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German Pages 260 [255] Year 2011
André Gazsó, Sabine Greßler und Fritz Schiemer (Hrsg.) Nano Chancen und Risiken aktueller Technologien
SpringerWienNewYork
MMag. Dr. André Gazsó Institut für Risikoforschung, Universität Wien, Wien, Österreich
Mag. Sabine Greßler Forum Österreichischer Wissenschaftler für Umweltschutz, Wien, Österreich
o. Univ.-Prof. Dr. Fritz Schiemer Dept. für Limnologie und Hydrobotanik, Universität Wien, Wien, Österreich
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Mit 35 Abbildungen Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar
ISBN 978-3-211-48644-3 SpringerWienNewYork
EDITORIAL
Die vorliegende Publikation ist aus einer Vortragsreihe über Nanotechnologien und deren gesellschaftlich relevanten Aspekten hervorgegangen, die im Sommersemester 2006 an der Universität Wien abgehalten wurde. Organisiert wurde diese Veranstaltungsreihe – insgesamt sechs Abende – vom Forum Österreichischer Wissenschaftler für Umweltschutz und dem Institut für Risikoforschung der Universität Wien. Das Vorhaben wurde von der Österreichischen NANO Initiative der FFG unterstützt und gefördert. Es gibt im Wesentlichen zwei Gründe, warum Nanotechnologien Gegenstand öffentlichen Interesses sind. Einerseits sind die Erwartungen an dieses Forschungs- und Technologiefeld sehr hoch, Nanotechnologien gelten infolge ihrer universellen Einsetzbarkeit als Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts. Entsprechend hoch sind demnach auch die Investitionen, die derzeit weltweit in diesem Bereich getätigt werden, und zwar nicht nur in den so genannten hochindustrialisierten Ländern, sondern und bezeichnenderweise auch in Schwellenländern, wo offenbar Technologieentwicklung als ökonomischer und sozialer Entwicklungsmotor verstanden wird. Andererseits tauchen im Zusammenhang mit bestimmten Anwendungen seit einiger Zeit auch vermehrt Befürchtungen, jedenfalls jedoch erhebliche Unklarheiten über ihr mögliches gesundheits- und umweltrelevantes Schadenspotenzial auf, wobei einige Aspekte bereits aus vorangegangenen öffentlichen Technologiewahldebatten (Kernenergie, Gentechnik) bekannt zu sein scheinen. Diese Unklarheit ist ein Beweggrund für manche Regierung wie auch für die Europäische Kommission, proaktive Forschungs- und Begleitmaßnahmen zu initiieren und zu unterstützen. Da das Forum Österreichischer Wissenschaftler für Umweltschutz seit seiner Gründung im Jahre 1985 darum bemüht ist, einen interdisziplinären Dialog und eine ganzheitliche Betrachtungsweise der vielschichtigen UmV
weltproblematiken zu fördern, war es naheliegend, das Thema „Nanotechnologien“ zum Gegenstand einer ausgewogenen und fundierten Veranstaltungsreihe auszuwählen. Die Universität Wien kommt als Projektpartner ihrem bildungs- und demokratiepolitischen Auftrag nach, indem sie sowohl den Kenntnisstand über ein neues und hochinteressantes Forschungsfeld erhöht als auch eine aktive Auseinandersetzung mit dessen möglichen politischen, gesellschaftlichen und ethischen Implikationen fördert. Als vor mehr als einem Jahr die ersten internen Diskussionen zu einem entsprechenden Projekt geführt wurden, mussten wir feststellen, dass der Wissensstand über Nanotechnologien und ihren Anwendungen – auch unter Wissenschaftlern – noch sehr gering, das Interesse an diesem Thema und ein entsprechender Diskussionsbedarf jedoch erfreulich hoch waren. Naturgemäß richtet sich die vorliegende Sammlung von Beiträgen zunächst einmal an Wissenschaftler und Studenten aller Disziplinen, selbstverständlich aber auch an alle wissenschaftlich interessierten Menschen, die sich über den Forschungs- und Entwicklungsstand sowie den gesellschaftlichen und forschungspolitischen Kontext der Nanotechnologien ein Bild machen wollen. Sowohl die moderierte Veranstaltungsreihe als auch die daraus entstandene Sammlung von Fachbeiträgen verfolgen das Ziel, eine offene Diskussion über die Anwendungen der Nanotechnologien und deren Entwicklungspotenziale zu fördern und eine qualifizierte Meinungsbildung zu erleichtern. Wenn auch – basierend auf dem interdisziplinären Charakter des neuen Forschungsfelds selbst – eine möglichst breite Fächerung der dargestellten Themen angestrebt wurde, um der hohen Diversität und Komplexität möglicher Anwendungen und deren Auswirkungen gerecht zu werden, musste man sich aus rein pragmatischen Gründen auf einige wenige zentrale Themen beschränken. Das sollte einen leichteren und rascheren Einstieg in die zunächst noch unübersichtliche Welt der Nanotechnologien begünstigen. So wurden also – nach einer allgemeinen Einführung – solche Themen gewählt, die einen verständlichen und möglichst wenig aufwändigen Zugang erlauben, da sie das neue Forschungsfeld jeweils im Rahmen unmittelbar erfahrbarer lebensweltlicher Grundbedingungen darstellen. Die Themenabende waren daher den Bereichen Gesundheit, Umwelt, Wirtschaft, Regulation und Öffentlichkeit gewidmet. Auch die in diesem Buch vereinten Beiträge sind unschwer diesen fünf Schwerpunkten zuzuordnen, auf eine dezidierte Kennzeichnung bzw. entsprechend strikte Kategorisierung der Beiträge wurde jedoch verzichtet. Den Autoren und Autorinnen ist es jedenfalls zu danken, dass sie dem von ihnen abverlangten hohen Grad an Verständlichkeit nicht die dennoch zu erwartende Themenfülle und Gedankentiefe geopfert haben. Armin Grunwald und Torsten Fleischer leiten diese Publikation mit einer dichten, dennoch gut verständlichen und übersichtlichen Darstellung der Nanotechnologien, ihrer Anwendungsfelder und Potenziale, aber auch VI
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ihrer Risikofelder ein. Innovationen werden vor allem bei der Entwicklung neuer Materialien, in der Medizin und im IKT-Bereich erwartet. Demgegenüber steht eine rege Diskussion über mögliche Gesundheits- und Umweltfolgen dieser Applikationen. Sorgen um einen möglichen Kontrollverlust, über die weitgehend unbekannten Folgen dieser Technologien und die gerechte Verteilung ihres Nutzens werden auch hier die öffentliche Debatten bestimmen. Mit einer Einführung anderer Art, nämlich einer Übersicht über aktuelle Entwicklungen im Bereich geeigneter Messmethoden zum Nachweis von Nanopartikeln und Nanoaerosolen, setzen Wladyslaw Szymanski und Günter Allmaier unmittelbar fort. Die Messung von Nanopartikeln und Nanoaerosolen, insbesondere solche organischen Ursprungs, stellt eine große Herausforderung für die Wissenschaft dar. Die beiden Autoren machen darauf aufmerksam, dass sich maßgebliche Entwicklungen derzeit vor allem im Grundlagenbereich (Nanowissenschaft) abspielen. Wolfgang Luthers Beitrag betont die Bedeutung der Nanotechnologien als wirtschaftlichen Wachstumsmarkt. Für viele Industriebranchen werde nämlich ihre zukünftige Wettberwerbsfähigkeit wesentlich davon abhängen, ob sie die neuen Möglichkeiten, die ihnen durch die Nanotechnologie geboten würden, auch erschließen und für sich nützen könnten, wobei die Verbesserung von bereits bestehenden Produkten und die Eröffnung neuer Marktchancen einerseits durch die Minituarisierung wichtiger Systemkomponenten und andererseits durch gänzlich neue Funktionalitäten, die erst auf nanoskaligem Niveau auftreten, erzielt würden. Da die konkreten Ausgestaltungen und Anwendungen der Nanotechnologien noch nicht bekannt sind, ja zudem mit neuen, bisher unbekannten Effekten zu rechnen ist, muss – wie Arnim von Gleich und seine Koautoren Ulrich Petschow und Michael Steinfeldt erklären – eine Analyse an der Charakterisierung der Hauptlinien der Nanotechnologien selbst ansetzen. In diesem Beitrag werden etwaige Nachhaltigkeitseffekte einiger Anwendungsbereiche der Nanotechnologien in Anlehnung an die Ökobilanzmethodik, die vor allem für den Bereich der Nanomaterialien bereits weit gediehen ist, eingehend dargestellt und diskutiert. Frank von der Kammer und Thilo Hofmann stellen Nutzen und Risiko der Nanotechnologie aus der Sicht der Umweltgeowissenschaften dar, denn in den Umweltwissenschaften wird seit mehr als drei Jahrzehnten intensiv an Prozessen in der aquatischen Umwelt geforscht, die ihren Ursprung im nanoskaligen Bereich haben. Diese Erkenntnisse könnten eine grundlegende Basis liefern, um das Verhalten von industriellen Nanopartikeln abzuschätzen und entsprechende Modelle und Methoden zur Voraussage ihres Umweltverhaltens zu entwickeln. Im anschließenden Beitrag geben Jörg WörleKnirsch und Harald Krug eine Übersicht über den Stand der Risikoforschung und die toxikologische Bewertung von Nanomaterialien, wobei sie sowohl ein mögliches Modell der Risikobewertung vorstellen als auch VII
etwaige Desiderate identifizieren. Zwar sei erst – so schließen die beiden Autoren – auf der Grundlage eines verbesserten Wissens um die möglichen Gefahren im gesamten Lebenszyklus der Produkte eine eingehende Risikoabschätzung möglich, dennoch könnten schon jetzt zumindest einige konkrete Überlegungen zum ökotoxikologischen Risikomanagement von Nanomaterialien gemacht werden. Der Beitrag von Alexandra Fischer und Doris Hirmann rundet den Regulationsschwerpunkt in diesem Buch ab. Aus Sicht der Behörde sind Nanomaterialien nämlich Produkte der chemischen Industrie und fallen demnach in die Zuständigkeit des Chemikalienrechts. Der Beitrag erörtert daher auch die Eignung und Angemessenheit aktueller und zukünftiger gesetzlicher Regelungen aus dem Chemikalienbereich – insbesondere REACH – für den sicheren Umgang mit Nanomaterialien. An den im Wesentlichen umwelttoxikologischen Teil schließt unmittelbar eine Reihe von Artikeln an, die human- und umweltmedizinische Themen zum Inhalt haben. Alexander Haslberger, Judith Schuster und Astrid Gesche erörtern speziell die Problematik des Einsatzes nanotechnologisch hergestellter Substanzen und Materialien in der Lebensmittelproduktion und schlagen zusätzlich und parallel zu der geforderten Verbesserung der Wissensbasis, die für die Entwicklung zuverlässiger Risikobewertungsmethoden notwendig ist, auch die Erarbeitung und Anwendung eines allgemein verbindlichen Code of Ethics für diesen Bereich vor. Gleich danach geben Walter Baumgartner und Barbara Jäckli einen fundierten Überblick über die wahrscheinlichen Entwicklungen nanotechnologischer Anwendungen in der Medizin und den Einfluss der Nanotechnologien in sieben Krankheitsfeldern bis 2020. Die Nanotechnologien werden – so schließen die Autoren in der ersten ihrer acht Thesen – die Medizin bereits in den nächsten 20 bis 30 Jahren deutlich verändern, sowohl in der medizinischen Forschung, in der Diagnose wie auch in der Therapie. Allerdings sei auch zu erwarten, dass sich bestehende Konfliktpotenziale, wie sie sich vor allem im Zusammenhang mit der Gentechnologie bzw. ihren direkten und indirekten Anwendungen in der Diagnose und der Therapie gezeigt haben, verstärken würden. Hanns Moshammer und Peter Wallner gehen aus der Sicht der Umweltmediziner der Frage nach, welche Voraussetzungen ein geeignetes Kontrollinstrumentarium zur Vermeidung möglicher Gesundheitsgefährdungen aufweisen muss. Zu diesem Zweck geben sie eine Übersicht über mögliche Applikationsformen und Wirkmechanismen von Nanopartikeln im menschlichen Körper und kommen unter anderem zu dem Schluss, dass im Falle bestimmter Nanomaterialien hochaktive Stoffe mit sehr spezifischen Eigenschaften produziert und wenigstens langfristig auch in die Umwelt eingebracht werden, über deren Persistenz und Nebenwirkungen bzw. über deren Effekte bei nicht bestimmungsgemäßem Gebrauch derzeit noch kaum Informationen vorlägen. Tierexperimentelle Studien, Untersuchungen am Menschen und epidemiologische Befunde scheinen die ReleVIII
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vanz von Ultrafeinstäuben als Verursacher von ernsten Gesundheitsschäden des Herz-Kreislauf-Systems und der Atmungsorgane zu bestätigen, wie Manfred Neuberger in seinem Artikel ausführlich darstellt, wobei Nanopartikel beim Menschen zwar weniger entzündliche Abwehrreaktionen auszulösen scheinen als größere Partikel, dafür aber biologische Membranen leichter überwinden. Vor allem gegen Ultrafeinstäube aus Verbrennungsprozessen (Verbrennung fossiler Energieträger, Tabakrauch) scheinen wir bis heute keine ausreichenden Abwehrreaktionen entwickelt zu haben. Den Abschluss der vorliegenden Publikation bildet eine Block von Artikeln, die sich mit der öffentlichen Wirkung des Einsatzes neuer Technologien beschäftigen. Antje Grobes Beitrag fasst die internationalen Entwicklungen der letzten Jahre in der Risikokommunikation an Hand der praktizierten Dialog- und Partizipationsmodelle im Rahmen der öffentlichen Diskussion um die Nanotechnologien zusammen. Wie die Autorin feststellt, hat man in Europa bisher erfolgreich auf Dialoge und die Integration möglichst aller betroffenen Akteursgruppen gesetzt. Die Kommunikation über Nanotechnologien wurde zwischen Chancenförderung und Risiko-Debatte ausbalanciert, wobei bewusst alle Kommunikationsebenen – sowohl die naturwissenschaftlichen Befunde, als auch die psychosozialen Befindlichkeiten und ethischen Zielverhandlungen – berücksichtigt wurden. Im abschließenden Beitrag unternimmt Alfred Nordmann den Versuch einer Entflechtung der Nanotechnologien. Da es uns nämlich unmöglich sei – hält der Autor fest – die Nanotechnologie als ein einheitliches Forschungs- und Entwicklungsprogramm zu denken, müsse der Allgemeinbegriff in spezifische und handhabbare Projekte herunter gebrochen werden. So sollte schließlich dieses Programm der Entflechtung in die aktuelle Zieldiskussion eingreifen und einen Beitrag zur Klärung der Frage leisten, wie mit Hilfe nanotechnologischer Forschung und Entwicklung die Gegenwart – und nicht die Zukunft – korrigiert werden kann. Die vorliegende Publikation, die gleichsam eine Erweiterung wie auch eine Vertiefung des im Frühjahr an der Universität Wien begonnenen Diskussionsprozesses darstellt, ist ein Versuch, für den komplexen Bereich der Nanotechnologien und ihre vielfältigen gesellschaftlichen Implikationen öffentliche Aufmerksamkeit zu erwirken. Es ist kein leichtes Unterfangen komplexe wissenschaftliche Zusammenhänge ohne Qualitätsverlust anschaulich wiederzugeben. Es ist den Autoren und Autorinnen zu danken, dass dies hier gelungen ist. Somit kann diese Publikation eine Grundlage für eine breitere öffentliche Diskussion bieten, die Polarisationen meidet und sich nicht scheut, alle interessierten Parteien einzubeziehen und alle strittigen Themen vorurteilsfrei aufzugreifen. Da eine gesellschaftlich sinn- und wertvolle Implementation wissenschaftlicher und technischer Entwicklungen wesentlich vom Vertrauen der Bürger in die Validität der Wissensbestände, die Unabhängigkeit der Expertise und der gerechten Verteilung des Nutzens dieser Entwicklungen abhängen, kann eine offene Diskussion über IX
die Chancen und Risiken der Nanotechnologien nicht früh genug anfangen. Die Etablierung einer systematischen begleitenden Risiko- und Sicherheitsforschung, die neben der technisch-naturwissenschaftlichen Risikoanalyse und der ökonomischen Kosten-Risiko-Analyse auch soziale, kulturelle und ethische Risiko- und Sicherheitsaspekte berücksichtigt und in einem integrativen und transdisziplinären Ansatz zu vereinen versucht, wäre die logische Folge daraus und dringend geboten. Wir danken der Fakultät für Lebenswissenschaften, die uns die notwendige Infrastruktur für die Veranstaltungsreihe an der Universität Wien zur Verfügung stellte sowie Birgit Dalheimer vom ORF für die professionelle Moderation. Die Herausgeber
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VORWORT
DER
ÖSTERREICHISCHEN NANO INITIATIVE
Der Begriff „Nano“ leitet sich vom griechischen Wort für Zwerg (nánnos) ab und ist die Vorsilbe für eine Maßeinheit. Ein Nanometer entspricht 10 –9 Meter. Zum Vergleich stelle man sich vor, dass ein menschliches Haar einen Durchmesser von ungefähr 80.000 nm hat. „Nano“ ist auch ein Sammelbegriff für die Forschung und Arbeit an Strukturen in der Größenordnung von 0,1 nm bis zu einigen 100 nm. Durch die Manipulation von Materie in dieser Größenordnung entstehen besondere chemische, biologische, elektrische, mechanische oder optische Eigenschaften, welche in der makroskopischen Welt neuartige Anwendungen ermöglichen. Diese reichen von Anti-HaftBeschichtungen, leistungsstärkeren Computern, „intelligenter“ Kleidung bis zu neuartigen Verstärkungen für Sportgeräte. Viele Fachgebiete befassen sich mit „Nano“ oder arbeiten sich in den Nanokosmos vor. Das Spektrum umfasst Gebiete der Biologie, Chemie, Physik, Elektronik, Werkstoffwissenschaften, Medizin, Optik, etc. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen diesen Gebieten ist spannend und stellt eine große Herausforderung dar. Mögliche umweltrelevante und gesundheitliche Effekte von Nanomaterialien können von Größe, Form, Oberfläche und chemischer Zusammensetzung abhängen und sind Gegenstand umfangreicher Forschung. Prognosen, wie sich Nanomaterialien auf Mensch und Umwelt auswirken werden, sind auf Basis des derzeitigen Wissens aber schwer abzugeben. Für den Zeitraum 2003–2006 stellt das Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie BMVIT insgesamt 35 Millionen Euro für innovative Forschung und Entwicklung, Aus- und Weiterbildung, Vernetzung und begleitende Forschung im Bereich der Nanowissenschaften und NanoXI
technologien zur Verfügung. Neben der nachhaltigen Stärkung der Kooperationen zwischen Wirtschaft und Wissenschaft sind gerade auch vertrauensbildende Maßnahmen und begleitende Forschungsthemen mit einer objektiven Betrachtung der Chancen und Risiken dieser Zukunftstechnologie ein wesentlicher Schwerpunkt der Österreichischen NANO Initiative. Die vorliegende Publikation ist das Ergebnis einer von der NANO Initiative geförderten Veranstaltungsreihe mit dem Titel „Nanowissenschaften und Nanotechnologien – Chancen und Risken“ in welcher hochrangige Fachleute die Bedeutung von „Nano“ für die Gesellschaft einem breiten Publikum erörterten und sich der Diskussion stellten. Ziel war eine umfassende und sachliche Auseinandersetzung unter Einbindung interessierter Akteure aus Wissenschaft, Industrie, Politik und Öffentlichkeit. Die Österreichische NANO Initiative dankt dem Forum Österreichischer Wissenschaftler für Umweltschutz und dem Institut für Risikoforschung der Universität Wien für die ungemein interessante Gestaltung der Vortragsreihe. Hier konnte ein wichtiger Beitrag zur vertiefenden Diskussion über gesellschafts- und forschungspolitisch relevante Fragestellungen geleistet werden. Wir freuen uns, dass mit dieser Publikation die Vorträge zu den Themengebieten: „Was ist Nano?“, „Nano und Gesundheit“, „Nano und Umwelt“, „Nano und Wirtschaft“, „Nano und Regulation“ sowie „Nano und Öffentlichkeit“ zusammengefasst sind und einer breiten Leserschaft zur Verfügung stehen. Sollten Sie sich für weitere Aktivitäten der Österreichischen NANO Initiative interessieren, werfen Sie einen Blick auf unsere websites: www. nanoinitiative.at und www.ffg.at. Kontakt: Mag. Dr. Margit Haas und DI Regina Korntner FFG Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft mbH Bereich Thematische Programme Sensengasse 1 1090 Wien Tel: +43(0)57755-5080 oder 5081 Fax: +43(0)57755-95080 Email: [email protected], [email protected] www.nanoinitiative.at Die Österreichischen NANO Initiative ist ein Förderprogramm der FFG.
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INHALTSVERZEICHNIS
Nanotechnologie – wissenschaftliche Basis und gesellschaftliche Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. GRUNWALD
UND
T. FLEISCHER
Nanopartikel und Nanoaerosole – Messmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . W. W. SZYMANSKI
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UND
21
G. ALLMAIER
Nanotechnologie als wirtschaftlicher Wachstumsmarkt . . . . . . . . . . .
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W. LUTHER
Nachhaltigkeitspotenziale und Risiken von Nanotechnologien – Erkenntnisse aus der prospektiven Technikbewertung und Ansätze zur Gestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A.
VON
GLEICH, U. PETSCHOW
UND
Beispiele für Nutzen und Risiko der Nanotechnologie aus der Sicht der Umweltgeowissenschaften – Was wir wissen und was wir lernen müssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F.
VON DER
KAMMER
UND
61
M. STEINFELDT
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T. HOFMANN
Risikoforschung und toxikologische Bewertung von Nanomaterialien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 J. M. WÖRLE-KNIRSCH
UND
H. F. KRUG
Chemikalienrecht und Regulatorische Toxikologie – Prüfung auf Nano-Tauglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 A. FISCHER
UND
D. HIRMANN
Nanotechnologie und Lebensmittelproduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 A. G. HASLBERGER, J. SCHUSTER
UND
A. GESCHE
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Nanotechnologie in der Medizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 W. BAUMGARTNER
UND
B. JÄCKLI
Gesundheitsrisiken durch Nanopartikel? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 H. MOSHAMMER
UND
P. WALLNER
Umweltepidemiologie und Toxikologie von Nanopartikeln (Ultrafeinstaub) und Feinstaub . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 M. NEUBERGER
Europa setzt auf Dialoge: Neue Wege der (Risiko-)Kommunikation für Nanotechnologien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 A. GROBE
Entflechtung – Ansätze zum ethisch-gesellschaftlichen Umgang mit der Nanotechnologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 A. NORDMANN
Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245
XIV
NANOTECHNOLOGIE –
WISSENSCHAFTLICHE BASIS UND GESELLSCHAFTLICHE FOLGEN A. GRUNWALD
UND
T. FLEISCHER
Nanotechnologie gilt als Forschungsfeld mit revolutionären Möglichkeiten der Innovation in verschiedensten Anwendungsfeldern. Zunächst wird erläutert, wodurch sich Nanotechnologie auszeichnet und worin ihre wissenschaftliche Basis besteht. Vielfältige Potenziale der Innovation werden vor allem in den Bereichen neuer Materialien, in der Informations- und Kommunikationstechnik und im medizinischen Bereich gesehen, jeweils mit einer Fülle von Anwendungsfeldern. Neben den erheblichen Potenzialen sind jedoch auch Risikofelder zu beachten. Vor allem Gesundheits- und Umweltfolgen künstlich hergestellter Nanopartikel, aber auch Fragen der Verteilungsgerechtigkeit und Sorgen vor einem möglichen Kontrollverlust des Menschen über die Technik begleiten die Nanotechnologie. Schlüsselworte: Nanotechnologie, Potenziale, Risiken, Visionen Nanotechnology – scientific fundament and social impacts Nanotechnology is regarded as an emerging field of innovation with possibly revolutionary impacts. In this paper, we characterize the key issues of nanotechnology and its scientific fundament. Potentials for innovation driven by advances in nanotechnology research are expected in the fields of new materials, in information and communication technologies (innovative approaches and architectures), as well as in the life sciences and medicine. Risks, however, cannot be excluded. Especially the unknown consequences of nanoparticles in the natural environment and for human health are currently under consideration. Furthermore, 1
questions of equity and concerns about technology becoming increasingly autonomous are part of the debate. Keywords: Nanotechnology, potentials, risks, visions
1. CHARAKTERISIERUNG DER NANOTECHNOLOGIE Der Begriff der Nanotechnologie hat sich seit ca. zehn Jahren als Oberbegriff für eine Reihe avancierter Wissenschafts- und Technikrichtungen etabliert, deren Gemeinsamkeit darin besteht, gezielte Analyse und Manipulation in einer Größenordnung zu erlauben, die bislang menschlichem Zugriff verschlossen war: in der Nanometer-Dimension (nm). Ein Nanometer entspricht einem milliardstel Meter. In der Größenordnung von einigen Nanometern liegen z.B. komplexe Moleküle wie die DNA oder einfache Viren. Vielfach wurde versucht, „Nanotechnologie“ genauer zu definieren oder wenigstens in ihren Inhalten zu umreißen. Diese Versuche sind auf den ersten Blick relativ ähnlich, zeigen aber bei detaillierter Analyse deutliche Unterschiede (Schmid et al. 2003). Zudem ist offen, ob und in welchem Umfang Nanotechnologie verwandte oder benachbarte Gebiete wie z.B. Mikroelektronik oder Biotechnologie einschließt, und wo sie sich von ihnen abgrenzt. Es hat sich bislang keine Definition als allgemein anerkannt durchgesetzt (Decker et al. 2004). Wir verwenden im Folgenden eine pragmatische Definition, nach der Nanotechnologie als Sammelbegriff für Techniken für und mit nanoskaligen Systemen (das sind Systeme, die in mindestens einer Dimension einen Größenbereich zwischen 1 und 100 nm aufweisen), fungiert, §
die zielgerichtet und individuell (und nicht „nur“ statistisch in Form einer großen Menge) analysiert und manipuliert werden können, z.B. zur Gestaltung von Oberflächeneigenschaften, § bei denen größenspezifische neue Effekte und Eigenschaften beobachtet oder erzeugt werden können, wie z.B. quantenmechanische Effekte (Schmid et al. 2006), § welche wenigstens der Intention nach – worauf der Wortbestandteil „Technologie“ hinweist – technisch nutzbar gemacht werden (können oder sollen).
Dahinter steht die Idee des technischen Operierens auf der Ebene von Atomen und Molekülen,1 einer Ebene, die bislang nur dem chemischen und damit statistischen Zugriff auf eine große Zahl von Atomen und Molekülen offen stand. Ermöglicht wurde diese (beginnende) „Eroberung“ des Nanokosmos unter anderem durch neuartige physikalische Analyse- und Mani1 „The principles of physics, as far as I can see, do not speak against the possibility of maneuvering things atom by atom“ (Feynman 1960).
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NANOTECHNOLOGIE – WISSENSCHAFTLICHE BASIS UND GESELLSCHAFTLICHE FOLGEN
pulationstechniken wie die Rastersonden- und Rasterkraftmikroskopie. Die Rastertunnelmikroskopie (STM), welche den quantenmechanischen Tunneleffekt zur Messung von Abständen nutzt, wurde 1981 erfunden. Rasterkraftmikroskopie (AFM) und Rastersondenverfahren sind hoch spezialisierte Weiterentwicklungen, die das Abtasten von Oberflächen auf der Basis stark entfernungsabhängiger elektrischer Potenzialverteilungen möglich machen. Auf diese Weise können „Bilder“ von Oberflächen auf der Nanometerebene, d.h. letztlich auf der Ebene von Atomen, erzeugt werden. Wenn die Abtast„nadel“ sodann nicht nur zur Beobachtung und Messung, sondern als eingreifender „Finger“ für Manipulationen genutzt wird, dann ist – wenigstens theoretisch – ein „Shaping the World Atom by Atom“ (NNI 1999) möglich. Dabei ist jedoch häufig umstritten, ob Nanotechnologie wirklich „Technologie“ ist. Weder handelt es sich bei der Nanotechnologie im engeren Sinne um eine Technologie oder eine Gruppe von Technologien, noch können damit zurzeit in nennenswertem Umfang marktgängige Produkte und Verfahren beschrieben werden. Vielmehr stellt der Begriff der Nanotechnologie einen eher forschungspolitisch und forschungsorganisatorisch geprägten Terminus dar, der zu einem großen Teil auch Grundlagenforschung beinhaltet. Manche Forscher bevorzugen daher die Begriffe nanosciences bzw. Nanowissenschaften. Diese sind, wenn auch der Ausgangspunkt der Nanotechnologie in Entwicklungen liegt, die aus der Physik heraus betrieben worden sind, generell durch ein Überschreiten klassischer Grenzen zwischen Physik, Chemie, Biologie und den Ingenieurwissenschaften gekennzeichnet. Diese interdisziplinäre Ausrichtung kennzeichnet Nanotechnologie von Beginn an und hat teilweise bereits Konsequenzen bis hinein in die universitären Studiengänge. Nanotechnologie hat in den letzten Jahren auch eine Karriere als öffentlicher und medialer Begriff gemacht und Einfluss bis hinein in Kunst und Literatur ausgeübt. Das möglich gewordene Design von Materialien auf atomarer und molekularer Ebene und, damit verbunden, die Erzeugung und Nutzung von teilweise völlig neuartigen Produkteigenschaften sowie die weitere Miniaturisierung von Komponenten, Produkten und Verfahren bis hin zum Bau von „Nanomaschinen“ sind faszinierend und eröffnen weit reichende Anwendungsmöglichkeiten (Kap. 2). Allgemein wird von der Nanotechnologie ein bedeutender Einfluss auf den Güter- und Arbeitsmarkt des 21. Jahrhunderts erwartet. Nanotechnologie gilt teils gar als Grundlage einer „dritten industriellen Revolution“. Aus diesen Gründen ist Nanotechnologie in den letzten Jahren in den Mittelpunkt eines regen wissenschaftlichen, forschungspolitischen und zunehmend auch medialen und öffentlichen Interesses geraten. Standen dabei zunächst ausnahmslos die erwarteten positiven Eigenschaften im Mittelpunkt, so hat sich – in einer pluralen Gesellschaft nicht überraschend – mittlerweile auch eine eigene Risikodebatte zur Nanotechnologie entwickelt A. GRUNWALD UND T. FLEISCHER
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(Kap. 3). Dementsprechend sind sozialwissenschaftliche Untersuchungen angelaufen, haben Debatten über Regulierung begonnen, sind eine Reihe von Arbeiten der Technikfolgenabschätzung zur Nanotechnologie für verschiedene Fragen und Adressaten angefertigt worden (z.B. Paschen et al. 2004, Schmid et al. 2006) und wurden ELSI (ethical, legal, societal implications) Aktivitäten zur Nanotechnologie gestartet (z.B. Nanoforum 2004). Im Zusammenhang mit den „Converging Technologies“ (Roco und Bainbridge 2002, Nordmann 2004) werden diese Untersuchungen immer stärker auf die Auswirkungen auf den Menschen und die Zukunft seiner „Natur“ fokussiert, wodurch dieser Ast der gesellschaftlichen Debatte über Nanotechnologie zu einer generellen Diskussion über die Zukunft des Menschen Anlass gab (dazu Kap. 4).
2. INNOVATIONSPOTENZIALE UND ANWENDUNGSFELDER Mit der Nanotechnologie verbindet sich die Hoffnung auf bedeutende Umsatzpotenziale in fast allen Branchen der Wirtschaft (Luther und Malanowski 2004). Zwar steckt die Marktdurchdringung von nanotechnologischen Verfahren und Produkten noch in den Anfängen, eine Reihe von Produkten und Verfahren hat jedoch bereits den Weg in den Markt gefunden. Methodisch schwierig ist jedoch die Quantifizierung der dadurch erreichten Wertschöpfung. Das Datenmaterial zur wirtschaftlichen Bedeutung der Nanotechnologie ist – nicht nur in Deutschland – noch sehr lückenhaft. Auch die Berechnungspraxis ist unterschiedlich, etwa bei Bezug auf die direkten Umsätze mit Nanokomponenten oder die Umsätze mit Produkten, die unter Einsatz von Nanotechnologie hergestellt wurden. Häufig wird mit Patentanalysen gearbeitet, um prospektive Aussagen zu besonders innovationsträchtigen Feldern zu gewinnen (Schmid et al. 2006, Kap. 4). Unter Innovationsgesichtspunkten entscheidend sind die Hebelwirkung der neuen Technologien und ihre vielfältigen Auswirkungen in verschiedensten Anwendungsbereichen. Deren antizipative Erfassung ist allerdings noch erheblich schwieriger als die Einschätzung der direkten Marktpotenziale. Bereits kursierende Zahlenwerte zum Umsatz mit Nanotechnologieprodukten in den nächsten Jahren und zu darauf aufbauenden Arbeitsplatzzahlen sind daher mit äußerster Vorsicht zu genießen (Schmid et al. 2003). Viele Potenziale und Folgen lassen sich bislang nur unter großen Unsicherheiten einschätzen. Nach gängiger Einschätzung sind die Bereiche mit den weitestreichenden Innovationspotenzialen der Nanotechnologie: Neue Materialien (2.1), Information/Kommunikation (2.2) sowie die Lebenswissenschaften/Medizin (2.3). 2 In diesem Kapitel können die wesentlichen Potenziale in diesen Bereichen nur kurz angedeutet werden. Für detailliertere Informationen vgl. Paschen et al. 2004 sowie Schmid et al. 2006. 2
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NANOTECHNOLOGIE – WISSENSCHAFTLICHE BASIS UND GESELLSCHAFTLICHE FOLGEN
2.1. NEUE MATERIALIEN Entwicklung, Herstellung und Verarbeitung neuer Materialien für innovative Anwendungen bilden die Grundlage für Innovationsansätze in praktisch allen wichtigen Technikfeldern und stehen in engem Zusammenhang mit der künftigen wirtschaftlichen Entwicklung. Die Verkleinerung von Materialstrukturen in den Nanometerbereich hinein führt häufig zu neuen, überraschenden Eigenschaften von Werkstoffen, die makroskopisch beim gleichen Material nicht auftreten. Deutlich höhere Härte, Bruchfestigkeit und -zähigkeit bei niedrigen Temperaturen sowie Superplastizität bei hohen Temperaturen, die Ausbildung zusätzlicher elektronischer Zustände, hohe chemische Selektivität der Oberflächenstrukturen und eine deutlich vergrößerte Oberflächenenergie lassen sich technisch nutzen und sind ein wesentliches Motiv für weitere öffentliche und private Forschung in diesem Bereich. Durch den kontrollierten Aufbau von Materialstrukturen aus atomaren und molekularen Bausteinen lassen sich funktionale Eigenschaften gezielt einstellen. Besondere Relevanz hat dies für die Oberflächenbehandlung, da relativ dünne Schichten über wichtige Oberflächeneigenschaften entscheiden. Durch den Zusatz von Nanopartikeln zu konventionellen Lacken ergeben sich neue und verbesserte Farbeffekte. Weitere Beispiele sind quasi „selbstreinigende“ Oberflächen, die gleichzeitig hydrophobe und oleophobe Eigenschaften aufweisen. Auch schon im Einsatz befinden sich optischfunktionale Oberflächen für Fassaden, Kraftfahrzeuge, Solarzellen etc. (z.B. zur Entspiegelung, Sonnenschutzverglasung, Antireflexbeschichtung für Instrumententafeln). Über schaltbare bzw. in der Farbe veränderbare Lacke und selbstheilende Lacke wird diskutiert. Entscheidende Materialgrößen (Härte, Verschleißfestigkeit etc.) können durch die Einführung charakteristischer Strukturgrößen im Nanometerbereich gezielt verbessert werden. Beispielsweise verbessert das Einbringen von nanoskaligen Teilchen in Metallen deren mechanische Eigenschaften, womit ein wesentlicher Beitrag zum Leichtbau geleistet werden kann. Einsatzmöglichkeiten von mit Nanopartikeln versehenen Polymeren finden sich in besonders beanspruchten Bereichen des Leichtbaus oder in Hochtemperaturanwendungen, aber auch in Massenanwendungen wie Kunststoff-Gehäusen oder -Verkleidungen. Hervorzuheben sind Keramiken, bisher als ausschließlich spröder Werkstoff bekannt, die durch Nanostrukturierung duktil werden. Für die Praxis ergibt sich daraus eine Vielzahl an Innovationen in der keramischen Technologie. Bei Land- und Luftfahrzeugen könnten herkömmliche Strukturwerkstoffe zum Teil durch festere und leichtere Materialien ersetzt werden. Wesentliche Eigenschaftsverbesserungen sind auch bei Baustoffen (z.B. Hochleistungsbetone) durch Beimischen von Nano-Zusatzstoffen möglich.
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In der chemischen Industrie werden durch nanotechnologische Verfahren neue Materialien als Katalysatoren erschlossen (z.B. Gold-Nanopartikel) und es eröffnen sich neue Synthesewege in der organischen Chemie. Oberflächenaktive Membranen, nanoporöse (Bio)Filter und Adsorptionsmittel sind aus nanotechnologischer Sicht optimierbar, z.B. zur Abwasseraufbereitung, Schadstoffbeseitigung und Nebenproduktabtrennung. Durch die nanotechnologische Verbesserung bereits verfügbarer Katalysatoren werden Trägerkatalysatoren mit neuen Eigenschaften zugänglich. In Zukunft wird es verstärkt möglich sein, heterogene Katalysatoren für gewünschte Reaktionen maßzuschneidern. Auch für die Energietechnik kann Nanotechnologie neue Entwicklungsansätze ermöglichen. Beispielsweise kann durch den Einsatz nanotechnologischer Werkstoffe in Brennstoffzellen oder der Photovoltaik, aber auch in der konventionellen Kraftwerkstechnik, die Effizienz der Energieumwandlung erhöht werden. Auch die verlustarme Speicherung von Energie, vor allem die effiziente Speicherung von Wasserstoff, stellt eine Herausforderung für die Nanotechnologie dar. Nanomaterialien können zur Erhöhung der Leistungsfähigkeit von Batterien, von Mini-Akkus (z.B. durch Verwendung von Nanoröhren in Lithium-Ionen-Akkus) und bei elektrochemischen Kondensatoren (Superkondensatoren) genutzt werden. Zudem ist die Kombination von Superkondensatoren mit Batterien auch für Antriebszwecke viel versprechend (z.B. Speicherung der Bremsenergie im Elektromobil).
2.2. INFORMATIONS- UND KOMMUNIKATIONSTECHNOLOGIE Informationsspeicherung und -verarbeitung sind seit Jahrzehnten die treibende Kraft der Miniaturisierung. Traditionelle Technologien stoßen hierbei zunehmend an Grenzen. Auf die Nanotechnologie werden Hoffnungen gesetzt, einen weiteren Entwicklungsschub zu ermöglichen. Die wichtigsten Anwendungsgebiete der Nanoelektronik im Bereich der Informationsverarbeitung und -übermittlung sind elektronische, optische bzw. optoelekronische Bauelemente. Die technisch beherrschte Größenordnung von Logikund Speicherbausteinen in der heute dominierenden Technik verschiebt sich zunehmend in die Nanometerdimension. Photonische Kristalle weisen ein Einsatzpotenzial für rein optische Schaltkreise auf, etwa als Grundlage für eine zukünftige nur auf Licht basierende Informationsverarbeitung. Quantenpunkte und Kohlenstoff-Nanoröhren sind weitere Hoffnungsträger für neue technische Ansätze. In der molekularen Elektronik lassen sich mit Hilfe der Nanotechnologie elektronische Bauelemente mit neuen Eigenschaften auf atomarer Ebene zusammensetzen. Die Vorteile sind u.a. eine potenziell hohe Packungsdichte. Neue Konzepte für Komponenten beruhen vor allem auf der Nutzung quantenmechanischer Effekte für die Realisierung kleinerer oder schnellerer 6
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Bauelemente (Quanten-Computing). Längerfristig werden durch die Nutzung der Nanotechnologie im IuK-Bereich aber auch neue Architekturen möglich. Angesichts der Bedeutung der Informations- und Kommunikationstechnologien für die globale Wirtschaft, für die Wissensgesellschaft und im privaten Bereich zeichnen sich hier erhebliche ökonomische Potenziale ab, auch wenn diese Entwicklungen sich aktuell noch in der Forschungsphase befinden, teils in der Grundlagenforschung. Die Forschungsaktivitäten weisen ein beträchtliches Ausmaß auf, was für die Bedeutung des Feldes und seine Zukunftsträchtigkeit spricht.
2.3. LEBENSWISSENSCHAFTEN UND MEDIZIN Grundlegende Lebensprozesse spielen sich im Nanomaßstab ab, da wesentliche Bausteine gerade diese Größenordnung haben (wie z.B. Proteine und die DNA). Der Begriff der Nanobiotechnologie – auch das Wort „Bionanotechnologie“ wird gelegentlich verwendet – ist im Kontext der National Nanotechnology Initiative der USA (NNI 1999) entstanden. Nanobiotechnologie schlägt die Brücke zwischen der unbelebten und belebten Natur und zielt darauf ab, biologische Funktionseinheiten in molekularer Hinsicht zu verstehen sowie funktionale Bausteine im nanoskaligen Maßstab unter Einbeziehung technischer Materialien, Schnittstellen und Grenzflächen kontrolliert zu erzeugen (VDI 2002). Häufig wird unterschieden zwischen „Nano2Bio“, wo es um die Nutzung der Nanotechnologie für die Analyse und Herstellung biologischer Nanosysteme (z.B. subzellularer Strukturen und Vorgänge) geht, und „Bio2Nano“, das für die Nutzung von Materialien und Bauplänen aus lebenden Systemen zur Herstellung technischer Nanosysteme steht. Die Vorgänge in einer Zelle können mit nanotechnologischen Verfahren analysiert und technisch nutzbar gemacht werden. Molekulare „Fabriken“ (Mitochondrien) und „Transportsysteme“, wie sie im Zellstoffwechsel eine wesentliche Rolle spielen, können Vorbilder für kontrollierbare Nanomaschinen sein (Nachtigall 2002, S. 122ff). Auch Mechanismen der Energieerzeugung und Transportsysteme sowie Datenspeicher und Datenlesesysteme großer Kapazität, in denen funktionelle Biomoleküle als Bestandteile von Lichtsammel- und Umwandlungsanlagen, Signalwandler, Katalysatoren, Pumpen oder Motoren arbeiten, stehen im Interesse der Nanobiotechnologie. Um die vielfältigen Potenziale zur gezielten Nutzung biologischer Prozesse für technische Zwecke zu nutzen, sind neue interdisziplinäre Ansätze erforderlich, um zu lernen, wie biologische Nanostrukturen gebaut sind, funktionieren und innerhalb von größeren biologischen Systemen interagieren. Es sind Analyse- und Manipulationswerkzeuge sowie Methoden zu entwickeln, um Bauteile zu schaffen, die aus biologischem und anorgaA. GRUNWALD UND T. FLEISCHER
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nischem Material bestehen. Diese Schnittstellen und Übergänge zwischen biologischen und anorganischen Systemen auf der molekularen Ebene zu verstehen, ist ein zentraler Schritt in diese Richtung. Große Hoffnungen werden in die Potenziale der Nanotechnologie zur besseren medizinischen Versorgung gesetzt. Mit Hilfe Nanotechnologiebasierter Diagnoseverfahren können möglicherweise Krankheiten oder Dispositionen für Krankheiten früher erkannt werden. Bei der Therapie besteht Aussicht, mit Hilfe der Nanotechnologie gezielte und nebenwirkungsfreie Behandlungen zu entwickeln. Vor allem die breite Anwendung nanopartikulärer Dosiersysteme (drug delivery) könnte zu Fortschritten bei der medikamentösen Behandlung und zur Vermeidung unerwünschter Nebenwirkungen führen. Durch Verfahren der Nanotechnologie kann die Biokompatibilität künstlicher Implantate verbessert werden. Ein interessantes Entwicklungsgebiet stellen nanoelektronische Neuroimplantate (Neurobionik) dar, die Schäden an Sinnesorganen oder am Nervensystem kompensieren. Mikroimplantate könnten die Funktionsfähigkeit von Gehör und Sehsinn wieder herstellen. Die wohl weitreichendste Vision zur Rolle von Nanotechnologie wurde Anfang des Jahrzehnts in den USA vorgestellt. Dort wurden unter den Überschriften „konvergierende Techniken“, Converging Technologies (CT) oder NBIC (nano-bio-info-cogno) convergence Ansätze zur technischen Wiederherstellung oder Verbesserung motorischer, sensorischer oder kognitiver Fähigkeiten des Menschen diskutiert und untersucht. Insbesondere durch die synergistische Kombination emergenter Nano-, Bio- und Informationstechniken mit den Erkenntnissen der Kognitionswissenschaften erschlössen sich technische Ansätze, bislang biologisch begrenzte Fähigkeiten des Menschen erweitern und „verbessern“ zu können oder Alterungsprozesse deutlich zu verlangsamen (Roco und Bainbridge 2002; vgl. auch Kap. 4 in diesem Beitrag). Als Schlüssel für diese vermutete, teils auch postulierte Konvergenz gilt dabei das zielgenaue Operieren auf der Ebene von Atomen und Molekülen, wie es die Nanotechnologie mit ihren Analyse- und Manipulationsverfahren ermöglicht.
