages durch die Anforderungen Ihrer Fachabteilungen nicht erfüllt werden. Sie müssen das geplante Vertragsverhältnis dann als Arbeitnehmerüberlassung werten mit den entsprechenden Konsequenzen für den Besteller.
130
Vertragsarten
6.8.5
Exkurs: Gültiger Dienstleistungsvertrag und Scheinselbstständigkeit
Abschließend gehen wir noch auf eine Besonderheit in diesem Zusammenhang ein, die in der Beschaffungspraxis häufig vorkommt. Neben der Arbeitnehmerüberlassung kann es sich bei dem geplanten Vertragsabschluss faktisch auch um den Abschluss eines Anstellungsverhältnisses handeln, wenn der Auftragnehmer zwar als selbstständiger Unternehmer auftritt, jedoch die Kriterien für eine unternehmerische Selbstständigkeit nicht erfüllt. Es liegt dann die so genannte Scheinselbstständigkeit vor. Ist der Auftragnehmer eine einzelne selbstständig tätige Person mit Gewerbeschein, sprechen folgende Kriterien für eine Scheinselbstständigkeit3: Weisungsgebundenheit gegenüber dem Auftraggeber (zeitlich, fachlich und örtlich), Eingliederung in den Betrieb des Auftraggebers, Einbeziehung in den betrieblichen Ablauf, keine Gewährleistungspflicht, kein Unternehmerrisiko, festes Entgelt, Leistungserbringung nur durch eigene Person, Arbeitsumfang wird von anderen bestimmt. Schließen Sie also einen Vertrag mit einer solchen Einzelperson und unter solchen Bedingungen, wird diese Vertragsbeziehung bei einer Betriebsprüfung als Anstellungsverhältnis gewertet. Auch hier werden wie bei der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung ungeplante Kosten auf Seiten des Auftraggebers entstehen (Sozialversicherungsbeiträge, sonstige Lohnkosten, Geldbußen). In manchen Verträgen wird mit sehr zweifelhaften Formulierungen gearbeitet, die das finanzielle Risiko des Auftraggebers, das er durch eine solche Scheinselbstständigkeit trägt, auf den Auftragnehmer abwälzen sollen.
Beispiel Ein Beispiel für eine solche Klausel lautet: „Der Auftragnehmer versichert, dass er zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht als „beschäftigt“ im Sinne des § 7 SGB IV anzusehen ist und dass er den Auftraggeber unverzüglich informieren wird, falls sich hieran während der Laufzeit dieses Vertrages etwas ändern sollte. In diesem Fall sind beide Partner zur fristlosen Kündigung gemäß § 9 berech-
3 In Anlehnung an § 84 HGB und die ständige Rechtssprechung des BAG.
Auftragsvergabe: Die Bestellung
131
tigt. Sollte der Auftraggeber durch die zuständigen Behörden aufgefordert werden, für den Auftragnehmer Sozialversicherungs- und/oder Rentenbeiträge abzuführen, wird der Auftragnehmer dem Auftraggeber diese in vollem Umfang erstatten.“
Vorsicht Vertragsklauseln in einem Werk- oder Dienstvertrag, die das Risiko einer möglichen nachträglichen Entrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen und sonstigen Abgaben auf den beauftragten Werkunternehmer oder Dienstleister übertragen, sind gerichtlich nicht anerkannt. Sie können lediglich als Abschreckung in Richtung des Auftragnehmers dienen, falls dieser sich seiner Scheinselbstständigkeit durchaus bewusst ist, darüber aber Stillschweigen bewahrt. Das bedeutet, dass Sie als beauftragendes Unternehmen in jedem Fall sicherstellen müssen, dass sie keine illegale (verdeckte) Arbeitnehmerüberlassung durch Ihren Auftrag zulassen. Prüfen Sie die Kriterien also genau. Lassen Sie sich von einem einzelnen als Selbstständiger auftretenden Auftragnehmer weitere Auftraggeber nennen und überprüfen Sie diese Angaben.
Je nach Umfang des zur Diskussion stehenden Vertrages und je nach Druck der auf Sie zukommenden Fachabteilungen empfehlen wir, sich zusätzlich den Rat eines entsprechend spezialisierten Juristen einzuholen. Jedoch können Sie auch von der Bundesagentur für Arbeit entsprechende Verträge vor Abschluss prüfen lassen. Allgemein gilt gerade auch hinsichtlich des AÜG und der Scheinselbstständigkeit zu beachten: Für die rechtliche Einordnung und Wertung des Vertrags ist der Wortlaut in keinem Fall entscheidend. Vielmehr kommt es darauf an, wie der Vertrag gelebt wird. Widersprechen sich schriftliche Vereinbarung und tatsächliche Durchführung des Vertrags, so kommt es auf die tatsächliche Durchführung an. Deshalb kann die Art der vertraglichen Beziehung nur aufgrund ihrer Durchführung festgestellt werden.
6.8.6
Rahmenvertrag
In der Beschaffung kommt man häufig mit dem Begriff „Rahmenvertrag“ in Berührung. Auch wir haben den Rahmenvertrag bereits häufiger angesprochen. Anders als beim Kaufoder Werkvertrag liegt dem Rahmenvertrag jedoch keine gesetzliche Regelung zugrunde.
Rahmenvertrag Der Rahmenvertrag ist eine auf Langfristigkeit ausgelegte individuelle Vereinbarung zwischen den Vertragspartnern und bildet die Grundlage für konkrete wiederkehrende Bestellungen innerhalb einer definierten auf die Zukunft gerichteten Planperiode.
132
Vertragsarten
Durch die einmalige Vereinbarung eines Rahmenvertrags mit Ihrem Lieferanten sparen Sie sich den Aufwand, bei den weiteren Bestellungen die vertraglichen Inhalte jedes Mal neu zu vereinbaren. Für die einzelne Bestellung gelten dann die im Rahmenvertrag vereinbarten Bedingungen. Inhaltlich ist neben der Festlegung der typischen Vertragsinhalte, wie etwa die genaue Spezifizierung des Liefergegenstandes, Preis, Liefer- und Zahlungsbedingungen, die unverbindliche Festlegung der Liefermenge für die Planperiode von besonderer Bedeutung. Durch eine eindeutige Formulierung müssen Sie als Besteller klarstellen, dass Sie mit Angabe der Liefermengen im Rahmenvertrag keine Abnahmeverpflichtung eingehen.
Beispiel „Die in diesem Rahmenvertrag genannten Mengen sind Planmengen. Ein Recht auf Erfüllung besteht nicht.“
Ist ein Rahmenvertrag vereinbart, sind Sie rechtlich nicht verpflichtet, in der konkreten Bestellung darauf hinzuweisen, dass die Bedingungen des Rahmenvertrags gelten sollen. Dennoch ist es zur Klarstellung dienlich, in der konkreten Bestellung auf den Rahmenvertrag zu verweisen.
Beispiel „Auf Grundlage des mit Ihnen vereinbarten Rahmenvertrags vom 04.05.2005 erteilen wir folgende Bestellung:“
Zum Abschluss dieses Kapitels zählen wir einige weitere wichtige Vertragsarten, die in der Beschaffungspraxis ebenfalls Anwendung finden, lediglich auf: Mietvertrag Leasingvertrag Leihvertrag Lizenzvertrag Bürgschaftsvertrag Diese Vertragsarten weisen eine Vielzahl rechtlicher Besonderheiten auf, die wir hier nicht erschöpfend darstellen können, verweisen wir an dieser Stelle wieder auf entsprechende Fachliteratur und direkte fachliche Beratung.
Auftragsvergabe: Die Bestellung
6.9
133
Erstellen einer Bestellung
Im gesamten Beschaffungsprozess, etwa bei der Anfrage oder beim Angebotsvergleich, haben wir immer wieder die gleichen zentralen Fragen gestellt und bewertet: Was soll beschafft werden? In welcher Qualität soll etwas beschafft werden? In welcher Menge soll beschafft werden? Welcher Preis muss zugrunde gelegt werden? Wann soll geliefert werden? Zu welchen Bedingungen soll der Auftrag ausgeführt werden?
Entscheidend ist schließlich, was Sie mit dem Lieferanten tatsächlich vereinbart haben. Um diese Vereinbarungen festzuhalten, müssen Sie sie in Form eines Vertrags bzw. einer Bestellung verbindlich fixieren. Diese schriftliche Ausarbeitung kann entweder als Vertragsvorschlag seitens des Lieferanten oder von Ihnen als Besteller vorgenommen werden. In jedem Fall sollten Sie den Vertragstext des Lieferanten sehr genau durcharbeiten.
Vorsicht Alles was nicht oder aus Sicht des Bestellers nicht richtig in der Bestellung vereinbart ist, kann später zu Problemen führen. Scheuen Sie sich daher nicht, genau beim Lieferanten nachzufragen, wenn Sie eine Formulierung nicht verstehen oder wenn Sie meinen, ein wichtiger Aspekt wurde nicht in den Bestelltext mit aufgenommen. Wir empfehlen, dass Sie als Besteller den Vertrag selbst aufsetzen und ihn an den Lieferanten geben. Somit ist sichergestellt, dass aus Ihrer Sicht alle Vereinbarungen im Bestelltext enthalten sind. Bei komplexen Bestellungen sollten Sie den Vertrag durchaus von einem entsprechend spezialisierten Rechtsbeistand prüfen lassen.
In vielen Firmen werden Bestellungen mit automatischen Bestellschreibprogrammen, wie z. B. SAP, verfasst. Alternativ werden häufig im PC angelegte Formatvorlagen für die Bestellung genutzt. Unabhängig davon, ob Sie solche Vorlagen nutzen können oder nicht, sollten Sie in jedem Fall Ihre Bestellung vor Unterzeichnung eingehend auf die nachfolgenden Angaben prüfen.
134
Erstellen einer Bestellung
Checkliste zur Überprüfung der Bestellung 9 Bezeichnung des Liefergegenstandes 9 Bezug auf Angebot, Artikelnummer oder Leistungsbeschreibung 9 Qualitätsangaben 9 Liefertermin 9 Bestellmenge 9 Bestellmengeneinheit 9 Preis je Mengeneinheit und Gesamtpreis 9 Liefer- und/oder Rechnungsanschrift 9 Lieferbedingung 9 Zahlungsbedingung 9 Einbeziehung der Allgemeinen Einkaufsbedingungen 9 Qualifizierte Abwehrklausel
Zur internen Verwaltung und Organisation sollte die Bestellung zudem folgende Angaben enthalten: Bestellnummer Datum der Bestellung Adresse des Lieferanten, eventuell Lieferantennummer Einkäufer, eventuell Einkaufsgruppe
Bei umfangreicheren Beschaffungsvorgängen werden im Vertrag eine ganze Reihe von vertragsrelevanten Unterlagen wie das Angebot des Lieferanten, Leistungsverzeichnisse, Allgemeine Geschäftsbedingungen, Qualitätsvorschriften usw. mit einbezogen. Nicht selten enthalten diese Unterlagen widersprüchliche Vertragsklauseln, und im Streitfall bleibt unklar, welche Klausel aus welchem Dokument gelten soll. Um hier Klarheit zu schaffen und um auf der sicheren Seite zu sein, empfehlen wir, eine vertragliche Rangfolge festzulegen und die Dokumente dem Vertrag als Anlage beizufügen.
Auftragsvergabe: Die Bestellung
135
Beispiel Vertragliche Rangfolge Der Vertrag besteht aus den nachfolgend genannten Vertragsbestandteilen. Ihre rechtliche Rangfolge bestimmt sich nach der Rangfolge der folgenden Liste: 1.
Diese Bestellung
2.
Das Leistungsverzeichnis vom 2005-12-16 (Anlage 1)
3.
Das Angebot Nr. 012345-2 des Auftragnehmers vom 2005-12-16 (Anlage 2)
Bestellungen sollten immer schriftlich erfolgen. Auch wenn in eiligen Fällen bereits telefonisch ein Auftrag erteilt wurde, ist es sinnvoll, eine schriftliche Bestellung nachfolgen zu lassen. Diese schriftliche Bestellung ist dann als kaufmännisches Bestätigungsschreiben zu werten (vgl. Kapitel 6.5). Die Vorteile einer schriftlichen Bestellung für beide Vertragsparteien sind offensichtlich: Die Vertragsinhalte sind überprüfbar und können zu jeder Zeit nachvollzogen werden. Durch die Unterschrift auf der Bestellung besteht Klarheit, dass der Vertrag tatsächlich geschlossen wurde und die unterschreibende Person zu einem solchen Vertragsabschluss berechtigt ist. Alle zur Organisation und Verwaltung der Bestellung notwendigen Angaben (z. B. Bestellnummer) sind fixiert und erleichtern die Bearbeitung der Bestellung.
Praxistipp Umfangreiche Bestellunterlagen, Vertragstexte, aber auch Verhandlungsprotokolle sollten von beiden Vertragsparteien paraphiert werden. Eine Paraphe ist ein auf Initialen verkürztes Namenszeichen. Mehrseitige Verträge oder andere Dokumente werden von jeder Vertragspartei auf jedem Blatt mit der Paraphe abgezeichnet d. h. paraphiert.
