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German Pages 642 [646] Year 2017
David Jäger Plündern in Gallien 451–592
Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde
Herausgegeben von Sebastian Brather, Wilhelm Heizmann und Steffen Patzold
Band 103
David Jäger
Plündern in Gallien 451–592
Eine Studie zu der Relevanz einer Praktik für das Organisieren von Folgeleistungen
ISBN 978-3-11-052883-1 e-ISBN (PDF) 978-3-11-052957-9 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-052902-9 ISSN 1866-7678 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.dnb.de abrufbar © 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Dörlemann Satz GmbH & Co. KG, Lemförde Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Meiner Großmutter †
Vorwort An dieser Stelle sei einigen Menschen für ihre aufrichtige und wertvolle Unterstützung vor und während der Arbeit an der mit diesem Buch vorliegenden Untersuchung ausdrücklich gedankt. Zunächst sollen Herr Prof. Dr. Steffen Patzold als Hauptgutachter und Herr Prof. Dr. Mischa Meier als Zweitgutachter der Dissertation Dank erfahren. Die Expertise von Prof. Dr. Patzold war mir sehr nützlich; seine sprachlichen Anregungen und unser intellektueller Austausch waren angenehm und förderlich. Zudem sei Frau Prof. Dr. Irmgard Männlein-Robert gedankt. Sie hat mich neben den beiden Gutachtern im Rahmen des Promotionsverbunds „Osten und Westen 400–600“ an der EberhardKarls-Universität Tübingen freundlich betreut. Dank gebührt Herrn Prof. Dr. Patzold auch in seiner Funktion als Herausgeber der Ergänzungsbände des Reallexikons der germanischen Altertumskunde. Zudem sollen Herr Prof. Dr. Heinrich Beck, Herr Prof. Dr. Sebastian Brather, Herr Prof. Dr. Dieter Geuenich, Herr Prof. Dr. Wilhelm Heizmann und Herr Prof. Dr. Heiko Steuer Dank erhalten. Herrn Prof. Dr. Dieter Geuenich ist zusätzlich zu danken, da er mir ermöglichte, meine Gedanken zum geschichtswissenschaftlichen Arbeiten als solchem und zur Geschichtswissenschaft des Mittelalters im Speziellen frei und selbstständig entwickeln zu können. Erste Anregungen dazu empfing ich bereits in seinen Seminaren an der Universtät Duisburg-Essen. Herr Prof. Dr. Geuenich hat mich inspiriert und ermuntert meine eigenen Reflektionen zu entfalten: Herzlichster Dank sei ihm dafür sicher. Herr Felix Hesse hat durch das Lektorat meiner Dissertation und interessierte Gespräche über meine wissenschaftstheoretischen Ansätze beigetragen. Viele seiner Fragen regten mich an, dem Text formale Kühle und sachliche Dichte (auch im empirischen Teil) zu verleihen. Als einem wahren Freund sei auch ihm herzlichst gedankt. Herrn Christoph Haack, M. A. und Frau Anne Hähnel, M. A. sowie Herrn Dr. des. Christian Stadermann sei für Gespräche und Unterstützungen anderer Art gedankt. Heiterkeit und Freude haben wir geteilt und das tat mir sehr gut. Ich möchte die schönen Stunden nicht missen. Letztlich sei an die große Gruppe an weiteren Freunden und Verwandten erinnert, die mich während der Arbeit an der Untersuchung unterstützt haben. Nehmet ihr alle die drei abschließenden Worte als Ausdruck meiner tiefen Freude über Eure Hilfe wahr: Ihr seid großartig! Gladbeck im Juli 2017 David Jäger
Inhaltsverzeichnis Vorwort 1
VII Einleitung
1
I Literatur 1 1.1 1.2 1.3 1.4
Eine Diskursanalyse der deutschsprachigen Forschung zum Mittelalter 7 Texte der deutschsprachigen Mittelalterforschung 1844 bis 1937 11 Texte der deutschsprachigen Mittelalterforschung 1937 bis in die 1970er Jahre 25 Texte der deutschsprachigen Mittelalterforschung von den 1970er Jahren bis zum Anfang des 21. Jahrhunderts 44 Ergebnisse der Literaturuntersuchung 56
II Methode 1 1.1 1.2 1.2.1 1.2.2
Methode der Quellenuntersuchung 61 Terminologie 61 Textkritik 72 Zum Textverständnis: Die „Postmoderne“ und der Mensch in Raum und Zeit 72 Überlegungen zur Textkritik 79
III Quellenuntersuchung 1 1.1 1.1.1 1.1.2 1.1.3 1.1.4
Aussagen zu Gallien zwischen 451 und 482 87 Die große Schlacht im Jahr 451 und die Erosion der strukturellen Einheit der weströmischen Ordnung in Gallien 87 Quellenaussagen: Die Außenperspektive auf die „Hunnen“ 87 Rückschlüsse: Die inneren Verhältnisse der Gemeinschaft des „hunnischen“ Sozialgefüges zur Zeit Attilas 108 Die geographische Umorientierung aus sozioökonomischen Notwendigkeiten nach 450 113 Der Tod Attilas und dessen Effekte 127
X
1.2
1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.3
1.3.1 1.3.2 1.3.3 1.3.4 1.4 1.4.1 1.4.2 1.5
2 2.1 2.2 2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.4 2.4.1 2.4.2
Inhaltsverzeichnis
Die soziale Beziehung von Kaiser Avitus zu König Theoderich II. und die Erosion der strukturellen Einheit der weströmischen Ordnung 131 Aussagen zum Verhältnis des Avitus zu plündernden Akteuren in Gallien vor dem Jahr 455 134 Avitus und die Folgeleistenden des Theoderich II. auf der Iberischen Halbinsel 140 Absetzung des Avitus und die Erosion der strukturellen Einheit der weströmischen Ordnung in Gallien 154 Die Erosion der strukturellen Einheit der weströmischen Ordnung in Gallien: Gallien nach 456 bis zum Tod des Aegidius 464/5 155 Geographische und soziale Herkunft des Aegidius 156 Titel und die damit verbundenen strukturellen Positionen als Grundlage für das Organisieren von Folgeleistungen? 160 Der Warlordism des Aegidius und die Erosion der strukturellen Einheit der weströmischen Ordnung in Gallien 180 Die sozioökonomische Praktik des Plünderns und die Formen des Warlordism in Gallien 184 Gallien nach Aegidius bis zum Jahr 482 190 Der Süden Galliens 190 Der Norden Galliens 208 Zwischenergebnisse: Arten der Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen 215 Aussagen zu dem Beginn der merowingischen Könige in Gallien 482 bis 536/7 221 Gregors Chlodwigfigur und die Probleme der Chronologie 222 Die Ausgangslage: Fränkische Siedlungsgemeinschaften an der Peripherie Galliens um das Jahr 480 227 Die militärischen Operationen Chlodwigs I. 235 Die militärische Operation gegen Syagrius: Versuch der Neustrukturierung oder Plünderungsoperation? 235 Die militärische Operation gegen einen König im südöstlichen Gallien: Plünderungen und Tribut 251 Die militärische Operation gegen König Alarich II. von Toulouse: Verbote von Plünderungen und dem Rauben von Menschen 257 Chlodwigs I. Taufe 267 Differente Rekurse: Die Erzählung des Gregor von Tours und zwei Briefe 268 Die Konsolidierung der Präsenz Chlodwigs I. und die Entstehung eines geographisch weiten Strukturierungszusammenhangs 270
2.5 2.5.1 2.5.2 2.5.3 2.5.4 2.5.5
2.5.6
2.5.7
2.5.8
2.6 2.6.1 2.6.2 2.6.3 2.6.4 2.7
3 3.1 3.1.1 3.1.2 3.2 3.2.1 3.2.2 3.3
Inhaltsverzeichnis
XI
Aussagen zu der ersten Generation nach Chlodwig I. bis 536/7 275 Die Teilung von 511: Rückkehr zur Kooperation von Königen bis 536/7 277 Aussagen zu Interna des parzellierten Strukturierungszusammenhangs: Die civitates und die Folgeleistenden 279 Bedrohung der ökonomischen Prosperität: Plünderungen durch eine nordische Kriegergemeinschaft 291 Erosion eines Teils des parzellierten Strukturierungszusammenhangs: Die militärische Operation in Clermont 293 Grundsätzliches: Lokal- und regional-strukturelle Administration, herausragende Akteure und das Organisieren von Folgeleistungen zur Zeit der ersten Generation nach Chlodwig I. 302 Weitere militärische Operationen im Gebiet des parzellierten Strukturierungszusammenhangs: Rückeroberungen gegen Westgoten? 313 Probleme der strukturellen Königsposition aufgrund ihrer Abhängigkeit von Folgeleistenden: Der Usurpationsversuch des Munderich 314 Die Verteilung materieller Güter und Ressourcen und das Symbolisieren von Erwerbschancen: Theudebert I. wird König 319 Fortführung der externen militärischen Operationen 321 Militärische Operationen im südöstlichen Gallien 321 Militärische Operationen an der nordöstlichen Peripherie Galliens 324 Die militärische Operation Childeberts I. im südwestlichen Gallien und auf der Iberischen Halbinsel 328 Der Erwerb der Provence und weiterer Gebiete im Südosten Galliens 330 Zwischenergebnisse: Die civitates und das Kriegersein – Paradoxon und Differenzierung 332 Aussagen zu der ersten Generation nach Chlodwig I. zwischen dem Jahreswechsel 536/7 bis zum Tod Chlothars I. im Jahr 561 340 Das Scheitern der Konsolidierung der Präsenz im Süden und Westen außerhalb Galliens 340 Die militärischen Operationen in Italien 341 Die militärische Operation auf der Iberischen Halbinsel 355 Die militärischen Operationen innerhalb Galliens 359 Die ostrheinische Peripherie 359 Die innermerowingischen Konflikte 366 Die Versuche der Regulation durch normative Bestimmungen 376
XII
3.4
4 4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.4 4.4.1 4.4.2 4.4.3 4.5
5 5.1 5.1.1 5.2 5.3
Inhaltsverzeichnis
Zwischenergebnisse: Akteure zwischen militärischen Operationen und sesshaftem Leben in Gallien seit dem Jahreswechsel 536/7 und dem Jahr 561 382 Aussagen zu der zweiten Generation nach Chlodwig I. zwischen 561 bis zum Tod Gundowalds im Jahr 585 388 Aussagen bis zum Tod König Chariberts: Gallien 561–567 390 Das Jahr 561: Der Strukturierungszusammenhang in Gallien 391 Externe Einfälle und der Beginn der bella civilia 401 Das Jahr 567: Der Tod Chariberts, die bella civilia und die Synode von Tours 404 Aussagen bis zum Tod König Sigiberts I.: Gallien 567–575 407 Bevölkerungsteile der civitates im Kriegermodus? 407 Die Beteiligung ostrheinischer Akteure an den bella civilia 420 Plünderungen durch externe Akteure und das Entstehen eines herausragenden Akteurs: Eunius Mummolus 424 Aussagen bis zum Tod König Chilperichs I.: Gallien 575–584 428 Das Plündern und das Rauben: Die Aussagen zu den bella civilia 429 Almosen und bannus: Indikatoren von Verstetigungsversuchen des sesshaft-sozioökonomischen Lebens? 457 Lokale und regionale Konflikte: Die Dynamisierung des sesshaftsozioökonomischen Lebens in Gallien II 465 Aussagen bis zum Tod des Prätendenten Gundowald: Gallien 584–585 473 Die Konsolidierung der Präsenz König Guntrams in Gallien 474 Ein regionaler Konflikt: Die Dynamisierung des sesshaftsozioökonomischen Lebens in Gallien III 482 Die militärische Operation gegen den Prätendenten Gundowald 483 Zwischenergebnisse: Die Kontinuität des Diskontinuierlichen. Stetige militärische Operationen und ihre Effekte auf das sesshaftsozioökonomische Leben in Gallien 493 Aussagen zu der zweiten Generation nach Chlodwig I. zwischen 585 bis zum Tod Guntrams im Jahr 592 498 Militärische Operationen zwischen 585 und 587: Die Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen 499 Regionale und lokale Konflikte 585 bis 587 510 Das Einziehen und das Verteilen 585 bis 587 519 Ein Exkurs: Der bannus und die Münzprägung im späten 6. Jahrhundert in Gallien – ein Zusammenhang? 526
5.4 5.5 5.6 5.7 5.7.1 5.7.2 5.8
6 6.1 6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.3 6.4 6.5
Inhaltsverzeichnis
XIII
Der Vertrag von Andelot 587 528 Das Einziehen und das Verteilen 587 bis 592 539 Militärische Operationen zwischen 587 und 592: Die Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen 544 Regionale und lokale Konflikte 587 bis 592 549 Plündern unter der Anführung lokal- und regional-struktureller Administratoren 550 Rauben unter der Anführung herausragender Akteure 553 Zwischenergebnisse: Vom Paradoxon zur Aporie – der Strukturierungszusammenhang in Gallien und die Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen 556 563 Gesamtergebnisse Aktive und passive Relevanzarten des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen 563 Die Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen 567 Sozioökonomische Lebensweisen 567 Akteure und Positionen 571 Prozessdynamik 578 Zur Terminologie 582 Zum methodischen Vorgehen insgesamt 584 Zur Geschichte einer Praktik 585
587 Literaturverzeichnis Quellen 587 Sekundarliteratur 590 621 Ortsregister Personenregister 623
1 Einleitung Der Beute wird oft genug erwähnt.1
Manchmal sind es Kleinigkeiten, die umfangreiche Möglichkeiten eröffnen. Im Fall der vorliegenden Studie ist dies ein Satz in einer Fußnote des Historikers Georg Waitz aus dem zweiten Band seiner „Deutschen Verfassungsgeschichte“. Tatsächlich trifft die kleine Bemerkung aus dem Buch, in dem er sich hauptsächlich den Quellen aus der Zeit der Merowinger widmet, zu: Nicht nur in den decem libri historiarum des Bischofs Gregor von Tours – der Hauptquelle für das 6. Jahrhundert in Gallien – sondern auch in anderen Texten zu und aus diesem Zeitraum finden sich sehr viele Aussagen über Beute. In der vorliegenden Studie stehen diese Aussagen im Vordergrund der Untersuchung. Dabei wird allerdings nicht die Beute selbst, sondern das Plündern als eine sozioökonomische Praktik des Erwerbs von materiellen Gütern und Ressourcen untersucht. Denn das Plündern in der Zeit des 5. und 6. Jahrhunderts in Gallien ist noch nicht zum Gegenstand einer Untersuchung geworden. Zwar wurde das Plündern in neueren Monographien und Aufsätzen mehrfach tangiert, aber die Aussagen zu der Praktik standen nie im Fokus der Untersuchungen. Das Fehlen wiederum führt zu der Frage, warum das Plündern im Übergang von Spätantike zum Frühmittelalter nicht untersucht worden ist. Eine Antwort auf diese Frage ist nur mit einer Untersuchung der Geschichte der deutschsprachigen Mediävistik selbst zu geben. Diese erste Untersuchung ersetzt in dieser Arbeit die sonst typische Form eines Überblicks über den Forschungsstand. Da eine Vielzahl an Aussagen zu der Praktik des Plünderns zu finden ist, wird angenommen, dass theoretisch-konzeptionelle Implikationen dafür verantwortlich sind, dass diese Aussagen bisher kaum untersucht wurden. Selbstredend kann der Bestand an mediävistischer Forschungsliteratur seit der Mitte des 19. Jahrhunderts nicht in seiner Gesamtheit bewältigt werden. Stattdessen bietet sich eine Diskursanalyse an. Mit ihr lässt sich zeigen, dass besonders zwei Konzepte der „Neuen Deutschen Verfassungsgeschichte“ für das Fehlen von Arbeiten zum Plündern verantwortlich sind: Dabei handelt es sich zum einen um die „Gefolgschaft“ (mit ihren konstitutiven Theoremen „Treue“ und „Charisma“) und zum anderen um „Herrschaft“. Zu diesem Begriff wird neben der Problematik seiner theoretischen Fundierung herauszuarbeiten sein, dass er Fragen nach dem Organisieren von sozialen Beziehungen insgesamt nicht befördert. Vielmehr erschwert der Gebrauch des Begriffs beispielsweise Fragen danach, wie sich ein König zu anderen Akteuren verhielt, da „Herrschaft“ wie ein Label funktionieren kann, das einzelne quellenimmanente Zusammenhänge überdeckt. Die Quellenaussagen zum Plündern waren davon betroffen.
1 Waitz, Verfassungsgeschichte Bd. II: S. 543, Anm. 1.
2
Einleitung
Angloamerikanische und französische Forschungsliteratur stehen in diesem ersten Kapitel nicht im Zentrum. Das ist damit begründet, dass die theoretisch-konzeptionellen Forschungstraditionen in diesen Sprachräumen anders gelagert sind. Leicht lässt sich dies erneut an dem Begriff „Herrschaft“ verdeutlichen: Während der Begriff in der deutschsprachigen Mediävistik eine zentrale Stellung bei der Erforschung des „Politischen“ wie des „Sozialen“ und des „Ökonomischen“ einnimmt, ist eine solche Konzeption in den angloamerikanischen und französischen Forschungsfeldern nicht gegeben. Allerdings werden Texte aus dem angloamerikanischen und dem französischen Sprachraum bei der Quellenuntersuchung umfangreich Berücksichtigung finden. Aus der Analyse der Forschungsliteratur ergeben sich Konsequenzen für die Quellenuntersuchung und neue Perspektiven: Da die genannten theoretisch-konzeptionellen Implikationen das Fehlen von Studien zum Plündern in Gallien im 5. und 6. Jahrhundert bedingten, bietet es sich an, die Untersuchung quellennah anzulegen und die quellenkritische Argumentation mit theoretischen Konstrukten – auch aus anderen Disziplinen – nicht präfigurativ vorzuformen. Gefragt wird deshalb nicht nach der Bedeutung des Plünderns für die „Herrschaft“ von Königen oder nach der Wichtigkeit des Plünderns für das Entstehen und Bestehen von „Gefolgschaften“, sondern offener nach der Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen. Da diese Formulierung etwas ungewöhnlich klingt, sei ihre Herleitung aus der mediävistischen Terminologie nachfolgend kurz in vier Schritten erörtert. 1) Das Plündern wird im Folgenden als eine sozioökonomische Praktik des Erwerbs von materiellen Gütern und Ressourcen begriffen. Plündern war nicht einfach nur eine Praktik mit einer nur ökonomischen Dimension, sie hatte auch unverkennbar soziale Aspekte und zeitigte Effekte im Leben, deren Phänomene und Informationen literarisch verarbeitet worden sind. 2) Einer dieser Effekte war das Organisieren von Folgeleistungen. Es geht ausdrücklich nicht um eine Organisation im Sinne einer „Institution“ und auch nicht um ihr Werden oder Vergehen, sondern um das Organisieren als Interaktion zwischen Akteuren. Symmetrische wie asymmetrische Beziehungen zwischen diesen Akteuren sind mit dem Organisieren nicht explizit angesprochen. Sie können erfragt werden. Dass „Herrschaft“ organisiert werden muss und keine reine Selbstverständlichkeit war, wurde in der mediävistischen Debatte bereits hervorgehoben. Zu betonen bleibt jedoch, dass der Begriff „Herrschaft“ im empirischen Teil dieser Arbeit ganz bewusst nicht verwendet wird, nicht nur wegen der problematischen Forschungsgeschichte, sondern vor allem wegen seiner Indifferenz: Denn der Begriff kann ganz unterschiedliche Beziehungen und sogar Räume fassen. 3) Eine dieser Beziehungen wird als „Folgeleistung“ bezeichnet. Auch dieser Terminus beinhaltet keine Festlegungen auf symmetrische oder asymmetrische Beziehungen. Es bezeichnet schlicht den Umstand, dass Akteure einem oder mehre-
Einleitung
3
ren anderen Folge leisten – primär bei militärischen Operationen, aber auch bei lokalen und regionalen Konflikten. Das Wort „Folge“ lässt die assoziative Nähe der Folgeleistung zu dem Konzept „Gefolgschaft“ erkennen. Folgeleistung ist also kein neues Thema der deutschsprachigen Mediävistik. Sie wurde zuvor aber anders erklärt: Sie ist ein fast klassisches Thema der deutschsprachigen Mediävistik und wurde schon im 19. Jahrhundert angegangen. In dieser Studie geht es aber nicht um einen spezifischen Typus einer Gemeinschaft (wie sie das Gefolgschaftskonzept abbilden sollte), sondern weit unspezifischer um das interaktive Organisieren von Folgeleistungen. 4) Mit der Frage nach der Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen wird eine Praktik explizit in den Blick genommen. Gefragt wird ausdrücklich nicht danach, ob das Plündern für das Organisieren von Folgeleistungen relevant war. Die Relevanz wird vielmehr als eine analytische Variable angelegt, so dass das Wie der Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen untersucht werden kann. Es gilt also zu untersuchen, inwieweit und auf welch unterschiedliche Weisen das Plündern relevant war für das Organisieren von Folgeleistungen. Die analytische Flexibilität der Leitfrage ermöglicht über die Praktik des Plünderns Zusammenhänge und Prozesse des sozioökonomischen Lebens zu erfassen: Sie begünstigt die Formulierung einer deskriptiven Terminologie, die die Explikation von wahrscheinlichen und plausiblen Annahmen bei quellennaher Argumentation erlaubt, während sie diese Deutungswerkzeuge quellenbasiert zu konstituieren und zu präzisieren hilft. Untersucht werden Aussagen zu den Jahren zwischen 451 und 592 in Gallien. Die Studie geht also über die klassische Epochengrenze um das Jahr 500 hinweg. Als Bezugspunkte sind die große Schlacht des Jahres 451 in Gallien zwischen Aëtius und Attila sowie der Tod König Guntrams, des letzten Merowingers aus der zweiten Generation nach König Chlodwig I. im Jahr 592 gewählt worden. Die Untersuchung ist in fünf Kapitel chronologisch gegliedert, ohne dabei in ihren Einzelabschnitten streng die zeitliche Abfolge einzuhalten. Stattdessen werden einzelne analytische Kontexte gebildet. Das hat folgenden Grund: Die Leitfrage muss teilweise leicht modifiziert werden. Die Modifikationen betreffen entweder das Plündern oder das Organisieren von Folgeleistungen. Sie sind der Unterschiedlichkeit der Quellenlage geschuldet, da sie in Bezug auf diese beiden Aspekte nicht gleichförmig ist. Ein analytischer Kontext ist demnach ein themenbezogener Zusammenhang von Quellen und Fragestellung innerhalb eines Unterkapitels. Die gewonnenen Ergebnisse können so aufeinander bezogen werden, dass Plausibilitäten und Wahrscheinlichkeiten argumentativ ineinander gefügt werden.
1 Eine Diskursanalyse der deutschsprachigen Forschung zum Mittelalter Ein klasssicher Überblick über den Forschungsstand zur Praktik des Plünderns von der Mitte des 5. bis zum Ende des 6. Jahrhunderts in Gallien käme der Aufnahme eines Nicht-Bestandes gleich.1 Im Folgenden ist daher stattdessen nach den Gründen zu fragen: Warum haben sich gerade deutschsprachige Mediävisten so wenig für Aussagen zu einer Praktik interessiert, von denen doch so viele in den Quellen vorhanden sind? Um diese Frage zu beantworten, soll deutschsprachig-mediävistische Forschungsliteratur analysiert werden, die die Quellenaussagen zum Plündern im betreffenden Raum und in betreffender Zeit zumindest am Rande berührt. Jedoch war die Forschung, die sich im deutschsprachigen Raum mit diesen Quellenaussagen befasst hat, nicht immer schon die Mediävistik!2 Das ist für die Gliederung dieses Kapitels zu berücksichtigen.
1 Das Fehlen einer systematischen Untersuchung der Quellenaussagen zum Plündern im 5. und 6. Jahrhundert in Gallien deutet sich bei einer Recherche nach Artikeln zum Plündern in den Standardlexika und -handbüchern der Mittelalterforschung bereits an. In der zweiten Auflage des „Reallexikons der Germanischen Altertumskunde“ fehlt ein Artikel zum Plündern. Der Artikel „Raubzüge“ ist relativ kurz. Vgl. Capelle, Art. Raubzüge: S. 172–173. Auch die umfangreicheren Artikel „Heerwesen“ und „Kriegswesen“ bieten keine ausführlichen Passagen. Zwar wird das Plündern in einzelnen Teilabschnitten erwähnt. Zu Vertiefungen kommt es dabei aber kaum. Vgl. Bachrach/Bowlus/Bulitta, Art. Heerwesen: S. 120–136 und Bulitta/Ebel/Eggers/Springer/Steuer, Art. Kriegswesen: S. 333–373. So auch im Artikel „Beute“. Vgl. Capelle und Wenskus, Art. Beute: S. 323–331. Auch im „Lexikon des Mittelalters“ fehlt ein Artikel zum Plündern. Vgl. Inhaltsverzeichnis, Lexikon des Mittelalters Bd. VII. Erst im Artikel „Krieg“ wird das Plündern kurz erwähnt. Vgl. Thorau, Art. Krieg: Sp. 1526. Im „Handbuch der europäischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte“ fehlt in den ersten beiden Bänden, die die römische Kaiserzeit und das Mittelalter abhandeln, ein Artikel zum Plündern ebenso. Vgl. Vittinghoff (Hg.), Handbuch Bd. I: S. VII-XV und Kellenbenz (Hg.), Handbuch Bd. II: S. VII-XVI. Im Artikel über das Frankenreich im zweiten Band wird das Plündern gar nicht erwähnt. Vgl. Ganshof, Art. Das Fränkische Reich: S. 151–205. Im Register dieses Bandes fehlen Worte wie „Plünderung“, „Beutezüge“ und „Raubzüge“. Vgl. Kellenbenz (Hg.), Handbuch Bd. II: S. 781–830. Das „Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte“ wird seit 2004 in überarbeiteter Form neu herausgegeben. Der Artikel „Plünderung“ ist noch nicht erschienen. http://www.hrgdigital.de/q/pl%FCnderung/truncation/0/suche. html (zuletzt eingesehen am 22. 02. 2017). Ein Artikel „Plünderung“ erschien in der ersten Auflage. Er beginnt mit einer knappen Etymologie. Tatsächlich ist der Wortgebrauch bei Gregor von Tours und im pactus legis salicae aber nicht einheitlich. Der Autor widmet sich dann primär den rechtlichen Festlegungen im Spätmittelalter. Vgl. Holzhauer, Art. Plünderung: Sp. 1778–1782. Ein Artikel zum Plündern fehlt in den „Geschichtlichen Grundbegriffen“ wiederum ganz. Das Wort „Plünderung“ kommt in den sieben Bänden laut dem Registerband nur viermal vor. Vgl. Koselleck und Walther (Hg.), Geschicht liche Grundbegriffe Bd. VIII/1: S. 870. 2 Tatsächlich ist von einer deutschsprachigen Mediävistik in Anbetracht ihrer eigenen Geschichte nur schwer zu sprechen. Die Orientierung deutschsprachig-mediävistischer Geschichtsforschung an Paradigmen ist seit Mitte des 19. Jahrhunderts augenscheinlich. Vgl. Graus, Verfassungsgeschichte: S. 540 und S. 551. Die Revision des älteren Paradigmas in den 1920er und 1930er Jahren führte zur
8
Literatur
Das erste Unterkapitel beginnt 1844 und endet im Juni 1937. Der Ausgangspunkt wurde gewählt, da in diesem Jahr der erste Band der „Deutschen Verfassungsgeschichte“ von Georg Waitz erschien. Waitz war nicht nur der erste deutsche Historiker, der den Titel „Deutsche Verfassungsgeschichte“ gebrauchte;3 sein Werk, das bezeichnenderweise ohne Fragestellung verfasst wurde,4 führte außerdem zu einem neuen Paradigma,5 dessen nachhaltige Wirkung erst auf dem „Deutschen Historikertag“ im Juni 1937 in Erfurt6 mit einer radikalen Forderung nach der Revision der Grundbegriffe durch Otto Brunner ein Ende fand. Insgesamt umfasst das erste Unterkapitel die „klassische“ Phase der geschichtlich orientierten Verfassungsforschung, die bereits jene Anlagen in sich trug, die zum Niedergang ihres Paradigmas und letztlich ihrer selbst geführt haben.7
Etablierung einer neuen Lehre mit anderen konzeptionellen Implikationen. Vgl. Graus, Verfassungsgeschichte: S. 565 und S. 568. Bei der Rückschau auf die ältere Mittelalterforschung ist ein Primat politisch-rechtlicher Fragestellungen festzustellen. Sozialgeschichtlich gefärbte Untersuchungen wurden aber nicht gänzlich ausgespart. Eine klare Differenzierung ist nicht möglich. Dies liegt vor allem an den zwei verschiedenen Verständnisweisen des Begriffs „Verfassung“: „Es lässt sich, grob vereinfachend, zwischen zwei grundsätzlich verschiedenen Verfassungsbegriffen differenzieren: einem weiten und einem engen. Ein weiter Verfassungsbegriff umfasst den gesamten Zustand eines Gemeinwesens, die Strukturen von Staat und Gesellschaften, ihre Ordnung in politischer, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Hinsicht. […] Ins Extrem gewendet, resultiert hieraus der Anspruch einer nahezu vollständigen Erfassung der Vergangenheit, eine totale Geschichte.“ Grothe, Geschichte: S. 32. Festzuhalten ist, dass die hier interessierende Zeit (451–592) und der interessierende Raum (Gallien) nicht immer Bereiche deutschsprachiger Mittelalterforschung waren, sondern einer Forschung, die sich nicht durch den Zeitraum, sondern durch den Gegenstandsbereich definierte. Vgl. Böckenförde, Forschung: S. 15–23 und Oberkrome, Volksgeschichte: S. 170. Daher wird im Folgenden die Formulierung „geschichtlich orientierte Verfassungsforschung“ gebraucht. 3 Vgl. Grothe, Geschichte: S. 31. 4 Vgl. Böckenförde, Forschung: S. 134. 5 Vgl. Grothe, Geschichte: S. 256–262. 6 Vgl. Schumann, Historikertage: S. 406–434. 7 Dies hat mit der Herausbildung des deutschen Nationalstaates im 19. Jahrhundert zu tun, dessen geschichtlicher Ursprung aus dem „germanisch-deutschen Volk“ zu konstruieren versucht wurde. Die historische Gleichsetzung „Germanisch = Deutsch“ und die die Formel „Der Staat aus dem Volk“ – so lässt sich aus heutiger Sicht festhalten – prägten die Arbeiten der als „Germanisten“ bezeichneten Forscher, zu denen Georg Waitz zu zählen ist. Vgl. Böckenförde, Forschung: S. 84–100. Beide Begriffe bedingten sich also schon im 19. Jahrhundert in einem angenommenen Kausalzusammenhang, der sich in der genannten Formel fassen lässt. Vgl. Oexle, Mittealterhistoriker: S. 71. Dazu: „Der seit dem 18. Jahrhundert populäre Glaube an eine germanische Kontinuität in der deutschen Geschichte des Mittelalters hat […] vor allem durch Georg Waitz Ansehen gewonnen, […].“ Ehlers, Grundlagen: S. 50. Der Akzent innerhalb des eng gedachten Kausalbezuges zwischen dem „germanisch-deutschen Volk“ und dem „Staat“ verschob sich mit der Zeit auf die erstgenannte Konstruktion. Vgl. Oexle, Mittelalterhistoriker: S. 89–94. Letztlich wurde die geschichtliche Volksforschung, die ihren Höhepunkt während der Zeit des NS-Regimes hatte, zur prägenden Richtung der deutschen Geschichtsforschung zum Mittelalter. Vgl. Haar, Geschichtswissenschaft: S. 224–230 und Oberkrome, Volksgeschichte: S. 102 ff.
Eine Diskursanalyse der deutschsprachigen Forschung zum Mittelalter
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Das zweite Unterkapitel beginnt 1937 und endet in den 1970er Jahren. Der Endpunkt ist „schleusenförmig“ angelegt. Das liegt daran, dass die Theorie der „germanischen Kontinuität“, die als das primäre Kennzeichen der Hochphase der „Neuen Deutschen Verfassungsgeschichte“ gilt,8 nie ein derartig energisch vorgetragenes Programm entgegengestellt bekam, wie das ältere Paradigma des 19. Jahrhunderts.9 Zwar lassen sich mit Graus, Kroeschell, Kuhn, von See und Wenskus10 Personen benennen, die als Kritiker der Grundsätze der Theorie aufgetreten sind. Es finden sich aber bis in die 1970er hinein auch Verteidiger.11 Die Diskussion in den 1950er und 1960er Jahren führte dazu, dass die „germanische Kontinuität“ nicht mehr geschlossen aufrecht zu erhalten war; einzelne Konzepte aber blieben erhalten12 und zwar zum Teil bis in die Gegenwart hinein.13 Das dritte Unterkapitel reicht von den 1970er Jahren bis zum Anfang des 21. Jahrhunderts. Kennzeichnend für diese dritte Phase ist eine deutlichere Differenzierung in einzelne Forschungsbereiche.14 Zudem entfiel mit dem vordergründigen Schwinden der Theorie einer „germanischen Kontinuität“ der Bezug auf die antiken Überlieferungen zu den „Germanen“.15 Auch lässt sich seit den 1970er Jahren in der deutschsprachigen Mediävistik insgesamt eine verstärkte Übernahme disziplinfrem-
Zur Formulierung „geschichtliche Volksforschung“ Jordan, Theorien: S. 85. Vertiefend Oberkrome, Volksgeschichte: S. 22 ff. Die Volksforschung war nicht nur geschichtswissenschaftlich. 8 Vgl. Graus, Verfassungsgeschichte: S. 568. Die Arbeiten Otto Höflers und Otto Brunners waren anfänglich besonders wichtig. Höfler erkannte bereits für die Bronzezeit (!) jene „germanischen“ Elemente, die noch im Mittelalter bestanden hätten. Vgl. Höfler, Kontinuitätsproblem: S. 12 ff. Dazu kritisch von See, Germanenforschung: S. 43 ff. Brunner sah „Germanisches“ noch für das spätmittelalterliche „Fehdewesen“ als konstitutiv an. Beispielsweise Brunner, Land und Herrschaft 1984: S. 139 f. Zuerst 1939 abgedruckt. Seit der vierten Auflage 1959 vom Verfasser stark überarbeitet. 9 Vgl. Johanek, Beobachtungen: S. 147 ff. und Kocka, Bundesrepublik: S. 345–349. 10 Reinhard Wenskus artikulierte die offensichtliche Differenz zwischen quellenimmanenten Phänomenen und theoretischen Konzepten explizit. Vgl. Wenskus, Stammesbildung: S. 348. Später erneut Wenskus, Gefolgschaft: S. 311. 11 Ausdrücklich Kienast, Treue: S. 265–324 und Günther/Hilger/Ilting/Koselleck/Moraw, Art. Herrschaft II: S. 7. 12 Überblickend Pohl, Germanen: S. 66 ff. 13 Als Beispiel dazu die Reihe von Hans K. Schulze „Grundstrukturen der Verfassung im Mittelalter“ in vier Bänden. Ausdrücklich Schulze, Grundstrukturen, Bd. I 2004: S. 39–53 und Schulze, Grundstrukturen, Bd. II 2000: S. 49–56. Insofern ist die Offenheit des Endpunktes dieses Unterkapitels sinnvoll. Zum Erhalt einzelner Konzepte Pohl, Forschungsstand: S. 12. 14 Vgl. Oestreich, Forschung: S. 363. 15 Sie wurde weitgehend der Altertumsforschung überlassen. Die Differenzierung zwischen der Mediävistik und anderen Disziplinen, die sich mit den „Germanen“ befassen, hat sich in den 1970er Jahren vollzogen. Dazu Wenskus, Germanenbegriffs: S. 1–21. Gegenwärtig wird das Adjektiv „germanisch“ – nicht zu Unrecht – als für die Mediävistik untauglich dargestellt. Vgl. Jarnut, Germanisch: S. 115 f.
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der Ansätze beobachten.16 Daher ist hervorzuheben, dass die Emanzipation von den großen Verfassungsparadigmen die vielschichtige Gestalt der heutigen Mediävistik im deutschsprachigen Raum als einer Geschichtswissenschaft des Mittelalters im eigentlichen Sinne befördert hat.17 Als methodischer Zugriff für die Beantwortung der Frage eignet sich die Archäologie als ein diskursanalytisches Verfahren.18 Sie ermöglicht es nämlich das Fehlen einschlägiger Untersuchungen zum Plündern in Gallien zwischen der Mitte des 5. und dem Ende des 6. Jahrhunderts im Kontext der theoretisch-konzeptionellen Implikationen zu erörtern.19 Sie bedarf allerdings einer transparenten Eingrenzung20 des zu untersuchenden Textkorpus. Die Texte müssen a) relativ stark rezipiert worden sein. Das Kriterium stellt das zu untersuchende Aussagenfeld her und erfasst dabei die theoretisch-konzeptionellen Implikationen. Zudem müssen die Texte b) Produkte der deutschsprachigen Geschichtsforschung zwischen 1844 und dem Anfang des 21. Jahrhunderts sein. Das gilt neben Monographien auch für Aufsätze.21 Die Texte müssen sich c) auf die Zeit zwischen der Mitte des 5. und dem Ende des 6. Jahrhunderts sowie den geographischen Raum Gallien22 beziehen. Das vierte und das fünfte Kriterium bedürfen
16 Vgl. Pohl, Forschungsstand: S. 16–27. Dies liegt auch daran, dass es im Gegensatz zu den beiden früheren Phasen kein prägendes und geschlossenes Paradigma mehr gab und bis heute nicht gibt. Vgl. Graus, Verfassungsgeschichte: S. 573–589 und Goetz, Mediävistik: S. 104–126. 17 Vgl. Johanek, Mittelalterforschung: S. 27–33. Dazu ausführlich Goetz, Mediävistik: S. 153–375. 18 Zur Definition: „Die Archäologie rekonstruiert Diskurse als historische Praktiken, die bestimmten Regelen gehorchen, und macht so Wissensformen zugänglich.“ Landwehr, Diskursanalyse: S. 78. Zur historischen Diskursanalyse im Allgemeinen Maset, Diskurs. und Schmidt, Diskurse. Auch Goertz, Geschichte: S. 53–82. Dazu der Essayband Sarasin (Hg.): Diskursanalyse. und ebenso Sarasin, Diskursanalyse: S. 199–217 sowie Jordan, Theorien: S. 186 ff. 19 Vgl. Prokic, Methodologie: S. 59. 20 Zum Setting solcher Kriterien Landwehr, Diskursanalyse: S. 101–105. Zu eng gefasste Kriterien gefährden die Untersuchung, da sie zu einem Verlust von Texten führen, denn das Plündern ist in den Titeln der Texte ohne Frage nicht ausdrücklich erwähnt. So ist die Überlegung, dass sich Aussagen zum Plündern bereits in Texten aus der Rechts- und der Wirtschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts finden lassen, plausibel. Die Rechtsgeschichte dieser Zeit ist sehr eng mit der geschichtlich orientierten Verfassungsforschung verbunden. Vgl. Graus, Verfassungsgeschichte: S. 551. Ihre Interpreten befassten sich nicht ausschließlich mit der Quellengattung der leges. Vgl. Kroeschell, Rechtsgeschichte Bd. I: S. 29–72. Selbstredend sind auch Vertreter der Wirtschaftsgeschichte dieser Zeit mögliche Produzenten von Aussagen über das Plündern. 21 Eine Monographie von Patrick Geary stellt bedingt eine Ausnahme dar. Der Text wird nicht nur verwendet, weil er übersetzt wurde. Geary bezieht sich in der Monographie auf einige theoretischkonzeptionelle Implikationen der „Neuen Deutschen Verfassungsgeschichte“. Vgl. Geary, Merowinger: S. 59–71. 22 Plünderungen wurden in der Merowingerzeit in anderen Zusammenhängen vollzogen als beispielsweise in der Karolingerzeit, wie Timothey Reuter gezeigt hat. Diese Abgrenzung ist auf Basis der Quellenlage festzumachen. Dazu Reuter, Plunder: S. 74–94. Auf Aussagen aus der Merowingerzeit geht er jedoch nur in sehr geringem Maße ein.
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schließlich einer kleineren Erläuterung. Die Texte müssen, d) wenn sie nicht intensiver rezipiert worden sind, in ihrem Titel eine assoziative Nähe zum Plündern aufweisen, oder e) von einem der sonst einbezogenen Autoren verwendet worden sein. Die Annahme, dass in Texten, die nur wenig rezipiert worden sind, Aussagen zum Plündern getätigt wurden, ist plausibel. So lässt sich argumentieren, dass gerade hier ein Grund für das Fehlen von Untersuchungen zum Plündern gegeben ist: Wichtige Aussagen wurden schlicht übersehen. Dieses Argument ist allerdings nur vordergründig stark. Eine geringe Rezeption von Forschungsbeiträgen, in denen Aussagen zu einem speziellen Thema zu finden sind, kann zwar zur Nichtbeachtung eines Themas führen. Es darf aber nicht außer Acht gelassen werden, dass das Fehlen von Untersuchungen zu einem Thema auch ein aktiv produzierter Aspekt einer Textgruppe sein kann.23 Die Quellentexte des 5. und 6. Jahrhunderts sind seit der Mitte des 19. Jahrhunderts24 immer wieder untersucht worden. Aussagen zum Plündern waren deshalb immer schon möglich. Daher ist es weit plausibler, dass Aussagen zum Thema nicht einfach übersehen wurden, sondern disqualifiziert und irrelevant gemacht wurden.25 Demnach sind verhältnismäßig intensiv rezipierte Texte bei der Analyse zu bevorzugen; denn es ist schlüssiger, dass gerade diese Texte Aussagen beinhalten, die dazu führten, dass die vielen Quellenaussagen zum Plündern im 5. und 6. Jahrhundert in Gallien kaum beachtet wurden. Dadurch kann nun allerdings das erste Argument nicht vollkommen entkräftet werden. Mit dem vierten und fünften Kriterium wird der Rigorosität des zweiten und des dritten Kriteriums entgegengesteuert, um das Textkorpus letztlich nicht zu eng zu definieren. Die fünf Kriterien regulieren sich also auch gegenseitig.
1.1 Texte der deutschsprachigen Mittelalterforschung 1844 bis 1937 Mit der „Deutschen Verfassungsgeschichte“ etablierte Georg Waitz ein Paradigma, das, wenn auch in leicht modifizierter Form, bis 1937 weitestgehend Einfluss auf die Forschung zum Mittelalter im deutschsprachigen Raum ausübte.26 Nach der Veröf-
23 Dies ergibt sich aus einem Kontext bei Michel Foucault in Bezug auf die Genese eines Wissensbestandes: Wenn die Formation der Gegenstände eines Diskurses als Genese einer Einheit verstanden werden kann, dann ist das Fehlen ein diese exklusive Einheit generierender Aspekt. Vgl. Foucault, Archäologie: S. 516–525. 24 Auch schon zuvor. Vgl. Böckenförde, Forschung: S. 23–41 und S. 42–73. Die Formulierung ist der Eingrenzung durch die ersten beiden Kriterien geschuldet. 25 Vgl. Foucault, Archäologie: S. 601–603 und Foucault, Ordnung des Diskurses: S. 23 f. 26 Tatsächlich beginnt hier schon die erste Problemstellung für das Ziel des Vorgehens in diesem Kapitel. Dazu Grothe: „Die Verfassungshistorie wurde reduziert auf die deutsche Geschichte zwischen dem 8. und dem 13. Jahrhundert. Diese Sicht blieb im wesentlichen bis um 1900 vorherrschend.“ Grothe,
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fentlichung des mehrbändigen Werks begann die Ausarbeitung des rechtlich-theoretischen Begriffsapparates, der für die Untersuchung der Quellen verwendet wurde. Dies führte auch zu einer Eigenart im Umgang mit den Quellenaussagen zum Plündern im Allgemeinen. So sind Texte zum „Beuterecht“ in dieser Phase relativ häufig publiziert worden, während der ökonomische Aspekt fast völlig in den Hintergrund gerückt wurde. Bezeichnenderweise werden das Verb „plündern“ und das Substantiv „Plünderung“ im zweiten Band der Verfassungsgeschichte nicht ein einziges Mal in dem Kapitel gebraucht, in dem sich Waitz mit den „Leistungen des Volkes und den Einkünften des Königs“ der Merowingerzeit befasst.27 Das Substantiv „Beute“ wird von ihm dagegen mehrfach gebraucht. Dabei wird deutlich, dass Beute als ein Erwerbsziel verstanden wird.28 Es geht Georg Waitz unzweifelhaft um eine Art „Rechtsstatus im Krieg“, der es erlaubt, Beute zu erwerben. Dabei erkennt Waitz einen nicht genauer ausgeführten Zusammenhang zwischen dem „Kriegsrecht“ und der Beuteverteilung als eine Art der Gabe von Sold oder Belohnung für diejenigen Akteure, die dem König Folge geleistet hatten.29 Dieser Passage wurde das in der Einleitung angegebene Zitat entnommen:30 Die knappe Anmerkung – so gering sie auch erscheinen mag – ist für die Untersuchung dieser Arbeit wichtig, denn sie zeigt, dass schon Waitz die Summe der Belege für die Praktik des Plünderns
Geschichte: S. 45. Die für die Beantwortung der Leitfrage dieser Arbeit relevanten Quellen zum 5. und 6. Jahrhundert in Gallien blieben also weitgehend unberücksichtigt. 27 Vgl. Waitz, Verfassungsgeschichte Bd. II: S. 498–580. 28 „Wo nicht die ganzen Völker ziehen, da ist es meist nur die junge kriegslustige Mannschaft welche sich aufmacht um unter einheimischen Führern oder im fremden Dienst den Krieg zu suchen und welche durch ihn Beute oder lieber Landbesitz zu erwerben denkt.“ Waitz, Verfassungsgeschichte Bd. II: S. XVIII. Hierbei bezieht sich Waitz noch auf die Zeit vor den Merowingern in Gallien. Später heißt es im Rahmen einer Bemerkung zur Gewalt von Folge leistenden Akteuren gegen Könige: „Aehnliches [gewaltsames Aufbegehren gegen ihn] erfuhr auch König Sigibert, als er ein Heer aus seinen deutschen Landen jenseits des Rheins nach Gallien gerufen hatte; sie murrten dass er sie nicht zum Kampfe führte, sie liessen sich in ihrer wilden Beute- und Zerstörungslust nicht aufhalten. Eine zeitlang sah der König dem ruhig zu, dann versuchte er durch milde Worte sie zu besänftigen; hinterher wusste er aber auch zu strafen, und mancher musste den trotzigen Widerstand den er leistete mit dem Tode büssen. So hatte es schon Chlodovech gemacht als ein Kriegsmann ihn den erbetenen Vorzug bei der Theilung der Beute verweigerte.“ Waitz, Verfassungsgeschichte Bd. II: S. 133. Hierbei geht es um die Autorität des Königs gegenüber den Folgeleistenden. Der Ansatz, dass auch der merowingische König durch Plünderungen erwerbend tätig werden konnte fehlt an dieser Stelle. Dazu Hardt, Gold: S. 161–186. 29 Im Kontext seiner Ausführungen zu Konfiskationen von fremden Eigentum durch die merowingischen Könige, die Waitz als Erwerbsweise dieser versteht, leitet er zur Kriegsbeute und betont dabei das „Recht des Krieges“, wodurch dieser Zusammenhang hergestellt wird. Waitz, Verfassungsgeschichte Bd. II: S. 542 f. 30 Fast beiläufig bemerkt Waitz in der ersten Fußnote auf der Seite 543: „Vgl. Gregor III, 11: König Theuderich sagt: „et ego vos inducam in patriam ubi arum et argentum accipiatis quantum vestra potest desiderare cupiditas, de qua pecora, de qua mancipia, de qua vestimenta in abundantiam adsumatis. Der Beute wird oft genug erwähnt.“ Waitz, Verfassungsgeschichte Bd. II: S. 543, Anm. 1.
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bewusst war. Es erstaunt daher noch mehr, dass diese dichte Überlieferung, obwohl sie doch schon 1847 wahrgenommen wurde, nie systematisch untersucht worden ist. Eine erste Erklärung dafür ergibt sich aus den Arbeiten von Waitz selbst. Bereits im ersten Band seiner Verfassungsgeschichte, in dem er sich auf die Quellen zu den „Germanen“ aus dem Altertum, besonders auf die germania des Tacitus,31 bezieht, untersucht Waitz die Überlieferung zur Beute. Das „Gefolge“32 (comitatus) sei als eine spezifische Gemeinschaftsform ausschließlich von einem gewählten Fürsten (princeps) angeführt worden.33 Akteure, die sich um eine andere Person sammelten, sind für ihn dagegen kein „Gefolge“.34 Das „Gefolge“ geht nach seiner Definition eine kontinuierliche Bindung mit dem gewählten Fürsten ein. Der Verbindung wohne etwas Heiliges inne.35 Sie beruhe auf ethischen Elementen.36 Waitz grenzt in seiner Definition des „Gefolges“ also ökonomisch motivierte Gruppenbildung ausdrücklich aus: Das Folgeleisten gegenüber einem princeps habe sich nicht aus ökonomischen Motiven ergeben. Die Trennung in „ethisch-politische“ (Treue) und ökonomisch motivierte Verbindungen – deren Evidenz Georg Waitz offen eingesteht37 – wurde in der Folgezeit nie wirklich überwunden. Was im Jahr 1844 geschah, war eine tiefgehende Unterscheidung des Organisierens von Folgeleistungen. Dafür wurden einige Quellenaussagen der Überlieferung zu einer vorgängigen Kategorie zugeordnet und es entstand eine kategorische Festlegung, wie diese Aussagen zu deuten und final zu verstehen seien. Die von Georg Waitz gehegten Vorstellungen sind aber keine eigene Erfindung.38 Sie wurden von ihm nur derart konkretisiert, dass die mit diesen Vorstellungen verbundenen Deutungsweisen
31 Zur Bedeutung und zum Umgang mit der Quelle in der deutschsprachigen Verfassungsgeschichte des 19. Jahrhunderts Kroeschell, Germania: S. 89–110. 32 Auch die Zeitgenossen von Georg Waitz wie Karl Friedrich Eichhorn, Paul von Roth und Felix Dahn sprechen fast durchweg von dem „Gefolge“ und nicht von der „Gefolgschaft“. Vgl. Kroeschell, Führer: S. 59. 33 „Eliguntur in iisdem conciliis et principes, qui iura per pagos vicosque reddunt; centeni singulis ex plebe comites consilium simul et auctoritas adsunt.“ Tac. germ.: 12. Zur Diskussion der Textpassage Kristensen, Gefolgschaft: S. 24 f. 34 Vgl. Waitz, Verfassungsgeschichte Bd. I: S. 143. 35 Vgl. ebd.: S. 148. 36 „Wir haben hier nicht näher auf die Verhältnisse des Beneficialwesens einzugehen; allerdings ist es ein echt deutsches geworden; die besondere Verpflichtung zur Treue die damit verbunden war, überhaupt die ethischen Elemente die dieser Verbindung zu Tage liegen, sind aus dem eigenen Wesen des deutschen Geistes geflossen. Was anderswo in verschiedener Weise in untergeordneter Bedeutung sich fand, hat hierdurch wie einen tieferen Inhalt so eine viel grössere historische Wichtigkeit erlangt. Dieselben Elemente die im Gefolgewesen sich nachweisen lassen wird man auch hier zum Theil aufzeigen können; […].“ Waitz, Verfassungsgeschichte Bd. I: S. 141. 37 Vgl. Waitz, Verfassungsgeschichte Bd. I: S. 143. 38 Waitz ist Repräsentant einer Denkweise und gilt als Begründer des damals prägenden Paradigmas. In diesem Sinne kann er als Kondensator zeitgenössischer Vorstellungen gelten, dessen Texte die Forschungsarbeiten späterer Zeiten nur noch intensiver auf die Leitmotive aus der Mitte des
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zum einflussreichen und prägekräftigen Standard der geschichtswissenschaftlichen Kommunikation befördert wurden. Sein mehrbändiges Werk kann daher als ein Endpunkt bezeichnet werden, der in einer Verlagerung des Forschungsdiskurses in eine konkrete Umgangsweise besteht. Das Formulierte trat als „herrschende Lehre“39 vermehrt in Wechselwirkung mit den geschichtlich orientierten Verfassungsforschern, welche die Quellen aus einer nun paradigmatischen Perspektive deuteten: Die überlieferten Aussagen über das Organisieren von Folgeleistungen aus Erwerbsgründen hatten fortan mit der Geschichte des deutschen Staates und seiner Verfassung nichts mehr zu tun. Andere Aspekte der Überlieferung – wie die Treue40 – wurden unter einer rechtlich-theoretischen Rahmung dafür weit wichtiger. In dem 1856 veröffentlichten Text „Altnordisches Leben“ von Karl Weinhold ist die Wirkung von Waitzens Werk allerdings noch nicht deutlich sichtbar. Dies liegt zum einen daran, dass das Gesamtwerk noch nicht abgeschlossen war.41 Zum anderen liegt dies daran, dass Weinhold kein Jurist war, sondern Philologe und Volkskundler mit einem besonderen Interesse an sprachwissenschaftlichen Fragestellungen. Sein „Altnordisches Leben“ gilt heute als eine „romantische Anthropologie“.42 Seine Aussagen zu Plünderungen43 fußen nicht auf den Quellen zum 5. und 6. Jahrhundert in Gallien, sondern auf nordischen Sagas und anderen nordeuropäischen Texten.44 Der durchaus intensiv rezipierte Beitrag45 findet hier Berücksichtigung, da mit ihm exemplarisch ein Charakteristikum der deutschsprachigen Geschichtsforschung zu fassen ist. Die Vertreter der vorherrschenden Forschungsrichtung waren meist keine Historiker, sondern Juristen.46 Ihr Interesse galt der Geschichtlichkeit des „Staates“, wobei sie die Idee hegten, der „Staat“ sei aus dem „Volk“ entstanden.47 Das „Volk
19. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum während der Phase der Bildung des ersten deutschen Staates verwies. Vgl. Böckenförde, Forschung: S. 75–84, S. 99–102 und S. 133–134. 39 Vgl. Graus, Verfassungsgeschichte: S. 552 ff. 40 „Treue“ war schon weit vor Georg Waitz ein zentrales Thema in der deutschsprachigen Geschichtsforschung zum Mittelalter. Dazu Kroeschell, Treue: S. 157–181, bes. 157–159. 41 Vgl. Graus, Verfassungsgeschichte: S. 548. 42 Vgl. Böldl, Anthropologie: S. 91 f. 43 Vgl. Weinhold, Leben: S. 36; S. 96; S. 105; S. 116; S. 249; S. 348; S. 368; S. 404; S. 406; S. 486 und S. 497. 44 Überblickend Uecker, Altnordischen Literatur. 45 Vgl. Böldl, Anthropologie: S. 104 f. 46 Vgl. Schieffer, Weltgeltung: S. 43. Der Einfluss der „historischen Rechtsschule“ auf die geschichtlich orientierte Verfassungsforschung ist unbestritten. Die Trennung in Teildisziplinen der Geschichtswissenschaft wäre daher als rein anachronistischer Versuch zu bezeichnen. Vgl. Böckenförde, Forschung: S. 130–133; Graus, Verfassungsgeschichte: S. 548–550 und Grothe, Geschichte: S. 47–48. 47 Vgl. Böckenförde, Forschung: S. 75. Dazu Böckenförde weiter: „So wird der Antrieb zur geschichtlichen Forschung für die nationale Bewegung und die ihr zugehörigen Germanisten nicht nur ein gegenwartsbezogener, sondern zugleich auch ein politischer: das Interesse am nationalen Staate, zu dem die nationale, d. h. die aus der Geschichte geschöpfte Verfassung, und das nationale, d. h. das geschichtliche Recht gehören.“ Böckenförde, Forschung: S. 78.
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der Deutschen“ wurde dabei historisch mit den „Germanen“ identifiziert. Der Germanenbegriff wiederum war mit den Quellen zu den in Nordeuropa lebenden Menschen verbunden,48 deren Autoren in meist anachronistischer Perspektive die Aspekte der Lebensweisen in Nordeuropa beschrieben.49 Diese Vorstellung zur Kategorie „Volk“, die aus heutiger Sicht eindeutig eine Konstruktion ist,50 hat in Kombination mit den juristisch aufgeladenen Begriffen seit Mitte des 19. Jahrhunderts dazu geführt, dass die zeitgenössischen Leitmotive die geschichtlich orientierten Forscher verstärkt vereinnahmten.51 Das Heranziehen von Quellen funktionierte für die Konstitution der Leitmotive, die zu Thesen wurden und in ihrer nicht ausdrücklich systematisierten Summe52 dann zu dem Paradigma schlechthin. Diese Entwicklung hat Konsequenzen für die vorliegende Untersuchung: Die mit nordeuropäischen Quellen aus dem Hochmittelalter verbundenen „Germanen“ und die Vorstellungen zum „Recht“ (beispielsweise als ein „germanisches Beuterecht“) stehen kaum mehr in Bezug zu den Quellen zum 5. und 6. Jahrhundert in Gallien, da die Leitmotive einer geschichtlich orientierten Forschung formierend Gestalt gaben. Das gilt beispielsweise auch für Otto von Gierke, der bis heute vor allem wegen seiner Arbeiten zum Konzept der „Genossenschaft“53 Beachtung findet: Auch Gierke war eigentlich kein Historiker, sondern einer der Juristen,54 die sich zum Teil auch desjenigen Textmaterials bedienten, welches heute den Quellenbestand zur Geschichte des Mittelalters ausmacht. Sein Hauptwerk „Das deutsche Genossenschaftsrecht“ umfasst vier Bände. Der erste Band wurde 1868 veröffentlicht und trägt den Untertitel „Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft“.55 Gierke arbeitete darin allerdings nie explizit zu Quellen des 5. und 6. Jahrhunderts in Gallien.56 Während der Zeit
48 Dies bereits seit dem 15. Jahrhundert. Vgl. von See, Germanen-Ideologie: S. 14–18. Zur der Verbindung dieser Quellengattung mit den „Germanen“ im 17. und 18. Jahrhundert von See, GermanenIdeologie: S. 34–44. 49 So finden sich für Weinhold in den nordeuropäischen Quellen aus dem Hochmittelalter Belege für die Lebensweise der „Nordgermanen“. Vgl. Weinhold, Leben: Inhaltsverzeichnis. Auffällig bleibt aber, dass der Germanenbegriff bereits in den Quellen zum Frühmittelalter durch die Namen einzelner Gruppen substituiert worden ist. Vgl. Jarnut, Germanisch: S. 107 ff. 50 Vgl. von See, Germanen-Ideologie: S. 53–101. 51 Vgl. Böckenförde, Forschung: S. 84. 52 Dies liegt auch an der Differenzierung innerhalb der geschichtlich orientierten Forschung im deutschsprachigen Raum, der beispielsweise der Ursprung der Sozialwissenschaften ist. Vgl. Grothe, Geschichte: S. 55–80; Oexle, Grundsatzfragen: S. 10–34 und Oexle, Mittelalterhistoriker: S. 71 ff. 53 Überblickend Kern/Meineke/Prosser, Art. Genossenschaft: S. 79–88. 54 Vgl. Schieffer, Weltgeltung: S. 43. Sein Werk wurde anfänglich nicht sehr stark von Geschichtsforschern rezipiert. Vgl. Graus, Verfassungsgeschichte: S. 550. Das liegt auch daran, dass seine Auffassungen nicht ganz „zeitgemäß“ waren. Vgl. Böckenförde, Forschung: S. 154. 55 Vgl. Peters, Genossenschaftstheorie: S. 125. 56 Vielmehr werden die Quellen zu den „Germanen“ und die der Merowingerzeit in dem Modell von Gierkes in eine Einheit zusammengezogen. Vgl. Böckenförde, Forschung: S. 166.
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seit Karl dem Großen bis 120057 und der darauf folgenden Zeit bis 152558 eigene Kapitel im ersten Band gewidmet sind, fehlt ein Kapitel über die Zeit der Merowinger. Gierke erklärt aus dem Quellenmaterial das Werden des Genossenschaftsrechts. Sein Bezug auf die Texte funktioniert daher im Sinne der Plausibilisierung des von ihm niedergeschriebenen theoretischen Ansatzes.59 Bezogen auf das Plündern heißt das konkret: Gierke betont im Kontext seiner Arbeit aus dem Jahr 1868 fast ausschließlich, dass die Verteilung von Beute zumeist in gleichen Teilen vollzogen worden sei.60 Diese Betonung gleicher Anteile verdeutlicht den von ihm intendierten genossenschaftlichen Charakter von Gemeinschaften. Ein solches Vorgehen macht seine Aussagen zum Plündern für den hier interessierenden Zusammenhang nahezu unbrauchbar. Im Jahr 1873 erschien dann der zweite Band mit dem Untertitel „Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffs“. Der Gesamtzusammenhang änderte sich auch in diesem Band nicht: Zwar finden sich sehr wohl Aussagen zur Überlieferung zum Plündern, besonders zu der Verteilung von Beute,61 aber auch sie funktionieren im Sinne rechtlich-theoretischer Annahmen Gierkes. Ein Jahr später erschien die Dissertation des Juristen Axel Franz Julius Benedix mit dem Titel „De praeda inde ab antiquitate ad usque nostram aetatem bello terrestri legitime parta“. Sie wurde zwar kaum in der deutschsprachigen Forschung zum Mittelalter rezipiert,62 doch liefert Benedix in dieser Arbeit Aussagen zum Plündern, für die er auch Quellen zum 5. und 6. Jahrhundert in Gallien heranzieht: Benedix sieht in der Wirkung der christlichen Religion auf die „Germanen“ insgesamt eine Eingrenzung üblicher Plünderungen, ohne dass er dies genauer fassen würde.63 Zudem geht Benedix ausführlicher auf die Beuteverteilung ein, wobei er für die Zeit König Chlodwigs I. mit Blick auf die berühmte Erzählung Gregors von Tours über den Krug eines Bischofs64 argumentiert, bei den Franken hätten die Könige keine besondere
57 Vgl. von Gierke, Genossenschaftsrecht Bd. I: S. 149–295. 58 Vgl. ebd.: S. 296–633. 59 Der Ansatz ist derart konzipiert, dass die Quellen dem genossenschaftsrechtlichen Konzept ganz untergeordnet sind. Vgl. Böckenförde, Forschung: S. 174–177. 60 Beispielsweise: „Nicht einmal an der Beute gebührt zuerst dem König ein größerer Theil. Kurz, unter und neben dem König steht noch immer in mächtiger Gesammteinheit die Volksgenossenschaft mit Gesammtrecht und Gesammtgewalt.“ von Gierke, Genossenschaftsrecht Bd. I: S. 52. Für die restlichen Aussagen ähnlicher Art von Gierke, Genossenschaftsrecht Bd. I: S. 449; S. 469; S. 493; S. 495; S. 505 und S. 690. 61 Vgl. von Gierke, Genossenschaftsrecht Bd. II: S. 359 ff. und S. 723. 62 Erst die Rezeption durch den Rechtswissenschaftler Johann Casper Bluntschli, dessen Beitrag zum Beuterecht weiter unten behandelt wird, machte die Monographie in der deutschsprachigen Forschung bekannt. Vgl. Bluntschli, Beuterecht: S. 37–38. Dazu die Rezension B . . q…: Axel Benedix: S. 266–269. Der Name des Autors der Rezension ist nicht voll angegeben. Es ist nicht klar, wer sich hinter dem Kürzel verbirgt. 63 Vgl. Benedix, praeda: S. 40. 64 Greg. hist.: 2.27.
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Stellung gehabt.65 Er verallgemeinert die Stelle aus den decem libri historiarum also. Die Dissertation von Benedix wurde nicht nur wegen der lateinischen Sprache kaum wahrgenommen,66 sondern wohl auch weil die These einer Einwirkung des Kirchenrechts auf das „germanisch-deutsche Volk“67 – wie er sie für das Plündern formuliert – im Kontext ihrer Zeit höchst innovativ war.68 Der im Jahr 1878 veröffentlichte Text „Das Beuterecht im Krieg und das Seebeuterecht insbesondere“ des schweizer Rechtswissenschaftlers Johann Caspar Bluntschli weist ähnliche Aspekte auf wie das Hauptwerk Otto von Gierkes. Schon der Titel lässt vermuten, dass Bluntschli Aussagen zum Plündern macht. Sein rechtswissenschaftliches Anliegen69 steht aber stark im Vordergrund – und er bedient sich geschichtswissenschaftlicher Arbeiten nur, um dieses Kernanliegen in einer evolutionstheoretischen Weise70 plausibel zu gestalten. In seinem Kapitel über das „Kriegsrecht der Germanen im frühen Mittelalter“71 zitiert Bluntschli nur ein einziges Mal einen Quellentext – die germania des Tacitus.72 Ebenfalls nur einmal macht er unter Bezugnahme auf Benedix eine Aussage über das Beuterecht bei den „Germanen“.73 Eine konkrete Definition dieses Beuterechts bleibt aus. Für Bluntschli funktionieren die Quellen also ähnlich wie für Gierke: Sie dienen als Beleg für die Entwicklung eines Rechts. Auch der 1881 veröffentlichte dritte Band des Genossenschaftsrechts zur Thematik der „Staats- und Korporationslehre des Altertums und des Mittelalters und ihre Aufnahme in Deutschland“ äußert sich nicht über die zahlreichen Quellenaussagen zum Plündern des 5. und 6. Jahrhunderts in Gallien. Dies liegt daran, dass Gierke in
65 Vgl. Benedix, praeda: S. 41 f. 66 Vgl. B . . q…, Axel Benedix: S. 269. 67 Hiermit ist die etablierte Annahme, der „Staat“ entspringe dem „Volk“, empfindlich gestört, denn wenn das „Volk“ durch das sich im Frühmittelalter weiterhin formierende Recht der katholischen Kirche dominierend beeinflusst worden wäre, dann wäre das „Volk“ als solches nicht mehr der Ort des Ursprungs des deutschen Staates. Dass sich aber genau das Gegenteil, nämlich eine „germanische Kontinuität“ als maßgeblich etabliert hat, zeigt, dass die von Benedix geäußerte Asymmetrie zwischen einem Objekt „Volk“ und einem Subjekt „Recht“ sich nicht verfestigen konnte. Vgl. Graus, Verfassungsgeschichte: S. 552–559. Benedix formuliert das genaue Gegenteil: Ein „Recht“ formt das „Volk“! 68 Zu dem in diesem Kontext eher ungewöhnlichen Verhältnis, bei dem das kirchliche Recht einen dominierenden Part einnimmt Benedix, praeda: S. 38 f. 69 „Es ist unmöglich, dass dieselbe Handlung, die im Landkrieg als barbarisch und unerlaubt verurtheilt wird, im Seekrieg unter demselben Culturvölkern als Recht vertheidigt und geschützt bleibe. […] Die gegenwärtige Arbeit soll einen Beitrag liefern, um die Einsicht in diese der Reform bedürftigen Uebel zu schärfen und zu verbreiten und die unerlässliche Verbesserung fördern zu helfen.“ Bluntschli, Beuterecht: S. 9 f. 70 Bluntschli, Beuterecht: S. 3. Zu der Feststellung der Üblichkeit „evolutionstheoretischer Betrachtungsweisen“ Graus, Verfassungsgeschichte: S. 538 f. 71 Vgl. Bluntschli, Beuterecht: S. 28–38. 72 Vgl. ebd.: S. 32. 73 Vgl. ebd.: S. 37 f.
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weiten Teilen des Bandes auf Quellentexte aus dem Hoch- und Spätmittelalter74 und zu kirchlichen Konzilien75 eingeht (wobei auch diese Bezugnahmen nur der Plausibilisierung seines rechtswissenschaftlichen Modells dienen).76 Es ist umstritten,77 welche Wirkung die viel rezipierte „Deutsche Rechtsgeschichte“ des österreichischen Rechtswissenschaftlers Heinrich Brunner auf das seit Waitz bestehende Paradigma hatte. 1887 wurde der erste von zwei Bänden veröffentlicht. In diesem ersten Band geht Heinrich Brunner auf die Quellen zur Merowingerzeit ein. Obgleich Brunner sich nicht zum Plündern äußert, ist der Text für die Beantwortung der Leitfrage durchaus wichtig, da Brunner die älteren Arbeiten von Waitz und auch von Gierke recht gründlich rezipiert.78 In seiner rechtswissenschaftlich motivierten Arbeit geht Brunner ausgiebig auf soziale und ökonomische Praktiken der „Germanen“ ein.79 Plündern ist für ihn allerdings keine Erwerbsweise. Zumindest schreibt er darüber in seinem Kapitel über „Das Wirtschaftsleben der Urzeit“, in dem er sich zu den Wirtschaftspraktiken der „Germanen“ vor der Etablierung der unterschiedlichen regna auf dem weströmischen Territorium äußert, nichts.80 In der Passage zur „Gefolgschaft bei den Germanen“ wiederum bezieht er sich mehrfach auf Tacitus und Caesar. Für Brunner ist Treue – wie schon für Waitz – das konstitutive Element für die Folgeleistungen gegenüber einem Anführer.81 Auch hätten die Beutezüge von „Gefolgschaften“ nichts mit den Wanderungen der „Germanen“ in der Spätantike und im frühen Mittelalter zu tun.82 Brunner stimmt Waitz insofern zu, als er gegen die vor Waitz grundlegenden Annahmen geschichtlich orientierter Forschung83 polemisiert.
74 Vgl. von Gierke, Genossenschaftsrecht Bd. III: S. 238–500 und S. 501–644. 75 Vgl. ebd.: S. 684–746. 76 Der Vollständigkeit halber soll erwähnt sein, dass auch der vierte Band des Genossenschaftsrechts aus dem Jahr 1913 keine Aussagen zum Plündern bezüglich der interessierenden Überlieferung beinhaltet. Dies versteht sich fast von selbst, denn in diesem Band geht es um die Staats- und Korporationslehre der Neuzeit. 77 Für die Ansicht, Heinrich Brunner habe durch sein Werk dem gängigen Paradigma ein längeres Bestehen ermöglicht Böckenförde, Forschung: S. 197–202 und Graus, Verfassungsgeschichte: S. 551. Für die Ansicht, mit dem Werk Heinrich Brunners sei ein Anstoß für das Ende des Paradigmas gegeben worden Grothe, Geschichte: S. 49. 78 Vgl. Böckenförde, Forschung: S. 200. 79 Das überrascht nicht, denn „Staat“ und „Recht“ werden auch bei ihm als aus dem „Volk“ resultierend dargestellt. Vgl. Brunner, Rechtsgeschichte Bd. I: S. 1–4. Auch sind für ihn die „Germanen“ in für das 19. Jahrhundert typischer Weise mit den Deutschen historisch gleichzusetzen. Vgl. Brunner, Rechtsgeschichte Bd. I: S. 27–32. 80 Vgl. Brunner, Rechtsgeschichte Bd. I: S. S. 56–64. 81 Vgl. ebd.: S. 137 und S. 139. 82 Vgl. ebd.: S. 143. 83 Vgl. Böckenförde, Forschung: S. 18 und Grothe, Geschichte: S. 47. Unter der Betrachtung dieser Aussagen kann eher jenen zugestimmt werden, die Brunners „Deutsche Rechtsgeschichte“ als Beitrag zur Festigung des von Waitz beförderten Paradigmas ausweist.
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Die Dissertation von Albert Levy aus dem Jahr 1889 zum Thema „Kriegsrecht im Mittelalter“ weist viele der bereits genannten Charakteristika geschichtlich orientierter Verfassungsforschung auf: Auch ihm geht es hauptsächlich um die Entwicklung eines Rechts. Das Quellenmaterial wird herangezogen, um eine Entwicklung zu belegen.84 Die Arbeit beginnt mit der Zeit Karl Martells,85 so dass Aussagen zur Überlieferung der Merowingerzeit gar nicht zu finden sind. Aufschlussreich ist immerhin Levys Feststellung, dass bereits seit dem Frühmittelalter der Kampf einen „Normalzustand“ darstellte und daher auch Handlungen wie das Plündern „normal“ gewesen seien.86 Das Plündern wird von Levy also nicht als etwas Anormales oder als Rechtsbruch ausgewiesen, sondern als legitim oder üblich im Rahmen des „Kriegsrechts“. Der zweite Band der Rechtsgeschichte Heinrich Brunners erschien 1892, fünf Jahre nach der Dissertation von Levy. In diesem Band ist als historischer Rahmen der rechtswissenschaftlichen Untersuchung das fränkische Reich gesetzt. Auch für ihn gilt, dass Brunner sich nirgends zur Überlieferung zum Plündern im 5. und 6. Jahrhundert äußert. Er hält jedoch fest, dass in der Karolingerzeit Plünderungen mit Buße geahndet worden seien.87 Dies zeigt, dass auch ein Wandel im Umgang mit der sozioökonomischen Praktik des Plünderns bereits im 19. Jahrhundert bemerkt worden ist, obgleich Brunner diesen Wandel nicht in eine Systematik der Auswertung der Plünderungsüberlieferung einordnet – oder auch nur darauf verweist, dass das von ihm erwähnte Kapitular aus der Zeit Karls des Großen als ein Versuch der Eingrenzung des Plünderns zu verstehen sein dürfte. Unter den sich wandelnden politischen und gesellschaftlichen Bedingungen88 entstanden in der deutschsprachigen, geschichtlich orientierten Forschung gegen Ende des 19. Jahrhunderts neue Ansätze,89 die in die Etablierung der Sozialwissenschaften mündeten.90 In dieser formativen Phase rückte die „Kultur“ als Kategorie in das Zentrum des Forschungsinteresses.91 Arbeiten von Forschern wie Ferdinand
84 Vgl. Levy, Kriegsrecht: S. 4 f. 85 Vgl. ebd.: S. 6. 86 Vgl. ebd.: S. 8 f. 87 Vgl. Brunner, Rechtsgeschichte Bd. II: S. 584. 88 Vgl. Korte, Geschichte der Soziologie: S. 78 f. Für Hermann Korte sind die historischen Bedingungen für den sozialen Wandel und jene wiederum für damalige Neuorientierungen in den Wissenschaften ursächlich verantwortlich. 89 Vgl. Oestreich, Forschung: S. 332. 90 Vgl. Oexle, Grundsatzfragen: S. 21–27. Dabei spielt die Verengung der geschichtlich orientierten Verfassungsforschung Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts auf die Geschichtlichkeit des „Staates“ eine wichtige Rolle. Währenddessen bildeten sich neue Wissenschaftsdisziplinen im deutschsprachigen Raum heraus. Die Sozialwissenschaften trennten sich auch von den Wirtschaftswissenschaften. Vgl. Mikl-Horke, Ökonomie: S. 23–25. 91 Vgl. Oexle, Mittelalterhistoriker: S. 72 ff.
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Tönnies,92 Georg Simmel93 und Max Weber94 sind für die Neuerungen dieser Phase repräsentativ.95 Eine intensive Rezeption ihrer Texte durch geschichtlich orientierte Verfassungsforscher, wie beispielsweise Georg von Below,96 blieb jedoch aus.97 Vielmehr verengte sich der Fokus der Verfassungsforschung auf die Geschichtlichkeit des Rechts des damals existierenden Staates,98 der weiterhin bis auf die „Germanen“ zurückgeführt wurde. Trotzdem konnte der Prozess den partiellen Differenzierung zwischen der „klassischen“ Verfassungsforschung und der sogenannten „Historischen Kulturwissenschaften“99 die erstgenannte Forschungsrichtung doch nicht vor – wenn auch anfänglich nur kleineren – Veränderungen bewahren. Zu nennen sind hier vor allem die Arbeiten Otto Hintzes,100 der als ein Erneuerer der Verfassungsforschung gilt.101 Es war aber weniger der Druck innovativer Forschungsergebnisse als vielmehr die mit der Volkskategorie verbundenen Kausalität des „Staates“, welche die Wandlung der geschichtlich orientierten Verfassungsforschung hin zu einer geschichtlichen Volksforschung beförderte. Die Gleichung „Germanisch = Deutsch“ erlaubte es, die Volkskategorie durch Quellenaussagen inhaltlich weiterhin zu festigen, ohne dabei auf die chronologisch-räumliche Verortung der Quellen selbst Rücksicht nehmen zu müssen.102 Es muss aber betont werden, dass auch die indifferente Volkskategorie der älteren Verfassungsforschung ein sozialtheoretisches Konstrukt war. Mit ihm war paradoxerweise ein sozialgeschichtlicher Ansatz in der Verfassungsforschung ange-
92 Überblickend Bickel, Tönnies: S. 114–127. 93 Überblickend Nedelmann, Simmel: S. 128–151. Für die Bedeutung seines Werks für die aktuelle Kulturgeschichte Daniel, Kulturgeschichte: S. 53–63. 94 Überblickend Torp, Weber: S. 142–172 und Hübinger, Weber: S. 269–282. Repräsentativ für diese Richtung im Werk Webers siehe Weber, Sozialverfassung: S. 508–556. Unter diesem Licht besehen ist auch Max Weber – der Agrargeschichte, Jurisprudenz, Nationalökonomie, Philosophie und Theologie studiert hatte – durchaus ein Historiker, auch wenn er heute als einer der Klassiker der Soziologie gilt. Vgl. Kaesler, Weber: S. 191–193 und 207–208. Ähnlich Oexle, Mittelalterhistoriker: S. 73 f. 95 Vgl. Oexle, Mittelalterhistoriker: S. 73. 96 Georg von Below gilt als einer der energischsten Vertreter der verengten Form der geschichtlich orientierten Verfassungsforschung. Er trug damit auch zu der Differenzierung in der Phase um 1900 im deutschsprachigen Raum bei. Vgl. Oestreich, Forschung: S. 341 und Oexle, Below: S. 283–312. 97 Vgl. Oexle, Grundsatzfragen: S. 21. 98 Vgl. Graus, Verfassungsgeschichte: S. 552; Böckenförde, Forschung: S. 177–210 und Grothe, Geschichte: S. 32. 99 Vgl. Daniel, Kulturgeschichte: S. 10 und Oexle, Mittelalterhistoriker: S. 73. 100 Für einen Überblick Ressing, Hintze. und Schiera, Hintze: S. 341–355. 101 Vgl. Grothe, Geschichte: S. 55–80. 102 So waren – wie bereits angesprochen – Quellen aus dem Früh-, Hoch- und dem Spätmittelalter für die Konstruktion der Volkskategorie fruchtbar gemacht worden, wobei besonders die Quellenlage aus dem nordeuropäischen Hoch- und Spätmittelalter stets bedeutend für ihre Konstruktion bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts war. Vgl. Oexle, Mittelalterhistoriker: S. 97 ff.
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legt, obwohl deren Repräsentanten sozialgeschichtlichen Perspektiven ihrer Zeit ablehnend gegenüberstanden.103 Dieser Ansatz fand dann später unter den sich weiter wandelnden Bedingungen in der geschichtlichen Volksforschung einen Ausdruck104 und prägte die geschichtliche Forschung der 1930er und 1940er Jahre.105 Die wissenschaftsinterne Differenzierung in einzelne Disziplinen war daher eher erkenntnistheoretisch und methodologisch von Bedeutung106 und weniger in einem Gegenstandsbezug auszumachen.107 Mit der Akzentverschiebung wird auch verständlich, warum im frühen 20. Jahrhundert in anthropologischen Studien auf die Quellen zu den „Germanen“ rekurriert wurde:108 Die „Germanen“ waren nicht einfach nur historisch. Zumindest manche Aspekte ihrer Konstruktion galten offenbar als eine Art sozialhistorische Konstante, die deshalb wie eine gegenwärtig existierende Gruppe anthropologisch untersucht werden konnte.109 In der Monographie des Rechtswissenschaftlers Karl Lehmann aus dem Jahr 1913 zum altnordischen Kriegs- und Beuterecht ist die Intensivierung des Gebrauchs der Volkskategorie deutlich sichtbar: Auffällig an seiner Arbeit ist vor allem, dass er als Jurist besonders die älteren Arbeiten des Germanisten und Volkskundlers Karl Weinhold rezipiert.110 Es ist leicht zu erkennen, dass auch die Arbeit Lehmanns von der
103 Vgl. Oestreich, Forschung: S. 363. 104 Tatsächlich ist nicht davon auszugehen, dass die „Historische Kulturwissenschaft“ die einzige Richtung ist, aus der sich die Soziologie im deutschsprachigen Raum bildete. Dazu überblickend Rammstedt, „deutschen Soziologie“: S. 253–313. So sind Parallelen zwischen der geschichtlich orientierten Volksforschung und der „deutschen Soziologie“ festzustellen. Vgl. Schreiner, Wissenschaft: S. 171 ff. Somit wird deutlich, dass die Volksforschung differente Ausprägungen haben konnte. Eine war die geschichtliche und eine andere war die sozialwissenschaftliche. Dazu Klingemann, Verschmelzung: S. 34–63. 105 Vgl. Oberkrome, Volksgeschichte: S. 19 ff. Zur Definition: „Als Volksgeschichte bezeichnet man eine Geschichtsauffassung, die sich in Deutschland seit den 1920er Jahren herausbildete, geistige Nähe zur völkischen Bewegung und zur NS-Ideologie ausbildete und sich methodisch zur Volkskunde und den Sozialwissenschaften öffnete. Wegen dieser Öffnung und der Fortsetzung der volksgeschichtlichen Arbeit unter anderem Namen und anderen politischen Vorzeichen nach 1945, wird in der Volksgeschichte eine Vorläuferin der westdeutschen Sozialgeschichte gesehen.“ Jordan, Theorien: S. 85. 106 Vgl. Oexle, Mittelalterhistoriker: S. 71–76. 107 Termini wie „Gemeinschaft“ und „Gesellschaft“ – mit denen auf den Forschungsfeldern der neuen Sozialforschung operiert wurde – sind ebenso soziale Kategorien wie die quellensatte, jedoch gerade daher indifferente Volkskategorie. Vgl. Jordan, Theorien: S. 83–94 und S. 98 ff. 108 Vgl. Schurtz, Männerbünde: S. 102 und Weiser-Aall, Männerbünde. 109 „Die Beschaffenheit der literarischen Quellen für das germanische Altertum, Tacitus und die altnordischen Sagas, bringen es mit sich, daß man mit der philosophisch-historische Methode allein nicht weiterkommen kann. […] Das religiöse Fühlen aber verändert sich und die Formen blieben.“ Weiser-Aall, Männerbünde: S. 9 f. 110 Vgl. Lehmann, Beuterecht: S. 1 ff.
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Geschichtlichkeit des Rechts her gestaltet ist111 – wobei die meisten von ihm verwendeten Quellen jene nordeuropäischen Texte aus dem Hoch- und Spätmittelalter sind, die auch schon Weinhold verwendet hatte. Lehmann nimmt aber außerdem Bezug auf die Krugepisode aus den decem libri historiarum.112 Insgesamt begreift er all die von ihm herangezogenen Quellen als Texte über „Germanen“, welche historisch in typischer Weise mit den Deutschen gleichgesetzt werden.113 Ausdrücklich schreibt Lehmann: Plündern sei eine Erwerbsweise von Gütern und Ressourcen und sei als solche betrieben worden.114 Die meisten Bemerkungen Lehmanns zum Plündern beziehen sich allerdings gar nicht auf ein Beuterecht, sondern auf die Art der Verteilung erworbener Beute. Aber auch hierbei ist seine rechtswissenschaftliche Fragestellung unverkennbar:115 Seine Aussagen zu den Verteilungsweisen sind letztlich nichts anderes als kategorische Beiordnungen zu verschiedenen Rechtsmodellen.116 Erst im zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts gerieten dann mehrere Grundannahmen des alten Paradigmas in die Kritik.117 Einen Beitrag dazu lieferte Fritz Kern mit seinen Arbeiten, in denen das „germanische Recht“ mit dem „Rechtsgefühl der Volksgemeinde“ gleichgesetzt wurde.118 Für Kern entspringen die Kategorien „Staat“ und „Recht“ nicht mehr der Volkskategorie. Es gibt für ihn keinen Ursprung – und somit auch keine Trennung mehr zwischen den Kategorien „Volk“ und „Recht“. Vielmehr ist das Recht im Volk veranlagt und bleibt im Volk, welches als einheitlich gedachter Akteur – als Gruppensubjekt – das Recht fühlt. Die Kategorien sind somit symbiotisch gedacht, wobei das „Volk“ als das Subjekt erscheint.119 Das „germanische Recht“ wird gefühlt und dient als Objekt der Orientierung des „Volkes“ in diesem symbiotischen Verhältnis.120 Für die Überlieferung zum Plündern bedeutet dies konkret: Die Quellenaussagen zum Plündern konnten weiterhin in der rechtlichen Rahmung verstanden werden und Plünderungen galten nach dem „Rechtsgefühl des Volkes“ als legitim. Das Paradigma verlor nach dem Ersten Weltkrieg auffällig an Integrationsfähigkeit. Nun wurden die Wirtschafts- und die Sozialgeschichte als geschichtswissen-
111 „Die für das altdeutsche Recht aufgeworfene Frage, ob der Erwerb der Beute ein staatsrechtlicher oder ein privatrechtlicher war, ist im Sinne der Gesamtheit zu entscheiden.“ Lehmann, Beuterecht: S. 20. 112 Vgl. Lehmann, Beuterecht: S. 21. 113 Vgl. ebd.: S. 7 f. 114 „In historischer Zeit ist die Beutung zum weltlichen Erwerbsgrund geworden. Sie steht an der Spitze der Eigentumserwerbsgründe, weil sie beim Gegner die Rechtsordnung negiert.“ Lehmann, Beuterecht: S. 15. 115 Vgl. Lehmann, Beuterecht: S. 16–26. 116 Vgl. ebd.: S. 20 ff. 117 Vgl. Graus, Verfassungsgeschichte: S. 552–559, bes. 556. Zur vorherigen Kritik Oexle, Mittelalterhistoriker, S. 93. 118 Vgl. Kern, Verfassung: S. 14. 119 Vgl. ebd.: S. 8–12. 120 Vgl. ebd.: S. 27 ff.
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schaftliche Teildisziplinen einflussreicher.121 Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges 1918 und auch nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten in Deutschland 1933122 blieben trotzdem viele ältere Auffassungen weiterhin bestehen.123 Zu einer konkreten Abgrenzung von der älteren geschichtlichen Verfassungsforschung kam es vorerst noch nicht.124 Das zeigt beispielsweise eine zweibändige Studie des österreichischen Historikers Alfons Dopsch. Die Bände erschienen erstmals 1918 und 1920: Auch wenn Dopsch als ein Kritiker der „gängigen Lehre“125 gilt,126 schließt er an die von Waitz vorgenommenen Trennung zwischen Gemeinschaften, die auf Treue beruhen, und Gemeinschaften, die sich auf Grund von ökonomischen Interessen bilden, in der Art an, dass er die ökonomischen Aspekte der „germanischen Gefolgschaften“ auf agrarische Produktion reduziert.127 Dies erinnert an Heinrich Brunner, der wie Alfons Dopsch erst gar nicht vom Plündern handelt, wenn er sich über die Wirtschaftsweisen der „Germanen“ äußert. Die Parallele zwischen Brunner und Dopsch gründet eben in der durch Waitz vorgenommenen Trennung, die letztlich dazu geführt hat, dass die bis heute relativ oft rezipierten Mittelalterforscher das Plündern gar nicht mehr als erforschenswert wahrgenommen haben. Die Quellenaussagen zum Plündern wurden erst aus der Sphäre der Staatlichkeit verbannt, um dann in der geschichtlich orientierten Verfassungsuntersuchung nur noch knapp thematisiert zu werden, wobei es aber weniger um die Untersuchung der Überlieferung ging, als vielmehr um die Plausibilisierung von gängigen Thesen und Kategorien (wie bei Bluntschli, Levy oder Lehmann) und um die Etablierung von rechtswissenschaftlichen Modellen (wie bei Gierke). Auch die damals innovativen anthropologischen Arbeiten stehen letztlich in diesem Zusammenhang, da sie die Volkskategorie ihren Annahmen zugrunde legte. Seltene Ausnahmen wie Benedix bestätigen, dass es sich bei den übrigen Arbeiten um repräsentative Regelfälle handelt. In der Zeit zwischen 1918 und 1939128 verschob sich allerdings der Akzent in der deutschen Geschichtsforschung mehr und mehr auf die Kategorie des Volkes.129 Die geschichtlich orientierte Volksforschung hatte sich schon vor dem Erfurter Historiker-
121 Vgl. Schumann, Historikertage: S. 203–210. Dazu auch Raßloff, Erfurt: S. 107–114. 122 Die Verflechtung der deutschen Historiker mit dem NS-Regime ist erst in der letzten Zeit vermehrt in den Blick geraten. Vgl. Jordan, Theorien: S. 84. Die Aufarbeitung der Verflechtung hat bis heute aufschlussreiche Beiträge geliefert. Überblickend Schöttler, Geschichtsschreibung: S. 7–31 und Schulze/Helm/Ott, Beobachtungen: S. 11–51. 123 Vgl. Schumann, Historikertage: S. 173–190. 124 Vgl. Graus, Verfassungsgeschichte: S. 558 f. 125 Vgl. Dopsch, Kulturentwicklung Bd. I: S. 1–48 und Dopsch, Kulturentwicklung Bd. II: S. 37–41; S. 97–99 und S. 293–294. 126 Vgl. Buchner, Dopsch: S. 178. 127 Vgl. Dopsch, Kulturentwicklung Bd. I: S. 92–94. 128 Tatsächlich war der deutsche Ethnozentrismus bereits um die Jahrhundertwende intensiver verbreitet und dies nicht nur in kleineren Kreisen. Vgl. Oberkrome, Varianten: S. 68. 129 Vgl. Oberkrome, Varianten: S. 68–71.
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tag 1937, auf dem Otto Brunner seine Revision bezüglich der rechtlich-theoretischen Grundbegriffe erstmals vortrug, als Forschungsrichtung etabliert.130 Das heißt: Die ältere Form der Verfassungsforschung war der Volksforschung nicht vollkommen fremd.131 Ein eindrucksvolles Dokument für diesen Bezug zwischen geschichtlicher Verfassungsforschung und geschichtlicher Volksforschung ist die Antrittsvorlesung von Heinrich Dannenbauer an der Universität Tübingen aus dem Jahr 1934.132 Es muss allerdings betont werden, dass sich die geschichtliche Volksforschung nicht einfach aus der „klassischen“ Verfassungsforschung herausbildete. Sie war vielgestaltig133 und einige ihrer Repräsentanten standen dem NS-Regime sehr nah.134 Walter Frank, der Leiter des „Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutsch-
130 Vgl. Oberkrome, Volksgeschichte: S. 90–200. 131 Tatsächlich ist die Volks-„Geschichte“ ebenso wenig wie die klassische Verfassungs-„Geschichte“ einfach ein spezifisches Methodenprogramm geschichtswissenschaftlicher Quellenforschung im heutigen Sinne. Diese Richtung war noch mehr als die Verfassungsforschung von Leitgedanken erfüllt und somit waren auch die in ihrem Rahmen betriebenen Quellenuntersuchungen funktional im Sinne eines Sammelsuriums von Ideen, die nie ausdrücklich und ausführlich formuliert worden sind, als dass sich von einer konkreten Theorie der Volksforschung sprechen lassen würde. Ober krome, Varianten: S. 71. Für die konkrete Verbindung von Verfassungs- und Volksforschung Grothe, Geschichte: S. 256–262. 132 „In jüngerer Zeit ist die Entdeckung gemacht worden, die deutsche Geschichtswissenschaft habe sich bisher in einer ungerechten Geringschätzung der Germanen und des eigenen Volkstums gefallen und in blinder Voreingenommenheit nur die Antike gelten lassen wollen. Wie verkehrt diese Meinung ist, weiß jeder Kundige. Ich möchte hier nur ein Beispiel anführen, das für viele gelten kann. Die Verfassung der germanischen Reiche der Völkerwanderungszeit, namentlich die des Fränkischen Reiches, aus der die Verfassung der meisten späteren europäischen Staaten erwachsen ist, gilt in der deutschen Wissenschaft immer noch überwiegend als germanischen Ursprungs und Wesens. Recht und Gericht, Heerwesen, Verwaltung und Wirtschaftsformen werden für rein germanisch, nicht von römischen Einrichtungen beeinflußt erklärt. Die deutschen Gelehrten des 18. Jahrhunderts waren anderer Ansicht gewesen. Aber seit anderthalb Jahrhunderten, seit Justus Möser und Karl Friedrich Eichhorn, hat diese Lehre sich in der deutschen Wissenschaft durchgesetzt und Georg Waitz und Heinrich Brunner haben ihr geradezu kanonisches Ansehen verschafft. Der Widerspruch, den bereits Heinrich von Sybel 1844 dagegen erhob, verhallte erfolglos; die germanistische Lehre beherrschte unumschränkt das Feld.“ Dannenbauer, Geschichtswissenschaft: S. 15 f. 133 Tatsächlich ist auch nicht von einer einheitlichen geschichtlichen Volksforschung zu sprechen, denn es lassen sich verschiedene Ansätze wie die „Kulturraumforschung“, die „Landesgeschichte“, aber auch die Arbeiten aus dem 1935 gegründeten und dem NS-Regime nahestehenden „Reichsin stituts für Geschichte des neuen Deutschlands“ unter „Volksgeschichte“ sammeln. Vgl. Jordan, Theorien: S. 87 ff.; Oberkrome, Varianten: S. 71–75 und S. 86–95; Schöttler, Volksgeschichte: S. 89–114 und Heiber, Frank. Den Ansätzen der geschichtlichen Volksforschung ist gemein, dass sie im Gegensatz zur geschichtlichen Verfassungsforschung nicht nur methodisch andersartig, sondern auch durch zeitgenössische Terminologie aufgeladen waren, die sie in die Nähe des Gedankengutes der Nationalsozialisten rückte. Vgl. Oberkrome, Volksgeschichte: S. 220 ff. und Haar, Geschichtswissenschaft: S. 215–240, bes. 223 und 224–226. Dazu Fahlbusch, NS-Volkstumspolitik: S. 241–264 und Mommsen, Ostforschung: S. 265–273. 134 Vgl. Oberkrome, Volksgeschichte: S. 22–41 und S. 87–99.
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lands“, versuchte 1937 auf dem Erfurter Historikertag größeren Einfluss auszuüben, indem er Mitglieder und dem Institut nahestehende Personen auf die Liste der Vortragenden setzte.135 Warum aber nicht diese, sondern Otto Brunner mit seinem Anliegen die deutschsprachige Mittelalterforschung und somit auch die Untersuchungen der Überlieferung zum Plündern im 5. und 6. Jahrhundert in Gallien nachhaltig beeinflussen konnte, wird im folgenden Abschnitt herauszuarbeiten sein.
1.2 Texte der deutschsprachigen Mittelalterforschung 1937 bis in die 1970er Jahre Mit dem Vortrag136 Otto Brunners137 auf dem 19. Deutschen Historikertag in Erfurt wurde in der deutschsprachigen Mittelalterforschung die Formulierung eines neuen Paradigmas eingeleitet:138 die Theorie der „germanischen Kontinuität“.139 Die Zustimmung140 zu den 1937 von Brunner vorgetragenen Revisionsbestrebungen zeigt deutlich, dass seine Thesen weniger innovativ als vielmehr ein Ausdruck einer weit verbreiteten Auffassung waren. Die Terminologie der Verfassungsforschung war bereits als defizitär erkannt.141 Otto Brunner sprach für seine Zeitgenossen Offenbares aus – ungewöhnlich war allein die Radikalität seiner Forderung.142 Ebenfalls typisch für seine Zeit war sein starkes Interesse an der geschichtlich orientierten Volksforschung.143 Daher ist auch verständlich, dass grundlegende Annahmen des neuen Paradigmas an denen des älteren Paradigmas anschließen und
135 Vgl. Schumann, Historikertage: S. 413–415. 136 Für den Text in schriftlicher Form Brunner, Territorien: S. 405–422. 137 Der Werdegang von Otto Brunner ist kontrovers diskutiert. Für die Nachzeichnung der Gedankenwelt Otto Brunners für die Zeit vor dem und während des Nationalsozialismus Jütte, Austrofaschismus: S. 237–262, bes. 253–261. Kritisch und zugleich konstruktiv gehen Otto-Gerhard Oexle und Reinhard Blänkner mit dem Werk Brunners um. Dazu Oexle, Wissenschaftsgeschichte: S. 305–341, bes. 310–337 und Blänkner, Brunners: S. 326–366. Für eine sachliche Kritik am Begriffsgebrauch Brunners siehe Algazi, Brunner: S. 182–186. Zusätzlich Pohl, Art. Herrschaft: S. 447–452; Pohl, Forschungsstand: S. 9–12 und Graus, Verfassungsgeschichte: S. 566–568. 138 Neben Otto Brunner hatte Otto Höfler Einfluss auf die Formation des neuen Paradigmas. Otto Höfler stand dem NS-Regime nahe. Er war Mitglied der NSDAP und arbeitete im SS-Ahnenerbe mit. Vgl. Beck, Art. Otto Höfler: S. 30 ff. Er hatte bereits 1934 mit seiner Habilitation einen Text veröffentlicht, der das Gedankengut der späteren Ausführungen zur „germanischen Kontinuität“ aufweist. Dazu Höfler, Geheimbünde Bd. I. Es erschien bis zu seinem Tode nur der erste Band. Höfler trug auf dem 19. Deutschen Historikertag in Erfurt ebenfalls vor. Vgl. Schumann, Historikertage: S. 413 f. 139 Vgl. Graus, Verfassungsgeschichte: S. 559–565 und Pohl, Forschungsstand: S. 9 ff. 140 Dazu und zu ihrer Kontinuität Algazi, Brunner: S. 166. 141 Vgl. Graus, Verfassungsgeschichte: S. 558 f. 142 Vgl. Oexle, Mittelalterhistoriker: S. 91–93. 143 „Nicht politische Geschichte als bloße Machtgeschichte, nicht Rechtsgeschichte, Wirtschaftsgeschichte usf., die in einem antipolitischen, liberalen Sinn im Sammelbegriff der Kulturgeschichte äußer-
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dazu zugleich Aspekte der geschichtlichen Volksforschung integrieren. Die Grenzen zwischen geschichtlicher Verfassungsforschung und der zu dieser Zeit populären geschichtlichen Volksforschung waren in der formativen Phase der „Neuen Deutschen Verfassungsgeschichte“ fließend.144 Die historische Gleichung „Germanisch = Deutsch“ wurde übernommen, wobei die Kategorie des Volkes als eines rassischsozialen Körpers in den Mittelpunkt gestellt wurde.145 Dessen Anfänge wurden bis in die Bronzezeit verlängert,146 was dazu führte, dass erneut nicht der Zeitraum die historische Forschung definierte, sondern der Gegenstand: das „germanisch-deutsche Volk“. Allerdings ergab die Forderung nach einer „Revision der Grundbegriffe“ methodische Notwendigkeiten, die über den Kreis der führenden Repräsentanten des sich neu formierenden Paradigmas hinaus reichte. Im Jahr 1938 erschien die von Hermann Schneider herausgegebene „Germanische Altertumskunde“. Die Autoren dieses Bandes befassen sich nicht nur mit Quellen aus dem Altertum, sondern auch mit Quellen aus dem Früh-, Hoch- und Spätmittelalter, wobei der Herausgeber ausdrücklich darauf verweist, dass der in seinem Band verwendete Germanenbegriff nicht derart ausgedehnt wurde, wie damals üblich gewesen sei.147 Kein Artikel behandelt die Überlieferung zum Plündern ausdrücklich. In zwei Beiträgen, beide von dem Philologen Hans Kuhn geschrieben, wird jedoch mehrfach auf Quellen zu Plünderungen – auch zur Zeit der Merowinger – eingegangen.
lich zusammengefasst werden, sondern Volksgeschichte heißt das Gebot der Stunde.“ Brunner, Land und Herrschaft 1939: S. 194. Zusätzlich Blänkner, Brunners: S. 348 f. 144 František Graus unterscheidet dabei zwei Richtungen der „neuen Lehre“. Er sieht einen Unterschied zwischen der am Charisma orientierten Richtung, die für ihn durch Otto Höfler maßgeblich vorangetrieben wurde und der auf ein Ordnungsdenken setzenden Richtung, die für ihn Otto Brunner begründet. Vgl. Graus, Verfassungsgeschichte: S. 568. Es scheint jedoch, dass diese zwei Richtungen für die frühe Phase der „Neuen Deutschen Verfassungsgeschichte“ nicht unterschieden werden können, da sie eigentlich untrennbar miteinander verbunden waren. Dazu Brunner selbst: „Otto Höfler hat in seiner Schrift „Das germanische Kontinuitätsproblem“ (1937) auf die Kontinuität der Rasse, der Sprache, die zugleich eine Kontinuität der Denkformen ist, und auf die Kontinuität entscheidender Gestaltungen der Volksordnung hingewiesen. Wir werden neben den von Höfler ausführlich behandelten Bünden die Kontinuität des Landes und der Herrschaft, des Reiches, das ursprünglich Königsherrschaft ist, wie der Landesherrschaft und der Stadt- und Grundherrschaft nennen dürfen. Das Wesen von Land und Herrschaft kann trotz tiefgreifender Wandlungen nur aus germanischen Wurzeln verstanden werden.“ Brunner, Land und Herrschaft 1939: S. 510 f. 145 Vgl. Brunner, Land und Herrschaft 1939: S. 507–512. Dazu Oexle, Mittelalterhistoriker: S. 96 f. und Oberkrome, Varianten: S. 71 f. 146 Vgl. Höfler, Kontinuitätsproblem: bes. S. 9–15. In kritischer Opposition zu Otto Höfler, aber trotzdem in einer Zustimmung zu einer ausgedehnten Verlängerung der „germanischen Kontinuität“ Aubin, Kontinuität: S. 258–261. Zu diesem weit verbreiteten Vorgehen, welches offenbar an die Ideen Arthur de Gobineaus anschließt von See, Germanen-Ideologie: S. 56–59. 147 Vgl. Schneider, Vorwort: S. VII.
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In seinem Beitrag „Kriegswesen und Seefahrt“ grenzt Kuhn den Beutezug als Kriegsweise vom „Volkskrieg“ ab.148 Dabei sind für Kuhn die Quellen zu den „Germanen“ des Altertums und zur Wikingerzeit am aussagekräftigsten, ohne dass deshalb die frühmittelalterlichen Quellen zu den Franken ganz außer Acht gelassen werden.149 Kuhn ordnet einzelne Aussagen aus den Quellen bei und geht kaum chronologisch vor, so dass eher die Kategorie des „germanischen Kriegswesens“ inhaltlich spezifiziert wird, als dass eine quellenkritische Untersuchung erfolgt. An diesem methodischen Vorgehen ist zweierlei bemerkenswert: Der erste Aspekt betrifft den Kontinuitätsgedanken. Kuhns Vorgehen hat offensichtlich definitorische Effekte. Das ihn interessierende Kriegswesen ist intern untergliedert in weitere Kategorien und eine davon ist der Beutezug, die als „privater Krieg“ bezeichnet wird. Einzelne Aussagen aus der Überlieferung werden also diesen Kategorien zugeordnet und es wird auf diese Weise suggeriert, die so spezifizierten Kategorien erfassen kontinuierlich existierende historische Phänomene, die als „typisch germanisch“ aufzufassen seien.150 Dieses Vorgehen ist nicht von einer extremen zeitlichen Ausweitung des Germanenbegriffs bedingt; aber das zuordnende Verfahren führt zu einer theoretischen Ebene des „Germanischen“, auf der mit Kontinuitätsannahmen operiert wird: Andernfalls könnten Quellenaussagen von Autoren wie Caesar oder Tacitus unter der Kategorie des „Beutezugs“ kaum mit Quellenaussagen zu den Wikingern vereint werden? Kuhns Vorgehen war nicht neu. Zu erinnern ist an den Umgang mit der Volkskategorie im 19. Jahrhundert. Relativ neu ist aber das allgemeine Interesse an dieser Kategorie, die in den 1930er und 1940er Jahren im Zentrum stand. Damit hängt nun der zweite Aspekte zusammen. Der beiordnende Umgang mit den Quellen führt nicht etwa zu einer quellenkritischen Betrachtung, sondern zu einer Theoretisierung des Materials, die die Chance bietet, eine Art Theorie des „Sozialen der Germanen“ zu generieren. Kuhn selbst formuliert dies zwar nicht explizit. Doch schafft er mit der Beiordnung von Quellenaussagen eine Art der Spezifizierung der Kategorien – und diese sind Angebote, um das Quellenmaterial hinsichtlich der Überlieferung zu den „Germanen“ weiter zu erfragen. Nicht die Quellentexte, sondern der Begriff von ihnen steht im Vordergrund. Der methodische Umgang Kuhns mit den Quellen ändert sich auch in seinem Beitrag über „Sitten und Sittlichkeit“ nicht. Die Kategorie des „Beutezuges“ wird hier in Beziehung zur „Gefolgschaft“ gebracht.151 Die angesprochenen Gefahren seines Vorgehens zeigen sich deutlich in Kuhns Bemerkungen zur Beuteverteilung. Für ihn muss die gewonnene Beute immer erst zusammengetragen werden, um dann wieder
148 Vgl. Kuhn, Art. Kriegswesen und Seefahrt: S. 99. 149 Vgl. ebd.: S. 100. 150 Vgl. ebd.: S. 99. 151 Vgl. Kuhn, Art. Sitte und Sittlichkeit: S. 213 ff.
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verteilt werden zu können.152 Es entsteht der Eindruck, diese Art der Verteilung sei „die germanische“ Verteilungspraktik; und implizit wird dabei behauptet, dass es sich um eine historisch konstante Art der Verteilung handele – wird doch das Sozialleben der „Germanen“ über Jahrhunderte – wenn auch nicht über Jahrtausende – als kontinuierlich aufgefasst. Es fällt dabei auf, dass das Vorgehen Ergebnisse hervorbrachte, die älteren wie denen von Bluntschli diametral entgegenstehen. Bei genauer Betrachtung kann zudem festgestellt werden, dass Hans Kuhn hinsichtlich der Plünderungsüberlieferung durchaus auch auf ältere Deutungsschemata zurückgreift. Zwar ist der Beutezug als privater Krieg für ihn ein gewöhnlicher Teil des „germanischen“ Soziallebens; aber Folge wurde den Anführern nicht wegen der Chance auf Erwerb geleistet. Die abgrenzende Definition der „Gefolgschaft“, die Georg Waitz vorgenommen hatte, wird zwar aufgehoben und auf das ökonomisch motivierte Organisieren von Folgeleistungen erweitert.153 Aber auch die auf der Basis ökonomischer Interessen entstandenen „Gefolgschaften“ bestehen für Kuhn letztlich auf Grund von Treue.154 Das methodische Vorgehen hat also ganz offenbar dazu beigetragen, dass eine systematische Untersuchung der Quellenaussagen zum Plündern zwischen der Mitte des 5. und dem Ende des 6. Jahrhunderts in Gallien fehlt. Da ein solches methodisches Vorgehen für die Zeit nicht untypisch war, vertieft sich die Differenz zwischen den Quellen und der durch die Vertreter der „Neuen Deutschen Verfassungsgeschichte“ generierten Theorie immer mehr. Im Jahr 1939 publizierte Otto Brunner sein Hauptwerk „Land und Herrschaft“. Brunner geht darin ausdrücklich auf die von ihm 1937 angesprochenen Probleme der Grundbegriffe der älteren Verfassungsforschung ein.155 Er verknüpfte die Forderung, quellenimmanente Worte für die Untersuchung der Quellen zu verwenden, mit dem Kontinuitätsgedanken.156 Mit seiner Forderung lieferte Brunner der methodischen Debatte einen immensen Vorschub.157 Er ging bei seiner Forderung allerdings sehr konkret auf die Volksforschung ein,158 wobei er die Kontinuitätsidee und den Fokus auf das „germanischdeutsche Volk“ miteinander verband. So konnte Brunner Raubzüge im Rahmen spätmittelalterlicher Fehden in ein Kontinuum mit den Plünderungsüberlieferungen
152 Vgl. Kuhn, Art. Kriegswesen und Seefahrt: S. 111. 153 Vgl. Kuhn, Art. Sitte und Sittlichkeit: S. 213. 154 Vgl. ebd.: S. 214. 155 Vgl. Brunner, Land und Herrschaft 1984: S. 132–194. 156 Vgl. ebd.: S. 507–512. 157 Vgl. Oexle, Wissenschaftsgeschichte: S. 316–321. 158 Dies auch in seinem im Jahr 1939 veröffentlichten Aufsatz „Moderner Verfassungsbegriff und mittelalterliche Verfassungsgeschichte“. Vgl. Brunner, Verfassungsbegriff: S. 513–528, bes. 513–514.
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früherer Zeiten stellen.159 Dabei tat Otto Brunner genau das, was er selbst gefordert hatte: Er substituierte die Grundbegriffe der älteren Verfassungsforschung. Dafür löste Brunner quellenimmanente Worte aus den sie definierenden Kontexten.160 Das von ihm angesprochene Problem des Hineintragens unpassender Termini in die Deutung der Quellen war damit allerdings durchaus nicht gelöst.161 Das Problem besteht darin, dass die reine Substituierung der Grundbegriffe – auch durch quellenimmanente Wörter – nicht davor bewahren kann, eine theoretische Ebene zu kreieren,162 auf der die herausgelösten Wörter dann spezifiziert werden müssen. Dies tat Brunner jedoch nicht durchweg.163 Allerdings – und dies ist aus heutiger Perspektive wichtig – spezifizierte Brunner „Herrschaft“. Dem auf diese Weise entstandenen Konzept wurde eine Zentralstellung zugewiesen164 und die Theorie der „germanischen Kontinuität“ gewann an Form. Letztlich ersetzte damit ein Paradigma nur ein anderes, wobei das neuere Paradigma, gerade weil er versuchte, terminologisch Nähe zu den Quellen zu wahren, weit problematischer war als das ältere: Zum einen suggerierten die den Quellen entnommenen Wörter, es seien tatsächlich auf
159 Vgl. Brunner, Land und Herrschaft 1939: S. 97 f. Um jeden Zweifel daran, dass Otto Brunner sich hierbei auf die alten „Germanen“ bezieht, auszuräumen, sei darauf verwiesen, dass er in der Anmerkung 253 die Monographien von Karl Weinhold und von Karl Lehmann als Belege für die von ihm angenommene Ursprünglichkeit anführt. 160 Vgl. Algazi, Brunner: S. 176. 161 Vgl. Pohl, Forschungsstand: S. 9–12 und Pohl, Art. Herrschaft: S. 447–452. Tatsächlich ist das Wort „Herrschaft“ für das 5. und 6. Jahrhundert sogar ein Anachronismus. Vgl. Kroeschell, Haus: S. 18 f. und Patzold, Staat: S. 136. 162 Vgl. Algazi, Brunner: S. 187. 163 Vgl. ebd.: S. 184 f. 164 Vgl. Brunner, Land und Herrschaft 1939: S. 505. Zwar schreibt Brunner, dass zu erfragen ist, was das „Wesen“ von „Herrschaft“ sei. Vgl. Brunner, Land und Herrschaft 1939: S. 276. Er hält dann aber fest, dass „Treue und Huld, Schutz und Schirm, Rat und Hilfe“ das „Wesen“ der „Herrschaft“ ausmachen. Vgl. Brunner, Land und Herrschaft 1939: S. 505. Insofern ist „Herrschaft“ sehr wohl inhaltlich bestimmt worden, auch wenn „Wesen“ und die übrigen Worte als unspezifisch erkannt wurden. Vgl. Algazi, Brunner: S. 183 ff. Zur Kritik an Wesens- oder Realdefinitionen Esser/Hill/Schnell, Methoden: S. 51 f. Brunner gab im Prinzip aber gar keine Wesensdefinition, auch wenn er das Wort „Wesen“ gebraucht. Das Definiendum „Herrschaft“ wurde mit dem Definiens „Treue und Huld, Schutz und Schirm, Rat und Hilfe“ gefüllt, was selbstredend aus heutiger Sicht äußerst inkonsistent erscheint. Sein Vorgehen wird in der quantitativen Sozialforschung als Konzeptspezifikation gefasst. Vgl. Esser/ Hill/Schnell, Methoden: S. 128. „Herrschaft“ ist in dieser theoretischen Beschaffenheit für das Erfragen von Folgeleistungen problematisch: „Herrschaft“ kann Quellenaussagen zu sozialen Beziehungen – um das Problem aus einer anderen Perspektive deutlich zu machen – labelförmig überdecken. „Herrschaft“ beschreibt nicht, sondern determiniert Aussagen zu sozialen Beziehungen, wobei dann zu fragen ist, ob diese auch auf der Deutungsebene mit „Herrschaft“ adäquat gefasst sind. Fragen nach dem Wie von „Herrschaft“ sind aber Fragen nach dem Wie von sozialen Beziehungen; und bevor sie beantwortet werden können, bereits in einer Art Zirkelschluss mit „Herrschaft“ zu antworten, erscheint doch äußerst problematisch für eine Untersuchung der Quellen.
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wissenschaftliche Weise kontinuierlich existierende Aspekte des „germanischen“ Soziallebens erfasst worden. Dass sich hinter den Wörtern jedoch spezifizierte theoretische Konzeptionen Brunners verbargen, wurde anfänglich übersehen.165 So wurde die Überlieferung (und auch die Quellenaussagen zu Plünderungen in Gallien) erneut von einem Paradigma vereinnahmt; und wieder wurden quellenkritische Untersuchungen erschwert, indem vorgefasste Konzepte die Interpretationsweisen der Quellen determinieren. Hatten Quellenuntersuchungen im Rahmen der geschichtlich orientierten Verfassungsforschung noch für die Konstituierung von Annahmen zu „Staat“ und „Recht“ funktioniert, so wurden sie nun zu einer Funktion einer sozialhistorischen Theorie, deren Repräsentanten sich paradoxerweise um Quellennähe bemühten und der sozialwissenschaftlichen Forschung ihrer Zeit meist kritisch gegenüber standen.166 Auch wenn die umstrittene Frage, inwieweit die geschichtliche Volksforschung die Sozialgeschichte in Westdeutschland beeinflusst hat, kaum ohne Widerspruch zu beantworten sein wird,167 ist aber kaum zu übersehen, dass einige Vorstellungen der geschichtlichen Volksforschung in der Mittelalterforschung in modifizierter Form adaptiert wurden.168 In der zunehmenden Betonung der problematischen Volkskategorie drückte sich nämlich eine Art Entfesselung des Sozialen aus, die nicht nur durch die Formierung der Sozialwissenschaften, sondern auch in der immer mehr Interessen bindenden Volksforschung Ausdruck fand. Ihre Bedeutung für die Sozialwissenschaften im deutschsprachigen Raum kann nicht übersehen werden.169
165 Das ist den beteiligten Akteuren wie Brunner erst im Nachhinein auch aufgefallen. Vgl. Brunner, Sozialgeschichte: S. 8. 166 Vgl. Brunner, Land und Herrschaft 1939: S. 141–143 und S. 188–189. Zu den Bezügen zwischen der geschichtlichen und der sozialwissenschaftlichen Volksforschung erneut Klingemann, Verschmelzung: S. 34–63. 167 Die Diskussion über die Beeinflussung wird aktuell noch offen geführt. Carsten Klingemann vertritt die These, es habe eine Beeinflussung der Sozialgeschichte in Westdeutschland durch die geschichtliche Volksforschung gegeben. Vgl. Klingemann, Verschmelzung: S. 57–62. Gegen diese Ansicht von Klingemann argumentiert Blänkner. Vgl. Blänkner, Brunners: S. 330–333. Überblickend Oberkrome, Volksgeschichte: S. 19 ff. 168 Dies geschah, indem das Sozialleben der „Germanen“ in der geschichtlichen Forschungsperspektive betont worden ist. „Germanen“ sind aber primär keine „politische“ oder „ökonomische“ historische Figuration, sondern eine „soziale“ und die Fragen nach dem „Wie“ des „Germanischen“ wurden mit Konzepten und den für sie konstitutiven Theoremen zu beantworten versucht. Dazu Brunner 1956 selbst Brunner, Sozialgeschichte: S. 7 f. Zusätzlich Oberkrome, Volksgeschichte: S. 220 ff. 169 Tatsächlich ist eine Parallele des Begriffsgebrauchs von Historikern und den Vertretern der „Deutschen Soziologie“ wie Hans Freyer oder Gunther Ipsen nachvollziehbar. Vgl. Schreiner, Wissenschaft: S. 173. Hierin besteht erneut ein Argument dafür, von einer Volksforschung auszugehen, die geschichtswissenschaftlicher oder sozialwissenschaftlicher Ausprägung sein konnte. Vgl. Oberkrome, Volksgeschichte: S. 183–211.
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Mit Hans Naumann170 und Richard von Kienle171 veröffentlichten noch im Jahr 1939 zwei Autoren Monographien zu den sozialen Formen der „Germanen“, die beide die Bedeutung der Treue für das Leisten von Folge im Rahmen der „Gefolgschaft“ betonen und sie dabei als ein historisches Phänomen ausweisen.172 Dass die durch Otto Brunner beförderte Revision aber relativ schnell breiten Anklang fand, verdeutlicht die 1941 erschienene Rezension seines Hauptwerkes durch den Rechtshistoriker Heinrich Mitteis. Dieser war von Brunner für seine Forschungsmeinungen angegriffen worden,173 reagierte aber trotzdem recht positiv auf die Revisionsbestrebungen und sah die Monographie als zukunftsweisend an.174 Um 1940 waren die Kernthese einer personalisierten „Herrschaft“ und einige der Konzepte der „germanischen Kontinuität“ (zu denen die „germanische Gefolgschaft“, das „Sakralkönigtum“175 und der „Personenverbandsstaat“176 gehören) erarbeitet und etabliert.177 Das neue Paradigma wurde aber nicht ohne jede Kritik angenommen. So äußerte 1943 Hermann Aubin seine Bedenken.178 Hier übte jemand, dessen Aussagen durchaus mit zeitgenössisch-rassischem Denken kompatibel waren,179 Kritik an der „germanischen Kontinuität“. Einigen der an der Konzeption des Paradigmas beteiligten Personen wie Theodor Mayer oder Otto Höfler ist zwar ganz außer Frage eine enge
170 Dazu Naumann, Gefolgschaftswesen. 171 Dazu von Kienle, Gemeinschaftsformen. Dieser Titel entstammt dem „Deutschen Ahnenerbe“. Die nationalsozialistische Anschauung kann also hier nur eingewirkt haben. Vgl. von Kienle, Gemeinschaftsformen: S. III. 172 Vgl. Naumann, Gefolgschaftswesen: S. 7–30, bes. 9 und von Kienle, Gemeinschaftsformen: S. 139–163. 173 Vgl. Brunner, Verfassungsbegriff: S. 515–517. 174 Vgl. Mitteis, Bemerkungen: S. 255 f. 175 Zum Konzept „Sakralkönigtum“ und zu der Debatte über die damit verbundne Problematik überblickend Anton/Beck/Bronisch/Diesenberger/Erkens/Goltz/Köhler/Körntgen/von Padberg/Pesch/ Pohl/Steuer/Sundqvist, Art. Sakralkönigtum: S. 179–320. 176 Dazu Pohl, Art. Personenverbandsstaat: S. 614–618. 177 Vgl. Graus, Verfassungsgeschichte: S. 568 und Patzold, Staat: S. 133–136. 178 Vgl. Aubin, Kontinuität: S. 258–262. 179 Vgl. Graus, Verfassungsgeschichte: S. 569. Sehr wohl kulminierte rassisches Denken in der geschichtlichen Volksforschung. Was nur nicht übersehen werden sollte, ist, dass verschiedene rassische Denkweisen zugleich in der Theoriedebatte über die „germanischen Kontinuität“ vor 1945 eingegangen sind. Auch die Ideologie des Nationalsozialismus ist eine historische Figuration, in der differente rassistische Ideen artikuliert worden sind. Rassisches Denken musste zur Zeit des Nationalsozialismus demnach nicht immer gleich sein Vgl. von See, Germanen-Ideologie: S. 103. Dazu auch von See, Das „Nordische“: S. 11 f. Dieser Beitrag zeigt zudem, dass das Paradigma nicht ohne weiteres einfach in die Nähe der nationalsozialistischen Ideologie gebracht werden kann, da Aubin, der den Aufstieg der Volksgeschichte in den 1930er Jahren förderte, selbst rassistische Aussagen klar nachgewiesen werden können. Für rassistische Aussagen Aubin, Kontinuität: S. 244–262. Für die Förderung Mühle, Aubin: S. 463–479. Für den Wandel Hermann Aubins nach 1945 auch Oexle, Mittelalterhistoriker: S. 101.
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Nähe zu der nationalsozialistischen Partei nachzuweisen180 und auch Otto Brunner stand dem NS-Regime schon in den 1930er Jahren nahe.181 1944 war er Mitglied der NSDAP.182 Trotzdem ist die Theorie aber nicht einfach als nationalsozialistisches Gedankengut zu bezeichnen:183 In ihr sind Ansätze und Denkweisen der geschichtlichen Verfassungs- und der geschichtlichen Volksforschung erkennbar,184 wobei das „Soziale“ nicht nur durch den Bezug auf das „germanisch-deutsche Volk“ gegeben war, sondern auch in Theoremen wie dem Charisma- oder dem Treuetheorem, die zur Begründung von Folgeleistungen herangezogen wurden. Daher kann die Theorie als eine Art Vorläufer der Sozialgeschichte des Mittelalters angesehen werden;185 vor allem die Konzeptspezifikation, die für die Genese der Leitkonzepte genutzt worden ist, erscheint aus heutiger Sicht „soziologisch“.186 Das Ende des Zweiten Weltkrieges im Jahr 1945 und die Beseitigung des NSRegimes waren keine Zäsur für die deutschsprachigen Geschichtswissenschaften.187 Zwar wurden einige ihrer Vertreter aus dem Universitätsdienst entfernt. Die meisten kehrten aber relativ rasch wieder in ihre Positionen zurück.188 Auch an den verschiedenen Konzepten der „germanischen Kontinuität“ wurde festgehalten.189 Besonders das Konzept der „Gefolgschaft“ wurde noch weiter spezifiziert,190 was zu einer
180 Vgl. Weinfurter, Mediävistik: S. 12–18. Für eine Übersicht siehe die Beiträge in Schulze und Oexle (Hg.), Nationalsozialismus. Zusätzlich Moraw, Bemerkungen: S. 124–130. 181 Vgl. Jütte, Austrofaschismus: S. 245 f. 182 Vgl. Blänkner, Brunners: S. 337. 183 Vgl. Schneidmüller, Verfassungsgeschichte: S. 488 ff.; Blänkner, Brunners: S. 363–366; Oexle, Paradigmenwechsel: S. 48 ff. und von See, Das „Nordische“: S. 8–13. 184 Vgl. Blänkner, Brunners: S. 340–363. Reinhard Blänkner erkennt, dass Brunner vor seinem Interesse an geschichtlicher Volksforschung bereits strukturanalytisch geforscht hat. Es sollte in diesem Kontext aber nicht außer Acht gelassen werden, dass der ältere Verfassungsbegriff aus der „klassischen“ Phase der geschichtlich orientierten Verfassungsforschung ebenfalls weit umfangreicher war und schon Strukturen meinen konnte. Vgl. Grothe, Geschichte: S. 32. 185 In diesem Sinne Borgolte, Sozialgeschichte: S. 477. 186 Zu diesem Vorgehen in den quantitativen Sozialwissenschaften Esser/Hill/Schnell, Methoden: S. 128. Darauf folgt die Operationalisierung der spezifizierten Konzepte. Beide Verfahren sind für die Genese von Theorien grundlegend wichtig. Esser/Hill/Schnell, Methoden: S. 11. 187 Vgl. Nagel, Mittelalterforschung: S. 24 ff. 188 Vgl. Kocka, Bundesrepublik: S. 345 f. 189 Dies liegt auch daran, dass nach 1945 versucht wurde, zu einer „historischen Objektivität“ im Sinne Leopold von Rankes zurückzukehren. Dazu Muhlack, Ranke: S. 11–36. Besonders plädierte Theodor Mayer für diese Rückbesinnung. Er war Gründer des „Konstanzer Arbeitskreises“ und durch seine Handlungen zur NS-Zeit belastet. Vgl. Petersohn, Konstanzer Arbeitskreis: S. 271–273 und Nagel, Mittelalterforschung: S. 156–186. Zur Person auch Weinfurter, Mediävistik: S. 13 f., bes. 13, Anm. 23. Dazu Moraw, Bemerkungen: S. 103–138. Offenbar war nicht vollkommen erkannt worden, dass das Herauslösen der quellenimmanenten Worte und die seit den 1940er Jahren verstärkt betriebene definitorische Arbeit an den Grundbegriffen zur Genese einer Theorie geführt hatten. Vgl. Pohl, Forschungsstand: S. 12. 190 Dazu Schlesinger, Gefolgschaft: S. 135–190.
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äußerst intensiven Debatte über das Paradigma der „Neuen Deutschen Verfassungsgeschichte“ insgesamt führte. Treue hatte in ihrer für das Gefolgschaftskonzept konstituierenden Bedeutung bereits eine über hundertjährige Kontinuität, als Walter Schlesinger191 im Jahr 1953 seine beachtete192 Definition des Gefolgschaftskonzepts veröffentlichte.193 In diesem Aufsatz operationalisierte194 Schlesinger auch „Herrschaft“ und verband das Konzept mit dem der „Gefolgschaft“.195 Zuerst aber zum Treuetheorem: Die „Treue“ ist für Walter Schlesinger das Prinzip der „Gefolgschaft“ schlechthin.196 So erkennt er auch in den auf Beute ausgerichteten Gemeinschaften, die er besonders in der Völkerwanderungszeit zusehen vermeinte, Gemeinschaften, die durch Treue bestehen.197 Auch geht er von einer „germanischen Treue“ aus, die allerdings erst im Jahr 1954 durch Wolfgang Fritze vertiefend spezifiziert wurde.198 Zugleich waren Walter Schlesinger
191 Er wird in der Tradition von Otto von Gierke und Otto Brunner gesehen. Vgl. Wenskus, Gefolgschaft: S. 312 und Kristensen, Gefolgschaft: S. 4. Dazu Walter Schlesinger selbst (Randbemerkungen: S. 37). 192 Vgl. Schulze, Grundstrukturen Bd. I: S. 40 und Kroeschell, Art. Gefolgschaft: Sp. 1991–1995; Landolf/Steuer/Timpe, Art. Gefolgschaft: S. 533–554 sowie von Olberg-Haverkate, Art. Gefolgschaft: Sp. 1171–1172. Zur internationalen Rezeption Bazelmans, Conceptualising: S. 91–129. 193 „Auf freiwilliger Unterordnung Freier unter einen Herrn zu kriegerischem Zweck beruht die Gefolgschaft. […] Unter Gefolgschaft wird im folgenden ein Verhältnis zwischen Herrn und Mann verstanden, das freiwillig eingegangen wird, auf Treue gegründet ist und den Mann zu Rat und (kriegerischer) Hilfe, den Herrn zu Schutz und „Milde“ verpflichtet. Es entstand nicht ein Verhältnis des Vorgesetzten zum Untergebenen, das Gehorsam erforderte.“ Schlesinger, Gefolgschaft: S. 145. 194 Zum methodischen Vorgehen der Operationalisierung Esser/Hill/Schnell, Methoden: S. 129 f. Hierbei werden beobachtbare Sachverhalte den Merkmalen, die ein spezifiziertes Konzept umfasst, zugeordnet. Es geht also um die Zuweisung der Bereiche, in denen „Herrschaft“ im Mittelalter indiziert ist. Schlesinger tut dies, indem er die Bereiche, in denen „Herrschaft“ im Mittelalter vorkommt, festlegt. Dabei wird allerdings die Konzeptspezifikation von „Herrschaft“ durch Otto Brunner auf die „Gefolgsherrschaft“ und das für die „Gefolgschaft“ konstitutive Treuetheorem übertragen. Vgl. Schlesinger, Gefolgschaft: S. 145. Somit wird das Konzept „Herrschaft“ inhaltlich entleert und zugleich in differente Arten durch eine Art der attributiven Zuweisung aufgeteilt. Vgl. Schlesinger, Gefolgschaft: S. 135. Diese werden im Verlauf des Aufsatzes in Kausalverhältnisse gesetzt. Schlesinger, Gefolgschaft: S. 140–190, bes. S. 142 f.; S. 151; S. 161; S. 163; S. 167; S. 169 f.; S. 172; S. 177 ff; S. 185 und S. 187. Somit ist „Herrschaft“ kein einheitliches Konzept, sondern als Zentralbegriff Projektionsfläche für unterschiedliche Annahmen: Viele Quellenaussagen zu Sozialbeziehungen bilden scheinbar „Herrschaft“ ab. Dadurch wird die Frage notwendig, was „Herrschaft“ überhaupt ist. Nach Brunner ist sie ein Gegenseitigkeitsverhältnis. Dazu gibt es mehrere Beispiele. Überblickend mit Kritik Algazi, Herrengewalt: S. 97 ff. Auch Schlesinger geht davon aus, wobei dieses Verhältnis mit Theoremen wie „Treue“ und „Charisma“, aber auch mit „Huld“, „Schutz und Schirm“ sowie „Rat und Hilfe“ konstituiert wird. Vgl. Brunner, Land und Herrschaft 1939: S. 343 f. und S. 505 und dazu kritisch Althoff, Huld: S. 259–282. 195 „Die Herrengewalt des germanischen Altertums ist, soweit sie über bloße Hausherrschaft hinausgeht, Gefolgsherrschaft, die ihrerseits mit der Hausherrschaft in engem Zusammenhang steht. In gewisser Weise sogar aus ihr erwächst.“ Schlesinger, Gefolgschaft: S. 151. 196 Ausdrücklich Schlesinger, Randbemerkungen: S. 36. 197 Vgl. Schlesinger, Gefolgschaft: S. 151. 198 Vgl. Fritze, Schwurfreundschaft: S. 85.
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und Otto Höfler bemüht, die Konzepte des „germanischen Sakralkönigtums“199 und des „germanischen Heerkönigtums“200 zu spezifizieren. Insgesamt lässt sich nüchtern feststellen: Die neuen wissenschaftlichen Konzepte wurden durch die Übernahme althergebrachter Deutungen und Theoreme spezifiziert. Einer kritischen Untersuchung der Quellen war dies jedoch nicht dienlich. Die für einige der Konzepte konstitutiven Theoreme des Charismas und der Treue begründeten die Folgeleistungen allein. Das Plündern blieb auch jetzt weitgehend unbeachtet. Die mit dem methodischen Vorgehen verbundene Problematik für die Untersuchung von Quellen wurde besonders durch zwei Aspekte noch weiter befördert: Zum einen wurde weiterhin nicht zwischen quellenimmanenten Aussagen und -zusammenhängen sowie theoretischen Konzepten unterschieden. Zum anderen wurde von Schlesinger die Hypothese eines Kausalzusammenhangs etabliert: „Gefolgsherrschaft“ ist für ihn – nicht etwa als ein geschichtswissenschaftliches Konzept, sondern als ein historisches Phänomen (!) – aus der „Hausherrschaft“ entstanden.201 Dabei übertrug er die Spezifikation des Herrschaftskonzepts von Otto Brunner weitgehend auf die „Gefolgsherrschaft“ – und damit auf das konstitutive Treuetheorem des Gefolgschaftskonzepts.202 Aus der „Gefolgsherrschaft“ resultieren dann nach Schlesinger wieder weitere Bereiche, in denen „Herrschaft“ vorzufinden sei.203 Das führt schließlich dazu, dass „Herrschaft“ im Mittelalter fast überall vorzufinden ist.204
199 Dazu Höfler, Sakralcharakter: S. 75–104. Der Text wurde zuerst im Jahr 1954 auf der Meinau vorgetragen. 200 Dazu Schlesinger, Heerkönigtum: S. 105–143. Der Text wurde zuerst im Jahr 1954 auf der Meinau vorgetragen. 201 Vgl. Schlesinger, Gefolgschaft: S. 147–151. 202 Hierzu erneut die Definition des Gefolgschaftskonzepts Schlesinger, Gefolgschaft: S. 145. Dazu vgl. Brunner, Land und Herrschaft 1939: S. 505. 203 Dazu gibt es mehrere Beispiele: „Zu weltgeschichtlicher Bedeutung ist der Herrenstand im Frankenreiche als Keimzelle des Abendlandes gekommen. Grundlage der Macht des fränkischen Herrenstandes ist das seit der Wanderzeit fortbestehende Gefolgschaftswesen gewesen.“ Schlesinger, Gefolgschaft: S. 161. „Die Adelsherrschaft hat sich im fränkisch-deutschen Reiche neben dieser gesteigerten Königsherrschaft stets zu behaupten vermocht.“ Schlesinger, Gefolgschaft: S. 167. „Den Herrenstand strebte der König zu verbeamten, […] Der Geburtsadel wird zum Dienstadel umgestaltet.“ Schlesinger, Gefolgschaft: S. 169. „Das Band, das den Adel mit dem König verknüpfte, war ursprünglich das der Gefolgschaftstreue gewesen.“ Schlesinger, Gefolgschaft: S. 172. „Sie [die Herrschaft des Adels kraft eigenen Rechts] ist Herrschaft über Land und Leute.“ Schlesinger, Gefolgschaft: S. 178. Besonders deutlich hier: „Die Herrengewalt des Adels über Land und Leute ist, wenn der Gedankengang, dem wir verfolgten, richtig ist, erwachsen aus Hausherrschaft und Gefolgsherrschaft. Aus Hausherrschaft und Gefolgsherrschaft erwuchs aber auch die Herrengewalt des Königs, […] Wir gelangen aus diese Weise zu der Vermutung einer sehr alten, einheitlichen Herrengewalt, die, vielfach gefolgschaftlich gestaltet, sich als Herrschaft über Land und Leute ausprägte und erst in verhältnismäßig später Zeit in die Königsherrschaft und Adelsherrschaft auseinandertritt.“ Schlesinger, Gefolgschaft: S. 185. 204 Walter Schlesinger erkennt sehr wohl auch Bereiche genossenschaftlicher Interaktion. Beispielsweise Schlesinger, Gefolgschaft: S. 135 f.; S. 140 f.; S. 147 und S. 159.
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Mit dieser Operationalisierung des Herrschaftskonzepts205 wurde das Konzept nicht etwa zu einer analytischen Variable, sondern zu einem theoretischen Faktor.206 Anders als bei Hans Kuhn wurden hier nicht einfach Quellenaussagen beigeordnet. Vielmehr wurde das zu untersuchende Material durch die Operationalisierung des Herrschaftskonzepts schon vorab determiniert: „Herrschaft“ erzeugt aufgrund der angenommenen Kausalität erst die Bereiche, in denen „Herrschaft“ vorkommen soll. Dieser Begriff von „Herrschaft“ dient mehr als Projektionsfläche für verschiedene Annahmen denn als ein inhaltlich spezifiziertes Konzept: Es gab nicht einfach die „Herrschaft“, sondern verschiedene Arten von „Herrschaft“. Das verdeutlichen auch die attributiven Zuweisungen Walter Schlesingers gleich zu Beginn seines Aufsatzes,207 wobei „Herrschaft“ als solche letztlich in vielen Bereichen indiziert seien soll.208 Auch das förderte Fragen nach der Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen nicht. Die Debatte über das Gefolgschaftskonzept begann dann 1956 mit dem Aufsatz „Die Grenzen der germanischen Gefolgschaft“, der von dem bereits erwähnten Philologen Hans Kuhn publiziert wurde. Auch er erkannte nicht, dass die von Schlesinger vorgenommene Interpretation der Überlieferung zu einer Konzeptspezifikation einer „Gefolgschaft“ geführt hat, die nichts anderes war, als ein wissenschaftliches Konzept. Ihm ging es vielmehr um die Zuweisung der Bedeutung jener Phänomene, die Schlesinger für die – nach Kuhns Verständnis – Definition von „Gefolgschaft“ herangezogen hatte.209 Seiner Ansicht nach kann der von Schlesinger intendierte institutionelle Charakter des historischen Phänomens „Gefolgschaft“ nicht belegt werden.210 Außerdem seien Gefolgschaften Erscheinungen von kurzer Dauer gewesen211 und nicht unbedingt als rein „germanisch“ aufzufassen.212 Überdies zieht Kuhn in Erwägung, dass auch unfreie Diener einem Herren Folgeleistungen erbrachten, was indirekt ein Angriff auf das konstitutive Treuetheorem ist.213 Für Kuhn besteht nämlich
205 Vgl. Esser/Hill/Schnell, Methoden: S. 129 f. Dazu ausdrücklich Schlesinger, Gefolgschaft: S. 185. 206 Vgl. Pohl, Art. Herrschaft: S. 446. 207 Gleich zu Beginn seines Aufsatzes schreibt Schlesinger: „Das deutsche Mittelalter kennt vielerlei Art von Herrschaft.“ Schlesinger, Gefolgschaft: S. 135. Darauf geht er dann auf das „Wie“ dieser Arten der Herrschaft ein. Vgl. Pohl, Art Herrschaft: S. 447. Gerade die Ausführungen Schlesingers zu „Munt“ und die damit verbundene „Hausherrschaft“ sollten später als unhaltbar erwiesen werden. Zu diesen Ausführungen Schlesinger, Gefolgschaft: bes. S. 135–145. 208 „Wir gelangen aus diese Weise zu der Vermutung einer sehr alten, einheitlichen Herrengewalt, die, vielfach gefolgschaftlich gestaltet, sich als Herrschaft über Land und Leute ausprägte und erst in verhältnismäßig später Zeit in die Königsherrschaft und Adelsherrschaft auseinandertritt.“ Schlesinger, Gefolgschaft: S. 185. 209 Vgl. Kuhn, Gefolgschaft: S. 3. 210 Vgl. ebd: S. 31–34. 211 Vgl. ebd.: S. 52 ff. 212 Vgl. ebd.: S. 77 ff. 213 Vgl. ebd.: S. 4–7.
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in der Beuteverteilung ein wichtiger Aspekt der Genese von Gemeinschaften, die einem Akteur auf Dauer Folge leisteten.214 Er argumentiert, dass aus einem Beutezug erst eine „Gefolgschaft“ werden konnte, wenn die Beute dafür eingesetzt wurde. Das heißt, dass die Praktik des Plünderns hier als Argument gegen das Gefolgschaftskonzept gebraucht wird. Abseits der sich anbahnenden Grundsatzdebatte in der Mittelalterforschung wurden im Jahr 1957 gleich zwei Monographien veröffentlicht, deren Autoren sich dezidiert zu den Quellen zum 5. und 6. Jahrhundert in Gallien in Bezug auf das Plündern äußern. Die Dissertation des Juristen Johann Georg Helm weist viele Parallelen zu älteren Arbeiten auf. Helm, der auch die Quellen aus dem nordeuropäischen Hochmittelalter berücksichtigt, erkennt das Plündern als eine Erwerbsweise,215 die auch durch die Annahme des Christentums nicht eingeschränkt wurde.216 Die Passagen in den decem libri historiarum über das Plünderungsverbot König Chlodwigs I.217 begreift Helm als Beleg für den Versuch des Königs, die Anerkennung der Menschen in Aquitanien zu gewinnen.218 Insgesamt ist festzuhalten, dass Helm die Quellen nicht deutet; es geht ihm vielmehr um eine weitläufige Entwicklung, bei der er sich auf die „Germanen“ bezieht. Dabei werden chronologisch nicht zusammenhängende Quellen ohne systematische Auswertung unter dem Begriff „Germanen“ zusammengeführt. Anders steht es um die Monographie „Der Krieger der Merowingerzeit und seine Welt“ des schweizer Historikers Jean-Pierre Bodmer. Sie ist weder von juristischen Termini geprägt noch irgendeinem theoretischen Modell und dem damit verbundenen Sprachgebrauch untergeordnet.219 Auch Bodmer erkennt, dass Plündern eine Erwerbsweise war, und stellt den Krieg als das chancenreiche Medium dieses Erwerbs heraus.220 Auf knapp vierzig Seiten widmet sich Bodmer den Quellenaussagen zum Plündern. Bezeichnenderweise greift er dabei auf keinen der Titel zurück, die bisher angeführt worden sind,221 und arbeitet sehr quellennah. Bodmer stellt heraus, dass die frühmittelalterliche Überlieferung zu militärischen Operationen fast nie ohne den Bezug zur Beute auskommt, und sieht darin ein starkes
214 Vgl. Kuhn, Gefolgschaft: S. 6. 215 Vgl. Helm, Rechtsstellung: S. 32. 216 Vgl. ebd.: S. 32. 217 Greg. hist.: 2.37. 218 Vgl. Helm, Rechtsstellung: S. 35. 219 Vgl. Bodmer, Krieger: S. 9–11. 220 Bodmer weiter: „An die Vorstellung des kriegerischen Erfolgs knüpfte sich automatisch die Vorstellung der reichen Beute.“ Bodmer, Krieger S. 78. Erneut schreibt Bodmer: „Es gibt in dem von uns untersuchten Zeitabschnitt kaum einen Krieg, der nicht auch das Gepräge der Räuberei trüge. So summarisch die einzelnen Kriegshandlungen geschildert sind, fast nie fehlt die Erwähnung der Beute.“ Bodmer, Krieger: S. 80. Dazu auch Bodmer, Krieger: S. 69. 221 Vgl. Bodmer, Krieger: S. 68–111. Bei der Durchsicht der Anmerkungen findet sich kein Verweis auf die bisher angeführten Untersuchungen.
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Argument dafür, dass Plünderungen üblich waren.222 Als verbreitete Erwerbsweise ist das Plündern eine sozioökonomische Praktik, die von Bodmer als ein Aspekt von Folgeleistungen betrachtet wird.223 Da es ihm aber nicht vornehmlich um die Praktik des Plünderns, sondern um die Welt des merowingischen Kriegers geht, wird die Quellenlage zum Plündern durch dieses primäre Interesse Bodmers gefiltert untersucht: Eine systematische Analyse der Praktik des Plünderns fehlt auch hier. Bedeutsam ist sein Beitrag daher als eine Sammlung vieler Quellenstellen; nicht so sehr aufgrund der Systematik der Untersuchung. Das, was Georg Waitz bereits 1844 festgestellt hat, wird spätestens mit der Untersuchung überdeutlich: Es gibt sehr viele frühmittelalterliche Belegstellen zum Plündern in Gallien und das Plündern war relevant, um Folgeleistungen zu organisieren. Damit sagt Bodmer aber nichts vollends Neues. Besonders Georg Waitz und Karl Lehmann hatten schon zuvor einzelne Aspekte der von Bodmer dargelegten Zusammenhänge formuliert. Auch hierin ist die Bedeutung der Monographie zu sehen, da das Fehlen eines Bezugs Bodmers auf die genannten Autoren zeigt, dass die Quellenlage selbst die Möglichkeit liefert, die angeführten Zusammenhänge von Plünderungen und Folgeleistungen zu erkennen. Am Ende der 1950er Jahre war in der Bundesrepublik die Debatte um das Gefolgschaftskonzept und die damit verbundene Infragestellung der Grundannahmen der „germanischen Kontinuität“ weiter akut. 1959 lieferte František Graus einen Beitrag, der aus der Retrospektive betrachtet bereits alle Argumente enthält, die später die Verteidiger des Paradigmas verstummen ließen. Er bestreitet nicht, dass es Treuephänomene bei den „Germanen“ gibt, doch hält er sie nicht für spezifisch „germanisch“. Demnach gibt es für ihn keine „germanische Treue“, sondern nur Treue bei den „Germanen“. Zudem hält er fest, dass nicht nur Treue wichtig war, sondern auch die Beuteverteilung als Aspekt von Folgeleistungen nicht außer Acht gelassen werden darf.224 Graus argumentiert hierbei ähnlich wie zuvor Hans Kuhn. In Bezug auf die Kontinuitätsannahme bemerkt Graus, dass sich die Treue bis in das Hochmittelalter gewandelt habe.225 Für ihn ist Treue auch kein rechtshistorisches, sondern ein kulturhistorisches Phänomen.226 Er unterscheidet also ausdrücklich zwischen den Phänomenen, der Interpretation dieser Phänomene und dem daraus resultierenden Annahmen.227 Dadurch führt er neue argumentative Ebenen in die Debatte ein. Jedoch führte langfristig nicht allein die Debatte über das Gefolgschaftskonzept zum Niedergang des Paradigmas. Er war vielmehr von seinem Beginn an angelegt: Dies verdeutlichen die Änderungen in der vierten Auflage von „Land und Herrschaft“,
222 Vgl. Bodmer, Krieger: S. 68. 223 Vgl. ebd.: S. 69–74. 224 Vgl. Graus, Treue: S. 119 f. 225 Vgl. ebd.: S. 107–120. 226 Vgl. ebd.: S. 74. 227 Vgl. ebd.: S. 121.
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die 1959 erschien. Neben der Streichung von rassistischen Formulierungen228 fällt auf, dass Brunner das Wort „Volk“ durch das Wort „Struktur“ ersetzt hat. Wichtiger für die Beantwortung der Frage des Literaturteils ist die zweitgenannte Änderung,229 die auch im Kontext der Debatte um Brunners Nachkriegsgesinnung230 thematisiert wurde: Warum hat Brunner gerade das Wort Struktur zur Substitution von „Volk“ verwendet? Die ältere geschichtliche Verfassungsforschung der Mitte des 19. Jahrhunderts hatte einen weiten Verfassungsbegriff, der über das Verständnis der Verfassung in einem rein rechtlichen Sinne hinausgriff.231 Seine Verengung auf einen rein politisch verstandenen Verfassungsbegriff ergab sich erst aus den Debatten gegen Ende des 19. Jahrhunderts, während parallel dazu um 1900 die Volksforschung etabliert wurde, die eben nicht nur geschichtswissenschaftlich war.232 Brunner bezog sich bei seiner Revision zum einen auf die Terminologie, die schon länger in Gebrauch war als der enge, politikgeschichtliche Verfassungsbegriff, und zum anderen auf die Volksforschung, die er als volksgeschichtliche Forschung233 betrieben wissen wollte. In dieser Präferenz liegt die Erklärung dafür, warum jemand, der sich mit dem Spätmittelalter befasst, eine „germanische Kontinuität“ propagierte: Mit „Volk“ war für Brunner offenbar ein über die Wandlungen der Epochen hinausreichender Faktor geschichtlicher Forschung gefunden.234 In diesem Sinne erscheint Brunners Forderung nach einer Revision der Grundbegriffe als eine Revolution im Wortsinn – eine Rückkehr – zu dem älteren, indif-
228 Vgl. Algazi, Brunner: S. 186. 229 Zum einen wird der Austausch nicht als Indikator für einen Wandel in seiner methodischen wie theoretischen Programmatik gesehen. Dabei ist unzweifelhaft, dass der bloße Austausch von einzelnen Worten den inhaltlichen Sinnzusammenhang einer Monographie nicht ändert. Vgl. Algazi, Brunner: S. 182–186. Dazu Oexle, Wissenschaftsgeschichte: S. 325 f. Siehe zur Problematik des Werks Otto Brunners im Allgemeinen Oexle, Mittelalterhistoriker: S. 93. Zum anderen wird in dem Austausch eine Rückkehr Brunners verstanden. Zusammenfassend Blänkner, Brunners: S. 340–363. 230 Vgl. Oexle, Wissenschaftsgeschichte: S. 321–327. Dazu die Kritik gegenüber Otto Brunner nach dem Jahr 1945 Algazi, Brunner: S. 166 und S. 186 sowie Jütte, Austrofschismus: S. 239 und S. 262. Zur Kritik Fernand Braudels an Otto Brunner Oexle, Wissenschaftsgeschichte: S. 321–324. Zur harten und radikalen Kritik von Hans-Ulrich Wehler an ihm Blänkner, Brunners: S. 335. 231 Vgl. Grothe, Geschichte: S. 32. 232 Vgl. Schreiner, Wissenschaft: S. 171 ff. Dazu Klingemann, Verschmelzung: S. 34–63. 233 Brunner brachte mit dem erwünschten Primat nicht direkt rassistische Projektionsflächen ein, denn das Revisionsanliegen war eher ein Befreiungswunsch von älteren Operativbegriffen. Ausdrücklich Brunner, Verfassungsbegriff: S. 513. Die fast durchweg positive Resonanz auf seine methodischen Vorstellungen machten die Projektionsflächen bis zum Niedergang des NS-Regimes aber annehmbarer. Vgl. Blänkner, Brunners: S. 347–349. 234 Die Revision der Grundbegriffe ging für ihn mit der Notwendigkeit anderer Termini einher. Auf diese Weise sei der „innere Bau“ des Mittelalters zu begreifen. Beispielsweise Brunner, Land und Herrschaft 1939: S. 193–194. Das moderne Denken in differenzierten Bereichen wie „Politik“, „Wirtschaft“ und „Gesellschaft“ war nach seiner Ansicht für die Deutung der Quellen nur hinderlich. Beispielsweise Brunner, Land und Herrschaft 1939: S. 149–158.
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ferenteren Verfassungsbegriff, aber ohne die ursprünglich damit verbundenen Annahmen: Ein „Staat aus dem germanisch-deutschen Volk“ interessierte Brunner weniger als der „innere Bau“ des Mittelalters;235 aber was anderes als eine Frage nach Struktur oder nach Ordnung stellt dieses Interesse dar? Was Brunner jedoch übersah, war, dass eine Extrahierung quelleninterner Wörter diese aus ihren definitorischen Kontexten löste,236 so dass die Extrakte nichts anderes waren als Worthülsen, die inhaltlich gefüllt werden mussten, um für das Begreifen des „inneren Baus“ überhaupt zu funktionieren. Tatsächlich wurde vielmehr ein „neuer Bau“ – um im Bild zu bleiben – errichtet und dies weniger von Brunner selbst als von anderen (wie Walter Schlesinger oder Otto Höfler), denn Brunner befasste sich selbst kaum mit dem Frühmittelalter.237 Dass er die Problematik, die sich aus dem Spannungsfeld zwischen historischen Quellentexten und zeitgebundener Sprache ergibt, sehr wohl erkannt hatte, steht außer Frage;238 doch auch seine strukturgeschichtliche Forschung konnte dieses Problem nicht lösen. Es ist weiter ein Problem der mediävistischen Geschichtswissenschaft geblieben.239 In den 1960er Jahren hatte die Debatte um die Theorie der „germanischen Kontinuität“ ihren Höhepunkt. 1961 wurde eine nachwirkende Monographie veröffentlicht, die den Fokus von der Kontinuität auf den Wandel mit ihrer zunehmenden Rezeption verschob. Bereits der Titel „Stammesbildung und Verfassung. Das Werden der frühmittelalterlichen Gentes“ verdeutlicht, dass es Reinhard Wenskus nicht einfach um Kontinuität ging. Auch wenn die Nähe zu den Konzepten der „Neuen Deutschen Verfassungsgeschichte“ unübersehbar ist, lieferte die Monographie Argumente gegen die grundlegende Idee einer Kontinuität des „Germanischen“ und der damit verbundenen Annahme der Einheitlichkeit dieses „Germanischen“.240 Vielmehr operiert auch Wenskus mit diesen Konzepten, wobei er anhand des „Stammes“ die Mehrdeutigkeit eines der Konzepte demonstriert.241 Nach seiner Ansicht sind genügend Belege für ein „Sakralkönigtum“ vorhanden, wobei er nur Literatur und keine Quellen zitiert.242
235 Die Waitz interessierende „Verfassung“ lässt sich als die geschichtliche, soziopolitische Struktur des germanisch-deutschen Volkes bezeichnen. Vgl. Böckenförde, Forschung: S. 130–132. 236 Vgl. Algazi, Brunner: S. 186 ff. 237 Vgl. Blänkner, Brunners: S. 347 f. 238 Vgl. Oexle, Wissenschaftsgeschichte: S. 327–337. 239 Vgl. Schneidmüller, Verfassungsgeschichte: S. 491–493; Oexle, Paradigmenwechsel: S. 50–55 und Weinfurter, Mediävistik: S. 15–30. 240 Vgl. Wenskus, Stammesbildung: S. 340; S. 347 ff. und S. 354. 241 Vgl. ebd.: S. 14–113. 242 „Vergleichen wir die Zeugnisse der schriftlichen Quellen über die Verfassung einzelner indogermanischer Gruppen, so ergeben sich einige übereinstimmende Züge. Fast überall wird die Abstammung des Königs und seines Geschlechts von den Göttern oder halbgöttlichen Heroen behauptet; der König […] ist Träger eines Charismas, […].“ Wenskus, Stammesbildung: S. 311. Reinhard Wenskus belegt diese Aussagen mit einer einzigen Anmerkung (254), die nur Literatur enthält. In dem Kapitel über „Das archaische Sakralkönigtum und die Anfänge herrschaftlicher Züge in der Verfassung“ verwendet Wenskus
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Auch den Überlegungen Schlesingers zum „Heerkönigtum“ stimmt Wenskus zu.243 Im Fall des Gefolgschaftskonzepts – das Wort „Gefolgschaft“ ist für ihn ein Ordnungsbegriff der Forschung244 – vertritt Wenskus ebenfalls die Meinungen Schlesingers: Die Treue ist auch für ihn eine prinzipielle Grundlage der „Gefolgschaft“,245 die auch er nicht nur als ein Theorem, sondern als ein historisches Phänomen versteht.246 Das Plündern allerdings thematisiert Reinhard Wenskus kaum. Da für ihn die „Gefolgschaft“ auf Treue beruht, verwendet er für die Gemeinschaften, die sich aus einem Interesse an Beutegewinn durch Plünderungen zusammenfanden, den von Hans Kuhn eingebrachten Terminus „Heerhaufen“.247 Da der „Heerhaufen“ als eine Art Vorform der „Gefolgschaft“ aufgefasst wird,248 vollzieht sich bei ihm Ähnliches, wie bei Georg Waitz 100 Jahre zuvor: Ökonomisch motivierte Zusammenschlüsse werden nicht als „Gefolgschaften“ aufgefasst, da sie nicht auf „Treue“ beruhen. Der Unterschied liegt darin, dass die Differenzierung in diesem Fall definitorisch festgelegt wird. Festzuhalten ist also: Wenskus zog zwar die Idee einer „germanischen Kontinuität“ weiter in Zweifel, doch stellte er die bereits zuvor debattierten Konzepte der Theorie eigentlich nicht in Frage. Die Debatte intensivierte sich 1962 als František Graus das Charismatheorem, das für die Erklärung von Folgeleistungen genutzt wurde, unter Bezug auf die Quellenlage zur Zeit der Merowinger in Gallien angriff.249 Auch „Herrschaft“ wurde dadurch – wenn auch indirekt – in Frage gestellt.250 Walter Schlesinger reagierte auf diesen und die anderen kritischen Beiträge ein Jahr später mit einem Aufsatz, in dem er die Ansichten von Hans Kuhn und František Graus zu widerlegen sucht. Zwar erkennt Schlesinger nun den Verweis auf die Bedeutung der unfreien Dienstmannschaft für den Herrschaftsaufbau an, bezeichnet aber die Deutungen Kuhns als Überinterpretationen.251 Die These, die „Gefolgschaft“ sei von den Kelten zu den „Germanen“ gekom-
insgesamt relativ zu den Literaturbelegen weniger Quellenbelege. Vgl. Wenskus, Stammesbildung: S. 305–314. Hierin liegt die Gefahr begründet, dass etablierte Meinungen einfach übernommen und nicht kritisch behandelt werden. 243 Vgl. Wenskus, Stammesbildung: S. 313, Anm. 267. 244 „So sehr es angebracht ist, beide Formen begrifflich scharf zu unterscheiden, rechtfertigen die Gemeinsamkeiten doch wohl die Unterordnung unter einen Oberbegriff. Da der Begriff der Gefolgschaft ein moderner Ordnungsbegriff ist und auch rein sprachlich kein Grund vorliegt, ihn ausschließlich der von Tacitus beschriebenen Hausgefolgschaft vorzubehalten, sehen wir keinen Grund, den Heerhaufen und die Hausgefolgschaft nicht unter dem Sammelbegriff der Gefolgschaft zusammenzufassen.“ Wenskus, Stammesbildung: S. 348. 245 Vgl. Wenskus, Stammesbildung: S. 354 und S. 363. 246 Vgl. ebd.: S. 346 f. Dies erscheint im Kontext durchaus widersprüchlich. 247 Vgl. ebd.: S. 361. 248 Vgl. ebd.: S. 349. 249 Vgl. Graus, Volk: S. 313–334. Dazu auch Weinfurter, Mediävistik: S. 28. 250 Vgl. Schneidmüller, Verfassungsgeschichte: S. 496. 251 Vgl. Schlesinger, Randbemerkungen: S. 23.
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men, ist für ihn chronologisch problematisch;252 letztlich aber gleichgültig.253 Gegen die Idee der Kurzlebigkeit der „Gefolgschaft“ verwehrt er sich ganz.254 Graus hingegen greift Schlesinger stärker an, da für ihn „Treue“ das Prinzip der „Gefolgschaft“ schlechthin ist.255 Er erkannte die Gefahr der Thesen von Graus für die Lehre seiner Zeit256 und führte viele verschiedene Belege an, um das Theorem zu retten. Abschließend gelangt er zu der Meinung, dass die „germanische Treue“ eine Todesbereitschaft eingeschlossen habe und „Treue“ ein Rechtsbegriff der „Germanen“ gewesen sei.257 Graus antwortete 1966 auf diese Arbeit mit einem weiteren Aufsatz über „Treue und Herrschaft“, in dem er sich bemüht, seinen Standpunkt zu verdeutlichen: Auf Treue fußende Verbindungen sind für ihn auch für „germanische“ Gemeinschaften evident. Er behauptet allerdings, dass diese Treue nicht typisch „germanisch“ war und sich unter christlichen Einflüssen entwickelte.258 Die von Wolfgang Fritze gegebene Definition der „germanischen Treue“, auf die Walter Schlesinger zuvor positive Resonanz gegeben hatte,259 ist für Graus nur eine Festlegung eines besonderen Treuebegriffs, aber nicht das textimmanent zu erschließende Phänomen einer „germanischen Treuepflicht“.260 Für ihn ist in einem „zweiseitigen Schuldverhältnis“261 nicht ein typisches, sondern ein allgemeines Treueverhältnis auszumachen.262 Im zweiten Teil seines Aufsatzes offenbart Graus dann, dass ihm die Tragweite seiner Kritik durchaus bewusst ist: Er greift mit dem Theorem über die „germanische Treue“ einen der Eckpfeiler der „germanischen Kontinuität“ an.263 Die Kritik an dem Theorem zielt also auf die Basis der Lehre der „Neuen Deutschen Verfassungsgeschichte“, deren Repräsentanten gar nicht anders konnten, als sie essentiell abzulehnen. In diesem Zusammenhang merkt Graus eher beiläufig an, dass bei der „Gefolgschaft“ auch der Anteil an der zu erwartenden Beute eine große, wenn nicht gar die ausschlaggebende Rolle gespielt habe.264 1968 wurden dann erneut die grundlegenden Überlegungen zum Begriff der „Herrschaft“ innerhalb der „Neuen Deutschen Verfassungsgeschichte“ hinterfragt. In
252 Vgl. Graus, Herrschaft: S. 23 f. 253 Vgl. ebd.: S. 26. 254 Vgl. ebd.: S. 32 ff. 255 Vgl. Schlesinger, Randbemerkungen: S. 36. 256 Vgl. ebd.: S. 42. 257 Vgl. ebd.: S. 55 ff. 258 Vgl. ebd.: S. 7 und bes. 15–18. 259 Vgl. ebd.: S. 38 f. und S. 42. 260 Vgl. Graus, Herrschaft: S. 7. 261 Vgl. Fritze, Schwurfreundschaft: S. 85. 262 Vgl. Graus, Herrschaft: S. 7. 263 Vgl. ebd.: S. 19 f. 264 Ausdrücklich schreibt er: „Stets spielen dabei [der Gefolgschaft] die Macht des Herren, Gaben, die er seinen Mannen gibt und der Anteil an der zu erwartenden Beute eine große, wenn nicht gar die ausschlaggebende Rolle.“ Graus, Herrschaft: S. 13.
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der Monographie „Haus und Herrschaft“ wird das Problem der Konzeptspezifikation für geschichtswissenschaftliche Forschungen konkretisiert.265 Karl Kroeschell zieht die Herkunft der „Gefolgschaft“ aus dem privaten Bereich des Hauses in Zweifel. Er zeigt, dass der Hausbegriff nicht ausreicht, um die Ursprünge der „Gefolgschaft“ zu erfassen,266 und übt Kritik an Heinrich Dannenbauer,267 auf den sich auch Schlesinger bezogen hatte.268 Aufschlussreich zeichnet Kroeschell die Diskussion über die Terminologie seit dem Revisionsanliegen Otto Brunners nach und verdeutlicht, dass auch die Terminologie der „Neuen Deutschen Verfassungsgeschichte“ Defizite besitzt, die in einer – gar nicht gewollten – Loslösung vom Quellenmaterial bestehen. Bei ihrer Aufbereitung für die Theorie der „Neuen Deutschen Verfassungsgeschichte“, so Kroeschell, sind die Wörter aber zu rein theoretischen Termini geworden, die eine Interpretation der Quellen eher erschweren.269 Der Beitrag Kroeschells bildete einen Endpunkt der Debatte um die Tragfähigkeit und Brauchbarkeit der Konzepte der „Neuen Deutschen Verfassungsgeschichte“. Eine konkrete Antwort auf die Infragestellungen durch Kuhn, Graus, Kroeschell und andere270 folgte nicht mehr. Selbstverständlich verloren die Konzepte und ihre Zusammenhänge den Status der „herrschenden Lehre“ nicht sofort;271 doch konnten die Vertreter der „Neuen Deutschen Verfassungsgeschichte“ den Verlust der Integrationskraft ihrer Theorie nicht verkennen, wie Karl Bosl 1973 in einem offenen Brief zu Walter Schlesingers 65. Geburtstag schrieb.272 Andere Ansätze wurden verfolgt: Reinhard Wenskus sah in der Ethnosoziologie Chancen.273 Im einschlägigen Aufsatz vertritt auch er die These, dass auch das Plündern für das Organisieren von Folgeleistungen relevant war.274
265 „Wird das begriffliche Rüstzeug des modernen Historikers auf diese Weise durch die Quellen in Frage gestellt, so ergibt sich, dass die Kategorien der verfassungsgeschichtlichen Forschung nicht minder historisch bedingt sind als die Systematik der klassischen Rechts- und Verfassungsgeschichte. Das moderne Verständnis des Verhältnisses von Herrschaft und Freiheit, Vorstellungen wie die von Treue und Gefolgschaft, die Begriffe von Sippe und Haus oder das wirtschaftliche Verständnis der Stadt – sie alle sind selbst historische Phänomene, deren geschichtliche Bedingtheit bewusst gemacht werden muss.“ Kroeschell, Haus: S. 52 f. 266 Vgl. Kroeschell, Haus: S. 46. 267 Dazu Dannenbauer, Herrschaft: S. 1–50. 268 Vgl. Schlesinger, Gefolgschaft: S. 143 ff. 269 Vgl. Kroeschell, Haus: S. 49 f. 270 Überblickend Schneidmüller, Verfassungsgeschichte: S. 493–500 und Weinfurter, Mediävistik: S. 20–32. 271 So ist Irsigler noch in der zweiten, erweiterten Auflage seiner Monographie zum frühfränkischen Adel aus dem Jahr 1981 die Tragweite der Debatte offenbar nicht zu Gänze bewusst. Irsigler, Untersuchungen 1981: S. 53. 272 Dazu Bosl, Reflexionen: S. 3–15, bes. 11–14. 273 Dazu Wenskus, Ethnosoziologie: S. 19–46, bes. 19–22. 274 Vgl. ebd.: S. 39. Das Konzept „Gefolgschaft“ war mindesten ab diesem Zeitpunkt entleert. Daher ist „Gefolgschaft“ aus heutiger Sicht problematisch: Ihr institutionellen Charakter ist eine reine
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Walther Kienast versuchte 1978 noch die Angriffe von Graus zurückzuweisen. Für ihn ist weiterhin die herrschende Meinung, dass „Treue“ grundlegend sei für die „germanische Gefolgschaft“.275 Für Kienast bleibt zudem „germanisch“ ein qualitativer Terminus – und er bemerkt nicht, dass seine Qualität eine theoretische ist,276 der Terminus selbst thesenförmig bleibt und daher auch die Debatte im Kern darum geführt wurde, die theoretische Ebene von derjenigen der Quellen zu trennen. Bei seiner Kritik an den Arbeiten von Graus geht Kienast auch auf dessen Bemerkung ein, dass durch Plünderungen erlangte materielle Güter und Ressourcen für das Leisten von Folge bedeutend seien. Er gibt dabei zwar ihre Relevanz zu, banalisiert aber zugleich diesen Aspekt.277 Die Aussage erinnert an Waitz, der zwar die Quantität der Belege zu Plünderungen in Spätantike und Frühmittelalter sah, das Plündern aber nicht als wichtig für die Erforschung der Verfassung erfasste. Die Kritik der Gegner der „germanischen Kontinuität“ führte die Repräsentanten der „Neuen Deutschen Verfassungsgeschichte“ dazu, die „germanische Treue“ als „Rechtsbegriff“, und nicht als eine ethnische Konstante zu verteidigen. Auch der Hinweis, dass „Treue“ nicht nur als rechtshistorisches Phänomen, sondern auch als kultur- oder sozialhistorische Erscheinung, untersucht werden kann, stellte eine sinnvolle Erweiterung der Forschungsperspektive dar. Insgesamt legte die Debatte über die Theorie der „germanische Kontinuität“ das methodische Vorgehen und die theoretischen Aspekte der „Neuen Deutschen Verfassungsgeschichte“ vollständig
Hypothese, und die „Treue“ ist ein Theorem, das für die Erklärung der Fragen nach dem „Warum“ von Folgeleistungen fungierte. Sind aber Fragen nach dem „Warum“ der Folgeleistungen nicht weit aufschlussreicher für das Verständnis frühmittelalterlicher Beziehungen als Fragen danach, was „Gefolgschaft“ ist und was nicht? Selbst das Argument, Tacitus habe die fundamentalen Aspekte geschildert, die in irgendeiner Weise kontinuierlich bis in das Frühmittelalter bestanden hätten, kann heute nicht mehr benutzt werden, denn Tacitus war bereits der erste Konstrukteur eines Konzepts, das differente Phänomene und Informationen subsumiert und er comitatus nannte. Dazu Timpe, „Germania“: S. 502–526. 275 Vgl. Kienast, Treue: S. 269–281. Er sieht in der „germanischen Treue“ vielmehr eine ausgesprochene Rechtspflicht und belegt seine Ansicht später mit etymologischen Beobachtungen von Klaus von See und einer Quellenuntersuchung von Karl Kroeschell aus dem Jahr 1969. Vgl. Kienast, Treue: S. 314. Dazu Kroeschell, Treue: S. 465 ff. und von See, Rechtswörter: S. 204–221. Liest man diese Passage, wird deutlich, dass von See eben keine Rechtlichkeit des Treuebegriffs in seiner etymologischen Entwicklung in den nordeuropäischen Sprachen erkennt. Der Verweis von Kienast ist daher durchaus verwunderlich. Kienast geht – auch wenn die beiden Forscher Beiträge zur Widerlegung der Gültigkeit von Konzepten der „germanischen Kontinuität“ liefern – soweit, festzuhalten, dass „Treue“ ein strikt formaler Rechtsbegriff bei den „Germanen“ gewesen sei. Vgl. Kienast, Treue: S. 307 und S. 315. Tatsächlich gesteht Kienast aber auch ein, dass es ein „germanisches“ Rechtswesen nicht gab. Nur „urgermanische“ Rechtsgewohnheiten seien in den Quellen zu fassen. Vgl. Kienast, Treue: S. 277. Wie es dann entwicklungsgeschichtlich zu dem von ihm attestierten strengen, formalen Charakter der rechtlich verpflichtenden „Treue“ bei den „Germanen“ gekommen ist, beantwortet er aber nicht. 276 Vgl. Kienast, Treue: S. 269. 277 Vgl. ebd.: S. 265.
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offen. Deren Konzepte waren in ihrer Gesamtheit Ausdruck einer Theorie, die es eher erschwerte, quellennah und quellenkritisch zu arbeiten. Was unter „Germanen“ getan wurde, ist sehr bezeichnend, auch weil der Begriff seit dem 19. Jahrhundert für die deutschsprachige Forschung sehr wichtig war: Unter „Germanen“ wurden Quellen aus unterschiedlichen Räumen und Zeiten versammelt. Man erfährt, was „Germanen“ sein sollen, was für sie typisch sei und was sie ausmachte. Es geht um die „Germanen in der Geschichte“ und kaum um die „Geschichte der Germanen“. Die Idee der Kontinuität war gegenüber quellenimmanenten Wandlungen begünstigt. Über Quellen erfährt man bei diesem Ansatz selbstredend weniger. Der Streit um die Geschlossenheit der Theorie sowie um ihre Theoreme und Konzepte zeigt dies deutlich, da Plünderungen gerade wegen der spezifischen Erklärweise von Folgeleistungen durch „Charisma“ und „Treue“ nur argumentativ gegen diese Theoreme gebraucht werden konnten. Die überkommenen Konzepte wurden aber auch jetzt noch nicht konsequent aufgegeben. Das sollte sich bis in die jüngere Vergangenheit auswirken.
1.3 Texte der deutschsprachigen Mittelalterforschung von den 1970er Jahren bis zum Anfang des 21. Jahrhunderts Seit den 1970er Jahren verlor das in seinen Grundlagen hart umkämpfte Paradigma zunehmend seinen Stellenwert. Die Emanzipation von dem Paradigma verlief jedoch allmählich und auf mehreren Ebenen.278 Eine Darlegung dieser Emanzipation ist aus mehreren Gründen erschwert: Sie ist erstens nicht über den Gegenstandsbereich des Sozialen herzustellen. So verstand beispielsweise Franz Irsigler den von ihm gewählten Ansatz zur Untersuchung des frühfränkischen Adels als sozialgeschichtlich,279 bediente sich aber der Konzepte der „Neuen Deutschen Verfassungsgeschichte“.280 Er wies sich dennoch nicht als einer ihrer Repräsentanten aus, sondern grenzte sich gegen die geschichtliche Verfassungsforschung ab.281 Wie dieses Beispiel zeigt, ist die Rezeption der Theorie der „germanische Kontinuität“ kein Anzeichen für eine Differenzierung, denn die Theorie war die erste ausführlich formulierte sozialgeschichtliche Theorie deutschsprachiger Mittelalterforschung. Zweitens kann auch die Hinwendung zu regionalgeschichtlichen Studien nicht als Indikator für eine Differenzierung zu älteren Ansätzen geltend gemacht werden, da die Landesgeschichte ihre formierenden Impulse bereits vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs erhalten hat.282 Drittens setzte in den 1970er
278 Vgl. Weinfurter, Mediävistik: S. 20–32. 279 Vgl. Irsigler, Untersuchungen 1969: S. 37 f. 280 Beispielsweise ebd.: S. 228 f. 281 Vgl. ebd.: S. 60. 282 Vgl. Jordan, Theorien: S. 89 f. und Oberkrome, Volksgeschichte: S. 56–73.
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Jahren eine Rezeption disziplinfremder Theorien und Konzepte ein. Eine Wende hin zu soziologischen Forschungsbeiträgen283 und der „Historischen Anthropologie“284 ist feststellbar.285 Sie wurden auch für die Erforschung von Quellen aus dem Frühmittelalter nutzbar gemacht.286 Viertens lieferten methodische Innovationen – wie die Prosopographie287 – für die hier interessierende Zeit288 neue Ergebnisse.289 Parallel dazu verlief fünftens eine Auseinandersetzung über den Strukturbegriff in den Geschichtswissenschaften,290 ohne dass sechstens die von Otto Brunner angestoßenen Überlegungen zu einer angemessen Terminologie ganz aufgegeben worden wären.291 Dies alles berücksichtigend ist eine allmähliche, vielschichtige Emanzipation vom Paradigma der „Neuen Deutschen Verfassungsgeschichte“ seit den 1970er Jahren zu erkennen.292 Was bedeutet das aber für die Frage nach dem Fehlen von systematischen Untersuchungen zum Plündern in Gallien im 5. und 6. Jahrhundert? Festzustellen ist, dass die Relevanz von materiellen Gütern und Ressourcen für das Organisieren von Folgeleistungen bereits zu Beginn der 1970er Jahre nicht nur als ein Argument gegen andere, Folgeleistungen begründende Ideen, eingebracht wurde.293 Im Jahr 1972 schrieb Reinhard Schneider, dass „Heer“ und „Hort“ die wesentlichen „Machtmittel“294 der merowingischen Könige seien.295 Schneider, der Quellen zu den langobardischen und fränkischen Königen untersucht, sieht die besondere Stellung
283 Vgl. Pohl, Forschungsstand: S. 16 und Goetz, Mediävistik: S. 89 f. 284 Dazu Burghartz, Anthropologie/Mikrogeschichte: S. 206–218 und vgl. Goetz, Mediävistik: S. 93 ff. 285 Zu einer durchaus möglichen Hinwendung zur Programmatik und Theorie der in den 1960er Jahren formulierten „Historischen Sozialwissenschaften“ kam es in der Mittelalterforschung nicht. Vgl. Goetz, Mediävistik: S. 90. Zu den „Historischen Sozialwissenschaften“ ausführlich Nolte, Sozialwissenschaften: S. 53–68. 286 Beispielsweise werden anthropologische Modelle von gesellschaftlichen Hierarchien und Verhältnissen auf die Quellen übertragen. Dazu Le Jan, Sakralität: S. 73–92. Dieser Ansatz auch schon bei Ritz-Müller. Dazu insgesamt Ritz-Müller, Macht: S. 22–41. Vgl. für aktuelle Kritik an diesem Vor gehen Erkens, Herrschersakralität: bes. S. 80–87. 287 Vgl. Goetz, Mediävistik: S. 93 und S. 109. 288 Dazu beispielsweise Selle-Hosbach, Prosopographie. und Ebling, Prosopographie. Zuvor schon Stroheker, Adel. 289 Ihre begrenzte Reichweite und Gefahren wurden allerdings relativ schnell erkannt. Schulze, Reichsaristokratie: S. 353–373. 290 Vgl. Graus, Struktur: S. 9–45. 291 Stattdessen begann in den frühen 1970er Jahren die Publikation der Bände „Geschichtliche Grundbegriffe“, an der auch Otto Brunner beteiligt war. Vgl. Goetz, Mediävistik: S. 92. 292 Vgl. Schneidmüller, Verfassungsgeschichte: S. 496–500. 293 Die Bedeutung materieller Güter und Ressourcen ist natürlich nicht neu und wurde schon weit vorher erkannt. Exemplarisch dazu Bergengruen, Grundherrschaft im Merowingerreich. 294 „Herrschaft“ und „Macht“ können nicht einfach gleichgesetzt werden. Vgl. Pohl, Art. Herrschaft: S. 444. Dass sich auch Schneider diesem Unstand bewusst ist, schreibt er selbst. Vgl. Schneider, Königserhebung: S. 240. Zur Morphologie der „Macht“ Han, Macht?: S. 7. 295 Vgl. Schneider, Königserhebung: S. 242–246.
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der Merowinger als Könige nicht durch ein Charisma begründet,296 sondern durch ihren Hort: Dieser sicherte ihnen Akzeptanz.297 Heike Grahn-Hoek, deren Arbeit über die fränkische Oberschicht im 6. Jahrhundert kritisch rezipiert worden ist,298 verweist auf die Bedeutung materieller Grundlagen für die Genese der fränkischen Oberschicht.299 Dabei lehnt Grahn-Hoek die Annahme ab, es habe bei den Franken im 6. Jahrhundert einen Geburtsadel gegeben.300 So wird konsequenterweise auch von ihr zumindest indirekt das Charisma als erklärendes Theorem abgelehnt: Die Vererbung eines Charismas per Geburt ist für sie nicht gegeben.301 Der Erwerb von materiellen Gütern und Ressourcen wird also in den 1970er Jahren vermehrt als grundlegend für die Handlungsfähigkeit der Könige und ebenso für das Entstehen besonderer Gruppen ausgewiesen. Außer Acht gelassen werden darf aber nicht, dass – wie Jean-Pierre Bodmer schon 1957 gezeigt hatte – die materiellen Güter und Ressourcen während der Konflikte in Gallien häufig den oder die Besitzer wechselten. Die Betonung der Relevanz von Besitz impliziert somit auch, dass in der Dynamik der Konflikte ständig neue Akteure Handlungsoptionen durch den Erwerb von materiellen Gütern und Ressourcen erlangten, während andere dieser verlustig gingen. Das Plündern ist somit eine sozioökonomische Praktik, durch die Akteure nicht nur materielle Güter und Ressourcen, sondern auch damit verbundene Handlungsoptionen erwerben. Schneiders Formulierung von „Heer“ und „Hort“ als den wesentlichen „Machtmitteln“ des Königs erweist sich unter diesen Beobachtungen als eine weit flexiblere analytische Konzeption als das Gefolgschaftskonzept Schlesingers. „Heer“ und „Hort“ begründen nicht einfach als konstitutive Theoreme die Macht der Könige. Sie akzentuieren als Mittel die Chancen zur Herstellung ihrer „Herrschaft“;302 auch wenn Schneider selbst die Relevanz des „Heeres“ als ein Erwerbsmittel der Könige, mit dem sie die Schätze vergrößern konnten, nicht ausdrücklich betont.303 Im Jahr 1979 erschien erstmalig Herwig Wolframs intensiv rezipierte Monographie über die Geschichte der Goten. Wolfram geht in den Passagen über die Goteneinfälle zwischen dem 3. und dem 5. Jahrhundert ausführlich und quellennah auf die Plün-
296 Vgl. Schneider, Königserhebung: S. 241. 297 Vgl. ebd.: S. 242. Dass es sich hierbei nicht um eine Theoretisierung des Materials handelt, verdeutlicht die hohe Zahl von Belegen, die seit Chlodwig I. bis zu den Nachfolgern Dagoberts I. den Hort und das Heer als Grundlage für die Handlungsfähigkeit der König ausweisen. Vgl. ebd.: S. 243–246. 298 Vgl. Goetz, Europa: S. 317. Als Gegenbeispiel Schulze, Reichsaristokratie: S. 370. 299 Vgl. Grahn-Hoek, Oberschicht: S. 118. Für ähnliche Ausführungen bereits Wenskus, Stammesbildung: S. 316. 300 Vgl. Grahn-Hoek, Oberschicht: S. 118–127 und S. 263–275. 301 Vgl. ebd.: S. 21 und S. 97–100. 302 Vgl. Schneider, Königserhebung: S. 240–246. Für eine positive Wertung eines derartigen Ansatzes unter dem Bezug auf Arbeiten Pierre Bourdieus siehe Pohl, Art. Herrschaft: S. 454 und Pohl, Forschungstand: S. 26 f. 303 Vgl. Schneider, Königserhebung: S. 240–265.
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derungen durch die Einfallenden ein304 und erwähnt, auch in anderen Abschnitten, dass den gotischen Gruppen immer wieder auch Personen beigetreten sind, die nicht von Geburt an gotisch waren.305 Insofern verwendet er die älteren Konzepte „Stammeskönigtum“ und „Stammesheer“ nicht im rein ethnischen Sinne.306 Einen direkten Zusammenhang zwischen den Beitritten zu den gotischen Gruppen und dem Erwerb materieller Güter und Ressourcen durch Plünderungen stellt Wolfram aber letzten Endes nicht her,307 obgleich ihm die Vielzahl der Quellenaussagen zum Plündern offensichtlich aufgefallen ist.308 Die bisher angeführten Arbeiten zeigen, dass die Theorie der „Neuen Deutschen Verfassungsgeschichte“ trotz der heftigen Kritik auch in den 1970er Jahren weiterhin rezipiert worden ist – wenn nur in Teilaspekten und auch nur teilweise kritisch. Noch 1982 war im Artikel „Herrschaft“ im dritten Band der „Geschichtlichen Grundbegriffe“ von dem „verbreitet anerkannten, eindrucksvoll geschlossenen verfassungsgeschichtlichen Lehrgebäude“309 die Rede. Peter Moraw, der den einschlägigen Abschnitt „Herrschaft im Mittelalter“ verfasst hat, erwähnt nur Karl Kroeschell als Kritiker der Theorie und übergeht Hans Kuhn sowie František Graus vollkommen.310 Auch sei erst neuerdings in Frage gestellt worden, was eigentlich „germanisch“ meine.311 Über die Relevanz materieller Güter und Ressourcen für die Herstellung von „Herrschaft“ äußert sich Moraw gar nicht.312 Zum Abschluss des Artikels argumentiert Dietrich Hilger bei seiner Kritik an der Herrschaftsdefinition Max Webers313 mit dem Treuetheorem, ohne auf die Kritik an diesem Theorem oder seiner theoretischen Fundierung einzugehen.314 Ebenfalls 1982 zeigt Hanna Vollrath, dass auch die Definition des Herrschaftskonzepts von Max Weber nicht unreflektiert auf die Überlieferung zum Mittelalter angewandt werden kann.315 Dabei betont sie, dass „Herrschaft“ nicht allein das Politische, sondern auch das Ökonomische im Mittelalter betriff.316 Insgesamt stimmt sie den Ergebnissen Karl Kroeschells aus der Untersuchung zur Hausherrschaft
304 Vgl. Wolfram, Goten 1979: S. 41–57; S. 60–68; S. 137–153; S. 178–202 und S. 308–346. 305 Beispielsweise ebd.: S. 39 und S. 451. 306 Vgl. ebd.: S. 37–40; S. 111–117; S. 134–137 und S. 260–275. 307 Vgl. ebd.: S. 448–461. 308 Für einige Beispiele ebd.: S. 41 f.; S. 42; S. 46 und bes. S. 47. Dabei ist ein solcher Zusammenhang unter der von ihm vorgenommenen Berücksichtigung der geringen agrarischen Erträge und dem gewaltsamen Sozialklima zumindest wahrscheinlich. Vgl. ebd.: S. 450. 309 Günther/Hilger/Ilting/Koselleck/Moraw, Art. Herrschaft II: S. 7. 310 Vgl. ebd.: S. 7–9. 311 Vgl. ebd.: S. 8. 312 Vgl. ebd.: S. 5–12. 313 Vgl. Weber, Wirtschaft: S. 38. 314 Vgl. Günther/Hilger/Ilting/Koselleck/Moraw, Art. Herrschaft II: S. 100. 315 Vgl. Vollrath, Rechtsbeziehungen: S. 36. 316 Vgl. ebd.: S. 38.
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zu.317 Eine Definition von „Herrschaft“, so Vollrath, beschreibt nicht ausreichend die Verhältnisse im Frühmittelalter. Einige der Ideen, die in das Konzept der Genossenschaft Eingang gefunden haben, sollten hinzugezogen werden, um die überlieferten Beziehungen besser fassen zu können.318 Auch die „Gefolgsherrschaft“319 hat es laut Hannah Vollrath zumindest in der Karolingerzeit nicht gegeben.320 In diesem Zusammenhang verweist sie auf Max Weber, der annimmt, dass bei einem zunehmenden technischen Fortschritt landwirtschaftlich tätige Akteure wegen der Intensität der Arbeit nicht mehr für Kämpfe herangezogen werden konnten. Zu einem Erwerb durch Plündern seien diese Akteure nicht mehr fähig gewesen.321 Landwirtschaftliche Tätigkeiten substituieren demnach andere Praktiken wie das Plündern. Somit verändern sich folglich auch weitere Lebensweisen. Diese Überlegungen Webers spielen für Vollrath nur insofern eine Rolle, als sie diese zum Beleg für ihre Ansicht anführt, dass Webers Definition von „Herrschaft“ nicht das prägende Prinzip frühmittelalterlicher Gemeinschaften beschreibe.322 Die Problematik dieses Vorgehens besteht darin, dass Max Webers Aussagen natürlich nicht auf umfassenden Quellenstudien fußen. Interessant ist, dass Vollrath mit Weber annimmt, es sei kaum möglich, dass ein Akteur im Frühmittelalter differente Erwerbsweisen zugleich praktizierte. Sie fragt allerdings gar nicht erst, wie rein landwirtschaftlich tätige Akteure in Anbetracht der zahlreichen Quellenaussagen zu Plünderungen im frühen Mittelalter in Gallien überlebensfähig gewesen sind. Dass die Theorie der „germanischen Kontinuität“ – wenn auch fragmentiert – in der Bundesrepublik noch in den 1980er Jahren für die Erklärung quellenimmanenter Zusammenhänge gebraucht wurde, zeigt neben dem Artikel zum Begriff „Herrschaft“ in den „Geschichtlichen Grundbegriffen“ auch eine weitere Arbeit Walther Kienasts aus dem Jahr 1984. In dem Aufsatz, der ursprünglich in die von Kienast geplante Monographie über die Vasallität in Westeuropa eingehen sollte,323 widmet er sich dem „Gefolgswesen“ im Westgotenreich auf der Iberischen Halbinsel. Im Gegensatz zu seiner älteren Arbeit über „Treue und Königsheil“ wird der Erwerb von Beute von ihm in diesem Text als ein Solderwerb anerkannt und somit zu einem Faktor sozialer Bindung.324 Das liegt auch daran, dass er sich konkret den westgotischen Rechtstexten widmet und dabei fragt, inwieweit Kontinuität zwischen der „germanisch-alt-
317 Vgl. Vollrath, Rechtsbeziehungen: S. 69 f. 318 Vgl. ebd.: S. 33–34 und S. 67–71. 319 Vgl. Schlesinger, Gefolgschaft: S. 135–138 und bes. 144–151. 320 Vgl. Vollrath, Rechtsbeziehungen: S. 65–67. 321 Vgl. Weber, Sozialverfassung: S. 538. 322 Vgl. Vollrath, Rechtsbeziehungen: S. 66. 323 Vgl. Kienast, Gefolgswesen: S. 27, Anm. *. 324 Vgl. ebd.: S. 32 f. und S. 34 f.
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gotischen Gefolgschaft“,325 den buccelarii und den sajones besteht.326 Die buccelarii werden dabei von Kienast als eine neuere Erfindung von der „altgermanischen Gefolgschaft“ geschieden.327 Hingegen sind die fideles regis und die gardingi für ihn ein Dienstadel.328 Insgesamt geht er zwar nicht durchgehend von einer ungebrochenen Kontinuität des „Altgermanischen“ aus,329 greift die Kontinuitätstheorie aber gerade in Abgrenzung zu dem gängigen Konzept der „Gefolgschaft“ und dem dafür konstitutiven Treuetheorem auf:330 Kienast sieht die Relevanz materieller Grundlagen vor allem für neue „Institutionen“331 in Abgrenzung von der „germanischen Gefolgschaft“.332 Es mag in Anbetracht der Intensität der Debatte über die Theorie der „Neuen Deutschen Verfassungsgeschichte“ in den 1950er und 1960er Jahren erstaunen, dass noch in der Mitte der 1980er Jahre derart widersprüchliche Aussagen über diese Theorie möglich waren. Diejenigen, die Konzepte und Begriffe der Theorie weiterhin verwenden, ignorieren die vorangegangene Kritik fast völlig, während Andere weiterhin kritisch gegenüber einzelnen Aspekten der Theorie blieben. Am auffälligsten wird dieser Kontrast, wenn zwei Texte von Hans Schulze und František Graus einander gegenübergestellt werden. Der erste von vier Bänden der „Grundstrukturen der Verfassung im Mittelalter“ von Hans Schulze erschien 1985333 und beinhaltet in ungebrochener und unkritischer Kontinuität Konzepte wie das „germanische Gefolgschaftswesen“334 (auch wenn hier von einem „neuzeitlichen wissenschaftlichen Ordnungsbegriff“ gesprochen wird).335 Ein Jahr später publizierte František Graus seinen vielzietierten Aufsatz über die „Verfassungsgeschichte des Mittelalters“, in dem er die fast wehmütig wirkenden Sätze schrieb, die von Fehlen einer Theorie künden, die der für ihn vollkommen überwundenen „germanischen Kontinuität“ hätte folgen können.336
325 Vgl. Kienast, Gefolgswesen: S. 38–40. 326 Vgl. ebd.: S. 29–53. 327 Vgl. ebd.: S. 51. 328 Vgl. ebd.: S. 66 und S. 72. 329 Vgl. ebd.: S. 52 f.; S. 66 ff. und S. 73 ff. 330 Vgl. ebd.: S. 29. 331 Vgl. ebd.: S. 72. 332 Vgl. ebd.: S. 38 f. 333 Der Text ist bis heute fast unverändert in der vierten Auflage aus dem Jahr 2004 erhältlich. Für einen Vergleich Schulze, Grundstrukturen Bd. I 1985 und Schulze, Grundstrukturen Bd. I 2004. 334 Vgl. Schulze, Grundstrukturen Bd. I 1985: S. 39–54. Dabei wird Treue als konstitutiv für das historische Phänomenen und nicht etwa als konstitutives Theorem des „neuzeitlich wissenschaftlichen Ordnungsbegriffs Gefolgschaft“ ausgewiesen: „Durch die Verpflichtung zur Teilnahme wird eine Art Treueverhältnis auf Zeit hergestellt, denn wer seine Zusage nicht einhielt, galt als ehr- und treulos.“ Schulze, Grundstrukturen, Bd. I 1985: S. 42. In diesem Kontext schreibt Schulze auch von den Typus des „germanischen Kriegerbauern“ Vgl. Schulze, Grundstrukturen Bd. I 1985: S. 44. 335 Vgl. Schulze, Grundstrukturen Bd. I 1985: S. 40. Dies ist im Kontext durchaus widersprüchlich. 336 Vgl. Graus, Verfassungsgeschichte: S. 579.
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Ganz war die Theorie aber auch Ende der 1980er Jahre nicht überwunden; denn einzelne ihrer Konzepte wurden weiterhin gebraucht – und dies nicht nur im deutschsprachigen Raum. So veröffentlichte Patrick Geary 1988 eine Monographie zur Merowingerzeit.337 Geary hat selbstredend eine gewisse Distanz zur deutschsprachigen geschichtswissenschaftlichen Forschung, was ihm die Haltung eines sachlichen Kritikers offenbar erleichtert. Er merkt aus dieser Distanz heraus an, dass die Gleichung „Germanisch = Deutsch“ aus historischer Perspektive gar nicht tragfähig ist und in den deutschsprachigen aber auch in den internationalen Geschichtswissenschaften zu irreführenden Tendenzen beigetragen habe. Er plädiert stattdessen für quellennahe und quellenkritische Arbeit.338 Im Abschnitt über „The barbarian World to the sixth century“ verwendetet auch Geary freilich einige deutschsprachige Konzepte wie das Gefolgschaftskonzept339 oder das Heerkönigtumskonzept340 sowie das Theorem des Charismas341 zumeist relativ unkritisch.342 Der Abschnitt umfasst keine Detailuntersuchung, doch äußert sich Geary hierin mehrfach über Plünderungen, deren soziale und ökonomische Tragweite er sehr hervorhebt.343 Plündern ist für Geary zweifellos eine sozioökonomische Praktik, die eine Chance zur Gewinnung von relativem Reichtum und dem damit verbundenen Sozialprestige bietet, die die Agrarwirtschaft mit ihren geringen Erträgen nicht ermöglicht.344 Die „barbarische Welt“ war daher von Kampf erfüllt und von stetiger sozialer Mobilität gekennzeichnet. In der Völkerwanderungszeit wie auch noch in der Merowingerzeit blieben diese Aspekte akut:345 Der Handel sei durch die Plünderungen nicht einfach behindert worden. Sie seien vielmehr wichtig für das Zirkulieren von Prestigeobjekten und Gütern gewesen,346 da die Kriegsführung den Güterverkehr bestimmt habe: Raub sei häufiger gewesen als Verkauf.347 Mit der Zeit habe der Umfang der Beute jedoch abgenommen und so sei auch der Handel zurückgegangen.348 Gearys Thesen über den Zusammenhang zwischen Plünderungen und Handel in der Merowingerzeit unterschieden sich in ihrer Klarheit deutlich von der deutsch-
337 Die Monographie wurde im Jahr 1996 auch in die deutsche Sprache übersetzt. Dazu Geary, Merowinger. 338 Vgl. Geary, Merovingian World: S. 42 f. 339 Vgl. ebd.: S. 56 f. 340 Vgl. ebd.: S. 61 f. und S. 62–64. 341 Vgl. ebd.: S. 55 f.; S. 88 f. und S. 112 f. 342 Für das Theorem des Charismas ebd.: S. 88 und S. 112. Für das Gefolgschaftskonzept ist Geary weit kritischer und geht von einer ökonomischen Grundlage sowie einem konstitutiven Interesse an dem Gewinn von Beute und nicht von einer Treue aus. Vgl. ebd.: S. 56. 343 Vgl. ebd.: S. 50. 344 Vgl. ebd.: S. 44–48. 345 Vgl. ebd.: S. 61 f. und S. 82–116. 346 Vgl. ebd.: S. 99. 347 Vgl. ebd.: S. 100. 348 Vgl. ebd.: S. 130.
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sprachigen Literatur dieser Zeit. Bezeichnend ist, dass er in der Passage, in der er die Thesen aufstellt, sehr quellennah arbeitet und wenig Literatur verwendet.349 Bedeutsam sind sie für die Erforschung des Plünderns vor allem insofern, als das Plündern als eine die anderen sozioökonomischen Praktiken beeinflussende Größe vermittelt wird. Tausch- und Verteilungsprozesse sind für Geary von der Erwerbsweise des Plünderns zum Teil gänzlich abhängig. Da er aber keine Detailuntersuchung bietet, wird diese Perspektive noch genauer zu prüfen sein.350 Zu Beginn der 1990er Jahre wurde die Relevanz von materiellen Gütern und Ressourcen für soziale Bindungen noch weiter betont. Gerd Althoff nennt die Beutechance einen Grund für das Bestehen von „Gefolgschaften“ und lehnt das Treuetheorem als Begründung für ihr Bestehen ab,351 während in der posthum herausgegebenen Arbeit Walther Kienasts noch mit den Konzepten der älteren Theorie operiert wird.352 Herwig Wolfram geht in seiner Monographie „Das Reich und die Germanen“ weitaus reflektierter mit den Konzepten der „Neuen Deutschen Verfassungsgeschichte“ um.353 Wie Geary geht auch er davon aus, dass die agrarischen Möglichkeiten der von „Germanen“ besiedelten Gebiete kaum Überschüsse zugelassen haben.354 Auch das Plündern erwähnt Wolfram wie schon Ende der 1970er Jahre und bezeichnet diese Praktik nun ausdrücklich als Wirtschaftsweise in Spätantike und Frühmittelalter.355 Eine umstrittene Monographie,356 die Ende der 1990er Jahre erstmals publiziert wurde, trägt den Titel „Die barbarische Gesellschaft. Mentalitätsgeschichte der europäischen Achsenzeit 5.–8. Jahrhundert“. Der österreichische Mediävist Georg Scheibelreiter befasst sich in diesem Text relativ ausführlich auch mit der Überlieferung zu Plünderungen im 5. und 6. Jahrhundert in Gallien. Allerdings wird auch in dieser Passage eine grundlegende Problematik der Studie deutlich, auf die hier kurz genauer eingegangen werden muss. Georg Scheibelreiter versucht, das von Menschen Erlebte nachzuempfinden.357 Es ist allerdings kaum zu bestreiten, dass sein „barbarischer Mensch“ ein Typus und
349 Vgl. Geary, Merovingian World: S. 236. 350 Vgl. ebd.: S. IXf. 351 Vgl. Althoff, Getreue: S. 18 und bes. S. 149. 352 Beispielsweise Kienast, Vasallität: bes. S. 11–12. Erstaunlich ist dabei, dass für ihn die „heftig umstrittene Frage nach dem Wesen und der Lebensdauer der „germanischen Gefolgschaft“ erst neuerdings“ begonnen hat. Kienast, Vasallität: S. 52. Diese Formulierungen offenbaren, dass Kienast niemals erfasst hatte, dass „Gefolgschaft“ primär ein sozialgeschichtliches Konzept und kein quellenimmanentes Phänomen bezeichnet. 353 Vgl. beispielsweise Wolfram, Reich: S. 46–48; S. 80; S. 245 und S. 289. 354 Vgl. ebd.: S. 32 und S. 93. 355 Vgl. ebd.: S. 93. 356 Überblickend Becher, Scheibelreiter: S. 168–170 und Durliat, Georg Scheibelreiter: S. 354–355. 357 Vgl. Scheibelreiter, Gesellschaft: S. 7 f.
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dessen „Mentalität“ eine Konstruktion ist, die zusammen ein Modell bilden. Dieses Modell wird als rekonstruierte Lebenswirklichkeit präsentiert, die einheitlich das Dasein der Menschen zwischen dem 5. und 8. Jahrhundert bestimmt hätte.358 Mit Mentalitätsgeschichte im Sinne Georges Dubys hat dieses Vorgehen wenig zu tun.359 Vielmehr wird ein Modell anhand von Quellen verifiziert, ohne jedoch selbst ein Produkt einer Quellenuntersuchung zu sein. Die Problematik eines solchen Vorgehens liegt auf der Hand. Was aber heißt dies konkret für die Quellenaussagen über das Plündern? In Anbetracht der Quellenlage sieht Scheibelreiter in den Plünderungen wie schon Jean-Pierre Bodmer,360 etwas Normales.361 Dabei ist das Plündern für Scheibelreiter aber nicht nur eine Erwerbsweise, sondern eine „barbarische“ Erwerbsweise und die hohe Zahl der Quellenaussagen verweist auf die zunehmende Barbarisierung der Menschen in Gallien.362 Das Plündern ist als ein Ausdruck der Barbarisierung unweigerlich mit dem Modell der „barbarischen Mentalität“ verbunden, da Scheibelreiter das Modell durch eine dichotome Unterscheidung von Menschen in „barbarisch“ und „nichtbarabarisch“ fundiert. Nicht übersehen werden darf dabei, dass er das Plündern nicht an sich als „barbarisch“ auffasst: Die Praktik ist Teil „agonaler Selbstverwirklichung“ des „barbarischen Kriegers“.363 Das mag erst einmal überraschen, denn eine Zunahme von Plünderungen wird als Indikator einer Barbarisierung vermittelt – und dies muss sie ja nicht zwangsläufig sein, wenn sie nicht „agonaler Selbstverwirklichung“ des „barbarischen Kriegers“ dient. Doch wird in dem scheinbaren Widerspruch die Besonderheit der Modellgenese erfassbar: Es geht Scheibelreiter nicht um das Plündern; es geht ihm um eine besondere Art des Plünderns,364 die das „kriegerische Wesen des barbarischen Menschen in seiner Komplexität“ betrifft.365 So ist eine in den decem libri historiarum zu findende Passage über Plünderungen, die nach dem Ende eines Konflikts gegen den Willen des Königs getätigt werden,366 Ausdruck jenes agonalen Triebs, der von Scheibelreiter als ein psychischer Zustand dargestellt wird.367 Auch wenn die Deutung unübersehbar durch des Modell der „barbarischen Mentalität“ geleitet ist,368 gelangt auch er zu Annahmen, die einen Anschluss an andere Arbeiten erlauben: Das Plündern ist eine Erwerbsweise und
358 Vgl. Scheibelreiter, Gesellschaft: S. 11–22. 359 Vgl. Oexle, Georges Duby: S. 140. 360 Scheibelreiter zitier Bodmer auch. Vgl. Scheibelreiter, Gesellschaft: S. 600–605. 361 Beispielsweise ebd.: S. 340; S. 342 und S. 353. 362 Vgl. ebd.: S. 341. 363 Vgl. ebd.: S. 346. 364 Vgl. ebd.: S. 353. 365 Vgl. ebd.: S. 349. 366 Greg. hist.: 7.39. 367 Vgl. Scheibelreiter, Gesellschaft: S. 351. 368 Vgl. ebd.: S. 342.
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auch wegen der zahlreichen Quellenaussagen zum 5. und 6. Jahrhundert in Gallien als „normal“ aufzufassen.369 In den letzten zehn Jahren ist die Tendenz zu einer erneuten Debatte über „Staat“ und „Herrschaft“ festzustellen, die nun nicht mehr latent und polemisch, sondern sehr sachlich geführt wird. Gleich zu Beginn des neuen Jahrtausends fasste Walter Pohl die bis dahin geäußerte Kritik an den Konzepten der „Neuen Deutschen Verfassungsgeschichte“ zusammen370 und verdeutlichte auf diese Art die Untragbarkeit einiger dieser Konzepte wie auch ihrer konstitutiven Theoreme.371 Joachim Ehlers stellte ebenfalls im Jahr 2000 heraus, dass die Kontinuität des Germanischen nicht zu beweisen ist, da es sich bei „Germanisch“ um eine spezifische Konstruktion der modernen Forschung handelt372 und die Quellenlage schlicht nicht eindeutig ist.373 Konzepte wie „Heerkönigtum“ und „Sakralkönigtum“ sind für ihn daher nicht tragbar.374 Für die neue Debatte über die Konzepte von „Staat“ und „Herrschaft“ sind für den deutsprachigen Raum zudem besonders zwei Bände aus der Reihe „Forschungen zu Geschichte des Mittelalters“ zu nennen, die von Walter Pohl und Anderen herausgegeben wurden.375 Die beiden Bände beinhalten eine Vielzahl unterschiedlicher Beiträge, die verschiedene Themen und Ansätze umfassen.376 Ein Beitrag, der sich der Überlieferung zum Plündern während der Merowingerzeit widmet, fehlt allerdings. Ähnlich sieht es im Übrigen für die Reihe „Transformation of the Roman World“ aus.377 Die vierzehn Bände der Reihe wurden seit dem Jahr 1997 publiziert; Aufsätze zur Praktik des Plünderns fehlen auch hier. Im Jahr 2004 veröffentlichte Matthias Hardt seine Dissertation über „Gold und Herrschaft“. In einem eigenen Kapitel untersucht er ausgiebig das Plündern als eine
369 Vgl. Scheibelreiter, Gesellschaft: S. 353. 370 Vgl. Pohl, Germanen: S. 65–85, bes. S. 72. 371 Zum „Heer-“ und zum „Sakralkönigtum“ ebd.: S. 67 f. Für das Konzept der „Gefolgschaft“ ebd.: S. 69. Zum Treuetheorem ebd.: S. 70. Zur Terminologie im Allgemeinen ebd.: S. 70. 372 Vgl. Ehlers, Grundlagen: S. 50 f. 373 Vgl. ebd.: S. 52. 374 Zum Konzept des Heerkönigtums ebd.: S. 53. Für das Konzept des „Sakralkönigtums“ sehr kritisch ebd.: S. 71 f. 375 Dazu die Bände Airlie/Pohl/Reimitz (Hg.), Staat. und Pohl und Wieser (Hg.), Perspektiven. 376 Es geht unter anderem um methodisch-theoretische (Pohl, Goetz, Wormland), kirchengeschichtliche (de Jong und Patzold), anthropologische (Le Jan) und kommunikationstheoretische (McKitterick, Althoff) Ansätze. Für einen Überblick siehe die Inhaltsverzeichnisse in Airlie/Pohl/Reimitz (Hg.), Staat. sowie Pohl und Wieser (Hg.), Perspektiven. 377 Das Projekt wurde anfangs der 1990er Jahre begonnen und von Evangelos Chrysos, Javier Arce sowie Ian Wood geleitet. Insgesamt waren über 100 Wissenschaftler aus mehr als 20 Ländern an dem Projekt beteiligt, das von Anfang an interdisziplinär und international ausgerichtet war. Vgl. Wood, Art. Transformation of the Roman World: S. 132–134.
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Erwerbsweise der Könige zur Mehrung ihrer Schätze.378 Hardt arbeitet nah an den Quellen und zitiert kaum Literatur.379 Bei allem Umfang der von ihm berücksichtigten Quellentexte, die weit über das 5. und 6. Jahrhunderts in Gallien hinausreichen, ist die Kernaussage prägend: Das Plündern war eine Erwerbsweise, durch welche die Schätze der Könige gefüllt werden konnten.380 Diese Aussage wird umfangreich belegt. Hardt bietet insofern keine neuen Erkenntnisse, er bestätigt aber eindrucksvoll, dass eine hohe Zahl an Textstellen zum Plündern in verschiedensten Quellen aus dem Frühmittelalter überliefert ist. Die 2008 erschiene Dissertation von Stefanie Dick fokussiert zwar nicht die Merowingerzeit; sie untersucht das Werden des „germanischen“ Königtums und die Verhältnisse bei den „Germanen“ nur bis zum Beginn der Völkerwanderung.381 Trotzdem sind die Ergebnisse durchaus aufschlussreich. Dick fragt, wie soziale Differenzierungsprozesse in den von „Germanen“ besiedelten Regionen überhaupt möglich waren, wenn der Ertrag der Landwirtschaft kaum die Grundbedürfnisse decken konnte. Die Antwort findet sie in Konflikten, die auf Beuteerwerb ausgerichtet waren.382 Das „Beutewesen“ führte zu einer sozialen Differenzierung in den Siedlungsgemeinschaften: Anführer erwarben zusätzlich materielle Güter und Ressourcen und erlangten Prestige. Dies konnte dazu führen, dass ihnen andere Akteure Folge leisteten.383 Die Plünderungszüge dynamisierten insgesamt die Lebensverhältnisse. Diese Dynamisierung findet nicht nur im Aufstieg einzelner Gemeinschaften Ausdruck: Plünderungen förderten die Notwendigkeit neuer Plünderungen, da den Ausgeplünderten die Nahrung für den Lebenserhalt fehlte; sofern die Überlebenden nicht gefangen genommen worden waren.384 Die These Plünderungen hätten weitere Plünderungen notwendig werden lassen, ist äußerst plausibel: Fehlendes Vieh für den Ackerbau oder direkteren Nahrungsgewinn kann kaum anders ersetzt werden. Dasselbe gilt für fehlende Feldfrüchte: Der Anbau benötigt Zeit, und Bedarf kann daher nicht sofort gedeckt werden. Güter für einen Tausch werden nach Plünderungen ebenfalls kaum vorhanden gewesen sein. Interessant an diesen Aussagen ist, dass sie übertragbar erscheinen. Eine soziale
378 Zu Schätzen als archäologischen Forschungsobjekten im Allgemeinen Hardt, Art. Königsschatz: S. 134–136; Hardt, Verborgene Schätze: S. 255–266; Hardt, Royal Treasures: S. 255–280 und Hardt, Art. Schatz: S. 596–598. 379 Vgl. Hardt, Gold: S. 161–187. 380 Vgl. ebd.: S. 161. 381 Vgl. Dick, Königtum: S. 1–11. Das Königtum hat ihrer Ansicht nach erst durch die Kontakte der „Germanen“ mit den Vertretern der römischen Administration Gestalt angenommen. Vgl. Dick, Königtum: S. 211–215. 382 Zur Subsitenz und zum Differenzierungsgrad Dick, Königtum: S. 180. In Bezug auf diese wirtschaftlichen Verhältnisse ebd.: S. 184. 383 Vgl. ebd.: S. 185. 384 Vgl. ebd.: S. 186.
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Dynamisierung aufgrund weit verbreiteter Plünderungen kann auch zu anderen Zeiten und in anderen Räumen vermutet werden. Hinzu kommt, dass die Thesen Stefanie Dicks zusammen mit denen von Matthias Hardt die mit dem Plündern verbundene ambivalente Richtung der sozioökonomischen Praktik verdeutlichen: Durch Plünderungen konnten neben Prestigegütern und Gold auch Nahrungsmittel, Vieh, Werkzeuge, Kleidung, Mobiliar und viele andere Arten von materiellen Gütern und Ressourcen erworben werden. Eine weitere Studie, die das Plündern in Spätantike und Frühmittelalter aufgreift, wurde 2009 publiziert. Helmut Castritius geht in einem Aufsatz auf die Überlieferung zu Plünderungen in hagiographischen Texten ein, wobei er auch die Problematik der Textgattung anspricht.385 In der Folge geht Castritius auf zwei Texte ein: Zum einen auf eine Stelle aus dem liber in gloria martyrum des Bischofs Gregor von Tours386 und zum anderen auf das Gedicht eucharistikos deo sub ephemeridis meae textu des Paulinus von Pella.387 Tatsächlich interessiert er sich dabei weniger für das Plündern, als vielmehr dafür, zu zeigen, wie hagiographische Texte für die geschichtswissenschaftliche Forschung lesbar gemacht werden können.388 Dabei verdeutlicht Castritius aber, dass das Plündern eine für das Überleben wandernder Gemeinschaften essentiell bedeutsame Erwerbsweise war389 und deckt dabei eine offenbar typische Konstellation zwischen der sesshaften Bevölkerung von civitates und mobilen Gemeinschaften auf, die in den hagiographischen Texten eher beiläufig erwähnt worden ist: Nur wo materielle Bestände vorhanden waren – ob nun durch landwirtschaftliche oder handwerkliche Produktion, durch Handel oder durch Geschenke – konnte das Plündern als Erwerbsweise dienen. Mit dieser Interdependenz zwischen Sesshaftigkeit und Mobilität lässt sich schlussfolgern, dass das Plündern an sich eine ökonomische Attraktivität für differente soziale Gruppen besaß; auch für sesshafte, die dann mobil werden mussten. Insgesamt hatten die Veränderungen seit dem 1970er Jahren eine nachhaltige Wirkung entfaltet: Neue Grundannahmen zum Organisieren von Folgeleistungen sind mittlerweile vorhanden. So stellt Matthias Becher 2009 heraus, dass die Aussicht auf Beute für das Bestehen von „Gefolgschaften“ unbestreitbar wichtig war.390 Auch sieht er nicht „germanische Kontinuität“, sondern einige Praktiken innerhalb des römischen Militärapparates als bedeutsame Faktoren für Eide und Treue im Früh-
385 Vgl. Castritius, Bazas: S. 281 f. Dazu überblickend Lotter, Quellen: S. 37–62. 386 Greg. glor. mart.: 12. 387 Der Text liegt in einer deutschen Übersetzung vor: Der Lebensbericht des Paulinus von Pella, in: Eck/Galsterer/Wolff (Hg.): Studien zur antiken Sozialgeschichte. Festschrift Friedrich Vittinghoff, ed. Joseph Vogt, Köln und Wien 1980: 527–573. 388 Vgl. Castritius, Bazas: S. 283–287 und S. 289–293. 389 Vgl. ebd.: S. 285 f. 390 Vgl. Becher, „Herrschaft“: S. 175.
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mittelalter an.391 Eine neue fränkische Elite, ein „Adel“, habe sich auf der Grundlage von Beute und belohnender Gaben in jener sozialen Dynamik etablieren können, die die Expansionszüge Chlodwigs I. ausgelöst hatten.392 Konzepte wie das „Heerkönigtum“ und das „Sakralkönigtum“ hält Becher dabei für defizitär.393 Der Aufsatz zeigt repräsentativ, dass ein Neudenken in der von Paradigmen emanzipierten deutschsprachigen Mediävistik zu anderen Ansätzen und Annahmen geführt hat.
1.4 Ergebnisse der Literaturuntersuchung Die Archäologie hat rezeptionsgeschichtliche Zusammenhänge freigelegt, mit denen zu erklären ist, warum eine systematische Untersuchung zum Plündern in der deutschsprachigen Mediävistik bisher fehlt. Die Ergebnisse sind in sechs Punkten darzulegen. (1) Quellenuntersuchungen als Funktionen des Zeigens von Staats- und Rechtswerdung: Die Arbeiten der geschichtlich orientierten Verfassungsforschung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts waren Funktionen des Zeigens der „germanisch-deutschen“ Staatswerdung. Die Quellen nahmen einen sekundären Rang ein. Eine Untersuchung der Quellenaussagen zum Plündern kam nicht vor, da die Praktik nichts mit dem Staatswerden zu tun haben sollte: Das Plündern galt einfach – zumeist indirekt formuliert – als gewöhnliche Praktik, die zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Räumen ausgeübt worden ist. (2) Die Rückkehr zum „weiten“ Verfassungsbegriff: Um die Jahrhundertwende kam es zur Verengung des Verfassungsbegriffs. Differenzierungsansätze konnten sich überschneiden, denn die ältere Verfassungsforschung und die geschichtliche Volksforschung sind beide Varianten der Formel „der Staat aus dem germanisch-deutschen Volk“. Für das Plündern gilt jedoch fast dasselbe, wie für die vorherigen Forschungsarbeiten: Aussagen zur Überlieferung zum Plündern sind kaum vorhanden, und wenn solche getätigt worden sind, waren sie von theoretischen Grundannahmen dieser Zeit geformt. (3) Die terminologische Innovation als methodisches Problem: Die Forderung nach der Revision der Grundbegriffe festigte grundsätzliche Probleme: Quellenworte wurden aus den definitorischen Kontexten gelöst und mussten daher einer Konzeptspezifikation unterzogen werden. Es entstand ein sozialtheoretisches
391 Vgl. Becher, „Herrschaft“: S. 168 f. 392 Vgl. ebd.: S. 178 f. 393 Vgl. ebd.: S. 164–166.
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Geschichtsparadigma. Die für einige Konzepte konstitutiven Theoreme des Charismas und der Treue erklärten das Organisieren von Folgeleistungen. Mit Plünderungen erworbene Güter und Ressourcen waren dafür kaum berücksichtigt worden. Die Quellen unterlagen weiter einer Theoretisierung. (4) Das Plündern als Argument gegen konstitutive Theoreme: In der anfangs der 1950er Jahre beginnenden Debatte um einzelne Konzepte und die Geschlossenheit der Theorie war das Plündern zumeist argumentativ gegen die Repräsentanten des Paradigmas angeführt worden. Natürlich ist die Brauchbarkeit solcher Aussagen gering, da sie stark vom Kontext geprägt wurden. Obwohl die Debatte in den 1970er Jahren abebbte und klar wurde, dass besagte Konzepte als wissenschaftliche Deutungswerkzeuge nicht nutzbar sind, sind sie in dieser Funktion noch nicht gänzlich verschwunden. Dies führt zu zwei allgemeinen Ergebnissen. (5) Die strukturgeschichtliche Tendenz der Paradigmen: Bereits der Name „Neue Deutsche Verfassungsgeschichte“ ist aufschlussreich – sie umfasste eine Sozialtheorie, mit der das Politische behandelt wurde. Aus dieser Perspektive ist sie der geschichtlich orientierten Verfassungsforschung, die den weiten Verfassungsbegriff kannte, weit ähnlicher, als es die Revision der Grundbegriffe vermuten lässt: Das Interesse ihrer Repräsentanten galt ebenfalls „Strukturen“. Eine von diesem Interesse geprägte Forschung ist typisch. Das Fehlen systematischer Untersuchungen zum Plündern im 5. und 6. Jahrhundert in Gallien ist also auch damit zu erklären, dass die „Geschichte der Praktik(en) im Frühmittelalter“ schlicht unterrepräsentiert war. Dies ist aktuell nicht mehr der Fall. Hierbei ist besonders die Erforschung symbolischer Kommunikation zu nennen394 und es wird darauf verwiesen, dass Fragen nach der Herstellung von „Herrschaft“ noch zu stellen sind.395 (6) Die Theoriegebundenheit und die Problematik der Terminologie: Es konnte aufgedeckt werden, dass Forschungsbeiträge aus dem 19. Jahrhundert bis in die 1970er Jahre und darüber von zeitgenössischen Paradigmen geprägt waren. So figurierten Konzepte Lesarten und Fragen vor. Erst mit der Zergliederung des Germanenbegriffs in Quellen, die zum Teil schlicht der Altertumsforschung zu überlassen sind, wurde das Kontinuum des europäischen Mittelalters, das durch die Summe aller zu ihm zu zählenden Texte repräsentiert ist, zum expliziten Betätigungsfeld und die Mediävistik per Emanzipation von Paradigmen zu einer Geschichtswissenschaft, bei der eine Fülle von Ansätzen, Debatten und Methoden wünschenswert erlaubt ist. Zuzugeben ist, dass Fragestellungen eine Untersuchung auch prägen. Die älteren Paradigmen
394 Dazu einführend Althoff, Rituale. 395 Beispielsweise im Artikel zu „Herrschaft“ im „Reallexikon der germanischen Altertumskunde“. Pohl, Art. Herrschaft: S. 454.
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taten dies mit ihren theoretisch-konzeptionellen Implikationen jedoch viel intensiver. Die Antwort ist also auch mit dieser Theoriegebundenheit zu begründen: Paradigmen standen vor den Quellen. Damit waren die Quellenaussagen zum Plündern erst gar nicht im Fokus. Die Übernahme disziplinfremder Theorien birgt im Übrigen ähnliche Gefahren. Obwohl eine Untersuchung zum Plündern im 5. und 6. Jahrhundert in Gallien fehlt, gibt es doch einige Beiträge, die durchaus wertvoll sind. Das Plündern kann auf ihrer Basis als „normale“ sozioökonomische Praktik bezeichnet werden. Sie war eine Erwerbsweise, die nicht nur zur Genese neuer Gemeinschaften führte, sondern ganze Siedlungsräume dynamisieren konnte. Nicht nur der auf diese Art erworbene Wert materieller Güter und Ressourcen wird betont, sondern auch die damit verbundenen Handlungsoptionen. Das mit Plünderungen Gewonnene wird zudem als Grund für die Verstetigung von Gemeinschaften angeführt. Dabei konnten erfolgreiche Plünderungen weitere Akteure anziehen. Auch veränderte sich die Lage der ausgeplünderten Gemeinschaften. Es existiert also ein Literaturbestand, auf den zurückgegriffen werden kann. Jedoch erwies die Literaturuntersuchung Termini wie „Herrschaft“ und „Gefolgschaft“ als äußerst defizitär, handelt es sich doch um theoretische Konzepte und nicht um Deutungswerkzeuge. Daher sind Konsequenzen für die Methode der Quellenuntersuchung zu ziehen.
1 Methode der Quellenuntersuchung In diesem Abschnitt wird die Methode der Quellenuntersuchung unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Literaturteils dargelegt. Dies wird in zwei Schritten ablaufen. Zuerst wird auf die Terminologie eingegangen. Danach wird die Textkritik behandelt.
1.1 Terminologie Die Untersuchung der Forschungsliteratur hat ergeben: „Herrschaft“ und „Gefolgschaft“ haben keine deskriptiv-analytische Funktion bezüglich der Quellenaussagen zu sozialen Beziehungen und damit auch nicht zu Folgeleistungen, also jenen sozialen Beziehungen, die bei militärischen Operationen oder bei lokalen und regionalen Konflikten gegeben waren. Eine einfache Konzeptspezifikation neuer Termini über Nominaldefinitionen würde diese Problematik aber nicht beheben, sondern grundsätzlich reproduzieren. In Anbetracht der Theoretisierung des Quellenmaterials und der Genese des darauf aufbauenden Paradigmas ist es ratsam, einen anderen Weg einzuschlagen: Die Quellen sollten als Grundlage der Formulierung von wahrscheinlichen und plausiblen Annahmen dienen – statt nur für die Verifizierung theoretischkonzeptioneller Prämissen herangezogen zu werden. Die Termini sollen also bei der Analyse deskriptiv und nicht deterministisch funktionieren. Sie können (müssen aber nicht) bei der Quellenuntersuchung präzisiert werden: Solche Präzisierungen unterstützen die Explikation von Annahmen, deren Plausibilität und Wahrscheinlichkeit stets überprüfbar bleiben. Analytische Termini mit deskriptiver Funktion sind also entgegen der Termini der „Neuen Deutschen Verfassungsgeschichte“ keine theoretischen Konzepte, sondern methodische Deutungswerkzeuge. Durch sie sollen auf Basis der Quellen Annahmen formulierbar werden, die dann hinsichtlich ihrer Wahrscheinlichkeit und Plausibilität diskutiert werden können: Sie sind im textkritischkritisch-argumentativen Verfahren in Relation auf das Quellenmaterial reflektierbar. Dieses Vorgehen hat Vor- und Nachteile für die explikative Dimension methodischen Arbeitens: Ein Nachteil ist, dass Präzisionen Exklusionseffekte haben. Präzisionen im Sinne einer Spezifizierung sind selektiv. Sie sind daher nicht einfach auf andere Quellen zu übertragen. Der Vorteil ist, dass die Quellen die Deutungssprache regulieren. Die reflektierte Argumentation kann im Kontext der Deutung zur Verwendung anderer Termini, zu Modifikationen und zur Integration weiterer Termini oder zu Differenzierungen führen. Diese Möglichkeiten betreffen auch die mit der Deutungssprache formulierten Annahmen: Da sie eine Synthese aus einer durch Fragen geleiteten Deutung und dem deutungstechnischen Bezug auf Quellenaussagen darstellen, kann die Wahrscheinlichkeit oder die Plausibilität der auf diese Weise explizierten Annahme mit dem Nachvollziehen des Umgangs mit der Deutungssprache diskutiert, erfasst und/oder überprüft werden.
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Methode
Nachdem bisher die grundsätzliche Qualität der in dieser Arbeit genutzten Termi nologie (das Potential argumentativer Präzision auf Basis der Quellen durch die analytisch-deskriptive Funktion) erörtert worden ist, gilt es nun, die spezifischen Möglichkeiten der einzelnen Termini darzulegen – und zwar ausgehend von der aktuellen Diskussion über den „Staat im Frühmittelalter“. Die Frage nach dem Fortbestehen oder dem Untergang des (west-)römischen „Staates“ ist in der deutschsprachigen wie in der internationalen Mediävistik noch immer strittig.1 Wichtig ist diese Debatte für die vorliegende Studie deshalb, weil auch Folgeleistungen in diesem Rahmen erklärt werden.2 Zudem sind Fragen nach Kontinuität und Diskontinuität des (west-)römischen „Staates“ unweigerlich mit den Quellentexten verbunden, die für die vorliegende Studie herangezogen werden müssen. Genauer betrachtet sind die intensiv diskutierten Fragen nichts anderes als Fragen nach Kontinuität und Diskontinuität einer normativ-strukturellen Einheit,3 die mit dem Anachronismus „Staat“ bezeichnet wird.4 Die res publica5 weist in ihrer tradierten Charakteristik und ihrem Wandel zweifellos Parallelen zu dem auf, was im modernen Sprachgebrauch mit „Staat“ bezeichnet werden kann.6 Hiermit wird aber auch das wohl augenscheinlichste Problem der Debatte deutlich: Es bedarf einer Definition, die an die Überlieferung herangetragen werden muss, damit die Fragen nach Kontinuität und Diskontinuität überhaupt diskutiert werden können.7 Dabei ist zudem zu berücksichtigen, dass
1 Für einen Überblick über die differenten Perspektiven und eine Skizze des Verlaufs der aktuelleren Debatte seit den 1970er Jahren Steinacher, Transformation: S. 265–282. 2 Vgl. Pohl, Forschungsstand: S. 32 ff. Dazu auch die neueren Konzeptionen von „Staatlichkeit“ überblickend Goetz, Bilanz: S. 524 f. Die vorliegende Studie zum Plündern ist hier also anschlussfähig. Die Integration relativ einheitlich organisierter Wandergemeinschaften durch weströmische Repräsentanten konsolidierte deren Präsenz in dem geographischen Raum der weströmischen Ordnung normativ, was dann Effekte der Desintegration zur Folge hatte, die in Aussagen zu militärischen Operationen gegen die weströmischen Akteure deutlich werden. In beiden Fällen wurden ältere strukturelle Elemente in neue Zusammenhänge zueinander gebracht. Damit ist aber kein Anschluss an das Desintegrations-Paradigma angestrebt, das durch die Reihe „Transformation of the Roman World“ in argen Zweifel gezogen worden ist. Dieses Paradigma schließt bereits tendenziell an der Annahme eines Untergangs des römischen „Staates“ an. Vgl. Pohl, Einleitung: S. 9 f. Hier wird ein Prozess der Erosion intendiert, der an den Transformationsansatz anschließt. Für die Möglichkeit dieses Vorgehens plädiert Walter Pohl im Rahmen seiner Ausführungen über das Projekt „Transformation of the Roman World“. Vgl. Pohl, Change: S. 287 f. Hier sind Desintegrationen als Effekte von den Integrationsversuchen der relativ einheitlich organisierten Gemeinschaften angesehen, die ebenfalls Indikatoren der Erosion sind: Strukturelle Elemente der erodierenden strukturellen Einheit der weströmischen Ordnung wurden stetig in neue Zusammenhänge strukturiert. 3 Vgl. Goetz, Bilanz: S. 528 f. 4 Vgl. Pohl, Forschungstand: S. 9. 5 Vgl. Jehne, römische Republik: S. 24 ff. Zusammenfassend König, römische Staat. 6 Vgl. Risse und Lehmkuhl, begrenzter Staatlichkeit: S. 13. 7 Vgl. Pohl, Staat: S. 12 und Jussen, Diskutieren: S. XVII.
Methode der Quellenuntersuchung
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sich der römische „Staat“ schon lange vor dem 5. Jahrhundert tiefgründig transformiert hatte.8 Das Für oder Wider von Kontinuität und Diskontinuität ist in einem hohen Maße abhängig von der Definition, die man benötigt, um die Frage danach überhaupt beantworten zu können. Deswegen wird in der vorliegenden Studie der Terminus „Staat“ pragmatisch ausgespart. Bedeutender als eine Definition ist etwas Anderes: Was lässt sich anhand der Quellen überhaupt zu Kontinuität und Diskontinuität formulieren? Die Formulierung, die in dieser Studie den Terminus „Staat“ ersetzt, da sie nicht nur das Definitionsproblem umgeht, sondern zugleich eine analytische Differenzierung erlaubt, lautet: „die strukturelle Einheit der weströmischen Ordnung“. Ausgegangen wird in Annäherung an den Transformationsansatz von einem Prozess der Erosion der strukturellen Einheit der weströmischen Ordnung. Die Prozessdynamik ist durch Quellenaussagen zu den militärischen Operationen sowie den regionalen und lokalen Konflikten wie auch zu normativen Regelungen indiziert. Die Qualität der Prozessdynamik ist als diskursiv9 zu bezeichnen, was anhand des Sprachgebrauchs verdeutlichen werden kann: Es ist unzweifelhaft, dass die Autoren des 6. Jahrhunderts Worte wie rex,10 comes11 oder dux12 zur Bezeichnung von Akteuren gebrauchten, die schon von den Autoren des 5. Jahrhunderts gebraucht worden sind.13 Die Beobachtung gilt auch für den Sprachgebrauch bezüglich der Verwaltungseinheiten. Hier ist vor allem der Gebrauch von civitas14 zu nennen. Ähnlich ist dies mit dem Gebrauch von dioecesis.15 Es ist ebenso unbestreitbar, dass diese Wörter in ihrem Gebrauch auf sich wandelnde Gegebenheiten und verschiedene geographische
8 Elemente dieser Ordnung setzten sich in der Kaiserzeit fort. Vgl. Christ, Kaiserzeit: S. 35 ff. Zur normativen Beschaffenheit Manthe, römischen Rechts: S. 106 ff.; S. 111 ff. und S. 117 ff. Zusammenfassend König, römische Staat. 9 Bereits in paraphrasierter Form Diesner, Zwielicht: S. 9. Deutlicher zu der Notwendigkeit einer solchen Bezeichnung für eine Untersuchung der Aussagenlage der interessierenden Zeit Pohl, Change: S. 284 ff. 10 Mit Ausführungen zum Wortgebrauch Dick, Grundlagen: S. 518–523 und Dick, Königtum: S. 203– 211. Zusätzlich Weidemann, Kulturgeschichte Bd. I: S. 12–24. 11 Dazu mit Ausführungen zum Wortgebrauch Claude und Timpe, Art. Comes: S. 63–68. 12 Dazu mit Ausführungen zum Wortgebrauch Claude/Wenskus/Loyn/Naumann, Art. Dux: S. 296– 311. 13 Dazu Claude, Comitat: S. 225–266. Mit weiteren Bezeichnungen Weidemann, Kulturgeschichte Bd. I: S. 24–107. 14 Dazu mit Ausführungen zum Wortgebrauch in Bezug auf Verwaltungseinheiten vor und nach dem Jahr 476 Hellmann und Timpe, Art. Civitas: S. 10–14. 15 Zu Fällen von geographischen Teilungen von Diözesen während der Merowingerzeit Claude, Bischöfe: S. 33 ff. Zum Aspekt der geographischen Gestaltung von Diözesen mit allgemeinen Bezügen Patzold, Eigenkirchen-Konzept: S. 225–245.
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Methode
Räume bezogen sind. Damit ist ein Wort in seinem Gebrauch zwar faktisch stabil, im Kontext seines Gebrauchs zugleich aber variabel: Der Prozess, der sich mit der Formel „Erosion der strukturellen Einheit der weströmischen Ordnung“ beschreiben lässt, ist von Zeitgenossen und Späteren literarisch verarbeitet worden. Dies führte offenbar dazu, dass sich die Semantik von Wörtern wandelte, was in ihrem Gebrauch durch die zeit- und ortsnahen Autoren heute greifbar wird. Deshalb ist festzuhalten, dass die Diskursivität der Prozessdynamik und der Semantik16 der Autoren identisch sind.17 Die Prozessdynamik der Erosion ist daher als „Kontinuität des Diskonstinuierlichen“ zu beschreiben. Als Endpunkt der Erosion kann die Aufhebung der Position des weströmischen Kaisers geltend gemacht werden. Es geht dabei nicht darum, dass mit Romulus Augustulus der letzte weströmische Kaiser abgesetzt wurde.18 Wichtig ist vielmehr, dass die Position des Kaisers19 nicht mehr gegeben war. Damit ist aber
16 Die Semantik ist auch als diskursiv zu bezeichnen, da die Autoren in ihrem Sprachgebrauch auf die diskursive Dynamik bei ihrer literarischen Verarbeitung von Phänomenen und Informationen rekurrieren. Zur Historischen Semantik Eßer, Historische Semantik: S. 281–292 und Busse, Sprachgeschichte: S. 33–38. Es geht hier um die Einbindung der Semantik in die differenten Prozesse der Umwelt. Dazu Bödeker, Begriffsgeschichte: S. 92 und Sarasin, Diskursanalyse: S. 205 f. 17 Diese Identität ist bei der Darlegung der Textkritik im nächsten Abschnitt zu berücksichtigen: Wörter sollten nicht hinsichtlich ihrer geschichtlichen, linear fortschreitenden Entwicklung interessieren. Es muss vielmehr um die Diskursivität der Semantik des soziohistorischen Spektrums der Quellenautoren gehen. Zur Kritik an der Begriffsgeschichte Busse, Historische Semantik; Bödeker, Begriffsgeschichte: S. 98 f. und Lüsebrink, Begriffsgeschichte: S. 33 ff. Die Begriffsgeschichte ist von einigen Repräsentanten der „Historischen Semantik“ in diesem Punkt allgemeiner kritisiert worden. Die Kritik ist ein Vorschlag zu einer Erweiterung der Umgangsweise mit quellenimmanenten Worten auf der geschichtswissenschaftlichen Deutungsebene. Zur Begriffsgeschichte überblickend Jordan, Theorien: S. 127. An dieser Stelle sei ausdrücklich auf die Leistung Otto Brunners für die Begriffsgeschichte und die Reihe „Geschichtliche Grundbegriffe“ verwiesen. Dazu van Horn Melton, Brunner: S. 123–138. 18 Die Aufhebung wurde erst im 6. Jahrhundert als eine Art Ende der weströmischen Ordnung gedeutet. Marc. com. chron.: 476.2. Zur Kritik an der Annahme, die Aussagen zur Absetzung indizieren ein Ende und zur Entstehung der Annahme im 18. Jahrhundert sowie zu ihrem Einfluss auf spätere geschichtswissenschaftliche Literatur Croke, Turning Point: S. 81–119. Die Annahme und die mit ihr verbundenen Implikationen sind in der jüngeren Vergangenheit wieder verstärkt diskutiert worden. Dazu Rutenburg und Eckstein, Return: S. 109–122 und die Monographien Heather, Untergang.; Heather, Invasion. und Ward-Perkins, Untergang. Die Annahme steht dem Transformationsansatz gegenüber. Dieser geht auf Peter Brown zurück. Dazu Brown, Late Antiquity. sowie Rousseau und Papoutsakis (Hg.), Transformations. Er fand in der Publikationsreihe „The Transformation of the Roman World“ intensive Umsetzung. Vgl. Wood, Art. Transformation: S. 132 ff. Eine Integration beider ist nur schwer zu bewältigen. Dazu die Beiträge in Kagan (Hg.), Decline or Transformation?. 19 Während der Erosion schwand die Handlungsfähigkeit der Inhaber der Position des weströmischen Kaisers. Dieses Schwinden war langfristig und multikausal. Bereits die Überlieferung der Inhaftierung des weströmischen Kaisers Valentinianus II. im Jahr 392 durch den Heermeister Arbogast, den
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nicht ein Ende der strukturellen Einheit der weströmischen Ordnung im Sinne eines „Untergangs“ gemeint. Ein Ende nahm nur die Erosion – weil es die zentrale Position der weströmischen Ordnung20 schlicht nicht mehr gab.21 Neustrukturierungen struktureller Elemente freilich lassen sich auch für die Zeit nach 476 in Gallien
der Kaiser zuvor nicht hatte absetzen können, wird als Entstehung eines neuen „politischen Systems“ gedeutet. Vgl. Flaig, System: S. 8 ff. Doch ist das Neue an dieser überlieferten Handlung weniger das Entstehen eines Systems, in dem die Position des Heermeisters über die des Kaisers gestellt worden ist, sondern die Schwächung der Inhaber der Kaiserposition im Westen zu Gunsten von Akteuren, die auf dem militärischen Sektor agierten. So auch indirekt Flaig, der nicht allein die Inhaber der Heermeisterposition als diejenigen ausweist, die das „neue System“ leiteten. Vgl. Flaig, System: S. 12 f. Somit ist hier eine durch die Praxis vollzogene Neudefinition der Kaiserposition, die strukturell nicht konsolidiert worden ist, festzustellen. Die Position blieb folglich für weitere praktische Definitionen in einem anfänglich latenten Konflikt offen. So kann für den Nachfolger des Honorius festgestellt werden, dass Handlungskompetenzen von der Kaiserposition auf militärische Anführer übergingen. In Gallien war nach Maiorian kein Kaiser mehr erschienen. Vgl. Mathisen, Aristocrats: S. 119. Nach dem Jahr 472 folgten in raschen Wechseln vier Akteure in der Kaiserposition aufeinander: Flavius Anicius Olybrius (472) und Glycerius (473–474) waren nicht mal ein Jahr Kaiser. Julius Nepos (474–475) musste nachdem er Clermont an den König von Toulouse abgetreten hatte, nach Dalmatien fliehen. Ihm folgte Romulus Augustulus nach. Der Sohn des magister militum Orestes wurde nach der Niederlage desselben am 23. 8. 476 abgesetzt. Vgl. Henning, Periclitans: S. 57 f. Die Quellenaussagen sind weitere Indikatoren für die Erosion: Sie zeigen, dass Folgeleistungen gegenüber den Kaisern nicht einfach mehr normativ geregelt umgesetzt wurden. 20 Die Mittel der Kaiser waren nach 451 offensichtlich mit den Inhabern und nicht mit der Position verbunden, denn offenbar stützten sich nach dem Erlöschen der Dynastie des Valentinianus I. die Kaiser nicht mehr auf die ihrer Position innewohnenden Kompetenzen. Petronius Maximus besaß ein umfangreiches Vermögen. Vgl. Czuth, Petronius Maximus: S. 257. Auch der vom Hof in Konstantinopel nach Italien gesandte Prokopios Anthemius brachte ein eigenes Vermögen mit. Dazu Mathisen, Anthemius: S. 191–222. Ähnlich Henning, Periclitans: S. 264 f. Erst nachdem dieses für eine militärische Operation gen Nordafrika verbraucht war, wurde er sehr wahrscheinlich auf das Geheiß des Rikimer getötet. Vgl. Anders, Ricimer: S. 226. Private materielle Güter und Ressourcen können daher für das Organisieren von Folgeleistungen als entscheidende Faktoren bezeichnet werden. Hingegen wurde Avitus als ehemaliger Militär mittels seiner Beziehungen zum westgotischen König von Toulouse Kaiser. Dazu Sivan, Theoderic II.: S. 85–94. Der ihm nachfolgende Maiorian war ebenfalls ein Militär mit Beziehungen zu diesen Kreisen. Er wurde wie sein Nachfolger Libius Severus (461–465) mit der Hilfe von Rikimer zum Kaiser. Rikimer lies ihn 461 ermorden. Vgl. Anders, Ricimer: S. 143–156. Die Inhaber der Kaiserposition benötigte also in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts eigene materielle Güter und Ressourcen sowie soziale Beziehungen zu anderen Akteuren, um die Position zu erlangen und zu halten. Die Relevanz sozialer Beziehungen wurde schon zur Zeit der „Neuen Deutschen Verfassungsgeschichte“ in der Auseinandersetzung mit dem älteren Staatsbegriff betont. Vgl. Pohl, Art. Personenverbandsstaat: S. 614 ff. Grundlegend dazu Mayer, Grundlagen: S. 284–331. Zuerst 1939 abgedruckt. Die Bedeutung ist aber keine Besonderheit „germanischer“ Gemeinschaften. Sie waren beispielsweise auch für Römer wichtig. Dazu die umfangreiche Monographie Krause, Patronatsformen. 21 Mit der Aufhebung der Position des Kaisers im Westen wurden die mit ihr verbundenen Formen der Legitimation von Handelungen irreversibel. Vgl. Henning, Periclitans: S. 178 ff. Dass diese Formen trotz der seit dem 4. Jahrhundert schwindenden Handlungskompetenzen der weströmischen Kaiser noch während der letzten Phase Anerkennung fanden, zeigt allein schon das langläufige Bestehen
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beobachten,22 so dass mit der Aufhebung des Jahres 476 zwar das Ende der Erosion, nicht aber der Dynamik des Prozesses fassbar wird. Aus diesen Überlegungen ergibt sich die Terminologie dieser Studie. Durch den Terminus strukturelles Element sind konkrete Größen und Praktiken zugleich beschrieben: Die civitates und dioceses, aber auch Abgaben, Praktiken zur Herstellung sozialer Beziehungen (wie beispielsweise der Militäreid)23 und Handlungskompetenzen sind hier zu nennen. Damit ergibt sich die Möglichkeit, die Aussagen zu den Bedingungen des Plünderns wie auch zu denen des Organisierens von Folgeleistungen kleinteilig zu untersuchen und gleichzeitig Zusammenhänge einzelner „struktureller Elemente“ zu berücksichtigen, so dass monokausale Erklärungsmodelle besser reflektiert werden können. Das Verhältnis des Terminus Position zu dem Terminus „strukturelles Element“ ist formal das zwischen einer Ober- und einer Unterkategorie.24 Inhaltlich erfasst „Position“ anfänglich Administratoren weltlicher und geistlicher Art. Der Terminus erlaubt zudem das Herkommen und die Gebundenheit von Handlungskompetenzen wie auch deren strukturelle und/oder personale Qualitäten sowie die Beschaffenheit
der Position, aber auch die Legitimation der Abtretung von Clermont durch den weströmischen Kaiser Julius Nepos im Jahr 475. Vgl. Henning, Periclitans: S. 306–312. 22 Beispiele hierzu sind die Neustrukturierungen bei militärischen Operationen König Chlodwigs I. Becher, Chlodwig I.: S. 144–153 und S. 204–235. Zu den Neustrukturierungen bei militärischen Operationen der ersten Generation nach ihm und den bella civilia Ewig, Merowinger: S. 33–41 und S. 41–47. 23 Zu dieser Deutung des militärischen Treueids Esders, Treueidleistung: S. 27 f. Überblickend zu neueren Forschungsergebnissen Graf, Art. Treueid: S. 231 ff. 24 Ein Beispiel hierzu: Der Beginn der Beziehungen zwischen römischen Repräsentanten und „germanischen“ Gemeinschaften jenseits des Gebietes der römischen Ordnung geht weit vor das 5. Jahrhundert zurück. Die Forschung hat gezeigt, dass die innere Organisation „germanischer“ Gemeinschaften durch römische Repräsentanten gefördert wurde. Die Repräsentanten der römischen Ordnung griffen also über das direkt kontrollierte Territorium aus und setzten die römische Ordnung auf diese Weise fort. Somit war das „germanische Königtum“ Ergebnis der Interdependenz zwischen römischen Repräsentanten und unterschiedlichen „Germanengemeinschaften“. Vgl. Dick, Königtum: S. 203–211 und Dick, Grundlagen: S. 522 f. Insofern die zumeist als rex bezeichneten Anführerpositionen Produkte der Interaktion zwischen römischen Repräsentanten und Akteuren aus der Peripherie der römischen Ordnung waren, sind auch sie als strukturelle Elemente der (west-)römischen Ordnung zu beschreiben. Vgl. Dick, Königtum: S. 197 ff. Das Plündern ergab dabei für die interne Organisation „germanischer“ Gemeinschaften Möglichkeiten sozialer Differenzierung; es generierte Ungleichheiten und konnte stabilisierend wirken. So gingen beispielsweise alemannische Anführer nach der Einstellung von Tributzahlungen aus Italien zu Plünderungen römischer Gebiete über. Vgl. Geuenich, Alemannen: S. 50 ff. Dazu Zotz, Alemannen: S. 396 f. Der Schluss liegt nahe, dass die Redistribution von materiellen Gütern und Ressourcen für den Erhalt der Anführerposition und das Bestehen der Gemeinschaften essentiell war. Vgl. Dick, Königtum: S. 180–188. Auch dahingehend ist die Formu-
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von Konstellationen25 in die Analyse einzubeziehen, was gerade für Fragen nach dem Organisieren von Folgeleistungen aufschlussreich ist. Dabei erleichtert die anfänglich weitgehend unspezifische Grundierung des Terminus „Position“ seine Präzision anhand des Quellenmaterials während der Untersuchung und die Untersuchung des Entstehens neuer „Positionen“ trotz des Gebrauchs älterer Namen durch die Quellenautoren über die Berücksichtigung der Handlungskompetenzen. Mit Neustrukturierung sind die praktischen26 und die normativ geregelten27 Neudefinitionen „struktureller Elemente“ beschrieben. Eroberungen bei militärischen Operationen sowie regionalen und lokalen Konflikten,28 Vertragsabschlüsse und
lierung, die „germanische“ Welt sei eine der größten Erfindungen der Römer, plausibel. Vgl. Geary, Merowinger: S. 7. 25 So entstanden neue Konstellationen für die Inhaber der Königspositionen nach den Neustrukturierungen. Ein Beispiel hierfür ist das Verhältnis des Königs Eurich zu den katholischen Bischöfen. Überblickend Wolfram, Goten 2001: S. 194 f. Ein weiteres Beispiel ist König Chlodwig I., der in seiner Position ebenfalls Konstellationen zu den Inhabern der Bischofspositionen in Gallien ausprägte. Vgl. Becher, Chlodwig I.: S. 174 ff. 26 Beispiele hierfür sind die Eroberungen des westgotischen Königs Eurich und des fränkischen Königs Chlodwig I. Vgl. Panzram, Eurich: S. 125–128 und Becher, Chlodwig I.: S. 144–153 und S. 204– 235. 27 Besonders die Termini foederati, dediticii und laeti sind für die normativen Regelungen zu nennen. Dazu Schwarcz und Steuer, Art. Foederati: S. 290–301. Auch dazu Behrends und Tasler, Art. Dediticii: S. 286–307. Ebenso Böhme und Castritius, Art. Laeten: S. 580–588. Zu den foederati im 4. Jahrhundert Heather, Foederati: S. 57–74. Mit den Wanderbewegungen in das Territorium der weströmischen Ordnung zu Beginn des 5. Jahrhunderts wurden militärische Operationen gegen die relativ einheitlich organisierten Wandergemeinschaften notwendig. Vgl. Pohl, Völkerwanderung: S. 33 f. Die Folge waren Versuche der normativen Integration ganzer Gemeinschaften, die selbst relativ einheitlich organisiert waren, denn die weströmischen Repräsentanten brauchten Akteure aus diesen Gemeinschaften, um gegen andere Wandergemeinschaften vorzugehen, die den Angesiedelten ähnelten. So konnten diejenigen zum Plündern übergehen, die gegen Plünderungen eingesetzt werden sollten. Vgl. Nonn, Franken: S. 147 ff. und Wolfram, Goten 2001: S. 145–168. Zu einer Plünderung Roms Meier und Patzold, August 410. 28 In Gallien erweiterten Anführer mit Akteuren aus den burgundischen und den westgotischen Gemeinschaften das ihnen von weströmischen Repräsentanten gegebene sors. Den militärischen Operationen wurde in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts mehrfach Einhalt geboten. Vgl. Stickler, Aëtius: S. 180 ff. Dies gelang nach 451 nicht mehr in dem Maße. Vgl. Panzram, Eurich: S. 124 f.; Kaiser, Burgunder: S. 46 ff. und Mathisen, Aristocrats: S. 77 ff. Die Quellen beinhalten zudem Aussagen zum Überlauf der einfachen Bevölkerung zu den Königen. Diese Aussagen beziehen sich allerdings vor die Zeit der Expansion in den 470er Jahren. Vgl. Maas, Salvian: S. 275 ff. Hierin liegt auch eine Begründung dafür, dass von praktischen Definitionen zu schreiben ist: Eine militärisch betriebene geographische Erweiterung eines sors heißt, dass Inhaber von Positionen in den relativ einheitlich organisierten Gemeinschaften Einfluss über Verwaltungseinheiten in Gallien erlangten, der ihnen nach den Regelungen nicht zugestanden wurde. Ein Ergebnis war das regnum tolosanum, dass als einziger neu geschaffener Strukturierungszusammenhang in Zeitnähe mit regnum bezeichnet worden
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die Konsolidierung der Präsenz von Akteuren in geographischen Räumen29 sind mit diesem Terminus erfasst. Die mit „Neustrukturierung“ primär beschriebenen Aspekte sind somit nicht nur Indikatoren für die Erosion, sondern auch dafür, dass gegenüber weströmischen Repräsentanten nicht einfach mehr normativ geregelt Folge geleistet wurde.30 Mit dem Terminus wird auch das Entstehen neuer „Positionen“ und Veränderungen älterer „Positionen“ beschreibbar. Neudefinitionen von „strukturellen Elementen“ können mit „Neustrukturierung“ in Bezug auf ein einzelnes „strukturelles Element“ untersucht werden, aber auch im Zusammenhang der „strukturellen Elemente“, die zuvor einer „Neustrukturierung“ unterzogen worden sind. Diese deutungstechnische Option führt zum analytischen Terminus Strukturierungszusammenhang. Der deskriptive Akzent liegt nicht auf einer Struktur, sondern auf der „Neustrukturierung“ in Sinne von „Produzieren eines Zusammenhangs“ und schließt dabei die Prozessdynamik nicht aus:31 Mit „Strukturierungszusammenhang“ ist also kein finales Produkt zu beschreiben. Die „Strukturierungszusammenhänge“ oder einzelne ihrer „strukturellen Elemente“ konnten ebenfalls einer „Neustrukturie-
ist. Vgl. Wolfram, Goten 2001: S. 178. Das hierin ein quantitativer oder qualitativer Unterschied zu den als sors bezeichneten Zusammenhängen gegeben ist, kann nicht als grundsätzlich sicher gelten. Zu einer Klärung der Frage müsste die Thematik in das Zentrum einer Einzelstudie gelegt werden, die hier nicht zu leisten ist. Sicher ist allerdings, dass neue Strukturierungszusammenhänge entstanden waren. 29 Dazu erneut Pohl, Völkerwanderung: S. 28. Diese Neustrukturierungen fanden wegen der Niederlassung weiterhin relativ einheitlich organisierter Gemeinschaften mit und ohne Beteiligung weströmischer Repräsentanten statt. Aëtius war an der Ansiedlung von Gemeinschaften beteiligt. Vgl. Stickler, Aëtius: S. 168–210. Für die Beteiligung des Avitus Sivan, Theoderic II.: S. 85–94 und Mathisen, Avitus: S. 165–171. Ein weiteres Beispiel bezieht sich auf Afrika: Dass die alanisch-vandalische Wandergemeinschaft vom patricius und comes africae Bonifatius dorthin gerufen worden sein soll, ist umstritten. Jedoch kann dies zumindest partiell auch als ein Indiz dafür gelten, dass die Neustrukturierungen keine extern in die weströmische Ordnung hineingebrachten Aspekte der Erosion waren. Vgl. Castritius, Vandalen: S. 68. Dieser Beleg steht im Übrigen nicht allein. Für den Versuch der Neustrukturierung mittels einer brieflichen Aufforderung durch den praefectus praetorio galliarum Arvandus sowie für die Kooperation des Seronatus Teitler, Gaul: S. 309–318. Akteure aus siedelnden Gemeinschaften konnten im Übrigen auch wieder zu wandernden Gemeinschaften werden. Vgl. Berndt, Kriegergruppen: S. 146–147. 30 Die Integrationsversuche waren zwar seit dem 4. Jahrhundert auch auf die normative Regelung von Folgeleistungen angelegt. Vgl. Demandt, Spätantike: S. 245 ff. Kritisch, aber teilweise zustimmend Heather, Foederati: S. 68 f. Doch war wegen der Prozessdynamik der Erosion eine normative Regelung von Folgeleistungen bald nicht mehr gewährleistet. Die Anführer aber konnten in ihren Positionen auch abseits der normativen Regelungen Folgeleistungen organisieren. 31 Ein geographisch ausgedehnter Strukturierungszusammenhang bot ein ungleich größeres ökonomisches Potential für die Akteure, die an der Neustrukturierung beteiligt waren. Vgl. Wolfram, Reich: S. 173 ff. Über die Partizipation an dem Potential konnte das Plündern möglicherweise für das Organisieren von Folgeleistungen an Relevanz verlieren, da es durch andere Praktiken des Erwerbs oder der Produktion materieller Gütern und Ressourcen substituierbar wurde.
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rung“ unterliegen. Daher ist der Terminus auf die quellenimmanenten Kontexte zu Worten32 wie33 regnum34 zu beziehen. Es gibt auch eine Reihe von analytischen Termini, die Akteure und Akteursgruppen wie auch das Handeln von Akteuren beschreiben. Es ist zwar unzweifelhaft, dass Akteure insgesamt auch Beachtung finden müssen, so dass auf einer sekundären Ebene auch zu ihnen Ergebnisse verzeichnet werden können. Im Fokus steht allerdings die sozioökonomische Praktik des Plünderns selbst. Insofern ist es notwendig, das Plündern als eine Erwerbsweise neben anderen Erwerbs- aber auch Produktionspraktiken des sozioökonomischen Lebens aufzufassen und mit den Lebensweisen der Akteure in einer deskriptiven Weise zu verbinden.35 Hierfür sind die analytischen Termini Kriegersein und Bauersein zu präzisieren: Beide Termini sind anfänglich weitgehend unspezifisch grundiert und können – anhand von Quellenaussagen zu
32 Solche Wörter sind zwar direkt aus den Quellen entnommen, ihre Herauslösung aus ihren definitorischen Kontexten bringt aber dieselben Probleme mit sich, die von Otto Brunner übersehen worden waren. Andere Probleme bringen dann Übersetzungen mit Wörtern wie „Herrschaft“, „Reich“ oder „Staat“ mit sich. Vgl. Jussen, Diskutieren: XVIII. Ein entscheidender Vorteil ergibt sich, wenn regnum und sors nicht nur als Worte, sondern zugleich als sprachliche Variablen angesehen werden, die im Kontext des Gebrauchs innerhalb jeweiliger Überlieferungen spezifisch sind. Daraus ergibt sich für einen Wort, dass es vieles bedeuten kann, da es in seinen historischen Gebrauch wandelbar ist. Damit ist ein Wort in seinem konkreten Gebrauch zwar faktisch stabil, im konkreten Kontext seines Gebrauchs zugleich aber variabel. 33 Sors ist in den Quellentexten für den interessierenden Zeitraum häufig vertreten. Die am Rhein angesiedelte burgundische Gemeinschaft wurde um 413 dort hingeführt. Die westgotische Gemeinschaft wurde 418 in Aquitanien angesiedelt. Dies war bereits der dritte Versuch ihrer Integration. Beide Gemeinschaften wurden als foederati anerkannt und ihr Siedlungsland wurde als sors bezeichnet. Vgl. Wolfram, Studien: S. 144 f. Da die Mitglieder des burgundischen wie auch der westgotischen Gemeinschaft diese Gebiete zu erweitern versuchten, ist der Schluss möglich, dass hier erneut Belege dafür gegeben sind, dass Handlungen die Normen und nicht ungekehrt veränderten, da Folgeleistungen nicht unbedingt normativ zu regeln waren. 34 Der Gebrauch des Wortes regnum ist für die Zeit nach den Merowingern im deutschsprachigen Raum weit besser erforscht, als es für die Spätantike und die Zeit der Merowinger der Fall ist. Besondere Impulse empfing die Erforschung aus der Kontroverse zwischen Johannes Fried und Hans-Werner Goetz. Überblickend Jarnut, Kontroverse: S. 504–509. Den mit dem Wort verbundenen Forschungsthemen wurden in der Reihe „The Transformation of the Roman World“ ein eigener Band gewidmet. Goetz/Jarnut/Pohl (Hg.): Regna and Gentes. Thematisch assoziierbar ist er mit den Beiträgen aus dem ersten Band der Reihe. Pohl (Hg.): Kingdoms of the Empire. 35 Teile der sesshaften Bevölkerung in Gallien waren schon vor dem Übergang größerer Wandergemeinschaften über den Rhein am Ende des Jahres 406 mit plündernden Gemeinschaften konfrontiert, wobei ökonomischer Druck Sesshafte hier bewegt hatte, mobil zu werden und Plünderungen vorzunehmen. Es handelt sich bei den Aussagen zu den bacaudae oder bagaudes um eine Überlieferung des Wechsels der Lebensweise, der zur Desintegration von Akteuren geführt hat. Drinkwater, Bacaudae: S. 212. Das Plündern als eine Erwerbspraktik von materiellen Gütern und Ressourcen war für diese wie für die Wandergemeinschaften eine notwendige Praktik, da sie bar jeder ökonomischen Grundlage das Überleben der Mitglieder zu sichern hatten.
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sozioökonomischen Praktiken präzisiert – für die Beschreibung von Zuständen wie auch Wandlungen36 genutzt werden, wobei eine Ergänzung der beiden Termini mit ähnlichen möglich bleibt. Der analytische Terminus Kriegergemeinschaften beschreibt unter Berücksichtigung der beiden zuvor eingeführten Termini in relativ loser Assoziation den Mittelcharakter der mit diesem Terminus erfassten Gemeinschaften: „Kriegergemeinschaften“ waren nicht nur ein Mittel für „Neustrukturierungen“, sondern auch ein Erwerbsmittel. Welcher Aspekt in Anbetracht konkreter Quellenaussagen genauer zutrifft, wie sich diese beiden Aspekte zu einander verhalten und wie sich dieses Verhältnis entwickelte, wird durch die Untersuchung zu zeigen sein. Zudem sind auch die Anführer in ihren Handlungen einzubeziehen, von denen eine das Organisieren von Folgeleistungen war. Sie werden in neueren Forschungsbeiträgen als „Warlords“ bezeichnet.37 Der Terminus wurde allerdings in politologischen Forschungsbeiträgen – aus dieser Disziplin wurde er entlehnt38 – wegen seiner Indifferenz bereits kritisiert:39 Ein spezifisches Konzept gibt es nicht.40 Die Übernahme des Terminus in die Mittelalterforschung ginge daher fehl. Ein sinnvol-
36 In Gallien war es – wie bereits erwähnt – im 3. Jahrhundert zu Aufständen von bewaffneten Bauern- und Hirtengruppen, den bacaudae oder bagaudes, gekommen, die mit Plünderungen einhergingen. Die Quellen beinhalten dann erst wieder für den Beginn des 5. Jahrhunderts Aussagen zu diesen Gemeinschaften und ihren Plünderungen. Vgl. Drinkwater, Bacaudae: S. 208 ff. Sie waren keine „Germanen“. Das Plündern kann auch deshalb nicht einfach als eine „germanische“ oder „barbarische“ Praktik bezeichnet werden. 37 Dazu Jussen, Chlodwig: S. 141–155; Whittaker, Warlords: S. 277–302; Muhlberger, Warlords: S. 83–98 und Harries, Sidonius: S. 57–67. Erläuternd MacGeorge, Warlords: S. 5–14. 38 „Warlord“ wurde ursprünglich zur Beschreibung militärischer Anführer im chinesischen Bürgerkrieg verwendet. Dazu Roberts, Warlordism: S. 26–34. Für eine Annäherung an diese Definition in der Geschichtswissenschaft Whittaker, Warlords: S. 298–300. Seit den 1990er Jahren wurde er erst in der Forschungsliteratur zu militärischen Konflikten in den zerfallenden Staaten auf dem afrikanischen Kontinent gebraucht. Übertragen wurde er nach den Terroranschlägen auf das World Trade Center in die Forschung zu Afghanistan. Vgl. Schetter, „Warlords“: S. 1233 f. Unstrittig ist insgesamt, dass als „Warlords“ bezeichnete Anführer in Räumen begrenzter Staatlichkeit militärisch operieren. Dazu ausführlich Keen, Violence: S. 19–25 und bes. 27–31. Mit dem Terminus kann auch ein Akteur bezeichnet werden, dem ein spezifisches Bündel von Praktiken zur Akquirierung von materiellen Gütern und Ressourcen sowie der Akkumulation von Handlungskompetenzen aus dem Bereich der staatlichen Sicherheit und/oder Gewaltanwendung zur Verfügung steht. Vgl. MacKinlay, Warlords: S. 48. Das Bündel von Praktiken kann lokal stark variieren. Überblickend die Beiträge in Jean und Rufin (Hg.), Ökonomie; Elwert/Feuchtwang/Neubert (Hg.): Dynamics of Violence sowie die Monographie Reno, African Society. Zu den Formen dieser Sets Rufin, Kriegswirtschaft: S. 16–36, bes. 27–36. 39 Die kritischen Stimmen zusammenfassend Schetter, Kriegsfürstentum: S. 3–6. Zudem umfasst das terminologische Feld, das mit „Warlord“ verbunden wird, weitere unscharfe Termini wie „Bürgerkriegsökonomie“, „Gewaltmarkt“, „Gewaltökonomie“ und „Schattenökonomie“. Auch ihr Gebrauch ist in der jüngeren Vergangenheit in die Kritik geraten. Vgl. Schetter, Kriegsfürstentum: S. 5–7. 40 Es gibt nicht den „Warlord“, da die empirische Forschung eine einheitliche Definition erschwert: „The Warlord is a Virus of a new strategic era.“ MacKinlay, Warlords: S. 59.
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les Vorgehen kann somit nur an den Quellen ansetzen: Da die Quellenautoren über Handlungen von Akteuren berichten, die zwar Folgeleistungen organisierten, sich aber zum Plündern unterschiedlich verhielten, sollten nicht einfach Akteurstypen konstituiert werden. Deswegen wird der analytische Terminus Warlordism verwendet. Darunter wird jene Dimension von tradierten Handlungsweisen der Akteure verstanden, die Folgeleistungen organisiert haben.41 Die Aussagen zu den Handlungen können gebündelt werden, so dass mit der Präzision von „Warlordism“ Formen dieser Handlungsweisen entstehen, die nah an den Quellen sind. Auf diese Weise können nicht nur spezifische Akteure wie die Könige in ihrer Aktivität als Anführer untersucht werden, sondern die Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen selbst – ganz unabhängig davon, wie die Folgeleistungen organisierenden Akteure in den Quellen bezeichnet werden. Abseits der Anführer gibt es aber noch weitere Akteure, deren Gruppe durchaus mit der der Anführer korrelieren konnte: Der analytische Terminus herausragender Akteur beschreibt primär solche Akteure, die aufgrund von materiellen Gütern und Ressourcen gegenüber anderen Akteuren herausragten. Er ermöglicht nicht nur, jene, die nicht quellenimmanent mit einem Wort bezeichnet wurden, die unter „Große“ summierbar sind,42 als herausragend zu beschreiben. Auch ihr Entstehen und Bestehen kann mit dem Terminus als vom Plündern bedingt untersucht werden. Zusätzlich können andere Arten des Herausragens in Relation erfasst werden. Er erlaubt somit, ältere Debatten um den Status von Akteuren, die unter „Adel“ und „Oberschicht“ geführt wurden, von rechtlichen sowie biologischen Kategorisierungsfaktoren43 zu lösen und quellennah zugleich auf die Quellenaussagen zu gallischen Aristokraten44 und die Quellenaussagen, die in den Debatten untersucht wurden, einzugehen.
41 Mehrheitlich wird „Warlord“ mit der ökonomischen Ausbeutung von Gebieten assoziiert. So sind selbstredend Parallelen zu den Aussagen zum Plündern zwischen der Mitte des 5. und dem Ende des 6. Jahrhunderts zu erkennen. Das Plündern wird häufig als eine der Erwerbsweisen zur Ausbeutung von Regionen durch die als „Warlords“ bezeichneten Akteure genannt. Vgl. Le Billon, Ressourcen: S. 145; Schetter, Kriegsfürstentum: S. 23; Rufin, Kriegswirtschaft: S. 27–31; MacKinlay, Warlords: S. 49 ff. und von Trotha, Raid: S. 54 ff. 42 Die Kategorie „Große“ wird von Grahn-Hoek subsumierend gebraucht, um die Pluralität der quellenimmanenten Wörter zu reduzieren. Vgl. Grahn-Hoek, Oberschicht: S. 263. Die Relevanz materieller Güter und Ressourcen dafür, dass Akteure mit Wörtern bezeichnet wurden, die unter der Kategorie „Große“ auf der Deutungsebene summiert werden können, ist schon während der Debatte zum „frühfränkischen Adel“ bemerkt worden. Vgl. Grahn-Hoek, Oberschicht: S. 273 und Irsigler, Untersuchungen 1969: S. 221 ff. Dies wurde später nicht nur akzeptiert, sondern akzentuiert, wenn auch weiter versucht worden ist, den besonderen rechtlichen Status der Gruppe der „Großen“ zu erschließen. Vgl. Weidemann, Adel: S. 535 f. 43 Irsigler betonte die Existenz eines Geburtsadels und Grahn-Hoek fokussierte den rechtlichen Status. Dazu zusammenfassend Weidemann, Adel: S. 535 f. 44 Zu den Konstellationen der Aristokraten in Gallien und den davon bedingten Wandlungen ihres Herausragens Mathisen, Aristocrats: S. 7–36 und Mathisen, Emigrants: S. 159–170.