3. RISIKEN UND BEFÜRCHTUNGEN Angesichts der genannten Potenziale und der erwartbaren Eingriffstiefe der Nanotechnologie in Entwicklungs- und Produktionsprozesse in der Wirtschaft und in viele technische Produktfelder ist es nicht überraschend, dass ebenfalls gesellschaftliche Folgen, ethische Aspekte und mögliche Risiken der Nanotechnologie thematisiert werden. Im Folgenden werden drei Teilthemen aus dem Spektrum der Themen herausgegriffen: Gesundheitswirkungen von Nanopartikeln (3.1), Aspekte der Verteilungsgerechtigkeit (3.2) und Befürchtungen eines Kontrollverlustes des Menschen über die Technik (3.3). 8
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3.1. GESUNDHEITS- UND UMWELTWIRKUNGEN VON NANOPARTIKELN Am konkretesten ist die Frage nach Gesundheits- oder Umweltrisiken von Nanopartikeln. Beim Übergang in die Nanometerdimension ändern sich – bei gleicher chemischer Zusammensetzung – viele Eigenschaften von Materialien, insbesondere in Abhängigkeit von der Partikelgröße, von ihrer Gestalt und von ihren Oberflächeneigenschaften. Daher kann der Größenübergang zu einem modifizierten Verhalten von Nanopartikeln in der Umwelt oder in lebenden Organismen führen. Die toxikologische Forschung dazu hat bereits eingesetzt und wird mit Nachdruck vorangetrieben, die bisherigen Kenntnisse sind aber noch spärlich und wenig abgesichert (Schmid et al. 2006, Kap. 5). Künstlich hergestellte Nanopartikel werden bereits in Cremes, Pasten, Kosmetika, Zahnpasta, im Bereich der Toner für Drucker und Kopierer, zum Sonnenschutz, in Farben, Lacken und Klebern, als Zusatz in Autoreifen, als Nahrungsmitteladditiva sowie zur Oberflächenimprägnierung eingesetzt. Durch Emissionen während der Herstellung oder beim alltäglichen Gebrauch von Produkten könnten sie in die Umwelt gelangen. Nanopartikel können eventuell auf dem Luftweg über weite Strecken transportiert und diffus verteilt werden. Im Hinblick auf die potenzielle Ausbreitung von Nanopartikeln sind Aspekte wie Mobilität, Reaktionsfreudigkeit, Persistenz, Lungengängigkeit, Wasserlöslichkeit etc. zu berücksichtigen (Colvin 2002). Diese Aspekte sind bislang kaum erforscht, ebenso wie über die Lebensdauer von Nanopartikeln in der Umwelt wenig bekannt ist. Durch Inhalationsversuche an Ratten wurde empirisch gezeigt, dass Kohlenstoff-Nanopartikel beträchtliche Lungenschäden verursachen können. Ihr toxisches Potenzial steigt mit kleiner werdender Partikelgröße und größer werdender Partikeloberfläche. Bei hohen Konzentrationen ist eine hohe Mortalität die Folge, mit der Ursache einer Verstopfung der Hauptatemwege durch Partikel-Agglomerate, nicht also durch mögliche Toxizität der Partikel selbst. Ob diese Ergebnisse etwas über die potenziellen Folgen für Menschen aussagen, lässt sich heute nicht mit Sicherheit sagen. In den menschlichen Körper können Nanopartikel über die Lunge, durch die Haut oder den Verdauungstrakt gelangen. Ihre Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt, insbesondere potenzielle Langzeitfolgen, sind bisher kaum bekannt (Schmid et al. 2006, Kap. 5). Dies gilt auch und vor allem für Stoffe, die in der natürlichen Umwelt nicht vorkommen, wie Fullerene oder Nanotubes. Zu naheliegenden Fragen der Art §
§ §
geht mit Produkten auf Basis von Nanopartikeln überhaupt eine nachweisbare Exposition für den Menschen bei Herstellung, Gebrauch oder Entsorgung einher? auf welchen Wegen erfolgt diese Exposition? ist mit dieser ein Risiko verbunden und wie ist dieses für das jeweilige Produkt (bei kurativen Anwendungen möglicherweise anders als bei kosmetischen) zu bewerten?
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§
sind neue Vorsorgekonzepte (etwa Arbeitsschutz bei Fertigung und Umgang mit nanoskaligen Partikeln sowie Vorkehrungen zur Vermeidung von deren Freisetzung) notwendig und ggf. bereits in der Entwicklung?
ist in den letzten Jahren eine Vielzahl von Forschungsaktivitäten angelaufen. Im Hintergrund steht unter anderem die Erfahrung mit den gesundheitsschädlichen Auswirkungen des Asbestes, die teils erst Jahrzehnte nach der Exposition gegenüber Asbestfasern in Form von häufig tödlichen Krebserkrankungen erkennbar werden (Gee und Greenberg 2002). Das Nichtwissen über mögliche Gesundheits- und Umweltfolgen hat angesichts dieser und anderer negativer Erfahrungen, vor allem mit Chemikalien, frühzeitig zur Forderung nach einem Moratorium in Bezug auf die kommerzielle Nutzung von Nanopartikeln geführt (ETC 2003). Bis die Datenlage sich verbessert hat, gebietet das Vorsorgeprinzip (precautionary principle) in der Tat einen besonders sorgsamen Umgang mit Nanopartikeln und eine systematische Langzeit-Beobachtung sowie eine kontinuierliche Auswertung des verfügbaren Wissensstandes (Haum et al. 2004). Eine neuere Analyse hat ergeben, dass das Vorsorgeprinzip in der Tat angesichts der Wissensdefizite anwendbar ist (Schmid et al. 2006, Kap. 5.3), das es allerdings keinen hinreichenden Anlass für ein Moratorium gibt. Jedoch lässt sich eine ganze Reihe von Maßnahmen ableiten, um in der aktuellen Situation verantwortungsvoll zu verfahren. Zu diesen Maßnahmen gehören danach § § § § §
§
§
die Entwicklung einer Nomenklatur von Nanopartikeln, um diese nach toxischen und anderen Kriterien klassifizieren zu können, die Empfehlung, Nanopartikel wie neue chemische Substanzen zu behandeln, auch wenn ihre chemische Zusammensetzung vertraut ist, die Entwicklung von Testmethoden, um schnell und vergleichbar erforderliche Daten zu beschaffen, Forschungsaktivitäten, insbesondere in Umweltchemie und Toxikologie, um die Wissensdefizite zu überwinden, die Entwicklung von „good practices“ und entsprechenden Leitlinien im Umgang mit Nanopartikeln, z.B. am Arbeitsplatz, etwa in Form der Minimierung oder Vermeidung der Freisetzung von Nanopartikeln, die ständige Beobachtung und Auswertung des weltweit verfügbaren Wissens über Gesundheits- und Umwelteffekte von Nanopartikeln, um nicht die Versäumnisse der Asbest-Geschichte in dieser Hinsicht zu wiederholen (Gee und Greenberg 2002), die Führung eines offenen und transparenten Diskurses mit der Öffentlichkeit.
Auf diese Weise würde auch eine gute Chance bestehen, gravierende Pannen in der Kommunikation zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, wie sie etwa in der Kernenergiedebatte und in der Auseinandersetzung um gentechnisch veränderte Organismen aufgetreten sind, zu vermeiden. 10
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3.2. VERTEILUNGSGERECHTIGKEIT Mögliche Nebenfolgen ganz anderer Art der Nanotechnologie ergeben sich aus gerechtigkeitstheoretischen Überlegungen. Wie werden die Nutzungsmöglichkeiten der Nanotechnologie verteilt sein und welche Folgen wird sie für gesellschaftliche Spaltungen haben (Baumgartner 2004, S. 44f)? Einschlägig zu dieser Frage bereits: „ Nanotech offers potential benefits in areas such as biomedicine, clean energy production, safer and cleaner transport, and environmental remediation: all areas where it could be of help in developing countries. But it is at present mostly a very high-tech and cost-intensive science, and a lot of the current research is focused on areas of information technology where one can imagine the result being a widening of the gulf between the haves and the have-nots“ (Mnyusiwalla et al. 2003). Probleme der Verteilungsgerechtigkeit stellen sich grundsätzlich in jedem Feld technischer Innovation. Da wissenschaftlich-technischer Fortschritt erheblicher Investitionen bedarf, findet er in der Regel dort statt, wo bereits die größten ökonomischen und personellen Ressourcen vorhanden sind. Technischer Fortschritt vertieft häufig tendenziell bereits vorhandene Ungleichverteilungen. Die gesamte auf Nanotechnologie basierende Forschung, Entwicklung und Produktion erfordert Fähigkeiten, die praktisch nur durch hoch entwickelte Staaten zu erbringen sind. Durch den Querschnittscharakter dieses Technologiefeldes müssen diese eine Vielzahl unterschiedlicher instrumenteller und organisatorischer Voraussetzungen erfüllen. Hierzu dürften heute und in absehbarer Zukunft nur wenige Hauptakteure wie USA, Europa, Japan, China, Russland und einige High-Tech-Schwellenstaaten im Stande sein. Daher ist derzeit nicht erkennbar, dass sich die Technologielücke zwischen Reich und Arm durch Nanotechnologie verringern lässt (Paschen et al. 2004). Dies sei am Beispiel der Nanotechnologie in der Medizin erläutert (nach Fleischer 2003). Nanotechnologiebasierte Medizin wird mit großer Wahrscheinlichkeit teure Medizin sein. Fragen der Verteilungsgerechtigkeit und des „Zugangs“ zu medizinischen Möglichkeiten könnten zumindest in zweierlei Hinsicht dringlich werden: innerhalb industrialisierter Gesellschaften (bestehende Ungleichheiten im Zugang zu medizinischer Versorgung könnten durch eine weiter hoch technisierte Medizin unter Verwendung von Nanotechnologie verstärkt werden) und mit Blick auf weniger entwickelte Gesellschaften, weil sich ebenfalls bereits bestehende und teils dramatische Ungleichheiten zwischen technisierten und Entwicklungsländern weiter verschärfen könnten. Befürchtungen in Bezug auf diese beiden Formen eines möglichen „Nano-divide“ (in Anlehnung an den bekannten „digital divide“, vgl. Riehm und Krings 2006) basieren auf der Annahme, dass Nanotechnologie sowohl zu neuen und erweiterten Optionen individueller Selbstbestimmung (z.B. im gesundheitlichen Bereich) als auch zu erheblichen Verbesserungen der Wettbewerbsfähigkeit von Volkswirtschaften beitragen kann. A. GRUNWALD UND T. FLEISCHER
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Auch insofern von der Nanotechnologie eine „technische Verbesserung“ des Menschen erwartet wird, werden bereits Aspekte der Verteilungsgerechtigkeit thematisiert (Siep 2005). Laufende Diskussionen zur Verteilungsgerechtigkeit auf nationaler und internationaler Ebene (auch im Kontext der Nachhaltigkeit, Kopfmüller und Grunwald 2006) dürften von daher in Bezug auf Nanotechnologie neue Relevanz erhalten, zumal es auch große Hoffnungen gibt, dass Nanotechnologie auch und gerade den Entwicklungsländern zugute kommen könnte (so bereits Drexler 1986). Es wird bereits gefordert, in der Bearbeitung ethischer Aspekte der Nanotechnologie Entwicklungsländer zu beteiligen (Mnyusiwalla et al. 2003).
3.3. KONTROLLVERLUSTÄNGSTE In der Folge des berühmt gewordenen Beitrages von Bill Joy (2000) kam zu den bis dahin fast ausschließlich positiven Zukunftserwartungen in der Öffentlichkeit hinsichtlich der Nanotechnologie eine apokalyptische Dimension hinzu. Nachdem die Nanotechnologie bis dahin als ideale und saubere Technologie galt, entstand innerhalb weniger Monate eine internationale Risikodiskussion. Für viele überraschend, waren die hoch spekulativen Diskussionen über mögliche dramatische Gefahren in weiter Zukunft Auslöser einer Risikodiskussion, während die viel konkreteren Risiken durch neue Materialeigenschaften auf der Nanoebene, insbesondere durch Nanopartikel, erst im Anschluss breiter thematisiert wurden (s.o.). Ausgangspunkt waren Sorgen, dass selbst replizierende Nanoroboter auf der Basis des molekularen Assemblers (Drexler 1986) eines Tages außer Kontrolle geraten und (1) den Menschen überflüssig machen würden (Joy 2000), oder (2) dazu führen könnten, dass Menschen auf diesem Wege zur Beute ihrer eigenen technischen Hervorbringungen würden: 1. Im „grey goo“ Szenario wird befürchtet, dass außer Kontrolle geratene, sich selbst vervielfältigende Nano-Roboter sich eines Tages rasch unbegrenzt und unkontrollierbar vermehren und dabei alles organische Material der Biosphäre verbrauchen könnten. Es könnte sein, dass innerhalb weniger Tage nur noch eine Schicht von Abfallprodukten dieses Prozesses übrig wäre und in Form eines „grauen Schleims“ die Erde überziehen würde. 3 Dieser Typ eines apokalyptischen Szenarios ist aus der Science Fiction Literatur bekannt. Vor dem Hintergrund von Hans Jonas’ (1979) „Primat der schlechten Prognose“ und seiner „Heuristik der Furcht“ als Orientierungen für eine vorsichtige und im Zweifelsfall „Tough, omnivorous ‚bacteria‘ could out-compete real bacteria: they could spread like blowing pollen, replicate swiftly, and reduce the biosphere to dust in a matter of days“ (Drexler 1986, S. 172). 3
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lieber auch übervorsichtige Herangehensweise an die Zukunft wäre die reine Denkmöglichkeit solcher Entwicklungen bereits Anlass für einen Ausstieg aus der Nanotechnologie, zumindest aus den Bereichen, wo dieses Szenario in den Blick geraten könnte. In dieser Tradition steht die erwähnte Forderung nach einem Moratorium für die Nanotechnologie (ETC 2003). 2. Das „prey“ Szenario basiert ebenfalls auf der Idee von Nano-Robotern, und es geht ebenfalls um einen Kontrollverlust des Menschen. Anders als im „grey goo“ Szenario steht hier jedoch nicht die Möglichkeit eines raschen Endes der gesamten Biosphäre durch einen Amoklauf dieser Roboter im Blickpunkt, sondern die Übernahme der Macht durch die Roboter. Dieses war die Idee in „Why the future doesn’t need us“ (Joy 2000): statt menschlich gesetzten Zwecken zu dienen, könnten die Roboter sich selbständig machen und die Kontrolle über den Planeten Erde übernehmen. Eine technische Zivilisation wäre dann auf den Menschen nicht mehr angewiesen. Obwohl sich diese „dunkle Seite“ der primär positiv gemeinten nanotechnologischen Visionen teils schon in Drexlers frühem Buch (1986, vgl. Fußnote 3) findet, wurden diese Kontrollverlustängste erst in der Folge des genannten Joy-Beitrages (2000) zu einem öffentlichen Thema. Das Aufkommen solcher Szenarien ist dabei nicht überraschend, denn Kontrollverlustängste und die Sorge vor der Übernahme der Macht durch die Technik begleiten den technischen Fortschritt bereits lange. Welche kommunikative Macht derartige Szenarien haben können, wird dadurch deutlich, dass dieser Typ von Befürchtungen die Risikodebatte zur Nanotechnologie auslöste (Schmid et al. 2006).
4. NANOTECHNOLOGIE ALS CHIFFRE DER ZUKUNFT Die wissenschaftliche Debatte, aber auch – und vielleicht noch mehr – die gesellschaftliche Rezeption und die politische Rhetorik im Umfeld der Nanotechnologie, ist von teils weit reichenden Zukunftserwartungen, Zukunftsvisionen, aber auch Zukunftsbefürchtungen durchzogen, mit einem fließenden Übergang zu technikfuturistischen Überlegungen und zur Science Fiction (Coenen 2006). Diese Debatten zeugen nicht nur von einem großen Interesse an der Nanotechnologie und ihren mutmaßlichen gesellschaftlichen Folgen, sondern sind Ausdruck allgemeinerer gesellschaftlicher „Verhaltungen“ zur Zukunft. Nanotechnologie und die „Converging Technologies“ (Roco und Bainbridge 2002) bezeichnen nicht nur Technologiebereiche mit Zukunftspotenzial, sondern haben gesellschaftliche Zukunftsdiskussionen beträchtlicher Reichweite ausgelöst. Dabei geht es nicht „nur“ um die Zukunft der Technologielinien oder um sich daraus ergebende gesellA. GRUNWALD UND T. FLEISCHER
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schaftliche Folgen, sondern um solche „großen Themen“ wie die Zukunft der menschlichen Natur (Habermas 2001), die Zukunft des Verhältnisses von Mensch und Technik oder auch die Nachhaltigkeit der menschlichen Wirtschaftsweise (Grunwald und Kopfmüller 2006). In diesem Sinne stellt die Nanotechnologie eine „Chiffre der Zukunft“ (Grunwald 2006a) dar, welche über die Technologie im engeren Sinne weit hinausreicht. Nanotechnologie, insbesondere im Kontext der Converging Technologies, verweist auf das, was möglich ist, und auf das, was, gemessen an Gründen, über die intersubjektiv diskutiert und deliberiert werden kann und muss, zu erwarten ist. Chiffren der Zukunft erfüllen wichtige Funktionen der Selbstverständigung der Gesellschaft, auf deren Basis dann wiederum Meinungsbildung und Entscheidungsfindung ablaufen. Diese Funktionen werden erfüllt, unabhängig von einem möglichen Zutreffen oder einem Nichtzutreffen der unterstellten oder prognostizierten Zukunftsverläufe. Allein die Tatsache, dass gegenwärtig solche Chiffren der Zukunft kursieren, debattiert, bewertet und verhandelt werden, beeinflusst unseren Weg in die Zukunft. Chiffren der Zukunft verweisen auf Zukünftiges, entbergen dieses aber nicht und können das auch nicht. Ihre eigene Unbestimmtheit ist sogar notwendig, damit sie ihre Funktion erfüllen können, gesellschaftliche Selbstverständigungen zu katalysieren. In diesem Sinne gehört Nanotechnologie zu den aktuellen Chiffren der Zukunft. Andere prominente Chiffren dieses Typs sind z.B. der demografische Wandel, die Klimaveränderung, das Vorsorgeprinzip oder die nachhaltige Entwicklung. Jeweils werden dabei verschiedene Aspekte der Zukunft in den Blick genommen: bei der nachhaltigen Entwicklung z.B. die Endlichkeit natürlicher Ressourcen, bei der Klimaveränderung die Vulnerabilität menschlicher Wirtschafts- und Lebensweise, bei der demografischen Entwicklung vor allem das Fortpflanzungs- und Migrationsverhalten. Als spezifisch für die Nanotechnologie als Chiffre der Zukunft erscheinen zwei Aspekte: (1) die reduktionistische Auffassung der Gestaltbarkeit jeglicher Materie Atom für Atom und (2) die zur Bewältigung der Kontingenzerhöhung ins Feld geführten Zukunftsargumentationen, die das Hauptthema in diesem Beitrag bildeten (Grunwald 2006a). (1) Die Radikalisierung und der ultimative Triumph des Homo faber, der sich, nanotechnologisch ausgerüstet, anschickt, die Welt Atom für Atom zu manipulieren (Shaping the World Atom by Atom, NNI 1999), ist eines der Kennzeichen der Nanotechnologie als „gegenwärtiger“ Chiffre der Zukunft. In einer Wiederkehr und Radikalisierung des physikalischen, ja mechanischen Reduktionismus des 19. Jahrhunderts glaubt dieser neue Homo faber, alles einschließlich der Sphären des Lebendigen und des Sozialem, von der atomaren Basis her im Griff zu haben: „Science can now understand the ways in which atoms form complex molecules, and these in turn aggregate according to common fundamental principles to form both organic and in14
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organic structures. … The same principles will allow us to understand and when desirable to control the behaviour both of complex microsystems … and macrosystems such as human metabolism and transportation vehicles“ (Roco und Bainbridge 2002, S. 2). Nichts scheint diese These besser zu stützen als der Drexlersche molekulare Assembler und die Folgen, die er – unbeschadet seiner Machbarkeit, an der es naturwissenschaftlich begründete Zweifel gibt (Smalley 2001) – für die Zukunftsdebatte zur Nanotechnologie hatte und hat. Dieser Assembler würde den Triumph des atomaren Reduktionismus bedeuten und gleichzeitig den Menschen als denjenigen erweisen, der eine solche Wundermaschine, mit der man aus Felsen Wale machen kann (Drexler 1986), bauen könnte, und der sich selbst technisch neu erschaffen könnte. Die Erzählung vom Homo faber scheint den nanotechnologischen Visionen gemeinsam zu sein, seien dies nun Heils- oder Unheilsvisionen. So sieht Dupuy (2005) in der Tradition von Anders und Sartre hinter den „Converging Technologies“ ein metaphysisches Programm, dessen technische Basis ein universell einsetzbarer molekularer Assembler wäre: „The aim of this metaphysical program is to turn man into a demiurge or, scarcely more modestly, the ‚engineer of evolutionary processes‘. … This puts him in the position of being the divine maker of the world …“ (Dupuy 2005). Denn der vermeintliche ultimative Triumph des Homo faber, und das ist letztlich die provokative Essenz aus Joy (2000) könnte zu einem finalen Pyrrhus-Sieg über die Natur werden. Hier zeigen sich also, verborgen in futuristischen und spekulativen Deutungen der technischen Zukunft, ganz gegenwärtige Einschätzungen über Menschenbilder und das Verhältnis von Technik und Gesellschaft genauso wie in neuem Gewand ganz alte Erzählungen der Menschheit wiederkehren. (2) Die drastische Erhöhung der Kontingenz der conditio humana, wie sie vor allem in der Auflösung traditioneller Selbstverständlichkeiten in der Folge der Diskussion um eine technische Verbesserung des Menschen aufscheint (Grunwald 2006b), ist ein weiteres Kennzeichen der Nanotechnologie als Chiffre der Zukunft. Kontingenzerhöhung ist ein ständiges Motiv im wissenschaftlich-technischen Fortschritt. Die Verwandlung von etwas als gegeben Hinzunehmendem in etwas Manipulierbares ist das Kennzeichen des technischen Fortschritts. In dem Maße, wie die menschliche Verfügungsmacht erhöht wird, eröffnen sich neue Räume für Visionen und Gestaltung, aber gleichzeitig, sozusagen als Nebenfolge, auch die Herausforderungen, den Verlust von Traditionen durch neue Formen der Orientierung zu kompensieren. Als wesentliche neue Form der Selbstverständigung moderner Gesellschaften fungiert die Orientierung an Zukünftigem (Luhmann 1989). Gemessen an Rationalitätsansprüchen, genauso wie unter den demokratietheoretischen Ansprüchen einer deliberativen öffentlichen Debatte über derartige Selbstverständigungen, ist der Bedarf an einer epistemologischen Analyse der Geltungsgründe von dabei ins Feld geführten ZuA. GRUNWALD UND T. FLEISCHER
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kunftsaussagen evident. Die Nanotechnologie ist dabei dasjenige Feld, in dem sich deutlich zeigt, welche zeitlich und thematisch ausgreifende Dimension diese Zukunftsaussagen annehmen können, und wie sie auf extreme Weise zwischen Heilerwartung und Katastrophe schwanken können (Grunwald 2006b). Die Funktion von Chiffren der Zukunft besteht darin, unsere Erwartungen an die Zukunft in unser gegenwärtiges Denken hin zu holen, sie dort zu reflektieren, die Ergebnisse der Reflexion zu kommunizieren und darüber zu deliberieren, und das Ganze dann schließlich für unsere gegenwärtigen Handlungen und Entscheidungen nutzbar zu machen – denn diese kommen ohne Begriffe vom Zukünftigen nicht aus. Nanotechnologie ist eine Chiffre der Zukunft – doch gerade indem sie das ist, wirft sie uns auf uns selbst und unsere Gegenwart zurück. Letztlich ist es die Funktion der Nanotechnologie als einer Chiffre der Zukunft gesellschaftliche Debatten zu katalysieren, die schließlich praktische Auswirkungen haben können oder sogar sollen. Das Ziel visionärer Spekulation ist die gegenwärtige Praxis.
5. NANOTECHNOLOGIE UND ÖFFENTLICHKEIT Abschließend noch einige Worte zur öffentlichen Wahrnehmung von und Kommunikation über Nanotechnologie. Die Öffentlichkeit begegnet der Nanotechnologie im Grunde auf drei Wegen: über Produkte für Endkunden, die manchmal tatsächlich Nanotechnologie-Bezug haben, manchmal nur als „nano“ beworben werden; über Medienberichterstattung und Sachbücher sowie in Reflexionen über Nanotechnologie in der Populärkultur, etwa in Filmen oder Romanen. In den letzten Jahren sind in allen drei Gebieten erhebliche Zuwächse an „Nanotechnologie-Präsenz“ zu verzeichnen. Man kann mithin fragen, wie das gegenwärtige Bild, das die allgemeine Öffentlichkeit hat, aussieht. Das empirische Material ist nicht sehr umfangreich, dennoch lassen sich einige Trendaussagen treffen. In einer Anfang 2005 durchgeführten Eurobarometer-Umfrage in allen 25 Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie weiteren europäischen Ländern wurden Bürger nach ihren Ansichten zu Wissenschaft und Technik befragt. Etwa 80% äußerten, dass sie sehr oder durchschnittlich an Innovationen und wissenschaftlichen Entdeckungen interessiert seien. Daraufhin gebeten, ihre wichtigsten Interessensgebiete zu bezeichnen, nannten mehr als 60% Medizin- und rund 45% Umweltthemen, gefolgt von Internet, Wirtschaftsfragen und Geisteswissenschaften. Zwischen den Ergebnissen für die EU25 und den Zahlen für Deutschland gibt es nur geringfügige Abweichungen. Nanotechnologie landete mit 11% (EU25: 8%) auf dem letzten Platz der möglichen Antworten. Auch bei der Frage nach Techniken, von denen in den nächsten 20 Jahren positive Effekte auf unseren Lebensstil 16
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erwartet werden, könnte sich Nanotechnologie nur im letzten Drittel platzieren. Detailliertere Länderstudien in den USA, Großbritannien und Deutschland liefern ein ähnliches Bild: Etwa 30% der Befragten hatten schon etwas von Nanotechnologie gehört, zwischen 10 und 20% hatten konkretere Vorstellungen. All dies legt den Schluss nahe, dass die überwiegende Mehrheit der allgemeinen Öffentlichkeit gegenwärtig nicht an Nanotechnologie interessiert ist oder sie ignoriert. Wenn überhaupt, nehmen die Bürger Nanotechnologie eher als unscharfes oder unspezifisches Konzept wahr, ihre Einschätzungen zu Möglichkeiten und Risiken von Nanotechnologie entsprechen in etwa ihren Erwartungen zu Wissenschaft und Technik allgemein, so dass Nanotechnologie gegenwärtig als „No attitudes“-Technologie beschrieben werden kann. Andererseits haben einige Medien und NGO das Thema stärker aufgegriffen, wobei drei Diskussionsstränge zu beobachten sind: §
Unbekannte Materialeigenschaften (vor allem von Nanopartikeln) und ihre Auswirkungen auf Mensch und Umwelt: Auch wenn diese Materialgruppen einige Besonderheiten (u.a. Fragen der Charakterisierung, der Nomenklatur, der Messtechnik) aufweisen, scheint aus heutiger Sicht das mögliche Risikomanagement strukturell vergleichbar zu „konventionellen“ Chemikalien zu sein. Somit ist zu klären, inwieweit es durch Instrumente „klassischer“ Regulierungspolitik geregelt werden kann, und wo neue Ansätze, etwa unter der Überschrift des Vorsorgeprinzips, notwendig sein könnten. § Folgen von durch Nanotechnologie ermöglichten Technologien: Damit verbundene Fragestellungen sind aus Diskussionen beispielsweise über Informationstechnik (Privatsphäre, Überwachung) oder Medizin (Biopolitik, Neuroethik) in Teilen bekannt, entsprechend adaptierte TA könnte hier weitere Einsichten liefern. § Nanotechnologie als weiterer Repräsentant für „Risikotechniken“ in generellen STS-Debatten: Hier werden grundsätzliche Fragen der gesellschaftlichen Steuerung von Wissenschaft, des Vertrauens in Wissenschaft(ler), des (als fehlend wahrgenommenen) Einflusses auf die FuT-Politik und Ähnliches am Beispiel von Nanotechnologie neu aufgeworfen.
Die reflexive Forschung unterscheidet zwischen diesen Ebenen, viele NanoForscher, Politiker und Medien jedoch nicht. Gerade weil Nanotechnologie aufgrund ihres Mangels an Spezifizität anfällig für (irreführende) Analogien und falsche Verallgemeinerungen ist, kommt einer differenzierten Diskussion hier eine hohe Bedeutung zu, will man nicht riskieren, die öffentliche Wahrnehmung von – und Haltung zu – Nanotechnologie in einer Weise zu prägen, die ihren tatsächlichen Potenzialen und Risiken nicht adäquat Rechnung trägt.
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6. ZUSAMMENFASSUNG Nanotechnologie ist ein Forschungsfeld mit unscharfen Rändern. Gemeinsam ist den verschiedenen Definitionen §
der Bezug auf den „Technologieaspekt“, d.h. das letztendliche Zielen auf Anwendungen, auch wenn sich gegenwärtig der größte Teil der Nanotechnologieforschung noch in eher frühen Entwicklungsphasen befinden; § der Bezug auf die Größenskala „nano“, was meistens mit dem Bereich zwischen 1 und 100 Nanometern (nm) verknüpft wird, und § die Analyse, technische Beherrschung und letztendliche Nutzung der dabei auftretenden neuen Effekte. Vielfältige Potenziale der Innovation in bereits bestehenden Feldern liegen im Bereich neuer Materialien und der Behandlung von Oberflächen. In einigen Feldern wie Sonnenschutzcremes und Autoreifen haben nanotechnologische Erkenntnisse bereits zu Marktprodukten geführt. Zukünftige Potenziale werden darüber hinaus vor allem in den Bereichen Informations- und Kommunikationstechnik sowie den Lebenswissenschaften und der Medizin gesehen; abgesehen von einzelnen Entwicklungen sind praktisch anwendbare Verfahren erst in Zukunft zu erwarten. In diesen Feldern deutet hohe Forschungsaktivität auf erhebliche Fortschritte in den nächsten Jahren. Neben den genannten Potenzialen sind jedoch mit der Nanotechnologie auch Risiken verbunden. Am konkretesten sind mögliche und bislang unbekannte Gesundheits- und Umweltfolgen künstlich hergestellter Nanopartikel. Hierzu sind Forschungsarbeiten in erheblichem Umfang angelaufen; zurzeit bestehen aber noch erhebliche Wissenslücken in Bezug auf diesen Folgenbereich. Darüber hinaus stellt Nanotechnologie seit Jahren einen wesentlichen Bereich allgemeinerer gesellschaftlicher Zukunftsdebatten dar. „Große“ Themen wie die Verlangsamung oder Abschaffung des Alterns, die technische „Verbesserung“ des Menschen oder die Zukunft der Natur des Menschen machen sich an den erwarteten Fortschritten der Nanotechnologie fest. Hier sind Technikfolgenabschätzung, Ethik und ein möglichst rationaler gesellschaftlicher Dialog gefragt, um Orientierungen auf die neu aufgeworfenen Fragen zu geben.
7. LITERATUR UND QUELLENHINWEISE Baumgartner C (2004) Ethische Aspekte nanotechnologischer Forschung und Entwicklung in der Medizin. Das Parlament B23–24: 39–46 Coenen C (2006) Der posthumanistische Technikfuturismus in den Debatten über Nanotechnologie und Converging Technologies. In: Nordmann A, Schummer J, Schwarz A (Hrsg) Nanotechnologien im Kontext. Akademische Verlagsgesellschaft, Berlin, S 195–222 18
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NANOPARTIKEL
UND
NANOAEROSOLE – MESSMETHODEN
W. W. SZYMANSKI
UND
G. ALLMAIER
Nanopartikel können natürlichen und industriellen Ursprungs sein. Befinden sie sich im luftgetragenen Zustand, handelt es sich um Nanoaerosole. Durch Ihren Beitrag zur Entwicklung der Nanotechnologie haben sie großes Interesse gewonnen. Nanopartikel können als Bausteine für Nanostrukturen verwendet werden, dabei sind ihre Größe und Konzentration dominierende Parameter. Die Messung von Nanopartikeln und Nanoaerosolen, insbesondere organischen Ursprungs, wie auch etwa Viren, stellt stets eine große Herausforderung für Wissenschaft und Technologie dar. Schlüsselworte: Nanopartikel, Nanoaerosole, Bio-Nanopartikel, Charakterisierung
Nanoparticles and nanoaerosols: measuring methods Nanoparticles are abundant in the natural and industrial environment. When airborne, they are termed nanoaerosols. They gained particular interest due to their role in the development of nanotechnology. Nanoparticles can be used as building blocks for nanostructures, whereby their sizes and concentrations dominate their behaviour. Together with nanoaerosols – especially when of organic origin including biocomplexes such as viruses – they pose a demanding metrological problem for science and technology. Keywords: Nanoparticles, nanoaerosols, bio-nano-particles, characterisation 21
1. EINLEITUNG In einem Diskurs über die Chancen und Risiken der Nanotechnologie erscheint es wichtig, sich mit den Methoden zur Charakterisierung und zum Nachweis von Nanopartikeln und Nanoaerosolen vertraut zu machen. Der vorliegende Beitrag versucht deshalb, einen kurzen Überblick über die verschiedenen physikalischen und chemischen Messmethoden sowie ihre Bedeutung in den Nanowissenschaften zu geben. Nanotechnologie bzw. Nanowissenschaft sind in den letzten Jahren zu Trendwörtern geworden, wobei diese beiden Begriffe zusammengehören wie Beobachtung/Hypothese, Instrument/Idee und Experiment/Theorie und eine Art endloses Tennisspiel darstellen. Es sind in gewisser Weise „MetaBereiche“ diverser Wissenschaften und Industrien. Eine der Definitionen der Nanotechnologie stammt von der Royal Society (2004). Nach dieser ist die Nanotechnologie eng verbunden mit Design, Charakterisierung, Produktion und Anwendung von Strukturen und Systemen im Nanometerbereich, wobei eine besondere Rolle der Entdeckung von neuen Eigenschaften in dieser Größenskala zukommt. In diesem sich rasant entwickelnden Gebiet sind Nanopartikeln wichtige Komponenten für eine breite Palette von Produkten wie etwa Katalysatoren, Sensoren, dünnen Schichten, elektromagnetische Speicher, Bio-Nanosensoren, Biopharmazeutika, Gensonden und vieles mehr (Murday 2002, Friedlander und Pui 2003, Thayer 2003, Alivisatos 2004, Szymanski et al. 2004), wobei die Lebenswissenschaften derzeit die größte finanzielle Unterstützung für Forschung und Entwicklung in diesem Gebiet erhalten. Den geistigen Ursprung der Nanotechnologie findet man in dem richtungweisenden Referat des Physikers Richard Feynman „Unten gibt es eine Menge Platz“ (There is plenty of room at the bottom), das vor 47 Jahren bei der Tagung der American Physical Society vorgetragen wurde (Feynman 1960). In seinem Vortrag sprach Feynman über seine Vision der neuen, aufregenden Entwicklungen, welche auf der Messung und Herstellung von Materialen mit molekularen Dimensionen basieren und die dann zu nützlichen Strukturen mit diesen Dimensionen zusammengefügt würden. Es ging also um den Aufbau von sehr, sehr kleinen, technisch dienlichen Objekten aus Grundbausteinen – es handelte sich um die „Unten-nach-Oben“ (BottomUp) Nanotechnologie. Feynman betonte, dass diese Vision nur durch eine Entwicklung von speziellen Methoden und Instrumenten möglich wird, welche ein besseres Verstehen, Messen und die Manipulation von Nanoobjekten erlauben. Dies führte zum Paradigmenwechsel, dass sehr kleine Strukturen – eben Nanostrukturen – nicht durch eine Zerkleinerung der Materie, sondern durch einen Aufbau mittels noch kleineren Strukturen – Nanopartikeln – geschaffen werden können. Der Begriff Nanotechnologie ist dann viel später, insbesondere durch das Buch von E.K. Drexler (1986) bekannt geworden. 22
NANOPARTIKEL UND NANOAEROSOLE – MESSMETHODEN
Nanotechnologie verlangt heute fachübergreifendes Zusammenwirken vieler Fachgebiete, wie etwa Physik, Chemie, Materialwissenschaften, Medizin, Biologie, Ingenieurwesen oder Computerwissenschaften. Physik der kleinen, luftgetragenen Partikel – die Aerosolphysik – und die daraus entstandene Partikelmesstechnik, kann sicherlich als eine der ursprünglichen Nanowissenschaften gesehen werden. Durch neue Entwicklungen wurden die untersuchten und gemessenen Partikel stets kleiner, sie wurden zu Nanopartikeln. Dadurch ergibt sich naturgemäß eine Verflechtung mit der Chemie, in der schon seit mehr als 150 Jahren auf molekularer Ebene gearbeitet wird (ohne dass dies Nanochemie genannt wurde). Insbesondere der Fortschritt in der analytisch-chemischen Messtechnik und den Aerosolmessverfahren, führte zu einem logischen Zusammenspiel der Aerosolphysik mit der analytischen Chemie. Dabei öffnet sich plötzlich ein weites Feld der fundamentalen Nanowissenschaft und Quantenphysik mit vielen offenen Fragen betreffend Quanteneigenschaften, Materialeigenschaften und Phänomenen in den neuen Nanostrukturen, supramolekularen Komplexen oder Biopolymeren. Daraus ergibt sich auch, dass sich die existierenden Einzeldisziplinen immer mehr verflechten und im Nanokosmos vereinen (Abb. 1). Heute reicht der Einsatz der Nanopartikel von der Medizin, wo die nanometergroßen Teilchen als Diagnostika und Therapeutika verwendet werden, bis zum Aufbau von Nanostrukturen, wie etwa Nanoröhrchen oder Pigmenten, die auch industrielle Einsetzbarkeit finden. Zu den besonderen Einsatzgebieten der Nanotechnologie gehören heute insbesondere die Be-
Abb. 1. Entwicklung der Messtechnik als Funktion der Zeit. Die stete Verbesserung der Messmethoden erlaubt in der Partikelmesstechnik die Erfassung von Nanopartikeln. Analoge Entwicklung in der analytisch-chemischen Messtechnik führte zu Messungen bis in den Nanopartikelbereich
W. W. SZYMANSKI UND G. ALLMAIER
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schichtung von Oberflächen oder die Herstellung von neuen Materialien, die durch ihren Aufbau aus Nanopartikeln spezifische Eigenschaften annehmen (Daniel und Astruc 2004). Als Beispiel für eine passive Form der Nanotechnologie kann der Einbau von Nanopartikeln (aus dem Mineral Vermiculit) in Gummifolien (Einsatz in Tennisbällen oder Autoreifen) gesehen werden, wodurch die Rückhaltefähigkeit von Schichten wesentlich erhöht wird (d.h. ein Tennisball oder ein Reifen verliert weniger schnell seine Füllung [InMat 2004]). Ein Beispiel für eine aktive Form der Nanotechnologie ist die Selbstanordnung von isolierten bakteriellen Proteinmonomeren zur Bildung einer hochgeordneten, monomolekularen Nanoschicht mit wohldefinierten Nanoporen – dabei können die Dimensionen exakt vordefiniert werden (Pum und Sleytr 1999). Diese designbaren Schichten finden Einsatz bei Diagnostika, in der Biokatalyse und in der Bioverfahrenstechnik (Nano-S Biotechnologie 2006). Die Nanostrukturen, aufgebaut aus einzelnen Nanopartikeln, bilden dann selbst auch Agglomerate, welche Nanodimensionen haben können. Dies ist eine der Sparten der Nanotechnologie mit dem wahrscheinlich größten Potenzial. Diese „Unten-nach-Oben“ (Bottom-Up) Technologie kopiert u.a. Vorgänge in natürlichen Systemen, etwa die molekulare SelbstAssemblierung (Stupp 1997, Link und Saylor 2003). Moderne mikroelektronische Produkte besitzen Strukturen, die im Nanometerbereich liegen. Somit könnten sie als nanotechnologisch bezeichnet werden, obwohl das eigentlich unzutreffend ist, da sie mit konventionellen, lithographischen Verfahren, durch Verkleinerung hergestellt werden. Es ist die so genannte „Oben-nach-Unten“ (Top-Down) Technologie. Es gibt bis heute keine allgemein akzeptierte Definition betreffend der Größen-Obergrenze von Nanopartikeln. Manchmal wird diese Grenze mit 50 Nanometer (nm), manchmal mit 100 nm angegeben. In dieser Arbeit wird als obere Grenze für Nanopartikel der Wert von 100 nm verwendet. Damit man sich eine Vorstellung von der Größe, oder besser von der Kleinheit eines Nanometers machen kann, gibt es Beispiele: 1 nm ist ein Milliardstel Meter. Das sind nur etwa 4 bis 5 Atomdurchmesser, also ein Würfel mit einer Kantenlänge von 2 nm würde annähernd 500 Atome beinhalten. Würde man einen Würfel mit der Kantenlänge von 1 cm in 1 nm Würfel unterteilen, könnte man mit diesen Nanoteilchen eine Fläche von der Größe eines Fußballfeldes abdecken. Proteine haben Größen die beispielsweise zwischen 1 bis 25 nm liegen. Der bekannte Kohlenstoff-60, Buckminster-Fulleren, hat einen Durchmesser von annähernd 1 nm und ein Schnupfenvirus (HRV) von etwa 30 nm. Hier sollte erwähnt werden, dass die Verwendung makroskopischer Begriffe, wie etwa Durchmesser, für Nanopartikel nur mit großer Vorsicht angewendet werden darf. Dies ist insbesondere wichtig bei Objekten mit Dimensionen unterhalb etwa 20 nm (Preining 1998). Bei einem Nanopartikel liegt eine wesentliche Anzahl der zum Aufbau benötigten Moleküle an der Oberfläche. 24
NANOPARTIKEL UND NANOAEROSOLE – MESSMETHODEN
Dies bringt sehr große Oberfläche-Volumen-Verhältnisse mit sich und dies hat wiederum einen Einfluss auf die Ladungsverteilung sowie physikalische und/oder chemische Eigenschaften. Quantenmechanische Eigenschaften, Umwandlungstemperaturen, Festigkeiten, magnetische Charakteristika oder Farbe können durch die Veränderung von Nanometerstrukturen und Dimensionen verursacht werden, ohne dass die eigentliche chemische Zusammensetzung verändert wird. So haben zum Beispiel Nanoröhrchen aus Kohlenstoff 100-fache Festigkeiten des Stahls, enorme Elastizität, doppelte thermische Leitfähigkeit des Diamanten und 100-fache Leitfähigkeit des Kupfers (Iijima 1991, Dresselhaus et al. 1996, Souza-Filho 2003). In einer Anlehnung an die Begriffsbestimmung der Nanotechnologie vorgeschlagen durch die Royal Society (2004) können somit alle Methoden und Techniken für nanoskalige Systeme, insbesondere für Nanopartikel und Nanoaerosole, mit denen diese zielorientiert und individuell analysierbar, charakterisierbar und manipulierbar sind, als ein integraler Teil der Nanotechnologie gesehen werden. Das Einsetzen dieser Verfahren liefert als Resultat Beiträge zu Erkenntnissen und Entdeckungen im Nanokosmos (Abb. 1).
2. FORSCHUNGS- UND MESSMETHODEN Es ist wahrscheinlich, dass die meisten Beiträge zu Weiterentwicklung der Nanowissenschaft und Nanotechnologie im Bereich der akademischen und weniger in der industriellen Forschung liegen werden. Dies hauptsächlich deswegen, weil die Zeithorizonte, welche für nanotechnologische Forschung nötig sind, für die Industrie zu lange dauern. Die Zukunft der Nanotechnologie betreffend neue Produkte, aber auch ihr Einfluss auf die Lebensqualität und Umwelt, liegt in der universitären Forschung und Ausbildung, verbunden mit Aktivitäten von speziellen nationalen bzw. internationalen Laboratorien und Forschungszentren (Roco 2005). Zentrale Fragen bei der Beschäftigung mit Nanopartikeln und -aerosolen sind neben der Größe, die Form, die Quantität, die Elementarzusammensetzung (d.h. welche chemischen Elemente sind vorhanden), die molekulare chemische Struktur, welche Moleküle die Subeinheiten und in welcher Stöchiometrie diese die Nanoteilchen darstellen, die Oberflächenmorphologie und -zusammensetzung, die physikalischen Eigenschaften wie Elektronendichteverteilung, Aggregatbildung bzw. Selbstassemblierung und Leitfähigkeit und die biologischen Eigenschaften. Daraus ergibt sich, dass diese Nanopartikelparameter oft in unterschiedlichen Aggregatzuständen und an Grenzflächen bestimmt werden müssen. Dies reicht von Nanopartikeln, die an einem Festkörper adsorbiert sind bis zu Nanoaerosolen in der Gasphase unter Normaldruck (Abb. 2). Es existieren nun zahlreiche Messmethoden, die nur im Vakuum, nur in der flüssigen Phase oder in der Gasphase bei Atmosphärendruck als auch im W. W. SZYMANSKI UND G. ALLMAIER
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Abb. 2. Umfeld, in dem Nanopartikel und Nanoaerosole untersucht werden müssen
Hochvakuum eingesetzt werden können und die auch nur in bestimmten Größenbereichen bzw. Molekulargewichtsbereichen einsetzbar sind (Abb. 3). Einige wichtige Methoden zur Charakterisierung und zum Nachweis von Nanopartikeln und Nanoaerosolen, die unter unterschiedlichen Aggregatzuständen eingesetzt werden, wurden hier ausgewählt und werden im folgenden Teil beschrieben und kritisch beurteilt. Die neuesten Errungenschaften im Bereich der Nanotechnologie wurden zum großen Teil dank innovativer technischer Möglichkeiten, Messungen und Manipulationen an nanoskaligen Objekten möglich. Neben der sich ständig weiterentwickelnden Elektronenmikroskopie, sind auch Instrumente im Einsatz, die erlauben, de facto in Echtzeit Nanopartikel ihrer Größe, Anzahl und auch ihrer chemischen Zusammensetzung nach zu messen. Zu diesen Geräten gehören diverse elektrostatische Mobilitätsanalysatoren und Massenspektrometer, wobei die erste Instrumentengruppe aus der Aerosolund Partikelmesstechnologie, die zweite Instrumentengruppe aus der chemisch-analytischen Technologie stammt (Abb.1).