Das Paraphieren von Dokumenten bietet für den Besteller und für den Lieferanten folgende Vorzüge: Bestätigung der Kontrolle über Vollständigkeit und Richtigkeit der Inhalte, Verhinderung des Austauschs von Seiten, Hervorheben der Verbindlichkeit der Vereinbarung (jedoch ohne rechtliche Folge), Vorgehensweise zeigt, dass sie sachlich und fair handeln.
136
Genehmigung der Bestellung – die Unterschriftenregelung
Verfügen Sie nicht über ein Standardbestellformular, können Sie das Beispiel eines Bestellanschreibens (Abbildungen 19 und 20) als Muster verwenden und entsprechend Ihrer konkreten Anforderungen und mit den erläuterten Ergänzungen vervollständigen.
6.10 Genehmigung der Bestellung – die Unterschriftenregelung Als verantwortlicher Einkäufer haben Sie die Bestellung ausgearbeitet und eventuell offene oder unklare Punkte mit dem Lieferanten geklärt. Nun geht es um den Abschluss des Vertrages durch die entsprechende Unterschrift. Für Sie ist es unter Umständen schon eindeutig, wer in Ihrem Unternehmen die entsprechende Unterschriftsberechtigung hat. Doch wie sieht die rechtliche Situation aus? Wer darf Bestellungen unterschreiben? Durch eine Bestellung oder einen Vertrag geht das bestellende Unternehmen eine Verpflichtung ein. Welche Personen im Unternehmen sind überhaupt im Verhältnis zu dritten Personen oder Unternehmen berechtigt, dieser Verpflichtung zuzustimmen? Jedes Unternehmen wird zunächst nur durch die Personen der Unternehmensleitung vertreten. Bei Personengesellschaften erfolgt die Vertretung durch die Gesellschafter und bei Kapitalgesellschaften durch deren Organe, z. B. in einer Aktiengesellschaft durch die Vorstände oder in einer GmbH durch den oder die Geschäftsführer. Da es kaum möglich ist, dass alle Geschäftsvorfälle durch die Personen der Geschäftsleitung beauftragt bzw. unterschrieben werden können, gibt es in den Unternehmen weitere Personen, die zur Vertretung des Unternehmens berechtigt sind. Die umfassendste Form der Vertretung ist die Erteilung der Prokura.
Prokura/Prokurist Der Prokurist unterzeichnet mit dem Zusatz „ppa“. Der Prokurist ist berechtigt, alle Arten von Geschäften vorzunehmen, die der „Betrieb eines Handelsgewerbes“ mit sich bringt. Hiervon ausgenommen ist die Veräußerung oder Belastung von Firmengrundstücken. Zu berücksichtigen ist jedoch auch, ob jemand Einzel- oder Gesamtprokura besitzt. Bei der Einzelprokura darf der einzelvertretungsberechtigte Prokurist Geschäfte wie oben beschrieben allein durch seine Unterschrift tätigen. Besitzt er jedoch eine Gesamtprokura, muss mindestens ein weiterer Prokurist mit gleicher Berechtigung das relevante Schriftstück unterzeichnen, damit das Rechtsgeschäft auch wirklich zum Abschluss kommt. Bei der so genannten Filialprokura besitzt der Prokurist lediglich die Vollmacht für eine Filiale eines Geschäftsbereiches.
Auftragsvergabe: Die Bestellung
Abbildung 19: Musterformular Bestellung, Seite 1
137
138
Genehmigung der Bestellung – die Unterschriftenregelung
Abbildung 20: Musterformular Bestellung, Seite 2
Auftragsvergabe: Die Bestellung
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Wer die Berechtigung aufgrund der bisher genannten Regelungen besitzt, lässt sich durch einen Blick in den Handelsregisterauszug eines Unternehmens klären. Jedoch ist ein Lieferant nicht verpflichtet, dies zu überprüfen. Bezeichnet sich eine Person des Unternehmens zu Unrecht als Mitglied der Geschäftleitung oder als Prokurist und unterschreibt einen Vertrag, so kommt dieser im Zweifel trotzdem zustande. Dennoch hat diese Person rechtliche Konsequenzen zu erwarten.
Unternehmensinterne Vollmachtenregelung Weitere Möglichkeiten der Vertretungsberechtigung und damit der Berechtigung, Verträge in einem bestimmten Umfang zu schließen, ist die Vertretung aufgrund einer unternehmensinternen Vollmacht. In der Regel ist diese Vollmacht nur auf bestimmte Geschäfte beschränkt. Die Unternehmensleitung erteilt diese Vollmacht normalerweise schriftlich und auf eine einzelne Person bezogen. Der durch diese Vollmacht legitimierte Handlungsbevollmächtigte unterzeichnet mit dem Zusatz „i. V.“ (in Vertretung). Auch derjenige, der mit dem Zusatz i. A. (im Auftrag) unterzeichnet, tut dies auf der rechtlichen Grundlage der Vertretung aufgrund einer Vollmacht. Jedoch wird diese Vollmacht eher „großzügig“ auf Basis unternehmensinterner allgemeiner Vorschriften erteilt. Die Befugnisse der Mitarbeiter, die mit dem Zusatz i. A. unterzeichnen, sind deutlich eingeschränkt gegenüber den Mitarbeitern, die mit i. V. unterzeichnen.
Diese beiden Formen der Unterschriftsberechtigung i. V. und i. A. sind durch unternehmensfremde Personen oder Unternehmen nicht überprüfbar. Es sind also reine unternehmensinterne Regelungen (im Gegensatz zu Geschäftsleitungs- und Prokuristenfunktionen). Daher gilt hier erst recht, dass im Zweifel ein Vertrag dennoch zustande kommt, auch wenn eine nicht legitimierte Person mit i. A. oder i. V. diesen unterschreibt. In der Regel werden Auftragnehmer jedoch zumindest auf eine Unterschrift mit dem Zusatz i. V. bestehen. In vielen Unternehmen gibt es umfangreiche Unterschriftenregeln, die oft an bestimmte Geschäftsvorfälle und Wertgrenzen gebunden sind.
Beispiel Nach der internen Unterschriftenregelung der Muster GmbH müssen Bestellungen mit zwei Unterschriften nach folgenden Wertgrenzen unterschrieben werden: Bis 500 Euro Bestellwert:
i. A. und i. V.
Von 501 Euro bis 5.000 Euro:
i. V. und i. V.
Von 5.001 Euro bis 10.000 Euro:
ppa. und i. V.
Ab 10.000 Euro:
Geschäftsführer und ppa.
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Aufbewahrungsfristen
In vielen Unternehmen ist dem eigentlichen Bestellvorgang noch ein umfangreicher Bestellanforderungsprozess vorausgeschaltet. Der Anforderer des Bedarfs muss seinen Bedarf in einem Genehmigungsprozess erst zur Bestellung freigeben lassen. Hier gibt es oft ähnliche Regelungen wie die oben beschriebene Unterschriftenregelung. Dabei sind nur bestimmte Personen oder Personengruppen, z. B. Abteilungsleiter, Bereichsleiter, dazu berechtigt, Bestellanforderungen zur Bestellung freizugeben (vgl. Kapitel 2).
6.11 Aufbewahrungsfristen Der Gesetzgeber hat in zahlreichen Vorschriften jeden Kaufmann dazu verpflichtet, bestimmte Unterlagen geordnet über einen festgelegten Zeitraum aufzubewahren. Die wesentlichen Vorschriften hierzu ergeben sich aus dem Handelgesetzbuch (HGB) und der Abgabenordnung (AO). Dort wird festgelegt, welche Unterlagen mit welcher Frist aufzubewahren sind. Erst nach Ablauf dieser Fristen dürfen die Unterlagen vernichtet werden. Werden die Aufbewahrungspflichten und Fristen nicht beachtet, kann dies für das Unternehmen weitreichende Folgen haben. Werden beispielsweise Unterlagen vor Fristablauf vernichtet, kann dies als Vernichtung von Beweismitteln gewertet werden. In manchen Fällen wird dies als Straftatbestand gewertet und hat schwerwiegende Konsequenzen. Wir geben Ihnen einen Überblick über ausgewählte Aufbewahrungsfristen. Für Sonderfälle empfehlen wir spezielle Fachliteratur, die sich mit den Einzelregelungen befasst. Nach dem § 257 HGB gelten u. a. folgende Aufbewahrungsfristen: a)
10 Jahre für − Eröffnungsbilanzen, Jahresabschlüsse − Belege für Buchungen im Rahmen der Buchführung
b)
6 Jahre für − empfangene Handelsbriefe − Kopien der abgesandten Handelsbriefe
Demnach gelten folgende Aufbewahrungsfristen für Dokumente, die im Beschaffungsprozess eine Rolle spielen:
Angebote, Bestellungen, sonstige Verträge (soweit nicht buchungsrelevant), Auftragsbestätigungen
6 Jahre
Lieferscheine, Eingangsrechnungen
10 Jahre
Auftragsvergabe: Die Bestellung
141
Viele Unternehmen nutzen heute die Möglichkeit, Dokumente elektronisch zu archivieren. Die Vorteile für den Geschäftsprozess und das Dokumentenmanagement sind unbestritten. Jedoch gibt es dabei einige Aspekte zu beachten. Unter anderem muss sichergestellt sein, dass die Unterlagen während der Aufbewahrungsfrist verfügbar sind und in angemessener Frist lesbar gemacht werden können. Ob alle EDV-Systeme und Archivierungssoftware diese Anforderung auch in zehn Jahren noch erfüllen, ist aufgrund der schnell fortschreitenden Entwicklung im Bereich der EDV genau zu prüfen und sicherzustellen. Ein weiterer Aspekt, der zum Tragen kommen kann, ist, dass der einfache Papierausdruck eines elektronisch archivierten Dokuments nicht die hohe Beweiskraft des Originaldokuments hat. Dennoch ist die elektronische Archivierung unter Sicherstellung der genannten Kriterien rechtlich zugelassen.
Kontrolle der Leistungserbringung
7.
143
Kontrolle der Leistungserbringung
Bedarfsanalyse
Bedarfsanforderung und Genehmigung
Anfrage
Angebots vergleich
Angebots verhandlung
Bestellung und Genehmigung
Leistungs kontrolle
Ist ein Vertrag zustande gekommen bzw. eine Bestellung erteilt worden, sind der Beschaffungsprozess und die Arbeit des Einkaufs noch nicht beendet. Der Lieferant muss nun die vertraglichen Vereinbarungen erbringen, sei es in Form einer Lieferung oder einer Dienstleistung. In diesem Kapitel zeigen wir, wie ein störungsfreier Beschaffungsprozess im engeren Sinne (Angebot-Bestellung-Lieferung) einen Abschluss findet. In Kapitel 8 gehen wir dann auf verschiedene Arten von Störungen ein, die im Beschaffungsprozess auftreten können.
7.1
Untersuchungs- und Rügepflicht beim Kaufvertrag
Beim Kaufvertrag endet die Verpflichtung des Verkäufers, wenn er dem Käufer die Sache sach- und rechtsmangelfrei übergeben hat. Der Käufer hat die Verpflichtung, die gekaufte Sache abzunehmen (vgl. Kapitel 6). In diesem Zusammenhang hat der Gesetzgeber dem Käufer eine weitere Verpflichtung auferlegt, die Pflicht zur Untersuchung und Rüge. Dem sollten Sie unbedingt nachkommen, um die Ihnen als Käufer zustehenden Rechte zu wahren.
Pflicht zur Untersuchung und Rüge Nach § 377 HGB ist der Besteller verpflichtet, – die abgelieferte Ware unverzüglich zu untersuchen und – wenn sich ein Mangel zeigt, dem Verkäufer unverzüglich den Mangel anzuzeigen.
144
Untersuchungs- und Rügepflicht beim Kaufvertrag
Hält sich der Besteller nicht an die Verpflichtung zur Untersuchung und Rüge, hat das für ihn weitreichende Folgen, die sich aus § 377 Absatz 2 HGB ergeben. Dort heißt es: „Unterlässt der Käufer die Anzeige, so gilt die Ware als genehmigt, es sei denn, dass es sich um einen Mangel handelt, der bei der Untersuchung nicht erkennbar war.“ Wie so oft lässt die gesetzliche Vorgabe ausreichend Interpretationsspielraum und ist im Einzelfall entsprechend auszulegen. Recht einheitlich werden jedoch einzelne Aspekte dieser Bestimmungen ausgelegt. Die Rechtsprechung geht in der Regel davon aus, dass in diesem Zusammenhang die „unverzügliche“ Untersuchung üblicherweise innerhalb eines Zeitraums von drei bis fünf Tagen zu erfolgen hat. Über Art und Umfang der Warenuntersuchung gibt es keine allgemein verbindliche Regelung. Jedoch geht die Rechtsprechung davon aus, dass bei der Lieferung einer größeren Menge gleichartiger Waren eine Stichprobenkontrolle ausreichend ist. Stellen Sie den Mangel bereits bei der Anlieferung fest, z. B. ist die Umverpackung der Ware stark beschädigt, können Sie die Annahme der Lieferung verweigern. Nehmen Sie die Ware trotzdem an, müssen Sie sich das Recht aktiv vorbehalten, den Mangel zu einem späteren Zeitpunkt zu rügen. Vermerken Sie auf dem Lieferschein beispielsweise nachfolgende Formulierung, wenn Sie auf einen solchen Fall stoßen.
