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German Pages [360] Year 2011
Fritz Trümpi
Politisierte Orchester Die Wiener Philharmoniker und das Berliner Philharmonische Orchester im Nationalsozialismus
Böhlau Verlag Wien Köln Weimar
Gefördert durch
den Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung
das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung, Wien
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Titelbild: Wilhelm Furtwängler dirigiert die Berliner Philharmoniker bei einem Werkkonzert, 21.12.1939, © Archiv Staatliches Institut für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz ISBN 978-3-205-78657-3 Gestaltung: Bettina Waringer Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege, der Wiedergabe im Internet und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 2011 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H. und Co.KG, Wien · Köln · Weimar www.boehlau-verlag.com
Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlor- und säurefrei gebleichtem Papier Gesamtherstellung: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst GmbH, Köln
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
2. „Aufbruch“ versus „Tradition“. Die Berliner und Wiener Philharmoniker im ausgehenden langen 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Im Windschatten des Flottenbauprogramms: Die deutsche ,Weltpolitik‘ als Grundlage für die rasche Internationalisierung des Berliner Philharmonischen Orchesters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Schwanengesang der Tradition. Die Wiener Philharmoniker im Wien der späten Donaumonarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Tradition par excellence. Der Sonderstatus von Beethovens IX. Symphonie 2.4 Kriegskonzerte im Burgfrieden. Die beiden Orchester im Ersten Weltkrieg Der Krieg als Schrittmacher für die Wiener Philharmoniker . . . . . . . . . Kriegsaktive Berliner Philharmoniker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.
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Auf neuen Wegen zu mehr Staat: Die beiden Orchester in der Republik 3.1 Intensivierte Konzerttätigkeit bei den Wiener Philharmonikern – ohne Avantgarde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Interventionsfreie Wiener Subventionen . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Staatsgläubige Berliner Philharmoniker . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Unterschiedliche Staatsanbindungen der Berliner und Wiener Philharmoniker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. 31
. 33 . . . . .
47 53 56 56 59
. . . . . 65 . . . . . 66 . . . . . 73 . . . . . 81 . . . . . 96
4. Kontinuierlich radikalisiert: Die beiden Orchester in Faschismus und Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Die Berliner Philharmoniker werden zum „Reichsorchester“ . . . . . . . 4.2 „Kameradschaft“ als Kompensation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Die Selbstanpassung der Wiener Philharmoniker im ‚Austrofaschismus‘ . Konzerte für den ‚Austrofaschismus‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zukunftsweisende Vergangenheitskonstruktion: Heinrich Kraliks Philharmoniker-Monografie von 1938 . . . . . . . . . . . 4.4 Auch im NS-Staat ein Verein: die Wiener Philharmoniker . . . . . . . . 4.5 Antisemitismus in den beiden Orchestern . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . .
. 103 . 104 . 113 . 118 . 126
. . 128 . . 133 . . 138
6
5.
Inhaltsverzeichnis
Abhängigkeiten und Protektion 5 1 Finanzielle Sanierung des Berliner Philharmonischen Orchesters 5 2 Einsame „Sonderklasse“ mit „genereller UK-Stellung“ 5 3 Nationalsozialistischer Kompetenzstreit um die Wiener Kulturpolitik 5 4 Ökonomischer Einbruch nach dem ‚Anschluss‘ bei den Wiener Philharmonikern 5 5 Feierlich gegen Berlin: Das Jubiläum der Wiener Philharmoniker von 1942
147 147 158 163 180 192
6. Vielfältige Medienpräsenz der beiden Orchester 201 6 1 „Technik“ versus „seelisches Substrat“: Der Berliner Oswald Schrenk und der Wiener Aurel Wolfram über die Philharmoniker 201 6 2 Schriften und Reden zu den Orchesterjubiläen 209 Wilhelm Furtwänglers Orchesterreden 209 60 Jahre Berliner Philharmoniker: die Jubiläumsschrift von 1942 214 Orchestervorstand Wilhelm Jerger über 100 Jahre Wiener Philharmoniker 215 Abweichungen von der üblichen Wiener-Philharmoniker-Rezeption bei Baldur von Schirach 219 6 3 Fiktionale Orchesterdarstellungen 222 Die Wiener Philharmoniker im Roman: Friedrich Schreyvogls „Schicksalssymphonie“ 223 Philharmoniker im Weltall: Manuskript zu einem Spielfilm über das Wiener Orchester 225 Die Berliner Philharmoniker im Kino: der Spielfilm „Philharmoniker“ 227 7. Repertoire und Politisierung: Nationalsozialistische Programmpolitik bei den Wiener und Berliner Philharmonikern 7 1 Politisierter Konzertkanon 7 2 Einschränkung des ‚Populären‘ bei den Berliner Philharmonikern 7 3 Aufwertung der ‚leichten‘ Musik durch die Wiener Philharmoniker 7 4 ,Hochkultur‘, die in die Breite wächst? Die philharmonischen Rundfunkkonzerte 7 5 Funktionalisierung par excellence: die Wehrmachts- und Werkkonzerte Musik für Soldaten: Die Wehrmachtskonzerte Sublimierung der Kriegsproduktion: Die Werkkonzerte 7 6 Musikalische Auslandswerbung Die deutsche Musikmarke auf außenpolitischer Mission Verhaltene Reisepraxis der Wiener Philharmoniker
233 235 249 254 263 275 275 281 286 287 298
Inhaltsverzeichnis
8. Resümee: „Ein Konkurrenzkampf, wie der zwischen den Berlinern und Wienern wird immer sein“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 9. Anhang: Repertoire. Grafiken und Kommentare . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 10. Bibliografie . . . . . . 10.1 Quellen Unedierte Quellen. Edierte Quellen . . 10.2 Literatur . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341
9. Personenindex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353
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Vorwort
Die Entstehung einer wissenschaftlichen Arbeit hat stets eine mannigfaltige Unterstützungsbereitschaft von Freunden und Freundinnen, Kollegen und Kolleginnen sowie von Institutionen zur Voraussetzung. Ich konnte mich in der glücklichen Lage schätzen, dass dies für die Arbeit an meiner Dissertation, die nun in Form dieses Buches vorliegt, stets gewährleistet war. Die großzügige Zuwendung des Schweizerischen Nationalfonds, der mich während zweier Jahre als Angehenden Forschenden in sein Stipendienprogramm aufnahm, ermöglichte es mir, die aufwändigen Forschungsarbeiten in Berlin und Wien zu bewältigen; darüber hinaus zeigte sich der Schweizerische Nationalfonds auch bereit, einen namhaften Publikationsbeitrag zur Verfügung zu stellen und damit die Finanzierung des vorliegenden Buches zu ermöglichen. Für diese zweifache Unterstützung möchte ich mich ganz herzlich bedanken. Bedanken möchte ich mich außerdem beim österreichischen Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung für den finanziellen Beitrag zur vorliegenden Publikation. Im Anschluss an das Stipendium des Schweizerischen Nationalfonds wurde mir auch von der Hans Streiff Stiftung des Kantons Glarus eine großzügige finanzielle Unterstützung zuteil, für die ich an dieser Stelle ebenfalls meinen herzlichsten Dank ausspreche. Zu großem Dank verpflichtet bin ich auch meinem Doktorvater Prof. Dr. Carlo Moos von der Universität Zürich, der meine Arbeit von Anfang an begleitete und tatkräftig unterstützte. Ebenso herzlich danken möchte ich Univ.-Prof. Mag. DDr. Oliver Rathkolb von der Universität Wien, der mich seit meiner Studienzeit in Wien nach Kräften förderte und mir stets einen Platz in seinem DoktorandInnenseminar zur Verfügung stellte. Mein Dank gebührt aber auch Herrn Prof. Dr. Christian Kaden von der Humboldt-Universität zu Berlin, der mich während meines Berlin-Aufenthaltes herzlich in sein Forschungsseminar aufnahm und mir seine kompetente Unterstützung für die musikwissenschaftlichen Aspekte meiner Arbeit zukommen ließ. Ein ständiger Diskussionspartner, dem ich von der Konzeption bis zum Abschluss der Arbeit in zahllosen Gesprächen ebenso viele Anregungen verdanke und der auch das aufwendige Endlektorat besorgte, ist Stephan Truninger, dem ich zu größtem Dank verpflichtet bin. Herzlich bedanken möchte ich mich auch bei Anja Meyerrose für zahlreiche anregende Diskussionen sowie für das Lektorat einzelner Teile des Manuskripts. Für das umsichtige Textlektorat bedanke ich mich außerdem bei Regine Schwendinger und Jutta Toelle herzlichst. Auch Simone Desiderato und Gesa zur Nieden gebührt ein herzliches Dankeschön für die kritische Durchsicht von Teilen der vorliegenden Arbeit, während ich Simon Zumsteg für die konzeptionelle Beratung in der Frühphase der Arbeit sowie Philippe Sablonier für die grafische Beratung zur Gestaltung des Manuskripts zu Dank verpflichtet bin.
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Vorwort
Dass die intensiven Archivrecherchen, die für meine Arbeit erforderlich waren, verhältnismäßig flott vonstattengingen, ist nicht zuletzt den MitarbeiterInnen der Archive zu verdanken. Namentlich bedanken möchte ich mich an dieser Stelle bei Frau Dr. Silvia Kargl vom Historischen Archiv der Wiener Philharmoniker sowie bei Frau Jutta March vom Archiv der Berliner Philharmoniker. Beiden Orchestern danke ich überdies auch herzlich für die kostenlose Zurverfügungstellung des Fotomaterials, das in diesem Buch – teilweise erstmals überhaupt – präsentiert werden kann. Auch beim Böhlau Verlag und insbesondere bei Bettina Waringer als Verantwortliche für den Satz und das Korrektorat möchte ich mich an dieser Stelle bedanken. In den Dank miteinschließen möchte ich aber nicht zuletzt auch Marlene Pardeller, Martin Spirk und Nikolaus Stenitzer für zahlreiche ausschweifende Bargespräche über Musik, Politik und Gesellschaft. Ein besonderer Dank gilt schließlich meinen Eltern, Fritz und Elsbeth Trümpi-Elmer, die den akademischen Kapriolen ihres Sohnes mit viel Geduld und Gelassenheit entgegenblickten und diese außerdem sowohl finanziell als auch emotionell großzügig unterstützten.
1. Einleitung
„‚Lassen Sie mich die Sache auf die Spitze stellen: Ich hege eine politische Abneigung gegen die Musik.‘ Hier konnte Hans Castorp nicht umhin, sich aufs Knie zu schlagen und auszurufen, so etwas habe er denn doch in seinem Leben noch nicht gehört.“1 Thomas Mann, Der Zauberberg
„Und wer war denn nun schlimmer? Die Berliner oder die Wiener? Und haben sie dann nur noch Wagner gespielt? Das war doch mit Furtwängler, oder?“ Das Thema meines Buches erweckte in Wien jeweils beträchtliche Neugierde, die sich in solchen oder ähnlichen Fragen äußerte, aber auch schon mal ein scherzhaft-ermahnendes „Vernader mir meine Philharmoniker nicht!“2 oder ein echauffiertes „Zeigs diesem Naziorchester!“ hervorrief. Kolleginnen und Kollegen in Berlin hingegen zeigten sich zwar auch nicht uninteressiert, quittierten ihre Aufmerksamkeit aber meist mit einem tendenziell unbeteiligten: „Ja, das klingt doch sehr interessant.“ Während sich GesprächspartnerInnen in Wien in der Regel in eine unmittelbare – sich positiv oder negativ äußernde – Beziehung zu den Wiener Philharmonikern setzten, interessierten in Berlin weniger die Berliner Philharmoniker3 als solche, sondern vielmehr das Thema von Musik im Nationalsozialismus im Allgemeinen. Diese unterschiedlichen Reaktionsweisen in Wien und Berlin verweisen auf unterschiedliche Symbolgehalte der beiden Orchester; den Wiener Philharmonikern kommt in Wien eine ungleich höhere Relevanz zu als den Berliner Philharmonikern in Berlin. Dass die Wiener Öffentlichkeit aus Musikalität ein natürliches Monopol mache, wie es Theodor W. Adorno einmal formulierte,4 kommt in den Erfahrungen, die ich im Zuge meines Dissertationsprojekts in den beiden Städten machte, jedenfalls deutlich zum Ausdruck.
1 2 3 4
Mann, Thomas. Der Zauberberg. Frankfurt am Main 1986. S. 160. Svw. „Aber mach mir meine Philharmoniker nicht schlecht.“ Sie werden in der Folge alternierend mit dem früher offiziellen Namen „Berliner Philharmonisches Orchester“ bezeichnet. Adorno, Theodor W. Wien. In: ders. Quasi una fantasia. Musikalische Schriften II. Gesammelte Schriften 16, S. 433–453. Hier S. 434.
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1. Einleitung
Ein deutlicher Unterschied zwischen den beiden Orchestern zeigt sich heutzutage denn auch in ihrer medialen Vermittlung. Die Berliner Philharmoniker gelten als Hauptträger eines ,deutschen Klanges‘5 , wodurch sie national kontextualisiert und vor dem Hintergrund einer Deutschland-Repräsentation rezipiert werden. Die Wiener Philharmoniker hingegen werden gemeinhin mit ,Wienerischem‘ und der ,Musikstadt Wien‘ assoziiert. Um den ,deutschen Klang‘ der Berliner Philharmoniker entspann sich 2006 eine heftige Debatte, die von einer Polemik gegen den Chefdirigenten des Orchesters, den Briten Simon Rattle, ausging. Der Journalist Axel Brüggemann, Urheber der Polemik, machte geltend, unter Rattles Stabführung habe das Orchester den „seelensuchenden, romantischen Ton“ verloren; inzwischen könnten andere Ensembles „besser in Schwarz-Rot-Gold musizieren“ als die Berliner Philharmoniker.6 Noch Ende 2008, als die Debatte offiziell längst für beendet erklärt worden war, waren deren Nachwehen spürbar. Rattle habe, so stellte ein Journalist in einem „Zeit“-Feuilleton fest,7 dem Orchester den ‚deutschen Klang‘ freilich nicht ausgetrieben, die damalige Hysterie sei „aus der Luft gegriffen“ gewesen: „Stattdessen beschwor der Chef [Rattle, F. T.] einen derartig bruchlosen Klang mit derartig großen Bögen, durchsetzt mit üppigen Ritardandi, als wollte er Furtwänglers Dimensionen mit Karajans Schönklang verbinden.“8 Wie man sich diesen ,deutschen Klang‘ genau vorzustellen habe, erläuterte nicht ohne Bewunderung etwa der finnische Dirigent Sakari Oramo anlässlich eines Konzerts mit den Berliner Philharmonikern: „Das ist zunächst ein besonderer Ernst der Aufführung, ich meine damit nicht unbedingt Strenge. Aber die deutsche symphonische Tradition erhebt den Anspruch auf einen philosophischen Zugang zur Welt. Dazu gehört Genialität und eine besondere Verrücktheit, die sie bei deutschen Dirigenten [...] auch beobachten konnten. [...] Die deutsche Verrücktheit durchbricht Grenzen, aber nicht um etwas zu zerstören, sondern um etwas zu erschließen. Es ist die Verrücktheit, die alles zum Reden bringt.“9
5
6 7 8 9
Im Gegensatz zu doppelten Anführungszeichen, die direkte Zitate markieren, verwende ich die einfachen Anführungszeichen in dieser Arbeit zur Bezeichnung von Schlagwörtern und Wendungen, die im zeitgenössischen, aber auch im wissenschaftlichen Diskurs gemeinhin gebraucht, aber nicht auf einen spezifischen Autor zurückgeführt werden können. Eine weitere Anmerkung gilt es an dieser Stelle bezüglich der Schreibweise von Wörtern mit „ß“ bzw. „ss“ zu machen: In Zitaten übernehme ich jeweils die originale Schreibweise; falls diese von gültigen „ß“-Regeln abweicht, wird dies nicht extra gekennzeichnet. Brüggemann, Axel. DurchgeRATTELt. Zit. in Düker, Ronald. Ein Kritiker knickt ein. In: netzeitung.de. URL: http://www.netzeitung.de/kultur/414196.html, 29. 6. 2006 [Stand: 9. 12. 2008]. Hagedorn, Volker. Große Bögen, deutscher Klang. In: Die Zeit, 20. 11. 2008, 48/2008. Ebd. Brachmann, Jan. „Deutsche Musik muss auch deutsch klingen.“ In: Berliner Zeitung, 9. 6. 2006.
1. Einleitung
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Die überwältigende Mehrheit der zahlreich publizierten Beiträge zum ,deutschen Klang‘ folgt solchen essentialistischen Erläuterungen. Immerhin existieren aber auch einige Darstellungen, die diesen zumindest ansatzweise als Konstrukt auffassen. Daniel Barenboim etwa, Generalmusikdirektor der Staatsoper Unter den Linden, lieferte eine Anleitung zur Herstellung des ,deutschen Klanges‘, den er seinem „West-Eastern Divan Orchestra“ beizubringen versuchte: „Ich kann Ihnen genau erklären, was man tun muss, damit ein Orchester diesen deutschen Klang hat. Es hängt davon ab, wie man einen Ton anfängt. Nicht immer mit Akzent und nicht hart. Es kommt darauf an, dass man den Ton bis zum Ende hält. Dass man während einer rhythmischen Figur den Charakter nicht ändert. Und wenn Sechzehntel oder schnelle Achtel kommen, dass man nicht automatisch mit Akzent spielt. Ich sage dann immer: ,Lasst Eure Achtelmaschine zuhause.‘ Nicht: Takatakatakataka ...“10
Der ,deutsche Klang‘ bildet indes auch hier den Maßstab für gutes Musizieren schlechthin. Bei den Wiener Philharmonikern hingegen orientiert man sich nicht am ,deutschen‘, sondern am ,wienerischen Klang‘. Schon auf ihrer Website erweisen sie dem ‚Wiener Klangstil‘ ihre Referenz: Sie pflegten diesen, indem sie, entgegen internationalen Gepflogenheiten, an älteren Instrumententypen festhielten, ist dort etwa zu lesen.11 Dadurch erzeugten sie „jene[n] Orchesterklang, der in wesentlichen Elementen dem Klang entspricht, den die großen Komponisten der Wiener Klassik, der Wiener Romantik und der Wiener Schule im Ohr hatten, als sie ihre Werke schufen“, so die Wiener Philharmoniker auf ihrer Website. Auch die empirische Wiener Klangforschung – in Wien existiert ein eigenes „Institut für Wiener Klangstil“, das der dortigen Universität für Musik und Darstellende Kunst angegliedert ist12 – versucht etwa mittels Klangexperimenten nachzuweisen, dass sich im Musizieren der Wiener Philharmoniker ,das Wienerische‘ erkennen lasse: „Um festzustellen, ob das Wienerische wirklich auf Tonaufnahmen erkennbar ist, wurde eine groß angelegte wissenschaftliche Studie durchgeführt, an der hunderte von professionellen Musikern, Amateurmusikern, Musikstudenten und Musikliebhabern teilgenommen haben. Neben über 500 Österreichern beantworteten auch Musikergruppen in Athen, Paris, Warschau und Prag sowie Mitarbeiter der Deutschen Grammophon in Berlin und
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Kaiser, Kai Luehrs. Daniel Barenboim erklärt den „deutschen Klang“. In: Berliner Morgenpost, 24. 8. 2008. Wiener Philharmoniker. Der Wiener Klangstil. URL: http://www.wienerphilharmoniker.at/index.php?set_ language=de&cccpage=viennese_sound [Stand: 9. 12. 2008]. Institut für Wiener Klangstil. URL: http://iwk.mdw.ac.at [Stand: 19. 1. 2009].
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1. Einleitung
Hamburg den ‚klingenden Fragebogen‘. Die Aufgabe bestand darin, von zwei Musikbeispielen ein und derselben Orchesterstelle dasjenige der Wiener Philharmoniker zu erkennen und falls möglich die Merkmale zu nennen, aufgrund welcher die Unterscheidung getroffen wurde.“13
Im Ergebnis konnte ‚das Wienerische‘ jedoch keineswegs eindeutig zugeordnet werden.14 Diese unterschiedlichen Zuschreibungen – ‚deutsch‘ für die Berliner Philharmoniker, ,wienerisch‘ für die Wiener Philharmoniker – reichen weit zurück. In der vorliegenden Arbeit werden sie als Ergebnis einer Art von Markenbildungsprozessen bei den Orchestern verstanden, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts ihren Anfang nahmen und sich mit dem Beginn des republikanischen Zeitalters stark beschleunigten; bis heute wird der Markenaspekt bei beiden Orchestern immer wieder hervorgehoben.15 Anhand der Genese und der Entwicklung dieser Markenbildungsprozesse, die eng an die politische Geschichte Deutschlands und Österreichs geknüpft sind, soll in den folgenden Kapiteln der Politisierungsverlauf der beiden Orchester nachgezeichnet und interpretiert werden. Ist die Entwicklungsgeschichte der 1882 gegründeten Berliner Philharmoniker eng mit jener des Labels ‚Made in Germany‘ verknüpft,16 so waren die Wiener Philharmoniker, deren erste Konzerte aus dem Vormärz (1842) datieren, schon früh wichtige Träger des ‚Musikstadt Wien‘-Labels17. Die jeweilige Geschichte der beiden Orchester ist darum auch als Geschichte 13
14 15
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Bertsch, Matthias. Der Wiener Orchesterklang: Ein Mythos auf dem Prüfstein. In: Das Orchester, 09/2002, S. 18 ff. Ebd., S. 18 ff. Deklariertes Ziel einer Partnerschaft der Wiener Philharmoniker und der Marketingagentur T.E.A.M. Marketing AG, die das Orchester im Mai 2007 einging, war die „Weiterentwicklung der Marke Wiener Philharmoniker“ bzw. deren „Stärkung“, wie Orchestervorstand Clemens Hellsberg betonte. Pressemitteilung vom 23. 5. 2007. URL: http://www.presseportal.ch/de/pm/100005185/100534096/ t_e_a_m_marketing_ag [Stand: 10. 12. 2008]. Die erwähnte Debatte um den Verlust des ‚deutschen Klangs‘ der Berliner Philharmoniker wurde ebenfalls unter dem Markenaspekt abgehandelt. So veröffentlichte der Berliner Tagesspiegel einen Beitrag unter dem Titel „Klang und Marke“ und stellte fest, der „Kern des Problems“ liege „in der Verwässerung der Marke ,Berliner Philharmoniker‘“; in den unter Rattle eingeführten Jugendprojekten, durch die sich das Orchester als eines „für alle“ gebärdete, sah die Zeitung „den Markenkern“ des Orchesters „gefährdet“. Tewinkel, Christiane. Klang und Marke. Zum Streit um Simon Rattle und die Berliner Philharmoniker. In: Der Tagesspiegel, 27. 5. 2006. Die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte von ‚Made in Germany‘ prägnant bei Umbach, Maiken. Made in Germany. In: François, Etienne/Schulze, Hagen (Hrsg.). Deutsche Erinnerungsorte, II. München 2003. S. 405–418. Zur Genese der ‚Musikstadt Wien‘ vgl. Nußbaumer, Martina. Musikstadt Wien. Die Konstruktion eines
1. Einleitung
15
ihrer Labels zu begreifen. Diese wiederum referiert im weiteren Sinne auf die machtpolitischen Konstellationen in Europa: Österreich-Ungarn und Preußen rivalisierten miteinander um die Vorherrschaft innerhalb der ‚deutschen‘ Gebiete; nach einer Reihe von außenpolitischen Niederlagen der Habsburger setzte sich mit der Gründung des Deutschen Reiches 1870/71 schließlich die ‚kleindeutsche Lösung‘ durch, die Preußen den Zuschlag brachte und von der Österreich-Ungarns Einfluss in Europa erheblich geschwächt wurde. Die beschleunigte Herausbildung des ‚Musikstadt Wien‘-Topos ist in diesen Zusammenhang zu stellen: Sie kann als Versuch betrachtet werden, die außenpolitische Machtverminderung mit dem Argument der kulturellen Überlegenheit zu kompensieren.18 Kennzeichnend ist dabei die rückwärtsgewandte Konstruktion des ‚Musikstadt‘-Topos: Martina Nußbaumer zufolge erwies sich die ‚Musikstadt Wien‘-Erzählung seit dem Beginn ihrer breiteren Etablierung als stark retrospektiv und antimodern; die Zunahme essentialistischer Begründungs- und Beschreibungsmuster der ‚Musikstadt‘ im ausgehenden 19. Jahrhundert hätten das antimoderne Moment außerdem zusätzlich gestärkt.19 Seit der Zeit der christlichsozialen Ära in Wien, also im Wesentlichen seit der Ära des antisemitischen Wiener Bürgermeisters Karl Lueger (1897–1910) sei die Musik im Rahmen von „nostalgischen ,Alt-Wien‘-Bezügen“ zunehmend als „apolitische Beschwichtigungsstrategie“ eingesetzt worden.20 Diese Kompensationsstrategie erhielt sowohl 1918, als die ehemalige Großmacht Österreich-Ungarn zu einem Kleinstaat zusammengeschrumpft war, als auch durch den ‚Anschluss‘ im März 1938, als Österreich in Nazi-Deutschland aufging, starke neue Impulse. Die Konkurrenz zu Berlin jedenfalls prägte spätestens ab 1870/71 Wiens Imagepolitik, die zu einem wichtigen Teil auf dem ‚Musikstadt‘-Topos gründete, kontinuierlich mit.
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Images. Freiburg im Breisgau/Berlin/Wien 2007. Nußbaumer führt die Wiener Philharmoniker schon für die Zeit um 1910 als „zentrale Promoter der ,Musikstadt‘“ an (S. 234). Ebd., S. 16. Ebd., S. 357. Ebd., S. 237. Zu ‚Alt-Wien‘ vgl. ferner Kos, Wolfgang/Rapp, Christian (Hrsg.). Alt-Wien. Die Stadt, die niemals war. Wien 2005 [2004]. Nach Kos/Rapp umreißt die Bezeichnung ‚Alt-Wien‘ jedoch keinen genauen Begriff, sondern stellt einen „Mythos“ dar, der besagt, dass Wien „auf geradezu virtuose Weise Spuren einer angeblich ‚guten alten Zeit‘ in sich gespeichert“ habe; es gebe nicht „ein ‚Alt-Wien‘“, sondern jede Epoche habe ihr eigenes gehabt. Die Erinnerung an ‚Alt-Wien‘ sei kurz nach der Schleifung der Befestigungsanlagen der Stadt (1857) bzw. im Zuge des Ringstraßen-Projekts zur „großen Zeitmode“ geworden. Die Argumente der ‚Alt-Wien‘-Diskussion hätten sich seither kaum verändert; auf die kürzeste Formel gebracht lauteten sie: „Wer demoliert und modernisiert, ist brutal und zerstört die Seele der Stadt.“ Die Nostalgiefalle. Wolfgang Kos und Christian Rapp im Gespräch mit Franz Julius Manderle. In: Kos/Rapp, Alt-Wien, S. 10–19. Hier S. 10 ff.
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1. Einleitung
Dieses Konkurrenzverhältnis zwischen Wien und Berlin war jedoch nicht von Anfang an reziprok. Österreich-Ungarn wurde vom Deutschen Reich weniger als Rivale denn als stabilisierender Faktor für seine ‚weltpolitischen‘ Ambitionen betrachtet.21 Berlins Herausforderungen gingen seit der Reichsgründung 1870/71 nicht von der außenpolitisch geschwächten Donaumonarchie aus, sondern von der Wirtschafts- und Kolonialmacht des 19. Jahrhunderts schlechthin: von England. Deutschland entwarf sein außenpolitisches Programm als ‚Weltpolitik‘, die das Ziel verfolgte, die britische Hegemonie zu brechen und sich damit Aufnahme in den Kreis der ‚Weltreiche‘ zu verschaffen.22 Das ‚Made in Germany‘-Label verkörperte diese außenpolitische Offensive auf der wirtschaftlichen, die 1897 in Gang gesetzte Flottenpolitik auf der militärischen Ebene.23 Dieses Streben nach Weltmacht war das kontinuierliche Element des deutschen Kaiserreichs. Nach Ende des Ersten Weltkriegs wurde es durch die Auflagen im Vertrag von Versailles zwar kurzzeitig suspendiert und von einer Phase der Verständigungspolitik abgelöst. Spätestens zu Beginn der 1930er-Jahre setzte der Hegemonieanspruch Deutschlands jedoch umso aggressiver wieder ein und wurde von den Nationalsozialisten schließlich für eine verbrecherische Eroberungspolitik instrumentalisiert. Es wird zu zeigen sein, dass die Geschichte der Wiener und Berliner Philharmoniker eng an die außenpolitischen Verläufe Deutschlands und Österreichs geknüpft ist und dass die Ausgestaltung der philharmonischen Aktionsfelder somit vorweg politisch bestimmt war: Hier hakt die vorliegende Arbeit ein und fragt nach Aspekten der Politisierung der Wiener und der Berliner Philharmoniker, das heißt, danach, welche politischen Vorgaben und Gesichtspunkte für die Gestaltung ihrer Konzertpraxis maßgebend waren und wie diese in ihrer musikalischen Reproduktion wirksam gemacht wurden. Den zentralen Zeitraum der Untersuchung bildet dabei die Periode des Nationalsozialismus. Dies aus zwei Gründen: Einerseits ist der Nationalsozialismus insofern durch den Primat der Politik gekennzeichnet, als dass der politische Einfluss sowohl auf die Organisationsform als auch auf die Konzertpraxis der beiden Orchester während dieser Zeit kulminierte. Wurde ‚Kulturpolitik‘ in der Zwischenkriegszeit in erster Linie als ‚Kulturförderung‘ aufgefasst, gerann sie im National-
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Mommsen, Wolfgang J. Grossmachtstellung und Weltpolitik. Die Außenpolitik des Deutschen Reiches 1870 bis 1914. Frankfurt a. Main/Berlin 1993. S. 107 ff. Conrad, Sebastian. Globalisierung und Nation im Deutschen Kaiserreich. München 2006. S. 46. Zum in der historischen Forschung viel diskutierten Begriff „Weltpolitik“ vgl. außerdem die diversen Positionsbezüge bei Smith, Woodruff D. „Weltpolitik“ und „Lebensraum“. In: Conrad, Sebastian/Osterhammel, Jürgen. Das Kaiserreich transnational. Deutschland in der Welt 1871–1914. Göttingen 2004. S. 29–48. Vgl. ebd., S. 46, S. 70 sowie S. 280.
1. Einleitung
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sozialismus zu einem Instrument der staatlich gelenkten ‚Kulturpropaganda‘:24 ‚Musikpolitik‘ wurde, pointiert ausgedrückt, zu Politik mit Musik – darin besteht meines Erachtens der eigentliche Bruch gegenüber der Zeit vor der Machtübertragung, der sich im Nationalsozialismus am Musikbetrieb vollzog. Diese Zäsur gilt es zu begreifen und auf ihre Wirksamkeit an den beiden Orchestern hin zu untersuchen. Andererseits veränderte sich im Nationalsozialismus das Konkurrenzgefüge sowohl für die beiden Städte Wien und Berlin als auch für die beiden philharmonischen Orchester. Der vormals zwischenstaatlich ausgetragene Wettbewerb wurde durch den ‚Anschluss‘ Österreichs an NS-Deutschland vom 12./13. März 1938 in einen binnenstaatlichen transformiert. Die Konkurrenzsituation entspannte sich dadurch aber nicht, sondern verschärfte sich in gewisser Weise vielmehr für beide Seiten; dies lässt sich vor allem auf das den Nationalsozialismus kennzeichnende ‚Führerprinzip‘ zurückführen,25 das sowohl Goebbels als Gauleiter von Berlin und Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda als auch den Gauleiter und Reichsstatthalter von Wien (ab Sommer 1940 Baldur von Schirach) als jeweilige oberste Instanz ihres Territoriums dazu anhielt, am ehrgeizig betriebenen innerstaatlichen Wettbewerb zu partizipieren – „Hyperaktivität“ und „Konkurrenzdenken“ waren Markenzeichen der nationalsozialistischen Kulturpolitik.26 Für die Ausgestaltung dieses Wettbewerbs aber stellten die beiden Orchester wichtige Instrumente dar: Weil die Berliner und Wiener Philharmoniker längst in kulturpolitisch relevante Labels eingeschrieben waren, vermochten sie bezüglich der Städtekonkurrenz eine umso größere Wirkung zu entfalten. Die zeithistorische Beschäftigung mit der politisierten musikalischen ‚Hochkultur‘ im Nationalsozialismus setzte verhältnismäßig spät ein, wobei in jüngster Zeit eine starke Zunahme an Einzeluntersuchungen zu spezifischen Themenbereichen zu verzeichnen ist.27 Aus der Vielzahl an Arbeiten sei hier auf zwei frühe Grundlagenwerke verwiesen: Pionierarbeit leistete Fred K. Prieberg mit seinem breit angelegten Überblick über die „Musik im NS-Staat“ 24 25 26
27
Vgl. etwa Rytlewski, Ralf. Kulturpolitik. In: Holtmann, Everhard. Politik-Lexikon. München 2000. S. 330 ff. Zeitgenössische Definitionen des „Führerprinzips“ bei Schmitz-Bernig, Cornelia. Vokabular des Nationalsozialismus. Berlin 2007. S. 246 f. Dahm, Volker. Kulturpolitischer Zentralismus und landschaftlich-lokale Kulturpflege im Dritten Reich. In: Möller, Horst/Wirsching, Andreas/Ziegler, Walter. Nationalsozialismus in der Region. Beiträge zur regionalen und lokalen Forschung und zum internationalen Vergleich. München 1996. S. 123–138. Hier S. 134. Dahm stellt ab 1933 eine generelle „Zunahme partikularer kultureller Aktivitäten“ fest, die er auf „Hyperaktivität“ und „Konkurrenzdenken“ zwischen den einzelnen Gauen und Kreisen zurückführt. Einen Überblick über die aktuelle Forschungsliteratur zum Themenkomplex „Musik im Nationalsozialismus“ bei Sieb, Rainer. Der Zugriff der NSDAP auf die Musik. Zum Aufbau von Organisationsstrukturen für die Musikarbeit in den Gliederungen der Partei. Dissertation an der Universität Osnabrück 2007. S. 4 ff.
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1. Einleitung
von 1982, der sich durch einen überbordenden Quellenreichtum gleichermaßen auszeichnet wie durch die weitgehende Abstinenz einer systematischen Darstellung.28 Auf ähnlich breiter Quellenbasis, jedoch mit einem starken Österreich-Bezug, operierte knapp zehn Jahre später auch Oliver Rathkolb in seiner Schilderung der NS-Kulturpolitik unter dem Eindruck von Eliten-Diskursen.29 Die Publikationen, die sich mit einzelnen Orchestern in der NS-Zeit beschäftigen, lassen sich jedoch beinahe an einer Hand abzählen;30 dementsprechend liegen auch zur Geschichte der Wiener und Berliner Philharmoniker im Nationalsozialismus bislang nur wenige Veröffentlichungen vor. Für das Berliner Orchester sei an erster Stelle auf den wegweisenden Aufsatz von Pamela Potter hingewiesen; als Erste setzte sie sich detailliert mit der Geschichte des Orchesters während des Nationalsozialismus auseinander und legte dabei insbesondere die ökonomischen Zusammenhänge zwischen Orchester- und NS-Politik frei.31 Mit dem Teilbereich der Auslandskonzerte der Berliner Philharmoniker während der NS-Zeit beschäftigte sich Henning G. Bleyl,32 während Misha Aster anlässlich des 125-Jahr-Jubiläums der Berliner Philharmoniker im Herbst 2007 eine umfangreiche Monografie zum Orchester im Nationalsozialismus lieferte.33 Damit leistete er einen detaillierten und empirisch breit abgestützten Beitrag zur Orchestergeschichte, dem ich diverse Anregungen verdanke, auch wenn ich seiner Argumentation mitunter nicht folge und mit ihr darum bisweilen in eine kritische Auseinandersetzung treten werde. Auch die Anzahl der Forschungsbeiträge zu den Wiener Philharmonikern im Nationalsozialismus nimmt sich bescheiden aus. Oliver Rathkolb war der Erste, der die Verknüpfungen des Orchesters mit der nationalsozialistischen Kulturpolitik behandelte.34 Daran 28 29 30
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Prieberg, Fred K. Musik im NS-Staat. Köln 2000 [1982]. Rathkolb, Oliver. „Führertreu und Gottbegnadet.“ Künstlereliten im Dritten Reich. Wien 1991. Auch Publikationen zu anderen Orchestern als den Berliner und Wiener Philharmonikern gibt es nur wenige: Kreczi, Hanns. Das Bruckner-Stift St. Florian und das Linzer Reichs-Bruckner-Orchester (1942–1945). Graz 1986; Permoser, Manfred. Die Wiener Symphoniker im NS-Staat. Wien 2000; Budde, Gunilla-Friederike. Beethoven unterm Hakenkreuz. Das Oldenburgische Staatsorchester während des Nationalsozialismus. Isensee 2007. Potter, Pamela M. The Nazi „Seizure“ of the Berlin Philharmonic, or the Decline of a Bourgeois Musical Institution. In: Cuomo, Glenn R. National Socialist Cultural Policy. London 1995. S. 39–65. Bleyl, Henning. Klassische Musik als Propaganda-Medium? Zur politischen Funktion der Auslandsreisen der Berliner Philharmoniker für den NS-Staat. In: Könneker, Carsten et al. (Hrsg.). Kultur und Wissenschaft beim Übergang ins „Dritte Reich“. Marburg 2000. S. 29–46. Aster, Misha. „Das Reichsorchester.“ Die Berliner Philharmoniker und der Nationalsozialismus. München 2007. Im Gegenzug dazu erwies sich Herbert Haffners populärwissenschaftliche Publikation zum Orchesterjubiläum als weitgehend unbrauchbar, zumal der Autor darin keinerlei Quellenverweise liefert. Haffner, Herbert. Die Berliner Philharmoniker. Eine Biografie. Mainz 2007; der Abschnitt zum Nationalsozialismus auf S. 95–136. Rathkolb, Künstlereliten, S. 113–134.
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schloss kurze Zeit später auch das Orchester selbst an: Der damalige Leiter des Historischen Archivs der Wiener Philharmoniker und heutige Orchestervorstand Clemens Hellsberg handelte die Geschichte des Orchesters im Nationalsozialismus in einem umfangreichen Kapitel seiner Gesamtdarstellung der Geschichte der Wiener Philharmoniker ab, welche anlässlich des 150-jährigen Jubiläums der Philharmonischen Konzerte 1992 erschien.35 Mehr als ein Jahrzehnt später griffen junge HistorikerInnen, darunter meine Kollegin Bernadette Mayrhofer und ich selbst, die Frage nach der politischen Geschichte der Wiener Philharmoniker wieder auf und untersuchten insbesondere Aspekte der nationalsozialistischen Rezeption des Orchesters36 sowie der Vertreibung und Emigration von Mitgliedern der Wiener Philharmoniker.37 Seither hat das Thema wieder an Brisanz gewonnen. Fragen um einen ungehinderten Zutritt zum Historischen Archiv der Wiener Philharmoniker38 wurden laut und waren vor nicht allzu langer Zeit, anlässlich der Ausstellung „70 Jahre danach – Die Wiener Staatsoper und der ,Anschluss‘ 1938: Opfer, Täter, Zuschauer“,39 wieder Gegenstand einer aufgeregt geführten Auseinandersetzung;40 bis vor Kurzem wurde er außenstehenden ForscherInnen, die sich mit der jüngeren Geschichte des Orchesters beschäftigten, prinzipiell verweigert.41 Nachdem auch meine Forschungen im Rahmen der Lizentiatsarbeit in den Jahren 2003 und 2004 von diesem philharmonischen Verdikt betroffen waren, kam ich nach diversen Briefwechseln und Gesprächen mit dem Orchestervorstand, Herrn Clemens Hellsberg, sowie mit Herrn Dieter Flury, Geschäftsführer der Wiener Philharmoniker, zur Übereinkunft, für mein Dissertationsprojekt die Materialien im Historischen Archiv uneingeschränkt sichten und auswerten zu können.42 Damit erhielt ich als erster externer Forschender überhaupt Zu35 36
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Hellsberg, Clemens. Demokratie der Könige. Die Geschichte der Wiener Philharmoniker. Zürich 1992. S. 459–505. Trümpi, Fritz. „Die Wiener Philharmoniker sind das grosse Geschenk der Ostmark an das Gross-Deutsche Reich in der Kunst.“ Fallstudie zur Instrumentalisierung von „klassischer“ Musik im Nationalsozialismus. Lizentiatsarbeit an der Universität Zürich 2004. Mayrhofer, Bernadette. „Die Angelegenheit des Judenabbaus geht jetzt ganz ruhig vor sich.“ Vertreibung von Wiener Philharmonikern nach 1938 und ihr Leben im Exil. Diplomarbeit an der Universität Wien 2005. Fortan abgekürzt mit HAWPh. Vgl. den Ausstellungskatalog: Láng, Andreas [Red.]. 70 Jahre danach – die Wiener Staatsoper und der „Anschluss“ 1938. Ausstellung im Gustav-Mahler-Saal der Wiener Staatsoper, 10. März bis 30. Juni 2008. Wien 2008. Vgl. etwa Simon, Anne-Catherin. Hellsberg unter Beschuss: „Absurd und infam.“ In: Die Presse, 6. 3. 2008. Zur Korrespondenz um Archivzutritt des Verfassers vgl. Trümpi, „Philharmoniker“, S. 2 f. Ferner: Mayrhofer, Bernadette. Vertreibung von Wiener Philharmonikern aus dem Orchester nach 1938 und die versäumte Reintegration nach 1945. In: Zeitgeschichte 2/2007 – Politisierte Musik. S. 72–94. Hier S. 73 f. Dafür möchte ich mich bei den beiden Herren an dieser Stelle herzlich bedanken. In den Dank schließe ich ebenso das Team des Historischen Archivs, insbesondere Frau Dr. Kargl für ihre große Hilfsbereitschaft, ganz herzlich mit ein.
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gang zu Archivalien, die bisher nur in Clemens Hellsbergs Orchestergeschichte auszugsweise präsentiert wurden, ansonsten von der Öffentlichkeit bislang jedoch nicht wahrgenommen werden konnten und hier erstmals umfangreich diskutiert werden. Von besonderem Interesse waren dabei die Protokolle der Komiteesitzungen und Hauptversammlungen,43 die tiefe Einblicke in die operative Führung der Wiener Philharmoniker erlaubten: Sie bilden den Kern des Quellenkorpus zum Wiener Orchester, der allerdings einige Lücken aufweist. Sämtliche Protokolle der Zeit zwischen 1925 und 1933 fehlen im Archiv. Ab 1933 sind die Protokolle der Hauptversammlungen wieder überliefert, nicht jedoch jene der Komiteesitzungen. Erst ab April 1938 sind die Sitzungsmitschriften beider Gremien im Archiv wieder vorhanden. Nebst den Protokollen waren auch die Korrespondenzmappen eine wichtige Quelle, auch wenn sie in den meisten Fällen nur die beim Orchester eingegangenen Briefe, nicht aber Abschriften der Schreiben, welche die Wiener Philharmoniker versandt hatten, enthalten. Da das Orchester auch im ‚Dritten Reich‘ weiterhin als Verein organisiert war und bei internen Angelegenheiten in deutlich geringerem Umfang von politischen Instanzen behelligt wurde als die im Januar 1934 in einen Staatsbetrieb umgewandelten Berliner Philharmoniker, sind Materialien zu den Wiener Philharmonikern in den beiden staatlichen Archiven, im Österreichischen Staatsarchiv (Wien) sowie im Bundesarchiv (Berlin), nur vereinzelt vorhanden. Mehrere Quellen fanden sich hingegen im Vereinsakt der Wiener Philharmoniker, der im Wiener Stadt- und Landesarchiv greifbar ist.44 Mit einer völlig anderen Quellenlage war ich bei den Berliner Philharmonikern konfrontiert. Der Zugang zum Archiv der Berliner Philharmoniker45 erwies sich als unproblematisch: so verfügt es über fixe Öffnungszeiten und steht der interessierten Öffentlichkeit ohne Einschränkungen zur Verfügung. Hinweise auf die orchesterinternen Verhältnisse sind in dessen Archivalien jedoch kaum zu finden: Ein „Protokollbuch“ der früheren Orchestervorstände, aus dem einige Auszüge in Form von Abschriften archiviert sind und das über die internen Entscheidungsabläufe mit Sicherheit einige Aussagekraft hätte, gilt nach Aussage von Jutta March, der damaligen Leiterin des Archivs der Berliner Philharmoniker, für deren kooperative Zusammenarbeit ich mich an dieser Stelle herzlich bedanke, als verschollen.46 Hingegen verfügt das Archiv der Berliner Philharmoniker über eine Vielzahl an Quel43
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Das Komitee bildet bei den als Verein verfassten Wiener Philharmonikern den Vorstandsausschuss, der mit der administrativen und operativen Leitung des Orchesters befasst ist, während die Hauptversammlung das aus sämtlichen Vereinsmitgliedern bestehende beschlussfassende Organ darstellt. Wiener Stadt- und Landesarchiv (WSL), M. Abt. 119, A 32: Gelöschte Vereine, 4602/21. Fortan abgekürzt mit ABPhO. Gespräch zwischen Jutta March und F. T. im Archiv der Berliner Philharmoniker, 1. 11. 2006. Gesprächsnotiz von F. T.
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len, die die Interaktionen zwischen dem Orchester und behördlichen bzw. politischen Stellen dokumentieren. Damit ließ sich das Quellenkorpus zum Berliner Philharmonischen Orchester, das sich zu einem großen Teil aus den zahlreich vorhandenen Akten des Bundesarchivs zusammensetzt, gewinnbringend ergänzen. Für die Zeit vor 1933 sowie für die Frühphase des NS-Staates konnte außerdem auf diverse Materialien aus dem Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz47 und dem Landesarchiv Berlin48 zurückgegriffen werden. Für die beiden Orchester standen somit äußerst unterschiedliche Quellentypen zur Verfügung: Im Falle der Wiener Philharmoniker dokumentieren die Archivalien in erster Linie die Innenperspektive des Orchesters, im Falle der Berliner Philharmoniker jedoch vor allem die Interaktionen zwischen dem Orchester und den Behörden sowie den Ministerien. Die Unterschiedlichkeit der Quellen ist hinsichtlich der Vergleichbarkeit der Politisierung der Orchester nicht unproblematisch, doch ließ sie sich durch den Zuzug von Quellenmaterial von außerhalb der philharmonischen Archive weitgehend einebnen – auf die ergiebigen Recherchen im Bundesarchiv und im Österreichischen Staatsarchiv wurde bereits hingewiesen. Gewisse „Vergleichslücken“ konnten dennoch nicht ganz geschlossen werden; insbesondere was die ökonomische Entwicklung der Orchester betrifft, ist die Vergleichbarkeit nur begrenzt gewährleistet: Während sich die Einkommensverhältnisse der Berliner Philharmoniker anhand der bestens dokumentierten Lohnpolitik, die Goebbels für das Orchester betrieb, gut nachzeichnen lassen, sind sie für die Wiener Philharmoniker nur in Ausschnitten überliefert, da die Buchhaltungsunterlagen nicht über die gesetzlich vorgeschriebene Aufbewahrungszeit hinaus archiviert wurden.49 Insgesamt ist in Anbetracht des weit gefächerten Quellenkorpus jedoch ein empirisch abgestützter Vergleich der Politisierung der beiden Orchester trotz der genannten Unterschiede der Hauptquellen ohne Weiteres zu leisten. Im Zusammenhang mit der empirischen Basis der Arbeit ist auf eine große Forschungslücke aufmerksam zu machen, welche dieses Buch nur teilweise zu schließen vermag: die Aufarbeitung des musikalischen Repertoires. Bei der im Schlusskapitel präsentierten Repertoirestudie handelt es sich nicht um eine eigentliche Repertoirestatistik: Das außerordentlich breite Repertoire insbesondere der Berliner Philharmoniker böte bereits ausreichend Stoff für eine eigene Dissertation, in welcher zunächst methodologische Diskussionen geführt und sodann statistisch fundierte Methoden angewandt werden müssten. Leider beschäftigte sich die Musikwissenschaft bislang äußerst spärlich mit dem Repertoire der beiden Orchester, sodass
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Fortan mit GStA bezeichnet. Für die spontane und hilfreiche Unterstützung meiner Recherchen danke ich an dieser Stelle dem ehemaligen Direktor des Landesarchivs Berlin, Herrn Dr. Jürgen Wetzel, ganz herzlich. Gemäß Auskunft von Frau Dr. Kargl (HAWPh) und Frau Sisolak (Buchhaltung der Wiener Philharmoniker).
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dazu kaum Studien existieren, die für die sozial- und kulturhistorische Forschung brauchbar wären. Für die Wiener Philharmoniker kann zwar auf eine solche verwiesen werden.50 So unternahm Desmond Mark auf der Grundlage von John H. Muellers Untersuchung über das Repertoire amerikanischer Orchester51 den Versuch, eine Auswahl an Komponisten, die von den Wiener Philharmonikern und Wiener Symphonikern aufgeführt wurden, in ihrer longue durée darzustellen (Mark benutzt dazu den von Mueller entlehnten, etwas verwirrenden Begriff der Lebenszyklen der Komponisten), das heißt, er verfolgte die Präsenz dieser Komponisten in den Programmen der beiden Orchester über einen langen Zeitraum. Diesen Zeitraum (1842 bis 1974) unterteilte er allerdings in Fünfjahresperioden und errechnete jeweils deren Mittelwerte. Auch die Jahre 1935–1940 und 1940–1945 fasste er zu je einer Periode zusammen, sodass die Zäsur von 1938 dadurch nicht erfassbar ist, was Marks Untersuchung für die hier diskutierten Zusammenhänge unbrauchbar macht.52 Es blieb somit nichts anderes übrig, als die Zählarbeit anhand eines elektronischen Verzeichnisses, das mir vom Historischen Archiv der Wiener Philharmoniker dankenswerterweise zur Verfügung gestellt wurde, von neuem zu leisten. Für das Berliner Philharmonische Orchester liegt zwar eine publizierte Programmsammlung von Peter Muck vor,53 eine Repertoirestudie steht aber auch für dieses Orchester noch aus.54 Misha Aster widmet der Programmgestaltung in seiner Darstellung der Berliner Philharmoniker in der NS-Zeit zwar ein ausführliches Kapitel,55 ohne dass er jedoch die äußerst aufwändige Zähl- und Auswertungsarbeit, die einer fundierten Interpretation der Programmgestaltung unbedingt vorausgehen muss, auf sich genommen hätte. Die fehlende Quantifizierung des Repertoires kann Aster auch durch die immerhin zahlreich angeführten
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Mark, Desmond. Zur Bestandaufnahme des Wiener Orchesterrepertoires. Ein soziographischer Versuch nach der Methode von John H. Mueller. Wien 1979. Mueller, John H. The American Symphony Orchestra: A Social History of Musical Taste. Bloomington 1951. Insbesondere was das zäsurhafte Verschwinden jüdischer Komponisten aus den Konzertprogrammen nach März 1938 anbelangt, vermitteln Marks Diagramme Unwahres, obschon aus statistisch-rechnerischer Sicht nichts dagegen eingewendet werden kann: So fallen die Werte etwa für Mahler oder Mendelssohn zwischen 1935 und 1945 nie auf null herunter, da bei dieser Periodenbildung jeweils eine kürzere oder längere Zeit noch nicht oder nicht mehr vom Nationalsozialismus erfasst war, in welcher Musik der beiden Komponisten aufgeführt wurde. Muck, Peter. Einhundert Jahre Berliner Philharmonisches Orchester. 3: Die Mitglieder des Orchesters. Die Programme. Die Konzertreisen. Erst- und Uraufführungen. Tutzing 1982. [Nachfolgend: Muck 3]. Nur für die Nachkriegszeit steht eine Untersuchung des Repertoires der Berliner Philharmoniker zur Verfügung: Vogt, Annemarie. Warum nicht Beethoven? Repertoire und Programmgestaltung des Berliner Philharmonischen Orchesters 1945–2000. Berlin 2002. Aster, „Reichsorchester“, S. 235–277 („Musikalische Programmgestaltung im Wandel“).
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Beispiele in seinem Repertoirekapitel nicht wettmachen. Die Mangelhaftigkeit seiner Repertoiredarstellung führt Aster außerdem verschiedentlich zu schwerwiegenden Fehleinschätzungen.56 Dass er hingegen mit einigem Erfolg der Frage nach den Interaktionen zwischen administrativer Orchesterleitung, Dirigenten und RMVP bezüglich der Programmgestaltung nachspürte, soll hier keineswegs bestritten werden. Gerne schließe ich diese forschungskritischen Bemerkungen mit dem Appell an die Musikwissenschaft, die bislang allzu spärlich betriebene Repertoireforschung zu intensivieren und Forschungslücken wie die hier beschriebene in näherer Zukunft zu schließen, auch um der sozial- und kulturwissenschaftlichen Forschung die Beschäftigung mit Musik zu erleichtern. Die vergleichende Perspektive dieser Arbeit rührt vom Gegenstand her. Sie steht jedoch nicht im Zeichen einer Relativierung der politischen Grundlagen der beiden Orchester, sondern soll mithelfen, ihren Gegenstand besser zu begreifen, indem sie diesen von seinen jeweiligen Gegenpolen her denkt: Die Wiener und Berliner Philharmoniker standen einander im Entwicklungsprozess ihrer Konzertpraxis diametral gegenüber; entsprechend den jeweiligen Labelanbindungen verkörperten jene eine weitgehend ‚traditionelle‘, diese eine tendenziell ‚modern-fortschrittliche‘ Ausrichtung. Eine Analyse der politischen Funktionen der beiden Orchester im Nationalsozialismus lotet darum implizit auch den Zustand des damaligen Musikbetriebs aus. Die vorliegende Arbeit beschränkt sich zwar auf die Bestimmung und die Untersuchung der politischen Grundlagen der jeweiligen Orchesterpraxis, versteht sich dabei aber keineswegs als ‚vergleichende Orchestergeschichte‘, sondern als Beitrag zur Erforschung der nationalsozialistischen Politik mit Musik. Damit schreibt sich dieses Buch mitunter auch in eine Debatte ein, die in diesem Zusammenhang seit Längerem äußerst kontrovers geführt wird: jene um das Verhältnis des Nationalsozialismus zur Moderne. Während sich die Beiträge zu dieser Diskussion lange Zeit in erster Linie zum Stand der ‚Modernisierung‘ im Nationalsozialismus als solcher äußerten,57
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Nach seiner (ohne Verweise auskommenden) Darstellung des Repertoires sollten etwa französische Komponisten wie Debussy, Franck und Ravel, die bis 1939 gespielt worden seien, nach diesem Datum sofort von den Konzertprogrammen verschwunden sein. Aster, „Reichsorchester“, S. 253. In der Spielzeit 1939/40 führte das Orchester jedoch allein in den Abonnementkonzerten als den repräsentativsten aller philharmonischen Veranstaltungen dreimal Werke von Franck auf, 1942/43 wiederum dreimal und 1944/45 zweimal (gemäß Programmsammlung bei Muck 3). Auch Ravel bildete 1943/44 sowie 1944/45 zweimal einen Programmpunkt in den Abonnementkonzerten. Einer tabellarischen Darstellung der von Muck besorgten Zusammenstellung der philharmonischen Programme (auf die sich Aster bisweilen auch beruft) wäre diese an sich banale Feststellung schwerlich entgangen. Zu Geschichte, Gehalt und Intentionen der Debatte vgl. den kritischen Überblick bei Frei, Norbert. Wie modern war der Nationalsozialismus? In: Geschichte und Gesellschaft 19, 1993. S. 367–387.
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bildete sich ab dem Beginn der 1990er-Jahre auch ein spezifischer Fokus auf die nationalsozialistische Kulturpolitik heraus.58 Die Schere zwischen den Positionen könnte sich dabei kaum weiter öffnen, wie ein Blick auf zwei einander diametral entgegengesetzte Standpunkte belegt. So begegnet Michael Prinz der nationalsozialistischen Kulturpolitik zu Beginn der 1990er-Jahre quasi apologetisch:59 Die Moderne sei im (deutschen) Kunstbetrieb der 1930erJahre zwar „gewissermaßen enthauptet“ und provinzialisiert, unterhalb dieser Ebene aber keineswegs beseitigt worden, so der Bielefelder Sozialhistoriker, der sich zusammen mit dem am rechten Rand operierenden Zeithistoriker Rainer Zitelmann für die ‚Historisierung‘ des Nationalsozialismus einsetzte.60 Zentrale Elemente der Moderne hätten sich in der Literatur, Architektur oder im industriellen Design „trotz ätzender Kritik am ,funktionalistischen Kulturbolschewismus‘“ behauptet. Es sei im Übrigen falsch, hier einen Gegensatz zwischen offizieller Parteilinie und „Widerlagern in der Gesellschaft“ zu konstruieren: Der „Frontverlauf“ zwischen völkischen Ideologen und Befürwortern modern-funktionalistischer Kunstformen sei mitten durch die NSDAP gegangen. Prinz macht außerdem geltend, die „Kulturszene“ der 1930er- und 1940er-Jahre sei weit von einer Homogenisierung entfernt gewesen.61 Diese die nationalsozialistische Kulturpolitik letztlich verharmlosende Position gilt es, anhand der Politik mit Musik, wie sie an den Wiener und Berliner Philharmonikern für die Zeit des Nationalsozialismus sichtbar gemacht werden soll, kritisch zu reflektieren. Mit Georg Bollenbeck halte ich die nationalsozialistische Kulturpolitik als eine dezidiert gegen die Moderne gewandte.62 Die von Zittelmann bestrittene ‚kulturelle‘ „Homogenisierung“ fand sehr wohl statt: Gewisse Spielräume, oder das, was man vordergründig – auch und gerade
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Ein detaillierter Überblick bei Bavaj, Riccardo. Die Ambivalenz der Moderne im Nationalsozialismus. Eine Bilanz der Forschung. München 2003. Prinz, Michael. Die soziale Funktion moderner Elemente in der Gesellschaftspolitik des Nationalsozialismus. In: ders./Zitelmann, Rainer. Nationalsozialismus und Modernisierung. Darmstadt 1991. S. 297–327. So auch im Vorwort des zitierten Sammelbandes, wo die beiden Herausgeber zu erkennen glauben, dass „das Bedürfnis nach einer Historisierung des Nationalsozialismus stark zugenommen“ habe. Dabei liefern sie sogleich eine euphemisierende Bedeutungserklärung der „Historisierung“: „Historisierung bedeutet in diesem Zusammenhang Einordnung des NS-Regimes in die Kontinuität neuerer deutscher Geschichte, und zwar nicht nur durch die Herstellung eines Zusammenhangs mit seiner Vor-, sondern mehr noch mit seiner Nachgeschichte.“ Prinz, Michael/Zitelmann, Rainer. Vorwort. In: dies. Nationalsozialismus und Modernisierung. Darmstadt 1991. S. VII–XI. Euphemisierend ist die Rede von ‚Historisierung‘ darum, weil sie implizit auch die Einzigartigkeit des Holocaust zu neutralisieren trachtet, wie bereits seit dem ‚Historikerstreit‘ von 1986/87 hinlänglich bekannt ist. Prinz, Funktion, S. 313 ff. Bollenbeck, Georg. Tradition, Avantgarde, Reaktion. Deutsche Kontroversen um die kulturelle Moderne 1880–1945. Frankfurt am Main 1999.
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in Schirachs Wiener Kulturpolitik – dafür zu halten geneigt ist, ergeben sich aus der für den Nationalsozialismus typischen „Verbindung von programmatischer Vagheit, Kompetenzanarchie und flexibler Herrschaftstechnik“63. Die bildungsbürgerlichen Kritiker der kulturellen Moderne, so der deutsche Literatur- und Kulturwissenschafter in seiner Darstellung der „Deutschen Kontroversen um die kulturelle Moderne 1880–1945“, seien Hitlers Souffleure gewesen;64 der Nationalsozialismus zeichne sich durch eine „reaktionäre Modernität“ aus, der die kulturelle Moderne aus dem Geist der radikalnationalistischen Argumentationsweise bekämpft und sich zugleich, besonders im Bereich der Massenkünste, modernster Medien- und Zerstreuungstechniken bedient habe. Diese „reaktionäre Modernität“ sei „kein bewahrender konservativer Reflex“ und auch „kein intendiertes Entwicklungsprojekt“, sondern ein „ideologisch“ begründeter herrschaftspragmatischer Zustand mit unbeabsichtigten Folgen gewesen. Bollenbeck erkennt darin eine „Vertiefung des Gefälles zwischen ,Höhenund Massenkünsten‘“:65 Den „bildungsbürgerlichen Traditionalisten“ komme der Nationalsozialismus durch die Unterdrückung der modernen Kunst und durch eine „vorgetäuschte Normalität des Kunstbetriebs“ entgegen. Im Bereich der Massenkünste hingegen bediene er unter autoritärem Vorbehalt die breiten Massen, die er unterhalten wolle, ohne sie auf die große Kunst zu verpflichten. Zugleich ebne der Nationalsozialismus dieses Gefälle aber auch ein: Er verwische die Grenzen zwischen Kunst und Leben, jedoch nicht wie in der ‚Avantgarde‘, die die Ästhetisierung des Alltags durch künstlerische Praxis habe verwirklichen wollen, sondern indem er seine Ästhetisierungsstrategie dem totalitären Machtanspruch unterstellt habe. Ästhetisierung habe im Nationalsozialismus alle Lebensbereiche erfasst und sei neben dem Terror zum tragenden Element der politischen Praxis geworden.66 Insgesamt liefert Bollenbeck mit seiner Darstellung der allgemeinen Funktionsweise der nationalsozialistischen Kulturpolitik eine Fülle an aufschlussreichen Orientierungspunkten, die im Folgenden für eine auf den Konzert- und Orchesterbetrieb spezifizierte Interpretation von Politik mit Musik im NS-Staat fruchtbar gemacht werden sollen. Während in den Theoretisierungen des Verhältnisses zwischen Nationalsozialismus und Moderne in der Regel nicht nach regional unterschiedlich ausgeprägten Formen der Moderne differenziert wird, ist das Forschungsinteresse an der Unterscheidung zwischen einer wienerischen und berlinerischen Moderne für die vornazistische Zeit groß und die Literatur dazu zahlreich. Im Interesse einer möglichst breit verankerten Darstellung der unterschiedlichen
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Ebd., S. 308. Ebd., S. 314. Bollenbeck benutzt statt der üblicherweise verwendeten ‚Hochkultur‘- und ‚Massenkultur‘-Begriffe meist die Bezeichnung „Höhen-“ bzw. „Massenkünste“. Bollenbeck, Tradition, S. 342 f.
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Ausgangspositionen der Wiener und Berliner Philharmoniker soll hier darum auch ein kurzer Blick auf die entsprechenden Differenzierungsversuche zwischen den beiden künstlerischen Modernen geworfen werden. Die Zusammengehörigkeit der beiden Städte sei zwar so notorisch wie ihre Verschiedenheit, stellt etwa Gotthard Wunberg fest, aber in seinen Ausführungen redet er dennoch den Unterschieden das Wort.67 Nach Wunberg taucht die Moderne in Berlin – er orientiert sich dabei an der literarischen und publizistischen Produktion – rund zehn Jahre früher auf als in Wien: 1882 (im Gründungsjahr des Berliner Philharmonischen Orchesters also). Abgesehen von dieser Ungleichzeitigkeit der Entwicklung macht Wunberg auch qualitative Differenzen, im Sinne der „Art und Weise des Umgangs mit der Tradition“ geltend: In Berlin sei es um die Theorie, in Wien um die Praxis gegangen; in Berlin um Kritik, Revolution, Grundlagen und Programme, in Wien um die Dichtung. Die Berliner Modernen hätten ihr Verhältnis zur Tradition „kritisch klären“, die Wiener hingegen „integrativ bewältigen“ wollen.68 Unterstützt wird diese Auslegung vom deutschen Germanisten Udo Köster69: Die Berliner Moderne sei den Koordinaten des Naturalismus gefolgt und habe eine nicht bloß ästhetische Neuorientierung, sondern eine „qualitative Gesamtheit der Lebensäußerungen“ angestrebt, in der die Kunst nur eine davon, und eine in „nachgeordneter Stellung“ gewesen sei. Er führt dies auf den Umstand zurück, dass Berlin seit der Reichsgründung in rasantem Tempo zur ,Weltstadt‘ aufgestiegen war und damit ein Ort der „ständigen Unruhe“, der „unausgeglichenen Gegensätze“, der „ungefestigten Strukturen“ gewesen sei. Dieses umfassende „Programm des sozialen Wandels“ charakterisiere die betont modernen literarischen Unternehmungen in Deutschland, so Köster.70 Die anfängliche Orientierung Wiens an der Berliner Moderne, wie sie sich vor allem in der seit 1890 erschienenen Wiener Kultur- und Literaturzeitschrift „Moderne Rundschau“ äußerte, hielt nur ein gutes Jahr lang an: Bereits 1891 wurde die Zeitschrift wieder eingestellt und mit ihr, so Köster, verschwand auch die „erste“ Wiener Moderne – letztlich nicht nur aufgrund eines mangelnden Publikumsinteresses, sondern auch wegen ihrer „eigenen inneren Widersprüchlichkeit“71. Darin liegt aber ihr eigentliches Kennzeichen: Im Unterschied zu Berlin ist der Wiener Moderne die Kongruenz von Ordnungsvorstellungen des Bewusstseins und den Strukturen der Realität zweifelhaft geworden; was in 67
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Wunberg, Gotthart. Wien und Berlin: Zum Thema Tradition und Moderne. In: Godé, Maurice/Haag, Ingrid/Le Rider, Jacques. Wien–Berlin. Deux Sites de la Modernité – Zwei Metropolen der Moderne (1900– 1930). Cahiers d’études Germaniques, 24/1993. S. 219–229. Hier S. 219 f. Ebd., S. 221 ff. Köster, Udo. Die Anfänge der Wiener und der Berliner Moderne im Vergleich. In: Germanica, 1995/96, Bde. 2/3, S. 39–54. Ebd., S. 44 f. Ebd., S. 49.
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den menschlichen Vorstellungen und Begriffen als „vernünftiger“ Zusammenhang gedacht wurde, ist mit der Ordnung der Dinge nicht mehr zu vermitteln.72 Tradition war also die Voraussetzung dafür, über Tradition hinauszugehen.73 Dieses „substantiell Vorgegebene“ paart sich für Adorno beim Komponisten Arnold Schönberg mit dem Aspekt, der Tradition nicht ganz zuzugehören, des „Undomestizierten“, worin sich zugleich Skepsis gegenüber der Tradition ausdrücke. Für den Wiener Traditionalismus sei dieses „Ferment von Skepsis“, als einer Folge der Josephinischen Aufklärung, insgesamt charakteristisch: „In einem individualistischen Kleinbürgertum, dessen materielle Ansprüche schon seit Generationen den prekären Existenzbedingungen widersprechen, steigert es sich zum Ton der permanenten, sedimentierten Unzufriedenheit – zu dem, was der in Wien so genannte Reichsdeutsche als Raunzen empfindet und was selbst mittlerweile zum Bestandstück der Wiener Tradition wurde.“74
Das gesellschaftlich Ungleichzeitige also ermöglichte gleichsam künstlerische Radikalität, deren maßgebender Exponent in der Musik Schönberg war. Dies war zugleich ein Grund dafür, dass die Moderne aus Wien wieder verschwand: Nie sei die „Wiener neue Musik“ mit ihrem eigenen Milieu unmittelbar einig gewesen, so Adorno, darum habe sie von Anbeginn über ihren Ursprungsort hinaus gedrängt; sie habe ihre österreichischen Elemente „nicht fromm konserviert“, sondern „lebend sie aufgezehrt“. Je konsequenter sie sich in ihrem Widerspruch zum offiziellen musikalischen Europa entfaltet habe, um so europäischer und um so weniger wienerisch sei sie geworden.75 Diese Entwicklung in Wien ist nicht nur in der Musik feststellbar, sondern hat für die kulturelle Moderne insgesamt Gültigkeit. So stellte etwa die Literaturwissenschafterin Sigrid Schmid-Bortenschlager – allerdings mit einer etwas anderen Argumentation als Adorno – fest, in Wien suche man in der Zwischenkriegszeit vergeblich nach einer Avantgarde: Wien sei für die radikale internationale Avantgarde in den 1920er-Jahren ein „Non-Ort“ geworden.76 Dies führt sie insbesondere auf die „Heterostereotypen“ der Vertreter der „internationalen Avantgarde“ zurück, die auf künstlerischer Ebene die „alte politische Opposition“ zwischen „fortschrittlichem Berlin/Deutschland“ auf der einen und „reaktionärem, beharrendem 72 73 74 75 76
Ebd., S. 53. Adorno, Wien, S. 439. Ebd., S. 439. Ebd., S. 446 f. Schmid-Bortenschlager, Sigrid. Avantgarde in Wien – Ein Mangel und seine möglichen Ursachen. In: Godé, Maurice/Haag, Ingrid/Le Rider, Jacques. Wien–Berlin. Deux Sites de la Modernité – Zwei Metropolen der Moderne (1900–1930). Cahiers d’études Germaniques, 24/1993. S. 73–83. Hier S. 78.
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Wien/Habsburg“ auf der anderen Seite fortgesetzt hätten.77 Dieses „Heterostereotyp“ sei in der Folge auch zu einem „Autostereotyp“ (also zum von Österreich selbst konstruierten Stereotyp) geworden: Österreich habe sich nach dem Ende der Habsburgermonarchie als übrig gebliebener Rest der einstigen imperialen Größe gesehen, die ganz offiziell den politischen Anschluss an Deutschland gesucht habe. Darin habe sich eine „eklatante Wir-Schwäche“ und ein „fehlendes kulturelles Selbstverständnis“ Österreichs ausgedrückt, was sich seit 1918/19 in einer Tendenz zur Glorifizierung der Monarchie und der Hinwendung zur Provinz mitsamt ihren kulturellen Manifestationen geäußert habe.78 Auch die Wiener Kulturwissenschafter Roman Horak und Siegfried Mattl attestieren der kulturellen Moderne der Zwischenkriegszeit in Wien einen schweren Stand, weil insbesondere die Tourismuswerbung der 1920erJahre die wienerische Kulturpolitik „in die Bahnen der Historisierung“ gelenkt habe; umgekehrt betonen sie mit Blick auf die Ausbreitung der „Popularkultur“ jedoch, die Modernisten hätten auch aus eigenem Antrieb „die Isolierung von der Welt des kommerziellen Erfolges“ angestrebt.79 So wie das jeweilige Gesicht der Moderne also vom herrschenden sozialen und politischen Gefüge der beiden Städte bestimmt war, bemaß sich auch das Verhältnis der Wiener und Berliner Philharmoniker zu ‚Moderne‘ und ‚Tradition‘ aus ihrer jeweiligen Position innerhalb dieses Gefüges – insbesondere was das Repertoire, aber auch die Veranstaltungsformen betraf. Insgesamt lässt sich, wenig erstaunlich, feststellen, dass für die in der Zeit des ‚Vormärz‘ gegründeten Wiener Philharmoniker Rückbindungen an die Tradition eine deutlich größere Rolle spielten als für die Berliner Philharmoniker, welche sich just in jenem Jahr konstituierten, als in Berlin erstmals von einer Moderne die Rede war: Die Beziehungen der beiden Orchester zur künstlerischen Moderne, aber auch zu technischer und sozialer Modernität waren im Vorhinein deutlich voneinander verschieden. Zunächst widmet sich die vorliegende Arbeit daher der Frage, inwiefern sich diese unterschiedlich ausgeprägten Positionen der beiden Orchester in Bezug auf ‚Moderne‘ (und ‚Modernität‘) in ihrer Konzertpraxis am Ausgang des 19. Jahrhunderts auswirkten (Kapitel 2). Ebenso wird dort untersucht, welche Auswirkungen diese Unterschiede auf die erste große Politisierungsphase der beiden Orchester während der Zeit des Ersten Weltkriegs zeitigten. Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit den Folgen dieser ersten Politisierungsphase und fragt nach den politischen Bedingungen für die Konzertpraxis der beiden Orchester während
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Ebd., S. 79. Ebd., S. 79. Horak, Roman/Mattl, Siegfried. ‚Musik liegt in der Luft ...‘. Die „Weltkulturhauptstadt Wien“. Eine Konstruktion. In: Horak, Roman/Maderthaner, Wolfgang/Mattl, Siegfried/Musner, Lutz (Hrsg.). Stadt. Masse. Raum. Wiener Studien zur Archäologie des Popularen. Wien 2001. S. 164–239. Hier S. 229.
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der Weimarer beziehungsweise der Ersten Republik. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht dabei die Entwicklung des Verhältnisses zwischen den Orchestern und dem Staat. Im Zentrum des vierten und fünften Kapitels steht die Frage, welche Kontroll- und Steuerungsfunktionen der nationalsozialistische Staat bei den beiden Orchestern übernahm und in welche Richtung diese staatspolitisch-propagandistische Navigation sodann trieb. Dazu werden einerseits die Änderungen der Organisationsstruktur der Berliner Philharmoniker als Folge der Übernahme des Orchesters durch Goebbels Propagandaministerium vom Januar 1934, aber auch die ökonomische Sanierungspolitik, die Goebbels an den Berliner Philharmonikern betrieb, studiert. Andererseits beschäftigt sich dieses Kapitel mit dem Politisierungsverlauf der Wiener Philharmoniker im ‚Austrofaschismus‘ sowie mit deren Eingliederung in den NS-Staat nach dem ‚Anschluss‘ im März 1938. Wie sich diese organisatorisch-strukturellen Veränderungen auf die öffentliche Rezeption der beiden Orchester auswirkten, ist Thema des sechsten Kapitels. Dabei sollen mediale Vermittlungsstrategien, durch welche diese Rezeption der beiden Orchester gesteuert wurde, untersucht werden. Mittels einer historisch informierten Textkritik sollen die unterschiedlichen Textsorten zugehörenden Schriften analysiert und interpretiert werden. Im siebten und letzten Kapitel soll die Politisierung der beiden Orchester auf der Ebene ihrer konkreten Musikpraxis untersucht werden. Anhand einer Repertoirestudie, die sich nicht nur nach der Häufigkeit der gespielten Komponisten, sondern auch nach den unterschiedlichen Konzertgattungen gliedert, werden Zusammenhänge zwischen musikalischer Reproduktion und politischer Praxis eingehend erörtert und diskutiert. Dabei gilt es festzuhalten, dass diese Diskussion ausschließlich auf der Grundlage der Konzertprogramme, nicht jedoch der musikalischen Interpretation als solcher geführt wird.
2. „Aufbruch“ versus „Tradition“. Die Berliner und Wiener Philharmoniker im ausgehenden langen 19. Jahrhundert
„Bei der Bescheidenheit, die wir Österreicher allzusehr in allen Fragen haben, die unser eigenes Vaterland betreffen, steht zu befürchten, daß wir, ich muß schon sagen, wieder einmal ein Königgrätz erleben, das heißt, daß uns die Deutschen mit ihrer auf Effekt geschulten Methodik zuvorkommen werden, so wie sie damals das Zündnadelgewehr eingeführt hatten, bevor wir an eine Überraschung dachten.“80 Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften
„Diese sechs Abende hintereinander, das ist wohl die größte musikalische Zumuthung, die an das Wiener Publikum je gestellt worden. Und wären die Mitglieder des Orchesters lauter Virtuosen ersten Ranges und wären die Dirigenten lauter Götter, wer besäße die Empfänglichkeit und Ausdauer, den so massenhaft gebotenen Genüssen gewachsen zu sein?“81
Gegenstand des Artikels im Wiener „Fremden-Blatt“ war ein Gastspiel des Berliner Philharmonischen Orchesters im Jahre 1897, das in der Wiener Öffentlichkeit Empörung auslöste.82 Diese sechs Konzerte der Berliner Philharmoniker, die von drei der damals berühmtesten Dirigenten83 geleitet wurden, führten Wien eine neuartige Konzertpraxis vor Augen, deren Betriebsamkeit die Wiener Öffentlichkeit erschreckte: „Sie [die Berliner Philharmoniker, F. T.] bescheeren uns knapp vor Thorschluß der Saison eine Musikwoche von so drängender Intensität, mit so unausgesetzter Folge der Kunstgenüsse, wie Aehnliches in Wien noch nicht erlebt worden ist. Selbst bei festlichen Anlässen nicht.“84
80 81 82 83 84
Musil, Robert. Der Mann ohne Eigenschaften. I. Erstes und zweites Buch. Reinbek bei Hamburg, 2000. S. 78. Die Berliner Philharmoniker. In: Fremden-Blatt [Wien], 10.4.1897, S. 11–12. Eine Stellungnahme der Wiener Philharmoniker ist nicht überliefert, auch nicht in den Protokollen der Komitee- und Hauptversammlungen. Felix Mottl, Arthur Nikisch und Felix von Weingartner. Die Berliner Philharmoniker. In: Fremden-Blatt, 6. 4. 1897.
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2. „Aufbruch“ versus „Tradition“
Auch das Blatt der Liberalen, die „Neue Freie Presse“, prangerte im Zusammenhang mit den Konzerten der Berliner Philharmoniker das „Gastiren und Wettdirigiren“ sowie die „neueste Capellmeister-Krankheit, das Reisefieber“ an.85 Die Musiker würden darob, so die Meinung des Wiener Rezensenten, zur „Maschine“, weil sie gezwungen seien, jeder Laune dieser „Pultvirtuosen“ zu folgen. Und die Berliner Philharmoniker ermahnend formulierte der Rezensent: „Sollten die Concerte der Berliner Capelle sich nach und nach hier einbürgern, so wird es sich empfehlen, die Dirigenten-Wandeldecoration zu beseitigen, den ohnehin überbürdeten Künstlern unnöthige Proben, täglich mit einem andern Capellmeister, zu ersparen und sie auch hier ruhig und ohne Aufregung unter der Leitung desjenigen spielen zu lassen, der jahraus jahrein mit ihnen wirkt. Es wird dann vielleicht etwas weniger Sensation, aber weit mehr reinen Genuss geben.“86
Das Unbehagen der Wiener Öffentlichkeit gegenüber den Auftritten des Berliner Orchesters, das sich in pejorativen Attributen wie „Gastiren“, „Wettdirigieren“, „Reisefieber“ aber auch in der Verwendung der „Maschinen“-Metapher ausdrückte, war also beträchtlich: Mit den Wiener Konzerten der Berliner Philharmoniker prallten – wie nachfolgend noch eingehend erläutert wird – ein ‚modernistisches‘ und ein ‚traditionalistisches‘ Konzept des Musikbetriebs aufeinander. Davon wurde Wiens Nerv gleich von zwei Seiten her getroffen: Einmal als ‚Musikstadt‘, dann aber auch als deutsche ‚Kaiserstadt‘, die es seit der Verschiebung der machtpolitischen Hegemonie in Zentral- und Osteuropa zugunsten Preußens, welche in der deutschen Reichsgründung 1870/71 kulminierte, faktisch nicht mehr war.87 Den publizistischen Verteidigern der ‚Musikstadt‘88 blieb nichts anderes übrig, als die Leistungen der Berliner Philharmoniker herunterzuspielen: „Das Publikum bejubelte die Künstlerin [die Sängerin Camilla Landi, F. T.] überschwänglich und schien nicht übel Lust zu haben, das Symphoniekonzert in einen Landi-Abend umzuwandeln.“89 Und ein weiterer Kritiker relativierte unter Anführung der Wiener Philharmoniker die Bedeutung der berlinerischen Konzerte mit einem buchstäblich kulinarischen Argument:
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Concerte. Die Berliner Philharmoniker. In: Neue Freie Presse, 12. 4. 1897, S. 4. Ebd. Vgl. etwa Mikoletzky, Juliane. Wien als österreichische Hauptstadt 1870–1938. In: Brunn, Gerhard/Reulecke, Jürgen (Hrsg.). Metropolis Berlin. Berlin als deutsche Hauptstadt im Vergleich europäischer Hauptstädte 1871–1939. Bonn/Berlin 1992. S. 409–443. S. 409–443. Hier S. 411. Zur Genese von Wien als Musikstadt vgl. vor allem Nußbaumer, Musikstadt. Philharmoniker, Fremden-Blatt, 6. April 1897.
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„Vor unseren Philharmonikern haben sie die günstigere Stimmung des Abends voraus. Man kann eben dem Souper geduldiger entgegenharren, als dem Diner. Wir wollen den trefflichen Herren gewiß nicht nahe treten, wenn wir in diesem äußerlichen Umstand mit einen Faktor ihres großen Erfolges erblicken, den sie gerade in einer Stadt erzielen, welche sich mit Recht rühmt, das beste Orchester der Welt zu besitzen.“90
Die Wiener Musikwelt hatte ihren Lieblingsfeind gefunden, was auch bei den Berlinern nicht wirkungslos bleiben sollte: Der Wettbewerb um die führende Position im österreichisch-deutschen Musikbetrieb war eröffnet.
2.1 Im Windschatten des Flottenbauprogramms: Die deutsche ‚Weltpolitik‘ als Grundlage für die rasche Internationalisierung des Berliner Philharmonischen Orchesters Das Berliner Philharmonische Orchester stand zum traditionellen Musikbetrieb in einem ähnlichen Verhältnis wie das deutsche Kaiserreich zu den europäischen Militär- und Wirtschaftsmächten, die von England dominiert wurden: Beide waren sie Herausforderer des Etablierten. Der amerikanische Soziologe Thorstein Bunde Veblen beschrieb diese Position Deutschlands 1915 in seinem Werk „Imperial Germany and the Industrial Revolution“91 so: „What chiefly distinguishes the German people from these others in this connection, and more particularly from the British, is that the Germans are new to this industrial system; and the distinctive traits of the German case are in the main traceable to this fact that they are still in their novitiate.“92
England hatte diese bittere Pille zu schlucken: „It is only that they [die Briten, F.T.] are paying the penalty for having been thrown into the lead and so having shown the way.“93 Dank seiner industriellen Parvenü-Existenz konnte sich Deutschland also, anders als das industrielle Pionierland England mit seiner auf die Textilproduktion fixierten Wirtschaft, neuen 90 91
92 93
Philharmoniker, Fremden-Blatt, 6. April 1897. Die philharmonischen Abonnementkonzerte finden traditionellerweise bis heute sonntags um elf Uhr am Vormittag statt. Veblen, Thorstein Bunde. Imperial Germany and the Industrial Revolution, New Brunswick 1990 [1915]. Ebd., S. 64. Ebd., S. 132. Zur Veblenschen Differenzbildung zwischen Deutschland, Großbritannien und Amerika vgl. auch Truninger, Stephan. Die Amerikanisierung Amerikas. Thorstein Veblens amerikanische Weltgeschichte. Diss. an der Universität Hannover 2008. S. 97–129.
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2. „Aufbruch“ versus „Tradition“
Industriezweigen verschreiben und rasch zum wirtschaftlichen Player des neuen Jahrhunderts avancieren, ähnlich den Vereinigten Staaten von Amerika.94 Diese günstige ökonomische Lage Deutschlands kann in gewisser Weise auch auf die Berliner Philharmoniker übertragen werden. Schon 1901 erklärte der einflussreiche deutsche Musikhistoriker Wilhelm Altmann95 das Orchester zum wichtigsten Musikensemble Berlins: „Unter allen in Frage kommenden musikausübenden Körperschaften Berlins ist dieses Orchester die unentbehrlichste und darum auch die am meisten beschäftigte.“ Die Philharmoniker waren zu diesem Zeitpunkt keine 20 Jahre alt, wenn auch ihre Ursprünge vor 1882, dem Gründungsjahr des Orchesters, zurückreichen. Doch Altmann attestiert den Musikern auch schon für die Zeit vor 1882 eine gewisse Modernität, als die nachmaligen Philharmoniker noch in der Kapelle von Benjamin Bilse beschäftigt waren: „Die feinere Gesellschaft fand Befriedigung ihrer Bedürfnisse nach guter Orchestermusik in den Symphoniesoiréen der Königlichen Kapelle, wo nur klassische Werke, zwar korrekt, mit genauester Einhaltung aller vorgeschriebenen dynamischen Zeichen, aber ohne Geist, ohne selbstschöpferische Wiedergabe unter Dirigenten gespielt wurden [...]. Wer die arg verketzerte neue Musik hören wollte, der musste sich ins Konzerthaus begeben, wo Bilse unermüdlich mit der Einstudierung moderner Werke sich abgab und sie mit seinem Orchester [...] recht brav vorführte [...].“96
Die Aufgeschlossenheit von Bilses Kapelle für ein zeitgenössisches Repertoire markierte für Altmann die günstige Ausgangsposition für das aus ihr hervorgehende Orchester der Philharmoniker. Als entscheidenden organisatorischen Unterschied zu den traditionellen Hofkapellen machte er geltend, dass das Philharmonische Orchester ein Zusammenschluss ‚freier‘ Musiker sei: „Hier sitzen nicht Beamte an den Pulten, die nur ihrer Pension wegen spielen; hier gilt der Selbsterhaltungstrieb, hier geizt unus pro multis um den Erfolg und die Anerkennung. Hier ist noch Begeisterungsfähigkeit!“97 Altmann zollte dem Orchester also aufgrund von dessen Eigeninitiative und der damit verbundenen Abstinenz von staatlicher Protektion („nicht Beamte“) seinen Tribut. Das junge Ensemble der Philharmoniker spielte er damit 94
95
96 97
Vgl. Mauch, Christof/Patel, Kiran Klaus. Wettlauf um die Moderne. Konkurrenz und Konvergenz. In: Dies. (Hrsg.). Wettlauf um die Moderne. Die USA und Deutschland 1890 bis heute. München 2008. S. 9–26. Hier S. 10. Altmann begründete die „Deutsche Musik-Sammlung der königlichen Bibliothek“ und war von 1915–1927 Direktor der Musikabteilung der Preußischen Staatsbibliothek. Losch, Philipp. Altmann, Wilhelm. In: Neue Deutsche Biographie. Bd. 1. Berlin 1953. S. 226 f. Altmann, Wilhelm. Chronik des Berliner Philharmonischen Orchesters. In: Die Musik. Zweites Dezemberheft 1901. S. 467–475. Hier S. 469. Ebd., S. 467 f.
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explizit gegen die seit dem 16. Jahrhundert existente „Königliche Kapelle“ aus, die im 19. Jahrhundert ihren konservativen Charakter beibehielt und sich ab der Jahrhundertwende nur zaghaft neueren musikalischen Strömungen öffnete.98 Implizit betonte er damit aber die Unterschiede des Philharmonischen Orchesters zu den Hofopernorchestern99 insgesamt – und somit auch zum wienerischen, aus dem sich die Musiker der Wiener Philharmoniker rekrutierten. Ein unscheinbares Ereignis illustriert die Ausgestaltung des Verhältnis ses der beiden Orchester im ausgehenden 19. Jahrhundert: Als die Berliner Philharmoniker 1895 in Wien gastierten – es handelte sich um eine ihrer ersten Auslandsreisen überhaupt –, weigerten sich die Wiener Philharmoniker, ihre deutschen Kollegen zu begrüßen: „Unser Meisterorchester, das Wiener philharmonische, fühlte sich bedauerlicherweise nicht bewogen, mit den Collegen Gruß und Handschlag zu tauschen. Wir sagen ,Auf Wiedersehen‘“, vermerkte ein Rezensent der „Österreichischen Musiker-Zeitung“.100 Eine auf ‚Fortschritt‘ fixierte Konzeption von Berlin als ‚Musikstadt‘ bildete die Umgebung der von traditionellen Orchestern offensichtlich beargwöhnten Berliner Philharmoniker. So hielt einer der einflussreichsten Kritiker und Musikessayisten Berlins, Adolf Weissmann, 1911 fest,101 man huldige Berlin einmütig als dem Musikzentrum der Welt, als der musikalischen Metropole und er formulierte geradezu fortschrittseuphorisch: „Das moderne Musikleben der Reichshauptstadt ist ein ungeheurer, aus vielen materiellen und manchen geistigen Strömungen geborener Organismus. Auch die weltabgewandte Tonkunst hat sich vor dem Geist der Zeit beugen müssen. Das Gesicht Berlins hat sich seit dem Kriege 1870/71 verändert. Neue Elemente strömten in die Reichshauptstadt, das Blut pulsierte rascher, die Initiative wuchs, der Amerikanismus durchdrang das Leben, durchdrang auch die Kunst, die Musik. Der alte Berliner Geist klagt: ,Ihr seid zu hastig, zu nervös, ja brutal. Ihr jauchzt viel unbedenklicher denn einst der Mode zu. Wir aber sind entthront.‘ Der moderne Geist erwidert: ,Gewiss, wir sind nicht mehr so spröde wie einst. Aber du bist im Unrecht, wenn du behauptest, wir hätten dich entthront. Du lebst ja noch, ja, du hast dich potenziert,
98 Vgl. Becker, Heinz/Green, Richard D.: Berlin. In: Sadie, Stanley (Hg.). The New Grove Dictionary of Music and Musicians. Bd. 3. London 1980. S. 565–578. S. 567. Eine knappe Charakterisierung der Hoftheater im 18. und 19. Jahrhundert bei Ther, Philipp. In der Mitte der Gesellschaft. Operntheater in Zentraleuropa 1815–1914. Wien 2006. S. 70–77. 100 Österreichische Musiker-Zeitung (1895). Zit. in: Muck, Peter. Einhundert Jahre Berliner Philharmonisches Orchester, 1: 1882–1922. Tutzing 1982. [Nachfolgend: Muck 1]. S. 202. Die Presse berichtete 1895 noch überaus wohlwollend über die Berliner Philharmoniker, was auch daran gelegen haben dürfte, dass das Orchester ‚moderater‘ in Erscheinung trat. Vgl. div. Rezensionen in Muck 1, S. 202 f. 101 Weissmann, Adolf. Berlin als Musikstadt. Geschichte der Oper und des Konzerts von 1740 bis 1911. Schuster & Loeffler, Berlin/Leipzig 1911. 99
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2. „Aufbruch“ versus „Tradition“
hast alle deine Entwicklungsmöglichkeiten erschöpft. Ohne mich hättest du’s nicht zustande gebracht.‘“102
Die Berliner Philharmoniker waren gewissermaßen ein Produkt dieses ‚modernen Geistes‘. Die quantitative wie qualitative Verdichtung des Musikbetriebs, wie sie in Berlin durch den raschen ökonomischen Aufstieg realisierbar wurde, zeigt sich in der Vielzahl von Besonderheiten der Organisation, der Vermarktung, aber auch der Veranstaltungsarten des Orchesters, die der Konzertpraxis der traditionellen Orchester in vielerlei Hinsicht entgegenstanden. Die Berliner Philharmoniker formierten sich als reines Konzertorchester ohne längerfristige Bindungen an städtische oder staatliche Institutionen wie eines Opernhauses oder dergleichen und hatten dementsprechend auch keine gehalts- oder pensionsartigen Sicherheiten.103 Nachdem anfängliche Versuche, finanzielle Trägerschaften für das Orchester zu etablieren, scheiterten,104 entschied sich das Kollektiv 1887 zur Form einer selbständigen Körperschaft, die ab 1903 als GmbH geführt wurde.105 Die Musiker waren seither mit einer Stammeinlage von jeweils 600 Mark Teilhaber am Orchester.106 Nach Altmann handelte es sich dabei um ein äußerst rentables Unternehmen: „Hingewiesen sei auch hier darauf, dass das Philharmonische Orchester [...] erfreulicher weise schon seit einer Reihe von Jahren in finanzieller Hinsicht so gefestigt dasteht, dass die einzelnen Mitglieder der lockenden Versuchung, namentlich in der Berliner Königlichen Kapelle eine dauernde pensionsfähige Stellung zu suchen, nicht mehr zu erliegen brauchen.“107
Die von Beginn an äußerst häufigen Auftritte sowie adäquate Vermarktungsstrategien sicherten dem Orchester schon kurz nach seiner Gründung nicht nur einen beträchtli chen wirtschaftlichen Erfolg, sondern auch eine ungewöhnlich hohe mediale Aufmerk samkeit. Vor allem die außerordentlich hohe Anzahl an Konzerten schien Berlin zu beeindrucken. So schwärmte Altmann, dass 102 Ebd., S. 7 f. 103 Versuche, sich finanziell durch institutionelle Einbindungen abzusichern, wurden zwar schon in den Gründungsjahren des Orchesters unternommen, scheiterten aber nach kurzer Zeit stets. Vgl. dazu etwa Muck 1, S. 50 ff. 104 So auch die „Berliner Philharmonische Gesellschaft“, die kurzzeitig als Arbeitgeberin der Musiker fungierte und vom Konzertagenten Hermann Wolff präsidiert wurde: Nach nur drei Jahren Bestand, von 1884 bis 1887, wurde sie aufgrund eines akuten Mitgliederschwundes wieder aufgelöst. Vgl. Muck 1, S. 57–93, sowie die anekdotenreiche Darstellung bei Haffner, Philharmoniker, S. 23–25. 105 Vgl. dazu die Statuten in Muck 1, S. 307 ff. 106 Statuten, § 5, in: Muck 1, S. 307. 107 Altmann, Chronik, S. 469.
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„kaum ein Tag [vergeht], an dem dieser Orchesterverband nicht als Veranstalter eigener Aufführungen, als Begleiter der namhaftesten Solisten, als Unterstützer von Chorkonzerten, als Instrument für reisende Dirigiervirtuosen oder Komponisten, als die Basis für die grossen Konzertveranstaltungen auf dem Podium sässe“.
Das Orchester, so Altmann, sei „immer unermüdlich bei der Arbeit, immer ,zu neuen Thaten‘ bereit.“108 Die Saison 1896/97, in der die Berliner Philharmoniker in Wien gastierten, vermittelt einen repräsentativen Eindruck von der Betriebsamkeit des Orchesters: Rund 440-mal betraten die Berliner Philharmoniker in dieser einen Saison das Podium.109 Diese starke Präsenz im Konzertbetrieb Berlins war Bestandteil ihrer Erfolgsgrundlage, sich gegen die Konkurrenz vornehmlich der ‚alteingesessenen‘ Hofkapellen zu bewäh ren – schließlich bildeten diese vorderhand noch die Referenz, an der sich die Berliner Philharmoniker zu messen hatten: „[...] an Berühmtheit und an künstlerischen Erfolgen auf dem europäischen Festland hält es den Vergleich mit den ältesten und geschätztesten Orchestern der Welt aus. Mag das Streichquartett in bezug auf souveräne Kraft dem der Berliner Königlichen Oper, in bezug auf Adel des Klanges dem der Wiener Hofkapelle vielleicht nicht ganz ebenbürtig sein, mag die Meininger Hofkapelle mit ihrer Holzbläsergruppe [...] vielleicht eindringlichere Wirkungen hervorrufen, – der ‚öde Tag‘ mit seinem beschwerlichen Dienst beeinträchtigt die Leistungen der Berliner Philharmoniker nur vorübergehend, und Tage, die nicht ‚Elitetage‘ sind, sind eigentlich selten.“110
Was das Berliner Philharmonische Orchester auszeichne, so Altmann, sei der „jugendliche Eifer, die außerordentliche Assimilierungsfähigkeit an jede neue Dirigentenerscheinung, an jeden Instrumental- oder Vokal-Solisten und das bewundernswerte Ensemble“.111 108 Altmann, Chronik, S. 468. Bemerkenswert ist hier außerdem die in keiner Weise pejorativ eingefärbte Verwendung des Begriffs der „reisenden Dirigiervirtuosen“, die doch in den Wiener Rezensionen diffamierend abgehandelt worden waren. 109 Die Gesamtanzahl der Konzerte für die Saison 1896/97 gemäß der Programmsammlung bei Muck 3, S. 64–68. Nebst den zehn Philharmonischen Konzerten und 62 weiteren Solisten- und Chorkonzerten sind 38 Reisekonzerte verzeichnet. Außerdem erwähnt Muck für die Zeit von 1. 6. bis 30. 9. 1897 täglich je zwei Konzerte im Seebad Scheveningen, woraus bei der Annahme, dass das Orchester ohne Ruhetag (was nicht heißt, dass die Musiker selbst keinen solchen hatten, da es kaum je mit der Gesamtzahl seiner Musiker auftrat) spielte, 244 Konzerte resultieren. Hinzukommen die „Populären Konzerte“, die von 4. 10. 1896 bis 21. 4. 1897 dreimal pro Woche stattfanden und damit etwa 90 Konzerte ausmachten. Daraus ergeben sich insgesamt rund 440 Konzerte. 110 Altmann, Chronik, S. 467. 111 Ebd., S. 467.
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2. „Aufbruch“ versus „Tradition“
Die „Assimilierungsfähigkeit“ des Orchesters, die Altmann in musiziertechnischer Hinsicht geltend machte, ist hier jedoch auch in einem erweiterten ökonomischen Zusammenhang zu betrachten. Denn eine erfolgreiche musikalische Praxis forderte dem Orchester ab, den gesellschaftlichen und technischen Umwälzungen, die der industrielle und ökonomische Aufschwung des Kaiserreichs mit sich brachte, mit Flexibilität und Einfallsreichtum zu begegnen. Gerade weil sich das Berliner Philharmonische Orchester im etablierten Musikbetrieb nicht über eine sich wie auch immer manifestierende ‚Tradition‘ legitimieren konnte, musste es in seiner Praxis zunächst über dessen Usanzen hinausgehen, um sich ihm schließlich einzuschreiben. Dementsprechend umfangreich war das Spektrum der Veranstaltungsarten. Schon im ersten Jahr seiner Gründung etablierten die Berliner Philharmoniker mit den Philharmonischen Konzerten eine Abonnementreihe, deren Qualität für den musikalischen ‚Hochkultur‘Betrieb fortan zur Messlatte wurde und durch ein verhältnismäßig konservatives Repertoire die gebildeten (und vermögenden) Mittel- und Oberschichten Berlins ansprach. Interessanterweise bildeten jedoch weder die in teuren Abonnements verkauften Philharmonischen Konzerte noch die ebenfalls hauptsächlich der Mittel- und Oberschicht zugänglichen Solisten-, Chor- und Sonderkonzerte den quantitativen Hauptteil des Veranstaltungsvolumens, sondern, sieht man von den Kurkonzerten ab, die das Orchester während des ganzen Sommers im Seebad Scheveningen veranstaltete, die „Populären Konzerte“:112 Das Berliner Philharmonische Orchester – und darin bestand der eigentliche Grund seines raschen Erfolges – vereinte also die Breitenwirksamkeit der „Populären Konzerte“ mit dem Exklusivitätsanspruch der Philharmonischen Konzerte. Es bediente sowohl die bildungsbürgerliche ‚Hochkultur“ als auch das Unterhaltungsbedürfnis eines breiteren Publikums, das sich eng mit der im Entstehen begriffenen Bewegung der ‚Volksbildung‘113 verschränkte: Die „Populären Konzerte“ beinhalteten weniger im eigentlichen Sinne populare, also ‚leichte‘ Musik als vielmehr eingängige Stücke und Werke der ‚Kunstmusik‘.114 112 Vgl. FN 109. 113 Bereits 1890 forderte Otto Lessmann, Komponist und Leiter der Allgemeinen Musikzeitung, für die „Populären Konzerte“ des Berliner Philharmonischen Orchesters eine Reduktion der ohnehin schon billigen Eintrittspreise, um „ihre Veranstaltungen damit einem weiteren Kreise der Bevölkerung zugänglich zu machen“ und attestiert: „Viel haben bereits die populären Orchesterkonzerte bewirkt, und es ist erfreulich, dass man für dieselben gute Instrumentalsolisten, dass man auch die Orgel herangezogen und damit dem ‚Volke‘ Kunstgebiete erschlossen hat, die ehemals fast ausschliesslich nur den Wohlhabenden zugänglich waren.“ Allgemeine Musikzeitung vom 9. 5. 1890. Zit. in: Muck 1, S. 134. Zur Initiative für Volkskonzerte vgl. außerdem Künstlerische Volkskonzerte. O. O., o. J. [1913] [Staatliches Institut für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz, K 64 d 105]. 114 Zum Repertoire der „Populären Konzerte“ vgl. Haffner, Philharmoniker, S. 18, sowie die sporadisch abgedruckten Konzertprogramme der „Populären Konzerte“ bei Muck 1, bspw. S. 81. Am ersten Populären
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Die solcherart betriebene Zusammenfassung von ‚Hoch‘- und ‚Populärkultur‘ verweist indes auf eine beginnende ‚Industrialisierung‘ des Musikbetriebs,115 an der die Berliner Philharmoniker von Beginn an partizipierten. Sie wurde von der zeitgenössischen Perspektive als etwas Neues rezipiert; Weissmann vermerkte zum Aufeinandertreffen dieser beiden Ausprägungen der Musikkultur anerkennend: „Neben den grossen philharmonischen Konzerten für die zahlungsfähigen Musikfreunde wurden populäre zu billigen Preisen, für die minder zahlungsfähigen eingerichtet [...].Und bei der Gründlichkeit, mit der der neue Dirigent [Hans von Bülow, F. T.] vorging, musste auch für die populären Konzerte ein Maximum an Genuss abfallen.“116
Ein weiterer unkonventioneller Veranstaltungstypus der Berliner Philharmoniker waren die Kurkonzerte im Seebad Scheveningen. Sie bildeten von 1885 bis 1910 einen festen Bestandteil der Konzerttätigkeit der Philharmoniker und machten mit täglich zwei Konzerten – eines mittags und eines abends – zwischen Juni und September den weitaus größten Teil des gesamten jährlichen Konzertvolumens des Orchesters aus.117 Die Projekte der Berliner Philharmoniker zielten ohnehin bereits zu Beginn auf eine die Stadtgrenzen überwindende Konzerttätigkeit ab; sie weitete sich rasch zu einer internationalen aus. Die Erschließung von möglichst vielen „Distributionskanälen“ war daher eine der wichtigsten Voraussetzungen für die erfolgreiche Etablierung des Orchesters im internationalen Musikbetrieb. Nebst den Scheveninger Kurkonzerten, durch die sich die Musiker zwar die Finanzierung der Sommermonate sicherten, die aber kaum zu einer wesentlichen Vergrößerung des Renommees des Orchesters beigetragen haben dürften, veranstalteten die Berliner Philharmoniker jede Saison mehrere Konzertreisen, wobei sich der geografische Radius ständig vergrößerKonzert vom 17. 10. 1882 wurde unter anderem Beethovens Dritte Leonoren-Ouvertüre sowie Rossinis Ouvertüre zu „Wilhelm Tell“ gespielt, ferner Wagners „Meistersinger“-Vorspiel und die zweite „Slawische Rhapsodie“ von Dvořák. 115 „Sie [die Kulturindustrie, F. T.] zwingt auch die jahrtausendelang getrennten Bereiche hoher und niederer Kunst zusammen.“ Adorno, Theodor W. Résumé über Kulturindustrie. In: Ohne Leitbild. Parva Aesthetica. Ges. Schriften 10.1. S. 337–345. Hier S. 337. Zur spezifischen Bedeutung des Begriffs der „Kulturindustrie“ erläutert Adorno: „Der Ausdruck Industrie ist dabei nicht wörtlich zu nehmen. Er bezieht sich auf die Standardisierung der Sache selbst [...] und auf die Rationalisierung der Verbreitungstechniken, nicht aber streng auf den Produktionsvorgang.“ (S. 339). 116 Weissmann, Berlin, S. 359. 117 Exemplarisch hierfür die Saison 1896/97, in der die Scheveninger Konzerte über die Hälfte aller Veranstaltungen des Berliner Philharmonischen Orchesters ausmachten (rund 240 von insgesamt rund 440 Konzerten). Vgl. auch FN 109.
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2. „Aufbruch“ versus „Tradition“
te: Konzerttourneen wurden gleichsam zum Markenzeichen des Orchesters und hatten zur Folge, dass sich dessen Erfolge rasch internationalisierten. Darin drücken sich Bewusstsein und Praxis der ‚Gründerzeit‘ aus: Die Internationalisierung des Orchesters hing eng mit der „Verkehrsrevolution“ zusammen, die den Industrialisierungsschub im Kaiserreich überhaupt ermöglichte.118 In der Folge dynamisierte sich auch das Mobilitätsverhalten; damit ging eine verstärkte Präsenz deutscher Produkte auf dem Weltmarkt einher, die schließlich das Label ‚Made in Germany‘ hervorrief. Den Berliner Philharmonikern ebnete diese Entwicklung den Zugang zu einem internationalen Publikum, das sich für seine Kunst zu interessieren begann. Das Orchester wurde im Bereich der musikalischen ‚Hochkultur‘ zu einem Bannerträger des ‚Made in Germany‘-Labels, wobei die Philharmoniker diesem umgekehrt seine erfolgreiche Internationalisierung zu verdanken hatten. Die „Erfindung“ dieses Labels ist auf die sich in den 1880er-Jahren zunehmend verschärfende Konkurrenzsituation zwischen Deutschland und England zurückzuführen: Gemäß dem „Merchandise Marks Act“ von 1887 mussten sämtliche Waren aus Deutschland, die für Großbritannien oder für englische Kolonien bestimmt waren, mit „Made in Germany“ gekennzeichnet werden. Die englischen KonsumentInnen sollten dadurch vor den angeblich minderwertigen Billigprodukten gewarnt und die einheimischen Erzeugnisse geschützt werden – tatsächlich tat sich Deutschland um die Mitte des 19. Jahrhunderts in erster Linie durch die Produktion von billigen und minderwertigen Imitaten von hauptsächlich englischen Produkten hervor.119 Indem sich die industrielle und wirtschaftliche Potenz des Kaiserreichs jedoch innerhalb weniger Jahrzehnte massiv steigerte und schließlich Englands Vorherrschaft auf dem Weltmarkt zu brechen vermochte,120 wendete sich die Bedeutung des Labels ‚Made in Germany‘ vom Billigimage der deutschen Produkte zu einem positiv besetzten Quali118 Vgl. Wehler, Hans-Ulrich. Deutschlands Wirtschaft und Gesellschaft im 20. Jahrhundert. In: Umbruch und Kontinuität. Essays zum 20. Jahrhundert. München 2000, S. 143–165. Hier S. 144. 119 Umbach, Made in Germany, S. 407. 120 Gemäß Umbach, Made in Germany, S. 406, stieg der Anteil Deutschlands an der Weltindustrieproduktion zwischen 1870 und 1913 von 13 auf 16 Prozent, während derjenige Englands in der gleichen Zeit von 32 auf 14 Prozent sank; detaillierte Zahlen zu den relativen Anteilen an der Weltproduktion außerdem bei Brechtken, Magnus. Scharnierzeit 1895–1907. Persönlichkeitsnetze und internationale Politik in den deutsch-britischamerikanischen Beziehungen vor dem Ersten Weltkrieg. Mainz 2006 (Statistischer Anhang No. 3). Danach steigerte sich der Anteil des Deutschen Reiches von 8,5 auf 14,8 Punkte, während derjenige Englands im selben Zeitraum von 22,9 auf 13,6 Punkte sank. Während die USA 1880 noch weit hinter England zurücklag (14,7), kam ihr 1914 mit 32 Punkten der mit Abstand größte Anteil zu. Als vernachlässigbar darf in diesem Zusammenhang Österreich-Ungarn angesehen werden: Sowohl 1880 wie 1913 betrug sein Anteil unverändert 4,4 Punkte. Nach Conrad, Globalisierung, S. 45, stieg außerdem der Anteil des deutschen Außenhandels bis 1914 auf 34 Prozent des Volkseinkommens – ein Wert, wie er erst wieder in den 1960er-Jahren erreicht worden sei.
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tätsmerkmal. In einem weiteren Schritt wurde dieses „technische Gütesiegel“ der deutschen Produkte zu einem „appellativen Symbol moderner nationaler Identität“ umgewertet.121 Als Idealform einer deutschen Nation schwebte den wilhelminischen Nationalisten lange Zeit der Industriestaat vor.122 Sie forderten die Förderung technischer und ästhetischer Vorzüglichkeit der zu exportierenden Produkte, denn nur so könne Deutschland seine Kulturmission erfüllen und die anderen Länder mit seinem Rang als Weltmacht aussöhnen.123 Dass dies funktionierte, wird anhand der zeitgenössischen englischen Rezeption deutlich: „Made in Germany – diese Phrase ist Jedermann geläufig, aber wie allgemein anwendbar sie ist, wird niemand eher gewahr, bis er nicht eigene Studien gemacht hat. [...] Um Mitternacht kommt Eure Frau aus einer Oper nach Hause, die ,made in Germany‘ ist. Die Oper wurde aufgeführt von Regisseuren, Sängern und Schauspielern, die aus Deutschland stammen, die Saitenund Blasinstrumente des Orchesters waren ,made in Germany‘“.“124
Diese allgemeine Entwicklung lieferte für die Internationalisierung der Konzerttätigkeit des Berliner Philharmonischen Orchesters ein ideales Terrain. Schon 1901 konnte Altmann in seiner Orchesterchronik feststellen, dass der Ruf des Orchesters „nicht bloss in Berlin und Deutschland ein wohlbegründeter ist, dass es in Spanien und Skandinavien, in Frankreich und Russland, in Österreich, Holland und Italien sich das künstlerische Ehrenbürgerrecht erworben und überall enthusiastische Aufnahme gefunden hat“.125
Noch im Gründungsjahr 1882 begab sich das Orchester gleich zweimal auf Reisen, zunächst auf eine kurze Konzerttour durch Norddeutschland, im Herbst jedoch auf eine mehr als einen Monat dauernde Orchesterreise von der Süd- bis an die Ostgrenze Preußens.126 Im Juni 1886 gab das Orchester auf dem Weg ins Seebad Scheveningen in verschiedenen niederländi-
121 Umbach, Made in Germany, S. 408. 122 Ebd., S. 408. 123 Vgl. Jessen, Peter. Der Werkbund und die Großmächte der deutschen Arbeit. In: DWB Jahrbuch 1912, 2. Zit. in: Umbach, Made in Germany, S. 410. 124 Williams, E. E. Made in Germany: Der Konkurrenzkampf der deutschen Industrie gegen die englische. Dresden/Leipzig 1896, S. 12–15. Zit. in: Umbach, Made in Germany, S. 412. 125 Altmann, Chronik, 468 f. 126 Unter der Bezeichnung „Vormaliges Bilse’sches Orchester“ startete die Tournee in Magdeburg und endete in Bremen. Die weiteren Stationen waren Lüneburg, Lübeck, Rostock, Güstrow, Neubrandenburg, Prenzlau, Köslin, Stolp, Danzig, Königsberg, Tilsit, Insterburg, Graudenz, Bromberg, Thorn, Posen, Lissa, Görlitz, Bautzen, Leipzig, Halle, Halberstadt sowie Braunschweig. Muck 3, S. 6.
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schen Städten Konzerte, während die erste reine Konzertreise ins Ausland im April 1895 über Prag nach Wien führte. Schon ein Jahr später brach das Berliner Philharmonische Orchester zu einer dreiwöchigen Reise nach Skandinavien auf, reiste sodann über Bochum, Barmen, Düsseldorf und Arnhem nach Scheveningen, um von dort aus zur Zarenkrönung nach Moskau zu fahren.127 Wiederum ein Jahr später, also in der Spielzeit 1897, veranstaltete das Philharmonische Orchester eine Dezember-Reise nach Kopenhagen, die eingangs erwähnte Reise nach Wien sowie eine rund einen Monat dauernde Tournee durch Deutschland, Frankreich und die Schweiz. 1899 erfolgte die erste, fast einen Monat dauernde russische Tournee, auf die im folgenden Jahr, also zur Jahrhundertwende, eine „Frühjahrs-Tournee durch Europa“ folgte, mit Stationen in Posen, Breslau, Kattowitz, Krakau, Brünn, Prag, Linz, Graz, Ljubljana, Triest, Venedig, Bologna, Mailand, Turin, Lyon, Genf, Bern, Zürich, Basel, Freiburg/Br., Straßburg und Wiesbaden. 1901 wiederholten die Berliner Philharmoniker ihre „Frühjahrs-Tournee durch Europa“ und erweiterten den Radius abermals beträchtlich: Prag, Brünn, Wien, Graz, Triest, Venedig, Bologna, Florenz, Rom, Genua, Nizza, Marseille, Barcelona, Madrid, Lissabon, Bilbao, San Sebastian, Bordeaux, Toulouse, Marseille, Lyon, Paris, Lille, Brüssel sowie Lüttich waren die Stationen ihrer Konzerte. Die von Beginn an hohe Veranstaltungs-, insbesondere aber Reisefrequenz erforderte eine gute Organisation. Entsprechend professionell ließ sich das Orchester seit seiner Gründung 1882 von einer Konzertagentur beraten und vermarkten. Hermann Wolff, der zu diesem Zeitpunkt gerade dabei war, eine Konzertagentur zu gründen,128 verschaffte dem Orchester nicht nur dessen Namen, sondern organisierte für den Winter 1882/83 auch zwei Abonnementzyklen mit je drei Konzerten.129 Dabei achtete er penibel darauf, welchen Dirigenten er mit deren Leitung betraute; die Wahl fiel auf den renommierten Dresdner Hofkapellmeister und Direktor des dortigen Konservatoriums Franz Wüllner.130 Wüllner fungierte quasi als Aushängeschild der Abonnementkonzerte, was dem Orchester von Anfang an die Aufmerksamkeit des bildungsbürgerlich-elitären „Hochkultur“-Betriebs sicherte: Wolff praktizierte damit eine moderne, am Markt orientierte Werbepraxis und brachte das Orchester zugleich in Konkurrenzstellung zu den traditionellen Hofkapellen. Einen weiteren Distributionskanal erkannte das Berliner Philharmonische Orchester in den neuen Medien: Neuartigen Reproduktionstechnologien stand es experimentierfreudig und offen gegenüber. Eine Werbeaktion von hohem Originalitätsgrad, zugleich aber auch der 127 Während die Franzosen das Festessen und die Engländer einen Ball spendiert hätten, habe Kaiser Wilhelm II. die Zarenfamilie mit einem Auftritt des Berliner Philharmonischen Orchesters beschenkt, indem er dieses nach St. Petersburg geschickt habe, so Haffner, Philharmoniker, S. 57. 128 Weitere Hinweise zu Wolff bei Haffner, Philharmoniker, S. 15 ff. 129 Ebd., S. 17 f. 130 Ebd., S. 18.
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Versuch, neueste Technologie mit musikalischer Reproduktion zu verbinden, stellte etwa die 1883 praktizierte Übertragung der Konzerte über Telefon dar – gewissermaßen eine Frühform der Radioübertragung: „In der ,Philharmonie‘ ist [...] nun eine telephonische Station eingerichtet, in welcher man aus einer Entfernung von hundert Metern die Vorträge des Orchesters zu hören be kommt. Es will uns scheinen, als wäre die Leitung noch einer Verbesserung fähig; denn einstweilen befriedigt sie mehr das physikalische als das musikalische Interesse. [...] Jedenfalls lohnt sich’s, dem neuen Institute einen Besuch zu machen.“131
In der Folge leisteten die Berliner Philharmoniker auch Pionierarbeit im Bereich der Schallplattenaufnahmen. Die erste Aufnahme datiert aus dem September 1913, als das Orchester unter Alfred Hertz Musik aus Wagners Parsifal einspielte. Nur zwei Monate später realisierte das Orchester unter Arthur Nikisch weltweit die erste ungekürzte Aufnahme von Beethovens Fünfter Symphonie.132 Dass es sich dabei tatsächlich um die ersten Orchesteraufnahmen handelte, die überhaupt je auf Wachsplatten geritzt worden seien,133 lässt sich zwar nicht bestätigen. Aber tatsächlich wurden zu diesem Zeitpunkt noch kaum Orchesteraufnahmen produziert, da sie aufgrund des damaligen Standes der Aufnahmetechnik nur äußerst schwer durchgeführt werden konnten und außerdem kaum imstande waren, ein akustisch befriedigendes Resultat zu liefern.134 Auch im Bereich der neuen Medien zeichneten sich die Berliner Philharmoniker also durch Innovationsbereitschaft aus. Traditionellerweise standen Protagonisten der ‚Hochkultur‘ dem Medium Schallplatte sehr skeptisch gegenüber: Um die Jahrhundertwende existierten zwar bereits zahlreiche Aufnahmen von Opernarien, gesungen wurden sie jedoch in der Regel von unbekannten KünstlerInnen, da die berühmten ihre schönen Stimmen nicht in der schlechten Tonqualität der damaligen Schallaufnahmen konserviert wissen wollten.135 131 Norddeutsche Allgemeine Zeitung [Berlin], 7. 2. 1883. Zit. in: Muck 1, S. 33. 132 Haffner, Philharmoniker, S. 64. 133 Gray, Michael H. Berlin Philharmonic Orchestra Discography. Part I, 1913–1945. In: Classic Press, 2000/3. S. 49–100. Hier S. 49. 134 Auch in den USA, die über die avancierteste Technik verfügten, wurden um die Jahrhundertwende wohl Aufnahmen von Blasorchestern, jedoch noch keine symphonischen Aufnahmen produziert. Vgl. Millard, Andre. America on record. A history of recorded sound. New York/Melbourne 1995. S. 83. 135 Vgl. Millard, America, S. 82. Dass „der Siegeszug der Schallplattenaufzeichnung“ 1902 durch Enrico Caruso eingeleitet worden sei, so die übliche Kolportage (zuletzt bei Brug, Manuel. Die Geburt der Schallplatte. In: Im Takt der Zeit. Booklet zur CD-Jubliäumsbox der Berliner Philharmoniker [2007]. S. 22–23), beruht darauf, dass die amerikanische Entwicklung der Schallaufzeichnung noch immer geflissentlich ignoriert wird. Den Caruso-Aufnahmen ging eine Vielzahl an Einspielungen von Opernarien durch unbekannte Sänger und Sängerinnen voraus. Vgl. Millard, America, S. 82.
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Vergleicht man die Aufnahmetätigkeit des Berliner Philharmonischen Orchesters mit der von anderen damals wichtigen und berühmten Orchestern, war das deutsche Orchester mit seinen Aufnahmen von 1913 eines der ersten, das eine kommerziell verwertbare Aufnahmetätigkeit vorantrieb.136 Mit Alfred Hertz stand den Berliner Philharmonikern dabei ein Dirigent zur Verfügung, der bereits um die Jahrhundertwende mit experimentellen Opernaufnahmen in Berührung kam: Hertz leitete seit 1902 das Orchester der New Yorker Metropolitan Opera, deren Bibliothekar Lionel Mapleson zwischen 1901 und 1903 mehr als 100 phonographische Zylinder mit Live-Aufnahmen bespielte.137 Zudem hat Hertz Wagners „Parsifal“ in die USA gebracht und dort zahlreich aufgeführt.138 Dass es gerade das Berliner Philharmonische Orchester und nicht ein amerikanisches war, mit dem Hertz Wagner-Einspielungen produzierte, dürfte damit zusammengehangen haben, dass Aufnahmen im Bereich der „Good Music“ (Millard), also der „klassischen Musik“, zum größten Teil aus Europa stammten, auch wenn sie mehrheitlich in den USA abgesetzt wurden.139 Außerdem avancierte Berlin seit der Jahrhundertwende zu einem der Hauptzentren der Schallplattenproduktion, nachdem Emile Berliner 1898 unweit davon entfernt, in Hannover, die Deutsche Grammophon Gesellschaft gegründet hatte.140 Diese ersten Aufnahmen von 1913 dürften keine bloßen Experimente, sondern bereits der ernsthafte Versuch einer seriellen Produktion gewesen sein, denn schon im folgenden Jahr spielten die Berliner Philharmoniker unter dem Dirigenten Camillo Hildebrand weitere Werke ein: unter anderem erneut jene „Parsifal“-Ausschnitte, die sie bereits unter Hertz aufgenommen hatten, außerdem weitere Stücke von Wagner sowie solche von Mendelssohn, Boccherini, Weber, Beethoven, Grieg und Saint-Saëns.141 Der Weltkrieg unterbrach die Aufnahmetätigkeit des Orchesters allerdings noch im selben Jahr: Die nächstfolgenden Einspielungen produzierte das Orchester erst 1921.142 All diese Modernisierungen, mit denen die Berliner Philharmoniker den zeitgenössischen Musikbetrieb dynamisierten, koinzidieren mit Deutschlands wirtschafts- und machtpolitischem Aufstieg und seiner damit zusammenhängenden ‚Weltpolitik‘, dem außenpolitischen
136 Sogar das New York Philharmonic spielte erst 1917 seine erste Schallaufnahme ein. New York Philharmonic. URL: http://nyphil.org/about/overview.cfm [Stand: 2. 1. 2008]. 137 Zur Geschichte der „Mapleson Cylinders“ vgl. The Mapleson Cylinders – Program Notes. URL: http:// digilib.nypl.org/dynaweb/millennium/mapleson [Stand: 28. 12. 2008]. 138 Vgl. Brug, Geburt, S. 23. 139 Vgl. Millard, America, S. 93. 140 Ebd., S. 68. 141 Gray, Berlin Philharmonic Orchestra, S. 51. 142 Ebd., S. 52.
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Programm des wilhelminischen Kaiserreichs.143 Insbesondere die Konzertreisen können als außenpolitische Markierungen gelesen werden – auch wenn sie vom Orchester kaum als solche gesetzt wurden, und auch von der offiziellen Politik nicht als solche erkannt und gefördert worden sein dürften. Die Förderung von Kunst insgesamt, insbesondere aber von Musik lag zur Hauptsache ohnehin in privater Hand: Nach Artikel 4 der Reichsverfassung von 1871 war das Reich in Angelegenheiten der Kunst- und Kulturpolitik nicht zuständig.144 Der preußische Staat hingegen verfügte zwar über ein beträchtliches Kunst- und Wissenschaftsbudget, aber die meisten Gelder flossen in den Bereich der bildenden Künste, während die Musik kaum staatliche Unterstützung fand.145 Eine vom Deutschen Reich intendierte politische Einbindung des Berliner Philharmonischen Orchesters ist für die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg nicht erkennbar. Doch gerade weil das Berliner Philharmonische Orchester als freies Unternehmen an den ökonomischen und gesellschaftlichen Umwälzungen vor und nach der Jahrhundertwende partizipierte, gelangte es allmählich in den Einflussbereich der politischen Institutionen: 1911 verloren die Berliner Philharmoniker ihr Sommerengagement in Scheveningen, was zu einer längeren politischen Debatte um eine finanzielle Unterstützung des Orchesters durch die Stadt führte. Nachdem ein Ausschuss der Stadtverordnetenversammlung zum Schluss gekommen war, dass „das Fundament für das musikalische Kunstleben in Berlin durch dieses Orchester gebildet werde“146, verabschiedete die Versammlung am 16. November 1911 die Unterstützung der Berliner Philharmoniker mit einem Betrag von 60.000 Mark unter der Bedingung, dass das Orchester jährlich 40 Konzerte „zu mäßigen Preisen“ sowie während des Winters sechs öffentliche Freikonzerte für Schüler zu veranstalten habe; die Eintrittspreise wurden einheitlich auf 30 Pfennige festgesetzt. Zudem wurde das Orchester zur unentgeltlichen Mitwirkung bei öffentlichen städtischen Feiern verpflichtet.147 Die Bezeichnung „Subvention“ ist für diesen städtischen Geldzuschuss – sie fand in den Verhandlungen der Stadtverordnetenversammlung durchwegs Verwendung und wurde in der Folge auch in diversen Orchesterdarstellungen übernommen148 – allerdings irreführend. Schon einer allgemeinen Wörterbuchdefinition nach zeichnet sich eine Subvention nämlich 143 Vgl. die Literaturverweise in FN 21 und 22. 144 Vgl. Feldenkirchen, Wilfried. Staatliche Kunstfinanzierung im 19. Jahrhundert. In: Mai, Ekkehard/Pohl, Hans/Waetzoldt, Stephan (Hrsg.): Kunstpolitik und Kunstförderung im Kaiserreich. Kunst im Wandel der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Berlin 1982. S. 35–54. Hier S. 37. 145 Vgl. ebd., S. 37. 146 Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Berlin. Bd. 16: 1910–1913. S. 441. (Sitzung vom 16. November 1911). 147 Ebd., S. 441 f. 148 So bei Muck 1, S. 401; Cossé, Peter. Die Geschichte. In: Das Berliner Philharmonische Orchester. Stuttgart 1987. S. 10–17, hier S. 13; sowie, zuletzt, bei Haffner, Philharmoniker, S. 65.
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gerade dadurch aus, dass sie eine „Übertragung des Staates an private Wirtschaftssubjekte [ist], denen keine marktmäßige Gegenleistung der Empfänger gegenübersteht“.149 Eine solche marktmäßige Gegenleistung bestand jedoch in den dem Orchester abgeforderten Konzerten. Der Berliner Bürgermeister Georg Reicke machte in seinem Votum zugunsten einer finanziellen Beteiligung der Stadt am Berliner Philharmonischen Orchester aus dieser Zweckgebundenheit der „Subvention“ denn auch keinen Hehl: „Es ist in der Tat ein Unterschied, ob man aus Benevolenz handelt oder unter dem Gesichtspunkte von Leistung und Gegenleistung.“150 Außerdem verwahrte er sich gegen die Schaffung eines Präzedenzfalls, indem er erklärte: „Wir können nun natürlich nicht mit so und so viel Institutionen zu gleicher Zeit verhan deln. Daher haben wir es im Magistrat für richtig erachtet, dass wir, wenn wir einer Institution zu Hilfe kommen, die der Hilfe bedarf, das nur tun nach dem Grundsatz von Leistung und Gegenleistung. [...] Es kann nicht ein zweites Orchester kommen und verlangen: das wollen wir auch haben. Da müssten wir die Achseln zucken und sagen: wir sind versorgt.“151
Mit dieser einsetzenden „Subventionierung“ wurden erstmals Verfügungsansprüche von außen ans Orchester herangetragen, die die philharmonische Konzertpraxis deutlich veränderte. Denn die politische Linke konnte der Stadtverordnetenversammlung die Auflage abringen, dass die Konzerte nicht in der Philharmonie stattfinden dürften, sondern dezentral durchgeführt werden müssten, damit einem breiten Berliner Publikum in dessen jeweiligem Wohnkreis musikalische Unterhaltung zuteil werden könne. Diese Veranstaltungen bürgerten sich umgehend als „Volkskonzerte“ ein und fanden in der Folge zumeist in große Menschenmengen fassenden Brauhäusern verschiedener Stadtbezirke statt.152 Und um die Erschwinglichkeit der Konzertkarten für möglichst alle Bevölkerungsschichten zu gewährleisten, ließ die Stadt Berlin die Preise auf den tiefstmöglichen Tarif fixieren.153 Durch die verpflichtende Abhaltung dieser „Volkskonzerte“ vergrößerte sich das Tätigkeitsspektrum des Orchesters ein weiteres Mal. Die „Populären Konzerte“ wurden fortan durch die „Volkskonzerte“ ergänzt, wodurch sich die Tätigkeit des Orchesters im Be reich der ‚Volksbildung‘, wenn auch unfreiwillig, erheblich erweiterte. Ein zu Beginn der 1910erJahre gegründetes „Komitee für künstlerische Volkskonzerte“ – ihm gehörten neben Arnold 149 Subvention. In: Brockhaus Enzyklopädie. Bd. 21. Mannheim 1993, S. 399. [Hervorhebung F. T.]. 150 Stenographische Berichte 16, S. 115 (Sitzung vom 9. März 1911). 151 Ebd. 152 Vgl. etwa eine Zusammenstellung der Sommerkonzerte für 1912, Magistratsnotiz (Kirschner) „Volkskonzerte des Berliner Philharmonischen Orchesters im Sommer 1912“, 21. Juni 1912. Landesarchiv Berlin, A Rep. 001-02-T4 Nr. 921, 44–45. 153 Ebd.
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Schönberg auch rechtskonservative Komponisten wie Engelbert Humperdinck oder Georg Schumann an, der ab 1934 als Präsident der Preußischen Akademie der Künste waltete – führte als zentrales Anliegen von Volkskonzerten die „ästhetische und geistige Erziehung des Volkes, die Erweckung des Kunstsinnes und die Renaissance einer Volkskunst“154 an, Postulate also, die nicht primär von Links vertreten wurden, sondern insbesondere von konservativen Protagonisten immer stärker gefordert und gefördert wurden; nationalistische Untertöne sind darin nicht zu überhören. Der philharmonischen „Subventions“-Vorlage in der Berliner Stadtverordnetenversammlung von 1911 lagen indirekt also durchwegs politische Motive zugrunde, die nur wenige Jahre später, während des Ersten Weltkriegs, noch um ein Vielfaches deutlicher zum Ausdruck kommen sollten.