2.1. NANO-DIFFERENTIELLER MOBILITÄTSANALYSATOR (NANO-DMA) Das Arbeitsprinzip eines differentiellen elektrostatischen Mobilitätsanalysators (DMA) ist in der Abb. 4a dargestellt. Es handelt sich dabei meistens um eine koaxiale Anordnung von einer zylindrischen Außenelektrode und einer 26
NANOPARTIKEL UND NANOAEROSOLE – MESSMETHODEN
Abb. 3. Messbereiche (Molekulargewicht bzw. Masse und Durchmesser) einiger wichtiger analytisch-physikalischer und -chemischer Messtechniken. Nano-DMA Nano-differentieller Mobilitätsanalysator; MS Massenspektrometrie; HPLC Hochdruckflüssigchromatographie; SEC Größenausschlusschromatographie; GPC Gelpermeationschromatographie; CE Kapillarelektrophorese; GE Gelelektrophorese; FFF Feldflussfraktionierung
zylindrischen, stabförmigen Innenelektrode. Zwischen den Elektroden herrscht ein elektrostatisches Feld, welches durch die angelegte Spannung determiniert ist. Senkrecht zum elektrostatischen Feld gibt es einen konstanten Fluss von partikelfreier Luft. Werden geladene Nanopartikel (oder Ionen) zwischen die Elektroden des DMAs gebracht, so wird Ihre Bewegung sowohl durch die laminare Luftströmung, als auch durch das Feld bestimmt. Eine spezifisch für die Messung der Nanopartikel ausgelegte DMA-Anordnung wird üblicherweise als Nano-DMA bezeichnet. Wird nun die angelegte Spannung kontinuierlich variiert (gescannt), so können durch die Austrittsdüse Partikel mit unterschiedlichen, definierten Größen aus dem DMA heraustreten und analysiert werden (Tammet 1995, Pui und Chen 1997). Sofern die Nanopartikel nicht als Nanoaerosole vorliegen, müssen sie in die Gasphase gebracht werden (Abb. 4b). Dies kann unter besonders günstigen Bedingungen mittels Nano-Elektrospray-Generatoren (Nano-ESI), welche auch kommerziell erhältlich sind, bewirkt werden. Weil die Nanopartikel (bzw. Ionen) für die optimale Funktionsweise des DMAs einfach geladen sein sollen, werden sie in einem Neutralisator meistens einer bipolaren Ionenatmosphäre ausgesetzt. Diese bipolaren Gas- (Luft-) Ionen werden üblicherweise mittels einer schwachen radioaktiven Quelle (z.B. Po-210, W. W. SZYMANSKI UND G. ALLMAIER
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a
b
c 28
NANOPARTIKEL UND NANOAEROSOLE – MESSMETHODEN
Kr-85) erzeugt (Liu und Pui 1974, Liu und Pui 1975). Eine andere Variante, den erwünschten Ladungszustand der Nanopartikel zu erreichen, ist der Einsatz einer Korona-Entladung (Laschober et al. 2006). Die ladungskonditionierten Nanopartikel können dann mittels Nano-DMA gescannt werden und mit einem Nachweisgerät, entweder einem Kondensationspartikelzähler (CPC – Condensation Particle Counter) oder einem Elektrometer, erfasst werden. In einem CPC werden einzelnen Nanopartikel mit einem Dampf, z.B. Butanol, vermischt. Durch eine Abkühlung dieses Partikel/Dampf-Gemisches kondensiert der Arbeitsdampf auf jedem einzelnen Nanopartikel. Es entsteht ein Tröpfchen von einigen Mikrometer im Durchmesser, welches dann optisch durch Laserlichtstreuung (Abb. 4c) nachgewiesen werden kann. So können Nanopartikel, welche aufgrund ihrer kleinen Größe optisch direkt nicht nachweisbar sind, mittels des Kondensationsvorganges bequem und in Echtzeit erfasst werden und deren Anzahlkonzentration (Anzahl pro Volumseinheit) gemessen werden. Eine Zusammenfügung des Nano-DMA und des CPC liefert neben der Anzahlkonzentration auch die Größenanalyse der Nanopartikel. Weil die Nanopartikel, welche aus einem DMA System heraustreten, eine elektrostatische Ladung tragen, können sie ebenso in Echtzeit mittels eines Partikel-Elektrometers nachgewiesen werden. Der durch die Partikelladung verursachte elektrische Strom im Elektrometer ist eine direkte Messgröße der Anzahlkonzentration (Liu und Dashler 2003, Laschober et al. 2006). Diese Art von Messung eignet sich besonders für höhere Anzahlkonzentrationen von Nanopartikeln. Moderne Synthese erlaubt die Herstellung von Silica-Partikeln in einem breiten Größenbereich beginnend mit den Nanometergrößen. Diese Partikel können auch nach Bedarf modifiziert werden, etwa durch das Aufwachsen einer äußeren Hülle um ein existierendes Teilchen herum. So können z.B. verschiedene Umhüllungen realisiert werden, welche beispielsweise als Marker verwendbar sind. Abb. 5 zeigt eine elektronenmikroskopische (Transmission Electron Microscopy – TEM) Aufnahme von Silica-Nanopartikel, abgeschieden auf einem Filter aus einer Suspension. Die Auswertung dieses Bildes erlaubt die Bestimmung der Nanopartikelgröße in der Suspension. Das Verfahren ist jedoch zeitaufwendig, läuft in mehreren Schritten ab und ist relativ kostspielig. Diese Suspension wurde dann mittels Nano-ESI aerosolisiert (Pui und Chen 1997, Bacher et al. 2001) und das Nanoaerosol, bestehend aus Silicapartikeln, mit der beschriebenen Messanordnung (Abb. 4b) untersucht. Abb. 4. (a) Schematische Darstellung eines differentiellen Mobilitätsanalysators und das Arbeitsprinzip des Gerätes. (b) Eine Kombination von mehreren Geräten (NanoESI-Generator mit Ladungskonditionierung, NanoDMA und Partikelzählung) erlaubt eine Echtzeitbestimmung der Größe und Konzentration der Nanopartikel. (c) Arbeitsprinzip eines Kondensationspartikelzählers. CPC Condensation Particle Counter
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Abb. 5. TEM Abbildung der untersuchten Silica-Partikel
Die Resultate sind in der Abb. 6 dargestellt. Die ausgezeichnete Übereinstimmung der Größenverteilungen von gemessenen Nanopartikeln: TEMAnalyse aus der Flüssigkeit und die Nano-DMA-Analyse in der Gasphase zeigen eindeutig die Anwendbarkeit der aus der Aerosolforschung stammenden Echtzeitanalysenmethode zur Messung von Nanopartikeln.
2.2. PARALLEL-DIFFERENTIELLER MOBILITÄTSANALYSATOR (PDMA) Eine Weiterentwicklung der DMA-Partikelmesstechnik für Nanopartikel und Nanoaerosole stellt der Parallel-DMA (PDMA). Die schematische Darstellung der PDMA-Messanordnung ist in Abb. 7 abgebildet. Ähnlich wie im oben beschriebenen System (Abb. 4b) werden dem DMA1 (analytischer DMA) Nanopartikel im definierten Ladungszustand zugeführt. Die Gerätekombination DMA1-Elektrometer scannt diese Nanoaerosole und liefert ein Spektrum mit der Information über die Größenverteilung (Maximum-Wert bei 16.6 nm) und Anzahlkonzentration (Abb. 8). Simultan mit dem Spektrum-Scan im DMA1 wird der DMA2 (Kollektor DMA) derart eingestellt, dass dort nur jene Nanopartikelfraktion aus dem DMA2 herausgeführt wird, welche genau dem Maximum-Wert des DMA1 entspricht. Diese Partikel werden aus dem DMA direkt in einer Sammelvorrichtung angereichert (NPAS – Nanopartikel Sampler). Die im NPAS gesammelten Partikel wurden in analoger Weise untersucht wie bei der Abb. 5. Eine ausgezeichnete Übereinstimmung beider Größenverteilungen (Abb. 8) belegt nun den weiteren Schritt in der Entwicklung der Messtechnologie für Nanopartikel. Der Kollektor DMA (DMA2) kann aus einer, nicht notwendiger30
NANOPARTIKEL UND NANOAEROSOLE – MESSMETHODEN
Abb. 6. Vergleich der gemessenen Größenverteilung von Silica-Nanopartikeln mittels Nano-DMA und TEM
weise monomodalen Primärverteilung von Nanoaerosolen (Spektrum vom DMA1) eine beliebige Fraktion herauslösen und beispielsweise einer in Serie nachgeschalteten chemisch-analytischen Messanordnung, etwa Massenspektrometer, zwecks chemischer Analyse zuführen.
Abb. 7. Schematische Darstellung eines PDMA (Parallel-Differentieller Mobilitätsanalysator) mit Partikelelektrometer zum Nachweis der Partikel und Nanopartikelsammler (NPAS)
2.3. MASSENSPEKTROMETRIE (MS) Die Massenspektrometrie (Grayson 2002) stellt eine Methode dar, die sowohl Aussagen über das Vorhandensein der Elemente als auch ihrer Verhältnisse zueinander, über das Molekulargewicht und über die chemische StrukW. W. SZYMANSKI UND G. ALLMAIER
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Abb. 8. Vergleichende Messung der Silica-Nanopartikel: DMA1 – Partikel im luftgetragenen Zustand und DMA2 – Ausschnitt aus dem Primärspektrum mit Partikeln erfasst durch NPAS
tur der Komponenten der Nanopartikel/Nanoaerosole liefern kann, wobei aber die Untersuchung eine Generierung von Ionen voraussetzt und die Analyse im Hochvakuum erfolgen muss. Weiters ist es möglich, die Verteilung von Elementen als auch Molekülen an der Oberfläche von Nanopartikeln zu bestimmen (Benninghoven et al. 1987, Tervahattu et al. 2002). Eine Quantifizierung von entsprechend kleinen Nanopartikel ist ebenso möglich. Drei Prinzipien der Methode, die sich auf Desorption und Ionisationsvorgang beziehen, können verwendet werden (Hoffmann et al. 2001): (1) Neutrale Nanoteilchen in der Gasphase bzw. gasförmige Moleküle werden in das Hochvakuum des Instrumentes eingebracht und dort durch verschiedenste Energiezufuhr ionisiert (Strahl von Elektronen, Photonen oder Ionen). Die so ionisierten Teilchen werden dann durch ein elektrisches Feld beschleunigt und in den massenspektrometrischen Analysator gebracht, wo sie nach verschiedensten Prinzipien aufgetrennt und detektiert werden. (2) Nanoteilchen oder Moleküle befinden sich auf einem Festkörper (Nanopartikelträger) im Hochvakuum und werden durch einen gepulsten, energiereichen Primärstrahl (Laser oder Ionen) in die Gasphase desorbiert und anschließend bzw. zeitgleich ionisiert. Danach erfolgt die schon beschriebene Vorgangsweise, nämlich die Beschleunigung und Fokussierung der gasförmigen Ionen in einen Analysator (Abb. 9). Als Beispiel sei hier das einfachste Trennprinzip von gasförmigen Ionen angeführt, das eines linearen Flugzeitanalysators (TOF, time-of-flight). Dabei treten Ionen unterschiedlichen Masse/Ladungsverhältnisses (m/z), aber mit unterschiedlicher kinetischer Energie in den Analysator ein, und fliegen in dem feldfreien, evaku32
NANOPARTIKEL UND NANOAEROSOLE – MESSMETHODEN
ierten (im Bereich von 10 –7 Torr und besser) Flugrohr bis zum Detektor (meist basierend auf dem Sekundärionenvervielfacher). Ionen mit einem kleinen m/z-Wert erreichen den Detektor aufgrund ihrer höheren Geschwindigkeit schneller als solche mit großem m/z-Wert. Man bestimmt nun die Flugzeit (im Nanosekunden- bis Mikrosekundenbereich) der ionisierten Partikel bzw. Moleküle und über Referenzionen kann man dann die exakten Massen bestimmen. Die Ionen können während der Generierung und danach aufgrund überschüssiger Energie fragmentieren. Dieser Vorgang kann aufgrund der bekannten Gesetzmäßigkeiten des Zerfalls in Kombination mit dem Molekulargewicht zur Strukturaufklärung herangezogen werden. (3) Eine Lösung der Moleküle oder eine Suspension der Nanopartikel wird bei Atmosphärendruck zerstäubt oder liegt bereits als Nanoaerosol (Nanotröpfchen) vor und wird danach vom Lösungsmittel befreit sowie ionisiert (es kann eine spontane Ionisation vorliegen oder die Ionisation kann durch Photonen erreicht werden (Abb. 10). Die so gebildeten, meist mehrfach geladenden ionischen Partikel oder Moleküle werden dann wieder beschleunigt und in das Hochvakuum eines massenspektrometrischen Analysators transferiert. Die mittels Massenspektrometrie erhältlichen Informationen sind folgende: vorhandene Elemente, Molekulargewicht und evtl. bei genügender
Abb. 9. Schema und Bild eines Sekundärionenflugzeitmassenspektrometers (SIMSTOF-MS). Die Primärstrahlquelle kann ein gepulster Laser oder eine Ionenkanone sein, die in einem bestimmten Winkel auf den Nanopartikelträger (dieser befindet sich bereits im Hochvakuum wie auch das nachfolgende Flugrohr sowie der Detektor) gerichtet sind. Die ionisierten Partikel, Moleküle, Fragmente oder Elemente werden in den Analysator (Auftrennung der Ionen mit unterschiedlichen m/z-Werten im feldfreien Flugrohr) beschleunigt. Die letzte Generation der SIMS-TOF-Massenspektrometer erlaubt auch das „Imaging“ von anorganischen und organischen Nanopartikeln.
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Abb. 10. Schema eines Nanoaerosol-Dualflugzeitmassenspektrometers (Copyright TSI Inc., USA; Nachdruck mit Erlaubnis). Aerosol Time-of-Flight Mass Spectrometer (ATOFMS-3800) eignet sich zur chemischen Analyse von Nanopartikeln, wobei die Probenahme direkt unter dem atmosphärischen Druck abläuft. Mittels der dualen Anordnung können simultan die positiven und negativen Ionen gemessen werden und so eine vollständigere Information über die chemische Zusammensetzung von einzelnen Nanopartikeln liefern
Auflösung die Elementarzusammensetzung sowie via der gebildeten Fragmentionen Strukturinformationen. In Abb. 11a ist das Massenspektrum eines Dendrimernanopartikels (organisches, sphärisches Polymermolekül (siehe auch Nebenbild in Abb. 11b) der Generation 6) dargestellt, wie es mittels eines matrixunterstützten Laserdesorption/Ionisation (MALDI, Karas et al. 1988) Flugzeitmassenspektrometers im Linearmodus erzielbar ist. Damit wurde das exakte Molekulargewicht dieses Nanopartikels mit 50.2 kDa bestimmt und dies von einer sehr kleinen Menge (im unteren Piko(10 –12)molbereich) an Material, welches auf einem metallischen Träger adsorbiert war. Dabei konnte sowohl ein einfach als auch zweifach positiv geladenes Nanopartikel detektiert werden. Dieselben Dendrimernanopartikel wurden auch mittels des vorher beschriebenen NanoDMAs analysiert und es konnte ein Durchmesser von 6.4 q0.1 nm bestimmt werden (Abb. 11b). Aus der Kombination der Resultate der beiden Analysetechniken kann die durchschnittliche Dichte derartiger organischer Nanopartikel errechnet werden, was für die Anwendung von großer Bedeutung ist. Zusammen mit den genannten Infomationen kann man durch die Desorption/Ionisation (via Laser- oder Ionenstrahl) von vielen Punkten am Nanopartikel ein „massenspektrometrisches Image“ der Oberfläche des 34
NANOPARTIKEL UND NANOAEROSOLE – MESSMETHODEN
Nanoobjektes bezüglich eines Elementes oder Moleküls erzeugen (Tervahattu et al. 2002). Neben dem hohen Informationsgehalt, den man mittels massenspektrometrischer Techniken erzielen kann, ist die Methode auch sehr empfindlich (einige tausend Moleküle reichen oft schon aus) und erlaubt auch
a
b Abb. 11. (a) Analytische Daten (Massenspektrometrie und Nano DMA) eines organischen Polymernanopartikels – Dendrimer der Generation 6. MALDI Massenspektrum des Nanoteilchens; erhalten mittels eines linearen Flugzeitmassenspektrometers im positiven Ionenmodus aus dem sich das exakte Molekulargewicht berechnen lässt. (b) Nano-DMA Spektrum des Nanoteilchens, erhalten mit einem NanoESI-Nano-DMA-CPC System aus dem sich der Teilchendurchmesser ablesen lässt. Im Nebenbild ist die schematische 3D-Struktur des Dendrimers dargestellt
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eine quantitative Analyse in komplexen Systemen. Limitierend ist der abdeckbare Molekulargewichtsbereich bzw. Partikelgröße (Abb. 3) und auch das Faktum, dass die Nanopartikel ionisierbar sowie in die Gasphase überführbar sein müssen.
3. ZUSAMMENFASSUNG Viele Bereiche der Nanowissenschaften und der verknüpften Nanotechnologie existieren bzw. sind erst entstanden, weil immer bessere Messinstrumente entwickelt wurden, die z.B. das „Imaging“ erlauben. Die Zukunft in der Messtechnik liegt in der drastischen Verkleinerung der Messinstrumente (z.B. massenspekrometrische Analysatoren von der Größe eines Fingerhuts und kleiner [Badman et al. 2000]), DMAs in der Größe der Briefmarke (Flagan 2004) sowie in der Entwicklung der „Microfluidics“-Technik (Minteer 2006). Diese Technik erlaubt es, kleinste Flüssigkeitsvolumina zu manipulieren und damit verknüpfte hochsensitive Assays zu entwickeln. Diese gestatten es dann, Einzelmoleküle und individuelle Nanopartikel zu detektieren (Agrawal et al. 2006) und, was noch wichtiger erscheint, in chemischer, physikalischer und biologischer Weise zu charakterisieren (Wang et al. 2006). Dies wurde bereits in einem Treffen im Jahr 2004 der American Society for Testing and Materials als wichtiger Punkt im Zusammenhang mit der Nanotechnologie erkannt und deshalb ein Subkomitee dazu gegründet (ASTM International 2005). Analoge Bestrebungen gibt es auch innerhalb der Aerosolwissenschaft (Friedlander and Pui 2003). Ähnlich dem olympischen Motto „höher, schneller und weiter“, gilt für die Nanotechnologie „kleiner, niederer und weniger“. Die meisten Entwicklungen spielen sich im Moment auf dem Gebiet der Nanowissenschaft und nicht der Nanotechnologie ab. Es wird also hauptsächlich im Gundlagenbereich gearbeitet. Wenn in diesem Bereich solide Resultate generiert werden, dann ist eine exzellente Basis für spätere Applikationen geschaffen. Die Technologie folgt dann sehr rasch, fast automatisch wie die Vergangenheit gezeigt hat.
4. LITERATUR UND QUELLENHINWEISE Agrawal A, Zhang C, Byassee T, Tripp RA, Nie S (2006) Counting single native biomolecules and intact viruses with color-coded nanoparticles. Anal Chem 78: 1061– 1070 Alivistatos AP (2004) The use of nanocristals in biological detection. Nature Biotech 22: 47–52 ASTM International (2005) Minutes: organizational meeting for ASTM Internatinal Activity on Nanotechnology, New York 36
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NANOTECHNOLOGIE ALS WIRTSCHAFTLICHER WACHSTUMSMARKT W. LUTHER
Die Nanotechnologie birgt als Schlüssel- und Querschnittstechnologie erhebliche wirtschaftliche Potenziale. Für eine Vielzahl wichtiger Industriebranchen wie Automobilbau, Chemie, Pharma, Informationstechnik oder Optik wird die künftige Wettbewerbsfähigkeit ihrer Produkte wesentlich von der Erschließung des Nanokosmos abhängen. Die Nanotechnologie eröffnet dabei neue Marktchancen durch die Realisierung kleinerer, schnellerer, leistungsfähigerer und „intelligenterer“ Systemkomponenten für neue Produkte mit deutlich verbesserten und zum Teil gänzlich neuartigen Funktionalitäten. Obwohl bereits viele Produkte mit nanotechnologischen Komponenten auf dem Markt etabliert sind, wird ein Großteil der nanotechnologischen Erkenntnisse erst in einigen Jahren, teilweise sogar erst in Jahrzehnten in Produkte umgesetzt werden können. Schlüsselworte: Kommerzialisierung, Marktpotenzial, Patentanalyse, nanotechnologische Produkte
Economic potentials of nanotechnology Nanotechnology as a key and cross-section technology has an enormous economic potential. The competitiveness of numerous industrial branches will strongly depend on the exploitation of the nano cosmos. Nanotechnology opens up commercial opportunities by creating smaller, faster and more „intelligent“ components for new products with enhanced performance or entirely new functionalities. Although some nanotechnological components are already well established on the mar39
ket, the transformation of nanotechnology into commercial products will take years or even decades. Keywords: Commercialisation, market potential, patent analysis, nanotechnological products
1. NANO-PHÄNOMENE ALS BASIS FÜR PRODUKTINNOVATIONEN Die Nanotechnologie ermöglicht die gezielte Manipulation und technische Nutzung winziger Objekte und Strukturen, die millionenfach kleiner als ein Stecknadelkopf sind. Durch dieses nanotechnologische Know-how lassen sich außergewöhnliche Materialeigenschaften und Funktionalitäten erzielen, die Potenziale für Produktinnovationen in fast allen Technikfeldern und Wirtschaftsbranchen eröffnen. Selbstreinigende Beschichtungen, neuartige Krebstherapien oder miniaturisierte Datenspeicher sind nur einige Beispiele für Anwendungen, die durch die Nanotechnologie ermöglicht werden. Die Basis für nanotechnologische Innovationen ergibt sich aus physikalischen, chemischen und biologischen Eigenschaftsänderungen und neuartigen Effekten, die in nanostrukturierten Materiebausteinen auftreten. Physikalische Materialeigenschaften eines Festkörpers wie elektrische Leitfähigkeit, Magnetismus, Fluoreszenz, Härte oder Festigkeit ändern sich hierbei fundamental mit der Anzahl und der Anordnung der wechselwirkenden Atome, Ionen oder Moleküle. Anders als in makroskopischen Festkörpern können Elektronen in einem Nanocluster nur ganz bestimmte „quantisierte“ Energiezustände einnehmen, die von der Anzahl der wechselwirkenden Atome beeinflusst werden. Hieraus ergeben sich beispielsweise sehr charakteristische optische und elektronische Eigenschaften, die stark mit der Größe des jeweiligen Clusters variieren. So fluoresziert ein 2 nm großer Cadmiumtelluridpartikel grünes Licht, ein 5 nm großer Partikel hingegen rotes Licht. Derartige Effekte werden beispielsweise bei Sicherheitspigmenten oder Markerstoffen in der medizinischen Diagnostik angewendet. Andere physikalische Phänomene, die nur auf der Nanoskala auftreten, sind der Tunneleffekt, der die Basis für Rastertunnelmikroskope bildet, oder magnetoelektronische Widerstandseffekte, auf deren Grundlage Leseköpfe für immer kleinere und leistungsfähigere Festplatten-Datenspeicher realisiert werden können. Auch chemische Materialeigenschaften hängen sehr stark von der Anordnung und Strukturierung der elementaren Materiebausteine ab. Durch Nanostrukturierung lässt sich in der Regel eine deutlich erhöhte chemische Reaktivität erzielen, da Materialien bei einer Aufteilung in nanoskalige Substrukturen ein stark vergrößertes Verhältnis von reaktiven Oberflächenatomen zu reaktionsträgen Teilchen im Inneren eines Feststoffes aufweisen. In einem Partikel mit einem Durchmesser von 20 nm befinden sich beispielsweise ca. 10% der Atome an der Oberfläche, in einem 1 nm großen Partikel beträgt der 40
NANOTECHNOLOGIE ALS WIRTSCHAFTLICHER WACHSTUMSMARKT Tabelle 1. Anwendungsbeispiele für Effekte und Eigenschaftsänderungen in nanostrukturierten Materialien und Komponenten Materialeigenschaften
Beispiele für Effekte durch nanoskalige Konfiguration
Chemisch
– Erhöhte Löslichkeit von Lebensmittelzusatzstoffen und medizinischen Wirkstoffen – Easy-To-Clean Eigenschaften von Oberflächen durch nanopartikuläre Beschichtungsmaterialien – Effizientere Abgaskatalysatoren in Automobilen durch vergrößerte Katalysatoroberflächen – Leistungsfähigere Batterien und Akkumulatoren durch höhere spezifische Elektrodenoberflächen
Mechanisch
– Erhöhte Gasdichtigkeit von Lebensmittelverpackungen durch Zusatz von Nanopartikeln oder Nanobeschichtungen – Verbesserte Kratzfestigkeit von Lacken durch keramische Nanopartikel – Hochbelastbare und verschleißfeste mechanische Komponenten durch nanostrukturierte Hartschichten – Verbesserte Steifigkeit von Sportgeräten durch Zusatz von Nanopartikeln
Optisch
– Transparenter UV-Schutz in Kosmetika, Textilien oder Möbeln – Spezifische Fluoreszenzeigenschaften von Nanopartikeln in Abhängigkeit von der Partikelgröße für Sicherheitspigmente oder Markerstoffe in medizinischen Schnelltests – Spezielle Farbeffekte bei Farben und Lacken (z.B. Interferenzpigmente) – Selektive Lichtleitung und -steuerung durch photonische Kristalle – Antireflexeigenschaften bei Displays und Anzeigen
Biologisch
– Erhöhte Durchlässigkeit für physiologische Barrieren (Membrane, Blut-Hirn-Schranke etc.) in Medikamenten – Erhöhte Biokompatibilität durch Nanostrukturierung von Knochenersatzmaterialien und Wundverschlüssen – Antibakterielle Eigenschaften von Gebrauchsgegenständen durch Silbernanopartikel
Geometrisch
– Höhere Integrationsdichte von elektronischen Komponenten für miniaturisierte und hochleistungsfähige Computerchips – Nanoporöse Materialien für hochselektive Membranen, Katalysatoren oder thermische Isolationsmaterialien – Selektive Hohlräume für den Transport oder die kontrollierte Abgabe spezifischer Moleküle
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Anteil der reaktiven Oberflächenatome bereits 99%. Dadurch lassen sich beispielsweise katalytische Ausbeuten erhöhen, die Löslichkeit und biologische Verfügbarkeit von Wirkstoffen verbessern oder die Sintertemperatur von Keramiken durch Verwendung von Nanopulvern verringern. In der Biologie spielen Nanostrukturen ebenfalls eine entscheidende Rolle, da nahezu alle biologischen Prozesse von nanoskaligen Strukturbausteinen wie Nukleinsäuren, Proteinen etc. gesteuert werden. Der Aufbau komplexer biologischer Systeme wie Zellen und Organe erfolgt hierbei nach dem Prinzip der Selbstorganisation, wobei einzelne Moleküle auf Basis chemischer Wechselwirkungen und molekularer Erkennungsmechanismen zu größeren Einheiten zusammengesetzt werden. Die Nanotechnologie zielt langfristig auf die Nachahmung und technische Nutzung dieser biologischen Prinzipien. Oftmals ist es aber auch allein die Kleinheit nanoskaliger Strukturen, die zu Performance-Vorteilen in technischen Komponenten führen. So führt beispielsweise die fortschreitende Miniaturisierung von Strukturen bei elektronischen Schaltkreisen zu immer leistungsfähigeren Prozessoren und Datenspeichern in der Informationstechnik. Durch Nanostrukturierung ergeben sich somit neuartige Möglichkeiten für das gezielte Design von Materialien und technischen Komponenten, bei denen gewünschte Eigenschaften und Funktionalitäten kombiniert und für den jeweiligen technischen Anwendungszweck gezielt angepasst werden können.
2. ANWENDUNGEN DER NANOTECHNOLOGIE IN WIRTSCHAFTSBRANCHEN UND PRODUKTEN Für eine Vielzahl wichtiger Industriebranchen wie Automobilbau, Chemie, Pharma, Informationstechnik oder Optik wird die künftige Wettbewerbsfähigkeit ihrer Produkte wesentlich von der Erschließung des Nanokosmos abhängen (BMBF 2004). Anwendungen der Nanotechnologie betreffen jedoch nicht nur High-Tech-Bereiche sondern auch klassische Industriezweige wie die Textilindustrie, die Bautechnik oder den Maschinenbau. Die wichtigsten Anwendungsfelder und Produktoptionen werden im Folgenden kurz erläutert.
2.1. INFORMATIONSTECHNIK Die Informationstechnik ist eine Schlüsseltechnologie, die in den letzten Jahrzehnten einen Innovationsschub in fast allen Wirtschaftsbranchen ausgelöst hat und daher eine enorme volkswirtschaftliche Bedeutung besitzt. Der Trend zu immer leistungsfähigeren, kompakteren und multifunktionalen Geräten der Informationsverarbeitung, Kommunikation und der 42
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Unterhaltungselektronik ist ungebrochen. Ermöglicht wird dies durch eine zunehmende Miniaturisierung der Strukturen der Schaltkreise in der Silizium-basierten Elektronik. Hierdurch konnte in den letzten Jahrzehnten die Leistung der Bauteile bei gleichzeitig fallenden Preisen stetig gesteigert werden. Die Strukturen moderner Prozessoren liegen mittlerweile bereits deutlich unter 100 nm, was durch neuartige lithographische Produktionstechniken zur Nanostrukturierung ermöglicht wird. Die Nanotechnologie bietet aber über die Miniaturisierung der konventionellen Siliziumelektronik hinaus zahlreiche alternative Ansätze zur Datenspeicherung und -verarbeitung. Die Magnetoelektronik hat bereits seit längerem Einfluss auf den mehrere Milliarden Euro umfassenden Weltmarkt der Festplattenspeicher, die magnetoelektronische Sensoren in den Leseköpfen verwenden, um höhere Datenspeicherkapazitäten zu erreichen. Ein anderes Speicherkonzept, der Flash-Speicher, nutzt den quantenmechanischen Tunneleffekt zur Datenspeicherung. Er würde ohne nanometerdünne Schichten nicht funktionieren. Mittelfristig werden alternative nanotechnologische Speicherkonzepte wie ferroelektrische Speicher oder Phasenwechsel-Speicher Marktanteile des Milliardenmarktes für Speicherchips erobern. Noch weiter in die Zukunft reichen nanotechnologische Konzepte, die derzeit z.T. noch im Bereich der Grundlagenforschung anzusiedeln sind, wie die Molekularelektronik, die Spintronik oder die Quanteninformationsverarbeitung.
2.2. LIFE SCIENCES Der Bereich Life Sciences befasst sich mit der gezielten, marktwirtschaftlichen Anwendung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse, insbesondere in den Anwendungsgebieten Gesundheit und Ernährung. Im Fokus stehen hierbei die Branchen pharmazeutische Industrie, Material- und Medizintechnik, Chemie und Biotechnologie. Ein Schwerpunkt der Nanotechnologie-Anwendungen in den Life Sciences liegt im Gesundheitssektor, in dem Nanotechnologien einen wirkungsvollen Beitrag für eine effizientere und bessere Gesundheitsversorgung leisten können. Nanoskalige Drug-Delivery-Systeme bieten das Potenzial, in wässrigen Medien schwerlösliche oder chemisch labile Wirkstoffe zum kranken Gewebe zu transportieren, biologische Barrieren, wie die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden und Wirkstoffe gezielt im kranken Gewebe anzureichern, um so die Gefahr von Nebenwirkungen zu verringern. Mittlerweile befinden sich die ersten Medikamente, die solche DrugDelivery-Systeme nutzen, auf dem Markt. Zukünftig wird der Einsatz von Nanopartikeln neue Therapieformen z.B. gegen Krebs ermöglichen. Nanostrukturierte Oberflächen verbessern die Bioverträglichkeit von Implantaten. Eine große Bedeutung kommt dabei einem verbesserten Verständnis der Vorgänge an der Grenzfläche zwischen dem Gewebe und der Implantatoberfläche zu. Im Rahmen der Nanobiotechnologie wird die Entwicklung neuer, W. LUTHER
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kleinerer und immer leistungsfähigerer Biochipsysteme vorangetrieben. Diese dienen z.B. der Untersuchung von DNA-, Protein- und Zellproben. Ziel ist es, eine höhere Sensitivität, Zuverlässigkeit und ein beschleunigtes Screening für die pharmakologische Wirkstoffsuche, aber auch für die medizinische Diagnostik zu erhalten. Deutliche Fortschritte in der medizinischen Diagnostik werden auch vom Einsatz nanopartikulärer Kontrastmittel erwartet, die spezifisch an kranke Zellen binden. Mittelfristig soll so eine Frühdiagnose bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie eine bessere Risikoklassifizierung und Therapiekontrolle bei Krebs möglich werden.
2.3. OPTIK Die optische Industrie setzt in ihren Anwendungsbereichen Augenoptik, Photonik und Präzisionstechnik sowie Messtechnik und Sensorik in breitem Umfang modernste nanotechnologische Herstellungsverfahren und Geräte ein. Ultrapräzisionsoptiken kommen vor allem in der Lithographie zum Einsatz, bei der für die Herstellung elektronischer Bauelemente mit nanoskaligen Strukturgrößen atomar präzise Optiken zwingend erforderlich sind. Optoelektronische Bauelemente wie Laser- und Leuchtdioden (LED) basieren auf extrem dünnen, nur nanometerdicken Halbleiterschichten. Derartige Bauelemente haben schon seit langem Einsatz in hochvolumigen Massenmärkten gefunden, insbesondere in den Bereichen IuK-Technologie (z.B. Diodenlaser für DVD und CD-Geräte), der Beleuchtungstechnik (LED) und anderen Anwendungsfeldern. Aufgrund ihrer langen Lebensdauer und ihrer hohen Effizienz sind optoelektronische Lichtquellen nicht nur zuverlässiger als konventionelle Leuchtmittel, sondern auch sehr sparsam im Energieverbrauch. Weiterentwicklungen der nächsten Jahre zielen auf die Erschließung neuer Wellenlängenbereiche, die Verbesserung von Lichtleistung, Effizienz und Lebensdauer, sowie die Entwicklung flexibler Lichtquellen auf Polymerbasis. Hierdurch werden voraussichtlich in Zukunft weitere aussichtsreiche Märkte erschlossen werden können, z.B. auf Lasern basierte Fernseher oder auch weiße LED als Frontscheinwerfer im Automobil. Flachbildschirme werden in Zukunft herkömmliche Kathodenstrahlröhrenbildschirme weitgehend verdrängen. Der Hauptanteil fällt hierbei auf Flüssigkristalldisplays, aber auch andere auf Nanotechnologie basierende Konzeptionen wie organische Leuchtdioden (OLED)1 oder Feldemissionsdisplays (FED)2 werden signifiOLED: Organic Light Emitting Diodes. Bei OLED bestehen die Licht emittierenden Halbleiterkomponenten aus speziellen Kunststoffen, d.h. „organischen“ Verbindungen. 2 FED: Field Emitting Displays. Bei Feldemissionsdisplays werden durch Anlegen eines starken elektrischen Feldes Elektronen aus einer Spitze (z.B. aus Kohlenstoffnanoröhren) emittiert. Diese Elektronen werden beschleunigt und auf einen Leuchtbildschirm gelenkt, der die Bildsignale erzeugt. 1
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kante Marktanteile erzielen. Von OLED-Displays erhofft man sich vor allem eine große Kostenersparnis und neue Anwendungsmöglichkeiten, da diese großflächig prozessierbar, flexibel und preisgünstig herstellbar sind. Feldemissionsdisplays sind selbstleuchtend und können farbige Bilder mit hoher Helligkeit und ausreichendem Kontrast darstellen. In modernen FED werden als besonders effiziente Elektronenemitter Kohlenstoffnanoröhren verwendet. Optische Sensoren im visuellen, infraroten und ultravioletten Spektralbereich finden zunehmend Verbreitung in verschiedenen industriellen Anwendungsfeldern. Auch in diesem Bereich lassen sich durch nanotechnologische Anwendungen Effizienz, Selektivität und Lebensdauer der Sensorkomponenten verbessern.
2.4. AUTOMOBIL Steigende staatliche Reglementierungen bei der Sicherheit und der Umweltverträglichkeit sowie immer höhere Kundenerwartungen in Bezug auf Leistung, Komfort und Design von Automobilen sind ein ständiger Antrieb für die Einführung innovativer Technologien im Automobilbau. Aufgrund ihres breiten Querschnittscharakters wird eine Vielzahl von Automobiltechnologien von der Nanotechnologie beeinflusst werden. Schon heute wird eine Vielzahl von Automobilkomponenten durch nanotechnologische Verfahren in ihrer Funktion optimiert. Mechanisch hoch beanspruchte Bauteile, wie z.B. Dieseleinspritzpumpen, werden durch nanostrukturierte Hartschichten vor Verschleiß geschützt, um höhere Einspritz-Drucke zu ermöglichen. Diese sind notwendig, um den wachsenden Anforderungen an Kraftstoffeinsparungen und Schadstoffreduktion gerecht zu werden. Antireflexionsbeschichtungen auf Abdeckscheiben im Displaybereich erhöhen die Fahrsicherheit und gestatten eine bessere Lesbarkeit der Instrumente. Nanobeschichtungstechnologie ermöglicht den Einsatz von Kunststoff statt Glas in Automobilverscheibungen. Derartige Kunststoffscheiben, z.B. auf Polycarbonatbasis, erhalten durch transparente nanoskalige Schichten die Kratzfestigkeit von Mineralglas, sodass ein Einsatz in hochbeanspruchten Automobilscheiben möglich wird. In Autoreifen werden nanostrukturierte Rußpartikel schon seit geraumer Zeit eingesetzt, um die Laufleistung und Straßenhaftung moderner Reifen zu verbessern. Ebenso können Nanopartikel als Additiv in Schmiermitteln die Reibung im Motor reduzieren und somit zu einer Verschleißminderung beitragen. Nanometergroße Siliziumdioxidpartikel erhöhen die Kratzfestigkeit des Lackes und werden bereits in der Serienfertigung eingesetzt. Das Potenzial der Nanotechnologie wird sich aufgrund langer, an Innovationszyklen der verschiedenen Modellserien gekoppelte Vorlaufzeiten für Technologieentwicklungen erst in einigen Jahren im Automobilbau voll entfalten. Für zukünftige Einsatzmöglichkeiten der Nanotechnologie existieren eine Vielzahl von Entwicklungsbemühungen W. LUTHER
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und Konzeptvorschläge, die sämtliche Einsatzbereiche im Automobilbau betreffen, wie energieeffiziente Antriebe, Leichtbau, Schadstoffreduktion und Ressourcenschonung, die passive und aktive Sicherheit bis hin zum Komfort und Design.
2.5. CHEMIE Die Chemische Industrie übt eine große volkswirtschaftliche Hebelwirkung aus, da Materialinnovationen einen wesentlichen Treiber für den technologischen Fortschritt und innovative Produkte in vielen anderen Industriebranchen darstellen. Die Nanotechnologie, insbesondere der Bereich Nanomaterialien, wird in Zukunft eine wachsende Bedeutung in der chemischen Industrie bei der Erzeugung hochwertiger Spezialchemikalien spielen, und zwar überwiegend auf der Wertschöpfungsstufe von Vor- und Zwischenprodukten. In einigen Teilbereichen ist die Anwendung von Nanomaterialien schon lange etabliert, z.B. bei Industrierußen, Pigmenten, Polymerdispersionen und Kolloiden. In anderen Bereichen, insbesondere für Anwendungen im Gesundheitswesen oder der Elektronik, befinden sich eine Reihe neuartiger Nanomaterialien in der Forschungspipeline, die erst in den kommenden Jahren ihr wirtschaftliches Potenzial entfalten werden. Neue Nanomaterialien, wie beispielsweise Kohlenstoffnanoröhren, funktionalisierte Nanopartikel, Nanokomposite oder nanoporöse Schäume weisen herausragende Eigenschaften auf, die eine Schrittmacherfunktion für innovative Produkte in einer Vielzahl von Industriezweigen wie der Medizin, Kosmetik, Automobilbau, IuK-Technik sowie die Energie- und Umwelttechnik ermöglichen können. Ein Beispiel hierfür sind Kohlenstoffnanoröhren, die eine bis zu 20-mal bessere Zugfestigkeit als Stahl aufweisen, elektrischen Strom besser als Kupfer leiten und eine hervorragende Wärmeleitfähigkeit besitzen. Mittlerweile lassen sich Kohlenstoffnanoröhren in industriellem Maßstab herstellen. Die breite Anwendungspalette der Nanotechnologie in der Chemie betrifft Innovationen u.a. in den Bereichen Katalysatoren, Membranen, Komposit-Werkstoffe, Wirkstoffträger, Klebstoffe, Sensoren, Farben und Lacke.
2.6. TEXTIL Im Bereich neuer High-Tech-Textilien bieten sich attraktive Marktpotenziale in neuen Wachstumsmärkten wie textilen Lifestyle-Produkten oder technischen Textilien, z.B. für die Automobil- oder Umwelttechnik. Innovationen in diesen Bereichen basieren heute zunehmend auf Forschung und Wissenschaft in High-Tech-Sektoren wie der Nanotechnologie. Anwendungen der Nanotechnologie betreffen beispielsweise extrem isolierende 46
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Wärmeschutzbekleidungen auf der Basis von Aerogelen oder auch aktiv wärmeregulierende Textilien auf der Basis mikroverkapselter Phasenwechsel-Materialien, z.B. für Sportbekleidung, Freizeitmode, Arbeitsschutz-Ausrüstungen oder Sitzbezüge im Automobilbau. Der Einsatz von Nanomaterialien ermöglicht weiterhin die Herstellung selbstreinigender Textiloberflächen, von denen Wasser und Schmutz und selbst Substanzen wie Ketchup, Honig, Kaffee oder Rotwein mühelos abperlen. Ein weiterer Trend sind sogenannte Smart Clothes, die durch Verbindung moderner Fasern und Textilstrukturen mit miniaturisierten elektronischen Komponenten Umwelteinflüsse wahrnehmen und darauf reagieren können. Nanotechnologische Innovationen werden hierbei Lösungen für eine zunehmende Verschmelzung mobiler IuK-Geräte und textiler Bekleidungsstücke sowie die dafür benötigte Energieversorgung beitragen.
2.7. BAUWESEN Die Nanotechnologie bietet auch in einem konventionellen Industriezweig wie dem Bausektor erhebliche Potenziale, innovative und nachhaltige Strategien im Wohnungs-, Wirtschafts- und Infrastrukturbau zu forcieren. Insbesondere die Bereiche energieeffizientes Bauen und die Altbaumodernisierung könnten wesentlich von nanotechnologischen Innovationen profitieren. Schwerpunkte von Nanotechnologie-Anwendungen im Bausektor liegen insbesondere in einer innovativen, intelligenten Fassadengestaltung. Durch nanotechnologische Oberflächenfunktionalisierung werden Fassadenflächen vor Korrosion geschützt, Verunreinigungen durch Schmutz, biologische Anhaftungen oder Graffiti weitgehend vermieden und durch spezielle Farbeffekte ein ansprechendes Design ermöglicht. In der kommerziellen Anwendung im Bausektor sind Titandioxid-basierte photokatalytische Oberflächen im Einsatz, die selbstreinigende Eigenschaften aufweisen und zugleich antibakteriell wirken, da an der Oberfläche anhaftende Keime abgetötet werden. Die möglichen Anwendungen photokatalytischer Schichtsysteme im Bausektor umfassen u.a. selbstreinigende Fenster, Fensterrahmen, Ziegel und sonstige Außenfassadenelemente. Neuartige Dämmstoffe und ein Energiemanagement auf Basis schaltbarer Verglasungen könnten wesentliche Beiträge für Energieeinsparungen in der Gebäudetechnik liefern. Hoch-poröse Nanomaterialien wie Silica-Aerogele3 zeichnen sich durch vorzügliche Isolation gegen Wärmeleitung und Konvektion aus, lassen hingegen Wärmestrahlung und Licht sehr gut durch und können fast glasklar sein. Aufgrund Aerogele sind hochporöse Stoffe, die zu über 99% aus Luft bestehen. Diese befindet sich in den Poren eines Netzwerkes von Nanopartikeln (z.B. aus Siliziumdioxid), die über chemische Bindungen miteinander verknüpft sind. 3
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der hohen Transparenz von Aerogelmaterialien eignen sich diese neben durchsichtigen Außenfassaden prinzipiell auch für den Einsatz in Fensterscheiben. Schaltbare Gläser4, z.B. auf Basis elektrochromer oder photochromer Beschichtungen, ermöglichen eine optimale Anpassung der Lichtdurchlässigkeit und könnten in Zukunft externe Verschattungssysteme, wie z.B. Blendschutzsysteme und Jalousien ersetzen. Ein hohes Potenzial liegt auch im Ersatz umweltbelastender Stoffe, beispielsweise im Brandschutz oder in der Verbesserung konventioneller Baustoffe wie Beton, die völlig neue Konstruktionsmöglichkeiten eröffnen könnten.