Beispiel Die gelieferte Ware ist mangelhaft. Durch die Annahme der mangelhaften Ware sind unsere Rechte aus der nachfolgenden Mängelrüge nicht eingeschränkt.
Bis zur abschließenden Klärung müssen Sie die mangelhafte Ware auf Kosten des Verkäufers lagern. Es ist grundsätzlich möglich, durch eine vertragliche Regelung diese Kontrolle auf den Lieferanten zu verlagern. Gerade bei modernen Lieferkonzepten, wie Just-in-Time (JIT) oder Justin-Sequence-Belieferungen, findet diese Möglichkeit Anwendung. Für beide Vertragsparteien ist diese Verlagerung mit gewissen haftungsrechtlichen und versicherungstechnischen Risiken verbunden und bedarf daher einer eindeutigen und umfassenden Regelung. Sollten Sie mit einer solchen Problematik konfrontiert werden, empfehlen wir eine juristische Beratung, die speziell auf diesen Fall ausgerichtet ist. Ist es notwendig, dass Sie eine Mängelrüge erstellen müssen, finden Sie in Abbildung 21 ein entsprechendes Musterschreiben, an dem Sie sich bei der Formulierung orientieren können.
Kontrolle der Leistungserbringung
Abbildung 21: Musteranschreiben Mängelrüge
145
146
7.2
Abnahme der Leistung aus einem Werkvertrag
Abnahme der Leistung aus einem Werkvertrag
Die Abnahme als Besonderheit im Werkvertragsrecht ist von zentraler Bedeutung. Da der Auftragnehmer (Werkunternehmer) dem Auftraggeber (Besteller) einen Erfolg schuldet, muss sich Letzterer versichern, dass dieser Erfolg vereinbarungsgemäß erbracht wurde. Mit der Abnahme sind u. a. die folgenden wesentlichen Folgen verbunden: Die Vertragserfüllung endet. Die vereinbarte Vergütung wird fällig. Die Verjährungsfrist beginnt zu laufen (Beginn der Gewährleistungsfrist). Die Vergütungs- und Leistungsgefahr geht auf den Auftraggeber über. Umkehr der Beweislast, d. h., der Nachweis eines nachträglich festgestellten Mangels muss jetzt durch den Auftraggeber erfolgen.
Wichtig Bevor Sie als Besteller eine Abnahme erteilen, sollten Sie sorgfältig prüfen, ob die Leistung tatsächlich vollständig und im Wesentlichen mangelfrei erbracht wurde. Nehmen Sie sich ausreichend Zeit für eine solche Abnahme. Denn die Folgen einer nachlässigen Abnahme können mit hohen Kosten für Ihr Unternehmen verbunden sein.
Eine Abnahme sollte immer schriftlich erteilt werden, auch wenn dies nach dem Gesetz nicht erforderlich ist. In der Praxis bietet es sich an, mit einem Abnahmeformular (vgl. Abbildungen 22 und 23) zu arbeiten.
Kontrolle der Leistungserbringung
Abbildung 22: Musterformular Abnahme, Seite 1
147
148
Abnahme der Leistung aus einem Werkvertrag
Abbildung 23: Musterformular Abnahme, Seite 2
Kontrolle der Leistungserbringung
7.3
149
Zahlungsvereinbarungen und Rechnungsprüfung
Die Rechnungsprüfung ist der letzte Schritt des Bestellabwicklungsprozesses im engeren Sinne (Bestellung – Lieferung – Zahlung). Generelle Voraussetzungen für die Zahlung einer Rechnung sind die Lieferung der Ware beim Kaufvertrag, die Abnahme der Leistung beim Werkvertrag bzw. die auftragsgemäße Durchführung einer Dienstleistung beim Dienstvertrag. In erster Linie handelt es sich bei der Rechnungsprüfung also um einen formalen Abgleich: Was wurde bestellt? Was wurde geliefert? Was wird berechnet?
Beispiel Frau Joost hat zehn Bürostühle bestellt. Zehn Stühle wurden auch ordnungsgemäß geliefert. Bei Prüfung der Rechnung stellt sie jedoch fest, dass elf Stühle in Rechung gestellt wurden.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, diesem Fall zu begegnen. Die beiden regelmäßig in der Praxis angewandten Methoden sind: 1.
Die Rechnung wird von Ihnen als Rechnungsempfänger einfach um die Summe des zu hohen Betrags gekürzt. In einigen Fällen geschieht dies sogar ohne zusätzliche schriftliche Information an den Lieferanten (Rechnungssteller). Dieser wird nun allerdings Schwierigkeiten haben, die eingehende Zahlung korrekt zu verbuchen, da der Rechnungsbetrag abweichend ist. Er wird sich mit großer Wahrscheinlichkeit zur Klärung wieder an Sie wenden. Es kann zu einigen Verwirrungen kommen, und auch in Ihrem Unternehmen entsteht dadurch zusätzlicher Aufwand durch die Bearbeitung. Falls Sie die Rechnung dennoch um den zu hohen Betrag kürzen wollen, erstellen Sie also in jedem Fall ein zusätzliches Anschreiben an den Lieferanten, um ihn darüber zu informieren und die Gründe für diese Kürzung darzulegen.
2.
Die Rechnung wird von Ihnen an den Lieferanten zurückgeschickt mit der Bitte um Korrektur und erneuter Ausstellung. Insbesondere wenn Ihre Buchhaltung die Rechnung noch nicht unter einer internen Rechnungsnummer eingebucht hat, ist diese Vorgehensweise sinnvoll.
150
Zahlungsvereinbarungen und Rechnungsprüfung
Praxistipp Wir empfehlen, falsch ausgestellte Rechnungen konsequent an den Lieferanten zurückzuschicken mit der Bitte um Ausstellung einer korrekten Rechnung. Von der Methode, Rechnungen einfach zu kürzen oder Einbehalte vorzunehmen, raten wir ab.
Ein weiteres häufiges Problem im Rahmen der Rechnungszahlung sind abweichende Vorstellungen von Besteller und Lieferant bei den Zahlungsfristen. Dabei ist weniger die Frist selbst ein Problem, denn die Zahlungsbedingungen wurden bereits vereinbart. Lautet die Zahlungsfrist beispielsweise „innerhalb von 14 Tagen mit 2 % Skonto“, stellt sich nun die Frage, worauf sich die 14 Tage beziehen. Selten sind sich Besteller und Lieferant darüber einig, auf welches Ereignis sich die vereinbarten Zahlungsfristen beziehen. Jeder wird die Frist zu seinem Vorteil auslegen. Überschreitet der Kunde die Zahlungsfrist aus Sicht des Lieferanten, kommt es zur Diskussion. Problematisch sind besonders die Fälle, in denen die Rechnung schneller eintrifft als die bestellte Ware. Nach dem Verständnis des Lieferanten beginnt die Frist zur Zahlung mit dem Datum der Rechnung. Für den Kunden beginnt die Frist erst mit Eingang der Ware in seinem Haus, streng nach der alten Kaufmannsregel: „Erst die Ware, dann das Geld.“ Letztlich ist es oft Verhandlungssache, welche Interpretation die richtige ist.
Praxistipp Vereinbaren Sie die Zahlungsfristen immer ereignisorientiert. Legen Sie also bereits in dem Bestelltext genau fest, worauf sich die Zahlungsfrist bezieht. Damit ist klargestellt, ab wann die Zahlungsfristen zu laufen beginnen. Formulierungsvorschläge: „Die Zahlungsfrist beginnt mit dem Eingang der prüfbaren Rechnung bei uns oder mit Übernahme der Lieferung oder Leistung, je nachdem welches Datum das spätere ist.“ „Die Zahlung erfolgt nach mangelfreier Abnahme der Leistung und Vorlage einer prüffähigen Rechnung innerhalb von 21 Tagen ohne Abzug.“
Bei umfangreicheren Kaufverträgen und im Besonderen bei Werkverträgen kann es sinnvoll sein, die Zahlung des Gesamtpreises in mehreren Raten zu vereinbaren. Gerade dann ist es wichtig, dass die jeweiligen Zahlungen an konkrete Ereignisse gebunden sind. Dieses kann beispielsweise der Abschluss einer bestimmten Teilleistung sein (die eindeutig benannt werden muss).
Kontrolle der Leistungserbringung
151
Beispiel Viele Personalberater schlagen die folgende Staffelung bei Zahlung des Gesamtauftragswertes vor: Ein Drittel des Rechnungsbetrages ist bei Beginn des Auftrags fällig. Ein Drittel des Rechnungsbetrages wird fällig, wenn die ersten potenziellen Kandidaten persönlich beim Kunden vorgestellt werden. Ein weiteres Drittel des Rechnungsbetrages ist bei Abschluss eines Arbeitsvertrages zwischen einem durch den Berater vorgestellten Kandidaten und dem Kunden fällig.
Obwohl die Staffelung hier recht eindeutig festgelegt ist, kann es zu Unmut kommen, falls das Unternehmen beispielsweise durch eine Mitarbeiterempfehlung die Position zwischenzeitlich besetzt, für die der Berater ebenfalls Kandidaten gesucht hat. Also sollte hier durchaus noch eindeutig festgelegt werden, dass auch in einem solchen Falle maximal die Summe der ersten beiden Raten fällig wird. Solche Verträge werden in der Regel direkt von den Personalabteilungen verhandelt und sind eher ungewöhnlich, verglichen mit anderen Dienstleistungsverträgen. Grundsätzlich sollten Sie in einem solchen oder ähnlichen Fall darauf hinwirken, dass dieses Risiko beim Auftragnehmer liegt. Denn letztlich hat er den Erfolg nicht erbracht, für den er beauftragt war. Natürlich sollten Sie jeden Fall immer wieder neu beurteilen. Denn die Lieferantenbeziehung ist unter Umständen so gut, dass sie nicht zerstört werden sollte durch Vereinbarungen, die zu einseitig den Kunden bevorzugen. Zudem ist sicherlich entscheidend, welchen Aufwand der Personalberater bereits hatte. Bei größeren Beschaffungsobjekten mit entsprechend langem Ausführungszeitraum verlangt der Lieferant in manchen Fällen eine Anzahlung oder Vorauszahlung. Auch dies ist im Einzelfall zu bewerten und entsprechend zu vereinbaren. Muss der Lieferant für die Ausführung des Auftrags in großem Maße Vorleistungen erbringen, z. B. Material zur Herstellung Ihres Auftrags kaufen, ist diese Forderung sicher nachvollziehbar.
Vorsicht Bei größeren Auftragswerten wird oft von Seiten der Verkäufer angeboten, den Preis zu reduzieren, wenn sie beispielsweise eine höhere Anzahlung von Ihnen erhalten. Aber Vorsicht, anders als bei der Skontovereinbarung ist nach unserer Erfahrung der Vorteil für Sie nicht immer gegeben. Sie sollten deshalb den Vorschlag des Lieferanten genau prüfen. Die Frage, die Sie hier zu beantworten haben, lautet: Ist der finanzielle Vorteil durch den angebotenen Preisnachlass höher als die Finanzierungskosten für die Anzahlung? Im Zweifel sollten Sie Rücksprache mit Ihrer Finanzabteilung oder Buchhaltung halten.
152
Zahlungsvereinbarungen und Rechnungsprüfung
Üblich ist auch gerade bei Werkverträgen, dass ein Gewährleistungseinbehalt vereinbart wird. Der Besteller behält hierbei einen bestimmten Geldbetrag (z. B. 10 %) für den Zeitraum der Gewährleistung zurück (vgl. zu Gewährleistung auch Kapitel 9.2). Der Werkunternehmer hat dann ein gesteigertes Interesse, eventuell auftretende Gewährleistungsfälle zügig zu beseitigen, da ihm der Einbehalt am Ende der Gewährleistungszeit nur dann ausgezahlt wird. An dieser Stelle sei lediglich erwähnt, dass in der Praxis in manchen Fällen mit Bürgschaften als Sicherungselement gearbeitet wird. Beispielsweise kann der Besteller eine „Vorauszahlungsbürgschaft“ – ausgestellt durch eine Bank des Lieferanten als Bürge – als Sicherung für seine geleistete Anzahlung (z. B. die ersten 20 %) vereinbaren. Die Zahlungsbedingungen für ein größeres Beschaffungsprojekt könnten dann z. B. folgendermaßen vereinbart sein:
Beispiel Die Zahlung des Gesamtauftragswertes erfolgt in folgenden Raten: 20 % nach vorbehaltloser Auftragsbestätigung und Vorlage einer Vorauszahlungsbürgschaft 50 % nach Lieferung, Installation und erfolgreichem Probelauf 20 % nach mangelfreier Abnahme 10 % Gewährleistungseinbehalt Die Zahlungen erfolgen jeweils innerhalb von 21 Tagen, netto.