2.2 Schwanengesang der Tradition. Die Wiener Philharmoniker im Wien der späten Donaumonarchie Die Konzertpraxis der Wiener Philharmoniker hatte mit jener dynamisch-flexiblen des Berliner Philharmonischen Orchesters kaum etwas gemein: Sie verhielt sich gleichsam statisch und beruhte auf einer Tradition, die sich auf den Vormärz zurückdatieren lässt.155 Im Gegensatz zum Berliner Philharmonischen Orchester fungierten die Wiener Philharmoniker, die 1842 ihr erstes philharmonisches Konzert veranstalteten, nicht als hauptberufliches Konzertorchester, sondern zunächst als eine lose „Gesellschaft“, die ihre Mitglieder aus den Orchestermusikern der Hofoper rekrutierte und jede Saison einige Philharmonische Konzerte abhielt.156 Die daran beteiligten Musiker hatten damit eine Doppelfunktion inne, an der sich im Grunde bis heute nichts geändert hat: Das Musikerpersonal des Staatsopernorchesters und der Wiener Philharmoniker ist auch gegenwärtig weitgehend identisch, aber institutionell und organisatorisch sind die beiden Orchester strikt voneinander getrennt. Wann immer im Folgenden von den „Wiener Philharmonikern“ die Rede ist, ist also nicht das Staatsopernorchester, sondern der „Verein Wiener Philharmoniker“ gemeint. Auf die Besonderheit dieser Doppelfunktion der Musiker gehe ich in spezifischen Zusammenhängen noch detaillierter ein.
154 Künstlerische Volkskonzerte, S. 1. 155 Die Gründungs- und Frühgeschichte der Wiener Philharmoniker detailliert bei Hellsberg, Demokratie, S. 9–116. 156 Während das erste philharmonische Konzert von 1842 datiert, wurden die ersten Abonnementkonzerte 1860 eingeführt.
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Im engeren, juristischen Sinne existierte bis 1908 keine offizielle Organisationsform der Wiener Philharmoniker.157 Erst zu diesem Zeitpunkt verabschiedete das Orchester aufgrund eines unerwartet geerbten Gesellschaftshauses158 erstmals Vereinsstatuten; die Vereinsgründung von amtlicher Seite wurde „nicht untersagt“159 und also genehmigt. Um nicht als profitorientiertes Unternehmen zu gelten beziehungsweise, damit verbunden, um nicht zur Erwerbssteuer herangezogen zu werden, ließen sich die Philharmoniker als „allgemeine Versorgungs- und Rentenanstalt“ eintragen.160 Das Orchester bildete für seine Mitglieder über die Einnahmen der Philharmonischen Konzerte hinaus somit eine Art Versicherungsverein. Hellsberg betont, es habe der „demokratischen Tradition des Unternehmens“ entsprochen, dass jegliche Art von Zwangsmitgliedschaft bei dieser Fondskasse ausgeschlossen gewesen sei, was enorme verwaltungstechnische Schwierigkeiten mit sich gebracht habe: Die Philharmoniker hätten dazu in den kommenden Jahren ein kompliziertes, zwischen der „Vereinskasse“, der „Fondskasse“ sowie der „Gebarung“ des „Nicolai“-Vereins penibel unterscheidendes Verrechnungssystem in Kauf genommen.161 Als Zwecke des Vereins wurden – auch in der 1909 verabschiedeten Neufassung der Statuten – die folgenden angegeben: „a) durch Veranstaltung von behördlich bewilligten öffentlichen Aufführungen den Werken bedeutender Tonsetzer die entsprechende Würdigung zu verschaffen und im Bedarfsfalle seinen Mitgliedern Darlehen oder Unterstützungen zu gewähren. b) die Gewährung eines jährlichen Pensionszuschusses an die Teilnehmer der Fondskasse (unbeschadet der vom Pensions-Institute resp. Pensions-Vereine des k. k. Hofoperntheaters zugesicherten Ruhegenüsse), bei welchen die Pensionierung [...] des k. k. Hofoperntheaters erfolgt ist.“162
Das Wiener Orchester unterschied sich in der Rechtsform (die Wiener Philharmoniker haben den Verein einer Kapitalgesellschaft vorgezogen) sowie im künstlerischen Zweck (öffentliche Aufführungen von Werken bedeutender Tonsetzer) zu Beginn des 20. Jahrhunderts also ganz wesentlich von den Berliner Philharmonikern, was auch signifikante Unterschiede in der Organisation und der künstlerischen Praxis nach sich zog. Trotz dieser Unterschiede scheinen die Berliner Philharmoniker für das Wiener Orchester einen immer wichtiger wer157 Hellsberg, Demokratie, S. 368. 158 Vgl. ebd. 159 Statuten des Vereins „Wiener Philharmoniker“ [1908]. Vereinsakt, WSL, M. Abt. 119, A 32: Gelöschte Vereine, 4602/21, 9. 160 Hellsberg, Demokratie, S. 370. 161 Ebd. Der Nicolai-Verein war die Krankenkasse der Wiener Philharmoniker. 162 Statuten des Vereines „Wiener Philharmoniker“ [1909]. Vereinsakt, WSL, M. Abt. 119, A 32: Gelöschte Vereine, 4602/21, 10.
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denden Orientierungspunkt dargestellt zu haben, wie sich dies etwa in der Namensgebung niederschlug: Die Bezeichnung „Wiener Philharmoniker“ wurde erst seit der ersten Reise des Berliner Orchesters nach Wien (1895) gebräuchlich und erhielt durch die Vereinsgründung schließlich offiziellen Charakter.163 Von der organisatorischen Konstitution her blieben die Unterschiede zwischen den beiden Orchestern aber nach wie vor bestehen. Dass die Wiener Philharmoniker nicht wie ihre Berliner Kollegen die Form einer Kapitalgesellschaft, sondern die eines Vereins wählten, dürfte mit der hauptsächlichen Profession der einzelnen Orchestermitglieder als Hofkapellmusiker zusammenhängen: Die zeitliche Beanspruchung durch die Oper ließ ein allzu aufwendiges Engagement als Konzertorchester nicht zu und machte damit eine an genuin unternehmerischen Maßstäben orientierte Gesellschaftsform hinfällig.164 Eine Abkehr vom bisherigen Usus der „Doppelfunktion“ der Orchestermitglieder wurde durch die Vereinsgründung in keiner Weise in Betracht gezogen und es gibt auch keine Hinweise darauf, dass die Verbindung mit der Hofkapelle damals infrage gestellt worden wäre. Immerhin hätte im Zuge einer solchen Restrukturierung wie der Vereinsgründung eine grundsätzliche Neuausrichtung des Orchesters erfolgen können. Offensichtlich wollten das Orchester und seine Unterhändler von einem solchen Schritt nichts wissen. In dieser Entscheidung, die Grundstrukturen trotz der neuen Rechts- und Organisationsform unangetastet zu lassen, spiegelt sich ein ‚Traditionsbewusstsein‘ wider, das bisweilen jenseits von Zweckrationalität operierte. Eng verknüpft mit der Beibehaltung des organisatorischen Status quo ist die inhaltlichmusikalische Zweckangabe in den ersten Orchesterstatuten. Auch hier bildet ‚Tradition‘ den Orientierungspunkt, der durch die Neukonstituierung der Philharmoniker als Verein unangetastet blieb. Schon im „Gründungsdekret“ zu den „Philharmonischen Concerten“ von 1842 wurde festgehalten, die Konzerte würden „nur Classisches u[nd] Interessantes bringen“.165 Außerdem nennt Hellsberg als Bestandteil der ‚Philharmonischen Idee‘, von der das Orchester seiner Auffassung nach seit der Gründung von 1842 getragen werde, die „sorgfältigste Auswahl der aufzuführenden Werke“.166 Die Orchestertätigkeit der Wiener Philharmoniker konzentrierte sich denn auch auf die Abhaltung der Philharmonischen Konzerte. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts veranstalteten sie so gut wie keine Aufführungen außerhalb dieser fixen Veranstaltungen und
163 Hellsberg, Demokratie, S. 368. 164 So hebt auch Hellsberg hervor, dass die Vereinsgründung in erster Linie als eine Betonung des „sozialen Aspekts“ der „Nebenbeschäftigung“ der Wiener Hofopernmusiker zu sehen sei. Hellsberg, Demokratie, S. 370. 165 Zit. in ebd., S. 22. 166 Ebd., S. 24.
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ließen sich auch nur selten für solche engagieren.167 Für die Spielzeit 1896/97 – das Berliner Philharmonische Orchester hielt im Mai 1897 sechs Konzertabende allein in Wien ab – veranstalteten die Wiener Philharmoniker insgesamt neun Konzerte, acht im Abonnement sowie dasjenige zugunsten des „Vereins ,Nicolai‘“, der orchesterinternen Krankenkasse. Konzerte für breitere Bevölkerungsschichten, das heißt ‚populäre‘ und ‚Volks-Konzerte‘ oder aber ‚Arbeiter-Symphoniekonzerte‘ wurden durchwegs vom 1900 gegründeten Wiener Concertverein (ab 1921 Wiener Sinfonieorchester bzw. ab 1933 Wiener Symphoniker) gestaltet,168 sodass die Wiener Philharmoniker bis zum Zusammenbruch der Monarchie mit solchen Veranstaltungsformen kaum je in Kontakt gekommen sind. In gewisser Weise scheint sich das Orchester dabei vor sich selbst als Konkurrenten gefürchtet zu haben. Anlässlich der Weltausstellung etwa, die 1872 in Wien stattfand, rangen sich die Wiener Philharmoniker zwar zu einer Teilnahme an den Festivitäten durch, befürchteten jedoch eine Rufschädigung ihrer Philharmonischen Konzerte, weil diese dann leicht in einen Topf mit den Strauß’schen Konzerten hätten geworfen werden können.169 Die Wiener Philharmoniker verfügten demnach schon früh über ein ausgeprägtes Markenbewusstsein, womit sie sich in der Stadt jedoch nicht nur Freunde machten: 1885 lehnte der Gemeinderat der Stadt Wien eine offizielle Beglückwünschung des Orchesters zum 25-jährigen Jubiläum des ununterbrochenen Bestehens der Abonnementkonzerte zunächst ab, weil sich die Musikervereinigung niemals zugunsten der Armen würde hören lassen.170 In diesem Markenbewusstsein manifestiert sich also nicht zuletzt die Berührungsangst der Wiener Philharmoniker mit populäreren Konzert- und Musizierformen, die sich auch ins 20. Jahrhundert hinüberrettete. Noch 1915 und trotz kriegsbedingter Veränderungen der veranstaltungspraktischen Gewohnheiten bemühte sich das Orchester, sich von popularen Veranstaltungen fernzuhalten: „Buxbaum nimmt Stellung, dass die Körperschaft unter nicht berufsmäßigen Dirigenten spielt, 167 Für 1872 stellt Clemens Hellsberg fest, dass die spektakulären „Nebengeschäfte“ der Philharmoniker ihre eigenen Veranstaltungen ein wenig in den Schatten gestellt hätten. Die Rede ist dabei von einem WagnerAbend, der am 12. Mai 1872 unter Leitung des Komponisten veranstaltet wurde, sowie von einem Festkonzert aus Anlass der Enthüllung des Schubert-Denkmals. Hellsberg, Demokratie, S. 172. Außerdem hielt das Orchester am Ende der Saison 1872/73 anlässlich der Vermählung von Erzherzogin Gisela mit Prinz Leopold von Bayern eine Reihe von Festkonzerten ab. Hellsberg, Demokratie, S. 175. Bei solchen Konzerten handelt es sich jedoch nicht um die Regel, sondern um Ausnahmen, wie dies auch Frau Dr. Kargl vom HAWPh auf Anfrage bestätigte. 168 Vgl. Kobau, Ernst. Die Wiener Symphoniker. Eine sozialgeschichtliche Studie. Wien 1991. S. 20–22. 169 Hellsberg, Demokratie, S. 176. 170 Theater- und Kunstnachrichten. In: Neue Freie Presse, 1. April 1885, Morgenblatt, S. 6. Zit. in: Nußbaumer, Musikstadt, S. 232.
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wie vor kurzem bei der Ballett-Revue im Theater a. d. Wien. Wünscht in künftigen Fällen Vorsicht bei der Zusage.“171
Im Unterschied zum Berliner Philharmonischen Orchester, das die aufkommende ‚Massenkultur‘ ebenso zu bedienen verstand wie die ‚Hochkultur‘, operierten die Wiener Philharmoniker ausschließlich in letzterem Bereich. Wienerische Musikinstitutionen, deren Veranstaltungen einen tendenziell populären Charakter trugen, wurden noch zu Beginn der Ersten Republik nicht als Konkurrenten wahrgenommen: Als das Wiener Volksopernorchester den Vorstand der Wiener Philharmoniker um Erlaubnis bat, dass Direktor Felix Weingartner – er war zwischen 1908 und 1927 Leiter der Philharmonischen Konzerte und von 1919 bis 1924 Direktor der Wiener Volksoper – mit dem Volksopernorchester ein Symphoniekonzert abhalten dürfe, wurde dies vom Komitee nach einer kurzen Diskussion gutgeheißen; dabei sticht eine Begründung für die Zustimmung besonders hervor: „Wunderer [Komitee-Mitglied, F. T.] hat nichts gegen ein solches Konzert, da wir ein anderes Publikum haben [...]“; vor Konkurrenz, so Wunderer, brauche man sich somit nicht zu fürchten. Ein weiteres Komiteemitglied doppelte nach: „Hermann wünscht, da auch die anderen Orchester, die sich räumlich und zeitlich näher stehen, uns keine schädliche Konkurrenz gemacht haben, unter der Voraussetzung, dass es nicht öfter geschieht, keine Schwierigkeiten zu machen u. beantragt Zustimmung.“172
Wie die Aktivitäten der Wiener Philharmoniker als Konzertorchester insgesamt war auch ihre Reisetätigkeit im Vergleich mit dem Berliner Philharmonischen Orchester um ein Vielfaches geringer. Die erste Reise des Orchesters datiert aus 1877, als es auf Einladung der „Internationalen Mozart-Stiftung“ nach Salzburg reiste.173 Seither war die Reisetätigkeit der Wiener Philharmoniker minimal; bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges unternahmen sie bloß vier größere Konzertfahrten: 1900 reisten sie an die Weltausstellung nach Paris, sechs Jahre später konzertierten sie in London, 1910 anlässlich der Richard-Strauss-Woche in München und 1911 in Budapest.174 Weitere größere Reiseprojekte wurden zwar angedacht, scheiterten jedoch aus verschiedenen Gründen.175 Eine Tournee, auf der das Orchester mehrere Städte in Folge bereiste, fand erst 1917 statt, als das Orchester auf Propagandamission in die Schweiz
171 172 173 174 175
Prot. Außerordentliche Hauptversammlung (AHV), 24. 4. 1915. HAWPh, A-Pr-019,10. Komitee-Sitzung (KS), 30. 11. 1919. HAWPh, A-Pr-021, 32. Hellsberg, Demokratie, S. 214. Jerger, Wilhelm. Die Wiener Philharmoniker. Erbe und Sendung. Wien 1942. Anhang. Hellsberg, Demokratie, S. 380.
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geschickt wurde.176 Diese wenigen Auslandsreisen der Wiener Philharmoniker vermochten den internationalen Aktivismus des Berliner Philharmonischen Orchesters freilich nicht zu konkurrenzieren, zumal unter den Wiener Philharmonikern selbst Widerstand gegen eine Intensivierung des Reisebetriebs laut wurde – noch 1915 wandten sich im Orchester kritische Stimmen gegen die Abhaltung von Reisen: „Außerdem weist Wesser darauf hin, dass bisher alle Reisen nur Mühe u. geringe Entschädigung brachten.“177 Gerade bezüglich der Konzertreisen stellte die Opernbindung der Wiener Philharmoniker ein Resistenzmoment auf dem Weg zu einer Anpassung an die veränderten Bedingungen im Musikbetrieb dar: Während das Berliner Philharmonische Orchester durch seine Ungebundenheit geradezu gezwungen war, möglichst jede sich bietende Auftrittsmöglichkeit im Inund Ausland wahrzunehmen, stellte sich für die Wiener Philharmoniker – allein schon was Reisen anbelangt – jedes Mal als Erstes die Frage nach ausreichend vorhandenen Substituten, die die abwesenden Musiker im Opernorchester hätten vertreten können. Darin liegt gewiss ein Hauptgrund für die Modernisierungsresistenz der Wiener Philharmoniker; dass sie es hingegen gar nicht in Betracht zogen, die Opernbindung aufzuheben oder den Opernbetrieb allenfalls mit anderen Wiener Orchestern zusammen zu gestalten, um sich einen größeren Spielraum als Konzertorchester zu verschaffen, hing eng mit ihrem traditionalistischen Selbstverständnis zusammen. Durch den Dienst in der Hofkapelle sicherten sich die Musiker sowohl ein Grundgehalt als auch eine gewisse Kranken- und Altersfürsorge; eine auch nur teilweise Aufgabe dieser Sicherheiten zugunsten einer ausgedehnteren Konzerttätigkeit hätte ein beträchtliches Risiko dargestellt, was auch zur Folge hatte, dass die Wiener Philharmoniker auf Neuerungen im Musikbetrieb nur zögerlich reagierten – ganz im Gegensatz zum Berliner Philharmonischen Orchester, das diese vielmehr maßgeblich mitgestaltete. Dennoch ist die Bedeutung des Traditionsaspekts für die Zurückhaltung der Wiener Philharmoniker, ihren Konzertbetrieb auszudehnen und zu modernisieren, nicht zu unterschätzen, denn finanzielle Gründe hätten letztlich eher für als gegen eine Modernisierung gesprochen. Gegenüber der Operngage brachten die Philharmonischen Konzerte lange Zeit etwa das Doppelte an Verdiensten ein, wie einem Protokolleintrag zu entnehmen ist: „Weiss verweist auf das frühere Verhältnis [vor 1920, F. T.] zwischen Monatsgagen in der Oper und dem philharm. Erträgnisse, das ungefähr ein Doppeltes davon ausmachte [...].“178 Ein allfälliger Einkommensverlust durch verminderte Operndienste hätte also durch eine Intensivierung des Konzertbetriebs ohne Weiteres wettgemacht werden können. 176 Stationen waren Zürich, Bern, Luzern, Lausanne, Bern, Neuchâtel, Basel sowie St. Gallen, Jerger, Philharmoniker, Anhang, o. S. Vgl. auch die nachfolgenden Ausführungen zu dieser Reise. S. 54 ff. 177 Prot. AHV, 9. 4. 1915. HAWPh, A-Pr-019, 8. 178 Prot. KS, 5. 9. 1920. HAWPh, A-Pr-022.
Tradition par excellence
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2.3 Tradition par excellence. Der Sonderstatus von Beethovens IX. Symphonie Die Modernisierungsresistenz der Wiener Philharmoniker manifestiert sich nicht nur im relativ geringen Konzertvolumen und in der schmalen Palette der Veranstaltungsarten, sondern auch in der Qualität der wenigen Konzerte außerhalb der Abonnementreihe: Obzwar in den frühen Statuten nichts Näheres zu Repertoirefragen vermerkt ist, sind anhand der Versammlungsprotokolle des Orchesters noch bis in die 1910er-Jahre hinein rigide Beschränkungen für das symphonische Repertoire ersichtlich. Dabei wurde stets mit Berufung auf ‚Tradition‘ argumentiert, die bisweilen zwar für materielle Zwecke instrumentalisiert wurde, zugleich jedoch einer nachhaltigen Vermarktung den Weg verstellte. „Die Einladung der k. k. Gesellschaft der Musikfreunde zur Mitwirkung beim VII. deutschen Bach-Fest am 10.5.d.J. wird zur Kenntnis genommen u. Bereitwilligkeit zur Mitwirkung namens der Mitglieder ausgesprochen, nachdem kein symph. Werk zur Aufführung gelangt, somit nicht gegen die Statuten verstoßen wird.“179
Ebenso wurden aber Veranstaltungen mit dem expliziten Hinweis auf ‚Tradition‘ abgesagt: „Heinrich beantragt: der Tradition entsprechend kann die IX. Symphonie von Beethoven nur im Rahmen der Philharmonischen Konzerte und zugunsten des Vereins ‚Nicolai‘ [d. i. der philharmonischen Krankenkasse, F. T.] stattfinden, bezüglich welcher Veranstaltung eine kontraktliche Vereinbarung mit Direktor Weingartner besteht. Somit ist die vorliegende Einladung abzulehnen. Der Antrag wird einstimmig angenommen.“180
Einige Tage später trat das Komitee mit diesem Ablehnungsantrag im Rahmen einer außerordentlichen Hauptversammlung vor das Plenum, das ihn ohne Weiteres guthieß: „Einladung Konzertdirektion Knepler zur Mitwirkung: bei einem Konzert unter Ltg. Nikisch, Aufführung der IX. Symph. Beethoven. Wird abgelehnt, da die Aufführung dieses Werkes zugunsten des Vereins ‚Nicolai‘ somit als statuarische Veranstaltung zu betrachten ist und weiters dieses Konzert in die kontraktliche Vereinbarung mit Direktor Weingartner fällt.“181
179 Prot. KS, 2. 4. 1914, HAWPh, A-Pr-018, 33. [Hervorhebung F. T.]. 180 Prot. KS, 30. 8. 1915. HAWPh, A-Pr-019, 15. 181 AHV, 4. 9. 1915. HAWPh, A-Pr-019, 17.
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2. „Aufbruch“ versus „Tradition“
Ebenso erging es einer Anfrage um ein Engagement bei einer Beethovenwoche 1917: „Die Konzertdirektion Hugo Heller beantragt die Veranstaltung einer Beethovenwoche im Anschluss an die Saison in der Hofoper. Jeral ist für eine Schonzeit Beethovens, warnt vor einer Straußwoche, erklärt das Honorar als zu niedrig, Markl ist als Vorstand d. Vereins Nicolai gegen eine Freigabe der IX. Sinfonie, Weiß beantragt die Ablehnung. Dieser Antrag einstimmig angenommen.“182
Zankapfel war zumeist Beethovens Neunte: Insbesondere diese zu den Hauptwerken der Orchesterliteratur gehörende Symphonie, zugleich eines der repräsentationsträchtigsten Stücke des Komponisten,183 sollte ausschließlich im Dienst der philharmonischen Wohlfahrt stehen. Erst im Jänner 1918 ließ das Komitee erstmals mit sich über eine Aufführung von Beethovens IX. Symphonie im Rahmen einer Beethovenwoche verhandeln, die außerhalb des üblichen Veranstaltungsrahmens der Philharmonischen Konzerte beziehungsweise des „Nicolai“-Konzerts hätte stattfinden sollen.184 Da sich der Veranstalter den hohen finanziellen Forderungen des Komitees jedoch nicht zu beugen gewillt war, entschloss sich dieses kurzerhand, die Beethovenwoche „als eine Veranstaltung der ‚Wiener Philharmoniker‘“185 durchzuführen: „Damit für die IX. Symphonie das bisherige Prioritätsrecht zugunsten des Vereins ,Nicolai‘ gewahrt bleibt [...] schlägt Markl vor, dieses Konzert zugunsten des ,Nicolai‘ zu geben u. zwar 4/5 des Erträgnisses als Entschädigung der Mitglieder u. 1/5 für den ,Nicolai‘“.186
Das Orchester ging mit Aufführungen von Beethovens IX. Symphonie insgesamt äußerst sparsam um. Von wenigen Ausnahmen abgesehen fanden sie stets zugunsten des „Vereins ‚Nicolai‘“ statt – erstmals 1891, dann ab 1900, damals unter Gustav Mahler, regelmäßig, wenn auch bei weitem nicht in jeder Spielzeit.187 Diese ‚Tradition‘ hielt sich bis nach dem Ende des Ersten Weltkriegs; unmittelbar nach Beendigung der Kriegshandlungen entschied sich die Hauptversammlung entgegen einer staatspolitischen Räson wiederum gegen eine Aufführung dieser Symphonie außerhalb des „Nicolai“-Konzerts: 182 AHV, 9. 10. 1917, HAWPh, A-Pr-019, 61. 183 Vgl. den Rezeptionsüberblick von Beethovens IX. Symphonie bei Dennis, David B. Beethoven in German Politics 1870–1989. New Haven/London 1996. S. 20. 184 KS, 10. 1. 1918. A-Pr-020, 1. 185 AHV, 21. 2. 1918. HAWPh, A-Pr-020, 4. 186 Ebd. 187 Gemäß dem elektronischen Gesamtverzeichnis der Konzertprogramme, die mir das HAWPh freundlicherweise zur Verfügung stellte.
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„Markl berichtet nun, dass eine Trauerfeier für den verstorbenen Dr. Viktor Adler 188 [...] im gr. Musikvereinssaal stattfinden soll. [...] Die 9te Sinfonie v. Beethoven soll zur Aufführung gelangen. Vorstand Markl legte [...] bei [...] den maßgebenden Persönlichkeiten ein Veto gegen die Aufführung der 9ten ein, da dieselbe möglichst für unsere Krankenkasse reserviert bleiben soll. Wird zustimmend zur Kenntnis genommen.“189
Tatsächlich setzte sich das Orchester gegen die Organisatoren der Trauerfeier durch: „Kurz vor Beginn der Versammlung [der außerordentlichen Hauptversammlung 19. 11.1918, F. T.] ist jedoch Markl die Zuschrift zugekommen, dass nun von der 9ten Abstand [genommen werde, F. T.] u. dafür die ‚Eroika‘ zur Aufführung gelangen soll.“190
Und noch 1921 entschied sich das Orchester gegen die Teilnahme an einem Konzert, in dem Beethovens IX. hätte aufgeführt werden sollen – im „inneren Burgplatze“ und „unter Zuziehung des Symphonie- und Volksopernorchesters“. Die Einladung wurde vom Komitee einstimmig abgelehnt, „da himit kein künstlerischer Zweck dabei verfolgt werden kann [...]“.191 Ein Hauptgrund für diese Repertoirepraxis der Wiener Philharmoniker dürfte freilich die Sorge um eine inflationäre Wirkung bei zu vielen Aufführungen der IX. Symphonie Beethovens gewesen sein, damit verbunden aber war eine Exklusivitätsnote, die sich das Orchester durch zurückhaltendes Aufführen dieses Werks zu verleihen vermochte: Das Zusammentreffen der Wiener Philharmoniker mit Beethoven sollte in Wiens Musikleben nach Möglichkeit Einzigartigkeit – und damit einen gewissen Sensationswert – behalten. Demgegenüber scheinen dem Berliner Philharmonischen Orchester solche Inflationierungsängste durch zu häufiges Abspielen bedeutender Symphonien fremd gewesen zu sein. Zwar verfügte es mit dem jährlich stattfindenden „Konzert zum Besten des Pensionsfonds des Philharmonischen Orchesters“ ebenfalls über eine ähnliche Institution wie die Wiener Philharmoniker mit dem „Nicolai“-Konzert; das Repertoire der Berliner Pensionsfonds-Konzerte umfasste jedoch eine größere Anzahl an Werken aus dem symphonischen Kanon und wechselte von Jahr zu Jahr. Im Pensionsfonds-Konzert von 1918 brachten auch die Berliner Philharmoniker Beethovens IX. zur Aufführung. Innerhalb derselben Saison, zwischen Oktober 188 Adler war eine der prägenden Figuren der österreichischen Sozialdemokratie und wirkte in den letzten Tagen seines Lebens als Außenminister der ersten provisorischen republikanischen Regierung nach dem Ersten Weltkrieg. Die Trauerfeier für Adler wurde dadurch zu einem Staatsakt. 189 Prot. AHV, 19. 11. 1918. HAWPh, A-Pr-020, 24. 190 Ebd. 191 Prot. KS, 19. 4. 1921. HAWPh, A-Pr-022, 30.
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1917 und April 1918, spielten sie dasselbe Werk jedoch weitere sieben Male – und dies unter der Leitung von fünf verschiedenen Dirigenten.192
2.4 Kriegskonzerte im Burgfrieden. Die beiden Orchester im Ersten Weltkrieg Rund zwei Monate nach der deutsch-österreichischen Kriegsmobilmachung, am 3. Oktober 1914, veranstaltete das „Kriegsfürsorgeamt des k.u.k Kriegsministeriums“ ein Konzert „zugunsten der Soldaten im Felde und der Witwen und Waisen der Gefallenen“193, zu dem die Wiener Philharmoniker „die uneigennützige Mitwirkung zugesagt“ hatten.194 Dieses als Wohltätigkeitsveranstaltung deklarierte Konzert bildete den groß angelegten Auftakt zu einer Reihe kriegspolitisch motivierter Konzerte der Wiener Philharmoniker: Bis Kriegsende hielt das Orchester rund 30 solcher Veranstaltungen ab.195 Noch um einiges höher war die Anzahl dieser Art Konzerte, in die das Berliner Philharmonische Orchester involviert war: Zwischen 1914 bis 1918 wirkte dieses rund 40-mal an Konzerten mit einem kriegspolitischen Hintergrund mit.196 Zumeist waren dies „Benefizkonzerte“, die in der Regel „zum Besten“ von patriotischen Organisationen sowie Soldaten-, Verwundeten- und Hinterbliebenenfonds veranstaltet wurden. Erstmals wurde die Konzertpraxis beider Orchester in einen explizit politischen Zusammenhang gestellt. Damit trat ihre Politisierung in ein neues Stadium.197
Der Krieg als Schrittmacher für die Wiener Philharmoniker Die Wiener Philharmoniker reagierten auf die Aufforderung, „wohltätige“ Veranstaltungen abzuhalten, mit scharfer Ablehnung: „Wesser [Fagottist, F. T.] wünscht, das Komitee
192 193 194 195 196 197
Vgl. Muck 3, S. 171–179. Hellsberg, Demokratie, S. 388. Prot. AHV, 11. 9. 1914. HAWPh, A-Pr-018. Vgl. die Programmzusammenstellung in Hellsberg, Demokratie, S. 388 f. Vgl. die Programmsammlung in Muck 3, S. 152–179. Die allgemeine Beobachtung Martina Nußbaumers, wonach sich die politische Funktionalisierung von Musik während des Ersten Weltkriegs nur graduell von früheren Mustern abgehoben habe, lässt sich an der Ausgestaltung der Konzertpraxis der beiden Orchester nicht bestätigen. Nußbaumer, Martina. Musik im „Kulturkrieg“. Politische Funktionalisierung von Musikkultur in Österreich 1914–1918. In: Ernst, Petra/ Haring, Sabine A./Suppanz, Werner (Hrsg.): Aggression und Katharsis. Der Erste Weltkrieg im Diskurs der Moderne. Wien 2004. S. 299–317. Hier S. 312.
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möge sich im Falle weiterer Einladungen bei Wohltätigkeitsveranstaltungen ablehnend verhalten.“198 Im Januar 1916 folgte das Komitee schließlich diesem Wunsch und lehnte weitere Einladungen zu staats- bzw. kriegspolitischen Veranstaltungen ab: Die Mitwirkung bei der Huldigungsfeier anlässlich des Geburtstages des deutschen Kaisers sowie die Mitwirkung bei der Aufführung von Haydns „Schöpfung“ zugunsten des bulgarischen Roten Kreuzes wurde unter Berufung auf die Generalintendanz der Oper zurückgewiesen: Diese hätte die Bewilligung wegen täglicher Vorstellungen verweigert, begründete das Komitee seinen Entscheid.199 Die Abhaltung von Wohltätigkeitskonzerten entbehrte offenbar der Selbstverständlichkeit: „Tyroler verweist darauf, dass der Dank für die Leistungen der Philharmoniker auf dem Gebiete der Wohltätigkeit u. Kriegsfürsorge ein kaum nennenswerter ist gegenüber der Anerkennung u. Auszeichnung welche anderen zuteil wird. Er richtet die Aufforderung an das Komitee, die Gelegenheit wahrzunehmen, die berufenen Stellen auf diesen Umstand zu führen.“200
Die ablehnende Haltung des Orchesters gegenüber der verordneten Teilnahme an diesen Konzerten ist als Reaktion auf eine tief greifende Veränderung des Musikbetriebs zu lesen: Das erzwungene Mitwirken bei Veranstaltungen bedeutete für die Wiener Philharmoniker gewissermaßen eine Zäsur in der bislang autonomen Gestaltung ihres Konzertbetriebs. Der rasch gewachsene Widerstand des Orchesters gegenüber diesen Konzerten ist jedoch in keiner Weise Ausdruck eines Widerstands gegen die deutsch-österreichische Kriegspolitik; von wenigen Ausnahmen abgesehen war die Kriegsbegeisterung gerade unter deutschen und österreichischen Künstlern und Intellektuellen besonders stark ausgeprägt.201 Auch die Wiener Philharmoniker gehörten mehrheitlich dem politischen Spektrum des kriegstreibenden Nationalismus an. Dies äußerte sich insbesondere in einem Vorfall, welcher sich unmittelbar vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs zutrug: Ein Orchestermitglied tschechischer Herkunft, Karl Jeraj, äußerte an der Ordentlichen Hauptversammlung vom 12. Juni 1914 seine Missbilligung darüber, dass das Mitwirken in einer deutschnationalen Veranstaltung von diversen Orchestermitgliedern im Rechenschaftsbericht Erwähnung gefunden habe.202 Daraufhin beantragte eine satte Mehrheit von 81 Mitgliedern den Aus198 199 200 201
Prot. AHV, 24. 4. 1915. HAWPh, A-Pr-019, 10. Prot. KS, 13. 1. 1916. HAWPh, A-Pr-019, 24. Prot. Ordentliche Hauptversammlung (OHV),16. 6. 1916. HAWPh, A-Pr-019, 35. Stellvertretend für die inzwischen reichlich bearbeitete Frage zum Verhalten von Intellektuellen und Künstlern im Ersten Weltkrieg vgl. den Sammelband Mommsen, Wolfgang J. (Hrsg.). Kultur und Krieg. Die Rolle der Intellektuellen, Künstler und Schriftsteller im Ersten Weltkrieg. München 1996. 202 Prot. HV, 12. 6. 1914. HAWPh, A-Pr-018, 39. Eine detaillierte Schilderung dieses Falles bei Hellsberg, Demokratie, S. 386 f.
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schluss Jerajs aus dem Orchester.203 Der Ausschluss konnte zwar durch eine geschickte Schlichtung zwischen Jeraj und der Orchestermehrheit rückgängig gemacht werden,204 aber der Vorfall verweist auf das nationalistische Klima im Orchester, das sich überdies nicht nur als antitschechisches, sondern auch als antifranzösisches äußerte: „Heinrich [Komiteemitglied, F. T.] weist auf das gehässige Verhalten des französischen Komponisten Camille Saint-Saens [hin], welches in Deutschland allgemeinen Unwillen veranlasste und Kundgebungen hervorrief. Die von der Kommission für Musikaufführungen auf der Pariser Weltausstellung 1900, unter dem Vorsitz des Präsidenten C. Saint-Saens, den Wiener Philharmonikern verliehene Goldene Eichenlaubkrone, erschiene als Auszeichnung von solcher Seite nun vollständig entwertet und setzt Heinrich die Zustimmung voraus, diesen Gegenstand dem Oesterr. Roten Kreuz zur Einschmelzung zu überweisen. Der Antrag wird mit Beifall angenommen.“205
Den Wiener Philharmonikern gelang es trotz gelegentlicher Absagen nicht, sich der Verpflichtung, politische Wohltätigkeitskonzerte abzuhalten, gänzlich zu entledigen; sie waren dennoch „in den Dienst der Kriegsmaschinerie“ eingebunden206 und wirkten zwischen 1914 und 1918 bei 28 kriegspolitischen Konzerten mit. Außerdem unternahmen sie zwei Orchesterreisen – die eine in die Schweiz (1917) und die andere nach Berlin (1918) –, die in einem engen Zusammenhang mit der Außenpolitik der Mittelmächte standen.207 Die Verwebung von Kultur und Politik, wie sie im Ersten Weltkrieg erstmals großflächig angewendet wurde, führte damit zu einem sprunghaften Anstieg der Konzerttätigkeit der Wiener Philharmoniker. Allein in der Spielzeit des ersten Kriegsjahrs, zwischen Oktober 1914 und Mai 1915, wirkten die Wiener Philharmoniker bei elf kriegspolitisch motivierten Konzerten mit. Damit traten sie häufiger in dieser Form in Erscheinung als im Rahmen ihrer Abonnementveranstaltungen. Doch trotz des durch die Kriegskonzerte angestiegenen Konzertvolumens beschlossen die Wiener Philharmoniker noch während des Ersten Weltkriegs von sich aus, ihre konzertierende Tätigkeit zu erweitern: Das Komitee führte die Abhaltung einer öffentlichen Generalprobe der jeweiligen Abonnementkonzerte ein.208 Ab dem 1. Dezember 1917 wurde somit jedes Philharmonische Konzert doppelt gespielt, womit sich das Orchester ein Stück weit von der bisherigen, auf Exklusivität der Philharmonischen Konzerte bedachten Praxis wegbewegte.
203 204 205 206 207 208
Prot. KS, 15. 6. 1914. HAWPh, A-Pr-018, 40. Prot. AHV, 11. 9. 1914. HAWPh, A-Pr-018, 43. Prot. KS, 24. 10. 1914. HAWPh, A-Pr-018, 47. Hellsberg, Demokratie, S. 388. Zur Funktion dieser Reisen Nußbaumer, Musik, S. 299–317. Detaillierter vgl. hier S. 62 ff. Prot. KS, 3. 11. 1917. HAWPh, A-Pr-019, 64.
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Eine weitere Neuerung als ein nach außen sichtbares Zeichen war eine Änderung der Kleidervorschriften. 1917 beschloss die Hauptversammlung auf Weingartners Drängen hin nach längerer Debatte, den Frack als Konzertkleidung durch den „Salonrock“ zu ersetzen: „[Vorstand] Markl verliest einen Brief Weingartners, welcher bei den Konzerten den Frack durch den Salonrock ersetzt sehen will, woran sich eine längere Debatte anschließt. Die Abstimmung ergibt eine Ablehnung des Fracktragens. Denglers Antrag dass die Kleidung bei den Konzerten zu bestehen habe aus schwarzem Rock, schwarzer Weste, schwarzer Cravatte, dunkler Hose wird angenommen.“209
Im frühen 20. Jahrhundert führte der Wandel der Mode dazu, dass der Straßenanzug zum Attribut des eleganten weltläufigen Mannes wurde und sich allgemein durchsetzte.210 Er verdrängte den schwarzen Frack, der von den Herren bislang an allen privaten wie öffentlichen Orten, einschließlich Theatern und Restaurants, vorschriftsmäßig getragen werden musste.211 Insofern passt der von den Wiener Philharmonikern vorgenommene Wechsel der Kleidung zum allgemeinen Trend. Dass sich dieser Wechsel gerade im Jahr 1917 durchsetzte, dürfte nicht zuletzt darauf zurückzuführen sein, dass die allgemeine Versorgungslage in Österreich zu diesem Zeitpunkt äußerst dürftig war, wodurch es nicht nur zu Hungersnöten, sondern auch zu Engpässen in der Lieferung von wichtigen Rohstoffen kam. Gerade die Spinnstoffe waren von diesem Engpass besonders betroffen; man versuchte etwa Uniformstoffe aus Brennnesselfasern, aus Holzschliff und anderen faserigen Materialien herzustellen.212 Die Herstellung von Anzügen benötigte weit weniger Stoff als Fräcke. Anzüge waren dadurch nicht nur billiger als Fräcke, sondern auch leichter zu bekommen. Der in England entwickelte Anzug war jedoch das bürgerliche Kleidungsstück schlechthin. Der Wechsel vom Frack zum Anzug der Wiener Philharmoniker ist damit nicht nur auf die schlechte Wirtschaftslage zurückzuführen, sondern er stand gewissermaßen auch im Zeichen einer Abkehr des Orchesters vom Feudalen. Der Erste Weltkrieg wirkte, zumal in seiner späteren Phase, auch diesbezüglich als Schrittmacher einer Revision der Konzertpraxis der Wiener Philharmoniker. Kriegsaktive Berliner Philharmoniker Mit der „Subvention“ von 1911 richtete das Berliner Philharmonische Orchester seine Konzertpraxis erstmals explizit an politisch bestimmten Bedürfnissen zunächst der Stadt Berlin, 209 210 211 212
Prot. AHV 9. 10. 1917. HAWPh, A-Pr-019, 61. Die Hinweise zur gesellschaftlichen Bedeutung von Kleideranzügen verdanke ich Anja Meyerrose (Zürich). Hollander, Anne. Anzug und Eros. Eine Geschichte der modernen Kleidung. München 1997, S. 175f. Zierer, Otto. Kultur- und Sittenspiegel. Französische Revolution bis zur Gegenwart. Olten 1970, S. 380.
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mit Beginn des Ersten Weltkriegs sodann vor allem des Deutschen Reichs aus: Im als ‚Kulturkrieg‘ apostrophierten Ersten Weltkrieg wurde auch die Tätigkeit der Berliner Philharmoniker, nicht anders als diejenige der meisten Kunstinstitutionen, in einen genuin politischen Zusammenhang gestellt. Der Aktionismus, den das Orchester zugunsten deutscher Kriegspolitik betrieb, überstieg den auf die Abhaltung von Benefizveranstaltungen beschränkten der Wiener Philharmoniker deutlich: Ein knappes Dreivierteljahr nach der Invasion der deutschen Truppen in Belgien, die sich insbesondere durch die Bombardierung der Bibliothek des belgischen Universitätsstädtchens Löwen auch als aggressive deutsche ‚Kulturoffensive‘ entpuppte, unternahm das Berliner Philharmonische Orchester zusammen mit dem Dirigenten Felix von Weingartner eine zweitägige Konzertreise nach Brüssel (4./5. Mai 1915). Damit partizipierte das Orchester an vorderster Stelle am deutschen ‚Kulturkrieg‘, der seit der Zerstörung der Bibliothek von Löwen auch mittels ‚Kultur‘ und ‚Civilisation‘ als den ‚Superwaffen im Propagandakrieg‘213 geführt wurde. Die Teilnahme Felix von Weingartners an der Konzertreise macht diese umso brisanter. Weingartner hatte sich als Mitunterzeichner des im Oktober 1914 veröffentlichten Pamphlets „An die Kulturwelt“214 hervorgetan, das als deutsche Reaktion auf die internationalen Proteste (sie gingen vor allem von englischen Wissenschaftern aus) gegen die Bombardierung der Löwener Bibliothek von namhaften deutschen Intellektuellen und Künstlern verfasst wurde und die Zerstörungsstrategie des deutschen Heeres als legitimen Bestandteil des ‚Kulturkriegs‘ verteidigte.215 Auch die deutsche Kunstkritik nahm die neue Form des Kriegführens befriedigt zur Kenntnis: Endlich sei auch die Kunst imstande, so der vorherrschende Tenor, ihren „Kriegs-
213 Schivelbusch, Wolfgang. Die Bibliothek von Löwen. Eine Episode aus der Zeit der Weltkriege. München/ Wien 1988. S. 29. Zur Funktion der Musik in den einzelnen kriegführenden Ländern, allerdings mit einem starken Fokus auf die musikalische Produktion, vgl. Watkins, Glenn. Proof through the Night. Music and the Great War. Berkeley/Los Angeles/London 2003. 214 An die Kulturwelt. In: Neue Zeitschrift für Musik, 42–43 (1914). S. 512–513. Das Pamphlet ist auch als „Aufruf der 93“ bekannt. 215 Felix von Weingartner (1863–1942) äußerte sich allerdings nicht immer als aggressiver deutscher Nationalist, als der er sich im Ersten Weltkrieg gebärdete. Der Wandel seiner politischen Haltung koinzidiert mit der politischen Entwicklung in Deutschland. Ohne dies hier weiter auszuführen, sei nur auf seine AmerikaBegeisterung neun Jahre vor der Unterzeichnung des „Aufrufs“, 1905, verwiesen: „Welche Kultur kann sich vielleicht dereinst auf diesen Gefilden entwickeln, wenn die bunt zusammengewürfelten Völker einmal ein grosses, starkes Volk geworden sind, mächtig durch ihr Kapital und unangreifbar durch ihre glückliche Lage an den beiden Weltmeeren? Eine Kultur vielleicht, die aus originaler Kraft hervorgeht und nichts von uns zu borgen braucht! Nur ungern wiederhole ich geprägte Worte, aber dort drüben halte ich die ‚Möglichkeiten‘ tatsächlich für ‚unbegrenzt‘.“ Weingartner, Felix. Amerika. Eine zwanglose Plauderei. In: Die Musik. IV. Jahr 1904/1905, Heft 16. S. 257–267. Hier S. 267.
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beitrag“ zu leisten.216 Dementsprechend sprach die Berichterstattung über die Brüsseler Konzerte der Berliner Philharmoniker, die unter dem Titel „Kunst-Strategie“ in einer Musikzeitschrift erschien, anerkennend von einer „Beihilfe zur moralischen Eroberung Belgiens“: „Wenn nicht auf die Initiative hin, so sind diese beiden Konzerte in Brüssel doch gewiss nicht ohne die Genehmigung der Militärbehörden veranstaltet worden; was ohne weiteres soviel heißen will, als das die Militärbehörde sich davon eine wertvolle Beihilfe zur moralischen Eroberung Belgiens versprach. Nichts kann in dieser Zeit willkommener sein, als eine solche offizielle Anerkennung der versöhnenden Macht der Musik. [...] So zog es [das militärische Oberkommando, F. T.] auch in Anbetracht der unweigerlichen Tatsache, dass die moralische Eroberung Belgiens lange nicht so schnell bewerkstelligt werden kann als die militärische, schon jetzt, die allgewaltige deutsche Musik als natürlichste Hilfstruppe heran.“217
‚Made in Germany‘, das die Berliner Philharmoniker auch hier repräsentierten, war inzwischen zum Aggressionsattribut geworden. Ob von den Konzerten des Orchesters auf die unterdrückte Brüsseler Bevölkerung die beschworene „versöhnende“ Wirkung ausging, darf auf jeden Fall bezweifelt werden. Auf die Rhetorik der „moralischen Eroberung“ im Zusammenhang mit Auslandskonzerten der Berliner Philharmoniker aber wird zwischen 1939 und 1945 noch oft zurückgekommen werden müssen.218 Der Erste Weltkrieg bewirkte bei den Berliner Philharmonikern eine verstärkte Einbindung in die politische Propaganda, an der sich das Orchester auch von sich aus beteiligte: „geistige Mobilmachung“219 wurde keineswegs nur verordneterweise praktiziert, sondern ging zu einem großen Teil auf Eigeninitiativen entsprechender Institutionen und Personen zurück.220 In der Folge pflegte das Berliner Philharmonische Orchester seinen Status als ‚deutsche Musikmarke‘ weit über die herkömmliche ökonomische Funktion hinaus, indem es sich als nationalistisch aufgeladener ‚deutscher Kulturträger‘ zu verstehen begann. Damit war das Orchester freilich kein Einzel-, sondern vielmehr der deutsche Normalfall. Noch unter dem Eindruck des Krieges machte der einflussreiche Publizist und Musikkritiker Paul Bekker 221 216 Vgl. etwa Segal, Joes. Krieg als Erlösung. Die deutschen Kunstdebatten 1910–1918, München 1997. S. 73–85. 217 Spanuth, August. Kunst-Strategie. In: Signale für die musikalische Welt, 19 (1915). S. 287–289. 218 Vgl. Kap. 7.6. 219 Vgl. etwa den so betitelten Aufsatz von Lamprecht, Karl. Geistige Mobilmachung. In: Neue Zeitschrift für Musik, 35–36 (1914). S. 481–482. 220 Mommsen, Wolfgang J. Einleitung: Die deutschen kulturellen Eliten im Ersten Weltkrieg. In: ders., Kultur, S. 1–15. Hier S. 3. 221 Bekker prägte in einem programmatischen Aufsatz von 1919 unter anderem den Begriff der „Neuen Musik“: Bekker, Paul. Neue Musik. In: Ders. Gesammelte Schriften. Stuttgart/Berlin 1923, S. 85–118.
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1922 die durch den Krieg grundlegend veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse an der qualitativen Veränderung des Einsatzes von Kunst als Kriegsmittel fest: „Als man noch meinte, das Weltgeschehen nach gegebenen Maßen schätzen zu dürfen, konzentrierte man die Kräfte, und alles nicht unmittelbar Kampffähige – wie hätte die Kunst, insonderheit die Musik Kriegsmittel sein können – musste schweigen. Aber die gegebenen Maße erwiesen sich als unzureichend. Es bildete sich eine neue Art der Kampfführung, geistigen und künstlerischen Faktoren fiel dabei eine wichtige Rolle zu. Sie wurden Beruhigungs- und Auffrischungsmittel nach innen, Werbemittel nach aussen. Im nämlichen Grade, wie der Krieg sich aus einem Ausnahme- zum Dauerzustand entwickelte, passte sich die Kunst der veränderten Grundauffassung der gesamten Lebensbedingungen an. In dieser bewussten Einordnung auch der Musik in augenblicklich gegebene Situationen des äußeren Lebens, etwa vom zweiten Kriegsjahr an, liegt der Keim zu ihrer heut üblichen Verwendung als politisches Kampfmittel.“222
In der späteren Phase des Kriegs wurde die musikalische Kriegspropaganda zunehmend auch auf neutrale Staaten ausgedehnt, was sich mitunter in Auslandsreisen der beiden Orchester niederschlug. So unternahmen die Berliner Philharmoniker im Mai 1917 eine „NordlandReise“ in die neutralen skandinavischen Länder,223 während die Wiener Philharmoniker praktisch zeitgleich, im Juni 1917, in der Schweiz konzertierten. Nach Martina Nußbaumer stellte die Reise der Wiener Philharmoniker in die Schweiz den Versuch Österreich-Ungarns dar, der Musik und Österreichs Rolle als ihrer „Vermittlerin“ explizit eine friedensstiftende, völkerverbindende Funktion zuzuschreiben.224 Da auch Deutschland praktisch zur selben Zeit das Berliner Philharmonische Orchester ins neutrale Ausland entsandte, dürfte neben der spezifisch österreichischen Imagepolitik, die von der Reise der Wiener Philharmoniker ausging, auch eine Art von koordinierter Verständigungsinitiative der vereinten Mittelmächte mit dem neutralen Ausland beabsichtigt gewesen sein.225 Insbesondere anhand der Reise der Wiener Philharmoniker wird die große außenpolitische Relevanz dieser Auslandskonzerte deutlich. Aus den Protokollen der Komitee- und 222 Bekker, Paul. Zeitwende. In: Die Musik. XV. Jahrgang, Heft 1, 1. Oktober 1922. S. 1–9. [Hervorhebung im Original]. 223 Kopenhagen 9./11. 5., Malmö 14./15. 5., Stockholm 16. 5., Göteborg 18. 5. 1917. Dirigent war Arthur Nikisch. 224 Nußbaumer, Musik, S. 310. 225 Diese „waffenbrüderliche Vereinigung“ wird schließlich unterstrichen durch die Abhaltung von Gastspielen der Berliner Philharmoniker oder des kaiserlich-ottomanischen Palastorchesters in der ersten Hälfte des Jahres 1918 in Wien bzw. durch die Konzertreise der Wiener Philharmoniker nach Berlin vom Juni 1918. Vgl. auch Nußbaumer, Musik, S. 309.
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Hauptversammlungen des Orchesters geht hervor, dass die Reiseplanung strengster Geheimhaltung unterlag: „Einladung des Ministeriums des Äußern zu einer Konzert-Tournée ins neutrale Ausland. Mit Rücksicht auf die dringende Forderung der Vertraulichkeit, konnte bisher eine Mitteilung nicht erfolgen, sogar das Komitee konnte detailliert bisher nicht informiert werden. Dadurch musste die große Verantwortung für die Aufstellung der Bedingungen zum größten Teile der Vorstand allein übernehmen. Die Aufstellung des Kostenvoranschlages musste binnen 24 Stunden erfolgen.“226
Die ungewöhnliche Eile, mit der der Kostenvoranschlag aufgestellt werden musste, weist auf eine sehr kurzfristig erfolgte Reiseplanung hin. Es ist davon auszugehen, dass sie in enger Koordination mit Deutschlands Auswärtigem Amt erfolgte, zumal das ‚neutrale Europa‘ von diesen Reisen der beiden philharmonischen Orchester weitgehend hätte abgedeckt werden sollen: Die Berliner Philharmoniker reisten nach Schweden und Dänemark, während die Wiener Philharmoniker in die Schweiz und Holland fahren sollten, wobei im Zuge dessen außerdem Konzerte in Deutschland geplant waren.227 Warum schließlich nur die Reise in die Schweiz umgesetzt wurde, war nicht zu eruieren. In der Schweiz-Reise der Wiener Philharmoniker verschränkte sich das außenpolitische Postulat der ‚Völkerverständigung‘ mit „symbolischer Politik“, wie sie das Orchester etwa mittels der Programmgestaltung betrieb228: für das Konzert in im französischsprachigen Teil der Schweiz gelegenen Lausanne programmierten die Wiener Philharmoniker ausschließlich Werke von Beethoven, während sie in anderen Städten auch Berlioz und Tschaikowsky zur Aufführung brachten; nach Felix Weingartner, der das Orchester auf seiner Reise dirigierte, sollte damit der Anschein vermieden werden, man erweise dem nahen Frankreich die Reverenz.229 Die Konzerte verliefen allerdings nicht störungsfrei: Zwischen den Polen von Kriegs- und Verständigungsmissionen zu oszillieren, wie dies die beiden philharmonischen Orchester seit 1914 praktizierten, stellte sich als schwieriges Unterfangen heraus. Als die Wiener Philharmoniker in Lausanne auftraten, kam es in der dortigen Kathedrale zu deutsch- und österreichfeindlichen Kundgebungen, woraufhin der Genfer Stadtrat das vorgesehene Konzert in der
226 227 228 229
Prot. OHV, 8. 6. 1917. HAWPh, A-Pr-019, 54. Reisedestinationen gemäß Prot. OHV, 8. 6. 1917. A-Pr-019, 54. Nußbaumer, Musik, S. 310. Weingartner, Felix. Die Wiener Philharmoniker in der Schweiz. In: Neue Freie Presse, 20. Juli 1917, Morgenblatt, S. 4. Zit in: Nußbaumer, Musik, S. 310.
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2. „Aufbruch“ versus „Tradition“
Rhône-Stadt kurzerhand untersagte (das später als Extrakonzert in Bern dann aber doch noch durchgeführt werden konnte). Und auch in Neuchâtel kam es zu Demonstrationen. Weingartner, der das Orchester auf seiner Tournee dirigierte, wurde zu Beginn des Konzerts von drei Belgiern ausgepfiffen; die Störungsaktion blieb jedoch erfolglos, da das Publikum dem Dirigenten demonstrativ applaudierte und das Pfeifkonzert damit übertönte.230
230 Vgl. ebd. sowie Hellsberg, Demokratie, S. 392.
3. Auf neuen Wegen zu mehr Staat: Die beiden Orchester in der Republik „Jene Phänomene der Rückbildung, der Neutralisierung, des Kirchhoffriedens, die man gemeinhin erst dem Druck des nationalsozialistischen Terrors zuschreibt, bildeten sich schon in der Weimarer Republik, überhaupt in der liberalen kontinentaleuropäischen Gesellschaft heraus.“231 Theodor W. Adorno, Jene zwanziger Jahre
Der Erste Weltkrieg prägte der Musik endgültig einen politischen Stempel auf. Seither wurde sie sowohl in innen- als auch in außenpolitischer Hinsicht als staatspolitisches Instrument begriffen und benutzt, wovon auch die Wiener und Berliner Philharmoniker betroffen waren: Mit Beginn der 1920er-Jahre entwarfen sie ihr jeweiliges Verhältnis zu städtischen und staatlichen Institutionen grundsätzlich neu. Damit ging eine eigentliche Politisierung der beiden Orchester einher, die jedoch, entsprechend ihrer unterschiedlichen Ausgangspositionen vor 1914 sowie während des Weltkriegs, jeweils von signifikanten Unterschieden geprägt war. Wie aber wirkten sich diese Unterschiede auf die Politisierung der beiden Orchester während der republikanischen 1920er- und frühen 1930er-Jahre aus? Welche kulturpolitischen Konzeptionen und vor allem welche staatspolitischen Interessen leiteten den weiteren Politisierungsverlauf der Wiener Philharmoniker und des Berliner Philharmonischen Orchesters? Und inwiefern wirkten sich staatspolitische Gesichtspunkte überhaupt auf die Ausgestaltung der Konzertpraxis der beiden Orchester aus? An der Heftigkeit, mit der Paul Bekker 1922 die „Entpolitisierung“ der Musik forderte, lässt sich ihr bereits weit fortgeschrittener Politisierungsgrad erahnen. Denn Bekker stellte fest, dass der „Krieg und seine Folgen“ auf die „innerorganische Gestaltung des Musiklebens manche Einflüsse geübt“ hätten und postulierte:
231 Adorno, Theodor W. Jene zwanziger Jahre. In: ders. Kulturkritik und Gesellschaft II. Gesammelte Schriften, Band 10.2. S. 499–507. Hier S. 499.
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3. Neue Wege und mehr Staat
„Es kommt lediglich darauf an, festzustellen, daß die öffentliche Kunstpflege durch den Krieg und seine Folgeerscheinungen in den letzten Jahren in eine Abhängigkeit von politischen Gesichtspunkten geraten ist, die jeder Ernstmeinende, gleichviel welcher Parteirichtung er angehören mag, tief bedauern muß. Es gibt keine Kunst im Dienste politischer Ideen.“232
Die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen der Weimarer Republik wiesen jedoch in eine andere Richtung. Bis zum Ende der 1920er-Jahre war die politische Durchflechtung des Musikbetriebs abermals weiter vorangeschritten. Hans Joachim Moser etwa, der später zu einem bekannten Musikwissenschafter des NS-Staats avancieren sollte,233 schrieb 1929: „[E]s bleibt noch von der Musik selbst zu reden, die als Kunst wahrlich auch eine ,res paupera‘, eine des Staatsschutzes würdige und hochbedürftige Sache genannt werden darf.“234 An der politischen Bedeutung von Musik jedenfalls wurde nunmehr weder vom rechten noch vom linken politischen Spektrum gerüttelt.235
3.1 Intensivierte Konzerttätigkeit bei den Wiener Philharmonikern – ohne Avantgarde Der Erste Weltkrieg bewirkte eine Weiterentwicklung und Ausweitung der Konzertpra xis der Wiener Philharmoniker, die sich über 1918 hinaus fortsetzen sollte. So stieg die Anzahl ihrer Konzerte kontinuierlich an: 31 konzertanten Auftritten in der Saison 1919/20 standen in der Spielzeit 1924/25 deren 65 gegenüber.236 Binnen fünf Jahren weitete sich aber auch die Bandbreite der Konzertarten massiv aus: Vor allem im Bereich der Veranstaltungen für ein breiteres Publikum, aber auch der Reisekonzerte sowie der Konzerte mit einem staatspolitischen Hintergrund wurde das Orchester aktiv. Nach Hellsberg wirkten die Wiener Philharmoniker überall dort mit, wo sie bezahlt worden seien; in Sachen Dirigenten habe „über weite Strecken biedere Mittelmäßigkeit“ geherrscht, während Engagements von Künstlern ersten Ranges wie Weingartner und Strauss die Ausnahmen gebildet hätten, so Hellsberg.237 Die 232 Bekker, Zeitwende, S. 3. 233 Während ihm seine Lehrberechtigung 1933 entzogen wurde, wirkte er ab 1938 in der dem RMVP angeschlossenen „Reichsstelle für Musikbearbeitung“, die er ab 1940 auch leitete. Vgl. den Eintrag in der Deutschen Enzyklopädischen Biographie, online verfügbar unter der URL: http://gso.gbv.de/DB=2.176/SET=4/ TTL=21/SHW?FRST=22 [Stand: 18. 1. 2009]. 234 Moser, Hans Joachim. Musik und Staat. In: Die Musik. XXII/1, Oktober 1929. S. 7–16. Hier S. 15. 235 Applegate, Celia/Potter, Pamela. Germans as the „People of Music“: Genealogy of an Identity. In: dies. Music and German National Identity. Chicago 2002. S. 1–35. Hier S. 23. 236 Hellsberg, Demokratie, S. 408. 237 Ebd.
Intensivierte Konzerttätigkeit bei den Wiener Philharmonikern
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Philharmoniker zu engagieren bzw. zu dirigieren sei keine Frage der künstlerischen Qualität, sondern der pekuniären Verhältnisse des Veranstalters gewesen.238 Geplante Engagements scheiterten zuweilen etwa daran, dass die Wiener Philharmoniker Gagen zu verlangen pflegten, die oftmals nicht leistbar waren (was von Richard Strauss damit kommentiert wurde, die Philharmoniker und er seien eben für diese arme, verlumpte Welt zu teuer – sie würden in einem falschen Jahrhundert leben).239 Der Prozess der Eingliederung der Wiener Philharmoniker in die neuartigen politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Verhältnisse gestaltete sich also keineswegs widerspruchslos. Auf der einen Seite versuchte das Orchester weiterhin, lieb gewonnene ,Traditionen‘ aufrechtzuerhalten, wie dies bereits etwa am Umgang mit der Aufführung von Beethovens IX. Symphonie ersichtlich wurde. Damit verbauten sie sich bisweilen größere Einkommensmöglichkeiten. Zugleich näherten sie sich den veränderten Umständen zunehmend pragmatisch an und öffneten sich bisher nicht genutzte ,Geldquellen‘. So hießen sie etwa ein Ansuchen von Söhnen eines verstorbenen langjährigen Abonnenten gut, „für den Verstorbenen die gr. Leonorenouverture dem Programm eines Abonnementkonzertes einzufügen, wofür sie eine größere Summe zu widmen bereit sind“240: Man sehe durch diese Einflussnahme auf das Programm von außenstehender Seite keine Gefahr für die philharmonischen Konzerte und glaube, dieses Beispiel sei geeignet, Schule zu machen – so eine Begründung in der Komiteesitzung, mit der verlangt wurde, das Ansuchen gutzuheißen.241 Außerdem öffneten die Wiener Philharmoniker kurzzeitig einem breiteren Publikum den Zugang zu ihren Konzerten: Im März 1921 trat die Gemeinde Wien zugunsten der „Organisation geistiger Arbeiter und öffentlich Angestellter“ mit der Bitte ans Orchester, für diese eine Wiederholung eines philharmonischen Konzerts zu veranstalten, da deren Mitglieder für den Erwerb einer regulären Konzertkarte nicht mehr das Geld aufbrächten – das Komitee entsprach ihr ohne Weiteres und obendrein zu vergünstigten Bedingungen.242 Im September desselben Jahres berichtete Markl sodann „über die Verhandlungen mit den Kunststellen der öffentlichen Angestellten und der geistigen Arbeiter“.243 Dabei wurde „eine Teilung der 8 238 239 240 241 242
Ebd. Ebd., S. 414. Prot. KS, 14. 11. 1922. HAWPh, A-Pr-023, 28. Ebd. Prot. KS, 15. 3. 1921. HAWPh, A-Pr-022, 27. Das übliche Honorar von 450 Kronen pro Mitglied wurde in den Verhandlungen mit der Gemeinde Wien um 100 Kronen tiefer angesetzt. 243 Die „Kunststelle der öffentlichen Angestellten“ sowie die „Kunststelle des Zentralrates der geistigen Arbeiter“ waren staatlich geförderte Kunststellen; für 1926/1929 waren 8.474 Personen Mitglied der Kunststelle der öffentlich Angestellten, während die Kunststelle des Zentralrates der geistigen Arbeiter über 6.000 Mitglieder verfügte. Statistisches Jahrbuch der Stadt Wien 1929. Wien 1930. S. 254. Sie waren im Grunde
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3. Neue Wege und mehr Staat
populären Wiederholungskonzerte vorgeschlagen und zwar je 4 Konzerte für jede Kunststelle gegen eine Ablösungssumme von jedes Mal K. 120.000“.244 Auch wenn diese Wiederholungen nur während kurzer Zeit als „Populäre Konzerte“ durchgeführt und mit Beginn der Saison 1923/24 bereits wieder eingestellt wurden, holten die Wiener Philharmoniker gegenüber ihren Berliner Kollegen damit gleich zweierlei nach: die Abhaltung von Konzerten für ein breiteres Publikum sowie den Verkauf ihrer Dienstleistungen an amtlich-städtische Stellen (was das Berliner Philharmonische Orchester seit seiner „Subventionierung“ durch die Stadt Berlin von 1911 praktizierte). Mit dieser Erweiterung des Konzertbetriebs stieg auch das Interesse des Orchesters an der öffentlichen Meinungsbildung: In den ersten Jahren der Republik war die Sorge um eine schlechte Presse immer wieder ein Thema in den Komiteesitzungen,245 während sie sich vor 1918 kaum je äußerte. Ebenso deutlich wie die gesamte Anzahl der Konzerte nahm auch die Reisetätigkeit der Wiener Philharmoniker zu. Seit 1921 unternahmen sie fast jedes Jahr eine größere Tournee, wobei insbesondere die beiden Südamerika-Reisen der Jahre 1922 und 1923 mit je 40 Konzerten246 ins Auge stechen. Während das Orchester bis zum Ende des Ersten Weltkriegs insgesamt gerade einmal sechs Reisen unternommen hatte, waren es im Verlaufe der Ersten Republik, also zwischen 1919 und 1933, immerhin deren neun; meistens frequentierte das Orchester hintereinander eine größere Anzahl an Städten und legte dabei oft beträchtliche Distanzen zurück. Ab Beginn der 1920er-Jahre kamen außerdem periodisch wiederkehrende Engagements bei den Salzburger Festspielen hinzu. Während Mitglieder des Staatsopernorchesters bereits 1921 bei Salzburger Orchesterkonzerten mitwirkten, sind für 1922 zwei Konzerte mit dem gesamten Orchester der Wiener Staatsoper und ab 1925 Orchesterkonzerte mit den Wiener Philharmonikern überliefert, die in ihrer Anzahl kontinuierlich stiegen:247 von drei (1925) auf bis zu 15 Veranstaltungen (1930). Zwischen 1925 und 1933 gestalteten die Wiener Philharmoniker in Salzburg jeden Sommer durchschnittlich zehn Konzerte und (Mozart-)Serenaden.248
244 245 246 247 248
Nachahmungen der von David Josef Bach 1919 gegründeten „Sozialdemokratischen Kunststelle“. Flotzinger, Rudolf. Musik. In: Weinzierl, Erika/Skalnik, Kurt (Hrsg.). Österreich 1918–1938. Geschichte der Ersten Republik, 2. Graz/Wien/Köln 1983. S. 651–674. Hier S. 660. Prot. KS, 18. 9. 1921. HAWPh, A-Pr-022, 37. So in den Prot. KS, 30. 4. 1920; KS, 22. 6. 1920; KS, 16. 2. 1921. HAWPh, A-Pr-022, 11; 14; 26. Jerger, Philharmoniker, Anhang; detailliert bei Hellsberg, Demokratie, S. 396–407. Vgl. die detaillierte, von Hans Jaklitsch zusammengestellte Programmsammlung bei Kaut, Josef. Die Salzburger Festspiele 1920–1981. Salzburg/Wien 1982. S. 241–469. Die Opernveranstaltungen, bei denen das Wiener Staatsopernorchester mitwirkte, nicht mitgezählt. Dass die Wiener Philharmoniker zum einen als Opernorchester, zum anderen jedoch als Konzertorchester auftraten, muss hier nicht verwundern: Im einen Fall lief das Engagement über die Staatsoper, im anderen direkt über die Philharmoniker; auf die Doppelfunktion der Musiker wurde bereits oben auf S. 47 hingewiesen.
Intensivierte Konzerttätigkeit bei den Wiener Philharmonikern
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Auch auf dem Gebiet der Schallplattenaufnahmen wurden die Wiener Philharmoniker in den 1920er-Jahren aktiv; der amerikanische Musikforscher John Hunt konnte inzwischen sogar zwei Aufnahmen des Orchesters nachweisen, die aus 1905/07 sowie 1910 datieren,249 die jedoch folgenlos blieben. Während die erste Aufnahme des Berliner Philharmonischen Orchesters von 1913 sogleich eine serielle Produktion in Gang setzte, wurden die Wiener Philharmoniker erstmals 1918, anlässlich ihrer Berlin-Konzerte, mit einem kommerziellen Aufnahmeangebot konfrontiert: „Odéon-Grammophon-Gesellschaft in Berlin stellt Anfrage wegen Aufnahmen gelegentlich der nächsten Berliner-Reise. Vorstand Markl wird zu Verhandlungen ermächtigt“, notiert das Protokollbuch.250 Die Wiener Philharmoniker reisten jedoch erst 1925 wieder nach Berlin und Beschlüsse über Aufnahmen sind nicht überliefert.251 Dennoch sind für 1924 Aufnahmen von „Odeon“ verzeichnet, die jedoch von der Staatsoper aus veranlasst worden sein dürften: Es handelt sich dabei vor allem um Arien und Ausschnitte aus Opern, die durch einige Strauß-Walzer ergänzt wurden.252 Vereinzelt sorgten Aufnahmen in der ersten Hälfte der 1920er-Jahre im Orchester für Gesprächsstoff. So erwähnt ein Protokolleintrag vom Mai 1922 Verhandlungen mit der „Polyphon-Gesellschaft“ und nur einen Monat später wurde in einer Komiteesitzung ein Vertrag verlesen und genehmigt, dessen Wortlaut im Protokoll allerdings nicht überliefert ist.253 Offenbar drängte die „Grammophongesellschaft“ das Orchester, Aufnahmen zu tätigen; das Komitee behandelte zu Neujahr 1923 diesbezügliche Honorarfragen.254 Gemäß Hunts Verzeichnis kam es daraufhin tatsächlich zu einigen „grammophon sessions“, in denen ein Ausschnitt aus Schuberts großer C-Dur-Symphonie, der „Tanz der sieben Schleier“ aus Strauss’ Oper „Salome“ sowie einige Walzer von Johann Strauß eingespielt wurden.255 Eine kontinuierliche Aufnahmetätigkeit nahm das Orchester jedoch erst 1928 auf, nachdem es einen Vertrag mit „His Masters Voice“ eingegangen war.256 Während sich die Wiener Philharmoniker den technischen Innovationen des Musikbetriebs allmählich öffneten, setzte sich ihr Widerstand gegen kompositorische Neuerungen der Musik auch in der Republik fort: Novitäten gegenüber gaben sich die Wiener Philharmoniker mehr als zurückhaltend. Wenn sie das Komitee nicht von vornherein und unter Berufung 249 Hunt, John. Vienna Philharmonic and Vienna State Opera Orchestras. Vol. 1, Discography 1905–1954. Eigenverlag 2000. S. 21. 250 Prot. KS, 16. 8. 1918. HAWPh, A-Pr-020, 16. 251 Vgl. Hellsberg, Demokratie, S. 414. 252 Hunt, Discography, S. 6. 253 Prot. KS, 6. 5. und 8. 6. 1922. HAWPh, A-Pr-023, 10; 15. 254 Prot. KS, 1. 1. 1923. HAWPh, A-Pr-023, 34. 255 Hunt, Discography, S. 22–27. 256 Hellsberg, Demokratie, S. 414; Hunt, Discography, S. 30 ff.
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3. Neue Wege und mehr Staat
auf die Geschäftsordnung ablehnte, wurden sie in der Regel geprobt und anschließend per Mehrheitsentscheid des Plenums entweder für aufführungswürdig befunden oder abgelehnt. Im Juni 1919 stellte ein Orchestermitglied den Antrag auf Abschaffung der Novitätenprobe, was zu einer Grundsatzdiskussion im Komitee führte. Der Orchestervorstand, Markl, entgegnete auf diesen Antrag, gerade die Novitätenprobe sei eine Einrichtung der Philharmoniker, die sie vor anderen Orchestern auszeichne.257 Sie diente der strengen Selektion und sollte darum nicht abgeschafft werden. Einzelne Stimmen verlangten sogar deren Ausweitung: „Herrmann wünscht für alle, nicht nur für einzelne Compositionen Novitätenproben – in der letzten Novitätenprobe wurden die Werke zweier Collegen abgelehnt, andere Novitäten aber nicht probiert, die sonst vielleicht auch abgelehnt worden wären. Weiss ist [auch] dafür, dass alle Novitäten probiert werden sollen.“258
Dem entgegnete der Orchestervorstand, dass immer alle Novitäten „probiert“ würden, mit Ausnahme derjenigen, die der Dirigent empfehle und sich damit für deren Qualität verbürge.259 Formal war die Novitätenprobe also eine Qualitätsprüfung, in der Praxis diente sie jedoch vor allem dazu, möglichst wenig zeitgenössische Musik in die Programme der Philharmonischen Konzerte aufzunehmen. Der Widerstand des Orchesters gegen die Aufführung neuer Musikwerke war zeitweise derart massiv, dass sich ihm bisweilen auch etablierte Dirigenten, die mit den Wiener Philharmonikern zeitgenössische Werke einstudieren wollten, widerwillig beugen mussten. Im Programmentwurf zu einem Philharmonischen Konzert in der Spielzeit 1917/18 wollte Weingartner offenbar je ein Werk von Schönberg und Schreker ansetzen, worauf sich das Komitee zur Wehr setzte und „sich gegen das gleichzeitige Erscheinen [von] 2 radikal modernen Werken wie Schönberg u. Schreker“ wandte: „... falls Schreker bleibt, unbedingt gegen Schönberg u. in jedem Fall gegen die persönliche Leitung der Aufführung“260. Stattdessen trat das Komitee für die Aufführung einer Symphonie des Brahms-Epigonen Robert Fuchs (1847–1927) ein, die allerdings keine eigentliche Novität darstellte.261 Weingartner gab dem Widerstand des Komitees nach und kam „dem Wunsche [entgegen], das Werk von Schönberg zu streichen. [...] Ebenso ist er bereit seinen Antrag bezüglich der persönlichen Leitung Schrekers
257 258 259 260 261
Prot. KS, 6. 9. 1919. HAWPh, A-Pr-021, 25. Ebd. Ebd. Prot. KS, 21. 8. 1917. HAWPh, A-Pr-019, 58. Mit der „letzten Symphonie“ von Robert Fuchs ist höchstwahrscheinlich seine dritte gemeint, die 1906 in Wien uraufgeführt wurde.
Intensivierte Konzerttätigkeit bei den Wiener Philharmonikern
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bei der Aufführung seiner Kammersymphonie zurückzuziehen.“262 Als Ersatz für Schönbergs Werk – welches genau, geht aus den Protokolleinträgen nicht hervor – konnte sich Weingartner schließlich mit der Erstaufführung des 1904 in Frankfurt uraufgeführten Werks „Wieland der Schmied“ von Siegmund von Hausegger durchsetzen. Diesem Exempel aus den letzten Monaten der Monarchie, das die Umschiffungstaktik neuer und vor allem moderner Werke der Wiener Philharmoniker prägnant demonstriert, lassen sich weitere aus der Zeit der Republik anfügen. Spektakulär war etwa der Vorfall um eine Ouvertüre von Erich Wolfgang Korngold, der sich im Juni 1920 ereignete. Nach der zweiten Probe der Wiener Philharmoniker zog der Komponist sein Werk von der Aufführung zurück: Mitglieder der Philharmoniker hatten die Musik während der Proben niedergezischt. In der Folge dieses Ereignisses manifestierte sich die einheitlich ablehnende Haltung von Komitee und Plenum neuer Musik gegenüber: Zwar nahm nicht das gesamte Orchester aktiv an der Unmutsbekundung gegenüber Schreker teil, aber jene Orchestermitglieder, die gezischt hatten, wurden keineswegs zur Rechenschaft gezogen. Vielmehr wollte man beobachtet haben, dass einzelne Mitglieder des an den Proben mitbeteiligten Singvereins ebenfalls gezischt hätten, was im Entschuldigungsschreiben, das das Komitee an den Komponisten richtete, offenbar dazu verwendet wurde, von der eigenen ablehnenden Haltung gegenüber dessen Ouvertüre abzulenken und den Widerstand gegen das Werk dem Singverein anzulasten: „Da die Herren [...] beobachtet hatten, dass Mitglieder des Singvereins gezischt hatten, konnten Mair u. Weiß [die Verfasser des Entschuldigungsschreibens, F. T.] dies mit gutem Gewissen schreiben und glaubten so die Interessen der Philharm. am besten zu wahren, um einem Konflikt mit der Presse auszuweichen.“263
Dass Philharmoniker gleichermaßen gezischt hatten, geht aus dem Protokoll dennoch deutlich hervor: „Über das Zischen einzelner unserer Mitglieder [...] gelang es Mairecker [Vorstands-Stellvertreter, F. T.] in mündlicher Form Korngold zu beruhigen.“264 262 Prot. KS, 27. 8. 1917. HAWPh, A-Pr-019, 59. 263 Prot. KS, 22. 6. 1920. HAWPh, A-Pr-022, 14. 264 Ebd. Dieses Konzert gelangte im Rahmen des Musikfestes „Meisteraufführungen Wiener Musik“ am 3. Juni 1920 zur Aufführung; als offizielle Begründung zur Streichung von Korngolds Ouvertüre „Sursum Corda“ wurde angeführt, der Komponist, der das Werk auch hätte dirigieren sollen, sei „ganz plötzlich erkrankt“. Vgl. Eder, Gabriele Johanna. Wiener Musikfeste zwischen 1918 und 1938. Ein Beitrag zur Vergangenheitsbewältigung. Wien/Salzburg 1991. S. 55. Die Öffentlichkeit sei zwar über einen Zeitschriftenartikel von der Störaktion unterrichtet worden, aber, so Eders Fazit, es sei heute nicht mehr festzustellen, wer die Unruhestifter gewesen seien. Und auch Hellsberg verzichtet in seiner Philharmoniker-Geschichte darauf, aus dem erwähnten Protokoll zu zitieren, ja er schreibt sogar, die Wiener Philharmoniker hätten im Rahmen dieses
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3. Neue Wege und mehr Staat
In der Ablehnung moderner Musik der Wiener Philharmoniker ergänzt sich das ,Traditions‘- mit einem kommerziellen Moment: Zum statuarisch verankerten musikalischen Zweck des Vereins („durch Veranstaltung von [...] Aufführungen den Werken bedeutender Tonsetzer die entsprechende Würdigung zu verschaffen“265) trat die Furcht vor ausbleibendem Publikum und der damit zusammenhängenden Schädigung der Einkommensverhältnisse. Umgekehrt sah sich das Orchester zu gewissen Konzessionen an die zeitgenössischen Komponisten gezwungen, weil es andernfalls einen Imageschaden befürchtete. So erklärte sich das Komitee im April 1920 etwa bereit, Schönbergs „Gurrelieder“, die eine ungewöhnlich große Orchesterbesetzung erfordern, unentgeltlich aufzuführen; damit entsprach es weitgehend dem Ansuchen des Veranstalters und stellte zwar die Proben, nicht aber die Aufführung in Rechnung. In einem ersten Beschluss lehnte das Orchester die Aufführung ab, aber aus der Befürchtung, damit eine schlechte Presse zu riskieren, revidierten die Philharmoniker den ablehnenden Entscheid: „Markl erklärt, dass wenn wir bei unserem 1. Beschlusse bleiben, als Sündenböcke hingestellt werden u. allen Angriffen der Presse ausgesetzt seien.“266 Gegen Ende der 1920er-Jahre nahm der Anteil an Werken von zeitgenössischen Komponisten in den Programmen der Philharmonischen Konzerte unter dem Einfluss des ab 1927 als Abonnementdirigent der Wiener Philharmoniker tätigen Wilhelm Furtwängler – er war damals bereits über ein halbes Jahrzehnt lang Chefdirigent der Berliner Philharmoniker – stetig zu:267 Er betrug zwischen den Spielzeiten 1927/28 und 1929/30 im Durchschnitt 24 Prozent.268 Nachdem sich Furtwängler im Frühjahr 1930 aufgrund seiner Berliner Verpflichtungen vorerst von den Wiener Philharmonikern verabschiedete, erreichte der Anteil der zeitgenössischen Musikproduktion in den Philharmonischen Programmen unter Furtwänglers jungem Nachfolger Clemens Krauss zu Beginn der 1930er-Jahre seinen Höhepunkt:269 Von den insgesamt 59 Werken, die Krauss zwischen 1930 und 1933 in den Philharmonischen Konzerten dirigierte, stammten 20 von noch lebenden Komponisten, was einem Anteil von 34
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Musikfestes unter Korngolds Leitung gespielt. Hellsberg, Demokratie, S. 398. Aufgrund der Zeitungsmeldung und des philharmonischen KS-Protokolls ist die Sachlage aber unzweifelhaft: Die Wiener Philharmoniker haben die Aufführungen eines ihnen nicht genehmen zeitgenössischen Stückes hintertrieben und verhindert. Statuten des Vereines „Wiener Philharmoniker“ [1909]. Vereinsakt, WSL, M. Abt. 119, A 32: Gelöschte Vereine, 4602/21, 10. Prot. KS, 30. 4. 1920. HAWPh, A-Pr-022, 11. Hellsberg, Demokratie, S. 426. Ebd., S. 441. Clemens Krauss (1893–1954) war 1929–1934 Direktor der Wiener Staatsoper und bemühte sich auch dort um programmmäßige Reformen, deren Umsetzung letztlich aber scheiterte. Zur Staatsopern-Ära Krauss vgl. Rode-Breymann, Susanne. Die Wiener Staatsoper in den Zwischenkriegsjahren. Ihr Beitrag zum zeitgenössischen Musiktheater. Tutzing 1994. S. 49–61.
Interventionsfreie Wiener Subventionen
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Prozent entspricht.270 Das Orchester reagierte auf die von Krauss forcierten Programmverschiebungen, die zu einem beträchtlichen Publikumsverlust führten,271 schließlich mit einer von einer großen Mehrheit des Plenums mitgetragenen „offenen Kampfansage an Direktor Krauss“, die in der Folge zu dessen Rücktritt führte.272 In der Folge erhielten die Programme der Wiener Philharmoniker wieder eine betont konservative Note.273
3.2 Interventionsfreie Wiener Subventionen Dass sich die Neuausrichtung der Konzertpraxis der Wiener Philharmoniker in der Ersten Republik primär an ökonomischen und weniger an ,künstlerischen‘ Gesichtspunkten orientierte, hing unter anderem mit der wienerischen Subventionspolitik zusammen. Im Unterschied zur finanziellen Unterstützung des Berliner Philharmonischen Orchesters durch die öffentliche Hand handelte es sich bei den Subventionen für die Wiener Philharmoniker von Beginn an nicht um einen Tausch von Äquivalenten: Die Wiener Philharmoniker erhielten öffentliche Gelder ohne vorgegebenen Zweck, obschon die Subventionierung des Wiener Orchesters praktisch zeitgleich mit derjenigen der Berliner Philharmoniker einsetzte: 1911.274 Diese ‚Zweckfreiheit‘ der Mittel verschonte die Wiener Philharmoniker vor der Beeinträchtigung ihrer Kapazitäten durch Pflichtveranstaltungen, was dem Orchester ermöglichte, im Bereich des freien Konzertierens in verstärkte Konkurrenz mit modernen Konzertorchestern wie den Berliner Philharmonikern zu treten. Eine kurze Rückblende auf die Geschichte der Unterstützung der Wiener Philharmoniker durch die öffentliche Hand verdeutlicht den beträchtlichen Handlungsspielraum des Orchesters während der Zeit der Ersten Republik. Die Höhe der Subvention war nicht unumstritten. Während das Ministerium für Kultus und Unterricht zwischen 1911 und 1913 jeweils für eine Erhöhung eintrat, stellte sich das Finanzministerium einer Aufstockung der philharmonischen Subvention entgegen,275 die 270 Hellsberg, Demokratie, S. 441. 271 Ebd., S. 438. 272 Ebd., S. 440. Zu den Interaktionen zwischen Krauss und den Wiener Philharmonikern in dieser Angelegenheit detailliert Hellsberg, Demokratie, S. 438–440. 273 Zum Repertoire vgl. Kapitel 7 sowie den Anhang. 274 1911 wird in den Akten des Unterrichtsministeriums erstmals die Ausrichtung von Subventionen an den Verein der Wiener Philharmoniker erwähnt. Vgl. die Referenten-Erinnerung betreffend Feststellung des Präliminares für Angelegenheiten der Musikpflege pro 1912, 2. 6. 1911, in der eine Erhöhung der bisherigen Subvention von 3.000 auf 5.000 Kronen gefordert wird. ÖStA, AVA/Unterricht, Sign. 15, 3257. 275 ÖStA, AVA/Unterricht, Sign. 15, 3257.
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offenbar dann aber doch durchgeführt werden konnte: Ab 1913 wurden die Wiener Philharmoniker vom Staat mit 7.000 Kronen subventioniert; dieser Betrag blieb bis 1918 unverändert. Dass die Subventionserhöhungen bis 1913 trotz des Widerstands des Finanzministeriums zustande kamen, dürfte nicht zuletzt auf den erheblichen Druck, den die Wiener Philharmoniker beim Ministerium für Kultus und Unterricht offenbar machten, zurückzuführen sein, wie dies aus dessen Argumentation gegenüber dem Finanzministerium hervorgeht. Das Orchester drohte offenbar sogar mit der Vereinsauflösung: „Dieser Verein [der Wiener Philharmoniker, F. T.] befindet sich seit einigen Jahren in einer finanziellen Krisis. Die Konzerte der Philharmoniker sind zwar stets ausverkauft, und zwar zu so hohen Preisen, wie sie kein anderer Musikverein in seinen regelmässigen Veranstaltungen verlangen darf. Trotzdem bleibt nach Abzug der Regiekosten und des Dirigentenhonorares so wenig übrig, dass der Reingewinn in gar keinem Verhältnisse zu der aufgewendeten Zeit und Mühe der Orchestermitglieder steht. Diese haben in letzter Zeit bereits die Auflösung ihres Vereins erwogen bezw., um es nicht dazu kommen zu lassen, um Erhöhung der staatlichen Subvention gebeten. Im Hinblicke darauf, dass es sich um die Existenz der künstlerisch bedeutendsten musikalischen Körperschaft Österreichs handelt, erscheint die beantragte Erhöhung durchaus berechtigt und nicht zu umgehen.“276
Die Erhöhung der Subvention beantragte das Orchester „im Hinblicke auf die außerordentlichen Auslagen, die den Philharmonikern durch das Engagement Weingartner’s als ständigen Dirigenten erwuchsen“.277 Das Honorar Felix von Weingartners – er war von 1908 bis 1927 Leiter der Abonnementkonzerte der Wiener Philharmoniker278 – dürfte neben der generellen „Existenzsicherung“ des Orchesters279 überhaupt einer der Hauptgründe für die Beantragung von Subventionen gewesen sein, wie aus den diversen angeführten „Referenten-Erinnerungen“ hervorgeht. Die finanziellen Zuschüsse an das Orchester beschränkten sich aber nicht auf die Staatssubvention. Auch die Gemeinde Wien sowie der Niederösterreichische Landesaus schuss, so geht aus den Sitzungsprotokollen des Orchesters hervor, beteiligten sich regelmäßig mit Subventionen in der Höhe von 2.000 Kronen beziehungsweise 1.000 Kronen an der finanziellen 276 Referenten-Erinnerung betreffend Feststellung des Präliminares für Angelegenheiten der Musikpflege pro 1912 vom 2. 6. 1911. ÖStA, AVA/Unterricht, Sign. 15, 3257. 277 Referenten-Erinnerung, ÖStA, AVA/Unterricht, Sign. 15, 3257. 278 Zum Verhältnis Weingartners zu den Wiener Philharmonikern vgl. die detaillierte Darstellung bei Hellsberg, Demokratie, S. 366 f. 279 Referenten-Erinnerung betr. Feststellung des Präliminare für Angelegenheiten der Musikpflege pro 1913, 27./29. Mai 1912. ÖStA, AVA/Unterricht, Sign. 15, 3257.
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Sicherung der Philharmoniker.280 Insgesamt bezogen die Wiener Philharmoniker zwischen 1913 und 1918 also jährlich 10.000 Kronen aus öffentlichen Kassen.281 Unmittelbar vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, im Juni 1914, versuchte die Stadt Wien, dem Orchester eine zumindest indirekte Gegenleistung abzufordern: Der zuständige Stadtrat äußerte gegenüber dem Vorstand des Orchesters, Alois Markl, „den Wunsch [...], künftig im Programm der Philh. Konzerte den deutschen Meistern besondere Berücksichtigung zuteil werden zu lassen u. in 1. Linie ein Werk Chamillo Horn’s zur Aufführung zu bringen“.282 Markl wehrte diese Forderung ab und erklärte, „dass sich die Philharmoniker unbedingt künstlerische Freiheit wahren müssten, solche Bedingungen nicht annehmen könnten“.283 Seine Reaktion drückte dabei durchaus die Grundhaltung des Kollektivs aus: „Die Erklärungen des Vorstandes Markl werden zustimmend und mit Dank für sein Verhalten namens der Körperschaft zur Kenntnis genommen [...].“284 Dass Markls Vorgehensweise keinerlei Konsequenzen nach sich zog, das heißt, dass die städtische Subvention trotzdem diskussionslos ausgerichtet wurde, dürfte etwas vom ,halbfeudalen‘ Charakter der Beziehung, die zwischen den Parteien herrschte, verraten: Nicht wie in Berlin die Stadtverordnetenversammlung, die über die „Subvention“ der Berliner Philharmoniker in einer Abstimmung Beschluss fasste und dafür eine äquivalente Gegenleistung einforderte, stand dem bittstellenden Orchester gegenüber, sondern der absolute Beamte, der Situation und Gesetz bis zu einem gewissen Grad nach seinem eigenen Dafür und Dagegen auslegen und über die unter seinem Zuständigkeitsbereich stehenden Mittel verfügen konnte. Der erwähnte Stadtrat äußerte seinen Wunsch nach mehr deutschen Meistern im Programm der Philharmoniker letztlich nicht unter dem Gesichtspunkt eines Tauschprinzips und dürfte darüber hinaus von der Relevanz seines Wunsches nicht bis ins Letzte überzeugt gewesen sein, sodass die Ablehnung desselben durch den Vorstand der Philharmoniker folgenlos blieb:285 280 Prot. KS, 24. 4. 1913. HAWPh, A-Pr-018, 6. 281 Im Vergleich etwa zum Wiener Concertverein, den nachmaligen Wiener Symphonikern, ist die Subvention für die Wiener Philharmoniker als gering zu bezeichnen: So steuerte 1912/13 allein das Unterrichtsministerium jenem 23.000 Kronen bei. Vgl. Kobau, Symphoniker, S. 19. Dabei muss jedoch berücksichtigt werden, dass die Konzerttätigkeit des Concertvereins bei wesentlich tieferen Eintrittseinnahmen ungleich viel umfangreicher war. 282 Prot. KS, 9. 6. 1914. HAWPh, A-Pr-018, 38. 283 Ebd. 284 Ebd. 285 Diese Überlegung schließt an Adornos Analyse der Entwicklung musikalischer Produktion im Wien der späten Donaumonarchie an: „Die Rationalität des integralen Komponierens, in dem nichts zufällig ist, alles zwingend gesetzmäßig verläuft, hat etwas autonom Bürgerliches, wie es in Deutschland, kaum in dem halbfeudalen Österreich gedieh. Die Anekdote, daß der Kaiser Franz Joseph, als der unerbittliche Mahler einem zu spät kommenden Erzherzog den Zugang zu seiner Loge verwehren ließ, zwar seinem Operndirektor
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Das Orchester bezog die städtische Unterstützung in der Höhe von jährlich 2.000 Kronen während des ganzen Ersten Weltkrieges. Der Staat benutzte die Subvention während dieser Zeit dennoch bisweilen als Druckmittel, um die Wiener Philharmoniker zur Kooperation zu zwingen. Am 20. Januar 1915 lehnte das Komitee die Einladung zur Mitwirkung bei Aufführungen von Mahlers „Lied von der Erde“ des Kriegshilfsbureaus des Ministeriums des Innern zugunsten der Kriegsfürsorge und der Flüchtlinge aus Galizien in erster Instanz ab. Eine Woche später berichtete Vorstand Markl über Informationen aus dem Innenministerium, die ihm zugegangen seien: „Im Falle der Ablehnung der Einladung wäre es nicht ausgeschlossen, dass von dieser Seite der Versuch gemacht werde im Unterrichtsministerium in der Richtung der Subvention für unseren Verein eine Beeinflussung zu veranlassen.“286
Daraufhin stimmte das Plenum der außerordentlichen Hauptversammlung nach längerer Diskussion dem neuen Komiteeantrag zu: „Zusage der Mitwirkung, Proben gegen das übliche Honorar, Aufführung am 21.2. unentgeltlich, 2. Aufführung nicht am 27. Februar, sondern an einem zu vereinbarenden Termin, gegen das ermässigte Honorar von K. 10.--. Frage der Zahl der Proben beantwortet Markl mit 2, ev. 3.“
Das ermäßigte Honorar bei der zweiten Aufführung resultiere daraus, dass diese als populäre Veranstaltung zu billigen Preisen gedacht sei, erklärte Markl dazu auf Anfrage.287 Diese fordernde Haltung des Ministeriums war aber eine Ausnahme. Ansonsten wurde auf die Einforderung von Gegenleistungen seitens der Verwaltung verzichtet. Auch hatte das Ordas Recht solcher Strenge zuerkannte, aber den Obersthofmeister Montenuovo fragte, ob denn eine Oper etwas gar so Ernstes sei, wirft Licht auf den Sachverhalt. Etwas so Ernstes war die Musik für Beethoven und Brahms aus der Kraft der Konzeption von Autonomie; dann für Mahler und dann wiederum für die Schönbergschule, aber schwerlich für einen Autochthonen. [...] Die Liberalität des Gestus, mit der Franz Joseph dem Operndirektor eine Haltung gestattete, über welche die Habitués des Sacher lächeln mochten, erlaubte es dem Genius für zehn Jahre, die Wiener Oper so zu leiten, daß jene wiederum stolz darauf waren. Sie unterscheidet sich jedoch gerade von der bürgerlichen Rationalität insofern, als sie zugunsten der Frage, ob etwas gut sei, die ignoriert, wozu es gut sei, ob es auch auf dem Markt sich ausweise. [...] Der Schutz eines solchen Systems – Protektion im doppelten und höchst unverächtlichen Sinn – gewährte den Künstlern, in denen bürgerliche Rationalität wahrhaft bis zu Autonomie sich gesteigert hatte, die Chance, diese Autonomie zu verwirklichen, unangefochten von ihrer Kehrseite, der bürgerlichen Heteronomie, vom Warencharakter des Kunstwerks.“ Adorno, Wien, S. 437. 286 Prot. KS, 18. 1. 1915. HAWPh, A-Pr-019, 2. 287 Prot. AHV, 28. 1. 1915. HAWPh, A-Pr-019, 3.
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chester über den spezifischen Verwendungszweck von öffentlichen Unterstützungsleistungen generell nicht Rechenschaft abzulegen. Dies geht aus dem Protokoll zu einer Komiteesitzung Ende 1913 hervor, als der Orchestervorstand ankündigte, eine Erhöhung der Staatssubvention zu erwirken: „Das Komitee sieht sich hierzu hauptsächlich veranlasst, um eine Deckung der Mehrauslagen zu erzielen, falls solche durch Dirigenten entstehen sollten. [...] dass im Falle der Notwendigkeit die Erhöhung der Subvention für Mehrauslagen durch den Dirigenten dienen soll, ein eventueller Rest selbstverständlich dem Verein zugute komme.“288
Die Subvention konnte also zur Gänze auf die Finanzierung der Dirigentenhonorare der Philharmonischen Konzerte verwendet und, wenn diese nicht alles aufbrauchten, unter den Mitgliedern verteilt oder in vereinsinterne Einrichtungen investiert werden. Um einen Vergleich zwischen den Subventionen der Wiener Philharmoniker in der Höhe von 10.000 Kronen mit den öffentlichen Zuschüssen von insgesamt 60.000 Reichsmark an das Berliner Philharmonische Orchester anzustellen, ist der Rückgriff auf eine Referenzwährung, etwa das britische Pfund Sterling, dienlich: Demgemäß entsprachen 60.000 Reichsmark rund 2.970 Pfund Sterling und 10.000 Kronen etwa 414 Pfund Sterling.289 Die öffentlichen Unterstützungsgelder für die Berliner Philharmoniker lagen gegenüber jenen für die Wiener Philharmoniker somit ungefähr beim Siebenfachen. Unter Berücksichtigung der Gegenleistungen verändert sich das Bild allerdings beträchtlich. Für die 2.970 Pfund Sterling, die das Berliner Philharmonische Orchester jährlich vom Magistrat erhielt, hatte es 40 Volkskonzerte sowie sechs unentgeltliche Schülerkonzerte zu veranstalten. Jedes Konzert wurde somit mit einem Betrag von 64,56 Pfund Sterling (entsprach per Januar 1913 rund 1.304 RM) unterstützt. Legt man diese 2.970 Pfund Sterling jedoch auf sämtliche Konzerte der Berliner Philharmoniker in der Spielzeit 1913/1914 um, so entfällt pro Konzert nur noch ein Anteil von 17,16 Pfund Sterling.290 Demgegenüber wurde ein einzelnes Konzert der Wiener Philharmoniker in derselben Spielzeit mit 27,60 Pfund Sterling subventioniert.291 Dieser Quervergleich verweist auf relativ großzügige Subventionen, die den Wiener Phil288 Prot. AHV, 22. 12. 1913. HAWPh, A-Pr-018, 21. 289 Umrechnungen gemäß den Devisenkursen per Januar 1913: 10 Pfund Sterling entsprachen zu diesem Zeitpunkt 202,05 Reichsmark beziehungsweise 241,43 Kronen. Berechnungen gemäß Schneider, Jürgen/Schwarzer, Oskar/Zellfelder, Friedrich. Währungen der Welt I. Europäische und nordamerikanische Devisenkurse 1777–1914, Teilband III. Wiesbaden/Stuttgart 1991. Zu Berlin–London S. 341, zu Wien–London S. 383. 290 Bei einer Gesamtzahl von 173 Konzerten für diese Spielzeit; Zählung nach Muck 3, S. 146–152. 291 Für die Spielzeit 1913/14 sind 15 Veranstaltungen der Wiener Philharmoniker überliefert.
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harmonikern zur Verfügung standen und die außerdem weitgehend ‚zweckungebunden‘ waren. Damit verfügte das Orchester über verhältnismäßig gute Bedingungen, um nach dem Zusammenbruch der Monarchie einen wirksamen Ausbau seiner Konzerttätigkeit voranzutreiben: Allzu drastische ökonomische Engpässe ließen sich dadurch vermeiden, zumal die Subventionierung der Wiener Philharmoniker über 1918 hinaus anhielt. Hinzu kam, dass die Orchestermitglieder durch ihren Dienst im inzwischen in „Staatsoper“ umbenannten Opernhaus ohnehin über eine ausreichende finanzielle Grundsicherung verfügten. Einen Überblick über die Subventionen an die Wiener Philharmoniker in den 1920erJahren liefert die nachfolgende Tabelle 1 (S. 79). Eine detaillierte Übersicht über die an die Wiener Philharmoniker entrichteten Gemeinde- und Staatssubventionen ist allerdings nicht leicht zu gestalten: Die Beiträge der Gemeinde Wien sind nur aus Protokolleinträgen zu erschließen, während die Staatssubventionen zum einen im „Vereinsakt“ – dort jedoch nur bis zum „Verwaltungsjahr 1920/21“ – und zum anderen ebenfalls in den Protokollen der philharmonischen Sitzungen dokumentiert sind. In letzteren stellen sich bisweilen außerdem terminologische Probleme: So ist etwa im September 1921 von der „Genehmigung einer Subvention von 200.000 K.“ durch das Unterrichtsamt die Rede,292 während Orchestervorstand Markl in einer Komiteesitzung unmittelbar vor Jahresende berichtete, „dass das Unterrichtsministerium für das 2. Halbjahr 1921 eine Subvention von K. 4.000 gewährt habe und ferner ohne die Entscheidung des Gemeinderathes abzuwarten die 2. Rate von K. 200.000 für die Sanierungsaktion [...] gezeichnet habe“.293 Bei den insgesamt 400.000 Kronen Zuschüssen scheint es sich somit um einen einmaligen Beitrag an das Orchester gehandelt zu haben, der zusätzlich zur regulären Subvention ausgerichtet wurde. Diese als „Sanierungsaktion“ deklarierte Subvention dürfte durch das Bemühen der Wiener Philharmoniker zustande gekommen sein, als sie zu Beginn der 1920erJahre auf eine Steigerung der Subventionen drängten: „Markl berichtet über Ergänzung seiner Eingabe um Subvention an das Ministerium für Inneres u. Unterricht und Finanzministerium, und erhält Vollmacht, den betreffenden Referenten je 2 Sitze für Wiederholungskonzerte anzuweisen.“294 Sie bescherte dem Orchester kurzfristig einen beträchtlichen einmaligen Zuschuss, dessen Verwendungszweck jedoch nicht erwähnt wird: Es ist aber davon auszugehen, dass die „Sanierungsaktion“ dazu diente, die Verluste durch die sich seit 1920/21 drastisch beschleunigende Währungsinflation auszugleichen. Insbesondere die Einnahmen aus den Philharmonischen Konzerten, die zum größten Teil aus im Voraus verkauften Abonnements stammten, waren davon stark betroffen. Um allzu großen Verlusten vorzubeugen, beschloss 292 Prot. KS, 6. 9. 1921. HAWPh, A-Pr-022, 35. 293 Prot. KS, 30. 12. 1921. HAWPh, A-Pr-022, 46. [Hervorhebung F. T.]. 294 Prot. KS, 11. 11. 1920. HAWPh, A-Pr-022, 23.
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Tabelle 1: Subventionen an die Wiener Philharmoniker von 1920 bis 19331 Jahr
Gemeinde Wien (in Kronen, wenn nicht anders angegeben)
Staat (Bundesministerium für Unterricht) (in Kronen)
Gesamt (in Kronen)
1920
5.0002
7.0003
12.000
10.0004 400.000
410.000
1921 Sanierungsaktion 1922 1923 1924
4 Mio.5
1925
(5 Mio.)6 (2.000 Schilling)7
1926
1.000 Schilling8
1927
1.000 Schilling9
1928
2.000 Schilling10
1929
2.000 Schilling11
ab 1930
keine weiteren Subventionen12
1 2 3 4 5 6
7 8 9 10 11 12
Die Tabelle muss aufgrund von beträchtlichen Überlieferunglücken unvollständig bleiben; es ist jedoch davon auszugehen, dass eine Überlieferungslücke in der Regel das Ausbleiben der Subvention bedeutet. Prot. KS, 21. 5. 1920. HAWPh, A-Pr-022, 12. Schreiben Deutschösterr. Staatsamt für Unterricht an Wiener Philharmoniker, 29. 7. 1919. WSL, Vereinsakt, M. Abt. 119, A 32: Gelöschte Vereine, 4602/21, 42. Prot. KS, 30. 12. 1921. HAWPh, A-Pr-022, 46. Prot. KS, 19. 3. 1924. HAWPh, A-Pr-024, 4. Prot. KS, 6. 10. 1924 vermerkt: „Die Gewährung einer Subvention von 5 Millionen von Seiten der Gemeinde Wien wird dankend zur Kenntnis genommen.“ Für welche Periode diese Subvention entrichtet wurde, wird jedoch nicht erwähnt. Entweder handelt es sich um eine 2. Rate für das Jahr 1924 oder aber um die Gesamtsubvention 1925, die sich am Beginn der Spielzeit – Oktober – ausrichtet. Amtsblatt der Stadt Wien, 2. 12. 1925, Nr. 96: Der Betrag setzt sich zusammen aus einer Subvention von 1.000 Schilling für die Wohlfahrtseinrichtungen für den Verein sowie aus einem Zuschusskredit (eine Art Defizitgarantie) in derselben Höhe. Amtsblatt der Stadt Wien, 11. 6. 1927, Nr. 47. Amtsblatt der Stadt Wien, 11. 6. 1927, Nr. 47. Ein Antrag, den Betrag von 1.000 Schilling auf 5.000 Schilling zu erhöhen, wurde abgelehnt. Amtsblatt der Stadt Wien, 29. 2. 1928, Nr. 17. Amtsblatt der Stadt Wien, 1. 5. 1929, Nr. 35. Im Index der Amtsblätter zwischen 1930 und 1934 scheinen die Wiener Philharmoniker nicht mehr als subventioniertes Orchester auf. In den Jahren 1930 und 1931 wurden ohnehin bedeutend weniger Subventionen entrichtet, während sie ab 1932 wieder etwas zunahmen. Zwischen 1934 und 1936 sowie von 1941 bis 1945 ist kein Amtsblatt erschienen; das Nichterscheinen zwischen 1934 und 1936 dürfte auf die ‚Februarkämpfe‘ von 1934 sowie auf die darauffolgende Umbildung der Stadtverwaltung zurückzuführen sein (gemäß E-Mail von Alfred Pfoser, Leiter der Druckschriftensammlung der Wien-Bibliothek, vom 6. 11. 2007). Von 1941 erschien das Amtsblatt dann bis Kriegsende definitiv nicht mehr. Bei den restlichen Jahrgängen des Amtsblatts fehlen die Indices, wodurch eine Rekonstruktion der Subventionsentscheide praktisch verunmöglicht wird. Es ist jedoch davon auszugehen, dass auch über 1934 hinaus keine weiteren Zuschüsse vonseiten der Gemeinde Wien an die Wiener Philharmoniker entrichtet worden sind.
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das Orchester mehrere Male massive Kartenpreiserhöhungen.295 Außerdem diskutierte das Komitee darüber, die Philharmonischen Konzerte nur noch in Teilabonnements zu verkaufen, wovon aufgrund eines befürchteten raschen Publikumsverlustes jedoch abgesehen wurde.296 Gemessen an den Mitteln, die der Magistrat jeweils auf die Förderung von Theater- und Musikaufführungen für Arbeiter und Angestellte verwendete und die zu 90 Prozent den jeweiligen Kunststellen (der sozialdemokratischen, der christlichsozialen sowie der öffentlichen Angestellten) zuflossen,297 fiel die Subvention für die Wiener Philharmoniker – als einzelnen Verein – relativ hoch aus. Als Vergleichsbasis können die Jahre 1924 und 1925 dienen: Während die Kunstförderung für die Arbeiter und Angestellten für 1924 40.000 Schilling und für 1925 50.000 Schilling betrug,298 entrichtete der Magistrat den Wiener Philharmonikern in den beiden Jahren 4 Mio. Kronen bzw. 5 Mio. Kronen. Rechnet man diese Beträge in Schilling um – die vom Magistrat publizierten Beträge wurden offenbar rückwirkend umgerechnet, obwohl die Währungsreform, durch die die Krone durch den Schilling ersetzt wurde, erst per 1. Januar 1925 umgesetzt wurde299 –, so entsprachen die Subventionen an die Wiener Philharmoniker 400 Schilling (1924) bzw. 500 Schilling (1925).300 Vom gesamthaften Betrag zur Unterstützung von Theater- und Musikaufführungen für Arbeiter und Angestellte entfielen 90 Prozent auf die Kunststellen, während die restlichen 10 Prozent „mehrere Vereine [erhielten], die im Sinne des Regulativs für den Unterausschuss zur Förderung von Theater- und Musikaufführungen für Arbeiter und Angestellte Aufführungen veranstalteten und infolge der niedrig gehaltenen Eintrittspreise Abgänge hatten“.301
Dazu gehörten die Wiener Philharmoniker zwar nicht, erhielten aber trotzdem Subventionen. Sie bewegten sich zwar im üblichen Rahmen, aber in Anbetracht der weitgehenden Weigerung des Orchesters, Konzerte zu ermäßigten Preisen abzuhalten – auf die wenigen 295 Prot. KS, 5. 9. 1920; KS, 11. 9. 1920; KS, 30. 9. 1920; KS, 9. 6. 1921. HAWPh, A-Pr-022, 18; 19; 21; 32. 296 Prot. KS, 9. 6. 1921. HAWPh, A-Pr-022, 32. 297 Magistrat der Stadt Wien. Die Verwaltung der Bundeshauptstadt Wien in der Zeit vom 1. Jänner 1923 bis zum 31. Dezember 1928 unter den Bürgermeistern Jakob Reumann und Karl Seitz. 3. Band. Wien 1933. S. 1875 f. 298 Verwaltung der Bundeshauptstadt Wien, 3. Band, S. 1875 f. 299 Oesterreichische Nationalbank. URL: http://www.oenb.at/de/ueber_die_oenb/geldmuseum/oesterr_geldgeschichte/schilling/vom_schilling_zum_euro.jsp [Stand: 31. 10. 2007]. 300 In der Währungsreform wurde der Umrechnungskurs von 10.000 Kronen auf einen Schilling festgesetzt. Vgl. Oesterreichische Nationalbank. URL: http://www.oenb.at/de/ueber_die_oenb/geldmuseum/oesterr_ geldgeschichte/schilling/vom_schilling_zum_euro.jsp [Stand: 31. 10. 2007]. 301 Verwaltung der Bundeshauptstadt Wien, 3. Band, S. 1875 f.
Staatsgläubige Berliner Philharmoniker
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Ausnahmen wurde bereits hingewiesen –, waren sie beträchtlich, zumal die Anzahl der konzertanten Veranstaltungen trotz der massiven Steigerung gegenüber den Jahren vor 1919 vergleichsweise niedrig war: Das Wiener Sinfonie-Orchester etwa erhielt 1921 eine Subvention von 500.000 Kronen, also bloß rund 100.000 Kronen mehr als die Wiener Philharmoniker, spielte jedoch „an 30 Tagen des Monats ebenso viele Konzerte [...]“.302 Trotz dieser bevorzugten Behandlung der Philharmoniker durch die Gemeinde Wien waren ihre Zuschüsse ans Orchester zu geringfügig, als sie politische Interventionen, etwa in Form von Eingriffen in die innere Verfassung der Wiener Philharmoniker, hätten rechtfertigen können. In den Gemeinderatsprotokollen taucht das Orchester nie als Diskussionsgegenstand auf (in deutlichem Unterschied zur Berliner Stadtverordnetenversammlung, die zur selben Zeit immer wieder über die Unterstützungswürdigkeit und die Funktionalisierung des Berliner Philharmonischen Orchesters debattierte, wie sogleich näher erläutert wird). Erwähnt ist einzig ein Antrag eines Gemeinderatsmitglieds, das die Beiträge für 1926 und 1927 von 1.000 Schilling auf 5.000 Schilling erhöhen wollte, was aber abgelehnt wurde.303 Überhaupt nahm die Subventionierung der Wiener Philharmoniker gegenüber jener des Berliner Philharmonischen Orchesters eine geradezu gegenläufige Entwicklung: Sie war ab der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre tendenziell rückläufig und hörte mit dem Jahr 1930 ganz auf.304 Eine Änderung der Vereinsverfassung der Wiener Philharmoniker – und damit ihrer organisatorischen Autonomie – stand nie zur Debatte, weder in der Zeit der Republik noch im ,Austrofaschismus‘.305
3.3 Staatsgläubige Berliner Philharmoniker Eine Zunahme der Konzerttätigkeit nach dem Ersten Weltkrieg wie bei den Wiener Philharmonikern lässt sich für das Berliner Philharmonische Orchester nicht feststellen. Um beim
302 So der Dirigent Clemens Krauss in einem Interview. Neues Wiener Journal, 4. 12. 1923. Zit. in: Kobau, Symphoniker, S. 47. 303 Amtsblatt der Stadt Wien, 11. 6. 1927, Nr. 47. 304 Vgl. Tabelle 1 (S. 79). Ohnehin fielen die Subventionssteigerungen in Wien, gemessen an jenen der Berliner Philharmoniker, allgemein deutlich flacher aus. Zwischen 1926 und 1930 verzeichnete das Staatstheater Berlin einen Subventionszuwachs von 120 Prozent, die Städtische Oper Berlin sogar einen solchen von 220 Prozent. Demgegenüber steht die Wiener Staatsoper, deren Subventionssteigerung im selben Zeitraum bloß rund 20 Prozent betrug, während auch die Einnahmendeckung mit 61 Prozent die weitaus höchste war. Rode-Breymann, Staatsoper, S. 60. 305 Vgl. die amtlichen Bestätigungen der Statutenänderungen vom 5. 6. 1928 sowie vom 17. 11. 1933. WSL, Vereinsakt, M. Abt. 119, A 32: Gelöschte Vereine, 4602/21, 51 und 54.
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Bezugsrahmen der ersten Hälfte der 1920er-Jahre zu bleiben: Für die Saison 1919/20 lassen sich insgesamt rund 270 Konzerte zählen, während sich das Konzertvolumen in der Spielzeit 1924/25 mit rund 290 Veranstaltungen nicht wesentlich veränderte.306 Eine Steigerung der Anzahl an Konzertaufführungen wäre bei den ohnehin am Limit ihrer Belastbarkeit operierenden Berliner Philharmonikern auch gar nicht mehr denkbar gewesen. Anders als den Wiener Philharmonikern, die aufgrund ihrer konventionellen Konzertpraxis nach 1918 relativ leicht eine Ausweitung der Aktivitäten verfügen und damit zusätzliche Einnahmen erzielen konnten, war eine Intensivierung der Konzerttätigkeit für das Berliner Philharmonische Orchester kaum mehr möglich. Das Aufführen von zeitgenössischer Musik, welches die Berliner Philharmoniker während kurzer Zeit äußerst pointiert betrieben, dürfte jedoch der Versuch einer abermaligen Ausweitung der Konzertpraxis gewesen sein. Anfang der 1920er-Jahre ließ sich das Berliner Philharmonische Orchester für die Konzertreihe der „Anbruch“-Konzerte engagieren. Diese bewegte sich nicht im Fahrwasser des konventionellen Konzertbetriebs, sondern hatte sich der musikalischen Avantgarde verschrieben, womit sie den Argwohn des etablierten Musiklebens auf sich zog, wie an der Polemik eines Musikkritikers sichtbar wird: „Dann tauchte schon wieder eine neue Musikgesellschaft auf. Sie nennt sich Anbruch und dient natürlich dem Musikfuturismus, dessen Katzenmusik ja in die Zeit paßt. ... Die neue Gesellschaft ist eine Filiale aus Wien; dieser Anbruch bedeutet [...] den Abbruch der klassischen Beziehungen. Na meinetwegen; jeder Blödsinn muss sich austoben.“307
In der Saison 1920/21 gestaltete das Orchester insgesamt ein Dutzend „Anbruch“-Konzerte,308 zumeist unter Dirigenten, die mit dem aktuellen, modernen Musikschaffen eng verbunden waren, allen voran Otto Klemperer und Ferruccio Busoni. Die Konzertreihe verfügte über eine bemerkenswerte Programmdramaturgie: Auf ,klassische‘ und ,romantische‘ Komponisten wurde konsequent verzichtet. Neben Werken von Gustav Mahler, die einen bedeutenden Anteil an den „Anbruch“-Konzerten ausmachten (1920/21 waren vier Konzerte allein Mahlers Musik vorbehalten), wurde großteils Musik von noch lebenden Komponisten aufgeführt. In drei Veranstaltungen waren ausschließlich Werke von Ferruccio Busoni programmiert, während auch die restlichen fünf Abende im Zeichen der zeitgenössischen Musikproduktion standen: 13 der 15 Werke, die insgesamt zur Aufführung kamen, stammten von noch lebenden 306 Zählung anhand der Programmsammlung bei Muck 3, S. 184 ff. bzw. S. 212 ff. Zum Repertoire vgl. ferner Kap. 7. 307 Zeitschrift für Musik (ZfM) vom September 1920. Zit. in Muck 1, S. 492. Das Wortspiel zwischen „An-“ und „Abbruch“ nahm übrigens auch die Zeitungsredaktion selber auf, indem sie die Nr. 2 des Jahres 1925 scherzhaft als „Abbruch – Faschingsblätter für neue Musik“ herausgab. 308 Vgl. Programmübersicht in Muck 3, S. 194.
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Komponisten, darunter dem Experiment zugeneigte Musiker wie der tschechische Komponist Alois Hába, aber auch der Schönberg der impressionistischen Phase.309 In der darauf folgenden Saison, also 1921/22 – sie ist auch schon wieder die letzte, in der das Berliner Philharmonische Orchester „Anbruch“-Konzerte aufführte – beschränkte sich die Reihe, die sich nun „Anbruch – Berlin“ nannte, auf sechs Konzerte.310 Drei davon waren Bruckner und Mahler gewidmet. Von den sieben Werken, die bei den restlichen drei Konzerten zur Aufführung gelangten, stammten fünf von noch lebenden Komponisten; der avantgardistische Anspruch schien indes bereits wieder im Niedergang begriffen zu sein, zumal im letzten der „Anbruch“-Konzerte, am 27. Januar 1922, Pfitzners zumindest ihrem ideellen Gehalt nach reaktionäre Kantate „Von deutscher Seele“311 uraufgeführt wurde. Dennoch war die Aufnahme der „Anbruch“-Reihe in den Veranstaltungsreigen der Berliner Philharmoniker bedeutsam, denn das Orchester demontierte durch derartige Engagements gewissermaßen die Hegemonie des herkömmlichen symphonischen Kanons und positionierte sich mitunter außerhalb der „alteingesessenen großen Berliner Konzerte“,312 die doch seinen Weltruf recht eigentlich begründeten. Doch auch die Ausflüge in die musikalische Moderne vermochten die ökonomische Notlage der Berliner Philharmoniker freilich nicht zu lindern. Schließlich blieb dem Orchester nur der Weg zu den städtischen und staatlichen Institutionen. Im April 1921 trat es mit der Bitte an Magistrat und Stadtverordnetenversammlung heran, die Subvention von bisher jährlich 120.000 Mark auf 250.000 Mark zu erhöhen und bat außerdem um die Erlaubnis, die Eintritts- und Programmheftpreise für die Volkskonzerte anheben zu dürfen.313 Die dazugehörige Aktennotiz des Magistrats liest sich allerdings widersprüchlich: Es empfehle sich, dem Antrag um Erhöhung der Eintritts- und Programmheftpreise zu entsprechen, da andernfalls die Stadtgemeinde in die Lage kommen könnte, eine höhere Subvention zahlen zu müssen. Auf den ersten, wichtigeren Teil des Schreibens, der die Erhöhung der Subventionen formuliert, wurde weder in der Aktennotiz noch im Antwortschreiben ans Orchester eingegangen.314 Es ist darum davon auszugehen, dass 309 Weitere Komponisten, deren Werke in den „Anbruch“-Konzerten gespielt wurden, waren Joseph Rosenstock, Claude Debussy, Alexander Borodin, W. R. Heymann, Jules Conus, Igor Strawinsky, Pantscho Wladigerow und Emil Nikolaus von Reznicek. 310 Vgl. Programmübersicht in Muck 3, S. 200. 311 Vgl. etwa Rectanus, Hans. Pfitzner, Hans [Erich]. In: Finscher, Ludwig (Hrsg.). Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Personenteil, Band 13. Stuttgart 2005. S. 466–494. Hier S. 485; das in der Titelwahl manifeste Rekurrieren aufs ,Deutsche‘ sei „nicht etwa nur eine Flucht in die vielberufene deutsche Innerlichkeit aus einer deprimierenden politischen Situation, sondern für Pfitzner Rückbesinnung, Identifikation und Bekenntnis zu einer großen Kunst-Vergangenheit, die er in der Romantik verwirklicht sah“. 312 Renner, Ludwig. Die Nöte des Konzertwinters. In: Berliner Lokal-Anzeiger, 8. 9. 1920, S. 1. 313 Schreiben Berliner Philharmoniker an den Magistrat Berlin, 8. 4. 1921. Landesarchiv Berlin, A Rep. 001-02T4 Nr. 921, 280. 314 Magistrat Berlin an Berliner Philharmoniker, 15. 4. 1921. Landesarchiv Berlin, A Rep. 001-02-T4 Nr. 921, 280.
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dieser Teil des Ansuchens ungehört blieb. Für diese Lesart spricht auch die 1922 in der Öffentlichkeit geführte Kampagne des Orchesters zugunsten einer größeren Unterstützung durch die öffentliche Hand. Zu diesem Zweck priesen sich die Berliner Philharmoniker als Institution an, die höchste Leistungsbereitschaft zeige und der große politische Bedeutung zukomme: „Es gibt kaum ein Orchester, das bei fast überstarker Belastung durch Proben und Aufführungen mit gleicher Kunstfreudigkeit sein ganzes Können so oft in den Dienst von Hunderten, ja Tausenden von Dirigenten und Virtuosen gestellt hätte, wie das der Berliner Philharmoniker. Und nie hat man von einer Probenverweigerung, von einem Absagen, einem Erlahmen der Kräfte gehört. [...] Was Berlin als Musikstadt, als Mittelpunkt der großen instrumentalen Kunst bedeutet, das verdankt es zum größten Teil dem Philharmonischen Orchester [...]. Was wir an künstlerischen Werten der alten und neuen Meister des In- und Auslandes kennen, ist durch die Philharmoniker unser Eigentum, die Grundlage unserer inneren Entwicklung geworden.“315
Daran knüpften die Berliner Philharmoniker die Forderung nach ausreichenden Subventionen, „um den Bestand des Orchesters zu sichern“, und vollzogen eine nationalistisch aufgeladene Drohgebärde, indem sie festhielten, dass mit Angeboten aus dem Ausland bereits versucht würde, „seinen [des Orchesters, F. T.] Organismus durch Verpflichtungen einiger Mitglieder zu lockern“.316 Zudem wollte das Orchester von privatem Mäzenatentum ausdrücklich nichts wissen, sondern vertrat die Überzeugung, dass Hilfe „nur vom Staate und der Stadt ausgehen“ könne. Denn die Musik sei eine „Kulturmacht“, die „den Kern des Volkes gesund und arbeitsfreudig erhalten [wird, F. T.], wenn sie [...] vom Staate anerkannt und gestützt“ werde – schließlich habe sie „uns in der Not des Dreißigjährigen Krieges und in der Erniedrigung nach Jena stark erhalten“.317 An der Semantik dieses Aufrufs stechen vor allem die Aspekte des außergewöhnlichen Leistungscharakters des Orchesters sowie die Unterstreichung der nationalen Bedeutung von Musik hervor. Beide dienen sie als Argumente für eine breitere finanzielle Unterstützung des Orchesters, welches im Gegenzug verspricht, dass durch die Aufrechterhaltung seiner Leistungsfähigkeit „der Kern des Volkes“ gleichfalls leistungsbereit gehalten werden würde. Auffallend ist dabei die antiwestliche beziehungsweise antifranzösische Rhetorik des Aufrufs: Die Verwendung des Topos der „Erniedrigung nach Jena“ suggeriert, Deutschland befinde sich seit 1918 wieder in einer analogen Situation wie zur Zeit Napoléons, der 1806 bei Jena 315 Presseaufruf des Berliner Philharmonischen Orchesters am 9. September 1922. Zit. in: Muck, Peter. Einhundert Jahre Berliner Philharmonisches Orchester, 2: 1922–1982. [Nachfolgend: Muck 2]. S. 5. 316 Ebd. 317 Ebd.