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Abschließend ist festzuhalten, dass der Ansatz der „Erosion der strukturellen Einheit der weströmischen Ordnung“ und die mit ihm verbundenen analytischen Termini mit deskriptiver Funktion insgesamt erlauben, an die Debatte um den (west-) römischen „Staat“ sowie die „Transformation of the Roman World“ anzuschließen und zugleich Möglichkeiten für eine analytische Vertiefung hinsichtlich der Fragen nach Kontinuität und Diskontinuität zu eröffnen.
1.2 Textkritik In diesem Abschnitt wird die Textkritik dargelegt. Dabei geht es allerdings nicht um ein geschlossenes Programm, sondern um unterschiedliche Ansätze und deren Integration. Begonnen wird mit dem für die Quellenuntersuchung maßgebenden Textverständnis.
1.2.1 Zum Textverständnis: Die „Postmoderne“ und der Mensch in Raum und Zeit Außer Frage steht, dass Texte für geschichtswissenschaftliche Untersuchungen zumeist von fundamentaler Bedeutung sind. Wie aber entstehen Texte? Das „Überliefern“ wird für die vorliegende Untersuchung als Verarbeitung von Phänomenen und Informationen zum Plündern verstanden. Auf diese Phänomene und Informationen wurde rekurriert,45 so dass heute Aussagen dazu vorliegen. Daher wird die Verarbeitung als „literarisch“ aufgefasst, denn sie führte zu Erzählungen und zu Gedichten, zu Chroniken und zu Rechtstexten, um nur einige der Gattungen zu nennen, in die die Quellen kategorisiert werden können. Dabei wird zwischen Phänomenen und Informationen unterschieden: Die literarische Verarbeitung der Phänomene war durch
45 Der Begriff „Wahrnehmung“ wird hier bewusst nicht verwendet. Zwar ist dieser Begriff mittlerweile mehrfach in der deutschsprachigen Mediävistik thematisiert und seine Reichweite für die Methodik der Quellenkritik deutlich erfasst worden. Eine scharfe Trennung von Begriffen wie „Deutung“ und „Vorstellung“ ist jedoch eher selten. Überblickend zu der Verwendung der Begriffe Bleumer und Patzold, Wahrnehmungs- und Deutungsmuster: S. 11–15. Für einen neueren Versuch der definitorischen Abgrenzung der Begriffe Goetz, Wahrnehmungs- und Deutungsmuster: S. 30–32. Im Speziellen zum Begriff „Wahrnehmung“: „Der Begriff der Wahrnehmung zielt auf den individuellen Prozeß der sinnlichen und gedanklichen Annahme von Informationen – einem Prozeß, der zwar grundlegend ist, über den Mediävisten aber aufgrund ihrer Quellen im Einzelfall nur selten Aussagen treffen können.“ Patzold, Episcopus: S. 38. Da hier aber nicht die sinnliche oder gedankliche Annahme von Informationen für die Quellenkritik wichtig ist, sondern viel mehr die Frage, wie Autoren an Phänomene und/ oder Informationen kamen, welche sie literarisch verarbeitet haben, wird die Frage nach dem Rekurs der Autoren auf diese Phänomene und/oder Informationen und nicht die nach ihrer Wahrnehmung gestellt. Rekursivität – definiert als die selektive Bezugnahme eines Autors in der Interdependenz zwischen Mensch und Umwelt – ist ein quellenkritischer Aspekt, der nicht übergangen werden darf.
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direkte Rekurse auf selbst Erlebtes ermöglicht. Durch Rekurse des Autors auf Texte oder auch Quellen mündlicher Art wurden Informationen literarisch verarbeitet. Die für den Sprachgebrauch mediävistischer Forschungsarbeiten doch eher untypischen Formulierungen wurden in Anbetracht einer aktuell noch andauernden Debatte gewählt, die von einigen Geschichtswissenschaftlern als eine Bedrohung grundlegender Annahmen ihrer Disziplin ausgewiesen wurde.46 Gemeint ist die Debatte über die Methoden, Theorien und Ideen, die unter dem Etikett „Postmoderne“ firmieren. Im Kern geht es für die Geschichtswissenschaften dabei um die prinzipielle Frage nach der historischen Referentialität.47 Wie sind noch Aussagen über das Leben der Menschen im 5. und 6. Jahrhundert in Gallien möglich, wenn doch unter der Überschrift „linguistic turn“ der Fokus auf die reine Sprache der Quellenautoren gelegt wird48 und erweiternd fiktive sowie fiktionale Anteile ihrer Texte absolut gesetzt werden?49 Natürlich kann im Folgenden nicht auf die gesamte Debatte eingegangen werden. Vielmehr wird es darum gehen müssen, das textkritische Vorgehen dieser Studie darzulegen und dabei Bezüge zu der Debatte herzustellen. Dass dabei auch Beiträge aus der deutschsprachigen Mediävistik neben der hohen Zahl aufschlussreicher internationaler Arbeiten Chancen für einen sinnvollen Umgang mit den Quellen bieten, wird gezeigt werden. Die beiden wichtigsten und zugleich zusammenhängenden Felder der Debatte sind mit „Geschichte und Narrativität“ und mit „Geschichte und Kognition“ überschrieben. Das erste Feld ist unzweifelhaft mit den Namen Hayden White verbunden, dessen Arbeiten50 in der letzten Zeit intensiv rezipiert wurden und dabei zu neuen Ansätzen in der internationalen Mediävistik geführt haben. So wurden die decem libri historiarum des Bischofs Gregor von Tours – die Hauptquelle für die hier interessierende Fragestellung – Gegenstand erzähltheoretischer Studien.51 Allerdings ist Whites Anliegen falsch verstanden, wenn seine Modelle auf die Quellen angewandt
46 Vgl. Jordan, Theorien: S. 179; Kolmer, Geschichtstheorien: S. 83; Goertz, Geschichte: S. 11 f.; Sandl, Postmoderne: S. 330–332 und Oexle, Grundsatzfragen: S. 1–42. 47 Überblickend Goertz, Geschichte: S. 9 und Kolmer, Geschichtstheorie: S. 86 f. 48 Vgl. Schöttler, „linguistic turn“: S. 142–145; Kolmer, Geschichtstheorie: S. 85–89; Goertz, Geschichte: S. 12–16 und Jordan, Theorien: S. 187. 49 Vgl. Oexle, Grundsatzfragen: S. 1–9 und Goertz, Geschichte: S. 29 ff. 50 In den 1970er Jahren erschienen die Arbeiten Hayden Whites, die im deutschsprachigen Raum eine nachhaltige Wirkung hinterlassen haben. Vgl. Rexroth, Meistererzählungen: S. 5. Die wichtigsten Werke Whites finden sich in dem Essayband White, Fiktion des Faktischen. Ebenso wichtig sind die Monographien White, Metahistorie. und White, Bedeutung der Form. Von den Arbeiten Whites gingen entscheidende Impulse für die Forschungsarbeiten zu „master narratives“ aus. Vgl. Jarausch und Sabrow, „Meistererzählung“: S. 13. 51 Die decem libri historiarum des Bischofs Gregor von Tours wurden in der jüngeren Vergangenheit mehrfach unter erzähltheoretischen Fragen untersucht. Dazu Thürlemann, Diskurs.; Heinzelmann, Gregor.; Heinzelmann, Perspektive: S. 326–344; Heinzelmann, Grundlegung: S. 381–388; Breukelaar, Historiography. und Goffart, Narrators.
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werden, denn für ihn beinhalten sie schlicht „Informationen“.52 Es geht ihm vielmehr um das Erzählen als die primäre Art der geschichtswissenschaftlichen Textproduktion.53 Er führte dazu Fallstudien durch, auf deren Basis literaturwissenschaftliche Modelle54 generiert wurden.55 Die Anglistin und Erzähltheoretikerin Monika Fludernik übt daher Kritik an den Thesen Whites. Für sie ist geschichtswissenschaftliche Textproduktion primär argumentativ und nicht narrativ.56 Sie geht mit White dahingehend konform, dass auch sie seine Modelle nicht auf das Quellenmaterial anwenden würde.57 Fludernik, die sich für eine Historisierung des methodischen Programms der linguistischen Erzähltheorie(n)58 einsetzt,59 betont deshalb zusätzlich, dass methodische Ansätze für die Untersuchungen frühmittelalterlicher Erzählungen, aber auch für Erzählungen aus früheren und späteren Zeiten, noch nicht ausreichend gegeben sind.60 Tatsächlich handelt es sich aber bei der Thematik „Geschichte und Narrativität“ nicht um eine neue Auseinandersetzung. Es wird deswegen zu Recht von einer „Rückkehr der Narrativität“61 gesprochen. Deshalb überrascht es doch, dass die Auflösung der historischen Referentialität in reine Sprache befürchtet wird.62 Dass Sprache – auch in schriftlicher Form63 – nicht nur solipsistisch, sondern auch intersubjektiv ist und deskriptiv gebraucht werden kann,64 darf nicht einfach übersehen werden.65 Wegen der Nichtberücksichtigung dieser Aspekte der Sprache ist hingegen abzulehnen, dass Texte als „Produkte der Fantasie“ bezeichnet werden.66 Auch dafür wurde
52 Vgl. White, Geschichtsschreibung: S. 68 f. 53 Beispielsweise White, Metahistorie: S. 177 ff. 54 Für eine Visualisierung der Modelle Jordan, Theorien: S. 192. 55 Whites Arbeiten sind in den letzten Jahren kritisiert worden, wobei Sachlichkeit und wissenschaftliche Anteilnahme nicht immer ausreichend vorhanden waren. Vgl. Goertz, Geschichte: S. 105–107 und Jordan, Theorien: S. 191–194. Auch hierin zeigt sich, wie sehr die Debatte auf dem Feld „Geschichte und Narrativität“ als eine essentielle Bedrohung wahrgenommen worden ist. 56 Vgl. Fludernik, Erzähltheorie: S. 73. 57 Vgl. ebd.: S. 72. 58 Tatsächlich gibt es einen umfangreichen Bestand von differenten erzähltheoretischen Ansätzen. Dazu Nünning und Nünning, Narratologie: S. 1–34. 59 Gedanken zu einer Historisierung der Erzähltheorie(n) in Fludernik, Narratology. Auch in Fludernik, Diachronization: S. 331–348 und Fludernik, Natural Narratology: S. 243–267. 60 Vgl. Fludernik, Erzähltheorie: S. 124–134. 61 Vgl. Noiriel, Narrativität: S. 355 f. 62 Vgl. Goertz, Geschichte: S. 33. 63 Vgl. Tanner, Historische Anthropologie: S. 173–176. 64 Vgl. Gebauer, Sprachtheorie: S. 137–147. 65 Daher hat Dietmar Kamper Recht, wenn er das „Leben der Sprache“ postmodernen Denkens mit dem „Tod des Körpers“ in einer unmittelbaren Verbindung versteht. Vgl. Kamper, Intervention: S. 49–82. Auch der nordamerikanischen Mediävistin Gabriele Spiegel ist zuzustimmen, wenn sie gegen die Auflösung der „Materialität des Zeichens“ schreibt. Vgl. Spiegel, Historizität: S. 166. 66 Überblickend Fried, Phantasie: S. 291–316.
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White von Fludernik kritisiert. Sie weist seinen Fiktionsbegriff als zu speziell aus, da kognitive Prozesse bei der Produktion von Texten stets relevant sind.67 Die Fiktion der Autoren spielt eine Rolle bei der Produktion von Texten; nicht die alleinige. Das Verhältnis von Fiktivität sowie Fiktionalität und Sprache ist auch für das Debattenfeld „Geschichte und Kognition“ wichtig. Es sind deutliche Bezüge zwischen den Feldern zu erkennen.68 Den Ideen und Ansätzen des Radikalen Konstruktivismus, die die Möglichkeit historischer Referentialität viel stärker in Frage stellen,69 wurde jedoch weit weniger Beachtung geschenkt70 als der Kritik am Umgang mit textlich fixierter Sprache in den Geschichtswissenschaften. Die Basis des Radikalen Konstruktivismus besteht primär aus Ergebnissen der Kognitionsforschung.71 Das Subjekt wird als autopoietisches System in einer Umwelt („intersubjektiver Erfahrungsraum“) angesehen,72 die den Prozess kognitiven Konstruierens bedingt.73 Zwar wird „Umwelt“ in das Modell einbezogen, nur wird das „Subjekt“ in der Art erfasst, dass es keinen direkten Zugang zu ihr hat.74 Vereinfacht formuliert werden Mensch und Umwelt relational dargestellt,75 wobei die Konsequenz eine kognitive Konstruktion ist, die „Wirklichkeit“ genannt wird. Auf diese Weise bietet der Radikale Konstruktivismus eine Antwort auf das „Wie“ von „Wirklichkeit“. Sie steht Menschen nicht gegenüber.76 „Wirklichkeit“ wird „systemintern“ konstruiert,77 nicht im Sprachakt.78 Sprache wird allerdings wieder zu einem Abbild von „Wirklichkeit“, aber kognitiv erzeugter „Wirklichkeit“, die im „intersubjektiven Erfahrungsraum“ hinterfragbar ist.79 Historische Referentialität ist somit in der gegenwärtigen Kommunikationsgemeinschaft der Geschichtswissenschaften, aber nicht
67 Vgl. Fludernik, Erzähltheorie: S. 73. 68 Vgl. Kolmer, Geschichtstheorien: S. 84 und Goertz, Geschichte: S. 13 f. 69 Vgl. Tanner, Historische Anthropologie: S. 146–151; Goetz, Wahrnehmungs- und Deutungsmuster: S. 29 f. und Goertz, Geschichte: S. 83–86. 70 Vgl. Jordan, Theorien: S. 183. 71 Vgl. von Glasersfeld, Radikaler Konstruktivismus: S. 100 ff. Dazu eher kritisch Dettmann, Radikale Konstruktivismus: S. 104 ff. Weitere prägende Radikale Konstruktivisten neben Paul von Glasersfeld sind Heinz von Foerster, Humberto Manturana und Paul Watzlawick. Vgl. Goertz, Geschichte: S. 83. 72 Vgl. von Glasersfeld, Radikaler Konstruktivismus: S. 202 f. Dazu eher kritisch Dettmann, Radikale Konstruktivismus: S. 70 ff. und 122 ff. 73 Vgl. von Glasersfeld, Radikaler Konstruktivismus: S. 129 ff. Dazu eher kritisch Dettmann, Radikaler Konstruktivismus: S. 122 ff. Für eine direktere Kritik an den Thesen von Glaserfelds überblickend Goertz, Geschichte: S. 88 ff. 74 Diese These ist empirisch fragwürdig. Vgl. Dettmann, Radikale Konstruktivismus: S. 113. 75 Hierzu von Glasersfeld, Radikaler Konstruktivismus: S. 129. Ganz ohne Zweifel existiert „Etwas“ – wie auch immer dieses präzise zu nennen ist – auch für von Glasersfeld außerhalb des autopoietischen Systems. Dazu kritisch Dettmann, Radikale Konstruktivismus: S. 225. 76 Vgl. Goertz, Geschichte: S. 93. 77 Vgl. von Glasersfeld, Radikale Konstruktivismus: S. 218 ff. 78 Vgl. ebd.: S. 197 f. 79 Vgl. Goertz, Geschichte: S. 90. Dazu kritisch Dettmann, Radikale Konstruktivismus: S. 118.
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hinsichtlich des vergangenen Geschehens möglich.80 „Wirklichkeit“ ist letztlich eine kognitiv-soziale Konstruktion.81 Dieses subjektzentristische Modell hat selbstredend Schwächen. Das stärkste Argument gegen den Radikalen Konstruktivismus ist, dass die Grundlagen des skizzierten Modells gemäß dem Modell nicht gültig sein können, da das Nichtvorhandensein einer externen Wirklichkeit nicht als ein Teil dieser Wirklichkeit erkannt werden kann.82 Dem Subjektzentrismus moderner Wissenschaften wurde bereits im Jahr 1966 abseits des Radikalen Konstruktivismus von dem Historiker und Philosophen Michel Foucault in seinem Frühwerk „Die Ordnung der Dinge“ kritisch begegnet.83 Die Arbeiten Foucaults – der als Vertreter der unter dem Etikett „Postmoderne“ gefassten Sammlung von Ansätzen und Ideen aufgefasst wird84 – sind jedoch mit den bisher behandelten Debattenfeldern weit weniger kompatibel, als häufig angenommen wird, wenngleich Sprache85 und Kognition86 auch bei ihm thematisiert werden.87 Berühmt wurde Foucault – dessen Arbeiten in unverständlicher Vermengung mit seinem Privatleben attackiert wurden88 – besonders durch seine Aussagen zum „Diskurs“ und die damit zusammenhängenden Analysearten.89 Grundlegende Diskrepanzen zwischen dem Konstruktivismus und den Werken Foucaults sind bereits erkannt und monographisch abgehandelt worden.90 In Anbetracht dieser Unvereinbarkeit lässt sich festhalten, dass die Debatte um die historische Referentialität ihren
80 Vgl. Goertz, Geschichte: S. 100. 81 Vgl. ebd.: S. 98. 82 Vgl. Esser/Hill/Schnell, Methoden: S. 111 ff. 83 Für diese Art der Kritik könnten sehr viele Stellen aus „Die Ordnung der Dinge“ herangezogen werden. Vgl. beispielsweise die ausdrückliche Kritik Foucault, Ordnung: S. 462 f. 84 Vgl. Goertz, Geschichte: S. 11 f. Dies erschwerte die Rezeption seiner Arbeiten im deutschsprachigen Raum. Vgl. Maset, Diskurs: S. 26. 85 Vgl. Maset, Diskurs: S. 26–30. 86 Vgl. Daniel, Kulturgeschichte: S. 173. 87 Vgl. Goertz, Geschichte: S. 53–82. 88 Beispiele hierfür Wehler, Kulturgeschichte: S. 45 ff.; S. 57 und 88 ff. Der Kritik von Hans-Ulrich Wehler ist nicht zu folgen. Stattdessen sollte die zum Teil diskriminierende Art der Kritik als deplaziert bezeichnet werden. In diesem Sinne übt Goertz Kritik an dem Vorgehen. Vgl. Goertz, Geschichte: S. 107. Ähnlich dazu Landwehr, Diskursanalyse: S. 20; Jordan, Theorien: S. 180. Ausführlich in diesem Sinne Maset, Diskurs: S. 37–42. 89 Vgl. Maset, Diskurs: S. 124–137 und S. 151–160. Auch Landwehr, Diskursanalyse: S. 65–79. 90 Die prinzipielle Unvereinbarkeit zwischen Michel Foucault und den Radikalen Konstruktivisten erkennt Goertz richtig. Dabei verweist er völlig zu Recht auf die grundlegende Differenz der Verortung des Subjekts in den beiden Forschungsrichtungen. Foucault negiert die Zentralstellung des Subjekts und vermutet dessen Auflösung als primäres Abstraktum geschichtlichen Denkens, Handelns und Sprechens, während die Vertreter des Radikalen Konstruktivismus das Subjekt zum prägenden Akteur seiner eigenen Wirklichkeit erheben, wobei das Subjekt ein Abstraktum bleibt. Vgl. Goertz, Geschichte: S. 88. Auch Siegfried Schmidt erkennt die grundlegende Diskrepanz zwischen den beiden Richtungen. Dies zeigt sich bereits im Untertitel seiner Monographie über das Verfahren der histori-
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stärksten Ausdruck im differenten Verständnis und der differenten Betonung der Bedeutung des Menschen (kognitiv aktives Subjekt, das erzählt) und dessen Umwelt (Diskurs) hat.91 Was aber lässt sich nun aus der skizzierten Debatte für die Beantwortung der Frage nach der Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen gewinnen und was davon ist unter Einbeziehung der bisherigen Ergebnisse des Literaturteils brauchbar? Bevor die Fragen beantwortet werden können, soll, wenn auch erneut in deutlich zugespitzter Form, festgehalten werden, dass die historische Referentialität für Foucault darin begründet ist, dass historische Diskurse in der Historizität der Gegenwart gründen, wie sie diese umgekehrt begründen.92 Somit ist weder der Text noch das Denken der Autoren oder Leser der Ort, in dem die historische Referenz zu suchen ist. Denken und Handeln von Autoren und Lesern wird vielmehr von Diskursen bewegt,93 indem sie an ihnen teilhaben.94 „Diskurs“ ist also ein Analyseinstrument, das auf die Umwelt der Autoren verweist und das dazu dienen soll, bestimmte Kontexte zu fassen, die mit zuvor vorhandenen sprachlichen Mitteln nicht ausreichend zu fassen waren.95 Eine Untersuchung aus dieser Perspektive kann ältere Begriffe und Konzepte der deutschsprachigen Mediävistik umgehen und sich den Quellen nähern, ohne zuvor schon zu attestieren, was Begriffe und Konzepte wie „Herrschaft“ oder „Gefolgschaft“ konstitutiv erfassen sollen. Das reicht aber noch nicht für die Antwort auf die Frage nach der Brauchbarkeit der einzelnen Standpunkte in der Debatte aus. Vielmehr müssen der Autor und seine Umwelt zugleich in das Textverständnis integriert werden und dafür sind die tendenziell subjektzentristischen Arbeiten zu Deutungsmustern96 in der deutschsprachigen Mediävistik in besonderer Weise geeignet.97
schen Diskursanalyse, der simpel „Abschied vom Konstruktivismus“ lautet. Dazu Schmidt, Diskurse. Auch vgl. Foucault, Ordnung: S. 441 f. 91 Diese Differenz ist prinzipiell gar kein neues Thema. Vgl. Lenzen, Historizität: S. 26. Zur aktuellen Situation Lenzen, Historizität: S. 29. 92 Vgl. Goertz, Geschichte: S. 109. 93 Sie Verwendung von discursus ist im Lateinischen recht unspezifisch. Die begriffsgeschichtlichen Belegstellen sind so zahlreich, dass von einem wie auch immer gearteten ursprünglichen Kern des Wortes nicht die Rede sein kann. Die vielen Verwendungsweisen gruppieren sich allerdings nicht, wie man meinen könnte, um Bedeutungen wie „Rede“ oder „Gespräch“, sondern finden sich meist im Zusammenhang der Beschreibung von Bewegung. Vgl. Landwehr, Diskursanalyse: S. 17. 94 Vgl. Maset, Diskurs: S. 27. Dazu ausführlich Foucault, Ordnung des Diskurses: S. 20 ff. 95 Vgl. Schmidt, Diskurse: S. 143 ff. 96 Für die Definition von Begriffs „Deutung“: „Der Begriff Deutung bezeichnet dagegen die individuelle Reflektion über Wahrgenommenes, betrifft also bereits eine höhere Ebene der mentalen Weiterverarbeitung von Informationen.“ Patzold, Episcopus: S. 38. Somit wird deutlich, dass hier das Subjekt als Autor zentral im Fokus der Betrachtung steht. Dies ermöglicht, die Reflektion der Rekurse einzubeziehen und beide Aspekte – Mensch und Umwelt – integral in das Textverständnis zu verorten. 97 Zum Subjektzentrismus dieses Ansatzes Goetz, Vorstellungsgeschichte: S. 258.
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Die Kombination ist fundiert zu formulieren: Umwelt, die unter anderem auch aus Menschen besteht, regt Menschen an, Sprache so zu verwenden, dass sie – wenn auch subjektiv-deskriptiv benutzt – konstitutiv wird für die Nachvollziehbarkeit subjektiver Rekursivität auf die Umwelt. Sprache ist intersubjektiv.98 Die Ereignisse und Strukturen in den Quellen sind insofern umweltbedingte Textsequenzen, die von der Umwelt angeregt sind. Somit sind Ereignisse und Strukturen sprachliche Produkte;99 Texte zu produzieren heißt also letztlich: Phänomene und Informationen literarisch verarbeiten. Nachdem die Interdependenz zwischen Mensch und Umwelt sowie die Rekurse von Autoren auf Phänomene und Informationen der Umwelt im Zentrum der bisherigen Überlegungen standen, könnte der Eindruck entstanden sein, dass die These bestünde, die Umwelt der Autoren sei an ihren Texten rekonstruierbar, so dass historische Referentialität gegeben sei.100 Diese These besteht jedoch nicht. Unbestritten ist, dass Texte gegenwärtige Bezugsgrößen der gegenwärtig Forschenden für eigene Aussagen sind.101 Die Frage nach der historischen Referentialität ist demnach von der Frage nach dem Text nicht zu trennen. Arbeiten zum Debattenfeld „Narrativität und Geschichte“ helfen bei der Beantwortung dieser Fragen nur bedingt weiter, denn Erzählen ist eben nur eine Art der Textproduktion. Dichten wäre ein weiteres Beispiel dafür. Über den Fiktionsbegriff in seinen differenten Konnotationen und Gebrauchsweisen in der Gesamtdebatte lässt sich jedoch ein Bezug zum Debattenfeld „Kognition und Geschichte“ herstellen, in dem der Text aus einer anderen Perspektive betrachtet zum sprachlichen Produkt eines Subjekts wird. Somit erweitert sich die Frage nach der historischen Referentialität über den Text zum kognitiv aktiven Subjekt und kulminiert in der Sprache als solcher. Der sprachwissenschaftliche Solipsismus, ein „enger“ Fiktionsbegriff und das Modell sowie die damit verbundenen Aussagen zum Menschen aus den Reihen des Radikalen Konstruktivismus erwiesen sich in ihrer Konzentration auf einzelne Aspekte der Debatte um die historische Referentialität als Faktoren des Dissenses, den es zu überwinden gilt: Der Mensch als Autor ist von der Umwelt, die auch aus Menschen besteht, analytisch nicht zu trennen (Interdependenz); und Texte sind daher nicht einfach nur Produkte von kognitiv aktiven Subjekten, da diese Subjekte Sprache auch intersubjektiv gebrauchten. Hierbei sind Deutungen bei dem subjektiven Gebrauch intersubjektiver Sprache akut, die dazu führen, dass Texte werden und dann auch auf sie rekurriert werden kann. Ereignisse und Strukturen in Texten sind letztlich auch unter fiktiven oder fiktionalen Anteilen Produkte des Menschen in Raum und Zeit. Weder wird die „Wahrheit“ geschrieben, noch „richtig“ oder „falsch“
98 Vgl. Gebauer, Sprachtheorie: S. 161 f. und Tanner, Historische Anthropologie: S. 173–176. 99 Vgl. Patzold, Episcopus: S. 38 f. 100 Zur Perspektive der „historischen Wahrheit“ Jordan, Theorien: S. 43–45. 101 Vgl. Goertz, Geschichte: S. 117 f.
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in Bezug auf eine „historische Realität“. Die historische Referentialität ist an Texten festzumachen, die Produkte von Menschen sind, die rekursiv Phänomene und Informationen deutend literarisch verarbeiten, wobei subjektive Autoren intersubjektive Sprache gebrauchen. Somit sind Mensch und Umwelt integriert zu verstehen, damit der Mensch als Textproduzent und die Umwelt als Bedingung der Textproduktion zugleich erfasst und berücksichtigt werden können. Diese an ein spezifisches Textverständnis gebundene historische Referentialität führt letztlich zu einer Bestimmung ihres Verhältnisses zu „Faktizität“ und „Positivität“. Wie sind die Quellen zu lesen, wenn nach der Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen gefragt wird? Wir können nicht wissen, dass geplündert wurde, sondern ausschließlich, dass dies faktisch geschrieben worden ist. Das macht die Annahme wahrscheinlich, dass Plünderungen geschahen und bestimmt die Grenze der Untersuchung der Quellen anhand der historischen Referentialität. Daher sind sie durchaus positiv zu lesen. Dies aber verlangt nach Textkritik,102 denn die Fragen nach dem Menschen als Autor in Raum und Zeit bleiben weiterhin akut.103
1.2.2 Überlegungen zur Textkritik Nachdem das maßgebliche Textverständnis entfaltet worden ist, können nun die quellenkritischen Funktionen der Studie genauer erörtert werden. Sie sind in drei strukturellen Aspekten sowie den Fragen der Quellenkritik selbst angelegt. Diese betreffen vier Bereiche. Die ersten beiden betreffen den Menschen als Autor in Raum und Zeit. Die zweiten beiden umfassen den Text als sein Produkt. 1.2.2.1 Das Organisationsprinzip der Gesamtuntersuchung: Drei-Ebenen-Gliederung als quellenkritische Funktion Gerade in Anbetracht des Umgangs mit quellenimmanenten Worten durch Vertreter der „Neuen Deutschen Verfassungsgeschichte“ ist es ratsam, die drei Ebenen geschichtswissenschaftlicher Untersuchungen deutlich zu unterscheiden. Neben der grundlegenden Ebene der Quellen, deren Aussagen untersucht werden, ist die Ebene der Deutung zu nennen. Beide werden durch die Methodenebene miteinander in Verbindung gesetzt: Mit der quellenkritisch-argumentativen Untersuchung der Quellen werden Annahmen in ihrer Wahrscheinlichkeit und Plausibilität fundiert. Zwar erscheint die Unterscheidung der drei Ebenen auf den ersten Blick banal, da sie doch prinzipiell für qualitative Textuntersuchungen in geschichtswissenschaftlichen Studien sind, jedoch wird damit auch die Zielrichtung der vorliegenden
102 Vgl. Arnold, Quellen: S. 52–54. 103 Vgl. ebd.: S. 56 ff.
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Studie erneut unterstrichen: Da systematische Untersuchungen zum interessierenden Thema fehlen, gilt es, quellennah zu arbeiten und keine primär theoriegeleitete Quellenuntersuchung zu vollziehen. Es sollen nicht theoretische Konzeptionen über die Deutungsebene präfigurativ an die Quellen herangetragen werden, sondern mit der Präzision der analytischen Termini durch die Untersuchung sind argumentativ wahrscheinliche und plausible Annahmen auf der Deutungsebene zu formulieren. Die quellenkritische Funktion der Drei-Ebenen-Gliederung erlaubt zusätzlich, jeweilige Ergebnisse auch aus den jeweiligen analytischen Kontexten heraus auf andere zu übertragen, so das eigene Annahmen, Formeln und Konzepte nicht nur verzeichnet, sondern auch diskutiert, modifiziert und überprüft werden können, um die Leitfrage begründet zu beantworten. 1.2.2.2 Die Binnengliederung der Kapitel: Die Bildung analytischer Kontexte als quellenkritische Funktion Der Zeitraum der Studie umfasst die Jahre zwischen 451 und 592 in Gallien. Eine förmliche Trennung in Spätantike und Frühmittelalter wird nicht vorgenommen.104 Das Kontinuum ist, wie das Wort schon vermittelt, zeitlich und geographisch festgelegt. Als Bezugspunkte sind die große Schlacht des Jahres 451 sowie der Tod König Guntrams, des letzten Merowingers aus der zweiten Generation nach Chlodwig I. im Jahr 592, gewählt. Die Untersuchung ist in fünf Kapitel aufgeteilt. Bei der Einteilung von Unterkapiteln wird nicht rein chronologisch vorgegangen. Einzelne analytische Kontexte werden gebildet. Zu dieser Formulierung: In dem größeren raumzeitlichen Rahmen werden Quellen unter der Leitfrage nach der Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen untersucht. Die Annahme, der interessierende Zusammenhang müsse dabei in den Quellentexten stets evident sein, ist daher irreführend. Die Evidenz für den Zusammenhang ist sicherlich wichtig, doch zielt die Leitfrage schließlich auf die Relevanz ab. Dies bedeutet, dass auch Aussagen in die Untersuchung miteinbezogen werden, die den Zusammenhang zwischen dem Plündern und dem Organisieren von Folgeleistungen nicht ausdrücklich umfassen. Der Untersuchungsfokus wird sich dabei auf die zu erfragende Relevanz ausrichten. Da die Quellen in Bezug auf das Plündern und das Organisieren von Folgeleistungen nicht gleichförmig sind und zum Teil divergieren, wird die Leitfrage zum Teil modifiziert. Diese Modifikationen betreffen jeweils einen der beiden Aspekte. Sie werden vorgenommen, damit die Frage nach der Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen nach der Gesamtuntersuchung letztlich fundiert beantwortet werden kann.
104 Dazu sind verschiedene Fixpunkte in der Überlieferung gegeben. Keine von diesen ist tatsächlich bindend. Überblickend Demandt, Spätantike: S. 497 f. und S. 501.
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Ein analytischer Kontext ist also ein themenbezogenes In-Beziehung-Setzen von Quellen und Fragestellung innerhalb eines Unterkapitels. Die gewonnenen Ergebnisse können dabei in den einzelnen analytischen Kontexten aufeinander bezogen werden, so dass die Plausibilitäten und die Wahrscheinlichkeiten argumentativ innerhalb der Gesamtuntersuchung ineinander gefügt werden können. Seine quellenkritische Funktion liegt vor allem in der Verhinderung einer positivistisch geführten Untersuchung. Zudem wird die Leitfrage über ihre an der Quellenlage orientierten Modifikationen kontextualisiert, so dass einer perspektivischen Verengung entgegen gewirkt wird. Aussagen zum sozioökonomischen Leben in Gallien werden somit bei der Beantwortung der Leitfrage einbezogen. Außerdem ist dazu festzuhalten, dass die quellenkritische Funktion der analytischen Kontexte fokussierend ist, da die engere Rahmung jeweils zu genaueren, explizierenden Quellenuntersuchungen, auch bei Mehrfacheinbeziehung einzelner Aussagen, beiträgt. 1.2.2.3 Die Einordnung der Quellen: Raum-zeitliche Kategorisierung des Aussagenmaterials als quellenkritische Funktion Die Quellenlage bietet für die Untersuchung eine große Aussagensumme. Sie lässt sich nach der örtlichen und zeitlichen Nähe der Autoren zum Raum Gallien zwischen 451 und 592 gliedern. So gibt es Aussagen von Autoren, die sowohl zeitlich als auch örtlich nah schrieben. Sie können Phänomene und Informationen literarisch verarbeitet haben. Andere wiederum schrieben zwar zu der Zeit, aber nicht in Gallien. Die dritte Kategorie besteht aus einer Aussagengruppe von Autoren, die zeitfern gearbeitet haben. In diesen beiden Gruppen können Informationen literarisch verarbeitet worden sein, wobei Autoren der zweiten Aussagengruppe auch durch Reisen auf Phänomene rekurrieren können. Diese Einordnung betrifft nicht die Autoren selbst, sondern die Aussagen, so dass es durchaus vorkommen kann, dass Aussagen eines Autors in verschiedene der Kategorien eingeordnet werden. Die quellenkritische Funktion der raum-zeitlichen Kategorisierung der Quellenaussagen besteht hauptsächlich darin, die quellenkritische Untersuchung zu justieren. Es stellen sich im Umgang mit Aussagen von orts- und zeitnah schreibenden Autoren ganz andere Fragen bezüglich ihrer Rekurse, als zu Aussagen von ortsfernen Autoren oder jenen, die zeitfern schrieben. Ihre Funktion ist für die Argumentation in Bezug auf die Plausibilität und Wahrscheinlichkeit von Annahmen konstitutiv, indem sie ermöglicht, die Bereiche der quellenkritischen Fragen genauer zu erfassen. Dies wird nun im Folgenden getan. 1.2.2.4 Quellenkritische Fragestellungen: Der Mensch als Autor von Texten in Raum und Zeit Selbstredend kann in diesem Unterkapitel nicht jede einzelne Frage ausformuliert werden. Es wird vielmehr darum gehen, abschließend die Bereiche genauer zu bestimmen, die für das Set quellenkritischer Fragen und die damit zusammenhän-
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gende Argumentation für die Beantwortung der Leitfrage wichtig sind. Zwei davon betreffen den Menschen als Autor in Raum und Zeit. Die anderen beiden den Text als dessen Produkt. Der erste Bereich bezieht sich direkt auf den Autor: Wo kam dieser Mensch her und welche Hintergründe seiner Herkunft sind noch nachvollziehbar? Welchen Werdegang hatte der Autor? Diese Fragen aus dem ersten Bereich führen unweigerlich zum zweiten: Welche Deutungen der literarisch verarbeiteten Phänomene und Informationen sind nachvollziehbar? Zu beachten ist hierbei: Die Umwelt ermöglicht Rekursivität und formiert Deutungen105 – und bedingt somit subjektive Aussagen. Dazu ist bereits Grundsätzliches festzuhalten: Die meisten der heute erhaltenen Texte zu der Zeit zwischen der Mitte des 5. und dem Ende des 6. Jahrhunderts wurden von katholischen Klerikern verfasst. Somit ist in Anbetracht des siebten Gebots des Dekalogs klar,106 dass bei der literarischen Verarbeitung der Phänomene und Informationen der sozioökonomischen Praktik des Plünderns eine positive Deutung durch die Autoren kaum zu erwarten ist. Die Praktik wird problematisiert, denn sie läuft gedachten Idealen menschlichen Lebens, wenn diese Vorstellungen107 auch fiktive oder fiktionale Tendenzen haben mögen, zuwider. In dem integrativen Textverständnis besteht auch eine Lösung der Fragen nach Fiktivität und Fiktionalität: Menschen leben in Raum und Zeit. Sie rekurrieren auf ihre Umwelt, wobei sie bedingt sogar auch konstitutiv für sie sind in ihrem Handeln. Sie werden aber auch von ihr bewegt und somit auch letztlich bedingt von ihr konstituiert. Selbst ihre Fiktion ist nicht einfach Fiktion, sondern die Fiktion von Menschen, die unter Menschen in Raum und Zeit leben. Ein subjektzentristischer Fiktionsbegriff, dessen Definition ohne eine Interdependenz des Menschen zu seiner Umwelt auskommt, ist eine Fiktion des Fiktiven108 und nicht die Fiktion des Menschen in Raum und Zeit.109 Dies führt zum dritten Fragenbereich, der Fragen nach den Rekursen umfasst. Hier steht nicht die Herkunft der Autoren, sondern der von ihnen literarisch verarbeiteten Informationen und Phänomene im Zentrum: Welche geographischen und temporären, aber auch personellen Möglichkeiten des Transports von Informationen sind argumentativ zu plausibilisieren? Wie konnte ein Autor überhaupt auf die Informationen rekurrieren? Sicherlich sind hierbei auch Kombinationen mit Fragen aus
105 Vgl. Landwehr, Diskursanalyse: S. 134–143 und Maset, Diskurs: S. 151–161 sowie in enger Anlehnung an das frühe Werk Foucaults Goertz, Geschichte: S. 53–71 und Patzold, Episcopus: S. 38 f. 106 Vgl. Levin, Alte Testament: S. 66 ff. 107 Für die Definition des Begriffs „Vorstellungswelt“: „Mit dem Begriff der Vorstellungswelt schließlich wäre dann jenes gesamte „Reservoir an Wissen, Erfahrungen, Vorstellungen und Einstellungen des wahrnehmenden Menschen“ benannt, welches die individuellen Prozesse sowohl der Wahrnehmung als auch der Deutung beeinflussen.“ Patzold, Episcopus: S. 38. 108 Vgl. Kamper, Intervention: S. 51 f. 109 Vgl. Tanner, Historische Anthropologie: S. 98–101.
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anderen Bereichen möglich und notwendig. Ist ein Rekurs von Deutungen und der Herkunft des Autors bedingt und kann sogar erschlossen werden, inwieweit Fiktivität oder Fiktionalität bei einem Rekurs gegeben sind? Der vierte Fragenbereich betrifft daher erneut den Text direkt, genauer: den Gebrauch von Sprache. Unter der Berücksichtigung dessen, dass die Herauslösung von Wörtern aus den sie definierenden Kontexten der Quellentexte dazu geführt hat, dass diese nicht mehr in ihren Gebrauchskontexten untersucht worden sind, gilt es, diese textimmanenten Kontexte zu beachten. Daher erscheint es sinnvoll, den Gebrauch von Wörtern in ihren textimmanenten Kontexten zu erfragen. Dazu erneut zum Textverständnis: Es sollte in Anbetracht der Debatte um die historische Referentialität von einer Interdependenz zwischen Mensch und Umwelt ausgegangen werden. Die Dimension der Interdependenz zwischen dem deutenden Menschen, dessen Deutungen zweifelsfrei auch kognitive Produkte sind,110 und der Umwelt ist als ein soziohistorisches Spektrum mit diskursiver Semantik111 zu beschreiben, in dem nicht nur auf Phänomene und Informationen selektierend rekurriert wird, sondern die Sprache auch Intersubjektivität112 ermöglicht,113 wobei dieselben Wörter nicht immer dieselben Akteure, Interaktionen und Normen bezeichnen müssen. Bei der Quellenkritik kann auf der Deutungsebene dann auch vergleichend vorgegangen werden, so dass neben dem Wortgebrauch eines einzelnen Autors auch Fragen nach einem allgemeinen Gebrauch von Wörtern zu beantworten sind.
110 Vgl. Goetz, Vorstellungsgeschichte: S. 265. 111 Logischerweise ist die Semantik auch als „diskursiv“ zu bezeichnen, da die Autoren in ihrem Sprachgebrauch auf die diskursive Dynamik des Erosionsprozesses bei ihrer literarischen Verarbeitung von Phänomenen und Informationen rekurrieren. Zudem ist die Semantik des soziohistorischen Spektrums – hier im Sinne von Bedeutungslehre gebraucht – als „diskursiv“ erfasst, da die Deutungen der Beteiligten durch sie genauso formiert werden, wie sie durch diese die Semantik formieren. Aufgrund des Fehlens einer solchen aus Interdependenz resultierenden Bereichs der von Menschen gelebten Weltdeutung und -bezeichnung wurde die Begriffsgeschichte sehr kritisiert. Vgl. Jordan, Theorien: S. 127 f. Zu dieser Kritik vgl. auch Lüsebrink, Begriffsgeschichte: S. 29–32 und Eßer, Historische Semantik: S. 285–291. 112 Vgl. Tanner, Historische Anthropologie: S. 101–110 und S. 123–135. Auch Gebauer, Sprachtheorie: S. 147–151. 113 Vgl. Goetz, Deutungsmuster: S. 30–33.
1 Aussagen zu Gallien zwischen 451 und 482 Im Folgenden werden die Aussagen zur sozioökonomischen Praktik des Plünderns zwischen 451 und 482 in vier Unterkapiteln untersucht. Das erste ist thematisch auf die große Schlacht im Jahr 451 bezogen.1 Hierbei sind zusätzlich Aussagen zu den „Hunnen“ berücksichtigt. Das zweite Unterkapitel umfasst die Erhebung und die Regierungszeit des Avitus. Das darauf folgende Unterkapitel hat die Aktivitäten des Aegidius zum Schwerpunkt. Im letzten Unterkapitel wird zwischen den Aussagen zum Norden und zum Süden Galliens unterschieden. Das Kapitel schließt mit dem ersten Zwischenfazit.
1.1 Die große Schlacht im Jahr 451 und die Erosion der strukturellen Einheit der weströmischen Ordnung in Gallien Bevor die Aussagen zur Schlacht von 451 untersucht werden, wird die Gemeinschaft des „hunnischen“ Sozialgefüges zur Zeit Attilas in den Fokus genommen, denn die Bedingungen der Initiative Attilas für die Operation gen Westen dürfen nicht unberücksichtigt bleiben: Auf diese Weise können die Aussagen zur Schlacht unter Berücksichtigung der Gemeinschaft, ihrer Akteure, des Sozialgefüges, des Warlordism und der Position Attilas im Gefüge untersucht werden. Deshalb werden mehrere analytische Kontexte gebildet.
1.1.1 Quellenaussagen: Die Außenperspektive auf die „Hunnen“ Alle überlieferten Aussagen zu den „Hunnen“ sind aus einer äußeren Perspektive auf die tendenziell eher polyzentrischen Sozialgefüge2 ihrer Gemeinschaften verfasst
1 Die Lokalisierung der Schlacht ist nicht sicher festzustellen. Daher ist der Ort der Schlacht umstritten. Überblickend zur Diskussion Stickler, Aëtius: S. 140 f. Zur Schlacht Täckholm, Fields: S. 259–276. 2 Nach einem Fragment des Geschichtswerks von Olympiodorus gab es nach dem Verschwinden des Anführers Uldin aus der Überlieferung zumindest ein Sozialgefüge, das von mehreren Akteuren angeführt wurde. Bibl. Cod. 80, S. 173 = Olymp. Frgt. 19 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 183). Für die Datierung des Fragments auf die Zeit nach Uldin Maenchen-Helfen, Hunnen: S. 53. Über Olympiodorus ist nur wenig bekannt. Sein Leben ist in nur vagen Zügen durch die erhaltenen Fragmente seines Geschichtswerks zu erschließen. Es liegt nahe, dass er eine umfangreiche Bildung genossen hat und ost- sowie weströmisches Gebiet bereiste, was eine Antwortmöglichkeit für Fragen nach seinen Rekursen liefert. Geboren wurde er im letzten Drittel des 4. Jahrhunderts. Nicht vor 425 ist er verstorben, da das späteste erhaltene Fragment seines Werks auf dieses Jahr datiert werden kann. Dazu und zu den Rekursen der Exzerptautoren auf seinen Text Matthews, Olympiodorus: S. 79–97. Zu den Reisen des Olympiodorus Treadgold, Olympiodorus: S. 709–733. Da Olympiodorus gemäß des Exzerpts durch Photius selbst an einer Gesandtschaft zu dem einflussreichsten der „hunnischen“ Könige teilge-
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worden. Dies hat Konsequenzen für die Untersuchung: Den Deutungen der Autoren muss eine besondere Aufmerksamkeit zuteil werden. Dazu kommt die Frage nach den Rekursen auf Informationen, die sie literarisch verarbeitet haben, da sie eben nicht als „Hunnen“ unter „Hunnen“ lebten, sondern als Menschen römischer Herkunft über Menschen aus dem „hunnischen“ Gemeinschaften schrieben. Die daraus resultierende Benennung der „Hunnen“ mit „Skythen“ ist bereits irreführend:3 Hier wird nicht nur ein „falscher“ Name genannt. Es wird überdeckt, dass die „hunnischen“ Gemeinschaften multiethnisch waren.4 Das ist damit zu belegen, dass einige Akteure, die im Zusammenhang mit militärischen Operationen „hunnischer“ Anführer erwähnt werden, mit anderen ethnischen Benennungen versehen wurden.5
nommen hat, ist die Aussage durch einen Rekurs auf vom ursprünglichen Autor persönlich Erlebtes zurückzuführen. Inwieweit aber bei diesem Rekurs Änderungen literarischer Art vollzogen worden sind, ist nicht mit Sicherheit zu bestimmen. Weitere, allerdings zeitfernere Aussagen für die Polyzentristik sind in der getica des Jordanes zu finden. Die Formulierung der Passage zeigt jedoch, dass der Autor die Richtigkeit der Aussage, Ruga und Octar hätten zugleich vor Attila und Bleda „Hunnen“ angeführt, nicht für unbedingt sicher hält. Iord. get.: 35.180. Er rekurriert hierbei wohl auf einen Text des Cassiodor. Wie dieser Autor an die Informationen kam, ist nicht sicher. Dazu Maenchen-Helfen, Hunnen: S. 60. Hingegen ist sicher, dass Attila und Bleda zusammen als Anführer einer „hunnischen“ Gemeinschaft begannen, aus der 451 Akteure nach Gallien zogen. Aussagen hierzu liefert ein Exzerpt der Priskoshistorien, die zeit- und ortsnah verfasst worden sind. Exc. de Leg. Rom. 1 = Prisk. Frgt. 2 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 225). Dazu Stickler, Aëtius: S. 110 f. 3 Vgl. Kaus, Skythen: S. 31–35 und Maenchen-Helfen, Hunnen: S. 4 ff. sowie Thompson, Huns: S. 19 ff. 4 Das Wort „Hunnen“ als Bezeichnung einer ethnischen Einheit zu gebrauchen, geht fehl. Es handelt sich bei den Gemeinschaften, die seit dem Ende des 4. Jahrhunderts in Osteuropa auftraten und als „Hunnen“ bezeichnet worden sind, vielmehr um multiethnische Gemeinschaften, die in enger Kooperation mit anderen handelten. Vgl. Stickler, Hunnen: S. 45–57 und S. 102 f. Den älteren Ausführungen über die „Rasse der Hunnen“ ist in Anbetracht neuerer Forschungsergebnisse nicht zu folgen. Dazu Maenchen-Helfen, Hunnen: S. 241–254. 5 Dies plausibilisiert die Annahme, dass sie lose und somit relativ eigenständig unter eigenen Anführern Folge leisteten. Zeit- und ortsnah zur Zusammensetzung der Koalition aus dem Jahr 451 als ein Beispiel für diese Anbindung Sidon. carm.: 7.319–325. Sidonius Apollinaris schrieb zeitnah zu der Schlacht. Er wurde am 05. 11. 431 oder 432 in der civitas Lyon (Lugdunum) geboren und starb nach 479 in Clermont (Augustonemetum). Als Sohn einer gallorömischen Aristokratenfamilie erhielt er eine umfangreiche Ausbildung. Vater und Großvater waren Prätorianerpräfekten in Gallien. Im Jahr 451 heiratete er Papianilla, die Tochter des späteren weströmischen Kaisers Eparchius Avitus, der ebenfalls einer galloromanischen Aristokratenfamilie entstammte. Aufenthalte in Rom sind für ihn belegt. Bei einem dieser Aufenthalte wurde Sidonius mit dem Titel des praefectus urbi romae ausgezeichnet. Er war ein katholischer Christ und wurde Ende der 460er Jahre oder Anfang der 470er Jahre zum Bischof von Clermont investiert. Vgl. Heinzelmann, Prosopographie: S. 556. Da der Rekurs des Sidonius auf die Informationen vor der Schlacht von 451 nicht eindeutig nachzuvollziehen ist, kann dieser Katalog auch als nicht stimmig aufgefasst werden. Jedoch geht es an dieser Stelle nur darum, dass eine lose Anbindung bestand und nicht mit wem. Dazu Stickler, Aëtius: S. 136.
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Die inneren Verhältnisse „hunnischer“ Sozialgefüge sind mit der Aussagenlage kaum zu erschließen.6 In der Tat liefern einige Fragmente des Priskos7 Aussagen über lokale Niederlassungen, für deren Bestehen auch Ackerbau und Viehzucht betrieben wurden.8 Dies muss jedoch nicht zwangsläufig für den Beginn einer „Feudalisierung“ des gesamten Sozialgefüges zur Zeit Attilas sprechen.9 Sicher ist, dass zur Zeit Attilas herausragende Akteure und eine mehrgliedrige Hierarchie des Sozialgefüges10 existierten; manche Akteure dagegen lebten in Abhängigkeit von anderen.11 Zu bestreiten ist ebenfalls nicht, dass Akteure aus der Gemeinschaft des „hunnischen“ Sozialgefüges immer wieder plünderten. Insofern ist die Bezeichnung der „Hunnen“ mit „Skythen“ nicht überraschend, da dieser Name in der ethnographischen Literatur des Altertums für reiternomadische Menschen nördlich der Donau verwendet worden war.12
6 Dazu bereits Maenchen-Helfen, Hunnen: S. 145 ff. Die von ihm erwähnten Theorien zur der internen Gliederung der „Hunnen“ wurden in der Folge weiter ausgebaut. Modelle über die eurasischen Reiternomaden, die Übertragbarkeit von Prestigenamen und über die „germanischen“ regna werden aktuell diskutiert. Zusammenfassend Stickler, Hunnen: S. 10–20; S. 21–29 und S. 40–44. 7 Priskos war ein oströmischer Geschichtsschreiber und lebte im 5. Jahrhundert. Wann er geboren wurde und wann er starb, ist nicht exakt zu klären. Auch der Ort der Geburt ist nicht gänzlich sicher. Im mittelbyzantinischen Lexikon suda wird angegeben, er stamme aus Panion in Thrakien. Vgl. Baldwin, Priscus: S. 18 ff. Priskos war rhetorisch und philosophisch gebildet und unternahm mehrfach Reisen, die ihn auch an den Hof des weströmischen Kaisers und in die Residenz des „hunnischen“ Anführers Attila führten. Er war dabei als Gesandter des oströmischen Kaisers tätig. Seine religiöse Zugehörigkeit ist nicht überliefert. Ebenfalls ist der Umfang seines Geschichtswerks unbekannt. Jedoch geht keines der vorhandenen Fragmente über das Jahr 471 hinaus, so dass angenommen wird, Priskos habe das Werk nicht viel weiter geführt und sei in Mitte der 470er Jahre verstorben. Einige der Fragmente sind besonders für die Interaktion zwischen den Repräsentanten des oströmischen Kaiserhofs und Attila wichtig, da Priskos raum- und zeitnah darüber geschrieben hat. Vgl. Rohrbacher, Historians: S. 87 f. und Baldwin, Priscus: S. 19 ff. 8 Exc. de Leg. Rom. 3 = Prisk. Frgt. 11.2 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 261 f. und 265 ff.). Zu der Frage nach dem „hunnischen“ Ackerbau mit einer kritischen Auseinandersetzung zu den Aussagen, über die Unfähigkeit der „Hunnen“, Äcker zu bebauen und mit Bezug zu archäologischen Funden Maenchen-Helfen, Hunnen: S. 133 ff. 9 Eine derartige Annahme vertritt Wirth. Zu seinen aktuellsten Ausführungen Wirth, Attila: S. 136 ff. Zuvor Wirth, Byzanz: S. 58 ff. Relativierend Stickler, Aëtius: S. 92 f. 10 Exc. de Leg. Rom. 3 = Prisk. Frgt. 11.2 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 249; S. 251; S. 259; S. 261 f. und S. 275) und Exc. de Leg. Rom. 3 = Prisk. Frgt. 13.1 (ed. Blockley, Historians: S. 283 ff.). Dazu Stickler, Hunnen: S. 75 ff. 11 Exc. de Leg. Rom. 3 = Prisk. Frgt. 11.2 (ed. Blockley, Historians Bd.: S. 249; S. 261 ff.; S. 265 ff.; S. 269 ff. und S. 275) und Exc. de Leg. Rom. 3 = Prisk. Frgt. 13.1 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 283 ff.). Dazu Maenchen-Helfen, Hunnen: S. 152 ff. 12 Vgl. Wolfram, Goten 2001: S. 13–29. Wolfram geht hierbei auch auf die „Hunnen“ ein. Zusätzlich Bóna, Hunnenreich: S. 25 ff. und Kaus, Skythen: S. 32.
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Die insgesamt doch sehr geringe Aussagenlage zu den inneren Verhältnissen der „Hunnen“ hat zu recht unterschiedlichen Interpretationen geführt.13 Doch ist das Plündern seit Ruga,14 aber auch schon davor und bis über den Tod Attilas hinaus von Akteuren aus „hunnischen“ Gemeinschaften stetig betrieben worden. So kann abseits der Fragen, wie ihre Sozialgefüge genau gegliedert waren, wie hoch der Grad der „Feudalisierung“ und der „Bürokratisierung“ vorangeschritten war und wie der Warlordism sowie die Position ihrer Anführer zu präzisieren ist, festgehalten werden, dass das Aussagenkorpus zum Beginn der dreißiger Jahre des 5. Jahrhunderts eine Untersuchung nach der Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen erlaubt. Diese zeitliche Eingrenzung des Korpus ist sinnvoll, da Aussagen zu Plünderungen von „Hunnen“ unter einem oder mehreren Anführern nach 409 nicht mehr verfasst oder auch nicht mehr erhalten worden sind.15 1.1.1.1 Räumliche Orientierung: Plündern und Tributgewinn als sozioökonomische Praktiken des Erwerbs Bei einigen Untersuchungen zu den „Hunnen“ ist die Lebensweise der Menschen in der eurasischen Steppenlandschaft einbezogen, um eine Grundlage für die Deutung zu generieren.16 Auf diese Weise wurde die Annahme etabliert, dass der Name „Hunnen“ im Übertrag zur Bezeichnung von unterschiedlichen Gemeinschaften benutzt worden ist: „Hunnen“ konnte ethnisch verschiedene oder ethnisch nicht einheitliche Gemeinschaften bezeichnen, die sich primär in ihrer Lebensweise ähnelten.17 Die Lebensweise mobiler oder semimobiler Gemeinschaften umfasst Erwerbsweisen, wie das Plündern und den Tributgewinn, aber auch den Markttausch mit rein sesshaften Gemeinschaften, die auch in den zeit- und ortsnahen Aussagen zu den
13 Während Thompson und Stickler relativ vorsichtig mit einer Akkulturation an die Verhältnisse in Europa denken, sieht Wirth eine starke Anpassung gegeben. Eine derartige Anpassung wird von István Bóna hingegen weitestgehend abgelehnt. Christopher Kelly ist ebenfalls tendenziell gegen eine Anpassung. So auch Wolfram, der die Annahme einer „hunnischen“ Alternative vertritt. Neutral äußert sich Maenchen-Helfen, der den Aspekt der Akkulturation völlig ausspart. Vgl. Thompson, Huns: S. 67 ff. und Stickler, Aëtius: S. 92 f. Anders Wirth, Attila: S. 9 und S. 136 ff. Dagegen Bóna, Hunnenreich: S. 32 ff. und Kelly, Attila: S. 47 ff. sowie Wolfram, Reich: S. 184 ff. Neutral Maenchen-Helfen, Hunnen: S. 145 ff. 14 Unklar ist, ob er tatsächlich zugleich mit Octar eine „hunnische“ Gemeinschaft angeführt hat. Kritisch zu den Aussagen zu Octar Stickler, Hunnen: S. 63. 15 Vgl. Stickler, Hunnen: S. 57. 16 In schwächerer Weise Maenchen-Helfen, Hunnen: S. 129–189 und S. 241–305. Intensiver Thompson, Huns: S. 46–68; Stickler, Hunnen: S. 10–20; Bóna, Hunnenreich: S. 36 ff.; Wirth, Attila: S. 13 ff. und Kelly, Attila: S. 17 ff. 17 Vgl. Stickler, Hunnen: S. 24–26.
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„hunnischen“ Gemeinschaften zur Zeit Rugas und seiner Nachfolger nachzuweisen sind.18 Ruga führte seit den frühen 420er Jahren19 Akteure aus einer20 Gemeinschaft bei militärischen Operationen an, wobei er auch mit Repräsentanten der weströmischen Ordnung kooperierte.21 Somit waren er und einige der ihm Folgeleistenden an der Erosion der strukturellen Einheit der weströmischen Ordnung beteiligt, da sie als Mittel zur militärischen Durchsetzung von ihren Repräsentanten verwendet wurden. Zudem erlangte Ruga gegen oströmische Aufgebote22 offenbar militärische Erfolge und zwang die Repräsentanten der oströmischen Ordnung zu einer vertraglichen Regelung über einen jährlichen Tribut. Als das Verhältnis erneut zu eskalieren drohte, wurden weitere Verhandlungen aufgenommen. Aus einem Fragment ist zu erfahren, dass Ruga währenddessen verstorben ist.23 Der Kirchenhistoriker Sokrates24 erzählt in Parallele zu dem Fragment des Priskos, die Plünderung der Provinz Thracia habe kurz bevorgestanden, als Ruga
18 Vgl. Stickler, Hunnen: S. 12–17. 19 Die Datierung des Beginns der Aktivitäten von Ruga ist nicht mit Sicherheit zu klären. In der aktuelleren Literatur gilt das Jahr 422 als Beginn der Tributzahlungen. Vgl. Stickler, Hunnen: S. 58. Zur Datierung dient eine Stelle bei Marcellinus Comes: „Hunni Thraciam uastauerunt.“ Marc. com. chron.: 422. Diese Aufzeichnung muss nicht unbedingt stimmig sein. Dazu Croke, Hun Invasion: S. 347–367. 20 An dieser Stelle ist erneut Vorsicht geboten, da unsicher ist, ob er zusammen mit Octar dieselbe oder verschiedene Gemeinschaften anführte. Vgl. Stickler, Hunnen: S. 63 und Maenchen-Helfen, Hunnen: S. 60. 21 Die Kooperation Rugas mit Aëtius zur Zeit der Usurpation des Johannes ist nicht als sicher zu bezeichnen, aber wahrscheinlich. Die Rekurse der Autoren sind nicht exakt zu eruieren. Zeit- und ortsnah dazu Prosp. chron.: 1288. Dazu ortsfern, jedoch zeitnah Gall. chron. 452: 425 (100) und zeitsowie ortsfern Greg. hist.: 2.8. Zu der Wahrscheinlichkeit der Annahme Stickler, Aëtius: S. 106. Für das Jahr 433 ist eine konkrete Aussage für den Kontakt zwischen Aëtius und Ruga gegeben: „Cum ad Chunorum gentem, cui tunc Rugila praeerat, post proelium se Aetius contulisset, impetrato auxilio ad Romanum solum regreditur.“ Gall. chron. 452: 433 (112). 22 Das Wort Aufgebot wird hier gewählt, da nicht sicher ist, dass die unter ihm summierten Akteure auch insgesamt alle einen Sold im Sinne einer kontinuierlichen Zahlung von Gold erhalten haben. Ansonsten wären sie adäquat mit dem Wort Soldat beschrieben. Überblickend zur Soldentwicklung Demandt, Spätantike: S. 244 f. Zur Problematik der kontinuierlichen Zahlungen und den Mechanismen ihrer Kompensation Liebeschütz, Roman army: S. 135–152. Zu der Komplexität der kontinuierlichen Zahlungen und dem Leisten von Folge durch Akteure aus Gemeinschaften, die als foederati galten Heather, Foederati: S. 71 ff. 23 Relativ zeitnah Exc. de Leg. Rom. 1 = Prisk. Frgt. 2 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 225–227). 24 Sokrates Scholastikos wurde um 380 in Konstantinopel geboren. Er starb um 440. Sein Hauptwerk, die historia ecclesiastica, ist eine wichtige Quelle für das Ende des 4. und den Anfang des 5. Jahrhunderts. Er war als Anwalt tätig und umfangreich gebildet. Zudem unternahm er auch Reisen, so dass Rekurse des Autors durch persönlich Erlebtes, Studien zeitgenössischer Texte wie orale Überlieferung möglich sind. Vgl. Leppin, Historians: S. 220–223. Er verfasste seine Aussagen also zeitnah. Die Ortsnähe ist für die Aussagen zu den „Hunnen“ eher zu bezweifeln.
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nach Gebeten des oströmischen Kaisers Theodosius II. durch einen Blitzschlag verstorben sei.25 Der Bischof Theodoret von Cyrrhus26 erzählt ausdrücklich über Plünderungen zur Zeit Rugas, wobei auch er dessen Tod durch einen von Gott gesandten Blitz erwähnt.27 Abseits der christlichen Deutungen der beiden Autoren, die in der gallischen Chronik von 452 fehlen,28 rekurrierten beide ganz offenbar auf ähnliche Informationen zu Plünderungen zur Zeit Rugas. Das spricht für eine weite geographische Verbreitung der Informationen. Insgesamt ist angesichts beider Passagen und der Literatur zu den „hunnischen“ Operationen vor Ruga plausibel, dass auch zu seiner Zeit oströmisches Territorium geplündert wurde.29 Erneut drohende Plünderungen bewegten Repräsentanten der oströmischen Ordnung dann zu Verhandlungen, bei denen der Erwerb materieller Güter und Ressourcen vertraglich geregelt werden sollte.30 Somit stehen hier Tribut- und Plünderungserwerb in einer Wechselbeziehung zueinander. In einigen weiteren Fragmenten des Priskos zu der Zeit Attilas wird dieser Wechsel von Tribut- auf Plünderungserwerb31 (der sich auch umgekehrt vollziehen konnte)32 genauso fassbar. Daher lässt sich von einem Muster33 des Wechsels zwi-
25 Sokr. hist. eccl.: 7.43. 26 Theodoret wurde im Jahr 393 in Antiochia geboren und starb um das Jahr 460 im nordsyrischen Cyrrhus. Das Werk Theodorets ist sehr umfangreich. Die Kirchengeschichte in fünf Büchern gilt als sein Hauptwerk. Vgl. Urbainczyk, Theodoret: S. 10–67. Er arbeitete also zeit- wenn auch nicht ortsnah zu den Operationen Rugas. Zu dieser Zeit war er bereits der Bischof in Cyrrhus. Vgl. Urbainczyk, Theodoret: S. 21. Seine Rekurse auf Informationen mussten zumindest zeitlich nicht überbrückt werden. Er verfasste seine Aussagen also zeitnah, jedoch nicht ortsnah. 27 Theodo. hist. eccl.: 5.36.156. 28 Vgl. Croke, Hun Invasion: S. 349 ff. Zu dem Tod Rugas ohne christliche Deutungsmuster Gall. chron. 452: 434 (115). Der Autor der Gallischen Chronik von 452 ist nicht bekannt. Es wird angenommen, dass die Chronik in Südgallien entstanden ist und dass der Autor, da er ein Interesse an kirchlicher Literatur besaß, Kleriker war. Seine Kenntnisse älterer christlicher oder paganer Geschichtswerke werden als gering eingeschätzt. Vgl. Muhlberger, Chroniclers: S. 136 f. Der Text setzt im Jahr 379 ein und endet, wie sein Name bereits verrät, mit dem Jahr 452. Die meisten Passagen der Chronik rekurrieren auf Phänomene und Informationen zum Geschehen in Gallien. Es wird angenommen, die Chronik sei noch in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts begonnen worden. Vgl. Burgess, in: ed. Burgess, Chronicle of 452: S. 52 ff. Aussagen zu der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts in Gallien sind somit als orts- und zeitnah zu bezeichnen. 29 Zu dieser Annahme Wolfram, Reich: S. 189. Zusammenfassend bereits Maenchen-Helfen, Hunnen: S. 15–59. 30 Vgl. Pohl, Konfliktverlauf: S. 194 ff. 31 Exc. de Leg. Gent. 2 = Prisk. Frgt. 9.1 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 235) und Exc. de Leg Gent. 7 = Prisk. Frgt. 20.1 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 305 f.). 32 Exc. de Leg. Gent. 3 = Prisk. Frgt. 9.3 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 237–241) und Theophanes Chron. A.m. 5942 = Prisk. Frgt. 9.4 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 241). 33 Pohl schreibt in diesem Kontext von Kommunikationsmustern und lässt Interaktionsmuster unbeachtet. Dies liegt aber an dem von ihm gebrauchten soziologischen Konfliktmodell. Vgl. Pohl, Konfliktverlauf: S. 177 f.
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schen zwei unterschiedlichen sozioökonomischen Erwerbspraktiken sprechen, die sich gegenseitig bedingten.34 Dabei muss beachtet werden, dass die Rekurse derjenigen, die Priskos exzerpierten, nicht mehr exakt zu eruieren sind. Dass sie sich aber alle konkret auf den Originaltext des oströmischen Geschichtsschreibers beziehen, gilt als gesichert.35 Die Zeitnähe der Aussagen wird also nicht aufgehoben, während die Unabhängigkeit der Autoren untereinander das Muster als Ergebnis von Rekursen erscheinen lässt. Zu dem anfänglich erwähnten Fragment sind somit neben die ähnlichen Aussagen des Sokrates Scholastikos und des Theodoret weiterer Fragmente des Priskos zu legen, die ein Muster nachvollziehbar machen.36 Die Argumente dafür, dass diese Aussagen als ein Wechsel zwischen zwei sozioökonomischen Praktiken des Erwerbs zu deuten sind, lassen aber die Frage unbeantwortet, warum sich Ruga und seine Nachfolger auf das Gebiet der oströmischen Ordnung37 hinorientieren. Ruga hatte als Anführer die oströmischen Repräsentanten dazu bewegen können, ihm einen jährlichen Tribut zu zahlen. Die Aussagen zu diesem Erfolg stützen die Annahme, dass er danach weiter Folgeleistungen organisieren konnte.38 Dagegen wurden die Quellenaussagen, die erlauben anzunehmen, Ruga habe von Aëtius die Provinz Pannonia39 oder nur Teile dieser für seine Hilfeleistungen während der Konflikte im Westen erhalten,40 schon vor längerer Zeit in Zweifel gezogen. Es ist wahrscheinlich, dass seit Ruga die Anführer „hunnischer“ Gemeinschaften nie römi-
34 Vgl. Stickler, Aëtius: S. 93–96. 35 Vgl. Blockley, Historiography: S. 299 f. und Brodka, Tyche: S. 237 f. 36 Erneut Pohl, Konfliktverlauf: S. 194 ff. 37 Die Plünderungen auf dem persischen Territorium werden mit Recht unter der Berücksichtigung einer vorderasiatischen Chronik in die Zeit vor die räumliche Orientierung des „hunnischen“ Sozialgefüges auf das oströmische Territorium datiert. Exc. de Leg. Rom. 3 = Prisk. Frgt. 11.2 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 278 f.). Dazu Maenchen-Helfen, Hunnen: S. 39 ff. Es muss sich bei der Gemeinschaft des Sozialgefüges Attilas auch nicht um dieselben Gemeinschaften handeln, die die Perser im späten 5. Jahrhundert bis in die Mitte des 6. Jahrhunderts angegriffen haben. Vgl. Stickler, Hunnen: S. 30. Ob zur Zeit Attilas eine Operation auf das Gebiet der Perser für ihn eine Option war, muss auf der Basis der Quellenlage letztlich offen bleiben. 38 Vgl. Stickler, Aëtius: S. 93–96 und Pohl, Dynamik: S. 597. 39 Die Provinz Pannonia war zu dieser Zeit in vier Teile geteilt. Vgl. Bóna, Hunnenreich: S. 46–52. 40 Es gibt eine Erzählpassage bei Jordanes, die für die Debatte wichtig ist. Dies ist Iord. get.: 32.166. Noch stärker diskutiert wurde eine Aussage aus der Chronik des Marcellinus Comes: „Pannoniae, quae per quinquaginta annos ab Hunnis retinebantur, a Romanis receptae sunt.“ Marc. com. chron.: 427. Beide Autoren schrieben jedoch zeitfern. Über das Leben des Jordanes ist nur wenig bekannt. Er starb nach 552 und scheint neben Latein auch Griechisch beherrscht zu haben, da er Quellen, die in beiden Sprachen verfasst worden sind, für sein Werk verwendet hat. Vgl. Croke, Historiography: S. 367 und Christensen, History: S. 113 ff. Von den Texten, die Jordanes wahrscheinlich in Konstantinopel geschrieben hat, ist de origine actibusque getarum, kurz getica genannt, für die Untersuchung wichtig, da darin Aussagen zur Schlacht von 451 zu finden sind. Über Marcellinus ist noch weniger bekannt. Sein Geburtsdatum ist vollkommen unbekannt. Er stammt aus dem geographischen Raum Illyricum. Dort war Latein immer noch die Verkehrssprache, so dass er seine Chronik auch in dieser
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sches Territorium erhalten hatten.41 Die Gemeinschaft des Ruga und seiner Nachfolger waren also nicht einfach auf römischem Gebiet sesshaft geworden, sondern auf das Territorium der oströmischen Ordnung hin mobil oder semimobil orientiert. Attila und Bleda handelten nach dem Tod ihres Onkels eine höhere Tributsumme aus. Hinzu kam ein Lösegeld in der Höhe von acht solidi pro Kopf für die Flüchtlinge aus der Gemeinschaft ihres Sozialgefüges und die Einrichtung von Märkten an der Donau, auf denen die Römer mit Akteuren ihres Gefüges gleichberechtigt handeln konnten.42 Hier sind all die Aspekte Bestandteil der Erzählung, die als typisch für die Lebensweisen von Steppennomaden bezeichnet werden können: Es werden Verhältnisse geschaffen, die erlauben, den ökonomischen Bestand und die Produktion von primär Sesshaften als eigene Erwerbsquellen zu binden und weitere Optionen zu generieren.43 Bei einem weiteren Abschluss kam es zu einer Steigerung der Summen. Da der Vertrag von den Repräsentanten in Konstantinopel nicht eingehalten wurde und kein Gold an die Anführer der „Hunnen“ gegangen war, zogen diese erneut heran. Bei einer Schlacht an der thrakischen Chersones bei Galipoli zu Beginn der 440er Jahre44 unterlag das oströmische Aufgebot den plündernden Folgeleistenden, die Attila und
Sprache und nicht in Griechisch verfasste, obwohl er in Konstantinopel nach einer militärischen Karriere als Hofbeamter tätig war. Er starb nach 534. Vgl. Croke, Marcellinus: S. 31 ff. 41 Die Debatte zusammenfassend Stickler, Aëtius: S. 106 f. Dazu auch Pohl, Byzanz: S. 59 f. Gegen diese Annahme Bóna, Hunnenreich: S. 81. 42 Exc. de Leg. Rom. 1 = Prisk. Frgt. 2 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 227). 43 Vgl. Pohl, Dynamik: S. 598. 44 Eine zeitnahe, doch ortsferne Aussage findet sich bei Prosper Tiro. Prosp. chron.: 1346. Über das Leben und den Werdegang des Prosper Tiro ist wenig bekannt. Er wurde um 390 bei Limoges (Lemovicum) geboren und starb nach 455 in Rom. Prosper war an den theologischen Debatten seiner Zeit beteiligt. Daher reiste er in den frühen 430er Jahren nach Rom, wo er in den 440er Jahren in der päpstlichen Kanzlei angestellt wurde. Er verfasste neben vielen weiteren Texten, die zumeist verloren sind, eine Chronik, die bis 455 Aufzeichnungen umfasst. Vgl. Muhlberger, Chroniclers: S. 48–55. Seine Chronik liefert als eine der wenigen Quellen zur Operation des Jahres 451, der darauf folgenden und zum Tod Attilas Aussagen. Überblickend Homeyer, Attila: S. 140. Die Frage nach seinem Rekurs auf die Informationen ist hinsichtlich der Aussagen allerdings zu stellen. Ihre Antwort ist nicht nur durch das zu der Zeit seines Schaffens bestehende Straßensystem in Italien und Gallien zu geben. Vgl. Klee, Lebensadern: S. 18. Das Unentschieden bei der Schlacht des Jahres 451 hatte zu seiner Zeit sehr viel Aufsehen erregt. Es wurde viel darüber gesprochen und geschrieben, auch wenn nicht viele dieser Aussagen erhalten blieben. Vgl. Stickler, Aëtius: S. 135 f. Da die militärische Operation von 452 Attila nach Italien führte, ist der Informationstransfer erleichtert worden, auch, weil Verhandlungen stattfanden. Die Aussagen sind also bis auf die Italien betreffenden zeitnah, jedoch ortsfern verfasst. Eine weitere Aussage liefert Marcellinus Comes, der allerdings zu Beginn des 6. Jahrhunderts schrieb. Marc. com. chron.: 441. Die Datierung der Schlacht ist umstritten. Zumindest ist sie aktuell auf den Beginn der 440er Jahre eingegrenzt worden. Für die Datierung auf 442 Bóna, Hunnenreich: S. 58. Für die Zeit von 441/2 Stickler, Hunnen: S. 68. Für die Zeit zwischen 440 und 443 Thompson, Huns: S. 271 f. Für die ältere, weitere Zeitspanne der Datierung zusammenfassend Maenchen-Helfen, Hunnen: S. 82.
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Bleda anführten.45 Es wurde ein neuer Vertrag geschlossen. Der Senator und ehemalige Konsul Anatolius46 verhandelte für Kaiser Theodosius II. einen Tribut von 1000 Pfund Gold jährlich; außerdem wurde eine Abgabe pro Kopf von zwölf solidi für jeden Flüchtling vereinbart.47 Auch dieser Tribut wurde aber nicht durchgehend bezahlt. In der Mitte der 440er Jahre blieben die Zahlungen aus.48 Attila zog daher – nachdem er an dem Mord an seinem Bruder Bleda maßgeblich beteiligt gewesen war49 – wohl 44750 auf oströmischem Territorium bis zu den Thermophylen. Die Plünderungen bei dieser Operation waren äußerst umfangreich. Der neue Vertrag umfasste nun neben einer Zahlung von 6000 Pfund Gold einen Jahrestribut von 2100 Pfund Gold. Erneut wurde eine Zahlung pro Kopf für jeden Flüchtling in der Höhe von zwölf solidi veranschlagt.51 Bei den Verträgen ging es offenbar nicht um territoriale Gewinne.52 Der Gewinn von Gold stand eindeutig im Zentrum, auch wenn die Anführer nicht immer dieselben Akteure waren. Somit ist klar, dass es sich bei dem Wechsel der Praktiken des Erwerbs nicht um die Programmatik eines einzigen Anführers handelt. Dass sie sich alle dabei auf das Gebiet der oströmischen Ordnung hinorientierten, liegt offenbar an der Funktionalität dieses Vorgehens: Die Anführer konnten die Praktiken leicht wechseln und waren dabei stetig erfolgreich. Die Aussagen zu den Erfolgen zeigen, dass sich die Anführer in einer typischen Weise bestätigen konnten. Zudem waren Auseinandersetzungen mit anderen Gegnern wohl weniger lukrativ. Beispielsweise operierten Akteure aus einer „hunnischen“ Gemeinschaft unter einem ihrer Anführer vor Attila auch gegen Burgunder. Von einer Zahlung oder einem Vertrag ist in diesem Zusammenhang aber nichts überliefert.53 Neben den bis hierher untersuchten Fragmenten des Priskos, gibt es noch ein weiteres, in welchem das Plündern vor der Hinwendung nach Westen erzählt wird. Ob es in den Kontext der Wechsel von Tributen und Plünderungen einzuordnen ist,
45 Dies kann auch nicht unbedingt als sicher gelten, da erst Marcellinus Comes Aussagen zu der Anführerschaft der beiden gibt: „Bleda et Attila fratres multarumque gentium reges Illyricum Thraciamque depopulati sunt.“ Marc. com. chron.: 442. Frühere Aussagen zu dem Friedensvertrag mit Tributvereinbarungen nach der Schlacht umfassen nur einen Anführer; nämlich Attila. Exc. de Leg. Gent. 3 = Prisk. Frgt. 9.3 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 237). 46 Ausführlich zu diesem „Ersten Frieden des Anatolius“ Bóna, Hunnenreich: S. 58 ff. 47 Exc. de Leg. Gent. 3 = Prisk. Frgt. 9.4 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 237). 48 Diese Datierung ist unklar, auch, da sie von einer Datierung der Niederlage gegen die „Hunnen“ zum Beginn des 440er Jahre abhängt. Zu dieser Kontextproblematik der Datierung Maenchen-Helfen, Hunnen: S. 83–93. Seiner Datierung des Endes der Operation auf 447 ist nicht unbedingt zu folgen. Dazu den aktuelleren Beitrag Stickler, Aëtius: S. 123. 49 Vgl. Stickler, Hunnen: S. 68 ff. 50 Zu dieser Datierung Maenchen-Helfen, Hunnen: S. 84–87. 51 Theophanes chron. a.m. 5942 = Prisk. Frgt. 9.3 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 241). 52 Vgl. Stickler, Aëtius: S. 96. 53 Sokr. hist. eccl.: 7.43.
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Quellenuntersuchung
ist nicht ganz klar.54 Der Bischof von Margus hatte Gräber der „Hunnen“ geschändet.55 Dass er dabei auf „hunnisches“ Gebiet vorgedrungen sein soll, muss nicht unbedingt heißen, dass dies ein sehr großes Territorium war. Allein die Gräberanlage könnte bereits als „hunnisch“ gedeutet worden sein, da dort Tote einer „hunnischen“ Gemeinschaft begraben waren.56 Einige „Hunnen“ mordeten daraufhin auf den Märkten an der Donau, zogen über Viminacium nach Margus und erzwangen letztlich, dass der Bischof, der ausgeliefert werden sollte, die civitas für Plünderungen freigab.57 Es wird angenommen, die Plünderungen in Margus hätten sich ausgeweitet und es sei in der Folge letztlich zu dem Vertragsabschluss über 1000 Pfund Gold pro Jahr gekommen.58 Diese Annahme eines kausalen Zusammenhangs zwischen den Plünderungen in Margus und den folgenden militärischen Operation schließt jedoch schlecht an die Aussagen über die Säumigkeit des Kaisers Theodosius II. an, die in einem anderen Fragment überliefert wird.59 Hinzu kommt, dass weder Attila, noch Bleda oder auch sonst ein Anführer konkret genannt ist. Insofern muss es sich hier gar nicht um eine Operation eines der Anführer handeln. Eine Datierung der Inhalte dieser Erzählung kurz vor die Schlacht an der thrakischen Chersones ist zwar denkbar, aber nicht sicher. Eine reine Einordnung aller Aussagen zu „hunnischen“ Plünderungen in das Wechselmuster von Plündern und Tribut ist daher nicht einfach umsetzbar. Das lässt sich auch anhand eines weiteren Fragments zeigen. Es beinhaltet die Erzählung über die Belagerung und Eroberung von Novidunum.60 In welchem Verhältnis der in diesem Fragment genannte Anführer mit Namen Valips zu den Anführern der „Hunnen“ gestanden hat, ist umstritten.61 Dass die ihm Folgeleistenden in einer relativ losen Form an die Anführer des „hunnischen“ Sozialgefüges gebunden waren, wie es beispielsweise für ostgotische und gepidische Gemeinschaften der Fall war,62 ist eine rein hypothetische, wenn auch durchaus wahrscheinliche Annahme; denn die Handlungsfähigkeit der „hunnischen“ Anführer ist seit den 430er Jahren im Gebiet an der Donau wohl intensiviert worden.63 Abhängig ist diese Annahme aber
54 Die Quellenlage ist aufgrund der fragmentarischen Überlieferung zu uneindeutig. Differente Anordnungen der Fragmente sind möglich und daraus ergeben sich wiederum unterschiedliche Möglichkeiten für Annahmen auf der Deutungsebene. Überblickend Stickler, Aëtius: S. 115, Anm. 610. 55 Exc. de Leg. Gent. 1 = Prisk. Frgt. 6.1 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 231). 56 Vgl. Stickler, Aëtius: S. 115. 57 Exc. de Leg. Gent. 1 = Prisk. Frgt. 6.1 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 231). 58 Vgl. Wirth, Byzanz: S. 50 f. und Stickler, Aëtius: S. 115. 59 Exc. de Leg. Gent. 2 = Prisk. Frgt. 9.4 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 235). 60 Frgt. 1a Dindorf; Müller V p.24 = Prisk. Frgt. 5 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 229). 61 Zu ihm Thompson, Huns: S. 269 ff. 62 Vgl. Stickler, Hunnen: S. 79 f. 63 So zum Beispiel Thompson, Huns: S. 81 ff. Eher kritisch Bóna, Hunnenreich: S. 52.
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von der Datierung, die leider ebenfalls nicht exakt zu klären ist.64 Das ändert aber nichts daran, dass das Plündern auch außerhalb des Wechselmusters sozioökonomischer Erwerbsweisen für diesen Raum erzählt wird. Das Fragment hilft somit einen Unterschied zu verdeutlichen: Plünderungen konnten, mussten aber nicht von Interaktionen zwischen den „hunnischen“ Anführern und den Repräsentanten der oströmischen Ordnung kanalisiert werden,65 wobei die Plündernden an dem Raum orientiert waren, in dem die sesshafte Bevölkerung unter der oströmischen Ordnung lebte und wirtschaftete. Ihr Siedlungsraum war für Plünderungen ein lukrativer Bereich, um Güterflüsse zu sichern. Die Chronologie der „hunnischen“ Plünderungen ist insgesamt nicht einfach zu erschließen. Da die Aussagen nur in Fragmenten erhalten sind, gibt es verschiedene Möglichkeiten der Datierung. Daher gibt es unterschiedliche Konstruktionen der Abläufe,66 die aber für die vorliegende Studie weniger wichtig sind, da das Muster des Wechsel der Praktiken des Erwerbs unabhängig von der Chronologie erfasst werden kann, denn einzelne Fragmente des Priskos liefern bereits ganze Aussagekontexte über den Wechsel von Plünderungen und Tributgewinn. Sie ergeben in ihrer Summe allerdings keinen statischen sozioökonomischen Mechanismus. Anführer werden bei Plünderungen nicht immer erwähnt. Es erscheint daher äußerst sinnvoll, auf der Deutungsebene von einer Plünderungs- und Tributwirtschaft unter der Beteiligung der Anführer zu sprechen, die auf das Gebiet der oströmischen Ordnung hinorientiert war, wobei das Plündern auch abseits der Beteiligung der Anführer des „hunnischen“ Sozialgefüges von Akteuren aus der Gemeinschaft dieses Sozialgefüges betrieben werden konnte. In Anbetracht der Aussagen zur geforderten Einrichtung von Märkten zur Zeit Attilas erscheint das Plündern insgesamt als eine Option: Auch Handel und Tausch auf den Märkten war möglich. 1.1.1.2 Plünderungs- und Tributwirtschaft als Basis einer asymmetrischen Symbiose Im vorangegangenen Abschnitt wurden die ökonomischen Bestände, die ökonomische Produktionsfähigkeit und das ökonomische Potential der Bevölkerung, die südlich der Donau unter der oströmischen Ordnung siedelte, als Aspekte der räumlichen Orientierung thematisiert. Das Verhältnis zwischen dem „hunnischen“ Sozialgefüge und der oströmischen Ordnung ist der Transaktion zwischen Konsument und Produzent ähnlich: Während die Akteure aus dem „hunnischen“ Sozialgefüge materielle Güter und Ressourcen – ob nun bei konkreten Operationen oder auch nur
64 Vgl. Thompson, Huns: S. 269 ff. 65 Entgegen der Annahme Walter Pohls. Zu dieser Annahme Pohl, Konfliktverlauf: S. 177 f. 66 Für einen Vergleich der differenten chronologischen Konstruktionen Wirth, Attila: S. 197–199 und Maenchen-Helfen, Hunnen: S. 344 f. sowie Kelly, Attila: S. 232–234.
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Quellenuntersuchung
unter einer Androhung67 – direkt oder durch Vermittlung von Repräsentanten der Bevölkerung des oströmischen Territoriums erwarben, die diese zuvor produziert haben musste, erwarben oströmische Repräsentanten mittels der Verträge Frieden für die Bevölkerung. Die Oströmer produzierten also materielle Güter, während die „Hunnen“ Frieden herstellten.68 Es ist aber nicht zu übersehen, dass die Fragmente zu den Tributverträgen nicht die Überlebensfähigkeit der Akteure erklären können, die in der Gemeinschaft des „hunnischen“ Sozialgefüges lebten, denn – so schlicht dies klingen mag – Gold kann man nicht essen.69 Neben dem Handel und der Option von Plünderungen abseits der Plünderungs- und Tributwirtschaft ist daher auf Aussagen zu einer agrarwirtschaftlichen Produktion zu verweisen. Sicher ist, dass Akteure aus dem Sozialgefüge Attilas agrarwirtschaftlich produzierten.70 Wie aber lassen sich die Aussagen zum Plündern mit denen zur agrarischen Produktion der Akteure bezüglich der Subsistenz in Einklang bringen? Für die Beantwortung dieser Frage wird mit Aussagen vor dem Bruch der Quellenüberlieferung zu den Anführern der „hunnischen“ Gemeinschaften begonnen. Die Bildung dieses analytischen Kontextes ist letztlich der adäquaten Beantwortung der Frage nach dem Zusammenhang von Plünderungen und der agrarischen Produktion geschuldet. Relativ kurz nach dem Vordringen „hunnischer“ Gemeinschaften um 370 in den nördlichen Schwarzmeer- und Donauraum71 treten „hunnische“ Akteure nicht nur plündernd auf,72 sondern auch an der Seite weströmischer Repräsentanten. Sie waren in der diskursiven Dynamik als militärisches Mittel von Relevanz.73 Diese Akteure waren zu dieser Zeit mit großer Wahrscheinlichkeit noch nicht unter einem einzigen Anführer geeint.74 Die Erfolge bei Operationen und der dadurch ermöglichte Erwerb von materiellen Gütern sowie Ressourcen wie auch die Fähigkeit, Folgeleistende dabei auf diese Weise zu versorgen, werden als prägnante Aspekte für die Genese größerer Gemeinschaften und deren Bestehen angenommen.75 Diese Annahme ist plausibel, wenn Aussagen zum Anführer Uldin berücksichtigt werden. Unter ihm
67 Vgl. Pohl, Konfliktverlauf: S. 186 ff. 68 Vgl. Kelly, Attila: S. 107–116. 69 Zu der Problematik eines „Beutewesen“ – der Terminus ist analytisch indifferent – das auch die Ernährung der Akteure garantieren muss Dick, Königtum: S. 194 f. 70 Exc. de Leg. Rom. 3 = Prisk. Frgt. 11.2 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 261 ff. und S. 265 ff.). 71 Vgl. Heather, Huns: S. 5 f. 72 Dazu überblickend Stickler, Hunnen: S. 45–51. 73 Mit Einbettung in die Annahme stetiger Feudalisierung Wirth, Attila: S. 20 ff. Aktuell und mit einem konkreteren Bezug Stickler, Aëtius: S. 102 ff. 74 Zu dieser Forschungsmeinung gibt es auch anhand der Aussagenlage große Übereinstimmung. Zu der Begründung bereits Maenchen-Helfen, Hunnen: S. 15 ff. Heather vertritt die Annahme, dass es sich bei den ersten Auftreten „hunnischer“ Gemeinschaften nicht um eine Art der „Invasion“ handelte, sondern um das langsame Auftreten solcher, die in kleineren Gemeinschaften in den Westen zogen oder auch nur an der Peripherie der römischen Ordnung auftraten. Vgl. Heather, Huns: S. 9 ff. 75 Dazu beispielsweise Pohl, Dynamik: S. 597; Pohl, Byzanz: S. 60 und Stickler, Hunnen: S. 56 f.
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entstand eine „hunnische“ Gemeinschaft76 und Akteure aus ihr griffen in die Prozessdynamik der Erosion sowie die Konflikte der oströmischen und weströmischen Ordnung ein: Der Aggressor Gainas wurde getötet, wofür Uldin eine Belohung von oströmischen Repräsentanten erhielt. Kurz darauf operierte er mit ihm Folgeleistenden auf oströmischem Gebiet. Sie plünderten dort. Dem weströmischen magister militum Stilicho sandte Uldin danach im Jahr 406 Akteure zur Unterstützung. Erneut operierte er mit ihm Folgeleistenden im Jahr 408 und plünderte oströmisches Gebiet, bis sie den Rückzug antreten mussten.77 Danach gibt es bis auf eine einzige Aussage in einem Fragment des Geschichtswerks des Olympiodorus keine weiteren Aussagen mehr zu den Handlungen „hunnischer“ Anführer.78 Erst mit der Überlieferung zu Ruga setzen solche Aussagen wieder ein,79 wobei für die Zwischenzeit andere Textpassagen eine Bedrohung Konstantinopels durch Plünderungen zumindest andeuten.80 „Hunnen“ treten also in den überlieferten Aussagen zur Erosion der strukturellen Einheit der weströmischen Ordnung an der Seite weströmischer, aber auch oströmischer Repräsentanten und auch gegen diese auf. Sie lebten also nicht nur einfach an der Peripherie. Dies ist offenbar wichtig für das Entstehen eines dauerhaft agierenden „hunnischen“ Anführers an der Peripherie,81 indem er mit der Orientierung an den Gebieten und der Bevölkerung der beiden römischen Ordnungen materielle Güter erwarb, Erfolge errang und auch die ihm Folgeleistenden zu einem militärischen Mittel römischer Repräsentanten werden lassen konnte. Zudem ist festzuhalten: Der Warlordism dieses Anführers war zumindest teilweise mit dem Erwerb durch Plünderungen verbunden. Der Bruch der Überlieferung zu den „hunnischen“ Anführern kann auch mit dem Bezug auf die erodierende weströmische Ordnung und das Territorium der oströmischen erklärt werden: Da Uldin nach dem Rückzug aus der Überlieferung verschwindet, kann der Misserfolg als ein Aspekt des Verschwindens seiner Position aufgefasst werden. Da er keinen Erfolg hatte, wurde ihm keine Folge mehr geleistet. Die Sendung einiger Akteure an Stilicho kann zu diesem Misserfolg beigetragen haben, da die ihm Folgeleistenden weniger wurden und er bei weiteren Operationen erst durch Erfolge neue Folgeleistungen organisieren musste.82 Insofern wäre der Aufstieg, aber auch
76 Vgl. Heather, Huns: S. 15 f. 77 Zu einer quellenbezogenen Darstellung der Aussagen zu Uldin insgesamt aktuell Stickler, Hunnen: S. 51–65. 78 Orts- und zeitnah Bibl. Cod. 80, S. 173 = Olymp. Frgt. 19 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 183). 79 In diesem Kontext sind auch die wenigen Aussagen zu dem Anführer Octar zu setzen. Vgl. Maenchen-Helfen, Hunnen: S. 59–69. 80 Vgl. Maenchen-Helfen, Hunnen: S. 54 ff. Die von Maenchen-Helfen an der Aussagenlage erkannte Bedrohung muss aber nicht durch „hunnische“ Akteure gegeben gewesen sein. 81 Vgl. Pohl, Konfliktverlauf: S. 177 f. 82 Vgl. Heather, Huns: S. 17 f.
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das Verschwinden Uldins als Anführer dem Bezug auf die Prozessdynamik der Erosion und auf das oströmische Gebiet geschuldet, da das Bestehen seiner Position ein Ergebnis dieses Bezugs war. Dieser Bezug kann präziser als eine asymmetrische Symbiose83 bezeichnet werden, da das Sozialgefüge mit der Anführerposition in seiner Dauer durch das Eingreifen Uldins in die oströmischen Konflikte entstand. Seine Position wurde dann mit dem materiellen Erwerb durch Plünderungen auf dem lukrativen oströmischen Territorium gefestigt, so dass er wahrscheinlich noch weitere Folgeleistungen organisieren konnte. Auch daher wurde es ihm möglich, mit Stilicho zu kooperieren. Der Rückzug bei der Operation auf dem oströmischen Territorium nach der Entsendung von Akteuren an Stilicho führte dann letztlich dazu, dass die meisten der ihm Folgeleistenden Uldin verließen. Das Sozialgefüge verschwand seiner Form nach. Über den Verbleib der Akteure aus der Gemeinschaft des Gefüges ist nichts zu erfahren. Die Anführerposition Uldins wurde in der Prozessdynamik mehr als nur einmal praktisch definiert. Die Grundannahme der asymmetrischen Symbiose ist, dass sie wegen der Plünderungen und Tributgewinne unter Uldin oder, in seinem Fall genauer, der belohnenden Geschenke bestand. Dies unterscheidet sich vom Handlungsprinzip her von den Tributen nicht sehr, da materielle Güter für eine Gegenleistung geliefert wurden. Die asymmetrische Symbiose zwischen dem „hunnischen“ Sozialgefüge Uldins und der weströmischen sowie der oströmischen Ordnung ist in ihren Details jedoch offensichtlich hypothetisch, da die Quellenlage einfach zu dünn ist. Sicher ist hingegen, dass Aussagen über Tributgewinne und Plünderungen im Kontext der Aussagen über die Interaktion zwischen „hunnischen“ Anführern und Repräsentanten beider römischen Ordnungen sowie der Bevölkerung auch nach dem Bruch der Überlieferung zu den „hunnischen“ Anführern überliefert sind. Erneut bildeten sich „hunnische“ Sozialgefüge, die auf einem symbiotischen Bezug zur sesshaften Bevölkerungen und ihren Repräsentanten beruhten. Dies wird in Quellenaussagen zu Plünderungen und Tributgewinnen fassbar. Die Asymmetrie der Symbiose besteht in der Abhängigkeit der Plünderungs- und Tributwirtschaft der Anführer der Gemeinschaften dieser Sozialgefüge von dem ökonomischen Potential sesshafter Akteure der oströmischen Ordnung, die jene Güter und Ressourcen produzierten, die geplündert wurden und Abgaben aufbrachten, die für die Tribute erhoben wurden.84
83 An dieser Stelle soll nicht bestritten werden, dass „Barbaren“ ein integraler Aspekt der spätrömischen Welt waren. Jedoch gehen die Formulierungen hinsichtlich eines geschlossenen Systems fehl. Dazu Pohl, Konfliktverlauf: S. 203 ff. Spezifische Muster mögen für die Interaktion von relativ großer Relevanz gewesen sein. Sie sind allerdings nicht nur als systemspezifische Kommunikation aufzufassen, da die Muster eben nicht die Interaktion normativ determinierten, sondern die Interaktion die Konstellationen so produzierte, dass literarisch Muster hergestellt wurden, wie die Aussagen zu der Plünderungs- und Tributwirtschaft verdeutlichen. 84 Vgl. Stickler, Hunnen: S. 75 ff.
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Diese asymmetrische Symbiose ermöglichte es den „hunnischen“ Anführern letztlich, Folgeleistende für Repräsentanten der weströmischen Ordnung bereitzustellen: Aëtius halfen die ihm Folge leistenden „Hunnen“, einer Bestrafung durch Kaiser Valentinianus III. zu entgehen.85 Die asymmetrische Symbiose basierte also nicht nur auf der am Gebiet der oströmischen Ordnung orientierten Plünderungs- und Tributwirtschaft. Sie war auch mit der Erosion der strukturellen Einheit der weströmischen Ordnung peripher verbunden, indem das Fortbestehen der asymmetrischen Symbiose für die Repräsentanten der weströmischen Ordnung Optionen offerierte.86 Die Aussagen zu den Handlungen des Aëtius zeigen dies deutlich. Er setzte die „hunnischen“ Folgeleistenden beispielsweise gegen Burgunder am Rhein ein.87 Diese Aussagen führten dazu, dass Aëtius als „Kreatur der Hunnen“88 bezeichnet wurde. Bei einer differenzierten Untersuchung zu seinem Verhältnis zu den „Hunnen“ verliert die Formulierung an Plausibilität.89 Allerdings ist trotzdem nicht zu übersehen, dass Aëtius Folgeleistungen „hunnischer“ Akteure organisierte und sie situationsbezogen militärisch einsetzte. Inwieweit die Prozesse verliefen, bei denen andere Gemeinschaften in das „hunnische“ Sozialgefüge zur Zeit Attilas absorbiert oder auch nur lose angebunden wurden, ist nicht mehr zur Gänze zu klären. Anhand der wenigen Aussagen zu militärischen Operationen gegen die Burgunder vor Attila und Bleda90 kann zumindest die Annahme formuliert werden, dass ein handlungsfähiger „hunnischer“ Anführer in der Lage war, Akteure aus anderen Gemeinschaften teilweise zu Folgeleistungen zu zwingen. Sicher ist, dass nördlich der Donau zu lokalisierende Gemeinschaften zur Zeit Attilas unterworfen worden sind.91 Diese Unterwerfungen sind aber nicht zuletzt auch auf die Plünderungen und Tributgewinne zurückzuführen, da Erfolge der „hunnischen“ Anführer das Organisieren von Folgeleistungen erleichterten. Diese Deutungen zu der Plünderungs- und Tributwirtschaft von Anführern der Gemeinschaften „hunnischer“ Sozialgefüge liefern für die Beantwortung der Frage nach der Subsistenz derjenigen, die unter den Anführern lebten, einige konkrete Ansatzmöglichkeiten. Zum einen ist festzuhalten, dass militärische Erfolge für das Entstehen und Bestehen größerer „hunnischer“ Sozialgefüge konstitutiv waren – wenn auch in je unterschiedlicher Weise. Das Plündern erscheint als Option, den
85 Prosp. chron.: 1289. Dazu Stickler, Aëtius: S. 33–35 und S. 106. 86 Dies paraphrasiert auch Heather, Huns: S. 25 ff. 87 Gall. chron. 452: 436 (118). Für die Wahrscheinlichkeit „hunnischer“ Beteiligung Stickler, Aëtius: S. 110 f. 88 Vgl. Bóna, Hunnenreich: S. 53. 89 Vgl. Stickler, Aëtius: S. 85–91. 90 Sokr. hist. eccl.: 7.43. 91 Für die Sogosi-Gemeinschaft Exc. de Leg. Rom. 1 = Prisk. Frgt. 2 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 227) und für die Akatziri-Gemeinschaft Exc. de Leg. Rom. 3 = Prisk. Frgt. 11.2 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 259).
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Grundbedarf an Nahrung zu decken. Es gibt dazu allerdings keine eindeutigen Aussagen. Im Gegenteil gibt es Aussagen über Gastmähler zur Zeit Attilas, bei denen in Siedlungsgemeinschaften über Güter- und Ressourcenbestände verfügt wird.92 Diese können auch durch Landwirtschaft, Jagd oder Handel produziert oder erworben worden und nicht unbedingt durch Plünderungen dort hingelangt sein. Augenscheinlich gab es nicht nur Erwerbspraktiken, sondern auch differente Produktionsweisen und die Option des Handels. Sesshaftigkeit war zumindest für einige Akteure des „hunnischen“ Sozialgefüges zur Zeit Attilas nicht ungewöhnlich.93 Hier wird ein weiterer Aspekt deutlich, der das Plündern als eine sozioökonomische Praktik ausweist: Offenbar leisteten nicht alle Akteure aus dem „hunnischen“ Sozialgefüge Attilas bei militärischen Operationen Folge, die im Wechselmuster der Plünderungs- und Tributwirtschaft verortet werden können. Sonst wäre die agrarische Produktion zum Erliegen gekommen. Der soziale Aspekt des Plünderns wirkt also auch differenzierend. Natürlich ist die dichotome Unterscheidung in Plündernde/Nichtplündernde für die weitere Untersuchung nur wenig ergiebig, doch ist nicht zu verkennen, dass das Plündern für die Akteure aus der Gemeinschaft des „hunnischen“ Sozialgefüges unter Attila intern differenzierend gewirkt hat: Plünderungen und andere Erwerbs- und Produktionsweisen waren offenbar ökonomische Praktiken, die insgesamt gebündelt einen Ausdruck der optionalen Erwerbs- und Produktionsweisen der Akteure aus dem „hunnischen“ Sozialgefüge darstellten.94 So kann die Frage nach der Subsistenz unter dem Verweis auf die Aussagen zu den differenten Erwerbs- und Produktionsweisen beantwortet werden: Es ist plausibel anzunehmen, dass neben der agrarischen Produktion und dem Handel auch das Plündern zur Subsistenz beitragen konnte. Nicht nur, dass das Plündern von Akteuren aus „hunnischen“ Sozialgefügen seit Uldin kontinuierlich betrieben wurde. Die Praktik war auch abseits der Plünderungs- und Tributwirtschaft der Anführer für „hunnische“ Akteure ertragreich. Unklar bleibt allerdings, ob Akteure die Lebensweise in dem Sozialgefüge zur Zeit Attilas wechselten und von Produktionsweisen wie dem Ackerbau und der Viehzucht zu Plünderungen zeitweilig übergingen, oder ob dies nicht möglich war. Sicher ist nur, dass das Plündern eine Erwerbsweise in differenten Kontexten war. Somit biete es sich deutungstechnisch an, die Praktik des Plünderns mit dem Kriegersein der Akteure aus den „hunnischen“ Sozialgefügen direkt zu verbinden. Diese Antwort auf die Frage nach der Subsistenz erlaubt also weiter auch
92 Exc. de Leg. Rom. 3 = Prisk. Frgt. 11.2 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 261 f.) und Exc. de Leg. Rom. 3 = Prisk. Frgt. 13.1 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 261 ff. und S. 283 ff.). 93 Vgl. Wirth, Byzanz: S. 52 und S. 57. Zu widersprechen ist Wirth jedoch, wenn er das Plündern als eine mit der Zeit an ökonomischer Relevanz verlierende Praktik beschreibt. Vgl. Wirth, Byzanz: S. 54. 94 Dies gilt zumindest für die Zeit Attilas. Aussagen zu den inneren Verhältnissen der Sozialgefüge unter Uldin und unter Ruga sind nicht vorhanden. Rückschlüsse auf diese internen Verhältnisse lassen die vorhandenen Quellenaussagen nicht zu. Die Lebensweisen sind auch im Modell der nomadischen Lebensweisen implizit. Vgl. Stickler, Hunnen: S. 10–20.
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für die Zeit vor Attila von einer Plünderungs- und Tributwirtschaft zu sprechen, die schon vor ihm eine asymmetrische Symbiosen begründet hat. Die Folgeleistenden erwarben auf diese Weise Güter von der sesshaften Bevölkerung, wobei die Formulierung der asymmetrischen Symbiose auf der Deutungsebene die unterschiedlichen Handlungsweisen aller Beteiligten zu einer Einheit integriert, die mit der Formulierung eines bereits existierenden Systems nicht adäquat beschrieben werden könnte: Die spezifischen Handlungen produzierten die Systematik erst, so dass die Autoren ihre Informationen so literarisch verarbeiteten, dass ein Wechselmuster von Tribut und Plünderungen in ihren Aussagen zu erkennen ist.95 Außerdem weisen diese Aussagen darauf hin, dass Römer tendenziell primär andere Praktiken anwandten als „Hunnen“. Es stellt sich nunmehr die Frage, inwieweit das „hunnische“ Sozialgefüge und die (ost)römische Ordnung als Alternativen für Akteure der Zeit Attilas dargestellt werden können. Anders formuliert: Wie verhält sich die Formulierung einer asymmetrischen Symbiose auf der Basis einer Plünderungs- und Tributwirtschaft zu der Annahme einer „hunnischen Alternative“, die in der Forschung bereits diskutiert worden ist?96 1.1.1.3 Eine „hunnische“ Alternative? Die Annahme einer „hunnischen“ Alternative hat Zustimmung gefunden.97 Sie ist in der Möglichkeit begründet, sich entweder der römischen Ordnung oder dem „hunnischen“ Sozialgefüge anzuschließen. Der Fokus liegt also nicht auf den beiden zu wählenden Möglichkeiten. Er liegt auf der Entscheidung.98 Somit wird der Unterschied zwischen ihnen nicht explizit, außer dass das „hunnische“ Sozialgefüge der römischen Ordnung nicht entspricht. Die Annahme kann in diesem zentralen Punkt angegriffen werden, denn es gibt einige Aussagen zu Abwehrversuchen von Gemeinschaften, die versuchten, sich für die römische Ordnung zu „entscheiden“.99 Aber unter
95 In diesem Sinne sind die Überlegungen Bourdieus zur Produktion von „Herrschaft“ aufschlussreich. Vgl. Pohl, Art. Herrschaft: S. 454. In diesen Überlegungen geht es nicht um ein System, sondern um die Prozesse und Praktiken, durch die Ordnungen hergestellt werden. Selbstredend sind diese durchaus auch kommunikativ. Dazu siehe Bourdieu, Sozialer Sinn. 96 Vgl. Wolfram, Reich: S. 184 ff. 97 Beispielsweise Brodka, Tyche: S. 231 und Stickler, Aëtius: S. 98. 98 Dazu Wolfram selbst: „In diesen Hunnen entstand eine Alternative zum Imperium Romanum und – in geringerem Maße – zum Perserreich. Oder mit anderen Worten: Die Völker mussten sich entscheiden, ob sie römische oder hunnische Goten, Gepiden, Eruler, Skiren, Burgunder, ja selbst Franken werden wollten. Wer sich dieser Entscheidung zu entziehen suchte, hatte mit der gemeinsamen Gegnerschaft von Römern und Hunnen zu rechnen.“ Wolfram, Reich: S. 184. 99 Für einen Überblick Demandt, Spätantik: 300–307. Die Formulierung der „Entscheidung“ ist bereits als eigentliche Problematik der Annahme festzumachen. Sehr wohl konnten relativ einheitlich organisierte Gemeinschaften in die strukturelle Einheit der weströmischen Ordnung während des Prozesses der Erosion integriert werden. Die Alternative bestand aber nicht nur für die hinzukommen-
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der Berücksichtigung der Aussagen zur unterschiedlichen Gewichtung der Erwerbsund Produktionspraktiken in der (ost)römischen Ordnung und dem „hunnischen“ Sozialgefüge zur Zeit Attilas ist die Annahme der Alternative gar nicht zu prüfen, da der These ein Bezug auf sozioökonomische Praktiken schlicht fehlt.100 Daher stellt sich die Frage, ob die Annahme einer solchen „Alternative“ in dieser Hinsicht präzisiert werden kann. Sicher ist, dass „Hunnen“ wiederholt auf das Gebiet der oströmischen Ordnung zogen und plünderten, während Akteure der römischen Ordnungen nicht in den Bereich der Gemeinschaften der „hunnischen“ Sozialgefüge eindrangen, um dort plündernd materielle Güter und Ressourcen zu erwerben. (Die Aussage zu der Grabschändung unter der Beteiligung des Bischofs von Margus stellt eine Ausnahme dar).101 Hier zeichnet sich ein deutlicher Unterschied ab: Informationen zu dieser konstitutiven Differenz wurden auch für die Zeit nach dem Tod Attilas literarisch verarbeitet. Dass sogar eine ethnisch definierende Unterscheidung zwischen den „Hunnen“ und den „Goten“ mit dem Akzent auf deren unterschiedliche Lebensweise literarisch konstituiert ist,102 kann allerdings nicht als tatsächlicher Aspekt ihrer relativen Andersartigkeit betrachtet werden. Zwar ist in der betreffenden Erzählung der Rekurs des Autors auf Informationen zum Plündern deutlich nachzuvollziehen, aber auch Akteure aus gotischen Gemeinschaften plünderten Gebiete der römischen Ordnungen mehrfach.103 Zudem gibt es sehr viele Aussagen zu plündernden Akteuren aus anderen – beispielsweise fränkischen104 – Gemeinschaften. Es handelt sich hier also offensichtlich um eine literarische Konstruktion, und folglich ist in Frage zu stellen, ob es sich bei der Alternative um eine handelt, die mit dem auf einen ethnischen Aspekt eingehenden Adjektiv „hunnisch“105 auch adäquat bezeichnet ist. Für die Lösung dieser definitorischen Problematik bietet neben den bereits angeführten Fragmenten eine weitere Passage Gelegenheit: Priskos erzählt über seine Begegnung mit einem griechischsprachigen Mann, der im „hunnischen“ Sozialge-
den „Barbaren“. Sie bestand auch für diejenigen, die diese Gemeinschaften in eine Ordnung integrieren konnten. Wenn dies von einer der Seiten nicht gewollt war, wurden neu Hinzuziehende bekämpft oder es kam nach gelungener Integration zu Effekten der Desintegration. Es ist daher eher auf die „Chance“ für eine Entscheidung einzugehen. Die „Chance“ als Aspekt der Annahme ist als mehrdimensional zu beschreiben und nicht in einer einfachen Beiordnung zu etablieren. Die Annahme Wolframs ist aber deswegen nicht einfach zu verwerfen. 100 Vgl. Wolfram, Reich: S. 184–209. 101 Exc. de Leg. Gent. 1 = Prisk. Frgt. 6.1 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 231). 102 Exc. de Leg. Gent. 21 = Prisk. Frgt. 49 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 357). 103 Zusammenfassend Wolfram, Goten 2001: S. 53–62; S. 67–72 und überblickend S. 125 ff. Auch Berndt, Kriegergruppen: S. 121 ff. 104 Überblickend für das 5. Jahrhundert Nonn, Franken: S. 68–95. 105 Dies sieht Wolfram selbst auch nicht derart. Vgl. Wolfram, Reich: S. 184.
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füge lebt.106 Seine Teilnahme an der Gesandtschaft aus Konstantinopel wird im Allgemein nicht bezweifelt.107 Somit ist eine fundierte Grundlage für die Argumentation gegeben, der Autor habe von ihm persönlich Erlebtes literarisch verarbeitet. Auch die Frage nach dem Rekurs auf die zusätzlich literarisch verarbeiteten Informationen ist vordergründig leicht zu beantworten: Der Gesprächspartner wird als Mitglied des „hunnischen“ Sozialgefüges dargestellt.108 Wenn aber diese viel zitierte Passage genau gelesen wird, ist der Kontrast zwischen der Priskos- und der Figur desjenigen, der die Zugehörigkeit anfänglich unfreiwillig wechselt, auffällig. Priskos lässt die Figur des griechischsprachigen Mannes, die sich in das „hunnische“ Sozialgefüge integriert hat, über ihre Herkunft und ihr Leben nach der Gefangennahme während einer militärischen Operation berichten. Hierbei stehen Erwerbsweisen und andere ökonomische Aspekte im Vordergrund: Der Mann, so erzählt Priskos, lebt in der civitas Viminacium an der Donau und ist nach einer Heirat zu Reichtum gekommen, als „Hunnen“ die civitas plündern und ihn gefangen nehmen. Er wird mit geplünderten Gütern und Ressourcen dem Onegesius gegeben,109 einem herausragenden Akteur im „hunnischen“ Sozialgefüge, und leistet ihm danach Folge. Als er die von ihm mittels Plünderungen erworbenen Güter an Onegesius gibt, erhält er die Freiheit. Insgesamt beurteilt er seine Situation im Vergleich zu seinem Leben vor der Gefangennahme als gut.110 Auf die Kritik der Figur an der oströmischen Ordnung, unter der deren Repräsentanten und die Reichen die einfache Bevölkerung ökonomisch bedrücken sowie die Gesetze zu ihren Gunsten beugen würden, reagiert die Priskosfigur mit Zurückweisung. Sie lobt die oströmische Ordnung im Gegensatz zum „hunnischen“ Sozialgefüge: Die einfachere Bevölkerung werde nicht bedrängt.111 Auch wenn Priskos in seinem eigenen Text als Figur auftritt, ist die Passage kritisch zu untersuchen. Die Erzählung muss nicht unbedingt eine Nacherzählung von konkreten Erlebnissen des Autors sein. Offensichtlich werden hier zwei Typen gegeneinander gestellt, die in kontroverser Debatte sehr deutlich konturierte Meinungen über das Leben unter der oströmischen Ordnung und dem „hunnischen“ Sozialgefüge vertreten. Der Autor erscheint dabei gerade wegen der harten Konturierung der Aussagen durch die Figur seiner selbst eher als Repräsentant einer Meinung.112 Zwar kann auch nicht zweifelsfrei behauptet werden, dass die Wahl differenter Lebenswei-
106 Exc. de Leg. Rom. 3 = Prisk. Frgt. 11 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 267–273). 107 Das Fragment wird daher sogar als Grundlage für die Deutung der inneren Verhältnisse des Sozialgefüges unter Attila gebraucht. Vgl. Wirth, Attila: S. 78–86. Kritisch zu diesem Umgang mit dem Fragment bereits Maenchen-Helfen, Hunnen: S. 145 ff. 108 Exc. de Leg. Rom. 3 = Prisk. Frgt. 11 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 267). 109 Vgl. Stickler, Hunnen: S. 80. 110 Exc. de Leg. Rom. 3 = Prisk. Frgt. 11 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 269). 111 Exc. de Leg. Rom. 3 = Prisk. Frgt. 11 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 271). 112 Exc. de Leg. Rom. 3 = Prisk. Frgt. 11 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 271–273). Dazu Brodka, Tyche: S. 231 f.
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sen zu seiner Zeit weitflächig diskutiert wurde.113 Doch erlaubt die Erzählkonstellation zumindest die Annahme, der Autor positioniere sich mit seiner Erzählung innerhalb einer Debatte, indem er sich als Figur auf einer diplomatischen Reise, die er tatsächlich unternommen hat, dazu äußert. Die Begegnung könnte letztlich sogar vollkommen konstruiert sein: Sie ist von ihm im Kontext seiner Erzählung derart gesetzt, dass aus heutiger Sicht kaum mehr zu bestimmen ist, ob sie eine Nacherzählung oder eine Positionierung innerhalb einer Debatte ist, wobei differente Lebensweisen und Ordnungen kontrastiert werden. Mit der Passage werden in jedem Fall aber unterschiedliche Lebensweisen und die Möglichkeit ihres Wechsels akzentuiert. Die sozioökonomischen Praktiken im „hunnischen“ Sozialgefüge waren offensichtlich anders gewichtet und somit für Römer in gewisser Hinsicht genauso eine Alternative, wie für „Hunnen“ die (ost)römische Ordnung eine Alternative war. Andere „barbarische“ Gemeinschaften hatten diese Alternativen auch.114 Dass Römer aufgrund ökonomischen Drucks sich freiwillig in das „hunnische“ Sozialgefüge integrierten, ist weitgehend spekulativ,115 aber Möglichkeiten für Veränderungen bot das Sozialgefüge sicherlich. Der Wechsel von Akteuren zwischen dem „hunnischen“ Sozialgefüge und der (ost)römischen Ordnung ist zudem nicht nur in diesem Fragment nachzuvollziehen: Hinzu kommen zahlreiche Aussagen116 über Flüchtlinge aus dem „hunnischen“ Sozialgefüge zur Zeit Attilas. Die unterschiedliche Gewichtung von Erwerbs- und Produktionsweisen sowie die damit verbundenen Problemstellungen sind insgesamt als Alternative für die Akteure jener Zeit in diesem geographischen Raum zu beschreiben. In ihnen bestand eine echte Alternative, eine Wahlmöglichkeit, die über das bloße Dazugehören hinausgeht. Es ist daher angemessen, von einer „hunnischen“ Alternative zu sprechen – wenn denn unter „hunnisch“ nicht eine ethnische Zuweisung,117 sondern ein Bündel an spezifischen Praktiken verstanden wird,118 zu denen ohne Zweifel auch das Plündern zu
113 Zwar hat das „hunnische“ Sozialgefüge in der Form vor 451 nicht mehr bestanden, dies ändert aber nichts daran, dass sich Priskos hier in einer Debatte um unterschiedliche Lebensweisen positioniert haben kann, denn diese gab es auch nach 451 noch an der unteren Donau. Vgl. Wolfram, Reich: S. 204 und insgesamt Pohl, Zerfall. 114 Dies ist im Sinne Wolframs gemeint. Vgl. Wolfram, Reich: S. 184. Zusätzlich Stickler, Hunnen: S. 38 ff. 115 Die Flucht des Anführers der bacaudae ist eine Besonderheit. Vgl. Stickler, Hunnen: S. 89. 116 Dazu insgesamt zeitnah Exc. de Leg. Rom. 1 = Prisk. Frgt. 2 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 227); Exc. de Leg. Gent. 2 = Prisk. Frgt. 9.1 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 235); Exc. De Leg. Gent. 3 = Prisk. Frgt. 9.3 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 237); Theophanes Chron. A. m. 5942 = Prisk. Frgt. 9.4 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 241); Exc. de Leg. Gent. 5 = Prisk. Frgt. 11.1 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 243) und Exc. de Leg. Rom. 3 = Prisk. Frgt. 11.2 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 249). 117 Auch Wolfram sieht in den „Hunnen“ ausdrücklich keine ethnische Gemeinschaft. Vgl. Wolfram, Reich: S. 184. 118 Dazu gehören auch die Praktiken der Schädeldeformation, die durch „hunnische“ Gemeinschaften nach Europa gebracht worden waren. Vgl. Wolfram, Reich: S. 206.
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zählen ist. Der Unterschied ist an der Gewichtung der Erwerbs- und Produktionspraktiken festzumachen. Die Alternativen konnten dann zur Akkulturation führen. Allerdings ist die Aussagenlage nicht einfach – das soll an dieser Stelle erneut betont werden – als Indiz für eine reine Plünderungs- und Tributwirtschaft aufzufassen. Jedoch wurden die Informationen und Phänomene zu Plünderungen – auch abseits der Beteiligung von Anführern – sowie die zum Tributerwerb „hunnischer“ Gemeinschaften ungleich häufiger literarisch verarbeitet: Es gab offensichtlich auch Produktionsweisen im „hunnischen“ Sozialgefüge unter Attila, die auf Sesshaftigkeit beruhten. Ackerbau und Handel sind mit Sicherheit nachzuweisen. Es sind zudem deutliche Verbindungen von Mobilität und Sesshaftigkeit zu erschließen: Für das Plündern ist Mobilität unumgänglich. Der Besitz von Pferden stellt eine Möglichkeit dar, die Mobilität zu steigern (und es ist sicher, dass Pferde bei „hunnischen“ Plünderungen in hoher Zahl eingesetzt worden sind).119 Mit dem Reiten verbundene Kampftechniken gelten geradezu als typisch120 für „hunnische“ Operationen.121 Allein der Besitz mehrerer Pferde122 lässt aber wiederum darauf schließen, dass ein gewisser Grad an Sesshaftigkeit notwendig war: Die Tiere mussten vor und nach einer Operation verwahrt werden.123 Die kontinuierliche Ernährung der Tiere war relevant, da sie sonst nicht brauchbar waren. Sesshaftigkeit ist hierfür vorteilhaft.124 Auch die Zucht und das Training der Pferde sind bei stetiger Mobilität eher schwer zu bewältigen.125 Demnach ist auch wegen der für „Hunnen“ als typisch bezeichneten Kampftechniken auf einen Grad an Sesshaftigkeit von Akteuren aus den Gemeinschaften „hunnischer“ Sozialgefüge zu schließen. Sie können nicht alle rein nomadisch gelebt haben,126 da die Plünderungen bedingende Mobilität Sesshaftigkeit zur Vorbereitung benötigte.127 Für den Mobilitätsaspekt kommt hinzu: Nicht jedem der Folgeleistenden stand ein Pferd zur Verfügung.128 Von den hier angeführten Aussagen direkt auf den Status eines Akteurs zu schließen, geht mit Sicherheit zu weit. Sie zeigen aber, dass die asymmetrische Symbiose auch differente Mobilitätsweisen der Folgeleistenden zuließ.
119 Dazu bereits ausführlich Maenchen-Helfen, Hunnen: S. 155–165. Ähnlich umfassend Bóna, Hunnenreich: S. 2–11 und 22 ff. 120 Vgl. Stickler, Hunnen: S. 24 ff. 121 Bereits in der frühen lateinischen Erzählung über die „Hunnen“ wird dieser Aspekt aufgegriffen. Amm. marc.: 31.2.1–11. Vgl. Stickler, Hunnen: S. 17–20. 122 Vgl. Maenchen-Helfen, Hunnen: S. 155 ff. 123 Vgl. Pucher, Pferd: S. 37. 124 Vgl. ebd.: S. 38. 125 Vgl. Stickler, Hunnen: S. 11 ff. 126 Vgl. Pohl, Zerfall: S. 249–252. 127 Vgl. Pohl, Dynamik: S. 597 ff. 128 Vgl. Stickler, Aëtius: S. 96–102.
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Die Annahme der „hunnischen“ Alternative kann also präzisiert werden: Die Annahme der Alternative im Sinne einer Wahlmöglichkeit zwischen zwei unterschiedlichen Gemeinschaftsformen ist nicht zu verwerfen. Sie besteht aber primär darin, dass zwei Gemeinschaftsformen nebeneinander vorhanden waren. Die Alternative beruht dabei weniger auf Ethnizität als vielmehr auf den differenten sozioökonomischen Praktiken des Erwerbs und des Produzierens, die in unterschiedlichen Gewichtungen zu beschreiben sind. Die Akteure aus der Gemeinschaft des Sozialgefüges unter Attila konnten sowohl sesshafter Produktion nachgehen und Handel treiben als auch plündern. Die primär sesshafte Bevölkerung der oströmischen Ordnung hatte dagegen kaum Gelegenheit zu der letztgenannten Praktik. Sie waren stattdessen vermehrt selbst Opfer von Plünderungen. An der Tribut- und Plünderungswirtschaft des „hunnischen“ Sozialgefüges unter Attila konnte sie gar nicht teilhaben. Die Alternative besteht also nicht zwischen den Römern und den „Hunnen“, sondern in den unterschiedlichen Gewichtungen von differenten sozioökonomischen Praktiken des Erwerbs und der Produktion wie in der damit verbundenen Schwerpunktlagerung von Sesshaftigkeit und Mobilität.
1.1.2 Rückschlüsse: Die inneren Verhältnisse der Gemeinschaft des „hunnischen“ Sozialgefüges zur Zeit Attilas Wie bereits ausgeführt, ist der Versuch von Rückschlüssen auf die inneren Verhältnisse wegen der Quellenlage kaum zu bewältigen. Dies gilt auch für die relativ gut überlieferten Verhältnisse des „hunnischen“ Sozialgefüges zur Zeit Attilas.129 Eine wenn auch recht vage Skizze dieser inneren Verhältnisse kann unter Berücksichtigung der bisherigen Untersuchung an dieser Stelle trotzdem versucht werden. Das „hunnische“ Sozialgefüge zur Zeit Attilas befand sich in einer asymmetrischen Symbiose mit der oströmischen Ordnung. Die Akteure aus der Gemeinschaft des Sozialgefüges waren auf die Gebiete der oströmischen Ordnung hin orientiert. Deren civitates wurden mehrfach geplündert. Tribute wurden von Konstantinopel verlangt und von dort aus auch gegeben. Die Grenze zwischen den beiden Gemeinschaftsformen war nicht unüberwindlich: Einige Akteure konnten auf das Territorium Ostroms fliehen. Verschiedene sozioökonomische Praktiken werden in den Quellen genannt. Eine dichotome Formenbildung „hunnische“/römische Praktiken130 ist auf der Deutungsebene aber nicht möglich, da der Unterschied in der Gewichtung von sozioökonomischen Praktiken sowie der Sesshaftigkeit und der Mobilität anhand der Quellen festzumachen ist. So ist vereinfachend festzuhalten: Die Plünderungs- und Tribut-
129 Gerhard Wirth ist hierin nicht zuzustimmen. Vgl. Wirth, Byzanz: S. 55–65. 130 Kritisch zu solchen Kategorisierungen Bóna, Hunnenreich: S. 21 und S. 31 ff.
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wirtschaft beruht auf Mobilität, wobei auch ohne Beteiligung Attilas geplündert wurde. Die Produktionsweisen auf dem agrarischen und handwerklichen Sektor unter der oströmischen Ordnung basierten auf Sesshaftigkeit. Daher war die asymmetrische Symbiose überhaupt möglich, wobei auch Römer plünderten und „Hunnen“ anbauten sowie insgesamt auch Handel getrieben wurde. Das „hunnische“ Sozialgefüge weist dabei eine Hierarchie auf.131 Dass Tribute und Plünderungen als Faktoren der internen Hierarchiebildung wichtig waren, ist nicht unwahrscheinlich. Die Erzählung über die Begegnung zwischen dem griechischsprachigen Mann und Priskos ist dafür aufschlussreich. Priskos erzählt von einem geregelten Aufstieg des einstigen Gefangenen, der zuvor Folge geleistet hat.132 Eine Verallgemeinerung auf der Grundlage dieser Erzählung ist aber selbstredend kaum möglich, auch wenn Priskos die ökonomische Seite der Praktik des Plünderns nicht ohne die soziale Dimension darstellt und somit ein Argument für die Verbindung von sozialem Status und Erwerb gegeben ist. Das gilt auch für die Aussagen über die Verteilung von geplünderten materiellen Gütern und Ressourcen nach der siegreichen Operation. Hierbei wird ebenfalls von Regelungen und Vorrängen erzählt, die aber nicht als das gewöhnliche Vorgehen innerhalb des „hunnischen“ Sozialgefüges aufgefasst werden müssen.133 Dass außerdem auch Abstammung vom Geschlecht Attilas bei der Hierarchiebildung ein Faktor war, ist augenscheinlich.134 Auffällig ist jedoch, dass viele der Aussagen zur internen Hierarchie um die literarische Verarbeitung der Informationen zum Plündern gruppiert worden sind. Literarisch ist die soziale Hierarchie stark an diese Erwerbsweise gebunden. Unklar ist allerdings, in welcher Weise und ob überhaupt in diesem Kontext von Kausalität zu sprechen ist. Das liegt auch daran, dass unklar bleiben muss, wie die Verteilungsweisen geregelt waren. Zu fragen bleibt, inwieweit von Distribution, Redistribution oder von Geschenken zu sprechen ist.135 Die Antwort auf diese Frage ist jedoch aufgrund der geringen Quellenlage nicht eindeutig zu geben. Ebenso ist nur schwer zu sagen, welcher Zusammenhang zwischen der Hierarchie und dem Organisieren von Folgeleistungen bestand. Sicher ist, dass die Organisationsform des sozialen Gefüges zur Zeit Attilas in einem funktionalen Verhältnis zum Plündern zu erfassen ist. Dass die Praktik des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen relevant gewesen ist, ist demnach kaum zu bezweifeln. Wie die Relevanz aber ihrer Art nach im Detail zu beschreiben ist, kann nicht erschlossen werden. Auch für eine genaue Bestimmung
131 Exc. de Leg. Rom. 3 = Prisk. Frgt. 11.2 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 249.). Vgl. Stickler, Hunnen: S. 75 ff. Auch Exc. de Leg. Rom. 3 = Prisk. Frgt. 13.1 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 283–287). 132 Exc. de Leg. Rom. 3 = Prisk. Frgt. 11.2 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 269). 133 Exc. de Leg. Rom. 3 = Prisk. Frgt. 11 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 268). 134 Exc. de Leg. Rom. 3 = Prisk. Frgt. 13.1 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 283 f.). Vgl. Wirth, Attila: S. 136 ff. 135 Zu den Verteilungsweisen vertiefend Polanyi, Theory: S. 161–184. Zum Schenken im Speziellen Bazelmans/Kehne/Ogris: Art. Geschenke: S. 466 ff.
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der einzelnen Positionen und ihrer Konstellationen innerhalb des Sozialgefüges ist die Quellenlage zu gering.136 Allein zur Position Attilas gibt es einige Aussagen,137 so dass auf diesen Bestand intensiver eingegangen werden kann. 1.1.2.1 Die Position Attilas in Abhängigkeit zur Plünderungs- und Tributwirtschaft Das Verhältnis zwischen dem „hunnischen“ Sozialgefüge und der oströmischen Ordnung ist als asymmetrische Symbiose zu beschreiben. Dabei war das „hunnische“ Sozialgefüge abhängig von den civitates und den Repräsentanten der oströmischen Ordnung, da sie bei der Plünderungs- und Tributwirtschaft benötigt wurden, um erwerbend tätig zu werden. Attilas Position als Anführer des Sozialgefüges ist demnach auch in einer Abhängigkeit zu Konstantinopel und der oströmischen Ordnung zu sehen. Die Aussagen zu dem Verhältnis sind unter der Beachtung der Kommunikationsweisen ausgiebig untersucht worden. Dabei wurden einige Arbeiten zu Konflikten von Niklas Luhmann genutzt.138 Dass spezifische Kommunikationsweisen zwischen „hunnischen“ Akteuren und oströmischen Repräsentanten herausgebildet worden sind, ist nicht unwahrscheinlich.139 Dass dabei die Position Attilas innerhalb des Gefüges der von ihm angeführten Gemeinschaft auch stabilisiert worden ist, indem durch Plünderungen und Tributen erworben wurde, ist ebenfalls überzeugend.140 Zudem ist plausibel,141 in den auf diese Weise erworbenen Gütern und Ressourcen – mit den Worten des Soziologen Pierre Bourdieu gesprochen – nicht nur ökonomisches, sondern auch symbolisches Kapitel zu erkennen.142 In Anbetracht dieser weitgehend plausiblen Interpretationen muss aber gefragt werden, warum Schädigungen durch Plünderungen zumindest zum Teil kalkuliert gewesen sein sollen.143 Dem Modell Luhmanns ist (vereinfacht gesprochen) immanent, dass in einem Konflikt jede Kommunikation dem Konflikt als soziales System entspricht, da sonst das System nicht mehr als ein solches bestehen kann.144 Schädigungen müssen daher
136 Vgl. Stickler, Hunnen: S. 79 ff. 137 Dazu bereits Maenchen-Helfen, Hunnen: S. 145–152. 138 Vgl. Pohl, Konfliktverlauf: S. 173–207. Walter Pohl nutzt dabei einige Arbeiten zu Konflikten von Niklas Luhmann. Die Gefahren, die ein solcher Übertrag soziologischer Modelle für Quellenuntersuchungen mit sich führt, wurden von ihm dabei ausdrücklich thematisiert. Vgl. Pohl, Konfliktverlauf: S. 169. 139 Vgl. Pohl, Konfliktverlauf: S. 202–207. 140 Vgl. ebd.: S. 180. 141 Vgl. ebd.: S. 181 f. 142 Für einen kurzen Überblick zum Kapitalkonzept des französischen Soziologen Fuchs-Heinritz und König, Pierre Bourdieu: S. 157–170. 143 Vgl. ebd.: S. 168. 144 Vgl. Luhmann, Soziale Systeme: S. 533 ff.
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kalkuliert sein, da sie der Systemkommunikation entsprechen.145 Hieraus abzuleiten, dass die Akteure in Konstantinopel die materiellen Schädigungen durch Plünderungen einkalkuliert haben, widerspricht den Aussagen, dass sie eine andere Kommunikationsweise mit dem Effekt der Schadensregulierung gekannt haben: die Tributzahlung als äquivalente Kommunikation.146 Die Schädigung durch Tributzahlungen war kalkulierbar. Die Schädigung durch Plünderungen nicht: Die „Hunnen“ nahmen und zerstörten, was ihnen möglich war und das war eben nicht kalkulierbar. Insgesamt sind diese Deutungen gewinnbringend für die Frage nach der Position Attilas innerhalb des „hunnischen“ Sozialgefüges:147 Auch hier wird sie in Abhängigkeit von den Plünderungen und Tributgewinnen dargestellt.148 Sie war in ihrem Bestehen abhängig von den Erfolgen in der Plünderungs- und Tributwirtschaft. Somit war die asymmetrische Symbiose nicht nur für die Konsolidierung interner wie externer Handlungsfähigkeiten Attilas als Anführer maßgebend. Dies zeigt, dass auch sein Warlordism direkt mit dem Erwerb von materiellen Gütern und Ressourcen in der Plünderungs- und Tributwirtschaft verbunden war. Die asymmetrische Symbiose war eine der wichtigsten Bedingungen für das Fortbestehen seiner Position:149 Attila war also in seiner Position vom Erhalt der Plünderungs- und Tributwirtschaft bedingt. Wenn diese nicht mehr aufrecht zu halten war, war die Position folglich ebenfalls nicht zu halten. Wie aber ist die Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen für die Sicherung der Position genau zu beschreiben? 1.1.2.2 Das Organisieren von Folgeleistungen und der Erwerb materieller Güter und Ressourcen Zu Verteilungsweisen geplünderter Güter und Ressourcen zur Zeit Attilas sind kaum Aussagen gegeben. In dem Fragment über das Gespräch zwischen dem griechischsprachigen Mann und Priskos wird zwar von Verteilung erzählt. Auch die Anwendung von Gewalt zwang Akteure aus Gemeinschaften dazu, Folge zu leisten.150 Dass Attila Geschenke verteilt hat, ist ebenfalls überliefert. Auf welche Weise er diese aber erworben hat, ist nicht mehr zu erschließen.151
145 Vgl. Bonacker, Konflikttheorie: S. 267–277. 146 Exc. de Leg. Rom. 1 = Prisk. Frgt. 2 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 227); Theophanes chron. a.m. 5942 = Prisk. Frgt. 9.3 (ed. Blockley, Historians: S. 241) und Exc. de Leg. Gent. 3 = Prisk. Frgt. 9.4 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 237). 147 Zustimmend Stickler, Aëtius: S. 93. 148 Vgl. Pohl, Dynamik: S. 597 und Pohl, Byzanz: 59 f. 149 Vgl. Pohl, Konfliktverlauf: S. 182. 150 Für die Sogosi-Gemeinschaft Exc. de Leg. Rom. 1 = Prisk. Frgt. 2 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 227) und für die Akatziri-Gemeinschaft Exc. de Leg. Rom. 3 = Prisk. Frgt. 11.2 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 259). 151 Hier erhalten Gesandte von Attila Geschenke. Exc. de Leg. Rom. 3 = Prisk. Frgt. 14 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 297). Diese Verteilungsweise war also sehr wohl gebräuchlich.
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Geplünderte materielle Güter und Ressourcen waren auch Indikatoren für soziales Prestige.152 Sie waren demnach auch eine Art symbolisches Kapital. Diese Deutung ist nachvollziehbar, wenn bedacht wird, dass der materielle Aspekt bei umfangreichen Beständen oder auch bei dem Fehlen von Tausch- oder Handelsmöglichkeiten in den Hintergrund tritt.153 Der Besitz von geplünderten Gütern und Ressourcen verweist auf Erfolg bei militärischen Operationen. Das wiederum ist für das Organisieren von Folgeleistungen relevant, denn Anführer, die bei vergangenen Operationen erfolgreich waren, haben ihre Fähigkeiten und ihr Glück bereits bewiesen.154 Dies symbolisch zu kommunizieren, hieß letztlich, vergangene Leistungen gegen zukünftige Optionen einzutauschen.155 Ein weiterer Aspekt kommt noch hinzu: Die Aussagen zu den Plünderungen Attilas gehen nicht immer mit Erzählungen über umfangreiche Kampfhandlungen einher.156 Operationen, bei denen nur eine geringe Gegenwehr oströmischer Akteure auftritt, werden auch abseits „hunnischer“ Angriffe erzählt.157 Die einschlägigen Aussagen verdeutlichen in ihrer Summe, dass geplünderte materielle Güter und Ressourcen nicht nur militärische Erfolge symbolisierten, sondern auch Güter- und Ressourcenflüsse, die unter einem Anführer generiert werden konnten und können, wenn er nur weiter Folgeleistungen organisieren kann. Die geplünderten materiellen Güter und Ressourcen sind also auch ohne eine direkte Verteilung ökonomische Mittel, indem sie Prosperität vermitteln.158 In diesem Kontext kann auch eine Erzählung über eine Forderung Attilas eingeordnet werden: Er habe verlangt ihn in Mailand auf einem Thron sitzend und die Kaiser als ihm Gold bringend darzustellen. Abseits der Frage, ob er dies tatsächlich verlangt hat, ist klar, dass selbst wenn es eine fiktionale Erzählung ist, der Autor auf die Informationen zu Handlungsweisen Attilas rekurriert.159 Den Akt des Goldbringens zu visualisieren, heißt, Attila auf diese Weise als einen Akteur darzustellen, der eine ökonomische Prosperität ohne die Mühe umfangreicher Produktionsweisen erzeugen kann. Er erhält in der Darstellung allein durch seine Präsenz Gold. Attilas Warlordism innerhalb der Plünderungs- und Tributwirtschaft war somit nicht nur mit dem Erwerb durch Plünderungen verbunden. Er symbolisierte darüber hinaus auch Erwerbschancen und vermittelte somit, dass optional materielle Güter und Ressourcen akquiriert werden konnten.
152 Vgl. Pohl, Byzanz: S. 59 f.; Pohl, Konfliktverlauf: S. 181 f. und Dick, Königtum: S. 189 ff. 153 Dazu übertragend Dick, Königtum: S. 197–201. 154 Dazu indirekt auch Brodka, Tyche: S. 230. 155 Vgl. Fuchs-Heinritz und König, Pierre Bourdieu: S. 157 f. 156 Zur militärischen Operation von 447 Stickler, Hunnen: S. 73. Zwar gab es im späteren Verlauf Gegenwehr. Der Beginn ist aber von einem leichten Vordringen in der Erzählung gekennzeichnet. Exc. de Leg. Gent. 2 = Prisk. Frgt. 9.1 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 235). 157 Beispielsweise Wolfram, Goten 2001: S. 53 ff. Dazu ähnlich Demandt, Spätantike: S. 112 ff. 158 Vgl. Fuchs-Heinritz und König, Pierre Bourdieu: S. 161 ff. 159 Suda M 405 = Cf. K 2123 = Prisk. Frgt. 22.3 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 315).
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1.1.3 Die geographische Umorientierung aus sozioökonomischen Notwendigkeiten nach 450 Zu Beginn der 450er Jahre änderte sich das Verhältnis zwischen dem „hunnischen“ Sozialgefüge Attilas und der oströmischen Ordnung. 451 erfolgte die erste Operation Attilas gen Westen, die zu einer großen Schlacht in Gallien führte. Die Aussagen zu dieser Veränderung gilt es auf der Folie der bisherigen Ergebnisse zu untersuchen. 1.1.3.1 Die geographische Orientierung der Plünderungs- und Tributwirtschaft Im Jahr 450 starb der oströmische Kaiser Theodosius II. Ihm folgte Marcian nach. Der neue Kaiser war zuvor als Militär tätig gewesen.160 Kurz nach seinem Antritt begann Marcian die ökonomische Situation von Teilen der Bevölkerung zu verbessern. Der Kaiser erließ Abgabenrückstände und schaffte einige Sonderabgaben für Senatoren161 ab. Die noch zur Zeit des Kaisers Theodosius II. vereinbarten Tribute an Attila stellte er ein.162 Ungeachtet des Verhältnisses zu Attila ist eine Erklärung für die Einstellung in der Abstammung des neuen Kaisers gegeben: Marcian war kein Mitglied der Theodosianischen Dynastie. Er heiratete die Schwester des Theodosius II. und die Unterstützung einflussreicher Akteure wie die des magister militum Aspar sichern.163 Die Abgabenerlasse standen in diesem Zusammenhang; und es ist somit folgerichtig anzunehmen, dass die sinkenden Einnahmen mit sinkenden Ausgaben für Tribute an Attila in Verbindung zu bringen sind.164 In Anbetracht der bisherigen Ergebnisse zur Plünderungs- und Tributwirtschaft unter Attila wäre nun zu erwarten, dass Attila zu Plünderungen des oströmischen Territoriums überging. Doch es kam anders: Stattdessen orientierte sich Attila nach Westen. In der Forschungsliteratur sind für die geographische Umorientierung viele Erklärungen formuliert worden. Häufig steht dabei die Figur Attilas im Zentrum.165 Dies liegt selbstredend an der Perspektive der Quellen.166 Es gibt aber auch Untersuchun-
160 Vgl. Croke, Marcian’s Decease: S. 5. 161 In diesem Kontext ist möglicherweise die Sonderabgabe zu verorten, die für die Sammlung der Tributsumme erhoben wurde und Reichere in die Armut zwang. Exc. de Leg. Gent. 3 = Prisk. Frgt. 9.3 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 237). 162 Exc. de Leg. Gent. 7 = Prisk. Frgt. 20.1 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 307). 163 Vgl. Kohlfelder, Marcian’s Gamble: S. 57 ff. 164 Vgl. ebd.: S. 63. 165 Für diesen Fokus auf Attila in Monographien bereits Thompson, Huns: S. 137 ff. und MaenchenHelfen, Hunnen: S. 69–106. Zu älteren Aufsätzen Wirth, Byzanz: S. 41 ff. Für den Fokus in Monographien, die verstärkt auf Attila ausgerichtet sind die Vorworte in Wirth, Attila: S. 7–9 und Kelly, Attila: S. 1–6. Für neuere Arbeiten Stickler, Aëtius: S. 116–155 und Bóna, Hunnenreich: S. 61–80. Zu der Kritik an diesem teilweise sogar psychologisierenden Umgang mit den Aussagen aus den Quellen Pohl, Konfliktverlauf: S. 176. 166 Mit einem Bezug zu den Deutungsmustern des Priskos Brodka, Tyche: S. 244.
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Quellenuntersuchung
gen, die stärker an den Aussagen zu den Beziehungen zwischen „Hunnen“, Ost- und Weströmern sowie der Position Attilas ansetzen – unter Einbezug anthropologischer oder sozialwissenschaftlicher Modelle.167 Der wichtigste Unterschied bei den bisherigen Ansätzen ist, dass Attila entweder mehr das Subjekt oder mehr das Objekt ist. War Attila nun ein zum materiellen Erfolg Getriebener, dessen Prestige wieder und wieder bei den militärischen Operationen hergestellt werden musste? Oder hatte er einen großen Handlungsspielraum gegenüber den Kaisern, die er fast nach Belieben dominieren konnte? Diese Fragen sind unter Bezug auf die asymmetrische Symbiose leichter als bisher zu beantworten: Attilas Position ermöglichte ihm, Folgeleistungen zu organisieren. Er konnte dies gegen die Kaiser, wenn auch teilweise nur drohend, nutzen. Das Verhältnis zu Konstantinopel ist daher als eine Einheit zu begreifen, in der Attila aus seiner Position heraus als Abhängiger agierte, der seine Abhängigkeit erhalten musste, denn letztlich basierte seine Position darauf. Mit dieser Beschreibung soll kein Motiv des „hunnischen“ Anführers behauptet sein.168 Die Aussagen zu Attilas Handlungen zeigen die Abhängigkeit seiner Position deutlich genug.169 Zu fragen ist nun konkret, ob es sich bei der militärischen Operation des Jahres 451 überhaupt um eine auf den Erwerb von materiellen Gütern und Ressourcen durch Plünderungen ausgerichtete Operation handelt. Als Marcian 450 die Tribute einstellte, folgten keine Plünderungen der oströmischen Gebiete. Das lässt sich wie folgt erklären: Der Bereich südlich der Donau war unter Attila bereits mehrfach geplündert worden; dabei wurden das Gebiet und die dort Lebenden in ihrer Prosperität eingedämmt. Es wurden nicht nur umfangreiche Mengen materieller Güter und Ressourcen geplündert und civitates zerstört,170 auch menschliche Arbeitskraft wurde dem geographischen Raum mit der vertraglich vereinbarten Einrichtung einer „Pufferzone“171 entzogen.172 Der geographische Raum südlich der Donau muss für Plünderungen somit deutlich an Lukrativität verloren haben. Daher ist es wahrscheinlich, dass die geographische Umorientierung der Plünderungs- und Tributwirtschaft gen Westen die Kontinuität der Erwerbsweise sicherstellen sollte: Wenn Tribute im Osten nicht mehr zu erlangen waren, folgten
167 Mit einer ausdrücklichen Forderung nach einem solchen Vorgehen unter der Berücksichtigung von Praktiken Pohl, Konfliktverlauf: S. 165–178, bes. 169. Exemplarisch für die Hunnenforschung Stickler, Hunnen: S. 10–20. Es gibt auch beide Richtungen in einem Text. So geht zum Beispiel Stickler in seiner Monographie zu Aëtius auch auf die Bedingungen Attilas ein. Vgl. Stickler, Aëtius: S. 93–114. 168 Bereits Priskos versuchte, die Motivlage Attilas zu erzählen, indem er sich Modellen der älteren Historiographie bediente. Vgl. Brodka, Tyche: S. 228 ff. 169 Vgl. Pohl, Konfliktverlauf: S. 180 und allgemeiner Pohl, Dynamik: S. 597. 170 Exc. de Leg. Rom. 3 = Prisk. Frgt. 11.2 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 249). 171 Zum Wort „Pufferzone“ Stickler, Aëtius: S. 123. 172 Hiermit ist die Einrichtung einer Schutzzone gemeint, die vertraglich nach 447 eingerichtet worden war. Exc. de Leg. Gent. 5 = Prisk. Frgt. 11.1 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 243). Zur wirtschaftlichen Problematik nach der Entleerung der Zone Wirth, Byzanz: S. 63 und Stickler, Hunnen: S. 73 f.
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Plünderungen; und da das oströmische Gebiet dafür eben weniger geeignet war, wurden westlich liegende Gebiete lukrativer. Dass es sich bei der militärischen Operation von 451 primär um eine auf den Erwerb von materiellen Gütern und Ressourcen durch Plünderungen ausgerichtete Operation handelt, ist deswegen zunächst einmal plausibel. Die Überlieferung zu der Operation des Jahres 451 umfasst jedoch noch weitere Aussagen zu diplomatischen Bemühungen im Vorfeld der Operation. 1.1.3.2 Diplomatische Kontakte vor der Operation von 451 Die Quellenaussagen zu den diplomatischen Kontakten zwischen Attila und den ostund weströmischen Repräsentanten dürfen nicht unberücksichtigt bleiben, wenn die Umorientierung der Plünderungs- und Tributwirtschaft nach 450 genauer erschlossen werden soll, denn auf der Basis dieser Aussagen wurden Begründungen für die Umorientierung konstruiert. Die diplomatischen Bemühungen in Konstantinopel begannen im Frühjahr 450. Dies kann als gesichert gelten, da zu dieser Zeit Theodosius II. noch lebte. Eine Gesandtschaft ging zu Attila. Dieser erneuerte seine Friedensgarantie und lockerte die Forderungen bezüglich der Flüchtlinge. Zudem garantierte er, dass er sich aus der vereinbarten „Pufferzone“ an der Donau zurückziehe.173 Dies ist in Hinsicht auf frühere Quellenaussagen zum Handeln Attilas einigermaßen überraschend,174 denn bei der Gesandtschaft war ein Attentatsversuch gegen Attila aufgedeckt worden.175 Die Aussagen zu diesen Handlungen werden jedoch nachvollziehbarer, wenn die Lage in den betroffenen Gebieten insgesamt berücksichtigt wird. Zu starke Repressionen waren für die Plünderungs- und Tributwirtschaft nicht förderlich und das Drohpotential Attilas war bereits geringer geworden, denn ein ökonomisch geschwächtes Gebiet war weder lukrativ – noch war die Drohung der Plünderung solcher Gebiete für den Kaiser und die Repräsentanten gleichermaßen gefährlich, wie die vorherigen Plünderungen. In der Forschungsliteratur werden die Aussagen zu diesem diplomatischen Kontakt oft in einem Kontext mit den diplomatischen Bemühungen gegenüber dem weströmischen Kaiser gesehen.176 Deren Datierung ist jedoch weit komplizierter als diejenigen der Kontakte mit Konstantinopel. Die Annahme, Attila habe bereits während dieser Kontakte „Argumente“ für eine Operation in Richtung Westen gesammelt,177 ist zwar nicht einfach zu verwerfen. Es muss aber gefragt werden,
173 Exc. de Leg. Rom. 5 = Prisk. Frgt. 15.4 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 299). 174 Für diese Beobachtung zusammenfassend Stickler, Aëtius: S. 124. 175 Exc. de Leg. Rom. 3 = Prisk. Frgt. 15.1 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 295). 176 Dies liegt unter anderem auch an der Quellenlage. Sie ist zwar zeitnah, doch ortsfern verfasst worden. John of Antioch Fr. 199.2 = Exc. De Ins. 84 = Prisk. Frgt. 17 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 303). 177 Vgl. Stickler, Aëtius: S. 125 und Stickler, Hunnen: S. 89.
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warum Attila seine Operation nach Westen überhaupt argumentativ gegenüber den weströmischen Repräsentanten untermauern wollte oder musste. Drei Kontexte sind für die Annahme, dass Attila Argumente suchte wichtig: Zum einen die Aufnahme des Eudoxius, eines Anführers von bacaudae, bei Attila. Zum zweiten ein Streit zwischen zwei Brüdern um die Übernahme der Anführerschaft einer fränkischen Siedlungsgemeinschaft. Zum dritten die sogenannte Honoria-Affäre. Die Aussagen zu dieser Affäre werden in der Forschung als von Hofklatsch überzeichnet dargestellt.178 Sie sind aber trotzdem intensiv diskutiert worden179 und sollen daher als letztes thematisiert werden. Begonnen wird mit anderen Quellenaussagen, die für den Kontakt zwischen Attila und den Repräsentanten der weströmischen Ordnung wichtig sind. Sie sind bisher nicht beachtet worden, so dass auf sie im Vorfeld der Untersuchung zu den diplomatischen Kontakten mit Westrom näher eingegangen werden muss. In einem der Priskosfragmente wird erzählt, Attila sei magister militum gewesen und habe daher Zahlungen erhalten. Dabei wird ausdrücklich festgehalten, dies sei nur eine Art des Tributerwerbs, der in einen Titel gekleidet ist.180 Die hier akzentuierte Differenz zwischen der normativen und faktischen Gestalt dieser Konstellation zwischen Attila und einem Kaiser weist auf die Diskursivität der Prozessdynamik hin: Das Verhältnis wurde mit dem Gebrauch eines älteren Wortes definiert, der für die Praxis gar nicht mehr angemessen war. Nur ist nicht klar, welcher Kaiser Attila den Titel gegeben hat. Tendenziell wird in der Forschung eine Verleihung durch einen weströmischen Kaiser angenommen. Dies muss dann Valentinianus III. gewesen sein.181 Die weströmische Ordnung wäre demnach schon vor dem Jahr 451 in die „hunnische“ Plünderungs- und Tributwirtschaft miteinbezogen gewesen. „Hunnische“ Akteure hatten schon weit vor der Zeit Attilas zu Beginn des 5. Jahrhunderts weströmischen Repräsentanten Folge geleistet. Später leisteten Aëtius „Hunnen“ Folge.182 Zu dem Kontakt zwischen Attila und Aëtius sind kaum Aussagen gegeben. Er gilt jedoch als äußerst wahrscheinlich.183 Hinzu kommt noch, dass für Attila Sekretäre weströmischer Herkunft arbeiteten.184 Die geographische Umorientierung nach Westen nach 450 ist also keine Wendung in eine Richtung, die zuvor gar nicht beachtet worden wäre. Vor diesem Hintergrund wird sich nun den Quellen zu den diplomatischen Kontakten mit Ravenna zugewandt.
178 Zuerst dazu Bierbach, Attilas: S. 17. 179 Zusammenfassend für den Umgang mit dieser Annahme im Verlauf des letzten Jahrhunderts Stickler, Aëtius: S. 127 f. 180 Exc. de Leg. Rom. 3 = Prisk. Frgt. 11.2 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 279). 181 Aktuell die Summe an Bestätigungen akzentuierend Stickler, Hunnen: S. 70 und S. 88. 182 Prosp. chron.: 1289 und Prosp. chron.: 1310. Vgl. Stickler, Aëtius: S. 110 ff. 183 Vgl. Stickler, Aëtius: S. 114. 184 Vgl. Stickler, Hunnen: S. 79.
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Die Aussage zu Eudoxius185 stammt aus der gallischen Chronik von 452. Da Eudoxius aus Gallien zu den „Hunnen“ geflohen ist,186 sind die Orts- und die Zeitnähe des Autors Argumente gegen eine reine Fiktion seinerseits. Hier wird einen Mann aus dem weströmischen Territorium dargestellt, dem bekannt gewesen ist, dass es mit dem „hunnischen“ Sozialgefüge eine Alternative gegeben hat, die ihm Schutz bot.187 Da es sich aber hierbei um eine Aussage zu der Flucht eines Anführers von Akteuren handelt,188 die wegen ihrer ökonomischen Lage unter der weströmischen Ordnung zu einer anderen Lebensweise übergegangen sind,189 kann sie als Anzeichen für eine diplomatische Kontoverse zwischen Attila und dem Hof in Ravenna aufgefasst werden; denn Attila hatte einen Feind aufgenommen.190 Die Aussagen zum Streit zwischen den beiden fränkischen Brüdern um die Position des Anführers innerhalb der Gemeinschaft ihrer Herkunft umfassen ausdrücklich Aspekte diplomatischer Interaktion. In einem Priskosfragment wird erzählt, dass der ältere Bruder die Unterstützung Attilas erlangt, während der jüngere Aëtius bevorzugt. Priskos erzählt, dass er diesen Bruder, als dieser noch nicht ganz erwachsen war, selbst in Rom gesehen hat, als er dort als Gesandter fungierte. Aëtius habe den Jungen zu dieser Zeit beschenkt und adoptiert. Priskos geht so weit, den Streit als den Grund für die militärische Operation Attilas zu bezeichnen.191 Tatsächlich sind auch Namen von Gemeinschaften bezeugt, die dafür sprechen, dass Franken auf der Seite Attilas gekämpft haben. Die Brukterer192 werden von Sidonius Apollinaris an der Seite Attilas erwähnt.193 Jedoch wurde diese Liste der an der Seite Attilas agierenden, ethnisch definierten Akteure als Versuch des Bischofs gedeutet, seine ethnographischantike Gelehrsamkeit zu präsentieren,194 da der Name Brukterer danach im 5. Jahrhundert nicht mehr in den Quellen zu finden ist.195 In der Parallelisierung zu dem Fragment des Priskos ist aber festzuhalten, dass die Präsentation ethnographischantiker Gelehrsamkeit nicht zwangsläufig bedeuten muss, dass keine Franken Attila Folge geleistet haben. Sicher ist letztlich, dass auch in diesem Fall die Hinwendung von Akteuren aus dem weströmischen Territorium nach Osten zu Attila erzählt wird.
185 Gall. chron. 452: 448 (133). 186 Mit der Idee eines Informationstransfers durch den Flüchtenden, die für die Operation von 451 wichtig waren Wirth, Attila: S. 91. 187 Vgl. Drinkwater, Bacaudae: S. 215 f. 188 Vgl. ebd.: S. 208 ff. 189 Vgl. ebd.: S. 213. 190 Vgl. Krause, Patronatsformen: S. 246. 191 Exc. de Leg. Gent. 38 = Prisk. Frgt. 20.3 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 307). 192 Dazu Neumann/von Petrikovits/von Uslar, Art. Brukterer: S. 581–586. 193 Der umfangreiche Katalog bei Sidon. carm.: 7.319–325 ist zu beachten. Es sind noch weitere Angaben über die Koalition vorhanden. Sie wurden jedoch zeitfern verfasst. Iord. get.: 38.199. 194 Dazu allgemeiner Becher, Chlodwig I.: S. 120. 195 Vgl. Nonn, Franken: S. 93.
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Zwar flüchtet hier keiner der beiden Brüder zu ihm, aber der Konflikt führt zu einer Spaltung und Attila ist es möglicht, weitere Folgeleistungen zu organisieren. Das gilt in diesem Kontext auch für Aëtius, der wahrscheinlich Franken für sich gewinnen konnte.196 Ähnlich wie bei der Aussage über Eudoxius ist auch diese Entscheidung für Attila als eine Alternative zu bezeichnen, wobei zu ergänzen ist, dass hierbei nichts über einen Beitritt oder über die Integration in das „hunnische“ Sozialgefüge erzählt wird. Attila erscheint eher als ein Mittel zur Durchsetzung von Interessen abseits seines Sozialgefüges. Er ist aber als solches ein Faktor in einem weit westlich gelegenen Raum. Die Episode über Justa Grata Honoria, die Schwester des weströmischen Kaisers Valentinianus III. beginnt damit, dass Honoria eine Beziehung mit ihrem Kämmerer Eugenius eingeht. Dieser wird getötet und Honoria mit dem Senator Herculanus verheiratet.197 Sie schickt darauf den Eunuchen Hyacinthus zu Attila, der dann die Auslieferung der Honoria verlangt, um eine Ehe mit ihr einzugehen.198 Attila habe danach die Hälfte des weströmischen Territoriums als Brautgabe gefordert.199 Diese Erzählung ist ungewöhnlich: Denn das hier dargelegte Interesse an Landbesitz ist im Kontext der übrigen Überlieferung zu Attila atypisch. Für die Quellenaussage zu Eudoxius ist sicher, dass die Annahme einer Suche Attilas nach „Argumenten“ hypothetisch bleiben muss. Dafür ist die Grundlage einfach zu dünn. Über Eudoxius ist im Übrigen während der Operation von 451 nichts zu erfahren.200 Der Streit zwischen den fränkischen Brüdern um die Position des Anführers wird zwar ganz konkret als Grund für die Operation Attilas genannt, aber ihre Teilnahme an der Schlacht von 451 in Gallien auf der jeweils anderen Seite ist nicht sicher. Sie ist aber auch nicht unwahrscheinlich.201 Über die Folgeleistungen westgotischer Akteure und ihres Königs ist dagegen weit mehr zu finden.202 Dies liegt aber auch und vor allem an der Perspektive späterer Autoren.203 Die diplomatischen Kontakte bezüglich Honoria finden nach 451 ebenso weiterhin Erwähnung.204 Die bereits zuvor verarbeiteten Informationen als „Argumente“ Attilas zu begreifen,
196 Iord. get.: 36.191. Die Aussagen sind jedoch orts- und zeitfern verfasst worden. Der Rekurs des Autors ist nicht mit Sicherheit zu erschließen. 197 John of Antioch Fr. 19.2 = Exc. de Ins. 84 = Prisk. Frgt. 17 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 301). 198 John of Antioch Fr. 19.2 = Exc. de Ins. 84 = Prisk. Frgt. 17 = Prisk. Frgt. (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 303). 199 Exc. de Leg. Gent. 8 = Prisk. Frgt. 20.3 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 307 f.). 200 Vgl. Stickler, Aëtius: S. 129. 201 Dazu erneut Sidon. carm.: 7.319–325. Auch zeitfern aber ebenso ortsnah Greg. hist.: 2.7. Dazu Nonn, Franken: S. 84 ff. 202 Iord. get.: 36.185. Die Aussagen sind jedoch orts- und zeitfern verfasst worden. Auch zeitfern Greg. hist.: 2.7. 203 Vgl. Christensen, History: S. 318–342. 204 Iord. get. 42.219–24 = Prisk. Frgt. 22.1 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 313).
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ist aber aufgrund des Zusammenhangs wenig plausibel. Priskos erzählt, dass bereits Valentinianus III. die Forderung abgelehnt habe.205 Insofern funktioniert die Argumentation in der Erzählung bereits nicht. Dem ist allerdings entgegen zu halten, dass während der Erosion der strukturellen Einheit der weströmischen Ordnung strukturelle Elemente praktisch, auch entgegen Traditionen und normativen Determinationen, neu definiert werden konnten. Nur bleibt hier dann auch festzustellen, dass für solche praktischen Definitionen rhetorische „Argumente“ nicht unbedingt notwendig waren,206 sondern eher Folgeleistende sowie materielle Güter und Ressourcen. Es ist daher zu fragen, warum eine derartige „Argumentation“ notwendig war, wenn Attila auch ohne sie Folgeleistungen organisieren konnte. Wegen der sozioökonomischen Dimension sind die Aussagen zu Attilas Verlangen nach der Hälfte des weströmischen Territoriums erneut kritisch zu behandeln, um die Frage beantworten zu können. In der Forschung ist die Forderung mit dem Motiv Attilas in Verbindung gebracht worden, eine dem Kaiser überlegene Handlungsfähigkeit zu erlangen.207 Bei der Erzählung über dieses Motiv handelt es sich aber aller Wahrscheinlichkeit nach um eine konkrete Erzählstrategie des Priskos.208 Ob Attila diesen Wunsch hegte oder ob die Informationen zu seinem Handeln vom Autor derart gedeutet wurden, dass er den Wunsch bei der literarischen Verarbeitung dieser Informationen konstruierte, um Nachvollziehbarkeit des Figurenhandelns zu erzeugen, muss dahingestellt bleiben. Doch welche fundierten Argumente sind ohne die zeitnahen Fragmente für die Annahme eines tatsächlichen Verlangens dieser Art seitens Attilas möglich? In Anbetracht der fragwürdigen Annahme seiner Suche nach „Argumenten“ für die Operation von 451 sollte offen bleiben, welche Motive der Mensch Attila hegte. Das ändert aber nichts daran, dass das Verlangen nach der Hälfte des Gebiets erzählt wird. Der Versuch einer Aneignung von Territorien ist für die Überlieferung zu Attila atypisch. Es ist noch nicht einmal sicher, ob es eine Abtretung von Teilen oder der ganzen Provinz Pannonia gegeben hat209 und wenn, ob und wie dieses Gebiet genutzt worden ist.210 Ein territoriales regnum gab es jedenfalls nicht211 und auch das Wort sors wurde von keinem Autor verwendet. Nun kann es aber nicht von der Hand gewiesen werden, dass die Erzählung über diese Forderung eine sozioökonomische Dimension hat, wenn bedacht wird, dass die Forderung die Bevölkerung und deren ökonomi-
205 Exc. de Leg. Gent. 7 = Prisk. Frgt. 20.1 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 305). Hierbei wird darauf eingegangen, dass es nicht üblich ist, dem Gatten der Schwester eines Kaisers eine derartige Brautgabe zu übergeben wie sie von Attila gefordert worden ist. 206 Vgl. Pohl Konfliktverlauf: S. 176. 207 Zusammenfassend Stickler, Aëtius: S. 135. 208 Die Motivation ist bereits bei Priskos zu finden. Exc. de Leg. Rom. 3 = Prisk. Frgt. 11.2 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 279). Dazu Brodka, Tyche: S. 229. 209 Vgl. Maenchen-Helfen, Hunnen: S. 66 f. und Stickler, Aëtius: S. 106 ff. 210 Vgl. Wolfram, Reich: S. 188 sowie Bóna, Hunnenreich: S. 93 und S. 167 ff. 211 Vgl. Wolfram, Reich: S. 184.
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sches Potential miteinbezogen haben muss. Dies wiederum lässt nicht unbedingt auf die Art der Nutzung schließen. In Anbetracht der Quellen zu den Plünderungen unter Attila in den 440er Jahren sticht allein heraus, dass die Annahme, es gehe um den Versuch einer Etablierung seiner Präsenz innerhalb des oströmischen Territoriums,212 widersprüchlich ist.213 Insofern muss unklar bleiben, was mit den Aussagen zu dem Verlangen nach der Hälfte des weströmischen Gebiets gemeint ist. Sie passen in den Kontext der Erzählungen über das Motiv Attilas, die Kaiser in seiner Handlungsfähigkeit zu überragen. Daher ist anzunehmen, dass die Erzählfragmente zu der Episode um Honoria literarisch gestaltet worden sind. Nicht nur die am oströmischen Hof möglicherweise hinzu gegebenen rein fiktiven Anteile der Fragmente, sondern auch die Erzählstrategie des Priskos als formative Größe dürfen nicht außer Acht gelassen werden. Es bietet sich auch daher eine andere Annahme zur Überprüfung an. Als Attila mit den ihm Folgeleistenden nach Westen aufbrach, wandten sie sich zuerst nach Gallien, um zu plündern, und nicht nach Italien, um den weströmischen Kaiser zu einer Abtretung des Territoriums zu bewegen. Daher erscheint die Aussagenlage zu den diplomatischen Kontakten vor der Operation von 451 sowie zu der Plünderungs- und Tributwirtschaft Attilas viel eher die Annahme zu erlauben, dass für den Anführer eine ökonomisch lukrative Operation notwendig gewesen ist, um seine Position in dem Sozialgefüge stabil zu halten.214 1.1.3.3 Die Notwendigkeit der militärischen Operation des Jahres 451 Die Annahme einer Notwendigkeit der Operation im Jahr 451 lässt sich nicht über psychologisierende Motivkonstruktionen konstituieren. Wie gezeigt, ist die erzählte Motivlage Attilas mit äußerster Vorsicht zu behandeln. Annahmen über Notwendigkeiten resultieren nicht aus Überlegungen zu Motiven eines Menschen oder, wie in diesem Fall, der Figur eines Autors, dessen eigene Motivation selbst oft nicht mehr exakt zu eruieren ist. Sie sind aus dem gesamten Aussagenzusammenhang erzählter Bedingungen zu konstituieren. Für die Operation von 451 in Richtung Gallien bleibt auf dieser Basis festzuhalten: Die Plünderungs- und Tributwirtschaft war nach den letzten Plünderungen mit den hohen Reparationszahlung auf ihrem Höhepunkt angekommen. Nicht nur, dass die Operationen auf dem oströmischen Territorium, das zuvor wieder und wieder den Plünderungen ausgesetzt war, eine Eindämmung der Prosperität des Gebiets erzwang. Die in der Vereinbarung nach der letzten Operation eingerichtete „Pufferzone“ hatte zudem destruktive Effekte auf diese Art des Erwerbs. Da das Gebiet fast menschenleer
212 Vgl. Wirth, Byzanz: S. 65 ff. und Wirth, Attila: S. 75 ff. Ablehnend dazu beispielsweise Pohl, Völkerwanderung: S. 116. 213 Vgl. Pohl, Byzanz: S. 59 f. 214 Beispielsweise Stickler, Hunnen: S. 95 f.
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war,215 konnte dort keine neue Prosperität mehr entstehen. Somit hat die Einrichtung der Zone die Option, von der Praktik des Tributgewinns auf den Erwerb durch Plünderungen überzugehen, negiert. Nach der Einstellung der Tribute 450 in die Kommunikation einzusteigen, die mit Drohungen umfangreicher Schädigungen einherging und einen neuen oder höheren Tribut erzwingen konnte, war nicht mehr möglich: Diese Drohungen waren nicht mehr in umfangreichen und konkreten Schädigungen zu realisieren. Der typische Weg war verstellt. Die Umorientierung in Richtung Westen ist deswegen aber nicht als spontane Reaktion auf diese Veränderungen aufzufassen. Attila war schon vor 451 auf den Westen bezogen und wahrscheinlich sogar formal in die weströmische Ordnung integriert. Er nahm Flüchtlinge aus dem Westen auf und konnte Folgeleistungen aus westlich gelegenen Gebieten organisieren. Seine soziale Beziehung mit Aëtius kommt dabei noch erschwerend hinzu. Insgesamt kann also nicht davon ausgegangen werden, dass die Umorientierung nach Westen ganz spontan gewesen ist. Es ist daher eher von einer Intensivierung der bereits vorhandenen Konstellation zu sprechen, die aus dem Ausfall oder der Reduktion von Möglichkeiten südlich der Donau resultierte. In den Quellen zum Vorfeld der militärischen Operation wird eine sozioökonomische Dimension der Operation nachvollziehbar.216 Diese ist auch ohne Bezug auf die Fragmente zu Honoria begründbar,217 wenn die Aussagen zu den Plünderungen während der Operation, die im Folgenden untersucht werden, miteinbezogen sind. Außerdem sind die Aussagen zu der Operation von 452 in Richtung Italien für die Konstitution der Annahme über eine Notwendigkeit einer Plünderungsoperation im Jahr 451 in Richtung Westen zu verwenden. Offensichtlich folgte diese zweite Operation nach dem Scheitern der ersten, da die Plünderungs- und Tributwirtschaft für die Position Attilas innerhalb seines Sozialgefüges weiterhin unumgänglich war und das Scheitern 451 diese zweite befördern musste. Festzuhalten ist letztlich, dass viele Argumente dafür sprechen, dass es sich bei der Operation von 451 um einen notwendige Plünderungsoperation gehandelt hat und nicht um den Versuch Attilas, handlungsfähiger als die Kaiser zu sein. 1.1.3.4 Die militärische Operation des Jahres 451 Die Schwierigkeit der Aussagenlage zu der militärischen Operation Attilas nach Gallien im Jahr 451 besteht hauptsächlich darin, dass eine Erzählung oder ein anderer Text, der diese Operation im Zentrum seiner Darstellung hat, nicht existiert. Dabei haben relativ viele Autoren kurz nach der Schlacht auf Informationen zu ihr rekurriert
215 Exc. de Leg. Rom. 3 = Prisk. Frgt. 11.2 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 249). 216 Exc. de Leg. Gent. 7 = Prisk. Frgt. 20.1 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 305 f.) und Exc. de Leg. Gent. 38 = Prisk. Frgt. 20.3 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 307). 217 Exc. de Leg. Gent. 7 = Prisk. Frgt. 20.1 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 305 f.) und Exc. de Leg. Gent. 38 = Prisk. Frgt. 20.3 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 307).
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und mit anderen Phänomenen und Informationen ihrer literarischen Verarbeitung in Beziehung gesetzt. Dies mag an der Deutung der Schlacht liegen: Die Schlacht ist zu einer Besonderheit geworden, in deren raumzeitlichen Peripherie Autoren ihre Figuren verortet haben, um sie an der Besonderheit partizipieren zu lassen.218 Während der Schlacht trafen die Attila Folgeleistenden auf eine Koalition unter Aëtius, deren Akteure zumeist aus den in Gallien siedelnden Gemeinschaften stammten.219 Die Westgoten, deren König Theoderich I. in der Schlacht sein Leben verlor,220 siedelten zu dieser Zeit in Aquitanien. Ob sie einen Vertrag mit Repräsentanten der weströmischen Ordnungen geschlossen hatten, ist umstritten.221 Ihr Status ist an dieser Stelle weniger wichtig. Bedeutender ist die Feststellung, dass bei der Schlacht nicht etwa verschiedene kulturell oder auch ethnisch zu definierende Akteure aufeinander trafen, sondern zwei Parteien, die unterschiedliche Lebensweisen repräsentierten. Die Attila Folgeleistenden plünderten offensichtlich auf ihrem Weg durch Gallien materielle Güter sowie Ressourcen und Akteure aus den sesshaften Siedlungsgemeinschaften stellten sich ihnen entgegen. Zu dieser Zeit waren Akteure aus westgotischen Gemeinschaften, die zuvor plündernd durch das Territorium der weströmischen Ordnung gezogen waren,222 Verteidiger des sesshaft-sozioökonomischen Lebens gegen plündernde Akteure. Ihre Art des Kriegerseins ist offensichtlich mit dem Plündern als einer sozioökonomischen Praktik aktiv verbunden. Auf der Deutungsebene ist das Kriegersein anhand der bisher untersuchten Aussagen daher als ein Modus – als eine Wirtschaftsweise – des Erwerbs zu präzisieren. Für die Frage nach der Relevanz der Praktik des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen ist an dieser Stelle zusätzlich festzuhalten, dass sowohl aktive wie passive Arten der Relevanz zugleich zu verzeichnen sind. Vier Chroniken liefern zeitnahe Aussagen zu der Schlacht des Jahres 451. Neben Prosper Tiro,223 der seinen Text in Rom verfasst hat und dem im heutigen Portugal schreibenden Hydatius224 haben die Autoren der gallischen Chroniken von
218 Vgl. Barnish, Kaspars: S. 47. 219 Zeit- und ortsfern Iord. get.: 36.191. 220 Zeitnah, doch ortsfern Hyd. chron.: 142 (150). 221 Hierbei geht es um die Frage, ob in dieser Situation ein neuer foedus geschlossen worden ist oder nicht. Vgl. Stickler, Aëtius: S. 137 ff. und überblickend Wolfram, Goten 2001: S. 225–234. 222 Vgl. Wolfram, Goten 2001: S. 158 ff. 223 Prosp. chron.: 1364. 224 Hyd. chron.: 142 (150). Über Hydatius ist wenig bekannt. Er wurde um 400 geboren, stammte aus Lemica, war ab 427 der Bischof des im heutigen Portugal liegenden Chaves (Aquae Flaviae) und starb nach 469. Vgl. Muhlberger, Chroniclers: S. 195–200. Er zeichnete für die Zeit zwischen 451 und 469 auch Aussagen zu Gallien auf. Die Praktik des Plünderns wird sehr häufig erwähnt. Allerdings wird vor allem zum Geschehen auf der Iberischen Halbinsel darüber geschrieben. Das zentrale Problem an den Aussagen des Chronisten zu Gallien ist, dass der Bischof nicht in Gallien lebte. Zu fragen ist also, wie Hydatius auf die Informationen rekurrierte. Das römische Straßensystem war im 5. Jahrhundert auf der Iberischen Halbinsel offenbar intakt und mit dem südwestlichen Gallien verbunden.
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452225 und 511226 dazu Aufzeichnungen vorgenommen.227 Relativ kurz nach der Schlacht rekurrierte auch Sidonius Apollinaris auf Informationen zu ihr.228 Ungefähr hundert Jahre danach wurden dann Erzählungen verfasst, die heute die ausführlichsten Aussagenzusammenhänge liefern.229 Für Jordanes wurde die Annahme aufgestellt, dass er – möglicherweise indirekt durch Cassiodor230 – auf Priskos rekurrierte.231 Für die Erzählung des Bischofs Gregor von Tours232 ist nicht zur Gänze zu klären,
Vgl. Klee, Lebensadern: S. 126 f. Daher ist die Annahme der Unterrichtung des Bischofs über Gallien in mündlicher und/oder schriftlicher Form durchaus plausibel. Ein funktionierendes Straßensystem ist natürlich nur eine Bedingung für den Transfer von Informationen und dabei nicht zwangsläufig notwendig. Eine Erklärungsmöglichkeit des Informationstransfers ist auch darin gegeben, dass ein personengebundener Austausch wegen der von Gallien ausgehenden militärischen Operationen auf der Iberischen Halbinsel möglich war. Seine Aussagen in Bezug auf Gallien sind also allesamt ortsfern, jedoch im vorliegenden Kontext zeitnah verfasst. Vgl. Wolfram, Goten 2001: S. 189 ff. 225 Zeit und ortsnah Gall. chron. 452: 451 (139). 226 Gall. chron.: 511: 60 (615). Anhand der Manuskripte wird angenommen, verschiedene Autoren hätten an der Gallischen Chronik von 511 gearbeitet. Wie für den Autor der Gallischen Chronik von 452 wird auch für den Autor oder die Autoren dieser Chronik angenommen, er oder sie hätten den Text in Südgallien verfasst. Der Text beginnt mit dem Jahr 379. Die Gallische Chronik von 452 diente dem Autor oder den Autoren der Chronik von 511 wie auch die Chronik des Hydatius und das Werk des Orosius als Quellen. Vgl. Burgess, in: ed. Burgess, Chronicle of 511: S. 86. In Anbetracht der Annahme, es hätten mehrere Autoren an der Chronik gearbeitet, ist es plausibel, dass erste Arbeiten an dem Text bereits im 5. Jahrhundert vorgenommen worden sind. Aus diesem Grund werden die Aussagen aus der Chronik als orts- und relativ zeitnah aufgefasst. 227 Vgl. Täckholm, Fields: S. 259 ff. 228 Dazu überblickend Barnish, Kaspars: S. 38. 229 Vgl. Täckholm, Fields: S. 263 ff. und S. 274–276. 230 Cassiodor wurde um 485 in Süditalien geboren und starb dort um 580. Über sein Leben und seine Familie ist relativ viel bekannt. Zur Zeit des Königs Theoderich und seiner Nachfolger hatte er mehrere Positionen in Italien inne. Dort war die weströmische Ordnung weitgehend erhalten geblieben. Nach dem Beginn des Krieges zwischen Konstantinopel und den Ostgoten in Italien zog er sich aus dem politischen Bereich zurück. Vgl. Callies, Art. Cassiodor: S. 347 f. Das von Cassiodor verfasste Textkorpus ist recht umfangreich. Seine in zwölf Büchern publizierte historia gothorum – um diesen Text geht es in diesem Fall – ist jedoch nicht erhalten. Vgl. Wattenbach und Levison, Geschichtsquellen: S. 72. Sie wurde von Jordanes für seine getica als Quelle benutzt, so dass der Inhalt zumindest teilweise erhalten worden ist. Dazu Croke, getica: S. 117–134. 231 Vgl. Brodka, Tyche: S. 237–244. 232 Gregor von Tours wurde unter dem Namen Gregorius Florentinus Gregorius am 30. 11. 538 oder 539 in Clermont geboren. 567 wurde Gregor zum Bischof von Tours investiert. Vgl. Heinzelmann, Gregor: S. 33 f. Neben den decem libri historiarum, der Hauptquelle für Gallien im späten 5. und 6. Jahrhundert, verfasste Gregor die libri miraculorum und weitere Texte, wie ein Buch über das Leben der Väter (liber vitae patrum), eines über die Wunder des heiligen Apostels Andreas (liber de miraculis beati Andreae apostoli) und eine lateinische Fassung der Siebenschläferlegende (passio sanctorum septem dormientium apud Ephesum), ein Buch zu den Bewegungen der Sterne für die Gebetszeitbestimmung (de cursibus ecclesiasticis) sowie einen Psalmenkommentar (in psalterii tractatum commentarius). Vgl. Wood, Gregory: S. 3. Hier sind alle Aussagen Gregors zeitfern verfasst. Er hat in seinem Rekurs eine Art Historikerfunktion.
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Quellenuntersuchung
woher er Informationen gewonnen hat.233 Die Aussagen des Cassiodor wurden in Zweifel gezogen.234 Weitere Autoren, die im 6. und 7. Jahrhundert über die Schlacht des Jahres 451 schrieben, lieferten in ihren Texten keine weiteren Aspekte und rekurrierten wahrscheinlich auf Autoren des 5. Jahrhunderts.235 Erzählungen über Plünderungen während der militärischen Operation vor der eigentlichen Schlacht liefern neben Gregor von Tours236 auch Autoren von Heiligenviten, deren Datierung nicht immer ganz sicher vorgenommen werden kann.237 In den beiden gallischen Chroniken werden Plünderungen nicht erwähnt.238 Auch Prosper schreibt nicht ausdrücklich über Plünderungen.239 Nur der Bischof Hydatius verfasste ausführliche Angaben über Plünderungen in Gallien.240 Die dadurch aufkommende Frage, ob nun Plünderungen vollzogen worden sind oder nicht, ist aber nicht unbedingt zu stellen.241 Prosper geht zumindest darauf ein, dass
233 Zu der möglichen Verbindung des Werkes von Priskos zu Gregor von Tours über die Arbeit des Renatus Profuturus Frigeridus Barnish, Kaspars: S. 39. 234 Vgl. Täckholm, Fields: S. 263. 235 Dies sind neben den Autoren hagiographischer Texte Victor von Tunnuna, Isidor von Sevilla und Gregor von Tours sowie Autoren von verschiedenen Chroniken. Vgl. Täckholm, Fields: S. 275–276. 236 Zeitfern, jedoch ortsnah Greg. hist.: 2.7. 237 Vgl. Barnish, Kaspars: S. 45–47. 238 „Acttila Gallias ingressus quasi iure debitam poscit uxorem, ubi graui clade inflicta et accepta ad propria concedit.“ Gall. chron. 452: 451 (139). Dazu auch: „I anno Aezius patricius cum Theodorico rege Gothorum contra Atilam regem Ugnorum Tricasis pugnat loco Mauricio, ubi Theudericus a quo occisus incertum est et Laudaricus cognatus Attilae Cadauera uero innumera.“ Gall. chron. 511: 60 (615). 239 „Attila post necem fratris auctus opibus interempti multa vicinarum sibi gentium milia cogit in bellum, quod Gothis tantum se inferre tamquam custos Romanae amicitiae denuntiabat, sed cum transito Rheno saevissimos cius impetus multae Gallicanae urbes experirentur, etio et nostris et Gothis placuit, ut furori superborum hostium consociates exercitibus repugnaretur, tantaque patricii Aetii providdentia fuit, ut raptim congregates undique bellatoribus viris adversae multitudini non inpar occurreret, in quo conflietu quamvis neutris cedentibus inaestimabiles strages commorientium factae sint, Chunos tame neo constat victos fuisse, quod amissa proeliandi fiducia qui superfuerat ad propria reverterunt.“ Prosp. chron.: 1364. 240 „Gens Hunnorum pace rupta depraedatur provincias Galliarum: plurimae civitates effractae, in campis Catalaunicis, haud longe de civitate quam effregerant, Mertis, Aetio duci et regi Theodori, quibus erat in pace societas, aperto marte confligens, divino caesa superatur auxilio: bellum nox intempesta diremit. Rex illic Theodores prostratus occubuit: CCC ferme millia hominum in eo certamine cecidisse memorantur.“ Hyd. chron.: 142 (150). 241 Die dadurch aufkommende Frage, ob nun Plünderungen vollzogen worden sind oder nicht, ist aber nicht unbedingt zu stellen. Vielmehr umfassen die beiden Aufzeichnungen aus den gallischen Chroniken nur einige Aspekte der Schlacht selbst und gehen auf den Zug unter Attilas durch Gallien kaum ein. Beispielsweise wird in beiden Chroniken die Beteiligung von Franken gar nicht erwähnt, die von Sidonius Apollinaris genannt sind. Sidon. carm.: 7.319–325. Genauso entfallen Angaben über die Folgeleistenden Attilas. Deswegen aber zu behaupten, Ostgoten hätten an der Schlacht nicht teilgenommen, würde in anbetracht anderer Texte schlicht fehlgehen. Iord. get.: 39.199 und Iord. get.: 39.200. Dazu Wolfram, Goten 2001: S. 255 ff.
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die Folgeleistenden Attilas viele civitates angegriffen haben.242 Es ist nicht abwegig anzunehmen, dass hierbei zumindest das Umland der civitates geplündert wurde, wenn die Angaben bei dem Bischof Hydatius und einige Aussagen aus Heiligenviten noch einbezogen werden. Die relativ zeit- und ortsnah geschriebenen Heiligenviten bieten teilweise Aussagen zu der Operation unter Attila. In der Vita der heiligen Genoveva wird erzählt, dass die Heilige durch Gebete verhindern konnte, dass der Weg Attilas über Paris führte.243 In der Vita des Heiligen Anianus, der als der Bischof von Orléans (Aurelianum) die Operation Attilas persönlich miterlebt hat, wird zu Beginn von Plünderungen erzählt.244 Die Datierung des Textes ist allerdings nicht ganz einfach. In einem Brief des Sidonius Apollinaris, der an den Nachfolger des Bischofs gerichtet ist und in dem ebenfalls von den Plünderungen erzählt wird,245 reagiert er auf die Bitte des Bischofs Prosper, eine Geschichte des attilae bellum zu verfassen.246 Hier ist also eine weitere und mit Sicherheit zeitnähere247 Aussage zu den Plünderungen des Jahres 451 gegeben. In der Vita des Bischofs Lupus von Troyes (Tricassium) wird über die Bemühungen des Bischofs erzählt mit Attila über die Verschonung der civitas zu verhandeln. Dies gelingt der Figur des Bischofs auch.248 Die Datierung der Vita auf das 6. Jahrhundert249 ist mit dem Bezug des Autors auf einen Namen, der einem oder auch mehreren alemannischen Anführern zuzuordnen ist,250 plausibilisiert worden.251 Trotzdem ist die relativ große zeitliche Distanz kritisch zu betrachten. Weitere hagiographische Texte sind in einem noch größeren zeitlichen Abstand verfasst worden,252 so dass sie hier keine Berücksichtigung finden. Insgesamt ist mit den Aussagen zu den Plünderungen während der Operation von 451 plausibel anzunehmen, dass umfangreiche Plünderungen stattfanden. Die Plünderungen endeten mit dem Aufeinandertreffen der Attila und Aëtius Folgeleistenden. Ein Unentschieden
242 Prosp. chron.: 1364. 243 Vita Genovevae: 12. In diesem Kapital wird auch davon erzählt, dass civitates verwüstet wurden. Plünderungen sind somit zumindest angedeutet. 244 „In temporae illo cum Chunorum exercitus a partibus Orientis a populandam onmen provintiam exisset et cum exceleris eorum adversus Galliam dire procella detonaret, eodem tempore sanctus ac beatissimus Anianus episcopus Aurelianensium civitatis ut bonus pastor ovium amore tenebatur.“ Vita Aniani: 1. 245 „[…], quo videlicet Aurelianensis urbis obsidio oppugnatio, inruptio nec direptio et illa vulgata exauditi caelitus sacerdotis vaticinatio continebatur.“ Sidon. ep.: 8.15.1. 246 Sidon. ep.: 8.15.1. 247 Vgl. Barnish, Kaspars: S. 38. 248 Vita Lupus: 5. 249 Vgl. Ewig, Lupus: S. 20 ff. 250 Vgl. Geuenich, Alemannen: S. 73–75. 251 Vgl. Ewig, Lupus: S. 22. 252 Vgl. Barnish, Kaspars: S. 44–46.
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Quellenuntersuchung
in der Schlacht zwang Attila zurückzukehren.253 Die auf den Erwerb von materiellen Gütern und Ressourcen ausgerichtete Operation des Jahres 451 nahm ihr Ende. 1.1.3.5 Intensivierung der sozioökonomischen Notwendigkeiten: Die militärische Operation des Jahres 452 Noch im Jahr 451 sind die Plünderungen fortgesetzt worden, wenn auch nicht zu klären ist, ob Attila an ihnen beteiligt war. Zeitnahe Aussagen zu Plünderungen durch „Hunnen“ auf Gebieten der oströmischen Ordnung sind vorhanden.254 Neben den Akten des Konzils von Chalkedon aus dem Jahr 451255 erwähnt sie Theodoret von Cyrrhus.256 Die Annahme, dass diese Plünderungen, die zwischen den beiden großen Operationen gen Westen stattfanden, eine Kompensation darstellen, ist augenscheinlich sehr wahrscheinlich: Nicht nur, dass der Rückzug aus Gallien größere ökonomische Erträge verhindert haben dürfte. Auch das Prestige Attilas wurde nicht begünstigt.257 Somit ist die Formulierung einer Kompensation nicht abwegig, auch, weil schon ein Jahr später Attila mit ihm Folgeleistenden erneut nach Westen zog und in Italien einfiel. Sie konnten ungehindert vordringen.258 Unsicher ist, ob Aëtius mit oströmischer Unterstützung ihnen nach der Eroberung der civitas Aquileia259 oder der civitates Pavia (Ticinum) und Mailand (Mediolanum)260 entgegen trat.261 Zeitnahe Chronisten verzeichnen für dieses Jahr Plünderungen262 in Italien. Prosper Tiro schreibt dabei von der Gier und der Grausamkeit der Feinde.263 Dass Papst Leo I. bei den Verhandlungen mit Attila, die zu seinem Rückzug aus Italien geführt haben sollen, eine wichtige Rolle eingenommen habe, verzeichnet er ebenso.264 Da Prosper zu dieser Zeit als Sekretär des Papstes tätig war, ist die Angabe aber kritisch zu betrachten. Hydatius, der die sonst isolierte Version einer unter Aëtius begonnenen Gegenoffensive notierte, erwähnt zusätzlich, dass Krankheit und Hunger die Folgeleistenden Attilas
253 Vgl. Stickler, Hunnen: S. 94 f. 254 Zusammenfassend Maenchen-Helfen, Hunnen: S. 98. 255 Zeit- und ortsnah Conc. chalc.: a. 451 Mansi 6: 557D, 560B und 560C. 256 Zusammenfassend Stickler, Aëtius: S. 145, Anm. 776. 257 Diese Annahme ist weit verbreitet. Beispielsweise Thompson, Huns: S. 156 f.; Maenchen-Helfen, Hunnen: S. 99; Kelly, Attila: S. 200 ff.; Wirth, Attila: S. 98 ff. und Stickler, Aëtius: S. 145 f. 258 Vgl. Maenchen-Helfen, Hunnen: S. 99. 259 „Regrediens Attila Aquileiam frangit; qui et antea plus LXX ciuitates Orientis uastauit.“ Gall. chron. 511: 62 (617–8). 260 Jordanes get. 42.219–24 = Prisk. Frgt. 22.1 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 311). 261 Hyd. chron. 146 (154). Dazu Stickler, Aëtius: S. 147. 262 Gall. chron. 511: 62 (617–8) und Hyd. chron.: 146 (154). 263 Prosp. chron.: 1367. 264 Prosp. chron.: 1367.
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schwächten.265 Als wahrscheinlich gilt, dass der Papst und die von ihm begleitete Gesandtschaft zweier Senatoren nicht einfach den Abzug bewirkten, sondern eine Regelung erreichten. Die Annahme ergibt sich nicht nur aus der kontextuellen Kritik an Prosper. Erst die Autoren späterer Texte hatten den Papst zur entscheidenden Figur stilisiert.266 Nach der Rückkehr aus Italien begann die Kommunikation zwischen Attila und den Repräsentanten der oströmischen Ordnung erneut.267 Auch die Operation in Italien kann somit nicht als Erfolg Attilas bezeichnet werden. Das Plündern ist aber trotzdem in den Aussagen zum Scheitern beider Operationen als relevante sozioökonomische Praktik für das Organisieren von Folgeleistungen fassbar. Die Intensivierung der Notwendigkeiten führte nicht nur zu einer Hinwendung nach Westen, da die Region südlich der Donau nicht mehr lukrativ war. Nach dem zweimaligen Scheitern der Operationen im Westen war die mit der Zeit an Lukrativität abnehmende Region wieder eher durch Plünderungen verwertbar. Doch der Tod Attilas im Jahr 453 während der Hochzeitsnacht mit einer Gotin268 verhinderte eine koordinierte Operation für Plünderungen auf dem oströmischen Territorium, die für das Organisieren von Folgeleistungen unter ihm und seinen Vorgängern in mehrfacher Hinsicht relevant waren.269
1.1.4 Der Tod Attilas und dessen Effekte Attila hinterließ einige Söhne. Das allein ist nicht schon als Problematik für das Bestehen des „hunnischen“ Sozialgefüges zu betrachten, denn Attila selbst hatte zuvor längere Zeit mit seinem Bruder die Gemeinschaft des Gefüges angeführt. Daher wäre die Rückkehr zu diesem Prinzip nicht neu gewesen. Einige Söhne Attilas stritten jedoch um die Anführerposition und gingen dazu über, einzelne Gemeinschaften (populi), die zuvor relativ lose an das „hunnische“ Sozialgefüge gebunden waren, unter sich aufzuteilen.270 Diese populi waren trotz ihrer Anbindung an das Sozialgefüge intern relativ einheitlich organisiert geblieben. In dieser Form nahmen die Gemeinschaften die Aufteilungsversuche nicht hin: Die Gepiden des Ardarich lösten
265 Hyd. chron.: 146 (154). 266 Vgl. Stickler, Aëtius: S. 150. 267 Exc. de Leg. Gent. 9 = Prisk. Frgt. 23.1 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 315). 268 Iord. get.: 49.254–55, (256–58) = Prisk. Frgt. 24.1 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 317). Dazu auch Theophanes chron. a.m. 5946 = Prisk. Frgt. 24.2 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 319). 269 So wird auch in dem bei Jordanes im 6. Jahrhundert überlieferten Totenlied für Attila auf seine Leistungen als Anführer und den Erfolgen seiner militärischen Operationen als Charakteristikum seines Handelns eingegangen. Es handelt sich hierbei sehr wahrscheinlich eher um einen Rekurs auf die Informationen über die erzählte Tradition der Attilafigur. Iord. get.: 44.257. 270 Iord. get.: 50.259–63 = Prisk. Frgt. 24.1 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 319 f.).
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Quellenuntersuchung
sich aus dem Gefüge und in einer Schlacht am Fluss Nedao271 unterlag im Jahr 454 Ellak, der älteste Sohn Attilas,272 gegen eine Koalition273 unter Ardarich.274 Daher ist die persönliche Wirkung Attilas an dieser Stelle zu betonen, denn das „hunnische“ Sozialgefüge war in seiner asymmetrischen Symbiose mit der oströmischen Ordnung auf der Basis einer Plünderungs- und Tributwirtschaft nach seinem Tod aufgrund der Handlungen seiner Söhne destabilisiert. Die Bedingungen der Anführerposition wurden von ihnen offenbar nicht berücksichtigt. Nach dieser Schlacht kam es nicht mehr zur Bildung eines solchen „hunnischen“ Sozialgefüges, wie es Attila angeführt hatte.275 Von einer Befriedung der oströmischen und weströmischen Territorien nach dem Tode Attilas kann aber nicht gesprochen werden. Das liegt vor allem daran, dass diese nicht nur von Attila in ihrer Ordnung bedroht worden sind, sondern primär durch sozioökonomische Praktiken der Akteure aus dem von ihm angeführten Sozialgefüge. Auch nach der Auflösung des „hunnischen“ Sozialgefüges waren diese Praktiken weiterhin eine Bedrohung, wobei sie teilweise von Akteuren betrieben wurden, die zuvor Mitglieder des Sozialgefüges waren. Die Gepiden unter Ardarich ließen sich im Gebiet der ehemaligen Einflusssphäre Attilas an der Grenze zum Territorium der oströmischen Ordnung nieder.276 Eine ostgotische277 Gemeinschaft wurde unter ihrem Anführer Valamir zu foederati Konstantinopels.278 Aber noch vor dem Beginn der 460er Jahre führte Valamir Akteure aus dieser Gemeinschaft gegen Konstantinopel.279 Auch Akteure aus anderen Gemeinschaften blieben in der Region aktiv und Plünderungen bedrohten neben dem Frieden derjenigen, die unter der oströmischen Ordnung lebten, auch die Mitglieder anderer Gemeinschaften, die nicht in den Grenzen der oströmischen Ordnung siedelten.280 Aussagen über die Familie Attilas und ihnen Folgeleistenden sind aber noch nach 454 in den Quellen zu finden. Versuche ökonomischer Kooperation,281 regionaler Konflikte mit den gentes außerhalb des Gebiets der oströmischen Ordnung282
271 Zur Lokalisierung Pohl, Zerfall: S. 259. 272 Vgl. Stickler, Hunnen: S. 102. 273 Vgl. Pohl, Zerfall: S. 252 ff. 274 Zeit und ortsfern Iord. get.: 50.259–263. 275 Vgl. Pohl, Zerfall: S. 260 ff. 276 Vgl. ebd.: S. 268. 277 Zum Entstehen dieser ostgotischen Gemeinschaft Wolfram, Goten 2001: S. 36 ff. und S. 249–259 sowie Giese, Goten: S. 66. 278 Vgl. Wolfram, Goten 2001: S. 250. 279 Vgl. ebd.: S. 263. 280 Vgl. Pohl, Zerfall: S. 263–288. 281 Exc. de Leg. Gent. 18 = Prisk. Frgt. 46 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 353). 282 Exc. de Leg. Gent. 21 = Prisk. Frgt. 49 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 357 f.).
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aber auch mit Aufgeboten der oströmischen Ordnung283 werden erzählt. Nachdem der Attilasohn Dengizich im Jahr 469 in Thrakien geschlagen und getötet worden war, wurde sein Kopf in Konstantinopel zur Schau gestellt. Danach trat kein „hunnischer“ Anführer mehr in dieser Art gegen die Oströmer auf.284 Bei all den genannten Fällen sind Aussagen zu Plünderungen nicht selten.285 Sie hier ausführlich zu untersuchen würde jedoch den Rahmen der Arbeit zu Gallien weit überschreiten. Festgehalten werden soll an dieser Stelle daher nur, dass das Plündern als sozioökonomische Praktik durch die Kontinuität der Aussagen auch nach Attila in diesem Raum weiterhin als eine ganz gewöhnliche Erwerbsweise zu beschreiben ist. Beispielsweise gibt es Aussagen zu awarischen Gemeinschaften in der Mitte des 6. Jahrhunderts, die zeigen, dass ihre Anführer ähnliche Handlungen wie „hunnische“ Anführer vollzogen haben: Eine Plünderungs- und Tributwirtschaft entstand nach Attilas Tod erneut.286 Phänomene und Informationen über Plünderungen sind aber auch vor dieser neuen Plünderungs- und Tributwirtschaft häufig literarisch verarbeitet worden.287 Wie verdeutlicht, wurden nach dem Tod Attilas die relativ lose angebundenen Gemeinschaften aus dem Sozialgefüge gelöst. Sie waren bereits zu der Lebzeit Attilas relativ einheitlich organisiert, was bei ihrer Erhebung gegen die Söhne Attilas von Vorteil war. Der Sieg gegen die Söhne führte zur Ansiedlung dieser Gemeinschaften an der Peripherie der oströmischen Ordnung und es wurden Gemeinschaften dieser Art in die oströmische Ordnung aufgenommen. Die Integration erzeugte aber ähnliche Effekte, wie sie für die weströmische Ordnung festzustellen sind: Akteure aus den Siedlungsgemeinschaften gingen später zu Plünderungen der Gebiete der oströmischen Ordnung über.288 So gingen dem Zug der ostgotischen Gemeinschaft unter Theoderich im Jahr 488 unmittelbar Kämpfe mit oströmischen Aufgeboten voraus.289 Die Freisetzung der Gemeinschaften änderte die Gesamtsituation nach dem Tod Attilas nur marginal. Somit ist auch unter der Berücksichtigung der Aussagen zu diesem Effekt nicht von umfangreichen Änderungen zu sprechen. Das Plündern
283 Exc. de Leg. Gent. 20 = Prisk. Frgt. 48.1 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 355) und Evagrius HE 2.14 = Prisk. Frgt. 48.2 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 355 f.). 284 Chron. pasch.: 468. Der Text der Chronik ist jedoch erst im 7. Jahrhundert im oströmischen Raum kompiliert worden. Die Rekurse sind dabei nicht immer eindeutig nachzuvollziehen. Der Autor ist unbekannt. Der Anfang und das Ende des Textes des Chronicon Paschale fehlen. Vgl. Treadgold, Byzantine Historians: S. 340 ff. und Stickler, Hunnen: S. 106. 285 Zusammenfassend zu den gepidischen Gemeinschaften Pohl, Zerfall: S. 288 ff. Zu den ostgotischen Gemeinschaften Wolfram, Goten 2001: S. 259 ff. und zu den „Hunnen“ Stickler, Hunnen: S. 99–106. 286 Vgl. Pohl, Konfliktverlauf: S. 173–207, bes. 181–186. 287 Überblickend Pohl, Zerfall: S. 273–287. 288 Vgl. ebd.: S. 283 ff. 289 Vgl. Wolfram, Goten 2001: S. 268 ff.
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Quellenuntersuchung
wurde auch nach dem Tod Attilas weiter betrieben und die Bevölkerung auf dem oströmischen Territorium war das Ziel von Plünderungen, auch wenn die zuvor betriebene Plünderungs- und Tributwirtschaft keine umgehende Fortsetzung fand. Aussagen zu dem Wechselmuster, welche die Plünderungs- und Tributwirtschaft „hunnischer“ Anführer indizieren, sind erst für eine spätere Zeit gegeben.290 Wie gezeigt werden konnte, wurden Plünderungen aber auch abseits der Plünderungs- und Tributwirtschaft von Akteuren aus Attilas Sozialgefüge betrieben. Mit Sicherheit waren einige dieser Akteure auch nach Attilas Tod weiter aktiv: Mit Attilas Tod ist das „hunnische“ Sozialgefüge zwar relativ rasch zerbrochen, dies scheint aber, unter Berücksichtigung der Quellenaussagen nach seinem Ableben, dem Fortführen des Plünderns kein Ende gesetzt zu haben. Ist also letztlich davon zu sprechen, dass mit Attila die „hunnische“ Alternative aufgehört hat zu existieren? Unter dem Verweis auf die oben ausgeführte Präzision der „hunnischen“ Alternative ist diese Frage zu verneinen. Das „hunnische“ Sozialgefüge Attilas befand sich in einer asymmetrischen Symbiose zum Gebiet der oströmischen Ordnung. Eine Konstellation von Entweder/Oder bestand sehr wohl, auch wenn den Römern nicht immer an einem Beitritt von Gemeinschaften gelegen gewesen zu sein scheint: Sie versuchten nicht immer, die Eindringlinge umgehend zu integrieren und es gab auch Effekte der Desintegration291 aus der oströmischen Ordnung, so dass die Wahl nicht nur zwischen „Hunnen“ und Römern, sondern auch zwischen Integration oder Desintegration aus der oströmischen, wie aus der weströmischen Ordnung bestehen konnte. Das darauf nicht immer ein sofortiger Übertritt zu anderen Ordnungen erfolgte, ist anhand der Aussagen zur Auflösung des „hunnischen“ Sozialgefüges nach Attilas Tod als gesichert zu bezeichnen. Die eigene, relativ einheitliche Organisation der Wander- und Siedlungsgemeinschaften konnte bestehen bleiben. Dies ist für das 5. Jahrhundert auch auf dem Gebiet der weströmischen Ordnung der Fall. Der eigentliche Unterschied besteht in einer nicht zu übersehende Differenz in der Gewichtung von Erwerbs- und Produktionsweisen sowie den damit verbundenen Mobilitäts- und Sesshaftigkeitsaspekten. Die sozioökonomische Praktik des Plünderns ist mit den Aussagen der Quellenautoren als eine mögliche Praktik des Erwerbens von materiellen Gütern und Ressourcen zu beschreiben, die keine rein „hunnische“ oder „germanische“ oder auch rein „barbarische“ Praktik gewesen ist. Es ist daher adäquat, sie auf der Deutungsebene direkt mit dem Kriegersein in Verbindung zu bringen, wobei allerdings für das „hunnische“ Sozialgefüge nicht sicher ist, wer wann und wie Krieger sein konnte. Sicher ist nur, dass das Plündern auch abseits des
290 Dazu Pohl, Awaren. 291 Damit ist – wie bereits ausgeführt – kein Anschluss an das Desintegrations-Paradigma angestrebt, das Pohl als durch die Reihe „Transformation of the Roman World“ in argen Zweifel gezogen sieht. Vgl. Pohl, Einleitung: S. 9 f.
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Wechselmusters der Plünderungs- und Tributwirtschaft als Erwerbsweise betrieben wurde. Das Plündern kann daher als eine optionale sozioökonomische Praktik des Erwerbs von materiellen Gütern und Ressourcen beschrieben werden, die Akteuren erlaubte, ohne Produktionspraktiken materielle Güter und Ressourcen zu erlangen. So besehen erlaubt die Quellenlage von mehreren Alternativen zu sprechen: Die eine endete mit dem Tod Attilas (oder auch kurz danach); und die andere bestand weiter fort. Aber keine von beiden ist wirklich als „hunnisch“ zu bezeichnen. Zu dieser Überlegung kommt hinzu, dass danach Siedlungsgemeinschaften an der Peripherie der oströmischen Ordnung auftraten, die ebenfalls wohl kaum ethnisch einheitlich waren.292 Die konkrete Alternative war folglich verloren,293 während sie in im übertragenden Sinn auch durch diese Gemeinschaften fortbestand: Eine Alternative bestand weiterhin darin, dass differente Erwerbs- und Produktionsweisen optional gegeben waren. Das Plündern war weiter eine Option, die auch nach dem Tod Attilas von vielen Akteuren aus den Siedlungs- und Wandergemeinschaften praktiziert wurde. Beispielsweise konnten Wandergemeinschaften zu foederati werden und zur Sesshaftigkeit übergehen, was auch Änderungen der Erwerbs- und Produktionspraktiken der Mitglieder der Gemeinschaften ermöglichte. Einzelne Akteure und Akteursgemeinschaften konnten dann wieder zu auf Mobilität basierenden Praktiken wie dem Plündern übergehen.294 Diese Alternative des Wechsels der Erwerbs- und Produktionspraktiken die jeweils eher von Mobilität oder Sesshaftigkeit bedingt waren, bestand auch nach dem Tod Attilas weiterhin.
1.2 Die soziale Beziehung von Kaiser Avitus zu König Theoderich II. und die Erosion der strukturellen Einheit der weströmischen Ordnung Bereits kurz nach dem Tod Attilas kamen für die Repräsentanten der weströmischen Ordnung neue Probleme auf: Im Jahr 454295 wurde Aëtius von Kaiser Valentinianus III.296 ermordet. Ungefähr sechs Monate danach fiel der Kaiser dann selbst einem Anschlag zweier Anhänger des Aëtius zum Opfer.297 Am folgenden Tag wurde
292 Vgl. Šašel, Ethnograhie: S. 14 f. 293 Vgl. Wolfram, Reich: S. 204. 294 Für einen weiteren Überblick Demandt, Spätantike: S. 245 f. 295 Zu den Quellen für die Datierung Henning, Periclitans: S. 17. 296 Zeit- und ortsnah Prosp. chron.: 1373. Zeitnah, jedoch ortsfern Hyd. chron.: 152 (160). Ebenso John of Antioch Frgt. 201 = Exc. de Ins. 85 = Prisk. Frgt. 30.1 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 329) und Theophanes Chron. a. m. 5964 = Prisk. Frgt. 30.2 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 333). 297 Dazu zeit- und ortsnah Prosp. chron.: 1375. Zeitnah, jedoch ortsfern Hyd. chron.: 154 (162). Zur Datierung auf den 16.03. Henning, Periclitans: S. 19 f.
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Quellenuntersuchung
Petronius Maximus298 zum weströmischen Kaiser ernannt. An seiner Ernennung waren einige Senatoren beteiligt.299 Er war einer der reichsten Männer seiner Zeit und brachte für die Position des weströmischen Kaisers umfangreichen Besitz mit.300 Die Art seiner Beteiligung an der Ermordung des Kaisers und an der des Aëtius ist nicht mit Sicherheit zu klären.301 Kurz nach seinem Antritt ernannte er Eparchius Avitus zum magister militum.302 Nach etwas mehr als knapp zwei Monaten endete die Regentschaft des Petronius Maximus bereits wieder. Eine Flotte unter dem Kommando König Geiserichs war von Karthago aus aufgebrochen. Rom wurde belagert. Der Kaiser versuchte zu fliehen. Dabei wurde er wahrscheinlich von einigen Bewohnern ermordet.303 Kurz darauf kam es zur zweiten Plünderung Roms.304 In der Position des magister militum hatte Avitus Verhandlungen mit König Theoderich II. aufgenommen und war zu dessen Sitz nach Toulouse (Tolosa) gereist.305
298 Petronius Maximus hatte über lange Zeit einen Aufstieg in der Ämterlaufbahn erlebt. Er war tribunus et notarius im consistorium des Kaisers Honorius. Danach comitiva sacrarum largitionum und später Stadtpräfekt sowie mehrfach Prätorianerpräfekt. Er bekleidete dazu zwei Konsulate. Vgl. Henning, Periclitans: S. 20–32. 299 Auch bei kritischer Analyse der Quellen unter der Annahme, der Kaiser sei während seiner Regierung nicht von Senatoren oder anderen Akteuren unterstützt worden, kann nicht verneint werden, dass auch soziale Beziehungen für den Antritt des Petronius Maximus wichtig waren. Vgl. Czuth, Petronius Maximus: S. 257. 300 Zeitnah, jedoch ortsfern Bibl. Cod. 80 S. 185 f. = Olymp. Frgt. 41.2 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 205 f.). Zu der Plausibilität der Annahme, dass es sich bei den in diesem Fragment erwähnten Figuren tatsächlich um Rekurse auf Informationen zu Petronius Maximus und dessen Sohn Palladius handelt Henning, Periclitans: S. 29. 301 Sicher ist, dass bereits Hydatius seine Beteiligung an den Attentaten auf Aëtius und auf Valentinianus III. als gegeben ausweist. Zeitnah, jedoch ortsfern Hyd. chron.: 155 (162). Für eine deutliche Formulierung der Beteiligung des Petronius Maximus an der Ermordung des Kaisers die orts- und zeitnahe Angabe Prosp. chron. 1375. In einer Passage aus dem Text de origine actibusque gentis romanorum, der fast hundert Jahre später von Jordanes verfasst worden ist, wird diese Beteiligung für den Mord an Kaiser Valentinianus III. wiederholt Iord. rom.: 334. Für diese Passage wird angenommen, dass der Autor sich hierbei auf Priskos bezieht. Dazu Jordanes Rom. 334 = Prisk. Frgt. 30.3 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 333). Dies gilt auch für ein Fragment der Chronik des Johannes von Antiochia, in der ebenfalls auf die Beteiligung des Petronius Maximus an der Verschwörung gegen den Kaiser eingegangen wird. John of Antioch Frgt. 201 = Exc. de Ins. 85 = Prisk. Frgt. 30.1 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 331). Wegen dieser Evidenz besteht Zweifel hinsichtlich der Beteiligung des Petronius Maximus an der Ermordung des Aëtius und an der Art seiner Beteiligung bei dem Attentat auf den Kaiser. Vgl. Stickler, Aëtius: S. 78–83 und Henning, Periclitans: S. 17. 302 Sidon. carm: 7.375–387. Die Aussagen des Sidonius Apollinaris in dem panegyricus wurden insgesamt zeit- und auch ortsnah verfasst. Da Sidonius mit Avitus verwandt war, ist es wahrscheinlich, dass der Rekurs auf Informationen über den verwandtschaftlichen Kontakt möglich wurde. 303 Diese und weitere, unwahrscheinlichere Varianten zusammenfassend Henning, Periclitans: S. 31, Anm. 21. 304 Zeit- und ortsnah Prosp. chron. 1375 und zeitnah, jedoch ortsfern Hyd. chron.: 160 (167). Dazu Castritius, Vandalen: S. 105 f. 305 Sidon. carm.: 7.391–404.
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Zu dieser Zeit erheilt er die Nachricht über den Tod des Petronius Maximus und die Plünderung Roms.306 Nach Sidonius Apollinaris, dem Schwiegersohn des Avitus,307 ließ dieser sich von Theoderich II. dazu bewegen, nur selbst die Position des weströmischen Kaisers zu ergreifen.308 Die Provinzialversammlung wurde daraufhin nach Beaucaire (Ugernum) bei Arles (Arelate) einberufen. Avitus zog mit dem König von Toulouse aus dorthin.309 Kurz darauf310 wurde er von den Anwesenden zum neuen Kaiser erhoben.311 Avitus erlangte im Juli 455 die Position mit der Hilfe König Theoderichs II. Der neue Kaiser, der in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts als Gesandter und im Militär tätig gewesen war,312 hatte den König bereits in dessen Jugendjahren in Toulouse kennengelernt.313 Seine Beziehungen zur Familie des Theoderich II. hatten ihm offenbar geholfen. Hinzu kommt, dass Theoderich II. Folgeleistungen organisieren konnte und Akteure aus der Siedlungsgemeinschaft von Toulouse wohl auch während der Erhebung anwesend waren.314 Auch sie waren für Avitus wichtig: Einige von ihnen sollten schon kurz nach seiner Kaisererhebung auf der Iberischen Halbinsel plündern.315 Bevor auf die Quellenaussagen zu den Plünderungen einge-
306 Sidon. carm.: 7.441–445. 307 Vgl. Harries, Sidonius: S. 53. 308 Sidon. carm.: 7.488–531. 309 Sidon. carm.: 7.571–572. Das regnum tolosanum ist als einziger neu geschaffener Strukturierungszusammenhang in Zeitnähe mit regnum bezeichnet worden. Vgl. Wolfram, Goten 2001: S. 178. Da die Bevölkerung multiethnisch war, wir hier die Formulierung „König von Toulouse“ gewählt. Zur ethnischen Zusammensetzung Wolfram, Goten 2001: S. 234–242. 310 Zu den Quellen für die Datierung auf den 9. oder 10.07.455 Henning, Periclitans: S. 34. 311 Sidon. carm.: 7.573–598. Zu der Wahrscheinlichkeit der Anwesenheit von Akteuren aus der Siedlungsgemeinschaft des Königs von Toulouse und von gallischen Aristokraten Harries, Sidonius: S. 55; Sivan, Theoderic II.: S. 89 und Mathisen, Italy: S. 233.ff. 312 Für die Teilnahme an einer Gesandtschaft zur Erlangung von Abgabeprivilegien für Clermont bei dem magister militum Constantius im Jahr 418 Sidon. carm.: 7.207–215. Dazu Heinzelmann, Prosopographie: S. 567. Für die Teilnahme an den militärischen Aktivitäten des Aëtius Sidon. carm.: 7.230–240. 313 Sidon. carm.: 7.214–229 und 7.308–315. Zur Relevanz dieser Kooperation in ihrer Kontinuität Sivan, Theoderic II.: S. 90 ff. 314 Diese Art der Erhebung ist ein Novum für die Geschichte der Kaisererhebung im Westen. Zwar hatten zuvor schon Männer in der Position des magister militum versucht, eigene Kandidaten als Kaiser zu positionieren, jedoch ist dies nie gelungen. Für einen Überblick über diese Erhebungsversuche Goltz, „Kaisermacher“: S. 553–562. Die zur Zeit Alarichs versuchte Erhebung des Priscus Attalus zum Kaiser ähnelt der Erhebung des Avitus in einer gewissen Hinsicht, da auch hierbei ein König beteiligt war. Vgl. Goltz, „Kaisermacher“: S. 562 ff. Die Konstellation innerhalb der diskursiven Prozessdynamik der Erosion war aber eine andere: Honorius konnte trotz Attalus weiterhin weströmischer Kaiser bleiben. Vgl. Harries, Sidonius: S. 59 ff. 315 Dazu zeit- und ortsnah Hyd. chron.: 179 (186). Die Aussagen des Hydatius sind in Bezug auf die Iberische Halbinsel immer orts- und zeitnah verfasst. Zusammenfassend Wolfram, Goten 2001: S. 183–185.
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gangen wird, werden die Quellenaussagen zu Avitus und plündernden Akteuren vor dem Jahr 455 untersucht.
1.2.1 Aussagen zum Verhältnis des Avitus zu plündernden Akteuren in Gallien vor dem Jahr 455 Die meisten Aussagen zu Avitus vor seinem Antritt als weströmischer Kaiser stammen von Sidonius Apollinaris: Er trug am 01.01.456 zum Konsulatsantritt des Avitus in Rom einen panegyricus vor.316 Der Text ist geprägt von gattungstypischen Bildern, Figuren der antiken Tradition und unter der Beachtung von rhetorischen Regeln verfasst.317 Da es sich um ein Lobgedicht handelt, würde eine reine Fiktion allerdings der Funktion dieser Textgattung widersprechen.318 Sidonius war nach der Heirat mit Papianilla, der Tochter des Eparchius Avitus, Mitglied seiner Familie.319 Die Aviti-Magni waren zu dieser Zeit eine der herausragenden Familien Galliens.320 Die Verbindung beider Geschlechter war wohl im vierten Jahrhundert entstanden, als ein kaum zu fassender patricius mit dem Namen Philagrius321 möglicherweise eine Frau aus der Familie der Magni geehelicht hatte.322 Eine weitere Annahme zu der Verbindung beider Familien besteht darin, dass der Vater des Avitus ein Mann mit Namen Agricola gewesen sei, dessen zweiter Sohn Nymphidius eine Frau aus dem Geschlecht der Magni geehelicht habe.323 Die Annahme basiert primär auf der Namensgleichheit des Agricola mit einem Sohn des Avitus.324 Sicher ist allerdings nur, dass zur Lebzeit des Avitus eine familiäre Verbindung bestanden hat.325
316 Vgl. Mathisen, Avitus: S. 165. 317 Zu dieser für die Textgattung typischen Gestaltungsweise Mause, Panegyrik: S. 16–29. 318 Vgl. Mause, Panegyrik: S. 106 ff. Hierbei geht Mause direkt auf den panegyricus des Sidonius für Avitus ein und macht an einigen Stellen exemplarisch deutlich, dass zwar Informationen in Rekursen Verwendung gefunden haben, wobei diese bei der literarischen Verarbeitung unter den gattungstypischen Behandlungen gestaltet worden sind. 319 Vgl. Heinzelmann, Prosopographie: S. 556. 320 Vgl. Mathisen, Aristocrats: S. 20 ff. Für das Bestehen des Einflusses der Familien nach dem Tod des Avitus Mathisen: Emigrants: S. 166 f. 321 Vgl. Heinzelmann, Prosopographie: S. 669. Zu diesem Namen Sidon. carm.: 7.153–162; Sidon. ep.: 2.3.1 und Sidon. carm.: 24.93. 322 Vgl. Harries, Sidonius: S. 33. Zur Annahme, dass es sich bei dem Namen Philagrius stets um die Bezeichnung eines einzigen Akteurs handelt, der nicht mit Avitus verwandt war. Mause, Panegyrik: S. 72. 323 Vgl. Henning, Periclitans: S. 33. 324 Vgl. Heinzelmann, Prosopographie: S. 547. 325 Übereinstimmend Harries, Sidonius: S. 32 ff.; Henning, Periclitans: S. 32 f. und Mathisen, Aristocrats: S. 73.
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Die Familie der Aviti stammte aus der civitas Clermont und hatte dort umfangreichen Landbesitz.326 Die Magni stammten aus Narbonne (Narbo) und hatten ebenfalls umfangreiche Besitztümer.327 Als Gesandter konnte Avitus um 420 Abgabenerlasse bei dem magister militum und späteren weströmischen Kaiser Constantius III. erreichen.328 Die aristokratische Familie war also nicht nur reich begütert, sie war auch noch durch die weströmische Ordnung in eine privilegierte Stellung gebracht. Die eigentliche Grundlage der Handlungsfähigkeit der Familie war der umfangreiche Landbesitz, der es den Mitgliedern ermöglichte, Akteure in Abhängigkeit zu bringen und über diese zu verfügen.329 Hierin besteht aber auch eine zentrale Problemstellung, denn Plünderungen, wie die des Jahres 406,330 betrafen Landgüter und civitates, auf denen die Handlungsfähigkeit von aristokratischen Familien wie der Aviti-Magni basierte. Hinzu kommt, dass die Niederlassung relativ einheitlich organisierter Wandergemeinschaften in Gallien als foederati dann zwangsläufig auch die Handlungsfähigkeit einzelner Familien schwächen musste,331 da diese über die Besitzungen nicht mehr ungehindert verfügen konnten.332 Akteure aus den relativ einheitlich organisierten Gemeinschaften waren als mobile und plündernde genauso wie als eher sesshaft lebende Akteure für die ökonomische Prosperität der weitgehend sesshaften Bevölkerung in Gallien destruktiv,333 auch wenn über die genauen Bedingungen der Ansied-
326 Vgl. Heinzelmann, Prosopographie: S. 567 f. 327 Vgl. ebd.: S. 643. 328 Sidon. carm.: 7.207–215. 329 Dazu allgemein Krause, Patronatsformen: S. 68–73 und S. 88–155. 330 Überblickend Pohl, Völkerwanderung: S. 74 ff. 331 Repräsentativ zu den Problemstellungen dieser Aufteilungen ist das erzählende Gedicht des Paulinus von Pella, der darin Aussagen aus seinem Tagebuch zum Beginn des 5. Jahrhunderts verwendet hat. Es wurde aber erst Mitte des 5. Jahrhunderts verfasst und ist daher keine primär zeit- und ortsnahe Quelle. Die von Paulinus angegeben Tagebuchseiten stellen aber den offensichtlichen Rekurs auf von ihm selbst literarisch verarbeitete Phänomene her. Paul. pel. euch.: 271–290. Zu der Problematik der Landaufteilungen unter der Berücksichtigung von Annahmen zur Diskontinuität oder Kontinuität der Abgaben und der Relevanz des Systems für die Entstehung neuer Strukturierungszusammenhänge Barnish, Taxation: S. 170–195. 332 Hiermit ist ausdrücklich nicht gemeint, dass der Annahme, die Wandergemeinschaften wären einquartiert worden, zuzustimmen ist. Die Kontroversen um die Arbeiten von Walter Goffart sollen hier nicht weiter tangiert werden. Sicher ist aber, dass wenn sich Wandergemeinschaften niedergelassen haben, diese sich dann auch auf dem Boden eines Gebiets niederließen, der zuvor jemandem zur Verfügung gestanden haben kann, wie dies in dem Gedicht des Paulinus nachzuvollziehen ist. Es geht hier also nicht um die Frage nach dem Wie des Prinzips der hospitalitas, sondern nur darum, dass eine Ansiedlung eben zur Folge hat, dass Menschen in einem Gebiet, in dem zuvor weniger Menschen lebten, mit diesen den geographischen Raum teilen mussten. Zur Annahme eines möglichen Nebeneinanders von Abgaben- und Landaufteilung bei der Ansiedlung in der civitas Toulouse Giese, Goten: S. 41. 333 Vgl. Pohl, Völkerwanderung: S. 58 ff.
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lungen nur wenig bekannt ist.334 Den Aviti-Magni hatten die Veränderungen jedoch offenbar nur wenig geschadet: Mitglieder der Familie konnte auch nach dem Tod des Avitus auf ökonomische Potentiale zurückgreifen335 und erlangten weiterhin Titel der weströmischen Ordnung.336 Die civitates Galliens waren konkret verankerte, strukturelle Elemente: Sie ermöglichten den aristokratischen Großgrundbesitzern Vorstellungen von Identität zu kommunizieren. Häufig genug wird eine civitas als die patria von Aristokraten literarisch akzentuiert, auch wenn betont werden muss, dass die meisten Aussagen dieser Art von Sidonius Apollinaris stammen.337 Eine civitas mit ihrem Umland erscheint bei ihm nicht nur als ökonomische Grundlage für die Handlungsfähigkeit von Aristokraten,338 sondern auch als Ort ihrer sozialen Geltung im Netzwerk aristokratischer Sozialbeziehungen.339 Diese Verbindung wird in den Briefen des Sidonius zur Zeit der militärischen Operationen des Königs Eurich besonders deutlich.340 Avitus wurde in der Mitte der 80er Jahre des 4. Jahrhunderts geboren.341 Von der ersten Plünderung Roms unter Alarich I. hatte er als junger Mann hören müssen.342 Die Ansiedlung343 der westgotischen Wandergemeinschaft in Gallien hat er entweder persönlich erlebt oder auch nur davon erfahren. Nach der Ansiedlung der Gemeinschaft des Wallia etablierten sich schnell Beziehungen zwischen den Aviti-Magni und der Familie des Königs Theoderich I., der im Jahr 418 zum König erhoben worden
334 Vgl. Wolfram, Reich: S. 173–177. 335 Beispielsweise zeit- und ortsnah Sidon. ep.: 2.1; Sidon. ep.: 4.1 und Sidon. ep.: 5.16. Auch die Briefe des Sidonius sind in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts orts- und zeitnah verfasst. 336 Für einen Gesamtüberblick über die Titelträger der Zeit nach Avitus Henning, Periclitans: S. 78–102. 337 Vgl. Harries, Sidonius: S. 243 ff. 338 Sidon. ep.: 6.12. 339 Sidon. ep.: 5.6. 340 Sidon. ep.: 3.3.7. 341 Zur Datierung Henning, Periclitans: S. 32. Für eine Datierung der Geburt auf die Zeit um 400 Staesche, Privatleben: S. 328. Dieser Datierung ist in Anbetracht der Argumente bei Henning nicht zu folgen. 342 Dazu Meier und Patzold, August 410. 343 Vgl. Wolfram, Goten 2001: S. 225 ff. Hier geht es nur darum, dass eine Ansiedlung stattfanden. Es soll ausdrücklich betont sein, dass es nicht um das äußerst kontrovers diskutierte Wie der Ansiedlungen geht. Grundlegend sind Durliat, finances publiques. und Goffart, Techniques of Accommodation. Dazu auch Goffart, Barbarian Tides. Kritisch überblickend zu den Thesen von Walter Goffart und Jean Durliat siehe Liebeschütz, Theories: S. 135–152. Liebeschütz zeigt dabei die Parallelen zwischen den beiden Mediävisten auf. Vgl. Liebeschütz, Theories: S. 135 f. Vgl. auch Kaiser, Erbe: S. 69. Zur Kritik an den Thesen Wolfram, Studien: S. 177–180. Goffart selbst sieht seine Theorie in einem Unterschied zu der von Jean Durliat. Vgl. Goffart, technique: S. 96. Die Theorien von Walter Goffart und Jean Durliat beziehen sich – bei aller gegebenen Unterschiedlichkeit – auf der Annahme einer gegebenen Kontinuität des Gebrauchs von Praktiken des Abgabenerwerbs bzw. der Abgabenverteilung. Erneut dazu Liebeschütz, Theories: S. 147 f.
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war.344 Später war einer seiner Verwandten als Geisel in Toulouse,345 während Avitus dorthin zog, was möglicherweise mit dem Vertrag von 418 in Verbindung zu bringen ist.346 Aber auch zu Aëtius hegte die Familie offenbar Beziehungen. Quellenaussagen zu Handlungen des Avitus während der Plünderungen bis 418 sind allerdings keine gegeben. In den 430er Jahren war Avitus mehrfach in militärische Operationen347 des Aëtius involviert.348 Dadurch hatte er – um 437 – die Bezeichnung vir illustris erhalten.349 Einige Mitglieder der Siedlungsgemeinschaft von Toulouse hatten 430 begonnen, aus ihrem Gebiet heraus überzugreifen.350 Nach einer Niederlage gegen Aëtius konnte ein Anführer gefangen genommen und getötet werden.351 Im Jahr 436 belagerten dann Akteure aus dieser Siedlungsgemeinschaft Narbonne.352 Die Belagerung wurde von einem General des Aëtius mit dem Namen Litorius beendet,353 dem „Hunnen“ Folge leisteten.354 Avitus hatte offenbar bei der Belagerung der patria der Magni nicht als Anführer eingreifen müssen. Als Litorius dann 437355 nach Operationen in der Aremorica in Richtung Toulouse durch Clermont zog,356 begannen die ihm Folgeleistenden
344 Vgl. Wolfram, Goten 2001: S. 206. 345 Es handelt sich um einen Mann namens Theodorus. Sidon. carm.: 7.219–222. Dazu Heinzelmann, Prosopographie: S. 704. 346 Vgl. Heinzelmann, Prosopographie: S. 567. 347 Aëtius operierte bis 440 mehrfach gegen Akteure aus unterschiedlichen Gemeinschaften. Zeitnah, jedoch ortsfern zu den Operationen gegen Akteure aus fränkischen Gemeinschaften Prosp. chron.: 1298 und Hyd. chron.: 88 (98). Zu den Operationen gegen Akteure aus jurthungischen Gemeinschaften zeit- und ortsnah Gall. chron. 452: 430 (106) und auch zu Aggressoren aus dem Norden zeitnah, jedoch ortsfern Hyd. chron.: 83 (92) sowie Hyd. chron.: 85 (95). Zu den Operationen gegen Akteure aus burgundischen Gemeinschaften zeit- und ortsnah Gall. chron. 452: 436 (118); ortsfern Hyd. chron.: 99 (108); Hyd. chron.: 102 (110) und Prosp. chron. 1322. Zu den Operationen gegen Akteure aus gotischen Gemeinschaften, bei denen er selbst anwesend war zeitnah, doch ortsfern Hyd. chron.: 104 (112). Auch gab es Operationen gegen bacaudae. Orts- und zeitnah Gall. chron. 452: 435 (117) und Gall. chron. 452: 437 (119). 348 Sidon. carm.: 7.230–240. 349 Vgl. Henning, Periclitans: S. 33. 350 Zur Dynamik solcher Übergriffe allgemein Pohl, Völkerwanderung: S. 60 f. 351 Zeitnah, jedoch ortsfern Hyd. chron.: 82 (92). 352 Zeitnah, jedoch ortsfern Prosp. chron.: 1324 und Hyd. chron.: 98 (107). 353 Vgl. Stickler, Aëtius: S. 183 f. Dazu ausdrücklich Prosp. chron.: 1335. 354 Zeit und ortsnah Merob. paneg.: Frgt. 2B.11–24. Der panegyricus wurde von Flavius Merobaudes verfasst. Seine Texte sind zu einem großen Teil nur fragmentarisch erhalten. Mehrere Texte schrieb er zum Lob des Aëtius. Er schrieb zeit- und ortsnah. Seine Rekurse auf Informationen gehen direkt auf die Beziehungen zu den Akteuren im Umfeld des Aëtius zurück. Vgl. Dihle, Literatur: S. 604. Dazu zeitnah, jedoch ortsfern Prosp. chron.: 1326 und ebenso Hyd. chron.: 101 (110). 355 Zur Datierung Stickler, Aëtius: S. 199 f. 356 Sidon. carm.: 7.247. Diese Passage aus dem panegyricus ist möglicherweise mit einer Aufzeichnung aus der Gallischen Chronik von 452 gleichzusetzen, bei der Kämpfe gegen die bacaudae erwähnt werden. Gall. chron. 452: 436 (119). Auch Merob. paneg.: 2.8. Dazu Drinkwater, Bacaudae: S. 213 f.
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das Gebiet zu plündern. Ein Anhänger des Avitus wurde dabei tödlich verwundet.357 Avitus zog dem weströmischen General entgegen und versuchte, das Plündern zu beenden.358 Diese literarisch verarbeiteten Informationen, die Sidonius Apollinaris mit sprachlichen Bildern und Bezügen zu Figuren der homerischen Dichtung vorgenommen hat, zeigen einmal mehr die Diskursivität der Prozessdynamik der Erosion: Hatte Litorius zuvor noch Narbonne von den Westgoten befreit, trat ihm, während er auf dem Weg zu Kämpfen bei Toulouse war, Avitus mit ihm Folgeleistenden entgegen. Unter Berücksichtigung der Aussagen zu den familiären Verbindungen und Beziehungen des Avitus ist dies verständlich. Auch ist aufschlussreich, dass er die Folge leistungen privat organisiert hat.359 Avitus, der zuvor an der Seite des Aëtius und seiner Militärs gestanden hatte, trat ihnen nun entgegen: Die lokal sesshaften Akteure verteidigten materielle Güter und Ressourcen der Region also gegen die plündernden Akteure eines Anführers, der weiterhin die weströmische Ordnung repräsentierte. Dies heißt nicht, dass Avitus gegen die weströmische Ordnung an sich agierte. Nur zwangen die Plünderungen Avitus offenbar gegen einen Repräsentanten der weströmischen Ordnung und die ihm Folgeleistenden vorzugehen, die er selbst gar nicht ablehnte.360 Soziale Beziehungen sowie materielle Güter und Ressourcen waren hier für das Organisieren von Folgeleistungen relevant. Zwar ist für die Aussagen zu Avitus festzuhalten, dass Sidonius den Rückgriff auf diese Mittel nicht explizit erzählt. Dies ist aber im analytischen Kontext wahrscheinlich: Dass bei dem Organisieren der Folgeleistungen materieller Besitz ein Aspekt ist, der das Organisieren ohne Frage bedingte, ergibt sich aus den Aussagen zu den Plünderungen. Es ist zudem anzunehmen, dass Avitus, der selbst in der Region räumlich niedergelassen war, Akteure Folge leisteten, die ebenso in der Region lebten. Dieser Warlordism ist also direkt mit den passiven Relevanzarten des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen verbunden. Präziser geht es um die situationsbezogene Reaktion auf Plünderungen. Ihnen soll Einhalt geboten werden, um den eigenen Besitz als Grundlage des sesshaft-aristokratischen Lebens zu erhalten. Aussagen zu dieser Form von Warlordism findet sich später auch für seinen Sohn Ecdicius.361 Dies zeigt, dass das Plündern primär sesshafte Akteure, die wegen ihres Besitzes herausragten, dazu brachte, eine Art Warlordism zu betreiben, der durch das Plündern befördert wurde und nur zeitweilig konstant war.
357 Sidon. carm.: 7.252–256. 358 Sidon. carm.: 7.241–295. 359 Vgl. Henning, Periclitans: S. 33. Der Annahme, Avitus habe zu dieser Zeit den Titel des magister militum per gallias erhalten, ist nicht zu folgen. Es gibt in diesem Kontext keine Aussagen von zeitoder ortsnahen Autoren dazu. 360 Vgl. Harries, Sidonius: S. 72 f. 361 Sidon. ep.: 3.3.
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439 scheiterte Litorius mit seiner Belagerung von Toulouse und wurde bei den Kämpfen verwundet. Er starb kurz darauf an seinen Verletzungen.362 In diesem Kontext wurde Avitus erneut aktiv. Diesmal nutzte er seine sozialen Beziehungen und erneuerte den Vertrag mit dem König.363 Zu dieser Zeit war er mit dem Titel praefectus praetorio galliarum364 ausgezeichnet. Die mit diesem Titel bezeichnete Position war die höchste in Gallien zu dieser Zeit. Danach gibt es keine weiteren Aussagen zu Avitus in einer solchen oder ähnlichen Position bis zum Jahr 455. Offenbar zog er sich nach 440 auf seine Landgüter zurück.365 Gallien war zu dieser Zeit weitgehend in unterschiedliche Strukturierungszusammenhänge segregiert. Neustrukturierungen einzelner struktureller Elemente bei der Ansiedlung von Gemeinschaften wurde von den Repräsentanten der weströmischen Ordnung befördert: Aëtius siedelte beispielsweise alanische Gemeinschaft an.366 Auf die Bevölkerung der civitates und der sortes367 galt es im Jahr 451 zurückzugreifen, als Attila nach Westen zog. Sidonius betont in seinem Lobgedicht die Leistungen seines Schwiegervaters bei den Verhandlungen mit dem König von Toulouse vor der Schlacht.368 Diese Aussagen zu den Handlungen des Avitus werden mit einer gewissen Berechtigung in der Forschung mit Skepsis betrachtet, da es sich bei dem panegyricus um eine spezielle Textgattung handelt, bei der es um die Heraushebung der Leistungen des zu Lobenden geht. Dass Avitus an Gesprächen mit Theoderich I. beteiligt gewesen ist, ist deshalb aber auch nicht auszuschließen. Es ist in Anbetracht der Aussagen zu seinen Beziehungen sogar wahrscheinlich, dass Sidonius bei seiner literarischen Verarbeitung auf Informationen zu den Verhandlungen kurz vor der Schlacht 451 rekurrierte.369 Dabei darf aber nicht übersehen werden: Die Textgattung fordert eine Betonung der Leistungen der Hauptperson, die nicht übermäßig stilisiert werden durfte, aber sehr wohl eine Gestaltung durch den Autor erfahren konnte, die ein Bild
362 Zeitnah, jedoch ortsfern Prosp. chron.: 1335 und Hyd. Chron.: 108 (116). 363 Sidon. carm.: 7.308–309. Ebenso Hyd. chron.: 109 (117). Dazu auch zeitnah, jedoch ortsfern Prosp. chron.: 1338. An dieser Stelle wird Avitus zwar nicht erwähnt, aber der zwischen den Goten und den Römern geschlossene Frieden ist erwähnt. 364 Sidon. carm.: 7.296. Zur Datierung Henning, Periclitans: S. 33. 365 Vgl. Henning, Periclitans: S. 33. 366 Vgl. Bachrach, Southwest Gaul: S. 357 f. Zu der Problematik mit der von Aëtius angesiedelten alanischen Gemeinschaft unter ihrem Anführer Sambida Vita Germanus: 8. Die Vita entstammt dem letzten Viertel des 5. Jahrhunderts. Der Autor der Vita ist Constantius von Lyon. Vgl. Wattenbach und Levison, Geschichtsquellen: S. 121. Dass die Gemeinschaft des Anführers aber im Jahr 439 in der Nähe von Auxerre – in dieser civitas war der heilige Germanus der Bischof – angesiedelt worden ist, kann als sicher gelten. Dazu zeit- und ortsnah Gall. chron. 452: 439 (124). 367 Vgl. Nagy, Power: S. 94 f. 368 Sidon. carm.: 7.329–331. 369 Bei aller Kritik schließen dies auch Harries und Stickler nicht aus. Vgl. Harries, Sidonius: S. 69 f. und Stickler, Aëtius: S. 182 f.
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von der Person erzeugt, das kein Abbild ist.370 Es handelt sich nicht um den Versuch der authentischen Schilderung von Handlungen. Zum anderen ist mit dem Einbezug der Informationen zu den Handlungen des Avitus kurz vor der Schlacht ein Rekurs auf die zur damaligen Zeit noch junge Tradition der Schlacht gegeben, der schon für die Autoren von zeitnahen Heiligenviten festzustellen ist: Die Aussagen zu den Handlungen der Hauptfiguren werden an diese Informationen gekoppelt, so dass sie im Zusammenhang an Besonderheit gewinnen. Auch für die Handlungen der Figur des Avitus ist dies der Fall. Insgesamt ist es also eher wahrscheinlich, dass Avitus an den Verhandlungen mit dem Hof von Toulouse vor 451 in intensiver Weise beteiligt war. Wie schon in den 430er Jahren kann Avitus wenig an Plünderungen seiner Landgüter und der civitates in Gallien gelegen gewesen sein. Sie waren für ihn als Aristokrat wichtig und für das Herausragen seiner Familie grundlegend. Es sind erneut die Bedingungen und nicht die Motive, die für diese Deutung herangezogen werden können. Der spätere Kaiser, der nach 440 auf seinen Landgütern lebte und seine Beziehungen wohl weiterhin pflegte,371 hatte an Handlungsfähigkeit nach 451 zumindest nicht verloren, denn er wurde von Petronius Maximus zum magister militum ernannt. Während seiner Tätigkeit in dieser Position wurde Avitus, unabhängig von ihrer normativ angelegten Handlungskompetenz, unter prägnanter Beteiligung des Königs Theoderich II. von Toulouse und weiterer Akteure aus der Gemeinschaft von Toulouse – die als militärisches Mittel fungiert haben können – zum weströmischen Kaiser erhoben.
1.2.2 Avitus und die Folgeleistenden des Theoderich II. auf der Iberischen Halbinsel Nach der Erhebung zum weströmischen Kaiser brach Avitus in Richtung Italien auf.372 Theoderich II. begleitete ihn nicht.373 Dass Avitus schon zu dieser Zeit Akteure aus
370 In diesem Sinne auch die Verwendung des Sprachbildes „Spiegel“ bei Mause. Vgl. Mause, Panegyrik: S. 219–229. 371 Zum otium der gallischen Aristokraten im 5. Jahrhundert Mathisen, Aristocrats: S. IX und S. 97. 372 Sicher ist seine Anwesenheit in Rom am 01.01.456. Der Datierung seiner Ankunft in Italien auf den 21.09.455, die Henning und Mathisen vorschlagen, ist nicht unkritisch zu folgen, da sich beide auf dieselbe Aufzeichnung aus einer Chronik aus dem 7. Jahrhundert beziehen. Der Continurator Prosperi Havniensis arbeitete zu Zeit des langobardischen Königs Ariwald in Italien. Zur Datierung Wattenbach und Levison, Geschichtsquellen: S. 86. Zu der Stelle, auf die sich Henning und auch Mathisen beziehen Auct. prosp. havn.: 455.7. Zur Nennung dieser Chronikstelle bei den beiden Autoren Henning, Periclitans: S. 35, Anm. 43 und Mathisen, Avitus: S. 234, Anm. 8. 373 Es ist plausibel anzunehmen, dass er sich nach Toulouse zurückzog, da die Aufzeichnungen bei Hydatius zu den Gesandtschaften an die Sueben eine geographische Trennung des Avitus und des Theoderich II. implizieren. Zeit- und ortsnah Hyd. chron.: 163 (170) und Hyd. chron.: 165 (172). Die Operation des Königs auf der Iberischen Halbinsel, die wohl bereits Ende 455 begonnen hat, ist ein weiteres Indiz für die Rückkehr des Theoderich II. Ebenso zeit- und ortsnah Hyd. chron.: 166 (173).
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der Siedlungsgemeinschaft von Toulouse mit sich nahm, ist nicht mehr mit Sicherheit festzustellen. Jedoch ist es nicht unwahrscheinlich, dass der neue weströmische Kaiser sich mit Akteuren aus der Gemeinschaft des Königs von Toulouse bereits zu dieser Zeit umgab,374 denn für einen späteren Zeitpunkt sind hierfür Aussagen vorhanden.375 Avitus war nur ein Jahr weströmischen Kaiser. Dann wurde er nach dem Verlust einer Schlacht bei Piacenza (Placentia) gegen den magister militum Rikimer und den comes domesticorum Maiorian abgesetzt.376 Daher besteht die Annahme, die Bevorzugung gallischer Aristokraten habe die Absetzung befördert.377 Zeitnähere Aussagen erlauben zusätzlich die Annahme, dass Avitus in der Position des Kaisers nicht über genug ökonomischen Mittel verfügte, um handlungsfähig zu sein.378 Die Plünderung Roms,379 aber auch die Erosion der strukturellen Einheit der weströmischen Ordnung erschwerten es dem Kaiser ökonomische Mittel zu akquirieren. Beispielsweise war die Handlungsfähigkeit des weströmischen Kaisers auf der Iberischen Halbinsel in den 450er Jahren bereits kaum noch vorhanden.380 Der wichtigste Autor zu militärischen Operationen auf der Iberischen Halbinsel ist der Bischof Hydatius von Chaves. Er war selbst von der Dynamisierung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens auf der Iberischen Halbinsel durch die Operationen betroffen.381 Seine Aussagen sind zeit- und auch ortsnah verfasst worden. König
374 Vgl. Mathisen, Italy: S. 233 f. 375 Zeitnah, jedoch ortsfern John of Antioch Fr. 202 = Exc. de Ins. 86 = Prisk. Frgt. 32 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 335). 376 Zeitnah, jedoch ortsfern Hyd. chron.: 176 (183). Dazu mit einem Blick auf die Aussagen zeitferner Quellenautoren Harries, Sidonius: S. 75–81; Henning, Periclitans: S. 35 f. und Mathisen, Italy: S. 244– 247. 377 Allein elf der fünfzehn überlieferten Namen von Positionsinhabern zur Zeit des Avitus stammen aus Gallien. Vgl. Henning, Periclitans: S. 131 und Mathisen, Italy: S. 245 f. Für die Entfaltung der Annahme insgesamt Henning, Periclitans: S. 122–134. 378 Er musste seine westgotische Leibwache entlassen, da er sie nicht mehr bezahlen konnte. Dies kurz vor der Schlacht. Zuvor hatte er für die Finanzierung der Realisierung seiner Wünsche auf öffentliche Güter zurückgreifen müssen. Dazu zeitnah, jedoch ortsfern John of Antioch Fr. 202 = Exc. de Ins. 86 = Prisk. Frgt. 32 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 335 f.). 379 Zu der finanziellen Lage der Kaiser nach der Plünderung Roms im Jahr 455 im Allgemeinen Henning, Periclitans: S. 261–267. 380 Avitus hatte zu Beginn seiner Regierung seinen magister officiorum auf die Iberische Halbinsel entsandt, um die dortigen civitates im Osten zu gewinnen. Zeitnah, jedoch ortsfern Sidon. carm.: 15.154–155. Für einen Überblick Kulikowski, Spain: S. 151–176. Dazu Henning, Periclitans: S. 132. 381 Dies im Jahr 460: „Pars Gothici exercitus a Sunierico et Nepotiano comitibus ad Gallaeciam directa, Suevos apud Lucum depraedantur: quae Dictinio Ms. Suevos apud Lucum depraedatur habitantes, quae Dictinio, Spinione et Ascanio delatoribus, spargentibusque ad terrorem propriae venena perfidiae, indicata recurrit ad suos: ac mox iisdem delatoribus quibus supra, Frumarius cum manu Suevorum quam habebat impulsus, capto Idatio episcopo septimo kalend. Augusti in Aquaeflaviensi ecclesia, eumdem conventum grandi evertit excidio.“ Hyd. chron.: 196 (201).
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Theoderich II. sei, so schreibt der Bischof in seiner Chronik, mit dem Einverständnis des Kaisers Avitus auf die Iberische Halbinsel gezogen382 und habe dort mit Operationen gegen differente Gemeinschaften begonnen. Es gilt nun im Folgenden diese Aussagen unter zwei Fragen zu untersuchen. Zum einen ist unter der Berücksichtungen der Untersuchungsergebnisse in Hinblick auf die Aussagen zu dem Verhältnis des Avitus zu plündernden Akteuren vor dem Jahr 455 zu fragen, ob auf des Basis der Quellenaussagen zu den militärischen Operationen von einem Versuch der Kanalisierung von Plünderungen zu sprechen ist. Zum anderen ist zu fragen, inwieweit in Anbetracht dieser Aussagen von einem Versuch der Rückgewinnung von materiellen Gütern und Ressourcen auszugehen ist. 1.2.2.1 Der Versuch der Kanalisierung von Plünderungsoperationen? Das Verhältnis des Avitus vor 455 zu plündernden Akteuren ist mit den Aussagen über diplomatische und militärische Handlungen nachzuvollziehen. Insgesamt lässt sich die wahrscheinliche Annahme formulieren, dass Eindämmungsversuche des Erwerbs durch Plünderungen vorgenommen worden sind. Sie ist zusätzlich mit den Aussagen zu den Grundlagen aristokratischer Handlungsfähigkeit in Gallien plausibilisierbar. Die Fortsetzung von Aussagen aus den beiden genannten Aussagengruppen nach 455 erlaubt nun zu fragen, inwieweit über einen Kanalisierungsversuch von Plünderungen durch Avitus nach seiner Erhebung zum weströmischen Kaiser zu sprechen ist, der einer Eindämmung von Plünderungen im Südwesten Galliens entsprechen würde. Die Quellen zum Geschehen kurz vor dem Beginn der militärischen Operationen des Königs von Toulouse auf die Iberische Halbinsel umfassen drei Gesandtschaften: Avitus sandte den comes Fronto zu den Sueben. Offenbar zur selben Zeit sandte Theoderich II. ebenfalls eine Gesandtschaft zu ihnen. Hydatius begründet dies mit seiner Loyalität und mit dem foedus, den die Sueben geschlossen hatten. Der Vertrag sollte erhalten werden. Die Sueben aber schickten beide Gesandtschaften fort und begannen mit Plünderungen der Provinz Tarraconensis,383 die zu dieser Zeit wieder unter der weströmischen Ordnung stand.384 Die Aufzeichnung des Hydatius bezüglich der Zugehörigkeit der Tarraconensis ist mit einer Passage aus einem Gedicht des Sidonius Apollinaris in Verbindung zu bringen, aus der die Rückgewinnung der Provinz
382 „Mox Hispanias rex Gothorum Theudoricus cum ingenti exercitu suo, et cum voluntate et ordinatione Aviti imperatoris ingreditur.“ Hyd. chron.: 166 (173). 383 Die Tarraconensis umfasste nach den Veränderungen der Provinz in der Zeit des Caracalla und des Diocletian nur noch das nordöstliche Gebiet der Iberischen Halbinsel. Dazu Bechert, Provinzen: S. 66. Die Iberische Halbinsel war zu Beginn des 5. Jahrhunderts in fünf Provinzen aufgeteilt. Dies waren von Osten im Uhrzeigersinn an gezählt die Tarraconensis, die Carthaginensis, die Baetica, die Lusitania und die Gallaecia. Vgl. Kulikowski, Spain: S. XXI. 384 Hyd. chron.: 163 (170).
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durch einen Positionsinhaber,385 der wahrscheinlich zur Zeit des Kaisers Avitus agiert hat, zu erschließen ist.386 Eine weitere Gesandtschaft des Königs von Toulouse folgte. Rechiar, der zu dieser Zeit eine große suebische Gemeinschaft anführte und seit 449 mit der Schwester Theoderichs II. verheiratet war,387 missachtete die Vereinbarungen allerdings erneut und plünderte Gebiete der Tarraconensis.388 Darauf begannen – mit der Anweisung und auf den Wunsch des Avitus – die militärischen Operationen Theoderichs II. gegen seinen Schwager.389 Für die Deutung ist hinzuzufügen, dass die Bevölkerung der Halbinsel der Prozessdynamik der Erosion bereits ab 409 in starkem Maße ausgesetzt war390 und dass die Bevölkerung 455 nicht zum ersten Mal den intensiven Plünderungen durch suebische Akteure ausgesetzt war.391 In den Plünderungen nach den beiden Gesandtschaften den primären Grund für den Beginn der militärischen Operation zu sehen, geht deshalb fehl. Auch der Bruch des Vertrages ist nicht unbedingt als Grund dafür aufzufassen. Der Bruch eines solchen Vertrages war für die Zeit nach dem ersten Auftreten der neuen, relativ einheitlich organisierten Gemeinschaften auf der Iberischen Halbinsel bereits zuvor schon gegeben.392 Die relativ einheitlich organisierten Wandergemeinschaften siedelten in den einzelnen Provinzen der Iberischen Halbinsel bereits kurz nach ihrer Ankunft,393 womit aber die Praktik des Plünderns nicht aufgegeben wurde.394 Daher sind auch die diplomatischen Bemühungen des Jahres 455 als solche nicht neu. Neben den lokalen Initi-
385 Dies war der magister officiorum Magnus. Vgl. Henning, Periclitans: S. 76 und S. 132. 386 Sidon. carm.: 15.154–157. 387 Hyd. chron.: 132 (140). 388 Hyd. chron.: 165 (172). 389 „Mox Hispanias rex Gothorum Theudoricus cum ingenti exercitu suo, et cum voluntate et ordinatione Aviti imperatoris ingreditur.“ Hyd. chron.: 166 (173). 390 Jedoch waren daran nicht nur Akteure aus den neu angekommen Gemeinschaften beteiligt. Auch die Repräsentanten der weströmischen Ordnung eigneten sich zu dieser Zeit materielle Güter und Ressourcen gewaltsam an. Hyd. chron.: 40 (48). 391 Plünderungen von Akteuren aus suebischen Gemeinschaften begannen nach den Aussagen des Hydatius erst mit dem Abzug der alanisch-vandalischen Gemeinschaft nach Nordafrika. Vgl. Castritius, Vandalen: S. 76–95. Zu den Plünderungen suebischer Akteure Hyd. chron.: 80 (90); 81 (91); 86 (96); 106 (114); 126 (134); 129 (137); 132 (140); und 134 (142). Vgl. Pohl, Völkerwanderung: S. 76. 392 „Suevi cum parte plebis Gallaeciae cui adversabantur, pacis jura confirmant.“ Hyd. chron.: 105 (113). Kurz darauf aber: „Hermericus rex morbo oppressus Rechilam filium suum substituit in regnum: qui Andevotum cum sua quam habebat manu ad Singillionem Baeticae fluvium aperto marte prostravit, magnis ejus auri et argenti opibus occupatis.“ Hyd. chron.: 106 (114). Zuvor bereits eine weniger deutliche Aussage: „Suevi sub Hermerico rege medias partes Gallaeciae depraedantes, per plebem quae castella tutiora retinebat, acta suorum partim caede, partim captivitate, pacem quam ruperant, familiarum quae tenebantur, redhibitione restaurant.“ Hyd. chron.: 81 (91). 393 Hyd. chron.: 41 (49). 394 Dazu Hyd. chron.: 80 (90); 81 (91); 86 (96); 106 (114); 126 (134); 129 (137); 132 (140) und 134 (142). Zusätzlich dazu Hyd. chron.: 77 (86); 79 (89); 123 (131) und 126 (134).
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ativen395 wurde auch zur Zeit des Aëtius eine diplomatische Lösung und die Integration der relativ einheitlich organisierten Siedlungsgemeinschaften durch normative Regelungen angestrebt.396 Noch kurz nach seiner Ermordung versuchte Kaiser Valentinianus III. mittels einer Gesandtschaft Akteure der suebischen Gemeinschaften von ihren Plünderungen abzuhalten.397 Zwar konnte, wie ausgeführt, zeitweilig Frieden durch die vertraglichen Regelungen geschaffen werden, doch hielten die normativen Bindungen nicht lang. Phänomene sowie Informationen zu Neustrukturierungen und auch zu Effekten der Desintegration sind mehrfach literarisch zeit- und auch ortsnah verarbeitet worden. Neben den Plünderungen, den Vertragsbrüchen und den diplomatischen Bemühungen ist auch die Beteiligung westgotischer Folgeleistenden an den militärischen Operationen der Repräsentanten der weströmischen Ordnung auf der Iberischen Halbinsel keine Besonderheit der Zeit des Avitus. Folgeleistungen von Akteuren aus der westgotischen Wandergemeinschaft wurden bereits kurz nach ihrer Niederlassung organisiert:398 Weströmische Repräsentanten und von ihnen beauftragte westgotische Anführer operierten dann gegen vandalische und alanische,399 aber auch suebische Gemeinschaften400 und bacaudae.401 Insgesamt erscheinen die Verhältnisse anhand der Aussagen zu dem Geschehen im Vorfeld der militärischen Operationen des Theoderich II. nicht neu. Insofern ist mit Avitus keine Handlung zu verbinden, die nicht schon zuvor von anderen Repräsentanten der weströmischen Ordnung ausgeübt worden ist. Es ist deshalb plausibler, den Beginn der Operation mit dem Scheitern der Bemühungen um eine diplomatisch-
395 Hyd. chron.: 81 (91). 396 Hydatius hatte sich selbst auf eine Gesandtschaft nach Gallien zu Aëtius begeben, um diesen um eine normative Regelung der Verhältnisse auf der Iberischen Halbinsel zu bitten. Hyd. chron.: 86 (96). Dies führte zur Einstellung der Kämpfe. Hyd. chron.: 91 (100). Danach wurde ein Vertrag geschlossen. Hyd. chron.: 105 (113). An diesen Verhandlungen war der comes Censurius mehrfach beteiligt. Hyd. chron.: 88 (98). 397 Hyd. chron.: 153 (161). 398 Nachdem Athaulf durch Constantius, der spätrer als Constantius III. zusammen mit Honorius weströmischer Kaiser war, von Narbonne im Jahr 415 vertreiben werden konnte, wurde der westgotische Anführer auf der Iberischen Halbinsel ermordet. Sein Nachfolger Wallia konnte von Constantius dazu bewegt werden, gegen die Vandalen und andere neue Gemeinschaften zu operieren. Erst 418 siedelten sich die westgotische Gemeinschaft des Wallia auf das Geheiß des Constantius um Toulouse herum an. Insgesamt zu diesen Operationen und der Ansiedlung zeitnah, jedoch zum Teil ortsfern Hyd. chron.: 52 (60); 55 (63); 59 (67); 60 (68) und 61 (69). 399 Hyd. chron.: 69 (77). Die hierbei als auxiliaris bezeichneten westgotischen Akteure begingen jedoch Verrat an dem magister militum Castinus bei dieser Operation gegen Vandalen in der Baetica. Castinus musste daher fliehen. 400 Hyd. chron.: 126 (134). Der entsandte magister utriusque militae Vitus wird von Westgoten bei seiner Operation gegen Sueben unterstützt, die aber wie die Sueben zu Plünderungen übergehen. Vitus flüchtete daraufhin. 401 Hyd. chron.: 150 (158). Frederich, der Bruder des Theoderich II., operierte mit der Zustimmung von Repräsentanten der weströmischen Ordnung gegen bacaudae in der Tarraconensis.
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normative Lösung durch den König von Toulouse in Verbindung zu bringen. Folgeleistungen werden hier nicht auf eine private Initiative des Avitus hin organisiert. Die militärische Operation entstand in der Kooperation mit dem König. Die soziale Beziehung war hierbei das eigentliche Mittel des Avitus als Kaiser. Nach der zweiten Gesandtschaft des Königs von Toulouse organisiert er Folgeleistungen und zog mit den ihm Folgeleistenden aus der von ihm angeführten Siedlungsgemeinschaft auf die Halbinsel. Die Datierung des Beginns der Operation ist nicht ganz sicher, da Hydatius vier verschiedene Kalendersysteme verwendet hat, die nicht kompatibel sind.402 Nach seinen Angaben begegneten sich die dem Theoderich II. und die dem Rechiar Folgeleistenden im sechsten Jahr des Marcian am sechsten Tag des Oktobers.403 Ob es sich hierbei um das Jahr 455 oder 456 handelt, ist aber auf dieser Basis nicht exakt zu bestimmen, da andere Angaben des Bischofs seit dem Antritt des Kaisers Marcian nicht gänzlich in Einklang mit typischen Jahresdatierungen zu bringen sind.404 Eine Datierung ist daher eher auf der Basis des analytischen Kontextes möglich. Der Fortsetzer des Prosper Tiro, der im 7. Jahrhundert in Italien gearbeitet hat,405 datiert wie einer der Autoren der fasti vindobonenses priores406 die Entscheidungsschlacht zwischen den Folgeleistenden des Avitus und denen des Rikimer in den Oktober 456.407 Eine erste Schlacht zwischen den beiden Parteiungen wird in beiden Texten in den September des gleichen Jahres datiert.408 Diesen Angaben wird in der Forschung weitgehend Glauben geschenkt.409 Eine Datierung des Beginns der militärischen Opera-
402 Dadurch sind auch Fehler in der Chronologie der Chronik entstanden. Vgl. Muhlberger, Chroniclers: S. 279–313, bes. 281–285. 403 „Mox Hispanias rex Gothorum Theudoricus cum ingenti exercitu suo, et cum voluntate et ordinatione Aviti imperatoris ingreditur. Cui cum multitudine Suevorum rex Rechiarius occurrens duodecimo de Asturicensi urbe milliario, ad fluvium nomine Urbicum, tertio nonas Octobris die, sexta feria inito mox certamine superatur.“ Hyd. chron.: 166 (173). 404 Marcian wurde 450 zum oströmischen Kaiser. Eine Datierung auf die Mitte des Jahres wird in der aktuellen Forschung als wahrscheinlich angenommen. Zu einer exakten Datierung auf den 26.08.450 Weber, Träume und Visionen: S. 228, bes. Anm. 330. So gibt Hydatius zum Beispiel an, dass Attila im zweiten Regierungsjahr des Marcian gestorben sei. Zeitnah, jedoch ortsfern Hyd. chron.: 146 (154). Die Datierung des Todes auf das Jahr 453, die allgemein anerkannt ist, wäre somit nicht möglich. Ein weiteres Beispiel ist die Datierung des Todes Kaisers Valentinianus III. auf das vierte Regierungsjahr des Marcian. Zeitnah, jedoch ortsfern Hyd. chron.: 154 (162). Die anerkannte Datierung des Mordes auf 455 ist auch durch die Angabe des Bischofs nicht möglich. 405 Vgl. Wattenbach und Levison, Geschichtsquellen: S. 86. 406 Der Text wurde mit der Zeit fortgesetzt. Daher ist nicht von nur einem Autor auszugehen. Die Datierung auf ein Jahrhundert ist somit nicht möglich. Vgl. Wattenbach und Levison, Geschichtsquellen: S. 55. Zu der Kritik an der Glaubwürdigkeit der Datierungsweise der Autoren für andere Stellen Scharf, Daten: S. 181 ff. 407 Zeit- und ortsfern Auct. prosp. havn.: 456.2 und Fast. vind. priores.: 580 s. a. 456. 408 Zeit- und ortsfern Auct. prosp. havn.: 456.1 und Fast. vind. priores.: 579 s. a. 456. 409 Vgl. Henning, Periclitans: S. 35 und Max, Intrigue: S. 228 f.