Hinweis Bis die Zahlung geleistet wurde, haben Sie ein entsprechendes Druckmittel gegenüber dem Lieferanten. Prüfen Sie also vor Zahlung genau, ob alle Ihre Forderungen vollständig erfüllt wurden.
Umgang mit Vertragsstörungen
8.
153
Umgang mit Vertragsstörungen
Nicht immer erfolgt die Leistungserbringung, wie es im Vertrag zwischen den Vertragsparteien vereinbart wurde und damit frei von Störungen. Im Folgenden gehen wir auf einige typische Vertragsstörungen ein, erläutern die zentralen rechtlichen Begriffe wie Mangel, Gewährleistung und Garantie und zeigen auf, welche Rechte und Pflichten sich daraus für den Besteller ergeben und was dabei zu beachten ist. Wir orientieren uns hier wieder an den Bestimmungsfaktoren für effiziente Beschaffungen. Genau hier sind sie als Einkäufer nochmals gefordert, um die Interessen Ihres Unternehmens zu wahren.
Bestimmungsfaktoren für effiziente Beschaffung
Die Störung im Vertrag zeigt sich als
Qualität
Mangel
Menge
Mangel
Lieferzeitpunkt
Verzug
Kosten
Preisabweichung
Abbildung 24: Bestimmungsfaktoren für effiziente Beschaffung und entsprechende Vertragsstörungen
8.1
Mangel
Beim Kaufvertrag ist es nach § 433 BGB eine Hauptpflicht des Verkäufers, „die Verschaffung der Kaufsache frei von Sachmängeln und von Rechtsmängeln“ zu gewährleisten. Was versteht die Rechtsprechung unter einem Rechtsmangel?
154
Mangel
Rechtsmangel Ein Rechtsmangel liegt vor, wenn Dritte Rechte an der Kaufsache haben, dies aber bei dem Kaufvertrag nicht ausreichend berücksichtigt wurde. Würden Sie eine solche Kaufsache erwerben, gäbe es außer dem Verkäufer und Ihnen also noch eine dritte Partei, die direkten Einfluss auf diese Kaufsache hat. Diese dritte Partei könnte Sie dann direkt im Gebrauch der Kaufsache einschränken.
Beispiel Ein sehr gutes Beispiel hierfür ist der Kauf einer vermieteten Immobilie. Regelmäßig kommt es hier zu Problemen, wenn der Käufer diese Wohnung für sich selbst nutzen will, die Mietpartei aber ebenfalls Rechte aus dem Mietverhältnis hat und nicht ausziehen will. Auch Patentrechte können solche Rechtsmängel hervorrufen. Nicht zuletzt bei der Beschaffung von Software kommt man in der Beschaffungspraxis häufig mit Rechtsmängeln in Berührung.
In der Beschaffungspraxis kommt man wesentlich häufiger mit Sachmängeln in Berührung. Deshalb werden wir uns in der weiteren Betrachtung auch besonders auf diese konzentrieren. Zudem sind Rechtsmängel sehr stark vom Einzelfall abhängig. Juristischer Rat sollte in solchen Situationen immer eingeholt werden.
Sachmangel Sachmängel setzen direkt an der erbrachten Leistung bzw. der Kaufsache an. Jedoch gehen sie über Mängel hinaus, die direkt mit der Beschaffenheit der Kaufsache an sich verbunden sind. Auch Mängel, die die Eigenschaften der Kaufsache nur mittelbar betreffen, fallen unter Sachmängel.
Beispiel Sie buchen beispielsweise eine Reise in ein 4-Sterne-Hotel inklusive Halbpension und in ruhiger Lage. Dann ist die Leistung des Reiseanbieters nicht mangelfrei, wenn Sie direkt vor Ihrem Balkon eine laute Baustelle vorfinden. Auch wenn das Hotel selbst allen Ihren Anforderungen entspricht, stellt die Lärmbelästigung der Baustelle dennoch einen Sachmangel dar.
Umgang mit Vertragsstörungen
155
Ob ein Sachmangel vorliegt, können Sie anhand der gesetzlichen Regelungen des BGB mit Hilfe der nachfolgend genannten Punkte überprüfen.
Hinweis Am 1. Januar 2002 trat das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts in Kraft (auch bekannt als Schuldrechtsreform), das u. a. wesentlichen Einfluss auf die hier beschriebenen Aspekte Sachmangel, Gewährleistung und Garantie hatte. Die hier angeführten Verweise auf das BGB beziehen sich immer auf die seither gültige Fassung.
Eine Kaufsache ist frei von Sachmängeln, wenn sie die vereinbarte Beschaffenheit aufweist (vgl. § 434 Absatz 1 Satz 1 BGB). Ist eine bestimmte Beschaffenheit nicht vereinbart, ist die Kaufsache frei von Sachmängeln, wenn sie sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet (vgl. § 434 Absatz 1 Satz 2 Nr. 1 BGB). Sonst ist eine Kaufsache frei von Sachmängeln, wenn sie sich für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und deswegen vom Käufer erwartet werden kann (vgl. § 434 Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 BGB).
Jedoch liegt auch dann ein Sachmangel vor, wenn vereinbart wurde, dass der Verkäufer die Kaufsache montiert und die Montage fehlerhaft ausgeführt wurde (vgl. § 434 Absatz 2 Satz 1), der Kaufsache eine mangelhaft Montageanleitung beigefügt ist, und die Kaufsache deshalb nicht oder fehlerhaft montiert wurde. Wird sie jedoch trotz falscher Montageanleitung fehlerfrei montiert, entfällt dieser Mangel (vgl. § 434 Absatz 2 Satz 2, so genannter „Ikea-Fall“), der Käufer Eigenschaften erwartet, die der Verkäufer oder Hersteller der Kaufsache in seiner Werbung – z. B. in Prospekten – ausdrücklich einräumt, diese dann aber nicht erfüllt werden (vgl. § 434 Absatz 1 Satz 3 BGB).
Der maßgebliche Zeitpunkt zur Beurteilung der Mangelfreiheit ist der Zeitpunkt des Gefahrenübergangs. Die gesetzliche Sachmängelhaftung setzt voraus, dass der Mangel schon bei Gefahrenübergang vorlag. Nach § 446 BGB geht mit der Übergabe der verkauften Sache an den Käufer die Gefahr auf diesen über. Gefahrenübergang bedeutet, dass ab diesem Zeitpunkt der Käufer das Risiko von Verlust oder Verschlechterung der Kaufsache trägt.
156
Mangel
Durch diese Regelung ergibt sich für Sie als Einkäufer das Problem, dass Sie beweisen müssen, dass die Kaufsache überhaupt mangelhaft ist. In der Sprache der Juristen tragen Sie als Käufer die Beweislast. In der Beschaffungspraxis lassen sich im Wesentlichen zwei Arten von Mängeln unterscheiden: Offener Mangel: Der Mangel ist sofort erkennbar. Versteckter Mangel: Der Mangel ist nicht sofort erkennbar, sondern zeigt sich erst zu einem späteren Zeitpunkt. Hier müssen Sie beweisen, dass der Mangel schon von Anfang an bestand oder angelegt war.
Beispiel Offener Mangel: Frau Joost hat bei einer Werbeagentur neue Prospekte für die Produkte der Muster GmbH bestellt. Bei der Anlieferung der Prospekte zeigt sich, dass einige Abbildungen im Prospekt vertauscht und an der falschen Stelle im Prospekt abgedruckt wurden. Versteckter Mangel: Frau Joost hat für einen Konferenzraum 20 neue Stühle bestellt. Bei der Anlieferung konnten keine Mängel festgestellt werden. Nach ein paar Tagen stellt Sie fest, dass bereits bei zwei Stühlen die Armlehnen defekt sind. Die Herstellerfirma hat später festgestellt, dass bei der Produktion der Armlehne ein falsches Material verwendet wurde.
Eine besonders problematische Situation ergibt sich in diesem Zusammenhang bei einem Einkauf über einen Versender bzw. Versandhandel. Nach § 447 BGB geht beim Versendungskauf die Gefahr schon mit der Übergabe der Kaufsache an die zur Versendung bestimmte Person (z. B. Spediteur) auf den Käufer über. Doch dieser hatte zu diesem Zeitpunkt noch keine Möglichkeit, die Ware auf Mängel zu untersuchen. Kommt es zu einer mangelbehafteten Lieferung, stellt sich die Frage, welche Möglichkeiten Sie als Käufer haben, diesen Mangel zu beanstanden. Wir empfehlen bei aufgetretenen Mängeln folgende Vorgehensweise:
Praxistipp Sowohl bei offenen Mängeln als auch bei versteckten Mängeln sollten Sie unverzüglich, nachdem Sie den Mangel festgestellt haben, eine Mängelrüge an den Lieferanten schreiben (vgl. Abbildung 21).
Umgang mit Vertragsstörungen
8.2
157
Gewährleistungsansprüche im Kaufrecht
Wir haben zuvor geschildert, worin ein Mangel nach rechtlichen Gegebenheiten überhaupt begründet ist. Kommen wir nun zu den Rechtsansprüchen, die Sie als Käufer haben, sofern ein solcher Mangel auftritt. Liegt im Rahmen der Erbringung von Kaufverträgen ein Mangel vor, stehen dem Käufer folgende Rechte zu: Recht auf Nacherfüllung (Nachbesserung, Ersatzlieferung), Recht auf Rücktritt oder Minderung, Recht auf Schadensersatz. Was dies im Einzelnen bedeutet, wollen wir nachfolgend erläutern.
8.2.1
Nacherfüllung (§ 437 Nr. 1 i. V. m. 439 BGB)
Nach Wahl des Käufers kann dieser selbst verlangen, dass der Mangel seitens des Verkäufers zu beseitigen ist (Nachbesserung) oder dass die Lieferung einer mangelfreien Sache (Ersatzlieferung) seitens des Lieferanten vorgenommen wird. Weigert sich der Verkäufer unberechtigt, dem entsprechenden Wunsch nachzukommen, begeht er einen Vertragsbruch. Dieser Vertragsbruch würde dann einen Schadensersatzanspruch des Käufers nach sich ziehen. Wie sollten Sie nun reagieren, wenn sich der Verkäufer nicht direkt weigert, eine Nachbesserung oder eine Ersatzlieferung vorzunehmen, sondern einfach nicht auf Ihre berechtigten Forderungen reagiert? Hier ist der erfolglose Ablauf einer angemessenen Frist zur Nacherfüllung entscheidend dafür, dass Sie als Besteller weitere Ansprüche auf Minderung, Rücktritt oder Schadensersatz geltend machen können. Unsere Handlungsempfehlung ist in diesem Falle, dem Lieferanten eine dem Umfang der zu erbringenden Leistung entsprechend realistische Frist zu setzen. Eine pauschale Aussage, welche Frist realistisch ist, lässt sich nicht treffen. Doch durch die Bearbeitung verschiedener Beschaffungen werden Sie selbst eine entsprechende Vorstellung entwickeln. Zögern Sie also nicht, diese Vorstellung bei der Fristsetzung umzusetzen. Im gleichen Anschreiben kündigen Sie ihm zudem die Geltendmachung Ihrer weitergehenden Rechte an, sofern der Lieferant auf die Fristsetzung nicht reagieren sollte. Je nach Art und Umfang der Beschaffung und dem Risiko, das für Ihr eigenes Unternehmen durch den nach wie vor bestehenden Mangel existiert, sollten Sie Ihr Recht auf Minderung
158
Gewährleistungsansprüche im Kaufrecht
des Kaufpreises oder auf Schadensersatz geltend machen. Lassen Sie sich jedoch in jedem Fall juristisch beraten, wenn diese Störungen in Verbindung mit einer Beschaffung stehen, die wesentliche Auswirkungen auf den Geschäftsbetrieb Ihres Unternehmens hat. Was geschieht, wenn ein Nacherfüllungsversuch ohne Erfolg bleibt und der Mangel weiterhin für Sie als Einkäufer bzw. für Ihr Unternehmen besteht? Auch hier ist entscheidend, die Auswirkungen des Einzelfalles zu prüfen und entsprechend das Recht auf Minderung des Kaufpreises, das Recht auf Schadensersatz oder Ersatz vergeblicher Aufwendungen bzw. das Recht auf Rücktritt vom Vertrag geltend zu machen. Gleiches gilt außerdem, wenn eine Nacherfüllung für den Käufer unzumutbar ist.
Hinweis Die Formulierung einer „Ablehnungsandrohung“, wie sie nach „altem“ Recht gefordert wurde, ist nicht mehr erforderlich.
Es muss also keine Frist zur Nacherfüllung gesetzt werden, wenn der Verkäufer die Nacherfüllung verweigert oder wenn die Nacherfüllung fehlgeschlagen ist oder wenn dem Käufer eine Nacherfüllung nicht zumutbar ist.