2.8. CONSUMER-PRODUKTE Die Nanotechnologie findet immer breiteren Eingang in Verbraucherprodukte in den Bereichen Kosmetik, Nahrungsmittel, Sport und Freizeit. In Europa sind mittlerweile über 500 Produkte, die den Begriff „nano“ enthalten, als Marke geschützt. Anwendungen im Lebensmittelbereich betreffen beispielsweise Vitamine und Nahrungsergänzungsstoffe, die in nanoskaliger Form eingesetzt werden, um die Löslichkeit und die Aufnahme in den menschlichen Körper zu verbessern. Nanobeschichtungen verringern die Gasdurchlässigkeit von Lebensmittelverpackungen und Plastik-Getränkeflaschen, wodurch die Haltbarkeit von Lebensmitteln deutlich verbessert wird. Nanostrukturiertes Siliziumdioxid wird aufgrund des hohen Adsorptionsvermögens als Rieselhilfsmittel oder Trägerstoff verwendet, um beispielsweise das Fließverhalten von Ketchup zu verbessern oder ein Zusammenbacken von Kochsalzkristallen und Lebensmitteln zu verhindern. Derartige Nanopartikel werden weiterhin bei der Klärung von Fruchtsäften eingesetzt. Im Kosmetikbereich werden als UV-Filter in Sonnencremes nanoskalige Metalloxidpartikel (z.B. Titandioxid oder Zinkoxid) eingesetzt, die aufgrund der Kleinheit transparent sind und auf der Haut einen effizienten UV-Schutz bieten. Zahncreme wird mit Hydroxylapatit-Nanopartikeln5 versetzt, um angegriffenen Zahnschmelz beim Zähneputzen wieder aufzubauen. Das Material ist chemisch identisch mit dem Zahnschmelz, wodurch die Partikel nach der Anwendung einen zusammenhängenden dünnen Film bilden, der die Fehlstellen überdeckt. In Hautcremes und Haarpflegemitteln werden nanoskalige Emulsionen eingesetzt, um die Aufnahme von Wirkstoffen über die Haut zu erleichtern. Auch im Sport- und FreizeitSchaltbare Gläser können ihre Lichtdurchlässigkeit durch physikalische Einflussgrößen ändern, z.B. durch Anlegen einer elektrischen Spannung (Elektrochromie) oder durch Sonnenlicht (Photochromie). 5 Hydroxylapatit-Nanopartikel: Nanoskalige Kristallite aus Kalzium-Phosphat, das auch ein Hauptbestandteil in menschlichen Knochen und Zähnen ist. Das Material wird beispielsweise von der Firma Sustech unter dem Markennamen Nanit ® active vermarktet und in Zahncremes zur Regeneration von Zahnschmelz eingesetzt (www.sustech.de). 4
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Abb. 1. Beispiele für Anwendungsoptionen und Reifegrad nanotechnologischer Entwicklungen in verschiedenen Wirtschaftsbranchen
bereich sind bereits viele nanotechnologische Ansätze in Produkte umgesetzt worden. Beispiele sind mit Kohlenstoffnanoröhren verstärkte Tennisoder Eishockeyschläger, verbesserte Skiwachsrezepturen oder nanobeschichtete Golfbälle. Obwohl bereits viele Produkte mit nanotechnologischen Komponenten auf dem Markt etabliert sind, befindet sich ein Großteil der nanotechnologischen Erkenntnisse noch im Entwicklungs- und Prototyp-Stadium und wird erst in einigen Jahren, teilweise sogar erst in Jahrzehnten in Produkte umgesetzt werden können.
3. INTERNATIONALER STATUS QUO IN DER WIRTSCHAFTLICHEN UMSETZUNG Die öffentlichen Investitionen im Bereich der Nanotechnologie summieren sich mittlerweile weltweit auf ca. 4 Mrd. Euro pro Jahr, wobei Europa (Europäische Kommission und Mitgliedstaaten) mit ca. 1,3 Mrd. Euro, die USA (Bundesebene und Bundesstaaten) mit ca. 1,2 Mrd. Euro sowie Japan mit ca. 750 Mio. Euro die führenden drei Regionen bilden. Der Trend ist weiter ansteigend und insbesondere Südostasien, China und Indien verstärken ihr Engagement erheblich. Dieses enorme staatliche Engagement wird getrieben von hohen Erwartungen hinsichtlich des volkswirtschaftlichen Nutzens in Form von Umsätzen und Arbeitsplätzen, die unmittelbar an nanotechnologische Entwicklungen gekoppelt sind. Doch wie steht es mit der kommerziellen Umsetzung der Nanotechnologie? Eine Studie zum wirtschaftlichen Potenzial belegt, dass nanotechnologisches Know-how bereits heute die Wettbewerbsfähigkeit einer Vielzahl von Produkten bestimmt – dies insbesondere in den Massenmärkten der Elektronik, der Chemie und der Optischen Industrie (VDI TZ 2004). Mittelbis langfristig wird die Nanotechnologie auch in den Bereichen Automobilbau sowie Life Sciences erheblichen kommerziellen Einfluss entfalten. Die Anzahl der Firmen mit F&E-Aktivitäten in der Nanotechnologie wird weltweit auf ca. 1500 geschätzt, davon ca. 1200 Start-ups. Die privatwirtschaftlichen Investitionen in der Nanotechnologie liegen mit ca. 4 Mrd. $ weltweit im Jahr 2004 in einer ähnlichen Größenordnung wie die öffentlichen Investitionen (Lux Research 2004). Allerdings ist das Engagement von Firmen in den USA und Japan deutlich höher als in Europa. Dies wird auch durch die Verteilung der Nanotechnologie-Patente widergespiegelt. Von den weltweit ca. 80.000 Nanotechnologie-Patenten fallen 57% auf die USA, 24% auf Japan und nur 16% auf EU Staaten (Europäisches Patentamt 2006). Obwohl die enorme wirtschaftliche Bedeutung der Nanotechnologie als Schlüssel- und Querschnittstechnologie unbestritten ist, scheitert eine exakte Quantifizierung der Markentwicklung in der Nanotechnologie oftmals an folgenden Rahmenbedingungen: 50
NANOTECHNOLOGIE ALS WIRTSCHAFTLICHER WACHSTUMSMARKT §
Die Nanotechnologie setzt als „enabling technology“ in der Regel relativ früh in der Wertschöpfungskette an, d.h. bei der Optimierung von Komponenten und Zwischenprodukten, z.B. durch nanoskalige Beschichtungen oder nanostrukturierte Werkstoffe. Diese Komponenten machen in der Regel nur einen geringen Anteil an den fertigen Endprodukten (Konsum- und Investitionsgüter) aus. Der Marktwert der nanotechnologischen Komponenten an der Wertschöpfung des Endproduktes ist dabei oftmals nicht exakt zu bestimmen. Ohne Anwendung nanotechnologischer Verfahren und Komponenten wären Produkte in vielen Industriezweigen jedoch häufig nicht konkurrenzfähig (z.B. Festplattenspeicher, Computerchips, Ultrapräzisionsoptiken etc.). § Die Nanotechnologie lässt sich als Querschnittstechnologie keinem bestimmten Wirtschaftszweig zuordnen, der in statistischen wirtschaftlichen Gesamtrechnungen bezüglich Umsatz- und Beschäftigtenzahlen erfasst ist. § Eine einheitliche Definition, welche Erzeugnisse des Wirtschaftskreislaufs als „nanotechnologische Produkte“ zu qualifizieren sind, existiert nicht.
Bislang veröffentlichte übergeordnete Studien (z.B. Evolution Capital 2001, Beckmann und Lenz 2002, TAB 2003) sind oftmals zu lückenhaft, als dass sie die wirtschaftliche Bedeutung der Nanotechnologie für sämtliche betroffenen Branchen präzise abbilden könnten, zumal die Definition meist vage bleibt. Eine nach Branchen aufgeschlüsselte Studie zum Marktpotenzial in der Nanotechnologie beziffert das derzeitige Weltmarktvolumen von Produkten, in denen nanotechnologische Herstellungsverfahren oder Komponenten einen wesentlichen Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit liefern, auf eine Größenordnung von über 100 Mrd. Euro (VDI TZ 2004). Hierbei wurde folgende Definition nanotechnologischer Produkte angewendet: §
Produkte, die mindestens eine funktionelle Komponente mit einer kontrollierten geometrischen Abmessung unterhalb von 100 Nanometern in mindestens einer Richtungsdimension besitzen, wodurch physikalische, chemische oder biologische Effekte nutzbar werden, die oberhalb dieser kritischen Abmessung nicht auftreten. § Analytische und/oder verfahrenstechnische Produkte, die für die kontrollierte Herstellung, Positionierung oder Vermessung nanotechnologischer Komponenten erforderlich ist.
Das Marktvolumen der Nanotechnologie lässt sich hierbei in eine Vielzahl unterschiedlicher Marktsegmente aufgliedern: §
In der Elektronik liegt der Anteil der Nanoelektronik (d. h. Strukturbreiten 1 µm) und NNPs einen Großteil zum Stofftransport und so auch zum Schadstofftransport beitragen (Förstner und Wittmann 1979). Diese suspendierten Feststoffe bestimmen weitgehend die Gewässerqualität und sind von herausragender Bedeutung für den Nährstoffkreislauf der Gewässer. Das Verhalten von suspendierten Partikeln und NNPs im Oberflächenwasser und speziell beim Übergang von Süß- zu Salzwasser und bei der Oxidation anoxischer Zuflüsse oder Porenwässer bzw. saurer Grubenwässer ist seit mehreren Jahren Gegenstand der Forschung (Atteia et al. 2001, Kimball et al. 1995, Schemel et al. 2000, v.d. Kammer et al. 2003). In marinen Systemen sind viele Metalle vorwiegend an Partikel und NNPs oder durch kolloidale organische Substanz gebunden (Wen et al. 1999, Wells et al. 1998). NNPs spielen hier nicht nur eine Rolle als potenzielle Schadstoffträger, sondern können die Bioverfügbarkeit von Nährstoffen (z.B. Eisen) beeinflussen (Chen et al. 2003). 88
NUTZEN UND RISIKO DER NANOTECHNOLOGIE Tabelle 1. Auflistung von künstlichen Nanopartikeln, die bereits jetzt oder in naher Zukunft in relevanten Mengen produziert werden können (Royal Society 2004), Beispiele typischer Anwendungen und Abschätzung des Emissionspotenzials in die aquatische Umwelt Art
Produkte (Beispiele)
Emissions- Bemerkungen potential
Anorganische ENPs SiO2
Zusätze (Polymere, Kosmetika)
niedrig – hoch
TiO2
Sonnencreme, Wasserbehandlung Katalysatoren
hoch
ZrO2
Zusätze (Beschichtungen)
niedrig
ZnO / ZnO2
Zusätze (Polymere, Kosmetika)
niedrig – hoch
Aluminiumoxide
Solarzellen
niedrig
CeO2
Kraftstoffzusatz
hoch
Iron-oxides
Pharmazeutika
hoch
zusätzlich redoxsensitiv, können reduktiv aufgelöst werden
Quantum dots
Fluoreszenzmarker Pigmente Pharmazeutika
mittel niedrig mittel
Verhalten in aquatischen Systemen unbekannt
Eisen(0)nanopartikel
Grundwassersanierung
hoch
Verhalten ist bekannt und wird gezielt manipuliert, um z.B. höhere Mobiltät im Grundwasser zu erreichen
Anorganische Fullerene (z.B. MoS2)
Schmiermittel
mittel
Verhalten in aquatischen Systemen unbekannt
Anorganische Nanoröhrchen
Wasserstoffspeicher
Glimmer
Metallic-Lacke
Verhalten in der aquatischen Umwelt z.T. bekannt
Natürliche und synthetische Tone
Zusatz in Kunststoffen und Lebensmitteln
Verhalten in der aquatischen Umwelt z.T. bekannt.
F. VON DER KAMMER UND T. HOFMANN
Diese Metalloxide sind gut beschrieben, ihr Verhalten in der aquatischen Umwelt z.T. bekannt. Es ist anzunehmen, dass sie sich ähnlich verhalten wie natürliche anorg. Kolloide
89
Tabelle 1 (Fortsetzung) Art
Produkte (Beispiele)
Emissions- Bemerkungen potential
Kohlenstoffbasierte ENPs Carbon-black
Zusätze, Pigmente
hoch, wenn frei vorliegend
Fullerene
Zusätze (Schmiermittel, Kosmetika)
hoch, wenn oberflächenmodifiziert
Nanoröhrchen
Zusätze (Polymere) Batterien Membranen Brennstoffzellen Impfstoffe
hoch, wenn frei vorliegend und oberflächenmodifiziert
Nanodrähte
Zusätze (Polymere) Katalysatorträger
niedrig niedrig
Verhalten in aquatischen Systemen unbekannt
Quantum dots
Fluoreszenzmarker Pigmente Pharmazeutika
mittel niedrig mittel
Verhalten in aquatischen Systemen unbekannt
Kern-Hülle Partikel
Pharmazeutika
hoch
können pH- und redoxsensitives Verhalten zeigen
Hinweise auf unterschiedliches Verhalten verglichen mit natürlichen Oxiden (Lecoanet und Wiesner 2004b)
Hybride
Beschichtete Pharmazeutika oder OberfläKontrastmittel chen-funktiona- Krebstherapeutika lisierte Partikel
hoch hoch hoch
Untersuchungen zum Einfluss von NNPs auf natürliche Prozesse und besonders zum Einfluss der Partikelgröße sind bisher praktisch nicht durchgeführt worden, jedoch fanden Madden und Hochella (2003), dass Eisenoxide in einem bestimmten Größenbereich (um 7 nm) Oxidationsreaktionen im Grundwasser beschleunigen können. Für die meisten Reaktionen in der Umwelt ist jedoch nicht bekannt, ob und wie sie durch ein bestimmtes Material in einer bestimmten Partikelgröße beeinflusst werden. Während das Transportverhalten von NNPs in der aquatischen Umwelt vergleichsweise 90
NUTZEN UND RISIKO DER NANOTECHNOLOGIE
gut untersucht ist, besteht für die Bedeutung von NNPs und somit auch ENPs in natürlichen biogeochemischen Reaktionen und Reaktionsketten ein klarer Forschungsbedarf. Entscheidend für das Verhalten und die Bedeutung von NNPs in der aquatischen Umwelt sind (Hofmann et al. 2003a): §
§
§
§ §
§
Art der Kolloide Partikelgröße Oberflächenladung und räumliche Ladungsheterogenität Verhalten der Oberflächenladung gegenüber pH-Wert, Redoxpotenzial und oberflächenaktiven Substanzen Art und Konzentration der Wasserinhaltsstoffe (z.B. Ionenstärke) Wechselwirkung (Bindungsverhalten) mit Schadstoffen
Diese Parameter steuern die Aggregation der kolloidalen Partikel und ihre Abscheidung bzw. Immobilisierung im Boden oder an dem Grundwasserleitermaterial. Es ist anzunehmen, dass diese Grundsätze auf die meisten, vor allem aber die anorganischen ENPs übertragbar sind. Gerade Metalloxidkolloide wurden häufig als Modellsysteme verwendet, um den Transport und das Verhalten von natürlichen Kolloiden im Experiment zu simulieren (Kretzschmar und Sticher 1997, Kretzschmar et al. 1997, Lenhart und Saiers 2002). Somit lassen sich bereits heute die Ausbreitung und Verlagerung von einigen ENPs zumindest abschätzen (s. Tabelle 1). Es stellt sich die Frage, ob die Partikelgröße und spezifische Oberfläche als bedeutende Parameter für die Toxikologie der Partikel (Oberdörster et al. 1994, 2005, Nel et al. 2006) auch die Mastervariablen für die Verbreitung und bestimmte Reaktionen der ENPs in der Umwelt sein werden. Dies könnte bedeuten, dass z.B. Aggregate von Nanopartikeln ihre speziellen Wirkungen verlieren. Es muss aber auch untersucht werden, inwiefern natürliche Gewässerinhaltsstoffe bestimmte ENPs als Einzelpartikel stabilisieren können. Eine weitere Frage stellt sich in Bezug auf die Persistenz der ENPs: Werden sie in der Umwelt abgebaut oder umgewandelt? Welche Wirkungen haben hier die Zwischenprodukte?
3. VERWENDUNG VON ENPS IN DER UMWELTTECHNIK Als Chancen, die sich aus der Nanotechnologie für die Umwelt und den Umweltschutz ergeben, können umweltfreundlichere Produkte oder Produktionsverfahren gesehen werden, verbesserte Messtechniken oder auch verbesserte Verfahren zur Wasser-, Abwasser- und Abgasreinigung. In Bezug auf ENPs erhofft man sich z.B. von nanopartikulären elementarem Eisen eine effektivere und kostengünstigere Sanierung von kontaminierten Standorten (Zhang 2003). Diese Nanopartikel werden derzeit bereits in Feldversuchen eingesetzt und gehören somit zu den wenigen, die bereits im F. VON DER KAMMER UND T. HOFMANN
91
kg-Maßstab bewusst in die Umwelt eingebracht werden. Laborversuche haben gezeigt, dass der Abbau von vielen Schadstoffarten an der Oberfläche von elementarem Eisen (Fe(0)) deutlich beschleunigt wird und dass ENPs aus elementarem Eisen einige Vorteile gegenüber den µm- oder mm-großen Partikeln aufweisen (Zhang 2003, Nurmi et al. 2005). Allerdings wurden bisher nur Reaktivitätssteigerungen beobachtet, die linear mit der spezifischen Oberfläche der Partikel skalieren. Beobachtungen eines sprunghaften Anstiegs der Reaktivität oder besondere zusätzliche Eigenschaften, die der Nanoskaligkeit zuzuschreiben wären, fehlen bisher (Nurmi et al. 2005). In Laborversuchen wurden gute Resultate zum Abbau von chlorierten Kohlenwasserstoffen, organischen Farbstoffen, einigen Pestiziden und die Transformation von anorganischen Schadstoffen wie Perchlorat oder Dichromat erhalten (Zhang 2003). Die Fe(0)-Nanopartikel können als permeable reaktive Wand eingesetzt werden, wo sie vom kontaminierten Grundwasser durchströmt werden. Eine andere Möglichkeit ist die Injektion als Suspension in den Grundwasserleiter. Der Vorteil des In-situ Injektionsverfahrens ist, dass geringe Baukosten entstehen und Bereiche im Untergrund erreicht werden können, die sonst nur schwer zugänglich sind, z.B. unter
Abb. 3. Prinzip einer In-Situ-Sanierung mit Hilfe der Injektion einer Fe(0)-Nanopartikel Suspension in den kontaminierten Grundwasserleiter. Die Partikel wandern in die Schadstofffahne, wo sie bei Kontakt mit dem Schadstoff diesen zerstören (Abbau) oder so verändern, dass er weniger schädlich ist (z.B. Reduktion von Dichromat)
92
NUTZEN UND RISIKO DER NANOTECHNOLOGIE
Gebäuden. Abbildung 3 zeigt das Prinzip einer In-situ-Sanierung mit Hilfe der Injektion von Fe(0)-Nanopartikeln. Die Partikel wandern in die Schadstoffahne und bauen den Schadstoff hier effektiv ab. Probleme der Fe(0) Nanopartikel sind zum einen ihre geringe Mobilität im Grundwasser (Neigung zur Abscheidung, Aggregation und Filtration) und zum anderen die Alterung der Partikeloberflächen und die damit verbundene Verringerung der Reaktivität. Beiden Effekten versucht man mit Hilfe von Modifikationen an der Partikeloberfläche zu begegnen oder die reaktive Oberfläche auf spezielle Materialien wie Kohlenstoff-Nanopartikel aufzuziehen. Es werden auch bimetallische Partikel wie Fe/Pt, Fe/Ag, Fe/Ni, Fe/Co, Fe/Cu synthetisiert, die eine höhere Reaktivität und größere Stabilität gegen Passivierung zeigen können (Wang und Zhang 1997, Xu und Zhang 2000). Somit entstehen hier bereits Hybridpartikel zum direkten Einsatz im Grundwasser, die funktionelle Gruppen wie Polyacrylsäure oder katalytisch aktive Metalle wie Pt oder Pd an den Oberflächen tragen, um sie entweder im Grundwasser mobiler zu machen (Ponder et al. 2000, 2001; Schrick et al. 2002) oder ihre Effektivität zu erhöhen. Es kann derzeit nicht abgeschätzt werden, ob die Modifikationen generell notwendig für den Einsatz bei der Sanierung sein werden und ob die dadurch verursachten Kosten das Verfahren am Ende unwirtschaftlich machen. An den Kosten wird sich entscheiden, ob in Zukunft relevante Mengen dieser ENPs ins Grundwasser gelangen werden, oder ob es sich nur um eine Nischentechnik für spezielle Problemstellungen handeln wird.
4. VERBREITUNG VON POTENZIELLE RISIKEN
ENPS IN DER AQUATISCHEN UMWELT UND
Bisher wurde ein potenzielles Risiko durch ENPs für den Menschen hauptsächlich mit möglichen Emissionen an Arbeitsstätten und Forschungslabors assoziiert. Im Vordergrund stand zunächst die Exposition von Arbeitern und Angestellten und als primärer Transportweg der Luftpfad. Somit konzentrieren sich die Untersuchungen zu Exposition und Wirkung, sicher auch stimuliert durch die aktuelle Feinstaubdiskussion, auf die Atemwege (Oberdörster et al. 2005, Colvin 2003). Die zunehmende Verwendung von ENPs in alltäglichen Produkten rückt derzeit das Risiko für den Konsumenten ins Blickfeld und dies wird in der Öffentlichkeit zunehmend diskutiert (Miller et al. 2006). Die umfassende Betrachtung des potenziellen, durch ENPs induzierten Risikos steht aber erst am Anfang. Sie wird vor allem dadurch erschwert, dass derzeit kaum abzuschätzen ist, welche Arten von ENPs in der Zukunft in relevanten Mengen produziert werden und in welcher Form sie eingesetzt werden. Auffallend ist jedoch, dass sowohl der Wasserpfad als möglicher Transport- und Verteilungspfad für ENPs in die Umwelt, als auch generelle F. VON DER KAMMER UND T. HOFMANN
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Auswirkungen von ENPs auf die Umwelt (und nicht nur auf den Menschen) zwar als sehr relevant erachtet werden (Oberdörster et al. 2005), in der derzeitigen Diskussion aber nur eine untergeordnete Rolle spielen. Es muss davon ausgegangen werden, dass ENPs, die z.B. in Kosmetika, Reinigungsmitteln und Arzneimitteln zum Einsatz kommen, primär in die aquatische Umwelt emittiert werden (Tabelle 1). Gleiches gilt für ENPs, die in Sanierungsverfahren eingesetzt werden. Im letzteren Fall findet die Emission aber räumlich begrenzt, kontrolliert und nachverfolgbar statt. Das Verhalten von homogenen, unmodifizierten Metalloxid-Nanopartikeln in Bezug auf Dispersion, Aggregation und Transport wird sich nicht grundlegend von dem der bekannten Oxide unterscheiden. Es ist anzunehmen, dass hohe Ionenstärken, Anwesenheit von mehrwertigen Kationen und ein pH-Wert in der Nähe des isoelektrischen Punkts der zu betrachtenden ENPs zu einer geringen Mobilität führen werden. Oberflächenaktive Substanzen wie z.B. Huminstoffe können die Mobilität wieder erhöhen (Ryan und Elimelech 1996). Lecoanet und Wiesner (2004b) fanden bei Säulenexperimenten zur Mobilität von ENPs im Grundwasser, dass auch organische Nanopartikel (z.B. Nanoröhren) ähnlich mobil waren wie SiO2-Kolloide und dass sich das Transportverhalten von Nanoröhren, Fullerol und nC60 Fullerenaggregaten bei hohen Transportgeschwindigkeiten von dem der Oxide (SiO2 und TiO2) unterschied. Die Wirkung von ENPs in der Umwelt ist derzeit kaum untersucht. Es muss hier unterschieden werden zwischen: §
einer Wirkung des Materials an sich, unabhängig von der Partikelgröße, besonderen Reaktionen, die mit der spezifischen Oberfläche und somit mit der Partikelgröße und Porosität skalieren, und § spezifischen Reaktionen, die u.U. nur unterhalb oder bei einer bestimmten Partikelgröße oder in einem Größenbereich auftreten.
§
Während die Untersuchung des ersten Punkts eher eine Aufgabe der klassischen Umweltchemie darstellt, sind für die Untersuchung der letzten beiden Punkte neue Ansätze notwendig. Nur in einigen Fällen kann von der Wirkung der jeweiligen ENPs auf potenzielle Gefahren für die Umwelt geschlossen werden. Es ist z.B. bekannt, dass Titandioxid-ENPs natürliche organische Substanzen, wie z.B. Huminstoffe, photokatalytisch schnell abbauen. Hierzu reicht natürliches Sonnenlicht als Strahlungsquelle aus. Unterschiedliche Produkte zeigen deutlich andere Reaktivitäten (Doll und Frimmel 2005). Gerade größere Moleküle der natürlichen organischen Substanz sorbieren stark an den Oberflächen der TiO2-ENPs (Doll und Frimmel 2005). Es ist derzeit unbekannt, ob TiO2-ENPs, die durch die Verwendung von z.B. Sonnencreme in Badegewässer eingetragen werden, den Abbau von organischer Substanz im Gewässer beeinflussen können und wie sie u.U. durch Sorption von organischer Substanz als Einzelpartikel stabilisiert werden. 94
NUTZEN UND RISIKO DER NANOTECHNOLOGIE
Abbildung 4 listet wichtige Punkte auf, die einer näheren Untersuchung für einzelne ENPs oder Partikelgruppen bedürfen. Im Bereich der Emissionspfade stellt sich die Frage des Transports und Verbleibs der ENPs, d.h. nach den Orten an denen sie eine spezifische Wirkung entfalten können (z.B. Abwasserbehandlung, Oberflächenwasser oder Sediment). Ebenso wichtig ist die Frage nach der Degradation durch Abbau oder Aggregation. Das Umweltverhalten beeinflusst wiederum direkt die Bedeutung der unterschiedlichen Emissions- und Transportpfade. Im Bereich der Umwelteffekte existieren große Wissenslücken.
5. FORSCHUNGSBEDARF Es ist mit zunehmendem Einsatz von ENPs auch mit einem vermehrten Eintrag in die Umweltmedien Boden, Wasser und Luft zu rechnen. Die Erkenntnisse über das Umweltverhalten von natürlichen oder anthropogenen Nanopartikeln sind nur zum Teil übertragbar. Für eine Bewertung des Risikos ist es von entscheidender Bedeutung, wie und in welcher Form ENPs emittiert und transportiert werden und letztendlich mit Mensch und Umwelt in Kontakt kommen. Ist eine bestimmte Klasse von ENPs identifiziert und Art, Menge und Ort der Emission abschätzbar, so muss mit möglichst einfachen Testmethoden ermittelt werden können, wie diese Partikel im Wasser vorliegen werden und welche Transformationen sie erfahren. Lecoanet und Wiesner (2004a, b) haben solche einfachen Tests, wie sie schon zur Untersuchung der Grundwassermobilität von natürlichen Kolloiden verwendet wurden, auf ENPs angewendet. Für das Verhalten von ENPs im Grund- und Oberflächenwasser sind Test-Matrizes denkbar, die die Dispersibilität und Wechselwirkung mit typischen Wasserinhaltsstoffen ermitteln. Die hieraus erhaltenen Informationen über die Größe, Form und Konzentration, in der ENPs tatsächlich im Wasser vorkommen, können von Ökologen und Toxikologen verwendet werden, um die Wirkungen der ENPs auf natürliche Prozesse oder deren Aufnahme und Wirkung in und auf Biota realistischer zu untersuchen. Es ist z.B. denkbar, dass ENPs schnell aggregieren und in dieser Form keine oder eine veränderte Wirkung entfalten. Gleichzeitig kann es sein, dass ENPs, die natürliche organische Substanz an der Oberfläche sorbieren, leichter von aquatischen Organismen aufgenommen werden. Entscheidend ist, dass sich die Untersuchung der Wirkung von ENPs hauptsächlich an solchen Erscheinungsformen orientiert, die in der realen Umwelt auch tatsächlich auftreten. Es muss auch bei toxikologischen Tests darauf geachtet werden, dass der Test und die verwendeten Medien die ENPs nicht so verändern, dass die relevante Form im Test gar nicht vorliegt. F. VON DER KAMMER UND T. HOFMANN
95
96 Abb. 4. Schematische Übersicht über ENP Emission, Verbleib und Effekte in der aquatischen Umwelt und mögliche Fragestellungen, die sich in der jeweiligen Stufe ergeben
NUTZEN UND RISIKO DER NANOTECHNOLOGIE
Solche Test-Matrizes müssen in Zusammenarbeit mit Herstellern und Toxikologen entwickelt werden und ein Set der für die Situation relevanten Bedingungen enthalten (pH, Ionenstärke, Hauptkationen, Hauptanionen, typische weitere Inhaltsstoffe) (s. Abb. 5). Eine der größten Herausforderungen bei der Klärung des Umweltverhaltens von ENPs liegt jedoch bereits in der Analytik begründet. Diese ist für den aquatischen Umweltbereich bisher nicht etabliert bzw. noch nicht einmal angedacht. Wie sollen ENPs, wenn sie einmal in die Umwelt gelangt sind, analytisch detektiert und quantifiziert werden? Eine physikalisch-chemische Analyse, wie man sie von klassischen Schadstoffen her kennt, ist hier kaum möglich, da diese substanzspezifisch arbeitet. Die Aufgabe wird darin bestehen zu analysieren, ob ENPs in einer toxikologisch relevanten Form vorliegen (z.B. Größe, Zusammensetzung, Oberflächenreaktionen). Eine Aufgabe, die sich vor dem Hintergrund der ubiquitären natürlichen Kolloide als sehr schwierig erweisen kann. Z.B. ist es derzeit außerordentlich schwierig partikuläres Platin, wie es aus Kfz-Katalysatoren emittiert wird und sich im Boden anreichert, korrekt in Bezug auf seine Erscheinungsform (ionisches Platin, partikuläres Platin, Platinmetall oder Platinverbindungen) im Boden zu analysieren. Die Ergebnisse zur Transformation des metallischen Platins sind immer noch widersprüchlich (Ravindra et al. 2004). Darüber hinaus ist es notwendig, die Beeinflussung von natürlichen Reaktionen durch ENPs zu untersuchen. Die Schwierigkeit besteht hier darin,
Abb. 5. Informationsfluss und Aufgabenverteilung unter Einbeziehung der Geound Umweltwissenschaften bei der Untersuchung von ENPs auf ihre Umweltrelevanz
F. VON DER KAMMER UND T. HOFMANN
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in einem ersten Schritt mögliche Einflussfaktoren zu bestimmen. Hier ergeben sich Möglichkeiten z.B. über ökotoxikologische Tests überhaupt eine Wirkung zu erkennen. Diese zunächst unspezifische Information muss dann jedoch zum Urprungsmechanismus hin aufgeklärt werden, um klare Aussagen im Hinblick auf die jeweiligen ENPs zu gewinnen. Auch hier sollte beachtet werden, dass ENPs nur in den relevanten Erscheinungsformen getestet werden. ENPs könnten neben ihren unbestrittenen innovativen Materialeigenschaften und dem großen Potenzial in der Medizin- und Umwelttechnik auch als eine neue Klasse von Schadstoffen verstanden werden. Ihre Wirkungen und ihr physiko-chemisches Verhalten unterscheiden sich grundlegend von dem der klassischen Schadstoffe. Das Umweltverhalten wird am ehesten mit dem der stark partikelgebundenen Schadstoffe wie z.B. Blei, einigen Radionukliden oder Dioxinen vergleichbar sein. Die Nanotechnologie birgt eine große Chance für die Gesellschaft, vergleichbar sicher mit den Errungenschaften der „grünen Revolution“ in der Landwirtschaft. Aus Sicht der Autoren ist im Bereich der Nanotechnologie die Chance gegeben, flankierend zum technologischen Fortschritt zeitgleich das Umweltverhalten eingehend zu untersuchen und potenzielle Gefahren im Vorfeld zu identifizieren. Eine breite Akzeptanz der Nanotechnologie in der Gesellschaft kann nur dann erreicht werden, wenn den zukünftigen Nutzern und Konsumenten ersichtlich ist, dass Risiko und Nutzen auf einer breiten und fundierten wissenschaftlichen Basis abgewogen werden können und die Methoden zur Bewertung eines potenziellen Risikos die Eigenarten der neuen Produkte berücksichtigen. Die Untersuchung der Umweltrelevanz und des Umweltverhaltens von technischen (engineered) Nanopartikeln muss deshalb frühzeitig, vor dem großtechnologischen Einsatz erfolgen.
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100
RISIKOFORSCHUNG UND TOXIKOLOGISCHE BEWERTUNG VON NANOMATERIALIEN J. M. WÖRLE-KNIRSCH
UND
H. F. KRUG
Die Nanotechnologie, neuester technischer und politischer Hoffnungsträger, birgt gigantische wirtschaftliche Möglichkeiten, aber auch ebenso viele Unsicherheiten. Die unklare Bewertung dieser Materialien für Mensch und Umwelt macht sie für Forscher interessant und für Konsumenten riskant. Wie eine mögliche Risikobewertung aussehen könnte und was für eine Risikoabwägung noch getan werden muss, zeigen wir in diesem Bericht. Schlüsselworte: Nanotechnologie, Risikobewertung, Toxikologie, Nanopartikel
Toxicology and risk assessment of nanomaterials Nanotechnology is the latest technical and political carrier of hope. It holds huge economic promises and opportunities, but just as many uncertainties. An unclear assessment of potential nanotechnological risks for human health and the environment makes this science so interesting to researchers and so problematic for consumers. This contribution reports on what a possible risk assessment for nanomaterials could look like and what is missing for a complete survey. Keywords: Nanotechnology, risk assessment, toxicology, nanoparticle
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1. EINLEITUNG In der Evolution von Stoffwechselprozessen sind die Grundlagen für komplexe Vorgänge auf molekularbiologischer und atomarer Ebene entstanden. Die Nanotechnologie versucht nun, diese Prozesse zu imitieren und in technische Produkte zu verwandeln, sei es um gezielt in Körperfunktionen eingreifen zu können, oder Computer schneller und Werkstoffe effizienter zu gestalten. Da dies, anders als in biologischen Systemen, nicht innerhalb von Zellen, sondern meist in großtechnischem Maßstab geschieht, besteht auch ein möglicher Kontakt für den Menschen und die Umwelt. Über mögliche Risiken und eine damit verbundene Risikobewertung nach heutigem Stand der Kenntnis berichten wir in diesem Beitrag. Dabei ist der Focus auf die äußerst schwierige Bewertung von Nanomaterialien anhand von Kohlenstoffnanoröhren (Carbon Nanotubes, CNT) gerichtet. Die Menge an produzierten und erforschten Nanomaterialien steigt jährlich kontinuierlich an (Maynard et al. 2004) und weltweit werden bereits große Zuwächse in der Anwendung verzeichnet. Daher werden eine mögliche Exposition und Kontamination von Mensch und Umwelt immer wahrscheinlicher. Nanoteilchen sind von extrem geringer Größe und können beispielsweise leicht mit der Atemluft in den Körper aufgenommen werden; daher ist die Lunge das Zielorgan Nummer 1 im menschlichen Körper. Größere Partikel werden über körpereigene Proteinstrukturen, das sogenannte Flimmerepithel, aus unserer Lunge entfernt, entweder direkt als Teilchen oder indirekt nach Aufnahme in Fresszellen (Makrophagen). Nanoteilchen bergen aber die Gefahr, von diesen „professionellen“ Fresszellen auf Grund ihrer geringen Größe übersehen zu werden (Oberdörster et al. 1992, Oberdörster et al. 1997), dann werden sie möglicherweise in tiefer gelegene Zellschichten transportiert, gelangen in den Blutkreislauf und richten systemischen Schaden, d.h. auch in weit entfernten Organen, an. Obwohl die Nanotechnologie zurzeit einen regelrechten Boom verzeichnet, steht diese Technik erst am Anfang ihrer Möglichkeiten. Es können noch keine Nanomaterialien hergestellt werden, die einen funktionellen Charakter (vgl. Maschinen) haben, sondern „lediglich“ aufgrund ihrer Größe von 1–100 nm besondere physikalische und chemische Eigenschaften aufweisen. Die wichtigsten Parameter für Nanopartikel sind ihre Größe, die chemische Zusammensetzung und ihre Oberflächenbeschaffenheit. So werden Nanopartikel aus Titandioxid (TiO2) in den neuentwickelten Sonnencremes eingesetzt, die uns damit allergikerfreundlich und lang anhaltend gegen Sonnenbrand schützen. Andere Nanomaterialien verändern Oberflächen so, dass sie nicht mehr beschlagen, verkratzen oder kein Licht mehr reflektieren. Abbildung 1 zeigt Beispiele solcher Teilchen (Kern et al. 2004). Dabei kann ihre Beschaffenheit genau so mannigfaltig sein wie deren Funktion.
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RISIKOFORSCHUNG UND TOXIKOLOGISCHE BEWERTUNG VON NANOMATERIALIEN
Abb. 1. Elektronenmikroskopische Aufnahmen dreier unterschiedlich geformter und unterschiedlich großer ZnO Nanopartikel. Zinkoxid (ZnO) in Größen von 20 nm, 50 nm und 200 nm und unterschiedlicher Oberflächenbeschaffenheit sind als Teilchen nur unter dem Elektronenmikroskop sichtbar (Synthese: C. Feldmann Universität Karlsruhe, DFG-CFN)
Die wohl kleinsten bereits Verwendung findenden Teilchen sind die Quantum Dots (CdSe), kleinste Halbleiterkristalle, die mit einer Größe von bereits 1 nm nach UV-Anregung längerwelliges Licht emittieren. Damit können diese Teilchen als stabile Farbstoffe für biologische Markierungen verwendet werden. Andere funktionelle Teilchen sind die erwähnten 25– 90 nm großen TiO2-Partikel, die in Sonnencremes eingesetzt werden; weiter verkleinert (< 20 nm) sind sie photokatalytisch aktiv. Das heißt sie sind in der Lage, die Energie des Lichts zu verwenden, um andere Verbindungen zu spalten (Chen et al. 2004). Dabei kann reaktiver Sauerstoff oder aktives Chlor (Cl 2) entstehen (Zanoni et al. 2004). Diese neuen Eigenschaften eröffnen für die Entwicklung neuer Produkte vielfältige Möglichkeiten und Nanopartikel werden in vielen Anwendungen zu finden sein. Genauso überraschend wie die direkten Substanzeigenschaften kann sich aber möglicherweise auch ihr Verhalten in der Umwelt oder in lebenden Organismen ändern. Die große Herausforderung liegt darin, auch die möglichen unerwünschten Nebenwirkungen dieser neuen Technologie zu erforschen. Die Aufnahme in Zellen kann einerseits passiv durch Diffusion, andererseits aktiv durch Rezeptoren oder über Mechanismen erfolgen, die durch Bindungsproteine vermittelt werden. Beide Wege werden von uns unter Zuhilfenahme von fluoreszenz- und elektronenmikroskopischen Techniken untersucht. Dazu werden fluoreszierende Nanopartikel oder fluoreszenzmarkierte Antikörper eingesetzt. Letztere gehen eine Bindung mit den am Transport beteiligten Proteinen ein und ermöglichen so eine optische Verfolgung. Kommen Nanopartikel mit Zellen in Kontakt, dann können sie an die in der Membran verankerten Proteine andocken und werden in die Zelle eingeschleust. Dort besteht die Gefahr, dass diese Teilchen sich in den Organellen der Zellen (z.B. Kern oder Mitochondrien) anreichern und es zu J. M. WÖRLE-KNIRSCH UND H. F. KRUG
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schwerwiegenden Störungen und Schäden kommt. Für mikrodimensionierte Partikel (Asbest, Quarzstaub) sind biologische Effekte beschrieben (Jaurand 1997, Flynn et al. 2003, Muhle et al. 2003), die durch Struktur und katalytische Eigenschaften zu oxidativem Stress bzw. Schäden im Erbgut führen und dadurch Krebs entstehen lassen. Wegen der bisherigen Erkenntnisse zur Wirkung von feinem Staub und der erhöhten Reaktivität der neuen Nanomaterialien besteht ein akuter Forschungsbedarf, um eine mögliche biologische Gefährdung durch diese Nanopartikel abzuklären.
2. TOXIKOLOGISCHE UNTERSUCHUNGEN VON NANOPARTIKELN AM BEISPIEL VON KOHLENSTOFFNANORÖHREN In der Nanotechnologie sind aktuell Kohlenstoffnanoröhren (CNT) für viele Entwicklungen von großem Interesse, da sie aufgrund ihrer herausragenden Eigenschaften, wie hoher Zugfestigkeit, großer Oberfläche, einzigartige elektronische Eigenschaften, auch ein hohes Potenzial für molekulare Adsorption aufweisen. Die Produktion der CNTs wird in Zukunft stark zunehmen, jedoch ist noch sehr wenig über potenzielle Gesundheitseffekte bekannt, die durch Einatmen der kleinen Fasern bei der Herstellung oder bei der Verwendung auftreten können. Mit Durchmessern von 1–50 nm und einer Länge bis zu mehreren Mikrometern sind diese Partikel inhalierbar und können bis in die kleinsten Verästelungen der Lunge vordringen. Abbildung 2 zeigt CNTs nach Aufnahme in menschliche Zellen. Das toxische Potenzial wurde kürzlich von uns durch in vitro Tests untersucht (Pulskamp et al. 2007, Wörle-Knirsch et al. 2006), wobei ultrafeine Kohlenstoffpartikel (Carbon Black) als Kontrolle verwendet wurden. Dabei zeigte sich, dass hergebrachte Testverfahren und Testmethoden bei Verwendung nanopartikulärer Materialien nicht immer valide Ergebnisse produzieren. In diesem vorliegenden Fall verfälschen CNTs die chemischen Messmethoden und suggerieren falsche Ergebnisse (Wörle-Knirsch et al. 2006). Bei der Behandlung von Alveolarmakrophagen der Ratte mit unterschiedlichen Partikeln zeigte sich bei gleicher Konzentration (50 µg/ml), dass die Vitalität der Zellen durch Nanoröhren stärker reduziert wird als durch Quarz, jedoch in gleichem Ausmaß wie durch Carbon Black. Nanoröhren führten auch zur Bildung von intrazellulären ROS (Reaktive Sauerstoffspezies) (Kagan et al. 2006, Pulskamp et al. 2007). Beide Effekte zeigten sich am stärksten bei den einwandigen Nanoröhren1 (Diabaté et al. 2004). Dies ist ein weiterer Hinweis auf die immer gleiche Beobachtung in vielen UnterEinwandige CNT bestehen theoretisch aus nur einer Lage Graphit, die zu einem Röhrchen zusammengerollt ist. Diese haben einen Durchmesser von ca. 1-3 nm; mehrwandige CNT bestehen aus mehreren Lagen übereinander und haben dadurch häufig einen Durchmesser von mehr als 20 nm. 1
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Abb. 2. Transmissionselektronenmikroskopisches Bild von Kohlenstoffnanoröhren (CNT) in epithelialen Zellen der menschlichen Lunge. Die Pfeilspitzen zeigen bündelweise CNT-Einschlüsse in den Zellen, die hier auf einer Membran gezüchtet wurden (Bild: K. Pulskamp)
suchungen, dass die kleinen Partikel toxischer als die größeren sind (Oberdörster et al. 1994, Oberdörster 1996). Es konnte allerdings auch gezeigt werden, dass die akut toxischen Reaktionen, die durch CNTs ausgelöst werden, maßgeblich von den beim Produktionsprozess verbliebenen Katalysatormetallen herrühren (Kagan et al. 2006, Pulskamp et al. 2007, WörleKnirsch et al. 2006). In der Literatur wird ebenfalls beschrieben, dass inhalierte Kohlenstoffpartikel im Tierversuch mit Ratten zu beträchtlichen Lungenschäden führten, wobei das toxische Potenzial mit kleiner werdender Partikelgröße und größer werdender Partikeloberfläche stieg (Driscoll et al. 1996, Heinrich et al. 1995). Bei ersten Tierversuchen mit CNT wurden die Partikel in Flüssigkeit suspendiert und in die Atemwege von Ratten instilliert (Warheit et al. 2004). Die höchste Dosis von 5 mg einwandiger Nanoröhren pro Kilogramm Körpergewicht führte zu einer Mortalität von ca. 15% der exponierten Ratten. Die Ursache war allerdings eine Verstopfung der Hauptatemwege durch Partikel-Agglomerate und nicht die Toxizität der Partikel. Bei den Überlebenden wurde eine transiente Lungenentzündung 2 sowie die Bildung von multifokalen Granulomata3 beobachtet. Ähnliche Ergebnisse erhielten Lam et al. (2004) nach Experimenten mit drei Nano2 Bei den behandelten Tieren wurde eine transiente Lungenentzündung beobachtet, d.h. die Lungenentzündung ist nach längerer Beobachtungszeit wieder vollkommen abgeklungen. 3 Unter multifokalen Granulomata versteht man mehrzentrische Zellanhäufungen, die auf mehrere, in relativer Nachbarschaft liegende, Bündel von Nanoröhrchen zurückzugehen scheinen.
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röhren-Produkten, die sie in die Lungen von Mäusen instillierten. Es bleibt also festzuhalten, dass obwohl die akut toxischen Fälle nicht direkt auf die CNTs zurückzuführen sind, dennoch ein pathologisches (d.h. verändertes Zellwachstum) Erscheinungsbild auftritt.
3. CHANCEN UND THERAPEUTISCHER
RISIKEN VON NANOPARTIKELN IN ANWENDUNG
Seit einigen Jahren werden Nanopartikel auch im Bereich der Molekularbiologie und der Medizin angewendet. Auch in diesen Bereichen konnten durch verschiedene Applikationen von Nanopartikeln Fortschritte erzielt werden. Mit Hilfe der Partikel ist es gelungen, genetisches Material in Zellen einzubringen. So können mit DNA beladene Nanopartikel zur Impfung gegen Mikroorganismen wie Toxoplasma gondii eingesetzt werden (BivasBenita et al. 2003). Nanopartikel werden zur Pharmakotherapie verwendet, um Medikamente bei geringeren Nebenwirkungen gezielter an ihren Wirkort zu bringen. Solche Medikamente können bei Meningitis, Hepatitis C, allergischem Asthma, zur Insulingabe oder bei Augenerkrankungen angewendet werden. Bei Erkrankungen am Auge werden Nanopartikel aus Chitosan als Vehikel für Medikamente benutzt. Chitosan ist ein Polysaccharid, das eine gute Bioadhäsion aufweist, die Permeabilität erhöht und wenig toxisch ist. Dadurch kann eine selektive und verlängerte Therapie an der Schleimhaut des Auges erreicht werden (Alonso und Sanchez 2003). So werden einige Medikamente zur Krebstherapie an Nanopartikel gekoppelt, um sich in Tumorzellen anzureichern. Auch hierbei haben sich Chitosanpartikel wieder als nützlich erwiesen. Doxorubizin, ein weit verbreitetes Medikament gegen Krebs, das die Synthese von Nukleinsäuren in Krebszellen stört, hat eine verbesserte Wirksamkeit und geringere Nebenwirkungen, wenn es an Nanomaterialien gekoppelt wurde (Mitra et al. 2001). Die Diagnostik ist ein weiterer Bereich in dem Nanopartikel neue Dimensionen eröffnen. DNA-Fragmente, an welche Nanopartikel gekoppelt sind, werden hier als Detektoren verwendet (Cao et al. 2002). Implantate werden mit Biokeramiken, die auf Aluminium basieren und 50–250 nm groß sind, beschichtet, um eine bessere Verträglichkeit im Körper zu erreichen (Morsi et al. 2004). Die möglichen Gefahren, die von einer medizinischen Anwendung der Nanopartikel ausgehen, sind bis zum jetzigen Zeitpunkt unklar, da ihre Toxizität meist nicht untersucht wurde und auf Grund der besonderen chemischen und physikalischen Eigenschaften nur schwer vorherzusagen ist. Insbesondere zu Langzeitfolgen ist wenig bis gar nichts bekannt.