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und Auerstedt nicht nur die preußische Armee geschlagen, sondern im Anschluss daran von Preußen auch Kriegskontribution verlangt hatte. „Jena 1806“ bildete insbesondere in der Frühphase der Weimarer Republik ein beliebtes Vehikel, um antifranzösische Ressentiments zu schüren und die angebliche Unangemessenheit der von Frankreich am hartnäckigsten von allen Alliierten geforderten Reparationszahlungen anzuprangern.318 Der Aufruf schrieb sich in die Reproduktion dieses Ressentiments ein; er erfolgte unverkennbar vor dem Hintergrund des zwischen Deutschland und Frankreich schwelenden Wirtschaftskriegs, der nur wenige Monate später in der Besetzung des Ruhrgebiets durch Belgien und Frankreich gipfelte und von Deutschland (in Verkennung der historischen Sachlage) als „typischer französischer Herrschaftsanspruch auf Teile Deutschlands, in der Tradition Ludwigs XIV. und Napoleons“ gesehen wurde.319 Eine solche Rhetorik war in der Weimarer Republik in Bezug auf den bürgerlichen Musikbetrieb keineswegs außergewöhnlich; dieser erwies sich einem extremisierten Nationalismus gegenüber ohnehin als anfällig. Adolf Weissmann, ein bekannter, der Moderne verpflichteter Musikessayist, stellte bereits im Sommer 1921 fest: „Der Beharrungstrieb der öffentlichen Musik verstärkt sich mehr und mehr, die Scheidung zwischen deutscher und ententistischer Tonkunst verschärft sich. Nicht die Valuta allein ist daran schuld, sondern der patriotische Geist, der Geist der Reaktion, der in der Kunst alles nicht auf heimischem Boden Gewachsene am liebsten boykottieren möchte.“320 318 Zur Instrumentalisierung von „Jena 1806“ als gedächtnispolitischem Code vgl. etwa John, Jürgen. „Jena 1806“ – Symboldatum der Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. In: Fesser, Gerd/Jonscher, Reinhard (Hrsg.). Umbruch im Schatten Napoleons. Die Schlachten von Jena und Auerstedt und ihre Folgen. Jena 1998. S. 177–195. Einige Hinweise zur Verwendung dieses Codes in der Weimarer Republik liefert außerdem Fuhrmann, Reinhard. „Die verräterischen Machthaber.“ Oder: Wie verarbeitet man eine Niederlage? In: Fesser/Jonscher, Umbruch, S. 211–216. 319 Krumeich, Gerd. Der „Ruhrkampf“ als Krieg: Überlegungen zu einem verdrängten deutsch-französischen Konflikt. In: Krumeich, Gerd/Schröder, Joachim (Hrsg.). Der Schatten des Weltkriegs: Die Ruhrbesetzung 1923. Essen 2004. S. 9–24. Hier S. 9. 320 Weissmann, Adolf. Aus dem Berliner Musikleben. In: Hamburger Fremdenblatt, 13. 6. 1921. Zit. in: Muck 1, S. 499. Außerdem bestätigt ein Blick in die konservativen Musikzeitschriften jener Jahre Weissmanns Einschätzung, so in der „Neuen Zeitschrift für Musik“ (Leipzig) und der „Neuen Musik-Zeitung“, abgeschwächt auch in der „Allgemeinen Musik-Zeitung“. Entsprechend zahlreich sind zunächst jedoch auch die Versuche von liberaler und linker Seite, der sich abzeichnenden „Nationalisierung“ von Musik entgegenzutreten – in erster Linie in der Zeitschrift „Die Musik“ (Berlin), die über brillante Autoren wie Paul Bekker oder Adolf Weissmann verfügte. In analoger Weise zum musikpublizistischen Bereich lässt sich die Nationalisierungstendenz überdies auch für die deutsche Musikwissenschaft geltend machen: Vgl. dazu Potter, Pamela M. Most German of the Arts. Musicology and society from the Weimar Republic to the end of Hitler’s Reich. Yale 1998. Zur Politisierung des Musikdiskurses in der Weimarer Republik mit einem starken Fokus auf das konserva-
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Der Aufruf des Berliner Philharmonischen Orchesters fiel in die Zeit der Hyperinflation. Die städtische „Subvention“ von jährlich 60.000 Mark wurde zwar weiterhin geleistet und „in Angleichung an die Währungsverhältnisse in entsprechender Weise erhöht“,321 eine reale Anhebung der städtischen Beiträge322 an das Orchester erfolgte jedoch erst 1924.323 Trotz der finanziellen Schwierigkeiten vor allem aufgrund der Hyperinflation stand die relative Autonomie des Kollektivs des Berliner Philharmonischen Orchesters in der ersten Hälfte der 1920er-Jahre nicht infrage. Erst mit der sprunghaften Erhöhung der Subvention auf 360.000 RM im Jahr 1929 gingen städtische Interventionen einher, die für die Geschichte des Berliner Philharmonischen Orchesters eine einschneidende Zäsur bedeuteten: Die Stadt Berlin und das Orchester einigten sich auf dessen „Reorganisation“, aus der die „städtische[n] verstaatlichte[n] Philharmoniker“, so die zeitgenössische Wahrnehmung, hervorgingen.324 Im Zuge der euphemistisch als „Reorganisation“ bezeichneten Umgestaltung der Machtverhältnisse in der Organisationsstruktur des Orchesters wollten sich die Stadt Berlin und das Reich325 gemeinsam die Stimmenmehrheit im als GmbH verfassten Orchester sichern. Es war darum die Übernahme von Gesellschaftsanteilen durch Stadt und Reich geplant, was dem Orchester zu einem beträchtlichen Vermögenszuwachs verholfen hätte: „Um der Form zu genügen, sind Reich und Stadt Teilhaber der Gesellschaft geworden, die bisher aus 95 Anteilen zu 600 M[ark] bestand und über ein Vermögen von 97 000 M[ark] verfügte. Dieses Kapital ist um drei Anteile vermehrt worden, die allerdings einen Wert von 57 600 M[ark] besitzen, so daß Staat und Stadt eine Stimme mehr als die Philharmoniker haben.“326
321 322
323
324 325 326
tiv-nationalistische Lager vgl. ferner John, Eckhard. Musikbolschewismus. Die Politisierung der Musik in Deutschland 1918–1938. Stuttgart 1994. Bericht über die Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Philharmonischen Orchesters [undatiert]. BA, R 55/1144, 74. Anhand der Kurswertentwicklung der Reichsmark in diesem Zeitraum, wiederum gemessen am Pfund Sterling, stellt sich der Verlauf der Subventionen an das Berliner Philharmonische Orchester realiter als bis 1929 von einem starken Anstieg geprägt und für die Jahre 1930 bis 1932 wieder beträchtlich gesunken dar. Zwischen September 1924 und September 1931 war der Devisenkurs der Reichsmark, immer im Verhältnis zum Pfund Sterling, praktisch konstant. Erst ab diesem Zeitpunkt verstärkte sich die Inflation wiederum zusehends. Vgl. Schneider, Jürgen/Schwarzer, Oskar/Denzel, Markus A. (Hrsg.). Währungen der Welt II. Europäische und nordamerikanische Devisenkurse (1914–1951). Stuttgart 1997. S. 32. Für den detaillierten Verlauf der Subventionen an das Berliner Philharmonische Orchester s. Tab. 2 (S. 87). Soweit nicht anders gekennzeichnet, basiert die Tabelle auf dem Bericht über die Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Philharmonischen Orchesters [undatiert]. BA, R 55/1144, 74. Vgl. den Artikel mit gleichlautendem Titel in Vossische Zeitung, 23. 9. 1929 (Abendausgabe). Zit. in: Muck 2, S. 71. Der preußische Staat hingegen beteiligte sich nicht an der „Reorganisation“ der Berliner Philharmoniker. Vossische Zeitung, 23. 9. 1929 (Abendausgabe). Zit. in: Muck 2, S. 71. Das Gesamtvermögen betrug damit
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Tabelle 2: Subventionen an die Berliner Philharmoniker von 1924 bis 1933 Jahr
1 2 3
4 5
Stadt Berlin
Preußischer
Deutsches Reich
Insgesamt
(in RM)
Staat (in RM)
(in RM)
(in RM)
1924
80.000
25.000
-
105.000
1925
100.000
-
-
100.000
1926
170.000
-
10.000
180.000
1927
200.000
-
-
200.000
1928
125.0001
-
50.000
175.000
1929
360.0002
-
-
360.000
1930
240.0003
-
-
240.000
1931
180.0004
-
-
180.000
1932/33
180.0005
-
-
180.000
Das Jahrbuch der deutschen Musikorganisation 1931. Berlin [1931], S. 178, nennt einen veranschlagten Betrag von 170.000 Mark. Voranschlag, publiziert im Jahrbuch Musikorganisation, S. 178. Muck 2, S. 80. Außerdem beklagte sich Julius Prüwer, einer der Dirigenten des Berliner Philharmonischen Orchesters zu Beginn der Spielzeit 1931/32, darüber, dass vom Magistrat statt der längst bewilligten 120.000 Mark für das letzte Halbjahr bloß 60.000 Mark ausbezahlt worden seien, und erwähnt, dass das Orchester davor einen Abstrich von 360.000 Mark auf 240.000 Mark zu verkraften gehabt hätte. Für 1930 dürfte die Subvention darum tatsächlich 240.000 Mark betragen haben, auch wenn Zeitungsberichten zufolge für 1930 noch 360.000 Mark hätten ausbezahlt werden sollen. B. Z., 11. 11. 1931; Vossische Zeitung 11. 11. 1931. Zit. in: Muck 2, S. 88 f. Bezüglich der Subventionshöhe für die Saison 1931/32 widersprechen sich die beiden Zeitungen allerdings: gemäß B. Z. sollten es 240.000 Mark, gemäß Vossischer Zeitung jedoch bloß 180.000 Mark gewesen sein. Vossische Zeitung, 11. 11. 1931. Zit. in: Muck 2, S. 88. Gemäß Gesellschaftsvertrag des Berliner Philharmonischen Orchesters [1932]. ABPhO, G 10, Nr. 14: „Die Stadt verpflichtet sich, an die Gesellschaft eine Höchstquote von 2/3 desjenigen Betrages, der zum Ausgleich der Gesellschaftsbilanz für jedes Geschäftsjahr erforderlich ist, jedoch nur bis zu einem Höchstbetrage von 180.000.-- Reichsmark jährlich unter der Voraussetzung zu zahlen, daß der zur Zeit des Vertragsabschlusses bestehende Orchesterbetrieb aufrecht erhalten wird. Für den Rest des laufenden Geschäftsjahres 1932/33 der Gesellschaft (also vom 1. Oktober 1932 bis zum 31. März 1933) beläuft sich der Höchstbetrag auf 90.000 Reichsmark.“
114.000 Mark. Die Stadt Berlin beteiligte sich mit 36.000 Mark, das Reich mit 14.400 und der Stadtsyndikus Lange mit 7.200 Mark.
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3. Neue Wege und mehr Staat
Auch das Kräfteverhältnis im neu 13 Mitglieder zählenden Aufsichtsrat hätte sich massiv zu Lasten der Orchestermitglieder ausgewirkt: Die Stadtverordneten hätten fünf Vertreter ernannt, der Magistrat und das Reich je zwei, während den Orchestermitgliedern bloß vier Mandate zugestanden hätten.327 Und im Unterschied zur herkömmlichen Praxis wäre die bisher ausschließlich dem Orchester vorbehaltene Wahl seines Dirigenten nun der Zustimmung des Aufsichtsrats unterlegen. Diese „Reorganisation“ wurde jedoch vorläufig suspendiert, da eine Notverordnung des Kabinetts Brünings die Streichung der Reichssubventionen verfügte.328 Furtwängler intervenierte am 30. August 1930 beim Reichskanzler und wurde, gemäß einer Aktennotiz der Reichskanzlei, vom zuständigen Ministerialrat, der sich von der „Reorganisation“ eine verstärkte Einflussnahme auf das Orchester erhoffte, unterstützt: „Ministerialrat Dr. Donnevert teilte mit, dass der ursprünglich vom Reichsminister des Innern für 1930 beantragte Zuschuss für das Berliner Philharmonische Orchester in Höhe von 120.000 RM schliesslich gestrichen worden sei. Ministerialrat Donnevert bedauert die Streichung deshalb, weil auf diese Weise dem Reich jede Möglichkeit einer Einflussnahme auf das Orchester genommen wird.“329
Zwei Jahre später wurden die Verhandlungen um die „Reorganisation“ der Berliner Philharmoniker erneut aufgenommen. Sie fanden ihren Abschluss in einem Vertragswerk, das auch umgesetzt wurde.330 Gegenüber dem „Reorganisations“-Plan von 1929 äußerten sich die 327 Vossische Zeitung, 23. 9. 1929 (Abendausgabe). Zit. in: Muck 2, S. 71. 328 Kabinettssitzung vom 16. 4. 1930: „Der Reichsminister des Innern trug vor, daß der Reichsrat bei seinem Etat einen Betrag von 120 000 RM, der für die Erhaltung des Philharmonischen Orchesters vorgesehen sei, gestrichen habe. Er beantragte auch wegen dieses Postens eine Doppelvorlage. Der Reichsminister der Finanzen erhob keinen Widerspruch, und das Kabinett beschloß daraufhin auch diese Doppelvorlage. In der nachfolgenden Ministerbesprechung verzichtete der Reichsminister des Innern auf diese Doppelvorlage.“ Erdmann, Karl Dietrich/Booms, Hans (Hrsg.). Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik. Die Kabinette Brüning I u. II. 30. März 1930 bis 10. Oktober 1931; 10. Oktober 1931 bis 1. Juni 1932. Band 1. Boppard am Rhein 1982. S. 52. Vgl. Schreiben Furtwänglers an Reichskanzler Brüning vom 30. 8. 1930, in dem er die Streichung des „in Aussicht genommene[n] Zuschuss[es]“ aufgrund der Notverordnung beklagt und an Brüning appelliert, den Entscheid rückgängig zu machen. BA, R 43I/828. Vgl. außerdem den Vortrag von Wilhelm Furtwängler in der „Deutschen Gesellschaft 1914“ vom Februar 1932. Unveröffentlichtes Manuskript, S. 4. ABPhO G 1932-4. 329 Der Staatssekretär in der Reichskanzlei, Vermerk vom 5. 9. 1930. BA, R 43I/828. 330 Gesellschaftsvertrag [1932]. ABPhO, G 10, 23 ff. Stadt und Reich hatten die Zahlungen der vereinbarten Zuschüsse zugesichert, während Preußen eine Beteiligung an der Finanzierung der Berliner Philharmoniker wiederum ablehnte. Vgl. auch Lange, Friedrich C. A. Groß-Berliner Tagebuch 1920–1933. Berlin/Bonn 1982 [2. Auflage]. S. 175 (Eintrag vom 6. 10. 1932). Lange war Berliner Stadtsyndikus und seit April 1931 Bürgermeister der Stadt (SPD).
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dirigistischen Maßnahmen in dieser Neuauflage abermals deutlich verschärft. Am 28. Juni 1932 ließ das finanziell schwer angeschlagene Orchester mitteilen, es heiße den neuen Gesellschaftsvertrag, der es in Wirklichkeit weitgehend unter den Einfluss von Stadt und Reich zwang, gut: „Die heute versammelten Musiker des Berliner Philharmonischen Orchesters haben sich unter dem Druck der wirtschaftlichen Verhältnisse entschlossen, die von der Stadt Berlin vorgelegte Neufassung des Statuts anzunehmen und ihre Geschäftsführer zum Abschluss eines Vertrages über die wirtschaftlichen Beziehungen des Orchesters zur Stadt Berlin auf Grundlage der von der Stadt Berlin vorgelegten Formulierung zu ermächtigen, weil sie den Zusicherungen der berufenen Vertreter der Stadt Berlin vertrauen, dass die Bestimmungen des Statuts und der Vereinbarung in allen Punkten in entgegenkommender, die Selbständigkeit und die Erhaltung des Orchesters auf seiner künstlerischen Höhe keineswegs beeinträchtigender Weise ausgeführt werden sollen.“331
Der Autonomieverlust, der von diesem Vertrag ausging, war nicht zu übersehen. Neben dem Geschäftsführer und der Versammlung der Gesellschafter fungierte als drittes Organ der Gesellschaft ein Aufsichtsrat. Ihm gehörten „mindestens 17 Mitglieder“ an, wobei neun von der Stadt Berlin, je zwei vom Deutschen Reich und von der „Funkstunde-Aktiengesellschaft“332 gestellt wurden, während die restlichen „Geschäftsanteilinhaber zu 600 Reichsmark“, also sämtliche vollwertigen (und damit an der GmbH beteiligten) Orchestermusiker, gerade einmal vier Mitglieder in das Aufsichtsgremium entsenden durften. Und auch für den Fall einer Veränderung der Zusammensetzung des Aufsichtsrats hatte sich die Stadt Berlin die absolute Mehrheit gesichert, indem vertraglich festgehalten wurde, dass sie in jedem Fall ein Mitglied mehr als die Hälfte aller Aufsichtsratsmitglieder zu ernennen berechtigt sei. Zudem teilten sich Stadt und Reich das Präsidium: Präsident musste ein Vertreter der Stadt sein, als stellvertretender Präsident hatte einer der beiden Reichsvertreter zu walten. Faktisch war nun nicht mehr die Versammlung der Gesellschafter oberstes Organ, sondern der Aufsichtsrat: 331 Verhandlungsprotokoll vom 28. 6. 1932. ABPhO, G 10, Nr. 20 f. 332 Die am 1. Juni 1932 vereidigte Regierung Franz von Papens führte die verschiedenen Rundfunkgesellschaften umgehend der vollständigen Verstaatlichung zu. Vgl. Dussel, Konrad. Deutsche Rundfunkgeschichte. Konstanz 2004 [2. Auflage]. S. 74 ff. Darum werden die beiden Sitze der Funkstunde-Aktiengesellschaft im Aufsichtsrat des Berliner Philharmonischen Orchesters hier der Reichsseite zugezählt. Zur gouvernementalen Kontrolle des Rundfunks in der Weimarer Republik vgl. ferner Daniel, Ute. Die Politik der Propaganda. Zur Praxis gouvernementaler Selbstrepräsentation vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik. In: dies./ Wolfram Siemann (Hg.). Propaganda. Meinungskampf, Verführung und politische Sinnstiftung 1789–1989. Fischer, Frankfurt/Main 1994, S. 44–82. Hier S. 62–65.
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Die jährlich stattfindende Gesellschafterversammlung konnte nur diejenigen Aufsichtsräte „jederzeit abberufen“, die nicht Vertreter der Stadt, des Reichs oder der „Funkstunde“-Gesellschaft waren; außerdem war der Aufsichtsrat befugt, den Geschäftsführer des Orchesters bzw. dessen Stellvertreter zu ernennen. Zusätzlich unterstanden die operativen Geschäfte zur Gänze den Entscheidungen des Aufsichtsrats.333 Der Gesellschafterversammlung standen damit kaum noch Einflussmöglichkeiten auf personelle und organisatorische Entscheide offen. Mit diesem Vertragswerk war auch die Auflösung des Berliner Sinfonie-Orchesters verbunden,334 von dessen Mitgliederbestand ein Teil ins Berliner Philharmonische Orchester eingegliedert wurde.335 Dieser bei den Berliner Philharmonikern und ihrem Chefdirigenten Wilhelm Furtwängler äußerst unbeliebten Zusammenführung der beiden Orchester336 lagen Einsparungsmaßnahmen zugrunde, die den neuen Vertrag zu einem wesentlichen Teil diktierten: Noch kurze Zeit vor seiner Auflösung rangierte das Sinfonie-Orchester in der Bedeutung für das städtische Musikwesen – zumindest gemessen an den finanziellen Beiträgen Berlins an das Ensemble – dicht hinter dem Philharmonischen Orchester: 1928 erhielt dieses einen Zuschuss von 170.000 Mark, während das Sinfonie-Orchester mit 139.000 Mark unterstützt wurde; ein Jahr später betrugen die Subventionen für die Philharmoniker dann 360.000 Mark, jene für die Sinfoniker 210.000 Mark.337 Die Auflösung des SinfonieOrchesters brachte der Stadt Berlin also Einsparungen in beträchtlicher Höhe: Das Berliner Philharmonische Orchester wurde nach der Fusion mit dem Sinfonie-Orchester mit einem vergleichsweise geringen Betrag von 180.000 Mark in Form einer Defizitgarantie subventioniert. Damit floss die weggefallene Subvention des Sinfonie-Orchesters nicht einmal teilweise dem um 23 Sinfoniker erweiterten Philharmonischen Orchester zu:
333 Gemäß Gesellschaftsvertrag, § 15 hatte der Aufsichtsrat zu beschließen über: Gehaltsbezüge, Pensionierungen, Vergütung für die Geschäftsführer, Erwerb, Belastung und Veräußerung von Grundstücken, Abschlüsse von Pacht- und Mietverträgen über Grundstücke, Wahl aller Dirigenten des Orchesters und über die mit den Dirigenten abzuschließenden Verträge nach Anhörung der Geschäftsanteilsinhaber [sic], Abschluss von Dienstverträgen, Aufstellung des Haushaltsplanes, Geschäftsanweisung für die Geschäftsführer, Aufsichtsratsordnung, alle Verträge mit Konzertdirektionen, Rundfunkgesellschaften und sonstigen Konzertveranstaltern, alle sonstigen Verträge, falls sie auf eine längere Zeit als 1 Jahr abgeschlossen werden oder der Wert des Vertragsgegenstandes höher als 5.000 RM ist. ABPhO, G 10. 334 Das Berliner Sinfonie-Orchester ging 1922 aus dem 1907 gegründeten „Blüthner“-Orchester hervor. Vgl. Jahrbuch Musikorganisation, S. 244. 335 Gesellschaftsvertrag [1932]. ABPhO, G 10, 12. 336 Schreiben Furtwängler an den Berliner Oberbürgermeister (Heinrich Sahm), 24. 4. 1933. BA, R 55/1147. 337 Jahrbuch Musikorganisation, S. 178. Bis zum Geschäftsjahr 1928/29 subventionierte die Stadt Berlin das Philharmonische Orchester mit jeweils 200.000 RM. Schreiben des Polizeipräsidiums an das Ministerium des Innern vom 13. 10. 1931. Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep. 030-05, 3671.
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„Die Stadt verpflichtet sich, an die Gesellschaft eine Höchstquote von 2/3 desjenigen Betrages, der zum Ausgleich der Gesellschaftsbilanz für jedes Geschäftsjahr erforderlich ist, jedoch nur bis zu einem Höchstbetrage von 180.000 Reichsmark jährlich unter der Voraussetzung zu zahlen, dass der zur Zeit des Vertragsabschlusses bestehende Orchesterbetrieb aufrechterhalten wird.“338
Trotz der gegenüber den Vorjahren deutlich niedrigeren Subventionen hatten die finanziell stark angeschlagenen Berliner Philharmoniker kaum eine andere Wahl, als auf den von Stadt und Reich aufgesetzten Vertrag einzugehen. In seiner ganzen Tragweite wirkte sich die Unterordnung unter die städtisch-staatliche Verfügungsgewalt zwar erst nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten aus. Aber es dürfte kein Zufall gewesen sein, dass Stadt und Reich zu diesem Zeitpunkt die Subventionen zum Anlass nahmen, zumindest indirekt die Kontrolle über das Berliner Philharmonische Orchester zu übernehmen, denn eine solche Lösungsstrategie war eng an das dirigistisch ausgerichtete Regierungsverständnis der späten Weimarer Republik gekoppelt: Insbesondere die zweite Hälfte des Jahres 1929 war von einem folgenschweren Richtungswechsel in der inneren Politik der Weimarer Republik geprägt; die sich abzeichnende Abwendung vom parlamentarischen System kulminierte am 27. März 1930, als das sozialdemokratische Mehrheitskabinett demissionierte – damit war die letzte parlamentarische Regierung der Republik gefallen.339 Die Abwendung vom parlamentarischen System hin zu zunehmend autoritär regierenden Kabinetten bildete sich auch ab in den „Reorganisations“-Plänen von 1929 sowie in der Stärkung des Aufsichtsrats zulasten der Gesellschaftervereinigung, wie sie der Gesellschaftsvertrag des Berliner Philharmonischen Orchesters von 1932 festlegte. Das Bezugsgeflecht zwischen den Berliner Philharmonikern und staatspolitischen Interessen verdichtete sich im Laufe der 1920er-Jahre aber auch außerhalb der Organisation und Verwaltung des Orchesters. Die politischen Funktionen der Berliner Philharmoniker rückten mehr und mehr in den Mittelpunkt der Diskussion um deren Subventionierung. In der Sitzung der Stadtverordnetenversammlung vom 1. Dezember 1927, in der es um einen „weiteren Zuschuss“ an das Philharmonische Orchester ging,340 herrschte in der Diskussion quer durch die Parteien (als Redner zu diesem ausführlich besprochenen Traktandum traten Vertreter der 338 Gesellschaftsvertrag [1932], § 1. ABPhO, G 10, 14. 339 Vgl. Mommsen, Hans. Aufstieg und Untergang der Republik von Weimar 1918–1933. München 2001, S. 330 ff.; Diner, Dan. Das Jahrhundert verstehen. Eine universalhistorische Deutung. Fischer: Frankfurt a. Main 2001 [2.]. S. 135 ff. Dan Diner spricht gar von einem „Schicksalsdatum der neueren deutschen Geschichte“; es sei „ein entscheidendes Datum vor jenem zur negativen Zeitikone geronnenen 30. Januar 1933, dem Tag der Machtübertragung an Hitler“ (S. 135). 340 Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Berlin. Bd. 24: 1927–28. S. 938–941 (Sitzung vom 1. 12. 1927).
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3. Neue Wege und mehr Staat
politischen Mitte, der Deutschnationalen, der Sozialdemokraten sowie eine Vertreterin der Kommunisten auf ) bezeichnenderweise Einigkeit darüber, dass „ein Kunstinstitut wie das Philharmonische Orchester“ zweifellos erhalten bleiben müsse.341 Ein Stadtverordneter der Demokratischen Volkspartei argumentierte etwa: „Wenn man aber die Geschichte des Philharmonischen Orchesters, namentlich die Geschichte der Verbindungen der Stadt mit dem Orchester, sich einmal durch den Kopf gehen läßt, so begreift man, daß die Stadt die Philharmoniker in dieser Lage nicht im Stiche lassen kann, in der sie sich jetzt befinden. Schon im Jahre 1911 erklärte die Stadt Berlin, es müßte auch im Sommer ein Orchester in der Stadt vorhanden sein, das ihr gewissermaßen zur Verfügung steht oder wenigstens repräsentieren könne.“342
Und ein Parteikollege verwies insbesondere auf die außenpolitische Bedeutung des Orchesters: „Natürlich ist es ausgeschlossen, daß wir dem Philharmonischen Orchester den Lebensfaden abschneiden. [...] Das Philharmonische Orchester gehört immer noch zu den Institutionen, die den Namen Berlins im Auslande immer mehr populär machen und für den sonst manchmal etwas ramponierten Ruf der Reichshauptstadt im Auslande etwas tun.“343
Schon seit Längerem waren die Berliner Philharmoniker ins Blickfeld der deutschen Außenpolitik geraten. Die Entfaltung einer internationalen Deutschland-Werbung war bereits seit Beginn der 1920er-Jahre ein realpolitisches Bestreben der Reichsregierung: Im Oktober 1920 erweiterte sich das Auswärtige Amt um die Abteilung „Deutschtum im Ausland und kulturelle Angelegenheiten“, die sich bald als „Kulturabteilung“ etablierte344 und der neben den Bereichen der bildenden Künste, des Kunstgewerbes, der Kunstausstellungen, des Vortragswesens und internationaler Sportveranstaltungen auch die Betreuung von Musik und Theater im Ausland oblag.345 Die Aktivitäten deutscher KünstlerInnen im Ausland gestalteten sich bis zum Ende der Weimarer Republik großteils allerdings „reibungslos auf gut eingespielten pri341 Stenographische Berichte 24, S. 940 (Sitzung vom 1. 12. 1927). Sowohl die Abgeordneten Paul Hildebrandt (DDP), Koch (DNVP), Wilhelm Caspari (DVP) als auch Margarete Hoffmann-Gwinner (KPD) formulierten diese „Notwendigkeit“ in fast identischem Wortlaut. 342 Ebd., S. 938 (Sitzung vom 1. 12. 1927). 343 Ebd., S. 940 f. (Sitzung vom 1. 12. 1927). 344 Düwell, Kurt. Deutschlands auswärtige Kulturpolitik 1918–1932. Grundlinien und Dokumente. Köln/Wien 1976. S. 87. 345 Ebd., S. 91.
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vaten Bahnen“, so dass amtliche Mittel vor allem als ergänzende Hilfestellung geleistet worden sind.346 Dem Musikbereich wurde dabei eine zentrale Förderungsaufmerksamkeit zuteil; Musik wurde zum erfolgreichsten Gebiet, auf dem die staatliche Deutschland-Propaganda im Ausland operierte, sodass die Kulturabteilung im Auswärtigen Amt Ende der 1920er-Jahre unter ausdrücklicher Erwähnung des Berliner Philharmonischen Orchesters feststellte, die Erfolge deutscher Musik im Ausland würden kaum noch Wünsche offen lassen.347 Dem außenpolitischen Bedeutungszuwachs der Berliner Philharmoniker trug auch die Presse Rechnung. Die Blätter sämtlicher politischer Spektren verurteilten 1931 die Subventionskürzungen für die Philharmoniker. Von einem „Attentat auf die Musikstadt Berlin“ sprach etwa das nach links tendierende Boulevardblatt „B. Z.“ in seiner Ausgabe vom 11. November 1931348 und kritisierte damit den Beschluss des Haushalt-Ausschusses des Berliner Magistrats, die Subvention für das Berliner Philharmonische Orchester mit sofortiger Wirkung auf die Hälfte zu reduzieren.349 Neben künstlerischen Aspekten hob das Blatt insbesondere die „national-werbende Bedeutung“ der Philharmoniker hervor: „Die Reisen, die das Orchester mit Furtwängler alljährlich ins Ausland unternimmt, sind Triumphzüge deutscher Musik und Musikpflege. Das zu zerstören, wäre kulturelle Selbstverstümmelung.“350 Auch von liberaler Seite wurde mit Kritik am Magistratsentscheid nicht gespart. Die „Vossische Zeitung“351 kommentierte ihn am 11. November 1931: „Wird unser Musikleben seine Bedeutung, seine Suprematie behaupten können, wenn gerade das in aller Welt berühmte, durch Wilhelm Furtwängler auf eine so hohe Stufe gebracht, mit Anträgen vom Ausland überschüttete Philharmonische Orchester auch nur Schaden nimmt an seiner Leistungsfähigkeit? Wird sich nicht Dunkel verbreiten im Berliner Musikleben, wenn eine seiner Hauptleuchten an Leuchtkraft verliert oder gar gänzlich erlischt? Die Not der Zeit darf uns nicht verführen, einen unserer wertvollsten Kulturfaktoren zu vernichten: Sparsamkeit wäre in diesem Fall Verschwendung.“352 346 Ebd., S. 101. 347 Ebd., S. 180. Misha Asters belegloser Behauptung im Zusammenhang mit den Auslandsreisen der Berliner Philharmoniker, wonach es „kein besonderes Anliegen der deutschen Regierung während der 1920er Jahre [war], in anderen europäischen Ländern deutsche Kulturpropaganda zu betreiben“, kann unter Verweis auf die Aktivitäten der „Kulturabteilung“ des Auswärtigen Amtes nicht gefolgt werden. Aster, „Reichsorchester“, S. 39. 348 Zur politischen Ausrichtung der Zeitung vgl. Oschilewski, Walther G. Zeitungen in Berlin. Im Spiegel der Jahrhunderte. Berlin 1975. S. 142 ff. 349 B. Z., 11. 11. 1931. Zit. in: Muck 2, S. 88. 350 Ebd. 351 Zur politischen Richtung der Zeitung vgl. Oschilewski, Zeitungen, S. 172 ff. 352 Vossische Zeitung, 11. 11. 1931. Zit. in: Muck 2, S. 89.
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Und im am rechten Rand operierenden Boulevardblatt „Berliner Nachtausgabe“353 veröffentlichte der Dirigent und Leiter der „Populären Konzerte“ der Berliner Philharmoniker, Julius Prüwer, am 2. Oktober 1931 einen langen Artikel zur krisenhaften Lage des Orchesters, wobei auch er einen drohenden Niveauverlust im Orchester mit einer außenpolitischen Imageschwächung Deutschlands verknüpft sah: „Glaubt denn jemand, daß das Philharmonische Orchester bei einem so zwangsläufig gesenkten künstlerischen Niveau Gastspiele rechtfertigen könnte, noch dazu im Auslande, wo es gilt, überzeugende Beweise von der hohen Stufe deutscher Kunst zu geben? [...] Und was dieses Orchester für Deutschland bedeutet, hat einmal Herr von Hoesch, der deutsche Botschafter in Paris, sehr überzeugend ausgedrückt: ,Ihr seid unsere besten Diplomaten!‘“354
Auch Wilhelm Furtwängler bezog sich in einer Rede anlässlich des 50-jährigen Bestehens des Berliner Philharmonischen Orchesters355 1932 auf diesen musikalisch-diplomatischen Vorstoß in Frankreich und betonte die hohe außenpolitische Relevanz „dieses in mehrfacher Hinsicht kostbare[n] und für Berlin und die deutsche Kunst kaum ersetzbare[n] Instrument[s]“.356 Dabei ging er ausführlich auf die krisenhafte Situation des Orchesters ein und stellte sie primär als Gefährdung für das Prestige der deutschen Musik – und damit für Deutschland – im Ausland heraus, indem er etwa betonte: „Es ist schliesslich doch symptomatisch, wenn in den Tagen größter politischer Spannungen, da sich in Paris das erbitterte Ringen deutscher und französischer Staatsmänner und Sachverständiger um die Tribute vollzog – wenn in diesen selben Tagen dasselbe Paris dem deutschen Berliner Philharmonischen Orchester, das rein deutsche Programme spielte, vorbehaltlos zustimmte, ihm und der deutschen Musik einen bedingungslosen Erfolg bereitete.“357
Im „Verhältnis zum Auslande“ sei die Musik „sozusagen der einzige, rein-deutsche ,Ausfuhrartikel‘ [...]; zugleich eines der ganz wenigen Dinge, die wirklich zur Erhöhung unseres Prestiges in der Welt beitragen“.358 Die Erhaltung des Philharmonischen Orchesters „auf seiner jetzigen Höhe“, so Furtwängler weiter, sei einerseits eine kulturelle Pflicht, andererseits aber 353 Oschilewski, Zeitungen, S. 163 f. 354 Berliner Nachtausgabe, 2. 10. 1931. Zit. in: Muck 2, S. 88. 355 Auf die Rede gehe ich im Zusammenhang mit der Rezeptionsgeschichte der Berliner Philharmoniker in Kap. 6.2 noch detaillierter ein. 356 Unveröffentlichtes Manuskript, S. 7. ABPhO, G 1932, 4. 357 Ebd. 358 Ebd.
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auch „eine Angelegenheit des Prestiges, also gewissermaßen ein Gebot nationaler Klugheit“, vor allem wenn man bedenke, wie bescheiden die Zuschüsse seien, die das Orchester im Verhältnis zu anderen ähnlichen Kunstinstituten erhalte, und wie groß trotzdem der Zuwachs an Prestige sei, der durch das Orchester dem deutschen Musikleben und der Stadt Berlin als Musik-Zentrum in letzter Zeit zuteil geworden sei. Das Berliner Philharmonische Orchester sei in der Tat das einzige Orchester, das Deutschland den großen Konzert-Orchestern des Auslandes, Amerikas, Hollands, entgegenzusetzen habe, resümierte Furtwängler und doppelte nach: „[...] die Reisen [der Berliner Philharmoniker, F. T.], die übrigens auch dem Prestige von Berlin als Musikstadt nicht gerade nachteilig waren, müssen wieder aufgegeben werden in dem Moment, wo die heutige hohe Qualität des Orchesters nicht aufrecht erhalten werden kann.“359
Die verstärkte Kopplung zwischen der Konzertpraxis der Berliner Philharmoniker und staatspolitischen Zwecken war zu einem wesentlichen Teil Folge der zunehmenden finanziellen Abhängigkeit des Orchesters von Stadt und Reich: Der ökonomische Druck auf die Berliner Philharmoniker verstärkte sich nach und nach, wodurch sich auch ihr politischer Legitimationszwang steigerte. Die Weise, mit der politische Instanzen in die Organisation der Berliner Philharmoniker eingriffen, war jedoch von den allgemeinen politischen Verhältnissen diktiert. Während in der ersten Hälfte der 1920er-Jahre, als das Orchester bereits einen bedeutenden Subventionszuwachs verzeichnen konnte, die organisatorische Struktur des Orchesters noch nicht angetastet wurde, änderte sich dies in den späten 1920er-Jahren grundsätzlich. Der ab 1924 staatlich sanktionierte „Anti-Versailles-Feldzug“ der Nationalisten,360 die Parlamentsfeindlichkeit großer Teile der Funktionseliten, der Medien, der Rechtsprechung, der Wissenschaft und des ,Bildungsbürgertums‘, dies alles führte schließlich zu einer Verselbstständigung der Exekutive gegenüber der Volksvertretung, welche sich bereits seit Ende 1923 anbahnte und 1930 in den Präsidialkabinetten mündete.361 Dies waren die politischen Voraussetzungen für den „Reorganisations“-Plan von 1929 und für den Gesellschaftsvertrag des Berliner Philharmonischen Orchesters von 1932, der dieses weitgehend der Kontrolle der politischen Instanzen unterstellte. Die Politisierung der Berliner Philharmoniker war damit bereits vor der Machtübergabe an die Nationalsozialisten weit vorangeschritten, sodass die Übernahme des Orchesters durch Goebbels Ministerium 1934 keineswegs jenen Bruch bedeutete, als den ihn die Forschung 359 Ebd., S. 9 und S. 11. ABPhO, G 1932, 4. 360 Mommsen, Aufstieg, S. 238 f. 361 Ebd., S. 246.
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bisweilen herausstellt: Misha Aster erwähnt zwar die drohende Autonomieeinschränkung, die vom „Reorganisations“-Plan von 1929 ausging,362 auf den ungleich autoritärer abgefassten und auch umgesetzten Vertrag von 1932 geht er jedoch überhaupt nicht ein, während Pamela Potter erst in der ,Gleichschaltung‘ durch Goebbels „a shift in power and an unprecedented degreee of outside interference in the inner workings of the organization“ des Berliner Philharmonischen Orchesters ausmacht.363 In Wirklichkeit wurde diese ‚Gleichschaltung‘ jedoch bereits in den Jahren zwischen 1929 und 1932 angelegt.
3.4 Unterschiedliche Staatsanbindungen der Berliner und Wiener Philharmoniker Während sich die Politisierung des Berliner Philharmonischen Orchesters allein schon durch die zunehmende politische Kontrolle seiner inneren Organisation und Verwaltung äußerte, verlief sie bei den Wiener Philharmonikern weniger offensichtlich: Sie vollzog sich nicht auf der Ebene der direkten politischen Einflussnahme auf die Orchesterorganisation, sondern in erster Linie über die enge Anbindung an das politisch hoch aufgeladene ,Musikstadt‘-Label sowie (insbesondere nach 1933) über persönliche Verflechtungen zwischen philharmonischer Leitung und staatlicher Bürokratie. Von einer „freiwillige[n] politische[n] Abstinenz“ der Wiener Philharmoniker364 kann jedenfalls nicht gesprochen werden, einmal abgesehen davon, dass die Wiener Philharmoniker in ihrer Eigenschaft als Staatsopernmusiker ohne hin Mitglieder einer staatlichen Körperschaft waren. Dass diese Abstinenz, so Clemens Hellsberg, nicht habe verhindern können, dass die Philharmoniker „seit den Gründungstagen politischen Interessen und Vereinnahmungen ausgesetzt“ gewesen seien,365 widerlegt die Existenz der Abstinenz gleich selbst. Aber auch von „politischen Vereinnahmungen“ des Orchesters zu sprechen ist nur teilweise zutreffend, da seine Politisierung nicht als einseitig erfolgte Instrumentalisierung durch politische Instanzen erfolgte. Die Grundlage der Politisierung der Wiener Philharmoniker in der Ersten Republik bestand vielmehr in der Ausgestaltung der wechselseitigen Abhängigkeiten der offiziellen Politik auf der einen und den Aktivitäten, aber auch dem Renommee des Orchesters auf der anderen Seite. Die Mehrzahl der auf Musik bezogenen Zeichensetzungen und Feste waren in Wien zumindest bis zum Ersten Weltkrieg insgesamt auf die Initiative privater Komitees zu-
362 Aster, „Reichsorchester“, S. 40 ff. 363 Potter, Nazi „Seizure“, S. 41. 364 Hellsberg, Clemens. Die Wiener Philharmoniker im Wandel der politischen Systeme Österreichs. In: Österreichische Musikzeitschrift. 51. Jahrgang. Nr. 2–3/1996. S. 144–146. Hier S. 144 f. 365 Ebd., S. 144 f.
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rückzuführen gewesen; wie Martina Nußbaumer betont, handelte es sich bei der ,Musikstadt‘ bis zu diesem Zeitpunkt um kein genuin offizielles, vonseiten des Hofes oder der Behörden entworfenes Bild der Stadt.366 Dies änderte sich nach 1919 gründlich: Der ,Musikstadt Wien‘Topos erfuhr eine politische Aufladung und dies nicht erst unter dem autoritären Dollfuß/ Schuschnigg-Regime. Dass der Musik in der Ersten Republik eine geradezu „staatstragende Funktion“ zugekommen sei, wie dies etwa die Musikhistorikerin Gabriele Johanna Eder geltend macht,367 wäre gleichwohl dahingehend zu präzisieren, dass die Erste Republik um eine Selbstdefinition oder, wenn man so will, um eine Identitätskonstruktion bemüht war, in der die musikalische Vergangenheit eine konstitutive Bedeutung innehatte; die politischen Instanzen – und auch die Parteien von links bis rechts368 – knüpften gern an die Bedeutung der musikalischen Vergangenheit an, wenn es darum ging, die Aufgaben und den Charakter der jungen österreichischen Republik zu definieren. Aber ob daraus eine eigentliche „staatstragende Funktion“ von Musik ableitbar ist, dürfte nicht zu beantworten sein, solange die Frage, inwiefern eine über Elitendiskurse hinausreichende Rezeption der Relevanz von Musik stattgefunden habe, ungeklärt ist.369 Was sich jedoch sagen lässt, ist, dass im Verbund mit diesem intensiv geführten Elitendiskurs aufwändig gestaltete Musikfeste in Wien seit 1919 zunahmen und dass damit eine Verdichtung der Präsenz von musikalischer ,Hochkultur‘ im öffentlichen Raum einherging. Dabei fungierten zunehmend öffentliche Institutionen sowohl als Veranstalterinnen von Musikfesten wie auch als Auftraggeberinnen für die Produktion musikalischer Werke,370 obwohl die finanziellen Mittel in den öffentlichen Kassen äußerst begrenzt waren.371 Gerade was die budgetäre Ausgangslage des Wiener Kulturbereichs anbelangt, unterschied sie sich eklatant von jener Berlins, wie die Musikhistorikerin Susanne Rode-Breymann am Beispiel der finanzpolitischen Situation der Berliner und der Wiener Staatsoper aufzeigen konnte:372 Abgesehen von günstigeren kulturkonzeptuellen Zusammenhängen und personellen Rahmenbedingungen habe es die Berliner Staatsoper auch in finanzieller Hinsicht leichter 366 367 368 369
Nußbaumer, Musikstadt, S. 358. Eder, Musikfeste, S. 20. Ebd., S. 3 f. So betont Martina Nußbaumer im Fazit ihrer Studie zur ,Musikstadt‘, dass trotz der Bandbreite der in den Blick genommenen Diskurse die Frage nach der individuellen Aneignung der ,Musikstadt‘ in der breiten Bevölkerung offen bleiben müsse und weist darauf hin, dass sich auch über Medien wie die „ArbeiterZeitung“ letztlich immer nur Elitendiskurse fassen ließen. Nußbaumer, Musikstadt, S. 362. 370 Vgl. Flotzinger, Musik, S. 653. 371 Eder, Musikfeste, S. 3. 372 Rode-Breymann, Susanne. „Alte“ und „Neue“ Musikmetropolen. Wien und Berlin vor und nach 1918. In: Rathert, Wolfgang/Schubert, Giselher (Hrsg.). Musikkultur in der Weimarer Republik. Mainz 2001. S. 42–53.
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gehabt als das Wiener Institut. Bis 1925 seien in Berlin die früheren Hoftheater aus Erträgen des Hohenzollernvermögens finanziert worden und hätten den Etat dementsprechend nicht belastet; erst 1926 seien sie erstmals im Haushaltsplan des Kultusministeriums aufgeschienen. In Wien hingegen seien die Staatstheater von Anfang an Teil des ministeriellen Haushalts gewesen, so dass sich das innovationsfeindliche Gefeilsche um die Finanzen zwischen Direktion und Ministerium 1919 sofort „einzuspuren“ begonnen habe, wodurch sich ein Klima des Misstrauens gegen neue Ideen und neue Personen habe ausbreiten können.373 Aber der kulturpolitische Ehrgeiz Preußens sei ohnehin in eine andere Richtung gegangen als jener Wiens, so Rode-Breymann. Man sei sich dort auch auf ministerieller Seite der Notwendigkeit eines wirklichen Neuanfangs und einer Öffnung zum Modernen bewusst gewesen; das preußische Kultusministerium habe dementsprechend eine vollkommen andere Berufungspolitik betrieben, für die Kestenberg als Referent für das Musikleben die entscheidende Rolle gespielt habe.374 Die Verweigerung finanzieller Unterstützung für das Berliner Philharmonische Orchester, so lässt sich daraus ableiten, dürfte unter anderem auch daher gerührt haben, dass Preußen weniger an der Förderung einer solchen etablierten Institution, die ohnehin andere – vor allem städtische – Mittel zur Verfügung hatte, interessiert war als vielmehr an musikpolitischen Experimenten, die vornehmlich einer volkspädagogischen Leitidee unterstanden: „Durch diese ganze Politik geht ein einheitlicher Gedanke, es ist der einer im höchsten Sinne pädagogischen Einstellung zur Kunst, nicht als ob die Kunst geschulmeistert werden sollte, sondern die Kunst wird als eines der höchsten und bedeutungsvollsten Elemente zur Begründung einer echten Volksbildung gewertet. Wohlverstanden einer Bildung des gesamten Volkes, aller seiner Schichten. Man hat das wohl auch die Sozialisierung der Kunst genannt. Demgegenüber steht der reine l’Art pour l’Art-Standpunkt, den man im Gegensatz zum pädagogischen den artistischen nennen kann. Für ihn ist die Kunst doch in letzter Linie eine esoterische Angelegenheit der wenigen wirklich letzthin Sachverständigen. Dieser Kreis schließt sich nun wieder zu einem Interessenkreis, man kann sagen, einer Art von Zunft zusammen, die ihre Interessen wahrt und wahren muß. Experimente wie Kroll scheinen ihr verhängnisvoll, sie sehen das Niveau der Staatsoper bedroht, und sie verstehen vor allem nicht, daß dem Ministerium nicht nur die technisch und historisch überlieferte Musik von Bedeutung ist, sondern die Musikalität als lebender see-
373 Ebd., S. 52. 374 Ebd. Zu Kestenbergs Berufungspolitik vgl. etwa Freunde, Kritiker und Mitstreiter – Kestenbergs Berufungspolitik (1918–1932). URL: http://www.leo-kestenberg.com/musikpaedagogen-kulturpolitiker/info. cfm?cfgSection=musikpolitik&cfgSousSection=berufungspolitik&noPageSiteInternet=215 [Stand: 3. 1. 2009].
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lischer Ausdruck: daß das Ministerium deshalb alle die oft dilettantischen, aber schöpferischen Kräfte fördern muß, die z. B. aus der Jugendbewegung kommen wie die Laienspiele, die musikalischen Spielgemeinden, Bewegungen, wie sie im Jöde-Kreis und in den Volksmusikhochschulen lebendig geworden sind.“375
In Bezug auf die städtisch-staatlich sanktionierte Produktion und Aufführungspraxis von Musik beschritt Wien (und Österreich insgesamt)376 hingegen den umgekehrten Weg. Die rückwärtsgewandte Musikrezeption im Wien der späten Donaumonarchie setzte sich in der Ersten Republik (und darüber hinaus), zumindest was den offiziellen Musikbetrieb anbelangt, verstärkt fort.377 Als repräsentatives Schwergewicht der ,Musikstadt‘ wirkten auch die Wiener Philharmoniker kräftig an deren vergangenheitsbezogener Kontextualisierung mit. Die Wiener Philharmoniker schrieben sich ab Mitte der 1920er-Jahre aber auch außerhalb ihrer musikalischen Tätigkeit in den ,Musikstadt‘-Topos ein, etwa indem sie 1924 erstmals einen eigenen Ball veranstalteten. Mit der Einführung dieses „Philharmonikerballes“ ließ sich das Profil des Orchesters als einer relevanten gesellschaftlichen Institution ebenso konturieren, wie die konkrete Ausgestaltung des Balls die Elitenbindung der Philharmoniker zu bestätigen mithalf. Als Veranstaltungsort wählte man die zentrale Wirkungsstelle des Orchesters: das Musikvereinsgebäude. Außerdem sollte die Eröffnung des Balles in Form eines „Künstlergrußes“ durch die Philharmoniker unter der Leitung eines Spitzendirigenten – 1924 war es der Abonnementdirigent Felix von Weingartner – erfolgen.378 Höchste Vertreter der 375 Becker C[arl]. H[einrich]. Die preußische Kunstpolitik und der Fall Schillings [1925]. In: Grimme, Adolf/ Zilins, Wilhelm (Hrsg). Kulturverwaltung der Zwanziger Jahre. Alte Dokumente und neue Beiträge. Stuttgart 1961. S. 129–133. Hier S. 129 f. Becker (1876–1933) war Orientalist und 1921 sowie 1925 bis 1930 (parteiloser) preußischer Kultusminister. Das vorliegende Zitat stammt aus einer Stellungnahme zur Entlassung des Opernintendanten Max von Schillings (1868–1933), eines erklärten Gegners der Weimarer Republik und nachmaligen NSDAP-Mitglieds, dem 1932 das Amt des Präsidenten der Preußischen Akademie der Künste (als Nachfolger von Max Liebermann) übertragen wurde und der zudem zwischen März und Juli 1933 als Intendant der Städtischen Oper Berlin waltete. Vgl. den Eintrag zu Schillings in Killy, Walther/Vierhaus, Rudolf (Hrsg.). Deutsche Biographische Enzyklopädie. Bd. 8. München/New Providence/London/Paris 2007. S. 864. 376 Vgl. Flotzinger, Musik, S. 651, wonach die kulturpolitischen Verhältnisse, wie sie in Wien vorherrschten, „einigermaßen“ für Österreich verallgemeinert werden könnten. 377 Übereinstimmend Nußbaumer, Musikstadt, S. 356; Rode-Breymann, Musikmetropolen, S. 43; Eder, Musikfeste, S. 360. Allerdings existierten auch in Wien gegenläufige Entwicklungen zum konservativen offiziellen Musikbetrieb, etwa der von Schönberg gegründete „Verein für Privataufführungen“, der sich nicht nur für die Aufführung zeitgenössischer Musik einsetzte, sondern auch neue Konzertformen ausprobierte. Vgl. Statuten des Vereins für musikalische Privataufführungen in Wien [1918]; online verfügbar unter der URL: http://www.schoenberg.org/6_archiv/verein/verein_statuten.htm [Stand: 3. 1. 2009]. 378 Hellsberg, Demokratie, S. 412.
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Politik hatten neben der „Crème der heimischen Künstlerelite“379 im „Ehrenkomitee“ des Balles Einsitz: der österreichische Bundespräsident Michael Hainisch ebenso wie der Wiener Bürgermeister Karl Seitz. Dieser gesellschaftliche Aktionismus des Orchesters diente also nicht nur einem ökonomischen Zweck, wenn auch bereits der erste Ball zum finanziellen Erfolg wurde.380 Die philharmonische Ballveranstaltung war vielmehr auch eine materiale Bestätigung seiner bisher vor allem medial inszenierten Wien-Bindung und markierte zugleich den Status der Philharmoniker als eines privaten Vereins: Bälle waren Privatsache und wurden von Vereinen, politischen Gruppen, Klubs, Studentenverbindungen oder Hotels veranstaltet.381 Als ein solcher Verein (und eben gerade nicht als politisch kontrollierte und verwaltete Institution) wirkten die Wiener Philharmoniker über die Aufführung von Musik hinaus an der Verdichtung des ,Musikstadt Wien‘-Topos mit, über den sie umgekehrt ihre Legitimation als autonomes Orchester bezogen. Die Aktivitäten der Wiener Philharmoniker erfüllten damit politische Funktionen, ohne dass dazu auch nur geringfügige Eingriffe in ihre organisatorische Struktur seitens politischer Instanzen notwendig gewesen wären. Eine solche Funktion der Wiener Philharmoniker bestand (nicht anders als beim Berliner Philharmonischen Orchester) im Abhalten von Konzertreisen. Sie wurden bisweilen als Werbefahrten für staatspolitische Anliegen inszeniert: „Herrmann berichtet über die Grazer Konzerte. Zur Ankunft der Philh. waren der Landeshauptmann und der Bürgermeister erschienen. [...] In seiner Rede betonte er, dass unsere Reisen zum politischen Verständnis beitragen, indem sie nicht nur die Bundesländer, sondern auch das Ausland uns näher bringen, was besonders unsere Erfolge in Südamerika u. Paris bewiesen haben.“382
Auch im Ausland fungierten die Wiener Philharmoniker bisweilen als Übermittler politischer Botschaften. So stellte die Deutschlandtournee, die das Orchester 1925 unternahm,383 eine Art Manifest zugunsten der politischen ,Anschluss‘-Bestrebungen Österreichs an Deutschland dar. Das „Neue Wiener Abendblatt“ etwa lieferte einen ausführlichen Bericht über den Tourneeabschluss in München; die kurze, euphorische Konzertbesprechung bildete dabei ein bloßes Anhängsel, während sich der Hauptteil des Textes auf die Zusammenfassung der diversen politisch eingefärbten Begrüßungsansprachen bezog: 379 Ebd., S. 411. 380 Ebd., S. 412. 381 Kus, Monika. Das Wiener Ballwesen aus geschichtlicher, sozialer und wirtschaftlicher Sicht. Diplomarbeit an der Wirtschaftsuniversität Wien 1987. S. 1. 382 Prot. KS, 17. 6. 1924. A-Pr-024, 13. 383 Wiener Philharmoniker (Hrsg.). Wiener Philharmoniker 1842–1942. Statistik. Wien–Leipzig 1942. S. 95–98. Hier S. 96.
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„Gestern Mittag wurden die Wiener Philharmoniker durch die Stadt München im Rathause begrüßt. [...] Bürgermeister Scharnagl hielt an die Wiener Gäste, zu deren Empfang sich noch mehrere Vertreter des Stadtrates, der österreichische Generalkonsul Dr. v. Günther, Staatsrat Horn, der Direktor der Akademie von Waltershausen und andre eingefunden hatten, eine längere Ansprache, der wir folgende wirksame Sätze entnehmen: Die Verbindungen zwischen Wien und München sind alt und wohlbekannt und durch zahlreiche Besucher bekräftigt. Wir begrüßen Sie als die Sendboten der Zusammengehörigkeit aller deutschfühlenden und deutschgesinnten Volksteile; ob sie nun diesseits oder jenseits dieser unnatürlichen Grenzen wohnen, ob auch die Vereinigung, die unausbleiblich ist, früher oder später kommt, nichts wird die Kulturzusammengehörigkeit trennen können, zu der wir uns bekennen. Sie in Wien, wir in München. Akademiedirektor v. Waltershausen sprach den Willkomm im Namen der Akademie der Tonkunst und insbesondere des Münchner Tonkünstlervereines. Er betonte den Wert der Persönlichkeit in einem großen Orchester und schloß: Diese Konzertreise ist nicht eine Frage der Musik, sondern eine Frage des ganzen deutschen Geisteslebens und der ganzen deutschen Zukunft. Der österreichische Generalkonsul Dr. v. Günther wies darauf hin, daß Österreich, das altkultivierte, vielleicht zu bescheiden sei. Seine politische Macht habe Österreich zwar verloren, aber nicht das Erbe der Tradition. Das Schlusswort sprach der Vorstand der Philharmoniker Professor Wunderer. Er gab einen Ueberblick über die reichen Erlebnisse, die die Philharmoniker in Deutschland gesammelt haben, nicht nur auf dem Gebiet der Kunst, sondern auch der Technik. Diese Bilder wollen wir, sagte er, mit nach Oesterreich nehmen und davon erzählen. Das ist alles, was arme Musiker tun können!“384
Auf wessen Initiative diese Reise zurückging – ob auf Veranlassung der österreichischen oder aber auf Einladung der deutschen Behörden –, lässt sich nicht eruieren.385 Die außenpolitische Funktionalisierung der Wiener Philharmoniker wird anhand dieses Berichts dennoch überdeutlich. Darum wussten auch die Philharmoniker, selbst wenn sich der Orchestervorstand scheinbar unpolitisch gebärdete. Anhand von Reisenotizen eines Orchestermitglieds, das die Reise als dezidiert politisch klassifizierte, wird deutlich, dass offenbar nicht nur das Münchner Konzert, sondern die gesamte Tournee Bestandteil einer deutsch-österreichischen ,Anschluss‘-Propaganda war:
384 Die Wiener Philharmoniker in München. Empfang im Rathause. In: Neues Wiener Abendblatt, 4. 7. 1925, S. 2. 385 Die Protokolle zu den Komiteesitzungen wie auch zu den Hauptversammlungen enden per 31. März 1925 und sind erst ab April 1933 (Hauptversammlungen) bzw. ab Mai 1938 (Komiteesitzungen und Hauptversammlungen) wieder im HAWPh greifbar; die Protokolle vor März 1925 vermerken über diese Reise nichts.
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„19. Juni, Berlin: ,Empfang am Bahnhof Ansprache durch Vertreter des Reichstagspräsidenten [...]; beim Konzert Ansprache des Reichstagspr[äsidenten] Löbe – hochpolitisch (Anschluß). Concert in der Philharmonie – übervoll. Nachher Empfang [...] – wieder sehr politische Reden!‘ – 20. Juni, Lübeck: ,Ansprache (polit.) durch Senator Vermehren!‘ – 22. Juni, Hamburg: ,Um 12 h Ansprache im Rathaus, hierauf Probe‘. – 24. Juni, Magdeburg: ,Empfang am Bahnhof durch Bürgermeister, Stadtvertretung, Polizei, Militär, singende Kinder, Musik; [...] Ansprache vor dem Stadttheater durch Regierungsvertreter [–] sehr politische Rede auf den Anschluss.‘“386
Nach außen gaben sich die Wiener Philharmoniker nichtsdestotrotz betont unpolitisch. In deutlichem Kontrast zum Berliner Philharmonischen Orchester, dessen politische Funktionen immer stärker zur offen ausgesprochenen Legitimationsbasis seiner Existenz wurden, wiesen sich die Wiener Philharmoniker nicht über ihre direkten politischen Funktionen, sondern über die Bedeutung, die ihnen in Bezug auf die ,Musikstadt Wien‘ zukam, aus. Der später von den Nationalsozialisten als „kommissarischer Leiter“ eingesetzte Wilhelm Jerger beschrieb, damals noch als einfaches Orchestermitglied, anlässlich des 85-jährigen Jubiläums der Wiener Philharmoniker die Bedeutung der Auslandskonzerte des Orchesters so: „Heute gilt das Wiener Meisterorchester als einwandfrei anerkannt bestes Orchester der Welt. Das bezeugen recht deutlich die vielen und ausgedehnten Reisen. [...] So sind die Philharmoniker im Ausland die geschätztesten Vertreter des kostbarsten Wiener Kunstbesitzes, der Wiener Musik, geworden.“387
386 Dengler, Erwin. Tagebuch [unveröffentlicht]. Zit. in: Hellsberg, Demokratie, S. 418. 387 Jerger, Wilhelm. Aus der Geschichte einer Wiener Musikervereinigung. 85 Jahre Wiener Philharmonisches Orchester. In: Reichspost, 5. 11. 1927, S. 1 f.
4. Kontinuierlich radikalisiert: Die beiden Orchester in Faschismus und Nationalsozialismus
„Aber der Deutsche, dieser gutmütige Stellungspflichtige jeder Weltanschauung, die über ihn mit Bajonetten Gewalt bekommt, läßt sich ja in seinen Käfigen immer nur zu gern mit der Musik als der neutralen, überpolitischen Speise füttern, die ihn vergessen macht, daß er der Häftling der Politik ist.“388 Anton Kuh, Der übernationale Dirigent
Die Machtübergabe an die Nationalsozialisten in Deutschland Ende Januar 1933 sowie das „Ermächtigungsgesetz“ vom März 1933, mit dem die Diktatur des Nationalsozialismus endgültig besiegelt wurde, hatten nicht nur verheerende Auswirkungen auf die deutsche Innenpolitik, sondern definierten unter anderem auch das Verhältnis Österreichs zu Deutschland neu, zumal der österreichische Bundeskanzler Engelbert Dollfuß nach der Außerkraftsetzung des österreichischen Parlaments ein autoritäres Regime389 installierte, das 1934 dazu überging, die innerstaatliche Opposition zu eliminieren, zu der auch die Nationalsozialisten gehörten. Insbesondere für die Politisierung der Wiener Philharmoniker bildete dieses machtpolitische Gefüge zwischen Deutschland und Österreich bis zum ,Anschluss‘ im März 1938 den bestimmenden 388 Kuh, Anton. Der übernationale Dirigent. In: Ders. Luftlinien. Feuilletons, Essays und Publizistik. Hrsg. von Ruth Greuner. S. 491–497. Hier S. 495. 389 Die gängigsten beiden Bezeichnungen ,Ständestaat‘ und ,Austrofaschismus‘ für das Dollfuss-/SchuschniggRegime zwischen 1933 und 1938 sind in der Forschung seit Längerem in Diskussion. Vgl. etwa die terminologische Diskussion bei Tálos, Emmerich. Das austrofaschistische Herrschaftssystem. In: ders./Neugebauer, Wolfgang (Hrsg.). „Austrofaschismus“. Beiträge über Politik, Ökonomie und Kultur 1934–1938. Wien 2005 [1984]. S. 394–420. Hier S. 415 ff.) Im Folgenden verwende ich die Bezeichnung ,Austrofaschismus‘; gegenüber der Bezeichnung ,Ständestaat‘ hat ,Austrofaschismus‘ zumindest den Vorteil, dass diese Bezeichnung keine Staatsform suggeriert, die Österreich auch damals nicht hatte, sondern mehr anzeigt als klar umreißt, was bis heute nicht klar umrissen werden konnte – und vielleicht auch gar nicht klar umrissen werden wollte. Um die Ambivalenz der Bezeichnung zu unterstreichen, setze ich sie jeweils in einfache Anführungszeichen.
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Rahmen: das ,austrofaschistische‘ Österreich versuchte mit allen Mitteln, seine Eigenstaatlichkeit gegenüber Deutschland zu bewahren und strengte dazu auch die Instrumentalisierung von künstlerischen Institutionen an. Mit dem ,Anschluss‘ ging diese bilaterale Abgrenzungsstrategie Österreichs und Wiens gegen Deutschland und Berlin in einen innerdeutschen Wettbewerb über, der sich auf dem Gebiet der Kulturpolitik zwischen Wien und Berlin besonders pointiert äußerte. Der Antagonismus der beiden Städte war durch den ,Anschluss‘ keineswegs kleiner geworden, sondern setzte sich, nun unter veränderten Vorzeichen, weiter fort. Von diesem Wandel war auch die Politisierung der Wiener Philharmoniker bestimmt. Wie sie sich im ,Austrofaschismus‘ äußerte und inwiefern sie sich durch den ,Anschluss‘ veränderte, ist Thema des zweiten Teils dieses Kapitels. Vor dem Hintergrund der Kompetenzstreitigkeiten zwischen Wien und Berlin, die durch den ,Anschluss‘ ent facht wurden und insbesondere den Bereich der Kulturpolitik maßgeblich erfassten, soll dabei auch analysiert werden, welche Rolle den Wiener Philharmonikern in der Ausgestaltung des innerdeutschen Kulturwettbewerbs zukam. Die Machtübertragung an die Nationalsozialisten brachte aber auch für den deutschen Kulturbetrieb einschneidende Veränderungen mit sich. Einer ihrer Eckpunkte war die Gründung der Reichskulturkammer im September 1933, welche die Zwangsmitgliedschaft für sämtliche im Kunstbereich tätigen Personen vorschrieb und eine Art „kulturpolitisches Ermächtigungsgesetz“ für Goebbels darstellte.390 Von Goebbels’ kulturpolitischer Machtposition blieb auch das Berliner Philharmonische Orchester selbst nicht unberührt: Auch an ihm vollzogen sich drastische Veränderungen. Seine Umwandlung in einen Staatsbetrieb, wie sie sich bereits seit 1929 angekündigt hatte, wurde Anfang 1934 restlos umgesetzt. Fortan unterstand das Orchester Goebbels’ Aufsicht. Wie sich die Besetzung der Orchesterorganisation durch den Staat genau abspielte und vor allem, was dies für die Politisierung der Berliner Philharmoniker bedeutete, wird im nun folgenden Teil dieses Kapitels genauer untersucht.
4.1 Die Berliner Philharmoniker werden zum „Reichsorchester“ Die seit 1929 diskutierten „Reorganisations“-Pläne des Orchesters beziehungsweise die 1932 schließlich umgesetzte Neuordnung der Machtverhältnisse innerhalb der Orchesterorganisation, welche für die Orchestermitglieder einen einschneidenden Autonomieverlust bedeutete, ebneten den Weg zur vollumfänglichen Eingliederung der Berliner Philharmoniker in den Staat. Die Nationalsozialisten zögerten nach der Machtübergabe vom 30. Januar 1933 denn auch nicht lange, das Orchester vollends der staatlichen Verwaltung zu unterstellen. 390 Dahm, Volker. Das jüdische Buch im Dritten Reich. München 1993, S. 29.
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Zunächst waren die Berliner Philharmoniker jedoch Gegenstand zahlreicher Debatten zwischen diversen Ministerien und Ämtern, so dem Berliner Oberbürgermeister, dem Preußischen Ministerpräsidenten, dem Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda sowie den Reichsministern des Innern und der Finanzen. Im Mittelpunkt stand dabei die auch vor 1933 immer wieder diskutierte Frage nach der Finanzierung des Orchesters: Sollte sie weiterhin von der Stadt Berlin oder aber stärker als bisher vom Reich und vom Preußischen Staat mitgetragen werden?391 Die Verhandlungen von 1933 wiesen rasch in eine andere Richtung: Das Reich wurde, verkörpert durch das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP), zum Hauptträger der finanziellen Unterstützung für das Orchester. Dass die Verlagerung der Subventionierung des Orchesters auf den Reichshaushalt und damit die ,Nationalisierung‘ der Berliner Philharmoniker nicht schon eher stattgefunden hatte, führt die Musikhistorikerin Pamela Potter darauf zurück, dass das Reich vor 1933 nicht über eine Kulturbehörde verfügte: Verhandlungen zwischen dem Orchester und dem Reich hätten darum jeweils in einem zermürbenden Hin und Her zwischen dem Innen- und dem Finanzministerium gemündet. Die neu geschaffene, zentrale Kulturbehörde, wie sie das RMVP darstellte, habe für das Orchester nach Jahren „frustierender“ Verhandlungen mit den beiden Reichsministerien darum eine potente, zukunftsträchtige Anlaufstelle bedeutet, so Potter.392 Hinzu kam die allgemeine Schwächung der städtischen und preußischen Befugnisse zugunsten des Reichs, wie sie unmittelbar nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten betrieben wurde:393 Auch dieser Umstand dürfte die Eingliederung des Orchesters ins RMVP 391 Zur Finanzierung des Berliner Philharmoniker Orchesters bis 1933 vgl. Tabelle 2 in Kap. 3. 392 Potter, Nazi „Seizure“, S. 46 f. 393 So ist für die Stadt Berlin eine nach der Machtübertragung umgehend vorgenommene Autoritarisierung sowohl auf der Ebene der Legislative als auch der Exekutive und der Verwaltung feststellbar: Die Zuständigkeiten der Stadtverordnetenversammlung wurde auf einen Stadtgemeindeausschuss übertragen, der nur noch ein beratendes, nicht aber entscheidungsbefugtes Gremium darstellte. Der Magistrat wurde zur Gänze abgeschafft, während die neue „Verfassung“ die Stadträte zu „Beigeordneten“ degradierte. Und schließlich wurde die Verwaltungsspitze mit dem Oberbürgermeisteramt zusammengelegt: Eine auch nur annähernd unabhängige Kontrolle der Umsetzung der Amtsgeschäfte wurde somit ausgeschlossen. Vgl. Engeli, Christian/Ribbe, Wolfgang. Berlin in der NS-Zeit (1933–1945). In: Ribbe, Wolfgang. Geschichte Berlins. 2. Band. Von der Märzrevolution bis zur Gegenwart. Berlin 2002. S. 927–1024. Hier S. 973 ff. In ähnlicher Weise wurden auch die Strukturen der preußischen Landeshoheit aufgelöst. Nach einem kurzzeitigen Rettungsversuch der preußischen Autonomie vor einer Überlagerung durch das Reich, den Göring als preußischer Ministerpräsident und Innenminister in Personalunion zunächst verhältnismäßig erfolgreich praktizierte, erfuhren die einzelnen Länder einen sukzessiven Machtverlust zugunsten der Zentralgewalt des Reichs. Dieser kulminierte schließlich im „Gesetz über den Neuaufbau des Reiches“ vom 30. Januar 1934, von dem Preußen in besonderer Weise betroffen war und seine Eigenstaatlichkeit weitgehend verlor. Vgl. Höner, Sabine. Der nationalsozialistische Zugriff auf Preußen. Preußischer Staat und nationalsozialistische Machteroberungsstrategie 1928–1934. Bochum 1984. S. 438–499.
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begünstigt haben. Dass schon nach kurzer Zeit nur noch das Reich als Verhandlungspartner des Berliner Philharmonischen Orchesters übrig blieb, erklärt sich nicht nur anhand des von Goebbels betriebenen Aktionismus, der mit finanziellen Druckmitteln die anderen beteiligten Stadt- und Reichsstellen gezielt „ausschaltete“,394 sondern ebenso mit der Auflösung der föderalen Strukturen: Bei der preußischen Staatsoper und der Staatskapelle, über welche sich Göring als preußischer Ministerpräsident erfolgreich die Hoheit zu verschaffen vermochte, zeigten sich nämlich durchaus Grenzen von Goebbels’ Druckpolitik.395 Im Falle des Berliner Philharmonischen Orchesters begünstigte jedoch dessen weit zurückreichende Anbindung an das ,Made in Germany‘-Label und die damit einhergehende auf das Reich bezogene Imagepolitik die Eingliederung in ein Reichsministerium. Es dürfte nicht bloß ein ökonomisch motivierter Entscheid gewesen sein, der den preußischen Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung bereitwillig auf preußische Ansprüche verzichten ließ. Er führte die hergebrachte Argumentation396 gegen eine Beteiligung Preußens an den Berliner Philharmonikern weiter, die die überregionale, reichsweite Bedeutung des Orchesters unterstrich: „Das Orchester dient während seiner Anwesenheit in Berlin ausschließlich dem Kunstleben der Reichshauptstadt. Seine Konzertreisen im Inlande sind nicht auf das preußische Staatsgebiet beschränkt. Auf seinen Auslandsreisen vertritt es in hervorragender Weise gesamtdeutsche Kulturbelange. Die Erhaltung des Berliner Philharmonischen Orchesters erweist sich demnach nicht als eine eigentlich preußische Angelegenheit, für die preußische Haushaltsmittel zur Verfügung gestellt werden könnten.“397
Im Gegensatz zu Preußen verteidigte die Stadt Berlin, deren Verhältnis zu den Philharmonikern von einer langjährigen finanziellen Unterstützung geprägt war, nach der Machtübergabe zunächst ihren Einfluss auf das Orchester. Am 13. Mai 1933 wandte sich Berlins Oberbürgermeister, Heinrich Sahm, mit der Bitte an Goebbels, ihn als Vertreter der Stadt 394 Vgl. auch Potter, Nazi „Seizure“, S. 47 f. 395 Obschon Göring seit April 1933 preußischer Ministerpräsident war, oblag ihm die Herrschaft über die preußischen Staatstheater nicht von Anfang an: Erst aufgrund des am 20. 1. 1934 in Kraft getretenen „Preußischen Gesetztes über die Neuordnung der Verwaltung der Staatstheater“ erlangte Göring die Zuständigkeit für die Verwaltung der Staatlichen Theater in Berlin, die er dem preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung abrang und sich damit gegen Goebbels‘ Konkurrenz durchsetzte. Vgl. auch Walter, Michael. Hitler in der Oper. Deutsches Musikleben 1919–1945. Stuttgart/Weimar 2000 [1995]. S. 174. 396 So etwa im Schreiben des preußischen Finanzministers an den Geschäftsführer des Berliner Philharmonischen Orchesters vom 9. 2. 31. GStA, Rep. 151/1054. 397 Schreiben vom 30. 7. 1933 an Goebbels. BA R 55/1147.
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zu den weiteren Verhandlungen mit dem und über das Orchester einzuladen, „damit auch die städtischen Belange bei der Unterstützung des Philharmonischen Orchesters Berücksichtigung finden können“.398 Auch war die Stadt weiterhin bereit, finanzielle Zuschüsse an das Orchester zu gewähren – wenn auch eher widerwillig und nur unter der Voraussetzung, „dass die Verhandlungen wegen der endgültigen finanziellen Sicherstellung unter Mitbeteiligung des Reichs und auch des Preuß. Staates baldigst zu einem befriedigenden Ergebnis geführt werden“.399 Dies hinderte jedoch weder Berlin noch Preußen daran, das Reich als Zentralstelle der Zuständigkeit für das Orchester anzuerkennen.400 In einer diesem Schreiben vorangegangenen Sitzung über die Zukunft des Berliner Philharmonischen Orchesters vom 12. April 1933 bemängelte ausgerechnet ein Magistratsvertreter, „dass das Orchester von verschiedenen amtlichen Stellen, statt von einer Stelle, unterstützt werde und wies auf die daraus sich ergebende Umständlichkeit der Verhandlungen und die Geschäftsbelastung des Orchesters hin, das allen beteiligten Seiten seine Wirtschaftsführung darlegen müsste. Er schlug vor, dass ein Reichsministerium (s. E. käme das Reichsinnenministerium in Frage) den gesamten erforderlichen Zuschuss aus seinen Mitteln tragen solle.“401
Die Verlagerung der Zuständigkeit für das Orchester von der Stadt auf das Reich wurde von dieser also nicht nur akzeptiert, sondern gleichsam mitinitiiert. Dass zunächst noch das Reichsministerium des Innern favorisiert wurde, weist darauf hin, dass die Eingliederung des Orchesters in Goebbels’ RMVP nicht von Anfang an, quasi einem ‚Masterplan‘ folgend, feststand. Vielmehr dürfte Goebbels die mangelnde Bereitschaft der übrigen in Frage kommenden Stellen im Laufe der Verhandlungen erkannt und für sich zu nutzen gewusst haben. Einen Monat nach der erwähnten Sitzung zeigte sich das Reichsinnenministerium bereit, die Verantwortlichkeit für das Berliner Philharmonische Orchester an den Reichspropagandaminister abzutreten, wenn auch unter der Bedingung, sich einen Rest an Einflussnahme auf den Klangkörper zu erhalten. Am 9. Mai 1933, nachdem Goebbels darauf gepocht hatte, dass das Reichsministerium des Innern für die Finanzierung der Berliner Philharmoniker aufkommen müsse, solange diese „noch inoffiziell“ diesem Ministerium unterstellt seien, 402 ließ dessen Staatssekretär Hans Pfundtner an Goebbels mitteilen: 398 BA R 55/1147. 399 Schreiben des Oberbürgermeisters ans RMVP vom 22. 9. 1933. BA R 55/1147. 400 Die etwa vom Kulturhistoriker Henning Bleyl beschworenen „Kämpfe um kulturpolitische Kompetenzen“, die er in der Diskussion über die Berliner Philharmoniker zu erkennen glaubt, können anhand der Quellen nicht geltend gemacht werden. Bleyl, Musik, S. 30. 401 Sitzungsbericht vom 12. 4. 1933. GStA, Rep. 151/1054. 402 Internes Schreiben RMdI (Ministerialrat Wöllke), 10. 5. 1933. BA R 55/1146.
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„Nach den bisherigen Verhandlungen ist mit dem Übergang der Zuständigkeit für das Philharmonische Orchester an das dortige Ministerium [das RMVP, F. T.] demnächst zu rechnen. [...] Dem Übergang der Zuständigkeit an das dortige Ministerium habe ich unter der Voraussetzung zugestimmt, dass ich auch in Zukunft vom kulturellen Standpunkt aus bei wichtigen Fragen des Orchesters beteiligt werde. Ich darf daher bitten, meinem Ministerium in dem Aufsichtsrat einen Sitz für ein Mitglied und einen Sitz für einen Stellvertreter zu überlassen [...].“403
Doch nicht nur innerhalb der Ministerien und Behörden wurde die Umstrukturierung des Berliner Philharmonischen Orchesters diskutiert. Auch die Philharmoniker selbst präsentierten Ende Mai 1933 eigene Vorschläge, in welchen sie die endgültige Preisgabe ihrer Selbständigkeit vorwegnahmen: „Es ist nun die Frage aufzuwerfen, in welcher Form unsere Gesellschaft durch das Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda übernommen werden soll. Ist die Möglichkeit vorhanden, dass die Mitglieder unseres Orchesters (das zukünftige Reichs-Orchester) Beamten-Charakter erhält [sic]? Oder soll die bisherige Form – nämlich die der Gesellschaft mit beschränkter Haftung – beibehalten werden? In diesem Falle machen wir den Vorschlag, dass das Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda in die Gesellschaft eintritt, und dass dann ein Vertrag zwischen Reich und der Gesellschaft geschlossen wird, der der Gesellschaft alle Sicherheiten für die Zukunft gibt.“404
Diese Vorschläge des Orchesters sind nicht nur vor dem Hintergrund eines hinsichtlich der finanziellen Unterstützung durch die öffentliche Hand jahrelang „frustrierten“ Orchesters zu deuten,405 sondern ebenso mit Blick auf die seit 1929 angestrebte „Reorganisation“, auf die das zitierte Schreiben explizit Bezug nimmt406 und die bei den Philharmonikern offenbar ein Umdenken bewirkt hatte: Während im geplanten Gesellschaftsvertrag des Orchesters von 1929 Bedenken über eine erhöhte politische Kontrolle immerhin deutlich zum Ausdruck ge403 BA R 55/1147. 404 Berliner Philharmoniker an RMVP vom 30. 5. 1933. BA R 55/1147. 405 „The new ministry [das RMVP, F. T.] represented the most viable potential patron for the orchestra after its decade of frustrations with the Reich Ministry of Finance and the Ministry of the Interior. The ,overadministrating‘ of cultural affairs by the Propaganda Ministry, the Amt Rosenberg, and the Deutsche Arbeitsfront was a welcome imposition in a country that had virtually no central program for cultural administration.“ Potter, Nazi „Seizure“, S. 47. 406 „Wir verweisen hierbei auf die im Jahre 1929/30 von Reich und Stadt beschlossenen Abmachungen mit unserer Gesellschaft. Ein endgültiger Beschluss scheiterte damals durch die Reichstagsauflösung im Jahre 1930.“ Berliner Philharmoniker an RMVP vom 30. 5. 1933. BA R 55/1147.
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bracht wurden,407 waren 1933 ähnlich lautende Äußerungen verstummt. Außerdem fiel nun, im Unterschied zur Zeit der Weimarer Republik, eine kritische Medienberichterstattung weg, was die Verhandlungsbeauftragten des Orchesters auch vom Druck einer öffentlichen Rechenschaftspflicht dispensierte: Die Durchsicht diverser Zeitungen – so des „Berliner Tageblatts“, der „Berliner Morgenpost“ sowie der Berliner Ausgabe des „Völkischen Beobachters“ – hat ergeben, dass die Übernahme des Berliner Philharmonischen Orchesters durch den Staat in der Presse offenbar nicht thematisiert wurde; einzig in der Musikzeitschrift „Die Musik“ war ein kurzer Bericht über „Das Philharmonische Orchester als Reichsorchester“ zu lesen, der die „Übernahme auf das Reich“ erwähnte.408 Als neue Organisationsform der Berliner Philharmoniker setzte sich schließlich eine Kombination der beiden Sanierungsvorschläge des Orchestervorstands durch. Bezeichnenderweise wurde die Rechtsform einer GmbH beibehalten, wenn auch nicht in der Weise, wie dies vom Orchester vorgeschlagen worden war (indem nämlich das Reich einfach in die Gesellschaft eingetreten wäre), sondern indem sich das Reich kurzerhand sämtlicher Gesellschaftsanteile bemächtigte. Der Staat kaufte das Orchester auf und war nun, „vertreten durch das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda“,409 einziger Gesellschafter, der als solcher die absolute Kontrolle über die Berliner Philharmoniker innehatte: Per 15. Januar 1934 wurden den Mitgliedern des Orchesters, die bis zu jenem Zeitpunkt selbst Gesellschafter waren,410 ihre Gesellschaftsanteile in der Höhe von je 600 RM ausbezahlt, während ihre Stellung in einen Arbeitnehmerstatus umgewandelt wurde.411 Die „Berliner Philharmonisches Orchester-GmbH“ war nun fortan eine Reichsgesellschaft, bei welcher die Musiker angestellt waren.412 Damit knüpfte Goebbels an eine schon im Sommer 1932 vom Berliner Bürgermeister Lange in Vorschlag gebrachte Umstrukturierung des Orchesters an: „Um die Mitglieder des Orchesters ein für allemal von ihren chronischen Sorgen um das tägliche Brot zu befreien, die ihre künstlerische Arbeit nur beeinträchtigen müssen, wäre es nötig, dem 407 Vgl. hier S. 81. 408 Das Philharmonische Orchester als Reichsorchester. In: Die Musik, XXVI/11, 1934. S. 841 f. 409 Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand-Aktiengesellschaft über die bei der Berliner Philharmonisches Orchester G.m.b.H., Berlin, vorgenommene Prüfung des Jahresabschlusses zum 31. März 1935. BA R 55/245. 410 Zur Organisationsform des Berliner Philharmonischen Orchesters bis 1933 vgl. Kap. 3. 411 Vgl. etwa den Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand-Aktiengesellschaft über die bei der Berliner Philharmonisches Orchester G.m.b.H., Berlin, vorgenommene Prüfung des Jahresabschlusses zum 31. März 1935. BA R 55/245. 412 Vgl. zum Selbstverständnis des Orchesters in seiner neuen Rolle als Reichsgesellschaft den Bericht des Geschäftsführers Höber in seiner Eigenschaft als Mitglied des Aufsichtsrats des Berliner Philharmonischen Orchesters ans RMVP vom 14. 6. 1935. BA R 55/245.
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Orchester eine neue Rechtsstellung zu geben in der Weise, daß Berlin, das Reich und Preußen die Geschäftsanteile einer neuen GmbH. übernehmen und die Orchestermitglieder Angestellte dieser Gesellschaft unter Zusicherung von Alterversorgung werden. Ich habe die Verhandlungen hierüber aufgenommen, die leider durch die politische Entwicklung stark erschwert werden.“413
Im Unterschied zu Langes Vorstellungen waren die Berliner Philharmoniker fortan jedoch ausschließlich Reichsangestellte. Der offizielle Beamtenstatus wurde ihnen zwar nicht zuerkannt, aber in der praktischen Ausgestaltung, etwa in Bezug auf Pensionsansprüche, waren sie – dafür sorgte Goebbels umgehend – den Reichsbeamten gleichgestellt.414 Dennoch wurde die herkömmliche Rechtsform des Orchesters als „Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ beibehalten: Allzu offensichtliche Reichsbezüge sollten, vor allem im Hinblick auf die außenpolitische Propaganda, kaschiert werden. Als das RMVP 1939 Pläne zu einer erneuten Restrukturierung der Berliner Philharmoniker aufgriff, wonach die „Umwandlung der G.m.b.H. in einen unmittelbaren Reichsbetrieb“ diskutiert wurde,415 argumentierte das Orchester unter Anführung propagandatechnischer Überlegungen erfolgreich dagegen: „Eine der wesentlichsten Aufgaben unseres Orchesters ist es doch, in fremden Ländern durch Veranstaltung von Konzerten deutsche Kulturpropaganda zu betreiben. Die beste Propaganda ist doch stets die, bei welcher nicht von vornherein die Absicht der Propaganda klar zu Tage tritt. Aus diesem Grunde war die bisherige, äussere Form unserer Gesellschaft als G.m.b.H. sehr zweckmässig, weil das Orchester als eine private Gesellschaft angesehen werden konnte.“416
Die Restrukturierungspläne gab das RMVP daraufhin auf. Das Unternehmen verfügte ohnehin über einen Aufsichtsrat, der nicht den Satzungen der GmbH, sondern dem Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda verpflichtet war. Dasselbe galt seit den revidierten Satzungen vom 28. Juni 1934 für die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung (diese 413 Lange, Tagebuch, S. 171 f. 414 Vgl. etwa den Entwurf der Besoldungsrevision des Orchesters von 1934, § 14: „I. Das Orchestermitglied erhält Versorgungsbezüge (Ruhegeld und Hinterbliebenenversorgung) nach den für die beamteten Kammermusiker der Gehaltsgruppe C 5 a der Preußischen Besoldungsordnung geltenden Vorschriften, soweit nicht in dieser Anstellungs- und Besoldungsordnung ein anderes bestimmt ist. Der 10%ige Zuschlag zum Grundgehalt bleibt der Berechnung der Versorgungsbezüge unberücksichtigt. II. Die bereits gewährten Versorgungsbezüge bleiben unberührt.“ GStA, Rep. 151/216. 415 BA (BDC) PKT0051 RMVP Vermerk, 26. 7. 1939. Zit. in: Aster, „Reichsorchester“, S. 323. 416 BA (BDC) RK O0024 Berliner Philharmonisches Orchester (Stegmann) an RMVP (Müller), 3. 6. 1939. Zit. in: Aster, „Reichsorchester“, S. 323.
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freilich war auch zur Farce geworden, da faktisch nur noch ein Gesellschafter existierte, nämlich das Deutsche Reich): „Die beiden Geschäftsführer [des Berliner Philharmonischen Orchesters, F. T.] werden von der Gesellschafterversammlung bestellt. Die Bestellung bedarf der Genehmigung des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda. Die Ernennung der Aufsichtsratsmitglieder erfolgt durch die Gesellschafterversammlung, die Ernennung bedarf ebenfalls der Genehmigung des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda.“417
Der Aufsichtsrat war seither, entsprechend den neuen Besitzverhältnissen, ausschließlich mit Reichsvertretern besetzt – abgesehen vom Orchestervertreter Lorenz Höber, der als 2. Geschäftsführer des Berliner Philharmonischen Orchesters das Bindeglied zwischen den politischen Instanzen und dem Orchester bildete.418 Die Vertreter des RMVP stellten die mehrheitsbildende Fraktion, wobei ihr Goebbels selbst nicht angehörte, sondern sein Staatssekretär (und nachmaliger Reichswirtschaftsminister) Walther Funk, der auch als Präsident des Gremiums fungierte.419 Außerdem wurde auch die Geschäftsführung des Orchesters neu organisiert. Neben Höber, der bereits seit 1923 als Orchestervorstand wirkte und aktives Orchestermitglied war, bestellte Wilhelm Furtwängler, der sich selbst zum Leiter des Orchesters erkoren hatte,420 Rudolf von Schmidtseck zum weiteren Geschäftsführer. Schmidtseck wirkte als eine Art politischer Kommissar in der Administration des Orchesters und war für den „Verkehr mit dem Ministerium, [und der] damit verbundene[n] Verantwortlichkeit des Etats und aller vom Ministerium an die Reichs-Gesellschaft gegebenen Vorschriften“, außerdem für die „gesamte Buchführung, das Abrechnungs- und Kassenwesen, Geschäftsberichte und Bedarfsanmeldungen“ zuständig.421 Und vor allem trug er „als Mitglied der N.S.D.A.P.“ 417 Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand-Aktiengesellschaft über die bei der Berliner Philharmonisches Orchester G.m.b.H., Berlin, vorgenommene Prüfung des Jahresabschlusses zum 31. März 1935. BA R 55/245. 418 Vgl. den undatierten Bericht Furtwänglers „Arbeitsgebiet und Arbeitseinteilung der Geschäftsführung des Berliner Philharmonischen Orchesters“ [1933]. BA R 55/1148. Zur orchesterinternen Funktion Höbers vgl. außerdem Aster, „Reichsorchester“, S. 52 ff. 419 Im siebenköpfigen Gremium saßen vier Vertreter des RMVP, während die restlichen Sitze von je einem Vertreter des RMdI, des Reichsministeriums der Finanzen (RMdF) sowie des Orchesters besetzt waren. 1935 bestand der Aufsichtsrat aus folgenden Personen, BA R 55/1148: „Staatssekretär Funk, RMVP; Staatssekretär Pfundtner, RMdI; Ministerialdirektor Dr. Greiner, RMVP; Ministerialrat von Manteuffel, RMdF; Ministerialrat Dr. Ott, RMVP; Ministerialrat von Keudell, RMVP; Orchestermitglied Lorenz Höber.“ 420 Vgl. Aster, „Reichsorchester“, S. 49 ff. 421 Arbeitsgebiet und Arbeitseinteilung der Geschäftsführung des Berliner Philharmonischen Orchesters [1933]. BA R 55/1148.
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die „Verantwortung für die Wahrung der nationalsozialistischen Belange im Rahmen der Gesellschaft“.422 Bezeichnenderweise löste Schmidtseck Fritz Schröder ab, der seit Juni 1933 an Lorenz Höbers Seite als Orchestervorstand wirkte.423 Schröder war früherer Vorstand des mit Beschluss von 1932 aufgelösten und in die Berliner Philharmoniker integrierten Berliner Sinfonie-Orchesters sowie ein überzeugter Nationalsozialist, der nach der Orchesterübernahme bei den Philharmonikern entsprechend agitierte.424 Per 1. November 1933, also bereits kurz vor der Umwandlung der Berliner Philharmoniker in einen Staatsbetrieb, musste er seine Stellung zusammen mit 14 weiteren 1932 übernommenen Ex-Sinfonikern jedoch wieder aufgeben: Sie erhielten die Kündigung, nachdem das Reich die GmbH übernommen hatte.425 Furtwängler hatte damit im Zusammenhang mit der Übernahme des Orchesters durch den Staat erreicht, dass die ihm schon 1932 unliebsam gewesene Eingliederung des Sinfonie-Orchesters ins Philharmonische Orchester rückgängig gemacht wurde; im Gegenzug akzeptierte er die Einstellung des Parteimannes Schmidtseck als Geschäftsführer der Berliner Philharmoniker.426 Darüber hinaus dürfte Furtwänglers Drängen, die 1932 verordnete Übernahme der Berliner Sinfoniker wieder rückgängig zu machen, Goebbels durchaus gelegen gekommen sein, da sich die Berliner Philharmoniker fortan wieder in ihrer originalen Besetzung präsentierten, was sich auf ihre Spielqualität, aber auch auf den Prozess ihrer Markenbildung überaus günstig auswirkte. Unmittelbar nach Schmidtsecks Stellenantritt erfolgte sodann die Umwandlung des Orchesters in ein Reichsorchester, die widerstandslos umgesetzt und von Furtwängler auch ausdrücklich mitgetragen wurde.427 Schmidtseck wurde allerdings mit Furtwänglers Niederlegung seiner Ämter im Dezember 1934 von seiner Stelle suspendiert; seit Mitte 1934 wurde ihm ein SA-Mitglied und „Gleichschaltungs“-Spezialist, der Kaufmann Karl Stegmann, zur Seite gestellt, der seither die Kontakte zu Partei und Staat dominierend lenkte.428 Goebbels verschaffte sich mit der Übernahme der Berliner Philharmoniker durch sein 422 Ebd. 423 Aster, „Reichsorchester“, S. 92. 424 Vgl. etwa dessen „Tatsachenbericht“ (undatiert [1934]), in welchem seine aggressiven antisemitischen Positionen zum Ausdruck kommen. BA R 55/1147. 425 Aster, „Reichsorchester“, S. 93. 426 Vgl. ebd. Aster vermutet, dass es sich dabei um eine Art Abkommen zwischen Furtwängler und dem RMVP gehandelt habe. 427 Ob es zwischen Schmidtsecks Wirken und der Umwandlung einen direkten Zusammenhang gibt, ist nicht eruierbar, wie auch Aster festhält. Ebd., S. 93. Dass die Einsetzung Schmidtsecks aber eine erste ,Gleichschaltungs‘-Maßnahme war, die dem weiteren Verlauf der Eingliederung des Orchesters ins RMVP den Weg ebnete, liegt auf der Hand. 428 Detailliert ebd., S. 62–65; Kaufmann habe schon früher Erfahrugen mit „Gleichschaltungs“-Projekten gesammelt.
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Ministerium nicht nur die politische Kontrolle über das Orchester. Er sicherte sich damit ebenso – vor allem auch gegenüber den anderen Reichsstellen – das Verfügungsmonopol über Deutschlands berühmtesten Orchesterverband und hatte dadurch ungehinderten Zugriff auf ein Werkzeug, das sich für die Umsetzung seiner Propagandapläne in der Folge als äußerst wirksam erweisen sollte. Dass Goebbels von den Berliner Philharmonikern in der Korrespondenz mit städtischen und staatlichen Stellen fortan oft als „meinem Orchester“429 zu sprechen pflegte, drückt sein Verhältnis zu diesem als Nutznießer und Protektor zugleich aus. Die umfassende Protektion, die Goebbels dem Orchester in der Folge zukommen ließ, dürfte mit ein Grund für die verhältnismäßig geringe Anzahl an NSDAP-Mitgliedern unter den Musikern des Berliner Philharmonischen Orchesters gewesen sein: Ein Parteibeitritt aus ,opportunistischen‘ Gründen wurde im Grunde hinfällig. Im Unterschied zu den Wiener Philharmonikern, von denen bis zum Ende des Krieges annähernd die Hälfte aller Musiker der NSDAP oder zumindest parteinahen Organisationen angehörten,430 machten die NSDAP-Mitglieder unter den Musikern des Berliner Philharmonischen Orchesters maximal 20 Prozent aus.431 Die genaue Zahl an NSDAP-Mitgliedern lässt sich jedoch schwerlich ermitteln;432 sie dürfte bei rund 20 Personen gelegen haben.433
4.2 „Kameradschaft“ als Kompensation Eine Folge des organisatorischen Autonomieverlusts aufgrund der Eingliederung der Berliner Philharmoniker ins RMVP war die Gründung einer philharmonischen „Kameradschaft“ – einer im Nationalsozialismus verbreiteten Organisationsform auf männerbündlerischer Grundlage.434 429 430 431 432 433
Div. Verweise bei Potter, Nazi „Seizure“, S. 51. Detaillierter hier S. 188 f. Vgl. auch Aster, „Reichsorchester“, S. 112. Eine detaillierte Beschreibung zur Problematik der NSDAP-Mitgliederrecherche bei ebd., S. 111 ff. Gemäß einer Liste im BA, RK/„Certificate“, A–Z, Entnazifizierungsunterlagen betrug der Bestand 17 Personen. Wer in diesen Listen nicht auftauche, sei deswegen allerdings noch nicht kein Nazi gewesen, so BA-Mitarbeiter Klein in einem Gespräch mit F. T. vom 30. 8. 06. Die Listen führen nur ca. 70 Prozent aller NSDAP-Mitglieder. Handschriftliche Vermerke zur NSDAP-Mitgliedschaft der Orchestermusiker auf einer Mitgliederliste der Philharmoniker von 1946 lassen aber darauf schließen, dass mindestens 20 Personen aus den Reihen des Orchesters der NSDAP angehörten. ABPhO, G 1 Listen, 1946. 434 Zur nationalsozialistischen Rezeption der ,Kameradschaft‘ als Organisationsform vgl. den gleichnamigen Eintrag in Schmitz-Bernig, Vokabular, S. 343 ff. „Kameradschaft ist zugleich die vollkommene Form des Männerbundes, der unter dem Gesetz von Führung – Gefolgschaft steht und einer soldatisch-heroischen Ordnung gehorcht. In diesem Sinn ist der Begriff Kameradschaft zum politisch-soziologischen Zentralbe-
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Zu Beginn des Jahres 1936 regten zwei Orchestermitglieder, Georg Diburtz und Ernst Fuhr – sie waren beide keine Parteimitglieder435 – die Gründung einer „Kameradschaft der Berliner Philharmoniker“ an und traten mit einem entsprechenden Gesuch sowie einem Satzungsentwurf ans RMVP heran.436 Ihr Bestreben begründeten sie auf vielfältige Weise, auch wenn das dahintersteckende Bedürfnis nach einer Kompensation für den Verlust der organisatorischen Autonomie unüberhörbar war. Zunächst betonten sie, dass die „Philharmoniker als solche“ durch den „Ankauf aller Geschäftsanteile seitens des Reichs“ nicht mehr in der Lage seien, „Stiftungen oder Legate, die ihnen lediglich wegen ihrer künstlerischen Tätigkeit von Forschern und Kunstfreunden zugedacht sind, entgegen zu nehmen“.437 Durch die beabsichtigte Gründung der „Kameradschaft“ wäre den Philharmonikern jedoch die Möglichkeit gegeben, solche Zuwendungen künftig wieder anzunehmen. Zugleich könnten die Philharmoniker durch die „Kameradschaft“ auch „prominente Dirigenten und Solisten des In- und Auslandes in gebührender Weise empfangen und begrüßen“, ohne dass der GmbH daraus besondere Kosten erwachsen würden; ebenso könnte die „Kameradschaft“ auch wieder „Ehrentage“ für die eigenen Kollegen veranstalten, was derzeit nicht möglich sei. Um die Wichtigkeit solcher Aktivitäten zu unterstreichen, verwiesen Dieburtz und Fuhr auch auf die Wiener Philharmoniker, die mit ihrem „Goldenen Ring“ ein Ehrenzeichen besäßen, mit dem sowohl eigene Mitglieder als auch Persönlichkeiten, die sich ums Orchester verdient gemacht hätten, ausgezeichnet würden. Über ein ähnliches „Ehrenzeichen“ sollten in Zukunft auch die Berliner Philharmoniker verfügen. Nebenher solle aber auch das „Gefühl für Kameradschaft und Zusammengehörigkeit“ außerhalb der Orchestertätigkeit „wachgehalten und gesteigert“ werden, etwa mittels alljährlich wiederkehrender Zusammenkünfte, „an denen gelegentlich je nach Gestaltung auch die Frauen und Kinder unserer Kameraden“ würden teilnehmen können, so die Initianten. Und auch Sportarten, die mit dem Musikerberuf in Einklang stünden, sollten gepflegt werden – „als Ausgleich für unsere nervenaufreibende Tätigkeit“.438 Es wurde aber auch deutlich gemacht, dass man nicht im Sinn habe, eine Art gewerkschaftlichen Zusammenschluss zu organisieren: „Die Kameradschaft darf nicht der Förderung
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griff des Dritten Reichs und der neuen völkischen Weltanschauungen geworden (in dieser Form aus dem Kriegserlebnis entstanden). In Kunst und Wissenschaft zeigt sich der Geist der Kameradschaft als heroische Grundstimmung; er durchdringt den Alltag; im Berufsleben hat er den bleibenden Begriff ,Berufskameradschaft‘ geprägt.“ Meyers Lexikon, Bd. 6. 1939, S. 751. Zit. in Schmitz-Bernig, Vokabular, S. 343. Diburtz und Fuhr scheinen weder in den Entnazifizierungsakten des BA noch auf der erwähnten Mitgliederliste von 1946 (ABPhO, G 1 Listen, 1946) als NSDAP-Mitglieder auf. Schreiben Diburtz/Fuhr an RMVP, 14. 2. 1936. BA, R 55/197. Ebd. Ebd.
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wirtschaftlicher und beruflicher Belange dienen“,439 heißt es im Satzungsentwurf. Das RMVP brachte dennoch seine Bedenken darüber zum Ausdruck, die Einrichtung könnte sich mit der Tätigkeit der Geschäftsführung des Orchesters überschneiden.440 In der Folge bevorzugte das Ministerium zunächst eine „nicht rechtsfähige Stiftung“ gegenüber der vereinsartig strukturierten „Kameradschaft“, kam jedoch letztlich zum Schluss: „Das Ministerium wäre aber [...] durch entsprechenden Ausbau der Satzung in der Lage, einen genügenden Einfluss auf den Verein auszuüben.“441 Die Satzungen, wie sie von den Orchestermitgliedern entworfen wurden,442 unterschieden sich von den durch das RMVP überarbeiteten vor allem in Bezug auf die Bestellung der Organe. Die Musiker hätten sich zumindest ein minimales demokratisches Prozedere gewünscht: Einerseits wollten sie die Mitgliederversammlung mit der Wahl des Vorsitzenden beauftragen443 und andererseits den Beirat, der „den Vorsitzenden in allen wichtigen Fragen zu beraten – und hierbei gutachtlich mitzuwirken“ habe, mindestens alle drei Monate einberufen.444 Das RMVP trat diesen Vorschlägen mit der Einführung des ,Führerprinzips‘ entgegen, wonach jeglicher Beschluss seitens der Mitgliederversammlung, des Beirats oder des Vorsitzenden von Goebbels’ Zustimmung abhängig gemacht wurde. Außerdem behielt es sich Goebbels selbst vor, den Vorsitzenden zu ernennen und abzuberufen.445 Trotz dieser einschneidenden Änderungen des RMVP konstituierte sich der Verein schließlich unter Einbezug des von Beginn an angegebenen Zwecks. In § 2 der definitiven Satzung heißt es: „Der Verein hat die Aufgabe, den kameradschaftlichen Zusammenhang der innerhalb der ,Berliner Philharmonisches Orchester GmbH.‘ künstlerisch Schaffenden zu fördern, Beziehungen zu auswärtigen und ausländischen Künstlern und Orchestern zu pflegen und in Fällen der Not Mitgliedern und Pensionären, Witwen und Waisen von Angehörigen des Berliner Philharmonischen Orchesters Unterstützung zu gewähren.“446
439 BA, R 55/197. 440 So die Geschäftsführung gegenüber den „Kameradschafts“-Initianten, Schreiben Dieburtz/Fuhr ans RMVP, 6. 4. 1936. BA, R 55/197. 441 Internes Schreiben RMVP, April 1936 [genaues Datum unleserlich]. BA, R 55/197. 442 Satzungsentwurf [14. 2. 1936]. BA R 55/197. 443 Ebd. § 7. 444 Ebd. § 8. 445 „Satzungen der Kameradschaft der Berliner Philharmoniker E. V.“ vom 14. 3. 1939. § 3.2. sowie § 5.6., § 8 und § 10.1. BA, R 55/197. 446 BA, R 55/197.
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Die „Kameradschaft“ war in der Folge vor allem in der Unterstützung ihrer Mitglieder aktiv, wie dies aus der relativ zahlreichen Korrespondenz hervorgeht: Beim Gros des Briefverkehrs handelte es sich um Darlehensgesuche, die in der Regel bereitwillig unterstützt wurden. 447 Daneben besorgte die „Kameradschafts“-Leitung aber auch den Kontakt des Orchesters nach außen, etwa in Form von Kondolenzschreiben an Philharmoniker-Witwen oder Versendungen von Geburtstagskarten. Eine eigentliche politische Bedeutung kann für die „Kameradschaft“ jedoch nicht geltend gemacht werden; auch nicht in der Hinsicht, dass sie sich in irgendeiner Weise in Widerspruch zur Orchesterleitung oder zum RMVP gestellt hätte. Dies erkannte auch das RMVP und ließ es zu, dass die Leitung dieser neu geschaffenen Organisation der Berliner Philharmoniker einem Orchestermitglied übertragen wurde, das nicht Parteimitglied war.448 Gerade im Vergleich zu den Wiener Philharmonikern erweist sich die Gründung der „Kameradschaft“ des Berliner Philharmonischen Orchesters als aufschlussreich. Denn jene, wie sogleich näher ausgeführt wird, vermochten ihren Vereinsstatus weitgehend beizubehalten und erhielten dadurch von vornherein eine Gesellschaftsform aufrecht, die die Gründung einer „Kameradschaft“ nach dem Muster der Berliner Philharmoniker überflüssig machte: Die männerbundhafte Verfasstheit der Wiener Philharmoniker schloss von jeher verschiedene Formen der ,Kameradschaftspflege‘ mit ein.449 Bei den Berliner Philharmonikern jedoch hatte sie eine den Autonomieverlust kompensierende Bedeutung und ist damit Ausdruck einer auf Arbeitsteilung basierenden Modernität der Orchesterstrukturen: Das Orchester als musizierende, die Geschäftsführung als organisierende sowie die „Kameradschaft“ als soziale Funktion der Berliner Philharmoniker GmbH waren als solche noch deutlicher als zuvor 447 Vgl. ABPhO, G 1938. 448 Ein Sachbearbeiter im Ministerium hielt im Anschluss an eine Besprechung mit dem Geschäftsführer der Berliner Philharmoniker, Stegmann, fest, dass dieser auf seine Anordnung hin eine Verschiebung der kurzfristig einberufenen Gründungsversammlung der „Kameradschaft“ angeordnet habe und ein politisches Leumundszeugnis des betreffenden Orchestermitglieds einholen werde (Vermerk RMVP [Sachbearbeiter Ass. Knochenhauer], 16. 6. 1938. BA, R 55/197). Erst als „in politischer Hinsicht [...] Bedenken nicht erhoben“ wurden (Ortsgruppenleiter Berlin-Tempelhof an Berliner Philharmoniker, 24. 6. 1938. BA, R 55/197), konnte Fritz Mayer zum Gründungsvorsitzenden der „Kameradschaft“ bestimmt werden (RMVP [ORR Kohler] an Berliner Philharmonisches Orchester, 10. 8. 1938. BA, R 55/197). 449 Der Versuch von Roland Girtler, die Wiener Philharmoniker als Männerbund zu interpretieren, ist allerdings wenig überzeugend: Durch die Analogisierung von Ritualen indianischer Stammesgesellschaften mit dem männerbündlerischen Verhalten der Wiener Philharmoniker belässt es die Darstellung, so originell sie auch ist, bei der Beschreibung ähnlicher Phänomene zwischen den beiden Vergleichsgrößen. Die Herausarbeitung gesellschaftlich-politischer Voraussetzungen für die männerbündlerische Praxis bei den Wiener Philharmonikern bleibt dabei leider unberücksichtigt. Girtler, Roland. Musik und Männerbund – Beispiel: Die Wiener Philharmoniker. In: Max Liedtke (Hrsg.) Ton, Gesang, Musik-, Natur- und kulturgeschichtliche Aspekte. Wien 1999. S. 140–147.
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voneinander getrennt, während eine solche Abtrennung bei den Wiener Philharmonikern nicht erkennbar ist (dass sich die im Nationalsozialismus Hochkonjunktur feiernde ,Kameradschafts-Gemütlichkeit‘ auch bei den Wiener Philharmonikern manifestierte, steht keineswegs im Widerspruch dazu):450 Die Komiteemitglieder sowie der Orchestervorstand waren auch nach 1938 von den Orchestermitgliedern aus ihren Reihen gewählte Geschäftsführer, die ihre Beschlüsse und administrative Tätigkeit vor dem Plenum rechtfertigen und zur Abstimmung vorlegen mussten. Daneben waren die Komiteemitglieder weiterhin als Orchestermusiker tätig, wenn auch die hohe Arbeitsbelastung des Orchestervorstands dazu führte, dass er sich für einige Zeit aus der praktischen Konzerttätigkeit zurückzog, jedoch nicht ohne vorher das Komitee darüber entscheiden zu lassen.451 Diese unterschiedlich ausgeprägten ,Kameradschafts‘-Formen bei den beiden Orchestern waren denn auch über 1945 hinaus von Bedeutung. Nach dem Zusammenbruch des NS-Staates verschwand die „Kameradschaft“ der Berliner Philharmoniker zumindest in ihrer Form als NS-assoziierte Organisation von der Bildfläche; das Orchester musste neue, zeitangepasste Formen der sozialen Interaktion finden. An den organisatorischen Strukturen der Wiener Philharmoniker änderte sich mit dem politischen Übergang vom NS-Staat zur Zweiten Republik jedoch nichts; dementsprechend wenig änderte sich auch an ihrer Form der ,Kameradschaft‘: die aus dem 19. Jahrhundert datierende Tradition männerbündlerischer Praktiken setzte sich nahtlos fort. Sie äußerte sich in der Nachkriegszeit vor allem in der strikten Weigerung der Philharmoniker, weibliche Musikerinnen in ihren Verein aufzunehmen. Erst am Ende des 20. Jahrhunderts sollte das Orchester aufgrund massiven äußeren politischen Drucks den Widerstand gegen diese Berufungspraxis aufgeben. 1997 wurden die Vereinsstatuten dahin gehend geändert, dass inskünftig auch Frauen ins Orchester aufgenommen werden konnten. In der Praxis blieb diese Statutenrevision jedoch bis in die Gegenwart annähernd wirkungslos: Der Frauenanteil der Wiener Philharmoniker betrug 2008 nur rund zwei Pro450 Vgl. etwa Prot. KS, 20. 5. 1940. HAWPh, A-Pr-030, 11: „Vorstand Jerger berichtet über den geplanten Kameradschaftsabend der Wiener Philharmoniker im Rathauskeller und bedauerte es, dass ein solch gemütliches Beisammensein erst jetzt nach zweijährigem, immer neuerlichem Aufschieben möglich wurde. Von nun an sollen die Philharmonischen Kameradschaftsabende eine periodisch stattfindende Einrichtung werden. Anschließend an diese Mitteilung verliest Jerger die Einladung zu diesem Abend an die Mitglieder des Orchesters und teilt mit, dass dazu GMD Knappertsbusch, Dr. Kerber, Dr. Wolfram und Ing. Blaschke eingeladen wurden. Den heiteren Teil werden die Rundfunkschrammeln und Architekt Kurz vom Reichspropagandaamt Wien übernehmen und so helfen, den Abend gemütlich zu gestalten. Der Bericht wurde mit Freude zur Kenntnis genommen.“ 451 „Strasser stellt den Antrag, Jerger von allen philharmonischen Orchesterdiensten weitgehendst zu beurlauben. Der Antrag wird angenommen [...].“ Prot. KS, 27. 12. 1941. HAWPh, A-Pr-030, 27. Die Freistellung erfolgte im Zusammenhang mit den Vorbereitungen auf die Feierlichkeiten zum 100-jährigen Jubiläum der Wiener Philharmoniker.
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zent.452 Im Vergleich dazu betrug jener der Berliner Philharmoniker, die 1982 die erste Frau ins Orchester aufnahmen, im Jahr 2008 gut zwölf Prozent.453
4.3 Die Selbstanpassung der Wiener Philharmoniker im ‚Austrofaschismus‘ Die Politisierung der Wiener Philharmoniker gestaltete sich auch nach der Installierung einer autoritären Regierung unter Bundeskanzler Engelbert Dollfuß, der die Außerkraftsetzung des Parlaments im März 1933 vorausging und die unter anderem zur gewaltsamen Auflösung der sozialdemokratischen Opposition im Februar 1934 führte, nicht über dirigistische staats- oder stadtpolitische Interventionen: Das Orchester behielt seine Organisationsstruktur als Verein während der Zeit des ,Austrofaschismus‘ unverändert bei. Doch wenn auch keine politischen Eingriffe in die innere Verfassung des Orchesters verfügt wurden, so bildete sich der allgemein im Zunehmen begriffene Autoritarismus seit Anfang der 1930er-Jahre dennoch in strukturellen Veränderungen der Wiener Philharmoniker ab. So beschloss die Hauptversammlung vom 9. Juli 1933, also nur wenige Monate nach Dollfuß’ Entmachtung des Parlaments, „mit allen gegen 2 Stimmen“ auf Antrag des Komitees eine Stärkung der Position des Vorstandes: „Dem Vorstande steht das Recht zu im Einvernehmen mit dem Dirigenten, diejenigen Mitglieder, welche solistisch hervortreten, für alle philharmonischen Veranstaltungen zu bestimmen und [es] darf sich kein Mitglied weigern eine ihm zugeteilte Stimme zu übernehmen.“454
Dass zugleich über den Wechsel vom Abonnement- zum Gastdirigentensystem entschieden wurde, geht einher mit dem Machtzuwachs des Orchestervorstands: Die Kompetenzen sollten nicht mehr auf verschiedene Instanzen aufgeteilt, sondern möglichst zentralisiert in der Person des Vorstandes gebündelt werden. Außerdem wählte die Versammlung Hugo Burghauser zum neuen Vorstand, nachdem Gustav Hawranek, der erst 1932 in dieses Amt gewählt wurde, demissionierte, weil er mit seinem Antrag auf eine Verlängerung der Amtszeit der Komiteemitglieder von drei auf fünf Jahre vor dem Plenum scheiterte455 – auch dies ein Versuch, die demokratischen Strukturen aufzuweichen, den die Versammlung nur relativ knapp, mit 452 Zur Praxis der Wiener Philharmoniker in Bezug auf die Aufnahme von Frauen ins Orchester vgl. die umfangreiche Materialsammlung bei The Vienna Philharmonic -- articles and past updates. URL: http://www. osborne-conant.org/articles.htm#vpo [Stand: 31. 10. 2008]. 453 Gemäß E-Mail der Stiftung Berliner Philharmoniker, Pressestelle (Mareike Looft) an F. T., 18. 12. 2008. 454 Neufassung des § 35 der Geschäftsordnung. Prot. OHV, 9. 7. 1933. HAWPh, A-Pr-029, 2a). 455 Prot. OHV, 9. 7. 1933. HAWPh, A-Pr-029, 2a).
Die Selbstanpassung der Wiener Philharmoniker
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53 gegen 45 Stimmen verworfen hatte.456 Das autoritäre Klima in den philharmonischen Gremien ist allein schon ablesbar an terminologisch signifikanten Formulierungen wie jener, eine der wichtigsten Aufgaben des Orchesters sei es, „an die Zukunft zu denken und zu sorgen, dass wir eine grosse Führernatur für uns gewinnen [...]“.457 Mit Hugo Burghauser wählten die Philharmoniker außerdem einen Vorstand, der enge Kontakte zur Spitze der ,austrofaschistischen‘ Politprominenz sowie zur im Mai 1933 von Engelbert Dollfuß gegründeten „Vaterländischen Front“ unterhielt und selbst ein überzeugter Anhänger des autoritären Regimes war.458 So setzte ihn das Unterrichtsministerium zwischen 1934 und 1938 als „Ersten Vorsitzenden des Ringes der österreichischen Musiker“ ins Amt und 1935 wurde er vom Wiener Landesgericht zum „Sachverständigen für Musik“ ernannt.459 Damit betätigte er sich weit über den philharmonischen Radius hinaus als Funktionär des ,austrofaschistischen‘ Österreich; eine Reihe an österreichischen und ausländischen Orden und Auszeichnungen, die ihm zwischen 1934 und 1938 verliehen wurden, weisen außerdem auf seine engen Verbindungen zur offiziellen Politik hin.460 Heinrich Kralik, von dem 1938, kurz vor dem ‚Anschluss‘, eine Orchestermonografie erschien,461 hob die politische Bedeutung Burghausers besonders hervor und bestätigte zugleich dessen Machtposition im Orchester: „Die Machtbefugnisse, die der Vorstand erhält, sind nicht gering. Und wenn er Talent und Temperament dazu hat, kann er ein wirklicher Führer sein. Etwa wie heutigen Tags Professor Hugo Burghauser, der auf diesem Posten eine außerordentliche philharmonische Vitalität entfaltet, idealistisch und realpolitisch.“462
Auch dem italienischen Faschismus zollte Burghauser seine Bewunderung. In einem Reisebericht, den er anlässlich der Reise der Wiener Philharmoniker ins faschistische Italien 1933 veröffentlichte, heißt es: 456 Prot. OHV, 9. 7. 1933. HAWPh, A-Pr-029, 2a). 457 Prot. OHV, 7. 6. 1933. HAWPh, A-Pr-029, 2a). Gemeint war ein Dirigent: Burghauser plädierte in diesem Zusammenhang für Otto Klemperer, der nota bene als Konvertit damals bekanntermaßen einen strengen Katholizismus praktizierte und wohl nicht zuletzt darum von Burghauser als geeignete Persönlichkeit angesehen wurde. Vgl. Heyworth, Peter (Hrsg.). Gespräche mit Klemperer. Frankfurt am Main 1974. S. 88 f. 458 Vgl. dazu Mayrhofer, „ Angelegenheit“, S. 73 f. 459 Vgl. die biographische Skizze zu Hugo Burghauser in Mayrhofer, „Angelegenheit“, S. 121–127. Hier S. 73. 460 So erhielt er per 20. 5. 1935 das Österreichische Goldene Verdienstzeichen, per 14. 5. 1936 den Professorentitel, per 30. 10. 1935 das Ungarische Verdienstkreuz III. Klasse sowie per Dezember 1937 das Offizierskreuz des königlich italienischen Ordens „Krone von Italien“ verliehen und wurde per Oktober 1936 zum Offizier der französischen Akademie ernannt. Siehe die einzelnen Urkunden im HAWPh, Nachlass Hugo Burghauser [noch nicht verzeichnet]. 461 Detailliert hier S. 128 ff. 462 Kralik, Heinrich von. Die Wiener Philharmoniker. Monographie eines Orchesters. Wien 1938. S. 108.
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„Wir statteten der Mostra [Mostra della Rivoluzione Fascista, F. T.] einen Besuch ab. Die Mostra ist ein Denkmal besonderer Art, welches in grossartiger Weise die Entstehung und Entwicklung des Fascio und seine Machtergreifung in Italien darstellt. In einem Gebäude von klarem, wuchtigem Stil, der Idee dieser Bewegung entsprechend, befindet sich eine Sammlung von Dokumenten, Bildern und Briefen dargestellt, ein Zimmer seiner einstmaligen Wohnung in Mailand, die Krücken, die dem im Krieg Verwundeten das Gehen ermöglichten, sein einfaches Redaktionszimmer, von welchem aus er den Befehl zum Marsch auf Rom gab, das in das Blut eines ermordeten Fascisten getauchte Taschentuch und vieles andere mehr; Waffen, Ausrüstungsgegenstände, wichtige Ereignisse in Wort und Bild festgehalten, kurz alles, was für den Fascismus von Bedeutung war. All dies weckt die Bewunderung des Beschauers. Ein Raum jedoch löst tiefste Ergriffenheit aus. Es ist der, welcher dem Andenken der toten Fascisten gewidmet ist. In einem düsteren, kapellenartigen Raum, dessen gewölbte, von einem mächtigen Strahlkranz getragene Kuppel in vielhundertfacher Wiederholung das Kommandowort ,presente‘ herniederstrahlt, ertönte die Fascistenhymne, von unsichtbarem Chor gesungen.“463
Wenn auch die Institution der Hauptversammlung als Souverän des Vereins eine allzu ausgeprägte Stärkung des Exekutivamtes des Orchestervorstandes verhinderte, war Burghauser durchwegs erfolgreich darin, das Plenum der Philharmoniker jeweils politisch auf Kurs zu bringen, unter anderem, indem er politische Argumente als Druckmittel einsetzte. An einer außerordentlichen Hauptversammlung von 1934 etwa standen die von der Leitung der Salzburger Festspiele vorgeschlagenen Honorarreduktionen zur Debatte. Burghauser verteidigte sie „angesichts der gegenwärtigen politischen Verhältnisse“, weil er bezweifle, „dass wir bei der sich dann entwickelnden öffentlichen Debatte die moralische Unterstützung 463 Burghauser, Hugo. Die Italienreise der Wiener Philharmoniker. In: Musikleben. Juni 1933, Heft 6. S. 3 f. Ähnlich Otto Strasser (1932–1938 Komiteemitglied, 1938–1939 Sekretär, 1939–1941 Vorstands-Stellvertreter und schließlich 1958–1966 Vorstand der Wiener Philharmoniker) in seinen Erinnerungen an eine weitere Italienreise 1934, die das Orchester allerdings nicht als Wiener Philharmoniker, sondern als Staatsopernorchester unternommen haben dürfte. Bemerkenswert ist dabei insbesondere die retrospektive Loyalitätsbekundung Schuschnigg gegenüber: „Als berühmtester und interessantester Zuhörer dieser Vorstellung [Strauss’ „Frau ohne Schatten“ im venezianischen Teatro La Fenice, F. T.] saß Benito Mussolini im Auditorium. Durch ihn erhielt unser Gastspiel den wahrscheinlich beabsichtigten politischen Akzent, denn am nächsten Tag lud er das gesamte Ensemble zu einem Abschiedsessen [...] und hielt eine Tischrede. [...] Für die österreichischen Gäste sprach Unterrichtsminister Dr. Pernter, und danach verlas Mussolini eine in deutscher Sprache gehaltene Rede. Wörtlich erklärte er, ‚dass er, so wie er hinter Dollfuß gestanden sei, in gleicher Weise hinter Dr. Schuschnigg stehen werde‘. Wie sehr er sein Wort gehalten hat, hat die Geschichte erwiesen. Ich aber habe mir, was ich sonst nie tue, von ihm ein Autogramm geben lassen, das ich noch heute besitze.“ Strasser, Otto. Und dafür wird man noch bezahlt. Mein Leben mit den Wiener Philharmonikern. Wien 1974. S. 91 f.
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der Öffentlichkeit finden werden“.464 In der sich daran entsponnenen Diskussion – mehrere Mitglieder sprachen sich gegen das Akzeptieren der Reduktion aus – erklärte Burghauser kurzerhand, bei Ablehnung der Vorschläge der Festspielleitung würden die Salzburger Festspiele „gänzlich ausfallen“. Daran knüpfte Burghausers Vorgänger, Hawranek, folgendes Bedenken: „Aus dem Ausfall der Salb. Festspiele würden ungünstige Folgerungen für Österr. gezogen, fürchtet als Folge einer Ablehnung unsererseits üble Consequenzen für unsere Reisen und Konzerte.“ Dem setzte Burghauser hinzu, die „finanzielle Weltlage“ erfordere „überall in der ganzen Welt Abstriche“, die Philharmoniker könnten da keine Ausnahme bilden. Und er ging noch einen Schritt weiter, indem er die „Freiheiten“, die die Wiener Philharmoniker genießen würden, von der politischen Lage abhängig machte: „Wir müssen uns klar werden ob es moralisch standesgemäss und patriotisch wäre, warum wir durch unsere Weigerung das Zustandekommen d. Festspiele in Frage stellen. [Burghauser, F. T.] Verweist darauf, dass kein Opernorchester der Welt solche Freiheiten wie wir hat, diese müssen wir hüten um unsere alten angestammten Vorteile zu erhalten, fürchtet bei Erzwingung eines Mehrhonorars nachteilige Folgen für unsere Reisen, hält dafür, diese Vorschläge als einzig mögliche Basis anzunehmen.“465
Die Honorarreduktion wurde in der anschließenden Abstimmung von der Versammlungsmehrheit akzeptiert und Burghausers Antrag zugestimmt. Dass die Honorarforderungen der Wiener Philharmoniker über die Abhaltung der Salzburger Festspiele entschieden hätten, wie Hawranek und Burghauser gegenüber dem Plenum suggerierten, war indes eine maßlose Übertreibung: Der Rechnungshof empfahl ohnehin, die Festspiele 1934 aus finanziellen Gründen abzusagen,466 auch wenn dem schließlich, wohl aus außenpolitischen Gründen, nicht entsprochen wurde. Die Drohfloskel der philharmonischen Leitung dürfte vielmehr die offizielle Position im Sinne eines Dollfuß zugeschriebenen Statements zur politischen Relevanz der Festspiele reflektiert haben: „Ein Nichtabhalten der Salzburger Festspiele wäre gleichbedeutend mit dem Niederholen der österreichischen Fahne.“467 Zwei Jahre später, im April 1936, verzeichnete das Protokoll zu einer außerordentlichen Hauptversammlung eine vornehmlich an politischen Kriterien orientierte Agenda der außerordentlichen Konzerte, die sich das Orchester beziehungsweise dessen Vorstand wiederum 464 Prot. AHV, 25. 5. 1934. HAWPh A-Pr-029, 7. 465 Ebd. 466 Werba, Robert. Oper im Ständestaat. Die Auswirkungen der NS-Kulturpolitik auf das Opernleben in Wien und bei den Salzburger Festspielen. In: Haider-Pregler, Hilde/Reiterer, Beate (Hrsg.). Verspielte Zeit. Österreichisches Theater der dreißiger Jahre. Wien 1997. S. 89–105. Hier S. 91. 467 Zit. in: Werba, Oper, S. 91. Allerdings ist das Dollfuss-Zitat dort nicht ausgewiesen.
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selbst setzte. Zum einen drehte sich die Frage um die Veranstaltung eines Konzerts unter dem italienischen Dirigenten Victor de Sabata, das in der Oper stattfinden sollte. Burghauser drängte zur Annahme des Konzerts: Nebst dem Umstand, dass de Sabata zugunsten des philharmonischen Pensionsfonds auf sein Honorar verzichtet habe, sei das Konzert „von der [Staatsopern-]Verwaltung auf Grund des Culturabkommens mit Italien gewünscht [worden], ausserdem [sei] ein Honorar von der Ravag garantiert“, die Philharmoniker seien also „nicht berechtigt es abzuweisen“.468 Im anderen Fall handelte es sich um ein Konzert für die Arbeitsgemeinschaft der österreichischen Jugendverbände „Jung Vaterland Ostmarkjugend“, an dem – offenbar unentgeltlich – mitzuwirken das Orchester aufgefordert wurde. Auch hier führte Burghauser letztlich politische Gründe an, die eine Annahme der Einladung nahelegten: „Burghauser empfiehlt Annahme des Konzertes für die Arbeitsgemeinschaft [...], wofür uns Zusage gemacht wurde in Salzburg keine Leistung honoris causa zu verlangen. Ver weist auf Möglichkeit der Intervention anderer Institutionen und Ausnutzung unserer Ablehnung zu politischen Zwecken.“469
Das Plenum fasste den Beschluss, das Konzert abzuhalten.470 Obschon das Komitee keineswegs alle Konzerteinladungen zur Annahme empfahl, die in einem politischen Zusammenhang an das Orchester gerichtet wurden,471 wird allein schon anhand der HV-Protokolle deutlich, wie entscheidend der Einfluss politischer Gesichtspunkte auf die über die Abonnementkonzerte hinausgehende philharmonische Konzertgestaltung war. Die politische Kooperation, zu der Burghauser die Versammlungen jeweils ohne größere Mühen anhalten konnte, dürfte einer der Hauptgründe dafür gewesen sein, dass eine mehr oder weniger ,autonome‘ Konzertpraxis der Wiener Philharmoniker aufrechterhalten werden konnte. Von politischen Interventionen blieben sie schon darum verschont, weil ihr Wirken durchgehend im Einklang mit staatspolitischen Interessen stand. Dass sich die ,Unabhängigkeit‘ des Orchesters denn auch nie infrage gestellt sah, bestätigte Burghauser außerdem an einer Hauptversammlung in aller Deutlichkeit: „Bgh. [Burghauser, F. T.] fühlt sich berechtigt 468 Prot. AHV, 17. 4. 1936. HAWPh, A-Pr-029, 10. „Ravag“ war die offizielle Abkürzung für die erste österreichische Rundfunkgesellschaft „Radio Verkehrs AG“. 469 Prot. AHV, 17. 4. 1936. HAWPh, A-Pr-029, 10. 470 Ebd. 471 An der erwähnten Hauptversammlung empfahl es etwa die Ablehnung eines Konzerts für das Komitee „Schweizerdank“ sowie der Einladung des Landeshauptmannes des Burgenlands zu einem Konzert zugunsten des Liszt-Denkmals in Eisenstadt; beide Ablehnungen wurden von der HV bestätigt. Prot. AHV, 17. 4. 1936. HAWPh, A-Pr-029, 10.
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besten Gewissens zu sagen, dass unsere Freiheit von der Behörde vollauf geachtet und respektiert ist.“472 Das einvernehmliche Verhältnis zwischen den Wiener Philharmonikern und der politischen Autorität blieb auch im ,Austrofaschismus‘ ungetrübt, zumal musikalische Institutionen wie die Wiener Philharmoniker für die politische Propaganda nach wie vor von zentraler Bedeutung waren. Die konstitutive Bedeutung der Musik für den Selbstentwurf Österreichs trat unter Dollfuß und seinem Nachfolger Schuschnigg noch deutlicher hervor als in den 1920er-Jahren.473 Die staatlichen Mobilisierungsversuche von Musik gründeten in der breitflächig propagierten Absicht des ,austrofaschistischen‘ Regimes, eine Art „deutschen Gegenstaat“ zum nationalsozialistischen Deutschland zu errichten. Dietrich von Hildebrand, ein aus Deutschland emigrierter und maßgeblich am Entwurf einer ,ständestaatlichen‘ Österreichideologie beteiligter Philosophieprofessor, der auch das unter Dollfuß’ Patronanz gestellte Wochenblatt „Der christliche Ständestaat“ gründete,474 stilisierte Österreich in dieser Zeitschrift zum „Hort des wahren Deutschtums“: Das Land sei berufen, durch seine „reine authentische Ausprägung des deutschen Geistes im ungebrochenen Oesterreichertum für Deutschland das Vorbild zu werden, durch das es zurückfindet zu sich selbst aus der preußischen Verfälschung“.475 Hildebrand knüpfte an Österreich-Verklärungen von Dichtern wie Anton Wildgans oder Hugo von Hofmannsthal an476 und stieß mit seinem publizistischen Aktionismus um die deutsche Vormachtstellung des Kleinstaats auf große Resonanz. Das „wahre Deutschtum“ habe in Österreich „seine Heimat und seine Zukunft“, propagierte etwa die Vaterländische Front.477 Die Umkehrung des ,Anschluss‘-Gedankens aufgrund der kultu-
472 Prot. AHV, 15. 5. 1936. HAWPh, A-Pr-029, 11. 473 Zur Verdichtung der Topoi des ,Musiklandes Österreich‘ bzw. der ,Musikstadt Wien‘ während des ,Austrofaschismus‘ vgl. Szabó-Knotik, Cornelia. Musikstadt Wien als Topos kultureller Identifikation in der Zwischenkriegszeit. In: Kuret, Primoz (Hrsg.). Musik zwischen beiden Weltkriegen, und Slavko Osterc. Slowenische Musiktage 1995. Ljubljana 1995. S. 277–300. Hier S. 279 ff. 474 Nach Anton Staudinger lag die Gründungsintention der Zeitschrift in der ideologischen Fundierung der angestrebten ständisch-autoritären Strukturierung Österreichs, die vor allem der ideologischen Abwehr des Nationalsozialismus hätte dienen sollen; das auf katholisch-intellektuelle Kreise zugeschnittene Blatt habe aber unter Schuschnigg zunehmend habsburgisch-legitimistischen Tendenzen Raum gegeben und habe ab 1937 an Bedeutung verloren. Staudinger, Anton. Austrofaschistische „Österreich“-Ideologie. In: Tálos/Neugebauer, „Austrofaschismus“, S. 28–53. Hier S. 36. 475 Hildebrand, Dietrich von. Oesterreich. In: Der christliche Ständestaat. Jg. 1, Nr. 42. Wien 1934. S. 6 f. Zit. in: Eder, Musikfeste, S. 21 f. 476 Eder, Musikfeste, S. 19 ff. 477 Vaterländische Front/Bundeswerbeleitung Wien (Hrsg.). Richtlinien zur Führerausbildung. Wien 1935. Zit. in: ebd., S. 22.