8.2.2
Minderung (§ 437 Nr. 2 i. V. m. § 441 BGB)
Wir haben bereits kurz angedeutet, wann eine Minderung des Kaufpreises seitens des Käufers möglich ist. Doch was bedeutet sie genau und wie können Sie in einem solchen Fall vorgehen?
Minderung Eine Minderung bedeutet, dass der Käufer einen niedrigeren als den vertraglich vereinbarten Kaufpreis zahlt. Diese Minderung des Kaufpreises erfolgt im Verhältnis des „tatsächlichen“ Wertes der Kaufsache zum Wert der Kaufsache zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses im mangelfreien Zustand.
Welchen tatsächlichen Wert Sie für die mangelbehaftete Kaufsache zugrunde legen müssen, ist stark vom jeweiligen Einzelfall abhängig. Versuchen Sie über Gutachten von Fachleuten (z. B. bei Mängeln an Büromöbeln) oder vergleichbare günstigere Produkte mit gleicher Funktionalität eine Orientierung für eine Wertminderung zu finden. Achten Sie hierbei darauf, dass Ihnen keine zusätzlichen Kosten für die Gutachten entstehen. Je mehr Sie mit Be-
Umgang mit Vertragsstörungen
159
schaffungen zu tun haben, desto einfacher wird es Ihnen fallen, einen realistischen Wert für die Minderung des Kaufpreises anzusetzen.
8.2.3
Rücktritt (§ 437, Nr. 2. BGB)
Treten Sie als Käufer vom Kaufvertrag zurück, geben Sie die Kaufsache an den Verkäufer zurück und erhalten den Kaufpreis erstattet. Dies hört sich sehr einfach an. Jedoch ist dieses Recht nicht ohne weiteres geltend zu machen.
Vorsicht Handelt es sich bei dem Mangel um einen „unerheblichen“ Mangel, ist der Rücktritt ausgeschlossen. Das Recht auf Minderung bleibt möglich. Sowohl für das Rücktrittsrecht als auch für das Recht auf Schadensersatz gilt, dass bei Bestehen von Nacherfüllungsansprüchen seitens des Verkäufers der Käufer weder vom Vertrag zurücktreten noch Schadensersatzansprüche geltend machen kann.
Ein Rücktritt vom Kaufvertrag ist also nur möglich, wenn es sich um einen erheblichen Schaden handelt. Auch hier ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen, um diese Einschätzung vornehmen zu können. Sofern der Auftragnehmer noch das Recht zur Nacherfüllung hat, ist es dem Auftraggeber ohnehin nicht möglich, vom Vertrag gänzlich zurückzutreten.
8.2.4
Schadensersatz (§ 437 Nr. 3 BGB)
Sofern der Verkäufer den Mangel an der Kaufsache durch Nachbesserung nicht beseitigen konnte oder auf die Forderung der Nachbesserung nicht reagiert hat bzw. sich geweigert hat, den Mangel zu beseitigen oder eine Nacherfüllung für den Käufer unzumutbar gewesen wäre, hat der Käufer u. a. ein Recht auf Schadensersatz.
Der Käufer kann dann Schadensersatz in Form einer finanziellen Entschädigung statt der Leistung oder Ersatz vergeblicher Aufwendungen, z. T. in Verbindung mit einer Minderung des Kaufpreises fordern.
160
Gewährleistungsansprüche im Kaufrecht
Allerdings muss der Käufer glaubhaft nachweisen können, welcher Schaden ihm durch die nicht mangelfreie Leistung entstanden ist, um einen entsprechenden Schadensersatz fordern zu können. Auch hier lässt sich nur wiederholen, dass die Einschätzung, ob nun wirklich Anspruch auf Schadensersatz vorliegt, von dem entsprechenden Einzelfall abhängt. Wenn Sie einen Blick in die entsprechenden Regelungen des BGB werfen, stellen Sie fest, dass sie durchaus verständlich formuliert sind. Allerdings lassen sie großen Spielraum, was die Interpretationsansätze betrifft. Beispielsweise ist es schwer zu beurteilen, welche Art der Nacherfüllung für den Käufer unzumutbar ist.
Beispiel Für die telefonische Annahme und Bearbeitung von Aufträgen hat die Muster GmbH eine spezielle Software beschafft. Die Software wurde von der Herstellerfirma installiert und in Betrieb genommen. Nach ein paar Tagen störungsfreiem Betrieb fällt das System plötzlich aus. Die Kundenbetreuer der Muster GmbH versuchen ihr Möglichstes, den Schaden zu begrenzen und verärgerte Kunden zu beschwichtigen. Aus Sicht der Muster GmbH sollte der Schadensersatz, den die Softwarefirma zu leisten hat, auch den Schaden durch den Ausfall möglicher Aufträge abdecken sowie die Mehrarbeitsstunden der Kundenbetreuer. Da die Muster GmbH den Schaden konkret nachweisen muss, wird es ihr schwer fallen zu belegen, wie viele Aufträge durch den Systemausfall verloren gegangen sind. Den Mehraufwand der Kundenbetreuer kann die Muster GmbH anhand von Stundenaufschreibungen konkret belegen.
Umgang mit Vertragsstörungen
161
Sachmangel
Frist zur Nacherfüllung setzen
Nacherfüllung
unmöglich oder unzumutbar oder wird verweigert
Nacherfüllung Nachbesserung
Ersatzlieferung
Frist verstreicht Nacherfüllung schlägt fehl (nach erfolglosem 2. Versuch)
Minderung, Rücktritt oder Schadensersatz
Abbildung 25: Handlungsoptionen des Käufers bei Auftreten eines Sachmangels in Verbindung mit einem Kaufvertrag
8.3
Gewährleistungsansprüche im Werkvertragsrecht
Ähnlich wie beim Kaufvertrag gibt es auch beim Werkvertrag eine Sachmängelhaftung. Liegt beim Werkvertrag ein Mangel vor, hat der Käufer folgende Rechte: Recht auf Nacherfüllung (in Form von Neulieferung oder Nachbesserung), Selbstbeseitigungsrecht, Recht auf Rücktritt/Minderung, Recht auf Schadensersatz.
162
Gewährleistungsansprüche im Werkvertragsrecht
8.3.1
Nacherfüllung (§ 635 BGB)
Wie beim Kaufvertrag hat der Käufer zunächst das Recht auf Nacherfüllung. Im Unterschied zum Kaufvertrag steht beim Werkvertrag jedoch dem Werkunternehmer das Wahlrecht auf Nachbesserung oder Ersatzlieferung zu. Der Werkunternehmer kann das Recht auf Nacherfüllung jedoch verweigern, u. a. wenn die Nacherfüllung unmöglich ist oder mit unverhältnismäßig hohen Kosten (§ 635 Absatz 3 BGB) verbunden ist. Gerade bei Werkvertragsleistungen kann dieser Aspekt eine Rolle spielen. Jedoch hat dann der Auftraggeber einen Anspruch auf Schadensersatz bzw. Minderung äquivalent zum Kaufvertrag. Wie beim Kaufvertrag ist es auch beim Werkvertrag notwendig, dass der Käufer eine angemessene Frist zur Nacherfüllung setzt.
8.3.2
Selbstvornahme (§ 637 BGB)
Das Werkvertragsrecht kennt abweichend vom Kaufrecht noch das Recht zur Selbstvornahme. Hierbei kann der Käufer nach fruchtlosem Ablauf einer gesetzten angemessenen Frist zur Nacherfüllung den Mangel selbst beseitigen oder durch einen Dritten beseitigen lassen. Der eigentliche Werkunternehmer ist dann zum Ersatz der hierfür erforderlichen Aufwendungen verpflichtet. Wurde die Nacherfüllung berechtigt verweigert, besteht jedoch kein Recht zur Selbstvornahme. Wann eine solche Verweigerung berechtigt ist, lässt sich nicht pauschal sagen. Sie müssen den Einzelfall prüfen.
Beispiel Frau Joost der Muster GmbH hatte den Umzug ihres Unternehmens betreut. Da für die neuen Räumlichkeiten neue Möbel angeschafft wurden, mussten die Möbel in den alten Räumlichkeiten durch eine Umzugsfirma abgebaut und entsorgt bzw. verwertet werden. Den Zuschlag bekam ein Unternehmen, das einen konkurrenzlos günstigen Preis für diese Leistung anbot. Es wurde ein Werkvertrag abgeschlossen, in dem festgelegt wurde, dass alle sich noch in den alten Büroräumen befindlichen Möbel geräumt werden mussten. Allerdings versäumte es Frau Joost, die Beauftragung möglicher Subunternehmer zu regeln und genaue Standards für die zu verwendenden Hilfsmittel im Vertrag festzuschreiben. Am Tag der Entrümpelung trat nun dieses Umzugsunternehmen mit unzureichenden Transport- und Hilfsmitteln auf. Zudem waren die Hilfskräfte unqualifiziert. Frau Joost betreute die Entrümpelung tagsüber. Als jedoch nachts einer ihrer Kollegen die Endabnahme
Umgang mit Vertragsstörungen
163
vornahm, sah er im Dunkeln nicht, dass hinter dem Bürogebäude einfach ein Berg abgebauter Möbel von dem Umzugsunternehmen zurückgelassen wurde. Am nächsten Morgen konnten die Mitarbeiter einer ebenfalls in dem Gebäude ansässigen Firma ihre Räumlichkeiten nicht betreten, da der Eingang blockiert war. Es musste schnell reagiert werden. Frau Joost ermahnte den zuständigen Mitarbeiter des Umzugsunternehmens telefonisch zwar zur umgehenden Nachbesserung, dieser kündigte aber bereits an, dass er nicht imstande sei, dieser Forderung nachzukommen. Entsprechend beauftragte Frau Joost kurzfristig ein weiteres Unternehmen, das umgehend die verbleibenden Möbel abtransportierte. Die Kosten für diese „Selbstvornahme“ sowie weiteren Schadensersatz zog Frau Joost von der Rechnung des ursprünglichen Dienstleisters ab. Dessen Forderung deckte jedoch nicht einmal ganz den entstandenen Schaden.
Das Beispiel verdeutlicht einmal mehr, dass es wichtig ist, einen Werkvertrag sehr genau auszuarbeiten und jedes Detail exakt im Vorfeld zu definieren und mit dem Lieferanten zu verhandeln.
8.3.3
Minderung (§ 638 BGB)
Wie beim Kaufvertrag können Sie auch beim Werkvertrag eine Minderung der Vergütung vornehmen, wenn die Vertragsleistung mangelhaft ausgeführt wurde. Voraussetzung ist hier wiederum, dass Sie dem Auftragnehmer eine angemessene Frist zur Nachbesserung gesetzt haben und zudem die Geltendmachung Ihrer weitergehenden Rechte angekündigt haben. Beides sollte möglichst schriftlich geschehen, damit Sie die einzelnen Schritte im Notfall beweisen können.
8.3.4
Rücktritt (§ 634 Absatz 3 BGB)
Wie beim Kaufvertrag können Sie als Auftraggeber Ihr Recht zum Rücktritt vom Vertrag geltend machen, wenn die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind. Diese Voraussetzungen entsprechen weitestgehend denjenigen, die auch beim Rücktritt von einem Kaufvertrag vorliegen müssen. Maßgeblich ist hier wieder, dass der Auftragnehmer aus verschiedenen Gründen eine Nacherfüllung verweigert oder diese fehlschlägt nach Ablauf einer angemessenen Frist.
8.3.5
Schadensersatz (§ 634 Absatz 4 BGB)
Wie beim Kaufvertrag können Sie als Besteller anstatt der Leistung neben dem Rücktritt oder der Minderung einen Schadensersatzanspruch geltend machen.
164
Verjährungsfristen im Kauf- und Werkvertragsrecht
Prüfen Sie den Einzelfall und die entsprechenden Möglichkeiten der Schadensbegrenzung, die sich daraus ergeben.
8.4
Verjährungsfristen im Kauf- und Werkvertragsrecht
Der Verkäufer einer Sache soll nicht unendlich für die Mangelfreiheit der Kaufsache haften. Der Gesetzgeber hat deshalb genau festgelegt, mit welchen Fristen Mangelansprüche geltend gemacht werden können. Diese Verjährungsfristen betragen allgemein: Verjährungsfristen – –
–
2 Jahre beim Kauf bzw. Verkauf beweglicher Sachen (vgl. § 438 Nr. 3 BGB), 5 Jahre bei Bauwerken oder Sachen, die üblicherweise in Bauwerken verwendet werden und die eine Mangelhaftigkeit des Bauwerks ausgelöst haben (vgl. § 438 Nr. 2b BGB), 30 Jahre bei dinglichen Rechten oder Rechten, die im Grundbuch eingetragen sind (§ 438 Absatz 1 Nr. 1 BGB).
Diese Verjährungsfristen beginnen: im Kaufrecht mit Ablieferung der Kaufsache (vgl. § 438 Absatz 2 BGB), im Werkvertragsrecht mit der Abnahme der Werkleistung (vgl. § 634 BGB).
Vergleichen Sie hierzu auch unsere Ausführungen zu Leistungskontrolle und -abnahme in Kapitel 7.