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tionen auf das Ende des Jahres 456 ist also problematisch. Somit wäre erst nach dem ersten Angriff gegen den Kaiser sein Unterstützer mit dessen Einverständnis auf die Iberische Halbinsel gezogen. Eine ungefähre Datierung des Operationsbeginns auf das letzte Drittel des Jahres 455 ist daher weit plausibler.410 Die Gesandtschaft des Kaisers kann parallel mit der des Königs bereits während ihres gemeinsamen Aufenthalts in Gallien entsandt worden sein.411 Die Datierung wird noch durch die literarische Gestaltung der Aussagen in der Chronik des Hydatius wahrscheinlicher: Der Bischof schreibt erst nach den Aussagen über die ersten militärischen Erfolge des Königs von Toulouse, die Plünderungen durch die ihm Folgleistenden umfassen,412 dass dem König von einem Gesandten berichtet wird, dass Vandalen auf Korsika besiegt worden sind.413 Avitus befand sich zu dieser Zeit in Arles.414 Theoderich II. zog mit den ihm Folgeleistenden weiter durch die Halbinsel und bereitete Plünderungen vor,415 während andere Akteure wegen der Dynamisierung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens durch die militärischen Operationen ebenfalls zu Plünderungen übergingen.416 Danach notiert der Bischof, dass Avitus seine Position und sein Leben verliert.417 In Anbetracht der bisherigen Feststellungen erscheint es eher weniger angebracht von einem Versuch der Kanalisierung von Plünderungen durch den Kaiser zu sprechen: Mit dem Antritt des Avitus als weströmischer Kaiser ist keine Aussage gegeben,
410 Kulikowski folgt bei seiner Datierung des Beginns der militärischen Operation auf den Herbst 456 weitgehend unkritisch den Angaben des Bischofs Hydatius. Argumente für die Datierung fehlen. Vgl. Kulikowski, Spain: S. 187 f. 411 Hyd. chron.: 163 (170). 412 „Theudorico rege cum exercitu ad Bracaram extremam civitatem Gallaeciae pertendente, quinto kal. Novemb. die dominico, etsi incruenta, fit tamen satis moesta et lacrymabilis ejusdem direptio civitatis. Romanorum magna agitur captivitas captivorum, sanctorum basilicae effractae, altaria sublata atque confracta, virgines Dei exin quidem adductae, sed integritate servata, clerus usque ad nuditatem pudoris exutus, promiscui sexus cum parvulis, de locis refugii sanctis populus omnis abstractus, jumentorum, pecorum, camelorumque horrore locus sacer impletus, scripta super Jerusalem ex parte coelestis irae revocavit exempla.“ Hyd. chron.: 167 (174). 413 Zeitnah, jedoch ortsfern Hyd. chron.: 169 (176). Die Aufzeichnung des Sieges durch Rikimer – die im Übrigen mit der Erzählung über oströmische Beteiligung oder gar oströmischer Einzelleistung bei dieser Operation zu kontrastieren ist – spricht ebenfalls für die Datierung des Beginns der Operation des Königs von Toulouse auf das letzte Drittel des Jahres 455, denn der Sieg gegen die Vandalen wird auf 456 datiert. Vgl. Anders, Ricimer: S. 86 ff. 414 Zeitnah, jedoch ortsfern „Hesychius tribunus legatus ad Theudoricum cum sacris muneribus missus ad Gallaeciam venit, nuntians ei id quod supra, in Corsica caesam multitudinem Wandalorum, et Avitum de Italia ad Gallias Arelate successisse.“ Hyd. chron.: 170 (177). Vgl. Mathisen, Avitus: S. 246, Anm. 52. 415 „In conventus parte Bracarensis latrocinantum depraedatio perpetratur.“ Hyd. chron.: 175 (182). 416 „Theudoricus Emeritam depraedari volens, beatae Eulaliae martyris terretur ostentis.“ Hyd. chron.: 172 (179). 417 Zeitnah, jedoch ortsfern Hyd. chron.: 176 (183).
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die auf eine Innovation im Umgang mit den Verhältnissen auf der Iberischen Halbinsel schließen lassen. Die Quellenaussagen lassen zudem auf eine enge Kooperation des Königs mit dem Kaiser schließen, wobei nicht klar ist, welcher der beiden Partner für den Beginn der Operationen ausschlaggebend war. Da Theoderich II. nach der zweiten Gesandtschaft, die offenbar von ihm beauftragt worden ist, die Operationen begonnen hat, ist hier eine Aussage für die Plausibilisierung der Annahme einer tendenziell vom König von Toulouse ausgehenden Initiative vorliegend, auch wenn Hydatius den Wunsch und die Anweisung des Avitus erwähnt.418 Dazu ist noch zu beachten, dass es mit dem Beginn der Operation zu einer Steigerung der Plünderungen auf der Iberischen Halbinsel kam. Neben den suebischen Akteuren, die Rechiar Folgeleistenden, plünderten nun auch die Folgeleistenden Theoderichs II. Auch ergaben sich aus der Dynamisierung durch die militärischen Operationen neue Gemeinschaften, die ebenfalls plünderten. Der durch das Plündern gegebene Umverteilungseffekt ist als Aspekt ihrer Entstehung aufzufassen. Dazu ist Folgendes festzuhalten: Erneut ist hier ein Kriegersein nachzuvollziehen, dass auf der Deutungsebene als ein Modus des Erwerbs zu präzisieren ist. Der Modus ist durch das Plündern als sozioökonomische Praktik des Erwerbs materieller Güter und Ressourcen konstituiert.419 Da zum Plündern viele, aber zur Verteilung des Geplünderten keine Aussagen vorhanden sind, ist weiter festzuhalten, dass die Kriegergemeinschaften aus den Siedlungsgemeinschaften als Erwerbsmittel aller an den Kriegergemeinschaften beteiligten Akteure zu beschreiben ist: Gleich wie das von ihnen Geplünderte verteilt worden ist und ob dies überhaupt getan wurde – sicher ist, dass Akteure aus den differenten Siedlungsgemeinschaften, die an den Plünderungen beteiligt waren, erwerbend tätig wurden. Für die Frage nach der Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen ist daher an dieser Stelle zu betonen, dass die Anführer der Kriegergemeinschaften die Chance auf den Erwerb materieller Güter und Ressourcen durch das Plündern symbolisierten, wenn nicht sogar offerierten: Mit ihnen wurden die Chancen auf den Erwerb verbunden. Einen Zusammenhang zwischen dem Plündern und dem Fol-
418 „Mox Hispanias rex Gothorum Theudoricus cum ingenti exercitu suo, et cum voluntate et ordinatione Aviti imperatoris ingreditur.“ Hyd. chron.: 166 (173). Unklar ist auch, ob Avitus die zweite Gesandtschaft des Theoderich II. überhaupt gewollt hat. 419 Beispielsweise wurde nach der Niederlassung der eingewanderten Gemeinschaften, die Hydatius für 411 datiert, die Provinzen auf der Iberischen Halbinsel mehrfach geplündert. Der Bischof verzeichnet zwischen 411 und 455 insgesamt 16 Operationen mit Plünderungen. Die militärischen Operationen ohne eine konkrete Erwähnung von Plünderungen sind bei dieser Zählung nicht miteinbezogen. Dabei betrafen die Plünderungen die Tarraconensis fünf Mal: Hyd. chron.: 132 (140); 134 (142) und für die Plünderungen nordöstlichen Küstenregionen Cantabria und Vardullia zwei zusammenfassende Stellen 164 (171) und 165 (172). Die Carthaginensis vier Mal: Hyd. chron.: 77 (6); 79 (89); 126 (134) und 161 (168). Die Baetica zwei Mal: Hyd. chron.: 106 (114) und 126 (134). Die Lusitania ein Mal: Hyd. chron.: 80 (90) und die Gallaecia vier Mal: Hyd. chron.: 81 (91); 86 (96); 123 (131) und 129 (137).
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geleisten anzunehmen, ist daher plausibel. Für den Warlordism König Theoderichs II. heißt das, dass er direkt mit dem Plündern assoziiert ist: Optional konnten materielle Güter und Ressourcen akquiriert werden. Seine Handlungsfähigkeit lag dabei in der relativ einheitlich organisierten Gemeinschaft begründet, aus der er Folgeleistungen organisierte. Da die Folgeleistenden in ihrer Summe während der Erosion ein militärisches Mittel waren, war seine Position als ein integraler Aspekt der Handlungsfähigkeit anderer Positionsinhaber in der weströmischen Ordnung relevant. Die Aussagen zur Beziehung von Theoderich II. und Avitus verdeutlichen dies. Das Plündern blieb somit eine Erwerbsoption für Akteure aus der nun lokal verankerten Gemeinschaft. Das Kriegersein als ein Modus des Erwerbs von materiellen Gütern und Ressourcen war durch die Integration nicht einfach verschwunden. Zudem ist festzuhalten, dass Kriegergemeinschaften auch als ein militärisches Mittel für Neustrukturierungen die Diskursivität der Prozessdynamik indizieren und zugleich Erwerbsmittel der an ihnen Beteiligten sind. Da aber Aussagen über Plünderungen in Westgallien und besonders in Clermont durch westgotische Akteure zu dieser Zeit nicht vorhanden sind, bleibt zu fragen, ob nicht doch ein Versuch der Kanalisierung von Plünderungen durch Avitus zu sehen ist. Dazu muss erneut auf den analytischen Kontext verwiesen werden: Zwar gibt es keinerlei Quellenaussagen zu Plünderungen in Westgallien durch westgotische Akteure nach der Kaisererhebung des Avitus, aber diese gibt es auch für die Zeit kurz vor der Erhebung nicht. Im Gegenteil: Der Bruder des Königs von Toulouse wurde von weströmischen Repräsentanten damit beauftragt, bacaudae auf der Iberischen Halbinsel zu bekämpfen.420 Dies erlaubt vorsichtig zu formulieren, dass die Kanalisierung von Plünderungen sehr wohl versucht worden ist, aber Avitus ist nicht derjenige, der dies als erster anstrebte.421 Eine akute Notwendigkeit einer solchen Kanalisierung als Eindämmung ist aus den Aussagen kurz vor seiner Erhebung zum weströmischen Kaiser nicht zu erschließen. Ob es sich um einen solchen Versuch bei den militärischen Operationen der Jahre 455/6 handelt, muss in Anbetracht der Aussagenlage offen bleiben, auch wenn es nicht sehr wahrscheinlich ist. 1.2.2.2 Der Versuch der Rückgewinnung von materiellen Gütern und Ressourcen? Für die Beantwortung der Frage, inwieweit anhand der Aussagen von dem Versuch einer Rückgewinnung von materiellen Gütern und Ressourcen bei den militärischen Operationen von 455/6 für Avitus als weströmischen Kaiser zu sprechen ist, muss erneut auf die Aussagen zur Situation vor dem Beginn der militärischen Operationen auf die Iberische Halbinsel eingegangen werden. Wie ausgeführt, sind Aussagen über diplomatisch-normative Regelungsansätze in der Chronik des Hydatius vorhan-
420 Zeitnah, jedoch ortsfern Hyd. chron.: 150 (158). 421 Zeitnah, jedoch ortsfern Hyd. chron.: 52 (60); 55 (63); 59 (67) und 60 (68).
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den.422 Hinzu kommen einige Zeilen eines Gedichts des Sidonius Apollinaris.423 Diese Aussagen zu den Gesandtschaften kurz vor dem Beginn der Operationen stellen aber im analytischen Kontext keine Ausnahme dar. Die Versuche einer normativ-vertraglichen Integration der von einem König angeführten suebischen Gemeinschaft sind bereits zur Zeit des Aëtius betrieben worden.424 So begann beispielsweise Rechila, der Sohn des suebischen Königs Hermerich, nach der Erkrankung seines Vaters den Vertrag zu brechen, indem er Militäroperationen gegen einen lokalen Anführer425 durchführte, die mit umfangreichen Plünderungen einhergingen.426 Kurz darauf belagerte König Rechila den weströmischen comes Censurius zu Beginn der 440er Jahre in dem ummauerten Zentrum der civitas Mértola (Martylis) in der Provinz Lusitania,427 als dieser auf einer Gesandtschaftsreise zu der suebischen Gemeinschaft war, um sie zu befrieden.428 Die Iberische Halbinsel war zu dieser Zeit nicht zuletzt wegen ihrer geographischen Beschaffenheit zu einem Raum geworden, in dem unterschiedliche Anführer Handlungsfähig waren.429 Die Akteure aus der Siedlungsgemeinschaft um Toulouse wurden dabei auch in die Kämpfe einbezogen. Sie leisteten Anführern aus ihrer Siedlungsgemeinschaft und auch Repräsentanten der weströmischen Ordnung bei militärischen Operationen auf der Iberischen Halbinsel Folge und verrieten diese mehrfach. Zudem bemühte sich König Theoderich I. auf nichtmilitärischem Weg um einen Gewinn an Handlungsfähigkeit.430 Die Aussage über die Heirat seiner Tochter mit dem suebischen Anführer Rechiar zeigt dies deutlich.431 Während die suebischen Könige nach dem Abzug der vandalisch-alanischen Gemeinschaft unter Geiserich nach Nordafrika strukturelle Elemente auf der Halbinsel zum Teil neustrukturierten, war den weströmischen Repräsentanten am Rückgewinn von civitates gelegen. Dazwischen standen die Folgeleistenden aus der Siedlungsgemeinschaft von Toulouse. Deren König konnte zwar Folgeleistungen für die weströmischen Militäroperationen organisieren. Deren Dauer gegenüber weströmischen Repräsentanten war aber gering. Dies lässt sich so deutlich formulieren, da
422 Insgesamt für alle Aufzeichnungen des Hydatius nach 411 bis 455 zu den normativ-diplomatischen Bemühungen bezüglich der Iberischen Halbinsel Hyd. chron.: 52 (60); 86 (96); 88 (98); 91 (100); 103 (111); 105 (113) und 109 (117). 423 Zeitnah, jedoch ortsfern Sidon. carm.: 15.154–155. 424 Hyd. chron.: 86 (96), 88 (98), 91 (100) und 103 (111). 425 Es ist wahrscheinlich anzunehmen, dass es sich hierbei um einen aristokratischen Landbesitzer handelt. Vgl. Kulikowski, Spain: S. 180. 426 Hyd. chron.: 106 (114). 427 Vgl. Kulikowski, Spain: S. 181. 428 Hyd. chron.: 113 (121). 429 Überblickend Kulikowski, Spain: S. 176–196. 430 Hyd. chron.: 81 (91). 431 Hyd. chron.: 132 (140).
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Quellenuntersuchung
Aussagen über einen plötzlichen Verrat vorhanden sind, die mit Aussagen über Plünderungen der Folgeleistenden korrelieren.432 Die Quellenaussagen zu diplomatischen Bemühungen Theoderichs I. und der Hochzeit seiner Tochter mit Rechiar zeigen dann auch, dass von einer reinen pro-weströmischen Haltung Theoderichs I. nicht ausgegangen werden kann, auch wenn Theoderich I. an der großen Schlacht des Jahres 451 an der Seite des Aëtius teilnahm. Sein Sohn Theoderich II. handelte gemäß der Aussagenlage zu der Zeit kurz nach der Erhebung des Avitus wiederum pro-weströmisch; dies aber wegen seiner Beziehungen zu dem gallischen Aristokraten. Diese gesamte Aussagenlage verdeutlicht, dass die Diskursivität der Prozessdynamik der Erosion auch durch den Wechsel von Akteuren in Anführerpositionen der relativ einheitlich organisierten Gemeinschaften befördert wurde. Anhand der Aussagen zu Rechiar, dem Sohn des Rechila,433 der mit ihm Folgeleistenden Plünderungen nach dem Tod seines Vaters begann und somit wie sein Vater einen Vertrag brach,434 ist dies besonders gut zu erkennen. Dass das Plündern für das Organisieren von Folgeleistungen relevant war, lässt sich auch an diesen Aussagen wieder verdeutlichen.435 Nach diesen Aussagen gehen das Auftreten eines neuen Anführers, das Plündern und das Organisieren von Folgeleistungen augenscheinlich miteinander einher. Hinzu kommt in dem Gesamtkontext der Überlieferungslage zur Interaktion zwischen den westgotischen, den suebischen und den weströmischen Akteuren noch, dass Plünderungen in einem weiteren Sinne als relevant für das Organisieren von Folgeleistungen erfasst werden können: Zwar stellte der König von Toulouse Akteure bereit, doch leisteten sie den weströmischen Repräsentanten nicht dauerhaft Folge und kooperierten sogar mit zu Bekämpfenden, wenn die Chance auf den Erwerb durch Plünderungen bestand. Was bedeutet dies nun insgesamt für die Frage nach dem Versuch der Rückgewinnung von materiellen Gütern und Ressourcen? Die diplomatischen Bemühungen des weströmischen Kaisers Avitus sind ein Rückgriff auf ein Bündel von Interaktionstechniken, die auch von anderen Repräsentanten der weströmischen Ordnung benutzt worden sind, um auf der Iberischen Halbinsel an Handlungsfähigkeit zu gewinnen. Er selbst hatte solche auch schon vor seiner Zeit als Kaiser genutzt.436 Es ist aber auf der Grundlage der Quellen zusätzlich festzuhalten, dass König Theoderich II. dies auch tat.437 Die Informationen zu den ersten Gesandtschaften des Kaisers und des Königs,
432 Hyd. chron.: 69 (77) und Hyd. chron.: 126 (134). 433 Dazu Krautschick, Art. Rechiar: S. 208–209. 434 Hyd. chron.: 163 (170). 435 Tatsächlich stellt der Bischof Hydatius einen direkten Zusammenhang zwischen dem Plündern und dem Organisieren von Folgeleistungen bei der Nachfolge des Rechiar her: „Rechila rex Sueuorum Emerita gentilis moritur mense Augusto; cui mox filius suus catholicus Rechiarius succedit in regnum, nonnullis quidem sibi de gente sua emulis, sed latenter. Obtento tamen regno sine mora ulteriores regiones inuadit ad predam.“ Hyd. chron.: 129 (137). 436 Sidon. carm.: 7.241–295. 437 Hyd. chron.: 163 (170) und 165 (172).
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die offenbar parallel beim suebischen König anwesend waren, wurden auf eine Art literarisch verarbeitet, die eine Betonung normativer Regelungsversuche zwischen den beteiligten Akteuren zeigt.438 Unklar bleibt in dem Kontext aber vor allem, ob die zweite Gesandtschaft aus Toulouse ebenfalls vom Kaiser gewünscht oder veranlasst wurde.439 Allein für den Beginn der militärischen Operationen Theoderichs II. wird dann in der Chronik des Hydatius der Wunsch des Kaisers erwähnt und zusätzlich festgehalten, dass sie auf die Anweisung des Avitus erfolgten.440 Insofern ist es auf den ersten Blick durchaus möglich, von dem Versuch des Avitus auszugehen, jene Güter und Ressourcen zurückzugewinnen, die zuvor ungehindert von den Repräsentanten der weströmischen Ordnung über das Abgabensystem verwertet werden konnten, als die strukturelle Einheit der weströmischen Ordnung den geographischen Raum der Iberischen Halbinsel noch einheitlich umfasste. Die danach verfassten Aufzeichnungen des Bischofs umfassen dann Plünderungen der Folgeleistenden des Königs auf der Iberischen Halbinsel. Diese literarische Verarbeitung von Phänomenen und Informationen des Plünderns – es ist nicht klar, ob der Bischof die Plünderungen der Folgeleistenden des Königs von Toulouse selbst erlebte oder auf Informationen zu ihnen rekurrierte – sind als Indikatoren für eine Intensivierung der Effekte der sozioökonomischen Praktik auf die sesshafte Bevölkerung aufzufassen. Neben den suebischen Akteuren und den neu dazugekommen Folgeleistenden des Königs von Toulouse, treten auch noch andere plündernde Akteure auf.441 Es ist plausibel anzunehmen, dass sie sich aufgrund der Umverteilungseffekte durch die Plünderungen bildeten. Hier zeigt sich eine passive Relevanzart des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen. Für den Versuch der Rückgewinnung von materiellen Gütern und Ressourcen auf der Iberischen Halbinsel für die Position des weströmischen Kaisers waren diese Plünderungen problematisch. Hinzu kommt noch, dass Avitus mit den Operationen des Königs von Toulouse keine Handlungsfähigkeit gewann. Daher lässt sich festhalten: Avitus war auf der Basis seiner privaten Beziehungen zum Theoderich II. nach der Ermordung des Kaisers Petronius Maximus in die Position des weströmischen Kaisers gelangt. Die Beziehungen waren auch für die folgende Kooperation mit dem König bezüglich der Verhältnisse auf der Iberischen Halbinsel offensichtlich wichtig. Nach dem Beginn der Operationen Theoderichs II. auf der Halbinsel führte diese Kooperation nicht zu einem Rückgewinn an materiellen Gütern und Ressourcen für die Position des Kaisers. Die Chronik des Hydatius erlaubt es aber, die Operationen als befördernd für die Erosion der strukturellen Einheit der weströmischen Ordnung auf der Iberischen
438 Hyd. chron.: 163 (170). 439 Hyd. chron.: 165 (172). 440 „Mox Hispanias rex Gothorum Theudoricus cum ingenti exercitu suo, et cum voluntate et ordinatione Aviti imperatoris ingreditur.“ Hyd. chron.: 166 (173). 441 „In conventus parte Bracarensis latrocinantum depraedatio perpetratur.“ Hyd. chron.: 172 (179).
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Quellenuntersuchung
Halbinsel zu bezeichnen. Die Operationen erschwerten es Avitus sogar, die Kaiserposition weiter zu halten, da ihm die Folgeleistungen des Königs von Toulouse bei seinen Kämpfen im Jahr 456 nicht zur Verfügung standen. Derjenige, der durch diese Operationen auf der Iberischen Halbinsel an Handlungsfähigkeit gewinnen konnte, war Theoderich II. Als er von der Iberischen Halbinsel wohl 457 zurückkehrte, blieben einige ihm Folgeleistenden dort zurück;442 und die Sueben waren in zwei Fraktionen gespalten, die von je einem König angeführt wurden.443 Weitere Plünderungen444 führten dann zu lokaler Selbstorganisation von sesshaften Gemeinschaften gegen die plündernden Folgeleistenden des Königs und gegen die weiter plündernden suebischen Akteure.445 Zwar ist es eine Verkürzung der Quellenlage, die Operationen Theoderichs II. als einen reinen Gewinn an Handlungsfähigkeit des Königs bei einer gleichzeitigen Verstärkung des Schwindens der Handlungsfähigkeit der weströmischen Repräsentanten zu beschreiben, aber Maiorian, der Avitus in der Position des weströmischen Kaisers nachfolgte,446 war der letzte weströmische Kaiser, der die Iberische Halbinsel betrat;447 dagegen bleiben westgotische Anführer nach 456 auf der Halbinsel bis in das 8. Jahrhundert präsent.448 Natürlich war es den beteiligten Akteuren der Zeit nicht ersichtlich, was gegenwärtig Forschenden leicht klar wird, wenn die Quellenaussagen untersucht werden: Die militärischen Operationen Theoderichs II. führten letztlich dazu, dass die strukturellen Elemente auf der Iberische Halbinsel endgültig aus der strukturellen Einheit der weströmischen Ordnung erodierten und neu strukturiert wurden. Insofern erscheinen die Operationen, die aller Wahrscheinlichkeit noch 455 begonnen worden sind, schon als Anfang des Abschlusses der Erosion für den geographischen Raum der Iberischen Halbinsel insgesamt. Nach 461 erschien kein weströmisches Aufgebot mehr dort und es kam mit der Zeit zu weiteren Neustrukturierungen.449 Die überwiegend sesshafte Bevölkerung auf der Iberischen Halbinsel arrangierte gegen die plündernden Akteure zwischenzeitlich
442 Hyd. chron.: 179 (186). 443 Hyd. chron.: 181 (188). 444 Nach dem Tod des Avitus im Jahr 456 bis zur Ankunft des Maiorian im Jahr 460: Hyd. chron.: 179 (186); 181 (188); 183 (190) und 188 (193). Hier wurden nur die ausdrücklichen Aufzeichnungen zu Plünderungen auf der Iberischen Halbinsel berücksichtigt. Weitere Aufzeichnungen zu Kämpfen ohne die Erwähnung von Plünderungen nach 456 bis 460 wurden nicht berücksichtigt. 445 Hyd. chron.: 191 (196). In diesem Zusammenhang zur Rückkehr des Bischofs Sabinus aus dem Exil Hyd. chron.: 187 (192a). Dazu Kulikowski, Spain: S. 190 ff. 446 Vgl. Henning, Periclitans: S. 38 f. Zur Beteiligung des magister militum Rikimer an der Erhebung des comes domesticorum Maiorian zum weströmischen Kaiser Anders, Ricimer: S. 95–108. 447 Hyd. chron.: 195 (200). Dazu Henning, Periclitans: S. 147. 448 Vgl. Giese, Goten: S. 177 ff. 449 Zustimmend, wenn auch nicht unter einer umfangreichen Berücksichtigung der ökonomischen Mittel Kulikowski, Spain: S. 197–214.
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selbstständig.450 Somit wird hier erneut eine passive Relevanzart des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen erfassbar. Von einem Rückgewinn materieller Ressourcen ist also letztlich nicht zu sprechen. Dass die Rückgewinnung mit den Operationen von 455 angestrebt wurde, kann allerdings auch abseits der Frage nach den Motiven des Avitus plausibel formuliert werden. Schon auf der Basis der schlichten Zielrichtung der Operationen ist unter dem Bezug auf die Aussagen zu der Kooperation zwischen Avitus und Theoderich II. leicht zu verdeutlichen, dass sie den dortigen Verhältnissen galten und dass sie auch von Avitus akzeptiert waren. Da die Aussagen dazu erst nach den Aussagen zu den anfänglichen, normativ-diplomatischen Bemühungen bei dem suebischen König in der Chronik des Hydatius aufgezeichnet worden sind, kann formuliert werden, dass Informationen über einen Eingriffsversuch bezüglich der Verhältnisse auf der Iberischen Halbinsel literarisch verarbeitet worden sind. Die Annahme, dass in diesem Aussagenzusammenhang auch ein Versuch der Rückgewinnung materieller Ressourcen implizit ist, kann auch anhand der wenigen Zeilen aus dem bereits erwähnten Gedicht des Sidonius Apollinaris fundiert werden: Die Tarraconensis war durch einen Repräsentanten der weströmischen Ordnung auf diplomatischem Wege wiedererlangt worden. Ihre ökonomische Schädigung durch suebische Plünderungen im Vorfeld der Operationen des Königs von Toulouse ist zwar nicht als Neuerung zu bezeichnen. Die Aussagen zu der Schädigung durch Plünderungen kurz vor ihnen können aber ebenfalls zur Fundierung der Annahme herangezogen werden. Hinzu kommt, dass materielle Güter und Ressourcen Mittel waren. Avitus konnte solche Mittel in Clermont mit großer Wahrscheinlichkeit dazu nutzen, um militärisch gegen plündernde Akteure aus einer privaten Initiative heraus vorzugehen. Solche ökonomischen Mittel standen ihm in der Position des weströmischen Kaisers aber kaum zur Verfügung. Die Annahme der Möglichkeit der Rückgewinnung materieller Güter und Ressourcen für Avitus in der weströmischen Kaiserposition durch die militärischen Operationen in Kooperation mit dem König von Toulouse basiert auf der Summe all der thematisierten Aussagen.451
450 Für einen Friedensschluss zwischen suebischen Anführern und den Bewohnern der Gallaecia Hyd. chron.: 199 (204). Für den Konflikt der Bewohner der civitas Scallabis (heute Santarém?) mit dem comes Suniericus, einem Titelträger des Königs von Toulouse Hyd. chron.: 201 (206). Zur Identität der civitas Scallabis Kulikowski, Spain: S. 320. Für Gesandte aus der Gallaecia Hyd. chron.: 215 (219). Für Konflikte der Bewohner der Gallaecia mit suebischen Akteuren Hyd. chron.: 216 (220). Für die Bedrohung iberischer Aristokraten Hyd. chron.: 225 (229). Für den Konflikt zwischen suebischen Akteuren und den Bewohnern von Aunona Hyd. chron.: 229 (233) und Hyd. chron.: 235 (239). Zur Problematik der Lokalisierung der civitas Kulikowski, Spain: S. 200 f. Für den Verrat eines Administrators der civitas Ulixippona (Lissabon) an seiner Bevölkerung Hyd. chron.: 240 (246). Für den Frieden zwischen den Leuten von Aunona und dem König der Sueben Hyd. chron.: 243 (249). 451 Erneut zustimmend, wenn auch nicht unter einer umfangreichen Berücksichtigung der ökonomischen Mittel Kulikowski, Spain: S. 186–189.
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Quellenuntersuchung
1.2.3 Absetzung des Avitus und die Erosion der strukturellen Einheit der weströmischen Ordnung in Gallien Für die Fragestellung nach dem Versuch der Kanalisierung von Plünderungen festzuhalten: Solche Versuche waren vor der Zeit des Kaisers Avitus ganz offenbar vorhanden, wobei für ihn gemäß der Aussagenlage für die Zeit kurz vor seiner Erhebung und nach dieser keine Notwendigkeit zu einer solchen Maßnahme bestand. Für die Frage nach dem Versuch der Rückgewinnung materieller Güter und Ressourcen ist zu antworten: Es ist durchaus plausibel, dass dieser Versuch bestand. Beide Antworten führen jedoch nicht zu unmittelbaren Erklärungen452 für die Absetzung des Avitus. Zusätzlich sind seine Beziehungen zu den gallischen Aristokraten zu nennen. Nach der militärischen Niederlage des Kaisers Avitus bei Piacenza verlor er seine Position. Der comes domesticorum Maiorian wurde darauf mit der Unterstützung des magister militum Rikimer453 zum weströmischen Kaiser erhoben.454 Er hatte kurz nach seiner Erhebung nach Gallien reisen müssen, um sich dort mit den ortsansässigen Aristokraten zu befassen.455 Gründe dafür sind neben den Beziehungen des Avitus zu den gallischen Aristokraten und der damit verbundenen Negierung ihrer Handlungsoptionen456 die Prozessdynamik der Erosion, die auch nach dem Tod des Avitus weiter befördert worden ist: Maiorian konnte aus seiner Position als weströmischer
452 Eine mittelbare Erklärung liefern die Antworten jedoch. Avitus scheint offenbar nicht über genügend materielle Güter und Ressourcen verfügt zu haben. Zeitnah, jedoch ortsfern John of Antioch Fr. 202 = Exc. de Ins. 86 = Prisk. Frgt. 32 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 335 f.). Das Nichtgelingen ihrer Rückgewinnung für die Position des weströmischen Kaisers kann somit als ein mittelbarer Grund für die Absetzung geltend gemacht werden. Hinzu kommt, dass Avitus bei der Entscheidungsschlacht ganz offenbar nicht über genügend Folgeleistende verfügen konnten, um den Sieg zu erringen. Seine sozialen Beziehungen zu Theoderich II. hatten ihm zwar ermöglicht, in die Position des Kaisers zu kommen, doch konnte er über dessen Folgeleistende zum Zeitpunkt der Schlacht auch auf diese indirekte Weise nicht verfügen, da diese zu einem Großteil mit dem König von Toulouse auf der Iberischen Halbinsel agierten. Zum militärischen Potential auch die Angaben des Hydatius nach der Absetzung des Avitus. Hyd. chron.: 179 (186). 453 Der Annahme, Maiorian sei eine Marionette des magister militum Rikimer gewesen, ist nicht zu folgen. Dazu mit Bezügen zur Literatur, die diese Annahme beinhaltet Goltz, „Kaisermacher“: S. 548. 454 Dazu die zeit- und ortsnahen Aufzeichnungen Gall chron. 511: 68 (627–8) und mit kritischer Beachtung der Problematik der Datierung der Aufzeichnung Fast. vind. priores.: 583 s. a. 457. Zur Debatte über die Anerkennung des Maiorian durch den oströmischen Kaiser Leo I. und die damit verbundenen, zeitferneren Quellen Henning, Periclitans: S. 38–40. Dies kann als weiterer Indikator für das Fortschreiten der Erosion aufgefasst werden. Vgl. Harries, Sidonius: S. 82. 455 Für die Datierung der Ankunft des Maiorian in Gallien Henning, Periclitans: S. 139 und Mathisen, Resistance: S. 597. 456 Diese beiden Aspekte sind in den Aussagen des Sidonius Apollinaris zu der coniuratio marcellana zu lesen. Vgl. Max, Intrigue: S. 228 f. und ausführlich Mathisen, Resistance: S. 598–603. Dies gilt auch für die Aussagenlage zu der Usurpation der Position des praefectus praetorio galliarum. Dazu kritisch Mathisen, Resistance: S. 603 f. Den Aussagen weniger kritisch begegnend Henning, Pericli-
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Kaiser nicht umgehend auf die sozialen Beziehungen zurückgreifen, über die Avitus verfügte. Über aristokratische Kreise in Gallien erstreckten sie sich jedenfalls nicht.457 Jedoch erlauben die Aussagen zu seiner vorherigen Position als comes domesticorum anzunehmen, dass Maiorian solche Beziehungen im Militär hatte.458 Den lokal zu verortenden Sozialbeziehungen stehen in diesem Vergleich strukturgeförderte Sozialbeziehungen gegenüber. Diese dienten offenbar nicht dazu, innerhalb Galliens sofort unbedingte Anerkennung zu erlangen. Militärische Operationen waren notwendig.459 Unter Beachtung der Relation zwischen den beiden Arten der Aussagen zu sozialen Beziehungen des Avitus und des Maiorian ist nun die Aussagenlage zu Aegidius zu untersuchen, da in der gegenwärtigen Forschungsliteratur zu dieser Überlieferung umstritten ist, inwieweit Aegidius als Inhaber einer Position der erodierenden strukturellen Einheit der weströmischen Ordnung oder als privater Initiator militärisch in Gallien bis zu seinem Tode um 464/5 operiert hat. Im nächsten Unterkapitel wird sich dieser Quellenlage gewidmet.
1.3 Die Erosion der strukturellen Einheit der weströmischen Ordnung in Gallien: Gallien nach 456 bis zum Tod des Aegidius 464/5 Der Aussagenbestand zu der Operation des weströmischen Kaisers Maiorian in Gallien umfasst auch Aussagen, die im Zusammenhang mit den Quellen zu Aegidius diskutiert werden.460 Insgesamt sind die Aussagen zu ihm von relativ geringer Zahl.461
tans: S. 79. Der Usurpator Paeonius hatte wahrscheinlich erst gegen und dann für Maiorian agiert. Vgl. Mathisen, Resistance: S. 604. 457 Sein Geburtsort ist nicht zu lokalisieren. Die Herkunft seiner väterlichen und mütterlichen Familienmitglieder aus differenten Bereichen der beiden römischen Ordnungen ist erschlossen worden. Das Fehlen privat-lokaler Sozialbeziehungen und die Integration von Familienmitgliedern in die strukturelle Einheit der weströmischen Ordnung während ihrer Erosion sind ebenfalls sicher. Vgl. Henning, Periclitans: S. 36 f. 458 Vgl. Henning, Periclitans: S. 38. 459 Zeit- und ortsnah Sidon. carm.: 5.574–585. Dazu Mathisen, Resistance: bes. S. 604–614. 460 Dies betrifft vor allem Aussagen zum Verhältnis zwischen Maiorian und Aegidius, sowie zu den Titeln des Zweitgenannten und dessen militärischen Operationen zu Beginn der Regierung des Maiorian als weströmischer Kaiser. Vgl. Mathisen, Resistance: S. 607–610 und S. 614–618. 461 Aussagen von Autoren, die zugleich zeit- und ortsnah geschrieben haben, sind kaum vorhanden. Dies gilt insgesamt für Nordgallien und nicht nur für die Aussagenlage zu Aegidius. Die zeitlich und örtlich nahesten Aussagen verfasste der Dichter Paulinus von Périgueux, der eine Vita des heiligen Martin von Tours schrieb, die wohl in den 470er Jahren entstand. Die Aussagen zu Aegidius in dem Text sind jedoch weder von großer Zahl, noch eindeutig. Es handelt sich um zwei Stellen. Dazu MacGeorge, Warlords: S. 71–81 und S. 86 f. Zu der Datierung der Vita Hosius/Krüger/Schanz, Literatur Teil 4 Bd. 2: S. 376 f.
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Quellenuntersuchung
Daher gibt es in der aktuellen und älteren Forschungsliteratur zu der Herkunft, den Handlungen und den sozialen Beziehungen sowie zu seinem Verhältnis zur erodierenden strukturellen Einheit der weströmischen Ordnung und ihren Repräsentanten Annahmen,462 deren Plausibilität es bei der folgenden Untersuchung zu erfragen gilt. In diesem Unterkapitel wird es daher um zwei Fragenkomplexe gehen. Der erste tangiert die soziale und geographische Herkunft des Aegidius. Der zweite Komplex umfasst Fragen nach sozialen Beziehungen und nach dem Verhältnis zur weströmischen Ordnung und ihrer Repräsentanten. Hierbei wird es um die Titel des Aegidius gehen und die Frage, inwieweit diese für das Organisieren von Folgeleistungen wichtig waren. Außerdem stehen die sozialen Beziehungen zu den Anführern Agrippinus und Childerich I. im Mittelpunkt. Nach diesem analytischen Kontext wird es um die weitere Präzision des analytischen Terminus Warlordism gehen: Nachdem anfänglich auf den Warlordism der mit Titel bezeichneten Anführer eingegangen worden ist, werden in einem weiteren Schritt auf der Basis der bisherigen Quellenuntersuchung zwei bisher angesprochene Formen des Warlordism in Relation zu ihm vertiefend präzisiert. Die mit diesem Terminus verbundenen Möglichkeiten für eine quellenkritische Untersuchung werden dabei thematisiert und auf der Deutungsebene aufbereitet. Die Frage nach der Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen wird für die Bildung der einzelnen analytischen Kontexte in diesem Unterkapitel modifiziert. Dies ist damit zu begründen, dass Aussagen zu Plünderungen im Aussagenbestand zu Aegidius kaum vorhanden sind. Die Aussagen lassen sich jedoch auch hinsichtlich der Relevanz materieller Güter und Ressourcen für das Organisieren von Folgeleistungen untersuchen, was unter der Berücksichtigung der Umverteilungseffekte des Plünderns und den passiven Relevanzarten aufschlussreich ist. Das ökonomische Potential der Landgüter und der civitates in Gallien wird dabei als Aspekt der Relevanz für das Organisieren von Folgeleistungen berücksichtigt.
1.3.1 Geographische und soziale Herkunft des Aegidius Die Forschungsannahme, Aegidius entstamme einer aristokratischen Familie aus Gallien wird mit Aussagen zweier Autoren begründet. Für die geographische Herkunft wird ein Fragment verwendet, das Priskos zugeschrieben wird.463 Die Annahme
462 Dazu überblickend Frye, Aegidius: S. 2–8. 463 Zeitnah, jedoch ortsfern Exc. de Leg. Gent. 14 = Prisk. Frgt. 39.1 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 343).
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zur sozialen Herkunft des Aegidius ist weit konstruierter. Im zweiten Buch der decem libri historiarum des Bischofs Gregor ist zu lesen, dass der Sohn des Aegidius den Namen Syagrius trug.464 Hieraus wird geschlossen, dass Aegidius der aristokratischen Familie der Syagrii entstammte,465 die in der civitas Lyon wahrscheinlich umfangreich begütert war.466 Diese Annahme findet innerhalb der Forschungsdebatte zu Aegidius insgesamt weitgehend Anerkennung,467 obgleich die Quellenaussagen und die darauf aufbauenden Konstruktionen, nicht unproblematisch sind. Abseits der genannten Autoren ist festzuhalten, dass Sidonius Apollinaris, der zeit- und ortsnah Briefe und Gedichte verfasste, Aegidius gar nicht erwähnt.468 Dagegen schrieb Priskos zwar zeitnah, aber ortsfernen und Gregor von Tours wiederum ortsnah, aber zeitfern. Es ist also nach den Rekursen der Autoren zu fragen. Dass sie Phänomene literarisch verarbeiteten, ist mit Sicherheit auszuschließen.469 Die Quellen des Priskos bezüglich des Geschehens im Westen sind nicht mehr zu eruieren.470 Zumindest ist die angegebene geographische Herkunft – neben den zeitnahen
464 Dazu zeitfern, jedoch ortsnah: „Mortuus est autem Egidius et reliquit filium Syagrium nomine.“ Greg. hist.: 2.18 und: „ Anno autem quinto regni eius Siacrius Romanorum rex, Egidi filius, apud civitatem Sexonas, quam quondam supra memoratus Egidius tenuerat, sedem habebat.“ Greg. hist.: 2.27. Die Aussagen Gregors sind in diesem Zusammenhang immer ortsnah, jedoch zeitfern verfasst. 465 Vgl. Heinzelmann, Prosopographie: S. 699. 466 Der Landbesitz in der civitas ist aus mehreren Quellen zu erschließen; jedoch gibt es hierzu keine eindeutigen Aussagen. Vgl. MacGeorge, Warlords: S. 82, Anm. 3. Der wohl deutlichste Beleg für einen umfangreichen Landbesitz in der civitas ist in einer Heiligenvita zu finden, in der über eine Witwe namens Syagria erzählt wird, die Summen ihres Privatvermögens dazu aufwendete, Gefangene freizukaufen. Die Vita wurde von Ennodius von Pavia um das Jahr 500 verfasst. Er war der Nachfolger des Epiphanius als der Bischof dieser civitas. Es ist daher plausibel, dass die Rekurse des Autors in der sozialen Beziehung gegeben sind. Auch begeleitete er Epiphanius auf reisen. Vgl. Wattenbach und Levison, Gesichtsquellen: S. 73 f. Vita Epiphanii Ennodio: 173. Zu Syagria Heinzelmann, Prosopographie: S. 698 sowie Mathisen, Aristocrats: S. 53 f. und S. 101. Für den Landbesitz eines Mannes mit Namen Syagrius im letzten Drittel des 5. Jahrhunderts in der Nähe von Lyon zeit- und ortsnah Sidon. ep.: 5.5 und Sidon. ep.: 8.8. Dazu Mathisen, Resistance: S. 608 f. Die Aussagen des Sidonius Apollinaris sind weitestgehend orts- und zeitnah verfasst worden. 467 Zur expliziten Entfaltung der Annahme in der älteren Literatur Stroheker, Adel: S. 141 f. Zur weiterhin bestehenden Aktualität der Annahme Frye, Aegidius: S. 5 und MacGeorge, Warlords: S. 82 f. 468 Dies ist auffällig, da Aegidius nach Priskos Maiorian Folge geleistet haben soll. Dazu Exc. de Leg. Gent. 14 = Prisk. Frgt. 39.1 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 343). Sidonius erwähnt aber Aegidius auch in seinem panegyricus für den weströmischen Kaiser Maiorian nicht. Vgl. Harries, Sidonius: S. 247 f. 469 Vgl. MacGeorge, Warlords: S. 77. Dass Gregor Aegidius nicht mehr persönlich kannte, ergibt sich aus seinem Geburtsdatum. Dazu Heinzelmann, Gregor: S. 27. 470 Die Rekurse des Priskos auf die Informationen zum Westen sind kaum nachzuvollziehen. Seine Quellen für seine Aussagen sind vollkommen unbekannt. Vgl. Blockley, in: ed. Blockley, Historians Bd. I: S. 67 ff.
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Quellenuntersuchung
Aussagen471 zum Operationsgebiet des Aegidius472 – mit der Namensverbreitung in Gallien473 zu plausibilisieren. Für die angeführte Aussage Gregors zu der verwandtschaftlichen Verbindung des Aegidius ist festzuhalten, dass er der früheste Autor ist, der diese Vaterschaft erwähnt. Dass er diese Information aus den „Annalen von Angers“ oder den „Annalen von Arles“ gewonnen hat, ist nur schwer zu verteidigen. Dies hat mehrere Gründe: Zum einen ist die Existenz der Texte nicht gänzlich zu beweisen. Die Annahme ihrer Existenz resultiert aus der Beobachtung, dass Gregor einige Informationen für wenige geraffte Aussagen gewonnen haben könnte, die von Autoren in den Regionen von Angers und von Arles verfasst worden sein könnten. Vielleicht waren die Autoren aber auch nur über das Geschehen dort informiert.474 Zum anderen umfassen die Aussagen Gregors den Namen Syagrius an dieser Stelle nicht. Ein comes Paulus ist mit diesen Aussagen – für die ein Rekurs auf die Annalentexte angenommen wird475 – als militärischer Anführer in den regionalen Konflikten Nordgalliens erzählt.476 Dass Gregor die Information über die Vaterschaft des Aegidius durch mündliche Überlieferung erhalten hat, ist möglich, jedoch ist auch diese Annahme genauso wie die Existenz der Annalentexte letztlich nicht zu verifizieren. Festzuhalten bleibt also, dass Gregor der erste ist, der von einem Sohn des Aegidius mit Namen Syagrius erzählt. Da aber die aristokratische Abstammung des Aegidius auf dem Namen seines Sohnes aufbaut, der erst knapp hundert Jahre nach seinem Tod genannt wird, ist die Annahme über die soziale Herkunft des Aegidius auf eine sehr dünne Aussagenlage gestützt. Die Annahme ist in Kombination mit der Aussage des Priskos zu seiner gallischen Herkunft zwar vereinbar. Sie ist aber
471 Die zeitnäheren Autoren Hydatius, Paulinus von Périgueux und der/die Autor(en) der Gallischen Chronik von 511 sind auch räumlich näher an dem geographischen Bereich, in dem Aegidius militärisch operiert hat. Die Aussagen des Hydatius sind in diesem Kontext immer zeitnah, jedoch ortsfern verfasst. 472 Die zeitnahen, jedoch ortsfernen Aufzeichnungen aus der Chronik des Hydatius lassen darauf schließen, dass Aegidius im südwestlichen Gallien militärisch operierte. Hyd. chron.: 212 (217) und Hyd. chron.: 214 (218). Für die konkrete Lokalisierung der Kämpfe Wolfram, Goten 2001: S. 185 ff. Zu dieser Lokalisierung zusätzlich zeit- und ortsnah Gall. chron. 511: 73 (638). In diesem Zusammenhang auch Paulinus von Périgueux, De Vita Sancti Martini: 6. Möglicherweise sind die Aussagen so zu deuten, dass Aegidius auch bei Arles kämpfte. Zur Problematik der Lokalisierung der in dieser Stelle angegeben Orte, die auf die im Jahr 1734 publizierte Schrift „Histoire critique de l’établissement de la monarchie française dans les Gaules“ des französischen Gelehrten Jean-Baptiste Dubos zurückzuführen ist. Vgl. MacGeorge, Warlords: S. 88, Anm. 29. Aussagen zu Kämpfen unter der Beteiligung des Aegidius bei Chinon sind nur einer zeitferneren, jedoch ortsnahen Quelle zu entnehmen. Greg. glor. conf.: 22. 473 Vgl. MacGeorge, Warlords: S. 82, Anm. 4 und Frye, Aegidius: S. 5, Anm. 16. 474 Vgl. Wattenbach und Levison, Geschichtsquellen: S. 106 f. 475 Vgl. Frye, Aegidius: S. 3 f. und S. 12 sowie MacGeorge, Warlords: S. 104. 476 Greg. hist.: 2.18.
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auch mit dieser Aussage nicht zu fundieren: Eine aristokratische Abstammung des Aegidius wird nicht erwähnt. Es wird in dem Fragment erwähnt, dass Aegidius Maiorian bei militärischen Operationen Folge geleistet hat.477 Zwar wird von weiteren zeitnahen Autoren dargelegt, dass Aegidius angesehen und christlich war,478 doch mit diesen Aussagen ist die Annahme seiner aristokratischen Abstammung kaum besser zu fundieren. Während also Aussagen zu der Beziehung zwischen Maiorian und Aegidius als Aspekt der Handlungen des Zweitgenannten vorhanden sind, fehlen zeitnahe Aussagen zu seiner aristokratischen Abstammung und damit verbundenen Beziehungen gänzlich. Die Aussagenlage erinnert an Avitus und Maiorian: Zwar ähneln sich die Aussagen zu ihren Erhebungen dahingehend, dass beide Akteure durch soziale Beziehungen in die Position des weströmischen Kaisers kamen, doch waren die des Avitus aristokratisch-privater und die des Maiorian strukturell-militärischer Art. Die zweite Beziehungsart ist auch für Aegidius gegeben. Hinzu kommt, dass Maiorian zu Beginn seiner Regierungszeit in regionale Konflikte mit gallischen Aristokraten geraten war, die dann zu militärischen Operationen gegen die civitas Lyon führten, an der Aegidius beteiligt gewesen sein soll.479 Angenommen, Aegidius sei tatsächlich ein Mitglied der Familie der Syagrii gewesen und diese hätte tatsächlich auch in dieser civitas umfangreichen Landbesitz gehalten, dann hätte sich Aegidius hier offenbar gegen seine Familienmitglieder oder zumindest die Interessenslage in seiner patria480 und für einen Akteur aus dem militärischen Apparat der weströmischen Ordnung entschieden. Dies stellt nicht nur in Frage, dass er ein Mitglied dieser Familie – zumindest zu dieser Zeit – war, sondern auch, dass die Syagrii in der civitas Lyon umfangreichen Landbesitz gehabt haben,481 der auch für die Handlungsfähigkeit des Aegidius nicht unwichtig gewesen sein konnte. Dass Aegidius die civitas Lyon als militärischer Anführer entsetzt habe, ist eine weitere Annahme, auf die weiter unten noch eingegangen wird. Erstmal ist zu beach-
477 Zeitnah, jedoch ortsfern Exc. de Leg. Gent. 14 = Prisk. Frgt. 39.1 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 343). 478 Paulinus von Périgueux, De Vita Sancti Martini: 6.111–112 und Hyd. chron.: 214 (218). 479 Sidon. carm.: 5.565–582. Für die Annahme, Aegidius habe die civitas Lyon im Auftrag des weströmischen Kaisers Maiorian entsetzt Mathisen, Resistance: S. 607–610. Mathisen sieht in der Annahme über die Herkunft des Aegidius aus einer aristokratischen Familie aus Lyon eine Begründung dafür, warum gerade er vom Kaiser zur Befreiung der civitas gesandt wurde. Die Aussage des Sidonius, der magister epistolarum Petrus habe die Folgeleistenden zum Sieg gegen die Bewohner von Lyon und ihre Unterstützer geführt, hält Mathisen für veraltet und unhaltbar. Vgl. Mathisen, Resistance: S. 609, Anm. 52. Tatsächlich muss aber jemand, der eine nichtmilitärische Position innehatte, nicht bar jeder militärischen Erfahrung gewesen sein. Beispielsweise bekleidete auch Kaiser Avitus vor seiner Erhebung zivile Positionen, war aber sehr wohl auch militärisch erfahren. 480 Zum Wort patria und zu seinem zeitgenössischen Verständnis Harries, Sidonius: S. 30–34. 481 Zeit- und ortsnah Sidon. ep.: 5.5 sowie Sidon. ep.: 8.8. Für die spätere Zeit gibt es dafür deutlichere Belege. Dazu zeitfern, jedoch ortsnah Vita Epiphanii Ennodio: 173.
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ten, dass bei dieser Annahme impliziert wird, Aegidius sei zu dieser Zeit mit dem Titel des magister militum per gallias ausgezeichnet gewesen und habe dadurch eine Position innerhalb der erodierenden strukturellen Einheit der weströmischen Ordnung in Gallien gehabt.482 Daraus ergibt sich für die folgende Untersuchung, dass beachtet werden muss, inwieweit diese und andere Aussagen zu dem Titel des Aegidius es erlauben, ihn als militärischen Anführer in einer strukturellen Position aufzufassen. Dies mag in Anbetracht der Beobachtung, dass die Beziehungen zwischen Maiorian und Aegidius gemäß der Aussagenlage auf der Deutungsebene tendenziell als strukturell-militärisch zu bezeichnen sind, nicht sinnvoll erscheinen. Jedoch ist festzuhalten, dass die diskursive Prozessdynamik der Erosion kein abruptes Ende auszeichnet. Es ist daher durchaus plausibel anzunehmen, dass sich eine soziale Beziehung innerhalb struktureller Positionen ergab, konservierte und dann auch weiter bestand, als schon keine strukturellen Positionen mehr vorhanden waren.
1.3.2 Titel und die damit verbundenen strukturellen Positionen als Grundlage für das Organisieren von Folgeleistungen? Wie bereits festgehalten, waren differente Mittel für Neustrukturierungen während der Erosion relevant. Das militärische Engagement des weströmischen Kaisers Maiorian in Gallien kurz nach seiner Erhebung zeigt, dass der Prozess auch innerhalb Galliens nach der Absetzung des Avitus intensiviert worden ist. Dass er auch die Positionen der weströmischen Ordnung in Gallien betraf, zeigt sich an den Aussagen zum praefectus praetorio galliarum Arvandus483 und zu484 Seronatus.485 Diese beiden Titelträger erfüllten den von anderen weströmischen Repräsentanten an sie gestellten Erwartungshorizont nicht.486 Die Vorfälle wurden aber erst nach dem Tod des Aegidius bekannt.
482 So bei Mathisen, Resistance: S. 607 ff.; Henning, Periclitans: S. 81 f. und Frye, Aegidius: S. 4. Kritischer dazu MacGeorge, Warlords: S. 83 ff. und Harries, Sidonius: S. 86. 483 Die Aufteilung Galliens zwischen dem König von Toulouse und den Königen der Burgunder war in einem Geheimbrief, der während des Verfahrens gegen Arvandus vorlag und dessen Urheberschaft durch seine Sekretärin bezeugt wurde, vom Präfekten angestrebt. Arvandus gab bei dem Verfahren die Urheberschaft zu und wurde zum Tode verurteilt. Dazu Sidon. ep.: 1.7.5 und Sidon. ep. 1.7.12. 484 Es ist nicht sicherzustellen, ob Seroantus den Titel vicarius septem provinciae oder den Titel rationalis per quinque provincias führte. Vgl. Henning, Periclitans: S. 95. 485 Die Aktivitäten des Seronatus werden von Sidonius Apollinaris in seinen Briefen erwähnt. Er nutzte seine Position, um sich den materiellen Besitz anderer Bewohner im Südwesten Galliens gewaltsam anzueignen. Sidon. ep.: 2.1–3. 486 Vgl. Teitler, Gaul: S. 309 ff.
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Für ihn ist bei Priskos eine ähnliche Diskrepanz von Erwartung und Handlungen nach dem Tod des Kaisers Maiorian im Jahr 461487 erzählt. Dort heißt es, dass Aegidius wegen der Ermordung des Maiorian auf das Betreiben des Rikimer und wegen der Erhebung des Libius Severus488 zum weströmischen Kaiser gegen das Zentrum der weströmischen Ordnung in Italien opponierte. Ein Titel wird dabei nicht erwähnt.489 Es ist bereits an dieser Stelle festzuhalten, dass gemäß diesen Aussagen nicht mehr davon ausgegangen werden kann, dass Titel allein das Organisieren von Folgeleistungen beförderten. Auch hatte Aegidius nach der Ermordung des Maiorian keine Position innerhalb der erodierenden strukturellen Einheit mehr inne, denn er versuchte gegen ihr Zentrum vorzugehen. Da die Aussagen aber weit von Gallien entfernt verfasst worden sind und unbekannt ist, woher Priskos die Informationen hat, sind sie ohnehin kritisch zu betrachten. Dabei darf nicht übersehen werden, dass der ortsnähere Hydatius Aegidius auch nach dem Jahr 461 als Titelträger ausweist. Er nennt Aegidius comes490 und comes utriusque militiae.491 Das spricht dafür, dass Aegidius weiterhin eine Position in der erodierenden strukturellen Einheit innehatte. Weitere Aussagen, die dafür sprechen, liefern zeitferne aber doch ortsnahe Autoren. Die früheste Aussage, dass er den Titel des magister militum gehabt haben soll, stammt aus der Vita des heiligen Lupicinus,492 die in den 520er Jahren verfasst wurde.493 Gregor von Tours erzählt noch später, dass Aegidius den Titel von Maiorian erhalten habe.494 Diese Aussage erlaubt wiederum anzunehmen, dass die Aussage des Priskos bezüglich der oppositionellen Haltung gegenüber dem Zentrum der weströmischen Ordnung in Italien nach der Ermordung des Maiorian nicht vollkommen fiktiv ist. Doch führt dies erneut zu der Feststellung, dass Aegidius dann keine Position innerhalb der weströmischen Ordnung nach 461 mehr gehabt haben kann, da er eben gegen ihr Zentrum opponierte. Allein diese unterschiedlichen Nennungen der Titel des Aegidius zeigen: Zu seiner Zeit war die Erosion der weströmischen Ordnung in Gallien bereits derart inten-
487 Er wurde auf das Betreiben des Rikimer nach seiner Rückkehr in Italien ermordet. Zur Diskussion der Quellen Anders, Ricimer: S. 143–155. 488 Überblickend zu Libius Severs Henning, Periclitans: S. 40–42. 489 Zeitnah, jedoch ortsfern Exc. de Leg. Gent. 14 = Prisk. Frgt. 39.1 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 343). 490 Hyd. chron.: 212 (217). 491 Hyd. chron.: 214 (218). 492 Vita Lucipini: 2.11. 493 Vgl. Vivian, in: ed. Burton Russell/Vivian/Vivian: Jura Fathers: S. 51. Da der Autor Eugendus ihn noch persönlich kannte, ist zu vermuten, dass orale Überlieferung eine der wichtigsten Quellen für seine Erzählungen zum Leben des Lucipinus war. Eugendus war Lucipinus als Abt des Klosters Condat nachgefolgt. Daher ist der Text des Autors sicherlich von christlichen Deutungen geprägt, durch welche die literarischen Verarbeitungen gestaltet worden sind. 494 „Cui Martianus successit. In Galliis autem Egidius ex Romanus magister militum datus est.“ Greg. hist.: 2.11.
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siv vorangeschritten, dass offensichtlich schon nicht mehr exakt bestimmt werden konnte, welchen Titel Aegidius überhaupt hatte. Abseits der Frage, ob oder inwieweit er wegen der Ermordung des Maiorian unabhängig in Gallien handelte, kann allerdings festgehalten werden, dass er Folgeleistungen zu organisieren vermochte. Wenn Aegidius aber nach 461 gegen das Zentrum in Italien opponierte, ist er nicht mehr einfach als ein Inhaber einer strukturellen Position der weströmischen Ordnung zu bezeichnen. Da für ihn aber nach 461 Titelbezeichnungen gegeben sind, die zudem zeitnah verfasst wurden, ist dies nicht als sicher aufzufassen. Jedoch müssen auch diese Bezeichnungen nicht auf das Innehaben einer solchen Position schließen lassen. Gerade der Gebrauch der Bezeichnung comes in der Chronik des Hydatius sagt kaum etwas über die damit zu verbindende Position aus.495 Die Bezeichnung comes utriusque militiae ist für hochrangige Militärführer der weströmischen Ordnung überhaupt nicht gebräuchlich;496 und die zeitliche Distanz der Autoren, die Aegidius als magister militum bezeichnen, lässt daran zweifeln, dass Aegidius die mit dem Titel verbundene Position je innehatte. Zeitlich nähere Autoren schreiben dies nicht. Angenommen, den Aussagen Gregors und des Autors der Vita des Lucipinius würde zugestimmt, können deshalb nicht die zeitnäheren Aussagen zu den militärischen Operationen des Aegidius ausgeblendet werden. Nicht nur, dass er sich nach 461 um Bevölkerungsteile in Gallien bemühte, indem er gegen einen Akteur vorging, der zumindest vermeintlich ein weströmischer Repräsentant war.497 Auch gegen Akteure aus den in Gallien siedelnden, relativ einheitlich organisierten Gemeinschaften der reges operierte er militärisch.498 Wenn also nun angenommen wird, Aegidius
495 Dazu Claude und Timpe: Art. Comes: S. 63–68. 496 Die Titelbezeichnungen magister utriusque militiae oder comes et magister utriusque militiae gab es in der römischen Tradition. Beide ähneln der Bezeichnung comes utriusque militiae. Zu dieser sehr ungewöhnlichen Verschreibung Maier, Amtsträger: S. 193 und Anders, Ricimer: S. 419 f. Hydatius verwendet auch an anderen Stellen in seiner Chronik ungenaue Bezeichnungen. So wird Nepotianus als magister militae und als comes bezeichnet, wobei der Titel comes et magister utriusque militiae diese beiden Bezeichnungen in sich fasst. Vgl. Heinzelmann, Prosopographie: S. 656 und MacGeorge, Warlords: S. 84. 497 Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Agrippinus ein Repräsentant der weströmischen Ordnung vor der Zeit des Kaisers Libius Severus war. Vgl. MacGeorge, Warlords: S. 99; Harries, Sidonius: S. 99 und Henning, Periclitans: S. 86. 498 Zeit- und ortsnah Gall. chron. 511: 73 (638) und zeitnah, jedoch ortsfern Hyd. chron.: 214 (218). Dazu auch zeitfern, jedoch ortsnah Mar. aven. chron.: 463. Über Marius von Avenches-Lausanne ist relativ wenig bekannt. Er wurde 530 oder 531 in Autun (Augustodunum) geboren. Diese civitas lag im Einflussgebiet der burgundischen Könige. Vgl. Kaiser, Burgunder: S. 55. Im Jahr 574 wurde er zum Bischof von Avenches (Aventicum) ordiniert. Der Sitz des Bistums wurde dann später nach Lausanne (Lousanna) verlegt. Er starb 594. Vgl. Favrod, in: ed. Favrod, Marius d’Avenches: S. 14 ff. Die von Marius verfasste Chronik beginnt 455 und endet 581. Sie ist eine Fortsetzung der Chronik des Prosper Tiro. Es gilt als sicher, dass der Bischof Quellentexte für die frühen Jahresangaben in seiner Chronik verwendet hat. Vgl. Favrod, sources: S. 2–12.
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habe die Position des magister militum innegehabt,499 kann dies in Anbetracht der übrigen Aussagen nur zur Zeit des Kaisers Maiorian gewesen sein. Diese Annahme ist aber wiederum mit den Aussagen zu kontrastieren, die zu der militärischen Operation des Kaisers gegen die Bewohner von Lyon sowie ihre Verbündeten verfasst worden sind. Da Aegidius aus dieser civitas stammen soll, ist eine der beiden Annahmen zumindest zu bezweifeln. Der Name, der mit den Aussagen zu den Konflikten des Aegidius unweigerlich verbunden ist, ist Agrippinus. Auf die Annahme der Konkurrenz zwischen ihm und Aegidius wird im Folgenden detailliert eingegangen. Für die Frage, inwieweit Aegidius als militärischen Anführer in einer strukturellen Position aufzufassen ist, muss festgehalten werden, dass die Quellenlage derart uneindeutig ist, dass ein Geflecht von Annahmen entstand: Diese sind auf der Grundlage der Quellenaussagen nicht mehr in einen widerspruchsfreien Zusammenhang zu bringen. Sicher erscheint jedoch, dass Aegidius nach der Ermordung des Maiorian gegen das Zentrum in Italien opponierte. Die Aussage des Priskos ist im analytischen Kontext mit anderen Aussagen von Autoren zu plausibilisieren, die räumlich näher gearbeitet haben und Informationen zu militärischen Operationen des Aegidius sowie Konflikten mit Agrippinus verarbeiteten. Da Aegidius bis zu seinem Tod Folgeleistungen organisieren konnte und daher in der Lage war, in Gallien militärisch zu operieren, kann zum einen formuliert werden, dass er deswegen nicht unbedingt als Inhaber einer strukturellen Position aufgefasst werden muss. Auch wenn die militärischen Erfolge des Aegidius vor dem Jahr 461 nur schwer einzuschätzen sind,500 ist hierin Potential für das Organisieren von Folgeleistungen zu vermuten.501 Er mag eine strukturelle Position der weströmischen Ordnung anfänglich innegehabt haben. Als nichtstrukturgebundener Akteur ragte er wegen dieser Erfolge dann möglicherweise heraus. Die Erfolge wären schließlich von ihm erlangt worden und nicht von den Titeln und den damit verbundenen Strukturpositionen. Dass Aegidius 461 bereits ein erfahrener Militäranführer war und deswegen Folgeleistungen organisiert haben kann, ist ebenfalls plausibel. Hinzu kommt für die Formulierung der Annahme zur Position des Aegidius, dass die zeitnahen Aufzeichnungen des Hydatius zu seinen Titeln keinen eindeutigen Rekurs auf die traditionellen Bezeichnungen von Strukturpositionen erkennen lassen. Die zeitferneren Aussagen
499 Vgl. Demandt, Art. Magister Militum: Sp. 687–691. 500 Sein Engagement bei der Rückeroberung der civitas Lyon ist nicht sicher. In den Quellen fehlt sein Name in diesem Kontext ganz. Vgl. Harries, Sidonius: S. 86. Ebenso ist seine Teilnahme an der Belagerung von Arles nicht sicher. Vgl. MacGeorge, Warlords: S. 88. 501 Bereits in dem Kapitel zu den „Hunnen“ ist mehrfach darauf verwiesen worden, dass militärische Erfolge für das Organisieren von Folgeleistungen gegenüber einem Anführer wichtig sind. Für Aegidius ist es strittig, dass er über Landgüter verfügen konnte. Erneut MacGeorge, Warlords: S. 82, Anm. 3. Es ist daher plausibel, auf der Basis der unklaren Quellenlage anzunehmen, dass sein militärischer Erfolg für das Organisieren von Folgeleistungen auch nach 461 wichtig war.
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vereinigen die Problemstellungen, welche auch die zeitnahen Aussagen des Priskos und des Hydatius mit sich führen: Weder ist die Frage danach, woher die Autoren ihre Informationen hatten, zu klären, noch ist klar, inwieweit die Autoren mit dem Titel magister militum eine strukturelle Position zu beschreiben versuchten und nicht etwa einfach aus der Tradition der Bezeichnungen der weströmischen Ordnung schöpften, um Aegidius als militärischen Anführer gemäß ihrer Vorstellungen adäquat zu bezeichnen. Dass er diesen Titel und die so bezeichnete Strukturposition zur Zeit des Maiorian innehatte, ist somit nicht gänzlich zu bestreiten. Insgesamt indizieren die wenigen Aussagen zu Aegidius die diskursive Prozessdynamik in zweierlei Hinsicht: Zum einen im Rekurs der Autoren auf die militärischen Operationen des Aegidius, deren Informationen unter dem Bezug auf eine traditionelle Bezeichnung literarisch verarbeitet worden sind und zum anderen in der literarischen Verarbeitung von Informationen zu seinen Handlungen nach dem Tod des Maiorian. Letztlich ist nach der Untersuchung festhalten: Aegidius war ein militärischer Anführer innerhalb Galliens, der nicht immer in einer strukturellen Position operierte. Es ist möglich, dass er zur Zeit des Maiorian eine solche hatte. Nach seinem Tod ging er aber militärisch in der Art vor, dass nicht mehr davon auszugehen ist, dass er als Repräsentant der weströmischen Ordnung in Gallien agierte. Er ragte aber wegen seiner militärischen Erfahrungen und möglicherweise auch Erfolge heraus. Die Versuche, ihn mit Titeln zu beschreiben, die aus der Tradition der weströmischen Ordnung entstammen oder diesen ähnlich waren, zeigen dies deutlich. Die Divergenz zwischen Titelbezeichnungen und strukturellen Positionen ist dabei unverkennbar. Aegidius organisierte Folgeleistungen auch, ohne dass er eine strukturelle Position in der erodierenden strukturellen Einheit innehatte. 1.3.2.1 Aegidius und Agrippinus: Konkurrenz um was? Die Quellenlage zu Agrippinus und seiner Beziehung zu Aegidius ist sehr dürftig. Der zeitnaheste Text ist die Chronik des Hydatius. Dazu kommen Aussagen aus der Vita des heiligen Lucipinus aus den 520er Jahren502 und der Vita des heiligen Anianus,503 die frühestens im späten 6. Jahrhundert entstand.504 Diese Quellenlage hat zu unterschiedlichen Forschungsannahmen geführt, die diskutiert werden müssen. Angenommen wird, dass Agrippinus ein Untergebener des Aegidius innerhalb der weströmischen Ordnung gewesen sei und versucht habe, eine Art Vormachtstel-
502 Vgl. erneut Vivian, in ed. Burton Russell/Vivian/Vivian: Fathers: S. 51. 503 Anianus verstarb als Bischof von Orléans der Mitte der 450er Jahre. Vgl. Heinzelmann, Prosopographie: S. 553. Hier wird auf das Jahr 453 datiert. 504 Es gibt zwei Versionen der Vita. Beide enthalten aber die Aussagen zu Agrippinus. Die jüngere Fassung wurde um biographische Angaben zu Anianus ergänzt. Vgl. Heinzelmann, Prosopographie: S. 553. Zur Datierung der frühesten Version Elm, Weisheit: S. 209 f.
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lung gegen seinen Vorgesetzten zu erlangen.505 Dabei wird darauf verwiesen, dass beide um den Titel des magister militum per gallias konkurriert hätten.506 Außerdem wird angenommen, dass Agrippinus entgegen Aegidius nach 461 ein Repräsentant der weströmischen Ordnung gewesen sei und im Auftrag des Zentrums sich bemüht habe, Aegidius als Anführer in Gallien zu verdrängen. Dabei habe er auch versucht, sich der Hilfe des Königs von Toulouse zu bedienen.507 Diese Annahmen sind aber auf der Basis der Quellenlage insgesamt nur schwer zu halten. Für die erste Annahme ist festzuhalten, dass Agrippinus erstmals in der Vita des heiligen Anianus mit dem Titel des magister militum bezeichnet wird.508 Darauf zu stützen, dass er in den 450er Jahren magister militum war, ist aufgrund der zeitlichen Ferne des Autors anzuzweifeln. Auch ist nicht bekannt, woher er die Informationen hat. Hinzu kommt, dass die Vita keine Grundlage für eine Annahme über eine Konkurrenz zwischen Agrippinus und Aegidius um den Titel und die damit verbundene Strukturposition liefert. Selbst wenn der Autor auf Informationen rekurrieren würde, die zeitlich transportiert worden wären, muss die Erzählung noch vor den Tod des Bischofs datiert werden.509 Dies passt wiederum nicht zu den Aussagen aus der Vita des heiligen Lucipinus, auf denen die Annahme von der Konkurrenz um die strukturelle Position primär fußt. Hier wird erzählt, dass Agrippinus durch den Kaiser zum comes galliae ernannt wurde.510 Die Figur des Aegidius tritt als magister militum auf und befindet sich mit der Agrippinusfigur in Streitigkeiten, da sie den Erwartungshorizont, der an sie als Titelträger herangetragen wird, nicht erfüllt: Agrippinus habe in Gallien die „Barbaren“ begünstigt und wird deswegen verurteilt. Danach wird er rehabilitiert. Doch Aegidius will ihn weiterer Verbrechen anklagen.511 Die Figur des Lucipinus ist in diesem Kontext der Erzählung als Schützer angerufen.512 Ein Problem
505 Vgl. MacGeorge, Warlords: S. 90 f.; Harries, Sidonius: S. 98 f. und Henning, Periclitans: S. 81 f. Dazu weitgehend unkritisch in diesem Zusammenhang Frye, Aegidius: S. 4. 506 Vgl. MacGeorge, Warlords: S. 94; Mathisen, Resistance: S. 617 f.; Harries, Sidonius: S. 99 und Henning, Periclitans: S. 86 f. 507 Vgl. MacGeorge, Warlords: S. 226; Anders, Ricimer: S. 274 f. und S. 418–425 sowie Henning, Periclitans: S. 298 f. 508 Tendenziell zeitfern, jedoch ortsnah: „Vir inlustris Agripinus qui tunc tempore magistri militum fungebatur officium principibus fuerat depotatus, ut per omnes civitates Galliarum pro salute et distincione publica habere deberet excursus.“ Vita Aniani: 3. 509 Dies führt zu der Annahme, dass Agrippinus bereits vor Aegidius ganz offiziell magister militum per gallias war. Dazu beispielsweise aktuell mit der Annahme eines Hochverratsprozesses gegen Agrippinus in Bezug auf die vita lucipini Henning, Periclitans: S. 72 f. und Anders, Ricimer: S. 168 f. Doch sind der zeitliche Abstand des Autors und die erstmalige Nennung dieses Titels für Agrippinus durch diesen Autor Argumente gegen diese Annahme. 510 Zeitfern, jedoch ortsnah Vita Lucipini: 2.11. Die Aussagen sind in diesem Kontext immer zeitfern, jedoch ortsnah verfasst. 511 Vita Lucipini: 2.11. 512 Vita Lucipini: 2.12. Dazu MacGeorge, Warlords: S. 91.
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dieser Aussagenlage ist aber, dass eine Datierung des Erzählten kaum möglich ist, wenn nicht andere Aussagen weiterer Autoren einbezogen werden. Angenommen, der ortsfern schreibende Historiograph Priskos rekurriert bei seinen Aussagen über die Abwendung des Aegidius vom Zentrum der weströmischen Ordnung auf Informationen, was mit Rücksicht auf die Aufzeichnungen bei Hydatius nicht unwahrscheinlich ist, dann können die Aussagen aus der Vita des Lucipinius nur auf die Zeit vor 461 bezogen sein. Bei Hydatius begünstigt die Figur des Agrippinus ebenfalls „Barbaren“: Agrippinus übergibt die civitas Narbonne an den König von Toulouse, um dessen Unterstützung gegen Aegidius zu erhalten.513 Die Übergabe ist nach den Tod des Maiorian zu datieren, da zu dieser Zeit der Frieden zwischen den Repräsentanten der weströmischen Ordnung und dem König von Toulouse wieder hergestellt werden konnte.514 Zwar kann die bei dem Chronisten aufgezeichnete Übergabe in den Zusammenhang der bei dem Hagiographen erzählten Streitigkeiten zwischen Agrippinus und Aegidius verortet werden, doch ist dann von einer Konkurrenz um den Titel des magister militum nicht mehr auszugehen, da Agrippinus gegen einen weströmischen Repräsentanten vorgegangen wäre und daher der Titelgewinn nicht zu erreichen war. Einzig der Versuch, in Kooperation mit dem König von Toulouse militärisch handlungsfähig zu werden, wäre in diesem Zusammenhang noch plausibel, aber auch hierfür ist keine Sicherheit gegeben. Aufgrund dieser Inkompatibilität der einzelnen Aspekte der Aussagen des Hagiographen mit den übrigen Aussagen zu der Konkurrenz zwischen Aegidius und Agrippinus wurde vermutet, dass er bei der literarischen Verarbeitung von Informationen vermengend auf differente, primär orale Erzähltraditionen, einging.515 Für die zweite Annahme ergeben sich aus der Aussagenlage andere Kritikpunkte. Ausgang dieser Annahme ist der Aussagenzusammenhang zum Opponieren des Aegidius gegen das Zentrum der weströmischen Ordnung nach dem Tod des Maiorian. Agrippinus hat sich demnach im Auftrag des Zentrums in Gallien darum bemüht, Aegidius zu verdrängen. Die Konkurrenz zwischen den beiden wäre demnach nicht als ein Streit um einen Titel, sondern als Streit um die Verhältnisse in Gallien nach Maiorian zu bezeichnen. Aus der Perspektive des Standpunktes dieser Annahme ist jedoch die paradoxe Beobachtung516 zu gewinnen, dass Aegidius dann die Bevölkerung in einigen Teilgebieten Galliens gegen militärische Übergriffe des Königs von Toulouse und den ihm Folgeleistenden verteidigt hätte, obwohl er nicht als Reprä-
513 „Agrippinus Gallus et comes et civis, Aegidio comiti viro insigni inimicus, ut Gothorum mereretur auxilia, Narbonam tradidit Theudorico.“ Hyd. chron.: 212 (217). 514 Hyd. chron.: 192 (197). Auch die zeit- und ortsnahen Aussagen Sidon. carm.: 5.558–563 und die zeitnahen, aber ortsfernen Aussagen John of Antioch Frgt. 203 = Exc. de Ins. 87 = Prisk. Frgt. 36.2 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 339). Dazu Henning, Periclitans: S. 223 ff. und Wolfram, Goten 2001: S. 185 f. 515 Vgl. Harries, Sidonius: S. 99 ff. Großenteils zustimmend MacGeorge, Warlords: S. 92. 516 Dazu erneut die Aussagen zu Arvandus und Seronatus. Vgl. Teitler, Gaul: S. 309 ff.
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sentant der weströmischen Ordnung in Gallien agierte. Ein Repräsentant der weströmischen Ordnung wäre dann als derjenige zu beschreiben, der die Neustrukturierung von Elementen aus der erodierenden strukturellen Einheit in Gallien zu befördern versuchte, indem dieser im Namen der weströmischen Ordnung König Theoderich II. dazu angeregt hätte. Zwar ließen sich hier erneut die Aussagen aus der Vita des Lucipinus zu den Streitigkeiten zwischen Aegidius und Agrippinus heranziehen, jedoch wird Aegidius in diesem Text als magister militum bezeichnet. Beide Annahmen erscheinen nicht als stichhaltige Konstruktionen. Die Untersuchung der Aussagenlage, auf der sie gründen, zeigt dies deutlich. Die Aussagenlage ist in ihrer Gesamtheit Indikator für die Erosion der strukturellen Einheit der weströmischen Ordnung in Gallien. Was sich bei Hydatius an den Titelbezeichnungen zeigen lässt, ist auch für die Autoren möglich, die zeitferner auf Informationen rekurrierten: Eine klare und eindeutige Zuweisung von Titelbezeichnungen zu handelnden Akteuren wie Aegidius oder Agrippinus, war in der Prozessdynamik nicht mehr möglich. Dies kann aus heutiger Perspektive in dieser Klarheit gesagt werden, da es um Bezeichnungen geht, die der Tradition der (west)römischen Ordnung entstammen, aus der sich die Möglichkeit der Zuweisung erst ergibt. Um das Jahr 460 gab es sie noch in voller Präsenz, sie reichte aber offenbar nicht mehr aus, um das Erlebte auch adäquat zu bezeichnen: Die strukturelle Einheit der weströmischen Ordnung erodierte in Gallien akut und die bereits zeitnah literarisch verarbeiteten Informationen zu den Handlungen des Aegidius und des Agrippinus verdeutlichen die Prozessdynamik exemplarisch. Aussagen zu einer Konkurrenz zwischen Aegidius und Agrippinus um Mittel gibt es dabei sehr wohl. Hier ist die Übergabe der civitas Narbonne an den König von Toulouse zu nennen: Materieller Besitz wird an einen Akteur, der Folgeleistungen organisieren konnte, überführt, damit dieser dann Folgeleistungen organisiert.517 Auf den Zusammenhang der Aussagen zur Übergabe wird weiter unten dezidiert eingegangen. Andere Aussagen dazu finden sich zeitnah bei Priskos. Der Figur des Aegidius leisten in seiner Erzählung viele Akteure Folge. Eine Begründung dafür wird allerdings nicht gegeben.518 Die Relevanz sozialer Beziehungen als ein Mittel dafür ist in der Vita des Lucipinus fassbar.519 Auch wenn diese Aussagenlage nicht sehr reichhaltig ist, so erlaubt sie doch, die Frage nach der Konkurrenz zwischen Aegidius und Agrippinus dahingehend zu beantworten, dass die dafür gegebenen Aussagen – analytisch geschrieben – Mittel zu Neustrukturierungen innerhalb der Prozessdynamik der Erosion in Gallien akzentuieren. Die Titel und damit verbundene strukturelle Positionen können nur geltend gemacht werden, wenn einige der wenigen Aussagen aus
517 Hyd. chron.: 212 (217). 518 Zeitnah, jedoch ortfern Exc. de Leg. Gent. 14 = Prisk. Frgt. 39.1 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 343). 519 Vita Lucipini: 2.11–2.12.
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dem Bestand zu der Konkurrenz zwischen Aegidius und Agippinus keine Beachtung finden. Eine einzige, konsistente Konstruktion ergeben sie in dieser Hinsicht nicht. Für die Annahme einer Konkurrenz um die Mittel zu Neustrukturierungen lassen sich dagegen auch abseits der Quellenaussagen zu Agrippinus fundierende Quellen finden, denn die Relevanz materieller Güter und Ressourcen ist im Bestand der Aussagen zu Aegidius erfassbar: Es lassen sich mehrere Aussagen in dem doch geringen Bestand entdecken, die auf das Eingreifen des Aegidius in lokale Konflikte um civitates in Gallien schließen lassen. 1.3.2.2 Das ökonomische Potential der Landgüter und civitates in Gallien als relevantes Mittel für das Organisieren von Folgeleistungen Wie bereits zu Beginn dieses Unterkapitels ausgeführt, sind Aussagen zu Plünderungen im Bestand der Aussagen zu Aegidius kaum vorhanden. Direkt betreffen sie die Figur des Aegidius gar nicht. Trotzdem bietet die Aussagenlage aufschlussreiches Material für die Untersuchung. Die Relevanz materieller Güter und Ressourcen für das Organisieren von Folgeleistungen ist anhand der Aussagen zur Beteiligung des Aegidius an einer Belagerung und einer Übergabe von gallischen civitates erfragbar. Daher gilt es die wirtschaftlichen Möglichkeiten der civitates in Gallien als relevantes Mittel für das Organisieren von Folgeleistungen zu untersuchen. Gleich zwei Aussagenkomplexe520 lassen sich dafür ausmachen: Aussagen zu den civitates Lyon und Narbonne sind in diesen beiden Komplexen akzentuiert. 1.3.2.2.1 Lugdunum Die civitas Lyon (Lugdunum) lag in der römischen Provinz Gallia lugdunensis und war ihr Hauptzentrum.521 Die Provinz wurde bei der Verwaltungsreform des Kaisers Diokletian in drei Bereiche geteilt.522 Lyon befand sich von da an in der Lugdunensis prima.523 Im 5. Jahrhundert war die civitas Sitz eines Metropoliten. Das Bistum wurde bereits im 2. Jahrhundert eingerichtet.524 Die civitas prosperierte noch in der Spätantike,525 auch wenn sie seit der Teilung der Lugdunensis an Bedeutung verloren hat.526 Allein die Größe der civitas, ihre Nähe zu den Flüssen Rhone und Saône sowie
520 Die Zahl der Aussagen zu den Kämpfen um Arles ist sehr gering. Alle Aussagen gehen auf Paulinus von Périgueux zurück. Es ist nicht einmal sicher, dass die wenigen Aussagen tatsächlich auf die civitas bezogen sind. Vgl. MacGeorge, Warlords: S. 88. 521 Vgl. Ferdière, Lugdunensis: S. 9 f. 522 Vgl. Williams, Diocletian: S. 222. 523 Von den weiteren Aufteilungen wurde die civitas in ihrer Lage nicht berührt. Vgl. Ferdière, Lugdunensis: S. 127. 524 Vgl. Heinen, Lyon: S. 393 ff. 525 Vgl. Ferdière, Lugdunensis: S. 140 f. 526 Vgl. Bechert, Provinzen: S. 127 f.
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ihre Anbindung an das Straßennetz527 lassen auf ausgeprägten Handel schließen.528 Auch die agrarische und handwerkliche Produktion war um 450 stark ausgeprägt.529 Die aristokratischen Bewohner der civitas hatten sich nach der Ermordung des Avitus gegen den neuen Kaiser erhoben und einige burgundische Akteure nach Lyon eingeladen, um das Gebiet der civitas mit ihnen zu teilen.530 Maiorian musste daher die civitas militärisch entsetzen lassen, um als weströmischer Kaiser dort handlungsfähig zu sein. In diesem Zusammenhang wurde die Forschungsannahme eingeführt, Aegidius sei an der Eroberung beteiligt gewesen,531 doch wird er weder von Sidonius Apollinaris, dem Autor der Hauptquelle für diese militärische Operation, noch von irgendeinem anderen Autor genannt. Die Annahme hat noch weitere Schwächen: Es bleibt unklar, warum Aegidius, der doch von einer aristokratischen Familie aus Lyon abstammen oder verwandtschaftlich mit ihr verbunden sein soll, sich gegen die dort ansässigen Aristokraten betätigt haben sollte.532 Um die Annahme dennoch zu halten, ist beispielsweise angeführt worden, der Name Aegidius sei aus den Werken des Sidonius entfernt worden, da Aegidius sich mit dem Zentrum der weströmischen Ordnung überworfen hatte.533 Dies erklärt aber nicht, warum er auch von anderen orts- und/oder zeitnahen Autoren nicht genannt wird.534 Dass Aegidius bei der Entsetzung Lyons noch dazu in einer strukturellen Position beteiligt war,535 ist also in keiner Weise sicher. Die Quellenlage zur Kontroverse zwischen den Aristokraten von Lyon und dem neuen weströmischen Kaiser Maiorian umfasst orts- und zeitnahe Aussagen. Sidonius
527 Vgl. Klee, Lebensadern: S. 121 und S. 125 ff. 528 So war Lyon weiterhin ein Zentrum der Wollweberei Ferdière, Lugdunensis: S. 142. 529 Vgl. Wickham, Framing: S. 43 und S. 180. 530 Zeit- und ortsnah Sidon. carm.: 5.574–585 und zeitfern, jedoch ortsnah Mar. aven. chron.: 463. Dazu überblickend Henning, Periclitans: S. 230 f. Während die Aussagen des Sidonius in diesem Zusammenhang als orts- und zeitnah verfasst sind, sind die Aussagen des Marius als zeitfern, aber ortsnah für diesen Kontext aufzufassen. 531 Diese Konstruktion ist weit verbreitet. Dazu repräsentativ Mathisen, Resistance: S. 607 ff. und Henning, Periclitans: S. 295. 532 Selbst wenn die Annahme seiner Abstammung oder Verwandtschaft fallen gelassen wird, bleibt festzuhalten, dass Aegidius in dem Aussagenzusammenhang nicht genannt wird. Die Argumentation für seine Beteiligung ist daher immer gegen die textliche Evidenz geführt und mit Annahmen zu stützen, die abseits der Aussagen konstruiert werden müssen. Dazu zusammenfassend MacGeorge, Warlords: S. 92. 533 Vgl. Harries, Sidonius: S. 247 f. 534 Dazu Mar. aven. chron.: 463. Auch von dem oder den Autoren der Gallischen Chronik von 511 wird wie von Hydatius der gesamte Zusammenhang gar nicht erwähnt. 535 Bei Sidonius Apollinaris wird zwar ein magister militum während der Eroberung von Lyon erwähnt, aber einen Namen nennt er nicht. Die Annahme besteht, dass es sich hierbei um Aegidius handelt. Doch fehlt dafür jegliche Evidenz. Sidon. carm.: 5.553–557. Für die Annahme, dies sei Aegidius gewesen Mathisen, Resistance: S. 609 f. Kritisch dagegen Harries, Sidonius: S. 86.
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war einer der führenden Akteure auf der Seite der civitas Lugdunum.536 Zwar erwähnt er die Burgunder nicht ausdrücklich,537 aber dass sie auf der Seite der ortsansässigen Aristokraten standen, ist nicht nur durch eine zeitfernere Aufzeichnung des Bischofs Marius von Avenches,538 sondern auch mit zwei Stellen aus dem panegyricus über Maiorian zu fundieren.539 Bei der zweiten Stelle handelt es sich um eine vertragliche Vereinbarung mit den Anführern der von Aëtius in der Sapaudia540 angesiedelten Gemeinschaft, die nach dem Sieg gegen die Aristokraten und ihre Unterstützer geschlossen wurde.541 Kurz nach der Eroberung Lyons wurde der Gebietsgewinn der Herbeigerufenen offenbar anerkannt.542 Die Aussagen zur Kooperation zwischen den Aristokraten von Lyon und einigen Akteuren der oder des Anführers ihrer Siedlungsgemeinschaften in der Sapaudia unterscheiden sich im Vergleich mit denen zu der Verteidigung von Clermont unter Avitus: Die Figuren der Verteidiger sind anders konzipiert. Beide Aussagengruppen stammen vom Sidonius Apollinaris und sind aus Texten derselben Gattung entnommen. Auf der konzeptionellen Ebene der beiden Texte bestehen dagegen Unterschiede: Bei den Aussagen zu Avitus geht es um die Betonung seiner Leistungen. Die Aussagen zu seiner privaten Initiative gegen die Plünderungen lassen weitgehend offen, wessen Folgeleistungen Avitus genau organisierte.543 Bei den Aussagen zur Eroberung von Lyon stehen die Verteidiger nicht auf der Seite des zu lobenden Kaisers. Auch sie werden nicht ausdrücklich bestimmt, aber es wird klar, dass es sich um Akteure aus der Siedlungsgemeinschaft des oder der burgundischen Könige handeln muss. Während bei den Aussagen zu Avitus nur vermutet werden kann, dass ihm das Organisieren von Folgeleistungen aufgrund seiner Landgüter möglich war, sind die Aussagen zu der Eroberung von Lyon direkt mit diesem Mittel verbunden. Diese literarische Verbindung zeigt die Relevanz von Landgütern für das Organisieren von Folgeleistungen an. Der darauf folgende Vertragsschluss oder auch die Erweiterung des älteren Vertrages mit den weströmischen Repräsentanten ist ein Resultat der
536 Vgl. Harries, Sidonius: S. 86. 537 Sidon. carm.: 5.564–567. 538 Mar. aven. chron.: 463. 539 Sidon. carm.: 5.476 und 5.567. 540 Vgl. Kaiser, Burgunder: S. 40 ff. 541 Die Regelung ist in der Anerkennung der Anführer gegenüber dem neuen weströmischen Kaiser indiziert. Sidon. carm.: 5.476. Der foedus wurde entweder erneuert oder erweitert. Sidon. carm.: 5.567. Vgl. Henning, Periclitans: S. 231. Aus den Aussagen bei Sidonius geht nicht hervor, ob direkt mit dem König Gundioch oder mit anderen verhandelt worden ist. Sidon. carm.: 5.564–567. Die Datierung der Anführerschaft des Gundioch ist zudem nicht ganz sicher. Zu Gundioch und Chilperich I. Kaiser, Burgunder: S. 114 ff. Dass Lyon aber bereits in den 470er Jahren Residenz der reges war, ist allerdings sicher. Vgl. Kaiser, Burgunder: S. 48 f. Daher kann plausibel angenommen werden, dass ein König der Sapaudia-Gemeinschaft den Vertrag geschlossen hat. 542 Vgl. Kaiser, Burgunder: S. 49. 543 Sidon. carm.: 7. 279–295.
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Handlungen der Aristokraten, welche somit die Neustrukturierung des Gebietes von Lyon bedingten. Hier werden in wenigen Aussagen Mittel aber auch Effekte innerhalb der Erosion fassbar. Allein die Erhebung Maiorians zum weströmischen Kaiser erweitert den Aussagenbestand des analytischen Kontextes,544 ohne die bisherige Deutung des engeren Aussagenzusammenhangs zu brechen oder in einen Widerspruch zu führen: Die Beziehungen des Avitus zu den gallischen Aristokraten sind ohne Zweifel ein Aspekt der Bewegung gegen Maiorian, der Avitus als Kaiser mit Hilfe seiner Beziehungen im weströmischen Militär zu Fall bringen konnte. Das ist als Forcierung der Prozessdynamik zu deuten, denn die Anbindung der gallischen Aristokraten an das Zentrum der weströmischen Ordnung in Italien war somit umgehend nach dem Tod des Avitus brüchig. Hieraus resultierte eine Neustrukturierung des Gebietes um Lyon, die durch Maiorian nach der Eroberung der civitas nicht rückgängig gemacht wurde. Die Kooperation der oder des burgundischen Anführers mit den Aristokraten von Lyon wurde also in eine normative Regelung überführt. Eine Änderung stellt dies aber im Konkreten nicht dar. Die Neustrukturierung wurde nur in eine anerkennende Form übertragen. Materieller Besitz war umverteilt worden. Nicht mit der sozioökonomischen Praktik des Plünderns erlangten die Anführer und möglicherweise auch weitere Akteure aus der Siedlungsgemeinschaft in der Sapaudia materielle Güter und Ressourcen, sondern durch Aristokraten und Repräsentanten der weströmischen Ordnung. Dass solche Güter und Ressourcen für das Organisieren von Folgeleistungen relevant sind, kann nicht bestritten werden, auch wenn unklar bleiben muss, ob und wenn ja inwieweit Aegidius an den militärischen Operationen beteiligt war. 1.3.2.2.2 Narbo Die civitas Narbonne (Narbo) gab wie Lyon der Provinz, in der sie lag, den Namen. Die Gallia narbonensis wurde bei den Reformen Diokletians in zwei Gebiete geteilt.545 Die via domitia verband Narbo mit den Provinzen der Iberischen Halbinsel.546 Die Straße ging bei Narbonne in die via aquitania über, so dass die Lage der civitas sie zu einem Knotenpunkt für Handel und Informationsverkehr werden ließ.547 Ihr ökonomisches Potential im 5. Jahrhundert lässt sich noch zusätzlich mit der Nähe zum Mittelmeer verdeutlichen.548 Die Region um Narbo galt zudem als eine der ertragreichsten für die Produktion agrarischer Güter.549
544 Vgl. Harries, Sidonius: S. 82. 545 Vgl. Williams, Diocletian: S. 222 und Bechert, Provinzen: S. 97. 546 Vgl. Klee, Lebensadern: S. 121. 547 Für die Bedeutung des Zusammenlaufs der Straßen in der Nähe von Narbonne Chevallier, Narbonensis: S. 96 f. 548 Vgl. Wickham, Framing: S. 710 und S. 746 sowie Rivet, Narbonensis: S. 137 f. 549 Vgl. Bechert, Provinzen: S. 96 f. und Rivet, Narbonensis: S. 138 ff.
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Die Lage der civitas an der via domitia bietet eine plausible Erklärung dafür, wie der im iberischen Chaves lebende Bischof Hydatius Informationen aus dem südwestlichen Gallien erlangt hat.550 Er verzeichnet in seiner Chronik für 462,551 dass Agrippinus Narbonne an den König von Toulouse übergab, damit er für ihn Folgeleistungen gegen Aegidius organisiert.552 Die Aufzeichnung wirft einige Fragen auf: Hatte Agrippinus sich mit den Aristokraten der civitas arrangiert und sie deswegen dem König übergeben können? Die Aristokraten werden bei Hydatius nicht genannt. Es fällt aber auch auf, dass allein Agrippinus als handelnder Akteur genannt ist.553 Hatte er die civitas mit den ihm Folgleistenden kontrolliert und war es ihm daher möglich sie zu übergeben?554 Aber warum setzten sich die Aristokraten dann nicht wie Avitus im analogen Fall dagegen zur Wehr?555 Ist in Agrippinus vielleicht gar derjenige zu sehen, der die Übergabe an den König im Interesse der Aristokraten durchführte? Diese Fragen sind auf der Basis einer einzigen Aufzeichnung selbstredend kaum zu beantworten. Sie kann aber mit einem Fragment des Priskos in Verbindung gebracht werden, in dem Konflikte zwischen Aegidius und Westgoten erwähnt werden.556 Zusätzlich sind weitere Aussagen des Sidonius Apollinaris zu beachten:
550 Zur Kommunikation und Informationstransfer als ein Nebenprodukt des Handels McCormick, Economy: S. 67 ff. In dieser neueren Monographie geht der Autor zwar sehr dezidiert auf wirtschaftliche Kommunikation und Handelsbewegungen ein, während er sehr aufschlussreich die Infrastruktur mit einbezieht, aber er übersieht das Plündern als Wirtschaftsweise vollkommen. 551 Die Datierung auf 462 kann in Anbetracht des komplexen chronologischen Systems des Hydatius nicht einfach als sicher bezeichnet werden. Wenn auch nicht unbedingt das Jahr 462 stimmig sein muss, ist doch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass Hydatius erst nach dem Tod des Maiorian über die Übergabe von Narbonne informiert worden ist. Hyd. chron.: 205 (210). Ein breiter Konsens in der Akzeptanz einer Datierung auf den Beginn der 460er Jahre nach dem Tod des Maiorian besteht aktuell trotz unterschiedlichen Deutungen der Stelle. Dazu repräsentativ Wolfram, Goten 2001: S. 185; Henning, Periclitans: S. 224; MacGeorge, Warlords: S. 92; Mathisen, Resistance: S. 615 ff.; Anders, Ricimer: S. 493 und Harries, Sidonius: S. 100 ff. Auch durch die Anordnung der Aufzeichnungen in der Chronik ist der Konsens getragen. 552 „Agrippinus Gallus et comes et civis, Aegidio comiti viro insigni inimicus, ut Gothorum mereretur auxilia, Narbonam tradidit Theudorico.“ Hyd. chron.: 212 (217). 553 Die Beteiligung einiger der Aristokraten von Narbonne bei der coniuratio marcellana, die von Mathisen herausgearbeitet worden ist, wird von ihm auch als ein Indikator für eine sehr wahrscheinliche Beteiligung dortiger Aristokraten bei der Übergabe der civitas an Theoderich II. bezeichnet. Zur Quellenlage der coniuratio marcellana Sidon. ep.: 1.11.6. Dazu Mathisen, Resistance: S. 598–603. 554 Zu fragen ist dann, warum er die Nähe zum König von Toulouse suchte, wenn Agrippinus doch selbst Folgeleistungen organisieren konnte? Vgl. Mathisen, Aristocrats: S. 83 ff. 555 Bereits die sozialen Beziehungen der Aristokraten von Narbonne sind als ein Mittel zu beschreiben, das ihnen Optionen gab. Allein zwei von ihnen waren zur Zeit des Maiorian praefectus praetorio galliarum. Vgl. Henning, Periclitans: S. 79 f. Zu weiteren Aristokraten aus Narbonne Mathisen, Resistance: S. 601 f. und zu den differenten Mitteln von Aristokraten Barnish, aristocracy: S. 140–149. 556 Zeitnah, jedoch ortsfern Exc. de Leg. Gent. 14 = Prisk. Frgt. 39.1 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 343). Dazu auch zeitfern, jedoch ortsnah Mar. ave. chron.: 463.
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Er bezeichnet einen aus der Familie der Aviti-Magni stammenden Magnus557 als ex praefecto und ex consulare.558 Die Magni waren hauptsächlich in der Region um Narbo begütert.559 Mitglieder der Familie wurden auch nach dem Tod der Kaiser Maiorian und Libius Severus560 mit Titeln ausgezeichnet.561 Die exakte Datierung der Trägerschaft für den Titel praefectus ist aber genauso wenig zu eruieren, wie die lokale Verortung seiner Position. Dass Magnus praefectus praetorio galliarum war und demnach in Gallien agierte, kann in Anbetracht seiner geographischen Herkunft immerhin als sehr wahrscheinlich gelten.562 Das Datum hingegen ist mit Aussagen des Sidonius aus seinem panegyricus an Maiorian zu erschließen, wobei Magnus hier nicht namentlich erwähnt wird.563 Angenommen wird aber, dass noch zur Zeit dieses Kaisers ein weiterer praefectus praetorio galliarum aktiv war, der auch aus der Familie der Magni stammte.564 Demnach wäre der Zeitraum der Titelträgerschaft zwischen 457 und 460 einzugrenzen.565 Magnus war somit zu Beginn der 460er Jahre ohne Titel – und es ist daher wahrscheinlich, dass er sich zu dieser Zeit in Narbonne befand.566 Diese Datierung erlaubt von einer handlungsfähigen aristokratischen Gruppe in der civitas auszugehen, deren Mitglieder vor und auch nach dem Tod des Maiorian in strukturellen Positionen der weströmischen Ordnung tätig waren. Agrippinus stammte wohl nicht aus der civitas.567 Es scheint daher sehr unwahrscheinlich, dass die Aristokraten der civitas Narbo in größeren Teilen nicht mit der Übergabe einver-
557 Vgl. Heinzelmann, Prosopographie: S. 643. Es wird angenommen, dass Magnus schon zur Zeit des Kaisers Avitus in strukturellen Positionen aktiv war. Vgl. Henning, Periclitans: S. 79 und Mathisen, Aristocrats: S. 73. 558 „[…] iuxta eum Magnus, olim ex praefecto, nuper ex consule, […].“ Sidon. ep.: 1.11.10. Zur Bekleidung der Präfektur zusätzlich Sidon. carm.: 5.558–561. 559 Vgl. Henning, Periclitans: S. 289. 560 Libius Severus starb wohl im letzten Drittel des Jahres 465. Vgl. Henning, Periclitans: S. 42. 561 Hier ist der Name Magnus Felix zu nennen, der zur Zeit des Kaisers Anthemius als praefectus praetorio galliarum durch Sidonius zeit- und ortsnah belegt ist. Sidon. ep.: 2.3. Dazu Henning, Periclitans: S. 91. Zu anderen Mitgliedern der Familie Mathisen, Resistance: S. 621 und S. 626. 562 Vgl. Heinzelmann, Prosopographie: S. 643. 563 Sidon. carm.: 5.558–561. 564 Es handelt sich hierbei um Camillus. Er war ein Neffe des Magnus und zuvor Konsul sowie Präfekt. Vgl. Heinzelmann, Prosopographie: S. 573. 565 Es ist anhand der Studien von Mathisen zu dieser Quellenlage sehr wahrscheinlich, dass Magnus nach der Befriedung der Aristokratie von Lyon den Titel praefectus praetorio galliarum erhielt und die damit verbundene Position einnahm. Zur Datierung seiner Tätigkeit Mathisen, Resistance: S. 618 f. und Mathisen, Aristocrats: S. 73. Zur Rezeption der Datierung repräsentativ Henning, Periclitans: S. 79, Anm. 44 und Harries, Sidonius: S. 90, Anm. 35. Zu Paeonius, dem Vorgänger des Magnus Max, Intrigue: S. 230 f. 566 Ähnliches gilt für Ecdicius, der zur Zeit seiner privaten Initiative auch keinen Titel führte und in der civitas Clermont – der civitas seiner Herkunft – verweilte. Dazu Sidon. ep.: 5.16. 567 Möglicherweise stammte er aus der civitas Autun. Vgl. Mathisen, Resistance: S. 615.
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standen waren.568 Derartiges Handeln haben kurz darauf auch Repräsentanten der weströmischen Ordnung gezeigt.569 Darüber hinaus ist einzubeziehen, dass schon der Vorgänger Theoderichs II. versucht hatte, die civitas einzunehmen.570 Somit ist auf der Deutungsebene eine Dreieckskonstellation beschreibbar: Die Übergabe von Narbonne eröffnete dem König von Toulouse freien Zugang zum Meer und zum Kontenpunkt im Straßensystem.571 Die Folgeleistenden des Königs wurden indirekt zu einem militärischen Mittel der Aristokraten. Eine Option der Unterstützung des Agrippinus gegen Aegidius ist zudem gegeben. Anzunehmen ist daher, dass Agrippinus nicht genug Folgeleistungen organisieren konnte, die er für seine Opposition gegen Aegidius brauchte.572 Hieraus ist wiederum die Annahme abzuleiten, dass weder Agrippinus573 noch Aegidius als Repräsentanten der weströmischen Ordnung handelten: Aegidius und die ihm Folgeleistenden sind nach Priskos gegen das Zentrum der weströmischen Ordnung vorgegangen, nachdem Maiorian ermordet worden war574 und es ist wahrscheinlich, dass die Aristokraten von Narbonne mit Agrippinus kooperierten. Agrippinus kann dann wohl kaum als Repräsentant einer Ordnung agiert haben, aus der sich die Aristokraten zu lösen versuchten. Eine Antwort auf die Frage nach der Relevanz materieller Güter und Ressourcen für das Organisieren von Folgeleistungen ist auch möglich. Wie bereits nach der Ermordung des Avitus kam es offenbar auch nach der Ermordung Maiorians zu Verwerfungen in Gallien, bei denen sich lokale Akteure vom Zentrum der weströmischen Ordnung zu lösen versuchten. Der König von Toulouse erhielt die civitas Narbo, den Verkehrsknotenpunkt mit größerem ökonomischem Potential. Dass Agrippinus allein die civitas übergab, ist wenig plausibel, da er nach Hydatius die Unterstützung des Königs gegen Aegidius suchte. Dass diese Unterstützung mit dem Organisieren von Folgeleistungen umgesetzt werden sollte und im Kontext der Neustrukturierungen zu sehen ist, ist ebenfalls plausibel. Hätte Agrippinus selbst umfangreich Folgeleistun-
568 Vgl. Mathisen, Resistance: S. 602 f.; Anders, Ricimer: S. 406, Anm. 1379 und Harries, Sidonius: S. 97. Weiter Annahmen dazu summierend MacGeorge, Warlords: S. 92. Aus einer allgemeineren Perspektive Mathisen, Emigrants: S. 166. 569 Vgl. Teitler, Gaul: S. 310 ff.; Mathisen, Aristocrats: S. 82 ff. und Henning, Periclitans: S. 91–95. 570 Vgl. Wolfram, Goten 2001: S. 171 f. und S. 180. 571 Vgl. Wolfram, Goten 2001: S. 245 und Rivet, Narbonensis: S. 133. 572 „Agrippinus Gallus et comes et civis, Aegidio comiti viro insigni inimicus, ut Gothorum mereretur auxilia, Narbonam tradidit Theudorico.“ Hyd. chron.: 212 (217). 573 Die Übergabe der civitas Narbonne soll nach einer Annahme im Auftrag des weströmischen Zentrums, genauer im Auftrag des patricius und magister militum Rikimer, vollzogen worden sein. Vgl. Henning, Periclitans: S. 224; Anders, Ricimer: S. 405 f. und MacGeorge, Warlords: S. 92. Die Annahme wird aber weder durch Aussagen aus der Chronik des Hydatius noch durch das Priskosfragment getragen. Sie ist nur durch das Geflecht der Annahmen zu den Abläufen dieser Zeit in Gallien haltbar. Überblickend MacGeorge, Warlords: S. 92. Daher ist ihr auch nicht unbedingt zuzustimmen. 574 Zeitnah, jedoch ortsfern Exc. de Leg. Gent. 14 = Prisk. Frgt. 39.1 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 343).
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gen organisieren können, wäre dies nicht notwendig gewesen. Die Neustrukturierung durch den König von Toulouse ist ohne Frage mit dem Versuch des Organisierens von Folgeleistung durch die Vergabe von materiellen Gütern und Ressourcen verbunden. Plünderungen der civitas Narbonne durch Akteure aus der Siedlungsgemeinschaft des Königs wurden somit unwahrscheinlicher, da sie durch die Übergabe Teil seines Strukturierungszusammenhangs geworden waren. Es wandelten sich somit aktive Relevanzarten des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen in passive. Die Neustrukturierung hatte nicht nur für Agrippinus und den König von Toulouse Vorteile, sondern auch für die Bevölkerung der übergebenen civitas Möglichkeiten des Schutzes ihrer wirtschaftlichen Prosperität und militärische Handlungsfähigkeit zur Folge. Ein weiteres Argument für die Annahme der Eigenständigkeit des Agrippinus gegenüber den weströmischen Repräsentanten kommt noch hinzu: Auch Aegidius – der nach dem Tod des Maiorian in Gallien weitgehend eigenständig handelte – hatte offenbar Beziehungen zu einem König. 1.3.2.3 Aegidius und Childerich I.: Konkurrenz oder Kooperation? Die Quellenlage zu der Beziehung zwischen Aegidius und Childerich I., dem Vater Chlodwigs I.,575 ist ähnlich dürftig wie jene zu der Eroberung von Lyon und zur Übergabe von Narbonne. Allerdings gibt es keine zeitnahen Aussagen. Gregor von Tours ist der erste Autor, der über die Beziehung erzählt.576 Daher wurden auf der Grundlage von zeitnäheren Aussagen gallischer und anderer Autoren Forschungsannahmen hinsichtlich der Beziehung konstruiert. Kombiniert werden hierbei Quellenaussagen aus drei Chroniken mit unterschiedlichem zeitlichem und räumlichem Abstand zum Geschehen. Hydatius verzeichnet für das Jahr 463,577 dass Aegidius in der Aremorica gegen den Bruder des Königs von Toulouse mit Namen Frederich militärisch operiert hatte. Dabei wird Frederich getötet.578 In der gallischen Chronik von 511 ist verzeichnet, dass Frederich bei einem Kampf mit Franken an der Loire gefallen sei.579 Der Chronik des Bischofs Marius von Avenches aus dem 6. Jahrhundert ist zu entnehmen, dass Aegidius bei Orléans (Aure-
575 Überblickend Böhnert/Jungandreas/Wenskus, Art. Childerich von Tournai: S. 440–460. 576 Vgl. Frye, Aegidius: S. 4. 577 Tatsächlich ist die Datierung des Hydatius nicht exakt mit der Datierung der Aufzeichnung der Gallischen Chronik von 511 zu parallelisieren. Burgess setzt sie auf 461/2 an. Vgl. Burgess, in: ed. Burgess, Chronicle of 511: S. 98. Kritisch zur Datierung des Jahres bei Hydatius Muhlberger, Chroniclers: S. 279–313. 578 Zeitnah, jedoch ortsfern: „Adversus Aegidium comitem utriusque militiae, virum, ut fama commendat, Deo bonis operibus complacentem, in Armoricana provincia Fretiricus frater Theuderici regis insurgens, cum his cum quibus fuerat, superatus occiditur.“ Hyd. chron.: 214 (218). 579 Zeit- und ortsnah: „Fredericus frater Theuderici regis pugnas cum Francis occiditur iuxta Ligerim.“ Gall. chron. 511: 72 (638).
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lianum) gegen den rex Frederich, den Bruder Theoderichs II., kämpft und fällt.580 Zu diesen Aussagen wird noch eine knappe Passage aus den decem libri historiarum addiert, in der Operationen Childerichs I. bei Aurelianum581 erwähnt sind.582 Der Bestand führt zu der allgemein verbreiteten Annahme, Childerich I. und Aegidius hätten miteinander kooperiert.583 Diese Annahme steht allerdings im starken Kontrast mit der ausführlichen Erzählung Gregors über die Beziehung zwischen Aegidius und Childerich I.584 Abseits dieser Erzählung ist jedoch ebenfalls an der Plausibilität der Annahme zu zweifeln. Keine einzige Quellenaussage umfasst die Kooperation zwischen Aegidius und Childerich I. direkt. Wird Aegidius genannt, werden weder Franken noch König Childerich I. verzeichnet. Erst die geographischen Angaben in den drei Chroniken und die bei Gregor von Tours ermöglichen es, die Annahme einer Kooperation zu konstruieren: Das bei Hydatius genannte Gebiet Aremorica585 grenzt an die Loire,586 die in der Chronik von 511 als Ort der Schlacht zwischen Franken und den Folgeleistenden des Frederich angeführt wird. Es ist nicht ganz sicher, welche der beiden Aussagen zeitlich zuerst verfasst wurde.587 Die beiden anderen Passagen schließen ebenfalls an die geographischen Angaben an. Die Autoren nennen die civitas Orléans als Ort von Kämpfen. Marius verzeichnet den Tod des Frederich bei Orléans und Gregor erzählt knapp von Operationen Childerichs I. bei Orléans. Da Orléans an der Loire liegt, gewinnt die Kooperationsannahme über die geographischen Angaben an Plausibilität: Demnach hätten Childerich I. und Aegidius bei der Operation gegen Frederich kooperiert.588
580 „His consulibus pugna facta est inter Egidio et Gothos/inter Legere et Legerecino iuxta Aurilianis ibique interfectus est Frediricus rex Gothorum.“ Mar. ave. chron.: 463. 581 Zu der Annahme über die Herkunft der Informationen aus den Annalen von Angers Frye, Aegidius: S. 3. 582 „Igitur Childericus Aurilianis pugnas egit, Adovacrius vero cum Saxonibus Andecavo venit.“ Greg. hist.: 2.18. 583 Die Konstruktion der Annahme geht auf die Dissertation „Die Geschichte der fränkischen Könige Childerich und Chlodovech, kritisch untersucht“ des deutschen Gelehrten Wilhelm Junghans zurück, die 1879 von Gabriel Monod ins Französische übersetzt wurde und daher in einem starken Maße an Einfluss auf die geschichtswissenschaftliche Forschung dieser Zeit gewann. Dazu ausführlich Frye, Aegidius: S. 2, Anm. 2. 584 Vgl. Frye, Aegidius: S. 7 f. und kritisch zu Frye mit einem Bezug auf die Annahme, es habe eine Kooperation zwischen Aegidius und Childerich I. gegeben MacGeorge, Warlords: S. 95–100. MacGeorge geht aber auch davon aus, dass die Quellenlage eine eindeutige Annahme nicht erlaubt. 585 Zur Lage der Aremorica im Kontext der hier interessierenden Aussagen Ewig, Merowinger: S. 20. 586 Vgl. Fehr, Art. Loire: S. 571 ff. 587 Zur Problematik der exakten Bestimmung Muhlberger, Chroniclers: S. 200–204 und Burgess, in: ed. Burgess, Chronicle of 511: S. 86 ff. 588 Beispiele dazu, wie dies abgelaufen sein kann bei Frye, Aegidius: S. 3.
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Es ist offenbar, dass allein geographische Angaben nicht unbedingt für die Bildung der Annahme einer Kooperation ausreichen. Das Argument, Aegidius habe Folgeleistungen von Akteuren aus fränkischen Siedlungsgemeinschaften organisiert, ohne dass er mit Childerich I. kooperierte, ist mit mehreren Textstellen zu konstituieren. Da ist zum einen die ausführlich erzählte Episode bei Gregor, die für eine Annahme zu einer Konkurrenz zwischen Aegidius und Childerich I. herangezogen werden kann. Zum anderen waren noch zur Zeit Chlodwigs I. mehrere fränkische Könige aktiv,589 so dass Aegidius auch mit einem von ihnen oder einem ihrer Vorfahren590 kooperiert haben kann. Es ist aber letztlich auch möglich, dass Aegidius mit keinem dieser Akteure kooperiert hat. Die Annahme einer Konkurrenz zwischen Aegidius und Childerich I. ist besonders auf eine weitgehend positive Leseart der erwähnten Passage aus den decem libri historiarum generiert worden:591 Childerich I. wird in dieser Textpassage von den Akteuren aus seiner Gemeinschaft vertrieben, da er sexualmoralische Verfehlungen begangen hat. Er geht zu den Thüringern ins Exil. Akteure aus der Gemeinschaft rufen daraufhin Aegidius herbei, bis ein Vertrauter Childerichs I. die Franken dazu bewegen kann, Aegidius zu vertreiben. Childerich I. kehrt daraufhin zurück.592 Festzuhalten ist zunächst einmal, dass die Passage legendenhafte Züge trägt. Es ist daher zu vermuten, dass Gregor Informationen literarisch verarbeitete, die eine mündliche Tradition formierten.593 Zum anderen sind die Deutungen des Bischofs anhand der Passage zu erfassen: Unter Einbeziehung kirchlicher Normen erzählt er von sexualmoralischen Verfehlungen. Dabei ist auf der Basis von Untersuchungen anderer legendenhafter Erzählungen zum Handeln fränkischer Könige anzunehmen, dass sie sich in einer besonderen, animalisch anmutenden Weise verhielten, um ihre Position in der Gemeinschaft zu vermitteln und um sich als Inhaber der Position zu produzieren.594 Zum dritten liegt der Fokus des Autors auf der Figur des Childerich I., die am Ende der Erzählung zum Vater Chlodwigs I. wird.595 Die Passage wurde
589 Der Aussage Gregors, Childerich I. habe die Franken insgesamt angeführt, ist daher kritisch zu begegnen. Greg. hist.: 2.12. Dazu Greg. hist.: 2.40–42. Dazu auch die Aufsätze von Matthias Springer, in denen er kritisch auf die Quellen zu den Gemeinschaften der Zeit Childerichs I. sowie Chlodwigs I. und die Zeit vor ihnen eingeht. Zu den salii Springer, Salier?: S. 58–83. Zu den riparii Springer, Riparii: S. 200–269. 590 Die Verwandtschaft Chlodwigs I. mit ihnen ist durch mehrere Passagen bei Gregor zu belegen. Greg. hist.: 2.40; 2.41 und 2.42. Zu der Problematik der exakten Datierung der bei Gregor literarisch verarbeiteten Informationen Becher, Chlodwig I.: S. 251–258. 591 Vgl. Frye, Aegidius: S. 4 und S. 6–9 sowie MacGeorge, Warlords: S. 95 f. 592 Greg. hist.: 2.12. 593 Zu den Quellen Gregors im Allgemeinen Wood, Gregory: S. 249 f. Dazu im Speziellen MacGeorge, Warlords: S. 97 und Becher, Chlodwig I.: S. 125 f. 594 Vgl. Le Jan, Sakralität: S. 82 und bes. S. 86 f. 595 Die Figur wird also im Exil transformiert. Das Exil ist das Medium der Transformation, da sie die Mutterfigur dort kennen lernt. Greg. hist.: 2.12.
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daher als Geburtsgeschichte Chlodwigs I. bezeichnet.596 Für die Frage nach der Konkurrenz zwischen Aegidius und Childerich I. ist allerdings viertens festzuhalten, dass von einer solchen gar nicht erzählt wird, da die Franken sich entscheiden, einem Anderen als den Anführer ihrer Gemeinschaft zu akzeptieren. Beide Figuren konkurrieren gar nicht. Die Gemeinschaft der Childerichfigur, die franci, wird als Subjekt präsentiert.597 Insofern hilft eine rein positive Leseart der Passage in Bezug auf die Beantwortung der Frage nach der Konkurrenz zwischen Childerich I. und Aegidius nicht weiter. Andere zeit- und ortsnahe Aussagen gibt es jedoch kaum. Einzig der Autor der Vita der heiligen Genoveva hat ein paar wenige Zeilen dazu verfasst. Die Vita ist auf den Beginn des 5. Jahrhunderts zu datieren, und demnach sind die Aussagen bereits aus einem relativ großen zeitlichen Abstand zu König Childerichs I. Leben verfasst.598 Woher die Informationen genau stammen, ist nicht zu eruieren. Da aber die Hauptfigur in einem Kontext mit Childerich I. erwähnt wird, kann angenommen werden, dass die Informationen einer oral überlieferten Tradition zum Leben der Genoveva entspringen:599 Genoveva kann Childerich I. davon abbringen, Gefangengenommene zu töten.600 In einer anderen Passage wird von einer zehnjährigen Belagerung der civitas Paris (Parisia) durch Franken erzählt, ohne dass der Name Childerich I. genannt wird.601 Sie ist also nicht eindeutig auf diesen König bezogen. Die Annahme, hierbei könnte es sich um Informationen handeln, die sich auf eine von mehreren Anführern gehaltene Belagerung bezieht, ist in Anbetracht der Erzählungen Gregors über die fränkischen Könige zur Zeit Chlodwigs I. nicht unwahrscheinlich. Der analytische Kontext ist zusätzlich durch einen archäologischen Fund zu bereichern. Ein Siegelring mit dem Namen Childerich wurde in einem Grab gefunden.602 Der Grabfund belegt die Existenz Childerichs I., die in Anbetracht des relativ großen zeitlichen Abstandes der Entstehung von Aussagen zu ihm durchaus in Frage zu stellen wäre. Und noch mehr: Ein Siegelring macht die Annahme administrativer Tätigkeit wahrscheinlich. Dass derartige Praktiken am nordöstlichen Rande Galliens noch während der Erosion ausgeübt worden sind, ist wiederum ein Anzeichen dafür, dass strukturelle Elemente regional bestehen blieben. Diese Administratorentätigkeit fällt ohne Frage mit den übrigen Tätigkeiten des rex Childerich I. in seiner Person zusam-
596 Vgl. Frye, Aegidius: S. 3. 597 „Illique ob hoc indignantes, de regnum eum eieciunt.“ Greg. hist.: 2.12. 598 Zur Datierung Heinzelmann/Poulin, Les vies: S. 13 f. 599 Vgl. Bitel, two saints: S. 51–53. Zu den Aussagen in der vita genoveva Becher, Chlodwig I.: S. 129 f. 600 Vita Genovevae: 26. 601 Vita Genovevae: 35. Hier wird Childerich I. nicht ausdrücklich genannt. Dass die Franken nicht die civitas direkt belagerten, sondern nur im Umland plünderten, ist für Becher nicht unwahrscheinlich. Vgl. Becher, Chlodwig I.: S. 130. 602 Vgl. Périn und Kazanski, Grab Childerichs I.: S. 175–182, bes. 175 und 179–182 sowie Nonn, Franken: S. 110–114.
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men. Dass dies normativ geregelt ablief, ist zwar möglich, aber letztlich nicht mehr zu beweisen.603 Was ist nun abschließend hinsichtlich der Frage zu sagen, ob es eine Konkurrenz oder eine Kooperation zwischen Aegidius und Childerich I. gab? Den ersten Beleg für eine Beziehung zwischen Aegidius und Childerich I. liefert zeitfern Gregor von Tours. Mit Sicherheit ist festzuhalten, dass beide Akteure in den 460er Jahren in Gallien tätig waren. Gemäß der Aussagenlage kann für die Annahmen zu einer Kooperation aber auch für die Annahmen zu einer Konkurrenz argumentiert werden. Es ist aber auf Basis der Quellenlage auch möglich zu argumentieren, dass es keine klar zu unterscheidende Kategorisierung ihrer Beziehung auf der Deutungsebene geben kann. Unerwartete militärische Operationen in Nordgallien, wie es die Aussagen zur militärischen Operation des Frederich anzeigen, wären somit als Faktoren für situationsbezogene Kooperation zu deuten und der Wechsel von Akteuren zu einem anderen Anführer ist eine Verschiebung der Handlungsfähigkeit eines Anführers zu Gunsten eines anderen. Ein Beleg für eine Konkurrenz um Akteure ist jedoch für Aegidius und Childerich I. auch in den decem libri historiarum nicht gegeben. Während wegen der Quellenlage eine kategorisch klare Antwort auf die Frage nach der Konkurrenz oder der Kooperation nicht ohne die berechtigte Möglichkeit von Widersprüchen zu formulieren ist, kann festgestellt werden, dass beide Beziehungsarten situationsbezogen nicht vollkommen unwahrscheinlich sind: Der Rekurs der Autoren auf die Informationen ermöglicht wegen der Unklarheit ihrer literarischen Verarbeitung eher zu zeigen, dass die Phänomene des Geschehens in Gallien in der Mitte der 460er Jahre bereits nicht mehr zu der Genese eindeutiger Informationen geführt haben. Diese Annahme ist letztlich argumentativ mit den Rekursen zeitnaher und zeitfernerer Autoren auf die Titelbezeichnungen einzelner Akteure noch genauer zu fundieren. Mit der literarischen Verarbeitung dieser Autoren wird fassbar, dass die Prozessdynamik der Erosion in ihrer Diskursivität Eindeutigkeit selbst zeitnaher Autoren nicht mehr zugelassen hat. Dies gilt auch für die Phänomene und Informationen der Handlungen militärischer Anführer: Die diskursive Prozessdynamik der Erosion ist in der literarisch verarbeiteten Divergenz der Titelbezeichnungen und der strukturellen Positionen wie auch in den Aussagen zu den Neustrukturierungen indiziert. Sicher ist auch, dass nicht nur Aegidius und Childerich I. als Anführer in Gallien aktiv waren. Mit den Namen Agrippinus, Theoderich II., Frederich, Avitus und Theoderich I. sind weitere Akteure benannt, die Folgeleistungen organisierten. Jedoch sind auch differenzierende Quellenaussagen zu ihnen vorhanden. Daher bietet es sich an, den Warlordism des Aegidius zu präzisieren. Auf ihn wurde bisher nur indirekt eingegangen. Danach wird die Relevanz der sozioökonomischen Praktik des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen verstärkt beachtet. Die bisher schematisch
603 Pointiert Richter, Siegelring?: S. 365. Dazu auch Halsall, Childeric’s Grave: S. 121 f.; Nonn, Verwaltungsorganisation: S. 82 und S. 90 ff. sowie Becher, Chlodwig I.: S. 136 ff.
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erarbeiteten Formen des Warlordism in Gallien604 werden dabei in Relation gesetzt und ihr Verhältnis zum Plündern genauer präzisiert, indem die Formen mit den Relevanzarten verbunden werden. Der Fokus liegt neben der Relevanz des Plünderns auf zusätzlichen Aspekten, da sie bisher zu Präzisionen beigetragen haben.
1.3.3 Der Warlordism des Aegidius und die Erosion der strukturellen Einheit der weströmischen Ordnung in Gallien In den Quellenaussagen zum Konflikt zwischen Aegidius und Agrippinus werden beide Figuren mit Titeln bezeichnet. Die Untersuchung dieser Aussagen ergab, dass durch sie eine Divergenz von traditionellen Titelbezeichnungen und strukturellen Positionen im indifferenten sowie teilweise sogar kreativen Gebrauch von Titeln indiziert wird. Die Autoren dieser Aussagen sind nicht die einzigen, die Anführer mit Titeln in Verbindung bringen. Der Name Paulus wird als Name eines Anführers in Nordgallien nach Aegidius bei Gregor von Tours in Kombination mit der Titelbezeichnung comes genannt.605 Weder ist klar, ob er als Nachfolger des Aegidius zu betrachten ist606 noch ob er als comes einer civitas in Nordgallien aktiv war.607 Ebenso ist anzunehmen, dass Paulus in einer Position agierte, die nicht mit der lokal fixierten Gemeinschaft einer civitas direkt verbunden war. Die Aussagen zum comes Arbogast608 stammen aus einem Brief des Sidonius Apollinaris609 und einem Gedicht des Bischofs Auspicius von Toul.610 Arbogast war in der civitas Trier (Augusta Treverorum) ansässig. Dass er dort militärische Administratorenfunktionen in einer lokal fixierten Position ausübte
604 Die „hunnischen“ Anführer konnten sich in Gallien nicht etablieren. Vgl. Stickler, Hunnen: S. 115–118. Daher werden die Aussagen zu ihnen hier weitgehend unberücksichtigt bleiben, da der Fokus hier auf die Quellenlage zu Gallien gerichtet ist. Ihr Warlordism ist am ehesten mit dem der zumeist als reges bezeichneten Anführer in Gallien zu vergleichen, wobei sie sich hinsichtlich ihrer Positionen bezüglich einer Plünderungs- und Tributwirtschaft als Grundlage einer asymmetrischen Symbiose unterscheiden. Insofern bestehen eindeutig Unterschiede. Vgl. Stickler, Hunnen: S. 40–44. Zudem sind militärische Erfolge als ein Aspekt ihres Warlordism zu betonen. Hier zeigt sich bereits die Konvergenz der Formen des Warlordism. 605 „Paulos vero comes cum Romanis ac Francis Gothis bella intulit et praedas egit.“ Greg. hist.: 2.18. 606 Auch diese Interpretation geht auf „Die Geschichte der fränkischen Könige Childerich und Chlodovech, kritisch untersucht“ des deutschen Gelehrten Wilhelm Junghans zurück. Vgl. Frye, Aegidius: S. 12. 607 Zusammenfassend mit Argumenten für die Bezogenheit der Position des Paulus auf die civitas Angers Frye, Aegidius: S. 11 f. 608 Vgl. Anton, Art. Arbogast, comes von Trier: S. 388 f. 609 Sidon. ep.: 4.17. 610 Zeit- und ortsnah Auspicius von Toul: Epistula Auspici Episcupi Ecclesiae Tullensis Ad Arbogastem Comitem Treverorum. Der Text wurde gegen Ende des 5. Jahrhunderts zeit- und ortsnah von dem Bischof, über den sonst kaum etwas bekannt ist, verfasst. Vgl. Hosius/Krüger/Schanz, Literatur Teil 4 Bd. 2.2: S. 379 f.
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und deswegen Folgeleistungen organisieren konnte,611 wird von Sidonius und Auspicius aber nicht ausdrücklich erwähnt. Auch hier sind mehrere Annahmen möglich: Arbogast könnte ausschließlich zivile oder zivile und militärische Handlungskompetenzen612 gehabt haben. Auch ist nicht sicher, dass sein Titel überhaupt mit einer aus der strukturellen Einheit erodierten Position verbunden war. Die Position kann auch erst durch Handlungen des Arbogast oder wegen seiner umfangreichen materiellen Güter und Ressourcen sowie seiner Beziehungen durch ihn selbst dort geschaffen worden sein.613 Insgesamt lassen die Titelbezeichnungen die weiter oben formulierte Annahme, dass die Diskursivität der Prozessdynamik im indifferenten und teilweise kreativen Gebrauch von Titeln indiziert ist, stimmig erscheinen. Das heißt aber nicht, dass die mit den Titeln bezeichneten Akteure zwangsläufig als Inhaber von Positionen aufzufassen sind, die zuvor aus der strukturellen Einheit erodierten. Deshalb ist zu fragen, was sich genauer über das Organisieren von Folgeleistungen sagen lässt. Für Aegidius kann angenommen werden, dass er in der civitas Lyon oder in ihrer Nähe über Landgüter verfügte.614 Jedoch operierte er eher im Norden Galliens;615 und
611 Zur Argumentation für die Annahme, dass Arbogast eine eigenständige Verwaltung ausübte Anton, Trier: S. 37. Für die Annahme, er sei ein militärischer Kommandant Wickham, Farming: S. 158, Anm. 13. 612 Für die Annahme, Arbogast sei als comes auch mit militärischen Aufgaben betraut gewesen, werden einige Zeilen aus dem Gedicht des Auspicius herangezogen. Eindeutig sind sie aber nicht. Auspicius von Toul: Epistula Auspici Episcupi Ecclesiae Tullensis Ad Arbogastem Comitem Treverorum: 69–70. 613 Auspicius von Toul: Epistula Auspici Episcupi Ecclesiae Tullensis Ad Arbogastem Comitem Treverorum: 29–56. Dazu Anton, Trier: S. 31 ff. und MacGeorge, Warlords: S. 75. 614 Entgegen dieser Annahme ist die Aussage in einem Priskosfragment zu nennen, in dem Aegidius als gebürtiger Gallier aus dem Westen des geographischen Raumes bezeichnet wird. Zeitnah, jedoch ortsfern Exc. de Leg. Gent. 14 = Prisk. Frgt. 39.1 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 343). Auch Hyd. chron.: 214 (218). Etwas anders sieht die Aussagenlage zu Syagrius aus. Er war erst später in Nordgallien aktiv. Gregor von Tours bezeichnet ihn mit dem Titel rex romanorum. Greg. hist.: 2.17. Er hatte möglicherweise Landgüter in der civitas Lyon. Sidon. ep.: 8.8.2. Zu ihm auch Sidon. ep.: 5.5. Hieraus geht hervor, dass er sich in dem Gebiet des Strukturierungszusammenhangs der burgundischen Könige aufhielt. Daher ist plausibel anzunehmen, dass er Landbesitz in der Nähe von Lyon hatte, da in dieser civitas das Stammgebiet der Syagrii lag. Dazu MacGeorge, Warlords: S. 82, Anm. 3. Da Syagrius der Sohn des Aegidius war, ist dann aber zu fragen, ob Aegidius auch über ökonomische Mittel verfügte, die er für das Organisieren von Folgeleistungen verwenden konnte. Es wird tendenziell eher bezweifelt, dass der in den Briefen des Sidonius genannte Syagrius mit dem Sohn des Aegidius identisch ist. Dazu beispielsweise MacGeorge, Warlords: S. 78 und Harries, Sidonius: S. 61. Abseits von der Frage nach der Identität des bei Sidonius genannten Syagrius mit dem in den decem libri historiarum muss aber festgehalten werden, dass Aegidius auch mit dem Syagrius bei Sidonius verwandt gewesen sein muss, da er aller Wahrscheinlichkeit nach auch aus der Familie der Syagrii stammte. Sollte der Annahme über die Zugehörigkeit des Aegidius zu den Syagrii stimmig sein, dann hat er möglicherweise auch über Landgüter verfügt, da andere Mitglieder der Familie zu dieser Zeit ebenfalls Land besaßen. Dazu zeitfern, jedoch ortsnah Vita Epiphanii Ennodio: 173. 615 Vgl. MacGeorge, Warlords: S. 71 ff.
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es gibt keine Aussagen dazu, dass er Akteure mit eigenen materiellen Gütern und Ressourcen versorgte. Jedoch müssen auch diese zumindest mit Nahrung und anderen Bedarfsgütern versorgt worden sein. Die Annahme, dass diese Versorgung durch die Bevölkerung der nördlichen civitates gewährleistet worden sei, ist zwar plausibel, da das seinem Sohn Syagrius durch Gregor von Tours zugeschriebene regnum im Norden Galliens lag,616 doch ist die Aussagenlage derart dünn, dass diese Annahme weitgehend spekulativ bleiben muss. Es ist auch möglich, dass sie sich selbst durch Produktionspraktiken versorgten, zu denen sie zeitweilig übergingen. Für Agrippinus ist die Lage noch schlechter: Es ist vollkommen unklar, wie er die ihm sehr wahrscheinlich Folgeleistenden versorgte.617 Der comes Arbogast, der sicherlich keinen derart umfangreichen Aktionsraum wie Aegidius und Agrippinus hatte,618 könnte ihm Folgeleistende durch ökonomische Potentiale der civitas Trier versorgt haben.619 Es ist allerdings nicht mehr zu eruieren, wie die militärische Verteidigung der civitas exakt organisiert war.620 Dass die Folgeleistenden des comes Paulus nach einer siegreichen Operation plünderten, ist in den decem libri historiarum erzählt. Gregor erzählt genauer, dass er mit fränkischen und römischen Akteuren gegen Goten operierte. Einen Ort nennt er nicht.621 Die Aussagen sind im Gegensatz zu den bisher untersuchten sehr nah an den gegenwärtigen Beobachtungen zu den Handlungen von Akteuren, die als „Warlords“ bezeichnet werden.622 Es ist aber auf der Basis einer kurzen Aussage kaum möglich, eine fundierte Annahme zu formulieren und dies wird noch dadurch erschwert, dass
616 Greg. hist.: 2.27. 617 Nach einer Annahme von Ralph Mathisen war Agrippinus comes der civitas Autun. Hier stellen sich dann aber erneut die Fragen, die auch für die Aussagen zu dem comes Arbogast zu stellen sind: War Agrippinus einer der lokalen Aristokraten, die durch die Verfügung über Ländereien herausragende Akteure waren oder war seine Position struktureller Art? Dies führt dann zu den Fragen, ob diese ein Element der erodierenden strukturellen Ordnung war oder ob er Handlungskompetenzen akkumulierte und so seine Position generiert worden ist. Wenn aber die Position lokal war, muss für ihn zusätzlich erfragt werden, wie die offenbare Mobilität des Agrippinus zu Stande kam? All diese Fragen sind auf der Basis der sehr geringen Aussagenlage kaum zu beantworten. Zur Annahme seiner geographischen Herkunft Mathisen, Resistance: S. 615. 618 Mit kritischem Bezug auf die Aussagenlage Anton, Trier: S. 36. 619 Vgl. Wickham, Farming: S. 169 f. 620 Für die Annahme einer wahrscheinlichen Beteiligung des comes Arbogast an der militärischen Administration Anton, Trier: S. 35 f. 621 Greg. hist.: 2.18. 622 Das Plündern ist eine Erwerbsweise, die in die Typologie der Erwerbshandlungen von „Warlords“ eingegangen ist. Auch die situationsbezogene Kooperation eines Anführers mit anderen, wie sie in den Aussagen mit dem comes Paulus attestiert werden kann, entspricht dieser Typologie der Akquirierung von materiellen Gütern und Ressourcen. Vgl. Le Billon, Ressourcen: S. 145; Schetter, Gewaltwirtschaft: S. 1233 f.; Ballentine, Armed Conflict: S. 269 ff.; MacKinlay, Warlords: S. 53 ff. und Reno, African Society: S. 220 ff.
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der Bestand zu Aegidius, der mit Abstand die größte Summe an Aussagen in Relation zu den anderen hier behandelten Anführern umfasst, eher gegenteilig ist: Aegidius kämpfte im Namen Roms gegen Aggressoren und griff nicht andere an, um mit den ihm Folgeleistenden zu plündern. Für die Präzision dieser Form des Warlordism in Gallien in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts ist festzuhalten, dass sie durch Lokalität und Regionalität gekennzeichnet ist. Die lokale Verankerung der mit Titeln versehenen Anführer, deren Positionen ihre Strukturgebundenheit entweder verloren hatten oder erst im Prozess der Erosion durch die Akkumulation von zuvor strukturgebundenen Handlungskompetenzen entstanden waren, hing jedoch weniger mit den ökonomischen Mitteln der Anführer zusammen. Die Frage, wie diese Anführer Folgeleistungen organisierten, kann mit einem Verweis auf diese Mittel nicht beantwortet werden. Deswegen sind für die Präzision abschließend die Positionen genauer zu erfragen. Sicher ist, dass die mit Titeln Bezeichneten zumeist Folgeleistungen organisierten. Dass diese primär durch Beziehungen organisiert worden sind, ist durchaus plausibel. Auch die Erfahrungen und vorherigen Erfolge der Anführer waren sicherlich nicht unwichtig. Für Aegidius ist dies auf der Basis der Quellenlage zumindest wahrscheinlich. Das Divergieren von Titeln und strukturellen Positionen war während der Erosion für das Organisieren von Folgeleistungen demnach kaum hinderlich: Gebiete konnten von Anführern vor Aggressoren bewahrt werden; und Plünderungen wurden – wenn dazu auch kaum Aussagen vorhanden sind – ebenso vollzogen. Die Form korreliert mit den aktuellen Forschungsergebnissen zu Konflikten in zerfallenden und zerfallenen Staaten,623 wobei die ökonomische Dimension auf der Basis der Aussagenlage weitgehend thesenförmig bleiben muss. Plünderungen und die Distribution materieller Güter und Ressourcen durch eigene ökonomische Mittel sind aber für die mit Titeln versehenen Anführer sehr wohl möglich. Für die Präzision dieser Form des Warlordism ist daher festzuhalten: Einige Kompetenzen, die den strukturellen Positionen der erodierenden weströmischen Ordnung immanent waren, wurden von Akteuren während der Erosion akkumuliert. Die Kompetenzen wurden dann auch ohne durch die strukturelle Einheit gegebene Legitimität akzeptiert, was in den Folgeleistungen gegenüber den Anführern angezeigt ist.624 Insofern sind in der Akkumulation von Handlungskompetenzen praktische Neudefinitionen von Positionen gegeben,625 was zusätzlich auch die Divergenz aus einer anderen Per-
623 Für einen Überblick MacKinlay, Warlords: S. 53–59. 624 Dazu in der aktuellen Forschung zusammenfassend Rufin, Kriegswirtschaft: S. 15–39. 625 MacGeorge sieht „Warlords“ teilweise als Akteure, die während der Erosion in Positionen agierten, die sie durch Akkumulation von Handlungskompetenzen dazu befähigten, römische Traditionen aufrecht zuhalten. Dies entspricht weitgehend der zweiten Form von Warlordism in dieser Studie, lässt aber die Perspektive vermissen, dass die Akkumulation zu praktischen Neudefinitionen führen konnte. Vgl. MacGeorge, Warlords: S. 295 ff.
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spektive erklärt. Diese Form des Warlordism ist in dieser Hinsicht nicht vollkommen anomisch.626
1.3.4 Die sozioökonomische Praktik des Plünderns und die Formen des Warlordism in Gallien Die gallischen civitates wurden seit der Mitte des 5. Jahrhundert in den Texten zeitund ortsnah schreibender Autoren als Orte militärischer Operationen und lokaler sowie regionaler Konflikte literarisch gestaltet. Lokalität rückte in einem stärkeren Maße in die Aussagen ein. Daher kann von einer Rekursverschiebung der Autoren gesprochen werden.627 Damit ist erneut die Prozessdynamik der Erosion in ihrer Diskursivität indiziert. Die Autoren konstruierten dabei einige Figuren von Anführern literarisch, die ebenso auf die Dynamik schließen lassen. Mit Aegidius und Childerich I. aber auch mit Theoderich II., Frederich und Agrippinus sind Namen von Anführern in Gallien überliefert, die aller Wahrscheinlichkeit ab den 460er Jahren weitgehend unabhängig vom Zentrum der weströmischen Ordnung in Gallien agierten. Anhand der bisher untersuchten Aussagen lassen sich drei Formen von Warlordism in der Mitte des 5. Jahrhunderts in Gallien eingrenzen. Bei ihrer Präzision können keine reinen Idealformen formuliert werden, da die Aussagen raumzeitlich spezifisch sind. Es geht vielmehr darum, auf der Deutungsebene mit der Präzision über verschiedene Anführer durch die Beachtung des ihnen zugeschriebenen Organisierens von Folgeleistungen zu orientieren. Die drei herausgearbeiteten Formen des Warlordism sind konvergent. Sie weisen untereinander Ähnlichkeiten und Unterschiede auf. Zuerst zu den Tendenzen, die sie jeweils im Kern ausmachen: Die erste Form, die sich auf der Basis der Aussagen zu den Handlungen einiger Grundbesitzer fassen lässt, ist „reaktiv-situationsbezogen“, die zweite, die aus der in den Quellenaussagen zu erschließenden Divergenz von Titeln und den strukturellen Positionen resultiert, ist „Handlungskompetenzen akkumulierend“ zu nennen und die dritte Form, die sich mit den Aussagen zu den
626 Der Terminus Anomie, der in der soziologischen Forschungsliteratur im Bereich der Theorien abweichenden Verhaltens diskutiert wird, bezeichnet Normlosigkeit. Zur Diskussion überblickend Lamnek, Theorien. und Lamnek, Neue Theorien. Er geht auf Émile Durkheim zurück, der ihn zuerst in seiner Monographie zur sozialen Arbeitsteilung verwendet hat. Vgl. Lamnek, Theorien: S. 108. Dazu Durkheim, Anomie: S. 394–436. An dieser Stelle ist festzuhalten, dass während der Erosion kein normloser Bereich entstand, sondern während der diskursiven Prozessdynamik Neudefinitionen stattfanden. Die von den Akteuren verwendeten Praktiken, die auch in die Formenbildung des Warlordism eingehen, sind also nicht als rein destruktive Handlungen zu begreifen. Es geht um praktische Neudefinitionen. Die Transformation ist daher nicht als einheitlich zu verstehen. 627 Für den seit der Mitte des 5. Jahrhunderts zunehmenden Fokus gallischer Autoren auf die lokale Ebene von Konflikten, besonders auf die einzelnen civitates MacGeorge, Warlords: S. 99, Anm. 79.
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Handlungen der zumeist als reges bezeichneten Anführer konstituieren lässt, kann als „optional-materielle Güter und Ressourcen akquirierend“ beschrieben werden. Die Quellenlage zeigt die lokale Gebundenheit aller Anführer, die von Form zu Form etwas anders ausfällt. Die Grundbesitzer waren an ihre Ländereien gebunden, die die Grundlage ihres aristokratischen Lebensstils und ihres Herausragens sowie ihrer Beziehungen waren. Die mit Titeln bezeichneten Anführer operierten entweder in relativ großen geographischen Räumen, die einige civitates umfassten, gegen Aggressoren oder sind auf einzelne civitates bezogen, wobei in diesen Fällen nicht exakt zu klären ist, wie im Detail die Folgeleistungen organisiert wurden. Die zumeist als reges bezeichneten Anführer der relativ einheitlich organisierten Gemeinschaften sind zumeist in den von weströmischen Repräsentanten zugeteilten Gebieten zu lokalisieren. Sie erweiterten Strukturierungszusammenhänge durch militärische Operationen und Übergaben von civitates. Weitere Überschneidungen der drei Formen von Warlordism ergeben sich in Bezug der Akteure auf jene Mittel, die zu Neustrukturierungen führten. Jedoch sind auch diese Bezüge jeweils anders gelagert. Reaktiv-situationsbezogener Warlordism wurde mit materiellen Gütern und Ressourcen sowie sozialen Beziehungen befördert. Mit ihnen wurden die Folgeleistungen organisiert. Erfahrungen und Erfolge waren dabei ebenfalls nicht unwichtig. Der optional-materielle Güter und Ressourcen akquirierende Warlordism hingegen basierte auf den relativ einheitlich organisierten Gemeinschaften, die lokal verankert worden waren. Der Unterschied zur ersten Form besteht in der Gewichtung von Akteuren und geographischen Grundlagen. Hingegen sind Aussagen und Annahmen zu der Akkumulation von Handlungskompetenzen, sozialen Beziehungen, militärischen Erfolgen und Erfahrungen für die zweite Form prägend. Folgeleistungen wurden auf ihrer Basis für militärische Operationen sowie lokale und regionale Konflikte organisiert. Die Anwendung anderer Mittel ist durchaus plausibel. Eine Aussage zum Plündern ist aber nur einmal gegeben und stammt aus dem 6. Jahrhundert, wobei ein Rekurs auf Informationen möglich bleibt. Die Anführer sind nicht immer einer der drei Formen eindeutig beizuordnen. So ist für den rex Childerich I. festzustellen, dass er wahrscheinlich auch administrative Handlungen ausgeübt hat. Ob er dies nach einer Akkumulation von Handlungskompetenzen in seiner Position als rex tat oder ob dies durch einen Repräsentanten der weströmischen Ordnung an ihn herangetragen wurde, ist nicht eindeutig zu klären.628 Die mit der Divergenz von Titelbezeichnungen und strukturellen Positionen verlaufende Akkumulation von Handlungskompetenzen ist aber auch anhand archäologischer Funde und Aussagen zu Childerich I. anzunehmen. Diese Uneindeutigkeit der Aussagen und archäologischen Funde verdeutlicht, dass eine eindeutige Zuordnung zu einer Form nicht möglich ist. Ähnliches gilt für Aegidius, der, wie angenommen wird, aristokratischer Abstammung war und somit über materielle Güter
628 Vgl. Nonn, Verwaltungsorganisation: S. 82 und S. 90 ff. sowie Becher, Chlodwig I.: S. 136 ff.
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Quellenuntersuchung
und Ressourcen verfügt haben müsste, die ihm das Organisieren von Folgeleistungen auch während und nach der Divergenz von Titeln und strukturellen Positionen ermöglicht haben. Jedoch gibt es hierzu keine expliziten Quellenaussagen. Avitus hat als aristokratische Grundbesitzer Titel und damit verbundene Positionen der weströmischen Ordnung erlangt. Die Aussagen zu seinem Handeln lassen die Formulierung zu, dass er zu einer Art Warlordism übergingen, der dadurch gekennzeichnet ist, dass sie Folgeleistungen mittels einiger materieller Güter und Ressourcen organisierte, die in ihrer Gesamtheit als Grundlage seines sesshaft-aristokratischen Lebens erhalten werden sollten.629 Das gilt auch für seinen Sohn Ecdicius.630 Die ihm Folgeleistenden plünderten möglicherweise aber auch.631 Das Verhältnis der drei Formen des Warlordism in Gallien Mitte des 5. Jahrhunderts zur sozioökonomischen Praktik des Plünderns ist somit wie folgt zu präzisieren:
629 Insgesamt Sidon. carm.: 7.241–295. Dass bei dem Organisieren der Folgeleistungen materieller Besitz ein Aspekt ist, der das Organisieren ohne Frage bedingte, ergibt sich aus den Aussagen zu den Plünderungen. Es ist anzunehmen, dass Avitus, der selbst in der Region Güter hatte und dort räumlich niedergelassen war, Akteure Folge leisteten, die ebenso in der Region lebten. Sicher ist dies aber nicht. Weiter ist der Annahme der Relevanz materieller Güter und Ressourcen für das Organisieren von Folgeleistungen nicht implizit, dass die Folgeleistenden zwangsläufig als Söldner zu bezeichnen sind. Die Relevanz der Söldner wurde für Britannien in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts bereits relativ intensiv erforscht. Dabei müssen einige der Ergebnisse aufgrund der dünnen Aussagenlage thesenförmig bleiben. Dazu überblickend Kleinschmidt, Angelsachsen: S. 46–49. Für die historische Betrachtung der weströmischen Ordnung im Allgemeinen Liebeschütz, Roman army: S. 266 ff. Zur Bedeutung von Söldnern in aktuellen Konflikten Schetter, Gewaltwirtschaft: S. 1233. Ein Sold im Sinne einer kontinuierlichen Zahlung von materiellen Gütern und Ressourcen oder auch Gold ist in den Aussagen zu Avitus nicht indiziert. Zur mit dem Gebrauch des Wortes verbundenen Notwendigkeit solcher Bachrach, Mercenaries: S. 183 f. 630 Ein ähnlicher Zusammenhang ist in einem weiteren Text des Sidonius Apollinaris gegeben. In einem seiner Briefe sind Aussagen dazu zu finden, dass der Sohn des Avitus Folgeleistungen auf eigene Kosten während der militärischen Operationen des Königs Eurich organisiert hat: „Taceo deinceps collegisse te privatis viribus publici exercitus speciem pervis extrinsecus maiorem opibus adiutum et infreniores hostium ante discursus castigatis cohercuisse populatibus.“ Sidon. ep.: 3.3.7. Auf sie wird im nächsten Unterkapitel ausführlich eingegangen werden. Soziale Beziehungen sowie materielle Güter und Ressourcen ergeben in beiden Zusammenhängen die Folgeleistungen. Die auf Sesshaftigkeit basierende lokale Zugehörigkeit von Akteuren ist auch bei dem Organisieren von Folgeleistungen durch Ecdicius betont. Sidon. ep.: 3.3. 631 Auf der Grundlage der Aussagen Avitus, aber auch seinen Sohn Ecdicius als „Warlords“ zu beschreiben, ist sicherlich ungewöhnlich, auch wenn es orts- und zeitnahe Aussagen dazu gibt, dass Ecdicius und die ihm Folgeleistenden plündernd erwarben. Sidon. ep.: 5.16.1. Diese Formulierung mag im Kontext der Erhebung des Ecdicius aber auch nur zur Herausstellung seiner Leistungen getroffen worden sein. Dies ist tatsächlich wahrscheinlich, da Ecdicius zu dieser Zeit nicht als Repräsentant der weströmischen Ordnung tätig war. Whittaker sieht neben dem „Warlord“ als Form die des „Soldaten mit Landbesitz und Patron“ und die des „Landbesitzers als Soldat“. Anführerschaft ist hierbei aber nur unzureichend akzentuiert. Vgl. Whittaker, Warlords: S. 281–286 und S. 286–291. Für Krause sind die Folgeleistenden des Ecdicius eine reine Privatarmee. Vgl. Krause, Patronatsformen: S. 137 f.
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Die erste Form entstand, wenn lokal verankerte Gemeinschaften von Plünderungen bedroht wurden. Plünderungen führten zum Organisieren von Folgeleistungen, indem auf sie reagiert wurde, wenn die Situation dies erforderte. So waren Plünderungen in diesem reaktiven Verhältnis für das Entstehen dieser Form von Warlordism relevant. Ohne Plünderungen hätte es sie nicht gegeben, auch wenn hier kein aktives Praktizieren, sondern ein passives Reagieren gegenüber dem Plündern attestiert werden muss.632 Aktive und passive Relevanzarten sind also mit den Formen des Warlordism auf der Deutungsebene verbunden. Hier sind die passiven Relevanzarten betont. Die zweite Form ist von einem ambivalenten Verhältnis zum Plündern gekennzeichnet. Erwerb von materiellen Gütern und Ressourcen durch das Plündern, der dieser Form zuzuordnen ist, kann allerdings nur mit einer Aussage aus dem 6. Jahrhundert belegt werden. Zu fragen ist dann aber, wie die grundlegende Versorgung der Folgeleistenden der zweiten Form organisiert werden konnte. Plausibel ist, dass diese über civitates ablief, deren Gemeinschaften sich vor Aggressoren verteidigten. Daher ist für diese Form festzuhalten, dass der aktive Gebrauch des Plünderns für die auf diese Art organisierten Folgeleistungen keine ökonomische Notwendigkeit war. Weiter ist anzunehmen, dass die civitates vor Plünderungen zu schützen waren, da sonst die Folgeleistungen nicht mehr auf der Basis des ökonomischen Potentials kurzfristig zu organisieren gewesen wären. Geplündert werden konnte nur, wenn es nicht die civitates betraf, die zur Grundversorgung genutzt wurden. Somit deutet sich hier zumindest im Fall des Aegidius eine Neustrukturierung älterer Strukturelemente der erodierten Einheit an, da Aegidius mit der Akkumulation von zuvor strukturgebundenen Handlungskompetenzen die Verteidigung militärischer Art übernahm, die zuvor nicht an einen Akteur persönlich, sondern in einer mit Titel bezeichneten Position der strukturellen Einheit abstrakt gelagert war. Insofern lässt sich von einer praktisch neudefinierten Position sprechen. Die dritte Form von Warlordism ist historisch betrachtet die erfolgreichste, da die reges zu den Neustrukturierungen der strukturellen Elemente vermehrt beigetragen haben. Die Aussagenlage zu den Handlungen der zumeist als reges bezeichneten Anführer ist daher in Relation zu den ersten beiden Formen des Warlordism größer.633 Das Potential ihrer Position war mit der Organisation der Gemeinschaften verbunden, welche die Repräsentanten der weströmischen Ordnung zu integrieren
632 Das ist allerdings nicht gewöhnlich: Andere Aristokraten wie die von Lugdunum und auch wahrscheinlich die aus Narbo haben unter ähnlichen Bedingungen andere Strategien verfolgt. Sidon. carm.: 5.565–582 und Hyd. chron.: 212 (217). Für alle gilt aber: Nicht die strukturelle Einheit war das für sie zu Verteidigende, sondern die ökonomischen Grundlagen ihres sesshaften Lebens, durch welche sie herausragten. 633 Das liegt primär daran, dass ihre Positionen in den relativ einheitlich organisierten Gemeinschaften die Potentiale boten, um in Gallien die strukturellen Elemente der strukturellen Einheit der weströmischen Ordnung in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts neu zu strukturieren. Vgl. MacGeorge, Warlords: S. 133–136.
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versuchten. Somit wurden die Gemeinschaften lokal fixiert. Die Positionen der reges wurden auf diese Weise in die weströmische Ordnung vertieft integriert. Geregelt waren die Integrationen der relativ einheitlich organisierten Gemeinschaften durch normative Vereinbarungen.634 Sie konnten aber die Handlungen der integrierten Vertragspartner nicht formieren. Eher formierten Handlungen definierend neue Zusammenhänge in ganz praktischen Abläufen. So konnten reges mit ihnen Folgeleistenden zu Plünderungen des weströmischen Gebietes übergehen,635 die selbstredend nicht vertraglich vereinbart worden waren, oder mit Akteuren kooperieren, die entgegen dem Zentrum der strukturellen Einheit handelten.636 Die Versorgung der Gemeinschaften beruhte also nicht nur auf von Sesshaftigkeit bedingten Produktionsweisen, sondern auch auf Erwerbsweisen, die Mobilität benötigten. Das Plündern war weiterhin eine sozioökonomische Option. Die Praktik wurde durch Repräsentanten der weströmischen Ordnung teilweise reaktiviert. Aristokraten beförderten sie auch. Dabei wurden zudem seit der Mitte des 5. Jahrhunderts in Gallien die Neustrukturierungen intensiviert. Diese Neustrukturierungen verliefen in militärischen Operationen wie auch durch die Übergaben von civitates. Darin ist auch einer der Gründe zu sehen, warum aus einer strukturellen Einheit eine Vielheit von Strukturierungszusammenhängen wurde.637 Dadurch steigerte sich die Handlungsfähigkeit der reges. Die den reges Folgeleistenden waren also nicht nur ein militärisches Mittel für Neustrukturierungen durch militärische Operationen, sondern auch ein ökonomisches Erwerbsmittel der relativ einheitlich organisierten Gemeinschaften in ihrer jeweiligen Gesamtheit.638 Die aktiven Relevanzarten sind hierbei akzentuiert.
634 Überblickend Pohl, Integration: S. 9 f. und Pohl, Völkerwanderung: S. 28. 635 Die Gemeinschaften sind nicht als „geschlossene Kriegswirtschaften“ zu beschreiben. Der Terminus bezieht sich auf Guerilla- oder Widerstandsbewegungen. Vgl. Rufin, Kriegswirtschaft: S. 16 f. Sie wurden auch wegen des Bedarfs an Folgeleistenden in die weströmische Ordnung integriert. Vgl. Demandt, Spätantike: S. 244 f. 636 Auch für Anführer, deren Handlungsfähigkeit entweder auf materiellen Gütern und Ressourcen oder auf einer Akkumulation ehemals strukturgebundener Handlungskompetenzen fußte, konnten reges wichtig sein. Auch für andere Akteure waren die Folgeleistenden aus den Gemeinschaften der reges ein militärisches Mittel. Die Aussagen zu der Eroberung von Ludgunum und der Übergabe von Narbo, aber auch die zu den Neustrukturierungen auf der Iberischen Halbinsel und die zur Beziehung von Aegidius und Childerich I. können als Belege ihrer Relevanz geltend gemacht werden. Überblickend Frye, Aegidius: S. 4–10 und MacGeorge, Warlords: S. 82–110. 637 Die in militärischen Operationen oder geregelten Übergaben vollzogenen Neustrukturierungen der strukturellen Elemente waren in differenten Weisen mit der Erweiterung des ökonomischen Potentials der als reges bezeichneten Positionsinhaber verbunden. Annehmbar ist, dass die Inkorporation neuer civitates Formen der Redistribution oder der Distribution ermöglichte. Zu den Verteilungsarten Bazelmans/Kehne/Ogris: Art. Geschenke: S. 466–477 und Polanyi, Transformation. 638 Das wird auch in der aktuellen politologischen Forschung festgehalten. Beispielsweise Schetter, Gewaltwirtschaft: S. 1233 f. und Schlichte, Profiteure: S. 133.
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Abschließend ist noch festzuhalten, dass keine Form des Warlordism als vollkommen anomisch aufzufassen ist. Die Anführer, die der ersten Form zuzuordnen sind, bemühten sich um den Erhalt der lokalen Normalzustände. Diejenigen, die der zweiten Form beigeordnet werden können, akkumulierten zuvor strukturgebundene Handlungskompetenzen. Somit ist auch hier die Normalität einzelner Regionen angezeigt. Neustrukturierungen sind also auch für diese Akteure wie auch für die reges vorzufinden.639 Die zeitnahen Aussagen zu solchen Neustrukturierungen nach dem Tod des Aegidius im Jahr 464 oder 465640 fallen für den Süden und den Norden Galliens unterschiedlich aus. Während im Süden der König von Toulouse641 mit den ihm Folgeleistenden militärisch operierte und weitere civitates in seinen Strukturierungszusammenhang inkorporierte, werfen die wenigen Aussagen zu Nordgallien die Frage auf, ob in dem geographischen Raum überhaupt ein solcher Strukturierungszusammenhang bestand und wie er zu beschreiben ist. Im nächsten Unterkapitel werden die beiden Aussagenbestände untersucht. Begonnen wird mit den Aussagen zu den militärischen Operationen König Eurichs.
639 Alle bisher explizierten Aspekte des Warlordism der Positionsinhaber, die zumeist als reges bezeichnet wurden, weisen Parallelen zu den aktuellen Forschungsergebnissen zu den Handlungen von Anführern in zerfallenden und zerfallenen Staaten auf. Ein Beispiel ist die Abhängigkeit der Anführer von den ihnen Folgeleistenden. Dazu beispielsweise Greg. hist.: 2.27 und Greg. hist.: 3.11. Diesen Aspekt betreffend Waldmann, Societies: S. 71. Ein anderes Beispiel ist mit den Erwerbsweisen umrissen, die auch in den Aussagen des 5. Jahrhunderts zu fassen sind. Vgl. Le Billon, Ressourcen: S. 144–160, bes. 145 und 153. Die Kodifikation von Rechtstexten für die geographischen Räume der Strukturierungszusammenhänge unterscheidet sie aber. Für einen aktuellen Überblick Siems, Rechtsquellen: S. 245–287. Für die aktuelle politologische Erforschung jener Akteure, die als „Warlords“ bezeichnet werden, ist festzuhalten, dass auch diese auf Maßnahmen zurückgreifen, die auch staatliche Akteure gebrauchen, oder zumindest an solche erinnern. Vgl. Schlichte, Profiteure: S. 126 f. Auch können die als „Warlords“ bezeichneten Akteure in globalen Prozessen ähnlich wie die staatlichen Akteure handeln. Vgl. Reno, African Society: S. 217–228. Hinzu kommt, dass „Schattenstaaten“ sich in den offiziellen Strukturen eines Staates bilden können. Vgl. Reno, States: S. 45–54. Diese sind aber nicht durch die Ausprägung neuer Normgefüge gekennzeichnet, sondern durch die von einzelnen Akteuren geprägte persönliche Bereicherung durch die staatlichen Strukturen und die Einrichtung von Strukturen zu diesem Zweck. Dazu Reno, States: S. 56–60. Insofern unterscheiden sich die „Schattenstaaten“ von den Strukturierungszusammenhängen aus der geschichtswissenschaftlichen Perspektive, da, wenn auch nur zu rein repräsentativen Zwecken, die reges das soziale Miteinander durch Normen zu regeln versuchen, die auf älteren Normen aufbauen. 640 „Aegidius moritur, alii dicunt insidiis, alii veneno deceptus. Quo desistente, mox Gothi regiones invadunt quas Romano nomini tuebatur.“ Hyd. chron.: 224 (228). Zur Problematik der exakten Datierung des Todes von Aegidius MacGeorge, Warlords: S. 78 f. 641 Ab dem Jahr 466 oder 467 war dies Eurich. Zur Diskussion der Quellenaussagen und zur genauen Datierung seiner Erhebung zum König von Toulouse Gillet, Euric: S. 1–40.
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1.4 Gallien nach Aegidius bis zum Jahr 482 Nach dem Tod des Aegidius wurden die strukturellen Elemente in Gallien weiter neustrukturiert. Während für die militärischen Operationen König Eurichs von Toulouse in Südgallien ein umfangreicher Quellenbestand vorhanden ist, gibt es einen solchen für Nordgallien bis zum Jahr 482 nicht. Zudem sind Aussagen zum Plündern unterschiedlich verteilt. Die Bestände erfordern daher jeweils andere Modifikationen der Leitfrage, die selbstredend auch direkt an das Material herangetragen werden kann.
1.4.1 Der Süden Galliens Das westgotische Königsgeschlecht von Toulouse642 hatte die als rex bezeichnete Position bereits knapp 50 Jahre inne,643 als Eurich seinen älteren Bruder Theoderich II. ermordete.644 Er wurde entweder 466 oder 467 zum König. Die exakte Datierung ist nicht sicher.645 Das Jahr 467 ist etwas wahrscheinlicher.646 Sicher ist nur, dass Eurich wenige Jahre nach seinem Antritt mit militärischen Operationen auf der Iberischen Halbinsel und im Süden Galliens begann. Ihre Chronologie ist jedoch nicht einfach zu erschließen.
642 Die Familie der Balthen hatte bereits vor der Etablierung der rex-Position über größeren Einfluss verfügt. Nach Wolfram ist der Name Alarich I., der des ersten rex aus dem Geschlecht der Balthen, eine Variation der Namen Ariarich, Aorich und Athanarich. Akteure mit diesen Namen hatten zuvor die iudex-Position inne. Vgl. Wolfram, Studien: S. 120 f. Der iudex-Position oblagen zwischen dem älteren und dem neuen Königtum der Westgoten ausgleichende und orientierende Funktionen. Vgl. Wolfram, Studien: S. 114–138, bes. 132–137. Alle reges nach der Ansiedlung der relativ einheitlich organisierten Gemeinschaft zur Zeit des Wallia um Toulouse waren mit dem Geschlecht verbunden. Vgl. Wolfram, Goten 2001: S. 372 f. Zur Ansiedlung Burns, settlement of 418: S. 56–62 und Wolfram, Studien: S. 187–193. 643 Die unter Eurich beginnenden Wandlungen in den Beziehungen zwischen den weströmischen Repräsentanten und den Königen von Toulouse einbeziehend Panzram, Eurich: S. 124 f. 644 Theoderich II. hatte bereits seinen Bruder Thorismund ermordet. Zu beiden Morden zeitnah, jedoch ortsfern Hyd. chron.: 234 (238). Zu den Gebieten, die zur Zeit der Ermordung des Theoderich II. vom König von Toulouse beeinflusst waren Wolfram, Goten 2001: S. 186 f. Für weitere zeitnahe und ortsnahe Aussagen zur Ermordung des Theoderich II. Gall. chron. 511: 74 (643). Zu weiteren Aussagen, die von zeitferneren Autoren geschrieben worden sind Gillet, Euric: S. 3 ff. 645 Vgl. Gillet, Euric: S. 1 f. und S. 3–19. 646 In diesem Jahr endete das Interregnum in Italien. Vgl. Henning, Periclitans: S. 43–45. Anthemius wurde aus Konstantinopel nach Italien gesandt, um die Position des weströmischen Kaisers einzunehmen. Zu der sozialen Herkunft des Anthemius und seinen persönlichen Beziehungen mit dem seit 467 regierenden oströmischen Kaiser Leo I. Mathisen, Anthemius: S. 191–222. Da Hydatius für dieses Jahr verzeichnet, dass Eurich eine Gesandtschaft gen Italien schickte, wird angenommen, dass der Mord kurz zuvor stattfand. Zeitnah, jedoch ortsfern. Hyd. chron.: 234 (238). Zur Perspektive des Hydatius auf den Süden Galliens Burgess, Gallia Gothica: S. 19–27.
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Die Hauptquellen für die militärischen Operationen sind einige Briefe des Sidonius Apollinaris. Dieser war von den Operationen selbst betroffen. Mehrfach wurde die civitas Augustonemetum belagert. Sidonius war entweder Ende der 460er Jahre oder zu Beginn der 470er Jahre zum Bischof in der civitas investiert worden647 und hatte sich um die Entsetzung und das Durchhalten der Bevölkerung bemüht. Trotz der räumlichen und zeitlichen Nähe des Autors zum Geschehen in Südgallien sind einzelne Briefe nicht exakt zu datieren.648 Selbst die Publikationen der Briefe in mehreren Büchern sind nicht genau zu datieren.649 Hieraus resultieren insgesamt Probleme für die Chronologie der Abläufe während der militärischen Operationen. In ihrem Vorfeld ist der Fall des Arvandus650 zu verorten. Kaiser Anthemius hatte ihn als praefectus praetorio galliarum übernommen.651 Arvandus hatte einen Geheimbrief an den König von Toulouse gesandt und diesen aufgefordert, Gallien zusammen mit den Burgundern aufzuteilen.652 Er wurde deswegen nach Italien zitiert und angeklagt. Sidonius Apollinaris befand sich zu dieser Zeit selbst in Italien. Nachdem er am 01.01.468653 einen panegyricus für den neuen Kaiser vorgetragen hatte, wurde er zum praefectus urbi romae ernannt.654 Er setzte sich für Arvandus ein.655 Das Verfahren gegen Arvandus wird allgemein auf 468 datiert,656 da Cassiodor in seiner chronica 469 als Begnadigungsjahr nennt.657 Die militärischen Operationen des Eurich
647 Dass Sidonius 469 nach Clermont zurückgekehrt sein muss, ist wahrscheinlich. Zur Problematik der exakten Datierung seiner Erhebung zum Bischof von Clermont Harries, Sidonius: S. 169 f. 648 Vgl. Kaufmann, Sidonius: S. 170 ff. Alle Aussagen des Sidonius Apollinaris zu den militärischen Operationen sind zeit- und ortsnah verfasst worden. 649 Die ersten sieben Bücher seiner epistulae wurden gegen Ende der 470er Jahre mit der Unterstützung des in Lyon tätigen Priesters Constantius publiziert. Sidon. ep.: 1.1.1. Dazu Harries, Sidonius: S. 7 f. Dieser Brief ist an den besagten Constantius gerichtet. Die letzten beiden Bände wurden bis 481 oder kurz danach publiziert. Der achte Band erschien um 480. Bei der Publikation unterstützten ihn Petronius, ein vir illustris aus Arles, und ein Mann namens Firminus, der ebenfalls aus Arles stammte. Vgl. Harries, Sidonius: S. 8 f. und Kaufmann, Sidonius: S. 66 f. 650 Vgl. Heinzelmann, Prosopographie: S. 561. 651 Vgl. Henning, Periclitans: S. 91. 652 Sidon. ep.: 1.7. Für eine Datierung auf 469 (ed. Anderson, Sidonius Apollinaris Bd. I.: S. XLI) und (ed. Loyen, Sidonius Apollinaris Bd. II: S. 21). Für eine Datierung auf 468 (ed. Dalton, Sidonius Bd. I: S. 15). 653 Sidon. ep.: 1.9. Für eine Datierung auf 468 (ed. Anderson, Sidonius Apollinaris Bd. I: S. 383, Anm. *) und (ed. Dalton, Sidonius Bd. I: S. 22) sowie (ed. Loyen, Sidonius Apollinaris Bd. II: S. 30). Zur Datierung des Vortrags auf den 01.01.468 Henning, Periclitans: S. 157. 654 Vgl. Harries, Sidonius: S. 147 ff. 655 Vgl. Teitler, Gaul: S. 311 f. 656 Zur Datierung mit jeweils kleineren Unterschieden Teitler, Gaul: S. 309; Harries, Sidonius: S. 158; Henning, Periclitans: S. 165 und Sivan, Theoderich II.: S. 93. Mit einer Datierung des Geheimbriefs auf das Jahr 468 Mathisen, Aristocrats: S. 83 f. 657 Cassiod. chron.: 1286 (469). Die Aufzeichnung wurde allerdings zeitfern verfasst. Auch ist der Rekurs des Cassiodor auf die Informationen dazu nicht sicher zu bestimmen. Allerdings arbeitete
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innerhalb Galliens können nicht vor dem Verfahren begonnen haben, da der Zusammenhang in den Quellen fehlt. Sie können folglich frühestens Ende 469 begonnen haben.658 Da sich aber die Folgeleistenden des Königs von Toulouse bei der Belagerung von Clermont im Winter zurückzogen,659 ist eher anzunehmen, dass die Operationen in Südgallien frühestens im Jahr 470 begonnen haben. Das Ende der Operationen ist hingegen sicher auf 475 zu datieren. Der weströmische Kaiser Julius Nepos, der nach einer kurzen Phase schnell wechselnder Kaiser660 474 in diese Position kam,661 trat in diesem Jahr die von König Eurich inkorporierten Gebiete offiziell an ihn ab.662 Der Bestand an Aussagen zu den militärischen Operationen repräsentiert also ein raumzeitliches Kontinuum von knapp fünf Jahren. 1.4.1.1 Plünderungen während der militärischen Operationen bis 475 Die erste Operation innerhalb Galliens führte Eurich gegen den bretonischen Anführer Riothamus und die ihm Folgeleistenden.663 Möglicherweise ist Riothamus kein
Cassiodor ortsnah. Der Rekurs ist unter diesem Aspekt zu verstehen. Zur Interpretation dieser Aufzeichnung als Beschreibung einer Begnadigung Teitler, Gaul: S. 312. 658 Dies ist weitestgehend anerkannt. Repräsentativ Wolfram, Goten 2001: S. 190; Harries, Sidonius: S. 222 und Henning, Periclitans: S. 226 f. 659 Vgl. Harries, Sidonius: S. 226 f. 660 Nach dem Tod des Anthemius im Jahr 472 starb kurz darauf auch Rikimer. Dazu Anders, Ricimer: S. 222–227. Zum Tod des Anthemius, der wahrscheinlich nach einem Angriff verstarb Mathisen, Anthemius: S. 203. Zuvor konnte Rikimer Olybrius als weströmischen Kaiser positionieren. Dieser starb ebenfalls noch 472. Vgl. Henning, Periclitans: S. 49 f. und Anders, Ricimer: S. 232 ff. Der Nachfolger des Rikimer wurde Gundobad, sein Neffe und ein Sohn aus dem burgundischen Königsgeschlecht. Vgl. Kaiser, Burgunder: S. 52. Er positionierte 473 den comes domesticorum Glycerius. Zu Gundobad insgesamt und zu seiner Beziehung zu Glycerius MacGeorge, Warlords: S. 270–275. Glycerius starb schon im Jahr 474. Zuvor wurde er bereits abgesetzt. Sein Nachfolger wurde Julius Nepos. Vgl. Henning, Periclitans: S. 50 f. 661 Vgl. Henning, Periclitans: S. 51–55. 662 Sidon. ep.: 7.6.10 und Sidon. ep.: 7.7. Für eine offene Datierung des ersten und eine Datierung des zweiten Briefes auf 474/5 (ed. Anderson, Sidonius Apollinaris Bd. II: S. 313 und S. 268, Anm. *). Für eine Datierung des ersten auf 472/3 und für eine Datierung des zweiten Briefes auf 474/5 (ed. Dalton, Sidonius Bd. II Oxford: S. 106 und S. 110). Für eine Datierung beider Briefe auf 475 (ed. Loyen, Sidonius Apollinaris Bd. III: S. 43 und S. 47). Zeitnah dazu Vita Epiphanii Ennodio: 91. Kurz darauf musste Julius Nepos jedoch ins Exil gehen. Vgl. Henning, Periclitans: S. 54 f. Romulus Augustulus wurde durch seinen Vaters Orestes als weströmischer Kaiser eingesetzt. Überblickend zu Romulus Augustulus Dettenhofer, Romulus Augustulus: S. 415–418 und überblickend zu Orestes MacGeorge, Warlords: S. 276–282. 663 Dazu beispielsweise Wolfram, Goten 2001: S. 188 und Henning, Periclitans: S. 226. Henning vertritt auch die Annahme einer engen Kooperation zwischen Anthemius und Riothamus. Vgl. Henning, Periclitans: S. 167 und S. 225 f. Diese Konstruktion geht auf eine zeit- und ortsfern verfasste Erzählpassage des Jordanes zurück Iord. get.: 35.237. Bereits in dem Geheimbrief des Arvandus an Eurich wird ihm die Operation gegen die Bretonen empfohlen Sidon. ep.: 1.7.5.
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Personenname, sondern eine Titelbezeichnung.664 Ihm schrieb Sidonius einen Brief, der auf das Ende der 460er oder den Beginn der 470er Jahre datierbar ist.665 Sidonius beschwert sich bei Riothamus, da einige Sklaven geraubt worden waren. Dies verdeutlicht dessen Position in den Siedlungsgemeinschaften, die nördlich der Loire zu lokalisieren sind.666 Der Versuch der Regelung eines regionalen Konflikts ohne Bezugnahme auf das Zentrum der weströmischen Ordnung in Italien wird somit ebenfalls deutlich. Die frühesten Aussagen zu der militärischen Operation wurden jedoch erst zeit- und ortsfern verfasst. Jordanes erzählt über die Niederlage der Folgeleistenden des Riothamus.667 Später erzählt auch Gregor von Tours darüber, ohne aber den Namen oder Titel Riothamus zu erwähnen.668 Die beiden Autoren erwähnen aber keine Plünderungen. Sie werden erst für die militärischen Operationen des Königs von Toulouse in Clermont von dem zeit- und ortsnah schreibenden Sidonius Apollinaris geschildert. Wie erwähnt ist der exakte Beginn der Operationen in Clermont nicht zu bestimmen.669 Erschwerend kommt hinzu, dass Aussagen vorhanden sind, die auf militärische Operationen des Königs von Toulouse auf der Iberischen Halbinsel in den 470er Jahre schließen lassen.670 Es ist wegen der chronologischen Probleme sinnvoll, die Aussagen zu den Plünderungen in Gallien nach ihren Effekten detaillierter zu gliedern, um die Frage nach der Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen beantworten zu können.
664 Vgl. Reno, King Arthur: S. 286 ff. und Snyder, Britons: S. 82 f. 665 Sidon. ep.: 3.9. Für eine Datierung vor 469 (ed. Anderson, Sidonius Apollinaris Bd. II: S. 39, Anm *). Für eine Datierung um 472 (ed. Dalton, Sidonius Bd. I: S. 76). Für eine Datierung auf 470 (ed. Loyen, Sidonius Apollinaris Bd. II: S. 98). Hier zeigt sich, dass auch bretonische Akteure eine Bedrohung der ökonomischen Situation der sesshaften Bevölkerung in Gallien waren. Vgl. Harries, Sidonius: S. 209 f. 666 Vgl. Ewig, Merowinger: S. 20. 667 Iord. get.: 35.238. 668 Greg. hist.: 2.18. Zur Parallelisierung der beiden Erzählpassagen werden Ortsangaben genutzt. Zur Interpretation der beiden Stellen Wolfram, Goten 2001: S. 439. 669 Vgl. Kaufmann, Sidonius: S. 170 ff. und S. 213. 670 Bereits 468 erschienen westgotische Akteure nach Hydatius auf der Iberischen Halbinsel. Zeitund ortsnah dazu Hyd. chron.: 239 (245) und Hyd. chron.: 240 (246) sowie Hyd. chron.: 244 (250). Der Beginn der Operationen unter Eurich auf die Iberische Halbinsel scheint auf 469 zu datieren. Zur Datierung, bei der die letzten Aufzeichnungen des Hydatius auf 469 verlegt werden Thompson, Spain III: S. 5 f. Kulikowski datiert die militärischen Operationen unter Eurich insgesamt später. So sind die frühesten Operationen für ihn erst in das Jahr 473 zu datieren. Die vorherigen Aufzeichnungen bei Hydatius gehören für ihn nicht zu den geplanten Operationen. Vgl. Kulikowski, Spain: S. 203–205. Wolfram folgt der Angabe bei Hydatius und datiert erste Operationen unter Eurich auf die Iberische Halbinsel bereits auf das Jahr 468. Danach seien die meisten Folgeleistenden des Königs von Toulouse aber auf die Gebiete nördlich der Pyrenäen bezogen gewesen. Vgl. Wolfram, Goten 2001: S. 190.
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Quellenuntersuchung
In einem nicht zu datierenden Brief an seinen Freund Eucherius671 beschreibt Sidonius den Umgang der foederati mit den römischen Ressourcen als zerstörerisch.672 Zwar werden Plünderungen nicht ausdrücklich erwähnt, aber der destruktive Umgang mit den Ressourcen und die Erosion der weströmischen Ordnung werden als Zeitdiagnose in einem engeren Bezug fassbar.673 In einem anderen Brief beschreibt er die Konflikte seiner späten Lebenszeit als Bedrohung für die civitates in Südgallien.674 In einem Weiteren beschreibt er umherziehende Akteure als Bedrohung für seine civitas.675 Eine Bedrohung durch Plünderungen ist also akzentuiert. Damit wird erklärbar, warum er entgegen Arvandus, Seronatus und den Aristokraten von Lyon nicht mit Akteuren aus den Siedlungsgemeinschaften kooperierte. Doch auch Abgaben sind für Sidonius problematisch, obwohl an anderer Stelle deutlich wird, dass er die ökonomischen Mittel der weströmischen Kaiser als eine Notwendigkeit für deren militärische Operationen auffasst.676 Daher erscheinen seine Aussagen zur
671 Insgesamt Sidon. ep.: 3.8. Für eine offene Datierung (ed. Anderson, Sidonius Apollinaris Bd. II: S. 33–35) und (ed. Dalton, Sidonius Bd. I: S. 75). Für eine Datierung auf 472/3 (ed. Loyen, Sidonius Apollinaris Bd. II: S. 97). Das Argument, der Brief sei eigentlich nie wirklich versandt, sondern ausschließlich zu Publikationszwecken geschrieben worden, ist für die vorliegende Untersuchung irrelevant, da es um die Meinung des Sidonius geht, bei der er auf Phänomene und Informationen zum Geschehen in Gallien rekurriert haben muss. Dafür sprechen die Textgattung und die Publikation. Er bewertet den Umgang der foederati mit den materiellen Ressourcen. Zur Annahme, einige Briefe wurden nur zu Publikationszwecken geschrieben Kaufmann, Sidonius: S. 68 ff. 672 „[…] quamquam mirandum granditer non sit, natione foederatorum non solum inciviliter Romanas vires administrante verum etiam fundamentaliter eruente si nobilium virorum militariumque et supra vel spem nostrae vel opinionem partis adversae bellicosorum non tam defuerunt facta quam praemia.“ Sidon. ep.: 3.8.2. Die Übersetzung von „vires“ mit „resources“ geht auf William Anderson zurück. Dazu Sidon. ep.: 3.8. (ed. Anderson, Sidonius Apollinaris Bd. II: S. 35). Zu dieser Stelle ausdrücklich Harries, treason: S. 305. 673 Insgesamt Sidon. ep.: 3.8. Bezeichnenderweise schreibt Sidonius in einem weiteren Brief, dass Menschen, die vorher Händler waren, nun als Krieger agieren. Sidon. ep.: 1.8. Für eine offene Datierung (ed. Anderson, Sidonius Apollinaris Bd. II: S. 33). Für eine Datierung auf 468 (ed. Dalton, Sidonius Bd. I: S. 20). Für eine Datierung auf 467 (ed. Loyen, Sidonius Apollinaris Bd. II.: S. 27). 674 Sidon. ep.: 7.5.3. Für eine Datierung nach 470 (ed. Anderson, Sidonius Apollinaris Bd. II: S. 308). Für eine Datierung auf 472 (ed. Dalton, Sidonius Bd. II: S. 104). Für eine Datierung auf 470/1 (ed. Loyen, Sidonius Apollinaris Bd. III: S. 41). 675 Sidon. ep.: 3.4.1. Für eine offene Datierung (ed. Anderson, Sidonius Apollinaris Bd. II: S. 20). Für eine Datierung auf 473 (ed. Dalton, Sidonius, Bd. I: S. 70). Für eine Datierung auf 471/2 (ed. Loyen, Sidonius Apollinaris Bd. II: S. 90). 676 Sidon. ep.: 2.1.4. Dieser Brief ist auf die Zeit nach dem Scheitern der gemeinsamen Operation des weströmischen Kaisers Anthemius und des oströmischen Kaisers Leo I. gegen Geiserich in Nordafrika im Jahr 468 zu datieren. Zur Niederlage orts- und zeitfern Prok. B.V.: 3.6. Für eine Datierung um 469 (ed. Anderson, Sidonius Apollinaris Bd. I: S. 413). Für eine Datierung um 470 (ed. Dalton, Sidonius Bd. I: S. 34) und (ed. Loyen, Sidonius Apollinaris Bd. II: S. 43).
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Abgabenlast677 in Diskrepanz zu den zuvor angeführten Aussagen. In der Diskrepanz deutet sich nicht nur die Prozessdynamik der Erosion an, die eine klare Entscheidung für oder gegen die Abgaben erschwert haben wird. Sie wirft auch die Frage auf, auf welche Abgabenarten und Akteure er bei seiner Kritik an den Abgaben rekurriert. 1.4.1.2 Die Umverteilungseffekte und das Organisieren von Folgeleistungen Abgabenlast wird von Sidonius Apollinaris mit guter und schlechter Verwaltung verbunden: Gute Verwaltung nach der Abwehr Attilas führte zur Senkung der Abgaben.678 Schlechte Verwaltung hingegen führt zu Abgabenlasten.679 In seinen Briefen ist als illegitim wahrgenommene Aneignung mehrfach als Problem seiner Zeit dargestellt.680 Problematisch ist für ihn besonders die Kooperation des Seronatus681 mit dem König von Toulouse.682 Sidonius verarbeitete Informationen und Phänomene der Handlungen des Seronatus in drei Briefen.683 Im dritten, in dem die Bestrafung des Seronatus mit dem Tod durch gallische Aristokraten angedeutet wird,684 wird Seronatus von ihm als Verräter bezeichnet.685 Ähnliche Formulierungen aus den bereits angeführten Briefen mit Kritikpunkten an den Abgaben ermöglichen die Annahme, dass diese in zeitlicher Nähe zu den Aktivitäten des Seronatus zu datieren sind.686
677 Sidon. ep.: 5.13.2; Sidon. ep.: 5.17.5 und Sidon. ep.: 5.20.3. Für eine Datierung des ersten Briefs um 469, des zweiten um 470 und eine offene Datierung des dritten (ed. Anderson, Sidonius Apollinaris Bd. II: S. 212, Anm. 1; S. 288, Anm. 1 und S. 241). Für eine Datierung des ersten Briefs auf 469 und der beiden übrigen zwischen 461 und 467 (ed. Dalton, Sidonius Bd. II: S. 65; S. 71 und S. 76). Für eine Datierung der ersten beiden Briefe auf 469 und eine Datierung des dritten auf 467 (ed. Loyen, Sidonius Apollinaris Bd. II: S. 194; S. 201 und S. 208). 678 Sidon. ep.: 7.12.3. Für eine offene Datierung (ed. Anderson, Sidonius Apollinaris Bd. II: S. 362). Für eine Datierung um 479 (ed. Dalton, Sidonius Bd. I: S. 124). Für eine Datierung auf 476 (ed. Loyen, Sidonius Apollinaris Bd. III: S. 66). 679 Dazu der Brief 5.13, in dem Sidonius Seronatus als Administrator kritisiert, der seinen Erwartungshorizont nicht erfüllt. Dazu Sidon. ep.: 5.13.2. Für ähnliche Zusammenhänge Sidon. ep.: 5.17.5 und Sidon. ep.: 5.20.3. 680 Sidon. ep.: 3.12; Sidon. ep.: 4.25; Sidon. ep.: 5.7 und Sidon. ep.: 8.7. 681 Zu ihm und seinen möglichen Familienbindungen Heinzelmann, Prosopographie: S. 692. Zu seinen Aktivitäten auch Teitler, Gaul: S. 316 ff. 682 Sidon. ep.: 5.13.1 und Sidon. ep.: 2.1.1. 683 Vgl. Teitler, Gaul: S. 317. 684 Sidon. ep.: 7.7.2. Für eine offene Datierung (ed. Anderson, Sidonius Apollinaris Bd. II: S. 324). Für eine Datierung auf 474/5 (ed. Dalton, Sidonius Bd. II: S. 110). Für eine Datierung auf 475 (ed. Loyen, Sidonius Apollinaris Bd. III: S. 47). Dazu Henning, Periclitans: S. 95 und Teitler, Gaul: S. 318. 685 „[…] Seronatum barbaris provincias propinantem […].“ Sidon. ep.: 7.7.2. Die Übersetzung mit „[…] betrayer of imperial provinces to the barbarian […]“ geht auf Dalton zurück. (Dalton, Sidonius Bd. II: S. 110.). Ähnlich Anderson: „[…] he was lavishing whole provinces on the barbarians […]“. (ed. Anderson, Sidonius Apollinaris Bd. II: S. 327). 686 Vgl. Henning, Periclitans: S. 305 f.
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Quellenuntersuchung
Die Annahme ermöglicht kontextualisierend die Diskrepanz in den Aussagen aufzulösen: Seronatus plünderte nicht, sondern erwarb, indem er in einer strukturellen Position der weströmischen Ordnung687 Akteure anhängig machte,688 Grundbesitzer enteignete689 und neue Abgaben erfand.690 Auch führte er Gesetze Theoderichs II. ein.691 Dies zeigt zweierlei: Zum einen scheint ein Inhaber einer strukturellen Position der weströmischen Ordnung in Galliens ohne Rückkopplung an das Zentrum in Italien Abgaben eigenständig eingezogen zu haben. Auch wenn der König von Toulouse Clermont nicht kontrollierte, so konnte er offenbar durch die Kooperation mit einem Inhaber einer strukturellen Position diese civitas bereits indirekt beeinflussen. Die Beobachtungen führen wiederum zu der Annahme, dass zur Zeit der Aneignungen durch Seronatus die Operationen in Clermont noch nicht begonnen hatten. Sie sind vor diese zu datieren.692 Es scheint daher drittens plausibel, wenn die Kritik des Sidonius an den Abgaben nicht als eine Kritik an der weströmischen Ordnung als solche, sondern als Kritik an ihrem für ihn aktuellen Zustand gelesen wird, dass ihre Erosion es Akteuren wie Seronatus erlaubte, den traditionellen Erwartungshorizont nicht mehr zu erfüllen und Aneignung zu vollziehen. Beachtet werden muss dann aber noch einmal der Brief über den Fall des Arvandus: Sidonius stellt sich hier auf die Seite eines Mannes, der ähnlich wie Seronatus den traditionellen Erwartungshorizont mit dem Geheimbrief nicht erfüllte.693 Sicher ist, dass beide Akteure zeitlich nah beieinander handelten.694 Der Unterschied zwischen ihnen besteht nicht in der Nähe zum König von Toulouse und auch nicht in der Abweichung von dem traditionellen Erwartungshorizont, sondern ganz offenbar in der Qualität der Kooperation mit Eurich. Der eine der beiden scheint ihn als militärischen Anführern für zumindest einen Teil der Bewohner Galliens herbeigerufen zu haben und der andere hatte in der Kooperation mit ihm für persönliche Aneignungen Nutzen. Unklar ist zwar, inwieweit die Kooperation des Seronatus mit Eurich gestal-
687 Sicher ist, dass er nicht in einer Position des Strukturierungszusammenhangs von Toulouse tätig war. Vgl. Teitler, Gaul: S. 317 f. und Harries, Sidonius: S. 224 f. 688 Sidon. ep.: 5.13.2. 689 Sidon. ep.: 2.1.3. 690 Sidon. ep.: 2.1.3. 691 Sidon. ep.: 2.1.3. Vgl. Maier, Amtsträger: S. 119 und Harries, Sidonius: S. 126. 692 Die Datierung des Verfahrens gegen Seronatus ist nicht exakt zu klären, doch wird angenommen, dass er in die frühen 470er Jahren fällt, also mitten in die Jahre der Belagerungen der civitas Clermont. Vgl. Teitler, Gaul: S. 316 f. und Henning, Periclitans: S. 95. Da aber die militärischen Operationen ein geregeltes Verfahren erschwert haben dürften, kann durchaus plausibel angenommen werden, dass die Verurteilung des Seronatus noch vor dem Beginn der militärischen Operationen in Clermont stattfand. 693 Sidon. ep.: 1.9. 694 Speziell zu den beiden genannten Akteuren Teitler, Gaul: S. 318 f. Zu den Aktivitäten von Inhabern struktureller Positionen der weströmischen Ordnung und anderer Akteure, die in Gallien illoyal zum Zentrum in Italien agierten Mathisen, Aristocrats: S. 84 f. und Harries, treason: S. 304 f.
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tet war. Dass er sich in Toulouse aufhielt,695 lässt zumindest die Annahme zu, dass er seine Aktivitäten mit dem König koordinierte. Seronatus war in seinem Handeln offenbar von ihm zumindest bedingt. Insgesamt ist anhand der Aussagen festzustellen, dass die Erosion der strukturellen Einheit hier erneut in der literarischen Verarbeitung von Phänomenen und Informationen aus der Perspektive des Sidonius deutlich wird. Die Diskrepanz lässt sich unter der Berücksichtigung dieser Perspektive leicht auflösen. Während der militärischen Operationen in Clermont wurde das Gebiet durch Plünderungen und Zerstörungen geschädigt.696 In den Wintermonaten zogen sich die Aggressoren zurück. Die Belagerung wurde mehrfach unterbrochen.697 Das Zentrum der weströmischen Ordnung konnte militärisch nicht eingreifen. In einem der Briefe des Sidonius wird die Angst vor den Folgeleistenden des Königs von Toulouse sichtbar, die durch Clermont in Richtung Italien zogen.698 Es ist möglich, seine Aussagen mit einer Aufzeichnung aus der Gallischen Chronik von 511 in Verbindung zu bringen. Darin wird die Niederlage des Anthemiolus, des Sohns des Kaisers Anthemius, im südlichen Gallien gegen westgotische Akteure erwähnt.699 Danach zog kein weströmisches Aufgebot mehr nach Gallien.700 Die Belagerungen der civitas Clermont wurden ungehindert fortgesetzt. Dass Eurich nicht nur Folgeleistungen westgotischer Akteure für die Belagerungen organisieren konnte, ist mehr als wahrscheinlich.701 Mit der Zeit leisteten ihm Akteure Folge, die zuvor das nun durch Plünderungen und Zerstörungen geschädigte Clermont verteidigt hatten. Dies ist ein wichtiger Effekt der Plünderungen selbst. In einem Brief an Calminius, den Sohn des Eucherius,702 den Sidonius als Freund
695 Sidon. ep.: 5.13.1. 696 Zu den Zerstörungen, Plünderungen und der Lage in Clermont Sidon. ep.: 3.2; 3.4; 3.7; 5.7; 5.12; 6.6; 6.10; 7.1 und 7.5. Überblickend Harries, Sidonius: S. 222–238. 697 Sidon. ep.: 6.6. Für eine offene Datierung (ed. Anderson, Sidonius Apollinaris Bd. II: S. 264). Für eine Datierung auf 472 (ed. Dalton, Sidonius Bd. II: S. 86). Für eine Datierung auf 471/2 (ed. Loyen, Sidonius Apollinaris Bd. III: S. 18). Zur Logistik der spätantiken und frühmittelalterlichen Militäroperationen Halsall, Warfare: S. 149–151. Im Speziellen für die Belagerung von Clermont Kaufmann, Sidonius: S. 191 ff. 698 Sidon. ep.: 7.1. Für eine Datierung auf die Zeit zwischen 471–473 (ed. Anderson, Sidonius Apollinaris Bd. II: S. 287, Anm. *). Für eine Datierung auf 474 (ed. Dalton, Sidonius Bd. II S. 95). Für eine Datierung auf 473 (ed. Loyen, Sidonius Apollinaris Bd. III: S. 31). 699 Zeit- und ortsnah Gall. chron. 511: 76 (649). 700 Vgl. Henning, Periclitans: S. 167 und S. 227 sowie Harries, Sidonius: S. 225. Zu dem Problem des Organisierens von Folgeleistungen für die Repräsentanten der weströmischen Ordnung nach 455 Liebeschütz, Roman army: S. 273 ff. 701 Schon Theoderich II. leisteten nicht nur westgotische Akteure bei seinen militärischen Operationen auf die Iberische Halbinsel Folge. Zeit- und ortsnah Hyd. chron.: 179 (186). Zu der multiethnischen Zusammensetzung derjenigen, die den Königen von Toulouse in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts Folge leisteten Wolfram, Goten 2001: S. 234–244. 702 Vgl. Heinzelmann, Prosopographie: S. 598.
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bezeichnet,703 schreibt er über den Übertritt des Calminius auf die Seite Eurichs.704 Besonders der mittlere Teil des Briefes ist diskutiert worden. Die Übersetzung ist bis heute umstritten.705 Auch wird eine materielle Not des Calminius nicht ausdrücklich erwähnt.706 Das primäre Argument für den Übertritt sind selbstredend die Plünderungen und Zerstörungen in Clermont während der Belagerungen. Allein schon die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln wurde dadurch erschwert.707 Phänomene und Informationen des Wechsels sozialer Zugehörigkeiten aus materieller Not sind für Gallien im 5. Jahrhundert bei Salvianus von Marseille mehrfach literarisch verarbeitet.708 Salvianus, dessen Deutung augenscheinlich von katholisch-christlichen Handlungsnormen geformt ist,709 sieht dabei auch den Wechsel von sozioökonomischen Praktiken, die auf Sesshaftigkeit beruhen, zu Praktiken, die wie die sozioökonomische Praktik des Plünderns Mobilität bedürfen, als Ergebnis schlechter Verwaltung und der Gier der Akteure, die wegen ihrer umfangreichen Besitzstände herausragten.710 Die Nähe der Deutung zu der des Sidonius ist klar erkennbar. Was lässt sich nun daraus in Bezug auf den Übertritt des Calminius auf die Seite König Eurichs gewinnen? Für die Antwort auf diese Frage sind zusätzlich Aussagen zu seiner Abstammung einzubeziehen. Der Vater des Calminius trug den Namen Eucherius. Er wird nicht mit dem gleichnamigen Bischof von Lyon identifiziert,711 sondern mit einem anderen Briefpartner
703 Dazu die Überschrift Sidon. ep.: 5.12. Diese Anrede ist zwar typisch, aber mit dem Brief wird deutlich, dass weiterer Kontakt zu Calminius nun für Sidonius nicht mehr möglich erschien. Vgl. Harries, treason: S. 304. Für eine offene Datierung (ed. Anderson, Sidonius Apollinaris Bd. II: S. 209). Für eine Datierung auf 474 (ed. Dalton, Sidonius Bd. II: S. 64) und (ed. Loyen, Sidonius Apollinaris Bd. II: S. 193). 704 Sidon. ep.: 5.12. 705 Vgl. Anderson, in: ed. Anderson, Sidonius Apollinaris Bd. II: S. 210 f., Anm. 3. Dazu Kaufmann, Sidonius: S. 193 ff. und S. 288. 706 Insgesamt Sidon. ep.: 5.12. 707 Der Bischof Patiens von Lyon schickte Mais und Korn an die hungernde Bevölkerung. Das Straßensystem zwischen Lyon und Clermont war offenbar weiterhin intakt. Kommunikation und der Transport von Waren konnten ablaufen. Insgesamt Sidon. ep.: 6.12. Dazu Henning, Periclitans: S. 227, Anm. 32. Für eine offene Datierung (ed. Anderson, Sidonius Apollinaris Bd. II: S. 227). Für eine Datierung auf 474 (ed. Dalton, Sidonius Bd. II: S. 91). Für eine Datierung auf 471/2 (ed. Loyen, Sidonius Apollinaris Bd. III: S. 26). 708 Salv. gub.: 5.5 und 5.6. Salvianus wurde um das Jahr 400 im Rheinland geboren. Wann er genau in den Süden Galliens umsiedelte, ist genauso wenig zu eruieren, wie sein Antritt als Presbyter in der Kirche von Marseille. Auch sein Todesjahr ist nur zu vermuten. Es ist wohl um 480 zu datieren. Als Hauptwerk des Presbyters gilt heute de gubernatione dei. Dazu sind neun Briefe von ihm erhalten. Auch der Text ad ecclesiam wird ihm zugeschrieben. Vgl. Badewien, Sozialkritik: S. 14–19. 709 Vgl. Badewien, Sozialkritik: S. 31–44. 710 Dies gilt insbesondere für das fünfte Buch von de gubernatione die. Salv. gub.: 5.4 und 5.7–5.9. 711 Vgl. Heinzelmann, Prosopographie: S. 598.
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des Sidonius, der sich um die Verteidigung von Clermont bemühte.712 Dieser wollte 470 oder 471 der Bischof von Bourges werden, konnte dies aber nicht, da er erneut verheiratet war.713 Gemäß einer älteren Annahme könnte daraus abgeleitet werden, dass der Vater des Calminius ein besitzender Mann aristokratischer Abstammung war.714 Dies muss aber nicht zwangsläufig der Fall sein. Erstaunlich bleibt, dass Eucherius sich um die Verteidigung von Clermont bemühte, während sein Sohn auf die Seite Eurichs übertrat. Ob die Familie des Calminius nun umfangreichen Besitz hatte oder ob ihr ein solcher nicht zur Verfügung stand, es ist offenbar, dass die Mitglieder der Familie sich nicht gleich verhielten. Es ist unter Bezug auf die Aussagen des Salvianus und die Aussagen zu den Handlungen des Eucherius auch ohne genauere Kenntnis der materiellen Grundlage seiner Familie anzunehmen, dass diese nicht mehr ausreichte, um die gesamte Familie zu versorgen. Der Effekt ist der Übertritt zu Eurich, dem er nun Folge leistete. Dazu sollte noch eines betont werden: Es ist nicht klar, wie viele Menschen zu dieser Zeit auf die Seite Eurichs übertraten. Die Intensität der Zerstörungen und Plünderungen legt aber nahe, dass Calminius nicht der Einzige war, der dies tat.715 Ein weiterer Effekt waren Fluchten aus Clermont.716 In einem Brief des Sidonius an den Bischof Censorius von Auxerre (Autessiodorum) schreibt er, dass ein Diakon aus dem Gebiet, das von den Folgeleistenden des Eurich geplündert wurde, mit seiner Familie in das Gebiet der Kirche von Auxerre floh und dort brachliegende Äcker bebaute. Da er die Ernte für sich und seine Familie behalten will, schrieb Sidonius nun an den Bischof der civitas.717 Der zweite Effekt ist also ebenfalls mit der durch Plünderungen verbundenen Umverteilung von materiellen Gütern und Ressourcen in Verbindung zu bringen. Einige der durch Plünderungen während der Operationen bedrohten Akteure flohen aus Clermont, um an anderen Orten Produktionspraktiken nachzugehen. Beide Effekte sind daher als Aspekte einer Dynamisierung des sesshaftsozioökonomischen Lebens zu beschreiben, die durch die Plünderungen und auch die Zerstörungen während der Belagerungen initiiert wurden. Dass die Umverteilung
712 Sidon. ep.: 3.8. Zur Deutung dieses Briefes als Indikator für die Bemühungen des Eucherius Mathisen, Aristocrats: S. 44. 713 Sidon. ep.: 7.9.18. Dazu Mathisen, Aristocrats: S. 35. Für eine offene Datierung (ed. Anderson, Sidonius Apollinaris Bd. II: S. 335.). Für eine Datierung auf 472 (ed. Dalton, Sidonius Bd. II: S. 114). Für eine Datierung auf 471 (ed. Loyen, Sidonius Apollinaris Bd. III: S. 52). 714 Dazu besonders die drei Aufsätze Jussen, Prozeduren: S. 673–718 und Jussen, Legitimation: S. 75–136 sowie Jussen, Herrschaft: S. 15–29. 715 Vgl. Mathisen, Aristocrats: S. 78 mit einem Verweis auf Sidon. ep.: 3.2.2. Diese Stelle ist jedoch kein eindeutiger Rekurs auf Phänomene zu Übertritten. Vgl. Mathisen, Options: S. 166. 716 Dazu allgemein Mathisen, Options: S. 166 ff. 717 Sidon. ep.: 6.10. Für eine Datierung auf die Zeit zwischen 471–475 (ed. Anderson, Sidonius Apollinaris Bd. II: S. 275, Anm. 1). Für eine Datierung auf 473 (ed. Dalton, Sidonius Bd. II: S. 90). Für eine Datierung auf 476/7 (ed. Loyen, Sidonius Apollinaris Bd. III: S. 24).
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materieller Güter und Ressourcen vom Plündern stark befördert wurde, ist nicht in Zweifel zu ziehen. Folgeleistungen konnten nicht mehr organisiert werden, da Bevölkerungsteile aus Clermont zu Eurich übergingen oder flohen: Die ökonomischen Notwendigkeiten erschwerten, in dem Gebiet weiter sesshaft zu leben. Ein Wechsel der Lebensweisen ist somit auch nicht völlig unwahrscheinlich, da Akteure, die zuvor in Clermont primär sesshaft lebten und produzierten, nun bei den militärischen Operationen des Königs von Toulouse mit der von Mobilität bedingten Erwerbspraktik des Plünderns tätig werden konnten, da sie diesem Folge leisteten. Somit berührten die Umverteilungseffekte das Organisieren von Folgeleistungen direkt. Es ist daher wahrscheinlich, dass auch deswegen versucht wurde, den Effekten der Umverteilung entgegenzuwirken. 1.4.1.3 Versuche der Verstetigung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens und das Organisieren von Folgeleistungen Im vorherigen Unterkapitel wurde bereits auf die Aussagen zu den Handlungen des Ecdicius718 kurz eingegangen. Die Situation erforderte eine Reaktion auf die militärischen Operationen des Eurich und daher ging er zu einer Form von Warlordism über. Schon vor den Operationen des Königs von Toulouse hat Sidonius Apollinaris ihn als einen Mann aufgefasst,719 der die Bewohner von Clermont hätte gegen Seronatus verteidigen können.720 Der reaktiv-situationsbezogene Warlordism des Ecdicius begann mit einer privaten Initiative. Er organisierte mittels eigener materieller Güter und Ressourcen Folgeleistungen.721 Daher ist auch die Aussage aus einem Brief des Sidonius, Ecdicius habe die Kasse der weströmischen Ordnung mit durch Plünderungen erworbenen Gütern und Ressourcen gefüllt,722 nicht unbedingt positiv zu lesen. In diesem Zusammenhang legt Sidonius nämlich die Leistungen seines Schwagers anlässlich seiner
718 Vgl. Heinzelmann, Prosopographie: S. 594. 719 Dies ergibt sich aus der Datierung des Briefes sowie aus der Zeit der Aktivitäten des Seronatus. Vgl. Teitler, Gaul: S. 316 f. und Kaufmann, Sidonius: S. 176 ff. 720 Sidon. ep.: 2.1.1. 721 Er verfügte offenbar aufgrund seiner familiären Herkunft über umfangreiche materielle Güter und Ressourcen: „Taceo deinceps collegisse te privatis viribus publici exercitus speciem parvis extrinsecus maiorum opibus adiutum et infrenes hostium ante discursus castigatis cohercuisse populatibus.“ Sidon. ep.: 3.3.7. Für eine Datierung um 471 (ed. Anderson, Sidonius Apollinaris Bd. II: S. 12, Anm. *). Für eine Datierung auf 474 (ed. Dalton, Sidonius Bd. I: S. 66). Für eine Datierung auf 472/3 (ed. Loyen, Sidonius Apollinaris Bd. II: S. 86). 722 „Namque ille iam pridem suffragium dignitatis ineundae non solvit in lance sed in acie, aerariumque publicum ipse privatus non pecuniis sed manubiis locupletavit.“ Sidon. ep.: 5.16. Für eine Datierung um 474/5 (ed. Anderson, Sidonius Apollinaris Bd. II: S. 223, Anm. 4). Für eine Datierung auf 474 (ed. Dalton, Sidonius Bd. I: S. 69) und (ed. Loyen, Sidonius Apollinaris Bd. II: S. 199).
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Ernennung zum patricius in Italien dar.723 Diese literarische Verarbeitung von Informationen und Phänomenen kann durch die Aussage zum Plünderungserwerb zeitgenössisch gestaltet worden sein, denn dass durch Plünderungen erworbene materielle Güter und Ressourcen zu dieser Zeit auch Prestige und militärische Leistungen kommunizierten, ist kaum zu bezweifeln. Zu bezweifeln ist aber, dass die durch Plünderungen erworbenen Güter und Ressourcen aus Gallien bis nach Italien gesandt wurden, um die dortigen Bestände des weströmischen Kaisers Julius Nepos724 oder eines seiner Vorgänger725 zu füllen. Eine lokale Nutzung des Geplünderten zur Linderung der Schäden in der civitas Clermont oder für das Organisieren weiterer Folgeleistungen ist zwar vorstellbar, aber bar jeder Aussagengrundlage. Mit den Aktivitäten des Ecdicius konnten nicht nur die ihm Folge leistenden Akteure von Übertritten und Fluchten abgehalten werden, indem er sie versorgte.726 Ein weiterer Effekt der Verstetigung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens in Clermont ist darin anzunehmen, dass auch die, die bei seinen militärischen Operationen nicht Folge leisteten konnten oder wollten, ebenfalls nicht übertreten oder fliehen
723 Für den Titel patricius Sidon. ep.: 5.1.6. Dass Ecdicius auch den Titel magsiter militum geführt haben soll, geht aus diesem Brief nicht hervor, wird aber allgemein anerkannt. Dazu beispielsweise Henning, Periclitans: S. 101 und Mathisen, Aristocrats: S. 25. Der früheste Beleg für diese Titelträgerschaft ist zeit- und ortsfern bei Jordanes zu finden: „Quod audiens Nepos Imperator præcepit Ecdicium relictis Galliis ad se venire, loco ejus Oreste magistro Militum ordinato.“ Iord. get.: 35.241. Es ist daher zu bezweifeln, dass er diesen Titel tatsächlich geführt hat, da aus dem Kontext der Erzählung hervorgeht, dass er ihn schon während der Operationen des Eurich führte. In dem Brief des Sidonius ist aber zu lesen, dass er wegen der Verleihung des Titel patricius Gallien verlies und zum weströmischen Kaiser Julius Nepos nach Italien zog. Die Absetzung, die bei Jordanes erzählt wird, passt nicht mit dieser Aussage zusammen. 724 Dieser wird im Brief erwähnt, muss aber nicht derjenige sein, der zur Zeit einer möglichen Zusendung nach Italien auch weströmischer Kaiser war. Dies ist sogar wahrscheinlich, da die militärischen Siege des Ecdicius wohl noch vor dem Antritt des Julius Nepos begonnen haben müssen, da dieser ihn aus Gallien nach Italien rief. Sidon. ep.: 5.16. Dazu Mathisen, Aristocrats: S. 64 und S. 94. 725 Die Lage in Italien zur Zeit der beiden weströmischen Kaiser Olybrius und Glycerius ist von militärischen Operationen gekennzeichnet. Nach dem Tod des Glycerius 472 wurde Olybrius 473 durch Gundobad eingesetzt, der die ihm Folgeleistenden als militärisches Mittel nutzte. 474 wurde Olybrius aber gewaltsam von Julius Nepos entfernt. Es ist also ernsthaft zu bezweifeln, ob eine Zusendung die Kassen überhaupt unbeschadet erreichen konnte. Dazu MacGeorge, Warlords: S. 255–261 und S. 271– 273 sowie Henning, Periclitans: S. 47–53. 726 Knapp hundert Jahre nach den militärischen Operationen des Eurich rekurriert noch Gregor von Tours auf die Informationen zu Distributionen materieller Güter und Ressourcen durch Ecdicius zu dieser Zeit und verarbeitete sie literarisch. Greg. hist.: 2.24. In dieser Erzählpassage wird die Figur des Ecdicius jedoch weniger als ein militärischer Anführer dargestellt. Vielmehr steht eine andere private Initiative im Vordergrund der Erzählung. Die Figur gibt hier bei einer Hungersnot verschiedenen civitates-Gemeinschaften aus seinen eigenen Beständen Nahrung. Die militärischen Fähigkeiten rücken in den Hintergrund. Hierbei wird auch der Bischof Patiens von Lyon erwähnt und dass Sidonius Apollinaris dessen Nahrungsmittelverteilung in einem Brief literarisch verarbeitet hat. Sidon. ep.: 6.12.
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Quellenuntersuchung
mussten. Zwar wird dies nicht ausdrücklich geschrieben,727 aber es ist im analytischen Kontext abzuleiten, dass die Versteigung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens nicht nur in dem Warlordism des Ecdicius, sondern auch seinen Effekten zu verorten ist. Dass die Verstetigung tatsächlich direkt mit Ecdicius in Verbindung zu bringen ist, zeigt sich in den Aussagen des Sidonius zu Clermont: Ecdicius war wegen der Titelverleihung nach Italien gerufen worden. Wie vor den Bemühungen des Ecdicius war die Bevölkerung nun nicht mehr in der Lage, sich gegen die Angriffe zu wehren und mussten den Belagerungen der civitas Clermont tatenlos zusehen.728 Ein weiterer, aber anders gelagerter Versuch der Verstetigung bestand durch die Zusendung von Nahrung. Erneut ist ein Brief des Sidonius die Hauptquelle. In diesem Brief erwähnt er das Plündern ausdrücklich.729 Dadurch war es zu einer Hungersnot gekommen, die es zu lindern galt. Der Bischof Patiens von Lyon sandte daher Korn- und Maisladungen auf eigene Kosten, wie Sidonius betont.730 Da aus dem Brief nicht hervorgeht, ob Patiens als der Bischof der civitas Lyon oder als Privatmann handelte, muss gefragt werden, inwieweit sich dies aus anderen Aussagen ableiten lässt. Es wird angenommen, dass Patiens aristokratischer Abstammung war.731 Die Annahme stützt sich jedoch nicht auf eine Quelle. Eindeutige Aussagen zu seiner Abstammung fehlen,732 so dass auf dieser Basis die Frage nach der Initiative des Patiens nicht beantwortet werden kann. Als Bischof von Lyon kooperierte Patiens mit den burgundischen Königen733 und bemühte sich auch darum, sie dem katholischen Glauben zuzuführen.734 Eine Beteiligung eines der Könige wird jedoch von Sidonius nicht erwähnt. Anhand eines anderen Briefes wird aber fassbar, dass auch der burgundische König Chilperich I. mit ihm Folge leistenden Akteuren eine civitas be-
727 Sidon. ep.: 3.3 und Sidon. ep.: 5.16. 728 Vgl. Harries, treason: S. 305 und Kaufmann, Sidonius: S. 192 f. 729 Sidon. ep.: 6.12.5. 730 Sidon. ep.: 6.12.5. 731 Vgl. Heinzelmann, Prosopographie: S. 664. Diese Annahme geht auf Aussagen des Sidonius und des Bischofs Gregor von Tours zurück. Für die Verwendung von materiellen Ressourcen des Patiens, die jedoch in der Position des Bischofs getätigt worden sind Sidon. ep.: 2.10.2 und Sidon. ep.: 6.12.3 sowie Greg. hist.: 2.24. Überblickend Stroheker, Adel: S. 200. Zu der Datierung des Briefes 2.10 gibt es mehrere Möglichkeiten. Für eine offene Datierung (ed. Anderson, Sidonius Apollinaris Bd. II: S. 461). Für eine Datierung auf 470 (ed. Dalton, Sidonius Bd. I: S. 54). Für eine Datierung auf 469/70 (ed. Loyen, Sidonius Apollinaris Bd. II: S. 68). 732 Dies hält Friedrich Stroheker, auf den diese Annahme der Abstammung zurückgeht, auch ausdrücklich fest. Vgl. Stroheker, Adel: S. 200. Dazu kritisch Patzold, Sozialstruktur: S. 127 ff. 733 In den 470er Jahren gab es mehrere reges. Vgl. Kaiser, Burgunder: S. 265. 734 Sidon. ep.: 6.12.3. Zu den unterschiedlichen christlichen Glaubensrichtungen in der Familie der burgundischen Könige Kaiser, Burgunder: S. 123 f. und S. 154.
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drohte.735 Insofern scheint dem König an einer Eindämmung der militärischen Operationen des Eurich gelegen gewesen zu sein, da er selbst seinen Strukturierungszusammenhang zu erweitern versuchte.736 Es ist aber nicht ersichtlich, dass burgundische Könige zu dieser Zeit konkret gegen Eurich opponierten.737 Am wahrscheinlichsten ist daher, dass Patiens eigenständig als der Bischof der civitas Lyon handelte. Die Zusendung der Nahrungsmittel ist daher eher als eine Art Almosen zu verstehen. Dabei ist jedoch nicht von einer rein durch kirchliche Normen geprägten Handlung auszugehen, da Übertritte auf die Seite Eurichs und die Flucht von Bevölkerungsteilen auch mit einer Reduktion von katholisch gläubigen Akteuren in Clermont einherging. Daran konnte dem Bischof Patiens nicht gelegen sein.738 Die Aussagen zur Zusendung durch den Bischof sind als Versuch der Verstetigung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens der Bevölkerung in Clermont zu deuten, durch den die lokale Gefährdung des katholischen Glaubens angegangen wurde, indem die ökonomischen Notwendigkeiten nun herabgesenkt wurden.739 Alle Versuche der Verstetigung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens in Clermont zur Zeit der militärischen Operationen König Eurichs, bei denen das Gebiet mit Plünderungen und Zerstörungen geschädigt wurde, nutzten nichts. 475 trat der
735 Sidon. ep.: 5.6. Für eine Datierung auf 474 (ed. Anderson, Sidonius Apollinaris Bd. II: S. 184, Anm. *) und (ed. Loyen, Sidonius Apollinaris Bd. II: S. 182). Für eine Datierung um 474/5 (ed. Dalton, Sidonius Bd. II: S. 55) und (ed. Loyen, Sidonius Apollinaris Bd. II: S. 182). 736 Zu betonen ist, dass die Figur des Chilperich I. die civitas für den neuen weströmischen Kaiser, dies war Glycerius oder Julius Nepos, erobern will. Sidon. ep.: 5.6.2. 737 Den Annahmen von Kaiser, Chilperich I. habe militärisch gegen den König von Toulouse opponiert, um Clermont zu verteidigen und die Zusendung von Nahrungsmittel durch den Bischof Patiens sei nur durch seine Billigung vollzogen worden, ist nicht zuzustimmen. Vgl. Kaiser, Burgunder: S. 51. Als Belege führt er die Briefe 3.4; 5.6.2 und 9.9.6 an. Vgl. Kaiser, Burgunder: S. 216, Anm. 124. Für den Einfluss eines burgundischen König auf die Auslieferung der Nahrungsmittel aus der civitas Lyon fehlt jeder Beleg. Kritisch zur Formulierung „nec propugnantum“ in Brief 3.4.1 vgl. Anderson, in: ed. Anderson, Sidonius Apollinaris Bd. II: S. 22, Anm. 1. In Brief 5.6 wird nicht ersichtlich, ob Vaison von den Folgeleistenden des Königs von Toulouse eingenommen worden ist oder ob die Bewohner sich wie zuvor die Bewohner von Lyon von der weströmischen Ordnung lossagten. Sidon. ep.: 5.6.2. In der Stelle 9.9.6 fehlt jeder explizite Bezug zu den burgundischen Königen. Sidon ep.: 9.9.6. Dazu kritisch Kaufmann, Sidonius: S. 184 f. Hinzu kommen noch die Datierungen des Briefes als Argument gegen die Annahme. Für eine Datierung nach 475 (ed. Anderson, Sidonius Apollinaris Bd. II: S. 530, Amn. * mit einem Verweis auf S. 509, Anm. *) und (ed. Dalton, Sidonius Bd. I: S. 188). Anders nur Loyen. Für eine Datierung auf 471 (ed. Loyen, Sidonius Apollinaris Bd. III: S. 147). Für einen Konflikt zwischen dem König von Toulouse und den burgundischen Königen nach dem Jahr 475 Wolfram, Goten 2001: S. 194. Für die Orientierung der Könige in Richtung Italien Henning, Periclitans: S. 231–233 und MacGeorge, Warlords: S. 269 ff. 738 Zu der Besorgnis um den katholischen Glaube zu dieser Zeit Sidon. ep.: 7.5 und Sidon ep.: 7.6. Dazu Stroheker, Eurich: S. 39 ff.; Mathisen, Emigrants: S. 168; Panzram, Eurich: S. 126 ff. und Schäferdiek, Kirche: S. 18 ff. 739 Zu den Lebensumständen als einem Aspekt von Bekehrungen König, Bekehrungsmotive: S. 303 ff.
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weströmische Kaiser Julius Nepos Eurich alle Gebiet ab, die Eurich zuvor inkorporiert hatte. Auch das Gebiet Clermonts wurde abgetreten, obwohl das ummauerte Zentrum der civitas nie eingenommen worden war. Der Bischof Sidonius beklagte sich in mehreren Briefen über diese normative Regelung,740 welche die Neustrukturierungen anerkannte und die Fiktion der strukturellen Einheit der weströmischen Ordnung in Gallien aufhob.741 1.4.1.4 Das regnum tolosanum als Strukturierungszusammenhang in Gallien nach 475 bis 482 Mit dem Vertrag des Jahres 475 war ein neuer Strukturierungszusammenhang normativ legitimiert worden, der für den König von Toulouse neue ökonomische Möglichkeiten ergab.742 Sprachlich ergibt die Neustrukturierung zusätzlich eine Veränderung des Wortgebrauchs in den Aussagen der Quellenautoren. Das anfängliche Gebiet wurde zuvor mit sors und nach dem Vertrag von 475 später mit regnum bezeichnet. Diese Veränderung des Wortgebrauchs ist allerdings nicht zeitnah festzustellen.743 Die geographische Ausdehnung dieses neuen Strukturierungszusammenhangs erfasste nicht nur Gebiete innerhalb Galliens, sondern auch auf der Iberischen Halbinsel.744 Diese sehr umfangreiche Neustrukturierung musste spätestens nach 475745 konsolidiert werden. Hier sollen nur einige Aspekte kurz akzentuiert werden: Nach
740 Dazu überblickend Harries, Sidonius: S. 237 ff. und ausführlich Henning, Periclitans: S. 307–312. 741 Vgl. Wolfram, Goten 2001: S. 190 f. Vier Bischöfe waren an den Verhandlungen beteiligt. Dies waren Basilius von Aix, Leontius von Arles, Faustus von Riez und Graecus von Marseille. Dazu der Brief des Sidonius an Basilius von Aix: „tu sacratissimorum pontificum, Leontii Fausti Graeci, urbe ordine caritate medius inveniris; per vos mala foederum currunt, per vos regni utriusque pacta condicionesque portantur. agite, quatenus haec sit amicitiae concordia principalis, ut episcopali ordinatione permissa populos Galliarum, quos limes Gothicae sortis incluserit, teneamus ex fide, etsi non tenemus ex foedere.“ Sidon. ep.: 7.6.10. Für eine Datierung um 475 (ed. Anderson, Sidonius Apollinaris Bd. II: S. 322, Anm. 2) und (ed. Loyen, Sidonius Apollinaris Bd. III: S. 42). Für eine Datierung auf 472/3 (ed. Dalton, Sidonius Bd. II: S. 106). Auch zeitnah Vita Epiphanii Ennodio: 85 und Vita Epiphanii Ennodio: 91. Diese von den Bischöfen getroffene Vereinbarung hat keine Parallelfälle. Das liegt auch daran, dass nach 476 die Position des weströmischen Kaisers aufgehoben worden ist. Der Bischof Epiphanius von Pavia war aber an der finalen Vereinbarung nicht beteiligt. Vgl. Henning, Periclitans: S. 309. 742 Vgl. Wolfram, Goten 2001: S. 198. 743 Zuerst wurde die Formulierung regnum tolosanum in der chronica caesaraugustana gebraucht. Chron. caesara.: 507. Dazu Wolfram, Studien: S. 145, bes. Anm. 28. Der Text wurde erst im frühen 7. Jahrhundert verfasst. Der Autor rekurriert wohl auf ältere Quellen. Vgl. Gillet, Euric: S. 4–9. Auch Isidor von Sevilla kennt die Formulierung. Isid. hist. goth.: 36. Für die Datierung auch dieses Textes auf den Beginn des 7. Jahrhunderts Wattenbach und Levison, Geschichtsquellen: S. 88. 744 Dazu überblickend Kulikowski, Spain: S. 176–214 und zu den militärischen Operationen zur Zeit Eurichs und den ihm Folgeleistenden auf der Iberischen Halbinsel Collins, Spain: S. 32–37 und Thompson, Spain III: S. 5–8. 745 Dazu überblickend Kulikowski, Spain: S. 203–214.
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Sidonius ließ Eurich einige Bischofspositionen unbesetzt.746 Auch wurden einige Bischöfe nach 475 in die Verbannung geschickt.747 Dies indiziert nicht unbedingt, dass Eurich den katholischen Glauben zu verfolgen gedachte.748 Sicher ist hingegen, dass eine nichtkirchliche Lokaladministration zu seiner Zeit im Süden Galliens existierte. Wie die Positionen im Detail entstanden sind, ist nicht sicher.749 Möglich ist in diesem Kontext nicht nur, dass er Akteure neu einsetzte, sondern auch, dass Eurich einige der bereits etablierten Akteure in ihren Administratorenpositionen belassen hat.750 Auch ein rechtlich-normativer Kodex wurde zu König Eurichs Zeit aufgezeichnet,751 der später durch weitere Rechtswerke erweitert wurde.752 Die in einen neuen Strukturierungszusammenhang gebrachten ökonomischen Potentiale beruhten selbstredend primär auf Praktiken sesshafter Produktion in den civitates.753 Dieses Potential wurde durch ein Abgabensystem für den König abgeschöpft. Die dafür positionierten Akteure, die vermehrt in Positionen agierten, die inkorporiert und nicht praktisch neu definiert wurden,754 zeigen, dass hier erneut eine Neustrukturierung nachzuvollziehen ist: Die Position des Königs selbst wurde
746 „[…] Burdegala, Petrogorii, Ruteni, Lemovices, Gabalitani, Helusani, Vasates, Convenae, Auscenses, multoque iam maior numerus civitatum summis sacerdotibus ipsorum morte truncatus nec ullis deinceps episcopis in defunctorum officia suffectis, per quos utique minorum ordinum ministeria subrogabantur, latum spiritalis ruinae limitem traxit.“ Sidon. ep.: 7.6.7. Vgl. Schäferdiek, Kirche: S. 27 und Stroheker, Eurich: S. 40 ff. 747 Sidon. ep.: 7.6.4–10. Schäferdiek sieht in der Nichtbesetzung der vakanten Bischofspositionen eine langsame Transformation der Verwaltung in Südgallien. Die kirchliche Funktion in dem Bereich sollte ausgeschaltet werden. Vgl. Schäferdiek, Kirche: S. 22. 748 Vgl. Wolfram, Goten 2001: S. 203 f. und König, Bekehrungsmotive: S. 54. 749 Vgl. Wolfram, Goten 2001: S. 193 ff. und Stroheker, Eurich: S. 92 ff. 750 Die Antwort auf die Frage nach dem kontinuierlichen Innehaben von strukturellen Positionen in den 470er Jahren in Gallien ist umstritten. Ein Mann namens Victorius wird von Stroheker als erster westgotischer Statthalter der Aquitania prima bezeichnet. Vgl. Stroheker, Adel: S. 86 f. Kritisch zu dieser Bezeichnung Heinzelmann, Prosopographie: S. 714. Ein weiterer Name, der möglicherweise für Kontinuität der Positionsinhaber spricht, ist Vincentius. Vgl. Wolfram, Goten 2001: S. 193. Zu den Römern im regnum tolosanum allgemein Wolfram, Goten 2001: S. 234–236 und Stroheker, Eurich: S. 113. 751 Vgl. Nehlsen, Art. Codex Euricianus: S. 42–47. 752 Zum breviarium alaricianum Liebs, Art. Lex Romana Visigothorum: S. 323–326. 753 Halsall ist nicht zuzustimmen, wenn er die sozioökonomische Bedeutung der civitates als weniger relevant für militärische Operationen beschreibt. Vgl. Halsall, Warfare: S. 137. Neustrukturierungen führen ganz außer Frage zu einer Kulmination ökonomischer Potentiale und dies hatte offensichtliche Effekte auf die soziale Interaktion zwischen einzelnen Akteuren und/oder Gemeinschaften und somit auch auf das Organisieren von Folgeleistungen. 754 Trotz der zeitgenössischen Betonung der „gestaltenden Kraft des jungen Germanentums“ (Stroheker, Eurich: S. 89.) sieht Stroheker, dass viele Positionen zur Zeit Eurichs von diesem schlicht in einen neuen Strukturierungszusammenhang gebracht worden sind. Vgl. Stroheker, Eurich. S. 90. Im Allgemeinen zu den Positionen Stroheker, Eurich: S. 91 ff. Zum Abgabensystem im Speziellen Stroheker, Eurich: S. 93. Dazu zeit- und ortsfern Cassiod. var.: 5.39.13.
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neu definiert, da sie in einen Strukturierungszusammenhang mit anderen Positionen eingebettet wurde und ihr Inhaber über das Abgabensystem umfangreiche materielle Güter und Ressourcen erwerben konnte. Dem König war damit nun ein exklusives Erwerbsmittel gegeben. Damit war der Warlordism des Königs auch einer Veränderung unterzogen. Wenn er zuvor noch eher mit der dritten Form zu beschreiben ist, kann nach 475 auch die erste Form angewandt werden. Zu den aktiven Relevanzarten traten nun vermehrt passive Relevanzarten. Hier zeigt sich erneut ihre Konvergenz. Tatsächlich ist in Anbetracht der Abgaben auch die Form anwendbar, die mit „Handlungskompetenzen akkumulierend“ bezeichnet ist. Zusätzlich sind wenige Aussagen zu Enteignungen gegeben.755 Solche sind daher nicht als typisch zu bezeichnen. Das Plündern als eine sozioökonomische Erwerbspraktik war nun erschwert, da die große geographische Ausdehnung des Strukturierungszusammenhangs weite Wegstrecken erforderte, um Siedlungsgemeinschaften zu finden, die außerhalb von diesem lagen und potentiell geplündert werden konnten. Da Clermont abrupt in den Zusammenhang gekommen war, ist das Verschwinden an Erwerbschancen durch Plünderungen zudem als plötzlich aufzufassen. Hinzu kommt, dass externe Akteure die neustrukturierten civitates weiterhin plündern konnten. Der König von Toulouse musste also von 475 an gerade wegen des Abgabensystems vermehrt auf die Abwehr von Plünderungen in Gallien und auf der Iberischen Halbinsel bedacht sein und die Bereitschaft zur Reaktion auf solche haben. Quellenaussagen zu diesen neuen Problemen sind nur wenige vorhanden. Es gibt einige zeit- und ortsferne Aussagen darüber, dass die dem König von Toulouse Folgeleistenden auch nach 475 weitere civitates einnahmen.756 Zudem wurden offenbar auch burgundische und fränkische Anführer unter Eurich besiegt;757 und die Liste der Unterzeichner des Konzils von Agde zeigt, wie weit der Strukturierungszusammenhang bis dahin nach Westen und Osten ausgedehnt worden war.758 Natürlich sagt diese Liste nichts darüber aus, wie lang sie strukturelle Elemente des Strukturierungszusammenhangs waren.759 Zum Plündern sind keine Aussagen gegeben.
755 Insgesamt Sidon. ep.: 8.9. Vgl. Stroheker, Eurich: 111 f. 756 Zeit- und ortsfern Iord. get.: 37.244. 757 Sidon. ep.: 8.9.5. Für eine Datierung um 476 (ed. Anderson, Sidonius Apollinaris Bd. II: S. 440, Anm. 1) und (ed. Loyen, Sidonius Apollinaris Bd. III: S. 102). Für eine Datierung um 478 (ed. Dalton, Sidonius Bd. II: S. 153). Da es sich hierbei um eine Art panegyricus handelt, ist plausibel anzunehmen, dass tatsächliche Leistungen des Königs literarisch verarbeitet wurden, da die Zeilen sonst eine Ironisierung wären. Vgl. Wolfram, Goten 2001: S. 194 und Overwien, Ironie: S. 248 f. 758 Vgl. Schäferdiek, Kirche: S. 243–247. 759 Nach einer Aufzeichnung der continuatio prosperi havniensis, die allerdings orts- und zeitfern geschrieben worden ist, hat Alarich II. noch vor dem Ende des 5. Jahrhunderts zumindest eine civitates im Norden Galliens erobert. Auct. prosp. havn.: 496.1. Vgl. Becher, Chlodwig I.: S. 204–207. Nach derselben Chronik verlor König Alarich II. noch vor dem Jahr 500 Bordeaux (Burdigala). Auct. prosp. havn.: 498.1. Der Metropolit Cyprianus aus der civitas Bordeaux nahm aber im Jahr 506 am Konzil von Agde teil. Vgl. Schäferdiek, Kirche: S. 244.
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Festzuhalten bleibt aber, dass die Operationen nach 475 Chancen auf den Erwerb durch Plünderungen für die Folgeleistenden boten. Insofern ist eine Kontinuität des Plünderns nach 475 bis 482 nicht unwahrscheinlich, auch wenn konkrete Aussagen fehlen. Im analytischen Kontext ist dies aber leicht zu plausibilisieren: Die Aussagen zu vorherigen Operationen umfassen einen umfangreichen Aussagenbestand zu Plünderungen. Das Plündern war die Erwerbsweise der bei den militärischen Operationen Folgeleistenden und dass das Kriegersein als Erwerbsmodus einfach umgehend von diesen Akteuren, die auch nach dem Jahr 475 Folge leisteten, aufgegeben wurde, ist nicht plausibel, denn über eine Art der Substitution der Erwerbchancen bei den militärischen Operationen des Königs von Toulouse ist nichts zu lesen. In einem zeitnah verfassten Brief des Sidonius sind immerhin Aussagen zur Abwehr von Plünderungen vorhanden. Der Brief ist an einen Namatius760 gerichtet, der Schiffskommandant war.761 Die Datierung ist allerdings umstritten. Die Vielfalt der möglichen Entstehungsdaten ist zwischen den Jahren 469/70762 und 480 aufgespannt.763 Der Aktionsraum des Namatius, die Atlantikküste, spricht für eine spätere Datierung in die Zeit nach 475.764 Namatius operierte dort gegen sächsische765 Akteure, die plünderten sowie Menschen raubten und mit Schiffen fortschafften.766 Die Abwehr von Plünderungen wurde also für den Seeweg organisiert. Für das Organisieren von Abwehrvorhaben auf dem Landweg ist bis 482 jedoch keine zeitnahe Aussage gegeben. Zwar ist die Annahme, das Verbot von Plünderungen und die damit verbunden Bestrafungen in den leges visigothorum767 gehe auf den fragmentarisch
760 Die Identität des Namatius ist umstritten. Vgl. Heinzelmann, Prosopographie: S. 655. 761 Sidon. ep.: 8.6.13. 762 Für eine Datierung auf 469/70 (Loyen, Sidonius Apollinaris Bd. III: S. 91). Tendenziell zustimmend Heinzelmann, Prosopographie: S. 655. 763 Für eine Datierung auf 480 (Dalton, Sidonius Bd. II: S. 145). Für eine Datierung auf 478 Stroheker, Adel: S. 253. Für eine Datierung auf 477 Kaufmann, Sidonius: S. 325. Für eine offene Datierung (ed. Anderson, Sidonius Apollinaris Bd. II: S. 418). 764 Eine geographische Anbindung des Siedlungsgebietes von 418 an die Atlantikküste ist zwar gegeben. Dazu Wolfram, Goten 2001: S. 179. Es ist aber anzunehmen, dass die Verteidigung vor Plünderungen auf dem Seeweg erst nach den militärischen Operationen des Eurich gen Westen in den 470er Jahren von diesem organisiert wurde. Vgl. Wolfram, Goten 2001: S. 179 f. und Overwien, Sidonius Apollinaris: S. 103 ff. 765 Das Wort saxones fasste bis in die 440er Jahre ganz allgemein seefahrende Räuber. Danach konnte er auch die Bewohner Britanniens bezeichnen. Die ältere Verwendung wurde allerdings nicht abrupt aufgegeben. Vgl. Springer, Sachsen: S. 32–46. Für den Gebrauch des Wortes saxones bei Sidonius Kaufmann, Sidonius: S. 163–167. 766 Sidon. ep.: 8.6.13.–15. 767 Lex visig.: 8.1.9. Der Text wurde als Sammlung seit der Zeit Theoderichs II. erweitert und revidiert. Die von Eurich erlassenen Gesetze waren bereits auf das Gebiet des Strukturierungszusammenhangs von Toulouse und nicht nur auf Akteure aus der westgotischen Siedlungsgemeinschaft bezogen. Vgl. Buchner, Rechtsquellen: S. 7 f.
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erhaltenen codex euricianus zurück, sehr wohl plausibel.768 Jedoch ist sie letztlich nicht zu beweisen, so dass offen bleiben muss,769 ob bereits König Eurich durch normative Regelungen versuchte, das Plündern von Gebieten durch die ihm Folgeleistenden zu unterbinden. Der geographisch sehr ausgedehnte neue Strukturierungszusammenhang führte offenbar dazu, dass nun auch Maßnahmen gegen Plünderungen ergriffen wurden. Zwar ist hier die Quellenlage nicht klar, da die Datierung des Briefes, aus dem die besagten Aussagen stammen, wie auch der Beginn dieser Maßnahmen nicht mehr zu eruieren ist, doch ist es sehr plausibel anzunehmen, dass mit gesteigertem geographischem Umfang vermehrt Maßnahmen gegen Plünderungen wichtig wurden. Dazu ist noch zu beachten, dass eben nicht nur diejenigen, die dem König von Toulouse vor 475 Folge leisteten, nun an den Maßnahmen gegen die Plünderungen teilnahmen. Auch jene, die zuvor von den Plünderungen während der militärischen Operationen des Eurich betroffen waren, konnten nun Folge leisten, wenn es darum ging, Plünderungen nach 475 zu verhindern, so dass das gewonnene ökonomische Potential der civitates durch den König von Toulouse mittels Abgaben verwertet werden konnte. Der neue Strukturierungszusammenhang erforderte solche Maßnahmen gegen Plünderungen in einem stärkeren Maße, als dies zuvor abgelaufen sein mag: Passive Relevanzarten des Plünderns wurden wichtiger. Während für den Süden Galliens also ein geographisch weiträumiger Zusammenhang struktureller Elemente der erodierenden strukturellen Einheit der weströmischen Ordnung in vielen Quellenaussagen um 475 deutlich zu fassen ist, ist die Aussagenlage für Nordgallien nicht derart umfangreich und auch nicht eindeutig. Daher ist zu fragen, ob ein solcher Strukturierungszusammenhang dort überhaupt bestand.
1.4.2 Der Norden Galliens Der geringe Bestand der Aussagen zum Norden Galliens zu der Zeit nach dem Tod des Aegidius bis zum Jahr 482 ist zeitfern verfasst worden. Dies erschwert die Bildung analytischer Kontexte: Zum einen ist zu fragen, ob es ein regnum in Nordgallien nach dem Tod des Aegidius bis 482 in Sinne eines relativ großräumigen Strukturierungszusammenhangs gab. Zum zweiten ist zu fragen, inwieweit unter Bezugnahme auf die Antwort der ersten Frage das Plündern in Nordgallien relevant war für das Organisieren von Folgeleistungen. Es gibt Quellenaussagen dazu, dass ein regnum nach dem Tod des Aegidius in Nordgallien bestand. Ähnlich wie für das regnum tolosanum ist ein zeitnaher Gebrauch des Wortes aber nicht gegeben. Erstmals wird das Wort in Bezug auf diesen
768 Vgl. Melicher, Westgotenreich: S. 269. 769 Stroheker stellt dies indirekt in Frage. Vgl. Stroheker, Eurich: S. 114, Anm. 105.
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geographischen Raum in den decem libri historiarum verwendet.770 Gregor erzählt zuerst, dass Aegidius einen Sohn mit dem Namen Syagrius hinterlassen habe.771 Er fährt neun Kapitel später mit seiner Erzählung zu Syagrius fort, nennt ihn rex romanorum und schreibt, dass er seine sedes in der civitas Soissons (Augusta Suessionum) gehabt habe.772 Nachdem Syagrius nach Gregor von Chlodwig I. militärisch besiegt und von Alarich II. nach seiner Flucht an Chlodwig I. ausgeliefert wird, lässt der ihn ermorden. Chlodwig I. erhält das regnum des Syagrius.773 Diese doch dünne Aussagenlage erlaubt trotzdem einige doch sehr wichtige Feststellungen. Festzuhalten ist anhand der sprachlichen Verbindungen in den Passagen, dass nie von einem regnum erzählt wird, dass mit einer civitas direkt verbunden war. Es wird erzählt, dass Syagrius als rex romanorum dort seine sedes hatte. Dieser Bezug von rex und sedes entspricht anderen Erzählungen Gregors über die reges seiner Zeit und deren regna und sedes.774 Es kann daher plausibel angenommen werden, dass der Bischof bei seinem Rekurs auf Informationen zu dem Beginn des Vordringens fränkischer Könige mit den ihnen Folgeleistenden in den inneren Norden Galliens diese derart literarisch verarbeitet hat, dass eine Verbindung seiner eigenen Zeit hier fassbar wird. Was genau Gregor damit ausdrückt, lässt sich erfragen, indem die Aussagen in drei Bereiche unterteilt werden: Zum einen der personale, zum zweiten der geographische und zum dritten der Bereich, der die dem Syagrius Folgeleistenden umfasst.
770 „Quem Chlodovechus receptum custodiae mancipare praecipit; regnoque eius acceptum, eum gladio clam feriri mandavit.“ Greg. hist.: 2.27. Festzuhalten ist, dass alle Aussagen Gregors zum Norden Galliens am Ende des 5. Jahrhunderts zeitfern, jedoch ortsnah verfasst worden sind. 771 „Mortuus est autem Egidius et reliquit filium Syagrium nomine.“ Greg. hist.: 2.18. 772 „Anno autem quinto regni eius Siacrius Romanorum rex, Egidi filius, apud civitatem Sexonas, quam quondam supra memoratus Egidius tenuerat, sedem habebat.“ Greg. hist.: 2.27. In der civitas Soissons befanden sich größere Produktionsstätten, deren Relevanz für das Organisieren von Folgeleistungen nicht unterschätzt werden sollte. Angenommen wird, dass es sich um Waffenfabriken handelte. Vgl. Kaiser, Erbe: S. 19. Jedoch ist nicht sicher, was in den dortigen Produktionsstätten hergestellt wurde oder auch werden konnte. Vgl. MacGeorge, Warlords: S. 138, Anm. 12. Anders Nonn und Becher, die davon ausgeht, dass in Soissons Waffen produziert worden sind. Vgl. Nonn, Verwaltungsorganisation: S. 91 und Becher, Chlodwig I.: S. 150. 773 „Itaque inter se utrisque pugnantibus, Syagrius elisum cernens exercitum, terga vertit et ad Alaricum regem Tholosa curso veluci perlabitur. Chlodovechus vero ad Alarico mittit, ut eum redderit; alioquin noverit, sibi bellum ob eius retentationem inferri. Ad ille metuens, ne propter eum iram Francorum incurrerit, ut Gothorum pavere mos est, vinctum legatis tradedit. Quem Chlodovechus receptum custodiae mancipare praecipit; regnoque eius acceptum, eum gladio clam feriri mandavit.“ Greg. hist.: 2.27. 774 „Et mox Parisius ingreditur sedemque Childeberthi regis occupat; sed non diu ei hoc licuit possedere; nam coniuncti fratres eius eum exinde repulerunt, et sic inter se hii quattuor, id est Chariberthus, Gunthramnus, Chilpericus atque Sigiberthus, divisionem legitimam faciunt. Deditque sors Charibertho regnum Childeberthi sedemque habere Parisius, Gunthramno vero regnum Chlodomeris ac tenere sedem Aurilianensem, Chilperico vero regnum Chlothari, patris eius, cathedramque Sessionas habere, Sygibertho quoque regnum Theuderici sedemque habere Remensim.“ Greg. hist.: 4.22.
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Für den ersten Bereich ist sicher, dass Gregor nicht erzählt, dass Syagrius seinem Vater in einer rex-Position nachgefolgt ist. Syagrius wird nur als Sohn des Aegidius775 und als rex romanorum776 bezeichnet, aber ein Zusammenhang wird nicht hergestellt.777 Dass diese Anführertätigkeit in einer Position lokalgeographisch fixiert war, kann anhand der Aussagen nur vermutet werden, wenn dies auch insgesamt nicht unplausibel ist: Aegidius hatte Handlungskompetenzen akkumuliert, die zuvor mit strukturellen Positionen verbunden waren, und auf diese Weise eine Form von Warlordism betrieben. Aber anzunehmen, dass ihm sein Sohn in dieser Position gefolgt sei, impliziert zumindest, dass diese Position, die Gregor mit dem Titel rex zu fassen versucht, in irgendeiner Weise ihren Inhaber überstanden haben müsste. Das wiederum würde bedeutet, dass Aegidius die Handlungskompetenzen nicht einfach persönlich akkumuliert hätte. Tatsächlich – und damit ist bereits der zweite Bereich angesprochen – schreibt Gregor, dass die civitas Soisson, die Syagrius zu seinem Sitz gemacht hat, auch schon von Aegidius gehalten worden war.778 Auch die Aussage, dass nach dem Tod des Aegidius aus der civitas Angers und anderen Geiseln an einen Adovaker gestellt worden sind, lässt auf seinen regionalen Bezug schließen.779 Zwischen Angers und Soissons liegen ungefähr 400 Kilometer.780 Somit ist die Annahme, dass ein geographisch großräumiger Strukturierungszusammenhang von Aegidius in Nordgallien neustrukturiert worden ist, nicht unplausibel. Jedoch ist in einem Brief des Sidonius von einem comes zu lesen, der in der civitas Autun zu verorten ist. Es handelt sich dabei
775 Greg. hist.: 2.18. 776 Greg. hist.: 2.27. 777 Dem liber historiae francorum, ein Text aus dem 8. Jahrhundert, sind Aussagen dazu zu entnehmen, dass bereits Aegidius den Titel rex getragen hat. Lib. hist. franc.: 8. Jedoch ist hier der Rekurs nicht eindeutig. Auch der Titel dux wird in einigen Schriften genannt. Vgl. MacGeorge, Warlords: S. 135, Anm. 97. Die Zeitferne des Autors lässt daran zweifeln, dass die Titelbezeichnung rex für Aegidius adäquat ist. Der als Fredegar bezeichnete Autor – es ist möglich, dass es sich auch um mehrere Autoren handelt – der im 7. Jahrhundert in Gallien gearbeitet hat, bezeichnet Aegidius als comes und Syagrius als romanorum patricius. Fredeg.: 2.55 und Fredeg.: 3.15. Zu den Annahmen zu den Autoren unter dem Name Fredegar Collins, Fredegar-Chroniken: S. 8 f. und S. 16–25. Zur Datierung der beiden Texte Wattenbach und Levison, Geschichtsquellen: S. 109–119. Gregor nennt Aegidius magister militum: „In Galliis autem Egidius ex Romanus magister militum datus est.“ Greg. hist.: 2.11. 778 „Anno autem quinto regni eius Siacrius Romanorum rex, Egidi filius, apud civitatem Sexonas, quam quondam supra memoratus Egidius tenuerat, sedem habebat.“ Greg. hist.: 2.27. 779 Es wird diskutiert, ob der bei Gregor genannte Name Adovacrius den Mann mit Namen Odoacer erfasst, der den letzten weströmischen Kaiser Romulus Augustulus 476 absetzte und zum rex in Italien ausgerufen worden ist. Zur Absetzung und zur Person Odoaker Henning, Periclitans: S. 56 f. und S. 59–68. Henning spricht sich für die Identität Adovacrius = Odoacer aus. Dazu Henning, Periclitans: S. 58. Zu einem Modell, dass für den Beweis der Identität Adovacrius = Odoacer entworfen worden ist Frye, Aegidius: S. 10 f. Zur Diskussion der beiden Namen MacGeorge, Warlords: S. 104–106. 780 Vgl. Ewig, Merowinger: S. 26.
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um Attalus, einen Ahnen des Bischofs Gregor,781 der in der civitas tätig war.782 Auch werden in der vita aventini783 ein comes Ioannis von Châteaudun (Castrodunensis) und ein namenloser comes der civitas Blois (Blaesensis) genannt.784 Weiter ist über sie nichts bekannt. Inwieweit die drei genannten comites und der comes Paulus785 in lokalen Positionen in den möglichen Strukturierungszusammenhang des Aegidius integriert waren oder ob sie ähnlich wie der comes Arbogast von Trier eigenständig handelten,786 kann aus heutiger Perspektive nicht mehr exakt bestimmt werden. Sicher ist nur, dass im geographischen Raum, in dem ein Strukturierungszusammenhang zu vermuten ist, offenbar lokal mehrere Akteure agierten, die mit einzelnen civitates verbunden waren. Es ist dabei wahrscheinlich anzunehmen, dass die als comites bezeichneten Akteure zumeist in administrativen Positionen tätig waren, und dies nicht nur, weil jeweils ein comes einer civitas beigeordnet ist, sondern auch, weil mit den Aussagen zu Arbogast ein als comes bezeichneter Akteur mit administrativen Handlungskompetenzen genannt wird. Diese können von civitas zu civitas selbstredend variiert haben. Die Frage, ob die lokalen Administratorenpositionen insgesamt oder auch nur teilweise in einen größeren Strukturierungszusammenhang integriert worden sind, ist aber nicht zu beantworten. Es ist durchaus plausibel, dass Gregor dies mit der Formulierung rex romanorum ausdrückt, jedoch ist gerade wegen der Aussagen, welche die civitates als Orte lokal fixierter Administratorenpositionen präsentieren, angenommen worden, Syagrius sei selbst nicht mehr als der comes der civitas Soissons.787 Die Titelbezeichnung rex romanorum wird dabei als Anzeichen für das Unverständnis des Bischofs Gregor bezeichnet.788 Diese Titelbezeichnungen führen unweigerlich zum dritten Bereich, der die dem Syagrius Folgeleistenden umfasst. Die von Gregor verwendete Bezeichnung rex romanorum ist diskutiert worden, da sie
781 Vgl. Heinzelmann, Prosopographie: S. 563. 782 Sidon. ep.: 5.18. Für eine offene Datierung (ed. Anderson, Sidonius Apollinaris Bd. I: S. 236) und (ed. Dalton, Sidonius Bd. II: S. 59). Für eine Datierung zwischen 471 und 474 (ed. Loyen, Sidonius Apollinaris, Bd. II: S. 206). Dazu die ausdrückliche, jedoch zeitferne Formulierung, die aber ortsnah verfasst wurde Greg. vit. patr.: 7.1. 783 Die genaue Datierung und der Ort der Niederschrift des Textes sind nicht mehr zu eruieren. Friedrich Prinz beschreibt die Vita als „von geringem Wert“. Aventinus lebte im Übergang von 5. in das 6. Jahrhundert und war der Bischof der civitas Châteaudun. Prinz, Mönchtum: S. 69. Zur vita auch MacGeorge, Warlords: S. 76, Anm. 26. 784 Vita Aventini: 1–2 und 5. Dazu Mathisen, addenda: S. 451 und S. 455. 785 Die Annahme über die Nachfolge des comes Paulus in der Position des Aegidius geht ebenfalls auf die Dissertation „Die Geschichte der fränkischen Könige Childerich und Chlodovech, kritisch untersucht“ des deutschen Gelehrten Wilhelm Junghans aus dem Jahr 1879 zurück. Sie ist mittlerweile umstritten. Vgl. MacGeorge, Warlords: S. 104 und Frye, Aegidius: S. 11 f. 786 Vgl. Anton, Trier: S. 40. 787 Vgl. James, Franks: S. 70 f. Ähnlich MacGeorge, Warlords: S. 114. 788 Vgl. James, Franks: S. 71, bes. Anm. 11.
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aus mehreren Gründen unpassend erscheint.789 Tatsächlich ist regnum kontextuell in der Erzählung weder, wie beispielsweise für die sortes üblich, ethnisch,790 noch geographisch definiert, sondern personal: Es ist das regnum des Syagrius, der als rex romanorum bezeichnet wird.791 Dieser Titel lässt vermuten, dass er Bewohner aus den civitates in Nordgallien bei militärischen Operationen anführte. Dass Syagrius Folgeleistungen organisierte, ist sicher.792 Hier aber dürfen zwei weitere Aspekte nicht übersehen werden: Romanorum kann nicht als eine Indikation für Ethnizität gelesen werden793 und außerdem waren nicht alle Bewohner in Nordgallien Römer,794 aber die gewählte Titelbezeichnung rex romanorum ist ausschließend. Leisteten also nur Römer Syagrius Folge? Dies scheint unwahrscheinlich in Anbetracht der Aussagen, welche die Lokalität von Gemeinschaften und nicht die ethnische Zugehörigkeit für das administrative Organisieren der civitates-Gemeinschaften in Nordgallien verdeutlichen. Sicher ist nur, dass Syagrius Folgeleistungen gegen Chlodwig I. und andere fränkische reges795 organisierte. Für den Gebrauch des Wortes regnum bei Gregor lässt sich festhalten, dass die Existenz eines großräumigen Strukturierungszusammenhangs in Nordgallien nach dem Tod des Aegidius möglich ist; aber in keiner Weise sicher. Gegen die Annahme
789 Zusammenfassend MacGeorge, Warlords: S. 133–136. 790 Vgl. Wolfram, Studien: S. 145, Anm. 28. 791 So der Erzählkontext der entscheidenden Passage aus den decem libri historiarum: „Anno autem quinto regni eius Siacrius Romanorum rex, Egidi filius, apud civitatem Sexonas, quam quondam supra memoratus Egidius tenuerat, sedem habebat. […] Quem Chlodovechus receptum custodiae mancipare praecipit; regnoque eius acceptum, eum gladio clam feriri mandavit.“ Greg. hist.: 2.27. 792 „Itaque inter se utrisque pugnantibus, Syagrius elisum cernens exercitum, terga vertit et ad Alaricum regem Tholosa curso veluci perlabitur.“ Greg. hist.: 2.27. Dazu werden die Waffenwerkstätten in der civitas Soissons genutzt haben. Vgl. Kaiser, Soissons: S. 140 f.; Nonn, Verwaltungsorganisation: S. 91 und Becher, Chlodwig I.: S. 150. Kritischer MacGeorge, Warlords: S. 138, Anm. 12. MacGeorge stellt in Frage, ob in Soissons tatsächlich Waffen produziert worden sind. Wahrscheinlich waren sie keine Söldner. Dazu Böhme, Söldner und Siedler: S. 91–101. Das Söldnersein bezieht sich jedoch auf das 2., 3. und 4. Jahrhundert. Vgl. Böhme, Söldner und Siedler: S. 91 f. und Bachrach, Mercenaries: S. 167 ff. 793 Dazu allgemeiner Conclusion, in: Goetz/Jarnut/Pohl, Regna and Gentes: S. 609 ff. Spezieller dazu mit einem Verweis auf die verschiedenen Fassungen des zweiten Buchs der decem libri historiarum Nonn, Verwaltungsorganisation: S. 87. Auch mit dem eher unwahrscheinlichen Bezug der Akteure Nordgalliens auf das Zentrum der weströmischen Ordnung in Italien Ewig, Merowinger: S. 16 ff. und van Ossel, Gallo-Romanen: S. 102–109. 794 Vgl. Mathisen, Aristocrats: S. 17–37; Nonn, Verwaltungsorganisation: S. 91 f. und MacGeorge, Warlords: S. 141 ff. Dazu Böhme, Grabfunde: S. 31–58 und Haubrichs, Fränkische Lehnwörter: S. 102–129. 795 „Super quem Chlodovechus cum Ragnechario, parente suo, quia et ipse regnum tenebat, veniens, campum pugnae praeparare deposcit.“ Greg. hist.: 2.27. Für die Teilnahme eines weiteren rex, der dann doch nicht militärisch eingriff: „Post haec ad Chararicum dirigit. Quando autem cum Siagrio pugnavit, hic Chararicus, evocatus ad solatium Chlodovechi, eminus stetit, neutre adiuvans parti; sed eventum rei expectans, ut cui evenerit victuriam, cum illo et hic amicitia conligaret.“. Greg. hist.: 2.41.
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sind vor allem die Aussagen zu den lokalen Administratorenpositionen anzuführen, die in diesen Strukturierungszusammenhang inkorporiert worden sein müssen. Dazu fehlt aber jegliche Aussage, was die Annahme aber trotzdem nicht vollkommen falsch erscheinen lässt: Die comites trugen schlicht einen anderen Titel, der gegenüber dem von Gregor für Syagrius gewählten rex-Titel geringer erscheint. Diese Differenz muss aber wiederum auch nicht auf die Existenz eines weiträumigen Strukturierungszusammenhangs verweisen, weil der Titel nicht mit einer civitates direkt verbunden wird, wie es für das regnum in Südgallien der Fall war, und auch nicht mit einem weitläufigeren geographischen Raum, sondern mit romanorum und nicht etwa mit galliarum. Das indiziert das Organisieren von Folgeleistungen allein von römischen Akteuren oder von jenen, die sich dafür hielten. Die Aussagen zu Folgeleistungen bilden die einzige Kontinuität zwischen Aegidius und Syagrius. Von dieser Kontinuität ausgehend ist plausibel, dass Syagrius eine Position hatte, die primär und hauptsächlich auf den Folgeleistungen aufbaute und so eine Form von Warlordism ergab, die Aspekte zweier der herausgearbeiteten Formen aufweist: Situationsbezogen war er in der Lage auf Aggressoren zu reagieren, indem er die in den Fabriken der civitas Soissons produzierten Waffen und ihr ökonomisches Potential verwenden konnte.796 Er hatte somit die von seinem Vater akkumulierten Handlungskompetenzen als ein militärischer Anführer übernommen und konnte daher die sesshafte Bevölkerung vor Plünderungen verteidigen. Wahrscheinlich waren die ihm Folgeleistenden mit Teilen dieser identisch. Dabei konnte Syagrius auch mit comites aus anderen civitates kooperiert haben, die Folgeleistungen von Akteuren organisierten. Er konnte diese ausstatten, ohne dass ein geographisch weiter Strukturierungszusammenhang bestanden haben muss. Dies erklärt auch, warum nur sein Name als Anführer gegen Chlodwig I. und die anderen Könige genannt ist. In Anbetracht der decem libri historiarum ist diese Annahme sogar noch zu plausibilisieren, da fränkischen Könige wahrscheinlich zu einem Plünderungsoperation aufgebrochen waren und sich Syagrius ihnen mit ihm Folgeleistenden in den Weg stellte.797 Dass Syagrius bei dieser
796 Selbst bei kritischem Hinterfragen, ob in Soissons Waffen produziert worden sind, weist die civitas aber auch im 5. Jahrhundert ein umfangreiches ökonomisches Potential auf, dass von Syagrius für das Organisieren von Folgeleistungen zusätzlich oder auch alleinig verwendet werden konnte. Vgl. MacGeorge, Warlords: S. 138 f. Zur Anbindung der civitas in das Straßennetz Kaiser, Soissons: S. 72–101. Zu ökonomischen Potential Kaiser, Soissons: S. 130–141. 797 So der Erzählkontext der entscheidenden Passage aus den decem libri historiarum: „Super quem Chlodovechus cum Ragnechario, parente suo, quia et ipse regnum tenebat, veniens, campum pugnae praeparare deposcit. Sed nec iste distolit ac resistere metuit. Itaque inter se utrisque pugnantibus, Syagrius elisum cernens exercitum, terga vertit et ad Alaricum regem Tholosa curso veluci perlabitur. […] Eo tempore multae aeclesiae a Chlodovecho exercitu depraedatae sunt, quia erat ille adhuc fanaticis erroribus involutus.“ Greg. hist.: 2.27. Dazu MacGeorge, Warlords: S. 153 ff. und Ewig, Merowinger: S. 20. Ewig erkennt, dass es hierbei offenbar um einen Konflikt von Anführern geht. Der Bezug der Akteure, der sich nach Ewig auf das Zentrum in Italien richtete, ist jedoch kritisch zu hinterfragen.
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gemeinsamen Operation einiger Könige unterlag, erlaubte es Chlodwig I. später, in Nordgallien weiter militärisch zu operieren und Neustrukturierungen vorzunehmen, auch, da ein großräumiger Strukturierungszusammenhang zuvor im Norden Galliens nicht existiert hatte. Bevor nun zum Abschluss des ersten Kapitels die Zwischenergebnisse summiert werden, wird an dieser Stelle noch einmal nach der Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen gefragt. Da es aber kaum zeit- und ortsnah verfasste Quellenaussagen zur Praktik zum Norden Galliens und zu dieser Zeit gibt, muss der analytische Kontext auch Aussagen zu materiellen Gütern und Ressourcen sowie Folgeleistungen umfassen. Neben dem bereits genannten lokal fixierten comites – der comes Paulus ist der einzige von ihnen, zu dem eine Aussage zu Plünderungen gegeben ist798 – agierten auch relativ mobile Anführer mit ihren Folgeleistenden im Nordgallien und kooperierten nach Gregor von Tours auch miteinander.799 Auch wenn ausschließlich zeitnahe Aussagen zu den Aktivitäten Childerichs I. vorhanden sind,800 waren zu dieser Zeit mit Sicherheit auch andere Könige an der gallischen Peripherie vorhanden.801 Militärische Operationen von Franken in diesen Raum und in das Innere Galliens führten bereits weit vor dem interessierenden Zeitraum mehrfach zu Plünderungen gallischer civitates.802 Ihre geographisch auf einzelne civitates der Peripherie Galliens bezogenen regna bildeten sich dabei als kleinräumige Strukturierungszusammenhänge heraus.803 Daher ist wahrscheinlich, dass das Organisieren von Folgeleistungen auch mit Plünderungen realisiert worden ist. Die Erzählung über die militärische Operation Chlodwigs I. und anderer dieser Könige nach 482 konstituiert diese plausible Annahme zusätzlich, auch wenn eine präzise Formulierung auf der Basis der wenigen Aussagen zu den regna zwischen dem Tod des Aegidius und 482 nicht möglich ist. Weitere Aussagen, die zur Konstitution dieser Annahme beitragen
798 „Paulos vero comes cum Romanis ac Francis Gothis bella intulit et praedas egit.“ Greg. hist.: 2.18. 799 Eindeutig entgegen anderer, eher zweideutiger Stellen in Greg. hist.: 2.18: „Odovacrius cum Childerico foedus iniit, Alamannusque, qui partem Italiae pervaserant, subiugarunt.“ Greg. hist.: 2.19. Zu den Interpretationen der Stellen aus Greg. hist.: 2.18 Frye, Aegidius: S. 11 ff. 800 Relativ zeit- und ortsnah Vita Genovevae: 26. Dazu Greg. hist.: 2.9; 2.12; 2.18; 2.19; 2.27. 801 Da zumindest zwei reges nach Gregor zusammen mit Chlodwig I. gen Westen gezogen sind, kann angenommen werden, dass ihre Positionen an der Peripherie bereits um 480 konsolidiert waren. Greg. hist.: 2.27 und 2.41. Zu den als regna bezeichneten Gebieten um einzelne civitates Greg. hist.: 2.40–2.42. Zu dem rex Chararich Jungandreas und Wenskus, Art. Chararich: S. 370–371. Zu dem rex Sigibert Springer, Art. Sigibert „von Köln“: S. 386–391. Zu dem rex Ragnachar Kettemann, Art. Ragnachar: S. 98–102. Zu den Gebieten und civitates am Rand Galliens Ament, Rheinzone: S. 129–137. Zu Köln im Speziellen Päffgen und Ristow, Köln: S. 145–159, bes 148–151. Zu Tournai im Speziellen Brulet, Tournai: S. 163–170. 802 Überblickend für das 4. und den Beginn des 5. Jahrhunderts Ewig, Franken und Rom: S. 8–33. 803 Vgl. Nonn, Franken: S. 104.
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können, sind ebenfalls von Gregor in seinen decem libri historiarum verfasst: Ein Konflikt zwischen Sachsen und Franken wird erzählt, wobei die zweitgenanten Akteure als Sieger hervorgehen. Solche Operationen ermöglichten den Folgeleistenden mit Sicherheit Erwerbschancen durch Plünderungen.804 Die Prozessdynamik der Erosion im Raum Nordgallien, in dem ein weiträumiger Strukturierungszusammenhang fehlte, wurde durch diese Akteure in ihrer Gesamtheit befördert. Die literarischen Verarbeitungen der Informationen über die Akteure verdeutlichen die Dynamik noch heute. Die sesshafte Bevölkerung arrangierte sich mit diesen Anführern805 und wurde von ihnen bedroht, nicht nur, weil sie durch Plünderungen die materiellen Grundlagen der civitates-Gemeinschaften gefährdeten und die ökonomische Produktion, die auf Sesshaftigkeit beruhte, erschwerten, sondern auch, weil Bevölkerungsteile bei den militärischen Operationen der Anführer mit den ihnen Folgeleistenden getötet und geraubt wurden.806 Insgesamt deuten die wenigen Aussagen an, dass Plünderungen für das Organisieren von Folgeleistungen im Norden Galliens nach dem Tod des Aegidius bis zum Jahr 482 weiterhin in aktiver wie passiver Weise relevant waren. Diese Annahme ist trotz der geringen Zahl von Aussagen durchaus plausibel. Dafür spricht zusätzlich, dass die civitates in der Prozessdynamik der Erosion in Nordgallien nicht durch Neustrukturierungen in einen großräumig angelegten Strukturierungszusammenhang inkorporiert worden sind. Die eher kleinräumige Lokalität beförderte die Notwendigkeit von lokaler Kooperation nicht nur zwischen den civitates-Gemeinschaften, sondern auch zwischen diesen und Anführern, die nicht an eine der civitates gebunden agierten und Folgeleistungen organisierten sowie auch zwischen solchen Anführern untereinander.