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RISIKOFORSCHUNG UND TOXIKOLOGISCHE BEWERTUNG VON NANOMATERIALIEN
4. RISIKO-MANAGEMENT Der erste Schritt zum Risiko-Management ist die Identifizierung potenzieller Risiken und deren Ursachen. Eine vernünftige Risikoidentifizierung muss alle Bereiche einer Technologie einschließen, sowohl interne als auch externe Faktoren (Abb. 3). Dazu ist eine intensive Forschung notwendig, die sich mit den Belangen sowohl gesundheitlicher als auch umweltrelevanter Fragen beschäftigt (Aitken et al. 2004, Royal Society 2004): §
Partikelaufnahme durch lebende Organismen Akkumulation von Nanopartikeln in bestimmten Organen (z.B. Lunge, Leber, Milz, Gehirn, Fötus) § Spezifische Effekte von Nanopartikeln im Atemtrakt (z.B. Entzündung) § Verbleib und Verhalten der Nanomaterialien in der Umwelt (z.B. Mobilisierung von Schwermetallen, Bindung an/von toxischen Substanzen) § Akkumulation über die Nahrungskette
§
Abb. 3. Fragen zur Identifizierung einer Gefährdung durch Nanopartikel, die während des gesamten Lebenszyklus in der Umwelt auftreten können (nach: Helland 2004)
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§
Desorption/Adsorption überraschende Effekte § Biopersistenz
§
Ein sehr wichtiger Gesichtspunkt für die Abschätzung möglicher Risiken aus der Nanotechnologie liegt in der Unterscheidung zwischen freien Nanomaterialien, speziell nanoskaligen Partikeln, und fixierten Nanopartikeln, da hier große Unterschiede hinsichtlich der Mobilität bestehen. Weiterhin muss zwischen Partikeln und Materialien unterschieden werden, die als technische Produkte hergestellt werden und solchen, die unbeabsichtigt bei technischen Prozessen entstehen und in die Umwelt entlassen werden (z.B. Dieselruß, Flugasche, Katalysatorstaub, Kerzenruß, usw.). Letzteren, hauptsächlich aus Verbrennungsprozessen stammenden, ultrafeinen Partikeln (UFP), war und ist der Mensch seit Anbeginn seiner biologischen Entwicklung ausgesetzt gewesen. Waren es in früheren Zeiten Waldbrände, Vulkane oder Sand- und andere Sturmereignisse, so ist seit der industriellen Revolution und mit der Entwicklung des Straßenverkehrs ein dramatischer Anstieg der UFP in der Luft innerhalb des letzten Jahrhunderts zu verzeichnen. Mit der anzunehmenden sehr schnellen Progression auf dem Gebiet der nanotechnologischen Entwicklungen muss jetzt damit gerechnet werden, dass eine weitere Quelle für solche kleinsten Partikel entsteht, die über die Umwelt zum Menschen oder umgekehrt, d.h. von den Herstellerbetrieben in die Umwelt, gelangen. Die damit einhergehende Belastung des Menschen über Atmung, Nahrung und Haut, sowie die direkte Injektion von Nanopartikeln im medizinischen Bereich, könnte zu adversen Effekten führen (Krug und Diabaté 2003, Krug et al. 2004, Oberdörster 2004). Mit dem Wissen, dass neu synthetisierte Nanomaterialien völlig neue Eigenschaften im Hinblick auf chemische, physikalische und elektronische Anwendungen besitzen, können auch gänzlich neue Auswirkungen für lebende Systeme postuliert werden. Daher kann das Verhalten von Nanopartikeln in der Umwelt und in lebenden Organismen nicht einfach extrapoliert werden. Eine aussagefähige Vorhersage für die Toxizität von Nanopartikeln kann auf der Basis des Wissens über konventionelle Materialien nicht gemacht werden. Die Situation ist, zusätzlich zu den oben genannten neuen Auswirkungen, auch aus den folgenden Gründen nicht einschätzbar: §
§
große Zahl verschiedener Substanzen und große Zahl unterschiedlicher Strukturen, Oberflächen und Größen.
Daher sind Informationen zur Sicherheit und zu den möglichen Gefährdungen durch Nanomaterialien dringend notwendig. Dabei kann durchaus von den bisherigen Studien zur Auswirkung ultrafeiner Stäube in der Umwelt profitiert werden, denn hier liegt bereits eine Vielzahl von Erkenntnissen vor. Seit dem Mittelalter und früher gibt es gut dokumentierte Fälle zur arbeitsplatzbezogenen Exposition mit gesundheitlichen Auswirkungen. Spe108
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ziell die Kumpel in den Bergwerken sind längere Zeit ihres Lebens inhalativ gegenüber Staub in jeder Größe ausgesetzt, was zu Pneumokoniose und Fibrose der Lunge führen kann. Dabei hat sich gezeigt, dass gerade die Fraktion der ultrafeinen Partikel in der Luft zu den stärksten gesundheitlichen Einschränkungen führten (de Hartog et al. 2003, Eikmann und Seitz 2002, Heinrich et al. 1995, Kappos et al. 2004, Oberdörster 2000, Pekkanen et al. 2002, Peters et al. 1997).
5. SCHLUSSFOLGERUNGEN Auf der Basis des bisher aufgezeigten Wissensstandes können grundsätzlich 4 wichtige Überlegungen zum ökotoxikologischen Risikomanagement von Nanomaterialien angestellt werden: 1. Bei den bisherigen Untersuchungen zur Toxikologie von Nanomaterialien handelte es sich eher um eine Beschreibung der Symptome; es ist daher dringend notwendig, mehr über die Wirkmechanismen auf zellulärer und molekularer Ebene zu erfahren. 2. Die Weiterentwicklung von Modellen und Modellsystemen ist notwendig, um zelluläre und physiologische Prozesse besser erfassen und die Kommunikation zwischen den Zellen in die Untersuchungen mit einschließen zu können. 3. Es sollte eine Beziehung zwischen molekularen, zellulären und pathophysiologischen Endpunkten mit ökologischen Konsequenzen hergestellt werden können. 4. Eine präzisere vorbeugende Abschätzung möglicher schädigender Einflüsse von neuen Entwicklungen auf dem Gebiet der Nanotechnologie sollte durch eine verbesserte Datenlage möglich sein. Erst auf der Grundlage eines verbesserten Wissens um die möglichen Gefahren im gesamten Lebenszyklus der Produkte (vgl. Abb. 4) ist eine Risikoabschätzung möglich und können entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden, um eine Gefährdung zu reduzieren. Wie in Abb. 4 dargestellt, sind die größten möglichen Gefahren bei der Synthese und Verarbeitung von Nanomaterialien zu erwarten. Hier entstehen die Teilchen, werden transportiert und in Produkte eingearbeitet; in dieser Phase können sie über die Atemwege in den Körper der Arbeiter eindringen. Danach sinkt das Gefährdungspotenzial dieser Materialien drastisch ab, denn eine Herauslösung aus dem bestehenden Produkt ist nicht in großem Maße zu erwarten (Gebrauchsphase) und auch technisch nicht als sinnvoll zu erachten (der nanotechnologische Produktnutzen ginge verloren!). Eine Gefährdung des Konsumenten ist demnach zwar nicht auszuschließen aber gering. Zuletzt stellt sich noch die Frage nach der Entsorgung und möglichen Endlagerung auf Deponien. Hier ist besonders eine Risikogefährdung für J. M. WÖRLE-KNIRSCH UND H. F. KRUG
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Abb. 4. Diagramm zur Darstellung eines möglichen Gefährdungspotenzials über die Zeit. Die größte Gefährdung von Nanomaterialien geht direkt bei oder nach der Synthese von diesen Partikeln aus. Sind sie erst einmal verarbeitet, sinkt diese Gefahr während der Gebrauchsphase stark ab und steigt erst wieder bei der Entsorgung bzw. Recycling
die Umwelt zu befürchten; Nanomaterialien lösen sich durch Korrosion aus dem Verbund heraus und gelangen in Grund- und Erdreich. Auch auf einem Workshop der NSF4 (National Science Foundation) und der EPA5 (Environmental Protection Agency) wurde dies deutlich. Dreher fasste das Ergebnis wie folgt zusammen (Dreher 2004): Gerade für produzierte Nanopartikel sind eine Reihe von kritischen Punkten zur Risikoabschätzung offen, die Gegenstand weiterer Untersuchungen sein müssen: 1. die valide Expositionsabschätzung, 2. die Toxizität, 3. die Extrapolation ihrer Toxizität aus existierenden Daten zu Partikeln und Fasern der Luft, 4. das Verhalten und der Verbleib in der Umwelt und in Organismen, ihr Transport, die Persistenz und die mögliche Transformation der Nanopartikel, 5. das Recycling und die Nachhaltigkeit der nanotechnologischen Produkte. Also bleibt die Frage offen, ob alle Nanomaterialien auch gleichzeitig Nanonoxen sind (Kern et al. 2004). Die gesamte Thematik zu Umwelt und 4 5
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www.nsf.gov. www.epa.gov.
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Gesundheit wird sehr anschaulich in einem aktuellen Übersichtsartikel dargestellt, der sich mit den möglichen Wegen von Nanopartikeln in der Umwelt sowie den Aufnahmepfaden durch Organismen beschäftigt (Oberdörster et al. 2005). An dieser Stelle bleibt festzuhalten, dass für eine realistische Abschätzung von Exposition, Gefährdung und dem einhergehenden Risiko die gegenwärtige Datenlage nicht ausreicht. Daher sind derzeit auch spezifische regulatorische Maßnahmen nicht möglich, da völlig unklar ist, worauf diese eigentlich abzielen sollten. Dennoch sollte dem Umgang mit Nanomaterialien sowohl bei der Entwicklung im Forschungslabor als auch bei der großtechnischen Herstellung erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt werden, da die einzigartigen Eigenschaften der neuen Materialien nicht nur technisch, sondern auch biologisch Wirkung zeigen können und das Verhalten der Nanopartikel gegenüber den BulkMaterialien sicher verändert sein wird. Dies ist inzwischen auch von den Förderinstitutionen erkannt worden, denn sowohl die europäischen als auch die deutschen Fördergremien haben entsprechende Ausschreibungen und Projekte initiiert (IMPART6 , NANOCARE7). In diesen Projekten wird auch der Tatsache Rechnung getragen, dass das Feld der Nanotoxikologie nur multidisziplinär anzugehen ist, d.h. neben der Industrie und den Behörden sind hier vor allem Chemiker, Physiker, Materialwissenschaftler, Ingenieure, Mediziner, Biologen, Toxikologen, Ökologen, Statistiker und weitere Fachrichtungen gefragt, die sich mit allen Auswirkungen der Nanotechnologie bis hin zu ethischen Fragestellungen und der Betrachtung der Nachhaltigkeit dieser Technologie befassen müssen.
6. ZUSAMMENFASSUNG Aufgrund der sich als äußerst schwierig gestaltenden Risikoerfassung und wegen zahlloser Interaktionen von Nanomaterialien mit chemischen Nachweisverfahren und der sehr dünnen Datenlage zu diesen neuen Materialien ist eine vollständige Risikobewertung sehr schwierig. Dennoch zeigt sich, dass Nanomaterialien nicht nur technisch, sondern auch toxikologisch sehr ernst zu nehmen sind. Neben nützlichen und wünschenswerten Quanteneffekten in der Physik deuten sich auch für gewisse Materialien ebensolche Phänomene in der Biologie (Toxikologie) an. Nanomaterialien sollten daher weiterhin eingehend auf ihre möglichen negativen Folgen für Mensch und Umwelt untersucht werden, um eine abschließende Risikobewertung nach hergebrachten Mustern und Verfahren durchführen zu können, wie wir sie heute bereits von Chemikalien her kennen.
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www.impart-nanotox.org. www.nanopartikel.info.
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CHEMIKALIENRECHT UND REGULATORISCHE TOXIKOLOGIE – PRÜFUNG AUF NANO-TAUGLICHKEIT A. FISCHER
UND
D. HIRMANN
Industriell hergestellte Nanomaterialien sind Produkte der chemischen Industrie und fallen definitionsgemäß in das Zuständigkeitsgebiet des Chemikalienrechts, welches seinerseits zur Regulierung von makroskopischen Stoffen konzipiert wurde. Aktuelle und zukünftige gesetzliche Regelwerke für den sicheren Umgang mit Chemikalien werden in diesem Bericht hinsichtlich ihrer Eignung zur Regulierung von Nanostoffen unter die Lupe genommen. Außerdem wird die Problematik bei der Risikobewertung von Nanomaterialien erörtert. Schlüsselworte: Altstoffe, Neustoffe, Risikobewertung, REACH Chemicals legislation and regulatory toxicology: appropriateness for nanomaterials Manufactured nanomaterials are products of the chemical industry which by definition should be regulated by chemicals legislation. Chemicals legislation, however, was originally developed and designed to regulate macroscopic substances. Here, we analyse current and future legal frameworks for the safe handling of chemicals regarding their appropriateness for the regulation of nanosized manufactured substances. We also report on the difficulties in assessing the risks arising from nanomaterials. Keywords: Existing substances, new substances, risk assessment, REACH 115
1. EINLEITUNG Die Produkte der chemischen Industrie spielen eine wichtige Rolle in unserem täglichen Leben. Reinigungsmittel, Kunststoffe, Farbstoffe und viele weitere Erzeugnisse aus Chemikalien oder chemisch behandelten Materialien sind praktisch allgegenwärtig. Um einen sicheren Umgang mit Chemikalien zu gewährleisten, bedarf es einer umfassenden Gesetzgebung und regulatorischer Maßnahmen. Das oberste Ziel ist dabei der Schutz der Gesundheit des Menschen und der Umwelt. Nano leitet sich von dem griechischen Wort für Zwerg (nánnos) ab und ist die Vorsilbe für Maßeinheiten wie zum Beispiel dem Nanometer (nm), welcher ein Millionstel von einem Millimeter beträgt. Der Sammelbegriff „Nanotechnologie“ umfasst eine vielfältige Auswahl an Technologien, die sich der Erforschung, Bearbeitung und Produktion von Gegenständen und Strukturen widmen, die in mindestens einer Dimension kleiner als 100 nm sind. Nanopartikel sind schon jetzt in vielen Verbrauchsgütern vorhanden und werden in Zukunft wahrscheinlich genauso wenig aus unserem Leben wegzudenken sein wie heutzutage die oben erwähnten Produkte der chemischen Industrie. Da Nanomaterialien auch unter das Chemikalienrecht fallen, erfolgt an dieser Stelle ein kurzer Exkurs durch die allgemeinen Grundpfleiler des Chemikalienrechts und der regulatorischen Toxikologie, bevor konkret auf gesetzliche Rahmenwerke und deren Eignung zur Gewährleistung eines sicheren Umgangs mit Nanomaterialien eingegangen wird.
2. ALLGEMEINE EINFÜHRUNG IN DIE REGULIERUNG VON CHEMIKALIEN Ein zentrales Element der Chemikaliensicherheit ist das Erkennen von möglichen Gefahren, die von Chemikalien ausgehen. Dabei beschäftigt sich das Fachgebiet der Toxikologie mit der Untersuchung und Bewertung von Effekten oder schädlichen Auswirkungen von Chemikalien auf die Gesundheit und die Ökotoxikologie mit Effekten auf die Umwelt. Zusätzlich werden auch die gefährlichen physikalisch-chemischen Eigenschaften von Substanzen erfasst, wie zum Beispiel explosionsgefährlich oder brandfördernd. Anhand der gefährlichen Eigenschaften von Stoffen1 oder Zuberei1 Stoffe sind chemische Elemente und ihre Verbindungen in natürlicher Form oder hergestellt durch ein Produktionsverfahren, einschließlich der zur Wahrung der Produktstabilität notwendigen Zusatzstoffe und der bei der Herstellung unvermeidbaren Verunreinigungen, mit Ausnahme von Lösungsmitteln, die von dem Stoff ohne Beeinträchtigung seiner Stabilität und ohne Änderung seiner Zusammensetzung abgetrennt werden können.
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CHEMIKALIENRECHT UND REGULATORISCHE TOXIKOLOGIE Tabelle 1. 15 Gefahrenklassen zur Einstufung und Kennzeichnung von Stoffen und Zubereitungen Physikalisch-chemische Eigenschaften
Explosionsgefährlich, Brandfördernd, Hochentzündlich, Entzündlich, Leicht entzündlich
Toxische Eigenschaften
Sehr giftig, Giftig, Gesundheitsschädlich, Ätzend, Reizend, Sensibilisierend, Krebserzeugend, Erbgutverändernd, Fortpflanzungsgefährdend
Auswirkungen auf die Umwelt
Umweltgefährlich
tungen 2, die in Form von 15 Gefahrenklassen definiert sind (Tabelle 1), erfolgt deren Einstufung und Kennzeichnung (Anhang VI der Stoffrichtlinie3). Die Kenntnis der gefährlichen Eigenschaften einer Chemikalie ist Voraussetzung für den angemessenen Umgang damit, sei es am Arbeitsplatz oder im Haushalt. Daher sind die Hersteller und Vertreiber verpflichtet, eine sachgerechte Produktkennzeichnung vorzunehmen. Die dafür vorgesehenen Kennzeichnungselemente sind Piktogramme (z.B. der Totenkopf auf gekreuzten Langknochen, das Andreaskreuz, das Symbol für ätzend etc.) und Kennbuchstaben (z.B. T+, T, Xn etc.), sowie standardisierte Gefahrenhinweise (R-Sätze) und Sicherheitsratschläge (S-Sätze). Den zweiten Schritt in der Regulierung von Chemikalien stellt die Risikobewertung dar. Unter Risiko versteht man die Wahrscheinlichkeit des Eintretens von schädlichen Auswirkungen. Die Abschätzung des Risikos erfolgt im Wesentlichen durch den Vergleich der Dosis oder Konzentration, bei der im Test noch keine oder bereits erste Auswirkungen der gefährlichen Eigenschaften eines Stoffes („Effekte“) auftreten, mit jener Dosis oder Konzentration, welcher Mensch und Umwelt tatsächlich ausgesetzt sind („Exposition“). Hierbei sei das toxikologische Grundprinzip erwähnt, dass die Giftwirkung eine Funktion der Dosis bzw. Konzentration ist, oder wie Paracelsus es bereits im Jahre 1538 formulierte: „Alle Dinge sind Gift … Allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist.“ Demnach ist erst ab einem gewissen Ausmaß der Exposition ein Effekt einer als gefährlich eingestuften Substanz zu erwarten. Durch Messungen und unter Umständen auch durch Schätzungen mittels Rechenmodellen wird für jene Bevölke2 Zubereitungen sind Gemenge, Gemische und Lösungen, die aus zwei oder mehreren Stoffen bestehen. 3 Richtlinie 67/548/EWG des Rates vom 27. Juni 1967 zur Angleichung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe.
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rungsgruppen (Arbeitnehmer, Konsumenten, über die Umwelt indirekt exponierte Bevölkerung) und Umweltkompartimente (Wasser, Sediment, Boden, Luft), die vermutlich exponiert sind, die Höhe der Exposition ermittelt und unter Berücksichtigung von Sicherheitsabständen (durch Einberechnung so genannter Sicherheitsfaktoren) das Risiko charakterisiert. Falls die Risikobewertung ergibt, dass ein Risiko vorhanden ist, werden als dritter Schritt Maßnahmen zur Risikoreduktion erarbeitet und eingeleitet (z.B. vorgeschriebene Schutzkleidung am Arbeitsplatz, Beschränkungen, Verbote). Generell erfolgt die Regulierung von Chemikalien auf EU-Ebene. Ende der 1970er Jahre wurde beschlossen, alle Chemikalien am Markt systematisch aufzuarbeiten und alle neuen, ab 1981 auf den Markt gebrachten Chemikalien einem Anmeldeverfahren zu unterziehen. Damit kam es zu einer Einteilung in so genannte Altstoffe und Neustoffe, denen zurzeit zwei unterschiedliche gesetzliche Regelwerke zugrunde liegen. Als Altstoffe sind jene chemischen Stoffe definiert, die im Europäischen Altstoffverzeichnis EINECS4 enthalten sind und die bis 18. September 1981 im Europäischen Wirtschaftsraum in Verkehr waren. Alle anderen Stoffe, die erst nach diesem Datum in Verkehr gesetzt wurden und daher nicht im EINECS stehen, werden als Neustoffe bezeichnet.
3. CHEMIKALIEN IM NANOMETERBEREICH Theoretisch können Nanopartikel aus nahezu jedem chemischen Stoff als Ausgangsmaterial hergestellt werden. Tatsächlich ist es so, dass ein beträchtlicher Anteil der in Verwendung befindlichen Nanopartikel aus Altstoffen hergestellt wird und damit die gleiche chemische Zusammensetzung und Struktur wie diese besitzt, welche die Grundlagen der Stoffdefinition darstellen. Allerdings unterscheiden sich die Eigenschaften von Materialien im Nanometerbereich von denen derselben Stoffe in gröberer Form (auf Englisch auch „Bulk“ genannt) aus zwei Gründen: Erstens haben Nanomaterialien eine verhältnismäßig stark vergrößerte Oberfläche verglichen zum Bulk-Material. Diese resultiert in einer erhöhten chemischen Reaktivität, was soweit gehen kann, dass chemisch inerte Bulk-Materialien nur in ihrer Nanoform reaktiv sind (z.B. Gold und Platin). Zweitens lösen ab einer Größe von unter 50 nm die Gesetze der Quantenphysik jene der klassischen Physik ab, wodurch sich völlig neue optische, elektrische und magnetische Eigenschaften für Nanopartikel ergeben. Diese Eigenschaften sind oftmals erwünscht und werden technisch genützt und umgesetzt. Aus regulatorischer Sicht werfen sie jedoch viele ungelöste Fragen auf. 4
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European Inventory of Existing Commercial Chemical Substances.
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Da für Neustoffe und Altstoffe unterschiedliche gesetzliche Regelwerke gelten, lautet eine prinzipielle Frage, ob Nanopartikel als Neustoffe oder als Altstoffe behandelt werden sollen. Bei Nanopartikeln, die nicht im EINECS stehen, wie zum Beispiel die Kohlenstoff-Allotrope C60 -Fulleren oder Kohlenstoff-Nanoröhren, erübrigt sich die Frage von selbst. Diese sind definitionsgemäß Neustoffe. Bei Nanopartikeln, die es in gleicher chemischer Zusammensetzung und Struktur auch in Bulk-Form gibt und diese im EINECS stehen, ist es schon komplizierter. Chemisch gesehen ist es der gleiche Stoff, ob in Nano- oder in Bulk-Form, aber in ihren gefährlichen Eigenschaften können sie erhebliche Unterschiede aufweisen. Dies führte zur Empfehlung der UK Royal Society and the Royal Academy of Engineering, Chemikalien in Nano-Form rechtlich prinzipiell als Neustoffe zu behandeln (The Royal Society and Royal Academy of Engineering 2004). Im Frühjahr 2006 wurde von der Europäischen Kommission schließlich beschlossen, dass als einziges Kriterium zur Einteilung von Nanomaterialien in Neu- und Altstoffe der Eintrag des Stoffes im EINECS heranzuziehen sei. Unterschiedliche Eigenschaften allein seien nicht ausreichend, um einen Nanostoff als einen „neuen“ Stoff und somit Neustoff zu betrachten.
4. NEUSTOFFANMELDUNG Neu entwickelte Chemikalien müssen vor ihrer Markteinführung (erste InVerkehr-Setzung) angemeldet werden. Zur Anmeldung ist die Vorlage einer umfangreichen Datensammlung erforderlich, insbesondere die Durchführung einer Reihe von Tests zur Ermittlung etwaiger gefährlicher Eigenschaften, wobei das Ausmaß der angeforderten Tests von der hergestellten oder importierten Menge des Stoffes, also vom Tonnagenlevel, abhängig ist (siehe Artikel 7 und 8, sowie Anhang VII und VIII der Stoffrichtlinie). Das Anmeldeverfahren ermöglicht eine sehr gute Dokumentation und Beurteilung der stoffinhärenten gefährlichen Eigenschaften. Nanomaterialien, die nicht im EINECS stehen, können entweder anmeldungspflichtige Neustoffe sein, wie zum Beispiel C60 -Fullerene, oder als neuer Verwendungszweck eines bereits angemeldeten Neustoffs gemeldet werden. Nanopartikel haben per se eine sehr geringe Masse und werden in Produkten oft nur in geringen Mengen zugesetzt. Dementsprechend sind auch die Produktions- oder Importmengen der meisten Nanomaterialien sehr gering. Dadurch „entkommen“ anmeldungspflichtige Nano-Neustoffe einer ausführlichen toxikologischen und ökotoxikologischen Prüfung. Eine weitere Besonderheit von Nanopartikeln ist die Tatsache, dass für sie das grundlegende Paradigma der Toxikologie „Allein die Dosis macht die Wirkung“ nur noch eingeschränkt gültig ist, weil Nanopartikel weniger eine Dosis (oder Konzentrations)-Wirkungsbeziehung zeigen als viel mehr eine A. FISCHER UND D. HIRMANN
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Gesamtoberflächen-Wirkungsbeziehung (Oberdörster et al. 2005). So kann beispielsweise die gleiche Dosis (Einheit: mg pro kg Körpergewicht bei oraler Aufnahme) oder Konzentration (Einheit: mg pro m 3 Luft bei Aufnahme durch die Atmung) eines Stoffes unterschiedlich schwerwiegende Effekte verursachen, abhängig davon ob der Stoff in gröberer Form oder als Nanopartikel zugeführt wurde. Das heißt, die Wirkung korreliert nicht mit der Masse, wie es sonst in der Toxikologie gültig ist, dafür aber mit der Anzahl bzw. der Gesamtoberfläche aller Partikel. Das Problem daran ist, dass die derzeit übliche Methode zur Risikobewertung auf der Masse eines Stoffes beruht (z.B. mg/l) und nicht auf Parameter wie Oberfläche oder Partikelanzahl eingegangen wird.
5. ALTSTOFFPROGRAMM Die über 100.000 im EINECS enthaltenen Altstoffe sind keiner Anmeldepflicht unterworfen. Damit bestehen keine Verpflichtungen zur Durchführung von Prüfungen oder zur Sammlung von Daten vor der In-VerkehrSetzung. Das Wissen über diese Stoffe ist daher uneinheitlich und großteils sehr lückenhaft. Ende der 1980er Jahre führte die Besorgnis über das potenzielle Risiko von am Markt befindlichen Chemikalien zum sogenannten Altstoffprogramm. Um die wesentlichsten Informationslücken zu schließen, wurde 1993 die EU-Altstoffverordnung5 verabschiedet, welche die Bewertung und Kontrolle der Risiken durch Altstoffe zum Ziel hat, vorrangig für Stoffe, die in großen Mengen hergestellt werden. Demzufolge wurden alle Unternehmen, die einen Altstoff in Mengen über 10 Tonnen pro Jahr herstellten oder in die EU importierten, verpflichtet, alle verfügbaren Daten und Berichte an das Europäische Chemikalienbüro (ECB) zu übermitteln. Diese Daten wurden und werden in einer Datenbank (IUCLID6) gesammelt mit der Absicht, diese Altstoffe durch detaillierte Risikobewertungen und erforderlichenfalls durch Strategien zur Risikoreduktion aufzuarbeiten. Die Aufarbeitung der Bewertungen der Altstoffe ist extrem aufwändig und ineffizient. Bisher wurden nur ungefähr 60 Altstoffbewertungen abgeschlossen, weshalb das Altstoffprogramm der EU als gescheitert angesehen werden muss. Das war mitunter ein wesentlicher Beweggrund dafür, eine Reform der Chemikalienpolitik zu veranlassen (mehr dazu im Kapitel REACH). Nanopartikel, die von Altstoffen abstammen, sollten laut der Arbeitsgruppe der Europäischen Kommission für Nanomaterialien (Doc: JM/06/ 2006) als neuer Verwendungszweck derselben betrachtet werden, da allein Verordnung (EWG) Nr. 793/93 des Rates vom 23. März 1993 zur Bewertung und Kontrolle der Umweltrisiken chemischer Altstoffe. 6 International Uniform ChemicaL Information Database – enthält derzeit Daten zu ungefähr 10.400 Altstoffen. 5
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das Auftreten neuer oder veränderter Eigenschaften im Nanometerbereich eine Behandlung als Neustoff nicht rechtfertige. Für solche Nano-Altstoffe gelte Artikel 7 der EU-Altstoffverordnung zur „Aktualisierung der übermittelten Information und Verpflichtung zur unaufgeforderten Vorlage bestimmter Informationen“. Allerdings gibt es in Bezug auf diesen Artikel einige Beschränkungen und Probleme, welche eine adäquate Erfassung von Nanomaterialien eher in Frage stellen. Nach Artikel 7.1 müssen Hersteller und Importeure, die gemäß Artikel 3 und 4 Angaben über einen Stoff vorgelegt haben, die der Kommission übermittelten Daten auf dem neuesten Stand halten. Artikel 3 und 4 betrifft nur Stoffe, die in Mengen über 10 Tonnen pro Jahr hergestellt oder in die EU importiert werden, womit diese Vorschrift auf nur ca. 10% aller Altstoffe zutrifft. Insbesondere haben sie neue Verwendungszwecke mitzuteilen, die die Exposition des Menschen und der Umwelt wesentlich ändern. Der Nachteil dieser Anforderung ist, dass die Kategorien für Verwendungszwecke so breit formuliert sind, dass in den meisten Fällen die spezifischen neuen Anwendungen von Nanopartikeln nicht als neuer Verwendungszweck durch eine weitere Kategorie erfasst würden. Nach Artikel 7.2 haben Hersteller und Importeure eines Altstoffs, die Kenntnis davon erfahren, dass der fragliche Stoff eine ernste Gefährdung für Mensch oder Umwelt darstellen könnte, diese Information unverzüglich weiterzuleiten. Aufgrund der zurzeit sehr beschränkten Informationen über toxikologische und ökotoxikologische Auswirkungen von Nanopartikel ist auch diese Vorschrift nur wenig effektiv. Obwohl die gegenwärtige Gesetzeslage im Allgemeinen als adäquat für das Risikomanagement von Nanomaterialien angesehen wird (Doc: JM/06/2006), gibt es in den rechtlichen Rahmenwerken für Chemikalien gewissermaßen Schlupflöcher für Nanomaterialien: Nano-Neustoffe werden aufgrund ihrer geringen Produktionsmengen nicht ausreichend getestet und Nano-Altstoffe tarnen sich hinter ihren ohnehin nur lückenhaft dokumentierten Bulk-Verwandten.
6. BEZEICHNUNG UND IDENTIFIKATIONSMÖGLICHKEITEN FÜR NANOPARTIKEL Wenn Nanopartikel eines Stoffes unterschiedliche Eigenschaften in biologischen Systemen zeigen als der gleiche Stoff in grober Form, so bedarf die Nanoform einer eigenen speziellen Kennzeichnung der Gefahren und Warnungen. Zu einigen Metallen gibt es bereits jetzt unterschiedliche Einstufungen bezüglich ihrer gefährlichen Eigenschaften, je nachdem ob sie in ihrer massiven Form oder in Pulverform vorliegen (z.B. Zink). Die Unterscheidung erfolgt durch den Zusatz „Pulver“ oder auch „Staub“. Eine (einheitliche) A. FISCHER UND D. HIRMANN
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Beschreibung, um zwischen dem Stoff als Nano- oder Bulkmaterial unterscheiden zu können, sollte angestrebt werden. Beispielsweise könnten eigene CAS7-Nummern vergeben oder ein zusätzlicher Code (z.B. CAS-NP50) zu einer bereits bestehenden CAS-Nummer verwendet werden (SCENIHR 2005). Weiters besteht auch ein dringender Bedarf nach einer einheitlichen harmonisierten Nomenklatur/Terminologie zur Definition der physikalischen Charakteristika von Nanopartikeln und ihrer Eigenschaften. Das spielt vor allem auch deshalb eine Rolle, weil Größe, Form und natürlich die chemische Zusammensetzung inklusive der Oberflächeneigenschaften (wie z.B. der Ladung) und der gebundenen Schadstoffe einen wesentlichen Einfluss auf das Verhalten und die Auswirkungen von Nanopartikeln haben. Das Fehlen einer harmonisierten Terminologie zur Spezifikation von Nanopartikeln erschwert derzeit massiv vergleichende Literaturstudien.
7. IST MIT DEN HEUTIGEN METHODEN EINE RISIKOBEWERTUNG FÜR NANOPARTIKEL DURCHFÜHRBAR? Im Zuge des Aufrufs des Europäischen Rates zu einer sicheren, nachhaltigen, verantwortungsvollen und sozial verträglichen Entwicklung und Anwendung der Nanotechnologie gab es den Auftrag an die Expertengruppe SCENIHR8 , die Eignung der bestehenden Risikobewertungsmethoden zur Beurteilung der Sicherheit von Nanotechnologie und Nanoprodukten zu erörtern und die Hauptlücken im derzeitigen Wissensstand aufzuzeigen (SCENIHR 2005).
7.1. E XPOSITION Man sollte sich dessen bewusst sein, dass Mensch und Umwelt schon immer Nanopartikeln ausgesetzt waren, die durch natürliche Prozesse wie Vulkanausbrüche und Brände entstehen. Auch durch viele menschliche Aktivitäten, wie zum Beispiel den Autoverkehr, werden laufend unbeabsichtigt Nanopartikel (Ultrafeinstaub) in die Umwelt emittiert. Einen der wesentlichsten Punkte in der Risikobewertung von Nanopartikeln stellt daher die zusätzliche und in Zukunft weiter zunehmende Exposition durch industriell hergestellte Nanoprodukte dar, da diese voraussichtlich in immer größerem Ausmaß hergestellt werden. Außerdem gewinnen durch die neuen Anwendungen und Einsatzgebiete andere Aufnahmewege an Bedeutung. Bei natürChemical Abstract Service – Die CAS-Nummer ist die international gültige Registriernummer des „Chemical Abstracts Service“, bei der es sich um eine eindeutige Codierung für jeden Stoff und seine Struktur handelt. 8 Scientific Committee on Emerging and Newly Identified Health Risks. 7
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lichen und unbeabsichtigt emittierten Nanopartikeln ist der einzig relevante Aufnahmeweg die Atmung, wohingegen bei Nanoprodukten auch die orale Aufnahme und die Aufnahme über die Haut an Bedeutung zunehmen werden. Bei medizinisch eingesetzten Nanoprodukten kommen unter Umständen noch weitere Expositionswege hinzu, wie z.B. Injektionen oder Implantate. Es ist bis heute nicht klar, wie signifikant die Exposition gegenüber Nanopartikeln aufgrund von neuen Produkten zugenommen hat. Bei Nanopartikeln muss man prinzipiell zwei Arten unterscheiden: freie Nanopartikel und solche Nanostrukturen, die als feste Bestandteile von größeren Strukturen in diese eingebaut oder an sie gebunden sind. Beispiele für letztere sind die Verbesserung der Festigkeit von Stahl durch Zusatz von Nanopartikeln oder ultradünne Beschichtung auf Silberbasis für heizbare Windschutzscheiben (Nanoforum Report 2004). Die meisten Sicherheitsbedenken beziehen sich auf freie Nanopartikel, wohingegen die Exposition gegenüber Partikeln aus Nano-hältigen Verbundstoffen eher als vernachlässigbar angesehen wird. Dennoch kann es auch aus diesen durch physikalischen, chemischen oder biologischen Abbau zum Freisetzen von Nanopartikeln kommen, weshalb vor allem die Risikoanalysen für die Umwelt eine Bewertung des gesamten Lebenszyklus solcher Produkte beinhalten sollte. Auch die Löslichkeit von Nanopartikeln beeinflusst stark die Toxizität, da sofort lösliche Nanopartikel ihre Partikel-spezifischen Eigenschaften verlieren und damit nur noch Bulk-Eigenschaften zeigen. Unlösliche hingegen zeigen eine höhere Tendenz zur Persistenz, was zu Langzeit-Exposition und Nanopartikel-spezifischen Effekten führen kann. Es gibt derzeit noch keine klare Vorstellung, welche Parameter zur Expositionsbewertung am geeignetsten sind und gemessen werden sollen (Masse, Partikelanzahl, Gesamtoberfläche). Die Messung und Bewertung der Exposition wird außerdem behindert durch Schwierigkeiten bei der Probennahme sowie dem Zählen und Messen von Partikeln in Größenordnungen unterhalb der Detektionsgrenze von Lichtmikroskopie. Die erhältlichen transportablen Instrumente zur Routinemessung sind nicht geeignet für die Messung von Nanopartikeln. Neue Techniken zur Probennahme und Strategien zur Expositionsmessung am Arbeitsplatz und in der Umwelt müssen daher entwickelt werden. Leider gibt es keine historischen Daten zur Exposition gegenüber Nanopartikel, was zum Vergleich und zur Beurteilung von Trends bedeutungsvoll wäre.
7.2. TOXIKOLOGISCHE UND ÖKOTOXIKOLOGISCHE EFFEKTE Generell kann man davon ausgehen, dass Chemikalien in Nanoform eine höhere Reaktivität aufweisen und daher tendenziell toxischer sind. Experten sind sich einig, dass sich die Eigenschaften von Bulk- und Nanoform eines A. FISCHER UND D. HIRMANN
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Stoffes eklatant voneinander unterscheiden können. Dennoch ist zurzeit unklar, in welchem Ausmaß sich die Toxikokinetik9 von Nanopartikeln anhand der Kenntnis ihrer physikalisch-chemischen Eigenschaften vorhersagen lässt. Daher ist zurzeit eine systematische Ableitung der toxischen und ökotoxischen Effekte der Nanomaterialien von den Eigenschaften der gleichen Stoffe in Bulk-Form nicht möglich (Dreher 2004). Die Effektbewertung von Nanomaterialien muss von Fall zu Fall ermittelt werden. Die Nanotoxikologie ist ein sehr junges Forschungsgebiet, weshalb die entsprechende Literatur noch eher fragmentarisch ist. Die meisten Studien über Verhalten und Toxizität von Nanopartikeln beziehen sich auf die Aufnahme über die Atmung. So entwickelten beispielsweise Ratten, die Titandioxid-Nanopartikeln über die Atemluft ausgesetzt waren, schwerwiegendere Entzündungen der Bronchien und der Lunge als Tiere, die etwas gröbere Titandioxid-Partikeln einatmeten (Oberdörster et al. 2000). Mehrere weitere Studien bestätigen, dass die vergrößerte Oberfläche von Nanopartikeln pathologische Reaktionen der Lunge hervorruft (Donaldson und Stone 2003, Zhang et al. 2003). Aber auch die chemische Zusammensetzung spielt eine wesentliche Rolle, da z.B. Nickel-Nanopartikel im Experiment toxischer waren als Kobalt-Nanopartikel, welche aber immer noch toxischer waren als Titandioxid-Nanopartikel (Zhang et al. 1998). Auch die Form der Partikel dürfte eine Rolle spielen, da faserförmige Kohlenstoff-Nanoröhren10 in vivo Lungengranulome hervoruften (Warheit et al. 2004). Zusätzlich zu den respirationstoxischen Effekten gibt es auch Berichte über systemische Toxizität. Das bedeutet, dass der gefährliche Stoff seine schädlichen Auswirkungen nicht nur am Ort des Kontaktes (lokal) zeigt, sondern über den Blutkreislauf im Körper verteilt wird (systemisch verfügbar ist) und an anderen Zielorganen Schäden verursacht. So führten über den Atemtrakt verabreichte Nanopartikel zur Bildung von Thrombosen (Nemmar et al. 2003), und ultrafeiner Schwebstaub in verschmutzter Luft erhöhte die Levels an Entzündungsmediatoren in Gehirnen von Mäusen (Campbell et al. 2005). Der primäre Mechanismus auf zellulärer Ebene, welcher der Toxizität von Nanopartikeln zugrunde liegen dürfte, ist die Induktion von oxidativem Stress. Dieser kann bekannterweise zu Entzündungen und Gewebsschädigung bis hin zu DNA-Schäden führen. Es gibt auch experimentelle Hinweise auf ökotoxikologische Effekte. Beispielsweise führte die Exposition von C60 -Fullerenen bereits in sehr geringen Konzentrationen beim Wasserfloh Daphnia magna zu Mortalität und beim Forellenbarsch zu Gewebsschädigung im Gehirn (Lovern und Klaper 2006, Oberdörster 2004). Die Toxikokinetik beschreibt die Bioverfügbarkeit, die Verteilung in eventuelle Zielorgane, den Metabolismus und die Ausscheidung eines Stoffes. 10 Single-wall carbon nanotubes (SWCNT). 9
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Man unterscheidet in der Toxikologie kurzfristige (akute) von langfristigen (chronischen) Effekten, die sich ganz erheblich voneinander unterscheiden können. So gibt es Stoffe, die akut großen Schaden anrichten können, aber chronisch verabreicht zu Anpassungen (Adaptationen) des Organismus führen und daher besser vertragen werden. Andererseits gibt es Substanzen, die vor allem chronische Effekte verursachen, wie es zum Beispiel bei vielen krebserzeugenden Stoffen der Fall ist. Auch Nanopartikel müssen auf langfristige Effekte getestet werden. Nicht-Abbaubarkeit von Stoffen in der Umwelt bedeutet Persistenz, und Nicht-Ausscheidbarkeit aus Organismen resultiert in Akkumulation. Das könnte vor allem dann zum Problem werden, wenn Nanopartikel erst einen gewissen Schwellenwert in einem Organ oder einem Organismus erreichen müssen, um einen Effekt zu verursachen. Dann könnte eine Effektbewertung möglicherweise erst nach langer Expositionszeit realisierbar sein. Das ist im Moment noch alles rein hypothetisch und zeigt, dass es hier noch großer Forschungsbedarf besteht. Obwohl sich die konventionellen toxikologischen und ökotoxikologischen Testmethoden bereits als geeignet erwiesen haben, um einige der von Nanopartikeln ausgehenden Effekte zu detektieren, gehen Experten davon aus, dass sie dennoch nicht ausreichen, um alle Gefahren zu erfassen. Vor allem sollten diese Tests relevante Expositionsszenarien reflektieren, was unmöglich ist, solange die aktuelle Exposition von Mensch und Umwelt nicht bekannt ist. Einige Tests benötigen Modifikationen, andere müssten überhaupt erst entwickelt werden. Man sollte auch die Möglichkeit nicht ausschließen, dass es gefährliche Eigenschaften von Nanopartikeln gibt, die wir mit unserem derzeitigen Wissensstand noch nicht entdeckt haben und die folglich in den 15 Gefahrenklassen zur Einstufung und Kennzeichnung von Stoffen (Tabelle 1) nicht enthalten sind.
8. WISSENSLÜCKEN Trotz der vielen in letzter Zeit publizierten wissenschaftlichen Artikel, die sich der Nanotechnologie widmeten, herrschen auf dem Gebiet der Risikobewertung von Nanomaterialien noch immer große Wissenslücken (SCENIHR 2005), von denen die wichtigsten hier angeführt sind: §
Die Mechanismen und die Kinetik der Freisetzung von Nanopartikeln aus einer Reihe von Produktionsprozessen, Rezepturen und durch Anwendung der Endprodukte müssen aufgeklärt werden. § Es gilt zu erforschen, ob es möglich ist, das toxikologische Profil von Stoffen in makroskopischer Form auf den gleichen Stoff im Nanometerbereich zu extrapolieren und gegebenenfalls die entsprechenden Gesetzmäßigkeiten zu erarbeiten.
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§
Die Expositionslevels, die aus dem Gebrauch von Nanoprodukten gegenüber Mensch und Umwelt resultieren, müssen erfasst werden. Dafür müssen Methoden und Geräte zur Routinemessung von Nanopartikeln etabliert bzw. entwickelt werden. § Informationen über den Zustand und die Entwicklung der Gesundheit von Arbeitern, die in der Herstellung von Nanopartikeln oder Nanohältigen Produkten beschäftigt sind, werden benötigt, da diese Gruppe den industriell hergestellten, freien Nanopartikeln am stärksten ausgesetzt ist. § Um mögliche toxische Effekte von Nanopartikeln auf die menschliche Gesundheit beurteilen zu können, müssen Toxikokinetik, Zielorgane, Dosis-Wirkungsbeziehung, sowie mechanistische Effekte auf zellulärer Ebene aufgedeckt werden. § Informationen und Messungen bezüglich des Schicksals von Nanopartikeln in der Umwelt (Verteilung, Persistenz, Bioakkumulation) werden für eine Bewertung der Effekte auf die Umwelt benötigt.