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rellen Überlegenheit Österreichs gegenüber Deutschland478 war da naheliegend: zur Gesundung Deutschlands sei „nicht ein Anschluß Österreichs an Deutschland, aber ein Anschluß Deutschlands an Österreich“ notwendig und gerechtfertigt.479 Noch einmal also sollte der alte österreichische Traum der ,Großdeutschen Lösung‘ beschworen werden, wenn auch nur als rhetorische Formel. Die ,Anschluss‘-Bestrebungen der 1920er-Jahre verkehrten sich nun in die Selbstbehauptung Österreichs als dem deutschen Staat. Auch gegenüber der internationalen Staatengemeinschaft wurde sie aufrechterhalten: Nach Schuschnigg sollte das deutsche Österreich – in deutlicher Absetzung zum nationalsozialistischen Deutschland – als „ein friedliebender Kulturfaktor im Herzen Europas“480 wahrgenommen werden. Einen gewissen außenpolitischen Rückhalt fand das ,austrofaschistische‘ Österreich zunächst in Mussolinis faschistischem Italien, was durch den Abschluss der „Römer Protokolle“ im März 1934 zwischen Italien, Österreich und Ungarn auch eine vertragliche Absicherung erfuhr.481 Das offensichtliche machtpolitische Ungleichgewicht zwischen Österreich und Deutschland blieb freilich auch den Österreich-Propagandisten nicht verborgen. Einen Ausweg aus dieser unterlegenen Position sahen sie darin, den österreichischen Hegemonialanspruch auf das ,Deutschtum‘ ins Gebiet von Kunst und Kultur zu verlegen und darauf zu bestehen, dieses sei dem Politischen übergeordnet. Anklänge an die kulturelle Kompensationsstrategie des monarchistischen Österreichs Ende des 19. Jahrhunderts, als Wien bereits einmal den außenpolitischen Machtverlust, den Österreich durch die Gründung des deutschen Kaiserreichs erlitten hatte, mit einer Kulturoffensive beantwortete, sind in der ,austrofaschistischen‘ Österreich-Propaganda nicht zu überhören. Die „Wiener Stadt-Stimmen“ etwa, als Zeitung der Vaterländischen Front (VF) Vertreterin eines strammen Regierungskurses,482 formulierte dies so: „Die kulturellen Schöpfungen 478 Ebd. Zur Propagierung der Formel von der „kulturellen Überlegenheit“ Österreichs gegenüber Deutschland vgl. Staudinger, „Österreich“-Ideologie, S. 36 ff. 479 Wildner, Leo Octavio. Zuletzt wird doch Oesterreich sein. In: Der christliche Ständestaat, Jg. 1, Nr. 4, Wien 1933. S. 12. Zit. in: Eder, Musikfeste, S. 22. 480 So Schuschnigg in seiner Antwort auf Hitlers Reichstagsrede vom 21. 5. 1935. Zit. in: Stuhlpfarrer, Karl. Austrofaschistische Außenpolitik – ihre Rahmenbedingungen und ihre Auswirkungen. In: Tálos/Neugebauer, S. 322–337. Hier S. 331. 481 Die Römer Protokolle zwischen Italien, Ungarn und Österreich sollten primär der Schaffung von internationalen Rahmenbedingungen dienen, innerhalb derer ein selbständiges Österreich sich den italienischen Donauraum-Aspirationen öffnen und zu ihrer gemeinsamen Weiterentwicklung Hand bieten sollte. Über die politische Protektion Österreichs durch Italien hinaus wirkten sich die Römischen Vereinbarungen vor allem auf der Ebene einer engeren wirtschaftlichen Zusammenarbeit aus. Stuhlpfarrer, Außenpolitik, S. 328. 482 Die „Vaterländische Front“ (VF) war allerdings sowohl hinsichtlich ihrer Struktur als auch ihrer Wirkung weit davon entfernt, eine Massenorganisation wie die NSDAP zu sein. Sie war zwar die politische Monopolorganisation und ,rechtlich‘ verankerte „alleinige Trägerin der politischen Willensbildung“, verfügte
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des Landes werben besser als ein Propagandaministerium. Kultur ist ein Gut, das der Zeit trotzt und länger lebt als alle Politik.“483 Die Bedeutung von Kultur für die ,austrofaschistische‘ Österreich-Ideologie wurde mitunter von höchster politischer Stelle propagiert. So ließ Bundeskanzler Schuschnigg sein Buch „Dreimal Österreich“, eine Art ,ständestaatliche‘ Österreichchronik, auf der „Suche nach Sinn und Sendung des modernen Österreich“ 484 förmlich musikalisch ausklingen. Zunächst verwies er auf eine Österreich-Konstruktion Hofmannsthals: „Österreich ist zuerst Geist geworden in seiner Musik, und in dieser Form hat es die Welt erobert.“485 Sodann charakterisierte er Beethoven als einen Menschen, der „Österreicher geworden [ist], [dessen] Wiege in anderen deutschen Landen stand“.486 Er sei, so Schuschnigg, der „Mahner des österreichische[n] Troubadur[s] des deutschen Volkes“, der „in Stunden des Kleinmuts [...] die Müden und Verzagten emporriß mit den Worten, deren Zauberklang von Wien aus die Welt erobert hat: ,Freunde, nicht diese Töne, sondern laßt uns angenehmere anstimmen und freudenvollere ...‘.“ Daran knüpfte Schuschnigg die Verschränkung von ,Wiener‘ und ,Weimarer Klassik‘ als eine von Wien ausgehende: „Aus dem genius loci dieser Stadt [Wien, F. T.] und ihrer Sendung wuchs der berauschende Rhythmus zu den Sternen, der für immerwährende Zeiten Rhein und Donau, Wien und Weimar, Beethoven und Schiller verbindet [...].“487 Noch pointierter äußerte sich die konstitutive Bedeutung von Musik für Österreich in der Kulturzeitschrift „Die Pause“; sie leitete die internationale Bedeutung des Landes schlechthin aus Österreichs „musikalischer Vergangenheit“ ab: „Hätte unser Vaterland nichts anderes an Kulturzeugnissen aufzuweisen als seine musikalische Vergangenheit, es rangierte dadurch allein in der ersten Reihe der Staaten, die eine europäische Kultur gesetzt haben.“488
483 484 485 486 487 488
aber nicht über ein eigenes politisches Programm; ihre Funktion reduzierte sich auf die Vermittlung des politischen Willens der Regierung an die Bevölkerung. Vgl. Talos, Emmerich/Manoschek, Walter. Politische Struktur des Austrofaschismus (1934–1938). In: Tálos/Neugebauer, S. 124–161; darin der Abschnitt über die VF S. 145–154. Wiener Stadtstimmen, 26. 6. 1937, S. 7. Zit. in: Eder, Musikfeste, S. 23. Schuschnigg, Kurt. Dreimal Österreich. Wien 1937. Vorwort [o. S.]. Zit. in: ebd., S. 334. Ebd., S. 334 f. Ebd., S. 227 f. Tenschert, Roland. Musikland Österreich. In: Die Pause. Jg. 2, Nr. 2. Wien 1936. S. 21. Zit. in: Eder, Musikfeste, S. 23.
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Konzerte für den ,Austrofaschismus‘ Die programmatischen Äußerungen der ,austrofaschistischen‘ Österreich-Werbung hatten stets mehr die große Vergangenheit einer „österreichischen Tradition“ als die Gestaltung der Gegenwart im Fokus.489 Traditionelle Institutionen des Kulturbetriebs, die zu konservativreaktionären Zugeständnissen bereit waren, blieben auch im autoritären Regime gleichsam selbstverständlich autonom.490 Am Verhältnis der Wiener Philharmoniker zur offiziellen Politik wird dies geradezu beispielhaft deutlich.491 Sie gestalteten im In- wie im Ausland oftmals Konzerte, die in einem dezidiert politischen Programmrahmen abliefen und nicht selten unter dem Patronat des Bundeskanzlers standen. So nahm das Orchester 1933 nach dreijähriger Unterbrechung (abgesehen von einigen Konzerten in Budapest und Eisenstadt sowie den üblichen Engagements an den Salzburger Festspielen) seine internationale Reisetätigkeit wieder auf und fuhr Anfang Mai nach Italien. Die Dollfuß’sche Politik lieferte die Eckpunkte dieser Reise: Zum einen manifestieren sich darin Anbindungsbestrebungen an das faschistische Italien, wie sie kurze Zeit später etwa in den „Römer Protokollen“ offiziell festgehalten wurden,492 zum anderen jedoch diente die Reise aber auch der Profilierung der klerikalen Seite des Regimes.493 Im Zuge dieser Italientournee traten die Wiener Philharmoniker – offenbar als erstes Orchester mit einem weltlichen Programm – auch vor Papst Pius XI. im Vatikan auf: „Von der Mostra ging es in den Vatikan. Den Philharmonikern und damit ihrem Dirigenten [Clemens Krauss, F. T.] war es als ersten vergönnt, vor dem Heiligen Vater profane Musik vortragen zu dürfen. [...] Erfüllt von den herrlichen Eindrücken des alten Kulturlandes Italien sind wir nach Wien zurückgekehrt und widmen uns nun wieder mit voller Kraft unserer künstlerischen Mission.“494
Einen markanten außenpolitischen Beitrag leisteten die Wiener Philharmoniker auch mit ihrer Teilnahme an der Weltausstellung in Paris von 1937. Die kostenintensive Imagepolitik Österreichs auf den Weltausstellungen gewann im Verlauf der ,austrofaschistischen‘ Ära 489 Pfoser, Alfred/Renner, Gerhard. „Ein Toter führt uns an!“ Anmerkungen zur kulturellen Situation im Austrofaschismus. In: Tálos/Neugebauer, S. 223–245. Hier S. 225. 490 Ebd., S. 223. 491 Schon in den ersten Statuten von 1908 wurden rückwärtsgewandte Tendenzen deutlich; vgl. WLS, M. Abt. 119, A 32: Gelöschte Vereine, 4602/21, 10. 492 Zu den Römer Protokollen vgl. FN 481. 493 Zur klerikalen Seite des ,Austrofaschismus‘ vgl. etwa Hanisch, Ernst. Der Politische Katholizismus als ideologischer Träger des „Austrofaschismus“. In: Tálos/Neugebauer, S. 53–73. 494 Burghauser, Italienreise, S. 3 f.
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trotz anhaltender finanzieller Engpässe im öffentlichen Haushalt an Relevanz. 495 Während der Dirigent Paul Kerby als österreichischer Repräsentant des „Österreichtags“ auf der Weltausstellung in Chicago 1933 noch Musik aus der Konserve abspielte, leistete sich Österreich an der Weltausstellung von 1934 in Brüssel bereits einen Pavillon, der das Land als „kulturelle Grossmacht [...] im heutigen Europa“496 herausstellen sollte.497 Und 1937, anlässlich der Weltausstellung in Paris, präsentierte sich Österreich nicht nur mit einem eigenen Pavillon, sondern außerdem mit einem überaus üppigen Musikprogramm, an dem mehrere Wiener Musikinstitutionen mitwirkten.498 Diese Entwicklung entsprach den fortwährend intensivierten Bemühungen (insbesondere in der Ära Schuschnigg), über eine Konsolidierung der internationalen Stellung Österreichs auch eine Bestätigung des politischen Kurses, wie ihn der Dollfuß-Nachfolger betrieb, zu erreichen.499 Der Einsatz der Wiener Philharmoniker schien dabei ein passendes Mittel gewesen zu sein – auf der Pariser Weltausstellung 1937 standen diese an erster Stelle der Repräsentanten Österreichs.500 Das von der Regierung angeregte Mitwirken des Orchesters an der Pariser Weltausstellung kommentierte Burghauser dahin gehend, dass „Orchestervertretung [der Staatsoper, F. T.] und philharmonisches Komitee“ ihre Zustimmung zur Teilnahme an der Weltausstellung gegeben hätten „[i]m Bewusstsein, damit einer patriotischen Pflicht nachzukommen“.501 Ihre außenpolitische Funktion haben die Wiener Philharmoniker bisweilen also über die musikalische Sublimierung von bilateralen Beziehungen Österreichs, wie sie sich in der Italienreise von 1933 manifestierten, hinausgehend begriffen. Die Wiener Philharmoniker partizipierten in ihren Veranstaltungen gelegentlich aber auch an der innenpolitischen Stützung des ,austrofaschistischen‘ Regimes. Ver anstaltungen wie das „Geistliche Festkonzert im Rahmen des Deutschen Katholikentages zugunsten der Dr.Ignaz-Seipel-Gedächtnisstiftung“ im September 1933502 gehörten ebenso dazu wie das Mit495 Vgl. Mayer-Hirzberger. Voting for Shifts in Austria: How the Ständestaat (1934–1938) Used Musical Clichés to Improve the Country’s Image Abroad. In: Ingram Susan et al. (Hrsg.). Ports of Call. Central European and Hortz American Cultures in Motion. Frankfurt am Main 2003. S. 199–209. Hier S. 202. 496 Offizieller Führer der Weltausstellung in Brüssel (Manuskript). Zit. in: Mayer-Hirzberger, Shifts, S. 202. 497 Vgl. Mayer-Hirzberger, Shifts, S. 200 ff. 498 Ebd., S. 203. 499 Vgl. Stuhlpfarrer, Außenpolitik, S. 330. 500 Die Wiener Philharmoniker gaben in Paris zwei Konzerte unter Bruno Walter mit Werken von Haydn, Mozart, Schubert, Bruckner – und Palestrina als einzigem ,Nicht-Österreicher‘. Im Umstand, dass der in Deutschland verfolgte Bruno Walter die Wiener Philharmoniker dirigierte, dürfte über dessen damals noch enge Beziehung zum Orchester hinausgehend der Versuch einer politischen Manifestation als eines ,anderen deutschen Staates‘ zu sehen sein. 501 Prot. AHV, 26. 5. 1937. HAWPh, A-Pr-029. 502 Eine detaillierte Beschreibung und Interpretation dieses Anlasses liefern Pfoser/Renner, „Toter“, S. 236 f.
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wirken der Wiener Philharmoniker an der groß aufgezogenen, im Oktober 1937 abgehaltenen „Festversammlung anlässlich der 400-Jahr-Feier des Ordens der ,Barmherzigen Brüder‘“. In der Dramaturgie des Festablaufs bildete sich gleichsam die ,austrofaschistische‘ ÖsterreichIdeologie ab:503 Dem Absingen der Bundeshymne sowie der anschließenden Begrüßung durch den Provinzial des Ordens folgten Schuberts ,Unvollendete‘ sowie zwei Motetten von Anton Bruckner – womit sich auch der musikalische Rahmen zwischen profanen und geistlichen Klängen aufspannte –, bevor sich der Ansprachereigen vom Bundesminister für soziale Verwaltung (Resch) über den Wiener Bürgermeister (Schmitz) bis zum Wiener Erzbischof (Innitzer) fortsetzte. Die Wiener Philharmoniker waren dabei Teil der für das ,austrofaschistische‘ Österreich typischen „Dreieinigkeit“ von Kultur, Staat und Kirche. Das Mitwirken des Orchesters diente nicht bloß dem Zweck der musikalischen Umrahmung des Anlasses, sondern war darüber hinaus ein konstitutiver Bestandteil der Inszenierung selbst: Die Wiener Philharmoniker repräsentierten als erste Vertreter der ,Musikstadt‘ nichts Geringeres als das kulturelle Österreich.
Zukunftsweisende Vergangenheitskonstruktion: Heinrich Kraliks Philharmoniker-Monografie von 1938 Auf die „große musikalische Vergangenheit“ Österreichs und Wiens berief sich auch der österreichische Musikwissenschaftler und -essayist Heinrich Kralik504 in seiner Monografie über die Wiener Philharmoniker.505 Das Buch erschien in den letzten Monaten des ,Austrofaschismus‘ und wurde ohne ersichtlichen äußeren Anlass (wie ein Jubiläum oder dergleichen) publiziert. Politische Konnotationen seines Erscheinens sind unübersehbar, auch wenn nicht evident ist, von wem genau es lanciert wurde.506 Der politische Kontext dieser Philharmonikerdarstellung ist schon an dessen Bebilderung ersichtlich: Eine Fotografie des Orchesters unter Toscaninis Leitung ziert den Buchumschlag, während im ausführlichen Bildteil Dirigenten wie Bruno Walter, Otto 503 Programmheft zum Konzert vom 17. 10. 1937. Philharmonische Programmbücher, 1936/37. 504 Heinrich (von) Kralik (1887–1965) war unter anderem Musikkritiker des „Neuen Wiener Tagblatts“ und wurde 1945 zum Musikdirektor der RAVAG (Österreichischer Rundfunk) bestellt. Außerdem war er Herausgeber von zahlreichen populären Operneinführungen. Zwischen 1938 und 1945 sind von ihm außer neu aufgelegten Operneinführungen keine Publikationen überliefert. 505 Kralik, Philharmoniker. 506 Im HAWPh findet sich lediglich ein Schreiben des Wilhelm-Frick-Verlags an die Wiener Philharmoniker vom 18. 6. 1937, in dem die Verlagsvereinbarung mit Kralik mitgeteilt wird. HAWPh, Korrespondenzen, Kralik Heinrich.
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Klemperer oder, wiederum, Toscanini zahlreiche Seiten füllen und Arnold Rosé auf einer Aufnahme mit der Überschrift „Das Philharmonische Orchester von heute“ als Konzertmeister fungiert – allesamt Musiker, über die in Deutschland 1933, nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten, aus ,rassischen‘ oder politischen Gründen der Status einer Persona non grata verhängt wurde. Dass sie in Kraliks Buch umso prominenter in Szene gesetzt wurden, verweist auf die österreichische Strategie, sich möglichst deutlich von Deutschland abzugrenzen; dies war, zumindest im Kulturbetrieb bis zum Schluss der ,austrofaschistischen‘ Periode gängige Praxis – also trotz des Juli-Abkommens,507 das bereits anderthalb Jahre zuvor ratifiziert worden war und auch trotz des unmittelbar bevorstehenden Berchtesgadener Abkommens, das am 12. Februar 1938 zwischen Schuschnigg und Hitler getroffen werden und die nationalsozialistische Herrschaft in Österreich endgültig einleiten sollte.508 Kralik machte in seiner Monografie zunächst engste Wien-Bezüge der Wiener Philharmoniker geltend: Für sie sei beides gleich wichtig, dass sie Wiener und dass sie Philharmoniker seien. Eins spiegle sich im anderen, ihr „Wienertum“ in ihrem Künstlertum, so Kralik; dazu erläuterte er: „Wie die Musik, die sie machen, durch den mitschwingenden Laut der Heimat spezifische Eigenart und Farbe erhält, so ist ihr Musizieren wieder Zeugnis des lebendigen Kunstwillens der Heimat. Wir könnten auf unsere Wiener Musikkultur nicht so felsenfest bauen, wenn sie uns die Philharmoniker nicht gleichsam in ständiger Evidenz hielten.“509
Obzwar die Wiener Philharmoniker „ihrem bürgerlichen Stande nach“, in ihrer Eigenschaft als Mitglieder des Opernorchesters „Angestellte, Arbeitnehmer des Staates“ seien, könnten sie in ihren Konzerten „völlig frei und unabhängig“ walten. Darin spiegle sich „die selbstsichere 507 Das Abkommen vom 11. Juli 1936 zwischen Österreich und Deutschland beinhaltete die Zusicherung Deutschlands, Österreichs Souveränität zu wahren und sich in dessen innere Angelegenheiten nicht einzumischen. Außerdem verpflichtete sich die Reichsregierung, die Tausend-Mark-Sperre aufzuheben: Berlin erließ im Sommer 1933 nach der Ausweisung des bayerischen Justizministers Hans Frank (des späteren Generalgouverneurs in Polen) aus Österreich ein Gesetz, wonach deutsche Staatsbürger vor einer Reise nach Österreich jeweils 1.000 Reichsmark zu zahlen hatten, um die österreichische Tourismuswirtschaft zu schädigen. Im Gegenzug hatte Österreich die inhaftierten Nationalsozialisten zu amnestieren und musste sich zur außenpolitischen Anlehnung an den Berliner Kurs sowie zur Aufnahme zweier Vertrauenspersonen der nationalen Opposition in die Regierung verpflichten (Edmund Glaise-Horstenau und Guido Schmidt). Zu Hintergründen und Auswirkungen des Juli-Abkommens vgl. Volsansky, Gabriele. Pakt auf Zeit. Das deutsch-österreichische Juli-Abkommen 1936. Wien 2001. 508 Vgl. etwa Stuhlpfarrer, Außenpolitik, S. 334. 509 Kralik, Philharmoniker, S. 7.
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Kraft österreichischen Kultursinns: in der Liberalität, mit welcher der Brotherr sein Orchester ,philharmonisch‘ schalten und walten“ lasse.510 Kralik formulierte anhand dieses Beispiels des Verhältnisses der Wiener Philharmoniker zur österreichischen Politik implizit eine kulturpolitische Gegenposition, die Österreich zum staatlich gegängelten Musikbetrieb NS-Deutschlands einnehme. Zugleich hatte er aber offensichtlich eine Gegenüberstellung der Wiener und Berliner Philharmoniker im Sinn. Dies geht etwa daraus hervor, dass er den Berliner Philharmonikern als einzigem ausländischen Orchester überhaupt ein eigenes, wenn auch kurz gefasstes Kapitel widmete, in dem er die Gegensätzlichkeiten und die unterschiedlichen Entwicklungen der beiden Orchester ausführte, dabei aber durchaus anerkennend von den Leistungen der Berliner Philharmoniker sprach. Für die Wiener Philharmoniker machte Kralik geltend: „Es gab Altes und Neues in gewohnter Zusammenstellung und belebt von der gewohnten Meisterschaft des Orchesters. Kein heftiger oder eigenwilliger Ton störte die sanfte Harmonie.“511 Demgegenüber heißt es im Kapitel über die Berliner Philharmoniker: „Mit dieser Sanftheit aber stand man völlig außerhalb von allem, was die Zeit gebieterisch verlangte. [...] Wie hielten es die anderen? Etwa die Berliner Philharmoniker, die bereits zu wiederholten Malen in Wien gastiert hatten? Hier wirkten Dirigenten der jungen Generation, moderne Künstlertypen, deren jeder individuellen Zuschnitt und besonderes Profil besaß. Hier lernte man in der Tat eine neue, differenzierende Art der Interpretationen kennen.“
Daraufhin hätten die Wiener Philharmoniker einsehen gelernt, dass es „ohne jene differenzierende Art, die man so gerne eine nervöse nannte“ eben nicht mehr gegangen sei.512 In diesem kurzen Aufriss der historischen Gegensätze der beiden Orchester verwies Kralik auf die Modernität des Berliner Philharmonischen Orchesters und dessen Bedeutung für die Erneuerung wenn nicht des Musikbetriebs, so der musikalischen Interpretation, und strich dessen Vorbildwirkung für die Wiener Philharmoniker hervor. Kralik sah in den Neuerungen, an die sich die Wiener Philharmoniker anzupassen gehabt hätten, letztlich jedoch etwas Äußerliches, Technisches. Den gewichtigsten Unterschied zwischen den Wiener Philharmonikern und allen ihren „Geschwisterinstituten“, wie Kralik andere berühmte Orchester nannte, machte er nach wie vor an der „Tradition“ des Wiener Orchesters fest und knüpfte damit an die Vergangenheitsbezogenheit der ,austrofaschistischen‘ Kulturideologie an. Die Wiener Philharmoniker, so postulierte er, hätten den anderen Orchestern „das eine voraus [...]: 510 Ebd. 511 Ebd., S. 67. 512 Ebd. S. 68.
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eine einzig dastehende Geschichte und als Ergebnis dieser Geschichte eine einzig dastehende Tradition“.513 Allzu direkte Bezüge auf Deutschlands nationalsozialistische Kulturpolitik vermied Kralik. Seine Darstellung der Geschichte der Wiener Philharmoniker kommt überhaupt weitgehend ohne explizite politische Bezugnahmen aus. Es dürfte dem Autor im Gegenteil darum zu tun gewesen sein, die philharmonische Sphäre möglichst außerhalb des Politischen anzusiedeln. Sogar der Weltkrieg, so postulierte der Autor, habe dem Orchester, das er gleichsam sakralisierte, nichts anhaben können: „Die Konzertchronik der Philharmoniker blieb während der Kriegsjahre auch weiterhin der Weltgeschichte entrückt, friedlich und stetig.“514 Kralik sah die Verantwortung dafür im „Kulturwillen“, den er nicht nur den Wiener Philharmonikern, sondern Österreich überhaupt unterstellte: „Die Kontinuität der philharmonischen Konzerttätigkeit bezeugte unwiderlegbar die Kontinuität des österreichischen Kulturwillens. Und wahrhaftig, wer wäre besser geeignet gewesen als dieses Orchester, mit förmlich diplomatischen Missionen betraut zu werden und dem Ausland Kunde zu geben von der unverletzten und ungebrochenen Kraft dieses Kulturwillens?“515
Diesen „Kulturwillen“ führte Kralik auch als Begründung für die Ausdehnung der Konzerttätigkeit der Wiener Philharmoniker während des Ersten Weltkriegs an. Weder erwähnte er in diesem Zusammenhang die staatlich verordneten Wohltätigkeitskonzerte noch interpretierte er diese Ausdehnung als Folge der sich verengenden ökonomischen Bedingungen für das Orchester, sondern sah sie in der Forderung des „Musiksinnes“ nach „vollste[r] Befriedigung“ begründet: „Indessen, je verhängnisvoller sich die Kriegslage gestaltete, desto fester hielt man daheim zur Musik, als vermöchte sie Tröstung, Sammlung und moralische Kraft zu spenden. Es ist jedenfalls merkwürdig, daß in jenen kritischen Jahren die Tätigkeit unserer Philharmoniker eine nicht unwesentliche Erweiterung erfuhr. [...] So viel man auch sonst zu entbehren gelernt hatte, der Musiksinn akzeptierte keine Beschränkung und forderte auch in dieser entbehrungsreichen Zeit vollste Befriedigung.“516
513 514 515 516
Ebd., S. 7. Ebd., S. 80. Ebd., S. 80 f. Ebd., S. 81.
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Dieser „Musiksinn“ sei auch nach dem „Zusammenbruch des Staats“ (gemeint ist die Monarchie) kein anderer geworden. Es habe „keinen Augenblick der Unsicherheit, der Verwirrung, der Unterbrechung“ im Orchester gegeben: „Wenn sich die Lebenskraft des Unternehmens [der Wiener Philharmoniker, F. T.] damals so rühmlich bewährt hat, so darf freilich nicht vergessen werden, daß ihm alle tätigen Willenskräfte der musikliebenden Öffentlichkeit zugeströmt sind. [...] Kurz, das Musikleben steuerte in gutem Kurs, in Anbetracht der Verhältnisse im allerbesten.“517
Dabei verwies Kralik auf die Kontinuität der Philharmonischen Konzerte, die sich unabhängig von den politischen Umwälzungen fortgesetzt hätten; ein einziger kleiner Unter schied habe darin gelegen, dass die Veranstaltungen nicht mehr „im großen Saale der k. k. Gesellschaft der Musikfreunde“, sondern „im großen Musikvereinssaale“ – also im selben Konzertsaal, der nun anders hieß – stattgefunden hätten: „Innerhalb der philharmonischen Konzerte, im Bereiche jenes Gefildes der Seligen, war das im Grunde die einzig merkbare Spur, die Kunde gab vom Zusammenbruch einer Welt“,518 vermerkte Kralik mit nostalgischem Unterton und funktionalisierte die Wiener Philharmoniker damit quasi zum Bindeglied der Epochen. Die Rückbindung des Orchesters an die Vergangenheit machte Kralik auch an dessen „Systemwechsel“, also am 1933 beschlossenen Verzicht auf einen Chefdirigenten zugunsten der freien Dirigentenwahl für die Abonnementkonzerte geltend: „Nicht zuletzt ist der Systemwechsel in der allgemeinen Beschaffenheit unserer musikalischen Gegenwart begründet. Da es der neuen Musik, die heute hervorgebracht wird, zumeist an dauernder Lebenskraft, an Größe und Bedeutung fehlt, muß um so eifriger Sorge getragen werden, die Vorführung der alten großen Musik interessant und attraktiv zu erhalten. Die schöpferische Armut unserer Zeit durch den Reichtum einer Reproduktion mit stets neuen, wechselnden Aspekten auszugleichen, das ungefähr ist der künstlerisch praktische Sinn der neuen Ordnung.“519
Die auf die Vergangenheit bezogene Legitimation der Konzertpraxis der Wiener Philharmoniker zeigt sich hier besonders deutlich. Eben darin koinzidierte diese auch mit der ,austrofaschistischen‘ Kulturpolitik. Kralik attestierte dem Orchester gegen Schluss seiner Ausführungen nicht umsonst, es sei „die repräsentative Stimme Österreichs“ geworden, die auch „im fernen, weiten Ausland vernommen werden sollte.“.520 517 518 519 520
Ebd. S. 82. Ebd. Ebd. S. 94 f. Ebd., S. 84.
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4.4 Auch im NS-Staat ein Verein: die Wiener Philharmoniker Auch im Nationalsozialismus setzte sich die Politisierung der Wiener Philharmoniker in erster Linie auf der Ebene der Kooperation und weniger über die politische Besetzung von Orchesterverwaltung und -organisation fort. Die Eingliederung der Wiener Philharmoniker ins ,Dritte Reich‘ gestaltete sich damit deutlich anders als jene des Berliner Philharmonischen Orchesters, wenn auch eine parteipolitisch motivierte Rochade in der Vereinsleitung noch am 12. März, als deutsche Wehrmachts-, SS- und Polizeieinheiten in Österreich einmarschierten, den demokratisch gewählten Hugo Burghauser als Orchester vorstand aus dem Amt drängte. Die Übernahme der Vereinsleitung ist zwar nicht dokumentiert, aber einer Nacherzählung von Otto Strasser521 zufolge wies der philharmonische Kontrabassist Wilhelm Jerger am 12. März, also noch einen Tag vor der Proklamation des „Gesetzes über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“ im Büro der Philharmoniker ein Schreiben der Parteileitung vor, das ihn als „kommissarischen Leiter“ des Orchesters auswies; Jerger teilte Burghauser daraufhin mit, dass die bisherige Orchesterleitung ihrer Funktion enthoben sei.522 Jerger war bereits seit 1932 Parteimitglied der NSDAP und seit 1938 Angehöriger der SS und Kreisleiter; 1939 stieg er außerdem zum „Ratsherrn“ der Stadt Wien auf.523 Dass er, anders als beim Berliner Philharmonischen Orchester, aus den Reihen des Orchesters stammte, dürfte vor allem mit der starken „Kollektivmentalität“ der Philharmoniker zu tun gehabt haben,524 darüber hinaus aber auch mit der formalen vereinsmäßigen Verfassung, die eine interne Nachbesetzung Burghausers nahelegte. Besser dokumentiert und entsprechend rekonstruierbar ist der Prozess der administrativen Eingliederung des Orchesters in das neue Machtgefüge. Da die Wiener Philharmoniker die Rechtsform eines Vereins besaßen, fielen sie zunächst in den Zuständigkeitsbereich der unmittelbar nach dem ,Anschluss‘ installierten „Dienststelle Stillhaltekommissar für Vereine, Organisationen und Verbände“. Deren Aufgabe bestand zum einen darin, die Vereine bis zur Volksabstimmung vom 10. April 1938 ,stillzuhalten‘, das heißt, sie hatte zu überwachen, dass sämtliche österreichischen Vereine und Vereinigungen bis zu diesem Termin inaktiv blieben.525 521 Otto Strasser (1901–1996), Mitglied der WPh seit 1923 (Violine II), 1932–1938 Komiteemitglied, 1938–1939 Geschäftsführer (Sekretär), 1939–1941 Vorstands-Stellvertreter, 1958–1966 Vorstand, 1991 Ehrenvorstand (Angaben gemäß Mitgliederverzeichnis HAWPh). Strasser war außerdem seit 1. Juli 1938 Anwärter auf Mitgliedschaft und ab 1. April 1940 Mitglied der NSDAP (vgl. Rathkolb, Künstlereliten, S. 129). 522 Strasser, Leben, S. 130. 523 Vgl. auch Rathkolb, Künstlereliten, S. 129; Hellsberg, Demokratie, S. 460. 524 Rathkolb, Künstlereliten, S. 56. 525 Rothkappl, Gertrude. Die Zerschlagung österreichischer Vereine, Organisationen, Verbände, Stiftungen und Fonds. Diss. an der Universität Wien 1996. S. 28. Dabei ist zu erwähnen, dass in einem
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Im Gespräch mit der Politik: Komiteemitglied und Hornist Leopold Kainz, Bürgermeister Hermann Neubacher, Orchestervorstand und Ratsherr Wilhelm Jerger sowie Dirigent Wilhelm Furtwängler in Wien 1938 (von links). © Historisches Archiv der Wiener Philharmoniker.
Zum anderen musste der Stillhaltekommissar aber auch Maßnahmen für eine ,Gleichschaltung‘ österreichischer Vereine und Organisationen treffen.526 Gemäß einem Reichsgesetz vom 17. Mai 1938527 oblag es ihm, über sämtliche österreichischen Vereine, Vereinigungen und Organisationen entweder die „Totale Auflösung“, die „Eingliederung in eine andere Organisation unter Verlust der Rechtspersönlichkeit“, die „Totale Freistellung“ (also die Belassung als Verein) sowie die „Freistellung unter Aufrechterhaltung der Rechtspersönlichkeit mit gleich-
vom 17. März 1938 datierten Schreiben vom „Amt des Landeskulturleiters der N.S.D.A.P./Hitlerbewegung/Österreich“ an Gauleiter Bürckel von den Wiener Philharmonikern bereits als einem „nationalsozialistischen Kulturverein“ die Rede ist. Inhaltlich geht es in diesem Schreiben um die Frage, ob von der Weisung Bürckels, die Tätigkeit der Vereine bis zur Durchführung der Volksabstimmung vom 10. April 1938 ruhen zu lassen, auch die „Veranstaltungen kulturellen Charakters betroffen“ seien. ÖStA, AdR, 04, „Bürckel“/ Materie, 2420 Kt. 160, Nr. 56. (Der Stillhaltekommissar war direkt Bürckel unterstellt und offenbar in den zentralen Fragen nicht Entscheidungs-, sondern vor allem Vollzugsstelle.) Konkret wurde nebst einem Konzert des Männergesangsvereins, des Wiener Tonkünstlerorchesters und eines Konzerts der Gesellschaft der Musikfreunde auch die Durchführung eines „Philharmonischen Konzerts am 21. III. unter Knappertsbusch im Großen Musikvereinssaal“ erbeten. Wohl um jegliche Bedenken des damaligen Gauleiters Bürckel gegen diese Konzerte vorgängig zu unterbinden, findet sich am Schluss des Schreibens folgender Zusatz, der die Wiener Philharmoniker außerdem indirekt als nationalsozialistische Wahlkampfhelfer ausweist: „Wir verbürgen uns dafür, daß alle in unserem Ersuchen einbezogenen nationalsozialistischen Kulturvereine durch die Abhaltung ihrer geplanten Veranstaltungen nichts von der Schlagkraft einbüßen werden, die Sie Herr Gauleiter möglicherweise von ihnen im Laufe des Wahlkampfes fordern werden.“ ÖStA, AdR, 04, „Bürckel“/Materie, 2420, Kt. 160, Nr. 56. Alle vier Konzerte wurden bewilligt. ÖStA, AdR, 04, „Bürckel“/Materie, 2420, Kt. 160, Nr. 55. 526 Rothkappl, Zerschlagung, S. 1. 527 Vgl. ebd., S. 23–27.
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zeitiger Unterstellung unter eine Reichsorganisation“ zu verfügen.528 Die große Mehrheit der österreichischen Vereine und Organisationen war von der „totalen Auflösung“ betroffen: Von den 115.000 Vereinen und Vereinigungen blieben bloß rund 5.000 übrig, die nicht aufgelöst wurden.529 Auflösungen wurden in der Regel mit der politischen oder konfessionellen Ausrichtung des Vereins begründet oder aber mit dessen „gänzlich überflüssige[m] Charakter“.530 Auf den Verein Wiener Philharmoniker fanden diese Auflösungskriterien keine Anwendung, wenn auch nicht von vornherein klar war, welcher Status dem Orchester formalrechtlich zukünftig zukommen sollte. Kurzzeitig stand auch die Vereinsauflösung zur Diskussion. Ein erster Bescheid des Stillhaltekommissars vom 16. September 1938 sah die „Löschung“ und „Eingliederung“ des Vereins in die „Staatstheater und Bühnenakademie“ vor.531 Doch drei Monate später, am 12. Dezember, wurde der Entscheid aufgrund von Verhandlungen zwischen dem Propagandaministerium und dem Stillhaltekommissar „telefonisch zurückgezogen“ und am 19. Dezember wurde die Aufhebung der Verfügung vom 16. September schriftlich bestätigt,532 ohne dass zu diesem Zeitpunkt klar war, welche Organisationsform den Wiener Philharmonikern fortan zukommen würde. Am 13. Dezember unterbreitete das Stillhaltekommissariat dem Propagandaminister zwei Vorschläge: „1. Der Verein behält seine Selbständigkeit und wird der Aufsicht des Reichs propagandaministeriums unterstellt. Dies bedeutet, daß sowohl in Besetzungsfragen als auch in allen anderen Belangen, der Verein praktisch an die Weisungen des Ministeriums gebunden ist. 2. Der Verein wird gelöscht und gleichzeitig, wie in Berlin, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung gegründet, wobei die Geschäftsanteile dem Reich, vertreten durch das Ministerium, zustehen. In diesem Falle wäre das Orchester ein reiner Klangkörper und sind die Musiker als Angestellte der Gesellschaft anzusehen. Die Geschäftsführung erfolgt sohin durch die seitens des Reiches bestellten Vertreter.“533
Aufschlussreich ist der Kommentar zu diesen beiden Szenarien: „Zu beiden Lösungen bemerke ich [Dr. Blaha, Mitarbeiter des Stillhaltekommissars Albert Hoffmann]534 noch, daß im Endeffekt beide Lösungen das gleiche erreichen, daß aber ein Verein 528 529 530 531 532 533 534
Vgl. ebd., S. 49. Ebd., S. 52. Ebd. ÖStA, AdR, Reichsstatthalterei III, Karton 7683, Zl. 202.816/38. Vgl. Hellsberg, Demokratie, S. 468. ÖStA, AdR, Reichsstatthalterei III, Karton 7681, Zl. 201.666/38. In der neuen Administration Österreichs unmittelbar nach dem ,Anschluss‘ herrschte ein ausgesprochenes
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steuerfrei ist, während bei Gründung einer Gesellschaft die gesetzlichen Steuern auf Grund der jährlich zu ziehenden Bilanz entrichtet werden müßten. Wenn daran gedacht ist, daß die ausübendenden [sic] Musiker vom Reich bezahlt werden, erscheint die Lösung 2 als die notwendig gegebene.“535
Bezeichnenderweise wurde von dieser „Lösung 2“ abgesehen und dementsprechend auf die Bezahlung der Wiener Philharmoniker durch das Reich, beziehungsweise durch den Haushalt des Propagandaministeriums, verzichtet. Goebbels ließ am 13. Juni 1939 an den Stillhaltekommissar ausrichten: „Hierdurch teile ich mit, daß ich mit der Beibehaltung der vereinsrechtlichen Selbständigkeit der ,Wiener Philharmoniker‘ einverstanden bin, jedoch nur unter der Voraussetzung, daß die Satzungen nationalsozialistischen Grundsätzen entsprechend geändert werden und der Verein meiner unmittelbaren Aufsicht unterstellt wird.“536
Im Schlussbericht des Stillhaltekommissars vom 20. Juli 1939, in dem der definitive Status des Orchesters festgelegt wurde, konkretisierten sich Goebbels Vorgaben: „1. Die Organisation behält ihre Selbständigkeit und wird der Aufsicht des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda, Berlin, unterstellt. 2. Das Vermögen wird freigegeben. Kompetenzenchaos. So gab es zahlreiche Überlagerungen von Stellen, die sich mit der Neuorganisation von bestimmten geografischen und sachlichen Gebieten befassten. Es soll hier darum ein kurzer Überblick über die maßgebenden Personen in der nationalsozialistischen Verwaltung in Österreich eingeschoben werden: Hoffmann (1907–1972), seit 1933 Kreispropagandaleiter in Bremen und 1934 Mitarbeiter von Rudolf Hess in München, erhielt 1938 einen Sonderauftrag als „Stillhaltekommissar für Organisationen, Verbände und Vereine“ in Österreich (Weiß, Hermann [Hrsg.]. Personenlexikon 1933–1945. Wien 2003, S. 230 f.). Stillhaltekommissar deshalb, weil er das „Stillhalten“ der Vereine bis zur Volksabstimmung vom 10. 4. 1938 zu gewährleisten hatte (Rothkappl, Zerschlagung, S. 28). Hoffmann war damit Untergebener von Josef Bürckel (1895–1944). Bürckel war die zentrale nationalsozialistische Figur in der ,Anschluss‘-Zeit Österreichs (von seinen Kompetenzen waren nur das Polizei- und das Militärwesen ausgenommen). Am 13. März erteilte ihm Hitler den Auftrag, die NSDAP in Österreich zu reorganisieren und die Volksabstimmung am 10. April vorzubereiten: „Als Beauftragter, der seine Machtbefugnisse direkt von Hitler ableitete, war Bürckel mit der Vollmacht ausgestattet, ,alle Maßnahmen zu ergreifen und anzuordnen, die zur verantwortlichen Erfüllung des erteilten Auftrages erforderlich sind.‘“ (Botz, Gerhard. Wien vom „Anschluss“ zum Krieg. Nationalsozialistische Machtübernahme und politisch-soziale Umgestaltung am Beispiel der Stadt Wien 1938/39. Wien/ München 1980. S. 77). 535 ÖStA, AdR, Reichsstatthalterei III, Karton 7681, Zl. 201.666/38. 536 ÖStA, AdR/Gruppe 04, „Bürckel“/Materie, 161/2425-5.
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[...] Folgende Satzungsänderungen [sind] vorzunehmen: Arierprinzip, Führerprinzip. Der Vereinsführer wird im Einvernehmen mit dem Gauleiter von Wien der NSDAP durch den Herrn Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, Berlin ernannt; die Mitgliederversammlung hat lediglich ein Vorschlagsrecht.537 Mitgliederbeschlüsse bedürfen zu ihrer Rechtskraft der Zustimmung des Herrn Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda. Die Rechte der arischen Mitglieder sind im Rahmen der neuen zu verfügenden Satzungen, die der Genehmigung durch den Herrn Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda bedürfen, zu wahren.“538
Trotz den verfügten Änderungen blieb damit ein zentraler statuarischer Unterschied zum Berliner Philharmonischen Orchester bestehen: Das Orchester wurde zwar der Auf sicht Goebbels unterstellt, aber nicht kollektiv dem RMVP eingegliedert. Dieser Schlussbericht fiel denn auch weitgehend im Sinne der Wiener Philharmoniker aus: Am 28. Oktober 1938 richtete der Geschäftsführer des Orchesters, Otto Strasser, in einem Schreiben einen Appell an Staatssekretär Mühlmann,539 einerseits das Wiener Staatsopernorchester zu einem Reichsorchester zu ernennen und andererseits den „Verein Wiener Philharmoniker“ „freizustellen“.540 Beides wurde – wenn auch der erste Punkt mit einiger Verzögerung – umgesetzt. Bemerkenswert ist dabei das Kooperationsangebot in Strassers Schreiben: „[...] und [wir] bitten Sie, Herr Staatssekretär, die Reorganisation in dem von uns an gegebenen Sinne durchzuführen und uns auf diese Weise die Möglichkeit zu geben, mit all unseren Kräften am Aufbau des Großdeutschen Reiches und insbesondere der Stadt Wien als Musikstadt mitarbeiten zu können.“541
537 Für die Ernennung des „Vereinsführers“ ist gemäß den am 7. März 1940 bewilligten Statuten allerdings nicht mehr das Propagandaministerium, sondern der „Reichsstatthalter des Gaues Wien“ zuständig (§ 5). Vgl. Hellsberg, Demokratie, S. 470 f. 538 ÖStA, AdR/Gruppe 04, „Bürckel“/Materie, 161/2425-5. 539 Kajetan Mühlmann (1898–1958) war seit 1926 Werbebeauftragter der Salzburger Festspiele, wurde 1938 in Wien zum Staatssekretär für Kunst ernannt und trat der NSDAP bei. Nach der Kapitulation Polens wurde er von Göring zum „Sonderbeauftragten für den Schutz und die Sicherung von Kunstwerken in den besetzten Ostgebieten“ ernannt; in diesem Zusammenhang gründete er 1940 die „Dienststelle Mühlmann“ in Den Haag, die im großen Stil Handel mit gestohlenen und „beschlagnahmten“ Kunstwerken trieb. Vgl. Dehnel, Regine. Die Täter, die Opfer und die Kunst. Rückblick auf den nationalsozialistischen Raubzug. URL: http://www.eurozine.com/articles/2006-03-30-dehnel-de.html [Stand: 22. 1. 2008]. 540 ÖStA, AdR, BKA/RStiÖ III, Kt. 7681, Zl. 201.666/38. 541 Ebd.
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In einem mit „Vorschläge bezüglich der Neuorganisation der Wiener Philharmoniker bzw. des Wiener Staatsopernorchesters“ überschriebenen Positionspapier der Wiener Philharmoniker kommunizierte Strasser zugleich den freiwilligen Verzicht auf Subventionen: „Da anzunehmen ist, dass nach der Ueberwindung der gegenwärtigen Publikumskrise die Philharmonischen Konzerte so wie von jeher ausserordentlich aktiv sein werden, ist eine Subventionierung nicht notwendig.“542 Sowohl die Entscheidung des RMVP, die Wiener Philharmoniker nicht in eine Reichsgesellschaft umzuwandeln, als auch der freiwillige Verzicht des Orchesters auf Subventionen bezogen sich jedoch nur auf den Verein und nicht auf das Staatsopernorchester, dem ja auch nach dem ,Anschluss‘ sämtliche Philharmoniker, die im Verein verblieben,543 angehörten.
4.5 Antisemitismus in den beiden Orchestern Die Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933 sowie der ,Anschluss‘ Österreichs an Deutschland 1938 hatte insbesondere für die im Nationalsozialismus als Juden klassifizierten Orchestermitglieder der Berliner und Wiener Philharmoniker drastische Folgen. Bei den Berliner Philharmonikern waren die Auswirkungen der antisemitischen Politik – quantitativ betrachtet – indes geringer als bei den Wiener Philharmonikern. 1933 gehörten dem Berliner Philharmonischen Orchester bei einem Bestand von über 100 Mitgliedern gerade einmal vier Mitglieder jüdischer Herkunft an;544 bereits seit 1930 wurden keine Musiker jüdischer Abkunft mehr ins Orchester aufgenommen.545 Ob sich die Aufnahmepolitik allerdings schon in den letzten Jahren der Weimarer Republik an ,rassischen‘ Kriterien orientierte, lässt sich, wie auch Misha Aster betont, nicht belegen.546 Der bereits im April 1933 vom Berliner Oberbürgermeister Wilhelm Hafemann gefor-
542 ÖStA, AdR, BKA/RStiÖ III, Karton 7681, Zl. 202.666/1938. 543 Zu den Entlassungen der als „Juden“ klassifizierten Orchestermitglieder vgl. Kap. 4.5. 544 Es waren dies der Konzertmeister Szymon Goldberg, Gilbert Back (1. Violine) sowie die beiden Solocellisten Nicolai Graudan und Joseph Schuster. 545 Aster, „Reichsorchester“, S. 108. 546 Dass der äußerst geringe Anteil jüdischer Musiker bei den Berliner Philharmonikern „proportional gesehen immer noch viel größer als der Anteil der Juden an der gesamten deutschen Bevölkerung“ gewesen sei (Aster, „Reichsorchester“, S. 109), ist jedoch ein fehlgeleiteter Versuch, den minimalen Anteil von ein paar Prozent zu erklären: Wenn man schon Anteil-Relationen herstellen wollte, wäre nicht die Zahl der Juden innerhalb der „gesamten deutschen Bevölkerung“ als Bemessungsgrundlage relevant, sondern ihr Anteil an jenem der Berufsmusiker oder der Anteil der jüdischen Kandidaten bei den Probespielen, was aufgrund der lückenhaften Quellenlage jedoch kaum mehr eruierbar ist.
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derten Bekanntgabe „sämtlicher jüdischer und halbjüdischer Orchestermitglieder“547 kam der Orchestervorstand Lorenz Höber zunächst nur zögerlich nach: Er wollte „eine endgültige Erledigung dieser Angelegenheit bis zur Rückkehr des Orchesters [von einer Auslands-Tournee, F. T.] zurückstellen“, da die „Feststellung der Mitglieder halbjüdischer Abstammung [...] ja ohnehin gewisse Schwierigkeiten bereiten“ werde.548 Ein gewisser Widerstand gegen die antisemitischen Maßnahmen im Orchester kann, zumal unter Berücksichtigung der von Höber und Furtwängler angewandten Verzögerungstaktik, daraus durchaus abgeleitet werden;549 er war jedoch zumindest der offiziellen Argumentation nach in erster Linie von der Sorge um die Aufrechterhaltung der Leistungsfähigkeit des Orchesters geleitet. Anlässlich eines Konzerts, das die Berliner Philharmoniker im April 1933 zusammen mit dem National-Orchester Mannheim veranstalteten und das von antisemitischen Ausfällen des Mannheimer Klangkörpers gegen die Mitwirkung der jüdischen Musiker im Berliner Philharmonischen Orchester begleitet wurde, ließ Furtwängler den Vorstand des Mannheimer Orchesters wissen: „Ich bezweifle sehr, ob es im Sinne der jetzigen nationalen Regierung ist, dass ihre gross gedachten politischen Richtlinien zur Befriedigung persönlicher kleiner Eitelkeiten vorgeschoben und missbraucht werden. [...] Was im Uebrigen die Frage der Mitwirkung der Juden im Berliner Philharmonischen Orchester betrifft, so ist das etwas, das nicht Sie, sondern die Reichsregierung angeht, der das Philharmonische Orchester untersteht. Dieselbe weiss sehr gut – was Sie anscheinend vergessen haben – dass ,deutsch sein heisst, eine Sache um ihrer selbst willen tun‘, und dass bei einem Orchester, das die Höhe deutscher Orchester-Kunst nicht nur in Deutschland sondern in der ganzen Welt zu repräsentieren hat, in erster Linie das Leistungsprinzip massgebend sein und bleiben muss. Handelt es [sich] hier doch darum, die grossen deutschen Meister-Werke von denen unsere Kunst lebt, rein und unverfälscht zur Auswirkung gelangen zu lassen, und nicht darum so und so viel mittelmässigen Musikern eine Existenz-Möglichkeit zu bieten.“550
Und Goebbels gegenüber berichtete Furtwängler in diesem Zusammenhang: „Meine Eindrücke aus der Provinz, (Köln, Frankfurt, Essen, Mannheim, usw.) sind, soweit es das bodenständige Konzertleben betrifft, ausserordentlich ungünstig, und ich fürchte, dass die Pflege der innerlichsten und vielleicht ,deutschesten‘ Kunst unseres Volkes – ich meine vor allem die reine ,absolute‘ Musik – ihrer Eigenart nach unter der gegenwärtigen Umwälzung mehr
547 548 549 550
Hafemann an Berliner Philharmonisches Orchester (Höber), 22. 4. 1933. BA, R 55/1146. Höber an Hafemann, 26. 4. 1933. BA, R55/1146. Ausführlich dargestellt bei Aster, „Reichsorchester“, S. 95 ff. Furtwängler an den Vorstand des National-Orchesters Mannheim, 29. 4. 1933. BA, R55/1138.
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als irgend ein anderes Geistes-Gebiet leiden wird. Wenn nicht schleunigst der freie Wettbewerb wieder hergestellt wird, und damit das Publikum wieder instand gesetzt wird, sein Urteil geltend zu machen, so ist der Sklaven-Aufstand der Mittelmässigkeit, der sich im Musikleben heute vielfach vollzieht, erfolgreich, und damit die Stellung Deutschlands als Land der Musik, in der Welt dahin.“551
In Furtwänglers Besorgnis über die „gegenwärtigen Umwälzungen“, womit er in erster Linie antisemitische Eingriffe ins Konzertwesen gemeint haben dürfte, drückte sich vor allem die Befürchtung aus, dem Orchester würden aus einer Kündigung der jüdischen Philharmoniker Qualitätseinbußen erwachsen. Doch Furtwänglers Intervention half nichts: Mit Beginn der Saison 1935/36 spielte keiner der vier Musiker jüdischer Herkunft mehr im Orchester,552 während der Solocellist Hans Bottermund sowie der Geiger Bruno Stenzel, gebrandmarkt als ,Halbjuden‘, im Orchester verbleiben konnten. Dies war jedoch nicht einer „informellen Übereinkunft“ zwischen Furtwängler und Goebbels zu danken, wie Aster vermutet,553 sondern ihr Verbleib im Orchester wurde mittels „Sondergenehmigungen“ durch die Reichskulturkammer offiziell bestätigt.554 Was allerdings die „Sondergenehmigungen“ für die Musiker, die mit einer Frau jüdischer Herkunft verheiratet waren, anbelangt, scheint tatsächlich ein stillschweigendes Übereinkommen geherrscht zu haben, diese im Orchester zu belassen.555 Es musste grundsätzlich jeder Berufsmusiker der „Reichsmusikerschaft“ angehören, die der Reichsmusikkammer eingegliedert war. 1937 wurde festgelegt: „Berufsmusiker haben als Voraussetzung für die Berufsausübung die Mitgliedschaft der ,Reichsmusikerschaft‘ in der Reichsmusikkammer zu erwerben.“556 Was waren aber die Bedingungen für die Mitgliedschaft? Jeder Künstler konnte nur über den Weg einer Einzelkammer Mitglied der Reichskulturkammer werden. Für die Aufnahme in die Einzelkammer wiederum wurde die Mitgliedschaft in einer 551 552 553 554
Furtwängler an Goebbels, 30. 4. 1933. BA, R 55/1138. Aster, „Reichsorchester“, S. 104. Ebd. „Für die Beschäftigung beim Philharmonischen Orchester der Halbjuden Bottermund und Stenzel liegen Sondergenehmigungen der RKK vom 4. 7. 1936 I K 518/2287 vor.“ BA, R 55/248. 555 Es handelte sich dabei um den Klarinettisten Ernst Fischer, den Hornisten Otto Hess, den Geiger Richard Wolff sowie den Konzertmeister Hugo Kolberg. Letzterer wurde 1934 engagiert, setzte sich jedoch 1939 nach Amerika ab; vgl. dazu die Darstellung bei Aster, „Reichsorchester“, S. 105 f. Auf einer „Liste der Orchestermitglieder“ (ABPhO, G 1, 1945) findet sich die Kennzeichnung „arische Mitglieder m. jüdischen Frauen“ außerdem für eine fünfte Person, wobei undeutlich ist, ob sie sich auf den Bratschisten Kurt Christkautz oder den Cellisten Arthur Troester bezieht. 556 Recht der Reichsmusikkammer (RRMK) II, 5, § 2, 1. Ein Überblick über die Reichskulturkammer sowie über ihre vorgeblichen Zwecke liefert etwa Hinkel, Hans (Hrsg.). Handbuch der Reichskulturkammer. Berlin 1937.
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Fachschaft oder einem Fachverband vorausgesetzt.557 Die 1939 herausgegebenen „Arbeitsrichtlinien für die Reichskulturkammer“ beinhalteten folgenden ,Arierparagraphen‘: „Juden im Sinne der Nürnberger Gesetze sind grundsätzlich auszuschliessen; Halbjuden sind in den Kammern nur in ganz besonderen Einzelfällen und nur mit meiner persönlichen ausdrücklichen Genehmigung zu belassen; Vierteljuden können in den Kammern verbleiben, es sei denn, dass sie sich gegen den Staat oder gegen den Nationalsozialismus vergangen haben oder sonst beweisen, dass sie dem Judentum zuneigen; wer mit einer Jüdin verheiratet ist, wird grundsätzlich wie ein Halbjude behandelt; wer mit einer Halbjüdin verheiratet ist, grundsätzlich wie ein Vierteljude.“558
Was 1939 formaljuristisch festgelegt wurde, sei in der Praxis jedoch schon mindestens zwei Jahre früher angewendet worden, so der Historiker Volker Dahm.559 Goebbels verkündete sogar bereits am 15. November 1935, die Reichskulturkammer sei „heute judenrein“ und doppelte nach: „[I]m Kulturleben unseres Volkes [ist] kein Jude mehr tätig.“560 Dahm erläutert dazu: „Ab 1935 wurden dann alle Juden [...] aus den Kammern entfernt.“561 Dies lässt sich auch bei den Berliner Philharmonikern bestätigen, deren jüdische Musiker ab der Saison 1935/36 nicht mehr Mitglieder des Orchesters waren. Dass der Anteil der jüdischen Musiker bei den Berliner Philharmonikern auffallend gering war, wird auch im Vergleich zu jenem bei den Wiener Philharmonikern deutlich: Eine „Schwarze Liste“ der Bundestheaterverwaltung von 1938 wies elf Orchestermitglieder als „jüdisch“562 sowie weitere zehn Musiker als mit einer jüdischen Frau verheiratet aus.563 Seit 557 Schrieber, Karl-Friedrich. Die Reichskulturkammer. Organisation und Ziele der deutschen Kulturpolitik. Berlin 1934. S. 30 ff. 558 Arbeitsrichtlinien für die Reichskulturkammer, 3. 1. 1939. In: Das Recht der Reichskulturkammer. Sammlung der für den Kulturstand geltenden Gesetze und Verordnungen, der amtlichen Anordnungen und Bekanntmachungen der Reichskulturkammer und ihrer Einzelkammern. Berlin o. J. RKK I, 29. S. 36 f. 559 Dahm, Buch, S. 103. 560 ,Deutsches Nachrichtenbüro‘ vom 15. November 1935, ,Erste Nachmittags-Ausgabe‘, R 43 II/1241 Bl. 64. Zit. in: Faustmann, Uwe Julius. Die Reichskulturkammer. Aufbau, Funktion und rechtliche Grundlagen einer Körperschaft des öffentlichen Rechts im nationalsozialistischen Regime. Diss. an der Universität Bonn 1990. S. 102. 561 Dahm, Volker. Anfänge und Ideologie der Reichskulturkammer. Die „Berufsgemeinschaft“ als Instrument kulturpolitischer Steuerung und sozialer Reglementierung. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 34/1. 1986. S. 53–84. Hier S. 78. 562 Gemäß „Schwarze Listen“ der Staatstheaterverwaltung (Personal der Staatsoper, des Burgtheaters und der Staatstheaterverwaltung). ÖStA, AdR, SThV 1520/38. Zit. in Mayrhofer, „Angelegenheit“, Anhang V. 563 Gemäß „Schwarze Listen“ der Staatstheaterverwaltung (Personal der Staatsoper, des Burgtheaters und der Staatstheaterverwaltung). AdR, SThV 1520/38. Zit. in Mayrhofer, „Angelegenheit“, Anhang V.
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1920 befand sich unter den 50 Musikern, die bis 1938 neu aufgenommen wurden, allerdings kein einziger mit jüdischer Herkunft.564 15 Orchestermitglieder wurden bis September 1938 aus ,rassischen‘ Gründen und in wenigen Fällen auch aufgrund der (partei)politischen Haltung des Betroffenen gezwungen, das Orchester zu verlassen;565 insgesamt sieben Philharmoniker – drei von ihnen waren zum Zeitpunkt des ‚Anschlusses‘ bereits pensioniert – wurden von den Nationalsozialisten ermordet: Moriz Glattauer, Viktor Robitsek, Max Starkmann, Julius Stwertka, Armin Tyroler, Anton Weiss und Paul Fischer.566 Dass die Orchesterleitung der Wiener Philharmoniker auch nur versucht hätte, die Entlassungen der Kollegen jüdischer Herkunft in die Länge zu ziehen, geschweige sich aktiv dagegen zur Wehr zu setzen – nach einem ähnlichen Muster, wie dies das Berliner Philharmonische Orchester zumindest ansatzweise praktizierte –, kann nicht geltend gemacht werden. Protestversuche der Betroffenen selbst sind hingegen dokumentiert,567 aber sie fanden weder Gehör bei den Behörden noch wurden sie aktiv durch den Orchesterverband unterstützt.568 564 Mayrhofer, „Angelegenheit“, S. 18 f. 565 Eine detaillierte Rekonstruktion der Vertreibung bei Mayrhofer, „Angelegenheit“, S. 38 ff. Die Entlassungen erfolgten in drei „Wellen“: Im März 1938 wurde die „Außerdienststellung“ der „jüdischen Solisten“ angeordnet, am Ende desselben Monats erfolgte die „Beurlaubung“ der übrigen Orchestermusiker „volljüdischer Abstammung“, die im Sommer 1938 auch auf die „Versippten“, „Mischlinge“, politisch „Unerwünschten“ sowie die „jüdischen“ AusländerInnen ausgeweitet wurde. Eine übersichtliche Darstellung bei Mayrhofer, Vertreibung, S. 75 ff. 566 Vgl. auch Hellsberg, Demokratie, S. 504, sowie Mayrhofer, „Angelegenheit“, S. 83 ff. 567 Vgl. dazu Mayrhofer, „Angelegenheit“, S. 53 f. 568 Das Protokoll zu den Sitzungen des „Exekutiv-Komitees“, wie sich das Komitee seit dem ,Anschluss‘ kurzzeitig nannte – die erste Zusammenkunft des Gremiums datiert vom 21. Mai 1938 –, vermerkt hierzu lediglich, dass die „Remunerationen“, also die Entschädigungen für bestimmte orchesterinterne Chargen, „nach Rücksprache mit dem Kulturamt [...] an sämtliche Funktionäre (auch an die ausgeschiedenen)“ in der üblichen Höhe „für das bis zum 31. Mai laufende Geschäftsjahr voll ausbezahlt“ würden. Außerdem wird erwähnt, dass „Philharmoniker Professor Tyroler [...] um Ausstellung eines Wohlverhaltungszeugnisses“ ersuche, „welches Ansuchen gewährt wird“. Prot. KS, 21. 5. 1938. HAWPh, A-Pr-030, 1. Weiters geht aus einem Protokolleintrag zur Komitee-Sitzung vom 21. 10. 1939 hervor, dass beschlossen werde, „die 7 jüdischen Rentner mit einer Jahresrente und die 3 jüdischen Rentenempfängerinnen mit einer 6-monatlichen Rente einmalig abzufertigen“, wobei hinzugefügt wurde, dass „[d]en arischen Rentenempfängern und -empfängerinnen, deren Rentenbezug nicht auf statuarischer Grundlage beruhte, [...] ohne Rücksicht darauf, die Rente auch weiterhin bezahlt“ werde; an alle übrigen Rentenempfänger würden die Auszahlungen in der bisherigen Höhe weiter geleistet. HAWPh, A-Pr-030, 7. Die jüdischen RentenempfängerInnen erfuhren gegenüber den ,arischen‘ seitens der Orchesterleitung (und nicht etwa aufgrund einer staatlichen Verordnung) eine deutliche Benachteiligung. Hellsberg nennt diese Rentenzahlungen an die jüdischen EmpfängerInnen eine „Aktion zugunsten langjähriger Kollegen“, aber er unterlässt es, die ganze Passage dieses Protokollauszuges zu zitieren, aus welcher erst ersichtlich wird, dass es sich eben ge-
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Allerdings liefen die Entlassungen nicht über die Orchesterleitung der Wiener Philharmoniker, sondern über die Staatstheaterverwaltung; nach Bernadette Mayrhofer war sie die eigentliche „Drehscheibe im Vertreibungsprozess“:569 Wiener Philharmoniker – um diesen Zusammenhang hier kurz in Erinnerung zu rufen – konnte nur sein, wer Mitglied des Staatsopernorchesters war; mit dem Austritt oder der Kündigung aus diesem Orchesterverband erlosch auch die Mitgliedschaft im Verein der Wiener Philharmoniker. In Anbetracht der großen Zahl an Entlassungen drängte sich die Vergabe von „Sondergenehmigungen“ geradezu auf: Die Funktionstüchtigkeit des Orchesters wäre andernfalls wohl definitiv kollabiert. Eine Rekonstruktion der Geschichte der „Sondergenehmigungen“ für die Wiener Philharmoniker lieferte Bernadette Mayrhofer, die darin unter anderem nachweisen konnte, dass Furtwängler in dieser Frage nicht die überragende Rolle zukam, wie sie ihm in der Literatur üblicherweise zugewiesen wird.570 Eine Liste Furtwänglers, auf der einige aus ,rassepolitischen‘ Gründen gefährdete Musiker aufgeführt waren, für die der Dirigent bei der Staatstheaterverwaltung eine „Weiterbelassung“ im Orchester beantragte, wurde mehrmals abgeändert und erst nach über einem Jahr, am 27. Dezember 1939, von der Staatsoperndirektion an die Reichsmusikkammer gesandt.571 Beweggrund für die Forderung nach „Sonderbewilligungen“ war auch im Falle der Wiener Philharmoniker, nicht anders als beim Berliner Philharmonischen Orchester, in erster Linie die Aufrechterhaltung der Leistungsfähigkeit des Orchesters, wobei sich die Situation beim Wiener Orchester deutlich drastischer darstellte als bei den Berliner Philharmonikern. Furtwängler begründete seine Belassungsanträge in einem Begleitschreiben an Staatsoperndirektor Kerber, das er im Namen der Wiener Philharmoniker verfasst hatte, folgendermaßen: „[...] ersuchen wir Sie [...] zur Aufrechterhaltung der künstlerischen Leistungsfähigkeit und damit des Ranges und Namens der Wiener Philharmoniker, die Sonderbewilligung für die in beiliegender Liste verzeichneten n e u n Mitglieder unseres Orchesters an zuständiger Stelle beantragen und durchsetzen zu wollen.“572
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rade um eine antisemitisch motivierte Benachteiligungsaktion handelte. Hellsberg, Demokratie, S. 466. Im Übrigen kamen die Entlassungen bei den Komiteesitzungen nicht zur Sprache bzw. sind Informationen und Diskussionen darüber nicht protokolliert. Mayrhofer, Vertreibung, S. 74. Mayrhofer, „Angelegenheit“, S. 66 ff. Entsprechende Literaturverweise: S. 68. Ebd., S. 66 f. Wiener Philharmoniker (Furtwängler) an Erwin Kerber, 20. 8. 1938. In: Dokumentensammlung „Wiener Philharmoniker“, 1938–1947, S. 7 f., dankenswerterweise zur Verfügung gestellt von Univ.-Prof. Dr. Oliver Rathkolb.
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Durch die Flucht des ehemaligen Orchestervorstandes Hugo Burghauser,573 der ebenfalls auf der Liste figurierte, reduzierte sich der Personenkreis, dem eine „Sonderbewilligung“ erteilt werden sollte, jedoch auf acht Orchestermitglieder; diese verblieben in der Folge im Orchester.574 Dass die Bereitschaft zur Beantragung und auch zur Vergabe solcher „Sondergenehmigungen“ in Österreich größer gewesen sei als in Deutschland, wie dies Oliver Rathkolb vermutet,575 lässt sich zumindest am Vergleich zwischen den Wiener und Berliner Philharmonikern nicht erhärten. Die verhältnismäßig große Anzahl an „Sondergenehmigungen“ für Mitglieder der Wiener Philharmoniker lässt aber dennoch vermuten, dass Rathkolbs Einschätzung, ein Teil der österreichischen NS-Funktionärselite scheine sich in der Rolle von gönnerhaften ,Potentaten‘ besonders wohl gefühlt zu haben, zutreffend ist.576 Auch Bernadette Mayrhofer verwies auf das gönnerhafte Verhalten des Direktors der Wiener Staatsoper, Erwin Kerber, der gegenüber der Staatstheaterverwaltung beantragte, „gerechterweise [...] eine gewisse Anzahl von Tolerierungen beanspruchen [zu] dürfen, wenn dem Orchester Sonderbewilligungen eingeräumt werden. So kam es, dass aus dem Chor sechs Mitglieder, aus dem Ballett deren fünf und aus der Arbeiterschaft deren zwei zur Belassung eingegeben werden.“577
Mayrhofer wies auch nach, dass der stellvertretende Leiter der Staatstheaterverwaltung (Kosak) nach Einführung der Beamtenverordnung vom 31. Mai 1938 diese nach rechtlichen Möglichkeiten für Ausnahmeregelungen durchgekämmt habe; gemäß dieser „Verordnung zur Neuordnung des öst. Berufsbeamtentums vom 31. Mai 1938“ waren folgende Personengruppen „in den Ruhestand zu versetzen bzw. zu kündigen“:
573 Zur Emigration Burghausers vgl. Mayrhofer, „Angelegenheit“, S. 121 ff. 574 Dies ergab sich anhand einer Abgleichung der Liste Furtwängler mit dem Mitgliederverzeichnis der Wiener Philharmoniker. Rudolf Jettel, der auf Furtwänglers Liste aufscheint, floh allerdings in den Untergrund; statt ihm erhielt sein Kollege Erich Weis eine „Sondergenehmigung“. Vgl. ebd., S. 80. 575 Rathkolb, Oliver. Nationalsozialistische Kulturpolitik in Österreich 1938–1945. In: Ehalt, Hubert Christian. Inszenierung der Gewalt. Kunst und Alltagskultur im Nationalsozialismus. Frankfurt am Main 1996. S. 17–35. Hier S. 24. 576 Ebd., S. 24. 577 Kerber an Staatstheaterverwaltung, 21. 10. 1938. ÖStA, AdR, Karton „Judenakte“, 3.399/38. Zit. in: Mayrhofer, „Angelegenheit“, S. 68. Ob und inwiefern diese Aktion erfolgreich verlief, ist allerdings nicht bekannt.
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„a) jüdische Angestellte (Arbeiter), b) Angestellte (Arbeiter) die jüdische Mischlinge sind, c) Angestellte (Arbeiter), die mit einer Jüdin (einem Juden) oder mit einem Mischling ersten Grades verheiratet sind.“578
Kosak ortete in einem Passus der Beamtenverordnung jedoch die rechtliche Möglichkeit für Ausnahmeregelungen, wonach Angestellte und Arbeiter „ausnahmsweise mit Zustimmung des Stellvertreters des Führers oder der von ihm bestimmten Stelle im Dienste belassen werden“ könnten.579 Kosak machte in der Folge davon Gebrauch und erhielt dazu die Unterstützung des Staatsoperndirektors Kerber.580 Die „Sondergenehmigungen“ für acht Mitglieder der Wiener Philharmoniker kamen somit weniger auf Furtwänglers Drängen, geschweige denn auf ein Taktieren seitens des Orchesters selbst hin zustande, sondern dürften in erster Linie auf die Hartnäckigkeit Kosaks und Kerbers zurückzuführen sein; sie beide waren an einer möglichst reibungslosen Weiterführung ihres Betriebs interessiert.581 Mit den Entlassungen war nämlich ein großer Aufwand verbunden, zumindest was die Nachbesetzung der Leerstellen im Orchester betraf. Die Philharmoniker veranstalteten im Juni 1938 buchstäblich einen Probespiel-Marathon: „Weiters wurden an 4 Tagen ziemlich anstrengende Probespiele abgehalten, zumal 96 Teilnehmer gemeldet waren“, so der Vorstandsbericht zur Exekutiv-Komitee-Sitzung vom 27. Juni 1938.582 Es galt, die elf entlassenen Streicher so rasch wie möglich zu ersetzen.583
578 579 580 581 582 583
Bericht von Kosak, 21. 6. 1938, S. 1 f. AdR, BThV 2312/1938. Zit. in: ebd., S. 60. § 3, Abs. 3. Zit. in: ebd., S. 63. Mayrhofer, „Angelegenheit“, S. 63 ff. Vgl. auch ebd., S. 68. HAWPh, A-Pr-030, 2. Vgl. auch Hellsberg, Demokratie, S. 481.
5. Abhängigkeiten und Protektion
Nachdem oben die organisatorischen Veränderungen bei den beiden Orchestern im Nationalsozialismus nachgezeichnet wurden, fragt das vorliegende Kapitel nach den Auswirkungen dieser Umstrukturierungen. Mit dem Grad des staatlichen Einflusses auf die Orchester stieg nicht nur deren Abhängigkeit von politischen Instanzen; letztere ließen den beiden Orchestern auch eine umso stärkere Protektion zukommen, welche bei den Wiener Philharmonikern und dem Berliner Philharmonischen Orchester allerdings von beträchtlichen Unterschieden geprägt war. Während bei den Berliner Philharmonikern relativ schnell klar war, dass sie Goebbels unterstellt werden würden, gärte in Wien ein lang andauernder Kompetenzstreit um die dortigen kulturellen Institutionen, von dem auch die Wiener Philharmoniker betroffen waren: Die spezifische Weise der politischen Funktionalisierung des Orchesters ist zu einem guten Teil vor dem Hintergrund dieses Streits zu betrachten, bei dem es im Wesentlichen darum ging, wie weit der Einfluss Berlins auf die wienerische Kulturpolitik reichen sollte. Es ist daher unerlässlich, zunächst auf diesen Kompetenzstreit zwischen Wien und Berlin einzugehen, um die musikpolitische Praxis der Wiener Philharmoniker im Nationalsozialismus zu begreifen. Eine der wesentlichsten Folgen der neuen Autoritäts- und Protektionsstrukturen in den Orchestern war die Ausgestaltung der Orchesterfinanzen, welche bei den Wiener und Berliner Philharmonikern von wesentlichen Unterschieden geprägt war: hier das aufwändige Sanierungsprogramm, das Goebbels für die Berliner Philharmoniker betrieb, dort der weitgehende Verzicht auf staatliche Subventionen, um sich im politischen Mächteringen zwischen Wien und Berlin möglichst gut zu positionieren. Die unterschiedlichen ökonomischen Bedingungen, auf die die beiden Orchester im Nationalsozialismus trafen, trugen nicht unwesentlich zu den Unterschieden ihrer Politisierung bei; der zweite Teil dieses Kapitels untersucht darum anhand des überlieferten buchhalterischen Materials und der Korrespondenz zwischen dem Reichsfinanz- und Reichspropagandaministerium Zusammenhänge zwischen der ökonomischen Verfassung der Orchester und der Art und Weise ihrer politischen Inszenierung.
5.1 Finanzielle Sanierung des Berliner Philharmonischen Orchesters Von Goebbels’ kulturpolitischem Ehrgeiz profitierte das Berliner Philharmonische Orchester in besonders hohem Maße; durch die Eingliederung ins RMVP gewann es größtmögliche Sicherheiten: Mit der Abhängigkeit wuchs auch die Protektion. Dies zeigte sich vor allem in der
148
5. Abhängigkeiten und Protektion
mit großem Aufwand betriebenen ökonomischen Bevorteilung der Berliner Philharmoniker gegenüber sämtlichen anderen Orchestern Deutschlands. Die finanzielle Sanierung des Orchesters nach Goebbels’schem Muster hatte mit den zahlreichen finanziellen Rettungsversuchen, die die Politik in der Weimarer Republik immer wieder angestrengt hatte, ohne damit zu einer dauerhaften Lösung zu gelangen, kaum mehr etwas gemein. Die diskussionsintensive und dadurch relativ unflexible Subventionspolitik der Republik ersetzte Goebbels durch eine handliche und kurzfristig ausgestaltbare Lohn- und Zuschusspolitik. Dass er das Orchester innert kurzer Zeit in eine Reichsgesellschaft umgewandelt und diese seinem Ministerium unterstellt hatte, war auch insofern ein geschickter Schachzug, als dies Goebbels eine vereinfachte finanzielle Handhabung ermöglichte, die ihm flexible, präzise auf seine Propagandapläne abgestimmte Verfügungsmöglichkeiten über das Orchester bot: Andere Reichsstellen konnten nicht mehr intervenieren, selbst Vorbehalte des Reichsfinanzministers wusste Goebbels zu umgehen. In der Entwicklung der öffentlichen Unterstützung der Berliner Philharmoniker zwischen 1928/29 und 1934/35584 (vgl. Tabelle 3, S. 149) ist mit dem Geschäftsjahr 1933/34 eine deutliche Zuschusssteigerung erkennbar, sieht man von der Saison 1929/30 ab, als die Stadt Berlin das Orchester einmalig mit knapp einer halben Million RM unterstützte, wie das die schließlich geplatzte damalige „Reorganisation“ satzungsgemäß vorsah.585 Dass es den Berliner Philharmonikern unmittelbar nach der Machtübergabe finanziell noch schlechter gegangen sei als zum Ende der Republik, ja dass das Orchester im Sommer 1933 vor dem Konkurs gestanden habe, wie dies Henning G. Bleyl behauptet,586 kann in diesem Zusammenhang nicht bestätigt werden, wenn auch das Defizit des Orchesters seit Mitte der 1920er-Jahre unablässig anwuchs und zum Zeitpunkt der Machtübergabe seinen Höhepunkt erreicht hatte. Aber ob die Einleitung eines Konkursverfahrens tatsächlich in Betracht gekommen wäre, ist zweifelhaft. Das Orchester hätte ohnehin genügend Spielraum gehabt, um ein solches abzuwenden: Die Lohnpolitik der Berliner Philharmoniker orientierte sich nicht an den eigenen Einnahmen, sondern an den Einkommen anderer Orchester.587 Eine temporäre Lohnsenkung hätte, als Ultima Ratio, einen Konkurs auf jeden Fall abwenden 584 1928/29 scheint mir ein gutes Stichdatum für einen Vergleich zu bieten, weil zu diesem Zeitpunkt erstmals größere Reorganisationspläne des Orchesters, auch was dessen Finanzierung betrifft, in Gang kamen. Vgl. dazu auch Kapitel 3. 585 Vgl. Beschlussprotokoll der Stadtverordnetenversammlung, 12. 9. 1929, BA R 55/1145. Siehe auch Kapitel 3.3 u. 3.4. 586 Bleyl, Musik, S. 30. So ging die Überschuldung der GmbH auf das Jahr 1930/31 zurück. Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand-Aktiengesellschaft über die bei der Berliner Philharmonisches Orchester G.m.b.H., Berlin, vorgenommene Prüfung des Jahresabschlusses zum 31. März 1935. BA R 55/245. 587 Vgl. Avgerinos, Gerassimos. Das Berliner Philharmonische Orchester als eigenständige Organisation. 70 Jahre Schicksal einer GmbH. Berlin 1972. S. 45. Zit in Aster, „Reichsorchester“, S. 138 f.
149
Finanzielle Sanierung
Tabelle 3: Öffentliche Zuschüsse an die Berliner Philharmoniker von 1928/29 bis 1934/351 Jahr
Subventionsgeber (in RM)
Gesamtsumme (in RM)
Berlin
Reich
Preußen
1928/29
200.000
-
-
200.000
1929/30
474.000
-
-
474.000
1930/31
360.000
8.000
-
368.000
1931/32
210.000
90.000
-
300.000
1932/33
[rd.] 282.000
60.000
-
[rd.] 342.000
1933/34
137.200
320.000
12.000
469.200
1934/35
-
[rd.] 492.000
-
[rd.] 492.000
(517.463,66)2 1 2 3
(517.463,66)3
Angaben gemäß Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhand-Aktiengesellschaft über die bei der Berliner Philharmonisches Orchester G.m.b.H., Berlin, vorgenommene Prüfung des Jahresabschlusses zum 31. März 1935. BA R 55/245. Gemäß der Aufstellung Zuschüsse des Ministeriums für Volksaufklärung und Propaganda für das Geschäftsjahr 1934/35, Anhang zum Schreiben des Berliner Philharmonischen Orchesters an das RMVP vom 22. 10. 1935. BA, R 55/245. Gemäß der Aufstellung Zuschüsse des Ministeriums für Volksaufklärung und Propaganda für das Geschäftsjahr 1934/35, Anhang zum Schreiben des Berliner Philharmonischen Orchesters an das RMVP vom 22. 10. 1935. BA, R 55/245.
können – dass das Orchester vor diesem Mittel nicht zurückschreckte, bewies es 1931, als es auf Druck der Stadt Berlin bereits einmal eine solche Reduktion der Musikergehälter beschlossen hatte.588 Die Philharmoniker selbst sprachen im Verkehr mit Goebbels zwar davon, „unmittelbar vor dem Bankerott“ zu stehen, um zugleich um die Überweisung von 30.000 RM „binnen drei Tagen“ zu bitten, worauf das RMVP die Hälfte davon bewilligte.589 Aber erst 1935, also mehr als ein Jahr nach der Umwandlung des Orchesters in einen Staatsbetrieb, machte ein Revisionsbericht darauf aufmerksam, dass die Berliner Philharmoniker aufgrund der Überschuldung seit 1930/31 „die Eröffnung des Konkurses oder des gerichtlichen Vergleichsverfahrens“ eigentlich hätte beantragen müssen.590 Entweder wurden Konkursdiskussionen also rückwirkend geführt oder sie wurden gezielt eingesetzt, um in Zuschussfragen Druck zu machen. Die historische Forschung sollte darum davon absehen, den ,drohenden 588 Vgl. Avgerinos, Orchester, S. 46 f. Zit. in Aster, „Reichsorchester“, S. 140 f. 589 RMVP, Wöllke Memo, 10. 5. 1933. BA R 55/1146. Zit. in Aster, „Reichsorchester“, S. 141. 590 Bericht Deutsche Revisions- und Treuhand-Aktiengesellschaft über die Jahresabschlussprüfung des Berliner Philharmonischen Orchesters vom 31. 3. 1935, 14. 10. 1935. BA R 55/245.
150
5. Abhängigkeiten und Protektion
Konkurs‘ des Orchesters in den Mittelpunkt ihrer Argumentation zur Erklärung der raschen Eingliederung der Berliner Philharmoniker ins RMVP zu stellen. Dass Goebbels umgehend eine Sanierungsaktion des Berliner Philharmonischen Orchesters einleitete, ist jedoch unbestritten. Während dem Orchester im Geschäftsjahr 1928/29 eine städtische Unterstützung von insgesamt 200.000 RM zugeführt wurde, betrugen die Zuschüsse aus der öffentlichen Hand für die letzten beiden Jahre der Republik, also die Geschäftsjahre 1931/32 sowie 1932/33, jeweils um die 300.000 RM. Der Zuschuss in der ersten Saison nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933/34 wurde bereits zum größeren Teil vom Reich beigesteuert und belief sich insgesamt auf rund 470.000 RM, was schon eine beträchtliche Steigerung bedeutete. Für das erste Geschäftsjahr der Berliner Philharmoniker als Reichsgesellschaft, 1934/35 also, zahlte das RMVP sodann insgesamt Zuschüsse von 517.463,66 RM591, was gegenüber jenen des Jahres 1932/33 einer Zunahme von mehr als 50 Prozent innerhalb von zwei Jahren entspricht. Diese massive Zunahme der Zuschüsse an das Orchester kam in erster Linie den Musikergehältern zugute. Goebbels lud am 11. Juli 1934 den preußischen Minister präsidenten, den preußischen Finanzminister sowie den Reichsminister der Finanzen zu einer Sitzung über die Philharmoniker und kündigte eine umfassende Revision ihrer Besoldungsverhältnisse an: „Der Übergang der Berliner Philharmonisches Orchester-G.m.b.H. auf das Reich macht eine Neuordnung der Besoldungsverhältnisse der Orchestermitglieder notwenig. [...] Die Orchestermitglieder des Philharmonischen Orchesters sind wie Angestellte des Reichs zu behandeln. Sie erhalten zur Zeit Bezüge wie die Kammermusiker der Berliner Staatstheater nach C5a der preußischen Besoldungsordnung. Das Philharmonische Orchester erstrebt eine Höhergruppierung in die Bezüge der Gruppe A3c der preußischen Besoldungsordnung durch Gewährung von ,Leistungszulagen‘. Dem kann m. E. nicht entsprochen werden. Die Bezüge der Orchestermitglieder sind den Bezügen gleichwertiger Reichsbeamter anzugleichen. Da vergleichbare Reichsbeamte nicht vorhanden sind, beabsichtige ich, die Philharmoniker den Mitgliedern der Berliner Staatstheaterkapelle [die Preußische Staatskapelle, F. T.] unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Philharmoniker Angestellte sind, gleichzustellen. Als Ausgleich für die fehlende lebenslängliche Anstellung hierfür beabsichtige ich, ihnen einen 10%igen Zuschlag zu den Gehaltssätzen nach C5a der preußischen Besoldungsordnung unter Weitergewährung der Funktionszulage, wie sie ein Teil der preußischen Kammermusiker erhält, zuzugestehen.“592
591 Gemäß der Aufstellung Zuschüsse des Ministeriums für Volksaufklärung und Propaganda für das Geschäftsjahr 1934/35, Anhang zum Schreiben des Berliner Philharmonischen Orchesters an das RMVP vom 22. 10. 1935. BA R 55/245. Vgl. auch Tabelle 2 in Kapitel 3. 592 GStA, Rep. 151/216.
Finanzielle Sanierung
151
Der preußische Finanzminister, Johannes Popitz, intervenierte gegen eine solche von Goebbels angestrebte Regelung beim preußischen Ministerpräsidenten, Hermann Göring,593 weil er befürchtete, dass eine Erhöhung der Bezüge des Philharmonischen Orchesters auch die Forderung nach einer Erhöhung der Gehälter der Staatsopernmusiker nach sich ziehen würde. Doch es stand ihm kein Mittel mehr zur Verfügung, das die Besoldungsrevision der Berliner Philharmoniker hätte verhindern können, da die Berliner Philharmoniker inzwischen gänzlich Goebbels’ Kompetenzbereich unterstanden. Dieser setzte die neue Anstellungs- und Besoldungsordnung des Berliner Philharmonischen Orchesters gegen den Widerstand sowohl des preußischen wie des Reichs-Finanzministers durch und löste damit prompt die von Preußen befürchtete Forderung der Mitglieder des Staatsopernorchesters nach entsprechender Anpassung der Bezüge aus:594 „Nachdem Sie, Herr Reichsminister, mit Wirkung vom 3.1.1935 gegen meine und des Herrn Preußischen Finanzministers Vorstellungen den Mitgliedern des Philharmonischen Orchesters einen Zuschlag von 10% zu dem jeweiligen Grundgehalt der preußischen Besoldungsgruppe C5a gewährt hatten, ist es dem Herrn Preußischen Ministerpräsidenten nicht möglich gewesen, die Wünsche des Orchesters der Staatsoper auf eine gleiche Gehaltsaufbesserung abzuwehren.“595
Goebbels setzte also im Alleingang und gegen den Widerstand der beiden Finanzminister durch, dass die Berliner Philharmoniker nicht nur in die Besoldungsgruppe der verbeamteten Mitglieder der Staatskapelle eingestuft wurden, sondern außerdem einen 10-prozentigen Zu593 Schreiben Popitz an Göring, 19. 2. 1935. GStA, Rep. 151/200. 594 Finanzpolitische Zankäpfel waren folgende beiden Paragraphen, die die Gehaltsbezüge und die Pensionsberechtigungen regeln sollten (GStA, Rep. 151/216 – auszugsweise zitiert): „§ 6: I. Das Orchestermitglied erhält Dienstbezüge (Grundgehalt, Wohnungsgeldzuschlag, Kinderbeihilfe und örtlichen Sonderzuschlag, ferner Kleiderzulage, Rohr- und Saitengeld) wie die nach Gehaltsgruppe C 5 a der Preußischen Besoldungsordnung beamtet angestellten Kammermusiker bei den Staatlichen Theatern in Berlin, zuzüglich eines Zuschlages von 10 v.H. [Prozent, F. T.] aus dem jeweiligen Grundgehalt. II. Die Gesellschaft kann bis zu 16 I. Stimmen eine monatliche Funktionszulage in Höhe von RM 75.-- und bis zu 8 II. Stimmen eine solche in Höhe von RM 37,50 in jederzeit widerruflicherweise [sic] bewilligen. [...].“ Außerdem: „§ 14: I. Das Orchestermitglied erhält Versorgungsbezüge (Ruhegeld und Hinterbliebenenversorgung) nach den für die beamteten Kammermusiker der Gehaltsgruppe C 5 a der Preußischen Besoldungsordnung geltenden Vorschriften, soweit nicht in dieser Anstellungs- und Besoldungsordnung ein anderes bestimmt ist. Der 10%ige Zuschlag zum Grundgehalt bleibt der Berechnung der Versorgungsbezüge unberücksichtigt. II. Die bereits gewährten Versorgungsbezüge bleiben unberührt.“ 595 Schreiben des Reichsministers der Finanzen (RMdF) an den Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda vom 4. 9. 1936. GStA, Rep. 151/1054.
152
5. Abhängigkeiten und Protektion
schuss zur regulären Entlohnung erhielten, um die „fehlende lebenslängliche Anstellung“,596 die Beamten zustand, auszugleichen. Nachdem er 1936, diesmal gut getarnt in Form von Reisekostenzuschüssen, erneut eine Bezugserhöhung für die Orchestermitglieder verfügte, rechnete ihm der Reichsminister der Finanzen vor, dass dies für die Musiker innerhalb von bloß zwei Jahren abermals eine jeweilige Gehaltszunahme von 20 bis 40 Prozent bedeute.597 Die Hauptsorge der Finanzpolitiker um die Goebbels’schen Philharmoniker-Besoldungspläne galt der Schaffung eines Präzedenzfalles: Sie befürchteten, dass sich Forderungen nach höheren Zuschüssen für die Berliner Philharmoniker nicht nur auf andere Orchester, sondern zudem auf „verschiedenste Beamtengruppen“ ausweiten könnten.598 Goebbels massive Stärkung des ökonomischen Rückhalts für „seine“ Philharmoniker provozierte somit haushaltspolitische Befürchtungen von beträchtlichem Ausmaß: „Da aber [...] für die künstlerische Bewertung zahlreicher kommunaler Orchester ein gewisses Rangverhältnis zu den beiden genannten Berliner Orchestern festzustellen ist, könnten sich die betreffenden Gemeinden gleichfalls einer Neuordnung der Besoldungsverhältnisse ihrer Orchester nicht entziehen und würden gleichfalls zu Mehrausgaben genötigt werden, die die sich anbahnende Gesundung der in früherer Zeit schwer erschütterten wirtschaftlichen Grundlagen der Gemeinden hemmen müssten.“599
Die Einwände gegen Goebbels’ Lohnpolitik für das Berliner Philharmonische Orchester gingen so weit, dass ihnen der Reichsfinanzminister kurzerhand ihre Rechtsgültigkeit absprach und sich darum ausdrücklich von ihr distanzierte: 596 RMVP an Preußischen Ministerpräsidenten, RMdF sowie Preußischen Finanzminister vom 11. 7. 1934. GStA, Rep. 151/216. 597 Reichsminister der Finanzen an Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, Schreiben vom 4. 9. 1936. GStA, Rep. 151/1054. 598 Preußischer Finanzminister an den Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda vom 16. 10. 1936. GStA, Rep. 151/216: „Schliesslich muss ich noch darauf hinweisen, dass der weitaus grösste Teil der Orchestermitglieder der Berliner Staatsoper noch Beamtenstellung, ihre Besoldung also in der Preußischen Besoldungsordnung die gesetzliche Reglung gefunden hat und dass jede Änderung derselben den Gesamtaufbau der Besoldungsordnung gefährden müsste. Wenn eine Beamtengruppe, wie die Kammermusiker der Staatsoper, die ein Vorkriegsgehalt von 1800 – 3600 M (nebst nichtruhegehaltsfähigen Funktionszulagen von 65 bis 600 M jährlich [Hervorhebung im Original]) bezogen haben, jetzt unter der Herrschaft des Grundsatzes, dass Höherstufungen jeder Art – selbst die Bewilligung und Erhöhung von Zulagen – zu unterbleiben haben, ohne ausreichende sachliche Begründung in die Besoldungsgruppe A 2 c 2 mit 4600 bis 8400 RM Grundgehalt gehoben würde, so will es mir nahezu unmöglich scheinen, die aus den verschiedensten Beamtengruppen zu erwartenden Berufungen abzuwehren.“ 599 Preußischer Finanzminister an den Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda vom 16. 10. 1936. GStA, Rep. 151/216.
Finanzielle Sanierung
153
„Da nach meiner Auffassung die getroffene Besoldungsregelung mit den bestehenden gesetzlichen Angleichungsbestimmungen nicht zu vereinbaren ist, vermag ich eine Mitverantwortung hierfür nicht zu übernehmen.“600
Goebbels hatte sich jedoch gegen den Vorwurf, einen Präzedenzfall zu schaffen, bei Hitler persönlich abgesichert: „Der Führer und Reichskanzler hat nunmehr angeordnet, dass das Philharmonische Orchester 170 000 RM im Jahre zusätzlich zur Gewährung von Reisezuschüssen an die Orchestermitglieder erhalten soll. Er hat dabei zum Ausdruck gebracht, dass die künstlerischen Leistungen und die besondere kulturpolitische Bedeutung dieses Orchesters auch eine Hervorhebung seiner Mitglieder rechtfertige und daher gleichzeitig ausdrücklich bestimmt, dass eine Rückwirkung dieser Regelung auf die Besoldung anderer Orchester nicht stattfinden dürfe.“601
Erst als Goebbels seine Philharmoniker-Lohnpolitik mit dieser ,Führeranordnung‘ legitimierte, willigte der Reichsfinanzminister in die Finanzierung des längst auf Hochtouren laufenden Sanierungsprogramms des Berliner Philharmonischen Orchesters ein.602 Die Sanierung des Orchesters war also von oberster politischer Instanz abgesegnet und in ihrer ersten Phase gesichert, auch wenn die Streitigkeiten zwischen Goebbels und dem Reichsminister der Finanzen damit keineswegs zu Ende sein sollten. Zugleich aber bringt die Anordnung des ,Führers‘ deutlich die Sonderstellung der Berliner Philharmoniker zum Ausdruck (wenn etwa von ihrer „besonderen kulturpolitischen Bedeutung“ oder davon die Rede ist, dass diese Zuschussart nur für sie Gültigkeit habe, während andere Orchester darauf von vornherein keinen Anspruch hätten), die sich bis 1945 noch erheblich erweitern sollte. Als Hauptargument für seine Philharmoniker-Lohnpolitik diente Goebbels stets die hohe Reisetätigkeit des Orchesters. Dessen Geschäftsführung schloss sich diesem Motiv bereitwillig an und hielt 1936 in einem Schreiben um höhere Zuschüsse fest: „Es handelt sich bei den Reisen – sowohl in Deutschland als auch im Ausland – immer darum, den Beweis zu erbringen, dass das Philharmonische Orchester nach wie vor das führende und 600 Reichsminister der Finanzen an Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, 1. 2. 1935. GStA, Rep. 151/216. 601 Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda an Reichsminister der Finanzen, 27. 10. 1936, GStA. Rep. 151/1054. 602 Reichsminister der Finanzen an Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, 5. 11. 1936, GStA. Rep. 151/1054.
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5. Abhängigkeiten und Protektion Die Berliner Philharmoniker mit Adolf Hitler im Nürnberger Opernhaus am 9.9.1936, anlässlich des Nürnberger Parteitages. © Archiv Berliner Philharmoniker.
beste nicht nur Deutschlands, sondern auch Europas zu sein hat und zwar im Interesse des deutschen kulturellen Rufes.“603
Ob Goebbels’ rigoros durchgeführte Sanierungspolitik,604 die jegliche finanz- und haushaltspolitischen Einwände ignorierte und für die das RMVP sogar bereit war, bei anderen Ausgabeposten zu sparen,605 jedoch tatsächlich primär einer Unterstützung der Reisetätigkeit des Orchesters diente, ist fraglich. Mehrkosten, die den Orchestern auf grund von Reisen entstanden, wurden ohnehin mittels Tagegelder ausgeglichen und hätten im Grunde keinen zusätzlichen Reisekostenzuschlag erfordert.
603 Berliner Philharmoniker an RMVP, 20. 4. 1936, BA R 55/197. Auch vor der Darstellung alltäglicher Probleme machte das Orchester überdies nicht halt, indem es etwa den gegenüber den Mitgliedern der Staatskapelle erhöhten Wäscheverschleiß auf Reisen aufmerksam machte, um diesen wiederum mit dem Repräsentationsaspekt zu verknüpfen: „Das Staatsoper-Orchester spielt für das Publikum unsichtbar. Es kann also Wäsche und Fräcke auch abgenutzter tragen, während die Philharmoniker stets besonderen Wert darauf legen müssen, in tadelloser Kleidung auf dem Podium – da allen Besuchern sichtbar – zu erscheinen. Der Verschleiss an Kleidern beträgt allein durch diesen Umstand das Vielfache gegenüber dem, was die Mitglieder der Staatskapelle brauchen. [...] Ganz besonders schwierig ist aber die Kleiderfrage während der Reisen, die ja fast jedes Mal ins Ausland führen. Die Mitglieder gelten hier als Repräsentanten deutschen Künstlertums und müssen daher bei den Konzerten und ausserhalb der Konzerte besonders gut gekleidet sein.“ 604 Selbst in seinen Tagebucheinträgen erwähnt Goebbels immer wieder seine Unterstützungsbereitschaft für Furtwängler und die Berliner Philharmoniker: Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Sämtliche Fragmente. Teil I, Aufzeichnungen 1924–1941. Bd. 3. München/New York/London/Paris 1987. Vgl. etwa die Einträge vom 7. 12. 1937 und 22. 11. 1939. 605 Vgl. etwa das Schreiben RMVP an RMdF, 22. 10. 1938, wo unter anderem ein Teilverzicht der Mehrausgaben für das Deutsche Turn- und Sportfest Breslau zugunsten einer Honararerhöhung für Furtwängler angeboten wurde. BA, R 55/247.
Finanzielle Sanierung
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Henning G. Bleyl trifft in seinem Aufsatz über die Auslandsreisen des Berliner Philharmonischen Orchesters606 gewiss einen wesentlichen Aspekt der politischen Instrumentalisierung des Orchesters, wenn er diese Reisen als zentrale Zweckbestimmung für die NSPropaganda herausstellt – darauf wird hier im letzten Kapitel noch ausführlich eingegangen. Bleyl rechnet jedoch vor, dass der „spezielle Finanzbedarf für Auslandsreisen“ zwischen 1935 und 1942 gegenüber dem allgemeinen Reichszuschuss um das 2,5-Fache zugenommen habe und zieht daraus den Schluss, das Berliner Philharmonische Orchester sei im ,Dritten Reich‘ primär als Reiseorchester gefördert worden.607 Damit übersieht Bleyl, dass nicht unbedingt für Reisen verwendet werden musste, was als Reisezuschüsse deklariert wurde. Abgesehen davon, dass Bleyl leider nicht aufzeigt, aus welchen Zuschüssen sich dieser „spezielle Finanzbedarf für Auslandsreisen“ denn zusammengesetzt hat (ich gehe jedoch davon aus, dass er die als „Reisekostenzuschüsse“ deklarierten Gelder in seine Berechnungen mit einbezogen hat), waren die „Reisekostenzuschüsse“, die per Herbst 1936 erstmals zur Auszahlung gelangten, nichts anderes als verdeckte Lohnerhöhungen, die keinesfalls an den Verwendungszweck von Reisen gebunden waren. Bleyls Argumentation kann aber auch darum nicht gefolgt werden, weil sie es unterlässt, die Quantifizierung der Auslandskonzerte in ein Verhältnis zur Anzahl der inländischen Konzertreisen sowie der Berliner Konzerte des Orchesters zu setzen. Dies wäre jedoch unbedingt erforderlich, um verbindliche Aussagen über einen Zusammenhang zwischen Reisekostenzuschüssen und Orchesterreisen nachzuweisen. Stattdessen bezieht Bleyl die Summe der Auslandskonzerte zwischen 1933 und 1944 auf jene zwischen 1882 und 1932 und kommt zum wenig erstaunlichen Schluss, dass sich die Auslandskonzerte der Berliner Philharmoniker im Nationalsozialismus vervielfacht hätten: 384 Auslandskonzerten, die das Orchester in den ersten 50 Jahren seines Bestehens unternommen habe, stünden deren 303 in der nationalsozialistischen Periode gegenüber. Dabei ist Bleyls Periodisierung fragwürdig: Der Vergleichsrahmen für die Konzertreisen im Nationalsozialismus sollte aufgrund der allgemeinen technischen Entwicklung vom Ende des 19. bis in die ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts beziehungsweise der damit zusammenhängenden, sich nach und nach einfacher gestaltenden Mobilität nicht zu weit in der Vergangenheit angesetzt werden; außerdem vermag Bleyls Periodisierung nicht zu erfassen, dass die „Reisezuschuss“-Politik zu einem Zeitpunkt Anwendung fand, in welchem das Orchester verhältnismäßig wenig Auslandskonzerte veranstaltete. Die traditionellerweise intensive Reisetätigkeit der Berliner Philharmoniker benutzte das RMVP zunächst nämlich schlicht als Scheinargument für höhere Bezüge der Berliner Philharmoniker. Mittels der „Reisekostenzuschüsse“ erhielt Goebbels dem Orchester – unabhän606 Bleyl, Musik. 607 Ebd., S. 33.
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5. Abhängigkeiten und Protektion
gig von dessen praktischer Reisetätigkeit – einen Spielraum für Lohnerhöhungen der Orchestermitglieder.608 Ein Beispiel dafür liefert etwa die Debatte um eine Höherstufung des Orchesters in der preußischen Besoldungsordnung von 1936. Goebbels beurteilte eine solche als aussichtslos, da sie vom Finanzministerium niemals goutiert worden wäre. Einen gut vertretbaren Grund für höhere Lohnbezüge fand er jedoch in den Reisekosten, wie dies – wiederum unter Berufung auf eine Anordnung Hitlers – aus einem Schreiben des RMVP an den preußischen Finanzminister vom 27. Oktober 1936 hervorgeht: „Der Führer und Reichskanzler hat nunmehr angeordnet, dass das Berliner Philharmonische Orchester zwar nicht die ursprünglich geplante Erhöhung der Bezüge auf den Stand der Besoldungsgruppe A2c2 (Reich), wohl aber einen besonderen Zuschuss zu den Reisekosten erhalten soll, der sich im Umfang an die Summe angleicht, die die genannte Erhöhung der Bezüge erfordert hätte.“609
Dass es sich bei diesem „Reisekostenzuschuss“ um eine getarnte Gehaltserhöhung handelte, geht aus einem internen Schreiben des RMVP vom 15. Dezember 1938 hervor: „[...] [dass] der bisher (seit Herbst 1936) gewährte Reisekostenzuschuss von 170‘000 RM [...] ja in Wahrheit eine verschleierte Gehaltszulage bedeutete und nunmehr in seiner alten Form wegfallen muss. Effektiv bleibt dieser Reisekostenzuschuss in Gestalt der genannten Aufwandsentschädigung von 70‘000 RM, d.h. in Höhe von 40% bestehen.“610
„Reisekostenzuschüsse“ dienten entgegen der oben ausgeführten Annahmen von Henning G. Bleyl also nicht primär der Vergütung von real anfallenden Mehrkosten, die beim Orchester durch dessen vermeintlich intensivierte Reisetätigkeit angefallen wären.611 Bis Kriegsausbruch 608 Dass Tarnungsmomente der Goebbels’schen Zuschusspolitik gegenüber dem Berliner Philharmonischen Orchester ganz allgemein nicht zu unterschätzen sind, geht etwa daraus hervor, dass sich das Orchester über die Reichszuschüsse bisweilen ausschweigen musste: In der Beantwortung der Anfrage des Orchesters beim RMVP, ob Auskünfte über die Organisationsform und die Bezugshöhen der Berliner Philharmoniker an die Warschauer Philharmoniker weitergeleitet werden dürften, hieß es seitens des Ministeriums: „Gegen die Erteilung der erbetenen Auskunft bestehen grundsätzlich keine Bedenken. Ich ersuche jedoch, die Tatsache der Reichszuschüsse und ihre Höhe nicht zu erwähnen.“ RMVP an Berliner Philharmonisches Orchester, 23. 6. 1938, BA R 55/197. 609 GStA, Rep. 151/1054. 610 BA, R 55/951 [Hervorhebung F. T.]. Ebenso in einem RMVP-internen Schreiben des Oberregierungsrats Kohler an Goebbels vom Oktober 1938: „Dieser im Herbst 1936 eingeführte Zuschuss stellte zum grösseren Teil eine verschleierte Gehaltszulage dar [...].“ BA, R 55/951. 611 Dies geht ebenso daraus hervor, dass die Herabsetzung der Reisekostenzuschüsse aufgrund der Einstufung in die „Sonderklasse“ der „Tarifordnung für die deutschen Kulturorchester“ nur so weit umgesetzt wurde,
Finanzielle Sanierung
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war die Anzahl der Auslandskonzerte nämlich ohnehin nicht sonderlich hoch – erst nach 1939 nahmen diese drastisch zu.612 Die Debatten um die „Reisekostenzuschüsse“ waren aber älteren Datums; ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Anzahl der Auslandskonzerte und der Höhe der „Reisekostenzuschüsse“ lässt sich für den Zeitraum zwischen Machtübertragung und Kriegsbeginn nicht erkennen. Das Berliner Philharmonische Orchester wurde zunächst aber nicht in Hinsicht auf einen einzelnen Tätigkeitsbereich gefördert. Goebbels’ primäres Bestreben in seiner philharmonischen Sanierungspolitik, für welche er auch den Fehdehandschuh mit den Finanzpolitikern aufzunehmen bereit war, war es vielmehr, die Berliner Philharmoniker insgesamt zu einer Spitzenmarke im Musikbereich auszubauen. Die Eingliederung des Orchesters ins RMVP vollzog sich weit weniger im Zeichen der Kontrolle des Orchesters als vielmehr um der finanziellen und damit künstlerischen Konsolidierung der deutschen Spitzenmarke in der musikalischen ,Hochkultur‘ willen, über die Goebbels sodann nach Bedarf verfügen konnte.613 Dass Goebbels’ Sanierungspolitik der Berliner Philharmoniker auch einen ökonomischen Erfolg mit sich brachte, dürfte für den Propagandaminister nebensächlich gewesen sein. Dennoch mutierten die Berliner Philharmoniker rasch zum florierenden Unternehmen, das den Staat auf der einen Seite zwar immer mehr kostete, das auf der anderen Seite aber auch steigende Einnahmen verzeichnen konnte: Während die Reichszuschüsse zwischen 1934 und 1937 kontinuierlich von 492.000 RM auf 635.000 RM anstiegen, verdoppelten sich die Erlöse aus Konzerten und Reisen im selben Zeitraum beinahe, von 513.000 RM auf 952.000 RM. Fast ebenso massiv stiegen die Ausgaben für Gehälter und Pensionen: 1934 betrugen sie noch 575.000 RM, 1937 jedoch bereits 827.000 RM. Die gesamthafte Umsatzsteigerung konnte als dies für den einzelnen Musiker keine Verminderung seiner Einkünfte darstellte. Betroffen davon waren die drei ältesten Dienstaltersstufen. Für sie galt folgende Regelung: „Hier sind [...] Ausgleichszulagen notwendig, die in der IX. Stufe auf 20.-- RM und in der X. und XI. Stufe auf je 40.-- RM festgesetzt werden sollen, damit auch diese ältesten Mitglieder noch eine leichte Erhöhung erhalten.“ Vermerk im RMVP vom 15. 12. 1938, BA R 55/951. 612 Vgl. Kap. 7.6. 613 Markenbildungsprozesse waren eine wesentliche Grundlage der Politwerbung im Nationalsozialismus. Der Historiker Gerhard Voigt hat bereits Mitte der 1970er-Jahre aufgezeigt, dass Goebbels etwa eine Sprachregelung verfolgte, die sich stärker an modernen werbetechnischen Gesichtspunkten als an deutschtümelnden Ideologemen orientierte (Voigt, Gerhard. Goebbels als Markentechniker. In: Warenästhetik. Beiträge zur Diskussion, Weiterentwicklung und Vermittlung ihrer Kritik. Frankfurt am Main 1975. S. 231–260. Hier S. 244 ff.). Anhand von Regeln über die Verwendung einer Reihe von Begriffen (die überdies deutlich auch etwa in der Marke des ,Führers‘ zutage traten) weist er Goebbels ein ausgeprägtes politisches Markenbewusstsein nach, das sich in zahlreichen markentechnischen Vorschriften niederschlug (S. 247 ff.). Ähnlich und deutlich an Voigt angelehnt außerdem Behrenbeck, Sabine. „Der Führer“. Die Einführung eines politischen Markenartikels. In: Diesener, Gerald/Gries, Rainer (Hrsg.). Propaganda in Deutschland. Zur Geschichte der politischen Massenbeeinflussung im 20. Jahrhundert. Darmstadt 1996. S. 51–78.
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5. Abhängigkeiten und Protektion
Die Berliner Philharmoniker im großen Saal der alten Philharmonie in der Bernburger Straße anlässlich der Eröffnung der Reichskulturkammer am 15.11.1933. Am Rednerpult: der „Schirmherr“ des Orchesters, Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda Joseph Goebbels. © Archiv Berliner Philharmoniker.
das Orchester für die Zeit zwischen 1934 und 1937 mit rund 70 Prozent veranschlagen: Dem Umsatz von 1934 in der Höhe von 1.010.000 RM standen 1937 1.733.000 RM gegenüber.614
5.2 Einsame „Sonderklasse“ mit „genereller UK-Stellung“ Mitte des Jahres 1938 wurden die Reisezuschusszahlungen zugunsten einer Höherstufung in der Tarifordnung reduziert, was dennoch mit einer erneuten Lohnerhöhung für jedes der Orchestermitglieder verbunden war: Im Zuge der per 1. Mai 1938 in Kraft getretenen „Tarifordnung für die deutschen Kulturorchester“615 wurde das Berliner Philharmonische Orchester
614 Sämtliche Zahlenangaben dieses Abschnitts gemäß Schreiben Berliner Philharmoniker an RMVP, 26. 9. 1938. BA, R 55/951. 615 Tarifordnung für die deutschen Kulturorchester. In: Reichsarbeitsblatt. Amtsblatt des Reichs- und Preußischen Arbeitsministeriums, des Reichsversicherungsamts, der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung und der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte. Jahrgang 1938, Heft Nummer 14.
Einsame „Sonderklasse“ mit „genereller UK-Stellung“
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nebst der Staatskapelle als zunächst einziges Orchester in die „Sonderklasse“ aufgenommen.616 Goebbels hatte sie eigens für die Berliner Philharmoniker geschaffen, denen sie auch ausschließlich vorbehalten bleiben sollte.617 Göring protestierte jedoch erfolgreich gegen diese Bevorteilung und setzte durch, dass „seine“ Preußische Staatskapelle mit den Berliner Philharmonikern gleichgestellt wurde.618 Mit der tariflichen Gleichstellung der beiden Orchester fanden sich jedoch weder das RMVP noch die Philharmoniker selbst ab. Diese pochten auf den Status quo, der ihnen dank der „Reisezulagen“ einen „materiellen Vorsprung“ sicherte; trotz der Einstufung in die „Sonderklasse“ verlangten sie die Beibehaltung der Reisekostenzuschüsse:
616 Tarifordnung, S. VI 600. Zu den Grundbezügen kamen – für alle sechs Klassen – außer einem Wohnungsgeldzuschuss für zwei Fünftel der Orchestermusiker Leistungszulagen hinzu: Dabei sollten „Mitglieder, die als Stimmführer eine besondere Verantwortung haben oder durch besondere Leistungen auf ihrem Instrument die Durchschnittsleistung überragen, berücksichtigt werden“. (S. VI 598.) Gegenüber der „Klasse 1“, die auf die „Sonderklasse“ folgte, hob sich bereits die Höhe der Grundbezüge gemäß der Vergütungsordnung deutlich ab: Sie lag zwischen 4.200 RM und 7.000 RM, während sie für die „Klasse 1“ auf 3.650 RM bis 5.800 RM angesetzt waren. Als Vergleich kann die „Sonderklasse“ der höchsten Vergütungsgruppe der Angestellten im öffentlichen Dienst gelten: Ihr gehörten „Wissenschaftliche und technische Angestellte mit abgeschlossener Hochschulbildung, die sich durch besonders verantwortliche Tätigkeit und hochwertige Leistungen aus der aus der Gruppe II herausheben“ an, also vor allem Wissenschaftler und Hochschulprofessoren. Für ledige Angehörige dieser höchsten öffentlichen Angestellten-Gruppe betrug die Anfangsvergütung – sie beinhaltete Grundvergütung und Wohnungsgeldzuschuss – monatlich RM 387,58 und stieg bis zu einer Endvergütung von RM 707,44 an; aufs Jahr gerechnet liegen die Bezüge damit zwischen 4.650 RM und RM 8.489,28. (Statistisches Reichsamt [Hrsg.]. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich. Siebenundfünfzigster Jahrgang 1938. Berlin 1938. S. 354.) Ein einfaches Mitglied des Berliner Philharmonischen Orchesters bezog somit – zumindest bezogen auf das Anfangsgehalt – ein nur unwesentlich tieferes Grundgehalt als ein frisch ernannter Universitätsprofessor; berücksichtigt man zudem, dass der Antritt einer Professur in der Regel in ein mittleres Lebensalter fällt, die Philharmoniker gemäß dem 1926 revidierten Statut des Orchesters (ABPhO, G 1903) in der Regel jedoch nur Mitglieder als Gesellschafter aufnahm, die nicht über 30 Jahre alt waren (S. 16) – neu engagierte Orchestermitglieder waren normalerweise also äußerst jung –, verdeutlicht sich die überdurchschnittliche Höhe der Bezüge eines Philharmonikers abermals, zumal zum Grundgehalt nebst dem Wohnungszuschuss auch noch die jährliche pauschale Reiseaufwandsentschädigung in der Höhe von 720 RM für jedes Orchestermitglied hinzukam. 617 RMVP-internes Schreiben: Abteilung I B an Goebbels, Oktober 1938 [genaues Datum unlesbar, F. T.]. BA, R 55/951. 618 Ebd. In der Folge inflationierte sich der „Sonderklasse“-Status zusehends: Zunächst kamen die Wiener Philharmoniker hinzu, daraufhin – auf persönliche Anordnung Hitlers – das Orchester der Bayerischen Staatsoper und 1943 fünf weitere Orchester: das Gewandhausorchester Leipzig, das Orchester des deutschen Opernhauses Berlin, das Orchester der Hamburger Staatsoper, die Staatskapelle Dresden und das 1942 gegründete Reichs-Bruckner-Orchester in Linz. Vgl. Aster, „Reichsorchester“, S. 176.
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5. Abhängigkeiten und Protektion
„[...] dass es nicht so wichtig ist, ob das Einkommen der Berliner Philharmoniker noch erhöht wird oder nicht, sondern dass es wichtig ist, dass uns der materielle Vorsprung, den wir allen anderen Orchestern gegenüber durch die Reisezulage bekommen haben, erhalten bleibt; denn nur durch eine solche Besserstellung ist es möglich, bei der Anstellung von Musikern den geeigneten Nachwuchs für uns heranzuziehen. [...] Der Dienst in unserem Orchester ist nicht nur zeitlich sondern auch körperlich und geistig der anstrengendste aller Orchester Deutschlands. Er fordert ungeheure Nervenbeanspruchung!“619
Das RMVP entwarf daraufhin für die Beibehaltung der Reisezuschüsse eine neue Zuschussregelung, welche das bislang praktizierte Bevorteilen der an Dienstjahren älteren Orchestermitglieder aufheben sollte und für jeden Musiker einen von den Dienstjahren unabhängigen Pauschalzuschuss vorsah: „Als reine Aufwandsentschädigung muß die künftige Zulage – die den einzigen Vorsprung des Philharmonischen Orchesters gegenüber der Preußischen Staatsoper und den etwa sonst noch in die Sonderklasse kommenden Orchester darstellt – für alle Dienstaltersstufen gleich hoch sein. Deshalb ist der vom Orchester [...] vorgeschlagene Weg einer je nach den Dienstaltersstufen verschieden hohen Aufwandsentschädigung nicht gangbar.“620
Der Forderung des Orchesters nach einer Beibehaltung der unterschiedlich hohen Zuschüsse für die einzelnen Dienstaltersstufen – sie stand überdies in Widerspruch zur öfters erhobenen Behauptung, wonach dem Orchester bei einem Wegfall der außertariflichen Zuschüsse Nachwuchsprobleme erwachsen würden –, erteilte das RMVP somit eine Absage. Diese dürfte von strategischen Überlegungen gegenüber dem Finanzministerium geleitet gewesen sein: Pauschale, dienstaltersunabhängige Zuschüsse ließen sich mit dem Argument der Nachwuchsförderung verbinden und hatten dadurch erheblich mehr Chancen, von den Finanzpolitikern gutgeheißen zu werden. Dennoch bemühte sich das Ministerium, möglichst allen Musikern durch die Anpassung der Reisekostenzuschüsse an die neue Tarifordnung zu einer Lohnerhöhung zu verhelfen:
619 Berliner Philharmonisches Orchester an Oberregierungsrat Kohler (RMVP), 8. 10. 1938. BA, R 55/951. Der Verfasser des Schreibens, der kaufmännische Geschäftsführer des Orchesters Karl Stegmann schilderte zudem exemplarisch einige besonders drastische Fälle von nervenkranken Orchestermitgliedern, um seine Darstellung quasi empirisch zu belegen. 620 Vermerk des RMVP, 15. 12. 1938. BA, R 55/951.
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„Lediglich bei den 3 ältesten Dienstaltersstufen, die allerdings mit zusammen 49 Mitgliedern die größere Hälfte des Orchesters darstellen, reicht die Zulage von 60.-- RM nicht aus, um den bisherigen hohen Reisekostenzuschuß der alten Mitglieder auszugleichen. Hier sind deshalb Angleichszulagen notwendig, die in der IX. Stufe auf 20.-- RM und in der X. und XI. Stufe auf je 40.-- RM festgesetzt werden soll, damit auch diese ältesten Mitglieder noch eine leichte Erhöhung erhalten.“621
Im Wesentlichen wurde diese Anpassungsregelung an die neue Tarifordnung, die das RMVP für die Berliner Philharmoniker herauszuhandeln versuchte, vom Finanzministerium gutgeheißen, wenn auch in der Handhabung der „Angleichszulagen“ etwas zurückgestutzt: „In Rücksicht auf die starke Reisetätigkeit des Philharmonischen Orchesters ist gegen die Bewilligung eines Reisekostenzuschusses neben den tariflichen Bezügen grundsätzlich nichts einzuwenden. [...] Hingegen kann ich mich entsprechend der Regelung in § 12 Abs. 2 der Tarifordnung für die deutschen Kulturorchester nur damit einverstanden erklären, dass denjenigen Gefolgschaftsmitgliedern, deren bisherige Dienstbezüge einschließlich des Reisekostenzuschusses höher waren als die jetzigen nach der Tarifordnung für die deutschen Kulturorchester einschliesslich des Reisekostenzuschusses, eine Ausgleichszulage in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen den bisherigen Bezügen und den Bezügen auf Grund der neuen Tarifordnung bewilligt wird. Einer höheren Ausgleichszulage kann ich nicht zustimmen.“622
Die vom RMVP angestrebte „leichte Erhöhung“ auch für die Dienstältesten wurde dadurch somit vereitelt, wenn auch das Finanzministerium bestrebt war, es durch die neue Tarifordnung zu keinen Bezugsverminderungen kommen zu lassen. Somit kamen neu statt der bisherigen Reisekostenzuschüsse in der Höhe von 170.000 RM jährlich immerhin noch 70.000 RM zur Auszahlung. Damit wurde der Forderung des Orchesters, einen materiellen Vorsprung gegenüber allen anderen deutschen Orchestern aufrechtzuerhalten, letztlich weitgehend entsprochen. Die „besondere Reiseaufwandsentschädigung“ diente auch nach 1938 noch der pauschalen Gehaltsaufbesserung der Berliner Philharmoniker; die anfallenden Kosten von Reisen wurden weiterhin separat vergütet: „Die in § 16 der Tarifordnung623 vorgesehenen Ein621 Ebd. 622 RMdF an RMVP, 22. 2. 1939. BA, R 55/951. Nach einigem Hin und Her bestätigte das RMVP am 19. 1. 1940 dem RMdF gegenüber schließlich dessen Einspruch und übernahm dessen Beschränkung der Ausgleichszulagen in die neue Dienstordnung des Berliner Philharmonischen Orchesters. 623 Tarifordnung, S. VI 599: „Bei auswärtigen Dienstleistungen erhalten die Musiker Entschädigungen in entsprechender Anwendung der für die Reichsangestellten geltenden Bestimmungen. Dabei gehören die Vergütungsgruppen Sonderklasse und I zur Reisekostenstufe II [...].“
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zelentschädigungen bei auswärtigen Dienstleistungen werden hierdurch [durch die Reiseaufwandsentschädigung, F. T.] nicht berührt.“624 Die Reichszuschüsse stiegen bis 1941 auf eine Million RM,625 während allein die jährlichen Nebenbezüge pro Mitglied durchschnittlich 1.377 RM betrugen. „Sie erscheinen dem RH [Rechnungshof, F. T.] reichlich hoch bemessen“, kommentierte dieser lakonisch und verwies auf das Missverhältnis zwischen Personalkosten und Konzerteinnahmen: „Der Personalkostenbedarf des Orchesters belastet dessen Haushalt so stark, daß die Konzerteinnahmen trotz ihres erheblichen Ansteigens nicht einmal zur Deckung des Personalkostenbedarfs, geschweige auch nur eines Teiles der sächlichen Ausgaben, insbesondere der sehr beträchtlichen Konzertbetriebskosten [...] ausreichen.“626
Anhand dieser ausführlichen Diskussion der ökonomischen Sanierung und Konsolidierung der Berliner Philharmoniker im Nationalsozialismus wird deutlich, dass Goebbels’ Protektionsbereitschaft gegenüber dem Orchester überdurchschnittlich hoch war. Er wollte „seinem“ Orchester, soviel ist offensichtlich, eine Art Monopolstellung im deutschen Musikbetrieb einräumen, was außerdem an einer Reihe anderer Maßnahmen ablesbar ist. Dies manifestierte sich etwa in der Exklusivnutzung der Berliner Philharmonie: Ab 1937 waren die Berliner Philharmoniker das einzige Orchester, das dort Symphoniekonzerte aufführen durfte. Der Exklusivvertrag war zwar kostspielig,627 doch er wurde noch 1943 bestätigt – unter Betonung der „Monopolstellung“, die dem Orchester dadurch gesichert werden könne, worauf „ein gewisser Wert gelegt werden“ müsse.628 Die Quasi-Monopolisierung des Orchesters setzte Goebbels nach Kriegsbeginn mit einer weiteren, äußerst wirkungsvollen Maßnahme fort: Den materiellen Vorsprung der Berliner Philharmoniker vor den anderen deutschen Orchestern erhielt er mittels einer generellen Kriegsdienstbefreiung („UK-Stellung“)629 aufrecht, die ihre Gültigkeit bis Kriegsende, also auch in der Phase des ,Totalen Krieges‘, nie verlor.630 Sie wurde 1945 auf die Befreiung von 624 625 626 627
Dienstordnung des Berliner Philharmonischen Orchesters. Berlin 1940. ABPhO, G 110. Rechnungshof an RMVP (Rechnungsbericht), 15. 4. 1942. BA, R 55/246. Ebd. Ebd. Gemäß dem Rechnungsbericht war „die tatsächliche Inanspruchnahme der Räumlichkeiten bei den einzelnen Konzerten“ erheblich hinter der Mietsumme (67.500 RM) zurückgeblieben. 628 „Der Vertrag sichert dem Orchester die Monopolstellung für Orchesterkonzerte auf die Benützung des Saals der Philharmonie zu, und darauf muß ein gewisser Wert gelegt werden.“ RMVP (Lucerna) an Rechnungshof, 5. 5. 1943. BA, R 55/246. 629 UK steht für unabkömmlich. 630 Am 8. Juli 1942 etwa erhielten die Mitglieder des Orchesters von Goebbels ein Schreiben, mit dem sie
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der Dienstpflicht im ‚Volkssturm‘ ausgeweitet631 und noch im April 1945 wurde den Orchestermitgliedern diese „doppelte UK-Stellung“ bescheinigt.632 Sie ist jedoch keineswegs als die „größte Gabe des Regimes für die Mitglieder des Orchesters“ zu apostrophieren, wogegen die sonstigen Privilegien, die Goebbels dem Orchester verschafft habe, „alles nur Almosen“ gewesen seien, wie es Misha Aster formuliert.633 Vielmehr war die generelle „UK-Stellung“ der Berliner Philharmoniker ein äußerst wichtiger, aber nicht der einzige Bestandteil in Goebbels’ Maßnahmenkomplex; erst in seiner Gesamtheit vermochte dieser die Aufrechterhaltung der Sonderstellung der Berliner Philharmoniker innerhalb des deutschen Musikbetriebs zu gewährleisten. Goebbels sicherte sich damit ein wirkungsvolles Instrument sowohl für die Partizipation am innerdeutschen kulturpolitischen Städtewettbewerb als auch für die außenpolitische Propaganda.
5.3 Nationalsozialistischer Kompetenzstreit um die Wiener Kulturpolitik Während es im Falle der Berliner Philharmoniker relativ rasch klar war, welcher Reichsinstanz sie zugeordnet würden, stand für die Wiener Philharmoniker – wie auch für die restlichen Wiener Kulturinstitutionen – nach dem ,Anschluss‘ Österreichs an Deutschland für längere Zeit nicht fest, welcher politischen Instanz sie untergeordnet werden würden. Unmittelbar nach dem ,Anschluss‘ schien sich zwar abzuzeichnen, dass das Orchester in die Zuständigkeit des RMVP fallen würde: Goebbels’ Ministerium war das einzige, das in der Frage der Vereinsauflösung mit dem Stillhaltekommissar in Kontakt stand. Daraufhin entspann sich jedoch eine hartnäckig geführte Debatte um die Frage der Zuständigkeit für die „Wiener Kunst- und Kulturinstitute“, die von verschiedenen Gau- und Reichsstellen ausgetragen wurde und die sich vom Januar 1939 bis Mitte des Jahres 1941 hinzog: Die 1939 im „Schlussbericht“ über die Wiener Philharmoniker verhängte Verfügung, wonach der Verein Goebbels untersich jederzeit als ,UK-gestellt‘ vor den militärischen Behörden ausweisen konnten: „Sie sind aufgrund einer Führerermächtigung durch mich zur Durchführung wichtiger propagandistischer und kultureller Aufgaben uk-gestellt worden. Es wird von Ihnen erwartet, daß Sie durch Ihre dienstlichen Leistungen, Ihre Lebensführung und Ihre Haltung überhaupt, sich der für Sie daraus erwachsenden persönlichen und sachlichen Verpflichtung bewußt zeigen. Sie haben stets dessen eingedenk zu sein, daß der im Felde stehende Soldat Strapazen und Gefahren bestehen muß, die auch die härteste und pflichtgetreueste Arbeit in der Heimat nicht aufwiegen kann.“ ABPhO, Z 1942-2. Zu den großen Schwierigkeiten, die ,UK-Stellung‘ für die einzelnen Musiker während des gesamten Krieges in der Praxis geltend zu machen, vgl. Aster, „Reichsorchester“, S. 128 ff. 631 Schnellbrief RMVP, 12. 3. 1945. ABPhO, Z 1945-1. 632 Vgl. die Bescheinigung für den Philharmoniker Ernst Fuhr vom 14. 4. 1945. ABPhO, Z 1945-3a. 633 Aster, „Reichsorchester“, S. 128.
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Arthur Seyß-Inquart, NS-Reichsstatthalter und späterer „Reichskommissar für die Niederlande“ bei einer Probe der Wiener Philharmoniker mit Wilhelm Furtwängler, 1938. © Historisches Archiv der Wiener Philharmoniker.
stellt werde, gibt demnach nur einen Zwischenstand wieder. Es ist davon auszugehen, dass Goebbels mit diesem Passus versuchte, das Orchester näher an sich zu binden, um sich in der laufenden Diskussion über die Zuständigkeit für die „Wiener Kunst- und Kulturinstitute“ besser zu positionieren. Diese Kompetenzdiskussion ist für die Interpretation der Geschichte der Wiener Philharmoniker, insbesondere mit dem Fokus auf den Vergleich mit dem Berliner Philharmonischen Orchester, durchaus erheblich und soll hier darum ausführlich dokumentiert und interpretiert werden, zumal die Debatte bislang nicht im Detail aufgearbeitet wurde.634 Schon Arthur Seyß-Inquart635 betonte in seiner Eigenschaft als damaliger „Leiter der österreichischen Landesregierung“ in einem Schreiben an den „Chef der Reichskanzlei“ (Hans Heinrich Lammers) vom 25. Januar 1939, der „Führer“ habe „vor allem betont, dass die Selbständigkeit dieser [Wiener] Kultur- und Kunsteinrichtungen das Hauptziel der Regelung sein müsse“. Der „Führer“ habe daher Bedenken gehabt, diese Einrichtungen „ins Reichsei-
634 Diverse Hinweise auf den Kompetenzstreit vor allem bei Rathkolb, Künstlereliten, S. 44 ff. 635 Seyß-Inquart (1892–1946) war seit dem Berchtesgadener Abkommen vom Februar 1938 österreichischer Innenminister (NSDAP) und vom 11. bis zum 13. März 1938 Bundeskanzler sowie am 13. März 1938 auch Bundespräsident; in dieser Doppelfunktion unterzeichnete er das „Gesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“. Bis April 1939 war er sodann von Hitler eingesetzter Leiter der österreichischen Landesregierung. 1939 wurde Seyß-Inquart Stellvertreter von Hans Frank im „Generalgouvernement“ und ab 1940 war er „Reichskommissar in den besetzten Niederlanden“. Seyß-Inquart gehörte im Nürnberger Prozess zu den 24 Hauptkriegsverbrechern und wurde 1946 hingerichtet. Vgl. etwa den Eintrag zu Seyß-Inquart in: Killy, Walther/Vierhaus, Rudolf (Hrsg.). Deutsche Biographische Enzyklopädie. Bd. 9. München 1998. S. 300.