1.5 Zwischenergebnisse: Arten der Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen Die Quellenuntersuchung hat gezeigt, dass unterschiedliche Relevanzarten des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen in der Prozessdynamik der Erosion
804 „His ita gestis, inter Saxones atque Romanos bellum gestum est; sed Saxones terga vertentes, multos de suis, Romanis insequentibus, gladio reliquerunt; insolae eorum cum multo populo interempto a Francis captae atque subversi sunt.“ Greg. hist.: 2.19. Dass mit der Formulierung „subversi sunt“ Informationen zu gewaltsamen Eingriffen auch dieser Art literarisch gestaltet worden sind, ist nicht vollkommen unplausibel. Tatsächlich kann die Formulierung nur bildlich gemeint sein. Die Inseln, welche die Sachsen bewohnten, können nicht „umgestürzt“ worden sein. 805 Relativ zeit- und ortsnah Vita Genovevae: 26 und: „Quo defuncto, Adovacrius de Andecavo vel aliis locis obsedes accepit.“ Greg. hist.: 2.18. 806 Relativ zeit- und ortsnah Vita Genovevae: 26.
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der strukturellen Einheit der weströmischen Ordnung auf der Deutungsebene zu beschreiben sind. Die Untersuchung ermöglicht zusätzlich Ergebnisse zu Lebensweisen, Akteuren sowie Positionen und der Prozessdynamik zu explizieren. Zuerst zu dem Verhältnis der Prozessdynamik und der Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen. Anfänglich eine allgemeine Feststellung: In der Prozessdynamik der Erosion war und blieb das Plündern als eine sozioökonomische Erwerbspraktik bis 482 für das Organisieren von Folgeleistungen relevant. Die Dynamik war bedingend dafür und zugleich beförderte das Plündern sie. Die Lebensweisen einzelner Akteure und Akteursgruppen waren von der Praktik des Plünderns und ihren Umverteilungseffekten in aktiver wie passiver Art betroffen. Dabei war nicht entscheidend, ob Anführer in strukturellen Positionen der weströmischen Ordnung agierten, oder nicht. Die Positionen wurden mit den militärischen Operationen und der Akkumulation von den zuvor strukturgebundenen Handlungskompetenzen neustrukturiert und auf diese Weise praktisch definiert. Dabei entstanden auch neue Positionen. Zudem waren Desintegrationen und die Dynamisierung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens gegeben. Auch sie indizieren die Prozessdynamik. Das Plündern blieb als Erwerbspraktik konstant, was an den Arten der Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen festzumachen ist. Das Plündern war zum einen in rein aktiven Arten für das Organisieren von Folgeleistungen relevant. Das kann für alle vier Unterkapitel festgehalten werden. Die Chance auf den Erwerb durch das Plündern für die einem Anführer bei einer militärischen Operation oder bei einem lokalen oder auch regionalen Konflikt Folgeleistenden ist ein Aspekt dieser aktiven Relevanzarten. Das Plündern ist als eine sozioökonomische Praktik des Erwerbs von materiellen Gütern und Ressourcen vielfach belegt. Sie ermöglichte es den Folgeleistenden nicht nur, den Subsistenzbedarf zu decken. Das Erworbene kommunizierte auch militärischen Erfolg (somit nicht nur für Anführer Prestige) und konnte zu Veränderungen des Status in einer Gemeinschaft führen, wie für die Plünderungs- und Tributwirtschaft der Akteure des „hunnischen“ Sozialgefüge zur Zeit Attilas gezeigt worden ist. Für die übrigen Unterkapitel ist dies allerdings nicht derart sicher. Sicher ist aber für alle vier Unterkapitel, dass mit den aktiven Relevanzarten ökonomische Ungleichheiten entstanden und die Folgeleistenden somit gegenüber den von ihren Plünderungen Betroffenen ein Mehr an materiellen Gütern und Ressourcen erlangten, während diese ihre Bestände verloren. Insofern konnten Plünderungen dazu führen, dass Plünderungen notwendig wurden, da primär sesshaft lebende und produzierende Akteure aufgrund der Verluste erwerbend tätig werden mussten. Dies ist eine weitere aktive Relevanzart. Für das zweite Unterkapitel ist dies als Ergebnis festzuhalten. Auch für die militärischen Operationen König Eurichs in Clermont ist festzuhalten, dass ökonomische Notwendigkeiten für die primär sesshaft lebende Bevölkerung entstanden, wobei jedoch andere Praktiken verwendet wurden, um der Dynamisierung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens durch die Plünderungen entgegenzuwirken. Die Ergebnisse zu den aktiven Arten der
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Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen führen unweigerlich zu passiven Arten der Relevanz. Dass diese Relevanzarten als passiv bezeichnet werden, liegt primär daran, dass zumeist Akteure aus primär sesshafter Siedlungsgemeinschaften von Plünderungen bedroht waren und Plünderungen somit auch in dieser Hinsicht verstärkt relevant für das Organisieren von Folgeleistungen wurden: Folgeleistungen konnten organisiert werden, um Plünderungen zu verhindern. Dies ist für alle vier Unterkapitel in unterschiedlicher Intensität belegt. Bei der großen Schlacht von 451 in Gallien, die von sozioökonomischen Notwendigkeiten Attilas als Anführer eines Sozialgefüges in einer asymmetrischen Symbiose auf der Basis der Plünderungs- und Tributwirtschaft bedingt war, verteidigten die Akteure unter Aëtius die sesshafte Bevölkerung vor weiteren Plünderungen. Auch Avitus tat dies, indem er Folgeleistungen in einer privaten Initiative organisierte und gegen Plünderungen vorging. Zu seiner Zeit wurden auch auf der Iberischen Halbinsel Folgeleistungen gegen Plünderungen organisiert. Dies ist auch für die Zeit des Aegidius und der militärischen Operationen des Eurich der Fall. Für Nordgallien ist dies aufgrund der geringen Aussagenlage nicht mehr mit Sicherheit festzuhalten, aber zumindest wahrscheinlich. Die aktiven und die passiven Relevanzarten des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen sind also nicht von einander getrennt zu erfassen. Die Arten der Relevanz beider Richtungen können über die Umverteilungseffekte der Praktik des Plünderns in eine interdependente analytische Konstellation überführt werden, die den Erwerb und den Verlust von materiellen Gütern und Ressourcen durch das Plündern als gleichzeitige Aspekte erfasst. Die Konstellation erlaubt auch, die Ergebnisse zu den Lebensweisen der beteiligten Akteure sowie die drei Formen des Warlordism auf der Deutungsebene beschreibend eng mit den aktiven und passiven Relevanzarten zu verbinden. Zuerst aber zu den Positionen einiger Anführer. Einige der als Anführer tätigen Akteure strukturierten mit den ihnen Folgeleistenden strukturelle Elemente der weströmischen Ordnung während der Erosion ihrer strukturellen Einheit in neue Zusammenhänge, wobei die Positionen der Anführer in den neuen Strukturierungszusammenhängen praktisch neu definiert wurden: Nun wurden passive Relevanzarten des Plünderns für sie wichtig, da sie eroberte Gebiete davor verteidigen mussten. Beispiele hierfür sind Theoderich II. und Eurich. Auf sie aber auch auf andere Anführer lassen sich die Formen des Warlordism anwenden. Alle diese Formen sind mit den aktiven wie den passiven Relevanzarten assoziiert. Das liegt vor allem daran, dass für die Bildung der drei Formen Aussagen zur Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen grundlegend sind: Mit ihnen wurde die Charakteristik des Organisierens von Folgeleistungen und die Relevanz des Plünderns für diese explizit. Die erste Form ist eindeutig auf die passiven und die dritte eindeutig auf die aktiven Relevanzarten bezogen. Die zweite Form ist auf beide Relevanzarten bezogen. Alle Formen sind nicht scharf von einander getrennt, sondern konvergent. Ein Folgeleistungen organisierender
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Anführer wie Eurich kann erst mit der dritten Form, die als „optional-materielle Güter und Ressourcen akquirierend“ bezeichnet ist, und danach auch mit der ersten Form, die als „reaktiv-situationsbezogen“ zu bezeichnen ist, beschrieben werden, da seine Position nach den Neustrukturierungen bei den militärischen Operationen und dem Vertrag praktisch neu definiert wurde. Die zweite Form ist somit ebenfalls durchaus anwendbar. Zum Teil ist aber auch manchmal nicht zu entscheiden, mit welcher der Formen ein Anführer zu beschreiben ist. Ein Beispiel hierfür ist der comes Paulus. Es ist nicht sicher, ob er eher mit der dritten oder mit der zweiten Form, die mit „Handlungskompetenzen akkumulierend“ benannt ist, beschrieben werden kann. Hier ist die Konvergenz der drei Formen des Warlordism in ihrer Funktionalität erneut nachzuvollziehen: Der comes Paulus kann – auch wenn nur sehr wenige Aussagen zu ihm gegeben sind – sehr wohl auch mit beiden Formen zugleich beschrieben werden. Dies zeigt auch, dass die Formen bezüglich der praktischen Neudefinitionen und dem Neuentstehen einzelner Positionen als Deutungswerkzeuge funktional sind für die Beschreibung einzelner Anführer. Gerade die Berücksichtigung der Akkumulation von Handlungskompetenzen für das Organisieren von Folgeleistungen, die für Aegidius und wahrscheinlich auch für einige Akteure, die als comites in den Quellen bezeichnet werden, verdeutlicht dies. Die konvergenten Formen des Warlordism sind also nicht nur auf die aktiven wie passiven Relevanzarten bezogen. Sie integrieren zudem Aspekte der Quellenaussagen, die die Prozessdynamik indizieren. Ihnen sind Akteure nicht einfach zuzuordnen; sie dienen zur Beschreibung von Arten des Organisierens von Folgeleistungen unter der Beachtung der Relevanz des Plünderns. Die Ergebnisse zu den Lebensweisen sind ebenfalls mit der Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen verbunden. Hierbei geht es genauer um das Kriegersein der Folge leistenden Akteure. Schon für die Untersuchung der Aussagen zu den „Hunnen“ wurde gezeigt, dass Akteure zur Zeit des Sozialgefüges Attilas auch ohne seine Beteiligung plündernd erwarben. Das Plündern war als Erwerbsweise in der Plünderungs- und Tributwirtschaft von den Folgeleistenden durchgehend betrieben worden. Es ist daher klar, dass das Plündern als eine sozioökonomische Praktik des Erwerbs von materiellen Gütern und Ressourcen über die aktiven Relevanzarten mit dem Organisieren von Folgeleistungen in Verbindung zu bringen ist. Auch in Gallien wurde geplündert und dies schon lange vor der großen Schlacht von 451. Avitus musste aus einer privaten Initiative heraus Plünderungen verhindern und zu seiner Zeit als weströmischer Kaiser gingen von Gallien die militärischen Operationen auf der Iberischen Halbinsel aus, bei denen die dem König von Toulouse Folgeleistenden ebenfalls plünderten. Dort war das Plündern zuvor von Akteuren aus anderen Gemeinschaften ausgegangen und führte dazu, dass die primär sesshaft lebende Bevölkerung teilweise auch zu Plünderungen überging. In Gallien selbst wurde aber auch nach der gewaltsamen Absetzung des Avitus weiter geplündert. Auch hierbei war der König von Toulouse, in diesem Kontext war dies Eurich, als Anführer tätig. Clermont wurde von den Plünderungen ökonomisch schwer geschä-
Aussagen zu Gallien zwischen 451 und 482
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digt und Bevölkerungsteile gingen zu Eurich über oder flohen. Das Plündern wurde aber auch im Norden Galliens betrieben. Diejenigen Akteure, die mit der Praktik des Plünderns erwerbend tätig wurden, stammten zumeist aus Siedlungsgemeinschaften in Gallien. Auch für die „Hunnen“ gilt dies bedingt, wobei nicht zu klären ist, inwieweit Teile der Folge leistenden Akteure nicht doch eher semimobil lebten. Zusätzlich ist die Identität der Plündernden mit den sesshaft produzierenden Akteuren nicht zu klären. Das mit den aktiven Relevanzarten verbundene Kriegersein geht also mit dem Erwerb von materiellen Gütern und Ressourcen einher. Dieses Kriegersein ist somit als ein sozioökonomischer Modus – als eine Wirtschaftsweise – auf der Deutungsebene zu präzisieren, der mit der sozioökonomischen Praktik des Plünderns als Erwerbsweise von materiellen Gütern und Ressourcen konstituiert ist. Selbstredend ist sicher, dass auch andere Akteure, die Folge leisten, um beispielsweise Plünderungen zu verhindern, auch als Krieger beschrieben werden können und auch diese Art des Kriegerseins ist direkt mit Relevanzarten des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen, nämlich den passiven Relevanzarten, verbunden. Es geht hierbei aber nicht darum, sondern um die Fokussierung eines Aspekts, um den analytischen Terminus Kriegersein auf der Basis der bisherigen Ergebnisse präzisieren und die Leitfrage mit wahrscheinlichen und plausiblen Annahmen beantworten zu können. Zu dem Kriegersein als einen mit der sozioökonomischen Erwerbspraktik des Plünderns konstituierten Modus des Erwerbs materieller Güter und Ressourcen ist jedoch noch Weiteres festzuhalten: Wie gezeigt wurde, ist der materielle Erwerb durch Plündern für die Deckung der Subsistenz der Akteure nicht immer allein grundlegend. Insofern ist es nur logisch, auch andere sozioökonomische Modi anzunehmen. Einer von diesen ist mit Sicherheit das Bauersein als Modus der Produktion materieller Gütern und Ressourcen, der mit den Praktiken des Ackerbaus und der Viehzucht auf der Deutungsebene konstituiert werden kann. Zwar ist im Einzelnen nicht sicher, ob die Folgeleistenden zuvor im Bauermodus tätig waren, aber es ist wahrscheinlich anzunehmen, dass dies möglich war. Neben den beiden genannten Modi sind noch weitere zumindest wahrscheinlich. Beispielsweise sind hier das Handwerkersein und auch das Händlersein vor der großen Schlacht von 451 in Gallien zu nennen. In Anbetracht dessen ist das Kriegersein als ein Modus des Erwerbs materieller Güter und Ressourcen als optionale Lebensweise zu präzisieren, denn neben dem Erwerb durch Plünderungen musste produziert werden, auch, um überhaupt Plündern zu können, denn dazu waren Ernährung und Kleidung der bei den militärischen Operationen und regionalen sowie lokalen Konflikten plündernden Akteure wie auch Waffen und Ausrüstung schlicht notwendig. Die den beiden Königen Theoderich II. und Eurich Folgeleistenden waren Akteure aus siedelnden Gemeinschaften. Auch deren Subsistenz musste kleinräumig in und um die civitas Toulouse produziert werden. Dies gilt für ganz Gallien, denn in den Aussagen der Quellenautoren während und zu der Prozessdynamik der Erosion der strukturellen Einheit der weströmischen Ordnung tritt die Lokalität der civitates immer
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mehr in den Vordergrund. Zu bedenken ist auch, dass aus passiven Relevanzarten des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen wegen der Umverteilungseffekte sehr wohl auch aktive werden konnten. Insofern ist der Kriegermodus auch von der Prozessdynamik bedingt, denn sie ist auch durch Aussagen zu Neustrukturierungen der strukturellen Elemente der erodierenden weströmischen Ordnung bei militärischen Operationen indiziert.
2 Aussagen zu dem Beginn der merowingischen Könige in Gallien 482 bis 536/7 Mit der Absetzung des letzten weströmischen Kaisers war die Erosion der strukturellen Einheit der weströmischen Ordnung abgeschlossen. Die Formulierung ist vor allem mit der Aufhebung der Kaiserposition zu begründen.1 Natürlich war damit nur die strukturelle Einheit nicht mehr gegeben. Die strukturellen Elemente waren weiterhin vorhanden. Sie konnten neustrukturiert werden und Neustrukturierungen waren nach 476 keine Neuheit in Gallien. Die Aussagen zu ihnen zeigen, dass sich die diskursive Prozessdynamik nach dem Abschluss der Erosion in Gallien fortsetzte. Das ist auch daran nachzuvollziehen, dass jene militärischen und ökonomischen Mittel, die schon zur Zeit der Erosion für die Neustrukturierungen in Gallien verwendet worden sind, weiter eingesetzt wurden. Dieses Kapitel umfasst den Zeitraum zwischen 482 und 536/7 in Gallien. Die zeitliche Eingrenzung ist an den Aussagen zu dem Beginn der Aktivitäten Chlodwigs I. als König2 und zu der Abtretung der Provence Ende 536 oder im Frühjahr 5373 durch
1 Damit ist – wie schon ausgeführt – nicht gemeint, dass davon zu auszugehen ist, der weströmische „Staat“ sei durch die Absetzung untergegangen. Die in den modernen Geschichtswissenschaften lang diskutierte Annahme, mit der Absetzung 476 sei der weströmische „Staat“ untergegangen, geht auf die zeit- und ortsferne Chronik des Marcellinus Comes zurück: „Orestem Odoacer illico trucidavit; Augustulum filium Orestis Odoacer in Lucullano Campaniae castello exsilii poena damnavit. Hesperium Romanae gentis imperium, quod septingentesimo nono Urbis conditae anno primus Augustorum Octavianus Augustus tenere coepit, cum hoc Augustulo periit, anno decessorum regni imperatorum DXXII, Gothorum dehinc regibus Romam tenentibus.“ Marc. com. chron.: 476.2. Zur Debatte der Angabe erneut Croke, Turning Point: S. 81–119. Für die vorliegende Studie soll festgehalten sein: Die strukturellen Elemente, die aus der strukturellen Einheit der weströmischen Ordnung erodierten, konnten nach der Aufhebung der weströmischen Kaiserposition im Jahr 476 weiterhin in neue Zusammenhänge strukturiert werden. Auch die dazu bereits zuvor benötigten militärischen und ökonomischen Mittel waren nach 476 weiterhin relevant. Insgesamt ist die Formulierung einer Kontinuität des Diskontinuierlichen nach 476 weiter zutreffend: Die diskursive Prozessdynamik der Erosion, die unter anderem in Aussagen zu Neustrukturierungen zu erkennen ist, ist mit der Aufhebung nicht als beendet zu bezeichnen. 2 481 oder 482 werden als Jahr des Beginns der Zeit Chlodwigs I. als König angenommen. Sicher sind diese Datierungen nicht. Vgl. Becher, Chlodwig I.: S. 18 und Wood, Clovis: S. 261 f. 3 Dazu wahrscheinlich orts-, aber sicher zeitnah Prok. B.G.: 1.13. Unklar ist, auf welchen Zeitpunkt dies exakt zu datieren ist. Der Tod des Theodahad, des Vorgängers des Witigis, wird auf den Dezember des Jahres 536 datiert. Vgl. Wolfram, Goten 2001: S. 508.
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den ostgotischen König Witigis4 an die merowingischen Könige5 orientiert. Das Kontinuum ist durch orts- und zeitnahe, aber auch orts- und/oder zeitfernere Aussagen repräsentiert. Nach der Abtretung konnten die Merowingerkönige den von ihnen parzellierten Strukturierungszusammenhang nicht mehr erweitern. Somit kam hier die inkorporative Phase der Neustrukturierungen durch militärische Operationen und normative Regelungen zu einem Abschluss. Das Kapitel ist in zwei Teile gegliedert. Der erste umfasst Aussagen zum Plündern zu der Zeit Chlodwigs I. als König von 482 bis 511. Der zweite Teil umfasst solche Aussagen zur ersten Generation nach Chlodwig I. bis zur Abtretung der Provence zum Jahreswechsel 536/7. Die Schwerpunkte in beiden Teilen liegen neben den Quellenaussagen zum Plündern auf Aussagen zu Neustrukturierungen. Die Fragestellungen der analytischen Kontexte werden unter Berücksichtigung der Aussagen gebildet. Anfänglich werden aber zwei klassische Problemfelder der Überlieferungslage zu Chlodwig I. betrachtet, um die Quellenkritik im Verlauf des Kapitels daran anpassen zu können.
2.1 Gregors Chlodwigfigur und die Probleme der Chronologie Der Feststellung, dass der heute bekannte Chlodwig I. primär die Chlodwigfigur des Bischofs Gregor von Tours6 ist,7 kann nur zugestimmt werden.8 Zwar gibt es zeitnähere Aussagen gallischer Autoren zu Chlodwig I. Sie sind in den Briefen der Bischöfe
4 Vgl. Rübekeil, Art. Witiges: S. 150 ff. 5 Ebenfalls ist nicht klar, an welchen oder welche der merowingischen Könige Witigis das Gebiet abtrat. In der Vita des Bischofs Caesarius von Arles ist zu lesen, dass König Childebert I. in der civitas Arles handlungsfähig war. Vita Caesarii: 1.34 und 2.45. Diese Aussagen wurden zeit- und ortsnah verfasst. Klingshirn, in: ed. Klingshirn, Caesarius of Arles: S. 256. In den Erzählungen des Prokopios von Caesarea tritt jedoch die Figur des Königs Theudebert I. hauptsächlich als Anführer in Italien auf. Dass auch er im geographischen Raum der civitas Arles handlungsfähig war, ist daher nicht unwahrscheinlich. Vgl. Beisel, Theudebertus: S. 44 f. und Collins, Theodebert I.: S. 10 und S. 20. 6 Alle Aussagen des Bischofs Gregor zu der Zeit Chlodwigs I. sind ortsnah, jedoch zeitfern verfasst worden. Er arbeitet in diesem Kontext als eine Art Historiker seiner jüngeren Vergangenheit. Die Rekurse des Autors müssen daher interessieren. Vgl. Becher, Chlodwig I.: S. 14–22. 7 „Clovis is Gregory’s Clovis, whether we like it or not; he is Gregory’s „magnus et pugnator egregious“, the man who brought the Salians to Catholicism and to a kind of Romanitas, the father of his dynasty.“ Wallace-Hadrill, Kings: S. 163 f. 8 Vgl. Becher, Chlodwig I.: S. 14 und Wood, Clovis: S. 250, Anm. 5. Neben den Erzählungen des Bischofs gibt es auch noch einen Aussagenbestand, der zwar zeitnah, doch zum großen Teil ortsfern verfasst worden ist. Überblickend Daly, Clovis: S. 625–664.
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Remigius von Reims9 und Avitus von Vienne10 zu finden. Auch ist ein Schreiben an die Bischöfe des südwestlichen Galliens, das kurz vor der militärischen Operation gegen König Alarich II. ausgefertigt wurde, erhalten.11 Jedoch kann dieser relativ geringe Bestand die Aussagen Gregors weder ersetzen, noch ist er geeignet, intertextuell angelegte Studien zu Chlodwig I. vorzunehmen. Der quellenkritische Umgang mit den Quellenaussagen Gregors aus den decem libri historiarum und den wenigen aus seinen hagiographischen Schriften darf gerade weil er der einzige relativ zeitnahe Autor ist, der eine Chlodwigfigur literarisch gestaltet hat, nicht vernachlässigt werden. Das zweite Buch der decem libri historiarum ist die Hauptquelle für eine Untersuchung zu der Zeit König Chlodwigs I. Unter der Feststellung, dass der heute bekannte Chlodwig I. nichts anderes als die von Gregor literarisch gestaltete Chlodwigfigur ist, ist es sinnvoll, die decem libri historiarum aus einer intratextuellen Perspektive hinsichtlich der Konzeption der Figur zu erfragen. Dabei können Regulative geschaffen werden, die einen kritischen Umgang mit den Quellenaussagen bei der Bildung analytischer Kontexte ermöglichen. Da der Bischof bei der literarischen Gestaltung seines Chlodwig I. zeitfern zu dem Leben des Königs tätig war, ist es zudem wichtig zu erfragen, inwieweit er auf Informationen zum Leben Chlodwigs I. rekurrierte.
9 Über den Bischof Remigius von Reims ist wenig bekannt. Nach Gregor von Tours taufte er Chlodwig I. Greg. hist.: 2.31. Zwei Briefe, die er an den König schrieb, sind erhalten. Es gibt zum Leben des Bischofs eine Vita, die allerdings erst im 9. Jahrhundert vom Bischof Hincmar von Reims verfasst worden ist. Vgl. Wattenbach und Levison, Geschichtsquellen: S. 123. Der Text ist daher als Quelle für die Untersuchung nicht zu gebrauchen. Einer der beiden Briefe an Chlodwig I. beinhaltet Aussagen, bei welchen der Autor auf Informationen zu der damals jüngeren Vergangenheit, möglicherweise auf die Zeit Childerichs I., rekurriert. Da es sich bei dem Quellentext um einen Brief an König Chlodwig I. handelt, sind die Aussagen als zeit- und ortsnah zu bezeichnen. Zwar schreibt der Autor den Text als ein Bischof und somit als Repräsentant einer Gemeinschaft, was er in seinem Brief auch ausdrücklich thematisiert, doch sind die Aussagen im Kontext mit Aussagen zum Plündern wertvoll. Zur Problematik der Datierung Becher, Chlodwig I.: S. 153 ff. Dazu Schäferdiek, Remigius von Reims: S. 256–278. 10 Das Geburtsjahr des Avitus ist nicht bekannt. Vgl. Shanzer und Wood, in: ed. Shanzer und Wood, Avitus of Vienne: S. 7. Er war aristokratischer Abstammung. Sein Bruder war Apollinaris, der Bischof von Valence. Sein Vater Hesychius war sein Vorgänger als der Bischof von Vienne. Vgl. Heil, Avitus: S. 405 f. Avitus war auch mit Sidonius Apollinaris und Eparchius Avitus verwandt. In welchem Grad, ist nicht bekannt. Vgl. Heil, Kirche: S. 31. Sein Tod wird auf 523 datiert. Vgl. Shanzer und Wood, in: ed. Shanzer und Wood, Avitus of Vienne: S. 10. 494 wurde zum Bischof der civitas Vienne (Vienna) erhoben. Als ein Bischof bemühte er sich um die Konversion der burgundischen Könige zum katholischen Christentum und bewirkte dabei den Übertritt des Königs Sigismund, in dessen Auftrag er auch Briefe verfasste. Vgl. Kaiser, Burgunder: S. 149 f. und Heil, Kirche: S. 23. Das überlieferte Textkorpus des Avitus ist relativ umfangreich. Neben einer 96 Briefe umfassenden Korrespondenz verfasste er weitere Schriften. Alle wurden orts- und zeitnah verfasst. Vgl. Wood, Avitus of Vienne: S. 263–277. 11 Chlodowici regis ad episcopos epistula (MGH capit. 1, Nr. 1: S 1–2). Für eine deutsche Übersetzung des Briefes Becher, Chlodwig I.: S. 225 f. Zu den Quellen insgesamt Daly, Clovis: S. 625 ff.
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Auffällig ist, dass der Bischof Gregor seine Chlodwigfigur nicht immer an katholische Handlungsnormen angepasst handeln lässt. Dies überrascht, da es eben seine Figur ist. So kooperiert die Chlodwigfigur mit Anführern arianischen Glaubens12 und straft einige der ihm Folgeleistenden mit dem Tod.13 Solche von Gregor erzählten Formen der Bestrafung lehnt er in anderen Kontexten seiner decem libri historiarum ab und erkennt darin den Grund für göttliche Strafen.14 Kritische Aussagen zum Handeln seiner Figuren unter einem Bezug auf Handlungsnormen, die christlichkatholischer Prägung sind,15 sind in den decem libri historiarum keine Seltenheit.16 Insofern ist der Bischof, der das Handeln seiner eigenen Figuren unter Bezug auf christlich-katholische Handlungsnormen kritisiert, auch als Kritiker des Handelns seiner Lebenszeit zu lesen: Dass er dabei auf Phänomene und Informationen zeitgenössischer Handlungen rekurriert, ist äußerst wahrscheinlich, da die sozialkritische Funktion der Erzählungen eindeutig selektiv ist. Beispielsweise sind Erzählungen über Ehebrüche17 seltener, als über Eidbrüche18 und das Plündern.19 Bezüglich seiner Chlodwigfigur ist Gregor aber als sozialkritischer Autor nicht in gleicher Weise aktiv. Leicht ist dies durch einen intratextuellen Vergleich zu verdeutlichen. In der Einleitung des fünften Buches der decem libri historiarum wird die Figur Chlodwigs I. als Ideal für die Könige der Lebenszeit Gregors stilisiert: Chlodwig I. habe die reges, die seine Gegner waren, getötet, die feindlichen gentes besiegt, die in Gallien lebenden Einheimischen unter seinen Einfluss gebracht, dabei weder Gold noch Silber besessen und das regnum ungeteilt hinterlassen.20 Die Könige seiner Zeit
12 Greg. hist.: 2.32. Zu den Figuren von arianisch glaubenden Christen in den decem libri historiarum Keely, Arians and Jews: S. 104–109. 13 Greg. hist.: 2.27. Auch Greg. hist.: 2.37. 14 Beispielsweise Greg. hist.: 4.21. Zuvor hatte König Chlothar I. seinen Sohn Chramn töten lassen, da dieser abweichend von den katholischen Handlungsnormen handelte: Er opponierte gegen seinen Vater. Greg. hist.: 4.16; 4.17 und 4.20. Dazu Schneider, Königserhebung: S. 85–87. Die Parallelisierung der beiden Todesdaten erlaubt die Annahme, dass in dem ersten eine Begründung des zweiten indiziert ist. 15 Vgl. Goetz, Geschichtsschreibung: S. 259. 16 Vgl. Hen, Bible: S. 277 ff. und Monroe, Sources: S. 99–112. 17 Vgl. Shanzer, Love: S. 395–418. 18 Zu der älteren Deutung der Relevanz von Eiden in Gallien im 5. und 6. Jahrhundert Eckardt, Treueidleistung. Für neuere Deutungen überblickend Esders, Treueidleistung: S. 27 ff. und S. 59–61. 19 Die Negativwertung der genannten Aspekte geht auf den Dekalog zurück. Aspekte des Dekalogs werden im Alten und Neuen Testament in Variationen wiedergegeben. Vgl. Levin, Alte Testament: S. 66–69. Zu den Rekursen Gregors auf das Alte Testament Hen, Bible: S. 279; S. 281 und S. 283 sowie Monroe, Sources: S. 99–112. 20 „Recordamini, quid capud victuriarum vestrarum Chlodovechus fecerit, qui adversos reges interficet, […] noxias gentes elisit, […] patrias subiugavit, […] Et cum hoc facerit, neque aurum neque argentum, sicut nunc est in thesauris vestris, habebat. […] quarum regnum vobis integrum inlesumque reliquit!“ Greg. hist.: 5.0. Tatsächlich musste Gregor wissen, dass das regnum nach dem Tod Chlodwigs I. par-
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begehren aber trotz eigenem Reichtum den Besitz ihrer Verwandten.21 Auf einige dieser Aspekte der Chlodwigfigur wird an späterer Stelle noch dezidiert eingegangen. An dieser Stelle soll nur darauf verwiesen werden, dass im zweiten Buch der decem libri historiarum in den Kapiteln 40 bis 42 König Chlodwig I. als eine Figur dargestellt ist, die sich gewaltsam die Schätze seiner Verwandten aneignet.22 Dabei lässt Gregor einige Figuren, die auf das Geheiß der Chlodwigfigur ermordet werden, in einem katholischen Kloster, in das sie eingesperrt wurden, sogar eine biblische Bildsprache benutzen.23 Sie sind als katholische Christen dargestellt.24 Die Figuren der Merowinger aus der zweiten Generation nach Chlodwig I. handeln also ähnlich, wie es die Figur König Chlodwigs I. im zweiten Buch der decem libri historiarum tut, wobei Gregor das Handeln der erstgenannten sehr kritisch betrachtet. In Anbetracht dieses Widerspruchs ist plausibel anzunehmen, dass Gregors Rekurs auf Informationen zu der Zeit König Chlodwigs I. im zweiten Buch der decem libri historiarum hier fragmentarisch zu erkennen ist. Dass Gregor orale oder schriftliche Informationen bei der literarischen Gestaltung verarbeitet hat, gilt ohnehin als wahrscheinlich.25 Dass sein Rekurs hierin greifbar wird, lässt sich besonders durch den Widerspruch zwischen der Erzählung zum Leben Chlodwigs I. und der Idealisierung der Figur verdeutlichen, aber auch dadurch, dass er seinen Chlodwig I. von christlich-katholischen Handlungsnormen abweichend handeln lässt. Gregor hätte dies nicht tun müssen, da es eben seine Figur ist und wenn er Chlodwig I. als einen
zelliert wurde. Hier erzählt er die Teilung jedoch nicht als Ergebnis einer Entscheidung Chlodwigs I. Vgl. Ewig, Teilungen: S. 114–128. 21 „Quid agetis? Quid quaeritis? Quid non habundatis? In domibus dilitiae supercrescunt, in prumtuariis vinum, triticum oleumque redundat, in thesauris aurum atque argentum coacervatur. Unum vobis deest, quod, pacem non habentes, Dei gratiam indegetis. Cur unus tollit alteri suum? Cur alter concupiscit alienum?“ Greg. hist.: 5.0. 22 „Regnumque Sigyberthi acceptum cum thesauris, ipsos quoque suae ditioni adscivit. Prosternebat enim cotidiae Deus hostes eius sub manu ipsius et augebat regnum eius, eo quod ambularet recto corde coram eo et facerit quae placita erant in oculis eius.“ Greg. hist.: 2.40. „At ille iussit eos pariter capite plecti. Quibus mortuis, regnum eorum cum thesauris et populis adquesivit.“ Greg. hist.: 2.41. „Quibus mortuis, omnem regnum eorum et thesaurus Chlodovechus accepit.“ Greg. hist.: 2.42. Die Annahme, dass die Einleitung des fünften Buches zuerst geschrieben worden ist, ändert nichts an der offenbaren Diskrepanz. Vgl. Halsall, Preface: S. 312. Auch die Antwort auf die Frage, welcher Teil der decem libri historiarum zuerst verfasst worden ist, ist für die Beobachtung der offenbaren Diskrepanz nicht wichtig. Dazu Halsall, Preface: S. 306 f. 23 „Quem circumventum dolis coepit cum filio vinctusque totondit et Chararicum quidem presbiterum, filio vero eius diaconem ordinari iubet. Cumque Chararicus de humilitate sua conquireret et fleret, filius eius dixisse fertur: ‚In viridi‘, inquid, ‚lignum hae frondis succisae sunt nec omnino ariscunt, sed velociter emergent, ut crescere queant; utinam tam velociter qui haec fecit intereat!‘ Greg. hist.: 2.41. 24 Zur Stilisierung von Königsfiguren durch Gregor Breukelaar, Historiography: S. 230–240. 25 Vgl. Wood, Gregory: S. 23 ff.; Heinzelmann, Gregor: S. 93 ff.; Heinzelmann, Perspektive: S. 336 ff.; Goffart, narrators: S. 117 ff.; Wood, Clovis: S. 250 f.; Monroe, Sources: S. 99–112; Lifshitz, Apostolicity Theses: S. 211–228 und Mitchell, Past: S. 295–306.
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geschlossen gut handelnde Figur konzipiert hätte, wäre der Widerspruch in der Einleitung des fünften Buches nicht entstanden. Dass er dies aber tat, ist mit der Annahme zu plausibilisieren, dass Gregor bei der Konzeption auf mündliche oder schriftliche Quellen rekurrierte, die weitläufig zu seiner Lebzeit in Gallien bekannt waren. Die Erzählung eines an christlich-katholische Handlungsnormen angepasst handelnden Chlodwigs I. konnte daher nicht literarisch gestaltet werden, da er auch die weitläufig bekannten Informationen verarbeiten musste. Sie formierten den König in der Tradition nicht als eine Figur, die ihre Verwandten gut behandelte und sich stets an christlich-katholischen Handlungsnormen orientierte.26 Dass Gregor Chlodwig I. bereits kurz nach dem ersten Auftreten der Figur in gewisser Weise als prädestiniert erzählt,27 liegt daran, dass der noch heidnische Chlodwig I. mit Syagrius wohl einen katholischen Christen28 als Anführer besiegte. Hier unterlag ein Katholik einem Heiden im Kampf und dieser Heide strukturierte in Gallien in der Folgezeit strukturelle Elemente neu. Dies betont der Bischof aber nicht. Hier wird erneut die Differenz zwischen seiner literarischen Verarbeitung von Informationen und der noch zu erkennenden Gesamttradition zu Chlodwig I. aus der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts im Rekurs des Bischofs deutlich. Wenn also der Aussage, dass der heute bekannte Chlodwig I. Gregors Chlodwigfigur ist, nur zugestimmt werden kann, ist zusätzlich festzuhalten, dass die Figur rekursiv und nicht fiktional gestaltet worden ist: Die katholischen Handlungsnormen wurden als zeitkritische Maßstäbe des Bischofs – die von ihm aus der Perspektive eines katholischen Christen in einer hohen Administratorenposition in den decem libri historiarum fast durchgehend angewandt worden sind – in einigen der Kapitel zum Leben Chlodwigs I. nicht angelegt, obwohl die Figur von ihm selbst entgegen den Normen handelnd konzipiert worden ist. Sein Rekurs wird somit deutlich und dass ein solches Handeln der Figuren reine Fiktion des Bischofs ist,29 wird dabei doch sehr unplausibel. Das zweite Problemfeld betrifft die von Gregor geschaffene Chronologie der Zeit König Chlodwigs I. Er geht bei seinem Datierungssystem in Fünfjahresschritten vor.30 Zwar konnte durch weiterer Quellen erschlossen werden, dass das Todesjahr Chlodwigs I. ziemlich sicher auf das Jahr 511 festzulegen ist,31 jedoch ist das Geschehen nicht aller von Gregor erzählten Ereignisse sicher zu datieren. Deren Datum ist zum
26 Vgl. Monroe, Sources: S. 100 ff. und Goetz, Geschichtsschreibung: S. 258 f. 27 Greg. hist.: 2.27. Dazu Becher, Chlodwig I.: S. 161. 28 Sollte Syagrius ein Urenkel des gallischen Aristokraten Flavius Afranius Syagrius gewesen sein, dann war er wahrscheinlich wie sein vermeintlicher Großcousin Tonantius Ferreolus Katholik. Diesen forderte Sidonius Apollinaris auf, in den geistlichen Stand einzutreten. Vgl. Heinzelmann, Prosopographie: S. 608 und S. 699. 29 Vgl. Heinzelmann, Historiographie: S. 335 f. 30 Vgl. Becher, Chlodwig I.: S. 18 ff. 31 Vgl. Levison, Chlodowech: S. 42–67.
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Teil umstritten.32 Diesem Problemaspekt ist mit der Bildung analytischer Kontexte zu begegnen. Im Folgenden werden drei größere Kontexte generiert. Der erste umfasst Aussagen zu den fränkischen Gemeinschaften, die an der nordöstlichen Peripherie Galliens um 480 siedelten. Hier geht es um die Ausgangslage vor dem Beginn der Neustrukturierungen in Gallien bis 511. Der zweite und der dritte Kontext sind intern noch weiter gegliedert. Der Zweite umfasst Aussagen zu den militärischen Operationen Chlodwigs I. Im letzten Kontext – nachdem anfänglich auf die Quellenlage zu der Taufe Chlodwigs I. eingegangen worden ist – wird erfragt, inwieweit die Taufe für die Neustrukturierungen zu deuten ist. Der Fokus liegt auf den Aussagen zu den militärischen und ökonomischen Mitteln Chlodwigs I. Quellenaussagen über Beziehungen des Königs zu den Bischöfen und zu anderen Anführern an der Peripherie Galliens werden dabei genauso einbezogen, wie die Aussagen über diejenigen, die König Chlodwig I. bei den militärischen Operationen Folge leisteten. Das Unterkapitel endet mit einer Passage zu dem neuen Strukturierungszusammenhang.
2.2 Die Ausgangslage: Fränkische Siedlungsgemeinschaften an der Peripherie Galliens um das Jahr 480 Als König Chlodwig I. mit den ihm Folgeleistenden Mitte der 480er Jahre nach Westen zog, waren zwei weitere Anführer bei ihm. Gregor von Tours bezeichnet sie jeweils als rex.33 Auch schreibt er ihnen jeweils ein regnum34 und Folgeleistende zu.35 Daraus
32 Zum einen ist weder sicher, wann noch wie oft Chlodwig I. gegen Alemannen militärisch operiert hat. Vgl. Geuenich, Taufe: S. 423 ff. Ein ähnlich umstrittenes Ereignis ist der sogenannte „Tag von Tours“. Zwar ist die Datierung auf 508 relativ wahrscheinlich, aber wie die Aussagen dazu zu interpretieren sind, ist weiterhin nicht eindeutig geklärt. Vgl. Castritius, Tag von Tours: S. 113 ff. Auch das Datum der Taufe Chlodwigs I. ist unsicher. Vgl. Shanzer, baptism of Clovis: S. 29–57; Spencer, baptism of Clovis: S. 97–116 und Becher, Chlodwig I.: S. 179–203. 33 „Super quem Chlodovechus cum Ragnechario, parente suo, quia et ipse regnum tenebat, veniens, campum pugnae praeparare deposcit.“ Greg. hist.: 2.27. Dann: „Erat autem tunc Ragnacharius rex apud Camaracum tam effrenis in luxoria, ut vix vel propinquis quidem parentibus indulgeret.“ Greg. hist.: 2.42. Dazu: „ Quando autem cum Siagrio pugnavit, hic Chararicus, evocatus ad solatium Chlodovechi, eminus stetit, neutre adiuvans parti; sed eventum rei expectans, ut cui evenerit victuriam, cum illo et hic amicitia conligaret.“ Greg. hist.: 2.41. 34 „Quibus mortuis, regnum eorum cum thesauris et populis adquesivit.“ Greg. hist.: 2.41 und: „Quibus mortuis, omnem regnum eorum et thesaurus Chlodovechus accepit.“ Greg. hist.: 2.42. Auch König Sigibert von Köln, der mit Chlodwig I. bei späteren Operationen kooperierte, schreibt Gregor ein regnum zu: „Regnumque Sigyberthi acceptum cum thesauris, ipsos quoque suae ditioni adscivit.“ Greg. hist.: 2.40. 35 Zwei Mal erzählt Gregor ausführlich über die den anderen Königen Folge leistenden Akteure nach der jeweiligen Ermordung der Könige. Zur Erzählung, in der Chlodwig I. die zuvor dem König Sigibert von Köln Folgeleistenden zu Folgeleistungen ihm gegenüber bewegt Greg. hist.: 2.40. Zu der Erzäh-
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lässt sich schließen, dass um 480 – also wohl schon zur Lebzeit Childerichs I. – nicht nur eine, sondern mehrere Gemeinschaften an der Peripherie Galliens siedelten. Es kann an dieser Stelle nicht darum gehen, das Kontinuum durch Quellenaussagen zur Geschichte der Franken auszuweiten. Diese sind bereits für das Ende des 3. Jahrhunderts gegeben.36 Als „fränkisch“ bezeichnete Akteure drangen seit dieser Zeit und möglicherweise schon zuvor37 vermehrt auf Gebiete der weströmischen Ordnung vor und plünderten.38 Auch lokale Festsetzungen und von weströmischen Repräsentanten koordinierte Ansiedlungen wurden versucht.39 Abseits der Erzählungen über den Ursprung40 der Franken41 wurde in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung die Annahme etabliert, es habe unterschiedliche „Teilstämme“ der Franken gegeben.42 Die Annahme hat selbstredend Implikationen für Annahmen zu der Zeit Chlodwigs I.43 Sie ist in der jüngeren Vergangenheit kritisch hinsichtlich der salii und ribuarii oder ripuarii, die noch im 5. Jahrhundert als „Teilstämme“ der
lung, in der Chlodwig I. die zuvor dem König Ragnachar Folgeleistenden zu Folgeleistungen ihm gegenüber bewegt Greg. hist.: 2.42. Kürzer wird dieses Bewegen im Fall der Ermordung des Königs Chararich und seines Sohnes erzählt Greg. hist.: 2.41. 36 Das Wort franci tritt erstmals in einem panegyricus des Mamertinus aus dem Jahr 291 an Kaiser Maximian auf. Der Autor rekurriert auf Informationen zu militärischen Operationen des Jahres 287. Vgl. Runde, chronologischer Überblick: S. 661 f. 37 Zur Annahme, dass eine Ethnogenese der franci – der Name wird bei seiner ersten Nennung mit plündernden Akteuren in Verbindung gebracht – vor 291 auf der Verdichtung älterer Stämme beruht Ewig, Franken und Rom: S. 8–12 und Nonn, Franken: S. 15–30. Kritisch zu differenten Modellen der Ethnogenese der Franken Roth, „Ethnogenese“: S. 628 ff. 38 Die Aussagen jeweils zeitnah schreibender Autoren überblickend Ewig, Franken und Rom: S. 12– 34 sowie Nonn, Franken: S. 36–78. 39 „Quibus paratis petit primos omnium Francos, eos videlicet quos consuetudo Salios appellavit, ausos olim in Romano solo apud Toxandriam locum habitacula sibi figere praelicenter. […] Dictoque citius secutus profectos Severo duce misso per ripam subito cunctos adgressus tamquam fulminis turbo perculsit iamque precantes potius quam resistentes in oportunam clementiae partem effectu victoriae flexo dedentes se cum opibus liberisque suscepit.“ Amm. Marc.: 17.8.3–4. Dazu vertiefend Nonn, Franken: S. 46–51. 40 Vgl. Anton/Becher/Pohl/Wolfram/Wood, Art. Origo gentis: S. 174–210. 41 Vgl. Ewig, Troiamythos: S. 3–9 und S. 12–26. Dazu mit einem Überblick über neuere Forschungsliteratur Plassmann, Origo gentis: S. 147–190. 42 So noch Nonn, der zwar einzelne der „Teilstämme“ ausdrücklich behandelt, aber auch auf die neuere Infragestellung der Annahme eingeht. Vgl. Nonn, Franken: S. 15–31. 43 So gilt Chlodwig I. als der König der salii, also als König einer der „Teilstämme“ der Franken, der die salii und die ripuarii geeint und die Niederschrift der lex salica veranlasst hat. Dazu Drew, in: ed. Drew, Law: S. 5–9; Ewig, Franken und Rom: S. 36 ff. und Ewig, Merowinger: S. 13 f. Hierbei wird zugestanden, dass die Vielzahl der bei Gregor genannten Könige nicht jeweils Teile eines der noch vorhandenen „Teilstämme“ kontrolliert hat. Greg. hist.: 2.40–2.42. Die Zahl kann aber weit höher als vier gelegen haben. Ausdrücklich: „Interfectisque et aliis multis regibus vel parentibus suis primis, de quibus zelum habebat, ne ei regnum auferrent, regnum suum per totas Gallias dilatavit.“ Greg. hist.: 2.42. Dazu Beisel, Studien: S. 49 f.
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Franken vorhanden gewesen seien, diskutiert worden.44 Mittlerweile erscheint es unangebracht, die um 480 an der Peripherie siedelnden Gemeinschaften in „rhein-“ und „salfränkisch“ zu unterscheiden.45 Auch die Annahme, es habe im 5. Jahrhundert vor den 480er ein oder mehrere wie auch immer im Detail geregelte Bündnisse zwischen den weströmischen Repräsentanten und den Anführern von fränkischen Gemeinschaften an der Peripherie Galliens gegeben,46 ist nur schwer zu halten: Bereits im letzten Kapitel wurde gezeigt, dass die Akteure, mit denen Childerich I. in Norden Galliens in Kontakt geraten war, aller Wahrscheinlichkeit nach gar keine Repräsentanten der weströmischen Ordnung mehr waren, da sie in ihrer strukturellen Einheit zu dieser Zeit bereits stark erodiert war. Außerdem steht auch die Annahme einer Kooperation zwischen den Franken und den Römern in Frage.47 Allein die Aussagen zur Operation gegen Syagrius verdeutlicht, dass zur Zeit Childerichs I. mehrere Könige als Anführer der Gemeinschaften an der Peripherie Galliens agierten. Sie waren zumindest zum Teil um civitates gruppiert.48 Die Namen dieser Könige werden zwar erst mit den Erzählungen Gregors fassbar, jedoch ist mit ihnen sehr leicht in Frage zu stellen, dass eine stetige Kooperation zwischen den Anführern gegeben war, da die Konstellation zwischen ihnen an der Peripherie als multipolar zu beschreiben ist und somit jeder von ihnen ein Faktor war, der die stetige Kooperation aller Beteiligten gefährden konnte.49 Auch ist die Frage nach der Akkulturation der Siedlungsgemeinschaften und ihrer Anführer in Anbetracht der Quellenlage kaum zu beantworten. Zwar lassen einige Aussagen aus dem Brief des Bischofs Remigius von Reims die Annahme zu, Childerich I. sei in der Königsposition einer Siedlungsgemeinschaft in der civitas Tournai
44 Für die Kritik an dieser Annahme Springer, Salier?: S. 58–83 und Springer, Riparii: S. 200–269. Ähnlich kritisch zu dem Wort salii Grahn-Hoek, Salii: S. 1–69. 45 Tendenziell Springer und Grahn-Hoek zustimmend Becher, Chlodwig I.: S. 59 f. Springer zustimmend und Kritik an den älteren Modellen der fränkischen Ethnogenese übend Pohl, Franken: S. 646 f. Ebenso Springer zustimmend Fehr, Merowingerreich: S. 33 und S. 167 f. Ebenfalls Springer zustimmend mit einem Verweis darauf, dass die Gegenüberstellung der lex salica mit der lex ribuaria nicht das Ergebnis einer Überlegung aus dem Mittelalter und schon gar nicht aus der Spätantike ist Schieffer, Salier: S. 350 ff. 46 Dazu mit Zustimmung und Verweisen auf diese Annahme bei Ewig Nonn, Verwaltungsorganisation: S. 85; Nonn, Franken: S. 101 ff.; Becher, Chlodwig I.: S. 123 ff. und Beisel, Studien: S. 45–64. 47 Vgl. Nonn, Franken: S. 107 ff. Dazu kritisch Becher, Chlodwig I.: S. 123 f. Auch Frye, Aegidius: S. 5 ff. und MacGeorge, Warlords: S. 77 ff. und S. 96 ff. 48 Zu denjenigen, die dem König Sigibert Folgte leisteten, Springer, Art. Sigibert „von Köln“: S. 386– 391. Zu denjenigen, die dem König Ragnachar Folge leisteten, Kettemann, Art. Ragnachar: S. 98–102. Zu den civitates in der Peripherie Galliens Ament, Rheinzone: S. 129–137. 49 Zur Problematik der Kooperation weströmischer Repräsentanten mit peripheren Anführern für die Zeit vor dem 5. Jahrhundert Dick, Königtum: S. 167–219, bes. 211–219. Diese Problematik ist durchaus auch auf die Aussagenlage zu Gallien in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts zu projizieren, wobei beachtet werden muss, dass der Pluralität der Anführer keine Repräsentanten einer strukturellen Einheit gegenüberstand.
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zugleich als Administrator im Norden Galliens tätig gewesen50 und somit auch eine Referenzgröße für Akteure, die nicht in diesen Gemeinschaft lebten. Zusätzlich helfen die Funde aus seinem Grab,51 die Annahme zu plausibilisieren. Jedoch sind mit ihr nicht alle Aussagen aus dem Brief und auch andere Aussagen zu ihm und den übrigen Königen an der Peripherie Galliens in weitgehend zweifelsfreie Annahmen zu übertragen. Zum einen ist der Brief nicht eindeutig formuliert. Es kann daher nicht als zweifelsfrei gelten, dass Childerich I. in seiner Königsposition die Handlungskompetenzen eines administrator der Belgica secunda akkumuliert hatte.52 Worin diese bestanden haben sollen, ist einfach nicht klar. Es ist daher wahrscheinlicher anzunehmen, dass der Brief erst nach dem Sieg Chlodwigs I. und seiner Verbündeten gegen Syagrius geschrieben worden ist,53 da die civitas Soissons54 in den Grenzen des Belgica secunda zu verorten ist.55 Zum anderen sind zeitnahe Aussagen aus der vita genovevae zu einer stetigen Kooperation gar nicht gegeben. Die Figur Childerichs I. tritt überhaupt nur einmal als Aggressor auf.56 An einer anderen Stelle wird nur von den Franken gesprochen, die Paris zehn Jahre lang belagern.57 Hier könnten auch Informationen zu einer Belagerung literarisch verarbeitet worden sein, bei der andere Anführer beteiligt waren, die wahrscheinlich schon zur Zeit Childerichs I. an der Peripherie Galliens aktiv waren. Erschwerend kommt hinzu, dass die archäologischen Funde keine eindeutigen Rückschlüsse auf mögliche Kooperationen und die damit möglicherweise verbundenen Akkulturation erlauben.58 Damit soll nicht der Annahme eines scharf konturierten Kontrastes zwischen der „römischen“ und der „barbarisch-germanischen“ Kultur oder Lebensweise zugearbeitet werden. Vielmehr
50 Dazu mit Zustimmung und Verweisen auf diese Annahme bei Ewig Nonn, Verwaltungsorganisation: S. 85; Nonn, Franken: S. 101 ff.; Becher, Chlodwig I.: S. 123 ff. und Beisel, Studien: S. 44 ff. 51 Vgl. Halsall, Childeric’s Grave: S. 121 f. sowie Périn und Kazanski, Grab Childerichs I.: S. 175–182. 52 Zeit- und ortsnah Ep. austr.: 2. Der Brief entstammt der Sammlung epistolae austrasiacae. Sie enthält eine umfangreiche Zahl von offiziellen Briefen und wurde wohl als Mustersammlung kompiliert. Wann dies genau stattfand, ist nicht sicher zu eruieren. Bezweifelt wird jedoch nicht, dass der Brief des Remigius von Reims zu Beginn der Zeit Chlodwigs I. als König verfasst worden ist. Vgl. Wattenbach und Levison, Geschichtsquellen: S. 117 f. 53 Vgl. Becher, Chlodwig I.: S. 154 f. 54 In dieser civitas hatte Syagrius nach Gregor von Tours seine sedes, Greg. hist.: 2.27. 55 Zur Lokalisierung der civitas Soissons Nonn, Verwaltungsorganisation: S. 90. 56 Vita Genovevae: 26. Die Aussagen aus diesem Text sind relativ zeit- und ortsnah verfasst worden. 57 Vita Genovevae: 35. 58 Zur Debatte um die Veränderungen in Nordgallien Böhme, Grabfunde: S. 31–58. Ähnlich Böhme, Migrantenschicksale: S. 35–59. Dazu kritisch Halsall, „Föderatengräber“: S. 167–180 und Heather, Invasion: S. 282–300. Es gibt auch Beiträge, die eine Wandlung der im Zentrum Galliens lebenden Bevölkerung ohne direkten Einfluss von peripher siedelnden Gemeinschaften attestieren. Dazu van Ossel, Gallo-Romanen: S. 102–109. Tatsächlich können Prozesse der Akkulturation auf der Basis archäologischer Forschungsarbeiten auch als gegenteilig ablaufend bezeichnet werden. Dazu Bierbrauer, Siedelgebiet: S. 110–120 und Haubrichs, Fränkische Lehnwörter: S. 102–129.
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geht es darum zu betonen, dass Extreme wie die scharf konturierte Trennung,59 aber auch die bereits zur Zeit Childerichs I. vorhandene Vollakkulturation der Siedlungsgemeinschaften an der Peripherie Galliens60 unter differenten Anführern in Anbetracht der Quellenlage kaum zu halten sind. König Childerich I.,61 sein Sohn Chlodwig I.62 und wohl auch viele der ihnen Folgeleistenden63 waren heidnisch, während im Inneren Galliens das Christentum in unterschiedlichen Ausprägungen schon seit mehreren Jahrhunderten vorhanden war. Das katholische Christentum war dort mit der Errichtung von Bistümern gefestigt.64 Aussagen zu den Plünderungen durch Akteure aus den peripheren Siedlungsgemeinschaften in Innergallien verdeutlichen die Differenz zwischen den im Zentrum und den an der Peripherie Galliens lebenden Menschen ebenso.65 Es erscheint daher wenig ratsam, nach der Akkulturation ganzer Gemeinschaften in ihrer Gesamtheit zu fragen.66 Auch sie ist ein dynamischer Ablauf, der Individuen wie auch kleinere oder größere Gemeinschaften zeitgleich oder zeitlich different betreffen konnte und schon während der Erosion der strukturellen Einheit der weströmischen Ordnung, aber auch danach, ablief.67 Ein Austausch von Gütern und Ressourcen zwischen Zentrum und Peripherie ist deswegen genauso möglich68 wie weitgehend friedliche Migration.69
59 Diese Annahme ist auch nach der Rückkehr von Ansätzen, die den „Untergang“ Roms akzentuieren, nicht stark repräsentiert. Vgl. Rutenburg und Eckstein, Return: S. 121. 60 Zur Annahme der starken Akkulturation Chlodwigs I. vor dem Beginn der Neustrukturierungen in Gallien als eine wichtige Bedingung dieses Beginns Jussen, Chlodwig: S. 150 f. 61 Die archäologischen Funde um und im Grab Childerichs I. lassen den Schluss zu, dass er heidnischen Glaubens war. Vgl. Halsall, Childeric’s Grave: S. 122 sowie Périn und Kazanski: Grab Childerichs I.: S. 175 ff. 62 „Sed cum haec regina dicerit, nullatinus ad credendum regis animus movebatur, sed dicebat: ‚Deorum nostrorum iussione cuncta creantur ac prudeunt, Deus vero vester nihil posse manefestatur, et quod magis est, nec de deorum genere esse probatur‘.“ Greg. hist.: 2.29. 63 „De exercito vero eius baptizati sunt amplius tria milia.“ Greg. hist.: 2.31. 64 Vgl. Baumgart, Bischofsherrschaft: S. 9 ff. 65 Aus dem geographischen Zentrum Galliens erfolgten solche Bewegungen an die nordöstliche Peripherie im 5. Jahrhundert nicht. Überblickend Nonn, Franken: S. 68–110. Fast drei Jahrhunderte später war dies aber der Fall. Fredeg.: 4.19; 4.31 und 4.35. Dazu Springer, Sachsen: S. 166–174. 66 Vgl. McKitterick, Akkulturation: S. 381 f. 67 Für Beiträge zu dem Prozess der Akkulturation die Bände Hägermann/Haubrichs/Jarnut (Hg.), Akkulturation.; Pohl und Diesenberger (Hg.): Integration und Herrschaft. sowie Pohl (Hg.), Suche. Auch einige Bände aus der Reihe „The Transformation of the Roman World“ liefern Beiträge zu dem Prozess der Akkulturation. Dazu Pohl und Reimitz (Hg.), Distinction. und Goetz/Jarnut/Pohl (Hg.), Regna and Gentes. und Corradini/Diesenberger/Reimitz (Hg.): Communities. 68 Vgl. Pohl, Franken: S. 643. 69 Vgl. Heather, Invasion: S. 324–328 und speziell zu fränkischen Gemeinschaften Heather, Invasion: S. 301–304.
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Über die sozioökonomischen Praktiken innerhalb der peripheren Gemeinschaften selbst kann anhand der lex salica ein wenig mehr festgehalten werden:70 Sie waren weitgehend agrarisch geprägt.71 Ackerbau und Viehzucht bildeten offenbar ihr ökonomisches Rückrat. Der Raub72 von Tieren sowie von materiellen Gütern und Ressourcen wurden normativ sanktioniert. Folglich waren sie als sozioökonomische Praktiken auch vorhanden, da sie sonst nicht hätten erwähnt werden müssen.73 Die normativen Regelungen dieser Praktiken in der agrarischen Lebenswelt der Akteure aus den Siedlungsgemeinschaften beschreiben also das Nehmen von fremden Gütern und Ressourcen, aber auch von Tieren gegen den Wunsch oder Willen ihres Besitzer als Handlung, die es zu büßen gilt. Sie beziehen sich aber nur auf das interne Sozialleben der Gemeinschaften und haben damit einen Exklusionseffekt.74 Wie bei einer solchen Handlung gegenüber Akteuren vorzugehen ist, die nicht von dem Gesetz betroffen leben und somit per Definition nicht Mitglieder der Gemeinschaft sind, beschreiben die Regelungen nicht. Das Plündern als Praktik von Akteuren, die einem Anführer gegen einen externen Gegner Folge leisteten, ist somit nicht thematisiert. Aussagen zu Plünderungen durch fränkische Akteure in Gallien sind jedoch keine Seltenheit.75 Für die ersten achtzig Jahre des 5. Jahrhunderts sind solche Aussagen ebenso umfangreich gegeben, auch wenn dazu festgehalten werden muss, dass sie
70 Wird der Annahme zugestimmt, die lex salica sei das allgemeine Gesetz aller fränkischen Siedlungsgemeinschaften und nicht nur eines „Teilstammes“, erweitert sich der Bezugsrahmen der Aussagen umgehend auf alle derartigen Siedlungsgemeinschaften an der Peripherie Galliens um 480. Zur Annahme Springer, Salier?: S. 75 ff. 71 Zu archäologischen Funden Nonn, Franken: S. 117–126. Zur den Paragraphen der lex salica Drew, in: ed. Drew, Law: S. 49 f. 72 In den Paragraphen 1–15 der lex salica wird auf differente Fälle von Raub verschiedenster Tiere, Menschen und materieller Güter sowie Ressourcen innerhalb von Siedlungsgemeinschaften eingegangen. Die Paragraphen 17; 18; 21; 22; 27; 33–35; 37–40; 55 und 61 beinhalten ebenfalls Aussagen zu Raubfällen. 73 Zu der Entstehung frühmittelalterlicher Rechtstexte aktuell Siems, Rechtsquellen: S. 245–285. Die Debatte um den „Realitätsbezug“ der lex salica zusammenfassend Schmidt-Wiegand, Rechtsvorstellungen: S. 546 f. Schmidt-Wiegand spricht sich tendenziell dafür aus, dass die Normen auf das Geschehen regulierend rekurrieren, beziehungsweise, dass in diesen Text Vorstellungen über zu regulierende Handlungsweisen eingegangen sind. Tatsächlich lassen sich aber in erzählenden Quellen Widersprüche zu den Gesetzen finden. Vgl. Weidemann, Adel: S. 539 f. Dass Raub daher aber nach den Rechtsvorstellungen nicht zu ahnden war, ist somit noch nicht sicher. 74 Wird der Annahme von Springer zugestimmt, dann ist zu fragen, wie ein Akteur zu einem Mitglied der Gemeinschaft jener werden konnte, für die das Recht Gültigkeit besaß. Weiter müsste gefragt werden, ob nicht ein Mitgliedwerden, sondern ein „zum Mitglied gemacht werden“ – beispielsweise durch militärische Operationen – schon dazu geführte, dass die lex salica Gültigkeit für Akteure bekam. Zu diesen Überlegungen Drew, in: ed. Drew, Law: S. 28 ff. Als sicher kann aber gelten, dass die lex salica keine universelle Gültigkeit besaß. Daher kann der Text als „exklusiv“ bezeichnet werden. 75 Überblickend für die Zeit vor dem 5. Jahrhundert Runde, chronologischer Überblick: S. 663–676.
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zumeist erst mit größerem Zeitabstand verfasst wurden.76 Dieser Umstand lässt aber nicht darauf schließen, dass das Plündern von einigen der Akteure aus den peripheren Siedlungsgemeinschaften zwischenzeitlich nicht mehr betrieben wurde. Einige zeitnahe Aussagen sind dagegen anzuführen.77 In Anbetracht der Quellenlage ist es auf den ersten Blick möglich, die Bezeichnung Kriegerbauer78 für die Beschreibung derjenigen Akteure zu verwenden, die in den Siedlungsgemeinschaften agrarisch produzierten und Anführern bei militärischen Operationen Folge leisteten, wobei sie durch Plünderungen erwerbend tätig werden konnten. Die Bezeichnung führt aber Implikationen mit sich, die diskutiert werden müssen. Anfänglich ist festzuhalten, dass diejenigen, die aufgrund der Quellenlage mit der Bezeichnung Kriegerbauer beschrieben werden können, nicht einfach mit jenen aus der Karolingerzeit zu vergleichen sind, da die Aussagen zu den betreffenden Akteuren ganz deutliche Unterschiede aufweisen.79 Die Akteure, die zur Zeit des Königs Childerich I. und zu Beginn der Zeit Chlodwigs I. als König an der Peripherie Galliens in den Siedlungsgemeinschaften agrarisch produzierten und ihren Königen bei den militärischen Operationen Folge leisteten, hatten dabei Chancen auf den Erwerb durch Plünderungen. Sie praktizierten also Produktions- und Erwerbsweisen, die zum einen auf der Sesshaftigkeit der Siedlungsgemeinschaft ihrer Herkunft und zum anderen auf der Mobilität von Teilen dieser Gemeinschaften basierten. Das Nehmen von materiellen Gütern und Ressourcen gegen den Willen oder Wunsch der Besitzer innerhalb der Gemeinschaft war mit Gesetzen sanktioniert und somit war Mobilität die Bedingung sozioökonomische Erwerbsweisen von materiellen Gütern und Ressourcen, die von den Folgeleistenden praktiziert wurden. Ein Akteur konnte Bauer und Krieger sein. Nun ist das Argument, dass auch lokal verankerte, nicht mobile Akteure zur Abwehr von Angreifenden als Krieger beschrieben werden können, sicherlich nicht falsch, jedoch geht es hier nicht – wie bereits festgehalten – um die Definition des Kriegers als Form, sondern um die Präzision des Kriegerseins als eines Modus des Erwerbs materieller Güter und Ressourcen, den die
76 Diese Aussagen stammen aus den decem libri historiarum, aus der Chronik des sogenannten Fredegar und aus dem liber historiarum francorum. Zu den Aussagen Nonn, Franken: S. 79–110 und Becher, Chlodwig I.: S. 60–103. 77 Eindeutig Sidon. carm.: 7.372–373. Zu weiteren Aussagen, die weniger eindeutig sind. Vgl. Henning, Periclitans: S. 240–242. 78 Das Wort „Kriegerbauer“ – auch unter der Variante „Bauernkrieger“ förmlich synonym angewandt – wird von Schulze auf das Konzept „Gefolgschaft“ übertragen. Vgl. Schulze, Grundstrukturen Bd. I: S. 44. Die Entscheidung für die Variante „Kriegerbauer“ oder „Bauernkrieger“ liegt wohl an der Betonung, ob die mit dem Wort bezeichneten Akteure primär Bauern oder primär Krieger waren. Das Wort wird in der Variante „Bauernkrieger“ hauptsächlich für die Karolingerzeit verwendet. Vgl. Fleckenstein, Rittertum: S. 28–34. Für die Verwendung von „Kriegerbauer“ bezüglich der Aussagen zur frühen Merowingerzeit Geary, Merowinger: S. 81. Ähnlich Daly, Clovis: S. 623, Anm. 14. 79 Die Reformen Karls des Großen führten dazu, dass Menschen, die hauptsächlich agrarischer Produktion nachgingen auch zu Kriegern werden mussten. Vgl. Schieffer, Karolinger: S. 96.
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sozioökonomische Praktik des Plünderns auf der Deutungsebene konstituiert. Es geht um die Präzision eines Werkzeugs der Deutung, um wahrscheinliche und plausibel Annahmen zu formulieren. Die Präzision ist durch die Quellenlage ermöglicht und kein reines Produkt theoretischer Überlegungen zu den Quellen, wie im ersten Kapitel gezeigt wurde. Mit den Aussagen zu den fränkischen Siedlungsgemeinschaften an der Peripherie Galliens kann nun präzise von dem Krieger- und dem Bauersein als optionale sozioökonomische Modi der Akteure aus diesen Siedlungsgemeinschaften ausgegangen werden, was mit den zuvor untersuchten Aussagen nicht derart deutlich möglich ist. Zu den Quellenaussagen über die Siedlungsgemeinschaften an der Peripherie Galliens um 480 ist abschließend zusammenzufassen: Zum einen deutet die von Gregor erzählte Vielzahl von Königen an der Peripherie, mit denen sein Chlodwig I. kooperiert und sie beseitigt oder beseitigen lässt, darauf hin, dass es nicht nur eine Siedlungsgemeinschaft gab, sondern mehrere. Diese schlichte Feststellung ist neben den neueren Studien zu den salii und den ribuarii ein Argument dafür, die fränkischen Siedlungsgemeinschaften nicht in die beiden ethnischen Kategorien einzuteilen. Es gab nicht einfach zwei „Teilstämme“. Es gab mehrere Siedlungsgemeinschaften, so dass es adäquat ist, Lokalität und unterschiedliche Anführer als Aspekte einer differenzierten Gliederung aller Franken an der Peripherie Galliens um 480 zu attestieren. Das Folgeleisten gegenüber den Königen als Anführern ist genau wie die geographischen Niederlassungen evident. Inwieweit diese Könige und die Mitglieder der Siedlungsgemeinschaften akkulturiert waren, ist im Detail nicht zu beantworten. Wahrscheinlich ist aber, dass ihnen Güter und Umgangsformen Innergalliens nicht fremd waren.80 Einzig für König Childerich I. kann festgehalten werden, dass er in seiner Position als König einer der Gemeinschaften an der Peripherie Galliens möglicherweise auch Zuständigkeitsbereiche hatte, die über die Siedlungsgemeinschaft hinausgingen.81 Die Aussagen zu den Kooperationen Chlodwigs I. mit anderen Königen lassen hingegen daran zweifeln. Die Mitglieder der Siedlungsgemeinschaften produzierten offenbar agrarisch. Die lex salica verdeutlicht dies durch mehrere ihrer Paragraphen. Auch archäologische Funde verdeutlichen dies.82 In diesem Kontext ist die Identität dieser Akteure, mit denjenigen, die von der Peripherie aufbrachen, um im inneren Gallien zu plündern, wahrscheinlich.
80 Überblickend Geary, Merowinger: S. 52–71. 81 Der Grabfund lässt darauf schließen. Vgl. Richter, Siegelring?: S. 365. 82 Vgl. Nonn, Franken: S. 117 ff.
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2.3 Die militärischen Operationen Chlodwigs I. In den Erzählungen Gregors von Tours über Chlodwig I. agiert die Figur des Königs häufig als Anführer. Plünderungen werden in diesen Erzählungen mehrfach erwähnt. Dies betrifft die Erzählung über die Operation gegen Syagrius, die Erzählungen über Auseinandersetzung mit dem im Südosten Galliens agierenden burgundischen König Gundobad und auch die zu den militärischen Operationen gegen König Alarich II. von Toulouse. Diese Erzählungen werden durch weitere Quellenautoren ergänzt.
2.3.1 Die militärische Operation gegen Syagrius: Versuch der Neustrukturierung oder Plünderungsoperation? In Anbetracht der Erzählung Gregors über die Teilung des Geplünderten nach dem Sieg gegen Syagrius stellt sich die Frage, ob diese Aussagen als ein Versuch einer Neustrukturierung oder als eine Plünderungsoperation zu deuten sind: Informationen zu Plünderungen sind von Gregor literarisch verarbeitet worden und zugleich ist die Gesamterzählung an den Anfang einer Reihe von anderen erzählten Militäroperationen gestellt. Diese Erzählungen umfassen zumeist83 Aussagen zu Neustrukturierungen. Die exakte Datierung der Operation ist nicht mit Sicherheit festzulegen.84 Gregors chronologische Einordnung der Informationen ist nicht zweifelsfrei. Als sicher kann gelten, dass die Operation aber relativ kurz nach dem Antritt Chlodwigs I.
83 In zwei Fällen, den Erzählungen über die Operation gegen eine Gemeinschaft, die als thoringi bezeichnet wird umfasst und der Operation gegen die Alemannen – die wohl aller Wahrscheinlichkeit nach nicht die einzige gegen Alemannen und/oder ihre Siedlungsgemeinschaften war – wird nichts explizit über Neustrukturierungen in Gallien oder auch an der Peripherie dieses geographischen Raumes von Gregor erzählt. Zur Diskussion über die Zahl der Alemannenschlachten zur Zeit Chlodwigs I. überblickend Geuenich, Alemannen: S. 78–90. Zur Identifizierung der als thoringi bezeichneten Gemeinschaft mit Thüringern Kälble, Thüringen: S. 336. Dazu auch kritisch zur Annahme, es habe ein linksrheinisches „Thüringerreich“ gegeben Grahn-Hoek, Thüringerreich?: S. 15–55. Tatsächlich muss es hier aber gar kein regnum im Sinne eines geographisch weiträumigen Strukturierungszusammenhangs gegeben haben. Es können auch Akteure aus einer kleinen Siedlungsgemeinschaft besiegt worden sein. Zur Diskussion über die Länge und den Verlauf der Operation sowie einer möglichen Neustrukturierung Becher, Chlodwig I.: S. 161 f. und Geary, Merowinger: S. 90 f. Becher geht davon aus, dass es zu keinem Sieg Chlodwigs I. kam und bezieht sich dabei auf eine andere Stelle. Greg. hist.: 3.7. Geary hält den Sieg für wahrscheinlich, aber geht davon aus, dass die Neustrukturierung sehr lang gedauert hat. Da für die Aussagen zu den Operationen gegen die thoringi und gegen die Alemannen keine Aussagen zum Plündern gegeben sind, werden diese Operationen nicht extra in eigenen Abschnitten behandelt. Die Aussagen zu ihnen werden jedoch kontextuell berücksichtigt werden. 84 „His ita gestis, mortuo Childerico, regnavit Chlodovechus, filius eius pro eo. Anno autem quinto regni eius Siacrius Romanorum rex, Egidi filius, apud civitatem Sexonas, quam quondam supra memoratus Egidius tenuerat, sedem habebat.“ Greg. hist.: 2.27. Zur Problematik der Datierung Becher, Chlodwig I.: S. 18.
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Quellenuntersuchung
zu datieren ist. Die Zeit um 487/8 ist annehmbar.85 Der Brief des Bischofs Remigius von Reims an Chlodwig I. kann zur Bestätigung der Datierung auf den Beginn der Zeit Chlodwigs I. als König herangezogen werden. Der Autor bezieht sich in dem Text direkt auf die Vorfahren Chlodwigs I. Die Funktion dieses Rekurses ist die Einreihung des Adressaten. Sie kann als Argument für die zeitliche Nähe zum Antritt Chlodwigs I. verwendet werden.86 Hinzu kommt, dass der Autor von dem Gerücht (rumor) schreibt, König Chlodwig I. habe die Administration (administrationem) der Belgica secunda erlangt.87 Somit ist das Argument, der Brief sei zur Zeit des Antritts Chlodwigs I. als Nachfolger seines Vaters verfasst worden,88 erneut geltend zu machen. Jedoch widerspricht diese Einordnung des Briefes den Erzählungen Gregors über die Operation gegen Syagrius. Gregor erzählt, dass Chlodwig I. seinem Vater als König nachfolgt. Danach zieht er im fünften Jahr nach seinem Antritt mit König Ragnachar nach Westen. Dort treffen sie auf Syagrius sowie die ihm Folgeleistenden und siegen. Motive der Könige erzählt der Bischof nicht.89 Festzustellen ist zum einen, dass die Chlodwigfigur, die in der Folge zum Protagonisten der restlichen Erzählungen des zweiten Buches stilisiert ist, nicht als alleiniger Anführer konzipiert wurde. An einer anderen Stelle des zweiten Buches wird zudem erzählt, dass neben Ragnachar auch König Chararich mit Chlodwig I. gegen Syagrius zog.90 Der Protagonist ist also nicht allein. Er wird von zwei weiteren Anführern begleitet. Aber noch im Kapitel 27 entfällt die Figur des Ragnachar – die Figur des Chararich wird in diesem Kapitel erst gar nicht erwähnt – nach dem Sieg völlig. Dies steht in einem leicht zu erkennenden Kontrast zu dem Beginn des Kapitels. Die Aussagen aus dem Brief des Remigius an Chlodwig I. passen tendenziell zur Erzählung Gregors nach dem Sieg gegen Syagrius, denn in dem Brief wird nur von
85 Repräsentativ für die Übernahme der Datierung von Gregor und somit die Festlegung auf 486/7 Ewig, Merowinger: S. 20. Für die in einer englischen Übersetzung der hier auch zitierten Passage immanenten Annahme, mit „regni eius“ sei „the reign“ König Childerichs I. gemeint MacGeorge, Warlords: S. 122. 86 Vgl. Becher, Chlodwig I.: S. 153. 87 „Rumor ad nos magnum pervenit, administrationem vos Secundum Belgice suscepisse.“ Ep. austr.: 2. 88 Beispielsweise Daly, Clovis: S. 631 ff.; MacGeorge, Warlords: S. 126; Werner, Ursprünge: S. 302; Jussen, Chlodwig: S. 147 und Wallace-Hadrill, Kings: S. 166. 89 „His ita gestis, mortuo Childerico, regnavit Chlodovechus, filius eius pro eo. Anno autem quinto regni eius Siacrius Romanorum rex, Egidi filius, apud civitatem Sexonas, quam quondam supra memoratus Egidius tenuerat, sedem habebat. Super quem Chlodovechus cum Ragnechario, parente suo, quia et ipse regnum tenebat, veniens, campum pugnae praeparare deposcit. Sed nec iste distolit ac resistere metuit. Itaque inter se utrisque pugnantibus, Syagrius elisum cernens exercitum, terga vertit et ad Alaricum regem Tholosa curso veluci perlabitur.“ Greg. hist.: 2.27. 90 „Quando autem cum Siagrio pugnavit, hic Chararicus, evocatus ad solatium Chlodovechi, eminus stetit, neutre adiuvans parti; sed eventum rei expectans, ut cui evenerit victuriam, cum illo et hic amicitia conligaret.“ Greg. hist.: 2.41.
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ihm allein als demjenigen gesprochen, der die Administration der Belgica secunda übernommen (suscipere) hat.91 Da Soissons – die civitas, in der Syagrius gemäß Gregor seine sedes hatte – nach der Verwaltungsreform Kaiser Diokletians in der Provinz Belgica secunda lag,92 ist eine Datierung des Briefs auf die Zeit kurz nach dem Sieg gegen Syagrius am plausibelsten. Zwar kann diesem Argument entgegen gehalten werden, dass der Autor des Briefes nicht mehr die geographischen Kategorien derart angewandt hat, wie sie zur Zeit Diokletians und kurz danach adäquat waren,93 doch war das Bistum von Reims zu dieser Zeit mit der älteren Provinz identisch. Daher ist die gewählte Formulierung durchaus verständlich.94 Auch die Aussage, Chlodwig I. werde seinen Vorfahren ähnlich, ist mit den wenigen zeitnahen Aussagen aus der vita genovevae und den zeitferneren Aussagen Gregors zu Childerich I. in einen widerspruchsfreien Zusammenhang zu bringen: Dieser war offenbar ein militärisch erfolgreicher Anführer,95 der auch administrativ tätig wurde,96 wobei unklar bleiben muss, wen diese Tätigkeit genauer betraf. Einen geographisch sehr großräumigen Strukturierungszusammenhang hatte er, wie dies beispielsweise für Eurich der Fall ist, nicht hinterlassen. Zumindest kann als gesichert gelten, dass zu Beginn der Zeit Chlodwigs I. dieser, gemäß Gregor, nicht ohne die Kooperation mit anderen Königen an der gallischen Peripherie nach Westen gezogen war. So lag die civitas Cambrai (Cameracensium), in der die Gemeinschaft des Königs Ragnachar siedelte,97 ebenfalls in der Belgica secunda.98 Das könnte insgesamt auch darauf hindeuten, dass nach dem Tod König Childerichs I. der von ihm administrierte Strukturierungszusammenhang, den er möglicherweise sogar wie Eurich mit ihm Folgeleistenden erst selbst geschaffen hatte, rasch erodiert war. Allerdings würde dies implizieren, dass die anderen Königspositionen an der Peripherie Galliens erst nach seinem Tod entstanden waren. Wahrscheinlicher ist, dass wenn ein geographisch großräumiger Strukturierungszusammenhang zur Zeit Childerichs I. an der Peripherie Galliens bestanden
91 Dies bemerkt auch Becher und spricht sich daher deutlich für eine Datierung des Briefes nach dem Sieg gegen Syagrius aus. Vgl. Becher, Chlodwig I.: S. 154. Ähnliche Argumente finden sich auch bei Wood. Vgl. Wood, Clovis: S. 261 f. 92 Vgl. Nonn, Verwaltungsorganisation: S. 90. 93 Diokletian regierte von 284 bis 305. Vgl. Christ, Kaiserzeit: S. 124. 94 Vgl. Becher, Chlodwig I.: S. 153 ff. 95 Vita Genovevae: 26 und zeitfern, jedoch ortsnah Greg. hist.: 2.18 und 2.19. 96 Vgl. Richter, Siegelring?: S. 359 ff. 97 Dass die civitas Cambrai bei einer militärischen Operation eingenommen wurde, erzählt erst Gregor. Greg. hist.: 2.9. Die Passage wird mit Aussagen aus einem zeitnäheren panegyricus des Sidonius Apollinaris zusammengebracht, um die Annahme der Eroberung in ihrer Wahrscheinlichkeit zu stützen. Sidon. carm.: 5.20–5.30. Dazu Nonn, Franken: S. 79 f. Gregor erzählt zudem, dass Ragnachar zu Cambrai lebte: „Erat autem tunc Ragnacharius rex apud Camaracum tam effrenis in luxoria, ut vix vel propinquis quidem parentibus indulgeret.“ Greg. hist.: 2.42. Dazu Becher, Chlodwig I.: S. 123. 98 Vgl. Nonn, Verwaltungsorganisation: S. 90.
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hat, dieser eher in einer föderierten Kooperationsform mehrerer Könige funktioniert haben dürfte. Der Brief des Remigius ist also tendenziell nach den Sieg gegen Syagrius zu datieren, wobei offen bleiben muss, in welchem Jahr er genau verfasst worden ist. Auch dass der Autor von einem rumor schreibt, eben nicht gänzlich sicher ist, stärkt diese Annahme. Welche Implikationen mit dieser Wortwahl noch verbunden sind, wird noch ausführlich behandelt werden. An dieser Stelle ist festzuhalten, dass damit auch ein Hinweis darauf gegeben ist, dass der Autor nicht sicher war, ob nicht doch noch andere Könige Handlungsfähigkeit in dem von ihm gemeinten geographischen Raum erlangt hatten. Zusätzlich soll erwähnt sein, dass nach Gregor Chlodwig I. erst nach der Auslieferung des Syagrius durch den König von Toulouse dessen regnum übernahm.99 Demnach führte die siegreiche Operation nicht einfach zur Übernahme der nordgallischen civitates durch Chlodwig I., die in dem regnum strukturiert waren. Rumor indiziert also erneut die Diskursivität der Prozessdynamik. Es gab nach dem Sieg und der Auslieferung eine zeitliche Lücke, in welcher der Brief an König Chlodwig I. aller Wahrscheinlichkeit nach abgefasst worden ist. Die mit der Gebrauch des Wortes regnum implizierten Aspekte wurden zwar weiter oben mit dem Ergebnis, dass das Wort keinen geographisch weiträumigen Strukturierungszusammenhang in Nordgallien bezeichnen kann, ausführlich diskutiert; doch soll darauf nun erneut eingegangen werden, um die Frage dieses analytischen Kontextes beantworten zu können: Zwischen dem Sieg und der Ermordung des Syagrius liegt ein Zeitfenster, dass Gregor von Tours nicht mit Erzählungen in den decem libri historiarum füllt. Aber in seinem liber in gloria martyrum erzählt er von einer Belagerung der civitas Nantes (Namnetica) durch „Barbaren“. Ausdrücklich schreibt Gregor, dass die Belagerung zur Zeit Chlodwigs I. stattfand. Eine genauere Datierung gibt er nicht.100 Auf welche Art von Akteuren mit dem Wort „Barbaren“ rekurriert wird, ist ebenfalls unklar. Ihr Anführer wird Chillo genannt. Er bekehrt sich am Ende der Erzählung zum Christentum. Offenbar war er zuvor heidnisch.101 Dass der Bischof auf Informationen rekurriert, ist plausibel, da er ein Wunder in die Erzählung zu einer Belagerung einbettet. Diese Art des Umgangs mit Informationen zu Belagerungen in hagiographischen Schriften Gregors und anderer Autoren wurde bereits herausgestellt.102 Für die Verwendung des Wortes „Barbaren“ einfach
99 Syagrius wird gefangen genommen und heimlich ermordet: „Chlodovechus vero ad Alarico mittit, ut eum redderit; alioquin noverit, sibi bellum ob eius retentationem inferri. Ad ille metuens, ne propter eum iram Francorum incurrerit, ut Gothorum pavere mos est, vinctum legatis tradedit. Quem Chlodovechus receptum custodiae mancipare praecipit; regnoque eius acceptum, eum gladio clam feriri mandavit.“ Greg. hist.: 2.27. 100 „Igitur cum supra dictas civitas tempore Chlodovechi regis barbarica vallaretur obsidione, […]“ Greg. glor. mart.: 59. 101 Greg. glor. mart.: 59. 102 Vgl. Castritius, Bazas: S. 281–294.
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anzunehmen, er beziehe sich auf Aggressoren, die versuchten, im Umland einer civitas zu plündern, die Chlodwig I. übernommen hatte, geht fehl: Auch Figuren, die Gregor als Franken bezeichnet, werden von ihm in ein und derselben Erzählpassage als „Barbaren“ bezeichnet.103 Jedoch kann die Annahme, es handle sich bei der Erzählung aus dem liber in gloria martyrum um eine literarische Verarbeitung von Informationen zu einer schrittweise geführten Neustrukturierung, die von Gregor im 27. Kapitel der decem libri historiarum nicht notiert worden ist, auf der Basis der wenigen Aussagen aus dem liber kaum gehalten werden. Wichtig ist für die Beantwortung der Frage dieses analytischen Kontextes, dass die Erzählung verdeutlicht, dass es nach dem Sieg gegen Syagrius in Nordgallien, und Nantes liegt im Westen dieser Region,104 nicht einfach zur Übernahme aller civitates durch Chlodwig I. kam. Die Gemeinschaften der Region waren nach dem Sieg gegen Syagrius oder auch möglicherweise nach dessen Tod von Chlodwig I.105 nicht einfach zur Gänze übernommen worden, wobei in Frage steht, inwieweit die Akteure in den nordgallischen civitates in Kooperation mit Syagrius agierten. Zu Nordgallien ist für die Zeit Chlodwigs I. jedoch noch mehr festzuhalten: Gregor erzählt im Kapitel zur Ausschaltung Ragnachars, dass dessen Bruder Rignomer106 bei Le Mans (Cinomannis) ergriffen und ermordet wird.107 Auch diese civitas liegt in Nordgallien.108 Warum Gregor Rignomer gerade in der Nähe dieser civitas ergreifen lässt, wird aus der Passage nicht klar. Eine Erzählfunktion für den weiteren Verlauf des Kapitels hat die geographische Verortung zumindest nicht. Daher kann vermutet werden, dass Gregor hier Informationen literarisch verarbeitet hat. Jedoch ist aus dieser Aussage wie schon im Fall der Erzählung über die Belagerung von Nantes keine eindeutige Annahme zu bilden. Rignomer kann nach der Ermordung seines Bruders dorthin geflohen sein. Aber es ist auch nicht unwahrscheinlich, dass er dort vor der Ermordung seines Bruders als Mitglied einer Familie, aus der viele Könige seiner Zeit stammten,109 in diesem geographischen Raum im Sinne der Neustrukturierungen tätig war. Im analytischen Kontext ist diese Annahme zu plausibilisieren: Ragnachar
103 In einer Passage aus dem von Gregor verfassten hagiographischen Text liber in gloria confessorum wird eine direkte Beziehung der Bezeichnung „Franke“ mit „Barbar“ von Gregor hergestellt. Er gebraucht beide Bezeichnungen synonym. Greg. glor. conf.: 91. Der synonyme Gebrauch ist zudem in einer Passage der decem libri historiarum vorhanden Greg. hist.: 4.48. 104 Die civitas Nantes liegt direkt an der Loire. Vgl. Ewig, Merowinger: S. 26. 105 Vgl. MacGeorge, Warlords: S. 159 ff. 106 „Fuerunt autem supradicti regis propinqui huius; […].“ Greg. hist.: 2.42. 107 „[…]; quorum frater Rignomeris nomen apud Cinomannis civitatem ex iusso Chlodovechi est interfectus.“ Greg. hist.: 2.42. 108 Vgl. Ewig, Merowinger: S. 26. 109 „Interfectisque et aliis multis regibus vel parentibus suis primis, de quibus zelum habebat, ne ei regnum auferrent, regnum suum per totas Gallias dilatavit.“ Greg. hist.: 2.42. Dazu Becher, Chlodwig I.: 119 ff.
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zieht mit Chlodwig I. nach Westen und verschwindet nach dem Sieg und noch vor dem Tod des Syagrius völlig. Dass sein Bruder dann später in Nordgallien befindlich erzählt wird, spricht eher dafür, dass Gregor hier auf Informationen über das Agieren eines Kooperationspartners Chlodwigs I. bei den Neustrukturierungen rekurriert. Dass das Gesamtgebiet nach dem Tod des Syagrius nicht als großräumiger Strukturierungszusammenhang von König Chlodwig I. einfach übernommen werden konnte, kann durch die Erzählung über die Belagerung von Nantes zusätzlich plausibilisiert werden. In mehreren Passagen in den Texten Gregors ist also nachvollziehbar, dass die Annahme einer sofortigen Übernahme aller civitates nach dem Tod des Syagrius in Nordgallien defizitär ist. Gregor selbst ist der erste Konstrukteur dieser Annahme. Als Autor der Passagen fungiert der Bischof als Historiker der jüngeren Vergangenheit und rekurriert dabei auf Informationen zu der Zeit Chlodwigs I. in Nordgallien. Aus dieser Perspektive erzählt er mit den Worten seiner Zeit, dass Nordgallien nach dem Tod des Syagrius insgesamt an den Sieger Chlodwig I. fiel. Dies ist durch den Gebrauch von regnum indiziert. Chlodwig I. war aber laut Gregor selbst nicht allein nach Westen gezogen. Zumindest zwei weitere Könige treten an seiner Seite bei dieser Operation auf. Aus den decem libri historiarum geht also hervor, dass Gregor auf Informationen aus einer Traditionsform rekurriert hat, nach der die Präsenz mehrerer fränkischer Könige in Gallien nach dem Sieg gegen Syagrius in Nordgallien begann. Diese Perspektive Gregors ist ein unhinterfragbarer Tatbestand. Er hat offenbar auf Informationen rekurriert, die er bei der Stilisierung seiner Chlodwigfigur gewichtete. Daher ist anzunehmen, dass die Figur im Zentrum des zweiten Teils des zweiten Buches der decem libri historiarum steht, weil Gregor aus seiner Perspektive Chlodwig I. als eine Art Gründerfigur110 in Gallien deutete. Weiter kann angenommen werden, dass er damit nicht allein war, denn die Stilisierung seiner Chlodwigfigur traf auf Leser, die zumindest partiell ähnliche Deutungsmuster der jüngeren Vergangenheit haben konnten. Der Informationsrekurs in der Erzählung ist genauso offensichtlich wie die Perspektive Gregors. Indiziert ist der Rekurs vor allem durch die fehlende Homogenität der Erzählung über die Operation gegen Syagrius, die als der Beginn der Präsenz Chlodwigs I. im Norden Galliens erzählt wird: Andere Könige ziehen mit ihm und agieren in diesem Gebiet. Offenbar ist, dass Gregor Chlodwig I. nach dem Tod des Syagrius als denjenigen stilisiert, der allein dessen regnum zusätzlich übernimmt. Insofern erzählt Gregor eine Neustrukturierung. Die Erzählung ist der Beginn von weiteren Erzählungen über militärische Operationen111 und Gregor wusste, dass
110 Vgl. Becher, Chlodwig I.: S. 277. 111 Gregor dazu selbst: „Multa bella victuriasque fecit.“ Greg. hist.: 2.27. Die weiteren Passagen der militärischen Operationen Chlodwigs I. bei Gregor zusammenfassend: Greg. hist.: 2.27; 2.30; 2.32; 2.33 und 2.37.
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mit den militärischen Operationen dieses Königs die Präsenz der Merowinger in Zentralgallien begonnen hatte. Jedoch sind einige Indikatoren dafür vorhanden, dass Gregor aus seiner Perspektive eine Neustrukturierung erzählt, die keine war. Zum einen zog Chlodwig I., der als einziger Sieger stilisiert wird, nicht allein, sondern mit zwei anderen Königen nach Westen. Zum zweiten gewann die Figur das Gebiet des Syagrius erst nach dessen Tod und es ist nicht klar, wann dies geschah. Drittens waren regionale und lokale Konflikte in Nordgallien offenbar nach dem Sieg gegen Syagrius weiterhin gegeben. Viertens war es dem zeitnah schreibenden Remigius von Reims offenbar nicht klar, ob Chlodwig I. die Administration nun tatsächlich übernommen hatte. Fünftens erzählt Gregor, dass es nach dem Sieg gegen Syagrius und dessen Flucht zu Plünderungen von Kirchen kam.112 Es handelt sich bei der Erzählung der Operation gegen Syagrius also um eine literarisch gestaltete Neustrukturierung, bei dem der Autor auf Informationen zu einer Plünderungsoperation rekurriert. Dass Gregor aus Informationen, die er aus weitläufig bekannten113 Texten und mündlichen Überlieferungen gewonnen haben kann, eine Neustrukturierung machte, liegt primär an seiner Perspektive auf die ihm gegebenen Informationen. Hinzu kommt, dass Gregor nicht die Motive Chlodwigs I. erzählt. Es kommt gemäß der Erzählung über den Tod des Syagrius danach schlicht zu der Übernahme des regnum. Insofern ist die Erzählung der Operation auch nicht unbedingt aus sich selbst heraus als eine Neustrukturierung im Sinne der literarisch gestalteten Motive der Figur des Protagonisten zu bezeichnen. Sicher ist hingegen, dass Plünderungen nach dem Sieg gegen Syagrius durch die den Königen Folgeleistenden ausdrücklich erzählt worden sind. Diese führten der Erzählung nach zur Teilung des Geplünderten. 2.3.1.1 Die Teilung von Soissons Die Erzählung über die Teilung nach dem Sieg gegen Syagrius bei Soissons ist die einzige umfangreiche Erzählung über eine solche Teilung von geplünderten materiellen Gütern und Ressourcen für den geographischen Raum Gallien im späten 5. Jahrhundert. Auch für das 6. Jahrhundert in Gallien ist die Erzählung der Teilung aus den decem libri historiarum die einzig ausführliche Erzählung dieser Art.114 Daher ist das Erzählte kaum zu verallgemeinern.115
112 „Eo tempore multae aeclesiae a Chlodovecho exercitu depraedatae sunt, quia erat ille adhuc fanaticis erroribus involutus. Igitur de quadam eclesia urceum mirae magnitudinis ac pulchritudinis hostes abstulerant, cum reliqua eclesiastici ministerii ornamenta.“ Greg. hist.: 2.27. 113 Vgl. Wood, Clovis: S. 250 ff. 114 Vgl. Capelle und Wenskus, Art. Beute: S. 329 und Bodmer, Krieger: S. 100 f. 115 Dies wurde allerdings versucht. Kritisch dazu Althoff, Getreue: S. 146 f. Die Art der Teilung ist im Allgemeinen nicht mehr zu klären. Zur Teilungsart der Redistribution Polanyi, Transformation. Zur Teilungsart der Distribution Bazelmans/Kehne/Ogris, Art. Geschenke: S. 466–477.
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Nach den Plünderungen von Kirchen durch die heidnischen Akteure, tritt ein Bischof116 an Chlodwig I. heran und bittet ihn um einen Krug, der bei den Plünderungen mitgenommen wurde. Chlodwig I. erklärt sich bereit, den Krug zurück zu geben, wenn er auf seinen Anteil fallen würde und fordert den Bischof auf, mit ihm nach Soissons zu kommen.117 Dort bittet Chlodwig I., neben seinem Anteil, der ihm durch das Los zugekommen war, auch noch den Krug zu erhalten, um den ihn der Bischof gebeten hat.118 Einige der ihm Folgeleistenden stimmen der Bitte zu,119 doch einer verneint und schlägt mit der Axt auf den Krug.120 Dieser scheint aber nicht zerbrochen zu sein, denn Chlodwig I. nimmt den Krug an sich und gibt ihn dem Bischof.121 Auffällig an den Konstellationen zwischen der Figur des Königs und den Figuren der Folgeleistenden ist, dass sie asymmetrische und symmetrische Aspekte in sich vereinen: Der König führte die Folgeleistenden an. Aus dieser Position heraus kann er eine Forderung an sie stellen, die ihm offenbar wegen der Position, die er inne hatte, gewährt werden soll.122 Diese Konstellation zwischen der Figur des Königs und denen der Folgeleistenden ist als asymmetrisch zu beschreiben. Hingegen ist aber das Losziehen, durch das geteilt worden ist, als symmetrisch zu beschreiben: Alle Beteiligten, und dies schließt den König mit ein, erhalten einen Anteil, der allen gleich durch das Los zugeteilt werden soll. Diese Art der Teilung wird von einem der
116 „Episcopus autem eclesiae illius missus ad regem dirigit, poscens, ut, si aliud de sacris vasis recipere non meretur, saltim vel urceum aeclesia sua reciperit.“ Greg. hist.: 2.27. In den Texten des zeitferner schreibenden Autors oder auch der Autoren, die unter dem Namen Fredegar gefasst werden, wird auf diese Passage rekurriert, wobei die Bischofsfigur als Remigius von Reims bezeichnet wird. Fredeg.: 3.16. Dies kann mit einer Aussage aus dem Testament des Bischofs zusammenhängen, da in diesem Text steht, dass der Bischof von Chlodwig I. eine Vase geschenkt bekommen habe. Kritisch zu dieser Annahme Becher, Chlodwig I.: S. 159 f. 117 „Haec audiens rex, ait nuntio: ‚Sequere nos usque Sexonas, quia ibi cuncta que adquisita sunt dividenda erunt. Cumque mihi vas illud sors dederit, quae papa poscit, adimpleam.‘.“ Greg. hist.: 2.27. 118 „Dehinc adveniens Sexonas, cunctum onus praedae in medio positum, ait rex: ‚Rogo vos, o fortissimi proeliatores, ut saltim mihi vas istud‘ – hoc enim de urceo supra memorato dicebat, – ‚extra partem concidere non abnuatis.‘.“ Greg. hist.: 2.27. 119 „Haec regi dicente, illi quorum erat mens sanior aiunt: ‚Omnia, gloriose rex, quae cernimus, tua sunt, sed et nos ipsi tuo sumus dominio subiugati. Nunc quod tibi bene placitum viditur facito; nullus enim potestati tuae resistere valet.‘.“ Greg. hist.: 2.27. 120 „Cum haec ita dixissent, unus levis, invidus ac facilis, cum voce magna elevatam bipennem urceo inpulit, dicens: ‚Nihil hinc accipies, nisi quae tibi sors vera largitur. ‘.“ Greg. hist.: 2.27. 121 „Ad haec obstupefactis omnibus, rex iniuriam suam patientiae lenitate coercuit, acceptumque urceum nuntio eclesiastico reddidit, servans abditum sub pectore vulnus.“ Greg. hist.: 2.27. 122 Greg. hist.: 2.27. Zu der Problematik der verfassungsgeschichtlichen Forschung, die symmetrischen und die asymmetrischen Aspekte der Erzählung analytisch zu fassen Althoff, Getreue: S. 146 ff. Zu der Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen im Kontext der Aufarbeitung älterer, mediävistischer Konzeptionen und der Berücksichtigung wirtschaftlicher und sozialer Aspekte Becher, „Herrschaft“: S. 175–187. Unter dem Fokus auf das Plündern als eine Praktik des Erwerbs Bodmer, Krieger: S. 68–78.
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Folgeleistenden auch entgegen der Bitte des Königs verteidigt. Der König soll also weiter unter den Teilungsregeln gehalten werden. Die Asymmetrie zwischen ihm und den Folgeleistenden, die innerhalb der Kriegergemeinschaft während der Operation bestand und sich auch darin ausdrückt, dass ihm Akteure im Kriegermodus Folge leisteten, wurde aber in die Teilung übertragen. Obwohl ein Akteur versucht, dies aufzuhalten, wird der Krug letztlich von Chlodwig I., auch ohne die Einhaltung der Regeln, an sich genommen: Die Gleichheit aller an der Kriegergemeinschaft Beteiligten während der Teilung des Geplünderten, die durch das Los ausgedrückt wird und durch die ein interner Konflikt um spezielle Güter und Ressourcen genauso wenig stattfinden konnte, wie eine persönliche Entscheidung eines der Beteiligten, wird durch den König aufgehoben. Jedoch ist diese Interpretation zu erweitern, da die Erzählung zusätzlich noch die Figur des Bischofs umfasst. Diese ist der Anlass für das Handeln Chlodwigs I. und damit die Initiatorin der Aufhebung der Gleichheit während der Teilung. Die Konstellation zwischen dem König und dem Bischof sorgt also für den Wandel innerhalb der Konstellation zwischen dem König und den übrigen an der Kriegergemeinschaft Beteiligten. Somit ist nicht nur die Asymmetrie zwischen den Folgeleistenden und dem König während der Operation auf die Teilung übertragen worden. Sie ist der entscheidende Aspekt für die Wiedergewinnung des Kruges für den Bischof. Der König ist also das Mittel des Bischofs zur Wiedererlangung des Kruges. Die Konstellation zwischen dem namenlosen Bischof und Chlodwig I. wurde als der Versuch Gregors interpretiert, den König als prädestiniert darzustellen.123 Jedoch soll nicht übersehen werden, dass Chlodwig I. nach dem Erhalt des Kruges für den Bischof nicht als christlich Handelnder dargestellt wird: Die Figur ermordet den Akteur, der versuchte, die Rückgewinnung des Krugs zu verhindern.124 Daher ist es nicht einfach anzunehmen, Chlodwig I. sei von Gregor als prädestiniert konzipiert worden, denn die Chlodwigfigur des Bischofs handelt nicht an christlichen Handlungsnormen orientiert. Hinzu kommt, dass Gregor diesen Mord nicht kritisiert. Chlodwig I. wird viel mehr ohne auch nur ein Wort der Kritik als Furcht einjagend erzählt.125 Tatsächlich ist die Ermordung eine Verlängerung des Versuchs, die Rückgabe des Kruges zu verhindern: Da der König auf die Bitte des Bischofs eingeht, ist
123 Vgl. Becher, Chlodwig I.: S. 161. 124 „Transacto vero anno, iussit omnem cum armorum apparatu advenire falangam, ostensuram in campo Marcio horum armorum nitorem. Verum ubi cunctus circuire diliberat, venit ad urcei percussorem; cui ait: ‚Nullus tam inculta ut tu detulit arma; nam neque tibi hasta neque gladius neque securis est utilis‘. Et adpraehensam securem eius terrae deiecit. At ille cum paulolum inclinatus fuisset ad collegendum, rex, elevatis manibus, securem suam capite eius defixit. ‚Sic’, inquid,‘ tu Sexonas in urceo illo fecisti.‘.“ Greg. hist.: 2.27. 125 „Quo mortuo, reliquos abscedere iubet, magnum sibi per hanc causam timorem statuens.“ Greg. hist.: 2.27. Zur Angst als einem sozialen Mittel der Orientierung Le Jan, Timor: S. 217–226. Dazu auch Greg. hist.: 2.42.
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er dazu veranlasst, konsequent vorzugehen und jene Figur zu töten, die von seinem Willen abweicht. Diese Tötung wird nicht kritisch von Gregor kommentiert. Tatsächlich ist in diesem Fall die Frage nach dem Rekurs des Autors kaum zu beantworten. Nicht nur, dass weitere Aussagen von anderen Autoren fehlen. Auch in den decem libri historiarum und in anderen Texten desselben Autors fehlen weitere Aussagen, die herangezogen werden könnten. Daher kann nicht mehr genau festgemacht werden, ob es sich dabei um eine Legende handelt, auf deren Informationen der Autor rekurriert und inwieweit hier die Deutungsmuster des Autors, oder sogar eine Funktionalisierung der Informationen für die Gesamterzählung zu der Figur Chlodwigs I. gegeben sind.126 Die einzige Möglichkeit einer adäquaten Antwort auf die Frage, liegt in der Person des Autors. Es wird diskutiert, wann genau Gregor die Passage verfasst hat. Zwar geht es in der Diskussion nicht direkt um die Erzählung über die Teilung von Soissons, aber die Frage, wann Gregor die ersten vier Bücher seiner decem libri historiarum verfasst hat, tangiert selbstredend auch diese Passage. Innerhalb der Debatte werden mehrere Abfassungsdaten diskutiert. Bei aller Unterschiedlichkeit werden sie allesamt nach der Erhebung Gregors zum Bischof von Tours im Jahr 573 datiert.127 Allen Meinungen in dieser Debatte ist gemein, dass sie Gregor als einen Menschen ausweisen, der nach längerem Werdegang eines christlich-katholischen Klerikers die Position eines Bischofs erhalten hat. Ihr wohnten nicht nur religiöse, sondern der auch weltlichadministrative Aufgaben in Gallien inne, die unter anderem mit der Kooperation mit den Königen seiner Zeit einherging.128 Seine Deutungs- und Vorstellungsmuster sind demnach auch bei den Rekursen auf Informationen zum Geschehen einer Zeit, die vor der seinen liegt, von seinem Werdegang und dem Aufgabenbereich seiner Position nicht unberührt.129 Die anonyme Bischofsfigur kann somit als Projektionsfläche für den Leser gerade wegen der Anonymität dienen: Der Bischof bittet den König und dieser erfüllt dessen Bitte, wobei er zusätzlich jenen bestraft, der indirekt entgegen dieser Bitte handelt, indem er dem König widerspricht. Da aber die Königsfigur konkret mit einem Namen, nämlich den schon zu dieser Zeit historischen Namen Chlodwig I. versehen ist, kann die Figur, da sie nicht allgemein ist, zu einem Leitbild der Könige der Zeit Gregors
126 Beispielsweise Collins, Gregory of Tours: S. 50 f.; Becher, Chlodwig I.: S. 158–161 und Althoff, Getreue: S. 145 ff. 127 Vgl. Wood, Gregory: S. 1–4; Heinzelmann, Gregor: S. 167–175; Goffart, Narrators: S. 119 ff. und Breukelaar, Authority: S. 25 ff. 128 Zur Person Gregors ausführlich Heinzelmann, Gregor: S. 7–31. Zum Prozess der Genese von weltlichen Funktionen, die den Bischofspositionen im 6. Jahrhundert in Gallien innewohnten insgesamt Jussen, Prozeduren: S. 673–718 und Jussen, Legitimation: S. 75–136 sowie Jussen, Herrschaft: S. 15–29. Dazu Baumgart, Bischofsherrschaft: S. 21 ff. 129 Vgl. Goetz, Geschichtsschreibung: S. 258–261.
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erhoben werden,130 obwohl sie sich ähnlich falsch nach den christlichen Handlungsnormen verhält.131 Diese Erzählkonzeption hat zwei Richtungen: Zum einen handelt die Königsfigur im Sinne des Bischofs, indem sie versucht, diesem einen Wunsch zu erfüllen und zum anderen wird die Figur im Sinne des Bischofs ein Mittel zu dessen Interessensbefriedung und dies auch, indem sie entgegen christlichen Normen handelt. Die Konzeption hat zur Zeit Gregors – wird sie insgesamt als ein Ideal der Konstellation der Figuren Bischof-König-Krieger angesehen – nicht durchgehend funktioniert.132 Beispielsweise konnten die Bischöfe zwar in Kooperation mit der Familie der Merowinger vertraglich den Frieden sichern, die Könige waren aber nicht mehr in der Lage zu gewährleisten, dass die normative Regelung auch praktisch umgesetzt wurde.133 Gerade daher ist zu betonen, dass es sich bei der Passage zur Teilung von Soissons um eine Figurenkonstellation handelt, die als Kritik an dem Geschehen der Zeit Gregors gelesen werden kann. Argumentativ ist dafür heranzuziehen, dass auch daher Gregor nicht das unchristliche Handeln seines Chlodwigs I. in diesem Fall kritisiert und ihn überhaupt in dieser Weise handeln lässt, obwohl dies nicht nötig gewesen wäre, um Chlodwig I. zu einem Leitbild der Könige seiner Zeit zu stilisieren. Es geht in der Passage um die Konstellation der Figuren und nicht um nur eine der Figuren.134 Wird Chlodwig I. allein betrachtet, erscheint seine Stilisierung zum Leitbild der Könige der Zeit Gregors unlogisch, denn die Königsfigur des Bischofs handelt zum Teil in der Art, für die andere von Gregor geschaffene Figuren von ihm selbst kritisiert werden.135 Wird aber das Handeln Chlodwigs I. gegenüber dem Bischof ins Zentrum gestellt, dann wird die Stilisierung nachvollziehbar: Der König tut das, was der Bischof verlangt und dies in der Verlängerung der Konstellation zwischen dem
130 „Recordamini, quid capud victuriarum vestrarum Chlodovechus fecerit, qui adversos reges interficet, noxias gentes elisit, patrias subiugavit, quarum regnum vobis integrum inlesumque reliquit!“ Greg. hist.: 5.0. 131 Zur Bewertung Gregors nach katholischen Handlungsnormen im Allgemeinen Wood, Clovis: S. 258–261. Auch Heinzelmann, Gregors: S. 96 ff. und S. 150 ff. Für die Abweichung von dieser Bewertungsweise bei der Chlodwigfigur Collins, Gregory: S. 50. 132 Auch wurden Inhaber der Bischofspositionen in Gallien ermordet. Vgl. Fourace, Bischops: S. 13–36. 133 So kam es auch nach der Vereinbarung des Vertrags von Andelot 587 zu weiteren Plünderungen in den Gebieten der Merowingerkönige, nachdem diese Folgeleistungen organisieren konnten und militärische Operationen in ihrem Sinne gen Italien und auf die Iberische Halbinsel unternahmen. Zum Vertrag Greg. hist.: 9.20. Zur Operation gen Italien zur Zeit König Childeberts II. nach dem Vertragsschluss Greg. hist.: 9.25. Zur Operation an die Grenze der Iberischen Halbinsel zur Zeit König Guntrams nach dem Vertragsschluss Greg. hist.: 9.31. 134 Greg. hist. franc: 2.27. 135 Ein Beispiel hierfür ist die Kritik an der Figur König Chilperichs I. Vgl. Heinzelmann, Gregor: S. 158 ff.
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Bischof und dem König, indem er denjenigen, der ihm den Krug nicht zugestehen will, entgegen christlicher Normen ermordet. Gregor erzählt zum Abschluss der Episode über die Teilung von Soissons, dass König Chlodwig I. viele militärische Operationen in der Folgezeit siegreich bestreiten kann:136 So besiegt er thoringi und unterwirft sie.137 Chlodwig I. wird also insgesamt als ein starker Anführer dargestellt.138 Bevor die Aussagenlage zu den militärischen Operationen gegen die übrigen Anführer und ihre Gemeinschaften in Gallien untersucht wird, werden nun die Aussagen zur Konsolidierung der Präsenz in Nordgallien untersucht, da festgestellt werden konnte, dass eine einheitliche Übernahme der civitates in Nordgallien entgegen der Erzählung Gregors nicht vollzogen wurde. 2.3.1.2 Probleme der Konsolidierung der Präsenz In den vorangegangenen beiden analytischen Kontexten wurden bereits die Quellenaussagen, welche die Problematik der Konsolidierung der Präsenz in Nordgallien indizieren, unter jeweils anderen Fragen untersucht. Thematisch lassen sich die Aussagen für die Beantwortung der Frage nach dem historisch evidenten Vollzug der Konsolidierung der Präsenz König Chlodwigs I.139 in Nordgallien in zwei Problemkomplexe gliedern, für die zum Teil weitere zeitferne Quellen hinzugezogen werden können. Der erste Problemkomplex umfasst die Aussagen zur Kooperation mit den Bischöfen und zur Kooperation mit den übrigen Königen der peripheren Siedlungsgemeinschaften. Der zweite die Aussagen zu militärischen Operationen in Nordgallien nach dem Sieg gegen Syagrius. Wie bereits erwähnt wird Chlodwig I. gleich zu Beginn eines Briefes als neuer Administrator der Belgica secunda bezeichnet. Der Autor rekurriert dabei nach eigenen Angaben auf ein Gerücht. In dem Brief wird Chlodwig I. auch die Kooperation mit den Bischöfen empfohlen.140 Gemäß der weiteren Quellenlage zu der Zeit Chlodwigs I. wurde dies auch getan.141 Eine Kooperation mit den anderen Peripheriekönigen ist ebenfalls indiziert, wenn diese auch nicht so deutlich ist, wie im Fall der Kooperation mit Bischöfen.142 Hingegen ist aus heutiger Sicht nicht mehr zu beant-
136 „Multa bella victuriasque fecit.“ Greg. hist.: 2.27. 137 „Nam decimo regni sui anno Thoringis bellum intulit eosdemque suis diccionibus subiugavit.“ Greg. hist.: 2.27. Dazu Bachrach, Organisation: S. 5 f. 138 Überblickend mit einigen Argumenten Jussen, Chlodwig: 152 ff. 139 Unbestritten ist, dass nach dem Tod Chlodwigs I. ein Übertrag des Strukturierungszusammenhangs – wenn auch in parzellierter Form – auf seine Söhne ungehindert stattfinden konnte. Vgl. Ewig, Teilungen: S. 114 ff. 140 Ep. austr.: 2. 141 Erneut Greg. hist.: 2.27. 142 Vgl. Becher, Chlodwig I.: S. 242–258.
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worten, wie die Beziehungen zu den alanischen Siedlungsgemeinschaften in Gesamtgallien nach dem Sieg gegen Syagrius ausgefallen sind.143 Insofern ist das kooperative Element der Konsolidierung der Präsenz auch für das Organisieren von Folgeleistungen nicht irrelevant. Im bellum gothorum des oströmischen Historiographen Prokop von Caesarea144 sind Aussagen enthalten, die für die Frage nach der Konsolidierung der Präsenz ebenfalls untersucht werden können. Sie wurden orts- und zeitfern verfasst. Der Rekurs des Autors auf Informationen aus Gallien ist dabei nicht mehr nachzuvollziehen.145 Tatsächlich ist die Erzählung über Gallien mit den ortsnah verfassten Aussagen auch nicht in einem widerspruchsfreien Bezug zu setzen. Prokop erzählt, dass neben Westgoten, Burgundern und Thüringern auch Franken, die zuvor Germanen genannt worden seien, sowie Arborycher in Gallien leben, die seit Alters her den Römern mit den übrigen Galliern unterstanden haben.146 Der Name Arborycher wurde viel diskutiert, ohne dass klar wurde, mit welcher Gemeinschaft der Name in Verbindung zu bringen ist. Wahrscheinlich ist, dass Prokop die Aremoricer mit dem Namen bezeichnet.147 Die Franken und die Arborycher treten, nachdem sie militärische Konflikte ausgetragen und dabei geplündert haben, in ein Bündnisverhältnis. Dies taten sie laut Prokop, da beide Gemeinschaften bereits christlich waren. Auch römische Akteure traten diesem Bündnis bei.148 Abseits der Frage nach der Datierung dieses Bündnisses und der Frage nach dem Rekurs des Autors,149 kann festgehalten werden, dass Prokop eine kooperative Beziehung dif-
143 Die alanischen Siedlungsgemeinschaften waren offenbar stark integriert worden. Vgl. Bachrach, Alans: S. 116 ff. Zur Annahme der Beteiligung von Akteuren aus alanischen Siedlungsgemeinschaften an militärischen Operationen Bachrach, Organisation: S. 8. 144 Die exakten Geburts- und Todesdaten sind für Prokopios von Caesarea nicht bekannt. Er wurde wohl um 500 geboren und starb nach 560. Er stammte aus dem palästinensischen Caesarea. Vgl. Cataudella, Historiography: S. 392. Prokopios (oder kurz Prokop) war assessor des oströmischen magister militium Belisar. Vgl. Cameron, Procopius: S. 134–151. Zu Belisar Dahlheim, Art. Belisarios: S. 232 f. Seine Nähe zum Militär erklärt auch die Gewinnung von Informationen. Aus einem der Bücher – er hat daneben noch weitere, thematisch anders gelagerte Texte verfasst – in dem über den Krieg der Oströmer mit den Ostgoten erzählt wird, sind Aussagen für die Untersuchung aufschlussreich. Vgl. Cameron, Procopios: S. 49 ff. Die Aussagen sind aber nur zum Teil zeitnah, jedoch immer ortsfern verfasst. Wie Prokop an die Informationen über Gallien kam, ist nicht sicher. Dass er in diesem Fall als ein Historiker tätig ist, da er zur Erklärung des Eingreifens der Merowinger in Italien über die Könige in Gallien vor dem 6. Jahrhundert erzählt, steht außer Frage. 145 Prokop hat an den Operationen gegen die Ostgoten in Italien teilgenommen und kann dabei an die von ihm literarisch verarbeiteten Informationen gelangt sein. Vgl. Cameron, Procopios: S. 8 ff. Mit demselben Argument Becher, Chlodwig I.: S. 156. 146 Orts- und zeitfern Prok. B.G.: 1.12. 147 So bereits schon Zöllner, Franken: S. 52. Die Aremorica wird mit der heutigen Bretagne geographisch gleichgesetzt. Beispielsweise Becher, Chlodwig I.: S. 145 und Ewig, Merowinger: S. 61 f. 148 Orts- und zeitfern Prok. B.G.: 1.12. 149 Kritisch zum Bericht des Prokop Anton und Jungandreas, Art. Chlodwig I.: S. 480.
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ferenter Gemeinschaften erzählt. Bemerkenswert ist dabei, dass Prokop nicht von einem speziellen Anführer schreibt, sondern von den Franken in ihrer Gesamtheit. In diesem Gruppensubjekt sind in Anbetracht ortsnaher Aussagen durchaus Kooperationsbeziehungen mehrerer Könige anzunehmen. Derartige Kooperationsbeziehungen sind offenbar nicht ausreichend gewesen, um ihre Präsenz zu konsolidieren. Dies zeigt die Erzählung über die Belagerung von Nantes. Zusätzlich können Stellen aus der Chronik des Kopenhagener Fortsetzers des Prosper Tiro angeführt werden, bei der militärische Konflikte um Bordeaux und Saintes150 vermerkt werden, wobei auch fränkische Akteure noch vor dem Ende des 5. Jahrhunderts siegreich sind.151 Der Bischof der civitas war aber auf dem Konzil von Agde anwesend.152 Zwar sind die Angaben aus der Chronik weder orts- noch zeitnah verfasst worden und sie beziehen sich nicht auf den geographischen Raum Nordgalliens, doch indiziert auch sie die Diskursivität der Prozessdynamik in Gallien während der Zeit Chlodwigs I., der nicht in nur einer militärischen Operation das Gebiet erobern konnte, das er später hinterlassen hat. Gekennzeichnet ist das Kontinuum von Kooperationen und einer Vielzahl militärischer Operationen, die nicht immer zu umgehenden Neustrukturierungen führten. Dabei ist ein Wandel in der Kooperationsweise des Königs zu erkennen: Chlodwig I. beseitigte mit der Zeit die übrigen Könige an der Peripherie Galliens und versuchte am Ende seines Lebens die Kooperation mit den Bischöfen in Gallien noch zu intensivieren.153 Die Episoden der Kapitel 40 bis 42 im zweiten Buch der decem libri historiarum sind jedoch nicht unproblematisch, da nicht sicher ist, wie die Aussagen zu datieren sind. Der König Sigibert von Köln, der nach Gregor als erster der Anführer an der Peripherie ausgeschaltet worden ist, war noch nach dem Sieg gegen Syagrius an der Seite Chlodwigs I. gegen Alemannen aktiv.154 Ob es sich dabei um die Schlacht handelt, die Gregor von Tours in das Vorfeld der Taufe Chlodwigs I. setzt, ist nicht klar.155 Dass diese oder weitere Operationen gegen Alemannen erst nach dem Sieg gegen Sya-
150 Vgl. Becher, Chlodwig I.: S. 206 f. Diese beiden, weder zeit- noch ortsnah geschriebenen Aufzeichnungen des Chronisten müssen aber nicht nur für die Deutung bereits zuvor vorhandener Konflikte zwischen Königen verwendet werden. Auch ist es möglich, die Aufzeichnungen argumentativ für die Annahme zu verwenden, dass eine Übernahme großräumiger Strukturierungszusammenhänge in Gallien zu dieser Zeit nicht möglich war. Die Aufzeichnungen indizieren in diesem Sinne erneut die Diskursivität der Prozessdynamik. Jedoch muss diese Annahme nicht unbedingt durch diese beiden Aufzeichnungen gestützt werden. Nicht nur, dass es genügend zeit- und ortnähere Aussagen gibt, sie selbst sind eben zeit- und auch ortfern verfasst worden. 151 Orts- und zeitfern Auct. prosp. havn.: 496.1 und 498.1. 152 Vgl. Schäferdiek, Kirche: S. 244. 153 Vgl. Becher, Chlodwig I.: S. 174 ff. und Pontal, Synoden: S. 23–33. 154 „Hic Sygiberthus pugnans contra Alamannos apud Tulbiacensim oppidum percussus in genuculum claudicabat.“ Greg. hist.: 2.37. 155 Vgl. Geuenich, Taufe: S. 423–437.
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grius anzusetzen sind, gilt hingegen als weitgehend sicher.156 Sigiberts Sohn unterstützte laut Gregor Chlodwig I. bei dessen Operation gegen Alarich II.157 Annehmbar ist daher, dass Chlodwig I. nach dem Sieg gegen Syagrius Ragnachar und Chararich als Kooperationspartner durch Sigibert gewaltsam ersetzte. Jedoch ist für Ragnachar festzuhalten, dass einer seiner Brüder bei Le Mans ergriffen wurde,158 so dass diese Annahme dahingehend zu präzisieren ist, dass Ragnachar nicht nur als militärischer Kooperationspartner ersetzt wurde, sondern seine direkt mit ihm verwandte Familie, auch als Kooperationspartner bei der Konsolidierung der Präsenz. Daher ist zu fragen, welche neue Kooperationsweise zur Konsolidierung der Präsenz gefunden worden ist? Die Intensivierung der Kooperation mit den lokal fixierten Bischöfen wäre eine plausible Antwort. Der Übertritt Chlodwigs I. zum katholischen Christentum ist daher als eine Datierungsmöglichkeit für die Ermordung des Ragnachar annehmbar, doch ist dann zu fragen, wann die Schlacht mit den Alemannen stattfand, bei der Sigibert schwer verwundet wurde.159 Erschwerend kommt bei der Kritik an der Annahme des Ersetzens der Kooperationspartner rasch nach dem Sieg gegen Syagrius hinzu, dass Gregor die Figur des Königs Chararich und die seines Sohnes in einem Kloster, in das sie verbannt worden sind, christliche Bildsprache benutzen lässt.160 Die Datierung der Ermordungen nach der Taufe ist also insgesamt plausibler, wobei hier das Problem besteht, dass auch das Datum der Taufe nicht sicher ist.161 Die Effekte der Ermordungen sind hingegen auf das Basis der Aussagen aus den decem libri historiarum mit relativer Sicherheit festzulegen: Nach Gregor erlangt Chlodwig I. bei den Tötungen der drei Könige jeweils deren thesaurus und deren regnum.162 Auch die Akteure, die zuvor den ermordeten Königen Folge leisteten, leisteten nach den Tötungen Chlodwig I. Folge. Sicherlich ist aus den Aussagen des
156 Vgl. Geuenich, Alemannen: S. 85 f. 157 „Habebat autem in adiuturium suum filium Sygiberthi Claudi nomen Chlodericum.“ Greg. hist.: 2.37. 158 „Fuerunt autem supradicti regis propinqui huius; quorum frater Rignomeris nomen apud Cinomannis civitatem ex iusso Chlodovechi est interfectus.“ Greg. hist.: 2.42. 159 „Hic Sygiberthus pugnans contra Alamannos apud Tulbiacensim oppidum percussus in genuculum claudicabat.“ Greg. hist.: 2.37. 160 „Quem circumventum dolis coepit cum filio vinctusque totondit et Chararicum quidem presbiterum, filio vero eius diaconem ordinari iubet. Cumque Chararicus de humilitate sua conquireret et fleret, filius eius dixisse fertur: ‚In viridi‘, inquid, ‚lignum hae frondis succisae sunt nec omnino ariscunt, sed velociter emergent, ut crescere queant; utinam tam velociter qui haec fecit intereat!‘.“ Greg. hist.: 2.41. 161 Zur Debatte bis in die Mitte der 1990er Jahre überblickend Spencer, baptism of Clovis: S. 97–116. Weiterführend Shanzer, baptism of Clovis: S. 29–57. Auch Becher, Chlodwig I.: S. 174–177. 162 „Regnumque Sigyberthi acceptum cum thesauris, ipsos quoque suae ditioni adscivit. Prosternebat enim cotidiae Deus hostes eius sub manu ipsius et augebat regnum eius, eo quod ambularet recto corde coram eo et facerit quae placita erant in oculis eius.“ Greg. hist.: 2.40. Dazu: „Quibus mortuis, regnum eorum cum thesauris et populis adquesivit.“ Greg. hist.: 2.41. Auch: „Quibus mortuis, omnem regnum eorum et thesaurus Chlodovechus accepit.“ Greg. hist.: 2.42.
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Bischofs keine allgemein sozialverbindliche Verständnisweise dieser Worte und der Art des Wechsels von Folgeleistenden abzuleiten. Für das Wort regnum wurde dies bereits in Bezug auf die Erzählungen zu Syagrius gezeigt. Auch in den drei Fällen der ermordeten Könige ist nicht klar, was das Wort regnum genau umfasst. Offenbar sind nicht nur die Siedlungsgemeinschaften gemeint, denn sonst würde auf die Menschen nicht extra eingegangen. Somit können die von den Gemeinschaften bewohnten Gebiete gemeint sein. Doch würde dies bedeuten, dass in diesen Gebieten alle lokalen Güter und Ressourcen – beispielsweise das Ackerland – direkt an die Könige gebunden waren. Dies ist aber in Anbetracht der lex salica absurd. Es gab sehr wohl Besitz, der nicht direkt dem König gehörte.163 Wahrscheinlicher ist, dass der neue König ungehindert handlungsfähig gegenüber den Menschen in diesen Gebieten wurde. Aber wie seine Präsenz konsolidiert wurde, ist unklar. Die Angst vor dem König164 und dessen mythische Abstammung165 sind Erklärungsweisen, die zwar zutreffen könnten, jedoch sollte nicht übersehen werden, dass Chlodwig I. die toten Könige auch in der Offerierung von Erwerbschancen umgehend substituieren konnte, wenn ihm nur Folge geleistet wurde. Er deckte eine ökonomische Dimension der Siedlungsgemeinschaften ab, indem er für diejenigen, die im Kriegermodus plünderten, die Chancen darauf zumindest potentiell symbolisierte. So ist die ökonomische Sicherheit ein plausibles, auf soziale Interdependenz ausgerichtetes Erklärungsmodell, das neben den beiden anderen sehr wohl bestehen kann. In Bezug auf die Übernahme der thesauri ist festzuhalten, dass zu Geschenken166 durch Chlodwig I. nur sehr wenige Quellenaussagen gegeben sind. In diesem Fall kann er einige Akteure dazu bewegen, ihren König zu ermorden, wobei er falsches Gold verwendet.167 Gregors Chlodwig I. täuscht hier also vor, aus seinem thesaurus Gold abzugeben, um seine Ziele zu erreichen und findet dabei Akteure, die seinem Wunsch folgen. Potentiell ist ein umfangreicher Bestand an materiellen Gütern und Ressourcen also für das Organisieren von Folgeleistungen nutzbar. Hierbei muss ausdrücklich darauf verwiesen werden, dass es nicht um eine Art der Distribution in
163 Vgl. Drew, in: ed. Drew, Law: S. 45–51. 164 Vgl. Le Jan, Timor: S. 217 ff. 165 Fredeg.: 3.9. Für die Deutung dieser Stelle als einen Aspekt der Konstruktion der Legitimität merowingischer Könige Le Jan, Sakralität: S. 83–91. 166 Vgl. Bazelmans/Kehne/Ogris, Art. Geschenke: S. 466 ff. und zu Geschenken aus dem Schatz des Königs an die ihm Folgeleistenden Hardt, Gold: S. 235–249. 167 „Pro qua re Franci maxima indignatione tumibant. Unde factum est, ut, datis aureis sive armellis vel baltheis, Chlodovechus, sed totum adsimilatum auro – erat enim aereum deauratum sub dolo factum – haec dedit leudibus eius, ut super eum invitaretur. […] Quod cum rege dixissent, ille respondisse fertur: ‚Merito‘, inquid, ‚tale aurum accepit, qui domino suo ad mortem propria voluntate deducit‘; hoc illis quod viverent debere sufficere, ne male proditionem dominorum suorum luituri inter tormenta deficerent. Quod ille audientes, optabant gratiam adipisci, illud sibi adserentes sufficere, si vivere mererentur.“ Greg. hist.: 2.42.
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Sinne des Anwerbens von Söldnern geht. Kontinuierliche Zahlungen werden gar nicht genannt. Es geht um eine einmalige Gabe von Gold, wobei somit die Chance auf weiteren derartigen Erwerb nicht ausgeschlossen ist. Es fehlt allerdings eine stetige Form von Zahlungen oder Abgaben sowie deren normative Regelung. Von einem Sold168 ist insofern nicht zu sprechen. Erneut ist auf das mit dem Inhaber einer Königsposition verbundene ökonomische Potential für Akteure durch die sozioökonomische Praktik des Plünderns zu verweisen und auch Geschenke konnten durch den König gegeben werden. Dies konnte an sich jeder, der über umfangreiche materielle Güter und Ressourcen verfügte. Sicher ist aber, dass mit der Übernahme der thesauri der Ermordeten das Potential solcher Geschenke durch Chlodwig I. gestiegen war. Die enge Verbindung der militärischen und ökonomischen Mittel blieb also nach 476 bestehen. Chlodwig I. konnte seine Präsenz also auf mehrere Weisen im Nordgallien konsolidieren: Zum einen durch Kooperationen. Er kooperierte sowohl mit den lokal fixierten Bischöfen als auch mit den Königen als semimobilen Anführern der Siedlungsgemeinschaften an der Peripherie Galliens. Anfänglich ist demnach die Präsenz aller Peripheriekönige auf diese Weise konsolidiert worden. Zum zweiten die gewaltsame Aneignung von materiellen Gütern und Ressourcen aus den thresauri dieser Könige und des Syagrius. Zum dritten konnte König Chlodwig I. mit der Zeit weit mehr Folgeleistungen organisieren, da er die Chancen, durch die sozioökonomische Praktik des Plünderns im Kriegermodus erwerbend tätig werden zu können, auf seine Position vereinigte und persönlich symbolisierte. Daher ist die Konsolidierung der Präsenz Chlodwigs I. in Nordgallien mit der zweiten und der dritten Form des Warlordism zu beschreiben.
2.3.2 Die militärische Operation gegen einen König im südöstlichen Gallien: Plünderungen und Tribut Aus dem Geschlecht der „Gibichungen“169 stammten in den 490er Jahren zwei Könige.170 Die männlichen Familiemitglieder waren zumeist arianische Christen.171
168 Vgl. Bodmer, Krieger: S. 99. 169 Der Name „Gibichungen“ – der die burgundische Königsfamilie des 5. und 6. Jahrhunderts bezeichnet – geht auf den Namen des Stammahns Gibica zurück. Der Name tritt auch in den Formen Gibicha, Gibicho, Gibeche oder Gjuk auf. Überblickend Kaiser, Burgunder: S. 279. Zu dem Namen auch Leges burgundionum: c.3. 170 Vgl. Kaiser, Burgunder: S. 55. Zur Organisation des Strukturierungszusammenhanges Wood, Gibichungs: S. 243–269. Zu den Akteuren in Positionen des Strukturierungszusammenhanges Wood, governing class: S. 11–22. 171 Gundobad und Godegisel waren Arianer. Greg. hist.: 2.32. Zu den Quellen über die religiösen Bekenntnisse bei den Burgundern und zu den Annahmen über die Wechsel dieser Bekenntnisse Kaiser, Burgunder: S. 152–157 und Heil, Kirche: S. 47 ff.
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Aber auch katholische Christen waren Mitglieder der Familie.172 Um 500 waren Gundobad173 und Godegisel Könige. Sie waren mit Rikimer verwandt.174 Der Erstgenannte war bereits in den 470er Jahren aktiv und wurde von seinem Onkel Rikimer in die militärischen Operationen in Italien eingebunden.175 Nach dessen Tod agierte Gundobad weiterhin für das Zentrum der weströmischen Ordnung in Italien. Der König war mit den ihm Folgeleistenden an der Erhebung des Glycerius zum weströmischen Kaiser beteiligt.176 Es wird angenommen, er habe Titel der weströmischen Ordnung erhalten. Zeit- und zugleich ortsnahe Aussagen gibt es jedoch dazu nicht.177 Die Orientierung Gundobads auf Italien blieb nach der Absetzung des Romulus Augustulus bestehen. Er war in das Heirats- und Bündnissystem Theoderichs des Großen eingebunden.178 Gundobad war aber auch mit Chlodwig I. durch dessen Eheschließung mit Chrodechilde179 gegen Ende des 5. Jahrhunderts180 verwandt. Noch vor dem Sieg des ostgotischen Königs über Odoaker operierten Gundobad in den nördlichen Gebieten Italiens militärisch. In den zeit- und ortsnah Quellenaussagen steht aber weniger das Plündern, sondern der Menschenraub im Vordergrund.181 Die
172 So war Chrodechilde bereits Katholikin, als sie Chlodwig I. heiratete. Greg. hist.: 2.28 und 2.29. Der Sohn Gundobads wurde erst arianisch und dann katholisch getauft. Avit. ep.: 8. Dazu Heil, Kirche: S. 55 f. und Kaiser, Burgunder: S. 62 f. 173 Zu den Aktivitäten Gundobads vor der Operation Chlodwigs I. Anton, Art. Gundobad: S. 213–216. 174 Vgl. Anders, Ricimer: S. 438. 175 Vgl. MacGeorge, Warlords: S. 270 ff. 176 Vgl. Anders, Ricimer: S. 515. 177 Die Annahme, er sei magister militum per gallias zur Zeit des Anthemius gewesen, geht auf die ortsferne Chronik des Johannes Malalas zurück. Joh. mala. chron.: 14. Zur Annahme Henning, Periclitans: S. 93. Johannes Malalas – der zweite Name bedeutet übersetzt soviel wie Rhetor – wurde gegen Ende des 5. Jahrhunderts in Antiochia am Orontes in Syrien geboren. Vgl. Treadgold, Malalas: S. 715. Während der Zeit des oströmischen Kaisers Justinian I. zog er nach Konstantinopel. Vgl. Croke, Malalas: S. 6. Er unternahm Reisen und starb nach 570. Vgl. Treadgold, Malalas: S. 716 ff. und Croke, Malalas: S. 4. In Anbetracht der Quellenaussagen zur Diskursivität der Prozessdynamik ist der Annahme, Gundobad sei magister militum per gallias zur Zeit des Anthemius gewesen, nicht zuzustimmen, auch wenn in der vita lucipini erneut auf Informationen dazu rekurriert wird. Ortsfern, jedoch relativ zeitnah Vita Lucipini: 10. Tatsächlich wird der Titel bei Malalas nicht explizit genannt. Dass er den Titel patricius zur Zeit des Olybrius führte, ist dagegen plausibler: „Eo anno Gundobadus patricius factus est ab Olybrio imperatore.“ Fasti vind. prior.: 472. Dazu MacGeorge, Warlords: S. 271 f. Dies muss jedoch kein Indikator für das Fortbestehen einer strukturellen Position der weströmischen Ordnung sein. Ähnliche Titel wurden im Westen offenbar selbst noch König Chlodwig I. nach seinem Sieg gegen Alarich II. vom oströmischen Kaiser Anastasius I. verliehen. Greg. hist.: 2.38. 178 Vgl. Geuenich, Vormachtstellung: S. 161. 179 Greg. hist.: 2.28. 180 Die exakte Datierung ist nicht ganz sicher. Vgl. Becher, Chlodwig I.: S. 168 f. 181 Vita Epiphanii Ennodio: 147 und 156. Die Aussagen sind zeitnah verfasst. Der Autor Magnus Felix Ennodius war mit dem Protagonisten persönlich bekannt und dessen Nachfolger als der Bischof von Pavia (Ticinum). Zur Datierung der Entstehung der vita um 500 Vgl. MacGeorge, Warlords: S. 176 und Wood, Gibichungs: S. 253. In der vita wird in mehreren Passagen auf das Freikaufen von Menschen
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geographischen Grenzen des Gebiets, auf dessen Bevölkerung Gundobad und sein Bruder bezogen waren, sind für die Zeit um 500 nicht exakt zu bestimmten.182 Die Bestimmung ist auch schwierig, weil nur ein ungefährerer Zeitpunkt – um das Jahr 500 – hier interessieren muss, da um dieses Jahr die Aussagen zu den militärischen Operationen Chlodwigs I. in Südostgallien zu datieren sind.183 In den decem libri historiarum sind die meisten Aussagen zu den militärischen Operationen Chlodwigs I. in Südostgallien gegeben. König Godegisel, der in der civitas Genf (Genava) seine sedes hatte,184 ruft Chlodwig I. im Geheimen durch einen Boten herbei, nachdem er von dessen Siegen gehört hatte. Chlodwig I. soll gegen Gundobad, der seine sedes in Lyon hatte,185 vorgehen. Godegisel verspricht dafür einen Tribut. Diesen sollte Chlodwig I. selbst festlegen. Daraufhin, so erzählt Gregor weiter, bricht Chlodwig I. mit ihm Folgeleistenden nach Südosten auf.186 Als die Folgeleistenden Chlodwigs I. und der beiden Brüder am Fluss Oude zusammentreffen, geht Godegisel zu Chlodwig I. über. Gundobad wird geschlagen und flieht in das ummauerte Zentrum der civitas Avignon.187 Godegisel verspricht Chlodwig I. nun einen Teil seines regnum, damit er Gundobad belagert. Auf dieses Angebot geht Chlodwig I. erneut ein. Auch der Bischof Marius von Avenches-Lausanne verortet die Schlacht in der Nähe des Flusses, nennt aber den Namen Chlodwig I. nicht.188 Da seine Auf-
als Leistung des Bischofs erzählt. Dies ist nicht nur für diese vita gegeben. Vgl. Klingshirn, captivies: S. 184–187. Ausdrücklich erwähnt Ennodius, dass Gold an Gundobad gegeben wurde, um die ihm Folgeleistenden für die Freilassung der Gefangenen zu entschädigen. Vita Epiphanii Ennodio: 156 und 170. 182 Vgl. Kaiser, Burgunder: S. 40–57 und Wood, Gibichungs: S. 253 f. 183 Greg. hist.: 2.32 und 2.33. Mit einer Erwähnung, dass Gregor für das 20 Jahr Chlodwigs I. – also den Jahren um 500 – keine chronologische Angabe gibt Becher, Chlodwig I.: S. 20. Becher ist aber eindeutig für eine Datierung der Operation um 500. Dazu Becher, Chlodwig I.: S. 208. Für die Datierung um 500 mit Bezügen zu archäologisch erforschten Bandschichten in Genf Kaiser, Burgunder: S. 60 ff. und Ewig, Merowinger: S. 24. Für diese Datierung ist auch eine zeitferne Aufzeichnung aus der Chronik des Bischof Marius heranzuziehen. Er datiert die Folgeoperationen exakt auf das Jahr 500. Ortsnah, jedoch zeitfern Mar. aven. chron.: 500. 184 Zeitnah, jedoch ortsfern Vita Epiphanii Ennodio: 174. Zu dieser civitas als sedes Kaiser, Burgunder: S. 41–44. 185 Vgl. Wood, Gibichungs: S. 253. Dass Gundobad den größeren Teil des Gebiets kontrollieren konnte, ist erst in der zeitfernen passio sigismundi zu lesen. Diese Aussagen müssen daher nicht Rekurse auf Informationen zu dem Geschehen der hier interessierenden Zeit sein, sondern können auch erklärend für die Herbeirufung in den Text funktional eingefügt worden sein. Vgl. Kaiser, Burgunder: S. 61. 186 Greg. hist.: 2.32. 187 Greg. hist.: 2.32. 188 Zeitfern, jedoch ortsnah: „His consulibus pugna facta est Divione inter Francos et Burgundiones, Godegeselo hoc dolose contra fratrem suum Gundobaudum macenante. In eo proelio Godogeselus cum suis adversus fratrem suum cum Francis dimicavit et fugatum fratrem suum Gundobaudum regnum ipsius paulisper obtinuit et Gundobaudus Avinione latebram dedit.“ Mar. aven. chron.: 500.1.
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zeichnung jedoch wohl noch zeitferner ist als die Erzählung Gregors, ist hierin nicht unbedingt angezeigt, dass Gregors Protagonist nicht an der Operation teilnahm. Tatsächlich stimmen die Aufzeichnungen und die Erzählung sonst inhaltlich fast gänzlich überein189 und Marius schreibt auch nicht ausdrücklich, dass König Chlodwig I. nicht an der Operation teilnahm. König Godegisel war wie sein Bruder arianischer Christ.190 In Anbetracht der Erzählung Gregors über die Aversion Chlodwigs I. gegenüber arianischen Christen191 erscheint es widersprüchlich, dass die Kooperation mit einem solchen Chlodwig I. in diesem Fall nicht gestört haben soll. Zu beachten ist allerdings, dass Chlodwig I. in diesem Kapitel nicht einfach mit Godegisel kooperiert. Er reagiert auf Angebote. Zum einen auf das Angebot eines Tributs: Worin dieser aber ausgezahlt werden sollte – in Naturalien, in Edelmetallen oder anderen materiellen Gütern sowie Ressourcen192 – wird nicht erörtert.193 Zum anderen wird ein Teil des regnum versprochen. Chlodwig I. zieht mit den ihm Folgeleistenden vor das ummauerte Zentrum der civitas Avignon und belagerte es. Die Folgeleistenden plündern das Umland derweil.194 Das Zentrum kann nicht erstürmt werden. Es ist plausibel anzunehmen, dass die Plünderungen des Umlandes die Bewohner des ummauerten Zentrums dazu bewegen sollten, unter dem ökonomischen Druck die Tore zu öffnen.195 Diese Strategie wird als typisches Herangehen an die ummauerten Zentren im 5. und 6. Jahrhundert bei militärischen Operationen angesehen.196 Durch die Plünderungen wurde ein König in eine situationsbezogene Abhängigkeitsbeziehung gebracht: Gundobad musste Konzessionen machen.197 Erneut wurde ein Tribut vereinbart. Gerade deswegen ist erneut das Wort regnum zu diskutieren, da zu fragen ist, wie die Präsenz Chlodwigs I. durch den Abtritt eines Teils des regnum durch Godegisel hätte konsolidiert werden sollen, da eine solche situationsbezogene Abhängigkeit hier nicht gegeben war.
189 Für einem inhaltlichen Vergleich Mar. aven. chron.: 500.2 und Greg. hist.: 2.33. 190 Vgl. Kaiser, Burgunder: S. 152. 191 „Igitur Chlodovechus rex ait suis: ‚Valde molestum fero, quod hi Arriani partem teneant Galliarum. Eamus cum Dei adiutorium, et superatis redegamus terram in ditione nostra‘. Cumque placuisset omnibus hic sermo, conmoto exercitu, Pectavus dirigit.“ Greg. hist.: 2.37. Chlodwig I. war nach Gregor zu dieser Zeit schon zum katholischen Christen geworden. Greg. hist.: 2.31. Somit wird im vorliegenden Zusammenhang erneut die Diskrepanz zwischen dem Rekurs des Bischofs auf Informationen und ihrer literarischen Verarbeitung deutlich. 192 Überblickend Hardt, Gold: S. 187–196. 193 Greg. hist.: 2.32. 194 „Depopularis agros, prata depascis, vineas dissecas, olivita succidis omnesque regiones fructus evertis; interim et ille nocere nihil praevalis.“ Greg. hist.: 2.32. 195 Vgl. Becher, Chlodwig I.: S. 211 f. 196 Vgl. Halsall, Warfare: S. 215 ff. und Bodmer, Krieger: S. 116 ff. 197 Greg. hist.: 2.32.
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In den Passagen über die Ermordungen der Könige an der nordöstlichen Peripherie gewann Chlodwig I. jeweils die gesamten regna der Ermordeten,198 wobei in diesen Fällen davon auszugehen ist, dass das Wort regnum nicht allein die Menschen der Siedlungsgemeinschaften und auch nicht ausschließlich ein geographisches Gebiet meint. Das Wort regnum bleibt also in allen Fällen weitestgehend ein Abstraktum. Ein wichtiger Unterschied zum hier interessierenden Gebrauch von regnum kann über den analytischen Kontextes erschlossen werden: Die regna der ermordeten Peripheriekönige waren aller Wahrscheinlichkeit nach in je einer civitas strukturiert199 und des Wort fasst somit eine Synthese von Gebieten, Produktionsmitteln und im geographischen Raum lokal zu verortenden Akteuren. Im Südosten Galliens war dies nicht derart.200 Ein geographisch weit größerer Strukturierungszusammenhang war hier gegeben, der noch während der Erosion erzeugt wurde.201 Es ist plausibel, dass hier mit regnum eine Summe an civitates gemeint ist. Nicht allein die ummauerten Zentren, sondern auch agrarische Flächen202 und zusätzliche Produktionsmöglichkeiten wie fabricae und kleinere Handwerkerstätten,203 aber auch die örtliche Bevölkerung ist hier ebenfalls in einer Synthese zu denken. Hinzu kommt, dass somit auch die regional divergierenden Abgaben wohl übertragen hätten werden müssen.204 Auf der Basis dieser Annahme kann die Differenz zwischen Tribut und Abtritt formuliert werden: Der zuerst von Godegisel versprochene Tribut ist eine Art Abgabe von materiellen Gütern und/oder Ressourcen durch einen König an einen anderen auf der Grundlage lokaler und regionaler Produktion und des Abgabensystems, das er aus seiner Position als Erwerbsmittel für den abzugebenden Tribut verwenden kann.205 Der Abtritt eines Teils des regnum hingegen hätte die Konstellation zwischen den Anführern nicht ausgebildet. Chlodwig I. hätte dann auf die abgetretenen civitates mit ihren Gebieten und mit ihren Bevölkerungen zugreifen müssen, um eine Neustrukturierung vorzunehmen. Dies ist möglicherweise auch durch das Zurücklassen
198 Greg. hist.: 2.40; 2.41 und 2.42. 199 Dies ist in zwei Fällen sicher. Für Sigibert: „Cum autem Chlodovechus rex apud Parisius moraretur, misit clam ad filium Sigyberthi, dicens: Qua ille cupiditate seductus, patrem molitur occidere. Cumque ille egressus de Colonia civitate, transacto Rheno, per Buconiam silvam ambulare disponeret, meridiae in tenturia sua obdormiens, inmissis super eum filius percussoribus eum ibidem interfecit, tamquam regnum illius possessurus.“ Greg. hist.: 2.40. Für Ragnachar: „Erat autem tunc Ragnacharius rex apud Camaracum tam effrenis in luxoria, ut vix vel propinquis quidem parentibus indulgeret.“ Greg. hist.: 2.42. 200 Nach dem anonymen Geographen von Ravenna waren einige civitates im Südostgallien in den Strukturierungszusammenhang eingebunden. Dazu Kaiser, Burgunder: S. 55. Der Text ist aber wohl erst um 700 entstanden. Vgl. Englisch, Weltsicht: S. 162 f. 201 Vgl. Wood, Gibichungs: S. 249 ff. und Kaiser, Burgunder: S. 46–57. 202 Vgl. Ferdière, Lugdunensis: S. 140 ff. und S. 144–148. 203 Vgl. ebd.: S. 148 f. 204 Vgl. Goffart, Tides: S. 152 ff. 205 Dazu im Allgemeinen Hardt, Gold: S. 136–161.
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von Folgeleistenden versucht worden.206 Jedoch ist dies in keiner Weise sicher207 – das Versprechen Godegisels wurde nicht eingelöst. Mit der situationsbezogenen Abhängigkeit eines Königs von einem anderen war auch das Organisieren von Folgeleistungen tangiert. Gundobad war mit ihm Folgeleistenden und anderen Akteuren aus der Gemeinschaft von Avignon und möglicherweise auch aus anderen Orten in dem ummauerten Zentrum der civitas eingeschlossen. Das Plündern des Umlandes erzwang Konzessionen, denn seine Handlungsfähigkeit in den übrigen civitates in dem Strukturierungszusammenhang, in dem seine Position als König in Südostgallien eingebettet war, war umgehend negiert.208 Der Wechsel zwischen Plünderungen und Tributen ist bereits im Kapitel zu dem „hunnischen“ Sozialgefüge zur Zeit Attilas und seiner Vorgänger thematisiert worden. Eine derartige Konstellation kann auf der Grundlage des relativ geringen Aussagenbestandes zur militärischen Operation Chlodwigs I. nach Südostgallien selbstredend nicht attestiert werden. Unklar ist, worin der Tribut überhaupt bestanden hat. Das ökonomische Potential der civitates im Strukturierungszusammenhang Gundobads war mit Sicherheit nicht derart groß wie das der oströmischen Ordnung zur Zeit Attilas. Jedoch fällt auf, dass auch in den Aussagen zu dieser Operation auf Plünderungen ein Tribut folgt. Darin besteht eine Parallele. Eine weitere Parallele besteht darin, dass nicht klar wird, wie der Tribut verteilt worden ist. Chlodwig I. hat den Tribut einmal erhalten.209 Es ist anzunehmen, dass er damit seinen Schatz füllen konnte210 und den Tribut nicht direkt durch Distribution an die ihm Folgeleistenden abgegeben hat, da allein die geographische Verteilung der ihm Folgeleistenden dies erschwert haben dürfte. Geschenke konnten auf Grundlage des Tributs selbstredend umgehend verteilt worden sein, doch werden dabei kaum alle Akteure, die Chlodwig I. bereits zuvor Folge geleistet hatten, auch Geschenke erhalten haben. Dies ist anzunehmen, denn das ökonomische Potential des Strukturierungs-
206 Greg. hist.: 2.33. 207 Die einzige Formulierung in diesem Zusammenhang lautet: „Mitte potius legationem et tributum, quod tibi annis singulis dissolvat, inpone, ut et regio salva sit et tu tributa dissolventi perpetuo domineris.“ Greg. hist.: 2.32. 208 Die Aussagen zum Tribut, der von Gundobad an Chlodwig I. gegeben werden sollte und während der Belagerung ausgehandelt worden ist, zeigt die Notwendigkeit der Konzessionen. Gregor erzählt eine Figur namens Aridius, die als Unterhändler tätig war. Zuvor war die Figur aus dem Lager des belagerten Königs in das Lager Chlodwigs I. gewechselt. Es handelt sich dabei um eine List, um Chlodwig I. zum Abzug zu bewegen. Greg. hist.: 2.32. Zu der Figur des Aridius ist festzuhalten, dass angenommen wird, dass sie nicht aus dem Rekurs des Autors auf Informationen gestaltet worden ist, sondern eine reine Erzählfunktion besitzt. Dazu Becher, Chlodwig I.: S. 210. Weniger kritisch Kaiser, Burgunder: S. 61. 209 „Post haec resumptis viribus, iam dispiciens rege Chlodovecho tributa promissa dissolvere, contra Godigisilo fratrem suum exercitum conmovet eumque apud Viennam civitatem inclusum obsidit.“ Greg. hist.: 2.33. 210 Vgl. Hardt, Gold: S. 187–196.
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zusammenhangs in Südostgallien wird nach der militärischen Operation und den Plünderungen kaum für eine umfangreiche Abgabe ausgereicht haben. Erschwerend kommt hinzu, dass nicht klar ist, aus was genau der Tribut bestand. Selbst die volle Verteilung des Tributs konnte wohl kaum das Plündern als Erwerbspraktik substituieren. Eine Soldzahlung hätte auch auf diese Weise nicht eingerichtet werden können. Der Tribut ergab sich also situationsbezogen aus den Plünderungen und bedeutete entgegen dem Plündern wohl nur für Chlodwig I. oder einigen wenigen Akteuren einen Erwerb an materiellen Gütern und/oder Ressourcen. Nach dem Rückzug einiger Folgeleistenden und dem Zurücklassen von anderen in dem Gebiet konnte Gundobad seine Präsenz wieder konsolidieren211 und stellte den Tribut ein. Er griff seinen Bruder an und belagerte ihn in der civitas Vienne. Gundobad konnte in das ummauerte Zentrum eindringen und seinen Bruder töten lassen.212 Gundobad erließ nach dem Sieg die leges burgundionum213 und sandte die bei Godegisel in Vienne gefangenen Akteure, die Chlodwig I. dort zurückgelassen hatte, nach Toulouse zu König Alarich II.214 Dieser war wie Gundobad und Chlodwig I. in das Heirats- und Bündnissystem Theoderichs des Großen integriert215 und ebenfalls ein Gegner Chlodwigs I.
2.3.3 Die militärische Operation gegen König Alarich II. von Toulouse: Verbote von Plünderungen und dem Rauben von Menschen Der Aussagenbestand zur militärischen Operation Chlodwigs I. gegen König Alarich II., die nach der Schlacht bei Vouillé oder Voulon in Neustrukturierungen einiger civitates des Strukturierungszusammenhangs in Südwestgallien mündete, ist weit größer, als der zu den bisher behandelten Operationen. Aussagen aus einigen Briefen der variae sind in diesem Kontext zu untersuchen. Der Autor und Kompilator Cassiodor rekurrierte zeitnah, jedoch ortsfern auf Informationen zu Siegen im Vorfeld der Operation, die im Jahr 507 stattfand.216 Chlodwig I. hatte Alemannen besiegt
211 „Denique Franci, qui apud Godigiselo erant, in unam se turrem congregant. Gundobadus autem iussit, ne unus quidem ex ipsis aliquid noceretur; sed adpraehensus eos Tholosae in exilium ad Alaricum regem transmisit, interfectis senatoribus Burgundionibusque, qui Godigiselo consenserant. Ipse vero regionem omnem, quod nunc Burgundia dicitur, in suo dominio restauravit.“ Greg. hist.: 2.33. 212 Greg. hist.: 2.33. Dazu zeitferner, jedoch ortsnah und ohne Bezug auf die Erzählung der List, die Gregor als Begründung für das Eindringen gibt Mar. aven. chron.: 500.2. 213 Gundobad und sein Sohn Sigismund werden als die Auftragaber der leges burgundionum angesehen. Vgl. Wood, Gundobad and Sigismund: S. 377. Überblickend Buchner, Rechtsquellen: S. 10–12. 214 Greg. hist.: 2.33. 215 Vgl. Geuenich, Vormachtstellung: S. 161. 216 Zur Datierung Becher, Chlodwig I.: S. 227 und zum Ort der Schlacht, dem Campus Vogladensis, der früher mit Vouillé und heute mit Voulon identifiziert wird erneut Becher, Chlodwig I.: S. 229.
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und wurde von Theoderich dem Großen beglückwünscht, wobei Theoderich ihn zur Milde gegen die Überlebenden aufrief.217 Über Plünderungen ist in dem Brief jedoch nichts zu erfahren. Auch ist nicht klar, inwieweit und ob überhaupt versucht wurde, die Gebiete, in denen die Gemeinschaften siedelten, aus denen die Besiegten stammten, neu zu strukturieren. Zeitnahe Aussagen dazu fehlen.218 Ebenfalls ist nicht sicher, dass Chlodwig I. bereits vor der entscheidenden Operation gegen Alarich II. versuchte, civitates des Strukturierungszusammenhangs in Südwestgallien in seinen eigenen militärisch zu inkorporieren. Die Neustrukturierungen werden auf der Basis von orts- und zugleich zeitfernen Aufzeichnungen angenommen, können aber gerade daher nicht als sicher gelten.219 Theoderich der Große bemühte sich im Vorfeld darum, den Konflikt zwischen seinen beiden Verwandten zu deeskalieren. Daher ließ er an Alarich II.220 und Chlodwig I.221 Schreiben verfassen, versuchte König Gundobad als Vermittler zu gewinnen222 und bemühte sich dann um die Unterstützung von anderen Anführern in Gallien für Alarich II.223 Diese Texte umfassen jedoch keine Aussagen zu Plünderungen. Erst Gregor erzählt in den decem libri historiarum über ein Plünderungsverbot.224 Die Erzählung korrespondiert mit einem zu der Zeit Chlodwigs I. verfassten Erlass hinsichtlich des Handelns der ihm Folgeleistenden bei der militärischen Operation gegen Alarich II.225 Zudem umfassen auch einige hagiographische Texte
217 Ortsfern, jedoch zeitnah Cassiod. var.: 2.41. 218 Vgl. Geuenich, Alemannen: S. 86–92. Geuenich argumentiert bezüglich der fehlenden Quellen gänzlich gegen eine solche Neustrukturierung. 219 Auct. prosp. havn.: 496.1 und Auct. prosp. havn.: 498.1. Die Annahme, es handele sich bei den Aufzeichnungen um Indikatoren einer längeren Auseinandersetzung zwischen Alarich II. und Chlodwig I., ist nicht unkritisch zu betrachten. Vgl. Becher, Chlodwig I.: S. 204–217, bes. 215. In der Tat zeigen die Aufzeichnungen keine auf Plünderungen ausgelegten Operationen an. Vgl. Becher, Chlodwig I.: S. 207. Wenn die Passagen trotz der Zeit- und Ortsferne ihres Entstehens für eine Annahme verwendet werden sollen, dann dafür, dass das regnum Alarichs II. zumindest in Gallien kein in seiner Einheit gefestigter Strukturierungszusammenhang war: Einzelne civitates konnten aus diesem militärisch herausgelöst und inkorporiert werden. 220 Orts- und zeitnah Cassiod. var.: 3.1. Die Aussagen aus den variae sind in diesem Zusammenhang immer ortsfern, jedoch zeitnah. 221 Cassiod. var.: 3.4. 222 Cassiod. var.: 3.2. 223 Cassiod. var.: 3.3. 224 „Sed quoniam pars hostium per territurium Turonicum transiebat, pro reverentia beati Martini dedit edictum, ut nullus de regione illa aliud quam herbarum alimenta aquamque praesumeret.“ Greg. hist.: 2.37. Erneut: „Veniente autem rege apud Pictavus, dum eminus in tenturiis commoraret, pharus ignea, de basilica sancti Helari egressa, visa est ei tamquam super se advenire, scilicet ut, lumine beati confessoris adiutus Helarii, liberius hereticas acies, contra quas saepe idem sacerdos pro fide conflixerat, debellaret. Contestatus est autem omni exercitu, ut nec ibi quidem aut in via aliquem expoliarent aut res cuiusquam direperent.“ Greg. hist.: 2.37. 225 Chlodowici regis ad episcopos epistula (MGH capit. 1, Nr. 1: S 1–2).
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Aussagen zur militärischen Operation, deren jeweilige Datierungen jedoch genauso wie ihre Entstehungsorte aktuell umstritten sind.226 Auf eine dieser Viten rekurriert Gregor ausdrücklich.227 Gregor konzipiert im 37. Kapitel des zweiten Buches der decem libri historiarum seine Chlodwigfigur als den Befreier Galliens von den arianischen Christen. Tatsächlich wird plausibel angenommen, dass Alarich II. und die westgotische Bevölkerung zum Großteil arianische Christen waren.228 Über das religiöse Bekenntnis anderer, nichtrömischer Bevölkerungsteile im Strukturierungszusammenhang Alarichs II. sind kaum Aussagen vorhanden. Die gallorömische Bevölkerung war hauptsächlich katholisch.229 Die Problematik, die aufgrund der differenten Bekenntnisse am Ende des 5. und zu Beginn des 6. Jahrhunderts in Gallien bestand, führte dazu, dass der arianische Könige Gundobad nach dem Abzug Chlodwigs I. sein Bekenntnis zu wechseln suchte230 und seinen Sohn gemäß des katholischen Bekenntnisses taufen lies.231 Daher geriet der Bischof Caesarius von Arles in Bedrängnis. Er wurde von Alarich II. beschuldigt, das Bistum und die civitas Arles an die Könige des südöstlich gelegenen Strukturierungszusammenhangs übergeben zu wollen.232 Die Erzählung stammt aus der Vita des Bischofs, die zeitnah nach dessen Tod von Autoren verfasst wurde, die ihn persönlich kannten und mit ihm im klerikalen sowie wohl auch administrativen Bereich in Arles gearbeitet hatten.233 Zuvor soll Alarich II. Caesarius noch geehrt und einen Abgabenerlass für die Kirche von Arles verfügt haben.234 Caesarius wurde nach Bordeaux verbannt, konnte aber noch vor dem Beginn der militärischen Operation von 507 nach Arles zurückkehren235 und die Synode von Agde236 einberufen. Eine weitere Synode der Bischöfe im gallischen Teil des Strukturierungszusammenhangs
226 Vgl. Heinzelmann, Clovis: S. 87–112. 227 „Erat in his diebus vir laudabilis sanctitatis Maxentius abba, reclausus in monastyrio suo ob Dei timore infra terminum Pictavensim. […] Multasque et alias virtutes operatus est, quas si quis diligenter inquiret, librum Vitae illius legens cuncta repperiet.“ Greg. hist.: 2.37. Die von Gregor verwendete vita maxentius ist heute verloren. Nur jüngere Versionen sind vorhanden. Vgl. Wood, Clovis: S. 250 f. 228 Vgl. Schäferdiek, Kirche: S. 8–67. Für die militärische Operation im Südosten hat Gregor dieses Motiv noch nicht gebraucht. Greg. hist.: 2.32. 229 Vgl. Wolfram, Goten 2001: S. 234–241. 230 Greg. hist.: 2.34. Dazu erneut mit einem Fokus auf die Korrespondenz zwischen Gundobad und dem Bischof Avitus von Vienne Kaiser, Burgunder: S. 154 ff. Dazu Heil, Kirche: S. 15 ff. 231 Orts- und zeitnah Avit. ep.: 8. Zur Interpretation Heil, Kirche: S. 57 ff. In diesem Zusammenhang wird von Heil auch auf den ebenfalls ort- und zeitnahen Brief Avit. ep.: 29. verwiesen. 232 Ortsnah und relativ zeitnah Vita Caesarii: 1.21. Die Aussagen aus der vita sind in diesem Kontext immer orts- und relativ zeitnah. 233 Vgl. Klingshirn, in: ed. Klingshirn, Caesarius of Arles: S. 1 ff. 234 Vita Caesarii: 1.20. 235 Vita Caesarii: 1.24. 236 Vgl. Klingshirn, Community: S. 97.
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Alarichs II., die bereits geplant war, konnte nicht mehr stattfinden.237 Die militärische Operation König Chlodwigs I. verhinderte sie.238 Es kann insgesamt als weitgehend sicher bezeichnet werden, dass zur Zeit Chlodwigs I. eine mehr oder minder offene Problemstellung für arianischgläubige Könige wegen der katholischen Bevölkerungsteile in Gallien bestand. Auf Informationen dazu rekurrieren die Autoren der Vita des Heiligen Caesarius, wie auch er selbst zeitnah in einem Brief und später Gregor.239 Zeitnah wird diese Problemstellung auch in einem Brief des Sidonius Apollinaris fassbar.240 Insofern ist das Motiv der Chlodwigfigur bei Gregor nicht als reine Funktion der weiteren Erzählung der militärischen Operation gegen Alarich II. anzusehen, in dem Gregor auch über das Plünderungsverbot erzählt. Er erzählt genauer, dass Chlodwig I. die Operation gegen Alarich II. in Richtung der civitas Poitiers beginnt. Auf den Weg dorthin kommt ein größerer Teil der ihm Folgeleistenden durch das Gebiet von Tours, der civitas, in der Gregor der Bischof war, als er die decem libri historiarum und seine anderen Texte verfasste. Chlodwig I. verfügt hier einen Erlass (edictum): Nur Heu als Futtermittel sowie Wasser dürfen für die Tiere genommen werden und sonst nichts.241 Ein Folgeleistender, der bei einem armen Mann in der Annahme, nichts Unrechtes zu tun, Heu geplünderte hat, wird aber von Chlodwig I. mit dem Tod bestraft.242 Die Begründung hierfür ist nicht etwa das Übertreten des erlassenen Gebots, sondern, dass nicht auf den Sieg zu hoffen
237 Orts- und zeitnah Caes. arelat. ep.: 3. Für seine Datierung auf 506 Klingshirn, in: ed. Klingshirn, Caesarius of Arles: S. 82. Über das Leben des Caesarius sind in der zeitnah verfasste Heiligenvita einige Aussagen geben. Er wurde um 470 geboren und trat jung in die Abtei Lerins ein, zog danach nach Arles, wo er Diakon, Presbyter und Abt wurde. 502 wurde er zum Bischof von Arles erhoben. Vgl. Daly, Caesarius of Arles: S. 5 und Klingshirn, Community: S. 72 ff. Sein Vorgänger war der Bischof Aeonius von Arles. Er starb entweder 501 oder 502. Arelate war zu dieser Zeit in den Strukturierungszusammenhang von Toulouse inkorporiert. Vgl. Klingshirn, Community: S. 84–94. Er starb 542. Vgl. Klingshirn, Community: S. 260. Das überlieferte Textkorpus des Caesarius ist als relativ umfangreich zu bezeichnen. Neben den wenigen Briefen aus seiner Korrespondenz sind vor allem seine Predigten für die vorliegende Untersuchung von Wert, da er in diesen Texten auch auf Informationen zum Geschehen seiner Zeit unter dem nicht zu verkennenden Bezug auf katholische Deutungsmuster rekurriert. Zu den Predigten Ferreiro, Caesarius of Arles: S. 5–15. 238 Vgl. Becher, Chlodwig I.: S. 227. 239 In einer Passage aus den decem libri historiarum wird die Figur des Bischof Quintianus von Rhodez in eine andere civitates vertrieben. Selbstredend ist diese Passage jedoch zeitfern verfasst worden. Greg. hist.: 2.36. 240 Sidon. ep.: 7.6. 241 „Sed quoniam pars hostium per territurium Turonicum transiebat, pro reverentia beati Martini dedit edictum, ut nullus de regione illa aliud quam herbarum alimenta aquamque praesumeret.“ Greg. hist.: 2.37. 242 „Quidam autem de exercitu, inventum cuiusdam pauperis faenum, ait: ‚Nonne rex herbam tantum praesumi mandavit, nihil aliud? Et hoc,‘ inquid, ‚herba est. Non enim erimus transgressores praecepti eius, si eam praesumimus‘. Cumque vim faciens pauperi faenum vertute tulisset, factum pervenit ad regem. Quem dicto citius gladio peremptum, […].“ Greg. hist.: 2.37.
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sei, wenn der heilige Martin erzürnt wird.243 Danach wird in Tours nicht mehr geplündert.244 Bei der Interpretation der Erzählpassage kann die Einbettung der Handlung in die lokale Situation in Tours nicht unbeachtet beleiben. Chlodwigs I. Sorge ist nach dem Verbot des Plünderns und dessen Übertretung nicht etwa darauf bezogen, dass sein Gebot übertreten worden ist, sondern auf den Zorn des heiligen Martin, der als ein Grund für einen möglichen Fehlschlag deutlich gemacht wird. Der Rekurs des Bischofs auf Informationen zu den religiösen Konflikten zwischen den verschiedenen Bekenntnisgruppen zu Beginn des Kapitels wird hier in eine Konstruktion überführt, die Chlodwig I. nicht nur als Verehrer des Heiligen von Tours, sondern noch weiter als eine Figur zeigt, die den Zorn des Heiligen als Gefahr für seine Vorhaben erkennt und somit diesem unterlegen erscheint. Die literarische Verarbeitung von Informationen wird also in eine Erzählkonstruktion überführt, bei der der Rekurs des Autors nicht nachzuvollziehen wäre, wenn nicht zusätzlich ein Schreiben aus der Zeit Chlodwigs I. ebenfalls Aussagen zu dieser militärischen Operation umfassen würde.245 Gregor lässt seinen Chlodwig I. das Verbot noch einmal wiederholen, als er in die Nähe von Poitiers zur Kirche des heiligen Hilarius zieht. Plünderungen werden auch hier untersagt und das Verbot wird dabei auf alle übrigen civitates ausgedehnt.246 Die Parallele der Figurenkonstellation zu der Erzählung über die Rückgabe des Kruges nach den Plünderungen der Kirchen im Norden Galliens ist nicht zu übersehen. Hier ist die Konstellation jedoch nicht auf die Reihe Bischof-König-Krieger, sondern vielmehr auf die Reihe König-Krieger-Heiliger bezogen. Der König gibt einen Erlass gegenüber den ihm Folgeleistenden und verbietet das Plündern. Das Verbot wird offenbar weitgehend akzeptiert, genauso wie der Wunsch des Königs nach dem Krug auf die Bitte des Bischofs weitgehend akzeptiert wird. Erneut reagiert der König wie bei der Abweisung seines Wunsches auch bei der Übertretung des Gebotes mit der Tötung des betreffenden Akteurs. In beiden Fällen ist der König aber in seinem Handeln bedingt. Wenn im 27. Kapitel der König ein Mittel des Bischofs zur Widererlangung des Kruges ist, ist er im 37. Kapitel ebenso nicht der Souverän, sondern er verbietet, weil er für sein Vorhaben die Unterstützung des Heiligen gewinnen will. Da es sich um die Figur Gregors handelt, kann hier selbstredend nicht das Motiv des Menschen Chlodwig I. erschlossen werden. Klar ist zudem, dass Gregor seinen Chlod-
243 „Cumque vim faciens pauperi faenum vertute tulisset, factum pervenit ad regem. Quem dicto citius gladio peremptum, ait: ‚Et ubi erit spes victuriae, si beato Martino offendimus? ‘.“ Greg. hist.: 2.37. 244 „Satisque fuit exercitui nihil ulterius ab ac regione praesumere.“ Greg. hist.: 2.37. 245 Vgl. Becher, Chlodwig I.: S. 224 ff. 246 „Veniente autem rege apud Pictavus, dum eminus in tenturiis commoraret, pharus ignea, de basilica sancti Helari egressa, visa est ei tamquam super se advenire, scilicet ut, lumine beati confessoris adiutus Helarii, liberius hereticas acies, contra quas saepe idem sacerdos pro fide conflixerat, debellaret. Contestatus est autem omni exercitu, ut nec ibi quidem aut in via aliquem expoliarent aut res cuiusquam direperent.“ Greg. hist.: 2.37.
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wig I. erneut als Mittel der Durchsetzung katholisch-kirchlicher Akteure – und ein Heiliger agiert auch nach seinem Tod247 – stilisiert. Anders formuliert: Im zweiten Fall geht es offenbar um das Bewahren der materiellen Güter und Ressourcen der Kirche von Tours. Festzuhalten ist, dass das Plündern gerade wegen des zweifachen Verbots als eine normale Erwerbspraktik erscheint. Dies kann für die Zeit des Autors als sicher bezeichnet werden. Dass dies auch für den Beginn des 6. Jahrhunderts gilt, kann zum einen durch den sehr wahrscheinlichen Rekurs Gregors begründet werden. Zum anderen kann dies zusätzlich aus den analytischen Kontexten dieses und des vorherigen Kapitels erschlossen werden: Während der Erosion war das Plündern als Erwerbspraktik von materiellen Gütern und Ressourcen nicht nur für das Organisieren von Folgeleistungen relevant, denn materielle Güter und Ressourcen waren genau wie die einem Anführer Folge leistenden Akteure und soziale Beziehungen Mittel zu Neustrukturierungen in der diskursiven Prozessdynamik, die auch nach der Aufhebung der weströmischen Kaiserposition in ihrer Diskursivität weiterhin in Gallien verlief. Dies verdeutlichen auch die Aussagen aus dem Brief Chlodwigs I. an die Bischöfe in Südwestgallien. In dem Text geht es jedoch primär nicht um das Plündern, sondern um den Raub von Menschen. In dem Brief, der vor der Operation gegen Alarich II. verfasst worden ist,248 versichert Chlodwig I., dass es den ihm Folgeleistende verboten ist, Kleriker und Klerikerinnen sowie die Abhängigen der Kirchen zu rauben. Auch Laien können mit einem bischöflichen Schreiben aus der Gefangenschaft befreit werden,249 wenn solche während der militärischen Operation geraubt werden. Auch sollen Kleriker und Klerikerinnen sowie Laien befreit werden, wenn sie in Friedenszeiten geraubt werden. Die zu schildernden Umstände müssen aber insgesamt stets wahr sein und in den Briefen der Bischöfe bestätigt werden.250 Wie schon in der Erzählung Gregors ist das Verbot direkt mit den Kirchen verbunden. Die Bistümer der Bischöfe, die strukturell mit den civitates verbunden waren,251 werden in beiden Fällen ökonomisch geschont, wobei in den decem libri historiarum nicht etwa die Bischöfe, sondern zwei Mal Heilige im Vordergrund stehen.252 Trotzdem liegen in beiden Fällen Aussagen zu den ökonomischen Potentialen der Bistümer im Fokus. So wie das Plündern die civitates und somit auch die Bistümer ökonomisch schädigen konnte, konnte der Menschenraub zu langfristigen Verlusten der öko-
247 Vgl. Prinz, Heilige: S. 257 ff. 248 Vgl. Becher, Chlodwig I.: S. 227. 249 Zur Verbreitung solchen Vorgehens Klingshirn, Captives: S. 184 ff. 250 Chlodowici regis ad episcopos epistula (MGH capit. 1, Nr. 1: S 1–2). 251 Zum Prozess der beginnenden strukturellen Verflechtung als Resultat sozialer Interaktion von Akteuren in strukturellen Positionen und herausragenden Akteuren in den civitates sowie den Inhabern der Bischofspositionen im 5. Jahrhundert überblickend Baumgart, Bischofsherrschaft: S. 96 ff. 252 Greg. hist.: 2.37.
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nomischen Potentiale führen: Mit dem Plündern wurden den Bewohnern die lokal produzierten sowie gelagerten materiellen Güter und Ressourcen entzogen und weit reichende Probleme wie Hungersnöte erzeugt.253 Mit dem Menschenraub wurden die Produktion von Gütern und der Abbau von Ressourcen zumindest zum Teil reduziert, da Arbeitskräfte fehlten. Für Gregor sind Heilige direkt mit den Kirchen verbunden. Sie „gehören“ den Heiligen.254 In dem Brief an die Bischöfe werden die Heiligen, die die Chlodwigfigur Gregors mit seinen Verboten zu gewinnen versucht, nicht erwähnt. Die Bischöfe werden offenbar auch als weltliche Akteure angesprochen. Sicher ist, dass ihnen als Inhaber von lokal fixierten, strukturellen Positionen Handlungskompetenzen optional waren. Es geht also um die Bischöfe als Administratoren. Bezeichnungen anderer Positionsinhaber, welche solche Kompetenzen aufgrund ihrer Positionen gehabt haben könnten – der Titel comes ist als ein Beispiel anzuführen, da er in den Aussagen zu der Zeit vor Chlodwig I. in Gallien verbreitet erwähnt worden ist – werden nicht genannt. Die Bischöfe werden exklusiv angeschrieben und haben gegenüber möglichen anderen Inhabern von Positionen mit lokal verankerten Administrationskompetenzen eine Vorrangstellung. Dass in dem Strukturierungszusammenhang von Toulouse solche Positionen vorhanden waren, kann als sicher aufgefasst werden.255 Dass solche bereits vor den Operationen Eurichs dort vorhanden waren, ist ebenfalls sicher.256 Auch wenn Eurich die unbesetzten Bischofsstühle nicht besetzen lies,257 werden solche lokale vorhandenen Positionen sicherlich nicht umgehend irrelevant geworden sein. Zwar bemühte sich König Alarich II. um einen Konsens mit den Bischöfen im gallischen Teil des Strukturierungszusammenhangs, doch ist mit dem Schreiben Chlodwigs I. ein offenbarer Wandel zu fassen, der sich in der förmlichen Umkehr der Kooperationsweisen von den Inhabern weltlicher Positionen mit administrativen Kompetenzen hin zu den Bischöfen in ähnlichen Positionen ausdrückt. In beiden Texten sind also ökonomische Aspekte durchaus nachzuvollziehen, wobei die Praktik des Plünderns von der Praktik des Menschenraubs auf der Deutungsebene zu trennen ist. Dafür sprechen folgende Argumente: Beide Praktiken sind in den Quellen zwar zum Teil parallel erwähnt, aber dies nicht in jedem Fall. An den Quellenaussagen, die im ersten Kapitel untersucht wurden, lässt sich dies leicht verdeutlichen. Die „Hunnen“ haben sehr wohl zugleich Menschen geraubt sowie geplün-
253 Auch Nahrung wurde durch Plünderungen erworben. Vgl. Bodmer, Krieger: S. 84. Ein Effekt des intensiven Erwerbs von Nahrung durch Plünderungen war der Hunger der ausgeplünderten Bevölkerungsteile. 254 Genau für diesen Aussagenzusammenhang Becher, Chlodwig I.: S. 227. 255 Vgl. Wolfram, Goten 2001: S. 217 ff. 256 Beispielsweise die strukturelle Position des Seronatus. Sidon. ep.: 2.1. Dazu Teitler, Gaul: S. 317. 257 Sidon. ep.: 7.6. Zu den Beziehungen Alarichs II. mit den Kirchen Schäferdiek, Kirche: S. 32–55.
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dert258 und auch auf der Iberischen Halbinsel wurden beide Praktiken zugleich betrieben.259 Das gilt auch für Italien260 und Gallien.261 In den ersten beiden Kontexten sind allerdings auch Aussagen von zeit- und ortsnahen Autoren vorhanden, die ausschließlich Phänomene und Informationen zum Plündern verarbeitet haben.262 Das gilt auch für die Quellenaussagen zu Gallien nach dem Tod des Aegidius263 und zu den Operationen Eurichs.264 Es gibt zusätzlich aber auch Quellenaussagen,265 die nur das Rauben von Menschen erwähnen.266 Die Praktiken sind also auf der Deutungsebene nicht in einen untrennbaren Zusammenhang zu setzen. Das zweite Argument ist mit den Erwerbobjekten festzumachen: Während das Plündern auf den Erwerb von Dingen gerichtet ist, ist der Raub von Menschen eben auf Menschen ausgerichtet. Zwar können beide Erwerbsobjektgruppen als eine Art der Beute267 beschrieben werden, doch kann die Differenz sachlich nicht vereint werden. Sie mag auf den
258 Zeit- und zum Teil ortsnahe Beispiele Frgt. 1a Dindorf; Müller V p.24 = Prisk. Frgt. 5 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 229); Theophanes Chron. A. m. 5942 = Prisk. Frgt. 9.4 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 241) und Exc. de Leg. Rom. 3 = Prisk. Frgt. 11.2 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 279). 259 Zusammenfassend orts- und zeitnah Hyd. chron.: 165 (172); 167 (174); 179 (186); 196 (201); 225 (229) und 237 (241). 260 Zusammenfassend orts- und zeitnah Vita Epiphanii Ennodio: 97; 99 und 116. 261 Orts- und zeitnah Sidon. ep.: 3.9. Auch Vita Caesarii: 1.32 und 1.33. 262 Ortsnah, jedoch zeitfern Exc. de Leg. Gent. 1 = Prisk. Frgt. 6.1 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 231) und Jordanes get. 42.219–24 = Prisk. Frgt. 22.1 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 313). Dazu zusammenfassend zeitnah, jedoch ortsfern Hyd. chron.: 161 (168); 164 (171); 172 (179); 181 (188); 183 (190); 188 (193); 215 (219); 240 (246) und 244 (250). 263 Hyd. chron.: 224 (228). 264 Zu den Plünderungen in Clermont orts- und zeitnah Sidon. ep.: 3.2; 3.4; 3.7; 5.7; 5.12; 6.6; 6.10; 7.1 und 7.5. Überblickend Harries, Sidonius: S. 222–238. 265 Zusammenfassend die Briefe des Faustus von Riez und des Victorinus von Fréjus an Ruricius von Limoges. Vgl. Mathisen, in: ed. Mathisen, Ruricius of Limoges: S. 101–105 und S. 201–213. Dazu Ruric. ep.: 2.8. Die Aussagen zum Leben des Ruricius sind von geringer Zahl. Eine Geburt um 440 wird als wahrscheinlich angenommen. Vgl. Mathisen, in: ed. Mathisen Ruricius of Limoges: S. 19. Ähnliches gilt für die soziale Herkunft des Ruricius. Zwar wird über die Namen seines Bruders und seines Sohnes eine Abstammung von den Anicii und den Pontii-Leontii konstruiert, doch ist dies nicht evident. Sein Todesjahr ist ebenfalls nicht genau zu eruieren. Vgl. Mathisen, in: ed. Mathisen, Ruricius of Limoges: S. 12 ff. Als der Bischof von Limoges und wohl schon auch davor war Ruricius Briefpartner einiger gallischer Bischöfe und anderer Akteure in Gallien. Die civitas Limoges (Lemovicum) war bis 507 in den durch Eurich neu geschaffenen Strukturierungszusammenhang von Toulouse integriert. Vgl. Schäferdiek, Kirche: S. 57 f. 82 Briefe der Korrespondenz sind erhalten. In Bezug auf einige wenige Briefe wird Zweifel geäußert. Vgl. Mathisen, Family Ties: S. 108. Das Korpus wurde als irrelevant bezeichnet, da die Briefe kaum literarische Verarbeitungen von als wichtig aufgefassten Informationen umfassen. Vgl. Bradley, Ruricius: S. 268 f. Dem ist jedoch nicht zuzustimmen. Vgl. Mathisen, in: ed. Mathisen, Ruricius of Limoges: S. 3. 266 Zusammenfassend aus der Vita des heiligen Epiphanius zeitnah, jedoch ortsfern Vita Epiphanii Ennodio: 141; 147; 156; 157; 159; 161; 163; 170; 171; 172; 174 und 176. Zusammenfassend aus der Vita des heiligen Caesarius Vita Caesarii: 1.37; 1.38; 1.44; 1.45; 2.08; 2.23 und 2.24. 267 Vgl. Capelle und Wenskus, Art. Beute: S. 328 ff. und Bodmer, Krieger: S. 83–88.
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ersten Blick banal erscheinen, doch zeigt gerade die Möglichkeit des Zusammenführens der offenbar unterschiedlichen Erwerbsobjekte unter einem Terminus – nämlich dem der Beute – dass diese Differenz zu betonen ist, da sonst die Gefahr einer Vereinheitlichung unter einem Terminus den ansonsten unplausiblen Rückschluss erlaubt, es sei nur eine Praktik, die zum Erwerb von Beute angewandt werden konnte. Die Quellen zeigen, dass dies nicht möglich ist. Der Raub war im Übrigen nicht die einzige Art des Umgangs mit Menschen während militärischer Operationen. Bevölkerungsteile konnten schlicht ermordet werden268 oder nach der Gefangenschaft den gewaltsamen Tod finden.269 Wenn es zum Raub von Menschen bei einer Operation kam, war die Befreiung der Gefangenen eine Aufgabe der Bischöfe. Insofern ist der Brief Chlodwigs I. an die Bischöfe im südwestlichen Gallien eine Adaption an vorhandene Sozialpraktiken und somit sind die Aussagen nicht nur Indikatoren für eine förmliche Umkehr der Kooperationsweisen. Nach dem Tod Alarichs II.270 in der Schlacht war die militärische Operation jedoch nicht beendet. Gundobad und Theoderich der Große griffen militärisch im Süden und Westen Galliens ein. Gundobad operierte militärisch an der Seite Chlodwigs I.271 gegen einige der civitates, die zuvor in den Strukturierungszusammenhang von Toulouse inkorporiert waren.272 Die Zahl der Quellenaussagen dazu ist nicht umfangreich. Die vita eptadii – ein hagiographischer Text, dessen Datierung zwischen dem 6. und das 8. Jahrhundert diskutiert wird273 – beinhaltet Aussagen zum Raub von Menschen durch die Folgeleistenden des Gundobad.274 Die zeitnäher verfasste vita caesarii enthält Passagen über die Belagerung von Arles. Die Belagerer werden als burgundisch und fränkisch bezeichnet. Sie wird von Folgeleistenden des Theoderich aufgehoben.275 Auch Jordanes erwähnt Entsetzung von Arles:276 Menschen wurden geraubt und später von Caesarius freigekauft.277 In das ummauerte Zentrum der civitas konnte nicht eingedrungen werden.278 Das Umland wurde allerdings geplündert.279
268 Orts- und zum Teil auch zeitnah Exc. de Leg. Gent. 1 = Prisk. Frgt. 6.1 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 231) und Jordanes get. 42.219–24 = Prisk. Frgt. 22.1 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 313). Dazu orts- und zeitnah Hyd. chron.: 178 (185). 269 Orts- und relativ zeitnah Vita Genovevae: 26. 270 Greg. hist.: 2.37. 271 Vgl. Becher, Chlodwig I.: S. 230. 272 Vgl. Kaiser, Burgunder: S. 65 f. 273 Für eine Datierung der Entstehung in das 8. Jahrhundert Herlihy, Generation: S. 356. Für eine Datierung der Entstehung auf das 6. Jahrhundert Becher, Chlodwig I.: S. 164. 274 Ortsnah, jedoch von der Zeitnähe unklar Vita Eptadii: 8. 275 Vita Caesarii: 1.28 und 1.34. 276 Relativ zeitnah, jedoch ortsfern Iord. get.: 58.302. 277 Vita Caesarii: 1.32. 278 Vita Caesarii: 1.34. 279 Vita Caesarii: 1.28. Dazu zeitnah, jedoch ortsfern Cassiod. chron.: 1349 und ortsnah, jedoch zeitfern Mar. aven. chron.: 509.
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Theoderich hatte angewiesen, notwendige Güter und Ressourcen aus Italien per Schiff nach Marseille zu bringen und den ihm Folgeleistenden zur Verfügung zu stellen: Gebiete, durch die sie zogen und in denen sie kämpften, sollten nicht ausgeplündert werden.280 Diese und andere Quellenaussagen zur Organisation der militärischen Operation wurden orts- und zeitnah verfasst. Die Zusendung von Nahrungsbeständen und der Erlass zum Kauf von Gütern und Ressourcen281 hatten eindeutig einen substituierenden Effekt auf das Plündern als Erwerbspraktik von materiellen Gütern und Ressourcen. Es ist anhand der Aussagen zu diesen Maßnahmen plausibel, dass hier bereits im Sinne der angestrebten Neustrukturierungen vorgegangen wurde.282 Der Versuch findet seine Fortsetzung in den Quellen zu einem Abgabenerlass für die civitas Arles283 und tatsächlich konnte die Präsenz Theoderichs des Großen in Südgallien konsolidiert werden. Der König gewann das Gebiet Provence bis zur Durance.284 In einem weiteren Schritt der Konsolidierung wurde in Arles die gallische Präfektur wieder eingerichtet.285 Caesarius von Arles musste allerdings erneut in das Exil gehen. Diesmal wurde er nach Ravenna gerufen.286 Dies kann auch mit den zeit- und ortsnahen Quellen zu seiner Kooperation mit Gundobad und Sigismund begründet werden:287 Er hatte sich weiterhin für die Befreiung der Gefangenen eingesetzt288 und dabei mit den beiden Königen kooperiert, wobei Caesarius deren Nahrungszusendungen annahm. Die Intervention aus Italien führte abseits Südgalliens nicht zu weiteren Konflikten.289 Vielmehr wurden nun auf der Iberischen Halbinsel operiert.290 Zu den Neustrukturierungen im Südwesten Galliens nach der Niederlage
280 Cassiod. var.: 3.41. 281 Orts- und zeitnah Cassiod. var.: 3.42 und 5.10. In dem zweiten Brief wird eine von einem saio angeführte gepidische Gemeinschaft dazu aufgefordert, wie der Großteil der Akteure während der militärischen Operation nicht zu plündern, sondern per Kauf das Notwendige zu erwerben. Der erste Brief bezieht sich im Allgemeinen darauf, dass gekauft und nicht geplündert werden soll. Dazu ist Geld durch den König bereitgestellt worden. 282 Vgl. Bodmer, Krieger: S. 97–99. Zu weiteren Maßnahmen überblickend Ausbüttel, Theoderich: S. 121–123. 283 Orts- und zeitnah Cassiod. var.: 3.32. Arles erhielt auch Geldzahlungen zur Reparatur der Mauern und der Türme. Orts- und zeitnah Cassiod. var.: 3.44. Insgesamt wurden für die Bewohner der gallischen Gebiete, die Theoderich der Große neu strukturieren konnte, Abgaben erlassen. Orts- und zeitnah Cassiod. var.: 3.40. 284 Vgl. Wolfram, Goten 2001: S. 311. 285 Cassiod. var.: 3.16; 3.17 und 8.6. 286 Vita Caesarii: 1.36. 287 Vita Caesarii: 2.09. 288 Dies auch nach seiner Rückkehr aus Ravenna. Vita Caesarii: 1.43; 1.44; 1.45; 2.39; und 2.42. Dazu Klingshirn, Captives: 189 ff. 289 Vgl. Becher, Chlodwig I.: S. 232 f. 290 Zwar wurde kein neuer Strukturierungszusammenhang dort geschaffen, da ein solcher schon vor dem Jahr 507 dort bestand, aber ein neuer Inhaber der Königsposition wurde eingesetzt. Zu den Konflikten zwischen Gesalech, dem Sohn König Alarichs II. mit einer Konkubine, und Theoderich
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bei Arles erzählt Gregor, dass Theuderich, der Sohn Chlodwigs I. aus seiner Verbindung vor der Ehe mit Chrodechilde,291 von seinem Vater in mehrere der südwestlichen civitates entsandt wurde.292 Chlodwig I. selbst blieb den Winter über in Bordeaux, während der thesaurus des erschlagenen Königs in Toulouse an Chlodwig I. ging. Im Jahr darauf operiert Chlodwig I. gegen die civitas Angoulême (Ecolisma),293 die nördlich von Bordeaux zu lokalisieren ist.294 Der König konnte also auch die civitates des gallischen Teils des Strukturierungszusammenhangs nicht einfach zur Gänze übernehmen. Zumindest gegen einige civitates musste nach Gregor gesondert militärisch operiert werden. Jedoch fehlen genauere, zeitnähere Aussagen. Es kann aber anhand der Quellenlage festgehalten werden, dass auf den Sieg Chlodwigs I. gegen Alarich II. Niederlagen gegen die Folgeleistenden Theoderichs des Großen folgten. Von einem vollkommenen Sieg Chlodwigs I. ist demnach auch unter Berücksichtigung der Erzählung zur Übersendung von Würdengeschenken an den König durch Kaiser Anastasius I. während seines Aufenthalts in Tours295 nach 507 nicht auszugehen.
2.4 Chlodwigs I. Taufe Die Taufe Chlodwigs I. ist ein viel diskutiertes Thema. Ein Grund dafür ist, dass der Quellenbestand zur Taufe nicht umfangreich ist.296 Auch ihre Datierung ist umstritten.297 Dieser Aspekt der Diskussion wird hier allerdings nicht vertieft. Vielmehr wird es nach einem kurzen Überblick über die wichtigsten Quellen darum gehen, welche Deutung die Aussagen zur Taufe für die Beantwortung der Frage nach der Konsolidierung der Präsenz Chlodwigs I. als Aspekt der Neustrukturierungen in Gallien bis zu seinem Tod im Jahr 511 zulassen. Die Leitfrage wird dabei zusätzlich berücksichtigt.
dem Großen Wolfram, Goten 2001: S. 309. Theoderich setzte sich durch, positionierte seinen Enkel Amalarich als König auf der Iberischen Halbinsel und hielt über ihn die Vormundschaft. 291 Zu König Theuderich I. Springer, Art. Theuderich I.: S. 459–463. 292 Greg. hist.: 2.37. 293 „Regnavit autem Alaricus annos 22. Chlodovechus vero apud Burdigalinsi urbe hiemem agens, cunctos thesauros Alarici a Tholosa auferens, Ecolisnam venit. Cui tantam Dominus gratiam tribuit, ut in eius contemplatione muri sponte corruerent. Tunc, exclusis Gothis, urbem suo dominio subiugavit.“ Greg. hist.: 2.37. 294 Vgl. Ewig, Merowinger: S. 27. 295 Greg. hist.: 2.38. Dazu mit einem kurzen Überblick zur Literatur Castritius, Tag von Tours: S. 115 ff. 296 Zum Aussagenbestand Dierkens, Taufe: S. 183–191 und Rouche, Taufe: S. 192–199. 297 Dazu Shanzer, Baptism of Clovis: S. 29–57 sowie Spencer, Baptism of Clovis: S. 97–116 und Becher, Chlodwig I.: S. 179–203.
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2.4.1 Differente Rekurse: Die Erzählung des Gregor von Tours und zwei Briefe Zwar sind die Quellen zur Taufe König Chlodwigs I. nicht in einem Kontext mit Quellenaussagen zu Plünderungen überliefert, jedoch mit Aussagen zu militärischen Operationen. Drei Rekurse auf Informationen zur Taufe wurden bisher herausgearbeitet: Zum einen der Rekurs auf Informationen aus der Chrodechilde-Tradition298 und zum anderen aus der Martin-Tradition.299 Auf die erste ist in den decem libri historiarum rekurriert worden.300 Erstaunlicherweise ist die zweite nicht bei Gregor, sondern in einem Brief des Bischofs Nicetius von Trier gegeben. Der Brief, der um 560 verfasst worden ist,301 ist an Chlodoswinde, eine Enkelin Chlodwigs I., gerichtet.302 Der dritte Rekurs umfasst Informationen zu Remigius von Reims. Gregor rekurrierte auch auf diese.303 Ein Brief, der zeitnah von dem Bischof Avitus von Vienne aus dem Anlass der Taufe an Chlodwig I. gesandt worden ist,304 ist als Quelle für die hier interessierende Frage nicht brauchbar. In dem Brief fehlt ein Rekurs auf Informationen aus den genannten Traditionen, weil der Autor sie noch nicht kennen konnte.305 Die mit Quellenaussagen zu einer militärischen Operation verbundene Erzählung über das Taufversprechen Chlodwigs I. während einer Schlacht gegen Alemannen, die ebenfalls bei Gregor vorzufinden sind,306 wird als ein Rekurs Gregors auf die Erzählung der christlichen Vision Konstantins des Großen vor der Schlacht an der Milvischen Brücke aufgefasst:307 Er gestaltete sie bei seiner literarischen Verarbeitung und brachte sie mit den Informationen zum Vorfeld der Taufe Chlodwigs I. auf diese Weise in Verbindung. Tatsächlich ist ein derartiges Vorgehen auch an einer anderen Stelle in den Kapiteln zu Chlodwig I. festzustellen: Gregor erzählt, dass eine Hirschkuh Chlodwig I. bei starken Regenfällen den Weg für die Überquerung des Vienneflusses bei seiner Operation gegen Alarich II. zeigt, nachdem der König darum gebetet hat.308
298 Mit Verweis auf ältere Literatur zu dieser Tradition Becher, Chlodwig I.: S. 176. 299 Vgl. ebd.: S. 186–190. 300 Greg. hist.: 2.29; 2.30 und 2.31. 301 Vgl. Becher, Chlodwig I.: S. 176. 302 Ep. austr.: 8. 303 Greg. hist.: 2.31. 304 Avit. ep.: 46. 305 Vgl. Daly, Clovis: 637–641. 306 Greg. hist.: 2.30. 307 Festzuhalten ist, dass Chlodwig I. von Gregor an einer anderen Stelle in seiner Erzählung zu dessen Taufe „neuer Konstantin“ genannt wird: „Procedit novos Constantinus ad lavacrum, deleturus leprae veteris morbum sordentesque maculas gestas antiquitus recenti latice deleturus.“ Greg. hist.: 2.31. Zur Erzählung über die Vision Konstantins des Großen Eus. Vita Constantini: 1.27–1.32. Dazu Becher, Chlodwig I.: S. 183–185. 308 „Intumuerat enim ab inundationem pluviarum. Cumque illa nocte Dominum depraecatus fuisset, ut ei vadum quo transire possit dignaretur ostendere, mane facto cerva mirae magnitudinis ante eos nuto Dei flumine ingreditur, illaque vadante, populus quo transire possit agnovit.“ Greg. hist.: 2.37.
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Die Passage ist eine Variation der Erzählung über das erste Auftreten der „Hunnen“, bei der ebenfalls eine Hirschkuh den Weg über einen Fluss weist.309 Natürlich sind hier Unterschiede gegeben und die Feststellung der Parallele lässt nicht den Schluss zu, Gregor habe hier auf eine für ihn als „hunnisch“ zu verstehende Erscheinungserzählung rekurriert, denn es ist völlig unklar, ob er die Erzählung als eine solche identifizierte. Der Rekurs kann sich auch auf eine allgemein verbreitete Wundertradition beziehen. Auch in diesem Fall aber ist plausibel zu verdeutlichen, dass Gregor bei seiner Erzählung über das Taufversprechen während der Schlacht mit Alemannen auf Informationen rekurrierte. Leider weist der Gesamtbestand der Quellen einige sehr deutliche und kaum aufzulösende Unklarheiten auf. Diese betreffen die Zahl der Operationen gegen Alemannen,310 was die Datierung zusätzlich erschwert.311 Allerdings wird die von Gregor erzählte Kritik Chlodwigs I. am Christentum seiner Gattin Chrodechilde direkt in die Erzählung über das Taufversprechen während einer Alemannenschlacht überführt, so dass diese Erzählung als auslösendes Moment der Bekehrung des Protagonisten angelegt wird.312 In Anbetracht des Rekurses auf die Erzählung der Vision an der Milvischen Brücke bleibt unklar, inwieweit hier von Fiktion zu sprechen ist. Hinzu kommt, dass neben seiner Gattin bereits eine Schwester des Königs den christlichen Glauben angenommen hatte. Sie war allerdings Arianerin.313 Der König kannte das Christentum also nicht nur durch die Vermittlung Chrodechildes.314 Auch ist nicht unbedingt nachvollziehbar, warum die Chlodwigfigur, deren Gattin erst im Geheimen den Bischof von Reims zur Taufe ruft, für dieses Verhalten nicht in der Art kritisiert wird, wie die Figur des Gundobad, die ähnlich handelt.315 Letztlich ist noch zu betonen, dass Gregor die Entscheidung der Chlodwigfigur nicht etwa von ihrer Gattin oder dem Bischof, sondern von den ihr Folge leistenden Akteuren abhängig
309 Orts- und zeitfern: „Mox quoque Scythica terra ignotis apparuit, cerva disparuit. Quod, credo, spiritus illi unde progeniem trahunt ad Scytharum invidiam egerunt. Illi vero, qui præter Mæotidem alium mundum esse penitus ignorabant, admiratione ducti terræ Scythicæ et, ut sunt sollertes, iter illud nulli antea ætati notissimum divinitus sibi ostensum rati, ad suos redeunt, rei gestum edocent, Scythiam laudant, persuasaque gente sua, via quam cerva indice didicerant ad Scythiam properant, et quantoscunque prius in ingressu Scytharum obvios habuerunt, litavere Victoriæ, reliquos perdomitos subegerunt.“ Jordanes get. 24.123–26 = Prisk. Frgt. 1 (ed. Blockley, Historians Bd. II: S. 223–225). 310 Ortsfern, jedoch zeitnah Cassiod. var.: 2.41. Dazu Geuenich, Alemannen: S. 85 f. 311 Vgl. Geuenich, Taufe: S. 430. 312 Greg. hist.: 2.30. 313 „Conversa est enim et alia soror eius Lantechildis nomen, quae in haeresim Arrianorum dilapsa fuerat, quae confessa aequalem Filium Patri et Spiritum sanctum, crismata est.“ Greg. hist.: 2.31. 314 Tatsächlich besteht die Annahme, dass Chlodwig I. möglicherweise erst den arianischen und dann den katholischen Glauben angenommen hat. Vertreter der Annahme sind Ian Wood und Friedrich Prinz. Dazu zusammenfassend Geary, Merowinger: S. 91 f. und Becher, Chlodwig I.: S. 175. 315 Greg. hist.: 2.34.
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macht.316 Somit sind alle drei Traditionen, auf welche die Autoren rekurrieren konnten, bereits mit dem reinen Lesen des 31. Kapitels des zweiten Buches der decem libri historiarum um einen zusätzlichen Aspekt zu erweitern. Diese Unklarheiten gilt es im Anschluss zu beachten.
2.4.2 Die Konsolidierung der Präsenz Chlodwigs I. und die Entstehung eines geographisch weiten Strukturierungszusammenhangs Gleich zu Beginn soll betont werden, dass die Konsolidierung ein Aspekt der Neustrukturierungen ist. Insofern tangiert die Frage nach ihr das Organisieren von Folgeleistungen. Chlodwig I. wurde mit anderen Königen nach dem Sieg gegen Syagrius im Zentrum Galliens präsent. Zur Zeit seines Todes war ein geographisch weitläufiger Strukturierungszusammenhang entstanden, der nicht allein mit der Präsenz Chlodwigs I. verbunden gedacht werden kann: Aus seiner persönlichen Präsenz wurde in dem Prozess ihrer Konsolidierung ein Strukturierungszusammenhang, der – wenn auch nur in parzellierter Form – auf seine Söhne übertragen worden ist.317 Strukturierungszusammenhänge waren in Gallien schon vor der ersten militärischen Operation König Chlodwigs I. vorhanden. Während für den Norden die Annahme einer Kooperation differenter Lokaladministratoren weltlicher Art am plausibelsten ist, waren in Südgallien geographisch sehr weite Strukturierungszusammenhänge gegeben, die aus strukturellen Elementen während der Erosion neu strukturiert wurden. Während der Neustrukturierungen konnten Chlodwig I. und seine Koalitionspartner auf das militärische Mittel zurückgreifen, das schon vor den 480er Jahren dafür relevant war: Folgeleistungen von Akteuren aus den peripheren Siedlungsgemeinschaften wurden organisiert. Mit Kriegergemeinschaften war der Strukturierungszusammenhang von Toulouse stark erweitert worden. Auch der in Südostgallien wurde mit Kriegergemeinschaften ausgedehnt. Chlodwig I. kooperierte bei der Operation gegen Syagrius mit mehreren Königen. Dies gilt auch für die militärische Operation gegen Alarich II. Hier kooperierte Chlodwig I. mit Gundobad. Insofern ist an dieser Stelle betonend festzuhalten, dass Chlodwig I. aus der Perspektive des als Historikers der jüngeren Vergangenheit tätigen Bischofs Gregor zwar herausragend erzählt wird. Doch zeigen die vielen Aussagen zu den Kooperationen Chlodwigs I. mit anderen Königen, dass dies in der Traditions-
316 „At ille ait: ‚Libenter te, sanctissime pater, audiebam; sed restat unum, quod populus qui me sequitur, non patitur relinquere deus suos; sed vado et loquor eis iuxta verbum tuum‘. Conveniens autem cum suis, priusquam ille loqueretur, praecurrente potentia Dei, omnes populus pariter adclamavit: ‚Mortalis deus abigimus, pie rex, et Deum quem Remegius praedicat inmortalem sequi parati sumus‘.“ Greg. hist.: 2.31. 317 Vgl. Ewig, Teilungen: S. 114 ff.
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form, auf die Gregor rekurrierte, nicht derart war: Chlodwig I. war lange Zeit einer von vielen Königen. Erst nach seinem Tod wurde erkennbar, was seine Handlungen bewirkt hatten. Doch selbst dies war nicht in ganz Gallien gleich wahrgenommen worden. Tatsächlich nennt Marius von Avenches den Namen Chlodwig I. nicht, wenn er über die militärischen Operationen gegen Gundobad schreibt318 und dies gilt auch für den oder die Autoren der gallischen Chronik von 511. Bei ihren Aufzeichnungen zu dem Tod Alarichs II. wird der Name Chlodwig nicht genannt.319 Auch Prokop nennt ihn nicht.320 Die Operation gegen Syagrius führte nicht zur Übernahme eines geographisch weiten Strukturierungszusammenhangs: Es gab einen solchen dort nicht. Dagegen war im Südwestgallien zwar ein geographisch sehr weitläufiger Strukturierungszusammenhang vorhanden, der sich bis auf die Iberische Halbinsel erstreckte. Doch übernahm Chlodwig I. den gallischen Teil des Strukturierungszusammenhangs auch nicht einfach, indem er einen anderen Anführer in der zentralen strukturellen Position ersetzte. Der gallische Teil des Strukturierungszusammenhanges von Toulouse war nach dem Tod Alarichs II. offenbar in seiner Einheit umgehend nicht mehr gegeben. Einzelne civitates mussten von Chlodwig I. und seinem Sohn Theuderich aufgesucht werden. Insofern ähneln sich die Aussagen zu den militärischen Operationen im Norden zu denen in Südwesten. Es ging genauso um Neustrukturierungen der älteren strukturellen Elemente. Die Konsolidierung der Präsenz ist ein Aspekt von diesen. Schließlich konnte Chlodwig I. in dem weiten geographischen Raum nicht an jedem Ort zugleich sein. Bei geographisch nicht derartig weit ausgedehnten Strukturierungszusammenhängen war dies offenbar leichter zu vollziehen.321 Nach der Ermordung der Könige an der Peripherie Galliens symbolisierte Chlodwig I. in seiner Position wahrscheinlich ökonomisches Potential für Akteure aus den dortigen Siedlungsgemeinschaften
318 Zeitfern, jedoch relative ortsnah: „His consulibus pugna facta est Divione inter Francos et Burgundiones, Godegeselo hoc dolose contra fratrem suum Gundobaudum macenante. In eo proelio Godogeselus cum suis adversus fratrem suum cum Francis dimicavit et fugatum fratrem suum Gundobaudum regnum ipsius paulisper obtinuit et Gundobaudus Avinione latebram dedit.“ Mar. aven. chron.: 500.1. Auch: „Eo anno Gundobaudus resumptis viribus Vienam cum exercitu circumdedit captaque civitate, fratrem suum interfecit pluresque seniors hac Burgundiones qui cum ipso senserant multisquaesitis tormentis morte damnavit regnumque quem perdiderat cum id quod Godegeselus habuerat receptum usque in diem mortis suae feliciter gubernavit.“ Mar. aven. chron.: 500.2. Über die Kämpfe bei den militärischen Operationen mit Alarich II. schreibt er nichts. 319 Zeit- und ortsnah: „Occisus Alaricus rex Gothorum a Francis.“ Gall. chron. 511: 86 (688) und: „Tholosa a Francis et Burgundionibus incensa et Barcinona a Gundefade „rege“ Burgundionum capta et Geseleycus rex cum maxima suorum clade ad Ispanias regressus est.“ Gall. chron. 511: 87 (689, 690–1). 320 Relativ zeitnah, jedoch ortsfern Prok. B.G.: 1.12. 321 So gab es bei einer militärischen Operation gegen eine thüringische Siedlungsgemeinschaft keine weiteren Probleme. Greg. hist.: 2.27. Kritisch Grahn-Hoek, Thüringerreich?: S. 53 ff. Weniger kritisch Kälble, Thüringen: S. 336 und Bachrach, Organisation: S. 5 f.
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und konnte Folgeleistungen von Akteuren im Kriegermodus auf diese Weise organisieren. Hierbei war also mit ihm in seiner Position bereits ein Primäraspekt der Konsolidierung seiner Präsenz an der Peripherie gegeben und weitere Maßnahmen waren daher wohl gar nicht mehr nötig. Die Ermordung seiner Verwandten hatte aber andere Konsequenzen für die Konsolidierung der Präsenz im Zentrum Galliens: Offenbar kooperierte Chlodwig I. mit den Peripheriekönigen nicht nur bei militärischen Operationen. Er hatte in ihnen auch Kooperationspartner, die bei der Konsolidierung in Zentralgallien mitwirkten. Die Aussagen zur Ermordung Rignomers bei Le Mans indizieren dies.322 Mit Sicherheit waren die Peripheriekönige für die Neustrukturierungen wichtig, indem sie militärische Mittel zur Verfügung hatten und diese auch einsetzten. Mit ihrer Ermordung wurde aber der Fokus von den Peripheriekönigen als eine Gruppe von Anführern, die in Gallien ihre Präsenz zu konsolidieren versuchten, nun auf nur einen Akteur, nämlich Chlodwig I. in seiner Königsposition, verschoben. Diejenigen Akteure, die in nordgallischen civitates lokal administrative und militärische Handlungskompetenzen hatten und diese auf der weltlichen Ebene ausübten, wurden von Chlodwig I. und den zu dieser Zeit noch lebenden Kooperationspartnern offenbar genauso wenig berücksichtigt, wie die Administratoren des südwestgallischen Teils des Strukturierungszusammenhanges von Toulouse später. Für den Norden muss wie auch für den Südwesten angenommen werden, dass diese Akteure auch ein Aspekt waren, der die Konsolidierung der Präsenz erst aller Frankenkönige und dann der alleinigen Präsenz Chlodwigs I. erschwerte. Es ist anhand der Quellenaussagen zu der Zeit zwischen 482 und 511 festzuhalten, dass Chlodwig I. nicht auf Akteure in weltlichen Positionen mit administrativen und militärischen Handlungskompetenzen bei der Konsolidierung seiner Präsenz zurückgriff. Anders sieht es mit den Folgeleistenden aus: Es ist sehr wohl annehmbar, dass Chlodwig I. auch für Akteure aus dem Norden und dem Südwesten Galliens Erwerbschancen symbolisierte und auf diese Weise weitere Folgelistungen organisieren konnte.323 Nach Gregor sind die Akteure, die König Chlodwig I. Folge leisteten, für seine Entscheidung zum katholischen Christentum überzutreten letztlich die entscheidende Instanz. Er ist als Inhaber der Königsposition also hierbei ganz und gar nicht frei und auch nicht derjenige, der die ihm Folgeleistenden dazu bewegt, die Taufe ebenfalls anzunehmen. Vielmehr sind es die Folgeleistenden, die Chlodwig I. die Konversion gestatteten und sich dabei wohl eher teilweise als allesamt entscheiden,324 ebenfalls zum katholischen Glauben überzutreten.325 Die Folgeleistenden waren also nicht nur als militärisches Mittel im Vorfeld der Taufe wichtig. Sie
322 Greg. hist.: 2.42. 323 Vgl. Bodmer, Krieger: S. 76 f. 324 Vgl. Bachrach, Organisation: S. 9. 325 „De exercito vero eius baptizati sunt amplius tria milia.“ Greg. hist.: 2.31.
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waren nach Gregor entscheidend für die Taufe, die Chlodwig I. erst nach ihrer Zustimmung realisiert. Chlodwig I. kooperierte bereits vor seinem Übertritt zum katholischen Christentum mit den Bischöfen und wurde auch dazu angehalten.326 Die Annahme, die Taufe sei vollzogen worden, weil Chlodwig I. damit eine Intensivierung seiner Beziehungen zu den Bischöfen in Gallien erwirkte,327 ist durchaus plausibel. Die Bischöfe waren lokal fixiert, jeweils auf eine civitas bezogen und die von ihnen verwalteten Gemeinschaften waren durch das Plündern als eine Erwerbspraktik von Akteuren in ihrer ökonomischen Prosperität und somit letztlich sogar in ihrem Bestehen bedroht. Chlodwig I. brauchte diese Akteure aber, deren sozioökonomische Praktik auf einem Grad an Mobilität beruhte, der relativ zu dem der rein agrarisch produzierenden Akteure sicherlich höher war. Die Intensivierungsannahme greift dahingehend zu kurz, dass sie die Folgeleistenden als militärisches Mittel nicht tangiert, das Chlodwig I. beispielsweise noch für die Operation nach Südwesten brauchte. Beide Aspekte – die Kooperation mit den lokal fixierten Bischöfen mit administrativen Kompetenzen und die Folge leistenden Akteure, die bei den militärischen Operationen Chlodwigs I. plündern konnten – müssen aber beachtet werden, denn in der Taufe und dem darauf Erzählten kulminieren beide Aspekte: Chlodwig I. nimmt mit vielen der ihm Folgeleistenden die Religion der sesshaften Administratoren an und eine militärische Operation gegen einen arianischen König erfolgt, in dessen Strukturierungszusammenhang ebenfalls Administratorenpositionen mit hohen katholischen Würden lokal vorhanden waren. Die Annahme, dass das katholische Christentum die Religion der primär Sesshaften in Gallien gewesen ist, greift mit Sicherheit zu kurz. Doch hatte der katholische Glaube in Gallien bereits lokal viele Zentren ausgeprägt,328 die sozioökonomisch und strukturell die civitates-Gemeinschaften durchwirkten. Die Kirchen besaßen beispielsweise Landgüter in den Gebieten der civitates. Die Bischöfe hatten sie nicht nur sozioökonomisch zu stabilisieren, da sie an dem Bestehen der Gemeinschaften interessiert sein mussten, sondern primär, damit der katholische Glaube in Gallien in den vielen lokalen civitates-Gemeinschaften erhalten blieb, die aus der strukturellen Einheit der weströmischen Ordnung erodiert waren. Daher kann schlüssig formuliert werden, dass katholischer Glaube und Sesshaftigkeit in einem starken Maße korrelierten, auch wenn mobile und semimobile Akteure, wie zum Beispiel Händler, sehr wohl katholisch sein konnten,329 während auch primär sesshafte Akteure Arianer oder Heiden waren.330 Für die Konsolidierung
326 Ep. austr.: 2 und Greg. hist.: 2.27. 327 Vgl. Becher, Chlodwig I.: S. 245 f. 328 Überblickend Baumgart, Bischofsherrschaft: S. 9–17. 329 Vgl. Henning, Handel: S. 789–794. 330 Zu primär sesshaften Arianern Kaiser, Burgunder: S. 134–143 und zu primär sesshaften Heiden Nonn, Franken: S. 114–132.
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der Präsenz Chlodwigs I. in Gallien hat diese Beobachtung eine wichtige Implikation: Mit der Taufe wurden zum einen Aspekte mobilen und zum anderen sesshaften Wirtschaftens als Grundlage des sozialen Lebens in Gallien und an dessen Peripherie verbunden. Chlodwig I. befand sich nach der Taufe in seiner Position zwischen den Folgeleistenden im Kriegermodus, die er als Mittel für die militärischen Operationen benötigte und den Inhabern der Bischofspositionen, die ebenfalls für die Konsolidierung seiner Präsenz notwendig waren, da die Bischöfe eben in vielen kleineren und größeren lokalen civitates-Gemeinschaften fixiert administrativ tätig waren und im Sinne ihrer Religion agierten. Der katholische Glaube war das Medium einer integrativen Kooperation: Die Bischöfe und König Chlodwig I. konnten ganz praktisch kooperieren, wobei der König seine Präsenz geographisch fixierte, da die Bischöfe als Kooperationspartner Vermittler des katholischen Glaubens und zugleich Administratoren sesshaften Lebens und Wirtschaftens waren. An den Aussagen der Quellenautoren sind erste Konturen des neuen Strukturierungszusammenhangs in seinem Werden nachvollziehbar. Mit dem Konzil von Orléans im Jahr 511 ist er bereits deutlich konturiert, da Chlodwig I. in seiner Position als König versuchte, auf die Investitur derjenigen, die eine Bischofsposition erhalten sollten, einzuwirken. Dies gelang ihm auch.331 Somit war die Präsenz Chlodwigs I. konsolidiert, was sich in der Handlungsfähigkeit seiner Person in der Position gegenüber den Bischofspositionen ausdrückt. Nach seinem Tod war aber nicht mehr die Person Chlodwigs I., sondern das Innehaben der Position eines katholischen Königs in seiner Konstellation zu den Bischöfen relevant. Nicht mehr die Person sondern der Strukturierungszusammenhang war somit präsent. In dieser funktionalen Konstellation ist er indiziert. Letztlich bleibt festzuhalten, dass dieser Strukturierungszusammenhang von Beginn an als ein Paradoxon angelegt und im Todesjahr Chlodwigs I. nicht fertig war. Die Folgeleistenden und die Bischöfe waren in ihm zusammengeführt worden. Doch konnte den Bischöfen an der Fortführung des Plünderns aus zweierlei Gründen nicht gelegen sein: Zum einen waren die sesshaften Gemeinschaften von den Akteuren im Kriegermodus wegen dieser Praktik ganz offenbar bedroht. Zum anderen konnte das Plündern von ihnen aus der religiösen Perspektive nicht geduldet werden.332 Hinzu kommt, dass die Positionen der Bischöfe und des Königs in dem neuen Strukturierungszusammenhang zu strukturellen Positionen mit funktionalen Konstellationen geworden waren. Die Folge leistenden Akteure hatten solche Positionen jedoch zu dieser Zeit nicht. An dieser Stelle zeigt sich, dass die Präzision des Kriegerseins auf der Deutungsebene eine analytische Flexibilität bei der Untersuchung befördert hat und auch folgende Beobachtung zu formulieren hilft: Die Bezeichnung Kriegerbauer zerfällt in zwei Modi ökonomischer Praktiken und diese sind auf einzelne Akteure
331 Vgl. Pontal, Synoden: S. 23–34. 332 Dazu ein Verweis auf das siebte Gebot des Dekalogs. Vgl. Levin, Alte Testament: S. 66–69.
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und deren sozioökonomische Praktiken, nicht auf eine Art normativer Determination ihrer sozialen Interaktion zurückzuführen. Erst mit dem katholischen Handlungsnormen ist das Plündern als Praktik negativ zu bewerten und abzulehnen. Das aber ändert nichts daran, dass die Krieger – analytisch formuliert: Akteure, welche in einem optionalen sozioökonomischen Modus des Erwerbs von materiellen Gütern und Ressourcen sind – von Anfang an in den Strukturierungszusammenhang inkorporiert waren, da die Akteure im Kriegermodus in ihrer Summe als Kriegergemeinschaften ein militärisches Mittel waren, das die Präsenz König Chlodwigs I. zu konsolidieren half. Die Inhaber der Bischofspositionen konnten deren Handlungsweisen jedoch aus den genannten Gründen weder gut heißen, noch konnte ihnen am Befördern des Plünderns gelegen sein. Das grundlegende Paradoxon war nur aufzulösen, wenn der Strukturierungszusammenhang, den es ausmachte, nicht mehr gegeben war. Dies führte Problemstellungen für die erste Generation nach König Chlodwig I. mit sich.
2.5 Aussagen zu der ersten Generation nach Chlodwig I. bis 536/7 Nachdem Chlodwig I. 511 verstorben war, wurde der in Gallien neu entstandene Strukturierungszusammenhang parzelliert und die civitates unter seinen vier Söhnen aufgeteilt.333 Sie waren nun alle gleichzeitig Könige in Gallien. König Theuderich I., der älteste Sohn Chlodwigs I., den er mit einer Konkubine gezeugt hatte,334 war zu diesem Zeitpunkt bereits Vater eines Sohnes namens Theudebert.335 Die drei weiteren Söhne mit Namen Childebert I., Chlodomer und Chlothar I. entstammten alle der Ehe mit Chrodechilde.336 In den Quellen sind demnach neue und alte Aspekte nach-
333 Tatsächlich wurden die Gebiete der civitates, die zur Zeit des Todes Chlodwigs I. in den Strukturierungszusammenhang inkorporiert waren, nicht in vier gleich großen Blöcken unter seinen Söhnen geteilt. Vgl. Ewig, Teilungen: S. 114–128. Kritisch dazu, jedoch die Parzellierung nicht tangierend Widdowson, Partitions: S. 3–5. Zur Bedeutung der civitates für die Parzellierung: „Wenn drei alte Römerprovinzen an Theuderich, eine geschlossen an Childebert fiel, so war dies ein Zufall. Teilreichs- und Provinzgrenzen decken sich im allgemeinen nicht. Die civitas bildete also im 6. Jh. die Keimzelle des fränkischen Staates.“ Ewig, Teilreiche: S. 116. Einzelne civitates des gesamten Gebietes des Strukturierungszusammenhangs wurden also auf jeweils einen König nach 511 bezogen. 334 „Qua visa, rex valde gavisus, suo eam coniugio sociavit, habens iam de concubina filium nomine Theuderi-cum.“ Greg. hist.: 2.28. Dazu Springer, Art. Theuderich I.: S. 459. 335 „Habebat iam tunc Theudoricus filium nomen Theudobertum, elegantem atque utilem.“ Greg. hist.: 3.1. 336 „Dum autem Chrodigildis regina Parisius moraretur, videns Childeberthus, quod mater sua filius Chlodomeris, quos supra memoravimus, unico affectu diligeret, invidia ductus ac metuens, ne favente regine admitterentur in regno, misit clam ad fratrem suum Chlothacharium regem, dicens: […]“ Greg. hist.: 3.18.
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zuvollziehen: Die Kooperation zwischen verschiedenen Königen war schon zu Beginn der Zeit Chlodwigs I. und darüber hinaus gegeben. Neu war, dass nun – wenn auch parzelliert – ein geographisch weiträumiger Strukturierungszusammenhang gegeben war, in den die Positionen der Könige durch funktionale Konstellationen integriert waren. Daher erscheint es sinnvoll, den gesamten Quellenbestand in zwei größere Bereiche – den internen und den externen – aufzuteilen. Diese Zuordnung ist der Bildung analytischer Kontexte dienlich: Nachdem anfänglich auf die Aussagen zur Parzellierung des Jahres 511 eingegangen wurde, werden die Quellen zu den Interna untersucht. Anfänglich wird auf die gallischen civitates als Erwerbsobjekte der Inhaber der Königspositionen eingegangen.337 Quellenaussagen zur Bedrohung der civitates durch plündernde Akteure aus dem externen Bereich sind dann fokussiert. Danach werden Quellen zur Verfestigung des Strukturierungszusammenhangs untersucht: Er war in Gefahr zu erodieren, was zeigt, dass die diskursive Prozessdynamik weiterhin gegeben war und von einer statischen Einheit eines „Merowinger-“ oder „Frankenreiches“ als geographisch weiträumigem338 Strukturierungszusammenhang339 nicht auszugehen ist.340 Im Anschluss daran werden die Aussagen zur militärischen Operation gegen westgotische Akteure innerhalb des parzellierten Strukturierungszusammenhangs untersucht. Es folgt die Untersuchung der Quellenaussagen zu einem Usurpationsversuch. Abgeschlossen wird dieser Bereich mit der Untersuchung der Quellen zum Antritt Theudeberts I. Darauf werden Quellen zu den externen militärischen Operationen im Fokus stehen. Zuerst werden die Aussagen zu den militärischen Operationen nach Südwesten, dann die zu den militärischen Operationen an der nordöstlichen Peripherie und letztlich zu einer militärischen Operation auf der Iberischen Halbinsel untersucht. Abgeschlossen wird mit der Untersuchung der Quellenaussagen zur Übergabe der Provence und umliegender Gebiete341 zum Jahreswechsel
337 Zu deren Relevanz Ewig, Teilungen: S. 116. 338 Bis 511 war der geographische Raum, den seine Söhne aufteilten, vom der nordöstlichen Peripherie Galliens über den Norden sichelförmig bis in den Südwesten ausgedehnt worden. Im Südosten bestand weiter ein unabhängiger Strukturierungszusammenhang und auch an der gallischen Peripherie östlich des Rheins agierten mehrere Könige unabhängig. Dazu Ewig, Teilungen: S. 114 f. und Wood, Kingdoms: S. 367. 339 Vgl. Widdowson, Partitions: S. 1–5. 340 Die Annahme ist nicht nur mit der Mehrfachparzellierung zu begründen, sondern auch damit, dass geographische Gebiete innerhalb Galliens später als eigenständige Räume aufgefasst wurden. Dazu Ewig, Teilungen: S. 116 ff.; Ewig, Merowinger: S. 52 ff.; Wood, Kingdoms: S. 55 ff. und Geary, Merowinger: S. 124 f. Die Idee einer „großen Einheit“ – ob nun „Franken-“ oder „Merowingerreich“ oder auch „Staat“ oder „regnum“ genannt, ist daher stark zu hinterfragen. 341 Ortsfern, jedoch relativ zeitnah Agath.: 6.5. Dazu Geuenich, Alemannen: S. 86 ff. Agathias wurde um 536 in Kleinasien, genauer in Myrina, geboren. Sein Vater hieß Memnonios. Er hatte einen längeren Aufenthalt in Alexandria, um dort zu studieren. Um 482 starb er in Konstantinopel. Neben den hier interessierenden historiae wurden weitere Texte von ihm verfasst. Seine Gedichtsammlung
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536/7342 durch den ostgotischen König Witiges. Nach der Übergabe konnten keine weiteren civitates in den gesamten Strukturierungszusammenhang der Merowinger mehr inkorporiert werden.
2.5.1 Die Teilung von 511: Rückkehr zur Kooperation von Königen bis 536/7 Vollkommen zweifelsfreie Annahmen zur Parzellierung des Jahres 511 sind anhand des vorhandenen Quellenmaterials kaum zu gestalten: Sicher ist, dass nach dem Tod König Chlodwigs I. jeder seiner vier Söhne zum König in Gallien wurde. Dabei wurde das Gebiet des Strukturierungszusammenhangs parzelliert.343 Eine Kooperation der Inhaber der Königspositionen, die in die Teilstrukturierungszusammenhänge eingebettet waren und funktionale Konstellationen zu den Bischofspositionen hatten, war besonders bei den militärischen Operationen gegeben. Die Quellenaussagen, die erlauben, von einer Rückkehr der älteren Kooperationsweise zu sprechen, werfen zugleich Fragen nach der konkreten Aufteilung der civitates auf. Sie sind aber nur schwer zu beantworten, was auch an dem relativ frühen Tod Chlodomers344
namens daphniaka ist verloren, während eine andere Sammlung von Gedichten erhalten worden ist. Ihr Name lautet kyklos. Vgl. Brodka, Historiographie: S. 152 ff. In den historiae rekurriert Agathias oft auf Informationen aus anderen geographischen Gebieten abseits von Konstantinopel. Dabei verwendete er schriftliche Quellen. Aber auch mündliche Quellen können verwendet worden sein. Für die Rekurse des Agathias auf Informationen zu militärischen Operationen und lokalen Verhältnissen der Dynastie der Sassaniden Cameron, Sassanians: S. 67–183. Woher er aber seine Informationen zu den militärischen Operationen in Italien zur Zeit der Merowingerkönige Theudebert I. und Theudebald gewonnen hat, ist nicht mehr exakt zu eruieren. Gerade die Aussagen zu den militärischen Operationen alemannischer Akteure zur Zeit Theudebalds und auch zu den vorangegangenen militärischen Operationen unter der persönlichen Beteiligung Theudeberts I. sind für die Untersuchung jedoch wichtig. Mit einem Bezug auf christliche Deutungsmuster des Autors in der Erzählung über diese militärische Operation Cataudella, Historiography: S. 420 f. Alle seine Aussagen sind in diesem Zusammenhang ortsfern, jedoch zeitnah verfasst. Wenn auch die Rekurse des Autors in ihren Verläufen nicht mehr genau zu fassen sind, sind die Aussagen für die Bildung analytischer Kontexte zu verwenden. Sie können vergleichend kritisch untersucht werden: Neben Agathias liefern Gregor von Tours, Marius von Avenches-Lausanne und Prokopios von Caesarea Aussagen zu den militärischen Operationen. Vgl. Cameron, Agathias: S. 124–130. 342 Die genaue Datierung ist nicht sicher. Für eine Datierung auf 537 Wolfram, Goten 2001: S. 315. Für eine Datierung auf 536 Ewig, Merowinger: S. 37. 343 Vgl. Ewig, Teilungen: S. 116–128, bes. S. 116 und S. 120–123. Die Parzellierung selbst kann als ein Indikator für die Diskursivität der Prozessdynamik aufgefasst werden. Dazu Ewig selbst: „Die Teilung Aquitaniens geschah also nicht planlos, sondern nach vernünftigen Prinzipien. Umso merkwürdiger erscheint die Tatsache, daß man das Land südlich der Loire überhaupt einer besonderen Teilung unterwarf. Dafür gibt es nur eine Erklärung: Aquitanien konnte in seiner Gesamtheit noch nicht als gesicherter fränkischer Besitz angesehen werden, weil die endgültigen Grenzen zwischen Franken und Goten noch nicht feststanden.“ Ewig, Teilungen: S. 123. 344 Greg. hist.: 3.6.
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liegt.345 Die Antwort wird noch zusätzlich dadurch erschwert, dass bei der Teilung keine geographisch einheitlichen Räume entstanden waren.346 Wahrscheinlich ist nur, dass bei der Parzellierung nicht die Grenzen der ehemaligen weströmischen Provinzen, sondern der civitates Berücksichtigung gefunden haben.347 Diese Feststellungen und Unsicherheiten verweisen insgesamt darauf, dass 511 in Gallien durch eine erneute, diesmal nicht ursächlich militärische Neustrukturierung neue Strukturierungszusammenhänge und somit auch definitorisch eine ganz neue Art von Regionalität entstanden war. In Anbetracht der Ergebnisse des ersten Teils dieses Kapitels die unter anderem umfassen, dass die civitates und das Kriegersein für das Entstehen des Strukturierungszusammenhangs grundlegend waren, gilt es nun weitere Aspekte zu untersuchen. Zum einen ist unter Beachtung des Erhalts der civitates-Grenzen bei der Parzellierung zu untersuchen, inwieweit neben der geographischen Dimension das Abgabensystem wichtig war. Die Erhebungsweise des Systems basierte auf dem Territorialprinzip der weströmischen Ordnung. Somit wurde ein weiteres strukturelles Elemente der erodierten weströmischen Ordnung erfasst.348 Zum zweiten ist zu untersuchen, wie die Folgeleistenden auf die merowingischen Könige verteilt worden sind und ob dies überhaupt der Fall war. Das ist zwar aus den Aussagenbestand nicht direkt zu erschließen, aber diesem Aspekt muss sich gestellt werden, da sie weiterhin militärische Mittel für Neustrukturierungen waren und ihre Relevanz für die Könige weiterhin bestand.349 Wie aber wurde das Leisten von Folge solcher Akteure organisiert und welche Relevanz hatte das Plündern dabei? Auch die anfänglich durchaus plausibel erscheinende Annahme, ihre Aufteilung sei direkt mit den civitates verbunden,350 muss dabei überprüft werden. Inwieweit gingen Sesshaftigkeit und Mobilität der Bevölkerung und die damit verbundenen Wirtschaftsweisen mit den neuen Teilstrukturierungszusammenhängen einher? Alle diese Aspekte werden nun angegangen.
345 Zur Datierung auf das Jahr 524 Mar. aven. chron.: 524. 346 Die südwestlichen civitates wurden unter den vier Königen aufgeteilt, so dass hierdurch die Einheitlichkeit nicht mehr gegeben war. Vgl. Ewig, Teilungen: S. 120 f. 347 Vgl. Ewig, Teilungen: S. 116. 348 An die canones des Konzils von Clermont von 535 ist ein Brief angehangen, der die Festlegung des Territorialprinzips unter der Mitwirkung einiger Bischöfe und des Königs Theudebert I. umfasst. Zeit- und ortsnah MGH Conc. 1 Concilium Avernense 535: S. 71. Vgl. Kaiser, Steuer: S. 5 und Pontal, Synoden: S. 77. Zu den Publikationen der Konzilsakten Pontal, Synoden: S. 76, Anm. 21. Zur Publikation des Briefes Pontal, Synoden: S. 77, Anm. 29. 349 Überblickend Bachrach, Organization: S. 18–35. 350 Die Annahme ergibt sich aus der Beobachtung, dass die civitates als strukturelle Elemente grundlegend waren. Vgl. Wood, Kingdoms: S. 60 f.; Ewig, Teilreiche: S. 116; Kaiser, Steuer: S. 9 ff.; Halsall, Warfare: S. 53 f. und Bachrach, Organization: S. 21.
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2.5.2 Aussagen zu Interna des parzellierten Strukturierungszusammenhangs: Die civitates und die Folgeleistenden Der Quellenbestand zu den Verhältnissen von civitates und Folgeleistenden zur Zeit der ersten Generation nach Chlodwig I. bis zum Jahreswechsel 536/7 ist relativ umfangreich, auch wenn festgehalten werden muss, dass eindeutige Quellenaussagen fehlen.351 Sie gehen aber inhaltlich über die militärische Verteidigung von civitates mittels der Folgeleistenden nach 511 weit hinaus.352 Die Hauptquelle sind erneut die decem libri historiarum des Bischofs Gregor von Tours.353 2.5.2.1 Die civitates als exklusive Erwerbsobjekte: Das Abgabensystem als Erwerbsmittel der ersten Generation nach Chlodwig I. Die Verfasstheit des Abgabensystems (fiscus)354 der merowingischen Könige ist in der jüngeren Vergangenheit mehrfach erfragt worden.355 Jedoch wurden die Aussagen
351 Die Annahme, es habe bereits zur Zeit Chlodwigs I. eine Art professioneller Armee gegeben, die mit Mitteln aus dem Abgabensystem bezahlt wurde, geht mit Sicherheit fehl. Vgl. Durliat, finances publiques: S. 126 ff.; Durliat, Finanzwesen: S. 517 f. und Hartmann, Aufbruch: S. 101 ff. Bachrach erkennt im Gebrauch des Wortes laeti im dritten Buch der decem libri historiarum ein Anzeichen für eine auf Ansiedlung beruhende Organisation von Folgeleistungen und bezieht dabei ältere Quellen ein. Vgl. Bachrach, Organization: S. 21. Zum Gebrauch des Wortes Greg. hist.: 3.13. Es fehlen aber weitere Aussagen in diesem Buch der decem libri historiarum dazu. Er selbst nennt zwar Belege aus anderen Quellen, die er aber als nicht eindeutig ausweist und dabei auf die geringe Zahl der Aussagen verweist. Er bezieht auch Aussagen in Bezug auf den Strukturierungszusammenhang im Südosten mit ein. Dabei werden insgesamt Aussagen über den Jahreswechsel 536/7 hinaus berücksichtigt. Vgl. Bachrach, Organization: S. 33 f. Halsall, der die Annahmen Walter Goffarts kritisch einbezieht, sieht in den civitates eine Grundeinheit der Organisation von Folgeleistungen im frühen 6. Jahrhundert. Er bezieht jedoch kaum Quellen zu den Merowingern ein und stützt seine Annahme auf eine Vielzahl von Aussagen, die mehrere geographische Räume betreffen. Vgl. Halsall, Warfare: S. 40–46. 352 Zusammenfassend Bachrach, Organization: S. 18–35; Halsall, Warfare: S. 40–46 und Bodmer, Krieger: S. 68–77. 353 An dieser Stelle ist erneut festzuhalten, dass Gregor entweder im November 538 oder 539 geboren wurde. Vgl. Heinzelmann, Gregor: S. 33 f. Insofern sind alle der von ihm verfassten Aussagen zu den Königen der ersten Generation nach Chlodwig I. bis zum Jahreswechsel 536/7 ortsnah und auch relativ zeitnah verfasst worden. Auch hier ist Gregor wie schon im Fall der Aussagen zu Chlodwig I. als Historiker seiner jüngeren Vergangenheit tätig. Seine Rekurse müssen daher weiterhin unter dieser Beobachtung erfragt werden. 354 Zur Neustrukturierung von Abgabenformen als ältere strukturelle Elemente der weströmischen Ordnung zur Zeit der frühen Merowinger Goffart, Taxation: S. 3 f. und Kaiser, Steuer: S. 4 ff. Zum Wort fiscus Barbier, Staatsvermögen: S. 526. Zur Pluralität der Erhebungsformen und deren Autonomie in den spätrömischen civitates Schmidt-Hofer, Finanzwesen: S. 246 f. und Demandt, Spätantike: S. 374 f. 355 Grundlegend sind Durliat, finances publiques. und Goffart, Techniques of Accommodation. Kritisch überblickend zu den Annahmen von Goffart und Durliat Liebeschütz, Theories: S. 135–152. Liebeschütz zeigt dabei die Parallelen zwischen den beiden Mediävisten auf. Vgl. Liebeschütz, Theories: S. 135 f. Auch Kaiser, Erbe: S. 69. Zur Kritik an den Annahmen Wolfram, Studien: S. 177–180. Goffart
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zum Abgabensystem nicht nach Generationen differenziert untersucht, was an der Quellenlage liegt.356 Auch wurde die Gesamtheit der Quellenaussagen zum Abgabensystem der Merowingerzeit mit den Aussagen zur Zeit der Karolinger summiert untersucht. Dabei wurde mehrfach eine formal ungebrochene Kontinuität des spätrömischen Abgabensystems attestiert.357 Diese Annahme wird aber nicht unkritisch betrachtet.358 Dass einige der Erhebungsformen der weströmischen Ordnung in den von Chlodwig I. neu strukturierten Zusammenhang gallischer civitates bereits inkorporiert worden sind, ist durchaus wahrscheinlich: Aussagen zu Erhebungsformen beinhalten zumindest Namen,359 die auf ältere strukturelle Elemente der weströmischen Ordnung360 schließen lassen.361 Jedoch sind diese Namen eben in zeit- und ortsnah verfassten Texten nicht vorhanden. Die umfassendste zeitnahe Quelle für das Abgabensystem zur Zeit der ersten Generation nach Chlodwig I. sind die decem libri historiarum.362 Gregor erwähnt in der Einleitung des fünften Buches die gefüllten thesauri der Merowinger der zweiten Generation nach Chlodwig I.363 Dass die Horte der Könige nicht nur durch Plünderungen gefüllt worden sind, kann als sicher bezeichnet werden.364 In der Zwischenzeit muss also folglich eine andere Erwerbsart für die Könige gegeben gewesen sein. Diese in dem Abgabensystem der merowingischen Könige zu vermuten, ist plausibel. Tatsächlich ist die Verfasstheit des Abgabensystems für die Zeit zwischen 511 und dem Jahreswechsel 536/7 in zeit- und ortsnahen Aussagen nicht zu fassen.365
selbst sieht seine Theorie in einem Unterschied zu der von Durliat. Vgl. Goffart, Technique: S. 96. Die Theorien von Goffart und Durliat beziehen sich – bei aller gegebenen Unterschiedlichkeit – auf die Annahme einer gegebenen Kontinuität des Gebrauchs von Praktiken bzw. einer Praktik des Abgabenerwerbs. Vgl. Liebeschütz, Theories: S. 147 f. 356 Eine Problematik der Debatte über die Verfasstheit und die Veränderung des Abgabensystems der Merowingerzeit besteht primär darin, dass einige Quellenaussagen, die auf die Spät- oder Mittelzeit der Merowinger bezogen sind, auch für ihre Frühzeit in Gallien herangezogen werden, um die Verfasstheit des Abgabensystems zu beschreiben. Vgl. Goffart, Taxation: S. 5 ff. 357 Vgl. Durliat, Finanzwesen: S. 524 f. und Goffart, Duty: S. 167–188. 358 Vgl. Esders, Leistungen: S. 189–244, bes. S. 190. Ausdrücklich wird hier auf die Problematik der Quellen eingegangen, die dazu verleiten, anachronistisch angelegte Studien als angemessen auszuweisen. 359 Vgl. Kaiser, Steuer: S. 7 ff. und Goffart, Taxation: S. 3 f. 360 Vgl. Esders, Leistungen: S. 189–191. 361 Zustimmende Meinungen zusammenfassend Kaiser, Erbe: S. 118 f. 362 Vgl. Goffart, Taxation: S. 4. 363 „In domibus dilitiae supercrescunt, in prumtuariis vinum, triticum oleumque redundat, in thesauris aurum atque argentum coacervatur.“ Greg. hist.: 5.0. 364 Greg. hist.: 5.34. Zu weiteren Erwerbsweisen Hardt, Gold: S. 136–161 und S. 196–212. 365 Dies liegt auch an dem geographischen Fokus Gregors, der tendenziell auf den Teil Galliens gelegt ist, der ihn in seiner Position als Bischof und seine Familie betraf. Vgl. Breukelaar, Authority: S. 224 f.
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Jedoch ist das Abgabensystem in den Aussagen indiziert.366 Vor allem Aussagen zu Einziehungen von Gütern für den fiscus aus den decem libri historiarum zeigen, dass Abgaben schon zur Zeit der ersten Generation getätigt wurden.367 Zeitferner geschriebene Aussagen sind gegeben.368 Jedoch ist gerade diese zeitliche Distanz besonders problematisch: Zumeist ist kaum nachvollziehbar, ob nicht zeitgenössische Arten der Erhebung und der Verfasstheit des Abgabensystems auf ältere Zustände projiziert worden sind.369 Gerade die Verleihung von Immunitäten370 lässt daran zweifeln, dass es einem zeitfernen Autor überhaupt möglich war, lokale Abgabenerhebungen rekursiv erschließen zu können. Unsicher muss daher auch bleiben, welche Arten von Objekten mit dem Abgabensystem an die Könige der ersten Generation nach Chlodwig I. gingen. Zwar ist wahrscheinlich, dass sowohl agrarische Güter und Ressourcen371 als auch Gold372 erhoben wurden, doch fehlen auch dazu zeit- und ortsnahe Aussagen. Dafür sind einige zeitnahe Quellenaussagen zu den von den Abgaben Betroffenen vorhanden. Neben der Bevölkerung der civitates wurden auch von den Kirchen373 Abgaben erhoben. Die Bezugsräume waren dabei die civitates.374 Die Kirchen sind aber nicht einfach mit den civitates gleichgesetzt zu betrachten.375 Dabei sollte jedoch nicht
366 Überblickend Kasier, Steuer: S. 4–10. 367 „Placidina vero, mater eius, et Alchima, soror patris eius, conpraehensae apud Cadurcum urbem, rebus ablatis, exsilio condemnatae sunt.“ Greg. hist.: 3.12 und: „Quo interfecto, res eius fisco conlatae sunt.“ Greg. hist.: 3.14 sowie „[…] et omnia, quae in fisco suo pater posuerat de rebus Sigivaldi, patri eius, ipsi reddi praecipit.“ Greg. hist.: 3.24 auch: „Franci vero cum Parthenium in odio magno haberent, pro eo quod eis tributa antedicti regis tempore inflixisset, eum persequi coeperunt.“ Greg. hist.: 3.36. 368 Zu diesen Texten zusammenfassend Kaiser, Steuer: S. 5 f. und ausdrücklich zu hagiographischen Texten sowie ihren Problemen für die Untersuchungen, in denen das Abgabensystem erfragt wird Goffart, Taxation: S. 15 f. 369 Vgl. Esders, Leistungen: S. 190 ff. 370 Vgl. Kaiser, Steuer: S. 9 ff. und Goffart, Taxation: S. 4–8. 371 Vgl. Kaiser, Steuer: S. 1–3 und S. 8. 372 Vgl. Hardt, Gold: S. 60 ff. 373 Zur Aussage zum Abgabenerlass einer Kirche zur Zeit Theudeberts I., deren Autor wahrscheinlich auf Informationen zum Geschehen vor dem Jahreswechsel 536/7 rekurriert: „Omne tributo, quod in fisco suo ab eclesiis in Arvernum sitis reddebebatur, clementer indulsit.“ Greg. hist.: 3.25. Zur Erhöhung der Abgaben der Kirchen nach dem Jahreswechsel 536/7: „Denique Chlothacharius rex indixerat, ut omnes eclesiae regni sui tertiam partem fructuum fisco dissolverent.“ Greg. hist.: 4.1. Zu den Kirchenabgaben Kaiser, Steuer: S. 10. 374 Vgl. Ewig, Teilungen: S. 116 f. 375 Zur Verbindung der Bistümer und der civitates Kaiser, Erbe: S. 10 und S. 58; Geary, Merowinger: S. 128 ff.; Wood, Kingdoms: S. 71 f. Zur beginnenden strukturellen Verflechtung als Resultat sozialer Interaktion von herausragenden Akteuren und Akteuren in strukturellen Positionen innerhalb der civitates sowie den Inhabern der Bischofspositionen im 5. Jahrhundert überblickend Baumgart, Bischofsherrschaft: S. 96 ff. In der dazugehörigen Literatur wird der Terminus „Bischofsherrschaft“ schon seit längerer Zeit diskutiert. Für die älteren Beiträge Prinz (Hg.), Organisationsformen. Darauf folgten die wichtigen Beiträge von Bernhard Jussen. Dazu Jussen, Prozeduren: S. 673–718 und Jussen,
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außer Acht gelassen werden, dass die Bewohner der civitates in die Produktion und dem Abbau der Güter und Ressourcen, die die Kirchen abzugeben hatten, durchaus eingebunden sein konnten.376 Bei der Lektüre der Hauptquelle zum Abgabensystem der ersten Generation nach Chlodwig I. fällt auf, dass neben der Abgabenerhebung weiterhin geplündert wurde. Die Könige hatten dabei in den Kriegergemeinschaften weiterhin ein Erwerbsmittel neben dem Abgabensystem. Auch waren die Kriegergemeinschaften ein Erwerbsmittel der übrigen Beteiligten.377 Dieser Zusammenhang der beiden Erwerbsmittel eröffnete für die Merowinger neue ökonomische Möglichkeiten. Sie führten jedoch nicht dazu, dass an die Folgeleistenden nun kontinuierliche Zahlungen abgeführt wurden, die durch die Einnahmen aus dem Abgabensystem gedeckt hätten werden können. Dazu fehlt jede orts- und zugleich zeitnahe Aussage. Der Kriegermodus blieb auch nach dem Tod König Chlodwigs I. ein Modus ökonomischen Erwerbs von Akteuren, die Anführern Folge bei deren militärischen Operationen leisteten. Zwar wurden auch Geschenke an einige dieser Akteure verteilt,378 jedoch wurde dies nicht kontinuierlich getan. Das Plündern blieb für sie die primäre Erwerbsweise.379 Schenkungen substituierten das Plündern als die primäre Erwerbsweise der Akteure im Kriegermodus genauso wenig, wie eine kontinuierliche Zahlung, die als „Sold“ bezeichnet werden kann.380 Durch solche Praktiken der Redistribution von Gütern und/oder Ressourcen durch die Könige wären die Folge leistenden Akteure in den Strukturierungszusammenhang eingebettet worden, indem eine funktionale Konstellation zwischen der Königsposition und ihnen ausgeprägt worden wäre. Eine Einbettung der Folgeleistenden hätte eine Transformation des Kriegerseins zu einer
Legitimation: S. 75–136 sowie Jussen, Herrschaft: S. 15–29. Kritisch zur Annahme, Bischöfe des 5. und 6. Jahrhunderts seien primär aristokratischer Abstammung Patzold, Sozialstruktur: S. 121–140. 376 Vgl. Jussen, Prozeduren: S. 716 f. und Baumgart, Bischofsherrschaft: S. 70–95. 377 Die Quellenaussagen zusammenfassend Bodmer, Krieger: S. 58–77. 378 Greg. hist.: 3.23. Dazu Hardt, Gold: S. 236 ff. 379 Geary nimmt an, dass daher das Plündern wichtiger war für den Umlauf von Gütern als der Handel. Die militärischen Operationen bestimmten den Güterverkehr und Plünderungen waren häufiger als Verkäufe. Daher zirkulierten Güter wegen des Plünderns und ein Absinken der Plünderungen hatte dann nach Geary einen kausalen Zusammenhang mit dem Absinken der Handelsaktivitäten. Vgl. Geary, Merowinger: S. 105 ff. 380 Bachrach geht davon aus, dass „Kriegerbauern“ bis in das 8. Jahrhundert die größte Gruppe an Kriegern waren. Vgl. Bachrach, Organization: S. 114; Bodmer, Krieger: S. 99–103 und Halsall, Warfare: S. 69 f. Die Zahlungen an die Kämpfenden wurden nicht als eines der strukturellen Elemente der weströmischen Ordnung integriert. Vgl. Kaiser, Erbe: S. 4. Zu den Rekursen Gregors auf die Informationen zu den militärischen Operationen Bachrach, Gregory of Tours: S. 351–363. Bei seiner neueren Untersuchung zu „Söldner“ in der Merowingerzeit verwendet er hauptsächlich spätantike und spätmerowingische Texte. Passagen aus dem decem libri historiarum sind für ihn wegen der Rhetorik Gregors problematisch. Vgl. Bachrach, Mercenaries: S. 169–183, bes. 183. Daher mahnt er ausdrücklich zur Vorsicht im Umgang mit dem Wort „Söldner“. Vgl. Bachrach, Mercenaries: S. 183 f.
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Art Söldner- oder Soldatensein zur Folge gehabt. Dazu sind aber keine Aussagen gegeben.381 Das Abgabensystem war ein exklusives Erwerbsmittel der Inhaber der Königspositionen. Das Plündern blieb auch daher weiterhin relevant für das Organisieren von Folgeleistungen. Diese Praktik war weiter die Erwerbsweise der Folgeleistenden im Kriegermodus. Dieser Befund führt aber erneut zu der weiter oben angeschnittenen Frage nach der Aufteilung potentieller Folgeleistenden bei der Parzellierung des geographisch weiträumigen Strukturierungszusammenhangs. Für die Zeit Chlodwigs I. konnte die Möglichkeit der individuellen Vereinigung differenter sozioökonomischer Modi auf Akteure aus den peripheren Siedlungsgemeinschaften erschlossen werden. Mit der Zeit aber waren im Norden Galliens mehrere civitates von der Konsolidierung der Präsenz der Peripheriekönige und später der alleinigen Präsenz Chlodwigs I. betroffen. Ab 507 wurden auch südwestliche civitates von diesem Aspekt der Neustrukturierungen tangiert, so dass die Könige der ersten Generation nach Chlodwig I. auf eine weit größere Summe an Menschen bezogen waren. Die Gemeinschaften der civitates waren aber in sich keine homogenen Sozialräume. In den civitates bestanden viel mehr differente Abhängigkeitsverhältnisse, die nicht nur sozial-normativ geregelt sein konnten,382 sondern auch durch die interne Gliederung der Administration bestanden.383 Die in einigen Quellen zu den gallischen civitates angedeuteten Interaktionsformen sind jedoch kaum zu verallgemeinern.384 Sicher ist nur, dass ein interner Grad der sozialen Differenzierung der Gemeinschaften vorhanden gewesen sein muss.385 Der Grad kann aber nicht als statisch verstanden werden. Soziale Mobilität war sehr wohl gegeben.386 Wie im ersten Kapitel gezeigt, gab es im Zentrum Galliens vor der Präsenz der Peripheriekönige bereits differente Anführer, denen Akteure bei militärischen Opera-
381 Vgl. Bodmer, Krieger: S. 99. 382 Zu differenten Abhängigkeits- und Freiheitsformen überblickend Authén-Blom/Fenger/Gissel/ von Olberg-Haverkate/Steuer, Art. Freie: S. 522–537; von Olberg-Haverkate, Art. Gemeinfreie: S. 3–7; von Olberg-Haverkate, Art. Halbfreie: S. 401–405; von Olberg-Haverkate, Art. Königsfreie: S. 112–116 und Hägermann, Art. Unfreie: S. 436–440. 383 Überblickend Kaiser, Erbe: S. 9 ff. Dazu im Speziellen zu den Bischöfen Jussen, Prozeduren: S. 674–677 und den älteren Beitrag von Claude, Comitat: S. 225–266. Der Beitrag entstammt der älteren Debatte darum, ob es ein „Ämterwesen“ zur Zeit der frühen Merowinger gab. Dazu zusätzlich Sprandel, Dux und Comes: S. 41–84 und Sprandel, Bemerkungen: S. 288. Auch wenn der ältere Beitrag von Claude theoretische Implikationen beinhaltet, denen aus heutiger Sicht nicht zuzustimmen ist, umfasst er doch viele quellennahe Deutungen, die sehr wohl Aktualität beanspruchen können. Zu dieser Debatte auch die Monographien Grahn-Hoek, Oberschicht. und Irsigler, Adels. 384 Richterliche und militärische Handlungskompetenzen sind wahrscheinlich, aber nicht für alle comites belegt. Vgl. Claude, Comitat: S. 4–31. 385 Vgl. Jussen, Prozeduren: S. 713–717. 386 Dazu ausführlich Greg. hist.: 3.15. Selbst ein Merowinger war in dieser Weise mobil Greg. hist.: 3.18. Auch Einziehungen von Besitz führten zu sozialer Mobilität. Greg. hist.: 3.12. Dazu Wood, Kingdoms: S. 214–219.
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tionen Folge leisteten: Das Organisieren dieser Folgeleistungen war auch in Bezug auf die Praktik des Plünderns jeweils different. Quellenaussagen dazu sind auch für die Zeit Chlodwigs I. gegeben. So beteiligten sich Akteure aristokratischer Abstammung aus dem gallischen Teil des Strukturierungszusammenhangs von Toulouse mit ihnen Folgeleistenden auf der Seite Alarichs II. gegen Chlodwig I.387 Die Untersuchung der Aussagen zum regnum des Syagrius ergab, dass Syagrius wahrscheinlich mit anderen Akteuren kooperierte.388 Dass zumindest Syagrius Akteure Folge geleistet haben, kann als sicher gelten.389 Wenn für Chlodwig I. und die übrigen Peripheriekönige sehr plausibel angenommen werden kann, dass sie für die ihnen Folgeleistenden Erwerbschancen symbolisierten, ist nun vertiefend zu untersuchen, warum den Anführern aus dem Zentrum Galliens Folge geleistet worden ist. Eine einfache Antwort auf diese Frage kann aus den bisherigen analytischen Kontexten abgeleitet werden: Die Folgeleistungen konnten durch Syagrius und Alarich II. organisiert werden, da die Folgeleistenden ihre Besitzstände und ihre Familien vor Plünderungen reaktiv in dieser Situation schützen wollten. Diese Form des Warlordism ist hier anzuführen. Der Sohn des Sidonius Apollinaris390 leistete Alarich II. bei der Operation Folge. Es ist wahrscheinlich, dass er dem König mit den ihm Folgeleistenden zur Seite stand,391 da sein Besitz durch die Angreifer unter ihrem katholischen König gefährdet war.392 Der Brief König Chlodwigs I. garantierte nur eine Regelung der Rückgabe von geraubten Menschen. Ob das Schreiben vor der militärischen Operation allerdings weitläufig bekannt wurde, ist nicht zu bestimmen.393 Unklar bleibt zusätzlich, ob die Abwehr der potentiellen Plünderungen tatsächlich dazu führte, dass den Anführern Folge geleistet worden ist. Hierzu müssen weitere Aspekte des Lebens derjenigen untersucht werden, die diese Folge leisteten. Wie bereits oben festgehalten, waren die civitates-Gemeinschaften Galliens sozial nicht homogen. Daher ist annehmbar, dass Versorgungsverhältnisse einige Akteure dazu bewegten, Anführern Folge zu leisten, die über umfangreiche Besitzstände wie
387 „Sed auxilio tam luricae quam velocis equi, ne periret, exemptus est. Maximus ibi tunc Arvernorum populus, qui cum Apollinare venerat, et primi qui erant ex senatoribus corruerunt.“ Greg. hist.: 2.27. 388 In diese Annahme können auch die Aussagen des Prokop plausibel integriert werden. Orts- und zeitfern Prok. B.G.: 1.12. 389 Greg. hist.: 2.27. 390 Vgl. Heinzelmann, Prosopographie: S. 556. 391 Dies lässt eine asymmetrische Beziehung zwischen den beiden Akteuren als wahrscheinlich erscheinen. Vgl. Becher, Chlodwig I.: S. 230. 392 Religiöse Motive des Apollinaris fehlen völlig: „Sed auxilio tam luricae quam velocis equi, ne periret, exemptus est. Maximus ibi tunc Arvernorum populus, qui cum Apollinare venerat, et primi qui erant ex senatoribus corruerunt.“ Greg. hist.: 2.37. Gerade in diesem Kapitel werden jedoch die religiösen Motive Chlodwigs I. betont: „Igitur Chlodovechus rex ait suis: ‚Valde molestum fero, quod hi Arriani partem teneant Galliarum. Eamus cum Dei adiutorium, et superatis redegamus terram in ditione nostra‘. Cumque placuisset omnibus hic sermo, conmoto exercitu, Pectavus dirigit.“ Greg. hist.: 2.37. 393 Vgl. Becher, Chlodwig I.: S. 224 ff.
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Landgüter verfügten und sie auch in Friedenszeit damit versorgen konnten. Nicht nur die Verteidigung eigener Landgüter und Besitzstände, sondern auch die Notwendigkeit einer militärischen Verteidigung von Landgütern und Besitzständen, die für die Versorgung verwendet wurden,394 kann zur Organisation von Folgeleistungen beigetragen haben. Mit dem Erhalt ökonomischer Grundlagen wurden selbstredend auch soziale Gemeinschaften erhalten.395 Aber auch diese Art der Abhängigkeit kann nicht dazu führen, die Folgeleistenden als Söldner oder Soldaten zu beschreiben, da die Versorgten nicht nur für Folgeleistungen bei militärischen Operationen Zahlungen erhielten, sondern an sich abhängig waren.396 Diese Art der Abhängigkeit ist unverkennbar mit der sozioökonomischen Dimension der civitates verbunden. Offen bleiben muss, inwieweit diese Dimension in den civitates jeweils normativ geregelt war.397 Verallgemeinerungen sind hier auch wegen der geringen Quellenlage nicht möglich. Die situationsbezogene Notwendigkeit einer Verteidigung von Versorgungsgrundlagen kann hingegen als Aspekt des Organisierens von Folgeleistungen gegen die Angreifer festgehalten werden. Hier ist eine passive Relevanzart gegeben. Für die Beantwortung der Leitfrage heißt das: Nicht zu halten ist, dass zur Zeit Chlodwigs I. und der ersten Generation der Merowinger nach ihm Folgeleistungen mit kontinuierlichen Redistributionszahlungen, die aus dem Abgabensystems gewonnen wurden, organisiert worden sind. Es sind keine Aussagen zu solchen Zahlungen vorhanden. Das Kriegersein war weiter mit dem Plündern als sozioökonomische Praktik des Erwerbs von materiellen Gütern und Ressourcen verbunden. In den durch König Chlodwig I. in einen neuen geographisch weitläufigen Strukturierungszusammenhang gebrachten gallischen civitates waren schon vor seiner Zeit soziale Abhängigkeiten differenter Art entstanden, die für das Organisieren von Folgeleistungen relevant waren. Die lokal notwendige Versorgung mit der agrarischen Produktion konnte durch Plünderungen bedroht sein und somit war das Plündern für das Organisieren von Folgeleistungen auch in diesem Fall relevant. Daneben sind zusätzlich Kooperationsverhältnisse differenter Anführer zu nennen. Es gibt auch in diesen Fällen keine ausdrücklichen Quellenaussagen zu kontinuierlichen Zahlungen.398 Wahrscheinlicher ist daher anzunehmen, dass auch im Zentrum Galliens keine Soldzahlungen für das Organisieren von Folgeleistungen bei militärischen Operationen gegeben
394 Vgl. Krause, Patronatsformen: S. 88–155 und S. 284 ff. Zur Annahme privat organisierter Folgeleistungen Halsall, Warfare: S. 41 f. und Bachrach, Organization: S. 34 f. Dazu für das 5. Jahrhundert in Gallien beispielsweise Sidon. ep.: 5.16. 395 Vgl. Effros, Community: S. 55–68. In diesem Sinne ist auch ein canon des Konzils von Clermont aus dem Jahr 535 zu sehen. Kirchengüter werden hierbei vor Plünderungen geschützt. MGH Conc. 1 Concilium Avernense 535: c.14. 396 Vgl. Krause, Patronatsformen: S. 20–68. 397 Tatsächlich sind solche sozialen Differenzierungen auch ohne normative Regelungen in den Aussagen zu den Handlungen der Bischöfe nachvollziehbar. Vgl. Jussen, Legitimation: S. 117 ff. 398 Vgl. Bodmer, Krieger: S. 99 f.