Wichtig Grundsätzlich können unter Kaufleuten die Fristen beim Kauf beweglicher Sachen individuell vereinbart werden. Jedoch darf diese Vereinbarung eine Verjährungsfrist von einem Jahr dabei nicht unterschreiten.
In der industriellen Beschaffung, z. B. bei Investitionsgütern (Maschinen und Anlagen), kommt es häufig vor, dass zunächst eine auf ein Jahr verkürzte Gewährleistungszeit angeboten wird. Denn je länger der Verkäufer für die Mangelfreiheit seines Produktes einstehen muss, desto höher wird für ihn das Risiko, dass doch ein Mangel an dem Produkt auftritt. Als ordentlicher Kaufmann muss er dieses Risiko bewerten und in seinem Verkaufspreis berücksichtigen. Dennoch sollten Sie sich in keinem Fall auf eine solche verkürzte Gewährleis-
Umgang mit Vertragsstörungen
165
tungsfrist einlassen. Sie haben schließlich genug Verhandlungsargumente, um eine längere Gewährleistungszeit kostengünstig durchzusetzen.
Beispiel „Sie müssen verstehen, dass unser Vertrauen in Ihr Produkt nicht sehr groß sein kann, wenn Sie uns lediglich ein Jahr Gewährleistung anbieten.“ „Wenn ich das Produkt als Endverbraucher bei Ihnen kaufen würde, müssten Sie mir schon per Gesetz zwei Jahre Gewährleistung anbieten. Wie soll ich eine solche Einschränkung hier verstehen?“ „Bei der Qualität Ihrer Produkte ist das Risiko, dass innerhalb von 24 Monaten ein Mangel auftritt, doch gering?“
8.5
Garantie und Gewährleistung
Mit der Schuldrechtsreform hat die Garantie Eingang in das Gesetz gefunden (§§ 443 und 444 BGB). Im Alltag werden die Begriffe Garantie und Gewährleistung oft als gleichwertige Begriffspaare verwendet. Juristisch betrachtet begründen Garantien und die bereits erläuterte Haftung für Sachmängel (Gewährleistung) unterschiedliche Ansprüche. Auf die wichtigsten Zusammenhänge gehen wir im Folgenden ein.
Garantie Bei einer Garantie handelt es sich immer um eine freiwillige Leistung des Herstellers (Herstellergarantie) oder des Verkäufers. In welchem Umfang und mit welchem Inhalt Garantien gegeben werden, ist zwischen Käufer und Verkäufer zu vereinbaren. Oft unterbreiten Verkäufer hierzu vorformulierte Garantiebedingungen.
Beispiel Typische Beispiele für Garantiezusagen gibt es beim Kauf eines Computers. Dort werden z. B. folgende Garantien angeboten: 36 Monate Garantie mit Bring-in-Service (Sie können 36 Monate lang im Falle von Sachmängeln das Produkt beim jeweiligen Verkäufer beanstanden, müssen das Produkt aber zu ihm bringen oder einschicken) oder
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Haftung und Versicherung
36 Monate Garantie mit Vor-Ort-Service innerhalb von 24 Stunden (Sie können über 36 Monate hinweg Sachmängel beim Verkäufer beanstanden. Dieser schickt dann innerhalb von 24 Stunden einen Techniker zu Ihnen und repariert das Gerät vor Ort.)
Auch wenn die Garantie Eingang in das BGB gefunden hat, sind die gesetzlichen Regelungen hierfür etwa im Vergleich zu den gesetzlichen Regelungen der Sachmängelhaftung sehr gering. Das Gesetz regelt weder die Dauer einer Garantie noch Inhalte. Dennoch ist die Zusage einer Garantie für den Hersteller oder Verkäufer mit einigen erheblichen Risiken verbunden. Der Hersteller oder Verkäufer wird deshalb nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen bereit sein, eine Garantie abzugeben. Die Kosten dieser Garantien werden sorgfältig kalkuliert und sind letztlich Bestandteil des Kaufpreises. Meistens werden diese Kosten nicht gesondert ausgewiesen, sondern sind ein Bestandteil der Preiskalkulation des Herstellers. Es gibt jedoch die Möglichkeit, solche Garantien gesondert zuzukaufen. Das kann durchaus interessant sein im Rahmen der Beschaffung von beispielsweise IT-Hardware. Aus einer Garantiezusage ergeben sich verschiedene Vorteile für den Käufer, die nicht immer offensichtlich sind. Es besteht die so genannte Beweislastumkehr für Sachmängel aus der Garantiezusage für die gesamte Garantiezeit (§ 443 Absatz 2 BGB). Anders als bei der Sachmängelhaftung bedeutet dies, dass der Hersteller oder Verkäufer nachweisen muss, dass der Mangel nicht durch ihn zu vertreten ist. Es ist kein Haftungsausschluss oder eine Beschränkung der Haftung möglich (§ 444 BGB).
Hinweis Die vor der Schuldrechtsreform bedeutende Begrifflichkeit der „Zugesicherten Eigenschaften“ ist entfallen. An ihre Stelle tritt die Beschaffenheitsgarantie im Sinne von § 639 BGB. Der Hersteller ist also verpflichtet, die Kaufsache in der Beschaffenheit dem Besteller zu übergeben, wie er sie ihm garantiert hat (sofern er sie garantiert hat).
8.6
Haftung und Versicherung
Folgende Fragen mussten Sie sich bisher eventuell noch nicht stellen. Dies ist auch besser, denn treten sie erst einmal auf, muss der Schaden entsprechend geregelt werden. Es bleibt
Umgang mit Vertragsstörungen
167
dann nur zu hoffen, dass entsprechende Verträge alle Risiken ausreichend berücksichtigt haben. Was passiert, wenn das Reinigungsunternehmen eine Bürotür beschädigt? Wenn Sie ein Umzugsunternehmen für einen Büroumzug beauftragen, was geschieht, wenn der Teppichboden der Büroräume beschädigt wird? Welche Konsequenzen ergeben sich für wen, wenn die von Ihnen beauftragte Bewachungsfirma einen Schlüssel verliert? Vereinfacht kann man sagen, dass ein Auftragnehmer nach dem Gesetz dem Auftrageber gegenüber sehr weitreichend haftet. Er muss also für alle Schäden, die er verursacht, auch einstehen. Wenn Sie als Einkäufer einen Vertrag abschließen, bei dem weder im Vertragstext noch in den AGB Regelungen zur Haftung vereinbart sind, gelten im Zweifel die gesetzlichen Regelungen, und Sie sind auf der sicheren Seite. Das Thema Haftung in Form einer Haftungsbeschränkung wird in Vertragsverhandlungen in der Regel durch den Auftragnehmer thematisiert. Der Auftragnehmer wird versuchen, durch eine vertragliche Regelung mit Ihnen als Auftraggeber seine Haftung einzuschränken oder gänzlich die Haftung auszuschließen. Aus unserer Sicht ist dies auch ein verständliches Anliegen. Der Auftragnehmer muss die Risiken, die sich für ihn aus dem Auftrag ergeben, für sich bewerten und sinnvoll begrenzen. Auch hier sind wieder Sie als verantwortungsbewusster Einkäufer gefragt, die Interessen Ihres Unternehmens zu wahren. Nach unserer Erfahrung wird das Thema Haftung in vielen Beschaffungsvorgängen nicht ausreichend bewertet oder wird sogar gänzlich ausgeklammert. Sie sollten aber folgende Punkte bedenken, bewerten und entsprechende Regelungen mit dem Auftragnehmer vereinbaren:
Checkliste 9 Welche Risiken sind mit der Auftragsdurchführung verbunden? 9 Wie bewerten Sie die Eintrittwahrscheinlichkeit dieser Risiken? 9 Welche Maßnahmen können Sie treffen, um die Risiken zu minimieren? 9 Besteht die Möglichkeit, die Risiken durch eine Versicherung zu decken?
Erst wenn Sie diese Fragen beantwortet und bewertet haben, können Sie die Vorschläge zur Haftungsbeschränkung des Auftragnehmers beurteilen.
Haftungseinschränkung kann sich u. a. beziehen auf:
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Haftung und Versicherung
Reduzierung der Haftungsgründe und/oder eine Reduzierung des Haftungsumfangs.
Beispiel Einige typische Vertragsklauseln zur Haftungsbeschränkung, die Sie in keinem Fall ungeprüft akzeptieren sollten: –
... haften wir nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit.
–
... haften wir unter Ausschluss weiterer Ansprüche nur, soweit eine Deckung durch unserer Betriebshaftpflichtversicherung besteht.
Durch solche oder ähnliche Formulierungen schränken Sie Ihre Ihnen gesetzlich zustehenden Rechte stark ein.
Das deutsche Recht unterscheidet u. a. folgende Formen des Haftungsmaßstabs: Fahrlässigkeit, Vorsatz.
Fahrlässigkeit und Vorsatz Nach § 276 Absatz 2 BGB handelt derjenige fahrlässig, der „die im Verkehr erforderliche Sorgfalt“ außer Acht lässt. Die Fahrlässigkeit unterscheidet sich vom Vorsatz insofern, als der Handelnde den „Erfolg“ nicht gewollt haben muss. Demnach handelt derjenige mit Vorsatz mit „dem Wissen und das Wollen des rechtswidrigen Erfolgs“.
Nach dem Grad der Fahrlässigkeit wird unterschieden in: grobe Fahrlässigkeit und einfache Fahrlässigkeit. Grob fahrlässig handelt derjenige, der die erforderliche Sorgfalt im besonderen Maße außer Acht lässt, d. h., jedem anderen wären die Anforderungen an die Sorgfalt in der Situation ohne weiteres aufgefallen. Ob in einem konkreten Fall eine grobe oder einfache Fahrlässigkeit vorliegt, ist jeweils eine Einzelfallentscheidung, die im Zweifel durch Gerichte zu klären ist. Ihr persönliches Ziel sollte es sein, die einfache Fahrlässigkeit in Beschaffungsverträgen nicht auszuschließen. Haben Sie die Risiken, die bei der Auftragsdurchführung eine Rolle spielen können, erkannt und bewertet, gilt es nun diese Risiken entsprechend abzusichern. Für fast alle Risiken wer-
Umgang mit Vertragsstörungen
169
den entsprechende Versicherungen angeboten. Aber Vorsicht, in manchen Fällen sind die durch das Versicherungsunternehmen geforderten Versicherungsprämien so hoch, dass die Kosten für die Versicherung in keinem betriebswirtschaftlich sinnvollen Verhältnis zu den Risiken stehen. Auch in diesen Fällen sollten Sie die Kosten nicht ganz außer Acht lassen und entsprechend bewerten.
Beispiel Der Auftragnehmer haftet für von ihm bzw. durch seine Produkte verursachte Schäden. Weiter bestätigt der Auftragnehmer, dass er eine Betriebshaftpflichtversicherung mit einer Mindestdeckungssumme von 3,0 Mio. Euro Personenschäden 3,0 Mio. Euro Sachschäden 0,3 Mio. Euro Vermögensschäden abgeschlossen hat. Der Auftragnehmer wird auf Anfrage des Auftraggebers das Bestehen des Versicherungsschutzes nachweisen.
Sicher ist es die Sache des Auftragnehmers, die mit der Auftragsdurchführung verbundenen Risiken entsprechend abzusichern. Ihr Ziel als Einkäufer muss es sein, dass der Auftragnehmer eine entsprechende Versicherung abschließt, die die Risiken in ausreichender Höhe abdeckt. Dass Sie damit im eigenen und auch im Interesse des Auftragnehmers handeln, zeigt folgendes Beispiel.
Beispiel Für den Büroumzug hat Frau Joost ein kleines Umzugsunternehmen beauftragt. Am Tag des Umzugs hat sie einem Mitarbeiter der Umzugsfirma einen Generalschlüssel für alle Zugangstüren des Bürogebäudes ausgehändigt. Nach Abschluss der Arbeiten stellt die Umzugsfirma fest, dass der Schlüssel verloren gegangen ist. Aus Sicherheitsgründen müssen im ganzen Bürogebäude die Schließanlagen ausgetauscht werden. Der Schaden beträgt 25.000 Euro. Frau Joost hat mit der Umzugsfirma im Vertrag vereinbart, dass die Umzugsfirma für solche Schäden haftet und dass die Umzugsfirma eine entsprechende Versicherung in ausreichender Höhe abzuschließen hat.
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Lieferverzug und Vertragsstrafe
Die kleine Umzugsfirma hätte diesen Schaden nicht aus eigener Tasche bezahlen können und wäre in ihrer Existenz bedroht gewesen. Insofern hat auch sie einen enormen wirtschaftlichen Vorteil aus der vertraglich vereinbarten Versicherungspflicht gezogen.
Typische Versicherungsverträge, die im Beschaffungsprozess eine Rolle spielen können, sind: Betriebshaftpflichtversicherung Transportversicherung Produkthaftpflichtversicherung Versicherung gegen Elementarschäden
Von besonderer Bedeutung in diesem Zusammenhang ist die erweiterte Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz (ProdHG). Zum Schutz der privaten Endverbraucher wurde dieses Gesetz in allen EU Mitgliedsstaaten umgesetzt.