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gentum zu übernehmen“;636 in der dem Schreiben beiliegenden Aufstellung dieser Institute ist der Verein der Wiener Philharmoniker ausdrücklich mit erwähnt. Daraufhin ließ Lammers mitteilen, der „Führer“ beabsichtige, die „gesamten ostmärkischen Kunst- und Kultureinrichtungen“ einem selbständigen Referat „mit Sitz in Wien unter Loslösung von dem Geschäftsbereich des Reichsministeriums (RM) für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung zu unterstellen“, wobei die „hierzu erforderlichen Kosten nach Meinung des Führers vom Reich übernommen werden“.637 Der Staatssekretär im Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung entgegnete, dass diese österreichischen Einrichtungen wegen ihrer Bedeutung und wegen des Kostenaufwandes vom Reich selbst getragen werden müssten und nicht „einem Gau oder der Stadt Wien zur selbständigen Betreuung überlassen werden“ könnten; er habe beim Reichsfinanzminister bereits die Zustimmung zur Übernahme „der sämtlichen Einrichtungen auf das Reich erwirkt“.638 Lammers teilte darauf dem Reichsinnenminister mit, er habe in der Angelegenheit nochmals beim „Führer“ vorgesprochen, der bestätigt habe, „daß er die Wiener Staatstheater dem Reichsstatthalter in Wien unterstellt und seinen Plan, für die Betreuung der ostmärkischen Kunst- und Kultureinrichtungen eine besondere Regelung zu treffen, fallen gelassen habe“.639 Doch auch dieser Entscheid beließ genügend Spielraum, um die involvierten Instanzen weiterhin um die Zuständigkeit für die „Wiener Kunst- und Kulturinstitute“ ringen zu lassen. Er rief Goebbels auf den Plan, der dem Reichsinnenminister am 13. November 1939 mitteilte, dass „nach der Entscheidung des Führers die Theater des früheren Landes Österreich als Reichstheater und nicht als Stadt- oder Gautheater zu führen sind“.640 Daraufhin sprach der Reichsinnenminister (Wilhelm Frick) am 9. Januar 1940 beim „Führer“ vor, der „in Gegenwart des Reichsleiters Bormann über die Frage der Kunstinstitute in Wien sich dafür ausgesprochen [hat], dass zur Erzielung höchster Kulturleistungen die Leitung der Wiener Kunstinstitute (Staatsoper, Staatstheater usw.) möglichst unabhängig von Berlin in Wien liegen und daher auch ihr Etat nicht im Reichsetat, sondern im Etat des Reichsgaues Wien, jedoch mit erheblichen Reichszuschüssen erscheinen solle.“641
636 BA, R 43II/1250a. 637 Chef der Reichskanzlei an RM für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung sowie an den Reichsstatthalter in Österreich, 22. 2. 1939. BA, R 43II/1250a. 638 Staatssekretär des RM für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung an Chef der Reichskanzlei, 30. 1. 1939. BA, R 43II/1250a. 639 Chef der Reichskanzlei an Reichsminister des Innern, 9. 10. 1939. BA, R 43II/1250a. 640 Schreiben des RMdI an den Chef der Reichskanzlei, 29. 1. 1940. [Hervorhebung im Original] BA, R 43II/1250a. 641 Vgl. ebd.
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Der „Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“ (Josef Bürckel) ließ Lammers am 12. März 1940 wissen, er sei dem „Führer“ gegenüber „für diese Entscheidung unendlich dankbar“, vertrat jedoch die Auffassung, dass die staatliche Verwaltung des Reichsgaues Wien einen eigenen Haushalt haben müsste, der als Einzelplan im Reichshaushalt erscheine; damit könne „zu einer Fundierung der Stellung der Reichsstatthalter“ gelangt werden, „wie sie der Führer durch das Ostmarkgesetz und die nachfolgenden Organisationsgesetze schaffen wollte [...]“. Zugleich bedauerte Bürckel jedoch, dass der Reichsinnenminister und der Reichsfinanzminister „eine andere Auffassung vertreten“ würden, der er selbst leider unterlegen sei. Bürckel analysierte diese „andere Auffassung“ folgendermaßen: „Wenn also heute von einem Haushalt des Reichsgaues Wien die Rede ist, so ist nach der jetzigen Sachlage ausschließlich der städtische Haushalt zu verstehen. Die der Verwaltung des Reichsstatthalters in Wien zugewiesenen Kunst- und Kulturinstitute der Stadt Wien würden also bei einer solchen Regelung zu städtischen Einrichtungen und damit auf die gleiche Stufe wie sonstige städtische Theater und städtische Museen gestellt. Sie wären auf Zuschüsse angewiesen, die selbstverständlich aus dem Haushalt des Reichspropagandaministers bezw. für die Museen des Reichserziehungsministers geleistet werden müßten. Damit stünden diese genannten Einrichtungen zwar formell unter der gemeindlichen Selbstverwaltung, materiell wären sie jedoch in der stärksten Weise von den Berliner Zentralstellen abhängig, weil die Finanzkraft der Stadt Wien – wie Ihnen das aus der wirtschaftlichen Entwicklung der Stadt bekannt ist, recht schwach ist.“642
Im April desselben Jahres trug Bürckel sein Anliegen Lammers gegenüber abermals vor, wobei er erwähnte, dass das Reichsfinanzministerium plane, „die Einnahmen und Ausgaben für diese Wiener Institute im Haushalt des Propagandaministeriums erscheinen zu lassen und in einer Fußnote zu vermerken, daß die Ver waltung dieser Mittel beim Reichsstatthalter in Wien liegt“.643
Lammers antwortete, sowohl er selber als auch der Reichsinnenminister hätten dem „Führer“ die Angelegenheit nochmals vorgetragen, wobei der „Führer“ beide Male entschieden habe, „daß die Wiener Kunstinstitute in jeder Hinsicht unabhängig von Berlin bleiben und dem Herrn Reichsstatthalter in Wien unterstellt werden sollen. Der Führer hat ferner aus drücklich ange642 Bürckel an Lammers, 12. 3. 1940. BA, R 43II/1250a. 643 Bürckel an Lammers, 5. 4. 1940. BA, R 43II/1250a.
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ordnet, daß der Etat dieser Kunsteinrichtungen nicht in den Reichshaushalt, sondern in den Haushalt des Reichsgaues Wien, aber mit erheblichen Reichszuschüssen, aufzunehmen ist.“644
Doch genau dies wollte Bürckel nicht: Er wünschte sich für Wien „wie [für] das saarland und de[n] reichsgau hamburg eigene haushalte für die staatl. ver[w]altung“, da er es nicht für wahrscheinlich halte, dass der „Führer“ „diese wiener kulturinstitute zu staedt. einrichtungen machen will, dass er vielmehr ihren charakter als reichseinrichtungen bewahren aber durch die unterstellung unter den reichsstatthalter von wien ihre wertvolle oertliche besonderheit sichern moechte“.645
Die Antwort Lammers, die an Bürckels Nachfolger als Reichsstatthalter und Gauleiter von Wien, Baldur von Schirach, erging, trug diesem Vorschlag nicht Rechnung – er habe sich „[durch die Einsprüche der beteiligten Ministerien]646 nicht verwirklichen lassen“. Bürckel habe hingegen sein Einverständnis gegeben zum Gegenvorschlag des Reichsinnenministers, wonach „der Haushalt des staatlichen Sektors der Behörde des Reichsstatthalters und somit auch die Haushalte der Wiener Kunsteinrichtungen mit erheblichen Reichszuschüssen im Reichshaushalt bei den zuständigen obersten Reichsbehörden erscheinen“. Weiters führte Lammers den definitiven Entscheid aus: „[Der Herr Reichsminister des Innern glaubt, F. T.], dem Wunsche des Führers dadurch am besten Rechnung zu tragen, daß die Verfügung über die in den Reichshaushaltsplänen des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung und des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda auszubringenden Mittel dem Reichsstatthalter in Wien übertragen werde.“
Bedingung dafür sei es jedoch, dass dem Reichsstatthalter in Wien „die freie Bewirtschaftung der in den Haushaltsplänen der genannten Reichsministerien auszubringenden Mittel zugebilligt werde“. Die beiden zuständigen Reichsminister hätten dieser Bedingung zugestimmt.647 Schirach war durch diesen Entscheid – er war nun verbindlich – zwar unabhängig, was die Verwendungszwecke der Mittel anging. Über die Einhaltung des Haushalts
644 Lammers an Bürckel, 11. 4. 1940. BA, R 43II/1250a. 645 Telegramm Bürckel an Lammers, 20. 4. 1940. 646 Dieser Passus ist durchgestrichen; vgl. das Schreiben Lammers an Schirach vom 19. 8. 1940. BA, R 43II/1250a. 647 Lammers an Schirach, 19. 8. 1940. BA, R 43II/1250a.
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der Wiener Theater wachte Goebbels in der Folge jedoch penibel genau: „Überplanmäßige Haushaltsausgaben“ bewilligte das RMVP dem Reichsstatthalter jeweils nur unter der Voraussetzung, „daß Einsparungen in gleicher Höhe an anderer Stelle dieses Haushalts gemacht werden“.648 Diese Praxis stand freilich in eklatantem Widerspruch zur Haushaltspolitik, die Goebbels an den direkt ihm selbst unterstellten Instituten und insbesondere am Berliner Philharmonischen Orchester betrieb.649 Goebbels’ Versuche, auf die wienerischen „Kunst- und Kulturinstitutionen“ weiterhin Einfluss zu nehmen, beschränkten sich jedoch nicht nur auf eine budgetäre Druckstrategie. Im Juni 1941 berichtete Schirach an Lammers, Goebbels habe ihm anlässlich einer Besprechung mitgeteilt, „dass die Haushaltsmittel für die Wiener Theater in Zukunft durch das Reichspropagandaamt in Wien zur Auszahlung gebracht werden würden“ – also durch die Wiener Außenstelle des RMVP –, und forderte Lammers auf, Goebbels gegenüber mitzuteilen, dass an der bestehenden Regelung festgehalten werden solle.650 Doch auch wenn Lammers Schirach in seiner Antwort zu beschwichtigen vermochte, indem er erklärte, es handle sich dabei um ein Missverständnis, da Goebbels „lediglich an die staatlichen Zuschüsse für die privaten Theater“ gedacht habe,651 so dokumentiert dieser Fall die anhaltenden Kompetenzstreitigkeiten in Bezug auf Wiens künstlerische Institutionen – trotz Hitlers diesbezüglicher „definitiver“ Entscheidung. Insbesondere Schirachs Argumentation gegen Goebbels’ Vorhaben ist aufschlussreich: Durch die bisherige Regelung sei es ihm, Schirach, möglich gewesen, „in Wien auf kulturpolitischem Gebiet eine gewisse Aufbauarbeit zu leisten“, er sehe sich jedoch außerstande, den ihm „vom Führer erteilten kulturpolitischen Auftrag für Wien durchzuführen, wenn dieser Entscheid zurückgezogen wird, der die Voraussetzung für meine Arbeit darstellt“.652 Damit schloss er sich Bürckel an, der stets betonte, erst durch diese Kompetenzregelung zugunsten des Reichsstatthalters finde dessen Position ihre notwendige Festigung.653 Aus dieser Argumentation sowie aus der „Führerentscheidung“ geht hervor, dass sich der Antagonismus zwischen Wien und Berlin nach dem ,Anschluss‘ kaum verringerte, geschweige denn auflöste; die Aufrechterhaltung dieser Art von Bipolarität war von den maßgeblichen nationalsozialistischen Potentaten vielmehr intendiert: Sie wurde als Mittel zur Herrschaftssicherung erkannt und umgesetzt. Die Etablierung und Konsolidierung im Nationalsozialismus bedeu648 Schreiben des RMVP an die Reichsstatthalterei Wien vom 16. 9. 1941 und 20. 11. 1941. ÖStA, AdR, RStH Wien, Referat Z–H. Kt. 78, 120/01. 649 Vgl. Kap. 5.1. 650 Schirach an Lammers, 25. 6. 1941. BA, R 43II/1250a. 651 Lammers an Schirach, 5. 7. 1941. BA, R 43II/1250a. 652 Schirach an Lammers, 25. 6. 1941. BA, R 43II/1250a. 653 Vgl. etwa FN 645.
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tete denn auch keineswegs den Verzicht auf ,Österreichisches‘ oder ,Wienerisches‘. Darum wurden auch im Kunst-, insbesondere aber im Musikbereich ,wienerische Traditionen‘ nicht unterbunden, sondern ihre Herausbildung im Gegenteil geradezu forciert, ja bisweilen neu ,erfunden‘: Eines der bezeichnendsten Beispiele hierfür ist die Etablierung der Strauß-Walzer,Tradition‘ der Wiener Philharmoniker, die in der Gestaltung ihres Neujahrskonzerts, das ein weitgehend der Musik von Johann Strauß gewidmetes Programm beinhaltete und zu Silvester 1939 erstmals stattgefunden hatte, ihren Höhepunkt fand.654 Kennzeichnend für das Ineinandergreifen der Kompetenzen, das gerade in Wien zu beständigen Irritationen führte, ist der Umstand, dass die Reichs-, die Gau- und die Gemeindeebene auch nach dem ,Anschluss‘ keine streng voneinander getrennten Bereiche darstellten. Dies zeigt sich insbesondere am „Reichspropagandaamt Wien“, das die wienerische Kulturpolitik erheblich mitbestimmte. Dieses war zwar Goebbels’ RMVP angegliedert, aber spätestens seit Schirachs Amtsantritt als Wiener Gauleiter und Reichsstatthalter im Sommer 1940 dürfte sich Goebbels’ Einfluss auf dieses Institut erheblich verringert haben, zumindest was die „Abteilung Kultur“ anbelangte. Denn mit Schirachs „Generalkulturreferent“ Walter Thomas stand ihr seither ein loyaler Mitarbeiter des Reichsstatthalters vor.655 Thomas war aber nicht der Einzige, dessen Loyalität nicht bei Goebbels lag. Einen weiteren solchen Fall, der außerdem auf die Spur einer wienerischen Spezifizierung von nationalsozialistischer ,Kultur-Propaganda‘ hinzuführen vermag, stellte der nationalsozialistische Wiener Kulturfunktionär Aurel Wolfram dar.656 Wolfram wurde unmittelbar nach dem ,Anschluss‘ 654 Detailliert in Kap. 7.3. 655 Vgl. Organigramm im Handbuch des Reichsgaues Wien. Wien 1944. S. 344. Entgegen der Auffassung der beiden Kulturhistorikerinnen Anita Wolfartsberger und Evelyn Schreiner, die in Goebbels den wichtigsten Gestalter der wienerischen Kulturpolitik sehen, weil er über das „Reichspropagandaamt“ (welches aus der Zusammenlegung verschiedener staatlicher und parteimäßiger Stellen der Reichs-, der Gau- und der Gemeindeebene resultierte), habe verfügen können, sehe ich in der personellen Besetzung der „Kulturabteilung“ dieses Amtes spätestens seit dem Amtsantritt Schirachs eine deutliche Schwächung der Position Goebbels zugunsten des Reichsstatthalters. Vgl. Wolfartsberger, Anita. Das „Mittelstück“ im ,Wiener Werkel‘. Kleinkunst im Dritten Reich zwischen Anpassung und Widerstand. Diplomarbeit, Wien 2004. S. 24; Schreiner, Evelyn. Nationalsozialistische Kulturpolitik in Wien 1938–1945 unter spezieller Berücksichtigung der Wiener Theaterszene. Diss. an der Universität Wien 1980. S. 108. Weitere Anhaltspunkte für die letztlich untergeordnete Bedeutung von Goebbels für die Gestaltung der Wiener Kulturpolitik liefert die Goebbels’sche Perspektive selbst, wie sie unten stehend unter Beizug seiner Tagebucheinträge noch näher thematisiert wird. 656 Aurel Wolfram (1896–1948). Mitglied der NSDAP seit 4. März 1933 (Mitgliedsnummer 1,518.205). Wolfram war freier Schriftsteller, „Kulturberichterstatter“ für die „Deutschösterreichische Tageszeitung“ und für „Deutschlands Erneuerung“ (München) sowie „ehrenamtlicher Sekretär“ beim „Führer“ der „Deutschnationalen Bewegung“ Österreichs, Georg von Schönerer. Unmittelbar nach dem ,Anschluss‘ wurde Wolfram Referent der Kulturabteilung im Reichspropagandaamt Wien. Zugleich war er auch Präsident der „Wiener Kulturvereinigung“ und Generalsekretär der „Süd-Ost-Woche“. Aufgrund eines Berlin-kritischen Zeitungs-
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als Referent der Kulturabteilung im Reichspropagandaamt eingesetzt und ausdrücklich mit der „Sonderaufgabe“ betreut, „die Verbindung mit Berlin herzustellen“.657 Daneben pflegte Wolfram unter anderem beste Kontakte zu den Wiener Philharmonikern: So war er der erste (und einzige) externe Vertreter im Komitee, der – in seiner Funktion als Referent des Propagandaamtes – von Mai 1940 bis zu seiner Entlassung aus dem Dienst des Propagandaamtes im Oktober desselben Jahres regelmäßig an Komiteesitzungen teilnahm.658 Der Eintritt Wolframs ins Leitungsgremium der Wiener Philharmoniker wurde indes offenbar nicht eigentlich verordnet; vielmehr wurde er von den Komiteemitgliedern einstimmig in das Gremium gewählt.659 Aurel Wolfram war schon früh ein glühender Anhänger zunächst deutschnationaler, dann nationalsozialistischer ,Weltanschauung‘, seit 1933 Parteimitglied und während des ,Austrofaschismus‘ ,Illegaler‘, zugleich aber auch ein Wien-Fanatiker sondergleichen, der antipreußische und antiberlinerische Stereotype bediente. So sprach er in seiner Begrüßungsrede anlässlich der ersten Vorstands-Sitzung bei den Wiener Philharmonikern davon, dass es für Wien artikels wurde er aus dem Reichspropagandaamt entlassen, fand eine Anstellung als Archivar bei der Stadt Wien und wurde im April 1941 Vorsteher des neu gegründeten „Sonderreferats für Wiener Theatergeschichte“. 1947 gründete Wolfram in Wien den „Kreis des geistigen Lebens“. Vgl. Bruckmüller, Ernst (Hrsg.). Personenlexikon Österreich. Wien 2001. S. 543. Vgl. ferner ÖStA, Gauakt Wolfram, Aurel (Nr. 312.291), Schreiben der „Geheimen Staatspolizei Wien“ an die „Gauleitung Wien“ vom 21. 2. 1941; außerdem Hellsberg, Demokratie, S. 482.Wolfram liefert ein bezeichnendes Beispiel für die Rezeption der nationalsozialistischen Periode in Österreich; NS-Bezüge werden in Biografien offenbar bis heute nach Möglichkeit ausgeblendet: Im erwähnten „Personenlexikon Österreich“ wird der NS-Funktionär Wolfram schlicht als „Erzähler“ und „konservativer Kulturphilosoph“ aufgeführt, ohne dass seine Tätigkeiten für den Nationalsozialismus auch nur im Geringsten angedeutet würden. 657 Stenographische Verhandlungsschrift, Sitzung der Beiräte des Kulturamtes der Stadt Wien, 17. 6. 1939. WSL, Ratsherren, B 4, Sitzungsniederschriften; Tagesordnungen, Verhandlungsschriften aus dem Bereich des Kulturamts 1939–1945. 658 Der Kontakt Wolframs zu den Wiener Philharmonikern dürfte über rein berufliche Beziehungen deutlich hinausgegangen sein. In einer politischen Beurteilung der „Gestapo“ zuhanden der Gauleitung Wien vom 21. 2. 1941 heißt es: „Besonders engen Kontakt hat W[olfram]. mit den Wienern Philharmonikern [sic].“ ÖStA, Gauakt Wolfram, Nr. 312.291. 659 „[...] Dr. Aurel Wolfram ist Wiener, besitzt ein überaus großes Wissen in allen kulturellen Dingen, ist eng verbunden mit der Wiener Kulturtradition, die besonders bei den Veranstaltungen der ihm unterstehenden Wiener Kulturvereinigung zum Ausdruck kommt, wo nur das Beste vom Besten geboten wird, und ist ein aufrichtiger und treuer Freund der Wiener Philharmoniker, der sich immer und jederzeit für die Wiener Philharmoniker einsetzte. Eine Aufnahme in den Vorstandsrat würde dieses wertvolle Freundschaftsverhältnis sehr festigen und den Philharmonikern auch nach außen hin durch die Stellung, die Dr. Wolfram als erster Kulturreferent des Reichspropagandaamtes in Wien hat, einen guten Eindruck machen. Strasser und Kainz treten ebenfalls für die Aufnahme Dr. Wolframs in den Vorstandsrat ein. Die Aufnahme wurde einstimmig beschlossen.“ Prot. KS, 6. 5. 1940. HAWPh, A-Pr-30.
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sehr schmerzlich sei, nach einer 500-jährigen ruhmreichen Vergangenheit als Reichshauptstadt in eine solche zweiten Grades abzugleiten. Der Stadt Wien, so Wolfram, falle dennoch eine große Aufgabe zu, nämlich die Erhaltung und Weiterentwicklung einer jahrhundertealten und hohen Kultur, wie sie keine andere deutsche Stadt besitze. Alle großen Musiker aus allen deutschen Gauen seien hierher gezogen, weil die Bewohner dieser Stadt ein besonderes kulturelles Bedürfnis bekundeten, das jenes spezifische Wiener Kulturleben geschaffen habe, wie dies in den Bauten, Denkmälern, im Kunstgewerbe und besonders im Schaffen der in Wien lebenden Komponisten zum Ausdruck gekommen sei. Deshalb seien Städte mit „hoch entwickelter“ und „Tradition besitzender Kultur“ allem Neuen gegenüber immer skeptischer eingestellt als moderne, die „keinen eigenen Kulturstil besitzen“ oder solche, die „in ihrer kulturellen Entwicklung wenig Entfaltungsmöglichkeit“ besessen hätten.660 Diese Rede Wolframs vor dem Komitee der Wiener Philharmoniker kann in gewisser Weise als Vorlauf zum einige Monate später im „Neuen Wiener Tagblatt“ veröffentlichten Artikel „Wien – Refugium der deutschen Seele. ,Vom wachen und vom weisen Blut‘“661 gesehen werden. Darin beschwörte Wolfram den Antagonismus zwischen Wien und Berlin und griff darüber hinaus die städtebauliche Entwicklung, wie sie die nationalsozialistische Reichshauptstadt gerade erfuhr, heftig an. Bezeichnender weise trat Wolfram mit diesem Artikel in seiner Eigenschaft als Funktionär des Goebbels unterstellten „Reichspropagandaamtes Wien“ an die Öffentlichkeit. Goebbels, der sich von Wolframs Artikel wohl nicht nur als Reichsminister des RMVP, sondern ebenso als Berliner Gauleiter herausgefordert sah, reagierte prompt und leitete Wolframs Entlassung ein: „Dumme Sache in Wien: unser Referent Wolfram in Wien schreibt in einer dortigen Zeitung einen ganz dummen, aber außerordentlich scharfen Artikel gegen Berlin, seine Lebensart und seine Bevölkerung. Ohne jeden äußeren Anlaß. Schirach ruft mich dieserhalb ganz empört an. Ich gebe ihm Vollmacht, den Mann gleich seines Amtes zu entheben und ihn auf ein paar Tage in Gewahrsam zu nehmen. Das fehlte mir noch, daß nun meine eigenen Dienstorgane in Wien anfangen, gegen das Reich und gegen Berlin öffentlich zu stänkern. Es ist die höchste Zeit, daß Wien nun wieder in Ordnung gebracht wird. Schirach ist auf dem besten Wege dazu.“662 660 Prot. KS, 20. 5. 1940. HAWPh, A-Pr-030. 661 Wolfram, Aurel. Wien – Refugium der deutschen Seele. ,Vom wachen und vom weisen Blut‘. In: Neues Wiener Tagblatt (NWT), 29. 9. 1941, Sonntagsbeilage. S. 13 f. 662 Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Sämtliche Fragmente. Hg. Von Elke Fröhlich, im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte und in Verbindung mit dem Bundesarchiv. Teil I, Aufzeichnungen 1924–1941 (Nachfolgend: Goebbels, Tagebücher I). Band 4, 1. 1. 1940–8. 7. 1941. K. G. Saur, München/New York/London/ Paris 1987. S. 353 (Eintrag vom 6. 10. 1940).
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Wolfram dürfte es in seinem Artikel aber weniger um eine Kritik an Berlin gegangen sein, sondern vielmehr um eine Aufwertung der Position Wiens im neuen nationalsozialistischen Staatsgefüge. Insofern ist der Artikel durchaus als ein Versuch zu werten, den Nationalsozialismus in Wien zu konsolidieren – wenn Wolfram dazu auch rhetorische Mittel verwendete, die an die ,Österreich‘-Propaganda der Ersten Republik und des ,Austrofaschismus‘ erinnern. Gleich zu Beginn des Artikels hält Wolfram fest, dass Wien und Berlin „im politischen Kräftefeld Deutschlands und Europas tatsächlich wiederholt Gegenspielerinnen“ gewesen seien, während nun „mehr und mehr aber [...] sich die Erkenntnis einzustellen [beginnt], daß sie im Schicksal unsres Volkes zu polarer Ergänzung, als Gegensatzpunkte größerer Einheit vorgesehen sind“.663 In der Folge formte er einen scharfen Kontrast zwischen den beiden Städten heraus und knüpfte dabei an Berlins Modernitätsimage sowie an ,Alt-Wien‘-Konstruktionen der vornazistischen Periode an. Zwar scheine es heute so, führte Wolfram aus, als sei Wien im Kampf um die Vorherrschaft gegenüber der jüngeren Nebenbuhlerin endgültig unterlegen. Näher besehen werde sich aber zeigen, dass Wiens Rolle alles eher als ausgespielt sei und dass ihm vielmehr mit der Erfüllung des alten Sehnsuchtstraumes ,Großdeutschland‘ eine Aufgabe zugefallen sei, die ihm ungeachtet des Verlustes der politischen Führung in ganz anderer Hinsicht einen uneinnehmbaren Vorrang sichere. „Berlin ist der Kopf des deutschen Körpers und morgen – der des Kontinents. Es verbrennt sich täglich gleichsam in den eigenen Feuern. Ein ständiger Umbruch vollzieht sich. [...] Berlin hat vieles gemeinsam mit dem Amerikanismus. Es gleicht tatsächlich einem Selfmademan, ganz aus sich selbst gewachsen [...]. Doch unwillkürlich stellt man die Frage: Wird das immer so gehen? In der ewig rotierenden Bewegung, die jedem das letzte abfordert, wo bleibt da der Mensch aus Fleisch und Blut mit seiner Seele? [...] Für alles, was Innigkeit, Gemüt, Seele heißt, besteht da auch nicht der kleinste Schlupfwinkel mehr.“
Solche Schlupfwinkel fand Wolfram in Wien: Hier überlasse man sich „dem Instinkt lieber als dem Intellekt und fühlt sich am wohlsten dort, wo Zeit und Ewigkeit einander berühren, wo im vergnügten Schlürfen des Augenblicks am Becherrande auch der Wermutstropfen blinkt, ein leiser Mahner des Vergänglichen“.664
663 Wolfram, Wien [1941], S. 13. 664 Ebd.
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Daraus folgerte Wolfram, man werde „Berlin [...] bestaunen wie einen Athleten“, Wien hingegen könne man „lieben wie eine Mutter“665 und postulierte zum Schluss: „Mögen kühner Unternehmungsgeist, straffe Zusammenfassung aller Kräfte nach außen jetzt und fürderhin Vorrecht Berlins sein – Wiens Ziel und Weg liegen in andrer Richtung, vorzusorgen und sich bereit zu halten für jenen Tag, um zu werden, wozu es urbestimmt: zum Hort wesenhafter Bewährung, zur Hauptstadt des inneren Reiches, zum Refugium der deutschen Seele.“666
Weder Schirach noch Goebbels, so ist ihren Reaktionen zu entnehmen, erkannten augenblicklich, dass Wolframs Wien-Stilisierung der Abgrenzung zu Berlin geradezu bedurfte: Wolfram bezog sich auf ältere Wien-Konstruktionen, wie sie bereits in der Ersten Republik und im ,Austrofaschismus‘ verbreitet waren, und die nur über die Antagonismusbildung zu Deutschland und Berlin funktionierten. Wolfram war aber alles andere als ein Oppositioneller, wie auch eine politische Beurteilung, die im Zusammenhang mit der Affäre von der Gestapo angestrengt wurde, ausdrücklich festhielt.667 Sein Artikel ist als Versuch zu werten, den ehemals „negativen“ Antagonismus in einen nun „positiv“ gefassten zu transformieren, um damit den österreichischen Separatismus und die damit verbundene Abgrenzungsstrategie gegen Deutschland, wie sie in der Ersten Republik und im ,Austrofaschismus‘ praktiziert wurden, zugunsten einer zu Berlin komplementären Integration Wiens ins „Dritte Reich“ aufzuheben. Auch wenn sich Goebbels und Schirach in der Beurteilung des Falles Wolfram noch einig waren, so dürfte dem neuen Reichsstatthalter und Gauleiter nach und nach klarer geworden sein, dass ein modifiziertes Modell des ,austrofaschistischen‘ Wien-Berlin-Gegensatzes, wie es Wolfram entwarf, für die Konsolidierung einer nationalsozialistischen Herrschaft in Wien durchaus nützlich sein konnte.668 Deutlich wird dies an den anhaltenden Spannungen in 665 Ebd. 666 Ebd. 667 Politischer Bericht über Wolfram, Gestapo an Wiener Gauleitung, 21. 2. 1941. ÖStA, Gauakt Wolfram, Nr. Nr. 312.291. Wolframs rigoros nazistische Haltung wird darin ausdrücklich bestätigt. Seit 1933 sei er „Illegaler“ und als solcher „alter Kämpfer“; außerdem sei er ein „fanatischer Gegner aller Ultramontanen und insbesondere aller österreichischen Monarchisten“ gewesen und habe „in der Systemzeit mit der SA zusammengearbeitet“. Die Gestapo erwähnte zudem: „Bezeichnend für seine nationalsozialistische Einstellung ist auch der Umstand, dass er [Wolfram] sich mit aller Kraft dafür einsetzte, dass die schwarze Clique in der Staatstheaterverwaltung und insbesondere Dr. Eckmann bei der Besetzung des Generalreferates nicht durchdringt.“ Außer dem besagten Artikel im NWT sei gegen Wolfram nichts Nachteiliges bekannt geworden. 668 So auch Gerhard Scheit, der betont, die Konkurrenz zwischen Berlin und Wien hätte letztlich der Einheit
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Fragen der Politik mit Kunst und Kultur zwischen Goebbels und Schirach, auch wenn sich der Propagandaminister der Ambivalenz des kulturpolitischen Wiener Sonderkurses zeitweilig durchaus bewusst gewesen war, wie zahlreiche Tagebucheinträge belegen, die er diesem Thema widmete: „Überhaupt gefällt mir der ganze Kurs der Kulturpolitik in Wien nicht. Man sucht sich dort möglichst selbständig zu machen und eigene Wege zu gehen. Dazu fehlt es aber an Konzeptionskraft; das was man bisher hier zu Gesicht bekommt, ist mehr Pubertäts erscheinung, Hitlerjugendkultur, die für das Reich überhaupt nicht in Frage käme. Dennoch aber ist nicht zu verkennen, daß Schirach sich bei der Wiener Bevölkerung weitgehend durchgesetzt hat, zum Teil allerdings dadurch, daß er sich zum Wortführer der Wiener Interessen den Reichsinteressen gegenüber macht. Es muß hier aufgepaßt werden, denn es könnte unter Umständen hier einmal eine Krise entstehen; ich werde also auf der Wacht bleiben.“669
Dass es durchaus Sinn machte, zumindest in der Kulturpolitik einen wienerischen Partikularismus aufrechtzuerhalten, blieb Goebbels also nicht verborgen, aber er dürfte dies letztlich nicht toleriert haben, weil sich Wien seinem eigenen Machteinfluss damit umso stärker entzogen hätte. Ob allerdings Berlin wirklich bestrebt war, jegliche Form einer stärkeren „Autonomie“ Wiens zu verhindern,670 lässt sich nicht durchgängig bestätigen. Bereits Mitte 1939, als noch nicht der mit einem besonders ausgeprägten kulturpolitischen Ehrgeiz ausgestattete Schirach, sondern Bürckel als Wiener Gauleiter amtierte, thematisierte der Wiener Bürgermeister Blaschke671 in einer Sitzung der Beiräte des Kulturamtes der Stadt Wien die Frage nach deren „Autonomie“ und kam zum Schluss, es läge keineswegs in Goebbels Interesse, „im ganzen Reich eine durchaus homogene Kulturpflege durchzusetzen, [...] etwa das ganze Reich von Hamburg bis zum Neusiedlersee nach zentralistischen Wünschen auszurichten“. Diese Dinge würden „vielmehr durch Beamte in Berlin [entstehen], die schon sehr viel Schaden angerichtet“ hätten. Aufgabe Wiens werde es sein, „durch die revolutionäre Parteiinitiative des Reiches gedient: Scheit, Gerhard. Musik-Standort Wien im Dritten Reich. Regionale Beiträge zur Ästhetik der Vernichtung. In: Dürhammer, Ilija/Janke, Pia (Hrsg.). Die „österreichische“ nationalsozialistische Ästhetik, Wien/Köln/Weimar 2003. S. 221–234. Hier S. 222. 669 Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Teil II, Diktate 1941–1945. München, New Providence, London, Paris 1996. (Nachfolgend: Goebbels, Tagebücher II.) Bd. 2. S. 434 (Eintrag vom 5. 12. 1941). 670 Rathkolb, Kulturpolitik, S. 27. 671 Blaschke, Hanns (1896–1971), Patentanwalt und Politiker (NS). Illegaler nationalsozialistischer Funktionär, nach 1938 Beigeordneter und Ratsherr in Wien (3., dann 1. Vizebürgermeister, verantwortlich für das Kulturamt), 30. 12. 1943–6. 4. 1945 Bürgermeister von Wien. 1948 zu 6 Jahren Haft verurteilt. Österreich-Lexikon. URL: http://aeiou.iicm.tugraz.at/aeiou.encyclop.b/b533898.htm [Stand: 17. 11. 2008].
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solchen Missgriffen im Einvernehmen mit Mittels-Funktionären in Berlin rechtzeitig und mitunter auch vorbeugend das Handwerk zu legen“.672 Auch Blaschke plädierte vehement für die größtmögliche Unabhängigkeit, die Wien in der Gestaltung des Kulturbetriebs zukommen müsse. Er zeigte sich schon damals, also lange vor Schirachs Amtsantritt als Reichsstatthalter in Wien, überzeugt, dass „Berlin [...] aber wahrscheinlich immer den kürzeren ziehen“ würde und „dies nach der Entscheidung Dr. Goebbels“ auch solle. Denn es müsse Wien, so geht aus seinen Erläuterungen zur wienerischen Kulturpolitik hervor, gerade darum gehen, die „Imponderabilien [zwischen einer Gründgens- und einer Burgtheateraufführung, F. T.] zu fördern und zu pflegen, denn das muß nach der natürlichen Verwurzelung der Kultur mit unsere Aufgabe sein. Man kann es also nicht dadurch machen, dass man an und für sich vielleicht große Leistungen, die aber vielleicht mehr in der Formgestaltung und Präzision gerade in Berlin vorbildlich sind, nun nach Wien verpflanzt und erklärt, das sei von nun an auch die für Wien vorbildliche Gestaltungsart. Das scheint mir abwegig zu sein, weil wir bei einer Fortsetzung dieses Systems dahin kämen, dass der Amerikaner, der in Hamburg europäischen Boden betritt, schon mit der bloßen Besichtigung Hamburgs und seiner Kunsteinrichtungen u. dgl. die gesamtdeutsche Kultur kennen gelernt hätte, weil es dann eben nur mehr die eine Reichsmasse gäbe und bloß Berlin mit seinen Institutionen in Bezug auf die Gestaltung und Auffassung und die Atmosphäre die vorbildliche Ausrichtung für das ganze Reich hätte. Die Gastspielzigeunerei in einer solchen uniformen kulturellen Reichsmasse kann also kein Zustand sein, den irgend ein vernünftiger Mensch anstrebt.“
Blaschke definierte sich überdies zu Beginn der Sitzung als „Parteimann“, der als solcher „über dem kommunalen und dem staatlichen Sektor“ stehe und für den es darum „keine Kompetenzschwierigkeiten, daher auch kein Reichsproblem, kein Kommunalproblem, kein Parteiproblem, sondern eben nur musische Probleme“ gebe.673 Der Widerstand gegen eine zu 672 Sämtliche der hier angeführten Blaschke-Zitate: Sitzung der Beiräte des Kulturamtes der Stadt Wien, 17. 6. 1939. WSL, Ratsherren, B 4, Sitzungsniederschriften; Tagesordnungen, Verhandlungsschriften aus dem Bereich des Kulturamts 1939–1945. 673 Mit Blaschkes musischer beziehungsweise musikalischer Kompetenz war es allerdings nicht sehr weit her, wie aus einer Diskussion über die Verdunkelung ausgewählter Konzerte hervorgeht. Blaschke befürwortete eine solche Verdunkelung lebhaft: „Das wollen wir auch versuchen, um zu sehen, wie es wirkt, wenn die Aufmerksamkeit der Zuhörer durch die Ausschaltung des Gesichtssinnes von den Mitessern und Wimmerln der Damen in der Vorderreihe oder von dem Papierrascheln gegenüber in der Orchesterloge abgelenkt wird, um in einem vollständig finsteren Saal Parsifal und Bruckner aufzuführen. Ob es gelingen wird, weiss ich nicht, da es manche Gegner geben wird, die glauben, dass das Partiturlesen zur Konzentration gehört.“
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starke Einschränkung der wienerischen Gestaltungsmöglichkeiten durch Berlin dürfte also schon früh groß gewesen sein. Aber sie hatte, soviel wird auch an Blaschkes Ausführungen deutlich, keinerlei oppositionellen Antrieb: Der Widerstand gegen die Berliner Bürokratie war letztlich vor allem ein behördliches Hickhack, ein Streit um Kompetenzen, von dem weder der ,Anschluss‘ noch der nationalsozialistische Herrschaftsanspruch in Wien in irgendeiner Weise infrage gestellt worden wäre. In einem Schreiben von Hugo Jury (vom 11. bis zum 13. März 1938 österreichischer Minister für soziale Verwaltung und ab Mai 1938 Gauleiter von „Niederdonau“) an den Staatssekretär für Inneres und kulturelle Angelegenheiten, Kajetan Mühlmann, drückt sich das österreichisch-nationalsozialistische Verständnis der Aufrechterhaltung des Wien-Berlin-Antagonismus deutlich aus: „Du bist sicher meiner Meinung, daß wir unser spezifisches ostmärkisches Kunstprofil erhalten müssen, weil nur aus der Bipolarität ,Berlin‘ – ,Wien‘ heraus die Mobilisierung aller seelischen und künstlerischen Kräfte des deutschen Volkes erfolgen kann. Parole: Kein verberlinertes Wien und kein verwienertes Berlin.“674
Unter Baldur von Schirach intensivierte sich eine von Berlin abgegrenzte Inszenierung des kulturellen Lebens in Wien. Anlässlich der tumultösen Staatsopern-Uraufführung von Rudolf Wagner-Régenys „Johanna Balk“ – mehrere Nationalsozialisten hatten trotz des Protektorats und der Anwesenheit Schirachs das Werk ausgepfiffen und waren verhaftet worden675 Besonders Bruckners Werk schien ihm für solche Konzerte geeignet: Er selbst habe einst in abgedunkeltem Saal eines seiner Klavierkonzerte gehört. Blaschke muss hier offensichtlich einer Verwechslung aufgesessen sein: Von Bruckner existieren selbstverständlich keine Klavierkonzerte. Sitzung der Beiräte des Kulturamtes der Gaustadt Wien, 14. 11. 1939. WSL, Ratsherren, B 4, Sitzungsniederschriften; Tagesordnungen, Verhandlungsschriften aus dem Bericht des Kulturamts 1939–1945. 674 ÖStA. AdR, BKA, Inneres, Reichsstatthalterei III, Karton 7678, Zl. 200.306/38. Zit. in: Rathkolb, Künstlereliten, S. 52. 675 Ausführlicher bei Rathkolb, Oliver. Nazi-Ästhetik und die „Ostmark“. In: Dürhammer, Ilija/Janke, Pia (Hrsg.). Die „österreichische“ nationalsozialistische Ästhetik. Wien/Köln/Weimar 2003. S. 11–31. Hier S. 22. Der „Skandal“ zog Goebbels’ Interesse auf sich, allerdings reagierte er verhältnismäßig gelassen, auch wenn er sich einen Seitenhieb gegen Schirach, der die Aufführung protektionierte, nicht verkniff: „So ist z.B. die Aufführung der [---] [„Johanna Balk“, F. T.] von Wagner-Régeny ein glatter Mißgriff gewesen. Solche Mißgriffe können immer einmal vorkommen, aber man darf sich nicht dafür stark machen. Hier hat man den Fehler begangen, die Partei in ihrer Autorität für ein solches Machwerk einzusetzen. Das war außerordentlich bedauerlich und hat auch in der Wiener Kunstwelt sehr schlecht gewirkt. Die Wiener haben ein sehr feines Empfinden für wahre Musikalität. Sie sind von Natur aus musikalisch, und deshalb soll man nicht allzuviel an ihnen herumerziehen und sie künstlich auszurichten versuchen. Sie werden schon von selbst das Gute vom Schlechten zu unterscheiden wissen.“ Goebbels, Tagebücher II, Bd. 3, S. 468 (Eintrag vom 14. 3. 1942).
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– stellte Schirach am 6. April 1941 im Burgtheater sein „Wiener Kulturprogramm“ vor.676 Dabei ließ er an seinem kulturpolitischen Ehrgeiz, den er für Wien hegte, keinen Zweifel. Er kündigte „eine[...] Reihe von Maßnahmen“ an, die „eine weitere Stärkung des Ansehens, der Bedeutung und weltweiten Wirkung Wiens herbeiführen werden“ und machte geltend, im „vergangenen Halbjahr“ sei „das Ansehen dieser Stadt nicht geringer geworden“.677 Wien beginne wieder auszustrahlen und „alle Menschen, die an dieser Stadt hängen [...] dürfen mit Recht von einem neuen Selbstgefühl erfüllt sein“. Daraus leitete Schirach ab: „Was in Kötzschenbroda gut ist, und auch unsere lebhafte Anerkennung verdient, widerspricht dem Gesetz, das hier Geltung hat. Aufführungen, denen wir rückblickend das Prädikat ,ganz gut‘ verleihen, sind hier fehl am Platz.“678 Nach einer Tour d’Horizon über die Theaterinstitute leitete er zur Musik über und betonte, „[d]aß Wien auf dem Gebiet der Musikpflege, als führende Musikstadt, nicht nur des Reiches, sondern Europas, ganz besondere Aufgaben erwachsen“ seien.679 Ein besonderer Stolz dieser Stadt sei es, so Schirach, in ihren Mauern das beste Orchester der Welt, die Wiener Philharmoniker, zu beherbergen.680 Trotz Goebbels’ ambivalenter Haltung gegenüber solchen Plänen Schirachs, Wiens kulturelles Image nach Kräften aufzupolieren, trug er sich zeitweise selber mit dem Gedanken, dieses Bestreben aktiv zu unterstützen. So notierte er, ausgehend von einer schwärmerischen Betrachtung der Wiener Philharmoniker („Zu beneiden ist diese Stadt um die Wiener Philharmoniker“) im März 1942 in sein Tagebuch: „[Furtwängler] stellt einen großen Teil seiner künstlerischen Kraft und seiner Zeit für Wien zur Verfügung. Ich begrüße das sehr, denn Wien hat es nötig. Überhaupt halte ich für richtig, daß der künstlerische Charakter Wiens mit der Zeit stärker und stärker zum Ausdruck kommt. Diese Stadt hat politisch so viel aufgeben müssen, daß man versuchen muß, ihr dafür künstlerisch und kulturell Äquivalente zu bieten.“681
Dennoch stieß gerade die von Schirachs Wien-Politik beabsichtigte Stärkung des ,Musikstadt‘-Aspekts bei Goebbels letztlich auf Widerspruch. Die Stilisierung von Wien zur „führende Musikstadt“ behagte ihm offensichtlich nicht. Darin fand er sich in Übereinstimmung mit Hitler, den er in einem Tagebucheintrag zitierte: 676 Von Schirach, Baldur. Das Wiener Kulturprogramm. Rede im Wiener Burgtheater vom 6. April 1941. Wien [1941]. 677 Ebd., S. 8. 678 Ebd., S. 12. 679 Ebd., S. 21. 680 Ebd., S. 22. 681 Goebbels, Tagebücher II, Band 3, S. 469 (Eintrag vom 14. 3. 1942).
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5. Abhängigkeiten und Protektion
„Die Musik als Ergebnis des Zusammenpralls der nordischen und slawischen Rasse habe selbstverständlich in Wien eine besonders geeignete Heimstätte gefunden. Trotzdem habe Wien nicht das Recht, sich als erste Musikstadt des Reiches zu bezeichnen; denn die meisten Musiker, die in Wien tätig waren, waren keine Wiener, und im übrigen haben die Wiener sie zu ihren Lebzeiten meistens schlecht behandelt, um sie nach ihrem Tode für sich zu reklamieren. Das alles hat mit Wien als politischem Faktor nichts zu tun. Die Wiener Bevölkerung selbst sei großen Leistungen gegenüber sehr unfair. Das beziehe sich auf alle Gebiete.“682
Dieses Argument Hitlers gegen den Versuch Schirachs, Wiens Image als „führende Musikstadt“ zu stärken, dürfte Goebbels jedoch nicht allzu sehr beeindruckt haben. Er erkannte insbesondere unter dem Eindruck zunehmender Verengung des öffentlichen ,Kulturlebens‘ durch die alliierten Luftangriffe auf Berlin in Schirachs Kulturpolitik für seine eigene Stadt einigen Nutzen: „Das Kulturleben in der Reichshauptstadt wird nach meinen Richtlinien weiter intensiviert werden. Wir wollen uns in keiner Weise durch den Luftkrieg in die Ecke drängen lassen. Die Kulturtätigkeit besonders in Wien ist für uns eine sehr fruchtbare Konkurrenz; sie zwingt uns dazu, weiter auf dem Posten zu bleiben.“683
Nach Goebbels’ Auffassung blieb Berlins ‚Kulturleben‘ durch den Kriegsverlauf deutlich hinter dem Wiens zurück, was sich in einem zunehmend sich verschärfenden und nun vor allem von Berlin gegen Wien ausgehenden Konkurrenzverhalten manifestierte. In seiner Beurteilung von Schirachs wienerischer Kulturpolitik schwankte Goebbels zusehends hin und her. Im Januar 1944 warf er ihm etwa vor, sich „mit einem Geschmeiß [zu] umgeben, das alles andere als nationalsozialistisch ist“; Schirach sei in der Lage, aus Wien „ein richtiges Dorado des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus zu machen“.684 Doch nur wenige Monate später, im Juni 1944, notierte er anerkennend: „Insbesondere muß Berlin versuchen, die Kulturkonkurrenz mit Wien aufzunehmen. Die Wiener geben für ihre Kultureinrichtungen außerordentlich hohe Dotationen aus, und zwar in der Hauptsache aus Reichszuschüssen. Aber immerhin, sie sind damit in der Lage, etwas Erkleckli682 Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Teil II, Diktate 1941–1945. Bd. 8. Herausgegeben von Elke Fröhlich. München/New Providence/London/Paris 1993. S. 539 (Eintrag vom 25. 6. 1943). 683 Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Teil II, Diktate 1941–1945. Bd. 12. München/New Providence/London/Paris 1995. S. 308 (Eintrag vom 17. 5. 1944). 684 Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Teil II, Diktate 1941–1945. Bd. 11. München/New Providence/London/Paris 1994. S. 82 (Eintrag vom 13. 1. 1944).
Nationalsozialistischer Kompetenzstreit
179
ches zu leisten. Demgegenüber bedürfen die Berliner Kultureinrichtungen einer grundlegenden Reform.“685
Trotz seiner grundsätzlichen Anerkennung der wienerischen Kulturpolitik war Goebbels ständig bemüht, das Verhältnis umzukehren und Wien Berlin gegenüber zu schwächen, etwa, indem er versuchte, Hitlers Aussagen gegen Schirach zu instrumentalisieren: „Der Führer beklagt sich über Schirach, der weiterhin in Defaitismus macht, und vor allem in Kunstfragen einen ganz unnationalsozialistischen Standpunkt vertritt. Ich werde diese Kritik des Führers an Schirach wiederum dazu benutzen, ihm einige Auflagen in der Wiener Kulturpolitik zu machen.“686
Nationalsozialistische Kulturpolitik, so lässt sich daraus schließen, gehorchte also nicht nur „ideologischen“ Richtlinien, sondern wurde mindestens ebenso sehr von praktischen machtpolitischen Konstellationen bestimmt. So war auch für die wienerische Kulturpolitik weniger ein wie auch immer gestalteter Masterplan maßgebend, sondern mindestens ebenso sehr die Konkurrenzsituation zwischen Berlin und Wien, die von den beiden zentralen Akteuren, Goebbels und Schirach, beständig neu entworfen wurde. Dass Goebbels innerhalb kürzester Zeiträume zwischen dem Fördern und dem Behindern von Wiens Konsolidierung als nationalsozialistischer ,Kulturstadt‘ oszillierte, wie dies anhand seiner Tagebucheinträge deutlich wird, verweist ebenfalls auf eine zu einem nicht geringen Teil nach pragmatischen Gesichtspunkten geführte Politik mit Kunst und Kultur im Nationalsozialismus. Diesen Aspekt übersehen die wenigen existierenden biografischen Darstellungen zu Schirach, wenn sie dessen Kulturpolitik pauschal als eine „relativ liberale“ herausstellen, die sich sowohl von jener Goebbels’ als auch von den Kunst- und Musikvorstellungen Hitlers unterschieden habe.687 685 Goebbels, Tagebücher II, Band 12, S. 510 (Eintrag vom 21. 6. 1944). 686 Goebbels, Tagebücher II, Band 12, S. 527 (Eintrag vom 22. 6. 1944). 687 So Wortmann, Michael. Baldur von Schirach. Hitlers Jugendführer. Köln 1982. S. 196 ff. sowie 209 f.; Lang, Jochen von/Sibyll, Claus. Der Hitler-Junge. Baldur von Schirach: Der Mann, der Deutschlands Jugend erzog. Hamburg 1988. S. 301 ff. Insbesondere die letztere Biografie ist dabei unter den Verdacht der Apologie zu stellen. Sätze wie: „Wer von ihnen [Schirach und Goebbels, F. T.] höher steigen würde, war offen, solange Schirach in Hitlers Gunst stand. Daß schließlich Goebbels das Rennen machte, belohnte ihn dafür, dass er weit mehr als sein Konkurrent bereit war, sich Hitler unterzuordnen und alles zu verleugnen, was er einmal für gut befunden hatte.“ (S. 324), drücken vor allem die persönliche Nähe des Autors Jochen v. Lang zu Schirach aus; auf einer das Buch beschließenden Fotografie sind die beiden gemeinsam über einem Stapel Akten sitzend abgebildet. Die Bildlegende dazu lautet: „Schirach und der Autor Jochen v. Lang bei der Auswertung von Akten, die dem Autor für das hier vorliegende Werk zur Verfügung standen.“ Sogar Fred K. Prieberg, der sich um die Erforschung von Politik mit Musik im NS-Staat äußerst verdient gemacht
180
5. Abhängigkeiten und Protektion
5.4 Ökonomischer Einbruch nach dem ‚Anschluss‘ bei den Wiener Philharmonikern Die lange anhaltenden Querelen um die Zuständigkeit für die Wiener Philharmoniker wirkten sich auch auf die finanzpolitische Situation des Orchesters aus. Ein mit jenem des Berliner Philharmonischen Orchesters vergleichbares, politisch intendiertes Sanierungsprogramm gab es bei den Wiener Philharmonikern – zur urteilen anhand des diesbezüglich allerdings nur spärlich vorhandenen Quellenmaterials688 – unmittelbar nach dem ,Anschluss‘ nicht. Außerdem waren die Musiker als Mitglieder des Staatsopernorchesters in ihrer Existenz ohnehin gesichert. Im Laufe der Verhandlungen um die Aufrechterhaltung des Vereinsstatus verzichteten sie – wohl auch, um ihre diesbezügliche Verhandlungsposition zu optimieren – explizit auf staatliche Subventionen: „Da anzunehmen ist, dass nach der Ueberwindung der gegenwärtigen Publikumskrise die Philharmonischen Konzerte so wie von jeher außerordentlich aktiv sein werden, ist eine Subventionierung nicht notwendig.“689 Diese „gegenwärtige Publikumskrise“ hatte zunächst jedoch beträchtliche Auswirkungen auf die ökonomische Situation der Wiener Philharmoniker. Die finanziellen Engpässe veranlassten das „Exekutiv-Komitée“ des Vereins (wie das Komitee zwischenzeitlich hieß690) Ende Juni 1938 beim „Ring der ausübenden Musiker Österreichs“ um die Bewilligung anzusuchen, die Pensionsbezüge um 50 Prozent zu reduzieren: „Durch den Umbruch und die damit augenblicklich hervorgerufene anderweitige Beanspruchung des Publikums, gleichzeitig durch die Absage ausländischer Dirigenten konnten seit März sechs als feststehend zu betrachtende ausserordentliche Konzerte nicht abgehalten werden,
hat, sieht in Schirach einen NS-Politiker, der „weniger den Gauleiter und Reichsstatthalter hervorkehrte als den verständnisvollen, ja liberalen und mit leichter Hand lenkenden Kunstmäzen“. Prieberg, Musik, S. 384. Und auch Clemens Hellsberg spricht von einem „vergleichsweise liberale[n] Klima im Wien des Baldur von Schirach“. Hellsberg, Demokratie, S. 526. 688 Gemäß Auskunft von Frau Dr. Kargl (HAWPh) und Frau Sisolak (Buchhaltung der Wiener Philharmoniker) sind außer einem „Konto-Buch“, das die Kontoführung der Eigenveranstaltungen beinhaltet, keinerlei Buchhaltungsunterlagen, also etwa Bilanzen, Erfolgsrechnungen oder Berichte über Kassarevisionen des untersuchten Zeitraums, erhalten geblieben. 689 Vorschläge bezüglich der Neuorganisation der Wiener Philharmoniker bzw. des Wiener Staatsopernorchesters. Beilage zum Schreiben der Wiener Philharmoniker an Staatssekretär C. Mühlmann, 28. 10. 1938. ÖStA, AdR, Reichsstatthalterei III, Karton 7681. Zl. 202.666/1938. Für Reisen allerdings, so machte Otto Strasser, verhandelnder Geschäftsführer der Philharmoniker, geltend, werde ohne Zuschüsse nicht auszukommen sein. 690 In den Protokollen wechselte die Bezeichnung bisweilen außerdem zwischen Vorstandsrat oder Vorstand hin und her. Der Übersichtlichkeit halber verwende ich in der Regel weiterhin die Bezeichnung „Komitee“, bzw. „Komiteesitzung“ (KS) für die Vorstandsrats- oder Vorstandssitzungen.
Ökonomischer Einbruch
181
wodurch allein ein Ausfall von cca. S. 15.000 d.i. RM 10.000 für die Pensionskasse entstand. Auch entfielen die sonstigen Beschäftigungen des Orchesters wie z. B. Rundfunk, wo nur in ausserordentlich beschränkten Massen das Orchester zur Mitwirkung herangezogen wurde. Diese Umstände finden ihren Niederschlag darin, dass die Bilanz des heurigen Jahres statt eines Ueberschusses, wie er in den vergangenen Jahren stets erzielt wurde mit einem Verlust von cca. S. 7.500.– d.i. RM 5.000.– abschliesst.“691
Unmittelbar nach dem ,Anschluss‘ befanden sich die Wiener Philharmoniker in finanzieller Hinsicht also in einer problematischen Lage, die sich, so befürchtete man im Orchester, kurzfristig nicht entspannen würde; die zu erwartenden antisemitischen Maßnahmen würden sich nachhaltig auf den Kartenabsatz der philharmonischen Konzerte niederschlagen, wie selbst die Orchesterleitung, wenn auch in antisemitischer Rhetorik, zu bedenken gab: „Dies allein würde die in Aussicht genommenen Massnahmen nicht rechtfertigen, wenn die Leitung des Orchesters, angesichts der Publikumsverhältnisse in Wien (das Konzertpublikum kann als stark verjudet angesehen werden) nicht der Ueberzeugung wäre, dass für den Kunstzweig, den die Wiener Philharmoniker darstellen, das Publikum nun neu herangebildet werden muss. Dies wird naturgemäss Zeit und Opfer beanspruchen. Nach Beispielen, die uns aus dem Altreiche (Berliner Philharmoniker) bekannt sind, ist diese Entwicklung in für uns günstigem Sinne als absolut sicher anzusehen, wird aber doch voraussichtlich zwei bis drei Jahre dauern.“692
Die Maßnahme der Pensionsreduktion gelangte per 1. Juli 1938 zur Durchführung 693 und hielt sich mehrere Jahre, bis sie aufgrund „glänzender Geschäftsergebnisse“ „mit Wirkung vom 1. Dezember 1942“ wieder „auf ihre ursprüngliche Höhe gebracht“ wurde;694 schon ab der Saison 1939/40 erholte sich der Abonnementverkauf deutlich und erreichte praktisch wieder das Niveau der Spielzeit 1937/38.695 Diese wirtschaftliche Stabilisierung gelang dem Orchester weitgehend ohne Subventionen. Anlässlich einer Komiteesitzung im Oktober 1939 bekräftigte Jerger erneut, das Orchester müsse auf solche verzichten: „[Jerger] [b]egründet die Notwendigkeit, ohne Berliner Subvention zu wirtschaften und durch eigene Kraft wieder hoch zu kommen.“696 Allerdings 691 692 693 694 695
Prot. KS, 27. 6. 1938. HAWPh, A-Pr-030, 2. Ebd. Vorstandsbericht. HAWPh, A-Pr-030, 2a. Prot. HV, 14. 1. 1943. HAWPh, A-Pr-030, 37. Hellsberg, Clemens. Franz Schmidt und die Wiener Philharmoniker 1938–1945. In: Ottner, Carmen (Hrsg.). Musik in Wien 1938–1945. Symposion 2004. Wien 2006. S. 173–182. Hier S. 176 f. 696 Prot. Komiteesitzung, 21. 10. 1939. HAWPh, A-Pr-030, 7.
182
5. Abhängigkeiten und Protektion
profitierten die Wiener Philharmoniker als Mitglieder des Staatsopernorchesters, nicht anders als die Berliner Philharmoniker, vom „Sonderklasse“-Status der „Tarifordnung für die deutschen Kulturorchester“. Goebbels kam nicht umhin, diesen auch auf das Orchester der Wiener Staatsoper anzuwenden. Schon als die „Sonderklasse“ für das Berliner Philharmonische Orchester diskutiert wurde, war die Rede davon, dass, sobald die Tarifordnung auf die ,Ostmark‘ ausgeweitet würde, die Frage auftauchen werde, „ob dieses Orchester [Wiener Philharmoniker, F. T.] nicht dank seiner unbestrittenen Leistung (trotz der bisher viel geringeren Bezüge) neben die Berliner Philharmoniker in die Sonderklasse eingereiht werden soll“.697 Anderthalb Jahre später, am 30. März 1940, erklärte Jerger auf einer außerordentlichen Hauptversammlung, dass die „Sonderklasse dekretiert ist und die Gehaltserhöhung mit 1. April eintritt“.698 Um die Exklusivität des „Sonderklasse“-Status zu unterstreichen, bediente er sich sogar einer Falschmeldung: „[Es] besitzen 2 Orchester in Deutschland das Sonderklassenstatut. Dies ist in unserem Fall nur durch die Legitimation der Philharmoniker möglich geworden – die Staatsoper in Berlin, auch kein Institut das zu verachten ist, wurde in die I. Klasse eingereiht – d.h. durch seine Leistung als anerkanntes und berühmtes Konzertorchester.“699
Wie es zu dieser Fehlinformation durch Jerger kam – die Preußische Staatskapelle wurde zeitgleich mit dem Berliner Philharmonischen Orchester in die „Sonderklasse“ eingereiht –, ist unklar.700 Deutlich erkennbar ist hingegen die Genugtuung darüber, sich mit den Berliner Philharmonikern auf Augenhöhe zu befinden. Jerger hob außerdem die vorteilhafte ökonomische Situation der Wiener Philharmoniker gegenüber ihren Berliner Kollegen hervor. So bezögen die Mitglieder des Wiener Orchesters nicht nur das „nämliche Gehalt“ wie die Berliner Philharmoniker, sondern sie könnten darüber hinaus die Nebenverdienste vollumfänglich für sich verbuchen. „Ich zweifle ob sie das irgend wo anders tun können“, machte er anhand des Beispiels von zwei Rundfunkkonzerten geltend, die eine Summe von 7.500 RM eingebracht hätten. „Dazu möchte ich sagen, dass [dies] bei den Berliner Philharmonikern unmöglich ist, weil sie als G.m.b.H. dem Ministerium unterstehen und von dort bezahlt werden“, wobei im Protokoll handschriftlich hinzugefügt wurde: „Berlin Reisezuschuss von
697 698 699 700
Internes Schreiben RMVP, Oktober 1938. BA, R 55/247, 271-273. AHV, 30. 3. 1940. HAWPh, A-Pr-030, 8. Ebd. Zur Debatte um den „Sonderklasse“-Status der deutschen Orchester vgl. etwa Aster, „Reichsorchester“, S. 172 ff. Seine Ausführungen zu den Wiener Philharmonikern sind allerdings nicht korrekt: Nicht sie wurden in die „Sonderklasse“ eingereiht, sondern das Wiener Staatsopernorchester. Vgl. auch Fn. 618.
Ökonomischer Einbruch
183
70–200 RM.“701 Offensichtlich hatte sich Jerger genauestens über die Lohnverhältnisse des Hauptkonkurrenten der Wiener Philharmoniker informiert. Der Philharmoniker-Vorstand gab sich geradezu euphorisch: „Dass wir nur so nebenbei einen Nebenverdienst ausweisen konnten, der alle Ziffern der letzten Jahre überschritt, brauche ich nicht zu erwähnen.“ Dabei hob er „eine beispiellose Aktivität bei den Konzerten“ hervor und betonte auch die „weitgehende Enthebung vom Militärdienst [...], wodurch sämtliche Nebenverdienste in einem solchen Ausmaß wie wir es erlebt haben, möglich wurde, die ja sonst niemals hätten durchgeführt werden können“.702 Die realen Einkommensverhältnisse der Wiener Philharmoniker lassen sich jedoch nur lückenhaft rekonstruieren. Der gesamthafte Ertrag aus der Orchestertätigkeit eines Philharmonikers setzte sich aus drei Teilen zusammen: aus dem Einkommen des Staatsoperndienstes, aus den Einkünften der philharmonischen Eigenveranstaltungen sowie aus den Honoraren der von Dritten veranstalteten Konzerten. Während die Erträge, die den Musikern aus ihrer Tätigkeit im Staatsopernorchester sowie aus den philharmonischen Eigenveranstaltungen zuflossen, überliefert sind, ist das Einkommen, welches das Orchester durch die Honorare von Konzertagenturen oder der NS-Freizeitorganisation „Kraft durch Freude“ („KdF“) erzielte, nicht rekonstruierbar. Wie hoch die Einkünfte der Wiener Philharmoniker insgesamt waren, lässt sich heute also nicht mehr genau sagen. Dennoch soll hier ein Überblick über die zur Verfügung stehenden Angaben zu den Einkommensverhältnissen der Orchestermitglieder gegeben werden. Die Lohnsumme der Mitglieder des Wiener Staatsopernorchesters betrug im Haushaltsjahr 1940 911.797.36 RM während sich das Jahreseinkommen eines einzelnen Musikers unter Berücksichtigung aller Zulagen und Abzüge im selben Jahr zwischen 13.200 RM (Erster Konzertmeister) und 4.493.40 RM bewegte.703 Vergleicht man dies mit den jährlichen Verdiensten der einzelnen Mitglieder des Berliner Philharmonischen Orchesters – was allerdings nur eingeschränkt möglich ist, da deren Gehälter unter Einbezug von Wohnungsgeld, Leistungszulage, Kleidergeld, Kinderzulage und Reiseaufwand monatlich neu berechnet wurden704 –, so zeigt sich, dass die Jahreseinkommen der Berliner Philharmoniker jene der Wiener Philharmoniker deutlich überstiegen. Dies geht aus einer per 1. Februar 1942 erstellten Liste der Berliner Philharmoniker mit monatlichen Einkommen hervor. Der erste Konzertmeister, Erich Röhn, führte die Gehaltsliste mit einem Bruttogehalt von 1.310 RM, an, was auf zwölf Monate hinaus gerechnet ein Jahreseinkommen von 15.720 RM ergibt, während das tiefste Jahreseinkommen bei den Berliner
701 702 703 704
AHV, 30. 3. 1940. HAWPh, A-Pr-030, 8. Ebd. Haushalt 1940, Staatstheater in Wien, Gehaltsliste. AdR, RStH Wien, Ref. Z-H, Kt. 78, 120/01. Aster, „Reichsorchester“, S. 164.
5. Abhängigkeiten und Protektion
184
Philharmonikern 6.000 RM betrug.705 Trotz leichten Schwankungen bei den monatlichen Einkommen lagen die regulären Bezüge des Berliner Philharmonischen Orchesters gegenüber dem fixen Einkommen der Mitglieder der Wiener Philharmoniker also deutlich höher. Das an die Tarifordnung gekoppelte Einkommen der Wiener Philharmoniker aus dem Dienst in der Staatsoper muss jedoch um die Nebeneinkünfte, die die Musiker über ihren Verein erzielten, erweitert werden. Die Einkommen aus den Eigenveranstaltungen des Vereins, also aus den Abonnement- und den außerordentlichen Konzerten, gestalteten sich wie folgt:706 Tabelle 4: „Vergütung an Mitglieder“ aus Einnahmen der philharmonischen Veranstaltungen Abo1
Jahr
AO2
Gesamt
3
In Schilling 1933/34
65.043
34.778
99.821
1934/35
88.218
47.189
135.407
1935/36
93.526
52.888
146.414
1936/37
104.076
42.860
146.936
1937/38
68.290
6.956
75.246
In Reichsmark4 1938/39
26.466
4.631
31.097
1939/40
51.537
9.398
60.935
1940/41
68.861
31.547
100.408
1941/42
98.953
21.785
120.738
1942/43
120.384
74.973
195.357
1943/44
200.546
24.110
224.656
1944/45
66.900
112.160
179.060
1 2 3 4
Abonnementkonzerte. Außerordentliche Konzerte. Zwischen 1933 und 1938 existierten keine wesentlichen Kursschwankungen. Vgl. das Verhältnis des Schilling zum Pfund Sterling zwischen 1933 und 1938. Schneider et al., Währungen II, S. 39. Per 17. März 1938 löste die Reichsmark den Schilling als Währung ab, wobei das Verhältnis von 1 Reichsmark zu 1.50 Schilling festgelegt wurde. Vgl. Österreichische Nationalbank. URL: http://www.oenb.at/de/ ueber_die_oenb/geldmuseum/oesterr_geldgeschichte/schilling/vom_schilling_zum_euro.jsp#tcm:14-1272 [Stand: 25. 4. 2008].
705 Gehälter der Orchestermitglieder, Stand 1. Februar 1942. BA, R 55/246, 207–210. 706 Gemäß des sich im HAWPh befindlichen Rechnungsbuches „Details zum Konzerte Konto“; das Dokument trägt keine Signatur.
185
Ökonomischer Einbruch
Anhand der Ausschüttungen an die Mitglieder der Wiener Philharmoniker für die Spielzeiten 1938/39 bis 1944/45 wird ersichtlich, dass der finanzielle Konsolidierungsprozess des Orchesters einige Jahre dauerte. Erst in der Saison 1941/42 lagen die Bezüge über jenen der Jahre des ,Austrofaschismus‘. Die Zunahme der Ausschüttungen an die Mitglieder entspricht ungefähr den Zugewinnen bei den Einnahmen seit 1941/42, wie die unten stehende Tabelle 5 zeigt. Die außerordentlich hohen Einnahmen 1943/44 resultierten aus den hohen Erlösen bei den Abonnementkonzerten, die in dieser Saison jeweils dreifach abgehalten wurden. Tabelle 5: Einnahmen aus Eigenveranstaltungen der Wiener Philharmoniker von 1933
1
Jahr
Abo
AO
Jub.-/Nicolai-Konzerte
Insgesamt1
1933/34
134.478
111.086
0
245.564
1934/35
161.734
128.031
0
289.765
1935/36
182.676
155.171
0
337.847
1936/37
195.390
124.919
0
320.309
1937/38
133.725
20.334
0
154.059
1938/39
70.331
13.895
0
84.226
1939/40
109.388
21.461
0
130.849
1940/41
117.488
75.222
0
192.710
1941/42
156.732
49.838
166758
373.328
1942/43
225.109
121.760
0
346.869
1943/44
318.612
98.242
0
416.854
1944/45
169.266
175.897
0
345.163
In dieser Spalte sind Subventionen für einzelne Konzerte sowie Einnahmen aus Radioübertragungen und dergleichen zusammengefasst.
Wie viel Geld dem einzelnen Musiker aus den Einnahmen der Abonnements- und außerordentlichen Konzerten genau zufloss, ist allerdings nicht zu eruieren: Über das Verteilungssystem wurde stetig diskutiert, wobei die Diskussion 1940/41 einen Höhepunkt erreichte und sich vor allem als Konflikt zwischen Streichern und Bläsern äußerte. Dabei beschuldigten sich die Vertreter der beiden Gruppen gegenseitig der Übervorteilung: „Strasser [...] findet, dass die Nutznießer dieses vorgeschlagenen Teilungsschlüssels die zweiten Bläser
186
5. Abhängigkeiten und Protektion
wären und die Benachteiligten die Streicher.“707 Bläservertreter hingegen sahen die Sache anders: „Reznicek stellt fest, dass gerade bei den Streichern eine derartige Gehässigkeit gegen die Bläser sich bemerkbar macht, die jede Freude zur gemeinsamen Arbeit nimmt. Kein Bläser hält sich auf, wenn andere einmal nichts zu tun haben. Dagegen zerplatzen die Streicher vor Neid und Haß, wenn Bläser wenig oder nichts zu tun haben, was ja leider öfter der Fall ist, aber nicht Schuld des Bläsers ist, sondern vom aufzuführenden Werk abhängt, ob Bläser dabei viel, wenig oder gar keine Beschäftigung finden.“708
Die Auseinandersetzung um den Verteilungsschlüssel spitzte sich über mehr als ein Jahr hinweg laufend zu, sodass der Solohornist Gottfried von Freiberg den Streichern an einer außerordentlichen Hauptversammlung im Dezember 1941 empfahl, sie sollten doch „ein reines Streichorchester [...] gründen“.709 Zu welchem Teilungssystem sich das Orchester im Ergebnis der zahlreichen Diskussionen schließlich durchrang, geht aus den Protokollen nicht eindeutig hervor und es soll hier darum ein Mittelwert eruiert werden. Bei einem Bestand von 120 Mitgliedern710 als Berechnungsgrundlage ergeben sich aus den Erlösen aus Eigenveranstaltungen des Orchesters pro Philharmoniker Bezüge in der Höhe von rund 260 RM in der Saison 1938/39, die bis auf rund 1.870 RM in der Spielzeit 1943/44 anstiegen. Das Einkommen, das den Wiener Philharmonikern aus ihren Eigenveranstaltungen zufloss, war damit mitunter, wenn auch keineswegs durchgehend, höher als die Reisezuschüsse der Berliner Philharmoniker. Während diese jedoch nicht vom Umfang des Konzertvolumens abhingen und also fixer Bestandteil des Einkommens waren, veränderten sich die Ertragsmöglichkeiten für die Wiener Philharmoniker von Jahr zu Jahr und waren keineswegs garantiert, da der Staat zwar die finanzielle Sicherung der Staatsoper, nicht jedoch die des Vereins gewährleistete. Dieser Umstand deutet auf einen im Vergleich zum Berliner Philharmonischen Orchester deutlich geringeren Protektionsgrad der Wiener Philharmoniker hin, was unter anderem auch eine Folge der Beibehaltung ihrer formal-organisatorischen ,Unabhängigkeit‘ gewesen sein dürfte. Ging es um punktuelle Subventionen für die Wiener Philharmoniker, gab sich
707 708 709 710
Prot. KS, 6. 5. 1940. HAWPh, A-Pr-030, 10. Prot. KS, 18. 12. 1940. HAWPh, A-Pr-030, 19. Prot. AHV, 30. 12. 1941. HAWPh, A-Pr-030, 28. 1939 wurde beschlossen, dass das Orchester über einen Mindestbestand von 112 und einen Maximalbestand von 120 Mitgliedern verfügen müsse. Prot. Sitzung Arbeitsausschuss, 15. 3. 1939. HAWPh, A-Pr-030, 3.
Ökonomischer Einbruch
187
das RMVP äußerst zurückhaltend. Ab der Spielzeit 1940/41 häufen sich in den Protokollen Hinweise auf eine mangelnde Unterstützung des Orchesters durch die Reichsstellen. Dies betraf die Konzertreisen711 ebenso wie ,traditionelle‘ Veranstaltungen der Wiener Philharmoniker, etwa die Konzerte bei den Salzburger Festspielen. Im September 1940 erwähnte Jerger, die Salzburger Konzerte seien ein voller Erfolg gewesen, „obwohl das ReichspropagandaMinisterium sie eher behinderte als förderte“; dass es nicht zu einem Verbot der Konzerte gekommen sei, sei der „großen Entschlossenheit und Einsatzbereitschaft des Salzburger Regierungspräsidenten Dr. Reitter und dem Leiter des Kulturamtes im Wiener Reichspropagandaamt, Dr. Wolfram, zu danken“.712 Und auch für die Salzburger Festspiele des kommenden Jahres erhielt das Orchester nur geringe Unterstützung vom RMVP: „Vorsprache bei Direktor Dr. Kerber hat die Schwierigkeit, diese bescheidenen Beträge zu erhöhen, ergeben, dass das Reichspropaganda-Ministerium jede Erhöhung rundweg ablehnt.“713 Anscheinend veranlasste dies Wien 1942 dazu, die Teilnahme an den Festspielen infrage zu stellen. Goebbels notierte: „Die Wiener machen Schwierigkeiten bei der Zurverfügungstellung der Wiener Philharmoniker und des Wiener Staatsopernchors für die Salzburger Festspiele. Aber ich lasse mich auf diese Schwierigkeiten nicht ein.“714 Das Orchester nahm in der Folge an den Festspielen teil, die sich sogar als lukrativ erweisen sollten: „Die Arbeit war gut eingeteilt und nicht übermäßig anstrengend. Bloß das Essen ließ oft zu wünschen übrig. Finanziell war es zufrieden stellend.“715 Umgekehrt verzichteten die Wiener Philharmoniker aber auch von sich aus auf punktuelle finanzielle Beihilfen. Für die „Jahrhundertfeier“, wie die Jubiläumsveranstaltungen zum 100-jährigen Bestehen des Orchesters zwischen März und April 1942 genannt wurden, trat sowohl das RMVP als auch der Reichsstatthalter von Wien mit einem Subventionierungsangebot an die Philharmoniker heran, was diese jedoch ablehnten: „V. Jerger berichtet, dass das Reichspropagandaministerium den W. Ph. Rm. 100.000.-- als Subvention anbot. Nach Fühlungnahme mit Gn. Ref. Thomas wurde das Angebot vom Vorstand Jerger abgelehnt, um jeder Bevormundung durch das Reichspropaganda Ministerium zu entgehen und die Selbständigkeit des Vereines zu sichern. Auch die vom Reichsleiter Baldur von Schirach angebotene Subvention wurde aus den selben Erwägungen abgelehnt.“716
711 712 713 714 715 716
Vgl. auch Kap. 7.6. Prot. KS, 2. 9. 1940. HAWPh, A-Pr-030, 16. Prot. KS, 12. 5. 1941. HAWPh, A-Pr-030, 25. Goebbels, Tagebücher II, Band 4, S. 77 (Eintrag vom 10. 4. 1942). Prot. KS, 7. 10. 1942. HAWPh, A-Pr-030, 34. Prot. KS, 6. 9. 1941. HAWPh, A-Pr-030, 26.
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5. Abhängigkeiten und Protektion
Darin manifestiert sich ein reichlich distanziertes Verhältnis zwischen den Wiener Philharmonikern und dem RMVP, in welchem sich auch der Kompetenzstreit und das Konkurrenzverhältnis zwischen der Administration in Wien und dem RMVP widerspiegeln. Dass Jerger „jeder Bevormundung“ durch das RMVP zu entgehen trachtete, um die „Selbständigkeit des Vereins“ zu sichern, entspricht darum keineswegs einer „Unabhängigkeitserklärung“ des Orchesters gegenüber staatlichen Institutionen insgesamt. Dass Jerger die Berliner Subvention erst nach der „Fühlungnahme“ mit Schirachs Generalkulturreferenten, Walter Thomas, zurückwies, dürfte in erster Linie als Loyalitätsbekundung Schirach gegenüber zu verstehen sein, zu der ihm Thomas auch geraten zu haben schien. Es dürfte nicht zu spekulativ sein, die gleichzeitige Ablehnung einer Subvention durch die Reichsstatthalterei als Vorsichtsmaßnahme gegenüber Berlin zu interpretieren, um dadurch die Loyalität zu Schirach nicht allzu offensichtlich zu bekunden – im Wissen darum, dass Goebbels Schirachs eigenmächtige Wiener Kulturpolitik beargwöhnte; Jerger dürfte allein schon aufgrund seines Amtes als Ratsherr der Stadt Wien mit den politischen Konstellationen in Wien und Berlin bestens vertraut gewesen sein. Doch wenn Jerger die Wiener Philharmoniker auch geschickt zwischen den Spannungen, die zwischen den beiden NS-Potentaten herrschte, hindurchnavigierte, war für das Orchester doch die Wiener Reichsstatthalterei und nicht das RMVP die relevante staatliche Referenz. Für die Politisierung der Wiener Philharmoniker war dieser Umstand von entscheidender Bedeutung: Anders als das Berliner Philharmonische Orchester, das durch die Eingliederung in Goebbels’ Ministerium zum Hauptträger der musikalischen Imagepolitik des ,Dritten Reiches‘ avanciert war, hatte die enge Bindung der Wiener Philharmoniker an die lokale Reichsvertretung in Wien zur Folge, dass sie an deren Seite vornehmlich am innerdeutschen Städtewettbewerb partizipierten und damit die politische Stellung der Stadt innerhalb Deutschlands zu befestigen und nach Möglichkeit auszubauen halfen. Die beiden Orchester standen somit in unterschiedlichen Funktionszusammenhängen. Weil die Wiener Philharmoniker nicht ministeriell verwaltet wurden, war ihr Handlungsspielraum zwar etwas größer, die Protektion jedoch geringer als bei den Berliner Philharmonikern – zumindest bis zum Amtsantritt Baldur von Schirachs als Wiener Gauleiter und Reichsstatthalter im August 1940. Bis zu einem gewissen Grad vermag dieser Umstand den extrem hohen Anteil an Parteimitgliedern zu erklären. Bis Kriegsende stieg der Anteil der NSDAP-Mitgliedschaften bei den Wiener Philharmonikern auf 42 Prozent, und wenn man die unerfüllten Anwartschaften auf Parteizugehörigkeit sowie die Mitgliedschaft in „Vorfeldorganisationen“ der NSDAP miteinbezieht, ergibt sich sogar ein Anteil von 47 Prozent; praktisch die Hälfte des gesamten Orchesters war demnach NSDAP-assoziiert.717 Dass ein beträchtli717 Sämtliche Angaben gemäß Hellsberg, Demokratie, S. 464. Hellsberg unternimmt für 1938 zudem eine Einteilung des Anteils an NSDAP-Mitgliedern für die einzelnen Register: Dieser betrug bei den Streichern
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cher Teil der Wiener Philharmoniker eine Affinität zum Nationalsozialismus hegte, dürfte jedoch nicht nur in der Abwesenheit ministerieller Protektion, sondern in erster Linie in der strukturellen Verfassung des Vereins als einem Männerbund zu sehen sein, was Tendenzen zu einer deutschnational-antisemitischen Politisierung klar begünstigte.718 25 Philharmoniker waren denn auch bereits vor 1938 Mitglieder der NSDAP (seit dem 1934 von Dollfuß verhängten Verbot der NSDAP sogenannte ,Illegale‘)719 und unmittelbar nach dem ,Anschluss‘ traten 14 weitere Orchestermusiker der Partei bei; das heißt, dass bereits 1938 36 Prozent aller Wiener Philharmoniker NSDAP-Mitglieder waren.720 Dass es sich dabei um einen exorbitant hohen Prozentsatz handelt, wird nicht nur an einem Vergleich mit den Berliner Philharmonikern ersichtlich, von denen maximal 20 Prozent über eine NSDAP-Mitgliedschaft verfügten, sondern auch am prozentualen Anteil der NSDAP-Mitglieder in der Wiener Bevölkerung: Er erreichte maximal acht Prozent.721 Aufgrund des Umstands, dass die Wiener Philharmoniker nicht ins RMVP eingegliedert waren, herrschte mit Beginn des Krieges im September 1939 auch Unklarheit über die Wehrmachtsdienstpflicht der Orchestermitglieder: Zunächst war es keineswegs klar, ob und in
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„nur“ 30 Prozent, während er bei den Holzbläsern 45 Prozent und bei den Blechbläsern und dem Schlagwerk zusammen 43 Prozent ausmachte. Hellsberg, Demokratie, S. 464. Vgl. dazu etwa Sombart, Nicolaus. Männerbund und Politische Kultur in Deutschland. In: Kühne, Thomas (Hrsg.). Männergeschichte – Geschlechtergeschichte. Männlichkeit im Wandel der Moderne. Frankfurt/ New York 1996. S. 136–155. Hier S. 152 ff. Nach Sombart sind „Fremden“-Abwehr oder „Freund“-„Feind“Schemata typische Merkmale von männerbündlerischen Vereinigungen. Vgl. dazu auch S. 116 ff. Unmittelbar nach Kriegsende tauchten im Zusammenhang mit ,Entnazifizierungs‘-Prozessen Darstellungen auf, wonach verschiedene Orchestermitglieder zum Zeitpunkt des ,Anschlusses‘ eine NSDAP-Mitgliedschaft nur vorgetäuscht hätten. Der Rechtsanwalt Otto Mayr etwa schilderte die Situation der ,Illegalen‘ so: „[...] in Wirklichkeit [waren] die Leute keine Illegalen [...], aber glaubten, aus der damals herrschenden Psychose heraus, den Anschluß an die Partei, der zur Zeit der im Sommer 1938 verhängten Parteisperre nur auf dem Weg über die Illegalität zu erreichen war, nicht versäumen zu dürfen. Es drohte damals auch die Auflösung der Philharmoniker, und so sollte das Orchester möglichst illegal frisiert werden [...].“ AdR, Bundesministerium für Unterricht, 1946, Karton 12, Schreiben Mayr an Hilbert, 4. 6. 1946. Zit. in: Rathkolb, Künstlereliten, S. 130. Nach Rathkolbs Einschätzung, der ich mich vollauf anschließe, entbehren solche Darstellungen in Anbetracht des Quellenmaterials jedoch jeglicher Grundlage. Hellsberg, Demokratie, S. 464. Botz, Wien, S. 213. Dieser Vergleich ist allerdings nur bedingt aussagekräftig: Nicht alle Beitrittswilligen konnten auch wirklich Parteimitglied werden; bis zum 11. Dezember 1939 galt für den Gau Wien eine allgemeine Aufnahmesperre, die im Februar 1942 „für die Dauer des Krieges“ erneut verhängt wurde, wobei für „würdige“ Angehörige der „Hitler-Jugend“ und des „Bundes deutscher Mädchen“ Ausnahmeregelungen galten. Botz, Wien, S. 211. Außerdem wurde für die einzelnen Gaue die Höchstzahl von Parteianwärtern und Mitgliedern auf 20 Prozent der Gesamtbevölkerung festgelegt. Jagschitz, Gerhard. Von der „Bewegung“ zum Apparat. Zur Phänomenologie der NSDAP 1938 bis 1945. In: Tálos, Emmerich/Hanisch, Ernst/Neugebauer, Wolfgang (Hrsg.). NS-Herrschaft in Österreich 1938 – 1945. Wien 1988. S. 487–516. Hier S. 505.
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welchem Ausmaß die Orchestermitglieder zum Kriegsdienst eingezogen werden würden. Bürckel versuchte noch vor dem deutschen Überfall auf Polen, im August 1939, eine geringe Anzahl an Wiener Philharmonikern vom Militärdienst befreien zu lassen. Er tat dies jedoch nicht über Goebbels, sondern hatte direkt beim zuständigen „Heeresgruppenkommando“ angeregt, fünf „besonders bedeutende Mitglieder der Wiener Philharmoniker“ vom Wehrdienst zu befreien oder höchstens zur „Kurzausbildung“ heranzuziehen.722 Eine allgemeine Kriegsdienstbefreiung bzw. „UK-Stellung“ war zu diesem Zeitpunkt jedoch noch keineswegs vorgesehen. Erst einige Monate nach Kriegsbeginn scheint eine solche provisorisch verfügt worden zu sein: Jerger erklärte an einer außerordentlichen Hauptversammlung im März 1940 im Zusammenhang mit einer erfolgreichen Nebenerwerbstätigkeit des Orchesters, es habe eine weitgehende Enthebung vom Militärdienst stattgefunden.723 Die Regelung einer generellen Kriegsdienstbefreiung der Orchestermitglieder stand aber noch während längerer Zeit zur Diskussion; die „UK-Stellung“ der Wiener Philharmoniker war, anders als die des Berliner Philharmonischen Orchesters, keineswegs unumstritten: „Dr. Wolfram berichtet, dass auf die Anfrage im Berliner Ministerium [RMVP, F. T.], wie es um die generelle Freistellung der Wiener Philharmoniker vom Heeresdienst steht, geantwortet wurde, dass für eine generelle Freistellung nur die Berliner Philharmoniker und das Leipziger Gewandhaus-Orchester in Betracht gezogen wurden. Diese Absicht wurde auf die Einwendungen, die Dr. Wolfram machte, wenige Stunden nach der Anfrage dahin geregelt, dass die Wiener Philharmoniker den Leipzigern vorgezogen wurden und ein diesbezüglicher Antrag vom Ministerium für die Berliner und Wiener Philharmoniker an die zuständigen Armeekommandos zugestellt werden wird. [...] Kainz berichtet von der Sitzung bei Ministerialdirigenten Dr. Eckmann in der Angelegenheit der Militärbefreiung. Auch von dieser Stelle sind Bemühungen im Gange, alle in den Staatstheatern tätigen Militärpflichtigen vom Heeresdienst zu befreien. Große Schwierigkeit besteht nur für jene, die 1913 und noch später geboren sind, da die Militärbehörde auf diese Jahrgänge auf keinen Fall verzichten will. Alle anderen Jahrgänge sind leichter freizubekommen, obwohl auch hier die Absicht besteht, 50 % der U.K.-Gestellten, zum Heeresdienst einzuberufen. Verhandlungen wurden mit den in Betracht kommenden Militärstellen aufgenommen.“724
Öffentlichkeitswirksame Initiativen sollten dabei den Entscheid beeinflussen helfen: 722 Vgl. Schreiben des „Heeres-Gruppenkommandos 5“, Wien, an das „Oberkommando des Heeres“, Berlin, vom 4. 8. 1939 [Kopie im Besitz von F. T.]. 723 HAWPh, A-Pr-030, 8. 724 Prot. KS, 4. 6. 1940. HAWPh, A-Pr-030, 14.
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„Pressetee im Hotel Imperial: Vorstand Jerger berichtet über den am Freitag, 11. 10. [1940, F. T.] stattfindenden Pressetee im Hotel Imperial. Dieser Presse-Empfang soll der Presse Einblick in die künstlerische Arbeit der Wr. Philharmoniker in die nun beginnende Konzertsaison bieten und zugleich eine große Pressepropaganda für die Wiener Philharmoniker ermöglichen. Ausser der Presseleute werden hiezu noch einige militärische Persönlichkeiten der Wehrersatz-Inspektion eingeladen, um diesen die kulturell wertvolle Arbeit der Wiener Philharmoniker und die Notwendigkeit der U.K.Stellung des gesamten Orchesters vor Augen zu führen.“725
Außerdem trat nun Schirach persönlich für die Dispensierung der Wiener Philharmoniker vom Militärdienst ein. Bei Goebbels erreichte er nur eine temporäre „UK-Stellung“726 und wandte sich darum Anfang 1941 direkt an das Wehrmachtskommando. Dabei verwies er offenbar auf die „UK-Stellung“ der Berliner Philharmoniker und argumentierte erfolgreich mit der notwendigen Gleichstellung des Wiener Orchesters: „Dem Antrage des Reichsstatthalters in Wien vom 9.1.1941 gebe ich statt und verfüge die UkStellung der Mitglieder des Wiener Philharmonischen Orchesters bis auf weiteres. Die Angehörigen der Philharmoniker, die [...] vom 24.12.1940 bis 31. März 1941 uk gestellt sind, werden ab 31.3.l.J (laufenden Jahres) ebenfalls bis auf weiteres uk-gestellt. Bei den [...] vom 4.1.1941 bis 31.3.1941 uk-gestellten Mitgliedern der Philharmoniker Schuster und Larisz wird dieselbe in eine Uk-Stellung bis auf weiteres umgewandelt. Der Herr Reichsstatthalter teilt mir in seinem Schreiben mit, dass die Berliner Philharmoniker samt und sonders zurückgestellt wurden; ich erachte es im Interesse der Kunstpflege für notwendig, dass die Wiener Philharmoniker der gleichen Behandlung teilhaftig werden.“727
Und gegenüber der Staatstheaterverwaltung doppelte er nach:
725 Prot. KS, 7. 10. 1940. HAWPh, A-Pr-030, 17. 726 Schreiben Goebbels an Schirach vom 26. 9. 1940 (ÖStA, AdR, Bundestheaterverwaltung, Zl. 3086/1940): „Schon vor einigen Wochen hatte ich mich mit dem Oberkommando der Wehrmacht in Verbindung gesetzt, um für alle Angehörige des Philharmonischen Orchesters in Wien eine Freistellung vom Wehrdienst zu erreichen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten habe ich nunmehr eine Entscheidung des Oberkommandos der Wehrmacht erreicht, wonach die Wehrpflichtigen aller Jahrgänge des Wiener Philharmonischen Orchesters zunächst bis zum 30. 12. 1940 vom Wehrdienst freigestellt werden. Die evtl. erforderliche Verlängerung der Freistellung über den genannten Termin werde ich von hier [Berlin, F. T.] aus veranlassen.“ 727 Schreiben Befehlshaber im Wehrkreis XVII an Reichsstatthalter in Wien, an Intendanz der Wiener Staatsoper [u.a.], 20. 1. 1941. ÖStA, AdR, RStH Wien. Ref. Ib-Pers, Kt. 145 GZ 100/83 UK-Stellungen H 1940– 1941 (I.).
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„Der Befehlshaber im Wehrkreis XVII hat über Antrag die UK-Stellung der Mitglieder des Wiener philharmonischen Orchesters bis auf weiteres verfügt, da er es für notwendig hält, daß die Wiener Philharmoniker im Interesse der Kunst genau derselben Behandlung teilhaftig werden, wie es bei den Berliner Philharmonikern der Fall war.“728
Die „UK-Stellung“ hielt bis Kriegsende an: Schirach gelang es, die Wiener Philharmoniker in dieser Frage dem Berliner Philharmonischen Orchester gleichzusetzen. Damit sicherte er sich eines seiner wichtigsten Instrumente für die günstige Positionierung Wiens als ,Musik-‘ und ,Kulturstadt‘ im innerdeutschen Wettbewerb, ohne dass dazu die Beschneidung der formalen organisatorischen ,Selbständigkeit‘ der Wiener Philharmoniker notwendig gewesen wäre.
5.5 Feierlich gegen Berlin: Das Jubiläum der Wiener Philharmoniker von 1942 Das Verhältnis der Orchester zu den politischen Instanzen entwickelte sich, im Grunde entsprechend ihres jeweiligen formalen Status, in Berlin eher auf einer pragmatischpolitischen,729 in Wien jedoch auf einer gleichsam informellen Ebene, was an die halbfeudalen Verhältnisse um die Jahrhundertwende erinnern lässt. Davon zeugen etwa die Hauskonzerte bei Schirachs oder bei Feldmarschall List im Dezember 1940 (womit die Wiener Philharmoniker eine Tätigkeit aus der Zeit zwischen 1933 und 1938 fortsetzten, als sie Abendkonzerte im Hause Schuschnigg abhielten),730 auch wenn sich die Beliebtheit solcher Veranstaltungen bei Teilen des Orchesters aufgrund fehlender finanzieller Anreize offenbar in Grenzen hielt: „Jerger [...] findet es ungehörig, dass einzelne Herren immer nur das Geld sehen, nicht aber die Arbeit. Wie bei Reichsleiter Schirach eine Gratissache zur Durchführung gelangte, die bis 1/2 2 Uhr früh dauerte, da waren es nur ganz wenige, die sich meldeten und diese wenigen, wurden auch deshalb namentlich für ein gut bezahltes Konzert namhaft gemacht, um sie auf diese Weise zu entschädigen. Eine Aufregung in dieser Sache ist daher nicht nur unberechtigt, sondern auch 728 Schreiben Schirachs an RStH, Referat Z-GK, z.H. Herrn Min. Dirigent Dr. Eckmann [Aktenvermerk], 12. 2. 1941. ÖStA/AdR, RStH Wien. Ref. Ib-Pers, Kt. 145 GZ 100/83 UK-Stellungen H 1940–1941 (I.). 729 Persönliche Beziehungen zwischen Orchestermitgliedern und politischen Exponenten existierten zwar – eine Aufzählung ,persönlicher‘ Anerkennungen durch Goebbels bei Aster, „Reichsorchester“, S. 126 – aber sie waren nicht konstitutiv für die Politisierung der Berliner Philharmoniker. 730 Gemäß Programmsammlung nahmen die Wiener Philharmoniker etwa bei einem Abendempfang am 8. 4. 1935 in der „Wohnung Kanzler Schuschnigg“ teil.
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unkameradschaftlich. Diese Auffassung hat Jerger auch den wenigen egoistischen Meckerern zur Kenntnis gebracht.“731
Die Unbeliebtheit solcher Veranstaltungen bei einzelnen Musikern ändert jedoch nichts an ihrer Bedeutung, die einen gleichsam informellen Charakter der Beziehungen zwischen dem Orchester und der Reichsstatthalterei unterstreicht. Ob die Philharmoniker bis in die frühen Morgenstunden hinein in Schirachs Privatwohnung unentgeltlich musizierten oder ob sie ihren Reichsstatthalter zu seinem ersten Wiener Neujahr mit einem Brahmsbild beschenkten (wenn auch „auf Anregung von Generalkulturreferent Thomas“)732 – die Intention lag in der Herstellung einer informellen Beziehung, der das Orchester aufgrund der fehlenden organisatorischen Eingliederung in den NS-Apparat bedurfte, um sich Schirachs Protektion erwirken zu können. Eine solche vergrößerte wiederum den Handlungsspielraum des Orchesters, den es zugleich zu seinem eigenen Vorteil und im Sinne von Schirachs Wien-Politik zu gestalten wusste. In den Vorbereitungen zur Jubiläumsfeier anlässlich des 100-jährigen Bestehens der Wiener Philharmoniker kommt dies besonders deutlich zum Ausdruck. Schirach ließ dem Orchester über seinen Generalkulturreferenten Gestaltungsvorschläge mitteilen, in denen nicht nur die Philharmoniker, sondern auch Wien als europäische ,Musikstadt‘ gefeiert werden sollte. Er bestand aber keineswegs auf der Umsetzung seiner Vorschläge, sondern ließ dem – offenbar äußerst vertrauenswürdigen und kooperativen – Vorstandsrat explizit freie Hand für Änderungen und Konkretisierungen: „Festfolgevorschläge: Diese entstanden nach einer ausführlichen Aussprache mit dem Generalreferenten Thomas, der namens des Reichsleiters Schirach den Wunsch aussprach, dass dieses Fest der Jahrhundertfeier der Wiener Philharmoniker zum Anlass genommen werden soll, ein europäisches Musikfest in Wien zu Ehren der Wiener Philharmoniker in Szene zu setzen. Zu diesem Fest sollen außer einigen ausländischen Orchestern auch auswärtige Dirigenten nach Wien eingeladen werden und Werke der namhaftesten europäischen Komponisten zur Aufführung gelangen. Diese Vorschläge sind vollkommen unverbindlich und können nach Belieben des Vorstandsrates abgeändert werden.“733
Das Komitee nutzte die Gelegenheit, statt einem „europäischen Musikfest“ ein „Fest europäischer Orchesterkultur“ zu planen, da 731 Prot. KS, 17. 3. 1941. HAWPh, A-Pr-030, 23. 732 Prot. KS, 23. 12. 1940. HAWPh, A-Pr-030, 20. 733 Prot. KS, 26. 3. 1941. HAWPh, A-Pr-030, 24.
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„[e]in solches Fest [...] zweifellos den Ruhm der Erstmaligkeit [besäße], denn alle bisherigen Musikfeste stellten in der Hauptsache Komponisten und Dirigenten in den Vordergrund, während die Orchester bei allen diesen Veranstaltungen nur das notwendig erforderliche Werkzeug abgaben und nur in den seltensten Fällen ein besonders beachteter Faktor waren“,734
wie das Komiteemitglied Leopold Kainz feststellte. Diese vermeintlich „neue“ Inszenierung eines Orchestervergleichs sollte, wie Otto Strasser betonte, „vor allem aber [...] eine Rückund Leistungsschau unseres Orchesters werden und das Können des Orchesters in blendendster Form zeigen“.735 Die Wiener Philharmoniker nahmen also Schirachs Festvorschläge zum Anlass, sich als das europäische Orchester in Position zu bringen. Sogleich wurde denn auch erklärt, wer der eigentliche Adressat dieses ehrgeizigen Projektes sein sollte – keine Geringeren als die Berliner Philharmoniker: „Besonders ist das Aufzeigen des großen Könnens unseres Orchesters im Hinblick auf die ausgesprochen feindselige Einstellung Berlins und der Berliner Philharmoniker gegen unsere Körperschaft von großer Wichtigkeit, die nichts unversucht lassen, um das musikalische Wien in Misskredit zu bringen und unentwegt bemüht sind, alle großen Dirigenten und besonders Dr. Furtwängler Wien abspenstig zu machen. Der Haß ist bereits so groß, dass selbst Herr von Westermann, der Intendant der Berliner Philharmoniker, das Mittel der Intrige nicht mehr verschmäht, wenn er dadurch den Wiener Philharmonikern Schaden zufügen kann.“736
Der Gehalt dieser Unterstellungen, wie sie von Strasser in einer Komiteesitzung geäußert wurden, interessiert hier weniger, wohl aber die Manifestation der Konkurrenz zu den Berliner Philharmonikern: Die Wiener Philharmoniker wollten ihre Jubiläumsfeiern also nicht zuletzt dafür nutzen, um sich im Wettbewerb mit dem Berliner Philharmonischen Orchester zu profilieren. Für Clemens Hellsberg drückt sich in solchem Ehrgeiz – er geht allerdings mit keinem Wort auf die Berliner Philharmoniker ein – eine „Neuorientierung philharmonischen Geschichtsbewusstseins“ aus, welche die Jubiläumsvorbereitungen mit sich gebracht hätten. Deren treibende Kraft, so Hellsberg, sei Jerger gewesen, dem zugutegehalten werden müsse, dass seinem Wirken „keine ideologischen Interessen zugrunde“ gelegen hätten, sondern der „Wille, den Wiener Philharmonikern die absolute Spitzenposition in Deutschland zu sichern“.737 Dass sich die Wiener Philharmoniker zu diesem Zweck in erster Linie gegen 734 735 736 737
Prot. KS, 26. 3. 1941. HAWPh, A-Pr-030, 24. Ebd. Ebd. Hellsberg, Demokratie, S. 486.
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die Berliner Philharmoniker aufstellten, erwähnt Hellsberg jedoch ebenso wenig wie Strassers Unterstellungen an ihre Adresse. Hingegen betont er, dass die Absage der Berliner Philharmoniker bei der Wiener „Jahrhundertfeier“ „am meisten schmerzte“,738 was insofern unzutreffend ist, als die Wiener Philharmoniker nie auch nur in Erwägung gezogen hatten, die Berliner Philharmoniker einzuladen. Bezeichnenderweise verzichtete das Komitee nämlich gänzlich darauf, deutsche Orchester zum „Fest europäischer Orchesterkultur“ einzuladen und lehnte einen Antrag, der die Einladung zweier deutscher Orchester vorgesehen hätte, rundweg ab: „Der Antrag Moißls, das Leipziger Gewandhaus-Orchester und die Berliner Staatskapelle nach Wien einzuladen, wird abgelehnt und über Antrag Jergers nur ausländische und kein deutsches Orchester eingeladen, um jede Verärgerung, die sich wegen Nichteinladens des einen oder anderen deutschen Orchesters einstellen könnte, auszuschalten.“739
Bezeichnenderweise beinhaltete dieser Antrag zwar die Einladung der Preußischen Staatskapelle, nicht jedoch der Berliner Philharmoniker. Die Präsenz dieses Orchesters wollte man offenbar von vornherein verhindern. Auch Jergers Gegenantrag dürfte in erster Linie das Berliner Philharmonische Orchester gemeint haben: Die direkte Konfrontation mit ihm suchte man offensichtlich doch nicht. Die deutschen Orchester wurden in der Folge lediglich dazu eingeladen, „je einen Vertreter zum Festakt der Wiener Philharmoniker zu entsenden, und während der Festtage Gäste der Wiener Philharmoniker zu sein“.740 Einladungen, aktiv an den Feierlichkeiten mitzuwirken, ergingen hingegen an die „namhaftesten europäischen Orchester [...]“, so an das Mailänder-Scala-Orchester, das Concertgebouw-Orchester sowie an die Tschechischen und die Budapester Philharmoniker „mit ihrem Gesamtorchester [...]“.741 Das Komiteemitglied Schreinzer machte außerdem darauf aufmerksam, „dass im Jahr 1942 auch die New Yorker Philharmoniker ihre Jahrhundertfeier haben und bedauert es, dass die feindselige Einstellung Amerikas zu Deutschland eine Einladung dieses Orchesters, nach Wien zu kommen, unmöglich macht“, während ein Antrag Moissls, ein russisches Orchester einzuladen, „aus politischen Gründen“ abgelehnt wurde.742 Doch schon in der nächstfolgenden Vorstandssitzung tauchten einladungspolitische Schwierigkeiten auf. Zum 738 Ebd., S. 489. Die Berliner Philharmoniker delegierten das Orchestermitglied Schuldes anstelle des Intendanten Westermann zur Teilnahme an den Feierlichkeiten: Die von Hellsberg erwähnte „Absage“ kann auch in dieser Hinsicht nicht geltend gemacht werden. Telegramm Westermanns an Wiener Philharmoniker, 28. 3. 1942. HAWPh, Korrespondenzmappen, J/13, V. 739 Prot. KS, 26. 3. 1941. HAWPh, A-Pr-030, 24. 740 Ebd. 741 Ebd. 742 Ebd.
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Jubiläumsfeier zum 100-jährigen Bestehen der Wiener Philharmoniker 1942: Gauleiter und Reichsstatthalter Baldur von Schirach spricht zum Orchester. © Historisches Archiv der Wiener Philharmoniker.
Amsterdamer Concertgebouw-Orchester vermerkt das Protokoll, dieses „erscheint durch die Ausscheidung der Juden sehr geschwächt“, während Schirach „die Tschechischen Philharmoniker [...] aus innerpolitischen [sic] Gründen nicht gerne eingeladen wissen [möchte]“.743 Das Concertgebouw-Orchester kam schließlich „durch das große Entgegenkommen des Reichsministers Dr. Seyß-Inquart“744 doch nach Wien, während das Orchester der Mailänder Scala absagte.745 Die groß angelegte Jubiläumsfeier – das Komiteemitglied Kainz beantragte zu Beginn der Planung sogar, die ,Jahrhundertfeier‘ „zu einem Festtreffen aller großen europäischen Orchester in Wien zu machen“, was „aus technischen Gründen“ abgelehnt wurde746 – schrumpfte auf die Mitwirkung von drei nichtdeutschen Orchestern zusammen: des niederländischen Concertgebouw-Orchesters (mit Mengelberg als Dirigenten), des italienischen Orchesters des „Maggio musicale Fiorentino“ (Antonio de Guarnieri) sowie der Budapester Philharmoniker (Ernst von Dohnányi). Die Wiener Philharmoniker entzogen sich damit einer Gegenüberstellung mit anderen 743 Prot. KS, 12. 5. 1941. HAWPh, A-Pr-030, 25. 744 Prot. KS, 27. 12. 1941. HAWPh, A-Pr-030, 27. Seyß-Inquart ist hier in seiner Eigenschaft als „Reichskommissar der Niederlande“ angesprochen. Mit ihm pflegte das Orchester offenbar gute Beziehungen; vgl. auch Kap. 7.6. 745 Prot. KS, 27. 12. 1941. HAWPh, A-Pr-030, 27. 746 Prot. KS, 26. 3. 1941. HAWPh, A-Pr-030, 24.
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deutschen Orchestern. Bis zu einem gewissen Grad ist darin auch der Versuch erkennbar, den innerdeutschen Wettbewerb auf eine gesamteuropäische Ebene zu verlegen: Die Wiener Philharmoniker wollten im internationalen Vergleich reüssieren. Damit koinzidierten die Interessen des Orchesters und der Stadt vollumfänglich; die Protektion Schirachs und Thomas’ für die „Jahrhundertfeier“ der Wiener Philharmoniker stand außer Frage. Goebbels reagierte übrigens sogleich auf die von Wien ausgehende Dynamisierung des Kulturwettbewerbs und forcierte just im Jahr des Jubiläums der Wiener Philharmoniker den Ausbau der Berliner Kunstwochen, um die kulturpolitische Konkurrenz zu Wien aufrechtzuerhalten.747 In Wien kam indes eine weitere, sorgsam geplante Maßnahme zur Anwendung, mit der die besondere Heraushebung der sich feiernden Wiener Philharmoniker gewährleistet werden sollte: während der vierwöchigen Festlichkeiten durften in Wien keine weiteren Orchesteroder größere Solistenkonzerte stattfinden. Diese temporäre Monopolisierung der philharmonischen Aktivitäten im wienerischen Musikbetrieb ging auf das Komiteemitglied Leopold Kainz zurück, der beantragte, „die Zeit vom 20.3. bis 24.4.1942 durch den Reichsleiter reservieren zu lassen, um eine klagund konkurrenzlose Durchführung der Festwochen zu sichern. Durch eine Sonder verfügung des Reichsleiters sollen alle großen Abonnement-Zyklen des Konzerthauses, der Gesellschaft der Musikfreunde und der Wiener Philharmoniker bis 15.3. beendet sein und die Zeit vom 14.3. bis 1.5. den Wiener Philharmonikern für ihre Jubiläumskonzerte vorbehalten bleiben. Ausgenommen davon sollen nur Kammer- oder Schülerkonzerte oder Liederabende in den kleinen Sälen sein.“748
Der Kainz’ Antrag wurde angenommen und „Vorstand Jerger gebeten, den Generalreferenten Thomas zu ersuchen, diesen Wunsch dem Reichsleiter zu unterbreiten und die eheste Durchführungsanordnung zu veranlassen“.749 Eine solche Forderung setzte freilich ein von vornherein einvernehmliches Verhältnis zwischen den Wiener Philharmonikern und der Reichsstatthalterei voraus. Thomas reagierte dementsprechend und setzte umgehend ein Schreiben an 747 „Wir haben sie [die Berliner Kunstwochen, F. T.] in diesem Jahr ziemlich umfangreich geplant und werden damit den Wienern zeigen, daß auch wir Berliner auf diesem Gebiet nicht unbegabt sind. Allerdings werden zum Unterschied gegen Wien die Berliner Kunstwochen einen mehr sozialen und einen weniger gesellschaftlichen Charakter tragen.“ Goebbels, Tagebücher II, Bd. 4, S. 141 (Eintrag vom 21. 4. 1942). Außerdem: „Ich arbeite das Programm der Ende Mai beginnenden Berliner Kunstwochen durch. Hier werden wir versuchen, in einem großen Stil den Versuchen der Stadt Wien, Berlin als Kunst- und Kulturzentrum den Rang abzulaufen, ein Paroli zu bieten.“ Goebbels, Tagebücher II, Bd. 4, S. 236 (Eintrag vom 4. 5. 1942). 748 Prot. KS, 26. 3. 1941. HAWPh, A-Pr-030, 24. 749 Ebd.
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die besagten Konzertinstitutionen auf, wonach während den vom 25. März bis zum 21. April 1942 dauernden „Festlichkeiten zu Ehren der Wiener Philharmoniker“ „keine anderen großen musikalischen Veranstaltungen durchgeführt werden [dürfen, F. T.], die zu ihren eigenen Ungunsten und zu Ungunsten der großen Hundertjahrfeier der Wiener Philharmoniker, sich in den Ablauf dieses Programms einschalten könnten“.750
Auch in Fragen der Finanzierung waren sich das Orchester und die Reichsstatthalterei einig: die Philharmoniker selbst verzichteten für ihre Konzerte auf eine Subventionierung, während die Gastkonzerte der anderen Orchester zumindest mit einer Defizitgarantie durch die Reichsstatthalterei gedeckt waren, wie der Generalkulturreferent Thomas bestätigte. Auch die Kosten für den Festakt, die Jubiläumsschrift und die anlässlich des Jubiläums eingeführte silberne Nicolai-Medaille wurden von der Reichstatthalterei finanziert.751 In der Folge beschenkten sich das Orchester und die Reichsstatthalterei gegenseitig und offenbar in freundschaftlicher Verbundenheit. Die Wiener Philharmoniker bedankten sich bei ihrem „warmherzigen Förderer“ Schirach752 mit der Verleihung des „Ehrenringes der Wiener Philharmoniker“ sowie der (von der Reichsstatthalterei finanzierten) Nicolai-Medaille,753 die sie auch an dessen Generalkulturreferenten Thomas verliehen. In seiner Laudatio betonte Jerger, Schirachs „Sorge“ sei es immer gewesen, „daß eines der hervorragendsten Orchester auch im Krieg bestehen bleibt“; dieser habe die Ehrung denn auch „als Zeichen der Kameradschaft und Freundschaft zwischen ihm und dem Philharmonischen Orchester“ entgegengenommen.754 Als Ausdruck dieses „Zeichens der Kameradschaft und Freundschaft“ ist auch die persönliche Grußnote zu werten, die Schirach dem Orchester zukommen ließ; mit grüner Tinte formulierte er handschriftlich ohne Anrede und, was dem Schreiben die besondere informelle, ja private Note verleiht, ohne Hinzufügung der Grußformel „Heil Hitler!“:
750 Schreiben des „Generalkulturreferenten“ Thomas an den Präsidenten der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, Franz Schütz, vom 3. 4. 1941. Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, Gesellschaftsakten 1940/41, Exhibiten-Nr. 34. 751 Prot. KS, 26. 3. 1941. HAWPh, A-Pr-030, 24. 752 Mehrer des Ruhmes unserer Stadt. Eröffnung der Jahrhundertfeier der Philharmoniker durch Reichsleiter v. Schirach. In: Neuigkeits-Welt-Blatt, 29. 3. 1942, S. 3. 753 Hellsberg merkt im Zusammenhang mit der Verleihung des Ehrenringes an den Dirigenten Clemens Krauss am 27. 3. 1943 an: „Der Ehrenring war damals bereits eine Seltenheit – Kollegen, die ihre 25jährige Mitgliedschaft feierten, erhielten ihn nur dann, wenn sie in der Lage waren, selbst das erforderliche ,Gold beizustellen‘“ (Hellsberg, Demokratie, S. 497). Dass Schirach den Ehrenring bereits ein Jahr zuvor erhalten hatte, erwähnt Hellsberg nicht. 754 Mehrer, S. 3.
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„Die Wiener Philharmoniker sind kein Orchester sondern eine Kultur. 100 Jahre hindurch haben sie ihre Sendung treu erfüllt, nun bricht ein neues Jahrhundert ihres Dienstes an: möge es im Zeichen dieses Geburtstages stehen, im Zeichen des Kampfes für die ewigen Klänge! Baldur von Schirach“755
Schirach veranlasste in der Folge auch eine Reihe von Titelverleihungen an Mitglieder der Wiener Philharmoniker. In einem aufwendigen administrativen Akt, der von umfangreicher Korrespondenz begleitet war, setzte sich der Reichsstatthalter gegen die gängige Praxis durch, wonach gemäß einer „Äußerung des Führers“ „Jubiläen während des Krieges grundsätzlich nicht Anlaß zu Titelverleihungen“ sein sollten.756 Zwar vermochte Schirach nicht alle von ihm vorgeschlagenen Titelverleihungen durchzusetzen, aber nebst dem Professorentitel für Jerger ernannte Hitler daraufhin per 1. Mai 1942 immerhin drei Mitglieder der Wiener Philharmoniker zu Kammervirtuosen und vier weitere zu Kammermusikern.757 Dass solche Verleihungen tatsächlich nicht auf der Tagesordnung standen, geht zum einen aus der Korrespondenz zwischen verschiedenen Amtsstellen, zum anderen aber aus einer Art Geheimhaltungsklausel hervor, wie sie der Chef der Präsidialkanzlei gegenüber Goebbels im Zuge der Übersendung der Titelurkunden formulierte: „Der Führer hat bestimmt, daß, da er an dem Grundsatz, während des Krieges Titelverleihungen nicht auszusprechen, festhalten möchte und diese Verleihungen als Ausnahmen anzusehen sind, eine amtliche Pressenotiz nicht erfolgen soll und auch von der Bekanntgabe durch Rundfunk 755 HAWPh, Korrespondenzmappen, Sch/9 (Schirach, Baldur von). Schirachs Grußbotschaft wurde in die Jubiläumsschrift übernommen: Wiener Philharmoniker (Hrsg.). Wiener Philharmoniker. Wien 1942. Möglicherweise wurde sie von Schirach eigens für diese Schrift verfasst, wobei die Aufmachung des Schreibens eher dagegen spricht. 756 Personalabteilung RMVP an Goebbels, 20. 3. 1942. BA, R 55/73. 757 Personalabteilung RMVP an Goebbels, 24. 4. 1942. BA, R 55/73. Schirach war mehrmals bemüht, nebst Jerger 22 weiteren Mitgliedern einen Titel zu verschaffen und kam damit offenbar einem Wunsch Jergers nach: „Ueber dringende Bitte des Vorstandes der Wiener Philharmoniker sehe ich mich veranlasst, die gesamte Liste der auszuzeichnenden Philharmoniker vorzulegen, wobei die Vorgeschlagenen weisungsgemäss nach der Reihenfolge ihrer Wichtigkeit geordnet sind. Die Reduktion dieser Liste entsprechend Ihrer Weisung auf 10 Musiker würde schwere Kränkungen und eine Benachteiligung von sehr verdienten Orchestermitgliedern zur Folge haben, weshalb ich bitte, sie im vollen Umfange zu genehmigen und die entsprechenden Anträge an den Führer zu leiten. Ich verweise darauf, dass es sich um eines der berühmtesten Orchester der Welt handelt und sämtliche Vorgeschlagenen ganz ausgezeichnete Musiker sind, die sich im schweren Orchester- und Operndienst voll bewährt haben und nach besten Kräften das ihre dazu beitragen, dass die Aufführungen der Wiener Staatsoper und die Philharmonischen Konzerte nach wie vor auf so unvergleichlich hohem Niveau stehen.“ Wiener Reichsstatthalter (Eckmann) an Goebbels, 7. 4. 1942. BA, R 55/73.
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5. Abhängigkeiten und Protektion
abzusehen ist. Eine kurze Bekanntgabe in der Wiener Abendpresse des 1. Mai wird von hier veranlaßt.“758
Als nach außen hin sichtbares Zeichen war es jedoch noch bedeutsamer, dass Schirach anlässlich des Jubiläums der Wiener Philharmoniker dem Orchester eine Straße widmete: Er ließ einen Teil der Wiener Augustinerstraße kurzerhand in Philharmonikerstraße umbenennen.759 Damit schrieb er das Orchester erstmals namentlich in die städtische Topografie ein, erweiterte dadurch die Wien-Konnotation der Philharmoniker und sorgte zugleich für eine abermalige Verdichtung des ‚Musikstadt‘-Topos.760
758 Bundesarchiv Berlin, R 55/73 [Hervorhebung im Original]. Die meisten Zeitungen publizierten denn auch die unscheinbaren Pressemitteilungen am 1. 5. 1942, so der „Völkische Beobachter“ (Wiener Ausgabe), das „Neue Wiener Tagblatt“ und „Das kleine Volksblatt“. Das „Neuigkeits-Welt-Blatt“ hingegen publizierte am 2. 5. 1942 (S. 5) anlässlich der Titelverleihungen einen kleinen, jedoch bebilderten Artikel mit einer Laudatio auf Jerger, die folgendermaßen beschloss: „Denn damit hat der Führer nicht nur ihn [Jerger], sondern auch unsere Philharmoniker und unser musikalisches Wien geehrt.“ 759 Mehrer, S. 3. Der neue Straßenname wurde seither beibehalten (vgl. auch Autengruber, Peter. Lexikon der Wiener Straßennamen. Bedeutung. Herkunft. Frühere Bezeichnungen. Pichler, Wien 2001, S. 182). 760 Zur Relevanz und Geschichte der Bennenungspolitik von Straßen im ,Musikstadt Wien‘-Kontext vgl. Nußbaumer, Musikstadt, S. 154–161.
6. Vielfältige Medienpräsenz der beiden Orchester
„Die Warnung gegenüber der Geschäftsreklame, daß kein Unternehmen etwas verschenkt, gilt überall, nach der modernen Fusion von Geschäft und Politik vorab gegen diese.“761 Adorno/Horkheimer, Dialektik der Aufklärung
Seit März 1938 verfügte Deutschland gleich über zwei „beste Orchester der Welt“. Allein schon dieses Dispositiv verschärfte das Konkurrenzverhältnis zwischen den Berliner und Wiener Philharmonikern, in welchem sich auch die Rivalität zwischen Berlin und Wien um den Führungsanspruch auf dem Gebiet der musikalischen ,Hochkultur‘ abbildete. Diese Rivalität trug sich indessen nicht nur auf der politischen, von der Öffentlichkeit abgeschirmten Führungsebene zwischen Goebbels und Schirach zu – sie beide waren bekanntlich um eine umfassende Protektion für „ihre“ Orchester bemüht. Auch auf der Ebene der medialen Vermittlung, also in Presse, Buch und Film, fand der Orchesterwettbewerb seinen Niederschlag, an deren Ausgestaltung zahlreiche Funktionäre des Regimes, Musikpublizisten, Zeitungsredakteure, Filmregisseure sowie Repräsentanten und Dirigenten der Orchester partizipierten. Daraus resultierten vielfältige Rezeptionsbeiträge, die sich aufgrund ihrer Öffentlichkeitswirksamkeit auf die Politisierung der Orchester maßgeblich auswirkten. Über eine Analyse der spezifischen Merkmale dieser Rezeptionen erschließen sich solche Politisierungsformen der beiden Orchester, die weit über jene der Kontrolle von Organisation und Verwaltung der Orchester hinausreichten und sich dennoch im Einklang mit den Grundtendenzen der nationalsozialistischen Politik mit Musik in Berlin und Wien befanden.
6.1 „Technik“ versus „seelisches Substrat“: Der Berliner Oswald Schrenk und der Wiener Aurel Wolfram über die Philharmoniker „Sie sind der bedeutendste musikalische Kulturträger des Großdeutschen Reiches geworden“, machte der Berliner Musikschriftsteller Oswald Schrenk762 für die Berliner Philharmonikerin 761 Adorno, Theodor W./Horkheimer, Max. Dialektik der Aufklärung. In: Adorno, Theodor W. Gesammelte Schriften 3. Frankfurt am Main 1997. S. 293. 762 Oswald Schrenk (1899–1944) war Musikessayist und „Erster künstlerischer Mitarbeiter“ des Verlags Ed. Bote u. S. Bock in Berlin. Kürschners Deutscher Literatur-Kalender 1943. Berlin 1943. S. 1011.
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6. Vielfältige Medienpräsenz der beiden Orchester
seiner Geschichte des Berliner Musiklebens von 1940 geltend.763 „In Hunderten von Konzerten in Berlin, im Reich und im Ausland“, so Schrenk, „hat das Philharmonische Orchester der deutschen Sache unermeßliche Dienste geleistet.“764 Schrenk stellte das Wirken der Berliner Philharmoniker ausdrücklich in einen Reichskontext. Außerdem verknüpfte er ihr Renommee mit der Person Wilhelm Furtwänglers, für den er überdies geltend machte, ihm sei die „Vollendung“ der „Weltstadt der Musik“ – Berlin – zu verdanken: „Von hier [Berlin, F. T.] aus gingen die stärksten Kraftströme seines [Furtwänglers, F. T.] Wirkens aus. Hierher, in die Hauptstadt des Reiches, strahlen sie zurück. Die Weltstadt der Musik hat Furtwängler die Vollendung dieses Rufes zu verdanken. Dieses Rufes würdig zu bleiben, ihn nie zu verlieren, muß unser aller ernsteste Aufgabe bleiben, die wir dem Berliner Musikleben verhaftet sind.“765
Schrenk widmete Furtwängler in seinem Buch eigens ein Kapitel, das später auch als separate Schrift erschien.766 Darin machte er deutlich, dass für Furtwängler trotz dessen Eigenschaft als „Musikbevollmächtigter der Stadt Wien“ Berlin seine primäre Wirkungsstätte bleiben müsse: „Wenn die Ende 1939 ausgesprochene Berufung Furtwänglers zum Bevollmächtigten für das gesamte Musikwesen der Stadt Wien ausgesprochen wurde, so dürfen wir Berliner immer wieder betonen, daß der Sohn dieser Stadt in keiner Weise aus deren Mauern fortzudenken ist.“767 Damit reklamierte er Furtwängler, explizit gegen Wien gerichtet, in erster Linie für Berlin und für das Berliner Philharmonische Orchester. Es seien, so Schrenk weiter, „nicht nur die Philharmonischen Konzerte, diese sind der letzte und höchste und auch sichtbarste Ausdruck seines Berliner Wirkens, die Berlin an Furtwängler und Furtwängler an Berlin mit starken Banden fesseln, nein, es ist die Gesamtpersönlichkeit des Künstlers, die immer dieser Stadt aufs engste verbunden bleiben sollte“.768
763 Schrenk, Oswald. Berlin und die Musik. Zweihundert Jahre Musikleben einer Stadt. 1740–1940. Berlin 1940. S. 278 f. 764 Ebd., S. 278 f. 765 Ebd., S. 249. 766 Schrenk, Oswald. Wilhelm Furtwängler. Eine Studie aus „Berlin und die Musik“. Berlin 1940. 767 Schrenk, Berlin, S. 249. 768 Ebd., S. 249.
„Technik“ versus „seelisches Substrat“
203
Schrenk unterließ jegliche Erwähnung darüber, dass Wilhelm Furtwängler nicht nur der Hauptdirigent des Berliner Philharmonischen Orchesters, sondern ebenso der Wiener Philharmoniker war – zwischen April 1938 und Januar 1945 leitete der deutsche Dirigent das Orchester in immerhin 99 Konzerten.769 Schrenks Versuch, Furtwänglers Tätigkeit ausschließlich auf Berlin und die Berliner Philharmoniker zu fokussieren, blieb denn auch nicht unerwidert; die Wiener Philharmoniker protestierten heftig gegen Schrenks FurtwänglerSchrift: „Aussprache über das Buch ,Furtwängler‘ von dem Berliner Oswald Schrenk: Zu diesem Punkt der Tagesordnung wurde Prof. Seibert, der Reklamechef der Berliner Philharmoniker zugezogen. Vorstand Jerger berichtet über das neuerschienene Buch von Oswald Schrenk, das den Titel ,Furtwängler‘ führt und in einer maßlosen Überheblichkeit von Berlin spricht und die Tätigkeit Furtwänglers mit den Wiener Philharmonikern mit keiner Silbe berührt. Vorstand Jerger wird darüber dem Reichsleiter [Schirach, F. T.] einen Bericht geben und eine Richtigstellung betreiben. Prof. Seibert führt zur Entschuldigung dieser Entgleisung an, dass Schrenk ein überheblicher, dummer Affe sei, der schon öfters solche Schnitzer machte und erklärte sich bereit, nach seiner Rückkunft nach Berlin, sofort bei Schrenk vorzusprechen. Auf die Frage, wieso Furtwängler so ein Buch zur Herausgabe freigeben konnte, antwortet Herr Seibert, dass Furtwängler das Buch vorher gar nicht gelesen hat und die Herausgabe im guten Glauben, dass Schrenk darin genauesten Bericht über seine Tätigkeit geben wird, seine Zustimmung gegeben hat. Nach dieser Erklärung des Prof. Seibert wird die Erklärung Jergers trotzdem in dieser Sache bei den vorgesetzten Stellen Einspruch zu erheben, vom Vorstandsrat befriedigt zur Kenntnis genommen.“770
Über die Folgen dieses Protests ist zwar nichts bekannt,771 doch der Fall dokumentiert, dass der Philharmoniker-Wettbewerb im Nationalsozialismus mitunter von Nervosität und Gehässigkeit geprägt war. Es sollen hier nun aber weniger dieses Zerwürfnis selbst als vielmehr die Attribute im Mittelpunkt stehen, welche Schrenk der ,Musikstadt Berlin‘ und den Berliner Philharmonikern zuschrieb – inwiefern unterscheiden sich diese Attribute von jenen, die Aurel Wolfram in seinem Aufsatz „Wien und die Philharmoniker“772 der Stadt Wien und den Wiener Philharmonikern verlieh? Anhand einer Gegenüberstellung ausgewählter Textpassagen der 769 Hellsberg, Demokratie, S. 526 f. 770 Prot. KS, 11. 11. 1940. HAWPh, A-Pr-030, 18. 771 Er dürfte nicht erhört worden sein; das NS-Eliteblatt „Das Reich“ eine ausführliche Rezension des Buches: Oehlmann, Werner. Zur Musikgeschichte der Reichshauptstadt. Ausgabe vom 2. 2. 1941, o. S. 772 Wolfram, Aurel. Wien und die Philharmoniker. In: Wiener Philharmoniker (Hrsg.). Wiener Philharmoniker 1842–1942. Wien–Leipzig 1942. S. 28–47.