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waren. Tatsächlich muss das Fehlen ausdrücklicher Quellenaussagen allerdings nicht heißen, dass kontinuierliche Zahlungen in Gallien zuvor gar nicht vorhanden waren;399 jedoch fehlt für die Zeit Chlodwigs I. und für die Zeit der ersten Generation der Merowinger nach ihm dafür jede ausdrückliche Aussage.400 Daraus sind folgende Schlussfolgerungen zu ziehen: Die Folgeleistenden wurden keine Söldner oder Soldaten, was aber auch bedeutet, dass sie nicht in den Strukturierungszusammenhang funktional inkorporiert wurden. Das Kriegersein war also immer noch ein sozioökonomischer Modus für Akteure. Er konnte auch von Akteuren aus den civitates-Gemeinschaften angenommen werden. Auch für diese Akteure symbolisierten die Könige als Anführer bei militärischen Operationen Erwerbschancen. Die Frage, ob und inwieweit es diesen Akteuren möglich war, diese Chancen in Anbetracht der Abhängigkeitsbeziehungen auch wahrzunehmen, muss hier unbeantwortet bleiben. Doch wird sie bei der weiteren Untersuchung berücksichtigt. Während aber das Abgabensystem ein exklusives Erwerbsmittel der Könige war, waren die Kriegergemeinschaften weiterhin Erwerbsmittel der Könige und der Folgeleistenden. Hierin ist eine Differenzierung der Könige von ihnen schon zu Beginn der Zeit der ersten Generation nach Chlodwig I. angelegt. Klar wird somit, dass die civitates nicht nur konkrete Orte und Sozial- sowie Wirtschaftsräume, sondern gerade wegen dieser genannten Aspekte auch exklusive Erwerbsobjekte innerhalb eines Abgabensystems waren. Insgesamt bestand ein exklusives Erwerbsmittel, was nur durch die Kooperation mit lokalen Administratoren funktionieren konnte. 2.5.2.2 Kooperation mit den Bischöfen: Die Investitur zur Zeit der ersten Generation nach Chlodwig I. Der Quellenbestand zur Investitur der Bischöfe der frühen Merowingerzeit ist im Gegensatz zu den späteren Investituren nicht sehr umfangreich. Neben den Konzilakten sind es erneut die Texte Gregors von Tours, die das Korpus hauptsächlich ausmachen. Die Aussagen zur Investitur aus Heiligenviten sind zu einem großen Teil kritisch zu hinterfragen, da die literarische Verarbeitung der Informationen zeitferner Autoren in sprachlichen Formeln Ausdruck findet. Außerdem sind Aussagen aus dieser Textgattung für die Zeit der ersten Generation nach Chlodwig I. kaum vorhanden.401 Die meisten Aussagen, die für die Untersuchung der Funktionalität der Konstellation zwischen den Königen und den zu Investierenden zur Zeit der ersten Generation nach Chlodwig I. heranzuziehen sind, wurden von Gregor verfasst. Der Frage, inwieweit an diesen Aussagen der Rekurs auf Informationen fassbar wird, ist nur schwer zu beantworten, da der Autor von Investitur zu Investitur in seiner literarischen Gestal-
399 Diese sind für das 5. Jahrhundert evident. Beispielsweise Geary, Merowinger: S. 23 ff. 400 Vgl. Bachrach, Mercenaries: S. 177 f. 401 Vgl. Claude, Bischöfe: S. 2 f.
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tung hinterfragt werden muss. Auffällig ist aber, dass Gregor vermehrt Investituren aus bestimmten geographischen Räumen darlegt. Investituren aus dem Norden und dem Südwesten Galliens sind betont. Die civitates dieser beiden Regionen waren durch Straßen mit der civitas Tours verbunden.402 Die Verbindung erklärt genauso wie die bereits vor Gregor gegebene Einbindung der Familie des Bischofs in die Gruppe der gallischen Bischöfe,403 wie er an Informationen gelangt sein kann. Tatsächlich lassen sich aus dem Gesamtbestand der Quellenaussagen zwei Faktoren fast durchgehend erschließen: Zum einen lokale Entscheidungen in den Gemeinschaften, über die der Betreffende investiert werden sollte404 und zum anderen der König, der legitimierend aber auch verhindernd in diese Entscheidung eingreifen konnte.405 Das ist auch daran nachzuvollziehen, dass Würdenträger der Könige investiert worden sind.406 Dabei sind die lokalen Entscheidungen keinesfalls immer in gleicher Form abgelaufen. Die beteiligten Akteure und Entscheidungsweisen variierten.407 Die Funktionalität der Konstellation zwischen den Inhabern der Königspositionen und den zu Investierenden bestand dabei in der Legitimation lokal getroffener Entscheidung. Da die merowingischen Könige aber keine religiös-theologische Autorität durch ihre Position hatten,408 ist es plausibel anzunehmen, dass in dieser Funktion die Verstetigung des neuen Strukturierungszusammenhangs angezeigt wird. Zusätzlich kann festgehalten werden, dass die Könige bereits von ihnen Legitimierte in andere Bistümer versetzten.409 Hierin wird der Akzent auf die persönliche Beziehung zwischen den Inhabern der Königsposition und den Inhabern der Bischofsposition fassbar. Da auch die Kirchen in den civitates in das Abgabensystem integriert waren, ist eine ökonomische Dimension der Investitur und der Funktionalität der Konstellation zwischen den Königen und den Bischöfen zu erkennen. Eine weitere ökonomische Dimension ergibt sich aus den Quellenaussagen zu den Geschenken Einiger, die investiert werden wollten. Sie wurden an die Inhaber der
402 Vgl. Klee, Lebensadern: S. 126 f. und Ferdière, Lugdunensis: S. 127. 403 Vgl. Heinzelmann, Gregor: S. 10–26. 404 Vgl. Claude, Bischöfe: S. 19 ff. Für diesen Aufsatz gilt das Gleiche wie für den Aufsatz Claudes zu den comites. Die quellennahe Arbeit ermöglicht es auch hier, von einer Aktualität abseits der theoretischen Implikationen zu sprechen. 405 Vgl. Scheibelreiter, Bischof: S. 149–155. Es konnte aber ganz direkt durch den König eingesetzt werden. Vgl. Claude, Bischöfe: S. 31 ff. 406 Bis zum Jahreswechsel 536/7 sind jedoch nur wenige Aussagen zu einer solchen Praxis vorhanden. Vgl. Claude, Bischöfe: S. 3 f. 407 Vgl. Scheibelreiter, Bischof: S. 149 ff.; Claude, Bischöfe: S. 31–38 und Jussen, Legitimation: S. 92–94 sowie S. 98. 408 Vgl. Ewig, Königsgedanken: S. 13 ff. Es werden vielmehr „christliche“ Aufgaben mit der Position des Königs verbunden. Vgl. Erkens, Herrschersakralität: S. 87 ff. 409 Vgl. Claude, Bischöfe: S. 35 f.
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Königspositionen gegeben,410 so dass durchaus von einer weiteren Relevanz materieller Güter und Ressourcen gesprochen werden kann, die aber nicht bei jeder Investitur vorhanden war. Selbstredend hat diese nichts direkt mit dem Abgabensystem zu tun, aber die Inhaber der Königsposition konnten auch wegen der Funktionalität der Konstellation zwischen ihren Positionen und denen der Bischöfe durch Simonie411 Gaben erhalten.412 Diese ökonomische Dimension ist auch an einigen Quellenaussagen zu Handlungen der Könige gegenüber den Bischöfen zu erschließen, in denen die legitimierende Funktion der Konstellation nicht erwähnt wird. Die Erzählung einer ökonomischen Förderung einer civitas durch Zahlungen an einen Bischof durch König Theudebert I.413 und die Aussagen zu Neueinrichtungen von Bistümern sind hier zu nennen. Die Neueinrichtungen waren nicht nur eine geographische Neustrukturierung von Bistümern, die einer Gebietsreduktion gleichkam,414 sondern auch eine ökonomische: Die Produktionsmittel, deren Güter durch das Abgabensystem erhoben worden sind,415 wurden auch neu verteilt. Diese Neueinrichtungen hatte die Position eines Bischofs mit Sicherheit betroffen. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die ökonomische Dimension in den Aussagen zur Funktionalität der Konstellation zwischen den Inhabern der Bischofspositionen und den Inhabern der Königspositionen zur Zeit der ersten Generation nach Chlodwig I. nachvollziehbar ist: Zum einen ist die Legitimation eines Akteurs, der investiert werden sollte, über die Königsposition funktional gegeben. Zwar gibt es auch Erzählungen, die Aussagen zur Legitimation durch den König nicht umfassen und zugleich Erzählungen, die eine Legitimation durch eine Königin fassbar machen.416 Die Konstellation zwischen Königen und den Bischöfen weist aber weitere Aspekte auf, die eine ökonomische Dimension indizieren: So konnten Geschenke an den König vor einer Investitur gegeben werden und die Aussagen zu der Förderung der civitas Verdun (Virdunum) sowie zu den Versuchen territorialer und somit auch ökonomischer Neustrukturierung von Bistümern zeigen dies zusätzlich.
410 Beispielsweise: „Ille autem haec audientes, Apollonarem ad regem dirigunt. Qui abiens, oblatis multis muneribus, in episcopatu successit; quod quattuor abutens minsebus, migravit a saeculo.“ Greg. hist.: 3.2. Auch Greg. vit. patr.: 4.3. Dazu Claude, Bischöfe: S. 40 f. Ein Verbot dieser Praktik wurde in einem Brief durch Caesarius von Arles bei dem Papst Symmachus erfragt. Orts- und zeitnah Caes. arelat. ep.: 7a. Für die Datierung dieses Briefes auf 513 Klingshirn, in: ed. Klingshirn, Caesarius of Arles: S. 89 f. 411 Überblickend Schieffer, Art. Simonie: Sp. 1922–1925. 412 Vgl. Hardt, Gold: S. 157–161. 413 Greg. hist.: 3.34. 414 Der Bischof Leo von Sens widersetzte sich gegen die Abspaltung von Meluneum um 535. Orts- und zeitnah MGH Epp. 3.VII: 3. Später sind solche Umgestaltungen von Bistümern durch Könige jedoch erfolgreich gewesen. Vgl. Claude, Bischöfe: S. 34. 415 Vgl. Goffart, Taxation: S. 13 f. 416 Beispielsweise setzte die Königin Chrodechilde in Tours Theodorus und Proculus ein. Greg. hist.: 3.17.
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Die persönliche Beziehung zwischen den Königen und den Bischöfen ist für die Erhebung der Abgaben nicht zu unterschätzen. Die Investitur von Würdenträgern verdeutlicht deren Wichtigkeit. Die Bischöfe waren für die Abgabenerhebung in den Kirchen relevant.417 Der König hatte in den Beziehungen ein Mittel, um auf die Bistümer und civitates als exklusive Erwerbsobjekte zuzugreifen. Es gibt aber noch eine Besonderheit, die scheinbar in einem Widerspruch zu dieser Annahme steht: Die bereits von den Königen der ersten Generation nach Chlodwig I. verliehenen Abgaben immunitäten418 für Kirchen. Damit haben die Könige die ökonomische Dimension der Beziehung praktisch aufgehoben. Diese Besonderheit ist mit dem territorialen Erhebungsprinzip zu erklären. Auf der Synode von Clermont im Jahr 535 wurde dieses Prinzip ausdrücklich behandelt und bestätigt.419 Es muss also schon zuvor gegolten haben. Kurz zuvor – wohl 533420 – war König Theuderich I. gestorben und sein Sohn Theudebert I. war ihm als König nachgefolgt.421 Der den Synodalakten beigefügte Brief enthält Aussagen, die eine Fürsprache für den Erhalt des Prinzips umfassen.422 Das Argument, dass mit ihnen ausschließlich die Abgabenerhebung einiger civitates des geographisch parzellierten Strukturierungszusammenhangs tangiert wird, ist auf den ersten Blick plausibel. Jedoch zielen die Aussagen auf den Erhalt eines Prinzips, dass die geographische Verortung, also die Lokalität und nicht die Strukturierung, als das Prinzip der Abgabenerhebung ausmacht.423 Somit geht es nicht nur um die Parzellen Theudeberts I., sondern um die Lage der die Erhebungen betreffenden Landgüter in den civitates, die in verschiedenen Parzellen des gesamten Strukturierungszusammenhangs verortet waren. Die Quellenaussagen können somit ganz offenbar nicht nur auf die Abgabenerhebung des Teilstrukturierungszusammenhangs Theudeberts I. bezogen sein. Festgehalten werden sollte unter Rücksicht auf den Brief zweierlei: Zum einen führte die Verleihung einer Abgabenimmunität für eine Kirche nicht dazu, dass aus einem Gebiet gar keine Abgaben mehr entrichtet werden mussten. Dabei ist auch bemerkenswert, dass Immunitäten durch Könige auch wieder zurückgenommen werden konnten. Quellenaussagen zu neuen Abgaben zur Zeit der ersten Generation nach Chlodwig I. gibt es zusätzlich,424 so dass die Verleihung von Immunitäten als ein situationsbezogenes Operativmittel der Könige zu beschreiben ist. Zum anderen wird somit ein
417 Vgl. Scheibelreiter, Bischof: S. 177–179; Claude, Bischöfe: S. 38–53; Angenendt, Kirche: S. 122 f. und Hardt, Gold: S. 149. 418 Greg. hist.: 3.25. Dazu Goffart, Taxation: S. 4–8. 419 Vgl. Kaiser, Steuer: S. 5. 420 Zur Datierung Ewig, Merowinger: S. 36. 421 Greg. hist.: 3.23. Dazu Beisel, Theudebertus: S. 32 f. 422 Vgl. Pontal, Synoden: S. 77. 423 Vgl. Kaiser, Steuer: S. 5. 424 „Denique Chlothacharius rex indixerat, ut omnes eclesiae regni sui tertiam partem fructuum fisco dissolverent.“ Greg. hist.: 4.2. Auch Greg. hist.: 9.30.
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anderer Aspekt der persönlichen Beziehung neben der ökonomischen Dimension fassbar, denn die Handlungsfähigkeit eines Königs in einem Gebiet konnte durch sie verstetigt werden. Die konsolidierte Präsenz bedingte die Möglichkeit des Erwerbs durch das Abgabensystem über die civitates als exklusive Erwerbsobjekte der Könige und die persönliche Beziehung mit den Inhabern der Bischofspositionen ist somit ein Mittel der Erfüllung dieser Bedingung. Dies wird besonders zu den Aussagen hinsichtlich der militärischen Operation in Clermont zur Zeit König Theuderichs I. deutlich.425 Die Relevanz der lokal tätigen Bischöfe für die Erhebung von Abgaben ist aber nicht darin zu erkennen, dass diese sie für den König in den civitates-Gemeinschaften einzogen.426 Die Frage nach der Art der Einziehung ist kaum zu beantworten.427 Insgesamt ist abschließend für die Konstellation zwischen den Inhabern der Königs- und der Bischofspositionen zusammenzufassen, dass sie für die Verstetigung der bereits konsolidierten Präsenz der Könige relevant war. Das Abgabensystem zur Zeit der ersten Generation nach Chlodwig I. war von ihr betroffen. Der Strukturierungszusammenhang bestand zwar, doch zeigen die uneindeutigen, zeitnahen Quellenaussagen zum Ablauf der Investituren, dass eine flächendeckende, normative Regelung nicht gegeben war: Die Auswahlart eines Kandidaten variierte von Lokalität zu Lokalität. Der Kandidat war zumeist von Königen und Königinnen legitimiert worden. Es ist unverkennbar, dass die persönliche Beziehung für die Positionierung eines Akteurs in die Position eines Bischofs nicht unwichtig war. Die Quellenaussagen divergieren hinsichtlich der Beziehungen, der Auswahl eines Kandidaten, der Legitimierung und der Immunitäten, da eine normative Regelung zur Zeit der ersten Generation der Merowinger nach Chlodwig I. erst im Begriff war, zu entstehen. Das gilt im Übrigen nicht nur für die Aussagen zu Interaktionsweisen, sondern auch für die Aussagen zum Abgabensystem, die mit denen aus der erstgenannten Gruppe Überschneidungen haben. Dies wiederum führt zu der Feststellung, dass die Bischöfe für die Verstetigung der Präsenz der Könige im parzellierten Strukturierungszusammenhang und somit in dieser indirekten Weise für das Abgabensystem relevant waren: Während die Bischöfe selbstredend für die Erhebung von Abgaben aus den Kirchen direkt wichtig waren, sind die Abgaben, die die Besitzenden in den civitates betrafen, aller Wahrscheinlichkeit durch Würdenträger der Könige eingezogen worden.428 Die
425 Greg. hist.: 3.11; 3.12 und 3.13. 426 Dies taten von den Königen positionierte Würdenträger schon zur Zeit der ersten Generation nach Chlodwig I. Vgl. Hardt, Gold: S. 145 f. 427 Die Namen Patroclus und Panthenius wurden für Abgaben einziehende Akteure literarische verarbeitet. Dazu: „Franci vero cum Parthenium in odio magno haberent, pro eo quod eis tributa antedicti regis tempore inflixisset, eum persequi coeperunt.“ Greg. hist.: 3.36 und: „[…], Proculus quidam ex aerorio presbyter ordinatus, […].“ Greg. vit. patr.: 4.1. 428 Mit einem Verweis auf spätere Aussagen, die sich auf die Zeit nach dem Jahreswechsel 536/7 beziehen Kaiser, Steuer: S. 6 f.
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civitates und die Kirchen429 waren über das Abgabensystem exklusive Erwerbsobjekte der Könige. Dies kann als sicher bezeichnet werden, wenn auch die Verfasstheit des Systems nur indiziert und anhand der Aussagen nicht zu erschließen ist. Die Bedrohung der Bewohner und Kirchenakteure durch plündernde Akteure war somit eine Bedrohung für die ökonomische Prosperität des Abgabensystems.
2.5.3 Bedrohung der ökonomischen Prosperität: Plünderungen durch eine nordische Kriegergemeinschaft In den decem libri historiarum ist für die Zeit der ersten Generation nach Chlodwig I. bis zum Jahreswechsel 536/7 nur eine ausführlichere Erzählung gegeben, die Aussagen über Plünderungen durch externe Aggressoren umfasst. Ähnliche Erzählungen dieser Art betreffen einen späteren Zeitraum430 oder sind unter der Beteiligung der Merowinger erzählt.431 Angedeutet wird von Gregor an einer anderen Stelle der decem libri historiarum zwar, dass derartige Übergriffe auch durch ostrheinische Akteure stattgefunden haben, aber eine vollständige Erzählung gibt er nicht.432 Die Erzählung über den Einfall einer aus dem Norden herangezogenen Kriegergemeinschaft433 und ihrem Anführer434 umfasst Aussagen zum Plündern und zum Menschenraub.435 Gregor erzählt, dass König Theuderich I. seinen Sohn Theudebert mit ihm Folgeleistenden ausgesandt habe, um die Angreifer aufzuhalten. Dies sei auch gelungen. Die geplünderten Güter sowie Ressourcen und die geraubten Men-
429 Kirchen und civitates sind auch abseits der Quellenaussagen zum Abgabensystem selbstredend nicht scharf von einander getrennt zu erfassen, da die Aktivitäten der civitates-Bewohner mit denen der lokalen Akteure der Kirchen interdependent waren. Vgl. Jussen, Prozeduren: S. 674–677 und Jussen, Legitimation: S. 85 ff. 430 Beispielsweise drangen Awaren von Osten in das Gebiet des Königs Sigibert I. ein: „Nam post mortem Chlothari regis Chuni Gallias appetunt, contra quos Sigyberthus exercitum dirigit, et gestum contra eos bellum, vicit atque fugavit.“ Greg. hist.: 4.23. Dass es sich dabei nicht um „Hunnen“ sondern um Awaren handelt, geht aus einem Fragment des Werks von Menander Protector hervor. Mena. Protec.: 11 = Exc. de Leg. Gent. 10 (ed. Blockley, Menander: S. 127 f.). Die Aussagen wurden wahrscheinlich in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts auf oströmischem Gebiet – sehr wahrscheinlich in Konstantinopel – in griechischer Sprache verfasst. Für Gallien sind die Aussagen also ortsfern, wenn auch zeitnah. Dazu Brodka, Menander Protektor: S. 95–103. 431 Vgl. Springer, Sachsen: S. 97 ff. 432 Greg. hist.: 3.7. 433 „His ita gestis, Dani cum rege suo nomen Chlochilaichum evectu navale per mare Gallias appetunt.“ Greg. hist.: 3.3. 434 „Dani cum rege suo nomen Chlochilaichum […]“ Greg. hist.: 3.3. Chlochilaich wird mit der im Beowulfepos vorkommenden Figur Hyglac identifiziert. Vgl. Susanek, Art. Hygelac: S. 298–300. 435 „Egressique ad terras, pagum unum de regno Theudorici devastant atque captivant, oneratisque navibus tam de captivis quam de reliquis spoliis, reverti ad patriam cupiunt; sed rex eorum in litus resedebat, donec navis alto mare conpraehenderent, ipse deinceps secuturus.“ Greg. hist.: 3.3.
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schen seien dann nach einem Kampf zurück gewonnen worden.436 Mit dieser Erzählung ist ein weiterer Beleg dafür gegeben ist, dass das Plündern für das Organisieren von Folgeleistungen relevant war, da plündernde Kriegergemeinschaften im Sinne der ersten Form des Warlordism und den Ergebnissen zu den passiven Relevanzarten abgewehrt werden mussten. Jedoch verlangt diese Feststellung einen genaueren Blick auf das Organisieren der Folgeleistungen. Die Siedlungsgemeinschaften ihrer Herkunft waren nicht direkt bedroht. Zumindest erzählt Gregor nichts darüber. Das zentrale Problem liegt in diesem Fall an der geringen Zahl der Aussagen und daran, dass sie von nur einem Autor relativ zeitfern verfasst worden sind.437 Gregor erzählt einfach nicht, ob die Akteure, die Theudebert Folge leisteten, aus einer Siedlungsgemeinschaft aus der Nähe stammten, oder nicht.438 Auch wird nicht erzählt, was mit den materiellen Gütern und Ressourcen nach dem Sieg über die Akteure aus dem Norden passiert ist. Erzählt wird nur, dass Theuderich I. seinen Sohn ungehindert und unhinterfragt mit ihm Folgeleistenden entsenden kann. Im Gegensatz zu einigen Erzählungen Gregors zum Verhältnis Chlodwigs I. zu den ihm Folgeleistenden439 ist hierbei keine symmetrische Wechselwirkung bei dem Organisieren von Folgeleistungen erzählt. Hieraus aber die Annahme eines Wandels im Verhältnis zwischen den Folgeleistenden und dem Anführer zu konstituieren, geht in diesem Fall offenbar fehl, da die Erzählung zu der nordischen Kriegergemeinschaft eine Verallgemeinerung kaum zulässt. Eine aus den vorherigen analytischen Kontexten ableitbare Annahme ist, dass Theuderich I. wie schon sein Vater für die Folgeleistenden Chancen auf Plünderungen und somit Erwerbsmöglichkeiten symbolisierte und daher Folgeleistungen organisieren konnte. Auch in diesem Fall, in dem sie nicht plündern konnten, leisteten sie doch Folge, da sie später derartige Erwerbsmöglichkeiten zu erwarten hatten.440 Dem kann allerdings plausibel entge-
436 „Quod cum Theudorico nuntiatum fuisset, quod scilicet regio eius fuerit ab extraneis devastata, Theudobertum, filium suum, in illis partibus cum valido exercitu ac magno armorum apparatu direxit. Qui, interfectu rege, hostibus navali proelio superatis oppraemit omnemque rapinam terrae restituit.“ Greg. hist.: 3.3. 437 Daher ist auch die Datierung nicht sicher. Für eine Datierung um 523 Newton, Beowulf: S. 27. Für eine Datierung zwischen 515 und 530 Haarder und Shippey, Introduction: S. 18. 438 Insgesamt Greg. hist.: 3.3. 439 Zum einen die Erzählung über die Teilung von Soissons. Greg. hist.: 2.27. Zum anderen die Erzählung über die Taufe. Greg. hist.: 2.31. In beiden Erzählungen sind die Folgeleistenden für die Handlungen der Königsfigur bedingend. Für ähnliche Erzählungen des Autors für die erste Generation nach Chlodwig I. Greg. hist.: 3.12 und 3.23. 440 Allerdings ist möglich, dass die von der nordischen Kriegergemeinschaft geplünderten Güter und Ressourcen an die siegreichen Akteure gingen. Insofern würde nicht nur die Abwehr von plündernden Akteuren, sondern auch die Chance auf den Erwerb von materiellen Gütern und Ressourcen als Antwort auf die Frage nach den Folgeleistungen gegeben werden können. Vorherige analytische Kontexte können dafür zwar als Regulative nutzbar gemacht werden, jedoch führt auch dies letztlich nicht dazu, andere Annahmen völlig ausschließen zu können. Greg. hist.: 3.3.
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gengehalten werden, dass der Sieg Theudeberts eine vorbereitende Funktion in der Erzählung hat, da die Figur insgesamt von Gregor positiv konzipiert wird.441 Diese auf der Ebene des Textes verweilende Annahme ist daher verglichen mit anderen Annahmen am wahrscheinlichsten, was nicht heißen soll, dass Gregor bei der literarischen Verarbeitung nicht auf Informationen rekurriert hat.442 Bemerkenswert ist in Anbetracht der Erzählung über diese Plünderungsoperation abschließend, dass sie die einzige ausführliche und deutliche in den decem libri historiarum ist, die eine solche zur Zeit der Könige der ersten Generation nach Chlodwig I. ohne das aktive Betreiben eines Merowingers umfasst, obwohl der parzellierte Strukturierungszusammenhang zu dieser Zeit einen weiten geographischen Raum umschloss. Innergallische Militäroperationen unter Anführung der Merowinger im Strukturierungszusammenhang sind hingegen weit öfter erzählt.
2.5.4 Erosion eines Teils des parzellierten Strukturierungszusammenhangs: Die militärische Operation in Clermont Die Quellenlage zur militärischen Operation gegen die Bewohner in Clermont ist weit umfangreicher als die zum Angriff der nordischen Kriegergemeinschaft. Erneut liefert Gregor von Tours die meisten Aussagen. Neben mehreren Kapiteln im dritten Buch der decem libri historiarum wird mehrfach in den hagiographischen Schriften des Bischofs auf die Informationen zu der militärischen Operation rekurriert. Gregor erzählt,443 dass während Theuderich I. mit den ihm Folgeleistenden in dem Gebiet der thüringischen Könige weilt, in Clermont das Gerücht verbreitet wird,
441 Repräsentativ: „At ille in regno firmatus, magnum se atque in omni bonitate praecipuum reddidit. Erat enim regnum cum iustitia regens, sacerdotes venerans, eclesias munerans, pauperes relevans et multa multis beneficia pia ac dulcissima accommodans voluntate.“ Greg. hist.: 3.25. Noch positiver wird Theudebert I. in der Chronik des Bischofs Marius dargestellt: „Eo anno Theudebertus rex magnus Francorum obiit et sedit in regno eius Teudebaldus filius ipsius.“ Mar. aven. chron.: 548.1. Diese Aufzeichnung ist ein Indikator für einen Rekurs Gregors auf Informationen auf eine allgemeine Tradition zum König. Überblickend zur positiven Darstellung des Theudebert I. in den Quellen Beisel, Theudebertus: S. 135 ff. 442 Vgl. Newton, Beowulf: S. 27 ff. sowie Haarder und Shippey, Introduction: S. 18 ff. 443 Es handelt sich um nur eine militärische Operation und nicht, wie auch angenommen, um zwei Operationen. Repräsentativ für die Annahme Zöllner, Franken: S. 80 und Heinzelmann, Prosopographie: S. 703. Ihre Vertreter beziehen sich dabei auf eine Stelle aus dem liber de passione et virtutibus sancti Iuliani martyris. Da im 23. Kapitel der Vita, in der über die militärische Operation erzählt wird, auch auf den Bischof Gallus, einem Onkel Gregors, der dem Bischof Quintianus in Clermont nachgefolgt war, eingegangen wird. Weil Gregor in den decem libri historiarum erzählt, dass zur Zeit der Operation Quintianus der Bischof war, wird angenommen, dass es zwei Operationen gab. Greg. virt. jul.: 23 und Greg. hist.: 3.12. Tatsächlich ist das 23. Kapitel aber mit „De pede Galli postmodum episcopi sanato“ überschrieben. Darin steht: „Erat enim tunc temporis apud urbem Avernam patruus meus Gallus episcopus, de quo non omitti, qualiter in adolesentia sua fuerit a sancti virtute iuvatus.“
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er sei in der Schlacht gefallen. Daraufhin ruft ein Akteur namens Arcadius, der von Gregor als senator bezeichnet wird,444 König Childebert I. mit den ihm Folgeleistenden herbei. Als der König in Clermont ankommt, öffnet ihm Arcadius die Tore, doch zieht er wieder in Richtung Iberischer Halbinsel ab und plünderten dort,445 nachdem klar wird, dass Theuderich I. noch lebt.446 Darauf wollen die Könige Chlothar I. und Childebert I. – Chlodomer war zu dieser Zeit bereits tot447 – in den Südosten Galliens ziehen und gegen den burgundischen König Godomar II.448 operieren. Sie bitten ihren Halbbruder deshalb um Unterstützung. Doch er will nicht mit ihnen kooperieren.449 Gregor erzählt weiter, dass die dem König Theuderich I. Folgeleistenden diesem drohen, sie würden, wenn er nicht mit seinen Halbbrüdern in Richtung Südosten ziehe, lieber diesen Folge leisten als weiterhin ihm. Theuderich I. bietet daher mit zweifachem Verweis auf den umfangreichen Bestand von materiellen Gütern und Chancen auf Plünderungen eine Operation nach Clermont an. Dies führt dazu, dass sie ihm weiter Folge leisten.450 In den nächsten beiden Kapiteln werden dann die Plünderungen und der Menschenraub in Clermont erzählt. Die Kirchen451 werden genauso wenig geschont wie die Landgüter der Bewohner.452 Dabei gehen auch Akteure aus
Daher ist mit Wood den Vertretern dieser Annahme nicht zuzustimmen. Vgl. Wood, Clermont: S. 38, Anm. 8. Dazu Greg. vit. patr.: 6.2. 444 „Archadius quoque, unus ex senatoribus Arvernis, Childeberthum invitat, ut regionem illam deberet accipere.“ Greg. hist.: 3.9. 445 Childeberthus vero inter reliquos thesauros ministeria eclesiarum praetiosissima detulit. Nam sexaginta calices, quindecim patenas, viginti euangeliorum capsas detulit, omnia ex auro puro ac gemmis praetiosis ornatas.“ Greg. hist.: 3.10. 446 „Quod certissime Childeberthus cognoscens, ab Arverno rediit et Hispaniam propter sororem suam Chlotchildem dirigit.“ Greg. hist.: 3.10. 447 Chlodomer starb 524. Zur Datierung Mar. aven. chron.: 524. Die Operation fand erst 534 statt. Daran war wohl auch der Sohn Theuderichs I. beteiligt. Dazu: „Hoc consule reges Francorum Childebertus, Chlotarius et Theudebertus Burgundiam obtinuerunt et fugato Godomaro rege regnum ipsius diviserunt.“ Mar. aven. chron.: 534.1. Vgl. Kaiser, Burgunder: S. 73. 448 Vgl. Anton, Art. Godomar II.: S. 267–268. 449 Greg. hist.: 3.11. Eine mögliche Begründung ergibt sich aus den Aussagen zur Ehe der Theuderich I. mit einer Tochter des Königs Sigismund. Greg. hist.: 3.5. 450 „Franci vero, qui ad eum aspiciebant, dixerunt: ‚Si cum fratribus tuis in Burgundiam ire dispexeris, te relinquimus et illos sequi satius praeoptamus‘. At ille infidelis sibi exhistimans Arvernus, ait: ‚Me sequimini, et ego vos inducam in patriam, ubi aurum et argentum accipiatis, quantum vestra potest desiderare cupiditas, de qua pecora, de qua mancipia, de qua vestimenta in abundantiam adsumatis. Tantum hos ne sequamini!‘ His promissionibus hi inlecti suam voluntatem facere repromittunt. Ille vero illuc transire disponit, promittens iterum atque iterum exercitu cuncta regionis praedam cum hominibus in suis regionibus transferre permittere.“ Greg. hist.: 3.11. 451 Greg. virt. jul.: 13. Dies geht auch aus einem canon des Konzils von Clermont im Jahr 353 hervor. MGH Conc. 1 Concilium Avernense 535: c.14. 452 „Theudoricus vero cum exercitu Arverno veniens, totam regionem devastat ac proterit. Interea Archadius sceleris illius auctor, cuius ignavia regio devastata est, Bituricas urbem petiit.“ Greg. hist.: 3.12. Auch Greg. hist.: 3.13.
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der örtlichen Bevölkerung zu Plünderungen über.453 Einige der Belagerten in Marlhac versuchen einen Ausfall, um selbst plündernd zu können. Sie werden jedoch gefangen und Lösegeld wird gezahlt.454 Auch erzählt Gregor, dass Theuderich I. einige der plündernden Akteure im Nachhinein bestraft, da sie in Brioude geplündert haben. Weitere Plünderungen der Kirche des heiligen Julian verbietet er.455 Da diese Erzählung jedoch nur im liber de passione et virtutibus sancti Iuliani martyris und nicht in den decem libri historiarum vorhanden ist, kann diese Bestrafung und das Verbot als Herausstellung des Protagonisten in diesem hagiographischen Text dienen und muss daher kein Rekurs auf Informationen sein.456 Nach dem Sieg in Clermont lässt Theuderich I. seinen Vetter Sigivald457 in dem Gebiet zurück.458 Für die Untersuchung dieser Erzählung ist gleich zu Beginn festzuhalten, dass der Autor nicht bei dem Gespräch zwischen Theuderich I. und den ihm Folgeleistenden anwesend gewesen sein kann. Das erzählte Verhältnis zwischen dem König und den ihm Folgeleistenden ist jedoch zu dem in der Erzählung über die nordische Kriegergemeinschaft vollkommen unterschiedlich. Die Frage, warum die Akteure hier Folge leisten, stellt sich gar nicht. Sie ist anhand der Aussagen leicht zu beantworten: Es sind die Chancen auf Plünderungen, die die Akteure Folge leisten lassen und mehr noch ist klar, dass sie sogar solche erzwingen können, wenn ein König diese nicht gewährt, obwohl er die Option dazu hat. Das Plündern war also mehr als deutlich für das Organisieren von Folgeleistungen relevant. Dazu sollte noch betont werden, dass auch erzählt wird, wie Childebert I. nach seinem Abzug aus Clermont umgehend Erwerbschancen durch Plünderungen offeriert. Gregor rekurriert besonders häufig auf Informationen aus dem Gebiet von Tours und den nah gelegenen Gebieten.459 Er war selbst in seiner Jugend in Clermont460 und einer seiner Verwandten war zu dieser Zeit der Bischof in der civitas.461 Den
453 Greg. hist.: 3.13. 454 „Huius munitionis tutamine elati qui obsessi erant, egressi foras, ut, arreptum aliquid praedae, iterum se intra castelli septa reconderent, ab hostibus conpraehensi sunt. Erant autem quinquaginta viri. Tunc ante ora parentum, vinctis postergum manibus, oblati, inminente iam gladio, adquiverunt obsessi, ne hi interfecerentur, singulos treantes dare in redemptionem suam.“ Greg. hist.: 3.13. 455 Greg. virt. jul.: 13. 456 Im Vergleich mit dem Motiv des Untersagens in den decem libri historiarum bei der Erzählung zur militärischen Operation gegen Alarich II. unter dem Bezug auf den Brief Chlodwigs I. an die Kirchen im Südwesten Galliens ist durchaus möglich, dass es sich hier um eine literarische Verarbeitung von Informationen handelt, bei der die Wirkung der Erzählfiguren funktional gestaltet worden ist. Dazu Becher, Chlodwig I.: S. 225 ff. 457 Insgesamt zu ihm Heinzelmann, Prosopographie: S. 695. 458 Greg. hist.: 3.13. 459 Vgl. Breukelaar, Authority: S. 224 f. 460 Vgl. Wood, Gregory: S. 8. Dazu Greg. vit. patr.: 2.2. 461 Vgl. Heinzelmann, Gregor: S. 11 f.
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Rekurs auf eine mündliche Tradition zu beziehen, ist daher besonders plausibel,462 auch, da seine Familie Beziehungen nach Brioude463 unterhielt.464 Die Operation betraf also nicht nur die Kirchen in Clermont und die Bewohner, sondern auch die Familie Gregors. Das macht einen Rekurs Gregors auf Informationen wahrscheinlich. Für das Gespräch zwischen dem König und den Folgeleistenden vor der Operation ist ein Rekurs jedoch nicht derart wahrscheinlich: Der König ist hier eindeutig darum bemüht, Folgeleistungen zu organisieren, indem er Erwerbschancen offeriert. Die Autorenperspektive erlaubt zweierlei anzunehmen: Entweder verarbeitet Gregor hier Informationen literarisch oder der Bischof projiziert eine seiner Vorstellungen zum Organisieren von Folgeleistungen auf die ihm zur Verfügung stehenden Informationen bei ihrer literarischen Verarbeitung. Die Annahme einer rein fiktionalen, von Geschehen der Lebenszeit Gregors losgelösten, sprachlichen Konstruktion ist kaum zu halten. Dafür sprechen einige textimmanente Argumente. Im Text funktioniert das Gespräch über die Erwerbschancen als Begründung für die Operation nach Clermont. Daher ist die Annahme, es handele sich um eine Strafaktion des Königs gegen die Bewohner nicht haltbar, auch, da zuvor nicht die Gesamtbevölkerung oder die Akteure der Kirchen, sondern nur eine Figur alleinig Childebert I. herbeiruft. Die Aussagen zu den Umbesetzungen einiger Positionen nach den Plünderungen465 sprechen zwar dafür, dass Arcadius nicht allein gehandelt hat, doch ist von einem Aufstand der Bewohner gegen den König auch auf der Basis dieser Aussagen kaum auszugehen.466 Es scheint plausibel, dass die lokale Administration und damit wohl auch der Bischof von Clermont467 den König abgelehnt hat. Aber eine Strafaktion hätte sie allein treffen müssen. Insofern ist der Arcadius-Aufstand
462 Vgl. Wood, Individuality: S. 35. 463 Zur geographischen Lage von Brioude Heinzelmann, Gregor: S. 27. 464 Zu den Beziehungen Greg. virt. jul.: 24 und 25. Dazu Wood, Gregory: S. 8. 465 Hortensius war nach der militärischen Operation comes in Clermont. Greg. vit patr.: 4.3. Zur Datierung Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 115. Nach der militärischen Operation trat aber auch ein anderer comes mit Namen Becco dort auf. Greg. virt. jul.: 16. Heinzelmann nimmt an, dass Hortensius erst nach der militärischen Operation eingesetzt worden sei. Vgl. Heinzelmann, Prospographie: S. 627. Es ist aber auch annehmbar, dass er es schon zuvor war und dann kurz nach dem Abzug der Folgeleistenden des Theuderich I. entfernt worden ist. Dies geht aus den angegebenen Aussagen nicht ganz hervor, ist aber plausibel in Anbetracht der Nennung zweier Namen von comites nach der militärischen Operation. 466 Zudem erzählt Gregor, dass Arcadius nach dem Erscheinen Theuderichs I. mit den ihm Folgeleistenden in die civitas Bourges (Biturcia) flieht, die in dem Strukturierungszusammenhang Childeberts I. inkorporiert war. „Interea Archadius sceleris illius auctor, cuius ignavia regio devastata est, Bituricas urbem petiit. Erat autem tunc temporis urbs illa in regno Childeberthi regis.“ Greg. hist.: 3.12. Auch werden einige seiner Verwandten bestraft und ihr Besitz wird eingezogen. Greg. hist.: 3.12. 467 Zumindest war der Bischof um die Einstellung der Belagerung bemüht und ging daher zum König. Greg. vit. patr.: 4.2. Ähnlich Greg. hist.: 3.12. Bemühungen seinerseits gegenüber den in der civitas Belagerten, dem König die Tore zu öffnen, gibt es nicht.
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nicht in einem Kausalzusammenhang zu dem Offerieren von Erwerbschancen zu verstehen. Die Aussagen zu der Art des Organisierens stehen hierbei offenbar in einem funktionalen Verhältnis der Erzählung zur militärischen Operation gegen den König im südöstlichen Gallien, die nur sehr knapp erzählt ist.468 Gegen die Annahme einer fiktionalen Sprachkonstruktion und gleichzeitig für die Argumentation einer Projektion oder eines Rekurses auf Informationen ist zum einen zu betonen, dass die Erzählung über die Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen kontextuell zu der Operation in Clermont geschrieben wurde und nicht kausal. Zum zweiten ist in der bisherigen Untersuchung das Offerieren von Erwerbschancen durch Inhaber einer Königsposition – auch wenn sie nur symbolisiert worden sind – herausgearbeitet worden.469 Drittens kann als sicher bezeichnet werden, dass das Plündern als die Erwerbsweise der Akteure im Kriegermodus auch zur Zeit der ersten Generation nach Chlodwig I. nicht durch kontinuierliche Zahlungen an diese substituiert worden ist und viertens ist erneut die Nähe Gregors zu den Kirchen in Clermont anzuführen. Eine exakte Bestimmung, ob eher der Annahme einer Projektion oder einer literarischen Verarbeitung von Informationen zugesprochen werden sollte, ist kaum zu geben. Sie ist aber auch nicht unbedingt nötig, um die Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen zu verdeutlichen: Es konnte deutlich gemacht werden, dass es einige Argumente gibt, die gegen die Annahme einer rein fiktionalen Sprachkonstruktion angeführt werden können. Das Plündern wird mit dieser Erzählung für das Organisieren von Folgeleistungen ausdrücklich relevant. Nach der militärischen Operation in Clermont musste die Präsenz König Theuderichs I. konsolidiert werden. Wie erwähnt, wurde Sigivald in Clermont von König Theuderich I. zurückgelassen. Er wird von Gregor als Vetter Theuderichs I. bezeichnet.470 Ein Vetter ist ein Blutsverwandter und somit hatten der König und Sigivald gemeinsame Großeltern. Jedoch besagt diese Angabe nicht, dass Sigivald mit Chlodwig I. über dessen Eltern verwandt gewesen sein muss. Auch eine Verwandtschaft über die Eltern der ersten Gattin Chlodwigs I. ist möglich.471 Die Annnahme, Sigivald sei über den König Sigibert von Köln mit Theuderich I. verwandt,472 ist daher umso schwerer zu halten, da hierfür Sigibert von Köln entweder ein Bruder Chlodwigs I. oder seiner ersten Gattin gewesen sein müsste: Dies ist bar jeder Evidenz.
468 „Chlothacharius vero et Childeberthus in Burgundiam dirigunt, Agustidunumque obsedentes, cunctam, fugato Godomaro, Burgundiam occupaverunt.“ Greg. hist.: 3.11. 469 Überblickend für die Quellenaussagen Bodmer, Krieger: S. 67–73 und S. 75 f. 470 „Theudoricus autem ab Arverno discendens, Sigivaldum, parentem suum, in ea quasi pro custodia dereliquid.“ Greg. hist.: 3.13. 471 Greg. hist.: 2.28. 472 Vgl. Ewig, Merowinger: S. 80.
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Angenommen wurde auch, dass Sigivald als dux des Königs in Clermont tätig war.473 Für diese Annahme ist aber nur eine Quellenaussage gegeben, die sich nicht direkt auf die Handlungen Sigivalds in Clermont bezieht.474 Gregor verwendet das Wort dux jedoch auch für die Bezeichnung einer anderen Figur im Zusammenhang seiner Erzählung über die Operation im liber vitae patrum. Der hier zum ersten und einzigen Mal erwähnte Hilping wird als dux bezeichnet.475 Für ihn wird wiederum angenommen, dass er ein herausragender Akteur in der dem König Theuderich I. Folge leistenden Kriegergemeinschaft war.476 Tatsächlich ist es auf dieser Aussagenbasis weit plausibler, dass Hilping als dux in Clermont und Sigivald für seinen Verwandten im Sinne der älteren Kooperationsformen dort tätig war. Jedoch fehlt für Hilping nach dem Abzug aus Clermont jeder Beleg und da die Figur in der Erzählpassage als Vermittler im Zusammenhang mit einem Wunder auftritt,477 ist selbst die Existenz eines Menschen namens Hilping zu bezweifeln: Die Figur tritt in einer für die Stilisierung des Protagonisten, einem Bischof,478 textimmanenten Funktion auf. Sicher ist also nur, dass Sigivald ein Vetter Theuderichs I. war, der nach dessen Abzug aus Clermont dort verweilte und damit zur Konsolidierung der Präsenz des Königs beitrug. Insofern ähnelt dieses Verhältnis der Kooperation zwischen Chlodwig I. und einigen Peripheriekönige vor deren Ermordungen. Dass Sigivald ein dux des Königs war, ist hingegen genauso wenig sicher, wie die Handlungskompetenzen der mit dem Wort dux bezeichneten Position. Sicher ist noch nicht einmal, ob die Position regional-strukturell war; also einen konkret geographischen Bezugsrahmen hatte.479 Die ihr immanenten Handlungskompetenzen wären dann als transpersonal aufzufassen. Möglich ist, dass die Position wegen den Folgeleistenden des als dux bezeichneten Sigivald bestand und somit nicht regional-strukturell sondern personell aufzufassen ist. Dabei ist erneut zu betonen, dass diese personelle Position auf der Deutungsebene auch strukturgebunden gedacht werden kann, da mit der Aussage zum dux Hilping das Organisieren von Folgeleistungen als bereits differenzierter Prozess deutbar ist. Leider geben die Aussagen zum Kontinuum der militärischen
473 Vor allem die älteren aber auch neueren prosopographischen Angaben sind hierfür zu beachten. Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 154 f. und Heinzelmann, Prosopographie: S. 695. 474 „Transiit post haec et Brachio abba cellulae Manatensis. Fuit autem genere Thoringus, in servitio Sigivaldi quondam ducis venationern exercens, sicut alibi scripsimus.“ Greg. hist.: 5.12. 475 Greg. vit. patr.: 4.2. Zu den Aussagen Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 115. 476 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 115. 477 Greg. vit. patr.: 4.2. 478 Es handelt sich um den bereits mehrfach erwähnten Bischof Quintianus von Clermont. Greg. vit. patr.: 4.2. 479 Für den strukturgebundenen Gebrauch des Wortes dux während der Erosion der weströmischen Ordnung Claude/Wenskus/Loyn/Naumann, Art. Dux: S. 297 ff. Für die Problematik der Aussagenlage seit dem Ende des 5. bis in die Mitte des 6. Jahrhunderts Lewis, Dukes: S. 384 f. Zur semantischen Problematik der frühmittelalterlichen Autoren Zotz, Würden: S. 9–12.
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Operation in Clermont zu wenig her, um die damit verbundenen Fragen an dieser Stelle beantworten zu können. Da sie aber für die Antwort auf die Leitfrage wichtig sind, werden sie in der nächsten Passage angegangen und systematisch entfaltet. In dem Quellenbestand zur militärischen Operation in Clermont werden zwei Akteure jeweils als comes bezeichnet. Es handelt sich zum einen um Hortensius,480 der auch als senator bezeichnet wird,481 und um Becco.482 Hortensius war offenbar vor Becco comes in der civitas,483 da nach Gregor der Zweitgenannte zur Zeit Sigivalds in der civitas tätig war484 und der Erstgenannte noch kurz nach der Belagerung der civitas aktiv war.485 Für den Gebrauch des Wortes comes gilt allerdings ähnliches wie für den des Wortes dux, denn unklar bleibt auch hier, welche Handlungskompetenzen der Position innewohnten, wie sie in die civitas eingebettet war und somit auch, welche überregionale Relevanz die Position für den König abseits der Konsolidierung seiner Präsenz in der civitas hatte. Dass die Position für diese relevant war, zeigt bereits das Ersetzen eines der Inhaber der Position mit einem anderen. Auffällig ist weiter, dass Gregor in verschiedenen seiner Schriften die Handelnden in Clermont als senatores bezeichnet.486 Der Wortgebrauch überrascht, da das Wort vordergründig die Mitgliedschaft zum Senat in Rom beschreibt.487 Der Senat bestand nach 476 weiterhin.488 Die Anbindung an die Traditionsform der weströmischen und gesamt römischen Ordnung ist mit dem Gebrauch dieses Wortes somit gegeben. Das kann auch daran liegen, dass die Informationen, auf die Gregor rekurrierte, den Gebrauch für ihn als angemessen erscheinen ließen.489 Dass sich die beiden Akteure in Rom im Senat betätigten, ist jedoch sehr unwahrscheinlich.490 Im Zusammenhang seiner Erzählung wird damit primär das Herausragen der auf diese Art bezeichneten Figuren erfassbar. Dieses Herausragen scheint aber nicht
480 Vgl. Heinzelmann, Prosopographie: S. 627 und Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 115. 481 „Post peractam igitur stragem cladis Avernae Hortensius unus es senatoribus comitatum urbis illus agens, quondam de patentibus sancti, id est Honoratum nomine, in urbis platea nequiter reteneri iussit.“ Greg. vit. patr.: 4.3. 482 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 54. 483 Hortensius war nach der militärischen Operation comes in Clermont Greg. vit. patr.: 4.3. Nach der militärischen Operation trat aber auch ein anderer comes mit Namen Becco dort auf Greg. virt. jul.: 16. Zur Datierung Selle-Hosbach: S. 115. 484 Greg. virt. jul.: 16. 485 Greg. vit. patr.: 4.3. 486 Greg. hist.: 3.15 und Greg. vit. patr.: 4.3. Auch Akteure in anderen civitates werden von ihm als senator bezeichnet. Beispielsweise Greg. hist.: 3.15 und 3.17. 487 Vgl. Gillard, Senators: S. 688 f. 488 Überblickend Martin, Spätantike: S. 93 f. und Demandt, Spätantike: S. 253–265. 489 Vgl. Stroheker, Adel: S. 106–136. 490 Er konnte sich aber auch auf die curiae in den civitates beziehen. Sie waren im 6. Jahrhundert in Gallien aber nicht mehr relevant. Dazu und zu den senatores des Senats in Rom. Vgl. Gillard, Senators: S. 687.
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direkt lokalstruktureller Art gewesen zu sein, da das Wort senator neben comes zugleich in Bezug auf einen Akteur gebraucht worden ist.491 Worin das Herausragen der jeweils als senator Bezeichneten bestand, kann nicht eindeutig bestimmt werden.492 Zwar scheint assoziativ plausibel, dass sie vermögend oder Besitzer von Landgütern waren,493 doch fehlen Angaben dazu.494 Auch die Aussagen, dass der Sohn des Hortensius mit Namen Evodius zum Bischof von Javols (Gabalum) – zuvor war er nach Aussagen einer allerdings zeitfern verfassten Heiligenvita comes in Clermont495 – erhoben wurde,496 kann nicht einfach unreflektiert für die Annahme verwertet werden, die Familie des als senator bezeichneten Hortensius sei reich begütert gewesen.497 Es ist nicht ausgeschlossen, dass Mitglieder seiner Familie während der Erosion in Gallien einen sozialen Aufstieg erlebten, der dazu führte, dass sie Handlungskompetenzen akkumulierten, die sie in der Position comes in der civitas binden und transpersonalisieren konnten. Dass die Familie nicht nur einmal den comes stellte, kann dafür entsprechend herangezogen werden. Für den Gebrauch des Wortes senator kann zusätzlich festgehalten werden, dass hierin die semantische Problematik der zeitnahen Autoren erneut zu erfassen ist, die schon für die Bezeichnungen für andere Akteure in Gallien während der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts erschlossen wurde. Die Konsolidierung wurde auch in der Besetzung der Position des Bischofs nach dem Tod des Quintianus, der wahrscheinlich relativ zeitnah nach der militärischen Operation in Clermont erfolgte,498 vorangetrieben. Ihm folgte auf ausdrücklichen Wunsch Theuderichs I. Gallus nach,499 der Onkel Gregors von Tours.500 Gallus weilte schon als Junge in der Nähe des Königs.501 Als Quintianus dann gestorben war, setzte Theuderich I. ihn entgegen des Wunsches der Kleriker aus Trier ein, wobei Gallus von
491 Greg. vit. patr.: 4.3. 492 Zur Annahme, dass das Wort senator zur Bezeichnung eines ökonomisch herausragenden Akteurs gebraucht worden ist Gillard, Senators: S. 692. Kritisch zur Annahme Brennan, Senators: S. 147. 493 Vgl. Gillard, Senators: S. 692 ff. 494 Vgl. Brennan, Senators: S. 147 und S. 158 f. 495 Vita Dalmatii: 9. Die vita dalmatii episcopi ruteni ist jedoch sehr wahrscheinlich nicht vor dem 8. Jahrhundert entstanden. Vgl. Jansen und Schmitz-Kallenberg, Quellen: S. 21. 496 Vgl. Heinzelmann, Prosopographie: S. 605. Die Annahme Strohekers, er sei seinem Vater Hortensius direkt als comes gefolgt, ist nicht zuzustimmen. Vgl. Stroheker, Adel: S. 171. Dies geht aus den Aussagen der vita dalmatii nicht hervor: „Apud Evidoium illus urbis comitem vite adhuc pendenti reo longeva securitas obtinetur.“ Vita Dalmatii: 9. 497 Zeitnahe Aussagen fehlen. Mit Gedanken zu dieser Kausalannahme vgl. Patzold, Sozialstruktur: S. 121 ff. 498 Zur Datierung Heinzelmann, Prosopographie: S. 678. 499 Greg. vit. patr.: 6.3. 500 Vgl. Heinzelmann, Gregor: S. 11 f. 501 Greg. vit. patr.: 6.2.
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den Klerikern in Clermont erwünscht wurde.502 Dass die persönliche Beziehung zwischen den beiden hierbei als ein Aspekt der Konsolidierung zu bezeichnen ist, bleibt auch bei der kritischen Frage nach dem Rekurs Gregors sehr wahrscheinlich: Gallus war dessen Onkel und er lebte zeitweilig bei Gallus.503 Insgesamt sind für die Konsolidierung der Präsenz König Theuderichs I. in Clermont nach den Plünderungen zwei Aspekte zu nennen, die schon bei der Untersuchung der Quellen zu der Zeit Chlodwigs I. als Ergebnisse gewonnen worden sind: Dies sind zum einen die persönlichen Beziehungen zwischen dem König und anderen Akteuren. Sigivald und Gallus sind hierfür zu nennen. Zum anderen die strukturellen Positionen der lokalen Administration. Neben der Position des Bischofs ist auch diejenige zu nennen, die mit comes bezeichnet wird. Die mit dux bezeichnete Position ist in diesem Fall mit Vorsicht besser nicht einzubeziehen, da zwar mit dem dux Hilping während der militärischen Operation ein Akteur anwesend zu sein gewesen scheint, der ausdrücklich mit dem Wort bezeichnet worden ist. Doch hat dieser wohl kaum zur Konsolidierung nach dem Ende der Operation beigetragen. Sigivald wird nur ein Mal – in einem anderen Kontext – als dux bezeichnet. Sonst wird sein Herausragen ohne diese Bezeichnung erzählt.504 Er wurde nach dem Ende der Operation mit seiner Familie505 und Anderen506 als deren Anführer zurückgelassen.507 Unklar ist, ob die Akteure ihm direkt Folge leisteten oder ob sie durch den König an Sigivald gelangt sind. Sicher ist, dass Sigivald und diese Akteure Verfehlungen gegen christliche Handlungsnormen508 begangen haben.509 Es ist möglich, dass Sigivald Folgeleistungen in der civitas ähnlich wie die Könige mit dem Offerieren von Erwerbschancen organisieren konnte.510 Dass ihn Theuderich I. später ermorden lies, wäre dann damit zu begründen, dass er das exklusive Erwerbsobjekt des Königs ökonomisch
502 Greg. vit. patr.: 6.3. 503 Vgl. Heinzelmann, Gregor: S. 27. 504 Greg. vit. patr.: 5.2 und 12.2 sowie Greg. virt. jul. 13 und 14. 505 Greg. virt. jul.: 14. 506 Tatsächlich wird nie klar, dass ihm Akteure wegen Erwerbschancen Folge leisteten, was nicht heißt, dass die in einer Abhängigkeitsbeziehung zu ihm stehenden servi nicht erwerbend tätig wurden. Greg. hist.: 3.16; Greg. vit. patr.: 12.2 und Greg. virt. jul.: 14. Der einmalige Gebrauch des Wortes dux kann als ein Indikator dafür angesehen werden, dass ihm Akteure Folge leisteten. Es scheint aber in Anbetracht der übrigen Aussagen hier nicht in Bezug auf eine regional-strukturelle Position gebraucht worden zu sein. Dass es sich hierbei um eine ältere Kooperationsform handelt, ist wahrscheinlicher. 507 „Theudoricus autem ab Arverno discendens, Sigivaldum, parentem suum, in ea quasi pro custodia dereliquid.“ Greg. hist.: 3.12. Auch Greg. hist.: 3.16. 508 „Sigivaldus autem cum in Arverno habitaret, multa mala in ea faciebat. Nam et res diversorum pervadebat, et servi eius non desistebant a furtis, homicidiis ac superventis diversisque sceleribus, nec ullus muttiri ausus erat coram eis.“ Greg. hist.: 3.16. Auch Greg. virt. jul.: 14. 509 Greg. hist.: 3.16. 510 Greg. hist.: 3.16. Auch Greg. vit. patr.: 12.2 und Greg. virt. jul.: 14.
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schädigte. Die Annahme eines Usurpationsversuchs ist dagegen unwahrscheinlicher.511 Wie mit den ihm Folgeleistenden in Clermont umgegangen worden ist, wird von Gregor nicht erzählt.512 Es kann für diese nur vermutet werden, dass sie entweder im Kriegermodus verweilten und dem König weiter Folge leisteten, oder in einen anderen Modus übergingen.
2.5.5 Grundsätzliches: Lokal- und regional-strukturelle Administration, herausragende Akteure und das Organisieren von Folgeleistungen zur Zeit der ersten Generation nach Chlodwig I. Die Frage nach der Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen wurde bereits im ersten Kapitel nicht nur auf Inhaber von Königspositionen bezogen. Aussagen zu anderen Anführern wie Aegidius, Agrippinus, Avitus, Ecdicius und dem comes Paulus sind untersucht worden. Im 6. Jahrhundert kommen nun weitere Akteure hinzu. Der Quellenbestand zu ihnen ist für die Zeit der ersten Generation nach Chlodwig I. jedoch im Verhältnis zu den Aussagen zu der Zeit der zweiten Generation relativ gering.513 Begonnen wird mit den Akteuren der lokal- und regional-strukturellen Administration. Es werden dazu auch die wenigen Aussagen zum Gebrauch des Wortes grafio in den Bestand aufgenommen, da die derart Bezeichneten ebenfalls in der lokal-strukturellen Administration agierten. Die Bischöfe als Akteure der lokalstrukturellen Adimistration werden in diesem analytischen Kontext nicht berücksichtigt, da die Quellenaussagen zu diesen bereits ausführlich untersucht worden sind. Die diskursive Prozessdynamik der Erosion brachte ein semantisches Problem für die Autoren dieser Zeit mit sich: Titelbezeichnungen und strukturelle Positionen divergierten, wobei Handlungskompetenzen akkumuliert werden konnten. Positionen entstanden neu oder wurden praktisch definiert. Die diskursive Prozessdynamik ist also auch durch dieses Problem indiziert. Eines der von den Autoren gebrauchten Worte ist comes. Es ist schon Mitte des 5. Jahrhunderts nicht mehr der römischen Tradition adäquat angewandt worden.514 In den civitates hatten die mit dem Wort bezeichneten Positionen Relevanz. Auch zu der Zeit der Merowinger ist das Wort auf die lokal zu verortenden Positionen bezogen.515 In den zeit- und ortsnah verfassten Aussagen zu den Merowingern der ersten Generation nach Chlodwig I. wird das Wort
511 Vgl. Schneider, Königserhebung: S. 79. 512 Greg. hist.: 3.23. 513 Vgl. Murray, Grafio: S. 790 f.; Lewis, Dukes: S. 384 f. und Claude, Comitat: S. 3 f. 514 Vgl. Bauer/Meinecke/Tiefenbach, Art. Graf/Grafio: S. 532. In diesem Artikel wird ebenfalls ausführlich auf die Aussagen zu den comes in Gallien im 6. Jahrhundert eingegangen. 515 Das Wort wird besonders in Rechtstexten in variierender Art gebraucht, die sich auf die Strukturierungszusammenhänge vor den militärischen Operationen Chlodwigs I. in Gallien beziehen. Vgl. Claude und Timpe, Art. Comes: S. 65 ff.
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jedoch kaum gebraucht.516 Der mit dem Wort bezeichneten Position lagen dabei Handlungskompetenzen inne, die nicht mehr gänzlich erfasst werden können.517 Inwieweit sie sich dann auch lokal unterschieden, ist ebenfalls nicht genau festzustellen. Der Quellenbestand ist einfach zu gering. Es ist allerdings anzunehmen, dass sich die mit den Positionen verbundenen Handlungskompetenzen erst mit der Zeit vereinheitlichten, da in den civitates während der diskursiven Prozessdynamik der Erosion lokal differente Notwendigkeiten für die Akteure entstanden sind, die als comites bezeichnet wurden.518 Überhaupt ist die Quellenlage für die Spätphase der ersten Generation nach Chlodwig I. besser, als für die Früh- und Mittelphase. Für die Zeit der zweiten Generation ist sie sogar weit umfangreicher.519 Dies führte in der jüngeren Vergangenheit dazu, dass der Gebrauch des Wortes mit einer lokal stets gleichförmigen Position assoziiert wurde. Dabei ist von einem „fränkischen comitatus“ ausgegangen worden.520 Tatsächlich wird das Wort aber, wie betont, schon für die Zeit vor Chlodwig I. und seinen militärischen Operationen von verschiedenen Autoren für Zentralgallien gebraucht, um einige Akteure in Positionen zu bezeichnen, deren lokaler Bezug zumeist unverkennbar ist. Der Gebrauch des Wortes ist aber bereits nicht mehr mit dem früheren Gebrauch identisch. Somit erscheint angemessen, die Kontinuität des Wortgebrauchs nicht in eine „spätantike“ oder „spätrömische“ und eine „fränkische“ Phase zu unterscheiden, sondern direkt von der Kontinuität des Gebrauchs während der diskursiven Prozessdynamik auszugehen. Er ist dann über die Implikationen der mit dem Wort bezeichneten Positionen und der Lokalität dieser Positionen als relativ gleichförmig zu beschreiben. Die Art und auch der Grad an struktureller Durchwirkung der civitates-Gemeinschaften mit Handlungskompetenzen, die den als comites bezeichneten Positionen innewohnten, sollten dabei als lokal different betrachtet werden.521 So wurde mit dem Erscheinen Chlodwigs I. nicht die Handlungskompetenzen von civitas zu civitas gleichgeschaltet, was bereits die vielen Quellenaussagen zu
516 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 28. 517 Vgl. Claude, Comitat: S. 3. 518 Richterliche Handlungen scheinen mit den als comites bezeichneten Positionen schon früh verbunden gewesen zu sein. Vgl. Claude und Timpe, Art. Comes: S. 67 und Bauer/Meinecke/Tiefenbach, Art. Graf/Grafio: S. 533. Für die Zeit der zweiten Generation der Merowinger nach Chlodwig I. ist dies sicher. Vgl. Claude, Comitat: S. 38–45. 519 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 28. 520 Repräsentativ Claude und Timpe, Art. Comes: S. 66; Claude, Comitat: S. 11 sowie Sprandel, Dux und Comes: S. 66. Indirekt unter Verweis auf die semantische Pluralität Zotz, Würden: S. 22. In Anbetracht der Quellen zu den comites im 6. Jahrhundert in Gallien ist es angebracht, von einer Inkorporation der lokalen Positionen, die als comites bezeichnet werden, durch die merowingischen Könige in den parzellierten Strukturierungszusammenhang zu sprechen. Bauer/Meinecke/Tiefenbach, Art. Graf/Grafio: S. 539. 521 Vgl. Bauer/Meinecke/Tiefenbach, Art. Graf/Grafio: S. 539 ff. und Zotz, Würden: S. 6 ff. Zotz verweist zu Recht darauf, dass die als comites bezeichneten Positionen lokal entstanden sind.
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den militärischen Operationen gegen einzelne civitates verdeutlichen. Eine Gleichschaltung der lokal-strukturellen Administration über einen jeweils übernommenen, geographisch weiträumigen Strukturierungszusammenhang war nicht möglich. Eine Konsolidierung der Präsenz Chlodwigs I. über ein derartiges Gleichschalten hätte vermutlich mit seiner lokalen Präsenz ablaufen müssen. Dazu fehlt aber jeglicher Beleg. Wie gezeigt wurde, enstand mit der Taufe des Königs vielmehr eine funktionale Konstellation der Königsposition mit denen der Bischöfe und nicht mit weltlichen Positionen der lokal-strukturellen Administration. Dem kann entgegengehalten werden, dass das „spätrömische“ comitatus von Chlodwig I. als ein Element der strukturellen Einheit der weströmischen Ordnung schlicht übernommen werden konnte und eine Gleichschaltung daher nicht nötig war. Diese Annahme geht jedoch fehl, da die als comites bezeichneten Positionen in den einzelnen civitates erst in Anbetracht lokaler Notwendigkeiten während der Erosion in Gallien definiert wurden. Dies ist nicht nur durch das semantische Problem der zeitnahen Autoren, sondern auch dadurch angezeigt, dass das Wort comes nicht für alle civitates in gleicher Weise gebraucht worden ist: Einige der lokalen Positionen wurden mit anderen Worten wie defensor oder amator bezeichnet522 und diese Worte treten wiederum nicht für alle civitates auf. Ein weiteres Wort, das offenbar eine Position eines Administrators bezeichnet und diskutiert wird, ist grafio. Der mit dem Wort bezeichneten Position lagen rechtliche Handlungskompetenzen inne, wie bereits aus der lex salica zu erschließen ist.523 Sie hatte eine Überwachungsfunktion gegenüber dem Gesetz in einem geographisch begrenzten Raum (pagus)524 und weist somit Parallelen zu den als comes bezeichneten Positionen auf.525 Für das 6. Jahrhundert sind aber nur die Aussagen aus der lex salica gegeben. Weitere fehlen ganz.526 Abseits der Fragen nach der Identität der beiden mit differenten Worten bezeichneten Positionen und nach einer möglichen Verschmelzung527 ist für die Frage nach der Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen festzuhalten, dass den Inhabern der grafio-Position gemäß den normativen Aussagen aus der lex salica528 diesbezügliche Handlungskompetenzen nicht oblagen. Für die Identitätsannahme soll festgehalten sein, dass diese nur schwer annehmbar ist: Die als comites bezeichneten Positionen waren hinsichtlich ihrer Handlungskompetenzen lokal wohl unterschiedlich und der Wortgebrauch
522 Zum Wort defensor zeit- und ortsnah Lex rom. visig.: 2.1.8. Der Gesetzeskodex wurde um das Jahr 500 von Alarich II. erlassen. Vgl. Buchner, Rechtsquellen: S. 9 f. Für das Wort amator ortsnah, jedoch zeitfern Ven. fort. carm.: 10.19. Zu den beiden Worten Claude, Comitat: S. 39 f. 523 Vgl. Bauer/Meinecke/Tiefenbach, Art. Graf/Grafio: S. 539. 524 Zu den Aussagen in der lex salica Murray, Grafio: S. 791. Besonders Lex sal.: 50§ 3. 525 Vgl. Claude, Comitat: S. 32–45. 526 Vgl. Murray, Grafio: S. 790 ff. 527 Vgl. Bauer/Meinecke/Tiefenbach, Art. Graf/Grafio: S. 539. 528 Lex sal.: 50; 51; 53 und 54.
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ist auch nicht durchgängig. Erst für die Spätzeit der Merowinger sind Aussagen aus Rechtstextsammlungen und anderen für diese Zeit nahe Quellen529 gegeben, die von der relativen Gleichförmigkeit der Handlungskompetenzen ausgehen lassen, die mit den als comites bezeichneten Positionen verbunden waren. Zum Organisieren von Folgeleistungen: Dass den Inhabern der comes-Positionen Folge geleistet worden ist, ist für die Zeit der ersten Generation nach Chlodwig I. in zeitnahen Quellen nicht fassbar. Für die Zeit der zweiten Generation dagegen sind viele Aussagen dazu gegeben. Solche sind für die zweite Hälfte des 5. Jahrhunderts ebenso vorhanden, wenn auch nicht in derart deutlich.530 Es lässt sich durchaus plausibel annehmen, dass eine Kontinuität dieser Handlungskompetenz zumindest in einigen civitates für die comites gegeben ist, doch muss zusätzlich festgehalten werden, dass die Aussagen zur Zeit Chlodwigs I. nicht die Kooperation mit comites, sondern mit anderen Peripheriekönigen und Königen aus dem südöstlichen Strukturierungszusammenhang fassbar machen.531 Auch ein Anführer aus dem Geschlecht des Sidonius Apollinaris, der nicht als comes oder mit einem anderen Titel bezeichnet wird, ist in diesem Aussagenbestand gegeben.532 Zeitnahe Aussagen zu als duces bezeichneten Anführern fehlen in den Aussagen zu der Zeit Chlodwigs I. völlig. Sie treten erst zu der Zeit der ersten Generation nach ihm auf.533 Einer von diesen Anführern ist der dux Hilping. Gemäß einer Quellenaussage war er in der Theuderich I. nach Clermont Folge leistenden Kriegergemeinschaft tätig.534 Ein regional-struktureller Bezug seiner Position ist nicht sicher; aber möglich. Es gibt aber auch Quellen zu als duces Bezeichneten, die eindeutig auf einen geographischen Raum bezogen waren.535 Dieser Befund wirft Fragen auf: War der dux Hilping Anführer innerhalb der Kriegergemeinschaft oder Anführer einer Kriegergemeinschaft, die ein Teil der Gesamtkriegergemeinschaft des Königs war; oder war er wie die anderen, früher oder später als duces Bezeichneten ein Anführer in einer regional-strukturellen Weise? Die Fragen sind allein aus dem Aussagenbestand zu der ersten Generation nach Chlodwig I. kaum zu beantworten. Daher muss in einem verstärkten Maße Forschungsliteratur zu dieser Thematik herangezogen werden: Die ältere Debatte um die gesamte Quellenlage zu den duces der Merowingerzeit führte zu dem Ergebnis, dass
529 Vgl. Claude, Comitat: S. 33 und S. 37 f. sowie Murray, Grafio: S. 799–804. 530 Überblickend Zotz, Würden: S. 6 ff. und Bauer/Meinecke/Tiefenbach, Art. Graf/Grafio: S. 532 f. 531 Greg. hist.: 2.27; 2.37; 2.40 und 2.42. 532 Greg. hist.: 2.37. 533 Zuvor war das Wort dux bereits zur Bezeichnung von militärischen Anführern in strukturellen Positionen innerhalb der weströmischen Ordnung von Quellenautoren gebraucht worden. Auch in normativen Texten tritt das Wort auf. Vgl. Claude/Wenskus/Loyn/Naumann, Art. Dux: S. 305. 534 Er ist der einzige dieser Art zur Zeit der ersten Generation nach Chlodwig I. Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 26. 535 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 23–25.
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das Wort duces technisch, das heißt im Sinne der Bezeichnung einer strukturellen Position und untechnisch, im Sinne einer Bezeichnung eines Akteurs als Anführer nichtstruktureller Art,536 gebraucht werden konnte.537 Dux ist demnach nicht gleich dux, womit erneut das semantische Problem zu fassen ist. Bezüglich der Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen ist klar, dass das Wort dux sich auf Anführer von Folgeleistenden in beiden möglichen Gebrauchsweisen bezieht. Bei der einen Möglichkeit ist ein Anführer gemeint, der primär und grundsätzlich in seiner Anführerschaft von Folgeleistenden definiert war. Die andere war durch die strukturelle Durchwirkung eines geographischen Raumes durch die Handlungskompetenzen des als dux bezeichneten Akteurs grundsätzlich gekennzeichnet: Sie führten dazu, dass er Folgeleistungen von Akteuren aus diesem Raum organisieren konnte. Vereinfachend lässt sich formulieren, dass die erste Position tendenziell personeller und die zweite tendenziell regional-struktureller Art ist, wenn sie anhand der Art des Organisierens von Folgeleistungen unterschieden werden. Aus dieser Differenzierung ergeben sich weitere Perspektiven: Offenbar waren die den Merowingern Folgeleistenden intern gegliedert. Zur Zeit Chlodwigs I. ist dies in der Kooperation jeweils mehrerer Könige fassbar. Die Quellenussagen zu der Zeit der ersten Generation nach ihm lassen nun zusätzlich auch Akteure erkennen, die in einer asymmetrischen Konstellation zur Position des Königs agierten.538 Die duces – ob nun der ersten oder zweiten Art – waren also in das Organisieren von Folgeleistungen eingebunden.539 Mit den Aussagen zu der zweiten Generation nach Chlodwig I. lässt sich dies weit besser nachvollziehen.540 Dabei aber anzunehmen, es handele sich um ein reines Quellenproblem, da ein zeit- und auch ortsnah schreibender Autor nicht vorhanden ist,541 geht fehl: Zum einen sind die Rekurse Gregors mehrfach aufgezeigt worden und zum anderen konnte das Organisieren von Folgeleistungen wie viele andere Praktiken in der Prozessdynamik variieren. Die Untersuchung der Relevanz des Plünderns hat dies nicht nur im ersten Kapitel, sondern auch im ersten Teil dieses Kapitels gezeigt. Auch die Zunahme der Quellenaussagen zu den duces als Akteure, die für das Organisieren von Folgeleistungen wichtig wurden, zeigt dies. Daher ist es wahrscheinlicher, dass die Art des differenten Gebrauchs von dux sowie die stetige Zunahme des Gebrauchs zusammen einen Wandel des Organisierens von Folgeleis-
536 Zur Annahme eines rein „untechnischen“ Gebrauchs Sprandel, Dux und Comes: S. 52–54 und S. 79 ff. Zur Annahme, dass beide Gebrauchsweisen gegeben sind Claude, Comitat: S. 47–58. 537 Die Annahme von Sprandel ist nicht haltbar. Vgl. Claude/Wenskus/Loyn/Naumann, Art. Dux: S. 307–309 und Ewig, Merowinger: S. 97–102. 538 Die Kooperation der Merowinger untereinander bestand gemäß zeitnaher Aussagen weiterhin. Vgl. Ewig, Merowinger: S. 33–41. 539 Vgl. Bachrach, Organization: S. 33 f. 540 Die Zahl der Aussagen ist ungleich größer. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 20–27. 541 Vgl. Lewis, Dukes: S. 384 f.
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tungen anzeigen. Es scheint, als leisteten dem König duces Folge, denen wiederum andere Akteure Folge leisteten.542 Doch ist dies zu hinterfragen. Gregor von Tours verwendet bei seiner Quellenrecherche unter der Frage, seit wann es Könige der Franken gibt, das Wort dux, um die früheren Anführer fränkischer Gemeinschaften zu beschreiben.543 Gregor macht seine Entscheidung des Wortgebrauchs dabei von den Quellen abhängig, auf die er rekurriert,544 wobei er auch deutlich macht, dass er eine mit dux bezeichnete Position gegenüber der Position des rex als nicht gleichrangig versteht.545 Gregor bietet dabei ein Modell von Anführerschaft, dass – auch wenn nicht vom Wort her – den Erzählungen zu den Handlungen König Chlodwigs I. und seiner Nachfolger ähnelt.546 Inwieweit unterscheiden sich aber die duces der Zeit der ersten Generation nach Chlodwig I. von den Königen und
542 Vgl. Bachrach, Organization: S. 30 ff.; Lewis, Dukes: S. 90; Claude, Comitat: S. 49 und Claude/ Wenskus/Loyn/Naumann, Art. Dux: S. 307. Dazu Schlesinger, Gefolgschaft: S. 154. Zu diesem Beitrag Becher, „Herrschaft“: S. 181. 543 Beispielsweise: „De Francorum vero regibus, quis fuerit primus, a multis ignoratur. […] Eo tempore Genobaude, Marcomere et Sunnone ducibus Franci in Germaniam prorupere, ac pluribus mortalium limite inrupto caesis, fertiles maxime pagus depopulati, Agrippinensi etiam Coloniae metum incusserunt.“ Greg. hist.: 2.9. Auch das Wort subregolus wird von Gregor gebraucht: „Eodem anno Arbogastis Sunnonem et Marcomere subregolus Francorum gentilibus odiis insectans, […].“ Greg. hist.: 2.9. Er gebraucht zudem das Wort regalis: „Haec acta, cum duces essent, retulit; et deinceps ait: Post dies paucolus, Marcomere et Sunnone Francorum regalibus transacto cursim conloquio imperatisque ex more obsidibus, ad hiemandum Treverus concessit.“ Greg. hist.: 2.9. Zum Wort regalis Castritius, Art. Regalis: S. 304–305. 544 Die Autoren sind Sulpicius Alexander, Renatus Profuturus Frigeridus und Orosius. Greg. hist.: 2.9. Zu den drei Autoren Castritius, Art. Sulpicius Alexander: S. 129; Castritius, Art. Renatus Profundus Frigeridus: S. 507–508 und Goetz, Art. Orosius: S. 228–231. 545 „Nam cum multa de eis Sulpici Alexandri narret historia, non tamen regem primum eorum ullatinus nominat, sed duces eos habuisse dicit.“ Greg. hist.: 2.9. 546 Zum einen kooperieren die Anführer mit einander: „Eo tempore Genobaude, Marcomere et Sunnone ducibus Franci in Germaniam prorupere, ac pluribus mortalium limite inrupto caesis, fertiles maxime pagus depopulati, Agrippinensi etiam Coloniae metum incusserunt.“ Greg. hist.: 2.9. Ihnen leisten Akteure Folge: „Dehinc maiore multitudine hostium circumfusus exercitus, in aperta camporum, quae libera Franci reliquerant, avide effusus est. Ac primi equites voraginibus inmersi, permixtis hominum iumentorumque corporibus, ruinam invicem suorum oppraessi sunt. Pedites etiam, quos nulla onera equorum calcaverant, inplicati limo, egre explecantes gressum, rursus se, qui paulo ante vix emerserant, silvis trepidantes occulebant. Perturbatis ergo ordinibus, caesae legionis.“ Greg. hist.: 2.9. Plünderungen werden von den Folgeleistenden aktiv betrieben und es wird sich passiv gegen Plündernde verteidigt: „Sed onusti praeda hostes, provinciarum opima depopulati, Rhenum transierunt, pluribus suorum in Romano relictis solo, ad repetendam depopulationem paratis, cum quibus congressus Romanis adcomodus fuit, multis Francorum apud Carbonariam ferro perimptis. […] Collicto ergo exercitu, transgressus Rhenum, Bricteros ripae proximos, pagum etiam quem Chamavi incolunt depopulatus est, nullo umquam occursante, nisi quod pauci ex Ampsivariis et Catthis Marcomere duce in ulterioribus collium iugis apparuere.“ Greg. hist.: 2.9. Demnach ist ein Symbolisieren oder auch ein Offerieren von Plünderungschancen durch diese Anführer gegeben Greg. hist.: 2.9.
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in welchem Verhältnis stehen sie zu ihnen? Ein weiteres Wort, das für die Beantwortung dieser Frage herangezogen werden kann, ist antrustio.547 Das Wort wird schon in der lex salica gebraucht548 und tritt dann erst wieder in den Kapitularien und späteren Rechtssammlungen549 in Erscheinung. In den erzählenden Texten ist das Wort nicht zu finden.550 Die Parallele zum Gebrauch des Wortes dux besteht darin, dass auch das Wort antrustio differenzierend gebraucht worden ist. Wie der dux gegenüber anderen Akteuren – auch im Sinne einer Position – als Anführer herausragte, so werden antrustiones zusammen mit optimates551 gegenüber dem populus in einem späteren Edikt herausgehoben.552 Somit ragten auch die derart bezeichneten Akteure heraus. Erschwerend kommt hinzu, dass eine spezifische, mit militärischen Aufgaben assoziierte Nähe553 – der antrustio war ein Mitglied der trustis dominica554 –zum Inhaber der Königsposition erfasst werden kann.555 Daher ist die Annahme, ein antrustio wäre als ein dux für den König tätig gewesen, durchaus plausibel: Ihm leisteten Akteure Folge, die dies somit indirekt auch gegenüber dem König taten, da ihr Anführer in einem besondern Verhältnis zum König stand. Die Annahme gewinnt noch an Plausibilität, wenn zusätzlich angenommen wird, dass den Königen die duces Folge leisteten, denen wiederum andere Akteure Folge leisteten. Doch ist diese Annahme weit weniger plausibel, wenn die Aussagenlage zu den antrustiones und den duces genauer untersucht wird: Als trustis dominica werden Akteure bezeichnet, die in direkter Nähe zum König agierten.556 Solche Figuren treten auch in der Erzählungen Gregors zu Chlodwig I. auf, wobei das Wort antrustiones nicht gebraucht wird. Insofern korrelieren die beiden Worte im Gebrauch nicht. Mehrfach treten auch Folge leistende Akteure gegenüber den Königen aggressiv auf557 und Chlodwig I. lässt sich erst nach der Rücksprache mit den ihm Folgeleistenden taufen.558 Die Ver-
547 Vgl. Kuhn und Wenskus, Art. Antrustio: S. 360. 548 Lex sal.: 69§ 4; 70§ 1 und 70§ 2. 549 Diese Rechtstexte überblickend von Olberg-Haverkate, Art. Antrustionen: Sp. 253. 550 Vgl. Kuhn und Wenskus, Art. Antrustio: S. 360. 551 Zum Wort optimates Grahn-Hoek, Oberschicht: S. 60. 552 MGH Capit 1: 4.106. 553 Form. marculfi: 1.18. Dazu Kuhn und Wenskus, Art. Antrustio: S. 360. 554 Vgl. Olberg-Haverkate, Art. Antrustionen: Sp. 253. Die Deutung oder Übersetzung der trustis dominica als „Gefolgschaft des Königs“ ist jedoch seit längerem nicht zweifelsfrei. Vgl. Kuhn und Wenskus: S. 360. 555 Die Formel trustem et fidelitatem ist erst bei Form. marculfi: 1.18 zu finden. Die Sammlung entstammt dem 7. oder dem 8. Jahrhundert. Mit Bezügen auf ältere Datierungen Schmidt-Recla, Referenzrechtsquellen: S. 210, Anm 311 sowie Wattenbach und Levison, Geschichtsquellen: S. 116 f., Anm. 263. 556 Eine weitere derartig herausragende Gruppe waren die convivae regis, die „Tischgenossen des Königs“. Lex sal.: 41§ 8. Die Akteure der Gruppe hatten jedoch mit Sicherheit durch ihre Zugehörigkeit zu dieser keine militärischen Handlungskompetenzen. Vgl. Ewig, Merowinger: S. 86. 557 Greg. hist.: 2.27; 3.11 und 3.14 sowie indirekt 3.16 und 3.23. 558 Greg. hist.: 2.31.
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pflichtungen der antrustiones gegenüber dem König, die erst in zeitfernen Quellen fassbar werden,559 werden dabei nicht einbezogen. Eine mit militärischen Handlungskompetenzen verbundene Akteursgruppe wird später nicht mit antrustiones, sondern mit duces bezeichnet. Wenn auch das Wort antrustio ein Herausragen andeutet, ist dies vor allem in einer besonderen Nähe zum König zu erfassen und nicht in einer Relevanz für das Organisieren von Folgeleistungen. Überhaupt ist das Wort nur in Rechtstexten und weder in erzählenden noch in anderen zeitnahen Texten zu finden. Dazu ist der Wortgebrauch noch einem Bedeutungswandel unterzogen.560 Für eine Beantwortung der Frage nach dem Verhältnis und dem Unterschied von duces und reges wird aufgrund der dünnen Quellenlage nun abschließend auf die Worte eingegangen, die in der älteren Debatte um den „frühfränkischen Adel“ neben vielen weiteren561 thematisiert worden sind. Die Frage nach der Existenz eines fränkischen Adels der frühen Merowingerzeit wird seit dem 19. Jahrhundert diskutiert562 und auch die intensiv geführte Debatte um diese Frage in den 1960er und 1970er Jahren kam zu keinem eindeutigen Ergebnis.563 Dabei stand der Aspekt der rechtlichen Stellung im Zentrum und die Existenz eines Geburtsadels wurde bestätigt und bestritten.564 Die Untersuchungen während der Debatte haben gezeigt, dass differente Worte zur Bezeichnung von Akteuren gebraucht worden sind, um herausragende Akteure zu bezeichnen: Diese agierten nicht zwangsläufig in strukturellen Positionen, hatten eine besondere Nähe zum König und konnten diesen in seinem Handeln beeinflussen. Dies wurde von den prägenden Diskutanten nicht bestritten.565 Die Zurückhaltung Gregors bei der Beschreibung der „fränkischen Führungsschicht“ in den Büchern zwei bis vier in den decem libri historiarum wurde dabei mit der zeitlichen Distanz des Autors erklärt.566 Dieses Argument ist aus den oben angeführten Gründen eher zweifelhaft. Plausibler erscheint, dass zur Zeit der ersten Generation nach Chlodwig I. eine solche spezifische Akteursgruppe erst praktisch definiert wurde.567 Auffällig ist nämlich, dass Gregor für die Zeit der zweiten Generation nach Chlodwig I. verschiedene Worte verwendet568 und
559 Form. marculfi: 1.18. 560 Vgl. von Olberg-Haverkate, Art. Antrustionen: Sp. 254. 561 Zur Übersicht Weidemann, Adel: S. 539. 562 Zu Angaben zur älteren Literatur Weidemann, Adel: S. 535, Anm. 1. 563 Die Debatte zusammenfassend Becher, „Herrschaft“: S. 176 f. und Weidemann, Adel: S. 353 f. 564 Bestritten wurde dies von Grahn-Hoek. Vgl. Grahn-Hoek, Oberschicht: S. 118–123 und S. 263–272. Bestätigt wurde die Existenz eines Geburtsadels von Irsigler. Vgl. Irsigler, Adels 1981: S. 253–254. 565 Vgl. Grahn-Hoek, Oberschicht: S. 263 ff. und Irsigler, Adels 1981: S. 221–252. Dazu Becher, „Herrschaft“: S. 176 f. und Weidemann, Adel: S. 535–538. 566 Vgl. Becher, „Herrschaft“: S. 179. Ursprünglich Irsigler, Adels 1969: S. 95 ff. 567 Erstaunlich ist, dass Becher das Argument von Irsigler als plausibel auffasst, obwohl er sich für das Entstehen von herausragenden Akteuren unter der Förderung der militärischen Operationen und der Könige ausspricht. Vgl. Becher, „Herrschaft“: S. 178 f. 568 Vgl. Grahn-Hoek, Oberschicht: S. 124 ff. und Irsigler, Adels 1981: S. 116 ff.
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zugleich differente Interaktionsformen zwischen den derart bezeichneten Akteuren und den Königen erzählt.569 Diese können sehr wohl von den normativen Rechtstexten abweichen.570 Die mit den differenten Worten bezeichneten herausragenden Akteure (die in der Kategorie „Große“ subsumiert werden können)571 ragten wegen ihres relativ großen Bestandes an materiellen Gütern und Ressourcen heraus. Dies wurde ebenfalls von allen an der Debatte beteiligten Diskutanten nicht bestritten.572 Woher sie diese hatten, ist aber weitgehend unklar. Damit ist erneut das semantische Problem zu erkennen, dass zeitnahe Autoren hatten,573 wenn sie versuchten, Phänomene und Informationen mit ihrer Sprache unter ihren eigenen Deutungs- und Vorstellungsmustern literarisch zu verarbeiten: Die Autoren verarbeiteten das Entstehen eines Strukturierungszusammenhangs bei gleichzeitigem Entstehen differenter Arten von Anführern und herausragender Akteure, die nicht mit dem Wort rex bezeichnet werden konnten. Die Aussagen dazu sind allerdings nicht umfangreich und eindeutig, so dass auf der Deutungsebene von einer Art „floating gap“574 gesprochen werden muss. Die als duces bezeichneten Akteure und die mit den Worten bezeichneten, die unter der Kategorie „Große“ auf der Deutungsebene summiert werden können, waren nicht zwangsläufig identisch, da die derart bezeichneten herausragenden Akteure primär wegen ihres relativ umfangreichen Bestandes an materiellen Gütern und Ressourcen herausragten. Dies aber erlaubt nicht den Schluss, dass Akteure, die über relativ umfangreichen Besitz verfügten, nicht auch Folgeleistungen gerade wegen dieser materiellen Güter und Ressourcen organisieren konnten.575 Im ersten Kapitel
569 Vgl. Grahn-Hoek, Oberschicht: S. 157 ff. und Irsigler, Adels 1981: S. 254. 570 Vgl. Weidemann, Adel: S. 540–543 und S. 544–549. 571 Die Kategorie „Große“ wird von Heike Grahn-Hoek subsumierend gebraucht, um die Pluralität der in den Quellen immanenten Worte zu reduzieren. Vgl. Grahn-Hoek, Oberschicht: S. 263. Zu diesen Worten überblickend Weidemann, Adel: S. 535, Anm. 1. 572 Die Relevanz materieller Güter und Ressourcen dafür, dass Akteure mit Worten bezeichnet wurden, die unter der Kategorie „Große“ auf der Deutungsebene summiert werden können, ist schon während der Debatte zum „frühfränkischen Adel“ bemerkt worden. Vgl. Grahn-Hoek, Oberschicht: S. 273 und Irsigler, Adels 1981: S. 221 ff. Dies wurde später als Befund nicht nur akzeptiert, sondern akzentuiert, wenn auch weiter versucht worden ist, den besonderen rechtlichen Status der Gruppe der unter der Kategorie „Große“ summierten Akteure zu erschließen. Vgl. Weidemann, Adel: S. 535 f. 573 Für die Quellen überblickend Grahn-Hoek, Oberschicht: S. 10 f. und Irsigler, Adels 1981: S. 82 ff. 574 Jan Assmann verwendet das von des Ethnologen Jan Vansina entwickelte Konzept des „floating gap“ um eine „Lücke“ zwischen den kulturellen und dem kommunikativen Gedächtnis zu erfassen. Vgl. Assmann, Gedächtnis: S. 48–56. Für Gregor war offenbar nicht mehr nachvollziehbar, dass die ihm bekannten herausragenden Akteure sich erst mit dem Beginn der militärischen Operationen der Peripheriekönige in der Mitte der 480er Jahre herausbildeten. Die Könige beförderten dieses Entstehen insgesamt. Vgl. Becher, „Herrschaft“: S. 179 f. 575 Eine Korrelation des Wortgebrauchs von dux und der Worte, die auf der Deutungsebene unter der Kategorie „Große“ summiert werden können, ist gegeben. Dies aber vermehrt erst in den Aussagen zur Zeit der zweiten Generation nach Chlodwig I. Überblickend Selle-Hosbach, Prosopographie:
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wurde dieser Zusammenhang bereits verdeutlicht. Gerade für die personelle Art des Organisierens von Folgeleistungen durch als duces bezeichnete Anführer ist dies nicht unwahrscheinlich. Für die hier interessierenden Fragestellungen sind folgende Punkte festzuhalten: Erstens ist eine Unterscheidung des Organisierens von Folgeleistungen in personelle und strukturelle Arten des Organisierens zur Zeit der ersten Generation nach Chlodwig I. möglich. Dies verdeutlicht der Gebrauch des Wortes dux, der nicht nur einen Anführer von Folgeleistenden, sondern auch den Anführer von Folgeleistenden aus einem speziellen geographisch eingegrenzten Raum in einer regional-strukturellen Position bezeichnen konnte. Für das Verhältnis zu den Inhabern der Königspositionen ist unklar, ob die den duces Folgeleistenden in übertragener Weise Folge leisteten, oder ob sie dies direkt taten. Beide Fälle sind möglich. Mit Sicherheit ist dies jedoch auf der Basis der Aussagen nicht festzumachen. Sicher ist hingegen zweitens, dass das Verhältnis zwischen reges und duces als kooperativ-asymmetrisch zu bezeichnen ist. Kein als duces Bezeichneter opponierte zur Zeit der ersten Generation nach Chlodwig I. gegen die reges in irgendeiner Form.576 Plausibel ist es daher drittens anzunehmen, dass die regional begrenzt agierenden duces durch den König legitimiert waren oder von ihm in den betreffenden Gebieten positioniert wurden.577 Während der Zeit der Könige aus der ersten Generation nach Chlodwig I. symbolisierten die Könige offenbar auch weiterhin Erwerbschancen für die ihnen Folgeleistenden und somit wohl auch für die als duces Bezeichneten. In Anbetracht des als „floating gap“ zu beschreibenden Zustands dieses Kontinuums ist das Plündern nicht nur als eine
S. 17–33. Insofern ist hier unter Bezug auf das Ergebnis, dass Akteure, die mit Worten aus der summierenden Kategorie „Große“ bezeichnet werden, aufgrund ihres relativ umfangreichen Besitzes an materiellen Gütern und Ressourcen herausragten, und auf das Ergebnis, dass das Wort dux Akteure bezeichnen konnte, die auch ohne das Innehaben einer regional-strukturellen Position Folgeleistungen organisieren konnten, festzuhalten, dass beide Aspekte – das Organisieren von Folgeleistungen und das Herausragen aufgrund relativ umfangreichen Besitzes – ebenfalls miteinander korrelieren. Insofern muss festgehalten werden, dass jene Akteure zwar alle als herausragende Akteure bezeichnet werden können, doch – so ist zu fragen – sind alle herausregenden Akteure auch „Große“? Für die Beantwortung der Frage darf nicht unbeachtet bleiben, dass Akteure wie Eunius Mummolus und Guntram Boso nicht mit einem der Worte aus der Kategorie „Große“ zeitnah bezeichnet worden sind. Guntram Boso wird nur einmal in der Chronik des sogenannten Fredegar als optimat bezeichnet. Fredeg.: 4.8. Beide wurden mit Titeln aus der Administration der Könige bezeichnet und waren dann auch in Opposition zu diesen aktiv. Dabei leisteten den Beiden Akteure Folge. Daher ist abschließend festzuhalten, dass es für die Beantwortung der Frage nach der Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen sinnvoller ist, die Formulierung „herausragende Akteure“ analytisch zu verwenden, da auf diese Weise quellenimmanente Sprachkontexte abseits des Gebrauchs von Worten bei der Untersuchung miteinbezogen werden können, wobei der Wortgebrauch weiterhin berücksichtig werden kann. Zu Eunius Mummolus Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 133–136 und zu Guntram Boso Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 111–114. 576 Munderich wird nicht als dux bezeichnet. Greg. hist.: 3.14. 577 Überblickend Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 20–27.
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Erwerbsweise,578 sondern auch als Umverteilungsweise von materiellen Gütern und Ressourcen579 für die Herausbildung von neuen herausragenden Akteuren als wichtig anzunehmen. Während herausragende Akteure, deren Herausragen primär durch ihren ökonomischen Besitz konstituiert ist, materielle Verluste erlitten,580 gewannen andere Akteure an Gütern und Ressourcen. Die hier nur rudimentär behandelte Frage nach dem Entstehen von herausragenden Akteuren kann damit zumindest partiell beantwortet werden.581 Verteilungen von materiellen Gütern und Ressourcen durch die Könige,582 die ihnen wegen des Plünderns583 und wegen des Abgabensystems584 möglich waren, sind hierfür auch zu nennen. Es darf dabei aber nicht außer Acht gelassen werden, dass die als duces Bezeichneten – gleich in welcher der beiden Varianten – mit den Arten des Organisierens von Folgeleistenden den Merowingern in ihren Königspositionen durchaus ähnlich wurden. Wie festgehalten, ist die Möglichkeit des direkten Erbringens von Folgeleistungen gegenüber den duces anhand der zeitnächsten Quellen nicht zu verwerfen und somit ist wahrscheinlich, dass auch die derart Bezeichneten Erwerbschancen wie die Könige symbolisiert haben und auch mit ihnen diese Chancen verbunden wurden. Hier ist auch das duces-Modell Gregors
578 Vgl. Becher, „Herrschaft“: S. 175. 579 Die Annahme, es müsse eine gesonderte, herausragende Rechtsstellung einer Gruppe gewährleistet sein, ist kritisch zu betrachten. Für eine solche Annahme Weidemann, Adel: S. 335. Zugegeben wird auch von Weidemann, dass es eine herausragende Gruppe gab, die relativ mehr als andere besaß. Materieller Güter und Ressourcen blieben weiterhin ökonomische Mittel in der Prozessdynamik. Rechtliche Determinanten formierten sich offenbar während der Dynamik weiter. Vgl. Weidemann, Adel: S. 539 ff. 580 Dies lässt sich anhand des Testaments des Remigius von Reims verdeutlichen. Den Text hat Hincmar von Reims im 9. Jahrhundert bei dem Verfassen der Heiligenvita vita remigii episcopi remensis literarisch verarbeitet. Der Rekurs des Autors auf das echte Testament wurde von Bruno Krusch am Ende des 19. Jahrhunderts angezweifelt. Dazu Krusch, Remigius-Fälschungen: S. 510–568. Seine primären Argumente sind allerdings in der jüngeren Vergangenheit als defizitär ausgewiesen worden. Dazu Haubrichs, Testamentum Remigii: S. 285 f. und Schäferdiek, Remigius von Reims: S. 258 f. Der Rekurs auf das echte Testament kann als gegeben angenommen werden. Mit dem Text wird deutlich, dass die Landgüter des Bischofs nur durch zu ihnen gehörige Akteure produktionsfähig betrieben werden konnten. Das erarbeiten von Ressourcen und das Verarbeiten dieser zu Gütern war nur durch sie möglicht. Somit werden vier Aspekte deutlich: Plünderungen konnten zum einen den Produktionsbetrieb stören. Dies konnte auch zum Erliegen eines Produktionsbereichs oder Zyklen führen. Zweitens konnten Plünderungen dazu führen, dass die Lebensgrundlage der Arbeiter Schaden nahm. Drittens konnte Menschenraub diese Dysfunktionalität noch verstärken. Viertens war ein produk tionsfähiges Landgut nicht nur Ort des Gewinns der Besitzer, sondern auch ein Ort, der die Realisierung der Chancen auf Plünderungen anbot. Besitz muss also nicht zwangsläufig die Brauchbarkeit des Besitzes durch den Besitzer bedeuten. 581 Vgl. Becher, „Herrschaft“: S. 178 f. 582 Vgl. Hardt, Gold: S. 236 ff. und Becher, „Herrschaft“: S. 179. 583 Vgl. Bodmer, Krieger: S. 68 f. 584 Vgl. Hardt, Gold: S. 136–161.
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zu erwähnen, das er bei seiner Recherche nach den frühen Frankenkönigen ausgiebig skizziert. Selbst bei einem Übertrag ist dieses Symbolisieren wahrscheinlich.585 Dabei mussten sie nicht mit dem Königsgeschlecht verwandt sein. Wichtig ist zu betonen, dass wie auch schon im 5. Jahrhundert ein Monopol auf Folgeleistungen nicht gegeben war. Nur die Quellen zu Chlodwig I. zeigen eine solche kurzzeitige Monopolisierung, die aber auch seinen Sohn Theuderich einschloss.586
2.5.6 Weitere militärische Operationen im Gebiet des parzellierten Strukturierungszusammenhangs: Rückeroberungen gegen Westgoten? Eine weitere Erzählung Gregors umfasst Informationen zu einer militärischen Operation gegen südgallische civitates. Angeführt werden die Folgeleistenden von zwei Söhnen aus dem Geschlecht der Merowinger. Gunthar, der älteste Sohn Chlothars I., zieht sich jedoch noch vor der Operation mit den ihm Folgeleistenden zurück.587 Dies kann auch als eine Erzählfunktion aufgefasst werden, um Theudebert, hier in einem indirekten Vergleich, erneut als einen starken Anführer zu konzipieren, denn er ist die Hauptfigur dieser Erzählung. Zweimal gelingt es ihm, in ummauerte Zentren (castrum) einzudringen. Das erste Zentrum wird geplündert und die Bewohner des zweiten lassen Theudebert und die ihm Folgeleistenden ein, nachdem ihnen mit Menschenraub gedroht worden ist.588 Erneut wird auf den ersten Blick der Zusammenhang von Plünderungen und den Folgeleistungen gegenüber dem Sohn des Königs deutlich. Auch ist – wie schon im Fall des Sigivald – ein Verwandter des Königs der Anführer der Folgeleistenden, wenn der König nicht persönlich auftritt. Diese Befunde passen sich in die bisherigen Untersuchungsergebnisse ein. Erstaunlich ist aber, dass Gregor Rückgewinne erwähnt.589 Tatsächlich zeigen archäologische Forschungen, dass es in Gallien auch nach der Schlacht des Jahres 507 eine Kontinuität lokaler Stilelemente in Südgallien gab.590 Hieraus eine Kontinuität ethnisch spezifischer Bewohner zu erkennen (in diesem Falle einer westgotischen Bevölkerung), geht allerdings fehl. Der Deutungsansatz
585 Greg. virt. jul.: 13. 586 Greg. hist.: 2.37. 587 Greg. hist.: 3.21. 588 „[…] Theudobertus vero usque ad Biterrensim civitatem abiens, Dehas castrum obtinuit atque in praedam deripuit. Deinde ad alium castrum nomen Caprariam legatus mittit, dicens, nisi se ille subdant, omne loco illud incendio concremandum, eosque qui ibidem resedent captivandus.“ Greg. hist.: 3.21. 589 Die südwestlich gelegenen civitates in Gallien sollen schon zur Zeit Chlodwigs I. in seinem Strukturierungszusammenhang gelegen haben: „Chlodovechus vero filium suum Theudoricum per Albigensim ac Rutinam civitatem ad Arvernus dirigit. Qui abiens, urbes illas a finibus Gothorum usque Burgundionum terminum patris sui dicionibus subiugavit.“ Greg. hist.: 2.37. 590 Vgl. Kazanski/Mastykova/Périn, Westgoten in Nordgallien: S. 149–192.
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simplifiziert zu sehr.591 Diese Befunde von Siedlungskontinuität zeigen jedoch in Anbetracht der Erzählungen Gregors592 etwas Anderes: Die primär sesshafte Bevölkerung von civitates in Gallien war in der Zeit der ersten Generation nach Chlodwig I. nicht vor Plünderungen sicher. Die Anerkennung eines Anführers konnte die Bewohner vor Schaden bewahren und so zu einer Siedlungskontinuität trotz Plünderungen führen. Die Anerkennung eines anderen Königs durch lokal ansässige Akteure war für die Bewohner einer civitas aber gefährlich. Dies zeigt sich im Falle von Clermont und war offenbar auch für die civitas Biterrensium der Fall. Dass eine Anerkennung jeweils anderer Anführer möglich war, zeigt erneut, dass geographisch weite Strukturierungszusammenhänge nicht einfach in ihrer Einheit statisch waren, sondern weiter neustrukturiert werden konnten. Die Beziehungen und funktionalen Konstellationen zwischen den Inhabern der Königspositionen und lokalen sowie regionalen Administratoren wie den Bischöfen, den comites und den duces sind auch deswegen als ein Mittel für die situationsbezogen notwendige Konsolidierung der Präsenz eines Königs anzusehen.
2.5.7 Probleme der strukturellen Königsposition aufgrund ihrer Abhängigkeit von Folgeleistenden: Der Usurpationsversuch des Munderich Erneut sind die decem libri historiarum die einzige relativ zeitnahe Quelle. Gregor beginnt seine Erzählung mit der Angabe Munderichs, er sei ein Vetter des Königs Theuderich I. und könne ebenso König sein. Gregor zweifelt das Argument der Munderichfigur dabei selbst an.593 Schon in den Erzählungen über die militärische Operation Theuderichs I. in Clermont wird von der Verwandtschaft einer Figur mit Theuderich I. erzählt, ohne dass dabei ein Anspruch auf die Position des Königs gegeben ist.594 Es ist auch hier plausibler, dass eine Verwandtschaft mit Theuderich I. eher über die mütterliche Linie bestanden haben könnte. Trotzdem ist nicht zu übersehen, dass eine Verwandtschaft mit Theuderich I. als Argument für die Usurpation durch Munderich gebraucht wird,595 auch wenn für Gregor dieses offenbar nicht glaubhaft ist. In Anbetracht der weiter oben entfalteten Annahme der Entstehung von herausragenden Akteuren und Anführern sowie deren möglichen Identität unter dem stetigen Einfluss der Umverteilungen durch Plünderungen bei den militärischen Operati-
591 Vgl. Brather, Interpretationen: S. 615–633. 592 Greg. hist.: 3.11–3.13; Greg. vit. patr.: 4.2 und 5.2 sowie Greg. virt. jul.: 13 und 23. 593 „Mundericus igitur, qui se parentem regium adserebat, elatus superbia, ait: ‚Quid mihi et Theudorico regi? Sic enim mihi solium regni debetur, ut ille. […].“ Greg. hist.: 3.14. 594 Greg. hist.: 3.13 und 3.23. 595 Es ist daher wahrscheinlich, dass eine Abstammung von der männlichen Linie gemeint ist. Vgl. Schneider, Königserhebung: S. 77 f.
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onen der Könige aus der ersten Generation nach Chlodwig I., ist zu betonen, dass der Usurpationsversuch des Munderich für diese Annahme spricht: Das Abstammungsargument führt dazu, dass einige Akteure Munderich Folge leisten. Er verfügt also wie der König über ein militärisches Mittel und der in dem Usurpationsversuch angelegte Konflikt mit Theuderich I. zeigt, dass der Herausforderer für die Menge der ihm Folgeleistenden, die als „ländlich“ oder „bäuerlich“ (rustica multitudo)596 bezeichnet werden,597 Erwerbschancen symbolisiert hat. Daher ist die Annahme des Wechsels sozioökonomischer Modi nicht unwahrscheinlich. Von einem umfangreichen Besitz des Munderich wird nicht erzählt.598 Somit kann zusätzlich die Annahme formuliert werde, dass im Fall des Munderich das Symbolisieren von Erwerbschancen durch Plünderungen durchaus für das Organisieren von Folgeleistungen relevant war. Es gibt aber in der Erzählung noch die Aussagen zur Abstammung und weitere zu Eiden, die im Folgenden untersucht werden müssen, um die Plausibilität der Annahme zu überprüfen. Das Leisten von Folge wird mit einer Aussage über einen „Eid der Treue“ (sacramentum fidelitatis) verbunden. Die Formulierung „dantes sacramentum fidelitatis et honorantes eum ut regem“ ist jedoch nicht für die Konstitution einer Annahme heranzuziehen, die eine Üblichkeit solcher Eidesleistungen gegenüber den Königen einschließt.599 In der Erzählung sind zwei Aspekte vorhanden, die in der Forschung akzentuiert wurden und daher Beachtung finden müssen: Zu diskutieren ist, ob das Merowingergeschlecht nicht doch als charismatisch aufzufassen ist und ob dieses Charisma600 der Grund für die Folgeleistungen war. Schließlich wird das Abstammungsargument an den Beginn der Erzählung gestellt und funktioniert auch bei allen Zweifeln des Autors als initiatives Element, denn erst dann wird der „Eid der Treue“ von einigen Akteuren geschworen. Zudem ist zu erörtern, wie die Erzählung über den „Eid der Treue“ zu deuten ist. Fragen danach, ob das Geschlecht der Merowinger als charismatisch aufzufassen ist und ob darin ein Grund für das Organisieren von Folgeleistungen liegt, wurden in der jüngeren Vergangenheit mehr als nur einmal angegangen. Mehrfach wurde negativ geantwortet.601 Tatsächlich konnte in jüngeren Arbeiten gezeigt werden,
596 „Et egressus coepit seducere populum, dicens: ‚Princeps ego sum. Sequimini me, et erit vobis bene‘. Sequebatur autem eum rustica multitudo, ut plerumque fragilitati humanae convenit, dantes sacramentum fidelitatis et honorantes eum ut regem.“ Greg. hist.: 3.14. 597 Vgl. Schneider, Königserhebung: S. 78. 598 „Quod ille cognuscens et se non praevalens defensare, Victuriaci castri murus expetens cum rebus omnibus, in eo se studuet commonere, his secum quos seduxerat adgregatis.“ Greg. hist.: 3.14 Nur die Sachen des Munderich sind erwähnt. Ein Schatz ist es hingegen nicht. 599 Vgl. Becher, „Herrschaft“: S. 169 und Esders, Treueidleistung: S. 27 f. 600 Vgl. Erkens, Herrschersakralität: S. 80–86. 601 Vgl. Graus, Volk: S. 313–334, bes. 321. Zusammenfassend Hechberger, Adelsheil: S. 427 ff.; Ehlers, Grundlagen: S. 70–72 und Le Jan, Sakralität: S. 75 ff.
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dass die Entstehung von Königen bei den „Germanen“ stark von den Beziehungen mit römischen Repräsentanten beeinflusst war.602 Bei den Studien zu den Merowingern sind drei Aspekte intensiv erforscht, die für das Bestehen eines Charismas geltend gemacht worden sind: Das lange Haar der männlichen Merowinger,603 die Umfahrt der Könige mit einem Ochsenwagen604 und die Erzählung zur Abstammung Merowechs,605 der dem Geschlecht den Namen gebende Ahn, von einem Seemonster.606 Diesbezügliche Quellenaussagen fehlen in der hier interessierenden Erzählung. Die Abstammung wird ohne genaueren Bezug als Argument verwendet. Bei einer anderen Usurpationserzählung wird das Argument zwar auch eingebracht,607 jedoch wird dabei zusätzlich von dem sehr umfangreichen Besitz des Usurpators und von seinem Titel erzählt.608 Hier steht sie also nicht allein. Ein Charisma ist für die Erzählung über den Usurpationsversuch nicht evident. Das Abstammungsargument hat eine legitimierende Funktion in der Erzählung: Munderich legitimiert seinen Versuch, während er sich nicht einfach gegen den König erhebt, sondern eine gleichrangige Position anstrebt. Diese kann er auch herstellen, indem er Folgeleistungen organisiert. Dabei muss aber nicht ein Geschlechtscharisma ausschlaggebend sein. Auch die Leistungen609 des Geschlechts und ihre traditionelle Bindung an die
602 Vgl. Dick, Königtum: S. 219 ff. Zur Forschungsgeschichte zum Königtum auch Dick, Grundlagen: S. 510. 603 „[…] ibique iuxta pagus vel civitates regis crinitos super se creavisse de prima et, ut ita dicam, nobiliore suorum familia.“ Greg. hist.: 2.9. Zu den langen Haaren Wallace-Hadrill, Kings: S. 148–162; Diesenberger, Hair: S. 173–212; Diesenberger, Art. Reges criniti: S. 317–319. Tatsächlich gab es auch aus dem Geschlecht der hasdingi stammende langhaarige Könige. Vgl. Castritius, Vandalen: S. 36. 604 Ein. vit. car. mag.: 1. Vgl. Becher, „Herrschaft“: S. 165 und Le Jan, Sakralität: S. 78. In diesem Kontext wird von Le Jan auch die Schilderhebung einbezogen. Bezeichnend ist, dass Einhard von einem Ochsenwagen schreibt: „Quocumque eunudum erat, carpento ibat, quod bubus iunctis et bubulco rustico more agente trahebatur.“ Ein. vit. car. mag.: 1. Ochsen sind kastrierte Stiere. In Anbetracht der Bedeutung des Stieres für die symbolische Inszenierung der Männer aus dem Merowingergeschlecht erscheint die Passage als Pointe, denn zugleich schreibt Einhard, dass die Merowinger kaum noch handlungsfähig waren. Zur symbolischen Bedeutung des Stieres Ewig, Merowinger: S. 78 und Geary, Merowinger: S. 91. 605 Dazu mit Verweisen auf die Erzählung über den quinotaurus Tiefenbach und Wood, Art. Merowech: S. 574–576. 606 Fredeg.: 3.9. Kritisch zur charismatischen Legitimation der Merowinger durch ihre Abstammung von einem Seemonster Murray, Merohingii: S. 90 f. 607 „Erat autem levis in moribus, ultra humanum genus cupiditate ac facultatibus inhians alienis et ex ipsis divitiis valde superbus, in tantum ut iam in ipso interitus sui tempore Chlothari regis se filium fateretur.“ Greg. hist.: 9.9. Dazu Schneider, Königserhebung: S. 109 f. 608 „Pueri vero, qui missi a rege fuerant ad requirendas res eius, tanta in thensauris illius repperierunt, quanta nec in ipso aerarii publice registu poterant invenire; quae totum reges conspectibus praesentarunt. […] In loco tamen Rauchingi Magnovaldus diregitur dux.“ Greg. hist.: 9.9. Dazu Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 150 f. 609 Zur Relevanz von Prestige Pohl, Byzanz: S. 59 f.; Pohl, Konfliktverlauf: S. 181 f. und Dick, Königtum: S. 189 ff. In diesem Sinn Diesenberger, Hair: S. 191.
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Königsposition610 können hierfür angeführt werden. Die Aspekte sind in Anbetracht anderer Erzählungen zum Verhältnis der Merowinger zu ihnen Folgeleistenden für die Erklärung des Arguments bei Gregor weit plausibler als die Annahme eines Charismas.611 Auch das für einige Konzepte konstitutive Theorem der Treue ist debattiert worden und die bereits in den 1950er und 1960er Jahren vorgebrachte Kritik612 wird nun weitgehend akzeptiert.613 Aktuelle Studien zu Treueiden betonen die Herkunft solcher Praktiken aus der Praxis des römischen Militärapparats.614 Dies ist auch plausibel. Daher ist zu formulieren: Die Eide sind Strukturelemente der erodierten strukturellen Einheit der weströmischen Ordnung. Wenn die Ansätze der jüngeren Studien mit älteren verglichen werden, fällt auf, dass in den jüngeren Studien nicht die Treue, sondern der Eid als soziale Praktik thematisiert wird.615 Der Ansatz scheint heuristisch wertvoll. Der Eid kommuniziert eine zukünftige Folgeleistung. Das Erbringen der versprochenen Leistung kann dann als eine Art Treue aufgefasst werden. Treue wäre somit – abseits konkreter Verpflichtungen der beteiligten Akteure, die auch variiert haben konnten616 – die Dimension einer sozialen Beziehung zwischen Akteuren oder Akteursgruppen, in der die Beziehung verstetigt und bei Bedarf auch neu definiert werden konnte.617 „Treue“ ist demnach nicht mehr konstitutiv für die Beziehung als solche. Die Konstitution wäre durch den Eid gegeben. Aber war der Eid im Fall des Usurpationsversuchs des Munderich für das Organisieren von Folgeleistungen konstitutiv? Auffällig ist, dass Eide in anderen Erzählungen zum Leisten von Folge gegenüber den Merowingern nicht erzählt werden.618 Der Eid der antrustionen gegenüber den Königen wird in der lex salica gar nicht erwähnt. Eid und Abstammung korrelieren also nicht durchgehend. Dies ist im Fall der Usurpation des Munderich eine Besonderheit und kann daher direkt mit dem Versuch in Verbindung gedeutet werden: Der Eid war nötig, um Munderich zusätzlich zu legitimieren. Der Usurpationsversuch war direkt von den ihm Folgeleistenden abhängig. Beides, das Argument und der Eid, waren notwendig, damit Munderich den Merowingern ähnlich wurde, indem ihm Akteure Folge leisteten. Vereinfacht formuliert kommunizierte sich Munderich auf diese Weise als König gegenüber Theuderich I. und insofern war nicht einfach nur der Eid für den Usurpationsversuch konstitutiv, sondern das Folgeleisten
610 Greg. hist.: 2.42. 611 Greg. hist.: 2.27; 2.31 und 3.11. Dies gilt auch nach 536/7. Beispielsweise Greg. hist.: 4.14. 612 Zusammenfassend Pohl, Germanen: S. 69 f. 613 Vgl. Becher, „Herrschaft“: S. 175. 614 Vgl. Esders, Treueidleistungen: S. 27 f. 615 Vgl. Esders, Traditionsbewußtsein: S. 97–125 sowie Esders und Reinle, Einführung: 15 f. 616 Vgl. Esders und Scharff, Untersuchung: S. 11–48. 617 Beispiele hierfür sind Steuerhebungen und Neuerhebungen in den bella civilia. Greg. hist.: 5.28 und 6.22. 618 Für die Zeit Chlodwigs I. gibt es solche Aussagen gar nicht. Greg. hist.: 2.27–2.43.
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der Akteure. Letztlich scheiterte Munderich trotz der ihm Folge leistenden Akteure mit der Usurpation: Er wurde, nachdem er sich in einer Burg (castrum) mit seinem tragbaren Besitz und den ihm Folgeleistenden einschloss, wie einige von ihnen getötet.619 Die Figur des Aregisil nimmt in der Erzählung Gregors eine tragende Funktion ein, da die Figur, die auf der Seite Theuderichs I. steht, auf dessen Verlangen in die Burg geht und Munderich aus ihr hervorlockt. Dafür trägt der König Aregisil auf, einen falschen Eid zu schwören. Aregisil verabredet mit Einigen ein Zeichen, auf das sie den aus der Burg Gelockten angreifen sollen.620 Zum einen wird erneut ein Eid erwähnt. Der bereits herausgestellte, kommunikative, auf die Zukunft ausgerichtete Aspekt des Eides wird auch hierbei deutlich, auch wenn es sich von Anfang an um eine List handelt. Da aber bei diesem Eid auch noch ein Altar verwendet wird,621 ist hier kein Militäreid, sondern eine andere Eidesart zu fassen.622 Zum anderen wird ein Akteur mit besonderen Aufgaben greifbar, der als eine Art Gesandter agiert und als ein potentielles Mitglied einer sich zu dieser Zeit formierenden Gruppe geltend gemacht werden kann – auch weil an späterer Stelle in der Passage Figuren auftreten, die als Akteure des Aregisil (populo illo) bezeichnet werden.623 Allerdings ist die Passage die einzige, die Aussagen zu Aregisil umfasst. Daher ist darauf hinzuweisen, dass die Figur des Aregisil wie auch schon die Figur des Aridius624 in ihrer Erzählfunktion für den Verlauf der Gesamterzählung wichtig ist. Ein Rekurs Gregors kann in diesem Fall nicht eruiert werden und unklar bleibt zudem, inwieweit Aregisil sich abseits der Formulierung populo illo von anderen Akteuren unterschied. Es kann sich dabei auch um eine Projektion von Deutungsmustern des Autors handeln. Als dux wird er nicht bezeichnet und auch andere Bezeichnungen fehlen. Diesen analytischen Kontext abschließend ist festzuhalten, dass die Erzählung über den Usurpationsversuch des Munderich zeigt, welche Probleme für die Inhaber der Königsposition bestanden, da eine Transformation des Kriegerseins durch kontinuierliche Zahlungen über das Abgabensystem nicht erfolgte. Theuderich I., der zuvor von den ihm Folgenleistenden zur militärischen Operation gen Clermont gedrängt worden war, hatte in dem Usurpator Munderich jemanden, der ihn mit dem
619 Greg. hist.: 3.14. 620 „At ille misit quendam de suis Aregisilum nomine dixitque ei: ‚Vidis‚, inquid, ‚quod praevaleat hic perfedus in contumacia sua; vade et redde ei sacramentum, ut securus egrediatur. Cum autem egressus fuerit, interfice eum et dele memoriam eius a regno nostro.“ Greg. hist.: 3.14 und: „Dederat tamen prius signum populo, […]“ Greg. hist.: 3.14. 621 „Tunc Aregisilus, positis super altarium sanctum manibus, iuravit ei, ut securus egrederetur.“ Greg. hist.: 3.14. 622 Vgl. Esders, Traditionsbewußtsein: S. 100. 623 „Evaginatumque deinceps Mundericus gladium, cum suis magnam stragem de populo illo fecit, et usquequo spiritum exalavit, interficere quemcumque adsequi potuisset non distitit.“ Greg. hist.: 3.14. 624 Greg. hist.: 2.32.
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Argument der Abstammung weitgehend ähnlich war: Ihm leisteten Akteure Folge, für die er sehr wahrscheinlich auch Erwerbschancen durch Plünderungen symbolisierte, da solche dem Konflikt mit Theuderich I. zumindest implizit inne lagen. Sie waren für das Organisieren von Folgeleistungen relevant, auch weil das Abgabensystem nicht für eine Transformation des Kriegerseins in ein Soldatensein eingesetzt worden war.
2.5.8 Die Verteilung materieller Güter und Ressourcen und das Symbolisieren von Erwerbschancen: Theudebert I. wird König Eine weitere Herausforderung der Merowingerkönige war, dass mehrere Könige in Gallien zugleich agierten und Folgeleistungen gegenüber mehreren, legitimen Königen erbracht werden konnten. Die Erzählung über den Antritt Theudeberts I. als Nachfolger seines Vaters Theuderich I. weist diesen Aspekt auf: Gregor erzählt im 23. Kapitel des dritten Buches der decem libri historiarum, dass Theudebert – der sich zu dieser Zeit auf der weiter oben erwähnten militärischen Operation in Südwestgallien befand – eilig zurück kehrt, nachdem er erfährt, dass sein Vater erkrankt ist und seine Onkel ihn verdrängen würden, wenn er ihn nicht mehr lebend vorfinde.625 Nachdem Theuderich I. gestorben ist, versuchen Chlothar I. und Childebert I. ihm sein regnum zu nehmen, doch durch die Verteilung von Geschenken (muneribus) gewinnt er seine Leute (leodibus suis) und kann sich als neuer König behaupten.626 Die Erzählung wird derart gedeutet, dass die Beschenkten „Große“ Theuderichs I. waren.627 Jedoch ist die Annahme nicht einfach zu bestätigen. Sicher ist, dass Theudebert I. Akteure bei seiner Operation in Südwestgallien Folge leisteten.628 Er war also nicht von einer Gruppe abhängig, die im geographischen Raum des Strukturierungszusammenhangs, in dem sein Vater die Position des Königs inne hatte, verweilte und ihm Folge leisten konnte. Es ist jedoch gar nicht klar, ob diejenigen Akteure, die Geschenke erhielten, in den geographischen Raum des Teilstrukturierungszusammenhangs verweilt hatten, oder mit Theudebert I. zurückkamen. Zudem ist nicht klar, wie der Gebrauch der Worte regnum und leodes in diesem Erzählzusammenhang zu verstehen ist. Es wird erzählt, dass die Könige Chlothar I. und Childebert I. Theudebert das regnum nehmen wollen. Ob damit tatsächlich in Summe die civitates gemeint sind,
625 „Dum haec agerentur, nuntiatur Theodoberto, patrem suum graviter egrotare, et ad quem nisi velocius properaret, ut eum inveniret vivum, a patruis suis excluderetur et ultra illuc non rediret.“ Greg. hist.: 3.23. 626 „Consurgentes autem Childeberthus et Chlothacharius contra Theudobertum, regnum eius auferre voluerunt, sed ille muneribus placatis a leodibus suis defensatus est et in regnum stabilitus.“ Greg. hist.: 3.23. 627 Vgl. Becher, „Herrschaft“: S. 179. 628 Greg. hist.: 3.21.
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die im geographischen Raum des Teilstrukturierungszusammenhangs seines Vaters lagen – was als wahrscheinlich bezeichnet werden kann – ergibt sich nicht aus der Passage. Es kann auch sein, dass das Wort in diesem Fall auch Akteure einschließt, da die leodes mit Geschenken gewonnen werden. Sicher ist ausschließlich, dass Theudebert in Gefahr stand, seinem Vater als König nicht nachfolgen zu können. Daher gab er Geschenke an die als leodes bezeichneten Akteure, die entweder mit ihm zurückgekehrt waren oder bei seinem Vater geweilt hatten. Das Wort leodes oder auch leudes629 wurde in der Debatte um den frühfränkischen Adel besprochen.630 Dabei blieb unklar, ob das Wort tatsächlich derart gebraucht wurde, dass es eine Gruppe herausragender Akteure bezeichnet oder nicht.631 Angenommen, das Wort regnum sei von Gregor in Sinne einer Synthese von Bewohnern und Gebieten gebraucht worden, dann hätte das Schenken den Effekt eines zusätzlichen Gewinns für die leodes, der dann gegeben war, wenn sie nicht den beiden Königen, mit denen für sie ausschließlich Erwerbschancen verbunden waren, sondern Theudebert Folge leisteten. Diese Annahme eines synthetischen Gebrauchs ist noch zu plausibilisieren, da eine Beseitigung Theudeberts nur möglich war, wenn ihm keine oder nur wenige Akteure Folge geleistet hätten. Eine Konkurrenz der Merowingerkönige um solche Akteure ist sehr wahrscheinlich. Insofern erscheint das Wort leodes eine größere Gruppe zu bezeichnen; aber nicht bestimmt werden kann, ob mit leodes hier eine Gruppe von Akteuren bezeichnet wird, denen jeweils direkt Folge geleistet wurde. Die Passage ist für die Annahme des Entstehens von herausragenden Akteuren nicht zu verwenden. Der wie schon in der Erzählung über den Versuch der Usurpation des Munderich implizite militärische Konflikt verdeutlicht, dass auch hier Erwerbschancen für die Akteure gegeben waren, indem sie einen der beteiligten potentiellen Anführer Folge leisteten. Das ökonomische Plus, das durch die Verteilung der Geschenke nicht etwa nur potentiell, sondern konkret gegeben war, schuf dann den Ablauf, dessen Informationen von Gregor literarisch verarbeitet worden sind: Theudebert wurde König, da er Folgeleistungen organisieren konnte, indem er zusätzlich zum Symbolisieren von Erwerbschancen entgegen seiner beiden Onkel Geschenke verteilte.
629 Vgl. Reichert und von Olberg-Haverkate, Art. Leudes: S. 292–298 und Schmidt-Wiegand, Bezeichnungen: S. 240–241. 630 Vgl. Grahn-Hoek, Oberschicht: S. 263 ff. und Irsigler, Adels 1981: S. 253. 631 Grahn-Hoek kommt zu dem Ergebnis, dass der Gebrauch des Wortes leudes von dem Gebrauch des Wortes franci auf der recht dünnen Quellenbasis nicht zu unterscheiden ist. Vgl. Grahn-Hoek, Oberschicht: S. 265. Irsigler sieht dies ähnlich, wobei er betont, dass leudes und franci wohl nicht mit exercitus identisch gebraucht wurden. Vgl. Irsigler, Adels 1981: S. 102. Den beiden entgegen schreibt von Olberg-Haverkate, dass leudes eine besondere, herausragende Gruppe bezeichnet. Vgl. von Olberg-Haverkate, Bezeichnung: S. 63 f. Eine fundierte Begründung fehlt jedoch.
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2.6 Fortführung der externen militärischen Operationen Im Folgenden wird der Quellenbestand zu den Externa des parzellierten Strukturierungszusammenhangs bis zum Jahreswechsel 536/7 in vier analytischen Kontexten untersucht. Die Gliederung wird nicht an der Chronologie,632 sondern an den geographischen Räumen orientiert, auf die sich die Quellenaussagen beziehen.
2.6.1 Militärische Operationen im südöstlichen Gallien Wie schon zur Zeit Chlodwigs I. wurden auch zur Zeit der ersten Generation nach ihm militärisch in Südostgallien operiert. Die gegnerischen Anführer waren erneut die Könige aus dem Geschlecht der Gibichungen.633 Gleich zu Beginn ist festzuhalten, dass in dem Quellenbestand zeit- und ortsnahe Aussagen zu Plünderungen und anderen Erwerbspraktiken wie dem Menschenraub634 fehlen. Neben den decem libri historiarum und der Chronik des Bischofs Marius von Avenches-Lausanne liefern Texte des Prokop von Caesarea und des Agathias Aussagen. Insgesamt gab es drei635 militärische Operationen im Südosten, die mit unterschiedlichen Siegern endeten. Bei der ersten Operation636 wurde König Sigismund gefangen und später auf das Geheiß König Chlodomers mit seiner nächsten Familie getötet.637 Chlodomer wurde selbst bei der zweiten militärischen Operation gegen den Bruder Sigismunds erschlagen.638 König Godomar II. und die ihm Folgeleistenden blieben bei dieser Operation wohl entgegen der Erzählung Gregors siegreich.639 Bei der dritten Operation gingen Chlothar I. und Childebert I. kooperierend gegen
632 Die Chronologie ist problematisch und daher als Orientierungsgröße wenig geeignet: Einige Daten werden immer noch diskutiert. Zur Problematik der Aussagenlage Wood, Kingdoms: S. 50–60. 633 Sigismund wurde wohl 516 zum König erhoben. Zur Datierung Mar. aven. chron.: 516. Ob zu dieser Zeit auch Godomar bereits König war, ist nicht zu klären. Vgl. Kaiser, Burgunder: S. 69 f. Dass Godomar erst nach dem Tod Sigismunds zum König wurde, ergibt sich aus Mar. aven. chron.: 524. 634 Es gibt dazu nur eine Aussage aus einem zeitfern verfassten Text. Vgl. Kaiser, Burgunder: S. 72 und S. 222. 635 Dies ist in Anbetracht der Quellenlage nicht ganz sicher. Es könnten auch vier militärische Operationen gewesen sein. Greg. hist.: 3.11 und Mar. aven. chron.: 534.1. 636 Zur Datierung Mar. aven. chron.: 523. 637 Greg. hist.: 3.6. 638 „Statimque interfecto Sigimundo cum uxore et filiis, apud Colomnam Aurilianinsim urbis vicum in puteum iactare praecipiens, […]“ Greg. hist.: 3.6. 639 „Quod Franci cernentes atque cognuscentes Chlodomerem interfectum, reparatis viribus, Godomarum fugant, Burgundionis oppraemunt patriamque in suam redigunt potestatem.“ Greg. hist.: 3.6. Dazu mit gegenteiligen Aussagen Agath.: 1.3 und Mar. aven. chron.: 524.2. Dazu Kaiser, Burgunder: S. 71.
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Godomar II. vor, während Theuderich I. die Operation nach Clermont vorzog.640 Sie endete mit einem Sieg der Merowinger. Godomar II. floh und konnte danach nicht mehr auffällig tätig werden. Das regnum ging an die Merowinger und wurde geteilt.641 Der erste Konflikt war noch von Spannungen zwischen König Sigismund und König Theoderich dem Großen begeleitet. Der Erstgenannte hatte seinen Sohn, den er von einer Tochter Theoderichs empfangen hatte,642 kurz zuvor ermorden lassen.643 Bei der drauf folgenden Militäroperation gewann Theoderich in Gallien weitere Gebiete, die jedoch nach seinem Tod 526 rasch verloren gingen.644 Zu dieser Zeit wurde von den Merowingern die letzte militärische Operation im Südosten unternommen. Insgesamt handelt es sich also um Operationen mehrerer Parteien in Gallien, die zum Erliegen der männlichen Linie des Königsgeschlechts der Burgunder führten.645 Daher überrascht doch, dass zeit- und ortsnahe, aber auch allein zeitnahe Quellenaussagen zum Plündern nicht gegeben sind. Einige Passagen können jedoch im analytischen Kontext angeführt werden. Dabei sind Aussagen aus den decem libri historiarum bezüglich Plünderungen wichtig, die nicht direkt auf die Militäroperationen im Südostgallien bezogen sind. Dazu liefert Prokop Aussagen zum Abgabensystem, die sich auf die Zeit kurz nach dem endgültigen Sieg über Godomar II. beziehen. Hinzu kommt eine Aufzeichnung des Bischofs Marius, welche die Teilung der gewonnen Gebiete und somit die Aufteilung der südostgallischen civitates betrifft. Für die Aussagen zum Plündern, die bereits weiter oben untersucht worden sind, ist auf den Zusammenhang zu verweisen: Die dem Theuderich I. Folgeleistenden wollen lieber seinen Stiefbrüdern Folge leisten, da diese im Südosten operieren und Theuderich I. dies ablehnt. Theuderich I. bietet daher eine militärische Operation nach Clermont an und betont, dass dort Vieles geplündert werden kann.646 Insofern wird auch die dritte militärische Operation in Südostgallien mit Erwerbschancen der Folgeleistenden in Verbindung gebracht. Daher ist festzuhalten, dass die beiden anderen Merowinger genau wie Theuderich I. Erwerbschancen symbolisierten. Somit
640 Greg. hist.: 3.11. 641 „Chlothacharius vero et Childeberthus in Burgundiam dirigunt, Agustidunumque obsedentes, cunctam, fugato Godomaro, Burgundiam occupaverunt.“ Greg. hist.: 3.11. Dazu wahrscheinlich orts- und zeitnah Prok. B.G.: 1.13. Entgegen der Aussagen bei Gregor Mar. aven. chron.: 534.1. Hier kämpft auch Theudebert an der Seite seiner Onkel. 642 Vgl. Geuenich, Vormachtstellung: S. 161. 643 Greg. hist.: 3.5; Mar. aven. chron.: 522 und Greg. glor. mart.: 74. Vgl. Kaiser, Burgunder: S. 68. 644 Vgl. Wolfram, Goten 2001: S. 331. 645 Weibliche Mitglieder lebten noch. Chrodechilde stammte von dem Geschlecht ab. Greg. hist.: 2.28. 646 Greg. hist.: 3.11.
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ist zumindest anzunehmen, dass Plünderungen auch im Südosten stattgefunden haben, auch wenn kein Autor sie erwähnt. Auf die Teilung geht Bischofs Marius ein. Seine Aussage steht im Widerspruch zu Gregor, da Marius erwähnt, dass die Teilung zwischen Chlothar I., Childebert I. und Theudebert stattfand.647 Die Aufzeichnung steht auch in Kontrast zur Erzählung des Prokop. Er schreibt, dass nachdem die Burgunder besiegt worden sind, sie den Franken Tributpflichtig werden.648 Die Erzählung zur Tributpflicht der Burgunder erscheint in Anbetracht der Quellen zu dem auf ein Territorialprinzip ausgerichteten Abgabensystem in Gallien unplausibel. Hierbei scheint es sich um Aussagen zu handeln, bei der die Vorstellungen und Deutungsmuster des Autors stark eingewirkt haben. Eine Teilung hingegen erscheint plausibler und tatsächlich kann gezeigt werden, dass die civitates des südöstlich in Gallien gelegenen Strukturierungszusammenhangs unter den Merowingern aufgeteilt wurden.649 Ähnlich sieht es mit der Aussage Prokops aus, die Burgunder seien zur Leistung von Folge bei militärischen Operationen verpflichtet oder gezwungen worden.650 Zum einen ist ein Rekurs des Autors auf Informationen sehr unwahrscheinlich – ein Konfliktpotential für die merowingischen Königen wäre somit entstanden: Wenn die Folgeleistungen nicht erbracht würden, wäre gegen die Burgunder erneut militärisch vorzugehen. Es ist dazu festzuhalten, dass die Bewohner des südöstlichen Galliens nicht nur Burgunder waren. Prokops vereinheitlichender Gebrauch der ethnischen Kategorie erscheint nach der bisherigen Untersuchung deplatziert: Um das Leisten von Folge wurde konkurriert. Dies ist auch anhand der Interpretation plausibel, dass ein einzelner Akteur wohl kaum eine größere Gemeinschaft gezwungen haben kann, ihm Folge zu leisten. Auch im Südostgallien gab es civitates, die in die Abgabensysteme der Könige inkorporiert wurden und deren Bewohner zumindest teilweise – und diese nach ethnischen Kategorien zu differenzieren erscheint in Anbetracht der Aufteilung der civitates falsch – Folge gegenüber den Merowingern bei ihren militärischen Operationen leisteten.651
647 „Hoc consule reges Francorum Childebertus, Chlotarius et Theudebertus Burgundiam obtinuerunt et fugato Godomaro rege regnum ipsius diviserunt.“ Mar. aven. chron.: 534.1. 648 Prok. B.G.: 1.13. 649 Vgl. Ewig, Teilungen: S. 130 f. 650 Prok. B.G.: 1.13. 651 Vgl. Kaiser, Burgunder: S. 186 ff.
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Quellenuntersuchung
2.6.2 Militärische Operationen an der nordöstlichen Peripherie Galliens An der nordöstlichen Peripherie Galliens waren in einem großräumig besiedelten Gebiet mehrere Könige aus einem Geschlecht aktiv.652 Die schriftlichen Quellen zu den Thüringern sind wie archäologische Befunde in der jüngeren Vergangenheit näher in den Blick der mediävistischen Forschung gerückt.653 Eine kontroverse Debatte über die Herkunft der Thüringer wurde geführt.654 Auch wird angenommen, dass die drei thüringischen Könige verschieden zu bezeichnende Gemeinschaften unter sich aufgeteilt hatten.655 Diese Annahme ist jedoch nicht gänzlich sicher.656 Der Name Thoringia bezeichnete im 6. Jahrhundert in mehreren Variationen657 nicht nur ein Siedlungsgebiet verschiedener Gemeinschaften, sondern zu Beginn des Jahrhunderts ein Gebiet, in dem mehrerer Könige agierten.658 Der in einem Brief aus der Sammlung des Cassiodor als dominatus bezeichnete Hermenafrid659 war unter diesen Königen sehr wahrscheinlich ein herausragender Akteur.660 Er war seit dem Ende der ersten Dekade des 6. Jahrhunderts661 mit einer der Nichten Theoderichs des Großen verheiratet662 und somit in dessen Bündnissystem eingebunden.663 Die Ausdehnung des als Thoringia bezeichneten Raumes ist für das beginnende 6. Jahrhundert nicht sicher festzulegen. Die geographischen Grenzen werden im Süden bis an das Ufer der Donau in Noricum ripense664 gereicht haben. Dort plünderten thüringische und andere, möglicherweise auch von dem Königsgeschlecht des Hermenarfrid angeführte Akteure, die örtlichen civitates.665 Eine Grenze an der Elbe
652 Vgl. Grahn-Hoek, Thüringer: S. 49 und Schmidt, Thüringer: S. 287 ff. 653 Dazu besonders die Beiträge in Castritius/Geuenich/Werner (Hg.), Thüringer. Zahlreiche Literaturhinweise befinden sich am Ende der einzelnen Beiträge. 654 Grahn-Hoek nimmt an, dass die thoringi sich aus dem Kern einer Gemeinschaft gebildet haben, die sich unter Athanarich von dem Rest der therwingi abgespalten hat. Vgl. Grahn-Hoek, Thüringer: S. 18–33. Gegen diese Annahme Haubrichs, Name der „Thüringer“: S. 100. 655 Zeitnah, jedoch ortsfern Cassiod. var.: 3.3 sowie wohl zeit- und ortsfern Ep. austr.: 20.10 f. Zur Interpretation Grahn-Hoek, Thüringer: S. 56–60. 656 Kritisch zustimmend Kampers, Thüringer und Goten: S. 275. Vorsichtig zustimmend Kälble, Thüringen: S. 338. 657 Zusammenfassend Kälble, Thüringen: S. 337. 658 Grahn-Hoek geht davon aus, dass es sich bei Thoringia um einen „überregionalen Sammelnamen“ handelt. Vgl. Grahn-Hoek, Thüringer: S. 73 ff. Zustimmend Kälble, Thüringen: S. 340. 659 Zeitnah, jedoch ortsfern Cassiod. var.: 4.1. 660 Vgl. Grahn-Hoek, Thüringer: S. 56 ff.; Kampers, Thüringer und Goten: S. 266 ff. und Kälble, Thüringen: S. 337 f. 661 Zur Datierung Kälble, Thüringen: S. 338 f. 662 Zeitnah, jedoch ortsfern Cassiod. var.: 4.1. 663 Vgl. Geuenich, Vormachtstellung: S. 162. 664 Vgl. Kälble, Thüringer: S. 341. 665 „Qua nocte Heruli insperate protinus irruentes oppidumque vastantes plurimos duxere captivos, presbyterum memoratum patibulo suspendentes.“ Vita Sanc. Sever.: 24.3 und: „Et rex: ‚hunc‚, inquit,
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oder sogar darüber hinaus ist ebenfalls wahrscheinlich.666 Die Westgrenze hingegen ist nicht klar festzulegen.667 Den geographischen Raum insgesamt als geschlossen auszuweisen, geht sicherlich fehl.668 In dem skizzierten Raum waren keine civitates vorhanden. Die Römer waren in diesem Gebiet zwar operativ tätig und haben wohl auch Handelsbeziehungen dorthin geführt; civitates wurde aber nicht gegründet.669 Zwar kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass civitates von dem ostrheinischen Königsgeschlecht in irgendeiner Form kontrolliert worden sind,670 doch fehlt dafür jede Evidenz. Die Aussagen zu zwei militärischen Operationen – die Hauptquelle dazu sind erneut die decem libri historiarum – sind für die Beantwortung der Leitfrage interessant. Dazu gibt es noch relativ zeitnah Quellenaussagen aus einem Gedicht des Venantius Fortunatus671 und einige Passagen aus den Texten des Prokop.672 Aussagen zu
‚populum, pro quo benivolus precator accedes, non patiar Alemannorum ac Thoringorum saeva depraedatione vastari vel gladio trucidari aut in servitium redigi, cum sint nobis vicina ac tributaria oppida, in quibus debeant ordinary‚.“ Vita Sanc. Sever.: 31.4. In diesem Kontext sind die Aussagen als orts- und relativ zeitnah zu bezeichnen. Der Text wurde von Eugippius verfasst, der Severin zu dessen Lebzeiten wahrscheinlich persönlich kannte. Er selbst war Mönch und wurde später Abt eines Klosters in Italien, in das die Gemeinschaft des heiligen Severin übergesiedelt war. Vgl. Wattenbach und Levison, Geschichtsquellen: S. 44–47. 666 Vgl. Grahn-Hoek, Thüringer: S. 77. 667 Die Debatte zusammenfassend Kälble, Thüringen: S. 344 f. Gegen die Annahme eines linksrheinischen Gebiets unter dem Einfluss thüringischer Anführer Grahn-Hoek, Thüringerreich?: S. 15–55. 668 Vgl. Kälble, Thüringen: S. 345. 669 Vgl. Wolters, Germanien: S. 88 ff. 670 Dazu können die Angriffe an der Donau geführt haben. Vita Sanc. Sever.: 11; 17; 22; 24; 25; 27; 30 und 31. 671 Venantius Honorius Clementianus Fortunatus wurde um 540 in Norditalien nahe der civitas Treviso (Tarvisium) geboren. Vgl. Fels, in: ed. Fels, Venantius Fortunatus: S. XII. 565 zog Venantius, der zuvor in Ravenna, dem Sitz des oströmischen Statthalters in Italien, eine Ausbildung in klassischen Literaturformen erhalten hatte, nach Gallien, um an das Grab des heiligen Martin in Tours zu pilgern. Vgl. George, Poet: S. 7 f. Zu den beiden Selbstangaben des Venantius Fortunatus über seine Reise und deren Kompatibilität George, Fortunatus: S. 25 f. Erst während der Reise trat Venantius in Kontakt mit den lokal zu verortenden Bischöfen und einigen alteingesessenen Familien. Insofern sind seine Aussagen in dem hier interessierenden Kontext als zeitfern zu bezeichnen. Zu dieser Zeit schrieb er Gedichte für die ihn Bewirtenden und kam dabei sehr wahrscheinlich mit den innergallischen Traditionsformen der jüngeren und älteren Vergangenheit in Berührung, deren Informationen er literarisch verarbeitete. Zu diesem Gewinn an Informationen über Familien und die Könige George, Fortunatus: S. 28–34. 566 schrieb er ein Gedicht anlässlich der Hochzeit des Merowingers Sigibert I. mit der westgotischen Prinzessin Brunhild. Vgl. Brennan, Images: S. 1 f. Kurz darauf kam er in das Kloster der heiligen Radegunde bei Poitiers, wurde Priester und blieb dort. Auch danach schrieb er Gedichte, aber auch hagiographische Texte und weitere Schriften, wobei er auch für Radegunde als Gesandter tätig wurde. Gegen Ende seines Lebens wurde er in Poitiers zum Bischof. Das Datum seiner Investitur ist genauso wenig sicher, wie das Datum seines Todes. Vgl. George, Fortunatus: S. 31 ff. 672 Vgl. Grahn-Hoek, Thüringer: S. 48 ff.
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Plünderungen liefern die beiden letztgenannten Autoren jedoch keine. Es gibt dazu auch zeitfernere Quellen, die jedoch nicht berücksichtigt werden, obwohl ortsnah geschrieben, da die frühesten im 9. Jahrhundert verfasst worden sind.673 Rekurse der zeitnäheren Autoren auf Informationen können durch ihre Nähe zu Radegunde und Amalafrid stattgefunden haben: Radegunde war die Tochter des Berthachar aus dem ostrheinischen Königsgeschlecht und wurde bei der entscheidenden militärischen Operation von Chlothar I. geraubt.674 Später wurde eine Ehe zwischen beiden geschlossen, bis sich Radegunde für ein klerikales Leben entschied.675 Sie war mit Gregor von Tours und Venantius Fortunatus persönlich bekannt.676 Amalafrid war mit seiner ostgotischen Mutter nach Italien geflohen. Es ist wahrscheinlich, dass er mit Prokop bekannt war.677 Die militärischen Operationen gegen das ostrheinische Königsgeschlecht begannen mit der Kooperation eines Merowingers mit einem Angehörigen aus dem betroffenen Geschlecht: Hermenafrid bot Theuderich I. einen Teil des regnum an, damit Theuderich I. ihm gegen seinem Bruder Berthachar half.678 Später kooperierten dann die Merowinger bei der entscheidenden militärischen Operation gegen Hermenafrid.679 Es ist nicht möglich, dass civitates als Teil des regnum an Theuderich I. abgetreten werden sollten: Solche wurden wohl nicht von Hermenafrid kontrolliert. Insofern konnten die potentiell zu erwerbenden Gebiete und auch Bewohner nicht einfach in das Abgabensystem inkorporiert werden. Dass auch in den ostrheinischen Gebieten später Abgaben erhoben wurden, obwohl die civitas als die Grundeinheit der Erhebung des Abgabensystems dort nicht vorhanden war, ist jedoch sicher.680 Insofern erscheint das lokal-ökonomische Potential der ostrheinischen Bevölkerung als Möglichkeit, das Angebot nachvollziehbar zu erklären. Doch wurde die angebotene Teilung nach dem Sieg über Berthachar nicht vollzogen. Daher kam es zu der
673 Überblickend zu diesen Texten Springer, Sachsen: S. 63–94. 674 Vgl. Krautschick, Art. Radegunde: S. 61–63. 675 „Chlothacharius vero rediens, Radegundem, filiam Bertecharii regis, secum captivam abduxit sibique eam in matrimonio sociavit; cuius fratrem postea iniuste per homines iniquos occidit. Illa quoque ad Deum conversa, mutata veste, monastyrium sibi intra Pectavensem urbem construxit.“ Greg. hist.: 3.7. Dazu Huber-Rebenich, Radegunde: S. 235–251. 676 Vgl. Huber-Rebenich, Radegunde: S. 236 f. 677 Er war der Sohn des Hermenafrid. Prok. B.G.: 1.13 und 4.25. Dazu Cameron, Procopios: S. 119. 678 Greg. hist.: 3.4. 679 „Post Theudoricus non inmemor periurias Hermenefrede regis Thoringorum Chlothacharium fratrem suum in solatio suo vocat et adversum eum ire disponit, promittens regi Chlothachario partem praedae, si eisdem munus victuriae divinitus conferritur.“ Greg. hist.: 3.7. 680 „Cumque iam prope terminum illorum esset, Saxones legatus ad eum mittunt, dicentes: ‚Non enim sumus contemptoris tui, et ea quae fratribus ac neputibus tuis reddere consuevimus non negamus, et maiora adhuc, si quaesieris, reddimus. Unum tantum exposcimus, ut sit pax, ne tuus exercitus et noster populus conlidatur‚.“ Greg. hist.: 4.14. Dazu Hardt, Thüringer und Sachsen: S. 258.
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zweiten militärischen Operation.681 Gregor erzählt, dass Theuderich I. seinem Halb bruder einen Teil des zu Plündernden anbietet, damit er mit ihm kooperiert.682 Es geht also erneut um ökonomischen Erwerb. Die Teilung wird hier gegen den einmaligen Erwerb durch das Plündern ersetzt. Somit ist diese militärische Operation für die beiden Könige eine Möglichkeit, Erwerbschancen für die ihnen Folgeleistenden zu offerieren. Vor dem Beginn der Operation lässt Gregor seine Theuderichfigur eine Rede an die ihm Folgeleistenden halten. Dieser Vortrag ist sicherlich keine Widergabe einer tatsächlich gehaltenen Rede. Auffällig ist, dass eine Niederlage gegen thüringische Akteure erzählt wird, bei der die Sieger gewaltsam über die Besiegten hereinbrechen. Auch Plünderungen fränkischer Siedlungsgemeinschaften werden erwähnt.683 Zuvor erzählt Gregor aber nur einen Sieg über Thüringer.684 Die Erwähnung der Väter derjenigen, zu denen die Figur spricht, lässt darauf schließen, dass der im zweiten Kapitel der decem libri historiarum erzählte Sieg Chlodwigs I. über die thoringi685 in diesem Kontext zu verorten ist.686 Es ist plausibel, dass Gregor die Informationen zum Sieg der thüringischen Akteure nicht in diesem Zusammenhang erzählt, da Chlodwigs I. sonst nicht zu einem überragenden Sieger zu stilisieren gewesen wäre.687 Dass ein Sieg thüringischer oder möglicherweise auch anderer, aus ostrheinischen Siedlungsgemeinschaften stammenden Akteure688 keine reine Fiktion des Autors ist, kann über dessen Nähe zu Radegunde wahrscheinlich gemacht werden: Da der Bischof auf Informationen und Phänomene des Geschehens im Osten nicht derart oft rekurriert,689 wird mit seiner Beziehung zur Königin ein mündlicher Informationsgewinn wahrscheinlich. Für die Vermutung, es handele sich dabei um Informationen, die auf das Geschehen der Zeit Chlodwigs I. bezogen sind, spricht auch, dass zu seiner Zeit der Strukturierungszusammenhang in Gallien erst entstanden ist und an der Peripherie die Siedlungsgemeinschaften der
681 Greg. hist.: 3.7. 682 „Post Theudoricus non inmemor periurias Hermenefrede regis Thoringorum Chlothacharium fratrem suum in solatio suo vocat et adversum eum ire disponit, promittens regi Chlothachario partem praedae, si eisdem munus victuriae divinitus conferritur.“ Greg. hist.: 3.7. 683 Greg. hist.: 3.7. 684 Greg. hist.: 2.27 und 3.4. Dazu Grahn-Hoek, Thüringer: S. 62 f. 685 „Nam decimo regni sui anno Thoringis bellum intulit eosdemque suis diccionibus subiugavit.“ Greg. hist.: 2.27. Jedoch muss sich nicht widersprechen, dass Chlodwig I. einen Sieg gegen thoringi – beispielsweise aus einer kleinen Siedlungegemeinschaft, die hauptsächlich von solchen Akteuren bewohnt war – und eine Niederlage gegen andere thoringi erlebt hat. 686 Vgl. Grahn-Hoek, Thüringerreich?: S. 15–55. 687 Vgl. Scharff, Kriegsniederlagen: S. 468 f. 688 Im ostrheinischen Gebiet gab es keine ethnische Einheit aller Menschen. Vgl. Grahn-Hoek, Thüringer: S. 56–60. 689 Vgl. Breukelaar, Authority: S. 224 f.
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Herkunft der ihm Folgeleistenden dann mit nur wenigen Verteidigern auskommen mussten. Auch die zweite Operation führte zu einem Sieg Theuderichs I. Er und seine Halbbrüder konnten an der Unstrut den Feind niederwerfen. Hermenafrid aber überlebte und scheint danach als eine Art regionaler Administrator in den zuvor von ihm direkt kontrollierten Gebieten tätig gewesen zu sein. Dies erklärt auch, warum Gregor weiter erzählt, dass Hermenafrid nach Zülpich (Tolbiacum) kommt, dort von Theuderich I. mit Geschenken geehrt wird und sich mit ihm bespricht.690 Bei dieser Gelegenheit wird Hermenafrid von der Mauer des Zentrums gestoßen und kommt dabei um.691 Geteilt wurden die Siedlungsgemeinschaften unter den beiden siegreichen Merowingern auch nach dem Tod des Hermenafrid nicht.692 Im Gegenteil erzählt Gregor, dass Theuderich I. noch während der zweiten Operation versucht, Chlothar I. mit einer List zu töten. Hier ist erneut ein Indikator für die Konkurrenz der Könige um Folgeleistende zu erfassen, da ein direkter materieller Gewinn für Theuderich I. nicht zu erlangen war. Ein solcher wäre erst nach der Rückkehr nach Gallien möglich gewesen, indem die civitates Chlothars I. an ihn gegangen oder aufgeteilt worden wären. Insofern ist insgesamt von einer allgemeinen Konkurrenz der Merowinger um Folgeleistende und civitates in diesem Kontext zu sprechen. Der Versuch geht jedoch nicht auf und es kommt zu keinen weiteren gewaltsamen Handlungen der Merowinger untereinander.693
2.6.3 Die militärische Operation Childeberts I. im südwestlichen Gallien und auf der Iberischen Halbinsel Im Quellenbestand bis zum Jahreswechsel 536/7 sind auch Aussagen zu einer militärischen Operation eines merowingischen Königs auf der Iberischen Halbinsel vorhanden. Es handelt sich um eine Erzählpassage aus den decem libri historiarum, wobei andere, ortsnah aber zeitfern arbeitende Autoren diese Operation ebenso erwähnen. Deren Texte können daher für die Kritik an ihr herangezogen werden. Auch Prokop tat dies, wobei seine Erzählung von der des Bischofs zum Teil abweicht.694 Eine weitere Passage über eine militärische Operation auf der Iberischen Halbinsel ist ebenfalls in den decem libri historiarum noch vor der Erzählung des Tributes aus Italien695 und
690 „Idem vero regressus ad propria, Hermenefredum ad se data fidem securum praecipit venire, quem et honorificis ditavit muneribus.“ Greg. hist.: 3.8. 691 Greg. hist.: 3.8. 692 Vgl. Ewig, Teilungen: S. 132 f. 693 Greg. hist.: 3.7. 694 Ortsfern, jedoch zeitnah Prok. B.G.: 1.13. 695 Greg. hist.: 3.31.
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der Übernahme der Provence696 gegeben, doch ist diese Operation mit einer Angabe aus der chronica caesaraugusta697 auf 541698 zu datieren;699 also auf die Zeit nach der Übernahme der Provence. Daher wird sie im nächsten Kapitel untersucht. In der Erzählung sind Aussagen vorhanden, die zum Teil bereits untersucht wurden: Arcadius – so schreibt Gregor – ruft König Childebert I. nach Clermont. Nachdem bekannt wird, dass Theuderich I. nicht bei der Operation gestorben ist, zieht Childebert I. sich mit den ihm Folgeleistenden aus der civitas zurück. Auch hier kommt es nicht zu einer Konfrontation zwischen zwei Merowingern: Childebert I. zieht mit den ihm Folgeleistenden auf die Iberische Halbinsel und plündert dort.700 Bei dieser militärischen Operation wird der westgotische König Amalarich getötet. Wie dies genau ablief, ist aber umstritten, da differente Angaben in den Quellen zu finden sind.701 Als Motiv der Childebertfigur wird von Gregor die Misshandlung seiner Schwester angegeben.702 Amalarich hatte sie zuvor geheiratet.703 Auch Prokop erzählt dies, erwähnt Childebert I. jedoch nicht.704 Die Figur handelt unter Berücksichtigung des katholisch-christlichen Glaubens: Childebert I. verteidigt seine Schwester, da sie wegen ihres katholischen Bekenntnisses körperlich zu leiden hat. Auch die Plünde-
696 Bei Gregor ist die Übergabe gar nicht ausdrücklich erwähnt. Greg. hist.: 3.31. 697 Der Autor der chronica caesaraugustana – der Chronik von Saragossa – ist nicht bekannt. Es wird angenommen, dass der Autor der Bischof Maximus von Saragossa war. Die Annahme geht auf Theodor Mommsen zurück. Vgl. Arce, Hispanien: S. 270. Dies ist jedoch nicht sicher und wird zum Teil auch bestritten, wobei festgehalten werden muss, dass der Text selbst nur unzureichend erforscht ist. Auch die Quellen des Autors sind noch nicht gänzlich erschlossen. Vgl. Jiménez Sánchez, Crónica: S. 339–367 und Acer, Hispanien: S. 270 f. Selbst bei der Annahme, der Text sei von verschiedenen anonymen Autoren verfasst worden und nicht in der civitas Caesaraugusta, sondern innerhalb der Region Tarraconensis entstanden, ist die geographische Nähe der Autoren zum Ort der Operation Childeberts I. gegeben und die Rekurse dieser Autoren auf lokale mündliche oder schriftliche Quellen möglich. Vgl. Jiménez Sánchez, Crónica: S. 367. Da die chronologischen Angaben in der Chronik auch bei kritischer Betrachtung nicht bestritten werden, ist sie als Quelle sehr wohl brauchbar. Dafür spricht zusätzlich die Ortsnähe. Vgl. Jiménez Sánchez, Crónica: S. 364. 698 Ortsnah, jedoch zeitfern Chron. ceasara.: 541. 699 Beispielsweise Kulikowski, Spain: S. 226. 700 „Tunc Childeberthus cum magnis thesauris sororem adsumptam secum adducere cupiebat, quae, nescio quo casu, in via mortua est, et postea Parisius adlata, iuxta patrem suum Chlodovechum sepulta est. Childeberthus vero inter reliquos thesauros ministeria eclesiarum praetiosissima detulit. Nam sexaginta calices, quindecim patenas, viginti euangeliorum capsas detulit, omnia ex auro puro ac gemmis praetiosis ornatas. Sed non est passus ea confringi.“ Greg. hist.: 3.10. 701 Gregor gibt an, dass Amalarich von Childebert I. auf der Flucht getötet wird. Greg. hist.: 3.10. Dem entgegen ortsnah, jedoch zeitfern Chron. caesara.: 531 und Isid. hist. got.: 40. Beide Autoren erwähnen andere Todesarten. 702 Greg. hist.: 3.10. 703 Greg. hist.: 3.1. 704 Ortsfern, jedoch zeitnah Prok. B.G.: 1.13.
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rungen werden unter Rücksicht auf die katholische Kirche vollzogen: Zwar werden Kirchen geplündert; doch werden die erworbenen Geräte an die Heiligen der Kirchen in Gallien verteilt.705 Solche Bezugnahmen fehlen in der Chronik von Saragossa ganz. Dafür sind hier Narbonne und Barcelona (Barcinona) als Orte der Kampfhandlungen explizit vermerkt.706 Auch Isidor von Sevilla707 erwähnt beide civitates.708 Doch umfassen diese Texte keine Aussagen zu Plünderungen. Sicher ist, dass der Zusammenhang der Erzählung in den decem libri historiarum neben dem Motiv der Rache auch noch einen weiteren Aspekt zu fassen erlaubt: Die Operation auf die Iberische Halbinsel erfolgt erst, nachdem sich Childebert I. aus Clermont zurück zieht. Die im Anschluss erfolgende Operation gegen den westgotischen König kann mit der Notwendigkeit erklärt werden, Erwerbschancen für die ihm Folgeleistenden anbieten zu müssen, da sonst solche Leistungen eingestellt worden wären. Dies ist im analytischen Kontext sogar plausibel und kann mit anderen Untersuchungsergebnissen noch an Plausibilität gewinnen: Auch die von Theudebert und den ihm Folgeleistenden später auf das Geheiß seines Vaters vollzogene Operation in Südwestgallien gegen einige civitates ist an dieser Stelle zu erwähnen. Auch hier konnten die Folgeleistenden auf Kosten der civitates-Bewohner erwerbend tätig werden und gleichzeitig wurden neue civitates in das Abgabensystem Theuderichs I. inkorporiert.709 Beide Aspekte können auch für die militärische Operation Childeberts I. relevant gewesen sein.
2.6.4 Der Erwerb der Provence und weiterer Gebiete im Südosten Galliens Die Hauptquellen zum Erwerb der Provence sind nicht die decem libri historiarum oder andere Texte des Bischofs Gregor von Tours, sondern zwei Texte, die von oströmischen Autoren zeitnah verfasst wurden. Die Autoren sind Prokop und Agathias. Auch Gregor liefert Aussagen zum Vorfeld der Übergabe. Seine Deutungsmuster sind in diesem Fall deutlich nachzuvollziehen: Sie werden anhand christlich-katholischer Handlungsnormen greifbar.710
705 „Cuncta enim eclesiis et basilicis sanctorum dispensavit ac tradidit.“ Greg. hist.: 3.10. Dazu Hardt, Gold: S. 264–275. 706 „His Coss. Amalaricus rex cum Hildeberto rege in Gallia superatus Narbonensi in proelio Barcinonem fugiens venit ibique a Franco nomine Bessone agone percussus interiit.“ Chron. caesara.: 531. 707 Um 560 in Cartagena (Carthago nova) wurde Isidor von Sevilla geboren, der nicht nur Nachfolger seines Bruders Leander als der Bischof von Sevilla (Hispalis), sondern bis zu seinem Tod 636 zu einem Autor mit einem umfangreichen Werk wurde. Vgl. Wattenbach und Levison, Geschichtsquellen: S. 86–89. Die Aussagen sind in diesem Kontext als ortsnah, jedoch zeitfern zu bezeichnen. 708 Isid. hist. got.: 40. 709 Greg. hist.: 3.21. 710 Überblickend zu den Handlungsnormen Greg. hist.: 3.31.
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Prokop stellt die Übergabe der Provence in einem unmittelbaren Zusammenhang mit seiner Erzählung zur Operation gegen Amalarich. Sie ähnelt der diesbezüglichen Erzählung Gregors. Auch von ihm wird die schlechte Behandlung der Gattin des Amalarich erzählt. Jedoch nennt er nicht Childebert I., sondern Theudebert I. als Anführer.711 Dies kann damit zusammengebracht werden, dass er in der Folge Theudebert I. als einen wichtigen Akteur während der Operationen zwischen den ostgotischen Akteuren und den oströmischen Invasoren konzipiert.712 Auch wird in seiner Erzählung die Königin nicht zu Tode gebracht.713 Nachdem Prokop die Episode erzählt hat, geht er umgehend auf die Übergabe der Provence ein. Unter der militärischen Bedrohung aus Konstantinopel bietet Flavius Theodahad714 die Übergabe der Provence und eine Zahlung von 2000 Pfund Gold an, damit die Merowinger mit den ihnen Folgeleistenden bei den Kämpfen gegen die oströmischen Invasoren auf seiner Seite in Italien agieren.715 Über eine derartige Abgabe erzählt auch Gregor, erwähnt aber die Abtretung der Provence nicht.716 Agathias erzählt zusätzlich, dass neben der Provence auch die von alemannischen Gemeinschaften besiedelten Gebiete an die Merowinger gegangen sind.717 Dies ist in Anbetracht der nachfolgenden Erzählungen über militärische Operationen alemannischer Akteure in Italien durachaus plausibel.718 Sie wurden im Übrigen auch von anderen Autoren erzählt und aufgezeichnet.719 Der Erwerb der Provence wurde aber nicht durch Theodahad – er wurde abgesetzt und im Dezember 536 ermordet720 – sondern von dessen Nachfolger Witiges abgewickelt,721 der nach Prokop ebenfalls die Unterstützung der merowingischen Könige erlangen wollte und daher auf den Plan seines Vorgängers zurückgriff.722 Der genaue Zeitpunkt der Übergabe ist – wie bereits verdeutlicht – nicht mit Sicherheit zu bestimmen.723 Dass es gerade oströmische Autoren sind, die über die Abtretung der Provence und der alemannischen Siedlungsgebiete erzählen, ist nicht überraschend, da zur Zeit der Abtretung Kaiser Justinian I. in Konstantinopel Mittel zur Invasion in Italien
711 Ortsfern, jedoch zeitnah Prok. B.G.: 1.13. 712 Vgl. Beisel, Theudebertus: S. 65–85 und Collins, Theodebert I.: S. 30 f. 713 Ortsfern, jedoch zeitnah Prok. B.G.: 1.13. 714 Vgl. Krautschick, Art. Theodahad: S. 411–412. 715 Prok. B.G.: 1.13. 716 Greg. hist.: 3.31. 717 Agath.: 6.6. 718 Zur Erzählung des Agathias zusammenfassend Geuenich, Alemannen: S. 93 ff. 719 Greg. hist.: 3.32 und Mar. aven. chron.: 555.4. Marius bezeichnet Buccelen als dux francorum und nicht als alemannischen Anführer. Zu Buccelen und Leuthari, der ebenfalls als Anführer an den militärischen Operationen in Italien beteiligt war Lütkenhaus, Art. Leuthari: S. 303–304. 720 Prok. B.G.: 1.13. 721 Prok. B.G.: 1.13. 722 Prok. B.G.: 1.13. 723 Vgl. Wolfram, Goten 2001: S. 134, Anm. 488.
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bereitgestellt hatte. Durch oströmische Repräsentanten sind sicherlich Informationen in die Residenz gelangt724 und Prokop war an der Seite des Generals Belisar725 nach Italien gezogen.726 Unklar bleibt aber trotzdem, an welchen der Merowinger die Gebiete abgetreten worden sind. Darüber liefern die oströmischen Autoren keine eindeutigen Aussagen, was auch daran liegen kann, dass ihnen Informationen aus Gallien schwerer zugänglich waren als aus Italien.727 Offenbar verlief aber die Konsolidierung der Präsenz der Merowinger in der Provence und wohl auch in den alemannischen Siedlungsgebieten ungehindert ab. Die Quellenaussagen dazu, dass schon kurz nach der Übergabe Theudebert I. mit ihm Folgeleistenden plündernd in Italien operierte, zeigen das zum einen. Zum anderen wird in einem Brief aus der Korrespondenz des Ceasarius von Arles ersichtlich, dass Childebert I. und Theudebert I. in Arles sowie den übrigen neu erworbenen civitates im südöstlichen Gallien handlungsfähig waren:728 Es ist daher anzunehmen, dass die Präsenz der merowingischen Könige umgehend konsolidiert wurde, indem sie mit den lokalen Administratoren wie dem Bischof Caesarius kooperierten. Tatsächlich war neben den Merowingern auch kein weiteres Königsgeschlecht in Gallien und Italien mehr in der Lage, die civitates der Provence und die alemannischen Siedlungsgemeinschaften in einen Strukturierungszusammenhang zu inkorporieren. Es gab keine weitere Konkurrenz mehr. Einzig eine innermerowingische Konkurrenz hätte sie behindern können. Diese blieb aber zu dieser Zeit aus. Kurz nach dem Jahreswechsel 536/7 begannen aber solche Konflikte, die zu militärischen Operationen in Gallien führten.
2.7 Zwischenergebnisse: Die civitates und das Kriegersein – Paradoxon und Differenzierung Die Quellenuntersuchung des zweiten Kapitels hat gezeigt, dass die diskursive Prozessdynamik sich in Gallien nach der Aufhebung der Position des weströmischen Kaisers fortsetzte. Sie ist durch Aussagen zu Neustrukturierungen in ihren verschiedenen Ausprägungen indiziert. Dass der neu geschaffene Strukturierungszusammenhang parzelliert wurde, verdeutlicht dies ebenso wie die Konsolidierung der Präsenz von Königen als Aspekt der Neustrukturierungen. Die Diskursivität kann zudem am Gebrauch von Worten aus der römischen Tradition durch die Quellenautoren erschlossen werden. Auf der Basis dieser Befunde sind neben den Ergebnissen zu den aktiven und passiven Relevanzarten des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen
724 Vgl. Cataudella, Historiography: S. 411. 725 Vgl. Dahlheim, Art. Belisarios: S. 232–233. 726 Vgl. Cameron, Procopius: S. 188 ff. 727 Vgl. Cataudella, Historiography: S. 409 und Cameron, Procopius: S. 134. 728 Caes. arelat. ep.: 17.
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weitere zu den Akteuren und Positionen wie zu den Lebensweisen zu verzeichnen. Zuerst aber eine Anmerkung zur Terminologie: Ein Ergebnis ist, dass mit dem Terminus Beute auf der Deutungsebene die Gefahr einer Negierung besteht – die Differenz der unterschiedlichen sozioökonomischen Erwerbspraktiken in den Quellen ist deutlich zu erkennen. Auch Menschen konnten zu Beute werden. Die Zuordnung differenter Erwerbsobjekte unter einem Terminus wie Beute würde eine Zuordnung zu ein und derselben Praktik erlauben, was letztlich die Komplexität der Quellen nicht angemessen berücksichtigt. Das Plündern konnten mit dem Menschenraub zugleich praktiziert werden. Dies war aber nicht immer der Fall. Das Plündern wurde kontinuierlich betrieben. Das Symbolisieren von Erwerbschancen durch die merowingischen Könige und durch andere Anführer, war für das Organisieren von Folgeleistungen relevant. Das heißt also: Mit ihnen waren Erwerbschancen verbunden. In Anbetracht der Quellen zur zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts kann angenommen werden, dass das Symbolisieren von Erwerbschancen nicht einfach von einem Geschlecht monopolisiert werden konnte, auch wenn Abstammung zur Zeit der ersten Generation der Merowinger nach Chlodwig I. für das Organisieren von Folgeleistungen argumentativ verwendet worden sein kann. Die Aussagen zum drohenden Wechsel der Folge leistenden Akteure Theuderichs I. zu dessen Halbbrüdern, der mit dem Ausbleiben von Erwerbschancen begründet wird, zeigen, dass dieses Symbolisieren allen Königen in ihren Positionen möglich war. Diese aktive Relevanzart des Plünderns führte in Addition der Vielzahl der Merowingerkönige dazu, dass eine Notwendigkeit des Offerierens von Erwerbschancen für sie bestand. Mit dem Ergebnis ist also eine Erklärung für ihre stetigen militärischen Operationen gegeben: Die einzelnen Könige konnten es nicht auslassen, militärisch zu operieren, da sie sonst keine Folgeleistungen mehr erwarten konnten. Durch ihre Verwandten war eine Konkurrenz gegeben. Wenn ein Merowinger nicht militärisch operierte, dann konnte einem Anderen Folge geleistet werden. Selbstredend konnten auch die Könige bei den militärischen Operationen durch Plünderungen materielle Güter und Ressourcen erwerben. Die Kriegergemeinschaften waren auch zur Zeit der Könige aus der ersten Generation nach Chlodwig I. weiterhin ein Erwerbsmittel aller Beteiligten. Außerdem waren die Kriegergemeinschaften weiterhin ein militärisches Mittel. Die Merowinger konnten mit ihnen civitates inkorporieren. Sie waren aber auch für die Verteidigung von civitates relevant. Dass das Fehlen von Folgeleistenden zu ökonomischen und anderen Arten von Schaden führen konnte, zeigt die Rede über die Plünderungen von ostrheinischen Akteuren in den fränkischen Siedlungsgemeinschaften. Hier sind also weitere passive Relevanzarten zur Zeit der ersten Generation nach Chlodwig I. und wohl schon zu seiner eigenen Zeit zu verzeichnen. Wie schon für die Könige von Toulouse ergab sich auch für die Merowinger mit den Neustrukturierungen der civitates in einen geographisch weiträumigen Strukturierungszusammenhang – auch in parzellierter Form – passive Arten der Relevanz. Die reaktiv-situationsbezogene Form des Warlordism ist hierbei beschreibend zu verwenden. Mit den Folge leistenden Akteuren wurden
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Quellenuntersuchung
aber auch weitere gallische civitates und andere Siedlungsgemeinschaften in den parzellieren Strukturierungszusammenhang inkorporiert. Auch die dritte Form des Warlordism ist zu verwenden: Das Akquirieren materieller Güter und Ressourcen war weiterhin optional. Die Neustrukturierungen, die zu dem neuen Strukturierungszusammenhang in Gallien bis zum Jahr 511 führten, verliefen unterschiedlich. Chlodwig I. agierte dabei nicht allein. Kooperationen, auch bei den militärischen Operationen, waren dafür wichtig. Die Konsolidierung der Präsenz der siegreichen Könige und später des einzigen Königs Chlodwig I. war ein Aspekt dieser Neustrukturierungen. Es war nicht möglich, geographisch weitläufige Strukturierungszusammenhänge einfach zu übernehmen, indem die Inhaber der zentralen Königs- oder Anführerpositionen schlicht ersetzt wurden. Den siegreichen militärischen Operationen gegen Anführer folgten weitere, bei denen gegen einige civitates einzeln vorgegangen werden musste. Bei geographisch kleineren Strukturierungszusammenhängen war eine Übernahme hingegen möglich. Dass mit ihm Erwerbschancen verbunden wurden, ist hier als ein Grund für die Konsolidierung der Präsenz Chlodwigs I. zu nennen. Die Parzellierung des geographisch weiträumigen Strukturierungszusammenhangs nach seinem Tod führte zur erneuten Kooperation von Königen. Es handelt sich primär um eine Rückkehr zur Kooperationspraxis bei militärischen Operationen. Zwei Aspekte sind also für die Neustrukturierung des neuen Strukturierungszusammenhangs gleichwertig signifikant: das Kriegersein und die civitates. Das Kriegersein ist auf der Grundlage der Quellenuntersuchung als ein sozioökonomischer Modus des Erwerbs präzisiert worden, der als ein solcher mit der sozioökonomischen Praktik des Plünderns konstituiert ist und von anderen Modi, wie dem Bauersein als einem sozioökonomischen Modus der Produktion, unterschieden werden kann. Akteure konnten das Bauer- und/oder das Kriegersein individuell auf sich vereinigen. Dies gilt ausdrücklich für die Akteure aus den Siedlungsgemeinschaften an der gallischen Peripherie. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass auch andere Modi, wie das Händler- und Handwerkersein auf der Basis der Empirie präzisiert werden können. Die civitates sind eine Gruppe von strukturellen Elementen, die aus der strukturellen Einheit der weströmischen Ordnung erodiert waren. Sie sind in Gallien um 480 zum Teil in geographisch weitläufige Strukturierungszusammenhänge oder geographisch kleinere Zusammenhänge dieser Art durch Neustrukturierungen hinsichtlich ihrer Zugehörigkeit neu definiert worden. Die civitates waren von den Bistümern strukturell und sozioökonomisch durchwirkt. Den Bischöfen war daher nicht nur an dem konkreten Bestehen der civitates-Gemeinschaften gelegen. Ihr konkretes Bestehen bedingt geradezu das Bestehen des katholischen Glaubens in den vielen kleineren und größeren civitates-Gemeinschaften und somit in Gallien insgesamt. Aussagen zu den in Nordgallien vorhandenen Lokaladministratoren, die zumeist als comites bezeichnet wurden, sind in dem Bestand der Aussagen für die Zeit Chlodwigs I. deutlich unterrepräsentiert. Die Inhaber der Bischofspositionen hatten solche adminis-
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trativen Kompetenzen allerdings mit Sicherheit innerhalb ganz Galliens auch. Die Kooperation mit ihnen war für das Entstehen des neuen Strukturierungszusammenhangs zur Zeit Chlodwigs I. mit Sicherheit wichtig. Mit seiner Taufe wurde die Kooperation mit den Bischöfen intensiviert. Zugleich wurden aber die Folgeleistenden als ein militärisches Mittel nicht aufgegeben. Sie waren für militärische Operationen weiterhin wichtig. Der Strukturierungszusammenhang war also bereits in seinem Entstehen auf der Grundlage eines Paradoxons angelegt. Er ist mit den Quellenaussagen zu dem erfolgreichen Versuch Chlodwigs I. in seiner Position als König auf der Synode von Orléans 511 auf die Investitur von Akteuren in die Bischofspositionen einzugreifen in dieser neuen funktionalen Konstellation deutlich präsent. Die Konsolidierung der Präsenz Chlodwigs I. durch die Kooperationen mit den Bischöfen wurde somit in eine funktionale Konstellation in dem neuen Strukturierungszusammenhang überführt. Die mit den civitates verbundenen Bischofspositionen sowie die des Königs wurden über diese Konstellation neu definiert. Wie aber bereits angedeutet waren die mit den Bischofspositionen und ihren Inhabern einhergehenden Implikationen sowie die mit den Folgeleistenden einhergehenden nicht miteinander in eine Einheit ohne Widerspruch zu überführen. Zudem war nun über das Abgabensystem ein neues Erwerbsmittel für die Inhaber der Königsposition gegeben, dass aber erst mit den Quellen zur ersten Generation nach Chlodwig I. deutlich wird. Durch die Abgabensysteme des parzellierten Strukturierungszusammenhangs wurde die Relevanz des Plünderns für die Könige relativiert, denn für die Könige war somit ein weiteres Erwerbsmittel gegeben, während für die Akteure im Kriegermodus die Kriegergemeinschaften das einzige Erwerbsmittel blieben. Hierin ist eine Differenzierung der Inhaber der Königsposition von den Folgeleistenden angelegt, was erneut zu dem grundlegenden Paradoxon führt, das bereits bei der Entstehung des Strukturierungszusammenhangs zur Zeit Chlodwigs I. angelegt war: Die civitates mussten nun mit Folgeleistenden vor Plünderungen bewahrt werden, auch, da durch sie die Merowinger exklusive Erwerbsmittel hatten. Das Plündern wurde aber als Erwerbspraktik nicht durch kontinuierliche Zahlungen, die über das Abgabensystem zu leisten gewesen wären, substituiert. Das Kriegersein wurde also nicht in ein Soldaten- oder Söldnersein transformiert und auf diese Weise in den parzellierten Strukturierungszusammenhang überführt. Dies war schon zuvor nicht der Fall. Der Tribut des Gundobad konnte nicht dafür genutzt werden, auch, da er nur einmal gegeben wurde. Eher können die Versorgungsmaßnahmen Theoderichs des Großen als substituierend für Plünderungen beschrieben werden. Wie schon zu der Zeit Chlodwigs I. symbolisierten die Könige nach ihm Chancen auf den Erwerb durch Plünderungen für Akteure im Kriegermodus. Dies gilt für alle Könige. Die Aussagen zu dem drohenden Wechsel der Folge leistenden Akteure des Königs Theuderich I. zu dessen Halbbrüdern, der mit dem Ausbleiben von Erwerbschancen begründet wird, zeigen dies. Die Könige differenzierten sich also von den Folgeleistenden, da die Kriegergemeinschaften zwar weiterhin ein Erwerbsmittel
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Quellenuntersuchung
aller Beteiligten blieben, doch mit dem Abgabensystem nun den Königen ein weiteres Mittel dieser Art zu Verfügung stand, das die Folgeleistenden nicht hatten und an dem sie auch nicht strukturell durch kontinuierliche Zahlungen partizipierten. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die Akteure im Kriegermodus bei militärischen Operationen Folge leisteten und Chancen auf den Erwerb von materiellen Gütern und Ressourcen durch Plünderungen hatten. Dabei waren sie relativ mobil im Verhältnis zu den Akteuren die agrarisch produzierten und blieben auch nach der Taufe Chlodwigs I. und vieler anderer Akteure ein Mittel für Neustrukturierungen der civitates im Südwesten Galliens. Demgegenüber waren die Bischöfe als Inhaber von lokalen Positionen mit administrativen Kompetenzen für die civitates darauf angewiesen, die civitates-Gemeinschaften als Glaubensgemeinschaften konkret zu erhalten. Das Bestehen des katholischen Glaubens in Gallien war vom konkreten Bestehen der zumeist katholischen Bewohner der civitates bedingt. Das Plündern war nicht nur in Anbetracht der katholischen Handlungsnormen falsch. Es bedrohte dieses Bestehen offenkundig, da das geplündert wurde, was zumeist in den civitates produziert worden war. Auch konnte die dort lebenden Akteure die civitates verlassen, um bei den militärischen Operationen erwerbend tätig zu werden. Das Plündern war aber schon aus der rein religiösen Perspektive für die Bischöfe nicht zu akzeptieren. Zu dem grundlegenden Paradoxon ist aber noch mehr zu sagen. Die Bischöfe als lokal fixierte Administratoren wurden in eine funktionale Konstellation zu der Königsposition zur Zeit Chlodwigs I. gebracht. Die Könige legitimierten die örtlich ausgewählten Anwärter. Jedoch muss hier betont werden, dass weder die lokalen Wahlen immer in der gleichen Form abgelaufen sind, noch waren stets die Inhaber der Königspositionen für die Legitimität der Bischöfe entscheidend. In einigen Fällen ist die Konstellation gar nicht erwähnt, in anderen wird Chrodechilde als legitimierende Akteurin genannt und die Wahlen konnten unter der Beteiligung unterschiedlichster Akteure stattfinden. Auch die während der Erosion mit der Akkumulation von Handlungskompetenzen durch Einzelakteure und Familien auf lokaler Ebene entstandenen und neu definierten comes-Positionen – dies ist zumindest wahrscheinlich – wurden mit den civitates in den Strukturierungszusammenhang inkorporiert. Der Gebrauch des Wortes comes durch die Autoren des 5. Jahrhunderts verdeutlicht die diskursive Prozessdynamik, denn das Wort selbst entstammt zwar der älteren, römischen Traditionsform, bezeichnete aber in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts offenbar nicht mehr das, was es zuvor bezeichnet hatte. Zu Beginn des 6. Jahrhunderts hatte sich der Gebrauch dieses Wortes offenbar bereits neben anderen Worten wie defensor für die Bezeichnung lokaler Administratoren etabliert, wenn auch wahrscheinlich nicht immer die gleichen Handlungskompetenzen für die Inhaber der so bezeichneten Positionen gegeben waren. Eine semantische Problematik für die Autoren bestand aber offenbar weiterhin. Der Gebrauch des Wortes dux zeigt das auch. Er konnte Akteure bezeichnen, die regional-strukturell gebunden waren, aber auch Akteure, die dies nicht waren. Für die lokale Administration der Strukturierungszusammenhänge kann also fest-
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gehalten werden, dass sie von civitas zu civitas sehr wahrscheinlich unterschiedlich war. Alle diese lokal und regional tätigen Akteure konnten Plünderungen nicht akzeptieren, da die civitates-Gemeinschaften in ihrem Bestehen bedroht waren. Auch die Könige konnten dies nicht dulden, da sonst das Abgabensystem geschädigt worden wäre. Die Aussagen zu der Ermordung des Sigivald zeigen dies. Passive Relevanzarten des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen sind also für sie alle zu verzeichnen oder zumindest zu vermuten. Die Könige waren aber weiterhin auf Akteure angewiesen, die ihnen Folge leisteten. Sie symbolisierten nicht nur Erwerbschancen für diese. Sie offerierten sie auch. Das Paradoxon und die Differenzierung stellten die Merowinger der ersten Generation nach König Chlodwig I. vor Herausforderungen. Ihre Position war zum Teil durch funktionale Konstellationen zu anderen Inhabern von lokal- und regionalstrukturellen Administratorenpositionen verbunden, welche sie ebenfalls zu einer im Strukturierungszusammenhang neu definierten Position machten. Ihre eigenen Positionen waren wegen der lokal zu verortenden civitates auf geographisch weitgehend festgelegte Bereiche orientiert. Die Lokaladministratoren wurden gebraucht, da die Könige nicht überall zugleich sein konnten. Auch das Erlassen von Abgaben und die sozialen Beziehungen waren Mittel der Könige, um in den civitates handlungsfähig zu sein. Zudem hatten die christlich-katholischen Handlungsnormen auch für die Könige Gültigkeit. Sie waren also nicht nur funktional, sondern auch auf diese Weise mit den Bischöfen verbunden. Dabei war der Strukturierungszusammenhang in seiner parzellierten Form kein in sich gleichförmiges System. Die Einheitlichkeit war nicht ad hoc entstanden. Auch sie musste formiert werden. Die militärischen Mittel zum Entstehen und auch zum Bestehen des Strukturierungszusammenhangs waren aber nicht struktureller Art. Sie wurden weder aus den älteren strukturellen Elementen, noch aus ihrer Anordnung bis zum Jahreswechsel 536/7 gewonnen. Es war nach den siegreichen, militärischen Operationen den Akteuren aus den gallischen civitates offenbar auch möglich, den Erwerbschancen symbolisierenden Königen Folge zu leisten. Da aber das Kriegersein nicht in ein Soldatensein transformiert worden ist, war das Kriegersein nicht auf das Bestehen der materiellen und somit auch sozioökonomischen Grundlagen des in funktionalen Konstellationen vorhandenen Strukturierungszusammenhangs bezogen. Die gallischen civitates und die Folge leistenden Akteure waren für die Inhaber der Königspositionen in den Teilstrukturierungszusammenhängen in differenten Weisen relevant. Der auf die lokalen und regionalen Administratorenpositionen sowie den Ablauf des Abgabensystems bezogenen Funktionalität des Strukturierungszusammenhangs standen die konkreten, materiellen Gegebenheiten der civitates und ihrer Bewohner sowie die auf konkrete, materielle Güter und Ressourcen bezogene Erwerbsweise des Plünderns, aber auch die Erwerbsweise des Menschenraubs, förmlich gegenüber. Somit waren auf Sesshaftigkeit und auf Mobilität beruhende sozioökonomische Praktiken zugleich nebeneinander in dem Strukturierungszusammenhang Optionen des menschlichen Lebens und somit auch Wirtschaftens.
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Quellenuntersuchung
Die Frage, inwieweit davon zu sprechen ist, dass nicht nur den Königen Folge geleistet wurde, ist nicht eindeutig zu beantworten. Einigen als duces Bezeichneten wurde wie auch anderen Akteuren mit Sicherheit Folge geleistet. Nur ist nicht klar, ob die Akteure, die den duces und anderen, nicht so bezeichneten Akteuren Folge leisteten, dies direkt taten oder ob sie durch den König an diese übertragen wurden. Es ist daher zu vermuten, dass beide Fälle möglich waren. Dies ist zumindest anhand der Quellen zu den Königen aus der ersten Generation nach König Chlodwig I. nicht auszuschließen und durch einige Aussagen ist plausibel zu machen, dass die jeweiligen Inhaber der Königspositionen keine Alleinstellung darin hatten, dass ihnen Akteure Folge leisteten. Die Erzählungen zu den Aktivitäten der Königssöhne, des Sigivalds in Clermont, aber auch zu den Verteilungen, die Theudebert tätigen musste, sind dafür zu erwähnen. Die Konkurrenz der Merowinger um Folgeleistende ist in dieser Erzählung deutlich zu erfassen. Besonders aber zeigt dies die Erzählung über die versuchte Usurpation. Munderich organisierte Folgeleistungen, nicht nur, indem er sich als ein Merowinger ausgab und auch nicht, weil er Akteure zu Eiden verleiten konnte, sondern auch, weil er für sie Erwerbschancen symbolisierte, welche durch die seinem Versuch impliziten, militärischen Operationen aufgetan wurden. Damit ist auch ein Aspekt erwähnt, der für das Entstehen herausragender Akteure zur Zeit der Könige aus der ersten Generation nach Chlodwig I. spricht. Es ist plausibel, dass die militärischen Operationen der merowingischen Könige das Entstehen dieser Akteure beförderten, denn das Plündern war nicht nur eine Erwerbsweise, sondern hatte auch den Effekt der Umverteilung von materiellen Gütern und Ressourcen. Einige Akteure gewannen an Besitz, während andere daran verloren. Vermutlich gewannen auch einige Akteure an Ansehen. Das Entstehen von herausragenden Akteuren ist anhand des Quellenmaterials im Detail aber nicht nachzuvollziehen. Gerade anhand der Aussagen, die das Andauern der diskursiven Prozessdynamik zeigen oder auch direkt belegen, ist aber nur schwer zu halten, dass eine wie auch immer geartete Gruppe der „Großen“ nicht ebenfalls Veränderungen ausgesetzt war. Der Tod mehrerer Mitglieder einer Familie und auch der durch Plünderungen erlangte Gewinn oder der Verlust materieller Güter und Ressourcen kann zu Veränderungen geführt haben. Das Entstehen ist daher auch nicht als eine Art Ursprung von herausragenden Akteuren zu verstehen, sondern eher als eine Formation einer solchen Gruppe in der diskursiven Prozessdynamik. Die Annahme, die geringe Zahl an Aussagen zu herausragenden Akteuren sei schlicht fehlenden Rekursen der Autoren geschuldet, geht nicht nur wegen der bisher genannten Argumente fehl. Aus der Quellenkritik an den Aussagen zu der Zeit Chlodwigs I., die wie die Quellenaussagen zur ersten Generation nach Chlodwig I. hauptsächlich von dem Bischof Gregor verfasst worden sind, geht hervor, dass die Rekurse auf Informationen und die Deutungsmuster des Autors in der literarischen Verarbeitung der Informationen herausgearbeitet werden können. Gregor ist wie gesagt auch der wichtigste Autor für die Zeit der ersten Generation nach Chlodwig I. Erst zu dieser Zeit treten vermehrt Akteure auf, die neben den Königen herausragen. Es ist
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also ein Unterschied zwischen den beiden Beständen zu attestieren, der sich in der Zunahme von Aussagen ausdrückt, die herausragende Akteure neben dem Königen bei militärischen Operationen zeigen. Ihr Entstehen ist aber trotzdem nicht eindeutig nachzuvollziehen. Die Autoren verarbeiteten das Entstehen eines Strukturierungszusammenhangs bei gleichzeitigem Entstehen differenter Arten von Anführern und herausragender Akteure, die nicht mit dem Wort rex bezeichnet werden konnten. Anhand der Quellenlage kann formuliert werden, dass ein „floating gap“ vorliegt. Zwischen den Gedächtnisformen der militärischen Operationen und der Handlungen der Könige sind die Informationen zu den möglicherweise differenten Arten des Entstehens von herausragenden Akteuren nicht als eine eigene Form gegeben. Sie werden allerdings in den literarischen Verarbeitungen von Informationen der beiden anderen Gedächtnisformen fassbar. Abschließend ist festzuhalten, dass die Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen in aktiver wie passiver Weise besteht. Doch waren das Paradoxon und die mit dem Abgabensystem gegebene Differenzierung der Inhaber der in den grundlegend auf diesem Paradoxon aufbauenden Strukturierungszusammenhang eingebetteten Königspositionen bedingend für die Deutungen von Phänomenen und Informationen zu dieser sozioökonomischen Praktik des Erwerbs. Die negative Bewertung durch die Autoren und die Quantität der Quellenaussagen zum Plündern werden somit genauso verständlich wie die Relevanz der Praktik, denn für das Bestehen und die Erweiterung des parzellierten Strukturierungszusammenhangs waren militärische Mittel nötig, die lokal Bedrohung erzeugten, wobei die lokalen Administratoren für das Bestehen des Strukturierungszusammenhangs gleichzeitig notwendig waren. Die Diskursivität der Prozessdynamik aber erschwerte Eindeutigkeit im Praktischen wie im Sprachlichen.
3 Aussagen zu der ersten Generation nach Chlodwig I. zwischen dem Jahreswechsel 536/7 bis zum Tod Chlothars I. im Jahr 561 Nach der vertraglich geregelten Übergabe der Provence und anliegender Regionen zum Jahreswechsel 536/7 wurden keine weiteren civitates und geographischen Räume mehr in den parzellierten Strukturierungszusammenhang der Merowinger inkorporiert. Dies heißt aber nicht, dass danach keine militärischen Operationen unter ihrer Anführung mehr erfolgten. Der Bestand an Aussagen dazu und zu der sozioökonomischen Praktik des Plünderns ist weiterhin umfangreich. Auch die Quellenuntersuchung im dritten Kapitel ist nicht chronologisch, sondern nach analytischen Kontexten gegliedert. Die Grobgliederung des zweiten Teils des zweiten Kapitels in Aussagenbestände zum externen und zum internen Geschehen des weiterhin parzellierten Strukturierungszusammenhangs wird übernommen. Innerhalb dieser beiden Bereiche sind die Teilkapitel weiter differenziert. Im ersten Teil wird auf die Aussagen zu den militärischen Operationen außerhalb Galliens eingegangen. Sie führten nach Italien und auf die Iberische Halbinsel. Bisherige Ergebnisse werden bei der Untersuchung argumentativ berücksichtigt. Der zweite Teil wird mit der Untersuchung der Aussagen zu militärischen Operationen an der ostrheinischen Peripherie Galliens begonnen. Dann werden die Aussagen zu den Konflikten und den daraus resultierenden militärischen Operationen innerhalb Galliens unter der Beteiligung der merowingischen Könige und der Königssöhne untersucht. Danach wird ein anderer Aussagenbestand untersucht. Dieser umfasst Aussagen zu Versuchen der normativen Regelung von sozioökonomischen Praktiken der sesshaften Gemeinschaften wie auch der Regelung von Praktiken der ökonomischen Schädigung solcher Gemeinschaften. Dieser Aussagenbestand ist besonders wegen der bisherigen Untersuchungsergebnisse beachtenswert. Nach diesem analytischen Kontext schließt das dritte Kapitel mit einer Zusammenfassung der Zwischenergebnisse.
3.1 Das Scheitern der Konsolidierung der Präsenz im Süden und Westen außerhalb Galliens Bereits kurz nach dem Jahreswechsel 536/7 wurde außerhalb Galliens militärisch operiert. Dies betraf die beiden geographischen Räume, an die der parzellierte Strukturierungszusammenhang grenzte.1 Eine erste Operation nach Italien wurde 538 begonnen und zwei weitere erfolgten später. Zudem sind Aussagen zu einer militärischen Operation auf die Iberische Halbinsel vorhanden.
1 Zu den beiden Kontaktzonen Wood, Kingdoms: S. 164–175.
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3.1.1 Die militärischen Operationen in Italien In der Chronik des Marius von Avenches-Lausanne2 ist für das Jahr 538 verzeichnet, dass (ost)gotische3 und burgundische Akteure die civitas Mailand belagert und erobert haben. Sie richteten ein großes Blutbad an.4 Dazu ist eine Passage Prokops aus dem bellum gothorum gegeben. Relativ umfangreich erzählt er über die Beteiligung von Burgundern an der ostgotischen Operation. Genauer schreibt er, dass Theudebert I. aufgrund des Vertrages, den die Merowinger mit König Witiges geschlossen haben, eine große Zahl5 von burgundischen Akteuren nach Italien schickt, um die militärische Operation unter der Anführung von Urajas, dem Neffen des Witiges, zu unterstützen. Fränkische Akteure werden nicht geschickt, da – so erzählt Prokop weiter – Theudebert I. darum bemüht ist, sich gegenüber Kaiser Justinian neutral darzustellen.6 Marius erwähnt weder den Auftrag noch den König.7 Agathias8 und Gregor von Tours,9 die auch Informationen zu den militärischen Operationen in Italien literarisch verarbeitet haben, erwähnen die Teilnahme von Burgundern an der Belagerung und Eroberung nicht. Mit der Erzählung Prokops sind also die einzigen Aussagen zu Theudebert I. im Zusammenhang mit dem Auftreten burgundischer Akteure in Norditalien gegeben. Erst kurz vor dem Jahr 538 war der südöstliche Strukturierungszusammenhang von den Merowingern zuletzt angegriffen worden.10 Sein Gebiet wurde danach
2 Wie bereits erwähnt wurde Marius 530 oder 531 geboren. Vgl. Wattenbach und Levison, Geschichtsquellen: S. 107. Seine Aufzeichnungen betreffen somit nun auch die Zeit seines eigenen Lebens und sind somit insgesamt relativ zeitnah, wenn auch nicht immer ortsnah. 3 Zwar wird nicht direkt erwähnt, dass es sich um ostgotische Akteure handelt, aber dies geht aus dem Kontext der Erzählungen hervor. Dazu orts- und zeitnah Prok. B.G.: 2.12. Vgl. Berndt, Kriegergruppen: S. 141 ff. Die Aussagen Prokops sind in diesem Zusammenhang fast durchgehend orts- und zeitnah. 4 „Hoc consule Mediolanus a Gothis et Burgundionibus effracta es ibique senators et sacredotes cum reliquis populis, etiam in ipsa sacrasancta loca interfecti sunt ita ut sanguine eorum ipsa altaria cruentata sint.“ Mar. aven. chron.: 538. 5 Nach Prokop waren es zehntausend Akteure. Die Zahl indiziert eine größere Summe an Akteuren und muss nicht exakt genommen werden. Prok. B.G.: 2.12. 6 Prok. B.G.: 2.12. Zuvor hatte der oströmische Kaiser sich um ein Bündnis mit den Merowingern bemüht und Zusagen erhalten. Prok. B.G.: 1.5. 7 Mar. aven. chron.: 538. 8 Agathias erwähnt nur die militärischen Operationen gegen die Burgunder und den Tod des Chlodomer. Agath: 3.2.–3.6. Seine Aussagen sind in diesem Zusammenhang zumeist ortsfern, jedoch relativ zeitnah. 9 Dazu insgesamt ortsfern, jedoch relativ zeitnah Greg. hist.: 3.31; 3.32 und 4.9. Da Gregor entweder 538 und 539 geboren wurde, sind seine Aussagen nunmehr relativ zeitnah, wenn auch nicht immer – wie in diesem Fall – ortsnah. Vgl. Heinzelmann, Gregor: S. 33 f. 10 „Hoc consule reges Francorum Childebertus, Chlotarius et Theudebertus Burgundiam obtinuerunt et fugato Godomaro,rege regnum ipsius diviserunt.“ Mar. aven. chron.: 534.1. Dazu Greg. hist.: 3.11.
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unter Chlothar I. und Childebert I. sowie Theudebert I. aufgeteilt.11 In den civitates dieses Gebiets lebten nicht nur Burgunder, sondern auch Römer12 und andere Menschen.13 Dass aus den civitates, die bei der Parzellierung an König Theudebert I. gegangenen sind,14 mit den Burgundern nur Akteure einer ethnisch zu definierenden Gruppe nach Italien geschickt worden sind, ist daher zweifelhaft. Dazu muss betont werden, dass Prokop die Parzellierung gar nicht erwähnt.15 Aussagen dazu sind nur in der Chronik des Marius16 und in den decem libri historiarum vorhanden.17 Prokop erwähnt nur, dass die Burgunder besiegt werden und den Siegern deswegen insgesamt tributpflichtig sind sowie Folge zu leisten haben.18 Die auf die ethnische Kategorie ausgerichtete Erzählung widerspricht nicht nur der Aufzeichnung des Marius. Sie steht auch im Kontrast zu den anderen Aussagen zu den Parzellierungen.19 Daher ist plausibel, dass mit dem Gebrauch der ethnischen Kategorie eine Deutung Prokops nachvollziehbar ist, die bei seiner literarischen Verarbeitung der Informationen zur militärischen Operation unter Urajas in Norditalien Anwendung fand.20 Weitere solcher Deutungen sind zusätzlich vorzufinden: Auffällig ist nämlich auch, dass nur ein König genannt wird. Die anderen beiden, die ebenfalls civitates im südöstlichen Gallien erhalten haben, werden nicht genannt. Dies – so lässt sich argumentieren – liegt daran, dass Prokop König Theudebert I. als prägnanten Akteur innerhalb der Gruppe der Könige deutete. Informationen über die persönliche Anwesenheit Theudeberts I. bei der zweiten militärischen Operation in Italien kann seine Deutung und seine Vorstellungen über dessen Position dahingehend beeinflusst haben.21 Dies gilt bedingt auch für Marius. Die Deutung Theudeberts I. im Südosten Galliens und in Italien – der Oströmer Prokop war mit Belisar zur Zeit der militärischen Operationen in Norditalien dort22 – lässt sich in Relation zu Aussagen des
Zur Datierung und dem Zusammenhang zur ersten militärischen Operation nach Norditalien Kaiser, Burgunder: S. 72 ff. 11 Mar. aven. chron.: 534.1. 12 Für die Römer in diesem Gebiet gab es ein eigenes Gesetz. Dazu Buchner, Rechtsquellen: S. 12 f. 13 Vgl. Wood, Gibichungs: S. 256 f. 14 Vgl. Ewig, Teilungen: S. 131. 15 Ortsfern, jedoch relativ zeitnah Prok. B.G.: 1.13. 16 Mar. aven. chron.: 534.1. 17 Greg. hist.: 3.11. 18 Ortsfern, jedoch relativ zeitnah Prok. B.G.: 1.13. 19 Dazu die Passage mit dem Schwerpunkt auf die Parzellierungen bei den militärischen Operationen nach 511 Ewig, Teilungen: S. 128–135; Wood, Kingdoms: S. 55–64 und Geary, Merowinger: S. 122–128. 20 Zum Umgang der west- und oströmischen Autoren mit Phänomenen und Informationen zu den germani Liebeschütz, Germanic Tribes: S. 352 ff. 21 Prok. B.G.: 2.25. Dazu Beisel, Theudebertus: S. 65–86. 22 Vgl. Cameron, Prokopios: S. 8 f. Auch Agathias stellt Theudebert I. als prägnant agierend dar. Agath.: 1.4.1–1.4.6. Er kann seine Informationen sehr wahrscheinlich durch oströmische Akteure
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Bischofs Gregor verdeutlichen: Zwar stellt auch er den König positiv dar.23 Er ist in der Gruppe der merowingischen Könige jedoch nicht prägnant.24 Die Betonung der Rolle Theudeberts I. bei der ersten militärischen Operation, bei der wahrscheinlich primär Akteure aus civitates-Gemeinschaften des südöstlichen Galliens teilnahmen, ist demnach von der Deutung Prokops und dessen Vorstellungen über ihn geprägt. Sicher ist, dass Akteure aus Gallien nach Norditalien zogen, um Urajas und die ihm Folgeleistenden zu unterstützen. Wer diese gallischen Akteure anführte, wird jedoch nicht erwähnt. Die als Burgunder Bezeichneten werden als eine Masse dargestellt, ohne dass ihre interne Organisation oder koordinierende Akteure fassbar würden. Nur dass sie auf das Geheiß des Theudebert I. kamen und dass er dadurch eine Klausel des Vertrages vom Jahreswechsel 536/7 zu erfüllen versuchte, wird erzählt. Prokop schreibt weiter, dass die örtlichen Bevölkerung nicht in der Lage ist, Nahrung und andere Güter in die ummauerten Zentren zu schaffen, da sie überrascht wird.25 Somit war das Umland sehr wahrscheinlich von Plünderungen betroffen.26 Nach der erfolgreichen Belagerung der civitas Mailand werden dort Menschen von den als burgundisch bezeichneten Akteuren geraubt. Viele Bewohner werden getötet und die civitas selbst wird zerstört.27 Bluttaten verzeichnet auch Marius, wobei er den Menschenraub durch die südostgallischen Akteure nicht erwähnt.28 Hingegen erzählt Prokop ausdrücklich, dass die Menschen, die dem Raub durch die südostgallischen Akteure zum Opfer fallen, als eine Art Belohnung an diese gehen.29 Dies ermöglicht die Annahme, dass die südostgallischen Akteure wegen des potentiellen Erwerbs nach Italien gezogen sind. Zudem kann die von König Theudebert I. und möglicherweise auch anderen Merowingern begonnene Initiative als Maßnahme der Konsolidierung ihrer Präsenz in den südöstlichen civitates Galliens aufgefasst werden,
erhalten haben, die in Italien zur Bekämpfung der Ostgoten eingesetzt worden waren. Somit ist die Perspektive des Agathias etwas anders die des Prokop. Vgl. Cameron, Agathias: S. 1–12. 23 „At ille in regno firmatus, magnum se atque in omni bonitate praecipuum reddidit. Erat enim regnum cum iustitia regens, sacerdotes venerans, eclesias munerans, pauperes relevans et multa multis beneficia pia ac dulcissima accommodans voluntate.“ Greg. hist.: 3.25. Auch: „[…]; et cum ipse per Theudoricum de rebus suis remansisset extraneus nec haberet de proprio, qualiter eos consolaretur, bonitatem et clementiam circa omnes Theudoberthi regis cernens, misit ad eum legationem, dicens: ‚Fama bonitatis tuae in universam terram vulgatur, cum tanta sit tua largitas, ut etiam non petentibus opem praestis. […]“ Greg. hist.: 3.34. Vgl. Beisel, Theudebertus: S. 86–109. 24 Die Formulierung „Theudebertus, rex magnus Francorum“ ist nur bei Marius zu finden. Mar. aven. chron.: 548.1. Bei Gregor ist von dieser deutlichen Betonung seiner Prägnanz nichts zu lesen. Vgl. Beisel, Theudebertus: S. 135 ff. 25 Prok. B.G.: 2.12. 26 Zu dem Vorgehen im Allgemeinen Bodmer, Krieger: S. 108 f. 27 Prok. B.G.: 2.21. 28 Mar. aven. chron.: 538. Alle Aussagen des Bischofs Marius sind in diesem Zusammenhang relativ orts- und zeitnah verfasst worden. 29 Prok. B.G.: 2.21.
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denn die Inkorporation der dortigen civitates war noch keine zehn Jahre her.30 Die von Prokop erzählte Motivation Theudeberts I., der König habe die südostgallischen Akteure entsendet, da er nicht parteilich gegenüber dem Kaiser auftreten will,31 erscheint somit erneut als Deutung der Informationen. Es ist sicher, dass er den König nicht persönlich kannte und daher wohl kaum genau wissen konnte, welche Motive er hatte. Dass Theudebert I. bereits 539 nicht nur Akteure entsandte, sondern an der Spitze von Folgeleistenden nach Norditalien zog,32 lässt die Annahme der literarischen Gestaltung der Motivation noch plausibler erscheinen. Hinzu kommt, dass Agathias seine Theudebertfigur als Aggressor und nicht als taktisch überlegenden Anführer konzipiert.33 Alle diese Quellenaussagen lassen die Annahme über die literarische Gestaltung des Prokop insgesamt wahrscheinlicher erscheinen, als seine eigene Angabe über das Motiv des Theudebert I. Im analytischen Kontext und in Anbetracht der Ergebnisse der vorherigen Untersuchung ist annehmbar, dass die Beteiligung der als burgundisch bezeichneten Akteure durch das Offerieren von Chancen auf Erwerb während der militärischen Operation organisiert werden konnte. Dabei konnte nicht nur der Vertrag zwischen den Merowingern und Witiges erfüllt werden. Er bot eine Legitimation für das Erscheinen der Akteure. In diesem Sinne kann von einer Maßnahme der Konsolidierung der Präsenz der Könige im Südostgallien gesprochen werden, da dort lebende Menschen – diese regionale Zugehörigkeit wird mit der Verwendung des Wortes „Burgunder“ vermittelt34 – nun mit dem Leisten von Folge gegenüber den neuen Königen im Kriegermodus Erwerbschancen erhielten. Norditalien bot sich dafür an, da dieser Raum nicht nur an den südöstlichen Teil Galliens grenzte, sondern auch wegen des Vertrages, der das Erscheinen der Akteure sogar erlaubte. Diese erhielten also durch die Merowinger Erwerbschancen, die sie nur wahrnehmen konnten, wenn sie ihnen Folge leisteten und die Könige symbolisierten oder offerierten diese Chancen, auch wenn sie nicht persönlich an der militärischen Operation teilnahmen: Mit ihnen wurden die Chancen verbunden. Nach der Zerstörung Mailands werden die südostgallischen
30 Mar. aven. chron.: 534.1. 31 Prok. B.G.: 2.12. 32 „Hoc consule Theudebertus rex Francorum Italiam ingressus Leguriam Emiliamque devastavit eiusque exercitus loci infirmitate gravatus valde contribulatus est.“ Mar. aven. chron.: 539. 33 Agath.: 1.4.1–1.4.7. 34 Das Wort wurde zunehmend mit einem regionalen Bezug verwendet. Vgl. Kaiser, Burgunder: S. 184–200. Hinzu kommt, dass eine ethnische Einheit der Folgeleistenden der Merowingerkönige der ersten Generation nach Chlodwig I. nicht attestiert werden kann. Vgl. Bachrach, Organization: S. 33 f. Dabei darf die Perspektive des Prokop nicht vergessen werden. Als ein Beispiel kann die Stelle zu den Herulern herangezogen werden, die aus einer Region stammten, in der ebenfalls nicht von einer ethnischen Einheit, sondern maximal von einer Vielheit an ethnischen Einheiten ausgegangen werden kann. Prok. B.G.: 2.14. Dazu auch relativ orts- und zeitnah Vita Sanc. Sever.: 24. Vgl. Steinacher, Räuberhauptmann?: S. 317–323; Steinacher, Herules: S. 321–364 und Grahn-Hoek, Thüringer: S. 56–60.
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Akteure in zeitnahen Quellen nicht mehr erwähnt. Sie waren wahrscheinlich zurück nach Gallien gezogen. Die zweite militärische Operation begann bereits ein Jahr später. Marius verzeichnet für 539 Plünderungen von norditalienischen Regionen durch Folgeleistende Theudeberts I. und den Ausbruch einer Krankheit.35 Gregor erwähnt die Plünderungen und das Ende der militärischen Operation aufgrund einer Krankheit ebenso.36 Auch Prokop erzählt von der Krankheit und erklärt sie damit, dass das durchstreifte Gebiet menschenleer und nur Rinder sowie Flusswasser als Nahrungsmittel vorhanden gewesen seien. Geplündert werden nur ostgotische und oströmische Feldlager.37 Erneut nennt Prokop auch die Motivlage des Königs, wobei er einen Brief des Generals Belisar erwähnt: Theudebert I. versuche, sich das Eigentum des Kaisers anzueignen.38 Agathias hingegen schreibt, dass der König vor der von ihm geplanten Operation auf der Jagd gestorben sei,39 wobei er im Widerspruch zu Gregor,40 Marius41 und Prokop42 steht. Bei den drei Autoren besteht Einigkeit darüber, dass die Operation wegen einer Krankheit beendet werden musste. Dabei erzählt Prokop auch, dass nicht Theudebert I. selbst, sondern die ihm Folgeleistenden den Abzug veranlassen, da der König sie in dem entleerten Land ohne Grund sterben lassen würde.43 Eine derartige Abhängigkeit eines Königs von den ihm Folgeleistenden ist schon bei der Untersuchung von Aussagen aus den decem libri historiarum mehrfach fassbar gewesen.44 Sie erscheint daher zutreffend. Das von Prokop erzählten Motiv Theudeberts I. ist allerdings erneut kritisch zu untersuchen. Zum einen ist der Rekurs des Autors auf ein tatsächlich vorhandenes Dokument hier gar nicht unwahrscheinlich. Prokop war an der Seite Belisars als dessen assessor in Italien und kann daher die Feldpost des Generals sehr wohl gelesen haben.45 Dass er das Dokument bei der Abfassung des bellum gothorum in einer Kopie zur Verfügung hatte, kann nicht als gesichert gelten; ist aber auch nicht gänzlich auszu-
35 Mar. aven. chron.: 539. 36 Greg. hist.: 3.32. 37 Prok. B.G.: 2.25. 38 Prok. B.G.: 2.25. 39 Agath.: 1.4.6. 40 Greg. hist.: 3.36. 41 Mar. aven. chron.: 548.1. 42 Auch Prokop gibt an, dass Theudebert I. an einer Krankheit gestorben ist. Prok. B.G.: 4.24. 43 Prok. B.G.: 2.25. 44 Dazu die Aussagen zur Teilung von Soissons Greg. hist.: 2.27 und zur Taufe Chlodwig I. Greg. hist.: 2.31 sowie die Aussagen zur militärischen Operation in Clermont Greg. hist.: 3.11 und die Aussagen zu den Gaben nach dem Tod Theuderichs I. Greg. hist.: 3.23. 45 Vgl. Cameron, Prokopios: S. 8.
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schließen.46 Klar ist hingegen, dass auch Belisar das Motiv des Königs nicht kennen konnte, da er ihn ebenso wie Prokop nicht persönlich kannte. Jedoch war für den General die Absicht des Königs aufgrund von beobachteten Handlungen möglicherweise abzuleiten. Solche können ihm durch Späher und Boten sowie Überlebende des Angriffs zugetragen worden sein. Hinzu kommen die Aussagen über die als burgundisch bezeichneten Akteure aus dem Vorjahr: Norditalien war die Peripherie des parzellierten Strukturierungszusammenhangs. Den Akteuren aus Südostgallien konnten dort Erwerbschancen offeriert werden. Sie waren bei der Beteiligung an der ostgotischen Militäroperation ökonomisch sehr wohl erfolgreich. Die Peripherie hatte sich somit als ertragreich erwiesen und wurde eine Option, Akteuren weiterhin Erwerbschancen zu offerieren. Über die Summe der geplünderten materiellen Güter und Ressourcen besteht jedoch bei den drei Autoren keine Einigkeit. Nach Prokop konnte kaum geplündert werden, da das Land von den vorherigen Kampfhandlungen geschädigt und menschenleer war.47 Es könnte daher angenommen werden, dass die Folgeleistenden Theudebert I. nicht nur wegen der Krankheit, sondern auch wegen des geringen Ertrags durch Plünderungen zum Rückzug bewegten. Dies ist unter Beachtung des elften Kapitels des dritten Buches der decem libri historiarum plausibel.48 Jedoch lassen die Aussagen der Bischöfe Marius und Gregor an einem geringen Ertrag zweifeln. In der Chronik des Marius ist für 539 vermerkt, dass Theudebert I. die Regionen Ligurien und Emilia plünderte.49 Die Gebiete scheinen mehr hergegeben zu haben, als dies die Erzählung des Prokop vermittelt. Da Prokop erzählt, dass die Folgeleistenden Theudeberts I. ohne zu plündern durch Ligurien gezogen waren,50 ist anzunehmen, dass das Gebiet auf dem Rückweg geplündert wurde. Gregor erzählt dazu, dass bei der Operation sehr viel geplündert worden ist und trotz des Rückzuges eine umfangreiche Menge an materiellen Gütern und Ressourcen mitgeführt werden konnte.51 Daher lässt sich insgesamt annehmen, dass die militärische Operation auf Plünderungen ausgerichtet war. Für diese Annahme
46 Dies liegt daran, dass der Gebrauch des Wortes assessor anzeigt, dass die Feldpost des Generals von ihm bearbeitet worden oder ihm zumindest zur Kenntnis gegeben worden ist. Vgl. Brodka, Historiographie: S. 14. 47 Prok. B.G.: 2.25. 48 „At ille infidelis sibi exhistimans Arvernus, ait: ‚Me sequimini, et ego vos inducam in patriam, ubi aurum et argentum accipiatis, quantum vestra potest desiderare cupiditas, de qua pecora, de qua mancipia, de qua vestimenta in abundantiam adsumatis. Tantum hos ne sequamini!‘ […]“ Greg. hist.: 3.11. Im vierten Buch der decem libri historiarum ist eine ähnliche Erzählung zu einer militärischen Operation Chlothars I. gegen die Sachsen gegeben. Greg. hist.: 4.14. Zu der Erzählung Springer, Sachsen: S. 97 ff. 49 „Hoc consule Theudebertus rex Francorum Italiam ingressus Lerguriam Emiliaque devastavit eiusque exercitus loci infirmitate gravatus valde contribulatus est.“ Mar. aven. chron.: 539. 50 Prok. B.G.: 2.25. 51 „Theudobertus vero in Italia abiit et exinde multum adquisivit. […] Quod videns Theudobertus ex ea reversus est, multa secum expolia ipse vel sui deferentes.“ Greg. hist.: 3.32.
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wird die Frage nach der Datierung einer anderen militärischen Operation wichtig, die in Gallien stattgefunden hat. Gregor erzählt im 28. Kapitel des dritten Buches der decem libri historiarum über eine Operation zwischen Theudebert I. und Childebert I. auf der einen und Chlothar I. auf der anderen Seite. Die Passage wird noch ausführlich untersucht. Hier soll nur erwähnt sein, dass es nicht zur Schlacht kam. Es wurde zuvor Frieden geschlossen.52 Im darauf folgenden Kapitel schreibt Gregor über eine militärische Operation, bei der Chlothar I. und Childebert I. zusammen mit den ihnen Folgeleistenden auf die Iberische Halbinsel ziehen und dort die civitas Saragossa plündern.53 Diese Operation kann auf 541 datiert werden. In der chronica caesaraugusta ist dieses Datum gegeben. Der Text wurde – wenn auch wahrscheinlich zeitfern – ortsnah zusammengestellt und die Autoren rekurrierten auf lokale Quellen.54 Somit ist plausibel, dass der innermerowingische Konflikt vor 541 stattfand. Da Marius die militärische Operation unter der Anführerschaft Theudeberts I. nach Italien auf 539 datiert und Gregor diese erst im 32. Kapitel des dritten Buches der decem libri historiarum erzählt,55 scheinen alle drei Militäroperationen in einem engen Zusammenhang zu stehen. Zur Klärung des Zusammenhangs kann eine weitere Erzählung aus dem dritten Buch der decem libri historiarum in den analytischen Kontext einbezogen werden. Ende des 31. Kapitels erzählt Gregor, dass Childebert I. gegen seinen Bruder Chlothar I. opponiert und daher die aus Italien nach Gallien gesandte Summe nur mit seinem Neffen Theudebert I. teilt. Chlothar I. nimmt daher aus dem Schatz seines verstorbenen Bruders Chlodomer mehr für sich allein, als die beiden anderen Merowinger zusammen aus Italien erhalten. Tatsächlich weist die Passage einige Widersprüche zu anderen Aussagen hinsichtlich der Beziehung der Merowingerkönige zu den ostgotischen Anführern nach dem Tod Theoderichs des Großen auf. Gregor erwähnt weder den Vertrag, der zu der Übergabe der Provence und der umliegenden Gebiete führte, noch König Witiges. Die Zahlung an die Merowinger sei nach der Ermordung der Tochter des Theoderichs durch Theodahad festgelegt worden:56 Da Amalaswintha57 über ihre Mutter Audofleda58 eine Cousine ersten Grades der beiden Könige Childebert I. und Chlothar I. war, drohen diese Theodahad, sie würden ihn töten, wenn er nicht eine Buße an sie gäbe. Daraufhin gibt dieser die Zahlung an die Merowinger.59 Unter der Berücksichtigung der Aussagen zum Vertrag vom Jahreswechsel
52 Greg. hist.: 3.28. 53 Greg. hist.: 3.29. 54 Ortsnah, jedoch zeitfern Chron. ceasara: 541. Dazu Acer, Hispanien: S. 270 f. 55 Greg. hist.: 3.32. 56 Greg. hist.: 3.31. 57 Vgl. Wenskus, Art. Amalaswintha: S. 245–246. 58 Sie war die Schwester Chlodwigs I. Vgl. Geuenich, Vormachtstellung: S. 160. 59 „Quod cognuscentes hi regis Childeberthus et Chlothacharius, consubrini eius, necnon et Theudoberthus, quod scilicet tam turpi fuerit interfecta supplicio, ad Theodadum legationem dirigunt, exprob-
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536/7 ist aber plausibler, dass die Zahlung erst nach dem Tod Theodahads zustande kam.60 Trotz dieser offenkundigen Abweichung Gregors von anderen Aussagen ist das Kapitel für die Frage nach der Datierung und für die Frage nach dem Zusammenhang wichtig, denn mit dem Ende der Erzählung ist eine Erklärung für den militärischen Konflikt zwischen Childebert I. und Theudebert I. auf der einen und Chlothar I. auf der anderen Seite gegeben: Den aber erzählt Gregor jedoch zuvor. Eine Erklärung für die drohende Schlacht gibt er dabei aber nicht, so dass plausibel ist, den Grund für den Konflikt in der ungleichen Verteilung der Zahlung und der unrechtmäßigen Aneignung der Güter aus dem Schatz des Chlodomer zu sehen. Demnach wäre der Konflikt vor die militärische Operation Theudeberts I. in Italien und nach dem Jahreswechsel 536/7 zu datieren. 537 und 538 bieten sich dazu an. Möglicherweise wurden auch daher nur Akteure aus dem Südosten Galliens 538 nach Italien gesandt, da Folgeleistungen von vielen Akteuren in Gallien durch die drei Könige organisiert wurden, um gegeneinander zu kämpfen. Diese Möglichkeit kann zum Bündel der anderen Annahmen zu der ersten Operation hinzugezählt werden. Die Datierung des innermerowingischen Konflikts zwischen 537 und 538 lässt nun eine weitere Annahme wahrscheinlich werden: Nachdem die Schlacht zwischen den beiden Parteien nicht zustande kam, konnte auch nicht geplündert werden. Da die Könige aber weiter Erwerbschancen symbolisieren mussten, damit ihnen Akteure weiterhin auch Folge leisteten, kam es darauf zu den anderen militärischen Operationen unter der Anführung der Merowingerkönige. Eine war die militärische Operation Childeberts I. und Chlothars I. 541 auf die Iberische Halbinsel und die andere war die militärische Operation unter Theudebert I. 539 nach Italien. Sie waren nötig, da die Akteure auch jeweils anderen Königen hätten Folge leisten können. Daher mussten alle Könige militärisch operieren. Sie hätten sonst an Folgeleistenden verloren und wären im innermerowingischen Konflikt in eine ungünstige Lage geraten. Aber auch die Folgeleistenden können zu solchen militärischen Operationen gedrängt haben.61 Zugleich wurde auch versucht das Abgabensystem als exklusives Erwerbsmittel der Könige zu erweitern. Bei Prokop ist zu erfahren, dass Theudebert I. einen Teil der norditalienischen Gebiete abgabenpflichtig macht.62 Da er und die anderen Autoren eine weitere militärische Operation unter Anführung Theudeberts I. in Italien nicht mehr erwähnen, ist anzunehmen, dass bei der zweiten militärischen Operation eine Inkorporation
rantes de morte eius atque dicentes: ‚Si haec quae egisti nobiscum non conposueris, regnum tuum auferimus et simile te poena damnabimus‘. Tunc ille timens, quinquagina eis milia aureorum transmisit.“ Greg. hist.: 3.31. 60 Prok. B.G.: 2.13. Dazu Wolfram, Goten 2001: S. 341. 61 Vgl. Bodmer, Krieger: S. 70 ff. 62 Prok. B.G.: 4.24.
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einiger norditalienischer civitates vollzogen worden ist.63 Wie dies im Detail ablief, ist nicht zu eruieren. Nur dass fränkische Akteure in Norditalien zurückgeblieben sind und ein Ausgleich mit ostgotischen Akteuren stattfand, ist sicher;64 und dass diese Akteure weiter erwerbend tätig wurden, ist sehr wahrscheinlich.65 Die Erwerbsweise der Zurückgelassenen ist jedoch unklar. Abgaben sollen zu dieser Zeit gezahlt worden sein.66 Diese Inkorporation scheiterte jedoch wenige Jahre später.67 Die Präsenz der Könige aus dem Geschlecht der Merowinger in Norditalien konnte nicht konsolidiert werden. Das Scheitern kann auch mit dem Tod König Theudeberts I. im Jahr 54868 in Verbindung gebracht werden, wobei jedoch nicht ganz klar ist, ob eine weitere militärische Operation vor seinem Tod in Bezug auf Nord- und Gesamtitalien in Gallien initiiert wurde. Diese Unklarheit betrifft direkt die dritte militärische Operation nach Italien. Die Aussagenlage zum Beginn der dritten Militäroperation nach Italien ist in ihrer Gesamtheit uneinheitlich. Gregor erzählt, Theudebert I. habe Buccelen69 nach Italien gesandt.70 Dass Buccelen der Anführer von Folgeleistenden war und in Italien militärisch operierte, geht aus der weiteren Erzählung Gregors hervor.71 Schätze werden von ihm an Theudebert I. gesandt, doch schreibt Gregor nicht, woher Buccelen sie hatte oder wie er sie in Italien erwarb.72 Auch kann er – so erzählt Gregor weiter – Italien für den König bei Operationen gegen Belisar und dessen Nachfolger Narses73 erobern. Dieser sei eingesetzt worden, weil Buccelen und die ihm Folgeleis-
63 Vgl. Beisel, Theudebertus: S. 50 f. Der Datierung bei Beisel ist nicht zu folgen. Seine Orientierung an einigen Briefen aus der Sammlung variae, deren Datierung selbst nicht sicher ist, entbehrt der Grundlage der Aufzeichnungen des Marius. Dazu Beisel, Theudebertus: S. 49 ff. Zum Datierungsproblem der Briefe unter einem kritischen Bezug auf die Rezeption der Dissertation von Stefan Krautschick im deutschsprachigen Raum Kakridi, Variae: S. 10 f. 64 Prok. B.G.: 4.24. 65 „Eo anno exercitus Francrorum reipublicae Romanae exercitum vastavit atque effugatum devastavit cum illis et diviciis multis abductis.“ Mar. aven. chron.: 556.4 und: „Eo anno exercitus reipublicae resumptis viribus partem Italiae quam Theudebertus rex adquisierat occupavit.“ Mar. aven. chron.: 556.5. Beide Stellen zeigen, dass einige Akteure in Norditalien verweilten, deren Versorgung notwendig war. Es ist daher durchaus plausibel, dass diese Akteure weiterhin plünderten. Vgl. Bodmer, Krieger: S. 69 f.; S. 84 f. und S. 108 f. 66 Prok. B.G.: 4.24. 67 Mar. aven. chron.: 556.5. Auch Greg. hist.: 4.9. 68 Mar. aven. chron.: 548.1. 69 Auch der Name Butilin ist gebräuchlich. Vgl. Geuenich, Alemannen: S. 93. 70 Greg. hist.: 3.32. 71 Dazu ortsfern, jedoch relativ zeitnah die Aussagen zum Tod des Buccelen Greg. hist.: 4.9. 72 Ortsfern, jedoch relativ zeitnah: „Captam omnem Italiam, usque in mare terminum dilatavit; thesauros vero magnus ad Theudobertum de Italia dirixit.“ Greg. hist.: 3.32. 73 Der Eunuch Narses wurde 551 zum General in Italien ernannt. Er wurde in diese Position gebracht, da Belisar als gescheitert wahrgenommen wurde. Dies hat jedoch nichts mit Buccelen zu tun. Vgl. Vössing, Art. Narses: S. 554–556.
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tenden Belisar mehrfach besiegt hatten.74 Auf Sizilien treibt Buccelen Abgaben für Theudebert I. ein und sendet auch diese dem König.75 Diese Erzählung ist jedoch nicht in einen widerspruchsfreien Kontext mit weiteren Aussagen zu der dritten Militäroperation zu bringen. Marius hält für 548 nicht nur den Tod Theudeberts I. fest, sondern auch den Tod eines dux Lanthacarius bei einer militärischen Operation.76 Es ist plausibel, dass dieser als dux bezeichnete Akteur nach der militärischen Operation unter Theudebert I. in Norditalien zurückgelassen worden ist, um die Präsenz des Königs dort zu konsolidieren.77 Weitere Namen – auch der Name Buccelen78 – von Akteuren,79 die ebenfalls nach der Operation unter Theudebert I. dort zurückgelassen worden sind, sind zwar überliefert; dies jedoch erst in zeitfernen Texten.80 Daher sind diese Quellenaussagen für die Konstitution von Annahmen zur dritten militärischen Operation weniger zu gebrauchen. Sie bestätigen aber mit der Aufzeichnung des Marius, dass die Konsolidierung der Präsenz Theudeberts I. versucht worden ist, indem Akteure zurückgelassen wurden. Unsicher ist, ob das Wort dux von Marius zur Bezeichnung eines Akteurs in einer strukturellen Position gebraucht worden ist, oder nicht. Wahrscheinlich ist, dass Neustrukturierungen struktureller Elemente in Norditalien nicht ungehindert vollzogen werden konnte, da Kampfhandlungen auch nach der Gefangennahme des Königs Witiges und seiner Überführung nach Konstantinopel 54081 weiter andauerten: Nach einer Phase rascher Wechsel ostgotischer Könige82 war 542 mit Totila83 ein Mann in diese Position gekommen, der sich bis 552 halten
74 Greg. hist.: 3.32. 75 Ortsfern, jedoch relativ zeitnah: „Deinceps vero Buccelenus Siciliam occupavit; de qua etiam tributa exigens, regi transmisit.“ Greg. hist.: 3.32. 76 Relativ ortsfern und relativ zeitnah: „Eo anno Lanthacarius dux Francorum in bello Romano transfossus obiit.“ Mar. aven. chron.: 548.2. 77 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 121. 78 Vita Joh. abb. roem. auct. iona: 15. Dieser in Norditalien von dem Mönch Jonas, einem Hagiographen, der auch die vita columbani geschrieben hat, verfasste Text, ist erst im 7. Jahrhundert entstanden. Zur Datierung Wood, Jonas of Bobbio: S. 111 ff. 79 Zu Amingus Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 42 und zu Mummolus Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 132. 80 Bei Paulus Diaconus ist einmal ein Akteur namens Amingus als Anführer von Akteuren in Italien nach der militärischen Operation Theudeberts I. erzählt. Paul. hist. lang.: 2.2. Der Name Mummolus wird in der Heiligenvita des Abtes Johannes von Romaus genannt. Vita Joh. abb. roem. auct. iona: 15. 81 Mar. aven. chron.: 540.2. 82 Dies waren Hildebad und Erarich in den Jahren 540 und 541. Zusammenfassend zu diesen beiden Königen Wolfram, Goten 2001: S. 349–352. 83 Vgl. Krautschick und Reichert, Art. Totila: S. 92–96.
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konnte.84 Eine Konsolidierung der Präsenz über die Genese funktionaler Konstellationen war also nicht ohne weiteres möglich.85 Dass Lanthacarius Akteure Folge geleistet haben müssen, um die Präsenz des Königs in Norditalien konsolidieren zu können, ist sehr wahrscheinlich. Jedoch ist auch in diesem Fall unklar, ob sie ihm direkt oder durch den König übertragen Folge leisteten. Es ist aber anzunehmen, dass mit dem Tod des Lanthacarius, über den Prokop nicht erzählt,86 der Versuch der Konsolidierung der Präsenz in Norditalien nicht mehr mit den regionalen Mitteln vollzogen werden konnte. Die Datierung des Beginns einer weiteren militärischen Operation nach 548 und nicht – wie Gregor erzählt – schon während der Lebzeit Theudeberts I.87 wäre demnach plausibel. Ein kausales Verhältnis zwischen dem Tod des dux Lanthacarius und dem Beginn der dritten Operation ist in Anbetracht weiterer Quellenaussagen nicht zweifelsfrei. Es ist in Anbetracht der Quellen sogar eher unwahrscheinlich. Die meisten Aussagen zur dritten militärischen Operation nach Italien stammen aus den von Agathias verfassten historiae. Wie Gregor erzählt auch er von der Anführerschaft des Buccelen. Dazu nennt er Leuthari, den Bruder des Buccelen, der zusammen mit ihm im geographischen Gebiet der primär alemannischen Siedlungsgemeinschaften tätig und über sie hinaus handlungsfähig oder zumindest bekannt war.88 Theudebert I. hatte dies nach Agathias geduldet.89 Mit der Erzählung des Agathias wird deutlich, dass die dritte und letzte militärische Operation erst fünf Jahre nach dem Tod Theudeberts I. begann: Er erzählt, dass nach dem Tod des letzten ostgotischen Königs Teja,90 der Totila nach dessen Tod 553 gefolgt war und noch im selben Jahr in einer Schlacht sein Leben verlor,91 ostgotische Gesandte aus Italien zu König Theudebald kommen und bitten, sie gegen die oströmischen Aufgebote unter Narses zu unterstützen.92 Theudebald – der zu dieser Zeit schon krank gewesen war93 –
84 Vgl. Wolfram, Goten 2001: S. 352 ff. 85 Allerdings wurde erst 556 das Gebiet von den Oströmern zurück gewonnen, was für weitere Akteure spricht. Dazu relativ ortsfern und zeitnah Mar. aven. chron.: 556.5. 86 Auf der regionalen Ebene scheint es keine Koordinationsversuche zwischen den oströmischen Akteuren und denen der Merowinger geben zu haben. Eine Gesandtschaft an Theudebald sollte die Verhältnisse dort klären. Prok. B.G.: 4.24. 87 Greg. hist.: 3.32. 88 Agath.: 1.6.2. 89 Agath.: 1.6.2. 90 Zum König den Hauptartikel Krautschick, Art. Teja: S. 322–323 und den ergänzenden Artikel Reichert, Art. Teja: S. 88–89. 91 Mar. aven. chron.: 553. 92 Agath.: 1.5.1–1.5.10. 93 Auch Gregor erzählt von dieser Krankheit des Königs. Greg. hist.: 4.9.
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lehnt jedoch ab. Buccelen und Leuthari aber stimmen zu und organisieren Folgeleistungen einer großen Menge an Akteuren.94 Der König verhindert dies nicht.95 Erstmals ist mit den Aussagen des Agathias mit Sicherheit festzustellen, dass nach 511 zwei Personen, die nicht aus dem Geschlecht der Merowinger stammten, Akteure direkt und nicht in übertragener Weise Folge leisteten, ohne dass gegen einen König opponiert oder angegeben wurde, dass sie von dem Geschlecht abstammten. Eine rein ethnische Kategorisierung unterlässt Agathias, so dass auch nicht argumentiert werden kann, es handele sich bei seiner Erzählung um den Versuch, die Franken gegenüber dem Kaiser als schuldlos darzustellen und somit als potentielle Bündnispartner zu empfehlen.96 Unter der Beachtung der Quellenaussagen zu umfangreichen Plünderungen in den historiae97 ist festzuhalten, dass die beiden Brüder als Anführer der ihnen Folgeleistenden Erwerbschancen symbolisierten.98 Dass es sich weder um eine reine Plünderungsoperation, noch um eine militärische Operation zur Inkorporation von civitates handelte, erzählt Agathias zusätzlich. Vielmehr konnten persönliche Ambitionen der Anführer situationsbezogen zu Neuausrichtungen der Operation führen. So zieht sich Leuthari mit einigen Folgeleistenden wieder nach Gallien zurück, nachdem umfangreiche Bestände geplündert worden sind, wobei er und viele dieser Akteure auf dem Rückweg an einer Krankheit sterben.99 Sein Bruder versucht hingegen König der Ostgoten zu werden.100 Dass dies zumindest potentiell möglich war, zeigen die Aussagen zum Innehaben der Königsposition durch Erarich, der 541 zum König der Ostgoten wurde,101 jedoch Rugier war.102 Eine einheitliche Zielrichtung der Brüder war also nicht vorhanden. Dass es auch um Erwerbschancen ging, kann als sicher aufgefasst werden. Der Rückzug des Leuthari bot jenen, die mit Plünderungen bereits erwerbend tätig geworden waren, die Möglichkeit, mit ihm zurückkehren. Der Gebrauch des Wortes dux durch zeitnahe Autoren zur Bezeichnung einer der beiden Brüder ist nur bei dem Bischof Marius gegeben.103 Gregor gebraucht das Wort
94 Agath.: 1.7.9. 95 Agath.: 1.6.2. 96 Vgl. Zöllner, Franken: S. 98 ff. Diese Annahme kann entgegengehalten werden, dass die historiae des Agathias um 580 entstanden sein sollen. Vgl. Cameron, Agathias: S. 9 f. Zu dieser Zeit war bereits der Prätendent Gundowald in Gallien aktiv, der aus Konstantinopel nach Gallien gekommen war. Der Versuch der Empfehlung erscheint in diesem Kontext unwahrscheinlich. Zum ersten Auftreten Gundowalds Ewig, Merowinger: S. 45. 97 Agath.: 2.1.4; 2.1.7 und 2.2.3. Dazu auch ortsnah, jedoch zeitfern Paul. hist. lang.: 2.2. 98 Vgl. Bodmer, Krieger: S. 67 ff. und S. 109 f. 99 Agath.: 2.2.8. 100 Agath.: 2.2.2. 101 Prok. B.G.: 3.2. 102 Prok. B.G.: 3.2. Dazu Anderson und Pohl, Art. Rugier: S. 452–458. 103 „Eo tempore Buccelenus dux Francorum in bello Romano cum omni exercitu suo interiit.“ Mar. aven. chron.: 555.4.
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nicht und auch Agathias wählt eine andere Formulierung,104 wobei für ihn festgehalten werden muss, dass er als oströmischer Autor die semantische Problematik der zeit- und zugleich ortsnahen Autoren nicht in derselben Art haben konnte. Leuthari wird nur ein einziges Mal zeitfern von Paulus Diaconus105 als dux bezeichnet.106 Aus diesen wenigen Aussagen geht aber nicht hervor, ob das Wort zur Bezeichnung einer strukturellen Position gebraucht worden ist, oder nicht.107 Sicher ist nur, dass die beiden Brüder ohne den König Folgeleistungen organisieren konnten. Dass dafür Erwerbschancen wichtig waren, ergibt sich daraus, dass Agathias über solche mehrfach erzählt. Dadurch waren die Brüder den Merowingern ähnlich, jedoch letztlich weit weniger erfolgreich als die Männer aus diesem Geschlecht: Leuthari verstarb auf dem Weg zurück nach Gallien und sein Bruder wurde bei seinem Versuch, ostgotischer König zu werden, in einer Schlacht im selben Jahr getötet,108 in dem auch Theudebald starb.109 Nur ein Jahr später wurden die letzten fränkischen Akteure in Norditalien geschlagen.110 Die Konsolidierung der Präsenz der merowingischen Könige wurde danach nicht mehr versucht.111 Die Konsolidierung der Präsenz in Italien scheiterte also letztlich aus mehreren Gründen: Mit der ersten militärischen Operation war ein Versuch der Konsolidierung noch gar nicht begonnen worden. Die Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen zeigt sich hierbei in verschiedenen aktiven Relevanzarten. Zum einen wurden Erwerbschancen für diejenigen Akteure offeriert, die erst kurz zuvor mit den civitates ihrer Herkunft in den parzellierten Strukturierungszusammenhang der Merowinger inkorporiert worden waren. Insofern erscheint die Entsendung der
104 Vgl. Geuenich, Alemannen: S. 94. 105 Paulus Diaconus wurde in den späten 720er Jahren in der heutigen Region Friaul in Norditalien geboren. Er starb im letzten Jahrfünft des 8. Jahrhunderts. Vgl. Plassmann, Origo gentis: S. 191 f. Seine Familie war mit dem langobardischen König Alboin nach Italien gelangt. Zu ihm Wenskus, Art. Alboin: S. 132–133. Er wurde am Hof des Königs Achis ausgebildet und trat später ins Kloster Monte Cassino ein. Vgl. Pohl, Paulus Diaconus: S. 376. Zuerst verfasste er die historia romana, ein historiographisches Werk, das bis in die Zeit des Kaisers Justinian reicht. Vgl. Goffart, Narrators: S. 347–356. Nach der Eroberung Norditaliens durch Karl den Großen 774 ging Paulus an den Hof Karls nach Aachen und schrieb in dieser Zeit die gesta episcoporum mettensium. Vgl. Schieffer, Karolinger: S. 76 und Plassmann, Origo gentis: S. 239 ff. Auch als Editor und Verfasser weiterer Werke war er aktiv. Vgl. Plassmann, Origo gentis: S. 198. Für die vorliegende Studie ist aber vor allem die historia langobardorum wichtig, die er nach seiner Rückkehr nach Italien anging, doch möglicherweise nie vollendet hat. Der Text wurde also ortsnah, jedoch zeitfern verfasst. Zur Datierung Plassmann, Origo gentis: S. 192. Die Aussagen des Paulus Diaconus sind in diesem Zusammenhang ortsnah, jedoch zeitfern. 106 Paul. hist. lang.: 2.2. 107 Vgl. Behr, Herzogtum: S. 83. Die Annahme von der Unbestimmbarkeit aufgreifend Geuenich, Alemannen: S. 93. 108 Mar. aven. chron.: 555.4 und Greg. hist.: 4.9. 109 Mar. aven. chron.: 555.1. 110 Mar. aven. chron.: 556.4 und Mar. aven. chron.: 556.5. 111 Greg. hist.: 4.9. Dazu Wood, Kingdoms: S. 168.
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Quellenuntersuchung
als burgundisch bezeichneten Akteure entgegen der Aussagen des Prokop nicht als Mittel Theudeberts I., sich gegenüber dem Kaiser als neutral zu inszenieren. Sie können als Versuch der Konsolidierung der Präsenz der Merowingerkönige im Südosten Galliens gedeutet werden: Für die dortigen Akteure wurden Erwerbschancen im Speziellen offeriert. Hinzu kommt noch, dass die Merowinger wohl zu dieser Zeit – um 538 – einen innermerowingischen Konflikt militärisch zu lösen versuchten. Daher wurden den Akteuren, die direkt an der Peripherie des parzellierten Strukturierungszusammenhangs ansässig waren, die Chancen auf Erwerb in Italien offeriert und nicht denjenigen, die sie in Zentralgallien für die anstehende Operation gegeneinander benötigten. Letztlich konnten sie auf diese Weise auch den Vertrag mit Witiges erfüllen: Das Erscheinen der aus Gallien stammenden Akteure war legitimiert. Das Erscheinen des Theudebert I. mit den ihm Folgeleistenden war es auch, wobei kurz nach seiner Ankunft in Italien klar wurde, dass er gegen beide dort kämpfenden Parteien vorging. Da kurz zuvor der militärische Konflikt zwischen den Merowingern abgebrochen worden war, ist plausibel, dass die militärische Operation notwendig wurde. Der König musste den ihm Folgeleistenden Erwerbschancen offerieren: Sie hätten sonst einem anderen König Folge geleistet und Theudebert I. wäre den anderen Königen gegenüber schwächer geworden. In Italien wurde geplündert, bis eine Krankheit der Auslöser für die Folgeleistenden war, sich gegen den König zu wenden und diesen zum Rückzug zu bewegen. Auszuschließen ist dabei nicht, dass auch der geringe Ertrag bei den Plünderungen ein Aspekt dieses Drängens war. Offenbar konnten nach dem Rückzug des Königs in Norditalien einige civitates zu Abgaben bewegt und somit in seinen Teilstrukturierungszusammenhang inkorporiert werden. Es ist sehr wahrscheinlich, dass unter dem dux Lanthacarius einige Akteure im Norden Italiens zurückgelassen worden waren, um die Konsolidierung der Präsenz des Königs voranzutreiben. Ob der Gebrauch des Wortes dux in diesem Fall eine strukturelle – das heißt auf die inkorporierten civitates regional bezogene – Position indiziert, oder nicht, ist genauso wenig klar, wie die Frage, ob die Folgeleistenden des Lanthacarius ihm direkt oder in übertragener Weise Folge leisteten. Dass nach seinem Tod 548 die civitates offenbar nicht umgehend an die ostgotischen Akteure oder die dort operierenden oströmischen Repräsentanten fielen, spricht dafür, dass weitere Anführer in Norditalien zurückgelassen wurden. Zu solchen gibt es aber nur zeitferne Aussagen, die zur Sicherung der Annahme weniger zu gebrauchen sind. Im Todesjahr des Lanthacarius starb auch König Theudebert I. Da eine weitere militärische Operation unter einem Merowinger nach Italien danach ausblieb, kann sein Tod als ein Grund für das Scheitern des Versuchs der Konsolidierung der Präsenz der Merowinger in Italien gedeutet werden. Die Gebiete Norditaliens waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht verloren. Es folgte noch eine dritte militärische Operation, die jedoch primär nichts mit der Konsolidierung der Präsenz der Merowinger in Italien zu tun hatte. Um Plünderungen ging es sehr wohl und die Chancen auf solche waren sehr wahrscheinlich der Anlass dafür, dass Buccelen und Leuthari von vielen Akteuren Folge geleistet wurde. Sicher ist, dass die ihnen Folgeleisten-
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den umfangreiche Bestände plündern konnte. Dabei war die Kriegergemeinschaft offenbar das Erwerbsmittel aller Beteiligten, denn Aussagen zu Ungleichheiten und Teilungen sind nicht vorhanden. Die Operation wechselte zum Ende hin situationsbezogen ihre Richtung, so dass Leuthari mit einem Teil der Folgeleistenden zurück nach Gallien zog, während ein anderer Teil Buccelen bei seinem Versuch des Erlangens der ostgotischen Königsposition weiterhin Folge leistete. Sicher ist, dass den Brüdern bei ihrer militärischen Operation die Akteure direkt Folge leisteten. Sie waren den Königen somit ähnlich, ohne dass sie sich als Merowinger ausgaben, wobei sie weit weniger erfolgreich waren, da beide nicht einmal lebend nach Gallien zurückkehrten. Die Konsolidierung als Aspekt der Neustrukturierungen scheiterte dann letztlich 556, ungefähr ein Jahr nach dem Tod König Theudebalds, da die Akteure in Norditalien offenbar nicht ausgewechselt und nicht vermehrt wurden. Neustrukturierungen wurden weder mit der Etablierung funktionaler Konstellationen zu den Bischöfen, noch zu der lokalen Administration weltlicher Art versucht. Das liegt auch daran, dass die älteren strukturellen Elemente der weströmischen Ordnung während der Kämpfe zwischen den ostgotischen Akteuren und den oströmischen Generälen nicht neustrukturiert werden konnten. Ihre Bindung an die in Italien noch bestehenden Zusammenhänge war mit dem schlichten Zurücklassen von einigen Akteuren nicht zu lösen. Italien blieb – so lässt sich abschließend formulieren – die ganze Zeit über die Peripherie des parzellierten Strukturierungszusammenhangs und gab somit Möglichkeit Erwerbschancen zu offerieren.
3.1.2 Die militärische Operation auf der Iberischen Halbinsel Es gibt nur Quellen zu einer militärischen Operation auf der Iberischen Halbinsel zwischen dem Jahreswechsel 536/7 und 561. Drei Texte liefern Aussagen zu dieser Operation. Dies ist zum einen die chronica caesaraugusta, die gemäß des aktuellen Standes der Debatte auch als consolaria caesaraugustana bezeichnet werden kann,112 und zum anderen die historia (de regibus) gothorum, vandalorum, suevorum des Bischofs Isidor von Sevilla. Drittens liefern erneut die decem libri historiarum Aussagen. Aussagen aus zwei dieser Texte wurden im vorherigen analytischen Kontext für den Zusammenhang des innermerowingischen Konflikts in Gallien und der zweiten militärischen Operation nach Italien untersucht. Dabei konnte die Annahme plausibel gemacht werden, dass der Konflikt zur Zeit der ersten militärischen Operation nach Italien, also zwischen 537 und 539 stattgefunden hat. Die zweite Operation wurde in
112 Vgl. Arce, Hispanien: S. 270. Zur Annahme, die Rekurse der oder des Autors der Chronik würde auf die acta urbis zurück gehen Croke, City Chronicles: S. 165–203. Kritisch zu älteren Annahmen zu den Rekursen der oder des Autors Kulikowski, Spain: S. 206 ff. und S. 390 ff. sowie Collins, Isidor: S. 354 ff.
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Quellenuntersuchung
diesem Zusammenhang als Notwendigkeit gedeutet, da den Folgeleistenden wegen des Ausbleibens der militärischen Operation nun Erwerbschancen in anderen Gebieten von den Merowingern offeriert werden mussten. Jene hätten die Könige sonst zu Gunsten eines anderen Königs verlassen können, was zur Schwächung des Verlassenen geführt hätte, da dieser dann über geringere militärische Mittel verfügte. Diese Annahme ist in Anbetracht dreier Stellen aus den decem libri historiarum113 äußerst wahrscheinlich. Während Theudebert I. 539 nach Italien zog, operierten 541 seine beiden Halbonkel Childebert I. und Chlothar I. auf der Iberischen Halbinsel. Die Datierung der Operation geht aus der Chronik von Saragossa hervor. Die Exaktheit der Datierung wird auch bei kritischer Betrachtung nicht bestritten.114 Tatsächlich ist sie unter Berücksichtigung des 30. Kapitels des dritten Buches der decem libri historiarum auch plausibel, da Gregor die Kooperation der Könige bei der Operation erst nach dem innermerowingischen Konflikt, den er im 29. Kapitel des dritten Buches darlegt, erzählt. Unter der zusätzlichen Beachtung der Annahme einer Notwendigkeit des Offerierens von Erwerbschancen um 539 gewinnt sie noch an Plausibilität. Dass die beiden Merowinger ihre Kooperation nicht umgehend nach dem Friedensschluss in eine militärische Operation umsetzten, kann damit begründet werden, dass sie noch kurz zuvor gegeneinander militärisch vorgehen wollten. Die Kooperation musste danach erst vorbereitet werden. Die Auswahl des geographischen Ziels für die kooperative Operation zur Offerierung von Erwerbschancen gehört in diesen Aufgabenbereich. Der allein agierende Theudebert I. konnte auf solche Koordierungen verzichten. Die südwestliche Peripherie des parzellierten Strukturierungszusammenhangs wurde 541 zum Ziel der kooperativen Militäroperation zweier Merowinger nach dem kurz zuvor geschlossenen Frieden. Durch eine Erzählung Gregors115 und die Aufzeichnung aus der Chronik von Saragossa zum Jahr 541116 werden Plünderungen während der Operation fassbar. Auch Isidor erzählt über die Plünderungen.117 Sein Rekurs auf die Chronik oder auch auf die gleichen Informationen des oder der Autoren ist zumindest zu vermuten.118 An den Aussagen Gregors werden neben den christlichen Handlungsnormen die Deutungsmuster des Autors bei der literarischen
113 Greg. hist.: 2.31; 3.11 und 4.14. 114 Mit kritischer Betrachtung der Rekurses des oder der Autoren des Textes Jiménez Sánchez, Crónica: S. 364. Der Datierung zustimmend Kulikowski, Spain: S. 226 und S. 276. 115 Greg. hist.: 3.29. 116 Ortsnah, jedoch zeitfern: „Hoc anno Francorum reges numero V per Pampelonam Hispanias ingressi Caesaraugustam venerunt, qua obsessa per quadraginta novem dies omnem fere Tarraconensem provinciam depopulatione attriverunt.“ Chron. caesara.: 541. 117 Ortsnah, jedoch zeitfern: „Eo regnante dum Francorum reges cum infinitis copiis in Spanias convenissent et Tarraconensem provinciam bello depopularent, […]“ Isid. hist. goth.: 41. 118 Es gibt zwei Versionen des Textes, die sich auch hinsichtlich der Aussagen zum Geschehen der Zeit des Theudis unterscheiden, doch nicht in der Art, dass grundlegende Differenzen zwischen den
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Verarbeitung der Informationen erkennbar. Dies ist auch auf eine etwas anders gelagerte Weise für Isidor der Fall. Die Aussagen des oder der Autoren der Chronik weisen solche Deutungen nicht auf. Auffällig ist, dass Isidor aber einen anderen Ausgang der Operation erzählt. Dieser Ausgang läuft auch Gregor zuwider. Daher muss intensiver auf die Diskrepanz eingegangen werden. Gregor erzählt, dass das ummauerte Zentrum der civitas Caesaraugusta belagert wird und die Bewohner in tiefer Demut vor Gott mit dem Fasten beginnen, sich dementsprechend gebärden und anziehen. Das Gewand des heiligen Märtyrers Vincentius wird dabei auf den Mauern des Zentrums der civitas umhergetragen. Als die Belagernden dies vernehmen, so schreibt Gregor weiter, nehmen sie einen Mann aus der civitas gefangen, der auf ihre Fragen erklärt, was das von ihnen Vernommene bedeutet.119 Darauf verfallen sie in Furcht und ziehen sich mit umfangreichen Gütern und Ressourcen, nachdem sie einen, wie Gregor schreibt, großen Teil der Iberischen Halbinsel erobert hatten, wieder nach Gallien zurück.120 Bei Isidor fehlt das Verhalten der Bewohner als Begründung für den Rückzug ganz. Er schreibt, dass zur Zeit des Königs Theudis,121 der zwar kein Katholik war, aber die katholischen Kirchen gut behandelt, die Merowinger in die Tarraconensis vordringen und dort plündern. Sie werden unter der Anführung des dux Theudigisil,122 der später König wird,123 geschlagen und zum Rückzug gezwungen. Auch in der Chronik finden sich Aussagen zu Plünderungen der Tarraconensis,124 in der sich die civitas Caesaraugusta befand.125 Sicher ist also nur, dass Plünderungen stattfanden. Die beiden Erzählungen enden aber mit einem unfreiwilligen Rückzug nach Gallien. Gregor begründet den Rückzug mit der Furcht vor dem Heiligen und Gott. Somit ist es das Abweichen von christlichen Handlungsnormen, das die Belagerer in die Situation bringt, sich vor dem heiligen Vincentius zu fürchten und nicht etwa eine militärische Bedrohung. Die Deutungsmuster zu der kooperativen militärischen Operation sind direkt an Informationen zur lokalen Verehrung des Heiligen gebunden. Isidor lässt seine Erzählung mit guten Handlungen des nichtkatholischen Königs beginnen und mit einer totalen, militärischen Niederlage der Aggressoren enden. Augenscheinlich erzählt Isidor keinen kausalen Zusammenhang, doch ist mit dem Handeln des Königs erklärt, warum unter ihm trotz seines Glaubens ein Sieg möglich
Versionen bestehen würden. Die als „S“ bezeichnete Version ist der chronica caesaraugusta insgesamt näher als die mit „L“ bezeichnete. Dazu Collins, Isidor: S. 351 f. 119 Ortfern, jedoch relativ zeitnah Greg. hist.: 3.29. 120 Ortfern, jedoch relativ zeitnah: „Quod illi timentes, se ab ea civitate removerunt. Tamen adquisitam maximam Hispaniae partem, cum magnis spoliis in Galliis redierunt.“ Greg. hist.: 3.29. 121 Er war seit 531 König auf der Iberischen Halbinsel. Vgl. Kampers, Art. Theudis: S. 465–466. 122 Ortsnah, jedoch zeitfern Isid. hist. goth.: 41. 123 Ortsnah, jedoch zeitfern Isid. hist. goth.: 44. Zur Thronübernahme Wolfram, Goten 2001: S. 311. 124 Erneut ortsnah, jedoch zeitfern Chron. caesara.: 541. 125 Vgl. Kulikowski, Spain: S. XXI.
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war: Er hatte die katholische Kirche gut behandelt und war auf diese Art Gott gefällig. Dieses Erzählmuster126 ist auch schon in den biblischen Büchern der Könige gegeben.127 Später stirbt Theudis dann wegen seines Unglaubens.128 Tatsächlich weicht Isidor aber mit der Niederlage der Merowinger nicht nur von Gregor ab, sondern auch von der Chronik. Daher kann nur vermutet werden, dass erst auf einen freiwillig angetretenen Rückzug zu einer militärischen Konfrontation kam und dass Gregor und der oder die Autoren der Chronik von Saragossa auf die Informationen zu ihr nicht rekurrieren konnten. So hätten Gregor und der oder die Autoren der Chronik auf dieselbe Traditionsform rekurriert, während Isidor auf eine erweiterte Form rekurrieren konnte. Sicher ist anhand beider Erzählungen, dass eine Konsolidierung der Präsenz nicht versucht wurde. Dahingehend stimmen sie auch mit den Aussagen aus der Chronik überein. Auch wenn Gregor schreibt, dass Childebert I. und Chlothar I. einen Teil der Iberischen Halbinsel eroberten,129 so fehlen jedoch weitere Aussagen zu einem Versuch der Konsolidierung ihrer Präsenz – zum Beispiel durch das Zurücklassen von Akteuren, wie es für Italien der Fall war – und auch Aussagen zu Abgabenleistungen iberischer civitates gibt es nicht. Daher ist sehr wahrscheinlich, dass es sich bei der Operation um eine Plünderungsoperation handelt, die nach dem Abbruch der militärischen Konfrontation in Gallien zwischen den beiden Merowingerkönigen koordiniert worden ist, um den ihnen zur Zeit des innermerowingischen Konflikts bereits Folgeleistenden nun die Erwerbschancen zu offerieren, die damals nicht realisiert werden konnten. Dies kann auch als Erklärung dafür verwendet werden, warum die beiden Könige kurz nach dem Friedensschluss gemeinsam militärisch operierten: Beide hatten dasselbe Problem, denn beide mussten den ihnen Folgeleistenden neue Erwerbschancen offerieren, da diese sie sonst zu Gunsten eines anderen Merowingers verlassen hätten. Dies erklärt auch die rasche militärische Kooperation. Sie ermöglichte allen Beteiligten diese Problemstellung zu lösen, indem sie an der Peripherie operierten und dort plünderten. Insofern war das Plündern für das Organisieren von Folgeleistungen offenbar relevant. Eine Konsolidierung der Präsenz auf der Iberischen Halbinsel nach der militärischen Operation von 541 wurde erst gar nicht versucht.
126 Vgl. Levin, Alte Testament: S. 48 ff. und Hen, Bible: S. 277 ff. 127 Zum Beispiel das Muster bei der Bewertung des König Joram von Israel 2Kön. 3.1–3.3. 128 Ortsnah, jedoch zeitfern Isid. hist. goth.: 43. 129 Ortsfern, jedoch relativ zeitnah: „Tamen adquisitam maximam Hispaniae partem, cum magnis spoliis in Galliis redierunt.“ Greg. hist.: 3.29.
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3.2 Die militärischen Operationen innerhalb Galliens Auf der Basis der bisherigen Untersuchung dieses Kapitels ist wahrscheinlich, dass der Ausgangspunkt für mehrere der militärischen Operationen an der Peripherie in den Aussagen zum ersten innermerowingischen Konflikt zu fassen ist, der nicht zu Kampfhandlungen führte: Die Könige mussten den ihnen Folgeleistenden nun Erwerbschancen offerieren, da sie in Gallien nicht realisiert wurden. Die Aussagen zu dem Konflikt werden im Folgenden ausführlich untersucht. Zuerst aber werden Aussagen zu militärischen Operationen gegen ostrheinische Akteure im Fokus stehen.
3.2.1 Die ostrheinische Peripherie Entgegen den italienschen und iberischen civitates waren nach dem Sieg über ostrheinische Akteure130 und dem Tod ihres Königs in den 530er Jahren131 einige ostrheinische Siedlungsgemeinschaften mit den merowingischen Königen in ein Beziehung geraten: Sie mussten Abgaben leisten.132 Die ostrheinischen Siedlungsgemeinschaften waren aber keine civitates.133 Sie konnten somit nicht einfach derart neu strukturiert werden, wie dies in Zentralgallien der Fall war. Dabei standen sie mit den Merowingern in eine Konstellation, die ohne die Vermittlung eines lokalen Administrators auskam. Dies kann zwar hinsichtlich der geographischen Distanz Gregors und dessen Fokus auf zentralgallische Informationen und Phänomene nur vorsichtig formuliert werden, aber auch Marius – der zweite Autor, der zu den militärischen Operationen an der ostrheinischen Peripherie Aussagen verfasst hat – nennt keine Anführer der ostrheinischen Siedlungsgemeinschaften.134 Sie sind erst in zeitfernen Quellen genannt.135 Diese sind hier aber nicht zu berücksichtigen, da die Rekurse der zeitfernen Autoren nicht mehr eruiert, sondern nur vermutet werden können.136 Die Aussagen der Bischöfe Gregor und Marius beziehen sich auf die Mitte der 550er Jahre. Die Datierung ist mit den Aufzeichnungen aus der Chronik des Marius als
130 Es handelt sich bei den ostrheinischen Gebieten nicht um ethnisch einheitlich besiedelte Räume. Dazu Grahn-Hoek, Thüringer: S. 67–73. 131 Greg. hist.: 3.8. Zur Datierung Kälble, Thüringer: S. 346. 132 „Igitur Chlothacharius post mortem Theodovaldi cum regno Franciae suscepisse atque eum circuiret, audivit a suis in iterata insania efferviscere Saxonis sibique esse rebelles, et quod tributa, quae annis singulis consueverant ministrare, contemnerent reddere.“ Greg. hist.: 4.13. Zum Tribut Hardt, Sachsen: S. 258 und Springer, Sachsen: S. 97 f. 133 Vgl. Wolters, Germanien: S. 88–97 und Geary, Merowinger: S. 52–70. 134 Die Aussagen beider Autoren zu der ostrheinischen Peripherie sind insgesamt ortsfern, jedoch relativ zeitnah verfasst worden. Dazu Springer, Sachsen: S. 98. 135 Überblickend Springer, Sachsen: S. 63 ff. 136 Mit einigen Annahmen Grahn-Hoek, Thüringer: S. 60–67.
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gesichert aufzufassen.137 Nach dem Tod des noch jungen Theudebald 555,138 dessen Großvater an dem entscheidenden Sieg über Hermenafrid beteiligt war139 und dessen Vater dann aller Wahrscheinlichkeit nach die Abgaben zahlenden Siedlungsgemeinschaften der ostrheinischen Peripherie insgesamt übernahm,140 erhoben sich die Bewohner der ostrheinischen Siedlungsgemeinschaften gegen König Chlothar I.141 Daher ist anzunehmen, dass Chlothar I. Theudebald bezüglich der ostrheinischen Gebiete allein beerbte.142 Marius und Gregor nennen die sich erhebenden Bewohner nicht Thüringer. Dies ist allerdings wegen der Gebrauchsweise des Wortes Thoringia als Sammelname für die Bezeichnung eines ethnisch uneinheitlichen Siedlungsraumes143 nicht überraschend. Beide verwenden das Wort saxones,144 um die sich Erhebenden zu bezeichnen. Sie beziehen dabei auch an jeweils einer Stelle das Wort Thoringia mit ein.145 Ein nicht unproblematischer Unterschied zwischen den zwei Autoren besteht jedoch: Gregor erzählt drei militärische Operationen gegen die ostrheinischen Akteure, wohingegen Marius nur zwei aufgezeichnet hat. Zur Klärung dieser Diskrepanz gilt es nun, die Quellen miteinander zu vergleichen. Marius verzeichnet für 555, nachdem er den Tod Theudebalds festgehalten hat, dass die ostrheinischen Akteure sich gegen König Chlothar I. erheben und es daher zu einer militärischen Operation kommt, wobei eine große Menge Menschen auf beiden Seiten getötet werden. Chlothar I. geht als Sieger hervor.146 Für das folgende Jahr schreibt der Bischof, dass sich die ostrheinischen Akteure erneut gegen Chlothar I.
137 Mar. aven. chron.: 555 und Mar. aven. chron.: 556. 138 Zur Datierung Mar. aven. chron.: 555.1. 139 Greg. hist.: 3.7. 140 Vgl. Ewig, Teilungen: S. 129 f. und S. 133 f. 141 „Igitur Chlothacharius post mortem Theodovaldi cum regno Franciae suscepisse atque eum circuiret, audivit a suis in iterata insania efferviscere Saxonis sibique esse rebelles, et quod tributa, quae annis singulis consueverant ministrare, contemnerent reddere.“ Greg. hist.: 4.14. Zur Parzellierung von 555 Ewig, Teilungen: S. 135. Zu dem in dieser Passage beschrieben Umritt Schmidt, Art. Königsumritt: S. 139 ff. 142 Ein Kapitel zuvor erzählt Gregor ausdrücklich, dass Chlothar I. Theudebald allein beerbt: „Qui paulatim decidens, septimo regni sui anno mortuos est, regnumque eius Chlothacharius rex accepit, copulans Vuldotradam, uxorem eius, stratui suo.“ Greg. hist.: 4.9. 143 Vgl. Grahn-Hoek, Thüringer: S. 73 ff. 144 Zum Wort saxones und seinem Gebrauch Springer, Sachsen: S. 32–46. 145 „Eo anno rebellantibus Saxonibus, Chlothacharius rex, commoto contra eos exercito, maximam eorum partem delevit, pervagans totam Thoringiam ac devastans, pro eo quod Saxonibus solatium praebuissent.“ Greg. hist.: 4.10 und: „Eo anno Franci totam Toringiam pro eo, quod cum Saxones coniuravit, vastaverunt.“ Mar. aven. chron.: 556.2. 146 „Eo anno Saxones rebellantes Chlotharcharius rex cum gravi exercitu contra ipsos dimicavit, ubi multidudo Francorum et Saxonum ceciderunt. Chlotarius tamen rex victor abscessit.“ Mar. aven. chron.: 555.3.