Erweiterte Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz Die Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz setzt kein Verschulden voraus. Es genügt, dass die hergestellte Sache fehlerhaft ist und gewerblich in den Vertrieb gelangt. Hersteller im Sinne des Gesetzes ist nicht nur der Hersteller des Endproduktes selbst, z. B. eines Autos, sondern auch der Hersteller einer Komponente des Endproduktes, z. B. der Reifenhersteller. Hersteller in diesem Sinne kann auch ein Händler sein, der das Produkt verkauft, aber keinen Hersteller benennen kann, z. B. bei so genannten No-Name-Produkten.
Hiermit wird deutlich, dass mit dem Produkthaftungsgesetz die Rechte der Endkunden klar geregelt und gestärkt sind. Für alle „Hersteller“ ist damit ein erhöhtes Haftungsrisiko verbunden. Zur Absicherung des Risikos aus der Produkthaftung ist es deshalb notwendig, eine entsprechende Produkthaftpflichtversicherung in ausreichender Höhe abzuschließen. Auf diesen Punkt sollten Sie bei Ihren Beschaffungen, vor allem bei Handelswaren und Komponenten für das Endprodukt, achten.
8.7
Lieferverzug und Vertragsstrafe
Unter einer Vertragsstrafe versteht man in der Regel einen Geldbetrag, den ein Schuldner (in unserem Falle der Auftragnehmer) auf Grundlage einer vertraglichen Vereinbarung als Strafe zu zahlen hat, wenn er die vereinbarte Vertragsleistung nicht oder nicht vertragsgemäß er-
Umgang mit Vertragsstörungen
171
bringt. Die gesetzliche Grundlage für die Vertragsstrafe ist in den §§ 339 bis 345 BGB geregelt. Die Vertragsstrafe wird auch als Konventionalstrafe oder Pönale bezeichnet. Mit der Vereinbarung einer Vertragsstrafe will der Käufer Folgendes erreichen: Der Käufer hat ein zusätzliches Druckmittel, damit der Auftragnehmer seiner Leistungspflicht vertragsgemäß nachkommt. Der Käufer muss keinen Schadensnachweis führen, um einen Ausgleich des ihm entstandenen Schadens zu erhalten.
Wichtig Ein entscheidender Aspekt der Vertragsstrafe ist, dass derjenige, der die Vertragsstrafe geltend macht, nicht beweisen muss, dass überhaupt ein Schaden entstanden ist, und auch nicht, in welcher Höhe er entstanden ist. Allerdings ist die Vertragsstrafe seitens desjenigen, der sie begleichen muss, dann anfechtbar, wenn sie unverhältnismäßig hoch ist.
Die Vertragsstrafe muss im jeweiligen Einzelvertrag ausgehandelt und vereinbart sein.
Beispiel Überschreitet der Auftragnehmer den vereinbarten Termin 14.05.2005 zur Lieferung der Ware, so zahlt der Auftragnehmer an den Auftraggeber pro angefangenem Kalendertag der Überschreitung eine Verzugsstrafe in Höhe von 0,2 % des Gesamtauftragswertes, jedoch nicht mehr als 5 % des Gesamtauftragswertes. Wir behalten uns vor innerhalb von 10 Tagen nach Annahme die Vertragsstrafe geltend zu machen.
Die Vertragsstrafe kann auch in den AGB vereinbart werden. Gerade aber die Vertragsstrafenregelung innerhalb der AGB unterliegt einer starken inhaltlichen Kontrolle der gesetzlichen Regelungen des BGB und ist immer wieder Anlass für die Gerichte, sich mit diesem Thema zu beschäftigen. So hat beispielsweise der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Urteil vom 23.01.2003 entschieden, dass die in AGB von Bauverträgen enthaltene Obergrenze der Verzugsstrafe von 10 % des Auftragswertes eine unzulässige Benachteiligung des Auftragnehmers darstellt. Verwenden Sie als Einkäufer überzogene Vertragsstrafenformulierungen, besteht immer die Gefahr, dass im Streitfall ein Gericht feststellt, dass die Formulierung unzulässig ist, und Ihr eigentlich als Druckmittel gedachtes Instrument der Vertragsstrafe ist völlig wirkungslos. Deshalb sollten Sie sich gerade bei der Verwendung von Formulierungen zur Vertragsstrafe
172
Lieferverzug und Vertragsstrafe
als Einkäufer mit überzogenen Forderungen zurückhalten und mit Ihrem Geschäftspartner eine faire und rechtssichere Vereinbarung treffen. Die häufigste Verwendung der Vertragsstrafe bei der Beschaffung ist im Zusammenhang mit der Einhaltung der vereinbarten Vertragstermine, wie dem Liefertermin (Kaufvertrag) oder dem Termin für die Abnahme (Werkvertrag), zu finden. Der zentrale juristische Begriff in diesem Zusammenhang ist der Verzug, den wir im Folgenden erläutern. In § 286 BGB ist geregelt, wie ein Lieferant in Verzug kommt: „Leistet ein Schuldner auf eine Mahnung des Gläubigers nicht, die nach dem Eintritt der Fälligkeit erfolgt, so kommt er durch die Mahnung in Verzug.“ Liefermahnung Liefert ein Lieferant (Schuldner) nicht termingerecht, können Sie ihn durch eine Mahnung in Verzug setzen. Diese Mahnung sollte recht zeitnah nach dem ursprünglichen Liefertermin versendet werden. Sie enthält in der Regel eine Frist, innerhalb derer die Lieferung erfolgen soll. Nach erfolglosem Ablauf dieser Frist tritt Verzug ein.
In manchen Fällen tritt der Verzug auch ein, ohne dass es einer Mahnung bedarf. In der Beschaffungspraxis spielt dabei die folgende Ausnahme eine wichtige Rolle: Einer Mahnung bedarf es nicht, wenn für die Lieferung oder Leistung ein Termin nach dem Kalender bestimmt ist. Das bedeutet, dass sich der Termin nur mit Hilfe des Vertrags und einem Kalender bestimmen lassen muss. Auf der sicheren Seite ist man, wenn man ein konkretes Datum vereinbart, z. B. durch die Formulierung „Als Liefertermin wird der 15. November 2005 vereinbart.“ Hingegen lässt sich der Termin nicht nach dem Kalender bestimmen, wenn eine Formulierung wie: „Die Lieferung erfolgt 2 Wochen nach vollständiger Auftragsklärung.“ gewählt wird. In diesem Fall bedarf es einer Mahnung, um den Lieferanten in Verzug zu setzen.
Wichtig Bestimmen Sie den Termin für die Leistung immer nach dem Kalender und halten Sie ihn durch eine konkrete Formulierung im Vertrag fest.
Ein weiterer Grundsatz ist: „Kein Verzug ohne Verschulden.“ Um in Verzug zu geraten, muss der Auftragnehmer folglich die Verzögerung zu vertreten (bzw. zu verantworten) haben. Dem Auftragnehmer wird auch das Verschulden seiner Erfüllungsgehilfen (z. B. Angestellte,
Umgang mit Vertragsstörungen
173
Sub-Unternehmer) zugerechnet. Letztlich muss der Auftragnehmer selbst beweisen, dass er oder einer seiner Erfüllungsgehilfen den Verzug nicht zu vertreten haben.
Vorsicht Prüfen Sie genau die Vertragsformulierungen zur Vertragsstrafe bzw. zum Schadensersatz, und vermeiden Sie damit, dass Sie ihre gesetzlichen Ansprüche aus Verzug einschränken.
Grundsätzlich haben Sie als Käufer das Recht, neben der Vertragsstrafe einen zusätzlichen, über die Vertragsstrafe hinausgehenden Schaden, als Schadensersatz geltend zu machen. Dies setzt allerdings voraus, dass Sie mit dem Lieferanten nichts Abweichendes vereinbart haben. Den über die Vertragsstrafe hinausgehenden Schaden müssen hingegen Sie als Besteller konkret nachweisen. In der kaufmännischen Praxis ist es üblich, dass die angefallene Vertragsstrafe auf den tatsächlich entstandenen Schaden angerechnet wird. Dass zusätzlich zum Ersatz des tatsächlichen Schadens noch die Vertragsstrafe zu zahlen ist, können Sie individualvertraglich vereinbaren. Diese Regelung ist aber schwierig zu vereinbaren und in der Praxis unüblich. Daher können wir Ihnen hier keinen pauschalen Formulierungsvorschlag machen. Es kommt vor, dass dem Käufer die Formulierung einer vermeintlichen Vertragsstrafenregelung vorgelegt wird, die tatsächlich aber als „pauschalierter Schadensersatz“ ausgelegt werden kann und somit Ihre gesetzlichen Ansprüche aus Verzug, z. B. auf Schadensersatz, einschränkt. Nachfolgend geben wir Ihnen ein Beispiel für eine solche Formulierung, die Sie als Einkäufer in keinem Fall akzeptieren sollten: „Kommt der Verkäufer in Verzug, hat der Käufer das Recht, unter Ausschluss weiterer Ansprüche für jede vollendete Woche des Verzugs 1 % bis maximal 5 % des Gesamtauftragswertes zu verlangen.“
8.8
Pauschalfestpreis und Einheitspreis
An dieser Stelle ist es durchaus sinnvoll, das Thema Preis nochmals aufzugreifen. Denn auch hier kann es zu unerwarteten Überraschungen kommen. Im Folgenden gehen wir auf einige typische Störungen ein, die zu Preisabweichungen führen können. Bei Abschluss eines Werkvertrages gibt es im Wesentlichen zwei Möglichkeiten, einen Preis zu vereinbaren. Preise in Werkverträgen lassen sich vereinbaren als
174
Pauschalfestpreis und Einheitspreis
Einheitspreise oder als Pauschalfestpreise. Bei der so genannten Abrechnung nach Aufwand werden mit dem Werkunternehmer die Preise pro Leistungseinheit als so genannte Einheitspreise vereinbart. Es wird z. B. festgelegt, dass eine Arbeitsstunde des Werkunternehmers 30 Euro kostet. Der Rechnungsbetrag richtet sich dann danach, wie viele Leistungseinheiten (hier Stunden) tatsächlich aufgewendet wurden. Das Risiko, ob die Leistung z. B. in fünf Stunden erbracht wird oder ob der Werkunternehmer letztlich zehn Stunden benötigt, liegt bei Ihnen als Besteller. Bei umfangreichen Beauftragungen, z. B. bei Bauverträgen, werden in Leistungsverzeichnissen (vgl. Kapitel 3) die Einheitspreise für die verschiedenen Leistungen vereinbart. Nach Fertigstellung des Werkes werden dann durch ein Aufmaß die tatsächlich aufgewendeten Mengen (oder Massen) festgestellt und in Rechnung gestellt.
Beispiel Wir kommen auf unser Beispiel des Büroumzugs zurück. Der ursprüngliche Aufwand für den gesamten Umzug wurde im Vorfeld sowohl von Frau Joost als auch von der Umzugsfirma geringer eingeschätzt. Es wurde ein Pauschalfestpreis vereinbart, jedoch auch eine Stundenpauschale für anfallende Mehrarbeiten. Die tatsächlich anfallenden Kosten stiegen deshalb erheblich, da das Umzugsunternehmen eine hohe Anzahl von Mehrarbeitsstunden auswies. Die Vereinbarung von Einheitspreisen für einzelne zusätzliche Leistungen hätte Frau Joost einen besseren Überblick über die tatsächlich anfallenden Mehrarbeiten ermöglicht und das Risiko ungerechtfertigter in Rechnung gestellter Mehraufwendungen vermieden. Diese Vereinbarung hätte wie folgt aussehen können: 1. pro Umzugskarton inkl. einpacken 2. pro Schreibtischkombination inkl. Ab- und Aufbau 3. pro PC-Arbeitsplatz inkl. Anschluss und Inbetriebnahme
5 Euro 40 Euro 50 Euro
Praxistipp Damit Sie jederzeit eine Kontrolle über die entstehenden Kosten im Rahmen eines Werkvertrages haben, empfehlen wir folgende Vorgehensweise, sofern Sie sich für eine Abrechnung auf Basis eines Einheitspreises entscheiden: Nehmen Sie eine Formulierung in den Vertrag auf, nach der der Lieferant verpflichtet ist, Sie bei Erreichen einer bestimmten Anzahl von Leistungseinheiten zu informieren und sich die Freigabe für weitere einzuholen. So haben Sie jederzeit die Kostenkontrolle und können rechtzeitig intervenieren, falls Sie den Eindruck haben, dass der Lieferant nicht effizient arbeitet.
Umgang mit Vertragsstörungen
175
Diese Vorgehensweise empfiehlt sich außerdem bei der Beauftragung von Dienstleistungen über einen Dienstvertrag. Insbesondere im Rahmen von Beratungsleistungen ist sie sinnvoll. Eine solche Formulierung kann lauten: Der Auftragnehmer ist verpflichtet, sich eine weitere Auftragsfreigabe seitens des Auftraggebers einzuholen, sofern die festgelegte Anzahl von 100 Leistungseinheiten erreicht ist und für die weitere Leistungserbringung im Rahmen dieses Auftrags überschritten werden muss.