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6. Vielfältige Medienpräsenz der beiden Orchester
beiden Autoren lassen sich deutliche Unterschiede der jeweiligen Orchesterzuschreibungen erkennen. In seiner Schilderung des „Berliner Musiklebens seit 1933“ entwirft Schrenk ein verblüffend disparates Bild des musikalischen Berlin: „Nicht alles, was in Berlin an Musik erklingt, ist als Fest zu bezeichnen. Die Weltstadt mit ihrem Lärm und ihrer Hast ist kein günstiger Boden für festliche Besinnung und Hochstimmung. Der Großbetrieb in Oper und Konzertsaal erfordert vom einzelnen Hörer bereitwilligste Einstellung und stärkste Konzentration. Aber die vollen Häuser und Säle unserer Tage beweisen, daß der Berliner nicht müde wird, dem Ruf der Musik zu folgen. Die sprichwörtliche [...] Verstandeskühle hindert den Berliner nicht, von Herzen Ja zu sagen und begeistert zu sein, wenn ihm Vollendetes geboten wird. [...] Die Zukunft wird Berlin, dem Zentrum Europas, in noch vielfach verstärktem Maße auch kulturelle Führungsaufgaben zuweisen. Die Musik steht mit an erster Stelle im Kulturleben dieser Stadt. Mehr denn je schauen die Augen der musikalischen Welt auf das Geschehen Berlins. Innerhalb und außerhalb unserer Grenzen genießt das Musikleben Berlins höchste Anerkennung und Beachtung. Die Weltgeltung in der Musik hat Berlin sich wahrlich mühevoll erstritten. An uns allen, die wir dem Dienste der schönsten aller Künste verpflichtet sind, liegt es, diese Stellung zu wahren und zu mehren. Berliner Musikleben ist deutsches Musikleben. Deutsche Musik aber wird erklingen, solange Musik der Menschen Herz erfreut und erhebt.“773
Im Gegensatz zu Schrenks funktionalistischer Konstruktion der musikalischen Bedeutung Berlins, welche er in der ,Deutschen Musik‘ aufgehoben sieht, postuliert Aurel Wolfram, der auch nach seiner Entlassung als Funktionär des Reichspropagandaamts weiterhin auf eine Verdichtung der Beziehungen zwischen den Wiener Philharmonikern und der Stadt Wien hinarbeitete, in einem Aufsatz einen ,organischen‘ Zusammenhang zwischen dem Orchester und der Stadt und argumentiert in essentialistischer Manier. So will Wolfram „einmal die Voraussetzungen [...] prüfen, unter denen dieses einzigartige Orchester werden und wachsen konnte, umsomehr, als man gerade heute den Kräften von Blut und Boden so entscheidende Bedeutung beimisst“.774 In deutlichem Kontrast zu Schrenk, der Berlin gerade für keinen guten musikalischen „Boden“ hält, stellt Wolfram die „Gründe der künstlerischen Existenz“ der Philharmoniker in Wiens „Disposition zur Musikalität“775 heraus, die sich aus der „Dreiheit Seele, Sinn für Persönliches und Menschlichkeit“ ergebe.776 Die Wiener Philharmoniker
773 774 775 776
Schrenk, Berlin, S. 287. Wolfram, Wien [1942], S. 28. Ebd., S. 30. Ebd., S. 28.
„Technik“ versus „seelisches Substrat“
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hätten in der Folge unter dem Dirigenten Hans Richter777 „ihre große künstlerische Autorität“ befestigt; Richter habe „für alle Zeit den festlich getragenen Stil“ der Phil harmoniker bestimmt, der „nicht vom Detail ausgeht, sondern immer das organisch gewachsene Ganze vor Augen hat [...]“.778 Demgegenüber beansprucht Schrenk für die Berliner Philharmoniker die Legitimation der „Weltberühmtheit“ im Technischen: „Die Reichshauptstadt, die Stadt der Millionen, ist zum gewaltigen Mittelpunkt der gesamten deutschen Musik geworden. Unbegrenzt ist die technische Leistungsfähigkeit des Orchesters, außerordentlich verfeinert die klangliche Qualität.“779 Bei Wolfram hingegen ist ,Technisches‘ in Bezug auf die Wiener Philharmoniker eher negativ konnotiert: „Die Pflege des Tonwertes, gleichsam als des seelischen Substrates der Musik, stellen sie [die Wiener Philharmoniker, F. T.] höher als die Fertigkeit technischer Mittel.“780 Dies geht einher mit einem sakral aufgeladenen Vergangenheitsbezug. Die Wiener Philharmoniker seien „nicht Kämpfer, Eroberer, Wegbereiter in musikalischem Neuland, sondern Priester und Hierophant, Bewahrer letzter Weistümer allen großen Musizierens“, so Wolfram. Daraus leitet er ab: „Alles Priesterliche aber ist bemüht um überzeitliche Werte, um das, was über allem Meinungsstreit erhaben, endgültig und ewig ist. Darin liegt ausschließlich die Sendung unserer Philharmoniker und die Garantie ihrer eigenen Dauer. Wer sie daher je veranlassen wollte, sich modischen und zeitbedingten Erscheinungen ohneweiters zugänglich zu zeigen, er hat nichts vom Wesen und Werden Wiens und der Philharmoniker begriffen. Sie brauchen Distanz zu den Dingen. Was aber in ihr Reich vollendetster Kunstübung eingeht, es ist beglaubigt und erhört für immer. So werden sie zu den vielbegehrten Tempelhütern großer Musik, vor denen sich wahrhaft Könige neigen, Könige im Reiche der Töne.“781
Schrenk ortet die Bedeutung der Berliner Philharmoniker hingegen weniger in der Vergangenheitspflege als vielmehr in der jeweils zeitgenössischen Musik: 777 Hans Richter (1843–1916) war von 1875–1882 und von 1883–1898 Leiter der philharmonischen Konzerte der Wiener Philharmoniker. Richter war ein bedeutender Wagner-Interpret; nach dem Weggang aus Wien 1900 intensivierte er erfolgreich seine Tätigkeit in England. Vgl. etwa Hellsberg, Demokratie, S. 206 ff. Hellsberg merkt zu Richter an, es gebe in der Geschichte der Wiener Philharmoniker keinen Dirigenten, der das Orchester so nachhaltig geprägt habe wie dieser (S. 208). 778 Wolfram, Wien [1942], S. 41. 779 Schrenk, Berlin, S. 205. Schrenk bezeichnet damit die Zeit „unter Nikischs Stabführung“, also zwischen 1895 und 1922. 780 Wolfram, Wien [1942], S. 44 f. 781 Ebd., S. 41.
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6. Vielfältige Medienpräsenz der beiden Orchester
„Geht auch Bülow782 in seiner Programmgestaltung [der Konzerte der Berliner Philharmoniker, F. T.] von dem Fundament Beethoven aus, so ist er doch in seiner Werkauswahl sehr großzügig. Viele zeitgenössischen Werke erklingen, längst nicht alle haben diese Zeit überdauert. Daß Berlioz und Liszt ebenfalls in starkem Maße zu Worte kommen, ist selbstverständlich.“783
In diesem Zusammenhang spricht Schrenk den Berliner Philharmonikern auch eine „neue Orchesterkultur“ zu: „Berlin hat der Persönlichkeit dieser einmaligen Erscheinung [Hans von Bülow, F. T.] in seinem Musikleben Entscheidendes zu danken. Durch die Jahrzehnte hindurch war er der leidenschaftliche Bannerträger neuer Musik, der Vorkämpfer Liszts, Wagners und Brahms’. Darüber hinaus der unermüdliche Lehrmeister und Erzieher einer neuen Orchesterkultur, der wahre Schöpfer des Berliner Philharmonischen Orchesters.“784
Auch für die Periode zwischen dem Ersten Weltkrieg und der Machtübergabe an die Nationalsozialisten macht Schrenk den hohen Stellenwert des ,Neuen‘ im Berliner Musikbetrieb geltend und verweist sogar auf dessen positive Anerkennung durch die USA: „Die Verbreitung der Musik ist ins Unheimliche gewachsen. [...] Es ist aber trotz mancherlei Niedergang ein Zeichen der geistigen Kraft dieser Stadt, daß inmitten dieses atemberaubenden Tempos die Werte nicht verloren gehen, die seit alters her hier ihre Geltung haben. Berlin hat seinen Ruf als führende Stadt der Musik in der Welt. [...] Es ist fesselnd zu sehen, wie die überkommene alte Musikkultur mit dem Neuen, Vorwärtsdrängenden eine Verbindung sucht, wie die alten Institutionen den neuen Verhältnissen Rechnung tragen. Wir haben im Verlaufe dieser Betrachtungen den Weg des Berliner Musiklebens verfolgt. Auch in den Jahren nach dem Weltkrieg ringt Berlin um seine Vormachtstellung in der Musik. [...] In Amerika gilt das Berliner Zeugnis als maßgeblich.“785
782 783 784 785
Hans von Bülow (1830–1894), erster Chefdirigent des Orchesters, von 1887 bis 1893. Schrenk, Berlin, S. 200 f. Ebd., S. 201. Ebd., S. 240 f. Auch wenn die USA 1940 noch nicht in den Krieg gegen Deutschland eingetreten waren, gehörten antiamerikanische Stereotype im Nationalsozialismus, zumal in Bezug auf Musik und ,Kultur‘, spätestens ab 1939 zur üblichen Tonlage. Zur ambivalenten, doch im Verlauf der nationalsozialistischen Herrschaft von zunehmender Ablehnung begriffenen Haltung Deutschlands gegenüber den USA vgl. etwa Gassert, Philipp. Nationalsozialismus, Amerikanismus, Technologie. Zur Kritik der amerikanischen Moderne im Dritten Reich. In: Wala, Michael/Lehmkuhl, Ursula (Hrsg.). Technologie und Kultur. Europas Blick auf Amerika vom 18. bis zum 20. Jahrhundert. Köln 2000. S. 147–172.
„Technik“ versus „seelisches Substrat“
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Unter dem Stichwort „Berliner Musikleben seit 1933“ macht Schrenk schließlich geltend, dass dieses den Berliner Philharmonikern namentlich unter Schuricht „eine ganz besondere Pflege zeitgenössischer Orchesterwerke zu danken“ habe.786 Und ausklingen lässt Schrenk sein Buch folgendermaßen: „Der Wunsch bliebe noch offen, daß die Hauptstadt des Reiches in stärkerem Maße ihr Ohr der Musik unserer Tage leihen möge; so manche junge Begabung wartet darauf, von ihrer Zeit gehört und verstanden zu werden.“787
Schrenks und Wolframs Orchesterdarstellungen unterscheiden sich auch in den Beschreibungen der Reisetätigkeit der beiden Orchester. Wolfram misst ihr für die Wiener Philharmoniker zwar durchaus Bedeutung bei, beschränkt sich zur Hauptsache aber auf die Feststellung, der „Wirkungsradius des Orchesters“ werde immer größer;788 dem lässt er eine kurze Aufzählung von wichtigen Reisen folgen. Hingegen verweist er in diesem Zusammenhang auf die „Verwurzelung“ des Orchesters im „Boden“ Wiens – und sanktioniert damit gleichsam die Provinzialität der Wiener Philharmoniker: „Diese Künstler sind nicht von überall her zusammenengagiert, sondern allesamt verwurzelt in der heimischen Art. Die es nicht gleich sind, sie werden es. So erliegt denn selten ein Philharmoniker irgendwelchen Lockungen von auswärts. Jeder fühlt zutiefst, daß er nur hier sein Bestes zu geben vermag, daß ihm diese Stadt mit ihrem musikalischen Aufnahmebedürfnis, mit ihrem untrüglichen Musikempfinden wie keine andere Prüfstein seines Könnens wird. Es ist nun einmal eine eigene Sache, vorm Wiener Publikum zu spielen, bei der Art, wie dieses unmittelbar und impulsiv reagiert.“789
Eine konkrete außenpolitische Funktion der Konzertreisen spricht Wolfram nicht an, stattdessen postuliert er einen „Glauben an Wien“ und verknüpft diesen mit einer philharmonischen „Mission“: Der Stadt komme eine „deutsche und Weltmission“ zu, deren kostbarstes Unterpfand „unsere Philharmoniker“ seien. Die Erfüllung dieser „Mission“ allerdings verlegt er in die Zukunft, „wenn [es] hinter den Verwüstungen des Krieges gilt, über alles Trennende hinweg wieder Brücken zu bauen, über die sich ein neues Europa zusammenfinden mag“.790 Schrenks Ausführungen zu den Konzertreisen der Berliner Philharmoniker stellen hin-
786 787 788 789 790
Schrenk, Berlin, S. 279. Ebd., S. 288. Wolfram, Wien [1942], S. 41. Ebd., S. 43. Ebd., S. 46 f.
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6. Vielfältige Medienpräsenz der beiden Orchester
gegen pragmatisch deren außenpolitische Funktion ins Zentrum: „Die Weltberühmtheit des Orchesters führt dazu, in den anderen deutschen Großstädten, vor allem aber auch im Ausland, für den Hochstand deutscher Orchesterkultur Zeugnis abzulegen“, so der Autor in der Retrospektive auf die früheren philharmonischen Reisekonzerte. Unter Anführung eines Konzerts in Paris von 1897 verweist er explizit auf die außenpolitische Relevanz der Konzertreisen: „Von Brüssel führt 1897 erstmals nach dem Kriege 1870/71 der Weg nach Paris. Ein Wagnis, denn die Franzosen haben ihre Niederlage nicht vergessen. Der Pariser Polizeipräsident macht Einwendungen und ist in Sorge, ob die Pariser die geplanten fünf Konzerte nicht stören würden. [...] Am Tage der Massenbeisetzung der Opfer [eines] Brandes [in Paris, F. T.], am 19. Mai 1897 findet das erste Konzert im Saal des Cirque d’hiver statt. [...] Zu Beginn des Trauermarsches [aus Beethovens „Eroica“, F. T.] erheben sich auf Wink Nikischs die Philharmoniker und spielen den Satz stehend. Das menschliche Feingefühl des Dirigenten wirkt Wunder. Ergriffen und hingerissen zugleich lauscht Paris deutscher Musik, von deutschen Musikern gespielt. Ein einzelner schriller Pfiff zu Beginn des ersten Konzertes beleuchtet schlagartig die Situation. Deutscher Kunst ist es gelungen, chauvinistische Rachegefühle vergessen zu machen.“791
Schrenk belässt es aber nicht bei der Darstellung vergangener Reisekonzerte; erst durch Wilhelm Furtwängler an der Spitze der Berliner Philharmoniker sieht er ihre internationale Bedeutung wirklich erfüllt: „An der Spitze der Berliner Philharmoniker erfüllt Furtwängler nun den Ruf seines Künstlertums in einem Ausmaße, das einmalig bleiben muß. Mit seinen getreuen Philharmonikern erobert er die Welt und erschließt Land für Land der deutschen Kultur.“792
Und für die Zeit des Nationalsozialismus attestiert Schrenk dem Orchester: „In Hunderten von Konzerten in Berlin, im Reich und im Ausland hat das [Berliner] Phil harmonische Orchester der deutschen Sache unermessliche Dienste geleistet.“793 Die Repräsentations- und Wirkungszusammenhänge in Schrenks und Wolframs Texten, so lässt sich zusammenfassend festhalten, sind jeweils andere: Schrenk interpretiert die Berliner Philharmoniker primär als das Orchester der „Reichshauptstadt“ und des Reiches. Eine regional-provinziale Rezeption des Orchesters interessiert dabei offensichtlich nicht: Berlin ist 791 Schrenk, Berlin, S. 206. 792 Ebd., S. 247. 793 Ebd., S. 278.
Schriften und Reden zu den Orchesterjubiläen
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nur als „Reichshauptstadt“, nicht aber als ,Musikstadt‘ als solche relevant. Wolframs WienerPhilharmoniker-Erzählung hingegen schreibt sich in die ,Musikstadt Wien‘-Konstruktion ein. Sämtliche Bedeutungsebenen der Wiener Philharmoniker schneiden sich bei Wolfram mit dem ,Musikstadt‘-Topos, eine nicht mit Wien kontextualisierte Rezeption des Orchesters existiert ebenso wenig wie eine direkt auf das Reich bezogene.
6.2 Schriften und Reden zu den Orchesterjubiläen Wilhelm Furtwänglers Orchesterreden Die äußerst unterschiedlichen Rezeptionsmuster, die in den Texten von Schrenk und Wolfram für die beiden Orchester nachgewiesen wurden, sind in jeweils ähnlicher Form auch bei Wilhelm Furtwängler zu finden; Furtwängler unterhielt als Dirigent sowohl der Berliner als auch der Wiener Philharmoniker mit beiden Orchestern enge Beziehungen. Anlässlich von Orchesterjubiläen – 1932 zum 50-jährigen Bestehen des Berliner Philharmonischen Orchesters, 1942 zur „Hundertjahrfeier“ der Wiener Philharmoniker – entwarf er in seinen Reden ausführliche Porträts der beiden Orchester. Im Februar 1932, also noch vor der Machtübergabe an die Nationalsozialisten, hielt er bei der „Deutschen Gesellschaft 1914“, der einflussreiche Industrielle, Verleger, Journalisten und Parlamentarier nicht nur aus dem bürgerlichen, sondern bisweilen auch aus dem sozialdemokratischen Lager angehörten,794 einen Vortrag.795 Wie sehr die bei Schrenk herausgestellten Motive der Rezeption der Berliner Philharmoniker im Nationalsozialismus ihren Vorlauf in der späten Weimarer Republik haben, ist an diesem Vortrag deutlich ablesbar – auf seine Bedeutung im Kontext der Politisierung des Orchesters in den frühen 1930er-Jahren wurde oben bereits kurz hingewiesen.796 Aufgrund ihrer rezeptionsgeschichtlichen Relevanz soll sie jedoch auch in die hier diskutierte NS-Rezeption der beiden Orchester eingebaut werden. Furtwängler beleuchtete in seinem Vortrag die Berliner Philharmoniker in ihrer Bedeutung für die deutsche Musik und hob zugleich die Modernität und Jugendlichkeit des Orchesters hervor. 794 Zur „Deutschen Gesellschaft 1914“ vgl. etwa Sösemann, Bernd. Politische Kommunikation im „Reichsbelagerungszustand“ – Programm, Struktur und Wirkungen des Klubs „Deutsche Gesellschaft 1914“. In: Bobrowsky, Manfred/Langenbucher, Wolfgang R. (Hrsg.). Wege zur Kommunikationsgeschichte. München 1987. S. 630–649. 795 Furtwängler, Wilhelm. Das Philharmonische Orchester. Unveröffentlichtes Manuskript, ABPhO, G 19324. Vgl. außerdem – mit einigen Auslassungen: ders. Das Philharmonische Orchester. In: 50 Jahre Berliner Philharmonisches Orchester. O. O., o. J. [1932]. S. 15–18. 796 Vgl. S. 94 f.
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„Da nun außerdem gerade im letzten Jahrzehnt infolge nötig gewordener Ablösung durch Alter ein größerer Wechsel innerhalb der Reihen des Orchesters stattfand [...], so entstand mit der Zeit, wenn auch immer im engsten Anschluß an die eigene Tradition, allmählich ein neues Orchester, eine Schar junger, wagemutiger, freudiger, ihrer Aufgabe in solchem Maße hingegebener Künstler, wie es – der Musik gegenüber jedenfalls – überhaupt nur in Deutschland möglich sein dürfte. Für mich persönlich wurde damit ein Wunsch immer mehr der Verwirklichung nahegebracht, den ich seit Jahren gehegt und verfolgt habe: ein Instrument zu besitzen, das meiner eigenen Anschauung von der Größe deutscher Musik wirklich Ausdruck zu geben vermöchte.“797
Daraus leitete Furtwängler ab, das Orchester habe eine geradezu zentrale Funktion in der deutschen Außenpolitik inne. Unter Anführung eines pointierten Exempels verwies er auf die politische Bedeutung der Berliner Philharmoniker, die ihnen aufgrund ihrer Aufführungen von deutscher Musik im Ausland zukäme: „[...] dürfen wir uns nicht der Einsicht verschließen, daß im Verhältnis zum Auslande die Musik sozusagen der einzige, rein-deutsche ,Ausfuhrartikel‘ ist; zugleich eines der ganz wenigen Dinge, die wirklich zur Erhöhung unseres Prestiges in der Welt beitragen. Es ist schließlich doch symptomatisch, wenn in den Tagen größter politischer Spannungen, da sich in Paris das erbitterte Ringen deutscher und französischer Staatsmänner und Sachverständiger um die Tribute vollzog – wenn in diesen selben Tagen dasselbe Paris dem deutschen Berliner Philharmonischen Orchester, das rein deutsche Programme spielte, vorbehaltlos zustimmte, ihm und der deutschen Musik einen bedingungslosen Erfolg bereitete.“798
Der Erhalt des Orchesters – 1932 ging es um die Frage, in welchem Umfang das Orchester von städtischer und staatlicher Seite unterstützt werden sollte799 – sei eine kulturelle Pflicht und ein Gebot nationaler Klugheit; die Qualität dieses Orchesters stehe im Dienste der deutschen Musik, und diese Musik, wenn sie richtig dargestellt werde, spreche die Seele des deutschen Menschen besser aus als irgend etwas anderes, so Furtwängler.800 Die Auslegung der Wirkungs- und Repräsentationsfunktionen des Berliner Philharmonischen Orchesters in ihrer gesamtdeutschen staatspolitischen Relevanz war damit auch in Furtwänglers Lesart noch vor der Machtübergabe an die Nationalsozialisten zentraler Bestandteil der Orchesterrezeption. Zwar verweist Furtwängler in seiner Rede nebenher auch 797 798 799 800
Furtwängler, Orchester [1932], S. 15. Ebd., S. 17. Vgl. Kap. 3.3 und 3.4. Furtwängler, Orchester [1932], S. 18.
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auf die bedeutende Stellung des Orchesters im Berliner Musikbetrieb: Die Berliner Philharmoniker hätten seit den Achtzigerjahren des 19. Jahrhunderts – also seit ihrer Gründung – die wesentliche Last des hauptstädtischen Konzertlebens auf ihren Schultern getragen; ihre Geschichte, so Furtwängler, sei während dieser Zeit der größten äußeren Blüte des deutschen Konzertlebens weitgehend identisch mit der Geschichte der ,Musikstadt Berlin‘ überhaupt.801 Wie Schrenk argumentiert auch Furtwängler dabei weniger essentialistisch, sondern legt das Augenmerk auf eine ,funktionale‘ Beziehung zwischen dem Orchester, der Stadt und der Entwicklung der deutschen Musik: „Die bedeutendsten musikalischen Ereignisse dieser Zeit, die bedeutendsten Uraufführungen, die Namen der hervorragendsten Dirigenten, sind mit diesem Orchester verknüpft.“802 Die zentrale Funktion des Berliner Philharmonischen Orchesters lag aber auch für Furtwängler nicht in der Aufwertung und Repräsentation der Stadt Berlin, sondern der deutschen Musik und Deutschlands insgesamt. So erklärte er in seinen Ausführungen, es gelte, den Blick auch darauf zu legen, „weshalb und wozu ich und wir alle, die wir uns heute darstellende Künstler nennen, da sind: Dies ist die große deutsche Musik“.803 Denn diese nehme „nicht nur einen größeren Raum in Deutschland ein als in irgend einem anderen Lande der Welt, sondern sie hat auch eine andere Bedeutung für uns Deutsche als für andere Nationen“. Die „grosse deutsche Musik“, sei die „[...] originalste und ihnen [den Deutschen, F. T.] eigenste, die Kunst, die die Seele der Nation am vollständigsten, stärksten und allgemein-gültigsten ausgesprochen hat. Die deutsche Musik ist, wie etwa die griechische Plastik, die holländische und italienische Malerei etwas, dem die ganze Welt bedingungslos huldigt. Die sinfonische Musik im engeren Sinne vollends ist geradezu eine rein deutsche Schöpfung.“804
Solche Kontextualisierungen der Berliner Philharmoniker trugen maßgeblich zu deren Nationalisierung bei, noch bevor das Orchester Goebbels’ Ministerium eingegliedert wurde; von Furtwänglers Rezeption der Berliner Philharmoniker zu Beginn der 1930er-Jahre ist es nur noch ein kleiner Schritt bis zu Schrenks Orchester-Darstellung von 1940. Völlig anders beschrieb Furtwängler die Wiener Philharmoniker. In seiner Rede zu ihrer „Hundertjahrfeier“ von 1942805 fasste er die Wiener Philharmoniker und Wien zu einer Ein801 802 803 804 805
Ebd., S. 1. Ebd. Ebd., S. 6. Ebd., S. 6 f. Wilhelm Furtwängler. Die Wiener Philharmoniker. Rede anlässlich ihrer Hundertjahrfeier 1942. In: Furtwängler, Wilhelm. Ton und Wort. Aufsätze und Vorträge 1918 bis 1954. Wiesbaden 1982. S. 175–183.
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heit zusammen und verzichtete praktisch vollständig auf die Herstellung von mit dem Reich konnotierten Bedeutungsebenen – und dies zu einem Zeitpunkt, als sich der kulturpolitische Konflikt zwischen Wien und Berlin bereits voll ausgeprägt hatte, was Furtwängler nicht verborgen geblieben war.806 Er stellte die Frage in den Raum, was denn die Wiener Philharmoniker von anderen Orchestern unterscheide, und kam zum Schluss, es seien weder „die Instrumente“ noch „die Schule“ noch „das Können“807 – also wie bei Wolfram nichts ‚Technisches‘ –, sondern: „Den Grund zu ihrer Ausnahmestellung sehe ich darin, daß die Philharmoniker – so paradox das auf den ersten Moment klingen mag – ausschließlich ein Wiener Orchester sind. Ihre einzelnen Mitglieder, wie Sie sie da sehen, sind mit verschwindend geringen Ausnahmen alle wirkliche Wiener. Meist sind sie auch in Wien geboren, jedenfalls sind sie hier aufgezogen und seit ihrer Jugend hier tätig. [...] Dieser ganze vielköpfige Apparat, diese Schar von Virtuosen hohen Ranges sind alles Söhne einer einzigen Landschaft, einer einzigen Stadt. Dies gibt es in der Welt nicht noch ein zweites Mal.“808
Wie Wolfram die Grundlage des erfolgreichen Wirkens der Wiener Philharmoniker in Wiens „Disposition zur Musikalität“809 zu erkennen glaubte, formuliert auch Furtwängler praktisch sinngleich: „Denn in der Bevölkerung keiner anderen Stadt der Erde findet die Musik so vielgestaltige Möglichkeiten, keine hat sich, volksmäßig gesprochen, als so musikproduktiv erwiesen wie Wien. [...] Wien aber zieht seine Kräfte allein aus diesem Boden, der noch dazu in bezug auf Musik höchst einheitlich gleichgerichtet, von bestimmter Prägung und Eigenart ist. [...] So ist es also gerade die Einheitlichkeit der völkischen Zusammensetzung, die die Wiener Philharmoniker zum Prototyp eines Volksorchesters im wahrsten Sinn macht, zum Repräsentanten einer ganzen deutschen Landschaft. Und eben diese Einheitlichkeit bedingt und bildet auch die arteigenen Züge der musikalischen Physiognomie dieses Orchesters. Hier liegt der Grund für jene eigentümliche Fülle, Rundung und Homogenität des Klanges, die tatsächlich kein anderes Orchester, weder in Europa, noch in Amerika aufzuweisen hat.“810 806 Dies geht etwa aus einem Tagebucheintrag von Goebbels hervor: „Ich spreche mit ihm (Furtwängler) auch über die Kulturpolitik in Wien. Er billigt da vollkommen meine Ansicht und meinen Standpunkt.“ Goebbels, Tagebücher II, Bd. 3, S. 469 (Eintrag vom 14. 3. 1942). 807 Furtwängler, Philharmoniker, S. 178. 808 Ebd. 809 Wolfram, Wien [1942], S. 30. 810 Furtwängler, Philharmoniker, S. 178 ff.
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Die „Ausnahmestellung“ der Wiener Philharmoniker, als inhaltlichem Kern der Rede, begründet sich für Furtwängler also nur sekundär in ihrer musikpraktischen Kompetenz, in erster Linie jedoch ,völkisch‘.811 Dabei erkennt er in der Formulierung, die Wiener Philharmoniker seien Repräsentanten „einer ganzen deutschen Landschaft“, das Orchester nicht eigentlich als Repräsentanten Deutschlands an, sondern vielmehr als den eines spezifischen Teils des Landes, nämlich Wiens. Andere Stellen in der Rede unterstreichen diese Zuschreibung, der Furtwängler bisweilen Beschreibungen von Berlin und den Berliner Philharmonikern entgegenstellt und damit differente Funktionen der beiden ,Musikstädte‘ geltend macht: „Dabei ist Wien – anders wie Berlin – als Musikstadt niemals das gewesen, was man eine Weltstadt nennt, ein Musikmarkt, eine internationale Musikbörse. So vielgestaltig sein Musikleben war, Wien ist immer ein engumgrenztes, eigenartiges Musikerzentrum geblieben, das von eben diesen seinen Musikern gebildet wurde, wie es diese wiederum bildete. Das ist auch heute nicht anders.“812
Die „bodenverwurzelte Musik“ Wiens hätte sich der Herausbildung eines „nationalen“ Klangstils entgegengestellt, im Unterschied zu anderen europäischen Städten: „In Paris musiziert man durchaus französisch, in Mailand italienisch, in Berlin deutsch, zum Teil norddeutsch – aber die Orchester solcher Städte setzen sich zusammen aus Angehörigen der ganzen großen Länder, deren Repräsentanten, deren musikalische Mittelpunkte diese Städte sind, und damit immerhin aus Menschen der verschiedensten Provinzen und Gaue.“813
„Deutsches Musizieren“ behält er damit den Berliner Philharmonikern vor, während jenes der Wiener Philharmoniker aufgrund ihrer „völkischen“ Einheitlichkeit wienerisch bleiben müsse. Die Nähe zu Wolframs essentialistischer ,Organismus‘-Konzeption ist unübersehbar.814 Auch Furtwänglers Rezeption der Wiener Philharmoniker liegt eine Kontextualisierung des Orchesters mit der ,Musikstadt Wien‘ zugrunde.
811 812 813 814
Eine detaillierte Analyse der Furtwängler-Rede bei Trümpi, „Philharmoniker“, S. 49 ff. Furtwängler, Philharmoniker, S. 179. Ebd. Ein Unterschied zwischen Wolfram und Furtwängler zeigt sich jedoch in der Terminologie: Furtwängler verwendet des Öfteren die Bezeichnung „völkisch“ (etwa wenn er von der „Einheitlichkeit der völkischen Zusammensetzung“ der Wiener Philharmoniker spricht), auf die Wolfram vollständig verzichtet; Furtwänglers Rhetorik rückt dadurch in die Nähe des NS-Jargons, auch wenn er es vermied, den Nationalsozialismus je direkt anzusprechen. Die Bezeichnung „völkisch“ war im nationalsozialistischen Sprachgebrauch zunächst zwar umstritten, aber sie setzte sich „im Sinne eines auf dem Rassegedanken gegründeten Volksbewußtseins“ weitgehend durch. Philosophisches Wörterbuch, Kröners Taschenausgabe, 10. Aufl., 1943, S. 605. Zit. in: Schmitz-Berning, Vokabular, S. 647.
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60 Jahre Berliner Philharmoniker: Die Jubiläumsschrift von 1942 Anlässlich des Jubliäums zum 60-jährigen Bestehen des Berliner Philharmonischen Orchesters publizierte Friedrich Herzfeld, der mit diesem unter anderem als Verfasser der Programmheft-Texte in Verbindung stand, im Auftrage der Philharmoniker 1942 eine Festschrift, die kürzere Beiträge von verschiedenen Autoren versammelte.815 Fred Hamel beschäftigte sich darin mit der Gründungsgeschichte des Orchesters816 und fasste die Berliner Philharmoniker, die Philharmonie und die Philharmonischen Konzerte zu einer „Dreiheit“ zusammen, welche „den repräsentativen Mittelpunkt“ des Berliner Konzertlebens darstelle.817 Der „Berliner Musikschlendrian“ sei durch das Orchester und „Bülows Feuergeist“ vollends überwunden worden: „Kurz – der Bahnbrecher des modernen Dirigententyps prägt hier auch den modernen Orchestertyp, dessen er bedarf.“ Ähnlich wie bei Schrenk werden die Berliner Philharmoniker auch hier mit einer Modernität assoziiert, die als prägend für die Modernisierung des städtischen Konzertlebens, ebenfalls unterstrichen durch eine positive Bezugnahme auf die USA, herausgestellt wird: „Diesem Charakter nach ist das Orchester ein völlig neues Phänomen. Es wird zum Vorbild aller folgenden Neubildungen diesseits und jenseits der Ozeane, und auch die weit traditionsreicheren Institute modeln sich nach seinem Muster um. Ihm gilt der Stolz Deutschlands, die Bewunderung der Welt – und ihm verdankt es die Reichshauptstadt, wenn sie so ganz ohne ihr offizielles Zutun, nun auch zu einer Metropole im Reich der Musik geworden ist.“818
Ein weiterer Artikel beschäftigt sich mit dem Stellenwert der Berliner Philharmoniker für die „deutsche Musikkultur“.819 Die Geschichte des Orchesters, so der Autor Heinz Joachim, bilde „ein unerhört spannendes und vielgestaltiges Kapitel Kulturgeschichte – und zwar nicht nur der Reichshauptstadt Berlin, sondern Deutschlands und der europäischen Musik überhaupt“.820 Eine Kontextualisierung mit dem „Boden“, dem „Landschaftlichen“, mit der 815 Herzfeld, Friedrich (Hrsg.). Berliner Philharmonisches Orchester 1882–1942. Berlin-Wilmersdorf [1942]. Herzfeld (1897–1967) war hauptsächlich als Musikkritiker und Musikschriftsteller tätig. Von 1939–1942 Chefredakteur der „Allgemeinen Musikzeitung“ sowie seit 1940 eine Art „Pressechef“ des Berliner Philharmonischen Orchesters. Killy, Walther/Vierhaus, Rudolf (Hrsg.). Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 4. München/New Providence/London/Paris 1996. S. 661. 816 Hamel, Fred. Wie sie wurden. In: Herzfeld, Orchester, S. 3–15. 817 Ebd., S. 15. 818 Ebd. 819 Joachim, Heinz. Hort deutscher Musikkultur. In: Herzfeld, Orchester, S. 17–35. 820 Ebd., S. 17.
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Stadt Berlin, fehlt nicht – und sie verdeutlicht Zuschreibungen, die bereits bei Schrenk und ansatzweise auch bei Furtwängler aufgezeigt wurden: „Stark hat natürlich auch der Charakter der märkischen Landschaft, die klare und wache, geistig bestimmte und dabei doch so vitale Atmosphäre der Stadt Berlin selbst das Wesen dieses Orchesters mitbestimmt [...].“821 Repräsentieren soll das Orchester aber nicht das „musikalische Berlin“, sondern das Reich: „Weiterhin ist es [das Berliner Philharmonische Orchester, F. T.] natürlich neben seinen ständigen Reisen im In- und Ausland immer wieder auch zu besonders repräsentativen Veranstaltungen des Reiches herangezogen worden, so etwa bei den Reichsparteitagen in Nürnberg, bei den Eröffnungsfeierlichkeiten der Großen Deutschen Kunstausstellungen in München und bei den Reichsmusiktagen in Düsseldorf.“822
Die Berliner Philharmoniker seien „Mittler unvergänglicher deutscher Sinfonik, als Hort lebendiger deutscher Musikkultur“, die „durch ihre Reisen im Ausland immer wieder Brücken geschlagen [haben] von Volk zu Volk, von Nation zu Nation“.823 Den Aspekt der außenpolitischen Funktion des Orchesters macht der Text somit ebenso geltend wie er auf die Modernität der Philharmoniker verweist, die er als „Jugendlichkeit“ anspricht: „Wenn Jugendlichkeit eine Wesenseigenschaft sein kann, dann darf man das Berliner Philharmonische Orchester im schönsten und reinsten Sinne des Wortes ein junges Orchester nennen. Wir denken dabei etwa an den Klangcharakter, der seinen Leistungen eigenes Gepräge gibt und es so vernehmlich von seinen ranggleichen Spielkameraden unterscheidet, und wir finden darin viel von der Schlankheit, Frische und Biegsamkeit, zugleich von der energischen Straffheit und Spannkraft, wie sie wohlgeübten, gesunden jungen Menschen eigen ist.“824
Orchestervorstand Wilhelm Jerger über 100 Jahre Wiener Philharmoniker Die Wiener Philharmoniker brachten anlässlich ihres Jubiläums 1942 gleich zwei Festschriften heraus: eine in Form einer kleinformatigen Monografie über die Geschichte des Orchesters, geschrieben vom Orchestervorstand Wilhelm Jerger,825 sowie eine weitere als repräsentativen,
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Ebd., S. 29. Ebd., S. 34. Ebd. Ebd. S. 29. Jerger, Philharmoniker.
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üppig bebilderten Sammelband, der nebst einigen Aufsätzen zur Orchestergeschichte – jener Wolframs wurde oben bereits ausführlich besprochen – auch einen ausführlichen StatistikTeil zu den Programmen der Konzerte enthielt.826 In der Orchestermonografie zeichnete Wilhelm Jerger die Wiener Philharmoniker als durch und durch wienerisches Orchester. Schon im ersten Satz wird diese Disposition deutlich: „Die Wiener Philharmoniker repräsentieren in ihrer künstlerischen Bedeutung neben anderen musikalischen heimischen Institutionen heute am sinnfälligsten die Musikstadt Wien.“827 Jerger fasst, praktisch wortgleich wie in Wolframs Darstellung, Wien und die Philharmoniker als Einheit, als „innige[n] Zusammenklang“, der „emporgewachsen [ist] aus einem begnadeten Boden“. Dabei nimmt er Bezug auf Furtwängler, der unterstrichen habe, dass die Wiener Philharmoniker „[g] egenüber allen ähnlichen Institutionen [...] kulturhistorisch und ethnologisch eine Sonderstellung ein[nehmen]“.828 Und er fügt an: „Es ist ein Herauswachsen aus dem Boden Wiens, aus altem Erbboden, dessen Musikalität ja sprichwörtlich ist!“829 Auch Bezüge des Orchesters zur „deutschen Kunst“ erscheinen bei Jerger ausschließlich über Wien vermittelt: „Für die Weltgeltung dieser Stadt werden die Philharmoniker hervorragendster Bürge sein und bleiben müssen; in ihrer Lebendigkeit und in ihrer Bestimmtheit zugleich Hüter und Wahrer eines großen Erbes echtester deutscher Kunst.“830 Den Aufstieg Wiens zur ,Musikstadt‘ mit ,Weltgeltung‘ sieht Jerger überhaupt in der Gründung der Wiener Philharmoniker und „der 1860 erfolgten Statuierung der Abonnementkonzerte“ angelegt. Er resümiert: „Am Aufstieg Wiens zur Weltmusikstadt haben die Philharmoniker nicht geringen Anteil, und dieses Wien war ihnen immer treu und anhänglich, so wie es heute noch seinen Philharmonikern treu ist.“831 Den Gründungsmythos der Wiener Philharmoniker, wonach sie ihre Entstehung einem Wirtshausgespräch zu verdanken hätten, verknüpft Jerger mit der Verallgemeinerung, es gehöre zu den Wiener Eigentümlichkeiten, dass nicht bloß politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Verbindungen, sondern auch entscheidende Ideen künstlerischer Natur beim Wein oder beim berühmten Wiener Kaffee geboren worden seien.832 Damit schreibt er die Entstehungsgeschichte der Philharmoniker in eine ,Alt-Wien‘-Erzählung ein und bedient damit zugleich ein Postulat der nationalsozialistischen Propaganda: Nach Goebbels sollte Wien „wieder eine Stadt der Kultur, des Optimismus, der Musik und der Geselligkeit“ werden.833 826 827 828 829 830 831 832 833
Wiener Philharmoniker (Hrsg.). Wiener Philharmoniker 1842–1942. Wien-Leipzig 1942. Jerger, Philharmoniker, S. 9. Ebd. Ebd., S. 10. Ebd., S. 12. Ebd., S. 45. JEbd., S. 24. Goebbels, Tagebücher I [1987], Bd. 4, S. 471 (Eintrag vom 19. 1. 1941).
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Ausführlicher als in Wolframs Philharmoniker-Aufsatz kommt bei Jerger die Reisetätigkeit des Orchesters zur Sprache. So betont er „eine überlokale, ja internationale Ausweitung der Tätigkeit des Orchesters“, die er auf die Paris-Reise unter Mahler 1900 – der Komponist ist bei Jerger nicht explizit als ,Jude‘ gekennzeichnet, aber er wird in gängigen antisemitischen Stereotypen beschrieben834 – sowie die Londonreise von 1906 unter Franz Schalk zurückführt; die Leistungen des Orchesters in London seien für Wien von besonderer Bedeutung gewesen, wobei „die Weltgeltung der Philharmoniker“ erst durch Felix von Weingartner „zur vollendeten Tatsache“ geworden sei.835 Jerger meinte damit vor allem die 40 Konzerte umfassende Konzertreise des Orchesters nach Südamerika von 1922 sowie deren Wiederholung im darauffolgenden Jahr unter Richard Strauss. Damit hätten sich die Wiener Philharmoniker den Ruf erworben, „das beste Orchester der Welt zu sein, jener bedeutendste und berühmteste Klangkörper, der nicht seinesgleichen hat“.836 Diese Zeit sei vielleicht die herrlichste, glänzendste der Philharmoniker gewesen, aber auch die Zeit ihrer Entwicklung zu einem Klangkörper und zu einer Vereinigung internationalen Formats, resümiert der Autor.837 Der Reisetätigkeit der Wiener Philharmoniker, zu der Jerger außerdem die „Bewältigung“ der „immer größer und umfänglicher werdenden Salzburger Festspiele“ zählt, weist er jedoch keine außenpolitische Funktion zu, sondern betont vielmehr den Nutzen für das Image Wiens als ,Kulturstadt‘: „Und wo auch heute Wien sein Edelstes, sein Schönstes zu geben hat, wo es mit seiner ihm ureigensten Kunst – der Musik – vor die Welt tritt, dort werden die Wiener Philharmoniker in erster Reihe stehen.“838 Die Reisen hätten die Philharmoniker „wahrhaftig zum Sendboten der tausendjährigen Kultur Wiens“ gemacht, betont er, und instrumentalisiert sowohl die „deutsche“ als auch die „Wiener Kunst“ zugunsten der ,Musikstadt‘: „Alljährlich wiederkehrende Konzerte gaben sie [die Wiener Philharmoniker, F. T.] in den großen Städten des nahen Auslandes, in Prag, Budapest, Agram, überall den Ruhm der deutschen, der Wiener Kunst hinaustragend und werbend für das eine: für Wien, die ewige Stadt der Musik“839 – nicht für Deutschland. Auch für die Zeit nach 1938 bildet Wien bei Jerger die entscheidende Referenz für die Wiener Philharmoniker. Dabei stellte er fest: „Zwar 834 Jerger kontrastiert Mahler durch dessen Vorgänger Hans Richter: „In der Tat, ein größerer Gegensatz war ja wirklich nicht möglich. Dort der patriarchalische Hans Richter in seiner Behäbigkeit und Güte und seiner überaus herzlichen und kollegialen Verbundenheit mit dem Orchester, und hier der ganz auf neue Sachlichkeit gestellte Gustav Mahler – nervös, hastig, zerfahren, intellektualistisch –, dem Musik eine reine Angelegenheit seines überzüchteten Verstandes war.“ Jerger, Philharmoniker, S. 57. 835 Jerger, Philharmoniker, S. 58 f. 836 Ebd., S. 61. 837 Ebd., S. 62. 838 Ebd. 839 Ebd., S. 64.
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waren sie [die Wiener Philharmoniker, F. T.] nicht mehr das Orchester der Hauptstadt eines Staates, aber sie waren und blieben das Orchester einer musikalischen Metropole.“840 Nur an einer Stelle verzichtet Jerger darauf, Wien als Vermittelndes zwischen den Wiener Philharmonikern und ,deutscher‘ Musik anzuführen: bei der Beschreibung der beiden Konzerte, die das Orchester unmittelbar nach der deutschen Besetzung Polens in Krakau im Dezember 1939 aufführte. Die Wiener Philharmoniker, so betont Jerger, hätten dort das „deutsche Kulturleben“ eröffnet, „wo sie als Überbringer alter, deutscher Kultur empfangen wurden“.841 Dieser unvermittelte Bezug zwischen dem Orchester und ,deutscher‘ Kultur bildet bei Jerger die große Ausnahme.842 Ansonsten sind die ,Musikstadt‘-Bezüge jedoch omnipräsent. Im letzten Kapitel seines Büchleins, überschrieben mit „Erbe und Sendung“, bezieht sich auch Jerger, ähnlich wie Wolfram, auf eine essentialistische ,Organismus‘-Darstellung, indem er etwa die Klanglichkeit der Wiener Philharmoniker auf ihre Verankerung im „Wiener Boden“ zurückführt. So formuliert er mit Blick auf die „Wiener Geigerschule“: „Die Weichheit des Tones, die Sinnlichkeit in der Klanggebung, die Natürlichkeit in der Phrasierung sind das Ergebnis eines Bodens, auf dem sich hier, an der äußersten Grenze des Reiches, viele Rassen mischen. Dazu kommt das Musikantische, das seit urdenklichen Zeiten in dieser Stadt lebt.“843
Und mit Bezug auf die (auch real existierenden) Philharmoniker-Familien844 strapazierte er Versatzstücke einer Vererbungslehre: „Und da zeigt es sich, dass trotz mannigfacher anderwärtiger Bluteinflüsse sich dieser Geist mit großer Zähigkeit durch die Geschlechterreihen forterbt, oftmals sehr scharf ausgeprägt. Es ist begreiflich, daß eine solche Art von Vererbung hervorragende Musiker erzeugen muß [...]. Das ist Geist vom alten Geist, da hilft Tradition, Vererbung, überkommene Anlage zu einer besonderen Entwicklung und Erfüllung.“845
840 Ebd., S. 74. 841 Ebd., S. 76. 842 Inwiefern er dabei einem Propagandakonzept folgte, das bei der Besetzung Polens durch Deutschland Anwendung fand, und offensichtlich keine Partikularinteressen tolerierte wird in der Analyse dieser Konzerte in Kapitel 7.6 genauer erörtert. 843 Jerger, Philharmoniker, S. 81. 844 So findet sich etwa ein „Stammbaum der Familie Hellmesberger“ im Anhang des Büchleins. 845 Jerger, Philharmoniker, S. 87.
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Unter Anführung einer langen Liste von berühmten Dirigenten und SolistInnen, mit denen das Orchester im Laufe seiner Geschichte musizierte und anderweitige Kontakte pflegte, liefert Jerger schließlich auch die schon bei Wolfram geltend gemachten Vergangenheitsbezüge in der Rezeption der Wiener Philharmoniker. Programmatische Modernisierungen schließt er für das Orchester dezidiert aus: „Welch ein Reigen erlesener Künstler schließt sich da zusammen! Welch eine Vergangenheit steigt empor! Sich dieser Vergangenheit bewußt zu sein, bedeutet zugleich: Wissen um die Aufgabe im Gegenwärtigen. Die Philharmoniker sind daher keine Experimentierstätte, kein Orchester für Versuche, sie sind vielmehr Träger eines hohen Erbes, das es fortzuführen gilt.“846
Und um die Verortung des Orchesters in der Vergangenheit zu unterstreichen, doppelt Jerger nach: „Sie [die Wiener Philharmoniker, F. T.] sind heute Träger und Verwalter unseres hohen nationalen Musikgutes der Klassiker und Romantiker von Haydn an, dessen Wiedergabe in beispielhaften Aufführungen ihr oberstes Prinzip ist und für alle Zeit bleiben wird.“847
Abweichungen von der üblichen Wiener-Philharmoniker-Rezeption bei Baldur von Schirach Baldur von Schirachs Philharmoniker-Rede, gehalten anlässlich der Jubiläumsfeierlichkeiten des Orchesters im März 1942,848 verblüfft vor dem Hintergrund der Philharmonikerrezeption bei Wolfram und Jerger: ,Musikstadt-‘ und Vergangenheitsbezüge fehlen darin gleichermaßen. Stattdessen ließ sich Schirach weitläufig über die musikalische Praxis des ,deutschen Volkes‘, über das Verhältnis zwischen ,leichter‘ und ,hoher‘ Musik oder über die Chancen und Risiken der technischen Reproduzierbarkeit von Musik aus. Die Philharmoniker selbst brachte er erst ganz am Schluss zur Sprache und hielt sich nur äußerst kurz bei ihnen auf, indem er einige lobende Worte an das Orchester richtete.849 Im 846 Ebd. S. 93. 847 Ebd. 848 Rede des Reichsleiters von Schirach am 28. 3. 1942 anlässlich der Hundertjahrfeier der Wiener Philharmoniker. Unveröffentlichtes Manuskript. ÖStA, 04 AdR Kt. 49 a, Nr. 258. [Nachfolgend: Schirach, Philharmoniker-Rede]. 849 Quantitativ ausgedrückt: Vom insgesamt 279 Zeilen zählenden Manuskript handeln gerade einmal 34 Zeilen von den Wiener Philharmonikern. Vgl. die Analyse bei Trümpi, „Philharmoniker“, S. 40 ff.
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Zentrum dieser knappen Ausführungen zum Orchester standen direkte Reichsbezüge des Orchesters: „Im Grossdeutschen Reich der Musik gibt es keinen Namen von Ewigkeitswert, der nicht mit ihrer Geschichte verbunden wäre. [...] Wo immer Sie spielten, dienten Sie dem Reich. [...] Die schöpferische Wiedergabe der Meisterwerke unserer musikalischen Kunst war 100 Jahre hindurch das Panier, dem Sie als brave Soldaten des deutschen Genius gefolgt sind. [...] Ich danke Ihnen im Namen des Reiches für das, was Sie dem Reiche waren und dem Reiche sind!“850
Eine kleine Reminiszenz an Wien erlaubte er sich zwar immerhin: „Im Namen Wiens aber danke ich Ihnen, dass Sie allezeit Mehrer waren des Ruhmes und der Grösse dieser schönsten Stadt!“851 Auch machte er geltend, es ehre die Stadt, „dass ihre Bürger mit einem Fanatismus sondergleichen an der grossen musikalischen Tradition Wiens“ festhielten und er selbst würde es als frevelhaft empfinden, wenn jemals der Versuch gemacht werden würde, davon abzugehen.852 Ansonsten distanzierte er sich jedoch ausdrücklich von einem Wien-Fokus auf das Orchester: „Ich wollte eigentlich eine Geburtstagsrede auf die Wiener Philharmoniker halten. [...] Aber der Anlass ist derart, dass eine lokale, gleichsam persönliche Ehrung dieser einzigartigen Körperschaft nicht ausreichend erscheint.“853
Eine ebenso bemerkenswerte Abweichung von der kanonisierten Philharmoniker-Rezeption bildet die Überbetonung der Bedeutung des Orchesters für die Reproduktion zeitgenössischer Musik. Schirach vollzog nicht den üblichen Rückgriff auf die große musikalische Vergangenheit des Orchesters, sondern stilisierte dieses zu einem Ensemble, das für das gegenwärtige Musikschaffen von besonderer Wichtigkeit sei: „Und so möchte ich auch an diesem Tage unseren Philharmonikern dafür danken, dass sie mir vorbildlich behilflich waren, zeitgenössische Komponisten zur Geltung zu bringen. Wir haben sie hier aufgeführt, weil alle Musik, also auch die der Gegenwart, in Wien ihre Heimat haben muss. [...] die Menschen dieser Stadt haben ein Anrecht darauf, die Hauptwerke der Gegenwart hier kennen zu lernen, um sich mit ihnen auseinandersetzen zu können. [...] Wir lassen uns [...] nicht
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Schirach, Philharmoniker-Rede, S. 8 f. Ebd., S. 9. Ebd., S. 7 f. Ebd., S. 8.
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nachsagen, dass wir uns der Jugend verschliessen nur weil sie jung ist. Unsere Parole kann nur lauten: Hier in Wien ist alle Kunst zu Hause!“854
Es macht auf den ersten Blick den Eindruck, als habe Schirach in seiner PhilharmonikerRede eine Neubestimmung der wienerischen Kulturpolitik im Sinn gehabt, zumal vor dem Hintergrund seiner früheren kulturpolitischen Reden, in denen auch er die Wien-Rezeption mit ihrem vergangenheitsbezogenen ,Musikstadt‘-Topos bediente und den Philharmonikern dabei stets eine Sonderstellung einräumte. Im November 1940 etwa, nur einige Monate nach seiner Versetzung nach Wien, kam er anlässlich des „Tages der deutschen Hausmusik“ auf das Orchester zu sprechen: „Und wenn man in unseren Theatern und in unseren Konzerthäusern Abend für Abend Musik erklingen hört, in einer Vollendung, wie nicht zum zweitenmal in der Welt, wenn man vom Wunder der Wiener Streicher-Kultur spricht, wenn die Philharmoniker mit Recht als das erste Orchester der Welt bezeichnet werden und das Geheimnis der Geige erstmalig sich in Wien enthüllt, so ist auch dies nicht zuletzt das Resultat einer durch Jahrzehnte gepflegten Hausmusikkultur, die vor allen drohenden rassischen Überfremdungen, allen politischen Niedergängen eines rettete: die aus der Seele geborene ewig klingende deutsche Melodie Wiens.“855
Und in seiner Rede zum „Wiener Kulturprogramm“ ging Schirach gleich an zwei Stellen und unter Rückgriff auf eine vergangenheitsbezogene Deutung auf die Wiener Philharmoniker ein, indem er dessen „nationale Leistung“ im Bewahren des „große[n] ihnen anvertrauten Erbes“ herausstellte856 und betonte, es sei „ein besonderer Stolz dieser Stadt, in ihren Mauern das beste Orchester der Welt zu beherbergen, die Wiener Philharmoniker“.857 Ebenso sprach Schirach in seiner Rede zur Eröffnung der Mozartwoche 1941 vom „unaufhaltsame[n] künstlerische[n] Wiederaufstieg Wiens“, der „in der Mozartwoche seinen Ausdruck“ gefunden habe, um sogleich die Wiener Philharmoniker als „das erste Orchester der Welt“ zu loben und abschließend zu resümieren: „Was wäre die deutsche Musik ohne Wien, was Wien ohne Musik!“858 Demgegenüber ist es signifikant, dass Schirach ausgerechnet in seiner PhilharmonikerRede weitgehend darauf verzichtete, die Wiener Philharmoniker in solchen Wien-Kontexten 854 Schirach, Philharmoniker-Rede, S. 7 f. [Hervorhebungen im Original]. Schirach dürfte sich damit vor allem auf die umstrittene Uraufführung von Wagner-Régenys Oper „Johanna Balk“ bezogen haben, die allerdings keine eigentliche Angelegenheit der Philharmoniker, sondern der Staatsoper war. 855 Wien, Stadt der deutschen Musik. In: Völkischer Beobachter, 19. 11. 1940, S. 5. 856 Schirach, Kulturprogramm, S. 11. 857 Ebd., S. 22. 858 Schirach, Baldur von. Rede zur Eröffnung der Mozartwoche 1941. Weimar 1943. S. 5 f.
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darzustellen. Der Grund dafür dürfte in erster Linie in seinem Bemühen um eine Beruhigung des Verhältnisses zu Berlin gelegen haben. Nur wenige Tage vor Schirachs Rede hielt sich Goebbels in Wien auf und besprach sich mit ihm über kulturpolitische Fragen. Diese Besprechungen hielt Goebbels am 15. März 1942 in seinem Tagebuch fest und kommentierte: „Er [Schirach, F. T.] wird sich jetzt größere Reserve auferlegen, wie er sich überhaupt größte Mühe gibt, eine Übereinstimmung zwischen der Wiener Kulturpolitik und der Reichskulturpolitik weitestgehend herbeizuführen. Er wird mir vermutlich keine Schwierigkeiten mehr machen. Ich lasse ihm auch keinen Zweifel darüber, daß ich solche nach allen Regeln der Kunst beseitigen würde.“859
Schirach hat in seiner Philharmoniker-Rede offensichtlich auf Goebbels’ Ermahnungen reagiert und sich seinem Verdikt gegen eine „separatistische“ wienerische Kulturpolitik zumindest kurzzeitig gefügt. Offenbar war Schirachs Abkehr von der üblichen Phil harmonikerRezeption für Goebbels jedoch unzureichend. In seinem Tagebuch ließ sich dieser einmal mehr über den Wiener Reichsstatthalter aus: Mit seiner Philharmoniker-Rede mische er sich schon wieder in die Führung der deutschen Kulturpolitik ein; er, Goebbels, werde dafür sorgen, dass solche Eskapaden in Zukunft aufhörten.860 Dies taten sie nach Goebbels Auffassung jedoch nicht. Ähnliche Vorwürfe von Goebbels an Schirach, die stets darauf hinausliefen, dieser gestalte eine zu eigenständige Kulturpolitik, hielten weit über 1942 hinaus an, wie aus Goebbels’ Unterredungen mit Hitler, die in seinen Tagebüchern überliefert sind, deutlich wird.861 Schirachs Zurückhaltung in der Bedienung der üblichen Philharmoniker-Rezeption dürfte also bloß punktuell erfolgt sein, um eine kurzfristige Beruhigung der Auseinandersetzungen mit Goebbels herbeizuführen; die Philharmoniker-Rede war nicht der Beginn einer Kehrtwende seines auf Wien zentrierten kulturpolitischen Kurses.
6.3 Fiktionale Orchesterdarstellungen Nicht nur Politiker, Propagandafunktionäre, Musiker und Musikpublizisten nahmen sich der Medialisierung der Wiener und Berliner Philharmoniker an, sondern auch Schriftsteller und Filmregisseure. Nach den historischen Orchesterdarstellungen soll nun eine Reihe an fiktionalen Orchestererzählungen diese Untersuchung über die jeweilige Rezeption der 859 Goebbels, Tagebücher II, Bd. 3, S. 474. 860 Goebbels, Tagebücher II, Bd. 4, S. 65 (Eintrag vom 8. 4. 1942). 861 Die Einträge zu Schirachs Kulturpolitik sind in Goebbels Tagebüchern äußerst zahlreich und können hier nicht detailliert aufgelistet werden. Zu den relevanten Passagen vgl. auch Kap. 5.3.
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Wiener und Berliner Philharmoniker ergänzen: ein Roman von 1941, in welchem die Wiener Philharmoniker eine prominente Rolle zugewiesen bekamen, eine Drehbuchskizze zu einem (allerdings nicht realisierten) Spielfilm über das Wiener Orchester sowie ein Spielfilm über die Berliner Philharmoniker, der noch in den letzten Monaten des ,Dritten Reiches‘ zu einem Kassenschlager wurde.
Die Wiener Philharmoniker im Roman: Friedrich Schreyvogls „Schicksalssymphonie“ „,Auch das Orchester ist großartig.‘ Er streckte den Arm feierlich gegen die Männer auf dem Podium. ,Das gibt es kein zweitesmal auf der Welt.‘“862 Der Mann mit dem Arm war Brahms, ausgestreckt hat er ihn in Richtung der Wiener Philharmoniker. In Friedrich Schreyvogls863 „Schicksalssymphonie“, einem eintönigen, 1941 erschienenen Gesellschaftsroman über die Wiener Jahrhundertwende, nehmen die Wiener Philharmoniker einen festen Platz ein, ja sie bilden recht eigentlich die Klammer des Buches. Kronawetter, Cellist bei den Philharmonikern und Freund der Hauptfigur des Romans, des Tischfabrikanten Bachmayer, lädt diesen zu einer Orchesterprobe ein. Hans Richter dirigiert und Brahms sitzt als einer der ganz wenigen Zuhörer im Saal, woraufhin Bachmayer mit beiden, Richter und Brahms, ins Gespräch kommt. Dabei äußert sich der Laie zum Gehörten und spricht über Beethovens Fünfte Symphonie: „Ich habe die Fünfte das erste Mal gehört. Aber jetzt sehe ich das ganze Leben anders als vorher“, worauf Brahms entgegnet: „Ich werde auch noch jedes Mal ein anderer Mensch bei der Fünften, Herr Bachmayer. Und ich habe sie schon zwanzigmal gehört.“864 Abgesehen vom einleitenden Kapitel, in welchem die einzelnen Protagonisten vorgestellt werden, eröffnet diese Philharmoniker-Episode den Wien-Roman. Im Verlauf der chronologisch erzählten Geschichte bedient er ,Musikstadt‘-Projektionen und eine technik- und fortschrittsfeindliche, antikapitalistische ,Alt-Wien‘-Note zu gleichen Teilen; ein besonders anschauliches ,Alt-Wien‘-Beispiel ist etwa die Sequenz, in welcher der Autor den antisemitischen Wiener Bürgermeister Karl Lueger beim Heurigen sagen lässt: 862 Schreyvogl Friedrich. Eine Schicksalssymphonie. Roman der Wiener Jahrhundertwende. Berlin 1941. S. 27. 863 Der Wiener Schriftsteller Friedrich Schreyvogl (1899–1976) war von 1935 bis 1938 Konsulent der Bundestheaterverwaltung, förderte als Vorstandsmitglied des „Bundes der deutschen Schriftsteller Österreichs“ die nationalsozialistische Infiltration des österreichischen Kulturlebens und half mit, den ,Anschluss‘ auf dem Gebiet der Kulturpolitik vorzubereiten. Zur beruflichen Tätigkeit zwischen 1938 und 1945 liegen keine näheren Angaben vor. 1954 war Schreyvogl Chefdramaturg im Theater an der Josefstadt und von 1955 bis 1961 Vizedirektor und Chefdramaturg am Wiener Burgtheater. Killy, Walther/Vierhaus, Rudolf (Hrsg.). Deutsche Deutsche Biographische Enzyklopädie. Bd. 9. München 1998. S. 143. 864 Schreyvogl, Schicksalssymphonie, S. 31.
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„,Da ist im Herzen von Europa eine alte Stadt in kaum fünfzehn Jahren über die Million hinausgewachsen und hat dabei etwas zustande gebracht, was ihr keine Stadt der Welt nachmacht: sie ist schön geblieben. [...] Dreißig Vororte sind hinzugekommen, es war schon eine alte Freundschaft zwischen uns. Wir haben sie nicht eingemeindet, wir haben sie sozusagen um den Hals genommen.‘“865
Am Schluss des Buches gelangt Schreyvogl wieder bei den Philharmonikern an. Die Geschichte endet mit der Mobilmachung im August 1914. Der Philharmoniker Kronawetter bittet den Tischfabrikanten um Spenden für die Abhaltung von „große[n] Symphoniekonzerte[n] [...] [f ]ür die Männer, die an die Front gehen, aber auch für die Daheimgebliebenen“. Auf dessen Rückfrage, wozu dies denn gut sein solle, antwortet der Philharmoniker: „,Die Ordnung sichern, mein Lieber! Ein Krieg verwandelt alles, die Welt und die Menschen. Da müssen sie wissen, dass das Gesetz sich treu bleibt. [...] Wer eine Symphonie Beethovens richtig verstanden hat, ist nachher auch ein besserer Soldat, das schwör’ ich dir!‘“866
Daraufhin resümierte der Autor: „Wie notwendig war sein Plan! Allen zerfiel die Ordnung der Welt, und das Ohr hoffte sie zuerst wieder zu entdecken, hoch über der Not des Augenblicks. Wer konnte sie ihnen besser wiedergeben als die Musik?“867 Schreyvogl spricht vom Ersten Weltkrieg, meint aber den Zweiten offensichtlich mit. Denn im Schluss seiner Ausführungen zum Verhältnis von Musik und Krieg klingt unter anderem eine Legitimation der von „Kraft durch Freude“-Organisationen und Wehrmacht betriebenen Soldaten- und ArbeiterInnenunterhaltung an, an der auch die Wiener Philharmoniker zu partizipieren geneigt seien („,Wenn man uns einladet, gehen wir bis an die Front.‘“868). Und die Tätigkeit der Musiker will Schreyvogl mit dem ,Dienst‘ der Soldaten implizit gleichgesetzt wissen: „Ein Musiker ist nicht furchtsam. Wer nur den einfachsten Kontrapunkt begriffen hat, der weiß, daß es in der Welt nirgends ohne Kampf abgeht.“869 Die Nähe zur nationalsozialistischen Praxis, Musik für den Krieg zu instrumentalisieren und zu mobilisieren, ist offenkundig. Mozart sei ein Teil der Kraft, aus der heraus die Deutschen überhaupt Krieg führen könnten,870 postulierte Schirach; Schreyvogls Formulierung vom bes865 866 867 868 869 870
Ebd., S. 250. Ebd., S. 443. Ebd., S. 444. Ebd., S. 443. Ebd. Schirach, Rede [Mozartwoche], S. 8.
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seren Soldaten, der Beethoven verstanden habe, ist davon nicht weit entfernt. Insofern trug der Wiener Autor mit seiner Medialisierung der Wiener Philharmoniker nicht nur zu einer nationalsozialistischen Aufladung des vergangenheitsbezogenen ‚Musikstadt‘-Topos bei, sondern lieferte mit seinem (1952 erneut aufgelegten) Roman zudem einen nicht unerheblichen Beitrag zur NS-Kriegspropaganda.
Philharmoniker im Weltall. Manuskript zu einem Spielfilm über das Wiener Orchester Solche oben beschriebenen, realpolitischen Bezüge interessierten den Verfasser der Drehbuchskizze zu einem Spielfilm über die Wiener Philharmoniker offensichtlich wenig. Aus einem Schreiben, das der Skizze beilag, geht hervor, dass es sich bei diesem Autor um einen gewissen W. Seibert aus Berlin handelte, der sich Anfang 1943 mit Wilhelm Jerger in Verbindung gesetzt hatte.871 Der Absender dieses Schreibens dürfte somit identisch sein mit dem in einem Protokolleintrag vom November 1940 erwähnten „Prof. Seibert, Reklamechef der Berliner Philharmoniker“.872 Aus einem weiteren Brief wird außerdem deutlich, dass Seibert Mitarbeiter des „Berliner Tageblatts“ war. Als „Reklamechef“ der Berliner Philharmoniker fungierte er bis 1941 und wurde altershalber von Friedrich Herzfeld abgelöst.873 Ende 1943 beantragte Furtwängler beim RMVP für den „früheren freien Mitarbeiter“ des Berliner Philharmonischen Orchesters Willi Seibert, einen „Ehrensold“ durch die „Spende Künstlerdank“ in der Höhe von 450 RM, der „in Anbetracht seines hohen Lebensalters“ diskussionslos bewilligt wurde.874 Bezeichnenderweise fiel die Übermittlung der Drehbuchskizze von Seibert an Jerger praktisch mit dem Beginn der Dreharbeiten zum Philharmoniker-Film des Berliner Philharmonischen Orchesters zusammen:875 Seiberts Nachfolger, Friedrich Herzfeld, war an der Konzeptionierung des Berliner Philharmoniker-Films maßgeblich beteiligt und über ihn dürfte Seibert auch von dieser Filmproduktion erfahren haben. Ein Verweis auf den Film über die Berliner 871 Schreiben Seibert an Jerger, undatiert. HAWPh, Korrespondenzmappen, W/31a. Der Umschlag eines Briefes, den Seibert, ebenfalls in Angelegenheit des Filmprojekts, an eine Frau Dr. M. Lucker (Wien) sandte, trägt den Poststempel vom 11. 1. 1943. Es ist darum davon auszugehen, dass auch der Brief an Jerger von Anfang Januar 1943 datiert. 872 Seibert wurde im Zusammenhang mit der Affäre Schrenk bereits erwähnt. Vgl. S. 203. 873 Amt Musik (Gerigk) an den Leiter des Presseamtes (Biedermann) am 4. 12. 1944. BA, NS 15/73. 874 RMVP-Internes Schreiben vom 22. 12. 1943 sowie RMVP an „Spende Künstlerdank“ vom 21. 2. 1944. BA, R 55/247. 875 Die Dreharbeiten zu „Philharmoniker“ liefen vom 26. 11. 1942 bis zum 2. 4. 1943. Klaus, Ulrich J. Deutsche Tonfilme. 13, Jahrgang 1944/45. Berlin 2002. S. 93 ff.
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Philharmoniker findet sich im erwähnten Brief allerdings nicht – was erstaunen muss, da dies die Realisierung einer Parallelaktion der Wiener Philharmoniker sicherlich vorangetrieben hätte. In den Protokollen ist zwar von einer Anfrage zur Mitwirkung der Wiener Philharmoniker beim Berliner-Philharmoniker-Film die Rede, die abgelehnt wurde,876 während Hinweise auf das eigene Filmprojekt fehlen. Es ist darum davon auszugehen, dass dieses nicht weit gedieh – und außerdem hielt Seibert Jerger zur Diskretion an, so lange, „bis die Zeit entgegenstehende Hindernisse beseitigt hat“.877 Doch auch wenn es nicht zur Realisierung des Films kam,878 lohnt es sich, detaillierter auf die Drehbuchskizze einzugehen, zumal sie in schärfstem Kontrast zum Drehbuch des Films über die Berliner Philharmoniker steht. Sowohl die ausformulierte Absicht des Films als auch die skizzierten Pläne zu dessen Ausführung liefern wichtige Hinweise auf die PhilharmonikerRezeption im nationalsozialistischen Wien – jedoch aus deutscher Perspektive. Seibert äußert sich im Begleitbrief zur Drehbuchskizze überzeugt davon, dass „nach meiner Meinung kaum irgendwo so reich und aus herrlichster Tradition erwachsene Möglichkeiten für einen Film bestehen, wie gerade für einen Film der Wiener Philharmoniker. Geschichtliches und Fantasie bilden eine wundervolle Basis. In allen Punkten, Persönlichkeiten wie Vorgängen, müsste deshalb reinstes Wienertum gewahrt bleiben. (Auch in der Herstellung selbst.)“879 Auf anderthalb A4-Seiten führte Seibert sodann seine mehr am Fantastischen denn am Historischen orientierten „Gedanken“ zum Spielfilm aus. Der in sieben Szenen unterteilte Plan beginnt im Himmel, wo sich Haydn, Mozart, Schubert, Beethoven, Brahms und Bruckner miteinander unterhalten. Dabei kommen sie auf die „Jahrhundertfeier“ der Wiener Philharmoniker zu sprechen und wünschen sich, dass das Orchester für sie musiziere. In der zweiten Szene hält der Vereinsvorstand im großen Musikvereinssaal eine „Regiesitzung“ ab, bei der auch zwei externe „Persönlichkeiten“ anwesend sind: „Eine weibliche: die vom Himmel entsandte Fantasie, [e]ine Männliche: Ein Techniker im Sinne des stratosphärischen Flugwesens“; die Versammlung beschließt „die Fahrt zum Himmel“. Mit zwei „Riesenflugzeugen“, deren Propeller große Violinschlüssel darstellen, fliegen die Philharmoniker sodann in der dritten Szene „hinauf“, wobei der Dirigent mit einem kleinen Extra-Flugzeug mitreist. Dabei ist eine Zwischenlandung auf dem Mars oder der Venus 876 „Tobis-Film ist an die Philharmoniker herangetreten wegen Mitwirkung bei dem Philharmoniker-Film. Kainz hat abgelehnt.“ Prot. VS 3. 2. 1943. HAWPh, A-Pr-030, 38. Dass es sich dabei um den Philharmoniker-Film des Berliner Orchesters handelt, geht einerseits daraus hervor, dass sich der Film zu dem Zeitpunkt mitten in den Dreharbeiten befand und Tobis Produzentin war. 877 Seibert an Jerger, undatiert. 878 Gemäß Auskunft (E-Mails vom 16. 6. und 30. 6. 2008) von Dr. Günter Krenn, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Filmarchiv Austria, für die ich mich an dieser Stelle herzlich bedanke. 879 Seibert an Jerger, undatiert.
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vorgesehen, wo „eventuell“ ein Konzert gegeben werden soll (vierte Szene). In der fünften Szene kommt das Orchester im Himmel an und auf Brahms’ Vorschlag hin wird einstimmig beschlossen, dass Musik von Beethoven gespielt werden soll. Es wird außerdem diskutiert, ob etwas „Neues“ gespielt werden solle; der Autor sieht dabei „den Moment gekommen, Richard Strauss einzuführen“, wobei dies „weniger von Beethoven, als von den Philharmonikern“ abhängt, wie er dazu anmerkt. Zum Schluss gibt Beethoven den Philharmonikern seinen Segen. Die sechste Szene sieht die „Rückkehr“ des Orchesters vom Himmel vor, wobei sich der Autor über die Weise der Darstellung im Unklaren war: „Um eine Wiederholung zu vermeiden, ist es wohl angebracht, die Rückkehr vom Himmel nicht darzustellen, – es sei denn, dass die Dame ,Fantasie‘ dem Techniker aufgibt, die Mitglieder auf Wolken an verschiedenen Stellen Wiens herabzuführen.“ In der Schlussszene soll dann Jerger das Geschehene kurz erzählen, bevor das Orchester Beethovens neunte Symphonie spielt. Bezeichnend an dieser Drehbuch-Skizze ist die völlig ahistorische Darstellung der Wiener Philharmoniker: Nicht eine an geschichtlichen Ereignissen orientierte Orchestergeschichte sollte nacherzählt, sondern eine buchstäblich fantastische Vermittlungsaktion inszeniert werden, in der die Wiener Philharmoniker quasi den Himmel der Musikgötter auf die Erde herunterholen. Damit bediente die Erzählung eine Lesart des Orchesters als ein ,Der-WeltEntrücktes‘ und schloss so an die Sakralisierungstendenz in der Rezeption der Wiener Philharmoniker an, wie sie sich etwa in den oben besprochenen Textbeiträgen von Wolfram und Jerger manifestierte. Die rezeptionsgeschichtliche Besonderheit dieser Drehbuchskizze liegt aber darin, dass ihr Verfasser kein Exponent des Wiener Musikbetriebs, sondern ein aus Berlin kommender Autor war. Dieser Umstand verweist umso deutlicher auf den außerordentlichen Erfolg der Imagepolitik, wie sie von Wien und den Wiener Philharmonikern aus betrieben wurde: Es war offensichtlich gelungen, jene „liebliche Kunstästhetik“, die Oliver Rathkolb für Schirachs Wien-Politik insgesamt geltend macht,880 über Wien hinaus populär zu machen. In Deutschland scheint man für eine solche Lesart des Wienerischen jedenfalls überaus empfänglich gewesen zu sein.
Die Berliner Philharmoniker im Kino: der Spielfilm „Philharmoniker“ Mit völlig anderen Mitteln wurde in „Philharmoniker“, einem Spielfilm über das Berliner Philharmonische Orchester, operiert. Nachdem das Orchester in Douglas Sirks „Schlussakkord“ von 1936 noch einen Nebenschauplatz abgegeben hatte,881 rückte es in der 1943 ent880 Rathkolb, Nazi-Ästhetik, S. 15. 881 Zu „Schlussakkord“ vgl. Dennis, Beethoven, S. 158.
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standenen Produktion von Paul Verhoeven ins Zentrum des Geschehens.882 Der Film weist zahlreiche Bezugnahmen auf die jüngere Vergangenheit des Orchesters sowie auf dessen Verhältnis zu politischen Instanzen vor 1933 auf, wobei zeitpolitische Bezüge kaum offen angesprochen, sondern in erster Linie ikonografisch angedeutet werden. Der erste Teil des Films erzählt zunächst von der finanziellen Misere der Berliner Philharmoniker am Ende der Weimarer Republik, die unmissverständlich dem ,bürokratischen Staatsapparat‘ in die Schuhe geschoben wird: Ein uneinsichtiger Minister der Republik gefährdet die Existenz des Orchesters, einzelne Mitglieder tragen sich bereits mit dem Gedanken, ihre Stelle zu kündigen. Erst die Machtübergabe an die Nationalsozialisten beendet die finanziell zerrüttete Situation der Berliner Philharmoniker und führt das Orchester einem neuen Aufschwung zu. Doch die durch die Machtübergabe in Gang gesetzten Veränderungen schlagen sich nicht nur auf einer ökonomischen, sondern ebenso auf breiter kultureller und gesellschaftlicher Ebene nieder. Die zeitliche Orientierung liefert eine kurze Einblendung der Jahreszahl „1933“, auf welche Aufnahmen von rauchenden Fabrikkaminen und Industrielandschaften folgen, die mit Musik aus dem zweiten Satz von Beethovens fünfter Symphonie unterlegt sind: Die Semantik des Films folgt also keineswegs einer rückwärtsgewandten ,Blutund-Boden‘-Romantik, sondern bemüht sich um die Darstellung des nationalsozialistischen Deutschland als einer prosperierenden Wirtschaftsnation, in der Industrie und ,Kultur‘ nicht als Gegensätze erscheinen. Solchermaßen kontextualisiert, werden die Berliner Philharmoniker als zeitgemäßes, modernes Orchester gezeichnet – nicht nur ikonografisch, sondern auch in der als Familiensaga gestalteten Geschichte des Films. „Vater Schonath“883, ein altgedientes Mitglied des Berliner Philharmonischen Orchesters, hat zwei Söhne, die beide ebenfalls Musiker sind: Hans884 ist wie der Vater Philharmoniker, während Alexander885 eine Anstellung als Stehgeiger in einem Nachtklub innehat und deswegen von seinem Vater verstoßen wurde. Hans und dessen Verlobte Maria, die Tochter des Orchestervorstands,886 versuchen Alexander erfolgreich zu einem Vorspiel im Philharmonischen Orchester zu bewegen, woraufhin auch er in die Reihen der Philharmoniker aufgenommen wird. Allerdings verliebt er sich in die Verlobte seines herzkranken Bruders Hans und entschließt sich kurzerhand, das Orchester wieder zu verlassen, um jegliche Aufregung 882 Drehbuch: Erich Ebermayer und P. Verhoeven nach einer Idee von Friedrich Herzfeld; Produktion: Tobis; Uraufführung: 4. 12. 1944 in Berlin. Gemäß Klaus, Tonfilme, S. 93 f. Ein Exemplar des Drehbuchs ist archiviert im ABPhO, M V 1944. 883 Im Film dargestellt von Eugen Klöpfer. 884 Im Film dargestellt von Malte Jäger. 885 Im Film dargestellt von Will Quadflieg. 886 Im Film dargestellt von Irene von Meyendorff.
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von seinem Bruder fernzuhalten. Er tut dies aber just in jener kritischen Phase, in der das Orchester trotz der anhaltenden Geldkrise die Aufrechterhaltung seiner Tätigkeit beschließt, was Alexander als Verrat am Orchester ausgelegt wird. Er heuert sodann bei einer internationalen Jazzcombo, die nach Übersee einschifft, als deren Leiter an. Währenddessen stirbt sein Bruder und als das Jazzorchester für einen Auftritt nach Paris kommt – Deutschland wurde inzwischen nationalsozialistisch –, trifft Alexander dort zufällig auf Maria. Die beiden kommen zusammen und Alexander beschließt, erneut ins Philharmonische Orchester einzutreten, was ihm schließlich auch gelingt, nun jedoch sogar in der Position des Konzertmeisters. Die hergebrachte Ordnung, so lässt sich die Erzählung dechiffrieren, gehört der Vätergeneration an; Hans, der sich an ihr orientiert, wird krank und muss sterben, während sich der für Neues aufgeschlossene Alexander, der den dynamischen, souveränen Typus verkörpert, durchsetzt. Im Film kommt dies sinnhaft zum Ausdruck, indem Alexander gerade nicht an bildungsbürgerlichen Mustern wie etwa der strikten Trennung zwischen dem ,E‘- und ,U‘-Bereich in der Musik festhält, sondern diese geradezu aufhebt, indem er sich der Unterhaltungsmusik verpflichtet. Die Darstellung des Bildungsbürgerlichen als Relikt aus der Vergangenheit kulminiert in der Gegenüberstellung der beiden Musikbereiche, als Alexander dem Agenten der Jazzcombo, Urdoi,887 auseinandersetzt, warum er ins Philharmonische Orchester zurückkehren müsse. Zunächst macht Alexander geltend: „Ich muss wieder große, ernste Musik machen, sonst gehe ich zu Grunde.“888 Als Urdoi erwidert, Alexander verrate sich selbst, wenn er jetzt verachte, was er bisher getan habe, postuliert dieser jedoch die Gleichstellung von ‚E‘- und ‚U‘-Musik: „[I]ch verachte nicht – Die leichte Musik ist genau so nötig in der Welt, wie die ernsthafte. Es gibt den Wald mit seinen grossen, dicken Stämmen, unter denen man still im Schatten ruht – und es gibt die Wiesen, blühend voller tausend bunter Blumen ... [Regieanweisung: „er lächelt ein bisschen bei dem Vergleich“] Die Menschen brauchen Erhebung – und sie brauchen Entspannung. Ein Dummkopf, und vor allem kein Musiker, wer das nicht weiss und achtet! Die Männer, die diese ,leichte‘ Musik sauber und gut machen, sind nicht weniger Wert, als die anderen.“889
Indem sich Alexander von der Jazz-Combo ab- und zu den Philharmonikern hinwendet, verweist der Film zwar auf eine Wertigkeit zwischen ,E‘ und ,U‘ zugunsten der ,Hochkultur‘, aber nicht im Sinne einer kritischen Distanzierung der Unterhaltungsmusik; diese wurde 887 Im Film dargestellt von Otto E. Hasse. 888 Drehbuch „Philharmoniker“, S. 180 (Bild 72). 889 Ebd., S. 180 f. (Bild 72).
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insbesondere von Goebbels immer wieder gegen einen „reaktionären Kulturpessimismus“, wie er etwa von Rosenberg vertreten wurde, verteidigt.890 Schon in den Szenen, als Alexander nach Übersee aufbricht, vollzieht sich diese Abreise auch auf der Ebene der Filmmusik: Alexanders Aufbruch ist mit Jazz-Musik unterlegt, während sich der zur gleichen Zeit stattfindende Umbruch in Deutschland zu Musik von Beethoven vollzieht. Dazu schwenkt die Kamera auf eine Maschinenhalle („etwa bei Krupp oder Siemens“, wie das Drehbuch vermerkt 891) und fährt langsam durch den Raum. Sie blendet zunächst Orchester und Dirigent ein und nimmt nach und nach „Krans, Maschinen, gewaltige Röhren, Schmelzöfen, Kühlanlagen, etc.“892 ins Bild. Hinzu kommen sitzende und stehende Arbeiter und Arbeiterinnen, Angestellte, die Werkleitung. Das Drehbuch vermerkt dazu: „In immer neuen Schwenkungen, Fahrten, Überblendungen – die ganze riesige Halle eines großen Werkes mit seiner andächtig lauschenden Belegschaft.“893 Es ist dies die Darstellung eines Werkpausenkonzerts, bei dem Musik von Beethoven gespielt wird. Im Film kommen damit zwei Formen von ‚Modernisierung‘ im Musikbereich zum Ausdruck: die amerikanische als ‚U‘-Musik, die deutsche jedoch in der Popularisierung der ‚deutschen Hochkultur‘. In „Philharmoniker“ bildet sich gleichsam Goebbels’ musikpropagandistisches Programm ab. Der zitierte Satz Alexanders etwa weist eine verblüffende Ähnlichkeit mit einer Passage aus Goebbels’ Eröffnungsrede der Reichsmusiktage von 1938 auf: „Nicht jede Musik paßt für jeden. Es hat deshalb auch jene Art von Unterhaltungsmusik, die in den breiten Massen Eingang findet, ihre Daseinsberechtigung, zumal in einer Epoche, in der es Aufgabe der Staatsführung sein muß, neben jenen schweren Sorgen, die die Zeit mit sich bringt, dem Volke auch Erholung, Unterhaltung und Erquickung zu vermitteln.“894
890 Zu den anhaltenden kulturpolitischen Differenzen zwischen Goebbels und Rosenberg vgl. Mathieu, Thomas. Kunstauffassungen und Kulturpolitik im Nationalsozialismus. Studien zu Adolf Hitler – Joseph Goebbels – Alfred Rosenberg – Baldur von Schirach – Heinrich Himmler – Albert Speer – Wilhelm Frick. Saarbrücken 1997, S. 82–243; Piper, Ernst. Alfred Rosenberg. Hitlers Chefideologe. München 2005, S. 371 ff. Zum ambivalenten Verhältnis des Nationalsozialismus zur Jazzmusik, das zwischen ,ideologischer‘ Ablehnung und (partieller) praktischer Tolerierung oszillierte, vgl. Kater, Michael H. Gewagtes Spiel. Jazz im Nationalsozialismus. Köln 1995. Ebenso der Abschnitt über Jazz bei Levi, Erik. Music in the Third Reich. London 1994. S. 119–123. 891 Drehbuch „Philharmoniker“, S. 144 (Bild 55). 892 Ebd. 893 Ebd., S. 145 (Bild 55). 894 Amtliche Mitteilungen der Reichsmusikkammer 1. Juni 1938, Nummer 11. Zit. in: Dümling, Albrecht / Girth, Peter (Hg.). Entartete Musik. Dokumentation und Kommentar zur Düsseldorfer Ausstellung von 1938. Düsseldorf 1993. S. 170.
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Diese Ähnlichkeit ist nicht zufällig. Goebbels konzipierte den Philharmoniker-Film offenbar höchst persönlich: „Mit Hippler [Reichsfilmintendant, F. T.] einen neuen Film über die Berliner Philharmoniker besprochen“, notierte er im Mai 1941 in sein Tagebuch, „[d]as wird ein Schlager werden. Furtwängler selbst soll daran mitwirken. Ich habe schon den ganzen Handlungsaufriß im Kopf.“895 Furtwängler wirkte dann zwar nicht persönlich mit, sondern erschien im Film in Form einer Büste, die der Ahnengalerie im Foyer der Philharmonie eingefügt war, welche die Kamera am Ende des Films abschritt: Furtwängler als Legende zu Lebzeiten also, was die Quasi-,Aura‘ des Orchesters, dessen Hauptdirigent schließlich Furtwängler war, abermals erhöhen sollte, zumal im Film mit Eugen Jochum, Karl Böhm, Hans Knappertsbusch und Richard Strauss ohnehin vier der prominentesten Dirigenten des NS-Staates auftraten. Es war die vielleicht aufwendigste Werbekampagne, die für die Berliner Philharmoniker je betrieben wurde: Goebbels scheute keinen Aufwand für diesen Philharmoniker-Film, was sich allein schon in den verhältnismäßig hohen Produktionskosten von gut drei Mio. RM ausdrückt.896 Der Film wurde dementsprechend intensiv beworben897 und das RMVP verlieh ihm gleich drei Prädikate: „Künstlerisch wertvoll“, „Kulturell wertvoll“ sowie „Volkstümlich wertvoll“.898 Offenbar verlieh dies dem Film eine beträchtliche Anziehungskraft: Innert knapp drei Monaten, von seiner Uraufführung am 4. Dezember 1944 bis Februar 1945, spielte er immerhin 521.000 RM ein.899
895 Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Sämtliche Fragmente. Teil I, Aufzeichnungen 1924–1941. Bd. 9. München/New York/London/Paris 1998. S. 337, Eintrag vom 27. 5. 1941. 896 Die durchschnittlichen Produktionskosten eines Films im ‚Dritten Reich‘ betrugen gut 1 Mio. RM. Vgl. dazu Klaus, Tonfilme, S. 7. 897 Das „Amt Musik“ im „Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg“ beobachtete die „ungewöhnliche Reklame“, die Presse und Rundfunk für den Philharmoniker-Film betreiben würden, überdies argwöhnisch, insbesondere weil das Mitwirken des Pressechefs der Berliner Philharmoniker, Friedrich Herzfeld, darin prominent erwähnt werde, obschon er doch angeblich „Mischling 2. Grades“ sei. Amt Musik [Gerigk] an den Leiter des Presseamtes [Biedermann] am 4. 12. 1944. BA, NS 15/73. Nebst der Tatsache, dass Herbert Gerigk, Leiter des „Amtes Musik“, ein besonders hetzerischer Antisemit war – er hatte unter anderem das 1943 erschienene „Lexikon der Juden in der Musik“ lanciert (zu dessen Entstehungsprozess und Rezeption vgl. Weissweiler, Eva. Ausgemerzt! Das Lexikon der Juden in der Musik und seine mörderischen Folgen. Köln 1999) –, war ihm Goebbels eher pragmatische Politik mit Musik ohnehin ein Dorn im Auge. 898 Vgl. Klaus, Tonfilme, S. 93–95. 899 Ebd., S. 93.
7. Repertoire und Politisierung: Nationalsozialistische Programmpolitik bei den Wiener und Berliner Philharmonikern
„Und wenn der Kulturverlust vor allem nicht mit Menschenleben erkauft wäre!“900 Karl Kraus, Dritte Walpurgisnacht
Der oben analysierte Spielfilm „Philharmoniker“ ist ein besonders aufschlussreiches Beispiel für den Umgang der nationalsozialistischen Propaganda Goebbels’scher Prägung mit musikalischen ,Traditionen‘, insbesondere was die Neubestimmung des Verhältnisses zwischen der unterhaltenden und der ,oberen‘ Sphäre von Musik anbelangt. Doch inwiefern wirkte sich diese auf die Gestaltung der Repertoires der Wiener und Berliner Philharmoniker aus? Und auf welche Weise beeinflussten die unterschiedlichen Stadt- und Reichszusammenhänge der beiden Orchester die Repertoiregestaltung? Erfüllten sich die Merkmale und Topoi der medialen Orchesterrezeptionen in der Programmgestaltung der Orchester? Die Erörterung und Beantwortung dieser Fragen erfordern eine gleichermaßen auf Komponisten wie auf Unterschiede der einzelnen Veranstaltungstypen fokussierte Repertoireuntersuchung. Bezüglich der Komponisten zwingen Gründe der Arbeitsökonomie zu einer Auswahl: Dass sich die hier präsentierte Repertoireuntersuchung auf keinerlei Vorarbeiten stützen kann, wurde einleitend bereits auseinandergesetzt.901 Für die vorliegende Studie wurde darum das gesamte Orchesterrepertoire, also sämtliche Werke, welche die Orchester zwischen 1920 und 1945 aufgeführt haben, vorangehend in nach Veranstaltungstypen gegliederte Tabellen übertragen. Eine detaillierte Darstellung sämtlicher im Repertoire vertretener Komponisten kann hier aber gleichwohl nicht geleistet werden; die Analyse muss sich auf eine kleine Auswahl beschränken. Diese orientiert sich ausschließlich an denjenigen Komponisten, deren Werke im Zentrum der medialen Rezeption der Orchester standen: an den Vertretern der ,deutschen‘ und der ,österreichischen‘ Musik. Diese hier als „Referenzkomponisten“ bezeichneten Musiker sind zum einen die ,Wiener Klassiker‘: Joseph Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart, Ludwig van Beethoven sowie – ich zähle ihn hier mit dazu – Franz Schubert.902 Die 900 Kraus, Karl. Dritte Walpurgisnacht. Frankfurt am Main 1989. S. 113. 901 Vgl. die Ausführungen zum Forschungsüberblick in der Einleitung. 902 Zur ,Wiener Klassik‘ vgl. etwa die Darstellung bei Finscher, Ludwig (Hrsg.). Die Musik in Geschichte und
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7. Repertoire und Politisierung
zweite Gruppe bilden deutsche Komponisten aus der ,Romantik‘, welche keinen biografischen „Wien-Hintergrund“ besitzen: Robert Schumann, Carl Maria von Weber und Richard Wagner. Ihnen gegenüber stehen die repräsentativen ,romantischen‘ Komponisten mit „WienHintergrund“: Johannes Brahms und Anton Bruckner. Die letzte Gruppe bilden die kanonisierten zeitgenössischen Komponisten, die sowohl in der Republikszeit als auch während des Nationalsozialismus aufgeführt wurden: Richard Strauss, Hans Pfitzner und Franz Schmidt. Bei all diesen Komponisten handelt es sich mehr oder minder um den damaligen Kernbestand der kanonisierten Musik in Deutschland und Österreich.903 Das Genre der ,leichten‘ Musik schließlich vertreten Johann und Josef Strauß. Die Zählung wurde hier so vorgenommen, dass die einzelnen Programmpunkte, das heißt jedes gespielte Werk, auch in den wiederholten Konzerten, gezählt wurden.904 Eine grafische Darstellung der Ergebnisse mitsamt entsprechenden Erläuterungen, auf die ich im Folgenden punktuell Bezug nehmen werde, findet sich im Anhang. Die nachfolgende Untersuchung separiert die traditionellen Abonnementkonzerte von den restlichen Konzertveranstaltungen der beiden Orchester – dies vor dem Hintergrund der Frage nach einer (vermeintlichen) Popularisierung des ,Hochkultur‘-Bereichs in der Zeit des Nationalsozialismus. Die Bezeichnung „außerordentliche“ oder „sonstige“ Konzerte tragen also jene Konzerte, die weder im engeren Sinne politisch motiviert waren, noch im Rahmen der traditionellen, auf 8 bis 10 Konzerte pro Saison beschränkten „Abonnement“- oder „Philharmonischen Konzerte“ stattfanden. Besondere Aufmerksamkeit wird daneben den Konzerten gewidmet, die in einem genuinen Zusammenhang mit nationalsozialistischer Propaganda standen und die größere Bevölkerungsteile zu erreichen vermochten: Konzerte im Rahmen der neuen Medien, also Film und Rundfunk, die Werk- und Wehrmachtskonzerte sowie die Reisekonzerte im Ausland. Konzerte mit einem nur sehr begrenzten Öffentlichkeitsbezug, etwa zu Staats- und Parteianlässen – Beispiele hierfür wären etwa die Mitwirkung der WieGegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik begründet von Friedrich Blume. Zweite, neu bearbeitete Ausgabe. Kassel 1996. Band 5 (Sachteil), S. 227 ff. Während sich die ,Wiener Klassik‘ bei Finscher auf die Musik Haydns, Mozarts und Beethovens beschränkt, erweitert sie etwa Trasybulos Georgiades um Schubert: „In Schuberts Musik ist die unmittelbare Nähe zur Wiener klassischen Werkstatt spürbar.“ Georgiades, Trasybulos. Schubert. Musik und Lyrik. Göttingen 1967. S. 13. 903 Zur Kanondebatte in der Musik vgl. etwa Gerhard, Anselm. „Kanon“ in der Musikgeschichtsschreibung. Nationalistische Gewohnheiten nach dem Ende der nationalistischen Epoche. In: Archiv für Musikwissenschaft 57, 2000, S. 18–30. 904 Dass bei einer Zählung nach der durchschnittlichen Dauer (wie bei Mueller/Mark) statt nach der Anzahl der Werke die Ergebnisse erheblich voneinander abweichen würden, versteht sich von selbst: Die Dauer eines Walzers von Johann Strauß entspricht nicht jener einer Bruckner-Symphonie. Im Zusammenhang mit der Frage nach der aufführungspolitischen Praxis im Nationalsozialismus scheint mir eine Zählweise unter Berücksichtigung der Menge adäquater: Wie oft ein Komponist im Programm aufscheint, ist relevanter als die Dauer eines Werks.
Politisierter Konzertkanon
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ner Philharmoniker am „Festakt anlässlich der Gründung der ,Gesellschaft der Freunde der Deutschen Akademie in Wien‘“ vom 29. Juni 1942905 oder das „Sonderkonzert“ der Berliner Philharmoniker vor den „Politischen Leitern des Gaues Berlin“ am 13. März 1942906 – finden in der Untersuchung punktuell Berücksichtigung.
7.1 Politisierter Konzertkanon Anhand der Repertoireentwicklung der Abonnementkonzerte und der sonstigen traditionellen Konzertreihen, wie sie bezüglich der Referenzkomponisten im Anhang detailliert erläutert wird, kann für die Phase des Nationalsozialismus gegenüber der Zeit vor 1933 bzw. 1938 bei beiden Orchestern keine einschneidende Kanonverschiebung festgestellt werden. Dies erstaunt vor allem bei den Wiener Philharmonikern: In ihrer medialen Rezeption verdichtete sich der Wien-Kontext während des Nationalsozialismus deutlich, während ihr Konzertrepertoire zwar eine tendenzielle Zunahme an mit Wien assoziierten Komponisten aufweist, dies jedoch nicht signifikant, sodass eine wirkliche „Austrifizierung“ des Repertoires nicht eigentlich geltend gemacht werden kann. Mit am deutlichsten steigerte sich in den Abonnementprogrammen der Anteil von Bruckners Werken. Diese Steigerung zeigt aber nicht unbedingt einen verstärkten Wien- oder Österreich-Bezug an; Bruckner wurde auch in den Abonnementkonzerten des Berliner Philharmonischen Orchesters seit 1933 deutlich öfter gespielt als vor der Machtübertragung an die Nationalsozialisten, und zwar als Folge einer im Nationalsozialismus massiv forcierten Rezeption des Komponisten: Als das Hitlerregime am 6. Juni 1937 in der Walhalla in Donaustauf bei Regensburg eine Bruckner-Büste enthüllte, kündigte Goebbels ausdrücklich an, Bruckners Werk in Zukunft verstärkt Beachtung zu schenken: „Der Führer und seine Regierung betrachten es als ihre kulturelle Ehrenpflicht, dafür Sorge zu tragen, daß die Auswirkung der Bruckner-Pflege nicht nur in die Tiefe, sondern in die Breite dringe.“907 Ebenso auffällig ist die deutlich angestiegene Präsenz von Wagners Musik in den Programmen beider Orchester im Nationalsozialismus; auch sie ist Ausdruck einer großen, politisch konnotierten Popularität des Komponisten im NS-Staat.908 905 Gemäß Hellsberg, Demokratie, S. 478. 906 Gemäß Programmsammlung Muck 3, S. 301. 907 Zit. in: Dümling, Albrecht. Der deutsche Michel erwacht. Zur Bruckner-Rezeption im NS-Staat. In: ders. (Hrsg.). Bruckner-Probleme. Beiheft zum Archiv für Musikwissenschaft, Bd. XLV. Stuttgart 1999. S. 202– 214. Hier S. 203. Dümling liefert eine Reihe weiterer anschaulicher Beispiele, welche die Intensivierung der Bruckner-Rezeption im Nationalsozialismus belegen. 908 Wagner wurde nicht nur in Expertenkreisen intensiv rezipiert, sondern er war auch in den Medien der mit Abstand am meisten behandelte Komponist im Nationalsozialismus, wie eine statistische
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7. Repertoire und Politisierung
Die Wiener Philharmoniker trugen diesem Umstand insbesondere in der Spielzeit 1938/39 Rechnung und feierten Wagners Musik in ihren Konzertprogrammen in offensichtlichem Zusammenhang mit dem ,Anschluss‘. Diese Repertoireveränderungen sind nicht in erster Linie orchesterspezifisch, sondern eher vor dem Hintergrund des von Goebbels geltend gemachten Anspruchs der Nationalsozialisten zu deuten, wonach eine politische Orientierung der Repertoiregestaltung bis zu einem gewissen Grad erforderlich sei. Am 17. Juni 1935 erklärte der Propagandaminister in einer Rede in Hamburg: „Wir besitzen nicht den Ehrgeiz, dem Dirigenten vorzuschreiben, wie er eine Partitur zu dirigieren habe. Aber was gespielt wird und was dem Geiste unserer Zeit entspricht, dar über behalten wir uns das souveräne Vorrecht vor zu bestimmen. [...] Die Politik macht nicht die Technik der Dinge, aber sie gibt den Dingen ihren Kurs, sie kontrolliert ihren Einsatz und überwacht die Durchführung dieses Einsatzes.“909
Eine Umkrempelung des traditionellen Konzertkanons war jedoch, insbesondere was die ,deutsche‘ bzw. ,österreichische‘ Musik betraf, nicht angedacht; darauf verweisen schon die von Kontinuität geprägten Programmpositionen der Referenzkomponisten im Repertoire der beiden Orchester. Repertoireveränderungen waren für einen Richtungswechsel in der Rezeption auch gar nicht notwendig. Am Beispiel von Beethovens Werk wird dies besonders deutlich: Dieses war im Nationalsozialismus bei beiden Orchestern anhaltend präsent, aber im Vergleich zur vornazistischen Periode wurde es meist nur unwesentlich häufiger gespielt. Zugleich wurde der Komponist im Nationalsozialismus jedoch zu dem deutschen Tonheroen schlechthin stilisiert.910 Der entscheidende Unterschied der Präsenz von Beethoven im republikanischen und im nationalsozialistischen Musikbetrieb habe weniger in der Quantität der gespielten Werke als vielmehr in der textbasierten Rezeption des Komponisten gelegen; diese Untersuchung von David B. Dennis ergab: Im „Völkischen Beobachter“ entfielen nicht weniger als 243 Hauptartikel auf Wagner, gefolgt von Beethoven, dem 116 Artikel gewidmet waren. Dennis, David B. „Honor Your German Masters“: The Use and Abuse of „Classical“ Composers in Nazi Propaganda. In: Journal of Political & Military Sociology, 2002, Vol. 30, No. 2. S. 273–295. Hier S. 276. Zur Wagner-Rezeption im Nationalsozialismus vgl. außerdem den facettenreichen Sammelband von Friedländer, Saul/Rüsen, Jörn (Hg.). Richard Wagner im Dritten Reich. Ein Schloss Elmau-Symposion. München 2000. Zur Stellung von Wagners Musik in der nationalsozialistischen Ideologie vgl. Sandmeier, Stefan. Wieviel Wagner ist in Hitler? Richard Wagners Antisemitismus und seine Rezeption in völkischer Bewegung und Nationalsozialismus. Lizentiatsarbeit an der Universität Zürich 2004. S. 69–85. 909 Zit. in: Brinkmann, Reinhold. Wagners Aktualität für den Nationalsozialismus. Fragmente einer Bestandsaufnahme. In: Friedländer/Rüsen, Wagner, S. 109–141. Hier S. 111. 910 Einen guten Überblick über die politische Rezeptionsgeschichte Beethovens bei Dennis, Beethoven; für die Jahre 1933–1945: S. 142–174.
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sei im Nationalsozialismus aufgrund der ‚Gleichschaltung‘ von Presse und Musikwissenschaft deutlich effektiver betrieben worden als in der Weimarer Republik, so der Musikhistoriker David B. Dennis.911 Eine pointierte, tendenziöse mediale Vermittlung vermochte die Rezeption also so weit zu beeinflussen, dass Repertoirekorrekturen gar nicht mehr notwendig waren. Daraus erklärt sich zumindest teilweise, warum die medialen Stilisierungen der beiden Orchester als spezifisch ‚reichsdeutsche‘ beziehungsweise ‚wienerische‘ in ihren Konzertprogrammen des ‚hochkulturellen‘ Spektrums keinen entsprechenden Niederschlag fanden und warum sich die Präsenz der Referenzkomponisten in der Programmgestaltung der Orchester seit 1933 bzw. 1938 eher marginal veränderte: Tiefer greifende Änderungen waren weder notwendig noch überhaupt erwünscht, denn sie hätten ein unnötiges Imagerisiko bedeutet. Sowohl Goebbels als auch Schirach hielten implizit am bürgerlichen Kunstkanon fest, indem sie sich entschieden gegen parteipolitische „Gesinnungskunst“ wandten. Goebbels erklärte anlässlich der Eröffnung der Reichskulturkammer im November 1933: „Niemand von uns ist der Meinung, daß Gesinnung Kunst ersetzen könnte. Auch bei der Kunst kommt es nicht darauf an, was man will, sondern vielmehr darauf, was man kann. Die Gesetze der Kunst können niemals geändert werden, sie sind ewig und nehmen ihre Maße aus den Räumen der Unsterblichkeit. Nur geweihte Hände haben das Recht, am Altar der Kunst zu dienen. Was wir wollen, ist mehr als dramatisiertes Parteiprogramm. Uns schwebt als Ideal vor eine tiefe Vermählung des Geistes der heroischen Lebensauffassung mit den ewigen Gesetzen der Kunst. [...] Niemand befiehlt, daß die neue Gesinnung über die Bühne oder Leinwand marschiere.“912
Und Schirach formulierte in ähnlichem Sinn 1941 in seiner Rede zur Eröffnung der Mozartwoche: „Die politische Bewegung, die das Reich führt, hat niemals in ihrem Parteiprogramm die Forderung nach einer spezifisch parteimäßig gebundenen Kunst aufgestellt, denn dies würde der Idee widersprechen, nach der sie antrat. Jedes wahre Kunstwerk besteht durch sich selbst und hat eine nationale Sendung. [...] Der nationale Wert eines zeitgenössischen Gemäldes richtet sich nicht nach der Zahl der im Bilde dargestellten SA.-Männer, und die nationale Dichtung im Sinne unserer Bewegung ist nicht die Standarten- und Fanfarenlyrik, die den Mangel an Stimmung und Form durch hochtönende Worte zu ersetzen versucht. Für unsere Musik gilt dasselbe. [...] Jedes 911 Dennis, Beethoven, S. 144 ff. 912 Rede zur Eröffnung der Reichskulturkammer vom 15. 11. 1933. Heiber, Helmut (Hrsg.) Goebbels-Reden. Bd. 1: 1932–1939. Düsseldorf 1971. S. 137 f. [Hervorhebungen im Original].
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7. Repertoire und Politisierung
große Werk trägt ein Gesetz in sich, es ist immer der Ausdruck einer einsamen Persönlichkeit und der Nation zugleich.“913
Repertoireveränderungen waren also nicht nur unnötig, weil die Rezeption der kanonisierten deutschen und österreichischen Komponisten ohnehin nach staatspolitischen und damit propagandistischen Gesichtspunkten gesteuert wurde, sondern auch geradezu unerwünscht. Denn Goebbels war von Anfang an bemüht, nebst der intensiv betriebenen Förderung der ‚massenkulturellen‘ Produktion für Film und Rundfunk auch ein „Teilnahmeangebot“ an die „Trägerschichten der bisherigen Höhenkünste“ zu richten.914 Als Bedingung dieses Angebots, so der Literaturwissenschaftler und Kulturhistoriker Georg Bollenbeck, hätten sich diese Trägerschichten mit dem neuen Staat zu arrangieren und der künstlerischen Moderne zu entsagen gehabt; so sei jedoch die radikal-nationalistische Argumentationsweise gegenüber den „Höhenkünsten“ präsent geblieben, während der bildungsbürgerlich enge Kulturbegriff durch die Akzeptanz und Aufwertung der Unterhaltungsindustrie bzw. der Massenkultur aufgeweicht worden sei; beide Bereiche seien dabei dem diktatorischen Anspruch unterstellt worden, die deutsche Kunst zu säubern und zu pflegen.915 Veränderungen des bürgerlichen Konzertkanons, wie sich dieser etwa bei den Wiener und Berliner Philharmonikern durch die Anteile der Referenzkomponisten am Gesamtrepertoire ablesen lässt, standen somit nicht zur Disposition. Auf dieses „Teilnahmeangebot“ – um an Bollenbeck anzuschließen – reagierten die beiden Orchester äußerst unterschiedlich. Bis zu einem gewissen Grad divergent zum von Bollenbeck aufgezeigten Anti-Moderne-Schema der nationalsozialistischen Kulturpolitik erweist sich, zumindest während der ersten Jahre der NS-Herrschaft, die Rhetorik der Berliner Philharmoniker bezüglich ihrer Programmpolitik. Einseitig reaktionären Bedürfnissen der „,Hochkultur‘-Trägerschichten“ gegenüber äußerten sie sich reserviert, etwa im Publikationsorgan der Berliner Philharmoniker, den „Philharmonischen Blättern“ der Saison 1936/37: „Die Meinungen über die Programmgestaltung einer Spielzeit gehen sicher weit auseinander. [...] Viele werden sagen: ,Warum so viel Neues, wo wir doch das Altbekannte und Bewährte haben?‘ – Wir, vom Standpunkt des Veranstalters aus, können nur auf alle Fragen antworten: ,Warum ist das Publikum, besonders das Berliner, so unendlich einseitig, und warum meidet es fast grundsätzlich Konzerte, die in der Programmgestaltung andere Wege zu gehen versuchen?‘“916
913 914 915 916
Schirach, Rede [Mozartwoche], S. 10 f. Bollenbeck, Tradition, S. 301. Ebd. Zur Programmgestaltung. In: Philharmonische Blätter 1936/37, Nr. 1. S. 7 f.
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In derselben Ausgabe der „Philharmonischen Blätter“ stellte das Orchester auch unmissverständlich fest, dass sein Programm sich „der deutschen Vergangenheit ebenso verpflichtet wie der Gegenwart“; zusammen mit den „Leistungen des Orchestes“ sowie der Publikumsteilnahme sei dieser Umstand die wichtigste Voraussetzung „für eine gesunde Entwicklung unseres Konzertlebens“.917 Eine die Aufführung von zeitgenössischer Musik verteidigende Haltung nahmen die Berliner Philharmoniker nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch gegenüber den Behörden ein. 1942 verlangte der Rechnungshof Auskunft über vereinzelte eher schlecht besuchte Konzerte des Orchesters,918 woraufhin das Orchester antwortete: „Konzerte, die von uns veranstaltet wurden und wenig Zuspruch fanden, sind an sich eine Ausnahme. Es handelt sich dabei nur um Konzerte, die ausschliesslich mit Werken jüngerer, lebender Komponisten ausgefüllt waren. Solche Konzerte erfreuen sich überall in Deutschland nur sehr geringen Zuspruchs, sind aber vom künstlerischen Standpunkt aus durchaus notwendig, um auch die jungen Komponisten mit ihren Werken in der Öffentlichkeit zur Diskussion zu stellen.“919
Zeitgenössische Musik nahm in den Programmen der Berliner Philharmoniker bereits in den 1920er-Jahren einen zwar nicht übermäßig breiten, aber doch festen Platz ein. Neben der Gestaltung der großteils mit zeitgenössischer Musik programmierten „Anbruch“-Konzertreihen zu Beginn der 1920er-Jahre920 spielte das Orchester in seinen Konzerten insbesondere Werke der sogenannten „Zweiten Wiener Schule“ in einer gewissen Regelmäßigkeit. Als ihr einziger Vertreter wurde Schönberg sogar in die Programme der Berliner Abonnementkonzerte aufgenommen, wenn auch nur zweimal (1922/23 und 1928/29). In den übrigen Konzerten waren Werke dieser avantgardistischen Musikproduktion hingegen gar nicht so selten programmiert: Zwischen 1920 und 1933 führten die Berliner Philharmoniker in acht Spielzeiten insgesamt elfmal Schönberg auf, während Berg und Webern während drei Saisons mit je einem Werk vertreten waren.921 Aber nicht nur die Wiener Avantgarde, sondern auch andere Komponisten des avantgardistischen Spektrums kamen durch das Berliner Philharmonische Orchester zur Aufführung. Noch zu Beginn der 1930er-Jahre finden sich in ihren Konzerten Programmpunkte wie die Welturaufführung von Alexander Wassiljewitsch Mossolows Maschinenmusik „Eisengiesserei“ (Originaltitel: „Zavod“, also „Fabrik“) vom März 1930922 oder 917 918 919 920 921 922
Zur Einführung. In: Philharmonische Blätter 1936/37, Nr. 1. S. 1. Rechnungshof an RMVP, 15. 4. 1942. BA, R 55/246. Berliner Philharmoniker an RMVP, 23. 6. 1942. BA, R 55/246. Vgl. S. 82 ff. Gemäß Programmsammlung in Muck 3. Vgl. Muck 3, S. 241.
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7. Repertoire und Politisierung
das zwei Jahre später veranstaltete Konzert mit Musik von amerikanischen Avantgardisten wie Carl Ruggles, Charles Yves, Henry Cowell und Edgar Varèse.923 Wie das Berliner Philharmonische Orchester reflektierten auch die Wiener Philharmoniker ihre Programmgestaltung in der Öffentlichkeit. Ziel dessen dürfte es jedoch gewesen sein, sich die Selbststilisierung als dezidiert konservatives Orchester vom Publikum bestätigen zu lassen – in deutlich sichtbarem Unterschied zum Selbstverständnis der Berliner Philharmoniker. In zahlreichen Programmheften zu den Abonnementkonzerten finden sich ausführliche Erörterungen zu Programmfragen, die vor allem von Problemen des Verhältnisses zwischen den ,klassischen‘ Komponisten und zeitgenössischer Musik handeln.924 Exemplarisch hierzu folgender Textausschnitt: „Das Problem der Programmbildung stellt sich bei den Wiener Philharmonikern wohl ganz anders, als bei den übrigen Kunstkörperschaften. [...] In den fast hundert Jahren seines Bestehens hat sich eine eigene ,Philharmonische Tradition‘ gebildet, die nun in mehr als einem Punkt sowohl als Recht als auch als Verpflichtung empfunden wird. [...] Die Pflege alles Hohen und Großartigen in der Kunst, alles was in Tönen Letztes und Tiefstes auszudrücken vermag ist vielleicht der Hauptsatz des philharmonischen Glaubensbekenntnisses [...]. In den AbonnementKonzerten haben die Philharmoniker den Geist der in ihren Statuteten [sic] niedergelegten Gedanken zu erfüllen, der vermeiden will, daß die Veranstaltungen zu einem Versuchsfeld werden. Dabei soll nicht versäumt werden, für wirklich Aufstrebendes einzutreten. Nur kann das nach der Struktur der Philharmonischen Konzerte wohl meist erst nach Ablauf einer gewissen Erprobungsfrist geschehen. [...] Nichtsdestoweniger sei nochmals betont, daß nicht Feindseligkeit gegen das Neue, nicht Unverständnis für das Kommende diesen Standpunkt diktiert, sondern das Verantwortungsgefühl für das Entstehende.“925
Die Wiener Philharmoniker gerieten für ihre Praxis, Zeitgenössisches in ihren Programmen kaum zu berücksichtigen, allmählich in die Kritik nationalsozialistischer Funktionäre, obschon auch die neuen, seit 1939 gültigen Satzungen des „Vereins Wiener Philharmoniker“ festhielten: „Der Zweck des Vereines ist die Pflege der Orchestermusik in höchster Vollen-
923 Vgl. ebd., 3, S. 248. 924 So „Über Programmbildung“ (HAWPh, Philharmonische Programmbücher, Bd. XLVII, 1939–1940, Nr. 16); „Philharmoniker und ,Zeitgenossen‘“ (Philharmonische Programmbücher, Bd. XLVIII, 1940–1941, Nr. 15.); „Grundsätzliches zur Programmbildung“ (Philharmonische Programmbücher, Bd. L, 1942–1943, Nr. 12); „Ernest Ansermet: Über moderne Musik“ (Philharmonische Programmbücher, Bd. L, 1942–1943, Nr. 30). 925 „Über Programmbildung“. HAWPh, Philharmonische Programmbücher, Bd. XLVII, 1939–1940. Nr. 16.
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dung. Die klassische Musik soll besonders berücksichtigt werden.“926 So forderte Schirachs Generalkulturreferent Thomas das Orchester 1942 auf, zeitgenössische Werke in die Abonnementkonzerte aufzunehmen, was vom Komitee prompt abgelehnt wurde: „Davon wird jedoch Abstand genommen, da die Aufgabe der philharmonischen Abon. Kzt. nicht darin besteht, Zeitgenossen zu fördern, sondern das Beste und Schönste der Gesamtorchesterliteratur in vollendetster Form zur Aufführung zu bringen. Es würde einen Bruch der philharmonischen Tradition und zugleich einen Niveauabstieg bedeuten, wenn in den philharmonischen Abonnement-Konzerten in erster Linie Zeitgenossen zu Worte kämen. Um aber dem Gen. Ref. [Thomas] gegenüber nicht ganz abweisend zu sein, wird beschlossen, drei außerordentliche Konzerte mit hauptsächlich zeitgenößischen Werken im Programm zur Durchführung zu bringen.“927
Daran zeigt sich der relativ große Handlungsspielraum, den die Wiener Philharmoniker in ihrer Programmgestaltung offenbar hatten. Trotz der taktisch motivierten Konzession an Thomas war es den Wiener Philharmonikern problemlos möglich, Programmforderungen höchster politischer Stellen rundweg abzulehnen, wenn sie die Kontinuität ihrer konservativen Abonnementprogramme (welche überdies mit dem rückwärtsgewandten ,Musikstadt‘-Topos koinzidierten) vermeintlich zu beeinträchtigen drohten. Die Berufung auf ihre aufführungspraktische ,Tradition‘, mittels derer die Wiener Philharmoniker schon früher gegen Forderungen staatlicher Stellen argumentiert hatten, während des Ersten Weltkriegs etwa, aber auch zwischen 1934 und 1938, legitimierte sie offenbar dazu. Nun hätte ein solches Verhalten aber ohne Weiteres empfindliche Sanktionen nach sich ziehen können, vor allem was die Kriegsdienstbefreiung („UK-Stellung“) des Orchesters anbelangte, wenn nicht die Sache selbst das Orchester davor geschützt hätte: In der Verteidigung ihrer Programmgestaltung konnten sich die Wiener Philharmoniker in letzter Instanz stets in die bildungsbürgerliche Semantik flüchten, deren „Kostgänger“ der oberste Musikchef des ,Dritten Reiches‘, Hitler selbst, war.928 Insofern ist Clemens Hellsbergs Interpretation dieser vergangenheitsbezogenen Programmpolitik nicht zuzustimmen, wenn er davon spricht, die Philharmoniker hätten „[a] 926 Satzung des Vereins Wiener Philharmoniker. WSL, Vereinsakt, M. Abt. 119, A 32: Gelöschte Vereine, 4602/21. 927 Prot. KS, 10. 9. 1942. HAWPh, A-Pr-030, 33. 928 Bollenbeck bezeichnet Hitler als den „Kostgänger und Exekutor der bildungsbürgerlichen Kunstsemantik“ und benennt die bildungsbürgerlichen Kritiker der Moderne als dessen Souffleure. Damit beschreibt er den nationalsozialistischen Kunstdiskurs als zirkulären: Zur Existenz des semantischen Kostgängers gehöre ein sprachliches Bestätigungsverhältnis zwischen diesem und den Gebildeten unter den „Verächtern der kulturellen Moderne“. Bollenbeck, Tradition, S. 309; S. 314.
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7. Repertoire und Politisierung
ngesichts der kriegsbedingten, rassistischen oder kulturpolitischen Einschränkungen aus der Not eine Tugend“ gemacht, indem sie zu den „Klassikern und (deutschen) Romantikern“ zurückgekehrt seien:929 Wie anhand der Diagramme zu den Klassikern und deutschen Romantikern ersichtlich wird (s. Anhang), kann von Rückkehr keine Rede sein, sondern vielmehr von einer Fortsetzung der herkömmlichen Programmpraxis.930 Viele der im Nationalsozialismus verbotenen Komponisten spielten im Repertoire der Wiener Philharmoniker bereits vor 1938 kaum eine Rolle. Insbesondere im Vergleich mit den gar nicht so seltenen Ausflügen der Berliner Philharmoniker in die musikalische Moderne sticht dies ins Auge. Ein Mitwirken bei den oben erwähnten „Anbruch“-Konzerten, die nicht nur in Berlin, sondern vorher schon in Wien abgehalten worden waren,931 sucht man bei den Wiener Philharmonikern vergeblich. Und Werke der Zweiten Wiener Schule wurden bei den Wiener Philharmonikern deutlich weniger oft programmiert als beim Berliner Philharmonischen Orchester; sie wurden fast ausschließlich in der Ära Krauss aufgeführt. So gestalteten die Wiener Philharmoniker nach zwei Aufführungen von Arnold Schönbergs Gurre-Liedern 1920 unter der Leitung des Komponisten erst 1930 wieder eine Schönberg-Aufführung in Form eines Rundfunkkonzerts (wiederum unter der Leitung des Komponisten), während 1930/31 auch zweimal Schönberg-Werke in den Abonnementkonzerten zur Aufführung gelangten. Alban Berg stand 1931/32 zweimal im Abonnementprogramm und wurde in derselben Saison auch einmal in einem sonstigen Konzert aufgeführt – ganz im Gegensatz zu den Werken Weberns, die während des hier behandelten Zeitraums nie Eingang in die Programme der Wiener Philharmoniker fanden. Doch auch die berühmtesten unter den im Nationalsozialismus verbotenen Komponisten, Mahler und Mendelssohn, beide jüdischer Herkunft mit christlichem Taufschein, waren in den Abonnementkonzerten932 keineswegs stark repräsentiert: Zwischen 1920 und 1938 fehlten Werke von Mahler in acht Spielzeiten und erreichten in den restlichen Jahren einen Anteil von um die vier Prozent, während die Mahler-Rezeption im ,Austrofaschismus‘ auch bei 929 Hellsberg, Demokratie, S. 474. 930 Die von Hellsberg angeführten Referenzjahre der Ära Krauss, während denen in den Philharmonischen Konzerten innerhalb dreier Jahre, von 1930 bis 1933, „Werke von 30 Meistern der verschiedensten Provenienz“ aufgeführt worden seien (Hellsberg, Demokratie, S. 472), sind nicht repräsentativ – Hellsberg selbst bezeichnet die Ära Krauss an anderer Stelle als Ausnahmeerscheinung (Hellsberg, Demokratie, S. 440 f.). Die drei Krauss-Jahre waren geprägt von einer verhältnismäßig experimentellen Programmgestaltung, die es so weder vorher noch nachher gab und die außerdem von den Wiener Philharmonikern selbst abgebrochen wurde, indem sie an Krauss’ Demontage kräftig mitwirkten. Die Kontrastierung des Repertoires dieser Ära mit jenem der NS-Zeit ist somit nicht plausibel. 931 Vgl. Czenczi, Ágota. Musikblätter des Anbruch. Das Programm einer Zeitschrift 1919–1923. Diplomarbeit an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien 2002. S. 66. 932 Die in FN 930 erwähnten Passagen bei Hellsberg beziehen sich ausschließlich auf die Abonnementkonzerte.
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den Wiener Philharmonikern einen deutlichen Aufschwung nahm: 1935/36 wurden sechsmal Werke von Mahler aufgeführt (Anlass war unter anderem sein 25. Todestag), was einen Anteil von rund 10 Prozent des Repertoires dieser Spielzeit bedeutete.933 Auch auf die Aufführung von Mendelssohns Werken verzichteten die Wiener Philharmoniker zwischen 1920 und 1938 in acht Saisons, während ihr Anteil in den restlichen Spielzeiten bei drei bis vier Prozent lag. Dies entsprach jeweils einem bis zwei Programmpunkten pro Saison. Mendelssohns und Mahlers Werke ließen sich, zumal in Anbetracht ihrer relativ geringen Präsenz in den Konzertprogrammen vor 1938, nach dem ,Anschluss‘ somit leicht durch andere Werke – etwa in Form einer Steigerung des Wagner-, vor allem aber des Bruckner-Anteils – ersetzen. Ebenso beeinträchtigten auch die kriegspolitisch intendierten Verbote französischer (bis 1943) sowie russischer Komponisten (ab 1941)934 die Gestaltung der Abonnementkonzerte nicht in dem Ausmaß, in dem sie Hellsberg beklagt. Dass mit dem „Verbot feindländischer Musik“, welches im April 1944 abermals erweitert wurde und ab diesem Zeitpunkt auch die Aufführung belgischer, rumänischer, bulgarischer und griechischer Kompositionen umfasste,935 eine verordnete Ausdünnung des Repertoires einherging, lässt sich indes nicht bestreiten. Ob und inwiefern diese Einschränkungen bei den beiden Orchestern Widerspruch hervorriefen, lässt sich nicht überprüfen. Aufgrund der Quellenlage ließen sich am ehesten noch bei den Wiener Philharmonikern Reaktionen auf die Komponistenverbote finden: Die Komiteeversammlung war ein Ort, an dem relativ informell und offen Probleme des Musikbetriebs erörtert werden konnten und auch erörtert wurden, während sich die Überlieferungen der Berliner Philharmoniker im Großen und Ganzen auf die offizielle Korrespondenz zwischen dem Orchester und politischen Stellen beziehungsweise zwischen politischen Stellen untereinander beschränken.936 Allerdings finden sich in den Sitzungsprotokollen der Wiener Philharmoniker keinerlei Bemerkungen oder Andeutungen, geschweige denn Diskussionen über diese Repertoireeinschränkungen, was wiederum um so weniger erstaunt, als sich die 933 Damit partizipierten die Wiener Philharmoniker an der im ,Austrofaschismus‘ explizit geförderten Rezeption von Mahlers Werken; Mahler sei in Österreich zwischen 1934 und 1938 „geradezu zu einer staatstragenden Größe“ avanciert. Scheit/Svoboda, Feindbild, S. 56. Gegen die „erste Mahler-Renaissance“ zu Beginn der 1920er-Jahre zeigten sich die Wiener Philharmoniker allerdings weitgehend immun; sie wurde fast ausschließlich vom Sinfonie-Orchester, den späteren Wiener Symphonikern, getragen. Vgl. Scheit/Svoboda, Feindbild, S. 45. 934 Vgl. die Amtlichen Mitteilungen der Reichsmusikkammer VIII/7 vom 15. 7. 1941 (S. 22) sowie X/11 vom 15. 11. 1943 (S. 46). Zit. in: Prieberg, Musik, S. 374 f. 935 Erweiterung des Verbotes feindländischer Musik. In: Die Reichskulturkammer, 1944/12, 28. 4. 1944, S. 178. 936 Vgl. auch das einleitende Kapitel 1.
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7. Repertoire und Politisierung
Wiener Philharmoniker in ihrer Programmgestaltung stets um Konzilianz gegenüber dem NS-Regime bemühten, gerade auch wenn es sich um politisch sensible Bereiche handelte. Insbesondere bemühten sie sich, nationalsozialistischen ,Ideologemen‘ gerecht zu werden. Beispielsweise beschloss das Komitee am 4. Januar 1943, einen beantragten Kompositionsabend mit Werken von Raimund Weissensteiner „aus staatspolitischen Erwägungen“ abzulehnen: Weissensteiner war Kaplan sowie Professor an der Wiener Musikhochschule und erhielt 1938 eine Verwarnung „wegen einer reichsfeindlichen Äußerung“, wurde jedoch erst einige Zeit nach der vom Komitee beschlossenen Ablehnung der Aufführung seiner Werke, am 16. September 1943, verhaftet und am 27. Oktober desselben Jahres zu drei Jahren Gefängnis verurteilt.937 Die Komiteemitglieder handelten auch vorauseilend in Übereinstimmung mit der NSDoktrin, wenn es um Kollegen aus den eigenen Reihen ging. Als Wilhelm Furtwängler im Juli 1942 die Leitung eines Konzerts mit Karl Böhm abtauschen wollte, nahm dies Jerger zum Anlass, das Konzert einer Programm- und Besetzungsrevision zu unterziehen und legte antisemitisches Ressentiment an den Tag: „Bei dieser Gelegenheit wird vom Vorstand Jerger gegen die Aufführung von Brahms’ Doppelkonzert wegen Krotschaks Versippung Stellung genommen“, so das Protokoll. Richard Krotschak, seit 1934 Solocellist bei den Wiener Philharmonikern, war mit einer jüdischen Frau verheiratet und konnte nur per „Sondergenehmigung“ im Orchester verbleiben. Krotschak wirkte außerdem im Schneiderhan-Quartett mit; auch gegen dessen Primarius Wolfgang Schneiderhan, Konzertmeister der Wiener Philharmoniker, bezog Jerger in der erwähnten Sitzung Stellung: „Auch wird in dem zu often Aufscheinen Schneiderhans als Solist in phil. Abon. Konzerten eine Gefahr gesehen, weil dadurch die anderen Konzertmeister sich benachteiligt fühlen werden. [...] Schliesslich sind die philh. Konzerte Orchesterkonzerte und keine Solistenveranstaltungen. Die Abon. Konzerte der Philharmoniker haben Zugkraft genug und benötigen keinen solistischen Aufputz. Diese Auffassung findet volle Zustimmung. An Stelle von Brahms Doppelkonzert wird über Vorschlag Moissl Dr. Böhm Beethovens ,Grosse Fuge‘ für Streichorchester vorgeschlagen.“938
Die Programmgestaltung war also trotz des relativ großen Spielraums der Wiener Philharmoniker auch dann von staatspolitischen Erwägungen geleitet, wenn keine Inter ventionen von politischen Instanzen erfolgten. 937 Biografische Angaben gemäß der kommentierten „Erkennungsdienstlichen Kartei der Gestapo Wien“ des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstands. URL: http://gegendenantisemitismus.at/php/ gestapo/index.php?c=detail&l=de&id=3365 [Stand: 27. 8. 2008]. 938 Prot. KS, 11. 7. 1942. HAWPh, A-Pr-030, 32.