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erheben. Ein großer Teil von ihnen wird daraufhin getötet.147 Danach wird tota Thoringia148 geplündert.149 Die erste Erzählung über militärische Operationen gegen ostrheinische Akteure ist bei Gregor im zehnten Kapitel des vierten Buches der decem libri historiarum zu finden. Er erzählt hier ähnlich der Aufzeichnung des Marius, dass die Ostrheinischen sich gegen Chlothar I. erheben und er daher gegen sie zieht, sie besiegt und dann ganz Thüringen plündert, da die saxones von dort Unterstützung erhalten hatten.150 Die Ähnlichkeit zu den abschließenden Aufzeichnungen bei Marius zu den militärischen Operationen gegen ostrheinische Akteure im Jahr 556 ist unverkennbar. Jedoch folgt in den decem libri historiarum vier Kapitel später eine weitere Erzählung zu einer militärischen Operation gegen ostrheinische Akteure und die Siedlungsgemeinschaften ihrer Herkunft. In dieser Erzählung ist zu erfahren, dass die Ostrheinischen die Abgabenzahlungen einstellen und sich somit erneut gegen Chlothar I. erheben. Diese Erhebung muss kurz nach der ersten stattgefunden haben und dies deckt sich zumindest dem Ablauf nach mit den Aufzeichnungen bei Marius.151 Mit dem Beginn der Passage wird zum ersten Mal der Tribut ostrheinischer Siedlungsgemeinschaften erwähnt.152 Die darauf folgende Erzählpassage ist allerdings sehr kritisch besprochen worden.153 Gregor schreibt, dass die ostrheinischen Akteure durch Gesandte versuchen, König Chlothar I. und die ihm Folgeleistenden zum Einhalt zu bewegen, indem sie die Abgaben nun zu zahlen bereit sind. Chlothar I. ist dafür, doch die ihm Folgeleistenden willigen nicht ein. Darauf bieten die Sachsen die Hälfte ihrer Güter an, wenn nur keine Schlacht stattfinden würde. Doch auch in diesem Fall und dem nächsten, bei dem die ostrheinischen Akteure ihre ganzen Güter anbieten, willigen die Folgeleistenden nicht ein, während der König erneut für einen Friedensschluss ist. Chlothar I. wird von den ihm Folgeleistenden in die Schlacht getrieben, welche die Angreifer verlieren. Letztlich wird Frieden abgeschlossen.154
147 „Eo anno iterum rebellantes Saxones Chlotarius rex pugnam dedit ibique maxima pars Saxonum cecidit.“ Mar. aven. chron.: 556.1. 148 Erneut zum Wort als geographische Bezeichnung Grahn-Hoek, Thüringer: S. 73 ff. und Kälble, Thüringer: S. 340. 149 „Eo anno Franci totam Toringiam pro eo, quod cum Saxones coniuravit, vastaverunt.“ Mar. aven. chron.: 556.2. 150 „Eo anno rebellantibus Saxonibus, Chlothacharius rex, commoto contra eos exercito, maximam eorum partem delevit, pervagans totam Thoringiam ac devastans, pro eo quod Saxonibus solatium praebuissent.“ Greg. hist.: 4.10. 151 Ortsfern, jedoch relativ zeitnah Greg. hist.: 4.14. 152 Vgl. Springer, Sachsen: S. 97 f. 153 Vgl. ebd.: S. 98. 154 Greg. hist.: 4.14.
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Die Kritik, die Erzählung könne nicht stimmig sein, da sich Chlothar I. nicht vor den ihm Folgeleistenden lächerlich gemacht habe,155 geht in Anbetracht der Aussagen zu der militärischen Operation Theuderichs I. in Clermont156 fehl. Auch die Aussagen zur Taufe Chlodwigs I.157 und zur Teilung des Geplünderten bei Soissons158 verdeutlichen, dass die Merowingerkönige die Folgeleistungen nicht einfach erwarten konnten. Hinzu kommt die Möglichkeit einem anderen König Folge zu leisten, wenn ein König ihnen keine Erwerbschancen offerierte. Tatsächlich muss aber für die Kritik an der Passage beachtet werden, dass im 15. Kapitel des fünften Buches der decem libri historiarum dasselbe Muster von Gregor verwendet wird, wie in der hier interessierenden Passage. In diesem Kapitel sind es die Sachsen, die drei Mal die Angebote suebischer Gesandter ablehnen und lieber gegen sie in die Schlacht ziehen, um noch mehr plündern zu können und dann verlieren.159 Dass es sich um dasselbe Erzählmuster handelt, heißt aber für die Frage nach dem Rekurs Gregors auf Informationen zur Niederlage Chlothars I. nicht, dass hier fiktive Anteile überwiegen: In beiden Kapiteln geht der Autor durch das Muster der Erzählung sozialkritisch mit der Gier nach fremden Besitz bei militärischen Operationen um. Daher ist auch eine Kritik am Plündern vorhanden, wenn sie auch nicht direkt stattfindet. Eine Intensivierung dieser belehrenden Funktion des Erzählmusters kann durch einen Rekurs auf weit verbreitete Informationen erzeugt worden sein, da dadurch die Leser der Passagen einen konkreteren Eindruck von der Bedeutung und den Konsequenzen der Gier erhalten, wenn sie durch den Rekurs glauben, dass das Erzählte auch geschah. Insofern spricht gerade das Erzählmuster für einen Rekurs des Bischofs Gregor. Dieser ist auch mit einer Aufzeichnung des Marius zu plausibilisieren. Marius verzeichnet nämlich für 555, dass viele Franken und ostrheinische Akteure bei der ersten Militär operation umkamen. Zwar wird Chlothar I. ausdrücklich als Sieger bezeichnet,160 aber dass sich die Ostrheinischen nach Marius bereits ein Jahr später wieder gegen den König zu erheben in der Lage sind, lässt die Annahme zu, dass der Sieg des Königs keine Wirkung auf ihre Siedlungsgemeinschaften hatte. Daher erscheint insgesamt wahrscheinlich, dass weder eine Niederlage noch ein echter Sieg zu Stande kam. Für diese Annahme muss aber die Reihenfolge der Kapitel in den decem libri historiarum in Zweifel gezogen werden. Dies ist allerdings weit weniger problematisch, als es auf den ersten Blick scheint und kann unter den chronologischen Angaben bei Marius und der dritten Erzählung über eine militärische Operation gegen die ostrheinischen Akteure in einen plausiblen Deutungszusammenhang überführt werden.
155 Vgl. Springer, Sachsen: S. 98. 156 Greg. hist.: 3.11. 157 Greg. hist.: 2.31. 158 Greg. hist.: 2.27. 159 Greg. hist.: 5.15. 160 Mar. aven. chron.: 555.3.
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Die dritte Erzählung Gregors beginnt mit einer militärischen Operation zweier Söhne Chlothars I.161 gegen seinen Sohn Chramn.162 Der geht mit seinem Onkel Childebert I. ein Bündnis ein163 und erhebt sich gegen Chlothar I., indem er sich militärisch gegen seinen Vater betätigt. Die Operation wird abgebrochen, nachdem Chramn das Gerücht verbreitet, Chlothar I. sei in der Schlacht gegen die ostrheinischen Akteure getötet worden.164 Am Ende des Kapitels wird dann von einer militärischen Operation Chlothars I. gegen ostrheinische Akteure erzählt, die von seinem Bruder Childebert I. aufgewiegelt auf das Gebiet Chlothars I. vordringen und noch vom vorherigen Jahr wütend plündern.165 Ein Kapitel später wird erneut erzählt, dass Childebert I. und Chramn ein Bündnis geschlossen haben.166 Dass es sich hier um eine Paraphrase handelt, lässt sich damit plausibel machen, dass in diesem Kapitel noch weitere Informationen literarisch verarbeitet worden sind, die schon vorher verarbeitet wurden. Neben den Informationen zum Bündnis werden der Angriff auf das Gebiet Chlothars I. und das Gerücht, er sei in der Schlacht gegen die ostrheinischen Akteure gefallen, erwähnt: König Childebert I., so erzählt Gregor im 17. Kapitel des vierten Buches der decem libri historiarum, und die ihm Folgeleistenden dringen plündernd auf das Gebiet Chlothars I. vor, als dieser gegen die Ostrheinischen operiert, da Childebert I. erfahren hat, Chlothar I. sei gefallen.167 Marius hat das Bündnis zwischen Chramn und Childebert I. auf 555 datiert.168 Das militärische Vorgehen des Chramn
161 Dies sind Charibert und Guntram. Zu den beiden zuerst Greg. hist.: 4.3. Zur Beteiligung der beiden Königssöhne an der militärischen Operation Greg. hist.: 4.16. 162 Überblickend Schneider, Königserhebung: S. 85 ff. und Kasten, Königssöhne: S. 38 ff. 163 „Chramnus ab Arverno regressus, Pectavus civitatem venit. Ubi cum magna potentia resederet, seductus per malorum consilium, ad Childeberthum patruum suum transire cupit, patri insidias parare disponens. Ille vero dolosae quidem, sed suscipere eum promittit, quem monere spiritaliter debuerat, ne patri exsisterit inimicus. Tunc per occultus nuntius inter se coniurati, contra Chlotharium unanimiter conspirant.“ Greg. hist.: 4.16. Dies wird aber zwei Mal erzählt. Auch Greg. hist.: 4.17. 164 „Redeuntes autem ad castra, Chramnus dolosae per extraneam personam patris mortem fratribus pronuntiat. Eo enim tempore bellum contra Saxones, quod supra diximus, gerebatur. At ille timentes, cum summa velocitate Burgundiam redierunt.“ Greg. hist.: 4.16. 165 „Fortiter tunc rex Chlotharius contra Saxones decertabat. Saxones enim, ut adserunt, per Childeberthum commoti atque indignantes contra Francos superiore anno, exeuntesque de regione sua in Francia venerant et usque Divitiam civitatem praedas egerunt nimiumque grave scelus perpetrati sunt.“ Greg. hist.: 4.16. 166 „Tunc Chramnus, iam accepta Wiliacharii filia, Parisius accedens, secum Childeberthum regem constringit in fide atque caritate, iurans, se patri esse certissimum inimicum.“ Greg. hist.: 4.17. 167 „Childeberthus autem rex, dum Chlotharius contra Saxones decertaret, in campaniam Remensim accedit, et usque Remus civitatem properans, cuncta predis atque incendio devastavit. Audierat enim, fratrem suum a Saxonibus fuisse perimtum, et regno suo cuncta subici aestimans, quae adire potuit universa pervasit.“ Greg. hist.: 4.17. 168 „Eo anno Cramnus filius Chlothacarii Regis sollicitanti Childeberto patruo suo ad ipsum latebram dedit.“ Mar. aven. chron.: 555.2.
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und die Plünderungen währenddessen sind von ihm auf 556 datiert.169 Plünderungen durch die Folgeleistenden Childeberts I. werden also nicht erwähnt. Militärische Operationen gegen Chlothar I. aber sehr wohl. Daher ist anzunehmen, dass die beiden verbündeten Merowinger zugleich gegen ihn vorgegangen sind. Für die beiden Jahre gibt es, wie ausgeführt, Aufzeichnungen zu den militärischen Operationen gegen die ostrheinischen Akteure.170 In der Addition aller Aussagen beider Autoren lässt sich eine Deutung formulieren: Die Informationen, die Gregor für die zweite Erzählung zu einer militärischen Operation gegen ostrheinische Akteure literarisch verarbeit hat, wurden von Marius für seine Aufzeichnung des Jahres 555 verwendet, wobei bei ihm das belehrende Erzählmuster nicht vorkommt. Die erste Erzählung Gregors ähnelt den ersten beiden Aussagen des Marius zu 556 stark. Das spricht entweder dafür, dass die Autoren auf den Text des jeweils anderen oder auf dieselbe Traditionsform rekurrierten.171 Da Marius die Informationen als Abschluss der militärischen Operationen gegen die ostrheinischen Akteure verarbeitet hat, ist anzunehmen, dass er sich nicht auf die decem libri historiarum bezieht. Ein plausibles Argument dafür, dass die von beiden Autoren verwendeten Informationen aus derselben Traditionsform stammen ergibt sich daraus, dass hier das einzige Mal ausdrücklich von einer Operation jenseits des Rheins erzählt wird: Die Plünderungen in dem als Thoringia bezeichneten Gebiet wären sonst nicht möglich gewesen.172 Die Erzählungen zur ersten und zur dritten militärischen Operation beziehen sich auf die Informationen, auf die Marius für seine Aussagen zum Jahr 556 rekurriert hat. Daher ist zu hinterfragen, ob anhand dieser Deutung, die mit der Annahme mehrerer textimmanenter Verschiebungen in den decem libri historiarum fundiert ist, weiter von drei separaten Operationen auszugehen ist. Erstmal ist die Gleichsetzung plausibel, weil es nach 555 zu einer weiteren militärischen Operation kam. Gregor erzählt im 16. Kapitel des vierten Buches der decem libri historiarum, dass diese Operation zu der Zeit stattfand, als Chramn militärisch gegen seinen Vater nach dem Bündnis mit Childebert I. vorging.173 Die Aussagen aus dem 17. Kapitel entsprechen diesen Aussagen weitestgehend.174 Wie festgehalten, verzeichnet Marius dies für 556,175 wobei er das Bündnis aber auf 555 datiert.176 Gregor fasst also die Informationen, die Marius auf zwei Jahre verteilt, in zwei Kapiteln jeweils separat in Paraphrasen zusammen. Daher ist plausibel zu argumentieren, dass im 16. und 17. Kapitel unter einem Rekurs
169 „Ipsis diebus Cramnus, collecto exercitu regionem patris sui devastavit.“ Mar. aven. chron.: 556.3. 170 Mar. aven. chron.: 555.3; Mar. aven. chron.: 556.1 und Mar. aven. chron.: 556.2. 171 Das ist durchaus möglich. Vgl. Favrod, Sources: S. 8. 172 Mar. aven. chron.: 556.2 und Greg. hist.: 4.10. 173 Greg. hist.: 4.16. 174 Greg. hist.: 4.17. 175 Mar. aven. chron.: 556.3. 176 Mar. aven. chron.: 555.2.
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auf die Informationen zum Beginn der zweiten Operation, die Marius auf 556 datiert, erzählt wird: Chlothar I. kann nicht gegen seinen Sohn und Childebert I. agieren, da er gegen die ostrheinischen Akteure gebunden ist. Er sendet deswegen seine anderen beiden Söhne aus. Dass die ostrheinischen Akteure von Childebert I. aufgefordert worden sein sollen, fügt sich mit den Aussagen zu dessen Bündnis mit Chramn.177 Die dritte Erzählung ist demnach als Rückkehr zu dem Schauplatz der militärischen Operation zu verstehen, die nach Marius mit Plünderungen in der Thoringia endet und Gregor schon im zehnten Kapitel des vierten Buches mit ähnlichem Wortlaut erzählt. Insgesamt ist festzuhalten, dass die vom belehrenden Erzählmuster geformte literarische Verarbeitung Gregors ein Rekurs auf die Informationen ist, die Marius als beidseitig verlustreiche Schlacht des Jahres 555 literarisch verarbeitet hat. Die danach auf das Jahr 556 datierten literarischen Verarbeitungen von Informationen lassen sich mit den Erzählungen aus dem 16. und 17. Kapitel des vierten Buches aus den decem libri historiarum zusammenbringen. Hier scheint erneut von beiden auf dieselbe Traditionsform rekurriert worden zu sein. Für das zehnte Kapitel und die Aufzeichnungen des Marius zu 556 ist dies wegen des ähnlichen Wortlauts eindeutig der Fall. Auch hier ist die Gleichsetzung plausibel. Dass es sich dabei um den Abschluss der Operationen gegen die Ostrheinischen handelt, geht, wie ausgeführt, aus den Plünderungen in der Thoringia hervor. Daher ist letztlich auch in diesem Fall von einer textimmanenten Verschiebung und somit von einer nicht exakten Chronologie in den decem libri historiarum auszugehen. Nicht drei, sondern zwei Operationen gegen Akteure aus ostrheinischen Siedlungsgemeinschaften haben wahrscheinlich stattgefunden. Für die Frage nach der Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen ist erstens zu konstatieren, dass die Quellenaussagen zu den beiden militärischen Operationen gegen ostrheinische Akteure literarische Verarbeitungen von Informationen zu unterschiedlichen Arten militärischer Operationen sind. Die erste Operation begann, da die ostrheinischen Siedlungsgemeinschaften ihre Abgaben nach dem Tod König Theudebalds einstellten. Um diese wiederherzustellen, operierte König Chlothar I. am Rhein. Dass der König Erwerbschancen für die ihm Folgeleistenden symbolisierte, geht aus der Erzählung Gregors hervor. Zu Plünderungen kam es aber wahrscheinlich nicht, da die Schlacht nicht eindeutig entschieden wurde. Beide Seiten mussten nach Marius große Verluste hinnehmen. Die zweite militärische Operation begann mit einem Einfall von der ostrheinischen Peripherie her nach Gallien. Dass die Akteure von König Childebert I. dazu bewegt worden sind, ist im analytischen Kontext durchaus plausibel. Er offerierte ihnen Erwerbschancen, um sie zu dem Angriff zu bewegen und gewann damit selbst die Möglichkeit, den ihm Folgeleistenden Erwerbschancen auf dem Gebiet Chlothars I. zu offerieren. Die ostrheinischen Akteure plünderten Gebiete Chlothars I. bis er ihnen entgegen zog und sie besiegte. Darauf sind die Plünderungen in der Thoringia erfolgt, so dass auch hier davon aus-
177 Greg. hist.: 4.16 und 4.17.
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gegangen werden kann, dass König Chlothar I. Erwerbschancen symbolisierte, als er gegen die plündernden, ostrheinischen Aggressoren vorging und ihm daher Akteure im Kriegermodus Folge leisteten. Es darf aber nicht übersehen werden, dass hier das Plündern für das Organisieren von Folgeleistungen auch in passive Art relevant war. Schließlich mussten die von den vordringenden Akteuren getätigten Plünderungen auch unterbunden werden. So zeigt sich, dass der Abschluss der militärischen Operationen, bei denen es nicht nur zu Plünderungen von Gebieten Chlothars I., sondern auch zu Plünderungen jenseits des Rheins kam, direkt mit den inneren Konflikten der Merowinger verbunden ist.
3.2.2 Die innermerowingischen Konflikte Nach dem vertraglich geregelten Gewinn der Provence und der umliegenden Gebiete zum Jahreswechsel 536/7 konnten keine weiteren geographischen Räume mehr in den parzellierten Strukturierungszusammenhang inkorporiert werden. Relativ kurz danach begannen die ersten innermerowingischen Konflikte. Aneignungsversuche der thesauri und der civitates jeweils anderer Merowinger gab es schon vor 537. Zum Teil waren sie wie im Fall der civitates und des thesaurus des Königs Chlodomer erfolgreich. Nach dem Tod seiner noch sehr jungen Söhne und dem Eintritt des letzten überlebenden Sohnes in die Kirche wurden seine civitates aufgeteilt.178 Hingegen konnte Chlothar I. einem Attentat durch seinen Halbbruder Theuderich I. auf ostrheinischem Gebiet entgehen.179 Der Zugriff Chlothars I. auf den thesaurus des Chlodomer kurz nach dem Vertragsschluss zum Jahreswechsel 536/7 war dann Anlass zu einer ersten militärischen Konfrontation zwischen ihm und Childebert I. sowie Theudebert I. 3.2.2.1 Der Konflikt zwischen Childebert I. und Theudebert I. auf der einen und Chlothar I. auf der anderen Seite Gleich zu Beginn der Quellenuntersuchung zu diesem Konflikt soll festgehalten werden, dass Aussagen zu Plünderungen in diesem Bestand fehlen. Trotzdem sind sie für die Frage nach der Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen nicht unwichtig: Im ersten Kapitelteil konnte gezeigt werden, dass die Aussagen zu dem Konflikt zur Erklärung der militärischen Operationen nach Italien und auf die Iberische Halbinsel zu gebrauchen sind. Bei der Lektüre des 28. Kapitels im dritten Buch der decem libri historiarum – der Text ist die einzige relativ zeitnah
178 Greg. hist.: 3.15. Zur Parzellierung Ewig, Teilungen: S. 120 ff. Dazu Offergeld, Regis pueri: S. 192– 194. 179 Greg. hist.: 3.9.
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verfasste Quelle zu dem Konflikt – wird schnell deutlich, dass christliche Deutungsmuster und auch Bezüge auf christliche Handlungsnormen in der Erzählung vorhanden sind. Der Text beginnt damit, dass Childebert I. und Theudebert I. Folgeleistungen von Akteuren organisieren, um Chlothar I. zu töten.180 Zuvor hatten die zwei Brüder noch versucht – die Aussagen dazu wurden im zweiten Kapitel untersucht – Theudebert I. die Königsposition seines Vaters streitig zu machen.181 Nachdem er die Nachfolge gesichert hatte, wurde Theudebert I. von Childebert I. eingeladen. Dabei wurde er nicht nur beschenkt,182 sondern auch von seinem Onkel adoptiert,183 was ihm zum potentiellen Nachfolger Childeberts I. machte. Die Aussagen zur Adoption lassen sich auf der Deutungsebene als Kooperationsvariante zwischen den Königen beschreiben. Somit ist hier prinzipiell keine Neuerung gegeben. Es kann aber nicht verneint werden, dass zum ersten Mal eine Adoption innerhalb der merowingischen Familie erwähnt wird.184 Die Adoption ist daher als eine Art Konstituierung einer Kooperation aufzufassen, die selbstredend auch wie die Kooperationen, die nicht in konstituierter Form einer Adoption abliefen, in dem Bereich der militärischen Praxis Effekte zeitigte. Unter der Annahme, dass die Könige als Anführer Erwerbschancen für Akteure im Kriegermodus symbolisierten und ihnen auch daher Folge geleistet wurde, ist mit der Adoption von einer konkreten Vermehrung des militärischen Potentials beider Könige auszugehen. Dass dem so war und dass dies umgehend einer Umsetzung bedurft hat, zeigen die Aussagen dazu, dass der Adoptivvater und sein Sohn danach gegen ihren Verwandten Chlothar I. vorgingen. Analytisch formuliert wurde hierbei versucht, das militärische Potential in ökonomische Prosperität zu wandeln: Es ist wahrscheinlich anzunehmen, dass für die Könige die civitates Chlothars I. Ziele waren, damit für sie die Summe an Abgaben vergrößert werden konnten, auch wenn ausdrückliche Aussagen dazu fehlen.185 Der Auslöser der militärischen Operation zwischen den Merowingerkönigen lässt sich ebenfalls in einer ökonomischen Dimension beschreiben. Wie weiter oben länger ausgeführt, ist es durchaus plausibel, dass der erste militärische Konflikt zwischen den Merowingerkönigen mit der vertraglichen Regelung des Jahreswechsel 536/7 und der daraus resultierenden, als nicht rechtmäßig wahrgenommenen Aneignung einiger Güter aus dem Schatz von Chlodomer durch Chlothar I. anfing.186 Die beiden anderen Könige organisierten daraufhin Folgeleistungen, indem mit der mili-
180 Greg. hist.: 3.28. 181 Greg. hist.: 3.23. 182 Greg. hist.: 3.24. 183 Greg. hist.: 3.24. 184 Vgl. Schneider, Königserhebung: S. 81 ff. 185 Greg. hist.: 3.28. 186 „At ille super thesauros Chlodomeris adgressus, multum illis amplius, quam hi fraudaverant, abstulit.“ Greg. hist.: 3.31.
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tärischen Operation Erwerbschancen innerhalb Galliens offeriert wurden. Deswegen wiederum konnte auch Chlothar I. Folgeleistungen organisieren, weil zum einen gegen die Aggressoren vorgegangen werden musste und zum anderen auch für die ihm Folgeleistenden Erwerbschancen situationsbezogen entstanden waren. Da aber die Schlacht nicht zu Stande kam, wurden in der nächsten Zeit militärische Opera tionen an die Peripherie unternommen, bei denen die Erwerbschancen dann realisiert werden konnten. Die Aussagen zum Ausbleiben der Schlacht während der ersten militärischen Operation der Merowinger gegeneinander187 wurde unter christlichen Deutungsmustern und Handlungsnormen gestaltet. Gregor erzählt, dass König Chlothar I. mit den ihm Folgeleistenden in einen Wald flieht und seine ganze Hoffnung auf Gott setzt. Die Königin Chrodechilde geht zum Grab des heiligen Martin und wacht dort die ganze Nacht. Währendessen belagern Childebert I. und Theudebert I. Chlothar I. An dem Tag, an dem sie dann die Schlacht beginnen wollen, tritt ein starkes Unwetter auf, unter dem nur die Angreifer, nicht aber Chlothar I. und die ihm Folgeleistenden leiden. Weil die Angreifer durch das Unwetter großen Schaden erleiden, ersuchen sie Gottes Beistand und gehen auf Chlothar I. zu, um mit ihm Frieden zu schließen.188 Der Bischof Gregor schließt mit dem Satz, dass niemand bezweifeln dürfe, dass dieses Wunder – gemeint ist das Einsetzen des Unwetters – durch den heiligen Martin auf Bitten der Chrodechilde bewirkt worden ist.189 Abseits der Deutungsmuster und Handlungsnormen ist es durchaus wahrscheinlich, dass Gregor auch hier auf Informationen rekurriert hat. Dass die Wetterverhältnisse für die Folgeleistenden durchaus problematisch sein konnten, ist wahrscheinlich, da die mobilen Akteure auf dem Feld schlicht keine feste Behausung hatten.190 Unwetter konnten also tatsächlich zu Problemen werden, da Waffen und andere Ausrüstung Schaden nehmen konnten. Es darf auch nicht außer Acht gelassen werden, dass ein Unwetter auch für eine zweite Schlacht – diesmal zwischen den Chlotharsöhnen Charibert und Guntram auf der einen und Chramn auf der anderen Seite – der Merowinger untereinander als Grund für ihr Ausbleiben von Gregor dargestellt
187 Zuvor waren in der Zeit Chlodwigs I. und der ersten Generation nach ihm jeweils andere Könige entweder bei mehr oder minder verdeckten Attentaten oder auch bei den Operationen gegen Könige aus anderen Geschlechtern umgekommen. Zu den Attentaten Greg. hist.: 2.40–2.42; aber auch Greg. hist.: 3.18. Zu den Operationen gegen Könige aus anderen Geschlechtern Greg. hist.: 3.6. Auch Mar. aven. chron.: 524.2. 188 Greg. hist.: 3.28. Tatsächlich werden als „fränkisch“ bezeichnete Akteure, die Theudebert I. bei seiner militärischen Operation nach Italien Folge leisteten, heidnisch handelnd erzählt. Prok. B.G.: 2.25. Es kann mit diesen Aussagen daher argumentiert werden, dass die Gregor erzählte Gottesfurcht aller Folgeleistenden Produkt der Deutungsmuster des Bischofs von Tours bei der literarischen Verarbeitung von Informationen ist. 189 „Quod nullus ambigat, hanc per obtentum reginae beati Martini fuisse virtutem.“ Greg. hist.: 3.28. 190 Vgl. Halsall, Warfare: S. 134 ff. und Bodmer, Krieger: S. 115 f.
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wird. Heilige und christliche Handlungsnormen sowie auch Deutungsmuster gibt es an dieser Stelle jedoch keine.191 Da es nicht zu Kampfhandlungen kam, konnte nicht geplündert werden. Es ist daher wahrscheinlich, dass das Ausbleiben der Plünderungen und die Aneignung von Teilen des thesarus des verstorbenen Königs Chlodomer durch Chlothar I. nach der vertraglichen Abtretung zum Jahreswechsel 536/7 in einem Zusammenhang mit den militärischen Operationen der Merowinger nach Italien und auf die Iberische Halbinsel zu verorten sind. Hier zeigt sich erneut die Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen darin, dass wenn Plünderungen nicht realisiert werden konnten, die Könige kurz danach Erwerbschancen durch Plünderungen offerierten. Die Merowinger konkurrierten aber nicht nur um Folgeleistende, indem sie ihnen Erwerbschancen offerierten, die sie als Anführer symbolisierten, sondern auch um die civitates als exklusive Erwerbsobjekte. Diese doppelte Konkurrenz führte zur Intensivierung der Komplexität, die aus dem grundlegenden Paradoxon praktisch resultierte. Das heißt insgesamt: Mit der Untersuchung derjenigen Aussagen, die das Kontinuum zwischen dem Jahreswechsel 536/7 und dem Jahr 561 repräsentieren, wird diese eigentliche Komplexität der innergallischen Verhältnisse seit dem Jahreswechsel 536/7 deutlich. Die von semantischen Problemen der Autoren gekennzeichneten Quellenaussagen sind seit der Erosion der strukturellen Einheit der weströmischen Ordnung gegeben und indizieren ihre diskursive Prozessdynamik. Die schon zur Zeit der Erosion vorgenommenen Neustrukturierungen hatten in Gallien zum Entstehen des Strukturierungszusammenhangs mit der teilweise Einbettung der Königspositionen durch die Herausbildung funktionaler Konstellationen und dem Abgabensystemen geführt. Die sesshaften civitates-Gemeinschaften waren mit ihrer lokalen Administration dafür unverkennbar wichtig. Die Inhaber der mittlerweile neu definierten Königspositionen brauchten für das Bestehen ihrer Teilstrukturierungszusammenhänge als militärisches Mittel Folgeleistende, die als Akteure im Kriegermodus durch Plünderungen erwerbend tätig wurden, aber nicht in den parzellierten Strukturierungszusammenhang funktional integriert waren. Die Könige mussten daher Erwerbschancen symbolisieren und offerieren, um Folgeleistungen zu organisieren. Für den Erhalt eines im konkreten geographischen Raum bestehenden Zusammenhangs wurden mobile Gemeinschaften gebraucht und mit dem Beginn des innermerowingischen Militärkonflikts wurde die Konkurrenz der Merowingerkönige um Folgeleistende notwendig. Dabei mussten Erwerbschancen nicht nur einfach passiv symbolisiert, sondern auch aktiv offeriert werden: Mit den Merowingern wurden weiter insgesamt Erwerbschancen verbunden. Dies zeigen die Aussagen dazu, dass schon kurz nach dem ersten, militärisch angelegten innermerowingischen Konflikt mit Operationen an die Peripherie eine Kompensationsmöglichkeit genutzt ist, die aber nicht effektvoll verhindern konnte, dass weitere innermerowingische Konflikte
191 Greg. hist.: 4.16.
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militärischer Art aufkamen. Letztlich lässt sich also formulieren, dass es wegen der Versuche des Erhalts der auf sesshafte Gemeinschaften in konkreten geographischen Räumen basierenden Teilstrukturierungszusammenhänge mittels der relativ mobilen Kriegergemeinschaften, deren Mitglieder aus den sesshaften Gemeinschaften stammten, zu einer Beförderung der diskursiven Prozessdynamik als eine Bedingung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens in Gallien kam. Einer ihrer Effekte war der Konflikt zwischen Chlothar I. und seinem Sohn Chramn, der mit Childebert I. ein Bündnis einging und die civitates seines Vaters militärisch attackierte. 3.2.2.2 Der Konflikt zwischen Chlothar I. und seinem Sohn Chramn Chramn war der einzige Sohn König Chlothars I. aus dessen Ehe mit Chunsina. Er hatte sich aber mit mehreren Frauen verbunden, so dass Chramn mehrere Halbgeschwister hatte.192 Wie bereits in der Quellenuntersuchung zu den militärischen Operationen an der ostrheinischen Peripherie deutlich wurde, umfasst der Aussagenbestand zu dem offenen, militärischen Konflikt nur wenige Jahre. Doch gibt es zudem Aussagen, die durch Rekurse auf Informationen zu den Handlungen vor den militärischen Operationen zwischen Vater und Sohn entstanden sind. Diese beziehen sich auf Clermont und Poitiers, geographische Räume also, die in der Nähe von Tours zu verorten sind.193 Da die Hauptquelle erneut die decem libri historiarum sind, ist in der geographischen Nähe ein Argument für diese Rekurse gegeben. Gregor erzählt im letzten Satz des neunten Kapitels des vierten Buches der decem libri historiarum, dass Chlothar I. Chramn nach Clermont entsendet.194 Da in diesem Kapitel auch über den Tod des Theudebald erzählt wird, ist diese Entsendung auf 555 zu datieren.195 Dies ist auch wahrscheinlich, da Clermont zuvor im Teilstrukturierungszusammenhang des Großvaters und auch des Vaters Theudebalds inkorporiert war.196 Sein Vater Theudebert I. war zuvor von Childebert I. adoptiert worden. 555 war Childebert I. allerdings nicht in der Lage, civitates in das Abgabensystem seines Teilstrukturierungszusammenhangs zu inkorporieren sowie materielle Güter oder auch Ressourcen aus den Beständen des Theudebald zu erlangen.197
192 „Denique ipse rex de diversis mulieribus septim filius habuit, id est de Ingunde Guntharium, Childericum, Chariberthum, Gunthchramnum, Sigyberthum et Chlothsindam filiam; de Aregundem vero, sororem Ingundis, Chilpericum; de Chunsinam habuit Chramnum.“ Greg. hist.: 4.3. 193 Vgl. Wood, Kingdoms: S. 367. 194 „Sed increpitus a sacerdotibus, reliquit eam, dans ei Garivaldum ducem, dirigensque Arvernus Chramnum, filium suum“ Greg. hist.: 4.9. 195 Dazu die Datierung des Todes des Theudebald bei Marius. Mar. aven. chron.: 555.1. 196 Clermont war in den Teilstrukturierungszusammenhang König Theudebalds inkorporiert. Vgl. Ewig, Teilungen: S. 133. 197 Darin ist ein Grund für den Beginn der ersten militärischen Operationen zu sehen, die zu offenen Kampfhandlungen in Gallien zwischen den Merowingern und zur Aufforderung an die ostrheinischen Akteure durch Childebert I. führten: „Qui paulatim decidens, septimo regni sui anno mortuos est, reg-
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Chramn wird am Anfang der Erzählung zu seinen Handlungen in Clermont von Gregor als rex bezeichnet.198 Dies hat zu der Annahme geführt, er sei von seinem Vater in Clermont als „Unterkönig“ eingesetzt worden.199 Tatsächlich war die Position Chramns in Clermont offenbar von Anfang an herausragend. Ihm leisteten Akteure Folge200 und er hatte in seiner Abstammung ein legitimierendes Argument.201 Jedoch lassen die Erzählungen über seine Handlungen in Clermont daran zweifeln, dass die Annahme seiner Einsetzung als ein „Unterkönig“ von Anfang an stimmig ist. Der Bischof beginnt seine Erzählung unter christlichen Deutungsmustern: Chramn stirbt wegen seiner von christlichen Normen abweichenden Handlungen. Detailliert werden diese aber nicht dargelegt.202 Er erwähnt in der ersten ausführlicheren Erzählung dazu die Auseinandersetzungen des Chramn mit den Lokaladministratoren in der civitas. Chramn lässt Firminus,203 den comes der civitas, aus seiner Position entfernen und setzt Salustius, dem Sohn des Evodius,204 ein. Firminus flieht daher mit seiner Schwiegermutter Caesaria in die Hauptkirche der civitas. Der Bischof Cautinus, der Gallus unter Zustimmung Theudebalds nachgefolgt war, lebt auch in Furcht vor Chramn, da dieser ihn bedroht hat. Als dieser wegen eines Festzuges das ummauerte Zentrum verlässt, schickt Chramn Männer aus, um Firminus und Caesaria aus der Kirche zu holen. Das gelingt auch; doch können sie sich aus der Gefangenschaft befreien und in die Kirche des heiligen Julian fliehen.205 Ihr Besitz wird für Chramn eingezogen,206 während der Bischof weiter in Furcht vor Chramn lebt.207 Chramn hatte also die Lokaladministratoren nicht einfach als Akteure in funktionalen Konstellationen zu seiner Position behandelt. Vielmehr hatte er lokale Positionen neu besetzt und den Bischof der civitas in Furcht versetzt. Hinzu kam noch, dass er durch das Einziehen des Besitzes des Firminus und der Caesaria persönlich an materiellen Gütern und Ressourcen gewann.
numque eius Chlothacharius rex accepit, copulans Vuldotradam, uxorem eius, stratui suo.“ Greg. hist.: 4.9. Dazu Mar. aven. chron.: 555.1. 198 „Intendebat enim et ipse rex Chramnus moenas.“ Greg. hist.: 4.13. 199 Für diese Annahme Schneider, Königserhebung: S. 85. Dagegen Kasten, Königsöhne: S. 41. 200 Dazu bereits die Episode zum lokalen Konflikt mit der Ergreifung des Firminus. Greg. hist.: 4.13. 201 Vgl. Kasten, Königsöhne: S. 38 ff. 202 „Multae enim causae tunc per eum inrationabiliter gerebantur, et ob hoc acceleratus est de mundo; multum enim maledicebatur a populo. Nullum autem hominem diligebat, a quo consilium bonum utilemque possit accipere, nisi collectis vilibus personis aetate iuvenele fluctuantibus, eosdem tantummodo diligebat, eorumque consilium audiens, ita ut filias senatorum, datis praeceptionibus, eisdem vi detrahi iuberet.“ Greg. hist.: 4.13. 203 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 91 ff. 204 Vgl. ebd.: S. 90. 205 Greg. hist.: 4.13. Zum Kirchenasyl in der Merowingerzeit Siems, Asyl: S. 276 ff. 206 „Res tamen eorum fisco conlatae sunt.“ Greg. hist.: 4.13. 207 Greg. hist.: 4.13.
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Quellenuntersuchung
Clermont war zuvor Part des Teilstrukturierungszusammenhangs der Linie des Theuderich I. Dieser war schon mit einer Erhebung lokal ansässiger Akteure gegen ihn befasst, bis es zu der Plünderung der Bevölkerung in Clermont und zu Neubesetzungen lokaler Administratorenpositionen sowie dem Zurücklassen seines Verwandten Sigivald kam.208 Die Präsenz König Theuderichs I. in Clermont konnte durch dieses Bündel an Maßnahmen konsolidiert werden. Aussagen zu Erhebungen gegen seine Nachfolger gibt es nicht, so dass die Maßnahmen als erfolgreich aufgefasst werden können. Solche Maßnahmen werden auch für 555 erwähnt. Mit dem Tod Theudebalds war diese Linie erloschen und Chlothar I. versuchte, die civitates für sein Abgabensystem zu erlangen. Dass dies aber auch zu Erhebungen führte, zeigen die Aussagen zu der Einstellung der Abgaben209 des Jahres 555210 durch die ostrheinischen Siedlungsgemeinschaften, die zuvor an Theudebald gegangen sind.211 Daher musste eine militärische Operation begonnen werden, wie dies auch schon zur Zeit der militärischen Operation Theuderichs I. in Clermont der Fall war. Die Aussagen dazu zeigen, dass auch hier Bevölkerungsteile, die bereits in den parzellierten Strukturierungszusammenhang inkorporiert waren, sich aus diesem zu lösen versuchten. Selbstredend unterscheiden sich die Quellenaussagen auch. So haben die sich Erhebenden im Fall von Clermont versucht, einen anderen Merowinger herbeizurufen, wobei nicht außer Acht gelassen werden kann, dass auch die Erhebung ostrheinischer Akteure im Jahr 556 zu einem Aspekt eines innermerowingischen Konflikts wurde. Die Entsendung Chramns durch seinen Vater kann wie diese Operation als Maßnahme zur Konsolidierung der Präsenz Chlothars I. aufgefasst werden. Die Kooperation zwischen Königen zur Konsolidierung der Präsenz ist schon für die Zeit Chlodwigs I. vorhanden212 und auch für die erste Generation nach ihm bis zum Jahreswechsel 536/7 sind Aussagen dazu gegeben.213 Es ist daher anzunehmen, dass Gregor bei seinem Rekurs auf Informationen zur Entsendung und den Handlungen des Chramn in Clermont das Wort rex gebraucht, da Chramn den Inhabern der Königspositionen nun ähnlicher wurde. Weitere Aneignungen von fremdem Besitz folgten,214 so dass er über einen eigenen thesaurus verfügte. Nicht nur, dass ein thesaurus den Folgeleistenden des Besitzers eines solchen potentiellen Erwerb durch die Gabe von Geschenken anzeigte. Er zeigte auch an, dass der über ihn Verfügende in der
208 Überblickend Ewig, Merowinger: S. 35 f. 209 Greg. hist.: 4.14. 210 Zur Datierung Mar. aven. chron.: 555.3. 211 Vgl. Ewig, Teilungen: S. 131–134. 212 Greg. hist.: 2.27 und 2.42. 213 Greg. hist.: 3.13 und 3.16. Überblickend zu den weiteren Aussagen Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 154 ff. 214 „Hic fertur quadam vice dixisse, quod Martinus et Marcialis confessoris Domini nihil fisci viribus utile reliquissent.“ Greg. hist.: 4.16 und: „Chramnus vero, hoc foedere inito, Limovicino rediit et illud, per quod prius ambulaverat in regno patris sui, in sua dominatione redigit.“ Greg. hist.: 4.16.
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Lage war, eine solchen überhaupt zusammenzubringen. Seine Handlungsfähigkeit war somit für Andere erkennbar.215 Einige Folgeleistende waren bereits mit Chramn nach Clermont gezogen. Diese praktische Neudefinition seiner Position zu einer, die als rex bezeichnet werden konnte, wurde von seiner Abstammung sicherlich begünstigt: Er war nach Clermont gesandt worden und konnte daher auf die Administratoren wie auch auf deren Besitz zugreifen. Die praktische Neudefinition war aber damit noch nicht vollzogen. Insgesamt musste die erste Phase der praktischen Neudefinition jedoch rasch vollzogen worden sein. Schon 555 schloss er das Bündnis mit seinem Onkel Childebert I.,216 der nach dem Tod Theudebalds in diesem Jahr nichts hatte gewinnen können. Dass es sich um zwei verschiedene Bündnisse handelt, ist eher unwahrscheinlich.217 Das Bündnis wiederum ermöglichte ihm erst, die darauf folgende militärische Operation gegen seinen Vater zu beginnen. Nachdem er dann einige civitates eroberte,218 hatte er einen eigenen Strukturierungszusammenhang und somit ein Abgabensystem geschaffen.219 In diesem Zustand war seine Position mit der seines Vaters und der seines Onkels durch die genannten Faktoren fast identisch und somit durchaus aus der Perspektive der relativ zeitnah schreibenden Autoren mit dem Wort rex zu bezeichnen. Am Beispiel der Aussagen zu der praktischen Neudefinition der Position Chramns lässt sich exemplarisch verdeutlichen, dass adäquat von einer Diskursivität der Semantik und der Prozessdynamik in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts in Gallien als Fortsetzung der Erosion zu sprechen ist: Chramn hatte sich durch differente Praktiken von der Kooperation mit seinem Vater emanzipiert. Zum einen ist dafür das Einziehen materieller Güter und Ressourcen zu nennen, das bei der Neudefinition seiner Position wichtig und ihm wegen seiner Abstammung und seiner Kooperation mit seinem Vater möglich war, die als Versuch der Konsolidierung der Präsenz aufgefasst werden kann. Zum zweiten ist das Bündnis mit seinem Onkel zu nennen, wodurch eine andere Kooperation etabliert wurde, die als Konsolidierungsversuch seiner alleinigen Präsenz beschrieben werden kann. Drittens war ihm daher möglich, Erwerbschancen zu symbolisieren. Er offerierte diese dann mit der militärischen Operation gegen seinen Vater, wobei er viertens civitates erobern und ein Abgabensystem neu strukturieren konnte. Dass Aussagen zu Abgabenzahlungen an ihn nicht gegeben sind, kann an der Kürze liegen, in der er die civitates in einen Strukturierungszusam-
215 Vgl. Hardt, Gold: S. 283 ff. 216 Mar. aven. chron.: 555.2. 217 Greg. hist.: 4.16 und 4.17. Dagegen kann zum einen mit der zeitlichen Kürze und zum anderen damit argumentiert werden, dass ein doppeltes Bündnis im analytischen Kontext nicht notwendig erscheint. Es handelt sich eher um eine Paraphrase Gregors. 218 Neben dem Gebiet von Clermont auch Poitiers, Limoges und Chalon. Greg. hist.: 4.16. 219 Dazu ausdrücklich: „Hic fertur quadam vice dixisse, quod Martinus et Marcialis confessoris Domini nihil fisci viribus utile reliquissent.“ Greg. hist.: 4.16.
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menhang inkorporieren konnte. Bereits 558 starb aber sein Bündnispartner Childebert I.220 Seine Position war somit nicht mehr dieselbe und er unterwarf sich seinem Vater.221 Nach einem weiteren Emanzipationsversuch, der mit Plünderungen der Gebiete Chlothars I. einherging,222 wurde Chramn mit seinen neuen Verbündeten geschlagen und samt seiner engsten Familie ermordet.223 Das semantische Problem ist offenbar mit der praktischen Neudefinition verbunden. Die mit dem Wort rex bezeichnete Position war schon vor der Emanzipation Chramns in Gallien neu definiert worden. Das Kriegersein wurde aber nicht durch kontinuierliche Zahlungen in ein Soldaten- oder Söldnersein transformiert, obwohl dies über das Abgabensystem nun möglich gewesen wäre. Das Innehaben der als rex bezeichneten Position konnte auch von anderen Akteuren vor dem Jahreswechsel 536/7 nachgeahmt werden, indem Erwerbschancen von ihnen symbolisiert und offeriert wurden. Deswegen konnten von ihnen Folgeleistungen organisiert werden. Die auf diese Weise organisierten Kriegergemeinschaften waren als militärische Mittel für die praktischen Neudefinitionen wie auch im Fall des Chramn offenbar relevant. Dies war möglich, weil das relevante militärische Mittel durch nichtstrukturgebundene Praktiken generiert werden konnte. Auch deshalb ist von der Kontinuität des Diskontinuierlichen zu sprechen. Nach dem Jahreswechsel 536/7 war mit dem ersten innermerowingischen Konflikt eine Beförderung der Prozessdynamik in Gallien begonnen worden, die für die merowingischen Inhaber der als rex bezeichneten Positionen zu einer erneuten Veränderung führte, denn nun war das Konkurrieren um Folge leistende Akteure intensiviert: Der Merowinger, der Erwerbschancen nicht nur symbolisieren, sondern zugleich offerieren konnte, hatte gegenüber denjenigen, die dies nicht taten, Vorteile. Daher begannen kurz nach dem Jahreswechsel 536/7 militärische Operationen in die Peripherie des parzellierten Strukturierungszusammenhangs unter der Anführung aller Könige: Was ein rex war und was er zu tun hatte, um dies auch zu bleiben, wurde also fortschreitend neu definiert und dies nicht rein sprachlich, sondern praktisch. So ist das Wort rex selbst auch für die relativ zeitnah Informationen und Phänomene literarisch verarbeitenden Autoren nicht ungebrochen zu gebrauchen gewesen, wie nicht nur die Aussagen zum rex Chramn, sondern auch Gregors Recherche zu den ersten Frankenkönigen zeigen.224
220 Mar. aven. chron.: 558. 221 Greg. hist.: 4.20. 222 Greg. hist.: 4.20. Auch: „Eo anno Chramnus post sacramenta quae patri dederat ad Brittanos petiit et molliens regnum patris invadere adversus ipsum cum Brittanis movere ausus est multaque loca graviter depraedavit ad cuius insaniam reprimendam pater cum exercitu properavit et interfecto comite Brittanorum, Chramnum vivium cepit incensumque cum uxore et filiis tocius regionis incidit excidium.“ Mar. aven. chron.: 560.2. 223 Greg. hist.: 4.20. Dazu Mar. aven. chron.: 560.2. 224 Greg. hist.: 2.9.
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Auch der Gebrauch des Wortes dux war – wie mehrfach erörtert – vom Verhältnis der Prozessdynamik und der Semantik betroffen. Dies ist auch für die Aussagen zu Chramn gegeben. Der mit dem Wort dux bezeichnete Austrapius flieht vor ihm in die Kirche des heiligen Martin.225 Mit den Aussagen zu dem als dux Bezeichneten kann davon ausgegangen werden, dass er in einer regional-strukturellen Position tätig war.226 Zwar ist dies nicht eindeutig,227 trotzdem aber als wahrscheinlich aufzufassen. Es soll daher an dieser Stelle nicht unbeachtet bleiben, dass das Einrichten solcher als dux bezeichneten regional-strukturellen Positionen nicht frei von der Beförderung der Prozessdynamik betrachtet werden kann: König Chlothar I. hatte kurz zuvor die civitates und Siedlungsgemeinschaften der Linie des Theuderich I. übernommen und operierte wegen der zweiten Erhebung der Akteure aus ostrheinischen Siedlungsgemeinschaften an der östlichen Peripherie. Versuche der Konsolidierung der Präsenz waren also zu dieser Zeit akut. Chramn war zuvor zu demselben Zweck nach Clermont gesandt worden und hatte sich dann von seinem Vater emanzipiert. Dass aus der Erfahrung mit der Konsolidierungspraktik der Kooperation die Verbindung geographischer Räume mit der regional-strukturellen Position der duces nicht einfach monokausal resultierte, kann als wahrscheinlich betrachtet werden. Zu unsicher ist die Quellenlage zu ihrem Entstehen228 und es ist sicher, dass es zuvor schon derartige Positionen gab, wenn sie geographisch auch anderes aufgeteilt waren.229 Die praktische Neudefinition aber von der Konkurrenz um Folgeleistende bedingt zu begreifen, ist im analytischen Kontext plausibel. Die Sicherung von Gebieten ist somit ein Effekt der Konkurrenz. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen als solches auch rückwirkend auf die Merowinger in ihrem Handeln zu beziehen ist, da die Kriegergemeinschaften weiterhin auch als militärische Mittel fungierten. Die Merowingerkönige brauchten sie, damit sie in den innermerowingischen Konflikten siegreich sein oder sich verteidigen konnten. Damit wurde die Konkurrenz um Folge leistende Akteure im Kriegermodus intensiviert und zu einer Notwendigkeit, auch weil sie ihrer Positionen mit dem Beginn militärischer Operationen gegeneinander erhalten mussten. Das militärische Mittel war aber nicht strukturell gebunden. Das konnte für die Inhaber der zum Teil strukturell eingebetteten Königspositionen zum Problem werden, wie die Aussagen zu Chramn zeigen, der seine Position neu definierte und Folgeleistungen derart organisieren konnte, wie es
225 „Tunc et Austrapius dux Chramnum metuens, in basilica sancti Martini confugit.“ Greg. hist.: 4.18. 226 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 51 f. 227 Greg. hist.: 4.18. 228 Vgl. Lewis, Dukes: S. 384 f. 229 Vgl. Kaiser, Erbe: S. 132 und Ewig, Merowinger: S. 98. Offen bleiben muss hingegen, ob dem dux Austrapius direkt Akteure Folge leisteten, oder ob sie dies in übertragener Weise taten. Annehmbar ist nur, dass Austrapius vor Chramn fliehen musste, da die ihm Folgeleistenden zu Chramn übergegangen sind, da Chramn im Gegensatz zu dem dux Erwerbschancen als rex offerieren konnte.
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sein Vater und Onkel taten. Die Konkurrenz drückt sich in den Aussagen als Beginn offener Kämpfe aus.
3.3 Die Versuche der Regulation durch normative Bestimmungen Es ist für die Zeit nach dem Jahreswechsel 536/7 bis zum Tod Chlothars I. 561230 ein Bestand an normativen Aussagen vorhanden, der sich auf Erwerbspraktiken bezieht. Er umfasst Regulierungsversuche der als illegitim wahrgenommenen Praktiken und Regelsetzungen für als legitim aufgefasste Praktiken. Bei den Quellen handelt es sich um den pactus pro tenore pacis und einigen Synodalakten. Das Kapitular ist allerdings schwer zu datieren.231 Der pactus pro tenore pacis wurde zwischen den Königen Chlothar I. und Childe bert I. geschlossen. Dass weder Chlodomer noch Theuderich I. oder Theudebert I. und auch dessen Sohn Theudebald sich nicht an dem Kapitular beteiligten, ist für seine Datierung beachtenswert. Der Text wurde wegen der darin verwendeten Worte viel diskutiert,232 da er für Fragen nach der normativen Konstitution dieser Worte brauchbar erscheint. Im analytischen Kontext ist vor allem interessant, dass einige der Beschlüsse wegen eines Anstiegs von Raubtaten233 verfasst wurden. Für ein spätes Datum spricht vor allem das Fehlen. Dieses argumentum ex silentio ist jedoch nicht stark. Tatsächlich ist eine Datierung nach dem Tod Theudebalds, also nach oder auf 555 ebenfalls nicht unproblematisch, weil dann erklärt werden müsste, warum die beiden militärisch gegeneinander vorgehenden Könige zur Kooperation bei dem Gesetz zusammengefunden haben. Da Childebert I. aber schon 558 starb und der militärische Konflikt, an dem auch Chramn beteiligt war, erst dann zum erliegen kam,234 ist dies nur schwer möglich.235 Eine frühe Datierung, beispielsweise auf 524236 beinhaltetet das Problem, erklären zu müssen, warum nur die Verhältnisse in den Gebieten zweier Könige mit dem Kapitular angesprochen sind.237 Von einer
230 Mar. aven. chron.: 561. 231 Für eine Datierung um 524 Schmidt-Wiegand, Bezeichnungen: S. 232. Für eine Datierung zwischen 555 und 558 Pontal, Synoden: S. 101. Für eine offene Datierung Murray, Administration: S. 75. 232 Überblickend Murray, Administration: S. 75–93. 233 „Decretum est, ut quia ad vigilias constitutas nocturnos fures non caperent, eo quod per diversa intercedente conludio scelera sua praetermissas custodias exercerent, cetenas fierent.“ Pactus Childeberti I. et Chlotharii I. (MGH capit. 1, Nr. 3: S 3–8). Dazu Weidemann, Adel: S. 547 und Woll, Kapitularien: S. 15. 234 Zur Datierung des Todes Childeberts I. Mar. aven. chron.: 558. Zum Ende des Konflikts Greg. hist.: 4.20. 235 Vgl. Woll, Kapitularien: S. 16. 236 Vgl. Drew, in ed. Drew, Law: S. 237 und von Olberg-Haverkate, Bezeichnung: S. 128. 237 Vgl. Weidemann, Adel: S. 537.
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rein lokalen oder regionalen Problematik ist nicht auszugehen, da der Strukturierungszusammenhang in Gallien 511 geographisch parzelliert worden ist.238 Da beide Könige aber 541 nach der ersten, nicht offen eskalierten Militäroperation der Merowinger gegeneinander nun kooperativ auf die Iberische Halbinsel gezogen sind, ist eine Datierung auf die Zeit nach 541 plausibel. Wie aber verhält es sich, dass mit dem Ausbleiben weiterer innermerowingischer Militäroperationen nach 541 Raubtaten in Gallien vermehrt vorkamen? Tatsächlich sind neben dem pactus pro tenore pacis mit den Synodalakten weitere Aussagen zu Versuchen einer normativen Regelung des Raubens gegeben. Dies gilt bereits für die Akten der Synode von Orléans aus dem Jahr 538. Auf dieser Synode waren allerdings nur Bischöfe aus den civitates der Könige Childebert I. und Theudebert I. zugegen, während Bischöfe aus den civitates Chlothars I. nicht anwesend waren.239 Auf diese Aussagen wird weiter unten ausführlich eingegangen. An dieser Stelle soll nur festgehalten sein, dass der Anstieg von Raub bereits im Jahr 538 thematisiert wurde. Zu dieser Zeit fand der erste Militärkonflikt der Merowinger gegeneinander statt, bei dem es aber nicht zu Kampfhandlungen kam. Die Annahme eines Zusammenhangs ist demnach möglich. Sie gilt es auf ihre Wahrscheinlichkeit zu untersuchen. Dafür ist zu beachten, wie sich die Praktiken des Raubens und des Plünderns deutungstechnisch von einander trennen lassen und welche Parallelen zwischen beiden Praktiken bestehen. Die Problematik der deutungstechnischen Differenzierung und Parallelisierung beginnt mit der Untersuchung des Wortgebrauchs in der lex salica. Zwar sind zum Rauben240 von materiellen Gütern und Ressourcen sowie Tieren in dem Text viele Stellen gegeben; doch ist der Wortgebrauch nicht einheitlich.241 Ein Gebrauchsmuster nach Mengen242 oder nach der spezifischen Beschaffenheit der Raubobjekte243 ist nicht zu erkennen. Kontextuell wird aber eindeutig klar, dass Raub nicht als legitim gilt und daher zu bestrafen ist. Eine reine Untersuchung des Wortgebrauchs ist daher
238 Die Parzellierung war nicht einheitlich. Vgl. Ewig, Teilungen: S. 114–128. 239 Überblickend Pontal, Synoden: S. 78–85. 240 Vgl. Roth, Art. Raub: S. 159–161. 241 Das am Häufigsten verwendete Verb ist furari Lex sal.: 2§ 1; 2§ 2; 2§ 4; 2§ 5; 2§ 8; 2§ 11; 2§ 12; 2§ 14; 3§ 1; 3§ 2; 3§ 3; 3§ 4; 3§ 5; 3§ 6; 3§ 7; 4§ 1; 4§ 2; 4§ 3; 4§ 4; 4§ 5; 5§ 1; 6§ 2; 7§ 1; 7§ 2; 7§ 3; 7§ 4; 8§ 1; 8§ 2; 8§ 3; 8§ 4; 10§ 1; 11§ 1; 11§ 2; 11§ 4; 12§ 1; 12§ 2; 21§ 2; 21§ 3; 21§ 4; 22§ 1; 27§ 1; 27§ 7; 27§ 11; 27§ 17; 27§ 19; 27§ 20; 33§ 2; 38§ 2 und 38§ 6. Ebenfalls häufig verwendet ist imbulare Lex sal.: 2§ 7; 2§ 9; 5§ 2; 6§ 1 und 27§ 3. Auch involare wird gebraucht. Lex sal.: 3§ 3; 3§ 6; 27§ 2; 33§ 3; 38§ 1; 38§ 3; 38§ 5 und 38§ 7. 242 Ein Beispiel hierfür ist der Abschnitt zu Schweinediebstählen. Hierbei wird furari wie auch imbulare verwendet. Das Verb imbulare wird beim Raub von drei oder diese Zahl überschreitenden Schweinen verwendet. Lex sal.: 2§ 7. Aber auch für den Raub eines Ferkels. Lex sal.: 2§ 9. Hingegen wird furari für den Raub von 25 Schweinen gebraucht. Lex sal.: 2§ 14. 243 Beispielsweise wird das Verb furari für das Rauben von Tieren wie auch für das Rauben von Sachen und Menschen verwendet. Für Tiere beispielsweise Lex sal.: 3§ 5. Für Sachen beispielsweise Lex sal.: 21§ 2. Für unfreie Menschen beispielsweise Lex sal.: 11§ 1.
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nicht sinnvoll. Über quellenimmanente Kontexte werden Raub und Plündern auf der Deutungsebene allerdings differenzierbar: Tatsächlich sind Plündern und Rauben als Erwerbspraktiken nicht nach den durch die Praktiken erworbenen Objekten244 zu differenzieren, wie es für das Plündern und den Menschenraub möglich ist. Das Plündern als die primäre Erwerbsweise von Akteuren im Kriegermodus, die Anführern Folge leisteten, da sie Chancen auf den Erwerb von materielle Güter und Ressourcen durch Plünderungen symbolisierten und offerierten, unterscheidet sich aber vom Rauben darin, dass diese Praktik des Erwerbs von materiellen Gütern und Ressourcen nicht von militärischen Operationen eines Anführers bedingt waren.245 Hierin besteht in Anbetracht des pactus pro tenore pacis und der Aussagen aus den Synodalakten von 538 ein deutlicher Unterschied zwischen den Praktiken. Analytisch formuliert: Menschen mussten nicht Krieger sein, um rauben zu können. Dieser analytischen Differenzierung kann entgegengehalten werden, dass das Plündern und das Rauben als Praktiken in mehrerlei Hinsicht gleichförmig sind. Aussagen dazu, dass auch das Rauben gewaltsam verlaufen konnte,246 sind schon in der lex salica gegeben.247 Dieser Aspekt ähnelt dem Plündern bei den militärischen Operationen und ist wiederum eine offenbare Parallele248 und erklärt, warum das Ausbleiben von Chancen auf Plünderungen das Rauben beförderte: Kriegerseiende Akteure, die einem spezifischen Modus ökonomischen Erwerbs angenommen hatten, waren keine Räuber,249 da sie über das Erwerben materieller Güter und Ressourcen hinaus Anführern bei militärischen Operationen Folge leisteten. Das Räubersein ist daher wie auch das Bauer- und das Kriegersein als eigener, spezifischer sozioökonomischer Modus mit ihm eigenen Praktiken zu präzisieren, was nicht – wie bereits im ersten und zweiten Kapitel ausgeführt – bedeuten soll, dass ein Akteur nicht mehrere dieser Modi in seinem Leben auf sich vereinigen konnte. Wenn Erwerb durch das Offerieren von Plünderungschancen ausblieb, waren andere Praktiken des Erwerbs anwendbar. Akteure, die zuvor im Kriegermodus erwerbend tätig wurden, konnten den Räubermodus annehmen. Das ist wegen der Gleichförmigkeit der Praktiken beider Modi damit zu plausibilisieren, dass Plündern und Raub sich auch darin ähneln, dass sie entgegen der Praktiken anderer Modi keine produzierenden, sondern
244 Vgl. Capelle und Wenskus, Art. Beute: S. 325 ff. 245 Auch ein lokaler oder ein regionaler Konflikt war dafür nicht unbedingt notwendig. Greg. glor. mart.: 60; 72; 84; 91; 96 und 103. Auch Greg. glor. conf.: 17; 80; 81 und 99 sowie Greg. vit. patr.: 8.9; 14.2. Solche Konflikte konnten aber auch mit Raubtaten einhergehen. Greg. glor. mart.: 65. Dazu vgl. unten S. 425 ff. 246 Vgl. Roth, Art. Raub: S. 159 ff. 247 Beispielsweise Lex sal.: 17§ 9; 21§ 6 und 21§ 7. 248 Überblickend Bodmer, Krieger: S. 68–78. 249 Die Praktik des Raubens konnte von einem einzelnen Akteur vollzogen werden, ohne dass weitere Akteure direkt beteiligt waren. Beispielsweise Greg. glor. mart.: 96 und Greg. vit. patr.: 14.2.
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erwerbende Praktiken sind, die einer Produktion materieller Güter und den Abbau von Ressourcen durch andere Akteure bedurften. Die Ähnlichkeit erklärt also argumentativ, warum nach dem Ausbleiben von Erwerbschancen durch die merowingischen Könige ein Anstieg von Raubtaten begann: Es wurde in einen Modus des ökonomischen Erwerbs gewechselt, da die Bedingungen eines anderen Modus, die militärischen Operationen von Anführern, die zuvor in Gallien fast stetig vorhanden war, nicht mehr gegeben waren. Diese Präzision der Annahme des Zusammenhangs mit der Formulierung eines Wechsels ökonomischer Modi soll ausdrücklich nicht als rein monokausal, sondern als optional aufgefasst werden. Es geht um einen Anstieg, nicht um ein erstes Auftreten250 von Raub und Raub war möglich, wenn Plünderungen nicht möglich waren. Die präzisierte Annahme kann noch an Wahrscheinlichkeit gewinnen, wenn weitere Aussagen zu sozioökonomischen Praktiken hinzugezogen werden, die aus einigen gallischen Synodalakten zwischen dem Jahreswechsel 536/7 bis 561 stammen. Neun Synoden in Gallien aus dieser Zeitspanne sind bekannt. Drei davon nur dem Namen nach.251 Auf den drei Synoden von Orléans aus den Jahren 538, 541 und 549 sowie der Synode, die in der Region Eauze stattfand,252 wird der Umgang mit den materiellen Gütern und/oder Ressourcen der Kirche ausdrücklich – wenn auch in unterschiedlicher Intensität – thematisiert. In den Akten der Synode von Arles sind keine Aussagen zum Umgang mit materiellen Gütern und/oder Ressourcen der Kirche gegeben.253 Bei der Provinzsynode von Eauze rekurrierten die Teilnehmer mehrfach auf die canones der vierten Synode von Orléans aus dem Jahr 549, aber auch auf andere Synodalakten.254 Die Rekurse zeigen, dass Aussagen zum Umgang mit Gütern und Ressourcen der Kirchen eine Tendenz zur Vereinheitlichung aufweisen. Dieser formative Prozess fand jedoch nicht isoliert statt. Auch auf die Akten der dritten Synode von Orléans aus dem Jahr 538,255 die knapp ein Jahr nach der vertraglich geregelten Übergabe der Provence und umliegender Gebiete stattfand, wurde rekurriert.256 In ihnen wird ausgiebig auf den Umgang
250 Für Beispiele von Raub vor dem 6. Jahrhundert in den Rekursen Gregors Greg. glor. conf.: 61. Zusätzlich zum Raub in differenten Zeiten in differenten geographischen Räumen Grünewald, Räuber: S. 21–48. 251 Die Synode von Toul im Jahr 550 wird nur in einem Brief des Bischofs Mappinius von Reims an den Bischof Nicetius von Trier erwähnt. Vgl. Weidemann, Kulturgeschichte Bd. I: S. 355. Die Datierung der Synode von Metz ist nicht ganz sicher. Sie muss zwischen 550 und 555 stattgefunden haben. Dies kann als sehr wahrscheinlich aufgefasst werden, da dies aus den wenigen Aussagen zu dieser Synode hervorgeht. Greg. hist.: 4.6. Ähnliches gilt für eine Synode in der Bretagne. Sie kann um 552 stattgefunden haben. Es gibt zu ihr auch nur wenige Aussagen in den decem libri historiarum. Greg. hist.: 4.4. 252 Überblickend Pontal, Synoden: S. 78–113. 253 Vgl. Pontal, Synoden: S. 108 ff. 254 Vgl. ebd.: S. 107 f. 255 Vgl. Mordek, Kirchenrecht: S. 44. 256 Vgl. Pontal, Synoden: S. 107.
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mit den materiellen Gütern und Ressourcen der Kirche eingegangen. Eine Sanktion für den Raub von Kirchengut wurde festgelegt.257 Solche Exkommunikationen wurden aber auch für die Unterschlagung von Vermächtnissen an die Kirchen258 wie auch für das Zurückhalten von geschenkten Gütern gegenüber den Kirchen259 festgelegt. Insofern sind diese Aussagen Indikatoren für das Formieren der ökonomischen Grundlagen der Kirchen in Gallien260 unter der Verwendung kirchlicher Normen: Sie wurden zu Sanktionsmitteln unter Bezug auf Normen und konkreten, materiellen Bedingungen der Kirchen synthetisiert. Der Formationsprozess ökonomischer Grundlagen der Kirchen als überpersönliche Einheiten war ebenfalls von der Beförderung der Prozessdynamik bedingt und wurde daher drei Jahre später auf der vierten Synode von Orléans in einem verstärkten Maß fortgesetzt. Nicht nur, dass Strafen gegen die abweichend Handelnden präzisiert wurden, die auf der dritten Synode von Orléans festgelegt worden waren.261 Die Rechtsprechung über den gesamten Besitz einer Kirche wurde262 wie die Administration und die Möglichkeit der Veräußerung der Kirchengüter auf die Position des Bischofs übertragen.263 Der Verkauf von Kirchengut durch einen Kleriker wurde ohne die Zustimmung eines Bischofs als unmöglich definiert.264 Die Bischofsposition war mit Handlungskompetenzen ausgestattet worden, die den Inhaber der Position als ökonomischen Zentralakteur einer Kirche auswiesen. Diese Handlungskompetenzen wurden in normativer Form als verbindlich dargestellt. Die Regelungen, die es einem Bischof ermöglichte, ökonomisch zu agieren, durften nicht überschritten werden. So konnte ein Bischof nicht mehr willkürlich Sklaven freilassen, da sie zu den Landgütern dazugehörten. Wenn er die gesetzte Ziffer überschritt, war er verpflichtet, diesen Verlust aus seinem persönlichen Vermögen der Kirche gegenüber zu begleichen.265 Auch alles, was entgegen der Regelungen von einem Inhaber der Position des Bischofs veräußert wurde, musste von ihm durch persönliches Vermögen ersetzt werden und wenn dieses nicht ausreichte, von demjenigen, der entgegen der Normen etwas erworben hatte.266 Auf der fünften Synode von Orléans wurden die Regeln zur Veräußerung der Kirchengüter noch auf Krankenhäuser ausgedehnt.267 Die Teilnehmer der Synode führen sonst keine weiteren Regelungen des Umgangs mit materiellen Gütern
257 MGH Conc. 1 Concilium Aurelianense 538: c.25. 258 MGH Conc. 1 Concilium Aurelianense 538: c.25. 259 MGH Conc. 1 Concilium Aurelianense 538: c.25. 260 Vgl. Pontal, Synoden: S. 93. Die Diskursivität der Dynamik findet auch darin Ausdruck. 261 MGH Conc. 1 Concilium Aurelianense 541: c.14 und c.19. 262 MGH Conc. 1 Concilium Aurelianense 541: c.7; c.26 und c.33. 263 MGH Conc. 1 Concilium Aurelianense 541: c.11; c.18; c.34; c.35 und c.36. 264 MGH Conc. 1 Concilium Aurelianense 541: c.11 und c.18. 265 MGH Conc. 1 Concilium Aurelianense 541: c.9. 266 MGH Conc. 1 Concilium Aurelianense 541: c.9. 267 MGH Conc. 1 Concilium Aurelianense 549: c.13.
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und/oder Ressourcen der Kirchen ein, sondern rekurrieren dann nur noch auf ältere canones,268 die sie bestätigten. In Anbetracht der Quellenlage sind folgende Ergebnisse zu formulieren: Für die Synodalakten ist festzuhalten, dass bereits kurz nach dem Beginn der ersten militärischen Operation der Merowingerkönige in Gallien untereinander269 Strafen für den Raub von Gütern und Ressourcen der Kirchen festgelegt wurden. Der Vertrag vom Jahreswechsel 536/7 führte zur Aneignung von Teilen des thesaurus des Chlodomer durch Chlothar I., da dieser von seinem Bruder und dessen Adoptivsohn nicht berücksichtigt worden war. Dies initiierte die erste militärische Operation. Sie eskalierte jedoch nicht. Dies muss noch vor dem Beginn der militärischen Operationen in die Peripheriegebiete stattgefunden haben, da die Merowinger dann Erwerbschancen an die ihnen Folge leistenden Akteure im Kriegermodus offerieren mussten. Dies war nicht nur nötig, weil sie bei dem innermerowingischen Konflikt nicht realisiert worden waren, sondern auch, weil dieser Konflikt zu einer Konkurrenz um Folgeleistende führte. Auf der im Jahr 538 abgehaltenen Synode von Orléans, dem Jahr, in dem auch die erste militärische Operation aus Gallien in Richtung Italien stattfand,270 wurden Regelungen gegen den Raub von Gütern und Ressourcen der Kirche normativ festgelegt. Auf dieser Synode von Orléans waren aber nur die Bischöfe aus den civitates der Könige Theudebert I. und Childebert I. anwesend.271 Erst auf der folgenden Synode 541 nahmen auch die Bischöfe aus den civitates Chlothars I. teil.272 Mit diesen Aussagen zu den teilnehmenden Bischöfen und ihrer Repräsentanten ist ein weiteres Argument zur Plausibilisierung der Annahme des Zusammenhangs eines Wechsels ökonomischer Modi mit dem Beginn der Konkurrenz der Merowinger um Folgeleistende und zu der Kompensation durch die militärischen Operationen an die Peripherie gegeben. Dass kirchlich-normative Maßnahmen in Bezug auf sozioökonomische Praktiken des Erwerbs von materiellen Gütern und/oder Ressourcen der Kirchen situationsbezogene Reaktionen auf die Phänomene der Zeit der Synodalteilnehmer sein konnten, wird mit den Aussagen auf der Synode zu Clermont von 535 fassbar, die sich auf Plünderungen beziehen,273 die kurz zuvor durch die dem König Theuderich I. nach Clermont Folgeleistenden vollzogen worden sind.274 Bemerkenswert ist dabei auch, dass im pactus pro tenore pacis Rekurse auf die Synode von Orléans von 511 zu finden sind.275 Inhaltliche Rekurse sind selbstredend auch auf das Prinzip des Verbotes von
268 Vgl. Pontal, Synoden: S. 92 f. 269 Greg. hist.: 3.28. 270 Mar. aven. chron.: 538. 271 Vgl. Pontal, Synoden: S. 80. 272 Vgl. ebd.: S. 85 f. 273 MGH Conc. 1 Concilium Avernense 535: c.14. 274 Die militärische Operation fand zu Beginn der 530er Jahre statt. Vgl. Ewig, Merowinger: S. 35. 275 Vgl. Pontal, Synoden: S. 101.
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Raub auf der Synode in derselben civitas von 538 gegeben.276 Dies erklärt, warum Theudebert I. sich nicht an dem pactus pro tenore pacis beteiligte: Mit den Aussagen der Akten von 538 waren bereits Regelungen aktiv, die im Jahr 541 präzisiert wurden. Das Kapitular ist demnach eine normative Variation des Prinzips einer allgemeinen Verbindlichkeit sesshaft tätiger Lokaladministratoren, an der sich Chlothar I. als König zusätzlich beteiligte. Die Beobachtung der formativen Phase der Bischofsposition als normativ legitimierter Administrator der kirchlichen Lokalökonomie ist ein weiteres Ergebnis. Dieser Prozess kann ebenfalls nicht isoliert betrachtet werden. Auch er ist von der Beförderung der Prozessdynamik bedingt. Die Formierung der mit den civitates sozioökonomisch verflochtenen Bistümer277 zu ökonomischen Einheiten mit normativen Definitionen von Handlungskompetenzen der strukturell-lokalen Administration gab den Bischöfen eine Handlungsfähigkeit abseits der Könige und der ihnen Folgeleistenden auf einer normativ-kirchlichen Ebene. Sie stellte unter Bezug auf kirchliche Handlungsnormen Mittel zur Sanktion bereit. Damit ist aber noch nichts über die praktische Realisierung dieser Mittel festgehalten. Sicher ist nur, dass mit den normativen Regelungen für die Kirchen eine Vereinheitlichung auf lokaler Ebene vollzogen wurde: Raub war durch den Bischof zu sanktionieren und selbst ein gewaltsames Vorgehen gegen Kleriker niedrigerer Hierarchiepositionen, die zu Veräußerungen von Gütern und Ressourcen der Kirchen führte, war nicht mehr ohne weiteres möglich. Die Handlungskompetenzen abstrakter Positionen wurden also hinsichtlich ihrer ökonomischen Dimension gleichförmig gemacht. Wenn der Bischof selbst nicht diesen Veräußerungen zugestimmt hatte, konnten sie zumindest aus der normativen Position heraus auch überpersönlich – also nicht an einen Inhaber der Bischofsposition gebunden – angegangen werden, wenn ein Inhaber durch einen anderen ersetzt wurde. Zeit wurde somit ein Aspekt, der für den räumlichen Erhalt der ökonomischen Einheit einsetzbar wurde, da mit den normativen Regelungen nicht ein einzelner Akteur, sondern eine Position Handlungskompetenzen umfasste und den ökonomischen Schädigungen der sesshaften Bevölkerung konkret entgegenstand.
3.4 Zwischenergebnisse: Akteure zwischen militärischen Operationen und sesshaftem Leben seit dem Jahreswechsel 536/7 und dem Jahr 561 Auch anhand der Quellenaussagen, die das Kontinuum zwischen dem Jahreswechsel 536/7 und 561 repräsentieren, ist die Diskursivität der Prozessdynamik gut nachzuvollziehen. Nicht nur am Wortgebrauch durch die Quellenautoren ist dies möglich,
276 Vgl. Pontal, Synoden: S. 100 ff. 277 Vgl. Ewig, Kirche und Civitas: S. 1–4.
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sondern auch an der Vielzahl von Aussagen zu militärischen Operationen; auch wenn diese nicht mehr zu nachhaltigen Neustrukturierungen führten. Die Prozessdynamik wurde durch sie befördert und somit bedingte auch ihr Ausbleiben das Leben der Menschen in Gallien. Die aktiven und passiven Relevanzarten des Plünderns waren für das Organisieren von Folgeleistungen weiterhin wichtig. Neben Ergebnissen zu ihnen und der Prozessdynamik sind Ergebnisse zu den Lebensweisen und den Akteuren sowie Positionen zu verzeichnen. Kurz nach dem Jahreswechsel 536/7 begann in Gallien der erste innermerowingische Konflikt, der zu einer militärischen Operation führte. Sie eskalierte jedoch nicht in Kampfhandlungen. Auslöser für diese Operation Childeberts I. mit seinem Adoptivsohn Theudebert I. auf der einen und Chlothar I. auf der anderen Seite war die als illegitim aufgefasste Aneignung von Gütern aus dem thesaurus des verstorbenen Königs Chlodomer durch Chlothar I. Der Beginn und das Ende des Konflikts sind zwischen 537 und 539 zu datieren. Mit dem Ausbleiben der Kampfhandlungen begannen dann militärische Operationen der Merowinger in der Peripherie des parzellierten Strukturierungszusammenhangs zwischen 539 und 541. Neben Italien war die Iberische Halbinsel das Ziel dieser Operationen. Nur in Norditalien sind einige civitates in den Teilstrukturierungszusammenhang Theudeberts I. inkorporiert worden. Mit iberischen civitates gelang dies nicht. Versuche der geographischen Erweiterung der Abgabensysteme und kompensatorische Maßnahmen sind Aspekte dieser Operationen. Jedoch dürfen die Veränderungen, die mit dem ersten innermerowingischen Militärkonflikt begannen, nicht übersehen werden. Die Merowinger hatten in den Kriegergemeinschaften weiterhin ein militärisches Mittel. Zuvor waren sie für die Neustrukturierung der älteren strukturellen Elemente verwendet worden. Die Kriegergemeinschaften waren dabei auch das Erwerbsmittel aller Beteiligten. Der neue Strukturierungszusammenhang gründete aber von Anfang an auf einem Paradoxon. Nachdem bis zum Jahreswechsel 536/7 alle nichtmerowingischen Könige in Gallien auf unterschiedliche Weise beseitigt worden waren und nur noch drei Könige aus dem Geschlecht der Merowinger in diesem geographischen Raum agierten, waren fast alle gallischen civitates in den parzellierten Strukturierungszusammenhang inkorporiert. Zwar waren die civitates nicht direkt der Anlass für die erste militärische Operation der Merowinger gegeneinander; doch ging es zwangsläufig auch um sie. Der innermerowingische Konflikt implizierte nun für jeden der Merowinger die Gefahr, dass die ihm Folgeleistenden einem anderen König Folge leisten konnten und er deswegen in eine schwächere Lage gegenüber den anderen Königen geriet. Da das Kriegersein nicht über kontinuierliche Zahlungen in eine Art Soldaten- oder Söldnersein transformiert und auf diesem Weg in den Strukturierungszusammenhang eingebettet wurde, mussten weiter Erwerbschancen offeriert werden, denn alle Könige im innermerowingischen Konflikt symbolisierten solche Chancen. In diesen Zusammenhang sind auch die Aussagen zu den militärischen Operationen in die Peripherien einzuordnen: Sie zeigen auf der Folie des innermerowingischen Konflikts eine
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Konkurrenz um Folgeleistende. Sie ist neben der Erweiterung der Abgabensysteme und der Kompensation des Nichtrealisierens von Plünderungen während des innermerowingischen Konflikts als Bedingung der Operationen in den Peripherien ab 539 zu nennen. Aktive wie passive Relevanzarten sind somit auf der Deutungsebene noch enger verbunden. Dafür spricht auch, dass die Aussagen zum Verlauf der Operationen nicht immer gleich sind. Bereits vor ihnen offerierte Theudebert I. 538 Menschen aus dem südostgallischen Gebieten Erwerbschancen. Dies kann auch als ein Versuch der Konsolidierung seiner Präsenz in diesem geographischen Raum beschrieben werden, wobei nicht außer Acht geraten darf, dass zu dieser Zeit die militärische Operation im innermerowingischen Konflikt stattfand – auch hierin besteht ein Grund für das ausschließliche Offerieren von Erwerbschancen an diese Menschen. Schon ein Jahr später operierte Theudebert I. persönlich in Italien. Es wurde geplündert und civitates wurden inkorporiert. Die Konsolidierung seiner Präsenz wurde dort durch das Zurücklassen versucht. Chlothar I. und Childebert I. hatten nach dem Friedensschluss eine militärische Operation 541 auf die Iberische Halbinsel angeführt und damit Erwerbschancen offeriert. Danach wurden militärische Operationen nicht mehr vollzogen. Zwar wurden nach dem Tod Theudeberts I. Erwerbschancen bei militärischen Operationen offeriert, doch daran waren sein Sohn Theudebald und die anderen Merowinger nicht persönlich beteiligt. Der innermerowingische Konflikt brach erst wieder 555 nach dem Tod König Theudebalds aus. Für die knapp 14 Jahre zwischen 541 und 555 sind Aussagen zu einer Wechselmöglichkeit gegeben, die als Effekt des Ausbleibens militärischer Operationen beschrieben werden kann: Dieser Effekt ist in Aussagen zu der normativen Sanktionierung der sozioökonomischen Praktik des Raubens durch die Bischöfe auf den Synoden zu erfassen. Zudem ist sehr wahrscheinlich, dass der pactus pro tenore pacis zwischen Chlothar I. und Childebert I. zu dieser Zeit zustande kam. Damit soll nicht gesagt werden, dass es zuvor keinen Raub in Gallien gab. Das Ausbleiben von militärischen Operationen kann nicht in einem monokausalen Verhältnis zum Rauben dargestellt werden. Doch wird im pactus pro tenore pacis der Anstieg des Raubens erwähnt. Insofern war das Rauben eine ökonomische Option, wenn das Plündern nicht möglich war, da es zu keinen militärischen Operationen kam. Stattfindende und Ausbleibende militärische Operationen hatten also auch auf diese Weise offenbar Effekte auf die Lebensweisen der primär sesshaften Bewohner. Die militärischen Operationen hatten für die den Königen Folge leistenden Akteure eine ökonomische Dimension. Sie konnten mit Plünderungen erwerben. Wenn Erwerb durch das Offerieren von Plünderungschancen ausblieb, waren andere Erwerbspraktiken notwendig. Analytisch formuliert ist das Räubersein wie das Kriegersein ein sozioökonomischer Modus mit einer ihm spezifischen Praktik: dem Raub. Beide Modi konstituiert, dass eine erwerbende, nicht produktive Praktik betrieben wird. Einige Akteure, die zuvor im Kriegermodus erwerbend tätig wurden, konnten den Räubermodus annehmen, was nicht heißt, dass ein Mensch nicht auch noch
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andere Modi wie den Bauermodus zudem auf sich vereinigen konnte. Die deutliche Ähnlichkeit der Erwerbspraktiken von Räuber- und Kriegermodus ist argumentativ zu verwenden, um zu erklären, warum nach dem Ausbleiben des Offerierens von Plünderungschancen durch die merowingischen Könige ein Anstieg von Raubtaten begann. Diese Effekte wurden also mit dem Konkurrieren um Folgeleistende und durch das Ausbleiben von militärischen Operationen vollzogen. Die Akteure konnten zu einem anderen König oder den ökonomischen Modus wechseln. Während der 14 Jahre wurden aber zugleich auch die Bischofspositionen normativ als administrative Positionen der Lokalökonomie definiert. Das ist ein dritter Effekt, der von der Beförderung der Prozessdynamik bedingt ist. Den Inhabern der lokal fixierten Positionen wurden Handlungskompetenzen gegeben, die abstrakt mit den Positionen fortbestanden. Dem Wechsel des ökonomischen Modus wurde auf diese Weise der Faktor Zeit entgegengestellt. Raub und andere als illegitim aufgefasste Erwerbsweisen konnten noch dann verfolgt werden, wenn der Bischof, zu dessen Zeit die Handlungen begangen wurden, nicht mehr lebte. Auf der Basis dieser normativen Aussagen ist jedoch kaum etwas über die Praxis zu sagen. Hinzu kommt noch eine weitere Annahme, die als ein vierter Effekt aufgefasst werden kann, wenn diese auch weniger fundiert ist. Sie bezieht sich auf wenige Aussagen zu den ersten offenen Kampfhandlungen zwischen den Königen in Gallien nach 555 bis zum Tod Chlothars I. 561. Nach dem Tod Theudebalds musste Chlothar I. gegen Akteure aus den ostrheinischen Siedlungsgemeinschaften operieren. Sie hatten ihre Abgabenzahlungen eingestellt. Seinen Sohn Chramn entsandte er nach Clermont. Auch dies ist als ein Versuch der Konsolidierung der Präsenz zu bezeichnen. Chramn definierte seine Position dann aber schnell praktisch neu, so dass er aus der Perspektive Gregors als rex bezeichnet worden ist. Die Kooperation mit seinem Vater endete und Chramn schloss mit seinem Onkel ein Bündnis. Die zweite, durch Childebert I. geförderte Erhebung der ostrheinischen Akteure und eine militärische Operation Chramns gegen seinen Vater sowie eine unter Childebert I. folgten. Dabei floh der dux Austrapius vor Chramn und suchte Asyl in der Kirche. Der als dux von Gregor bezeichnete Austrapius war sehr wahrscheinlich in einer regional-strukturellen Position tätig. Zumindest ist er der erste als dux von Gregor bezeichnete Akteur, der mit der civitas seines Bistums in Verbindung erwähnt wird. Es ist durchaus anzunehmen, dass mit der Zunahme an Gebieten im parzellierten Strukturierungszusammenhang solche Akteure notwendiger wurden. Neben dem Gebrauch des Wortes dux ist zu beachten, dass die Prozessdynamik, die auch durch den Beginn des innermerowingischen Militärkonflikts intensiviert wurde, regional eine Sicherung notwendig machte. Tatsächlich ist aber auch im Fall des Autrapius nicht zu eruieren, ob ihm Akteure direkt Folge leisteten oder ob sie dies in übertragener Weise taten. Für die Plausibilität der Bedingtheit einer Vermehrung der regionalstrukturellen Positionen, die als duces bezeichnet worden sind, spricht allerdings auch, dass Akteure, die als duces bezeichnet worden sind und in regional-struktu-
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rellen Positionen agierten, vermehrt erst nach dem Jahr 561 in den Quellen vorkommen. Dass jedoch als duces bezeichnete Akteure für die Versuche der Konsolidierung der Präsenz nach den militärischen Operationen in die Peripherie von Theudebert I. eingesetzt wurden, kann als sicher aufgefasst werden. Dafür sind die Aussagen zum dux Lanthacarius aus der Chronik des Marius und einige später verfasste Aussagen heranzuziehen. Die diskursive Prozessdynamik endete also auch nach dem Jahreswechsel 536/7 nicht. Sie wurde durch die militärischen Operationen der Merowinger gegeneinander als Bedingung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens in Gallien noch befördert. Dies ist zum einen in den Aussagen zur Zunahme von Raubtaten und in den Aussagen zur Konkurrenz der Könige um Folgeleistende angezeigt. Das Plündern hat mit den militärischen Operationen der Merowinger untereinander noch an Relevanz gewonnen. Die Merowinger brauchten in einem verstärkten Maße die Folgeleistenden zugleich für die militärische Erweiterung des Abgabensystems und die Verteidigung ihrer Gebiete gegen ihre Verwandten. Somit wurden für die Könige aktive wie passive Relevanzarten enger miteinander verbunden. Das Plündern war nicht nur eine Erwerbsweise der Folgeleistenden und zugleich eine Bedrohung des sesshaftsozioökonomischen Lebens. Das Offerieren von Erwerbschancen durch Plünderungen wurde für die Sicherung der ökonomischen Grundlagen der Königsposition selbst relevant. Es konnte aber wohl auch – und dies ist eine neue, aktive Relevanzart – für die Konsolidierung der Präsenz der Könige wichtig sein, wie die Aussagen zu dem Auftreten der südostgallischen Akteure in Italien wahrscheinlich werden lassen. Eine weitere neue aktive Art der Relevanz ist mit den Aussagen zu der Konkurrenz der Merowinger untereinander festzumachen: Wer von ihnen keine Erwerbschancen offerieren konnte, war in seiner Position bedroht. Die Beförderung der Prozessdynamik durch das Ausbleiben von militärischen Operationen ist hinsichtlich des Raubens noch weiter zu verdeutlichen, um nachvollziehbar zu machen, warum militärische Operationen auch in ihrem Ausbleiben zu ihrer Beförderung genauso beitrugen: Die Ergebnisse zu den Aussagen über normative Regelungsversuche und die zum Fehlen von Aussagen zu militärischen Operationen zur selben Zeit korrelieren. Die Aussagen zu der normativen Definition der Position der Bischöfe zeigen neben dem Rauben auch andere als illegitim wahrgenommene Praktiken. Zusätzlich ist dazu festzuhalten, dass neben den bereits akzentuierten semantischen Problemen auch diese normativen Definitionen die Diskursivität der Prozessdynamik zu verdeutlichen helfen. Der Raub selbst ist eine ökonomische Erwerbspraktik, die dem Plündern ähnelt, aber auch ohne militärische Operationen betrieben werden konnte. Insofern ist die Zunahme von Raubtaten ein weiteres Anzeichen für die Beförderung der Prozessdynamik, die seit der Erosion in Gallien gegeben war. Die Merowinger bemühten sich genauso wie die lokaladministrativ tätigen Bischöfe um die normativen Regelungen gegen das Rauben. Das Plündern war als Erwerbsweise nicht mehr auszuüben. Daher ist plausibel, dass einige Akteure den sozioökonomischen Modus wechselten und damit
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begannen, auch oder nur noch Räuber zu sein. Deswegen lässt sich formulieren, dass das Plündern als Erwerbsweise auch Effekte auf das sesshaft-sozioökonomische Leben der Bevölkerung hatte, wenn es nicht zu Plünderungen kam, da militärische Operationen nicht mehr stattfanden.
4 Aussagen zu der zweiten Generation nach Chlodwig I. zwischen 561 bis zum Tod Gundowalds im Jahr 585 Die Quellenlage zum Geschehen in Gallien zwischen 561 und 585 ist gegenüber der des letzten Kapitels weit umfangreicher. Aber nicht nur, dass das Kontinuum mit weit mehr Aussagen repräsentiert ist. Diese sind auch anderer Art: Gregor von Tours, der Autor der Hauptquelle decem libri historiarum und weiterer hagiographischer Texte, wurde in diesem Zeitraum zum Bischof investiert und begann mit der Arbeit an seinen Texten.1 Aufgrund der Aussagenfülle ist das vierte Kapitel in vier kürzere Kontinua gegliedert. Als Endpunkte der ersten drei Abschnitte sind die Jahre gesetzt, in denen ein Merowingerkönig der zweiten Generation nach Chlodwig I. starb. Der vierte Abschnitt endet 585, dem Jahr, in dem der Prätendent Gundowald getötet worden ist. Die Überlieferungslage ist geprägt von Aussagen zu militärischen Operationen in Gallien, die von Gregor als bella civilia bezeichnet werden.2 Gregor verwendet die Formulierung jedoch nicht nur für die zumeist von den Königen initiierten militärischen Operationen, bei denen die Brüder aus dem Geschlecht der Merowinger wie auch die Söhne gegen die Väter und die Onkel gegen die Neffen militärisch operierten,3 sondern auch für regionale und lokale Konflikte, die in der civitas Tours stattfanden.4 Die militärischen Operationen der Merowinger beförderten die Prozessdynamik als eine der Bedingungen des sesshaft-sozioökonomischen Lebens in Gallien und betrafen auf diese Weise das grundlegende Paradoxon des parzellierten Strukturierungszusammenhangs. Bischöfe sowie lokal- und regional-strukturelle Administratoren weltlicher Art waren von Plünderungen aktiv wie passiv betroffen. Die militärischen Operationen förderten somit auch regionale und lokale Konflikte. Aussagen dazu sind in den zeit- und ortsnahen Quellen umfangreich vorhanden. Die Leitfrage wird für die Bildung analytischer Kontexte erneut zum Teil modifiziert. Ausdrücklich soll aber festgehalten sein, dass viele Aussagen zur sozioökonomischen
1 Er wurde 573 zum Bischof von Tours. Vgl. Heinzelmann, Gregor: S. 26 ff. Zum Beginn der Arbeiten an seinen Texten auch Wood, Gregory: S. 3. Die Aussagen des Bischofs Gregor sind somit alle als orts- und zeitnah aufzufassen, was jedoch nicht den quellenkritischen Umgang mit den Texten ersetzen darf. Fragen nach den Rekursen und den Deutungen des Autors sind weiterhin zu stellen. 2 „Scrutamini diligenter veterum scripta, et videbitis, quid civilia bella parturiant.“ Greg. hist.: 5.0. Dazu Halsall, Preface: S. 301 f. 3 „Taedit me bellorum civilium diversitatis, que Francorum gentem et regnum valde proterunt, memorare; in quo, quod peius est, tempore illud quod Dominus de dolorum praedixit initium iam videmus: Consurgit pater in filium, filius in patrem, frater in fratrem, proximus in propinquum.“ Greg. hist.: 5.0. 4 „Gravia tunc inter Toronicos cives bella civilia surrexerunt.“ Greg. hist.: 7.47.
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Praktik des Plünderns vorhanden sind. Eine größere Zahl von ihnen kann in einen Zusammenhang zu bisherigen Untersuchungsergebnissen gebracht werden. Allerdings ist aufgrund der Zunahme von Aussagen zu den militärischen Operationen der Merowinger in Gallien gegeneinander auf bisherige Ergebnisse vor der eigentlichen Untersuchung in diesem Kapitel einzugehen: Im letzten Kapitel wurde als Ergebnis verzeichnet, dass das Plündern als eine sozioökonomische Praktik von der Praktik des Raubens auf der Deutungsebene zu differenzieren ist, wobei auch Parallelen zwischen beiden Praktiken erfasst worden sind. Das Plündern war von militärischen Operationen direkt bedingt, während das Rauben von ihnen nicht direkt bedingt war. Die stetigen militärischen Operationen nach 561, welche die Prozessdynamik als eine der Bedingungen des sesshaft-sozioökonomische Leben der Bevölkerung in Gallien beförderten, haben für diese Differenzierung auf der Deutungsebene die Konsequenz, dass sie nicht immer anzuwenden ist, was an den Aussagen aus dem Bestand des Kontinuums zwischen 561 und 585 in Gallien liegt. Mit diesen Aussagen wird zudem ersichtlich, dass die Prozessdynamik Effekte auf das sesshaft-sozioökonomischen Leben der Bevölkerung in Gallien im Allgemeinen hatte und nicht nur auf das Entstehen und Bestehen von herausragenden Akteuren, die in den Quellentexten zum Teil mit ganz unterschiedlichen Worten bezeichnet werden, die summierend unter der Kategorie „Große“ auf der Deutungsebene beschrieben werden können.5 Auch die Zahl der Aussagen zu lokal- und regionalstrukturellen Administratoren ist für die Zeit nach 561 ungleich größer, als es für die Zeit zuvor der Fall ist.6 Diese wurden bei militärischen Operationen nun auch als Anführer von Folgeleistenden tätig und plünderten. Sie raubten aber auch, wenn keine militärischen Operationen stattfanden.7 Aussagen zu beiden Erwerbspraktiken sind auch für Akteure gegeben, die nicht in lokal- und regional-strukturellen Positionen tätig waren.8 Aber auch ihnen wurde Folge geleistet. Jedoch sind sie in den Quellen insgesamt nicht immer zugleich auch mit einem der Worte bezeichnet, die unter der Kategorie „Große“ zusammengefasst werden können. Insofern ist der Zusammenhang von lokal- und regional-struktureller Administration sowie den herausragenden Akteuren zu beachten. Dafür ermöglicht die Formulierung „herausragender Akteur“ einen fruchtbaren Anschluss an die konvergenten Formen des Warlordism. Dabei darf nicht unbeachtet bleiben, dass Akteure wie Eunius Mummolus9 und Guntram Boso10 nicht mit einem Wort aus der Kategorie „Große“ zeitnah bezeichnet
5 Zu diesen Worten überblickend Grahn-Hoek, Oberschicht: S. 55 und Weidemann, Adel: S. 536. 6 Überblickend Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 17–33. 7 Greg. hist.: 4.24; 4.39; 5.36; 5.48; 5.49 und 6.12. 8 Greg. hist.: 4.43; 4.48; 5.1; 5.4; 5.5; 5.14; 5.20; 5.25; 5.49; 6.4; 6.10; 6.45; 7.2; 7.3; 7.9; 7.21; 7.29 und 7.31. Auch Greg. glor. conf.: 17; 40; 61; 80; 81; 86 und 90. Ebenso Greg. glor. mart.: 18; 72; 84; 89; 91 und 96. 9 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 133–136. 10 Vgl. ebd. S. 111–114.
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worden sind.11 Sie sind aber anhand der Quellenaussagen von orts- und zeitnahen Autoren auf der Deutungsebene adäquat mit „herausragende Akteure“ beschrieben, obwohl sie auch ohne ein Wort aus der Kategorie „Große“ in den orts- und zeitnahen Erzählungen als handlungsfähige Figuren konzipiert sind: Beide wurden mit Titeln aus der Administration der Könige bezeichnet12 und waren dann auch in Opposition zu diesen weiter aktiv.13 Beiden Akteuren wurde Folge geleistet14 und es wurde auch geraubt.15 In Modifikationen der Frage nach der Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen ist danach zu fragen, wie die herausragenden Akteure Folgeleistungen organisieren konnten, wenn sie nicht in einer Position der lokal- oder regional-strukturellen Administration tätig waren, wie die Art ihres Herausragens auf der Deutungsebene zu beschreiben ist und inwieweit das Entstehen und Bestehen der herausragenden Akteure überhaupt möglich war. War dafür zur Zeit der zweiten Generation nach Chlodwig I. das Innehaben einer Administratorenposition kausal? Zu erfragen ist nun auch, wie die Akteure in solchen Positionen Folgeleistungen organisiert haben. Diese Fragen waren bisher wegen der Aussagenlage der vorherigen Kontinua nur im Ansatz zu beantworten. Die Beförderung der Prozessdynamik mit den bella civilia ist dabei als eine Bedingung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens in den analytischen Kontexten dieses Kapitels bei den Modifikationen der Leitfrage zu berücksichtigen.
4.1 Aussagen bis zum Tod König Chariberts: Gallien 561–567 Im Verhältnis zu den anderen drei Abschnitten dieses Kapitels ist der erste durch eine geringere Zahl an Quellenaussagen repräsentiert. Aussagen zu Plünderungen fehlen fast ganz. Allerdings sind mehrere Aussagen gegeben, die die Bedingungen des Plünderns und des Organisierens von Folgeleistungen betreffen. Die Leitfrage ist für die Bildung analytischer Kontexte daher unter Bezug auf vorherige Ergebnisse zu modifi-
11 Guntram Boso wird nur einmal in der Chronik des sogenannten Fredegar als optimat bezeichnet. Fredeg.: 4.8. Dazu Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 111. 12 Eunius Mummolus war patricius König Guntrams Greg. hist.: 4.42. Zwar ist mit dieser Bezeichnung die zeitweilige Strukturgebundenheit des Eunius Mummolus eindeutig indiziert, doch ist der geographische Raum, auf den er sich bezog, nicht genau zu erfassen. Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 17. Guntram Boso wird von Gregor von Tours als dux bezeichnet. Er führte bei einer militärischen Operation Sigiberts I. gegen Theudebert, den Sohn des Chilperich I., Folgeleistende an. Greg. hist.: 4.50. Auch für ihn ist nicht klar, auf welchen geographischen Raum Guntram Boso sich bei seiner Tätigkeit bezog. Dazu Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 26. Dies kann wiederum mit dem Gebrauch des Wortes dux in Verbindung gebracht werden. Dazu Claude, Comitat: S. 45 f. 13 Beide waren beim zweiten Erscheinen des Prätendenten Gundowald gegen die Merowinger tätig. Vgl. Ewig, Merowinger: S. 45 f. 14 Greg. hist.: 6.26. 15 Greg. hist.: 5.25 und 6.24.
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zieren. Dafür sind anfänglich die Aussagen bis zum Tod König Chariberts16 im Jahr 56717 für die Bildung analytischer Kontexte zu gliedern: Der Strukturierungszusammenhang wurde 561 erneut nach einem innermerowingischen Konflikt parzelliert18 und nach dem Tod Chariberts 567 wurden seine civitates unter den zu dieser Zeit noch lebenden Königen verteilt.19 Mit der Parzellierung von 561 und dem Tod Chariberts 567 sind also zwei quellenimmanente Fixpunkte für die Gliederung des Unterkapitels gegeben. Zu fragen ist hierbei nicht nur nach dem Organisieren von Folgeleistungen während des Konflikts im Jahr 561, sondern auch nach dem grundlegenden Paradoxon des Strukturierungszusammenhangs, denn dieses war von der Parzellierung und der Aufteilung betroffen. Hierfür können Aussagen zu der zweiten Synode von Paris, der ersten von Saintes und der Synode von Tours herangezogen werden. Alle drei Synoden fanden noch vor dem Tod Chariberts statt.20 Ebenfalls sind die Aussagen zu den bella civilia zu beachten. Der Beginn der bella civilia mit den militärischen Operationen Königs Chilperichs I. gegen seinen Bruder Sigibert I. ist ebenfalls vor das Ableben Chariberts I. zu datieren.
4.1.1 Das Jahr 561: Der Strukturierungszusammenhang in Gallien Nach dem Tod Childeberts I. 558 wurde der parzellierte Strukturierungszusammenhang wieder vereint.21 Er bestand in seiner geographischen Einheit aber nur drei Jahre. Schon 561 starb Chlothar I., der letzte noch lebende Sohn Chlodwigs I. Seine vier Söhne begannen nun eine Auseinandersetzung, die zu einer erneuten Parzellierung führte. Wie schon gegen Ende des Lebens Chlodwigs I. waren Aspekte sesshafter und mobiler Lebensweisen für das Bestehen des Strukturierungszusammenhangs in Gallien auch in parzellierter Form grundlegend. Die Könige hatten in ihren Positionen seit Chlodwig I. eine funktionale Konstellation zu den Bischöfen ausgeprägt, deren Verfassung auf den Synoden vor 561 bereits definitorisch angegangen wurde.22
16 Charibert wird hier als König ohne Ziffer angegeben, da der zweite Merowinger mit diesem Namen als König immer in Abhängigkeit von seinem Bruder Dagobert I. agierte und nur in einem geographischen Raum von sehr geringem Umfang einen Teil des parzellierten Strukturierungszusammenhangs hatte. Dazu Ewig, Merowinger: S. 126 und Schneider, Königserhebung: S. 143–145. 17 Zur Debatte der Datierung Widdowson, Partitions: S. 8 f. 18 Vgl. Ewig, Teilungen: S. 135–138 und Widdowson, Partitions: S. 5 ff. 19 Für die Aufteilung der civitates des Charibert Ewig, Teilungen: S. 138 f. 20 Vgl. Pontal, Synoden: S. 122–128. 21 Greg. hist.: 4.20 und zur Datierung orts- und zeitnah Mar. aven. chron.: 558. 22 Begonnen hatten die Emanzipationsversuche bereits auf der zweiten Synode von Orléans 533. MGH Conc. 1 Concilium Aurelianense 533: c.3; c.4; c.5 und c.7. Die Versuche fanden 538 eine Fortsetzung in einer weniger konkreten Art, indem der Einfluss der Könige und anderer weltlicher Akteure
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Sie ermöglichten Einfluss auf die Positionierung der Inhaber der Bischofspositionen; also auf die Investitur von Bischöfen durch die Könige. Aber auch andere Mitglieder des Merowingergeschlechts beeinflussten die Investituren.23 Eben darin wirkte sich die Funktionalität der Konstellation aus. Sie bestand auch nach 561 weiter fort. In den gallischen civitates hatten die Könige über das Abgabensystem zudem exklusive Erwerbsobjekte. Für den Zugriff auf diese waren auch die Bischöfe wichtig, während ihre Positionen auf den Synoden als zentrale ökonomische Administratoren der Diözesen mit richterlichen Handlungskompetenzen definiert wurden.24 Zur Verteidigung der civitates und zur Erweiterung der Abgabensysteme brauchten die Könige aber Akteure, die ihnen Folge leisteten, wenn die Merowinger vor 561 militärisch operierten und auf diese Weise die Prozessdynamik als eine der Bedingungen des sesshaftsozioökonomischen Lebens der Bevölkerung in Gallien beförderten. Sozioökonomische Praktiken, die auf Sesshaftigkeit oder auf Mobilität beruhten, waren also nicht nur für das schlichte Entstehen, sondern ebenso für das weitere Bestehen des Strukturierungszusammenhangs in seiner parzellierten Form grundlegend. 4.1.1.1 Der Konflikt und die Parzellierung Chlothar I. hatte bei seinem Tod vier Söhne hinterlassen, die er von zwei seiner insgesamt sechs Ehegattinnen25 bekam. Charibert, Sigibert und Guntram waren Söhne des Königs mit Ingunde.26 Chilperich, den Chlothar I. bevorzugt haben soll,27 war ihm von Arnegunde, der Schwester der Ingunde,28 geboren worden. Dieser begann kurz nach dem Tod seines Vaters, sich die alleinige Kontrolle über alle gallischen civitates zu sichern. Dazu, so erzählt Gregor, bemächtigt sich Chilperich I. zuerst des thesaurus seines Vaters, der auf dem Landgut Brannacum lag, um Geschenke an franci utiliores29
normativ zu regeln versucht wurde. MGH Conc. 1 Concilium Avernense 535: c.2; c.4 und c.5. Auf der dritten und fünften Synode von Orléans wurde das Thema der funktionalen Konstellation zwischen den Bischöfen und den Königen weiterhin angegangen. MGH Conc. 1 Concilium Aurelianense 538: c.3 sowie MGH Conc. 1 Concilium Aurelianense 549: c.5 und c.10. 23 Überblickend Claude, Bischöfe: S. 18–54. 24 Die Positionen der Bischöfe sind zwar als zentrale ökonomische Administratorenpositionen der Diözesen mit richterlichen Handlungskompetenzen normativ definiert worden, jedoch heißt dies nicht, dass sie normativ vollkommen unabhängig definiert wurden. Dazu bereits MGH Conc. 1 Concilium Aurelianense 511: c.5. 25 Ihre Namen lauteten Ingunde, Arnegunde, Chunsina, Guntheuca, Radegunde und Walderada. Zu den ersten drei genannten Frauen Greg. hist.: 4.3. Zu Guntheuca Greg. hist.: 3.6. Zu Radegunde Greg. hist.: 3.7 und zu Walderada Greg. hist.: 4.9. 26 Greg. hist.: 4.3. 27 Ortsnah und relativ zeitnah Ven. fort. carm.: 9.1.33–38. 28 Greg. hist.: 4.3. 29 Grahn-Hoek sieht die franci utiliores jedoch nicht unter der Kategorie „Große“ summierbar. Für sie sind die franci utiliores eine fränkisch bestimmte Gruppe, wobei sie franci im Sinne einer ethnischen Zugehörigkeit akzentuiert. Zur Formulierung franci utiliores Grahn-Hoek, Oberschicht: S. 263 f.
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zu verteilen.30 Auf diese Weise wurden Folgeleistungen organisiert: Chilperich I. zieht nach Paris und nimmt die civitas ein. Seine drei Halbbrüder verbinden sich darauf gegen ihn und vertreiben ihn aus Paris.31 Materielle Güter und Ressourcen waren hier für das Organisieren von Folgeleistungen offenbar relevant; die Abstammung Chilperichs I. und soziale Beziehungen, welche die als franci utiliores bezeichneten Akteure zu seinem Vater hatten,32 scheinen ebenfalls wichtig gewesen zu sein. Unklar ist, ob diesen Akteuren andere Akteure direkt Folge leisteten oder ob es in übertragener Weise ablief. Dies ist neben den Aussagen zum Organisieren von Folgeleistungen durch die drei anderen Brüder zu untersuchen. Zu beachten ist, dass es sich bei den franci utiliores um eine Gruppe handelt, die aus der bereits spezifischen Gruppe der franci33 herausragte.34 Dass die franci utiliores als militärisches Mittel für den Königssohn relevant waren, ergibt sich aus dem Erzählkontext des 22. Kapitels des vierten Buches der decem libri historiarum: Erst nachdem Chilperich I. von den auf diese Weise bezeichneten Akteuren mit der Verteilung von Geschenken Folgeleistungen organisiert, kann er Paris einnehmen.35 Es ist aber unklar, ob den herausragenden Akteuren weitere Akteure Folge leisteten und sie deshalb als herausragend aufgefasst worden sind und auch wie viele Personen die franci utiliores umfassten. Es kann sich durchaus um eine relativ große Gruppe von Menschen gehandelt haben, die besonders erfolgreich bei militärischen Operationen tätig geworden waren, so dass sie als utiliores bezeichnet worden sind.36 Auch über die materiellen Güter und Ressourcen dieser Gruppe wird in der Passage nichts erzählt. Hingegen geht es auf der Basis der einen Aussage zu den Geschenken fehl, an der Annahme zu zweifeln, dass die franci utiliores nicht wegen ihrer materiellen Güter und Ressourcen herausragten.37 Festzuhalten bleibt, dass eine Verbindung von Gütern und Ressourcen und Folgeleistungen ausdrücklich gegeben ist. Dass Chil-
30 „Chilpericus vero post patris funera thesaurus, qui in villa Brannacum erant congregati, accepit et ad Francos utiliores petiit ipsusque muneribus mollitus sibi subdidit. Et mox Parisius ingreditur sedemque Childeberthi regis occupat; sed non diu ei hoc licuit possedere; […]“ Greg. hist.: 4.22. 31 „[…] nam coniuncti fratres eius eum exinde repulerunt, et sic inter se hii quattuor, id est Chariberthus, Gunthramnus, Chilpericus atque Sigiberthus, divisionem legitimam faciunt.“ Greg. hist.: 4.22. 32 Zu den Folgeleistungen bei den militärischen Operationen und der Beziehung Chlothars I. zu seinem Sohn Chilperich I. Widdowson, Partitions: S. 9 f. 33 Das Wort franci war allerdings ebenfalls einem semantischen Wandel unterzogen und konnte nicht nur ethnische Zugehörigkeit, sondern auch im Sinne der Zugehörigkeit zu einer herausragenden Gruppe als eine Art Elite im Strukturierungszusammenhang in Gallien gebraucht werden. Dazu Goetz, Franks: S. 341 ff. 34 Vgl. Grahn-Hoek, Oberschicht: S. 264. 35 Vgl. Widdowson, Partitions: S. 6 f. 36 Tendenziell für diese Annahme Grahn-Hoek, Oberschicht: S. 264 und Goetz, Franks: S. 343 f. Tendenziell dagegen Widdowson, Partitions: S. 9. 37 Erneut ist festzuhalten, dass Weidemann ausdrücklich betont, dass die Verfügbarkeit über materielle Güter und Ressourcen eine Gruppe von herausragenden Akteuren ergibt, die in den zeitnahen
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perich I. auf diese Weise Folgeleistungen organisieren konnte, zeigt die Aussage zu seinem Erfolg in Paris. Von weiteren Organisationsversuchen erzählt Gregor nicht. Möglich bleibt somit zwar, dass Erwerbschancen ein Aspekt des Organisierens von Folgeleistungen waren und nicht nur die franci utiliores Folge leisteten. Evident ist dies aber genauso wenig, wie das direkte Folgeleisten von Akteuren gegenüber den franci utiliores. Das Organisieren von Folgeleistungen durch die drei Halbbrüder Chilperichs I. ist noch weniger fassbar. Selbst von Geschenken oder einigen herausragenden Akteuren erzählt Gregor nichts. Sicher ist, dass ihnen Akteure Folge geleistet haben müssen, da sie Chilperich I. sonst nicht hätten aus Paris vertreiben können.38 Der erste innermerowingische Konflikt der zweiten Generation nach Chlodwig I. eskalierte aber nach Gregor letztlich nicht. Es kam zu der angesprochenen Parzellierung.39 Jeder der Königssöhne erhielt eine sedes und ein regnum, wobei das Wort von Gregor im Sinne einer Summe an civitates des gesamten Strukturierungszusammenhanges gebraucht wird.40 Die Orientierung bei der Parzellierung an den regna der Chlodwigsöhne erscheint in Anbetracht der Aussagen zu den später inkorporierten civitates im südöstlichen Gallien eher fraglich.41 Bei den Aussagen zur ersten Parzellierung konnte eine Verbindung zum Organisieren von Folgeleistungen nicht angenommen werden, da Aussagen dazu für die Zeit der ersten Generation nach Chlodwig I. schlicht fehlen. An dieser Stelle soll bereits ausblickend festgehalten werden, dass Quellenaussagen zu einem Zusammenhang der Parzellierung des Strukturierungszusammenhangs und dem Organisieren von Folgeleistungen in relativ großer Zahl vorhanden sind. Sie sind aber noch nicht für dieses Kontinuum gegeben. Sie werden daher erst in den nächsten drei Unterkapiteln untersucht. Für die Aussagen zu dem innermerowingischen Konflikt, der zu der Parzellierung des Jahres 561 führte, kann abschließend festgehalten werden, dass herausragende Akteure und materielle Güter und Ressourcen evidentermaßen relevant waren. Folgeleistungen konnten organisiert werden. Unklar muss bleiben, inwieweit die franci utiliores herausragten und worin dieses Herausragen genauer bestand. Der innermerowingische Konflikt endet mit der Parzellierung von 561 nur für eine kurze Zeit. König Chilperich I. operierte militärisch gegen einen seiner Halbbrüder: Einige der civitates König Sigiberts I. wurden, als er sich bei einer eigenen militäri-
Aussagen eindeutig fassbar ist. Vgl. Weidemann, Adel: S. 535. Ähnlich Grahn-Hoek, Oberschicht: S. 273 und Irsigler, Adels 1981: S. 221 ff. 38 Vgl. Widdowson, Partitions: S. 6. 39 Greg. hist.: 4.22. 40 „Deditque sors Charibertho regnum Childeberthi sedemque habere Parisius, Gunthramno vero regnum Chlodomeris ac tenere sedem Aurilianensem, Chilperico vero regnum Chlothari, patris eius, cathedramque Sessionas habere, Sygibertho quoque regnum Theuderici sedemque habere Remensim.“ Greg. hist.: 4.22. 41 Vgl. Widdowson, Partitions: S. 5 f. und Ewig, Teilungen: S. 157 f. Dazu Greg. hist.: 3.11 sowie ortsund zeitnah Mar. aven. chron.: 534.
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schen Operation befand, von Chilperich I. und seinem Sohn Theudebert militärisch inkorporiert.42 Insofern kann die als rechtmäßig beschriebene Parzellierung von 56143 als ein Auslöser des Beginns der bella civilia bezeichnet werden, da in den Quellen zu beiden Fällen Chilperich I. indirekt und auch direkt darum bemüht dargestellt wird, civitates zu erlangen. 4.1.1.2 Die Definitionen der Funktionalität der Konstellation zwischen den Königen und den Bischöfen Die Datierung der zweiten Synode von Paris44 ist nicht einfach. Da aber entgegen vorher verfasster Synodalakten die Namen von Königen nicht genannt werden, ist das Ausbleiben ein Argument dafür, die Synode in die Zeit des ersten innermerowingischen Konflikts nach dem Tod Chlothars I. zu datieren. Somit sind das Jahr 561 wie auch der Beginn des Jahres 562 wahrscheinlich.45 Aussagen zum Plündern sind in den Akten nicht vorhanden. Einige Aussagen beziehen sich jedoch nicht nur auf die ökonomische Administration der gallischen Diözesen, sondern auch auf die Funktionalität der Konstellation zwischen den Bischöfen und den Königen. Sie haben somit auch einen indirekten Bezug auf die sozioökonomische Praktik des Plünderns, da die auf Sesshaftigkeit beruhende Güterproduktion und die als Anführer tätigen Könige betroffen sind. Dabei schließen die Teilnehmenden durchaus an die Akten älterer Synoden an.46 Die in den beiden vorherigen Kapiteln thematisierte Tendenz in den Synodalakten, die ökonomische Administration der Diözesen, die sozioökonomisch und strukturell mit den civitates verflochten waren, auf die Bischofsposition zu konzentrieren und die Position dabei zusätzlich mit richterlichen Kompetenzen zu versehen, ist auch in den Akten der zweiten Synode von Paris nachzuvollziehen.47 Jedoch wird
42 Greg. hist.: 4.23. 43 „Et mox Parisius ingreditur sedemque Childeberthi regis occupat; sed non diu ei hoc licuit possedere; nam coniuncti fratres eius eum exinde repulerunt, et sic inter se hii quattuor, id est Chariberthus, Gunthramnus, Chilpericus atque Sigiberthus, divisionem legitimam faciunt.“ Greg. hist.: 4.22. Die Kritik an den Erzählungen Gregors von Widdowson geht dahingehend fehl, dass er den Legitimitätsaspekt in Frage stellt und von sprachlich-operativen Konzeptionen des Bischofs zwischen den Parzellierungen 511, 561 und dem Vertrag von Andelot ausgeht. Vgl. Widdowson, Partitions: S. 20 f. Die Parzellierung war aber mit den Jahren 511 und 561 nicht abgeschlossen. Die militärischen Operationen führten zu ständigen Wechseln der civitates und somit zu einer geographischen Vergrößerung sowie Verkleinerung der Summe der civitates der einzelnen Könige. Legitimitätsaspekte sind daher nur perspektivisch zu beschreiben und eher als temporär aufzufassen. 44 Es sind nur die Akten der zweiten Synode von Paris 561/2 vorhanden. Die Synode von Saintes ist nur durch eine der Erzählungen Gregors nachzuvollziehen. Überblickend Pontal, Synoden: S. 122–131. 45 Vgl. Pontal, Synoden: S. 122. 46 Überblickend ebd.: S. 250–252 und S. 256–260 sowie S. 266. 47 MGH Conc. 1 Concilium Parisiense 556–573: c.1; c.2 und c.6.
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dabei auch die Beziehung zu den Königen mit deutlichem Bezug zu deren Praktik der (Re-)Distribution48 von Landgütern tangiert, die zuvor noch nicht in den erhaltenen Synodalakten berührt worden ist: Wenn ein König ein Landgut verteilt, das einer Kirche gehört, ist dieser Akt ungültig.49 Auch wird verboten, das Landgut eines anderen Akteurs anzunehmen, wenn dieses von einem König verteilt wird.50 Diese canones vermitteln nicht nur eine sozioökonomische Praktik der Könige, auf deren Funktion als Steuermedium für das Entstehen von herausragenden Akteuren im dritten und vierten Unterkapitel ausdrücklich einzugehen ist. Sie zeigt auch, dass die Konsolidierung der Präsenz der Könige auch über diese Verteilungspraktik von Landgütern vollzogen worden ist: Ein König konnte auf diese Weise Akteure positionieren und dabei ökonomisch in geographischen Räumen binden. Nicht nur der Aspekt der ökonomischen Belohnung als Steuermedium, sondern auch die Konsolidierung der Präsenz eines Königs über soziale Beziehungen zu den positionierten Akteuren in den civitates sind Aspekte dieser Praktik. Sie konnte nicht nur weltliche Akteure, sondern auch die Inhaber von Bischofspositionen betreffen.51 Die Teilnehmer der zweiten Synode von Paris regulierten aber nicht nur diese Praktik. Sie waren auch an der Sicherung der ökonomischen Grundlage der Diözesen interessiert. Dies zeigt nicht nur die Aussage zur Ungültigkeit der (Re-)Distribution – anders formuliert: der Verteilung – an die Inhaber der Bischofspositionen.52 Auch durch militärische Operationen erworbene Landgüter der Kirchen sollten zurückgegeben werden.53 Das Interesse lässt sich auch damit verdeutlichen, dass die Definition dieser Ungültigkeit der als illegitim gedeuteten Verteilungen auch rückwirkend bis in die Zeit Chlodwigs I. geltend gemacht wurde.54 Die Bischöfe mussten für die Rückgabe der betroffenen Landgüter sorgen.55 Insofern lässt sich formulieren, dass diese Versuche der Sicherung und Wiederherstellung der ökonomischen Grundlagen der Kirchen eine Emanzipation von den Königen zumindest auf der normativen Ebene darstellen. Für die Plausibilisierung dieser Annahme können weitere Aussagen aus
48 Redistribution als eine Grundform ökonomischer Integration ist von Karl Polanyi als „Bewegungen auf ein Allokationszentrum hin und wieder heraus“ definiert. Polanyi, Theory: S. 172. Es geht dabei immer um die Sammlung in einem und die Verteilung aus einem Zentrum. Vgl. Polanyi, Theory: S. 169 ff. Die Silbe Re- ist daher in Klammern gesetzt, weil unklar ist, inwieweit die Landgüter zuvor überhaupt „gesammelt“ worden sind. Dass es sich um Verteilung, also um Distribution, handelt, kann hingegen als sicher bezeichnet werden. 49 MGH Conc. 1 Concilium Parisiense 556–573: c.1. 50 MGH Conc. 1 Concilium Parisiense 556–573: c.6. 51 MGH Conc. 1 Concilium Parisiense 556–573: c.1 und c.2. Wie bereits im zweiten Kapitel gezeigt, ist die persönlich-soziale Beziehung eines Akteurs zu einem König bei der Investitur eines Bischofs nicht irrelevant gewesen. 52 MGH Conc. 1 Concilium Parisiense 556–573: c.1 und c.3. 53 MGH Conc. 1 Concilium Parisiense 556–573: c.1. 54 MGH Conc. 1 Concilium Parisiense 556–573: c.1 und c.3. 55 MGH Conc. 1 Concilium Parisiense 556–573: c.1 und c.2.
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den Akten der zweiten Synode von Paris hinzugezogen werden. Sie betreffen die Konstellation zwischen den Königs- und den Bischofspositionen. Die Funktionalität dieser Konstellation war auf der Synode von Orléans 511 festgelegt worden.56 Zum Ergebnis hatte die bisherige Untersuchung der Funktionalität, dass der Prozess der Bischofsinvestitur hinsichtlich der beteiligten Akteure und der Legitimationsart nicht immer gleich war. Die Simonie und die Beteiligung der Könige an der Investitur wurden auch auf der zweiten Synode von Paris thematisiert. Auf den vorherigen Synoden zur Zeit der ersten Generation nach Chlodwig I. waren die beiden Themen bereits von den Teilnehmenden angegangen worden. Schon auf der zweiten Synode von Orléans aus dem Jahr 533 wurden gegen die Simonie57 und die Einflussnahme der Könige bei der Investitur58 von den Beteiligten vorgegangen. Auf der Synode von Clermont im Jahr 535 wurde dann nicht nur die Einflussnahme der Könige auf die Bischofsinvestitur erneut zum Thema gemacht,59 sondern auch eine Einschränkung der Könige und ihrer Administratoren in die kirchlichen Angelegenheiten definiert.60 Die Bischofsinvestitur wurde auch auf der dritten61 und der fünften62 Synode von Orléans aus den Jahren 538 und 549 besprochen. Dabei wurde auf der letztgenannten Synode auch die Simonie erneut thematisiert.63 Dass die Teilnehmenden auf den Synoden auch auf die canones älterer Synoden rekurrierten, die in Bezug auf die Bischofsinvestitur und die Simonie zuvor verfasst worden waren, kann als wahrscheinlich bezeichnet werden.64 Auf der zweiten Synode von Paris wurde dann die Investitur eines Bischofs durch einen König ausdrücklich als illegitim bezeichnet65 und die Beteiligung der Metropoliten sowie die Wahl als das primär legitimierende Verfahren festgelegt. Die Einflussnahme der Könige, die in der Funktionalität der Konstellation seit 511 bestand, wurde ausdrücklich definiert: Der Einfluss des Königs durfte nicht mehr konstitutiv für die Investitur eines Bischofs sein.66 Die Beteiligung der Metropoliten für die Investitur von Bischöfen in eine ihrer Suffragandiözesen ist keine Innovation, sondern ein Rekurs auf ältere Traditionen.67 Ebenfalls sind relativ zeit- und ortsnahe Erzählungen zur Simonie und zur Beteiligung
56 „De ordinationibus clericorum id observandum esse censuimus, et nullus seacularium ab clericatus officium praesumatur nisi aut cum regis iussione aut cum iudicis voluntate; […]“ MGH Conc. 1 Concilium Aurelianense 511: c.4. 57 MGH Conc. 1 Concilium Aurelianense 533: c.4 und c.5. 58 MGH Conc. 1 Concilium Aurelianense 533: c.3 und c.7. 59 MGH Conc. 1 Concilium Avernense 535: c.2 und c.5. 60 MGH Conc. 1 Concilium Avernense 535: c.5 und c.14. 61 MGH Conc. 1 Concilium Aurelianense 538: c.3. 62 MGH Conc. 1 Concilium Aurelianense 549: c.10. 63 MGH Conc. 1 Concilium Aurelianense 549: c.10. 64 Vgl. Pontal, Synoden: S. 97 f. 65 MGH Conc. 1 Concilium Parisiense 556–573: c.8. 66 MGH Conc. 1 Concilium Parisiense 556–573: c.8. 67 Vgl. Lotter, Bischofserhebungen: S. 112–150.
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von Mitgliedern der merowingischen Familie vorhanden,68 so dass die Aussagen aus den Synodalakten nicht rein in ihrer Textgattung isoliert untersucht werden können. Dazu ist festzuhalten, dass die Bischöfe trotz ihrer Bemühungen auf den Synoden offenbar nicht erreichten, dass die Könige sich nicht mehr in der unerwünschten Art bei der Investitur und in Fällen der Simonie verhalten haben.69 Tatsächlich verarbeitet Gregor von Tours auch für die Zeit nach 561 Informationen zu einem Fall, der zu einer ersten Synode in Saintes führte.70 Die Akten der Synode sind jedoch nicht erhalten. Gregor schreibt als einziger über sie.71 Genauer erzählt er, dass der Bischof Emerius von Saintes durch den Metropoliten Leontius von Bordeaux abgesetzt wird, da Emerius nicht unter Berücksichtigung kirchlicher Normen investiert worden ist: Er hatte einen Erlass bei Chlothar I. erwirkt; doch die Zustimmung des Metropoliten von Saintes fehlte.72 Das Bistum Saintes war eine Suffragandiözese des Bistums Bordeaux.73 Einige Akteure aus Saintes74 setzen nach der Absetzung des Bischofs eine Urkunde auf, in der sie den aus der civitas Bordeaux stammenden Priester Heraclius zum Bischof erbitten, unterschreiben sie und schicken Heraclius mit ihr nach Paris zu König Charibert.75 Auf seinem Weg nach Paris kehrt er in Tours ein, erzählte über die Absetzung und bittet den Bischof Eufronius um die Unterzeichnung der Urkunde; doch Eufronius weigert sich.76 Danach zieht er weiter nach Paris und legt Charibert die Angelegenheit dar. Dieser weigert sich aber nicht nur, dem Verlangen nachzukommen. Er bestraft die an der Absetzung Beteiligten sogar, indem er Strafabgaben eintreiben lässt.77
68 Zur Simonie bei der Bischofinvestitur Greg. hist.: 3.2; 4.35; 6.7; 6.39; 8.22 und 10.26. Zur Beteiligung an Bischofsinvestitur durch Mitglieder der Merowingerfamilie Greg. hist.: 3.2; 3.17; 4.5; 4.6; 4.7; 4.11; 4.15; 4.18; 4.32; 4.35; 5.5; 5.46; 6.9; 6.15; 6.38; 6.39; 7.31; 8.20; 8.22; 8.39; 8.41; 9.23 und 9.24. 69 Vgl. Claude, Bischöfe: S. 60 ff. 70 Greg. hist.: 4.26. 71 Vgl. Pontal, Synoden: S. 127. 72 Greg. hist.: 4.26. 73 Vgl. Pontal, Synoden: S. 28. 74 Die Aussage zu dieser Akteursgruppe ist nicht eindeutig. „Quo eiecto, consensum fecere in Heraclium tunc Burdigalensis urbis presbiterum; […]“ Greg. hist.: 4.26. Nach der Aussage müssten alle Bewohner der civitas beteiligt gewesen sein. Jedoch ist deren Beteiligung nur schwer praktisch zu realisieren gewesen, denn die sozioökonomischen Unterschiede und Abhängigkeitsbeziehungen differenzierten die civitates-Gemeinschaften sehr wahrscheinlich insgesamt intern, so dass eine gleichwertige Beteiligung als unwahrscheinlich anzunehmen ist. 75 Greg. hist.: 4.26. 76 „Qui veniens Toronus, rem gestam beato Eufronio pandit, depraecans, ut hoc consensum subscribere dignaretur; quod vir Dei manifeste respuit.“ Greg. hist.: 4.26. 77 „Et statim directis viris relegiosis, episcopum in loco restituit, dirigens etiam quosdam de camarariis suis, qui, exactis Leontio episcopo mille aureis, reliquos iuxta possibilitatem condempnavit episcopos.“ Greg. hist.: 4.26.
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Da der Bischof Eufronius, der Vorgänger Gregors,78 als Figur in der Erzählung auftritt, ist plausibel, dass er von ihm einige der Informationen – besonders die über sein Nichtunterzeichnen – erhalten hat. Unübersehbar auffällig ist zum einen die Divergenz zwischen dem Soll- und dem Ist-Zustand: Da es sich bei den Akten der Synoden um normative Aussagen zur Definition der Bischofsinvestitur handelt, können diese unter der Berücksichtigung der Perspektive der an den Synoden Teilnehmenden als Soll-Zustand bezeichnet werden. Die Erzählung zeigt – wie andere Aussagen in Bezug auf die Investitur von Bischöfen, die zuvor untersucht wurden – dass der Soll-Zustand nicht einfach realisiert werden konnte: Nicht nur, dass der König sich nicht an die normativen Definitionen der Kirchen hält. Auch der Bischof Eufronius von Tours handelt ihnen nicht gemäß. Die Annahme, dass Definitionen von illegitimen Verteilungen und Aneignungen von Landgütern aus den ökonomischen Grundlagen der Kirchen eine Emanzipation von den Königen auf der normativen Ebene zeigen, lässt sich somit zwar bestätigen. Zugleich aber zeigt sich aber auch, dass die normativen Definitionen zwischen 561 und 567 nicht zu einer Determination sozialer Interaktion führten. Andere Aussagen zeigen aber, dass dies nicht durchgehend der Fall war. Wie erwähnt, war auf den Synoden versucht worden, das Eingreifen der Könige und der Administratoren zurückzudrängen. Dazu ist anzuführen, dass von Chlothar I. erlassene Abgaben auch zur Zeit Chariberts in Tours nicht eingezogen wurden. Zwar versuchte der comes Gaiso79 mittels älterer Abgabenrollen, solche einzuziehen, doch wurde er dabei vom Bischof Eufronius gehindert. Charibert versuchte danach nicht mehr, die Abgaben zu erlangen. Die Rollen wurden letztlich verbrannt80 – so erzählt Gregor in den decem libri historiarum. Selbstredend ist in diesen Aussagen kein kausaler Zusammenhang zu den normativen Definitionen in den Synodalakten zu attestieren. Allerdings zeigen sie, dass die Könige die sesshaften civitates-Gemeinschaften nicht vollkommen unabhängig von definitorischen Regelungen behandelten – auch wenn in einer späteren Heiligenvita von einer endgültigen Abgabenbefreiung der Kirche von Tours durch König Dagobert I. erzählt wird.81 Zwar erzählt Gregor die Furcht Chariberts vor dem heiligen Martin von Tours,82 doch da er eine solche Furcht im Fall der Behandlung des Hera-
78 Eufronius war mit Gregor verwandt. Vgl. Heinzelmann, Gregor: S. 15 f. 79 Ansonsten sind keine weiteren Aussagen zu ihm gegeben. Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 95. 80 Greg. hist.: 9.30. 81 Nach Gregor wurden der Kirche von Tours bereits zur Zeit des Königs Charibert alle Abgaben endgültig erlassen. Greg. hist.: 9.30. In der Vita des heiligen Eligius aber steht, dass erst Dagobert I. der besagten Kirche alle Abgaben erließ. Vita Eligii: 1.32. 82 „Sed rex ingemiscens ac metuens virtutem sancti Martini, ipsum incendio tradedit; aureus exactus basilicae sancti Martini remisit, obtestans, ut nullus de populo Toronico ullum tributum publico redderit.“ Greg. hist.: 9.30.
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clius nicht erwähnt, handelt es sich wahrscheinlich um eine Deutung des Autors bei seiner literarischen Verarbeitung der Informationen. Die Regelungen definitorischer Art waren also nicht vollkommen irrelevant und somit werden auch die normativen Definitionen auf den Synoden als Emanzipationsversuche nachvollziehbar. Abschließend ist festzuhalten, dass mit dem Tod Chlothars I. 561 die seit 511 bestehende Funktionalität der Konstellation zwischen den Bischöfen und den Königen nicht statisch war. Dies zeigt die Divergenz zwischen Soll- und Ist-Zustand: Nicht nur, dass die Synodenteilnehmer um die Vereinheitlichung der Investitur definitorisch bemüht waren. Sie wollten den König als eine nur zustimmende Instanz integrieren, während die Erzählungen zeigen, dass weder eine Einheitlichkeit, noch eine ausschließlich zustimmende Funktion in der Konstellation zwischen den Königen und den Bischöfen gegeben war. Dies konnte der Fall sein. Es war aber nicht durchgehend der Fall.83 Die Diskursivität der Prozessdynamik wird auch hier deutlich: Nach dem Tod Chlothars I. versuchte die zweite Synode von Paris, die Funktionalität der Konstellation in ein einheitliches Modell mit einem nachvollziehbaren Rekurs auf ältere Traditionsformen der Bischofsinvestitur zu überführen. Dieses Modell zu realisieren, gelang nicht. Offenbar waren nicht nur die Könige, sondern auch andere Kleriker84 nicht derart an den kirchlichen Normen orientiert, dass sie in ihren Handlungen durch die Normen determiniert wurden. Von einer reinen Zustimmung der Könige und von der Einheitlichkeit des Verfahrens kann praktisch nicht ausgegangen werden. Dies gilt auch für andere Verfahren, was die Aussagen zum Abgabenerlass zeigen. An anderen Orten wurden solche weiterhin eingezogen. Auch die Aussagen zu den situationsbezogenen Strafabgaben zeigen dies. Lokalität und soziale Beziehungen zwischen den Königen und ihren klerikalen Partnern in den civitates waren in Bezug auf das sesshaft-sozioökonomische Leben der Bevölkerung offenbar weit wichtiger, auch wenn die Teilnehmer an den Synoden versuchten, die ökonomische Basis der Kirchen in den civitates zu sichern. Diese Ergebnisse haben Implikationen für die Leitfrage: Zum einen ist mit der Bischofsinvestitur und dem Abgabenerlass die Dimension zwischen den Königen und den sesshaften civitates-Gemeinschaften in Gallien betroffen, die schon davor und nach 561 unter Plünderungen zu leiden hatten. Die Bemühung der Teilnehmer an den Synoden um die Sicherung der ökonomischen Basis – auch vor Plünderungen und Raub – war grundlegend für die Möglichkeit der An- und Einbindung von Menschen aus den civitates in das sesshaft-sozioökonomische Leben der Kirchen. Da das konkrete Überleben von Menschen aus diesen Gemeinschaften durch Plünderungen bedroht war, kann angenommen werden, dass das Verteilen von Subsistenz-
83 Erneut Greg. hist.: 3.2; 3.17; 4.5; 4.6; 4.7; 4.11; 4.15; 4.18; 4.32; 4.35; 5.5; 5.46; 6.9; 6.15; 6.38; 6.39; 7.31; 8.20; 8.22; 8.39; 8.41; 9.23 und 9.24. Dazu Claude, Bischöfe: S. 60 ff. 84 Kleriker werden zur Bestrafung des Metropoliten entsandt. Greg. hist.: 4.26.
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mitteln als eine Praktik aufzufassen ist, die weitere Plünderungen und Raub durch die bedürftig gewordenen Menschen verhindern oder eindämmen konnte.85 Dafür brauchten die Kleriker aber eine ökonomische Basis. Die Annahme ist hinsichtlich ihrer Wahrscheinlichkeit in den weiteren analytischen Kontexten noch zu fundieren. Zum anderen waren die Könige auch Anführer bei militärischen Operationen und mit dem Tod Chlothars I. wurden diese während der sogenannten bella civilia vermehrt geführt. Die civitates waren also als exklusive Erwerbsmittel gefährdet und dabei waren die sozialen Beziehungen zu den Bischöfen praktisch relevanter als die Orientierung an den normativen Definitionen der Synodalakten. Die Präsenz der Könige konnte mittels dieser Beziehungen konsolidiert werden. Dafür war auch die Positionierung von Akteuren in die lokal- und regional-strukturelle Administration weltlicher Art86 notwendig. Dabei darf aber auch nicht außer Acht gelassen werden, dass die Administratoren der Könige auch die Kirchen entgegen ihrer Aufgaben ökonomisch schädigten. Aussagen dazu sind für die Zeit kurz nach dem Tod Chariberts gegeben.87 Zu dieser Zeit hatten die militärischen Operationen der Merowinger aus der zweiten Generation nach Chlodwig I. bereits begonnen.
4.1.2 Externe Einfälle und der Beginn der bella civilia Die Aussagen zum Beginn der militärischen Operationen der merowingischen Könige der zweiten Generation nach Chlodwig I. sind mit Erzählungen über externe Einfälle nach Gallien verbunden: Gregor erwähnt zwei Angriffe von „Hunnen“. Bei der einen Erzählung wurden zusätzlich Informationen zu einer militärischen Operation der merowingischen Könige literarisch verarbeitet. Zumindest, das muss betont werden, ist sie in Anbetracht der zeit- und ortsnah verfassten Texte die erste ausdrückliche Erzählung dieser Art.88 Bevor die Untersuchung der Textpasse begonnen wird, soll kurz auf die zweite Erzählung Bezug genommen werden: Gregor erzählt erst nach dem Tod König Chariberts, dass die „Hunnen“ erneut in Gallien eindringen.89 Die Datierung dieser „hunnischen“ Operation wird jedoch auf 566 festgelegt.90 Trotz der Datierung ist die Erzählung für die Untersuchung nicht zu verwenden, da weder Aussagen zu Plünderungen noch zum parzellierten Strukturierungszusammenhang in Gallien vorhanden sind. Erwähnenswert ist, dass die in dieser wie in der noch zu
85 Vgl. Effros, Community: S. 55–69. 86 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 17–33 und Zotz, Würden: S. 19 ff. 87 Greg. hist.: 4.24 und 4.39. 88 Vgl. Widdowson, Partitions: S. 6 ff. 89 Für die Erzählung zum Tod Chariberts Greg. hist.: 4.26. Für die Erzählung über den zweiten Angriff von „hunnischen“ Akteuren Greg. hist.: 4.29. 90 Vgl. Pohl, Awaren: S. 46 und S. 499.
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Quellenuntersuchung
untersuchenden Erzählung erwähnten „Hunnen“91 awarische Akteure waren. Dafür ist nicht nur eine Passage aus dem großteils nur fragmentarisch erhaltenen historiographischen Werk des oströmischen Autors Menander Protector92 heranzuziehen. Auch das vorherige Schwinden der als „hunnisch“ bezeichneten Akteure93 in den Quellen und ein Wort94 aus der zweiten Erzählung Gregors selbst sind dafür zu verwenden. Der Einfall wird als Versuch der Einflussnahme des oströmischen Kaisers gedeutet,95 der auch an dem Erscheinen des Prätendenten Gundowald beteiligt war.96 Die erste Erzählung zu einem Einfall der Awaren endet mit einem Sieg König Sigiberts I. Während dieser Operation hat aber König Chilperich I. civitates seines Halbbruders erlangt und ist bis nach Reims vorgedrungen.97 Sigibert I. zieht daraufhin nach Westen, gewinnt seine civitates zurück und nimmt Theudebert, den Sohn Chilperichs I., in der civitas Soissons gefangen. Danach wird Chilperich I. von Sigibert I. geschlagen und in die Flucht getrieben.98 Aus den nur wenigen Zeilen zu der ersten, ausdrücklich erzählten Militäroperation der Merowinger der zweiten Generation nach Chlodwig I. gegeneinander ist festzustellen: Über Plünderungen wird von ihm nichts – auch nicht in Bezug auf die Awaren – erzählt. Zudem fehlen Aussagen zu weiteren herausragenden Akteuren, wie auch Aussagen zu den Folgeleistenden der beiden Könige gänzlich fehlen. Dass aber die Könige nicht allein operiert haben können, kann kaum bestritten werden. Auch wird von Gregor kurz darauf die Beteiligung von „Großen“ (senioribus secum)99 bei der Hochzeit Sigiberts I. mit der westgotischen Prinzessin Brunhild100 erwähnt.101 Insofern erscheint die Erzählung Gregors als eine sprachliche Reduktion des Geschehens.
91 Greg. hist.: 4.23 und 4.29. 92 Anhand eines Fragments des Menander Protector kann mit Sicherheit festgemacht werden, dass es sich um primär awarische Akteure handelt. Mena. Protec.: 11 = Exc. de Leg. Gent. 10 (ed. Blockley, Menander: S. 127 f.). Dazu orts- und zeitfern mit einer Identifikation von „Hunnen“ und Awaren Paul. hist. lang.: 2.10. 93 Vgl. Stickler, Hunnen: S. 107 ff. 94 „Sed et rex Chunorum multa munera regi Sigybertho dedit. Vocabatur enim gaganus. Omnes enim regis gentes illius hoc appellantur nomine.“ Greg. hist.: 4.29. Das Wort gaganus, übersetzbar mit Khagan oder Kahn indiziert dies. Der Titel bezeichnet den zentralen Anführer awarischer Gemeinschaften und ihrer Kooperationspartner sowie Abhängigen. Vgl. Pohl, Awaren: S. 68. 95 Vgl. Pohl, Awaren: S. 46. 96 Vgl. Goffart, Gundovald: S. 74 ff. 97 Greg. hist.: 4.23. 98 Greg. hist.: 4.23. 99 „Ille vero, congregatus senioribus secum, praeparatis aepulis, cum inminsa laetitia atque iocunditate eam accepit uxorem.“ Greg. hist.: 4.27. Zum Wortgebrauch Weidemann, Adel: S. 536. 100 Vgl. Anton, Art. Brunichilde: S. 588–589. 101 Greg. hist.: 4.27. Auch Ven. fort. carm.: 6.1.
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Gregor schreibt, dass mit der militärischen Operation Chilperichs I. ein bellum civile zwischen den beiden Halbbrüdern beginnt.102 Diese Formulierung impliziert die Beteiligung der Bewohner der gallischen civitates und tatsächlich gebraucht der Bischof diese Formulierung an einer anderen Stelle in den decem libri historiarum, wenn es um einen Konflikt zwischen Bewohnern aus der civitas Tours geht.103 Hiermit ist nicht nur die aktive Beteiligung von Bewohnern aus den civitates-Gemeinschaften gemeint, sondern auch das Leiden der Bewohner während der militärischen Operationen.104 Die Beteiligung der Bewohner der civitates selbst ist – ob nun in einer aktiv-erwerbenden oder passiv-verlierenden Weise – durch die Formulierung eindeutig angesprochen. Dass Plünderungen und andere Erwerbspraktiken materieller Güter und Ressourcen zu einem Versorgungsproblem der Bewohner mit Subsistenzmitteln werden konnten, ist auch in den Aussagen aus den Synodalakten schon vor der Mitte des 6. Jahrhunderts mehrfach fassbar.105 Gregor erzählt eindeutig, dass die civitates des Sigibert I. das Ziel während der militärischen Operation des Jahres 566 waren, die er nach seiner Rückkehr militärisch wiedergewinnen musste.106 Nicht nur, dass damit eine schnelle Neustrukturierung der civitates im parzellierten Strukturierungszusammenhang (also eine auf militärischen Operationen basierende Variation der Summe an Parzellen eines Königs oder auch deren geographische Ausdehnung selbst) erwähnt wird. Klar wird zudem, dass die Präsenz eines Königs für das Bestehen eines Strukturierungszusammenhangs weiterhin relevant war.107 Die Versuche der Konsolidierung dieser Präsenz aber wurden mit dem Beginn der bella civilia erschwert: Nicht nur das sesshaft-sozioökonomische Leben der Bevölkerung Galliens wurde mit dem Beginn der bella civilia von der Prozessdynamik tangiert. Auch die Zugehörigkeit der civitates zu den Königen konnte aufgrund der militärischen Operationen mehrfach variieren. Die Quellenaussagen zeigen die Relevanz des Abgabensystems für die Könige indirekt: Ziel der militärischen Operation waren die civitates Sigiberts I. Daher kann formuliert werden, dass die militärische Operation von der Parzellierung 561 ausge-
102 „Ex hoc enim inter eos, quod peius est, bellum civile surrexit.“ Greg. hist.: 4.23. 103 „Gravia tunc inter Toronicos cives bella civilia surrexerunt.“ Greg. hist.: 7.49. 104 „Taedit me bellorum civilium diversitatis, que Francorum gentem et regnum valde proterunt, memorare; in quo, quod peius est, tempore illud quod Dominus de dolorum praedixit initium iam videmus: Consurgit pater in filium, filius in patrem, frater in fratrem, proximus in propinquum“ Greg. hist.: 5.0. 105 MGH Conc. 1 Concilium Aurelianense 511: c.5 und c.15. Zusammenfassend Pontal, Synoden: S. 266. 106 Greg. hist.: 4.23. 107 Zur Relevanz der Präsenz des Königs orts- und relativ zeitnah Ven. fort. carm.: 6.2. Hier wird ein direkter Bezug auf die beiden Merowinger Childebert I. und Charibert hergestellt, die in ihren Positionen für das Bestehen eines Strukturierungszusammenhangs ausgewiesen werden.
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löst war.108 Die civitates aber waren über das Abgabensystem exklusive Erwerbsobjekte der Könige.109 Bei den darauf folgenden militärischen Operationen der Merowinger gegeneinander waren die civitates jeweils anderer Könige ebenfalls Ziele. Insofern variiert die Summe an civitates und die mit ihnen verbundene ökonomische Prosperität für die Könige wegen der militärischen Operationen nach 561 ständig. Die Abgabensysteme blieben also weiterhin ihr exklusives Erwerbsmittel, was nicht heißen soll, dass Abgaben nicht auch erlassen110 oder neu eingeführt wurden111 und somit auch die Abgabensysteme nicht nur wegen der militärischen Operationen hinsichtlich ihrer Prosperität für die König wandelbar waren. Die Praktik des exklusiven Erwerbs blieb gleich, auch wenn diese ihres konkreten Ablaufs nach wohl nicht immer gleich verlief, was Aussagen zu unterschiedlichen Akteuren bei der Einziehung zeigen,112 die sich zum Teil auch mittels des Abgabensystems bereicherten.113
4.1.3 Das Jahr 567: Der Tod Chariberts, die bella civilia und die Synode von Tours Die bella civilia begannen mit all ihren Implikationen noch zu Lebzeiten Chariberts. Er selbst aber war an ihnen nicht beteiligt. 567 verstarb der König, nachdem er von mehreren seiner Ehefrauen114 Töchter115 geboren bekommen hatte. Sein Sohn war schon kurz nach seiner Geburt gestorben.116 Sein Tod führte daher dazu, dass die ihm zugeordneten civitates unter den übrigen Königen aufgeteilt wurden. Wer von ihnen welche der civitates erhielt, ist nicht exakt zu eruieren.117 Als sicher kann nur bezeichnet werden, dass eine Aufteilung stattfand und dass offenbar dazu auch
108 Ortsnah und relativ zeitnah Ven. fort. carm.: 9.1.33 sowie Greg. hist.: 4.22 und 4.23. In diesem Kontext auch indirekt Widdowson, Partitions: S. 5 ff. 109 Dass die Abgaben nach 561 im parzellierten Strukturierungszusammenhang weiterhin vorhanden waren, ist nicht zu bezweifeln. Überblickend Hardt, Gold: S. 145–150. 110 Dazu die Erzählung zu dem comes Gaiso. Greg. hist.: 9.30. Vgl. Kaiser, Steuer: S. 5 f. 111 Eindeutig Greg. hist.: 4.2 und 5.28. Dazu Kaiser, Steuer: S. 5. 112 Für comites Greg. hist.: 6.22 und 9.30. Für einen tribunus Greg. vit. part.: 40. Für einen iudex Greg. hist.: 7.15. Für einen praefectus Greg. hist.: 7.15. Für einen referendarius Greg. hist.: 5.28; 5.34 und 6.28. Für undefinierte Akteure Greg. hist.: 3.36 und 6.45. 113 Für den referendarius Marcus Greg. hist.: 6.28. Für den iudex Audo und den praefectus Mummolus Greg. hist.: 7.15. 114 Seine Ehegattinnen hießen Ingoberga, Meroflede und Theudechilde. Seine Gespielin war Marcovefa, die Schwester der Meroflede. Sie heiratete Charibert später auch. Greg. hist.: 4.26. Wegen dieser Hochzeit wurden Charibert und Marcovefa exkommuniziert, da sie zuvor Nonne war. Er starb in der Exkommunikation. Greg. hist.: 4.26. 115 Von der Ingoberga hatte er eine Tochter namens Bertha. Von der Meroflede wohl zwei Töchter mit Namen Berthefled und Chrodechilde. Vgl. Ewig, Namengebung: S. 198 f. 116 Greg. hist.: 4.26. Vgl. Ewig, Namensgebung: S. 199. 117 Die exakte Aufteilung seiner civitates ist nicht fassbar. Dazu Ewig, Teilungen: S. 138 f.
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normative Regelungen zwischen den beteiligten Königen getroffen worden sind.118 Aussagen zum Verbleib des thesaurus des verstorbenen Königs sind nur wenige vorhanden. König Guntram eignete sich zumindest Schätze der Theudechilde, einer Ehegattin Chariberts, an.119 Auch die Aufteilung der civitates des Charibert führte zu militärischen Operationen der Merowingerkönige gegeneinander in der Folgezeit. Tours und Poitiers waren Sigibert I. zugefallen, wurden aber dann später von Chilperich I. erobert.120 Doch auch noch kurz vor dem Tod Chariberts wurde auf Phänomene zu militärischen Operationen bei der Synode von Tours im Jahr 567 reagiert. Die Teilnehmer der Synode rekurrierten auf Akten älterer Synoden. Dabei ging es nicht nur um die Simonie121 und den Schutz der Kirchengüter.122 Es wurde auch erneut formuliert, dass Raub und das nach kirchlichen Normen unrechtmäßige Aneignen von kirchlichen Landgütern einen konkreten Schaden für Teile der lokalen Bevölkerung bedeutet.123 Wahrscheinlich ist somit, dass die Kirchen weiterhin mit ihren eigenen ökonomischen Mitteln Praktiken der (Re-)Distribution betrieben und Teile der primär sesshaften Bevölkerung auf diese Weise mit Subsistenzmitteln versorgten, um ihr Überleben zu sichern.124 Eine Art, die (Re-)Distribution125 zu organisieren, war offenbar auf der Basis der Kirchenlandgüter selbst möglich. Andere Arten, die Güter zu organisieren, die dann an einen Teil der Bewohner gegeben werden konnten, waren Abgaben. Die (Re-)Distribution konnte bei aller Unterschiedlichkeit ihres Organisierens den Effekt haben, primär sesshafte Menschen in ihrer Sesshaftigkeit zu halten, obwohl die Prozessdynamik befördert wurde. Dieser Zusammenhang von einer ausreichenden, ökonomischen Grundlage einerseits und dem Ausbleiben von Praktiken des Erwerbs wie dem Rauben und dem Plündern andererseits ist auch in einigen Gedichten des Venantius Fortunatus nachvollziehbar.126 Das Unterkapitel soll daher nun mit der Akzentuierung eines Briefs des Bischofs Eufronius von Tours
118 Greg. hist.: 7.6. 119 Greg. hist.: 4.26. 120 Greg. hist.: 4.45. 121 MGH Conc. 1 Concilium Turonense 567: c.28. 122 MGH Conc. 1 Concilium Turonense 567: c.25. Dies auch erneut auf der zwischen 567 und 570 zu datierenden Synode von Lyon. MGH Conc. 1 Concilium Lugdunense 567 aut 570: c.2 und c.5. 123 MGH Conc. 1 Concilium Turonense 567: c.5; c.25 und c.27. 124 Vgl. Effros, Community: S. 32 ff. 125 Auch hier ist die Silbe Re- in Klammern gesetzt. Dies hat einen ähnlichen Grund wie im Fall der Verteilungen durch die Könige. Da die Bischöfe im 6. Jahrhundert durch die normativen Determinationen auf den Synoden zu zentralen ökonomischen Administratoren mit richterlichen Handlungskompetenzen wurden, ist durchaus von einer Redistribution auf der Deutungsebene zu schreiben. Unsicher und nicht eindeutig ist aber, inwieweit Lagerung und Verteilung über dieses personellstrukturelle Zentrum geregelt waren. Dazu Effros, Community: S. 34 ff. Erneut zur Definition Polanyi, Theory: S. 172. 126 Ven. fort. carm.: 2.13 und 4.18.
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und einiger der Bischöfe seiner Suffragandiözesen127 abgeschlossen werden, mit dem eine Abgabe und die mit ihr verbundenen Effekte wie auch Bedingungen der Aufforderung ihrer Zahlung fassbar sind.128 Bei der Abgabe handelt es sich namentlich um den Zehnten (decima). Die Abgabe geht auf das Alte Testament zurück.129 Bereits im Neuen Testament wird auf sie rekurriert.130 In der vita severini des Eugippius, der im Kloster des Heiligen kurz nach seinem Tod lebte und arbeitete,131 wird der Zehnte auf freiwilliger Basis eingefordert.132 Erst im 8. Jahrhundert, also knapp 250 Jahre später, wurde er als Zwangsabgabe eingeführt.133 In dem Brief aus dem Jahr 567 ist erstmals in einer Quelle aus der Zeit der Merowinger auf diese Abgabe Bezug genommen worden.134 Deutlich wird, dass der durch den Zehnten erlangte Gewinn für den Freikauf Gefangener durch die Bischöfe genutzt werden sollte.135 Unmittelbare Rekurse auf Phänomene und Informationen des Geschehens sind nicht nur in dem Brief, sondern in den canones der Synode von Tours aus dem Jahr 567 insgesamt erkennbar.136 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Menschenraub und Plünderungen nach 561 das sesshaft-sozioökonomische Leben in Gallien bedrohten. Die militärischen Operationen der Könige gegeneinander bedingten, dass Menschen plünderten und andere Menschen raubten. Die Bischöfe bemühten sich auf den Synoden zwischen 561 und 567 nicht nur um den Schutz der Kirchengüter. Sie waren um das sesshaft-sozioökonomische Leben der Menschen bemüht, die sie mit den übrigen Klerikern ihrer Diözesen teilsweise mittels (Re-)Distribution versorgten. Abgaben und die Landgüter der Kirchen konnten dafür eingesetzt werden. Der Gefangenenfreikauf ist in diesem Zusammenhang ebenso als eine auf das sesshaft-sozioökonomische Leben bezogene Praktik beschreibbar, da Menschen für die Produktion in den civitates selbstredend relevant waren. Zwar konnten die Freigekauften später wahrscheinlich auch in den Kriegermodus übergehen. Aber es ist kaum zu bezweifeln, dass das Freikaufen auch für das Leben in den civitates wichtig war, da die civitates Ziele der militärischen Ope-
127 Es handelt sich neben dem Bischof Eufronius von Tours um die Bischöfe Domicianus von Angers, Felix von Nantes und Domnolus von Le Mans. MGH Conc. 1: Epistula Episcoporum Provinciae Turonensis ad Plebem. 128 Vgl. Pontal, Synoden: S. 134 f. 129 Beispielsweise ausdrücklich Lev.: 27.30. 130 Mt.: 23.23 und Lk.: 11.42; auch 2Kor. 9.7. Hier ist der Zehnte als eine Art freiwilliger Abgabe akzentuiert. 131 Vgl. Wattenbach und Levison, Geschichtsquellen: S. 47. 132 „Cuius largitionem tam piam paupers plurimi contemplantes, quamvis ex duro barbarnorum imperio famis angustias sustinerent, devotissime frugum suarum decimas pauperibus impendebant.“ Vita sanc. Sever.: 17.2. 133 Vgl. Perels, Zehnten: S. 1 ff. 134 Vgl. Pontal, Synoden: S. 130. 135 MGH Conc. 1: Epistula Episcoporum Provinciae Turonensis ad Plebem. 136 Vgl. Pontal, Synoden: S. 133 f.
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rationen waren und die dort lebenden Akteure von den einem König Folgeleistenden geraubt werden konnten,137 während das Gebiet geplündert wurde.
4.2 Aussagen bis zum Tod König Sigiberts I.: Gallien 567–575 Im vorangegangen Unterkapitel wurden mehrere Annahmen in Ansätzen expliziert. Eine Annahme betraf die funktionale Konstellation zwischen den Bischöfen und den Königen. Die weitere Annahme zu den Bischöfen betraf sozioökonomische Praktiken des sesshaften Lebens in Gallien und bezog sich auf die erste. Auch das Almosengeben kann in diesem Zusammenhang verortet werden. Die herausragenden Akteure in ihrem Entstehen und Bestehen sowie die lokal- und regional-strukturelle Adminis tration in den civitates wurden aufgrund der Quellenlage bisher weniger tangiert. Im Aussagenbestand dieses Unterkapitels sind weit mehr Aussagen zu diesen Akteuren und dieser Administration vorhanden, während Aussagen zur funktionalen Konstellation zwischen den Königen und den Bischöfen wie auch zu den sozioökonomischen Praktiken der Kleriker in Bezug auf das sesshaft-sozioökonomische Leben der von Plünderungen und Menschenraub bedrohten Bewohner der civitates kaum vorhanden sind. In Anbetracht der Quellen zur lokal- und regional-strukturellen Administration gilt es zu beachten, inwieweit das Entstehen und Bestehen herausragender Akteure durch sie gefördert wurde: Die Könige setzten Administratoren ein, um ihre Präsenz auf diese Art zu konsolidieren. Die Administratoren agierten aber auch als Anführer bei militärischen Operationen. Die quellenimmanenten Aspekte der Situationsbezogenheit und der Akkumulation, die in die konvergenten Formen des Warlordism Eingang gefunden haben, sind daher weiter zu diskutieren. Dazu muss beachtet werden, dass für ihr Entstehen und Bestehen ökonomischer Erwerb durch die Praktiken des Raubens und Plünderns in den civitates wichtig gewesen sein kann.
4.2.1 Bevölkerungsteile der civitates im Kriegermodus? In orts- und zeitnah verfassten Aussagen zu militärischen Operationen nach dem Tod Chariberts wird ein Bezug zwischen den bei den Operationen Folge leistenden Akteuren und den civitates ihrer Herkunft sprachlich hergestellt. Diese Art der Verbindung ist in den Aussagen zuvor nicht gegeben und wird danach auch nicht durchgehend von Gregor gebraucht. Zum Teil gibt er die Herkunft der Akteure gar nicht an. Die in der Überschrift formulierte Frage schließt also nicht nur an den Kriegermodus an, sie bezieht auch die veränderte Quellenlage für die Zeit nach 567 mit ein, wobei festgehalten werden muss, dass die meisten Aussagen dazu erneut in den decem libri
137 Beispielsweise Greg. hist.: 5.13 und 7.1.
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historiarum zu finden sind. Es ist also zu untersuchen, inwieweit die Veränderung mit dem Autor persönlich in Verbindung zu bringen ist. Es ist erstaunlich, dass Gregor von Tours den Zusammenhang von Akteuren, die bei einer militärischen Operation Folge leisten und ihrer geographischen Herkunft zuvor nicht erzählt, obwohl er solche Operationen vermehrt und zum Teil ausführlich thematisiert. Tatsächlich hat sich aber, wie er ausdrücklich schreibt, die Art der militärischen Operationen in Gallien mit der zweiten Generation nach Chlodwig I. verändert. Die Operationen waren keine Notwendigkeiten im Sinne der Vertreibung von Feinden aus Gallien,138 sondern eindeutig ökonomisch bedingt139 und mit dem Motiv der Gier der Könige und ihrem Abweichen von christlichen Handlungsnormen erklärbar.140 Somit wird von Gregor keine reine „Freund-Feindbeziehung“ während der bella civlilia festgelegt. Der Kontrast ist tendenziell eher zwischen christlich und unchristlich handelnden Figuren festzumachen.141 Daher ist eine ethnische Dichotomie der Akteure in Barbaren und Römer – wie sie zum Beispiel Salvianus von Marseille im 5. Jahrhundert in seinen Text de gubernatione dei als ein an christlichen Handlungsnormen orientierter Autor noch verwendet142 – bei den Erzählungen zu den militärischen Operationen nicht unbedingt zu erwarten. Dies soll nicht heißen, dass sie nicht vereinzelt auch gegeben ist.143 Dabei ist auch nicht außer Acht zu lassen, dass Gregor die geographische Herkunft von Folgeleistenden nach 567 nicht nur mit den civitates verbindet, sondern auch mit anderen geographischen Gebieten, wie dem Raum östlich des Rheins,144 wobei die Attribute der Akteure eher negativ
138 „Recordamini, quid capud victuriarum vestrarum Chlodovechus fecerit, qui adversos reges interficet, noxias gentes elisit, patrias subiugavit, quarum regnum vobis integrum inlesumque reliquit!“ Greg. hist.: 5.0. 139 „Quid agetis? Quid quaeritis? Quid non habundatis? In domibus dilitiae supercrescunt, in prumtuariis vinum, triticum oleumque redundat, in thesauris aurum atque argentum coacervatur.“ Greg. hist.: 5.0. 140 „Unum vobis deest, quod, pacem non habentes, Dei gratiam indegetis. Cur unus tollit alteri suum? Cur alter concupiscit alienum? Cavete illo, quaeso, apostoli: Si ab invicem mordetis et comeditis, vidite, ne ab invicem consummamini.“ Greg. hist.: 5.0. Zu der sozioökonomischen Dimension und ihre Wertung unter dem Bezug auf christliche Handlungsnormen auch: „Et adhuc obstupiscimus et admiramur, cur tantae super eos plagae inruerint. Sed recurramus ad illud quod parentes eorum egerunt et isti perpetrant. Illi post praedicationem sacerdotum de fanis ad ecclesias sunt conversi; isti cotidie de ecclesiis praedas detrahunt. Illi sacerdotes Domini ex toto corde venerati sunt et audierunt; isti non solum non audiunt, sed etiam persecuntur. Illi monasteria et ecclesias ditaverunt; isti eas diruunt ac subvertunt.“ Greg. hist.: 4.48. 141 Hierzu auch die Erzählung über die Plünderung des Klosters Latta, in dem die Gebeine des heiligen Martin zur Zeit des Bischofs Gregor lagen. Greg. hist.: 4.48. 142 Vgl. Badewien, Sozialkritik: S. 116 ff. 143 Greg. hist.: 4.48. 144 Greg. hist.: 4.49 und 4.51. Zuvor wurden die ostrheinischen Akteure von Gregor als saxones bezeichnet. Greg. hist.: 4.10; 4.14; 4.16 und 4.17.
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sind.145 Insofern ist festzuhalten, dass Gregor zwar die von ihm literarisch verarbeiteten Phänomene und Informationen unter der Rücksicht auf christliche Handlungsnormen gedeutet hat. Die Zunahme geographischer Zuweisungen aber kann damit allein nicht erklärt werden. Als Erklärung bietet sich Folgendes an: Zu Gregors Zeit als Bischof bildeten sich geographische Räume in ihrer Einheitlichkeit heraus, die später mit den Worten Austrasia,146 Neustria147 und Burgundia148 bezeichnet wurden.149 Er ist der erste Autor, der eine Gruppe von Akteuren als Austrasii bezeichnet.150 Dass es sich bei diesem Wortgebrauch wohl kaum um eine individuelle Neuschöpfung, sondern um einen Rekurs auf einen in Gallien bereits geläufiges Wort handelt, lässt sich daraus schließen, dass sich in der Folge die personelle und die geographische Bezeichnung allgemein etablierten. Da Gregor zwar ethnische, aber vermehrt und insgesamt auch weit häufiger geographische Bezeichnungen für die Herkunft von Akteuren gebraucht, kann plausibel angenommen werden, dass er während des Verlaufs einer Akzentverschiebung von der ethnischen auf die geographische Herkunft zur Zeit der bella civilia schrieb. Die Erzählungen, bei denen Gregor die geographische Herkunft von Folgeleistenden ausdrücklich gebraucht, beginnen mit dem 30. Kapitel des vierten Buches der decem libri historiarum. Gleich bei dieser Erzählung wird die Pluralität der von ihm gebrauchten Bezeichnungen und Erzählzusammenhänge nachvollziehbar. Gregor erwähnt in der Passage anfänglich, dass König Sigibert I. Akteure aus Clermont auffordert, die civitas Arles zu erobern.151 Arles war zu dieser Zeit, das genaue Datum ist nicht zu bestimmen,152 in den Teilstrukturierungszusammenhang Guntrams inkorporiert, was daran festzumachen ist, dass dieser um die Verteidigung der civitas
145 „Vicos quoque qui circa Parisius erant maxime tunc flamma consumpsit; et tam domus quam res reliquae ab hoste direpti sunt, ut etiam et captivi ducerentur.“ Greg. hist.: 4.49. Dazu auch: „Sigyberthus vero, obtentis civitatibus illis, quae circa Parisius sunt positae, usque Rhotomaginsem urbem accessit, volens easdem urbes hostibus cedere.“ Greg. hist.: 4.51. 146 Erstmalige Nennung bei Gregor. Greg. hist.: 5.14. Erneut Greg. hist.: 5.18. Auch Greg. virt. mart.: 4.29. 147 Erstmalige Nennung bei Jonas von Bobbio. Vita Columbani: 1.24. Der Text entstand zwar ortsnah, er wurde aber zeitfern – Mitte des 7. Jahrhundert – von Jonas verfasst. Vgl. Wattenbach und Levison, Geschichtsquellen: S. 133 f. 148 Erstmalige Nennung im Sinne der Bezeichnung eines geographischen Raumes im 6. Jahrhundert in Gallien Greg. hist.: 2.33. Als Name eines Gebiets in seiner Einheitlichkeit wurde burgundia erst später verwendet. Dazu Ewig, Teilungen: S. 158. 149 Vgl. Ewig, Teilungen: S. 153–160. 150 „Merovechus prope duos menses ad antedictam basilicam resedens, fugam iniit et ad Brunichildem reginam usque pervenit; sed ab Austrasiis non est collectus.“ Greg. hist.: 5.14. Auch Greg. hist.: 5.18 und Greg. virt. mart.: 4.29. 151 Greg. hist.: 4.30. 152 Vgl. Ewig, Teilungen: S. 137 f.
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bemüht ist. Als Anführer der Akteure aus Clermont agiert der comes Firminus. Zu ihm und den ihm Folgeleistenden stößt ein Mann namens Audovar mit ihm Folgeleistenden. Für ihn ist weder ein Titel überliefert noch wird erzählt, woher die ihm Folge leistenden Akteure kommen.153 Vereinigt ziehen beide mit ihren Folgeleistenden nach Arles und in das ummauerte Zentrum der civitas ein. König Guntram schickt gegen sie den patricius154 Celsus,155 der als Administra tor156 die Kirchen während seiner Lebzeit mehrfach beraubt hat,157 mit ihm Folgeleistenden. Deren Herkunft wird auch nicht genannt. Dieser nimmt die civitas Avignon und zieht dann gen Arles, um das dortige ummauerte Zentrum zu belagern. Nach der Anwendung einer List des Bischofs Sabaudus von Arles ziehen die Aggressoren dann hinaus und werden besiegt,158 wobei auch herausragende Akteure (magni) aus Clermont sterben. Dann folgen Plünderungen durch die Sieger.159 Firminus und Audovar wird der freie Abzug gewährt. Letztlich erhält Sigibert I. Avignon von seinem Bruder zurück.160 Die Erzählung umfasst einige aufschlussreiche Aussagen; aber auch Unklarheiten. Zuerst zu den Aufschlüssen: Augenscheinlich war das Plündern weiterhin eine Erwerbsweise der Folge leistenden Akteure. Es wird dazu ebenfalls deutlich, dass die sesshaften civitates-Gemeinschaften nun von den Königen selbst aktiv mobilisiert wurden. Dieser Befund geht weit über die untersuchte Passage hinaus. Es war nicht nur für Akteure aus Clermont der Fall161 und auch nicht nur für jene, die in den civitates des Königs Sigibert I. lebten. Auch gehen Aussagen zur aktiven Mobilisierung von Akteuren aus den civitates-Gemeinschaften über 575 hinaus.162 Der Kriegermodus wurde somit aktiv von den Königen gefördert und Bevölkerungsteile der civitates gingen in den Modus über. Die civitates waren nicht nur allein exklusive Erwerbsmittel der Könige, die sie über das Abgabensystem nutzen konnten. Sie wurden auch von begrenzten Räumen des sesshaft-sozioökonomischen Lebens zu Räumen des Organisierens von Folgeleistungen und hatten somit für die Könige der zweiten Generation
153 „Sed et de alia parte Adovarius cum exercitu advenit.“ Greg. hist.: 4.30. 154 Die mit dem Titel verbundenen Handlungskompetenzen waren mit Sicherheit militärischer Art. Weitere sind jedoch unklar. Vgl. Ewig, Teilungen: S. 161 f. 155 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 66 f. 156 Auch der exakte Ort seiner regionalen oder lokalen Tätigkeit ist nicht sicher. Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 19 f. 157 Greg. hist.: 4.24. 158 Greg. hist.: 4.30. 159 „Qui nudati a rebus, ab equitibus distituti, non sine grande contumelia patriae restituti sunt. […] Magni ibi tunc viri ex Arvernis non solum torrentes impetu rapti, verum etiam gladiorum ictibus sunt prostrati.“ Greg. hist.: 4.30. 160 Greg. hist.: 4.30. 161 Greg. hist.: 4.50. 162 Dazu insgesamt für das Kontinuum zwischen 561 und 585 in Gallien Greg. hist.: 5.1; 5.3; 5.4; 5.49; 6.12; 6.31; 7.12; 7.13; 7.21; 7.24 und 7.28.
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nach Chlodwig I. eine weitere Relevanz ausgeprägt. Das beförderte auch die Prozessdynamik auf eine andere Weise: Akteure, die primär sesshaft lebten, wurden zumindest zum Teil mobil und mittels der von ihnen vollzogenen Plünderungen beförderten sie die Prozessdynamik weiter. Nun zu den Unklarheiten: Zum einen muss festgehalten werden, dass Plünderungen der Kriegergemeinschaft des Firminus und des Audovar nicht erzählt werden. Die Relevanz von Erwerbschancen für das Organisieren von Folgeleistungen der Bevölkerungsteile der civitates ist somit nicht direkt ersichtlich. Zweitens ist unklar, inwieweit das Organisieren von Folgeleistungen bei der Mobilisierung der Bevölkerungsteile auf das Entstehen von herausragenden Akteuren Auswirkungen hatte. Schließlich waren lokal- und regional-strukturelle Administratoren am Organisieren von Folgeleistungen von Teilen der Bevölkerung der civitates beteiligt. Unklar ist zudem drittens, wer genau aus den civitates bei den militärischen Operationen in den Kriegergemeinschaften mitzog. Alle Bewohner werden es jeweils wohl kaum gewesen sein. Diese drei Aspekte werden in den folgenden Abschnitten untersucht. 4.2.1.1 Die Relevanz des Plünderns und das Organisieren der Folgeleistungen von Bevölkerungsteilen der civitates Der erste Aspekt lässt sich nur unter der Hinzuziehung weiterer Aussagen aus den vielen Erzählungen zu militärischen Operationen und den Gedichten des Venantius Fortunatus163 untersuchen. Aussagen dazu, dass durch die Könige mobilisierte Bevölkerungsteile der civitates in den Kriegermodus übergingen und plündernd bei den militärischen Operationen tätig wurden, sind zahlreich vorhanden. Beispielsweise werden bei der Erzählung zur letzten militärischen Operation Sigiberts I. gegen seinen Halbbruder Chilperich I., der zuvor mit einer plündernden Kriegergemeinschaft bis nach Reims vorgedrungen ist,164 Folgeleistungen von Akteuren aus Tours und Châteaudun organisiert, um gegen Theudebert, den Sohn Chilperichs I., vorzugehen. Für das Organisieren von Folgeleistungen werden die in den civitates offenbar nicht regional-strukturell tätigen duces Guntram165 und Godegisil166 zu den civitates gesandt.167 Nachdem sie ihn besiegt und getötet haben, kommt es zu Plünderungen. Der genaue Ort der Schlacht wird nicht erwähnt.168 Weitere Aussagen zu dem Zusammenhang
163 Venantius Fortunatus befand sich 567 bereits in Gallien. Vgl. Brennan, Venantius Fortunatus: S. 65 ff. Insofern sind alle Texte insgesamt orts- und zeitnah verfasst, wobei sie wegen der Textgattung selbstredend auch kritisch behandelt werden müssen. 164 Greg. hist.: 4.50. 165 Es ist sehr wahrscheinlich, dass es sich um Guntram Boso handelt. Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 110. 166 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 101. 167 Greg. hist.: 4.50. 168 Greg. hist.: 4.50. Dass Theudebert in der civitas Angoulême begraben wurde, heißt nicht zwangsläufig, dass die Schlacht auch dort stattfand.
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Quellenuntersuchung
von Bevölkerungsteilen der civitates und der Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen entstammen jedoch nicht dem Bestand des Kontinuums zwischen 567 und 575 in Gallien. Im Folgenden werden nur einige Aussagen knapp fokussiert. Sie sind hier nur summiert angeführt, um die Argumentation quellensatt und deutlich zu führen. Weiter unten werden sie ausführlicher untersucht. Hinsichtlich der Aussagen zum Organisieren von Folgeleistungen kann zwischen militärischen Operationen, bei denen die Könige persönlich anwesend waren169 und Operationen bei denen die Folgeleistenden von ihren Söhnen170 oder den lokalsowie regional-strukturellen Administratoren angeführt wurden,171 unterschieden werden. Die Zahl der Aussagen zur dritten Variante überwiegt dabei klar. Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Administratoren, die eigentlich von den Königen in einen geographischen Raum positioniert wurden, somit ebenso wie die Bevölkerungsteile von der Mobilisierung durch die Könige betroffen waren. Dies ermöglicht die Formulierung, dass Erwerbschancen nicht nur mit den Merowingern, sondern auch mit Akteuren der lokal- und regional-strukturellen Administration verbunden worden sind.172 Dass auf diese Weise Beziehungen zwischen den Administratoren – auch über ihre Tätigkeitszeit hinaus – und Teilen der Bevölkerung der civitates befördert und etabliert wurden, ist nicht nur wahrscheinlich. Derartige Bindungen sind mehrfach belegt.173 Das Fehlen der Könige bei militärischen Operationen konnte dazu führen, dass die Administratoren Plünderungen in Gebieten von civitates zuließen, die eigentlich nicht Ziel einer Operation waren. Aussagen zu solchen Plünderungen sind in Bezug auf die civitas Tours von Gregor mehrfach vorhanden. Es gibt aber auch abseits seiner Erzählungen zu der civitas Tours Aussagen zu derartigen Plünderungen.174 Die Plünderungen nach dem Tod Theudeberts175 können hier als Beispiel aus dem Quellenbestand des Kontinuums zwischen 567 und 575 in Gallien angeführt werden. Diese Plünderungen konnten zur Bestrafung der Administratoren führen.176 Insofern kann das
169 Dazu insgesamt für das Kontinuum zwischen 561 und 585 in Gallien Greg. hist.: 4.49; 4.50; 4.51; 5.14; 5.24 und 6.31. 170 Dazu insgesamt für das Kontinuum zwischen 561 und 585 in Gallien Greg. hist.: 4.47; 5.2 und 5.13. 171 Dazu insgesamt für das Kontinuum zwischen 561 und 585 in Gallien Greg. hist.: 4.30; 4.42; 4.44; 5.13; 5.26; 5.49; 6.12; 6.26; 6.31; 7.12; 7.13; 7.28 und 7.35. 172 Für zeitnahe Aussagen zu Plünderungen unter Anführung von lokal- oder regional-strukturellen Administratoren aus dem Kontinuum zwischen 561 und 585 in Gallien Greg. hist.: 4.30; 5.13; 5.49; 6.31; 7.12; 7.13; 7.28 und 7.35. 173 Es gibt zeitnahe Aussagen zu Akteuren, die zuvor als lokal- oder regional-strukturelle Administratoren tätig waren und danach weiterhin noch Folgeleistungen organisieren konnten. Aus dem Kontinuum zwischen 561 und 585 in Gallien Greg. hist.: 5.25; 5.49; 6.19 und 7.9. Indirekt Greg. hist.: 7.34. 174 Dazu für das Kontinuum zwischen 561 und 585 in Gallien Greg. hist.: 4.30; 5.13; 5.49; 6.31; 7.12; 7.13; 7.28 und 7.35. 175 Greg. hist.: 4.50. 176 Greg. hist.: 6.31.
Aussagen zu der zweiten Generation nach Chlodwig I.
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Plündern als relevant für das Organisieren von Folgeleistungen von Bevölkerungsteilen der civitates bezeichnet werden: Geplündert wurde weiterhin und dies ganz offenbar nicht nur in den Gebieten derjenigen, gegen die ein König eine militärische Operation initiiert hatte, sondern auch in Gebieten, die von der militärischen Operation planmäßig nicht hätten betroffen sein sollen. Die Quellenaussagen zeigen deutlich, dass entgegen planmäßiger Ziele geplündert wurde. Akteure im Kriegermodus leisteten gemäß der Aussagenlage wegen Erwerbschancen Folge. Sie realisierten diese nicht wegen der Erfüllung eines Plans. Die Regulation der Praktik entzog sich dabei den Königen teilweise, da sie selbst nicht immer an den Operationen teilnahmen. Dass das Plündern die civitates-Gemeinschaften auch nach 561 weiterhin bedrohte und daher eigentlich als normale Erwerbspraktik zu beschreiben ist, kann auch mit einigen Aussagen aus den Gedichten des Venantius Fortunatus verdeutlicht werden. Fortunatus verwendet für die bildhafte Beschreibung der Leistungen von Bischöfen für ihre Gemeinden in seinen Lobgedichten oftmals das biblische Bild des guten Hirten,177 der seine Herde vor dem Raub durch Wölfe bewahrt.178 Gedichte über Gregor von Tours beinhalten solche Aussagen.179 Es sind aber noch viele weitere Bischöfe und andere Kleriker mit diesem Bild angesprochen.180 Die Häufigkeit der Verwendung und der in dem Bild angelegte, scharfe Kontrast zwischen sesshaften Gemeinschaften – projiziert durch die Herde und den Hirten – und den auf Mobilität beruhenden Erwerbspraktiken – die die Wolfsrudel bildlich umfassen – kann argumentativ dazu verwendet werden, die Annahme, Plünderungen hätten das sesshaft-sozioökonomische Leben stetig bedroht, zu fundieren. Daher ist von einer Normalität des Plünderns als Erwerbsweise zu sprechen. Dies ist jedoch aufgrund der Textgattung durchaus problematisch: Zwar kann gerade die Häufigkeit des Bildes die Normalität des Plünderns anzeigen, aber das Argument basiert letztlich auf der Deutung eines aus der Bibel stammenden Bildes, das zumeist in Gedichten vorkommt, die an Kleriker gerichtet oder über Kleriker lobend verfasst worden sind. Die Deutung ist nicht derart sicher, als dass sie allein als Argument zur Verdeutlichung einer Bedrohung des sesshaftsozioökonomischen Lebens durch das Plündern konstitutiv verwendet werden sollte. Schließlich handelt es sich um Aussagen, die unter Verwendung sprachlicher Bilder entstanden sind. Doch nicht nur diese Sprachbilder zeigen, dass die civitates von Plünderungen bedroht waren. Es gibt zusätzlich Aussagen in einigen seiner Gedichte, bei denen er auf Phänomene und Informationen zu Handlungen der Bischöfe und anderer Akteure rekurriert, die als Reaktionen auf die Bedrohung durch das Plündern
177 Vgl. Hirt, Hirten: S. 15–51. Zu dem Bild bei Venantius Fortunatus Ven. fort. carm.: 2.3; 2.9; 3.3; 3.6; 3.8; 3.9; 3.11; 3.13; 3.14; 4.3; 4.8; 5.2; 5.3; 5.5b und 9.9. 178 Als Wölfe abwehrender Hirte Ven. fort. carm.: 3.3; 3.9; 3.13; 4.3; 5.3 und 9.9. 179 Ven. fort. carm.: 5.3; 5.4; 5.8 und 5.8b. 180 Als einfaches lyrisches Bild Ven. fort. carm.: 3.12; 3.13b; 3.13c; 3.17; 3.19; 3.23; 3.23a; 4.2; 4.6; 4.7; 4.9; 4.11; 5.2,; 5.4; 5.5b; 5.8; 5.8b; 5.14; 5.18; 6.8; 8.13; 8.19; 8.20; 10.12 und 10.13. In Bezug zur Herde Ven. fort. carm.: 3.2; 3.9; 3.14; 3.21; 3.27; 4.4; 5.3; 5.6; 5.9 A.22 und A.34.
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Quellenuntersuchung
und als Versuche, diese und andere Praktiken des Erwerbs einzudämmen, gedeutet werden können.181 Das Plündern war also für das Organisieren von Folgeleistungen von Bevölkerungsteilen der civitates relevant. Erwerbschancen waren weiterhin mit den Anführern bei militärischen Operationen verbunden, wenn dies nun auch nicht mehr nur die Könige waren, sondern vermehrt auch die lokal- oder regional-strukturellen Administratoren oder von Königen entsandte Akteure wie Audovar. Diese sind als herausragend zu bezeichnen, da ihnen andere Akteure Folge leisteten, obwohl sie nicht in der lokal- oder regional-strukturellen Administration tätig waren. Das gilt auch für die als duces bezeichneten Akteure Guntram Boso und Godegisil. 4.2.1.2 Das Organisieren der Folgeleistungen von Bevölkerungsteilen der civitates und das Entstehen von herausragenden Akteuren Wie ausgeführt, führten zur Zeit der zweiten Generation nach Chlodwig I. vermehrt die lokal- sowie regional-strukturellen Administratoren die Folgeleistenden bei den von den Königen initiierten Militäroperationen an. Angenommen wurde, dass auf diese Weise soziale Beziehungen neu entstanden. Auf Aussagen zu solchen Beziehungen wurde verwiesen. Diese werden nun vertiefend betrachtet. Wie zuvor wird auch in diesem analytischen Kontext Quellenmaterial aus späteren Kontinua herangezogen, denn die meisten Aussagen entstammen nicht dem Bestand, der das Kontinuum zwischen 567 und 575 in Gallien repräsentiert. Dies ist kein reines Quellenproblem. Vielmehr muss diese Quellenlage mit der stetigen Wiederholung militärischer Operationen der Merowinger gegeneinander verbunden werden: Die lokal- und regional-strukturellen Administratoren traten mit Teilen der Bevölkerung bei den Operationen in Kontakt und führten Akteure situationsbezogen an. Sie akkumulierten dabei durch die Könige selbst im militärischen Operativbereich Handlungskompetenzen und wurden somit den älteren Merowingern in ihren Positionen ähnlich.182 Die lokal- und regional-strukturellen Administratoren symbolisierten und offerierten nach 561 vermehrt Erwerbschancen für die Folge leistenden Kriegergemeinschaften. Sie bestanden offenbar auch aus Akteuren, die in den civitates sesshaft lebten und in den Kriegermodus übergingen. Auch konnten Teile der Bevölkerung der civitatesGemeinschaften einem lokal- und regional-strukturellen Administrator Folge leisten
181 Ven. fort. carm.: 3.8; 3.11; 3.13; 3.14; 3.15; 3.22a; 3.23; 3.23a; 3.24; 4.1; ausdrücklich 4.3; dann 4.5; 4.7; 4.8; 4.9; 4.10; 4.16; 4.18; 4.21; 4.23; 4.25; 4.26; 6.3; 6.4; 6.5; 7.4; 7.5; 7.6; 7.23; 10.1; 10.13; 10.17 und A.34. Das Vermitteln der Relevanz des Gebens durch Besitzende an weniger Besitzende innerhalb des Rahmen kirchlicher Handlungsnormen durch die Bischöfe – das Almosengeben – wird dabei genauso nachvollziehbar, wie das Geben dieser Art durch Kleriker und die Relevanz, Plünderungen und Raub zu verhindern. 182 Dazu für das Kontinuum zwischen 561 und 585 in Gallien erneut Greg. hist.: 4.30; 5.13; 5.49; 6.31; 7.12; 7.13; 7.28 und 7.35.
Aussagen zu der zweiten Generation nach Chlodwig I.
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und auf den Gütern der Kirchen jener Gebiete, in denen er tätig war, rauben.183 Ein Beispiel hierfür ist mit den Aussagen zu dem comes Palladius von Javols gegeben, der seine Position von Sigibert I. erhalten hatte und mit ihm Folgeleistenden die Akteure des Bischofs Parthenius sowie die Landgüter der Kirche beraubte.184 Einige Bewohner waren also nach 561 situationsbezogen mit den lokal- und regional-strukturell tätigen Administratoren der Könige in den Räubermodus übergegangen. Dass dies durchaus öfters vorkam und daher ein Problem für die Kirchen war, ist auch in den Gedichten des Venantius Fortunatus zu erschließen.185 Selbstredend stellen die Aussagen zum Rauben und zum Zugriff der lokal- und regional-strukturellen Administratoren auf die Kirchengüter nach 561 keine Neuerung dar. Dies wurde bei der Untersuchung der Synodalakten gezeigt. Nur wird mit den Aussagen zu der Zeit zwischen 567 und 575 noch deutlicher, was in den Synodalakten bereits festzustellen war: Auch Gregor erzählt, dass die Kirchen und ihre Güter schon lange unter Plünderungen und Raubtaten zu leiden hatten.186 Das Organisieren der Folgeleistungen von Bevölkerungsteilen der civitates, das Berauben der Kirchen und auch der Raub anderer Güter in den civitates konnte für die dort positionierten Administratoren zu neuen Bindungen führen. Herausragende Akteure, die auf die beschriebene Weise zu Bindungen kamen, waren beispielsweise der comes Leudast,187 der dux Austrapius188 und Guntram Boso.189 Weitere Namen können zudem angeführt werden.190 Sie konnten nach der Tätigkeit als lokal- oder regional-strukturelle Administratoren Folgeleistungen organisieren. Auch sind Aussagen dazu gegeben, dass die ihnen Folgeleistenden wie sie selbst plünderten.191 Darin ist ein Argument dafür gegeben, solche Akteure als herausragende Akteure zu bezeichnen. Dazu muss festgehalten werden, dass auch Aussagen zu Akteuren gegeben sind, die nicht als lokal- und regional-strukturelle Administratoren tätig waren, wobei ihnen trotzdem Akteure Folge leisteten.192 Audovar ist ein Beispiel
183 Dazu für das Kontinuum zwischen 561 und 585 in Gallien Greg. hist.: 4.39; 5.36; 5.48; 5.49 und 6.12. 184 Greg. hist.: 4.39. 185 Ven. fort. carm.: 1.15.84; 2.13.6; 2.16.30–64; 4.18.19 und 5.3.22. 186 Greg. hist.: 4.48. 187 Greg. hist.: 5.49. 188 Greg. hist.: 6.19. 189 Greg. hist.: 5.25. 190 Die Aussagen zum dux Desiderius sind ebenfalls gegeben. Greg. hist.: 7.9. Weniger deutlich sind die Aussagen zum dux Bladast und dem patricius Eunius Mummolus. Beide waren bei den Folgeleistenden des Gundowald. Wahrscheinlich ist, dass sie für den ortsfremden Prätendenten Folgeleistungen organisierten. Greg. hist.: 7.34. 191 Greg. hist.: 5.25; 5.49; 6.19 und 7.9. 192 Dazu für das Kontinuum zwischen 561 und 585 in Gallien Greg. hist.: 4.30; 5.1; 5.4; 5.20; 5.25; 6.4; 7.13 und 7.29.
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Quellenuntersuchung
dafür. Seine Herkunft wird jedoch nicht genannt.193 Selbst einfache Bewohner von civitates konnten Folgeleistungen organisieren. Aussagen dazu sind ebenfalls im Bestand des Kontinuums zwischen 567 und 575 in Gallien gegeben. Sie beziehen sich auf zwei Männer namens Basilius und Sigarius aus der civitas Poitiers.194 Auch ist der Gebrauch des Wortes dux – wie ausführlich besprochen – nicht immer eindeutig.195 Die Pluralität der Aussagen zu herausragenden Akteuren nach 561 zeigt, dass das Organisieren der Folgeleistungen von Bevölkerungsteilen der civitates nur einer der Aspekte ihres Entstehens war. Tatsächlich lassen sich die Argumente dafür primär anhand von Quellenaussagen gewinnen, die sich auf das Bestehen herausragender Akteure nach ihrer Tätigkeit als lokal- und regional-strukturelle Administratoren beziehen. Die Formen des Warlordism können für die Beschreibung der Abläufe verwendet werden: Dass sie situationsbezogen Anführer bei den militärischen Operationen waren und Handlungskompetenzen akkumulierten, war ein durch die Könige selbst beförderter Effekt. Sie gerieten aber während der bella civilia auch in Konflikte mit den Königen und zwar nicht nur mit denen, gegen die sie vorgehen sollten, sondern auch mit ihren eigenen. Aussagen zu den nicht verhinderten Plünderungen,196 dem Raub in den zugeteilten civitates197 und zu den Versuchen der Beseitigung von Königen durch herausragende Akteure198 machen dies deutlich. Die Pluralität der Aussagen lässt es nicht zu, das Organisieren der Folgeleistungen von Bevölkerungsteilen der civitates bei militärischen Operationen der Könige als begründend für das Entstehen von herausragenden Akteuren auszuweisen. Es kann nur als einer der Aspekte ihres Entstehens geltend gemacht werden. Jedoch ist dies erst auf der Basis von Aussagen zu ihrem Bestehen und abweichendem Handeln noch zur Zeit ihrer Administratorentätigkeit möglich. Auch ist sicher, dass sie nicht nur den Königen der Zeit Chlodwigs I. und der ersten Generation nach ihm ähnlich wurden, was die Merowinger nach 561 praktisch beförderten, indem sie lokal- und regionalstrukturelle Administratoren als militärische Anführer einsetzten. Es gab aber auch Akteure, die Folgeleistungen organisierten und zuvor nicht als lokal- und regionalstrukturelle Administratoren tätig waren. Insofern ist das Organisieren der Folge-
193 Greg. hist.: 4.30. 194 Greg. hist.: 4.45. 195 Vgl. Claude, Comitat: S. 1–75. Der Beitrag entstammt – wie festgehalten – einer älteren Debatte darum, ob es ein „Ämterwesen“ zur Zeit der frühen Merowinger gab oder ob es nicht gegeben war. Dazu Sprandel, Dux und Comes: S. 41–84 und Sprandel, Bemerkungen: S. 288. Dazu die aktuelleren Beiträge Lewis, Dukes: S. 381–410 und Zotz, Würden: S. 4–11. 196 Dazu für das Kontinuum zwischen 561 und 585 in Gallien Greg. hist.: 4.30; 5.13; 6.31; 6.45; 7.13; 7.24; 7.25; 7.28 und 7.35. 197 Dazu für das Kontinuum zwischen 561 und 585 in Gallien Greg. hist.: 4.39; 5.36; 5.48; 5.49 und 6.12. 198 Überblickend Schneider, Königserhebung: S. 98–110.
Aussagen zu der zweiten Generation nach Chlodwig I.
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leistungen von Bevölkerungsteilen der civitates nach 561 nicht nur ein Aspekt unter mehreren für das Entstehen herausragender Akteure. Das Organisieren von Folgeleistungen ist offenbar auch keine notwendige Bedingung für ihr Entstehen, sondern eine Möglichkeit, soziale Bindungen zu generieren. Sie waren später dann für das Organisieren von Folgeleistungen nach der Beendigung einer Tätigkeit als Administrator nutzbar. Dabei kann auch das bei den militärischen Operationen gewonnene Prestige wie auch das gemeinsame Rauben in den Gebieten, in die die Administratoren von den Königen positioniert worden sind, wichtig gewesen sein.199 Außerdem ist nicht zu übersehen, dass die lokal- und regional-strukturellen Administratoren zwar vermehrt, allerdings nicht allein als Anführer agierten. Ein Beispiel aus dem Quellenbestand des Kontinuums zwischen 567 und 575 in Gallien sind die Aussagen darüber, dass Theudebert für seinen Vater Chilperich I. Folgeleistende anführte, um civitates König Sigiberts I. zu erobern, wobei es zu Plünderungen kam.200 Insofern ist noch einmal zu betonen, dass das Organisieren der Folgeleistungen von Bevölkerungsteilen der civitates nicht exklusiv von den lokal- und regional-strukturellen Administratoren vollzogen worden ist. Das kann ebenfalls dafür argumentativ herangezogen werden, dass es sich bei dem Organisieren der Folgeleistungen von Bevölkerungsteilen der civitates nur um einen Aspekt handelt, der nicht unabdingbar konstitutiv war für das Entstehen von herausragenden Akteuren. Das Organisieren ist nur eine Form, über die Möglichkeiten zu späteren Bindungen transportiert wurden. 4.2.1.3 Bevölkerungsteile der civitates im Kriegermodus: Die Dynamisierung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens I Bereits anfänglich ist festzuhalten, dass die Herkunft der Akteure im Kriegermodus aus den civitates zwar erst mit den Aussagen zur zweiten Generation nach Chlodwig I. einsetzt. Das Organisieren von Folgeleistungen in den civitates kann allerdings auch zuvor schon stattgefunden haben. Auch für diesen analytischen Kontext gilt das, was auch für die ersten beiden gilt: Es werden Quellenaussagen aus Beständen späterer Kontinua zur empirischen Fundierung von Annahmen genutzt. Die interne Gliederung der civitates in Gallien zu beschreiben und von der Beschreibung ausgehend Rückschlüsse über das Organisieren von Folgeleistungen zu ziehen, ist nicht nur methodisch bedenklich. Der Versuch kann auch aufgrund der Quellenlage nicht angegangen werden. Sicher ist nur, dass das Organisieren von Folgeleistungen die lokale Produktion zumindest zeitweilig absinken musste, da es an Akteuren dafür schlicht fehlte. Da die Quellenlage derart beschaffen ist, kann nur an den deutlich nachzuvollziehenden Bedingungen des sesshaft-sozioökonomischen Lebens der civitates-Gemeinschaften festgemacht werden, dass die Gesamtbe-
199 Vgl. Bodmer, Krieger: S. 68 ff.; S. 88 ff. und 107 ff. 200 Greg. hist.: 4.47.
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Quellenuntersuchung
völkerung der civitates von Plünderungen betroffen war. Bereits im letzten Kapitel wurde die Beförderung der diskursiven Prozessdynamik als Bedingung des sesshaftsozioökonomischen Lebens als ein Ergebnis verzeichnet. Der Beginn der innermerowingischen Militäroperationen hatte wie auch ihr Ausbleiben Effekte auf das sesshaft-sozioökonomische Leben der Bevölkerung in Gallien, da Teile von ihr nun die Erwerbsweisen wechseln und in den Räubermodus übergehen sowie einem anderen König bei militärischen Operationen Folge leisten konnten. Die Prozessdynamik war auch nach 561 eine Bedingung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens in Gallien und als solche – so lässt sich analytisch formulieren – dynamisierte sie es in den bella civilia. Das Plündern bedingte somit das sesshaft-sozioökonomische Leben in seiner Dynamisierung. Dabei ist ein weiterer Effekt auf das sesshaft-sozioökonomische Leben der Bevölkerung direkt mit den Plünderungen verbunden: Die Praktik ermöglichte auch nach 567 weiterhin erwerbend tätig zu werden. Dies war für die Folgeleistungen unter der Anführung von Königen,201 von Königssöhnen,202 von lokal- und regional-strukturellen Administratoren203 sowie herausragenden, nichtstrukturgebunden agierenden Akteuren204 aber auch ohne jeglichen Anführer205 der Fall. Es gibt zu allen fünf genannten Fällen jeweils eine Vielzahl von Aussagen, wobei die Könige auch nach Plünderungen der civitates durchaus bestrafend tätig wurden:206 Wenn eine civitas ökonomisch geschädigt worden war, war dies aufgrund des Abgabensystems auch ein Schaden für einen König207 und daher – so kann sehr plausibel angenommen werden – wurden Strafen ausgeführt.208 Das Plündern schädigten aber nicht nur die Könige indirekt ökonomisch und beförderten daher reaktive Bestrafungen. Sie schädigten die Bevölkerung von civitates direkt. In diesen wurden aber Folgeleistungen organisiert. Insofern ist der Umverteilungseffekt des Plünderns zu betonen: Die mobilen Kriegergemeinschaften, deren Akteure Menschen aus den civitates waren, plünderten gleich unter wessen Führung jene Menschen in den civitates, die potentiell auch in den Kriegermodus übergehen
201 Dazu für das Kontinuum zwischen 561 und 585 in Gallien Greg. hist.: 4.49; 4.50; 4.51; 5.14; 5.24 und 6.31. 202 Dazu für das Kontinuum zwischen 561 und 585 in Gallien Greg. hist.: 4.23; 4.47 und 5.2. 203 Dazu für das Kontinuum zwischen 561 und 585 in Gallien Greg. hist.: 4.30; 4.50; 5.25; 5.49; 6.12; 6.31; 7.12; 7.13; 7.24; 7.25; 7.28 und 7.35. 204 Dazu für das Kontinuum zwischen 561 und 585 in Gallien Greg. hist.: 5.1; 5.3; 5.4; 5.25; 6.4; 6.19; 6.24 und 7.13. 205 Dazu für das Kontinuum zwischen 561 und 585 in Gallien Greg. hist.: 4.48; 7.2 und 7.21. 206 Greg. hist.: 6.31. 207 Dazu allgemein Greg. hist.: 5.0. Dies erklärt auch die Aussagen zur Einführung neuer Abgaben durch Chilperich I. Greg. hist.: 5.28 und 5.34. Auch die Einsetzung neuer comites in eroberte civitates, die vollzogen wurde, um Abgaben einzutreiben, ist in diesem Kontext zu verorten. Greg. hist.: 6.12 und 6.22. 208 Dazu aus dem Kontinuum zwischen 575 und 584 in Gallien Greg. hist.: 6.31.
Aussagen zu der zweiten Generation nach Chlodwig I.
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konnten, um in anderen civitates zu plündern. Die Annahme, dass Plünderungen weitere Plünderungen bedingten209 und möglicherweise Raub und Plünderungen sogar notwendig werden ließen,210 kann mit mehreren Aussagen aus den decem libri historiarum, den hagiographischen Texten Gregors und den Gedichten des Venantius Fortunatus gezeigt werden. Insofern ist durchaus annehmbar, dass Plünderungen das Organisieren von Folgeleistungen begünstigten: Die in den Kriegermodus übergehenden Menschen mussten zum Teil materielle Güter und Ressourcen erwerben und hatten im Plündern eine umgehende Deckungsmöglichkeit ihres Subsistenzbedarfs.211 Doch führten auch diese Plünderungen zum Verlust der Bewohner in den civitates. Diejenigen Akteure, die bei militärischen Operationen Folge leisteten, waren also von der Dynamisierung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens Betroffene. Während der bella civilia führten militärische Operationen ständig zu Plünderungen. Sicherheit war weder für die umfangreich Besitzenden noch für Ärmere oder ganz Arme gewährleistet. Die Wahrung des ökonomischen Status war gerade bei mehr Besitz erschwert. Die Differenzierung von Besitzständen ist – analytisch formuliert – ein Ergebnis der Dynamisierung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens und somit eine vom Plündern, aber auch von anderen, ähnlichen Erwerbsweisen, wie dem Rauben und dem Menschenraub, zum großen Teil abhängige Variable während der bella civilia. Bemerkenswert ist auch, dass bei den Aussagen zu den Plünderungen von civitates fast nie davon erzählt wird, dass sich die Bevölkerung gegen die Kriegergemeinschaften zur Wehr setzt.212 Solche Aussagen sind selten gegeben.213 Die Summe der Aussagen erlaubt, den Kriegermodus als Deutungswerkzeug hier noch einmal zu fundieren: Offenbar war die Bevölkerung der civitates zumeist nicht soweit mit Kampfund Abwehrtechniken vertraut,214 als dass sie den Angreifenden dann bei deren Herannahen entgegen ziehen konnte. Dass sich dies mit zunehmender Dauer der bella civilia ändern konnte, einige Bewohner der civitates Erfahrung mit den Kampfund Abwehrtechniken erlangten und das gewonnene Wissen weitergaben, ist wahrscheinlich und in den Aussagen aus den decem libri historiarum indiziert.215 Davon auszugehen, dass dieses Wissen aber schon um 561 in Gallien weit in der Bevölkerung verbreitet war, geht in Anbetracht der vielen Aussagen zu der Passivität der angegriffenen Bevölkerung eher fehl.
209 Dazu für das Kontinuum zwischen 561 und 585 in Gallien Greg. hist.: 7.2; 7.1; 7.13; 7.21; 7.22; 7.24; 7.28 und 7.35. 210 Ausdrücklich Ven. fort. carm.: 4.18.17. Zum Raub durch Arme Greg. glor. conf.: 17; 78; 80 und 81 sowie Greg. glor. mart.: 96 und 103. 211 Vgl. Effros, Community: S. 1–8. 212 Dazu für das Kontinuum zwischen 561 und 585 in Gallien Greg. hist.: 4.30; 4.47; 4.49; 4.50; 4.51; 5.1; 5.2; 5.3; 5.4; 5.13; 5.14; 5.24; 5.48; 6.4; 6.12; 6.19; 6.31; 7.12; 7.13; 7.14; 7.21; 7.24 und 7.25. 213 Dazu für das Kontinuum zwischen 561 und 585 in Gallien Greg. hist.: 5.49; 6.31; 7.2 und 7.35. 214 Vgl. Bodmer, Krieger: S. 113–119. 215 Greg. hist.: 5.49; 6.31; 7.2 und 7.35.
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Quellenuntersuchung
Abschließend soll noch eine quellenimmanente Tendenz erwähnt werden: Wichtig ist, dass nicht nur das Plündern und ähnliche Erwerbspraktiken, sondern auch Katastrophen216 das sesshaft-sozioökonomische Leben dynamisieren konnten. Dass Plünderungen und natürliche Katastrophen, die zu Ernteausfällen führten, ähnlich gedeutet wurden, wird in der Erzählung Gregors zum Brautzug der Rigunthe in Richtung der Iberischen Halbinsel fassbar. Die den Brautzug Begleitenden raubten nicht nur den Zug selbst, sondern auch die Gebiete, die sie durchzogen, aus. Dies veranlasste Gregor bei seiner literarischen Verarbeitung der Informationen dazu, das biblische Bild des Heuschreckenschwarms zu gebrauchen, um die Wirkung für die Bevölkerung deutlich werden zu lassen.217
4.2.2 Die Beteiligung ostrheinischer Akteure an den bella civilia Die militärischen Operationen zwischen den Königen Sigibert I. und Chilperich I. dauerten bis kurz vor dem Tod des Erstgenannten 575 an. Mit dem Organisieren von Folgeleistungen wurden dabei nicht nur Bevölkerungsteile aus den civitates in den Kriegermodus bewegt. Auch Akteure, über deren Herkunft aus Gebieten östlich des Rheins – aus der Perspektive Gregors als „die Völker, die jenseits des Rheins wohnen“218 bezeichnet – berichtet wird, leisteten bei den militärischen Operationen Sigiberts I. Folge. Aussagen dazu, dass Folgeleistungen dieser Akteure zwei Mal organisiert worden sind, sind im vierten Buch der decem libri historiarum über die drei letzten Kapitel verteilt. Gregor gebraucht bei seinen Erzählungen zur Beteiligung der ostrheinischen Akteure neben der Angabe ihrer geographischen Herkunft das Wort gentes.219 Es ist aber in Anbetracht der Erzählkontexte, in denen die als gentes beschriebenen Gruppen an den militärischen Operationen König Sigiberts I. Folge leisten, unwahrscheinlich, dass dabei Gemeinschaften auftraten, die junge wie auch alte Männer,
216 Dazu für das Kontinuum zwischen 561 und 585 in Gallien Greg. hist.: 5.33; 5.34; 5.41; 6.33; 6.44 und 7.11. 217 Ausdrücklich bezieht sich Gregor dabei auf die Bibel: „Nam hospiciola pauperum spoliabant, vineas devastabant, ita ut incisis codicibus cum uvis auferrent, levantes pecora vel quicquid invenire potuissent, nihil per viam quam gradiebantur relinquentes; impletumque est quod dictum est per Iohel propheta: Residuum locustae comedit erugae, et residuum erucae comedit brucus, et residuum bruci comedit rubigo.“ Greg. hist.: 6.45. 218 „Dum haec ageretur, Sigyberthus rex gentes illas quae ultra Renum habentur commovit, et bellum civili ordiens, contra fratrem suum Chilpericum ire distinat.“ Greg. hist.: 4.49. Auch dazu Greg. hist.: 4.50. 219 Greg. hist.: 4.49 und 4.50. Ähnlich erneut: „Anno igitur decimo Childeberthi regis rex Gunthchramnus, commotis gentibus regni sui, magnum iuncxit exercitum. Sed pars maior cum Aurilianensibus adque Biturigis Pectavum petiit.“ Greg. hist.: 7.24.
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Frauen und sogar Kinder umfassten. Die Erzählungen zu Plünderungen220 und zu gewaltsamen Kämpfen221 sind Indikatoren dafür, dass mit dem Wort gentes – obwohl seine semantische Dimension eigentlich relativ eindeutig besetzt ist222 – hier nicht eine soziale Gruppe in der Gesamtheit aller sich zu ihr dazugehörig erfahrenden Menschen gemeint sein kann, sondern eher eine Kriegergemeinschaft. Der Gebrauch des Wortes gentes zeigt zum zweiten, dass östlich des Rheinufers nicht nur eine bestimmte, ethnisch definierte Gruppe in Siedlungsgemeinschaften vorhanden war, sondern mehrere solcher ethnischen oder als ethnisch gedeuteten oder zu beschreibenden Gruppen vorhanden waren. Für die Fundierung dieser Annahme können Aussagen aus relativ zeitnahen Quellen verwendet werden. Einige von ihnen wie die aus einem Brief aus der Sammlung variae223 und der Chronik des Bischofs Marius224 sind bereits in den vorherigen Kapiteln untersucht worden. Selbst Gregor gebraucht in seinen decem libri historiarum unterschiedliche Namen, um die Bewohner der Siedlungsgemeinschaften östlich des Rheins zu bezeichnen.225 In einem Brief, dessen Datierung jedoch nicht ganz klar ist,226 dessen Autor aber auf Informationen zur Zeit des Königs Theudebert I. zu rekurrieren scheint, sind ebenfalls mehrere Namen für die ostrheinische Bevölkerung zu lesen.227 Gregors Gebrauch des Plurals ist daher als eine adäquate Beschreibung der Verhältnisse östlich des Rheins aufzufassen, auch wenn er nicht differenziert ist. Einzig die Wildheit der gentes (furorem gentium)228 verbindet sie in seiner Erzählung zu einer Einheit.229 Die erste militärische Operation begann nach Gregor damit, dass Sigibert I. gegen seinen Halbbruder Chilperich I. militärisch operieren will und daher Folgeleistungen der ostrheinischen Akteure organisiert. In Kenntnis dieser Vorgänge verbündet sich Chilperich I. mit Guntram. Als Sigibert I. an die Seine zieht, setzt er Guntram durch eine Gesandtschaft unter Druck, so dass dieser zu ihm übertritt und ihn mit den ihm Folgeleistenden auf seinem Gebiet über den Fluss ziehen lässt. Chilperich I. bricht
220 „Vicos quoque qui circa Parisius erant maxime tunc flamma consumpsit; et tam domus quam res reliquae ab hoste direpti sunt, ut etiam et captivi ducerentur.“ Greg. hist.: 4.49. und: „Sigyberthus vero, obtentis civitatibus illis, quae circa Parisius sunt positae, usque Rhotomaginsem urbem accessit, volens easdem urbes hostibus cedere.“ Greg. hist.: 4.51. 221 Greg. hist.: 4.48; 4.50 und 4.51. 222 Überblickend Geary, Ethnicity: S. 107 ff. 223 Cassiod. var.: 3.3. 224 Mar. aven. chron.: 555.3; 556.1 und 556.2. 225 Für Thüringer Greg. hist.: 3.4; 3.7 und 3.8. Für Sachsen Greg. hist.: 4.10; 4.14 und 4.16. Für Sueben Greg. hist.: 5.15. 226 Vgl. Wood, Administration: S. 68 f. 227 Ep. austr.: 20.10 f. Zur Problematik der Datierung Wattenbach und Levison, Geschichtsquellen: S. 117. 228 „Obtestabat enim rex, ne haec fierent; sed furorem gentium, quae de ulteriore Rheni amnis parte venerant, superare non poterat; sed omnia patienter ferebat, donec redire possit ad patriam.“ Greg. hist.: 4.49. 229 Greg. hist.: 4.49.
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Quellenuntersuchung
darauf sein Lager ab und flieht. Danach macht er Sigibert I. das Angebot, die civitates, die ihm zuvor unter der Anführung des Theudebert genommen worden sind,230 zurückzugeben.231 Dieses Angebot nimmt Sigibert I. an. Frieden wird zwischen den beiden Königen geschlossen.232 Gregor erwähnt in der Passage abschließend, dass der Friedensschluss nicht ohne die Macht des heiligen Martin zustande gekommen wäre, was der Bischof an Phänomenen festmacht, die er als Wunder gedeutet hatte. Sie geschahen am Tag des Friedensschlusses.233 Bevor der Bischof seine Erzählung beendet, erzählt er noch von Plünderungen durch die ostrheinischen Akteure im Gebiet der civitas Paris. Genauer erzählt er, dass einige Dörfer (vicos) in diesem Gebiet in Brand geraten, Menschen geraubt und Landgüter geplündert werden.234 Der König kann dies wegen der Wildheit der ostrheinischen Akteure nicht verhindern.235 Kurz nach diesem Vorfall droht ein Aufstand östlich des Rheins, den Sigibert I. durch Zureden und Bestrafungen unterdrückt.236 Festzuhalten ist, dass innergallisches Gebiet – auch wenn die civitas Paris mit ihrem ummauerten Zentrum zu dieser Zeit wohl keinem Merowinger zustand237 – von Kriegergemeinschaften geplündert wurde, die ein Merowinger selbst von der Peripherie in das Zentrum Galliens geführt hat. Bei der Erzählung über die zweite militärische Operation unter der Beteiligung ostrheinischer Akteure werden zusätzlich auch Folgeleistungen von Bevölkerungsteile aus den civitates Tours und Châteaudun durch die in den Gebieten offenbar nicht regional-strukturell tätigen238 duces Guntram und Godegisil organisiert. Theudebert, der Sohn des Chilperichs I., wird während der Schlacht getötet.239 Nach Gregor ist Sigibert I. dann bereit, den ostrheinischen Akteuren die civitates Paris und Rouen für Plünderungen zu überlassen. Zuvor dingt Chilperich I., der die militärische Operation begonnen hatte, mit ihm Folgeleistenden plündernd bis nach Reims vor.240 Sigibert I. kann von seiner Absicht nur durch die Seinen abgehalten werden, ohne dass Gregor dabei erzählt, welche Gruppe von Akteuren genau mit der Formulierung gemeint ist.241
230 Greg. hist.: 4.49. 231 Greg. hist.: 4.47. 232 Greg. hist.: 4.49. 233 „Sed nec hoc sine beati Martini fuisse vertutem ambigitur, ut hi sine bello pacificarentur; nam in ipsa die, qua hi pacem fecerunt, tres paralitici ad beati basilicam sunt directi.“ Greg. hist.: 4.49. 234 Greg. hist.: 4.49. 235 Greg. hist.: 4.49. 236 Greg. hist.: 4.49. 237 Dazu die Verträge zwischen den Merowingerkönigen nach dem Tod Chariberts. Greg. hist.: 7.6. 238 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 26. 239 Greg. hist.: 4.50. 240 Greg. hist.: 4.51. 241 „Sigyberthus vero, obtentis civitatibus illis, quae circa Parisius sunt positae, usque Rhotomaginsem urbem accessit, volens easdem urbes hostibus cedere. Quod ne faceret, a suis prohibitus est.“ Greg. hist.: 4.51.
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Zudem ist festzuhalten, dass Gregor die ostrheinischen Akteure während der Plünderungen und kurz vor den letztlich dann doch nicht stattfindenden Kampfhandlungen bei der zweiten militärischen Operation als Feinde (hostes)242 bezeichnet. In Anbetracht der Konstellationen der Figuren ist die Bezeichnung aufschlussreich für die Deutung. Sigibert I. war zu dieser Zeit König in Tours243 und der Anführer der ostrheinischen Akteure. Sein Halbbruder König Chilperich I. wird von Gregor in den decem libri historiarum häufig negativ dargestellt.244 Bei der zweiten Operation begann dieser König mit den Aggressionen und drang mit den ihm Folgeleistenden plündernd vor.245 Zu beachten ist dabei, dass die ostrheinischen Siedlungsgemeinschaften in den Teilstrukturierungszusammenhang Sigiberts I. inkorporiert waren. Sie waren in diesem Sinne keine Fremden. Gregor bezeichnet aber die als Feinde, die auf der Seite seines Königs gegen die Aggressoren vorgehen. Somit ist anzunehmen, dass Gregor erneut bei seiner literarischen Verarbeitung, die erst die handelnden Figuren produziert, nach christlichen Handlungsnormen wertet und nicht etwa Zugehörigkeiten oder Aversionen zum Maßstab seiner Wertung macht. Die Aussagen zur Beteiligung ostrheinischer Akteure an den bella civilia zeigen deutlich, dass Plünderungen von diesen auch gegen den König vollzogen wurden. Dass Sigibert I. Plünderungen dieser Akteure bei der zweiten Operation zulassen wollte, kann als Indikator für ihre Relevanz gedeutet werden. Eindeutig ist dies in Anbetracht der Aussagen zur ersten Operation aber nicht. Trotz des Versuchs des Königs, Plünderungen zu verhindern, plünderten die ihm Folge leistenden Akteure. Die Aussagen dazu plausibilisieren erneut, dass Könige Erwerbschancen für die ihm Folgeleistenden symbolisierten und sie ihm daher letztlich auch Folge leisteten – mit Sigibert I. wurden Erwerbschancen verbunden und diese wurden auch gegen seinen Willen realisiert. In dem Sinne waren Plünderungen für das Organisieren von Folgeleistungen der ostrheinischen Akteure relevant. Die Aussagen dazu, dass der König bei der zweiten Operation die ostrheinischen Akteure plündern lassen wollte, verdeutlichen erneut, dass die Plünderungen für das Organisieren von Folgeleistungen relevant waren: Auch hier ist angezeigt, dass der König Erwerbschancen für die ihm Folgeleistenden symbolisierte. Das Erlauben durch ihn ist als eine Übersetzung vom Symbolisieren zum Realisieren deutbar.
242 „Vicos quoque qui circa Parisius erant maxime tunc flamma consumpsit; et tam domus quam res reliquae ab hoste direpti sunt, ut etiam et captivi ducerentur.“ Greg. hist.: 4.49 und: „Sigyberthus vero, obtentis civitatibus illis, quae circa Parisius sunt positae, usque Rhotomaginsem urbem accessit, volens easdem urbes hostibus cedere.“ Greg. hist.: 4.51. 243 Vgl. Ewig, Teilungen: S. 139 f. 244 Dazu die Charakterisierung des Chilperich I. nach der Erzählung seines Todes. Greg. hist.: 6.46. 245 Greg. hist.: 4.50.
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Quellenuntersuchung
4.2.3 Plünderungen durch externe Akteure und das Entstehen eines herausragenden Akteurs: Eunius Mummolus Bevor die Quellenuntersuchung zu Einfällen externer Akteure begonnen werden soll, ist festzuhalten, dass die Aussagen selbstredend die Verteidigung gallischer civitates zum Inhalt haben.246 Die gegen die Eindringenden vollzogenen Militäroperationen sind situationsbezogene Reaktionen auf Plünderungen von Gebieten,247 die ökonomische Prosperität für die Könige über das Abgabensystem erzeugten. Daher soll beachtet werden, inwieweit anhand der Aussagen zu den Einfällen langobardischer und sächsischer Kriegergemeinschaften unter Anführung dreier als duces bezeichneter Akteure248 und einer sächsischen Wandergemeinschaft249 von Warlordism zu sprechen ist. Die Figur des Eunius Mummolus250 steht im Mittelpunkt all dieser Erzählungen. Mummolus war zuerst – mittels einer List gegenüber seinem Vater Poenius,251 mit der er sich selbst und nicht ihm die Position beim König mit Geschenken sicherte – comes der civitas Auxerre.252 Er wurde, nachdem der patricius Celsus bei der militärischen Abwehr eines Angriffs durch eine langobardische Kriegergemeinschaft getötet worden war, mit der Position und dem dazu gehörigen Titel durch König Guntram betraut.253 Welche Handlungskompetenzen dieser Position innewohnten, ist nicht mehr exakt zu eruieren. Sicher ist allerdings, dass sie zum Teil militärischer Art waren.254 Gregor schreibt, dass Burgunder und andere Akteure Mummolus Folge leisten.255 Es ist jedoch nicht klar, ob Gregor das Wort Burgunder in einem ethnischen oder im
246 Überblickend Greg. hist.: 4.42 und 4.44. Bei den militärischen Operationen leisteten auch die Bischöfe Sagittarius von Gap und Salonius von Embrun Folge. Greg. hist.: 5.20. Die Angriffe der langobardischen Kriegergemeinschaften wurden als Strafe für das Abweichen von christlichen Handlungsnormen gedeutet Greg. hist.: 6.6. Orts- und Zeitfern zu diesen Operationen Paul. hist. lang.: 3.4; 3.5; 3.6 und 3.8. Mit den Aufzeichnungen des Bischofs Marius sind die Angriffe auf 573 und 574 zu datieren. Orts- und zeitnah Mar. aven. chron.: 573.2 und 574.2. Nach ihm waren an der Abwehr der angreifenden Kriegergemeinschaften zwei weitere duces mit Namen Wiolicus und Theudefred als Anführer beteiligt. Orts- und zeitnah Mar. aven. chron.: 573.2. Auf diese Aufzeichnung rekurriert auch der sogenannte Fredegar. Fredeg.: 3.66. 247 Greg. hist.: 4.42 und 4.44. 248 Greg. hist.: 4.44. 249 Greg. hist.: 4.42. 250 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 133–136. 251 Vgl. ebd.: S. 145. 252 Greg. hist.: 4.42. 253 Greg. hist.: 4.42. 254 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 17. 255 „Inruentibus iterum Langobardis in Gallias et usque Mustias Calmes accedentibus, quod adiacit civitati Ebredonense, Mummolus exercitum movit et cum Burgundionibus illuc proficiscetur.“ Greg. hist.: 4.42.
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Sinne einer geographischen Herkunft gebraucht hat. Beides ist durchaus möglich.256 Wie weiter oben angeführt, formierte sich zur Zeit der Niederschrift der decem libri historiarum die Einheitlichkeit der geographischen Räume, die später als Austrasia, Neustria und Burgundia bezeichnet wurden und für die Zugehörigkeit von Menschen im Sinne geographischer Herkunft sprechend waren.257 Das wird mit dem Wortgebrauch durch Gregor selbst vermittelt.258 Daher können die dem Mummolus Folge leistenden Akteure aus den civitates des Teilstrukturierungszusammenhangs Guntrams gestammt haben. Dies wird damit noch weiter plausibler, dass nicht alle der civitates König Guntrams in dem Gebiet lagen, das ehemals die burgundischen Könige kontrollierten.259 Zum konkreteren Ablauf des Organisierens von Folgeleistungen ist keine Aussage gegeben.260 Angenommen werden kann, dass die Folgeleistungen primär daher organisiert werden konnten, um die in Gallien eindringenden Angreifer abzuwehren. Anhand anderer Aussagen ist hingegen sicher, dass ihm Folgeleistende plünderten261 und Menschen raubten.262 Das Organisieren ist bei den Angriffen externer Kriegergemeinschaften und einer Wandergemeinschaft aber als situationsbezogenes Reagieren auf die Angreifer zu beschreiben. Darin besteht beispielsweise eine Parallele zum Organisieren von Folgeleistungen durch den späteren weströmischen Kaiser Avitus in Clermont. Dies wurde bei der Präzision der reaktiv-situationsbezogenen Form des Warlordism berücksichtigt. Dazu ist festzuhalten, dass Guntram und auch andere Könige in der Erzählung Gregors zur militärischen Abwehr langobardischer und sächsischer Kriegergemeinschaften sowie der Wandergemeinschaft gar nicht erwähnt werden. Zwar ist dies an anderer Stelle der Fall und dabei wird Mummolus ausdrücklich als Beauftragter konzipiert.263 Doch Aussagen dazu sind nicht durchgehend gegeben. Inhaber einer Königsposition waren offenbar nicht für all seine Handlungen ausschlaggebend. Dazu kommen noch weitere Aussagen, die ihn schon zur Zeit seiner Tätigkeit als patricius als herausragenden Akteur erscheinen lassen. Ihm und nicht den Königen werden bei Verhandlungen mit sächsischen Gesandten Geschenke überbracht.264 Ein vollkommen von den Königen losgelöstes Agieren ist jedoch nicht gegeben. Mummolus bringt die sächsische Kriegergemeinschaft bei den Verhandlungen dazu, das von ihnen Geplünderte zurückzulassen und sich zurückzuziehen. Sie
256 Vgl. Kaiser, Burgunder: S. 184 ff. 257 Vgl. Ewig, Teilungen: S. 151–160. 258 Greg. hist.: 5.14. Erneut Greg. hist.: 5.18. Auch Greg. virt. mart.: 4.29. 259 Vgl. Kaiser, Burgunder: S. 185. 260 Gregor verwendet nur das Verb movere. Greg. hist.: 4.42. 261 Greg. hist.: 4.42 und 4.44. 262 Greg. hist.: 4.42 und 4.44. 263 Greg. hist.: 4.45. 264 Greg. hist.: 4.42.
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dürfen dann mit ihren Frauen und Kindern zurückzukehren und sich den Königen unterwerfen, damit sie ihre Siedlungsplätze erneut erhalten können.265 Als sie dann samt ihren Verwandten zurückkehren und erneut plündern, versperrt Mummolus ihnen den Weg, da sie das Gebiet des Königs ökonomisch geschädigt haben.266 Erneut fehlen Aussagen dazu, dass er von einem der Könige dazu beauftragt worden ist. Mummolus akkumulierte – so lässt sich plausibel annehmen – offenbar zumindest zeitweilig Handlungskompetenzen. Zwar ist dies nicht wie im Fall des Aegidius durch die Erosion bedingt, aber auch hier gibt es in den Aussagen zu Mummolus – wenn auch kleinere – Ähnlichkeiten, die für die Bildung der zweiten Form des Warlordism wichtig sind: Die beförderte Prozessdynamik bedingt hier die Akkumulation. Auch diese Aussagen sind argumentativ dafür heranzuziehen, dass er bereits zur Zeit seiner Tätigkeit als patricius ein herausragender Akteur war, der er nicht erst mit dieser Position wurde. Mummolus hatte von einem König ein Landgut namens Macho erhalten.267 Welcher der Könige dies war und warum er das Landgut erhalten hatte, ist nicht sicher. Es ist aber nicht unwahrscheinlich, dass er das Landgut auf Grund seiner Siege gegen die externen Angreifer erhalten hat. Somit hätte er das Landgut als eine Art Belohnung erhalten. Sicher ist, dass Mummolus begütert war und in Anbetracht der Erzählung über die Geschenke an einen König für den Erhalt der Position des comes kann zusätzlich angenommen werden, dass er auch schon vor der Verteilung des Landgutes Macho über materielle Güter und Ressourcen verfügte.268 Nach seinem ersten Sieg über langobardische Kriegergemeinschaften,269 war er – wie festgehalten – als Verhandlungspartner einer sächsischen Kriegergemeinschaft aufgetreten und tat dies erneut, nachdem diese saxones mitsamt ihren Verwandten zurück nach Gallien zogen und plündernd tätig wurden.270 Auch konnte er ein weiteres Mal langobardische Kriegergemeinschaften zurückschlagen und gilt nach Gregor wegen seiner militärischen Siege als herausragender Akteur.271 Sein Herausragen mit seiner als patricius beschriebenen strukturellen Position in direkte Verbindungen zu bringen, geht hingegen fehl. Es ist unklar, welche Handlungskom-
265 Greg. hist.: 4.42. 266 Sie plünderten: „Erat enim tunc tempus messium, et locus ille maxime fructus terrae sub divo habebat, nec quicquam ex his domi incolae reconderant. Denique accedentes hi, segetes inter se dividunt; colligentesque ac triturantes frumenta comedebant, nihil ex his eis qui laboraverant relinquentes.“ Greg. hist.: 4.42. 267 „Et Amo quidem Ebredunensim carpens viam, usque Machao villam Avennici territurii, quam Mummolus munere meruerat regio, accessit; […]“ Greg. hist.: 4.44. 268 Die Einziehung seiner materiellen Güter und Ressourcen nach seinem Tod verdeutlichen seinen umfangreichen Besitzstand erneut. Greg. hist.: 7.40. 269 Greg. hist.: 4.42. 270 Greg. hist.: 4.42. 271 Greg. hist.: 4.44 und 4.45.
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petenzen ihr innewohnten und mit Amatus272 und Celsus273 sind zwei weitere Namen von Akteuren in der Position gegeben, die nicht zu derart herausragenden Akteuren wurden. Der eine wurde von Guntram abgesetzt274 und der andere starb in der Schlacht.275 Die Aussagen zu den drei patricii erlauben die Fundierung der Annahme, dass nicht die strukturelle Gebundenheit von Akteuren, sondern deren individueller Umgang mit den Bedingungen einer Position für das Herausragen eines Akteurs letztlich primär grundlegend war. Das soll allerdings nicht heißen, dass strukturgebundene Praktiken nicht förderlich für das Herausragen eines Akteurs in seinem Entstehen wie auch Bestehen waren. Die (Re-)Distribution von Landgütern durch die Könige und das Einsetzen von lokal- und regional-strukturellen Administratoren als Anführer bei militärischen Operationen der Könige waren – wie in diesem Unterkapitel besonders für die zweite Praktik gezeigt wurde – dafür förderlich. Dass beide Praktiken intensiv betrieben worden sind, zeigen neben den erzählenden und lyrischen Texten auch die Akten der Synoden.276 Die Bildung sozialer Beziehungen und die Verfügung über materielle Güter und Ressourcen sind als Effekte der beiden Praktiken ausdrücklich zu nennen, wobei nicht außer Acht gelassen werden darf, dass auch die Landgüter herausragender Akteure wie die der Kirchen auch immer von Plünderungen während der bella civilia bedroht waren. Sicher ist, auch wegen der Gefahr des Verlustes von materiellen Gütern und Ressourcen, dass nicht jeder der Akteure, die als lokal- oder regionalstrukturelle Administratoren tätig waren, auch nach seiner Tätigkeit als herausragender Akteur zu bezeichnen ist. Einige werden danach einfach nicht mehr genannt; und es gibt auch Aussagen zu herausragenden Akteuren, die offenbar zuvor nicht als lokal- oder regional-strukturelle Administratoren tätig waren.277 Hinzu kommt, dass der Gebrauch des Wortes dux uneindeutig ist. Das Wort konnte, musste aber nicht einen regional-strukturellen Administrator bezeichnen. Insofern ist nicht in jedem Fall zu bestimmen, ob ein in den Aussagen als dux bezeichneter Akteur die Folgeleistungen aufgrund seiner strukturellen Position organisieren konnte oder aufgrund einer Akkumulation von Handlungskompetenzen der als dux bezeichneten strukturellen Position oder gar aufgrund von Beziehungen. Das liegt auch daran, dass
272 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 41 f. 273 Vgl. ebd.: S. 66 f. 274 Greg. hist.: 4.42. 275 Greg. hist.: 4.42. 276 Vgl. Weidemann, Kulturgeschichte Bd. I: S. 333 f. und Pontal, Synoden: S. 233 f. sowie S. 250. Zur Bedeutung von Landgütern als ökonomische Einnahmequelle für die Könige im Allgemeinen Hardt, Gold: S. 212–215. Zur Praktik des Einzeihens durch die Könige im 6. Jahrhundert in Gallien als Aspekt der Handlungsfähigkeit der Könige Hardt, Gold: S. 201–203. Hierbei liegt der Fokus jedoch nicht auf Landgütern. 277 Dazu für das Kontinuum zwischen 561 und 585 in Gallien Greg. hist.: 4.30; 5.1; 5.3; 5.4; 5.17; 5.25; 6.4; 7.13 und 7.29.
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strukturgebundenen Werdegänge der als duces bezeichneten Akteure wohl nicht als einheitlich von den Autoren wahrgenommen worden sind. Nur für einige Akteure kann das Organiseren von Folgeleistungen deutlich bestimmt werden und dies – so ist plausibel anzunehmen – nicht weil die Werdegänge, sondern die individuellen Leistungen eines Akteurs dafür wichtig waren. Einer davon war Eunius Mummolus. Ausblickend auf die nächsten Unterkapitel soll abschließend festgehalten werden, dass Mummolus wenige Jahre nach dem Tod Sigiberts I. in das ummauerte Zentrum der civitas Avignon floh278 und sich kurz darauf dem Prätendenten Gundowald anschloss.279 Mummolus handelte hierbei offensichtlich nicht mehr in der als patricius bezeichneten Position. Er war als herausragender Akteur auch ohne eine solche in der Lage, Folgeleistungen zu organisieren,280 verfügte über materielle Güter und Ressourcen281 und hatte an Prestige bei seinen militärischen Erfolgen in der strukturellen Position gewonnen.282 Mummolus ist daher auf der Deutungsebene als herausragender Akteur zwischen den drei konvergenten Formen des Warlordism zu beschreiben, der er während und nach seiner Tätigkeit als patricius war. Die Aussagen zum Plündern in Bezug auf die Handlungen des Mummolus zeigen, dass das Plündern für das Entstehen und Bestehen des Mummolus als herausragender Akteur relevant war. Nicht nur, dass die ihm Folgeleistenden plünderten und auch Menschen raubten, als er noch in der strukturellen Position des patricius tätig war. Er wehrte auch plündernde Kriegergemeinschaften und eine Wandergemeinschaft militärisch ab.
4.3 Aussagen bis zum Tod König Chilperichs I.: Gallien 575–584 Der Aussagenbestand, der das Kontinuum zwischen 575 und dem Tod Chilperichs I. 584 in Gallien repräsentiert, ist der umfangreichste des gesamten Kapitels. Die Chronologie des Bischofs Gregor in den decem libri historiarum ist in den Erzählungen ab dem fünften Buch – das letzte Kapitel des vierten schließt mit dem Tod Sigiberts I. bei einem Attentat283 – an den Jahren des Königs Childebert II. orientiert. Die Jahre der beiden anderen zu dieser Zeit noch lebenden Könige werden dabei neben den Jahren des Childebert II. ebenfalls für die Datierung verwendet.284
278 Greg. hist.: 6.1. Auch orts- und zeitnah Mar. aven. chron.: 581.2 und MGH Conc 1 Concilium Lugdunense 567 aut 570: c.2 und c.5. 279 Greg. hist.: 7.10. 280 Indirekt Greg. hist.: 7.34. 281 Greg. hist.: 4.42; 4.44 und 7.40. 282 Greg. hist.: 4.45. 283 Greg. hist.: 4.51. 284 Die Zählung beginnt im ersten Kapitel des fünften Buches der decem libri historiarum. Greg. hist.: 5.1. Die erste Kopplung ist im 25. Kapitel des fünften Buches der decem libri historiarum zu finden. Greg. hist.: 5.25.
Aussagen zu der zweiten Generation nach Chlodwig I.
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Aussagen zum Plündern zwischen 575 und 584 in Gallien sind von nicht geringer Zahl. Bei der Bildung analytischer Kontexte dieses Unterkapitels wird an die Ergebnisse und Annahmen der letzten beiden Unterkapitel angeschlossen. Das Unterkapitel wird dafür in drei analytische Kontexte gegliedert. Im ersten analytischen Kontext werden Aussagen zu den Praktiken des Plünderns, des Raubens, des Einziehens und des Verteilens untersucht. Er ist intern in drei Bereiche gegliedert. Bisherige Annahmen werden dabei fundiert und überprüft. Unter der Frage, inwieweit die Aussagen zum bannus als Abgabe und dem Almosengeben als Praktik im Zusammenhang mit der (Re-)Distribution der Kirchen als Versuche der Verstetigung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens zu deuten sind, wird der vorletzte analytische Kontext gebildet. Da die Kleriker Almosen nicht immer direkt verteilten – auch Kleriker gaben Almosen – sondern die Gläubigen auch dazu anregten, solche zu geben, ist im Fall der Aussagen zu ihnen nicht durchgehend von einer Art der Redistribution zu sprechen. Einen Abschluss findet das Unterkapitel mit der Untersuchung der Aussagen zu lokalen und regionalen Konflikten. Hierbei wird die Frage nach der Dynamisierung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens in Vordergrund stehen.
4.3.1 Das Plündern und das Rauben: Die Aussagen zu den bella civilia Die Ähnlichkeit des Raubens und des Plündern auf der Deutungsebene wurde im letzten Kapitel anhand der Aussagen aus dem pactus pro tenore pacis, den Synodalakten und einigen Erzählungen wie auch Aufzeichnungen aus der Chronik des Bischofs Marius und oströmischen Historiographien dargelegt. Dabei wurde die indirekte Bedingtheit der Vermehrung des Raubens in Gallien von den militärischen Operationen der Könige und auch deren Ausbleiben erörtert. Militärischen Operationen fanden seit dem Beginn der Zeit Chlodwigs I. in Gallien und an der Peripherie dieses geographischen Raumes unter Anführung der Merowingerkönige stetig statt. Dies trug zur Normalisierung des Plünderns als sozioökonomische Praktik des Erwerbs materieller Güter und Ressourcen bei. Jedoch konnten Menschen, wenn die Operationen ausblieben, nicht mehr in den Kriegermodus übergehen. Es ist daher plausibel, dass mit dem Ausbleiben der Operationen der Raub materieller Güter und Ressourcen in Gallien zunahm: Die Menschen gingen nicht in den Kriegermodus, sie gingen in den Räubermodus über: Er ist durch die dem Plündern als Erwerbspraktik ähnliche sozioökonomische Erwerbspraktik des Raubens konstituiert. Der Modus ist von dem Kriegermodus dahingehend zu unterscheiden, dass er nicht von einer militärischen Operation der König direkt bedingt ist. Diese analytische Differenzierung, die anhand des Aussagenbestandes zwischen 536/7 und 561 in Gallien und einiger Aussagen des vorherigen Kontinuums dargelegt worden ist, birgt aber für die Untersuchung der Aussagen des Kontinuums zwischen 561 und 585 in Gallien die Gefahr einer mechanistischen Beiordnung in Kategorien auf der Basis positivistischer Argumentation.
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Quellenuntersuchung
Bereits in den beiden vorherigen Unterkapiteln wurden einige Aussagen untersucht, die eine von den bella civilia ausgehende Dynamisierung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens nachvollziehbar machen. Das Plündern und das Rauben unter der Anführung der lokal- und regional-strukturellen Administration wie die Bestrafungen und die Belohnungen der strukturell gebundenen Administratoren wurden dabei in unterschiedlicher Intensität akzentuiert. In dem Kontinuum zwischen 575 und 584 in Gallien kommen nun weitere Veränderungen in Relation hinzu, die für die analytische Differenzierung zwischen den Praktiken des Plünderns und des Raubens auf der Deutungsebene beachtet werden sollten. Aussagen dazu, dass sich Konflikte auf einer lokalen oder regionalen Ebene vollzogen, nehmen für die Zeit zwischen 575 und 584 zu. Auch diese lassen sich nicht immer dahingehend unterscheiden, inwieweit auf der Deutungsebene von Plünderungen oder von Raub zu sprechen ist: Nicht nur die Könige konnten an diesen indirekt beteiligt sein.285 Sie wurden auch unter der Formulierung bella civilia gefasst.286 Auch konnten lokal- und regional-strukturelle Administratoren wie auch Teile der Bevölkerungen der civitates daran beteiligt sein.287 Dabei kam es selbstredend auch zu Umverteilungen materieller Güter und Ressourcen.288 Von der Organisation der centenae als Raub verhindernde Akteure aus der lokal-strukturellen Administration ist in den zeitnahen Erzählungen hingegen nichts zu erfahren.289 Weiter lässt sich festhalten, dass diese lokalen und regionalen Konflikte sehr wohl von militärischen Operationen der Könige tangiert290 worden sein konnten. Sie sind daher ebenfalls als Effekte der bella civilia zu bezeichnen. Sie sind auch nachzuvollziehen durch Aussagen zur Mobilisierung von Bewohnern aus den civitates, die nicht als Ausdruck des Organisierens von Folgeleistungen beschreibbar
285 Dazu für das Kontinuum zwischen 561 und 585 in Gallien Greg. hist.: 4.30; 4.39; 5.1; 5.3; 5.4; 5.25; 5.36; 5.48; 5.49; 6.4; 6.12; 6.19 und 7.2. 286 „Taedit me bellorum civilium diversitatis, que Francorum gentem et regnum valde proterunt, memorare; in quo, quod peius est, tempore illud quod Dominus de dolorum praedixit initium iam videmus: Consurgit pater in filium, filius in patrem, frater in fratrem, proximus in propinquum.“ Greg. hist.: 5.0. 287 Dazu für das Kontinuum zwischen 561 und 585 in Gallien Greg. hist.: 4.30; 4.39; 5.36; 5.48; 5.49; und 6.12. Auch Greg. hist.: 6.19. Der ehemalige dux Asclipius wird hier raubend tätig. 288 Ausdrücklich Greg. hist.: 7.2. Indirekt ebenso Greg. hist.: 6.4. Mit Aussagen aus dieser Erzählung wird der Umverteilungseffekt durch Plünderungen nachvollziehbar. 289 Dem entgegen Murray, Administration: S. 77 ff. 290 Dazu für das Kontinuum zwischen 561 und 585 in Gallien Greg. hist.: 5.1; 5.3; 5.4; 5.26; 5.29; 5.31; 5.48 und 5.49. Darüber hinaus bezüglich des Regionalkonflikts mit den bretonischen Anführern Greg. hist.: 9.18; 10.9 und 10.11.
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sind.291 Es gibt aber auch Quellenaussagen die deutlich machen, dass ebenso Folgeleistende daran beteiligt sein konnten, deren Anführer nur relativ lose an die Merowingerkönige gebunden waren und trotzdem in konkreten geographischen Räumen zu verorten sind. Diese beziehen sich auf die comites292 bretonischer Siedlungsgemeinschaften.293 Die Quellenlage zu den stetigen militärischen Operationen und zu ihren Effekten erschwert nun die analytische Differenzierung zwischen der sozioökonomischen Praktik des Plünderns und der sozioökonomischen Praktik des Raubens auf der Deutungsebene, da die Konflikte der Könige mit denen für diesen Zeitraum charakteristischen militärischen Operationen (bella civilia) fließend in die Lokal- und Regionalkonflikte übergehen konnten. Das grundlegende Paradoxon des parzellierten Strukturierungszusammenhangs war von den bella civilia in der Art betroffen, dass Sesshaftigkeit und Mobilität keine exklusiven Grundlagen des sozioökonomischen Lebens in Gallien waren: Menschen konnten von Modi, die Mobilität bedurften, zu Modi, die Sesshaftigkeit brauchten, wechseln und auf verschiedene Weisen erwerbend und produzierend tätig werden. Optionen dazu waren durch die bella civilia befördert worden. Das Abgabensystem als exklusives Erwerbsmittel der Könige war somit ebenfalls von den militärischen Operationen sowie den Lokal- und Regionalkonflikten tangiert, indem der ökonomische Ertrag der Abgaben wegen des Organisierens von Folgeleistungen der Bevölkerungsteile aus den civitates sowie dem Plündern und dem Rauben abnehmen musste. Abgaben waren also schwerer zu leisten und das Abgabensystem konnte nicht ungehindert Prosperität für die Könige generieren,294 da Menschen nicht nur Teil der sesshaften Bevölkerung in den civitates, sondern auch der mobilen Kriegergemeinschaften sein konnten. Indikator für diesen Wechsel ist die sprachliche Verbindung eines Anführernamens mit einer geographischen Herkunftsbezeichnung im Erzählkontext selbst.295 Die analytische Differenzierung der sozioökonomischen Erwerbspraktiken des Raubens und des Plünderns ist in Anbetracht der veränderten Aussagenlage nicht in einer scharf konturierten Kategorisierung von Aussagen für ihre Untersuchung
291 Anführer jeglicher Art werden zum Teil erst gar nicht genannt. Greg. hist.: 7.2. Zur Dynamisierung als in ihren Phänomenen bildhaft Verarbeitetes Ven. fort. carm.: 3.3; 3.9; 3.13; 4.3; 5.3 und 9.9. 292 Diese Bezeichnung zeitnah erklärend: „Nam semper Brittani sub Francorum potestatem post obitum regis Chlodovechi fuerunt, et comites, non regis appellati sunt.“ Greg. hist.: 4.4. 293 Dazu für das Kontinuum zwischen 561 und 585 in Gallien Greg. hist.: 5.26; 5.29 und 5.31. Darüber hinaus Greg. hist.: 9.18; 10.9 und 10.11. 294 Mit Ausführungen zur Komplexität der Erhebung und Einziehung der Abgaben Hardt, Gold: S. 145 ff. 295 Dazu für das Kontinuum zwischen 561 und 585 in Gallien Greg. hist.: 4.30; 4.50; 5.1; 5.3; 5.4; 5.26; 5.49; 6.12; 6.31; 7.12; 7.13; 7.24; 7.28 und 7.29.
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Quellenuntersuchung
anwendbar. Der Untersuchungsfokus des Quellenbestandes zu den beiden Praktiken wird daher zuerst auf ihre Relevanz für das Organisieren von Folgeleistungen lokalund regional-strukturell tätiger Administratoren gelegt, um ihn dann auf die Praktiken des Einziehens und des Verteilens von materiellen Gütern und Ressourcen zu erweitern, wobei beachtet wird, inwieweit die vier Praktiken für das Entstehen von herausragenden Akteuren relevant waren. 4.3.1.1 Plündern und Rauben unter der Anführung lokal- und regional-struktureller Administratoren Die lokal- und regional-strukturellen Administratoren waren bei ihrer Tätigkeit (wie die Bezeichnung vermittelt) auf kleinere oder größere geographische Räume bezogen. Das Anführen von Folgeleistenden, die offenbar zumeist aus Bevölkerungsteilen der civitates bestanden, betraf also auch den innerhalb Galliens parzellierten Strukturierungszusammenhang: Akteure, die eigentlich strukturell an einen konkreten geographischen Raum gebunden waren, wurden wie die Bevölkerung selbst zu relativ mobilen Akteuren. Die Mobilität der Akteure in der Position eines lokal- oder regional-strukturellen Administrators kann daher als Semimobilität aufgefasst werden, da sie – für comites ist dies sicher, für duces muss dies von Fall zu Fall genauer betrachtet werden – strukturell an geographische Räume gebunden, aber zugleich auch über diese Räume hinaus als Anführer bei militärischen Operationen der Könige tätig waren. Sie waren somit wie die Bevölkerungsteile der civitates, die in den Kriegermodus übergehen konnten, Bedrohung und Sicherung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens. Dies konnte sich jeweils von Situation zu Situation ändern. Einige Aussagen zu Raub und Plünderungen unter der Anführung lokal- und regional-strukturell tätiger Administratoren sind bereits im vorangegangenen Unterkapitel in die Untersuchung eingegangen. Neben Raub und Plünderungen durch die Folgeleistenden unter den patricii Celsus296 und Eunius Mummolus297 wurden auch Aussagen zum Raub unter dem comes Palladius von Javols einbezogen.298 Zwar wird in den Aussagen zu diesen Raubtaten nicht über Akteure erzählt, die dem comes dabei Folge leisteten. Es ist aber unwahrscheinlich, dass er allein Menschen berauben konnte, die ihm in größerer Zahl gegenüberstanden. Andere Aussagen lassen die Annahme wahrscheinlich werden, dass Palladius bereits vor seiner Tätigkeit als comes ein herausragender Akteur war. Seine Verwandtschaft mit dem comes Firmi-
296 Greg. hist.: 4.30. 297 Greg. hist.: 5.13. 298 Greg. hist.: 4.39.
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nus von Clermont299 kann als sicher gelten.300 Sein Vater war bereits comes301 und er war in Clermont nicht nur mit seiner Familie ansässig, sondern dort auch sehr wahrscheinlich besitzend.302 Dies alles macht wahrscheinlich, dass seine Familie eine herausragende innerhalb Clermonts war. Mehr ist über Palladius jedoch nicht zu erschließen: In der Passage, in der Gregor über den Raub erzählt, erwähnt er zusätzlich, dass Palladius wegen des Streits mit dem Bischof aus seiner Position entfernt wird. Romanus, der nun versucht sie zu erlangen, verbreitet das Gerücht, Sigibert I. wolle Palladius töten lassen. Daraufhin begeht er Selbstmord.303 Die ersten Aussagen zu Raub und Plünderungen unter Anführung lokal- und regional-strukturell tätiger Administratoren aus dem Kontinuum zwischen 575 und 584 in Gallien sind im ersten Kapitel des fünften Buches der decem libri historiarum zu finden. Sie gehören in einen weitläufigeren Erzählzusammenhang: Wie bereits erwähnt, waren die duces304 Guntram Boso und Godegisil von Sigibert I. in die civitates Tours und Châteaudun geschickt worden, um dort Folgeleistungen von Bevölkerungsteilen zu organisieren: Sie operierten militärisch gegen Theudebert, den Sohn Chilperichs I.305 Er war zuvor von seinem Vater gesandt worden, um civitates, darunter auch Tours, seines Halbbruders zu erobern, wobei die Theudebert Folgeleistenden in den Gebieten von Tours, Poitiers, Limoges und Cahors die Kirchen und die Bevölkerung ausplünderten.306 In der darauf folgenden Schlacht unterliegt Theudebert und verliert sein Leben.307 Guntram Boso flieht dann nach dem Tod Sigiberts I. in die Kirche des heiligen Martin, weil er wegen Theudeberts Tod verfolgt wird.308 Um ihn aus der Kirche zu holen, erscheint in Tours Roccolen mit Akteuren aus Le Mans.309 Gregor bezeichnet Roccolen weder in den decem libri historiarum310 noch in den libri IV de virtutibus sancti martini311 als dux. Diese Bezeichnung wird erst in der
299 Die Abstammung von Akteuren, die über relativ umfangreiche materielle Güter und Ressourcen verfügten und daher herausragten, ist für Firminus wahrscheinlich. Er war Schwager des Palladius. Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 91 f. 300 Greg. hist.: 4.39. 301 Sein Name war Britianus. Wo er comes war, ist nicht mehr exakt zu eruieren. Greg. hist.: 4.39. 302 Die Figur hält sich dort in eigenen Häusern auf. Greg. hist.: 4.39. 303 Greg. hist.: 4.39. 304 Die geographischen Gebiete ihrer Tätigkeit sind unklar. Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 28. 305 Greg. hist.: 4.50. 306 Greg. hist.: 4.47. 307 Greg. hist.: 4.50. 308 Greg. hist.: 5.4. 309 Greg. hist.: 5.1 und 5.4. Auch Greg. virt. mart.: 2.27. 310 Greg. hist.: 5.1 und 5.4. 311 Greg. virt. mart.: 2.27.
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Chronik des sogenannten Fredegar312 verwendet.313 Dass Roccolen ein dux regionalstruktureller Art war, ist daher eher unwahrscheinlich. Zwar kann die Aussage, dass er mit Akteuren aus Le Mans nach Tours gekommen ist, für die Annahme, er sei der dux von Le Mans gewesen, plausibel verwendet werden. Jedoch kann er genauso ein Bewohner der civitas gewesen sein, der Folgeleistungen organisierte, wie es beispielsweise für Basilius und Sigarius der Fall ist. Diese waren als Bewohner von Poitiers dazu übergegangen, situationsbezogen Folgeleistungen von Bevölkerungsteilen in ihrer civitas zu organisieren, als Eunius Mummolus – damals noch patricius – gegen Poitiers für Guntram und Sigibert I. militärisch operierte, da Chilperich I. die civitas nach dem Tod Chariberts hatte erobern lassen.314 Ein Unterschied zwischen den Aussagen zum Organisieren von Folgeleistungen in der civitas Poitiers und denen zum Organisieren von Folgeleistungen durch Roccolen besteht darin, dass er keine civitas verteidigt, sondern in das Gebiet einer anderen civitas zieht, um dort eine Forderung zu stellen, die dem Interesse Chilperichs I. entspricht. Roccolen akkumulierte also situationsbezogenen Handlungskompetenzen, wobei er die ihm Folgeleistenden gegen Tours führte. Daher ist insgesamt plausibler, dass die Aussage, Roccolen sei ein dux gewesen, das Ergebnis des Entstehens und Bestehens herausragender Akteure in ihrer semantischen Dimension zeigt: Informationen zu jemandem, dem Akteure Folge leisteten – in diesem Fall rekurrierte der Autor auf die decem libri historiarum und womöglich auch auf die libri IV de virtutibus sancti Martini – führten im 7. Jahrhundert dazu, diese literarisch derart zu verarbeiten, dass die Figur als dux bezeichnet wurde. Zur Zeit Gregors war dies noch nicht derart eindeutig, was der unterschiedliche Gebrauch des Wortes dux selbst und das Nichtgebrauchen des Wortes in Fällen zeigt, bei denen Akteure eindeutig Folgeleistungen organisieren konnten.
312 Die Diskussion darum, wie viele Autoren an der Chronik gearbeitet haben, dauert bereits über hundert Jahre an. Der Name Fredegar tritt jedenfalls erst im 16. Jahrhundert auf. Vgl. Plassmann, Origo gentis: S. 148. Es wird angenommen, dass drei, zwei oder nur ein Autor an dem Text gearbeitet hat. Die beiden grundlegenden Arbeiten zur Annahme, es handele sich um drei Autoren, stammen aus dem 19. Jahrhundert. Dazu Krusch, Fredegar: S. 249–351 und S. 423–516. Ähnlich Schnürer, Fredegar-Chronik. Die Annahme ist aber in die Kritik geraten. Dazu Collins, Fredegar-Chroniken: S. 8 f. Zur Annahme zweier Autoren überblickend Collins, Fredegar-Chronik: S. 13 f. Ursprünglich Hellmann, Fredegar-Problem: S. 36–92. Zur Annahme nur eines Autors Goffart, Fredegar: S. 206–241. Angenommen wird auch, dass der oder die Autoren aus Burgund stammten. Die Diskussion zusammenfassend Collins, Fredegar-Chroniken: S. 16–25. Ob der oder die Autoren Laien oder Kleriker waren, wird ebenfalls diskutiert. Jedoch ist dies nicht mehr eindeutig zu klären. Dass die Chronik Mitte des 7. Jahrhundert entstanden ist, wird allgemein anerkannt. Für die Annahme, der oder die Autoren seien Laien gewesen Wallace-Hadrill, Kings: S. 75. Gegen diese Annahme Wood, Fredegar’s Fables: S. 360. Auch Collins, Fredegar-Chroniken: S. 25 f. Die Chronik wurde also ortsnah, jedoch zeitfern verfasst. 313 Fredeg.: 3.74. 314 Greg. hist.: 4.45.
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Im Fall Roccolens kann das Rauben als Aspekt des Organisierens von Folgeleistungen geltend gemacht werden. Um eine militärische Operation – weder des Königs noch auf Eigeninitiative des Roccolen – handelt es sich offenbar nicht: Er lagert – so erzählt Gregor in zwei seiner Schriften – südlich der Loire und verlangt die Herausgabe des Guntram Boso, die aber nicht erfolgt. Darauf finden im Gebiet von Tours Zerstörungen statt und die dem Roccolen Folgeleistenden rauben:315 Die Zerstörung eines Hauses und der Raub seiner Einzelteile werden ausdrücklich erzählt.316 Das Rauben erscheint in diesem Zusammenhang als Umsetzung der Drohungen. Sie soll dazu führen, dass Guntram Boso doch herausgegeben wird. Gregor war zu dieser Zeit bereits der Bischof von Tours und verarbeitete in seiner Erzählung auch Phänomene literarisch. Gerade deshalb ist auffällig, dass er keine lokal- oder regional-strukturellen Administratoren erwähnt, die sich Roccolen und den ihm Folgeleistenden entgegenstellen. Auch die Bewohner von Tours, die zuvor bei der Operation gegen Theudebert in den Kriegermodus übergegangen waren, wehrten sich nicht gegen die gewaltsamen Übergriffe auf ihr Gebiet. Dass abwehrende Akteure nicht erwähnt werden, ist damit in Verbindung zu bringen, dass das Auftreten des Roccolen in Tours wohl kurz nach dem Tod Sigiberts I. stattfand. Nach Gregor im ersten Jahr des Königs Childebert II.317 In welchen der drei in Gallien gegeben Teilstrukturierungszusammenhänge Tours zu dieser Zeit inkorporiert war, ist nicht sicher. Theudebert hatte Tours für seinen Vater erobert. Leudast, der schon zur Zeit Chariberts dort comes war, wurde von ihm nach der Eroberung von Tours Gregor als neuer comes empfohlen.318 Theudebert starb aber kurz nach der Eroberung und dies nur wenige Tage vor König Sigibert I.319 Demnach ist plausibel, dass zu dieser Zeit niemand die Position des comes von Tours innehatte.320 Es sind allerdings noch Aussagen in die Untersuchung einzubeziehen, die auf den ersten Blick nichts mit der Abwehr eines Aggressors zu tun haben: Roccolen stirbt kurz nach seinem Abzug aus Tours in Poitiers, während er dort, auf welche Weise ist unklar, die Bewohner hart bedrängt.321 Gregor deutet dies als eine Bestrafung durch den heiligen Martin.322 Insofern ist festzuhalten, dass mit dem Heiligen eine Figur gegeben ist, die zwar nicht als abwehrender Akteur, aber als Rächer bezeichnet werden kann. Die darin implizite
315 Greg. hist.: 5.4 und Greg. virt. mart.: 2.27. 316 Greg. hist.: 5.4 und Greg. virt. mart.: 2.27. 317 Greg. hist.: 5.1. 318 Greg. hist.: 5.48. 319 „Inter exitum vero eius et nepotis sui Theodoberthi fuere dies XVIII.“ Greg. hist.: 4.51. 320 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 123. 321 Greg. hist.: 5.4. 322 „Tunc Roccolenus cum Cinomannicis Toronus venit et praedas egit et multa scelera fecit, quod in sequenti, qualiter a virtute beati Martini pro tantis malis quae gessit percussus interiit, memoramus.“ Greg. hist.: 5.1. Auch Greg. virt. mart.: 2.27.
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Warnung, die mit der Erzählung der Handlungen des Roccolen als ein Negativbeispiel konzipiert ist, ist nicht zu übersehen. Wie für die Erzählung über Roccolen in Tours fehlen auch für die Erzählung einer militärischen Operation unter Anführung des patricius Mummolus Aussagen zu Abwehrversuchen von Plünderungen.323 Gregor rekurriert bei der literarischen Verarbeitung erneut nicht nur auf Informationen, sondern wahrscheinlich auch auf Phänomene – die civitas Tours ist erneut das Ziel. Er schreibt, dass Chilperich I. seinen Sohn Chlodwig anweist, Tours zu erobern. Der organisiert Folgeleistungen und zieht nach Tours, dringt durch das Gebiet der civitas und dem von Angers bis nach Saintes vor und erobert diese civitas.324 Der patricius Eunius Mummolus zieht währenddessen mit den ihm Folgeleistenden nach Limoges und siegt gegen Desiderius, der als dux des Chilperich I. bezeichnet wird. Auf dem Rückweg plündern die Folgeleistenden des Mummolus das durchzogene Gebiet von Clermont.325 Ob in diesen Zusammenhang auch Aussagen zum Menschenraub in Albi zu verorten sind, ist nicht sicher, aber durchaus wahrscheinlich.326 Festzustellen ist zum einen, dass ein Sohn Chilperichs I. als Anführer von Folgeleistenden dargestellt wird. Das zeigt erneut, dass nach 561 eben nicht nur die lokal- und regional-strukturellen Administratoren als Anführer bei militärischen Operationen fungierten. Woher aber die Akteure stammten, deren Folgeleistungen er organisierte, wird nicht klar. Dies gilt auch für das Organisieren von Folgeleistungen der Akteure, die dem patricius Mummolus und dem dux Desiderius Folge leisteten. Sicher ist nur, dass die Kriegergemeinschaft des Mummolus in Clermont plünderte. In welchen der Teilstrukturierungszusammenhänge die civitas zu dieser Zeit inkorporiert war, ist wiederum nicht mit Sicherheit zu bestimmen. Gregor datiert das Erzählte noch vor das dritte Jahr Childeberts II.327 Die militärischen Operationen fanden demnach 576 statt. Vollkommen unsicher ist hingegen, ob zu dieser Zeit noch Firminus als comes in Clermont tätig war. Der Name Venerandus ist in dem Zusammenhang zu nennen,328 wobei unklar ist, welcher der Könige ihn in Clermont positionierte.329 Da Clermont vor dem Tod Sigiberts I. in dessen Teil des parzellierten Strukturierungszusammenhangs inkorporiert war, ist anzunehmen, dass die civitas an Childebert II. gegangen war. Dass sie an Chilperich I. gegangen ist, ist zumindest nicht überliefert. Daher ist das Plündern durch die dem Mummolus Folgeleistenden als Aspekt des Organisierens der Folgeleistungen annehmbar. Die Plünderungen betrafen demnach Unbeteiligte:330
323 Greg. hist.: 5.13. 324 Greg. hist.: 5.13. 325 Greg. hist.: 5.13. 326 Greg. hist.: 7.1. 327 Greg. hist.: 5.25. 328 Greg. vit. part.: 2.2. 329 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 163. 330 Vgl. Bodmer, Krieger: S. 81 ff.
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Die Praktik war abseits des eigentlichen Zielrahmens der Operation betrieben worden und somit keine Maßnahme zur Schädigung der Gegner während der Kampfführung. Die Dynamisierung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens als Effekt der militärischen Operationen bezog sich nicht nur auf die weltliche Bevölkerung. Auch zwei Bischöfe leisteten bei militärischen Operationen Folge. Salonius von Embrun und Sagittarius von Gap taten dies bereits bei den militärischen Operationen unter Eunius Mummolus gegen die langobardischen Kriegergemeinschaften und töteten dabei auch eigenhändig.331 Zwar waren sie keine lokal- und regional-strukturellen Administratoren weltlicher Art. Die Aussagen zur Beraubung des Bischofs Victor von St.-Paul-Trois-Chateaux durch die beiden Bischöfe und ihnen Folgeleistenden zeigen aber nicht nur, dass die Dynamisierung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens auch Bischöfe dazu bringen konnte, entgegen kirchlichen Normen zu handeln. Sie zeigen auch, dass das Rauben und das Plündern Erwerbsweisen waren, die auch von Klerikern als Optionen wahrgenommen wurden: Die Bischöfe organisierten Folgeleistungen, die zu Raubtaten führten. Auch in den Aussagen zum Raub auf den Kirchengütern in Angoulême ist eine Beteiligung von Kleriker zu fassen. Dies jedoch auf eine ganz andere Art. Der Bischof Marachar von Angoulême ist – so erzählt Gregor – mit Gift von einigen seiner Feinde unter den dortigen Klerikern ermordet worden. Marachar war zuvor comes der civitas Angoulême. Nanthin, sein Neffe, bemüht sich nach der Ermordung, comes in der civitas zu werden, um den Mord aufzuklären. Er erhält die Position auch.332 Der familiäre Bezug in dieser Erzählung ist unverkennbar. Nachdem der Bischof Frontonius, der an der Ermordung Marachars beteiligt war, verstorben ist, folgt ihm Heraclius,333 ein Priester aus Bordeaux, nach. Zu seiner Zeit beginnt dann der comes die Landgüter, die Marachar der Kirche von Angoulême vererbt hatte, zu berauben. Das Organisieren von Folgeleistungen wird nicht erwähnt. Überhaupt fehlen Aussagen zur Beteiligung weiterer Akteure. Dass weiter Akteure aber sehr wahrscheinlich beteiligt waren, zeigen die Aussagen zu Tötungen und Folterungen von Klerikern, die Nanthin kaum – wie auch die Raubtaten – allein begangen haben kann.334 Daraufhin wird Nanthin aus der Kirche ausgeschlossen. Kurz danach aber auf einer Synode in Saintes335 wieder aufgenommen. Doch geht er erneut dazu über, die von seinem Onkel vererbten Häuser auszurauben. Dies veranlasst den Bischof, der kurz darauf stirbt, dazu, ihn wiederum aus der Kirchengemeinschaft auszuschließen.336
331 Greg. hist.: 4.42. 332 Greg. hist.: 5.36. 333 Er hatte Beziehungen zu Childebert I. gehabt. Greg. hist.: 5.36. Seine Identität mit dem Priester Heraclius aus Bordeaux, der zum Bischof von Saintes ordiniert werden sollte, ist nicht sicher. Greg. hist.: 4.26. 334 Greg. hist.: 5.36. 335 Greg. hist.: 5.36. 336 Greg. hist.: 5.36.