9. DAS ZUKÜNFTIGE CHEMIKALIENREGIME REACH Die Europäische Kommission hat die Einführung des neuen, einheitlichen Rechtssystems REACH beschlossen, welches im Sommer 2007 in Kraft treten soll. Dieses wird für alle Chemikalien, nämlich Altstoffe und Neustoffe, gleichermaßen gültig sein. REACH ist das Akronym für Registration, Evaluation and Authorisation of CHemicals – auf Deutsch Registrierung, Bewertung und Zulassung von Chemikalien. REACH sieht die Erfassung aller Chemikalien in einer zentralen Datenbank vor, welche in Mengen über einer Tonne pro Jahr und Hersteller in der EU erzeugt oder importiert werden. Ohne vorherige Registrierung dürfen die ca. 30.000 derzeit auf dem EU-Markt befindlichen Stoffe nicht weiter verwendet werden, nach dem Motto „no data no market“ (ohne Daten kein Markt). Erst ab einer Menge von 10 Tonnen pro Jahr ist eine Stoffsicherheitsbeurteilung vorgesehen, was voraussichtlich ca. 15% der erfassten Chemikalien betreffen wird. In der derzeitigen Fassung von REACH wird die Partikelgröße nicht speziell berücksichtigt. Nanopartikel, die aufgrund der vermutlich geringen Produktionsmengen die genannten Mengenschwellen nicht überschreiten, werden so weder erfasst noch bewertet. Besonders besorgniserregende Chemikalien11 sollen über ein so genanntes Zulassungsverfahren geregelt werden. Nur wenn der Einsatz dieser Stof11 Krebserzeugend, erbgutverändernd oder fortpflanzungsgefährdend (CMR), Kategorien 1 oder 2; persistent, sich im Körper anreichernd und giftig (PBTs; persistent, bioaccumulative, toxic) oder sehr persistent und hohe Anreicherung im Körper (vPvBs; very persistent, very bioaccumulative); andere gefährliche Eigenschaften, wie zum Beispiel eine den Hormonhaushalt beeinflussende (endokrine) Wirkung.
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fe zu rechtfertigen ist, soll der Stoff für den Markt eine Zulassung erhalten. Dies könnte zum Beispiel der Fall sein, wenn sozioökonomische Analysen ergeben, dass der Nutzen für Mensch und Wirtschaft gegenüber den Risiken immer noch überwiegt und wenn man aufgrund fehlender oder noch schädlicherer Alternativen auf den Stoff nicht verzichten kann. Unter diesen Umständen könnten unter REACH Nanomaterialien trotz einer Bestätigung von gefährlichen Eigenschaften für die Verwendung zugelassen werden. Auf der anderen Seite besteht die Möglichkeit, die Herstellung, die Verwendung oder das Inverkehrbringen von Stoffen zu beschränken oder zu verbieten, wenn der Stoff ein unannehmbares Risiko für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt darstellt. Hierbei gibt es keine Mengenschwelle, d.h. Beschränkungen können auch bei Produktionsmengen unter einer Tonne pro Jahr und Hersteller verhängt werden. Aus regulatorischer Sicht ist es schwierig, den Einsatz von Nanomaterialien zu „regeln“, weil derzeit die Methoden für eine Risikobewertung noch fehlen und somit nicht festgestellt werden kann, ob tatsächlich ein Risiko im Umgang dieser neuen Materialien vorliegt. Aufgrund des derzeit noch mangelnden Wissensstandes über Nanomaterialien sind diese in der derzeit gültigen Fassung von REACH nicht speziell berücksichtigt. Laut dem „Nanowissenschaften und Nanotechnologie“-Aktionsplan der EU für die Jahre 2005 bis 2009 benötigt die weitere Entwicklung der Nanotechnologie einen sicheren, ganzheitlichen und verantwortungsvollen Ansatz. Regulation und damit mehr Rechtssicherheit liegt auch im (wirtschaftlichem) Interesse der Firmen.
10. ZUSAMMENFASSUNG Experten sind sich einig, dass derzeit mögliche schädliche Wirkungen von Nanopartikeln nicht vorhergesagt werden können. Von den bekannten toxikologischen Eigenschaften derselben Stoffe in makroskopischer Form, welche den Gesetzen der klassischen Physik gehorchen, können diese nicht abgeleitet werden. Weder die aktuelle Gesetzgebung für Alt- und Neustoffe noch das zukünftige Chemikalienregime REACH in seiner derzeitigen Fassung12 können einen vollständigen Schutz für Mensch und Umwelt gewährleisten, sollte ein von Nanomaterialien ausgehendes unannehmbares Risiko bestehen. Die derzeit angewandte Methode zur Risikobewertung basiert auf Masse ohne Rücksichtnahme auf die Partikelgröße. Der Gebrauch von Dosis oder Konzentration im Sinne von Masse allein scheint jedoch für die Risikobewertung von Nanopartikeln ungeeignet zu sein, da die Effekte besser mit der Anzahl bzw. der Gesamtoberfläche aller Partikel korrelieren. Dadurch 12
Gemeinsamer Standpunkt vom 27. Juni 2006.
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könnte es zu einer schwerwiegenden Unterschätzung des von Nanopartikeln ausgehenden, potenziellen Risikos kommen. Bezüglich der regulatorischen Erfordernisse einer adäquaten Risikobewertung fehlen geeignete und standardisierte Tests für Nanomaterialien. Für eine erfolgreiche Risikobewertung müssen neue Testmethoden entwickelt oder vorhandene zumindest angepasst werden. Da heutzutage sowohl die Kenntnis der schädlichen Auswirkungen von Nanopartikeln mangelhaft ist als auch die entsprechenden Expositionsmessungen/-schätzungen fehlen, ist eine Risikobewertung, wie sie normalerweise für Chemikalien durchgeführt wird, zurzeit nicht möglich. Aus Mangel an ausreichenden und verlässlichen Informationen sollte im Sinne des Vorsorgeprinzips gehandelt werden. Das gilt vor allem für jene freien, nicht löslichen Nanopartikel, bei denen Grund zur Annahme besteht, dass sie sich in der Umwelt und letztlich im Menschen aufgrund von persistenten und bioakkumulierenden Eigenschaften anreichern. Gleichzeitig sollte aber vermieden werden, voreilig in der Öffentlichkeit das Bild der Nanotechnologie negativ zu besetzen, da die aus dieser neuen Technologie resultierenden Vorteile und Möglichkeiten schon heute evident sind.
11. LITERATUR UND QUELLENHINWEISE Altstoffverordnung: Verordnung (EWG) Nr 793/93 des Rates vom 23. März 1993 zur Bewertung und Kontrolle der Umweltrisiken chemischer Altstoffe Campbell A, Oldham M, Becaria A, Bondy SC, Meacher D, Sioutas C, Misra C, Mendez LB, Kleinman M (2005) Particulate matter in polluted air may increase biomarkers of inflammation in mouse brain. Neurotoxicology 26 (1): 133–140 Doc: JM/06/2006: 13th Joint Meeting of the Competent Authorities for the Implementation of Directive 67/548/EEC (New Substances) and Council Regulation 793/93/EEC (Existing Substances) – Recommendation from the Working group on Nanomaterials. European Commission, Brussels Donaldson K, Stone V (2003) Current hypotheses on the mechanisms of toxicity of ultrafine particles. Ann Ist Super Sanita 39 (3): 405–410 Dreher KL (2004) Health and environmental impact of nanotechnology: toxicological assessment of manufactured nanoparticles. Toxicol Sci 77: 3–5 Lovern SB, Klaper R (2006) Daphnia magna mortality when exposed to titanium dioxide and fullerene (C60) nanoparticles. Environ Toxicol Chem 25 (4): 1132–1137 Nanoforum Report: benefits, risks, ethical, legal and social aspects; 4th Report, June 2004 Nemmar A, Hoylaerts MF, Hoet PH, Vermylen J, Nemery B (2003) Size effect of intratracheally instilled particles on pulmonary inflammation and vascular thrombosis. Toxicol Appl Pharmacol 186 (1): 38–45 Oberdörster E (2004) Manufactured nanomaterials (fullerenes, C60) induce oxidative stress in the brain of juvenile largemouth bass. Environ Health Perspect 112 (10): 1058–1062 Oberdörster G, Finkelstein JN, Johnston C, Gelein R, Cox C, Baggs R, Elder AC (2000) Acute pulmonary effects of ultrafine particles in rats and mice. Res Rep Health Eff Inst 96: 5–74 128
CHEMIKALIENRECHT UND REGULATORISCHE TOXIKOLOGIE Oberdörster G, Oberdörster E, Oberdörster J (2005) Nanotoxicology: an emerging discipline evolving from studies of ultrafine particles. Environ Health Perspect 113: 823–839 REACH: Regulation (EC) No 1907/2006 of the European Parliament and of the Council of concerning the Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals (REACH), establishing a European Chemicals Agency, amending Directive 1999/45/EC of the European Parliament and of the Council and repealing Council Regulation (EEC) No 793/93 and Commission Regulation (EC) No 1488/94 as well as Council Directive 76/769/EEC and Commission Directives 91/155/EEC, 93/67/ EEC, 93/105/EC and 2000/21/EC Royal Society (2004) Nanoscience and nanotechnologies: opportunities and uncertainties. Chapter 8, Regulatory issues, S 71. The Royal Society and The Royal Academy of Engineering, London. www.nanotec.org.uk/finalreport.htm SCENIHR (2005) Opinion on the appropriateness of existing methodologies to assess the potential risks associated with engineered and adventitious products of nanotechnologies. European Commission, Brussels. http://europa.eu.int/comm/health/ph_risk/ committees/04_scenihr/scenihr_cons_01_en.htm Stoffrichtlinie: Richtlinie 67/548/EWG des Rates vom 27. Juni 1967 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe Warheit DB, Laurence BR, Reed KL, Roach DH, Reynolds GA, Webb TR (2004) Comparative pulmonary toxicity assessment of single-wall carbon nanotubes in rats. Toxicol Sci 77 (1): 117–125 Zhang Q, Kusaka Y, Sato K, Nakakuki K, Kohyama N, Donaldson K (1998) Differences in the extent of inflammation caused by intratracheal exposure to three ultrafine metals: role of free radicals. J Toxicol Environ Health A 53 (6): 423–438 Zhang Q, Kusaka Y, Zhu X, Sato K, Mo Y, Kluz T, Donaldson K (2003) Comparative toxicity of standard nickel and ultrafine nickel in lung after intratracheal instillation. J Occup Health 45 (1): 23–30
A. FISCHER UND D. HIRMANN
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NANOTECHNOLOGIE
UND LEBENSMITTELPRODUKTION A. G. HASLBERGER, J. SCHUSTER
UND
A. GESCHE
Die äußerst diversen Anwendungsmöglichkeiten der Nanotechnologie in der Lebensmittelproduktion umfassen Bereiche der Landwirtschaft und Industrie, Verpackung, Anzeige- und Abgabesysteme und besonders Analysemöglichkeiten. Während bei Systemen, welche z.B. sicherheitsrelevante Faktoren anzeigen, der Nutzen für Konsumenten und Konsumentinnen klar ersichtlich ist, muss sich der Bedarf in anderen Bereichen erst zeigen. Bei der Abschätzung des Risikos zeigen sich noch beträchtliche Lücken im Verständnis toxikologischer und gesundheitsrelevanter Konsequenzen sowie im landwirtschaftlichen Bereich auch für die Umwelt. Diese Unsicherheiten in der Risikobewertung könnten, ähnlich wie bei der Gentechnik, zu einer öffentlichen Diskussion über Anwendungen und Entwicklung führen. Aufgrund der vielseitigen Anwendungsformen müssen sicherheitsrelevante Regelungen den allgemeinen internationalen und nationalen Bestimmungen der Lebensmittelsicherheit folgen, aber auch spezifische Elemente zur Nanotechnologie beinhalten. Konsequenzen eines „precautionary approaches“ bei der Entwicklung der Technologie sollten eine proaktive und integrierte Risikobewertung sowie ein allgemein befürworteter ethischer Kodex zur adäquaten Involvierung relevanter Stakeholder sein. Schlüsselworte: Nanotechnologie, Lebensmittelproduktion, Risikobewertung, Ethik-Kodex
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Nanotechnology in food production The highly diverse uses of nanotechnology in food production include methods in agriculture, industry, packaging, sensors and releases, and especially analytical possibilities. Whereas the advantages for consumers in monitoring food safety and quality is evident, evidence for such advantages for consumers needs to be established in other areas. In risk assessments of the different particle uses, considerable gaps are evident in our scientific understanding of toxicological mechanisms; in the field of agriculture, environmental consequences remain unclear. These uncertainties may trigger a broader public discussion, as observed for molecular biotechnology in food production. Because of the diverse uses of nanotechnology, food safety-relevant regulations must be based on existing international and national regulatory elements of food safety, whereby additional nanotechnology-specific elements may be necessary. The consequences of a precautionary approach in developing nanotechnological uses should be a proactive and integrated risk assessment as well as a generally agreed ethical code for appropriate involvement of relevant stakeholders. Keywords: Nanotechnology, food production, uction, risk assessment, code of ethics
1. ANWENDUNGSBEREICHE Die Nanotechnologie hat das Potenzial, sowohl die Lebensmittelindustrie als auch die Landwirtschaft maßgeblich zu beeinflussen. Der Markt für Nanotechnologieprodukte in diesen Gebieten scheint mit 2,6 Milliarden Dollar bereits jetzt sehr lukrativ zu sein und könnte bis 2010 ein Volumen von mehr als 20,4 Milliarden Dollar erreichen (Helmut Kaiser Consultancy 2004). Die Hauptbeweggründe für die Lebensmittelindustrie und die Landwirtschaft sich mit dieser revolutionären Technik zu beschäftigen, liegen vor allem in der Verbesserung der Sicherheit von Lebensmitteln während Herstellung, Lagerung und Transport, aber auch in der Veränderung der Qualität und Zusammensetzung. Es gibt eine große Vielfalt von Nanomaterialien bzw. -techniken, die in den unterschiedlichsten Gebieten der Lebensmittelindustrie bzw. Landwirtschaft eingesetzt werden oder werden könnten (Tabelle 1).
1.1. NANOTECHNOLOGIE IN DER L ANDWIRTSCHAFT Eine ganze Reihe von internationalen Projekten beschäftigt sich mit dem Einsatz von Nanotechnologien in der Landwirtschaft, wobei nicht nur wie 132
NANOTECHNOLOGIE UND LEBENSMITTELPRODUKTION Tabelle 1. Nanomaterialien und -techniken in der Lebensmittelindustrie und Landwirtschaft Einsatzgebiete Landwirtschaft
Saatgut, Bodenbeschaffenheit, Abgabe von Düngerbestandteilen, Bindung von Pestiziden, Tierzucht, Tiertransporte, Impfung
Lebensmittelindustrie
Produktion, Verarbeitung, Konservierung, Verpackung, Qualitätskontrolle, Transport (ExportImport); Veränderung von Geschmack, Farbe und Aufnahmeeigenschaften von Inhaltsstoffen
Nanomaterialien und Anzeigesysteme
Nanokomposite, Nanoschlamm, Nanoröhren, Nanosensoren, Nanochips
Nanotransport- und Abgabesysteme
Nanokapseln, Nanochochleate, Nanobälle, Nanomaschinen, Nanoeinheiten, Colloidisome
Anwendungsformen
Emulsionen, Gele, Schäume, Liposomen
in den Jahren technologischer Entwicklungen davor der Einsatz von Pestiziden im Vordergrund steht, sondern Fragen, wie z.B. die Steigerung der Photosynthese von Pflanzen, die Verbesserung der Keimung von Saatgut und ein optimiertes Bodenmanagement (ETC Group 2004). Auch die Europäische Union (EU) unterstützt Nanotechnologieprojekte im landwirtschaftlichen Bereich. So wird das EU-Verbundprojekt „NANOIMPRINT“ mit über 3 Mio. Euro gefördert (Fink 2005). Ein Partner dieses Projektes, das Institut für Technologie und Biosystemtechnik der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft Braunschweig, beschäftigt sich mit Expertisen im Bereich der Verkapselung, Oberflächenbeschichtung und Biokonversion. Es sollen Materialien entwickelt werden, in denen mit neuartigen Methoden „Abdrücke“ von bestimmten Molekülen hergestellt werden. Schadstoffe, wie z.B. Pestizide, könnten dadurch abgefangen werden. Für die genetische Modifikation von Pflanzen bzw. Saatgut haben sich die Wissenschaftler vom Oak Ridge National Laboratory (US Department of Energy lab) ein revolutionäres System ausgedacht. Sie lassen KohlenstoffNanofasern auf Silikon-Chips wachsen (McKnight et al. 2003, Dalke 2003). An den Nanofasern ist synthetisch hergestellte DNS angebracht. Lebende Zellen werden nun gegen diese Fasern wie gegen eine Art „Nagelbrett“ geschleudert und aufgespießt. Dadurch, dass die DNS fest an die Nanofasern gebunden ist, kann die Information zwar abgelesen und die gewünschten Proteine erzeugt werden, es ist jedoch – nach Aussage der Wissenschaftler – äußerst unwahrscheinlich, dass diese Erbinformation in das Genom der Pflanze aufgenommen und weitervererbt wird. A. G. HASLBERGER ET AL.
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Mit so genannten „Buckyballs“ (Buckminster-Fulleren)1 könnten Düngemittelkomponenten wie z.B. Ammoniak in den Boden eingebracht werden. So könnte z.B. die Keimung von Tomatensamen durch Besprühen mit einer Lösung aus Eisen-Nanopartikeln verbessert werden (Prochorov et al. 2001). Eisen-Nanopartikel könnten aber auch eine bedeutende Rolle bei der Entfernung von Schwermetallen oder PCB2 aus verseuchtem Erdreich spielen (Sun et al. 2006). Ein interessantes Anwendungsgebiet von Nanotechniken ist die Tierzüchtung. Durch Laser-unterstützte Mikroströmungstechniken können Spermien mit männlichem und weiblichem Erbgut getrennt werden, was eine gezielte Nachzucht von männlichen bzw. weiblichen Pferden, Rindern, Schafen und Schweinen ermöglicht (Garner 2001). Mit einer Weiterentwicklung dieser Technik können die Bedingungen für die Befruchtung von Eizellen und somit die Produktion von Embryonen in vitro – also außerhalb des Tierkörpers – optimiert werden (Clark et al. 2005). Die Fischzucht ist eine der am stärksten wachsenden Landwirtschaftszweige. Auch hier steht eine kleine Nanotechnologierevolution vor der Tür. Eisen-Nanopartikel sollen für ein schnelleres Wachstum von Karpfen und Stören sorgen (Prochorov et al. 2002). Für die Massenimpfung von Fischen wurde ebenfalls ein auf Nanotechnologien beruhendes System entwickelt. Nanokapseln mit kurzen DNS-Fragmenten werden dem Wasser des Fischteichs zugesetzt, wo diese von den Zellen der Fische aufgenommen werden. Durch Ultraschall werden die Kapseln zum Platzen gebracht, wodurch die DNS freigesetzt und das Immunsystem der Fische aktiviert wird (Clear Springs Foods 2002). Für die Reinigung von Fischteichen plant man den Einsatz von speziellen Nanopartikeln auf Lanthan3-Basis, den so genannten „NanoChecks“. Diese Partikel sollen überschüssiges Phosphat aus dem Wasser entfernen und somit ein verstärktes Algenwachstum verhindern (Anonymous 2004). Zum Teil bereits in der Humanmedizin eingesetzt, sollen nun auch in der Landwirtschaft Biochips die genetischen Eigenschaften und die Gesundheit 1 Mit Fulleren (Pl.: Fullerene) wird ein sphärisches Molekül aus Kohlenstoffatomen (C2n) bezeichnet, das die dritte Element-Modifikation des Kohlenstoffs (neben Diamant und Graphit) darstellt. Das mit Abstand am besten erforschte ist C 60 , das zu Ehren des Architekten Buckminster Fuller Buckminster-Fulleren genannt wurde, da es den von ihm konstruierten geodätischen Kuppeln ähnelt. Da ein Fußball die gleiche Struktur hat, wird es auch Fußballmolekül (oder auf Englisch „Buckyball“) genannt. 2 Als Polychlorierte Biphenyle (PCB) wird eine Gruppe giftiger Substanzen bezeichnet, die bis in die 1980er Jahre vor allem in Transformatoren, elektrischen Kondensatoren, in Hydraulikanlagen sowie als Weichmacher in Lacken, Dichtungsmassen und Kunststoffen verwendet wurde. 3 Lanthan ist ein chemisches Element im Periodensystem der Elemente mit dem Symbol La und der Ordnungszahl 57. Obwohl die Gruppenbezeichnung Lanthanide vom Lanthan abgeleitet ist, gehört es ungeachtet ähnlicher Eigenschaften nicht zu ihnen. Das Element wird den Metallen der seltenen Erden zugeordnet.
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NANOTECHNOLOGIE UND LEBENSMITTELPRODUKTION
von Tieren und Pflanzen überprüfbar machen. Biochips sind winzigste Testplatten, auf denen eine Vielzahl von bestimmten DNS-Stücken, Antikörpern oder auch Rezeptoren aufgebracht sind und mit deren Hilfe Körperflüssigkeiten wie Blut und Harn, aber auch Extrakte aus Lebensmitteln getestet werden können. Sucht man nun in diesen Testsubstanzen bestimmte Moleküle (Bakterienproteine, Boten-RNS, Proteine bei bestimmten Erkrankungen oder genetischen Veränderungen, genetisches Material von Viren etc.) werden diese durch ihre Rezeptoren oder passenden DNS-Stücke auf dem Chip festgehalten. Durch eine unterschiedliche, farbliche Markierung (z.B. Fluoreszenz) beider Partnermoleküle kann man im Mikroskop einen Nachweis der gesuchten Moleküle führen (Jain 2004, International Consortium on Ticks and Tick-borne Diseases (ICTTD)/EMBO 2003). Nanosensoren könnten bei der Herdenhaltung und beim Tiertransport hilfreich sein. Die Sensoren übertragen medizinische Informationen und den geographischen Standort an einen Computer. Diese Sensoren könnten ebenfalls mit Nanoapparaten gekoppelt werden, die auf bestimmte Signale hin z.B. Medikamente aus Nanokapseln entlassen (ETC Group 2004). Möglicherweise sind diese Materialien im Vergleich zu Metall oder Plastik auch verträglicher für lebendes Gewebe (Catledge et al. 2002).
1.2. NANOTECHNOLOGIE IN DER LEBENSMITTELINDUSTRIE Kann Nanotechnologie also bei der Zucht und Pflanzung unserer zukünftigen Nahrungsmittel eine große Rolle spielen, so stehen in der weiterführenden Lebensmittelproduktion vor allem Verpackungs- und Qualitätsmanagementprobleme einer Nanotechniklösung gegenüber. Die Verpackungsindustrie stellt einen sehr großen Markt dar und trägt die Verantwortung für eine sichere Konservierung unserer Lebensmittel. Das Pharmaunternehmen Bayer produziert transparente Plastikfilme (Durethan), die Nanopartikel aus Schlamm beinhalten. Diese können Sauerstoff, CO2 und Feuchtigkeit blockieren und machen das Plastik leichter, fester und hitzeresistenter (Moraru et al. 2003). Nanokomposite 4 sollen eine haltbare und geschmacksneutrale Verpackung von Bier in Plastik ermöglichen, Nanokristalle das Entweichen von Sauerstoff aus Plastikflaschen verhindern (Gardner 2003). Kodak hat spezielle antimikrobielle Folien auf Nanotechnologie-Basis entwickelt (Brody 2005, Stark 2004). Wissenschaftler und Verpackungstechniker arbeiten auch an einer „elektronischen Zunge“. Sensoren, die in Nanopartikelfilmen oder anderen Verpackungen eingebettet sind, geben dem Konsumenten durch eine Farbänderung bekannt, ob eine Kontaminierung mit Keimen stattgefunden hat (Gardner 2002). Intelligente Verpackungen könnten aber auch durch nano4
Nanokomposite sind Verbundmaterialien mit eingebetteten Nanopartikeln.
A. G. HASLBERGER ET AL.
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technische „Bioschalter“ bei beginnendem Verderb Konservierungsstoffe in das Lebensmittel abgeben (Moore 2004). Für viele Herstellungsprozesse von Lebensmitteln und deren Transport wären so genannte „Nanobarcodes“ von Interesse. Diese Markierungen funktionieren ähnlich wie die bekannten UPC-Codes. Die speziellen Nanopartikel bestehen aus Metallstreifen, wobei kleinste Variationen (Länge, Breite, Anzahl, Metallzusammensetzung) in diesen Streifen als Kodierung dienen (Bailey 2004, Natan 2004). Auf Nanopartikeln basierende DNS-Biosensoren verfolgen jedoch ganz andere Ziele, nämlich die Verwendung von genetisch veränderten Pflanzen oder Tieren in Lebensmitteln nachzuweisen (Kalogianni et al. 2006). Mit nanostrukturierten Goldpartikeln markierte Detektions-DNS-Sonden erkennen spezielle DNS-Terminatorsequenzen, die in den meisten transgenen Pflanzen vorkommen. Nanomaterialien, die Geschmacksstoffe, Vitamine oder aber auch Medikamente beinhalten, könnten den Markt der funktionellen Lebensmittel (Functional Food) bereichern. Erwünscht ist, dass durch die Verpackung in Nanocontainern die Löslichkeit und Bioverfügbarkeit der zugesetzten Substanzen sowie deren gerichteter Transport zu den Zielorganen optimiert wird (Vogel 2006b). Die Lebensmittelindustrie fasst in der Zukunft aber auch die Möglichkeit von neuartigen Konzepten, wie z.B. „interaktiven Getränken“ oder „Shake-Drinks“ ins Auge (El Amin 2005, Vogel 2006a). Durch verschiedene Auslöser (z.B. Schütteln, Licht oder Ultraschall) könnten so z.B. die Farbe und der Geschmack eines Getränks vom Konsumenten beeinflusst werden. Nanopartikel können die Fließeigenschaft von Lebensmitteln beeinflussen, wie z.B. Siliciumdioxid (SiO2)-Nanopartikel (pyrogenes SiO2 bzw. Kieselsäure) im Ketchup (Schmid 2005). In Österreich beschäftigt sich bereits die Lebensmittelbehörde mit möglichen gesundheitlichen Effekten von Nanosilicium, welches unter anderem die Feuchtigkeitsbindung in einer speziellen Brotsorte verbessern soll. Neue Zellkultur-Testverfahren haben bislang allerdings nur gezeigt, dass SiO2-Nanopartikel in Lungenzellen keinen Schaden anrichten (Peter 2006). In Israel wird bereits ein spezielles Rapsöl mit in Nanocontainern verpackten Phytosterolen angeboten, welche die Aufnahme von Cholesterin im Darm hemmen. Mineralstoffe können aber auch auf Nanopartikel-Größe zermahlen werden, was laut Hersteller eine raschere Aufnahme durch den Körper bewirkt. Interessant ist auch ein mit Thunfisch-Öl hergestelltes Brot (George Weston Foods). Die Omega-3-Fettsäuren sind in Nanokapseln verpackt und werden erst im Magen geöffnet. Dadurch schmeckt das Brot nicht nach Fisch.
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NANOTECHNOLOGIE UND LEBENSMITTELPRODUKTION
2. RISIKOABSCHÄTZUNG, WISSENSCHAFTLICHE UNSICHERHEITEN UND IDENTIFIZIERTE RISIKEN Der Einsatz von Nanomaterialien in der Agrar- und Lebensmittelindustrie wird die betreffenden Behörden aber auch die Politik vor eine große Herausforderung stellen. Im Vergleich zu dem gigantischen wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Aufwand in der Nanotechnologieforschung erscheint das Wissen um mögliche gesundheitliche Risiken von Nanomaterialien zu Zeit noch dürftig. So ist etwa über die Aufnahme von künstlichen Nanopartikeln durch den menschlichen bzw. tierischen Organismus noch relativ wenig bekannt. Ein neuer Forschungszweig scheint sich jedoch zu etablieren – die Nanotoxikologie (Oberdörster et al. 2005). Gerade der mögliche enge Kontakt mit Schleimhaut-, Epithel- und Immunzellen bei Anwendungen der Nanotechnologie in der Lebensmittelproduktion macht die toxikologischen Aspekte der Aufnahme in Zellen wissenschaftlich besonders interessant. Tabelle 2 gibt einen Überblick über mögliche Risiken der Nanotechnologie.
2.1. KONTAKT MIT NANOPARTIKELN Nanopartikeln sind wir schon seit Anbeginn der Menschheit ausgesetzt (z.B. Vulkanstäube). Was die neuartigen, künstlich erzeugten Moleküle jedoch von den natürlichen unterscheidet, ist der komplexe chemische Aufbau und der evolutionär gesehen sehr kurze Zeitraum, der den Organismen zur Gewöhnung zur Verfügung steht. Um mögliche Gefahren, die von diesen Nanopartikeln ausgehen könnten, zu verstehen und erkennen zu können, muss auch einiges über deren Aufnahme in den tierischen bzw. menschlichen Organismus bekannt sein. Obwohl Nanopartikel sehr klein sind, ist deren reaktive Oberfläche im Vergleich zu größeren Partikeln sehr groß. Diese Eigenschaft ist zwar für Tabelle 2. Mögliche Risiken von Nanotechnologie in der Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion Gesundheitliche Schäden durch Nanopartikel am Konsumenten bzw. an den Personen in der Lebensmittelherstellung Umweltschäden durch Nanopartikel oder deren transportierte Inhaltsstoffe (z.B. Düngemittel, Antibiotika) Bindung der Landwirtschaft an spezielles Nanotechnologiesaatgut (siehe oben). Gewollter oder zufälliger Einfluss auf den Ernteertrag durch Aktivierung von Nanokapseln oder Sensoren Durch Herstellung von speziellen Nanofasern könnte z.B. die Baumwoll- oder Kautschukindustrie schwere Einbußen erleiden (ETC Group 2004)
A. G. HASLBERGER ET AL.
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die technische Anwendung gewünscht, könnte aber im Organismus zu unerwünschten Reaktionen führen. Nanopartikel können prinzipiell über die Lunge, den Verdauungstrakt und über die Haut aufgenommen werden. Die meisten Untersuchungen über den Kontakt mit Nanopartikeln gibt es im Bereich des Atmungsapparates. Inhalierte Partikel werden zuerst an den Schleimhäuten abgelagert (International Commission on Radiological Protection 1994). Der primäre Mechanismus um Partikel zu entfernen besteht in deren Aufnahme (Phagozytose) durch alveolare Makrophagen (Fresszellen). Das scheint für Nanopartikel nur bedingt Gültigkeit zu haben. Phagozytose dürfte nur zu ca. 20% bei der Entfernung eine Rolle spielen (Ferin und Oberdörster 1991). Nanopartikel können aber auch direkt durch Epithelzellen oder Zellzwischenräume (Interstitium) in den Organismus eindringen und somit vorerst der Eliminierung entgehen (Ferin et al. 1992). Das Durchschleusen durch Epithelzellen kann mittels verschiedener Mechanismen, wie Phagozytose, Makropinozytose, Clathrin- oder Caveolar-vermittelter Endozytose passieren (Rejman et al. 2004). Wenn Nanopartikel mit Albumin oder Phospholipiden ausgestattet wurden, erfolgt deren Aufnahme noch schneller und leichter (Kato et al. 2003). Nanopartikel können so auch durch Nervenzellen aufgenommen werden und wandern entlang der Axone zum Gehirn. Erste Untersuchungen an Forellenbarschen haben gezeigt, dass C60 Fullerene („Buckyballs“) durchaus oxidativen Schaden an den Gehirnzellen dieser Fischen anrichten können (Oberdörster 2004). Wie reagiert nun die Zelle auf Nanopartikel? Obwohl genauere Untersuchungen noch ausständig sind, gibt es bereits Hinweise, wie Stress bzw. Entzündungsprozesse entstehen könnten (Donaldson und Stone 2003, Donaldson und Tran 2002). Die Partikeloberfläche, Metallionen, aber auch der Kontakt der Partikel mit den Mitochondrien der Zelle können einen oxidativen Stressimpuls auslösen, der zu einer Erhöhung des intrazellulären Calcium-Spiegels und zu einer Genaktivierung führt. Man ist mittlerweile auch bestrebt Zellkultur-Testverfahren zu entwickeln, um die gesundheitlichen Risken von Nanopartikeln rascher abschätzen zu können (Peter 2006).
2.2. REGELUNGSANSÄTZE UND ASPEKTE FÜR REGULATORISCHE KONZEPTE Die zunehmende öffentliche Diskussion von Anwendungen der Nanotechnologie hat bereits zu kontroversiellen Debatten über die Notwendigkeit gesetzlicher Regelungen geführt. Aber bereits eine kurze Übersicht über die vielen diversen Gebiete der Nanotechnologie macht klar, dass eine technologiespezifische Regelung noch schwieriger als etwa im Bereich der Gentechnologie sein wird. Dies um so mehr, als die uneinheitlichen Definitionen der Nanotechnologie physikalische, biochemische oder biologische 138
NANOTECHNOLOGIE UND LEBENSMITTELPRODUKTION
Partikel mit höchst unterschiedlichen Anwendungen und Gefährdungen umfassen. Ebenso wie bei der Gentechnologie stehen auch bei nanotechnologischen Anwendungen die Fragen der Gesundheit und der Lebensmittelsicherheit im Zentrum des Interesses. Während die Europäische Lebensmittelbehörde EFSA und auch die Europäische Kommission für Anwendungen der Nanotechnologie im Lebensmittelbereich noch keine Absichten für Regelungen ankündigten, haben in England Berichte wissenschaftlicher Komitees bereits zu ersten Reaktionen von Behörden geführt. Ein Bericht der UK-Food Standard Agency (FSA 2006) resümiert. Während prinzipiell alle Lebensmittelsicherheits-relevanten Anwendungen der Nanotechnologie gesetzlich erfasst sind, könnten Fragen von Partikelgrößen zu Unsicherheit bei Sicherheitsbewertung und gesetzlichen Konsequenzen führen. Besonders jene Substanzen, die nicht durch ihre Neuartigkeit unter europäische „Novel-Food“Gesetze fallen, aber in Partikelgrößen unter 100 nm angewandt werden, könnten Prüf- und Zulassungsanforderungen entkommen. Jene Anwendungen, die unter die gesetzlichen Anforderungen von Lebensmittelzusatzstoffen fallen, werden von den WHO-CODEX Richtlinien erfasst und sind damit etwa den sehr spezifischen amerikanischen und europäischen Prüfanforderungen und Zulassungsbestimmungen unterworfen. Ähnliches gilt für Regelungen im Bereich von Verpackungsmaterialien5, die umfassend genug sind, um Szenarien einer Freisetzung von Partikeln in die Lebensmittelkette zu berücksichtigen. Partikel dürfen nicht in Mengen in die Lebensmittelkette gelangen, welche die Gesundheit gefährden oder die Lebensmittelzusammensetzung bzw. den Geschmack verändern können. Im Falle einer beabsichtigten Freisetzung von Partikeln in die Lebensmittelkette darf das nur geschehen, um die Haltbarkeit oder die Qualität zu erhalten oder zu verbessern bzw. derartige Kriterien zu überwachen. Auch sollen Kennzeichnungsregelungen die sachlich richtige Information der Konsumenten und Konsumentinnen gewährleisten. Erfahrungen mit gesetzlichen Vorgaben für Partikelgrößen gibt es im Lebensmittelbereich noch kaum. Bei Zusatzstoffen gibt es etwa auf Grund von Unsicherheiten bei der Risikoabschätzung eine Beschränkung in der Kleinheit der Partikel von mikrokristalliner Zellulose, welche auf Grund des Mangels spezifischer Verdauungsenzyme beim Menschen bei kalorienreduzierten Lebensmitteln häufig eingesetzt wird (Anonymous 1999, Kotkoskie et al. 1996). Unsicherheiten für die Risikoabschätzung nanotechnologischer Anwendungen im Lebensmittelbereich entstehen gemäß dem UK-Report auch beDiesbezügliche europäische Regelungen: Commission Directive 2002/72/EC relating to plastic materials and articles intended to come into contact with foodstuffs, Regulation (EC) No 1935/2004 on materials and articles intended to come into contact with food and repealing Directives 80/590/EEC). 5
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sonders durch limitierte Erfahrungen und Kenntnisse über die chemische Migration von Bestandteilen in die Lebensmittelkette.
2.3. DER UMGANG MIT DEM NICHT-WISSEN Bereits das Beispiel der Mikrozellulose zeigt: Der Umgang mit den zwangsläufig unvollständigen wissenschaftlichen Kenntnissen bei der Risikoabschätzung und der gesellschaftliche Umgang mit Restrisiken werden im Zentrum der Diskussion bei der Weiterentwicklung und Anwendung der Nanotechnologie im Lebensmittelbereich stehen. Spätestens hier treffen Erfahrungen aus der Gentechnikdiskussion auf Entwicklungen der Diskussion im Bereich der Nanotechnologie. Bei der Gentechnik haben vornehmlich wissenschaftliche Unsicherheiten der Anwendung neuer molekularbiologischen Methoden, zumeist die Abschätzung sicherheitsrelevanter Konsequenzen bei der Insertion der Vektoren in die Erbinformation der Empfängerorganismen bei der Herstellung von lebensmittelrelevanten Organismen, zur öffentlichen Debatte geführt. Bei nanotechnologischen Anwendungen finden wissenschaftliche Unsicherheiten bei der Risikoabschätzung der Migration von Nanopartikel in die Lebensmittelkette und deren mögliche, unbekannte toxikologische Effekte auf menschliche Zellen öffentliches Interesse. Im Laufe der Gentechnikdebatte wurde argumentiert, dass die angesprochenen Wissenslücken und die damit verbundenen Sicherheitsbedenken nicht nur gentechnische, sondern auch viele andere – öffentlich kaum diskutierte – Methoden der modernen Züchtung betreffen. Im Zuge der Nanotechnologiediskussion ist zu erwarten, dass auch hier konventionelle Anwendungen, etwa von Lebensmittelzusatzstoffen, im Lichte neuer Aspekte der Risikoabschätzung einer öffentlichen Re-Evaluierung unterzogen werden. Eines der grundsätzlichen Probleme aus dieser Analyse ist also der Umgang mit den Konsequenzen von wissenschaftlichen Unsicherheiten der Risikoabschätzung. Diese Diskussion füllt mittlerweile Bibliotheken, ohne im Widerstreit zwischen Innovationfreudigkeit und Sicherheitsvorsorge sowie naturwissenschaftlicher Methodik bzw. Limitation und gesellschaftspolitischer Verantwortung zu resümieren (Jardine et al. 2003, Levidow 2003). So wurde der häufige Fluchtreflex von verantwortlichen Politikern in Richtung rein naturwissenschaftlicher Entscheidungsfindung (Torgersen 2000) erstmals durch eine FAO Ethikkommission durchbrochen: Von der Naturwissenschaft können keine endgültigen Sicherheiten erwartet werden. Der Wissenstand ist oftmals „tentative“6 und gesellschaftorientierte Aspekte müssten ebenfalls in die Entscheidung einfließen (FAO Expert Con6 Tentative (Englisch; adj.): provisorisch, vorläufig, vorsichtig vorantastend, probierend.
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NANOTECHNOLOGIE UND LEBENSMITTELPRODUKTION
sultation on Food Safety: Science and Ethics, Rome, Italy, 3–5 September 2002). Ein Element, das besonders in der Lebensmittelsicherheit in politischen Widerstreit geriet, ist das Vorsorgeprinzip, das von der Europäischen Kommission als Konsequenz des schwierigen Umgangs mit naturwissenschaftlicher Unsicherheit bei der Risikoabschätzung entwickelt und formuliert wurde. Von vielen als höchst plausibles Sicherheitselement anerkannt, von anderen als handelspolitisches Hemmnis verdammt, in mittlerweile wichtigen nationalen und internationalen Gesetzen verankert, in unzähligen wissenschaftlichen Publikationen divers interpretiert (Morris 2002), wurde dieses Prinzip unlängst durch die UNESCO nach Meinung einiger Arbeitsgruppenteilnehmer eher pragmatisch interpretiert. Als Grundlage legaler wie ethischer Entscheidungen sowie risikorelevanter Kosten-Nutzen-Überlegungen müssten Plausibilität und Probabilität abgewogen werden.7 Obwohl auch diese Überlegungen kritisiert wurden (Myskja und Myhr 2006), kann die entsprechende UNESCO-Übereinkunft doch als wichtiger Fortschritt gesehen werden, besonders da auch Wesen und Wichtigkeit der Resilienz8 von Systemen als ein Ziel definiert wird. Gerade die Resilienz ist nämlich für die Erhaltung der Artenvielfalt notwendig und somit ein zentrales Anliegen der „Convention on Biological Diversity“ (CBD)9. Die Diskussion des UNESCO-Papiers wird somit für Entwicklungen der Nanotechnologie in der Lebensmittelproduktion eine Grundlage bilden. Wie schon zuvor für die Gentechnologie sind auch im Bereich Nanotechnologie ein „proaktiver Ansatz“ (frühzeitiges initiatives Handeln) und eine integrierte Risikoabschätzung zu fordern. Besonders aufgrund der Einschränkungen einer rein naturwissenschaftlichen Risikobewertung dürfte dies nicht erst am Ende einer technologischen Entwicklung erfolgen. Schon gar nicht erst bei der gesetzlichen Zulassung, wenn bereits lange Entwicklungsarbeit geleistet und beträchtliche Ressourcen eingesetzt worden sind. Risikobewertung und Risikomanagement müssen ab Beginn einer technologischen Entwicklung bedacht und umgesetzt werden (Kapuscinski et al. 2003). Die Forderung nach einer integrierten Risikobewertung wurde im Lebensmittelbereich erstmals für Anwendungen von Modern Food Biotechnology formuliert. Ein entsprechender WHO-Report fordert die integrierende Berücksichtigung von Lebensmittelsicherheits- und Umweltaspekten sowie von sozioökonomischen und ethischen Aspekten (WHO 2006). Wissenhttp://portal.unesco.org/shs/en/ev.php-url_id=8050&url_do=do_topic&url_section=201.html. 8 Resilienz: Widerstands-, Anpassungsfähigkeit. Fähigkeit eines lebenden Systems Abweichungen (Fehler) auszugleichen. 9 „Convention on Biological Diversity“ (CBD) – Biodiversitätsabkommen: 1992 beim Umweltgipfel in Rio vereinbartes, völkerrechtlich verbindliches internationales Abkommen zum Schutz der Biodiversität. 7
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schaftliche Argumente belegen zudem, wie wenig zielführend isolierte Lebensmittelsicherheitsprüfungen sind (Haslberger 2006).
2.4. CODE OF ETHICS Technikfolgenabschätzung in der Lebensmittelproduktion entwickelt sich mit diesen Forderungen nach Berücksichtigung fachübergreifender Aspekte, der Involvierung vieler Stakeholder und der Bedachtnahme auf lokale Hintergründe zu einem komplexen Prozedere, in dem zur Zeit noch geeignete Strukturen und Ansätze fehlen. Die Berücksichtigung zentraler Aspekte und Interessen versucht das Konzept eines Code of Ethics, vor dem Hintergrund oftmals unterschiedlichen Informationsstandes und Einflussmöglichkeiten von unterschiedlichen Stakeholdern (Gesche et al. 2004, Gesche und Haslberger 2006). In diesem Code werden auf Grundlage der Erfahrungen mit allgemein und international akzeptierten ethischen Elementen bei klinischen Prüfungen (Beauchamp und Childress 2001) ein ähnlicher Ansatz für die Bewertung von neuen Technologien im Lebensmittelbereich vorgeschlagen. Dazu gehören insbesondere die Prinzipien der Wohltätigkeit (Benefience) und der Schadensvermeidung (Non-Maleficience), das Prinzip von Gerechtigkeit und Fairness und das Prinzip der Sicherung von Wahlmöglichkeit und Selbstbestimmung. Ein Ethik-Kodex (Code of Ethics) setzt sich aus zwei Teilen zusammen, den allgemeinen ethischen Prinzipien und dem auf sie aufbauenden Verhaltenskodex, einem System praktischer, detailierter Mindestrichtlinien, die die Standards ethisch-verantwortlichen Handelns aufführen. Ein Ethik-Kodex ist das Grundgerüst, das alle kommunikativen und praktisch-theoretischen Handlungen von Anfang an ideell begleitet und moralisch untermauert. Von Befürwortern des Kodex wird erwartet, dass sie die Prinzipien und Richtlinien in all ihren Handlungen einhalten. Diese Prinzipien sind dazu geeignet, bei vorgegebenen potenziellen Problemen in einem ausgewogenen Prozess der Interpretation, Konkretisierung und wohlbegründeten Abwägung eine praktische, ethisch-moralische Fundierung anzubieten. Für den Bereich der sich entwickelnden Hochtechnologien ist eine solche Vorgehensweise aus mehreren Gründen besonders zu empfehlen. Zunächst einmal, ähnlich wie zuvor bei der Biotechnologie, entwickelt sich auch die Nanotechnologie in einem internationalen, eng verknüpften Forschungsumfeld, das von einem kapitalstarken, geballten Kommerzialisierungsfokus gesteuert wird. Ein solcher Fokus könnte sich je nach örtlicher Begebenheit durch erhebliche Macht- und Wirtschaftsdifferenziale auszeichnen, was leicht zu ungleichen Verhandlungsvoraussetzungen und suboptimalen, unausgewogenen Ergebnissen führen könnte. Ein Code of Ethics steuert einer solchen Entwicklung entgegen, vorausgesetzt, alle Verhandlungspartner sind von Anfang an dazu bereit, sich von seinen Prämissen 142
NANOTECHNOLOGIE UND LEBENSMITTELPRODUKTION
leiten zu lassen. Eine Ausrichtung an den ethischen Prinzipien hat noch weitere Vorteile. So verbessert sie zum Beispiel die Transparenz, weil ein gegebener Fall oder ein besonderes Problem mit Hilfe der vier Prinzipien offener und umfassender dargestellt wird. Ein solches Vorgehen kann durch eine ethische Matrix (Mepham 2000) erleichtert und systematisiert werden. Eine ethische Matrix ist ein „Arbeitswerkzeug“, das spezifische, komplexe Fragestellungen systematisiert, Meinungen auf deren moralische Vertretbarkeit überprüft und zu ausgewogeneren und umsichtigeren Entscheidungen beiträgt. In ihrer Konstruktion ist die Matrix eine zweidimensionale Anordnung von Werten in Tabellenform, die die oben vorgeschlagenen ethischen Prinzipien der Wohltätigkeit, der Schadensvermeidung, der Gerechtigkeit und Fairness sowie der Sicherung von Wahlmöglichkeit und Selbstbestimmung systematisch zu möglichen Auswirkungen pro Stakeholdergruppe in Beziehung setzt. Die ethische Matrix ermöglicht so, die für Stakeholdergruppen wichtigsten ethischen Implikationen pro Prinzip herauszuarbeiten und für alle Teilnehmer schematisch zusammenfassend sichtbar werden zu lassen. Dieses Vorgehen erlaubt einerseits eine demokratische, gleichwertige und transparente Gegenüberstellung und Erörterung der ethisch relevanten Probleme, andererseits ermöglicht es, dass die in der Diskussion vorkommenden Argumente normativ überprüft und gegeneinander abgewogen werden können, sollte dies die Zielsetzung sein. Die Kombination von Code of Ethics und ethischer Matrix, beide auf den gleichen ethischen Prinzipien aufgebaut, fördert eine harmonisierende, demokratische Entwicklung der Technologie and trägt zu gegenseitigem Vertrauen bei, indem Stärken, Schwächen und etwaige Alternativen gleichzeitig und systematisch aufgezeigt und diskutiert werden können. Es ist anzunehmen, das eine einheitliche gemeinsame, ethisch-moralische Plattform und eine integrierte Risikountersuchung abgerundeter, umsichtiger und ausgewogener ausfallen wird und bewusst macht, das die Verantwortung für eine gesunde Lebensmittelproduktion und deren nachhaltige Zukunft gemeinsam getragen werden kann und sollte.