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Ein solches Wechselverhältnis zwischen der Politik und den Orchestern wirkte sich jedoch nicht nur auf die Konzerttätigkeit des jeweiligen Orchesters als solche aus, sondern prägte außerdem aufgrund der hohen Aufmerksamkeit, welche den Wiener und Berliner Philharmonikern im In- und Ausland zukam, einen für den deutschen Musikbetrieb relevanten Konzertkanon entscheidend mit. Im Folgenden soll darum das Verhältnis zwischen Kanonbildung und Konzertpraxis der beiden Orchester näher betrachtet werden. Grafik 1 Abonnementkonzerte: Anzahl Werke und Anzahl Komponisten 120
Berliner Philharmoniker Anzahl Werke Wiener Philharmoniker Anzahl Werke
100
Berliner Philharmoniker Anzahl Komponisten Wiener Philharmoniker Anzahl Komponisten
80
60
40
20
19 2
0 19 /21 21 19 /22 22 19 /23 23 19 /24 24 19 /25 25 19 /26 26 19 /27 27 19 /28 28 19 /29 29 19 /30 30 19 /31 31 19 /32 32 19 /33 33 19 /34 34 19 /35 35 19 /36 36 19 /37 37 19 /38 38 19 /39 39 19 /40 40 19 /41 41 19 /42 42 19 /43 43 19 /44 44 /4 5
0
Anhand der oben stehenden Grafik 1 zu den Abonnementkonzerten der beiden Orchester wird ersichtlich, dass die Wiener Philharmoniker bis 1937/38 gegenüber den Berliner Philharmonikern eine rund doppelt so hohe Anzahl an Werken aufführten. Dies ist darauf zurückzuführen, dass jene ihre Abonnementkonzerte seit Ende 1917 stets zweimal aufführten, als öffentliche Generalprobe sowie als Philharmonisches Konzert. Demgegenüber hielten die Berliner Philharmoniker ihre philharmonischen Abonnementkonzerte zunächst nur einmal ab, was sich im Nationalsozialismus aber änderte. Ab der Saison 1937/38 wiederholten sie ihre Abonnementkonzerte jeweils zwei- bis dreimal und ab 1942/43 jene unter Furtwänglers Leitung sogar viermal. Diese Praxis der Wiederholung führte dazu, dass sich die Anzahl der aufgeführten Werke mehr als verdoppelte, während die Bandbreite der gespielten Komponis-
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7. Repertoire und Politisierung
ten unverändert blieb. Und obschon diese Bandbreite der aufgeführten Komponisten in den Abonnementkonzerten der Berliner Philharmoniker während längerer Zeit konstant blieb und erst ab der Saison 1942/43 deutlich schrumpfte, hatte eine solche Wiederholungspolitik in den Abonnementkonzerten – als den prestigeträchtigsten musikalischen Veranstaltungen Deutschlands überhaupt – eine stärkende Wirkung auf die Kanonisierung der von der NSMusikpolitik sanktionierten Komponisten. Noch deutlicher ist dies an den Abonnementkonzerten der Wiener Philharmoniker zu beobachten: Die Bandbreite an aufgeführten Komponisten nahm in den Spielzeiten nach dem ,Anschluss‘ deutlich ab und pendelte sich bei jeweils bloß rund 15 aufgeführten Komponisten ein. Diese an nationalsozialistischen Maßstäben orientierte Verdichtung des Komponistenkanons dürfte für die NS-Propaganda außerordentlich wirksam gewesen sein; die deutschen und österreichischen Referenzkomponisten wurden in ihrer Bedeutung abermals aufgewertet und konnten dadurch um so eher als Herrschaftsmittel instrumentalisiert werden – es sei an dieser Stelle nochmals auf die Grafiken im Anhang hingewiesen. Das Repertoire der Abonnementkonzerte der Wiener Philharmoniker war, was die Bandbreite der aufgeführten Komponisten anbelangt, schon vor 1938 (genau genommen seit Mitte der 1920er-Jahre) deutlich weniger vielfältig als jenes der Abonnementveranstaltungen des Berliner Philharmonischen Orchesters – abgesehen von der 1930 bis 1933 dauernden Wiener Krauss-Ära. Dies wirkte sich auch auf die Zeit des Nationalsozialismus aus: Repertoirespezifische Einschränkungen – selbst auferlegte als auch von der Reichsmusikkammer verordnete – machten sich bei den Wiener Philharmonikern dementsprechend schneller bemerkbar, weil der Rückgriff auf Alternativen aufgrund des traditionell geringeren Komponistenbestandes, den das Orchester für Abonnementkonzerte bereithielt, beschränkter war als beim Berliner Philharmonischen Orchester. Die unterschiedliche Ausprägung der Werkevielfalt in den Abonnementkonzerten der beiden Orchester dürfte aber auch mit der Konzert- und Programmpraxis insgesamt in engem Wechselverhältnis stehen: Sie lässt sich unter anderem durch den Umstand erklären, dass die Berliner Philharmoniker ungleich viel häufiger konzertierten als die Wiener Philharmoniker – und damit pro Spielzeit eine deutlich höhere Zahl an Werken zur Aufführung brachten.
247
Politisierter Konzertkanon
Grafik 2 Außerordentliche Konzerte: Anzahl Werke, Anzahl Komponisten und Anzahl Konzerte 400
Berliner Philharmoniker Anzahl Werke Wiener Philharmoniker Anzahl Werke
350
Berliner Philharmoniker Anzahl Komponisten
300
Wiener Philharmoniker Anzahl Komponisten Berliner Philharmoniker Anzahl ausserordentlicher Konzerte
250
Wiener Philharmoniker Anzahl ausserordentlicher Konzerte
200
150
100
50
5 /4
3 44 19
/4
1 /4
42 19
40
/3
9 19
38
/3
7 19
5 /3
36 19
3 /3
34 19
1 32 19
/3
9 30
/2 28
19
7 /2 26 19
19
5 /2
3 /2
24 19
22 19
19
20
/2
1
0
Die ,außerordentlichen‘ oder ,sonstigen‘ Konzerte, also sämtliche Aufführungen, die weder im Rahmen von Reisekonzerten noch des Abonnementzyklus je in Berlin und Wien stattfanden – das heißt, spezifische Propagandaveranstaltungen wie Wehrmachts- und Werkpausenoder Rundfunkkonzerte ebenfalls nicht mitgezählt –, stiegen bei den Berliner Philharmonikern in der Saison 1933/34 krass an und erreichten 1935/36 mit fast 350 gespielten Werken einen Höhepunkt – gegenüber knapp 200 Werken in der letzten Spielzeit der Weimarer Republik, 1932/33. In den darauf folgenden Jahren sank diese Zahl jedoch, entsprechend der im Abnehmen begriffenen Anzahl der ,außerordentlichen‘ Konzerte wieder deutlich: Schon 1937/38 erreichte sie den tiefsten Wert seit 1920 und während des Krieges sank sie abermals, bis sie 1940/41 einen ersten und 1944/45 den endgültigen Tiefpunkt mit bloß noch rund 70 gespielten Werken erreichte. Mitverantwortlich für diese Entwicklung war in erster Linie die Intensivierung der Reisekonzerte zu Beginn des Zweiten Weltkrieges.939 939 Vgl. dazu Kap. 7.6.
248
7. Repertoire und Politisierung
Die Kurve der Anzahl aufgeführter Werke verläuft bei den Wiener Philharmonikern stets deutlich unterhalb von jener des Berliner Philharmonischen Orchesters. Während dieses nur in den letzten beiden Spielzeiten weniger als 100 Werke aufführte, lagen die Wiener Philharmoniker kaum je darüber, auch nach 1938/39 nicht – freilich bei einer anhaltend deutlich geringeren Anzahl an Konzertveranstaltungen. Für die Kriegsjahre liegt die Anzahl der gespielten Werke in der Regel zwar etwas höher als in den 1920er- und 1930er-Jahren. Allerdings bedeutet dies keine signifikante Steigerung, einmal abgesehen von 1944/45, als das Wiener Orchester erstmals seit 1920 in einer (außerdem kürzeren) Spielzeit mehr als 150 Werke aufführte. Dies hängt allerdings mit der massiven Zunahme der Aufführung von Werken der Strauß-Familie (das heißt Stücken von geringer Länge wie Walzer oder Polkas) zusammen, wodurch innerhalb eines Konzertabends eine größere Anzahl dieser Stücke programmiert werden konnte. Nicht nur die Anzahl der in den ,außerordentlichen‘ Konzerten gespielten Werke, sondern auch die Bandbreite der Komponisten lag beim Berliner Philharmonischen Orchester deutlich höher als bei den Wiener Philharmonikern. Rund 470 verschiedene Komponisten in den ,außerordentlichen‘ Konzerten des Berliner Philharmonischen Orchesters stehen gut 220 in den ,außerordentlichen‘ Konzerten der Wiener Philharmoniker gegenüber, die zwischen 1920 und 1945 aufgeführt wurden. Während die Berliner Philharmoniker fast jede Spielzeit wesentlich mehr als 50, ja mitunter bis zu 90 verschiedene Komponisten spielten, lag diese Zahl bei den Wiener Philharmonikern immer unter 50; pro Saison führten sie Werke von um die 20 bis 30 verschiedenen Komponisten auf, von einigen Ausnahmen wie 1920/21, 1935/36 oder 1941/42 abgesehen, wo mehr als 40 verschiedene Tonsetzer in den Programmen aufschienen. Das Verhältnis zwischen der Anzahl der Konzerte bzw. der insgesamt gespielten Werke auf der einen und der Bandbreite der dabei zur Aufführung gelangten Komponisten auf der anderen Seite liegt bei den ,außerordentlichen‘ Konzerten dennoch etwas anders als bei den Abonnementkonzerten. Bei den Berliner Philharmonikern stieg unmittelbar nach der Machtübergabe nicht nur die Anzahl der gespielten Werke, sondern es wuchs auch die Bandbreite der gespielten Komponisten vorübergehend. Doch schon in der Spielzeit 1937/38 sanken beide Zahlen wieder deutlich; die Anzahl der Werke dauerhaft auf unter 150 und in der Folge auch die Anzahl der Komponisten dauerhaft auf (wenn auch teilweise knapp) unter 50. Im Gegensatz dazu nahmen bei den Wiener Philharmonikern sowohl die Anzahl der Werke als auch die Anzahl der Komponisten nach dem Tiefpunkt der Saison 1937/38 (vor allem als Folge des ,Anschlusses‘, als das Wiener Konzertleben vorübergehend weitgehend zum Erliegen gebracht wurde)940 wieder zu. Erst in den letzten beiden Kriegsjahren klaffte diese Entwicklung auseinander: Die Anzahl der gespielten Werke schnellte nach oben, während 940 Vgl. auch Kap. 4.4.
Einschränkung des ,Populären‘
249
jene der Komponisten praktisch unverändert blieb. Damit jedoch ging eine folgenschwere Erstarrung des Konzertbetriebs einher.
7.2 Einschränkung des ‚Populären‘ bei den Berliner Philharmonikern Diese quantitativen Verschiebungen und die damit verbundenen Umgewichtungen in den Repertoires der Wiener und Berliner Philharmoniker waren eine Folge von einschneidenden Veränderungen in der jeweiligen Konzertpraxis der Orchester. Insbesondere der Rückgang der ,außerordentlichen‘ Konzerte und der Anzahl gespielter Werke bei den Berliner Philharmonikern steht in engem Zusammenhang mit einer Neuausrichtung ihrer Konzertpolitik: Einerseits steigerten sie die Zahl der Auslandskonzerte zu Beginn des Zweiten Weltkrieges drastisch und andererseits stellten sie ihre auf die Gründungszeit zurückgehende Reihe der „Populären Konzerte“ ein. Diese „Populären Konzerte“ waren während vieler Jahre eine feste Institution der Philharmoniker und wurden zunächst dreimal und seit den 1920er-Jahren noch zweimal wöchentlich abgehalten. Nach der Machtübertragung hielt das Orchester vorerst an ihnen fest, gab sie aber mit der Saison 1936/37 endgültig auf. Dies war letztlich die Folge der sich seit der Machtübertragung im Gange befindlichen staatlich kontrollierten Rationalisierung und Monopolisierung der Unterhaltungskultur, wie sie vor allem die von Robert Ley geleitete „Deutsche Arbeitsfront“ mittels der ihr angegliederten Freizeitorganisation „Kraft durch Freude“ („KdF“) betrieb und die sich auf den Konzertbetrieb der Berliner Philharmoniker besonders drastisch auswirkte. Bereits 1934 wurde der Name der erwähnten Populäre-Konzerte-Reihe des Orchesters in „Sonntags- und Dienstagskonzerte“ umgewandelt, wofür die Presse folgende Begründung fand: „Von einer philharmonischen Saison kann man in der Tat sprechen: neben die zehn grossen Abonnementskonzerte unter Furtwänglers Leitung treten nun, ergänzend und gleichwertig, jeden Sonntag und Dienstag Konzerte des Philharmonischen Orchesters unter den verschiedensten Dirigenten. [...] Die sogenannten populären Konzerte aber sind verschwunden. Und das mit Recht. Sie stellten im Grunde nur einen Kompromiss dar, der unter der Maske der Kunst unterhaltend sein wollte, und zu guter Letzt weder das eine noch das andere war. Jetzt weiss man wieder, woran man ist, und siehe da: die Konzerte sind besser besucht als je, das Publikum dankt die Erhöhung des künstlerischen Niveaus mit einer inneren Bereitwilligkeit zum Mitgehen, die eben diesen Konzerten eine besondere Atmosphäre gibt.“941 941 Pfitzner dirigiert die Philharmoniker. Eröffnungskonzert in der Philharmonie. In: Berliner Morgenpost, 25. 9. 1934 (1. Beilage) [o. S.].
250
7. Repertoire und Politisierung
Und gegenüber dem eigenen Publikum veröffentlichte das Orchester in seinen „Blättern der Philharmonie“ im Herbst 1934 einen Artikel, in dem erwähnt wurde, die „Sonntag- und Dienstag-Symphonie-Konzerte“ würden sich ausdrücklich von „volkstümlichen“ Konzerten abheben: „Wort und Begriff ,Volkstümliche‘ Konzerte stammen aus einer überwundenen Zeit, die daraus so etwas wie Konzerte für Minderbemittelte machte. Entscheidend allein aber ist die Kunstleistung.“942 Das Label der „Populären Konzerte“ aus politischen Gründen durch jenes der „Sonntagsund Dienstagskonzerte“ zu ersetzen war ein verkraftbarer Eingriff in die Veranstaltungspraxis. Schwerer wogen da die „KdF“-Konzerte, die in großer Zahl veranstaltet wurden und die die populären philharmonischen Veranstaltungen durch eine geradezu ruinöse Preispolitik herausforderten. Dieser Herausforderung vermochten die Eigenveranstaltungen der Berliner Philharmoniker auf Dauer nicht standzuhalten. Darauf wies Anfang 1939 auch der Rechnungshof hin, als er, rückblickend auf die Geschäftsjahre 1936 und 1937, kommentierte: „Der Gefahr einer Beeinträchtigung der normalen Konzerteinnahmen [durch die Billig-Karten von „KdF“, F. T.] wird rechtzeitig vorzubeugen sein. Dasselbe gilt auch für die Abgabe von Karten zu einem geringen Durchschnittspreise an die Berliner Konzertgemeinde.“943
Und das Orchester beschwerte sich kurze Zeit später, als die „Sonntags- und Dienstagskonzerte“ bereits auch nicht mehr existierten, bei Goebbels über die Preispolitik von „KdF“, von der offenbar die gesamte Konzertpraxis des Orchesters unter Druck geriet: „Die in Regie der N.S.-Gemeinschaft KdF übergegangene Berliner Konzertgemeinde, mit der wir ein besonderes Vertragsverhältnis eingegangen waren, hat zweifellos durch die Vielheit ihrer Veranstaltungen, die ganz besonders billig sind, bewirkt, dass ein Teil unseres eigenen Publikums, weil es die Konzerte bei der Konzertgemeinde billiger bekommt als bei uns, zu dieser abgewandert ist. Während im ersten Vierteljahr der letzten Saison unsere Abonnements-Konzerte [...], die die Konzertgemeinde mit Karten zu einem festen Durchschnittssatz von RM 2.-- übernommen hatte, ausverkauft waren, haben wir im zweiten Vierteljahr feststellen müssen, dass bei diesen Konzerten und zwar merkwürdigerweise auf den unnummerierten Plätzen, uns eine grössere Anzahl Karten unverkauft blieb. Das Ergebnis kommt auch wohl daher, dass die Berliner Konzert-
942 Reder, Fritz. Die ständigen Sonntag- und Dienstag-Symphonie-Konzerte des Berliner Philharmonischen Orchesters. In: Blätter der Philharmonie, Oktober/November 1934, S. 1. 943 Rechnungshof des Deutschen Reiches an Goebbels, 19. 1. 1939, anlässlich der Prüfung der Jahresrechnungen über die Einnahmen, Ausgaben und Zuschüsse der Berliner Philharmonischen Orchester G.m.b.H. für die Rechnungsjahre 1936 und 1937. R 55/245.
Einschränkung des ,Populären‘
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gemeinde, abgesehen von ihren Abonnements-Reihen, sehr viel eigene Konzerte in den Bezirken veranstaltet, zum Teil mit den grössten Solisten, die wir haben, und zwar zu Preisen, die sich um RM 0,80 herum bewegen. Diese Art Preispolitik muss das gesamte Publikum über die Preiswürdigkeit der dargebotenen Musik verwirren. [...] Die Zugkraft der grossen Solisten und damit die Honorarfrage dieser Solisten wird gefährdet, wenn diese Art Veranstaltungen nicht eingeschränkt wird, denn – und das spricht für unsere bisherige Beweisführung – die Zahl der zahlenden Konzertbesucher ist begrenzt. [...]“944
Mit diesen Preisen konnten auch die günstigsten Veranstaltungen der Berliner Philharmoniker längst nicht mehr konkurrieren, betrugen doch die Eintrittspreise derselben je nach Plätzen zwischen 0,70 RM und 2 RM.945 Über kurz oder lang mussten die populären Veranstaltungen der Berliner Philharmoniker zugunsten von „KdF“-Veranstaltungen aufgegeben werden: ab 1936/37 verschwanden auch die „Sonn- und Dienstagskonzerte“, indem sie in einer Abonnementreihe mit Symphoniekonzerten sowie einer Reihe „klassischer Abende“ mit einem Beethoven-Schwerpunkt aufgingen.946 Die Veranstaltung populärer Konzerte trat das Orchester damit an „KdF“-Organisationen ab. Hans von Benda, der Geschäftsführer des Orchesters, machte dafür zwei Gründe geltend: Zum einen hätten die „Sonn- und Dienstags-Konzerte“ beim Publikum kein großes Interesse mehr gefunden, zum andern hätten sie aber auch dem künstlerischen Ruf des Orchesters nicht mehr entsprochen.947 Befriedigt stellte er fest: „So ist als wesentliches Ergebnis der Spielzeit 1938/39 festzustellen, dass diese 191 Konzerte fast ohne jede Ausnahme im Gegensatz zu früher dem hohen Range des Orchesters im künstlerischen Sinne entsprachen, da die Eingruppierung der Konzerte in hochwertige, populäre, mittelmäßige endgültig abgeschlossen war.“948
Die Berliner Philharmoniker profitierten also letztlich vom „KdF“-Kontrollanspruch über die Konzerte für ein breiteres Publikum – und dies gleich zweifach. Einerseits verfügten sie über zwei neue Reihen, die ihnen Gewinne von bis zu 3500 RM pro Konzert einbrachten.949 Ebenso verfügten sie über einen lukrativen Vertrag mit „KdF“, der auch in den Kriegsjahren 944 945 946 947 948
Berliner Philharmoniker an Goebbels, 31. 5. 1939. R 55/245. Ebd. Vgl. Aster, „Reichsorchester“, S. 147. Bericht des kaufmännischen Leiters der Berliner Philharmoniker, Geschäftsjahr 1938/39. BA, R 55/197. Bericht des kaufmännischen Leiters der Berliner Philharmoniker, Geschäftsjahr 1938/39. BA, R 55/197. [Hervorhebung F. T.]. 949 Gemäß Erläuterungen zu den Einnahmen 1941/41. BA, R 55/247.
252
7. Repertoire und Politisierung
bestehen blieb: Die „Berliner Konzertgemeinde/Gemeinsamer Konzertring der Reichshauptstadt Berlin und der N.S.G. Kraft durch Freude“ figurierten als Veranstalter, die den Berliner Philharmonikern pro Spielzeit zwischen fünf und zehn Konzerte abkauften, was dem Orchester auch während des Kriegs bis zu 5000 RM pro Konzert in die Kasse brachte.950 Insgesamt war die neue Situation für die Berliner Philharmoniker somit weitaus lukrativer, als es die früheren populären Eigenveranstaltung je waren. Andererseits profitierten die Berliner Philharmoniker vom Wegfall der „Populären Konzerte“ aber auch bezüglich ihres Images als Spitzenorchester: Sie konnten sich fortan weitgehend auf die Tätigkeit im ,Hochkultur‘-Segment konzentrieren. Dies versprach, sich wiederum ökonomisch auszuwirken, und bot außerdem die Möglichkeit zur Stärkung der oben beschriebenen Quasi-Monopolstellung im deutschen Musikbetrieb, mit der auch eine Festigung der Position im innerdeutschen Orchesterwettbewerb einherging. In der Folge bauten die Berliner Philharmoniker etwa die teuren, elitären Abonnementkonzerte des Orchesters Anfang der 1940er-Jahre massiv aus: „Dr. Wilhelm Furtwängler hat sich entschlossen, sein erstes diesjähriges Philharmonisches Konzert nicht nur am Dienstag [...] sondern ein zweites Mal am Mittwoch [...] zu wiederholen. Hans v. Bülows Wirken in den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts erregte solche Anteilnahme bei den Musikfreunden, dass die abendlichen Konzerte nicht nur fast stets ausverkauft waren, sondern dass darüber hinaus ein grosser Teil von Wünschen nach Zutritt zu diesen Konzerten unbefriedigt bleiben musste. So kam man auf den Gedanken, die Generalproben zunächst einem kleinen Kreis von Freunden und Anhängern, dann aber immer mehr der gesamten Oeffentlichkeit zugänglich zu machen. Die öffentlichen Generalproben sind heute zu einem so feststehenden Brauch geworden, dass man sie nicht mehr als Generalproben, sondern als Vorführungen empfindet. Ueber die zweimalige Veranstaltung eines Konzertes musste als Erster und Einziger Wilhelm Furtwängler bei den grossen Philharmonischen Konzerten in Berlin hinausgehen, indem er der Hauptaufführung jeweils an den Dienstagen eine Wiederholung folgen liess. Nun fanden von jedem Konzert drei Aufführungen statt. Die Wünsche der Musikfreunde konnten damit aber bei weitem noch nicht befriedigt werden. Darum veranstaltet Wilhelm Furtwängler jetzt also noch eine zweite Wiederholung, dirigiert sein erstes Philharmonisches Konzert also an vier Tagen hintereinander. Freilich können auch damit bei weitem noch nicht alle Kartenwünsche er füllt werden. Es ist vielmehr anzunehmen, dass dieses Konzert noch weitere Wiederholungen erleben könnte, sollte einmal die ganze Berliner Furtwängler-Gemeinde befriedigt werden.“951 950 Gemäß Bericht Rechnungshof für die Rechnungsjahre 1938 und 1939, 15. 4. 1942. BA, 55/246. 951 Programmheft zum Abonnementkonzert vom 25. 10. 1942, Philharmonische Nachrichten [letzte Seite des Programmhefts]. ABPhO, P 1942, X, 25.
Einschränkung des ,Populären‘
253
Kennzeichen dieser intensivierten Bewerbung musikalischer ,Hochkultur‘ ist jedoch weniger deren ,Popularisierung‘ als vielmehr deren Inflationierung: Es werden ausdrücklich nicht alle Berliner und Berlinerinnen, sondern nur die „Musikfreunde“ bzw. die „Berliner Furtwängler-Gemeinde“ angesprochen; außerdem wurde diese Ankündigung im Programmheft eines Furtwängler-Konzerts publiziert, was bedeutete, dass sie von Leuten rezipiert wurde, welche ohnehin an der musikalischen ,Hochkultur‘ teilhatten. Die Konzerte wurden also keineswegs einer anderen als der üblichen Bevölkerungsschicht, die in philharmonische Konzerte ging, angeboten. Hingegen steht hier nicht mehr das Konzert als singuläres Ereignis, welches bisher gerade durch die beschränkte Partizipationsmöglichkeit seine Besonderheit ausgemacht hatte, im Vordergrund, sondern seine mehrfache Wiederholung, die der möglichst umfassenden Befriedigung von Konsumwünschen dienen sollte und damit gewissermaßen an der ,Industrialisierung‘ der ,Hochkultur‘ mitwirkte. Es wurden aber nicht die Abonnementkonzerte insgesamt, sondern bloß jene unter Furtwänglers Leitung derart häufig wiederholt. In dieser Fokussierung auf Furtwängler drückt sich somit einerseits eine Art Starwesen aus, ohne welches der ,industriell‘ organisierte Kulturzweig nicht auskam und in dem sich auch eine Nähe zur Filmindustrie anzeigt.952 Zugleich manifestiert sich in dieser Fokussierung auf Furtwängler aber auch besonders deutlich ein Konsolidierungsversuch der Marke „Berliner Philharmoniker – Furtwängler“, die während der Kriegsjahre intensiv beworben wurde.953 Dass sich das Repertoire der Berliner Philharmoniker in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus kaum voneinander unterschieden hätte, wie dies Pamela Potter geltend macht,954 mag in gewisser Weise zwar auf die Abonnementkonzerte zutreffen, keinesfalls jedoch lässt sich dies für das gesamthafte Repertoire bestätigen: Die Streichung der „Populären Konzerte“ bedeutete eine einschneidende Veränderung in der Programmgestaltung des Orchesters, die sich in verschiedener Hinsicht äußerst prägend auf dessen Imagepolitik auswirkte.
952 Zum Starwesen im Film vgl. etwa Hickethier, Knut. Vom Theaterstar zum Filmstar. Merkmale des Starwesens um die Wende vom neunzehnten zum zwanzigsten Jahrhundert. In: Faulstich, Werner/Korte, Helmut (Hrsg.). Der Star. Geschichte – Rezeption – Bedeutung. München 1997. 953 Vgl. auch Kap. 7.6. 954 Potter, Pamela. Musical Life in Berlin from Weimar to Hitler. In: Kater, Michael H./Riethmüller, Albrecht. Music and Nazism. Art under Tyranny, 1933–1945. Laaber 2003. S. 90–101. Hier S. 97.
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7. Repertoire und Politisierung
7.3 Aufwertung von ‚leichter‘ Musik durch die Wiener Philharmoniker Im Unterschied zu den Berliner Philharmonikern, die an einer Popularisierung der ,Hochkultur‘ lange vor dem „KdF“-Zeitalter mitwirkten, kamen die Wiener Philharmoniker mit popularisierten Konzertformen in erhöhtem Maße955 erst im Nationalsozialismus in regelmäßige, wenn auch nicht sehr häufige Berührung. So trat das Orchester zwischen 1938 und 1944 jede Saison einmal in einem von „KdF“ veranstalteten Symphoniekonzert in Erscheinung (die Werkpausen- und Wehrmachtskonzerte nicht mitgerechnet), auch wenn die Orchesterleitung von dieser Zusammenarbeit keineswegs begeistert war: Für die Spielzeit 1941/42 lehnte das Komitee „KdF“-Konzerte rundweg ab, da diese bisher „nur Missstimmung mit der K. d. F.-Leitung“ gebracht hätten.956 Offenbar ließ sich diese ablehnende Haltung jedoch nicht zur Gänze umsetzen, denn im Mai 1943 wiederholten sie ein Abonnementkonzert als „,KdF‘-Meisterkonzert“ unter Karl Böhms Leitung und anlässlich des 10-jährigen Jubiläums der NS-Freizeitorganisation im Dezember desselben Jahres gaben die Wiener Philharmoniker ein Festkonzert, wiederum unter Böhms Leitung.957 Diese Zurückhaltung gegenüber „KdF“-Konzerten ist insofern bemerkenswert, als das Kulturamt der Stadt Wien offenbar größte Anstrengungen unternahm, die Popularisierung von ,Hochkultur‘ zu fördern. So engagierte sich dessen Leiter, Vizebürgermeister Hanns Blaschke, sogar persönlich in der „Volksbildung“, wie er es nannte: „Zu Opern- und Theaterbesuchen ist noch zu sagen, dass ich mich bei Stücken, zu denen eine grössere Anzahl Arbeiter einer Firma durch KdF geht, von Anfang an bereit erklärt habe, jenen Arbeitern, die Karten genommen haben, eine Viertelstunde nach Betriebsschluss in den Räumen ihres Betriebes über den Geist und den Sinn des Werkes etwas zu sagen, ihnen eine Inhaltsangabe und ein bisschen Einführung zu geben. [...] Die Volksbildung hat eben zur wesentlichen Voraussetzung, dass man die Arbeiter richtig behandelt. Zu den Arbeitern, die sich um nichts kümmern, müssen wir selber gehen. Wir versuchen daher allen Ernstes, ihnen an den Tagen, an denen sie für abends eine Karte zu den ,Meistersingern‘ oder zur ,Entführung‘ genommen haben, vorher [...] im Betrieb etwas über Mozart oder Wagner zu erzählen, [...] und ihnen allenfalls sogar die eine oder andere Melodie vorzupfeifen. Das ist vielleicht ganz primitiv. Um aber auch 955 Zu den wenigen Arbeiter- oder populären Konzerten, die die Wiener Philharmoniker in der ersten Hälfte der 1920er-Jahre abhielten, vgl. Kapitel 3.1. 956 Prot. KS, 12. 5. 1941. HAWPh, A-Pr-030, 25. 957 Dies im Rahmen eines dichten Festprogramms; die Festlichkeiten dauerten mehr als zwei Wochen und erstreckten sich thematisch von Werkkonzerten über eine „Reichs-Schachmeisterschaft“ bis hin zum „Großtauschtag der Wiener Briefmarkensammler“. Vgl. das Programm in Philharmonische Programmbücher, Band CII., 9. HAWPh.
Aufwertung von ,leichter‘ Musik
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festzustellen, mit welchen Gefühlen der Mann nach Hause geht, haben wir eigene Spione aus seiner Kameradschaft eingesetzt, die ihn nachher fragen, welche Eindrücke er wirklich gehabt hat. Wenn wir damit Erfolg hätten, würde ich bitten, dass man dies vor jeder ähnlichen Theatervorstellung, etwa zehn Minuten lang am Betriebsort selbst macht, um die Erlebnisfähigkeit der Menschen zu steigern.“958
Die Wiener Philharmoniker engagierten sich seit dem ,Anschluss‘ aber verstärkt in Bereichen, die mit der Popularisierung der musikalischen ,Hochkultur‘ in einem engen Zusammenhang standen; allerdings riefen diese Engagements teilweise heftige Diskussionen hervor. Nebst den Werkpausen- und Wehrmachtskonzerten959 war dies zum einen das Mitwirken bei Filmaufnahmen und zum anderen eine Intensivierung der Aufführung von ,semi-popularen‘ Kompositionen von Johann Strauß und anderen Vertretern der Strauß-Dynastie, woraus hernach unter anderem das „Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker“ hervorgehen sollte. Diese Werke der Strauß-Familie bezeichne ich als „semi-popular“, weil sie nicht dem zeitgenössischen ,Popularen‘,960 also dem Unterhaltungsmusik-Genre im Sinne der Schlager à la „Davon geht die Welt nicht unter“ oder „Lili Marleen“ zugeordnet werden können, sondern in enger Verbindung mit der ,Wiener Klassik‘ stehen und eine hohe musikalische Komplexität aufweisen – sehr im Unterschied zu den Machwerken der nationalsozialistischen Unterhaltungsindustrie.961 In Bezug auf ihre Rezeption sind sie jedoch als höchst populär zu 958 Sitzung der Beiräte des Kulturamtes der Gaustadt Wien, 14. 11. 1939. WSL, Stenographische Berichte, Ratsherren, B4, Sitzungsniederschriften; Tagesordnungen, Verhandlungsschriften aus dem Bereich des Kulturamts 1939–1945. 959 Detailliert in Kap. 7.5. 960 Die von Kaspar Maase angewandte Unterscheidung von „popular“ und „populär“ kann hier nicht so ohne Weiteres übernommen werden; Maase verwendet „popular“ als Attribut für massenkulturelle Phänomene, die den Unterschichten zugeordnet wurden, als „populär“ hingegen bezeichnet er Erscheinungen, die eine breite Beliebtheit quer durch die Klassen genossen. Maase, Kaspar. Grenzenloses Vergnügen. Der Aufstieg der Massenkultur 1850–1970. Frankfurt am Main 1997. S. 23. Mitunter verwende ich aber dennoch die Bezeichnung „popular“ in Abgrenzung zu „populär“: popular im Zusammenhang mit der Produktions-, populär hingegen in Beziehung auf die Rezeptionssphäre; popular als Verweis auf „popular music“, populär im (Maaseschen) Sinne als Ausdruck von großer Beliebtheit. 961 Vgl. etwa die Ausführungen zu Johann Strauß bei Adorno, Theodor W. Zur gesellschaftlichen Lage der Musik. [1932] In: ders. Gesammelte Schriften, Bd. 18: Musikalische Schriften V. Frankfurt a. Main 1997. S. 729–777. Hier S. 771. Zur ambivalenten Position von Johann Strauß in der ,Hochkultur‘ vgl. Riethmüller, Albrecht. Johann Strauß und der Makel der Popularität. In: Finscher, Ludwig/Riethmüller, Albrecht (Hrsg.). Johann Strauß. Zwischen Kunstanspruch und Volksvergnügen. Darmstadt 1995. S. 1–17. Riethmüllers Postulat, Strauß’ Werke im Zweifelsfall nicht zwischen Unterhaltungs- und ,Ernster‘ Musik, sondern definitiv im Unterhaltungssektor anzusiedeln – unter anderem mit einem Verweis auf Hermann Broch, der vorschlug, Johann Strauß als Inbegriff des „Unernsts der Epoche“ zu verstehen (S. 10) –, wird
256
7. Repertoire und Politisierung
bezeichnen, sodass sie sich bestens dafür eigneten, zugunsten der von Goebbels verordneten ,Wiener Geselligkeit‘962 instrumentalisiert zu werden. Die Wiener Philharmoniker, die sich seit Mitte der 1920er-Jahre verstärkt der Strauß’schen Musik angenommen hatten, werteten diese damit ebenso zum vermeintlichen Bestandteil der ,Hochkultur‘ auf, wie sie sie vor den Trägerschichten derselben popularisierten. Die gesteigerte Wien-Konnotation, die das Orchester im Nationalsozialismus erfuhr, brachte es mit sich, dass die Wiener Philharmoniker die Beschäftigung mit dieser Musik intensivierten. So hielt das Orchester am 31. Dezember 1939 ein Silvesterkonzert ab, in dem ausschließlich Strauß’sche Werke zur Aufführung gelangten. Das Strauß-Konzert fand in den folgenden Jahren eine Wiederholung, dann aber als Philharmonische Akademie zum Jahresbeginn; diese Strauß-Konzerte standen bis 1945 unter der Leitung von Clemens Krauss und bürgerten sich als „Neujahrskonzerte der Wiener Philharmoniker“ ein. Grafik 3 Johann und Josef Strauß (prozentualer Anteil am Repertoire der außerordentlichen Konzerte) 60
50
Berliner Philharmoniker Wiener Philharmoniker
40
30
20
10
19
20 19 /21 21 19 /22 22 19 /23 23 19 /24 24 19 /25 25 19 /26 26 19 /27 27 19 /28 28 19 /29 29 19 /30 30 19 /31 31 19 /32 32 19 /33 33 19 /34 34 19 /35 35 19 /36 36 19 /37 37 19 /38 38 19 /39 39 19 /40 40 19 /41 41 19 /42 42 19 /43 43 19 /44 44 /4 5
0
hier grundsätzlich Rechnung getragen. Dennoch wende ich für die Werke der Strauß-Familie das Attribut „semi-popular“ an, um die Differenz zwischen dieser Musik und den Produkten der nationalsozialistischen Unterhaltungsmusikindustrie deutlich zu kennzeichnen. 962 Vgl. FN 833.
Aufwertung von ,leichter‘ Musik
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Mit diesen Strauß-Konzerten gingen die Wiener Philharmoniker ihre bis anhin engste Verbindung mit der musikalischen Unterhaltungssphäre ein. Vermittelt über den ,Musikstadt‘Topos war dies auch ohne Weiteres möglich, ohne dass das Orchester dadurch einen Imageverlust hätte in Kauf nehmen müssen. In einer intensivierten Strauß-Rezeption lag für die Wiener Philharmoniker vielmehr eine weitere Möglichkeit, sich noch tiefer als bis anhin in die ,Musikstadt‘ einzuschreiben. Dahinter verbarg sich jedoch weniger ein „Bekenntnis [des Orchesters] zu Österreich“, wie Clemens Hellsberg den Grund für die Einführung der Strauß-Konzerte deklariert,963 sondern in erster Linie politisches Kalkül der nationalsozialistischen Protagonisten in Wien. Wer den entscheidenden Impuls zur Abhaltung des Silvesterkonzerts, aus dem sodann die legendären Neujahrskonzerte hervorgingen, lieferte, geht aus den Quellen zwar nicht hervor. Denkbar ist, dass die Urheberschaft bei Clemens Krauss lag, der mit den Wiener Philharmonikern seit 1929 wiederholt reine Strauß-Konzerte aufführte, wenn auch zunächst nicht in Wien, sondern jeweils anlässlich der Salzburger Festspiele. Es lag aber ebenso im Interesse von Stadt und Staat, die Etablierung dieser Konzerte voranzutreiben, um Goebbels Pläne, wonach Wien wieder „eine Stadt der Kultur, des Optimismus, der Musik und der Geselligkeit“ werden müsse,964 ihrer Verwirklichung zuzuführen. Denn insbesondere Berliner Stellen waren daran interessiert, dass sich gerade die Wiener Philharmoniker mit der Musik der Strauß-Dynastie beschäftigen sollen, wie aus einem Vertragsabschluss mit der Reichsrundfunkgesellschaft hervorgeht: „[...] das Orchester verpflichtet [sich], Schwarzplatten-Aufnahmen für den Großdeutschen Rundfunk mit Wiener Musik, in erster Linie natürlich mit Werken Johann Strauß’ mit einem, die Wiener Note besonders beherrschenden Dirigenten, zu machen.“965
Am allerwenigsten dürfte die entscheidende Initiative zur Institutionalisierung der StraußKonzerte von den Wiener Philharmonikern selbst ausgegangen sein. Aus den Protokollen geht deutlich hervor, dass die Meinungen über diese neu eingeführte Strauß-,Tradition‘ im Komitee des Orchesters äußerst widersprüchlich waren. So wurde etwa die (allerdings kurzfristig 963 Wiener Philharmoniker. Neujahrskonzert. URL: http://www.wienerphilharmoniker.at/index.php?set_lang uage=de&cccpage=newyearsconcert_history [Stand:1. 8. 2008]: „Just in jener Phase ständigen Bangens um die Selbständigkeit ihrer Vereinigung setzten die Philharmoniker einen Akzent, dessen Bedeutung nicht nur auf musikalischem Gebiet lag: Mit einem Konzert, das ausschließlich den Werken der Strauß-Dynastie gewidmet war, bekannten sie sich zu Österreich, für das in der damaligen Welt kein Platz war. [...] Selbst in der schwersten Zeit, im Jänner 1945, hielt man an diesem musikalischen Bekenntnis zu Österreich fest und veranstaltete sogar eine Wiederholung am 2. Jänner.“ 964 Vgl. FN 833. 965 Prot. KS, 7. 10. 1940. HAWPh, A-Pr-030, 17.
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7. Repertoire und Politisierung
eingebrachte) Anregung Jergers, nach Beendigung der Opernvorstellung ein Silvesterkonzert mit Werken von Johann Strauß zu geben, vom Komitee abgelehnt966 – und dies, obschon das Orchester einen Tag später, am 1. Januar 1941, ohnehin ein Strauß-Konzert abhielt, was bedeutete, dass das Zusatzkonzert ohne Probenaufwand hätte bewältigt werden können. Und in einer ebenfalls Ende 1940 geführten Debatte um die Einschränkung der „Privattätigkeit“ der einzelnen Philharmoniker sprach sich Otto Strasser gegen eine solche aus, weil „die kammermusikalische Tätigkeit für das Orchester wertvoller ist, als Walzer und andere Dinge bei den verschiedensten Anlässen zu spielen“.967 Ende 1943 stimmte das Komitee zwar einem Antrag zu, wonach das Neujahrskonzert „infolge der überaus regen Nachfrage“ am 2. Januar zu wiederholen sei, wobei es festhielt, dass darüber noch das Orchester befragt werden müsse.968 Dieses scheint den Antrag jedoch abgelehnt zu haben: In den Konzertprogrammen der Wiener Philharmoniker scheint am 2. Januar 1944 keine Wiederholung des Neujahrskonzerts auf. Erst zum Jahreswechsel 1944/45 spielte das Orchester dann unentwegt Strauß-Walzer: Am 29. Dezember für den Rundfunk, am 30. und 31. Dezember im Rahmen zweier „JohannStrauss-Konzerte“, am 1. und 2. Januar 1945 anlässlich der „Philharmonischen Akademie“, am 6. Januar bei einem Werkpausenkonzert sowie am 7. Januar in der „Wiederholung des Neujahrskonzerts“. Die der unterhaltenden Sphäre zugeordnete Musik hatte im Repertoire der Wiener Philharmoniker während des Nationalsozialismus trotz der skeptischen bis ablehnenden Haltung zahlreicher Orchester- und Komiteemitglieder drastisch zugenommen. Der Anteil an Werken der Strauß-Familie an den gesamthaft gespielten Stücken außerhalb der Abonnementkonzerte schnellte bereits 1939/40 auf über 40 Prozent hoch und betrug im letzten Kriegsjahr, nach einem zwischenzeitlichen Rückgang auf rund 15 Prozent (1940/41) und abermaligem Ansteigen auf über 30 Prozent (1942/43), mehr als die Hälfte aller gespielten Werke. Gerade an den Reaktionen einzelner Komiteemitglieder auf diese veränderte Praxis lässt sich ablesen, dass diese einschneidende Veränderung im Repertoire der Wiener Philharmoniker durchwegs eine Zäsur bedeuteten: Die konservative Linie der Abonnementkonzerte konnte – und darin bestand für das Orchester eine wesentlich veränderte Situation – sowohl politisch als auch finanziell nur aufrechterhalten werden, indem sich die Wiener Philharmoniker dem musikalischen ,Unterhaltungs‘-Sektor öffneten. Die Strauß-Walzer eigneten sich dazu besonders gut, weil sie an ,Musikstadt‘- und ,Alt-Wien‘-Topoi anschlossen und so die dominierende Stellung des Orchesters im ,Hochkultur‘-Betrieb nicht gefährdeten: Auch die Trägerschichten der ,Hochkultur‘ konnten sich mit dieser Musik als einer ,semi966 Prot. KS, 23. 12. 1940. HAWPh, A-Pr-030, 21. 967 Prot. KS, 11. 11. 1940. HAWPh, A-Pr-030, 18. 968 Prot. KS, 24. 10. 1943. HAWPh, A-Pr-030, 44.
Aufwertung von ,leichter‘ Musik
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popularen‘ identifizieren, da sie die Gloriole des 19. Jahrhunderts trug und ein insbesondere bei diesen Schichten populäres vergangenheitsbezogenes Illusionsangebot enthielt. Die Strauß-Konzerte eigneten sich darum bestens für die vergangenheitsbezogene Imagekampagne Wiens, auf die auch Goebbels neidisch schielte. Im Zusammenhang mit einem Operettenfilm, der von der Wien-Film produziert wurde, beschrieb er die Differenzen in der Ausrichtung der Filmproduktion zwischen Berlin und Wien: „Es werden mir auch Teile des neuen Forst-Films ,Operette‘ vorgeführt, der sicher wieder eine Riesenpropaganda für Wien darstellen wird. Man möchte die Berliner Produzenten bei den Ohren nehmen und ihnen diesen Film ein dutzendmal vorführen, damit sie sehen, wie so etwas gemacht wird. Die Wiener verstehen es ausgezeichnet, für ihre Stadt Propaganda zu machen. Die Propaganda für Wien ist besser als die Stadt selbst. Bei Berlin ist es umgekehrt; hier ist die Stadt besser, als die Propaganda die für sie gemacht wird.“969
Die Mitwirkung an Produktionen für den Film – insbesondere an solchen, die eine spezifische Wien-Thematik beinhalteten – war denn auch ein weiteres populärkulturelles Genre, in dem sich die Wiener Philharmoniker nach dem ,Anschluss‘ verstärkt betätigten. Dass die üppige Verwendung und Thematisierung von Musik überdies ein Hauptmerkmal der Wien-Filme waren,970 kam Engagements der Wiener Philharmoniker für Filmproduktionen außerdem entgegen. Orchesterintern wurde diese Tätigkeit allerdings nach und nach umstrittener:971 „Strasser tritt für unbedingte Ablehnung aller Tonfilmmusikaufnahmen und unbedeutender Konzerte aus künstlerischen Gründen und Arbeitsüberlastung ein. Vorstand Jerger schliesst sich der Anschauung Strassers an. Geschäftsführer Jelinek widerspricht der Meinung Strassers und führt an, dass auch Kirchenmusiken, Trompeterchorveranstaltungen und Ähnliches sehr oft unkünstlerisch sind und die Arbeiten der privaten Vereinigungen wie Streichquartette, Bläservereinigung, ebenso 969 Goebbels, Tagebücher II, Bd. 3, S. 473 (Eintrag vom 15. 3. 1942). Es handelt sich bei diesem Forst-Film aber kaum um ,Operette‘, da dieser 1940 in die Kinos gelangte, sondern um den Operettenfilm ,Wiener Blut‘, der am 2. 4. 1942 Premiere feierte. The Internet Movie Database. URL: http://www.imdb.com/title/ tt0035559/releaseinfo [Stand: 18. 8. 2008]. 970 Linhardt, Marion. Phantasie und Rekonstruktion. Die Filme über Wien. In: Loacker, Armin (Hrsg.). Willi Forst. Ein Filmstil aus Wien. Wien 2003. S. 258–289. Hier (anhand des Forst-Films „Wiener Blut“ ausgeführt) S. 288 f. 971 Der Beschäftigungsgrad durch das Mitwirken bei Filmen war zuweilen relativ hoch; für die Saison 1943/44 ist immerhin von sechs bis sieben Filmen die Rede, die dem Orchester als „freiwillige Tonfilmarbeiten“ übertragen worden seien. Prot. Orchesterversammlung, 27. 10. 1942. HAWPh, A-Pr-030, 35. Auch wenn das Orchester bereits unter Burghausers Vorstandschaft vereinzelt Aufträge zur Mitwirkung bei Tonfilmaufnahmen entgegengenommen hatte, nahm diese Tätigkeit im NS einen deutlich größeren Raum ein.
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7. Repertoire und Politisierung
zur Arbeitsüberlastung beitragen und der Unterschied nur darin besteht, dass bei der Tonfilmarbeit und kleineren Konzertveranstaltungen das ganze Orchester einen finanziellen Nutzen hat, während bei den Streichquartetten und ähnlichen Vereinigungen, deren Bedarf in Wien ja leider kein übermäßiger ist, nur ganz wenige finanziell beteiligt sind. Und man kann nicht gut verlangen, dass wegen einiger weniger Herren der Großteil des Orchesters geschädigt werde. Schliesslich sind wir – um ganz ehrlich zu sein – nicht nur Musiker geworden, um ausschließlich Künstler zu sein, sondern um damit auch Geld verdienen zu können, wie das ja alle anderen Herren auch tun. Wir wissen aus Erfahrung, dass gerade die grössten Künstler auch die grössten Geldwucherer sind. – Diskussion verschoben.“972
Ein gutes Jahr später wiederholte sich diese Debatte um die Vereinbarkeit von künstlerischen und kommerziellen Interessen zwischen Vorstand Jerger und Geschäftsführer Jelinek. Jerger sprach sich dabei wiederum gegen die Mitarbeit beim Tonfilm aus, angeblich „wegen Nichteinhaltung gegebener Versprechen“,973 worauf sich Jelinek für die Weiterführung dieser Mitarbeit aussprach: „Geschäftsführer Jelinek [...] findet es unverständlich, warum der, der weder Lehrer an einer Musikschule noch Mitglied einer Kammermusikvereinigung sein kann, beim Tonfilm nicht Geld verdienen soll. Schließlich findet man beim Tonfilm alle Künstlerschaften vertreten. Es sind dort prominente Sänger, Schauspieler, Dirigenten u.s.w. beschäftigt. Warum ausgerechnet die Musiker die Vornehmen sein sollen ist daher nicht einzusehen.“974
Dem hielt Jerger die künstlerische Fragwürdigkeit der Filmarbeit entgegen: „Vorstand Jerger tritt dieser Anschauung insoferne entgegen, als er erklärt nicht gegen die Mitarbeit der Arbeit wegen zu sein, sondern die Art der musikalischen Beschäftigung und das Spielenmüssen oft größten Schundes, das letzten Endes nicht nur zur musikalischen, sondern überhaupt zur unumschränkten Disziplinlosigkeit anregt, ist es, was ihn gegen das Tonfilmspiel unseres Orchesters einnimmt.“975
Im Mai 1942 wurde sodann entschieden, dass Filmarbeit nur noch in beschränktem Ausmaße zur Annahme gelangen solle,976 und einige Monate später beschloss das Komitee für das Mitwirken bei Tonfilmen die Freiwilligkeit:
972 973 974 975 976
Prot. KS, 2. 9. 1940. HAWPh, A-Pr-030, 16. Prot. KS, 12. 1. 1942. HAWPh, A-Pr-030, 30. Ebd. Ebd. Prot. KS, 7. 5. 1942. HAWPh, A-Pr-030, 31.
Aufwertung von ,leichter‘ Musik
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„Über Vorschlag Kainz wird beschlossen, dass Filmarbeit grundsätzlich nur als freiwillige Arbeit behandelt werden darf, da diese Arbeit eine musikalische Handlangerarbeit darstellt und nur den einen Zweck verfolgt, auf leichte Art viel Geld zu verdienen.“977
Die Mehrheit der Wiener Philharmoniker scheint wann immer möglich versucht zu haben, mit dem neuen Medium „Film“ nicht in Berührung zu kommen. Als etwa die österreichische Filmproduktionsgesellschaft Wien-Film beim Orchester beantragte, die Wiener Erstaufführung von Karl Hartls Mozart-Film „Wen die Götter lieben“ mit einer Ouvertüre zu umrahmen, lehnte dies das Komitee auf Vorschlag Jergers ab978 – ob das Orchester die Musikaufnahmen dazu lieferte, war nicht zu ermitteln; am 21. Juni 1939 spielten die Wiener Philharmoniker für einen „Mozart-Film“979, aber dabei dürfte es sich um Leopold Hainischs „Eine kleine Nachtmusik“ (1939) gehandelt haben. Dennoch wirkten die Wiener Philharmoniker in den ersten beiden Kriegsjahren mehrmals bei Aufführungen von gewichtigen nationalsozialistischen Propagandafilmen mit: Ende 1939 umrahmten sie die Uraufführung von Gustav Ucickys Mutterliebe, im April 1941 gestalteten sie ein Abendkonzert zum antibritischen Machwerk Ohm Krüger (Regie: Hans Steinhoff) und im Oktober 1941 eines zum berüchtigten rassistischen Ucicky-Film Heimkehr. Danach verschwanden solche Auftritte aus der Konzertagenda der Wiener Philharmoniker. Auch der Tobis-Film, die dem Orchester Anfang 1943 anbot, bei „Philharmoniker“, dem Spielfilm über die Berliner Philharmoniker,980 mitzuwirken, erteilten sie einen abschlägigen Bescheid.981 Dennoch mussten sich die Wiener Philharmoniker als voll beschäftigtes und damit „unentbehrliches“ Kollektiv darstellen, da ihre „UK-Stellung“ ansonsten gefährdet gewesen wäre. Filmarbeit bot ein gutes Mittel dazu, trotz der anhaltenden Skepsis eines großen Teils der Orchestermitglieder. Jerger, der sich ihr gegenüber üblicherweise ebenfalls ablehnend verhielt, betonte im Sommer 1940: „Möglicherweise kommen dazu noch Tonfilmaufnahmen. Jedenfalls ist dafür gesorgt, dass das Orchester in der ersten Hälfte Juli reichlich beschäftigt ist und dem Orchester kann der Vorwurf des Nichtstuns nicht mehr gemacht werden, was in der gegenwärtigen Zeit sehr üble Folgen 977 978 979 980 981
Prot. KS, 10. 9. 1942. HAWPh, A-Pr-030, 33. Prot. KS, 4. 1. 1943. HAWPh, A-Pr-030, 36. Schreiben Jergers an die Orchestermitglieder vom 12. 6. 1939. HAWPh, A-Pr-030, 6. Zum Film vgl. Kap. 6.3. Prot. KS, 3. 2. 1943. HAWPh, A-Pr-030, 38. Es ist allerdings davon auszugehen, dass die Mitwirkung bei Tonfilmaufnahmen nicht gänzlich aufgegeben wurde; welche Aufnahmen mit welcher Besetzung getätigt wurden, ist jedoch aufgrund der offenbar nicht vollständig dokumentierten Programmsammlung des Historischen Archivs der Wiener Philharmoniker nicht zu eruieren.
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7. Repertoire und Politisierung
haben könnte. Sehr leicht könnte dadurch das Orchester Gefahr laufen, durch Masseneinberufungen schwere künstlerische Einbußen zu erleiden.“982
Die Politisierung der Wiener Philharmoniker ist seit 1938 also in ein neues Stadium getreten: Die Erweiterung ihrer Praxis in Richtung des Unterhaltungs-Genres war nicht mehr bloß ein Gebot wirtschaftlicher Klugheit, sondern sie war quasi zur politischen Bedingung der Vereinsaktivitäten überhaupt geworden. Das Kerngeschäft der philharmonischen Tätigkeit wurde davon jedoch bezeichnenderweise keineswegs beeinträchtigt. Versteht man unter ,Modernisierung‘ des Kulturbetriebs im 20. Jahrhundert die Auflösung fest gefügter Traditionen, etwa in Form einer Propagierung der Auflösung von Sparten- oder Genregegensätzen,983 dann wirkte der Nationalsozialismus (wie zuvor schon der Erste Weltkrieg) bei den Wiener Philharmonikern als Schrittmacher auf dem Weg dorthin. Im Unterschied zum Berliner Philharmonischen Orchester, das in seiner Konzertpolitik jeweils prompt auf den ökonomischen und gesellschaftlichen Wandel zu reagieren wusste und sich veränderten Verhältnissen rasch und pragmatisch anpasste, wirkten sich Zuspitzungen der ökonomischen und gesellschaftlichen Verhältnisse und damit einhergehende politische Zäsuren auf die Praxis der auf Traditionen bezogenen Wiener Philharmoniker zumeist verzögert, letztlich jedoch einschneidender aus: Sie gestalteten Wandlungen im Musikbetrieb weniger mit, als dass sie sie nachvollzogen. Sobald sie den Nachvollzug geleistet und sich in neuer Verfassung konsolidiert hatten, erfolgte – gerade auch im Nationalsozialismus – eine neuerliche Stagnation. Das wird etwa deutlich an Jergers Befürchtung einer Überlastung des Orchesters, wie aus einem Votum zur Spielzeit 1941/42 hervorgeht, in dem Jerger verkündete, dass „außer den Abonnement-Konzerten nur noch die notwendigsten Außerordentlichen Konzerte, Schallplattenaufnahmen und eventuell Tonfilmaufnahmen gemacht werden. Vermindert werden die Rundfunkakademien und abgelehnt die K.d.F.-Konzerte, die nur Missstimmung mit der K.d.F.-Leitung brachten. An Reisen werden nur zwei gemacht [...].“984
Ihr Kerngeschäft – die philharmonischen Abonnementkonzerte – waren für die Wiener Philharmoniker im Nationalsozialismus aber letztlich ebenso zur Nebensache geworden wie für das Berliner Philharmonische Orchester. Die Aktivitäten außerhalb dieser etablierten, elitären Konzertreihe waren bei beiden Orchestern zahlreich, auch wenn sie sich in den einzelnen Be982 Prot. KS, 4. 6. 1940. HAWPh, A-Pr-030, 14. 983 Vgl. Adorno, Resumée, S. 337. 984 Prot. KS, 12 .5. 1941. HAWPh, A-Pr-030, 25.
,Hochkultur‘, die in die Breite wächst?
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reichen jeweils unterschiedlich gestalteten: Sie fanden im Rahmen des Rundfunks, der Werkund Wehrmachtskonzerte sowie der Auslandstourneen statt und prägten das künstlerische wie das politische Profil beider Orchester entscheidend mit.
7.4 ‚Hochkultur‘, die in die Breite wächst? Die philharmonischen Rundfunkkonzerte Die Rundfunkkonzerte bildeten für die Aufführung und Distribution von Musik einen relativ neuen Kanal, der im ,Dritten Reich‘ besonders intensiv beworben und gefördert wurde – freilich immer unter der Voraussetzung strengster staatlicher Kontrolle.985 Den Orchestern ermöglichte dieses neue Medium, räumlich betrachtet, eine gleichsam unbegrenzte Präsenz, die es ihnen über die Vermittlung von musikalischem Genuss hinausgehend erlaubte, mit gezielten programmatischen Schwerpunkten in Rundfunkkonzerten eine spezifische Imagepolitik zu betreiben, die in ihrer Wirksamkeit eine auf den Konzertsaal beschränkte Rezeption weit hinter sich ließ. Gleichwohl ist die Frage nach orchesterspezifischen Schwerpunkten der Berliner und Wiener Philharmoniker in der Tätigkeit für den Rundfunk auf empirischer Basis schwer zu beantworten; eine genaue Quantifizierung der ausgestrahlten Konzerte der beiden Orchester ist kaum zu bewerkstelligen: Einerseits ist die Quellenlage in den Orchesterarchiven selbst äußerst lückenhaft,986 andererseits ist sie in den Rundfunkarchiven derart überwältigend, dass die Suche nach spezifischen Rundfunkkonzerten praktisch unmöglich ist.987 Dennoch lässt sich aufgrund einer Reihe an Hinweisen auf die Rundfunkpraxis der beiden Orchester deren jeweiliges „Rundfunkprofil“ zumindest in seinen Grundzügen nachzeichnen. Die Rundfunkprogramme enthielten nicht nur Produktionen, die als solche für den Rundfunk entstanden sind; ebenso wurden Aufzeichnungen von ,konventionellen‘ Konzer985 Zur Übernahme des deutschen Rundfunks durch den NS-Staat vgl. etwa Dussel, Konrad. Hörfunk in Deutschland. Politik, Programm, Publikum (1923–1960). Potsdam 2002. S. 55–69. Staatliche Kontrolle hatte beim deutschen Rundfunk allerdings Tradition: Wie Dussel betont, nahm sich die Entwicklung des Rundfunks in Deutschland geradezu entgegengesetzt zu jener in den USA aus; Rundfunk sei in Deutschland, ja in Europa überhaupt, von Anfang an nicht als privates „Geschäft“ betrachtet worden, sondern als öffentliche Aufgabe, die angesichts ihrer postulierten Bedeutung habe staatlich bearbeitet werden müssen (S. 35). 986 Erwähnung finden dabei aber auch nur die Aufnahmen (so gelegentlich etwa in den Sitzungsprotokollen der Wiener Philharmoniker), nicht jedoch die Ausstrahlungen der Konzerte. 987 Zur Quellenlage in den Rundfunkarchiven vgl. etwa Dussel, Hörfunk, S. 134 f. Alleine die Programme der Weimarer Republik verzeichnen rund 800.000 Sendungen. Vgl. Dussel, Hörfunk, S. 134. Auch für die Zeit des Nationalsozialismus beläuft sich die Anzahl an Programmheften auf mehrere Tausend. Vgl. Hoffmann, Björn. Die Tagespresse und der Rundfunk im Nationalsozialismus und im italienischen Faschismus im Vergleich. Magisterarbeit an der Humboldt-Universität zu Berlin 2000. S. 21.
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7. Repertoire und Politisierung
ten ausgestrahlt, die dem Rundfunkpublikum sowohl live als auch zeitversetzt zugänglich gemacht wurden. Letzteres wurde insbesondere bei den Konzerten des Berliner Philharmonischen Orchesters häufig praktiziert. Aus einem Vertrag zwischen der Berliner Reichs-Rundfunk GmbH und dem Berliner Philharmonischen Orchester aus dem Jahr 1941 geht hervor, dass die „Zusammenarbeit“ der beiden Institutionen einen beträchtlichen Teil der gesamthaft veranstalteten Konzerte des Orchesters umfasste: Nebst den „Sendekonzerten“ und der „Herstellung von Schallaufnahmen“ betraf dies auch die Übertragungen der Philharmonischen Konzerte sowie „anderer Konzerte der Philharmoniker“.988 Allerdings waren sich die beiden Parteien über den Umfang der Sendeerlaubnis nicht einig: Das Orchester vertrat den Standpunkt, dass „jeder Sender die Sendung einmal bringen kann“, während die Reichs-Rundfunk GmbH989 darauf drängte, dass „die von einem Sendekonzert hergestellte Schallaufnahme gelegentlich wiederholt“ werden könne.990 Rundfunkmitschnitte stellten das Orchester insofern vor ein Problem, als mit dieser neuen Distributionsmöglichkeit ein Kontrollverlust bezüglich des Zeitpunkts der Wiedergabe einherging. Auch aus den Protokollen der Komiteesitzungen der Wiener Philharmoniker – die darin erwähnten Verträge sind im Historischen Archiv der Wiener Philharmoniker nicht überliefert – geht deutlich hervor, dass nebst Aufnahmen, die gezielt für den Rundfunk produziert worden sind, ebenfalls reguläre Konzerte der Wiener Philharmoniker ausgestrahlt wurden. Quantitativ betrachtet dürfte die Radiopräsenz der beiden Orchester relativ ausgeglichen gewesen sein. Die spezifischen Orchesternarrative hingegen kamen auch in der Gestaltung der jeweiligen Radiosendungen deutlich zum Ausdruck: Die Berliner Philharmoniker wurden quasi als Monopolträger der deutschen Musik herausgestellt, während die Wiener Philharmoniker als Repräsentanten des Wienerischen fungierten. So bestätigte die Reichsrundfunkgesellschaft dem Berliner Philharmonischen Orchester im Oktober 1940 aufgrund seiner zögerlichen Haltung gegenüber einem Vertragsabschluss ausdrücklich: „[…] die zwischen uns getroffene Abmachung, derzufolge der Grossdeutsche Rundfunk die philharmonischen Konzerte unter Leitung von Herrn Staatsrat Dr. Wilhelm Furtwängler als die führenden Ereignisse des deutschen Musiklebens herausstellen wird“.991 988 Vertrag vom 20. 2. 1941 [gemäß Begleitschreiben Reichs-Rundfunk GmbH an Berliner Philharmonisches Orchester, 27. 2. 1941]. ABPhO, G 3. 989 In der Folge auch: Reichsrundfunkgesellschaft. 990 Reichs-Rundfunk GmbH Berlin an Berliner Philharmoniker, 13. 3. 1943. ABPhO, G 3. 991 Reichs-Rundfunk GmbH an Berliner Philharmonisches Orchester (v. Westermann), 12. 10. 1940. ABPhO, G 3. [Hervorhebung F. T.].
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Zudem versprach die Reichsrundfunkgesellschaft, sie werde dafür Sorge tragen, dass die Konzerte möglichst zum Zeitpunkt ihrer Aufführung gesendet würden und betonte, dass „[f ] ür das erste Konzert [...] eine Verlängerung bis 12.40 Uhr und eine Verschiebung der Nachrichten des drahtlosen Dienstes“ erreicht werden konnte, bat aber zugleich darum, „den 12.30 Uhr Schlusstermin“ bei weiteren Konzerten nach Möglichkeit einzuhalten.992 Auf den Aspekt der Live-Übertragungen scheint indes das Orchester gepocht zu haben: Der Reichsrundfunk erklärte, er bestätige nochmals die „Bereitschaft, die Sendungen möglichst gleichlaufend mit den Originalaufführungen zu bringen“.993 Im Gegenzug dazu hatten die Wiener Philharmoniker eine „Wiener Note“ zu vertreten. So verpflichteten sie sich vertraglich, Rundfunkaufnahmen mit Werken von Johann Strauß zu tätigen – auf den entsprechenden Passus in den Komiteesitzungs-Protokollen wurde bereits verwiesen.994 Das Image Wiens als Stadt des Walzers wurde überdies von der Rundfunkpolitik explizit gefördert: Strauß’ Werke erklangen, etwa im Verbund mit Stücken von Lehár, unter Programmtiteln wie „So klingt’s in Wien“.995 Und Clemens Krauss ließ den Wiener Philharmonikern im Januar 1940 mitteilen, die Rundfunkleitung habe für die kommende Saison ihr Einverständnis zur Übertragung von „vier Abendmusiken der Wiener Philharmoniker unter Clemens Krauss“ erteilt – und erwähnte nebenher: „Um den Veranstaltungen einen ausgesprochen wienerischen Charakter zu geben, sollen die Solisten nach Möglichkeit aus dem Kreise des Orchesters oder doch wenigstens aus dem Kreise von Künstlern ausgewählt werden, die aus der Wiener Schule hervorgegangen sind.“996
Mit den Konzertübertragungen ihrer Konzerte waren die Wiener Philharmoniker aber nicht immer zufrieden. Ob es sich dabei um eine grundlegende Skepsis gegenüber der technischen Reproduktion und Distribution von Musik handelte, wie sie das Orchester etwa dem Tonfilm entgegenbrachte, lässt sich zwar nicht bestätigen, aber Orchestervorstand Jerger persönlich verzichtete bisweilen sogar darauf, seine eigenen Werke in Konzerten zu dirigieren (er betätigte sich mitunter auch als Komponist), wenn diese im Rundfunk übertragen wurden: „Die Herren Wobisch und Wlach bemängeln die schlechte Übertragung des ,Don Quixote‘ und des Concertanten Quartetts aus dem III. Abonnement-Konzert. Vorstand Jerger erklärt, 992 993 994 995 996
Ebd. Ebd. Vgl. FN 985. Vgl. Dussel, Hörfunk, S. 224. Krauss an Wiener Philharmoniker, 12. 1. 1940. HAWPh, Korrespondenzmappen, K/51 – Clemens Krauss (6).
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7. Repertoire und Politisierung
dass er aus diesem Grunde auf das Rundfunk-Konzert mit eigenen Werken unter seiner Leitung verzichtet.“997
Dennoch scheinen der ökonomische Reiz, die Sorge um die Imagepflege sowie das Bestreben, das Orchester als möglichst ausgelastet erscheinen zu lassen, groß genug gewesen zu sein, um auf die Partizipation bei Rundfunkkonzerten nicht zu verzichten. So gab Jerger an der Hauptversammlung vom Januar 1943 bekannt, es sei gelungen, den Vertrag mit dem „Großdeutschen Rundfunk“ zu verbessern, sodass die Rundfunk-Akademien „ein sehr gutes Geschäft“ geworden seien. Zu dieser Aussage stehen allerdings die Diskussionen in Widerspruch, die nur kurze Zeit später im Komitee geführt wurden. In mehreren Sitzungen wurde auf die Mängel des Vertrages zwischen dem Orchester und dem Rundfunk hingewiesen, und im Dezember 1943 beschloss das Komitee „die teilweise Kündigung des z. Zt. bestehenden Vertrages“ mit der Begründung, es sei unsinnig, dass „für eine einmalige Aufnahme Rm. 3000.-bezahlt werden, während für dieselbe Aufnahme für Magnetofon nur Rm. 2000.-- eingesetzt sind“998 – und dies, obwohl „Magnetofon unendlich oft abgespielt werden kann“.999 Jergers Optimismus vor der Orchesterversammlung dürfte also kalkuliert gewesen sein: Er musste – die offensichtlich umstrittene Tätigkeit der Wiener Philharmoniker für den Rundfunk zumindest als ökonomischen Erfolg legitimieren, um die Skepsis der Orchestermitglieder ihr gegenüber so weit zu entschärfen, dass sie nicht in einer Verweigerungshaltung mündete. Aus der relativ großen Aufmerksamkeit, die die beiden Orchester den Rundfunkaufnahmen widmeten, ist allerdings nicht abzuleiten, die Orchester seien im Rundfunk oft präsent gewesen: Sie waren es nicht. Der Anteil der ,klassischen‘ Musik am Rundfunkprogramm verringerte sich durch die nationalsozialistische Rundfunkpolitik sukzessive,1000 da Goebbels den Hauptakzent auf „Unterhaltung“ und „Unterhaltungsmusik“ legte.1001 Damit befand sich die Programmgestaltung im Nationalsozialismus in deutlichem Kontrast zu jener der Weimarer Republik, die sich dadurch auszeichnete, dass sie sich primär am zeitgenössischen Konzert- und Theaterprogramm orientierte und deren Grundintention es war, das Publikum zu bilden.1002 Der für das Rundfunkwesen zuständige Staatssekretär Bredow formulierte 1922, durch den Rundfunk sollen
997 Prot. OHV, 14. 1. 1943. HAWPh, A-Pr-030, 37. 998 Prot. KS, 20. 12. 1943. HAWPh, A-Pr-030, 45. 999 Prot. KS, 3. 4. 1943. HAWPh, A-Pr-030, 41. 1000 Dussel, Hörfunk, S. 184 f. 1001 Ebd., S. 209 ff. sowie S. 218 ff. 1002 Ebd., Hörfunk, S. 145 ff.
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„vor allen Dingen weitesten Kreisen des Volkes gute Unterhaltung und Belehrungsmöglichkeiten in der Weise verschafft werden, daß [...] allen Bevölkerungsschichten [...] ermöglicht wird, Vorträge künstlerischer, wissenschaftlicher und sozialer Art auf drahtlosem Wege zu hören“.1003
Auch für die späten 1920er- und die frühen 1930er-Jahre gestaltete sich das Vor abendprogramm der Radiosender der Weimarer Republik in der Regel als reines Wortprogramm mit (volks)bildendem Anspruch, während das eigentliche Abendprogramm zwischen 20 und 22 Uhr überwiegend Musik bot, wobei der „Hegemonieanspruch traditioneller Hochkultur“ für deren Auswahl charakteristisch war.1004 Unterhaltung und Unterhaltungsmusik waren in den Programmen zwar ebenfalls präsent, aber mehr geduldet als geschätzt.1005 Unmittelbar nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten änderte sich die Ausrichtung des Rundfunks spürbar. An der rasanten Zunahme der Rundfunk empfangenden Haushalte im Verlauf der nationalsozialistischen Herrschaft kann der Bedeutungszuwachs, der diesem Medium im Laufe der 1930er- und der frühen 1940er-Jahre zukam, abgelesen werden.1006 Möglich gemacht wurde diese markante Steigerung von HörerInnen vor allem dadurch, dass man den Preis des „Volksempfängers“, wie das Empfangsgerät im Nationalsozialismus hieß, so tief ansetzte, dass er für den großen Teil der Bevölkerung erschwinglich war.1007 Doch nicht etwa die politische Wortpropaganda dominierte in den Programmen der einzelnen Sender; Goebbels sah in der Radiotechnik in erster Linie die ideale Möglichkeit zu einer gesteuerten Unterhaltung. Schon unmittelbar nach der Machtübergabe, anlässlich einer Intendantenkonferenz vom 25. März 1933, machte er als Richtlinie der Programmpolitik geltend:
1003 Kölnische Zeitung, 4. 9. 1922. Zit. in ebd., S. 139. 1004 Dussel, Hörfunk, S. 142. 1005 Ebd., S. 153. 1006 Die konkreten Zahlen sind in der Forschungsliteratur allerdings von großen Abweichungen geprägt. Während Nanny Drechsler zum Zeitpunkt der Machtübergabe an die Nationalsozialisten in Deutschland 1933 auf 1000 Einwohner 70 „Rundfunkteilnehmer“ und für 1943 deren 190 zählt (Drechsler, Nanny. Die Funktion der Musik im deutschen Rundfunk 1933 – 1945. Pfaffenweiler 1988, S. 27), spricht Kaspar Maase davon, dass 1933 jeder vierte deutsche Haushalt, in den Großstädten jeder zweite über ein Radiogerät verfügt habe (Maase, Kaspar. Grenzenloses Vergnügen. Der Aufstieg der Massenkultur 1850–1970. Frankfurt am Main 1997, S. 123). 1007 Drei Jahre nach der Machtergreifung war rund die Hälfte aller deutschen Haushalte mit einem preiswert gehaltenen Radiogerät versorgt. Vgl. Drechsler, Funktion, S. 33. Zum „Volksempfänger“ vgl. ferner Drechsler, Funktion, S. 53: Die „Volksempfänger“ genannten Geräte erhielten als erste Typenbezeichnung zur Erinnerung an den Tag der ,Machtergreifung‘ das Kennzeichen „VE 301“ (Volksempfänger 30. 1.). Der VE 301 kostete 76 Reichsmark, konnte aber auch in 18 Raten zu 4,40 Reichsmark abgezahlt werden.
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„Nur nicht langweilig werden. Nur keine Öde. Nur nicht die Gesinnung auf den Präsentierteller legen. Nur nicht glauben, man könne sich im Dienste der nationalsozialistischen Regierung am besten betätigen, wenn man Abend für Abend schmetternde Märsche ertönen läßt. [...] Der Rundfunk soll niemals an dem Wort kranken, man merkt die Absicht und wird verstimmt.“1008
Die Musik machte dementsprechend rund 70 Prozent des gesamten Rundfunkprogramms aus. Der Anteil der Unterhaltungsmusik war dabei anhaltend hoch und nahm während der Kriegsjahre noch zu; 1943 belegte sie allein fast 70 Prozent (130 Stunden pro Woche) der Sendezeit, während weitere 30 Wochenstunden, also gerade einmal gut 16 Prozent der Sendezeit, der ,klassischen‘ Musik vorbehalten waren, wobei größter Wert auf eine „erstklassige Besetzung“ gelegt wurde.1009 In einem Protokoll der „Arbeitstagung der Abteilungsleiter – Musik des Großdeutschen Rundfunk vom 2./3. Oktober 1941“ wird erwähnt, der Reichsintendant habe einen Vergleich aufgestellt und „die moderne, rhythmische Musik das Schwarzbrot unserer Zeit [genannt], das den Hauptteil unserer Tagesprogramme ausmachen soll. Die klassische Musik sei der Kuchen, der selten aber desto besser vor- und zubereitet serviert werden soll.“1010 Von diesem Kuchen aber sollten alle „Volksgenossen“ kosten dürfen, so die zuständigen Funktionäre des Rundfunks: „Wenn ich [Carl Stueber, Intendant des Reichssenders Leipzig, F. T.] [...] die ewigen Werke unserer deutschen Meister ins Programm setze, so denke ich zuerst an die, die, ebensowenig wie sie Brot und Wasser zum Leben entbehren können, den Kraftquell reinen Schöpfertums vermissen wollen, aber ich denke darüber hinaus an den Kantor oder Schulmeister im entlegenen Rhönoder Erzgebirgsdorf, an alle die, die nach der geistigen Nahrung hungern, aber von dem Besuch eines Theaters oder Konzertsaales allzu weit entfernt sind. [...] daß es nicht wahr ist, daß der einfache, unverbildete Hörer schwer an die großen Werke unseres Volkes heranzuführen ist, sondern daß er einer der willigsten und dankbarsten Empfänger dieser großen Gaben ist.“1011
Die HörerInnen agierten dementsprechend: Sie nahmen ihr Wohnzimmer bisweilen als Verlängerung des Konzertsaals wahr, wenn sie der Radiosender mit Produktionen aus dem ,Hochkultur‘-Bereich bediente. In einer Umfrage zum Konsum von Rundfunkübertragungen erklärte ein Radiobesitzer 1935: „Man zieht sich abends zum Hören von Rundfunkkonzer1008 Mitteilungen der Reichsrundfunkgesellschaft, Sonderbeilage vom 30. 3. 1933. Zit. in: Drechsler, Funktion, S. 28. 1009 Drechsler, Funktion, S. 32 f. 1010 Zit. in: Drechsler, Funktion, S. 95. 1011 Stueber, Carl. Musikalische Meisterwerke im Rundfunk. In: Weinbrenner, Hans-Joachim (Hrsg.) Handbuch des Deutschen Rundfunks 1938. Kurt Vowinckel Verlag, Heidelberg/Berlin 1938. S. 43–44, S. 43.
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ten oder Opern schön an und trinkt manchmal Wein dabei, um das festliche Fluidum zu schaffen.“1012 Schon in der ersten Phase des NS-Rundfunks erfolgte ein massiver Umbau der Programmgestaltung weit über die inhaltliche Gestaltung der Wortsendungen hinaus. Auf das „traditionell belehrende Wortprogramm“ im Vorabendprogramm wurde verzichtet, während die „Kultursendungen“ im Hauptabendprogramm, also Konzert- und Opernübertragungen oder Hörspiele, deutlich reduziert wurden. Dadurch wurde viel Platz für Musikprogramme geschaffen, die aber nur ausnahmsweise Musik der ,oberen‘ Sphäre beinhalteten.1013 Deren Präsenz wurde mehr und mehr dezimiert, während der Musikanteil insgesamt jedoch massiv zunahm. Dussel hat anhand des „Reichssenders Stuttgart“ für 1937/38 eruiert, dass die der Unterhaltungssphäre zuzuordnende Musik 60 Prozent des gesamten Programms ausmachte, während der Anteil der ,klassischen‘ Musik gerade einmal 8,5 Prozent betrug.1014 Es wurden im Nationalsozialismus aber auch Überlegungen angestellt, wie dem Abbau von ,klassischer‘ Musik in den Rundfunkprogrammen entgegengetreten werden könnte. Im Mittelpunkt der Erörterungen stand dabei die Frage, wie dem weit verbreiteten Desinteresse an ,klassischer‘ Musik zu begegnen sei. Ein Rundfunkspezialist propagierte hierzu etwa Zuschauerkonzerte, die durch den zu hörenden Beifall Einverständnis mit dem Gehörten erzeugen könnten: „Ein Hörer, der vielleicht anfangs mit einer Sendung unzufrieden war, läßt sich allmählich durch den immer wieder hörbaren Beifall davon überzeugen, daß die Sendung doch ihren Wert hat. Auf diese Weise ließe sich etwa das Mißfallen über schwere symphonische Musik in gewisser Weise überwinden.“1015
Dass ,klassische‘ Musik bei einer großen Mehrheit der RundfunkhörerInnen tatsächlich unbeliebt war, geht aus einer 1939 getätigten Umfrage über deren Programmwünsche hervor: Bloß acht Prozent der 9.500 UmfrageteilnehmerInnen gaben an, Symphoniekonzerten zuzusprechen – damit belegte diese Kategorie den drittletzten von insgesamt 17 Plätzen, vor „Kammermusik“ und „Dichterstunden“.1016 1012 1013 1014 1015 1016
1000 Hörer antworten. Eine Marktstudie. Berlin 1935. S. 53. Zit. in: Maase, Vergnügen, S. 122. Dussel, Hörfunk, S. 185 f. Ebd., S. 194. Eckert, Gerhard. Der Rundfunk als Führungsmittel. Heidelberg – Berlin – Magdeburg 1941. S. 88. Ebd., S. 193 ff. Dabei waren Mehrfachnennungen möglich, was insgesamt 594078 Stimmen ermöglichte; von diesen erreichte die Rubrik „Symphoniekonzerte“ gerade einmal 1,2 Prozent. Von den Musikbereichen dominierte die Militärmusik (84,5 Prozent), die damit auch die „leichte Unterhaltungsmusik“ mit 35 Prozent sowie die Operette mit 29 Prozent deutlich distanzierte. Auch Opernübertragungen fanden überdies
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7. Repertoire und Politisierung
Der oberste Programmleiter des Reichsrundfunks, Reichsintendant Heinrich Glasmeier, war jedoch hinsichtlich des Winterprogramms 1938/39 bemüht, „künftig in größerem Umfange vor allem ernste und anspruchsvolle Musik“ zu senden, während „die gesamte Rundfunkarbeit auf die breite Masse eingestellt“ bleiben solle.1017 Im Zuge von Glasmeiers Initiative zugunsten der ,klassischen‘ Musik dürfte es auch zu den oben erwähnten Vertragsabschlüssen mit den Wiener und Berliner Philharmonikern gekommen sein. Die Verhandlungen mit den Wiener Philharmonikern leitete Glasmeier persönlich.1018 In der Folge verpflichtete sich das Orchester pro Spielzeit unter anderem zur Aufnahme von vier „Meisterkonzerten“ (jeweils unter der Leitung von Clemens Krauss), die als „Philharmonische Akademien“ in die Programme aufgenommen wurden. Diese Veranstaltungen, deren Saaleinnahmen außerdem vollumfänglich dem Orchester zuflossen und die oft ein zweites Mal, beispielsweise an „KdF“-Organisationen, weiterverkauft wurden,1019 beinhalteten mehrheitlich allerdings nicht das, was den Anspruch, „ernste und anspruchsvolle Musik“ zu sein, erfüllen würde: Meist gestalteten sie sich als Potpourri bekannter Ouvertüren, Arien, Walzern und einiger weniger zumeist Mozart’schen Symphonien. Offenbar war die Betonung des „ausgesprochen wienerischen Charakters“1020 der Vorgabe, „anspruchsvolle Musik“ zu senden, übergeordnet. Im Jargon des Weimarer Rundfunks wäre ein solches Programm jedenfalls eher als eines mit ,leichter‘ Musik überschrieben worden.1021 Es ist überhaupt bemerkenswert, wie wenig wirklich Symphonisches in den doch zahlreich abgehaltenen Rundfunkkonzerten der Wiener Philharmoniker programmiert war. In den rund 90 verzeichneten Konzerten – die Philharmonischen Akademien nicht mit eingerechnet – wurden gut 30 Symphonien und etwa zwei Dutzend Solistenkonzerte eingespielt, außerdem eine größere Anzahl an Opern.1022 Im Vergleich zu den Rundfunkkonzerten der ähnlich wenig Gehör wie Symphoniekonzerte: Nur neun Prozent der UmfrageteilnehmerInnen wünschten sich diese Musikgattung im Radioprogramm. 1017 Heinrich Glasmeier, Das Winterprogramm des Reichsrundfunks 1938/39. Zit. in Dussel, Hörfunk, S. 196 f. 1018 „Die ersten Verhandlungen fanden in Berlin zwischen Reichssendeleiter Pg Glaßmayr [sic] und Vorstand Jerger statt und wurden von Wien aus fortgesetzt. Das Ergebnis dieser Verhandlungen ist nun der sehr günstige und zufrieden stellende Vertrag.“ Prot. KS, 7. 10. 1940. HAWPh, A-Pr-030, 17. 1019 Prot. KS, 7. 10. 1940. HAWPh, A-Pr-030, 17. 1020 Vgl. FN 996. 1021 Vgl. etwa das Programm einer Sendung der Westdeutschen Rundfunk AG (Werag) vom 12. 4. 1927 im Zeichen ,leichter‘ Musik mit Stücken von Komponisten wie Goldmark, Verdi, Grieg, Halvorsen oder Johann Strauß. Dussel, Hörfunk, S. 154 1022 Unter der Leitung von Karl Böhm spielte das Orchester die Verdi-Opern Macbeth und Othello, Beethovens Fidelio, Mozarts Zauberflöte, Wagners Meistersinger sowie Strauss’ Daphne ein, während Rudolf Moralt Einspielungen von Mozarts Entführung aus dem Serail und den Don Giovanni und Lovro von Matačić die Singspiele „Die Verschworenen“ (Schubert) und „Die Schwestern von Prag“ (Wenzel Müller) dirigierten.
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Wiener Philharmoniker während des ,Austrofaschismus‘ ist der Unterschied eklatant: In den rund 30 RAVAG-Konzerten zwischen 1933 und 1938 waren insgesamt knapp 50 Symphonien programmiert. Mit dem massiven Anstieg der Rundfunkkonzerte – den rund 30 zwischen 1933 und 1938 standen zwischen 1938 und 1945 insgesamt mehr als 100 gegenüber – ging also eine massive qualitative Veränderung in deren Programmen einher. Dussels Beobachtung, wonach im Nationalsozialismus etwa die Hälfte der der im weiteren Sinne ,klassischen‘ Musik gewidmeten Sendezeit eine Art „Greatest Hits“-Programm darstellte, in der „Glanzstücke der Oper“ mit „gehobener Unterhaltungsmusik“ kombiniert worden seien,1023 bestätigt sich beim Studium der für den Rundfunk produzierten Konzertprogramme der Wiener Philharmoniker vollumfänglich. Dasselbe ist auch für die Rundfunkprogramme der Berliner Philharmoniker geltend zu machen, wenn auch betont werden muss, dass ihre Aufnahmetätigkeit für den Rundfunk von erstaunlich geringem Ausmaß war. Bis zum deutschen Angriff auf Polen im September 1939 waren es jährlich jeweils bloß um die fünf Konzerte, die das Orchester für den Rundfunk einspielte.1024 Ob für diese geringe Zahl an Rundfunkkonzerten allerdings die Kosten für den Transport der Instrumente von der Philharmonie ins Funkhaus und die relativ niedrigen Gagen der Musiker verantwortlich sind, wie Aster behauptet,1025 ist fraglich. Die von Aster ins Feld gebrachten Argumente entstammen einem Vertrag zwischen dem Orchester und der Reichsrundfunkgesellschaft,1026 wonach jedem Orchestermitglied eine Vergütung von 50 RM zugesprochen sowie für den Instrumententransport „in jedem Falle ein[en] Pauschalbetrag von RM 75.--“ vergütet wurde (womit die Kosten für den Transport der Instrumente ohnehin gedeckt waren). Dieser Vertrag, auch wenn er, wie Aster erwähnt, undatiert ist, trat jedoch erst per 1. Januar 1944 in Kraft.1027 Viel eher ist daher anzunehmen, dass exklusive Einspielungen für den Rundfunk durch das Berliner Philharmonische Orchester in größerer Zahl schlichtweg unnötig waren, da das Orchester mit der Reichsrundfunkgesellschaft (RRG) die Aufnahme eines größeren Teils ihrer Konzerte schon früh vertraglich geregelt hatte. Bereits im Juni 1933 erklärte sich die RRG bereit, ein über den bisherigen Vertrag hinausgehendes Quantum an Konzerten der Berliner Philharmoniker in den Sendeprogrammen anzusetzen und stellte in Aussicht, dies in einem revidierten Vertrag entsprechend zu berücksichtigen.1028 Und im März 1935 bemühte sich das 1023 Dussel, Hörfunk, S. 214. 1024 Vgl. auch Aster, „Reichsorchester“, S. 223. 1025 Ebd. 1026 BA R 55/247, 150. 1027 § 8, Inkrafttreten, Kündigung: „Der Vertrag tritt mit Wirkung vom 1. Januar 1944 in Kraft. Er ist beiderseits mit einer Frist von drei Monaten zum Ende eines jeden Vierteljahres kündbar.“ BA R 55/247, 150. 1028 RRG an RMVP (Keudell), 17. 6. 1933. BA 55/1147.
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Orchester darum, eine möglichst lückenlose Ankündigung seiner Konzerte im Rundfunk zu erlangen: „Besonderen Wert legen wir darauf, dass auf die größeren Konzerte unseres Orchesters aufmerksam gemacht wird“, formulierten die Berliner Philharmoniker Goebbels gegenüber.1029 Dies weist darauf hin, dass die Rundfunkpräsenz der Berliner Philharmoniker allein schon durch die Übertragung der regulären Konzerte – im Rahmen des insgesamt geringen Anteils ,klassischer‘ Musik in den Rundfunkprogrammen – relativ hoch gewesen sein dürfte. Anders als bei den Wiener Philharmonikern nahm die spezifische Tätigkeit des Berliner Philharmonischen Orchesters für den Rundfunk jedoch auch während der Kriegsjahre nicht zu.1030 Dass die Einnahmen, die das Orchester jährlich für „Rundfunk-Sendekonzerte und Uebertragungen“ verbuchte, verhältnismäßig hoch waren, weist zudem auf die häufige Übertragung von regulären Konzerten der Berliner Philharmoniker hin.1031 Für die Spielzeit 1941/42 sind die Einnahmen für Sendekonzerte und für Übertragungen von regulären Konzerten sogar separat aufgeführt: Die vier Rundfunkkonzerte, außerdem gesplittet in je zwei „Sendekonzerte“ und „Plattenaufnahmen“, machten dabei gerade einmal ein Viertel der Einnahmen aus, die das Orchester aus den Übertragungen seiner sonstigen Konzerte lukrierte.1032 An einer intensivierten Aufnahmetätigkeit für den Rundfunk waren die Berliner Philharmoniker demnach schon aus finanziellen Gründen gar nicht interessiert: „Die Zahl der reinen Sendekonzerte konnte auf 4 beschränkt werden“, vermerkt der Bericht des künstlerischen Leiters über die Spielzeit 1939/40 lakonisch, nachdem er ausführlich auf die erfolgreiche Übertragung und die Herstellung von „zahlreichen Wachsplattenaufnahmen“ der sonstigen Konzerte eingegangen war.1033 Für ein Sendekonzert erhielten die Berliner Philharmoniker gemäß der Jahresrechnung für 1940/411034 3.000 RM, während Plattenaufnahmen mit gut 4.000 RM vergütet wurden1035 und die Übertragungsrechte der regulären Konzerte pro Spielzeit 1029 Berliner Philharmoniker an Goebbels, 25. 3. 1935. BA, R 55/1148. 1030 Während der Kriegsjahre betrug die Anzahl der Rundfunkkonzerte der Berliner Philharmoniker 1939/40: 4; 1940/41: 7; 1941/42: 4; 1942/43: 0 [?]; ab 1943/44 keine verlässlichen Angaben mehr. Gemäß den „Berichten des künstlerischen Leiters“ für die jeweiligen Jahre. BA, R 55/246; R 55/247. 1031 In einer Aufstellung der Konzerteinnahmen im Rechnungsabschluss des Haushaltsjahres 1938/39 bildete die Spalte der Rundfunkübertragungen den zweithöchsten Einnahmenanteil nach den Philharmonischen Konzerten. 1032 Haushalt 1941 vom 31. 3. 1941. BA, R 55/246. Darin sind RM 6.000 für die beiden Sendekonzerte, RM 8.060 für zwei Plattenaufnahmen sowie 43.299 RM für die Rundfunkübertragung sonstiger Konzerte verbucht. 1033 BA, R 55/247. 1034 Haushalt 1941 vom 31. 3. 1941. BA, R 55/246. 1035 Ebd. Im unten erwähnten Vertrag vom 20. 2. 1941 existiert zwar ein Paragraph über die Vergütung von Schallaufnahmen, ein Betrag ist hingegen nicht erwähnt. Im revidierten Vertrag, der per 1. 1. 1944 wirksam wurde, wurde festgelegt, dass die RRG „für jeden Musiker und jede Stunde der Mitwirkung (Proben und Aufnahmen) RM 20.--“ vergüte.
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zwischen 30.000 RM und 45.000 RM einbrachten.1036 Auf die einzelnen Konzerte bezogen bedeutete dies laut einem Vertrag zwischen der RRG und den Berliner Philharmonikern von 1941, dass die „Philharmonischen Konzerte“, also die Abonnementkonzerte, mit 1.500 RM und die sonstigen Konzerte mit 1.000 RM vergütet wurden; diese Vergütungen kamen zu den regulären Einnahmen der ohnehin abgehaltenen Konzerte hinzu. Für Sendekonzerte, also spezifisch für den Rundfunk eingespielte Produktionen, erhielt das Orchester bei einer „Mindestbesetzung“ von 61 Musikern hingegen 3.000 RM.1037 Während von den Berliner Philharmonikern also nicht nur die Abonnementkonzerte, sondern auch eine Reihe anderer Veranstaltungen vom Rundfunk aufgezeichnet und übertragen wurden, beschränkte sich die Übertragung von regulär abgehaltenen Konzerten der Wiener Philharmoniker auf die Abonnementkonzerte, und auch diese wurden offenbar erst ab 1942 regelmäßig vom Rundfunk übernommen: „Weiters wurde dem Rundfunk die Zustimmung erteilt, auch aus unseren Abonnement-Konzerten Aufnahmen machen zu können“, ist im Protokoll zu einer Komiteesitzung vom September 1942 festgehalten.1038 Demnach waren die Wiener Philharmoniker im Rundfunk hauptsächlich mit Konzerten präsent, die ausschließlich für diesen produziert wurden. Im Unterschied zum Berliner Philharmonischen Orchester, das aufgrund der Geringfügigkeit seiner Rundfunkproduktion von den einschneidenden Veränderungen der Rundfunkpolitik nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten weitgehend unbehelligt blieb und seine Konzertgestaltung zur Hauptsache im Horizont der ,Hochkultur‘ vornehmen konnte, waren die Wiener Philharmoniker durch ihre deutlich stärkere Beteiligung an der spezifischen Rundfunkproduktion abhängiger von der politisch gegängelten Gestaltung der Radioprogramme. Dies wirkte sich maßgeblich auf das künstlerische Profil des Orchesters aus: Es wurde ab 1938 ,volkstümlicher‘ und ,wienerischer‘. Das Walzerimage, das den Wiener Philharmonikern noch heute wie keinem anderen Orchester der Welt anhaftet, erwarben sie sich im Nationalsozialismus, und zu einem nicht geringen Teil über die Rundfunkkonzerte, obschon sie gleichzeitig darum bemüht waren, sich weiterhin als ein der ,hochkulturellen‘ Tradition verpflichtetes Ensemble zu stilisieren. Der unterschiedliche Markencharakter der beiden Orchester, welcher unter anderem auch von der Art und Weise der Einbindung in die nationalsozialistische Rundfunkpolitik 1036 Gemäß Aster, „Reichsorchester“, S. 224, wurde den Berliner Philharmonikern dafür pro Saison 45.000 RM vergütet. Diese Zahl korrespondiert jedoch nicht mit den in den Jahresabrechnungen jeweils aufgeführten Beträgen. Das liegt daran, dass sich die von Aster genannte Summe auf den Vertrag zwischen RRG und Berliner Philharmoniker bezieht, der erst per 1. 1. 1944 in Kraft trat. 1037 Vertrag zwischen der RRG und dem Berliner Philharmonischen Orchester, undatiert [gemäß Begleitschreiben der RRG vom 27. 2. 1941: Vertrag vom 20. 2. 1941]. ABPhO, G 3. 1038 Prot. KS, 10. 9. 1942. HAWPh, A-Pr-030, 33.
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reproduziert und konsolidiert wurde, wirkte sich auch auf die Rezeption der RundfunkhörerInnen aus. Dies lässt sich etwa den „Lageberichten des Sicherheitsdienstes der SS“ entnehmen, die gewissermaßen eine ansonsten inexistente HörerInnenforschung im nationalsozialistischen Deutschland darstellten.1039 Die geringe Anzahl der Einträge zu den beiden Orchestern zwischen 1938 und 1945 ist bestimmt nicht repräsentativ, aber ihnen ist zu entnehmen, dass es vor allem die Berliner Philharmoniker waren, die die Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf sich zogen. Im April berichtete der Sicherheitsdienst, unter den Sendungen mit „guter Musik“ hätten „vor allem das Konzert der Berliner Philharmoniker am 23. 3., das Festkonzert unter Leitung des japanischen Gastdirigenten Konoe Hidemaro und die Bachkantate am 30. 3. ,Der Himmel lacht, die Erde jubilieret‘ [beide Konzerte mit den Berliner Philharmonikern, F. T.] [...] angesprochen (z.B. Dresden, Koblenz, Innsbruck, Karlsruhe u. a.)“.1040 Im Dezember desselben Jahres wurde beobachtet, dass „[d]as Konzert der Berliner Philharmoniker unter Furtwängler am 7. 12. [...] wie immer ausgezeichnet gewesen [sei]“,1041 und im Februar 1942 rapportierte der „Sicherheitsdienst“, „[a]ls Höhepunkt der gehobenen Musik werde wieder übereinstimmend die Veranstaltung der Berliner Philharmoniker am 22. 2. mit den Liedern von Strauss und der Symphonie in D-Moll von Schumann angesehen. [...] Die einführenden Worte von Gerhard von Westermann hätten wie immer erheblich zum Verständnis der Sendung beigetragen.“1042
In allen Berichten fungierten die Berliner Philharmoniker also als Vertreter der musikalischen ‚Hochkultur‘. Demgegenüber kamen die Wiener Philharmoniker in den SD-Berichten nur einmal vor, im August 1940, bezeichnenderweise im Zusammenhang mit der Übertragung eines Strauß-Walzers: „Im besonderen wurde die Übertragung des Konzerts der Wiener Philharmoniker am 6. 8. in allen Hörerkreisen mit besonderer Anerkennung aufgenommen. Die Musikkenner waren erfreut über die ausgezeichnete Wiedergabe der gespielten Stücke (so besonders der ,Geschichten aus dem Wie1039 Dussel, Hörfunk, S. 202. Diese Berichte werden im weiteren Verlauf auch als „SD-Berichte“ bezeichnet. 1040 Boberach, Heinz (Hg.). Meldungen aus dem Reich 1938–1945. Die geheimen Lageberichte des Sicherheitsdienstes der SS. Bd. 6: Nr. 142 vom 18. November 1940 bis Nr. 179 vom 17. April 1941. Hersching 1984. Hier Nr. 177 vom 7. April 1941, S. 2189/6. 1041 Boberach, Meldungen, Bd. 8: Nr. 212 vom 18. August 1941 bis Nr. 246 vom 15. Dezember 1941. Hier Nr. 245, 11. Dezember 1941, S. 3077/6. 1042 Boberach, Meldungen, Bd. 9: Nr. 247 vom 18. Dezember 1941 bis Nr. 271 vom 26. März 1942. Hier Nr. 263, 26. Februar 1942, S. 3370/5.
Funktionalisierung par excellence
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ner Wald‘), die sonst allzu schlagermäßig heruntergespielt würden, während die breitere Schicht der Zuhörerschaft mit der Auswahl der leichten Melodien einverstanden war (z. B. Kiel).“1043
Mit Musik der Strauß-Familie erreichte der Rundfunk also sowohl die ,Kenner‘, das heißt die Restbestände eines wie auch immer konstituierten ,Bildungsbürgertums‘ beziehungsweise die „Trägerschichten der Höhenkünste“ (Bollenbeck) als auch das breite Publikum. Dieses liebte die Melodien als solche, jene jedoch ihre präzise Wiedergabe durch eines der besten Orchester Deutschlands, das die Strauß’schen Werke quasi sublimierte und sie in die Nähe der ,Wiener Klassik‘ rückte. ,Leichte Musik‘ wurde damit auch bei den ‚Kennern‘ salonfähig.
7.5 Funktionalisierung par excellence: die Wehrmachts- und Werkkonzerte Musik für Soldaten. Die Wehrmachtskonzerte Eine Verbreiterung der Präsenz der Orchester im öffentlichen Raum stellten auch die Werkpausen- und Wehrmachtskonzerte dar. Sie dienten der Versorgung von ArbeiterInnen und Soldaten mit Musik und erfolgten oftmals dezentral; damit ergänzten sie gewissermaßen die Rundfunkkonzerte. Die Wehrmachtskonzerte stellten einen zentralen Faktor der ‚Truppenbetreuung‘ dar1044 und oszillierten in ihrer Funktion zwischen entspannender Unterhaltung und kriegsmobilisierender Bildung – die Soldaten sollten sich amüsieren und zugleich mit ,deutschem Kulturgut‘ imprägniert werden,1045 wodurch sich in diesen Konzerten in besonders anschaulicher Weise auch der Aspekt der staatlichen Repräsentation manifestierte. Veranstaltet wurden sie sowohl an der militärischen ,Front‘ als auch im zivilen ,Hinterland‘, etwa in Lazaretten für Verwundete oder aber in den Städten für dort stationierte, beurlaubte oder sich noch in der Ausbildung befindende Soldaten.
1043 Boberach, Meldungen, Bd 5: Nr. 102 vom 4. Juli 1940 bis Nr. 141 vom 14. November 1940. Hier Nr. 115, 15. August 1940, S. 1472/11. 1044 Bei Vossler, Frank. Propaganda in die eigene Truppe. Die Truppenbetreuung in der Wehrmacht 1939–1945. Paderborn 2005, S. 56 f. findet sich eine lange Liste an Bestandteilen der ,Truppenbetreuung‘. Nebst Musik waren dies etwa Theater, Zirkus, Musik, Film, Rundfunk, Fernsehen, Zeitungen, Zeitschriften, Bücher, wissenschaftliche und politische Vorträge, Kunstausstellungen, Berufsförderung. Des Weiteren gehörten auch Quartiergestaltung, Schachturniere, Wettbewerbe, Alleinunterhalter (z. B. Zauberer oder Schnellzeichner), „Bunte Abende“ mit volkstümlichen Laiendarbietungen sowie die Versorgung mit Notenmaterial, Alkohol, Tabak, Christbaumschmuck, Radios, Schallplatten, Abspielgeräten, Kosmetika, Spielen, „Devotionalien“ (Führerbilder), Benzinkochern, Bastelanleitungen und Wehrmachtsbordellen dazu. 1045 Zu den „Wirkungsabsichten der Truppenbetreuung“ vgl. Vossler, Propaganda, S. 55–71.
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7. Repertoire und Politisierung Reisebus der Berliner Philharmoniker vor Trümmern einer Stadt: Konzertreise des Orchesters nach Belgien, Spanien und Frankreich im August/September 1943. (Tafelaufschriften u. a.: „Berliner Philharmonisches Orchester“; „Spielt für die Wehrmacht“.) © Archiv Berliner Philharmoniker.
Die Wiener Philharmoniker führten rund 20 Konzerte für Angehörige der Wehrmacht und, in einem Fall, „im Rahmen der Truppenbetreuung der Waffen-SS“, auf,1046 die überwiegend in Wien stattfanden. Für einige Konzerte reiste das Orchester aber auch zu den Soldaten: zu Beginn des Krieges zum in der Nähe der ,Westgrenze‘ gelegenen Wehrmachtsstandort in Mayen (25. Februar 1940), den die Wiener Philharmoniker im Zuge einer Deutschland-Tournee besuchten, im April 1940 nach Krakau, im August desselben Jahres, im Rahmen einer Frankreich-Tournee, ins französische Salins-les-Bains, im August 1944 zu einem „Konzert für Verwundetenbetreuung“ nach Salzburg, im Oktober 1944 zum „Konzert für verwundete Soldaten“ im Stift Klosterneuburg sowie im März 1945 zum „Soldatenkonzert“ in der SS-Kaserne Glasenbach. Dass die Wiener Philharmoniker „keine Anstrengung und Gefahr scheuend – unseren Soldaten von Murmansk bis Afrika, von der Atlantikküste bis tief in den Osten, in Stunden der Entspannung und der Sammlung den ganzen Reichtum der Musik“ vermittelt hätten, wie Generalmajor Paul Winter in einem heroischen Aufsatz über die „Musikpflege in der Wehrmacht“ die musikalische ,Truppenbetreuung‘ erläuterte,1047 kann angesichts ihrer offensichtlichen Meidung von Kriegsschauplätzen nicht bestätigt werden. Im Unterschied dazu fanden die Wehrmachtskonzerte der Berliner Philharmoniker großteils im Rahmen von Reisen zu aktiven Truppenteilen statt. Die Saison 1940/41 eröffneten sie mit einer längeren Tournee zu den in den Niederlanden, Belgien und Frankreich stationierten 1046 Vgl. Hellsberg, Demokratie, S. 476 ff. 1047 Vgl. etwa Winter, Paul. Musikpflege in der Wehrmacht. In: Jahrbuch der deutschen Musik 1943. Im Auftrage der Abteilung Musik des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda herausgegeben von Hellmuth von Hase. Leipzig/Berlin o. J. S. 54–57. Hier S. 57.
Funktionalisierung par excellence
277 Die Berliner Philharmoniker und Hans Knappertsbusch mit Konteradmiral Kurt Böhmer und weiteren ranghohen Vertretern der deutschen Kriegsmarine in Oslo: Konzertreise von März/April 1944. Für die Identifizierung von Kurt Böhmer bedanke ich mich an dieser Stelle herzlichst bei Richard Hufschmied vom Heeresgeschichtlichen Museum (Wien). © Archiv Berliner Philharmoniker.
Soldaten,1048 nachdem sie im Juni 1940 bereits eine „Feierstunde der Höheren Fliegertechnischen Schule, Berlin-Adlershof, im Rahmen der Wehrmachtsbetreuung der N.-S.-Gemeinschaft ,Kraft durch Freude‘“ gestaltet hatten.1049 Im Sommer 1940 unternahmen sie außerdem eine einwöchige Reise zu verschiedenen Stützpunkten der Wehrmacht in Skandinavien.1050 Im Oktober 1943 gaben sie in Warschau im Rahmen der dortigen Propagandareihe „Kultur und Wehrmacht“ ein Konzert1051 und im April 1944, auf Einladung des „Reichskommissars für Norwegen“ (Josef Terboven), zwei solche in Bergen.1052 Insgesamt lassen sich anhand der Programmsammlung im Archiv der Berliner Philharmoniker rund 30 Konzerte für Wehrmachtssoldaten zählen.1053 Bezüglich der Quantität ist die Differenz zwischen den beiden Orchestern nicht allzu groß. Wenn man berücksichtigt, dass das jährliche Konzertvolumen der Berliner Philharmoniker ungleich viel größer war als das der Wiener Philharmoniker, lag der Anteil der
1048 Unter abwechselnder Leitung von Knappertsbusch, Jochum und Heger, sowie in Begleitung der Pianistin Elly Ney, der Sopranistin Rosalind von Schirach, sowie des Pianisten Wilhelm Kempff konzertierte das Berliner Philharmonische Orchester vom 7. bis zum 15. September 1940 in Den Haag, Amsterdam, Utrecht, Antwerpen, Lüttich, Brüssel, Gent, Brügge, Lille, Paris, Versailles, Fontainebleau, Nancy und Strasbourg. ABPhO, P r 1940-4. 1049 Am 18. Juni 1940 unter der Leitung von Alois Melichar. ABPhO, P b 1940, VI, 18. 1050 Unter der Leitung von Hermann Abendroth spielte das Orchester zwischen dem 19. und 26. Juli 1940 in Kopenhagen, Aalborg, Vyborg und Aarhus. 1051 Das Konzert fand am 25. Oktober 1943 unter der Leitung von Robert Heger statt. ABPhO, P r 1943, X, 25. 1052 Am 1. und 2. April 1944 unter Leitung von Knappertsbusch. ABPhO, P r 1944, IV, 1. 1053 In Muck 3 sind diese Konzertreisen zwar erwähnt, aber nicht als wehrmachtspezifische ausgewiesen.
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Wehrmachtskonzerte an den gesamthaft aufgeführten Konzerten bei den Berliner Philharmonikern jedoch unterhalb von jenem der Wiener Philharmoniker. Bei beiden Orchestern war dieser aber ohnehin gering: Von den rund 1.000 Konzerten, die die Berliner Philharmoniker während der Zeit des Zweiten Weltkriegs aufführten, entfielen nur um die 30 auf den Bereich der ,Truppenbetreuung‘, während es bei den Wiener Philharmonikern von insgesamt rund 500 gespielten Konzerten deren 20 waren. In qualitativer Hinsicht unterscheidet sich die Beteiligung der beiden Orchester an der ,Truppenbetreuung‘ der Wehrmacht jedoch deutlich, was in erster Linie auf ihre unterschiedlichen Mobilitätsgrade zurückzuführen ist. Aufgrund ihrer eingeschränkten Mobilität verrichteten die Wiener Philharmoniker ihre Beiträge an die ,Truppenbetreuung‘ größtenteils im Rahmen konventioneller Konzerte im Wiener Musikverein. Das Berliner Philharmonische Orchester hingegen schloss an seine langjährige Reisetradition an und veranstaltete die Wehrmachtskonzerte hauptsächlich direkt bei aktiven Truppenteilen. Außerdem dürfte die unterschiedliche Weise der ,Truppenbetreuung‘ auch auf die unterschiedlichen Auftraggeber der Konzerte zurückzuführen sein: Die Wehrmachtskonzerte der Wiener Philharmoniker wurden in der Regel auf Ersuchen der „Stadtkommandantur“ veranlasst,1054 jene der Berliner Philharmoniker jedoch vor allem durch das RMVP.1055 Was die Reichweite und das Publikumsaufkommen der Konzerte betraf, bestand allerdings kein großer Unterschied zwischen einem Wehrmachtskonzert an der ,Front‘ und einem solchen in Berlin oder Wien: So spielten die Berliner Philharmoniker (nach der akkuraten Auflistung der Publikumszahlen, wie sie jährlich im „Bericht des künstlerischen Leiters“ zuhanden des RMVP erschien) 1940/41 20 Wehrmachtskonzerte ,in den besetzten Gebieten‘ vor 32.000 Soldaten und drei in Berlin vor 6.000 Soldaten.1056 Was die Rhetorik in der medialen Vermittlung dieser Konzerte anbelangte, stand bei beiden Orchestern – also auch beim wienerischen, das seine Wehrmachtskonzerte ja vor allem in Wien abhielt – eine auf das gesamte Reich fokussierte Propaganda im Vordergrund. So formulierte Wilhelm Furtwängler in einem Programmheft mit dem Titel „Das Berliner Philharmonische Orchester spielt für die Wehrmacht“ einleitend: „Die großen deutschen Meister der Musik haben in ihren Werken das ausgesprochen, was wir heute in der sichtbaren Welt zu verwirklichen bestrebt sind: das Leben und das Sein des deutschen Menschen. So kann man sagen, daß eine gemeinsame Verantwortung die großen Meister
1054 Vgl. Prot. KS, 10. 9. 1942. HAWPh, A-Pr-030, 33. 1055 Vgl. den „Bericht des künstlerischen Leiters [des Berliner Philharmonischen Orchesters] über die Spielzeit 1940/41.“ [undatiert]. BA, R 55/246. 1056 BA, R 55/246.
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verbindet mit denjenigen, die heute bei der Errichtung des neuen Deutschlands die schwerste Aufgabe und den entscheidendsten Anteil haben: den Trägern unserer unvergleichlichen Wehrmacht.“1057
An die „Verteidigung“ der ,deutschen Kultur‘ appellierende Sätze finden sich auch im Programmtext zu einem Konzert der Wiener Philharmoniker, für die Wiener „Feld-Flakartillerieschule“ im April 1943, den „Oberstleutnant und Kommandeur KORN“ verfasst hatte: „Eine ,IX. Symphonie‘ von Beethoven oder ,Eine kleine Nachtmusik‘ von Mozart, ein ,Faust‘ oder ein ,Wilhelm Tell‘ sind für uns unzerstörbare Werke, ein Strassburger Münster oder andere edle Kunstwerke sind Stücke aus dem Herzen des deutschen Volkes, an denen jeder Deutsche hängt und die er freudig verteidigt. Es ist Wunsch der höheren Führung, dem deutschen Soldaten neben seiner letzten Ausbildung vor dem Einsatz die Teilnahme an Veranstaltungen von künstlerischen Höchstleistungen zu ermöglichen.“1058
Worin sich die Wehrmachtskonzerte der Berliner und Wiener Philharmoniker hingegen deutlich unterschieden, war das Repertoire. Dasjenige der Wiener Philharmoniker war von Johann Strauß dominiert, hinter dem auch Mozart und Schubert als zweit- und drittplatzierte Komponisten weit zurücklagen. Die Wien-Stilisierung der Wiener Philharmoniker ist in ihren Wehrmachtskonzerten damit um einiges deutlicher erkennbar als im restlichen Repertoire des Orchesters. Bezeichnenderweise waren Beethovens Werke darin praktisch nicht vertreten.1059 Im Hinblick auf die für die Wehrmachtskonzerte postulierte Mischung aus ,Unterhaltung‘ und ,Repräsentation‘ scheint Mozart, der insbesondere in der NS-Rezeption für ,Melodie‘ und ,Gesanglichkeit‘ stand,1060 offenbar doch geeigneter gewesen zu sein als der ‚heroische‘ Beethoven,1061 in dessen Musik sich die „Rationalität des integralen Komponierens“1062 aufs Äußerste vollzog und der darum das erwähnte Postulat der ,Unter1057 Zit. in: Vossler, Propaganda, S. 67. 1058 Begleittext zum „Sonder-Konzert für die Feld-Flakartillerieschule (Mitte)“ vom 12. 4. 1943, gezeichnet von „Oberstleutnant und Kommandeur KORN“. HAWPh, Philharmonische Programmbücher, Bd. L, 1942– 1943, Nr. 29. 1059 Von den mehr als 100 Werken, welche die Wiener Philharmoniker im Rahmen der Wehrmachtskonzerte aufführten, stammten bloß zwei von Beethoven. 1060 Vgl. die Studie zur NS-Instrumentalisierung von Komponisten anhand des „Völkischen Beobachters“ bei Dennis, „masters“, S. 287: ,Melodiös‘ und ,gesanglich‘ waren die zentralen nationalsozialistischen Rezeptionsattribute Mozarts. 1061 Das ‚heroische‘ Moment in Beethovens Musik stand seit jeher im Mittelpunkt der politischen BeethovenRezeption: vgl. Dennis, Beethoven, S. 20. 1062 Vgl. Adorno, Wien, S. 437.
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haltung‘ nicht in dem Maße erfüllen konnte wie der ganz anders konnotierte Mozart oder auch Schubert, von Johann Strauß ganz zu schweigen. Mit Blick auf die allgemeine Aufführungspraxis der Wiener Philharmoniker dürfte die Beethoven-Abstinenz aber außerdem in der traditionellen Zurückhaltung der Programmierung seiner Werke außerhalb der Abonnementkonzerte gelegen haben.1063 Hinzu kam, dass der ,heroische‘, ,repräsentierende‘ Aspekt der Konzerte ohnehin abgedeckt war, jedoch nicht durch Beethovens Musik, sondern durch Orchesterwerke von Richard Wagner1064 – sie standen im Repertoire der Wehrmachtkonzerte der Wiener Philharmoniker an vierter Stelle. Das Wehrmachtskonzert-Repertoire der Berliner Philharmoniker stimmte einzig in der Dominanz der Musik von Johann Strauß mit jenem der Wiener Philharmoniker überein. Der unterhaltende Aspekt der musikalischen ,Truppenbetreuung‘ dürfte der Imprägnierung der Soldaten mit ,deutscher Kultur‘ also generell einen gewissen Vorrang eingeräumt haben. Auch der von den Berliner Philharmonikern am zweithäufigsten gespielte Komponist, Richard Strauss, ist in seinen Tondichtungen insofern ,unterhaltend‘, als diese eine starke Affinität zu ,Programmmusik‘ aufweisen. ,Programmmusik‘ jedoch vermag insbesondere bei einem musikalisch wenig vorgebildeten Publikum ein erhöhtes Verständnis auf sich zu ziehen, da sie explizit auf einem außermusikalischen Verweissystem – beispielsweise einem Bild oder einer literarischen Erzählung – gründet.1065 Das ,repräsentierende‘ Moment war in den Programmen der Wehrmachtskonzerte der Berliner Philharmoniker gegenüber jenen des Wiener Orchesters dennoch stärker vertreten gewesen: Auf Johann Strauß und Richard Strauss folgten Beethoven, Wagner und Weber. Von ihnen führte das Berliner Philharmonische Orchester in seinen Wehrmachtskonzerten jeweils mehr als ein Dutzend Werke auf. Diese unterschiedlichen Akzente in den beiden Repertoires der Wehrmachtskonzerte hingen jedoch kaum nur mit der üblichen Strauß-Dominanz bei den Wiener Philharmonikern beziehungsweise dem Reichsbezug der Berliner Philharmoniker zusammen, sondern gewiss ebenso damit, dass dem Repräsentationsaspekt in der ,Truppenbetreuung‘, die sich fernab der deutschen Kunst- und Kulturzentren abspielte, ein höherer Stellenwert zugesprochen wurde als den Wehrmachtskonzerten innerhalb dieser Zentren: Das ,Hochkultur‘-Angebot war in 1063 Vgl. auch Kap. 2.3. 1064 Zur vielfältigen Verwendung von Wagners Werken als ,deutsche Repräsentationskunst‘ im Nationalsozialismus vgl. Brinkmann, Reinhold. Wagners Aktualität für den Nationalsozialismus. Fragmente einer Bestandsaufnahme. In: Friedländer, Saul/Rüsen, Jörn (Hrsg.). Richard Wagner im Dritten Reich. Ein SchlossElmau-Symposion. München 2000. S. 109–141. Hier S. 124 ff. 1065 Zum Aspekt der „Programmmusik“ in Richard Strauss‘ Tondichtungen vgl. etwa Hansen, Mathias. Richard Strauss. Die Sinfonischen Dichtungen. Kassel 2003. S. 17 ff. Zur Begriffs- und Rezeptionsgeschichte von „Programmmusik“ vgl. Fink, Monika. Musik nach Bildern. Programmbezogenes Komponieren im 19. und 20. Jahrhundert. Innsbruck 1988. S. 11 ff.
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den kleinen Orten der ,besetzten Gebiete‘ um vieles rarer als etwa in Wien. Dass eine Konzertreise der Berliner Philharmoniker dazu genutzt wurde, die Soldaten nicht nur mit ,Unterhaltendem‘, sondern auch mit ,hochkultureller‘ Repräsentationskunst zu bedienen, scheint daher naheliegend zu sein. Insofern erfüllten die Wehrmachtskonzertreisen des Berliner Philharmonischen Orchesters den propagierten Sinn der Wehrmachtsveranstaltungen, wie ihn etwa Generalmajor Paul Winter skizzierte: „Es gehört zur Eigenart des deutschen Menschen: gerade in Zeiten der Not regt sich in ihm mächtig die Sehnsucht nach dem Kraftquell des Musischen. [...] Unzählige deutsche Soldaten aus allen Berufs- und Bildungsschichten gewinnen auf diese Weise [über die ,musikalische Truppenbetreuung‘, F. T.] eine erstmalige oder eine neue Beziehung zu dem edelsten Kulturgut der Musik. Der Kontakt zwischen Hörer und Künstler ist fern der Heimat enger, namentlich wenn ein verbindendes Wort die Brücke zum Kunstwerk schlägt.“1066
Sublimierung der Kriegsproduktion. Die Werkkonzerte Auch die Werk- oder Werkpausenkonzerte sollten „jedem schaffenden Deutschen ohne Unterschied des Standes und Besitzes das Erlebnis der großen nationalen Kunstleistungen“ sowie „nach getaner Arbeit Freude, Entspannung und Anregung“ vermitteln.1067 Auch ihnen oblagen die Zwecke ,Unterhaltung‘ und ,Repräsentation‘. Ihre Besonderheit bestand, ähnlich der ,Truppenbetreuung‘, darin, Betriebs- oder eben Werksangehörigen an ihrem Arbeitsort den Konsum von ,Live‘-Musik zu ermöglichen. Ein Unterhaltungsangebot in deutschen Industrieunternehmen existierte zwar schon länger: Bereits 1922 wurde anberaumt, „den Fabriken, in denen eine geräuschlose und eintönige Handarbeit verrichtet wird, Musik- und andere Unterhaltungen [...] zur Verfügung zu stellen“.1068 Damit war in erster Linie die Übertragung von Rundfunksendungen in die Arbeitssäle gemeint. Die physische Präsenz eines großen Symphonieorchesters in einer Fabrikhalle war hingegen noch zu Beginn der 1940erJahre etwas Ungewohntes. Als „neuartig und eindrucksvoll“ sei etwa „die Aufnahme des Werkpausenkonzerts der Berliner Philharmoniker unter Furtwängler mit dem Meistersingervorspiel gewertet [worden], die von der werktätigen Bevölkerung begeistert aufgenommen“
1066 Winter, Musikpflege, S. 57. 1067 Ottich, Maria. Die Musikarbeit der NS.-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“. In: Jahrbuch, S. 61–63. Hier S. 61. 1068 Staatssekretär Bredow in der Kölnischen Zeitung, 4. 9. 1922. Zit. in: Dussel, Hörfunk, S. 139 f.
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worden sei, hielt ein SD-Bericht am 20. Juli 1942 fest.1069 Zu diesem Konzert existiert auch ein mehrseitiger bebilderter Bericht, der in der Werkzeitschrift des Betriebs, der Allgemeinen Elektricitäts-Gesellschaft (AEG), veröffentlicht wurde.1070 Darin wird weniger der Aspekt der Unterhaltung als vielmehr ein Repräsentationszweck des Konzerts hervorgehoben: Es habe sich „vom eigentlichen Sinn dieses Konzertes her“ die Frage erhoben, „wieweit die Darbietung der Werke unserer großen Meister in der ungewöhnlichen Umgebung dieser mehrere Tausend Zuhörer fassenden Werkhalle künstlerisch befriedigen würde und vor allem was diese ,schwere Musik‘, dargebracht von einem unserer größten Dirigenten und seinem Orchester, deren Namen sich weit über die Grenzen Berlins und des Reiches hinaus mit dem Begriff höchster deutscher Musikkultur verbinden, dem schaffenden Menschen in einer kurzen Pause inmitten seiner rastlosen Arbeit zu geben vermöge, zumal wenn er ihr hier in manchen Fällen zum ersten Male begegnet“.
Die Antwort folgte sogleich: „Und es erwies sich, daß die mancherlei Bedenken vor dieser Begegnung zwischen der Welt der Arbeit und der der Kunst sich in den Herzen der Hörer und der Künstler in einer reinen Harmonie auflösten. Es sind ja gar nicht fremde Welten. Die deutsche Seele, die aus den Werken unserer Großen spricht, läßt auch die Saiten im Herzen schaffender deutscher Menschen mitschwingen und wer sich selbst täglich und stündlich um ehrliche Leistung bemüht, der hat auch das Gefühl für die Leistung vom Meistern ihrer Kunst, der wird auch im Innersten berührt durch die Leidenschaft einer künstlerischen Arbeit, das Ringen um den Ausdruck, das kluge Disponieren, die tiefe Versunkenheit.“1071
Die Werk- und Werkpausenkonzerte wurden nicht nur vor Ort für die Belegschaft eines Betriebs aufgeführt, sondern teilweise zudem über Rundfunk verbreitet, was gegenüber der Übertragung eines Konzerts „vor Zuschauern im Senderaum“ als „Belebung und als Förderung der Stimmung des Hörenden“ wirken sollte.1072 1069 Boberach, Meldungen, Bd. 10, Nr. 272 vom 30. März 1942 bis Nr. 301 vom 20. Juli 1942, S. 3665. 1070 Meister der deutschen Musik in der Werkhalle. Für den deutschen Arbeiter das Beste gut genug [sic]. In: Die Kameradschaft. Werkzeitschrift der Betriebsgemeinschaft AEG. Jahrgang 9, April/Mai 1942, S. 146–148. 1071 Meister, S. 148. 1072 Eckert, Rundfunk, S. 89. Die Werkpausenkonzerte seien „für die Freizeit im Betrieb bestimmt und werden in den verschiedensten Formen gehört“ (Eckert, Rundfunk, S. 224); gegenüber der „vorgetäuschten Übertragung“ würden die Zuschauer bei der „echten“ unmittelbar dazugehören, da ohne sie das Ereignis gar nicht möglich wäre (Eckert, Rundfunk, S. 89).
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Werkpausenkonzert der Berliner Philharmoniker unter Wilhelm Furtwängler vor der Belegschaft eines AEGWerks in Berlin (im Auftrag der NS.-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“). © Sammlung Helge Grünewald.
Allerdings waren die Werkkonzerte der Berliner und Wiener Philharmoniker keineswegs zahlreich. Für das Berliner Philharmonische Orchester sind für die Zeit des Zweiten Weltkriegs bloß fünf solche Konzerte überliefert,1073 wohingegen die Wiener Philharmoniker während der ersten Kriegsjahre kein einziges, 1943 drei und von September 1944 bis Kriegsende neun, also insgesamt ein Dutzend Werkkonzerte aufführten.1074 Das Hinwirken auf eine wie auch immer gelagerte Popularisierung der ,Hochkultur‘ war sicherlich mit ein Grund für die Abhaltung solcher Konzerte, aber in Anbetracht der geringen Anzahl an Werkkonzerten der beiden Orchester nahm sich deren diesbezüglicher Beitrag als geringfügig aus. Der Hauptzweck der Werkkonzerte dürfte aber ohnehin woanders gelegen haben. Ein Text im Programmheft eines Philharmonischen Konzerts über ein Werkpausenkonzert, das die Wiener Philharmoniker im Mai 1943 im Zuge einer Konzerttournee nach Skandinavien in den Berliner Siemens-Werken unter Furtwänglers Leitung aufführten, führt auf eine weitere Spur: 1073 Gemäß Programmsammlung in Muck 3. 1074 Gemäß Gesamtverzeichnis der Konzertprogramme der Wiener Philharmoniker.
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„In der riesigen, glasüberdeckten Halle eines Rüstungsbetriebes war auf einem eben zur Ablieferung fertigen Dynamo das Podium errichtet: hier in dieser ungewohnten Umgebung rissen die ewigen Töne der h-moll-Symphonie die Hörer hin, die dann durch den ,Kaiserwalzer‘ eine beglückende Entspannung erfuhren. 7200 Arbeiter hatten sich eingefunden, die, um sich solchen Genuß gönnen zu können, freiwillig eine Woche lang Überstunden machen, damit kein Produktionsausfall eintritt. Diese Veranstaltung war ein Ausklang [der Konzertreise nach Skandinavien, F. T.], wie er nicht erhebender hätte gedacht werden können.“1075
Nebst den Aspekten der ,Unterhaltung‘ und der Repräsentation ,deutschen Musikschaffens‘ vor „Volksgenossen, die tagsüber am Schraubstock oder an der Drehbank stehen, die am Schreibtisch oder im heute besonders schwierigen wirtschaftlichen Leben ihre Pflicht tun“, wie die nationalsozialistische Musikologin Maria Ottich das Publikum der Werkkonzerte umschrieb,1076 verweist der Textausschnitt aus dem Programmheft der Wiener Philharmoniker auch darauf, dass es in solchen Veranstaltungen um nichts weniger als um die Sublimierung der Rüstungsproduktion als solcher ging. Die Präsenz der Elite ,deutscher‘ Repräsentationskunst im Fabriksaal, wie sie sich im beschriebenen Konzert schon durch die Positionierung des Orchesters auf dem „zur Ablieferung fertigen Dynamo“ im Raum manifestierte, bedeutete für die deutsche Kriegsproduktion gleichsam eine Weihung durch die ,deutsche Kunst‘, die sich vor den Augen und Ohren der ,deutschen Volksgemeinschaft‘ vollzog. Walter Benjamins viel zitiertes Diktum von der faschistischen „Ästhetisierung der Politik“,1077 für das die vom italienischen Futuristen Marinetti geprägte Formel von der „Ästhetik des Krieges“1078 Pate stand, bestätigt sich hier besonders augenscheinlich. Während die Berliner Philharmoniker dezentrales Konzertieren bereits in den 1910er-Jahren praktizierten (etwa durch die zahlreichen Volkskonzerte in Berliner Brauhäusern),1079 war die Abhaltung von Konzerten außerhalb des Konzertsaals für die Wiener Philharmoniker ein Novum. Das Orchester stellte sich offenbar nicht dagegen – in den Komitee- und HV-Protokollen sind keine Reaktionen auf diese Konzerte überliefert –, zumal es sich auch keineswegs um unentgeltliche „Goodwill-Auftritte“ handelte (wie sie Misha Aster – fälschlicherweise – für die Berliner Philharmoniker geltend macht).1080 Für das in den Protokollen mehrmals und als einziges erwähnte Werkkonzert in den Krupp-Werken im niederösterreichischen Berndorf 1075 HAWPh, Philharmonische Programmbücher, Bd. L, 1942–1943, Nr. 41. 1076 Ottich, Musikarbeit, S. 61. 1077 Benjamin, Walter. Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Erste Fassung. In: ders., Gesammelte Schriften. Bd I/2. S. 431–469. Hier S. 469. 1078 Zit. in ebd., S. 468. 1079 Vgl. hier S. 46 f. 1080 Aster, „Reichsorchester“, S. 220.
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Werkpausenkonzert der Wiener Philharmoniker 1944. Zeitgenössische Bildlegende: „Dem im Rüstungsbetrieb schaffenden jungen Menschen offenbart sich in einer Konzertdarbietung der WIENER PHILHARMONIKER zur Werkpause die ewige Schönheit der deutschen Musik.“ © Historisches Archiv der Wiener Philharmoniker.
vom 30. Mai 1943 forderte das Komitee „[p]ro Herr Bezahlung ca. Rm. 100.--“ und legte sich auf ein „leichtes Programm“ unter der Leitung von Clemens Krauss fest.1081 Dieses „leichte Programm“ enthielt jedoch durchwegs Werke aus dem Bereich der musikalischen ,Hochkultur‘: „Berndorf: Programm: Haydn C-dur, Mozart Violinkonzert, Schubert h-moll, Beethoven Leonoren 3. Draufgabe Walzer und Marsch. Abschluß wird genehmigt“, so der Komiteebeschluss.1082 Auch die Berliner Philharmoniker bestritten die Werkkonzerte, entgegen Asters Behauptung, nicht durchwegs unentgeltlich. Im März 1940 erklärte das Orchester gegenüber dem RMVP: „Bei den Werkkonzerten haben wir neuerdings nur gegen festes Honorar gespielt, wobei uns 1081 Prot. KS, 3. 2. 1943. HAWPh, A-Pr-030, 38. 1082 Prot. KS, 6. 3. 1943. HAWPh, A-Pr-030, 39.