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Die Erzählung zum Raub in Angoulême umfasst also Aussagen zu einer familiären Bindung. Zwar erwarb der comes Nanthin durch Raub etwas, doch ist die Motivation der Figur anders gelagert: Die Kleriker, die Nanthin insgesamt als die Mörder seines Onkels verdächtigte, sollten nicht das erhalten, was sie zu unrecht erhalten hatten – die vererbten Landgüter und Häuser. Daher wurden sie ausgeraubt.337 Annehmbar ist unter Bezug auf die Akten der Synoden von Orléans des Jahres 538,338 dass Nanthin nicht der einzige Akteur war, der derartig handelte. Die Quellenaussagen zum Rauben Nanthins sind also mit dem lokalen Konflikt zwischen ihm und den Klerikern der Kirche von Angoulême zu assoziieren, der mit der Ermordung seines Onkels Marachar entstand. Wie am Ende des letzten Kapitels zu Roccolen erzählt Gregor – unter einem Verweisen auf die von christlichen Handlungsnormen abweichenden Handlungen – auch hier über den Tod des Akteurs, der zuvor eine Kirche geschädigt hat: Nanthin, der an einer Krankheit stirbt, erkennt auf dem Sterbebett, dass ihn der verstorbene Bischof Heraclius quält.339 Gregor schließt das Kapitel mit einer Lehre: Jeder soll sich fürchten und den Priestern kein Leid antun. Gott – in diesem Fall ist es nicht der heilige Martin – rächt seine Diener.340 Leudast, der während der bella civilia mehrfach die Position des comes von Tours inne hatte, tat den Klerikern und besonderes Gregor ebenfalls Vieles an. Die relativ umfangreiche Erzählung Gregors über Leudast ist ein Beispiel sozialer Mobilität in Gallien des 6. Jahrhunderts: Sein Vater war Diener (servus) eines Winzers des Königs341 auf der Insel Garcina und somit sehr wahrscheinlich unfrei.342 Leudast war wie sein Vater vom Winzer zu Arbeiten herangezogen worden und versuchte deswegen mehrfach zu fliehen, was ihm eine Kerbung im Ohr als Zeichen seiner Fehlhandlungen einbranchte.343 Es gelang ihm aber trotzdem, endgültig zu fliehen. Er gelangte zu Marcovefa, einer der Gattinnen des Charibert, arbeitete dort in den Ställen und wird bei Gesandtschaften eingesetzt.344 Durch illegitime Handlungen reich, gelang es Leudast auch nach ihrem Tod die Beziehungen zu Charibert mittels Geschenken zu bewahren. Von ihm wurde er zum comes der civitas Tours ernannt.345
337 Greg. hist.: 5.36. 338 In den Akten werden Konflikte mit Verwandten von Erblassern der Kirchen thematisiert. Selbstredend ist der Fall etwas anders gelagert, da der comes die Güter nicht zurückhielt, sondern raubte. MGH Conc 1 Concilium Aurelianense 538: c25. 339 Greg. hist.: 5.36. 340 „Ergo omnes haec obstupescant, admirentur et metuant, ne inferant iniurias sacerdotibus! quia ultor est Dominus servorum suorum sperantibus in se.“ Greg. hist.: 5.36. 341 Greg. hist.: 5.48. 342 Vgl. Hägermann, Art. Unfreie: S. 436–440. 343 Greg. hist.: 5.48. 344 Greg. hist.: 5.48. 345 Greg. hist.: 5.48.
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In der civitas gewann er durch Raub – wohl auch auf den Gütern der Kirche346 – weiter an Schätzen, die er jedoch verlor, als Charibert starb und Leudast sich auf die Seite Chilperichs I. stellte: Die civitas ging an Sigibert I. und dessen Anhänger raubten Leudast nun aus.347 Die Erzählung Gregors zum Aufstieg des Leudast zum comes von Tours und zu dessen ersten Fall in der civitas umfasst einige Aussagen zur Relevanz materieller Güter und Ressourcen: Im Gegensatz zu Eunius Mummolus, Palladius und Nanthin waren die Verwandten des Leudast nicht in lokal- oder regional-strukturellen Positionen oder als Bischöfe tätig. Seine familiäre Abstammung von zumindest einem unfreien Menschen und seine körperliche Kennzeichnung verhinderten jedoch nicht, dass er die Position eines comes innehaben konnte und dies offenbar deshalb, weil Leudast über materielle Güter und Ressourcen verfügte. Die Relevanz dieser Güter und Ressourcen dafür, dass Akteure mit Worten bezeichnet wurden, die unter der Kategorie „Große“ auf der Deutungsebene summiert werden können, ist schon während der Debatte um den „frühfränkischen Adel“ bemerkt worden.348 Sie wurde später als ein Befund nicht nur akzeptiert, sondern akzentuiert,349 wenn auch weiterhin versucht worden ist, den besonderen rechtlichen Status der Gruppe der „Großen“ zu erschließen.350 Tatsächlich verdeutlichen die Aussagen zur sozialen Mobilität des Leudast und zu anderen Akteuren,351 dass die Annahme eines festgefügten Status (ob nun rechtlich-normativ geregelt oder nicht) kaum haltbar ist. Auch auf der Basis der zeit- und ortsnahen Aussagen zur sozialen Mobilität erscheint diese Annahme unwahrscheinlich.352 Die Relevanz materieller Güter und Ressourcen für das Erlangen von Positionen am Hof des Charibert und in der lokal-strukturellen Administration in Tours, aber auch in anderen Fällen abseits der Erzählungen zu Leudast,353 ist
346 Greg. hist.: 5.48. 347 Greg. hist.: 5.48. 348 Vgl. Grahn-Hoek, Oberschicht: S. 273 und Irsigler, Adels: S. 221 ff. 349 Vgl. Weidemann, Adel: S. 535 f. 350 Vgl. ebd.: S. 536. 351 Beispiele sind die als Geiseln gestellten Söhne von als senatores bezeichneten Akteuren nach dem Sieg Theuderichs I. in Clermont, die zwischen Childebert I. und Theuderich I. ausgetauscht worden sind und nach dem Bruch des Bündnisses unfrei wurden. Greg. hist.: 3.15. Der Leibarzt Chilperichs I. mit Namen Marileif und der Lehrer Andarchius, der sein Vermögen durch eine List an einen Ursus verlor, sind ebenfalls derartiger Mobilität ausgesetzt. Greg. hist.: 4.46 und Greg. hist.: 7.5. 352 Dazu Claude, Comitat: S. 64. Claude ist aber zu widersprechen, wenn er Sprandels Annahme, in Gallien und an der Peripherie des geographischen Raumes seien „Große“ gänzlich ungebunden herumzogen, dahingehend kritisiert, dass er Landgüter als alleinige Möglichkeit der ökonomischen Versorgung von Folgeleistenden nennt. Plünderungen und Raub sind von ihm nicht beachtet worden. Vgl. Sprandel, Adel: S. 14 und Claude, Comitat: S. 64. 353 Dazu auch die Aussagen zur Simonie. Überblickend Claude, Bischöfe: S. 40 ff. Zu den Geschenken als Mittel der Erlangung einer Position in der lokal- oder regional-strukturellen Administration Hardt, Gold: S. 159 ff.
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augenscheinlich. Raub und Plündern sind nur zwei Möglichkeiten, wie die einzelnen Akteure diese materiellen Güter und Ressourcen erwarben. Auch eigene Produktion und Handel sowie andere Praktiken, die hinsichtlich der christlichen Handlungsnormen als illegitim aufgefasst wurden,354 sind zu nennen. Dabei war eine Praktik gemäß Gregors Erzählungen offenbar nicht allgemein als legitim oder illegitim aufgefasst worden: Die Könige nahmen Geschenke an und positionierten Akteure, ohne die Herkunft der Gaben zu erfragen. Dies wird auch in den Synodalakten deutlich: Simonie wurde betrieben und die Könige akzeptierten dies offensichtlich,355 während die Bischöfe dies nicht taten.356 Zwar geht es hierbei nicht darum, den Erwerb der Gebenden, sondern den der Empfangenden als illegitim auszuweisen. Jedoch zeigen diese Aussagen zusätzlich die Ambivalenz der Deutung und Bewertung von Erwerbsweisen. Rauben und Plündern konnten dazu führen, dass ein Akteur einen Schatz (thesaurus) sammelte, den er dann zur Verfügung hatte, um mittels Geschenken eine Position in der lokal- oder regional-strukturellen Administration wie auch eine Bischofsposition zu erlangen. Da aber nicht jeder Mensch über solche Schätze verfügte, sind solche Akteure durchaus als herausragend zu beschreiben. Zusätzlich ist dafür die Korrelation von Aussagen über materiellen Besitz und den Bezeichnungen für „Große“ argumentativ heranzuziehen.357 Es ist wichtig zu betonen, dass herausragende Akteure, die über einen umfangreichen thesaurus verfügten, der durch differente Erwerbspraktiken und der Produktion zustande kommen konnte, den Königen ähnlich wurden. Dass die Könige über umfangreiche thesauri verfügten, ist sicher358 – und dass sie diese auch als Mittel zur Durchsetzung von Interessen nutzen, ist ebenfalls evident.359 Dazu soll noch ein Aspekt nicht unbeachtet bleiben, der auch den bisher untersuchten Aussagen zu Leudast immanent ist: Auch ein thesaurus war keine rein statische Größe, über die ein Akteur oder eine Akteursgruppe unbedingt verfügen konnte. Er ist kein Faktor, sondern eine Variable, wie die Aussagen zu den Raubtaten des Leudast (durch die er einen thesaurus gemehrt hat) und die Aussagen zum Raub des thesaurus durch die Annhänger des Sigibert I. (durch den er ihn offenbar ganz verlor) zeigen. Die Dynamisierung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens in Gallien betraf also auch den thesaurus des Leudast, was die Annahme erlaubt, dass Plünderungen und Rauben auch die sozialen Zugehörigkeiten zu Gruppen – mit Sicherheit ist eine schematische Beiordnung von Akteuren in derartige Kategorien wegen der Quellen-
354 Dazu für das Kontinuum zwischen 561 und 585 in Gallien Greg. hist.: 4.46; 5.0; 5.5; 5.18; 5.49; 6.11; 6.38; 7.15; 7.17 und 7.34. Dazu Pontal, Synoden: S. 247–252. 355 Vgl. Claude, Bischöfe: S. 40 ff. 356 Vgl. Pontal, Synoden: S. 233 f. 357 Vgl. Weidemann, Adel: S. 535 f. 358 Dazu ausdrücklich Greg. hist.: 5.0. 359 Vgl. Hardt, Gold: S. 235 ff.
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lage zum 6. Jahrhundert in Gallien auf der Deutungsebene nicht sinnvoll – dynamisierten und neue Formen sozialer Zugehörigkeit förderten.360 Landbesitzer lebten in der Gefahr, wegen der Plünderungen während der militärischen Operationen oder wegen des Raubens unter der Anführung lokal- oder regional-struktureller Administratoren ihre materiellen Güter und Ressourcen zu verlieren. Sie konnten somit an ihrer Lebensgrundlagen Schaden erleiden, so dass Abhängigkeiten auch für sie entstehen konnten. Die Kleriker sind ein Beispiel dafür. Dies konnte aber prinzipiell auch weltliche Akteure betreffen.361 Mit der Untersuchung weiterer Aussagen zu Leudast kann verdeutlicht werden, dass das Innehaben einer lokal- oder regional-strukturellen Administratorenposition keine grundlegende Bedingung für das Organisieren von Folgeleistungen war – thesauri konnten somit nicht nur Akteure in diesen Positionen durch differente Erwerbs- und Produktionsweisen ansammeln. Nachdem Theudebert, der Sohn Chilperichs I., die civitas Tours für seinen Vater erobert hat, legte er Gregor nahe, Leudast die Position des comes in Tours erneut zu geben.362 Dies zeigt, dass auch bei der Positionierung eines comes wie auch bei der Investitur eines Bischofs offenbar kein einheitliches Verfahren gegeben war: Der Bischof ist hier zumindest mitentscheidend. Der König positionierte also demnach nicht allein, sondern unter der Berücksichtigung des Bischofs. Dies kann aber auch als von den militärischen Operationen bedingt angesehen werden, da sie Wechsel der civitates in einen anderen Teilstrukturierungszusammenhang beförderten. Soziale Beziehungen sind also für die Konsolidierung der Präsenz eines Königs während der bella civilia weiterhin sehr wichtig gewesen, wenn nicht sogar noch wichtiger, als sie es zuvor schon waren. Nach dem Tod Sigiberts I. 575 erhielt Leudast dann die Position des comes erneut, wurde kurz darauf aber der Güter beraubt, die er wiederum nach Gregor illegitim an sich brachte, als Merowech, der Sohn Chilperichs I., nach Tours kam.363 Dieser war in einen Konflikt mit seinem Vater geraten, da er Brunhild, die Gattin des verstorbenen Sigibert I., geheiratet hat.364 Auf der Flucht vor seinem Vater zog Merowech in die Kirche von Tours,365 in der er Guntram Boso antraf.366 Neben dem comes Leudast wurden auch andere Menschen367 während seines Aufenthalts in Tours von Merowech und den ihm Folgeleistenden ausgeraubt.368 Nachdem Merowech aus Tours mit den ihm Folgeleistenden abgezogen war, gerät Leudast in einen Konflikt mit dem Bischof Gregor, an dem auch ein Subdiakon und ein Priester,
360 Vgl. Claude, Comitat: S. 62 ff. und Irsigler, Adels: S. 221–228. 361 Vgl. Effros, Community: S. 55 ff. 362 Greg. hist.: 5.48. 363 Greg. hist.: 5.48. 364 Greg. hist.: 5.2. 365 Greg. hist.: 5.2. 366 Greg. hist.: 5.4 und 5.14. 367 Greg. hist.: 5.14 und 5.48. 368 Greg. hist.: 5.14 und 5.48.
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beide tragen den Namen Rikulf,369 beteiligt waren. Der Konflikt führte zur Anklage des Bischofs bei Chilperich I. Zuvor wurde Leudast aufgrund seiner Handlungen in Tours abgesetzt, indem Chilperich I. Ansoald in die civitas sandte. Dieser ließ den Bewohnern und den Klerikern freie Wahl,370 so dass Eunomius371 zum comes der civitas wird.372 Leudast zog darauf zum König und beschuldigte dort Gregor, König Childebert II. die civitas übergeben zu wollen und gegen die Königin Fredegunde üble Nachrede zu äußern: Diese lebe nämlich laut Gregor mit dem Bischof Bertram von Bordeaux in Unzucht. Leudast wurde allerdings anfänglich nicht geglaubt und daher gefangen genommen.373 Die Aussagen zur zweiten Tätigkeit des Leudast als comes in Tours erlauben eine Bestätigung der Annahme, die Konsolidierung der Präsenz über das Mittel der Positionierung von lokal- oder regional-strukturellen Administratoren verlaufe wegen der militärischen Operationen nicht einheitlich. Die Erzählung macht deutlich, dass selbst Gerüchte über eine mögliche Militäroperation gegen eine civitas eine Festigung sozialer Beziehungen eines Königs in einer civitas als präventive Absicherung nahe legten. Die Aussagen zur Wahl des comes sind in diesem Fall in dem Zusammenhang mit der Konsolidierung der Präsenz zu deuten. Die Konstellationen zwischen den Königen und den civitates waren also nicht nur asymmetrisch, indem die Bewohner Abgaben zahlten, sie konnte zugleich auch symmetrisch gestaltet sein. Im Übrigen zeigen die Aussagen zur Beteiligung des Ansoald, dass herausragende Akteure zu dieser Zeit trotz fehlender Titelbezeichnungen für Könige tätig sein konnten.374 Für das Verfahren Gregors, das aus den Beschuldigungen durch Leudast resultierte, ist festzuhalten, dass es nicht zu einer Verurteilung des Bischofs, sondern seiner Beschuldiger führte. Der Subdiakon Rikulf wurde zu Tode gefoltert.375 Der Priester mit demselben Namen floh zum Bischof Felix von Nantes,376 der gegenüber Gregor Abneigungen hegte.377
369 Greg. hist.: 5.14 und 5.49. 370 Zu dieser Vorgehensweise sind sonst keine Aussagen vorhanden. Vgl. Claude, Comitat: S. 26 f. 371 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 88 f. 372 Greg. hist.: 5.47. 373 Greg. hist.: 5.47. 374 Ansoald war mehrfach als Gesandter tätig, ohne dass zeitnahe Aussagen zu einer Titelbezeichnung gegeben sind. Greg. hist.: 5.47 und 6.18. An ihn wurden auch Landgüter verteilt. Greg. hist.: 6.45. Auch war er Teilnehmer am Brautzug der Rigunthe. Greg. hist.: 6.45. 375 Greg. hist.: 5.49. 376 Greg. hist.: 5.49. 377 Die beiden Bischöfe stritten nicht nur um ein Landgut. Greg. hist.: 5.5. Der Bischof Felix war auch an der Affäre, die zum Tod des Bruders von Gregor führte, beteiligt. Greg. hist.: 5.5. Auch nahm er den Priester Rikulf nach dessen Flucht aus Tours bei sich auf. Greg. hist.: 5.48. Gregor verhinderte dann, dass Burgundio, der Neffe des Felix, der von ihm als sein Nachfolger in Nantes erwählt wurde, seinem Onkel nachfolgen konnte. Er bestätigte als Metropolit von Nantes dessen Wahl nicht, da er noch Laie war. Greg. hist.: 6.16. Dazu Geary, Merowinger: S. 129 ff.
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Leudast aber – der offenbar aus der Haft entlassen wurde und bei dem Verfahren auf dem Hof Berny378 anwesend war – versuchte nach Paris zu fliehen, was ihm aber nicht gelang. Darauf holte er, sein Sohn war bereits verstorben und seine Gattin in Haft,379 seine wertvollsten Güter, die er durch Raub erlangt hatte,380 aus Tours und ging nach Bourges.381 Er wurde aber in der civitas Bourges von Bewohnern, die von dem Richter (iudex)382 angeführt wurden, ausgeraubt. Darauf organisierte Leudast Folgeleistungen von Bevölkerungsteilen aus Tours und erlangte raubend seine Güter zurück. Dann zog er erneut nach Tours.383 Dort wurde er aber von Menschen, die dem dux Berulf, einem regional-strukturellen Administrator,384 Folge leisteten, bedrängt.385 Er verlor seine Güter daher erneut und floh in die Kirche des heiligen Hilarius zu Poitiers. In dieser civitas raubte Leudast dann weiter. Am hellen Tag ließ er Häuser aufbrechen und raubte sie aus,386 bis er auch aus Poitiers verjagt wurde und nach Bourges floh, wo er sich verborgen hielt.387 Seine Güter, die er in der civitas Tours auf der Flucht vor dem dux Berulf zurückgelassen hatte, schickte dieser an Chilperich I.388 Erst später389 wurde Leudast in Tours, als er gefangenen genommen werden sollte, schwer verletzt und verstarb kurz darauf durch einen Gnadenmord.390 Ein quellenimmanenter Aspekt ist an dieser Stelle herauszugreifen: Die Beziehungen des Leudast, die auch nach seinem Verlust der Position des comes in Tours gegeben waren, führten dazu, dass er nicht nur verborgen gehalten wurde,391 sondern weiter rauben konnte, um wieder und wieder materielle Güter und Ressourcen zu erwerben. Er verfügte noch kurz vor seinem Tod in Tours über viel Gold und Silber
378 Greg. hist.: 5.49. 379 Greg. hist.: 5.49. 380 „Leudastis vero in Biturigo pergens, omnes thesauros quos de spoliis pauperum detraxerat secum tulit.“ Greg. hist.: 5.49. 381 Greg. hist.: 5.49. 382 „Nec multo post, inruentibus Biturigis cum iudice loci super eum, omne aurum argentumque vel quod secum detulerat abstulerunt, nihilque ei nisi quod super se habuit relinquentes; […]“ Greg. hist.: 5.49. 383 „Resumptis dehinc viribus, cum aliquibus Turonicis iterum inruit super praedones suos, interfectoque uno, aliqua de rebus ipsis recepit et in Turonico revertitur.“ Greg. hist.: 5.49. 384 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 57 f. 385 Greg. hist.: 5.49. 386 „Leudastis enim egrediebatur de basilica, et inruens in domibus diversorum, praedas publice exercebat.“ Greg. hist.: 5.49. 387 Greg. hist.: 5.49. 388 Greg. hist.: 5.49. 389 Leudast war mit einem Schreiben Chilperichs I. nach Tours zurückgekehrt, mit dem ihm nicht nur erlaubt wurde, sich in Tours aufzuhalten. Er sollte zudem wieder in die Kirche aufgenommen werden. Greg. hist.: 6.32. 390 Greg. hist.: 6.32. 391 „Qui eiectus, ad hospites suos iterum in Biturigo expetiit, deprecans, se occuli ab eis.“ Greg. hist.: 5.49.
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für den Kauf von Waren.392 Dass er Folgeleistungen auch nach dem Verlust der Position organisieren konnte, scheint nicht mit materiellen Gütern und Ressourcen seines familiären Hintergrunds einherzugehen. Ein Schwiegervater wird zwar erwähnt. Güter und Ressourcen dieses Akteurs jedoch nicht.393 Auch bei dem Raub wird nicht ersichtlich, dass die Leudast Folgeleistenden auch etwas erwerben, wobei nicht außer Acht gelassen werden darf, dass in der Erzählung zu diesem Raub die Figur der Leudast zentral ist und auch daher wohl ausschließlich erzählt wird, dass Leudast wiedererwarb, was ihm zuvor geraubt wurde. Dass er aber während seiner Zeit als comes in Tours Beziehungen zu einigen Bewohnern entwickelte und diese bei dem Organisieren von Folgeleistungen nutzte, wie auch, dass Erwerb materieller Güter und Ressourcen für die ihm Folge leistenden Akteure möglich war, ist plausibel anzunehmen. Als sicher kann gelten, dass Leudast auch nach seiner Zeit als comes in Tours als herausragender Akteur bezeichnet werden kann. Er verfügte nicht nur immer wieder über materielle Güter und Ressourcen, die er durch Raub erwarb, sondern konnte auch Folgeleistungen organisieren. Der dux Berulf – er war als regional-struktureller Administrator nicht nur dux von Tours, sondern auch von Poitiers394 – versuchte nicht nur, Leudast zu ergreifen. Er führte auch Bevölkerungsteile der civitas Tours bei anderen Anlässen an. Berulf organisierte Folgeleistungen in Tours und vielleicht auch in Poitiers, da vermutet wurde, Bevölkerungsteile aus der civitas Bourges wollten in das Gebiet von Tours eindringen.395 Der dux operierte daher präventiv militärisch und drang in das Gebiet von Bourges ein, wobei zwei der Bezirke im Gebiet der civitas Tours geplündert wurden.396 Das Plündern kann hier jedoch nicht einfach als Aspekt des Organisierens von Folgeleistungen festgehalten werden und dies wegen des vorletzten Satzes der Erzählpassage: Darin wird dargelegt, dass diejenigen, die nicht bei der Operation Folge leisteten, danach bestraft worden seien.397 Offenbar wurden die Folgeleistungen nicht von allen Akteuren erbracht, von denen dies erwartet wurde. Trotz dieses Satzes ist das Plündern aber evident. Auch darf nicht übersehen werden, dass kein König die militärische Operation initiiert hat. Daher lassen sich die Aussagen auf der Deutungsebene als ein regionaler Konflikt fassen, bei denen Folgeleistende tätig waren, um ihre eigene civitas zu verteidigen, die sie dann selbst ökonomisch schädigten. Dass Plünderungen bei einer militärischen Operation Chilperichs I. zur Eroberung einiger civitates 582398 vollzogen wurden, ist ebenfalls gesichert. Die Operation
392 Greg. hist.: 6.32. 393 Greg. hist.: 6.32. 394 Greg. hist.: 8.26. 395 Greg. hist.: 6.12. 396 „Graviter tunc pagi Isiodorensis ac Berravensis urbis Toronicae devastati sunt.“ Greg. hist.: 6.12. 397 „Sed et postea crudiliter, qui in hac obsidione adesse non poterant, sunt damnati.“ Greg. hist.: 6.12. 398 Zur Datierung Greg. hist.: 6.14.
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wurde von Chilperich I. begonnen. Er hatte seinen noch jungen Neffen Childebert II. zuvor adoptiert399 und mit dessen Gesandten einen gemeinsamen Angriff auf die civitates König Guntrams koordiniert.400 Über jeweilige geographische Herkunft der Kriegergemeinschaften Chilperichs I. wird in unterschiedlichen Graden erzählt. Dabei wird das Wort regnum in einer geographischen Weise gebraucht und die civitates Angers, Nantes, Poitiers und Tours werden als Orte des Organisierens von Folgeleistungen erwähnt. Anführer ist neben den duces Berulf, Bladast und Desiderius der König selbst. Bei Paris werden diese Kriegergemeinschaften vereint. Die Kriegergemeinschaft des Königs beginnt aber dort noch vor der Ankunft der anderen zu plündern.401 Von Paris aus, so schreibt Gregor weiter, beginnt dann eine militärische Operation gegen Bourges, bei der unter dem dux Desiderius Bevölkerungsteile aus dieser civitas – ein lokal- oder regional-struktureller Administrator wird nicht genannt – besiegt werden. Darauf wird das ummauerte Zentrum der civitas Bourges belagert und dessen Umland geplündert.402 Guntram zieht während der Belagerung von Bourges gegen seinen Halbbruder und besiegt größere Teile der ihm persönlich Folgeleistenden. Es kommt letztlich zu einem Frieden zwischen den beiden Merowingern,403 bei dem von den Bischöfen und „Großen“ (seniores populi)404 eine Buße festgelegt wird. Der Frieden hat jedoch nicht das Ende des Plünderns zur Folge: Chilperich I. kann seine Kriegergemeinschaft nicht von weiteren Plünderungen abhalten, bis er den comes von Rouen hinrichten lässt.405 Das Geplünderte wie die Gefangenen werden letztlich zurückgegeben. Doch wird noch nach dem Friedensschluss nicht nur das Gebiet der civitas Bourges unter den duces Desiderius und Bladast weiter geplündert, sondern auch das Gebiet von Tours, das sie auf ihrem Rückweg durchziehen.406 Die Aussagenlage zum Plündern ist in dieser Erzählung wechselhaft. Der König war nach dem Friedensschluss, vor dem er selbst plündernd erwarb, dazu bereit, einen der lokal-strukturellen Administratoren hinzurichten, um das Plündern zu beenden. Zwei seiner duces – der dux Berulf wird nach seiner kurzen Nennung nicht weiter erwähnt – aber plünderten mit den ihnen Folgeleistenden nicht nur das Gebiet ihrer
399 Greg. hist.: 6.3. Dazu Offergeld, Regis pueri: S. 203 f. 400 Greg. hist.: 6.31. 401 „Igitur fidens in promissis eorum Chilpericus, commoto regni sui exercitum, Parisius venit. Ubi cum resedisset, magnum dispendium rerum incolis intulit. Berulfus vero dux cum Toronicis, Pectavis Andecavisque atque Namneticis ad terminum Bitoricum venit. Desiderius vero et Bladastis cum omni exercitu provintiae sibi commissae ab alia parte Betoricum vallant, multum vastantes per quas venerunt regiones. Chilpericus vero iussit exercitum, qui ad eum accessit, per Parisius transire.“ Greg. hist.: 6.31. 402 Greg. hist.: 6.31. 403 Greg. hist.: 6.31. 404 „Mane autem concurrentibus legatis, pacem fecerunt, pollicentes alter ab alterutrum, ut quicquid sacerdotes vel seniores populi iudicarent, pars parte conponerent, quae terminum legis excesserat; et sic pacifici discesserunt.“ Greg. hist.: 6.31. 405 Greg. hist.: 6.31. 406 Greg. hist.: 6.31.
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Gegner, sondern auch das Gebiet ihres eigenen Königs aus. Das Plündern war also nicht nur in dem Sinne relevant, dass der König Erwerbschancen symbolisierte und womöglich auch offerierte. Auch die duces und der comes von Rouen taten dies offenbar. Daher wurde der comes hingerichtet. Davor war der König nicht fähig, Akteure in ihrem Plündern Einhalt zu gebieten, was mit der Erzählung zu den ostrheinischen Akteuren Sigiberts I. assoziiert werden kann. Das Plündern war also ganz offenbar relevant für das Organisieren von Folgeleistungen. Geplündert wurde durchgehend und nicht innerhalb des vom König gesetzten Rahmens. Im Gegenteil: Chilperich I. wurde durch die Plünderungen von Tours – einer civitas, die ihm Abgaben zahlte407 – selbst indirekt ökonomisch geschädigt. Diese Aussagen sind wiederum mit denen zu den Plünderungen in Clermont unter Eunius Mummolus assoziierbar. Abschließend sollen nun noch die Aussagen zum Brautzug der Rigunthe untersucht werden. Die Heirat wurde nach mehrfachen Verhandlungen zwischen König Chilperich I., dem Vater Rigunthes, und König Leovigild,408 dem Vater des Reccared, durch Boten ausgehandelt.409 Die Aussagen werden untersucht, da nach Gregor zum einen an dem Brautzug lokal- und regional-strukturelle Administratoren und Akteure, die ehemals in solchen Positionen tätig waren, als Anführer teilnahmen. Sie sollten den Zug vor Übergriffen schützen.410 Zum anderen sind einige Aussagen zu Raub gegeben. Vor dem Beginn des Zuges wurde Rigunthe nicht nur mit vielen materiellen Gütern von mehr oder minder großem Wert ausgestattet. Auch Menschen, die ihren Familien zum Teil entrissen wurden, wurden mit ihr auf die Iberische Halbinsel geschickt,411 wo Rigunthe den westgotischen Königssohn und späteren König Reccared412 heiraten soll.413 Doch zu dieser Hochzeit sollte es nie kommen. Die Aussagen zum Raub während des Brautzuges, der nicht über die civitas Toulouse hinaus kam,414 sind zweierlei Art: Zum einen wird erzählt, dass einige der Teilnehmer selbst Güter der Rigunthe rauben und dann den Brautzug flüchtend ver-
407 Die civitas Tours wurde 577 von einer Kriegergemeinschaft Chilperichs I. erobert. Greg. hist.: 5.14. Zur Datierung Greg. hist.: 5.14. Dazu Ewig, Teilungen: S. 140 f. Die Kirche von Tours zahlte hingegen keine Abgaben. Sie war nach Gregor seit der Zeit Chariberts von Abgaben befreit. Greg. hist.: 9.30. In der Vita des heiligen Eligius aber sind Aussagen dazu gegeben, dass erst Dagobert I. der Kirche alle Abgaben erließ. Vita Eligii: 1.32. Es ist also nicht gänzlich sicher, dass nicht auch die Kirche von Tours noch Abgaben an den König zahlen musste. 408 Vgl. Wolfram, Art. Leovegild: S. 271. 409 Greg. hist.: 6.34. 410 „Erant autem cum ea viri magnifici Bobo dux, filius Mummolini, cum uxore, quasi paranymphus, Domigysilus et Ansovaldus, maior domus autem Waddo, qui olim Sanctonicum rexerat comitatum; reliquum vero vulgus super quattuor milia erat.“ Greg. hist.: 6.45. 411 Greg. hist.: 6.45. 412 Vgl. Scheibelreiter, Art. Reccared: S. 200–203. 413 Greg. hist.: 6.34. 414 Greg. hist.: 6.45.
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lassen.415 Zum anderen rauben die Teilnehmer auch in den Gebieten, durch die der Brautzug kommt,416 wobei zusätzlich Gold eingetrieben wird, um sie zu versorgen. Die Bevölkerung Galliens litt an dem Brautzug offenbar äußerst intensiv, so dass Gregor mit einem biblischen Bild die Ausmaße zu fassen versucht.417 Außerdem bezeichnet er die Teilnehmer nicht mit Worten, die sie als Mitziehende oder einfach als Teilnehmende ausweisen, sondern fast sie mit dem Wort Feindschaft (hostilitas)418 zusammen. Dies zeigt erneut, dass er die Informationen zum Brautzug sehr negativ deutete. Selbstredend belegen die Aussagen die Normalität des Raubens und zeigen, dass der Erwerb materieller Güter offenbar gegenüber dem König zumindest für einige Akteure – auch von denen, die ihm nah standen – wichtiger war, als das Erfüllen der Erwartungen des Königs. Dies ging soweit, dass Rigunthe, als sie zu Toulouse weilte, um dort zu pausieren, ihrer letzten Güter vom dux Desiderius beraubt wurde, der zuvor für König Chilperich I. als Anführer bei militärischen Operationen tätig war.419 Zwar war Chilperich I. zu dieser Zeit schon tot.420 Desiderius hat sich aber nach dessen Ableben dem Prätendenten Gundowald zugewandt,421 was die Eigenständigkeit von Akteuren – auch von herausragenden – aus einer anderen Perspektive verdeutlicht. Einige Ergebnisse sind abschließend festzuhalten: Als Anführer symbolisierten die lokal- oder regional-strukturellen Administratoren Erwerbschancen. Das wird mit den Aussagen zu den duces Berulf und Desiderius sowie Bladast, aber auch zu dem namenlosen comes von Rouen wie auch zu dem patricius Eunius Mummolus deutlich. Insofern wurden sie den Königen aus dem Geschlecht der Merowinger der Zeit Chlodwigs I. und der ersten Generation nach ihm ähnlich, was nicht heißen soll, dass die Merowinger der zweiten Generation nach ihm nicht auch noch als Anführer vereinzelt an den militärischen Operationen teilnahmen. Dies gilt für die Söhne Chilperichs I. wie auch für ihn selbst und Guntram. Sigibert I. war ebenfalls als Anführer tätig. Auch wird mit der Untersuchung klar, dass einige lokal- oder regional-strukturelle Administratoren thesauri ansammeln konnten. Dies gilt ausdrücklich für Leudast,
415 „Surgentes enim quinquaginta viri de nocte, adpraehensis centum equitibus optimis totidemque frenis aureis ac duobus catenis magnis, ad Childeberthum regem fuga dilapsi abierunt.“ Greg. hist.: 6.45. 416 „Per quam via tanta spolia tantaequae praedae factae sunt, ut vix valeant enarrare. Nam hospiciola pauperum spoliabant, vineas devastabant, ita ut incisis codicibus cum uvis auferrent, levantes pecora vel quicquid invenire potuissent, nihil per viam quam gradiebantur relinquentes; […].“ Greg. hist.: 6.45. 417 Greg. hist.: 6.45. 418 „Ita et hoc actum est tempore, ut residuum proinae proteriret tempestas et residuum tempestatis exuriret siccitas et residuum siccitatis auferret hostilitas.“ Greg. hist.: 6.45. 419 Greg. hist.: 6.12; 6.31 und 7.9. 420 Greg. hist.: 6.46. 421 Greg. hist.: 7.10.
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der durch Raub immer wieder zu umfangreichem Besitz kam. Andere wie der comes Palladius und der comes Nanthin besaßen wahrscheinlich aufgrund ihrer familiären Anstammung umfangreiche Güter. Das Rauben und das Plündern sind also nicht die einzigen Praktiken, die dazu führen, dass ein Akteur zu umfangreichem Besitz kam und herausragte. Sicher ist allerdings auch, dass unabhängig davon wie ein Akteur zu umfangreichem Besitz kam, somit eine weitere Parallele zu den Merowingern bestand, die ihre thesauri über das Abgabensystem und Plünderungen zu füllen in der Lage waren. Das Plündern war weiterhin für das Organisieren von Folgeleistungen relevant. Doch war die Praktik wie auch die des Raubens nicht monokausal für das Entstehen von herausragenden Akteuren. Zudem konnten die Akteure, die zuvor als lokal- oder regional-strukturelle Administratoren tätig waren, auch danach noch Folgeleistungen organisieren. Zwar war das vorherige Innehaben solcher Positionen wohl nicht bedingend, was die Aussagen zu Roccolen zeigen, aber doch förderlich, um soziale Beziehungen zu entwickeln. Leudast nutzte sie, um in Tours auch nach seiner Absetzung Folgeleistungen zu organisieren. Tatsächlich erlauben die Aussagen insgesamt anzunehmen, dass das Organisieren von Folgeleistungen nicht immer von den Königen bedingt war. Berulf organisierte Folgeleistungen offenbar ohne die Beteiligung eines Königs und auch Roccolen war dazu fähig, ohne dass ein König daran direkt beteiligt war. Für die comites Palladius und Nanthin kann dies durchaus plausibel angenommen werden. Konkrete Aussagen fehlen zwar. Doch selbst die Bischöfe Sagittarius und Salonius konnten dies. Für einige der genannten Akteure sind Aussagen zu Raub und Plünderungen durch jene Menschen zu finden, deren Folgeleistungen sie organisieren konnten. Für die restlichen ist dies plausibel anzunehmen. Die Praktiken mit dem Organisieren von Folgeleistungen zu verbinden, erscheint also ebenfalls nicht unplausibel, wobei die Dynamisierung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens als Aspekt des Organisierens von Folgeleistungen nicht übersehen werden darf: Die Aktivitäten der lokaloder regional-strukturellen Administratoren boten sich für den Erwerb durch Raub an, vor allem auch, da die militärischen Operationen mit den dabei vollzogenen Plünderungen die mittellosen und gering besitzenden Bewohner von betroffenen civitates vor die Aufgabe stellte, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Da der Anbau von Feldfrüchten und das Züchten von Vieh länger dauerten, boten sich Erwerbspraktiken wie der Raub und das Plündern für den Lebensunterhalt an. Das Plündern war also auch mit seinem Umverteilungseffekt von Gütern und Ressourcen relevant für das Organisieren von Folgeleistungen, da mit dem Plündern Bedingungen des sesshaftsozioökonomischen Lebens der Bevölkerung geschaffen worden waren, die das Organisieren von Folgeleistungen begünstigten. Für die Relevanz des Raubens und/oder des Plünderns unter der Anführung von lokal- oder regional-strukturellen Administra toren für das Entstehen herausragender Akteure ist noch zu ergänzen, dass die Praktiken zwar nicht monokausal ursächlich für das Entstehen herausragender Akteure waren, doch ist das Verfügen über materielle Güter und Ressourcen dafür sehr wohl
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entscheidend gewesen.422 Da beide Praktiken zu einer Ansammlung, aber auch zu einem Abnehmen von materiellen Gütern und Ressourcen führen konnten, sind sie in ihrer Relevanz für das Entstehen und das Bestehen aber auch das Verschwinden von herausragenden Akteuren nicht zu unterschätzen. Sobald ein Akteur über materielle Güter und Ressourcen verfügte, Folgeleistungen organisieren und Erwerbschancen symbolisieren oder auch offerieren konnte, wurde er als herausragender Akteur den Königen ähnlich. Diese Akteure mussten nicht immer mit einem der Worte bezeichnet werden, die auf der Deutungsebene unter der Kategorie „Große“ summiert werden. Insofern ist auch festzuhalten, dass lokal- oder regional-strukturelle Administratoren einige Aspekte der drei konvergenten Formen des Warlordism aufweisen: Sie konnten situationsbezogen Folgeleistungen organisieren – auch um Plünderungen wie im Fall Berulfs entgegen zu wirken – und akkumulierten von den Königen befördert Handlungskompetenzen als Anführer, was dazu führte, dass sie Erwerbschancen symbolisierten und möglicherweise offerierten sowie Erwerbschancen durch Raub boten. 4.3.1.2 Plündern, Rauben, Einziehen und Verteilen als sozioökonomische Praktiken des Entstehens einer Gruppe von herausragenden Akteuren? Nachdem bisher mit Aussagen zum Plündern und Rauben zwei sozioökonomische Praktiken in den Fokus der Untersuchung gerückt worden sind, gilt es nun, Aussagen zu zwei weiteren Praktiken hinzuzunehmen, um das Entstehen einer Gruppe von herausragenden Akteuren und um die Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen aus einer weiteren Perspektive vertiefend untersuchen zu können. Für die Auswahl der Quellenaussagen war im vorangegangen analytischen Kontext der Gebrauch von Titelbezeichnungen maßgeblich. Nun wird dieses Auswahlkriterium nicht mehr verwendet. Bevor die Untersuchung beginnt, sollen einleitend einige Worte zur Bildung des analytischen Kontextes und den damit einhergehenden Implikationen für die Leitfrage gesagt sein. Der Strukturierungszusammenhang in Gallien beruhte auch in seiner parzellierten Form auf Sesshaftigkeit und Mobilität. Die Könige hatten über das Abgabensystem ein exklusives Erwerbsmittel. Dieses substituierte das Plündern als Erwerbsweise in der zweiten Generation nach Chlodwig I. Als Anführer der Kriegergemeinschaften traten neben den Königen vermehrt lokal- und regional-strukturell tätige Administratoren bei den militärischen Operationen der Könige auf. Die civitates waren aber nicht nur exklusive Erwerbsobjekte. Sie waren auch für das Organisieren von Folgeleistungen wichtig, da die dort lebenden Menschen zum Teil in den Kriegermodus übergingen und an den militärischen Operationen der Könige teilnahmen, die sich gegen die civitates ihrer Verwandten richteten. Das Plündern dynamisierte das sesshaft-sozio-
422 Vgl. Weidemann, Adel: S. 535 f. und Hardt, Gold: S. 235 ff.
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ökonomische Leben in Gallien, indem materielle Güter und Ressourcen umverteilt wurden. Die Zunahme der Aussagen zum Rauben zeigt dies neben anderen Aussagen. Die Dynamisierung war aber auch dem Umstand geschuldet, dass das Kriegersein nicht in ein Söldner- oder Soldatensein transformiert wurde; was durch kontinuierliche Zahlungen an Akteure möglich gewesen wäre. Diese Summen hätten mittels des Abgabensystems eingezogen und verteilt werden können. Die Transformation blieb aus, während die erwähnten Veränderungen vollzogen wurden. Einziehen und Verteilen materieller Gütern und Ressourcen wurden von den Königen nicht nur direkt mittels des Abgabensystems betrieben.423 Das Abgabensystem war zwar ein Erwerbsmittel der Könige. Es funktionierte aber innerhalb des parzellierten Strukturierungszusammenhangs nicht in einer normativen, in ganz Gallien vollkommen gleich geregelten Einheitlichkeit. Vielmehr konnten Könige wie schon zu der Zeit der ersten Generation nach Chlodwig I. neue Abgaben einführen,424 civitates-Gemeinschaften und Diözesen Abgaben erlassen425 oder Abgaben innerhalb ihrer Teilstrukturierungszusammenhänge insgesamt aussetzen.426 Dass von normativ geregelter Einheitlichkeit des Abgabensystems nicht auszugehen ist, zeigt auch, dass das Abgabensystem über relativ mobile Akteure, deren Bezeichnungen ebenfalls nicht einheitlich sind,427 aufrecht erhalten wurde.428 Diese wurden auch gewaltsam von ihrer Aufgabe abgebracht.429 Zudem ist in Anbetracht von einigen, wenigen Aussagen sogar anzunehmen, dass Abgabenagenten sich selbst bereicherten.430 Das Einziehen materieller Güter und Ressourcen wurde durchaus bestrafend gegenüber jenen eingesetzt, die hinsichtlich der von den Königen gesetzten Erwartungen abweichend handelten. Auch Güter von lokal- und regional-strukturellen Administratoren, die sie durch Raub erworben hatten, konnten eingezogen werden.431 Somit wird klar, dass das Plündern und das Rauben als Erwerbspraktiken, die eine relative Mobilität bedurften, mit den auf Sesshaftigkeit basierenden Praktiken des Einziehens und des Verteilens von materiellen Gütern und Ressourcen durch die Könige korrelieren: Denn eingezogen worden sind neben beweglichen
423 Vgl. Hardt, Gold: S. 201–203. 424 Vgl. Goffart, Taxation: S. 10 f. 425 Vgl. Kaiser, Steuern: S. 9 ff. und Goffart, Taxation: S. 4–8. 426 Greg. hist.: 4.2 und 5.34. 427 Für comites Greg. hist.: 6.22 und 9.30. Für einen tribunus Greg. vit. part.: 40. Für einen iudex Greg. hist.: 7.15. Für einen praefectus Greg. hist.: 7.15. Für einen referendarius Greg. hist.: 5.28; 5.34 und 6.28. Für undefinierte Akteure Greg. hist.: 3.36 und 6.45. 428 Vgl. Kaiser, Steuer: S. 6 f. 429 Vgl. Hardt, Gold: S. 149–153. 430 Für den referendarius Marcus Greg. hist.: 6.28. Für den iudex Audo und den praefectus Mummolus Greg. hist.: 7.15. 431 Dazu für das Kontinuum zwischen 561 und 585 in Gallien Greg. hist.: 5.49; 6.28; 7.7; 7.18; 7.22; 7.29 und 7.40.
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Sachen auch Landgüter und Häuser.432 Mobilität und Sesshaftigkeit sind verbunden zu betrachten, was auch mit dem grundlegenden Paradoxon des parzellierten Strukturierungszusammenhangs argumentativ zu begründen ist. Wie bereits festgehalten, sind Plündern und Rauben nicht die einzigen Praktiken, die zum Entstehen materiell herausragender Akteure beitragen konnten. Das Einziehen ergab Potentiale für die Verteilung materieller Güter und Ressourcen und somit ein Steuermedium des Entstehens von herausragenden Akteuren, das die Könige praktisch verwenden konnten.433 Aussagen zu Plünderungen und Raubtaten von herausragenden Akteuren sind in dem Quellenbestand, der das Kontinuum zwischen 575 und 584 in Gallien repräsentiert, in deutlich geringerer Zahl vorhanden als Aussagen zu diesen Praktiken in Verbindung mit lokal- und regional-strukturellen Administratoren. Aussagen zu Plünderungen fehlen fast ganz. Die ersten Aussagen finden sich im fünften Kapitel der decem libri historiarum – in einer Erzählung über die Flucht des Guntram Boso vor dem Zugriff Chilperichs I.: Nachdem Guntram Boso die Kirche des heiligen Martin verlassen und seine Töchter in die Kirche des heiligen Hilarius in Poitiers gebracht hat,434 versucht er, diese wieder aus der Kirche zu holen. Dabei tritt ihm ein Mann namens Dracolen entgegen, der ihn binden und zum König führen will. Im Kampf wird Dracolen unter Beteiligung von Akteuren, die Guntram Boso Folge leisten, getötet und seine Leiche ausgeraubt. Die Erzählung Gregors endet mit der Verurteilung eines Schwiegervaters – ob der des Guntram Boso oder der des Dracolen ist nicht ganz klar435 – mit Namen Severus sowie von dessen Söhnen Burgolen und Dodo. Ihre sehr umfangreichen Schätze (magni thesauri) werden nach der Tötung eingezogen.436 Auch in der Erzählung zum Raub durch Ursio und Berthefred, die ebenfalls nicht mit Titeln bezeichnet werden, sind Aussagen über das Einziehen vorhanden: Die beiden berauben den dux Lupus, einen regional-strukturellen Administrator,437 mit den ihnen Folgeleistenden mehrfach, bis Königin Brunhild – die Champagne war in den Teilstrukturierungszusammenhang ihres Sohnes Childeberts II. inkorporiert – sich um einen Frieden bemüht.438 Dieser kommt auch zustande. Doch rauben die beiden dann die Häuser des Lupus erneut aus, wobei dieses Rauben als ein Einziehen für den Schatz des Königs ausgegeben wird. Sie nehmen aber all das Geraubte für sich allein.439 Lupus flieht daraufhin, nachdem er seine Gattin in das ummauerte Zentrum der civitas Laon bringt, in ein Gebiet des Teilstrukturierungszusammenhangs Guntrams.440
432 Vgl. Hardt, Gold: S. 201 ff. 433 Vgl. Irsigler, Adels: S. 225 ff. 434 Greg. hist.: 5.24. 435 Greg. hist.: 5.25. 436 Greg. hist.: 5.25. 437 Greg. hist.: 6.4. 438 Greg. hist.: 6.4. 439 Greg. hist.: 6.4. 440 Greg. hist.: 6.4.
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Eine weitere Erzählung zu Raub unter der Anführung eines herausragenden Akteurs ist weniger eindeutig gestaltet: Am Fluss Orge werden von Chilperich I. Wachen an einer Brücke aufgestellt, da am anderen Ufer Gebiete König Guntrams liegen. Der ehemalige dux Asclipius441 – gemäß der Formulierung wird wahrscheinlich, dass das Wort zur Bezeichnung eines Akteurs verwendet wird, der ein lokal- oder regional-struktureller Administrator war – überfällt die Wachen und raubt das Gebiet Chilperichs I. aus.442 Der König lässt daher über die lokal- und regional-strukturellen Administratoren im Teilstrukturierungszusammenhang Folgeleistungen organisieren. Doch kommt es nicht zur militärischen Operation, da unter Beteiligung „guter Männer“ (bonorum) Frieden zwischen den Königen geschlossen wird.443 Quellenaussagen zum Raub der Schätze des Prätendenten Gundowald bei seinem ersten Erscheinen in Gallien durch Guntram Boso und namentlich nicht genauer gefasste duces des Königs Guntram444 umfassen auch ein Beispiel für den Raub durch herausragende Akteure: Guntram Boso ist dabei nicht als ein lokal- oder regional-struktureller Administrator tätig.445 Gundowald hat sich zuvor auf eine Insel zurückgezogen, als Guntram Boso und die möglicherweise in Positionen der lokaloder regional-strukturellen Administration tätigen duces446 viele seiner wertvollen Güter rauben. Guntram Boso selbst bringt viel Gold und Silber nach Clermont.447 Zusammenfassend ist für die Aussagen zum Raub unter der Anführung herausragender Akteure festzuhalten, dass in zwei Fällen ausdrücklich über Folgeleistende erzählt wird. Dies sind die erste Erzählung zu Guntram Boso und die zum dux Lupus. Für die zweite Erzählung zu Guntram Boso kann daher angenommen werden, dass ihm weiterhin Menschen Folge leisteten. Für den Raub durch den ehemaligen dux Asclipius kann ebenfalls angenommen werden, dass die umfangreichen Zerstörungen nicht von ihm allein vollbracht worden sind. Auch er wird ihm Folgeleistende angeführt haben, wenn diese auch nicht genannt werden. Tatsächlich geben die Aussagen nicht die Möglichkeit, etwas über das Entstehen von herausragenden Akteuren festzuhalten. Vielmehr scheint es, dass die Akteure bereits herausragten. Bei Guntram Boso und Asclipius kann dies mit ihrer ehemaligen Tätigkeit als Administratoren in Verbindung gebracht werden, wobei das Bestehen ihres Herausragens mittels materieller Güter und Ressourcen gesichert worden ist. Für Guntram Boso ist dies jedoch weit wahrscheinlicher, da zu ihm weit mehr Aussagen gegeben sind, als es für Ascle-
441 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 48 f. 442 Greg. hist.: 6.19. 443 Greg. hist.: 6.19. 444 „Gunthchramnus vero dux cum duce Gunthchramni regis res Gundovaldi divisit et sicum Arverno detulit inmensum, ut ferunt, argenti pondus et auri vel reliquarum rerum.“ Greg. hist.: 6.24. 445 Er war aber an einer Verhaftung beteiligt. Greg. hist.: 6.24. Auch operierte er militärisch. Greg. hist.: 6.26. 446 Überblickend Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 23–27. 447 Greg. hist.: 6.24.
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pius der Fall ist. Für ihn sind über die Erzählpassage Gregors hinaus gar keine weiteren Aussagen gegeben.448 Bei Dracolen, Berthefred und Ursio ist nicht möglich, ihr Herausragen mit einer ehemaligen Tätigkeit als Administratoren zu verbinden, wobei für die beiden Zweitgenannten über eine Nähe zum Hof König Childeberts II. berichtet wird. Für sie kann angenommen werden, dass die von ihnen geraubten Güter für ihr Herausragen nicht irrelevant waren. Dabei ist nicht nur der rein materielle Aspekt, sondern auch der des Prestiges zu betonen: Die Güter symbolisierten, dass Berthefred und Ursio als Anführer durchaus in der Lage waren, den ihnen Folgeleistenden Erwerb durch Raub zu ermöglichen. Dass Rauben und Plündern von den Königen nicht unbedingt akzeptiert worden sind, zeigen neben den Aussagen aus dem pactus pro tenore pacis die oben untersuchten Aussagen zur Hinrichtung des comes von Rouen bei einer militärischen Operation Chilperichs I.449 Einziehungen als Bestrafungen werden aber auch ohne vorheriges Plündern und Rauben erzählt. Gleich nach dem Tod Sigiberts I. wurden Güter durch Chilperich I. eingezogen. Neben dem Schatz Brunhilds auch die Landgüter des Godin und des Siggo. Beide waren erst zu Chilperich I. übergegangen, dann aber zu Childebert II., dem Sohn des verstorbenen Königs,450 gezogen. Das Einziehen des Schatzes einer Königin nach dem Tod eines Königs ist keine Ausnahme. Auch eine Gattin des Charibert verlor auf diese Weise an König Guntram ihren Schatz451 und auch Fredegunde verlor Teile ihres Schatzes nach dem Tod ihres Gatten.452 Zwar erscheint dies nicht als eine Bestrafung, doch darf nicht übersehen werden, dass Königinnen auch Gegnerinnen anderer Könige waren. Das Einziehen ihrer Schätze kann als Bestrafung für ihre Gegnerschaft betrachtet werden. Einziehungen mussten sich aber nicht auf den gesamten Besitz eines Akteurs beziehen. Der dux Erpo wurde von Guntram zu einer Zahlung von mehreren tausend Goldstücken verurteilt, da er Merowech, den Sohn Chilperichs I., hatte entkommen lassen.453 Merowech hatte sich, wie ausgeführt, nach seiner Heirat mit Brunhild gegen seinen Vater erhoben.454 Guntram zog auch den Besitz des Mörders des Bruders von Gregor ein – er war Sohn des kurz zuvor verstorbenen Bischofs Sylvester von Langres – der aus dieser civitas geflohen war.455 Auch ließ er die Söhne des bereits verstorbenen Magnachar hinrichten, da sie der Königin gelästert hatten. Dann zog er ihre Güter ein.456 Die Bischöfe Salonius und Sagittarius waren ebenfalls von
448 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 49. 449 Greg. hist.: 6.31. 450 Greg. hist.: 5.3. 451 Greg. hist.: 4.26. 452 Greg. hist.: 7.4. 453 Greg. hist.: 5.14. 454 Greg. hist.: 5.2. 455 Greg. hist.: 5.5. 456 Greg. hist.: 5.17.
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Einziehungen Guntrams betroffen, da sie abweichend handelten.457 Sie wurden deswegen aber nicht hingerichtet. Ob es auch dieser König war, der Severus – der entweder Schwiegervater des Guntram Boso oder des Dracolen war – sowie dessen Söhne hinrichten ließ und ihr umfangreiches Vermögen einzog, ist nicht sicher. Sie alle wurden ebenfalls wegen Beleidigungen bestraft.458 Guntrams Halbbruder Chilperich I. zog kurz nach dem Tod Sigiberts I. bestrafend Güter ein. Davon war der Bischof Praetextatus von Rouen betroffen, der einen Schatz Brunhilds bei sich hatte. Dieser wurde eingezogen, da er ihn angeblich gegen den König einsetzte.459 Auch die Mutter und die Schwester seines Sohnes Chlodwig, der versuchte, sich gegen seinen Vater zu erheben,460 waren von Einziehungen ihrer Schätze betroffen. Chilperich I. ließ nicht nur ihn, sondern auch seine Gattin töten. Die Schwester wurde in ein Kloster geschickt.461 Der praefectus Mummolus, der verdächtigt wurde, mit dunklen Zauberkünsten die Söhne des Königs getötet zu haben, verlor ebenfalls sein Leben. Auch sein Besitz wurde eingezogen.462 Der comes Ennodius von Poitiers463 und der dux Ragnovald464 erhielten ihre Güter, die zuvor möglicherweise jeweils465 von Chilperich I. eingezogen worden waren, wieder zurück. Ganz allgemein wurden auch Strafabgaben von Chilperich I. eingezogen.466 Festzuhalten ist aber auch, dass nicht nur im Zuge von Bestrafungen Einziehungen erfolgten: Der comes Nonnichinius von Limoges starb ohne Kinder. Daher wurden seine Güter nach seinem Tod eingezogen und verteilt.467 Ähnlich wurde auch mit den Gütern des referendarius Marcus verfahren.468 Die Aussagen zum Einziehen verdeutlicht nicht nur, dass die Abgabensysteme an die thesauri der Merowingerkönige gebunden und die eingezogenen Güter förmlich mit einem Teil dessen identisch wurden.469 Sie sind in ihrer Uneinheitlichkeit auch ein Indikator dafür, dass Einziehungen unterschiedlich erfolgten. Der thesaurus eines Königs und das Abgabensystem werden somit über die Praktik des Einziehens als Steuerungsmittel für Könige470 hinsichtlich des Bestehens herausragender Akteure
457 Greg. hist.: 5.20. 458 Greg. hist.: 5.25. 459 Greg. hist.: 5.18. 460 Greg. hist.: 5.39. 461 Greg. hist.: 5.39. 462 Greg. hist.: 6.35. 463 Greg. hist.: 5.24. 464 Greg. hist.: 7.10. 465 Für Ragnovald ist das unsicher. Möglich ist, dass Chilperich I. nach dessen Niederlage gegen seinen eigenen dux Desiderius die Güter des Ragnovald einzog. Greg. hist.: 6.12. 466 Greg. hist.: 6.23. 467 Greg. hist.: 6.22. 468 Greg. hist.: 6.28. 469 Vgl. Kaiser, Steuer: S. 5. 470 Vgl. Hardt, Gold: S. 302 f.
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erkennbar, wenn auch diese nicht immer direkt an den Einziehungen beteiligt waren, da das System einfach nicht einheitlich war. Auch mit den Quellenaussagen zum Verteilen von materiellen Gütern ist dies fassbar. Nicht nur an den patricius Eunius Mummolus wurde ein Landgut verteilt.471 Auch Ansoald erhielt Landgüter, die zuvor eingezogen worden waren.472 Nach dem Tod Chilperichs I. wurden Güter, die sich einige herausragende Akteure aus der Umgebung des Königs mittels Raub und anderer als illegitim gedeuteter Praktiken angeeignet hatten, von Guntram wieder an diejenigen verteilt, die sie zuvor besaßen.473 An die Kirchen und die Armen wurde von beiden Königen ebenfalls verteilt.474 Sie sind mit Sicherheit zwar keine herausragenden Akteure. Die Aussagen zum Verteilen zeigen aber, dass mit dieser Praktik auch die Präsenz von Königen konsolidiert werden konnte. Das Verteilen von materiellen Gütern schuf Beziehungen, brachte Akteure dazu, herauszuragen und es war möglich, Akteure geographisch zu positionieren, ohne dass sie in einer Position der Administration tätig sein mussten. Die Aussagen zur Verteilung nach dem Tod Chilperichs I. weisen hierauf zumindest hin und machen diese Annahme möglich. Auch insofern war ein Steuerungsmedium für Könige bezüglich des Entstehens und das Bestehen herausragender Akteure gegeben. Nun sollen anfänglich noch einmal einige Ergebnisse des letzten Abschnitts kurz dargelegt werden, um einen Zusammenhang mit den Ergebnissen dieses Abschnitts herzustellen: Das Plündern unter Anführung von lokal- oder regional-strukturellen Administratoren bei den militärischen Operationen war zwar nicht monokausal für das Entstehen von herausragenden Akteuren. Es kann aber sehr wohl als ein Aspekt ihres Entstehens geltend gemacht werden. Hingegen war die Praktik des Raubens nicht von den militärischen Operationen direkt bedingt, wobei feststeht, dass auch diese Erwerbspraktik nicht als monokausal ursächlich für ihr Entstehen bezeichnet werden kann. Die militärischen Operationen der Könige können somit nun als Modalität für das Entstehen von herausragenden Akteuren herausgestellt werden, denn sie ermöglichten das Plündern der Menschen im Kriegermodus, deren Folgeleistungen organisiert worden sind. Die unter der Formulierung bella civilia summierten Militäroperationen bedingten also das Entstehen und Bestehen von herausragenden Akteuren – weil sie das sesshaft-sozioökonomische Leben dynamisierten. Die Umverteilung von materiellen Gütern und Ressourcen beförderte das Plündern wie auch das Rauben. Die zweite Praktik wurde auch unter der Anführung herausragender Akteure vollzogen. Die Relevanz materieller Güter und Ressourcen für das Herausragen von Akteuren ist nicht nur anhand des materiellen Aspekts, sondern auch
471 Greg. hist.: 4.44. 472 Greg. hist.: 5.3. 473 Greg. hist.: 7.7. und 7.19. 474 Dazu für das Kontinuum zwischen 561 und 585 in Gallien Greg. hist.: 5.34; 7.7 und 7.40.
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mit einer Art Prestige verbunden: Wer Prestige kommunizieren konnte, konnte dieses auch bei dem Organisieren von Folgeleistungen tun. Materielle Güter und Ressourcen waren für das Herausragen von Akteure also in differenter Weise relevant, wobei die Praktiken des Erwerbs der Güter und Ressourcen zwangsläufig auch relevant für ihr Herausragen waren. Diese konnten aber nicht nur mittels auf Mobilität basierender Praktiken erworben werden, wodurch auch das Einziehen und das Verteilen wiederum relevant wurden. Die Relevanz der materiellen Güter und Ressourcen ist besonders dadurch verdeutlicht, dass das Einziehen vermehrt als Bestrafung vollzogen wurde: Die Könige zogen von denen Güter ein, die ihren Erwartungen nicht nachgekommen waren und in Opposition zu ihnen gehandelt hatten. Jedoch wird auch mit dieser Praktik eine Dynamisierung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens befördert, denn Besitzer lokaler Landgüter wechselten auch auf diese Weise. Dabei darf nicht übersehen werden, dass es aber auch Aussagen zur Rückgabe von Gütern gibt, die wiederum Effekte auf die Kontinuität von Besitz haben. Die Könige hatten also ein Steuermedium hinsichtlich des Entstehens und Bestehens von herausragenden Akteuren, das über die Einsetzung von Akteuren in Bischofspositionen und Positionen der lokal- und regionalstrukturellen Administration hinausreichte. Die Abgabensysteme waren dafür offenbar nicht unwichtig. Festgehalten werden muss aber, dass Mobilität für die Prosperität der Könige unumgänglich blieb, die sich aus den sesshaften civitates-Gemeinschaften in Gallien speiste, denn aus den civitates wurden die Abgaben gewonnen. Die Arten des Entstehens und des Bestehens von herausragenden Akteuren waren somit an das grundlegende Paradoxon des Strukturierungszusammenhangs gebunden: Die vier Praktiken waren – auf Sesshaftigkeit und Mobilität basierend – für Entstehen und Bestehen herausragender Akteure relevant, da materielle Güter und Ressourcen mittels der Praktiken erworben und verloren werden konnten. Das Innehaben einer Position der lokal- und regional-strukturellen Administration war dafür nicht monokausal ursächlich, doch konnten soziale Beziehungen nach dem Innehaben auf eine personelle Ebene übertragen werden, so dass sie bei dem Organisieren von Folgeleistungen relevant waren für das Entstehen und Bestehen herausragender Akteure. Dies ist auch dafür argumentativ zu verwenden, dass das Paradoxon grundlegend war. Die Aussagen zum Entstehen und Bestehen von herausragenden Akteuren ermöglichen zudem, dass die Akteure durchaus mit den konvergenten Formen des Warlordism zu beschreiben sind. Sie verdeutlichen auch die Kontinuität des Diskontinuierlichen: Einmal verteilte Landgüter waren von Plünderungen und Raub wie auch dem Einziehen bedroht und somit war auch das Herausragen von Akteuren nicht faktisch, sondern variabel und tendenziell von praktischen Handlungen der Individuen und nicht von normativen Determinanten konstituiert. Der Mobilitätsaspekt des grundlegenden Paradoxons war für den Aspekt der Sesshaftigkeit konstruktiv und destruktiv zugleich, auch, weil Folgeleistungen von Bevölkerungsteilen aus den civitates organisiert wurden und diese in den Kriegermodus übergingen, während die militärischen Operationen in ihrem Ausbleiben wie in
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ihrem Vollzug den Wechsel in den Räubermodus beförderten. Die Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen lässt sich daher auch als ein Aspekt der ökonomischen Umverteilung mit Effekten der Dynamisierung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens beschreiben. Daher werden im Folgenden Aussagen zur Aufforderung zu Almosen und zum bannus untersucht und beachtet, inwieweit sie auf Versuche der Verstetigung sesshaft-sozioökonomischen Lebens hindeuten. Dies ist gerade wegen der Frage nach der Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen notwendig, da mit den Aussagen die Mobilität bei den militärischen Operationen tangiert wird.
4.3.2 Almosen und bannus: Indikatoren von Verstetigungsversuchen des sesshaftsoziökonomischen Lebens? Zu Beginn dieses Kapitels lag der Schwerpunkt auf Quellenaussagen zu den auf Mobilität basierenden Praktiken. Danach wurden Aussagen miteinbezogen, welche Praktiken betreffen, die auf Sesshaftigkeit basieren. In diesem analytischen Kontext wird die Relevanz des Plünderns nun unter der Verlagerung des Schwerpunktes auf Aussagen zum sesshaft-sozioökonomischen Leben untersucht: Wenn das Plündern von der Mobilität bei militärischen Operationen der Könige bedingt beschrieben wird, dann müssen Praktiken, die der Verstetigung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens dienen können, auch bezüglich ihrer Effekte auf die Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen untersucht werden. Bereits mehrfach wurde unter dem Bezug auf Aussagen aus den Synodalakten und den hagiographischen, den historiographischen wie den dichterischen zeit- und auch ortsnah verfassten Texten auf Emanzipationsversuche der Kleriker von den Königen eingegangen. Die Bischofsposition wurde zur zentralen Position ökonomischer Administration mit richterlichen Handlungskompetenzen in den Diözesen normativ definiert. Dabei ging es auch um die (Re-)Distribution materieller Güter und Ressourcen von Klerikern an Bevölkerungsteile in den civitates. Dafür war die ökonomische Grundlage der Diözesen ausschlaggebend. Diese wurde aber von den Königen in ihrer Verteilung von Landgütern, dem Rauben und dem Plündern, aber auch von anderen Praktiken der Aneignung durch die herausragenden Akteure und die lokal- und regional-strukturellen Administratoren bedroht. Daher sind Aussagen zu den Versuchen der Emanzipation und Aussagen zu der normativen Definition der ökonomischen Administration der Diözesen als Reaktionen auf die Dynamisierung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens in dem auf einem grundlegenden Paradoxon basierenden Strukturierungszusammenhang zu deuten. Neben dieser ökonomischen Grundlage versuchten Kleriker zusätzlich Abgaben zu erheben. Nicht nur die Könige verteilten also materielle Güter. Eine weitere Möglichkeit um an Güter zu gelangen, die verteilt werden konnten, war mit der Aufforderung zum Almosengeben vorhanden.
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Quellenuntersuchung
Das Wort Almosen ist ein Anachronismus für das 6. Jahrhundert.475 Wichtig ist es daher zu betonen, welcher Aspekt der mit dem Anachronismus bezeichneten Praktik akzentuiert werden soll: Es geht um die Umverteilung von materiellen Gütern und Ressourcen, zu der Kleriker aufriefen und die sie selbst vollzogen. Die Kleriker verteilten also direkt und indirekt. Es lässt sich daher auch vom Geben Besitzender an weniger Besitzende im Rahmen kirchlicher Handlungsnormen sprechen. Insofern ist diese Art des Gebens dem Plündern als Erwerbspraktik nicht vollkommen unähnlich, da auch durch sie umverteilt wurde. Es gibt aber auch unverkennbare Unterschiede, die sich unter der Berücksichtigung der Gebenden und Nehmenden wie auch ihrer Effekte klar formulieren lassen. Die Abgaben an Kirchen und die Praktik des Gebens Besitzender an weniger Besitzende im Rahmen kirchlicher Handlungsnormen wurden gerade wegen der Bedrohung der ökonomischen Grundlagen der Kirchen durch die differenten Praktiken der Könige, der herausragenden Akteure, der Administratoren und von Teilen der Bevölkerung in den civitates selbst relevant. Diese Art des Gebens war keine Erfindung der Kleriker des 6. Jahrhunderts in Gallien. Es ist eine weit ältere Praktik, die auf die Bibel zurückgeht476 und von frühchristlichen Denkern thematisch aufgegriffen worden war.477 In Texten aus Gallien, die im 5. Jahrhundert verfasst wurden, sind hierzu viele Aussagen vorhanden. Der zeit- und ortsnah schreibende und wirkende Bischof Caesarius von Arles geht häufig in seinen Predigten auf die Praktik ein478 und benannte in einer seiner Predigten ihre vielen Ausprägungen, wobei das Geben von materiellen Gütern und Ressourcen an der Spitze steht.479 Es kann zudem gezeigt werden, dass die Praktik auch im 6. Jahrhundert als relevant gedeutet und vermittelt wurde. Auch fand eine praktische Umsetzung dieser Art des Gebens statt.480 So sind im 6. Jahrhundert in Gallien in Gedichten des Venantius Fortunatus und in den Texten Gregors von Tours Informationen und Phänomene dazu mehrfach mit einer positiven Wertung literarisch verarbeitet worden. Auch in den Synodalakten wird dieses Geben thematisiert.481 In diesem Kontext gilt es allerdings zu betonen, dass trotz der Tradi-
475 Das Wort leitet sich ursächlich aus dem Griechischen ab und bedeutet soviel wie „Mitleid“ oder auch „Erbamen“. Vgl. Schmied, Schenken: S. 42. 476 Mt.: 6.2–6.4. Dazu Schmied, Schenken: S. 42 ff. und Hammann, Diakonie: S. 21–32. 477 Vgl. Markschies, Christentum: S. 127–130. 478 Caes. arelat. serm.: 1; 6; 8; 10; 12; 13; 14; 22; 45; 26; 27; 28; 29; 30; 31; 32; 33; 34; 35; 39; 42; 44; 46; 47; 48; 51; 54; 55; 55a; 56; 60; 61; 64; 67; 70; 71; 79; 86; 89; 92; 94; 98; 101; 102; 103; 107; 109; 116; 116a; 128; 130; 133; 134; 139; 141; 146; 148; 150; 151; 156; 157; 158; 158a; 160; 165; 166; 179; 186; 187; 188; 191; 199; 202; 208; 209; 210; 217; 218; 222; 223; 224; 225; 227; 228; 229; 233 und 234. 479 Caes. arelat. serm.: 30. 480 Ven. fort. carm.: 3.8; 3.11; 3.13; 3.14; 3.15; 3.22a; 3.23; 3.23a; 3.24; 4.1; ausdrücklich 4.3; dann 4.5; 4.7; 4.8; 4.9; 4.10; 4.16; 4.18; 4.21; 4.23; 4.25; 4.26; 6.3; 6.4; 6.5; 7.4; 7.5; 7.6; 7.23; 10.1; 10.13; 10.17 und A.34 sowie Greg. hist.: 6.20. 481 Bereits zur Lebzeit Chlodwigs I. wurde dies – wenn auch indirekt – thematisiert. MGH Conc 1 Concilium Aurelianenses 511: c.5.
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tion, die diese Praktik hat, mit ihr im 6. Jahrhundert in Gallien aufgrund der Dynamisierung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens nun zusätzliche Effekte verbunden waren, die sie zuvor nicht hatte. Die Praktik des Gebens Besitzender an weniger Besitzende im Rahmen kirchlicher Handlungsnormen ist in der Konstellation zwischen Gebenden und Nehmenden unterschiedlich gelagert: Während die Nehmenden einen Gewinn an materiellen Gütern und Ressourcen haben (das Nehmen ist in diesem Sinne eine Erwerbsweise), soll der Gebende materielle Güter und Ressourcen spenden, um nach dem Tod das ewige Leben zu erlangen oder auch, um die Chance darauf zu erhöhen. Kirchliche Handlungsnormen offerieren also für die Gebenden ebenfalls einen Gewinn, wenn er auch nicht materieller, sondern spiritueller Art ist.482 Insofern ist diese Art des Gebens eine Transaktion.483 In den Gedichten des Venantius Fortunatus ist dies besonders deutlich nachvollziehbar, wobei auch sichtbar wird, dass das reine Besitzen materieller Güter und Ressourcen als Aspekt des Ausbleibens von Raub gedeutet wurde: Wer etwas hat muss nicht rauben.484 Das Vermitteln der Relevanz dieser Art des Gebens durch die Bischöfe wird dabei genauso nachvollziehbar, wie das Geben durch Kleriker und die Relevanz, Raub zu verhindern.485 Die Relevanz des Gebens Besitzender an weniger Besitzende im Rahmen kirchlicher Handlungsnormen ist in mehrerlei Hinsicht erkennbar: Aussagen dazu sind bereits vor 575 vorhanden. Es gibt ebenfalls mehre ortsnahe Aussagen, die implizieren, dass Kleriker schon vor dem 6. Jahrhundert dazu anhielten. Im 6. Jahrhundert gaben dann auch die Könige an weniger Besitzende im Rahmen kirchlicher Handlungsnormen.486 Der Effekt der Verhinderung von Raub und Plünderungen wird in den Aussagen, die das Kontinuum zwischen den Jahren 575 und 584 in Gallien repräsentieren, deutlich.487 Die negative Wertung des Raubens sowie des Plünderns und die positive Wertung der hier interessierenden Art des Gebens ist klar formuliert: Besitzende konnten mit dem Geben förmlich das Leben nach dem Tod eintau-
482 Vgl. Plassmann, Almosen: S. 88–100. 483 Auch daher ist das Geben im Rahmen christlicher Handlungsnormen vom Schenken zu differenzieren. Vgl. Schmied, Schenken: S. 39. 484 Ven. fort. carm.: 2.13 und 4.18. 485 Ven. fort. carm.: 3.8; 3.11; 3.13; 3.14; 3.15; 3.22a; 3.23; 3.23a; 3.24; 4.1; ausdrücklich 4.3; dann 4.5; 4.7; 4.8; 4.9; 4.10; 4.16; 4.18; 4.21; 4.23; 4.25; 4.26; 6.3; 6.4; 6.5; 7.4; 7.5; 7.6; 7.23; 10.1; 10.13; 10.17 und A.34. Für das Nähren Christi in der Gestalt eines Armen Ven. fort. cam.: 4.23. Dazu als einfaches lyrisches Bild Ven. fort. carm.: 3.12; 3.13b; 3.13c; 3.17; 3.19; 3.23; 3.23a; 4.2; 4.6; 4.7; 4.9; 4.11; 5.2; 5.4; 5.5b; 5.8; 5.8b; 5.14; 5.18; 6.8; 8.13; 8.19; 8.20; 10.12 und 10.13. In Bezug zur Herde Ven. fort. carm.: 3.2; 3.9; 3.14; 3.21; 3.27; 4.4; 5.3; 5.6; 5.9 A.22 und A.34. Als Wölfe abwehrender Hirte Ven. fort. carm.: 3.3; 3.9; 3.13; 4.3; 5.3 und 9.9. 486 Greg. hist.: 5.34; 7.7 und 7.40. 487 Daher werden die Aussagen zu der Praktik erst in diesem Unterkapitel untersucht. Dazu vgl. oben: S. 429 ff.
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schen.488 Für die Frage, inwieweit die Aussagen zum Geben Besitzender an weniger Besitzende im Rahmen kirchlicher Handlungsnormen als Anzeichen von Verstetigungsversuchen des sesshaft-sozioökonomischen Lebens in Gallien beschreibbar sind, kann eine Unersuchung von Aussagen zum bannus förderlich sein. Denn auch die mit dem Wort bannus, das im 6. Jahrhundert in Gallien zum erstmals gebraucht wird,489 bezeichnete Abgabe betraf Sesshaftigkeit und Mobilität zugleich. Gregor schreibt, dass nach einer militärischen Operation Chilperichs I. gegen Waroch, den als comes bezeichneten Anführer der im nordwestlichen Teil Galliens siedelnden Bretonen,490 in Tours von den pauperes und iuniores der Kirche der bannus eingetrieben wird.491 Weiter wird erzählt, dass es nicht Sitte (consuetudo) sei, dass die pauperes und iuniores öffentliche Tätigkeiten begehen.492 In einem späteren Kapitel erwähnt Gregor dann, dass der dux Berulf diejenigen bestraft, die nicht bei der militärischen Operation gegen Bourges Folge leisteten.493 In einer dritten Passage wird erzählt, dass nach dem Sieg über Gundowald diejenigen auf das Geheiß der iudices des Königs Guntram bestraft werden sollen, die nicht bei der militärischen Operation Folge leisteten. Der comes Ollo von Bourges494 schickt daraufhin pueri zu einem Landgut des heiligen Martin in dem Gebiet von Bourges: Die dort lebenden und arbeitenden homines haben nicht Folge geleistet. Erneut wird darauf verwiesen, dass ihr Folgeleisten nicht Sitte (consuetudo) sei.495 Durch ein Wunder des heiligen Martin wird das Vorhaben des comes jedoch nicht vollzogen.496 Das Wort bannus wird aber in diesen zwei letzteren Passagen von Gregor nicht gebraucht.497 Tatsächlich wird das Wort bannus nur ein einziges Mal von Gregor in seinen decem libri historiarum
488 Der Zusammenhang zwischen Geben und Lohn erhalten Mt.: 6.19–6.34. Für den Gewinn „himmlischen Lohns“ für das Geben von Gaben Ven. fort. carm.: 1.15; 3.20; 3.26; 4.26; 5.8b; 6.3; 8.21; 10.5 und ausdrücklich 10.17. 489 Vgl. Bachrach/Bowlus/Bulitta, Art. Heerwesen: S. 132 f. 490 Greg. hist.: 5.26. 491 „Post haec Chilpericus rex de pauperibus et iunioribus eclesiae vel basilicae bannos iussit exigi, pro eo quod in exercitu non ambulassent.“ Greg. hist.: 5.26. 492 „Non enim erat consuetudo, ut hi ullam exsolverent publicam functionem.“ Greg. hist.: 5.26. 493 „Sed et postea crudiliter, qui in hac obsidione adesse non poterant, sunt damnati.“ Greg. hist.: 6.12. 494 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 141. 495 „Post haec edictum a iudicibus datum est, ut qui in hac expeditione tardi fuerant damnarentur. Biturigum quoque comes misit pueros suos, ut in domo beati Martini, quae in hoc termino sita est, huiusmodi homines spoliare deberent. Sed agens domus illius resistere fortiter coepit, dicens: ‚Sancti Martini homines hii sunt. Nihil eis quicquam inferatis iniuriae, quia non habuerunt consuetudinem in talibus causis abire‘. At illi dixerunt: ‚Nihil nobis et Martino tuo, quem semper in causis inaniter proferis; sed et tu et ipsi pretia dissolvitis, pro eo quod regis imperium neglexistis‘.“ Greg. hist.: 7.42. 496 Greg. hist.: 7.42. 497 Greg. hist.: 6.12 und 7.42. Auch nicht in der Passage Greg. hist.: 6.31. Diese wird aber als Belegstelle für den bannus verwendet. Vgl. Bachrach/Bowlus/Bulitta, Art. Heerwesen: S. 133. Doch es steht dort nur: „Igitur fidens in promissis eorum Chilpericus, commoto regni sui exercitum, Parisius venit. Ubi cum resedisset, magnum dispendium rerum incolis intulit.“ Greg. hist.: 6.31.
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gebraucht und stellt somit genauso eine Ausnahme wie die Wahl eines comes durch die Bevölkerung und die Kleriker in der civitas Tours dar.498 Ansonsten benutzt er das Wort in keinem anderen seiner Texte und auch kein anderer zeit- und ortnaher Autor verwendet das Wort.499 Die drei Passagen weisen neben Gemeinsamkeiten auch Unterschiede auf. Die zweite Passage weicht dabei am deutlichsten von den anderen beiden ab. Hierbei sind nicht nur Menschen betroffen, die in einer engen Beziehung zur Kirche von Tours standen. Außerdem ist zuvor nicht von einer militärischen Operation eines der Könige zu lesen, sondern nur vom regionalen Konflikt zwischen den Bewohnern von Tours unter der Anführung des dux Berulf mit den Einwohnern von Bourges. Der dux vollzieht dann auch die Bestrafung wegen des Fernbleibens. Dass dabei materielle Güter oder auch Ressourcen abgegeben werden müssen, wird nicht erwähnt. Es könnte sich auch um Körperstrafen gehandelt haben.500 Was aber genau unter der Bezeichnung bannus abzugeben war, ist nicht mit Sicherheit zu eruieren. Offenbar führte die Chance auf Erwerb durch Plünderungen nicht dazu, dass alle Menschen aus einer civitas bei einer Operation Folge leisteten. Dass ist im Übrigen auch für die Zeit vor 575 in Gallien wahrscheinlich, da die lokale Produktion weiterhin einen Bedarf an Akteuren hatte. Neu ist allerdings, dass die Könige das Ausbleiben von Folgeleistungen mit einer Abgabe sanktionierten. Zumindest wird es hier zum ersten Mal in einer Quellen greifbar. Solche Abgaben gab es auch schon während der Erosion der strukturellen Einheit der weströmischen Ordnung. Der Name dieser Abgabe lautete aurum tironicum. Sie wurde in Gold gegeben.501 Daher ist durchaus anzunehmen, dass die von Chilperich I. geforderte Abgabe – im dritten Fall ist Guntram nicht einmal ausdrücklich genannt – ein strukturelles Element der erodierten weströmischen Ordnung war, die in den Strukturierungszusammenhang in Gallien nach längerer Pause wieder angewandt wurde; auch wenn sie mit einem germanischen Wort bezeichnet worden ist.502 Zumindest ihrer Funktion und auch ihrer Anwendung nach war sie dies ganz offenbar. Gründe dafür können zum einen an der Dauer der bella civilia festgemacht werden, bei denen sehr viele Menschen in den gewaltsamen Konflikten entweder getötet oder verwundet wurden, so dass sie nicht mehr Folge leistend tätig werden konnten. Zum anderen kann mit dem bannus ein Mittel zur Vermehrung der Folgeleistenden versucht worden sein. Allerdings heißt das erste Auftreten der Abgabe nach 575 nicht, dass die als pauperes und iuniores Bezeichneten nicht zuvor an militärischen Ope-
498 Greg. hist.: 5.47. 499 Vgl. Bachrach/Bowlus/Bulitta, Art. Heerwesen: S. 132 f. 500 Greg. hist.: 6.12. 501 Sie wurde gegeben wenn keine Akteure gestellt werden konnten. Vgl. Demandt, Spätantike: S. 244 und Geary, Merowinger: S. 35–37. Zum bannus als Aspekt eines strukturellen Elements der weströmischen Ordnung Goffart, Duty: S. 180 f. und Weidemann, Kulturgeschichte Bd. II: S. 240 ff. 502 Vgl. Bachrach/Bowlus/Bulitta, Art. Heerwesen: S. 132.
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rationen wegen der Erwerbschancen Folge leisteten und plündernd erwerbend tätig geworden sind. Mit den Aussagen aus Synodalakten, historiographischen und hagiographischen Texten sowie Gedichten zum Geben Besitzender an weniger Besitzende im Rahmen kirchlicher Handlungsnormen wird deutlich, dass Kleriker um die ökonomischen Grundlagen der Diözesen bemüht waren, damit (Re-)Distribution in den civitates betreiben werden konnte. Mit ihnen sind bereits Verstetigungsversuche des sesshaftsozioökonomischen Lebens angedeutet. Daher kann die Annahme von Versuchen der Verstetigung von Sesshaftigkeit aus der Deutungsebene formuliert werden. Sicher ist dazu auch, dass das sesshaft-sozioökonomische Leben von einigen Menschen in ihrem Erwerb wie auch in der Produktion an die Kirchen gebunden war. Diese Gebundenheit ist Resultat von Reaktionen auf die militärischen Operationen in Gallien: Aufgrund der bella civilia als Bedingung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens ist die Dynamik noch einmal intensiviert worden. Die lokale Produktion, der Akteure fehlten, die bei den Operationen erwerbend tätig wurden, und das Plündern selbst sowie das Rauben als Effekt der Operationen, aber auch das Verteilen von Landgütern der Kirchen durch die Könige und andere Arten der Aneignung kirchlicher Güter, die von den Klerikern als illegitim gedeutet wurden, waren davon direkt betroffen und bedingten die Reaktionen. Das Geben Besitzender an weniger Besitzende im Rahmen kirchlicher Handlungsnormen daher als ein Mittel der Substituierung der sozioökonomischen Praktiken des Plünderns und des Raubens mit dem für die Kirchen und auch für die Lokalproduktion positiven Effekt der Verstetigung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens anzunehmen, ist im analytischen Kontext wahrscheinlich. Auch die Könige setzten dies praktisch um.503 Selbstredend ist neben dieser Art des Gebens auch die Vermittlung der Praktik als Transaktion in Bezug auf das Leben nach dem Tod, aber auch das Vermitteln des Wissens über die kirchlichen Handlungsnormen zu nennen: Die Handlungen der Bevölkerung sollte nach diesen Normen als Orientierungsfaktoren ausgerichtet werden.504 Dass die Annahme solch einer Vermittlung des Wissens über christlichen Handlungsnormen mit Effekten auf das sesshaft-sozioökonomische Leben nicht unwahrscheinlich ist, kann mit Aussagen aus weiteren Erzählungen Gregors zu dem Abgabensystem Chilperichs I. fundiert werden. König Chilperich I. hatte neue Abgaben ausschreiben lassen, die die Bevölkerung in den Gebieten seiner Parzellen des Strukturierungszusammenhangs dazu bewegten, sie zu verlassen.505 Nachdem einer der Söhne Chilperichs I. von einer Krankheit getötet und ein anderer davon ergriffen worden ist, werden von der Königin Fredegunde in den Abgaben und den Plünderungen die tieferen Ursachen der Krankheit
503 Vgl. Geary, Merowinger: S. 169. 504 So wurden Plünderungen als Grund für die Einfälle der langobardischen Kriegergemeinschaften nach Gallien gedeutet. Greg. hist.: 6.6. 505 Greg. hist.: 5.28.
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erkannt. Daher werden die neuen Abgabenrollen verbrannt.506 In der Charakterisierung Chilperichs I. nach der Erzählung seines Todes507 berichtet Gregor dann, dass dieser in den Bischöfen den Grund für seine eigene Handlungsunfähigkeit erkannte: Sie hätten allen Reichtum, den er selbst zuvor mittels des Abgabensystems besaß, an sich gebracht. Sie allein seien in den civitates noch handlungsfähig.508 Diese Passagen sind selbstredend nicht in einer positivistischen Weise zu deuten. Auffällig ist zum einen, dass Gregor die Figur der Fredegunde wörtliche Rede benutzen lässt, wenn sie die Ursache für die Krankheit erkennt. Diese Rede hat unverkennbare sprachliche Parallelen zur Einleitung des fünften Buches der decem libri historiarum.509 Es ist daher davon auszugehen, dass der Bischof Gregor bei seiner literarischen Verarbeitung auf Informationen und nicht auf Phänomene rekurriert, die er unter Anwendung christlicher Handlungsnormen deutet. Zwar war Gregor mit den beiden Akteuren, die er als Figuren erzählt, persönlich bekannt.510 Aber die Annahme, er sei bei der Verbrennung persönlich anwesend gewesen, ist aufgrund der Erzählweise und ihrer intratextuellen Parallelen kaum zu halten. Ebenfalls fällt auf, dass Chilperich I., der sonst negativ erzählt wird,511 in der zweiten Erzählung anhand derjenigen Normen handelt, die Gregor selbst als Mittel der positiven Bewertung anwendet. An einer anderen Stelle gibt die Figur Chilperichs I. sogar an weniger Besitzende im Rahmen kirchlicher Handlungsnormen.512 Die Diskrepanz zwischen den literarisch verarbeiteten Informationen und der Erzählung wird somit erkennbar. Es ist daher zu argumentieren, dass Chilperich I. offenbar sehr wohl von den Handlungsnormen wusste. Gregor erzählt dies teilweise, wobei die Verarbeitung nicht zu einer positiven Gesamtwertung der Figur führt, was zwar nicht konsequent, aber für die Konzeption der Kritik nicht dysfunktional ist: Der König wusste, welche Handlungen richtig waren, doch er tat trotzdem nicht immer das Richtige. Insofern kann weiterhin nicht bewiesen werden, dass Fredegunde einen Zusammenhang zwischen der Krankheit und falschem Handeln erkannte. Es wird aber wahrscheinlich, dass auch sie christliche Handlungsnormen mit ihren praktischen Effekten kannte. Der Einfluss der Bischöfe und die Möglichkeit der ökonomischen Restaurierung der Diözesen kann also auch mit der Vermittlung des Wissens über christliche Handlungsnormen in Verbindung gebracht werden: Einer der praktischen Effekte war eben die Möglichkeit der Partizipation an der ökonomischen Prosperität in den civitates nach einer
506 Greg. hist.: 5.34. 507 Greg. hist.: 6.46. 508 „Aiebat enim plerumque: ‚Ecce pauper remansit fiscus noster, ecce divitiae nostrae ad eclesias sunt translatae; nulli penitus nisi soli episcopi regnant; periet honor noster et translatus est ad episcopus civitatu‘.“ Greg. hist.: 6.46. 509 Greg. hist.: 5.0. 510 Greg. hist.: 5.44; 5.49; 6.2; 6.5 und 6.10. 511 Greg. hist.: 6.46. Überblickend Heinzelmann, Gregor: S. 42 ff. 512 Greg. hist.: 5.34.
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Verstetigung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens. Das Geben der Besitzenden an weniger Besitzende im Rahmen kirchlicher Handlungsnormen hat als eine Praktik dazu beigetragen. Der bannus kann daher als Reaktion der Könige auf die Reaktion der Kleriker und vor allem der Bischöfe beschrieben werden. Ihre Reaktion auf die Dynamisierung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens bestand darin, Menschen vom Plündern und Rauben durch (Re-)Distribution abzuhalten. Die Bindung an die kirchlichen Landgüter resultierte mit der Zeit daraus, dass mehr Menschen erst von Plünderungen und dann von der (Re-)Distribution der Kirchen betroffen waren. Die Verstetigung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens wurde dann zusätzlich damit zu befördern versucht, dass das Folgeleisten dieser Menschen als consuetudo oder als publica functio von den kirchlichen Akteuren verneint wurde.513 Dass das Folgeleisten nicht seit der Zeit Chlodwigs I., sondern erst gegen Ende des 6. Jahrhunderts als eine öffentliche Tätigkeit geltend gemacht wurde, ist argumentativ hinsichtlich mehrerer Aspekte zu festigen: Zum einen ist mit der Formulierung publica functio nicht ausdrücklich gesagt, dass das Folgeleisten kontinuierlich als eine solche aufgefasst wurde. Vielmehr ist anzunehmen, dass es sich bei der Abgabe um eine Neuerung handelt, bei der auf das Prinzip einer älteren Abgabe der weströmischen Ordnung zurückgegriffen wurde. Das ist gerade deshalb plausibel, da das Folgeleisten von Menschen aus der Gruppe derjenige, die auf den Gütern des heiligen Martin arbeiteten und von ihnen versorgt wurden, keine consuetudo war. Daher ist auf der Basis dieser wenigen Aussagen die Annahme, das Organisieren von Folgeleisten sei durch eine normative, von den Königen als zu befolgen beanspruchte Regelung seit der Zeit Chlodwigs I. in immer gleicher Weise betrieben worden,514 kaum zu halten. Außerdem zeigen die Aussagen, dass ebenso nicht von einer stehenden Armee oder von Soldaten als kontinuierlich bezahlten Akteuren auszugehen ist.515 Daher ist die mit dem Wort bannus bezeichnete Abgabe für das Nichtfolgeleisten bei einer militärischen Operation eines Königs als Indikator für die Veränderungen des Abgabensystems zu beschreiben: Das System nahm nicht nur durch Abgabenerlasse,516 sondern auch durch das Ausfallen von Abgaben wegen der Operationen517 und der gewaltsamen Ablehnung von Abgaben518 an Prosperität ab. Neue
513 Greg. hist.: 5.26 und 7.42. 514 Vgl. Bachrach/Bowlus/Bulitta, Art. Heerwesen: S. 132. 515 Die Annahme, es habe bereits zur Zeit Chlodwigs I. eine Art professionelle Armee gegeben, die ihm und seinen Nachfolgern zur Verfügung stand und mit Mitteln aus dem Abgabensystem bezahlt worden ist, geht mit Sicherheit fehl. Dazu Durliat, finances publiques: S. 126 ff. und Durliat, Finanzwesen: S. 517 f. Dazu Hartmann, Aufbruch: S. 101 ff. Martina Hartmann vertritt diese Annahme aktuelle jedoch nicht mehr. Vgl. Hartmann, Merowinger: S. 63–67. 516 Vgl. Goffart, Taxation: S. 4–8 sowie Kaiser, Steuer: S. 5 f. und S. 8–10. 517 Vgl. Bodmer, Krieger: S. 88–100. 518 Vgl. Hardt, Gold: S. 149–152.
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Abgaben konnten es an Prosperität zunehmen lassen.519 Eine dieser Abgaben war der bannus; eine Abgabe, die nach 575 noch keine consuetudo war und offenbar hauptsächlich diejenigen betraf, die in enger Beziehung zu den Kirchen standen, während es auch andere Formen der Bestrafung für das Nichtfolgeleisten gab. Die Aussagen zur Bestrafung durch den dux Berulf machen dies deutlich. Die Aussagen zu den Beziehungen zu den Kirchen weisen hingegen erneut auf die Versuche der Verstetigung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens hin, deren Mittel neben (Re-)Distributionen auch das Geben Besitzender an weniger Besitzende im Rahmen kirchlicher Handlungsnormen war. Für die Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen ist abschließend festzuhalten, dass das Plündern nicht nur weitere Plünderungen und Raub beförderte und damit aus sich selbst heraus relevanter wurde für das Organisieren von Folgeleistungen. Das Plündern beförderte zusätzlich neben anderen Praktiken Maßnahmen der primär Sesshaften, die das Plündern als Erwerbsweise relativierten – was nicht heißt, dass das Plündern in seiner Relevanz für das Organisieren von Folgleistungen geringer wurde. Die Kontexte der Erzählungen lassen plausibel vermuten, dass Veränderungen des Abgabensystems und die Reaktionen der Kleriker auf das Plündern wie auch auf andere als illegitim gedeutete Praktiken die Forderung nach dem bannus mitbedingten. Die Ergebnisse des analytischen Kontextes zeigen deutlich, dass auf der Deutungsebene nicht von einer mechanischen Dichotomie zwischen den sozioökonomischen Praktiken, die auf Sesshaftigkeit und auf Mobilität beruhen, auszugehen ist. Das grundlegende Paradoxon des parzellierten Strukturierungszusammenhangs ermöglichte – analytisch formuliert – auf den Wechsel zwischen Praktiken beider Art zurückzugreifen. Jedoch ist mit der bisherigen Untersuchung die Differenz zwischen den sesshaften Klerikern und den tendenziell mobileren Akteuren betont worden. Dass aber auch Kleriker der Dynamisierung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens in den civitates nach 561 nicht unbedingt nur entgegenarbeiteten, kann als sicher bezeichnet werden.520 Dabei waren zwei Bischöfe auch an einem regionalen Konflikt raubend beteiligt.521
4.3.3 Lokale und regionale Konflikte: Die Dynamisierung des sesshaftsozioökonomischen Lebens in Gallien II Ganz allgemein zeigen Quellenaussagen zum Rauben sowie zu Versuchen der Emanzipation und zu Versuchen der normativen Sicherung der ökonomischen Basis der
519 Vgl. Goffart, Taxation: S. 16–19. 520 Dazu für das Kontinuum zwischen 561 und 585 in Gallien Greg. hist.: 4.43; mehrfach 5.5; 5.18; 5.20; 5.49; 6.11; 6.38 und 7.17. 521 Greg. hist.: 5.20.
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Diözesen in den zeit- und ortsnah verfassten Texten Gregors von Tours522 und des Venantius Fortunatus523 sowie aus den Synodalakten524 die ökonomische Dimension lokaler und regionaler Konflikte. In den vorangegangenen analytischen Kontexten wurden bereits mehrfach Aussagen untersucht, die sich auf lokale und regionale Konflikte beziehen. Bedingt waren diese Konflikte zumeist von den militärischen Operationen der Könige. Selbst in der Erzählung über den Raub an dem dux Lupus unter der Anführung von Ursio und Berthefred, der nicht von einer militärischen Operation eines Königs bedingt war,525 wird das Abgabensystem der Könige argumentativ von den Protagonisten für den Raub verwendet. Somit ist hier ein Regionalkonflikt zumindest von der Präsenz der Merowinger tangiert, wobei nicht unbeachtet bleiben soll, dass lokale und die regionale Konflikte die Merowingerfamilie zum Eingreifen bewegen konnten. Das zeigen nicht nur die Aussagen zur Bemühung der Königin Brunhild während des erwähnten Konflikts,526 sondern auch die Reaktionen Chilperichs I. und Guntrams auf den Raub unter Anführung des ehemaligen dux Asclipius im Gebiet an der Orge.527 Die Aussagen zu den Raubtaten des comes Leudast sowie einige zum Raub unter Anführung Roccolens und gegen Dracolen sind bei aller Unterschiedlichkeit auch Aussagen zu lokalen und regionalen Konflikten. Auch sie waren teilweise von den militärischen Operationen der Könige bedingt. So waren der Raub Roccolens528 und der Raub an Dracolen529 durch den Tod Theudeberts, des Sohns Chilperichs I., betroffen. Roccolen versuchte wie auch Dracolen Guntram Boso zu Chilperich I. zu bringen.530
522 Dazu für das Kontinuum zwischen 561 und 585 in Gallien Greg. hist.: 4.24; 4.39; 4.43; 5.0; 5.1; 5.4; 5.14; 5.20; 5.25; 5.36; 5.48; 5.49; 6.4; 6.10; 6.12; 6.19; 6.24; 6.45; 7.2; 7.3; 7.9; 7.21; mehrfach 7.22; 7.27; 7.29; 7.31; 7.36 und 7.38. 523 Dazu die lyrischen Verwendungen bei Venantius Fortunatus. Das Bild des Hirten Ven. fort. carm.: 3.12; 3.13b; 3.13c; 3.17; 3.19; 3.23; 3.23a; 4.2; 4.6; 4.7; 4.9; 4.11; 5.2; 5.4; 5.5b; 5.8; 5.8b; 5.14; 5.18; 6.8; 8.13; 8.19; 8.20; 10.12 und 10.13. In Bezug zur Herde Ven. fort. carm.: 3.2; 3.9; 3.14; 3.21; 3.27; 4.4; 5.3; 5.6; 5.9; A.22 und A.34. Als Wölfe abwehrender Hirte Ven. fort. carm.: 3.3; 3.9; 3.13; 4.3; 5.3 und 9.9. Für die nicht bildlich literarisch verarbeiteten Phänomene und Informationen zum Geben im Rahmen kirchlicher Handlungsnormen Ven. fort. carm.: 3.8; 3.11; 3.13; 3.14; 3.15; 3.22a; 3.23; 3.23a; 3.24; 4.1; ausdrücklich 4.3; dann 4.5; 4.7; 4.8; 4.9; 4.10; 4.16; 4.18; 4.21; 4.23; 4.25; 4.26; 6.3; 6.4; 6.5; 7.4; 7.5; 7.6; 7.23; 10.1; 10.13; 10.17 und A.34. Für den Zusammenhang von Nichtrauben und Besitzen Ven. fort. carm.: ausdrücklich 2.13 und 4.18. Für das lyrische Bild des Todes als Plünderer Ven. fort. carm.: 3.9; 4.14 und A.8. Für direkte Kritik am Raub Ven. fort. carm.: ausdrücklich 10.1. 524 Überblickend Pontal, Synoden: S. 250 f. 525 „Tamen ab illo loco discedentes, inruerunt in domibus Lupi, et derepto omne praesidio, fingentes se illud in thesauro regis recondere, suis eum domibus intulerunt, intendentes Lupo minas atque dicentes: ‚Vivus virtute nostrae non evadit‘.“ Greg. hist.: 6.4. 526 Greg. hist.: 6.4. 527 Greg. hist.: 6.19. 528 Greg. hist.: 5.1 und 5.4. 529 Greg. hist.: 5.25. 530 Greg. hist.: 5.4 und 5.25.
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Die Aussagen zu Leudast verdeutlichen zweierlei: Lokale Konflikte in der civitas Tours waren von Operationen der Könige und der Konsolidierung ihrer Präsenz bedingt, da sie lokale Administratoren positionierten. So wurde Leudast nicht nur von Anhängern Sigiberts I. ausgeraubt,531 sondern auch von denen des Merowech,532 des Sohns Chilperichs I., wie auch von Bewohnern von Bourges mit dem iudex als Anführer. Leudast selbst raubte in Tours und in Bourges sowie in Poitiers.533 Der dux Berulf führte Bevölkerungsteile von Tours gegen die Einwohner von Bourges, da einige von ihnen nach Tours eindringen wollten, nachdem die civitates Guntrams zuvor angegriffen worden waren.534 Die comites Palladius535 und Nanthin536 wie auch der patricius Celsus537 raubten auf den Landgütern der Kirchen. Alle drei stammten jedoch sehr wahrscheinlich538 aus besitzenden Familien und waren so in die Administratorenpositionen gelangt. Die Aussagen zu diesen lokalen Konflikten zeigen wiederum die Bedingtheit solcher von der lokal- und regional-strukturellen Administration. Die Aussagen zu den lokalen und regionalen Konflikten zwischen den Merowingerkönigen mit bretonischen Anführern und den ihnen Folge leistenden Akteuren aus den Siedlungsgemeinschaften an der nordwestlichen Küste Galliens (Aremorica)539 wurden bisher noch nicht untersucht. In dem bretonischen Siedlungsgebiet führten vor dem Tod Sigiberts I. innere Konflikte zum Tod mehrerer der dortigen Anführer.540 Diese Anführer werden von Gregor als comites bezeichnet, was er mit deren Abhängigkeit gegenüber den Merowingern seit der Zeit Chlodwigs I. begründet. Worin sie aber genau bestand, schreibt er nicht.541 Nach dem Tod Sigiberts I. erlangt Waroch, der Sohn des Macliav,542 eine Anführerposition, wobei zusätzlich zwei weitere Anführer genannt werden.543 Noch vor dem Ende der 580er Jahre führt Waroch ihm Folgeleistende in die
531 Greg. hist.: 5.48. 532 Greg. hist.: 5.48. 533 Greg. hist.: 5.48 und 5.49. 534 Zum Angriff Greg. hist.: 6.12. Bourges gehörte Guntram und war möglicherweise zuvor von Plünderungen betroffen. Vgl. Ewig, Teilungen: S. 137. Zur militärischen Operation unter der Anführung des dux Berulf Greg. hist.: 6.12. 535 Greg. hist.: 4.39. 536 Greg. hist.: 5.36. 537 Greg. hist.: 4.24. 538 Für Celsus ist dies nicht ganz sicher. Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 66 f. 539 Vgl. Ewig, Merowinger: S. 20. 540 Greg. hist.: 4.4. 541 „Nam semper Brittani sub Francorum potestatem post obitum regis Chlodovechi fuerunt, et comites, non regis appellati sunt.“ Greg. hist.: 4.4. 542 Greg. hist.: 5.16. 543 Zum einen Theoderich, der Sohn des comes Boderich. Greg. hist.: 5.16. Dazu ein Mann namens Vidimaclis. Greg. hist.: 9.18. Auch Canao, der Sohn des Waroch, ist als militärischer Anführer erwähnt. Greg. hist.: 10.9.
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Quellenuntersuchung
civitas Vannes (Venitus). Er wird daher von Folgeleistenden aus Tours, Bayeux, Poitiers, Le Mans und Angers sowie vielen anderen angegriffen. Die Namen der duces Chilperichs I. gibt Gregor nicht an. Nach einem ersten Erfolg Warochs schließt er unter der Bedingung Frieden, dass er die Abgaben aus Vannes an den König senden darf. Der Vertrag hat aber kurz danach bereits keine Wirkung mehr. Er bricht ihn selbst, was er durch den Bischof der civitas ausrichten lässt. Der Bischof wird daher von Chilperich I. inhaftiert.544 Kurz danach plündert eine bretonische Kriegergemeinschaft die civitas Rennes, wird aber von dem dux Beppolen545 und den ihm Folgeleistenden besiegt. Darauf werden einige bretonische Siedlungsgemeinschaften erobert. Ein Anführer der bretonischen Akteure wird in dieser Erzählung nicht namentlich genannt.546 Diese Siedlungsgemeinschaften sollen nun zuvor an die Merowinger gebunden gewesen sein, wobei unklar ist, wie die Konstellation gestaltet war. Von Abgaben wird zumindest nichts berichtet. Nur das Versprechen des Waroch, die Abgaben der civitas Vannes an die Könige weiterzuleiten, wird erwähnt. Die bretonischen Siedlungsgemeinschaften waren also nicht wie die ostrheinischen Siedlungsgemeinschaften inkorporiert, wobei auch die Aussagen zum militärischen Versuch, die civitates Vannes an Waroch zu binden, den Unterschied zur östlichen Peripherie verdeutlichen: Er wäre mit Kompetenzen bezüglich der Abgaben in den Strukturierungszusammenhang in Gallien inkorporiert worden. Dazu kam es aber nicht. Daher muss in Frage stehen, dass die bretonischen Siedlungsgemeinschaften und ihre Anführer zu den Merowingern überhaupt in einer Konstellation der Abhängigkeit standen. Die Aussagen zu den Regionalkonflikten erlauben anzunehmen, dass das Bestehen der Anführerposition im Siedlungsgebiet der Bretonen mit den Plünderungen der umliegenden civitates in Verbindung zu bringen ist. Dies lässt darauf schließen, dass die Position als solche an Plünderungen gebunden war oder dass Erwerbschancen durch Plünderungen von Waroch symbolisiert oder offeriert wurden, als er die Kriegergemeinschaft gegen eine civitas der Merowinger anführte. Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass Waroch namentlich bei der Plünderung von Rennes nicht genannt wird. Welche der Annahmen, die positionsgebundene oder die akteursgebundene auch bevorzugt wird: Es lässt sich in beiden Fällen die Relevanz der Praktik des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen in den bretonischen Siedlungsgemeinschaften nah an den Quellen formulieren. Die erste militärische Operation führte offenbar trotz des erwähnten Erfolges nicht zur Inkorporation durch die Könige. Tatsächlich wurde die civitas von Waroch in Besitz genommen. Dies ging soweit, dass der Bischof von Vannes als Gesandter des Waroch tätig wurde. Auch wurde gegen ihn nicht mehr militärisch operiert, als er die
544 Greg. hist.: 5.26. 545 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 54 f. 546 Greg. hist.: 5.29.
Aussagen zu der zweiten Generation nach Chlodwig I.
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Abgaben nicht weiterleitete. Chilperich I. sandte den dux Beppolen erst, nachdem weitere Plünderungen – diesmal im Gebiet seiner civitas Rennes – stattgefunden hatten. Auch hier ist die militärische Operation als Reaktion zu beschreiben. Daher kann formuliert werden, dass Waroch und mögliche andere Anführer diesen regionalen Konflikt aktiv gestalteten. Sie hingen in ihren Positionen von der Praktik des Plünderns ab und sie konkurrierten auch innerhalb des bretonischen Siedlungsraumes. Das ist zumindest für die Zeit vor Waroch sicher. Dies alles sind Parallelen zu den Merowingern. Ein Unterschied besteht in der geographischen Ausdehnung: Einzelne civitates konnten offenbar leichter für die plündernden Kriegergemeinschaften aus dem bretonischen Siedlungsgebiet angesteuert werden, als dass sie von Menschen aus dem Strukturierungszusammenhang abgewehrt werden konnten. Das Plündern war aber für beide Akteursgruppen hinsichtlich des Organisierens von Folgeleistungen relevant. Auch nach dem Tod Chilperichs I. wurde der regionale Konflikt um die örtlichen civitates weitergeführt. Auch hierüber erzählt Gregor: Folgeleistende unter der Anführung des Waroch und des Vidimaclis plündern die civitas Nantes.547 Nachdem eine Gesandtschaft Guntrams an sie geschickt wird, schließen sie Frieden, unterschreiben Verträge, stellten Bürgen und versprechen eine Bußzahlung von je 1000 Goldstücken an Guntram und Chlothar II., den Sohn Chilperichs I.548 Jedoch wird auch dieser Vertrag nichtig, als Waroch die civitas Nantes mit ihm Folgeleistenden erneut plündert. Eine militärische Operation gegen ihn erfolgt danach nicht.549 Erneut zeigt sich, dass die Anführer aus dem bretonischen Siedlungsgebiet den regionalen Konflikt aktiv gestalteten. Waroch und Vidimaclis – hier wird ein zweiter Name eines Anführers fassbar – begannen mit einer Operation, die zu Plünderungen einer civitas führte. Guntram reagiert hierbei nur mit einer Gesandtschaft. Eine militärische Operation blieb aus. Der Verlauf hat aber trotzdem Parallelen zur ersten Erzählung über den regionalen Konflikt: Zwar wird Frieden geschlossen und vertragliche Regelungen werden getroffen. Doch wird dieser Vertrag wie schon die vorherigen Versprechen gebrochen und eine weitere Operation einer Kriegergemeinschaft aus dem bretonischen Siedlungsgebiet erfolgt, wobei erneut geplündert wird. Die Anführerpositionen können – analytisch formuliert – also mit der dritten der konvergenten Formen des Warlordism beschrieben werden. Die Aussagen zu ihnen weisen Parallelen zu denen auf, die für die Fundierung dieser Form verwendet wurden. Zwar akkumulierten die Anführer keine Handlungskompetenzen und sie reagierten auch nur auf die Reaktionen, die sie selbst mit den Plünderungen unter ihrer Anführung erreicht hatten und nicht auf direkte militärische Operationen situationsbezogen, was die ersten beiden Formen des Warlordism umfasst. Die dritte Form des Warlor-
547 Greg. hist.: 9.18. 548 Greg. hist.: 9.18. 549 Greg. hist.: 9.18.
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Quellenuntersuchung
dism entspricht den Aussagen zu ihren Handlungen aber sehr wohl: Sie akquirierten materielle Güter und Ressourcen optional und konnten somit Folgeleistungen organisieren. Gregor erzählt noch eine weitere Episode zu dem regionalen Konflikt. Erneut plündert eine Kriegergemeinschaft, die Waroch Folge leistet. Diesmal sind die Gebiete der civitates Rennes und Nantes betroffen.550 Daher werden Folgeleistungen unter den duces Beppolen und Ebarchar551 – sie waren duces des Königs Guntram – für eine militärische Operation organisiert. Sie geraten jedoch auf dem Weg in Streit, was es Waroch erleichtert, den dux Beppolen und die ihm Folgeleistenden im Kampf mit seiner Kriegergemeinschaft zu töten. Ebarchar kann aber bis zur civitas Vannes vordringen. Sie geht Waroch verloren, der versucht, auf dem Seeweg zu fliehen. Das gelingt ihm aber nicht. Es folgt ein Friedensschluss mit der Stellung einer Geisel. Trotz der Übergabe des Neffen des Waroch lässt dieser aber seinen Sohn Canao mit ihm Folgeleistenden die Abziehenden ausplündern und Menschen rauben, was ebenfalls ohne Konsequenzen bleibt.552 Kurz darauf werden einige der Gefangenen wieder frei gelassen.553 Wiederum fanden Plünderungen zu Beginn des regionalen Konflikts statt, was erneut mit der Option des Akquirierens von materiellen Gütern und Ressourcen plausibel in Verbindung zu bringen ist. Auch für diese Erzählung kann formuliert werden, dass die bretonischen Anführer den regionalen Konflikt aktiv gestalten. Weder konnten die Plünderungen der ihnen Folgeleistenden verhindert werden, noch war der geschlossene Frieden positiv für die in das bretonische Siedlungsgebiet Eindringenden. Zwar darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die duces durch ihren Konflikt zur Teilniederlage beitrugen. Aber auch der anfänglich siegreiche dux Ebarchar wurde nach dem Friedensschluss mit einigen der ihm Folgeleistenden ausgeplündert. Insgesamt ist die Quellenlage zum regionalen Konflikt im westlichsten Nordgallien als militärische und diplomatische Herausforderung der Merowingerkönige zu beschreiben. Weder Chilperich I. noch Guntram waren bei Operationen oder mittels Gesandtschaften in der Lage, die Plünderungen der naheliegenden civitates zu verhindern. Die civitas Vannes scheint langfristig unter Kontrolle bretonischer Anführer gestanden zu haben. Ob die civitas nach seinem Abzug erneut an die bretonischen Anführer ging, ist nicht sicher zu eruieren. Es ist aber wahrscheinlich, dass die bretonischen Akteure unter ihren Anführern sich nicht unbedingt von der civitas fern hielten, wenn der Sohn des Waroch schon die sich Zurückziehenden unter Ebarchar angriff und plünderte. Die bretonischen Kriegergemeinschaften und ihre Anführer gestalteten den Konflikt in derart aktiver Weise, dass es eher unwahrschein-
550 Greg. hist.: 10.9. 551 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 85. 552 Greg. hist.: 10.9. 553 Greg. hist.: 10.9 und 10.11.
Aussagen zu der zweiten Generation nach Chlodwig I.
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lich erscheint, dass sie mit ihren Siedlungsgemeinschaften in irgendeiner Art von den Merowingerkönigen abhingen. Die Abhängigkeit wird zwar attestiert, aber hat konkret wohl nicht bestanden. Selbst dass Gregors Figur des Waroch mehrfach mit ihrer Abhängigkeit von den Königen bei den Friedensschlüssen argumentiert, lässt diese Annahme zu: Gregor verarbeite zwar Informationen zum regionalen Konflikt und rekurriere dabei auch auf Informationen zur Zeit Chlodwigs I., die eine wie auch immer geartete Abhängigkeit der bretonischen Siedlungsgemeinschaften von diesem König darstellen. Doch scheint seine Deutung aktuellerer Informationen von den älteren Informationen bestimmt. Die bretonischen Anführer waren in der Lage, eine relativ aktive, materielle Güter und Ressourcen akquirierende Art des Warlordism, bei der sogar die civitas Vannes unter die Kontrolle der Anführer geriet, zu betreiben. Sie mussten aber auch situationsbezogen auf Maßnahmen gegen diese Art des Warlordism reagieren, was dem Regionalkonflikt letztlich Kontinuität gab. Nun zu einem letzten regionalen Konflikt. Mit den Aussagen dazu kann eine andere Art des Regionalkonflikts nachvollziehbar gemacht werden: Nach dem Tod Sigiberts I. taten sich einige Bewohner der Champagne zusammen und griffen die civitas Soissons an. Von dort wurden Fredegunde und Chlodwig, der Sohn Chilperichs I. vertrieben, so dass der König einige ihm Folgeleistende dorthin führte und die Angreifer besiegte.554 Angeführt wurden die Aggressoren von Godin, einem herausragenden Akteur, an den Landgüter verteilt worden waren. Er war nach dem Tod Sigiberts I. zu Chilperich I. übergegangen und hatte sich nun gegen diesen gewandt.555 Godin wird nicht mit einem der Worte bezeichnet, die unter der Kategorie „Große“ summiert werden können. Sein Tod erfolgte kurz danach auf offenbar natürliche Weise.556 Die Aussagen unterscheiden sich zu den bisher untersuchten. Hier handelt es sich um eine einmalige Operation Chilperichs I. gegen nicht genau definierte Akteure aus dem Gebiet der Champagne. Weitgehend unklar ist, welches Ziel der Anführer Godin über die Eroberung der civitas hinaus verfolgt hat. Plünderungen erwähnt Gregor nicht. Daher ist wahrscheinlich, dass die militärische Operation mit der Erhebung des Merowech gegen seinen Vater Chilperich I. in Verbindung steht.557 Dafür spricht, dass Chilperich I. nach Gregor Merowech für die Operation des Godin verantwortlich sah, auch wenn Gregor dies für falsch hält.558 Widersprüchlich ist nämlich, dass Godin zwar von Sigibert I. zu Chilperich I. übergegangen war, diesen dann aber nicht wie den verstorbenen König verlassen hat.559 Die Beziehung zwischen ihm und Chil-
554 Greg. hist.: 5.3. 555 Greg. hist.: 5.3. 556 Greg. hist.: 5.3. 557 Merowech hatte kurz zuvor Brunhild, die Witwe des verstorbenen Sigibert I. geehelicht. Greg. hist.: 5.2. 558 Greg. hist.: 5.3. 559 Greg. hist.: 5.3.
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Quellenuntersuchung
perich I. war demnach kurz nach dem Tod Sigiberts I. noch intakt. Die Erhebung des Merowech als den Handlungsrahmen der Operation des Godin aufzufassen, erscheint auch daher plausibel. Dies muss allerdings nicht heißen, dass Merowech Godin dazu aufrief oder dieser Merowech unterstützen wollte. Bemerkenswert ist zudem, dass Godin im Gebiet der civitas Soissons Landgüter besaß, die er von einem König erhalten hat. Von welchem wird nicht mitgeteilt. Aber im Zusammenhang der Erzählung ist wahrscheinlich, dass Chilperich I. selbst dies war. Sie wurden nach der Niederlage eingezogen und an die Kirche des heiligen Medard verteilt.560 Godin hatte also aus einem geographisch nahe liegenden Gebiet Folgeleistungen organisiert und eine civitas anzugreifen, in der er selbst Landgüter besaß. Offenbar verfügte er über materielle Güter und Ressourcen wie im 5. Jahrhundert während der Erosion in Gallien aller Wahrscheinlichkeit nach auch Avitus, der spätere weströmische Kaiser, aber auch andere umfangreich Güter Besitzende in Lyon und in Narbonne. Trotzdem ist aber nicht einfach davon auszugehen, dass auch Godin eine Art Warlordism betrieb. Wahrscheinlich ist allerdings, dass ihm das Organisieren von Folgeleistungen nicht nur wegen des Symbolisierens oder Offerierens von Erwerbschancen, sondern wohl eher wegen seiner Verfügung über materielle Güter und Ressourcen möglich war. Mit der Figur Godins wird in den decem libri historiarum der Zusammenhang von materiellen Gütern und Ressourcen sowie dem Organisieren von Folgeleistungen erstmals soweit nachvollziehbar (wenn auch nicht in kausaler Erzählkonstruktion evident), dass ein herausragender Akteur in seinem Herausragen zwischen der Verfügung über materielle Güter und Ressourcen sowie sozialen Beziehungen deutlicher verortet werden kann. Andere herausragende Akteure – wie Roccolen und Dracolen – haben zwar aller Wahrscheinlichkeit nach Folgeleistungen eigenständig organisiert; doch fehlt ein Bezug zur Verfügung über materielle Güter und Ressourcen. Für Ursio und Berthefred sind zwar beide Aspekte auch fassbar – dies aber nicht derart deutlich wie bei Godin. Für die Aussagen zu den lokal- und regional-strukturellen Administratoren gilt, dass ihr Organisieren von Folgeleistungen zum einen mit ihrer Konstellation zu den Königen im parzellierten Strukturierungszusammenhang und zum anderen mit der Substitution der Könige als Anführer bei den militärischen Operationen zusammenhängend zu beschreiben ist: Sie symbolisierten und offerierten nun wie die Könige zur Zeit Chlodwigs I. und zur Zeit der ersten Generation nach ihm Erwerbschancen für Akteure im Kriegermodus. Die Aussagen zum regionalen Konflikt im Handlungsrahmen der Erhebung des Merowech gegen seinen Vater haben also zwar durchaus Parallelen zu den Aussagen, die für die Fundierung der konvergenten Formen des Warlordism verwendet worden sind. Wichtiger ist es jedoch für die Formulierung der Ergebnisse ihrer Untersuchung abschließend noch einmal zu betonen: Der regionale Konflikt zwischen einem herausragenden Akteur, der über materielle Güter und Ressourcen durch einen König verfügte
560 Greg. hist.: 5.3.
Aussagen zu der zweiten Generation nach Chlodwig I.
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und Folgeleistungen gegen einen König organisieren konnte, fand statt, weil dieser Akteure einem Merowingerkönig eben ähnlich geworden war.
4.4 Aussagen bis zum Tod des Prätendenten Gundowald: Gallien 584–585 Das Kontinuum ist, obwohl es nur ein Jahr in Gallien umfasst, durch relativ viele Aussagen repräsentiert. Sie lassen sich in differente analytische Kontexte gliedern, die an bisherige Ergebnisse anschließen: Nicht nur Aussagen zu militärischen Operationen und Aussagen zu lokalen und regionalen Konflikten können untersucht werden. Die Relevanz des Plünderns wird dabei auch hinsichtlich der Konsolidierung der Präsenz König Guntrams nach dem Tod seines Halbbruders Chilperich I. 584 erfragt.561 Dabei werden zudem Aussagen zum Einziehen und zum Verteilen untersucht. Guntram begann nach dem Tod seines Halbbruders, dessen noch im Kleinkindalter befindlichen Sohn Chlothar und dessen Mutter Fredegunde gegen die Übergriffe562 von Akteuren aus dem Teilstrukturierungszusammenhang Childeberts II., der kurz danach volljährig wurde,563 militärisch wie persönlich zu verteidigen. Auch den Mörder seines Halbbruders versuchte er zu finden.564 Ebenso versuchte Guntram die ökonomischen Verhältnisse, die einige der herausragenden Akteure betrafen,565 zu restaurieren. Währenddessen kehrte Gundowald, der sich vom gallischen Festland entfernt hatte,566 zurück567 und erhob erneut Anspruch, als König anerkannt zu werden. Dies führte zu einer weiteren militärischen Operation nach dem Tod Chilperichs I.
561 Zur Datierung Greg. hist.: 6.33. 562 Greg. hist.: 7.5; 7.6 und 7.7. 563 Im zehnten Jahr Childeberts II., also 585. Greg. hist.: 7.33. Zur Datierung Greg. hist.: 7.24. 564 Die Gesandten Childeberts II. bezichtigen Fredegunde der Anstiftung des Mordes an Chilperich I. Greg. hist.: 7.7. Sie aber bezichtigt den cubicularius Eberulf. Er wird dann von Guntram verfolgt. Greg. hist.: 7.21. Auf die Aussagen zur Schuld der Fredegunde an dem Mord wurde noch im 8. Jahrhundert rekurriert. Lib. hist. franc.: 36. Der Autor des liber historiae francorum ist nicht bekannt. Vgl. Gerberding, Liber Historiae Francorum: S. 159 ff. Da er besonders über das Geschehen in dem Neustria genannten geographischen Raum Nordwestgalliens erzählt, wird angenommen, dass er oder sie in diesem Bereich lebte oder dorthin Beziehungen hatte. Der Autor oder die Autorin rekurrierte dabei auf die ersten sechs Bücher der decem libri historiarum aber auch auf andere Informationen zu der Zeit bis 592. Vgl. Bachrach, in: ed. Bachrach Liber Historiae Francorum: S. 17–22. Selbstredend müssen diese Rekurse äußerst kritisch betrachtet werden, denn sie überbrücken eine zeitliche Distanz von 200 Jahren. Zu den Informationen aus der Traditionsform zur Figur der Fredegunde Plassmann, Origo gentis: S. 185. 565 Greg. hist.: 7.7 und 7.19. 566 Greg. hist.: 6.24. Dies war 582. Zur Datierung Greg. hist.: 6.14. 567 Greg. hist.: 7.10. 584 war Gundowald wieder auf dem gallischen Festland zugegen. Zur Datierung Greg. hist.: 6.33. Wann genau er zurückgekehrt ist, ist aber nicht mit Sicherheit zu eruieren.
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Quellenuntersuchung
Es bietet sich an, das Unterkapitel in drei Bereiche zu gliedern: Begonnen wird mit der Untersuchung von Quellenaussagen bezüglich der Konsolidierung der Präsenz Guntrams. Danach werden Aussagen zu einem regionalen Konflikt untersucht. Für die Bildung des analytischen Kontextes wird die Leitfrage modifiziert. Erfragt werden die Effekte des Raubens und Plünderns auf das sesshaft-sozioökonomische Leben. Abschließend werden die Aussagen zur militärischen Operation gegen Gundowald untersucht.
4.4.1 Die Konsolidierung der Präsenz König Guntrams in Gallien Chilperich I. erlag 584 einem Mordanschlag, als er sich auf einem Hof in der Nähe von Paris befand.568 Nur einer seiner vielen Söhne569 war zu dieser Zeit noch am Leben. Der im Säuglingsalter befindliche Junge wurde auf den Namen Chlothar getauft und von seiner Mutter Fredegunde König Guntram vorgestellt. Sie war mit einigen ihrer Schätze nach Paris in die dortige Kirche geflohen570 und hatte an Guntram Gesandte geschickt, damit er die civitates ihres Gatten an sich nimmt.571 Guntram zog daraufhin mit ihm Folgeleistenden nach Paris und nahm Fredegunde und ihren Sohn Chlothar unter seinen Schutz gegen diejenigen, die im Namen Childeberts II. mit dem nicht ganz volljährigen König572 in Richtung Paris vorrückten. Die nach ihrer Ankunft beginnenden Verhandlungen führten jedoch nicht zu den von ihnen gewünschten Ergebnissen: Weder wollte Guntram die Verträge, die bei der Adoption Childeberts II. geschlossen worden waren,573 aufrecht halten,574 noch ihm einige der civitates aus dem Teilstrukturierungszusammenhang Sigiberts I., dem leiblichen Vater Childe berts II., zurückgegeben. Sigibert I. hatte Verträge gebrochen. Sie besagten, dass wenn ein Merowinger in Paris einziehen würde, er jene civitates aus dem Teilstrukturierungszusammenhang Chariberts verliert, die er nach dessen Tod erhalten hatte.575 Auch wurde Fredegunde auf die Bitten einer zweiten Gesandtschaft nicht ausgeliefert,
568 Greg. hist.: 6.46. 569 Mit Audovera hatte Chilperich I. drei Söhne. Ihre Namen lauten Theudebert, Merowech und Chlodwig. Greg. hist.: 4.28. Mit Fredegunde hatte Chilperich I. fünf Söhne. Ihre Namen lauten Samson, Chlodobert, Dagobert, Theuderich und Chlothar. Greg. hist.: 5.22; 5.34; 6.34 und 6.41. Überblickend Ewig, Namensgebung: S. 202. 570 Greg. hist.: 7.4. 571 Greg. hist.: 7.5. 572 Zur Unmündigkeit Offergeld, Regis pueri: S. 201–214 sowie Schneider, Königserhebung: S. 94 ff. und S. 116 f. 573 Zur Adoption Greg. hist.: 5.17. Sie fand 576 statt. Zur Datierung Greg. hist.: 5.14. Zur Erfüllung dieser Verträge Greg. hist.: 6.33. 574 Greg. hist.: 7.6. 575 Greg. hist.: 7.6.
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obwohl sie der Urheberschaft des Mordes an Chilperich I. bezichtigt worden war.576 Nach den gescheiterten Verhandlungen nahmen Ansolad und weitere herausragende Akteure den civitates Chilperichs I. einen Eid auf Guntram und Chlothar II. ab, der nun im Alter von vier Monaten zum König wurde.577 Damit war die Konsolidierung der Präsenz Guntrams aber noch nicht vollzogen. 4.4.1.1 Die militärischen Operationen gegen civitates Die militärischen Operationen gegen die civitates, die Sigibert I. aus dem Erbe Chariberts erhalten hatte, begannen, nachdem die von König Guntram ausgesandten und namentlich von Gregor nicht genauer bestimmten comites in den civitates Tours und Poitiers abgewiesen wurden. Die comites sollten die Bevölkerungen der civitates dazu bewegen auf die Seite Guntrams überzutreten.578 Daher sollte ein Eid geleistet werden. Aber die Bevölkerung von Tours wollte im Teilstrukturierungszusammenhang Childeberts II. bleiben. Folgeleistungen von Bevölkerungsteilen aus der civitas Bourges wurden daher organisiert und es kam zu Bränden der Kirchengebäude in Tours, die dazu führten, dass die dortige Bevölkerung doch zu Guntram überging.579 Die militärische Operation wurde danach gegen Poitiers fortgesetzt. Dort war der als dux bezeichnete Gararich – für den unklar bleibt,580 ob er in einer regional-strukturellen Administratorenposition tätig war – eingetroffen. Er konnte zuvor bereits die civitas Limoges für Childebert II. gewinnen. In Poitiers versuchte er nun die Bevölkerungen von Tours und Poitiers auch an den eidlichen Übertritten zu hindern und zog sich zurück, nachdem die militärische Operation in Tours begonnen hatte, um Folgeleistungen zu organisieren. Nur der cubicularius Ebero wurde von ihm in Poitiers zurückgelassen.581 Von Tours aus begann der comes Willachar von Orléans, der auch in Tours nach dem Sieg über die Bevölkerung der civitas administrativ tätig wurde,582 mit Sichar583 die militärischen Operation gegen Poitiers vorzubereiten: Von der einen Seite sollten Akteure aus Bourges und von der anderen Akteure aus Tours in
576 Greg. hist.: 7.7. 577 „Prioribus quoque de regno Chilperici, ut erat Ansovaldus, et reliqui ad filium eius, qui erat, ut superius diximus, quattuor mensuum, se colligerunt, quem Chlotharium vocitaverunt, exegentes sacramenta per civitates, quae ad Chilpericum prius aspexerant, ut scilicit fidelis esse debeant Gunthchramno rege ac nepote suo Chlothario.“ Greg. hist.: 7.7. Zur ersten Bezeichnung Chlothars II. mit rex Greg. hist.: 7.14. 578 Greg. hist.: 7.12. 579 Greg. hist.: 7.12. 580 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 26. 581 Greg. hist.: 7.13. Dazu Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 83. 582 Greg. hist.: 7.13. 583 Greg. hist.: 7.13. Die Identität dieses Mannes mit Namen Sichar mit dem Sichar, dessen Figur einer der Protagonisten der bella civilia in Tours ist, ist nicht sicher; aufgrund der Verortung beider in der civitas Tours zumindest aber wahrscheinlich. Greg. hist.: 7.47 und 9.19.
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das Gebiet der civitas einfallen, Brände legen und plündern.584 Als die Operation beginnen sollte, wurde durch die Bevölkerung von Poitiers der eidliche Übertritt zu Guntram vollzogen.585 Ziel der Operationen waren Eidesleistungen der Bevölkerung oder auch nur von Bevölkerungsteilen der beiden civitates. Wer genau davon betroffen war, ist nicht mehr exakt zu eruieren. Dazu wird – als die Eidesleistungen nicht erfolgen – gewaltsam vorgegangen. Plünderungen werden in den Aussagen zur militärischen Operation in Tours nicht erwähnt. Da sie aber in denen zur militärischen Operation in Poitiers vorkommen, sind sie auch für die Operation im Gebiet von Tours nicht vollkommen auszuschließen. Einen schädigenden Effekt für die Bevölkerung der civitas ähnlich der Brände hätten auch sie gehabt.586 Auffällig ist, dass die Bevölkerung sich nicht gegen die Brände wehrt, obwohl nach der Eidesleistung auch Folgeleistungen von Bevölkerungsteilen aus Tours organisiert werden, als die Operation gegen die civitas Poitiers geplant wird. Offenbar wurden von den Bewohnern der civitas die Schädigungen hingenommen und ihre Beendigung durch die Eidesleistungen erwirkt, so dass umgehend neue Erwerbschancen für Bevölkerungsteile der civitas Tours bei dem Organisieren von Folgeleistungen für die militärische Operation gegen Poitiers möglich wurden. Zwar war mit den Chancen auf Plünderungen keine äquivalente Kompensation der Schädigungen gegeben und kirchliche Akteure konnten bei der Operation erst gar keine Folge leisten; jedoch ist dies unter Berücksichtigung der Aussagen zur militärischen Operation gegen Poitiers für die Erklärung der nicht vorhandenen Abwehrversuche nicht unwahrscheinlich. Hinzu kommt, dass Bevölkerungsteile aus Tours sich nach der zweiten Operation gegen Poitiers der Kriegergemeinschaft Guntrams anschlossen, um zu plündern;587 dann aber selbst von Bevölkerungsteilen von Poitiers ausgeplündert wurden.588 Die Chancen auf Erwerb waren also weiterhin für das Organisieren von Folgeleistungen relevant: Das Ausbleiben von Abwehrversuchen bei militärischen Operationen gegen die civitas der eigenen Herkunft war kein endgültiger Schaden, da materielle Güter und Ressourcen wieder erworben werden konnten.589 Zu einer weiteren militärischen Operation gegen Poitiers kam es zu Beginn des Jahres 585.590 Poitiers hatte den Eid gegenüber König Guntram gebrochen. Daher
584 Vgl. Bodmer, Krieger: S. 81 ff. 585 Greg. hist.: 7.13. 586 Vgl. Bodmer, Krieger: S. 81–83. 587 Greg. hist.: 7.28. 588 „Post haec exercitus ab urbe Pectava remotus inantea post Gundovaldum proficiscitur. Secutique sunt eum de Toronicis multi lucri causa; sed Pectavis super se inruentibus, nonnulli interempti, plurimi vero spoliati redierunt.“ Greg. hist.: 7.28. 589 In diesem Erzählzusammenhang für den Raub Greg. hist.: 7.22. In diesem Erzählzusammenhang für das Plündern Greg. hist.: 7.28. 590 Zur Datierung Greg. hist.: 7.24.
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wurden Folgeleistungen organisiert. Dies betraf differente Gemeinschaften. Gregor erzählt, dass die gentes aus dem Teilstrukturierungszusammenhang (gentibus regni sui) des Königs mit Bevölkerungsteilen von Bourges und Orléans gegen Poitiers militärisch operieren sollen.591 Zuvor wird jedoch eine Gesandtschaft an den Bischof Marowech von Poitiers abgeschickt, die er aber abweist, worauf Zerstörungen und Plünderungen in Poitiers beginnen.592 Zusätzlich wird in dem Gebiet Tours geplündert, obwohl die civitas – nach Gregor – die Verbindlichkeiten der Eidesleistungen nicht gebrochen hat.593 Auch Marileif, der vormalige Leibarzt Chilperichs I., wird ausgeplündert.594 Er war als besitzender Mann von Plünderungen schon bei vorherigen Operationen betroffen.595 Die militärische Operation endet erst, als der Bischof von Poitiers Kirchengerät zu Goldmünzen schlagen lässt und diese den Angreifern übergibt.596 Die Frage, welche Verbindlichkeiten der Eid implizierte und in welcher Weise die Bevölkerung von Poitiers oder auch nur der Bischof der civitas diese verletzt hat, ist nicht zu beantworten. Sicher ist nur, dass die fides dort gebrochen wurde. Damit kann allerdings nur festgestellt werden, dass zu erfüllende Aspekte einfach nicht mehr erfüllt wurden.597 Angenommen werden kann, dass Abgaben nicht geleistet wurden oder ein Kontakt zu König Childebert II.598 oder zu Gundowald599 stattfand. Eine Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen ist aber mit Sicherheit zu attestieren, wobei beachtet werden muss, dass die Plünderungen nicht nur im geographischen Rahmen der militärischen Operation stattfanden, sondern auch in Tours: Erwerbschancen wurden hier in Plünderungen umgesetzt. Dabei wurde aber der geographische Rahmen nicht eingehalten. Deshalb wurde das eigentliche Ziel der militärischen Operation, nämlich die erneute Eidesleistung, nicht erreicht. Akteure, die in den Kriegermodus übergegangen sind, wurden also abseits des Operationsziels erwerbend tätig. Dies ermöglicht zum einen festzuhalten, dass das Plündern als Erwerbsweise weiterhin relevant war für das Organisieren von Folgeleistungen. Zum anderen zeigt sich deutlich eine Differenz zwischen dem Ziel der militärischen Operation und dem Erwerb durch die Akteure: Die Operation war für den König in ihrem Ziel etwas anderes als für die Folge leistenden Akteure im Kriegermodus in ihrer Praxis und der König selbst wurde daher letztlich indirekt ökonomisch geschädigt.
591 Greg. hist.: 7.24. 592 Greg. hist.: 7.24. 593 Greg. hist.: 7.34. 594 Greg. hist.: 7.35. 595 Greg. hist.: 5.14. 596 Greg. hist.: 7.34. 597 Vgl. Graf, Art. Treueid: S. 231. 598 Ein Bündnis zwischen Childebert II. und Guntram mit einer Wiederholung der Adoptionsrituale wurde erst kurz vor dem endgültigen Sieg gegen Gundowald vollzogen. Greg. hist.: 7.33. 599 Die Annahme ist plausibel, da es Aussagen dazu gibt, dass Gundowald mit der ihm Folge leistenden Kriegergemeinschaft nach Poitiers ziehen wollte. Greg. hist.: 7.26.
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4.4.1.2 Das Einziehen und das Verteilen nach dem Tod König Chilperichs I. In diesem Kontinuum sind relativ viele Aussagen zum Einziehen und zum Verteilen gegeben. Eine dazugehörige Erzählung wurde bereits angesprochen. Sie umfasst Aussagen zur Rückgabe von thesauri an den als dux bezeichneten Ragnovald.600 Er hatte zuvor die Niederlage gegen die duces Desiderius und Bladast erlitten, die zur Eroberung der südwestgallischen civitates Guntrams führte.601 Daher ist anzunehmen, dass Chilperich I. danach die thesauri des Ragnovald einzog und Guntram ihm diese zurückgab, da Ragnovald die südwestlichen civitates für ihn zu verteidigen suchte. Dies ist wahrscheinlich, da die Rückgabe als eine Art des Verteilens durch Guntram auch in weiteren Fällen vollzogen wurde: Er verteilte all die Güter an die rechtmäßigen Besitzer zurück, welche sich die dem verstorbenen König Nahestehenden (fidelis regis Chilperici; potentes cum rege)602 auf illegitim gedeutete Weise angeeignet hatten.603 Auch verteilte Guntram materielle Güter und Ressourcen an die Kirchen und die Armen. Zudem setzte er die Testamente um, die die Kirchen als Erben auswiesen, von Chilperich I. aber ausgesetzt worden waren.604 Guntram entsprach hierbei den synodalen Bestimmungen605 und wird auch daher von Gregor hinsichtlich der Verteilungspraxis positiv gewertet.606 Diese Aussagen ermöglichen die Annahme, dass die Konsolidierung der Präsenz König Guntrams nach dem Tod Chilperichs I. verstärkt über die Verteilenspraxis versucht worden ist. Entgegen den militärischen Operationen waren von der Praktik nicht nur einzelne civitates in ihren Einheiten, sondern unterschiedliche Akteure in unterschiedlichen geographischen Räumen Galliens betroffen. Von einer Programmatik der Verteilung Guntrams auszugehen, die unter den christlichen Handlungsnormen als richtig oder gut zu werten war, greift trotz der positiven Wertung Gregors in weiteren Kapiteln der decem libri historiarum607 aus mehreren Gründen zu kurz: Zum einen hat der Bischof auch Informationen zur Verteilung an Arme und Kirchen durch den sehr negativ gewerteten Chilperich I. literarisch verarbeitet.608 Ein solches Vorgehen ist also kein Alleinstellungsmerkmal Guntrams. Tatsächlich können aber die Aussagen zu den
600 Greg. hist.: 7.10. 601 Greg. hist.: 6.12. 602 Greg. hist.: 7.7 und 7.19. 603 Greg. hist.: 7.7 und 7.19. 604 Greg. hist.: 7.7. 605 Überblickend Pontal, Synoden: S. 84 und S. 89 f. 606 „Gunthchramnus vero rex omnia, quae fidelis regis Chilperici non recte diversis abstulerant, iusticia intercedente, restituit, multa et ipsi eclesiis conferens; testamenta quoque defunctorum, qui eclesias heredis instituerant et ad Chilperico conpressa fuerant, restauravit, multisque se benignum exhibens ac multa pauperibus tribuens.“ Greg. hist.: 7.7. 607 Beispielsweise: „Gunthchramnus autem rex bonus primo Venerandam, cuiusdam suorum ancillam, pro concubina toro subiunxit;[…]“ Greg. hist.: 4.25. Zu seiner positiven Wertung Guntrams Heinzelmann, Gregor: S. 51 ff. 608 „Multa postea Chilpericus rex eclesiis sive basilicis vel pauperibus est largitus.“ Greg. hist.: 5.34.
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Rückgaben ihrer Richtung nach als einheitlich beschrieben werden: Das sesshaftsozioökonomische Leben wird unter Beachtung des als rechtmäßig Gedeuteten gefördert, indem diejenigen, denen etwas gehörte, dies wieder erhalten und die Kirchen den von Klerikern gesetzten Normen nach behandelt werden. Jedoch darf dabei nicht übersehen werden, dass der Bischof Gregor Informationen und Phänomene unter christlichen Handlungsnormen deutend literarisch verarbeitet hat und das Rechtmäßige an den Handlungen Guntrams auf diese Weise literarisch erst produziert. Sicher ist, dass einige der von den Rückgaben betroffenen Akteure nicht nur an Gütern und Ressourcen gewannen, sondern auch verloren. Auch wenn Gregor deren Art der Aneignung als illegitim deutete und erzählt, muss dies keine allgemeine Wertung ihrer Aneignungspraktiken gewesen sein. Die Rückgaben sind also auch Bestrafungen und damit ist nicht einfach das sesshaft-sozioökonomische Leben, sondern sind ganz spezifische Akteure ihren Handlungen nach gefördert worden, was für andere wiederum einen ökonomischen Schaden ergab. Die Konsolidierung durch das Verteilen als Rückgaben führte also eher zur Genese wie auch Verstetigung sozialer Beziehungen und zur Problematik der Schädigung anderer Beziehungen. Daher wird nachvollziehbar, warum Guntram sich in der Kirche von Paris an die Anwesenden wandte und darum bat, dass er nicht wie seine Brüder getötet werden möge:609 Seine Handlungen führten zu Aversionen gegen ihn und dies war prinzipiell mit seiner Position als König verbunden, da das grundlegende Paradoxon des parzellierten Strukturierungszusammenhangs es den Menschen zu jeder Zeit ermöglichte, mit als illegitim gedeuteten Praktiken (wie dem Plündern und dem Rauben) die sozioökonomischen Verhältnisse abseits und entgegen dem Inhaber der Königsposition zu ändern. Ein Merowingerkönig, der diesen Praktiken entgegenstand, war in der Gefahr, getötet zu werden. Daher ist es eher widersinnig, wegen der Aussagen zur Verteilungspraxis König Guntrams von einer Programmatik seinerseits zu sprechen, denn einer der ihn selbst betreffenden Effekte war die Aversion von Teilen der Bevölkerung gegen ihn. Eindeutiger ist der Aspekt des Bestrafens durch das Einziehen in anderen Aussagen zu fassen. Sie betreffen Eberulf, den cubicularius Chilperichs I.610 Fredegunde beschuldigte ihn, den Mord ihres Gatten beauftragt zu haben, worauf Guntram ihn zu töten wünschte. Daher floh Eberulf in die Hauptkirche nach Tours.611 Eberulf war einer der Akteure, die sich durch illegitim gedeutete Praktiken einen umfangreichen Besitzstand verschafften und daher auch nach seiner Flucht als herausragender Akteur zu beschreiben ist. Fredegunde beschuldigte ihn nicht nur des Mordes, sondern auch, dass er aus dem thesaurus ihres Gatten geraubt habe.612 Er raubte
609 Greg. hist.: 7.8. 610 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 84. 611 Greg. hist.: 7.21. 612 Greg. hist.: 7.21.
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zuvor in Tours Nahrungsmittel und eignete sich Häuser gewaltsam an,613 was die Annahme erlaubt, dass Eberulf in der civitas Tours beheimatet war.614 Dies wird noch dadurch wahrscheinlicher, dass Gregor seinen Sohn aus der Taufe gehoben hat.615 Noch während er in der Kirche verweilte und Schutz vor seinen Verfolgern suchte, versuchte Eberulf Kirchengeräte zu rauben.616 Bei der Einziehung materieller Güter und Ressourcen Eberulfs wurde nach den Gütern unterschiedlich vorgegangen. Die an Eberulf verteilten Landgüter wurden über das Abgabensystem eingezogen, während Guntram das Gold, das Silber und andere Güter persönlich einzog.617 Alles wurde aber an andere Akteure verteilt.618 Im Gegensatz zu den Aussagen zu Einziehungen vor dem Tod Chilperichs I. wird hier eine Differenz zwischen dem Bestand des Abgabensystems und dem thesaurus des Königs sichtbar. Doch ist in der Erzählung Gregors zum Tod des Eberulf erneut von Einziehungen der restlichen Güter des Eberulf und ihrer Verteilung an die dem König Nahestehenden zu lesen, ohne dass eine solche Differenz fassbar ist.619 Es ist daher in Anbetracht der unterschiedlichen Einziehungsweisen nicht von einer Normierung, sondern von der Optionalität der Könige selbst bei den Einziehungen auszugehen.620 Die Erzählungen zu Eberulfs umfassen für die Konsolidierung der Präsenz König Guntrams weitere Aussagen: Sie zeigen vor allem das ambivalente Verhältnis des Inhabers der Königsposition zu Akteuren in Gallien bei der Konsolidierung seiner Präsenz und bei der Realisierung von Zielen. König Guntram hatte Folgeleistungen von Bevölkerungsteilen aus den civitates Orléans und Blois organisiert, damit sie abwechselnd die civitas Tours bewachten und sicherstellten, dass Eberulf die Kirche zu Tours nicht verlassen kann. Dabei kam es zu Plünderungen des Gebiets von Tours und des Viehs der dortigen Kirche.621 Guntram, der zuvor an die Kirchen umfangreiche materielle Güter und Ressourcen verteilt hatte, schädigte also indirekt die Kirche von Tours ökonomisch, da er die civitas bewachen lassen musste, um Eberulf zu stellen. Auch wurde ein Haus, dass Eberulf sich zuvor unrechter Weise von der Kirche in Tours angeeignet hat, ausgeraubt. Unklar ist zwar, wer genau die Nahrungsmittel daraus raubte.622 Es ist aber nicht unplausibel, dass
613 Greg. hist.: 7.22. 614 Greg. hist.: 7.22 und 7.29. Zur Annahme Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 84. 615 Greg. hist.: 7.22. 616 Greg. hist.: 7.22. 617 „Aurum argentumque vel alias meliores species, quas secum retenebat, in medio exposuit; quod vero conmendatum habuit, publicatum est. Greges etiam aequorum, porcorum iumentorumque diripiuntur.“ Greg. hist.: 7.22. 618 Greg. hist.: 7.22 und 7.29. 619 Greg. hist.: 7.29. 620 Zur Annahme Kaiser, Steuer: S. 8 f.; Goffart, Taxation: S. 10 f. und Hardt, Gold: S. 145 ff. 621 Greg. hist.: 7.21. 622 Greg. hist.: 7.22.
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nicht nur Bevölkerungsteile von Orléans und Blois, sondern auch von Tours damit begannen, die Güter des Eberulf zu rauben. Dass die Kleriker den Plünderungen und dem Raub nicht vollkommen ausgeliefert waren, ist mit der Erzählung zum Tod des Eberulf zu zeigen: Guntram entsendet einen Mann namens Claudius, der Eberulf aus der Kirche in Tours tot oder lebendig herausholen soll. Gregor betont dabei ausdrücklich, dass Guntram der Kirche keinen Schaden zufügen wolle.623 Claudius zieht zum comes von Châteaudun und lässt durch ihn Folgeleistungen von Bevölkerungsteilen organisieren, um dann aber nicht auf die Folgeleistenden zu warten und nur mit Wenigen nach Tours zu ziehen.624 Nachdem er dort Eberulf mit Hilfe dieser töten kann, kommt es in der Kammer des Abtes zu einer gewaltsamen Konfrontation mit denen, die Eberulf zuvor Folge geleistet hatten.625 Dem Abt kommen daraufhin Hausarme der Kirche und andere Arme (matricolariorum et reliquorum pauperum), wie auch Besessene und weitere Arme (inergumini ac diversi egeni) bewaffnet zur Hilfe. Diese töten dann die Fremden in der Kammer.626 Mit den Aussagen aus dieser und der vorherigen Erzählung wird erneut die Diskrepanz zwischen literarisch verarbeiteten Informationen Gregors und seiner Deutung nachvollziehbar. Guntram, der rex bonus,627 war zwar als König am Raub und den Plünderungen in Tours nicht direkt beteiligt. Die Bewachung der civitas war aber eine Maßnahme seinerseits. Daher war er an der erneuten Dynamisierung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens dort indirekt beteiligt. Gregor schreibt aber, dass Guntram die Kirche nicht schädigen wollte, und lässt seine Figur nach den Kampfhandlungen in der Kammer des Abtes zornig werden.628 Er deutet also die Informationen und Phänomene in der Art, dass Guntram nicht für das Plündern und Rauben verantwortlich ist. Der König hat für ihn offenbar nicht die Handlungsfähigkeit, Plünderungen auch bei von ihm begonnenen militärischen Operationen zu verhindern, wenn er persönlich nicht anwesend ist. Damit wird die Differenzierung der Kriegergemeinschaften von den Königen erneut aus einer anderen Perspektive deutlich: nämlich der des Autors selbst. Auch die literarisch verarbeiteten Informationen zu den Kampfhandlungen – es ist sicher, dass Gregor diese Ereignisse in Tours als der Bischof der civitas nicht selbst gesehen hat629 – lassen von einer Diskrepanz sprechen. Diese aber bezieht sich auf die Normen der Kirche und die Handlungen der von ihr in Tours ökonomisch Abhängigen. Ähnlich wie im Fall einiger der Erzählungen zu Chlodwig I. kritisiert Gregor auch hier nicht Handlungen, die entgegen den Hand-
623 Greg. hist.: 7.29. 624 Greg. hist.: 7.29. 625 Greg. hist.: 7.29. 626 Greg. hist.: 7.29. 627 Greg. hist.: 4.25. 628 Greg. hist.: 7.29. 629 Greg. hist.: 7.29.
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lungsnormen vollzogen wurden. Abschließend ist für die Konsolidierung der Präsenz Guntrams summierend festzuhalten, dass Guntram sich nach 584 nicht nur von den Kriegergemeinschaften differenziert hat, die der König für die Konsolidierung seiner Präsenz durch militärische Operationen brauchte. Das Einziehen und das Verteilen als Praktiken führten zu Aversionen gegen ihn. Das sesshaft-sozioökonomische Leben wurde also weiterhin dynamisiert, auch wenn Gregor dies nicht direkt mit Guntram in Verbindung bringt.
4.4.2 Ein regionaler Konflikt: Die Dynamisierung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens in Gallien III Nur zu einem regionalen Konflikt sind Aussagen für das Kontinuum zwischen 584 und 585 in Gallien vorhanden. Diese unterscheiden sich von den bisher untersuchten Aussagen zu lokalen und regionalen Konflikten: Weder waren Anführer von Siedlungsgemeinschaften noch herausragende Akteure beteiligt: Kurz nach dem Tod Chilperichs I. raubten Bevölkerungsteile der civitates Orléans und Blois gemeinschaftlich die Bevölkerung von Châteaudun aus.630 Diese wiederum zogen mit einigen Bewohnern von Chartres nun gegen die civitates von Orléans und Blois, um dort ebenfalls zu rauben. Das gelang ihnen auch, so dass weitere gewaltsame Konflikte entstanden. Diese konnten erst zu einem Ende geführt werden, als die comites der civitates in den Konflikt eingriffen und gerichtliche Verfahren anstrengten, um die ökonomischen Schädigungen zu beheben.631 Die Aussagen zu dem Regionalkonflikt umfassen keine Motive derjenigen, die ihn begannen. Auch Anführer der Konfliktparteien werden nicht genannt. Erst beim Friedensschluss werden comites erwähnt, die offenbar nicht am Raub beteiligt waren. Die Annahme, dass die Dynamisierung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens bereits um 584 derart ausgeprägt war, dass Raub als normale Praktik der Bevölkerung in Gallien oder zumindest von Bevölkerungsteilen zu bezeichnen ist, geht allein auf der Basis dieser Aussagen zu weit, da nur ein einziger derartiger Konflikt erzählt wird. In den vorherigen Unterkapiteln sind aber bereits Aussagen zu ähnlich gelagerten Fällen untersucht worden. Zudem kann nicht bestritten werden, dass auch diese Aussagen eindeutig dafür sprechen, dass die Dynamisierung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens zu Raub geführt hat, der ohne lokal- und regional-strukturelle Administratoren oder herausragende Akteure stattfand. Raub war demnach nicht abhängig von diesen Akteuren – und dass Raub auch nicht eine Praktik besonderer Akteure war, konnte bereits mehrfach herausgestellt werden. Dass Raub organisiert von Bevölkerungsteilen einzelner civitates stattfinden konnte und dass daraus weiterer Raub
630 Greg. hist.: 7.2. 631 Greg. hist.: 7.2.
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erwuchs, bestätigt dies nicht nur. Die Aussagen fundieren also die Annahme, dass das sesshaft-sozioökonomische Leben in Gallien durch die diskursive Prozessdynamik bedingt wurde und auf Mobilität beruhende Praktiken wie das Plündern und das Rauben es dynamisierten.
4.4.3 Die militärische Operation gegen den Prätendenten Gundowald Der Prätendent Gundowald war angeblich ein Sohn König Chlothars I. mit einer Frau, die nicht mit ihm verheiratet und auch nicht eine seiner gängigen Konkubinen war. Sie ließ ihm die Haare lang wachsen632 und sandte ihn zu Childebert I., der ihn bei sich aufnahm, aber zu Chlothar I. sandte, als er nach ihm verlangte. Dieser ließ ihm die Haare schneiden, da er Gundowald nicht als Sohn anerkannte. Nach dessen Tod lebte er bei Charibert und ließ sein Haar erneut wachsen, wurde aber später auf das Geheiß Sigiberts I. erneut geschoren und nach Köln verbannt. Von dort aus floh Gundowald nach Italien zu Narses und gelangte dann nach Konstantinopel an den Hof des oströmischen Kaisers.633 Später erschien er – nach Gregor auf Bitten einer bestimmten Person aus Gallien,634 bei der es sich, wie er an anderer Stelle schreibt, um Guntram Boso handelt635 – erneut in Gallien und führte umfangreiche Schätze mit sich. Dabei trat Gundowald mit Eunius Mummolus636 und einigen Bischöfen637 in Kontakt. Er wurde seiner Schätze aber nach seinem ersten Erscheinen beraubt, nachdem er sich noch vor dem Tod Chilperichs I. auf eine Insel zurückgezogen hatte.638 Nach Gregor waren unterschiedliche Akteure in Gallien daran interessiert, dass Gundowald als Prätendent auf eine Königsposition in Gallien erscheint.639 Es darf aber in Anbetracht anderer zeit-, aber nicht ortsnah schreibender Autoren nicht übersehen werden, dass oströmische Bemühungen um einen Rückgewinn von Gebieten in Westeuropa zu dieser Zeit stattfanden. Davon waren Italien640 und die Iberische Halbinsel betroffen.641 Auch das Erscheinen des Prätendenten Gundowald in Gallien mit seinen umfangreichen Schätzen aus Konstantinopel muss in diesem Zusammenhang betrachtet werden, wobei seine Kooperation mit gallischen Akteuren nicht
632 Zur Bedeutung des langen Haares für die Könige Diesenberger, Hair: S. 173–212. 633 Greg. hist.: 7.36. Vgl. Goffart, Gundovald: S. 94. 634 Greg. hist.: 6.24. 635 Greg. hist.: 7.36. Jedoch war auch Eunius Mummolus in Konstantinopel. Greg. glor. mart.: 30. Dazu Bachrach, War: S. 34 ff. 636 Greg. hist.: 6.24 und 6.26. 637 Greg. hist.: 6.24. 638 Greg. hist.: 6.24. 639 Überblickend Bachrach, War: S. 63–92. 640 Vgl. Goffart, Gundovald: S. 74–82. 641 Vgl. Bachrach, War: S. 42 ff.
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unbeachtet bleiben darf. Die Chance einer Durchsetzung des Prätendenten durch die Konsolidierung seiner Präsenz als König kann daher insgesamt als gallisch-oströmische Kooperation aufgefasst werden, da neben den Beziehungen zu gallischen Akteuren vor allem die aus Konstantinopel mitgeführten Schätze ein Mittel waren, das er auch bei seinem zweiten Erscheinen mit sich führte. 4.4.3.1 Die Konsolidierung der Präsenz Gundowalds: Die Relevanz materieller Güter und Ressourcen für das Organisieren von Folgeleistungen Das zweite Erscheinen Gundowalds wird von Gregor eher unmittelbar dargestellt, so dass nur als sicher bezeichnet werden kann, dass er 584642 wieder in Gallien war, während der Zeitpunkt seiner Rückkehr unsicher bleiben muss: Gundowald findet sich ohne größere Vorerzählung erneut bei Eunius Mummolus in der civitas Avignon ein, als Desiderius eintrifft. Dieser wird von Gregor ein Kapitel zuvor noch als dux bezeichnet, obwohl Chilperich I., dessen dux er als regional-struktureller Administrator im südwestgallischen Raum war,643 nicht mehr lebt.644 Zuvor war Desiderius mit den ihm Folgeleistenden in das ummauerte Zentrum der civitas Toulouse eingedrungen, in dem die Tochter des verstorbenen Königs mit den von ihrem Brautzug übriggebliebenen Begleitern und den restlichen Schätzen rastet. Rigunthe wird ihrer Schätze beraubt und ihr wird letztlich ein geringer Lebensunterhalt in Toulouse zugewiesen.645 Für die Frage nach der Relevanz materieller Güter und Ressourcen für das Organisieren von Folgeleistungen für die Konsolidierung der Präsenz Gundowalds sind die Aussagen zur Ankunft des Desiderius zu beachten. Die Annahme, er hätte die geraubten Schätze mit nach Avignon genommen und an Gundowald weitergegeben,646 ist nicht aufrecht zu halten – auch wenn an späterer Stelle erzählt wird, dass die geraubten Schätze der Rigunthe bei Gundowald seien,647 und einige der Anhänger Gundowalds unter Folter gestehen, dass er sich die Schätze angeeignet habe:648 Desiderius hatte die Schätze in Toulouse in einem Haus deponiert und einige Akteure zurückgelassen, um sie zu bewachen.649 Bereits vor der entscheidenden Belagerung hatte er sich wieder von Gundowald getrennt.650 Selbst dass Gundowald ihn bei dessen
642 Zur Datierung Greg. hist.: 6.33. 643 Greg. hist.: 6.12 und 6.31. Dazu Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 76–80. 644 Greg. hist.: 7.10. 645 Greg. hist.: 7.9. 646 Dazu Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 78. 647 Greg. hist.: 7.35. 648 Greg. hist.: 7.32. 649 „Ipse quoque, collectis secum viris fortissimis, Tholosam urbem ingreditur repertusque thesauros abstulit de potestate reginae et in domo quadam sub sigillorum munitione ac virorum fortium custodia mancipat, deputans reginae victum artum, donec ad urbem regrederetur.“ Greg. hist.: 7.9. 650 Greg. hist.: 7.35.
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längeren Aufenthalt in Bordeaux beraubte – zu dieser Zeit war Desiderius noch an der Seite des Prätendenten – steht nicht fest.651 Daher ist zumindest fraglich, ob Gundowald die restlichen Schätze der Rigunthe später erhalten hat.652 Sicher ist zumindest, dass Gundowald nicht umgehend und direkt von dem Raub des dux Desiderius profitierte. Auffällig an dem Sprachgebrauch Gregors ist jedoch, dass er Desiderius als dux bezeichnet, obwohl der König, durch den er in eine regional-strukturelle Position im südwestgallischen Raum gelangt ist,653 nicht mehr lebte und er sich nach dessen Tod gegen dessen nächste Familie wandte. Sicher ist, dass Desiderius in dem südwestgallischen Raum nur als dux in einer regional-strukturellen Administratorenposition tätig gewesen sein kann, nachdem die civitates dieses Gebiets von Chilperich I. erobert worden waren. Ansonsten müsste er auch als dux Sigiberts I. oder Guntrams in diesem geographischen Raum tätig gewesen sein, wofür aber jede Aussage fehlt. Im Gegenteil gibt es eine Aussage, nach der er im Gebiet der civitas Albi Sigibert I. geschädigt hat.654 Außerdem war er einer der Anführer von Folgeleistenden, die die civitates Guntrams in Südwestgallien für König Chilperich I. eroberten.655 Desiderius wird bereits bei seiner ersten Nennung als dux Chilperichs I. bezeichnet.656 Dies wird in den folgenden Erzählungen bis zur Eroberung der civitates Guntrams weiterhin getan: So war der dux Desiderius an der Inhaftierung Chlodwigs, des Sohnes Chilperichs I. beteiligt, als Gerüchte über seine Erhebung im Umlauf kamen.657 Erst nach der Eroberung der civitates, nach der die Bezeichnung dux ganz offenbar eine regional-strukturelle Administratorenposition betrifft, konnte er sich in dem Gebiet der civitas Albi einen umfangreichen Besitz aneignen.658 Jedoch ist unklar, ob er ihn auch durch die Verteilungen des Königs erhalten hat. Nicht nur, dass mit den Aussagen zum dux Desiderius die Komplexität des Gebrauchs des Wortes dux erneut deutlich gemacht werden kann. Auch die zeitliche Anordnung der Aussagen selbst ist bereits problematisch: Entweder Gregor gebrauchte das Wort dux zur Bezeichnung der Figur des Desiderius vorzeitig, da ihm
651 Greg. hist.: 7.31. Der Raub einer Reliquie ist hier ausdrücklich erwähnt. Der Raub der restlichen Schätze der Rigunthe ist es hingegen nicht. 652 Auch Gregor ist nicht ganz sicher, ob die Schätze, die Gundowald mit sich führte, von Rigunthe stammten: „Audierant enim eo tempore ducis Gunthchramni regis, Gundovaldum ultra Garonnam in litore resedere cum ingenti hostium multitudine ipsosque thesauros, quos Rigundae tulerat, secum retenere. Tunc, impetum factum, cum equitibus Garonnam nando transire, nonnullis de exercitu in amne dimersis. Reliqui litus egressi, requirentes Gundovaldum, invenerunt camellos cum ingenti pondere auri adque argenti sive equites, quos fessus per vias reliquerat.“ Greg. hist.: 7. 35. 653 Greg. hist.: 6.31. 654 Greg. hist.: 8.45. 655 Greg. hist.: 6.12. 656 Greg. hist.: 5.13. 657 Greg. hist.: 5.39. 658 Greg. hist.: 8.45.
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bekannt war, dass dieser ein dux Chilperichs I. nach den Eroberungen der südwestgallischen civitates Guntrams in regional-struktureller Administratorenposition war und später auch noch einmal nach dem Tod Gundowalds dort wurde.659 Oder der Bischof gebrauchte das Wort dux in einer Kontinuität, da er eine Differenzierung zwischen regional-strukturellen Administratoren und herausragenden Akteuren mit dem Wort dux gar nicht deutlich machen konnte, weil sie der Semantik des Wortes zu seiner Zeit nicht impliziert war. Dafür spricht nicht nur der unscharfe Gebrauch des Wortes im Allgemeinen, der zu der Debatte über die technischen und untechnischen Aspekte des Wortes dux geführt hat.660 Ein Gebundensein und ein Ungebundensein der Handlungen des Desiderius an Chilperich I. wie später auch an Guntram661 in den Quellenaussagen zu Desiderius ist zudem deutlich nachvollziehbar. Daher ist es möglich, einen partiellen Unterschied zwischen Handlungen der herausragenden Akteure und der Akteure in lokal- oder regional-strukturellen Administratorenposi tionen hinsichtlich ihres strukturellen Gebundenseins trotz des Gebrauchs von dux zu formulieren. Dies wiederum lässt die Annahme zu, dass die Handlungen aber nicht an sich eindeutig unterschiedlich waren: Desiderius handelte immer wie ein Akteur, der wegen dieser Handlungen als dux zu bezeichnen ist – mal in einer regional-strukturellen Administratorenposition und mal nicht. Dieses Untersuchungsergebnis bedeutet hinsichtlich der Relevanz materieller Güter und Ressourcen für das Organisieren von Folgeleistungen bezüglich der Konsolidierung der Präsenz Gundowalds: Desiderius, ein im Gebiet von Albi begüterter Mann, organisierte Folgeleistungen, raubte Schätze in Toulouse und zog dann zu Gundowald, so dass Eines sehr wahrscheinlich wird: Materielle Güter und Ressourcen waren für das Organisieren von Folgleistungen – ob nur wegen der Verfügbarkeit darüber oder wegen des Raubens dieser – durch Desiderius relevant. Die Schätze gab Desiderius aber nicht an Gundowald. Daher ist weiter nicht unwahrscheinlich, dass der als dux bezeichnete Desiderius zu dieser Zeit als herausragender Akteur durch Warlordism Gundowald nach dem Raub unterstützen konnte – nicht, weil er ihm materielle Güter und Ressourcen gab, sondern weil er fähig war, aufgrund der Güter und Ressourcen und durch Raub solcher Folgeleistungen zu organisieren. Dieser im Fall der zeit- und ortsnah geschriebenen Aussagen zu Desiderius indizierte Annahmenzusammenhang lässt sich auch auf die Aussagen zu Eunius Mummolus und Guntram Boso sowie Bladast und Waddo anwenden, die ebenfalls mit Gundowald kooperierten.
659 Greg. hist.: 8.27. 660 Vgl. Claude, Comitat: S. 1–75. Der Beitrag entstammt einer älteren Debatte darum, ob es ein „Ämterwesen“ zur Zeit der frühen Merowinger gab oder ob es nicht gegeben war. Dazu Sprandel, Dux und Comes: S. 41–84 und Sprandel, Bemerkungen: S. 288. Aktueller Lewis, Dukes: S. 381–410 und vgl. Zotz, Würden: S. 4–11. 661 Greg. hist.: 8.27 und 8.45.
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Der ehemalige662 patricius Mummolus, der mit großer Wahrscheinlichkeit auch weiter über materielle Güter und Ressourcen verfügte,663 hatte den Prätendenten Gundowald in Avignon aufgenommen. Ihm Folgeleistende sind in den Aussagen nicht ausdrücklich erwähnt. Er wird aber als dux bezeichnet,664 so dass in Anbetracht des Wortgebrauchs bei Gregor durchaus plausibel ist, dass er Folgeleistungen organisiert hat. Es kann ebenfalls in Anbetracht vorheriger Ergebnisse als wahrscheinlich aufgefasst werden, dass er soziale Beziehungen zur Zeit seiner Administratorentätigkeit aufgebaut hat, die Mummolus dann auch nutzen konnte, um Folgeleistungen zu organisieren. Als erfolgreicher Anführer hatte dazu wohl auch sein Prestige beigetragen.665 Guntram Boso – ehemals als dux Sigiberts I. Anführer von Folgeleistenden, wobei nur wahrscheinlich ist, dass er als regional-struktureller Administrator tätig war666 – hatte ebenfalls auf diese Weise Beziehungen und Prestige erlangt. Auch verfügte er über materielle Güter667 sowie Ressourcen668 und raubte:669 Er war es, der beim ersten Erscheinen Gundowalds dessen Schätze nach seinem Abzug auf eine Insel nahm.670 Es kann zwar als sicher bezeichnet werden, dass Guntram Boso beim zweiten Erscheinen Gundowalds nicht mehr direkt bei der Konsolidierung von dessen Präsenz mitwirkte, doch war er auch daran nicht unbeteiligt.671 Auch Bladast wird als dux im südwestlichen Gallien bezeichnet.672 Demnach war auch er in einer regional-strukturellen Administratorenposition tätig. Erst im Kontext der Eroberung wird er erstmals erwähnt und zugleich als dux bezeichnet. Da aber die Erzählung über die Eroberung bereits abgeschlossen ist, ist der Gebrauch hier nicht derart gelagert, wie im Fall der Aussagen zu Desiderius.673 Sicher ist hingegen, dass auch Bladast in seiner regional-strukturellen Administratorenposition als Anführer von Folgeleistenden bei militärischen Operationen Chilperichs I. tätig war674 und über Landgüter verfügte,675 als er sich Gundowald anschloss.
662 Zu seiner Flucht Greg. hist.: 6.1 und Mar. aven. chron.: 582.2. 663 Greg. hist.: 7.40. 664 „Sinodus ad regem revertitur, multa de fuga Mummoli ducis, nonnulla de discordiis tractans.“ Greg. hist.: 6.1. 665 Gregor bezeichnet Mummolus bei der Operation gegen Gundowald als dux. Der Wortgebrauch indiziert, dass Mummolus nach seiner Tätigkeit als Administrator Folgeleistungen organisieren konnte. Greg. hist.: 7.34. 666 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 26. 667 Greg. hist.: 5.25. 668 Greg. hist.: 8.21 und 9.10. 669 Greg. hist.: 5.25; 6.24; 7.36 und 9.10. 670 Greg. hist.: 6.24 und 7.36. 671 Vgl. Bachrach, War: S. 52–78. 672 Dies ergibt sich aus Greg. hist.: 6.12 und 6.31. Dazu Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 59 f. 673 Greg. hist.: 6.12. 674 Greg. hist.: 6.12. 675 Greg. hist.: 8.6.
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Als sicher kann ebenfalls gelten, dass Waddo,676 der über materielle Güter und Ressourcen verfügte,677 die zumindest zum Teil an ihn von einem der Könige verteilt worden waren,678 auch raubte679 und Folgeleistungen organisierte.680 Er war zuerst comes von Saintes681 und wurde dann als maior domus682 der Rigunthe auf ihrem Brautzug beigegeben.683 Waddo verließ sie nach dem Raub ihrer Schätze in Toulouse und schloss sich Gundowald an.684 Die Folgeleistungen organisierte er bei einem lokalen Konflikt um ein Landgut und nicht vor einer militärischen Operation. Das zeigt, dass Waddo als ein herausragender Akteur in der Lage war Folgeleistungen zu organisieren, wobei er zu dieser Zeit über materielle Güter verfügte. Als Ergebnis in diesem analytischen Kontext kann also festgehalten werden, dass der Prätendent Gundowald in den Beziehungen zu den genannten Akteuren ein Mittel der Konsolidierung seiner Präsenz hatte. Aussagen zu anderen Akteuren, zu denen Gundowald zusätzliche Beziehungen in Gallien erlangt hat, sind nicht derart eindeutig: Sicher ist zwar, dass der ehemalige685 Bischof Sagittarius zuvor geraubt und Folgeleistungen organisiert hatte.686 Doch kann anhand der wenigen Aussagen der Annahmezusammenhang für ihn genauso wenig geltend gemacht werden, wie für den über umfangreiche Güter und Ressourcen verfügenden Chariulf,687 andere herausragende Akteure aus Comminges,688 die mit Gundowald befreundeten Kleriker689 und für die namentlich nicht genannten Sympathisanten Gundowalds.690 Materielle Güter und Ressourcen waren aber auch direkt für die Konsolidierung der Präsenz Gundowalds in Gallien relevant. Er gab Geschenke an Bewohner der civitas von Angoulême, damit diese ihn anerkannten,691 während er Eide einforderte,692 die die interaktive Dimension zwischen ihm als König und der Bevölkerung von civitates sichern sollten.693 Mit den Aussagen zu den umfangreichen und wertvollen Gütern,
676 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 184. 677 Greg. hist.: 9.35 und 10.20. 678 Greg. hist.: 10.20. 679 Greg. hist.: 10.21. 680 Greg. hist.: 9.35. 681 Greg. hist.: 6.45. 682 Greg. hist.: 6.45. Zur Position des maior domus Goetz, maior domus: S. 11–24. 683 Greg. hist.: 6.45. 684 Greg. hist.: 7.27. 685 Greg. hist.: 5.27. 686 Greg. hist.: 5.20. 687 Greg. hist.: 7.37. 688 Greg. hist.: 7.38. 689 Greg. hist.: 7.30 und 7.31. 690 Greg. hist.: 7.30. 691 Greg. hist.: 7.26. 692 Greg. hist.: 7.26. 693 Vgl. Graf, Art. Treueid: S. 231.
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die beim Tross der ihm Folge leistenden Akteure gefunden worden waren694 und da zusätzliche Aussagen zu Plünderungen durch diese Gemeinschaft fehlen,695 ist anzunehmen, dass Guntram Boso nicht alle Schätze des Gundowald bei seinem ersten Erscheinen raubte – oder dass er solche noch auf der Insel zurückbehalten hat, auf die er sich zurückzog. Dass der Verlust seiner Schätze bei seinem ersten Erscheinen durch den Raub der restlichen Schätze der Rigunthe kompensiert worden ist, ist nicht nur mit den Aussagen zu diesem Raub in Frage zu stellen, sondern auch damit, dass ihr bereits bis zu ihrer Ankunft in Toulouse größere Teile des Schatzes geraubt worden sind.696 Annehmbar ist daher auch, dass er zwischen seinem ersten und seinem zweiten Erscheinen aus Konstantinopel mit weiteren Gütern versorgt worden ist. Materielle Güter und Ressourcen waren – so ist abschließend zu formulieren – für die Konsolidierung der Präsenz Gundowalds in Gallien in zweierlei Hinsicht relevant. Die eine kann als direkte, die andere als indirekte Art der Relevanz beschrieben werden. Zu der ersten: Beziehungen zu Akteuren in Gallien, die über materielle Güter und Ressourcen für das Organisieren von Folgeleistungen verfügten und zuvor als Anführer bei den militärischen Operationen der Könige Erwerbschancen symbolisierten und möglicherweise auch offeriert hatten, waren für die Konsolidierung wichtig; auch weil sie zum Teil bei diesen Operationen Prestige erlangt hatten. Diese Menschen waren als herausragende Akteure in der Lage, in Gallien Folgeleistungen zu organisieren. Woher sonst sollten die Akteure, die Gundowald Folge leisteten, stammen? Dass Gundowald die ihm Folgeleistenden aus Konstantinopel mitbrachte, ist in Anbetracht der Untersuchung unwahrscheinlich.697 Unbeachtet darf dabei jedoch nicht bleiben, dass die Aussagen zu der Konsolidierung der Präsenz auch Erwerbschancen erkennen lassen, da militärische Operationen solche ermöglichten.698 Daher schlossen sich auch einige Bewohner von Tours denjenigen an, die Gundowald verfolgten.699 Auch Geschenke waren wichtig. Sie betreffen die direkte Art der Relevanz. Solche zu geben, war Gundowald wegen seiner Kontakte zum Kaiser in Konstantinopel und nicht wegen der Beziehungen zu gallischen Akteuren möglich. Wegen der Schätze konnte Gundowald in Gallien erst Beziehungen herstellen. Zwar ist unklar, warum auch einige Güter seines Schatzes in Avignon blieben,700 aber es ist durchaus möglich, dass sie durch Geschenke an Eunius Mummolus kamen. Insofern kann die anfängliche Formulierung, dass es sich beim Versuch der Konsolidierung der Präsenz Gundowalds als König um eine gallisch-oströmische Kooperation handelt, nur wie-
694 Greg. hist.: 7.35. 695 Einzig ein Raub einer Reliquie ist genannt. Greg. hist.: 7.31. 696 Greg. hist.: 6.45. 697 Vgl. Goffart, Gundovald: S. 103 f. Auch Bachrach geht nur von einem Schatz aus, den er nach Gallien mitbrachte. Vgl. Bachrach, War: S. 58 ff. 698 Vgl. Bodmer, Krieger: S. 68–78. 699 Greg. hist.: 7.28. 700 Greg. hist.: 7.38.
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derholt werden. Die Konsolidierungsversuche waren – und dies zeigen auch die Aussagen zu den Eiden – interaktiv.701 Für sie waren materielle Güter und Ressourcen eindeutig in direkter wie indirekter Weise relevant. 4.4.3.2 Gundowalds Tod und die Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen Die Versuche der Konsolidierung der Präsenz Gundowalds in Gallien waren nicht erfolgreich. Er zog, nachdem sich Guntram und Childebert II. erneut verbündet hatten,702 mit den ihm Folgeleistenden zur civitas Comminges (Convena) nah der Garonne. Nach einer List konnten die Bewohner des ummauerten Zentrums vertrieben werden. Wegen seiner geographischen Besonderheiten703 diente das Zentrum besonders gut als Verteidigungsfeste gegen die Folgeleistenden Guntrams unter der Anführung des Leudegisil704 und anderer duces.705 Gundowald starb dann nicht in einer offenen Feldschlacht, sondern wurde noch 585706 erschlagen, nachdem er durch eine weitere List herausgelockt worden war.707 Auch Sagittarius und Eunius Mummolus wurden getötet,708 wonach letztlich die materiellen Güter und Ressourcen des Mummolus von König Guntram eingezogen wurden.709 Wie bereits erwähnt, sind Aussagen zu Plünderungen der dem Gundowald Folgeleistenden nicht vorhanden. Ganz anders allerdings sieht die Quellenlage zu Plünderungen der Kriegergemeinschaft aus, die von Poitiers aus gegen Gundowald militärisch operierte. Sie war dort bei der zweiten militärischen Operation gegen die civitates nach dem Eidbruch eingesetzt worden und hatte im Gebiet der civitas Poitiers geplündert.710 Danach schlossen sich Bevölkerungsteile aus Tours dieser Kriegergemeinschaft bei ihrer Operation gegen Gundowald an und gingen in den Kriegermodus über, um plündern zu können. Doch wurden diese selbst bereits in der civitas Poitiers von dortigen Bevölkerungsteilen geplündert und kehrten dann mit anderen Bevölkerungsteilen aus Tours, die zuvor schon Folge geleistet hatten, nach Tours zurück.711
701 Gundowald vollzog auch Rituale, um sich als König auszuweisen. Er wurde auf ein Schild erhoben und hielt einen Umritt. Greg. hist.: 7.10. Zu den Ritualen Schmidt, Art. Königsumritt: S. 139–141 und Hardt, Art. Schilderhebung: S. 106–108. 702 Greg. hist.: 7.33. 703 Vgl. Bachrach, War: S. 119 ff. 704 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 125 f. 705 Greg. hist.: 7.35. Die Anführerschaft des patricius Aegila nur bei Fredeg.: 4.2. 706 Zur Datierung Greg. hist.: 7.24. 707 Greg. hist.: 7.34. 708 Greg. hist.: 7.39. 709 Greg. hist.: 7.40. 710 Greg. hist.: 7.24. 711 Greg. hist.: 7.28.
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Gregor erzählt dann, dass die restliche Kriegergemeinschaft über die Garonne setzt und den Tross Gundowalds mit umfangreichen Gütern von größerem Wert findet.712 Später werden sie von Leudegisil an Guntram gegeben, der davon etwas an die Kirchen verteilt.713 Nachdem die Kriegergemeinschaft ihren eigenen Tross dort zurückgelassen hat, kommt sie in das Gebiet der civitas Agen. Die Kirche des heiligen Vincentius wird geplündert.714 Danach zieht die Kriegergemeinschaft weiter nach Comminges, wobei auf dem Weg dorthin Plünderungen stattfinden und einige Akteure auch von der lokalen Bevölkerung getötet werden, da sie sich wegen des Plünderns weit von der Kriegergemeinschaft entfernt hatten.715 Festzuhalten ist, dass anhand der Aussagen zu den Folgeleistenden von weiteren Bevölkerungsteilen aus der civitas Tours nach dem Sieg in Poitiers die Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen eindeutig nachzuvollziehen ist: Wegen der Erwerbschancen organisierten sich die Folgeleistungen von selbst. Die Aussagen zu den Plünderungen dieser Akteure aus Tours und zu Plünderungen durch Bevölkerungsteile aus Poitiers weisen erneut darauf hin, dass militärische Operationen das sesshaft-sozioökonomische Leben in Gallien dynamisierten. Die zuvor von der Kriegergemeinschaft Geplünderten plünderten nun Akteure im Kriegermodus, die neu zu dieser hinzukamen. Deutlich wird, dass Plünderungen weitere Plünderungen beförderten und somit auch das Organisieren von Folgeleistungen vereinfachten. Zu beachten ist nämlich, dass die Bevölkerung von Tours kurz zuvor bereits sehr wahrscheinlich auch unter den Plünderungen einer anderen Kriegergemeinschaft ökonomische Verluste zu erleiden hatte und durch die Bewachung des Eberulf ebenfalls solche erdulden mussten. Die aktiven Relevanzarten des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen waren also mit der Dauer der bella civilia offenbar nicht geringer, sondern eher intensiver worden. Zudem ist festzuhalten, dass auch bei dieser Operation Akteure im Kriegermodus erwerbend tätig wurden. Mit den Aussagen zur Kirche in Agen und weiterer Gebiete auf dem Weg sind Plünderungen nachvollziehbar. Erneut werden aber nicht nur Gegner geplündert, sondern auch die Bewohner, die auf dem Weg zu dem eigentli-
712 Greg. hist.: 7.35. 713 Greg. hist.: 7.40. 714 „Quibus properantibus, venerunt ad basilicam sancti Vincenti, quae est infra terminum Agenninsis urbis, ubi ipse martyr pro Christi nomine agonem dicitur consummasse, inveneruntque eam refertam a diversis thesauris incolarum. Erat enim spes incolis non esse a christianis tanti martyris basilicam violandam. Cuius ostia summo studio obserata erant. Nec mora, adpropinquans exercitus cum reserare templi regias non valeret, ignem accendit; consumptisque osteis, omnem substantiam cunctamque suppellectilem, quae in ea invenire potuerunt, cum sacris ministeriis abstulerunt.“ Greg. hist.: 7.35. 715 „Convenitur ad Convenassic enim diximus nomen urbis – omnesque falanga in suburbana urbis campania castra metata est, ibique extensis tenturiis resedeba. Vastabatur in circuitu tota regio; nonnulli autem ab exercitu, quos fortior avaritiae aculeus terebrabat, longius evacantes, peremebantur ab incolis.“ Greg. hist.: 7.35.
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chen Ziel der militärischen Operation angetroffen wurden. Die Anführer verhinderten diese Plünderungen offenbar genauso wenig, wie die Kriegergemeinschaft in abstrakter Orientierung an den Zielen der Operation oder an Handlungsnormen von den Plünderungen abgehalten wurde. Eher lässt sich formulieren, dass diejenigen Menschen, die in den Kriegermodus übergegangen sind, in der Kriegergemeinschaft weiterhin ein Erwerbsmittel aller Beteiligten hatten – während der König, der diese Kriegergemeinschaft als militärisches Mittel gegen den Prätendenten Gundowald einsetzte, an diesem Erwerbsmittel nur bedingt partizipierte: Er erhielt im Nachhinein die Schätze aus dem Tross des Gundowald und konnte – in den materiellen Gütern ein weiteres Mittel habend – diese an die Kirchen verteilen, was seinen Beziehungen zu den Klerikern mit Sicherheit nicht schadete. Da aber das Kriegersein nicht mittels kontinuierlicher Zahlungen in ein Söldner- oder Soldatensein transformiert wurde, blieb das Plündern – auch der Gebiete, die nicht die Ziele militärischer Operation waren – die Erwerbsweise der Akteure, deren Folgeleistungen für die Operationen organisiert wurden. Im Gegenteil wurde von den Königen mit der einmalig als bannus bezeichneten Abgabe bei Nichtleisten von Folge an einer Operation versucht, aus Akteuren, die potentiellen in den Kriegermodus hätten übergehen können, einen ökonomischen Gewinn zu erlangen. So wurde es – wie bereits gesagt – auch nach der militärischen Operation gegen Gundowald versucht.716 Die Differenz zwischen König Guntram (der das sesshaft-sozioökonomische Leben mit seinen Verteilungen an die Kirchen und Armen wie auch den dadurch versuchten Erhalt von Besitzständen einiger gallischer Akteure förderte) und den Kriegergemeinschaften (deren Folgeleistungen organisiert werden mussten, damit er durch sie seine Position in Gallien erhalten und seine Präsenz konsolidieren konnte) ist in den Aussagen zu den Plünderungen deutlich greifbar. Die Abhängigkeit der Könige von den Kriegergemeinschaften (die schon zur Zeit der ersten Generation nach Chlodwig I. deutlich in den Aussagen zur Konkurrenz um Folgeleistende ihren Ausdruck findet) und das Plündern als eine Erwerbsweise bei den militärischen Operationen der Könige lassen von einer Verbindung zwischen den Königen und den Kriegergemeinschaften über die militärischen Operationen ausgehen, bei denen aber die Beteiligten unterschiedliche ökonomische Möglichkeiten und somit letztlich auch Ziele hatten: Die Kriegergemeinschaften waren für die Könige ein militärisches Mittel zum Erhalt ihrer Positionen in dem parzellierten Strukturierungszusammenhang mit dem Abgabensystem – für die Folgeleistenden boten sich Erwerbschancen: Während die civitates über das Abgabensystem für die Könige Prosperität ergaben, war das Plündern die Erwerbsweise bei den militärischen Operationen in den Gebieten der civitates, auch wenn sie nicht Ziel einer Operation waren. Somit konnte König Guntram über das Verteilen und Einziehen das sesshaft-sozioökonomische Leben zwar hinsichtlich einiger Akteure fördern sowie Beziehungen generieren und verstetigen, aber
716 Greg. hist.: 7.42.
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da er Kriegergemeinschaften als Mittel zur Durchsetzung in seiner Position als König benötigte, dynamisierte er das sesshaft-sozioökonomische Leben in Gallien zusätzlich weiterhin. Das grundlegende Paradoxon des parzellierten Strukturierungszusammenhangs war auch mit den von ihm gewählten sozioökonomischen Praktiken nicht zu überwinden.
4.5 Zwischenergebnisse: Die Kontinuität des Diskontinuierlichen. Stetige militärische Operationen und ihre Effekte auf das sesshaft-sozioökonomische Leben in Gallien Die Untersuchung der unter der Formulierung bella civilia summierten Aussagen zu militärischen Operationen hat für die Beantwortung der Frage nach der Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen einige Ergebnisse gebracht. Sie betreffen die Interdependenz, die das Plündern mit dem sesshaft-sozioökonomischen Leben in Gallien hatte. Neben den Relevanzarten sind erneut zusätzlich Ergebnisse zu Akteuren, Positionen, Lebensweisen und der Prozessdynamik zu verzeichnen. Diese sind nun mit den bisherigen Ergebnissen zu verbinden. Zuerst zu den Relevanzarten. Das Plündern hat das Umverteilen materieller Güter und Ressourcen zum Effekt. Im letzten Kapitel wurden die durch militärische Operationen beförderte Prozessdynamik als eine Bedingungen des sesshaft-sozioökonomischen Lebens herausgestellt – und festgehalten, dass sie das Rauben als eine dem Plündern ähnliche, aber nicht direkt von militärischen Operationen der Könige bedingte Erwerbspraktik in Gallien ebenfalls mitbewirkte. Das Abgabensystem im parzellierten Strukturierungszusammenhang wurde in den beiden letzten Kapiteln verstärkt beachtet. Dieses auf der Sesshaftigkeit in Gallien aufbauende exklusive Erwerbsmittel der Könige wurde als Aspekt des Beginns der innermerowingischen Konflikte erfasst. Die militärischen Operationen der Merowinger gegeneinander können daher auch als Aspekt der Zunahme der Nennung von Namen lokal- oder regional-struktureller Administratoren geltend gemacht werden, da die Könige vermehrt auf die konkrete Sicherung ihrer eigenen civitates gegenüber ihren Verwandten zu achten hatten. Dafür waren die Administratoren neben den sozialen Beziehungen und der funktionalen Konstellation zu den Bischöfen augenscheinlich wichtig. In diesem Kapitel wurden nun zusätzlich auch Aussagen zu Einziehungen und Verteilungen der Könige untersucht, da solche in dem das Kontinuum repräsentierenden Bestand vermehrt vorkommen. Das Plündern war für das Organisieren von Folgeleistungen weiterhin relevant: Nicht nur als Erwerbsweise materieller Güter und Ressourcen, sondern auch in passiver Weise. Folgeleistungen wurden auch organisiert, wenn Kriegergemeinschaften plündernd nach Gallien oder in civitates eindrangen. Das Plündern dynamisierte als Erwerbsweise der Akteure im Kriegermodus auch durch die Umverteilungseffekte. Jedoch war das Plündern nicht monokausal für das Entstehen von herausragenden Akteuren. Auch andere Praktiken wie das Rauben und das Verteilen durch die Könige
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konnten dazu beitragen, wobei festzuhalten ist, dass ihr Bestehen sehr wohl von Plünderungen bedroht war. Dies ist damit zu erörtern, dass herausragende Akteure über relativ umfangreichen materiellen Besitz in Relation zu der übrigen Bevölkerung verfügen mussten. In diesem Sinne war das Plündern auch für das Entstehen und das Bestehen von herausragenden Akteuren relevant. Die Menschen mit umfangreichem Besitz versuchten auch, Positionen der lokalund regional-strukturellen Administration zu erlangen. Somit kann das Innehaben einer solchen Position ebenfalls nicht als monokausal für das Entstehen von herausragenden Akteuren beschrieben werden, auch wenn die lokal- und regional-strukturellen Administratoren die Merowingerkönige als Anführer bei den militärischen Operationen mehr und mehr auf das Betreiben der Könige ersetzten und sie somit für die Folge leistenden Kriegergemeinschaften Plünderungschancen zumindest symbolisierten wenn nicht sogar offerierten. Die Plünderungen sind von den Königen nicht immer legitimiert worden, was die Aussage zur Bestrafung eines lokal-strukturellen Administrators nach vollzogenen Plünderungen zeigt. Das Abweichen vom geographischen Zielrahmen einer Operation verdeutlicht dies ebenfalls. Die Könige hatten in dem Abgabensystem ein exklusives Erwerbsmittel, das nicht zur Transformation des Kriegerseins in ein Soldaten- oder Söldnersein verwendet wurde. Es nahm deswegen Schaden, während die Kriegergemeinschaften weiterhin das Erwerbsmittel der an ihnen beteiligten Menschen blieben. Zwar wurden Abgaben auch erlassen, doch konnten auch neue eingeführt werden. Eine davon war der bannus. Die wenigen Aussagen zu der Abgabe erlauben nicht, von einer prinzipiellen Wandlung bei dem Organisieren von Folgeleistungen zu sprechen: Die Menschen, die in den Kriegermodus übergingen, konnten aus differenten, sesshaft lebenden Gemeinschaften wie den gallischen civitates und den ostrheinischen Siedlungsgemeinschaften stammen. Somit sind die civitates nun nicht nur als exklusive Erwerbsobjekte der Könige zu beschreiben, an denen sich auch die Abgabenagenten bereichern konnten, sondern auch als geographische Einheiten des Organisierens von Folgeleistungen. Insofern wird mit den Aussagen dazu ein weiterer Aspekt der Dynamisierung des sozioökonomischen Lebens evident. Kleriker der lokalen Kirchen, in deren Hierarchie die Inhaber der Bischofspositionen auf den Synoden mehr und mehr zu den zentralen ökonomischen Administratoren mit richterlichen Handlungskompetenzen normativ definiert wurden, waren auch auf diese Weise herausgefordert, das sesshaft-ökonomische Leben von ihrer Perspektive aus zu regulieren. Dies taten sie nicht nur mittels der normativen Festlegungen von Strafen an den Akteuren, die Kirchengüter plünderten, beraubten, sich illegitim aneigneten oder zurückhielten. Sie betrieben auch (Re-)Distribution und riefen dazu auf. Sozioökonomische Abhängigkeiten und Bindungen waren somit erneuert, intensiviert und wohl auch gänzlich neu geschaffen worden. Die beiden Aussagen zu einer Einziehung von Abgaben von Menschen, die nicht Folge geleistet haben, betreffen diese Bindungen. Die Aussagen zur Bestrafung durch dux Berulf umfassen hingegen keine Erwähnungen von Abgaben.
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Von dem grundlegenden Paradoxon des parzellierten Strukturierungszusammenhangs ausgehend ist für die Frage nach der Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen festzuhalten, dass die regional-strukturellen Administratoren wie auch die Bischöfe in ihren Konstellationen zu den Inhabern der Königspositionen einem Wandel ausgesetzt waren, der von der Prozessdynamik als Bedingung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens in Gallien durch die militärischen Operationen tangiert war. Die Formulierung einer Kontinuität des Diskontinuierlichen ist daher weiterhin adäquat. Die literarisch verarbeiteten Phänomene und Informationen zum Geschehen in Gallien zwischen 561 und 585 erlauben auch, weiter von der Diskursivität der Prozessdynamik zu sprechen: Die Bischöfe versuchten sich von den Könige normativ zu emanzipieren und ihre Position als eine normativ definierte, überpersönlich-abstrakte und von dem Faktor Zeit unabhängige Position ökonomischer Administration festzulegen. Dies gelang aber praktisch nicht durchgehend. Um die Sicherung der Kirchengüter vor den Übergriffen der Könige und den lokal- und regional-strukturellen Administratoren weltlicher Art wie auch der herausragenden Akteure musste sich während der militärischen Operationen in Gallien stetig weiter gekümmert werden, damit (Re-)Distribution für sie möglich blieb. Die lokal- und regional-strukturellen Administratoren substituierten die Könige als Anführer nicht nur. Sie konnten sich auch gegen diese wenden, wie die Aussagen zum Erscheinen Gundowalds und andere deutlich machen. Das Innehaben einer solchen Position erlaubte soziale Beziehungen in eine personelle Art zu übertragen, wenn die Akteure nicht mehr in einer solchen tätig waren. Dies ist auch durch die Semantik des Wortes dux indiziert und beispielsweise in den Aussagen zu Guntram Boso, Eunius Mummolus, Desiderius, Leudast und Bladast, aber auch zu anderen Akteuren eindeutig. Das Organisieren von Folgeleistungen ist also auch nach der Einführung des bannus nicht in einen Mechanismus des parzellierten Strukturierungszusammenhangs überführt worden. Auch Akteure, die von den zeitnahen Autoren als duces bezeichnet werden, aber offenbar nicht in einer lokal- und regional-strukturellen Administratorenposition tätig waren, konnten offenbar ebenso in Gallien Folgeleistungen organisieren. Dies lag an dem zuvor gemeinsam vollzogenen Raub in den civitates und den Plünderungen bei den militärischen Operationen, aber auch an dem Prestige der Akteure durch ihre vorherigen siegreichen Anführertätigkeiten, wie auch dem Symbolisieren neuer Erwerbschancen. Insofern kann auch für das 6. Jahrhundert in Gallien von Warlordism gesprochen werden: Eine monokausale Erklärung für das Entstehen und Bestehen herausragender Akteure geht dabei fehl. Es waren die individuellen Handlungen von Akteuren, die sie dazu bringen konnten, umfangreichen materiellen Besitz zu erlangen und dabei auch Folgeleistungen von Menschen zu organisieren, um ihr Bestehen zu sichern und ihre ökonomischen Bestände noch zu erweitern. Dabei wurden sie den Merowingern der Zeit König Chlodwigs I. und der ersten Generation nach ihm ähnlich. Die Könige hatten dabei über das Einziehen und das Verteilen ein Steuerungsmedium für das Entstehen und Bestehen von herausragenden Akteuren, da eben mate-
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rieller Besitz für das Herausragen wichtig war. Bei lokalen und regionalen Konflikten ist es ihnen möglich gewesen auch auf diese Weise einzugreifen und solche Konflikte sind zum Teil auch argumentativ mit diesen Praktiken der Könige begleitet worden. Dies zeigen die Aussagen zum Raub unter der Anführung des Ursio und des Berthefred gegenüber dem dux Lupus. Die beiden Praktiken konnten aber auch kontraproduktiv sein, was mit den Aussagen zum Einziehen und Verteilen nach dem Tod Chilperichs I. durch Guntram fassbar wird. Sie waren wie die militärischen Operationen Eingriffe in das sesshaft-sozioökonomische Leben, das erst durch die Operationen dynamisiert wurde. In Anbetracht des dabei vollzogenen Entstehens und Verschwindens von herausragenden Akteuren sind auch lokale und regionale Konflikte als Aspekte für das Entstehen und Verschwinden solcher Akteure zu beschreiben. Dies gilt beispielsweise für Waroch, Godin und Leudast: Sie alle waren in nichtstrukturgebundener Weise dazu in der Lage, Folgeleistungen zu organisieren. Zwei von ihnen vollzogen dann als Anführer mit den ihnen Folge leistenden Akteuren Plünderungen und Raub. Zwei von ihnen wurden nach ihren Niederlagen Güter eingezogen, während Waroch die Plünderungen fortsetzen konnte. Daher lässt sich abschließend anhand der Verbindung von Einziehen, Verteilen, militärischen Operationen und lokalen wie auch regionalen Konflikten festhalten, dass Sesshaftigkeit und Mobilität weiterhin sehr eng miteinander verbunden waren. Von einem Gegeneinander der Praktiken, die primär auf Sesshaftigkeit und primär auf Mobilität beruhen, zu sprechen, geht fehl. Vielmehr waren solche Praktiken in ihrer Gesamtheit während der Zeit der militärischen Operationen des 6. Jahrhunderts in Gallien von den Königen, den Bischöfen, den anderen Klerikern, den lokal- und regional-strukturellen Administratoren, den herausragenden Akteuren und der Restbevölkerung optional zu nutzen. Selbst zwei Bischöfe raubten und einer leistete bei einer militärischen Operation Folge. Die Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen ist also auch in den Umverteilungseffekten zu fassen. Bei den militärischen Operationen betrieben, dynamisierte das Plündern das sesshaft-sozioökonomische Leben ebenfalls und sorgte somit für die Notwendigkeit des Erwerbs von materiellen Gütern und Ressourcen, was durch Plünderungen und andere Praktiken erreicht werden konnte. Sicher ist dadurch, dass das Plündern weitere Plünderungen beförderte und somit für das Organisieren von Folgeleistungen in der Dynamik des Lebens in Gallien im 6. Jahrhundert während der militärischen Operationen auch auf diese Art relevant war, wie auch für das Entstehen und Bestehen aber auch Verschwinden von herausragenden Akteuren, die Emanzipationsversuche der Kleriker von den Königen auf den Synoden und die Überführung von Beziehungen in einen rein personellen Bereich. Die Könige, die die Kriegergemeinschaften als Erwerbsmittel nicht mehr unbedingt brauchten, da sie in den Angabensystemen ein exklusives Erwerbsmittel hatten, beförderten die Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen dabei noch, indem sie die civitates ihrer Verwandten versuchten zu erobern, um so Prosperität zu generieren. Dies kritisiert Gregor von Tours in der Einleitung des fünften Buches der decem libri
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historiarum ausdrücklich. Dabei differenzierten sich die Könige immer mehr von den Kriegergemeinschaften nicht nur, indem sie nicht mehr durchgehend als Anführer an den militärischen Operationen in Gallien teilnahmen. Sie übertrugen diese Funktion auf die lokal- und regional-strukturell tätigen Administratoren selbst und förderten somit letztlich auch das Entstehen und Bestehen von herausragenden Akteuren, die ihnen dann in ihren Positionen als Könige gefährlich werden konnten. Denn was machte einen König neben seiner Abstammung aus dem Geschlecht der Merowinger aus, wenn nicht das Besitzen von umfangreichen materiellen Gütern und Ressourcen sowie dass ihm bei militärischen Operationen Folge geleistet wurde, auch, da er Erwerbschancen symbolisierte und offerierte? Herausragende Akteure verfügten aber auch über diese Mittel, die sie durch Plünderungen und andere Praktiken in der Lage waren, zu generieren. Dies ist sicher, auch wenn die Praktiken unter Rekursen auf christliche Handlungenormen von denjenigen, die die Phänomene und Informationen literarisch verarbeitet haben, als falsch und illegitim beschrieben wurden. In der Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen liegt also auch ein Argument für eine Destabilisierung der Königspositionen im geographisch parzellierten Strukturierungszusammenhang in Gallien des 6. Jahrhunderts. Auch sie waren der Diskursivität der Prozessdynamik ausgesetzt und wurden wie auch viele andere Positionen im Konkreten neu definiert.
5 Aussagen zu der zweiten Generation nach Chlodwig I. zwischen 585 bis zum Tod Guntrams im Jahr 592 Das Kontinuum zwischen 585 und 592 in Gallien ist durch verhältnismäßig viele Aussagen repräsentiert und dies, obwohl der Zeitraum der kleinste der Studie ist. Der Quellenbestand selbst ähnelt dem des vorherigen Kontinuums: Aussagen zu militärischen Operationen und regionalen wie auch lokalen Konflikten sind in einer Vielzahl gegeben. Darunter sind jedoch keine Aussagen zu Operationen, die aus innermerowingischen Konflikten resultieren. Gregor von Tours selbst war daran beteiligt, einen dauerhaften Frieden in Gallien zu erreichen. Bereits kurz nach dem Tod des Prätendenten Gundowald wirkte der Bischof 5851 an Verhandlungen mit.2 Auch wenn die Bemühungen der Bischöfe dazu beitrugen, dass die beiden Merowingerkönige Guntram und Childebert II. nicht gegeneinander operierten, ist trotzdem eine Vielzahl an Aussagen zu Plünderungen in Gallien gegeben. Nachdem Folgeleistungen organisiert wurden, zielten die Operationen auf die geographischen Räume Italiens und der Iberischen Halbinsel. Jedoch fanden die Plünderungen schon vor dem Erreichen dieser Zielräume statt. Neben Aussagen zu Plünderungen und zu Raub bei lokalen und regionalen Konflikten umfasst der Bestand auch Aussagen zum Einziehen und Verteilen durch die Könige sowie zum Zehnten. Somit kann in diesem letzten Kapitel neben der Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen auch auf die Effekten des Plünderns und damit verbundenen Implikationen für das sesshaft-sozioökonomische Leben der Bevölkerung in Gallien wie auch für die lokal- und regional-strukturelle Administration sowie die herausragenden Akteure als spezielle Bevölkerungsteile eingegangen werden. Sie konnten wiederum auf das Organisieren von Folgeleistungen rückwirken. Der Vertrag von Andelot, der von Gregor im Wortlaut abgeschrieben worden ist, wird für die Gesamtgliederung des Kapitels eine organisatorische Funktion haben. Dabei wird die Datierung des Vertrages auf 587 angenommen. Begonnen wird mit den Aussagen zu den militärischen Operationen zwischen dem Tod Gundowalds 585 und dem Vertrag von Andelot 587. Hierbei werden Aussagen zu Versuchen der Verstetigung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens miteinbezogen. Dann werden Aussagen zu lokalen und regionalen Konflikten zwischen 585 und 587 untersucht. Sie werden nach der Anführung von lokal- und regional-strukturellen Administratoren und der Anführung von herausragenden Akteuren differenziert. Darauf folgend werden Aus-
1 Greg. hist.: 8.12 und 8.13. 2 Eine Beteiligung am Vertrag von Andelot ist nicht sicher und eher unwahrscheinlich. Greg. hist.: 9.11 und 9.20.
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sagen zum Einziehen und Verteilen untersucht. Im Anschluss steht der Vertrag von Andelot im Fokus. Danach werden die analytischen Kontexte, die vor der Untersuchung zum Vertrag von Andelot angelegt sind, in geänderter Reihenfolge thematisch erneut eingerichtet. Dies bietet sich aufgrund der ähnlichen Aussagenlage an. Dabei wird hinzukommen, dass die Effekte des Vertrags beachtet werden. Schließlich war der Vertrag unter Beteiligung zweier Merowingerkönige hinsichtlich eines Friedens geschlossen worden und diese wurden von Gregor selbst als die Akteure beschrieben, die für die bella civilia primär verantwortlich waren.3
5.1 Militärische Operationen zwischen 585 und 587: Die Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen Die militärische Operation gegen den Prätendenten Gundowald 585 führte zu umfangreichen Schäden: Viele Plünderungen wurden vollzogen. Dass die Folgeleistenden Gundowalds weniger daran beteiligt waren, kann damit in Verbindung gebracht werden, dass er als Prätendent in Gallien auftrat. Schädigungen der Bevölkerung hätten mit Sicherheit nicht zur Akzeptanz seiner Person als König geführt und somit auch das Organisieren von Folgeleistungen erschwert. Reaktionen auf diese Schädigungen des sesshaft-sozioökonomischen Lebens sind in den Akten der zweiten Synode von Mâcon vom Ende des Jahres 5854 gegeben. Zwei canones gehen darauf ein.5 Mit einem Rekurs auf die canones der Synode von Clermont aus dem Jahr 5356 werden Plünderungen Königen sowie herausragenden Akteuren verboten und mit der Exkommunikation als Buße versehen.7 Ein weiterer Rekurs ist in Bezug auf den Zehnten-Brief, der den Akten der Synode von Tours 567 beigefügt ist, nachzuvollziehen.8 Ausdrücklich wird auf den Freikauf von Gefangenen rekurriert, für den die Abgabe nötig sei. Ebenfalls wird die funktionale Konstellation zwischen den Königen und den Bischöfen akzentuiert: Könige sollten die Bischöfe nicht direkt einsetzen. Dafür waren die Metropoliten und das normativ definierte Verfahren der Wahl da. Daher ist der Bischof Faustinus von Dax abgesetzt worden. Dies ist aber nicht aus den Akten zu erfahren, sondern durch Gregor von Tours, der auch erzählt, dass der Bischof Ursicinus von Cahors eine Buße zahlen muss, da er Gundowald aufgenommen hat.9
3 Greg. hist.: 5.0. 4 Die Synode fand nach Gregor erst nach dem Sieg über Gundowald statt. Greg. hist.: 7.38 und Greg. hist.: 8.20. Zur Datierung Pontal, Synoden: S. 161 f. 5 MGH Conc 1 Concilium Matisconense 585: c.5 und c.14. 6 Vgl. Pontal, Synoden: S. 165. 7 MGH Conc 1 Concilium Matisconense 585: c.14. 8 MGH Conc 1 Concilium Matisconense 585: c.5. 9 Greg. hist.: 8.20. Dazu Weidemann, Kulturgeschichte Bd. I: S. 147 und S. 157.
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Hiermit sind alle drei Problemaspekte angesprochen, die für die Bischöfe als zentrale ökonomische Administratoren mit richterlichen Handlungskompetenzen in Gallien während der bella civilia und auch schon davor gegeben waren. Die Aussagen zeigen nicht nur, dass die Probleme weiterhin bestanden und dass die Bischöfe mit ihren normativen Definitionen den Ist-Zustand nicht verändern konnten. Sie zeigen auch, dass die Bischöfe gegen die Könige agierten und zugleich auch mit diesen kooperierten. Das ist ebenso durch Aussagen aus dem edictum guntchramni zu belegen, bei dem der König wiederum auf die Akten der Synode rekurriert.10 Dies wiederum ist argumentativ für die Annahme zu verwenden, dass zwar nicht die Gesamtbevölkerung, aber sehr wohl König Guntram an kirchlichen Handlungsnormen orientiert war. Darauf weist auch die Wertung des Königs durch den Bischof Gregor hin.11 Die Orientierung deutet sich auch für Chilperich I. und Fredegunde an.12 Bei Guntram ist sie aber mit weit mehr Aussagen zu belegen. So gilt die Kleidung Guntrams laut Gregor als Wunder wirkend.13 Zudem wird er immer wieder als fromm, also an christlichen Handlungsnormen orientiert, dargestellt.14 Jedoch weicht auch die Figur Guntrams – wie schon die Figur König Chlodwigs I. – von christlichen Handlungsnormen ab15 und dies noch nach dem Tod Gundowalds: König Guntram initiierte weitere militärische Operationen, bei denen es zu Plünderungen in Gallien kam. Nach dem Tod des Prätendenten16 und den Einziehungen der umfangreichen materiellen Güter und Ressourcen des Eunius Mummolus17 begann noch 585 ein langwieriger Konflikt zwischen Guntram und den westgotischen Königen auf der Iberischen Halbinsel. Die Chronologie des Konflikts, der in mehreren militärischen Operationen zwischen den Konfliktparteien eskalierte, ist jedoch nicht eindeutig. Dies liegt hauptsächlich mit den unterschiedlichen Datierungen der Aussagen zum Gesamtkonflikt bei Gregor von Tours und Johannes von Biclaro,18 aber auch am
10 Guntchramni regis edictum (MGH capit. 1, Nr. 5: S. 11–12). Dazu Woll, Kapitularien: S. 35 ff. 11 Zur Wertung als rex bonus Greg. hist.: 4.25. Dazu mit weitgehend positiver Zustimmung Heinzelmann, Gregor: S. 57–58. Dazu mit Kritik an der eher positivistischen Deutung Halsall, Nero and Herod?: S. 337–350. 12 Dazu die Klagerede der Fredegundefigur Greg. hist.: 5.34. Vgl. Halsall, Nero and Herod?: S. 340 ff. 13 Greg. hist.: 9.21. 14 Vgl. Heinzelmann, Gregor: S. 57–58. 15 Als Beispiel ist hier der Mord an einem Arzt nach dem Tod seiner Frau zu nennen. Greg. hist.: 5.35. Vgl. Halsall, Nero and Herod?: S. 347 f. 16 Greg. hist.: 7.38. 17 Greg. hist.: 7.40. 18 Das Geburtsjahr des Johannes ist nicht sicher festzulegen. Die Zeit um das 540 wird als wahrscheinlich angenommen. Unklar ist auch, wo er geboren wurde. Die civitas Scallabis im Südwesten der Iberischen Halbinsel gilt hier als wahrscheinlich. Er starb um 620. Vgl. Kollautz, Johannes: S. 465 f. Johannes war in seiner Jugend in Konstantinopel und genoss dort eine Ausbildung, bis er in der Mitte der 570er Jahre auf die Iberische Halbinsel zurückkehrte und einige Jahre später das Kloster Biclaro gründete, dem er als Abt vorstand. Vgl. Wolf, in: ed. Wolf, Chronicles: S. 1 ff. Zuvor war
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Sprachgebrauch in den decem libri historiarum. Die erste militärische Operation kann allerdings mit Sicherheit auf 585 datiert werden.19 Auch Johannes von Biclaro datiert einige Aussagen zu einer militärischen Operation auf dieses Jahr.20 Allerdings ist der Aussagenbestand aus den decem libri historiarum zu dieser Operation für die Frage nach der Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen weit aufschlussreicher als die wenigen Aussagen des Johannes, der sich auf die militärischen Leistungen des Reccared konzentriert.21 Gregor erzählt, dass Guntram eine militärische Operation beginnt, um die civitates in Septimania zu erobern.22 Nach der Zielsetzung wird nicht weiter vom Organisieren von Folgeleistungen erzählt. Gregor definiert aber die Folgeleistenden. Neben den Burgundern – die Bezeichnung wurde bereits ausgiebig diskutiert23 – treten nun erneut gentes auf, die geographisch und nicht ethnisch definiert werden: Sie leben jenseits der Flüsse Rhone, Seine und Saône.24 Die Folgeleistenden gehen aber bereits auf ihrem Weg zum Zielraum dazu über, die durchquerten Gebiete des Königs zu plündern und richten dabei weiteren Schaden an25 – bis sie nach Nîmes kommen. Auch weitere Kriegergemeinschaften aus den civitates Guntrams – ausdrücklich jene aus Bourges, Saintes, Périgueux und Angoulême – plündern auf ihrem Weg zum Zielraum.26 Die Kriegergemeinschaften können zwar in das ummauerte Zentrum der südgallischen civitas Carcassonne (Carcasonna) eindringen. Sie verlassen dieses aber – nach Gregor wegen einer Streitigkeit – wieder. Nachdem dann der ehemalige comes
Johannes von den militärischen Operationen gegen Hermenegild, der den katholischen Glauben angenommen hatte, und dessen arianischen Vater Leovigild betroffen. Dazu Castritius, Art. Hermenegild: S. 422–423 und Wolfram, Art. Leovegild: S. 269–273. Er wurde in das heutige Barcelona verbannt. Nach dem Tod des Leovigild 586 gründete er das Benediktinerkloster Biclaro und wurde später, nach 590, zum Bischof von Gerunda investiert. Vgl. Kollautz, Johannes: S. 466. Die Chronik des Johannes, der sich selbst in der Tradition älterer Chronisten begreift, umfasst die literarische Verarbeitung von Phänomenen und Informationen des Geschehens zwischen 568 und 590. Die Chronik ist nach den Regierungsjahren der oströmischen Kaiser und der westgotischen Könige chronologisch gegliedert. Hauptsächlich liefert sie Aussagen zum Geschehen auf der Iberischen Halbinsel. Es sind aber auch Aussagen zu Plünderungen von Akteuren aus Gallien und von der Iberischen Halbinsel in den Gebieten, welche die beiden geographischen Regionen miteinander verbinden, vorhanden. Gemeint sind der als Septimania bezeichnete Raum und die Pyrenäenregion. Vgl. Kollautz, Johannes: S. 467 f. und Ewig, Merowinger: S. 48 f. Seine Aussagen dazu sind also relativ orts- und zeitnah verfasst. 19 Zur Datierung Greg. hist.: 7.24. Das Jahr 586 beginnt bei Gregor erst im 38. Kapitel des achten Buches der decem libri historiarum. 20 Joh. bicl. chron.: 75. 21 Joh. bicl. chron.: 75. 22 Greg. hist.: 8.30. 23 Dazu überblickend Kaiser, Burgunder: S. 184–200, bes. 191–194. 24 „Tunc commoto omni exercitu regni sui, illuc dirigit. Gentes vero, quae ultra Ararem Rhodanumque et Sequanam commanebant, […]“ Greg. hist.: 8.30. 25 Greg. hist.: 8.30. 26 Greg. hist.: 8.30.
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von Limoges27 umkommt, geraten die Akteure der zusammengeschlossenen Kriegergemeinschaften in Furcht und ziehen sich, das Geplünderte zurücklassend, wieder aus der Region zurück. Dabei werden sie von gotischen Akteuren und Bewohnern aus Toulouse, die sie zuvor geplündert hatten, nun auch ausgeplündert.28 Weitere Aussagen zu Plünderungen – aus der Erzählung geht nicht ganz klar hervor, ob sie von den Kriegergemeinschaften der Burgunder und der gentes, die jenseits der drei oben genannten Flüsse gelebt haben, vollzogen wurden – sind für die civitas Nîmes und andere in ihrer Umgebung gegeben. Dabei wird auch ein regional-struktureller Administrator als Anführer genannt. Es handelt sich um den dux Nicetius,29 der mit Bevölkerungsteilen aus der civitas Clermont an der militärischen Operation teilnimmt. In weitere ummauerte Zentren wurde aber wegen der Plünderungen30 nicht eingedrungen. Durch eine List – ein Eid wird geschworen, der dann gebrochen wird – jedoch kann er mit ihm Folgeleistenden in ein ummauertes Zentrum (castrum) eindringen und darin plündern sowie Menschen rauben.31 Weitere Plünderungen folgen, so dass schließlich keine Nahrung mehr für die Folgeleistenden erlangt werden kann – was zum Ende der Operation führt, bei der schließlich die Kirchen in Clermont geplündert werden.32 Auffällig ist, dass bei der von Guntram initiierten Operation der Rahmen verlassen wurde. Das Ziel, die civitates in Septimania, wurden von einigen der Kriegergemeinschaften offenbar gar nicht erreicht. Das Plündern aber wird für die ganze Operation konstant erwähnt. Gregor konzipiert die Figur des Königs auch in diesem Fall als unschuldig:33 Wie schon in der Erzählung der Plünderungen bei der militärischen Operation gegen Gundowald nennt Gregor auch hier den König nicht als den-
27 Sein Name war Terentiolus. Greg. hist.: 8.30. Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 159. 28 Greg. hist.: 8.30. 29 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 138 f. 30 Zur militärischen Taktik des Aushungerns ummauerter Zentren Bachrach, Organization: S. 9 ff. und Bodmer, Krieger: S. 122 ff. 31 Greg. hist.: 8.30. 32 Greg. hist.: 8.30. 33 „Post dies vero quattuor, coniunctis episcopis necnon et maioribus natu laicorum, duces discutere coepit, dicens: ‚Qualiter nos hoc tempore victuriam obtenere possumus, quia ea quae patres nostri secuti sunt non costodimus? Illi vero aeclesias aedificantes, in Deum spem omnem ponentes, martyres honorantes, sacerdotes venerantes, victurias obtinuerunt gentesque adversas, divino opitulante adiutorio, in ense et parma saepius subdiderunt. Nos vero non solum Deum non metuemus, verum etiam sacra eius vastamus, ministros interficimus, ipsa quoque sanctorum pignera in ridiculo discerpimus ac vastamus. Non enim potest obtenere victuria, ubi talia perpetrantur; ideo manus nostrae sunt invalidae, ensis tepiscit, nec clepius nos, ut erat solitus, defendit ac protegit. Ergo si hoc meae culpae adscribitur, iam ea Deus capite meo restituat. Certe si vos regalia iussa contemnetis et ea quae praecipio implere differtis, iam debet securis capiti vestro submergi. Erit enim documentum omni exercitu, cum unus de prioribus fuerit interfectus. Verumtamen iam experire debemus, quid agi oporteat. Si quis iustitiam sequi destinat, iam sequatur; si quis contemnit, iam ultio publica cervice eius inmineat. Satius est enim, ut parvi contumaces pereant, quam ira Dei super omnem regionem dependat innoxiam‘. Greg. hist.: 8.30.
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jenigen, der Plünderungen verhindern kann.34 Ihm fehlt auch hier die Handlungsfähigkeit. Dem kann entgegengehalten werden, dass Gregors Konzeption der Figur eine Reduktion der Handlungsfähigkeit des Königs implizieren muss, um ihn als rex bonus darstellen zu können.35 Dem entgegen steht aber, dass die Figur nicht immer an die christlichen Normen angepasst handelt. Diese Beobachtung ist der zur Figur Chlodwigs I., die im zweiten Buch der decem libri historiarum ebenfalls von den christlichen Normen abweicht, in der Einleitung des fünften Buches aber zu einem Ideal der Könige der zweiten Generation nach ihm stilisiert wird, ähnlich. Ein Unterschied besteht in der Art der literarischen Verarbeitung des Bischofs: Für Chlodwig I. wurde festgehalten, dass Gregor sehr wahrscheinlich aus seiner Perspektive eines Historikers der jüngeren Vergangenheit Informationen bei seiner Konzeption der Chlodwigfigur einbeziehen musste, da diese weitläufig bekannt waren. Ein Nichtbeachten dieser Informationen hätte zu Irritationen der Leserschaft geführt: Chlodwig I. wäre als eine Konzeption des Bischofs erkannt worden. Hingegen kannte Gregor König Guntram persönlich.36 Das bedeutet zwar nicht, dass er für die Konzeption seiner Figur bei der Auswahl der Phänomene sowie Informationen nicht selektiv vorgegangen ist und sie unter Anwendung seiner Deutungsmuster gestaltete.37 So gibt der König auch in den Erzählungen nach dem Tod Gundowalds weiterhin im Rahmen kirchlicher Handlungsnormen an Arme38 und wohnt den Gottesdiensten39 fromm bei. Aber gerade diese Konzeption zeigt, dass der dem König zugeschriebene Zorn über die Plünderungen40 und dessen Deutung des Plünderns als Hinderungsgrund für Erfolge bei militärischen Operationen41 literarische Verarbeitungen von Informationen zu seiner Handlungsunfähigkeit sind: Auch wenn Gregor in Bezug zu den Plünderungen keine Fehlleistung des Königs darlegt, lässt er ihn dabei christlich argumentieren. Anders formuliert: Wenn es nach König Guntram gegangen wäre, dann hätte es keine Plünderungen gegeben; aber es gab sie und dies ist auch für ihn als rex bonus schlecht, weil er, obwohl er ein rex bonus ist, diese eben nicht verhindern kann. Aufschlussreich ist ebenfalls, dass die plündernden Kriegergemeinschaften auf ihrem Rückweg selbst von denen geplündert werden, die sie zuvor ausgeplündert haben. Die Dynamisierung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens ist mit den Aussagen deutlich zu belegen. Die Beteiligung eines regional-strukturellen Administrators und eines ehemaligen comes, der nun möglicherweise als ein herausragender Akteur an der militärischen Operation teilnahm, zeigen wiederum erneut die Subs-
34 Greg. hist.: 7.35. 35 In diesem Sinne Heinzelmann, Gregor: S. 57 ff. 36 Vgl. Heinzelmann, Gregor: S. 49 f. 37 Zustimmend Halsall, Nero and Herod?: S. 347 ff. 38 Zusammenfassend Greg. hist.: 7.40; 8.3 und 9.21. 39 Zusammenfassend Greg. hist.: 8.7. 40 Greg. hist.: 8.30. 41 Greg. hist.: 8.30.
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tituierung der Könige als Anführer durch sie selbst. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass der ehemalige comes von Limoges Terentiolus vielleicht auch kein herausragender Akteur im Sinne der Verfügung über umfangreiche materielle Güter und Ressourcen war. Die Aussagen lassen hier keine eindeutige Festlegung zu. Die Effekte der Umverteilung von materiellen Gütern und Ressourcen als Bedingung für weitere Plünderungen und die Anführerschaft eines der regional-strukturellen Administratoren sind jedoch sicher. Dass weitere Anführer bei der Operation ebenfalls lokaloder regional-strukturelle Administratoren waren, ist hingegen nicht sicher. Über sie erzählt Gregor in der anschließenden Passage ausführlich. Die Anführer der Kriegergemeinschaften hatten sich nach dem Ende der militärischen Operation in die Kirche des heiligen Symphorianus in der civitas Autun42 geflüchtet. Guntram kehrt dort ein, um das Fest des Heiligen zu feiern. Eine Untersuchung gegen die Anführer beginnt, an der auch einige Bischöfe und herausragende Akteure (et maioribus natu) teilnehmen.43 Vergleichend erzählt Gregor als positiv gewertete Handlungen der Väter (Kirchenbau und Märtyrerverehrung sowie Gottesglauben und Priesterehrung werden angeführt) und das Plündern der Kirchen wie auch die Tötungen von Priestern als negativ gewertete Handlungsweisen: Daher könne der militärische Sieg nicht errungen werden.44 Daraus resultiert die Befürchtung einer Strafe Gottes an Guntram, der aber darauf verweist, dass seinen Anweisungen nicht gefolgt wird. Daher müsse einer der Anführer – und zwar mit dem Tod – bestraft werden. Diese werden insgesamt in der Erzählung mit einem Wort (prioribus) bezeichnet, das summiert mit anderen unter die Kategorie „Große“ gefasst werden kann.45 Gregor lässt die Anführer darauf in wörtlicher Rede auf die Verderbtheit der ganzen Bevölkerung Bezug nehmen und gestaltet so eine Entschuldigung: Keiner höre, weder auf den König, noch auf die duces, und auch nicht auf die comites.46 Dies zeigt: Sie symbolisierten Erwerbschancen, auch ohne solche zu offerieren – mit ihnen wurde die Möglichkeit zu plündern verbunden. Dies war von diesen Akteuren demnach nicht aktiv angeboten. Geplündert wurde trotzdem. Der Sprachgebrauch des Bischofs ist noch vertiefend zu untersuchen. Der Gebrauch des Wortes priores für die Bezeichnung derjenigen, die zuvor als Anführer bei der militärischen Operation tätig waren, lässt vermuten, dass herausragende Akteure und duces auf der Deutungsebene als identisch aufzufassen sind. Dem ist aber nicht zwangläufig so, denn priores kann schlicht mit „Erste“ oder „Vordere“ übersetzt werden. In der Tat waren die Anführer die „Ersten“ oder „Vorderen“ bei der
42 Die civitas ist bei Gregor nicht direkt erzählt. Sie lässt sich aber aus dem Namen des Heiligen erschließen. Es kann mit einiger Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass die Kirche des Heiligen in Autun zu verorten ist. Vgl. Weidemann, Kulturgeschichte Bd. II: S. 172. 43 Greg. hist.: 8.30. 44 Greg. hist.: 8.30. 45 Vgl. Weidemann, Adel: S. 536. 46 Greg. hist.: 8.30.
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Operation – ihnen wurde Folge geleistet. Damit ist also nicht zwangläufig gesagt, dass sie herausragende Akteure im Sinne einer spezifischen Verfasstheit eines personengebundenen Status waren. Dieser Status war ebenso durch ihr Anführersein in einer spezifischen Situation, nämlich der militärischen Operation gegen die civitates in der Region Septimania, definiert. Zum anderen ist festzuhalten, dass mit den Aussagen zur Rechtfertigung der Anführer Plünderungen direkt angesprochen sind: Der Kriegermodus war offenbar weiterhin der Erwerbsmodus der Folgeleistenden und die Kriegergemeinschaften waren weiterhin das Erwerbsmittel der Menschen in diesem Modus, auch wenn dies vom König und den Administratoren nicht akzeptiert worden war. Dabei wird die Handlungsunfähigkeit des Königs auf die duces und comites übertragen. Die Erzählung weist einige Parallelen zu den Erzählungen über Chlodwigs I. Verhältnis zu den Folgeleistenden, der militärischen Operation Theuderichs I. nach Clermont und der Tötung des comes von Rouen auf das Geheiß Chilperichs I. auf. Diese intratextuelle Parallelität gilt es hinsichtlich der Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen zu untersuchen. Dass Gregor seine Chlodwigfigur zu einem Ideal der Könige der zweiten Generation nach ihm in der Einleitung des fünften Buches der decem libri historiarum stilisiert, obwohl er die Figur im zweiten Buch von christlichen Handlungsnormen abweichend handeln lässt, ist bereits thematisiert worden. Chlodwig I. wendet im zweiten Buch Gewalt gegen diejenigen an, die nicht positiv gegenüber den Bischöfen und Heiligen handeln. Dies betrifft die Teilungsepisode von Soissons47 wie auch die zu dem Verbot von Plünderungen.48 Die Tötungen werden dabei im Sinne der Erfüllung christlicher Handlungsnormen vollzogen, wobei Chlodwig I. in der ersten Episode noch ungetauft ist und zuvor mit Syagrius einen wahrscheinlich katholisch-christlichen Anführer49 besiegt. Für die Untersuchung einen dualen Kontrast zwischen christlichen und unchristlichen Handlungen anzunehmen, geht – wie im zweiten Kapitel ausführlich dargelegt – daher prinzipiell fehl. Die Figur handelt vielmehr im Sinne kirchlicher Akteure auf eine unchristliche Weise; was Gregor aber nicht negativ wertet. Dies kann mit dessen eigener Position während der Abfassung der decem libri historiarum verbunden werden: Ein unchristlich handelnder König ist nicht zu kritisieren, wenn er für die Bischöfe und Heiligen handelt. Der Krug wird zurückgegeben und die Plünderungen verhindert. Es sind also – so ist ausdrücklich festzuhalten – nicht einfach nur christliche Handlungsnormen, die Gregor anwendet. Er wendet sie als katholischer Christ in der Position eines zentralen ökonomischen Administrators
47 Greg. hist.: 2.27. 48 Greg. hist.: 2.37. 49 Erneut dazu: Sollte Aegidius ein Enkel des gallischen Aristokraten Flavius Afranius Syagrius gewesen sein, dann war er aller Wahrscheinlichkeit nach Katholik, wie sein vermeintlicher Cousin Tonantius Ferreolus, der von Sidonius Apollinaris aufgefordert wurde, in den geistlichen Stand einzutreten. Wenn nun auch Syagrius dessen Sohn war, ist auch er wahrscheinlich katholisch gewesen. Vgl. Heinzelmann, Prosopographie: S. 699 und S. 608.
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mit richterlichen Handlungskompetenzen an. Der katholische Glaube war in Gallien, wie ebenfalls im zweiten Kapitel festgehalten, der Glaube der primär sesshaften Bevölkerung. Das ist auch in der Ausbildung von Bistümern als geographisch fixierten Einheiten50 – ein auf Mobilität basierendes Predigersein51 wäre ein anderes Modell gewesen, was sich aber nicht durchsetzte52 – deutlich nachvollziehbar. Daher wird die Bedeutung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens als Träger des katholischen Glaubens noch einmal als eine bereits für Gregor historische Gegebenheit auch mit diesem Befund ersichtlich. Insofern wird verständlich, warum Gregor Chilperich I. zwar häufig kritisiert, die Tötung des comes von Rouen53 aber eben nicht negativ wertend erzählt: Plünderungen, die nicht nur aus theologischer Sicht, sondern auch aus Gregors spezifischer Perspektive schlecht und schädlich waren, konnten damit beendet werden. Nun darf allerdings nicht übersehen werden, dass sein Chlodwig I. bei der Entscheidung, zum katholischen Glauben überzutreten, diese letztlich von der Zustimmung der ihm Folge leistenden Akteure abhängig macht.54 Auch der sogenannte Fredegar nimmt diese erzählte Konstellation paraphrasiert auf.55 Die Abhängigkeit der Könige wird besonders in der Erzählung zur militärische Operation nach Clermont im dritten Buch der decem libri historiarum nachvollziehbar: Sie findet nur statt, weil die Folgeleistenden drohen, Theuderich I. zu verlassen und seinen Halbbrüdern Folge zu leisten: Dies bewegt Theuderich I. dazu, Erwerbschancen zu offerieren und nach Clermont aufzubrechen.56 Mit der Differenzierung der Könige von den Kriegergemeinschaften (die sich neben den Aussagen zur selbst beförderten Substituierung der Könige als Anführer auch in den Aussagen der zuvor begonnenen Dynamisierung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens ausdrückt) konnte ein unchristlich handelnder König die Bischöfe nicht mehr hinsichtlich ihrer theologischen und ökonomischen Interessen bedienen. Das Modell einer Kooperation zwischen kirchlichen Akteuren und den Königen als Mittel der Vertiefung christlicher Handlungsnormen und der Verstetigung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens war gegen Ende des 6. Jahrhunderts offenbar nicht mehr einfach zu realisieren. Die Abhängigkeit der Könige von Kriegergemeinschaften (die Erwerbsmittel der im Kriegermodus Folgeleistenden waren) als militärischen
50 Vgl. Baumgart, Bischofsherrschaft: S. 96 ff. 51 Vgl. Jussen, Prozeduren: S. 713–717. 52 Gregor übt ebenfalls Kritik an dem mit Mobilitätsaspekten versehenen asketischen Predigersein, obwohl der von ihm verehrte heilige Martin diesem in seinem Handeln ähnelte. Vgl. Jussen, Prozeduren: S. 677–679. 53 Greg. hist.: 6.31. 54 Greg. hist.: 2.31. 55 „Cum a sanctum Remedium in albis euangelio lectio Chlodoveo adnunciaretur, qualiter dominus noster Iesus Chrsitus ad passionem venerat, dixique Chlodoveus: ‚Si ego ibidem cum Francis meus fuissem, eius iniuriam vindicassim.‘.“ Fredeg.: 3.21. 56 Vgl. Greg. hist.: 3.11.
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Mitteln der Inkorporation wie auch der Verteidigung von civitates, war weiterhin gegeben. Daher wird das Problem der Dynamisierung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens für die geographisch fixierten Bischöfe als Abweichung der Bevölkerung von christlichen Handlungsnormen insgesamt erzählt: Plünderungen waren weder von den Königen noch von den lokal- und regional-strukturellen Administratoren und auch nicht – so kann wegen des Gebrauchs der genannten Worte durch Gregors angenommen werden57 – von herausragenden Akteuren zu verhindern. Im Gegenteil: Wegen der unchristlichen Handlungen, von denen das Plündern eine ist, siegen noch in der Erzählung zum Gespräch nach dem Ende der Operation gegen die civitates in Septimania westgotische Akteure unter der Anführung Reccareds und plündern das castrum Cabaret, das Gebiet der civitas Toulouse und auch das castrum Beaucaire. Menschen werden dabei ebenfalls geraubt.58 Der Konflikt zwischen den westgotischen Königen und König Guntram ging also weiter. Die Datierung der Aussagen dazu ist aber – wie angedeutet – nicht einfach. Dass der Sieg Reccareds, der zu dieser Zeit noch nicht König war, da sein Vater Leovigild noch lebte,59 585 stattfand, kann mit der Parallele der Angaben bei Gregor von Tours60 und Johannes von Biclaro61 als weitgehend sicher aufgefasst werden. Weitere Aussagen zum Konflikt und den daraus resultierenden militärischen Operationen sind aber nicht mit derartiger Sicherheit zu datieren. Nach Gregor waren Gesandte von der Iberischen Halbinsel nach Gallien gezogen, um Frieden zu erwirken; was aber nicht gelang. In welchem Jahr sie in Gallien ankamen, ist wegen der Formulierung Gregors nicht sicher.62 Darauf sei Reccared erneut plündernd mit ihm Folgeleistenden in Gallien 58663 eingefallen.64 Johannes erwähnt beides nicht. Danach gibt laut Gregor König Guntram seinem Neffen Childe bert II. die civitas Albi, worauf der dort mittlerweile wieder als regional-struktureller dux tätige Desiderius eine militärische Operation in Richtung der Iberischen Halbinsel beginnt, die nicht von Childebert II. initiiert wird.65 Der dux Desiderius konnte also auch in diesem Fall Folgeleistungen organisieren, ohne dass ein König direkt
57 Die Verwendung des Wortes duces ist auch hier nicht eindeutig. Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 25–27. Dazu Weidemann, Kulturgeschichte Bd. I: S. 56–58. 58 „Haec eo dicente, advenit nuntius, dicens: ‚Richaredus, filius Leuvichildi, de Hispaniis egressus, Caput Arietis castrum obtenuit et ex pago Tholosano maximam partem depopulatus est hominesque captivos abduxit. Ugernum Arelatense castrum inrupit resque cunctas cum hominibus abstullit et sic se infra murus Nemausensis urbis inclusit‘.“ Greg. hist.: 8.30. Ähnlich Joh. bicl. chron.: 75. 59 Joh. bicl. chron.: 73. 60 Greg. hist.: 8.30. 61 Joh. bicl. chron.: 75. 62 Greg. hist.: 8.36. 63 Zur Datierung Greg. hist.: 8.36. 64 Greg. hist.: 8.38. 65 Greg. hist.: 8.45.
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einwirkte.66 Er fand dabei den Tod.67 Nach Gregor lief die Operation im zwölften Jahr Childeberts II. – das ist 587 – ab68 und zwar noch vor dem Tod Leovigilds.69 Nach Johannes stirbt Desiderius auch in einem Kampf 587 – jedoch erst als Leovigild bereits verstorben und sein Sohn Reccared schon König70 sowie zum katholischen Glauben übergetreten ist.71 Reccared bemüht sich laut Gregor danach um ein Bündnis mit den Merowingern. Während Childebert II. diesem zustimmt, lehnt Guntram dieses ab,72 worauf 58773 weitere Plünderungen in Gallien erfolgen.74 Reccared, der nach Gregor erst in diesem Jahr die katholische Taufe empfängt,75 sucht danach ein Heiratsbündnis mit den Merowingern. Childebert II. gewährt ihm dies, während Guntram jede Art von Bündnis weiter ablehnt.76 Festzuhalten ist bei aller Problematik der Datierung dieses Konflikts, bei dem auch noch nach dem Vertrag von Andelot weitere militärische Operationen zustande kamen,77 dass einige Aussagen zu Plünderungen in dem Bestand gegeben sind. Auffällig ist, dass diese fast keine Informationen zu Kämpfen zwischen Akteuren umfassen. Einzig zur militärischen Operation, bei der der dux Desiderius Folgeleistungen organisierte, sind Aussagen zu Kämpfen vorhanden. Jedoch sind dafür keine Plünderungen erwähnt.78 Die Grenze zwischen Gallien und der Iberischen Halbinsel war also ein geographischer Raum, in dem Plünderungen iberischer Kriegergemeinschaften fast völlig ungehindert stattfinden konnten. Sie wurden nur mit einer Initiative des dux Desiderius erwidert. Dabei wurden in der Region nicht nur Plünderungen von Akteuren begangen, die erst in das Gebiet vordringen mussten. Auch „baskische“ Akteure plünderten dort, wobei sie vom dux Austrovald79 und ihm Folgeleistenden dann in ihren Siedlungsgemeinschaften weitgehend erfolglos angegriffen wurden.80 Dass sich diese Aussagen zu Plünderungen ebenfalls auf die Grenzregion zwischen
66 Die Aussagen zur Beteiligung des comes Austrovald an der militärischen Operation müssen nicht zugleich auch die Beteiligung eines Königs indizieren. Kooperation zwischen den beiden lokal- und regional-strukturellen Administratoren ist sehr wohl auch möglich und nach den Aussagen aus der Erzählung sogar wahrscheinlicher. Greg. hist.: 8.45. 67 Greg. hist.: 8.45. 68 Zur Datierung Greg. hist.: 8.43. 69 Leovigild starb demnach 587. Ortsfern, jedoch zeitnah Greg. hist.: 8.46. Dazu Joh. bicl. chron.: 80. 70 Joh. bicl. chron.: 80. 71 Joh. bicl. chron.: 85. 72 Greg. hist.: 9.1. 73 Zur Datierung Greg. hist.: 8.43. 74 Greg. hist.: 9.7. 75 Greg. hist.: 9.15. 76 Greg. hist.: 9.15. 77 Greg. hist.: 9.31. 78 Greg. hist.: 8.45. 79 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 52. 80 Greg. hist.: 9.7.
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der Iberischen Halbinsel und Gallien beziehen, ist damit plausibel zu machen, dass der dux Austrovald auf Desiderius gefolgt ist.81 Ein anderer Akteur, der bei einer weiteren militärischen Operation wichtig war, ist der dux Rauching – dies jedoch in einer vollkommen anderen Art, als es für Desiderius der Fall ist. Der dux – so erzählt Gregor – verbündet sich 587 mit herausragenden Akteuren aus dem Teilstrukturierungszusammenhang König Chlothars II. (cum prioribus regni Chlothari) und gibt dabei vor, der Bund sei geschlossen worden, um dem Rauben endlich Einhalt zu gebieten.82 Tatsächlich aber soll Childebert II., der mittlerweile zwei Söhne hat,83 getötet werden. Rauching, der möglicherweise dux der Champagne war,84 soll sich des einen Sohnes Childeberts II. bemächtigen und mit ihm als Unterpfand die Champagne für sich allein gewinnen.85 Ursio und Berthefred sollen sich des anderen Sohnes Childeberts II. bemächtigen und die übrigen Gebiete seines Teilstrukturierungszusammenhangs übernehmen.86 Dazu kam es aber nicht: Guntram erfährt von dem Plan und sendet Boten an seinen Neffen. Dieser lässt darauf Rauching zu sich kommen und durch ein Attentat töten. Seine Güter werden eingezogen.87 Ursio und Berthefred haben allerdings bereits Folgeleistungen organisiert, um gegen Childebert II. vorzugehen, als sie vom Tod Rauchings erfahren. Sie fliehen mit den Folgeleistenden in ein castrum nahe eines der Höfe des Ursio.88 Childebert II. schickt daher eine Kriegergemeinschaft unter Godegisil gegen die beiden aus, die sich mittlerweile in eine Kirche begeben haben. Die Kriegergemeinschaft ist erfolgreich: Ursio wird getöten,89 während Berthefred in eine andere Kirche flieht und dort um Asyl bitte.90 Er wird jedoch später ermordet.91 Die materiellen Güter, die sie mit sich geführt haben, werden geplündert.92 Aufschlussreich sind für diese militärische Operation besonders die Aussagen, die sich auf die Plünderungen vor dem eigentlichen Kampf beziehen: Plünderungen der Kriegergemeinschaften des Childebert II. wurden bereits auf dem Weg zum Zielort
81 Greg. hist.: 8.45. 82 „Post haec Rauchingus cuniunctus cum prioribus regni Chlothari, fili Chilperici, confingens se quasi tractaturus de pace, ut inter terminum utriusque regni nulla intentio aut dereptio gereretur, consilium habuerunt, […].“ Greg. hist.: 9.9. Tatsächlich ermöglichen die Aussagen zu hinterfragen, ob die in dem pactus pro tenore pacis beschlossenen Regelungen bezüglich der centenarii überhaupt umgesetzt worden sind. Überblickend Murray, Administration: S. 75–93. 83 Dies waren die späteren Könige Theuderich II. und Theudebert II. Greg. hist.: 8.37 und 9.4. 84 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 150 f. 85 Greg. hist.: 9.9. 86 Greg. hist.: 9.9. 87 Greg. hist.: 9.9. 88 Greg. hist.: 9.9. 89 Greg. hist.: 9.12. 90 Greg. hist.: 9.12. 91 Greg. hist.: 9.12. 92 Greg. hist.: 9.12.
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wie schon im Fall der ersten militärischen Operation Guntrams gegen die civitates in Septimania vollzogen. Sie betrafen primär die Landgüter des Ursio und des Berthe fred.93 Damit ist abschließend anzunehmen, dass die Erwerbschancen, die Godegisil symbolisierte, für das Organisieren von Folgeleistungen relevant waren.
5.1.1 Regionale und lokale Konflikte 585 bis 587 Der Quellenstand zwischen 585 und 587 in Gallien umfasst mehrere Aussagen, die die Annahme einer Normalität des Raubens im Allgemeinen plausibel machen. Die Erzählung zum Usurpationsversuch des dux Rauching erlaubt, die Annahme auch für diesen Zeitraum in Anschluss an bisherige Ergebnisse zu fundieren, denn er schließt sich nach Gregor unter dem Vorwand mit anderen zusammen, dem Raub Einhalt zu gebieten.94 Zudem sind Aussagen zu einer jungen Frau, die Raubtaten mit einer wahrsagerischen Fähigkeit aufdeckt und auf diese Weise zu Reichtum kommt, gegeben.95 Weitere Aussagen, wie die zu einem Mann, der viel raubt und nach einem Meineid gegenüber dem heiligen Martin von diesem körperlich hart gestraft wird,96 dienen ebenfalls dazu. Kirchliche Akteure werden aber auch weiterhin nicht nur als angepasste Vermittler christlicher Handlungsnormen, sondern auch als abweichend Handelnde konzipiert.97 Die Erzählung über die Ermordung und Beraubung eines Händlers durch seine eigenen Wachen98 kann auch für die Fundierung der Annahme verwendet werden. Hier ist zusätzlich festzuhalten, dass das Rauben eben nicht nur das sesshaft-sozioökonomische Leben betraf, sondern auch semimobile Akteure, wie diesen Händler, tangieren konnte. Die Annahme, dass das Rauben als eine weitestgehend normale Erwerbspraktik aufzufassen ist, bleibt also plausibel. 5.1.1.1 Rauben unter der Anführung lokal- und regional-struktureller Administratoren Die Normalität des Raubens ergibt sich selbstredend nicht aus der Wertung des Bischofs Gregor oder anderer zeit- und ortsnaher Autoren. Sie ist gerade mit der Häufigkeit der Nennung durch zeitnahe Autoren als eine normale Praktik anzunehmen. Ähnlich wie die Aussagen zu Meineiden, die zeigen, dass das Eidesleisten zur Herstellung von kontinuierlichen Sozialbeziehungen99 trotz des Misslingens wiederholt
93 Greg. hist.: 9.12. 94 Greg. hist.: 9.9. 95 Greg. hist.: 7.44. 96 Greg. hist.: 8.16. 97 Greg. hist.: 8.19 und Greg. hist.: 8.39. 98 Greg. hist.: 7.46. 99 Vgl. Graf, Art. Treueid: S. 231 f.
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versucht wurde, zeigen Aussagen zum Rauben in ihrer Summe, dass diese Erwerbspraktik wie das Plündern normal war. Beide Praktiken betrafen auch den dux Beppolen.100 Gregor erzählt, dass Beppolen sich von Fredegunde und Chlothar II. abwendet und zu Guntram übergeht – der positioniert ihn als regional-strukturellen Adminis trator. Er wird zum dux über die civitates in dem Strukturierungszusammenhang Chlothars II. ernannt. Die Bevölkerung von Rennes nimmt ihn aber nicht an und als er dann in die civitas Angers kommt, raubt Beppolen dort.101 Die Aussagen lassen es als wahrscheinlich erscheinen, dass er nicht allein in die civitas gekommen ist. Für die Annahme ist ebenfalls die Aussage zur Furcht des Domegisil zu verwenden. Er war für Chilperich I. als Gesandter tätig102 gewesen und bei dem Brautzug der Rigunthe mitgezogen.103 Domegisil hatte zuvor noch mit Bevölkerungsteilen von Angers Theodulf, der von Guntram zum comes der civitas eingesetzt worden war, von dort vertrieben.104 Dies legt wiederum nahe, dass er ein herausragender Akteur war, da er Folgeleistungen ohne Beteiligung eines Königs gegen einen lokal-strukturellen Administrator organisierte. Während Beppolen sich noch in Angers aufhält, lässt Fredegunde seine Landgüter schädigen.105 Es ist wahrscheinlich, dass diese dabei auch beraubt wurden. Offenbar war Guntram nicht in der Lage, einen comes in Angers einzusetzen. Ein herausragender Akteur verhinderte dies mit ihm Folgeleistenden, obwohl Guntram gegenüber Chlothar II., dem König, dem die civitas gehörte, Vormund war.106 Die Präsenz des Königs konnte dort nicht konsolidiert werden, so dass mit Beppolen ein weiterer Versuch der Konsolidierung begonnen wurde, der mit Raub in der civitas Angers einherging. Das führte wiederum zu Schädigungen der civitas und indirekt auch zu Schädigungen der Könige. In den Aussagen sind also alle Problemaspekte fassbar, die bereits mehrfach angesprochen wurden. Es ist aber noch mehr zu erschließen: Beppolen war offenbar besitzend und dabei nicht immer in einer regional-strukturellen Administratorenposition tätig.107 Woher Beppolen die Landgüter hatte, kann nicht mehr mit Sicherheit eruiert werden. Es ist möglich, dass er sie nicht nur durch das Verteilen eines der Könige erhalten hat. Dass er sie offenbar schon vor seiner Operation nach Rennes besaß, ist sicher. Daher ist eher wahrscheinlich, dass nicht das Innehaben einer lokal- oder regional-strukturellen Administratoren-
100 Dies in Bezug auf seine Anführerschaft gegen die Bretonen. Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 54 f. 101 Greg. hist.: 8.42. 102 Greg. hist.: 6.18. 103 Greg. hist.: 6.45. 104 Greg. hist.: 8.18. 105 Greg. hist.: 8.42. 106 Vgl. Ewig, Merowinger: S. 47. 107 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 54.
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position das Entstehen herausragender Akteure ermöglichte, sondern das Verfügen über materielle Güter und Ressourcen es einem herausragenden Akteur erlaubte, eine derartige Position zu erhalten.108 Dies musste nicht immer mit einem festen, unveränderbaren Status eines Akteurs einhergehen und konnte auch durch Plünderungen und Raub erst möglich werden – wie die Aussagen zu Leudast zeigen.109 Ein weiterer regional-struktureller Administrator, der raubend erwarb, war Pelagius, der in Tours Vorsteher der königlichen Ställe war.110 Er raubte in Tours nicht nur die Bewohner sondern auch die Kleriker aus und stand auch deshalb in einem Konflikt mit dem Bischof Gregor.111 Nach dem Raub von Seeigelgefäßen, die den Klerikern von Tours gehörten, schloss Gregor ihn aus der Kirchengemeinschaft aus. Pelagius schwor ihm daraufhin einen Meineid in der Kirche der heiligen Maria: Er habe die Gefäße nicht genommen. Drei Monate später versuchte Pelagius unrechtmäßiger Weise eine Wiese der Nonnen zu Tours zu mähen, worauf er erkrankte und starb.112 Gregor deutet seinen Tod als Zeichen der Wunderkraft der heiligen Maria, in deren Kirche er geschworen hatte.113 Es ist nicht zu übersehen, dass erneut materielle Güter und Ressourcen wichtig sind. Auch Pelagius nutzte seine Administratorenposition in Tours ähnlich wie Leudast dazu, um durch Raub zu erwerben. Das Innehaben nutzte ihm also, um mittels des Raubens zu einem herausragenden Akteur zu werden; wenn er nicht zuvor schon umfangreiche materielle Güter und Ressourcen besaß. Da dazu aber Aussagen fehlen kann nur als sicher gelten, dass Pelagius in seiner Administratorenposition einen Zugewinn an materiellen Gütern und Ressourcen hatte. Dabei half ihm seine Position nur insofern, dass er in ihr geographisch verortet wurde und rauben konnte, was selbstredend auch für andere lokal- und regional-strukturellen Administratoren gilt. 5.1.1.2 Rauben unter der Anführung herausragender Akteure Die Erzählung zum Konflikt zwischen den Familien des Sichar und des Chramnesind114 beginnt mit einem gewaltsamen Aufeinandertreffen, das nach Gregor der
108 Vgl. Weidemann, Kulturgeschichte Bd. I: S. 30 f. 109 Greg. hist.: 5.48. 110 Greg. hist.: 8.40. 111 Greg. hist.: 8.40. 112 Greg. hist.: 8.40. 113 „Vasa quoque echini, qua periuraverat, post obitum illius ab eius prumtuario sunt delata. Manifesta est autem virtus beatae Mariae, in cuius basilicam miser sacramentum protullit mendax.“ Greg. hist.: 8.40. 114 Die geschichtswissenschaftliche und vor allem rechtswissenschaftliche Literatur zu dieser Erzählung ist als umfangreich zu bezeichnen. Vgl. Bernoth, Sichar: S. 77–158. Im Folgenden wird es primär und die Folgeleistungen und um die Relevanz materieller Güter und Ressourcen für diese gehen. Die Pluralität der Bezeichnungen der beteiligten Akteure wird dabei nicht unberücksichtigt bleiben. Vgl. Bernoth, Sichar: S. 43 ff.
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Beginn eines bellum civile ist.115 Er schreibt, dass Sichar, der Sohn des bereits verstorbenen Johannes, in einem vicus in der civitas Tours Weihnachten mit Austregisil und anderen Bewohnern der civitas feiert, als ein Priester einen puer116 entsendet, um zu einem Gastmahl einzuladen. Der puer wird aus nicht genannten Gründen von Austregisil oder einem ihm Nahestehenden – auch das ist nicht ganz klar117 – erschlagen. Dies veranlasst Sichar, der mit dem Priester befreundet ist, Austregisil in der Kirche des vicus aufzulauern. Austregisil, der davon erfährt, rüstet sich daraufhin, und kämpft mit ihm Folgeleistenden (pueri) gegen ihn. Sichar flüchtet auf seinen Hof. Er lässt aber einige seiner materiellen Güter wie auch Verwundete, die mit ihm gegen Austregisil und den ihm Folgeleistenden gekämpft hatten, im Haus des Priesters zurück. Die Folgeleistenden (pueri) des flüchtigen Sichar werden von Austregisil und den ihm Folgeleistenden118 im Haus des Priesters getötet. Die zurückgelassenen Güter werden geraubt.119 Hieraus resultiert ein Gerichtsverfahren: Austregisil wird zu einer Buße und zur Rückgabe der geraubten Güter verurteilt. Doch Sichar wartet erst gar nicht auf die Erfüllung des dabei geschlossenen Vertrages. Er verbündet sich mit Audin. Sie überfallen Auno, dessen Sohn und dessen Bruder Eberulf, da Austregisil bei ihnen die geraubten Güter gelagert wurden. Dabei werden nicht nur die drei Genannten getötet. Auch deren Diener (servi) werden ermordet. Neben den gelagerten Gütern werden auch ihre eigenen sowie ihr Vieh geraubt. Gregor schaltete sich nun persönlich als Figur in die Erzählung ein. Er versucht den Konflikt zusammen mit dem Richter auch mittels materieller Güter und Ressourcen der Kirchen von Tours zu schlichten.120 Die Partei des Chramnesind, der der zweite Sohn des ermordeten Auno ist, nimmt das Angebot Gregors aber nicht an. Sichar zieht daraufhin in die civitas Poitiers und suchte dort seine Gattin auf, bevor er zum König aufbrechen will. Doch kommt es zu einem Handgemenge mit einem seiner Diener (servus), der dann von den Freunden des Sichar getötet wird. In Tours führt dies zum Gerücht, Sichar sei in Poitiers getötet worden – was wiede-
115 „Gravia tunc inter Toronicos cives bella civilia surrexerunt.“ Greg. hist.: 7.47. 116 Veniente vero puero, unus ex his qui invitabantur, extracto gladio, eum ferire non metuit.“ Greg. hist.: 7.47. Die Semantik des Wortes Geary, Merowinger: S. 113. Ähnlich dazu auch Werner Hechberger, der aber neben dem geringeren Rechtstatus auch einen gehobenen sozialen Status akzentuiert. Für ihn sind sie – auch in Verbindung mit den Königen – nicht nur „unfreie Diener“. Vgl. Hechberger, Adel: S. 27. 117 Greg. hist.: 7.47. 118 Es ist wahrscheinlich, dass er nicht allein handelte: „Quo fugiente, Austrighyselus iterum inruens, interfectis pueris, aurum argentumque cum reliquis rebus abstulit.“ Greg. hist.: 7.47. 119 Greg. hist.: 7.47. 120 „Et haec dicens, optuli argentum aeclesiae; sed pars Chramnesindi, quae mortem patris fratrisque et patrui requirebat, accepere noluit. His discedentibus, Sicharius iter, ut ad regem ambularet praeparat, et ob hoc Pectavum ad uxorem cernendam proficiscitur.“ Greg. hist.: 7.47.
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rum Chramnesind dazu bewegt, unter seinen Verwandten und Freunden (parentes et amicis) Folgeleistungen zu organisieren und das Haus des Sichar in Tours auszurauben. Erneut werden Diener (servi) getötet und neben dem Haus des Sichar auch die Häuser Anderer in Brand gesteckt, die an dem Landgut Anteil hatten, auf dem das Haus des Sichar steht.121 Ein zweites Gerichtsverfahren wird angestrengt, das dann endlich zum Ende des Konflikts führt.122 Jedoch war dieses Ende nicht abschließend. Die beiden Hauptkontrahenten schließen zwar Freundschaft, doch wird Sichar von Chramnesind bei einem Gastmahl nach provozierenden Worten 588 erschlagen. Er flieht dann zu Childebert II.;123 wird aber letztlich nicht verurteilt.124 Für die Relevanz des Plünderns und Raubens für das Entstehen und Bestehen herausragender Akteure ist anfänglich festzuhalten, dass Gregor den Konflikt zum Teil als Augenzeuge erlebte. Dabei werden zwei Arten von Beziehungen von ihm mehrfach erwähnt. Austregisil, Sichar und Chramnesind haben Beziehungen zu pueri und amici. Hinzu kommen noch die parentes. Die pueri – hier zumeist aus kontextuellen Gründen mit Folgeleistende übersetzt – und die amici, die Freunde125 der Betreffenden, stehen selbstredend in einer jeweils anderen Beziehung zu den Anführern. Dies gilt dann auch für die parentes, die Verwandten der Akteure. Dass es sich bei den amici um Schwurfreunde handelt,126 ist in der Erzählung nicht erwähnt. Auch wird nicht nachvollziehbar, dass mit pueri Akteure gemeint sind, die unfrei127 an die Streitenden gebunden waren. Für die Abgrenzung von solchen Akteuren gebraucht Gregor das Wort servi. Der Gebrauch des Wortes pueri kann eine funktionsgebundene Beziehung anzeigen.128 Diese waren dann keine amici der Anführer und wurden mit dem Gebrauch des Wortes pueri von diesen wiederum unterschieden. Während für die amici und die parentes klar ist, dass ihre Beziehung zu den Anführern bei dem lokalen Konflikt dazu führten, dass sie ihre Folgeleistungen organisieren konnten, ist dies für die pueri nicht klar: Wenn sie nicht in einer Abhängigkeitsbeziehung zu ihnen standen (was nicht deutlich nachzuvollziehen ist und mit dem Gebrauch des Wortes servi eher unwahrscheinlich wird) dann kann dies auch nicht als Begründung argumentativ geltend gemacht werden. Erschwerend für die Frage nach der Semantik des Wortes pueri bei Gregor kommt hinzu, dass auch der anfänglich erwähnte Priester Beziehungen zu Akteuren hatte, die er ebenfalls mit dem Wort bezeichnet. Daher empfiehlt es sich, den Erzählzusammenhang genauer zu untersuchen.
121 Greg. hist.: 7.47. 122 Greg. hist.: 7.47. 123 Dies ergibt sich aus dem Erzählzusammenhang. Der Name Childebert II. wird nicht erzählt. Greg. hist.: 9.19. 124 Greg. hist.: 9.19. 125 Vgl. Althoff, Getreue: S. 88–118 und Le Jan, Timor: S. 217 ff. Überblickend Epp, Amicitia. 126 Vgl. Strauch, Art. Schwurfreundschaft: S. 611–618. 127 Vgl. Hägermann, Art. Unfreie: S. 436–440. 128 Vgl. Halsall, Warfare: S. 48 f. und Bachrach, Organization: S. 57.
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Sicher ist, dass die Familien des Sichar und des Chramnesind – für Austregisil ist dies nicht deutlich129 – über materielle Güter und Ressourcen verfügten. Auno, der Vater des Charmnesind, hatte ein Haus in der civitas Tours und Viehherden, wie auch andere materielle Güter, die Sichar zusätzlich raubte, als er sich seine Güter zurückholte.130 Sichar hingegen hatte in den civitates Tours und Poitiers Höfe auf Landgütern, verfügte dazu über Gold und Silber wie andere Güter und Ressourcen und auch über Viehherden.131 Sichar kann auf der Basis der Aussagen als ein herausragender Akteur bezeichnet werden. Chramnesind hingegen ist persönlich wohl erst nach der Ermordung seiner Verwandten reicher geworden132 und somit erst später ein in diesem Sinne herausragender Akteur – wobei nicht übersehen werden darf, dass seine Familie offenbar schon zuvor über materielle Güter und Ressourcen verfügte. Dass auch kirchliche Akteure wie der Priester aus der Erzählung über materielle Güter und Ressourcen verfügten, kann ebenfalls als sicher gelten. Eine Korrelation zwischen den Gütern und Ressourcen sowie der Beziehung der darüber Verfügenden zu den als pueri Bezeichneten anzunehmen, ist zwar nicht unplausibel; argumentativ aber nicht einfach zu fundieren. Dass als pueri bezeichnete Akteure Folgeleistende wegen der Chancen auf materiellen Erwerb waren, ist hingegen mit der Aussage dazu, dass der Priester einen puer als Boten beauftragte, nur schwer zu halten. Hinzugezogen werden kann aber, dass die Aussagen zu den pueri ansonsten in dieser Erzählpassage stets mit Kampfhandlungen in Verbindung erzählt werden. Allerdings ist auch ein servus bewaffnet dargestellt und dieser attackiert Sichar sogar, da er ihn mit einem Stock zur Arbeit antreiben will.133 Sicher ist daher insgesamt nur: Herausragende Akteure konnten differente Arten von Beziehungen ohne das vorherige Innehaben einer Position der lokal- oder regional-strukturellen Administration haben. Sie führten dazu, dass andere Akteure ihnen in einem lokalen Konflikt Folge leisteten. Eine Differenzierung nach Abhängigkeitsgraden auf der Deutungsebene ist allerdings aufgrund der Aussagen nur mit Vorsicht zu versuchen. Dass einige Akteure mit großer Wahrscheinlichkeit – nämlich die als servi Bezeichneten – in einer interdependenten Beziehung auch versorgt wurden, damit sie als Arbeitskräfte aber auch als bewaffnete Akteure tätig werden konnten, ist kaum
129 Nachdem er die geraubten Güter bei Auno hinterlegt, wird er nicht mehr genannt. Greg. hist.: 7.47. 130 Greg. hist.: 7.47. 131 Greg. hist.: 7.47. 132 „Cumque Sicharius crapulatus a vino multa iactaret in Chramisindo, ad extremum dixisse fertur: ‚Magnas mihi debes referre grates, o dulcissime frater, eo quod interfecerim parentes tuos, de quibus accepta compositione, aurum argentumque superabundat in domum tuam, et nudus nunc essis et egens, nisi haec te causa paululum roborassit‘.“ Greg. hist.: 9.19. 133 „Cumque servum, ut exerceret opera, commoneret elevatamque virgam ictibus verberaret, ille, extracto baltei gladio, dominum sauciare non metuit. Quo in terra ruente, currentes amici adpraehensum servum crudeliter caesum, truncatis manibus et pedibus, patibolo damnaverunt.“ Greg. hist.: 7.47.