3. SCHLUSSFOLGERUNGEN Viele Anwendungen der Nanotechnologie lassen Nutzen für eine gesunde Ernährung, eine Verbesserung der Produktionsbedingungen hinsichtlich Naturschutz und Gesundheit, aber auch wirtschaftliche Chancen erkennen. Der Nutzen für die Gesundheit der Konsumenten und Konsumentinnen hinsichtlich Ernährungsvorteile und Produktionsverbesserungen muss jedoch von Fall zu Fall geprüft werden. Für eine anzustrebende integrierte Risikoabschätzung und international harmonisierte Regelungen bedarf es einer Präzisierung der Definition und der Anwendungsbereiche der Nanotechnologien. Regelungen im LebensmitA. G. HASLBERGER ET AL.
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telbereich müssen spezifische Elemente enthalten, aber auch den bestehenden für z.B. Zusatzstoffe, Verpackung etc. entsprechen. Im Bereich der naturwissenschaftlichen Kenntnisse, welche für die Risikoabschätzung unabdingbar sind, müssen derzeitige Lücken, besonders was den Übertritt in die Lebensmittelkette und toxikologische Wirkmechanismen anbelangt, geschlossen werden. Inwieweit beim Umgang mit derartigen Ungewissheiten hinsichtlich Technologieentwicklung aus den Erfahrungen der Gentechnik-Lebensmitteldiskussion gelernt wurde, bleibt abzuwarten. In jedem Fall ist eine integrierte Sicherheitsbewertung unabdingbar. Bei der Entwicklung von Anwendungen im Lebensmittelbereich sollte die Frage des Nutzens für die Verbraucher und den Naturschutz unter Bedachtnahme alternativer Möglichkeiten im Vordergrund stehen.
4. LITERATUR UND QUELLENHINWEISE Anonymous (1999) Evaluation of certain food additives and contaminants. Forty-ninth report of the Joint FAO/WHO Expert Committee on Food Additives. World Health Organ Tech Rep Ser 884: i–viii, 1–96 Anonymous (2004) Altair nanotechnologies’ algae prevention treatment confirmed effective in testing. Altair Press Release, March 11 Bailey P (2004) Interview with Michael Natan, CEO of Nanoplex Technologies, by Pamela Bailey. http://news.nanoapex.com/modules.php?name=content&pa=showpage &pid=14, Zugriffsdatum 28.7.2006 Beauchamp TL, Childress JF (2001) Principles of biomedical ethics, 5th edn. Oxford University Press, Oxford, S 454 Brody A (2005) ESL packaging: the secret to long life. www.brandpackaging.com/content. php?s=BP/2005/04&p=13, Zugriffsdatum 24.7.2006 Catledge SA, Fries MD, Vohra YK, Lacefield WR, Lemons JE, Woodard S, Venugopalan R (2002) Nanostructured ceramics for biomedical implants. J Nanosci Nanotechnol 2 (3–4): 293–312 Clark SG, Haubert K, Beebe DJ, Ferguson CE, Wheeler MB (2005) Reduction of polyspermic penetration using biomimetic microfluidic technology during in vitro fertilization. Lab Chip 5 (11): 1229–1232 Clear Springs Foods (2002) Development of an Ultrasoundmediated Delivery System for the Mass Immunization of Fish. USDA Grant 2002-00349, Idaho, US Dalke K (2003) Inside information: nanofibers deliver DNA to cells. Genome News Network. www.genomenewsnetwork.org/articles/06_03/nano.shtml, Zugriffsdatum 28.7.2006 Donaldson K, Stone V (2003) Current hypotheses on the mechanisms of toxicity of ultrafine particles. Ann Ist Super Sanita 39: 405–410 Donaldson K, Tran C-L (2002) Inflammation caused by particles and fibers. Inhal Toxicol 14: 5–27 El Amin A (2005) FoodProductionDaily.com. www.primidi.com/2005/06/20.html, Zugriffsdatum 20.7.2006 ETC Group (2004) Down on the farm. www.etcgroup.org/documents/ETC_DOTFarm 2004.pdf, Zugriffsdatum 23.7.2006 144
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A. G. HASLBERGER ET AL.
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NANOTECHNOLOGIE
IN DER
W. BAUMGARTNER
MEDIZIN
UND
B. JÄCKLI
Die Nanotechnologie gilt als die Zukunftstechnologie schlechthin, indem sie auf die konstruktive Beherrschung von Größenordnungen zielt, die den kleinsten funktionellen biologischen Strukturen entsprechen. Auch wenn sie noch ganz am Anfang steht, ist schon heute absehbar, dass sie vor allem in der Medizin eine große Zukunft haben wird. Damit stellt sich automatisch die Frage nach den möglichen Auswirkungen einer solchen Entwicklung, welche die Grenze zwischen lebender und toter Materie zusehends in Frage stellt, nach der ethisch-moralischen Dimension, aber auch nach den Möglichkeiten, diese Entwicklung vielleicht so zu „steuern“, dass allfällige negative Auswirkungen bestmöglich abgefangen werden könnten. Das ist das Thema einer vor rund drei Jahren abgeschlossenen Studie, die im Auftrag des schweizerischen Zentrums für Technologiefolgen-Abschätzung durchgeführt wurde. Basierend auf einer Technologie-Prognose wurden die möglichen Auswirkungen der Nanotechnologie in der Medizin untersucht. In diesem Artikel werden die Methodik und einige Resultate dieser Studie vorgestellt – ergänzt durch einen aktualisierten Ausblick. Schlüsselworte: Nanotechnologie, Technologie-Prognose, Technologiefolgen-Abschätzung, Nanomedizin, Therapeutika, Diagnostika, Medikamentengabe
Nanotechnology in medicine Nanotechnology is considered to be the technology of the future in that it aims to constructively control structures of a magnitude corresponding to the smallest functional biological structures. Although this tech149
nology is only at the very beginning, it is already clear that a great future can be expected of nanotechnology, especially in medicine. This automatically raises questions concerning a) the possible effects of a development that increasingly challenges the boundary between living and dead matter, b) issues in the ethical-moral dimension, and c) the possibilities of „steering“ this development in a way that best counters any negative effects. Precisely this subject was examined in a study commissioned three years ago by the Swiss Center for Technology Assessment. Based on a technology forecast, it investigated the possible effects of nanotechnology in the field of medicine. The methods and some results of the study are presented in this article – together with an updated outlook. Keywords: Nanotechnology, technology forecast, technology assessment, nanomedicine, therapeutics, diagnostics, drug delivery
1. EINLEITUNG Schon seit einigen Jahren wird die Nanotechnologie als die Zukunftstechnologie überhaupt bezeichnet. Anfänglich eher als Science Fiction abgetan, hat sie sich in den letzten Jahren zu einem boomenden Unternehmen entwickelt. Eine unabsehbare Zahl von Forschungsgruppen ist weltweit mit nanotechnologischen Fragestellungen beschäftigt, und es gibt bereits entsprechende Hochschulabschlüsse und zahlreiche Produkte, die als „nanotechnologisch“ gelten oder dies zu sein beanspruchen. Unter „Nanotechnologie“ wird gemeinhin eine Vielzahl von (möglichen) Technologien und (möglichen) Produkten verstanden, deren gemeinsames Charakteristikum in der außerordentlichen Kleinheit der maßgeblichen Größenverhältnisse besteht. Nanotechnologie zielt auf die konstruktive Beherrschung von Größenordnungen, die den kleinsten funktionellen biologischen Strukturen entsprechen, d.h. nur noch Dimensionen von einigen Nanometern aufweisen. Damit stößt die Nanotechnologie bis an die Grenzen des deterministisch Konstruierbaren vor. Dass damit technisch ungeahnte Möglichkeiten erschlossen werden, ist offensichtlich und dass die möglichen Auswirkungen auf fast alle Bereiche unseres Lebens enorm werden dürften, genau so. Die Nanotechnologie steht aber – gemessen an ihrem Anspruch – noch am Anfang. Dennoch ist absehbar, dass die Nanotechnologie vor allem auch in der Medizin eine große und nicht allzu ferne Zukunft haben wird, etwa in der Sensorik oder in der Schaffung von bioverträglicheren Oberflächen für Prothesen und Organe. Längerfristig dürften völlig neuartige Diagnoseund Therapiekonzepte entstehen, die denjenigen der „klassischen“ Medizin in vielen Fällen weit überlegen sein werden. Vor allem in der Krebsdiagnose und -therapie werden erhebliche Fortschritte erwartet (vgl. z.B. Panchapakesan 2005). Damit stellt sich die Frage nach den möglichen Auswirkungen 150
NANOTECHNOLOGIE IN DER MEDIZIN
einer solchen Entwicklung, welche die Grenzen zwischen lebender und toter Materie zusehends in Frage stellt, nach der ethisch-moralischen Dimension, aber auch nach den Möglichkeiten, diese Entwicklung vielleicht so zu „steuern“, dass allfällige negative Auswirkungen bestmöglich abgefangen werden könnten. Das war das Thema einer vor bald drei Jahren abgeschlossenen Technologiefolgen-Abschätzung, an der die beiden Autoren dieses Artikels maßgeblichen Anteil hatten (Baumgartner 2003). Die Studie, die im Auftrag des schweizerischen Zentrums für Technologiefolgen-Abschätzung durchgeführt wurde, sollte die mutmaßlichen Auswirkungen der Nanotechnologie in der Medizin untersuchen – mit einem Zeithorizont von rund 20 Jahren. Selbstverständlich war dies nicht die erste Technikfolgen-Abschätzung für die Nanotechnologie in Bezug auf die Medizin und schon gar nicht in Bezug auf die Nanotechnologie im Allgemeinen (vgl. z.B. NSET 2001). Speziell war der methodische Ansatz, aber auch der Versuch, eine Art Gesamtschau anzustreben, die von der „nanotechnologischen Tagesaktualität“ nicht gleich überholt sein würde.1 Im Wesentlichen ging es darum, die drei folgenden Fragen zu beantworten, bzw. erste Hinweise auf mögliche Antworten zu geben. § § §
Welche nanotechnologischen Anwendungen wird es in der Medizin bis 2020 geben? In welchem Umfang werden diese Möglichkeiten genutzt? Welche Auswirkungen werden diese Anwendungen auf die Medizin, auf das Individuum und auf die Gesellschaft haben?
Methodisch ist man bei der Untersuchung der Nanotechnologie im Sinne einer Technologiefolgen-Abschätzung mit drei besonderen Schwierigkeiten konfrontiert: §
Die Nanotechnologie betrifft die Spitzenforschung in sehr vielen, völlig verschiedenen Wissenschaftsbereichen, die sich bislang in großen Teilen weitgehend unabhängig entwickelt haben. Im Wesentlichen sind dies: Quantenphysik, Materialwissenschaften, Elektronik, Informatik, Chemie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie und natürlich die klinische Medizin selbst. Die Fachsprachen dieser Disziplinen unterscheiden sich erheblich, genauso wie die jeweiligen Arbeits- und Denkweisen. Damit ist schon die Kommunikation zwischen diesen Bereichen nicht einfach; erst recht schwierig wird die Kommunikation mit einem breiteren Publikum, wenn es darum geht, über Nanotechnologie zu informieren.
Soweit uns bekannt ist, stellt die hier dargestellte Untersuchung, mindestens im deutschsprachigen Raum, bislang immer noch die einzige Technologiefolgen-Abschätzung dar, die das Thema in dieser synthetischen Art aufgearbeitet hat. 1
W. BAUMGARTNER UND B. JÄCKLI
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§
§
Damit zusammenhängend: Bei der Nanotechnologie handelt es sich eher um eine Art „Konvergenzprogramm“ von zahlreichen Einzelwissenschaften als um eine einzelne, relativ wohl definierte „Technologie“, die gegenüber anderen (alternativen) Technologien gut abgegrenzt und im Rahmen einer Technologiefolgen-Abschätzung untersucht werden könnte – wie etwa die Atomenergie gegenüber anderen Energieformen. Und selbst wenn dieses Abgrenzungsproblem nicht bestehen würde: Nanotechnologie meint primär eine künftige, heute erst in Ansätzen inhaltlich absehbare Technologie.
Deshalb musste zunächst die Frage geklärt werden, worum es bei der Nanotechnologie in technischer Hinsicht in den nächsten 20 Jahren überhaupt gehen könnte. Dies war die Aufgabe der Technologie-Prognose (technology forecast). Dazu gehörte auch die Beantwortung der Frage, welche dieser Technologien in welchem Ausmaß dann auch in der Medizin Anwendungen finden könnten. Erst darauf basierend konnte dann die Auswirkungsanalyse, die eigentliche Technologiefolgen-Abschätzung (technology assessment), an die Hand genommen werden. Mit der so genannten „Delphi-Methode“ wurde ein Untersuchungsansatz gewählt, der von Anfang an Synthese-Charakter aufweisen sollte. Die Grundidee eines Delphis besteht darin, einschlägige Fachleute zu einem Thema nicht nur einmal zu befragen, sondern die Antworten aus einer ersten Befragungsrunde den gleichen oder anderen Fachleuten zur Stellungnahme bzw. zur weiteren Analyse vorzulegen. Ein solches Verfahren wird in der Regel dreistufig durchgeführt und liefert gut abgestützte Konsensmeinungen oder klar definierte „Meinungsblöcke“. In den ersten zwei Runden ging es um die „Technologie-Prognose“, in der dritten um die „Technologiefolgen-Abschätzung“. Gesamthaft wurden über 70 Experten und Expertinnen befragt (eine Liste der Befragten und weitere Informationen zur Methodik finden sich in der Originalpublikation, a.a.O. S. 95ff). Die Qualität eines solchen Untersuchungsansatzes steht und fällt natürlich mit der Auswahl dieser Experten. Da bei einem Delphi die üblichen Repräsentativitätskriterien versagen, kann die Qualität der Ergebnisse eigentlich nur an den Ergebnissen selbst gemessen werden. Unseres Erachtens sind diese plausibel und als Ganzes ergibt sich ein konsistentes Bild. Diese Einschätzung kann auch drei Jahre nach Abschluss der Untersuchung bestehen bleiben. Im Folgenden werden einige Resultate der Technologie-Prognose dargestellt. Was die Auswirkungen auf den Einzelnen und die Gesellschaft als Ganzes betrifft sowie die darauf basierenden Überlegungen sei auf die Originalpublikation verwiesen (a.a.O., S. 58ff).
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NANOTECHNOLOGIE IN DER MEDIZIN
2. MÖGLICHE ANWENDUNGEN IN DER MEDIZIN 2.1. WERKZEUGKASTEN Im vorigen Abschnitt ist darauf hingewiesen worden, dass Nanotechnologie nicht einfach eine wohl definierte „Technologie“ meint, sondern eher so etwas wie ein „Konvergenz-Programm“, welches die unterschiedlichsten Techniken und Vorgehensweisen einbezieht. Natürlich gibt es bereits eine ganze Reihe von Anwendungen von nanotechnologischen Verfahren oder Produkten, die schon (oder bald) kommerziell genutzt werden. Daraus lässt sich leider kein konsistentes (mögliches) Bild für die Zukunft ableiten, denn diese Beispiele sind alles in allem doch sehr punktuell. Genau so punktuell und verschiedenartig sind denn auch die heutigen Forschungsanstrengungen und die möglichen Anwendungen. Eine gewisse prognostische Ordnung wurde in der Untersuchung dadurch erreicht, dass in der ersten Delphirunde zunächst eine Art nanotechnologischer „Werkzeugkasten“2 für die Medizin zusammengestellt wurde. Die Idee dabei war nicht, im Einzelfall „richtig“ zu liegen, sondern den Grundzug der Gesamtentwicklung einigermaßen zutreffend einzufangen. Der „Werkzeugcharakter“ der Nanotechnologie sollte in unserem Verständnis dadurch zum Ausdruck kommen, dass sie für bestimmte Zwecke „angewendet“ werden kann, so in der Medizin für diagnostische oder therapeutische Zwecke. Es wurden fünf Typen von Werkzeugen unterschieden, welche die Gesamtheit der nanotechnologischen Möglichkeiten abdecken sollten: §
§ § § §
Partikel (eher einfach strukturierte „Teilchen“, die über das Konzept eines Moleküls hinausgehen, aber von den Lineardimensionen her zur „Nanowelt“ gehören) Strukturen (eher komplex strukturierte Teilchen oder Systeme von verbundenen Teilchen) Oberflächen (ausgedehnte flächige Strukturen) Devices (hochkomplexe Strukturen mit mechanisch, chemisch oder elektrisch aktiven funktionellen Einheiten) Methoden (Untersuchungs- und Verarbeitungsmethoden in der Nanotechnologie)
Natürlich sind die Übergänge zwischen den verschiedenen Typen fließend und die Zuordnung ist nicht immer eindeutig. Dennoch hat sie sich nach unserer Einschätzung recht gut bewährt. Tabelle 1 zeigt, wie nach Ansicht der befragen Fachleute der Werkzeugkasten etwa bestückt sein könnte (a.a.O. S. 23ff). Dabei hat man sich von 2 Der Begriff „Werkzeug“ darf nicht allzu wörtlich verstanden werden, indem „Nanotechnologie“ ja eine Vielzahl von Produkten, Methoden und Verfahrensweisen bedeutet.
W. BAUMGARTNER UND B. JÄCKLI
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Tabelle 1. Nanotechnologischer Werkzeugkasten mit möglichen Anwendungen in der Medizin (Auswahl; Erläuterung a.a.O. S. 25ff) Typ
Kurzcharakterisierung
Zeithorizont
Partikel
Optische Quantenpunkte als Marker an Antikörper für Diagnose anheften Einsatz von Quantenpunkten für die Gensequenzierung und -identifikation Magnetische Nanopartikel als Marker an Antikörper anheften Magnetische Nanopartikel in der Krebstherapie
2005 bis 2008
Gezielte Medikamentenabgabe (drug targeting) mit magnetischen Nanopartikeln Separation von Zellen mit magnetischen Nanopartikeln Kopplung von Nanoshells (kugelförmige Gebilde mit einem Kern aus Siliziumdioxid und einer metallenen Oberfläche, oft Gold) an Antikörper, die sich spezifisch an Tumorzellen anlagern Kopplung von Nanoshells an wärmeempfindliche Polymere mit Wirkstoffen Strukturen
Oberflächen
Nanostrukturierte Matrix zur Unterstützung des Knochenwachstums Chemische Sonden mit Nanoröhren Hyperempfindliche Sensoren mit Nanoröhren Mechanische Anwendungen von Nanoröhren in der Medizin Nanostrukturierte Materialien für die Dialyse Nanostrukturierte Materialien für künstliche Lungen und andere Anwendungen Nanobasierte biokompatible Materialien
Nanosizing (Verkleinern von Partikeln bis zur Größe mit den gewünschten reaktiven Eigenschaften) Devices
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Nanosensoren für die Diagnose Prothesen für Auge und Ohr Neuronale Prothesen Minimalinvasive Chirurgie Mechanisch kontrollierte lokalisierte Medikamentenabgabe Künstliche Organe bzw. Organteile
Bis 2010 2008 bis 2013 Klinisch einsetzbare Therapien 2008 bis 2013 Ab 2013 klinisch verfügbar Im Labormaßstab ab 2005 2010 bis 2015
Nach 2010 Ab heute bis 2020 Bis 2010 Bis 2010 Ab 2020 Bis 2015 In vivo ab 2020 Je nach Anwendung 2003 bis 2020 2005 bis 2010
2005 bis 2010 Nach 2010 Nach 2020 Nach 2010 Ab 2005 Nach 2020
NANOTECHNOLOGIE IN DER MEDIZIN Tabelle 1 (Fortsetzung) Devices
Nanorobotische Systeme
Weit nach 2020 oder gar nicht*
Methoden
Rastersondenmikroskop mit optischen Pinzetten Rastersondenmikroskop für die GenSequenzierung und Gen-Identifikation Rastersonden-Mikroskop zum Nachweis biochemischer Funktionen Einzel-Molekül-Chemie
Ab 2005 2005 bis 2010 Ab 2005 Ab 2005
* Die Meinungen der befragten Experten und Expertinnen streuten sehr stark. Das Spektrum reichte von „in einigen Jahren“ bis „gar nicht“. Diese Streuung hat wohl nicht nur mit einer unterschiedlichen Einschätzung darüber zu tun, wie schwierig es ist, einen Nanoroboter herzustellen, sondern auch, was darunter zu verstehen ist.
Beginn an auf die Anwendungen in der Medizin beschränkt. Chancen und Möglichkeiten wurden thematisiert, auch mögliche (medizin-)technische Probleme angesprochen. Spezielles Gewicht wurde auf eine zeitliche Verortung gelegt: Bis wann könnte man damit rechnen, dass die jeweiligen Anwendungen wissenschaftlich bewiesen und praktisch verfügbar sind? Der Werkzeugkasten zeigt, dass eine Vielzahl von Ansätzen und Methoden für die unterschiedlichsten Anwendungen z.T. mit paralleler Zielsetzung verfolgt werden. Auch wenn vieles nicht realisiert oder sehr viel später als vorausgesehen realisiert würde, wird klar, dass die Nanotechnologie in der Medizin in vielfältigster Weise Einzug halten wird. Die einzelnen Anwendungen sind für sich allein genommen – von Ausnahmen abgesehen – zwar nicht sonderlich spektakulär, als ganzes „Paket“ wird die Nanotechnologie aber einen erheblichen Einfluss auf die Medizin haben. Vergleicht man die in Tabelle 1 angedeutete zeitliche Verortung einzelner Werkzeuge mit den Fortschritten der letzten Jahre, so scheint die tatsächliche Entwicklungs-Dynamik eher größer zu sein (für einen längerfristigen Ausblick vgl. auch Roco [2006]). Beispielsweise sind bei der zielgenauen nanobasierten Medikamentengabe schon erhebliche Fortschritte erzielt worden (Lecommandoux 2006 oder Sawant 2006). Auch werden seit einiger Zeit Liposome und Fulleren-basierte Derivate in der Krebsmedizin verwendet (Allen 2002, Park 2002, Panchapakesan 2005). Die klinische Prüfung der Krebsbekämpfung mit nanometergroßen Eisenoxid-Partikeln ist bereits im Gange (www.magforce.de). Der Einsatz von Dendrimeren zum Schutz vor HIV-Infektionen („VivaGel“, www.starpharma.com) soll noch in diesem Jahrzehnt die Zulassung erhalten. Gemäß Mauro Ferrari (2005) werden zur Zeit allein für die Bekämpfung von Krebs Tausende von Nanovektoren W. BAUMGARTNER UND B. JÄCKLI
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(nanobasierte Gebilde als Träger von Wirksubstanzen) geprüft und stehen in der Pipeline für klinische Tests. Und schon gibt es ausführliche Listen von neuen Produkten (z.B. jene der ETC-Group, zusammengestellt anlässlich des „Dialogue on nanotechnology“ 2004 in Washington DC, Moghimi 2005).
2.2. ANWENDUNGSPOTENZIALE IN SIEBEN KRANKHEITSGRUPPEN Für welche Krankheiten könnten, vom Krebs abgesehen, nanobasierte Therapien überhaupt geeignet sein? Und in welchem Ausmaß? Ausgehend von den Resultaten der ersten Delphi-Runde wurden sieben Krankheitsgruppen identifiziert, für die die Nanotechnologie bis ins Jahr 2020 therapeutisch grundsätzlich eine gewisse Bedeutung erlangen könnte. Es sind gleichzeitig jene Krankheitsgruppen, die in den Industrieländern mit Abstand die häufigsten Todesursachen darstellen: § § § § § § §
Krebs Kardiovaskuläre Krankheiten Bakterielle Infektionen Virale Infektionen Alzheimersche Krankheit Autoimmunkrankheiten Stoffwechselkrankheiten
In einem ersten Schritt wurden die Experten gefragt, wie groß wohl die therapeutischen Potenziale von nanobasierten Therapien bis 2020 sein könnten, wenn man sie mit heute praktizierten Therapien vergleicht. Die vorgegebene Skala reichte mit vier Zwischenwerten von „vernachlässigbar“ bis „sehr groß“. In einem zweiten Schritt wurde nach der Wahrscheinlichkeit gefragt, dass diese Potenziale realisiert werden könnten (in der gleichen Skala). Abbildung 1 zeigt das Resultat. Eingetragen sind die jeweiligen Medianpositionen. Grob gesprochen lassen sich drei Gruppen unterscheiden. Am vielversprechendsten sind nanotechnologische Verfahren in der Krebstherapie, sowohl bezüglich des erwarteten Potenzials wie auch bezüglich der Realisierungswahrscheinlichkeit. Beides wird von den Fachleuten im Sinne des Medians als „groß“ angesehen. Im mittleren Bereich (sowohl bezüglich der Potenziale wie auch bezüglich der Realisierungswahrscheinlichkeiten) liegen die Infektionskrankheiten, die kardiovaskulären Krankheiten, die Autoimmunkrankheiten wie auch die Stoffwechselkrankheiten. Am wenigsten dürfte die Nanotechnologie nach Einschätzung der Experten für die Alzheimer’sche Krankheit bringen, sowohl bezüglich des Potenzials wie auch bezüglich der Realisierungswahrscheinlichkeiten. Diese Einschätzung erklärt sich daraus, dass über die Ätiologie dieser Krankheit noch sehr wenig bekannt ist. 156
NANOTECHNOLOGIE IN DER MEDIZIN
Abb. 1. Therapiepotenzial und Realisierungswahrscheinlichkeiten der Nanotechnologie in sieben Krankheitsfeldern bis 2020 (Medianwerte, N = 31)
2.3. RISIKEN Obwohl die Nanotechnologie erst in ihren Anfängen steckt, hat sich bereits eine intensive Risiko-Diskussion entfacht, sei es in populärwissenschaftlicher Form, wie z.B. bei Kleiner und Hogan (2003), sei es als breit abgestützte Untersuchung, wie z.B. jene der Europäischen Kommission (SCENIHR 2005, modifiziert 2006). Darüber hinaus haben sich kritische Gruppen gebildet, wie etwa die ETC-Group in Kanada (www.etcgroup.org). Und bereits seit August 2005 existiert eine Datenbank über Gesundheitsrisiken (International Council on Nanotechnology, www.icon.rice.edu/research.cfm). Die Debatte dreht sich vor allem um die Gefahren der Nanotoxizität und der Nanopollution. Bei der Nanotoxizität geht es u. a. darum, dass allein schon die Kleinheit der Nanopartikel zu toxischen Reaktionen führen kann. Denn durch die im Verhältnis zur Masse sehr große Oberfläche sind Nanopartikel sehr reaktionsfreudig, was die Bildung von hochreaktiven Radikalen begünstigen kann (vgl. z.B. Moghimi 2005). Von diesen ist bekannt, dass sie das Körpergewebe schädigen und u.a. auch an der Entstehung von Tumoren beteiligt sein können. Ein neues in vitro Screening-Verfahren, das die Effekte solcher Radikale anhand menschlichen Lungen- und Darmzellen erfassen W. BAUMGARTNER UND B. JÄCKLI
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kann, wurde erst kürzlich von B. J. Panessa-Warren (2006) präsentiert. So genannte „rohe“, nicht modifizierte Nanoröhren waren toxisch für die Testzellen. Deren Membrane werden durch freie Radikale und Lipidperoxidation geschädigt. Nanopartikel verfügen zudem (mindestens zum Teil) über eine hohe Mobilität und könnten über die Haut, die Lunge oder den Magen-Darm-Trakt in den Körper eindringen und sich über die Blutbahn oder das Lymphsystem ausbreiten. Je länger sie sich in der Blutbahn aufhalten, desto größer könnte die Wahrscheinlichkeit sein, dass sie in andere Organe eindringen können, etwa in Herz, Nieren, Muskelgewebe oder Gehirn (über den Riechnerv). Letzteres verlangt deshalb besondere Aufmerksamkeit, weil die Blut-HirnSchranke als sehr undurchlässig gilt. Mit der Nanopollution ist die mögliche Verschmutzung der Umwelt durch gegebenenfalls toxische oder sonst wie schädlich wirkende Nanopartikel gemeint. Insbesondere wird dabei an mögliche Inkorporationswege über die Nahrungskette oder über die Atemluft gedacht. Kritiker der Nanotechnologien betonen, dass über potenzielle Schädlichkeit der Nanopartikel je nach Partikelart im Einzelnen (noch) nichts oder nur wenig bekannt sei. Entsprechend vorsichtig müsse man im Umgang mit diesen Partikeln sein, vor allem dann, wenn deren Produktion und Anwendung aus dem gesicherten Laborumfeld in einen industriellen Maßstab übergeführt würde. Die ETC-Group forderte bereits vor zwei Jahren ein Moratorium für die Produktion von Nanoteilchen (www.etcgroup.org) und hat diese Forderung erst vor wenigen Monaten bekräftigt. Die Befragung der Experten und Expertinnen beschränkte sich im Wesentlichen aber auf jene Risiken, wie sie aus der Nanotechnologie in der medizinischen Anwendung selbst entstehen könnten. Tatsächlich gehen die Fachleute im Durchschnitt von einem gewissen toxikologischen Risiko bei medizinischen Anwendungen der Nanotechnologie aus (a.a.O. S. 42ff). Dabei geht es z.B. um folgende Effekte: Wenn Nanopartikel nicht stabil sind, könnten unerwartete Sekundäreffekte auftreten. Umgekehrt könnten dauerhafte Partikel zu Problemen führen, wenn sie nicht ausgeschieden werden können, denn deren Abbauprodukte könnten wiederum unvorhergesehene Wirkungen haben (Moghimi 2005). Größere Partikel oder deren Aggregate im Mikrometerbereich könnten Thrombosen in den Kapillaren auslösen. Auch neuartige Reaktionen und Synergismen sind in lebenden Systemen denkbar. Ein Team um Arnaud Magrez (EPFL Schweiz) postuliert, dass die hochreaktiven „dangling bonds“ freier C-Atome verantwortlich für die Schädlichkeit von Kohlenstoff basierten Nanomaterialien sein können. Die Konsequenzen der Interaktionen von Immunsystem, Zellkern (DNS Schäden) oder Mitochondrien (s. z.B. Oberdörster in SCENIHR 2005) und Nanopartikeln sind offen. Unvorhergesehene katalytische Prozesse könnten durch Nanopartikel ausgelöst werden. So wird beispielsweise Gold normalerweise als chemisch inaktiv betrachtet, aber bei Partikeln mit Durchmes158
NANOTECHNOLOGIE IN DER MEDIZIN
sern kleiner als 10 Nanometer wird Gold katalytisch sehr aktiv, besonders in Kombination mit Metalloxiden oder aktiviertem Kohlenstoff (Haruta 2003). Die Einschätzung der Fachleute bezüglich der möglichen Risiken zeigt auf, dass diese nicht einfach unter den Tisch gekehrt werden dürfen – erst recht nicht vor dem Hintergrund der hier nur angedeuteten neuesten Forschungsergebnisse. Insofern diese Risiken toxischen Charakter haben, müssen die entsprechenden Nanopartikel wie gewöhnliche Medikamente behandelt werden, d.h. die möglichen Nebenwirkungen müssten genauestens untersucht werden, bevor an einen klinischen Einsatz gedacht werden kann. Die Berichte der Europäischen Kommission (SCENIHR 2005, 2006) sowie derjenige von Moghimi (2005) fassen die Risiken und den Forschungsbedarf zusammen. Kommerzielle Unternehmen wie Nanotox.org bieten bereits professionelle Toxizitätsprüfungen sowie gesetzliche Abklärungen von neuen Nanomaterialien an. Der dringende Bedarf an toxikologischer Begleitforschung wurde z.B. im „Launch of the European Technology Platform on NanoMedicine: Presentation of the Vision Paper at the EuroNanoForum2005 Conference“ (6. September 2005) formuliert.
3. MÖGLICHE AUSWIRKUNGEN IN DER MEDIZIN Im Folgenden werden die möglichen Auswirkungen getrennt nach den Praxisfeldern „Forschung“, „Diagnose“ und „Therapie“ skizziert.
3.1. MEDIZINISCHE FORSCHUNG Die Bedeutung der Nanotechnologie für die medizinische Forschung wird bis 2020 als groß bis sehr groß eingeschätzt. Nach Meinung der befragten Experten ist hier also mit spektakulären Durchbrüchen dank nanotechnologischer Methoden zu rechnen. Wesentliche Fortschritte in der medizinischen Forschung sind in folgenden Bereichen zu erwarten: (a.a.O. S. 48): §
§ § § § §
Untersuchung lebender (Zell-)Strukturen, was viel „authentischere“ Einsichten in die molekularen Prozesse ermöglicht als die heutigen Ansätze in vitro; damit wird das molekulare Verständnis von Gesundheit und Krankheit des Menschen massiv zunehmen Beiträge zur Entdeckung neuer Wirkstoffe/Medikamente Gezieltere und effizientere Gen- und Krebstherapien Beschleunigung der Forschung in der Proteomik Neue Möglichkeiten im Bereich der Gehirnforschung Unterstützung der Forschung im Bereich der Oberflächenbehandlung von implantierten Materialien zur Verbesserung der Biokompatibilität
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§
Verbesserung der Diagnostik in vivo bis hin zu implantierten Diagnoseelementen u.a.
3.2. DIAGNOSE Die künftige Rolle der Nanotechnologie in der Diagnose wird von den befragten Experten und Expertinnen nur unwesentlich tiefer eingeschätzt als jene für die medizinische Forschung. Anwendungsmöglichkeiten werden vor allem beim Ersatz und der Verbesserung bestehender Diagnosetechniken gesehen. Speziell eröffnet sich über die Nanotechnologie die Möglichkeit, medizinische Bildgebungsverfahren bis zur molekularen Auflösung zu steigern. So hat z.B. die Brustkrebs-Forschung das Ziel, Tumore schon ab einer Größe von 100 bis 1000 Zellen zu diagnostizieren – die heutige Mammographie kann das erst ab etwa einer Million Zellen (Ferrari 2005). Auch wird die Möglichkeit gesehen, gewissermaßen am Patientenbett mit „Handgeräten“ auch komplizierte Diagnosen durchführen zu können (z.B. über Blutanalysen oder die Analyse der Ausatmungsluft). Diagnostische Fortschritte werden auch darin gesehen, dass eine Vielzahl von Substanzen auch in kleinsten Mengen gleichzeitig analysiert bzw. detektiert werden können und so komplexe Diagnoseprofile möglich werden. Und last but not least ist natürlich die Entdeckung von emergenten (neuen) Krebszellen bei Krebspatienten nach einer erfolgreichen Therapie ein großes Thema. Darüber hinaus waren die Experten klar der Meinung, dass nanobasierte Diagnoseverfahren bis 2020 die Regel und nicht die Ausnahme sein werden (a.a.O. S. 49). In welchem Sinn würde sich der durchschnittliche „diagnostische Akt“ im Vergleich zu heute verändern? Die Experten waren sich weitgehend einig, dass nanobasierte Diagnosen technisch einfacher sein werden als vergleichbare heutige Diagnosetechniken (a.a.O. S. 50). Nicht nur das: Diese Verfahren werden auch sehr viel schneller Resultate liefern (a.a.O. S. 51). Der Hauptgrund für diese Einschätzung ist klar: Es können sehr viel stärker als bisher verschiedene Items gleichzeitig überprüft werden. Ein wichtiges Argument für nanobasierte Diagnosen ist deren sehr viel größere Spezifität als sie klassische Verfahren aufweisen. Auch hierfür ergibt sich unter den Experten eine breite Zustimmung (a.a.O. S. 51), was nicht überrascht, wenn man z.B. das nanobasierte Targeting als breit anwendbare Querschnittstechnologie voraussetzt. Wegen der größeren Spezifität nanobasierter Diagnosen glauben die befragten Fachleute auch, dass damit z.B. Krankheiten schon im Frühstadium, ev. gar vor Ausbruch der Krankheit, entdeckt werden könnten (a.a.O. S. 52). Und die gesundheitsökonomische Gretchenfrage: Wird unser Gesundheitssystem durch den Einsatz von Nanotechnologie billiger werden? Hier streuen die Meinungen sehr stark (a.a.O. S. 52ff). Insgesamt gesehen scheinen die großen diagnostischen Möglichkeiten der Nanotechnologie nicht mit 160
NANOTECHNOLOGIE IN DER MEDIZIN
einer Verbilligung einherzugehen. Man wird in diesem Bereich zwar deutlich mehr können, aber viel billiger wird es für den einzelnen diagnostischen Akt nicht werden.
3.3. THERAPIE Nach Meinung der Experten dürfte die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Nanotechnologie auch das Therapiegeschehen schon bis ins Jahr 2020 maßgeblich beeinflussen wird, relativ groß sein (a.a.O. S. 53ff). Wenn das aber so ist, was hätte dies für Konsequenzen für einen einzelnen therapeutischen Akt? Auch hierzu wurden verschiedene Ergänzungsfragen gestellt. Könnten nanobasierte Therapien technisch (d.h. in der praktischen Anwendung) einfacher werden? Diesbezüglich sind sich die Experten ziemlich uneins (a.a.O. S. 54). Eine Erklärung dafür könnte darin bestehen, dass die „technische Einfachheit“ nicht nur eine intrinsische Eigenschaft der Methode darstellt, sondern auch davon abhängt, wie verbreitet eine bestimmte Therapieform bzw. wie viel „Handlingserfahrung“ darin enthalten ist. Nach der allgemeinen Einschätzung der befragten Fachleute zeichnet sich – trotz einiger Skeptiker – recht eindeutig ab, dass ein einzelner therapeutischer Akt auch sehr viel wirksamer sein wird (a.a.O. S. 55). Ein Grund für diese Einschätzung liegt darin, dass die nanobasierte Medikamentenabgabe sehr viel zielgenauer erfolgen kann und damit z.B. weniger Tumorzellen „übersehen“ werden. Was die Nebenwirkungen betrifft sind mehr als zwei Drittel der Experten und Expertinnen der Meinung, dass diese durch verbessertes Targeting mit großer oder sehr großer Wahrscheinlichkeit geringer sein werden als bei konventionellen Therapien mit systemischen Medikamenten. Da z.B. viele Krebsmedikamente darauf abzielen, die krankhaften Krebszellen zu zerstören, sind viele davon „an sich“ toxisch – für gesunde Zellen bloß weniger. Durch gezieltes Targeting gelangen weniger giftige Substanzen an gesundes Gewebe. Darin sehen die befragten Fachleute einen der Grundvorzüge nanotechnologischer Therapien. Allerdings muss in diesem Zusammenhang auf die schon erwähnten unerwarteten Nebenwirkungen hingewiesen werden. Einige Nanovektoren können Immunreaktionen hervorrufen: Antikörperreaktionen auf Fullerene (C60) werden bereits untersucht, Protein-Dendrimer-Konjugate (Verbindungen von Eiweißen mit verästelten Polymeren) weisen starke Immunreaktionen auf (Lee [2004]). Eine spezifische Modifikation der Oberflächen solcher Nanovektoren könnten diese Probleme aber z.T. lösen. Wird es pro therapeutischem Akt billiger werden? Nach Ansicht der Experten ist die Wahrscheinlichkeit dafür eher klein (a.a.O. S. 56). Dies ist umso bedeutsamer, als die Zahl der therapeutischen Eingriffe ja ansteigen dürfte – nicht zuletzt wegen der zunehmenden Therapiemöglichkeiten und wegen der diagnostischen Fortschritte. W. BAUMGARTNER UND B. JÄCKLI
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4. AUSWIRKUNGEN IN SIEBEN KRANKHEITSFELDERN Die oben skizzierte generelle Einschätzung der nanotechnologischen Auswirkungen in Bezug auf Forschung, Diagnose und Therapie wird anhand der sieben ausgewählten Krankheitsfelder vertieft. Zur Vereinfachung wurde dabei die Forschung weggelassen, dafür aber die Diagnose aufgeteilt in Frühdiagnose, (eigentliche) Diagnose und posttherapeutische Diagnose (gewissermaßen entlang einem typischen „Krankheitsprozess“). Für jede der 4 mal 7 Kombinationsmöglichkeiten gaben die Experten an, welche Auswirkungen die Nanotechnologie bis 2020 zeitigen könnte – verglichen mit den heute üblichen Prozeduren. Das Resultat zeigt Abb. 2 in Form eines Netzdiagramms. Je weiter außen eine Marke liegt, desto größer sind die Auswirkungen in den entsprechenden Krankheitsfeldern einzuschätzen. Im statistischen Sinne signifikant ist ein Positionsunterschied dann, wenn er dem Abstand zweier konzentrischer Netzlinien entspricht (a.a.O. S. 56ff).
Abb. 2. Mögliche Auswirkungen (implications) der Nanotechnologie bis 2020 in sieben ausgewählten Krankheitsfeldern (a.a.O. S. 56ff)
5. ZUSAMMENFASSENDE SCHLUSSFOLGERUNGEN Die Ergebnisse der Untersuchung lassen sich thesenartig wie folgt zusammenfassen (a.a.O. S. 85ff): Die Nanotechnologie wird die Medizin bereits in den nächsten 20 bis 30 Jahren deutlich verändern, sowohl in der medizinischen Forschung, in der 162
NANOTECHNOLOGIE IN DER MEDIZIN
Diagnose wie auch in der Therapie. Diagnosen werden schneller, können deutlich stärker zur Prävention eingesetzt werden, liefern spezifischere und genauere Resultate. Nanobasierte Therapien werden neue Therapiemöglichkeiten eröffnen, werden wirksamer sein als konventionelle Therapien und weniger Nebenwirkungen aufweisen. Zahlreiche Entwicklungshindernisse (u.a. wissenschaftliche, technische, regulatorische, soziale) dürften das Tempo der Entwicklung zwar verlangsamen, aber nicht aufhalten. Vor allem bei Tumorerkrankungen und bei viralen Erkrankungen sind erhebliche Fortschritte zu erwarten. Längerfristig dürfte die krankheitsarme Lebensspanne zunehmen, dürften sich Verschiebungen in den Todesursachen und eine Vergrößerung der Lebenserwartung ergeben. Die Tendenz zum „gläsernen“ Bürger wird zunehmen. Wissen über individuelle Krankheitsdispositionen, physiologische Besonderheiten usw. dürfte, von gesetzlichen Beschränkungen abgesehen, frei verfügbar werden. Es dürfte zusehends schwieriger werden, das verfügbare Wissen vor sich selbst aber auch vor der Gesellschaft zu verbergen. Das Recht auf „Nichtwissen“ wird zur Debatte stehen. Missbrauchsrisiken werden zunehmen. Die Fortschritte der Nanotechnologie in der Medizin dürften mindestens mittelfristig kaum eine Entlastung bei den Gesundheitskosten bringen; und der Trend zur Zweiklassenmedizin dürfte verstärkt werden. Bestehende Konfliktpotenziale, wie sie sich vor allem im Zusammenhang mit der Gentechnologie bzw. ihren direkten und indirekten Anwendungen in der Diagnose und der Therapie gezeigt haben, werden sich verstärken. Neue Konfliktpotenziale zeichnen sich bezüglich der möglichen Gefahren der „Nanotoxizität“ und der „Nanopollution“ (insbesondere bezüglich der ungewollten Aufnahme von Nanopartikeln über die Umwelt und deren Integration in die Nahrungskette) und längerfristig um Befürchtungen zur ungenügend unkontrollierten Selbstreplikation von Nanostrukturen ab. Noch hat die Frage danach, was wir als Menschen sind und was wir als Menschen sein wollen, einen eher philosophischen Zug. Mit den Fortschritten der Nanotechnologie in ihrer Anwendung auf den Menschen werden diese Fragen aber eine immer „praktischere“ Bedeutung erlangen. Man wird sich nicht vor der Beantwortung dieser Fragen dispensieren können. Denn sie werden schließlich entscheidend dafür sein, ob man eine bestimmte Forschung, eine bestimmte Anwendung erlauben will oder nicht.
6. LITERATUR UND QUELLENHINWEISE Allen TM (2002) Ligand-targeted therapeutics in anti-cancer therapy. Nature Rev Cancer 2: 750–763 Baumgartner W, Jäckli B, Schmithüsen B, Weber F (2003) Nanotechnologie in der Medizin. Studie des Zentrums für Technologiefolgen-Abschätzung. TA-SWISS, Bern W. BAUMGARTNER UND B. JÄCKLI
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GESUNDHEITSRISIKEN
DURCH
NANOPARTIKEL?