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ausser dem Honorar für den Dirigenten und dem Instrumententransport keinerlei Unkosten entstanden sind. So erzielten wir im Dezember 1939 bei einem Werkkonzert im Werke der Firma Stock, Marienfelde, eine Einnahme von RM 6.000.--, welche die Firma über KdF an uns zahlte; hiervon erhielt Herr Dr. Furtwängler RM 4.000.--, während unserer Gesellschaft RM 2.000.--. verblieben.“1083
Im Vergleich mit den von den Wiener Philharmonikern geforderten 100 RM pro Musiker für das obgenannte Werkkonzert ist dies zwar ein wesentlich geringerer Betrag, aber offenbar hatten auch die Berliner Philharmoniker trotz der engen Anbindung ans RMVP in der Gestaltung ihrer Honorarpolitik einen gewissen Spielraum, und dies auch dann, wenn es sich um staatlich verordnete Veranstaltungen handelte – und solche waren die Werkkonzerte in den meisten Fällen.
7.6 Musikalische Auslandswerbung Die Repräsentationsfunktionen, welche die beiden Orchester nach innen erfüllten, waren auch maßgebend für deren Deutschland- beziehungsweise Wienwerbung im Ausland. Nebst den Rundfunkkonzerten, die gelegentlich ins Ausland übertragen wurden, vollzogen die Berliner und Wiener Philharmoniker ihre Manifestationen deutscher Repräsentationskunst außerhalb Deutschlands mittels Konzertreisen. In ,neutralen‘ und ,befreundeten‘ Staaten spielten sie dabei gewöhnlich vor einem Publikum, auf dessen ,ethnische‘ Zusammensetzung Deutschland freilich keinen direkten Einfluss besaß; der Besuch von deutschen Kulturveranstaltungen in den ,besetzten Gebieten‘ war hingegen streng reguliert und war oft nur für die dort lebenden Deutschen vorgesehen, wobei die Partizipation an solchen Veranstaltungen für die nicht-deutsche Bevölkerung zwischen striktem Verbot und loyalitätsförderndem Erlaubtsein oszillierte; das Ausmaß der kulturpolitischen Repression war je nach Gebiet unterschiedlich hoch und folgte in der Regel dem Grad an Brutalität der jeweiligen Besatzungspolitik.1084 Die herrschaftstechnischen Absichten sind in beiden Fällen nicht schwer zu durchschauen: Waren die Veranstaltungen nur dem deutschen Teil der Bevölkerung beziehungsweise dem Personal der militärischen und zivilen
1083 Berliner Philharmonisches Orchester an RMVP, 12. 3. 1940. BA, R 55/245. 1084 Ein Überblick über die Unterschiede der Besatzungsherrschaften bei Fleischer, Hagen. Nationalsozialistische Besatzungsherrschaft im Vergleich: Versuch einer Synopse. In: Benz, Wolfgang/Houwink ten Cate, Johannes/Otto, Gerhard (Hrsg.). Anpassung – Kollaboration – Widerstand. Kollektive Reaktionen auf die Okkupation. Berlin 1996. S. 257–302.
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Verwaltung vorbehalten, wirkten diese vornehmlich auf eine Stärkung des Distinktionsbewusstseins hin, indem der deutschen Zuhörerschaft die vermeintliche Überlegenheit ,deutscher Kultur‘ gegenüber jener des jeweiligen ,besetzten Gebiets‘ vorexerziert wurde; war das Besuchen der Veranstaltungen hingegen der gesamten Bevölkerung erlaubt, sollte damit der „deutsche kulturelle Führungsanspruch“ unterstrichen werden.1085
Die deutsche Musikmarke auf außenpolitischer Mission Was die Repräsentation der deutschen musikalischen ,Hochkultur‘ im Ausland anbelangt, vertrat sie das Berliner Philharmonische Orchester unbestritten an erster Stelle. In zeitgenössischen Aufsätzen und Artikeln der NS-Musikpublizistik, die sich mit der Präsenz von deutscher Musik im Ausland beschäftigten, wurde es stets an prominenter Stelle erwähnt (im Gegensatz zu den Wiener Philharmonikern, die in denselben Artikeln zumeist unerwähnt blieben). Im „Jahrbuch der deutschen Musik“ von 1943 wurden die Berliner Philharmoniker als ein für Auslandskonzerte „besonders bezeichnende[s] Beispiel[...]“ erwähnt und betont, „alle Länder Europas“ richteten „alljährlich den Wunsch nach Berlin, [d]ie Werke unserer großen Meister in einer Darbietung von der einzigartigen Orchesterkultur der Berliner Philharmoniker und in der kongenialen Ausdeutung eines Wilhelm Furtwängler zu erleben“.1086 Und Gerhard von Westermann, seit Sommer 1939 Erster Geschäftsführer des Berliner Philharmonischen Orchesters, ließ sich 1941 in einem Aufsatz über „Geltung und Einsatz deutscher Musik im Ausland“ in der vom „Staatlichen Institut für deutsche Musikforschung“ herausgegebenen Zeitschrift „Deutsche Musikkultur“ über die besondere Bedeutung der Auslandsrei1085 Vgl. etwa das Rundschreiben „Durchführung kultureller Veranstaltungen – Teilnahme der deutschen und tschechischen Bevölkerung“ der Kreisleitung der NSDAP Königgrätz vom 27. 5. 1943: „Stehen für ein Konzert besonders qualifizierte deutsche Kräfte mit einem aussergewöhnlich guten Programm zur Verfügung [...] kann sich [die Einladung] an die gesamte Bevölkerung des betreffenden Gebietes richten (Deutsche und Tschechen). Die Einladungen können doppelsprachig sein. Auf diese Weise soll das tschechische Volk mit den Leistungen deutschen Kulturschaffens bekanntgemacht werden und es wird damit gleichzeitig der deutsche kulturelle Führungsanspruch unterstrichen. Diese Veranstaltungen müssten allen tschechischen Bevölkerungskreisen ohne Standesunterschied zugänglich gemacht werden.“ Eine „Vermischung“ von deutschen und tschechischen KünstlerInnen war jedoch untersagt: „Die Durchführung kultureller Veranstaltungen gemeinsam gestaltet von deutschen und tschechischen Künstlern (z. B. in einem Quartett zwei deutsche und zwei tschechische Musiker) stellt eine Verwischung der klaren kulturpolitischen Linie dar und ist unter allen Umständen zu vermeiden.“ BA, NS 18/794. 1086 Rosen, Waldemar. Deutschland im europäischen Musikaustausch. In: Jahrbuch der deutschen Musik 1943. Leipzig / Berlin, o. D. [1943]. S. 64–70. Hier S. 67.
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sen des Orchesters für die deutsche Außenpolitik aus.1087 Die „zentrale Musikorganisation im Reich“,1088 so Westermann, sei Bürge dafür, „daß keine Mittelmäßigkeit über unsere Grenzen hinausdringt, daß vielmehr bewußt und wohlüberlegt nur die wertvollsten Kräfte deutscher Musikkultur im Auslande herausgestellt werden“. Es sei für ihn nur zu naheliegend, in diesem Zusammenhang „den so starken Auslandseinsatz des Berliner Philharmonischen Orchesters anzuführen“. Dieses sei „in ganz Europa ein feststehender Begriff“, wobei „von überall her, auch von Übersee, Einladungen zu Konzerten an das Orchester [ergehen], man erwartet es mit größter Spannung, und überall gestalten sich die Konzerte zu wahren Triumphen deutscher Musik“. Westermann kam auch auf die Programmpolitik dieser Konzerte zu sprechen und plädierte für eine solche nach ,völkischen‘ Parametern: „Eine so starke Wirkung mit der Darstellung deutscher Sinfonik zu erzielen, ist aber keineswegs eine Selbstverständlichkeit, da in den außerdeutschen Ländern nur selten eine sinfonische Tradition vorhanden ist, wie wir sie bei uns in so hohem Maße besitzen. Es empfiehlt sich daher, in der Programmgestaltung nach Möglichkeit auf die Mentalität des Volkes, vor dem man konzertiert, einzugehen. Z. B. erscheint Brahms, der in Skandinavien auf größtes Verständnis stößt, den südeuropäischen Völkern nur schwer zugänglich. Folgerungen in der Programmgestaltung ergeben sich aus solchen speziellen Einzelheiten von selbst, ohne daß man dabei nur den kleinsten Schritt von dem großen sinfonischen Gepräge der im Sinne einer kulturpolitischen Mission aufgestellten Programme abzuweichen braucht. Beethoven, der stets im Mittelpunkt der Programme steht, ist und bleibt ein entscheidender Erfolg; wahre Stürme der Begeisterung brechen aber aus, wenn das Orchester, meist als Zugabe, eines der in aller Welt so volkstümlich gewordenen Opernvorspiele von Richard Wagner zum Vortrag bringt.“
Abschließend ging Westermann auch ausdrücklich auf die Auslandskonzerte während des Krieges ein und betonte dabei unmissverständlich dessen Eigenschaft als Motor des besonderen Erfolgs dieser Veranstaltungen: „Höchste Achtung und warme Begeisterung, das waren die Gefühle, die die Kriegskonzerte der Berliner Philharmoniker bei ihren ausländischen Zuhörern erweckten. Und die gleichen Gefühle wurden ausgelöst durch die Tatsache, daß ein Orchester von mehr als hundert zum allergrößten
1087 Von Westermann, Gerhart. Über Geltung und Einsatz deutscher Musik im Ausland. In: Deutsche Musikkultur. VI/1, 1941/42. S. 1–4. 1088 Damit dürfte Westermann das RMVP meinen; am Einsatz der Musik zu außenpolitischen Zwecken arbeiteten mehrere Dienststellen mit, wobei der koordinatorische Angelpunkt beim RMVP lag. Prieberg, Musik, S. 376.
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Teil noch jungen Musikern im Dienste der Kultur tätig sein kann in der Zeit der Hochspannung eines gigantischen Kampfes, an dem das ganze deutsche Volk beteiligt ist. So dokumentiert sich die Größe und Kraft Deutschlands auch in seinem Kulturwillen durch den lebensvollen Beweis, daß sein Kulturleben während des Krieges nicht nur uneingeschränkt weiterlebt, sondern in stetem Aufwärts und Vorwärts begriffen ist.“1089
Doch bereits einige Jahre vor dem deutschen Überfall auf Polen legitimierte der Zweite Geschäftsführer der Berliner Philharmoniker, Karl Stegmann, in einem ausführlichen Bericht zuhanden des Aufsichtsratspräsidenten des Orchesters, Staatssekretär Walther Funk, eine kostspielige Reise in diverse Länder des Balkan („Balkanreise“) als außenpolitisches Werbemittel.1090 Darin berichtete er gleichermaßen ausführlich über die politische Stimmung in den einzelnen Ländern wie über die Konzerterfolge und versah seinen Bericht mit antisemitischen Kommentaren. Zu Rumänien erklärte er etwa: „Die Atmosphäre in Bukarest in der führenden Gesellschaft ist frankophil. Trotzdem gelang es uns durch entsprechende Maßnahmen, die beiden Konzerte zu füllen, wenn sie auch nicht ausverkauft waren.“ Den Grund für den zurückhaltenden Konzertbesuch fand er im Verhalten der jüdischen Bevölkerung der Stadt („Dabei muss berücksichtigt werden, dass die Juden uns in Bukarest und auch in den anderen Städten offenen Boykott erklärt haben“) und spielte die nichtjüdischen gegen die jüdischen Bevölkerungsteile aus: „Aber auch in Bukarest wollte man durch unseren Besuch den Beweis erbringen, dass die Konzerte auch ohne Juden gegeben werden können. Man hat unsere Konzerte auch benutzt, um von einer jüdischen Kartenverkaufsstelle zu einem arischen Unternehmen überzugehen. Wir haben bei diesem arischen Unternehmen ebenfalls vollste Unterstützung erhalten.“
Scheinbar ganz nebenbei – seine Ausführungen sind in streng sachlichem Stil gehalten – stilisierte sich Stegmann also auch zum antisemitischen Helfer zugunsten einer „arischen“ Geschäftstätigkeit. Außerdem verwies er auf eine antisemitische Stimmung, die in Rumänien vorherrsche und erwähnte mit Befriedigung, dass sie sich auch im Musikbetrieb niederschlage: „Das Philharmonische Orchester in Bukarest hat noch eine Anzahl Juden als Mitglieder, 1089 Von Westermann, Geltung, S. 3 f. 1090 Berliner Philharmoniker (Stegmann) an RMVP (Funk), 4. 6. 1936. BA, R 55/197. Die Reise fand vom 20. bis zum 28. 5. 1936 unter der Leitung des nazistischen Dirigenten Hermann Abendroth statt (dieser wurde 1933 zum Leiter der „Fachschaft Musikerzieher und Chorleiter“ in der Reichsmusikkammer ernannt und war seit 1937 Parteimitglied: Prieberg, Fred K. Handbuch Deutsche Musiker 1933–1945. CD-ROM-Lexikon. Kiel 2004. S. 39) statt; das Orchester gastierte dabei in Budapest, Bukarest, Sofia, Belgrad und Zagreb. Die nachfolgenden Zitate sind diesem Reisebericht entnommen.
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die es los zu werden wünscht. Aus diesem Grunde sind allen Mitgliedern des dortigen Orchesters die Stellungen zunächst einmal gekündigt.“ Auch von Zagreb (im Bericht „Agram“) berichtete Stegmann, der „Gegensatz zwischen den Juden und den Kroaten“ sei „derartig gross, dass die Juden sogar ihren arischen Angestellten verboten hatten, in das Konzert zu gehen, sodass aus diesem Grunde die Werbetätigkeit der Kroaten für das Konzert ausserordentlich gesteigert wurde“. Daraus folgerte er anerkennend, diese Umstände seien das Ergebnis des in Deutschland praktizierten Antisemitismus: „Ueberall scheint es aber so, als ob der Gegensatz zwischen Juden und den Einwohnern des Landes, den es wohl früher nicht gegeben hat, schon derartig stark ist, dass, wie z. B. in Rumänien, eine judenfeindliche Bewegung [...] gerade in den letzten Monaten einen ungeheuer starken Mitgliederzuwachs erhalten haben soll. Wir sahen während unserer Reise von Bukarest nach Sofia ganze Trupps dieser faschistischen Partei mit der Hakenkreuzbinde am Arm auf den verschiedenen Bahnhöfen sich aufstellen und zu einer Sondertagung nach Giorgiu mitfahren, wobei das Horst Wessel-Lied in rumänischer Fassung gesungen wurde.“
Stegmanns Bericht zufolge gebarten sich die Berliner Philharmoniker auf ihrer „Balkanreise“ gleichsam selbstverständlich als deutsche Diplomaten: „Wir haben [...] bei diesen Konzerten nirgends eine Spur von Deutschfeindlichkeit bemerkt, im Gegenteil, überall wurde von unserem Führer und dem neugeschaffenen Deutschland mit außerordentlicher Hochachtung gesprochen.“ Sodann berichtete er von politischem Aufklärungsunterricht, den die Mitglieder des Orchesters gegenüber der Bevölkerung geleistet hätten: „In den vielen kleinen Gesprächen, die die Orchestermitglieder mit den Einwohnern eines jeden Landes hatten, wurde auch unsererseits selbstverständlich viel Aufklärung über Deutschland und die Dinge, wie sie hier liegen, gegeben.“ Am deutlichsten wollte Stegmann die Deutschlandwerbung des Orchesters aber in den Konzerten umgesetzt wissen: „Ueberall hörte man laute Bewunderungsäusserungen nicht nur über die Kunst des Dirigenten, seiner Gestaltungskraft, sondern auch über die Disziplin, die Arbeitsleistung des Orchesters an sich und die künstlerische Betätigung.“ Nach „übereinstimmenden Aeusserungen unserer Gesandten und Gesandtschaftsvertreter“ seien die Konzerte „von ausserordentlich nachhaltiger Wirkung für Deutschland und deutsche Kultur“ gewesen, so Stegmann. Die diplomatische Note dieser Konzertreise verstärkt sich zudem durch die wiederholte Erwähnung des Zusammentreffens mit verschiedenen Ministern der einzelnen Länder auf der einen und mit deutschen Diplomaten auf der anderen Seite. Auch für die Konzertgestaltung selbst übernahmen die Berliner Philharmoniker die Gepflogenheiten der Diplomatie. In Sofia – im Publikum saßen angeblich auch „4 oder 5 bulgarische Minister“ – spielte das Orchester im Anschluss an das offizielle Programm die bulgarische Nationalhym-
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ne und in Belgrad „ein jugoslawisches Stück kroatischer Herkunft“.1091 Außerdem berichtete Stegmann von einer Blumenniederlegung durch das vereinte Orchester am Belgrader „Denkmal des unbekannten serbischen Soldaten“ im Zuge eines gemeinsamen Ausflugs mit den Kollegen der Belgrader Philharmoniker. Stegmann hielt dort anscheinend auch eine kurze Ansprache – diese „kleine symbolische Geste“ habe ihre Wirkung „auf die jugoslawischen Musiker“ nicht verfehlt, hielt er im Bericht fest. Auch die Kontaktpflege mit ortsansässigen nationalsozialistischen Gruppierungen gehörte zum diplomatischen Programm der Berliner Philharmoniker. Stegmann berichtete, dass sie auf der Fahrt nach Sofia „in Rustschuk [...] von Mitgliedern der Ortsgruppe der NSDAP aufs herzlichste willkommen geheissen“ worden seien und dass ihnen zudem „ein Mitglied der Deutschen Kolonie aus Sofia entgegengefahren [ist], um uns während der Reise zu unterstützen“. Mit Unternehmungen wie diesen wirkte das Berliner Philharmonische Orchester – offenbar bereitwillig – am außenpolitischen Konsolidierungsprogramm des NS-Staates mit. Vom oft strapazierten Wort eines „Missbrauchs“ des Orchesters für politische Zwecke kann jedenfalls keine Rede mehr sein. Stegmanns Schlussfolgerungen über diese Reise lassen vielmehr erkennen, dass das Orchester den verbrecherischen Feldzügen, die Deutschland auch im Namen der ,deutschen Kultur‘ kurze Zeit später beging, dezidiert zuarbeitete. Er resümierte: „[...] sodass all diese Städte in Zukunft noch mehr an Bedeutung gewinnen werden. Sie sind östlich von Budapest noch stark den osteuropäischen Einflüssen unterworfen: aber gerade solche Ereignisse, wie die Konzerte des Berliner Philharmonischen Orchesters, tragen ausserordentlich viel dazu bei, diese Kulturzentren der Balkanländer in den welteuropäischen [sic], mehr noch in den deutschen Kulturkreis hineinzubringen.“
Stegmann hielt es darum „für erfolgreich und zweckmässig“, diese Konzertreise „nach dem Balkan“ auch in Zukunft regelmäßig zu wiederholen, sofern „auch rein politische Momente“ dafürsprächen, nachdem er schon für die Konzerte in Bukarest geltend gemacht habe, dass mit diesen „für Deutschland und besonders für die deutsche Kultur ausserordentlich eindringlich und nachhaltig geworben worden ist, sodass das Resultat dieser PropagandaKonzerte sich auch noch später auswirken“ werde. Stegmann unterließ es auch nicht, seine Einschätzung durch eine offizielle staatliche Instanz abzusichern: Er fügte seinen Ausführungen an, die deutsche Gesandtschaft in Bukarest teile seine Auffassung. Dieser Bericht war nicht nur für den internen Gebrauch bestimmt. Eine geglättete und sprachlich elegantere Fassung veröffentlichte Stegmann auch im offiziellen philharmoni1091 Belgrad war zu dem Zeitpunkt Hauptstadt des Königreichs Jugoslawien, dem nebst Serbien auch Kroatien und Slowenien angehörten.
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schen Publikationsorgan, den „Blättern der Philharmonie“ der Saison 1935/361092 und machte die „Balkanreise“ damit auch innenpolitisch wirksam. Das Orchester und sein Dirigent hätten „mit ihren herrlichen Leistungen auf dieser Reise für deutsche Musik und deutsche Kultur geworben, wie es eindringlicher nicht geschehen konnte“, so der für das Publikum der Philharmonie bestimmte Bericht. Die Konzertbesucher in Zagreb hätten den Berliner Philharmonikern bei ihrer Abreise zum Bankett ein „Spalier mit erhobener Hand“ gebildet, in Bukarest habe sie ein Liftboy mit „Heil Hitler!“ gegrüßt und nirgends hätte man Deutschfeindlichkeit bemerkt, sondern, im Gegenteil, die Hochachtung vor dem Deutschland Adolf Hitlers sei offen zutage getreten. Der Text suggerierte damit auch nach innen, das NS-Regime sei unaufhaltsam auf dem Vormarsch – und Widerstand zwecklos, weil er nicht einmal mehr außerhalb Deutschlands existiere. Und wenn der Artikel damit fortfährt, dass nur die Juden „überall in diesen Konzerten gefehlt“ hätten, da sie ihren „offenen Boykott“ erklärten, die Häuser aber trotzdem überall voll „mit beifallsfreudigen Besuchern“ gewesen seien, wie das diese Städte, so sei ihnen versichert worden, bisher nie gesehen hätten, so steckt darin freilich die antisemitische Aussage, ein Konzertbetrieb funktioniere eben auch ohne Juden – in Berlin ebenso wie anderswo. Darüber hinaus unterstellte Stegmann der jüdischen Bevölkerung eine „feindselige“ Haltung gegenüber dem Orchester, indem er einen „jüdischen Boykott“ geltend machte – ob die jüdische Bevölkerung die Konzerte tatsächlich „boykottierte“ oder ob das Fehlen von jüdischen KonzertbesucherInnen nicht vielmehr darauf zurückzuführen war, dass diese auch in diesen Ländern schon damals bei öffentlichen Konzerten unerwünscht gewesen waren, wäre allerdings zu untersuchen. Stegmann rechtfertigte damit jedenfalls implizit die antisemitische Ausgrenzungs- und Verfolgungspolitik in Deutschland selbst, indem er das Orchester zum Opfer eines jüdischen Feindbildes stilisierte. Nun waren weder die Instrumentalisierung des Orchesters zugunsten der deutschen Außenpolitik noch das diesbezügliche Selbstverständnis der Berliner Philharmoniker gegenüber der Zeit vor 1933 etwas Neues – insbesondere seit dem Ersten Weltkrieg partizipierte das Orchester bekanntlich an vorderster Stelle an der kulturellen deutschen Auslandswerbung. Doch noch stärker als in den 1920er-Jahren agierte das Berliner Philharmonische Orchester explizit als Repräsentationsträger des Deutschen Reichs, während Berlinbezüge in der Rezeption seiner Auslandskonzerte durchwegs fehlten. Westermann selbst hob im oben zitierten Aufsatz von 1941 hervor, das Berliner Philharmonische Orchester sei „seit der Machtübernahme das deutsche Reichsorchester“.1093 Damit beanspruchte er für das Orchester implizit das Quasimonopol für die offizielle Auslandsvertretung der musikalischen deutschen ,Hochkultur‘; diesen Anspruch unterstrich er durch eine Aufzählung der in den letzten Jahren bereisten 1092 Die Balkanreise der Berliner Philharmoniker. In: Blätter der Philharmonie 1935/36, Nr. 17. 1093 Westermann, Geltung, S. 3.
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Länder und resümierte, so sei „damit das gesamte europäische Festland in diesen Kriegsreisen erfaßt worden“.1094 Nachdem das Orchester im Oktober 1943 eine weitere Reise in diverse ost- und südosteuropäische Städte (Krakau, Bukarest, Budapest, Brasov sowie Zagreb) unternahm, vermeldete ein Bericht des SS-Sicherheitsdienstes jedoch ungewöhnlich kritische Reaktionen „von massgeblichen Kreisen“. „Im Gegensatz zu anderen grossangelegten Unternehmungen dieses Jahres, wie der Konzertreise der Wiener Philharmoniker nach Schweden oder dem Gastspiel der Berliner Staatsoper in Lissabon, hat die Balkanreise der Berliner Philharmoniker sowohl hinsichtlich ihrer Vorbereitung als auch ihres kulturpolitischen Erfolges zahlreiche kritische Stimmen ausgelöst“,1095
stellte der SD-Bericht fest. Dies, obwohl er zunächst festhielt, die „Balkanreise der Berliner Philharmoniker“ gehöre „zu [den] großzügigsten und umfangreichsten Veranstaltungen der deutschen Kulturpolitik während des Jahres 1934 [sic – gemeint ist natürlich 1943, F. T.]“. Nüchtern gab der Bericht diese Stimmen wieder, die festhielten, die „erstrebte positive Beeinflussung werde dadurch in ihr Gegenteil verkehrt“. Diese Beanstandungen würden zwar nur in wenigen Kreisen laut, aber es handle sich eben gerade um die maßgeblichen und einflussreichen Persönlichkeiten, „deren Gewinnung nicht zuletzt die Aufgabe solcher Veranstaltungen“ sei. Der Bericht hielt auch fest, durch einen „planmässigen Einsatz der deutschen Musik“ könne Deutschland im Ausland „noch sehr starke Einflüsse ausüben“, da die Musik „[v]on allen geistigen Schöpfungen der deutschen Kultur“ die „weitaus stärkste Wirkung“ besitze und „ihre zwingende Kraft gerade in Zeiten politischer Spannungen“ bewähre, in denen „alle Maßnahmen der Propaganda ihre Wirkung verlieren“. Die „starke mitreissende Wirkung, welche den deutschen kulturellen Veranstaltungen im Ausland erst ihren eigentlichen Sinn verleihe“ sei jedoch „in entscheidendem Masse von dem Einsatz einer grossen Dirigentenpersönlichkeit abhängig“. Diese „zwingende Kraft“, die „im gesamten Ausland die deutsche Musik zum stärksten kulturpolitischen Faktor“ mache,1096 sei „[n]ach allen vorliegenden Äusserungen vor allem bei W. Furtwängler und H. v. Karajan vorhanden“. Zur Leitung der Konzerte dieser „Balkanreise“ waren aber weder Furtwängler noch Karajan bereit; das Orchester wurde, wie schon in der oben besprochenen Konzertreise von 1936
1094 Ebd. 1095 Der Chef der Sicherheitspolizei und des SD (Amt III). Sd-Berichte zu Inlandsfragen: Stellungnahme zur Frage des Einsatzes der deutschen Musik im Ausland. Berlin, 27. 12. 1934 [sic; dieser Tippfehler findet sich ein weiteres Mal im Text selbst: richtig wäre 1943, F. T.]. BA, NS 15/73. 1096 [Hervorhebung im Original].
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nach Südosteuropa, von Hermann Abendroth geleitet. Dass das Berliner Philharmonische Orchester mit einem zwar nicht unbekannten, aber auch nicht der obersten Riege zuzuordnenden Dirigenten durch eine ausgedehnte Konzertreise nach Südosteuropa in den 1930erJahren noch einen außenpolitischen Erfolg einfahren konnte, während die praktisch identische Reise mit identischer Besetzung 1943 der Kritik unterworfen wurde, verweist unter anderem auch auf einen fortgeschrittenen Markenbildungsprozess: Stärker denn je wurden die Berliner Philharmoniker und Furtwängler anscheinend als Einheit begriffen. Die rigorose Rassen-, Vertreibungs- und Verfolgungspolitik der Nationalsozialisten hatte zur Folge, dass zahlreiche hervorragende Dirigenten zur Emigration gezwungen wurden. Den wenigen Orchesterleitern von Rang, die in Deutschland verblieben, kam dadurch umso stärkere Aufmerksamkeit zu: Zumindest für den Musikbereich im NS-Staat liegen die engen Verknüpfungen zwischen personellen Engpässen und einer Forcierung des Starwesens auf der Hand. Der SD-Bericht hält überdies ausdrücklich fest: „Man bedauert vor allem, dass Furtwängler nicht an der Reise teilgenommen habe. Furtwängler sei zusammen mit den Berliner Philharmonikern zu einem bestimmten Begriff geworden, so dass sein Fehlen leicht zu falschen Auslegungen Anlass gebe.“1097 Blieb die Marke also hinter ihrem Versprechen zurück, konnte die Reaktion darauf durchaus heftig ausfallen – die Quasi-Monopolisierung der Berliner Philharmoniker im Bereich der Auslandskonzerte während der 1930er-Jahre zeigte nun ihre Kehrseite: „Von guten Kennern der Landesverhältnisse wird bemerkt, dass die Konzertreise trotz des äusseren Erfolges nicht die durchschlagende Wirkung erzielt habe, die durch den Einsatz eines so hervorragenden Orchesters an und für sich möglich gewesen wäre. [...] Die Feststellung, dass das Orchester in vielen anderen Hauptstädten unter Furtwängler gespielt hat, aber auf dieser Reise von weniger berühmten Dirigenten geleitet wurde, führe bei der Empfindlichkeit der Balkanvölker leicht zur Verstimmung und zum Gefühl einer Behandlung als zweitklassiges Land.“1098
Diese Reaktion von Teilen des Publikums, oder vielmehr deren besorgte Rezeption durch den SD verweist auf den Bedeutungszuwachs, den die Auslandskonzerte – und insbesondere jene der Berliner Philharmoniker – offensichtlich gegenüber den 1920er- und frühen 1930erJahren erlangt hatten. Der SD-Bericht macht dies deutlich: „Das Hauptgewicht der Konzertreisen im Ausland habe sich heute stärker als zuvor von der rein künstlerischen auf die kulturpolitische Seite verlagert. Jede Veranstaltung werde damit zu einer 1097 Sd-Berichte, Stellungnahme, 27. 12. 1934 [sic]. BA, NS 15/73. 1098 Ebd. [Hervorhebungen so im Original].
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Angelegenheit des Reichsinteresses. [...] Im Hinblick auf die infolge der Bombenschäden eingetretenen Schwierigkeiten im deutschen Musikleben wird den deutschen Konzertveranstaltungen in den besetzten Gebieten und im Ausland eine erhöhte Bedeutung zugemessen.“
Es sei darum „unbedingt erforderlich, auch die Tätigkeit der großen Dirigenten unter dem Gesichtspunkt der geistigen Kriegsführung als Kriegseinsatz anzusehen“, so der Bericht abschließend.1099 In der Vorkriegsphase konnte bisweilen noch mehr oder weniger glaubhaft vermittelt werden, es gehe bei den Auslandskonzerten um einen „Kulturaustausch“.1100 Die Reiseberichte seit Kriegsbeginn, etwa in den „Philharmonischen Blättern“ (vormals: „Blätter der Philharmonie“), legten den Fokus jedoch nicht mehr auf einen solchen. Im Mittelpunkt stand nun, „in der Zeit des letzten großen Ringens um die Erhaltung deutscher Art“, die Manifestation des „ungeheure[n] Kulturwille[ns] Deutschlands“.1101 Konnten die Berliner Philharmoniker Anfang 1937 als „Sendbote Deutscher Kunst“ auf einer Reise nach dem Baltikum und Skandinavien die entsprechenden Länder noch „gewissermaßen friedlich erobern“,1102 titelte dasselbe philharmonische Publikationsorgan in der Saison 1940/41 unmissverständlicher „Die Deutschen haben soeben Lissabon erobert!“1103 und suggerierte damit einen deutschen ‚Kriegserfolg‘ auf neutralem Territorium. Seit Kriegsbeginn hat sich die Rhetorik in den „Philharmonischen Blättern“ ohnehin deutlich verschärft, nun war die Rede von der „kulturellen Front“, an der die Berliner Philharmoniker „glücklich, an dem ihnen zugewiesenen Platz ihre Pflicht“ tun würden.1104 Doch der Autor dieser Texte, das Philharmoniker-Mitglied Werner Buchholz, stellte die „Vorzüge“ der philharmonischen Propaganda mit deutscher Musik gegenüber der „feindlichen“ Wortpropaganda noch vor Kriegsausbruch bereits unter Verwendung einer Kriegsterminologie deutlich heraus: „[...] daß die deutsche Kunst, insbesondere die Musik, auch im Kriege ein Propagandamittel darstellt, dem in seiner unanfechtbaren Reinheit und Echtheit der Feind, dessen musische Armut 1099 Ebd. 1100 Vgl. etwa Das Berliner Philharmonische Orchester im Mittelpunkt des Kulturaustauschs. In: Philharmonische Blätter, 1936/37, Nr. 7, S. 3 ff. 1101 Buchholz, Werner. Auslandskonzertreise im Kriege. In: Philharmonische Blätter 1939/40, Nr. 12. Buchholz verfasste des Öfteren Propagandatexte für die Philharmonischen Blätter; er war Mitglied des Orchesters. 1102 Unsere Philharmoniker auf Reisen: Die Deutschen haben soeben Lissabon erobert! Musik als Propagandamittel. In: Philharmonische Blätter 1936/37, Nr. 8, S. 4 f. 1103 Philharmonische Blätter 1940/41, Nr. 14, S. 4 f. 1104 Auslandskonzertreise im Kriege. In: Philharmonische Blätter 1939/40, Nr. 12.
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bekannt ist, auch nicht einmal annähernd Gleichwertiges gegenüberstellen kann. Selbstgehörtes und Erlebtes beeindruckt nun einmal ungleich stärker als alle Sophistik mit abgegriffenen Phrasen.“1105
Die Auslandskonzerte der Berliner Philharmoniker waren oftmals eigentliche Kriegs reisen, deren Verläufe sich an konkreten kriegspolitischen Situationen und Konstellationen orientierten. Meistens führten sie das Orchester in Gebiete, denen entweder unmittelbar ein deutscher Überfall bevorstand oder die – in der Mehrheit der Fälle – kurz vorher einen solchen erlitten hatten.1106 Daneben häuften sich während des Krieges aber auch Konzertreisen in Staaten, die mit Deutschland ,befreundet‘ waren. Insbesondere Spanien und Portugal waren seit 1941 bevorzugte Reisedestinationen der Berliner Philharmoniker – an diese Tourneen waren meist Konzerte in Frankreich geknüpft. Und schließlich veranstaltete das Orchester auch eine Reihe an Reisen ins ,neutrale‘ Ausland, 1942 in die Schweiz und mehrere Male, im Rahmen von größeren Tourneen in Skandinavien, nach Schweden.1107 Die Auslandskonzerte der Berliner Philharmoniker gehörten damit ganz offensichtlich zum operativen Geschäft der Kriegspropaganda. Dies ist auch anhand der Zahlen ersichtlich: Die Anzahl der Auslandskonzerte der Berliner Philharmoniker stieg nach 1939 sprunghaft an – in den Jahren 1941 bis 1943 machten sie bis zu einem Drittel des gesamthaften Konzertvolumens aus.1108 Bezeichnenderweise gaben sich die Berliner Philharmoniker äußerst zurückhaltend, was Konzertreisen nach Österreich, insbesondere jedoch nach Wien anbelangte. Während sie in sonstigen deutschen Städten oft konzertierten, traten sie in Wien zwischen 1938 und 1945 nur einmal auf, im Mai 1940, also noch vor Schirachs Amtsantritt als Wiener Gauleiter und Reichsstatthalter. Für die Organisation dieses Konzerts waren offenbar die Wiener Philharmoniker verantwortlich1109 – dessen Zustandekommen bedeute für diese einen „prestigemä1105 Philharmonische Blätter 1936/37, Nr. 8, S. 5. 1106 Einige solcher Beispiele wären das Konzert in Den Haag vom 23. Januar 1940; Anfang Mai 1940 wurde die Stadt von der deutschen Wehrmacht angegriffen und am 15. Mai die Niederlande von Deutschland besetzt. Der deutschen Besetzung Dänemarks im April 1940 folgten zwischen dem 19. und 26. Juli 1940 mehrere Konzerte in dänischen Städten. Die Besetzung Belgiens durch deutsche Truppen erfolgte Ende Mai 1940, jene von Frankreich im Juni, welcher per 18. Juli 1940 die Zweiteilung Frankreichs folgte – worauf das Berliner Philharmonische Orchester zwischen dem 7. und 19. September 1940 eine ausgedehnte NiederlandeBelgien-Frankreich-Tournee unternahm. 1107 So in den Jahren 1940, 1941 und 1942. 1108 Grundlage der Zählung bildet einmal mehr die Programmsammlung bei Muck 3. Konzerte, die das Orchester ab März 1938 in Österreich abhielt – sie sind überdies an einer Hand abzuzählen – sind nicht in die Berechnungen miteinbezogen. 1109 Prot. KS, 22. 4. 1940. HAWPh, A-Pr-030, 9.
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ßig sehr wertvollen Gewinn“, wie das Protokoll dazu festhielt.1110 Das Wiener Konzert des Berliner Philharmonischen Orchesters bot den Wiener Philharmonikern aber nicht nur im Zuge der Vorbereitungen Diskussionsstoff. In der darauf folgenden Komiteesitzung – sie fand nur einen Tag nach dem Konzert statt – wurde der Auftritt des Berliner Orchesters eingehend erörtert. Jerger kommentierte: „Der Eindruck des stattgehabten Konzertes der Berliner Philharmoniker auf ihn war ein sehr guter. Besonders imponierend war die künstlerische Disziplin des Orchesters, wie auch die des einzelnen Musikers. In Bezug auf die Leistung, spielte das Orchester sehr kraftvoll und exakt, doch ohne besondere Wärme. Der Ton der Streicher klang erdrückt. Der Wiener Streicher-, Holz- und Hörnerklang ist im Vergleich zu dem des Berliner Klanges ausdrucksvoller und edler. Dieser Meinung schließt sich auch Strasser an, der meint, dass der Wiener Streicherton nicht nur weicher und wärmer klingt, sondern auch ausklingt, was bei dem Berliner vollkommen fehlte. Ganz schlecht im Ton fand Strasser die Hörner und Horntuben, dagegen sehr gut die Oboen und Posaunen.“1111 1110 Ebd. 1111 Prot. KS, 6. 5. 1940. HAWPh, A-Pr-030, 10.
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Trotz dieser musikalischen Kritik am berlinerischen Orchesterklang regte das Konzert offenbar auch zum Überdenken der eigenen Konzert- und Aufführungspraxis an. Vor allem Geschäftsführer Strasser gab sich selbstkritisch: „Eine Feststellung, erklärte Strasser, ist sehr wichtig, dass das Berliner Orchester weitaus williger musiziert als das unsere. Es muß deshalb in unserem Orchester das Bestreben wachgerufen werden, sich mehr den gegebenen Verhältnissen anzupassen, ohne deshalb unsere traditionelle Art des Musizierens aufzugeben. Ein dogmatisches Festhalten an Dingen, die der heutigen Zeit nicht mehr ganz entsprechen, könnte unter Umständen sehr von Nachteil für unser Orchester werden. Auch wäre es ein schwerer Fehler der Wiener, bei einer Tradition stehen zu bleiben, die ohne Zweifel eine sehr gute ist, den damaligen Verhältnissen voll und ganz entsprach, aber an die gegenwärtig moderne Zeit unbedingt angepasst werden muß. Eine Tradition ist nur dann wertvoll, wenn sie auch modern zu bleiben versteht und nicht als Hemmschuh für alles Neuzeitliche wirkt.“1112
Die Berliner Philharmoniker hatten, auch wenn es während des Nationalsozialismus bei diesem einen Wiener Konzert geblieben ist, bei ihren Wiener Kollegen die Wirkung nicht verfehlt.
Verhaltene Reisepraxis der Wiener Philharmoniker Im Vergleich mit dem Berliner Philharmonischen Orchester nahm sich die Zahl der Auslandskonzerte der Wiener Philharmoniker bescheiden aus. Insbesondere im Laufe der Kriegsjahre war sie tendenziell im Abnehmen begriffen, wie die Grafik zeigt.1113 Einen auffallend großen Teil ihrer Reisekonzerte veranstalteten die Wiener Philharmoniker in Deutschland – nicht viel anders als in den 1920er-Jahren, nun aber freilich unter gänzlich veränderten Begleitumständen. Neben regelmäßigen Gastkonzerten in München traten sie zwischen 1938 und 1945 auch mehrmals in Berlin auf und konzertierten im Rahmen von ausgedehnten Tourneen 1940 und 1941 in zahlreichen weiteren deutschen Städten. Während frühere Reisen, insbesondere in den 1920er-Jahren, oft unter dem außenpolitischen Postulat einer ,Anschluss‘-Werbung standen,1114 hatten die Konzerttourneen der Wiener Philharmoniker in Deutschland nach 1938 ihren politischen Sinn in erster Linie in der 1112 Ebd. 1113 Die Konzerte, die das Orchester ab März 1938 in deutschen Städten abhielt, sind in Grafik 5 nicht miteinbezogen. 1114 Vgl. hier S. 100 ff.
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Repräsentation der ,Ostmark‘ oder, präziser ausgedrückt, des Gaues Wien innerhalb des neuen Staatsgefüges, von der sich das Orchester eine gute Positionierung im deutschen Musikbetrieb erhoffen durfte. Schon im April 1938 reisten die Wiener Philharmoniker für ein Sonderkonzert nach Berlin, für das Jerger in einer darauf folgenden Komiteesitzung geltend machte: „Welchen Erfolg die Berliner Konzerte hatten, haben Sie selbst gesehen. Durch die Anwesenheit des Führers ist dieses Konzert zu einem ganz grossen Erlebnis geworden und das Orchester hatte so Gelegenheit, mit seinem Dirigenten Furtwängler erstmals seine Kunst vor dem Führer zu zeigen. In der ersten Maiwoche wurde ich zu Minister Glaise-Horstenau befohlen, der vom Führer beauftragt war den Philharmonikern zu sagen, wie sehr beeindruckt der Führer besonders von der 7. Bruckner-Symphonie gewesen sei.“1115
Rückblickend stellte Jerger die Präsenz der Wiener Philharmoniker in Deutschland unmittelbar nach dem ,Anschluss‘ sogar in einen Zusammenhang mit der Abwendung der Vereinsauflösung: 1115 Prot. KS, 27. 6. 1938. HAWPh, A-Pr-030, 2a.
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„Jerger fand die richtigen Wege und alles wurde zurückgezogen. Es kann nicht alles öffentlich bekanntgegeben werden. Verlangt Vertrauen der Körperschaft zur Leitung. Betont Nutzen des Konzertes Berlin 1938. Parteitag Nürnberg. Auflösung wurde von Wienern verfügt, Gegenmaßnahmen von Berlin.“1116
Darüber hinaus halfen diese Konzerte mit, den politischen ,Anschluss‘ Österreichs an Deutschland auf der Ebene der ,Hochkultur‘ zu legitimieren. Dies gelang ihnen umso besser, als sie in Deutschland eine außerordentlich hohe Reputation genossen. Heinz Tietjen, seit 1927 Generalintendant der Preußischen Staatstheater sowie seit 1931 künstlerischer Leiter der Bayreuther Festspiele, lobte das Orchester in einem Schreiben als „das grosse Geschenk der Ostmark an das Gross-Deutsche Reich in der Kunst“, während auch Goebbels im Tagebuch seine Hochachtung vor den Wiener Philharmonikern zum Ausdruck brachte: „Zu beneiden ist diese Stadt um die Wiener Philharmoniker. Sie zählen in der Tat zu den allerersten deutschen Klasseorchestern. Ihre Musikalität haben sie wieder einmal bei der ,Fidelio‘Aufführung beweisen können. Es gibt in Deutschland mit Ausnahme der Berliner Philharmoniker kaum noch ein anderes Orchester, das zu einer gleichen Höhe der künstlerischen Leistung emporsteigen kann.“1117
Diskussionen um die Qualität der Wiener Philharmoniker, die stets an den Berliner Philharmonikern gemessen wurde, gab es bis hinauf zur Chefetage des NS-Staates – und sie verweist zugleich auf den Wettbewerb, der zwischen den beiden Orchestern im Gange war: „[...] erwähnt der Führer auch, daß er in letzter Zeit verschiedentlich auf dem MagnetophonBand Sinfonien von den Berliner und den Wiener Philharmonikern gehört habe. Demnach sind die Berliner Philharmoniker doch eine Klasse besser als die Wiener Philharmoniker; und zwar sei das in der Hauptsache darauf zurückzuführen, daß sie junge Streicher besitzen, während die Wiener Philharmoniker doch reichlich überaltert seien.“1118
Außer ihren einigermaßen regelmäßigen Reisen nach Deutschland wurden die Wiener Philharmoniker während des Krieges auch einige Male auf größere Konzertreisen ins ,Ausland‘ geschickt, so 1939 und 1940 nach Krakau oder 1943 in skandinavischen Länder; insbeson-
1116 Prot. AHV, 29. 3. 1940. HAWPh, A-Pr-030, 7. 1117 Goebbels, Tagebücher II, Bd. 3, S. 469 (Eintrag vom 14. 3. 1942). 1118 Goebbels, Tagebücher II, Bd. 4, S. 408 (Eintrag vom 30. 5. 1942).
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dere die Krakauer Auftritte erfolgten im Rahmen üppig inszenierter Feiern.1119 Schon rund zwei Monate nach der Besetzung Polens durch die deutsche Wehrmacht, Mitte Dezember 1939, konzertierten die Wiener Philharmoniker auf Einladung des „Generalgouverneurs“ Hans Frank in dessen Residenzstadt Krakau. Das Konzert bildete gewissermaßen den musikalischen Auftakt zur Verfolgung und Ermordung Abertausender Menschen, zu der die Schlagzeile der Krakauer Nachrichten anlässlich der von den Wiener Philharmonikern gestalteten Eröffnung des „Deutschen Theaters“ das Stichwort lieferte: „Krakau wieder deutsches Kulturzentrum.“1120 In seiner Ansprache zur Eröffnung des „Deutschen Theaters“, die zugleich eine Laudatio auf die Wiener Philharmoniker war, verlautete Hans Frank, dass „[d]ieweilen das große kriegerische Drama anhebt, [...] wir hier durch Ihre Kunst unsere Herzen empor zu den unvergänglichen Sternen deutscher Kunst [anheben]“.1121 Die Wiener Philharmoniker, so Frank, seien „die Repräsentanten dieses herrlichen unzerstörbaren 1000jährigen Kulturgutes deutschen Kunstschaffens, deutschen Kunstwaltens und deutscher Kunstwiedergabe“. Dabei dürfte es kein Zufall gewesen sein, dass gerade die Wiener Philharmoniker dazu ausgesucht wurden, deutsche ,Hochkultur‘ im besetzten Krakau zu repräsentieren – schließlich war Wien die ehemalige Zentralgewalt des „Königreichs Galizien und Lodomerien“, zu dem auch das „Herzogtum Krakau“ gehörte. Es sei „für uns, die wir hier das Schwert des Führers über dem Osten halten, die wir hierhergestellt sind, um im Namen des Führers die stolze hehre Macht unseres Reiches im Nachgang zu dem Sieg der Waffen unseres Heeres zu bewahren, [...] ein großes Glück, Sie hier zu wissen“,
sprach Frank zu den Philharmonikern – nicht ohne zu erwähnen, dass „das Polnische hier nur ein geschichtlicher Fälschungsversuch“ gewesen sei. Außerdem sprach er, wenn auch verklausuliert, so doch deutlich aus, was die polnische und jüdische Bevölkerung von dieser „deutschen Stadt“ zu erwarten hätten: „Wir werden uns bemühen, um der Gerechtigkeit der Leistung willen den deutschen Charakter dieses Ortes wieder emporzusteigern. [...] Hier leben Soldaten, die aus den Kämpfen in Polen noch ihre Wunden tragen, sie werden heute Ihre Gäste sein, hier leben die Männer, die sich bemühen, deutsche Ordnung in dieses Gebiet zu bringen, einsam auf ihre Positionen gestellt,
1119 Im Dezember 1939 anlässlich der Wiedereröffnung des „Deutschen Theaters“ und April 1940 zum „Führergeburtstag“. 1120 „Krakau wieder deutsches Kulturzentrum.“ In: Krakauer Zeitung, 17./18. 12. 1939. S. 1. 1121 Ebd.
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tausend Schwierigkeiten des Lebens und Amtes gegenüber, nur auf ihre Tatkraft angewiesen; sie werden heute durch Sie beglückt werden; und hier leben in uns und um uns die Geister der Deutschen, die hier gewirkt haben.“1122
Daraus lässt sich auch die Zusammensetzung des Publikums erschließen: Es dürfte vor allem aus Wehrmachts- und SS-Angehörigen bestanden haben. Dass die Philharmoniker durch den Krieg „ihrer Gemeinschaft und ihrem Werk haben treubleiben können“, so der journalistische Kommentar zur Frank-Rede in der „Krakauer Zeitung“, sei denn auch nicht nur dem behördlichen Entgegenkommen allein zu danken, sondern daraus spreche „die Notwendigkeit auch ihres Einsatzes in der inneren Front“. Es sei dies „ein Symbol für die Tatsache, dass das deutsche Reich neben das Schwert auch die Leier gestellt“ habe.1123 Jerger seinerseits lobte Hans Frank in einer kurzen Ansprache in Krakau offiziell als jemanden, den die Philharmoniker als „warmen Freund der deutschen Kunst“ kennengelernt hätten; darum sei es eine besondere Freude, als „erste deutsche Kulturträger hierherkommen zu dürfen“.1124 Orchesterintern erwähnte Jerger anlässlich einer Hauptversammlung Anfang 1940 dann zwar, das Konzert in Krakau sei in finanzieller Hinsicht unergiebig gewesen. Dennoch stufte er es vor versammeltem Plenum als großen Erfolg ein: „Wenn sich die erstere [die Fahrt nach Krakau, F. T. ] auch finanziell nicht [...] so günstig ausgewirkt hat – allein die Tatsache, dass uns der Repräsentant des Deutschen Reiches einen solchen Empfang gab, war erlebnishaft und ehrend zugleich. Dass wir dann alle sehr zufriedene Gesichter gemacht haben, habe – ich – eine seltenste Ausnahme – mit Vergnügen feststellen können.“1125
Die mediale Rezeption der Krakauer Auftritte der Wiener Philharmoniker bildet durch das völlige Fehlen eines Wien-Bezugs die große Ausnahme: Die Konzerte wurden ausschließlich im Horizont ,deutscher Hochkultur‘ kontextualisiert beziehungsweise in ihrer Bedeutung für die Etablierung des ,Deutschtums‘ in Krakau herausgestellt. Dies hing freilich mit dem Anspruch zusammen, Krakau als „wiedergewonnene deutsche Stadt“ zu propagieren: Weder war es darum zielführend, den Deutschlandbezug der Wiener Philharmoniker wie üblich über Wien vermittelt herauszustellen, noch den Fokus auf das ,Wienerische‘ als einer Erscheinungsform des ,Deutschen‘ zu legen. Gefragt war vielmehr die unvermittelte Anwesenheit
1122 Ebd. 1123 Struckmann, U.-E. Aufgabe der Kunst von heute. Krakauer Zeitung, 17./18. 12. 1939, S. 1. 1124 „Krakau wieder deutsches Kulturzentrum“, S. 1. Ob er dies temporal oder qualitativ verstanden wissen wollte, ließ Jerger offen. 1125 HAWPh, A-Pr-030, 8.
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,deutscher Hochkultur‘. Der Kontext gab die Rezeption vor: Die ungewöhnlich deutliche Deutschland-Kontextualisierung dieser Krakau-Reise wurde auch vor dem Wiener Publikum ausgebreitet. So war in der Reisebeschreibung im Programmheft zum darauf folgenden Nicolai-Konzert die Rede von einer „Tat friedlicher Eroberung“, einem „Vordringen des deutschen Gedankens in edelster Form“, bevor die „außerordentliche Wichtigkeit dieser Abende“ betont wurde, welche „unermesslich mehr waren, als noch so erfolggekrönte Gastspiele im herkömmlichen Sinn. [...] Konzertreisen im Krieg, Konzertreisen trotz Krieg – ist nicht die Tatsache allein, daß sie stattfinden, noch dazu in solcher Vollendung stattfinden können, ein überzeugendes Symbol für den starken, unbeugsamen Kulturwillen des deutschen Staates und der deutschen Nation? Konzertreisen im Krieg – das sind sich auch die Wiener Philharmoniker bewußt – sind ebenfalls Dienst an Volk und Heimat“.1126
Dennoch war der Reisebericht letztlich in den gewohnten Wien-Kontext eingebettet: Gleichsam kulturimperialistisch hielt der Text einleitend fest, seit Ausbruch des Krieges gelte es nicht mehr, bloß den gesamten Konzertbetrieb in der Heimat aufrechtzuerhalten, sondern „auf künstlerischem Gebiet auch jene Mission auszuüben, die der Stadt Wien im allgemeinen dank ihrer geographischen Lage von jeher zukommt: die unendlichen Werte deutscher Kultur vor allem nach dem Ostern und nach dem Süden ausstrahlend wirksam werden zu lassen. Ausserdem kam aber noch die erhöhte Bedeutung des Musikzentrums Wien für das übrige Reich dazu.“1127
Ansonsten betrieben die Wiener Philharmoniker in ihren Auslandskonzerten jedoch nicht nur vor dem wienerischen Publikum eine ausgeprägte Wien-Propaganda, sondern auch vor jenem der besuchten ausländischen Städte. Diese war seit Herbst 1940 von besonderer Intensität, was zusammenhängen dürfte mit Schirachs Amtsantritt als Wiens Gauleiter und Reichsstatthalter im August 1940 sowie – und dies war für den propagandistischen Hintergrund der Veranstaltungspraxis der Wiener Philharmoniker mindestens ebenso wichtig – mit der Teilnahme des Reichspropagandaamt-Funktionärs Aurel Wolfram an den Komiteesitzungen des Orchesters ab Mai desselben Jahres. Als erste Auslandsreise, der unter dieser erneuerten kulturpolitischen Konstellation breite Aufmerksamkeit zuteil wurde (um die Frankreichreise des Orchesters im Sommer 1940 war es 1126 HAWPh, Philharmonische Programmbücher, Bd. XLVII, 1939–1940, Nr. 26. 1127 Ebd.
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7. Repertoire und Politisierung
ungewöhnlich ruhig geblieben), ist jene vom Oktober 1940 in die Niederlande anzuführen. Wolfram bereitete die musikinteressierte Öffentlichkeit der Niederlande auf Konzerte in Den Haag und Amsterdam mittels eines Aufsatzes über die Wiener Philharmoniker in einer holländischen Musikzeitschrift vor,1128 in dem er, seinem oben besprochenen Artikel „Wien und die Philharmoniker“1129 stark ähnelnd, einmal mehr den ,Musikstadt‘-Topos aufgriff: „Dem Drang nach sinnvollem Zusammenspiel, nach Harmonisierung aller Gefühle der Menschenbrust verdankt Wien in erster Linie seine eminente Musikalität“, resümierte er, nachdem er festgestellt hatte, Wien sei immer geblieben, was es sei, wobei „jede scheinbare Überfremdung [...] zuletzt eine Bereicherung eigener Art [war], die im Innersten deutsch war wie kaum eine andre“ – womit er sogar, wenn auch nicht explizit, den im ,Austrofaschismus‘ kultivierten Topos von Österreich als dem ,besseren Deutschland‘ ins Spiel brachte. Der „Völkische Beobachter“ berichtete von diesen Konzerten als einem „[d]urchschlagenden Erfolg der Philharmoniker in Holland“ und betonte seinerseits die enge, persönliche Verbundenheit des Orchesters mit Arthur Seyß-Inquart, der im März 1938 Schuschnigg während zweier Tage als österreichischen Bundeskanzler beerbte, maßgeblich am ,Anschluss‘ beteiligt war, sodann ein paar Monate der österreichischen Landesregierung vorstand und schließlich nach dem deutschen Überfall auf die Niederlande Ende Mai 1940 von Hitler zum dortigen „Reichskommissar“ ernannt wurde: „Am Sonntagvormittag hatten sich Solisten und Mitglieder des Philharmonischen Orchesters zu einer Morgenmusik im Wohnsitz des Reichskommissars vor einem kleinen Kreis geladener Gäste zur Verfügung gestellt. [...] Dem Reichsminister Dr. Seyß-Inquart war es ein Bedürfnis, einmal das gesamte Ensemble und die an der Durchführung des Gastspieles beteiligten deutschen Dienststellen als seine Gäste zusammen zu sehen. Er hatte daher nach der Aufführung zu einem Kameradschaftsabend in das Kurhaus von Scheveningen geladen. Hier hatte er nochmals in engerem Kreise Gelegenheit, den Wiener Gästen seinen persönlichen Dank in warmen Worten abzustatten und auf den hohen kulturellen und mittelbar politischen Inhalt ihrer künstlerischen Betätigung hinzuweisen.“1130
Durch den ,Anschluss‘ verlor Wien sein internationales Image als ,Musikstadt‘ keineswegs; unter anderem waren es die Konzertreisen der Wiener Philharmoniker, die sicherstellten, dass dies auch so bleiben würde. Bisweilen verlangten Gastgeberländer sogar ausdrücklich 1128 Concert en Theater Revue. Tijdschrift voor Muziek, Toonel, Dans en Film. Oktober-Ausgabe 1940. 1129 Vgl. Kap. 6.1. 1130 Empfang bei Reichskommissar Dr. Seyß-Inquart: Durchschlagender Erfolg der Philharmoniker in Holland. In: Völkischer Beobachter, Wiener Ausgabe, 22. 10. 1940, S. 7.
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nach einer ,wienerischen Note‘, sowohl was das Orchester als auch die Programme betrifft. Insbesondere im neutralen Schweden wünschte man sich offensichtlich kein anderes als das Wiener Orchester zu hören: Furtwängler beabsichtigte ohnehin, mit ihnen auf Reisen zu gehen, „entweder [...] nach Italien oder Schweden“.1131 Er entschied sich für Schweden. Dabei wurde hervorgehoben, „[...] dass es der besondere Wunsch Schwedens ist, dass die Wiener Philharmoniker kommen. Schwierigkeiten bestehen nur noch betreffend die Bezahlung (ob Auswärtiges Amt oder Propaganda Ministerium).“1132 Diesen Reisewunsch wies Berlin zunächst jedoch zurück, worauf Furtwängler „mit Reichsaussenminister von Ribbentrop persönlich“ verhandelte.1133 Die Verhandlungen ergaben zwar eine Zusage zur Reise, aber es blieb vorerst strittig, ob sie das Auswärtige Amt oder das RMVP finanzieren würde.1134 Goebbels dürfte dieser Reise demnach skeptisch gegenübergestanden haben, wenn dies auch in den Protokollen nirgends erwähnt wird und auch die Hintergründe des Zögerns Ribbentrops nicht näher Erläuterung finden. Es liegt aber nahe, anzunehmen, dass Goebbels ,seine‘ Berliner Philharmoniker von der wienerischen Konzertreise nach Skandinavien konkurrenziert sah: In Dänemark und Schweden (sowie Norwegen, das die Wiener Philharmoniker jedoch nicht in ihre Reise einplanten) hatten seit mehreren Jahren die Berliner Philharmoniker die Repräsentationshoheit deutscher Musikkultur inne; bereits 1940, 1941 und 1942 konzertierten sie, ebenfalls gegen Saisonende, in denselben Städten Schwedens und Dänemarks, die nun auch bei den Wiener Philharmonikern auf dem Plan standen: Kopenhagen, Stockholm, Malmö, Uppsala und Göteborg. Auch nachdem sich Ribbentrop für die Durchführung der Reise ausgesprochen hatte, gab sich Goebbels in der Frage der Finanzierung noch immer zurückhaltend. Die Kosten für die Staatsopern-Substitute übernahm zwar das RMVP, doch ausgerechnet für Furtwänglers Honorar wollte es nicht aufkommen, wie der Protokollführer verärgert notierte: „Die Reise ist als fix anzusehen. Fraglich ist nur noch wer das Honorar Dr. Furtwängler’s trägt (wären die Berliner Philharmoniker gefahren, hätte es das Propagandaministerium gezahlt, wir sollen es aber selber zahlen).“1135
Schließlich rang sich das RMVP zwar dazu durch, die gesamte Finanzierung der Reise zu übernehmen, aber es zögerte die Geldtransferierung lange hinaus. Erst im Oktober 1943
1131 1132 1133 1134 1135
Prot. KS, 7. 5. 1942. HAWPh, A-Pr-030, 31. Prot. KS, 6. 3. 1943. HAWPh, A-Pr-030, 39. Prot. KS, 4. 1. 1943. HAWPh, A-Pr-030, 36. Prot. KS, 6. 3. 1943. HAWPh, A-Pr-030, 39. Prot. KS, 3. 4. 1943. HAWPh, A-Pr-030, 41.
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7. Repertoire und Politisierung
konnte das Orchester den Zahlungseingang feststellen. Komiteemitglied Leopold Kainz berichtete, „[...] dass der Betrag, den das Promi [RMVP, F. T.] für die Schwedenreise den Philharmonikern schuldete, vom Ministerium in zwei Raten überwiesen wurde. Die erste Teilzahlung betrug Rm. 34977.29, der Restbetrag von Rm. 9000.-- wurde nach vielen Bemühungen, letzten Endes aber erst auf Intervention von Dr. Furtwängler [...] an uns überwiesen.“1136
Schirach hingegen setzte sich von vornherein für diese Reise ein. Schon in den ersten Verhandlungen garantierte er die Bezahlung der Substituten und gab außerdem die Zusicherung ab, dass die vom Orchesterdienst beurlaubten Philharmoniker mit keinem Gagenabzug zu rechnen hätten.1137 Hinsichtlich des internationalen Geltungsanspruchs der Wiener Philharmoniker scheinen Goebbels und Schirach somit unterschiedliche Positionen bezogen zu haben. Schirach dürfte in der Skandinavienreise des Orchesters eine Gelegenheit gesehen haben, Wiens ,Musikstadt‘-Image international aufzupolieren. Auch die Wiener Presse wollte das offenbar so verstanden wissen: Die Wiener Philharmoniker würden auf dieser „großen Auslandfahrt“ „auch jenseits der Reichsgrenzen einen Begriff von der hohen Qualität der übrigens überall bewunderten Musikkultur der Donaustadt“ geben, vermerkte etwa das „Neue Wiener Tagblatt“; dementsprechend sei von den Musikprogrammen „allgemein verlangt“ worden, „daß sie ein getreuliches Bild der Wiener Musik geben sollen, es stehen also Wiener Komponisten, vor allem der Klassik und Romantik im Vordergrund“.1138 Und der „Völkische Beobachter“ hob in seiner Wiener Ausgabe bezüglich der Reise Schirachs unterstützende Haltung hervor: Er habe „unter dem Gesichtspunkt der außerordentlichen kulturellen Bedeutung und Wichtigkeit der Fahrt“ seine besondere Förderung zuteil werden lassen.1139 Dass Schirach und die Wiener Philharmoniker, zumindest gemessen an der intensiven Reisetätigkeit des Berliner Philharmonischen Orchesters, insgesamt dennoch nur spärlich außenpolitische Geltung entfalten konnten, liegt zum einen an der schon öfters thematisierten eingeschränkten Mobilität des Orchesters. Die Wiener Philharmoniker bemühten sich auch im Nationalsozialismus nicht um eine Mobilitätssteigerung um jeden Preis: Schien ihnen eine Reise mit zu viel Aufwand oder aber mit zu vielen Unsicherheiten verbunden, lehnten sie ab, wie etwa 1943, als das Orchester zu einer Reise nach Polen aufgefordert wurde:
1136 Prot. KS, 24. 10. 1943. HAWPh, A-Pr-030, 44. 1137 Prot. KS, 4. 1. 1943. HAWPh, A-Pr-030, 36. 1138 Die Philharmoniker gehen auf Reisen. Nach Dänemark und Schweden. In: Neues Wiener Tagblatt, 25. 4. 1943, S. 5. 1139 Auslandsreise der Wiener Philharmoniker. In: Völkischer Beobachter, 25./26. 4. 1943, S. 5.
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„Die Philh. wurden vom deutschen Veranstaltungsring eingeladen Konzerte in Krakau, Warschau und Lemberg zu spielen. Trotz des Honorares von RM 20.000 pro Konzert wurde diese Einladung wegen der gegenwärtigen unsicheren Verhältnisse im Gouvernement [sic] abgelehnt.“1140
Dass es, im Verhältnis zu den Jahren vor dem ,Anschluss‘ und insbesondere während des Zweiten Weltkriegs weniger oft als zuvor im Ausland konzertierte, hatte aber mindestens ebenso stark mit finanziellen Mitteln zu tun: Um eine von Berlin unabhängigere Reisetätigkeit der Wiener Philharmoniker zu betreiben, fehlten Schirach die finanziellen Mittel. Goebbels bewilligte Schirach über die regulären, wenn auch sehr hohen Wiener Reichszuschüsse hinaus bekanntlich kaum Sonderausgaben.1141 Goebbels gab sich aber auch zurückhaltend, was Direktfinanzierungen von Projekten der Wiener Philharmoniker betraf. Wenn er auch immer wieder neidisch auf Schirachs Kulturpolitik in Wien schielte, lässt seine Finanzpolitik den Wiener Philharmonikern gegenüber deutlich erkennen, dass ihm eine stärkere Position Wiens in der internationalen Deutschland-Repräsentation nicht wünschenswert erschien. Denn diese Repräsentationsfunktion nahm längst das Berliner Philharmonische Orchester wahr, das dazu mit hohen finanziellen Zuschüssen gefördert wurde. Andere deutsche Orchester, darunter auch die Wiener Philharmoniker, waren zwar durchaus eingeladen, an der außenpolitischen Imagepolitik Deutschlands mitzuwirken, aber nur ssoweit dies die Präsenz und die Rezeption der Berliner Philharmoniker als das deutsche Reichsorchester schlechthin nicht beeinträchtigte.
1140 Prot. KS, 24. 10. 1943. HAWPh, A-Pr-030, 44. 1141 Vgl. hier S. 168 ff.
8. Resümee: „Ein Konkurrenzkampf, wie der zwischen den Berlinern und Wienern wird immer sein“1142 „‚Es ist etwas Bedenkliches um die Musik, meine Herren. Ich bleibe dabei, daß sie zweideutigen Wesens ist. Ich gehe nicht zu weit, wenn ich sie für politisch verdächtig erkläre.‘“1143 Thomas Mann, Der Zauberberg
Die Politisierung der Wiener und Berliner Philharmoniker während des Nationalsozialismus hatte in ihrer jeweilig spezifischen Ausformung eine lange Vorgeschichte. Dass die vorliegende Studie diese mit in den Blick nehmen würde, war nicht von Anfang an geplant. Es wurde aber schnell deutlich, dass dies unvermeidbar sein würde, begreift man den Nationalsozialismus nicht als eine nach seinen beiden Enden hin abgeschlossene Periode, quasi als einen „Faschismus in seiner Epoche“. Dazu reichte es jedoch nicht, bloß die letzten Jahre vor der Machtübergabe an die Nationalsozialisten beziehungsweise vor dem ,Anschluss‘ Österreichs an Deutschland in den Untersuchungszeitraum miteinzubeziehen, denn die politisch und ökonomisch bestimmten Ausgangspositionen der beiden Orchester, die auch für deren Politisierung seit den 1920er-Jahren prägend waren, sind auf die 1882 erfolgte Gründung der Berliner Philharmoniker zu datieren: So hat sich gezeigt, dass die Berliner Philharmoniker spätestens seit ihren Wiener Konzerten von 1897 von den Wiener Philharmonikern als Hauptkonkurrenten begriffen wurden, worin sich auch der übergeordnete, außenpolitisch bestimmte Städtewettbewerb zwischen Wien und Berlin widerspiegelte. Dieser wurde nicht zuletzt über die beiden Labels ,Made in Germany‘ und ,Musikstadt Wien‘ ausgetragen, die sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts herausgebildet hatten. Als deren Träger fungierten seither auch die beiden Orchester. Die unterschiedliche Weise ihrer Politisierung, so eine Quintessenz der vorliegenden Studie, ist denn auch zu einem wesentlichen Teil als Ausdruck ihrer Anbindung an diese äußerst unterschiedlich konnotierten Labels zu begreifen. Die Berliner Philharmoniker waren zunächst ein freies Unternehmen, das nicht nur künstlerisch, sondern auch wirtschaftlich florierte. Seit den 1910er-Jahren jedoch gerieten sie zumindest teilweise in eine finanzielle Abhängigkeit von der öffentlichen Hand, die sich während der 1142 Prot. KS 22. 6. 1953. HAWPh, A-Pr-034, 16. 1143 Mann, Zauberberg, S. 162.
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8. Resümee
Weimarer Republik laufend verstärkte und in der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er-Jahre kulminierte. Dies hatte zur Folge, dass das Orchester seine organisatorische und unternehmerische Autonomie schrittweise verlor; 1932 wurde der Aufsichtsrat mehrheitlich mit Stadt- und Reichsvertretern bestückt und mit weitreichenden Kompetenzen zulasten der Gesellschafterversammlung ausgestattet. Damit dominierte dieser die als GmbH organisierten Berliner Philharmoniker – zwar kaum in musikalischen, aber umso stärker in organisatorischen Angelegenheiten. Von der Umwandlung in einen Staatsbetrieb, wie dies Anfang 1934 durch Joseph Goebbels betrieben und umgesetzt wurde, war das Berliner Philharmonische Orchester somit schon am Ende der Weimarer Republik nicht mehr weit entfernt; einer eingehenden Diskussion dieses Umstandes wurde hier umso genauer Rechnung getragen, als er in der bisherigen Forschungsliteratur zur Geschichte der Berliner Philharmoniker unbeachtet geblieben ist. In der Folge ließ Goebbels nichts unversucht, die Berliner Philharmoniker zu den dominierenden Repräsentanten der musikalischen ,Hochkultur‘ Deutschlands auszubauen. Dazu setzte er insbesondere auf das Instrument der Lohnpolitik und machte die Philharmoniker gegen den erbitterten Widerstand von Finanzpolitikern zu den bestverdienenden Orchestermusikern des ,Dritten Reiches‘; damit wollte er sicherstellen, dass die Berliner Philharmoniker über das beste Personal aller deutschen Orchester verfügten. Dass Goebbels dies weitgehend in eigener Kompetenz durchführen konnte, war die Folge davon, dass es ihm in geschickt geführten Verhandlungen mit anderen Reichsstellen gelang, das Orchester der Aufsicht des RMVP zu unterstellen. Ganz anders verlief die Eingliederung der Wiener Philharmoniker in den Musikbetrieb des ,Dritten Reiches‘. Diese waren seit 1908 als Verein organisiert und behielten diese Organisationsform im ,Austrofaschismus‘ ebenso bei wie im Nationalsozialismus, wenn auch nicht diskussionslos und nach 1938 nur unter der Bedingung der Satzungsanpassung an das nationalsozialistische „Arier-“ und das „Führerprinzip“. Dennoch sicherten sich die Wiener Philharmoniker auch während der Zeit des Nationalsozialismus im Vergleich mit den Berliner Philharmonikern einen wesentlich größeren Handlungsspielraum: Sie verfügten nach wie vor über kollektive Beschlussfassungen (die Hauptversammlung blieb als Instrument größerer organisatorischer Entscheidungsfindungen erhalten) sowie über einen entscheidungsbefugten Vorstandsrat. Während das „Arierprinzip“ längst vor den Satzungsänderungen, nämlich schon unmittelbar nach dem ,Anschluss‘, angewandt worden war, fand das „Führerprinzip“ eine weniger konsequente Durchsetzung: Der Orchestervorstand war zwar der ,Führer‘ des Orchesters, Entscheidungen durfte er aber auch gemäß den neuen Satzungen nur unter vorheriger Anhörung des Vorstandsrates und der Hauptversammlung treffen,1144 was er in der 1144 Satzung des Vereins Wiener Philharmoniker. WSL, Vereinsakt, M. Abt. 119, A 32: Gelöschte Vereine, 4602/21, 57.
8. Resümee
311
Regel auch einhielt, wie die relativ offen geführten Diskussionen – sie sind in den Sitzungsprotokollen zahlreich dokumentiert – belegen. Trotz dieser beträchtlichen Entfernung von der politischen Kontrolle, die es vor politischen Interventionen bis zu einem gewissen Grad schützte, richtete das Orchester seine Konzertpraxis jedoch durchwegs an der programmatischen nationalsozialistischen Politik aus, etwa was antisemitische Artikulationen oder die Programmgestaltung anbelangte. Dennoch ging mit den relativen organisatorischen Freiheiten des Orchesters eine im Vergleich mit den Berliner Philharmonikern deutlich geringere Protektion der Wiener Philharmoniker einher, was sich insbesondere in der zurückhaltenden Zuschusspolitik des Reiches gegenüber dem Orchester ausdrückte. Zwar waren die Wiener Philharmoniker als Angestellte des Wiener Staatsopernorchesters den Berlinern in der Besoldung formal gleichgestellt. Als Konzertorchester erhielten die Wiener Philharmoniker hingegen kaum Zuschüsse, in deutlichem Gegensatz zu ihren Berliner Kollegen, deren finanzielle Beihilfen sich über die geltenden Tarifregelungen hinaus laufend erhöhten. Mit dem Amtsantritt Baldur von Schirachs als Wiener Gauleiter und Reichsstatthalter im August 1940 erhielten die Wiener Philharmoniker jedoch einen ehrgeizigen Fürsprecher, der Wien insbesondere in der Kulturpolitik in einen pointiert geführten Wettbewerb mit Berlin verwickelte und der an einer Aufwertung der Präsenz und des Renommees des Wiener Orchesters allein schon darum sehr interessiert war. Schirach bemühte sich nachhaltig, die Wiener Philharmoniker ihren Berliner Kollegen in möglichst vielen Belangen gleichzustellen, was sich etwa darin ausdrückte, dass er für die Orchestermitglieder während des Krieges eine generelle „UK-Stellung“ (Befreiung von der Militärdienstpflicht) erreichte, welche den Berliner Philharmonikern zunächst als einzigem Orchester Deutschlands zugesprochen worden war. Zum Zeitpunkt von Schirachs Amtsantritt in Wien hielten die Berliner Philharmoniker, unter Goebbels’ tatkräftiger Mithilfe, längst die Stelle des dominierenden Repräsentationsträgers der deutschen musikalischen ,Hochkultur‘ besetzt. Die für die Zeit des Nationalsozialismus verstärkt feststellbare Einschreibung der Wiener Philharmoniker in den ,Musikstadt‘Topos dürfte sich daraus ein Stück weit erklären: Es blieb Wien nichts anderes übrig, als den traditionellen Wien-Bezug seines Orchesters umso deutlicher herauszustreichen. Dies schlug sich auch in der Art und Weise nieder, in der die beiden Orchester in den Medien in Erscheinung traten: Ihre jeweilige Imagepolitik knüpfte während des Nationalsozialismus deutlich erkennbar an die Zeit vor 1933 beziehungsweise 1938 an und war dementsprechend von signifikanten Unterschieden geprägt. Aufgrund der Analysen zur Programmgestaltung und zu medialen Inszenierungen der beiden Orchester stellte sich heraus, dass diese auch im Nationalsozialismus entlang den Anbindungen an das ,Made in Germany‘- beziehungsweise das ,Musikstadt Wien‘-Label rezipiert und als Repräsentanten Deutschlands respektive Wiens gesehen wurden.
312
8. Resümee
Die Kontinuität in der Rezeption der beiden Orchester war herrschaftspragmatisch bedingt. Schirach erkannte die Wirksamkeit einer auf Wien bezogenen Kulturpolitik und propagierte sie wenn immer möglich in der Öffentlichkeit. Einerseits diente dies der Konsolidierung der nationalsozialistischen Herrschaft in Wien. Andererseits ließ sich damit aber auch die Position Wiens im innerdeutschen Städtewettbewerb festigen. Schirach scheute sich nicht, seine kulturpolitischen Akzente notfalls auch gegen den Willen Berlins durchzusetzen. Auf diese nach nationalsozialistischen Maßstäben teilweise unkonventionellen Aktionen reagierte Goebbels zuweilen mit energischen Ordnungsrufen und versuchte mit Hitlers Hilfe, Schirachs kulturpolitisches Engagement zu hintertreiben. Dies gelang ihm punktuell, ohne jedoch Schirachs Wien-Politik nachhaltig zu schwächen. Goebbels dürfte dies in letzter Konsequenz auch gar nicht beabsichtigt haben: Obwohl er anhaltende Kritik an Schirach übte, bildete dessen kulturpolitischer Aktionismus einen wichtigen Orientierungspunkt in Goebbels’ Kulturpolitik für Berlin. Goebbels befürchtete mitunter, dass das von den Kriegshandlungen stark betroffene Berlin in seiner kulturellen Bedeutung vom mit hohen Reichszuschüssen ausgestatteten Wien im Laufe des Krieges hätte überflügelt werden können. Schon allein darum musste er am kostspieligen Projekt, die Position der Berliner Philharmoniker als erstem und bestem Orchester Deutschlands zu sichern, festhalten – nicht nur des Berliner Kulturbetriebs wegen, sondern vor allem aus außenpolitischen Gründen: Der Export von ,deutscher‘ Musik sollte zuallererst von der Reichshauptstadt ausgehen. Dies lässt sich auch quantitativ festmachen, wie die im letzten Kapitel präsentierte Repertoirestudie deutlich zeigt: Seit dem deutschen Überfall auf Polen im September 1939 stieg die Anzahl der Auslandskonzerte der Berliner Philharmoniker sprunghaft an und machte fortan bis zu einem Drittel des gesamten Konzertvolumens aus. Demgegenüber bewegte sich die Anzahl der Auslandskonzerte der Wiener Philharmoniker während des Zweiten Weltkrieges ungefähr auf demselben Niveau wie in den Jahren vor 1939, ja nahm seit 1940/41 sogar deutlich ab. Anhaltend zahlreich waren dafür die Reisen der Wiener Philharmoniker nach Deutschland. Die Reisekonzerte der beiden Orchester erfüllten somit je eigene Funktionen, welche wiederum weitgehend mit ihrer medialen Rezeptionsweise übereinstimmten: Die überregionale Bedeutung der Wiener Philharmoniker lag primär in der Repräsentation der ,Musikstadt Wien‘ im Rahmen des innerdeutschen Städtewettbewerbs. Die Berliner Philharmoniker hingegen waren die ersten Vertreter des Deutschen Reichs – des „Großdeutschen Reichs der Musik“, wie Schirach es einmal großspurig formulierte1145 – im Ausland. Diese unterschiedlichen Repräsentationsfunktionen der beiden Orchester kamen nicht nur in den Reisekonzerten zum Ausdruck, sondern auch in den anderen Konzertformen so1145 Schirach, Philharmoniker-Rede, S. 8.
8. Resümee
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wie in der Programmgestaltung. Deutlich erkennbar wird dies anhand der Rundfunkkonzerte: Die Berliner Philharmoniker traten im Rundfunk in erster Linie mit anspruchsvollen symphonischen Programmen in Erscheinung, die oft in Form von direkt übertragenen Konzerten gesendet wurden. Die Wiener Philharmoniker hingegen bedienten in ihren Rundfunkkonzerten weniger eine auf den deutschen musikalischen ,Hochkultur‘-Kanon ausgerichtete Programmgestaltung (wie noch im ,Austrofaschismus‘), sondern bezogen seit 1938 verstärkt auch mit Wien assoziierte ,leichte‘ Musik mit ein, vor allem Walzer und Polkas der Strauß-Dynastie. Die seit dem ,Anschluss‘ forcierte Strauß-Rezeption der Wiener Philharmoniker machte sich auch in den Werk- und den Wehrmachtskonzerten, besonders aber in der Institution des heute als Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker bekannten Walzer- und Polkaprogramms zum Jahresbeginn bemerkbar. Dieses wurde zum ersten Mal am 31. Dezember 1939, als „Silvesterkonzert“ also, aufgeführt und stellte eine pointierte Verdichtung des Wien-Bezuges der Wiener Philharmoniker dar. Die Wiener Philharmoniker erschlossen sich im Nationalsozialismus neue Konzertformen und bis zu einem gewissen Grad auch ein neues, stärker an ,leichter‘ Musik orientiertes Repertoire, während die Berliner Philharmoniker sowohl den Bestand ihrer populären Veranstaltungen als auch die Präsenz von ,leichter‘ Musik in ihren Konzertprogrammen verringerten. Stattdessen wurden etwa die elitären Philharmonischen Konzerte seit 1942 bis zu viermal wiederholt, was vor allem als Konzession an die „Trägerschichten der Höhenkünste“ (um es mit Georg Bollenbeck auszudrücken) zu werten ist, wonach die Abhaltung von öffentlichen Konzerten als „feierliche, säkularisierte Repräsentationshandlungen“1146 auch während des Krieges intensiv gefördert werden sollte. Wenn auch nicht ganz widerspruchslos, so bildet sich in der Repertoiregestaltung der beiden Orchester insgesamt weitgehend die jeweilige Stilisierung ab, die die Orchester in ihrer medialen Vermittlung erfuhren. Dies ist jedoch nicht nur als Resultat einer zentral gesteuerten Imagepolitik, sondern ebenso als Folge der herrschaftspragmatisch bestimmten Auseinandersetzungen über kulturpolitische Akzentsetzungen zwischen Berlin und Wien zu begreifen, zu deren wichtigsten Instrumenten die Berliner und Wiener Philharmoniker gehörten. Die Wirksamkeit dieses Wettbewerbs war bei den Orchestern nicht auf die Zeit des Nationalsozialismus beschränkt. Noch 1953 resümierte Helmut Wobisch, ehemals Mitglied der SS und Leiter der Bläserausbildung der Wiener Hitlerjugend, der inzwischen zum Geschäftsführer der Wiener Philharmoniker avanciert war, an einer Komiteesitzung: „Ein Konkurrenzkampf, wie der zwischen den Berlinern und Wienern wird immer sein.“1147 Es ging dabei um 1146 Bollenbeck, Tradition, S. 301 und S. 329. 1147 Prot. KS, 22. 6. 1953. HAWPh, A-Pr-034, 16.
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8. Resümee
den Wettlauf der beiden Orchester um die erste USA-Reise mit Wilhelm Furtwängler, den schließlich das Berliner Philharmonische Orchester gewann. Eine detaillierte Untersuchung politischer Kontinuitäten (und Brüche) bei den beiden Orchestern in der postnazistischen Periode harrt aber noch der Ausarbeitung.
9. Anhang: Repertoire. Grafiken und Kommentare Anteile der kanonisierten deutschen und österreichischen Komponisten in den Programmen der Wiener und Berliner Philharmoniker1148
Die ‚Wiener Klassiker‘ Joseph Haydn Joseph Haydn (Gesamtanteil in Prozenten) (Gesamtanteil in Prozenten) 18
16 Berliner Philharmoniker Abo-Konzerte
14
12 10
Berliner Philharmoniker Sonstige Konzerte Wiener Philharmoniker Abo-Konzerte Wiener Philharmoniker Sonstige Konzerte
8 6
4
2
19
20 19 /2 21 1 19 /2 22 2 19 /23 23 19 /2 24 4 19 /2 25 5 19 /26 26 19 /2 27 7 19 /2 28 8 19 /29 29 19 /3 30 0 19 /3 31 1 19 /32 32 19 /3 33 3 19 /3 34 4 19 /3 35 5 19 /36 36 19 /3 37 7 19 /3 38 8 19 /39 39 19 /4 40 0 19 /4 41 1 19 /42 42 19 /4 43 3 19 /4 44 4 /4 5
0
Die Grafik zeigt, dass die Berliner Philharmoniker in den Jahren zwischen 1938 und 1945 wesentlich öfter Werke von Joseph Haydn in die Programme ihrer Abonnementkonzerte aufnahmen als die Wiener Philharmoniker. Zwischen 1937/38 und 1941/42 führten diese in ihren philharmonischen Konzerten kein einziges Werk von Joseph Haydn auf. Und auch während der Zeit des ,Austrofaschismus‘ gehörte er zu den wenig gespielten Abonnement-Komponisten – über einen Anteil von rund 4 Prozent pro Spielzeit kam er auch dort nicht hinaus. Sowohl bei den Berliner als auch bei den Wiener Philharmonikern lag der Haydn-Anteil in den Abonnementkonzerten in der Regel jedoch über jenem der restlichen Konzerte – mit 1148 Für die methodischen Erläuterungen zu den Zählungen vgl. die Einleitung zu Kapitel 7.
316
9. Anhang
Ausnahme des Haydn-Jahres 1932, für welches insbesondere in den außerordentlichen Konzerten der Wiener Philharmoniker ein erhöhter Aktivismus deutlich wird.
40
35
30
25
Wolfgang AmadeusAmadeus Mozart Mozart Wolfgang (Gesamtanteil in Prozenten) (Gesamtanteil in Prozenten) Berliner Philharmoniker Abo-Konzerte Berliner Philharmoniker Sonstige Konzerte Wiener Philharmoniker Abo-Konzerte Wiener Philharmoniker Sonstige Konzerte
20
15
10
5
19
20 19 /2 21 1 19 /22 22 19 /23 23 19 /2 24 4 19 /25 25 19 /2 26 6 19 /27 27 19 /28 28 19 /2 29 9 19 /30 30 19 /3 31 1 19 /32 32 19 /33 33 19 /3 34 4 19 /35 35 19 /3 36 6 19 /37 37 19 /38 38 19 /3 39 9 19 /40 40 19 /4 41 1 19 /42 42 19 /43 43 19 /4 44 4 /4 5
0
Der Anteil von Mozarts Werken an den Abonnementprogrammen liegt bei den Wiener Philharmonikern im Nationalsozialismus stets höher als bei den Berliner Philharmonikern. Auch gegenüber Erster Republik und ,Austrofaschismus‘ wurden Mozarts Werke im Nationalsozialismus zumindest in vereinzelten Spielzeiten häufiger aufgeführt; im ,Austrofaschismus‘ lag der Mozart-Anteil ohnehin verhältnismäßig tief. In den Konzerten der Berliner Philharmoniker nahm der Anteil von Mozarts Werken im Laufe der Weimarer Republik kontinuierlich ab und auch im Nationalsozialismus war er nicht sehr ausgeprägt, sieht man von vereinzelten Spielzeiten ab – im letzten Kriegsjahr erreichte er in den philharmonischen Konzerten satte 35 Prozent. Bei den Wiener Philharmonikern lag der Mozart-Anteil der Abonnementkonzerte gegenüber dem der sonstigen Konzerte in der Regel außerdem tiefer, auch zwischen 1938 bis 1945. Die Wiener Philharmoniker spielten auch in ihren sonstigen Konzerten zwischen 1920 und 1945 öfter Werke von Mozart als die Berliner Philharmoniker. Insbesondere nach 1938
9. Anhang
317
liegt der Mozart-Anteil im Wiener Repertoire, abgesehen von zwei Saisons, deutlich über jenem Berlins. Dass die Wiener Philharmoniker nach 1938 signifikant häufiger Werke von Mozart programmiert hätten als während Erster Republik und ,Austrofaschismus‘, kann jedoch nicht geltend gemacht werden. Weitgehend beständig hat sich Mozarts Anteil auch in den Konzerten der Berliner Philharmoniker trotz der politischen Zäsuren von 1933 und 1938 gehalten.
LudwigLudwig van Beethoven van Beethoven (Gesamtanteil in Prozenten) (Gesamtanteil in Prozenten) Berliner Philharmoniker Abo-Konzerte 45
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Berliner Philharmoniker Sonstige Konzerte Wiener Philharmoniker Abo-Konzerte Wiener Philharmoniker Sonstige Konzerte
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20 19 /21 21 19 /22 22 19 /23 23 19 /24 24 19 /25 25 19 /26 26 19 /27 27 19 /28 28 19 /29 29 19 /30 30 19 /31 31 19 /32 32 19 /33 33 19 /34 34 19 /35 35 19 /36 36 19 /37 37 19 /38 38 19 /39 39 19 /40 40 19 /41 41 19 /42 42 19 /43 43 19 /44 44 /4 5
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Wie bei Mozart treten auch Beethovens Werke in den Abonnementkonzerten der Berliner Philharmoniker deutlich häufiger auf als in jenen der Wiener Philharmoniker. In den Berliner Konzerten ist für die Zeit des Nationalsozialismus eine tendenzielle Steigerung (die bisweilen wieder abbricht) gegenüber der Phase der Weimarer Republik auszumachen, während die Wiener Philharmoniker in den Dollfuss-Schuschnigg-Jahren auffallend wenige Werke von Beethoven in die Programme der philharmonischen Konzerte aufnahmen; nach 1938 steigerte sich der Anteil Beethovens in den Wiener Abonnementkonzerten wieder, kam aber über jenen der Ersten Republik nicht hinaus. Auch für die sonstigen Konzerte gilt, dass die Berliner Philharmoniker in praktisch allen Spielzeiten öfters Beethoven spielten als die Wiener Philharmoniker; mit dafür verantwortlich
9. Anhang
318
ist dabei der alljährlich abgehaltene mehrteilige Beethoven-Zyklus, in welchem das Orchester jeweils einen Großteil der symphonischen Werke des Komponisten spielte. Franz Schubert Franz Schubert (Gesamtanteil in Prozenten) (Gesamtanteil in Prozenten) 30 Berliner Philharmoniker Abo-Konzerte
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Berliner Philharmoniker Sonstige Konzerte Wiener Philharmoniker Abo-Konzerte
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Wiener Philharmoniker Sonstige Konzerte
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20 19 /21 21 19 /22 22 19 /23 23 19 /24 24 19 /25 25 19 /26 26 19 /27 27 19 /28 28 19 /29 29 19 /30 30 19 /31 31 19 /32 32 19 /33 33 19 /34 34 19 /35 35 19 /36 36 19 /37 37 19 /38 38 19 /39 39 19 /40 40 19 /41 41 19 /42 42 19 /43 43 19 /44 44 /4 5
0
Schubert spielte im Repertoire der Abonnementkonzerte der Wiener Philharmoniker die größere Rolle als in jenem der Berliner Philharmoniker. Während des ,Austrofaschismus‘ pendelte sich sein Anteil auf ca. vier Prozent ein, während er im Nationalsozialismus bisweilen auf acht bis neun Prozent anstieg; dies hob sich von zeitweiligen Werten der Ersten Republik zwar nicht wirklich ab, eine tendenzielle Zunahme der Präsenz von Schuberts Werken in den Programmen der Abonnementkonzerte lässt sich aber dennoch geltend machen. Zwischen 1938 und 1945 gab es in den Wiener philharmonischen Konzerten bloß eine Saison ohne Schubert, während die Berliner Philharmoniker in mehreren Spielzeiten darauf verzichteten, seine Werke in die Programme aufzunehmen. Zwischen 1920 und 1945 überschritt der Anteil von Schuberts Werken sowohl in den Abonnement- als auch in den sonstigen Konzerten bloß einmal die Fünfprozentmarke, während er ansonsten konstant und meistens deutlich darunter lag. Sowohl bei den Berliner Philharmonikern als auch bei den Wiener Philharmonikern unterscheiden sich die Schubert-Anteile zwischen den Abonnement- und den sonstigen Konzerten nicht signifikant.
9. Anhang
319
Dass Schubert von den Wiener Philharmonikern deutlich öfters aufgeführt wurde als vom Berliner Philharmonischen Orchester, dürfte mit der ,Austrifizierung‘ des Komponisten seit der Jahrhundertwende und verstärkt seit den 1920er-Jahren zusammenhängen.1149 Diese Rezeption dürfte sich auch im nationalsozialistischen Wien gehalten haben, auch wenn Schubert seit Ende der 1920er-Jahre zunehmend nach deutschnationalen Mustern gedeutet wurde.1150
Deutsche ‚Romantiker‘ ohne „Wien-Hintergrund“
10 9
Robert Schumann Robert Schumann (Gesamtanteil in Prozenten) (Gesamtanteil in Prozenten) Berliner Philharmoniker Abo-Konzerte
8
Berliner Philharmoniker Sonstige Konzerte Wiener Philharmoniker Abo-Konzerte
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Wiener Philharmoniker Sonstige Konzerte
6 5 4 3 2 1
19 20 19 /21 21 19 /22 22 19 /23 23 19 /24 24 19 /25 25 19 /26 26 19 /27 27 19 /28 28 19 /29 29 19 /30 30 19 /31 31 19 /32 32 19 /33 33 19 /34 34 19 /35 35 19 /36 36 19 /37 37 19 /38 38 19 /39 39 19 /40 40 19 /41 41 19 /42 42 19 /43 43 19 /44 44 /4 5
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Schumann wurde von den Wiener Philharmonikern im untersuchten Zeitraum äußerst selten gespielt. In der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre erreichten seine Werke zwar kurzzeitig einen Anteil von rund vier Prozent, aber sowohl in den 1930er- als auch in den 1940er-Jahren fanden sie nur sporadisch Eingang in die Programme der Abonnementkonzerte; sie wurden 1149 Vgl. Stockenreitner, Thomas. Franz Schubert: Gedenkfeiern in Wien von 1897 bis 1997. Diplomarbeit, Wien 2000, S. 97. 1150 Ebd., S. 97, bzw. S. 144.
320
9. Anhang
zwischen 1937 und 1941 überhaupt nicht berücksichtigt und tauchten seit dem ,Anschluss‘ erst 1943/44 wieder auf. Demgegenüber führten die Berliner Philharmoniker Schumanns Werke kontinuierlich auf und während des Krieges erfuhr der Schumann-Anteil noch eine deutliche Steigerung, der in der Spielzeit 1941/42 immerhin acht Prozent des Repertoires ausmachte. Diese Zunahme der Präsenz Schumanns in den Abonnementprogrammen der Berliner Philharmoniker entsprach der im Nationalsozialismus verstärkt erfolgten Rezeption des Komponisten,1151 der sich die Wiener Philharmoniker jedoch offenbar weitgehend entzogen. Schumanns Musik war bei den Wiener wie bei den Berliner Philharmonikern vor allem in den Abonnementkonzerten zu hören. In den übrigen Konzerten der Berliner Philharmoniker wurde sie zwar kontinuierlich gespielt, überschritt die Zweiprozentmarke jedoch selten und wenn, dann jeweils nur knapp, mit Ausnahme der Spielzeit 1942/43, in welcher der Anteil von Schumanns Werken aufgrund eines ihm gewidmeten Zyklus über 9 Prozent betrug.
Carl Maria von CarlWeber Maria von Weber (Gesamtanteil (Gesamtanteil in Prozenten)in Prozenten) 12
Berliner Philharmoniker Abo-Konzerte Berliner Philharmoniker Sonstige Konzerte Wiener Philharmoniker Abo-Konzerte Wiener Philharmoniker Sonstige Konzerte
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20 19 /21 21 19 /22 22 19 /23 23 19 /24 24 19 /25 25 19 /26 26 19 /27 27 19 /28 28 19 /29 29 19 /30 30 19 /31 31 19 /32 32 19 /33 33 19 /34 34 19 /35 35 19 /36 36 19 /37 37 19 /38 38 19 /39 39 19 /40 40 19 /41 41 19 /42 42 19 /43 43 19 /44 44 /4 5
0
1151 Vgl. etwa Loos, Helmut. Schumann-Rezeption im ‚Dritten Reich‘. In: Grochulski, Michaela G. / Kautny, Oliver / Keden, Helmke Jan (Hrsg.). Musik in Diktaturen des 20. Jahrhunderts. Tagungsband zum Internationalen Symposium an der Bergischen Universität Wuppertal vom 28./29.2.2004. Wiesbaden 2006. S. 57–70.
9. Anhang
321
Bis zu Beginn der 1930er-Jahre lag der Anteil Webers in den Programmen der Abonnementkonzerte bei den Wiener Philharmonikern mehrheitlich höher als bei den Berliner Philharmonikern, ebbte dann aber deutlich ab und erreichte nach dem ,Anschluss‘ sporadisch wieder etwas höhere Werte. Auch in den Abonnementprogrammen der Berliner Philharmoniker war Weber sowohl vor als auch nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten nicht in jeder Spielzeit vertreten und überschritt die Fünfprozentmarke nur in seltenen Fällen. Kontinuierlicher, aber auch relativ selten spielten die Berliner Philharmoniker Weber in den sonstigen Konzerten, wobei ab 1933 eine leichte Steigerung, in den Kriegsjahren jedoch – abgesehen von 1944/45 – ein Rückgang des Anteils von Webers Werken zu beobachten ist. Für die sonstigen Konzerte der Wiener Philharmoniker ist anzumerken, dass Weber während des ,Austrofaschismus‘, abgesehen von der Spielzeit 1935/36, nicht gespielt wurde, nach dem ,Anschluss‘ jedoch teilweise einen Anteil um die vier Prozent erreichte und ab 1941/42 wiederum aus den Programmen verschwand.
25
Richard WagnerWagner Richard (Gesamtanteil in Prozenten) (Gesamtanteil in Prozenten) Berliner Philharmoniker Abo-Konzerte
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Berliner Philharmoniker Sonstige Konzerte Wiener Philharmoniker Abo-Konzerte Wiener Philharmoniker Sonstige Konzerte
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5
19 2
0 19 /2 21 1 19 /2 22 2 19 /23 23 19 /2 24 4 19 /2 25 5 19 /26 26 19 /2 27 7 19 /2 28 8 19 /29 29 19 /3 30 0 19 /3 31 1 19 /32 32 19 /3 33 3 19 /3 34 4 19 /3 35 5 19 /36 36 19 /3 37 7 19 /3 38 8 19 /39 39 19 /4 40 0 19 /4 41 1 19 /42 42 19 /4 43 3 19 /4 44 4 /4 5
0
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9. Anhang
Wie C. M. von Weber war auch Wagner bekanntlich kein eigentlicher Symphoniker – bei den hier aufgeführten Stücken handelt es sich um Vorspiele und Ouvertüren zu seinen Opern. Ob dies den stets höheren Wagner-Anteil bei den Wiener Philharmonikern (von ihrer Praxis als Opernorchester her) erklärt, ist allerdings fraglich, da Wagners instrumentale Opernvorstücke seit der Wagner-Renaissance gegen Ende des 19. Jahrhunderts fester Bestandteil des europäischen Konzertrepertoires1152 waren. Die schlagartige Zunahme der Anteile bei beiden Orchestern 1938 ist hingegen vor allem auf zwei gleichzeitige Jubiläen zurückzuführen: den 125. Geburtstag sowie den 55. Todestag Richard Wagners. Dass sich dies sowohl in den Abonnement-, insbesondere aber in den sonstigen Konzerten der Wiener Philharmoniker derart heftig niederschlug, dürfte auch auf den wienerischen ,Anschluss‘-Aktivismus verweisen, dessen Manifestation die Philharmoniker in Wagners Musik zum Ausdruck kommen ließen. Der Nullwert Wagners bei den sonstigen Konzerten der Berliner Philharmoniker in derselben Spielzeit verdeutlicht dies: Offenbar wurde trotz des Wagner-Jubiläums die Aufführung seiner Musik nicht offiziell angeordnet. Im exzessiven Bemühen der Wiener Philharmoniker, in ihren außerordentlichen Programmen der ,Anschluss‘-Spielzeit der Wagnerschen Musik fast ein Viertel der gesamten Programmpunkte zu widmen, drückt sich zweifellos ein politisches Bekenntnis aus. In den darauffolgenden Jahren sank der Wagner-Anteil in den außerordentlichen Konzerten der Wiener Philharmoniker hingegen wieder ungefähr auf das in den 1930er-Jahren übliche Niveau. Etwas abgeschwächt findet sich eine Veränderung der Wagner-Rezeption auch bei den Berliner Philharmonikern. Während der 1920er-Jahre erreichte Wagners Anteil in ihren Konzerten die Fünfprozentmarke praktisch nie, was sich in den Jahren nach 1932/33 markant änderte: Bis 1936/37 bewegte sich der Wagner-Anteil in der Höhe von rund zehn Prozent. In den Abonnementkonzerten änderte sich dieser Anteil bis 1938 jedoch nicht und blieb konstant niedrig, während er sich in den ersten Kriegsjahren vorübergehend verdoppelte.
1152 Zu deren vielfältigen Auswirkungen vgl. etwa Large, David C. / Weber, William (Hrsg.) Wagnerism in European Culture and Politics. Ithaca/London 1984.
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9. Anhang
Österreichisch-deutsche Romantiker mit „Wien-Hintergrund“ Johannes Brahms Johannes Brahms (Gesamtanteil in Prozenten) in Prozenten) (Gesamtanteil 25
Berliner Philharmoniker Abo-Konzerte Berliner Philharmoniker Sonstige Konzerte Wiener Philharmoniker Abo-Konzerte Wiener Philharmoniker Sonstige Konzerte
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20 19 /21 21 19 /22 22 19 /23 23 19 /24 24 19 /25 25 19 /26 26 19 /27 27 19 /28 28 19 /29 29 19 /30 30 19 /31 31 19 /32 32 19 /33 33 19 /34 34 19 /35 35 19 /36 36 19 /37 37 19 /38 38 19 /39 39 19 /40 40 19 /41 41 19 /42 42 19 /43 43 19 /44 44 /4 5
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Brahms’ Anteil in den Programmen der Abonnementkonzerte war bei beiden Orchestern hoch – nach Beethoven war er bei beiden der am zweithäufigsten gespielte Komponist. Allerdings liegt der Brahms-Anteil bei den Berliner Philharmonikern von einigen Ausnahmen abgesehen stets leicht höher als beim Wiener Orchester. Beide Orchester programmierten Brahms in der Regel deutlich häufiger in den Abonnement- als in den sonstigen Konzerten. Die politischen Zäsuren 1933 bzw. 1938 lassen bei beiden Orchestern keine wesentliche Veränderung der Brahms-Rezeption erkennen.
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Anton Bruckner Anton Bruckner (Gesamtanteil in Prozenten) (Gesamtanteil in Prozenten) 25 Berliner Philharmoniker Abo-Konzerte
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Berliner Philharmoniker Sonstige Konzerte Wiener Philharmoniker Abo-Konzerte Wiener Philharmoniker Sonstige Konzerte
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20 19 /21 21 19 /22 22 19 /23 23 19 /24 24 19 /25 25 19 /26 26 19 /27 27 19 /28 28 19 /29 29 19 /30 30 19 /31 31 19 /32 32 19 /33 33 19 /34 34 19 /35 35 19 /36 36 19 /37 37 19 /38 38 19 /39 39 19 /40 40 19 /41 41 19 /42 42 19 /43 43 19 /44 44 /4 5
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Der Anteil von Bruckners Werken in den philharmonischen Programmen lag bei den Wiener Philharmonikern in den 1920er-Jahren leicht über jenem des Berliner Philharmonischen Orchesters. In Anbetracht der äußerst langen Dauer einer Bruckner-Symphonie ist der Anteil, errechnet durch die Zählung der Werke, nicht durch die Addition der in Anspruch genommenen Spielzeit, bei beiden Orchestern als relativ hoch zu veranschlagen. Insbesondere bei den Wiener Philharmonikern steigerte er sich ab der Saison 1939/40 markant und deckte 1941/42 fast ein Viertel des Programms der Abonnementkonzerte ab. Beim Berliner Philharmonischen Orchester erreichte die Brucknerpflege in den Abonnementkonzerten während der 1920er-Jahre und bis 1933/34 konstant um die drei Prozent, stieg kurzzeitig auf etwas über fünf Prozent und pendelte sich in den folgenden Jahren – mit Ausnahme der Saisons 1942/43 und 1943/44 – wieder auf den Wert der 1920er- und frühen 1930er-Jahre ein. Bei den sonstigen Konzerten der Berliner Philharmoniker lag der Bruckner-Anteil bis 1932/33 zumeist etwas über jenem der Abonnementkonzerte, sank in der ersten Spielzeit nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten deutlich und pendelte sich in der Folge etwas unterhalb des Niveaus der Abonnementkonzerte ein. In den sonstigen Konzerten der Wiener Philharmoniker war Bruckner – mit Ausnahme der ,Anschluss‘Saison, in der er einen Anteil von zehn Prozent erreichte – kaum präsent: Sein Repertoireanteil bei den sonstigen Konzerten lag während der Kriegsjahre unter jenem der 1930er-Jahre.
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9. Anhang
Zeitgenössische Komponisten Einen kontinuierlich bedeutsamen Anteil am Repertoire der beiden Orchester machten in dieser Kategorie nur Richard Strauss, und, mit einigem Abstand zu diesem, Hans Pfitzner aus. Dies gilt sowohl für die Zeit vor als auch nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten. Aufgrund ihrer programmbezogenen Relevanz soll hier eine graphische Darstellung dieser Anteile, die außerdem durch den Beizug des österreichischen Komponisten Franz Schmidt ergänzt wird, nicht fehlen. Richard Strauss Richard Strauss (Gesamtanteil in Prozenten) (Gesamtanteil in Prozenten) 45 Berliner Philharmoniker Abo-Konzerte
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Berliner Philharmoniker Sonstige Konzerte Wiener Philharmoniker Abo-Konzerte
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Wiener Philharmoniker Sonstige Konzerte
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5
19 20 19 /21 21 19 /22 22 19 /23 23 19 /24 24 19 /25 25 19 /26 26 19 /27 27 19 /28 28 19 /29 29 19 /30 30 19 /31 31 19 /32 32 19 /33 33 19 /34 34 19 /35 35 19 /36 36 19 /37 37 19 /38 38 19 /39 39 19 /40 40 19 /41 41 19 /42 42 19 /43 43 19 /44 44 /4 5
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Strauss wurde von beiden Orchestern oft gespielt, wobei sein Anteil in den Wiener gegenüber den Berliner Konzerten zeitweise überwog. Auffallend ist jedoch, dass Strauss während des ,Austrofaschismus‘ aus den Programmen der Abonnementkonzerte verschwand und erst in der Saison 1937/38 wieder ins Abonnementrepertoire aufgenommen wurde. Hierin dürfte ein politischer Zusammenhang gelegen haben: Strauss war von 1933 bis 1935 Präsident der Reichsmusikkammer (RMK) und damit nicht nur ein deutscher Komponist, sondern auch ein nationalsozialistischer Kulturfunktionär; obwohl im ,Ständestaat‘ keine eigentliche Programmzensur existierte, dürften Burghauser und Dirigenten wie die zur Emigration aus
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9. Anhang
Deutschland gezwungenen Bruno Walter und Otto Klemperer sowie der antinazistische Arturo Toscanini1153 wenig Interesse an der Aufführung von Strauss’ Werken gehabt haben – sie haben in erster Linie die Abonnementkonzerte dirigiert. Dass Strauss außerhalb dieser Abonnementkonzerte während dieser Jahre sehr wohl gespielt wurde – 1933/34 erreichte sein Anteil in den sonstigen Konzerten knapp 15 Prozent – unterstreicht die persönlich-politische Ablehnungshaltung der genannten Dirigenten gegen Richard Strauss und ist nicht als kollektive Ausrichtung des Orchesters zu sehen. Interessanterweise führte die Besetzung des höchsten Amtes der nationalsozialistischen Musikverwaltung durch Richard Strauss zu keiner Steigerung seines Anteils in den Abonnement-Programmen der Berliner Philharmoniker. Zwar erreichte er zwischen 1933 und 1945 zweimal einen Spitzenanteil von um die 15 Prozent (1938/39 und 1943/44: der 1864 geborene Strauss feierte 1939 seinen 75. und 1944 seinen 80. Geburtstag), in den restlichen Spielzeiten unterschied sich sein Anteil aber kaum von jenem der 1920er- und frühen 1930er-Jahre. Ob der Verzicht auf die Aufführung von Strauss’ Werken in der Saison 1935/36 auf dessen Entlassung als Präsident der RMK zurückzuführen ist, lässt sich nicht nachweisen.1154 Ebenso nahm der Anteil von Strauss’ Werken bei den sonstigen Konzerten nach 1933 sukzessive ab und steigerte sich erst mit Beginn des Krieges wieder, aber nicht drastisch. Einen deutlich höheren Anteil nahm Strauss in den Programmen der sonstigen Konzerte der Wiener Philharmoniker ein – zwischen 1938/39 bewegte er sich immerhin dreimal um die Zehnprozentmarke herum.
1153 Üblicherweise wird Toscanini als ‚antifaschistisch‘ bezeichnet; ich halte jedoch ‚antinazistisch‘ für treffender – immerhin hat er sowohl mit dem ‚ständestaatlichen’ Österreich als auch mit Mussolinis Italien kooperiert. 1154 Eine Darstellung dieser Entlassung sowie von Strauss’ Beziehungen zum Nationalsozialismus insgesamt etwa bei Prieberg, Musik, S. 203–215.
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Hans Pfitzner Hans Pfitzner (Gesamtanteil in Prozenten) (Gesamtanteil in Prozenten) 10 9 8 7
Berliner Philharmoniker Abo-Konzerte Berliner Philharmoniker Sonstige Konzerte Wiener Philharmoniker Abo-Konzerte Wiener Philharmoniker Sonstige Konzerte
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20 19 /21 21 19 /22 22 19 /23 23 19 /24 24 19 /25 25 19 /26 26 19 /27 27 19 /28 28 19 /29 29 19 /30 30 19 /31 31 19 /32 32 19 /33 33 19 /34 34 19 /35 35 19 /36 36 19 /37 37 19 /38 38 19 /39 39 19 /40 40 19 /41 41 19 /42 42 19 /43 43 19 /44 44 /4 5
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Sieht man von der Saison 1929/30 ab, so haben die Wiener Philharmoniker Hans Pfitzner erst mit dem ,Anschluss‘ in ihre Abonnementkonzerte aufgenommen. Demgegenüber haben die Berliner Philharmoniker auch in den 1920er-Jahren öfters, wenn auch unregelmäßig Pfitzner gespielt, wobei ab 1933 eine gewisse Regelmäßigkeit festzustellen ist. Bei beiden Orchestern fand Pfitzners Musik während der NS-Zeit einen deutlich erkennbaren Zuspruch. 1155 Darin widerspiegelt sich auch Pfitzners öffentlich kundgetaner Antisemitismus sowie ein künstlerisch-musikalischer Standpunkt, der mit jenem der Nationalsozialisten koinzidierte.1156 1155 Was Sabine Busch für die Pfitzner-Rezeption in der Frühphase des ‚Dritten Reiches‘ geltend macht, nämlich dass sein Werk weitgehend ignoriert worden sei, kann gerade für die Abonnementkonzerte der Berliner Philharmoniker nicht bestätigt werden. (Busch, Sabine. Hans Pfitzner und der Nationalsozialismus. Stuttgart 2001. S. 95 ff.) 1156 Eckhard John führt Pfitzner als „Kristallisationspunkt“ der Begriffsbildung des „Musikbolschewismus“ an, und macht dies an dessen bereits 1920 veröffentlichten Schrift „Die neue Aesthetik der musikalischen Impotenz. Ein Verwesungssymptom?“ fest: John, Eckhard. Musikbolschewismus. Die Politisierung der Musik in Deutschland 1918–1938. Stuttgart 1994. S. 58–89. Vgl. außerdem Busch, Pfitzner, S. 87 f. bzw. S. 114 ff. Zur politischen Haltung Pfitzners vgl. auch Kater, Michael H. Komponisten im Nationalsozialismus. Acht Porträts. Berlin 2004. S. 193–241, der allerdings allzu sehr um Redlichkeit bemüht ist: in der Beschreibung von Pfitzners Bekanntschaft mit Hans Frank etwa charakterisiert er diesen euphemistisch als „ein Freund der Musik und anderer Künste sowie Generalgouverneur im besetzten Polen [...]“. (S. 219)
9. Anhang
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Auch abseits der Abonnementkonzerte spielten die Berliner Philharmoniker ab der Saison 1932/33 deutlich häufiger Pfitzner, wobei sein Anteil in den Programmen nie über drei Prozent hinausging. Die Wiener Philharmoniker hingegen nahmen Pfitzner erst 1941/42 geringfügig in ihre Programme außerhalb des Abonnements auf, steigerten 1943/44 seinen Anteil jedoch auf fast neun Prozent – 1944 feierte der Komponist seinen 75. Geburtstag.1157 Franz Schmidt Franz Schmidt (Gesamtanteil in Prozenten) (Gesamtanteil in Prozenten) 12 Berliner Philharmoniker Abo-Konzerte
10
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Berliner Philharmoniker Sonstige Konzerte Wiener Philharmoniker Abo-Konzerte Wiener Philharmoniker Sonstige Konzerte
6
4
2
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20 19 /2 21 1 19 /2 22 2 19 /2 23 3 19 /2 24 4 19 /2 25 5 19 /2 26 6 19 /2 27 7 19 /2 28 8 19 /2 29 9 19 /3 30 0 19 /3 31 1 19 /3 32 2 19 /3 33 3 19 /3 34 4 19 /3 35 5 19 /3 36 6 19 /3 37 7 19 /3 38 8 19 /3 39 9 19 /4 40 0 19 /4 41 1 19 /4 42 2 19 /4 43 3 19 /4 44 4 /4 5
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Das Werk Franz Schmidts gehört bei beiden Orchestern zu den selten gespielten. Für die Berliner Philharmoniker scheint es weitgehend unbedeutend gewesen zu sein, während die Wiener Philharmoniker die Musik ihres einstigen Mitglieds sporadisch doch gehäuft aufführten. Insbesondere ab den 1930er-Jahren setzte beim Wiener Orchester eine regelmäßige SchmidtPflege ein, die nach dem ,Anschluss‘ allerdings wieder abebbte. In den Abonnementkonzerten der Berliner Philharmoniker tauchen Schmidts Werke hingegen gerade in zwei Spielzeiten auf – eine davon war jene des ,Anschlusses‘. 1157 Offenbar wurden die Wiener Philharmoniker von Schirach persönlich dazu angehalten, Pfitzner mit einem Geburtstagskonzert zu beehren: „Anläßlich des 75. Geburtstages Hans Pfitzners wünscht der Reichsleiter ein Konzert der Wiener Philharmoniker u.zw. am 4. Mai 1944.“ Prot. KS, 20.12.1943. HAWPh, A-Pr-030, 45.
9. Anhang
329
Außerhalb der Abonnementkonzerte spielte Schmidt ebenfalls nur bei den Wiener Philharmonikern eine gewisse Rolle. Er war, mit einigen längeren Unterbrüchen, einigermaßen regelmäßig in den Programmen des Orchesters vertreten, machte aber nie mehr als etwas über zwei Prozent des Repertoires aus. Die Berliner Philharmoniker hingegen spielten in ihren sonstigen Konzerten zwischen den späten 1920er-Jahren und 1945 gerade einmal während zwei Spielzeiten ein Werk des österreichischen Komponisten.
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Personenindex Abendroth, Hermann 277, 289, 294 Adler, Victor 55 Altmann, Wilhelm 34, 36 ff., 41 Back, Gilbert 138 Barenboim, Daniel 13 Becker, Carl Heinrich 99 Bekker, Paul 61, 65, 85 Beethoven, Ludwig van 39, 43 f., 53 ff., 63, 67, 76, 125, 206, 208, 223–228, 230, 233 f., 236 f., 244, 251, 270, 279 f., 285, 288, 317 f., 323 Benda, Hans von 251, Berg, Alban 239, 242 Berlioz, Hector 63, 206 Bilse, Benjamin 34 Blaschke, Hanns 117, 174 ff., 254 Boccherini, Luigi 44 Böhm, Karl 231, 244, 254, 270 Böhmer, Kurt 277 Borodin, Alexander 83 Bormann, Martin 165 Bottermund, Hans 140 Brahms, Johannes 76, 206, 223, 226 f., 234, 244, 288, 323 Bredow, Hans 266 Bruckner, Anton 83, 127 f., 175 f., 234 f., 243, 299, 324 Brüggemann, Axel 12 Buchholz, Werner 295 Burghauser, Hugo 118–123, 126 f., 133, 144, 259, 325 Bülow, Hans von 39, 206, 214, 252 Bürckel, Josef 134, 136, 166 ff., 174, 190 Busoni, Ferruccio 82 Buxbaum, Friedrich 50
Caruso, Enrico 43 Caspari, Wilhelm 92 Christkauz, Kurt 140 Conus, Jules 83 Cowell, Henry 240 Debussy, Claude 23, 83 Diburtz, Georg 114 Dohnányi, Ernst von 196 Dollfuß, Engelbert 103, 118–123, 126 f., 189 Dvorák, Antonin 39 Eckmann, Alfred 173, 190 Fischer, Ernst 140 Fischer, Paul 142 Forst, Willi 259 Franck, César 23 Frank, Hans 129, 164, 301 f., 328 Franz Joseph I., Kaiser von Österreich 75 f. Freiberg, Gottfried von 186 Frick, Wilhelm 165 Fuchs, Robert 70 Fuhr, Ernst 114, 163 Funk, Walther 111, 289 Furtwängler, Wilhelm 11 f., 72, 88, 90, 93 ff., 111 f., 134, 139 f., 143 ff., 154, 164, 177, 194, 202 f., 208–213, 215 f., 225, 231, 244 f., 249, 252 f., 264, 274, 278, 281, 283, 286 f., 293 f., 299, 305 f., 314 Gerigk, Herbert 231 Gisela, Erzherzogin von Österreich 50 Glaise-Horstenau, Edmund 129, 299 Glasmeier, Heinrich 270 Glattauer, Moriz 142
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Personenindex
Goebbels, Joseph 17, 21, 29, 95 f., 104, 106 f., 109–113, 115, 136 f., 139 ff., 147–160, 162–165, 168 f., 171, 173, 175–180, 182, 187 f., 190 ff., 197, 199, 201, 211 f., 216, 222, 230 f., 233, 235–238, 250 f., 256 f., 259, 266 f., 272, 300, 305 ff., 310 ff. Goldberg, Szymon 138 Goldmark, Károly 270 Göring, Hermann 105 f., 137, 151, 159 Graudan, Nicolai 138 Greiner, Erich 111 Grieg, Edvard 44, 270 Guarnieri, Antonio de 196 Günther, Otto 101 Hafemann, Wilhelm 138 Hainisch, Leopold 261 Hainisch, Michael 100 Halvorsen, Johan 270 Hamel, Fred 214 Hartl, Karl 261 Hasse, Otto E. 229 Hausegger, Siegmund von 71 Hawranek, Gustav 118, 121 Haydn, Joseph 57, 127, 219, 226, 233 f., 285, 315 f. Heger, Robert 277 Heinrich, Franz 53, 58 Herrmann, Ignaz 51, 70, 100 Hertz, Alfred 43f. Herzfeld, Friedrich 214, 225, 231 Hess, Otto 140 Hess, Rudolf 136 Heymann, Werner Richard 83 Hidemaro, Konoe 274 Hildebrand, Camillo 44 Hildebrand, Dietrich von 123 Hildebrandt, Paul 92
Hippler, Fritz 231 Hitler, Adolf 25, 91, 124, 129, 136, 153 f., 156, 159, 164, 168, 177 ff., 199, 222, 241, 304, 312 Hoesch, Leopold von 94 Hoffmann, Albert 135 f. Hoffmann-Gwinner, Margarete 92 Hofmannsthal, Hugo von 123 Horn, Camillo 75 Höber, Lorenz 109, 111 f., 139 Humperdinck, Engelbert 47 Innitzer, Theodor 128 Jäger, Malte 228 Jelinek, Franz 259 f. Jeraj, Karl 57 f. Jeral, Wilhelm 54 Jerger, Wilhelm 102, 117, 133 f., 181 ff., 187 f., 190–195, 197–200, 203, 215–219, 225 ff., 244, 258–262, 265 f., 270, 297, 299 f., 302 Jettel, Rudolf 144 Joachim, Heinz 214 Jochum, Eugen 231, 277 Jury, Hugo 176 Kainz, Leopold 134, 170, 190, 194, 196 f., 226, 261, 306 Karajan, Herbert von 12, 293 Kempff, Wilhelm 277 Kerber, Erwin 117, 143 ff., 187 Kerby, Paul 127 Kestenberg, Leo 98 Keudell, Otto von 111 Klemperer, Otto 82, 119, 129, 326 Klöpfer, Eugen 228 Knappertsbusch, Hans 117, 134, 231, 277 Kolberg, Hugo 140
Personenindex
Korngold, Erich Wolfgang 71 f. Kosak, Ernst 144 f. Kralik, Heinrich 119, 128–132 Krauss, Clemens 72 f., 81, 126, 198, 242, 256 f., 265, 270, 285 Krotschak, Richard 244 Landi, Camilla 32 Lammers, Hans Heinrich 164–168 Lange, Friedrich C. A. 109 f. Lehár, Franz 265 Larysz, Eduard 191 Leopold, Prinz von Bayern 50 Lessmann, Otto 38 Ley, Robert 249 Liebermann, Max 99 List, Wilhelm 192 Liszt, Franz 206 Löbe, Paul 102 Lucker, M. 225 Ludwig XIV., König von Frankreich 85 Lueger, Karl 15, 223 Mahler, Gustav 22, 54, 75 ff., 82 f., 217, 242 f. Mairecker, Franz 71 Manteuffel, Joachim von 111 Mapleson, Lionel 44 Marinetti, Filippo Tommaso 284 Markl, Alois 54 f., 59, 67, 69 f., 72, 75 f., 78 Matacic, Lovro von 270 Mayer, Fritz 116 Mayr, Otto 189 Melichar, Alois 277 Mendelssohn-Bartholdy, Felix 22, 44, 242 f. Mengelberg, Willem 196 Meyendorff, Irene von 228 Moissl, Hermann 195, 244 Moralt, Rudolf 270
Moser, Hans Joachim 66 Mossolow, Alexander Wassiljewitsch 239 Mottl, Felix 31 Mozart, Wolfgang Amadeus 68, 127, 221, 224, 226, 233 f., 237 f., 254, 261, 270, 279 f., 285, 316 f. Mühlmann, Kajetan 137, 176 Müller, Wenzel 270 Mussolini, Benito 120, 124, 326 Napoléon Bonaparte 84 f. Neubacher, Hermann 134 Ney, Elly 277 Nikisch, Arthur 31, 43, 53, 62, 205, 208 Oramo, Sakari 12 Ott, Karl 111 Ottich, Maria 284 Pfitzner, Hans 83, 234, 325, 327 f. Pius XI. (Papst) 126 Pernter, Hans 120 Pfundtner, Hans 107, 111 Popitz, Johannes 151 Prüwer, Julius 87, 94 Quadflieg, Will 228 Rattle, Simon 12, 14 Ravel, Maurice 23 Reicke, Georg 46 Reitter, Albert 187 Resch, Josef 128 Reznicek, Emil Nikolaus von 83 Reznicek, Hans 186 Ribbentrop, Joachim von 305 Richter, Hans 205, 217, 223
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Personenindex
Robitsek, Viktor 142 Röhn, Erich 184 Rosenberg, Alfred 230 f. Rosenstock, Joseph 83 Rosé, Arnold 129 Rossini, Gioachino 39 Ruggles, Carl 240 Sabata, Victor de 122 Saint-Saëns, Camille 44, 58 Sahm, Heinrich 106 Schalk, Franz 217 Scharnagl, Karl 101 Schillings, Max von 99 Schirach, Baldur von 17, 25, 167 ff., 171, 173–180, 187 f., 191–194, 196–201, 203, 219–222, 224, 227, 230, 237 f., 241, 296, 303, 306 f., 311 f., 328 Schirach, Rosalind von 277 Schmidt, Franz 234, 325, 328 f. Schmidt, Guido 129 Schmidtseck, Rudolf von 111 f. Schmitz, Richard 128 Schneiderhan, Wolfgang 244 Schönberg, Arnold 27, 46, 70 ff., 83, 99, 239, 242 Schreinzer, Karl 195 Schreker, Franz 70 f. Schrenk, Oswald 201–209, 211, 214 f., 225 Schreyvogl, Friedrich 223 f. Schröder, Fritz 112 Schubert, Franz 69, 127 f., 226, 233 f., 270, 279 f., 285, 318 f. Schumann, Georg 47 Schumann, Robert 234, 274, 319 f. Schuricht, Carl 207 Schuschnigg, Kurt 120, 123 ff., 127, 129, 192, 304 Schuster, Gustav 191
Schuster, Joseph 138 Seibert, W. 203, 225 f. Seitz, Karl 100 Seyß-Inquart, Artur 164, 196, 304 Sirk, Douglas 227 Starkmann, Max 142 Stegmann, Karl 112, 116, 160, 289–292 Steinhoff, Hans 261 Stenzel, Bruno 140 Strasser, Otto 117, 120, 133, 137 f., 170, 180, 185, 194 f., 258 f., 297 f. Strauß, Johann 69, 169, 234, 255–259, 265, 270, 274 f., 279, 280 Strauß, Josef 234, 256 Strauss, Richard 66 f., 69, 120, 217, 227, 231, 234, 270, 274, 280, 325 f. Strawinsky, Igor 83 Stueber, Carl 268 Stwertka, Julius 142 Terboven, Josef 277 Thomas, Walter 169, 187 f., 193, 197 f., 241 Tietjen, Heinz 300 Toscanini, Arturo 129, 326 Troester, Arthur 140 Tschaikowsky, Piotr Iljitsch 63 Tyroler, Armin 57, 142 Ucicky, Gustav 261 Varèse, Edgar 240 Verdi, Giuseppe 270 Vermehren, Julius 102 Wagner, Richard 11, 39, 43 f., 50, 206, 234 ff., 243, 254, 270, 280, 288, 321 f. Wagner-Régeny, Rudolf 176, 221 Walter, Bruno 127, 129, 326
Personenindex
Waltershausen, Hermann Wolfgang von 101 Weber, Carl Maria von 44, 234, 280, 320 f. Webern, Anton 239 Weingartner, Felix von 31, 51, 53, 59 f., 63 f., 66, 70 f., 74, 99, 217 Weis, Erich 144 Weiss, Anton 52, 54, 70 f., 142 Weissensteiner, Raimund 244 Weissmann, Adolf 35 f., 39, 85 Wesser, Bruno 52, 56 Westermann, Gerhard von 194 f., 274, 287 ff., 292 Wildgans, Anton 123, Wilhelm II. (Deutscher Kaiser) 42 Winter, Paul 276, 281 Wlach, Leopold 265 Wladigerow, Pantscho 83 Wobisch, Helmut 265, 313 Wolff, Hermann 36, 42 Wolff, Richard 140 Wolfram, Aurel 117, 169–173, 187, 190, 203 ff., 207, 209, 212 f., 216–219, 227, 303 f. Wunderer, Alexander 51, 101, Wüllner, Franz 42 Yves, Charles 240
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AMAURY DU CLOSEL
ERSTICKTE STIMMEN „ENTARTETE MUSIK“ IM DRITTEN REICH
Im Mai 1938 wurde in Düsseldorf unter der Ägide der nationalsozialistischen Kulturverantwortlichen eine Ausstellung mit dem Titel „Entartete Musik“ eröffnet. Diffamiert wurden darin der „Musikbolschewismus“, die atonale Musik, der Jazz und natürlich die Musik jüdischer Komponisten. Viele jener Künstler, die im Namen der Säuberung des deutschen Musiklebens damals auf den Index gesetzt wurden, haben – durch Deportation oder in der Anonymität des Exils verschwunden – ihren gebührenden Platz im heutigen Musikschaffen noch nicht wiedererlangt. Das große Verdienst von Amaury du Closels Buch besteht darin, dass es sich nicht nur auf die bekannten Namen wie Schönberg, Weill, Zemlinsky oder Schreker beschränkt, sondern das Leben und Wirken von rund 200 Komponisten rekonstruiert, die heute fast vergessen sind. Nach Erläuterung des ideologischen Konzeptes „Entartete Musik“ beschreibt der Autor jene Institutionen und Gesetze, die die systematische Auslöschung der „unerwünschten“ Elemente in der deutschen Musikwelt überhaupt erst ermöglichten. Im letzten Teil des Buches werden die Schicksale und Biografien der Komponisten im Exil in Frankreich, Großbritannien, der Schweiz, in den USA und Südamerika sowie in Japan dargestellt. 2010. 506 S. GB. 170 X 240 MM. ISBN 978-3-205-78292-6
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HER AUSGEGEBEN VON DANIEL BR ANDENBURG UND FRIEDER REININGHAUS REDAK TION: DANIEL ENDER UND DORIS WEBERBERGER
TR ANSFORMATIONEN ÖSTERREICHISCHE MUSIK ZEITSCHRIFT (ÖMZ) JG. 66, HEFT 1/2011
Unter dem Titel „Transformationen“ thematisiert das Heft den musikalischen Wandel quer durch die Musikgeschichte. Das Spektrum reicht von der Oper des 18. Jahrhunderts mit ihrer flexiblen Werkgestalt, die auch von der Musikwissenschaft einen veränderten Zugang erfordert, über den Stilwandel bei Richard Strauss bis hin zu den Transformationen in der Neuen Musik: Hier geht es um die Weiterentwicklung eigener oder fremder Werke bei Pierre Boulez, Beat Furrer, Bernhard Lang und Wolfgang Rihm sowie um Veränderungsprozesse im Gattungsgefüge des Musiktheaters und in der elektronischen Musik. Daneben werden auch aktuelle Veränderungen des Musiklebens an der Wiener Staatsoper und bei Wien Modern in den Blick genommen. 2011. 120 S. BR. MIT ZAHLR. S/W-ABB. 160 X 235 MM. ISBN 978-3-205-78687-0
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