Vereinbaren Sie mit dem Lieferanten einen Pauschalfestpreis, müssen Sie sich selbst und der Werkunternehmer im Vorfeld Gedanken machen, wie hoch der Aufwand tatsächlich sein wird. Vereinbaren die Vertragsparteien einen Pauschalfestpreis, der beispielsweise von einem Aufwand von fünf Stunden ausgeht, und schafft der Werkunternehmer die Leistung in drei Stunden, hat er den Vorteil auf seiner Seite. Sollte er jedoch zehn Stunden benötigen, hat er einen Nachteil und Sie als Besteller den Vorteil. Dadurch dass Sie als Einkäufer in der Regel Vergleichsangebote einholen, ist der Werkunternehmer gezwungen, ein möglichst effizient kalkuliertes Angebot einzureichen. Er wird also eher einen knappen Arbeitsaufwand kalkulieren, um überhaupt in die engere Auswahl der Anbieter zu gelangen. Daher trägt bei der Vereinbarung eines Pauschalfestpreises hauptsächlich der Werkunternehmer das Risiko. Aber auch der Werkunternehmer hat ein Interesse an der Vereinbarung eines Pauschalfestpreises. Zum einen handelt sich bei den Werkunternehmern um sachkundige Fachleute, die Aufwände realistisch einschätzen können, und zum anderen stellt die Abrechnung nach einem Pauschalfestpreis auch für den Werkunternehmer eine vereinfachte Abwicklung dar. Er erspart sich die häufig sehr aufwändige Ermittlung des Aufmaßes und kann genauso mit einem fixen Auftragsvolumen kalkulieren wie Ihr Unternehmen.
Praxistipp Wann immer möglich vereinbaren Sie einen Pauschalfestpreis. Formulierungsvorschlag: Für den gesamten Liefer- und Leistungsumfang gemäß Ihrem Angebot vom 12.10.2005 ist ein Pauschalfestpreis von 1.000,00 Euro zzgl. MwSt. vereinbart.
8.9
Preiserhöhung
Regelmäßig werden die Einkaufsabteilungen mit Preiserhöhungsschreiben der Lieferanten konfrontiert. Es handelt sich bei diesen Schreiben gewöhnlich um einen Standardrundbrief, in dem der Lieferant ankündigt, dass er ab einem bestimmten Zeitpunkt die Preise seiner Pro-
176
Preiserhöhung
dukte um X % erhöhen wird. Es folgt dann meist eine mehr oder weniger nachvollziehbare Erläuterung, warum diese Maßnahme notwendig wurde und mit welchen Maßnahmen er versucht hat, die Preiserhöhung zu vermeiden. Alle diese Preiserhöhungsschreiben bieten für Sie als Einkäufer eine Vielzahl von Ansatzpunkten für Gegenargumente. Doch bevor Sie sich hierüber Gedanken machen, sollten Sie sich dem kritischen Faktor Zeit in dieser Situation bewusst sein. Der Zeitraum von der Ankündigung bis zur Umsetzung der Preiserhöhung ist oft sehr kurz. Als Einkäufer sind Sie damit in Zugzwang. Denn als Besteller sind Sie unter Umständen zunächst an einer Versorgungssicherung interessiert, wenn Sie für die betroffenen Beschaffungsgüter nur schwer einen alternativen Lieferanten finden können. Um solche Überraschungen zu vermeiden, geben wir Ihnen einen einfachen Tipp.
Praxistipp Schreiben Sie Preise und Konditionen immer für einen bestimmten Zeitraum fest. Aber kalkulieren Sie eine solche Festschreibung sorgfältig in Abhängigkeit von dem jeweilig zu beschaffenden Produkt oder der zu beziehenden Dienstleistung.
Der Zeitraum für eine Festschreibung der Preise sollte in Abhängigkeit vom Produkt oder der Leistung festgelegt werden. Nicht in allen Fällen ist eine lange Festsschreibung des Preises für Sie als das einkaufende Unternehmen sinnvoll. Viele Preise unterliegen starken Schwankungen des Marktes. Schreiben Sie auf einem hohen Marktniveau den Preis fest, besteht die Gefahr, dass Sie bei fallenden Preisen weiter den hohen Preis zahlen müssen. Auch wenn wir als Konsumenten in der Regel häufiger steigende Preise wahrnehmen, ist die Preisentwicklung in der industriellen Beschaffung durchaus differenzierter zu betrachten. Selbst Tariflöhne entwickeln sich nicht zwangsläufig immer nach oben.
Beispiel Formulierungsbeispiele: „Die mit Ihnen vereinbarten Preise für das Produkt XY bleiben unverändert bis zum 31.12.2006.“ „Die Preise gem. Ihrer Preisliste in Verbindung mit der Nachlassvereinbarung vom 12.11.2005 gelten bis zum 31.12.2006.“
Wenn keine Preisfestschreibung erfolgt ist, geht es darum, schnell und effektiv auf das Preiserhöhungsschreiben zu reagieren. Am einfachsten geht das mit einem Standardbrief, der folgende wichtigsten Punkte enthalten könnte:
Umgang mit Vertragsstörungen
177
Checkliste 9 Vereinbaren Sie mit dem Lieferanten, dass die bisher vereinbarten Preise bis zu einer abschließenden Klärung unverändert gültig bleiben. 9 Fordern Sie den Lieferanten auf, konkrete Maßnahmen aufzuzeigen, wie er den preiserhöhenden Faktoren entgegenwirkt. 9 Hinterfragen Sie, was genau die Ursache der Preiserhöhung ist. 9 Ist denn „unser“ Produkt überhaupt von dieser Preiserhöhung betroffen? 9 Welche konkreten Maßnahmen wurden und werden in Zukunft ergriffen, um die Preise stabil zu halten bzw. die Preise zu reduzieren.
Praxistipp In manchen Fällen kann ein Preiserhöhungsschreiben für Sie auch ein willkommener Anlass sein, sich auf dem Markt umzusehen, ob es nicht doch bessere und preiswertere Alternativen gibt. Kommen Sie dem Preiserhöhungsschreiben Ihrer Lieferanten zuvor. Schreiben Sie Ihre wichtigsten Lieferanten an und bitten Sie diese, mit Ihnen gemeinsam Maßnahmen festzulegen, um die Einstandspreise nachhaltig zu reduzieren.
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Abbildung 26: Musteranschreiben zu Reaktion auf Preiserhöhung
Preiserhöhung
Literaturverzeichnis
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Literaturverzeichnis
Arnolds, Hans, Heege, Franz, Tussing, Werner, Materialwirtschaft und Einkauf, Gabler Verlag, Wiesbaden, 2000. Holtmann, Jens, Der Einkauf als Gewinnquelle: Der Weg zum Top-Einkauf in kleinen und mittleren Unternehmen mit Praxisbeispielen, RKW-Verlag, Eschborn, 2001. Holtmann, Jens, Sich durchsetzen in Einkaufsverhandlungen, RKW-Verlag, Eschborn, 2002. Schimmel, Dr. Roland, Buhlmann, Dirk, Fehlerquellen im Umgang mit dem neuen Schuldrecht, Luchterhand Verlag GmbH, Neuwied und Kriftel, 2002.
Stichwortverzeichnis
181
Stichwortverzeichnis
80/20-Regel 21 ABC-Analyse 17, 21, 24, 32 Abschlussfreiheit 102 AGB-Gesetz 109 Agenda 76, 79, 82, 83 AIDA-Formel 88 Allgemeine Geschäftsbedingungen 73, 109, 110 Analysephase 79 Anbieterverzeichnisse 35 Anfrage 31, 32, 33, 34, 38, 39, 40, 41, 42, 49, 53, 63, 65, 79, 80, 104, 129, 165 Angebotsbindefrist 40 Angebotspreis 51 Angebotsvergleich 40, 41, 49, 58, 60, 61, 62, 69, 73, 129 Angebotsverhandlung 63, 69, 70, 83, 84 Arbeitnehmerüberlassung 119, 120, 121, 122, 125, 126, 127 Aufbewahrungsfristen 136 Auftragsbestätigung 101, 104, 105, 107, 108, 109, 148 Auftragsvergabe 1, 88, 101 Ausschreibung 31 Bedarfsanalyse 15, 17 Bedarfsanforderung 15, 26, 27, 28, 29, 32 Beschaffung 7 Beschaffungsmanagement 7 Beschaffungsobjekte 16 Beschaffungsplanung 15, 16, 17, 19, 21 Beschaffungsprogramm 18 Beschaffungsprozesses 8
Bestellung 10, 13, 33, 39, 97, 101, 104, 105, 107, 108, 109, 112, 128, 129, 130, 131, 132, 133, 134, 136, 139, 145 Bestimmungsfaktoren für effiziente Beschaffungen 12 Bonus 52 Bündelung 23, 24, 25, 46, 51 E-Commerce 14 Einheitspreise 170 Einkauf 7 Einleitungsphase 77 Einmalbedarf 33 Einstandspreis 50, 52, 56, 57, 60, 63, 66 Erfüllungsort 54 Ergebnisphase 82 ERP-Systeme 14, 108 Fahrlässigkeit 164, 165 Folgeauftrag 34 Formfreiheit 102 Garantie 67, 73, 99, 149, 151, 161, 162 Gefahrenübergang 53, 55, 114, 151 Gesetz zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung 120 Gewährleistung 73, 97, 99, 114, 120, 123, 148, 149, 151, 161 Gewährleistungsfrist 114, 142, 161 Haftung 73, 97, 161, 162, 163, 166 Incoterms 54 Informationsbroker 36 Inhaltsfreiheit 102 Inquiry 32 Jahreseinkaufsvolumen 21, 22
182
Just-in-Time 57 kaufmännische Bestätigungsschreiben 106, 107 Kaufvertrag 116, 117, 139, 145, 149, 150, 157, 158, 159, 168 Kommunikation 84, 85, 86, 87, 96 Kompensationsgeschäfte 59 konkludente Handlung 104 Konzerngeschäfte 59 Leistungsbeschreibung 37, 38, 130 Leistungsverzeichnisses 37 Lieferantendatei 37 Lieferantenentwicklung 44 Lieferantenfragebogen 45 Lieferantenmanagement 7, 43, 45 Lieferantenreduzierung 46 Lieferkonditionen: Frachtkosten, Transport; ab Werk, frei Haus/Werk 53 Lieferzeitpunkt 12, 13, 16, 17, 19, 149 Mangel 139, 140, 149, 151, 152, 153, 154, 155, 157, 158, 160, 161, 162 Menge 12, 13, 16, 17, 19, 26, 33, 40, 49, 59, 61, 63, 72, 129, 140, 149 Minderung 153, 154, 155, 157, 158, 159 Nacherfüllung 114, 153, 154, 155, 156, 157, 158, 159 Optionen 81 Paraphe 131 Pareto-Prinzip 21 partieller Preisvergleich 64 Partnerwahlfreiheit 102 Pauschalpreise 170 Preis 13 Preismengenstaffeln 59 Problemlösungsphase 81 Produktgruppen 16
Stichwortverzeichnis
Produkthaftungsgesetz 166 programmgesteuerte Bedarfsermittlung 19 Prokura: Prokurist 132 Protokoll 96 qualifizierte Abwehrklauseln 110 Qualität 11, 13, 16, 17, 19, 45, 49, 58, 60, 61, 63, 66, 72, 75, 81, 129, 149, 161 Quotation (RFQ) 32 Rabatt 52 Rahmenvertrag 23, 33, 72, 84, 109, 127, 128 Rechnungsprüfung 145 Rechtsmangel 149 Rücktritt 102, 153, 154, 155, 157, 159 Rüge 139, 140 Sachmangel 150 Schadensersatz 153, 154, 155, 156, 158, 159, 169 Scheinselbstständigkeit 119, 126, 127 Selbstbeseitigungsrecht: Selbstvornahme 157 Sender-Empfänger-Modell 85 Single Sourcing 46 Skonto 56, 63, 146 Standardisierung 24, 25, 51 Supply Chain 8, 43, 44 Telefonverhandlung 94 Total Cost of Ownership 66 Typenmodelle 78 Umsatzsteuer 56 verbrauchsgesteuerte Bedarfsermittlung 19 verdeckte Arbeitnehmerüberlassung 119 Verhandlungsgegenstand 81 Verhandlungsumfang 81
Stichwortverzeichnis
183
Verjährungsfristen 160 Verpackung: Verpackungskosten 55 Vertragsfreiheit 102, 116, 117 Vertragsstrafe 167, 168, 169; Konventionalstrafe, Pönale 167 Verzug 168 Vorsatz 164
Werkvertrag 116, 117, 118, 119, 120, 122, 124, 125, 127, 142, 145, 157, 158, 159, 168 Wertschöpfungskette 43 Wiederholkauf 33 Willenserklärung 103, 105 Wissensdatenbanken 36
Warengruppen 16, 17, 18, 69
Zahlungsfrist 146 Zielpreis 64 Zuschläge 51