H. MOSHAMMER
UND
P. WALLNER
Die Nanotechnologie eröffnet faszinierende Möglichkeiten für Wissenschaft, Medizin und Industrie. Das nötige Kontrollinstrumentarium muss aber noch entwickelt werden, um Risiken für Umwelt und Gesundheit nach Möglichkeit zu vermeiden. Ein öffentlicher Diskurs, an dem auch informierte Vertreter der Öffentlichkeit teilnehmen, ist daher unabdingbar. Diese Arbeit zeigt die Lücken im derzeitigen Wissen auf, die einer ausführlichen Risikobewertung entgegenstehen. Diese reichen vom Verhalten der Nanoteilchen in der Umwelt, insbesondere was deren Persistenz unter verschiedenen Bedingungen betrifft, bis hin zu ihrem Schicksal im Organismus. Schlüsselwörter: Nanotechnologie, Umweltverhalten, Toxikokinetik, Toxikodynamik Health risks due to nano-materials? Nanotechnology provides fascinating prospects for science, medicine and industry. The necessary public control instruments still remain to be established to prevent threats to the environment and health. A public debate involving informed representatives of the civil society is therefore crucial to a sustainable future of this technology. In this paper we point out gaps of knowledge that forestall an extensive risk assessment. These range from the environmental fate of nanomaterials, including their persistence in various media, to their behavior in the human organism. Keywords: Nanotechnology, environmental fate, toxicokinetics, toxicodynamics 165
1. EINLEITUNG Als im Umweltbereich tätige Ärzte interessieren wir uns einerseits besonders für die Auswirkungen der Umweltbelastungen und der technisierten Umwelt auf die menschliche Gesundheit, andererseits für die Auswirkungen der Medizin(technik) auf die Umwelt. Beide Bereiche werden auch von der relativ jungen Nanotechnologie berührt: Sowohl die Frage der Gesundheitsrisiken durch Nanopartikel ist zu stellen, als auch jene nach den (ökotoxikologischen) Gefahren durch Nanopartikel in der medizinischen Anwendung. Für Aufsehen sorgten in der letzten Zeit Vergiftungsfälle durch die Anwendung von „Nano-Versiegelungssprays“ für Bad und WC. Schon der toxikologisch geschulte Hausverstand legt nahe, dass die Freisetzung von reaktiven Chemikalien in engen geschlossenen Räumen als Aerosol mit atembarer Teilchengröße mit Vorsicht erfolgen sollte. An Arbeitsplätzen finden derartige Vorgänge in der Regel unter Luftabzug oder mit Atemschutz statt. Auch in der Heimanwendung gab es bereits früher, z.B. durch Lederimprägniersprays, warnende Beispiele. Als „kinderleicht“ und „problemlos anwendbar“ wurden zwei „Nano-Versiegelungssprays“ beworben, die Oberflächen in Bad und WC wasser- und schmutzabweisend machen sollten. Bereits im Herbst 2005 warnte Frau Dr. Brüske-Hohlfeld (GSFForschungszentrum für Umwelt und Gesundheit, Neuherberg) in ihrem Vortrag beim deutschen Umweltministerium vor dieser Entwicklung (Brüske-Hohlfeld 2005). Innerhalb kurzer Zeit wurden den deutschen Giftinformationszentralen dutzende Vergiftungsfälle zum Teil mit Lungenödem nach Anwendung der Sprays gemeldet. Letztlich wurden über 100 Fälle gezählt. „Es ist nicht bekannt, ob über die beiden genannten Produkte hinaus weitere, mit nanotechnologisch hergestellten Bestandteilen versehene, Treibgas enthaltende Produkte (z.B. Schuhpflegemittel, Imprägniermittel, Nässeblocker etc.) im Verkehr sind und Gesundheitsgefahren bergen könnten“, vermerkte das Bundesamt für Risikobewertung lakonisch weiter in seiner Aussendung (Bundesamt für Risikobewertung BfR, 31.3.06). Ein vom BfR organisiertes Fachgespräch am 7.4.2006 konnte keine Klärung des Vergiftungsherganges bringen: „Der Vertreiber der beiden Versiegelungssprays konnte wegen fehlender Informationen seiner Vorlieferanten keine vollständige Rezeptur vorlegen“ (BfR, 12.4.06). Im Mai dann erfolgte die „Entwarnung“: „Die Produkte enthalten laut Angaben der Hersteller und nach chemischen Untersuchungen, die das BfR veranlasste, keine Partikel in NanoAbmessungen“ (BfR, 26.5.06). Weiter unbestritten aber blieb, dass die Sprays zu Lungenödemen führten. Es mussten also Tröpfchen oder Partikel in alveolengängiger Größe (kleiner 1 µm) bei bestimmungsgemäßem Gebrauch freigesetzt worden sein. Ob diese der geläufigen Definition von „Nanopartikeln“ (Partikel kleiner 100 nm) entsprachen, ist eher zweitrangig. Der Fall zeigt hingegen mehrerlei: Erstens kann Konsumentenschutz nicht allein den 166
GESUNDHEITSRISIKEN DURCH NANOPARTIKEL
Herstellern überlassen werden, sondern es müssen entsprechende Kontrollmechanismen vorgesehen werden. Zweitens ist es bedenklich, wenn ein Hersteller zwei Monate braucht, um seine eigene Rezeptur in Erfahrung zu bringen. Drittens scheint „nano“ immer noch einen „magisch guten“ Ruf zu haben, wenn das Wort auch Produkten verliehen wird, die keine Nanoteilchen enthalten. Und zuletzt wird wieder eindrücklich bestätigt, dass chemisch reaktive Aerosole nicht eingeatmet werden sollen. Letzteres gilt sicher auch für viele der „echten“ Nanomaterialien.
2. GESUNDHEITSRISIKO Das Ausmaß eines Gesundheitsrisikos durch eine Umweltbelastung lässt sich letztendlich nur mittels epidemiologischer Methoden bestimmen, da nur hier die „Real-World-Situation“ mit Kombinationsbelastungen auch empfindlicher Bevölkerungsgruppen beobachtet wird. Doch epidemiologische Daten können erst gewonnen werden, wenn bereits eine (länger dauernde) Exposition der Bevölkerung vorgelegen hat. In nennenswertem Ausmaß bestand bisher nur die Exposition gegenüber unbeabsichtigt produzierten Nanopartikeln, zumeist aus Verbrennungsvorgängen, auf inhalativem Wege. Die Forschungen auf diesem Gebiet fasst Manfred Neuberger in seinem Kapitel in diesem Buch zusammen. Auch auf diesem Gebiet ist die Aussagekraft der Studien beschränkt. Die individuelle Expositionsabschätzung ist oft mangelhaft, wodurch es eher zu einer Unterschätzung des wahren Risikos kommen dürfte. In Summe belegen die Studien aber, dass Teilchengröße (Wichmann et al. 2000), chemische Zusammensetzung (Ghio und Delvin 2001) und Quelle (Heinrich und Wichmann 2004, Lanki et al. 2006) des Feinststaubes für dessen gesundheitliche Auswirkungen entscheidend sind. Insbesondere oxidativer Stress und inflammatorische Reaktionen nehmen mit der aktiven (reaktiven) Stauboberfläche zu, welche bei gleicher Teilchenmasse mit kleinerem Teilchendurchmesser überproportional wächst (Oberdörster et al. 2005). Wegen des bedeutenden Einflusses der chemischen Zusammensetzung auf die biologische Wirksamkeit der Staubteilchen sind aber direkte quantitative Schlüsse auf industrielle Nanopartikel nicht möglich. In Ermangelung belastbarer epidemiologischer Daten zu den neuen absichtlich erzeugten Nanoteilchen muss eine Risikobeurteilung daher auf den klassischen Prinzipien von (toxikologischem) Schädigungspotenzial und Expositionsabschätzung beruhen. Bereits bei der Expositionsabschätzung ergeben sich große Hindernisse. Nicht einmal für bereits auf dem Markt befindliche Nanopartikel reicht das Wissen über deren Umweltpersistenz, um verlässliche langfristige Expositionsszenarien zu berechnen. Wie verhält sich das Nanoteilchen, das als Bestandteil eines Kosmetikums auf die Haut aufgetragen wurde? Wird es, wenn es abgewaschen und in die Kanalisation gelangt ist, in der Kläranlage abgebaut? Wird es durch UV-Strahlung verändert und H. MOSHAMMER UND P. WALLNER
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damit unschädlich, oder aber langfristig sogar gefährlicher gemacht? Wie verhalten sich komplexere Teilchen, die durch eine Hülle (Coating) stabilisiert wurden? Wird diese Hülle unter UV-Einwirkung zerstört, so dass etwa aktive Nanometalle freigesetzt werden? Oft fehlen selbst die nötigen Messtechniken, um individuelle Nanostrukturen zu bestimmen und zu messen: Entweder man untersucht die chemische Zusammensetzung einer Probe, dann weiß man nichts darüber, in welcher Korngröße die jeweilige Substanz vorliegt, oder man misst die Korngrößen und weiß nichts über deren Chemie (Kuhlbusch und Fissan 2005). Wie verhalten sich Nanopartikel in Flüssigkeiten (Fortner et al. 2005)? Unter welchen Umständen können sie wieder aus der Flüssigkeit (einzeln) freigesetzt werden? Viele dieser Fragen hat auch die Royal Society des UK (2004) in ihrem bahnbrechenden Bericht aufgeworfen. Die zukünftige Belastung durch Nanoteilchen über verschiedene Umweltmedien und den Nahrungspfad lässt sich also noch kaum abschätzen. Nur zur inhalativen Aufnahme am Arbeitsplatz sind eventuell bereits jetzt vernünftige Angaben möglich. Wie sieht es mit dem zweiten Standbein einer Risikobeurteilung, der Beschreibung eines Schädigungspotenzials, aus? Diese Beschreibung teilt sich wieder in zwei Teilfragen: „Wie kann die Substanz aufgenommen werden?“ und: „Wie wirkt sie im Organismus?“
3. TOXIKOKINETIK 3.1. INHALATIVE AUFNAHME Die inhalative Aufnahme von Nanopartikeln ist bisher am besten erforscht. Vorbilder boten die Umweltbelastung mit Feinststaub und Ultrafeinstaub sowie Belastungen am Arbeitsplatz, aber auch die topische (gezielte) Applikation in therapeutischer Absicht (Asthmasprays). Die Internationale Strahlenschutzkommission (ICRP) hat 1994 ein ausführliches Modell vorgelegt, um die Aufnahme von Strahlendosen (über die Inhalation radioaktiver Teilchen) abzuschätzen. Es handelt sich dabei um ein Rechenmodell, das die Strömungsverhältnisse im menschlichen Atemtrakt simuliert, und das in Tierversuchen kalibriert wurde. Es gibt an, wie viel Prozent der eingeatmeten Teilchen in Abhängigkeit von ihrem aerodynamischen Durchmesser in verschiedenen Abschnitten des Atemtraktes abgeschieden werden. Tatsächlich hängt die Deposition aber auch von weiteren physikochemischen Eigenschaften der Teilchen (insbesondere ihrer Ladung) sowie von der individuellen Anatomie (Kinder!) und (Patho-)Physiologie (Asthma, Emphysem, obstruktive Bronchitis, vertiefte Atmung bei Anstrengung!) der Atemwege ab. Jedenfalls darf als weitgehend gesichert gelten, dass Partikel erst unterhalb eines Durchmessers von 10 µm in nennenswertem Umfang in den Kehlkopf und tiefer vordringen. Insgesamt erreicht die Deposition im Nano168
GESUNDHEITSRISIKEN DURCH NANOPARTIKEL
Abb. 1. Prozentuelle Aufnahme von Teilchen im Atemtrakt in Abhängigkeit von deren Durchmesser (bei Nasenatmung), frei und vereinfacht nachgezeichnet nach ICRP (1994)
bereich (unter 100 nm) ihr Maximum, wobei in diesem Größenbereich sowohl in den oberen als auch in den unteren Atemwegen ein hoher Prozentsatz abgeschieden wird (Abb. 1). Entscheidend ist jedoch die mit fallendem Durchmesser höhere Deposition im Alveolarbereich, da hier die Lungenreinigung über das Flimmerepithel nicht mehr wirksam ist und von den Lungenbläschen ein direkter Übergang der Nanoteilchen in Lymphe und Blut erfolgt. Dies ist allerdings nicht nur von der Größe, sondern auch von den chemischen Eigenschaften der Teilchen abhängig (Oberdörster et al. 2005). Die Verweilzeit von (Schad-) Stoffen im Organismus ist jedenfalls bedeutend länger, sobald sie den Alveolarraum erreicht haben. Hierbei existieren große Unterschiede zwischen den Tierspezies, so dass die Ergebnisse von Tierversuchen zur inhalativen Toxizität mitunter nicht sehr aussagekräftig für die humane Toxikologie sind.
3.2. WEITERLEITUNG ÜBER NERVENFASERN Dieser Mechanismus wurde bisher nur bei Exposition über die Atemluft gezeigt, wobei sowohl über die Riechnerven, aber auch über andere sensible (und eventuell vegetative) Nerven des Atemtraktes ein Transport von Nanoteilchen einerseits zu den Riechkolben und weiter zu den Hirnkernen des H. MOSHAMMER UND P. WALLNER
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limbischen Systems, andererseits zu den entsprechenden Ganglien des peripheren Nervensystems beobachtet wurde (de Lorenzo 1970, Hunter und Dey 1998, Hunter und Undem 1999, Oberdörster et al. 2004). Dieser Transportweg ist unter anderem deshalb von Interesse, weil damit die Blut-HirnSchranke umgangen wird. Es werden direkt und ohne Vorschaltung der Detoxifikationsleistung der Leber eventuell sensible nervöse Strukturen getroffen. Als biologisches Vorbild für diesen Aufnahmepfad können Viren z.B. der Herpes-Gruppe dienen, die sich, ebenfalls Nanopartikel, über Nervenfasern im Körper bewegen (Kennedy und Chaudhuri 2002, Terasaki et al. 1997). Das gleiche Phänomen wurde bereits früh experimentell für PolioViren gezeigt (Bodian und Howe 1941). Es bleibt zu klären, inwieweit Nervenfasern in anderen Organsystemen (Haut, Magendarmtrakt) für die Aufnahme und den Transport von Nanopartikeln bedeutsam sein könnten.
3.3. DERMALER KONTAKT Nanopartikel finden bereits seit längerem in Kosmetika Anwendung, z.B. in Form von Titandioxid (TiO2) als UV-Filter in Sonnenschutzmitteln. Daher sollte erwartet werden, dass zur Aufnahme von Nanopartikeln über die Haut bereits ein umfangreiches Datenmaterial existiert. Diese Erwartung wird nicht gänzlich erfüllt. Während die gesunde glatte Haut eine relativ gute Barriere gegen das Eindringen von Partikeln bietet, beklagte die Royal Society (2004), dass über die Wirksamkeit dieser Barriere im Falle von Hauterkrankungen und Entzündungen (z.B. Sonnenbrand) keine Daten vorlägen. Bereits mechanische Beanspruchung der Haut kann die Passage von Nanopartikeln erleichtern. Dies wurde beschrieben beim barfuß Laufen, wobei sogar größere – bis Mikrometer-große – Erdpartikel in die regionalen Lymphknoten vordrangen (Corachan et al. 1988, Blundell et al. 1989) und für das Dehnen und Stauchen der Haut über Gelenken (Tinkle et al. 2003). Die Möglichkeit einer Aufnahme über freie Nervenendigungen wurde bereits weiter oben angesprochen.
3.4. ORALE AUFNAHME Selbst mit der Atemluft aufgenommene Partikel landen, so sie auf den mit Flimmerepithel ausgekleideten Teilen des Atemtraktes sedimentieren, letztendlich im Magendarmtrakt. Bereits jetzt finden sich Nanomaterialien in Designerfood und mit dem wachsenden Einsatz von Nanopartikeln ist es abzusehen, dass diese auch ungewollt über verschiedene Umweltpfade in die Nahrungskette gelangen. Trotzdem ist das Wissen um die Resorption der Nanoteilchen aus dem Darm äußerst lückenhaft. Generell dürfte es so sein, 170
GESUNDHEITSRISIKEN DURCH NANOPARTIKEL
dass die Aufnahme bei den kleineren Teilchen in größerem Ausmaß erfolgt (Jani et al. 1990), aber noch stärker hängt die Aufnahmerate wohl von den chemischen Eigenschaften der Teilchen wie deren Fettlöslichkeit ab. Tatsächlich wurde die Darmresorption bisher jedoch wenig an praktisch relevanten Nanoteilchen untersucht, sondern an radioaktiv markiertem Iridium (Semmler et al. 2004) oder Polystyrol (Jani et al. 1990). Lediglich Studien mit Titandioxid (Jani et al. 1994) und mit Fullerenen (Yamago et al. 1995) befassten sich mit derzeit bedeutsamen Nanopartikeln. Entscheidend ist sicher auch der Zustand des Darms, dessen Resorptionsverhalten sich in der Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen oder während Phasen der Mangelernährung oder unter Krankheit drastisch ändern kann. Neuere Techniken umgeben Nanoteilchen mit einer Hülle (Coating), um so ihr Verhalten in der Umwelt zu modifizieren oder sie genauer an ihr Ziel zu bringen. Es wäre zu klären, wie sich diese Hülle im Darmtrakt oder bereits zuvor in der Nahrungskette verändert und ob hinsichtlich der Resorbierbarkeit Studien an den nackten oder den umhüllten Teilchen aussagekräftiger sind.
3.5. ANDERE APPLIKATIONSFORMEN Hier ist vor allem an die parenterale (insbesondere intravenöse) Verabreichung zu diagnostischen und therapeutischen Zwecken zu denken. Entsprechende Systeme, bei denen Nanopartikel als Träger dienen, um z.B. gezielt Tumorgewebe zu erreichen, sind bereits in Erprobung. Es ist offensichtlich, dass damit eine weitgehend vollständige Aufnahme angestrebt und wohl auch erzielt wird.
4. MÖGLICHE SCHADMECHANISMEN Die Nanotechnik ist keine menschliche Erfindung. Die Natur ist uns auch hier bereits lange zuvorgekommen. Ein schönes Beispiel für hochkomplexe Nanoteilchen in unserer Umwelt (mit großer Bedeutung für die Ökosysteme, aber auch mit bedeutsamen Gesundheitsgefahren) stellen die Viren dar, deren Ausgefeiltheit unsere stolze Technik noch lange nicht voll nachahmen kann. Im Organismus selbst tun „Nanoroboter“ seit alters her ihren Dienst: sei es extrazellulär als Stütz- oder Transportproteine, sei es in den Zellen, von denen eigentlich jede als wahre „Nanofabrik“ bezeichnet werden kann: Angefangen von den Ribosomen über Fibrillen und Tubuli bis hin zu Transport- und Rezeptormolekülen in diversen Membranen und den Enzymen handelt es sich durchwegs um Nanostrukturen. Ein wichtiger Gedanke hinter dem Einsatz von Nanotechnologie in der Medizin liegt ja gerade in dieser „Naturähnlichkeit“ der künstlichen Nanoteilchen. Damit – so hofft man – werden sie fälschlich als körpereigen aufgenommen, so dass eine auf H. MOSHAMMER UND P. WALLNER
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bestimmte Zellstrukturen oder Gewebe gezielte Therapie und Diagnostik ermöglicht wird. Vielfach sollen die naturähnlichen Nanoteilchen nur als Transportmittel dienen, um die wirksame Substanz an ihren Zielort (z.B. die Krebszelle) zu bringen. Über das weitere Schicksal des von seiner Last befreiten Vehikels ist bisher wenig bekannt; außer, dass es im Tierversuch keine akut toxischen Effekte auslöst.
4.1. OXIDATIVER STRESS Oxidativer Stress dürfte einen wichtigen Mechanismus darstellen, wie Nanopartikel schädigend wirken (Rushton et al. 2005, Rancan et al. 2002, Sayes et al. 2004). Dabei hängt die Fähigkeit der Teilchen, reaktive Sauerstoffspezies zu generieren, wesentlich von ihrer chemischen Zusammensetzung und den lokalen Bedingungen ab, wie z.B. der Einwirkung von UV-Licht (Derfus et al. 2004). Die Größenverhältnisse sind aber insofern von Bedeutung, als Nanopartikel mit subzellulären Strukturen reagieren können und so z.B. von Mitochondrien aufgenommen werden (Foley et al. 2002) und mit Enzymen der Atmungskette reagieren können. Simeonova et al. (2005) exponierten Mäuse mittels Trachealsonde gegenüber Nanotubes und fanden systemische entzündliche Veränderungen und mitochondriale DNS-Schäden an der Mäuseaorta. Diese Beobachtung spricht für oxidativen Stress, der die Entstehung von Arteriosklerose begünstigen könnte. Oberdörster (2005) stellt die Hypothese auf, dass Nanopartikel auf dem Wege des neuronalen Transportes auch im Zentralnervensystem zu oxidativem Stress führen können und so ein Risiko für neurodegenerative Erkrankungen darstellen. Creek und McCawley (2005) meinen, dass die dermale Aufnahme von Nanopartikeln (am Arbeitsplatz) eine wichtige Route für die Auslösung von Autoimmunerkrankungen wie Systemischer Lupus erythematodes darstellt.
4.2. WIRKUNGEN IM ATEMTRAKT Nachdem im Tierversuch erhöhte Mortalität nach Inhalation von Nanotubes geschildert worden war (Lam et al. 2004), wurde ursprünglich vermutet, dass es sich dabei um ein Artefakt bzw. ein Overload-Phänomen (also ohne Relevanz für umwelt- oder arbeitsplatzrelevante Konzentrationen) handeln könne. Warheit et al. (2004) schrieben, dass die massiv inhalierten bzw. instillierten Fasern zu derartigen Aggregaten verpacken, dass sie zum mechanischen Verschluss der Atemwege führten. Mercer et al. (2005) exponierten Mäuse gegenüber Nanotubes und fanden eine Fibrose der Lunge, die im Wesentlichen von den Einzelstrukturen im Nano-Größenbereich und nicht von den in weit höherer Masse inhalierten größeren Aggregaten ausgelöst 172
GESUNDHEITSRISIKEN DURCH NANOPARTIKEL
wurde. Unter anderem berichteten auch Shvedova et al. (2005) über fibrotische Reaktionen ohne ausgeprägte entzündliche Reaktionen und Pinkerton et al. (2004) beobachteten eine verzögerte Zellproliferation im Atemtrakt neugeborener Ratten. Doch auch entzündliche Reaktionen werden bei verschiedenen Nanoteilchen beobachtet, wobei hier wie bei der Bildung reaktiver Sauerstoffspezies neben der chemischen Zusammensetzung der Teilchen deren Größe bzw. die reaktive Oberfläche bedeutsam zu sein scheint. So zeigte sich etwa bei Titandioxid, dass dessen entzündungsauslösende Potenz (pro Masseneinheit) stärker ist, je kleiner die Teilchen sind (Beck-Speier et al. 2001). Auch in vivo sind kleine Teilchen (20 nm) potenter als große (5 µm), wie Zhang et al. (2003) zeigten. Das Alter der Tiere sowie kombinierte Belastungen (mit Ozon und/ oder Bakterientoxin) modulieren den Effekt der Nanoteilchen (Elder et al. 2000), die Teilchen beeinflussen die Potenz von Viren (Lambert et al. 2003).
4.3. DIREKTE (MUTAGENE) WIRKUNGEN AM ZELLKERN Nicht nur mit Zellorganellen, wie den Mitochondrien, wurden direkte Interaktionen beobachtet. Auch direkt im Zellkern wurden Nanopartikel beobachtet und Effekte beschrieben (Rahman 2002). Zytotoxizität und Apoptosis (Zelltod) können direkte Folge sein (Hoshino 2004, Derfus et al. 2004). So können Nanoteilchen in direkter Interaktion mit der DNS mutagene Schäden setzen. In einem weiteren Schritt potenzieren Entzündung und oxidativer Stress die Schäden am Zellkern, indem sie als Tumorpromotoren wirken. Karzinome sind somit primär am unmittelbaren Ort der Einwirkung zu erwarten. Inhalative Noxen führen daher in erster Linie zu Tumoren an den Atemwegen. So können verschiedenste auch sogenannte „inerte“ Stäube am Arbeitsplatz unspezifische Schäden am Atemtrakt setzen, die mit einem erhöhten Lungenkrebsrisiko einhergehen (Moshammer und Neuberger 2004). In dieser Untersuchung fand sich aber auch ein erhöhtes Magenkrebsrisiko, das wohl auf die Wirkung verschluckter Stäube zurückzuführen ist. Asbest ist ein natürlicher Stoff, der der Definition eines Nanoteilchens (mindestens in einer Dimension kleiner 100 nm) entspricht. Auch für Asbest sind nicht nur kanzerogene Effekte am Atemtrakt (Bronchialkarzinom und Mesotheliom) beschrieben, sondern es werden seit Jahren auch vergleichbare Wirkungen am Verdauungstrakt mit einem erhöhten Risiko für Lymphome (Ross et al. 1982) und epitheliale Tumoren (Kanget et al. 1997, Kjaerheim et al. 2005) diskutiert. Zwar sind diese Effekte des Asbest am Verdauungstrakt unsicher und nicht so deutlich ausgeprägt wie an den Atemwegen. Dennoch unterstreichen diese Beobachtungen, dass eine bekannte inhalative Noxe auch bei anderem Expositionspfad kritisch gesehen werden sollte. Wenn also bisher kaum Studien zu Wirkungen von (künstlichen) Nanoteilchen am H. MOSHAMMER UND P. WALLNER
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Verdauungstrakt vorliegen und nicht einmal die Frage der Resorption im Darm restlos geklärt ist, so sollten doch diese wenigen Hinweise zur Vorsicht mahnen, bevor künstliche Nanoteilchen in großer Zahl in die Nahrungskette eingebracht werden.
5. ÖKOTOXIKOLOGIE Während sich Nanotechnik in medizinischen Anwendungen noch im Experimentierstadium befindet, hat sie schon ausgiebig in der Kosmetik Eingang gefunden (Miller 2006). Eine bereits weit verbreitete Anwendung ist die von TiO2 in Sonnenschutzcremes. Die optimale Größe der Teilchen für diese Anwendung (keine sichtbare Verfärbung, aber guter UV-Schutz) liegt in der Größenordnung von etwa 100 nm. Toxikologisch auffällige Effekte (Induktion von oxidativem Stress, entzündliche Reaktionen und Zytotoxizität) wurden erst bei TiO2-Teilchen kleinerer Korngröße gefunden (Beck-Speier et al. 2001, Rahman et al. 2002). Gerade Sonnenschutzprodukte werden häufig vor dem Baden verwendet und daher oft auch rasch wieder abgewaschen und gelangen so direkt in Oberflächengewässer. Andere derzeit gebräuchliche Rezepturen, die den hohen Sonnenschutzfaktor durch photoaktive Chemikalien oft mit endokriner Wirksamkeit erzielen (Schlumpf et al. 2002), sind diesbezüglich wohl auch aus ökotoxikologischer Sicht kritischer als TiO2 zu bewerten. Es sei jedoch die prinzipielle Frage erlaubt, ob insgesamt so viel Sonnenschutz benötigt wird? Vielfach täte es zum Beispiel ein Hut mit Krempe und ein Hemd genauso bzw. besser, nachhaltiger und umweltverträglicher. Welche Nebenwirkungen auf Mensch und Umwelt die Nanotechnik in der Medizin haben wird, lässt sich heute noch nicht mit Sicherheit vorhersehen. Ein alter, weiser Spruch der Pharmakologie besagt, dass alles, was wirkt, auch Nebenwirkungen hat. In der Abwägung des Nutzens und angesichts des individuellen Leidens sind Ärzte oft bereit, gewisse Nebenwirkungen in Kauf zu nehmen. Doch gerade was die Nebenwirkungen von Pharmaka etc. in Ökosystemen anbelangt, sind Ärzte oft recht ignorant und selbst die Wissenschaft beginnt erst langsam, diese Aspekte zu erforschen (Erbe et al. 1998, Kümmerer 2000 und 2005). Selbst die Messung von Pharmaka und Desinfektionsmitteln in der Umwelt kommt erst langsam in Schwung und deren Persistenz ist nur unzulänglich erforscht (Scharf et al. 2002). Lehren von „herkömmlichen“ medizinischen Präparaten werden ohne weiteres auch für zukünftige Präparate gelten können, die der Nanotechnik entspringen. Besondere Sorgen für Ökosysteme bereiten derzeit Desinfektionsmittel und Antibiotika, weil Mikroorganismen wichtige Aufgaben in vielfältigen Systemen erfüllen, nicht zuletzt in der biologischen Stufe von Kläranlagen, in die diese Stoffe fallweise in hohen Wirkkonzentrationen gelangen. Auch die Nanotechnik wird wohl bald im Kampf gegen „böse“ 174
GESUNDHEITSRISIKEN DURCH NANOPARTIKEL
Bakterien eingesetzt werden. Die Zugabe von Silberteilchen zu Wasser zur Bekämpfung von Legionellen ist schon Stand der Technik. Die optimale Teilchengröße liegt im Nanobereich, damit sie von Protozoen aufgenommen werden und so die parasitisch (intrazellulär) lebenden Pathogene erreichen. Fullerene bilden wasserlösliche Kristalle mit bakteriziden Eigenschaften (Fortner et al. 2005) und werden bereits für eine Verwendung als Desinfektionsmittel erprobt (Yamakoshi et al. 2003). Haben wir inzwischen aus den Lehren der Vergangenheit gelernt? Der Umweltpersistenz von Wirkstoffen kommt bei möglicher Resistenzbildung und Störung von Ökosystemen eine wesentliche Bedeutung zu.
6. SCHLUSSFOLGERUNGEN Die Nanotechnologie ist eine faszinierende neue Wissenschaftsdisziplin. Es muss allerdings Sorge getragen werden, dass Wissenschaft und Industrie die notwendige Vorsicht nicht vergessen. Die Vorteile, die aus deren Anwendung erwachsen (Petschow 2005), sollen nicht verheimlicht werden: Dadurch, dass erwünschte Effekte mit geringem Materialaufwand (eben mit Nanostrukturen) und sehr gezielt erreicht werden können, ergibt sich eine mögliche Einsparung an Energie und Rohstoffen. Nanotechnologie wird sicher ihren Platz in der Zukunft haben. Doch vielfach zeichnet sich ab, dass diese Technik nicht eingesetzt wird, um berechtigte Bedürfnisse auf sparsame Weise zu decken, sondern um neuen Bedarf für Produkte zu schaffen, ohne die wir bisher auch recht gut ausgekommen sind. In letzterem Fall ist es nur billig, wenn zuvor die möglichen Folgen bedacht und geprüft werden. Die Kontrollfunktion kann aus naheliegenden Gründen nicht allein der Industrie überlassen werden. Staatliche und internationale Stellen sind noch damit beschäftigt zu prüfen, ob und auf welche Weise nanotechnische Produkte durch bereits bestehende Gesetze und Regelungsinstrumente abgedeckt sind, oder ob für diese Technologie ein neues Regelwerk geschaffen werden muss. Da ist es beruhigend zu wissen, dass Umweltschutzorganisationen in den Diskurs eingestiegen sind und bereits wichtige Beiträge leisten (z.B. Balbus 2005, Miller 2006). Doch auch die Versicherungswirtschaft ist hellhörig geworden (Hett et al. 2004). Der gesellschaftliche Diskurs und die wissenschaftliche Grundlagenforschung zur Risikobewertung sind unabdingbare Voraussetzungen für eine umwelt-, sozial- und gesundheitsverträgliche Entwicklung der neuen Technologie.
7. ZUSAMMENFASSUNG Die Nanotechnologie verspricht neue Materialeigenschaften und Anwendungen in verschiedensten Bereichen von der Medizin und Kosmetik über H. MOSHAMMER UND P. WALLNER
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die Messtechnik und den Umweltschutz bis hin zu Bedarfsgegenständen des täglichen Gebrauchs und in der industriellen Produktion. So vielfältig wie die Anwendungen und die Eigenschaften stellen sich die möglichen Risiken für Gesundheit und Umwelt dar. Überraschenderweise ist eine begleitende Technikfolgenabschätzung aber nur sehr unzureichend entwickelt. Gesundheitsrisiken können derzeit weitgehend nur aus Analogieschlüssen abgeschätzt werden. Derartige Analogien bieten sich in zweierlei Hinsicht an: Einerseits gibt es in zunehmendem Ausmaß umweltmedizinische Erkenntnisse über die inhalative Toxizität ultrafeiner Teilchen. Im Gegensatz zu den absichtlich erzeugten und auf spezifische Eigenschaften hin optimierten Nanopartikeln sind die ultrafeinen Teilchen als Luftschadstoffe zumeist ungewollten Ursprungs. Sie entstehen aus Verbrennungsvorgängen sowie anderen chemischen Prozessen, teilweise auch aus gasförmigen Vorläufersubstanzen. Zumindest hinsichtlich der inhalativen Aufnahme erwies es sich, dass Feinstaub bei Abnahme des Teilchendurchmessers und gleichbleibender Gesamtmasse der Teilchen eine deutliche Toxizitätssteigerung erfahren kann bzw. dass bestimmte systemische, toxische und inflammatorische Effekte erst unterhalb einer kritischen Teilchengröße und weitgehend unabhängig von der chemischen Struktur der Teilchen auftreten. Systemische Entzündungsreaktionen wären daher eventuell auch bei anderen Expositionspfaden denkbar. Die inhalative Aufnahme von Nanopartikeln sollte jedenfalls kritisch gesehen werden. Andererseits findet das Schicksal von Pharmaka in der Umwelt zunehmendes Interesse. Wie Nanopartikel sind Medikamente Produkte eines hochtechnologischen Produktionsprozesses mit dem Ziel, größtmögliche und spezifische Wirkung mit geringsten Mengen zu erzielen. Während die Wirkungen und Nebenwirkungen am primären Zielobjekt (Patient) einem ausführlichen Prüfverfahren unterzogen sind, herrscht über das weitere Schicksal noch vielfach Unklarheit. Anreicherung der ursprünglichen Wirksubstanzen, aber auch von Metaboliten mit oft wenig erforschtem Wirkprofil z.B. in Klärschlämmen, aber auch in diversen anderen Umweltmedien wurden gezeigt. Wenigstens für hormonaktive Medikamente konnten Auswirkungen auf die Biologie im Vorfluter gezeigt werden, Antibiotika und Desinfektionsmittel beeinflussen die Klärleistung von Kläranlagen, Zytostatika in der Umwelt werden als Problem erkannt. Zusammenfassend stellen wir somit fest, dass hochaktive Stoffe mit sehr spezifischen Eigenschaften produziert und wenigstens langfristig auch in die Umwelt eingebracht werden, über deren Persistenz und Nebenwirkungen bzw. über deren Effekte bei nicht bestimmungsgemäßem Gebrauch kaum Unterlagen zu finden sind. In manchen Fällen finden sich enge strukturelle Analogien zu bekanntermaßen schädlichen natürlichen Produkten (z.B. Nanotubes – Asbest), welche eine besonders kritische Betrachtung nahelegen.
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GESUNDHEITSRISIKEN DURCH NANOPARTIKEL
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UMWELTEPIDEMIOLOGIE UND TOXIKOLOGIE VON NANOPARTIKELN (ULTRAFEINSTAUB) UND FEINSTAUB M. NEUBERGER
Quellen, Pfade, Toxikokinetik und -dynamik von Umweltaerosolen hängen von ihrer Korngröße ab. Von ernsten Gesundheitsschäden durch kleine Partikel sind das Herz-Kreislauf-System und die Atmungsorgane betroffen. Da keine Wirkschwellen existieren, muss die Belastung in allen dichter besiedelten Gebieten reduziert werden, unabhängig von der Ausgangskonzentration. Gegenwärtig wird die Belastung unserer Atemluft durch Verbrennungsprozesse dominiert, vor allem durch KfzVerkehr und Tabakrauch. Zukünftige Belastungen durch neue Technologien könnten die bestehenden Risken erhöhen. Schlüsselworte: Nanopartikel, Feinstaub, Umwelt, Epidemiologie, Toxikologie
Environmental epidemiology and toxicology of nano(ultrafine) and fine particles Sources, pathways, tokicokinetics and toxicodynamics of environmental aerosols differ with size. Serious health effects of small particles have been found on the cardiovascular and respiratory system. Because defined thresholds for effects of fine particulate matter are lacking, population-weighted reductions are necessary everywhere, irrespective of initial concentrations. Current exposures are dominated by combustion sources, in particular motor vehicle traffic and tobacco smoke. Future exposures from new technologies could add to present risks. 181
Keywords: Nanoparticle, fine particulate matter, environment, epidemiology, toxicology
1. HERKUNFT, UMWANDLUNG UND AUFNAHME Als Ultrafeinstaub (UF) wird ein Aerosol mit Korngrößen bis zu einem aerodynamischen Durchmesser von 100nm bezeichnet. UF ist im Feinstaub (bis 2,5 µm), dieser ist im Thoraxstaub (lungengängiger Staub, bis 10 µm) und dieser wiederum im Gesamtschwebstaub (TSP, inhalierbarer Staub, bis ca. 30 µm) enthalten. In der Natur gibt es keine scharfen Abgrenzungen der Fraktionen. Denn aus den Nanopartikeln, die durch Nukleation und Kondensation aus der Gasphase oder bei Verbrennungsvorgängen und chemischen Reaktionen entstehen, koagulieren die Feinstäube. Grobstäube (> 2,5 µm) in unserer Atemluft entstehen eher durch mechanische Zerkleinerung, Erosion, Aufwirbelung und Windverfrachtung von Erdkrustenbestandteilen, Sedimentstaub, Seesalz, Pollen, Pilzsporen etc. Der Massenanteil des UF in unserer Atemluft beträgt nur etwa 0,7%, macht aber ca. 73% der Teilchenzahl aus. Die Lebenszeit der meisten UFTeichen beträgt nur Minuten, während sie nach ihrer Akkumulation zu Feinstaub eine Lebenszeit von Wochen haben. Etwa 61% der Partikelmasse und 27% der Partikelzahl findet sich im Bereich zwischen 100 und 500 nm. Je kleiner ein Teilchen, desto größer ist der Anteil der Oberflächenmoleküle an seiner Gesamtmolekülzahl. Diese Oberflächenmoleküle können am leichtesten mit Zellmembranen und anderen biologischen Strukturen in Kontakt treten. Belebte Nanopartikel, gegen die schon unsere tierischen Vorfahren Abwehrmechanismen entwickeln mussten, sind die Viren. Abgesehen von Vulkanausbrüchen und Waldbränden bescherte uns aber erst die Zähmung des Feuers eine Belastung mit UF aus Verbrennungsprozessen, gegen die wir in der entwicklungsgeschichtlich kurzen Zeit noch kein gutes Abwehrsystem entwickelt konnten. Dagegen entstand schon in vormenschlicher Zeit ein potentes Abwehrsystem gegen die weitverbreiteten Erosionsstäube. Diese Grobstäube sind nur kurz schwebefähig, dringen auch weniger tief in die Atemwege vor und werden nach ihrer Deposition auf der Schleimhaut innerhalb von 24 Stunden auf einem durch Flimmerhärchen bewegten Schleimteppich aus den Atemwegen entfernt. Dagegen dringt der lange schwebefähige UF (z.B. Dieselruß oder Tabakrauch) tiefer in die Atemwege und bis in die Lungenbläschen vor, die kein Flimmerepithel besitzen und nur langsam von Makrophagen1 gereinigt werden können. Während gröbere Stäube im Nasenrachenraum (Oberfläche 0,05 m²), Luftröhre und Bronchien (Ober1 Fresszelle, die Fremdpartikel aufnimmt und auf dem Atem-, Blut- oder Lymphweg abtransportiert.
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UMWELTEPIDEMIOLOGIE UND TOXIKOLOGIE VON NANOPARTIKELN
fläche 0,27 m²) abgeschieden werden, kommt UF in den Bronchiolen mit 7,5 m² Schleimhaut in Kontakt und in den Lungenbläschen mit fast 100 m² einer nur zweilagigen Zellschicht, die direkt ins Blut und von dort in alle Organe führt, ohne dass – wie bei Resorption im Darm – ein Leberfilter zur Entgiftung vorgeschaltet wäre. Am Rezeptor ist beim Grobstaub die Masse für die Toxizität ausschlaggebend, bei unlöslichen Feinstäuben die Oberfläche und bei UF die Teilchenzahl. Bei Faserstäuben wie Asbest wird die Gefährlichkeit deshalb schon lange nicht mehr durch Wägung der Masse, sondern durch Zählung der Partikel bestimmt. Bei nicht-faserförmigen Stäuben fehlen dzt. noch Routineverfahren der Überwachung, welche die Teilchenzahl oder ihre aktive Oberfläche erfassen. Während das Depositionsmaximum im Alveolarbereich um 20 nm und im Tracheobronchialbereich um 5 nm liegt, werden im Nasenrachenraum und Kehlkopf die kleinsten und die größten Partikel am effizientesten abgeschieden (Depositionsminimum um 50 nm). Selbst im Nasenrachenraum können sehr kleine Partikel das Gewebe durchdringen und auf dem Blutweg in alle Organe oder direkt entlang der Riechnerven ins Gehirn gelangen. Partikel um 50 nm werden nur gering im Nasenrachenraum abgeschieden, sind aber auf Grund ihrer Oberflächenreaktivität und Migrationsfähigkeit trotz ihrer geringen Masse besonders gefährlich. Feste Partikel werden in der Atemluft zwar meist als Agglomerate gefunden, die weniger gefährlich sind als die Einzelpartikel, diese werden aber nur durch Van der Waals- Kräfte zusammengehalten und können im Organismus leichter dissoziieren als Aggregate durch chemische oder Sinterbindungen. In der Lunge sind vor allem durch unlöslichen UF Spätfolgen zu erwarten. So kommt es z.B. nach Asbeststaubinhalation zu Asbestose und Lungenkrebs und – nach jahrzehntelanger Latenz – zu Rippen- und Bauchfellkrebs, letzteres vor allem durch Amphibolasbeste (Krokydolith, Amosit), die säurebeständig und lungenpersistent sind (Neuberger 1989). Am Arbeitsplatz entsteht UF durch hohe Temperaturen (z.B. Aluminiumschmelzer, Schweißer), wobei die Zeit von einer Schicht bis zur nächsten oft für die Koagulation von UF mit gröberen Stäuben nicht ausreicht und die Gefahr kumulativer Anreicherung von UF in der Atemluft besteht. UF in der Umwelt hat mehr Zeit mit Feinstaub und gröberen Stäuben zu koagulieren, wird nur bei spezieller Produktionstechnik (wie am Arbeitsplatz) tagelang verweilen und wird daher meist nur quellnahe (z.B. an Straßen, neben Rauchern etc.) als UF eingeatmet. Bei der Staubbekämpfung in der Umwelt ist damit zu rechnen, dass die (technisch einfachere) Entfernung von Grobstäuben zunächst zu einer Zunahme der UF-Konzentration führt, weil Grobstaub als Adsorber von UF wegfällt. Im Gegensatz zu den bisher anthropogen verursachten polydispersen Nanopartikeln kommt es bei den monodispersen Produkten der modernen Nanotechnologie nicht schon bei der Produktion zur Aggregation, sondern die Agglomeration findet erst in der Atmosphäre statt. Besonders M. NEUBERGER
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problematisch sind Nanotechnologien, die Agglomerationen durch Beschichtungen verhindern, aus Kataysatoren und Radikalbildnern bestehen (z.B. Übergangsmetalle) und die in Publikumsprodukten in die Atemluft gelangen (z.B. Autoreifenabrieb, Waschmaschinen mit Nanosilber, 2 Sprays etc.).
2. TIEREXPERIMENTELLE BEFUNDE Schon Timbrell et al. (1988) hatten die Oberfläche verschiedener Asbestfasern als die für chronische Entzündung und Fibrose entscheidende Eigenschaft bezeichnet. Erst in jüngster Zeit werden auch Oberflächenmessungen zur Beurteilung der Gefährlichkeit nicht-faserförmiger Stäube eingesetzt (Moshammer et al. 2004). Tierversuche zeigten eine starke Zunahme der pulmonalen Entzündungsfolgen (Leukozytenvermehrung in der Lungenspülflüssigkeit) mit Abnahme der Partikelgröße von TiO2 von 200 auf 20 nm, aber gleichstarke Entzündung bei gleicher Partikeloberfläche (Oberdörster), wiesen aber auch auf zusätzliche Einflüsse der Kristallinität u.a. physikochemischer Eigenschaften hin (zum Beispiel die starke Bildung von O2-Radikalen und die Makrophagenaktivität durch Cu-Nanopartikel). Fresszellen werden durch sehr kleine Partikel kaum chemotaktisch angelockt, sodass ihre Verweilzeit in den Atemwegen länger ist und sie leichter ins Zwischengewebe der Lunge und ins Blut gelangen. Die Oberfläche der Partikel ist für ihren Weitertransport im Organismus entscheidend. Kunststoffpartikel (Polystyren) werden z.B. erst nach Beschichtung mit Lezithin auf bestimmte Blutzellen übertragen. Auch eine Translokation ins Gehirn kann durch Beschichtung ermöglicht werden. Selbst unbelebte Nanoteilchen können (wie Poliomyelitis- oder Herpesviren) entlang von Nervenscheiden wandern und in die Zellen und sogar bis in den Zellkern eindringen. Besonders die Wanderung von Nanoteilchen entlang der Riechnerven bis in den Bulbus olfactorius des Gehirns wurde an Affen für Gold und an Ratten für 13C und Mangandioxid nachgewiesen. Beim Morbus Parkinson der Schweißer als Berufskrankheit dürfte zwar die pulmonale Mn-Aufnahme über das Blut ins Gehirn eine Rolle spielen, aber allgemein ist davon auszugehen, dass die Umgehung der Blut-Liquor- und Blut-Hirn-Schranke bei Aufnahme über die Riechnerven zu höheren Schadstoffbelastungen im Gehirn führt (Elder et al. 2006). Eine weitere, direkte Eintrittsstelle für Nanopartikel ins Gehirn ist das Auge. Ein Versuch mit 55Au