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zu bezweifeln. Allerdings sind Aussagen zu sozialer Mobilität – wie bereits gezeigt – keine Seltenheit. Zudem ist nicht unwahrscheinlich, dass die Dynamisierung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens in Gallien durch die militärischen Operationen und ihre Effekte eine Bewaffnung der auf Landgütern in Abhängigkeit Lebenden erforderte, um gegen Plünderungen und Raub vorgehen zu können. Herausragende Akteure konnten damit das Bestehen ihres Herausragens sichern. Die reaktiv-situationsbezogene Form des Warlordism ist hier anzuführen. Hinzu kommt, dass auch die kirchlichen Akteure offenbar soziale Beziehungen zu Akteuren hatten, die mit Waffengewalt gegen Aggressoren vorgingen. Dies zeigt die Erzählung über die Ermordung des Eberulf in Tours, bei der kirchliche Akteure verteidigt wurden. Diese werden nicht als servi oder pueri bezeichnet. Hierbei gebraucht Gregor die Worte inergumini, egeni, matricolarii und pauperes.134 Alle diese unterschiedlichen Worte werden also von Gregor für Akteure verwendet, die bei lokalen Konflikten Folge leisten. Das Folgeleisten bei Raub und Plünderungen war für das Bestehen herausragender Akteure nicht nur in aktiv-erwerbender, sondern auch in einer passiv-verteidigenden Weise relevant. Differente Beziehungen waren für den Erwerb wie auch für die Verteidigung eigener Güter und Ressourcen wichtig: Auf der Basis solcher konnten herausragende Akteure Folgeleistungen organisieren, um erwerbend und verteidigend tätig zu werden. Diese Annahme ist plausibel, da unterschiedliche Worte von Gregor für Akteure in den Beziehungen zu denjenigen, die auf der Deutungsebene als herausragende Akteure beschrieben werden können, verwendet. Mit Erzählungen über drei weitere lokale Konflikte nach dem Tod Gundowalds wird diese Pluralität der Bezeichnung von Menschen, die herausragenden Akteuren Folge leisteten, erneut belegbar. Gregor erzählt, dass Rathar,135 den er als quasi dux bezeichnet,136 nach Marseille gesandt wird, um dort in Erfahrung zu bringen, warum die civitas erneut an Childebert II. übergegangen ist.137 Der Bischof Theodorus von Marseille wird dafür verantwortlich gemacht.138 Rathar beginnt das Untersuchungsverfahren aber nicht. Er lässt den Bischof direkt gefangen nehmen und schickt ihn zu König Guntram. Dann beginnt er die Landgüter der Kirche zu berauben, wobei er Einiges nicht direkt an sich
134 „Nonnulli etiam matricolariorum et reliquorum pauperum pro scelere commisso tectum cellolae conantur evertere. Sed et inergumini ac diversi egeni cum petris et fustibus ad ulciscendam basilicae violentiam proficiscuntur, indigne ferentes, quur talia, quae numquam facta fuerant, essent ibidem perpetrata.“ Greg. hist.: 7.29. 135 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 149 f. 136 „Denique cum rex maxima intentione Theodorum episcopum iterum persequi conaretur et Massilia iam in Childeberthi regis dominatione revocata fuisset, ad discutiendas causas Ratharius illuc quasi dux a parte regis Childeberthi diregitur.“ Greg. hist.: 8.12. 137 Greg. hist.: 8.12. 138 Der Bischof Theodorus wurde schon zuvor für andere Verbrechen verantwortlich gemacht. Greg. hist.: 8.5.
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nimmt, sondern für den thesaurus des Königs kennzeichnen lässt. Gregor schreibt danach, dass die Diener des Rathar (famuli eius) eine Krankheit befällt. Auch sein Sohn erkrankt und stirbt. Rathar verlässt Marseille daraufhin.139 Das deutet der Bischof als Rache Gottes.140 Neun Kapitel später erzählt er, dass Guntram Boso pueri in eine Kirche in der civitas Metz entsendet, in der wenige Tage zuvor eine Verwandte Guntram Bosos mit großen Schätzen bestattet wurde. Sie sollen den Leichnam ausrauben, was sie auch tun. Doch kehren sie auf der Flucht wieder um, da sie fürchten, hart bestraft zu werden, wenn sie ergriffen würden. Sie gestehen dann in der Kirche, dass sie von Guntram Boso gesandt wurden.141 Die Aussagen zu der darauf folgenden Einziehungen der Güter des Guntram Boso werden weiter unten untersucht. Hier sind andere Aussagen aus einem weiteren Kapitel wichtiger: Die Tochter des zu dieser Zeit bereits verstorbenen Bischofs Victorius von Rennes liegt mit dem referendarius Bobolen142 um einige Weinberge im Streit. Sie war auch die Gattin des Nectarius, des Bruders des Bischofs Baudegisil von Le Mans,143 der 584144 bei Guntram von Fredegunde des Raubes von Gütern aus dem thesaurus Chilperichs I. beschuldigt, aber nicht für schuldig befunden wurde.145 Domnola, so lautete ihr Name, geht trotz der Warnung des Bobolen auf einen Weinberg, den sie als den Besitz ihres Vaters ausweist. Daraufhin organisiert Bobolen Folgeleistungen und dringt mit bewaffneten Akteuren (armatis viris) auf den Weinberg, erschlägt Domnola, raubt ihre dortigen Güter und tötet all diejenigen (viros; mulieres), die bei ihr sind und nicht entkommen können.146 Mit den armatorum viri ist eine weitere Formulierung neben den Worte amici, parentes, pueri und servi gegeben, die Akteure bezeichnet, die einem herausragenden Akteur Folge leisten.147 Die herausragenden Akteure in diesen drei Fällen – Rathar,
139 Greg. hist.: 8.12. 140 „Nec defuit ultio divina, quae servos suos ab ore canum rabidorum defensare consuevit.“ Greg. hist.: 8.12. 141 Greg. hist.: 8.21. 142 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 61. 143 Greg. hist.: 7.15. 144 Greg. hist.: 6.33. 145 Greg. hist.: 7.15. 146 Greg. hist.: 8.32. 147 Dass Akteure, die Folge leisten, different bezeichnet werden, ist in Anbetracht der Annahmen einer normativen Unterschiedlichkeit dieser Akteure, die anhand des Gebrauchs der Worte attestiert wird, doch geradezu erstaunlich, da bei allen möglichen, wahrscheinlichen und sicheren Implikatio nen, die mit diesen Worten verbunden sind, eben alle diese Art von sozialer Beziehung vollziehen. Damit ist an dieser Stelle ein weiteres Argument gegen die Annahme, es habe eine mehr oder weniger weit verbreitete spezifische Form – wie im Fall des Konzepts der Gefolgschaft – gegeben, in der Folgeleistungen gegeben waren. Sicher ist, dass ganz different bezeichnete Akteure Folge leisten konnten. Vgl. Althoff, Getreue: S. 144 ff. Ein Konzept soll hier nicht einfach mit einem anderen ersetzt werden. Es geht vielmehr darum, dass Folgeleistungen nicht in einer spezifischen Konstellation zwischen
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Guntram Boso, Domnola und Bobolen – ragen auf unterschiedliche Weise heraus: Die Verfügung von materiellen Gütern und Ressourcen ist nur für Guntram Boso und Bobolen direkt nachweisbar und dies vor allem durch Aussagen über Einziehungen ihrer Güter durch die Könige.148 Beide werden auch mit Titeln bezeichnet, wobei dies für Guntram Boso an anderen Stellen der Fall ist.149 Für den als referendarius bezeichneten Bobolen gilt, dass er kein lokal- oder regional-struktureller Administrator war.150 Für Domnola ist diese Verfügung relativ deutlich, wenn auch nicht direkt fassbar: Sie reklamiert Weinberge als den Besitz ihres Vaters und wird nach ihrer Ermordung beraubt. Rathar hingegen, der nur einmal in den decem libri historiarum als Figur auftritt und über den sonst überhaupt nichts zu erfahren ist,151 kann nicht als Verfügender über materielle Güter und Ressourcen bezeichnet werden. Es fehlt jegliche Aussage dazu. Alle vier herausragenden Akteure sind aber bei den lokalen Konflikten von Raub in aktiver wie passiver Weise betroffen. Soziale Beziehungen werden zudem fassbar – sie waren für den Raub relevant. Die Aussagen zum Raub der Grabbeigaben der Verwandten des Guntram Boso (sie können als Aussagen zu einem lokalen Konflikt in der Art aufgefasst werden, dass zwar der Anführer der Raubenden nicht anwesend war, aber sehr wohl ein Konflikt um materielle Güter gegeben ist) zeigen, dass Guntram Boso seine materiellen Güter und Ressourcen trotz eines bereits umfangreichen Bestandes solcher noch zu mehren versuchte. Ähnlich ist dies in den Aussagen zu Sichar. Insgesamt wird deutlich, dass herausragende Akteure keine Position der lokaloder regional-strukturellen Administration benötigten, um auf der Basis sozialer Beziehungen Folgeleistungen für Raubtaten zu organisieren. Dazu kann nicht nur erklärend auf die Dynamisierung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens verwiesen werden: Sie konnte dazu führen, dass ein herausragender Akteur materielle Güter und Ressourcen verlor. Auch die Relevanz der materiellen Güter und Ressourcen für das Leben und Überleben von Akteuren und ganzer Teile der Bevölkerung in Gallien ist zu nennen.152 Somit ist eher von einer Interdependenz zwischen den Beziehungen
Akteuren – wie der Gefolgschaft – ablaufen, sondern zwischen differenten Akteuren. Situationsbezogene Notwendigkeiten zur Verteidigung wie auch zum Erwerb von materiellen Gütern und Ressourcen dürfen dabei als Aspekte nicht übersehen werden. 148 Für Guntram Boso Greg. hist.: 8.21 und 9.8. Für Bobolen Greg. hist.: 8.43. 149 Greg. hist.: 4.50. 150 Zur Position des referendarius Weidemann, Kulturgeschichte Bd. I: S. 90–93. 151 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 149. 152 Ausdrücklich soll festgehalten sein, dass andere Aspekte – beispielsweise rechtlicher Art – neben materiellen Gütern und Ressourcen nicht als irrelevant ausgewiesen oder gar vollkommen negiert werden sollen. Zur Relevanz weiterer Aspekte Althoff, Getreue: S. 10–18, bes. 31–181. Besonders zu den Aspekten der amicitia Epp Amicitia. Vielmehr geht es darum zu zeigen, dass materielle Güter und Ressourcen auch als Grundlage des sesshaft-sozioökonomischen Lebens neben und mit diesen Aspekten zu beachten sind. So ist sehr plausibel, dass Akteure, die als servi bezeichnet werden, Folge leisteten, da diejenigen, die sie besaßen, dies von ihnen verlangten. Jedoch war die Verteidigung von
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und den materiellen Gütern sowie Ressourcen und weniger von einem Ursache-Wirkungsverhältnis zu sprechen. Ein Akteur konnte gerade wegen des Verfügens über Güter und Ressourcen (gleich woher er auch immer diese hatte und wie sie von ihm erworben wurden) soziale Beziehungen von jeweils ganz unterschiedlicher Art generieren und noch weitere Güter und Ressourcen erwerben. Er konnte sie aber verlieren, wenn er von jemandem, der Folgeleistungen organisiert hatte, beraubt oder geplündert wurde: Ursache und Wirkung sind also auf der Grundlage der Quellen nicht in einer verallgemeinernden Annahme zu formulieren, was wiederum die Dynamisierung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens kennzeichnet. Es ist auffällig, dass selbst nach dem Absinken der Zahl militärischer Operationen der Merowingerkönige gegeneinander das Bestehen von herausragenden Akteuren nicht gesichert war: Mit Domnola verlor eine herausragende Akteurin nicht nur ihre materiellen Güter und Ressourcen, sondern auch ihr Leben. Dies gilt auch für Sichar. Auch Bobolen und Guntram Boso sollten ihre materiellen Güter und Ressourcen schon kurze Zeit später verlieren, dies aber durch bestrafende Einziehungen durch die Könige.153
5.2 Das Einziehen und das Verteilen 585 bis 587 Die Quellenaussagen zum Einziehen und Verteilen durch die Könige Guntram und Childebert II. sind ungleich gewichtet. Guntram, zu dem auch in diesem Bestand einige Aussagen zum Geben im Rahmen kirchlicher Handlungsnormen vorhanden sind,154 ist zwei Mal mit Aussagen zu Einziehungen und einmal mit einigen Aussagen zur Verteilung vertreten. Childebert II. ist hingegen mit weit mehr Aussagen zum Einziehen vertreten, wobei jedoch keine Aussagen zum Verteilen vorhanden sind. Einmal ist auch seine Mutter an einer Einziehung beteiligt. Die Aussagen zur Verteilung Guntrams als Rückgabe beziehen sich auf das Geschehen nach dem Tod Gundowalds. Der dux Bladast und der comes Garachar von Bordeaux155 erhalten vom König ihre Güter zurück, als der Bischof Gregor die beiden,
materiellen Gütern und Ressourcen durch sie nicht nur die Verteidigung der sozioökonomischen Grundlagen ihrer Besitzer, sondern eben auch der Grundlagen, durch die sie selbst versorgt werden konnten. Inwieweit materielle Güter und Ressourcen für eine Beziehung von amici wichtig waren, kann von Fall zu Fall unterschiedlich ausgefallen sein. Bernoth, Sichar: S. 42 f. Es ist also an dieser Stelle zu betonen, dass ein nebeneinander differenter Aspekte wie auch ein Ineinandergreifen oder auch ein Aufeinanderbezogensein dieser möglich ist. Dass sie grundsätzlich streng von einander zu scheiden sind, ist hingegen unwahrscheinlicher. 153 Angedeutet ist dies auch in Greg. hist.: 9.18. Hier erhalten die Eltern des Bischofs Namatius von Nantes Landgüter zurück, die sie zuvor verloren haben. Ein König ist aber nicht erzählt. 154 Bei dem sogenannten Fredegar findet diese Verteilung noch vor dem Tod Gundowalds statt. Fredeg.: 4.1. 155 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 97.
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die in die Kirche des heiligen Martin geflüchtet waren, dem König vorführt.156 Dass sich der comes Garachar Gundowald angeschlossen hat, wird aber zuvor gar nicht erzählt und auch nicht, dass beide in die Kirche von Tours flüchten, obwohl Gregor selbst auf eine andere Stelle verweist.157 Abgesehen davon, dass die Aussagen zum Vermittlungsversuch des Bischofs Gregor und das Verzeihen des Königs als christliche Handlungsweisen zu beschreiben sind, ist hier eine Abhängigkeit der beiden Akteure vom König in ihrem Herausragen zu attestieren: Es ist das Zurückgeben, das sie wieder über materielle Güter und Ressourcen verfügen lässt. Für Garachar ist dies selbstredend nicht so eindeutig wie für Bladast – denn er tritt nur an dieser Stelle der decem libri historiarum auf.158 Bladast ist hingegen mehrfach erwähnt. Er ist erst nach der Rückgabe wieder zu einem herausragenden Akteur geworden. Bonatus wurde von Guntram159 hingerichtet, da er gegenüber dem König falsch handelte. Was damit genau angesprochen ist, wird mit den Aussagen Gregors nicht deutlich.160 Nach der Ermordung des Bonatus in seinem Haus in der civitas Bourges, die offensichtlich als Bestrafung für sein Handeln dargestellt wird, werden seine Güter eingezogen.161 Selbstredend können die wenigen Aussagen nicht dazu verwendet werden, Bonatus als einen herausragenden Akteur zu beschreiben. Aber es darf nicht übersehen werden, dass er über materielle Güter und Ressourcen verfügte und zugleich als ein Akteur erzählt wird, der gegen den König opponierte, wenn auch nicht klar wird, was mit der Formulierung genauer ausgedrückt werden soll. Die Aussagen zu Antestius sind ähnlich gelagert, wie die zu Rathar. Antestius wird nur in einer zeitfernen Heiligenvita162 als dux bezeichnet.163 Daher ist er eher nicht als regional-strukturellen Administrator aufzufassen. Die Aussagen umfassen gleich zwei Einziehungen durch Guntram. Er sendet Antestius in die civitas Angers. Dort sucht er nicht nur diejenigen heim, die an dem Mord an Domnola beteiligt waren (was unter der Formulierung Gregors genau zu verstehen ist, wird nicht deutlich)164
156 Greg. hist.: 8.6. 157 „Quo redeunte, Garacharius comis Burdigalensis adque Bladastis a nobis repraesentati sunt, quia, ut superius diximus, in basilica sancti Martini confugium fecerant, pro eo quod Gundovaldo coniuncti fuissent.“ Greg. hist.: 8.6. 158 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 97. 159 Der Name des Königs ist in dem Kapitel nicht genannt. Dass es sich aber um Guntram handelt, geht aus den vorherigen Kapiteln hervor. Greg. hist.: 8.1–8.11. 160 „Rex vero Cavillonum regressus, iussit Boantum, qui sibi semper fuerat infidelis, gladio percuti.“ Greg. hist.: 8.11. 161 Greg. hist.: 8.11. 162 Vita Aridii: 22. Zur Datierung der vita Wattenbach und Levison, Geschichtsquellen: S. 104, Anm. 227. 163 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 44. 164 „Antestius vero in Andecavos a rege Gunthchramno dirigitur, multis ibidem damnis adfligens eos, qui in morte Domnolae, uxoris Nectarii, mixti fuerunt. Resque Boboleni, eo quod fuerit huius caput sceleris, in fisco redactis, Namnetas accessit ac lacessire Nonnichium episcopum coepit, dicens: ‚Quia filius
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und zieht die Güter des Bobolen ein. Er zieht weiter nach Saintes und bedrängte den dortigen Bischof Palladius, indem er ihm vorwirft, der Bischof habe Gesandte der Fredegunde auf ihrem Weg auf die Iberische Halbinsel aufgenommen. Es kommt daher aber nicht zur Einziehung materieller Güter des Bischofs. Jedoch kann Antestius sich durch Zwang bereichern: Er zwingt den Bischof ihm ein Haus – allerdings für einen Betrag – in dem Gebiet der civitas Bourges zu überschreiben.165 Die Einziehungen wurden von Akteuren vollzogen, die nicht direkt mit Worten bezeichnet werden, die eine Tätigkeit in der lokal- und regional-strukturellen Administration oder in der Nähe eines der Könige166 anzeigen: Rathar ist als quasi dux bezeichnet. Die Formulierung zeigt eindeutig, dass Rathar eben kein dux war, sondern wie ein dux handelte. Da der Gebrauch des Wortes aber an sich nicht eindeutig ist, muss auch an dieser Stelle offen bleiben, ob Gregor das Wort hier im Sinn einer Administratorentätigkeit verwendet oder nicht. Gemäß bisheriger Ergebnisse ist hingegen sicher, dass der Wortgebrauch das Herausragen des Rathar hinsichtlich seiner Handlungen als solches vermittelt. Antestius wird nur einmal als dux in einer zeitfern verfassten Heiligenvita bezeichnet. Dies erlaubt die Annahme, dass die literarische Verarbeitung der Informationen zu Antestius aus der Perspektive eines Autors mit Historikerfunktion dazu führte, dass das Wort dux gebraucht worden ist. Trotzdem zeigen die zeitnahen Aussagen zu den beiden Akteuren ohne Frage, dass sie im Auftrag König Guntrams handelten – wobei sie auch für sich selbst materielle Güter und Ressourcen auf unterschiedliche Weise erwarben. Beide waren also in dieser Weise offenbar herausragende Akteure, was als Argument dafür verwendet werden kann, dass die Könige für das Entstehen und Bestehen herausragender Akteure relevant waren und dies auch relativ steuern konnten. Dass Rathar Akteure Folge leisteten, ist sicher. Für Antestius ist dies durchaus wahrscheinlich. Bei Rathar waren es neben seinen Dienern (famuli eius) einer seiner Verwandten167 und unwahrscheinlich ist, dass Antestius die Bevölkerungen der civitates von Angers, Nantes und Saintes ganz allein bedrängen konnte.168 Für Antestius kommt hinzu, dass er in zwei weiteren Kapiteln der decem libri historiarum erwähnt wird. Dabei ist er an der Begnadigung des Desiderius durch König Guntram169 und an einer militärischen Opera-
tuus in hoc facinus est admixtus, ut dignas pro cummissas suis poenas luat, meritum exigit‘.“ Greg. hist.: 8.43. 165 Greg. hist.: 8.43. 166 Zum Hof überblickend Ewig, Merowinger: S. 91–93 und Weidemann, Kulturgeschichte Bd. I: S. 93–101. 167 „Cumque hoc fecisset, protenus famulus eius saevissimus invadit morbus exhaustusque febre peremit; filius eius ab hoc incommodo defecit, quem suburbano Massiliae ipsius cum gravi gemitu sepelivit.“ Greg. hist.: 8.12. 168 Greg. hist.: 8.43. 169 Greg. hist.: 8.27.
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tion170 beteiligt. Allerdings wird nicht erwähnt, dass er Folgeleistende anführt. Unter der Annahme einer Interdependenz von materiellen Gütern sowie Ressourcen und sozialen Beziehungen kann daher auch für die beiden Akteure sehr wohl plausibel gemacht werden, dass sie über Güter und Ressourcen verfügten. Dies ist allerdings nicht sicher. Zu bestrafenden Einziehungen durch Childebert II. sind mehrere Aussagen vorhanden. Eine Erzählung zu einer Einziehung betrifft jedoch keine Bestrafung. Nach dem Tod des Wandelen171 wird dessen Besitz, den er vom fiscus erhalten hat, eingezogen.172 Er war als der Erzieher Childeberts II. auf Gogo173 gefolgt.174 Wandelen war offenbar erst durch das Verteilen von Gütern an ihn und mit dem Innehaben der Position des Erziehers175 zu einem herausragenden Akteur geworden. Die Annahme ist damit zu festigen, dass eine Einziehung von Gütern nach dem Tod eines Akteurs nicht durchgehend gängig war – wie mit den abschließenden Aussagen über den Tod des Wandelen und die Einziehung seiner an ihn verteilten Güter dargelegt wird.176 Anders sind die Aussagen zu Magnowald. Er wird bei einer Tierhetze Childe berts II. ermordet; und seine Güter werden eingezogen.177 Es wird von Gregor ausdrücklich betont, dass unklar ist, warum der Mord an Magnowald, der von den Seinen (a suis) begraben wurde, geschah.178 Der dux Berulf und sein socius Arnegisil werden verdächtigt, aus dem thesaurus des verstorbenen Königs Sigibert I. geraubt zu haben. Daher wird Berulf als dux von Tours und Poitiers abgesetzt und durch Ennodius179 in dieser Administratorenposition ersetzt. In ihren Häusern finden sich dann die vermuteten Raubgüter. Diese und ihr eigener Besitz werden darauf eingezogen, nachdem beide vom dux Rauching gefangen genommen werden. Auf die Bitten der Bischöfe werden sie aber nicht hingerichtet.180 Hingegen verlieren Guntram Boso und der erwähnte Rauching das Leben durch Hinrichtung, bevor ihre Güter eingezogen
170 Greg. hist.: 9.31. 171 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 167. 172 „Quaecumque de fisco meruit, fisci iuribus sunt relata. Obiit his diebus Bodygisilus dux plenus dierum, sed nihil de facultate eius filiis minuatum est.“ Greg. hist.: 8.22. 173 Zu ihm auch der panegyricus Ven. fort. carm.: 7.1. Weitere Gedichte, die direkt an Gogo gerichtet und über ihn verfasst worden sind Ven. fort. carm.: 7.2; 7.3 und 7.4. Dazu Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 112 ff. 174 Greg. hist.: 6.1. 175 Ob mit der Formulierung nutritor bereits ein Aspekt der Position des maior domus indiziert ist, muss an dieser Stelle unklar bleiben. Für diese Annahme Ewig, Merowinger: S. 45 f. Entgegen der Annahme mit einem Verweis auf die Quellenlage Goetz, Hausmeier: S. 14. 176 „Obiit his diebus Bodygisilus dux plenus dierum, sed nihil de facultate eius filiis minuatum est.“ Greg. hist.: 8.22. 177 Greg. hist.: 8.36. 178 Greg. hist.: 8.36. 179 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 86 f. 180 Greg. hist.: 8.26.
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werden. Guntram Boso wurde bereits zuvor mit Einziehung bestraft und das wegen des Raubs der Grabbeigaben seiner Verwandten, der in seinem Auftrag vollzogen wurde. Guntram Boso verlor deswegen seine Landgüter in Clermont, die zuvor an ihn durch einen der Könige verteilt worden waren. Zudem verlor der das, was er bei sich hatte. Er war vor dem Urteil geflohen, dass in der villa Belsonancum von Childe bert II. und herausragenden Akteuren (cum proceribus) gesprochen wurde.181 Später wird er dann trotz der Unterstützung des Bischofs Agerich von Verdun getötet. Dieser erwirkt bei Childebert II. für Guntram Boso, dass er nicht umgehend getötet wird – obwohl er zuvor gegen die Mutter des Königs oftmals opponierte. Er erhielt ein weiteres Gerichtsverfahren.182 Auf einer Versammlung, bei der beide Könige zugegen sind (es ist durchaus wahrscheinlich,183 dass es sich bei dieser Versammlung um diejenige zu Andelot handelt, auf der auch der Vertrag zwischen den Merowingern geschlossen worden ist) wird er zum Tode verurteilt. Er kann trotz seines Versuchs, sich in der Kammer des Bischofs Magnarich von Trier zu verbergen, dem Urteil nicht entgehen.184 Sein gesamter Besitz wird danach eingezogen und seine Familie in die Verbannung geschickt.185 Rauching wurde nicht nach einem Gerichtsverfahren, sondern vor der Umsetzung seines Usurpationsversuchs ermordet.186 Bei der Einziehung seiner Güter wird eine große Menge an wertvollen Gegenständen gefunden. Diese seien insgesamt mehr gewesen, als Childebert II. in seinem eigenen thesaurus habe.187 Seine Gattin flieht in die Kirche des heiligen Medard.188 Bei der Einziehung der Güter des Chramnesind war nicht Childebert II., sondern seine Mutter Brunhild ausschlaggebend. Sie hatte eine intensive Beziehung zu Sichar, der von Chramnesind ermordet worden war.189 Daher lässt sie Güter des Chramnesind einziehen, als dieser zu Childebert II. flieht, um von ihm wegen der Tötung eine Begnadigung zu erwirken. Dies gelingt ihm auch nach einem Verfahren. Der domesticus Flavianus gibt ihm dann die eingezogenen Güter zurück.190 Einziehen und Verteilen konnten also weiterhin von den Königen dazu verwendet werden, auf das Bestehen und das Entstehen von herausragenden Akteuren zu
181 „Sed cum ad placitum in villam quam diximus Childeberthus cum proceribus suis convenisset et Gunthchramnus de his interpellatus nullum responsum dedisset, clam aufugit.“ Greg. hist.: 8.21. 182 Greg. hist.: 9.8. 183 Greg. hist.: 9.11. Dazu Weidemann, Chronologie: S. 473–485 und ebenso zum Vertrag Drabek, Andelot: S. 34–41. 184 Greg. hist.: 9.10. 185 Greg. hist.: 9.10. 186 Greg. hist.: 9.9. 187 „Pueri vero, qui missi a rege fuerant ad requirendas res eius, tanta in thensauris illius repperierunt, quanta nec in ipso aerarii publice registu poterant invenire; quae totum reges conspectibus praesentarunt.“ Greg. hist.: 9.9. 188 Greg. hist.: 9.9. 189 Greg. hist.: 9.19. 190 Greg. hist.: 9.19.
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zugreifen. Mit den Aussagen zum Erzieher Wandelen ist die Annahme einer Genese von herausragenden Akteuren durch die Könige weiter zu fundieren: Da materielle Güter und Ressourcen für das Herausragen konstitutiv waren, hatten die Könige in den beiden Praktiken und in Bezug auf ihre eigenen Bestände ein Steuerungsmedium. Der Erzieher hatte aller Wahrscheinlichkeit nach wegen des Innehabens seiner Position von diesen Beständen durch Verteilung erhalten und wurde somit herausragender gegenüber anderen Akteuren. Ohne diese Verteilung wäre Wandelen nicht zu diesem Anstieg an Gütern und Ressourcen gekommen. Die Nähe zu einem König und die Beziehungen sind somit weiterhin als relevant für das Entstehen von herausragenden Akteuren zu beschreiben, auch wenn diese gegen Ende des 6. Jahrhunderts sich als Anführer von den Kriegergemeinschaften differenziert haben. Militärische Operationen wurden aber weiterhin von den Königen initiiert, um herausragende Akteure an ihrem Handeln zu hindern. Dies zeigen die Aussagen zum Versuch der Beseitigung Childeberts II. durch den dux Rauching, Ursio und Berthefred deutlich. Auch hierbei sind Beziehungen relevant, die die drei genannten herausragenden Akteure zueinander hatten. Letztlich führte der Versuch zu Umverteilungen: Die Güter des Ursio sowie des Berthefred wurden geplündert191 und die des Rauching eingezogen. Die Aussagen zur Menge und dem Wert der Güter und Ressourcen, die bei Rauching gefunden wurden, an den thesaurus des Königs Childebert II. gingen und dessen Besitz noch überragt haben, werfen nicht nur die Fragen auf, woher und vor allem wie Rauching zu diesem umfangreichen Besitz kam. Sie sind auch argumentativ dafür zu verwenden, um eine Problematik der Könige in ihrer Position zu erklären: Wenn die Könige durch das Verteilen von materiellen Gütern und Ressourcen dazu in der Lage waren, das Herausragen von Akteuren zu steuern, dann hätte dies auch ein anderer Akteur mittels seiner materiellen Güter und Ressourcen leisten können. Dazu sind zwar keine Aussagen gegeben, aber dies ist im analytischen Kontext wahrscheinlich. Wenn ein Akteur als Anführer bei militärischen Operationen tätig war und zugleich über materielle Güter und Ressourcen verfügte, war er den frühen Merowingern nicht nur ähnlich – sondern in diesem Verfügen auch mit den Merowingerkönigen am Ende des 6. Jahrhunderts identisch. In dem Anführen hatten solche Akteure den Königen gegenüber sogar noch eine zusätzliche Dimension sozialer Beziehungen, die die Merowinger der zweiten Generation nach Chlodwig I. durch die Substituierung ihrer selbst als Anführer abgaben. Somit wurden das Plündern aber auch der Raub zu Erwerbspraktiken von Akteuren, die mit der Zeit herausragen konnten, während die Könige durch diese Praktiken an ihrem materiellen Besitz abnahmen, da die civitates ihre Erwerbsobjekte waren. Auch sie waren von Umverteilungen betroffen. Das Verteilen von materiellen Gütern und Ressourcen beförderte dieses Abneh-
191 „Verumtamen commoti homines, antequam ad eos accederent, ubicumque aut villas aut res eorum repperire potuerunt, omnia incendio ac praedae tradiderunt. […] Haec eo dicente, cum omnis populus ad dereptionem rerum, quae in basilica adunatae fuerant, inhiaret, […].“ Greg. hist.: 9.12.
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men – auch wenn dies getan werden musste, um das Herausragen zu steuern. Somit ist selbst das Belohnen von Handlungen durch Verteilungen (mit denen Beziehungen gefördert werden konnten) eine Praktik, die die Könige der zweiten Generation nach Chlodwig I. in ihren Positionen im parzellierten Strukturierungszusammenhang schwächen konnte. Sie verbrauchten dabei die ökonomische Grundlage ihrer Handlungsfähigkeit zur Förderung sozialer Beziehungen. Zugleich wurde die Anführerfunktion abgegeben und die damit verbundenen Möglichkeiten zur Genese und Förderung von Beziehungen für die Inhaber der Königspositionen des parzellierten Strukturierungszusammenhangs entfielen. Für die Fragen, woher und vor allem wie Rauching zu diesem umfangreichen Besitz gekommen ist, gibt Gregor weiteren Aufschluss. Er nennt nach dem Tod Rauchings einige seiner Charakteristika. Eine davon ist seine Gier nach den Gütern Fremder.192 Selbstredend ist mit der Gier nach fremden Gütern ein christliches Handlungsmotiv erwähnt, das eindeutig negativ besetzt ist. Die Verwendung des Motivs in der Erzählung ist aber auch als eine Deutung des Bischofs zu beschreiben: Wer sich Güter anderer aneignet, der muss gierig sein und dies ist ein Grund dafür, dass er durch Gott oder Heilige bestraft wird. Dies aber resultiert aus seiner Deutung von Informationen zum umfangreichen Besitz des Rauching, die der Bischof unter Anwendung christlicher Handlungsnormen literarisch verarbeitet hat. Das Ergebnis ist, dass Aussagen zur Gier des Rauching fassbar geworden sind – bis heute. Auch nach dem Tod des Guntram Boso erzählt Gregor, dass dieser gierig nach den Gütern Fremder war,193 wobei nicht außer Acht gelassen werden kann, dass Gregor unchristliches Handeln als Begründung für Morde und Bestrafungen auch in anderen Erzählkontexten zum Einziehen erwähnt: So vermutet er, dass Magnowald wegen des Mordes an seiner eigenen Gattin und der darauf folgenden Heirat der Gattin seines verstorbenen Bruders bestraft worden ist.194 Dass aber auch Verteilungen an Rauching zu dem umfangreichen Besitz geführt haben können, darf deshalb nicht ausgeschlossen werden, wenn Plündern und Rauben auch als weitgehend normale sozioökonomische Praktiken des Erwerbs von materiellen Gütern und Ressourcen zu beschreiben sind. Dazu ist zu beachten, dass Rauching Berulf und Arnegisil festnahm und so auch für den König handelte. An ihn kann also belohnend sehr wohl verteilt worden sein, was aber nichts daran ändert, dass Akteure wie er und auch Guntram Boso umfangreichen Besitz hatten und mit den Königen in ihrer Position prinzipiell identisch wurden. Dieses Ergebnis wiederum lässt sich argumentativ dazu verwenden, um die
192 „Erat autem levis in moribus, ultra humanum genus cupiditate ac facultatibus inhians alienis et ex ipsis divitiis valde superbus, in tantum ut iam in ipso interitus sui tempore Chlothari regis se filium fateretur.“ Greg. hist.: 9.9. 193 „Fuit autem hic in actu levis, avariciae inhians, rerum alienarum ultra modum cupidus, omnibus iurans et nulli promissa adimplens.“ Greg. hist.: 9.10. 194 „Autumabant tamen quidam, eo quod post mortem fratris diversis plagis coniugem affectam interfecisset et uxorem fratris adscisset toro, extetisse causam, qua interimeretur.“ Greg. hist.: 8.36.
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Annahme zum bestrafenden Einziehen als ein Steuerungsmittel zu fundieren: Da die Könige sich von den Kriegergemeinschaften differenziert hatten, war ihre Handlungsfähigkeit bedingt von den Beziehungen zu herausragenden Akteuren, deren Bestehen und Entstehen über das Einziehen und das Verteilen zu steuern war. Bestrafungen waren somit auch für Könige in ihrer Position relevant, da die Kriegergemeinschaften bei den militärischen Operationen nicht mehr ihnen, sondern anderen Akteuren Folge leisteten.
5.3 Ein Exkurs: Der bannus und die Münzprägung im späten 6. Jahrhundert in Gallien – ein Zusammenhang? Die Verwendung von Münzen als Quellenmaterial einer geschichtswissenschaftlichen Untersuchung ist nicht unproblematisch: Mehrere der numismatischen Forschung implizite Annahmen müssen miteinbezogen werden. Ihre Reflexion ist unumgänglich. Sie können aber nicht immer einwandfrei mit zeit- und ortsnah verfassten Aussagen in Bezug gesetzt werden.195 Diese Diskrepanzen können als Befunde begriffen werden, die zu erfragen lohnenswert sind: Dabei werden Annahmen aus neuen Perspektiven überprüfbar. In jüngerer Vergangenheit wurde versucht, die Münzprägung mit dem Organisieren des Abgabensystems während der Merowingerzeit in Verbindung zu bringen. Ihr Zusammenhang wurde in ein innovatives Moment gerückt, indem die Vielzahl der Ortsnamen196 nicht als Namen von Prägestätten, sondern von Abgabenstätten aufgefasst wurden.197 Dabei wurden die Münzen als Ergänzungen für die „fehlenden“ Quellen zu Aspekten der „politischen Ordnung unterhalb der Regierenden“ verwendet.198 Somit sind die Implikationen der Annahme auch für die Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen genauer zu betrachten. Gegen Ende des 6. Jahrhunderts setzte eine verstärkte Münzprägung in Gallien ein. Das genauere Datum ist umstritten. Das Jahr 587 gilt als wahrscheinlich.199 Der Zeitraum zwischen 570 und 585 wird als Datum des Beginns ebenfalls angenommen.200 Somit kann das letzte Viertel des 6. Jahrhunderts als weiter, unbestimmter Zeitraum des Beginns verstärkter Münzprägung festgehalten werden. Für diesen Zeitraum sind Aussagen für das Abgabensystem klarer, als es noch zu Beginn des
195 Vgl. Strothmann, Monetarmünzen: S. 354 f. (im Druck) 196 Betroffen waren als civitas, vicus, villa, castrum, pagus, mallus, pons und pontus bezeichnete und geographisch als Einheiten gefasste Räume. Vgl. Strothmann, Monetarmünzen: S. 357 und Esders, Verflechtungen: S. 39. (im Druck). Zu dieser Beiordnung Weidemann, Kulturgeschichte Bd. II.: S. 42–126. 197 Vgl. Strothmann, Monetarmünzen: S. 362 ff. 198 Vgl. ebd.: S. 353 ff. 199 Vgl. Blackburn und Grierson, Coinage: S. 92. 200 Vgl. Strothmann, Monetarmünzen: S. 355.
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6. Jahrhunderts der Fall ist.201 Diese Veränderung kann mit einer weiteren Veränderung in Verbindung gebracht werden: den Aussagen zum bannus.202 Bisher ist festgehalten worden, dass das Wort selbst nur einmal in den decem libri historiarum vorkommt und zeitnah sonst gar nicht vorhanden ist. Zwei weitere Stellen aus den decem libri historiarum aber umfassen Aussagen, in denen Menschen, die bei einer militärischen Operation nicht Folge geleistet haben, bestraft werden sollen. Die Aussagen zur Bestrafung durch den dux Berulf kann nicht mit der Münzprägung in Verbindung gebracht werden, da eine konkrete Aussage zur Art der Bestrafung fehlt.203 Dazu wurde auch festgehalten, dass die Abgabe bannus – obwohl mit einem germanischen Wort bezeichnet – als ein strukturelles Element der weströmischen Ordnung aufzufassen ist. Die Parallele zum aurum tironicum, der Abgabe die gegeben werden musste, um den Militärdienst zu umgehen, ist deutlich. Sie wurde (wie der Name vermittelt) in Gold gegeben.204 Bei der Untersuchung der Aussagen zum bannus wurden besonders die Parallelität der Funktion und der Anwendung des bannus zum aurum tironicum herausgestellt. Wie geschrieben, geht aus dem Kapitel, in dem das Wort bannus genannt ist, nicht hervor, was genau abgegeben werden sollte.205 Es können Münzen gewesen sein, aber auch etwas Anderes, wie Naturalien oder Produkte. In dem zweiten für die Frage nach den Gegenständen der Abgabe zu untersuchenden Kapitel sind ebenfalls keine Münzen erwähnt. Mit pretium wird aber ein Wort gebraucht, das auf eine Münzenzahlung schließen lässt.206 Die erste und einzige Nennung des Wortes bannus ist auf 578 zu datieren.207 Die Nennung des Wortes pretium in der Erzählung zum Versuch der Bestrafung von Akteuren, die nicht bei der militärischen Operation gegen Gundowald Folge geleistet haben, ist hingegen auf 585 zu datieren.208 Somit bleibt ein Zusammenhang von Münzprägung und bannus durchaus möglich. Es kann aber auch dagegen argumentiert werden. Zum einen sind auch andere Abgaben in Münzen geleistet worden.209 Daher ist mit den Prägungen nicht unbedingt ein Zusammenhang zum bannus herzustellen,
201 Vgl. Kaiser, Steuer: S. 4 ff. 202 Greg. hist.: 5.26 und 7.42. Dazu Esders, Verflechtungen: S. 40 f. 203 Greg. hist.: 6.12. 204 Vgl. Demandt, Spätantike: S. 244 und Geary, Merowinger: S. 35–37. Zum bannus als Aspekt eines strukturellen Elements der weströmischen Ordnung Goffart, Duty: S. 180 f.; Weidemann, Kulturgeschichte Bd. II: S. 240 ff. und Hardt, Gold: S. 138 f. 205 „Post haec Chilpericus rex de pauperibus et iunioribus eclesiae vel basilicae bannos iussit exigi, pro eo quod in exercitu non ambulassent. Non enim erat consuetudo, ut hi ullam exsolverent publicam functionem.“ Greg. hist.: 5.26. 206 „ At illi dixerunt: ‚Nihil nobis et Martino tuo, quem semper in causis inaniter proferis; sed et tu et ipsi pretia dissolvitis, pro eo quod regis imperium neglexistis‘.“ Greg. hist.: 7.42. 207 Zur Datierung Greg. hist.: 5.25. 208 Zur Datierung Greg. hist.: 7.24. 209 Vgl. Goffart, Taxation: S. 3 f. und Hardt, Gold: S. 145 ff.
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auch wenn die Neueinführung der Abgabe als älteres strukturelles Element zeitlich mit den Prägungen zusammenfällt. Beides aber zeigt erneut Diskursivität: Der auf dem grundlegenden Paradoxon basierende Strukturierungszusammenhang war nicht statisch. Er veränderte sich weiterhin und dies nicht nur durch die Könige und Bischöfe, sondern auch wegen der Dynamisierung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens. Zum anderen ist festzuhalten, dass einfach nicht ganz klar ist, was genau abgegeben werden sollte, wenn ein Akteur bei einer militärischen Operation gegen Ende des 6. Jahrhunderts nicht Folge leistete. Da der Bischof Gregor bei beiden Erzählungen zu dieser Abgabenart Informationen zu Akteuren der Kirche von Tours literarisch verarbeitet, ist noch nicht einmal sicher, wie weit sie verbreitet war, ob auch Akteure in anderen sozialen Bindungen davon betroffen waren und inwieweit dies wiederum der Fall war. Die Aussagen zu den Bestrafungen durch den dux Berulf in der civitas Tours liefern dazu keinen Aufschluss. Letztlich kann also eher davon ausgegangen werden, dass kein direkter Zusammenhang zwischen dem bannus und der Münzenprägung besteht, sondern dass dieser Zusammenhang in einem größeren Kontext aller Abgaben im parzellierten Strukturierungszusammenhang zu verorten ist: Nicht nur und möglicherweise sogar gar nicht wegen des bannus wurden Münzen geprägt.
5.4 Der Vertrag von Andelot 587 Die Datierung des Vertrages auf 587 – genauer auf den 28.11.587210 – ist nach Gregor von Tours sicher. Die Datierung ergibt sich aus seiner Erzählung im zwanzigsten Kapitel des neunten Buches der decem libri historiarum. Das Kapitel beginnt mit der Datierung des darin Erzählten auf 588.211 In der folgenden Erzählung ist der Bischof selbst als Figur integral. Er schreibt, dass er Childebert II. in der civitas Metz trifft und von ihm als Gesandter zu Guntram geschickt wird, den er in der civitas Chalon aufsucht. Guntram entgegnet ihm auf seine Grüße, die er im Namen Childeberts II. überbringt, dass sein Neffe sich nicht an die Vereinbarungen eines Vertrages halte und den Frieden zwischen den Königen gefährde. Die Figur des Bischofs verspricht Guntram darauf, dass all seine Forderungen, die in dem Vertrag vereinbart worden sind, eingehalten werden.212 Danach legt Gregor den Vertrag nach eigenen Angaben im Wortlaut dar.213
210 „Facta pactio sub die IIII. Kal. Decembris, anno XXVI. regnum domni Gunthchramni regis, domni Childeberti vero XII.“ anno. Greg. hist.: 9.20. Dazu Weidemann, Chronologie: S. 473. 211 „Eo anno quoque tertio decimo regis Childeberthi, cum ad occursum eius usque Metensim urbem properassemus, iussi sumus ad Gunthchramnum regem in legationem accedere.“ Greg. hist.: 9.20. 212 Greg. hist.: 9.20. 213 „Haec nobis loquentibus, pactionem ipsam relegi rex coram adstantibus iubet. Exemplar pactionis.“ Greg. hist.: 9.20.
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Auch auf der Basis dieser Erzählung aus dem zwanzigsten Kapitel des neunten Buches der decem libri historiarum ist zu argumentieren, dass der Vertrag also vor 588 abgeschlossen worden sein muss, denn sonst hätte der Vertrag nicht in Anwesenheit Gregors und Guntrams in Chalon verlesen werden können. Dass der Bischof hier abseits des Inhalts des Vertrages Phänomene literarisch verarbeitet, wird mit den Aussagen zu seiner Gesandtschaftsreise wahrscheinlich. Es ist insgesamt plausibel, dass der Vertrag auf der Versammlung geschlossen worden ist, auf der Guntram Boso zum Tode verurteilt wurde.214 Dafür ist zu betonen, dass Gregor bei der Erzählung über diese Versammlung einen Vertrag erwähnt, der zwischen den Königen und Königinnen geschlossen worden ist.215 Da es Aussagen zur Beteiligung der Frauen aus dem Geschlecht der Merowinger an den Regelungen im Vertrag gibt,216 wird die Annahme noch einmal plausibler. In dem Vertrag geht es primär um Besitzstände. Er betrifft in den Regelungen nicht nur die beiden Könige Guntram und Childebert II., sondern auch Chlodechilde,217 die Tochter Guntrams, Brunhild, die Mutter Childeberts II., wie auch dessen Schwester Chlodoswinde,218 seine Gattin Faileuba219 und seine Söhne Theuderich und Theudebert. Auch die Beziehungen der Könige zu anderen Akteuren sind betroffen. Zuerst jedoch zu den die Könige betreffenden Regelungen: Beide lagen immer noch bezüglich des Erbes im Streit, das Sigibert I., der Vater Childeberts II., nach dem Tod Chariberts erhalten hatte. Während Childebert II. alles, was sein Vater in seinen Teilstrukturierungszusammenhang inkorporiert hatte, haben wollte, sah Guntram in dem Vertrag, den er mit Sigibert I. und Chilperich I. geschlossen hatte eine Begründung dafür, dass ihm das Erbe zustand. Dieser besagt, dass derjenige der drei Halbbrüder, der nach Paris einzöge, seinen Erbteil von dem Nachlass Chariberts verlieren sollte.220 Beschlossen wurde daher, dass Guntram das Drittel von Paris mit dem castrum Châteaudun und dem castrum Vendôme wie auch alles, was er an der Straße des pagus von Étampes und Chartres mit dem dazugehörigen Gebiet bereits erhalten hatte, haben sollte. Zudem wurde ihm alles, was er schon zur Lebzeit Sigiberts I. aus dem Erbe Chariberts besessen hatte, zugesagt.221 Childebert II. erhielt hingegen die civitates Meaux, Tours, Poitiers, Avanches, Aire, St. Lizier, Bayonne und Albi sowie
214 Greg. hist.: 9.10. 215 „Rex vero Gunthchramnus cum nepote suo ac reginis pacem firmavit, datis sibi invicem muneribus ac stabilitatis causis publicis, epulati sunt pariter.“ Greg. hist.: 9.11. 216 Dies waren Chrodechilde, die Tochter Guntrams und Brunhild, die Mutter Childeberts II. sowie seine Gattin Faileuba. Greg. hist.: 9.20. 217 Vgl. Ewig, Namensgebung: S. 58. 218 Sie war zuvor mit einem Langobardenkönig Authari verlobt. Zu ihm Wenskus, Art. Authari: S. 513–514. 219 Vgl. Ewig, Namensgebung: S. 58. 220 Greg. hist.: 7.6. 221 Greg. hist.: 9.20.
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zwei Drittel von Senlis.222 Zur Regelung der civitas Senlis wurde hinzugefügt, dass Guntram mit einem Drittel des Gebiets von Ressons für sein Drittel entschädigt werden sollte, so dass Senlis ungeteilt an Childebert II. fallen konnte.223 Bedingung war, dass wenn einer der beiden ohne männliche Nachkommen sterben sollte, der andere dessen civitates erbe.224 Eine weitere Bedingung des Ausgleichs war, dass Chrodechilde, die Tochter Guntrams, alles, was an sie von ihrem Vater an Gütern verteilt worden war, behalten und auch weiter verteilen durfte,225 wenn ihr Vater vor Childebert II. sterben sollte. Auch sollten die Mutter, die Schwester, die Gattin, die Töchter und beide Söhne Childeberts II. nicht nur all ihren materiellen Besitz behalten, sondern von Guntram geschützt werden.226 Zudem wurden auch der Brautschatz und die Morgengabe der Galsvintha zu Andelot verhandelt. Die ehemalige Gattin Chilperichs I., die er ermorden ließ,227 war die Schwester Brunhilds.228 Ihr waren noch bei Lebzeit Sigiberts I. und Chilperichs I. die civitates Bordeaux, Limoges, Cahors, Béarn und Cieutat (jene machten Brautschatz und Morgengabe aus) zugesprochen worden. Nun wurde geregelt, dass Brunhild die civitas Cahors behalten durfte, während die anderen an Guntram gingen. Sie sollte sie erst nach seinem Tod zurückerhalten.229 Weitere Regelungen betrafen Teile der Bevölkerung. Alle, die Guntram oder Sigibert I. geschworen, sich dann aber entfernt hatten, sollten aus den Orten entfernt werden, an die sie sich entzogen hatten. Wie dies genau ablaufen sollte und wohin sie gebracht werden sollten, wurde nicht festgehalten.230 Hinzu kam, dass alles, was von den Königen an die Kirchen und ihre Anhänger (fidelibus suis)231 verteilt wurde, auch bei diesen bleiben sollte und wenn sie (fidelium) etwas zu Unrecht bei einer der Teilung zwischen den Königen verloren hatten, sollte dies ihnen nach einer Untersuchung wieder zurückgegeben werden. Dies wurde auf die Zeit vor dem Tod Chlothars I. ausgeweitet.232 Das Durchreisen von Anhängern
222 Greg. hist.: 9.20. 223 Greg. hist.: 9.20. 224 Greg. hist.: 9.20. 225 Greg. hist.: 9.20. 226 Greg. hist.: 9.20. 227 Greg. hist.: 4.28. 228 Vgl. Ewig, Namensgebung: S. 60. 229 Greg. hist.: 9.20. 230 Greg. hist.: 9.20. 231 Vgl. Graf, Art. Treueid: S. 231 f. 232 „Similiter quicquid antefati regis eclesiabus aut fidelibus suis contulerunt aut adhuc conferre cum iustitiam Deo propitiante voluerint, stabiliter conservetur. Et quicquid unicuique fidelium in utriusque regno per legem et iustitiam redebetur, nullum praeiudicium patiatur, sed liceat res debetas possedere atque recipere; et si aliquid cuicumque per interregna sine culpa tultum est, audientia habita, restauretur. Et de id, quod per munificentias praecedentium regum unusquisque usque transitum gloriosae memoriae domni Chlothari regis possedit, cum securitate possedeat.“ Greg. hist.: 9.20.
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(fidelibus) in persönlichen wie in überpersönlich-öffentlichen233 Angelegenheiten (pro causis publicis) wurden ausdrücklich erlaubt und das Abwerben von leudes234 aus dem jeweils anderen Teilstrukturierungszusammenhang wurde ausdrücklich verboten. Auch durfte keiner der leudes, der zum jeweils anderen König kam, aufgenommen werden. Bei der Flucht einer der leudes wegen einer Schuld sollte ihm nach dem Maß der Schuld Vergebung gewährt werden.235 Einen Abschluss findet der Vertragstext mit dem Bekenntnis dazu, dass wenn einer der an dem Vertrag Beteiligten die Regelungen des Vertrages übertritt er die mit dem Vertragsabschluss gewonnenen Vorteile verliert. Sie würden dann auf denjenigen übergehen, der den Vertrag nicht übertreten hat.236 Insgesamt sind viele Aussagen gegeben, die hinsichtlich der Verfasstheit der Königsposition und der Handlungsfähigkeit ihrer Inhaber am Ende des 6. Jahrhunderts in Gallien untersucht werden können. Beachtet werden muss erneut, inwieweit sie die Annahme zu Verstetigungsversuchen des sesshaft-sozioökonomischen Lebens zu vertiefen erlauben. Diese wurde bereits mehrfach in den Ergebnisteilen der übrigen Kapiteln formuliert, wobei das Abgabensystem, die civitates als exklusive Erwerbsobjekte der Könige und als Orte des Organisierens von Folgeleistungen wie auch die Praktiken des Einziehens und des Verteilens akzentuiert worden sind. Zuerst sollte dafür auf den Text eingegangen werden. Der Text, der nach Gregor selbst im Wortlaut von ihm niedergeschrieben ist,237 hat normative Qualität. Die Frage, ob der von Gregor dargelegte Text tatsächlich eine Abschrift des Vertragstext ist, kann nicht ohne Zweifel beantwortet werden. Eine Vergleichsversion fehlt. Einige Aspekte des dargelegten Wortlauts sind aber argumentativ dafür zu verwenden, dass er einem normativen Regelwerk der Zeit entspricht und Gregor zumindest darauf rekurriert hat: Zum einen ist das ausführliche Datum ein Argument für den Rekurs.238 Zum anderen wird mit leudes ein Wort verwendet, das auch in weiteren normativen
233 Greg. hist.: 9.20. 234 Dazu Reichert und von Olberg-Haverkate, Art. Leudes: S. 292–298 und Schmidt-Wiegand, Bezeichnungen: S. 240–241. 235 „Similiter convenit, ut secundum pactionis inter domnum Gunthchramnum et bonae memoriae domnum Sigyberthum initas leudes illi, qui domnum Gunthchramnum post transitum domni Chlothari sacramenta primitus praebuerunt, et, si postea convincuntur se in parte alia tradidisse, de locis ubi conmanere videntur convenit ut debeant removeri. Similiter et qui post transitum domni Chlothari convincuntur domnum Sigyberthum sacramenta primitus praebuisse et se in alia parte transtulerunt, modo simile removantur. […] Similiter convenit, ut nullus alterius leudis nec sollicitet nec venientes excipiat. Quod si forsitan pro aliqua admissione partem alteram crediderit expetenda, iuxta qualitate culpae excusati reddantur.“ Greg. hist.: 9.20. 236 Greg. hist.: 9.20. 237 Greg. hist.: 9.20. 238 Greg. hist.: 9.20.
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Texten gebraucht wird.239 Hierfür darf aber nicht außer Acht gelassen werden, dass Gregor das Wort selbst drei Mal vor dem zwanzigsten Kapitel des neunten Buches in den decem libri historiarum gebraucht.240 Das Argument, das Wort sei ausschließlich in normativen Texten verwendet worden, ist also nicht stimmig. Jedoch tritt es auch in diesen Texten auf und in der als Wortlaut bezeichneten Passage wird es mehrfach gebraucht. Diese Verdichtung kann argumentativ verwendet werden, um die Wahrscheinlichkeit des Rekurses Gregors zu festigen. Wenn also nicht sicher sein kann, dass Gregor den Vertrag tatsächlich übernahm, ist ein Rekurs seinerseits nicht unwahrscheinlich. Wie ausgeführt, wird mit den Aussagen zum Vertrag besonders die Relevanz materieller Güter und Ressourcen belegbar. Das zweite prägnante Thema neben der Regelung bezüglich der Güter und Ressourcen sind soziale Beziehungen. Im Zentrum steht die merowingische Familie. Zuerst wurde der Konflikt zwischen Guntram und Childebert II. geregelt. Der Konflikt um den Erbteil Sigiberts I. bestand schon längere Zeit.241 Hauptsächlich ging es dabei um civitates, also um die exklusiven Erwerbsobjekte der Könige, die sie durch die Abgabensysteme nutzen konnten und zugleich Ort des Organisierens von Folgeleistungen geworden waren. Im Vertrag von Andelot werden die sozioökonomischen Dimensionen der civitates für die Könige zusammen mit dem Versuch der Regelungen erneut fassbar. Mit ihm ist der Versuch einer Reduktion des Konfliktpotentials (besonders hinsichtlich der ökonomischen Dimension der Abgaben durch die Bewohner der civitates) sprachlich-normativ gegeben. Auch ist das Organisieren von Folgeleistungen angesprochen. Zwar wird dies nicht auf den ersten Blick deutlich: Wenn doch Frieden zwischen den Merowingern bestand, dann brauchten sie keine Folgeleistungen mehr zu organisieren, um gegen ihre Verwandten zu ziehen oder um sich situationsbezogen gegen sie zu verteidigen. Jedoch wurde weiterhin militärisch gegen externe Gemeinschaften operiert. Das ist direkt im zwanzigsten Kapitel des neunten Buches der decem libri historiarum zu erfahren: Die Gesandten Childeberts II. sprechen Guntram darauf an, ob er seinen Neffen bei dessen Italienzug242 unterstützen wird. Guntram verneint dies.243 Die Relevanz der civitates für die Position der Könige ist also in zweierlei Hinsicht mit dem Vertrag von Andelot festzumachen. Auch für andere Mitglieder des Merowingergeschlechts waren materielle Güter und Ressourcen sowie civitates relevant: Der Vertrag regelt im Fall des Todes Guntrams oder Childeberts II. den Umgang mit dessen nächsten Verwandten. Hierbei muss der quellenimmanente Unterschied
239 Vgl. Schmidt-Wiegand, Bezeichnungen: S. 240–241 und Woll, Kapitularien: S. 32 sowie GrahnHoek, Oberschicht: S. 121. 240 Greg. hist.: 2.42; 3.23 und 8.9. 241 Greg. hist.: 7.6. 242 Vgl. Goffart, Gundovald: S. 114–118. 243 Greg. hist.: 9.20.
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zwischen den männlichen und weiblichen Mitgliedern des Geschlechts berücksichtigt werden. Dabei darf nicht übersehen werden, dass die Gruppe der weiblichen Merowinger in sich ebenfalls zu differenzieren ist. So wird auch Chlodoswinde, der Schwester Childeberts II. zugesagt, nach einem möglichen Tod ihres Bruders durch Guntram keinen Schaden zu erleiden und ihre Güter zu behalten.244 Es wird aber nach dem Vertrag darüber erzählt, dass Guntram ihrer Verheiratung mit Reccared (die zuvor bereits zwischen Gesandten von der Iberischen Halbinsel und Childebert II. sowie den ihm Nahestehenden verhandelt worden ist) letztlich trotz seiner anfänglichen Ablehnung zustimmt.245 Somit war sie zumindest zu dieser Zeit nicht mehr direkt von der Regelung betroffen. Sie heiratete Reccared allerdings nicht. Er ehelichte eine Frau namens Baddo.246 Auch Chrodechilde, der Tochter Guntrams, Faileuba, der Gattin Childeberts II. und seiner Mutter Brunhild wird der Erhalt ihrer Bestände zugesagt, wobei zwischen ihnen Unterschiede gemacht worden sind. Brunhild, die nicht nur die Mutter Childeberts II., sondern auch der Chlodoswinde war, wurde eine civitas zu ihrer eigenen Verfügung überlassen.247 Zwar bedeutete dies letztlich eine Minderung ihrer Einnahmen, aber zugleich eben auch Sicherheit in Bezug auf diese eine civitas Cahors. Die anderen civitates, die sie aus den Hochzeitsgeschenken an ihre ermordete Schwester erhalten hatte, gingen bis zu seinem Tod an Guntram. Die Aussagen zu dieser Regelung können daher erneut für die Annahme der Relevanz der civitates für die Inhaber der Königsposition argumentativ verwendet werden. Für Chrodechilde und Faileuba sind keine civitates erwähnt, die ihnen direkt gehörten. Jedoch wird auch für sie deutlich, dass sie persönlich umfangreiche materielle Güter und Ressourcen besaßen, die ihnen nach dem möglichen Tod der Könige nicht genommen werden sollten, wobei dies für Chlodechilde weit ausdrücklicher wird, als für Faileuba. Die beiden noch im Kleinkinderalter befindlichen248 Söhne Faileubas,249 Theuderich und Theudebert, werden im Vertragstext bereits als reges bezeichnet. Die Bezeichnung ist direkt mit dem Wort regnum verbunden.250 Somit wird zwar die Ver-
244 Greg. hist.: 9.20. 245 Greg. hist.: 9.20. 246 Vgl. Stocking, Visigothic Kingdom: S. 26 f. 247 Greg. hist.: 9.20. 248 Theudebert wurde 585 geboren. Greg. hist.: 8.1 und 8.37. Die Geburt Theuderichs fällt auf 587. Hierfür Greg. hist.: 8.43 und 9.4. 249 Es ist nicht sicher, dass sie die Mutter Theudeberts ist. Vgl. Ewig, Namensgebung: S. 63. Dazu auch ortsnah, jedoch zeitfern Lib. hist. franc.: 37. Zur Vermutung, nicht Childebert II., sondern ein Gärtner sei sein Vater gewesen. Fredeg.: 4.27. 250 „Pari conditione repromittit domnus Gunthchramnus rex, ut, si, ut habet humana fragilitas, quod divina pietas non permittat nec ille videre desiderat, si contigerit domnum Childeberthum eo suprestite de hac luce migrari, filius suos Theodoberthum et Theodoricum reges, vel si adhuc alios ipsi Deus dare
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bindung der Worte in ihrem Gebrauch, jedoch nicht ihre Semantik ersichtlich. Dass aber regnum in diesem Kontext auf einen Strukturierungszusammenhang von civitates zu beziehen ist, ergibt sich aus der Verbindung des Gebrauchs von regnum mit Childebert II.,251 der als König in seiner Position mit einem solchen eindeutig verbunden war. Die beiden Söhne (und möglichen weiteren Söhnen) sollte das regnum ihres Vaters in Sicherheit besitzen.252 Mit den Aussagen wird der Unterschied zu den Frauen aus dem Geschlecht der Merowinger deutlich: Die Söhne galten bereits als reges, auch wenn sie keine der Positionen innehatten, die als rex bezeichnet wurden.253 Sie waren für den Erwerb durch die Abgabensysteme als umfangreich Besitzende prädestiniert, während die Frauen aus dem Geschlecht der Merowinger hinsichtlich ihres Besitzes in je individuellen Konfigurationen an diesem partizipierten oder durch Verteilungen zu Besitz gekommen waren. Die Sicherung und Regelung von materiellen Gütern und Ressourcen im Vertragstext betrifft also die internen Verhältnisse des Merowingergeschlechts. Aber nicht alle der zu dieser Zeit lebenden Merowinger nahmen an der Versammlung teil. Fredegunde und Chlothar II. werden jedoch von Gregor nach dem Vertrag genannt. Den Vorwurf, Guntram würde die Gesandten der Fredegunde freundlicher empfangen als die seines Neffen Childebert II. weist er zurück und entgegnet, dass Fredegunde öfter versucht habe, ihn durch Mörder zu töten.254 Auch Spannungen zwischen Brunhild und Fredegunde werden in diesem Zusammenhang erwähnt.255 Davon war wohl auch das Konfliktpotential zwischen Chlothar II. und Childebert II. betroffen. Guntram versuchte dies laut Gregor zu mindern, indem er Chlothar II. ein paar civitates vererben will, wenn die Vaterschaft Chilperichs I. bestätigt würde.256 Mit diesen Aussagen wird fassbar, dass im Geschlecht der Merowinger auch nach dem Tod des Prätendenten Gundowald weiterhin keine harmonische Situation eingetreten war. Militärische Operationen der Merowinger gegeneinander mussten somit als wahrscheinlich gelten. Der Vertrag ist daher als normativer Versuch der Deeskalation der Lage zumindest zwischen zwei der Parteien innerhalb des Geschlechts zu beschreiben. Auch die Aussagen zu den sozialen Beziehungen der beiden Könige bezüglich einzelner Bevölkerungsteilen betreffen diesen Versuch. Die Aussagen dazu können unter zwei Aspekten untersucht werden: Zum einen unter der Konsolidierung der Präsenz der Könige und zum anderen unter dem Organi-
voluerit, ut pius pater sub sua tuitione et defensione recipiat, ita ut regnum patris eorum sub omni soliditate possedeant; […]“ Greg. hist.: 9.20. 251 Greg. hist.: 9.20. 252 Greg. hist.: 9.20. 253 Allgemeiner Kasten, Königssöhne: S. 30 ff. Konkret zu Theudebert II. und Theuderich II. Schneider, Königserhebung: S. 131 ff. und Offergeld, Reges pueri: S. 214 ff. und S. 226 ff. 254 Greg. hist.: 9.20. 255 Greg. hist.: 9.20. 256 Greg. hist.: 9.20. Diese Zweifel werden von Gregor zuvor auch erzählt. Greg. hist.: 8.9 und 8.31.
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sieren von Folgeleistungen. Dabei ist der Wortgebrauch Gregors zu beachten. Besonders zwei Worten muss die Aufmerksamkeit gelten. Dies sind die Bezeichnungen leudes und fideles. Beide Worte bezeichnen offenbar keine herausragenden Akteure, da diese mit dem Gebrauch das Wort proceres innerhalb des Vertrages bezeichnet werden.257 Über die Besitzstände der mit den Worten Bezeichneten kann nur wenig mit Sicherheit festgehalten werden: Der Besitz der als fideles Bezeichneten wird mit dem Vertragsschluss garantiert. Es werden dabei auch Verteilungen im Sinne von Rückgaben der als rechtmäßig aufgefassten Besitzungen festgeschrieben. Die leudes werden dabei nicht erwähnt. Für beide Gruppen bleibt zudem unklar, wie viele Menschen diese überhaupt umfassen.258 Eine Abgrenzung der leudes von den fideles ist auch über die durchaus plausible Annahme einer praktischen Differenz hinsichtlich einer Eidesleistung nicht festzumachen: Während wahrscheinlich ist, dass die fideles einen Eid geleistet haben, werden die leudes als einen Eid Leistende bezeichnet.259 Er führte zur Genese sozialer Beziehungen der leudes zu den Königen, die in ihrer Qualität aber nicht genau nachzuvollziehen sind. Sicher ist nur, dass der Eid eine kontinuierliche Beziehung generieren sollte. Er konnte deshalb gebrochen werden.260 Solche Eide wurden auch von Bewohnern der civitates geleistet. Daher ist annehmbar, dass hierin eine Korrelation besteht: Die fideles – also jene Bevölkerungsteile aus den civitates, die den Königen einen Eid geleistet und diesen nicht gebrochen haben – könnten mit diesem Wort beschrieben worden sein, da sie den Eid, den auch die leudes geleistet haben, eben nicht gebrochen hatten. Somit wäre leudes ein allgemeines Wort, während fideles eine Spezifisierung dieses Worts wäre. Der König als Akteur und das Handeln anderer Akteure ihm gegenüber wären dann unter der Beachtung von Eiden Fixpunkte für die Qualifizierung von Akteuren in leudes und fideles im Kontext des Vertrages.261 Dass leudes durchaus eine allgemeine Seman-
257 „[…], mediantibus sacerdotibus atque proceribus, […].“ Greg. hist.: 9.20. Dazu Grahn-Hoek, Oberschicht: S. 120 ff. 258 Das Wort leudes konnte sehr wohl auch größere Menschengruppen umschreiben. Vgl. GrahnHoek, Oberschicht: S. 121. 259 Greg. hist.: 9.20. 260 Greg. hist.: 9.20. 261 Dazu auch die Lockung der leudes: Nicht die fideles sollen zum Bruch des Eides verführt werden, sondern es sollen keine leudes dazu bewegt werden, zu gehen. Auch darin bestehen ein Konfliktpotential und die Möglichkeit der Destabilisierung von einzelnen civitates. Wichtig ist an dieser Stelle auch, dass eben nicht klar wird, wie viele Menschen mit dem Gebrauch des Plural gemeint sind. Es können fünf aber auch hundert Menschen gemeint sein. Daher gilt es, den Fokus auf das untersagte Locken zu legen. Dass der Ausfall von Akteuren in der lokalen Produktion zu einem Verlust ökonomischer Prosperität nicht nur der civitates, sondern auch der Könige führen konnte, wird mit der Erzählung zur Einführung neuer und Erhöhung älterer Abgaben durch Chilperich I. plausibel. Greg. hist.: 5.28. Sie kann in Verbindung gebracht werden mit der Erzählung über die Aussetzung der Abgaben, da viele Akteure aus dem Teilstrukturierungszusammenhang Chilperichs I. geflohen waren. Greg.
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tik haben konnte, gilt als wahrscheinlich.262 Allerdings ist auch eine speziellere Semantik nachvollziehbar.263 Ob mit beiden Worten Akteure bezeichnet wurden, die über relativ mehr materielle Güter und Ressourcen verfügten, lässt sich aus dieser Annahme erschließen: Mit leudes und fideles konnten Menschen bezeichnet werden, die unterschiedlich viel besaßen – wobei die ausdrückliche Nennung der Güter und Ressourcen der fideles nur für die besitzenden fideles gelten konnte. Diese Deutung erscheint banal. Sie erlaubt aber die Aussagen zu den leudes und den fideles zur Dynamisierung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens in Gallien zu projizieren: In den civitates schworen diejenigen dem König einen Eid, die über Güter und Ressourcen in den civitates verfügten. Dadurch entstand eine kontinuierliche Beziehung zu den Königen, die nicht gebrochen werden durfte. Diese Beziehung mit den an die sesshafte Produktion gebundenen Akteuren garantierte die Abgaben an die Könige – oder machte sie zumindest potentiell möglich. Verteilen und Einziehen wären somit nicht nur Steuerungsmittel für das Entstehen und Bestehen von herausragenden Akteuren, sondern neben der Positionierung von lokal- und regional-strukturellen Administratoren und zum Teil auch der Bischöfe Mittel zur Konsolidierung der Präsenz der Könige in den civitates. Die Annahme zeigt eine Problematik auf: Wenn ein Akteur in mehreren civitates Güter besaß, dann war eine kontinuierliche Beziehung zu einem König erschwert. Somit wäre der Bruch eines Eides nicht nur eine rein individuelle Entscheidung, sondern auch von der geographischen Parzellierung des Strukturierungszusammenhangs wie auch von der schlichten Möglichkeit des Besitzens in verschiedenen civitates bedingt. Für das Organisieren von Folgeleistungen heißt dies dann, dass die von den Königen selbst beförderte Dynamisierung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens das Organisieren an sich nicht in einer einheitlichen Form über Beziehungen zu sichern war: Wenn Akteure eine Beziehung zu einem König trotz einer vorherigen Eidesleistung eingestellt haben, war davon auch das Organisieren von Bevölkerungsteilen in den civitates betroffen. Dies musste aber nicht zwangsläufig dazu führen, dass ein König niemanden mehr aus einer civitas erreichen konnte, nur weil einer oder einige der dort besitzenden Akteure eine Beziehung einstellten. Einziehen und Verteilen dortiger Landgüter sind somit Mittel, die das Organisieren von Folgeleistungen tangierten. Das sesshaft-sozioökonomische Leben in den civitates war neben den in dem Vertrag von Andelot akzentuierten Aspekten weiterhin für die Könige auch über die Beziehungen zu den Bischöfen tangierbar.264 Noch in dem Kapitel zu dem Vertrag von Andelot erzählt Gregor nach Abschluss des
hist.: 5.34. Auch mit der Erzählung zur Klage des Königs über den Rückgang seiner eigenen Prosperität ist ein Zusammenhang gegeben. Greg. hist.: 6.46. 262 Vgl. Grahn-Hoek, Oberschicht: S. 121. 263 Vgl. Schmidt-Wiegand, Bezeichnungen: S. 240 f. 264 Dazu auch ökonomische Garantie für Kirchen im Vertrag selbst: „Similiter quicquid antefati regis eclesiabus aut fidelibus suis contulerunt aut adhuc conferre cum iustitiam Deo propitiante voluerint, stabiliter conservetur.“ Greg. hist.: 9.20.
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Wortlauts, dass König Guntram eine Synode einberufen will, diese aber auf Anraten Gregors verschiebt.265 Guntram verteilt auch im Rahmen kirchlicher Handlungsnormen weiterhin an relativ weniger besitzende Menschen.266 Insgesamt ist abschießend für die Verfasstheit der Königsposition und der Handlungsfähigkeit der Inhaber dieser Position festzuhalten, dass beide Aspekte eng aufeinander zu beziehen sind. Selbstredend erscheint ihre Verbindung wenig überraschend. Jedoch erlaubt die Einzelbetrachtung ihr Verhältnis genauer zu beschreiben. Die Handlungsfähigkeit der Könige hat offensichtlich eine sozioökonomische Grundlage im Strukturierungszusammenhang. Aus dieser integrierten Position heraus garantieren die beiden Merowinger nicht nur für Familienmitglieder ökonomische Bestände und somit auch Prosperität. Auch für andere Akteure wird dies getan. Für sie wird dabei ein Kriterium genannt, an dem die Garantie orientiert ist: das Handeln der Könige selbst. Somit wird nicht nur das Verteilen von Gütern erneut als ein Konsolidierungshandeln der Könige erfassbar, sondern auch, dass die abstrakte Verfasstheit der Königsposition an konkretes Handeln direkt gebunden war. Somit wird plausibel, dass die Verfasstheit sich durch eine bedingte Änderung des Handelns wandeln konnte. Wenn also ein König nicht mehr Verteilen und Sicherheiten der Verteilung (auch auf der Basis einer wechselseitigen Sozialbeziehung, die durch einen Eid initiiert worden sein kann) handlungstechnisch gewähren konnte, dann war die Verfasstheit der Position eine andere. Um diese Sicherheit zu gewähren, waren aber Beziehungen notwendig. Die Beziehungen können anhand des Gebrauchs der beiden Worte leudes und fideles im Vertrag von Andelot differenziert werden. Demnach war das Organisieren von Folgeleistungen unbedingt relevant für die Könige, da dadurch auch militärisch gegen jene operiert werden konnte, die die Inhaber der Königsposition direkt – wie beispielsweise Eunius Mummolus oder Rauching – oder indirekt über die Schädigung der Güter anderer Akteure – wie Guntram Boso oder Leudast – praktisch in Frage stellten. Auch die Entsendung von Akteuren zur Untersuchung von Missständen, die ebenfalls im Vertrag von Andelot als Handlungsmittel der Könige erwähnt wird, bedurfte solcher Beziehungen. Die Königsposition war also nicht nur in strukturell-funktionaler Weise in den geographisch parzellierten Strukturierungszusammenhang integriert. Sie war auch konkret auf das sesshaft-sozioökonomische Leben in Gallien bezogen und darin nicht nur über das Abgabensystem, sondern auch über das Verteilen und Einziehen eingebettet. Praktische und strukturelle Dimensionen der Verfasstheit der Königsposition sind zugleich mit den Aussagen zum Handeln der Inhaber der Königsposition fassbar. Dass es aber offenbar auch zu einem Wandel der Verfasstheit der Königsposition seit dem Ende des 5. Jahrhunderts in Gallien gekommen war, wurde unter den vorherigen Ergebnissen bereits verzeichnet: Guntram konnte das Plündern nicht
265 Greg. hist.: 9.20. 266 Greg. hist.: 9.20.
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verhindern und das war schon zuvor auch den anderen Königen, wie beispielsweise die Aussagen zu Theuderich I.,267 Sigibert I.268 und Chilperich I.269 zeigen, nicht immer gelungen. Die von den Königen mit den militärischen Operationen innerhalb Galliens beförderte Dynamisierung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens – so ist ausdrücklich zu betonen – war letztlich ihrer eigenen Handlungsfähigkeit nicht förderlich, weil die Position in ihrer Verfasstheit strukturell und praktisch eingebettet war. Der Vertrag von Andelot setzte aber bei zwei der Könige an, um einen Frieden in Gallien auf normative Weise zu erwirken. Dies gelang nach Gregor auch: Guntram hält sich an den Vertrag und legt sein Missfallen nach der Verlesung bei.270 An dieser Stelle ist daher noch einmal kurz auf die Erzählungen über die Teilung von Soissons271 und über die Tötung des plündernden Akteurs bei der militärischen Operation gegen König Alarich II.272 zurückzukommen. In beiden Erzählungen übt die Chlodwigfigur Gewalt aus. Jeweils wird eine andere Figur getötet und in beiden Fällen sind jeweils kirchliche Akteure in augenscheinlich prägender Weise beteiligt. Der namenlose Bischof und der heilige Martin sind letztlich ausschlaggebend für die Tötungen. Wie bereits im zweiten Kapitel ausgeführt, ist ein von christlichen Handlungsnormen abweichend handelnder König Chlodwig I. von Gregor also als eine Figur konzipiert, die im Sinne kirchlicher Akteure handelt, ohne dass die Figur von ihm kritisiert wird. In der Einleitung des fünften Buches der decem libri historiarum wird Chlodwig I., obwohl er derartig dargestellt wird, zum Ideal der König der Zeit Gregors von ihm selbst stilisiert.273 Eine solche gewaltsame Durchsetzung im Sinne der kirchlichen Akteure war von König Guntram nicht mehr durchzuführen.274 Er wird von Gregor aber trotzdem als rex bonus erzählt, wobei der Vertrag von Andelot als ein normatives Mittel der Friedenssicherung gilt. Auch damit kann erklärt werden, warum Chlodwig I. zu einem Ideal stilisiert wird: Während Chlodwig I. nach Gregor Gewalt für die kirchlichen Akteure verwendete, wurde mit den bella civilia, für welche die Könige der zweiten Generation von Gregor als verantwortlich wahrgenommen wurden, die Gewalt gegen die kirchlichen Akteure und die Bestände der Kirchen selbst intensiviert. Diese Akteure wurden vor neue Aufgaben der Verstetigung von Sesshaftigkeit gestellt, die mit den Plünderungen bei den militärischen Operationen und den mit ihnen verbundenen Effekten entstanden waren.
267 Greg. hist.: 3.11. 268 Greg. hist.: 4.49 und 4.51. 269 Greg. hist.: 6.31. 270 Greg. hist.: 9.20. 271 Greg. hist.: 2.27. 272 Greg. hist.: 2.37. 273 Greg. hist.: 5.0. 274 Greg. hist.: 7.35 und 8.30.
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5.5 Das Einziehen und das Verteilen 587 bis 592 Aussagen zu Einziehungen sind nach 587 nur für Childebert II. vorhanden. Der König ließ das Abgabensystem hinsichtlich derjenigen, die die Abgaben zu leisten hatten, modifizieren: Viele Menschen waren gestorben – sehr wahrscheinlich auch wegen der stetigen militärischen Operationen und lokalen sowie regionalen Konflikte.275 Aussagen zu Verteilungen sind allerdings für Childebert II. kaum gegeben und zu Guntram gar nicht. Der Fokus wird daher zwangsläufig auf den Aussagen zum Einziehen liegen. Die ersten Aussagen dazu nach 587 beziehen sich auf eine Verschwörung gegen Childebert II., seine Mutter und seine Gattin: Sie erfährt, dass die Erzieherin Septimina sich mit dem ihr beigegeben Droctulf, dem comes stabuli Sunnegisil276 und dem referendarius Gallomagnus277 zusammentat. Ihr Ziel war, entweder Brunhild sowie Faileuba zu vertreiben und den König dann zu einer Hochzeit zu bewegen, oder ihn mit Zauberei zu töten und dann seine Söhne zu verwenden, um alles erreichen können, was sie wollen. Nachdem Septimina und Droctulf gefoltert werden und gestehen, flüchten Gallomagnus und Sunnegisil in eine Kirche, aus der sie aber zurückkehren. Sie stellen sich einer Verhandlung und werden von Childebert II. für schuldig befunden. Das veranlasst sie, erneut in eine Kirche zu fliehen.278 Septimina und Droctulf aber werden verstümmelt und zu anderen Arbeiten eingeteilt, nachdem ihr Besitz eingezogen wurde.279 Die Güter, die Gallomagnus und Sunnegisil vom fiscus erhalten hatten, werden eingezogen. Sie werden in die Verbannung geschickt. Auch nachdem sie aufgrund von Fürbitten einiger Bischöfe bei König Guntram wieder zurückkehren, bliebt ihnen nichts anderes als die von ihnen persönlich besessenen Güter.280 Sunnegisil wird später auch der Folter ausgesetzt – was dazu führte, dass er den Bischof Egidius von Reims beschuldigt, an dem Usurpationsversuch des Rauching beteiligt gewesen zu sein.281 Festzuhalten ist, dass mit dem Einziehen der Güter des Gallomagnus und des Sunnegisil indirekt auch das Verteilen der Könige akzentuiert ist, da deutlich wird, dass an beide zuvor Güter verteilt worden sein müssen. Zudem ist zu betonen, dass
275 Greg. hist.: 9.30. 276 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 158. 277 Vgl. ebd.: S. 96f 278 Greg. hist.: 9.38. 279 „Septimina vero cum Droctulfo vehementer caesa ac cauteriis accensis in faciae vulnerata, ablatis omnibus quae habebat, Marilegio villa deducitur, ut scilicet trahens molam his, qui in genitio erant positae, per dies singulos farinas ad victus necessaria praepararet.“ Greg. hist.: 9.38. 280 „At vero Sunnegisilus et Gallomagnus, privati a rebus quas a fisco meruerant, in exilio retruduntur. Sed venientibus legatis, inter quos episcopi erant, a rege Gunthchramno et petentibus pro his, ab exilio revocantur; quibus nihil aliud est relictum, nisi quod habere proprium videbantur.“ Greg. hist.: 9.38. 281 Greg. hist.: 10.19.
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die Verschwörung wohl von Menschen in unmittelbarer Nähe zu Childebert II. und nicht etwa wie bei dem Usurpationsversuch des Rauching von einigen herausragenden Akteuren und regional-strukturellen Administratoren vollzogen worden ist. Auffällig ist zudem noch, dass nicht alle Güter des Gallomagnus und des Sunnegisil eingezogen wurden, während Septimina und Droctulf alles verloren haben. Warum diese Differenzierung gegeben ist, kann nicht fundiert beantwortet werden. Tatsächlich wurden auch persönliche Güter von anderen zuvor, wie in den vorherigen Kapiteln gezeigt, eingezogen. Dass das Einziehen aber auch hier als eine Art des Bestrafens verwendet wurde, kann als sicher gelten. Auch der Quellenbestand zu einer weiteren Einziehung umfasst – wie oben geschrieben – Aussagen zu einer Gerichtsverhandlung. Von ihm war der Bischof Egidius von Reims betroffen. Er hatte großen Einfluss genossen, als Childebert II. noch unmündig war.282 Auch darum ging es bei seiner Verhandlung, zu der eine große Zahl von Bischöfen in die civitas Metz geladen wurde. Es sind nach Gregor besonders zwei Aspekte der Anklage herauszugreifen: Egidius wird vorgeworfen, er sei für die Schädigungen bei militärischen Operationen verantwortlich und dass er sich Landgüter durch gefälschte Unterschriften erschlichen habe. Egidius wird beider Vergehen für schuldig befunden. Zwar wird ihm das Leben erwirkt, doch wird er aus dem Priesterstand entfernt und seine Güter aus der Schatzkammer in Reims werden eingezogen. Der Besitz der Kirche wird dabei nicht tangiert.283 In den Aussagen zu Egidius wird das Verteilen ebenfalls indirekt akzentuiert, wobei hieraus ein Klagegrund resultiert. Die Beziehung, die der Bischof zum König während dessen Kindheit hatte, steht im Zentrum des Verfahrens. Das Verfahren resultiert zwar aus einer Anschuldigung bezüglich der Beteiligung des Bischofs Egidius an dem Usurpationsversuch des Rauching.284 Wichtig erscheinen aber vor allem dessen Beziehung zu Childebert II. und Chilperich I. sowie die materiellen Güter und Ressourcen, die er daraus gewonnen hat, wie auch die militärischen Operationen, die zu ökonomischen Schädigungen der Bevölkerung geführt haben. Das abweichende Handeln des Egidius ist dabei nicht an Eidesleistungen gebunden. Der Bischof wird vielmehr als derjenige aufgefasst, der – auch wegen seines sich bereichernden Handelns – für einige militärische Operationen während der bella civilia verantwortlich war.285 Ähnlich wie in der Erzählung über die Plünderungen bei der Operation Guntrams gen Septimania wird der König auch hier von der Verantwortung von Gregor befreit – was wiederum zur Handlungsfähigkeit des Königs in seiner Position führt. Auch Childebert II. wird von Gregor zuvor positiv gewertet: Er wolle seinem Onkel Guntram keinen Schaden tun.286
282 Vgl. Offergeld, Reges pueri: S. 201–214 und Schneider, Königserhebung: S. 94 ff. 283 Greg. hist.: 10.19. 284 Greg. hist.: 10.19. 285 Greg. hist.: 10.19. 286 Greg. hist.: 9.32.
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Zwar wird er nicht wie Guntram als rex bonus bezeichnet, aber die Tendenz zur positiven Wertung ist kaum zu bestreiten. Während Guntram die Plünderungen nicht verhindern kann, weil die Bevölkerung nach Gregor ihn und die Anführer bei den militärischen Operationen in ihren Anweisungen nicht beachtete, war Childe bert II. dazu nicht in der Lage, weil er gar nicht selbstständig handeln konnte.287 Somit ist auch er wie Guntram trotz Handlungsunfähigkeit positiv für den Bischof zu werten. Der hauptsächliche Unterschied besteht darin, dass die Handlungsunfähigkeit Childeberts II. auf seine ältere Vergangenheit projiziert wird. Dass er allerdings auch in seiner jüngeren Vergangenheit wie Guntram nicht unbedingt handlungsfähig gegenüber den Folgeleistenden war, ist mit Aussagen zu der von ihm initiierten militärischen Operation nach Italien aus dem dritten Kapitel des zehnten Buches des decem libri historiarum zu verdeutlichen.288 Die Handlungsfähigkeit der Könige war also auch nach und trotz des Vertrags von Andelot nicht unbedingt gegeben. Bei der Einziehung der Güter des Egidius aus dem Bestand der Kirche von Reims wird darauf geachtet, dass diese Kirche keinen ökonomischen Schaden erleidet, was erneut die Handlung Childeberts II. positiv erscheinen lässt. Formen angemessenen Handelns sind also auch hier von Gregor erwähnt. Das Einziehen als Bestrafung betrifft nur die Person des Egidius und nicht seine Position, die ihm erst die Beziehungen und die daraus resultierenden Möglichkeiten zum Erwerb materieller Güter und Ressourcen gab. Auf der Versammlung, auf der Egidius verurteilt wurde, war auch über Chrodechilde,289 die Tochter Chariberts, und Basina,290 die Tochter Chilperichs I., entschieden worden. Beide waren als Nonnen aus dem Kloster der heiligen Radegunde im Streit mit der dortigen Äbtissin fortgezogen.291 Chrodechilde hatte danach, um die Äbtissin aus dem Kloster zu entführen, Folgeleistungen einiger Akteure organisiert. Sie raubten auch in dem Kloster.292 Auch daher waren sie von einigen Bischöfen aus der Kirche ausgeschlossen worden.293 Jedoch entschieden auf dieser Versammlung die Bischöfe nicht direkt. Childebert II. bat die Anwesenden, seine beiden Verwandten wieder in die Kirche aufzunehmen, obwohl nur Basina den Streit mit der Äbtissin beilegen wollte, während Chrodechilde dies verweigerte. Letztlich wurden aber beide wieder aufgenommen, wobei Basina in das Kloster zurückkehren sollte. Chrodechilde hatte sich auf ein Landgut zurückzuziehen, das Childebert II. ihr gab. Das Landgut, so schreibt Gregor genauer, gehörte zuvor Waddo, dem ehemaligen comes von Saintes
287 Greg. hist.: 10.19. 288 Greg. hist.: 10.3. 289 Vgl. Ewig, Namensgebung: S. 57. 290 Vgl. ebd.: S. 61. 291 Greg. hist.: 9.39. 292 Greg. hist.: 10.15. 293 Greg. hist.: 10.16.
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und maior domus der Rigunthe.294 Die Aussagen zum lokalen Konflikt, bei dem er starb,295 werden unten ausführlich untersucht. An dieser Stelle ist erstmal festzuhalten, dass Gregor in dem Kapitel zu dessen Tod erzählt, dass einer seiner Söhne seine Landgüter erhielt.296 Dieser Widerspruch führt zu weiteren zeitnahen Aussagen zu einer Einziehung nach 587, die im analytischen Kontext mit den Aussagen zur Verteilung an die Königstochter Chrodechilde untersucht werden können. Gregor erzählt ein Kapitel nach der Wiederaufnahme der beiden Merowingertöchter in die Kirche, dass der comes Macco von Poitiers297 zu Childebert II. kommt, um die eingetriebenen Abgaben auszuhändigen. Dabei wird dargelegt, dass die beiden Söhne des Waddo nach seinem Tod298 raubend umherziehen. Die beiden Söhne sind aber auch anwesend und versuchen den König mit Geschenken zu erreichen.299 Dieser aber lässt sie ergreifen und foltern, wobei sie gestehen, dass ihr Vater aus dem thesaurus des Prätendenten Gundowald geraubt hatte. Auch das Versteck der Raubgüter verraten sie. Die von Childebert II. daraufhin Abgesandten finden eine umfangreiche Menge an wertvollen Gütern wie auch Gold und Silber, die sie dann für den König einziehen.300 Letztlich wurde der ältere Sohn des Waddo getötet und der jüngere in die Verbannung geschickt.301 Noch bevor auf den Widerspruch konkreter einzugehen ist, ist zu betonen, dass das Verteilen an Chrodechilde durch Childebert II. nicht als eine Belohung seiner Verwandten aufgefasst werden kann. Im Erzählzusammenhang mit den übrigen Aussagen zum lokalen Konflikt im Kloster der heiligen Radegunde ist eher anzunehmen, dass mit der Verteilung der Konflikt beigelegt werden sollte. Die Äbtissin und Chrodechilde wurden räumlich getrennt. Chrodechilde erhielt mit dem Landgut eine ökonomische Grundlage, um sich selbst versorgen zu können. Die Verteilung war demnach eine Art Konfliktlösung, wobei durch sie auch die weitere ökonomische Schädigung des Klosters und der dort lebenden Nonnen mit der Verteilung ausgespart werden konnten. Hingegen ist sicher, dass die Einziehungen bezüglich der Söhne des Waddo neben der körperlichen Züchtigung als Bestrafung für ihr Handeln aufzufassen sind.
294 Greg. hist.: 6.46. 295 Greg. hist.: 9.35. 296 „Sed protinus sub lacrimis uxoris ac filiorum spiritum exalavit. Explicita igitur tam infilicem vitam, filius eius ad regem abiit resque eius obtenuit.“ Greg. hist.: 9.35. 297 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 128. 298 Greg. hist.: 10.21. 299 Greg. hist.: 10.21. 300 „Qui dum torquerentur, thesaurus patris absconditus, quos de rebus Gundovaldi superius memorati pater diripuerat, revelare ceperunt. Nec mora, directi viri ad inquerendum inmensam multitudinem auri argentique ac diversarum specierum et auro gemmisque exornatarum reppererunt, quod thesauris regalibus intulerunt.“ Greg. hist.: 10.21. 301 Greg. hist.: 10.21.
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Nun aber zum Widerspruch. Festzuhalten ist erneut, dass Gregor schreibt, dass die Güter Waddos nach seinem Tod nicht eingezogen wurden.302 Somit wäre plausibel, dass die Erzählung über die Einziehungen gegenüber den Söhnen des Waddo vor die Versammlung zu datieren ist, auf der Bischof Egidius von Reims verurteilt wurde.303 Jedoch wird in dem Kapitel, in dem über die Einziehungen erzählt wird, nicht dargelegt, dass von den beiden Söhnen auch Landgüter eingezogen worden sind. Nur die Einziehung geraubter Güter aus dem thesaurus des Gundowald wird erwähnt.304 Die Aussagenlage erlaubt drei Annahmen: Zum einen, dass die Landgüter doch von Childebert II. nach der Folter der Söhne eingezogen worden sind. Zum anderen, dass Waddo auch Landgüter durch den fiscus erhalten hat und diese von Childebert II. nach dem Tod des Waddo eingezogen worden sind. Eines von diesen Landgütern wurde dann an Chrodechilde verteilt. Drittens ist annehmbar, dass die Landgüter der Söhne des Waddo zuvor bereits von Childebert II. eingezogen worden sind. Die ersten beiden Annahmen sind in Relation zur dritten weniger plausibel, was mit den Aussagen zu der Folter, der Einziehung, der Tötung und der Verbannung argumentativ zu begründen ist. Zwar ist eine Einziehung nach der Folter und somit eine Neuanordnung der beiden Kapitel durchaus wahrscheinlich. Wie die Aussagen zu den Einziehungen im Fall des Sunnegisil und des Gallomagnus zeigen, war es durchaus möglich, dass nur bestimmte Güter eingezogen wurden. Aber da die beiden mittels Raub erwerbend tätig wurden, ist die Annahme, dass sie darin eine primäre Erwerbsweise hatte – das sie eben nicht durch Landgüter überlebendfähig waren – plausibler. Auch ist unklar, ob ihnen dabei Menschen Folge leisteten. Allerdings hat bereits ihr Vater solche Folgeleistungen organisieren können305 und die Aussagen zu ihren Raubtaten lassen es wahrscheinlich werden, dass ihnen Menschen Folge leisteten.306 Sicher ist nur, dass das Einziehen der geraubten Güter aus dem thesaurus des Gundowald als eine Bestrafung für ihre Raubtaten aufzufassen ist. Abschließend ist in Anbetracht des Vertrages von Andelot hinsichtlich der Aussagen zu den Verteilungen und Einziehungen keine umfangreiche Auswirkungen zu attestieren. Die Aussagen zu den Einziehungen der Güter der Septimina, des Droctulf, des Sunnegisil und des Gallomagnus, bei denen auch indirekte Aussagen zu Verteilungen nachzuvollziehen sind, fehlt ein Bezug auf den Vertrag völlig, da es sich hierbei um Aussagen zu einem Verschwörungsversuch handelt. Die Aussagen zum Einziehen der Güter des Bischofs Egidius aus dem Bestand der Kirche von Reims hingegen zeigen, dass die Garantie der kirchlichen Güter, die im Vertrag von Andelot
302 Greg. hist.: 9.35. 303 Greg. hist.: 10.19. 304 Greg. hist.: 10.21. 305 Greg. hist.: 9.35. 306 Greg. hist.: 10.21.
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gegeben wurde, erhalten blieb. Die letztlich untersuchten Aussagen zur Verteilung an Chrodechilde und der Einziehung gegenüber den Söhnen des Waddo sind wiederum nicht direkt mit dem Vertrag in Verbindung zu bringen. Weder ist darin Chrodechilde, die Tochter Chariberts, erwähnt, noch wird in den Erzählungen zu den Söhnen deutlich, dass sie fideles Childeberts II. oder Guntrams waren. Auch werden sie nicht als leudes bezeichnet, wobei erneut festgehalten werden soll, dass der Gebrauch des Wortes in dem Vertrag die Annahme wahrscheinlich macht, dass eine eher allgemeine Bedeutung des Wortes gegeben ist.
5.6 Militärische Operationen zwischen 587 und 592: Die Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen Überliefert sind Aussagen zu zwei militärischen Operationen nach 587. Beide beziehen sich auf externe Gegner: eine von Guntram begonnene Operation führte in Richtung der Iberischen Halbinsel; eine von Childebert II. initiierte Operation gegen den König der Langobarden in Italien. Die Aussagen dazu gehören in den Zusammenhang der oströmischen Bemühungen, in Italien Einfluss zu erlangen. Zuerst zur Operation Guntrams. Nach Gregor von Tours307 und Johannes von Biclaro308 ist sie auf 589 zu datieren. Eine genauere Datierung geht aus den Aussagen des Bischofs Isidor nicht hervor. Sicher ist bei ihm nur, dass die militärische Operation auf die Zeit König Reccareds zu datieren ist.309 Gregor und Johannes erzählen wie Isidor übereinstimmend, dass bei der Operation die aus Gallien stammende Kriegergemeinschaft in Richtung der Iberischen Halbinsel zieht und eine Niederlage gegen Akteure von der Iberischen Halbinsel erleidet.310 Jedoch sind auch Unterschiede in den drei Darstellungen gegeben, wobei sich die Aussagen der Bischöfe Johannes und Isidor doch ähnlicher sind. Dies lässt darauf schließen, dass Isidor entweder auf die Chronik des Johannes oder auf dessen Quellen rekurriert hat.311 Die Aussagen des Johannes weisen aber durchaus auch Parallelen zu denen Gregors auf. Übereinstimmend erzählen beide, dass die Akteure von der Iberischen Halbinsel unter Anführung eines Mannes namens Claudius312 fast 60.000 Gegner gegenüberstehen und dabei zu einem der größten Siege ihrer Zeit kommen.313 Christliche Deutungsmuster sind bei beiden Autoren gegeben. Der Glaube des Königs Reccared
307 Greg. hist.: 9.26. 308 Joh. bicl. chron.: 91. 309 Ortsnah und relativ zeitnah Isid. hist. goth.: 54. 310 Greg. hist.: 9.31 und Joh. bicl. chron.: 91 sowie relativ ortsnah und zeitnah Isid. hist. goth.: 54. 311 Vgl. Wattenbach und Levison, Geschichtsquellen: S. 87 f. 312 Claudius war ein regional-struktureller Administrator in Lusitania. Joh. bicl. chron.: 91. 313 Relativ ortsnah und zeitnah Joh. bicl. chron.: 91 und ortsnah und relativ zeitnah Isid. hist. goth.: 54.
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ist für Isidor ausschlaggebend für dessen Siege.314 In der Chronik des Johannes wird auf das Alte Testament rekurriert, da Wenige in der Schlacht viele Gegner besiegen konnten:315 Die biblische Erzählung über Gideon, der mit wenigen Akteuren eine große Menge Midianiter besiegt, wird herangezogen.316 Gregor erzählt mit Johannes übereinstimmend, dass Boso317 ein Anführer der Kriegergemeinschaft aus Gallien war.318 Hingegen werden die Angreifer bei Gregor erst in einem Hinterhalt besiegt.319 Außerdem sind zwei weitere Anführer – der dux Austrovald320 und Antestius321 – bei Boso, der eine Kriegergemeinschaft aus Bevölkerungsteilen von Périgueux, Bordeaux, Agen und Toulouse anführt. Sie ziehen Austrovald mit Antestius, der bereits mit ihm Folgeleistenden in Carcassonne eingedrungen ist, auf das Geheiß Guntrams nach. Boso hegt nach Gregor Missfallen an Austrovald und zieht allein weiter in Richtung der Zielorte. Nach einer Rast wird er wegen des Hinterhalts schwer geschlagen. Letztlich werden die Besiegten ausgeplündert.322 Quellenkritisch muss zu diesen unterschiedlichen Aussagen angemerkt werden, dass der Transfer von Informationen sehr wahrscheinlich auf differente Art abgelaufen ist, was auch die Deutung durch die Autoren zeigt: Während bei den iberischen Autoren unter christlichen Deutungsmustern ein großer Sieg erzählt wird, ist bei Gregor mit dem Streit zwischen den Anführern und dem Hinterhalt – der Ablauf des Kampfes ist bei Johannes anders erzählt – eine Begründung für die Niederlage zu erfassen. Mit diesem differenten Informationstransfer ist auch ein Ansatz gegeben, um sich der Tatsache zu nähern, dass nur Gregor von Plünderungen erzählt. Die christliche Deutung der iberischen Autoren impliziert, dass die Sieger sich nicht gegen christliche Handlungsnormen, konkret eines der zehn Gebote, vergehen können. Die literarische Verarbeitung von Informationen und Phänomenen des Plünderns ist selbstverständlich unter Bezug auf sie gestaltet. Dies sagt nicht nur etwas über die Aussagen des Johannes von Biclaro und Isidors von Sevilla aus, sondern auch über Gregor von Tours, der als einziger über Plünderungen erzählt. Somit ist an dieser Stelle zu betonen, dass Gregor trotz seiner christlichen Perspektive eines Administrators sesshaft-sozioökonomischen Lebens auch Akteure, die er nicht negativ wertet, als Figuren sehr wohl abweichend handelnd konzipiert und auf diese Weise
314 Ortsnah und relativ zeitnah Isid. hist. goth.: 54. 315 Relativ ortsnah und zeitnah: „Non inmerito deus laudatur temporibus nostris in hoc proelius esse operatus, qui similiter ante multa tempore spatial per manum ducis Gedeonis in CCC viris multa milia Madianitarum dei populo infestantium noscitur extinxisse.“ Joh. bicl. chron.: 91. 316 Ri. 7.1–8.3. 317 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 62 f. 318 Greg. hist.: 9.31 und Joh. bicl. chron.: 91. 319 Greg. hist.: 9.31 und Joh. bicl. chron.: 91. 320 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 50 f. 321 Greg. hist.: 9.31. 322 Greg. hist.: 9.31.
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Informationen und Phänomene des Plünderns in doch relativ umfangreicher Zahl literarisch verarbeitet hat: Er spart die Praktik nicht wie Johannes und Isidor aus. Dies zeigt erneut den Wert der decem libri historiarum als Hauptquelle des 6. Jahrhunderts in Gallien. Die wenigen Aussagen Gregors zu Plünderungen nach der Niederlage der gallischen Kriegergemeinschaft lassen in diesem konkreten Fall jedoch kaum weitere Schlüsse zu. Anders ist dies bei den Aussagen zu der von Childebert II. initiierten militärischen Operation gegen den König der Langobarden in Italien. Die Erzählung gehört in den Zusammenhang der oströmischen Bemühungen, in Westeuropa Einfluss zu erlangen.323 Childebert II. hatte Geschenke aus Konstantinopel erhalten und sollte dafür die Langobarden angreifen.324 Daher waren von Childebert II. bereits zweimal Kriegergemeinschaften nach Italien gesandt worden.325 Die erste Operation dieser Art fand nach Gregor 584 statt.326 Die zweite ein Jahr danach.327 Eine dritte Operation nach Italien wurde noch vor ihrem Beginn abgebrochen, da eine Gesandtschaft nach Gallien kam und einen Tribut vereinbarte.328 Die Quellenlage zu den drei Operationen wurde nicht untersucht, da sie keine Aussagen zu Plünderungen umfasst. Dies ändert sich mit den Aussagen zur vierten Operation Childeberts II. gegen den langobardischen König Authari.329 Zuvor reisten Gesandte Childeberts II. nach Konstantinopel. Auf der Hinfahrt rauben einige der Gesandten in Karthago, was zu deren Ermordung führt.330 Nach seiner Rückkehr vom Kaiser berichtete Gripo, was vorgefallen ist.331 Darauf – so schreibt Gregor weiter – entsendet Childebert II. umgehend zwanzig duces mit Kriegergemeinschaften. Vier davon sind namentlich genannt. Dies sind die duces Audovald,332 Olo333 und Chedin.334 Sie alle können keinem geographischen Raum zugeordnet werden.335 Der dux Wintrio war dux in der Champagne.336 Er und der dux Audovald führen Bevölkerungsteile aus der Champagne auf ihrem Weg nach Italien
323 Vgl. Goffart, Gundovald: S. 91–114. 324 Greg. hist.: 6.42 und ortsnah, jedoch zeitfern Paul. hist. lang.: 3.17. 325 Greg. hist.: 6.42 und 8.18 sowie ortsnah, jedoch zeitfern Paul. hist. lang.: 3.17; 3.22; 3.29 und 3.31. 326 Greg. hist.: 6.25. 327 Greg. hist.: 8.1. 328 Greg. hist.: 9.29. 329 Vgl. Wenskus, Art. Authari: S. 314 f. 330 Greg. hist.: 10.2. 331 Greg. hist.: 10.3. 332 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 50. 333 Vgl. ebd.: S. 142. 334 Vgl. ebd.: S. 68 f. 335 Vgl. Weidemann, Kulturgeschichte Bd. I: S. 56–58. 336 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 170 f.
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in die civitas Metz und plündern dort.337 Auch die anderen Kriegergemeinschaften plündern bereits vor ihrer Ankunft in Italien die civitates in Gallien.338 In Italien wird dann weiter geplündert. Dort teilen sich die Kriegergemeinschaften in zwei Gruppen auf. Während der Belagerung von Mailand, bei der Olo getötet wird, werden Plünderungen vollzogen.339 Die Folgeleistenden unter dem dux Chedin ziehen südlich weiter und plündern. Währenddessen können sie einige der Bewohner von castra dazu bringen, einen Eid auf Childebert II. zu leisten.340 Jedoch ziehen sich die Gegner in die ummauerten Zentren zurück, so dass letztlich kein Zugewinn an civitates für den König zu verzeichnen ist. Als eine Krankheit ausbricht, kommt dazu noch Hunger auf: Die Plünderungen machten weiteren Nahrungserwerb unmöglich. Die Kriegergemeinschaften ziehen sich deshalb mit dem Geplünderten sowie Gefangenen, die später nach Verhandlungen mit König Guntram341 laut Paulus Diaconus342 wieder frei kamen, nach Gallien zurück. Die Parallele zur militärischen Operation Guntrams in Richtung Septimania, die noch 585 nach dem Tod des Prätendenten Gundowald zu umfangreichen Plünderungen und zu Rückplünderungen der Kriegergemeinschaften in Gallien führte, ist deutlich erkennbar. Auch in dieser Erzählung initiierte der König die militärische Operation und war dann nicht in der Lage, Plünderungen der gallischen civitates zu verhindern. Auch die Akteure, die als Anführer fungierten, verhinderten die Plünderungen nicht. Für sie muss festgehalten werden, dass unklar ist, ob sie über umfangreiche materielle Güter und Ressourcen verfügten. Sicher ist nur, dass drei der vier namentlich erwähnten Akteure von den zwanzig duces wahrscheinlich nicht in einer Position der regional-strukturellen Administration tätig waren. Für das Organisieren von Folgeleistungen kann daher angenommen werden, dass auch hier Beziehungen nicht unwichtig waren. Selbstredend ist möglich, dass die drei namentlich genannten, nicht administrativ tätigen Akteure auch über umfangreiche Güter und Ressourcen verfügten. Die Namen Audovald, Olo und Chedin sind allerdings nur im dritten Kapitel des zehnten Buches der decem libri historiarum vorhan-
337 „Audovaldus vero dux cum Vinthrione, commoto Campaniae populo, cum ad Mettensim urbem, qui ei in itenere sita erat, accessisset, tantas praedas tantaque homicidia ac caedes perpetravit, ut hostem propriae regione putaretur inferre.“ Greg. hist.: 10.3. 338 „Sed et alii quoque duces similiter cum falangis suis fecere, ita ut prius regionem propriam aut populum commanentem adficerent, quam quiddam victuriae de inimica gente patrarent.“ Greg. hist.: 10.3. 339 Greg. hist.: 10.3. 340 Greg. hist.: 10.3. 341 Greg. hist.: 10.3. 342 Zur Gesandtschaft, die mit Guntram verhandelte ortsnah, jedoch zeitfern Paul. hist. lang.: 3.34. Zum Freikauf unter der Beteiligung Brunhilds ortsnah, jedoch zeitfern Paul. hist. lang.: 4.1.
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den.343 Erst knapp zwei Jahrhunderte später werden sie von Paulus Diaconus erneut genannt.344 Abschließend ist noch auf die Handlungsfähigkeit der Inhaber der Königsposition und ihre Verfasstheit einzugehen. Betont wurde bereits, dass die Aussagen zur militärischen Operation Childeberts II. nach Italien Parallelen zur Erzählung der Operation Guntrams nach Septimania aufweisen. Somit ist die Differenzierung der beiden Könige nicht personengebunden zu erklären.345 Daher ist plausibel, dass die Differenzierung der Könige auch ein von der Dynamisierung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens bedingter Effekt war, der von den Königen mit den Militäroperationen selbst befördert wurde und nicht nur durch das Substituieren ihrer selbst als Anführer der Kriegergemeinschaften. Die Königsposition war somit ebenfalls von der Diskursivität der Prozessdynamik bedingt und wurde von ihr praktisch neu definiert – was sich auf die Handlungsfähigkeit der Inhaber der Position als solche auswirkte und diese formativ gestaltete; während die Könige das Plündern nicht mehr aus ihrer Position heraus beeinflussen konnten. Mit den Aussagen zur Differenzierung der Könige von den Kriegergemeinschaften ist also von einer definitorischen Dimension einer Konstellation zu sprechen. Sie betraf auf normative und funktionale, aber auch sozialinteraktive Weisen die Definition der Verfasstheit der Königsposition und der Handlungsfähigkeit ihrer Inhaber. Den definitorischen Aspekt der Diskursivität zu beachten, hat auch Implikationen für die Deutung des Vertrags von Andelot: Die aus der funktionalen Konstellation der Inhaber der Königsposition mit den Bischofspositionen resultierende Integration in den seit Chlodwig I. geschaffenen Strukturierungszusammenhang verband die Könige auch konkret mit dem sesshaft-sozioökonomischen Leben der Bevölkerung in den gallischen civitates. Auch das im 6. Jahrhundert in Gallien auf unterschiedliche Art variierende Abgabensystem integrierte die Königsposition und bezog die Inhaber auf das sesshaft-sozioökonomische Leben konkret. Diese Konstellationen führten zu neuen Aufgaben der Inhaber; und mit dem Vertrag von Andelot ist für beide Aspekte dann eine normative Regelung getroffen worden, die sich direkt auf das sesshaftsozioökonomische Leben bezog – Frieden zwischen den Merowingern nach der Erfahrung der bella civilia erzeugen sollte. Die Regelung aber integrierte das Kriegersein als einen Modus des Erwerbs nicht. Der Mobilitätsanteil im parzellierten Strukturierungszusammenhang blieb – so lässt sich analytisch formulieren – ungeregelt. Normative Regelungen waren somit nicht unbedingt für die Regelung von sozioökonomischen Erwerbspraktiken geeignet. Dies betrifft nicht nur den Vertrag von Andelot. Die Erfüllung der mit dem oströmischen Kaiser getroffenen Vereinbarung führte zu
343 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 50; S. 68 f. und S. 142. 344 Ortsnah, jedoch zeitfern Paul. hist. lang.: 3.31. 345 Bereits Sigibert I. und Chilperich I. hatten Plünderungen bei militärischen Operationen nicht verhindern können, obwohl sie persönlich an der Militäroperation teilnahmen. Greg. hist.: 6.31.
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einem ökonomischen Schaden der gallischen civitates und somit auch des Königs Childebert II. Vereinfacht formuliert: Von Frieden zu sprechen und diesen normativ festzulegen, implizierte nicht zwangsläufig auch eine Wirkung auf die Praxis der gallischen Bevölkerung. Eher führte die sozial-interaktive Definitionsweise der Konstellation zwischen den Königen und dem konkreten sesshaft-sozioökonomischen Leben zu einer Veränderung der Verfasstheit der Königsposition. Deren Inhaber waren nicht in der Lage, die Interdependenz zu bestimmen, sondern waren mehr von ihr bedingt: Normative Mittel und die funktionalen Konstellationen zu den Bischöfen sowie auch zu den lokal- und regional-strukturellen Administratoren definierten die Lebensweisen zwar neu; konnten sie aber praktisch nicht ändern.
5.7 Regionale und lokale Konflikte 587 bis 592 Auch nach dem Vertrag von Andelot 587 kam es in Gallien bei lokalen und regionalen Konflikten zu Raubtaten. Neben lokal- und regional-strukturellen Administratoren sind herausragende Akteure als Anführer genannt. Auch Aussagen zu lokalen Konflikten zwischen Nonnen in Klöstern sind vorhanden. Das eine war von der heiligen Radegunde in Poitiers,346 das andere von Ingotrude, einer über seine Mutter mit König Guntram verwandten Frau,347 gegründet worden. Für die Aussagen zum ersten Konflikt wurde schon angedeutet, dass es dabei zu Raubtaten kam.348 Anführerinnen waren zwei Nonnen aus dem Geschlecht der Merowinger. Chrodechilde, die Tochter Chariberts und Basina, die Tochter Chilperichs I., waren in Streit mit der Äbtissin geraten und versuchten sie mittels einiger Akteure zu verdrängen, wobei es zu den erwähnten Raubtaten kam.349 Beim zweiten Konflikt raubte Berthegunde, die Tochter der Ingotrude, das von ihrer Mutter in Tours gegründete Kloster mit ihr Folgeleistenden aus,350 nachdem Ingotrude verstorben war. Berthegunde konnte zuvor aus kirchenrechtlichen Gründen nicht zur Nonne werden. In Anbetracht des Vertrages von Andelot mag überraschen, dass der erste Konflikt von einigen Bischöfen geregelt worden ist351 und nicht von einem der Könige, obwohl die Güter des Klosters an dieses von Chlothar I., dem ehemaligen Gatten der Radegunde,352 ver-
346 Orts- und zeitnah Ven. fort. Vita Radegundis: 1.12. 347 Greg. hist.: 8.2. Dazu Ewig, Namensgebung: S. 55. 348 Greg. hist.: 10.15. 349 Greg. hist.: 10.15. 350 Greg. hist.: 10.12. 351 Greg. hist.: 10.16. Erst später war auch Childebert II. daran beteiligt. Dies aber erst nach der Verurteilung der beiden Frauen. Greg. hist.: 10.20. 352 Greg. hist.: 3.7. Dazu orts- und zeitnah Ven. fort. Vita Radegundis: 1.2.
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teilt worden waren.353 Nur bei dem zweiten Konflikt wurde Childebert II. aktiv.354 Dies aber noch vor der Beraubung des Klosters zu Tours, nach der Gregor nicht mehr erwähnt, wie der Konflikt endet.355 Somit waren die Könige auch nach dem Vertrag von Andelot offenbar nicht immer an der Untersuchung von Streitfällen beteiligt – auch wenn diese von ihnen verteilte Güter betrafen. Dies zeigt erneut, dass eine normative Regelung die konkrete Praktik nicht einfach determinieren konnte.
5.7.1 Plündern unter der Anführung lokal- und regional-struktureller Administratoren Zeitnahe Aussagen zum Rauben unter der Anführung lokal- und regional-struktureller Administratoren gibt es nach 587 nicht. Hingegen betreffen Aussagen zum Plündern unter der Anführung lokal- und regional-struktureller Administratoren erneut den Konflikt mit den Anführern aus den bretonischen Siedlungsgemeinschaften. Dieser wurde insgesamt bereits im vorherigen Kapitel untersucht. Hier werden daher nur einige wenige Aussagen zur letzten Operation gegen sie genauer in den Fokus genommen: Die letzte militärische Operation der Merowingerkönige gegen Waroch, von der Gregor erzählt, fand 590 statt.356 Guntram initiierte sie, nachdem Akteure aus den bretonischen Siedlungsgemeinschaften die civitates Nantes und Rennes angegriffen und geplündert hatten.357 Die duces Beppolen und Ebrachar waren als Anführer aktiv. Der comes Willachar von Orléans begleitete sie.358 Die Aussagen zu den Plünderungen durch die von Guntram entsandte Kriegergemeinschaft vor und nach den Kämpfen mit den bretonischen Kriegergemeinschaften sind nun erneut zu untersuchen, da mit ihnen die Handlungsfähigkeit der Könige und die Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen nach dem Vertrag von Andelot vertiefend betrachtet werden können. Gregor schreibt, dass die Kriegergemeinschaft schon vor dem Erreichen des Zielortes zu plündern beginnen,359 während Beppolen und Ebrachar mit einander im Streit liegen.360 Nach dem Sieg über die bretonischen Akteure und dem Tod des Beppolen zieht sich Ebrachar mit den ihm Folgeleistenden zurück und wird beim Über-
353 Greg. hist.: 9.43. 354 Greg. hist.: 9.33. 355 Greg. hist.: 10.12. 356 Greg. hist.: 10.1. 357 Greg. hist.: 10.9. 358 Greg. hist.: 10.9. 359 „Sed Ebracharius suspectus, quod, si victuria cum Beppoleno patraretur, ipse ducatum eius adquireret, inimicitias cum eodem conectit, ac per viam totam se blasphemiis, convitiis atque maledictionibus lacessunt.“ Greg. hist.: 10.9. 360 Vgl. Weidemann, Kulturgeschichte Bd. I: S. 34.
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setzen über den Fluss Vilaine von Canao, dem Sohn Warochs, angegriffen. Einige geraten dabei in Gefangenschaft.361 Die restlichen Folgeleistenden ziehen dann nicht auf dem Weg zurück, auf dem sie herangezogen waren, da sie Plünderungen durch jene, die sie zuvor geplündert hatten, ausweichen wollen. Die Überquerung des Flusses Mayenne auf einer Brücke in der civitas Angers wird gewählt. Jedoch werden dabei erneut einige Akteure aus der Kriegergemeinschaft ausgeplündert,362 was dann zu Plünderungen durch diese Kriegergemeinschaft in der civitas Tours führt, deren Bevölkerung – so erzählt Gregor abschließend – darauf nicht vorbereitet ist und sich nicht wehrt.363 Die Parallelen zu den militärischen Operationen Guntrams nach Septimania 585 und Childeberts II. gegen den König der Langobarden 590 sind hier erneut unverkennbar. Bei der Operation 590 wurde erneut gallisches Gebiet von einer von einem Merowingerkönig entsandten Kriegergemeinschaft unter Anführung von lokal- und regional-strukturellen Administratoren geplündert. Dies sind der comes Willachar und der dux Beppolen.364 Ebrachar war hingegen möglicherweise ein herausragender Akteur, denn nach dem sogenannten Fredegar verfügte Ebrachar365 auch ohne in einer lokal- und regional-strukturellen Administratorenposition366 tätig gewesen zu sein, über umfangreiche materielle Güter und Ressourcen. Die Relevanz des Innehabens einer Position der lokal- und regional-strukturellen Administration für das Entstehen und Bestehen herausragender Akteure ist anhand der Aussagen zu der letzten von Gregor erzählten militärischen Operation gegen Akteure aus den bretonischen Siedlungsgemeinschaften367 kaum zu diskutieren. Dies nicht nur, weil die umfangreichen Güter und Ressourcen nicht von Gregor und nur von dem sogenannten Fredegar erzählt werden, sondern auch, weil die ökonomischen Besitzstände des comes Willarchar überhaupt nicht bekannt sind.368 Dass Beppolen über Landgüter
361 Greg. hist.: 10.9. 362 „Exercitus vero ipsius, qui prius transierat, metuens per viam illam qua venerat regredi, ne forte mala quae fecerat pateretur, ad Andigavam urbem dirigit, Meduanae torrentis expetens pontem. Sed parva quae prius transiit manus ad ipsum, quem praefati sumus, pontem spoliati, caesi et ad omne dedecus sunt redacti.“ Greg. hist.: 10.9. 363 „Per Toronicum vero transeuntes, praedas agentes, multos expoliaverunt; inopinantes enim repperierant incolas loci.“ Greg. hist.: 10.9. 364 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 54 f. 365 Vgl. ebd.: S. 85. 366 Diese Angabe ist nur bei dem sogenannten Fredegar zu finden. Ortsnah, jedoch zeitfern Fredeg.: 4.12. Gregor erzählt zum Besitz des Ebrachar nichts und auch eine Einziehung als Bestrafung wird nicht erzählt. 367 Der sogenannte Fredegar erzählt eine solche militärische Operation gegen die Kriegergemeinschaften aus den bretonischen Siedlungsgemeinschaften für 593. Fredeg.: 4.15. 368 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 170.
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verfügte, ist hingegen sicher.369 Auch hier ist ein monokausaler Zusammenhang vom Innehaben einer lokal- und regional-strukturellen Administratorenposition und dem Entstehen herausragender Akteure nicht gegeben. Für die Differenzierung der Könige von den Kriegergemeinschaften und zu der Handlungsfähigkeit der Inhaber der Königsposition bleibt festzuhalten: König Guntram war auch hier nicht in der Lage, die Plünderungen zu verhindern. Im Nachhinein wurden zwar Ebrachar und Willachar von ihm angegangen. Doch erzählt Gregor, dass dies nicht wegen den Plünderungen war, sondern wegen dem Gerücht, dass beide sich bestechen ließen und daher die von ihnen Angeführten Schaden erlitten hätten.370 Der ökonomische Schaden in den civitates und für den König wird gar nicht erwähnt. Aber es soll auch an dieser Stelle vor einer ex-post-Betrachtung ausdrücklich gewarnt sein: Der ökonomische Schaden war ein situationsbezogener Effekt, der aus dem auf einem grundlegenden Paradoxon basierenden Strukturierungszusammenhang sowie der Dynamisierung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens resultierte und weitere Effekte mit sich führte. Die Plünderungen gallischer Gebiete bei militärischen Operationen, die von Königen initiiert wurden, setzten sich auch nach dem Vertrag von Andelot fort, so dass nicht nur erneut auf die defizitäre Handlungsfähigkeit der Könige verwiesen werden kann, sondern auch auf die Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen. Plünderungen wurden auch abseits der vorgegebenen Zielorte und der Erwartungen der Könige vollzogen. Die Relevanz zeigt sich vor allem darin, dass Plündern als Erwerbsweise nicht durch abstrakte Normen verhindert werden konnte und auch nicht vom König als Inhaber einer Position im Strukturierungszusammenhang: Es war und blieb eine soziale Praktik des ökonomischen Erwerbs, gleich wie sie unter christlichen Deutungsmustern gewertet wurde und gleich wie die Könige untereinander ökonomische Regelungen trafen, untereinander Frieden vereinbarten und mit den Bischöfen kooperierten. Sie zeitigte ihre umverteilenden Effekte weiterhin auch nach dem Vertrag von Andelot, was auch die Aussagen zu den Plünderungen der rückkehrenden Kriegergemeinschaft nachvollziehen lassen. Da die Folge leistenden Menschen im Kriegermodus plünderten, ist das Symbolisieren von Erwerbschancen durch Anführer zudem weiterhin sehr wahrscheinlich. Das Offerieren der Chancen ist ebenso nicht unwahrscheinlich – wenn auch seine Ausdrücklichkeit nicht als Notwendigkeit aufzufassen ist. Dass Plünderungen weitere Plünderungen beförderten, ist mit den Aussagen zu der letzten von Gregor erzählten Operation gegen Akteure aus den bretonischen Siedlungsgemeinschaften komprimiert zu erfahren. Somit kann die Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen auch bedingt aus dem Plündern selbst begründet werden: Aktiv wie passiv konnte das Plündern für das Organisieren von Folgeleistungen relevant sein und die mit dem Plündern einher-
369 Greg. hist.: 8.42. 370 Greg. hist.: 10.9.
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gehenden Umverteilungseffekte materieller Güter und Ressourcen führten nicht zu statischen Beständen, sondern zu Notwendigkeiten, Güter und Ressourcen zu erwerben, was im Kriegermodus mit dem Plündern bei den militärischen Operationen, aber auch auf andere Weisen wie dem Raub oder der Genese neuer Beziehungen realisierbar war und blieb.
5.7.2 Rauben unter der Anführung herausragender Akteure Aussagen zum Rauben unter der Anführung von herausragenden Akteuren sind in zwei Erzählungen vorhanden. Die eine umfasst Aussagen zur Familie des Waddo, die schon zuvor untersucht worden sind. Die andere umfasst Aussagen zum ehemaligen comes stabuli des Königs Chilperich I. mit Namen Chuppa.371 Weiter oben wurde bereits angedeutet, dass Waddo – der ehemalige comes von Saintes und maior domus der Rigunthe,372 der sich zeitweilig Gundowald angeschlossen hatte373 – Landgüter besaß und als ein herausragender Akteur im Sinne eines umfangreichen Besitzes an Gütern und Ressourcen auch Folgeleistungen organisieren konnte, als er bereits nicht mehr in der lokal-strukturellen Administration unter der Bezeichnung comes tätig war. Die Erzählung darüber ist zugleich auch die Erzählung über den Tod des Waddo. Gregor schreibt, dass Beretrude, die Gattin des Launebold,374 ihre Tochter als Haupterbin einsetzt. Sie hinterlässt aber auch viel den von ihr gegründeten Nonnenklöstern und den Hauptkirchen in den civitates. Ihr Schwiegersohn, so behauptete Waddo nach Gregor, habe aber seine Pferde unrechtmäßiger Weise an sich genommen. Daher zieht Waddo – nachdem er den Verwalter einer der an die Tochter vererbten Landgüter melden lässt, dass er das Landgut übernehmen wird – zu diesem Landgut.375 Der Verwalter aber bewegt die auf dem Landgut lebenden und arbeitenden Menschen (homines; viri ac muliera)376 dazu, sich gegen Waddo zur Wehr zu setzen. Als Waddo dann mit ihm Folgeleistenden auf dem Landgut erscheint und es nicht vorbereitet vorfindet, tötet er den Verwalter und wird dann selbst getötet.377 Wie bereits ausgeführt, erhält letztlich einer seiner Söhne die Güter seines Vaters.378 Gregor datiert den Tod Waddos auf 589.379 Dieser Sohn
371 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 73 f. 372 Greg. hist.: 6.45. 373 Greg. hist.: 8.27. 374 Vgl. Selle-Hosbach, Prosopographie: S. 121 f. 375 Greg. hist.: 9.35. 376 Greg. hist.: 9.35. 377 Greg. hist.: 9.35. 378 Greg. hist.: 9.35. 379 Greg. hist.: 9.26.
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Waddos und ein weiterer gehen dann dazu über, zu rauben, so dass sie 590380 auf verschiedene Weisen von Childebert II. bestraft werden.381 Waddo verlor also sein Leben bei einem lokalen Konflikt um ein Landgut nach dem Verlust seiner Pferde. Dabei werden differenten Bezeichnungen für Akteure fassbar, die sich gewaltsam an dem Konflikt beteiligt haben, um das Gut vor Waddo zu verteidigen. Eine semantische Untersuchung der Worte muliera, viri und homines wie auch der Formulierung quidam cum eo hat jedoch die nicht zu verkennende Problematik der Allgemeinheit dieser Worte. Die Erzählung zeigt aber, dass Akteure, die über Landgüter wie auch materielle Güter und Ressourcen verfügten, soziale Beziehungen generierten konnten, die bei Raub dazu führten, dass die Besitzstände verteidigt wurden – auch wenn sie persönlich nicht anwesend waren. Die Korrelation von Aussagen über Güter und Ressourcen sowie Beziehungen in der Erzählung zeigt in Anbetracht der Dynamisierung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens und der Umverteilung die Relevanz dieser Beziehungen: Sie konnten nicht nur zu spezifischen Akteuren, wie Königen, Bischöfen, anderen Klerikern, herausragenden Akteuren und lokal- oder regional-strukturell tätigen Administratoren bestehen, sondern auch in ihrem Bestehen zu einfachen Bevölkerungsteilen eine Relevanz für den Erhalt des ganz konkreten Herausragens von Akteuren haben. Dabei mussten diese Bevölkerungsteile nicht einmal Krieger sein. Allein die Beziehungen während der Dynamisierung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens konnten zur Sicherung von Besitz führen, was wiederum das Entstehen und Bestehen von herausragenden Akteuren bedingte. Der ehemalige comes stabuli Chilperichs I. mit dem Namen Chuppa war mit einigen ihm Folgeleistenden (pueri) in die civitas Tours gekommen und führte raubend Herden und materielle Güter mit sich fort.382 Er wurde aber von einer größeren Zahl von Bewohnern der civitas verfolgt. Zwei der pueri wurden erschlagen, während zwei von ihnen gefangen wurden.383 Daraus resultierte die Anschuldigung, der Vikar Animod hätte Chuppa ermöglicht zu fliehen. Sie wurde jedoch nach einer Untersuchung in Gegenwart Childeberts II. fallen gelassen. Animod hatte den domesticus Flavianus zuvor beschenkt.384 Auch der Versuch Chuppas, die Tochter des verstorbenen Bischofs Baudegisil von Le Mans zu rauben, schlug fehl, als er mit ihm Folgeleistenden (cum suis)385
380 Greg. hist.: 10.10. 381 Greg. hist.: 10.21. 382 „His autem diebus Chuppa, qui quondam comes stabuli Chilperici regis fuerat, inrupto Toronicae urbis termino, pecora reliquasque res, quasi praedam exercens, diripere voluit.“ Greg. hist.: 10.5. 383 Greg. hist.: 10.5. 384 Greg. hist.: 10.5. 385 Greg. hist.: 10.5.
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bei Nacht auf das Landgut Mareuil eindrang. Magnatrude, die Witwe des Bischofs, trat ihm mit ihren Dienern (famuli)386 entgegen und vertrieb ihn.387 Die Korrelation von Aussagen über materielle Güter und Ressourcen sowie soziale Beziehungen in der Erzählung sind anders gelagert, als dies für die vorher untersuchte Erzählung der Fall ist. Sie ist aber genauso deutlich fassbar. Hier steht zu Anfang weniger das Verteidigen eines Landgutes, als viel mehr der Erwerb durch Raub388 im Erzählvordergrund und dann erst das situationsbezogene Reagieren von Bevölkerungsteilen aus Tours auf den Raub. Ähnliches ist auch zum Versuch des Menschenraubs festzuhalten. Chuppa war also offenbar auch nachdem er nicht mehr als comes stabuli tätig war, dazu in der Lage, Folgeleistungen zu organisieren. Da die Aussagen dazu direkt mit denen zum Raub verbunden sind und der Status der als pueri bezeichneten, ihm Folge leistenden Akteure nicht eindeutig zu bestimmen ist, ist durchaus wahrscheinlich, das Organisieren mit dem Raub direkt in Verbindung zu bringen. Die der Magnatrude Folgeleistenden werden hingegen ausdrücklich als famuli bezeichnet, was die Annahme erlaubt, dass die dem Chuppa Folgeleistenden nach Gregor in Abgrenzung zu diesen nicht als unfreie Akteure aufzufassen sind. Dagegen ist allerdings anzuführen, dass der Raub der Tochter des verstorbenen Bischofs Baudegisil nicht umgehend zum Erwerb materieller Güter und Ressourcen durch die dem Chuppa Folgeleistenden geführt hätte. Das Motiv des Chuppa wird von Gregor nicht erwähnt und ist daher auch kaum zu diskutieren – wobei neben einem Gewinn durch ein Lösegeld tatsächlich auch immaterielle Aspekte wie der Wunsch nach einer Ehe mit der Tochter im Rahmen der Spekulationen über das Motiv durchaus nicht unberechtigt erscheinen. Hierbei wird im Übrigen auch nicht von pueri, sondern von sui erzählt, was jedoch nicht zu einer Überinterpretation der Passage führen darf: Es muss sich nicht um vollkommen andere Akteure gehandelt haben, die in diesem Fall Chuppa Folge leisteten. Die Relevanz materieller Güter und Ressourcen für das Bestehen und Entstehen von herausragenden Akteuren ist also auch bezüglich Chuppa zu verzeichnen. Insgesamt sind differente sozioökonomische Erwerbspraktiken wie das Plündern und der Raub, aber auch auf Sesshaftigkeit basierende Produktionspraktiken wie der Ackerbau, das Handwerk und die Viehzucht betrieben worden. Unter den christlichen Deutungsmustern wurden nicht alle Praktiken gleich bewertet, was auch daran liegt, dass die Bischöfe zentrale ökonomische Administratoren waren, die sich
386 Greg. hist.: 10.5. 387 „Inruens autem nocte cum coneo sociorum in villam Maroialensi, ut voluntatem suam expleret, praesensit eum dolumque eius Magnatrudis matrisfamilias, genetrix scilicet puellae; egressaque cum famulis contra eum, vi reppulit, caesis plerisque ex illis, unde non sine pudore discessum est.“ Greg. hist.: 10.5. 388 Greg. hist.: 10.5.
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direkt auf das sesshaft-sozioökonomische Leben der Bevölkerung in Gallien bezogen. Dies liefert auch eine sehr plausibel Erklärung dafür, dass der Bischof Gregor das Auftreten von Asketen,389 die zum Teil auch raubend erwarben, negativ bewertet,390 obwohl der von ihm verehrte heilige Martin ebenfalls ein Asket war.391 Abschließend ist festzuhalten, dass nicht einfach einige Aspekte wie die Güter und Ressourcen, die Beziehungen differenter Art und auch administrative Tätigkeit in Positionen des Strukturierungszusammenhangs – vor allem nicht als monokausaler Grund für das Entstehen von herausragenden Akteuren – jeweils alleinig grundlegend entscheidend waren; sondern das individuelle Handeln der Akteure. Geschlechter konnten – wie das des Waddo – schlicht aussterben. Andere konnten hingegen fortleben. Mitglieder dieser Geschlechter blieben herausragende Akteure oder wurden es erst. Zwei solche herausragende Akteure, die über Güter und Ressourcen verfügten, Beziehungen differenter Art generierten und auch administrativ in Positionen des Strukturierungszusammenhangs tätig wurden, waren die Ende des 6. Jahrhunderts geborenen Pippin der Ältere392 und Arnulf, der spätere Bischof von Metz.393 Sie waren zur Zeit der Könige Chlothar II. und Dagobert I. aktiv.394 Mit der Hochzeit ihrer Kinder Begga und Ansegisil395 wurden nicht einfach nur ökonomische Bestände der beiden Geschlechter vereinigt: Generationen später wurde mit Pippin dem Jüngeren ein Mann, dessen Urahnen sie waren, zum König gesalbt396 und mit Karl dem Großen wurde dessen Sohn zu einem der bedeutendsten Männer der Geschichte des europäischen Mittelalters.397
5.8 Zwischenergebnisse: Vom Paradoxon zur Aporie – der Strukturierungszusammenhang in Gallien und die Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen Das Plündern war weiterhin in aktiven wie passiven Arten für das Organisieren von Folgeleistungen relevant. Die Umverteilungseffekte führten dazu, dass das Plündern wie auch das Rauben als Erwerbsweisen befördert wurde. Ergebnisse sind erneut
389 Greg. hist.: 9.6 und 10.25. 390 Greg. hist.: 10.25. Vgl. Jussen, Legitimation S. 126 ff. 391 Vgl. Jussen, Legitimation: S. 100. 392 Vgl. Schieffer, Karolinger: S. 12–20. 393 Vgl. ebd.: S. 11–20. 394 Fredeg.: 4.85. 395 Sie war Tochter Pippins des Älteren und er war Sohn des Bischofs Arnulf von Metz. Vgl. Schieffer, Karolinger: S. 17. 396 Vgl. Schieffer, Karolinger: S. 59 ff. 397 Vgl. Hartmann, Karl: S. 247–261.
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auch hinsichtlich der Prozessdynamik, der Lebensweisen und der Akteure sowie Positionen zu verzeichnen. Der Frieden zwischen den Merowingern Guntram und Childebert II. konnte nichts daran ändern, dass weiter geplündert wurde. Eine Begründung dafür ist in der Differenzierung der Könige von den Kriegergemeinschaften gegeben. Nicht nur, dass sie sich selbst als Anführer der Kriegergemeinschaften substituierten. Sie hatten über die civitates in dem Abgabensystem ein exklusives Erwerbsmittel, das bis 592 nicht dazu verwendet wurde, das Kriegersein als sozioökonomischen Modus des Erwerbs von materiellen Gütern und Ressourcen in ein Soldaten- oder Söldnersein zu transformieren, indem kontinuierliche Zahlungen über das Abgabensystem vollzogen wurden. Damit waren die Kriegergemeinschaften als Erwerbsmittel für die Könige nicht mehr derart wichtig, wie dies noch zur Zeit Chlodwigs I. und der ersten Generation nach ihm der Fall war. Die mit Plünderungen erwerbenden Akteure wurden mit der Zeit vielmehr eine Bedrohung ihrer ökonomischen Prosperität, da sie die civitates plünderten, aus denen sie Abgaben empfingen. Die Bevölkerungsteile, die nach 585 bei den von den Königen initiierten militärischen Operationen geplündert wurden, wehrten sich gegen die Plünderungen, indem sie diejenigen plünderten, die sie zuvor ausgeplündert hatten. Auch andere Akteure gingen dazu über, diejenigen, die zuvor geplündert hatten, nun selbst wieder zu plündern. Dies kann damit in Verbindung gebracht werden, dass die civitates nicht nur exklusive Erwerbsmittel der Könige, sondern auch Orte des Organisierens von Folgeleistungen geworden waren. Die Kriegergemeinschaften waren weiterhin – auch wenn sie selbst nach 585 nicht mehr gegeneinander militärisch operierten – für die Könige zur Verteidigung ihrer civitates und ihrer eigenen Position wichtig. Sie mussten externe Angriffe aus der Iberischen Halbinsel aber auch Usurpationsversuche mittels der Kriegergemeinschaften verhindern. Das gelang ihnen aber nicht immer. Die Position der Könige in dem auf einem Paradoxon von Sesshaftigkeit und Mobilität gründenden Strukturierungszusammenhang ist aber tendenziell in Richtung der auf Sesshaftigkeit gründenden Position der Bischöfe verschoben worden. Dies zeigen nicht nur die Aussagen zu der von ihnen selbst betriebenen Substitution ihrer Anführertätigkeit klar, sondern auch die Aussagen zur Beteiligung einiger der Bischöfe an den Versuchen der Friedensregelungen. An sich aber war das Paradoxon mit der Dauer der militärischen Operationen zu einer Aporie geworden: Die sozioökonomischen Praktiken, die von Sesshaftigkeit oder von Mobilität primär bedingt waren, waren nicht scharf von einander getrennt. Sie waren Optionen der Bevölkerung in Gallien. Dies ist eben von den Königen in ihrer Position innerhalb des Strukturierungszusammenhangs mit andauernden militärischen Operationen befördert worden. Die Könige brauchten die mobilen Kriegergemeinschaften, aber auch das Abgabensystem, um sich in ihrer Position halten zu können. Beides war ähnlich relevant für ihre Position, die in den innerhalb Galliens parzellierten Strukturierungszusammenhang integriert war. Während eines der beiden Mittel (die Verfügbarkeit an materiellen Gütern und Ressourcen über das exklusive Erwerbsmittel des Abgabensystems in Gallien) erst mit dem Entstehen des
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Strukturierungszusammenhangs zu Beginn des 6. Jahrhunderts überhaupt vorhanden war, wurde das andere relevante Mittel (nämlich die Folgeleistenden) kein inte graler Aspekt des Strukturierungszusammenhangs. Auch hierin kann ein Argument für die grundlegende Problematik der Differenzierung der Könige festgemacht werden: Da das Plündern die Erwerbsweise der Akteure im Kriegermodus blieb, schädigten sich die Könige gegenseitig, während sie versuchten, ihre konsolidierte Präsenz innerhalb Galliens zu erhalten. Die Bischöfe als Inhaber von Positionen, die mit der Zeit auf den Synoden zu zentralen ökonomischen Administratoren mit richterlichen Handlungskompetenzen normativ definiert worden waren, standen weiterhin in einer funktionalen Konstellation zu den Inhabern der Königspositionen. Ihr lokaler Aufgabenbereich bedingte, dass sie sich für den Frieden zwischen den Merowingern einsetzten, so dass die Gemeinschaften in ihrem sesshaft-sozioökonomischen Leben fortbestehen konnten. Nicht nur aus der theologischen, sondern auch aus der sozioökonomischen Perspektive mussten sie das Plündern ablehnen. Ihre Möglichkeiten den katholischen Glauben zu verbreiten und zu erhalten waren von dem sozioökonomischen Erhalt des sesshaften Lebens tangiert und dies, weil der katholische Glaube traditionell in Gallien auf Sesshaftigkeit ausgerichtet war. Da auch Kleriker raubten und sogar bei militärischen Operationen Folge leisteten, erscheint es angebracht, gerade diesen Aspekt der Bedingtheit der Bischofsposition zu betonen: Nicht nur die Andersartigkeit der Asketen musste daher bekämpft, sondern auch die Verstetigung des sozioökonomischen Lebens musste mittels Abgaben, (Re-)Distribution wie auch der Aufforderung dazu versucht werden. Dafür war die Kooperation mit den Königen in der Art wichtig, dass sie auf diese Weise einen Frieden zwischen den Königen bewirken konnten. Er wurde dann in Andelot normativ definiert – wie dies auch auf den Synoden üblich war. Dies aber führte nicht dazu, dass die Dynamisierung des sozioökonomischen Lebens aufhörte, was wiederum mit der Differenzierung der Könige von den Kriegergemeinschaften begründet werden kann. Der katholische Glaube war offenbar nicht derart verinnerlicht worden oder war es mittlerweile nicht mehr, dass die Bevölkerung einfach mit den Plünderungen und dem Rauben aufhörte. Die Könige waren in ihren Positionen nicht derart handlungsfähig, dass sie darauf umgehend Einfluss nehmen konnten. Plündern und auch Rauben waren zuvor von ihren militärischen Operationen direkt wie auch indirekt befördert worden, so dass sie mehr und mehr normal erschienen. Sie sind aus der Perspektive der Inhaber der Königsposition offenbar weitestgehend selbstständig abgelaufen. Daran änderte auch die Nähe zwischen den Königen und den Bischöfen nichts. Zugespitzt formuliert: König Guntram hätte in der Wahrnehmung des Bischofs Gregor unter dessen christlichen Deutungsmustern auch ein rex optimus sein können – er hatte nur geringe Handlungsfähigkeit gegenüber dem Plündern und ihr verwandten Erwerbspraktiken, die Gregor und andere Bischöfe als falsche Handlungsweisen deuteten; denn die Nähe der Könige gegenüber den Folgeleistenden war entgegen der zu den Bischöfen im 6. Jahrhunderts offensichtlich nicht angewachsen,
Aussagen zu der zweiten Generation nach Chlodwig I.
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sondern geringer geworden. Ganze Bevölkerungsteile in Gallien konnten deswegen nicht einfach militärisch bestraft werden – auch, weil somit weitere Plünderungen stattgefunden hätten. Die Nähe zu den Folgeleistenden, war nun auf die lokal- und regional-strukturellen Administratoren und einige der herausragenden Akteure verstärkt übergegangen. Dabei sind beide Akteursgruppen nicht – wie mehrfach betont – identisch. Sie stehen selbst in einem Verhältnis zueinander und durchmischen sich dabei auch. Beiden Gruppen ist jedoch gemein, dass sie Folgeleistungen organisierten konnten und dies, weil sie nun wie die Merowinger Erwerbschancen symbolisierten und – dies ist teilweise fassbar – auch offerierten. Auch bei lokalen und regionalen Konflikten konnten sie dies, wobei sie ebenfalls Erwerbschancen – ob nun durch das Plündern oder durch das Rauben realisiert ist auf der Deutungsebene nicht immer trennscharf zu differenzieren – für die ihnen Folgeleistenden symbolisierten. Zum Symbolisieren ist an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich zu betonen: Besonders die Erzählung der Plünderungen während der militärischen Operation Guntrams 585 gen Septimania verdeutlicht, dass dies keine aktive Handlung war. Mit Anführern wurden Erwerbschancen durch Plünderungen verbunden – auch wenn sie dies nicht anstrebten. Sie konnten Plünderungen auch daher nicht verhindern. Das Innehaben einer Position der lokal- oder regional-strukturellen Administration war genauso wenig monokausal für das Entstehen oder Bestehen herausragender Akteure, wie die Praktiken des Plünderns und des Raubens. Sicher ist, dass aber materielle Güter und Ressourcen für das Herausragen von Akteuren durchaus konstitutiv waren. So konnten Akteure eine Position in der lokal- oder regional-strukturellen Administration durch Geschenke an den König erhalten und daher konnten die Könige durch Einziehungen und Verteilungen von Gütern und Ressourcen das Herausragen der Akteure steuern. Dies war aber wiederum wegen dem Plündern nicht unbedingt möglich, da auch auf diese Weise ein Akteur Güter und Ressourcen erwerben konnte. Deswegen ist nicht die Strukturgebundenheit eines Akteurs, sondern dessen individuelle Handlungsfähigkeit für das Entstehen und Bestehen herausragender Akteure primär relevant. Die Tätigkeit in der Administration konnte dazu führen, dass Beziehungen personalisiert wurden und auf diese Weise auch nach dem Innehaben einer Administratorenposition Folgeleistungen organisierbar blieben – auch, da ein strukturgebundener Administrator bei militärischen Operationen als Anführer Prestige erhielt, das durch den Besitz von materiellen Gütern und Ressourcen kommuniziert werden konnte: Wenn ein Akteur über Güter und Ressourcen verfügte, zeigte dies, dass er in der wie auch immer gearteten Lage war, solche zu erwerben und versorgend tätig zu werden. Wenn deutlich war, dass er sie bei militärischen Operationen oder bei lokalen und regionalen Konflikten erlangt hatte, war das Organisieren von Folgeleistungen – so ist plausibel anzunehmen – davon begünstigt. Insgesamt ist daher von einem Ähnlichwerden der herausragenden Akteure gegenüber den Inhabern der Königspositionen auszugehen. Wie die Könige konnten sie über materielle Güter und Ressourcen verfügen, wobei festgehalten werden muss,
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Quellenuntersuchung
dass die Merowingerkönige zu Beginn und bis in die Mitte des 6. Jahrhunderts auch mit den Kriegergemeinschaften als einem Erwerbsmittel aller Beteiligten erwerbend tätig wurden. Erst mit der Zeit wurde dieses Erwerbsmittel durch das Abgabensystem fast zur Gänze substituiert. Das zeigen nicht nur die Aussagen zu den Abgaben selbst, sondern auch die zu den Einziehungen. Herausragende Akteure konnten ebenfalls mit den Folgeleistenden – auch in einer Administratorenposition, der mit der Zeit die Handlungskompetenzen der Anführer bei militärischen Operationen der Könige fast allein inne lagen – erwerbend tätig werden und sie konnten durch die Könige selbst in ihrem Herausragen entstehen wie auch bestehen, da die Könige Güter und Ressourcen verteilen konnten. Daher ist angebracht, die drei konvergenten Formen des Warlordism zu Beschreibung der herausragenden Akteure zu verwenden: Militärische Operationen der Merowinger nach 536/7 gegeneinander waren auf die civitates der jeweils anderen Merowinger ausgerichtet. Die diskursive Prozessdynamik wurde durch sie befördert und war eine Bedingung nicht nur für die Kooperation mit den lokal aktiven Bischöfen, sondern auch der Positionierung lokal- und regionalstrukturell tätiger Administratoren, so dass die Präsenz eines Merowingers konsolidiert werden konnte. Die Aussagen zu Chlodwig I. und zu der ersten Generation der Könige nach ihm weisen Aspekte auf, die mit den Charakteristika der drei Formen des Warlordism korrelieren: Sie akquirierten als Anführer materielle Güter und Ressourcen, akkumulierten bei ihrem Erscheinen in Zentralgallien sowie mit der Konsolidierung ihrer Präsenz dort Handlungskompetenzen und organisierten danach situationsbezogen Folgeleistungen, um ihre civitates gegen Plünderungen von externen Feinden und den Folgeleistenden ihrer Verwandten zu verteidigen. Da alle Formen des Warlordism unterschiedliche Akzente der Charakteristik des Organisierens von Folgeleistungen und der Relevanz des Plünderns umfassen, ist mit der Substitution der Anführer durch die Merowinger selbst bereits eine argumentativ nur schwer zu bestreitende Differenzierung in den Quellenaussagen indiziert. Sie plausibilisieren den Gebrauch der Formen des Warlordism für die Beschreibung der lokal- sowie regional-strukturellen Administratoren und herausragenden Akteure. Während die Königsposition in den Strukturierungszusammenhang überführt und eingebettet wurde, wurde das sesshaft-sozioökonomische Leben in Gallien (zumindest in den Parzellen des nach 511 bestehenden Strukturierungszusammenhangs, die auf einen jeweiligen König bezogen waren) relevant. Daher lässt sich formulieren, dass die als rex bezeichnete Position bei kontinuierlichem Gebrauch dieses Wortes in den Quellen, zu Beginn der 6. Jahrhunderts anders verfasst war, wie sie es am Ende dieses Jahrhunderts war. Eher ähneln die herausragenden Akteure den mit dem Wort rex bezeichneten Positionsinhabern vom Beginn des 6. Jahrhunderts: Einige herausragende Akteure organisierten Folgeleistungen – ob sie nun vorher in der lokal- oder regional-strukturellen Administration tätig waren oder nicht. Dabei kann eine Übertragung von sozialen Beziehungen aus einer Zeit, in der sie in der lokal- und regional-strukturellen Administration tätig waren, stattgefunden haben. Sie symbolisierten Erwerbschan-
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cen und hatten zum Teil Prestige zu der Zeit erworben, in der sie in der Administration als Anführer tätig waren. Dies alles ähnelt den Aussagen zu Chlodwig I. und zu der ersten Generation nach ihm: Die Merowinger symbolisierten Erwerbschancen und konnten auf diese Weise Folgeleistungen organisieren. Chlodwig I. erwarb bei militärischen Operationen unter seiner Anführung materielle Güter und Ressourcen und durch die Ermordung anderer Könige nahm sein thesaurus noch zu. Die Merowinger waren erfolgreiche Anführer und erwarben auch in der ersten Generation nach Chlodwig I. auf diese Weise Prestige. Bereits zu dieser Zeit aber mussten die inkorporierten civitates gegen externe Feinde und vor deren Plünderungen verteidigt werden. Die Aussagen dazu ähneln wiederum denen zur Verteidigung der civitates während der bella civilia, bei denen lokal- und regional-strukturelle Administratoren und herausragende Akteure diese Art des Anführerseins für die Könige auf deren Betreiben übernahmen, da sie nicht überall zugleich sein konnten. Zuvor schon hatten die Könige mit dem Ausbleiben weiterer Operationen das Rauben auf diese indirekte Weise befördert. Dabei konnten bereits insgesamt ökonomische Asymmetrien ausgebildet werden, die zum Herausragen von Akteuren führen konnten. Als die offenen innermerowingischen Konflikte nach 561 in andauernde Militäroperationen eskalierten, wurden all diese Charakteristika des Anführerseins transferiert. Was daraus entstand, wird mit den in diesem Kapitel untersuchten Aussagen nachvollziehbar. Ein Akteur wie der als dux bezeichnete Rauching versuchte den König zu stürzen: Er verfügte über umfangreiche materielle Güter und Ressourcen, konnte Folgeleistungen organisieren, ragte auf diese Weise heraus und kooperierte mit anderen herausragenden Akteure, wie Ursio und Berthefred wie zuvor noch die Merowinger der Zeit Chlodwigs I. und der ersten Generation nach ihm. Dies wiederum ist dem Erscheinen des Gundowald in Gallien nicht ganz unähnlich, da dabei auch herausragende Akteure wie die als duces bezeichneten Akteure Guntram Boso und Eunius Mummolus intensiv beteiligt waren. Zudem wurden unter der Anführung von duces – ob dieser Wort in diesen Fällen Akteure der regional-strukturellen Administration bezeichneten oder herausragende Akteure, ist nicht immer zur Gänze zu klären – die civitates in den Gebieten der Könige bei militärischen Operationen, die durch die Könige initiiert worden waren, geplündert. Die Könige konnten dies nicht verhindern. Die Könige konnten zu dieser Zeit nur durch Einziehungen und Verteilungen eingreifen. Das verhinderte aber nicht, dass weiter herausragende Akteure als solche existierten. Letztlich ist also festzuhalten: In dem zu einer Aporie gewordenen grundlegenden Paradoxon des parzellierten Strukturierungszusammenhangs war der Warlordism (den im 5. Jahrhundert noch andere Akteure wie die reges der als Westgoten, Franken und Burgunder bezeichneten Akteure der Kriegergemeinschaften aus Siedlungsgemeinschaften, Eparchius Avitus, Ecdicius und Aegidius sowie auch Syagrius und wahrscheinlich auch Agrippnius betrieben) in Variationen weiter gegeben. In der Dynamisierung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens ragten nun andere Akteure heraus, deren Entstehen nach der Erosion der strukturellen Einheit der weströmischen Ordnung von der diskursiven Prozessdynamik, die von den militä-
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rischen Operationen der Merowinger befördert wurde, bedingt war. Die Diskursivität dieser Prozessdynamiken ist durch eine große Zahl von Aussagen, semantischen Problemen der Autoren und Aussagen zu den Versuchen der normativen Definition von Positionen wie auch der Diskrepanz zwischen dem in diesen Texten normativ festgelegten Soll- und den in den narrativen wie dichterischen Texten nachvollziehbaren Ist-Zustand indiziert. Die Kontinuität des Diskontinuierlichen ist daher eine Formulierung, die den Zeitraum zwischen der Mitte des 5. und dem Ende des 6. Jahrhunderts in Gallien pointiert zusammenfasst und adäquat beschreibt.
6 Gesamtergebnisse Wie in der Untersuchung gezeigt werden konnte, war das Plündern für das Organisieren von Folgeleistungen relevant – und dies in aktiver wie passiver Art. Diese beiden Relevanzarten können nicht einfach von einander isoliert betrachtet werden. Zusätzlich wurden verschiedene Aspekte der sozioökonomischen Praktik des Plünderns in Bezug auf das sozioökonomische Leben der Menschen in Gallien seit Mitte des 5. bis zum Ende des 6. Jahrhunderts erschlossen. Sie sind von den Relevanzarten des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen und von dem Effekt der Umverteilung materieller Güter und Ressourcen tangiert. Bei dem quellenkritisch-argumentativen Verfahren wurden die anfänglich skizzierten analytischen Termini aus ihrer deskriptiven Funktion gegenüber dem Quellenmaterial heraus auf der Deutungsebene präzisiert, so dass sie zur Explikation von wahrscheinlichen und plausiblen Annahmen beitrugen. Die Annahmen und die für ihre Formulierung präzisierten Deutungswerkzeuge werden im Folgenden zusammengefasst, um die Gesamtergebnisse darzulegen. Begonnen wird mit den beiden Relevanzarten und den mit ihnen verbundenen Implikationen. Danach werden sie dann mit weiteren Ergebnissen der Quellenuntersuchung unter der schwerpunktmäßigen Beachtung der sozioökonomischen Lebensweisen, der Akteure und Positionen sowie der Prozessdynamik unter jeweils anderen Perspektiven erörtert. Den Abschluss der Studie bilden drei Kommentare: erstens zu den aus der Untersuchung der Literatur gewonnenen Terminologie, zweitens zum methodischen Vorgehen und drittens zum Untersuchungsansatz, die „Geschichte einer Praktik“ zu schreiben.
6.1 Aktive und passive Relevanzarten des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen Die aktiven und passiven Relevanzarten des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen sind nicht getrennt voneinander zu betrachten. Sie müssen vielmehr in einer interdependenten Konstellation gesehen werden. Auf der Basis dieser Betrachtungsweise ist festzuhalten, dass das Plündern nicht nur dem Erwerb materieller Güter und Ressourcen diente, sondern auch zu Verlusten dieser führen konnte. Insofern lässt sich die Praktik des Plünderns auch als eine Umverteilungsweise zutreffend beschreiben, was wiederum die Interdependenz von Erwerb und Verlust erfasst. Die aktiven Relevanzarten betreffen den Erwerbsaspekt direkt. Dabei ist zunächst zu betonen, dass die Praktik keine Produktionsweise, sondern eine Erwerbsweise ist und materielle Güter und Ressourcen verschiedener Art mittels des Plünderns erworben werden konnten. Die Praktik lässt sich auf der Deutungsebene als eine Erwerbsweise abgrenzen von anderen Praktiken, die ebenfalls Erwerbsweisen sind: Menschen wurden nicht durch das Plündern, sondern durch den Menschenraub erlangt; und der Raub, der als eine andere Erwerbsweise dem Plündern ähnlich ist, konnte
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Quellenuntersuchung
auch ohne militärische Operation stattfinden. Allerdings lassen sich Plündern und Raub auf der Deutungsebene nicht immer trennscharf unterscheiden. Durch das Plündern konnten grundlegende, aber auch besondere Güter und Ressourcen erworben werden: Plündern konnte dem ganz konkreten Erhalt des Lebens von Akteuren dienen, aber auch zu einem mehr oder weniger umfangreichen Bestand an materiellen Gütern und Ressourcen führen. Außerdem konnte die Praktik des Plünderns – auch nach dem Erwerb besonderer Güter und Ressourcen – einen Akteur und seine Familie gegenüber anderen ungleich machen. Mit einem umfangreichen Besitz und besonderen Gütern und Ressourcen konnten Akteure zu herausragenden Akteuren werden, zumal andere Akteure nach den Plünderungen weniger besaßen. Hinzu kommt: Materielle Bestände – sei es durch Erwerbs-, sei es durch Produktionsweisen – ermöglichten soziale Beziehungen und führten zu weiteren sozioökonomischen Praktiken. So wurden beispielsweise Verteilungen, Tausch und Kauf möglich. Quellenaussagen dazu sind allerdings nicht in umfangreicher Zahl vorhanden. Sie betreffen zudem meist Akteure, die als Anführer bei militärischen Operationen tätig waren. Die aktiven Relevanzarten des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen sind damit in mehrerlei Hinsicht deutlich: Das Plündern war relevant für das Organisieren von Folgeleistungen, da Akteure mit der Praktik nicht nur besondere, sondern überhaupt Güter und Ressourcen, auch zum Lebensunterhalt, erwerben konnten. Das Plündern war als Erwerbweise eine sozioökonomische Option, das Leben zu unterhalten und um mit der Ansammlung von einfachen materiellen Gütern und Ressourcen wie von besonderen Gütern und Ressourcen dieser Art zu einem herausragenden Akteur zu werden. Die Anführer bei militärischen Operationen konnten unterschiedlicher Herkunft sein. Für die aktiven Relevanzarten des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen ist in Anbetracht der Quellenaussagen zu den Anführern festzuhalten, dass materielle Güter und Ressourcen auch einen kommunikativen Aspekt hatten: Umfangreiche materielle Bestände kommunizierten auch, dass ein Akteur ein erfolgreicher Anführer sein konnte, der folglich auch Chancen auf den Erwerb von Gütern und Ressourcen für jene symbolisierte, die ihm Folge leisteten: Mit ihm wurden solche Chancen verbunden. Dies war also keine aktive Handlung der Anführer. Die Chancen konnten aber auch direkt offeriert werden. Aussagen zu dieser aktiven Relevanzart des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen haben zur Präzision einer der konvergenten Formen des Warlordism beigetragen, mit denen die Charakteristik des Organisierens von Folgeleistungen und die Relevanz des Plünderns dafür explizit wurden. Dies ist die Form, die „optional-materielle Güter und Ressourcen akquirierend“ benannt wurde. Solche Anführer werden in den Quellen als reges und duces, aber auch comites bezeichnet. Sogar einige Bischöfe traten derart auf. Dazu sollte auch nicht außer Acht gelassen werden, dass das lange Haupthaar der Merowingerkönige das Know-how eines Anführers symbolisieren und somit Erwerbschancen kommunizieren konnte, ohne dass jedes einzelne Mitglied des Geschlechts tat-
Gesamtergebnisse
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sächlich umfangreiche materielle Bestände besitzen musste. Das Symbolisieren und Offerieren konnte auch zur Konsolidierung der Präsenz der Merowinger beitragen. Die Herkunft der Akteure, die als Anführer bei militärischen Operationen, aber auch bei lokalen und regionalen Konflikten handelten, kann auch mit den passiven Relevanzarten des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen in Verbindung gebracht werden. Die konvergente Form des Warlordism, die den passiven Relevanzarten entspricht, wurde „reaktiv-situationsbezogen“ genannt. Im 5. Jahrhundert gehörten zu dieser Form Mitglieder von aristokratischen Familien, wie etwa Eparchius Avitus oder Ecdicius, die mit der erodierenden strukturellen Einheit der weströmischen Ordnung und der mit ihr zu verbindenden Tradition assoziiert waren. Sie verfügten über materielle Güter sowie Ressourcen und verteidigten sie auch, indem sie diese einsetzten, um Folgeleistungen zu organisierten. Eine weitere Form des Warlordism, die sich auch aber nicht nur auf Aussagen zu den passiven Relevanzarten bezieht, ist als „Handlungskompetenzen akkumulierend“ bezeichnet worden. Sie beschreibt Aussagen zu denjenigen Akteuren, die während der akuten Phase der Erosion der strukturellen Einheit der weströmischen Ordnung in Gallien – und auch danach – strukturgebundene Handlungskompetenzen akkumulierten und dann weiterhin Folgeleistungen organisieren konnten. Die Herkunft dieser Anführer war also nicht direkt mit ihren materiellen Beständen verbunden. Doch konnten auch hier das Plündern als eine Erwerbsweise von Gütern und Ressourcen dazu führen, dass Folgeleistungen organisiert wurden – auch um Verluste zu verhindern. Sicher ist, dass nicht nur die als Anführer tätigen Akteure von einem Verlust materieller Güter und Ressourcen durch Plünderungen bedroht waren, wenn ein Anführer in einer der mit den aktiven Relevanzarten einhergehenden Formen des Warlordism tätig wurde. Die passiven Relevanzarten des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen betrafen wie die aktiven die gesamte Bevölkerung in Gallien und dies nicht nur im 5. Jahrhundert – wenn auch selbstverständlich nicht bei jeder militärischen Operation oder bei jedem lokalen wie auch regionalen Konflikt die gesamte gallische Bevölkerung beteiligt war. Im 6. Jahrhundert waren die passiven wie auch die aktiven Relevanzarten weiter mit dem Organisieren von Folgeleistungen verbunden. Die Umverteilungseffekte des Plünderns lassen gerade wegen der zahlreichen Aussagen zu militärischen Operationen Deutungen zu deren Auswirkungen auf die Bevölkerung in Gallien zu. Das Bestehen von herausragenden Akteuren und ihrer Familien, die über relativ umfangreiche Bestände an materiellen Gütern und Ressourcen – somit auch der Aristokraten in Gallien, die mit der römischen Tradition assoziiert waren – verfügten, war hinsichtlich dieser Art des Herausragens gegenüber dem Rest der gallischen Bevölkerung weiterhin unsicher. Das Herausragen von Akteuren wegen des Besitzes relativ umfangreicher Güter und Ressourcen konnte auch wegen des Plünderns neu entstehen und dann auch bestehen bleiben. Für dieses Bestehen von herausragenden Akteuren – auch von jenen, die aus Familien entstammten, die seit mehreren Generationen wegen ihrer materiellen Güter und Ressourcen herausragten – wurden
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Quellenuntersuchung
soziale Beziehungen wichtig. Dies auch wegen der passiven Relevanzarten, denn ihre Bestände mussten erhalten werden. Selbstredend konnte zusätzlich gezeigt werden, dass solche Beziehungen auch für den Erwerb von materiellen Gütern und Ressourcen weiterhin wegen der aktiven Relevanzarten wichtig waren. Die Beziehungen konnten dabei durchaus auch aufgrund der Güter und Ressourcen der Anführer entstehen. Es gab jedoch auch andere Möglichkeiten. Die passiven wie die aktiven Relevanzarten führten also zu differenten Beziehungen und diese zu differenten Weisen des Organisierens von Folgeleistungen. Herausragende Akteure konnten wegen der ihnen zur Verfügung stehenden materiellen Güter und Ressourcen soziale Beziehungen auch dauerhaft generieren, indem sie andere Akteure versorgten, die dazu – auch nach Plünderungen – nicht mehr in der Lage waren. Veränderungen von Bedingungen der als Anführer tätigen Akteure, die sie selbst mit den ihnen Folgeleistenden mitbewirkt hatten, konnten nicht nur zu neuen Beziehungen, sondern auch zu einer Veränderung der Relevanzarten führen. So konnten im Zuge von militärischen Operationen, die wiederum mit Plünderungen einhergehen konnten, aus einzelnen strukturellen Elementen der weströmischen Ordnung neue Strukturierungszusammenhänge entstehen. Die einmal inkorporierten Gebiete der civitates mussten dann aber auch wieder vor weiteren Plünderungen verteidigt werden. Anführer, die zunächst wegen der aktiven Relevanzarten des Plünderns Folgeleistungen organisieren konnten, mussten nun auch passive Relevanzarten einbeziehen. Dies war im 5. wie im 6. Jahrhundert der Fall. Aktive Relevanzarten waren dann auch für die Konsolidierung der Merowinger in den neu inkorporierten Gebieten nicht unwichtig. Im 6. Jahrhundert blieb mit der Konkurrenz der Merowingerkönige um Folgeleistende – zumal in den bella civilia – und ihrer Differenzierung von den Kriegergemeinschaften Plündern aktiv wie passiv stetig relevant. Für Akteure die in der lokal- oder regional-strukturellen Administration tätig waren und als Anführer agierten, waren alle Relevanzarten des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen wie für die herausragenden Akteure und bedingt auch für die Merowingerkönige gegeben. Die Interdependenz zwischen beiden Relevanzarten war dabei wie auch während der Erosion und den folgenden militärischen Operationen der Merowinger in Gallien vollkommen ausgeprägt. Die Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen ergibt sich hierbei daraus, dass diejenigen, die materielle Güter und Ressourcen durch Plünderungen verloren hatten, diese Güter und Ressourcen für ihren Lebensunterhalt brauchten. Wichtig ist hier nicht zuletzt der Faktor Zeit: Produktionsweisen nahmen einfach mehr Zeit in Anspruch als Plünderungen. Zusätzlich ist anzuführen, dass auch der Erwerb von materiellen Gütern und Ressourcen dazu führen konnte, dass neue Beziehungen entstanden und somit auch Folgeleistungen bei lokalen und regionalen Konflikten organisiert werden konnten. Insgesamt lässt sich also festhalten: Gerade wegen der Interdependenz zwischen den aktiven und den passiven Relevanzarten des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen beförderten Plünderungen jeweils weitere Plünderungen.
Gesamtergebnisse
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Die Ergebnisse zu passiven und aktiven Relevanzarten des Plünderns und deren Interdependenz bleiben nun aber für mehrere klassische Forschungsfelder der Mediävistik nicht ohne Konsequenzen. Es können auch hinsichtlich dieser Debatten adaptiv Ergebnisse verzeichnet werden. Erstens lässt sich hinsichtlich der älteren Debatte um den früh(fränkisch)en Adel konstatieren: Die Forschung hat weitgehend anerkannt, dass materielle Güter und Ressourcen eine wichtige Basis dafür waren, dass Akteure als „adlig“ verstanden wurden. Nur kann diese Basis nicht als ein statischer Faktor aufgefasst werden. Güter und Ressourcen wurden in hohem Maße umverteilt. Insofern ist auch „der Adel“ als spezifische Gruppe von Akteuren durch die diskursive Prozessdynamik bedingt zu betrachten und mit der Dynamisierung des sesshaftsozioökonomischen Lebens als eine Variable verstehbar. Auch die herausragenden Akteure waren weder vom sesshaft-sozioökonomischen Leben noch von militärischen Operationen und auch nicht von lokalen wie regionalen Konflikten unberührt. Zweitens kann hinsichtlich der Positionen der strukturellen Einheit der weströmischen Ordnung, also der Bischöfe, der Könige und der lokal- sowie regionalstrukturellen Administration (Institutionalität und „Staat“, geschichtlich orientierte Verfassungsforschung) und der Inhaber der Positionen als von der diskursiven Prozessdynamik bedingte Akteure (Personalität mit ihrer sozialen Dimension, „Neue Deutsche Verfassungsgeschichte“) festgehalten werden, dass ihre alleinige Untersuchung jeweils kaum ausreicht, um das Organisieren von Folgeleistungen zu erfassen. Es ist mit Verweis auf die Ergebnisse zu den Lebensweisen deutlich zu machen, dass sie gerade wegen der Umverteilungseffekte des Plünderns erklären helfen, wie der Prozess der „Transformation of the Roman World“ im Konkreten verlaufen ist. Zwar ist in dieser Studie mit dem Plündern nur ein Aspekt unter vielen weiteren akzentuiert. Die Bedeutung der Erforschung von Lebensweisen sollte aber doch nachvollziehbar geworden sein.
6.2 Die Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen Im Folgenden werden die weiteren Ergebnisse der Gesamtuntersuchung in drei Bereiche aufgegliedert: die sozioökonomischen Lebensweisen, die Akteure und Positionen sowie die Prozessdynamik. Hierbei werden zusätzlich die bereits erwähnten Ergebnisse unter jeweils anderen Perspektiven einbezogen und erörtert.
6.2.1 Sozioökonomische Lebensweisen Die Beantwortung der Leitfrage nach der Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen ermöglicht perspektivisch auch Annahmen zu sozioökonomischen Lebensweisen zu formulieren. Dafür ist anfänglich ein Unterschied zwischen
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Quellenuntersuchung
den Lebensweisen festzulegen die eher auf Sesshaftigkeit und eher auf Mobilität beruhen. Eine dichotome Gegenüberstellung der Lebensweisen in zwei scharf voneinander getrennten Kategorien kann nicht konstituiert werden. Die Unmöglichkeit einer derartigen Konstitution wird mit dem Kriegersein als analytischem Terminus mit deskriptiver Funktion deutlich, der mit der Untersuchung der Quellen präzisiert wurde. Das Kriegersein ist als ein sozioökonomischer Modus des Erwerbs materieller Güter und Ressourcen präzisiert worden. Konstituiert wird der Modus mit dem Plündern als einer sozioökonomischen Praktik des Erwerbs solcher Güter und Ressourcen. Bei dieser Präzision handelt es sich um eine aus den Quellenaussagen gewonnen Spezifizierung, die selbstredend nicht alle quellenimmanenten Aussagen einschließen kann. Auch Akteure, die die von ihnen bewohnten Gebiete gegen Aggressoren verteidigten, können durchaus als Krieger bezeichnet werden. Dies zeigt zum einen, dass Präzisionen – auch quellensatter Art, die durch eine deskriptive Funktion eines analytischen Terminus ermöglicht sind – auf der Deutungsebene Exklusionseffekte in Bezug auf die Quellen haben. Präzisionen sind in Sinne der Spezifizierung von Termini stets selektiv. Zum anderen ist aber auch nach der eingestandenen Funktionsweise von Präzisionen die deskriptive Funktion des Terminus Kriegersein nur schwer zu bestreiten. Dabei diente die Präzision auf der Basis der Quellenuntersuchung unter der Leitfrage und ihrer Modifikationen bei der Bildung analytischer Kontexte deutungstechnisch der Explikation wahrscheinlicher und plausibler Annahmen. Die Option die sich aus den beiden genannten Aspekten – dem selektiven und dem deskriptiven – der Präzision ergibt, kann an einem zweiten analytischen Terminus gezeigt werden, wobei deutlich gemacht wird, was dieses Vorgehen an analytischer Flexibilität für die Deutung der Quellen besitzt. Die Ergebnisse zum Räubersein ergeben sich aus der Untersuchung von Aussagen zu militärischen Operationen sowie der Beobachtung, dass deren Ausbleiben zur Zeit der ersten Generation nach Chlodwig I. in Gallien nach dem Jahreswechsel 536/7 Effekte zeitigte. Das Räubersein wurde mit dem Raub als einer sozioökonomischen Praktik des Erwerbs von materiellen Gütern und Ressourcen zu einem Modus präzisiert, der nicht von militärischen Operationen bedingt ist. In der Folge wurde das Deutungswerkzeug weiter deskriptiv verwendet. Dabei wurde klar, dass eine trennscharfe Verwendung des Krieger- und des Räubermodus aufgrund der Aussagenlage zu den militärischen Operationen und den lokalen sowie regionalen Konflikten nicht immer möglich ist, was auch daran liegt, dass Rauben und Plündern beide relativ gleichförmige Erwerbspraktiken sind. Dahingehend – so ist an dieser Stelle zu betonen – unterscheiden sich Krieger- und Räubermodus, zu denen Akteure übergehen konnten, um erwerbend tätig zu werden, von anderen Modi. Davon sind beispielsweise die analytischen Termini des Bauer- und des Handwerker-, aber auch des Händlerseins betroffen. Das Bauersein ist als ein sozioökonomischer Modus der Produktion von materiellen Gütern und Ressourcen präzisiert worden. Konstitutiv sind Praktiken wie der
Gesamtergebnisse
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Ackerbau und die Viehzucht. Das Handwerkersein wiederum ist ein sozioökonomischer Modus der Produktion von materiellen Gütern, der durch differente Praktiken der Umwandlung von Gütern und Ressourcen zu anderen Gütern konstituiert wird. Kleidung, Waffen, Möbel, verschiedene Nahrungsarten und Schmuck, aber auch Häuser sowie Zäune – um nur einige Güter zu nennen – sind Güter der handwerklichen Produktionspraktiken. Das Händlersein ist als sozioökonomischer Modus weder durch reine Erwerbs- noch durch reine Produktionspraktiken konstituiert. Für ihn sind das Kaufen und das Tauschen als Praktiken konstitutiv. Diesen drei sozioökonomischen Modi wurde während der Quellenuntersuchung weniger Aufmerksamkeit gewidmet, da sie für die Beantwortung der Leitfrage von geringerer Bedeutung sind. Sie sind somit als ein zusätzlicher Gewinn an Ergebnissen zu bezeichnen. Dieser Gewinn ist mit dem Untersuchungsergebnis zum Wechsel von Akteuren zu unterschiedlichen sozioökonomischen Modi verbunden. Insofern sind die explizierten sozioökonomischen Modi auf der Deutungsebene für die Formulierung von Annahmen bezüglich der Lebensweisen von Akteuren im 5. und 6. Jahrhundert zu gebrauchen: Ein Akteur konnte mal Bauer, mal Handwerker, mal Krieger oder auch etwas anderes sein. Der Moduswechsel war eine Option. Mit diesen Präzisionen wird deutlich, warum Sesshaftigkeit und Mobilität auf der Deutungsebene nicht als dichotome Kategorien anzulegen sind, denn tatsächlich kann festgehalten werden, dass das Krieger- und das Räuber-, aber auch das Händlersein in ihrem Betreiben in einem stärkeren Maß von Mobilität bedingt sind, als dies für das Bauer- und Handwerkersein der Fall ist. Auch auf dieser allgemeinen Basis lässt sich verdeutlichen, dass der Wechsel der Modi durch einzelne Akteure und Akteursgruppen ein weiteres Untersuchungsergebnis ist. Das betrifft ganz unterschiedliche analytische Kontexte: Nicht nur die Untersuchung zu den Aussagen zur asymmetrischen Symbiose zwischen dem „hunnischen“ Sozialgefüge und der oströmischen Ordnung, der an den militärischen Operationen auf der Iberischen Halbinsel zur Zeit des weströmischen Kaisers Avitus beteiligten westgotischen Kriegergemeinschaften aus der um Toulouse siedelnden, ehemaligen Wandergemeinschaft, den folgenden Operationen zur Zeit des Aegidius sowie des Eurich in Gallien und den darauf stattfindenden zur Zeit der merowingischen Könige bis zum Jahreswechsel 536/7, sondern auch die Untersuchung der Aussagen zu den innermerowingischen Operationen militärischer Art und den Militäroperationen nach dem Frieden 587 wie aber insgesamt auch zu den lokalen und regionalen Konflikten zeigen dies perspektivisch. Die Ergebnisse zu den Lebensweisen stellen insgesamt eine Erweiterung des Sets der Herangehensweisen an die Quellen dar: Neben der zweigliedrigen Betrachtung von Römern und Barbaren (wobei ohnehin nur schwer festzustellen ist, inwieweit diese Kategorien überhaupt adäquat sind) kann mit dem Fokus auf die Lebensweisen eine weitere Dimension abseits von reinen Zugehörigkeiten erfragt werden, auch, weil die reine Zugehörigkeit – wie gezeigt werden konnte – argumentativ nicht zwangsläufig für die Annahme von monomodalen Erwerbs- und Produktionspraktiken von Akteuren verwendet werden kann.
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Dabei ist nicht immer ganz deutlich, welcher der primär von Sesshaftigkeit bedingten Modi zu Gunsten des Krieger- oder Räubermodus und umgekehrt gewechselt wurde. Sicher ist nur, dass dieser Moduswechsel vollzogen wurde, da Praktiken des Erwerbs von denen der Produktion bedingt sind: Geplündert und geraubt wurde, was lokal produziert worden war. Wären die primär von Sesshaftigkeit bedingten Modi zu Gunsten der primär von Mobilität bedingten Modi gänzlich aufgegeben worden, dann wären die Praktik des Plünderns und der Raub längerfristig nicht mehr möglich gewesen. Da aber das Plündern stetig betrieben wurde, ging wegen ihres umverteilenden Effekts auch eine Förderung weiterer Plünderungen und auch des Raubs von ihr aus. Die Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen ist also in dem Bezug auf die Quellen zu den Modi des sozioökonomischen Lebens indiziert und mit den Präzisionen der analytischen Termini deutungstechnisch beschreibbar. Akteure aus Siedlungs- oder Wandergemeinschaften gingen in den Kriegermodus über und erwarben mittels Plünderungen. Sicher ist, dass nicht alle Mitglieder der Siedlungs- oder Wandergemeinschaften in den Kriegermodus übergehen konnten. Kinder, Alte und Kranke wie Verwundete – so lässt sich plausibel vermuten – konnten nicht als Krieger erwerbend tätig werden. Die übergehenden Akteure leisteten Anführern Folge, die in den Kriegergemeinschaften militärische Mittel zur Inkorporation von civitates als einer Art älterer struktureller Elemente der erodierten weströmischen Ordnung und zur Verteidigung von Gebieten, auch vor Plünderungen, hatten. Sie waren auch in der Plünderungs- und Tributwirtschaft des „hunnischen“ Sozialgefüges zur Zeit Attilas wichtig. Kriegergemeinschaften waren aber nicht nur militärische Mittel. Sie waren zugleich Erwerbsmittel aller an ihnen beteiligten Akteure. Auch wenn die Verteilungsarten des Geplünderten anhand der Quellen nur in sehr geringen Maßen nachzuvollziehen sind, kann dies für die Kriegergemeinschaften formuliert werden: Siegreiche Kriegergemeinschaften aber auch sich schlicht durch geographische Gebiete bewegende Kriegergemeinschaften, wurden zumeist plündernd tätig. Das sesshaft-sozioökonomische Leben der Bevölkerung in Gallien wurde dabei durch das von Mobilität bedingte Kriegersein in konkreter Form der plündernden Kriegergemeinschaften dynamisiert. Die Prozessdynamik der Erosion der strukturellen Einheit der weströmischen Ordnung ist in ihrer Fortsetzung über die Aufhebung der weströmischen Kaiserposition in den Quellen deutlich fassbar. Der Umverteilungseffekt des Plünderns war dafür bedingend. Die Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen ist hier also erneut ganz deutlich zu erschließen. Auch mit diesem Ergebnis kann die Formulierung der Kontinuität des Diskontinuierlichen hinsichtlich dieser fortdauernden Prozessdynamik plausibilisiert werden. Plündern wurde mit zunehmender Zeit durchaus notwendiger für den Lebensunterhalt. Zugleich entstanden neue Beziehungen. Diese konnten Akteure, die wegen ihres relativ umfangreichen Besitzes an materiellen Gütern und Ressourcen herausragten, nicht nur wegen ihrer Güter und Ressourcen generieren, sondern auch nach der Tätigkeit in der lokal- und regional-strukturellen Administration personalisie-
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ren, während der sie Anführer waren. Bei lokalen und regionalen Konflikten waren diese Beziehungen dann wichtig, da durch sie ökonomische Schäden verhindert, aber auch, da sie für ein aggressives Vorgehen bei diesen Konflikten genutzt werden konnten. Die Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen ist also auch in den Aussagen zu diesen Beziehungen angezeigt, die sich aus den Umverteilungseffekten ergeben haben. Die Umverteilungseffekte des Plünderns stellten Akteure, die direkt auf das sesshaft-sozioökonomische Leben in Gallien bezogen waren, vor Herausforderungen. Dies waren vor allem die Bischöfe und mit zunehmender Zeit auch die Könige, die mit dem Abgabensystem ein exklusives Erwerbsmittel über die civitates und Diözesen in Gallien erlangt hatten. Das Kriegersein wurde aber trotzdem nicht über kontinuierliche Zahlungen in ein Söldner- oder Soldatensein transformiert. Das Einziehen und das Verteilen materieller Güter und Ressourcen waren für sie zusammengefasst ein Steuerungsmedium, das in Bezug auf die herausragenden Akteure verwendet werden konnte. Die Bischöfe und andere Kleriker wiederum praktizierten (Re-)Distribution, um der Dynamisierung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens entgegenzuwirken: Sie milderten ökonomische Notwendigkeiten, die Teile der sonst sesshaften Bevölkerung dazu brachten, in den Krieger- oder in den Räubermodus überzugehen. Auch Abgaben und die Aufforderungen zum Geben Besitzender an weniger Besitzende im Rahmen kirchlicher Handlungsnormen wurden von ihnen zur Verstetigung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens eingesetzt. Diese, aber auch andere Akteure, reagierten also auf das Plündern in Gallien.
6.2.2 Akteure und Positionen Auf der Deutungsebene sind durch die Quellenuntersuchung mit der Präzision der analytischen Termini mit deskriptiver Funktion wahrscheinliche und plausible Annahmen als Ergebnisse zu formulieren. Die differenten sozioökonomischen Modi sind bereits erörtert worden. Sie erlauben die Formulierung der Optionalität sozioökonomischer Praktiken der Bevölkerung oder von Bevölkerungsteilen. Somit ist bereits eine Akteursart in ihren Aktivitäten unter der schwerpunktmäßigen Betrachtung der sozioökonomischen Lebensweisen besprochen worden. Andere Akteure wurden bisher nur kurz angesprochen, ohne dass Ergebnisse zu ihnen vertiefend akzentuiert worden sind. Dabei sind auch sie für die Beantwortung der Frage nach der Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen schwerpunktmäßig zu berücksichtigen. Sesshaftigkeit und Mobilität sind selbstredend keine Bedingungen sozioökonomischer Lebensweisen der Bevölkerung, die ausschließlich im 5. und 6. Jahrhundert in Gallien gegeben waren. Dies kann als sicher bezeichnet werden. Ein Beispiel für einen Wechsel des Modus stellen die Aussagen zu den bacaudae oder bagaudes dar. Mit den Bischöfen ist eine Gruppe von Akteuren gegeben, die schon weit vor der Mitte
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des 5. Jahrhunderts auf das sesshaft-sozioökonomische Leben der Bevölkerung in Gallien bezogen war und dies über das Ende des 6. Jahrhunderts auch blieb, wobei ihre Positionen während und nach der Erosion zum Teil normativ und praktisch neu definiert wurden. Dies geht auch mit der Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen her. Die Bischöfe waren nicht nur aus theologischen Gründen (hier ist erneut das siebte Gebot des Dekalogs zu nennen) gegen das Plündern. Aus diesem Grund war nicht nur diese Praktik abzulehnen. Das Plündern führte wegen seines Umverteilungseffekte dazu, dass Bevölkerungsteile in den Krieger- oder Räubermodus übergingen: Plünderungen bei den militärischen Operationen in Gallien beförderten weitere Plünderungen und Raub. Davon waren die Bewohner der einzelnen civitates betroffen, die dort sesshaft und ökonomisch tätig waren. Die Diözesen der Bischöfe waren aber auf die Bewohner der civitates bezogen und mit den civitates-Gebieten sozioökonomisch verflochten. Die Kirchen besaßen beispielsweise Landgüter in den Gebieten der civitates. Daher mussten die Bischöfe nicht nur aus theologischen, sondern auch aus sozioökonomischen Gründen gegen das Plündern sein. Das katholische Christentum, das sie vertraten, war schon lange vor der Mitte des 5. Jahrhunderts der primäre Glaube der in Gallien sesshaften Bevölkerung. Der katholische Glaube hatte bis zur Mitte des 5. Jahrhunderts in Gallien lokal sehr viele Zentren ausgeprägt. Mobilere Akteure – wie die von dem Bischof Gregor geschilderten Asketen – die das katholische Christentum zu verbreiten versuchten, wurden gegen Ende des 6. Jahrhunderts abgelehnt. Auch daher ist plausibel, dass das katholische Christentum und Sesshaftigkeit in einem starken Maße korrelierten. Die Bischöfe hatten die civitates-Gemeinschaften nicht nur sozioökonomisch zu stabilisieren, da sie an dem Bestehen der Gemeinschaften interessiert sein mussten, sondern auch, damit der katholische Glaube, dem die meisten Bewohner anhingen, in den vielen lokalen Siedlungsgemeinschaften in Gallien erhalten blieb. Darum bemühten sich die Bischöfe schon im 5. Jahrhundert während der Operationen Eurichs. Im 6. Jahrhundert war dies ebenfalls der Fall. Doch ist zu betonen, dass nicht alle Inhaber der Bischofspositionen in ihrem Handeln gleichförmig zu beschreiben sind. Es gibt Aussagen zu Bischöfen, die raubend tätig wurden und bei lokalen Konflikten Folgeleistungen organisierten – oder auch selbst bei militärischen Operationen Folge leisteten. Die Bischofsposition war also hinsichtlich der Handlungen von Akteuren, die solche Positionen innehatten, der Diskursivität der Prozessdynamik ausgesetzt. Weitere Aussagen, die dies verdeutlichen, sind die normativen Regelungsversuche auf den Synoden des 6. Jahrhunderts. Die Aussagen aus den Akten zeigen nicht nur, dass die einzelnen Bischofspositionen zu zentralen ökonomischen Administratoren mit richterlichen Handlungskompetenzen normativ definiert wurden. Es wird in den Akten und anderen Texten auch ersichtlich, dass sozioökonomische Praktiken angewandt wurden, um das sesshaftsozioökonomische Leben in Gallen zu verstetigen. Dazu ist der Brief zum Zehnten zu nennen, der den Synodalakten von Tours aus dem Jahr 567 angehangen ist. In ihm
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wird der Zehnt als Erhebung einer Abgabe erwähnt, deren Einkünfte für den Rückkauf von Gefangenen verwendet werden soll. Auch die Aufforderungen zum Geben Besitzender an weniger Besitzende im Rahmen kirchlicher Handlungsnormen, die schon in Texten des 5. Jahrhunderts in großer Zahl vorhanden sind, wurden betrieben. Zudem verteilten die Kleriker selbst auf den kirchlichen Landgütern produzierte Güter und Ressourcen. Plünderungen und Raub, aber auch andere als illegitim in den Akten definierte Praktiken der Aneignung von Gütern und Ressourcen sowie Landgütern der Kirchen waren von den Bischöfen mit normativen Mitteln der katholischen Kirche zu bestrafen. Die ökonomischen Grundlagen der Kirchen waren also nicht nur für den Erhalt der Kirchen und ihrer Kleriker wichtig. Auch für die Verstetigung des mit den militärischen Operationen dynamisierten sesshaft-sozioökonomischen Lebens in den civitates waren die Grundlagen wichtig, denn verteilt werden konnte wegen dieser Grundlagen, um den Grundbedarf von Akteuren, der durch die Umverteilungseffekte des Plünderns entstanden sein konnte, zu decken. Er hätte sonst mit illegitim bezeichneten Erwerbsweisen wie dem Plündern und dem Raub kompensiert werden müssen. Bischöfe und andere Kleriker traten auch daher mit Praktiken der direkten und indirekten (Re-)Distribution in Erscheinung. Dabei sind wahrscheinlich auch neue Beziehungen zu den Klerikern der Kirchen und nicht nur zu den Bischöfen entstanden. Aussagen dazu, dass pauperes Kleriker verteidigten, sind genauso vorhanden, wie Aussagen dazu, dass pauperes nicht bei militärischen Operationen Folge leisteten. Daher sollen die Akteure der Kirche von Tours die als bannus bezeichnete Abgabe geben. Diese Aussagen zeigen, dass die sozialen Beziehungen engerer Art waren. Weitere Beziehungen hatten Kleriker – und hier vor allem die Bischöfe – zu den Königen. Im 5. Jahrhundert ist besonders in den Briefen des Sidonius Apollinaris ein Bestand an Aussagen gegeben, der einen Bischof als Akteur in einer Beziehung zu einem König zeigt, die als hochgradig problematisch für den Bischof zu beschreiben ist. Eurich operierte nicht nur militärisch gegen den Bischof und die civitas seines Bistums. Er besetzte auch nach der vertraglich geregelten Inkorporation der civitates in einen neuen Strukturierungszusammenhang andere Bistümer nicht mehr neu. Es ist wahrscheinlich, dass der König die lokale Administration des Strukturierungszusammenhangs nicht über katholische Bischofspositionen gestaltete. Während für das ausgehende 5. Jahrhundert konfliktreiche Aussagen gegeben sind, sind aber zugleich bereits erste Aussagen zu Kooperationen gegeben. Nach der Taufe Chlodwigs I. waren die kooperativen Beziehungen zwischen den Inhabern der Positionen der Bischöfe und denen der Könige in eine funktionale Konstellation innerhalb eines neuen Strukturierungszusammenhangs in Gallien auf der Synode des Jahres 511 überführt worden, die danach umstritten war. Die Beziehungen zwischen den Bischöfen und den Königen behielten bis zum Ende des 6. Jahrhunderts neben der umstrittenen funktionalen Konstellation auch eine persönliche Dimension. Eine weitere wichtige Akteursgruppe sind die Könige. Als Anführer bei militärischen Operationen organisierten sie Folgeleistungen. Ihre Anführertätigkeit subs-
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tituierten die Merowinger jedoch bis Ende des 6. Jahrhunderts zunehmend, so dass andere Akteure sie übernahmen. Seit der Mitte des 5. Jahrhunderts waren Könige in Gallien als Anführer von Kriegergemeinschaften tätig. Akteure aus Gemeinschaften, die zuvor noch Wandergemeinschaften waren und in Gallien von Repräsentanten der weströmischen Ordnung angesiedelt worden waren, waren in den Kriegermodus übergegangen und leisteten ihren Königen Folge. Charakteristisch für die Inhaber der Königspositionen ist, dass für sie viele Aussagen gegeben sind, die sie als Anführer der plündernden Akteure auf der Deutungsebene beschreibbar werden lassen. Die optional materielle Güter und Ressourcen akquirierende Form des Warlordism ist hier als eine der konvergenten Formen zu verwenden. Die Formen des Warlordism wurden als konvergent bezeichnet. Dazu ist an dieser Stelle noch einmal festzuhalten, dass damit betont wird, dass es sich nicht um Reinformen handelt, die klar von einander getrennt aufzufassen sind. Die drei Formen des Warlordism erfassen vielmehr die Charakteristik des Organisierens von Folgeleistungen und die Relevanz des Plünderns dafür. Dieser Zusammenhang war aufgrund von Bedingungen, die die Anführer selbst geschaffen hatten, veränderbar. Im 5. Jahrhundert war mit Eurich ein König als Anführer aktiv, der zuerst eher mit der eben erwähnten Form des Warlordism zu beschreiben ist: Er ermöglichte den Folgeleistenden optional materielle Güter und Ressourcen plündernd zu erwerben und konnte dies wohl auch selbst. Mit der Neustrukturierung von civitates in Gallien nach seinen militärischen Operationen war er aber auch zu einem Anführer geworden, der situationsbezogen auf Plünderungen reagieren musste, da die inkorporierten civitates nun auch verteidigt werden mussten. Er hatte somit Handlungskompetenzen akkumuliert, die zuvor von anderen Akteuren wie Aegidius während der Erosion im Norden und Südwesten Galliens akkumuliert worden waren. Eurich ist in seiner Position innerhalb des mit militärischen Operationen geschaffenen Strukturierungszusammenhangs also auch mit den anderen beiden Formen des Warlordism zu beschreiben. Hiermit zeigt sich, warum die Formen des Warlordism als konvergent zu bezeichnen sind. Für die Merowinger seit Chlodwig I. sind sie ebenfalls als Deutungswerkzeuge für die Explikation von Annahmen zu verwenden: Wie bereits oben angeschnitten, entstand mit den militärischen Operationen ein neuer Strukturierungszusammenhang in Gallien. Hierfür ist wie für den Strukturierungszusammenhang der Zeit Eurichs und seines Nachfolgers klar, dass neben der dritten Form des Warlordism nun auch die anderen beiden für die Königsposition in dem neuen Strukturierungszusammenhang beschreibend gebraucht werden können. Zu den Merowingern der ersten Generation nach Chlodwig I. sind dann Aussagen gegeben, die weiterhin erlauben, sie mit allen drei konvergenten Formen zu beschreiben. Sicher ist, dass die Merowinger nicht nur in ihren Positionen in dem Abgabensystem ein exklusives Erwerbsmittel über die civitates und Kirchen hatten, sondern auch in einer Art Konkurrenz um Folgeleistende untereinander standen: Die Akteure konnten auch einem ihrer Verwandten Folge leisten, wenn ein Merowinger keine militärischen Operationen tätigte und somit auch keine Erwerbschancen mehr symbolisierte oder offerierte – denn mit allen wurden die
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Chancen verbunden. Somit aber war ein Merowinger in Gefahr, seine civitates, über die er ein exklusives Erwerbsmittel in seiner Position als König innerhalb des parzellierten Strukturierungszusammenhangs hatte, durch Operationen unter Anführung eines seiner Verwandten zu verlieren. Diese Konkurrenz wurde auch befördert, da das Kriegersein nicht in ein Söldner- oder Soldatensein transformiert wurde. Damit sind Gründe dafür gegeben, dass militärische Operationen im 6. Jahrhundert stetig weiter stattfanden und mit den Aussagen zur zweiten Generation nach Chlodwig I. vermehrt lokal- und regional-strukturellen Administratoren in den Quellen zu fassen sind. Darin ein reines Quellenproblem zu sehen, ist nicht ausreichend. Die Notwendigkeit der Positionierung von Akteuren in Administratorenpositionen wurde mit den militärischen Operationen der Könige gegeneinander immer deutlicher. Ein König konnte einfach nicht an allen Orten zugleich militärisch agieren. Problematisch an den lokal- und regional-strukturellen Administratoren war aber, dass sie in den civitates ebenfalls raubend und plündernd tätig wurden. Selbst nachdem die Merowinger nach dem Jahreswechsel 536/7 keine weiteren civitates mehr dauerhaft in den parzellierten Strukturierungszusammenhang inkorporieren konnten, waren sie weiterhin derart aktiv, dass die Quellenaussagen erlauben, sie weiterhin mit allen drei Formen des Warlordism zu beschreiben. Mit den Aussagen zur zweiten Generation nach Chlodwig I. ändert sich dies jedoch: Die Inhaber der Königspositionen im parzellierten Strukturierungszusammenhang in Gallien substituierten sich als Anführer der Folgeleistenden in den bella civilia und danach selbst durch lokal- sowie regional-strukturelle Administratoren und herausragende Akteure. Während die civitates eines jeweils anderen Königs Ziele der Operationen waren, nahmen die Merowinger vermehrt nicht mehr an den Operationen teil. Somit sind nicht mehr die Könige mit den konvergenten Formen des Warlordism zu beschreiben, sondern andere Akteure: Neben den lokal- und regional-strukturellen Administratoren waren dies die herausragenden Akteure. Nun wurden mit ihnen verstärkt Erwerbschancen verbunden. Akteure, die wegen ihrer materiellen Güter und Ressourcen gegenüber anderen Akteuren im 6. Jahrhundert herausragten, konnten auch als lokal- und regionalstrukturelle Administratoren tätig sein. Es kann als sicher bezeichnet werden, dass einige der Akteure, die derartige Positionen inne hatten, zuvor Geschenke an den König gegeben hatten, um eine solche Position zu erhalten. Die Beziehungen, die sie zur dieser Zeit erlangten, konnten danach offenbar personalisiert werden: Das heißt aber nicht, dass sie nicht auch ohne die Position Beziehungen aufgrund ihrer Güter und Ressourcen generieren konnten oder wegen solcher Beziehungen durch Raub zu einem Mehr an Gütern und Ressourcen gelangen konnten. Auch das Plündern kann als eine Praktik genannt werden, durch die Akteure zu herausragenden Akteuren werden konnten, da auf diese Weise materielle Asymmetrien durch Umverteilungen erzeugt wurden. Das Innehaben einer lokal- oder regional-strukturellen Administratorenposition ist also nicht monokausal für das Entstehen von herausragenden Akteuren und die Kausalität ist als solches nicht sehr wahrscheinlich. Vielmehr ist
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plausibel, dass herausragende Akteure ihres Herausragens auch relativ rasch wieder verlustig gehen konnten, wenn sie ihre Bestände an Gütern und Ressourcen bei militärischen Operationen oder auf andere Arten verloren. Eine davon ist das Einziehen von Landgütern und anderen materiellen Gütern und Ressourcen durch die Inhaber der Königspositionen. Das Entstehen und Bestehen von herausragenden Akteuren war also nicht nur von den militärischen Operationen, sondern auch von den Königen abhängig. Akteure konnten ihre Güter und Ressourcen durch Einziehungen verlieren – und andere konnten durch die Verteilung von Gütern und Ressourcen noch mehr herausragen oder auch erst zu herausragenden Akteuren werden. Somit hatten die Könige ein Steuerungsmedium gegenüber den herausragenden Akteuren, mit dem sie auch ihre Präsenz neben der Positionierung von Akteuren in Administratorenpositionen konsolidieren konnten. Allerdings ist auch dieses nicht monokausal für das Entstehen und Bestehen von herausragenden Akteuren. Neben dem Einziehen und dem Verteilen ist mit Sicherheit der Warlordism der herausragenden Akteure zu nennen, der zu einem Prestige führen konnte – das auch über ihren Besitz an materiellen Gütern und Ressourcen kommunizierbar war. All diese genannten Aspekte kulminieren aber letztlich im individuellen Handeln der herausragenden Akteure: Ihr Handeln führte für einige Akteure und Geschlechter dazu, dass sie ihr Herausragen ganz verloren oder ermordet wurden, wie dies beispielsweise für Guntram Boso oder Eunius Mummolus der Fall ist. Andere wiederum handelten individuell auf eine Weise, die ihnen und ihren Geschlechtern das Herausragen weiterhin sicherte: Pippin der Ältere sowie Arnulf, der spätere Bischof von Metz, wurden gegen Ende des 6. Jahrhunderts geboren und konnten in der Folge mit ihrem Handeln dazu beitragen, dass aus der Verbindung ihrer Familien das spätere Königsgeschlecht hervorging. Während die Merowinger als Anführer sich mehr und mehr substituierten, übernahmen diese Tätigkeit andere. Die als Anführer seit der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts in Gallien agierenden herausragenden Akteure und die lokal- sowie regional-strukturellen Administratoren, können mit allen Formen des Warlordism beschrieben werden. Sie akkumulierten als Anführer bedingt Handlungskompetenzen von den Königen in einer reversiblen Weise – wobei sie situationsbezogen auch auf Aggressoren reagierten, gegen die sie die civitates und ihre eigenen Landgüter bei lokalen und regionalen Konflikten verteidigten. Es ist bei den Aussagen zu den militärischen Operationen aber nicht immer exakt zu bestimmen, inwieweit die Akteure eigenständig handelten und inwieweit die Könige das Organisieren von Folgeleistungen dabei beeinflussten. Sicher ist aber, dass die von den herausragenden Akteuren und den lokal- sowie regional-strukturellen Administratoren angeführten Folgeleistenden in Gallien zu Plünderungen übergingen und dies schon, bevor der Zielort der Operation erreicht war. Hierfür muss betont werden, dass die Aussagen zu den vorzeitigen Plünderungen sich am Ende des 6. Jahrhunderts häufen. Plünderungen waren mittlerweile problematisch für die Inhaber der Königspositionen, da sie seit der Zeit Chlodwigs I. in den Strukturierungszusammenhang zumin-
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dest teilweise eingebettet und über das Abgabensystem auf das sesshaft-sozioökonomische Leben der Bevölkerung bezogen waren. Hinzu kommt: Mit der Zunahme an Aussagen zu den lokal- und regional-strukturellen Administratoren mehren sich zusätzlich die Aussagen dazu, dass die civitates zu Orten des Organisierens von Folge leistungen wurden. Sesshaftigkeit war für die Könige seit der Mitte des 6. Jahrhunderts weit wichtiger geworden, als dies noch für die Könige im 5. und in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts der Fall war. Aber auch die Kriegergemeinschaften waren als militärische Mittel der Könige weiter wichtig, da sie die auf Sesshaftigkeit basierenden Teilstrukturierungszusammenhänge in Form von einzelnen civitates verteidigen mussten, obwohl sie als Erwerbsmittel der König mit dem Abgabensystem weitgehend substituiert wurden. Somit hatte sich die Position des Königs in Gallien seit Chlodwig I. gewandelt: Die Inhaber der Königsposition hatte sich von den Folgeleistenden differenziert und die Handlungskompetenzen wurden auf das Betreiben der Könige von anderen Akteuren akkumuliert: Diese Akteure wurden nun als Anführer der Kriegergemeinschaften tätig, symbolisierten und offerierten Erwerbschancen für Akteure im Kriegermodus und reagierten situationsbezogen auf Aggressoren – auch bei den lokalen und regionalen Konflikten. Die Kriegergemeinschaften blieben aber ein Erwerbsmittel der Beteiligten, nur dass das Plündern nun diejenigen ökonomisch schädigte, aus deren Geschlecht zuvor Akteure stammten, die mit Plünderungen als Anführer erwerbend tätig wurden und Erwerbschancen für Akteure im Kriegermodus symbolisierten sowie offerierten. Die herausragenden Akteure wurden also den Merowingern der Zeit Chlodwigs I. und der ersten Generation nach ihm ähnlich, während die Könige der zweiten Generation sich eher von diesen in ihrer Position unterscheiden lassen. Auch die Position der Könige wurde also wie die der Bischöfe neu definiert, wenn dies auch anders ablief. Das führte dazu, dass herausragende Akteure in ihrem Handeln für die Könige zu einem Problem wurden – denn diese hatten wie die Könige umfangreiche materielle Güter und Ressourcen zur Verfügung und organisierten Folgeleistungen (auch, indem sie Erwerbschancen symbolisierten sowie offerierten). Herausragende Akteure konnten mit Usurpatoren kooperieren und selbst versuchen, Könige militärisch zu beseitigen. Die Dynamisierung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens durch die militärischen Operationen der Merowingerkönige hatte das Entstehen und Bestehen von Akteuren und Positionen sowie die normativen und die praktischen Neudefini tionen von Positionen und somit auch die Handlungsfähigkeit der Akteure, die solche Positionen innehatten, befördert. Dabei ist sicher, dass einige dieser Akteure selbst diese Dynamisierung förderten, während andere Akteure ihr entgegenzuwirken versuchten.
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6.2.3 Prozessdynamik Wird von der Mitte des 5. Jahrhunderts retrospektiv ausgegangen, dann ist Gallien als ein geographischer Raum zu beschreiben, der seit langer Zeit in die (west-)römische Ordnung integriert war. Die Erosion der strukturellen Einheit der weströmischen Ordnung war aber in der Mitte des 5. Jahrhunderts bereits akut. Mit der Beschreibung ihrer Qualität wird an dieser Stelle begonnen. In einem zweiten Schritt wird dann die Fortsetzung der Prozessdynamik für das 6. Jahrhundert in Gallien genauer erfasst. Die Formulierung „Erosion der strukturellen Einheit der weströmischen Ordnung“ ist anhand mehrerer Ergebnisse zu fundieren. Neben den sozioökonomischen Modi der Lebensweisen in Gallien und den Akteuren, die mit einer oder mehreren Formen des Warlordism zu beschreiben sind, sind zusätzlich zu den Relevanzarten des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen die Neustrukturierungen struktureller Elemente der weströmischen Ordnung zu nennen, die sich alle über das Jahr der Aufhebung der weströmischen Kaiserposition weiterhin nachvollziehen lassen. Die Neustrukturierungen wurden im Verlauf des Ergebnisteils noch nicht ausreichend thematisiert. An den Neustrukturierungen im 5. Jahrhundert waren nicht nur Könige als Anführer von Kriegergemeinschaften beteiligt. Sie wurden auch nicht nur durch militärische Operationen vollzogen. Aegidius akkumulierte während der Erosion in Gallien Handlungskompetenzen, die zuvor strukturgebundene Positions inhaber hatten. Das führte ihn bedingt von der Prozessdynamik zu einer Art des Warlordism. Manche Akteure, die als Repräsentanten der weströmischen Ordnung in Gallien tätig waren, kooperierten mit den dortigen Königen entgegen den Inhabern der Kaiserposition und Bevölkerungsteilen. Arvandus bat Könige sogar, Gallien insgesamt unter sich aufzuteilen und die civitates somit in neue Strukturierungszusammenhänge zu überführen. Insofern lässt sich formulieren: Die Zugehörigkeiten von civitates, strukturellen Positionen, deren strukturgebundenen Handlungskompetenzen und die Positionen der Könige der relativ einheitlich organisierten Siedlungsgemeinschaften wurden praktisch neu definiert. Sie alle sind aber strukturelle Elemente der weströmischen Ordnung und so verweisen die Aussagen zu diesen eben auf die Prozessdynamik ihrer Erosion, die dann auch die Wechsel der Lebensweisen in Gallien bedingen konnte. Insofern ist die Beschreibung ihrer Qualität mit dem Adjektiv diskursiv adäquat: Es zeigte sich, dass die Autoren bei ihrem Gebrauch von Worten auf sich wandelnde Positionen und verschiedene geographische Räume rekurrieren. Die Prozessdynamik ist auch durch die Untersuchung von Pragmatik und Semantik der orts- und zeitnahen Quellenautoren erschlossen worden. So ist über das 5. Jahrhundert auch für die Texte des 6. Jahrhunderts festzuhalten, dass Worte der römischen Tradition zur Bezeichnung von Akteuren gebraucht wurden, die nicht mehr denen in ihren Handlungen und Kompetenzen entsprachen, die sie zuvor bezeichnet hatten. Aber noch weiter: Diese älteren Worte bezeichneten nicht abrupt neu entstandenen Positionen von Akteuren. So wurden im 5. Jahrhundert Akteure,
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für die durchaus unterschiedliche Handlungen erwähnt werden, jeweils mit comes bezeichnet. Dieses Wort bezeichnet dann im 6. Jahrhundert (nachdem es im Kontext der Erzählungen und anderen Quellen zum Beginn des Jahrhunderts kaum genannt wird) Akteure, die in der lokalen Administration der civitates tätig waren und zumeist durch die Merowingerkönige dort positioniert worden sind. Es ist aber sicher, dass die im 5. Jahrhundert als comes bezeichneten Akteure eben nicht durchgehend einfach positioniert wurden. Auch sind die Handlungskompetenzen der im 6. Jahrhundert als comes bezeichneten Akteure nicht für jede civitas immer als gleich aufzufassen. Eine Einheitlichkeit der als comites bezeichneten Administratoren ist daher nicht zu konstatieren. Noch eindeutiger ist dies bei der Untersuchung des Gebrauchs des Wortes dux. Ein Akteur, der als dux bezeichnet worden ist, konnte als Akteur der lokal- oder regionalstrukturellen Administration tätig gewesen sein; war dies aber nicht zwangsläufig. Als duces wurden auch Akteure bezeichnet, denen Akteure Folge leisteten, ohne dass sie in einer Position der lokal- oder regional-strukturellen Administration zu verorten sind. Auch werden Akteure, die zuvor in einer solchen Position tätig waren, die nicht immer mit dux bezeichnet werden musste – ein Beispiel hierfür ist dass Wort patricius – und dann gegen einen König opponierten, als duces bezeichnet. Dies waren zumeist herausragende Akteure, die über einen umfangreichen Besitz an materiellen Gütern und Ressourcen verfügten. Dabei muss aber festgehalten werden, dass nicht alle herausragenden Akteure auch als dux bezeichnet worden sind. Eine Einheitlichkeit des Bezeichneten ist also auch bei diesem Gebrauch eines Wortes nicht gegeben. Diese beiden Gebrauchsweisen der Worte zeigen, dass es sinnvoll ist, nicht nur von der Diskursivität der Semantik des soziohistorischen Spektrums der Autoren auszugehen, sondern sie zudem als die Diskursivität der Prozessdynamik herauszustellen: Die strukturellen Elemente der weströmischen Ordnung wurden praktisch neu definiert – was zu einem Problem des Gebrauchs von Worten durch die zeit- und ortsnahen Autoren führte. Auch daher ist die diskursive Prozessdynamik mit der Formulierung „Kontinuität des Diskontinuierlichen“ adäquat beschrieben: Die Erosion verlief eben nicht linear und die Prozessesdynamik setzte sich über die Aufhebung der Position des weströmischen Kaisers fort, wie die Aussagen zu weiteren Neustrukturierungen nach 476 deutlich machen. Die praktischen Definitionen konnten lokal zu ganz unterschiedlichen Handlungskompetenzen von Akteuren und Positionen führen, die dann zwar relativ einheitlich bezeichnet wurden, aber nicht einheitlich waren. Die Prozessdynamik hörte also mit der Aufhebung der Kaiserposition der weströmischen Ordnung nicht auf. Auf der Basis dieses Arguments kann somit klargestellt werden, warum trotz der Neustrukturierungen die diskursive Prozessdynamik als Kontinuität des Diskontinuierlichen beschrieben wird: Die praktischen Neudefinitionen waren nicht von Dauer und die Strukturierungszusammenhänge waren in sich auch nicht konsistent. Im Gegenteil: Der zur Zeit Eurichs mittels militärischer Operationen und normativer Regelungen entstandene Strukturierungszusammenhang von
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civitates wurde mit dem Tod seines Sohnes Alarich II. schon wieder neustrukturiert und dies ging nicht in der Art, dass eine Einheit von civitates einfach von Chlodwig I. übernommen werden konnte. Einzelne civitates mussten – wie auch zuvor im Norden Galliens – schrittweise erobert werden. Das lässt daran zweifeln, dass der Gebrauch des Wortes regnum in Sinne einer „größeren Einheit, in der civitates inkorporiert sind“ zu verstehen ist. Dieses weitere Ergebnis der Untersuchung des Gebrauchs von Worten kann mit Ergebnissen der Untersuchung von Aussagen zum 6. Jahrhundert zu einer Annahme ausformuliert werden: Die Idee einer „großen Einheit“ im Sinne von „Einheit, in der civitates inkorporiert sind“, ist zu hinterfragen. Termini wie „Staat“ und „Herrschaft“ (wenn sie auf der Deutungsebene in einem großräumig-geographischen Sinne gebraucht werden) überdecken die Prozessdynamik und formativen Aspekte einer Zeit, die man nicht zu Unrecht mit der Formel einer „Transformation of the Roman World“ zu fassen versucht hat. Transformation bezeichnet einen Prozess, ohne dessen Qualität genauer zu bestimmen. Nur sein Ausgangs- und sein Zielpunkt sind abstrakt erfasst: Formen. Insofern ist die Formel neutral. Der Gebrauch der Worte regnum oder sors zeigen nicht einfach, dass eine „Einheit“ entstand, sie zeigen im Kontext ihres Gebrauchs vielmehr eine Prozessdynamik, auf die sich sprachlich bezogen wurde und die sich in einer diskursiven Weise als Kontinuität des Diskontinuierlichen über das Ende des 5. Jahrhunderts in Gallien fortsetzte: Sie bleibt in ähnlichen Aussagezusammenhängen in den Quellen nachzuvollziehen; so dass die Idee der „großen Einheit“ zu hinterfragen ist. Nicht nur, dass einige der gallischen civitates am Ende des 5. und zu Beginn des 6. Jahrhunderts erst schrittweise in einen neuen Strukturierungszusammenhang durch die militärischen Operationen Chlodwigs I. inkorporiert wurden. Er wurde außerdem später parzelliert. Nach der Inkorporation weiterer gallischer civitates in den nun parzellierten Strukturierungszusammenhang gingen die Merowinger gegeneinander vor, so dass auch die Teilstrukturierungszusammenhänge ihrem Umfang nach variieren konnten. Die Beobachtung führt hinsichtlich der Prozessdynamik zum nächsten Ergebnisbereich: zur Konsolidierung der Präsenz der Merowinger in Gallien. Der Strukturierungszusammenhang basierte seit der Zeit Chlodwigs I. auf einem grundlegenden Paradoxon von Sesshaftigkeit und Mobilität. Neben den civitates und ihren Bewohnern waren die Bischöfe wie auch die Mobilität der Folgeleistenden für seine Genese wichtig. Sie alle wurden wie die Königsposition in Gallien in den neuen Strukturierungszusammenhang integriert, der grundsätzlich widersprüchlich war. Mit der Taufe und der Synode von Orléans 511 waren die Bischöfe und der König in eine funktionale Konstellation überführt worden. Sie war nach 511 hinsichtlich der Handlungsmöglichkeiten der Könige umstritten und lief nicht nur funktional, sondern auch über persönliche Beziehungen ab. Die Bischöfe versuchten, sich auf den Synoden nicht nur von den Königen zu emanzipieren. Sie versuchten auch, die ökonomischen Schädigungen der Kirchen durch die Könige, durch die lokal- und regional-strukturellen Administratoren, durch die herausragenden Akteure sowie die
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Folge leistenden Akteure zu begrenzen und zu unterbinden. Neben den Bischöfen sind die lokal- und regional-strukturellen Administratoren in Bezug auf das sesshaft-sozioökonomische Leben tätig gewesen. Sie ersetzten wie die herausragenden Akteure die Könige als Anführer der Folgeleistenden, während die Bischöfe normative Regelungen zwischen den Mitgliedern des Merowingergeschlechts zu schließen versuchten. Das Plündern in Gallien vermochte dies nicht zu beenden, da die Könige sich von den Kriegergemeinschaften differenziert hatten: Sie waren in dem auf einem Paradoxon basierenden Strukturierungszusammenhang, auch in seiner parzellierten Form, nicht mehr das primäre Erwerbsmittel der Könige. Die Merowingerkönige hatten über die civitates in dem Abgabensystem ein exklusives Erwerbsmittel. Die civitates wurden mit der Zeit auch zu Orten des Organisierens von Folgeleistungen durch die lokal- und regional-strukturellen Administratoren. Das Kriegersein wurde aber nicht über kontinuierliche Zahlungen in ein Soldaten- oder Söldnersein transformiert, obwohl dies über das Abgabensystem möglich gewesen wäre. Insofern ist die Dynamisierung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens durch die Umverteilungseffekte des Plünderns bei den militärischen Operationen ein weiterer Indikator für die Fortsetzung der Prozessdynamik im 6. Jahrhundert in Gallien. Der Kriegermodus blieb mit der sozioökonomischen Praktik des Plünderns ein Erwerbsmodus materieller Güter und Ressourcen. Militärische Operationen gingen also (ob nun ein König der Anführer der Folgeleistenden war oder nicht) mit dem Erwerb von Akteuren im Kriegermodus einher. Dadurch aber, dass seit der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts vermehrt nicht mehr die Könige, sondern andere Akteure als Anführer tätig wurden, waren Chancen auf Plünderungen nicht mehr von den Königen symbolisiert und offeriert – und somit nicht mehr mit den Königen assoziiert. Die Dynamisierung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens durch die militärischen Operationen hatte selbst weitere Effekte. Einige Reaktionen wurden bereits genannt: die Vermehrung des Raubens und die direkten und indirekten (Re-)Distributionspraktiken der kirchlichen Akteure. Der Raub war wie das Plündern eine sozioökonomische Praktik des Erwerbs materieller Gütern und Ressourcen. Es ist wahrscheinlich, dass Rauben kompensatorisch für das Plündern verwendet wurde, wenn militärische Operationen ausblieben. Die kirchlichen Akteure wiederum waren darum bemüht, Akteure zu versorgen, so dass diese nicht mehr plündern und rauben mussten. Ein weiterer Effekt war die Notwendigkeit der Könige – über das Einziehen und das Verteilen – das Entstehen und Bestehen von herausragenden Akteuren zu beeinflussen. Einige der Akteure wurden bestraft, da sie gegen die Könige handelten, andere, weil sie raubend tätig wurden. Auch konnten Akteure bestraft werden, da sie entgegen den Erwartungen der Könige Plünderungen bei militärischen Operationen nicht verhindert hatten. Außerdem konnten sie Usurpationen versuchen sowie Usurpatoren unterstützen und mussten dafür bestraft werden. Insgesamt entstanden neue Beziehungen, die als Produkte der Dynamisierung des sesshaft-sozioökonomischen Lebens beschrieben werden können. Die Untersuchung des Gebrauchs von Worten zur Personenbeschreibung der Akteure in Beziehungen in unterschiedlichen
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Erzählkontexten zeigt allerdings, dass der Gebrauch von diesen nicht immer auf die Beschaffenheit der Beziehungen schließen lässt. Die Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen ist also auch mit der Prozessdynamik verbunden. Die Arten der Relevanz sind von der Prozessdynamik bedingt. Das Plündern konnte die Dynamik befördern, wenn dabei auch zu betonen ist, dass dies sicherlich nicht nur durch das Plündern möglich war und das Plündern dabei durch die Prozessdynamik bedingt blieb. In der Dynamik wurde das grundlegende Paradoxon am Ende des 6. Jahrhunderts zu einer Aporie. Die Position des Königs war in der Prozessdynamik praktisch neu definiert worden. Kein halbes Jahrhundert danach akkumulierten dann herausragende Akteure in der Position des maior domus Handlungskompetenzen der Inhaber der Königspositionen nicht nur in Bezug auf das Anführen bei militärischen Operationen.
6.3 Zur Terminologie Die Kritik an den älteren Konzepten und Begriffen der „Neuen Deutschen Verfassungsgeschichte“ (vor allem an dem Konzept „Gefolgschaft“ und dem Begriff „Herrschaft“) hat in Folge des Literaturteils bei der Quellenuntersuchung Umsetzung gefunden: Weder „Gefolgschaft“ noch „Herrschaft“ wurden hier verwendet. Die Kritik an „Gefolgschaft“ und „Herrschaft“ ist – wie in der vorliegenden Studien ausgiebig thematisiert – nicht neu. Sie ist innerhalb der deutschsprachigen Mediävistik bereits in den 1960er begonnen worden und die damit verbundenen Haltungen haben sich seitdem durchgesetzt. Sie finden breite Zustimmung und sind nur schwer – wenn überhaupt – in ihrer Argumentation zu bestreiten. Trotzdem werden „Gefolgschaft“ und vor allem „Herrschaft“ in der deutschsprachigen Mediävistik weiterhin häufig gebraucht, obwohl sie keine analytisch-deskriptive Funktion besitzen. Es müsste erst neu erfragt werden, was diese Termini eigentlich umfassen sollen – und wie sie gebraucht werden müssen, um sie analytisch sinnvoll für eine Untersuchung von Quellen einzusetzen. Diese Problematik wurde in der vorliegenden Studie angegangen. Das hat zum Ergebnis, dass neben der Beantwortung der Leitfrage nach der Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen es nicht zu einer Reduktion von quellenimmanenten Worten und Aussagen unter dem Label „Herrschaft“ kam und soziale Beziehungen differenzierter erfasst werden konnten. Daher kann die Studie aus einer anderen Perspektive tatsächlich auch als Beitrag zur Präzision der Termini wie auch zur Beschreibung der Phänomene „Herrschaft“ und „Gefolgschaft“ im 5. und 6. Jahrhundert in Gallien verstanden werden. Wichtiger ist freilich, dass auch ohne das Konzept „Gefolgschaft“ und den Begriff „Herrschaft“ eine geschichtswissenschaftliche Untersuchung der Quellen zum 5. und 6. Jahrhundert in Gallien möglich ist. Mehr noch: Durch eine textanalytische Methode (und das Auslassen einer präfigurativen Determination der zu untersuchenden Empirie) können sogar neue Ergebnisse erzielt werden. Statt „Herrschaft“ und „Gefolgschaft“ wurden hierzu
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andere Termini verwendet. Diese analytischen Termini wurden anhand der Quellenuntersuchung über ihre deskriptive Funktion präzisiert und konnten damit zur Formulierung von wahrscheinlichen und plausiblen Annahmen beitragen. Insofern sind sie nicht einfach von dem Quellenmaterial, das das Kontinuum zwischen 451 und 592 in Gallien repräsentiert, zu lösen. Dazu soll festgehalten werden: Die Präzisionen entstanden, wie bereits ausgeführt, im Sinne der Spezifizierung von Termini auf eine selektive Weise aus deskriptiv funktionierenden Termini auf der Deutungsebene. Damit unterscheiden sie sich prinzipiell von der Konzeptspezifikation der „Neuen Deutschen Verfassungsgeschichte“ in der Art, dass hier ein durch Aussagen repräsentiertes Kontinuum zu Grunde liegt, während bei der „Neuen Deutschen Verfassungsgeschichte“ anfänglich unter der Überschrift „Germanisch“ differente Quellentexte aus verschiedenen geographischen Räumen und verschiedenen Zeiten summiert wurden. Aus diesem Fundus wurden dann Aussagen herangezogen, die zur Genese der Konzepte und Begriffe genutzt wurden – wobei die Quellennähe betont worden ist. Wenn hier also ausdrücklich gesagt ist, dass beschreibend von der Deutungsebene aus operiert wird, um wahrscheinliche und plausible Annahmen zur Beantwortung der Leitfrage formulieren zu können, ist diese Ebene bei der „Neuen Deutschen Verfassungsgeschichte“ eben nicht explizit; so dass übersehen oder auch bewusst negiert wurde, dass es sich bei der „germanischen Kontinuität“ um eine Theorie handelt. Dies wurde erst bei der Debatte um die einzelnen Konzepte und Begriffe deutlich. Nun lässt sich fragen, inwieweit die Präzisionen dieser Studie übertragbar sind auf andere Arbeiten, die zu anderen Räumen und Zeiten und unter anderen Fragestellungen geschrieben werden. Dafür ist zu Beginn erneut zu betonen, dass die Präzisionen ebenfalls Ergebnisse der Quellenuntersuchung sind. Begonnen wurde auf der Deutungsebene mit deskriptiv funktionierenden Termini. An einem Beispiel lässt sich die Frage nun weitergehend beantworten. Beispielsweise ist der Kriegermodus mit der sozioökonomischen Praktik des Plünderns als eine Erwerbweise materieller Güter und Ressourcen konstituiert. Er ist von Mobilität bedingt und steht neben anderen Modi, die durch andere sozioökonomische Praktiken konstituiert und nicht immer von Mobilität bedingt sind. Der Kriegermodus ist trotz seiner deskriptiv-quellensatten Beschaffenheit offensichtlich spezifisch. Als Krieger können – dies wurde mehrfach betont – durchaus auch diejenigen Akteure beschrieben werden, die ihre Siedlungsgemeinschaften gegen Aggressoren verteidigten. Die Präzision ist zwar übertragbar, muss aber gegebenenfalls erweitert und modifiziert werden. Dagegen ist schwer zu bestreiten, dass auch in anderen Räumen und zu anderen Zeiten (beispielsweise im ostrheinischen Raum zur Zeit Ludwigs des Deutschen oder zur Zeit der Ottonen in Italien) Akteure Krieger sein konnten. Das Kriegersein ist als deskriptiver Terminus auf der Deutungsebene also sehr viel leichter übertragbar auf andere Arbeiten und die darin untersuchten Quellenaussagen. Somit ist die Frage nach der Übertragbarkeit in zweierlei Hinsicht zu beantworten: Zum einen müssen Präzisionen – wenn sie übertragen werden sollen – gegebenen-
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falls erweitert und modifiziert werden. Da dies aber nur über eine weitere Quellenuntersuchung sinnvoll ablaufen kann, werden diese Erweiterungen und Modifikationen dann zum Teil der Ergebnisse dieser Studie. Das bedeutet aber nicht, dass es mehrere Definitionen des Kriegermodus gibt, die als differente Ausprägungen in Relation zueinander gesetzt werden können – denn sie sind jeweils durch die Quellenuntersuchungen reguliert. Der Kriegermodus entstand ursächlich aus einem analytischen Terminus mit deskriptiver Funktion und ist somit ein Deutungswerkzeug, das der Explikation von wahrscheinlichen und plausiblen Annahmen beiträgt. Zum zweiten sind die analytischen Termini mit deskriptiver Funktion sehr viel leichter zu übertragen. Das Kriegersein war keine Spezialität des 5. und 6. Jahrhunderts in Gallien und ist nicht nur für die Beantwortung einer Frage nach einer sozioökonomischen Praktik wichtig zu beachten. Fragen danach – ob nun direkt oder indirekt – können über eine Untersuchung von Quellen zu ganz anders gelagerten Präzisionen führen, als dies für den Kriegermodus dieser Arbeit gegeben ist und tatsächlich kann dabei ein anderes Deutungswerkzeug wie in der vorliegenden Studie entstehen.
6.4 Zum methodischen Vorgehen insgesamt Die Konsequenzen aus der Literaturuntersuchung wurden über das methodische Vorgehen der Studie realisiert. Mit der Formulierung der Terminologie und der Textkritik aus differenten Ansätzen wurde ein erster Schritt getan, der mit der Untersuchung der Quellen konkretisiert worden ist. Den Autor als einen Menschen in Raum und Zeit zu verstehen, der einen Text rekursiv deutend mit diskursiver Semantik produziert, indem Phänomene und Informationen literarisch verarbeitet werden, ist das Ergebnis der Integration differenter Ansätze, die zusammen eine flexible Textkritik erlauben und eine Antwort auf die Frage nach der historischen Referentialität ergeben. Das Vorgehen erlaubt eine Quellennähe, die bei dem Herantragen von theoriegeleiteten Termini oder Konzeptspezifikationen der „Neuen Deutschen Verfassungsgeschichte“ nicht möglich ist. Trotzdem sind die Ergebnisse dieser Studie spezifisch und somit relativierbar. Auf diese Weise lassen auch sie sich trotz des quellennahen Vorgehens kritisch hinterfragen. Fragen nach Rekurs, Deutung und Semantik der Autoren sind Mittel der Textkritik, wobei das soziohistorische Spektrum, in dem ein Autor schreibt, berücksichtigt wird. Es ist nicht einfach das Geschehen der Welt des Autors. Rekurse, Deutungen und Semantik gab es auch schon vor einem speziellen Menschen, der als Autor tätig wurde, und auch nach ihm. Dabei wurde im Methodenteil bereits darauf verwiesen, dass diese Semantik die Deutungen eines Autors genauso beeinflussen kann, wie die Semantik von dieser beeinflussbar ist. Sie wurde als diskursiv bezeichnet. Dieses Adjektiv wurde auch zu der Bezeichnung der Prozessdynamik gebraucht, da diese nicht nur bedingend war, sondern auch praktisch zu neuen Definitionen in Gallien führte. So war ein König zu Beginn des 6. Jahrhunderts nicht in gleichem Maße hand-
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lungsfähig, wie ein König am Ende des 6. Jahrhunderts. Die Akteure wurden aber immer mit rex bezeichnet. Lokal- und regional-strukturelle Administratoren konnten unterschiedlich handlungsfähig sein. Sie wurden trotzdem aber mit dem gleichen Wort comes bezeichnet. Als duces wurden lokal- und regional-strukturelle Administratoren aber auch herausragende Akteure bezeichnet. Dies alles ergab sich nicht einfach durch Sprache. Sie wurde dafür verwendet, um praktische Neudefinitionen intersubjektiv in Sprache zu fassen. Hierin wird deutlich, dass nicht zwei Arten von Diskursivität bestanden, sondern die Diskursivität von Semantik und Prozessdynamik eine sind. Sie ist die Diskursivität des soziohistorischen Spektrums der Autoren. Das methodische Vorgehen insgesamt erlaubte also, die Frage nach der Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen zu beantworten und dabei die Prozessdynamik anhand des Aussagenmaterials auf der Deutungsebene beschreibbar werden zu lassen, wobei auch Ergebnisse zu Akteuren und Positionen sowie Lebensweisen über die Präzision analytischer Termini mit deskriptiver Funktion durch die Quellenuntersuchung explizit wurden.
6.5 Zur Geschichte einer Praktik Abschließend noch ein paar wenige Worte zu dem Ansatz, der in dieser Studie verfolgt wurde. Sie können als Ausblick auf andere Untersuchungen betrachtet werden, da mit der vorliegenden Studie einige der Möglichkeiten aufgezeigt werden konnten, die dem Ansatz, die „Geschichte einer Praktik“ anzugehen, eigen sind. Eigentlich ist dieser Ansatz nicht neu. Mit den Studien zu Ritualen und zu Eiden sind zwei Felder geschichtswissenschaftlicher Forschung genannt, in denen Praktiken unter verschiedenen Gesichtspunkten innerhalb der deutschsprachigen Mediävistik der letzten Jahrzehnte untersucht werden. Nur die Überschrift „Geschichte von Praktiken“ ist dabei nicht verwendet worden. Deutlich wurde, dass mit der Fokussierung der Aussagen zu einer Praktik eben nicht nur diese, sondern auch die mit ihr einhergehenden Implikationen in den Quellentexten einzubeziehen sind – wobei Zusammenhänge, die nicht primär erfragt werden, auch unter der Berücksichtigung der Beantwortung einer Leitfrage erschließbar werden können. Diese Möglichkeiten erlauben, von dem Ansatz der „Geschichte einer Praktik“ als einem integrativen Ansatz zu sprechen: Die Untersuchung der Aussagen zu einer Praktik erlaubt unbedingt Rückschlüsse über Akteure, die eine Praktik betrieben haben wie auch zu Lebensweisen dieser. Dazu ist festzuhalten, dass keinem groben „historischen Realismus“ Vorschub geleistet wird, sondern aktuelle methodische wie theoretische Herangehensweisen bei der Quellenuntersuchung ungehindert durchgeführt werden können. Auch sollte bedacht werden, dass wenn von einer „Transformation of the Roman World“ gesprochen wird, auch erfragt werden muss, wie dieser Prozess einer Transformation praktisch abgelaufen sein soll – und somit auch, durch welche Praktiken der Menschen, die zu dieser Zeit lebten, die Transformation bedingt und
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befördert wurde, aber auch, wie diese gesteuert und begründet worden ist. Mit der Beantwortung der Frage nach der Relevanz des Plünderns für das Organisieren von Folgeleistungen ist ein kleiner Beitrag geleistet worden, um all die genannten Fragen in Zukunft weiter vertiefend angehen zu können.
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Ortsregister Die Zahlen bezeichnen die Seiten; die Fußnoten sind mitgenommen. Lateinische Namen werden (wenn vorhanden) in Klammern hinter dem modernen Namen angegeben. Sie sind kursiv gesetzt. Falls die geographische Verortung eines Ortes unklar sein sollte, wurden zusätzliche geographische Angaben gegeben. Wenn ein moderner Name nicht vorhanden ist, wird allein der geschichtliche Name kursiv und ohne Klammern angegeben. Agde (Agathensium) 206, 248, 259 Agen (Aginnum) 491, 545 Aire (Vicus Julii) 529 Albi (Albigensium) 436, 485 f, 507, 529 Alexandria (am Nildelta) 276 Andelot-Blancheville (Andelaum) 245, 395, 498 f, 508, 523, 528, 530, 532, 536 ff, 541, 543, 548 ff, 552, 558 Angers (Andecavum) 158, 176, 180, 210, 406, 436, 445, 468, 511, 520 f, 551 Angoulême (Ecolisma) 267, 411, 437 f, 488, 501 Antiochia (am Orontes) 92, 132, 252 Aquileia 126 Arles (Arelate) 133, 146, 158, 163, 168, 191, 204, 222, 259 f, 265 ff, 288, 332, 379, 409 f, 458 Aunona 153 Autun (Augustodunum) 162, 173, 182, 210, 504 Auxerre (Autessiodorum) 139, 199, 424 Avenches (Aventicum) 162, 170, 175, 253, 271, 277, 321, 341 Avignon (Avennica) 253 f, 256, 410, 428, 484, 487, 489 Barcelona (Barcinona) 330, 501 baskische Siedlungsgemeinschaft(en) 508 Bayeux (Baiocassinum) 468 Bayonne (Laburdum) 529 Béarn (Benarna) 530 Beaucaire (Ugernum) 133, 507 Basbellain (Belsonancum) 523 Berny-Rivière (Brannacum) 392, 443 Béziers (Biterrensium) 314 Blois (Blaesensis) 211, 480 ff Bordeaux (Burdigala) 206, 248, 259, 267, 398, 437, 442, 485, 519, 530, 545 Bourges (Biturcia) 199, 296, 443 ff, 460 f, 467, 475, 477, 501, 520 f bretonische Siedlungsgemeinschaft(en) 431, 467 f, 471, 550 ff Brioude (Brivates) 295 f, 371 Cabaret (Caput Arietis) 507
Cahors (Cadurcus) 433, 499, 529 f, 533 Cambrai (Cameracensium) 237 Carcassonne (Carcasonna) 501, 545 Cartagena (Carthago nova) 330 Chalon (Cabillonensium) 373, 528 f Châteaudun (Castrodunensis) 211, 411, 422, 433, 481 f, 529 Chartres (Carnotum) 482, 529 Chaves (Aquae Flaviae) 122, 141, 172 Chinon (Caino) 158 Cieutat (Begorra) 530 Clermont (Augustonemetum) 65 f, 88, 123, 133, 135, 137, 148, 153, 170, 173, 191 ff, 196 ff, 206, 216, 218, 264, 278, 285, 289 f, 293 ff, 305, 314, 318, 322, 329 f, 338, 345, 362, 370 ff, 375, 381, 385, 397, 409 f, 425, 433, 436, 439, 446, 452, 499, 502, 505 f, 523 Comminges (Convena) 488, 490 f Condat (Condadisco) 161 Cyrrhus 92, 126 Donau (Fluss) 89, 94, 96 ff, 101, 105 f, 114 f, 121, 127, 324 f Durance (Fluss) 266 Embrun (Ebredunensium) 424, 437 Étampes (Stampinsis) 529 Galipoli 94 Gap (Vappincensium) 424, 437 Garcina 438 Garonne (Fluss) 490 f Genf (Genava) 253 Isaccea (Novidunum) 96 Javols (Gabalum) 300, 415, 432 Karthago 132, 546 Konstantinopel 65, 91, 93 f, 99, 105, 108, 110 f, 114 f, 123, 128 f, 190, 252, 276 f, 291, 331, 350, 352, 483 f, 489, 500, 546 Langres (Lingonica) 453 Laon (Lugdunum Clavatum) 451 Latta 408 Lausanne (Lousanna) 162, 253, 277, 321, 341
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Ortsregister
Le Mans (Cinomannis) 239, 243, 272, 406, 433 f, 468, 517, 554 Lemica 122 Lerins (Lirinum) 260 Limoges (Lemovicum) 94, 264, 373, 433, 436, 454, 475, 502, 504, 530 Lissabon (Ulixippona) 153 Loire (Fluss) 175 f, 193, 239, 277, 435 Lyon (Lugdunum) 88, 139, 157, 159, 163, 168 ff, 173, 175, 181, 187, 191, 194, 198, 201 ff, 253, 405, 472 Macho 426 Mâcon (Matisconum) 499 Mailand (Mediolanum) 112, 126, 341, 343 f, 547 Marlhac (Meroliacum) 295 Margus 96, 104 Mareuil-sur-Loir (Villa Maroialensis) 555 Mayenne (Fluss) 551 Meaux (Meledus) 529 Melun (Meluneum) 288 Mértola (Martylis) 149 Metz (Metinsis) 379, 517, 528, 540, 547, 556, 576 Myrina 276 Nantes (Namnetica) 238 ff, 248, 406, 442, 445, 469 f, 519, 521, 550 Narbonne (Narbo) 135, 137 f, 144, 166 ff, 171 ff, 187 f, 330, 472 Nedao (Fluss) 128 Nîmes (Nemausus) 501 f Orge (Fluss) 452, 466 Orléans (Aurelianum) 125, 164, 175 f, 274, 335, 377, 379 ff, 391 f, 397, 438, 475, 477, 480 ff, 550, 580 Oude (Fluss) 253 ostrheinische Siedlungsgemeinschaft(en) 327, 359 ff, 362, 365, 375, 385, 421, 423, 468, 494 Panion 89 Pavia (Ticinum) 126, 157, 204, 252 Périgueux (Petrocoricum) 155, 158 f, 168, 501, 545 Piacenza (Placentia) 141, 154 Poitiers (Pictavium) 260 f, 325, 370, 373, 405, 416, 433 ff, 443 ff, 451, 454, 467 f, 475 ff, 490 f, 513, 515, 522, 529, 542, 549 Ravenna 116 f, 255, 266, 325 Reims (Remensum) 223, 229 f, 236 f, 241 f, 268 f, 312, 379, 402, 411, 422, 539 ff, 543 Rennes (Redonum) 468 ff, 511, 517, 550
Rom 67, 88, 94, 117, 122, 132 f, 134, 136, 140 f, 183, 231, 299 Ressons-sur-Matz (Rosontino) 530 Rouen (Rotomagus) 422, 445 ff, 453 f, 505 f Paris (Parisia) 125, 178, 230, 391, 393 ff, 400, 422, 443, 445, 474, 479, 529 Rhein (Fluss) 12, 69, 101, 198, 235, 276, 326, 359 f, 364 ff, 370, 408, 420 ff, 583 Rhone (Fluss) 168, 501 Saintes (Santona) 248, 391, 395, 398, 436 f, 488, 501, 521, 541, 553 Saône (Fluss) 168, 501 Saragossa (Caesaraugusta) 329 f, 347, 356 f, 358 Scallabis 153, 500 Seine (Fluss) 421, 515 Senlis (Silvanectium) 530 Sens (Sinonica) 288 Sevilla (Hispalis) 124, 204, 330, 355, 545 Soissons (Augusta Suessionum) 209 ff, 230, 237, 241 f, 244 ff, 292, 345, 362, 402, 471 f, 505, 538 St. Lizier (Consorannis) 529 St.-Paul-Trois-Chateaux 437 Toulouse (Tolosa) 65, 132 f, 135, 137 ff, 160, 165 ff, 172, 174 f, 189 ff, 195 ff, 200, 203 f, 206 ff, 218 f, 235, 238, 257, 260, 263 ff, 267, 270 ff, 284, 333, 446 f, 484, 486, 488 f, 502, 507, 545, 569 Tours (Turonum) 227, 260 ff, 267, 287 f, 295, 370, 388, 391, 398 f, 403 ff, 411 f, 422 f, 433 ff, 438 f, 441 ff, 448, 460 f, 467 f, 475 ff, 479 ff, 489 f, 499, 512 ff, 520, 522, 528 f, 549 ff, 554 f, 573 Treviso (Tarvisium) 325 Trier (Augusta Treverorum) 180, 182, 211, 268, 300, 379, 523 Troyes (Tricassium) 125 Valence (Valentia) 223 Vannes (Venitus) 468, 470 f Vendôme (Vindocinum) 529 Verdun (Virdunum) 288, 523 Vienne (Fluss) 268 Vienne (Vienna) 223, 257, 259, 268 Vilaine (Fluss) 551 Viminacium 96, 105 Vouillé (Campus Vocladeus?) 257 Voulon (Campus Vocladeus?) 257 Zülpich (Tolbiacum) 328
Personenregister Die Zahlen bezeichnen die Seiten; die Fußnoten sind mitgenommen. Namen von Quellenautoren werden immer bei ihrer ersten Einführung in die Untersuchung mit Seiten angegeben und weitere Seiten nur noch, wenn betreffende Namen in einem Quellentext selbst genannt werden. Bei dem Mehrfachauftreten eines Namens werden zu Differenzierungszwecken zusätzliche Informationen für die Identifizierung in Klammen angegeben. Unklare Identitäten sind in Klammern vermerkt. Abkürzungen: Bf – Bischof; bu Kg – burgundischer König; fr Kg – fränkischer König; gp Kg – gepidischer König; Hm – Hausmaier; Hr – Heermeister; Kg – König; Kgn – Königin; Ks – Kaiser; la Kg – langobardischer König; Mä – Märtyrer; Mp – Metropolit; og Kg – ostgotischer König; o Ks – oströmischer Kaiser; Pp – Papst; rö Kg – römischer König; su Kg – suebischer König; th Kg – thüringischer König; wg Kg – westgotischer König; w Ks – weströmischer Kaiser; Up – Usurpator; va Kg – vandalischer König Achis (la Kg) 353 Adovaker 210 Aegidius 87, 155 ff, 171 f, 174 ff, 187 ff, 208 ff, 217 f, 264, 302, 426, 505, 561, 569, 574, 578 Aegila 490 Aëtius (Hr) 3, 68, 91, 93, 101, 114, 116 ff, 121 f, 125 f, 131 ff, 137 ff, 144, 149 f, 170, 217 Aeonius (Bf v. Arles) 260 Agathias 276 f Agerich (Bf v. Verdun) 523 Agricola (Sohn d. Avitus) 134 Agricola (Vater d. Avitus) 134 Agrippinus 156, 162 ff, 172 ff, 179 f, 182, 184, 302 Alarich I. (wg Kg) 133, 136, 190 Alarich II. (wg Kg) 206, 209, 223, 235, 249, 252, 257 ff, 262 f, 265 ff, 268, 270 f, 284, 295, 304, 538, 580 Alboin (la Kg) 353 Amalarich (wg Kg) 267, 329, 331 Amalafrid 326 Amalaswintha (Kgn) 347 Amatus 427 Amingus 350 Anastasius I. (o Ks) 252, 267 Anatolius 95 Andarchius 439 Andreas (Mä) 123 Anianus (Bf v. Orléans) 125, 164 f Animod 554 Ansegisil 556
Ansoald 442, 455 Antestius 520 f, 545 Anthemiolus 197 Anthemius (Ks) 65, 173, 190 ff, 194, 197, 252 Aorich 190 Apollinaris (Bf v. Valence) 223 Apollinaris 284, 305 Arbogast (Hr) 64 Arbogast 180 ff, 211 Arcadius 294, 296, 329 Ardarich (gp Kg) 127 f Aregisil 318 Ariarich 190 Aridius 256, 318 Ariwald (la Kg) 140 Arnegisil 522, 525 Arnegunde (Kgn) 392 Arnulf (Bf v. Metz) 556, 576 Arvandus 68, 160, 166, 191 f, 194, 196, 578 Asclipius 430, 452, 466 Aspar (Hr) 113 Athanarich 190, 324 Athaulf (wg Kg) 144 Attalus 211 Attila 3, 87 ff, 92 ff, 101 ff, 124 ff, 139, 145, 195, 216 ff, 256, 570 Audofleda (Kgn) 347 Audin 513 Audo 404, 450 Audovald 546 f Audovar 410 f, 414 f Auno 513, 515
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Personenregister
Auspicius (Bf v. Toul) 180 f Austrapius 375, 385, 415 Austregisil 513 ff Austrovald 508 f, 545 Authari (la Kg) 529, 546 Aventinus (Bf v. Châteaudun) 211 Avitus (Bf v. Vienne) 223, 259, 268 Avitus (w Ks) 65, 68, 87 f, 131 ff, 150 ff, 159 f, 169 ff, 179, 186, 217 f, 302, 425, 472, 561, 565, 569 Baddo (wg Kg) 533 Basilius (Bf v. Aix) 204 Basilius 416, 434 Basina (Tochter d. fr Kg Chilperich I.) 541, 549 Baudegisil (Bf v. Le Mans) 517, 554 f Becco 296, 299 Begga 556 Beppolen 468 ff, 511, 550 f Beretrude 553 Bertha (Tochter d. fr Kg Charibert) 404 Berthachar (th Kg) 326 Belisar 247, 332, 342, 345 f, 349 f Berthefled 404 Berthefred 451, 453, 466, 472, 496, 509 f, 524, 561 Berthegunde 549 Bertram (Mp v. Bordeaux) 442 Berulf 443 ff, 447 ff, 460 f, 465, 467, 494, 522, 525, 527 f Bladast 415, 445, 447, 478, 486 f, 495, 519 f Bleda 88, 94 ff, 101 Bobolen 517 ff Boderich 467 Bonatus 520 Bonifatius 68 Boso 545 Britianus 433 Brunhild (Kgn) 325, 402, 441, 451, 453, 466, 471, 523, 529 f, 533 f, 539, 547 Buccelen (Butilin) 331, 349 ff, 354 f Burgolen 451 Burgundio 442 Caesaria 371 Caesarius (Bf v. Arles) 259 f, 265, 288, 332 Calminius 197 ff Camillus 173 Canao 467, 470, 551 Caracalla (Ks) 142
Cassiodor 123 Castinus (Hr) 144 Cautinus (Bf v. Clermont) 371 Celsus 410, 424, 427, 432, 467 Censorius (Bf v. Auxerre) 199 Censurius 144, 149 Chararich (fr Kg) 214, 228, 236, 249 Charibert (fr Kg) 363, 368, 390 ff, 398 f, 401, 403 ff, 407, 434 f, 438 f, 446, 452 f, 474 f, 483, 529, 541, 544, 549 Charibert (Sohn d. fr Kg Chlothar II.) 391 Chedin 546 f Childebert I. (fr Kg) 222, 275, 294 ff, 319, 321, 323, 328 ff, 342, 347 f, 356, 358, 363 ff, 367 f, 370, 373, 374, 376, 377, 381, 383 ff, 391, 403, 437, 439, 483 Childebert II. (fr Kg) 245, 428, 435 f, 442, 445, 451, 453, 473 ff, 477, 490, 498, 507 ff, 514, 516, 519, 522 ff, 528 f, 532 ff, 539 ff, 546 ff, 554, 557 Childerich I. (fr Kg) 156, 175 ff, 184 f, 188, 211, 214, 223, 228 ff, 233 f, 236 f Chilperich I. (bu Kg) 170, 202 f Chilperich I. (fr Kg) 245, 390 ff, 402 f, 404, 411, 417 f, 420 ff, 428, 433 f, 436, 439, 441 ff, 451 ff, 460 ff, 466 ff, 477 ff, 482 ff, 496, 500, 505 f, 511, 517, 529 f, 534 f, 538, 540 f, 548 f, 553 f Chlochilaich (Hygelac) 291 Chlodobert (Sohn d. fr Kg Chilperich I.) 474 Chlodomer (fr Kg) 275, 277, 294, 321, 341, 347 f, 366 f, 369, 376, 381, 383 Chlodoswinde (Tochter d. fr Kg Sigibert I.) 268, 529, 533 Chlodwig I. (fr Kg) 12, 16, 36, 46, 56, 66 f, 175, 177 f, 209, 212 ff, 221 ff, 233 ff, 248 ff, 265, 267 ff, 279 f, 282 ff, 292, 295, 297 f, 301 ff, 313, 317, 321, 327, 334 ff, 338, 345, 347, 362, 368, 372, 391, 394, 396, 416, 429, 447, 458, 464, 467, 471 f, 481, 495, 500, 503, 505 f, 538, 548, 557, 560 f, 573 ff, 580 Chlodwig (Sohn d. fr Kg Chilperich I.) 436, 454, 471, 474, 485 Chlothar I. (fr Kg) 224, 275, 294, 313, 319, 321, 323, 326, 328, 340, 342, 346 ff, 356, 358, 360 ff, 372, 374 ff, 381 ff, 391 ff, 395, 398 ff, 483, 530, 549 Chlothar II. (fr Kg) 469, 473 ff, 509, 511, 534, 556
Chramn 224, 363 ff, 368, 370 ff, 385 Chramnesind 512 ff, 523 Chariulf 488 Chrodechilde (Kgn) 252, 267 ff, 275, 288, 322, 336, 368 Chrodechilde (Tochter d. fr Kg Charibert) 404, 541 ff, 549 Chrodechilde (Tochter d. fr Kg Guntram) 529 f, 533 Chunsina (Kgn) 370, 392 Chuppa 553 ff Claudius (Agent d. fr Kg Guntram) 481 Claudius (Agent d. wg Kg Reccared) 544 Constantius III. (Hr u. w Ks) 133, 135, 144 Constantius (Priester in Lyon) 139, 191 Cyprianus (Mp v. Bordeaux) 206 Dagobert I. (fr Kg) 46, 391, 399, 446, 556 Dagobert (Sohn d. fr Kg Chilperich I.) 474 Dengizich 129 Desiderius 415, 436, 445, 447, 454, 478, 484 ff, 495, 507 ff, 521 Diocletian (Ks) 142 Dodo 451 Domegisil 511 Domicianus (Bf v. Angers) 406 Domnola 517 ff Domnolus (Bf v. Le Mans) 406 Dracolen 451, 453 f, 466, 472 Droctulf 539 f, 543 Ebarchar 470 Ebero 475 Eberulf (Agent d. fr Kg Chilperich I.) 473, 479 ff, 491, 516 Eberulf (Bruder d. Auno) 513 Ecdicius 138, 173, 186, 200 ff, 302, 561, 565 Egidius (Bf v. Reims) 539 ff, 543 Eligius (Bf v. Noyon) 399, 446 Ellak 128 Emerius (Bf v. Saintes) 398 Ennodius (Bf v. Pavia) 157, 252 f Ennodius 454, 522 Epiphanius (Bf v. Pavia) 157, 204, 264 Erarich (og Kg) 350, 352 Erpo 453 Eucherius 194, 197 ff Eudoxius 116 ff Eufronius (Bf v. Tours) 398 f, 405 f Eugendus 161 Eugenius 118
Personenregister
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Eugippius 325, 406 Eunius Mummolus 311, 389 f, 415, 424 ff, 428, 432, 434, 436 f, 439, 446 f, 455, 483 f, 486 f, 489 f, 495, 500, 537, 561, 576 Eunomius 442 Eurich (wg Kg) 67, 136, 186, 189 ff, 196 ff, 203 ff, 216 ff, 237, 263 f, 569, 572 ff, 579 Evodius (Bewohner v. Clermont) 371 Evodius (Bf v. Javols) 300 Faileuba (Kgn) 529, 533, 539 Faustinus (Bf v. Dax) 499 Faustus (Bf v. Riez) 204, 264 Felix (Bf v. Nantes) 406, 442 Firminus (Bewohner v. Clermont) 371, 410 f, 433, 436 Firminus (Bewohner v. Arles) 191 Flavianus 523, 554 Flavius Afranius Syagrius 226, 505 Flavius Merobaudes 137 Frederich 144, 175 ff, 179, 184 Fredegar (zugewiesener Name) 210, 434 Fredegunde (Kgn) 442, 453, 462 f, 471, 473 f, 479, 500, 511, 517, 521, 534 Fronto 142 Frontonius (Bf v. Angoulême) 437 Gainas 99 Gaiso 399, 404 Gallomagnus 539 f, 543 Gallus (Bf v. Clermont) 293, 300 f, 371 Galsvintha (Kgn) 530 Garachar 519 f Gararich 475 Geiserich (va Kg) 132, 149, 194 Genoveva 125, 178 Germanus (Bf v. Auxerre) 139 Gesalech (wg Kg) 266 Gibica (bu Kg) 251 Gideon 545 Glycerius (w Ks) 65, 192, 201, 203, 252 Godegisel (bu Kg) 251 ff Godegisil 411, 414, 422, 433, 509 f Godin 453, 471 f, 496 Godomar II. (bu Kg) 294, 321 f Gogo 522 Graecus (Bf v. Marseille) 204 Gregor (Bf v. Tours) 123, 413, 435, 438 ff, 453, 463, 480, 498, 512 ff, 519 f, 528 f, 531, 538, 556 Gripo 546
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Personenregister
Gundioch (bu Kg) 170 Gundobad (bu Kg) 192, 201, 235, 251 ff, 256 ff, 265 f, 269 ff, 335 Gundowald 352, 388, 390, 402, 415, 428, 447, 452, 460, 473 f, 477, 483 ff, 495, 498 ff, 502 f, 516, 519 f, 527, 534, 542 f, 547, 553, 561 Guntheuca (Kgn) 392 Guntram (fr Kg) 3, 80, 245, 363, 368, 392, 405, 409 f, 421, 424 f, 427, 434, 445, 447, 451 ff, 460 f, 466 f, 469, 473 ff, 485 f, 490 ff, 496, 498, 500 ff, 507 ff, 516 f, 519 ff, 528 ff, 532 ff, 537 ff, 544 f, 547 ff, 557 ff Guntram Boso 311, 389 f, 411, 414 f, 422, 433, 435, 441, 451 f, 454, 466, 486 f, 489, 495, 517 ff, 523, 529, 537, 561, 576 Gunthar (Sohn d. fr Kg Chlothar I.) 313 Heraclius (Bf v. Angoulême) 437 f Heraclius (Identität mit Bf Heraclius unklar) 398 Herculanus 118 Hermenafrid (th Kg) 324, 326, 328, 360 Hermerich (su Kg) 149 Hesychius (Bf v. Vienne) 223 Hilarius (Bf v. Poitiers) 261, 443, 451 Hildebad (og Kg) 350 Hilping 298, 301, 305 Hincmar (Bf v. Reims) 223, 312 Honoria 116, 118, 120 f Honorius (w Ks) 65, 132 f, 144 Hortensius 296, 299 f Hyacinthus 118 Hydatius (Bf v. Chaves) 122 f, 141, 144 Ingoberga (Kgn) 404 Ingotrude 549 Ingunde (Kgn) 392 Ioannis 211 Isidor (Bf v. Sevilla) 330 Johannes (Abt v. Biclaro u. Bf v. Girona) 500 f Johannes (Abt v. Romaus) 350 Johannes (Up) 91 Johannes (Vater d. Sichar) 513 Johannes Malalas 252 Jordanes 93 Julian (Mä) 295, 371 Julius Nepos (w Ks) 65 f, 192, 201, 203 f Justinian I. (o Ks) 252, 331, 341, 353 Karl d. Große (fr Kg u. Ks) 19, 233, 353, 556 Karl Martell (Hm) 19 Konstantin d. Große (Ks) 268
Lanthacarius 350 f, 354, 386 Launebold 553 Leudegisil 490 f Leuthari 331, 351 ff Libius Severus (w Ks) 65, 161 f, 173 Litorius 137 ff Leander (Bf v. Sevilla) 330 Leo (Bf v. Sens) 288 Leo I. (o Ks) 154, 190, 194 Leo I. (Pp) 126 Leontius (Bf v. Arles) 204 Leontius (Mp v. Bordeaux) 398 Leovigild (wg Kg) 446, 501, 507 f Leudast 415, 435, 438 ff, 447 f, 466 f, 495 f, 512, 537 Lupicinus 161 Lupus (Bf v. Troyes) 125 Lupus 451 f, 466, 496 Macco 542 Macliav 467 Magnachar 453 Magnarich (Bf v. Trier) 523 Magnatrude 555 Magnowald 522, 525 Magnus 143, 173 Magnus Felix 173 Maiorian (w Ks) 65, 141, 152, 154 f, 157, 159 ff, 166, 169 ff Mamertinus 228 Mappinius (Bf v. Reims) 379 Marachar (Bf v. Angoulême) 437 f Marcellinus Comes 93 Marcian (o Ks) 113 f, 145 Meroflede (Kgn) 404 Marcovefa (Kgn) 404, 438 Marcus 404, 450, 454 Marileif 439, 477 Marius (Bf v. Avenches-Lausanne) 162 Marowech (Bf v. Poitiers) 477 Martin (Bf v. Tours) 155, 261, 268, 325, 368, 375, 399, 408, 422, 433, 435, 438, 451, 460, 464, 506, 510, 520, 538, 556 Maximian (Ks) 228 Maximus (Bf v. Saragossa) 329 Medard (Bf v. Noyon) 472, 523 Memnonios 276 Menander Protector 291 Merowech (Sohn d. fr Kg Chilperich I.) 441, 453, 467, 471 f, 474
Merowech 316 Mummolus (Abgabenagent) 404, 450, 454 Mummolus (in Italien vom fr Kg Theuderich I. Zurückgelassener) 350 Munderich (Up) 311, 314 ff, 338 Namatius (Bf v. Nantes) 519 Namatius 207 Nanthin 437 ff, 448, 467 Narses 349, 351, 483 Nectarius 517 Nepotianus (Hr) 162 Nicetius (Bf v. Trier) 268, 379 Nicetius 502 Nonnichinius 454 Nymphidius 134 Octar 88, 90 f, 99 Odoacer (Kg) 210 Ollo 460 Olo 547 Olybrius (w Ks), 65, 192, 201, 252 Olympiodorus 87 f Onegesius 105 Orestes (Hr) 65, 192 Orosius 123 Paeonius (Up) 155, 173 Palladius (Bf v. Saintes) 521 Palladius (Sohn d. w Ks Petronius Maximus) 132 Palladius (Agent d. fr Kg Sigibert I.) 415, 432 f, 439, 448, 467 Panthenius 290 Papianilla 88, 134 Parthenius (Bf v. Javols) 415 Patiens (Bf v. Lyon) 198, 201 ff Patroclus 290 Paulinus v. Pella 135 Paulinus v. Périgueux 155 Paulus 158, 180, 182, 211, 214, 218, 302 Paulus Diaconus 353 Pelagius 512 Petronius 191 Petronius Maximus (w Ks) 65, 132 f, 140, 151 Petrus 159 Philagrius 134 Pippin d. Ältere (Hm) 556, 576 Pippin d. Jüngere (Hm) 556 Praetextatus (Bf v. Rouen) 454 Priskos 89, 104 ff, 109, 111, 117 Priscus Attalus 133 Poenius 424
Personenregister
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Prokopios (Prokop) 247, 326, 332, 342, 345 Prosper (Bf v. Orléans) 125 Prosper Tiro 94 Quintianus (Bf v. Clermont) 293, 298, 300 Quintianus (Bf v. Rhodez) 260 Radegunde (Kgn) 325 ff, 392, 541 f, 549 Ragnachar (fr Kg) 214, 228 f, 236 f, 239, 249, 255 Ragnovald 454, 478 Rathar 516 ff, 520 f Rauching 509 f, 522 ff, 537, 539 f, 561 Reccared (wg Kg) 446, 501, 507 f, 533, 544 Rechiar (su Kg) 143, 145, 147, 149 f Rechila (su Kg) 149 f Remigius (Bf v. Reims) 223, 242, 268, 312 Renatus Profuturus Frigeridus 124 Rignomer 239, 272 Rikimer (Hr) 65, 141, 145 f, 152, 154, 161, 174, 192, 252 Rikulf (Priester in Tours) 442 Rikulf (Subdiakon in Tours) 442 Rigunthe 420, 442, 446 f, 484 f, 488 f, 511, 542, 553 Riothamus 192 f Roccolen 433 ff, 438, 448, 466, 472 Romanus 433 Romulus Augustulus (w Ks) 64 f, 192, 210, 252 Ruricius (Bf v. Limoges) 264 Ruga 88, 90 ff, 99, 102 Sabaudus (Bf v. Arles) 410 Sabinus (Bf v. Sevilla) 152 Sagittarius (Bf v. Gap) 424, 437, 448, 453, 488, 490 Salonius (Bf v. Embrun) 424, 437, 448, 453 Salustius 371 Salvianus 198 Sambida 139 Samson (Sohn d. fr Kg Chilperich I.) 474 Septimina 539 f, 543 Seronatus 68, 160, 166, 194 ff, 200, 263 Severin 325, 406 Severus 451, 454 Sichar (Identität mit dem nachfolgenden Sichar unsicher) 475 Sichar 512 ff, 518 f, 523 Sidonius Apollinaris (Bf v. Clermont) 88, 125, 191, 193 ff, 204, 226, 505, 573 Sigarius 416, 434 Siggo 453
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Personenregister
Sigibert I. (fr Kg) 12, 291, 325, 390 ff, 394, 402 f, 405, 407, 409 ff, 415, 417, 420 ff, 428, 433 ff, 439 ff, 446 f, 453 f, 467, 471 f, 474 f, 483, 485, 487, 522, 529 f, 532, 538, 548 Sigibert „v. Köln“ (fr Kg) 214, 227, 229, 248 f, 255, 297 Sigismund (bu Kg) 223, 257, 266, 294, 321 f Sigivald 295, 297 ff, 301, 313, 337 f, 372 Sokrates Scholastikos 91 Stilicho (Hr) 99 f Suniericus 153 Sunnegisil 539 f, 543 Sulpicius Alexander 307 Syagria (Bewohnerin v. Lyon) 157 Syagrius (Landbesitzer nahe Lyon) 157 f Syagrius (rö Kg) 157 f, 181 f, 209 ff, 226, 229 f, 235 ff, 246 ff, 270 f, 284, 505, 561 Sylvester (Bf v. Langres) 453 Symmachus (Pp) 288 Symphorianus (Mä) 504 Teja (og Kg) 351 Terentiolus 502, 504 Theodahad (og Kg) 221, 331, 347 f Theoderich I. (wg Kg) 122, 136, 139, 149 f, 179, Theoderich II. (wg Kg) 131 ff, 140, 142 ff, 150 ff, 167, 172, 174, 176, 179, 184, 190 f, 196 f, 207, 217, 219 Theoderich d. Große (og Kg) 123, 129, 252, 257 f, 265 ff, 322, 324, 335, 347 Theoderich (Sohn d. Boderich) 467 Theodorus (Bf v. Marseille) 516 Theodorus (Bf v. Tours) 288 Theodorus (Verwandter d. w Ks Avitus) 137 Theodulf 511 Theudebald (fr Kg) 277, 351, 353, 355, 360, 365, 370 ff, 376, 384 f Theudebert I. (fr Kg) 222, 275 ff, 281, 288 f, 291 ff, 313, 319 f, 322 f, 330 ff, 338, 341 ff, 354, 356, 366 ff, 370, 376 f, 381 ff, 386, 421 Theudebert II. (fr Kg) 509, 529, 533 f Theudebert (Sohn d. fr Kg Chilperich I.) 390, 395, 402, 411 f, 417, 422, 433, 435, 441, 466, 474 Theudechilde (Kgn) 404 f
Theudefred 424 Theuderich I. (fr Kg) 12, 267, 271, 275, 289 ff, 300 f, 305, 313 ff, 317 ff, 322, 326 ff, 333, 335, 345, 362, 366, 372, 375 f, 381, 439, 505 f, 538 Theuderich II. (fr Kg) 509, 529, 533 f Theuderich (Sohn d. Kg Chilperich I.) 474 Theudigisil (wg Kg) 357 Theudis (wg Kg) 356 ff Theodoret (Bf v. Cyrrhus) 92 Theodosius II. (o Ks) 92, 95 f, 113, 115 Thorismund (wg Kg) 190 Tonantius Ferreolus 226, 505 Totila (og Kg) 350 f Uldin 87, 98 ff, 102 Urajas 341 ff Ursio 451, 453, 466, 472, 496, 509 f, 524, 561 Ursicinus (Bf v. Cahors) 499 Ursus 439 Valamir (og Kg) 128 Valentinianus I. (w Ks) 65 Valentinianus II. (w Ks) 64 Valentinianus III. (w Ks) 101, 116, 118 f, 131 f, 144 f Valips 96 Venerandus 436 Victor (Bf v. St.-Paul-Trois-Chateaux) 437 Victor (Bf v. Tunnuna) 124 Victorinus (Bf v. Fréjus) 264 Victorius (Bf v. Rennes) 517 Victorius 205 Vidimaclis 467, 469 Vincentius (Mä) 357, 491 Vincentius 205 Vitus (Hr) 144 Venantius Fortunatus (Bf v. Poitiers) 325 f Waddo (Hm) 486, 488, 541 ff, 553 f, 556 Walderada (Kgn) 392 Wallia (wg Kg) 136, 144, 190 Wandelen 522, 524 Waroch 460, 467 ff, 496, 550 Willachar 475, 550 ff Wintrio 546 Wiolicus 424 Witigis (og Kg) 221 f